Das protestantische Drama: Evangelisches geistliches Theater in der Reformationszeit und im konfessionellen Zeitalter 9783412211783, 9783412210328

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Das protestantische Drama: Evangelisches geistliches Theater in der Reformationszeit und im konfessionellen Zeitalter
 9783412211783, 9783412210328

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Detlef Metz

Das protestantische Drama Evangelisches geistliches Theater in der Reformationszeit und im konfessionellen Zeitalter

2013 BÖHL­AU VER­L AG KÖLN WEI­M AR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung der Forschungsstiftung für Spätmittelalter und Reformation Tübingen, der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Union Evangelischer Kirchen in der EKD und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Jakob Ruoff, Spiel von des Herrn Weingarten, Zürich 1539. Aus: Heinz Kindermann, Theatergeschichte Europas. Bd. II, Salzburg 19692, S. 313.

© 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: General Druckerei GmbH, Szeged Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Hungary ISBN 978-3-412-21032-8

Meiner Mutter Else Metz

Vorwort Als der Reisegruppe, zu der ich gehörte, in Český Krumlov, dem vormaligen BöhmischKrumau, ein Gebäude als früheres Jesuitentheater vorgestellt wurde, war ich erst einmal überrascht, hatte ich von einem Theater der Jesuiten zuvor noch nichts vernommen. Indessen schien mir der Gebrauch dieses Mediums hervorragend in der Linie der Aktivitäten dieses Ordens zu liegen. Noch nichts ahnend, kam in mir zugleich die Frage auf: Sollte es eine solche Theaterpraxis auch auf protestantischer Seite gegeben haben? Und bald schon begannen die Quellen zu sprudeln, was ich in dieser Quantität und auch Qualität nie vermutet hätte – verbargen sich doch hier manche Schätze. Das Ergebnis ist die vorliegende Studie. Sie wurde im Sommersemester 2012 an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen als Habilitationsschrift angenommen. Für den Druck wurde sie geringfügig überarbeitet. Ein herzlicher Dank gilt an erster Stelle Herrn Prof. Dr. Ulrich Köpf, meinem Doktorvater, der das Werden auch dieser Arbeit mit Fragen und Anregungen sorgsam begleitete und die mühsame Arbeit des Erstgutachters übernahm. Herrn Prof. Dr. Jürgen Kampmann danke ich vielmals für die Übernahme des Zweitgutachtens und manchen Hinweis für die Veröffentlichung. Zu danken ist zunächst den Bibliotheken, deren Dienste ich für die Arbeit an den Quellen in Anspruch nahm, und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, bei der ich mehrfach zu Gast sein durfte, der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Abteilung Historische Drucke, der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar, der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, der Universitätsbibliothek Rostock – Abteilung Sondersammlungen, der Öffentlichen Bibliothek der Universität Basel, der Universitätsbibliothek Leipzig, der Universitätsbibliothek Tübingen und der Universitätsbibliothek Gießen. Ein besonderer Dank gilt denjenigen Institutionen und Personen, die durch ihre Zuschüsse das Erscheinen des Werkes ermöglicht haben. Es sind die Forschungsstiftung für Spätmittelalter und Reformation in Tübingen, die Evangelische Kirche in Deutschland und die Union Evangelischer Kirchen in der EKD, die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD), Frau Barbara Lambrecht-Schadeberg, Herr Hartmut Hering, mein Bruder Dirk Metz und Silke Lautenschläger und aus der Verwandtschaft das Ehepaar Anneliese und Ernst Jäger. Herzlich danken möchte ich allen, die sich am Korrekturlesen beteiligten. Es waren, in alphabetischer Reihenfolge Cordelia Birringer, Jörg Hausmann, Bernd Schneider, Johannes Schneider und Michael Weber. Danken möchte ich ebenso Frau Prof. Dr. Athina Lexutt, in deren Gießener Sozietät ich mehrfach das Vorhaben vorstellen und Rückmeldungen erhalten konnte. Dem Verlag Böhlau mit Herrn Johannes van Ooyen und Frau Sandra Hartmann sei für die Aufnahme in das Verlagsprogramm und die gute Zusam-

8 Vorwort menarbeit gedankt. Für allerlei Rücksichtnahme danke ich den früheren Superintendenten des Ev. Kirchenkreises Siegen, Friedemann Hillnhütter und Annette Kurschus, der jetzigen Präses der westfälischen Landeskirche. Das Werk ist recht umfangreich geworden. Besonders die Einzelstudien zu den Abraham-, Stephanus- und Lutherdramen schlagen dabei zu Buche. Naturgemäß kommt es hier auch zu Redundanzen. Wer mag, lese diese Abschnitte exemplarisch oder betrachte die Zusammenfassungen mit den jeweiligen Ergebnissen. Gleichwohl gibt es Aspekte, die nur angerissen werden konnten und noch weiterer Erforschung harren. In Sonderheit gilt dies für die Untersuchung antijudaistischer Tendenzen im protestantischen Drama. Da die konfessionelle Frage den Fokus der Studie bildet, wird dieses Thema nur gestreift. Man wird nicht umhinkommen festzustellen, dass dies Gegenstand einer eigenen Studie sein müsste. Gleiches gilt für das reformierte geistliche Drama in den Niederlanden, das hier nur berührt wird, während für das reformierte schweizerische und französische geistliche Drama eine eingehendere Darstellung erfolgt. Gewidmet ist das Werk meiner lieben Mutter Else Metz, die von seiner Genese manches berichten kann und der ich herzlich für alle Unterstützung und Begleitung danke. Siegen, im Juni 2013

Detlef Metz

Inhalt Vorwort ...................................................................................................................

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Teil A Annäherungen ............................................................................................ 15 I. Das Drama in der Reformationszeit und im konfessionellen Zeitalter . 1. Ein Überblick .................................................................................... a) Das Aufkommen des geistlichen Dramas ..................................... b) Stoffe und Inhalt der Dramen ...................................................... c) Die Struktur der Dramen ............................................................ d) Die Autoren der Dramen ............................................................. e) Die Verbreitung der Dramen ....................................................... f ) Lateinisches und deutsches Drama ............................................... g) Die Aufführungspraxis ................................................................. h) Der Druck der Dramen ............................................................... 2. Konsequenzen: Leitfragen zur Erforschung des geistlichen Dramas ... 3. Die Aussichten: Macht eine Untersuchung des geistlichen Dramas Sinn? .................................................................................... a) Die Bedeutung des Mediums Theater in der Zeit – Einschätzungen ............................................................................ b) Geistliche Dramen und ihre Verfasser als Schaltstelle ...................

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II. Die Forschung ....................................................................................... 1. Die Ausgangslage .............................................................................. a) Unübersichtlichkeit: Die Vielgestaltigkeit der Forschung als Konsequenz der Vielgestaltigkeit des Gegenstands ....................... b) Das Fehlen einer Gesamtdarstellung des protestantischen Dramas als Folge von dessen undeutlicherem Profil .................................. c) Kirchengeschichtliche Forschung und protestantisches Drama ..... 2. Wichtige Stationen der Erforschung des protestantischen Dramas .... a) Die ältere Forschung .................................................................... b) Die neuere Forschung seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts ..........................................................................

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III. Der Ansatz der Studie ........................................................................... 1. Die Zielsetzung ................................................................................. a) Konsequenzen aus der Forschung ................................................ b) Hauptziele der Studie ..................................................................

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10 Inhalt 2. Die Frage der Quellen ....................................................................... 3. Arbeitsschritte ................................................................................... 4. Eingrenzungen .................................................................................. a) Voraussetzungen .......................................................................... b) Geographische und zeitliche Eingrenzung .................................... c) Die Auswahl der Dramen ............................................................ 5. Der Beitrag einer Studie zum geistlichen Drama und Theater ...........

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Teil B Grundlegung............................................................................................... 102 Konzeptionen des geistlichen Dramas im Protestantismus der Reformationszeit und der frühen konfessionellen Zeit ............................. 102 I. Das Verhältnis der Wittenberger Reformation und der lutherischen Konfession zum geistlichen Drama ....................................................... 1. Dramen und Dramenautoren im Umkreis der Wittenberger Reformation ...................................................................................... a) Dramen und Dramenautoren des Wittenberger Kreises ............... b) Ein Dramenautor sui generis: Thomas Naogeorg ........................ 2. Theologische Äußerungen zum geistlichen Theater in der Wittenberger Reformation und im konfessionellen Luthertum bis zum Dreißigjährigen Krieg ................................................................ a) Das Verhältnis Martin Luthers zum Drama im Allgemeinen ...... b) Das Drama bei Philipp Melanchthon ....................................... c) Luther und das geistliche Drama ............................................... d) Der Dessauer Zwischenfall ........................................................... e) Die Schulordnungen im lutherischen Bereich und die Theaterpraxis in lutherischen Städten ........................................... f ) Die Verteidigung des geistlichen Dramas bei Ägidius Hunnius ... g) Die Konzeption des geistlichen Theaters nach Polykarp Leyser d.Ä. ................................................................................. h) Formen der Begründung des geistlichen Dramas im Luthertum des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts ................................. i) Der systematische Ansatz Balthasar Meisners ............................. 3. Ergebnis ............................................................................................

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II. Das Verhältnis des reformierten Teils der Reformation und des weiteren reformierten Protestantismus zum geistlichen Drama ............ 220 1. Dramen, Verfasser und Aufführungen in Bereichen des reformierten Teils der Reformation .................................................... 228 a) Dramen, Dramenautoren und Aufführungen in der deutschsprachigen reformierten Schweiz ...................................... 228

Inhalt 11

b) Dramen, Dramenautoren und Aufführungen im französischsprachigen reformierten Protestantismus ..................... 2. Theologische Äußerungen zum geistlichen Theater im deutschen und im französischen reformierten Protestantismus in Reformationszeit und früher konfessioneller Zeit .............................. a) Martin Bucer .............................................................................. b) Huldrych Zwingli ...................................................................... c) Heinrich Bullinger .................................................................... d) Rudolf Gwalther ....................................................................... e) Johannes Calvin .......................................................................... f ) Wilhelm Farel und Pierre Viret ................................................. g) Theodor Beza .............................................................................. h) Die Beschlüsse der französischen Nationalsynoden....................... Exkurs: Das geistliche Theater in den reformierten Niederlanden....... 3. Die weitere Entwicklung.................................................................... a) Johann Jakob Breitingers Theaterkritik ..................................... b) David Wetters Sicht des Theaters ............................................... 4. Ergebnis ............................................................................................

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Teil C Konkretion.................................................................................................. 315 Die Dramatisierung geistlicher Stoffe im protestantischen Drama der Reformationszeit und des konfessionellen Zeitalters .......................... 315 I. Der Abraham-Stoff im protestantischen Drama der Reformationszeit und des konfessionellen Zeitalters ......................................................... 1. Hans Sachs, Die Opferung Isaaks (1533) – Abraham, Lot samt der Opferung Isaaks (1558) ............................................................... 2. Joachim Greff, Abraham (1540) ...................................................... 3. Andreas Lucas, Komödie, wie Abraham seinen Sohn Isaak opfern sollte (1551) ...................................................................................... 4. Jakob Frey, Wie Abraham seinen Sohn Isaak aufopfern sollte (ca. 1550–1560) ................................................................................ 5. Herman (Hemmann) Haberer, Spiel vom gläubigen Vater Abraham (1562) ............................................................................................... 6. Georg Rollenhagen, Abrahams Leben und Glauben (1569) ........... 7. Christoph Stymmelius, De immolatione Isaac (1579) ...................... 8. Nathan Chytraeus, Tragoedia von Abrahams Opfer (1595 / Theodor Beza, Abraham sacrifiant [1550])........................................ 9. Jo(a)chim Schlue, Komödie vom frommen, gottesfürchtigen und gehorsamen Isaak (1606) ................................................................... 10. Ergebnis ............................................................................................

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12 Inhalt II. Der Stephanus-Stoff im protestantischen Drama des konfessionellen Zeitalters .............................................................................................. 1. Michael Saxo [Sachse], Tragödie von Stephanus (1564)..................... 2. Sebastian Wild, Die Versteinigung Stephani (1566) .......................... 3. Zacharias Zahn, Tragödie vom gesteinigten Stephanus (1589) .......... 4. Melchior Neukirch, Stephanus (1592) ............................................ 5. Ergebnis ............................................................................................ III. Die Gestalt Martin Luthers in protestantischen Dramen des konfessionellen Zeitalters ...................................................................... 1. Friedrich Dedekind, Papista conversus (1596) ................................. 2. Andreas Hartmann, Erster Theil des Curriculi Vitae Lutheri (1600) ............................................................................................... 3. Martin Rinckart, Der Eislebische Christliche Ritter (1613).............. 4. Ergebnis ............................................................................................

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Teil D Ertrag ......................................................................................................... 710 I. Bündelung und Zuspitzung .................................................................. 1. Stellung und Selbstverständnis der protestantischen Dramatiker ....... a) Das protestantische Drama als Spiegel individueller Neigungen und Erfahrungen ......................................................................... b) Das Drama als Medium des Trostes für den Pfarrerstand ............. 2. Zielsetzungen für das protestantische Drama ..................................... 3. Die Verarbeitung der reformatorischen Lehre im protestantischen Drama ............................................................................................... a) Topoi der reformatorischen Lehre im Drama ............................... b) Der Modus der Verarbeitung der reformatorischen Botschaft ....... 4. Konfessionelle Polemik im protestantischen Drama .......................... a) Unterscheidungen ........................................................................ b) Formen der Polemik gegen die alte Kirche ................................... c) Antikatholische Polemik: Gewichtung und Dramentypen ................. d) Resümee ...................................................................................... e) Formen der anticalvinistischen Polemik im lutherischen Drama ......................................................................................... f ) Gewichtung und Vorkommen anticalvinistischer Polemik ........... g) Polemik gegen Täufer und Spiritualisten ...................................... h) Zu den antijudaistischen Aussagen im protestantischen Drama ... i) Stellenwert und Bedeutung konfessioneller Polemik im protestantischen Drama ............................................................... 5. Reflexionen über das Medium Drama ...............................................

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Inhalt 13

a) Gründe für die Wahl des Mediums Drama in der Reformationszeit .......................................................................... b) Begründungen für das geistliche Drama in der konfessionellen Zeit .............................................................................................. 6. Das Verständnis der Aufführung ....................................................... a) Einübung in Gottesdienst und private Frömmigkeit .................... b) Die Aufführung als Predigt zweiter Ordnung ...............................

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II. Drama und Theater der Jesuiten im Vergleich ....................................... 1. Das Jesuitentheater im Rahmen des altgläubig-katholischen Theaters im deutschen Sprachraum ................................................... a) Altgläubig-katholische Theaterkritik ............................................ b) Jesuitische Theaterkritik: Juan de Mariana .................................. c) Die Entstehung des Jesuitentheaters ............................................. 2. Das Jesuitentheater in offiziellen und normativen Dokumenten ........ a) Jesuitenregel und Ratio studiorum ................................................ b) Jesuitentheater und Ansätze zu jesuitischen Dramentheorien ....... 3. Zur Frage nach dem Wesen des Jesuitentheaters ................................ a) Die Fundierung in jesuitischer Theologie und Spiritualität .......... b) Die konkrete Gestalt: Stoffrepertoire, bedeutende Dramen und Aufführungen .............................................................................. c) Konfessionelle Polemik im Jesuitendrama .................................... d) Strukturelle Merkmale des Jesuitentheaters .................................. e) Das Problem der Latinität ............................................................ 4. Zur Frage der Wirkung des Jesuitentheaters ...................................... 5. Jesuitendrama und -theater und protestantisches Drama und Theater .... a) Protestantische Äußerungen zum Jesuitentheater ......................... b) Das Verhältnis beider Größen: Einwirkungen oder Beziehungslosigkeit? ....................................................................

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III. Potentiale des protestantischen Dramas in der konfessionellen Zeit ..... 1. Die Instrumentalisierbarkeit des protestantischen Dramas und Theaters ............................................................................................ 2. Protestantisches Drama und Theater und die Frage der Konfessionalisierung ......................................................................... a) Einwände gegen das Konfessionalisierungskonzept aus der Perspektive des protestantischen Dramas und Theaters ................ b) Die Konfessionskultur als primärer Rahmen des protestantischen Dramas ........................................................................................ c) Das protestantische Drama zwischen Konfessionskultur und Konfessionalisierung ....................................................................

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14 Inhalt IV. Schlussbetrachtung ................................................................................ 1. Zum Profil des protestantischen Dramas und Theaters ...................... a) Das Profil des protestantischen Dramas und Theaters im Verhältnis zum Jesuitendrama und -theater .................................. b) Stärken und Leistungsfähigkeit des protestantischen Dramas und Theaters ................................................................................ 2. Deutung und Würdigung des protestantischen Dramas ..................... 3. Ausblick ............................................................................................

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Anhang.................................................................................................................... 830 Quellen und Literatur ............................................................................................. Personenregister ...................................................................................................... Sachregister.............................................................................................................. Bibelstellenregister.................................................................................................... Register der biblischen Personen und Geschichten etc. ............................................ Ortsregister .............................................................................................................

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Teil A Annäherungen Im Jahre 1578 schrieb der englische Dichter George Whetstone: „... the Germaine is too holy: for he presentes on euerye common Stage, what Preachers should pronounce in Pulpets.“1 Den so charakterisierten ‚Germaine‘ und sein Theater setzt er vom ‚Italian‘ ab, der Laszives auf die Bühne bringe, was bei würdigen Hörern nur Kummer auslösen könne. ‚Frenchman‘ und ‚Spaniard‘, so Whetstone, folgten dem italienischen Humor, während der ‚Englishman‘ in seinem Theater keine Ordnung erkennen lasse. ‚The German, too holy‘, ein ungewöhnliches Wort eines Engländers über die Deutschen, das freilich nicht als Lob gemeint war. Wichtiger aber ist, dass Whetstone das geistliche Theater als ein deutsches Proprium und als ein allgemeines Phänomen im deutschen Sprachraum wahrnahm; Konfessionen nennt er nicht. In der Tat: Schaut man sich Goedekes Grundriss2 zum Drama der Reformationszeit an, so genügt ein flüchtiger Blick, um die Dominanz geistlicher Stoffe zu erkennen.3 Dies ging so weit, dass die im letzten Drittel des Jahrhunderts einströmenden englischen Theatertruppen sich genötigt sahen, geistliche Dramen in ihr Repertoire aufzunehmen. In Bezug auf den ersten Punkt indessen ist Whetstones Sicht zu korrigieren: Geistliches Theater gab es nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich, in England, ebenso in den Niederlanden.4 Nicht zu bestreiten aber ist die sich in dieser Äußerung eines Außenstehenden spiegelnde herausragende Bedeutung des geistlichen Theaters für das Deutschland des konfessionellen Zeitalters. Das ganze kulturelle Leben in allen Territorien, die alle einer der drei Konfessionen folgen, ist religiös geprägt – was tatsächlich These und Konzept einer Deutschland prägenden Konfessionalisierung5 zu bestätigen scheint. Die Frage ist, wie 1 George Whetstone, Promos and Cassandra (1578), ed. John S. Farmer, Reprint New York 1970, Widmungsbrief, A 2b. 2 Karl Goedeke, Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen. Band 2: Reformationszeitalter, Dresden 18862. 3 Erich Kleinschmidt, Stadt und Literatur in der Frühen Neuzeit. Voraussetzungen und Entfaltung im südwestdeutschen, elsässischen und schweizerischen Städteraum (Literatur und Leben NF 22), Köln – Wien 1982, S. 210, spricht von der „eindeutige[n] Bevorzugung biblischer Stoffe bei allen Spielgruppen“, die lediglich vom Schultheater und bei wenigen Autoren wie Wolfhart Spangenberg zugunsten antiker Vorlagen und humanistischer Allegorien aufgebrochen worden sei. 4 Als richtig hat sich allerdings die Beobachtung erwiesen, dass das Theater in England – hier auch aufgrund der puritanischen Kritik – und Frankreich im Gegensatz zu Deutschland zu einem säkularen Theater tendierte, das professionell wahrgenommen wurde; vgl. Genevieve Kelly, Theater and Theology in the German Reformation, LuthQ 25 (1973), S. 162f. 5 Zu diesem Begriff und zu dem seit den Entwürfen von Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard ab dem Ende der siebziger Jahre immer wieder heftig diskutierten Konzept der Konfessionalisierung s.u. Teil D III. Der Terminus wird im Folgenden beibehalten.

16 Annäherungen es zu diesem Phänomen kam: Verdankt es sich der Frömmigkeit der Bevölkerung? Ist es im Sinne der Konfessionalisierungsthese vermittelt durch obrigkeitliche Maßnahmen, bei denen Obrigkeit und Kirche an einem Strang zogen? Allerdings fällt auf, dass das Theater bereits recht früh in der Reformationszeit in Erscheinung trat, sehr rasch nach dem Beginn der Reformation von dieser in Dienst genommen wurde. Dies muss zunächst einmal überraschen, einmal angesichts früher kirchlicher Kritik am Theater, zum andern angesichts reformatorischer Infragestellung mittelalterlicher religiöser Praxis. Die Geschichte des Verhältnisses von Kirche und Theater, von Begegnung, Verwerfung, Beeinflussung und Indienstnahme wäre eine eigene Studie wert. Das Verhältnis der Kirche zum Theater lässt sich nicht auf eine einfache Formel bringen. Das Theater hat, um seine Sprache aufzunehmen, die Bühne der Geschichte vor dem Christentum betreten. Es hat dem Rahmen, seiner Einbettung in die antike Umwelt nach, Wurzeln im heidnischen Kult. Entsprechend finden wir in der Alten Kirche unter den Theologen, genannt seien nur Tertullian oder Johannes Chrysostomos, eine massive Verwerfung des Theaters, auch aufgrund der dargestellten Inhalte oder der auftretenden Charaktere.6 Der Beruf der Schauspielerin und des Schauspielers gehörte zu den verworfenen Berufen. Zwar gab es schon in der Alten Kirche auch bei Kritikern wie Augustin abgewogenere Voten, auf die sich später ein Verteidiger des protestantischen Dramas berufen konnte,7 doch blieb die altkirchliche Kritik als Verwerfung des professionellen weltlichen Theaters und des Schauspielerberufs bis in das 19. Jahrhundert in allen Konfessionen lebendig. Die weitere Geschichte des Verhältnisses beider Institutionen ist dem kirchlichen Verdikt des professionellen weltlichen Theaters und der altkirchlichen Generalkritik am Theater zum Trotz einerseits durch die Indienstnahme des Theaters durch die Kirche, andererseits durch die nahezu ausschließliche Inbeschlagnahme des Theaters seitens der Kirche bzw. der christlichen Kultur geprägt. Indienstnahme meint hier, dass von der Kir6 Als ältere Studie zur Frage des Verhältnisses der Alten Kirche zum Theater sei genannt Heinrich Alt, Theater und Kirche in ihrem gegenseitigen Verhältniß historisch dargestellt, Berlin 1846 (Neudr. Leipzig 1970), S. 310–327. Einschlägige neuere Arbeiten sind: Heiko Jürgens, Pompa Diaboli. Die lateinischen Kirchenväter und das antike Theater, Stuttgart 1972; Werner Weismann, Kirche und Schauspiele. Die Schauspiele im Urteil der lateinischen Kirchenväter unter besonderer Berücksichtigung von Augustin, Würzburg 1972; Christine Schnusenberg, Das Verhältnis von Kirche und Theater. Dargestellt an ausgewählten Schriften der Kirchenväter und liturgischen Texten bis auf Amalarius von Metz (ca. 775–852), Bern – Frankfurt a.M. – Las Vegas 1981. – Paradigmatisch ist etwa Johannes Chrysostomos, der die vom Täufling zu sprechende Abrenuntiationsformel mit ihrer Absage an den Satan und seine Pracht (πομπη) an erster Stelle durch die Abwendung vom Theater konkretisiert sieht; vgl. seine Taufkatechese 1 aus dem Jahre 387, in: Catecheses baptismales: griechisch, deutsch – Taufkatechesen, übers. und eingeleitet v. Reiner Kaczynski (FC 6), Freiburg i.Br. u.a. 1992, S. 144. In der Katechese 3/5 beklagt er sich, dass nach Ende der Fastenzeit der Besuch von θεατρα σατανικα dem Besuch des Gottesdienstes vorgezogen würde; vgl. a.a.O., S. 412. 7 So führt Helwig Garthe 1609 in der Vorrede zu Ägidius Hunnius’ Dramen im Rahmen seiner Opera omnia Augustin als Zeugen dafür an, dass in der Alten Kirche das Theater nicht pauschal verworfen wurde.



Das Drama in der Reformationszeit und im konfessionellen Zeitalter

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che – bewusst oder unbewusst – das Mittel des Theaters aufgegriffen wurde, um christliche Inhalte an bestimmte Adressaten zu vermitteln. Unter nahezu ausschließlicher Inbeschlagnahme ist zu verstehen, dass das Theater oder das Dramatisieren nun nur noch im Rahmen der christlichen Einheitskultur betrieben werden konnte. Diese bestimmte den Rahmen von Aufführungen und den Inhalt des Aufgeführten fast in Gänze. Eindeutig ist dies beim geistlichen Spiel des Mittelalters.8 Ebenso ist dies der Fall bei den seltenen religiösen Stücken mit didaktischem Zweck, etwa bei Johannes Gerson.9 Es gilt aber auch für das Fastnachtspiel des Spätmittelalters, das zwar ein weltliches Theater darstellt, dessen Rahmen aber der kirchliche Kalender bildet. Zwar wurden hier auch derbere Inhalte dargeboten, zugleich aber auch Tugendlehren vermittelt.10 In der Spätzeit der Gattung zeigen sich insbesondere bei Hans Sachs Einflüsse der Renaissance; Stoffe von Boccaccio oder aus antiken Fabeln werden aufgenommen.11 Dies deutet bereits den Wandel im Theater an, der durch Renaissance und Humanismus eintritt und später durch das Auftreten englischer Theatertruppen verstärkt wird. Das antike Theater wird wiederentdeckt und für das Theaterschaffen der Zeit fruchtbar gemacht. Allerdings können wir auch für die Reformationszeit und die konfessionelle Zeit noch von einer durch die jeweilige Form des Christentums geprägten Einheitskultur sprechen, zumal für die Niederlande und Deutschland, wo das humanistische bzw. neulateinische Theater stark christliche Motive aufnimmt. Erst die beginnende Aufklärung durchbricht dies endgültig, so dass sich nach und nach eine eigenständige, von konfessionellen Vorgaben unabhängige Theaterkultur entwickelt. Scheinen sich damit schon mögliche Antworten auf die Frage zu ergeben, wie die Reformation zum Theater kam, so mag es dennoch verwundern, dass eine solche Entwicklung eintrat. Die Indienstnahme des Theaters durch die Reformation ist an sich alles andere als selbstverständlich. Für eine reformatorisch geprägte Theologie ist dieses Medium eigentlich nicht das naheliegendste: Diese ist wortorientiert, zentrale Funktion hat in ihr die Predigt und, davon abgleitet, der Unterricht im Katechismus. Beide nehmen 8 Zum geistlichen Spiel vgl. Ursula Schulze, Art. ‚Geistliches Spiel‘, RLW 1, S. 683–688. 9 Vgl. dazu Pierre Riché, Art. ‚Bildung. IV. Alte Kirche und Mittelalter‘, TRE 6, S. 609. 10 Zum Fastnachtspiel vgl. Hedda Ragotzky, Art. ‚Fastnachtspiel‘, RLW 1, S. 568–572. Dietz-Rüdiger Moser, Fastnacht und Fastnachtspiel, in: Hans Sachs und Nürnberg, hrg. v. Horst Brunner u.a., Nürnberg 1976, S. 182–218, vertritt die These, die Spiele seien Medium kirchlicher Moralpädagogik. Die bis zum Äußersten gesteigerte Darstellung von Obszönem solle über Lachen und Entsetzen zum Guten, zur Umkehr führen; vgl. a.a.O., S. 188. Von daher kann er S. 214 das spätmittelalterliche Fastnachtspiel sogar als „geistliches Spiel zur Hauptsündenthematik“ bezeichnen. – Selbst wenn die Fastnachtspiele Ventil- oder Sublimationsfunktion hatten, wie etwa Johannes Merkel, Form und Funktion der Komik im Nürnberger Fastnachtspiel, Freiburg 1971, und Rüdiger Krohn, Der unanständige Bürger, Kronberg 1974, meinen, ist diese Funktion doch rein systemimmanent zu verstehen. Ein Indiz dafür ist das Faktum, dass auch im geistlichen Spiel derbere Szenen eingebaut wurden. Kritisch zu D. R. Moser steht: Hans Moser, Zu Problematik und Methodik neuester Fastnachtsforschung, ZVK 80 (1984), S. 2–22. 11 Vgl. Ragotzky, a.a.O., S. 570.

18 Annäherungen in unterschiedlicher Weise auf die Bibel Bezug: die Predigt als applizierende Auslegung eines Bibeltextes, als Predigt des Gesetzes und Zuspruch des Evangeliums aufgrund eines biblischen Textes, der Katechismus als Zusammenfassung der aus der Bibel abgeleiteten Glaubenslehre. Hinzu kommt das Lied, dem von Anfang an in der Reformation eine wesentliche Rolle zukommt, einerseits als herausragendes Propaganda- und Werbemittel, aber auch als Gemeindegesang im Gottesdienst. Luther selbst forciert die Singpraxis der Gemeinde, indem er Lieder durch Dichtung oder Übersetzung beisteuert. Auch die Gattung Lied ist wortorientiert und, etwa in Luthers Psalmliedern, Reflex der Schrift. Nun wäre eine Sicht der Reformation, die diese ausschließlich auf dem gehörten und gelesenen Wort aufgebaut sähe, ohne Zweifel eine erhebliche Verzeichnung. In der Verbreitung der Reformation und der Propaganda spielte nicht nur das worthafte Element eine Rolle, vielmehr waren den reformatorischen Schriften vielfach bildliche Darstellungen beigefügt, sei es in Flugblättern und Flugschriften, sei es in Büchern und Bibelausgaben. Hinzu kamen ausgesprochene Lehrbilder wie die neu geschaffenen Altarbilder, in denen die Neuausrichtung der Reformation und die Unterschiedenheit zur alten Lehre und Praxis pointiert zum Ausdruck kam. Die Kritik an der alten Kirche, auch wenn diese eine fundamentale war, konnte doch etablierte Formen aufgreifen. Die Reformation wäre auch gar nicht in der Lage gewesen, völlig neue Medien zu kreieren. Allerdings kam der Bildebene nur eine unterstützende Aufgabe zu; stets sollten die Bilder von Textsequenzen begleitet sein.12 Dem Bild wurde eine didaktische Funktion zugewiesen, es selbst besaß aber keine Bedeutung mehr als Heilsträger. Insofern gilt hinsichtlich des sinnlichen Zugangs zur Religion durch die Reformation unbedingt die Aussage Thomas Kaufmanns: „In bezug auf die ‚sensibilité religieuse‘ markiert die Reformation insofern einen Umbruch, als die sinnlichen Träger des Sakralen wie Bilder, Reliquien, aber auch die Sakramente entwertet und eine visuell vermittelte Sakralität durch eine primär auditiv, durch das Wort vermittelte Sakralität ersetzt wird.“13 Welche Konsequenzen müssten sich von diesen Voraussetzungen her für die Wahrnehmung des geistlichen Theaters durch die Reformation eröffnen? Man könnte mit Recht einwenden, dass doch auch im Medium Theater dem Wort eine tragende Rolle zukommt, wiewohl 12 Gerlinde Strohmaier-Wiederanders, „Bilder mag ich wohl haben oder machen, aber ...“ Das Wort und die Bilder, in: „Laßt uns aufs Neue wieder anfangen, schreiben, dichten, reimen, singen, malen.“ Die Reformation und die Künste. Wittenberger Sonntagsvorlesungen, hrg. v. Evangelischen Predigerseminar, Wittenberg 2003, S. 48, resümiert: „Doch bei all diesen verschiedenen Bildaufgaben wird das neue Verhältnis von Bild und Wort deutlich: Das Bild erläutert, erklärt, illustriert das Wort, es hat gewissermaßen helfenden Charakter, aber keinen eigenständigen. Darum sollen Bilder möglichst mit Text versehen werden, um sicher zu gehen, wie sie gesehen werden sollen. Man fürchtete Missverständnisse, aber man fürchtete genauso, wenn auch unausgesprochen, dass Bilder eine unerwünschte Eigendynamik entfalten könnten. Mit anderen Worten: Im Verhältnis von Wort und Bild hat das Bild nur noch eine dienende Funktion.“ 13 Thomas Kaufmann, Die Konfessionalisierung von Kirche und Gesellschaft. Sammelbericht über eine Forschungsdebatte, ThLZ 121 (1996), Sp. 1119.



Das Drama in der Reformationszeit und im konfessionellen Zeitalter

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es zusätzlich über den Gesichtssinn wirkt. Insofern mag vielleicht weniger der Aspekt der Visualität und die Tatsache, dass der Gesichtssinn stärker mit der mittelalterlichen und der altgläubig-katholischen Kirche verbunden wird, die Existenz eines reformatorischen geistlichen Theaters überraschend erscheinen lassen. Größeres Gewicht dürfte in dieser Hinsicht dem Sachverhalt zukommen, dass das Medium Theater in der Form des geistlichen Spiels im späten Mittelalter reichlich Verwendung fand, in die Frömmigkeitspraxis und die liturgischen Bezüge tief eingebunden war und dass diese religiöse Praxis in der Reformation erhebliche Kritik provozierte. Wenn die Reformation alle überkommenen kirchlichen Handlungen an Menschen wie auch alle religiösen Handlungen der Gläubigen einer kritischen Überprüfung unterzog, warum fand gerade dieses durchaus verdächtig erscheinen könnende Medium des Theaters wieder Eingang in das von der Reformation gehandhabte Ensemble von Medien? Warum konnte sich doch in ihrem Bereich trotz Kritik am mittelalterlichen geistlichen Spiel ein religiöses Theater neu etablieren. Schon früh wurde die These aufgestellt, das Abfassen und Aufführen geistlicher Dramen stelle eine Kompensation für den Wegfall anderer religiöser sinnlicher Ausdrucksformen dar. Bereits Heinrich Alt vertrat 1846 diesen Gedanken: „... da man dem protestantischen Volke so viel Processionen, Bildwerke, Priesterceremonien und Maskeraden genommen hatte, so schien es um so billiger, die Schaulust wenigstens durch dergleichen Schauspiele zu befriedigen.“14 In dieser Sicht wird die geistliche Theaterpraxis als bloße Konzession an als offensichtlich niedrig eingestufte Bedürfnisse der Bevölkerung gewertet. Die Existenz eines inneren Grundes für den Einsatz dieses Mediums wird damit in Abrede gestellt. Es stellt sich die Frage, ob diese Sicht tatsächlich der Wirklichkeit entspricht. In milderer Form wird diese These auch heute noch vertreten. So meint Glenn Ehrstine, dass sich der Protestantismus in einer Zeit, die sich auf sinnliche Anreize verließ, nicht nur auf das Wort gründen konnte.15 Weniger von der Bedeutung des Visuellen als von der Relevanz des Rituals im Mittelalter herkommend, vertritt Robert Scribner aufgrund seiner Analyse von Fastnachtspielen und Fastnachtumzügen mit religiöser Polemik in der Reformationszeit die Auffassung, dass die dramatische Praxis ein Ausdruck der Abhängigkeit der damaligen Gesellschaft von rituellen Begängnissen und symbolischer Kommunikation war.16 Zugleich geht er davon aus, dass diese Zeit immer noch durch eine massive Schaulust geprägt war.17 Erklärt dies aber auch den Erfolg dieses Mediums über die Reformationszeit hinaus? 14 Heinrich Alt, Theater und Kirche in ihrem gegenseitigen Verhältniß historisch dargestellt, Berlin 1846 (Ndr. Leipzig 1970), S. 471. 15 Vgl. Glenn Ehrstine, Seeing is believing. Valten Voith’s Ein schön Lieblich Spiel von dem herlichen ursprung (1538), Protestant „Law and Gospel“ Panels, and German Reformation Dramaturgy, Daphnis 27 (1998), S. 537. 16 Vgl. Robert Scribner, Flugblatt und Analphabetentum. Wie kam der gemeine Mann zu reformatorischen Ideen?, in: Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Beiträge zum Tübinger Symposion 1980, hrg. v. Hans-Joachim Köhler, Stuttgart 1981, S. 73. 17 A.a.O., S. 71: „Sie [sc. die Reformation] war zugleich sehr leidenschaftlich an visuellen Dingen interessiert; immer noch eine ‚Image-Kultur‘. Die Schaulust reichte von geistlichen und weltlichen

20 Annäherungen Gewiss beruht die Entstehung eines protestantischen Theaters zum einen auf der sprichwörtlich gewordenen Spielwut des 16. Jahrhunderts18, die wiederum eingebettet ist in ein von spätmittelalterlicher Religiosität geprägtes Feld. Vor allem aber ist sie nicht denkbar ohne den Humanismus. Es ist daher in Rechnung zu stellen, dass der im humanistischen Drama zum Ausdruck kommende reformerische Impetus schon vor der Reformation derart stark geworden war, dass dieses, zur kulturpolitischen Instanz entwickelt, von den Reformatoren und später von den Jesuiten in Dienst genommen werden konnte.19 Doch auch damit sind noch keine der Reformation immanenten Gründe benannt, die das Theater für diese öffneten und bleibend mit ihm verbanden.20 Eine weitere Sicht sieht das protestantische Theater letztlich in der Polemik gegen die altgläubigen Lehre und Praxis begründet: Es lebe aus der Polemik, die ihr das ihr spezifische Profil verleihe, mit der Folge, dass mit deren beobachteter Reduktion auch das Drama selbst zum Niedergang verurteilt sei, da ein − als harmlos deklariertes − Bibeldrama nicht dauerhaft lebensfähig erscheine.21 Auch diese These erklärt das Phänomen nicht. Gewiss sind die ersten reformatorischen Stücke, besonders schweizerischer Provenienz, von heftiger Polemik geprägt, aber viele relativ frühe Dramen kommen ohne Polemik aus. Vor allem kann so nicht die weitere kontinuierliche Existenz des protestantischen Dramas plausibel gemacht werden, hat es sich doch unabhängig von der Aufnahme polemischer Elemente gehalten – auch in späteren Dramen findet sich Polemik, konstitutives Element aber scheint sie nicht zu sein. So stellt sich das grundlegende Problem, das in dieser Studie behandelt werden soll: Welche äußeren und inneren Gründe beförderten das Aufkommen und die weitere Entwicklung einer protestantischen Theaterpraxis? Wie kam es zum protestantischen Drama und was markiert sein spezifisches Profil gegenüber den anderen Formen des Dramas in der Reformationszeit und in der frühen konfessionellen Zeit?

Spielen, über Prozessionen, Volksfeste und öffentliche Zeremonien bis zu den verschiedenen Formen der ‚heilbringenden Schau‘.“ 18 Vgl. Ehrstine, Seeing is believing, ebd. Wolfgang Stammler, Von der Mystik zum Barock. 1400−1600, Stuttgart 19502, S. 360, spricht von der „Spielfreudigkeit des 16. Jahrhunderts“. 19 Vgl. Christel Meier, Die Inszenierung humanistischer Werte im Drama der Frühen Neuzeit, in: Dies. – Meyer – Spanily (Hrgg.), Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Münster 2004, S. 264. 20 Berührt ist damit allerdings das Problem, ob im protestantischen Drama als einer vom Humanismus bestimmten Gattung die Moraldidaxe das zentrale Moment bildete oder doch die im engeren Sinne theologischen Inhalte. 21 So die Sicht des vor allem mit dem Jesuitentheater befassten Germanisten Fidel Rädle, Theater als Predigt. Formen religiöser Unterweisung in lateinischen Dramen der Reformation und Gegenreformation, RoJKG 16 (1997), S. 49.

I. Das Drama in der Reformationszeit und im konfessionellen Zeitalter 1. Ein Überblick Unter protestantischen Dramen werden im Folgenden Dramen biblischen oder religiösen Inhalts verstanden, die von durch eine reformatorische Grundhaltung geprägten Autoren, und zwar aus dieser heraus, konzipiert wurden, mutmaßlich mit der Intention, mit der Reformation verbundene Inhalte, seien sie religiös-theologischer Art im engeren Sinne oder moralisch-lebenspraktischer Art, zu verbreiten oder unter den vorhandenen Anhängern zu internalisieren. Die Grenzen der Gattung Drama zu der des Dialogs, der mit Ulrich von Hutten im Jahre 1519 anhebt, sind fließend. Der Dialog tritt unmittelbar mit Beginn der Reformation auf. Sehr nahe an der Gattung Drama kommt dabei der satirische Dialog ‚Eckius dedolatus‘ von 1520, der vermutlich von Willibald Pirckheimer verfasst wurde, zu stehen.22 Es handelt sich um eine Mischform, die wohl nicht für eine Deklamation oder Aufführung gedacht war.23

a) Das Aufkommen des geistlichen Dramas Die eigentliche Gattung ‚geistliches Drama‘ wird ebenfalls recht bald im Verlauf der Reformation durch den entstehenden Protestantismus aufgegriffen. In der Schweiz entstehen rasch Stücke, die die reformatorische Botschaft widerspiegeln, so bereits 1523 zwei Fastnachtspiele von Niklaus Manuel gegen das Papsttum. Den Hintergrund bildet hier der kirchen- und gesellschaftskritische Impetus, der bereits in vorreformatorischer Zeit Schweizer Autoren prägt und etwa in den Fastnachtspielen Pamphilus Gengenbachs zu Satiren auf den korrupten Klerus führt.24 Als das erste deutsche reformatorisch geprägte Drama, das sich am antiken Drama orientiert, gilt die 1527 in Riga aufgeführte ‚Parabel vom verlorenen Sohn‘ des ehemaligen Franziskaners Burkard Waldis.25 Von den Niederlanden strömt das neulateinische Drama nach Deutschland ein. Das Drama ‚Acolastus‘ über dasselbe Thema, 22 Zu diesem vgl. Herbert Walz, Deutsche Literatur der Reformationszeit, Darmstadt 1988, S. 90ff, vgl. ferner Fidel Rädle, Frischlin und die Konfessionspolemik im lateinischen Drama des 16. Jahrhunderts, in: Sabine Holtz – Dieter Mertens (Hgg.), Nicodemus Frischlin (1547−1590), Stuttgart – Bad Cannstatt 1999, S. 500. 23 Vgl. Walz, a.a.O., S. 92. 24 Vgl. Ragotzky, Art. ‚Fastnachtspiel‘, a.a.O., S. 571. 25 Zu Waldis vgl. Angelika Reich, Burkard Waldis, in: Stephan Füssel (Hrg.), Deutsche Dichter der frühen Neuzeit (1450–1600). Ihr Leben und Werk, Berlin 1993, S. 377−388. Zur Parabel vom verlorenen Sohn bietet Cora Dietl, Das frühe deutsche Drama. Von den Anfängen bis zum Barock, Helsinki 1998, S. 105−111, eine luzide Analyse.

22 Annäherungen den verlorenen Sohn, das der Niederländer Wilhelm Gnapheus 1529 verfasst, wurde mehrfach in Deutschland nachgedruckt, übersetzt und aufgeführt.26 Es beeinflusste zudem Dramen vom verlorenen Sohn anderer Verfasser. Ähnliches gilt für den neulateinischen ‚Asotus‘ des altgläubigen Niederländers Georg Macropedius (1537), der ebenfalls den Stoff des verlorenen Sohnes verarbeitend, auch von protestantischen deutschen Autoren übersetzt und bearbeitet wurde. Im Januar 1532 äußert der Konstanzer Schulleiter Ludwig Lopadius d.Ä. in einem Brief an Thomas Blarer sein Bedauern darüber, dass er aufgrund der ungünstigen Zeitverhältnisse seit „zwei oder drei Jahren“ keine Komödie mehr aufgeführt habe, und fragt diesen nach seiner Meinung darüber. Lopadius fühlt sich bedrängt von Personen, die seine Schüler für eine deutsche Aufführung gewinnen wollen, während er auf einer lateinischen beharrt.27 Der Brief belegt, dass die Praxis lateinischer Schulaufführungen in diesem Raum bereits zu dieser frühen Zeit schon als einigermaßen fester Brauch galt und nunmehr auch deutschsprachige Darbietungen im Aufkommen begriffen sind. Im April 1535 schreibt er Blarers Bruder Ambrosius von seiner Absicht, mit Schülern den offensichtlich schon überaus bekannten ‚Acolastus‘, den er mit terenzischen Stücken auf eine Stufe stellt, aufzuführen, um ihm bereits im Juni den Vollzug dieser Aufführung mitzuteilen.28 Im Jahre 1534 kommt es an der von Georg Major geleiteten Magdeburger Schule zur Aufführung des deutschen ‚Spiels vom Patriarchen Jakob und seinen zwölf Söhnen‘ von dem zum Wittenberger Kreis zählenden Autor Joachim Greff, Majors späterer Nachfolger als Schulleiter.

b) Stoffe und Inhalt der Dramen Dies führt im Rahmen dieses Überblickes zu der Frage nach den Stoffen, denen sich die reformatorischen Autoren widmeten. Walz legt in seiner Einführung eine Dreiteilung der Stoffe vor in: 1) Moralitäten und allegorische Spiele, 2) Bibeldramen − als dem häufigsten Genus – und 3) Historienstücke mit zeitkritischer Tendenz, worunter etwa Naogeorgs ‚Incendia‘ fällt.29 Diese inhaltliche Einteilung trifft ohne Zweifel die Sache, doch lassen sich die Stoffe der Dramen noch genauer ausdifferenzieren. Der überwiegende Teil der protestantischen Dramen verarbeitet biblische Stoffe, allerdings gehören infolge des schulpädagogischen Rahmens auch Stücke über das Schulleben oder die Erziehung abseits biblischer Vorlagen wie auch Moralitäten, etwa auf dem Jedermann-Stoff basierende Dramen, in den Kontext des reformatorischen Dramas.30 Insgesamt gilt aber für alle Spielgruppen, d.h. für 26 Zu Gnapheus vgl. Heinz Scheible, Art. ‚Gnapheus, Wilhelm‘, RGG4 3, Sp. 1042. 27 Briefwechsel der Brüder Ambrosius und Thomas Blaurer 1509−1548, hrg. v.d. Badischen Historischen Kommission, bearbeitet v. Traugott Schiess. Bd. I. 1509−1538, Freiburg i.Br. 1908, S. 311 (Nr. 253). 28 Vgl. a.a.O., S. 682 (Nr. 568). S. 707 (Nr. 601): „Den Akolastus haben wir unter großem Beifall aufgeführt …“ 29 Vgl. Walz, a.a.O., S. 117. Zu dem Stück s.u. unter Abschnitt B I 1 b). 30 Sandro Giovanoli, Form und Funktion des Schuldramas im 16. Jahrhundert, Bonn 1980, S. 10, gliedert das Schuldrama nach den aufgenommenen Stoffen in Stücke, die (1) das Leben einer altte-



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alle Trägerkreise, die Dominanz biblischer Stoffe.31 Alles in der Bibel, was in irgendeiner Weise dramatisierbar erschien, wurde in Szene gesetzt.32 Aus dem Alten Testament wurden bevorzugt Vorwürfe der Geschichtsbücher, der Vätergeschichte, der Geschichte Moses, des Deuteronomistischen Geschichtswerkes (Richter, David und andere Könige), daneben solche der kleineren Geschichtsbücher wie Esther, Ruth oder der apokryphen Judith, Tobias und Susanna herangezogen. An Propheten-Stoffen erschienen Jeremia, Elia, Elisa, Jona und besonders Daniel. Am häufigsten dramatisiert wurden aus dem Alten Testament die Josephsgeschichte, ferner andere Geschichten der Patriarchen wie die von Abraham und Jakob oder von Isaaks Brautwerbung. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich somit weisheitliche Stoffe sowie Vorwürfe, die die protestantische Sicht von Ehe und Familie zum Ausdruck bringen konnten,33 und Geschichten, in denen die protestantische Auffassung des Glaubens verdeutlicht werden konnte. Ein auf alttestamentlichem Stoff aufbauender Vorwurf, mit dem die protestantische Auffassung der Stände verdeutlicht werden konnte, war das Motiv der ungleichen Kinder Evas, das mehrfach dramatisiert wurde.34 Gott erscheint, um die Kinder Evas auf ihr katechetisches Wissen zu prüfen und weist ihnen ihren Stand und Beruf zu; diese gelten damit als göttlichen Ursprungs. Den überwiegenden Anteil der dem Neuen Testament entnommenen Stoffe stellten von Jesus in den Evangelien erzählte Gleichnisse oder Beispielerzählungen dar; führend dabei die Erzählungen vom verlorenen Sohn, vom reichen Mann und armen Lazarus, vom Schalksknecht, von den Arbeitern im Weinberg, zuweilen unter Aufnahme von Episoden aus dem Leben Jesu, wie in Johann Bischoffs Komödie vom Schalksknecht (1568). Daneben wurden Heilungs- bzw. Wundergeschichten der Evangelien dramatisiert: etwa die Geschichte von der syrophönizischen Frau, von der Hochzeit zu Kana, oder auch stamentlichen Figur thematisieren, (2) Schulleben oder Erziehung ohne biblische Vorlage behandeln, (3) den Jedermann-Stoff umsetzen und solche, die (4) Konfessionspolemik betreiben. Obwohl, wie Giovanoli S. 16 feststellt, eine Dominanz alttestamentlicher Stoffe wahrzunehmen ist, liegen, auch in der Schweiz, einem nicht unerheblichen Teil der Dramen neutestamentliche Stoffe zugrunde. Diese können in Giovanolis Typologie keine Berücksichtigung finden. Für Zürich legt Giovanoli S. 20ff denn auch eine andere Kategorisierung vor: (1) alttestamentliche Dramen, (2) neutestamentliche Dramen – eine, wie er S. 23f. feststellt, inhomogenere Gruppe −, (3) politische Ideendramen und (4) pädagogische Schuldramen. 31 Vgl. Erich Kleinschmidt, Stadt und Literatur in der Frühen Neuzeit, S. 210, der von der eindeutigen Bevorzugung biblischer Stoffe bei allen Spielgruppen spricht, die lediglich im Schultheater zuweilen zugunsten antiker Stoffe verschoben werde. 32 Joseph E. Gillet, The German Dramatist of the sixteenth Century and his Bible, PMLA 34 (1919), S. 465, formuliert: „It might be fairly said that there is hardly a chapter in the Bible which was not adapted for dramatic use or, at least, dragged upon the stage.“ 33 Das Thema der Ehe wurde bei der Bearbeitung vieler biblischer Stoffe von den Dramatikern als Hauptthema herausgearbeitet, wie bei den Stücken zu Susanna, Tobias, zur Hochzeit Isaaks, zur Hochzeit Davids mit Michal − 1572 dramatisiert von Johannes Teckler; vgl. dazu Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 106 – zur Hochzeit zu Kana. 34 Zu diesem Vorwurf s.u. in Abschnitt B I 1 a), S. 111.

24 Annäherungen Erzählungen, die auf Jesu Leben konzentriert sind wie die Geburtsgeschichte oder die Erzählung vom zwölfjährigen Jesus im Tempel. Die Passionsgeschichte trat in den von Wittenberg beeinflussten Gebieten, wohl infolge der schon frühen Verwerfung der Passionsspiele durch Luther, fast vollständig zurück.35 Liturgische Bräuche mit theatralischem Charakter an Passionsfeiertagen hielten sich z.T. länger; in Brandenburg wurden sie durch Kurfürst Joachim Friedrich im Jahre 1589 verboten.36 Lediglich in der Schweiz und in Süddeutschland kamen auch im protestantischen Bereich zunächst noch Passionsspiele auf die Bühne. Osterspiele wurden im Wittenberger Einflussgebiet durchgeführt, veränderten aber, wie bei Joachim Greff, ihren Charakter völlig. Häufig wurden hingegen Weihnachtsspiele inszeniert, das erste 1541 von Heinrich Knaust.37 Beliebte Stoffe, die an die Stelle der Passion rückten, waren die im Neuen Testament berichteten Martyrien Johannes des Täufers und des ersten christlichen Märtyrers Stephanus. Auch der Fortgang der Apostelgeschichte, besonders die Bekehrung des Paulus wird behandelt. Seltener, aber durchaus möglich war es, dass ein abstraktes Thema aus einer Epistel in einem Drama umgesetzt wurde wie die mehrfach bearbeitete Thematik der christlichen Waffenrüstung aus Eph 6, aus der Dramen über die geistliche Ritterschaft erwuchsen.38 Über einzelne biblische Episoden hinaus gab es in Weiterführung von Traditionen des mittelalterlichen geistlichen Spiels Dramatisierungen der gesamten Heilsgeschichte mit ihren wichtigsten Ereignissen vom Fall der Ureltern bis zum jüngsten Gericht, in denen auch dem Teufel und seinen Hilfstruppen eine besondere Bedeutung zukommt. Hier werden bevorzugt mittelalterliche Motive aufgenommen, insbesondere das Motiv des Prozesses zwischen Gott und dem Teufel bzw. Satan nach dem Fall und das – von Bernhard von Clairvaux übernommene – Motiv des Streites der Töchter Gottes, in dem die Tugenden Gerechtigkeit und Wahrheit einerseits mit den Tugenden Barmherzigkeit und Frieden andererseits über das weitere Schicksal der Ureltern debattieren.39 Beide Motive 35 Wolfgang F. Michael, Forschungsbericht, Bern u.a. 1989, S. 85, erwähnt eine Aufführung der Passion in Schmalkalden im Jahre 1564. 36 Vgl. Gillet, a.a.O., S. 492. Etwas unglücklich formuliert er dabei: „At the end of the sixteenth century the great period of the Protestant Bibledrama came to an end.“ 37 Vgl. etwa: Ein Spandauer Weihnachtsspiel. 1549, hrg. v. Johannes Bolte, Märkische Forschungen XVIII (1884), S. 109−222. Bolte bietet S. 211−221 ein Verzeichnis der Weihnachtsspiele bis 1872. Zu Knaust vgl. Herbert Walz, Deutsche Literatur der Reformationszeit, Darmstadt 1988, S. 128. 38 Zu diesem Genre vgl. Andreas Wang, Der „Miles christianus“ im 16. und 17. Jahrhundert und seine mittelalterliche Tradition. Ein Beitrag zum Verhältnis von sprachlicher und graphischer Bildlichkeit, Bern – Frankfurt a.M. 1975. Aufgegriffen wurde das Motiv erstmals im ‚Enchiridiion militis christiani‘ des Erasmus (1509). 39 Vgl. zu diesen Dramen Almut Agnes Meyer, Heilsgewißheit und Endzeiterwartung im deutschen Drama des 16. Jahrhunderts, Heidelberg 1976. Das Motiv des Streites der Töchter Gottes findet sich bei Bernhard in der ersten Predigt zum Verkündigungsfest; Sancti Bernardi Opera, ed. Jean Leclercq – C.H. Talbot – H.M. Rochais, Bd. V, Rom 1968, S. 13−29. – Zu Geschichte und Überlieferung des Motivs im Mittelalter vgl. Waltraud Timmermann, Art. ‚Streit der vier Töchter Gottes‘, VerLex2 9, Sp. 396−402.



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waren ursprünglich eigenständig, ab Mitte der fünfziger Jahre des 16. Jahrhunderts entstehen Dramen, die beide in Verbindung bringen. Als reformatorisch bedingt erweist sich die Aufnahme des Gesetzes unter die widergöttliche Mächte Teufel, Sünde und Tod.40 Neben der Bibel konnten auch Geschehnisse der Kirchengeschichte Verwendung finden. Johann Agricola schrieb 1537 eine ‚Tragedia Johannis Hus‘, Heinrich Eckstorm 1593 das Drama ‚Mauritius‘ über den byzantinischen Kaiser Mauritius (539–602), der von dem Usurpator Phocas ermordet wurde. Daneben gibt es fiktionale Stoffe wiedergebende Dramen. Eine scharfe Polemik gegen das Papsttum tritt in dem neulateinischen Drama ‚Tragoedia nova sive Pammachius‘ des Thomas Naogeorg aus dem Jahre 1538 hervor, ein Stück, das von einem imaginären römischen Bischof Pammachius handelt, der besessen von der Idee der Herrschaft, den zum Christentum bekehrten Kaiser entmachtet und einen Pakt mit dem Teufel eingeht. Als er sein Ziel erreicht, wird ihm die Nachricht von der kommenden Entmachtung des Antichristen durch den Wittenberger Doktor Luther − im Spiel heißt er Theophilus −, der von Christus durch die Figur der Veritas und den Apostel Paulus zu seinem Auftrag berufen wird, verkündet. Das Ende bleibt offen; den fünften Akt werde, so Naogeorg am Ende, Christus selbst im Gericht vortragen. Daneben gab es auch Dramatisierungen von Heiligenlegenden. Ein Beispiel dafür ist das im Jahre 1594 veröffentlichte Dorothea-Spiel von Balthasar Thamme, Kantor und Lehrer am Gymnasium in Altenburg, das auf der Darstellung der Legenda aurea von Jakob von Voragine fußt.41 Gegenüber altgläubigen Darstellungen fällt dabei auf, dass auf überbordende Darstellungen von Wundern verzichtet wird,42 worin eine entmythologisierende Tendenz zu erkennen ist. Um die Wende zum 17. Jahrhundert kommen schließlich, beginnend mit Nicoedemus Frischlins ‚Phasma‘ 1580, Luther-Dramen auf. Einige dieser Dramen versuchen das Leben des Reformators oder Ausschnitte daraus exakt nachzuzeichnen, ohne auf eine gewisse Idealisierung zu verzichten. Dies gilt für Andreas Hartmanns ‚Erster Theil / des Curriculi Vitae Lutheri‘ von 1600, das Luthers Werdegang vom Eintritt ins Kloster bis zur Entführung auf die Wartburg darstellt. Ein geplanter zweiter Teil über Luthers Leben erschien nicht.43 Andere Dramen dieser Art beschränken sich auf einzelne Episoden aus Luthers Leben, so Heinrich Kielmanns ‚Tetzelocramia‘ aus dem Jahr 1617 auf den Ablassstreit. Martin Rinckart plante anlässlich der hundertsten Wiederkehr von bestimmten Ereignissen in Luthers Leben einen Zyklus von Dramen, den er allerdings nicht zum Abschluss bringen konnte. Auch für die in diesem Rahmen vollendeten bzw. erhaltenen Stücke wie den ‚Müntzerischen Bauernkrieg‘ von 1625 gilt, dass sie einzelne Episoden aus 40 Vgl. Barbara Könneker, „Wold Ihrs den nicht schir glaeuben do?“ Joachim Greffs protestantisches Osterspiel, Daphnis 23 (1994), S. 340. 41 Zu diesem Drama vgl. James A. Parente jr., Martyr Drama of the German Renaissance, Yale 1979, S. 172−181. 42 Vgl. a.a.O., S. 244, konkret zu Thammes Dorothea-Spiel vgl. S. 179f. 43 Das Drama erschien 1624 erneut unter dem Titel ‚Lutherus redivivus‘.

26 Annäherungen Luthers Leben in Szene setzen. Eine völlig andere Form von Luther-Dramen, in denen Luthers Gestalt in massiver Weise idealisiert wird, begegnet in Dramen, die Legenden zugrunde legen und den Luther-Stoff auf diese anwenden. Dies ist etwa in dem Drama ‚Der Eislebische Christliche Ritter‘ von Martin Rinckart aus dem Jahr 1613 der Fall, dem die Fabel vom König und den drei Söhnen zugrunde liegt.44 In dem Drama behauptet sich Ritter Martin gegen seine Brüder Pseudo-Petrus, den Papst, und Johannes, d.i. Calvin. Eine dritte Form von Luther-Dramen sind durch vom Autor selbst erfundene fiktionale Stoffe gekennzeichnet. In dem Drama ‚Papista conversus‘ von Friedrich Dedekind aus dem Jahr 1596 gelingt es Luther und Melanchthon, den eifrigen Altgläubigen Simon zur reformatorischen Lehre zu bekehren und trotz Widerständen von Familie und Klerus bei dieser zu halten. Dem ‚Lutherus redivivus‘ betitelten Drama des Zacharias Rivander von 1593 liegt der Wunsch des gut lutherischen Verfassers zugrunde, der Reformator möge noch einmal erscheinen und dem innerreformatorischen Streit zu Gunsten der lutherischen Lehre ein Ende setzen: Luther erscheint nach dem zweiten Abendmahlsstreit aus dem Grab, um in der Frage Ordnung zu schaffen und insbesondere den schwankenden Melanchthon auf seine Seite zu ziehen. Seltener sind im protestantischen Bereich zeitgeschichtliche Stoffe verarbeitet worden. Zu diesen gehört das Drama des Königsbergers Johannes Reinhard über den italienischen Juristen Francesco Spiera, der als Protestant 1548 in der Haft dem evangelischen Glauben abschwor und im selben Jahr in schweren Depressionen verstarb, aus dem Jahre 1561. Für die spätere Zeit ist ferner der pfälzische lutherische Pfarrer Theodor Rhode (Rhodius) zu nennen, der neben mehreren alttestamentlichen Dramen in lateinischer Sprache 1615 eine lateinische Tragödie ‚Colignius‘ über den hugenottischen Admiral Coligny vorlegte, die 1625 in Straßburg erschien.45 In einigen Dramen findet sich eine heftige konfessionelle Polemik gegen die altgläubige Kirche. Besonders zu nennen sind hier die Dramen Naogeorgs, in denen das Papsttum scharf attackiert wird. In anderen Dramen werden Klerus und Mönchtum oder Elemente der altgläubigen Frömmigkeitspraxis wie das Wallfahrtswesen oder die Heiligenverehrung dem Spott preisgegeben. Dieses Moment begegnet auch noch im späten Drama wie im ‚Phasma‘ von Nicodemus Frischlin von 1580. Wie in diesem Stück wendet sich die Polemik lutherischer Autoren nicht nur gegen die römische Seite, sondern auch gegen Reformierte und ‚Schwärmer‘. Besonders die Auseinandersetzung um den fehlgeschlagenen Versuch einer Einführung des Calvinismus in Kursachsen wurde in den frühen 1590er Jahren in Dramen mit massiver Polemik gegen die Reformierten verarbeitet. Beispiele bilden der ‚Calvinische Postreuter‘ von Georg Nigrinus aus dem Jahre 1592 oder Zacha44 Der Eislebische Christliche Ritter von Martin Rinckhardt, hrg. v. Carl Müller, Halle a.S. 1884. 45 Zu Rhode und der Tragödie ‚Colignius‘ vgl. Hans-Gert Roloff, Klassizismus im deutschen Drama um 1600. Beobachtungen an der Tragoedia Colignius des Theodor Rhodius, in: Ders., Kleine Schriften zur Literatur des 16. Jahrhunderts, hrg. v. Christian Caemmerer u.a., Amsterdam − New York 2003, S. 187−199. Zur Person vgl. ADB 28, S. 392.



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rias Rivanders ‚Lutherus redivivus‘ von 1593. In manchen Dramen erscheint schließlich Polemik gegen die Täufer, so bei Frischlin, Ägidius Hunnius oder Johannes Bertesius. Die Frage ist, ob die protestantischen Dramen durchgehend von Polemik geprägt sind, ob diese ein konstitutives Element bildet. Die Frage ist ferner, wo Polemik beginnt und in welchem Maße und in welcher Weise die konfessionellen Auseinandersetzungen die Ausgestaltung der Dramen bestimmen. Das heißt es gilt zu klären, welche Funktion dem Streit der Konfession und der daraus resultierenden Polemik zukommt. Dass dieser Streit offensichtlich Grenzen hatte und die Polemik nicht völlig das Feld beherrschte, wird daran deutlich, dass die Konfessionsgrenzen für etliche Stücke durchlässig waren.46 Dem eigentlichen Inhalt war in manchen Dramen eine Nebenhandlung beigeordnet. Oft handelt es sich um von derber Komik geprägte Szenen, in denen die Verfasser gerne Bauern auftreten lassen.47 Diese interludi haben rein unterhaltende Funktion und sollen offenkundig dazu dienen, das entsprechende Bedürfnis der Zuschauerinnen und Zuschauer zu befriedigen, um ihre Aufmerksamkeit für die – zuweilen als zu ernst eingeschätzte – Handlung zu erhalten. Auch darin zeigt sich, dass die Autoren mit ihren Dramen den doppelten Zweck des horazischen prodesse und delectare verfolgen.48 Bereits Thomas Naogeorg formulierte, sein ‚Pammachius‘ sei wohl eine erfundene Sache, aber die Wahrheit sei doch dabei und in dieser Verbindung werde Angenehmes und Nützliches geboten.49 Hans Ackermann hat seine Dramatisierung des Gleichnisses vom verlorenen Sohn, wie er in der Vorrede von 1540 formuliert, vorgenommen „Zum unterricht und wolgefalln“ der Adressaten.50 Die Dramen bieten Unterhaltung und Lehre, oder wie der Dramen dichtende Ambrosius Pape zu seinem David bemerkt: Die Aktion möge „zur lust vnd ergetzung so wol / als zu guter Lehr vnd vnterrichtung“ gereichen.51 Ausdrücklich zitiert wird Horaz von dem Ulmer Schulmeister Martin Balticus in seinem lateinischen 46 Ein Beispiel ist die Umarbeitung des von dem niederländischen Franziskaner Livinus Brechtus verfassten Dramas ‚Euripus‘, dem ersten von den Jesuiten inszenierten Stück, das von dem Rother Schulmeister Johannes Heros übersetzt und bearbeitet wurde unter dem Titel ‚Der irdisch Pilgerer‘ (1562); vgl. Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 302 mit S. 392 Anm. 440. – Häufig begegnen im protestantischen Bereich etwa Stücke von Macropedius und Ziegler, im altgläubigen Bereich wiederum z.B. der ‚Acolastus‘ von Gnapheus. 47 Vgl. Walz, a.a.O., S. 117. Er konstatiert das Vordringen volkstümlicher Tendenzen vor allem für den Bereich Südwestdeutschlands, für die Bürgerspiele in der Schweiz und im Elsass, doch gibt es solche Szenen auch in niederdeutschen Stücken wie etwa in Schlues Abraham-Drama. 48 Vgl. dazu Giovanoli, a.a.O., S. 104−106. Bei Horaz heißt es in Ars poetica 333f.: „... aut prodesse volunt, aut delectare Poetae aut simul et iucunda et idonea dicere vitae.“ 49 Thomas Naogeorg, Pammachius, in: Sämtliche Werke, hrg. v. Hans-Gert Roloff. Erster Bd. Dramen I, S. 26, 116f.: „Res ficta est, ita tamen, ut adsit veritas Quae iucundum coniuncta dant et utile.“ Hans Tirolf, Vorrede zum ‚Pammachius‘ (a.a.O., S. 27, 68ff) übersetzt: „Ein gticht es ist / jedoch nichs minder war/ Die zwey beysamen brengen offt viel guts / Und sonderlich bey lust ein grosen nutz.“ 50 Hans Ackermann, in: Hugo Holstein (Hrg.), Dramen von Ackermann und Voith, Stuttgart 1884, S. 71,3f. 51 Ambrosius Pape, David Victus et Victor, Magdeburg 1602, Widmungsrede, A VIb.

28 Annäherungen Joseph-Drama.52 Ein Autor wie der Braunschweiger Pfarrer Melchior Neukirch konzediert, die intendierte Anziehungskraft eines Dramas beruhe nicht nur auf der reinen Anschaulichkeit, sondern auch darauf, dass manche biblischen Szenen erweitert würden. Das Eingeführte diene dazu, dass die Zuschauer nicht der bloßen Historie überdrüssig würden.53 Johannes Heros aus dem fränkischen Roth spricht von der Aufführung seines Stückes als „kurtzweil“.54 Bartholomäus Krüger bezeichnet sein heilsgeschichtliches Drama vom Anfang und Ende der Welt als „lustig action“.55 Hermann Nicephorus kann in seiner Widmungsrede zu seiner Ausgabe von Buchanans Jephthes sogar von einer ‚heiligen Belustigung‘ sprechen.56 Nichtsdestotrotz liegt bei allen Dramen der Schwerpunkt auf der zu vermittelnden Lehre. Dies belegen auch die für ein Stück konstitutiven Rahmenstücke, in denen dargelegt wird, was Zuschauerin und Zuschauer nach Maßgabe des Verfassers im Drama erwarten und wie die Handlung zu verstehen ist.

c) Die Struktur der Dramen Mit diesen Bemerkungen ist neben der Intention der Verfasser die Struktur des Dramas berührt. Durch den Einfluss des humanistischen neulateinischen Dramas setzt sich nach und nach die Einteilung in fünf Akte durch. Frühe Stücke sind beliebig unterteilt, oft ohne dass hinter der jeweiligen Gliederung ein zwingendes System zu erkennen ist. Einheitlich ist der Aufbau der Dramen darin, dass zu Beginn ein Prolog vorgeschaltet ist, der bereits über die Intention des Dramas Auskunft erteilt. Danach folgt das Argumentum, in dem die Handlung vorgestellt und gerafft vorab erzählt wird. In vielen Dramen findet sich auch vor jedem Akt ein Argumentum, das den Inhalt des folgenden Teils angibt. Ebenso erscheinen vielfach in Aufnahme antiker Tradition nach den Akten Chöre. Zuweilen werden hier Choralstrophen aufgenommen, durch deren Singen das Publikum in den Ablauf mit einbezogen wird.57 Am Schluss fasst ein Epilog das Stück zusammen und nennt die wichtigsten Lehrstücke, die die Zuschauer bzw. Zuhörer ihm entnehmen und beherzigen

52 Vgl. Martin Balticus, Iosephus, Ulm 1579, Widmungsrede, A 6a. 53 Vgl. Melchior Neukirch, Stephanus, Magdeburg 1592, Widmungsrede, AVIIa−b. 54 Vgl. Johannes Heros, Der irdisch Pilgerer, Nürnberg 1562, Beschlus, F 8a. 55 Vgl. Bartholomäus Krüger, Eine schöne und lustige newe Action, Von dem Anfang und Ende der Welt 1580, in: Schauspiele aus dem sechzehnten Jahrhundert, hrg. v. Julius Tittmann. Zweiter Theil, Leipzig 1868, S. 11,7. 56 Vgl. Hermann Nicephorus, Jephthes, Braunschweig 1604, Widmungsrede, A IIa−b. 57 Die Chöre müssen aber nicht eo ipso die rechte Lehre als Quintessenz des Aktes zum Ausdruck bringen. In Andreas Hoppenrodts Drama ‚Das Gulden Kalb‘, Straßburg 1563, Dd Va–VIa, ertönt nach dem ersten Akt der Gesang der Verehrer des goldenen Kalbes, der nach der Melodie von ‚Vom Himmel hoch, da komm ich her‘ gesungen werden soll. Nach dem vierten Akt ist hingegen der Gesang von Ps 51 und nach dem fünften Akt der des Te Deum vorgesehen.



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sollen.58 In diesen begleitenden kommentierenden Teilen tritt deutlich der pädagogische Charakter und zugleich der humanistische Ursprung des protestantischen Dramas heraus. Die Methode, einen Text durch ein Argumentum zu erschließen und die Lehrpunkte festzuhalten, wurde auch in der schulischen Unterweisung zur Erschließung der Sonntagsperikopen geübt.59 Prolog, Argumentum und Epilog dienen dem Verfasser als Möglichkeit, mit dem Publikum in Kontakt zu treten und dessen Rezeption des Stückes zu lenken.60 Schließlich bieten die Rahmenstücke den Verfassern Gelegenheit, ihr schriftstellerisches Tun zu rechtfertigen und u.U. gegen tatsächlich vorgebrachte oder potentielle Vorwürfe zu verteidigen − was keinesfalls bedeutet, dass tatsächlich immer derartige Vorwürfe vorlagen. Vielmehr gehört dieses Procedere zur Gattung.61 Während der Verfasser im eigentlichen Drama, d.h. in der Handlung nicht gegenwärtig ist – eine Ausnahme bildet Greffs Abraham – bzw. seine Haltung nur verborgen auszudrücken vermag, kann er sie sozusagen in der Person des Prologisten und Epilogisten offen ins Spiel bringen. Für den Druck verfassten die Autoren überdies Widmungsschreiben. In diesen gaben sie Rechenschaft, warum sie gerade die vorliegende biblische Geschichte oder jenes Thema für eine Dramatisierung wählten und in den Druck gaben, manchmal auch generell warum sie es für sinnvoll hielten, Dramen abzufassen. Merkwürdig an dieser Struktur mutet es an, dass dem Publikum vorab der Inhalt der Handlung mitgeteilt und so jeder Überraschungseffekt ausgeschlossen wurde, auch wenn dieser für einen Teil der Zuschauer ohnehin dadurch erledigt war, dass die dargestellte biblische Geschichte bereits bekannt war.62 Auffallend ist ferner, dass im Sinne der Verfasser die Handlung nicht für sich sprechen sollte oder konnte, sondern die Hörer einer ausdrücklichen Rezeptionsanweisung bedurften. Hintergrund dieser Praxis ist die bewusste Absicht der Autoren, gerade keine Illusion, keine Historisierung erzeugen zu wollen. Dazu durfte einerseits keine Distanz zwischen dargestellter Person und Zuschauer aufgebaut werden, was freilich durch die Abständigkeit der dargebotenen Geschichte nicht immer zur Gänze gelingen konnte. Andererseits war es geboten, die ursprüngliche Distanz zwischen dem Darstellenden selbst und seiner Rolle nicht zu verringern. Vielmehr sollte dem 58 Vgl. Barbara Könneker, Die deutsche Literatur der Reformationszeit, München 1975, S. 61: „... in diesem [sc. dem Epilog] werden die auf der Bühne gezeigten Vorgänge jeweils noch einmal Punkt für Punkt rekapituliert und auf die konkrete Nutzanwendung befragt, welche die Zuschauer je nach Alter, Stand oder Berufszweig aus ihnen zu ziehen hatten...“ 59 Vgl. Friedrich Hahn, Die evangelische Unterweisung, Heidelberg 1957, S. 41. 60 Vgl. Helmut Krause, Die Dramen des Hans Sachs, Berlin 1979, S. 120f. 136f. 61 Dies wird auch durch die Existenz der – als Vorbilder wahrgenommenen − terentianischen Prologe belegt. Die Gattungsbedingtheit der Aussagen zur Verteidigung der Legitimität der Abfassung und Aufführung von Dramen in den Rahmenstücken wird von Thomas Brunnschweiler, Johann Jakob Breitingers ‚Bedencken von Comoedien oder Spilen‘, Bern u.a. 1989, S. 138, zu wenig beachtet. 62 Vgl. für Hans Sachs: Eckhardt Bernstein, Hans Sachs, Reinbek 1993, S. 110: „Die vorweggenommene Inhaltsangabe sorgt für Distanz: die Zuschauer sollen sich nicht allzu sehr von der spannenden Handlung gefangen nehmen lassen.“

30 Annäherungen Zuschauer und der Zuschauerin vermittelt werden: tua res agitur.63 Dies hat zwangsläufig zur Folge, dass die Bedeutung der Handlung selbst in gewisser Weise relativiert wird. Sie verweist auf eine andere Ebene, auf diejenige der Lehre, die der Epilogsprecher dem Publikum in Form von Lehrpunkten erschließt, die es dem Stück entnehmen soll. Konkret geht es dabei um die Frage, welche Verhaltensweise gewählt oder vermieden werden soll. Der genannte Sachverhalt bedeutet ferner, dass die dargestellten Charaktere über keinen Eigenwert verfügen, schon gar keine Individuen darstellen, sondern – positiv oder negativ zu stehen kommende – Typen darstellen.64 Die Abkehr dieses Theaters vom Illusionscharakter, die Aufrechterhaltung der Distanz von Spieler und Rolle wie auch die Rezeptionssteuerung durch eine auktoriale Instanz in Gestalt von Prolog und Epilog wurden nicht zu Unrecht als Belege für den epischen und nichtaristotelischen Charakter dieses Theaters in Anspruch genommen.65 Als episch gilt ein Drama, wenn es im Rahmen der Aufführung 63 Barbara Könneker, Die deutsche Literatur der Reformationszeit, München 1975, S. 60: „Um diesen ihren Modellcharakter einsichtig zu machen, übertrugen sie [sc. die deutschen Schuldramatiker] sämtliche Stoffe in die Lebenswirklichkeit des 16. Jahrhunderts, schalteten in den Handlungsablauf umfangreiche moralisierende und reflektierende Passagen ein und formten die Personen zu Typen um ...“ Vgl. ferner ihre Ausführungen S. 61 zu den – für die Handlung entbehrlichen – eingefügten genrehaften Szenen. – Die hier beschriebenen Charakteristika dieser Form des Theaters finden sich auch bei Peter Ukena, Flugschriften und verwandte Medien im Kommunikationsprozeß zwischen Reformation und Frühaufklärung, in: Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Beiträge zum Tübinger Symposion 1980, hrg. v. Hans-Joachim Köhler (SMAFN 13), Stuttgart 1981, S. 166f., insbesondere: (2) Wahl eines allgemein bekannten Stoffes, begründet auch mit dem Gedanken der Absicherung durch Autoritäten; (6) Bruch der historischen Fiktion, etwa durch Einführung von Personen, die nicht aus dem historischen Kontext stammen, sowie durch Dekoration und Kostüme; (7) Verwendung von Mitteln des Lehrtheaters, etwa in Gestalt der Unterbrechung der Handlung oder in Form von referierenden Passagen. Auch den anderen der hier von ihm genannten sieben Merkmale kommt eine Bedeutung für das protestantische Drama zu: (1) Transponierung eines Problems in die Vergangenheit mit dem Ziel der Beeinflussung von Bewusstseinsinhalten und Handlungen; (4) exemplarischer Charakter des Stoffes; (5) Einbeziehung der konkretgegenwärtigen Situation oder Einbeziehung von Ereignissen der Gegenwart durch Chiffrierung; von etwas geringerer Relevanz dürfte aufgrund der grundsätzlichen Treue zum biblischen Stoff und den reformatorischen Vorgaben zur Auslegung das Merkmal (3) sein: ggf. Umwertung des Stoffes mit dem Ziel der Durchbrechung des Erwartungshorizonts. 64 Vgl. wiederum für Hans Sachs, Eckhard Bernstein, a.a.O., S. 112. 65 So etwa Walter Hinck, Die Dramaturgie des späten Brecht, in: Reinhold Grimm (Hrg.), Episches Theater, Köln – Berlin 1966, S. 316ff für das mittelalterlich-frühneuzeitliche Theater im Allgemeinen und das Reformationstheater im Besonderen; stärker für das Jesuitentheater Rolf Tarot, Mimesis und Imitatio. Grundlagen einer neuen Gattungspoetik, Euphorion 64 (1970), S. 141; vgl. auch den Forschungsbericht in Juliane Eckhardt, Das epische Theater, Darmstadt 1983, S. 132−140. Problematisch ist hier (S. 134. 140) die Wertung des Reformationstheaters als fortschrittlich infolge einer Parteilichkeit, die kritisch und konstruktiv gegen vorhandene gesellschaftliche Normen gerichtet sei, und im Gegenzug des Jesuitentheaters als regressiv infolge einer historisch rückschrittlich ausgerichteten Parteilichkeit. Das Reformationstheater in seiner Gänze kann nicht unter dem Titel ‚kritisch‘ zum



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kommentiert wird, was durch die als Rollen verstandenen Darbietungen der Rahmenstücke bei allen hier behandelten Dramen der Fall ist.66 Hinzu kommt die funktionalisierte Betrachtung des Theaters, dessen belehrender Charakter herausgestellt wird.67 Allerdings sollten nicht Brechtsche Kategorien in die Dramatik des 16. und 17. Jahrhunderts eingetragen werden. So lässt sich schwerlich sagen, dass der Darsteller im geistlichen Drama der Reformationszeit seine Rolle lediglich erzähle – in dieser Richtung könnten allenfalls die Monologe verstanden werden, doch ist auch in diesen keine letzte Distanz erkennbar – oder dass er aus dieser heraustrete. Man kann für das protestantische Drama der hier betrachteten Zeit nicht von Distanzbezeugungen des Darstellers gegenüber seiner Rolle sprechen.68 In der Handlung selbst dominiert die mimetische Form der Darstellung. Diese und die in den Rahmenteilen erfolgende Deutung sind zumeist klar getrennt.69

d) Die Autoren der Dramen Zu einem grundlegenden Überblick gehört ebenso die Frage nach den Autoren dieser Dramen. Diese waren zumeist Lehrer, Schulmeister und Pfarrer. Es kam allerdings auch vor, dass theologisch gebildete ‚Laien‘ wie Kanzleisekretäre, Räte oder Stadtschreiber Dramen verfassten, selten ausgesprochene Dichter wie Nicodemus Frischlin, daneben aber auch Männer, die keinem schreibenden Beruf nachgingen wie der Schuster Hans Sachs oder der Kaufmann Joachim Schlue. Unter den zahlreichen Theologen ragen einige Köpfe hervor, die auch in der akademischen Theologie einen Namen hatten oder in theologischen Auseinandersetzungen bekannt wurden, wie neben dem schon genannten Johann Agricola, Nikolaus Selnecker, Ägidius Hunnius oder Cyriakus Spangenberg. Stehen kommen, umgekehrt lässt sich das Jesuitentheater nicht schlechthin als regressiv bezeichnen, abgesehen von den in ihm erkennbaren modernisierenden Tendenzen etwa in der Bühnentechnik. Dass die ‚Gegenreformation‘ nicht als rückschrittlich wahrgenommen werden kann, hat die neuere Konfessionalisierungsforschung, besonders durch Wolfgang Reinhard, deutlich herausgearbeitet. – Zum epischen Theater s. Eckhardt ebd., S. 128−132; Bernhard Asmuth, Einführung in die Dramenanalyse, Stuttgart – Weimar 20046, S. 53−57; Klaus-Detlef Müller, Art. ‚Episches Theater‘, RLW 1, S. 468−471, der als Kennzeichen des epischen Theaters die Elemente von Desillusionierung und Kommunikation zwischen Bühne und Publikum durch eine auktoriale Erzählerinstanz benennt. 66 Vgl. Asmuth, a.a.O., S. 56. 67 Vgl. Hinck, a.a.O., S. 317f.; Müller, Art. ‚Episches Theater‘, a.a.O., S. 469. 68 Zu diesen bei Brecht begegnenden Distanzbezeugungen vgl. Asmuth, a.a.O. S.55. Asmuth versteht diese als lediglich im metaphorischen Sinne episch, im eigentlichen Sinne episch sei nur das Auftreten eines Erzählers. – Hinck, a.a.O., S. 316, spricht aufgrund der großen Unterschiede vorsichtig nur von Analogien des Brechtschen epischen Theaters zum vor- und frühneuzeitlichen Theater. 69 Eine Ausnahme bei den hier untersuchten Dramen bildet Greffs Abraham-Drama, in dem der Actor auch während der Handlung auftritt, um Sachverhalte zu erklären. Zuvor verwendete aber bereits Burkard Waldis in seiner ‚Parabel vom verlorenen Sohn‘ (1527) die Figur des Actor in der Handlung, um das vorgeführte Geschehen zu deuten.

32 Annäherungen Als mutmaßliche Verfasser von Dramen werden ebenfalls Salomo Gesner70 und Martin Chemnitz71 angegeben. Etliche Autoren sind auch als Liederdichter hervorgetreten wie Cyriakus Spangenberg, Martin Rinckart oder Martin Behm, die als solche recht bekannt sind, aber nach Ausweis von Wackernagel auch Niklaus Manuel, Burkard Waldis, Hans Sachs, Heinrich Knaust, Sixt Birck, Thiebold Gart, Thomas Naogeorg, Paul Rebhun, Valentin Voith, Johannes Heros und Rudolf Gwalther.72 Weitere Autoren waren in ihrer Zeit relativ bedeutsam wie Christoph Stymmelius, Johann Förster (1576−1613),73 der zeitweise Theologie in Wittenberg lehrte, oder Friedrich Dedekind,74 der als Pfarrer in Neustadt am Rübenberge und in Lüneburg wirkte, oder auch Georg Rollenhagen (1542−1609),75 Leiter der zu seiner Zeit berühmten Magdeburger Schule. Die Mehrzahl der Verfasser protestantischer Dramen sind allerdings heute weitgehend unbekannt. Dies gilt für die kirchengeschichtliche wie die germanistische Forschung. Die Autoren können auch unterschiedlichen theologischen Lagern innerhalb der reformatorischen Bewegung angehören. So war Cyriakus Spangenberg ein scharfer Anhänger des Matthias Flacius, Nikolaus Selnecker und Friedrich Dedekind sind stärker Philipp Melanchthon verpflichtet, ohne in den Philippismus abzudriften. Dies wiederum ist der Fall bei Nathan Chytraeus, dessen Wechsel nach Bremen den Anschluss an Pezel und den Übergang zum reformierten Bekenntnis markiert. Rudolf Gwalther gehört der Zürcher Reformation an. Der Elsässer Alexander Seitz dagegen hat, wie auch sein Drama über das große Abendmahl (ca. 1540) offenbart, täuferische Neigungen.76 In dem Stück wendet er sich gegen den Zwang in Religionssachen. Ablehnung lässt er gegenüber dem gescheiterten Münsteraner Täuferreich erkennen.

70 So behauptet es Martin Rinckart in seinem Vorwort zu seinem ‚Eislebischen Christlichen Ritter‘ von 1613; vgl. Der Eislebische Christliche Ritter von Martin Rinckhardt, hrg. v. Carl Müller, Halle a.S. 1884, S. 9. – Gesner wird später allerdings als Theatergegner in Anspruch genommen, s. dazu u. in Abschnitt B I 2 h) S. 164f. 71 Dies äußert der mit Chemnitz befreundete Melchior Neukirch in seiner Widmung zu seinem Drama Stephanus, Magdeburg 1592, A VIa–b. Vgl. Wolfgang A. Jünke, Martin Chemnitz, Bischof der Stadt Braunschweig, in: Der zweite Martin der lutherischen Kirche, hrg. vom Ev.-luth. Stadtkirchenverband Braunschweig und der Propstei Braunschweig, Braunschweig 1986, S. 317. Andere Belege für eine solche Tätigkeit von Chemnitz gibt es nicht, Drucke von Dramen sind nicht belegt. 72 Philipp Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts. Fünf Bände, Leipzig 1864−1877. 73 Zu Förster (Forsterus) vgl. Reinhard Müller, DL3. Ergänzungsband III, Sp. 645. 74 Zu Dedekind vgl. Wilhelm Flemming, Art. ‚Dedekind, Friedrich‘, NDB 3, S. 551f., und Eberhard Doll, Art. ‚Dedekind, Friedrich‘, in: BBKL XX, Sp. 373−379. 75 Zu Rollenhagen vgl. Dietmar Peil, Georg Rollenhagen, in: Füssel (Hrg.), Deutsche Dichter der frühen Neuzeit, S. 561−574. 76 Zu Alexander Seitz und seinem Drama vgl. Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 196ff.



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e) Die Verbreitung der Dramen Das protestantische Theater war, was Autoren und Aufführungen angeht, über alle protestantischen Territorien im deutschen Sprachgebiet verbreitet. In Bezug auf das Schultheater kann man mit Wilfried Barner von einem ‚dichten Netz‘ sprechen.77 Auch aus kleineren Städten oder sogar Ortschaften sind Aufführungen bezeugt.78 Bedeutende Zentren im alten Reich waren das mitteldeutsche Gebiet und Norddeutschland, die sächsischen und welfischen Gebiete, daneben Brandenburg, Mecklenburg und Pommern, ferner die Städte Nürnberg – Hans Sachs − und Augsburg. Ein eigenes Gebilde stellt das stark humanistisch geprägte und in der Konfessionsfrage irenisch gestimmtere Straßburger Theater dar, das unter dem 1538 berufenen Johannes Sturm (1507−1589), der Leiter des neu gegründeten Gymnasiums wurde, einen großen Aufschwung nahm. Unter Verzicht auf volkssprachliche Aufführungen entwickelte sich hier ein professionell gestaltetes Akademietheater, in dem nach einer Phase, in der nur antike Dramen zur Aufführung kamen, ausschließlich neulateinische Dramen, auch altgläubiger Autoren, inszeniert wurden. Ende der 1550er Jahre übernahm der Magistrat die Verantwortung für das Theater, für das 1565 im Hof des ehemaligen Dominikanerklosters eine stationäre Bühne errichtet wurde.79 Ein bedeutsames geistliches Theaterwesen bildete sich sehr früh in der deutschsprachigen Schweiz heraus. Das geistliche Theater des dortigen Protestantismus hat von seinen Anfängen her einen stärker politischen Akzent. Die bedeutendsten Zentren waren Bern, Zürich und Basel. Wenig bekannt ist, dass Heinrich Bullinger ein weltliches Drama verfasste. Sein Nachfolger als Leiter der Züricher Kirche, Rudolf Gwalther, veröffentlichte 1549 ein geistliches Drama ‚Nabal‘. Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle, wiewohl es über den deutschen Sprachraum hinausführt, dass auch Calvins Nachfolger Theodor Beza mit seinem französischen ‚Abraham sacrifiant‘ 1550 ein geistliches Drama vorlegte. Überblickt man den ‚Grundriß‘ von Goedeke – nach wie vor das grundlegende Verzeichnis der Dramen der Zeit −, so dominiert bei den deutschen Dramen vom Umfang her deutlich der sächsische Raum, dessen Spiele Goedeke mit denjenigen hessischer Provenienz

77 Vgl. Wilfried Barner, Theater und Publikum des deutschen Barock, in: Anselm Maler u.a. (Hrgg.), Theater und Publikum im europäischen Barock, Frankfurt a.M. u.a. 2002, S. 12. 78 Als Beispiel sei Wasungen in Thüringen genannt, wo Aufführungen biblischer Dramen auf dem Marktplatz belegt sind; vgl. Günther Wölfing, Wasungen. Eine Kleinstadt im Feudalismus vom 9. bis zum 19. Jahrhundert, Weimar 1980, S. 137. Johann Sanders führte sein Drama über den Täufer in Adenstedt bei Peine auf, wo er als Pfarrer wirkte. 79 Vgl. Manfred Brauneck, Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters. Bd. 1, Stuttgart – Weimar 1993, S. 544−547; Heinz Kindermann, Theatergeschichte Europas. Bd. 2, Salzburg 1959, S. 318−329. Der Hof soll an die 2000 Zuschauer umfasst haben. An altgläubigen Autoren erscheinen Schöpper, Crocus, Holonius, Macropedius. An älterer spezieller Literatur sei genannt: August Jundt, Die dramatischen Aufführungen im Gymnasium zu Straßburg, Straßburg 1881; Günter Skopnik, Das Straßburger Schultheater. Sein Spielplan und seine Bühne, Frankfurt a.M. 1935.

34 Annäherungen zusammenfasst, gefolgt von der deutschsprachigen Schweiz.80 Ebenso zeigt die Betrachtung dieses wichtigen Sammelwerkes das Übergewicht der deutschsprachigen Spiele.81

f ) Lateinisches und deutsches Drama Durch die verschiedenen Ursprünge des protestantischen Dramas existiert es ab ovo in der Doppelgestalt eines Nebeneinanders von Dramen und Aufführungen in lateinischer und in deutscher Sprache. Waldis schrieb sein Drama deutsch, gleiches gilt für Joachim Greff, den Inaugurator des geistlichem Dramas des Wittenberger Kreises. Von humanistischer Seite wurde das lateinische Drama favorisiert. Insbesondere an den Komödien des Terenz sollten Schüler die lateinische Sprache, aber auch das freie Sprechen und ein würdiges Auftreten lernen. Insofern das geistliche Drama im Protestantismus weitgehend Schuldrama ist, entstanden unter dem Einfluss der Rezeption der Palliata neulateinische geistliche Dramen. Einige Schulen folgten dem Straßburger Vorbild und beschränkten sich auf lateinische Aufführungen, wobei etwa der spätere Lehrplan der Goldberger Schule in Schlesien neben Terenz und Plautus geistliche Dramen von Frischlin oder dem Niederländer Cornelius Schonaeus, dessen Sammlung den Namen ‚Terentius christianus‘ erhielt, empfiehlt.82 Typisch für das protestantische Schultheater ist indessen das lange Nebeneinander von deutschen und lateinischen Aufführungen.83 Dieses Nebeneinander 80 Goedeke, Grundriß Bd. 2, ordnet die deutschen Spiele und Aufführungen – unter Einschluss auch rein weltlicher − folgendermaßen: § 146 deutschsprachige Schweiz (S. 337−355; Spiele Nr. 45−116; unter Einschluss altgläubiger Autoren wie Johannes Aal); § 147 sächsische und hessische Spiele (S. 356−377; Nr. 117−251); § 148 Rheinland (S. 377−379; Nr. 252−262, darunter einige altgläubige wie von Jasper von Gennep); § 149 Schwaben, Franken , Bayern, Württemberg (S. 379−389; Nr. 262b−305, mit wenigen altgläubigen Autoren); § 150 Elsaß (S. 389−392; Nr. 306−324, mit wenigen altgläubigen Autoren); § 151 Brandenburg, Pommern, Preußen (S. 392−395; Nr. 325−347); § 152 braunschweigisch-lüneburgische Lande (S. 396−401; Nr. 348−361) nebst Mecklenburg und Holstein (S. 402−403; Nr. 362−373); § 153 Österreich (S. 404−406; Nr. 374−390, darunter wenige Altgläubige wie Wolfgang Schmeltzl) nebst Schlesien (S. 406−408; Nr. 391−400). Hans Sachs erscheint gesondert (§ 154 und bes. 155, S.408ff bzw. 428−437). 81 Die lateinischen Dramen finden sich a.a.O., § 115 (S. 132−146; Nr. 1−100). Unter diesen sind recht viele altgläubig-katholischen Autoren zuzuordnende Dramen (Benedictus Chelidonius, Cornelius Crocus, Georg Macropedius, Johannes Lorichius, Hieronymus Ziegler, Petrus Philicinus, Livinus Brechtus, Gregor Holonius, Michael Hiltprandus, Franciscus Bencius, Luminaeus a Marca, Nicolas Caussin; zu Jakob Schöpper s.u. S. 315 mit Anm. 2 und S. 523f. [Teil C I und C I 10]). Einige Autoren sind Dramatiker des Straßburger Theaters (Johannes Sapidus, Abraham Saurius, Theodor Rhode, Andreas Wunst, Heinrich Hirtzwig, Caspar Brulovius oder auch Ägidius Hunnius). – Umfassen die lateinischen Spiele 100 Nummern, von denen ein Großteil altgläubige Werke darstellen, so umfassen die deutschen – (unter Einschluss der deutschen Schweiz, aber ohne Sachs) 356 Nummern, von denen nur ein relativ überschaubarer Teil altgläubigen Werken zuzuordnen ist. 82 Vgl. Gustav Bauch, Valentin Trozendorf und die Goldberger Schule, Berlin 1921, S. 377 (Kap. XI). 83 Vgl. Barner, ebd.



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bezeugen viele Schulordnungen der Zeit, die weiter unten systematisch untersucht werden. Ein Beispiel bietet die Nordhäuser Schulordnung von 1583, nach der jährlich eine lateinische Terenz-Komödie und eine deutsche biblische Komödie aufgeführt werden soll.84 Ähnlich bestimmt die Aschersleber Schulordnung von 1589: „Ueber dieses soll sich der Schuelmeister befleissigen, daß er mit seinen Schülern eine teutsche oder lateinische Comoediam agire, eins umbs ander.“85 Den gleichen Wechsel sah schon die Magdeburger Schulordnung aus dem Jahre 1553 vor, die auch Termine für beide Darbietungen angibt: Die lateinische Aufführung sollte am Moritzmarkttag, um den 22. September, die deutsche Aufführung an den Markttagen um Septuagesima stattfinden.86 Für die lateinischen Aufführungen sollte auf Terenz zurückgegriffen werden, für die deutschen Aufführungen ging die Schulordnung hingegen davon aus, dass die Lehrer der Schule (nostri) die Stücke lieferten.87 Die literarische Tätigkeit der Lehrer wurde also durchaus wohlwollend betrachtet. Dass in inhaltlicher Hinsicht bei den geistlichen Dramen kein wesentlicher Unterschied zwischen deutschen und lateinischen Stücken gesehen wurde, belegt die Tatsache, dass viele lateinische Dramen übersetzt und in deutscher Sprache zur Aufführung kamen.88 Ihre Vorstufe fand diese Praxis in dem Vortragen deutscher Zusammenfassungen, wodurch man sich erhoffte, ein breiteres Publikum bei lateinischen Aufführungen zu erreichen.

g) Die Aufführungspraxis Neben die Unterscheidung zwischen lateinischer und deutscher Aufführung, aber mit ihr in Verbindung stehend, trat, wie etwa die Ordnung des Gothaer Gymnasiums von 1605 belegt, diejenige zwischen einer Aufführung im Rahmen der Schule (theatrum scholasticum) und einer öffentlichen Aufführung (in publico) zu.89 Beide Formen unterschieden sich in Bezug auf Funktion und Adressaten. Die Faustregel ist, dass die geschlossene Aufführung lateinisch erfolgte, die öffentliche in deutscher Sprache, doch konnte auch bei 84 Nordhäuser Schulordnung 1583, 4. Teil III,11 (Amt der Schuldiener gegen ihre Schüler), in: Evangelische Schulordnungen. Bd. 1, hrg. v. Reinhold Vormbaum, Gütersloh 1860, S. 380. Friedrich Hahn, Die evangelische Unterweisung, Heidelberg 1957, S. 119 Anm. 96, spricht irrtümlich von der ‚Nördlinger Schulordnung‘. 85 Ordnung des Stephaneums zu Aschersleben 1589, Vorschriften für den Schulmeister, Abs. 5, in: Vormbaum Bd. 1, S. 641. 86 Vgl. die Magdeburger Schulordnung 1553, V. Ordo (De publicis exercitiis vel actionibus), in: Vormbaum Bd. 1, S. 418. Diese von der Schulordnung vorgesehene Praxis erwähnt Rollenhagen in der Widmungsrede zu seinem 1569 erschienen Abraham, A Va: Gott habe ihn „... in der lÖblichen Schulen der alten Stadt Magdeburgk fÜr einen Collegam wissen vnnd gebrauchen wÖllen. Jn welchs nun viel Jahr nach ordnung jhrer wolgefasseten statuten vnd Schulgesetzen / das Comoedien / Tragoedien vnnd der gleichen Actionen in Lateinischer vnd Deutscher Sprach zu recitiren gebreuchlich gewesen ...“ 87 Ebd.: „Ex Terentio latinae [sc. Comoediae] sumi possunt, caeteras nostri suppeditant.“ 88 Vgl. Barbara Könneker, Die deutsche Literatur der Reformationszeit, München 1975, S. 58. 89 Vgl. Vormbaum, Evangelische Schulordnungen Bd. 2, S. 41f.

36 Annäherungen einer lateinischen Aufführung ein breiteres Publikum zugegen sein, andererseits gab es auch deutsche Darbietungen in einem geschlosseneren Rahmen. Das Publikum der lateinischen Aufführungen war eo ipso beschränkt. Es handelte sich um ein städtisch-gelehrtes Publikum, zu dem auch Eltern und Verwandte der agierenden Schüler gehörten.90 Dies spiegelt z.B. die Nordhäuser Schulordnung aus dem Jahre 1583 wider, die vorsieht, dass der Rektor acht Tage vor der Aufführung den Pastor, die Inspektoren und die Bürgermeister von der Aufführung in Kenntnis setzen und danach auch „die vornehmsten Herren des Rathes und das Ministerium dazu einladen“ soll.91 Diese sind die primären Adressaten. Ähnlich spricht die 1583 veröffentlichte Brandenburger Schulordnung von der Aufführung vor dem Rat, den ministri verbi und den gelehrten Bürgern.92 Hintergrund dieser Regelungen ist, dass das primäre Ziel einer Schulaufführung darin gesehen wurde, den Lernfortschritt der Schüler vor den ‚Schulherrn‘ zu belegen, wie es Johann Baumgart in seinem für die Magdeburger Schule verfassten Drama ‚Iuditium‘ [!] von 1561 herausstellt.93 Zur Information der Träger der Schulaufsicht über diese Fortschritte ist nach Baumgart aber auch die Aufführung eines deutschen Dramas im Rathaus vorgesehen.94 Schließlich erwähnt Baumgart eine weitere, öffentliche Aufführung des jeweiligen deutschen Dramas, mit der man die gesamte Bevölkerung zu erreichen sucht. Auch diese verfolgte zwar wiederum das Ziel, den Lernzuwachs der Schüler vorzuführen, ihr kam aber auch die Funktion zu, für die Schule und für den Erwerb von Bildung zu werben und den Eltern einen Anreiz zu geben, ihre Kinder zur Schule zu schicken.95 Zu dieser Zeit waren

90 Vgl. Barner, ebd. 91 Nordhäuser Schulordnung 1583, 4. Teil IV,6, in: Vormbaum Bd. 1, S. 382. Die Aufführung soll „Der Bürgerschafft und gemeiner Stadt zu Ehren“ erfolgen (ebd.). 92 Brandenburger Schulordnung 1564, in: Vormbaum Bd. 1, S. 541: „Et satis erit, semel atque iterum agere et exhibere Comoediam coram Senatu, ministris verbi et civibus doctis.“ Vgl. auch die vom Lüneburger Rektor Albert Lenicerus 1570 konzipierte Ordnung, nach der zuerst vor dem Rektor, dann vor dem Rat (senatus) samt den ministri verbi und den gelehrteren Bürgern (doctiores cives) aufgeführt werden soll; vgl. Karl Theodor Gaedertz, Archivalische Nachrichten über die Theaterzustände von Hildesheim, Lübeck, Lüneburg im 16. und 17. Jahrhundert, Bremen 1888, S. 61. 93 Johann Baumgart, Iuditium [!], o.O. 1561, Widmungsrede, A Ia: „Vnnd das auch solcher Profectus [sc. der Jugend im Lernen, in Rede, Disputieren, Deklamieren] den Schulherrn selb kundig werde wirt im jare auffs wenigs ein Latinische Comedien oder Action, der Jugend auff Herrn Mess / fur den Schulherrn zu agiren aufferlegt.“ 94 Ebd. (Forts.): „Vnd damit letzlich auch ein gantzer sitzender Rath (was des jars vber bey seinem Regiment die Schule zugenommen) spÜren / hÖren vnd sehen muge / wirt die Jugend mehr darzu gehalten / das die eine Deutsche Comedien auffm Rathause fur allen Herrn auch agiren vnd spielen muss.“ 95 Ebd., A Ib (Forts.): „Domit auch zu aller letzt menniglich beid gelert vnnd vngelert Burger / Bawr vnd alle man den Profectum wachs vnnd zunemen der Schulen / sehen vnd erfaren / Auch ein jeder deste mehr lust die seinen zu Schulen zu halten / haben muge / wirt solche Comedien ferner offentlichen vnter dem freien Himel fur jederman aus vnser Schulen agiret vnd gespielet / vnd je zÜchtiger / wolgeschickter vnd Christlicher sich denn die Jugend in solchen Actionibus (sonderlich en aber die



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demnach in Magdeburg drei Aufführungen im Jahr vorgesehen, eine lateinische und zwei deutsche. Regional war dies aber recht unterschiedlich geregelt. Dass im deutschen Raum die Praxis des Schultheaters den Primat einnahm, gilt auch für Dramen, die das Thema Ehe behandelten und die häufiger im Rahmen von Hochzeitsfeiern in Privathäusern durch Schüler unter Federführung ihres Lehrers zur Aufführung gebracht wurden.96 Im protestantischen Theater lassen sich aber sehr früh auch Ansätze zu einer Aufführungspraxis finden, in der die gesamte Gemeinde miteinbezogen ist. In der Schweiz und im Elsass gab es die Tradition der Bürgeraufführungen, die besonders der Selbstdarstellung der Kommunen dienten.97 Dies erhellt bereits aus dem Titel der entsprechenden Werke, in denen immer wieder davon die Rede ist, dass das Stück von einer ehrsamen Bürgerschaft gespielt wurde. Ein aufschlussreiches Beispiel ist die Tragödie über Johannes den Täufer von Andreas Meyenbrunn, die im Zuge der Einführung der Reformation in Colmar, die 1575 ihre Vollendung fand, aufgeführt wurde.98 In der Widmungsrede des Dramas, das eine protestantische Bearbeitung des älteren Stückes des altgläubigen Schweizers Johannes Aal darstellt, weist Meyenbrunn darauf hin, dass das Stück mit Unterstützung der Obrigkeit von einer Spielgesellschaft bzw. -genossenschaft

Geistlich vnd aus heiliger Schrifft genommen sind) auffs werckligst zuerzeigen weiss / ie grossern wolgefallen vnd hertzliche freude ein Erbar Rath / billich darob habe.“ 96 So wurden die Dramen Tobias und Isaac des österreichischen Lehrers Thomas Brunner bei Hochzeiten aufgeführt, ersteres 1568 oder 1569 bei der Hochzeitsfeier eines Freundes Brunners in Steyr, letzteres bei einer Hochzeitsfeier in Krems in demselben Zeitraum; vgl. Thomas Brunner, Tobias, hrg. v. Wolfgang F. Michael, Bern u.a. 1978, S. 47*; vgl. ferner Thomas Brunner, Jacob und seine zwölf Söhne, hrg. v. Robert Stumpfl, Halle 1928, S. IXf., der mutmaßt: „Möglicherweise hat es sich um eine Gastspielreise der Brunnerschen Schülertruppe gehandelt.“ Ebd. Anm. 1 erwähnt er auch ein Gastspiel des Nördlinger Schulmeisters Georg Fraß mit seinen Schülern im württembergischen Bopfingen im Jahre 1611. Siehe auch Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 112. 114. − Vgl. dazu auch Kleinschmidt, a.a.O., S. 199 Anm. 429. 97 Erich Kleinschmidt, a.a.O., S. 194: „Letztlich gehören kirchlich und schulisch getragenes Schauspiel wie auch seine bürgerschaftlich getragenen Übernahmen zu einer urbanen Festpraxis, die neben ihrer Lustfunktion für Darsteller und Publikum vor allem eine Selbstdarstellung der ganzen Kommune bedeutete. Im Spiel ließ sich das Ansehen einer Stadt nach außen hin dokumentieren.“ 98 Andreas Meyenbrunn, Tragoedia. Johannis des heiligen VorlÄuffers vnd TÄuffers Iesv Christi, warhaffte Hystori von anfang seines lebens / biß in das endt seiner Enthauptung. Auß den vier Euangelisten in Reimen zísammen gesetzt / vnd gespilt durch ein Ehrsame Burgerschafft zí Colmar / auff den 25 vnd 26 tag Maij / Anno 1573, Straßburg 1575. − Ein weiteres, früheres Beispiel ist das Josephs-Drama des Elsässers Thiebold Gart; vgl. Joseph. Ein schÖne und fruchtbare Comedia, auß heyliger Biblischer schrifft in rheimen bracht, mit anzeygung irer Allegori und geistliche bedeüttung, In welcher vil Christlicher Zucht unnd Gottsforcht gelernet wirt. Durch Thiebolt Gart, burger zí Schletstat geordnet und zísammen bracht, auch daselbst auff Sontag noch Ostern mit einer Ersamen burgerschafft offentlich gespilt. Im Jar. 1.5.40, in: Joseph. Biblische Komödie von Thiebold Gart (1540), hrg. v. Ernst Martin und Erich Schmidt, Strassburg – London 1880.

38 Annäherungen aufgeführt wurde, in deren Namen es nun in Druck gegeben werde.99 Dem Charakter der Bürgeraufführung entsprechend, sind im Personenverzeichnis die Spieler der Rollen angegeben; Meyenbrunn selbst spielt Christus.100 Im Bereich des von Wittenberg beeinflussten protestantischen Theaters ist bei Paul Rebhun und anderen eine Tendenz erkennbar, das Theaterspiel aus dem schulischen Rahmen herauszuführen und die örtliche Gemeinde mit einzubeziehen. Dadurch traten die formal-pädagogischen Zielsetzungen zugunsten der genuin theologischen oder moralischen zurück.101 Für das gesamte Theaterwesen des Zeitraumes gilt, dass die Agierenden entweder Schulknaben oder jüngere männliche Mitglieder angesehener Familien waren. Nur selten ist belegt, dass auch Frauen mitwirkten. Bei den Schulaufführungen wurden zumeist die Schüler der beiden höheren Klassen herangezogen.102 Wie eine Aufführung zustande kam, darüber gibt es ein Zeugnis von Cyriakus Spangenberg. Er berichtet in der „Vorrhede“ zu seiner deutschen Ausgabe des ‚Hecastus‘ von Macropedius – ein Beispiel für die konfessionelle Durchlässigkeit von Dramen – im Jahre 1564, zu Anfang des Jahres seien Schule und Bürgerschaft mit der Bitte an ihn herangetreten, von ihm ein geeignetes Drama für eine – gemäß altem Brauch – vorgesehene Aufführung genannt zu bekommen. Bemerkenswert ist, dass man Spangenberg dabei eine Auswahl von offensichtlich etlichen Vorschlägen einreichte. Er favorisierte den ‚Hecastus‘, nahm aber auch noch andere Stücke in eine engere Auswahl auf.103 Spangenberg, damals Hofprediger der Grafen von Mansfeld und Generaldekan, galt offensichtlich als Autorität, an der man nicht vorbeigehen konnte. An sich gehörte die Wahl des Dramas zu den Aufgaben des Lehrers. Obligatorischen Charakter hatte aber die

99 Meyenbrunn, a.a.O., Widmungsrede, ) ( Vb−VIa: „... haben ein Ehrsam vnd Ehrenliebnde Burger vnd Gesellschafft allhie nach vergünnung E.E.F.E.W, vnserer gnÄdigen Oberigkait / die dann zu solchen / wie auch zu andren Christenlichen Übungen / sondern gíten gÖnstigen wille tragen / zu befÜrderung deren offtermalen zuuor vnnd jetzunder / mit kosten / mÜhe vnnd arbait handreichung gethon / lobliche Spilsgesellschafft / mit reichlicher Schencke gnÄdiglichen begabt) zum fordersten Gott zu ehren / E.E.F.E.W. zu vnderthÖnigen gehorsamen gefallen / jnen selbs zír Übung / meniglichen zur besserung vnd lehr in gegenwÄsen ehrnermelter E.E.F.E.W. gespilet.“ Nun werde es im Namen der „Spils genoschafft“ in Druck gegeben (ebd.). – Zum Charakter des Werkes vgl. W.F. Michael, a.a.O., S. 195. 100 Vgl. a.a.O., ) ( VIIa−VIIIb. Die einzige Frauenrolle des Stückes wird von einem Mann gespielt. 101 Vgl. Waltraud Timmermann, Theaterspiel als Medium evangelischer Verkündigung, AKuG 66 (1984), S. 125. 102 Vgl. etwa die Ordnung des Gymnasiums zu Beuthen von 1614, Vormbaum Bd. 2, S. 119. 103 Cyriakus Spangenberg, Hecastus, Erfurt 1564, Widmungsrede, A Vb−VIa: „Da ich nu darÜber von der Schule / vnd BÜrgerschafft allhie zu Manssfelt / im eingang dieses Jhars / gebeten worden / jhnen rhat mitzutheilen / Was sie ohn gefehr / jhrem alten vnd nicht vnchristlichem brauch nach / fÜr eine Action / vnter denen / so sie mir fÜrgeschlagen / anrichten vnd halten solten / Vnd ich vnter andern den Hecastum / Georgij Macropedij... ersehen... Habe ich jhnen dieselbige Action fÜrgeschlagen.“



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Anmeldung der Aufführung.104 Wie oft es dabei zu Einsprüchen kam, lässt sich nach dem augenblicklichen Stand der Forschung nicht sagen. In der Forschungsliteratur werden nur wenige Zensurmaßnahmen erwähnt, wie z.B. die Ablehnung des Meistersingdramas Joseph von Adam Puschmann durch die Pfarrerschaft in Breslau im Jahre 1580.105 Das für die Öffentlichkeit gedachte Drama konnte groß- oder kleinräumig inszeniert werden, insofern sowohl auf freien Plätzen als auch im Rathaus oder in Kirchen Aufführungen erfolgten.106 Die Wahl des Aufführungsortes war auch davon abhängig, welcher Adressatenkreis angesprochen werden sollte. Bei Aufführungen, die für die gesamte Bevölkerung vorgesehen waren, ergab sich oftmals keine andere Möglichkeit als die des freien Platzes. Hier galt prinzipiell die volle Öffentlichkeit.107 Das nur eingeschränkt öffentliche Spiel vor dem Rat legte die Aufführung im Rathaus nahe.108 Gerne wurde für Aufführungen auch auf Kirchen zurückgegriffen.109 Wurde das Spielen in als Kirchenräumen 104 Nach der Ordnung, die der Lüneburger Rektor Albert Lenicerus 1570 vorlegte, durfte nur mit Erlaubnis des Rates gespielt werden. Vor einer öffentlichen Aufführung war das Stück dem Rektor vorzuführen, der Änderungen vorzunehmen berechtigt war. Die Aufführung selbst oblag dem Kantor; vgl. Karl Theodor Gaedertz, Archivalische Nachrichten über die Theaterzustände von Hildesheim, Lübeck, Lüneburg im 16. und 17. Jahrhundert, Bremen 1888, S. 61. 105 Den Zwischenfall erwähnt schon Karl Hase, Das geistliche Schauspiel, Leipzig 1858, S.  115 Anm.  29, danach Wilhelm Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Band III, Halle a.S. 19232, S.  363, schließlich Gustav Bauch, Geschichte des Breslauer Schulwesens in der Zeit der Reformation, Breslau 1911, S. 159. Zu dem Vorgang s.u. S. 168f. (Teil B I 2 e). – Creizenach, a.a.O., S. 359 Anm. erwähnt ferner, dass im Jahre 1570 einem Pfarrer in Fürth verboten wurde, eine antijüdische Komödie drucken zu lassen. 106 Vgl. dazu Erich Kleinschmidt, Stadt und Literatur in der Frühen Neuzeit, S. 198f. Dass Aufführungen in gottesdienstlich genutzten Kirchen von den protestantischen Obrigkeiten generell verboten worden seien, wie Kleinschmidt ebd. behauptet, trifft so nicht zu, wie etwa die Nordhäuser Schulordnung von 1583 (s.u.) − also gerade ein normatives Dokument, noch dazu aus späterer Zeit – belegt. 107 Mit Susanne Rau – Gerd Schwerhoff, Öffentliche Räume in der Frühen Neuzeit, in: Dieselben (Hrgg.), Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume im Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Köln – Weimar – Wien 2004, S. 48, werden hier als öffentlich die Räume definiert, „... die für Menschen unterschiedlicher regionaler Herkunft, sozialer Zugehörigkeit und unterschiedlichen Geschlechts prinzipiell zugänglich waren,“ und die zugleich „kommunikativ und interaktiv profiliert und für die frühneuzeitlichen Gesellschaften relevant“ waren. Zur Öffentlichkeit des Dramas im 16. und 17. Jahrhundert vgl. Peter Ukena, Flugschriften, S. 167. – Von Georg Rollenhagen berichtete Zwischenfälle bei Aufführungen in Magdeburg bestätigen dies ausdrücklich; dazu s. S. 145 (Teil B I 2 e). 108 Vgl. die oben S. 36 Anm. 93–94 zitierten Ausführungen Johann Baumgarts für Magdeburg zu seinem Drama ‚Iuditium‘ von 1561, Widmungsrede, A Ia−b. 109 Vgl. die Aufführung eines Joseph im Jahre 1541 in der Marienkirche in Stralsund nach Goedeke, Grundriß Bd. 2, S. 392 (Nr. 325c), oder die Darbietung einer Tragödie vom Fall Adams und Evas in der Schweriner Marienkirche 1582 nach A.A. Meyer, a.a.O., S. 121 Anm. 156. Bezas ‚Abraham sacrifiant‘ wurde 1549 wohl in der Lausanner Kathedrale St. Pierre aufgeführt. Die Aufführungen

40 Annäherungen genutzten Kirchen problematisiert, so blieben frei gewordene Ordenskirchen als mögliche Spielstätten legitim.110 Für die Aufführungen der Dramen von Hans Sachs in Nürnberg, bei denen Handwerker mitwirkten, die auch das Publikum bildeten, sind das Dominikanerkloster und die Marthakirche belegt.111 Auch die Augsburger Meistersinger führten ihre Stücke in einer Kirche auf.112 Die Nordhäuser Schulordnung von 1583 schrieb vor, dass die vorgesehene geistliche deutsche Komödie in der Kirche gehalten werden sollte, während für die weltliche lateinische der Tanzboden oder der Markt reserviert war.113 Hier wurde also differenziert; nur das geistliche Drama wurde dem Aufführungsort Kirche für angemessen gehalten. Eine wesentliche Rolle spielen in der Zeit auch die Aufführungen an Fürstenhöfen, von denen einige genannt seien. Bei dem Weihnachtsspiel von Christoph Lasius, das 1549 in Spandau aufgeführt wurde, wirkten die Fürstentöchter und -söhne mit;114 eine auch später fortgeführte Praxis. Lucas Mais Spiel über den Streit der Töchter Gottes wurde an zwei Tagen im Februar 1561 im Schloss Schleusingen zur Aufführung gebracht.115 1567 wurde ein David-Drama von Bernhard Hederich im Schweriner Schloss vor Herzog Albrecht I. von Mecklenburg aufgeführt.116 1573 kam eine Komödie vom Fall Adams von lateinischen Schuldramen seitens der Weimarer Stadtschule fanden vor dem Landesherrn, dem Rat und den Bürgern im Schloss und in der Kirche statt; vgl. Geschichte der Stadt Weimar, hrg. v. Gitta Günther und Lothar Wallraf, Weimar 19762, Kap. 3: Ernst Müller, Von der frühbürgerlichen Revolution bis zum Dreißigjährigen Krieg (S. 139−195), S. 193. 110 Vgl. Rau – Schwerhoff, a.a.O., S. 39, die darauf hinweisen, dass durch den von der Reformation in Gang gesetzten Wandlungsprozess die Bandbreite möglicher Nutzungen von Kirchenräumen begrenzt wurde: „Die Durchsetzung des Anspruches, Kirchenräume „richtig“ und exklusiv für religiös-gottesdienstliche Zwecke zu nutzen, musste zwangsläufig mit ihrem gesellschaftlichen Bedeutungsverlust einher gehen. Dennoch blieb die Multifunktionalität des Kirchenraums im protestantischen wie im katholischen Bereich lange Zeit erhalten. Ohnehin waren soziale Repräsentationsbedürfnisse von religiösen Funktionen schlechterdings nicht zu trennen...“ Genau dies gilt für die Aufführung eines geistlichen Dramas, die zumindest über gottesdienstliche Elemente verfügt und zugleich der Repräsentation und Identitätsstiftung der Gemeinde dient. 111 Vgl. Niklas Holzberg, Die Tragedis und Comedis des Hans Sachs: Forschungssituation – Forschungsperspektiven, in: Hans Sachs und Nürnberg, hrg. v. Horst Brunner u.a., Nürnberg 1976, S. 129f., und Eckhard Bernstein, Hans Sachs, Reinbek 1993, S. 117. 112 Vgl. Kleinschmidt, a.a.O., S. 205. 113 Nordhäuser Schulordnung 1583, 4. Teil IV,6 (Amt der Schuldiener gegen die Bürgerschaft), in Vormbaum Bd. 1, S. 382. 114 Das Stück ist ediert in: Johannes Bolte (Hrg.), Ein Spandauer Weihnachtsspiel. 1549, Märkische Forschungen XVIII (1884), S. 109−222. 115 Vgl. Goedeke, Grundriß Bd. 2, S. 363 (Nr. 162), und A.A. Meyer, Heilsgewißheit, S. 73. 116 Vgl. Goedeke, a.a.O., S. 402 (Nr. 364). – Im Güstrower Schloß ließ der Schulleiter Franz Omichius 1578 ein Stück ‚Daniel‘ aufführen; vgl. a.a.O. (Nr. 365). Ebd. erwähnt Goedeke, dass in Rostock 1576 die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus zu Ehren des dänischen Königs gespielt wurde.



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und Evas, geschrieben von Georg Roll, auf dem Schloss in Königsberg zur Aufführung.117 Bei der Aufführung einer Komödie von König Darius im Darmstädter Fürstenhause 1586 wirkte als neunjähriger Landgraf Ludwig V. von Hessen-Darmstadt mit.118 1605 wurde im gleichen Fürstenhause vor Landgräfin Magdalena von jungen Bürgern eine Komödie vom verlorenen Sohn dargeboten.119 Ein von Georg Pfund verfasstes Weihnachtsspiel führten 1589 die Kinder des brandenburgischen Kurfürsten in Berlin auf.120 1591 wurde im Schloss von Neuburg a.d. Donau am Hof des Pfalzgrafen Philipp Ludwig von PfalzNeuburg eine Aufführung der hochdeutschen Übersetzung Jakob Rulichs von Naogeorgs ‚Mercator‘, erschienen 1595 in Augsburg, dargeboten. Dabei wirkten die Söhne des Pfalzgrafen, Wolfgang Wilhelm und August, und adelige Mitschüler vom Neuburger Gymnasium mit.121 Thammes Dorothea-Spiel wurde 1594 anlässlich des Geburtstages der sächsischen Herzogin Dorothea Maria in der Altenburger Residenz in Szene gesetzt.122 Andreas Cottas Esther-Komödie kam im Jahre 1604 auf Schloss Colditz vor der Kurfürstin Sophie, der Witwe Christians I., zur Aufführung.123 Zuweilen handelt es sich bei diesen Aufführungen vor Fürsten um Auftragsarbeiten. Beispiele dafür sind die erwähnte Aufführung von Balthasar Thammes Dorothea-Drama, die von Herzog Johann von Sachsen-Weimar in Auftrag gegeben wurde, oder die Darbietung einer Komödie über die Erzählung vom verlorenen Sohn durch Hans Wilhelm Kirchhoff vor Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel.124 In späterer Zeit finden sich mit Herzog Heinrich-Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel und Landgraf Moritz von Hessen-Kassel auch Fürsten unter den Autoren. Bezüglich der Zeit der Aufführungen wurden verschiedene Tage gewählt.125 Besondere festliche Ereignisse wie Schuleinweihungen, Rektoratsübernahme oder besonders die Examensfeiern konnten den Rahmen für Aufführungen des Schultheaters bilden. Mög117 Vgl. Goedeke, a.a.O., S. 393 (Nr. 330); Meyer, a.a.O., S. 117 Anm. 149. 118 Vgl. Friedrich Battenberg – Jürgen Rainer Wolf u.a., Darmstadts Geschichte. Fürstenresidenz und Bürgerstadt im Wandel der Jahrhunderte, Darmstadt 19842, S. 82. 119 Vgl. a.a.O., S. 138. 120 Vgl. Goedeke, a.a.O., S. 394 (Nr. 334). 121 Vgl. Fritz Holl, Das politische und religiöse Tendenzdrama des 16. Jahrhunderts in Frankreich, Erlangen – Leipzig 1903, S. 137f.; A.A. Meyer, a.a.O., S. 239 Anm. 6. 122 Vgl. James A. Parente jr., Martyr Drama of the German Renaissance, Yale 1979, S. 157. 172. 123 Vgl. Goedeke, a.a.O., S. 373 (Nr. 226). 124 Thamme, Tragikomödie Dorothea, Vorrede A 2b, formuliert: Herzog Johannes hat „... mir hiebeuorn gnedig auffgetragen vnd befohlen / eine Comoediam / zu schreiben vnd auff den tag Visitationis Mariae, als auff E.F.G. Geburtstag zu agiren vnd anzustellen / von der Christlichen vnd GottfÜrchtigen Jungfrawen Dorotheen ...“ Vgl. auch den Prolog, A 7b. Allerdings muss Thamme auch vermelden, dass die Aufführung zu diesem Termin nicht zustande kam und erst am 1. September stattfand (A IIIb). Die von Landgraf Wilhelm IV. von Hessen bestellte Aufführung ist notiert bei Goedeke, Grundriß Bd. 2, S. 366 (o.J., Nr. 180–181). 125 Zum Folgenden vgl. Johannes Maasen, Drama und Theater der Humanistenschulen in Deutschland, Augsburg 1929, S. 70ff.

42 Annäherungen lich waren aber auch traditionelle Festtermine wie die Fastnacht oder der Gregoriustag (12. März), bei dem eine dramatische Darbietung als Ersatz für den an diesem Tag üblichen Schülerumzug diente, oder lokal bedeutsame Tage wie der o.g. Moritztag für Magdeburg. Für Schulaufführungen wurden gerne auch die ‚Hundstage‘ (caniculares) gewählt.126 Besondere Spiele wie die Weihnachtsspiele waren naturgemäß für die entsprechende Jahreszeit reserviert. Die grundlegenden Bestimmungen der Dramatiker bezüglich der Intention der Dramen bestimmten auch den Charakter der Aufführungen selbst. Insofern keine Illusion erzeugt werden sollte, fand die Aufführung in zeitgenössischer Kleidung statt.127 In diesem Sinne ist das sogenannte ‚Vernürnbergern‘128 bei Hans Sachs zu deuten und ebenso das Faktum, dass neben aus der jeweiligen biblischen Geschichte bekannten Personen zuweilen weitere Akteure mit zeitgenössischen deutschen Namen auftreten. So treten in Hans Ackermanns Drama zum verlorenen Sohne Hans Schadenfro und der Bauer Rüppel auf. Die Hirten der Weihnachtsgeschichte in Bartholomäus Krügers ‚Eine schöne und lustige newe Action, Von dem Anfang und Ende der Welt‘ heißen Alex und Günther, einer der Grabwächter trägt den Namen Herman und der Gefängnisaufseher Josephs heißt Leonhart. Deutsche Landsknechte mit den Namen Nickel Unkraut und Hans Hon erscheinen in Rollenhagens Spiel vom reichen Mann und armen Lazarus.129 Dass die Personen für Typen stehen, zeigt sich auch an der Vielzahl sprechender, zumeist griechischer Namen, die über Wesen und Rolle der Person im Spiel Auskunft geben. In diese Gruppe der sprechenden Namen gehört es auch, dass die Bauern in vielen Stücken Namen aus Vergils Bucolica erhalten. Schließlich werden Namen und dazugehörige Typen aus den Komödien des Terenz aufgenommen. Trotz der Absicht, keine Illusion zu erzeugen, treten zuweilen Personen mit historisierenden Namen hebräischer Provenienz auf. Sowohl die sprechenden griechischen als auch die historisierenden hebräischen Namen sollen ohne Zweifel in humanistischer Manier auch die Gelehrsamkeit des Verfassers belegen.

126 Die Goldberger Schule in Schlesien sah nach dem maßgeblich auf Melchior Lauban zurückgehenden Lehrplan von 1599 eine jährliche Aufführung an den Hundstagen vor; vgl. Gustav Bauch, Valentin Trozendorf und die Goldberger Schule, Berlin 1921, S. 376f. (Kap. XI). 127 Glenn Ehrstine, Theater, culture, and community in reformation Bern, 1523−1555, Leiden u.a. 2002, S. 146: „Moreover, as was common for the theater of the period, actors wore contemporary clothing without attempting to historicize the play through costumes or scenery. In dress and manner, actors resembled the spectators around them, inviting them to see themselves in the events unfolding on stage.“ 128 Vgl. dazu Eckhard Bernstein, Hans Sachs, Reinbek 1993, S. 112. 129 Im Drama zum Gleichnis vom Schalksknecht von Johannes Bertesius treten zwei thüringische Bauern auf, allerdings mit den klassisch-antiken Bauernnamen Menalcas und Corydon, die auch bei Frischlin begegnen.



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h) Der Druck der Dramen Durch den Druck eines Dramas, der seinen Übergang in ein anderes Medium markiert, konnte das Werk literarisch weiterwirken oder auch Grundlage weiterer Aufführungen, z.T. unter Neubearbeitung werden.130 Durch den Druck ergab sich auch der Vorteil, Regieanweisungen oder auch bildliche Darstellungen aufnehmen zu können.131 Zuweilen war mit der Herausgabe eines Dramas nur die Erwartung einer literarischen Wirkung verbunden, wie etwa mit dem Erscheinen einer deutschen Ausgabe von Hunnius’ Joseph durch den sächsischen Hofprediger Matthias Hoë von Hoënegg, der nach eigenem Bekunden von diesem Drama auch nur literarisch Kenntnis genommen hatte. Insofern könnte man von einem Lesedrama sprechen, allerdings spricht auch Hoënegg von Aufführungen der lateinischen Vorlage.132 In anderen Fällen wie bei dem Drama Johann Sanders über den Täufer oder in Kiels David-Drama ist mit der Herausgabe ausdrücklich die Beförderung einer Aufführung intendiert.133 Auf jeden Fall ist in Rechnung zu stellen, dass ein Drama

130 So formulierte Heinrich Eckstorm im Titel seiner Tragödie ‚Mauritius‘, Halberstadt 1593: „NÜtzlich zu spielen vnd zu lesen.“ 131 Mit diesem Thema befasst sich, über den hier betrachteten Zeitraum hinausgehend sowie den ganzen europäischen Raum und das weltliche Drama miteinbeziehend, die Studie von Julie Stone Peters, Theatre of the Book 1480−1880, Oxford − New York 2000. Gegenstand ihrer Arbeit ist nicht das Aufkommen einer Druckkultur im Theater, sondern (S. 4) „... the European theatre’s resistance to and continual refashioning of itself in the world of print.“ In einem ersten Abschnitt beschreibt sie die Schaffung typographischer Konventionen für das Drama und die Beziehungen zwischen Theatertruppen, Dramatikern und Verlegern während der Phase der Etablierung des professionellen Theaters; vgl. S. 8. 15–40. Zu Regieanweisungen im Druck der Tragedia Johannis Hus Agricolas, vgl. a.a.O., S. 24. 132 Matthias Hoë von Hoënegg, Joseph, Dresden 1602, Widmungsrede, ):( IIb–IIIa: „Diese Comoediam habe in der Lateinischen Sprach … ich offtmals gelesen / meine recreation vnd ErlÜstigung gleichsam darinnen gehabt / Vnd demnach mich drÜber gemacht / aus dem Latein ins Deutsch schlecht vnnd einfeltig versetzt.“ Die Komödie sei es wert, in beiden Sprachen gelesen zu werden, „Wie sie dann hin vnd wieder in Osterreich / in Steyermarck / in KÄrnten / in Beyern zu Regensburg / Jtem zu Strasburg celebrirt / vnd an mancherley Öten Lateinisch nachgedruckt worden ist ...“ – Zur ausschließlich literarischen Weiterwirkung, bei der, wurde sie als solche intendiert, in den Titeln die Formulierungen ‚nützlich u.a. zu lesen / zu hören‘ erschienen, vgl. Erich Kleinschmidt, Stadt und Literatur in der Frühen Neuzeit, S. 195 mit Anm. 419. 133 Vgl. Johann Sanders, Tragödie Johannes des Täufers, Magdeburg 1588, Vorrede, ) ( IIIIb. Ziel des Druckes ist, dass das Stück in den Schulen agiert und gespielt werden kann und man es der Jugend wie jedermann zum Spiegel von Tugend und Laster vorstellen kann. Vgl. Tobias Kiel, Davidis aerumnosum exilium et gloriosum effugium, Erfurt 1620, Widmungsrede A IIIa. Er spricht vom alten Brauch biblischer Komödien unter Hinweis auf Tobias, Susanna, Joseph, Esther und Rebekka und jetzt auch Davids Exil,, „... deren letzte vier aber weder erdacht noch gemacht / daß sie / ohne die Öffentliche Action, solten das Liecht weiter beschawen.“ Nach Kleinschmidt ebd. findet sich die Angabe „zu lesen und zu spielen“ seltener in den Dramentiteln.

44 Annäherungen wesentlich auch über Lektüre und Verlesung wirkte.134 Ein Drama wie Johann Bischoffs Komödie vom Schalksknecht scheint nach Titel und Widmungsrede ausschließlich für die Lektüre bestimmt gewesen zu sein.135 Besonders lateinische Dramen konnten durch eine gedruckte deutsche Übersetzung erst Wirkung entfalten.136

2. Konsequenzen: Leitfragen zur Erforschung des geistlichen Dramas Aufgrund dieses Überblickes über das protestantische Theater ergeben sich bereits erste Leitfragen, die bei der Bearbeitung des Themas Berücksichtigung finden sollten. Ein erstes Feld von Aufgaben betrifft die Frage, warum protestantische Pfarrer, Lehrer und andere Vertreter ihre Gedanken in Dramen ausdrückten und diese zur Aufführung brachten: Warum griffen sie überhaupt diese Gattung auf? War das naheliegend, wo doch für den Protestantismus das Wort in die Mitte rückte und das Visuelle wenn nicht völlig verbannt, so doch deutlich in einen untergeordneten Rang verwiesen wurde? Oder war dies nur dem Humanismus geschuldet, der nun einmal in dieser Zeit das antike Drama wiederentdeckte und aktualisierte? Ein zweites Feld kreist um die Frage nach dem Verhältnis der reformatorischen Theologie zu den konkreten Dramen: Wie beeinflusste die reformatorische Theologie die Dramen? Ergaben sich durch das Medium gewissermaßen ‚Umbiegungen‘? Wie wurde die reformatorische Botschaft in den Dramen verarbeitet? Daran schließt sich als drittes Feld die Frage nach der konkreten Intention der Verfasser an: Was wollten die Autoren mit ihren Stücken und mit den Aufführungen erreichen? Wen wollten sie erreichen? In diesem Rahmen lässt sich auch gut das Problemfeld verorten, ob die Dramen eher binnen- oder außenorientiert sind. Dies wiederum lenkt hin zu der Frage, welche Bedeutung dem geistlichen Theater in dem Konfessionalisierung genannten Prozess zukommt. Denkbar wäre, dass sich vom geistlichen Theater her neue Einsichten in diesen Prozess eröffnen; denkbar wäre auch, dass damit ein Beitrag zu der Frage geleistet werden kann, inwieweit die Konfessionalisierungsthese wirklich geeignet ist, den Prozess der Gestaltwerdung einer Konfession in der Frühen Neuzeit angemessen zu beschreiben.137 Ein viertes Feld betrifft die weitere Entwicklung des protestantischen Theaters: Sind hier Brüche oder Neuansätze zu erkennen? Der Überblick zeigte die Relevanz des geistlichen Theaters Schweizer Provenienz für die Genese des geistlichen Theaters überhaupt auf. Dies 134 Vgl. Kleinschmidt, a.a.O., S. 195. 135 Johann Bischoff, Comoedia vom Schalckhafftigen Knecht. [...] Allen Christen gantz trÖstlich vnd nÜtzlich zulesen, Frankfurt 1568. In der Widmungsrede, A IIIIa, äußert er, das Stück konzipiert zu haben, damit „... es [sc. das Gleichnis] der jugent mÖchte mehr eingebildt vnd gefelliger zulesen sein.“ 136 Vgl. Kleinschmidt, a.a.O., S. 196 Anm. 421. Dieses Phänomen begegnet häufig in Straßburg, dessen Akademietheater das Ziel der Wahrung der Latinität verfolgte. 137 Zum Konzept der Konfessionalisierung s.u. Teil D III.



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führt − fünftes Feld − zu der Frage, wie es auf reformiertem Gebiet zur Ausbildung eines geistlichen Theaters kommt, welche Entwicklung es nimmt und welche Bedeutung dem innerprotestantischen Gegensatz zukommt. Auf die Frage nach der Rolle der konfessionellen Auseinandersetzung und Polemik – sechstes Feld – wurde bereits hingewiesen: Welcher Stellenwert kam der Polemik in den Dramen zu? Schließlich ist als siebentes Feld über die Betrachtung von Dramen und d.h. Texten hinaus auch der Charakter der Aufführung in den Blick zu nehmen, wenn denn diese Texte nicht nur gelesen, sondern tatsächlich gespielt wurden, was weithin der Fall war. Was ist das Besondere der Wirkung einer Aufführung gegenüber einer rein literarischen Wirkung?

3. Die Aussichten: Macht eine Untersuchung des geistlichen Dramas Sinn? Die im letzten Abschnitt formulierten Leitfragen sind vorläufiger Natur; bevor die endgültigen Fragen für diese Studie formuliert werden, muss der Stand der Forschung zur Kenntnis genommen werden. Zuvor aber stellt sich noch die Grundfrage: Macht eine kirchengeschichtliche Arbeit über dieses Thema überhaupt Sinn? Ist sie wirklich lohnenswert? Ihre Beantwortung wird eine weitere Abrundung und Präzisierung der Leitfragen ermöglichen.

a) Die Bedeutung des Mediums Theater in der Zeit – Einschätzungen Die Bedeutung des Mediums Theater darf auf der einen Seite nicht unterschätzt werden, insofern erstens erhebliche Teile der Bevölkerung erreicht wurden – der Hildesheimer Bürger Joachim Oppermann geht 1603 davon aus, eine Aufführung könne 1000 bis 2000 Menschen erreichen138 − oder zumindest im Blick waren. Insbesondere eine Großaufführung im Freien vermochte eine erhebliche Zahl von Menschen und, sofern es sich um deutsche Stücke handelte, zudem alle Schichten zu erreichen, auch wenn ein Teil der Anwesenden sich eher anderen Aktivitäten am Rande des Spiels gewidmet haben dürfte.139 Zweitens waren an der Einstudierung und Aufführung zahlreiche Schüler oder Bürger beteiligt, die so den Stoff wie auch das Faktum der Aufführungen internalisiert haben. Mit anderen Worten ist bei diesem Institut ein hoher Grad an Partizipation und Kommunikation in 138 Gaedertz, Archivalische Nachrichten, S. 5: „Da rechen man durch die gantze Stadt, Es sehen ia alzeit 1000. 1500. 2000 menschen d. Comoedi zu...“ 139 Vgl. Kleinschmidt, ebd. Vgl. a.a.O., S. 221, wo er von „einer breit gefächerten, sozial und dem Bildungsgrad nach recht heterogenen Zuschauerschaft“ spricht. Dass die Trennung einer gelehrten von einer gemeinverständlichen Spielebene für das urbane Theater der Frühen Neuzeit nur bedingt gerechtfertigt sei (ebd.), scheint indessen zu weit gegriffen, insofern lateinische Aufführungen doch nur eine schmale Schicht der Bevölkerung zu erreichen vermochten. Nach Peter Ukena, Flugschriften, S. 167, konnte mit den öffentlich aufgeführten Dramen im 16. und 17. Jahrhundert die gesamte Bevölkerung einer Stadt erreicht werden, womit das Drama seinerseits Öffentlichkeit konstituiert habe.

46 Annäherungen Bezug auf geistliche Inhalte anzusetzen. Nach Hans-Gert Roloff war die Gattung Drama im 15. und 16. Jahrhundert „das eigentliche große Kommunikationsmedium“.140 Wird ein im Umlauf befindliches, bekanntes Stück eines schon arrivierten Verfassers aufgeführt, markiert dies ferner das Eintreten in eine schon bestehende überregionale Kommunikationssituation.141 Drittens ist die Wirkung einer Theateraufführung größer einzuschätzen als diejenige anderer Medien.142 Eine erhöhte Wirkung der Aufführung ist zu vermuten durch die „sinnlich-konkrete Mitvollziehbarkeit des Geschehens auf der Bühne“, die „zu einer sonst schwer erreichbaren Identifikationsintensität führen“ konnte.143 Durch eine Aufführung konnten komplexere Sachverhalte zumindest leichter vermittelt werden als durch eine Predigt. Auch das Faktum, dass mit der aufführenden Institution Schule ein hoher Identifikationsgrad gegeben war, verstärkte die Wirkung des Theaters, wie Barbara Filtzinger in ihrer Untersuchung über die Stadt Ulm herausgearbeitet hat.144 Hinzu kommt eine mögliche literarische Wirkung der Stücke durch den Druck. Nicht zu unterschätzen ist zuletzt das Faktum, dass mit dem geistlichen Drama angehende Theologen oder Vertreter anderer Berufe sich mit einem theologischen Thema befassten, literarisch tätig wurden und so ihre eigene Fähigkeit zu elementarisieren schulten, was auch ihrer Predigttätigkeit zugute kommen konnte. Es war also durchaus eine Rückwirkung auf die Verfasser möglich. Auf der anderen Seite soll und darf die Wirkung eines geistlichen Theaters im Protestantismus auch nicht überschätzt werden. Das strukturelle Haupthindernis bildete die mangelnde Frequenz der Aufführungen. Aufgrund der Bindung von Ressourcen und der hohen Belastung, die die Vorbereitung einer Aufführung notwendig mit sich brachte, war die Frequenz der Darbietungen – unbeschadet ihrer flächendeckenden Verbreitung – zu gering, als dass diese völlig prägend hätten wirken können. Dieser Faktor verstärkte sich, insofern im protestantischen Bereich weniger auf die Durchführung der Auffüh140 Hans-Gert Roloff, Heilsgeschichte, Weltgeschichte und aktuelle Polemik: Thomas Naogeorgs Tragoedia nova Pammachius, Daphnis 9 (1980), S. 766f. 141 Vgl. Ukena, ebd. 142 Ruth Kastner, Geistlicher Rauffhandel, Frankfurt – Bern 1982, S. 158, stellt zu den zum Reformationsjubiläum aufgeführten Lutherdramen fest: „Die Intensität der Einflußnahme, d.h. die persusasive Wirkung dieser Jubelkomödien auf das Bewußtsein einer evangelisch-lutherischen Stadtbevölkerung wird im Vergleich mit den parallel eingesetzten volkstümlichen Medien, dem Flugblatt, der Medaille, der Predigt, am höchsten zu veranschlagen sein.“ Ebenso urteilt Erich Kleinschmidt, a.a.O., S. 197: „Unter allen literarischen Medien der Frühen Neuzeit erreichte das Schauspiel zweifellos breiteste Publikumsschichten.“ Kleinschmidt verweist auch auf die niedrigeren Bevölkerungszahlen, die zwangsläufig dazu geführt habe, dass ein hoher Prozentsatz der Gesamtbevölkerung einer Stadt an einer Aufführung teilnahm. 143 Vgl. Ukena, a.a.O., S. 166. 144 Barbara Filtzinger, Ulm, eine Stadt zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg. Studien zur gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung, Bd. 1, München 1993, S. 274: „Das Schulschauspiel hatte einen großen Einfluß auf die Ulmer Bevölkerung, indem es als repräsentatives Medium der sozial in sich geschlossenen Einrichtung Schule fungierte.“



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rungen gedrängt wurde − war kein geeignetes Stück zur Hand, fiel die Aufführung u.U. aus – als im Jesuitentheater.145 Betrachtet man dazu die mögliche literarische Wirkung, so ist zu bemerken, dass die Verbreitung der gedruckten Dramen nicht sehr hoch war. Offensichtlich waren Dramen auf den Buchmessen nicht besonders begehrt.146 Dieser Befund dürfte auch in Bezug auf akademische Theologen gelten. Ein Indiz dafür ist etwa die von Johann Anselm Steiger untersuchte Bibliothek von Johann Gerhard.147 Dieser besaß nur wenige geistliche Dramen: die – in den Opera latina enthaltenen – drei Dramen des Ägidius Hunnius und das Drama ‚Anabion‘ über die Auferweckung des Lazarus des Elsässers Johannes Sapidus. Daneben verfügte er über den ‚Priscianus vapulans‘ Frischlins und den ‚Hanspfriem‘ des Martin Hayneccius, die keine geistlichen Dramen im engeren Sinne darstellen. Die Dramenautoren Thomas Naogeorg, Georg Nigrinus, Paul Rebhun und Christoph Stymmelius sind zwar in Gerhards Bibliothek vertreten, aber nicht mit ihren Dramen, sondern ausschließlich mit anderen Schriften.148 Nun könnte man daraus folgern, eine Untersuchung dieses Themas könne angesichts der mutmaßlich eher gering einzuschätzenden Wirkungen oder Erfolge der protestantischen geistlichen Dramen nicht wirklich erfolgversprechend sein. Dagegen ließe sich zunächst einwenden, dass die tatsächlich erzielte Wirkung einer Aufführung im Einzelfall recht groß gewesen sein kann. Von anderen Voraussetzungen her legt dies ein jesuitisches Diktum bezüglich der Wirkung der Aufführung des ‚Cenodoxus‘ von Jakob Bidermann im Jahre 1609 nahe, nach dem hier mit einer Aufführung von wenigen Stunden bewirkt worden sei, was hundert Predigten kaum hätten zustande bringen können.149 In dieser 145 Jean-Marie Valentin, Les jésuites et le théâtre (1554−1680). Contribution à l’histoire culturelle du monde catholique dans le Saint-Empire romain germanique, Paris 2001, S. 8, spricht von den „spectacles sporadiques des collèges protestants“ im Gegensatz zu den „représentations régulières des établissements catholiques“. Das Straßburger Akademietheater setzt er allerdings ausdrücklich von ersterem ab. 146 Vgl. zu dieser Frage Almut A. Meyer, Heilsgewißheit, S. 128 mit Anm. 175, die als Beispiel das Mess-Memorial des Frankfurter Buchhändlers Michael Harder zur Frankfurter Fastenmesse 1569 anführt. Sei schon die geistliche Literatur nicht sonderlich begehrt gewesen, so müsse gelten: „Theaterstücke scheinen am allerwenigsten gefragt gewesen zu sein.“ 147 Vgl. Johann Anselm Steiger (Hrg.), Bibliographia Gerhardina. 1601–2002. Verzeichnis der Druckschriften Johann Gerhards (1582−1637) sowie ihrer Neuausgaben, Übersetzungen und Bearbeitungen, Stuttgart − Bad Cannstatt 2003. 148 Naogeorg ist mit landwirtschaftlichen Werken sowie einem Traktat über das Heil der Kleinkinder und Kinder vertreten, Rebhun mit einer Schrift ‚Hausfried‘ über die Ehe und Stymmelius mit zwei Predigten über das Abendmahl. − Eine Übersetzung von Naogeorgs ‚Pammachius‘, wohl die in Augsburg erschienene anonyme Übersetzung ‚Eyn kurtzweilig Tragedi‘, gehört zum Bestand der erhaltenen Prädikantenbibliothek in Isny; vgl. Helmut Schmid, Ain Liebrey zu den Büchern. Die mittelalterliche Predigerbücherei der Nikolaikirche zu Isny, Isny 2000, S. 63f. (Abb. 107). 149 Die Bemerkung findet sich in der Praemonitio ad lectorem der posthumen Ausgabe der Dramen Bidermanns aus dem Jahre 1666; vgl. Rolf Tarot (Hrg.), Jakob Bidermann, Ludi theatrales. Bd. 1, Tübingen 1967, S. (+ 8b).

48 Annäherungen – freilich das Jesuitentheater verherrlichenden − Sicht ist schon der geringe Einsatz des Mediums geistliches Theater von größerer Effizienz als der massive Gebrauch anderer Medien. Allerdings darf die im Sinne der Inauguratoren intendierte oder postulierte Wirkung keinesfalls mit einer faktischen (im Sinne einer self-fulfilling prophecy) verwechselt werden – so kann eine solche Stimme durchaus interpretiert werden. Die wirkliche Wirkung des geistlichen Theaters auf die Zuschauerinnen und Zuschauer festzustellen bleibt ein sehr schwieriges Unterfangen.

b) Geistliche Dramen und ihre Verfasser als Schaltstelle Es ist aber die Frage, ob sich eine Untersuchung des geistlichen Dramas und Theaters nur auf seine faktische Wirkung gründen, ob man also die Erforschung vom Erfolg oder Misserfolg dieses Instituts abhängig machen sollte. So notwendig es Aufgabe der historischen Forschung bleibt, diese Wirkung zu untersuchen, so gewichtige andere Gründe sprechen für die Erforschung der geistlichen Dramen und die Befragung von Quellen über das geistliche Theater. Dies betrifft zunächst die Gattung Drama selbst, sodann besonders die Autoren der Stücke, aber auch die Zuschauer, die sich in den Stücken wiederfinden sollen. Ebenso hoch ist der Aussagewert der Dramen in Bezug auf die Verhältnisse in der frühneuzeitlichen Stadt. Der Komplex des geistlichen Dramas und Theaters markiert nämlich in mehrfacher Hinsicht eine bedeutsame Schaltstelle. Für das Drama ist zunächst festzuhalten, dass es gattungsmäßig eine Schaltstelle bildet. In ihm finden mehrere in der Reformationszeit gängige Gattungen Anwendung, so dass das Drama in gewisser Weise einen Kulminationspunkt für verschiedene Genres, sozusagen für deren Übergang in einen anderen Aggregatzustand darstellt. So nimmt das Drama zunächst die Gattung des Dialogs auf, dessen Grenze zum Drama ohnehin eine fließende ist. Das Drama kann ebenso eine Weiterentwicklung der Gattung Flugschrift implizieren, zumal diese als solche bereits dramatische Elemente aufnimmt und wie das Drama häufig in Reimform verfasst ist.150 In den Rahmenstücken, aber auch in der Handlung selbst, bietet das Drama dazu predigthafte Elemente. Die Gattung Lied findet immer wieder Aufnahme in den Stücken, einmal zwischen den Akten bzw. Handlungsteilen in Aufnahme des antiken Chores, wobei diese Gesänge von den Zuschauern gesungen werden sollen, in anderen Fällen auch in der Handlung selbst, wo Gesänge von den Darstellern dargeboten werden. Eine weitere, häufig Verwendung findende Gattung ist die des Gebets, zitiert von den Darstellenden. Ferner besteht bei manchen Dramen eine Verbindung zum Medium des Bildes bzw. Gemäldes.151 Hinzu kommt schließlich für den Druck die Vorschaltung 150 Vgl. Herbert Walz, Deutsche Literatur der Reformationszeit, Darmstadt 1988, S. 71f., zur Reimform vgl. Robert W. Scribner, Flugblatt und Analphabetentum, S. 69. 151 Diesem Thema ist die Arbeit von Almut Agnes Meyer, Heilsgewißheit und Endzeiterwartung im deutschen Drama des 16. Jahrhunderts. Untersuchungen über die Beziehungen zwischen geistli-



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von Epigrammata durch dem Dramatiker gewogene Autoren. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Das Drama bündelt insbesondere Gattungen, die zum Vortrag bzw. zur Rezitation bestimmt sind; diese kombiniert es mit den für das Drama konstitutiven Elementen des Visuellen und der actio, d.h. der Sichtbarkeit bzw. Anschaulichkeit und der Handlung, in aristotelischer Terminologie mit οψις und μυθος, wodurch es zu einem Zusammenwirken mündlicher und visueller Kommunikation kommt.152 Ist das geistliche Drama so eine Schnittstelle von für das Feld der Theologie und der Frömmigkeit wesentlichen Gattungen, bildet es nahezu die gesamte Spannbreite der hier einschlägigen Formen ab, abgesehen von den der Wissenschaft vorbehaltenen, so ist es nicht nur höchst reizvoll, sondern geradezu geboten, theologisch zu untersuchen, wie in diesem Konglomerat die reformatorische Lehre verarbeitet und dargeboten wird. Es gilt somit der Frage nachzugehen, ob das Drama auch inhaltlich eine Summe der reformatorischen Lehre bietet, welche Auswirkungen das Zusammenspiel der Gattungen auf den Inhalt hat. Ebenso stellt sich die Frage, wie die Verfasser selbst das Drama gattungsmäßig einordneten und was für sie in dieser Hinsicht das wesentliche Element darstellte. Die von dem leider früh verstorbenen Robert Scribner erkannte Notwendigkeit einer vertikalen oder synchronen Untersuchung der Flugschriften der Reformationszeit „als Bestandteil eines Bündels verschiedener in Interaktion begriffener Medien“153 generiert geradezu zwingend die Notwendigkeit einer Erforschung des geistlichen Dramas der Zeit. Der Gattung Drama kommt aber auch in Bezug auf die potentiellen Adressaten die Funktion einer Schaltstelle zu. Zum einen gilt das Drama von seiner Anlage her, insbesondere durch die Aspekte der Visualität und der Kurzweiligkeit, dem delectare, als ein Genus, das stärker den Erwartungen der Rezipienten entgegenzukommen, auf diese einzugehen, ja diese zu verarbeiten vermag, pejorativ gesprochen: Mit dem Drama ist sein Autor in der Lage, in Bezug auf die Vorstellungen des Publikums eine Art vorauseilenden Gehorsams zu leisten. Die Gattung Drama ist flexibler als andere Genera, sie ermöglicht dem Dichter größere Freiheit, die dieser freilich wahrnehmen muss. Mit diesem Sachverhalt hängt es zusammen, dass dieser Gattung zugesprochen wird, tatsächlich alle Schichten und d.h. auch die illiterati zu erreichen. Zum andern ist bei diesem Medium der Beteiligungsgrad deutlich höher. Es steht nicht lediglich ein Subjekt einer Vielzahl von überdies passiven Adressaten gegenüber, sondern Vorbereitung und Durchführung einer Aufführung erfordern zahlreiche auch aktiv Beteiligte. Insbesondere sind hier die Spieler zu nennen, bei denen infolge des Einübens eine starke innere Beteiligung vorausgesetzt werden kann. An dieser Stelle kommt nun doch wieder die Wirkung des Mediums in den Blickwinkel, kön-

chem Spiel, bildender Kunst und den Wandlungen des Zeitgeistes im lutherischen Raum, Heidelberg 1976, gewidmet. 152 Vgl. Bernhard Asmuth, Einführung in die Dramenanalyse, Stuttgart 20046, S. 3ff. 10ff; Scribner, a.a.O., S. 73. 153 Scribner, a.a.O., S. 76.

50 Annäherungen nen doch die Spieler als intensiv Beteiligte ihrerseits als Multiplikatoren dessen fungieren, was sie internalisiert haben. Darüber hinaus bilden die Verfasser der geistlichen Dramen selber eine besondere Schaltstelle. Bei ihnen handelt es sich zumeist um Lehrer, Pfarrer, ferner Stadtschreiber und Notare oder Kanzleisekretäre, eher selten um bekanntere Theologen oder höhergestellte Persönlichkeiten. Bei weitem nicht alle Autoren befinden sich in einer arrivierten oder gar hochstehenden Position. Die akademische Theologie ist kaum vertreten, es dominieren Praktiker in Kirche und Schule. Auch die Verfasser als solche stehen also dem Publikum, dem sie einen Inhalt nahe bringen wollen, nicht in völliger Distanz gegenüber, wiewohl für die meisten von ihnen gilt, dass sie über akademische Bildung verfügen. Die Autoren nehmen damit eine differenzierte Mittelstellung zu ihren Adressaten ein. Durch eine Betrachtung der Dramen kann ermittelt werden, welche Inhalte geistlich-theologischer oder moralischer Art sie an die Bevölkerung weiterzugeben versuchen, was sie über das hinaus, was sie in Predigt oder anderen Genera zum Ausdruck bringen, zu vermitteln suchen, wie sie diese Aufgabe angehen und welche Motive dabei im Spiele sind. Mutmaßlich wird es sich um eine eher elementare Verkündigung handeln und weniger um eine an der akademischen Theologie ausgerichtete Lehre. Doch gilt es dies anhand der Dramen zu prüfen. Dass diese Gruppe der Verfasser wiederum keine ganz einheitliche Gruppe ist, muss nicht als Nachteil begriffen werden, kann doch so untersucht werden, ob und inwieweit deren Vermittlungsbemühungen tatsächlich einen einheitlich geprägten Vorgang darstellen. Eine Betrachtung der Verfasser wird ferner nicht an der Frage nach deren Selbstverständnis vorbei gehen können – sie können als Theologen, als Pfarrer, aber auch als Gelehrte oder als Dichter schreiben – von dem letztlich auch abhängt, was diese Dramatiker überhaupt weitergeben wollen, was bei den Rezipienten ihrer Intention nach ankommen soll. Schließlich markiert die Institution des städtischen Theaterwesens, dem stets auch eine die Stadt repräsentierende Funktion zukam, eine gewichtige Schaltstelle. Es verbindet wesentliche Elemente des gesellschaftlichen Lebens einer frühneuzeitlichen Stadt: das Stadtregiment, die Schule, die Kirche und die Bevölkerung. Damit soll nicht behauptet werden, dass sich diese Verbindung den Beteiligten immer als ein problemloses Miteinander darstellte – oftmals war dies mehr Ideal als Wirklichkeit; die jeweiligen Interessen konnten mehr oder minder stark divergieren. Wohl aber lässt sich sagen, dass der Status des Theaters im Allgemeinen und des geistlichen im Besonderen auch ein Gradmesser für die Beziehungen zwischen diesen Trägern des städtischen Lebens ist. Ebenso kann die Untersuchung von geistlichen Dramen oder von Äußerungen über das geistliche Theater in einer Stadt Erkenntnisse über den Stellenwert desselben und über die Gestalt der Frömmigkeitspraxis in dem Gemeinwesen eröffnen. Mag somit die faktische Wirkung, der reale Erfolg des protestantischen geistlichen Theaters nicht erheblich gewesen sein – was freilich auch noch wirklich erwiesen werden müsste –, so ist doch die Aussagefähigkeit der Quellen zum geistlichen Drama kaum zu überschätzen. Dies gilt zunächst besonders für die Gruppe der Autoren in Bezug auf deren Stellung und Selbstverständnis wie auch in Bezug auf die Inhalte, die sie ihren Adressaten



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zu vermitteln gedachten. Es gilt daneben für das Beziehungsgewebe der frühneuzeitlichen städtischen Gesellschaft und die in bzw. von ihr gelebte konfessionelle Kultur und Frömmigkeitspraxis. Schließlich gilt die hohe Aussagefähigkeit aber auch für die potentiellen Adressaten einer Aufführung, insofern die Verfasser in der Gattung Drama Erwartungen der Adressaten berücksichtigen konnten. So spiegeln Dramen und Berichte über Aufführungen auch ihre Zeit, die Einstellungen und Handlungsweisen der Bevölkerung wider. Der Quellenwert der geistlichen Dramen und anderer Äußerungen zu diesem ist somit größer als es auf den ersten Blick erscheint. Es gilt, ihn genauer zu erfassen. Zuvor aber muss der Fortschritt der Forschung zum protestantischen Drama in Augenschein genommen werden.

II. Die Forschung 1. Die Ausgangslage „Das deutsche Drama der Reformationszeit ist sehr weitgehend noch Neuland. Gewiß die Wissenschaft unternahm von je und je Entdeckungsfahrten in diese terras incognitas, und besonders in neuerer Zeit legte man nicht unbedeutende Landstrecken der allgemeinen Kenntnis offen. Die wohlorganisierten Ausgabenplanungen von Hans-Gert Roloff schufen hier begrüßenswerte Neueroberungen. Doch darf man dieses Drama nur mit dem mittelalterlichen vergleichen, um den Unterschied zu ermessen. Im Mittelalter sind, soweit ich sehe, alle bekannten Texte ediert... Eine genaue Liste aller Texte mit Aufbewahrungsort, Ausgaben, Sekundärliteratur läßt fast keine Lücke unserer Kenntnisse mehr. [...] Nichts dergleichen existiert für das Drama der Reformationszeit.“154

Mit diesen Bemerkungen beginnt der aus Deutschland stammende verstorbene amerikanische Germanist Wolfgang F. Michael in seinem 1989 veröffentlichten Forschungsbericht zum deutschen Drama der Reformationszeit den Überblick über Bibliographien und Gesamtdarstellungen. Die Terminologie, die er zur Beschreibung der Ausgangssituation der Forschung gebraucht, ist charakteristisch: terrae incognitae, zu eroberndes Terrain. Der Forscher oder die Forscherin sieht sich förmlich vor einem weiten unbekannten Land stehen, in das es erst einmal einzudringen und das es unter erheblichen Mühen zu durchdringen gilt. Wege durch dieses Land sind, um im Bild zu bleiben, noch nicht geebnet, allenfalls sind ein paar Pfade in das Dickicht getrieben. Deren freilich gibt es, wie Michael in seinem Vorwort festhält, recht viele: „Eine kritische Würdigung der Literatur über das Drama der Reformationszeit ist eine besonders schwierige Aufgabe. Es wird kaum möglich sein, die außerordentlich mannigfaltigen, sich oft widersprechenden Behandlungen erschöpfend zu erfassen, ohne daß Titel übersehen werden.“155

a) Unübersichtlichkeit: Die Vielgestaltigkeit der Forschung als Konsequenz der Vielgestaltigkeit des Gegenstands Ein wesentliches Kennzeichen der Forschungssituation ist, wie dieses Diktum eines wirklichen Kenners belegt, die Unübersichtlichkeit. Einer großen Zahl von dramatischen Schriftstellern der Reformationszeit und des konfessionellen Zeitalters und einer noch größeren Zahl von Dramen – die z.T. freilich voneinander abhängig sind, da oftmals derselbe Stoff bearbeitet wird – stehen gegenüber zum einen ein erheblicher Mangel an kri154 Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit. Ein Forschungsbericht, Bern u.a. 1989, S.11. 155 A.a.O., S. 9.



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tischen Textausgaben wie auch an anderen Hilfsmitteln: Verzeichnissen der Dramen, von Erscheinung und Druckort, Aufbewahrungsort und späteren Ausgaben,156 zum andern jedoch eine kaum zu überblickende Fülle von Einzelstudien zu einzelnen Autoren und zu Motiven der Dramen seit Ende des 19. Jahrhunderts.157 Die Bedingungen für die Erforschung dieses Gegenstands sind somit nicht die einfachsten. Vielfach bleibt nur der Rückgriff auf den ursprünglichen Druck aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Eine Ursache der Erschwernis liegt in der Vielgestaltigkeit des dramatischen Schrifttums dieser Zeit; diese bewirkt seine Unübersichtlichkeit. In der Vielgestaltigkeit spiegeln sich die verschiedenen Einflüsse, die in unterschiedlicher Weise auch die Autoren prägten, die sich dem Protestantismus verpflichtet fühlten und durch ihr dramatisches Schaffen ihrem evangelisch verstandenen Glauben Ausdruck geben wollten. Diese Einflüsse lassen sich vorläufig folgendermaßen skizzieren: Zum einen wirken zunächst mittelalterliche Traditionen weiter wie das Fastnachtspiel, aber auch – primär in altgläubigen Gebieten – das geistliche Spiel.158 Zum zweiten erfolgt durch den Humanismus ein Rückgriff auf das antike Theater. Besondere Ausstrahlung übt die römische Komödie in Gestalt von Terenz und Plautus aus, in kleinerem Umfang auch die griechische Tragödie oder die römische Tragödie, repräsentiert durch Seneca. Unter Rekurs auf das antike Theater beginnen humanistische Autoren selber Dramen zu schreiben, zunächst nur in lateinischer,159 später auch in deutscher Sprache. Antike und neulateinische Dramen haben ihren Ort in der Schule. Zum dritten werden religiöse, vor allem biblische Stoffe dramatisiert und zur Aufführung gebracht, und zwar sowohl von protestantischen wie auch von altgläubigen Autoren, in lateinischer, aber besonders auch in deutscher Sprache. Auch dieses Theater hat seinen Sitz primär in der Schule, verschafft sich aber auch Raum in Form von Bürgeraufführungen. Im altgläubigen Bereich entwickelt sich schließlich das Ordensdrama. Insbesondere das Jesuitentheater gelangt zu großer Blüte. Aber nicht nur die Jesuiten beschäftigen sich mit dem Theater, auch andere monastische Verbände waren dramatisch tätig, etwa die Benediktiner. Dass sich die Forschung mit der hier angedeuteten Vielgestaltigkeit schwer tut, belegt die für die genannten Phänomene üblich gewordene Terminologie. Dabei fallen Inkongruenzen auf. So liegt dem Gattungsbegriff ‚Fastnachtspiel‘ der Anlass einer dramatischen 156 Die existierenden Hilfsmittel sind älteren Ursprungs. Das älteste Verzeichnis von Dramen der Zeit ist Johann Christoph Gottsched, Die deutsche Schaubühne. Sechs Teile, Leipzig 1741–1745. Nachdruck Stuttgart 1972. Grundlegend ist das Werk von Karl Goedeke, Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen. Band 2: Reformationszeitalter, Dresden 18862. 157 Genauer Überblick bei Michael, a.a.O.. 158 Zur Weiterexistenz geistlicher Spiele in reformatorisch geprägten Territorien s. Ursula Schulze, Art. ‚Geistliches Spiel‘, RLW 1, S. 686. Die gängige Meinung ist dagegen die eines abrupten Endes des geistlichen Spiels in reformatorisch gewordenen Territorien und Städten; vgl. W.F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, S. 18. 159 Einfluss gewinnt zunächst die römische Komödie, später – nicht unbeeinflusst vom wieder entdeckten Stoizismus – die römische Tragödie.

54 Annäherungen Aufführung zugrunde. Primär inhaltliche Konnotationen bietet der Gattungsbegriff ‚geistliches Spiel‘, der sekundär allerdings auch Aussagen über den Sitz im Leben einer dramatischen Aufführung macht. Der Gattungsbegriff ‚humanistisches Drama‘ wiederum geht von den die dramatischen Schriftsteller leitenden formalen und inhaltlichen Maßstäben aus. Die Begriffe ‚Ordensdrama‘ und ‚Jesuitendrama‘ sind dagegen am jeweiligen, eine dramatische Aufführung verantwortenden Trägerkreis orientiert. In der von der Forschung gewählten Terminologie für die Dramatisierung religiöser, vor allem biblischer Stoffe auf protestantischem Hintergrund spiegelt sich noch einmal diese Unsicherheit wider. So wird in der Forschung von ‚Reformationsdrama‘, ‚protestantischem Schuldrama‘, seltener aber auch von ‚Bürgerspiel‘, ‚Volksschauspiel‘ oder ‚Moralität‘ gesprochen.160 Allein inhaltliche Kategorien nämlich die Wiedergabe reformatorischer Inhalte bilden die den Gattungsbegriffen ‚Reformationsdrama‘ oder ‚protestantisches Drama‘ zugrunde liegenden Vorstellungen, während der Begriff ‚Schuldrama‘ am Sitz im Leben in Form der unterrichtlichen Behandlung und Aufführung der Dramen ausgerichtet ist, freilich auch eine Aussage über einen Trägerkreis, die Schullehrer, mit einschließt. Die Begriffe ‚Bürgerspiel‘ und ‚Volksschauspiel‘ haben Träger und mögliche Adressaten im Blick, während der Begriff ‚Moralität‘161 – darunter fällt etwa der ‚Jedermann‘-Stoff – wieder inhaltliche Maßstäbe voraussetzt. Die Situation wird schließlich noch komplexer durch die Tatsache, dass zwischen den genannten Erscheinungen des Theaters im 16. Jahrhundert mannigfache Verbindungen bestehen. So lässt sich aus der Perspektive des reformatorisch geprägten Dramas zunächst feststellen, dass es starke Einflüsse seitens des humanistischen Dramas gibt. Dies manifestiert sich nicht nur an Form und Aufbau vieler, insbesondere der späteren Stücke, sondern auch an dem Faktum, dass etliche Autoren, die antike Dramen zur Aufführung brachten oder weltliche Stoffe in humanistischer Manier dramatisierten, auch biblische Stoffe dramatisiert haben.162 Zweitens wird die Institution des Fastnachtspiels zunächst noch von protestantischen Autoren für die Aufführung reformatorisch bestimmter Dramen benutzt. Und drittens lassen sich für reformatorische Dramen jenseits der Kritik am geistlichen Spiel durchaus auch Einflüsse desselben belegen.163 160 Vgl. Silvia Serena Tschopp, Art. ‚Reformationsdrama‘, RLW 3, S.247. W.F. Michael, der vom „Drama der Reformationszeit“ spricht (a.a.O.), behandelt darunter auch altgläubige Schriftsteller. 161 Zu diesem Begriff, vgl. Eckehard Simon, Art. ‚Moralität‘, RLW 2, S. 636–638. – Unklar bleibt, welchen Begriff von Moralität Kai Bremer, Konversion und Konvertiten auf dem Theater der Frühen Neuzeit, in: Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit, hrg. v. Ute Lotz-Heumann, Jan-Friedrich Mißfelder und Matthias Pohlig, Göttingen 2007, zugrunde legt, wenn er S. 442 Moralität und Jedermann-Drama entgegensetzt. 162 Genannt sei z.B. Joachim Greff, der 1533 die Aulularia des Plautus für eine Aufführung übersetzte und ab 1534 biblische Dramen verfasste; vgl. Barbara Könneker, „Wold ihrs den nicht schir gleuben do?“ Joachim Greffs protestantisches Osterspiel, Daphnis 23, 1994, S. 310. 163 Vgl. wiederum zu Greff, Könneker, a.a.O., S. 310, 312, 325f., 343f., ferner Walz, Deutsche Literatur der Reformationszeit, Darmstadt 1988, S. 115, der den Einfluss des Humanistendramas



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b) Das Fehlen einer Gesamtdarstellung des protestantischen Dramas als Folge von dessen undeutlicherem Profil Dass bis heute keinerlei Gesamtdarstellungen des spezifisch protestantischen Theaterwesens dieser Epoche, egal welcher Provenienz, vorliegen, dürfte sicher der Unübersichtlichkeit des Dramas des 16. und 17. Jahrhunderts, des Dramas im Allgemeinen wie des protestantischen Dramas im Besonderen, sowie den oben skizzierten Forschungsbedingungen, namentlich dem Mangel an Hilfsmitteln und Editionen, geschuldet sein.164 Indessen muss es auffallen, dass blickt man hinüber zum Jesuitentheater, sich ein fundamental anderes Bild ergibt. Diesem wurden im 20. Jahrhundert umfassende Überblicksarbeiten gewidmet, wobei die erste Welle dieser Arbeiten in den zwanziger Jahren,165 die zweite in den siebziger Jahren anhebt; zahlreiche Einzelstudien kamen hinzu.166 Das aber muss auch insofern überraschen, als sich die Ausgangsbasis mit dem Fehlen von Hilfsmitteln – bis in die siebziger Jahre hinein –, von modernen Editionen und dem weitgehenden Verzicht der jesuitischen Autoren auf Drucklegung ihrer Werke für die Forschung durchaus ähnlich schwierig gestaltete. Was könnte – angesichts einer analogen Ausgangssituation für die Erforschung des Jesuitendramas, aber zugleich angesichts gegenteiligen Ergebnisses in Form von Überblickswerken – dafür namhaft gemacht werden, dass eine Gesamtdarstelund des geistlichen Spiels konstatiert und in Bezug auf letzteres vor allem auf die Teufelsszenen als mittelalterliches Erbe abhebt. Könneker ebd. betont freilich den völligen Neuansatz in den Osterspielen von Greff und Valentin Voith. 164 Die Darstellung von W.F. Michael „Das deutsche Drama der Reformationszeit“ aus dem Jahr 1984 wie auch sein Forschungsbericht aus dem Jahr 1989 umfassen das gesamte dramatische Schrifttum der Zeit. 165 Vgl. etwa die Arbeiten: Willi Flemming, Geschichte des Jesuitentheaters in den Landen deutscher Zunge, Berlin 1923; Johannes Müller, Das Jesuitendrama in den Ländern deutscher Zunge vom Anfang (1555) bis zum Hochbarock (1665). Zwei Bände, Augsburg 1930; Nikolaus Scheid, Das lateinische Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Ein literaturgeschichtlicher Abriß, Freiburg 1930. 166 Jean-Marie Valentin, Le théâtre des Jésuites dans les pays de langue allemande (1554–1680). Salut des âmes et ordre des cités, Drei Bände, Bern – Frankfurt a.M. u.a. 1978. Einen bedeutenden Fortschritt der Forschung markiert die Edition der Periochen, d.h. der für die Aufführung erstellen Programme mit Inhaltsangaben jesuitischer Dramen von Elida Maria Szarota, Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Eine Periochen-Edition. Texte und Kommentare, Vier Bände, München 1979–1987. Vgl. den Forschungsbericht von Ruprecht Wimmer, Neuere Forschungen zum Jesuitentheater des deutschen Sprachbereiches. Ein Bericht (1945–1982), Daphnis 12, 1983, S. 585–692. – Exemplarisch seien hier die Einzelstudien zu Jakob Bidermann aus den siebziger Jahren angeführt: Ludwig Krapf, Die dramatische Agitation des Jakob Bidermann. Einige Überlegungen zum nichtaristotelischen Theater der Jesuiten, in: Akten des V. Internationalen Germanisten-Kongresses Cambridge 1975. Jahrbuch für internationale Germanistik. Reihe A. Kongressberichte, Bd. 2,3, 1976, S. 123–131; Peter-Paul Lenhard, Religiöse Weltanschauung und Didaktik im Jesuitendrama. Interpretationen zu den Schauspielen Jacob Bidermanns, Frankfurt a.M. 1976.

56 Annäherungen lung des protestantischen Dramas bislang noch nicht vorgelegt wurde? Wirkt hier noch die, u.U. unbewusst internalisierte Vorstellung nach, protestantisches Christentum habe keinen Sinn für Kunst?167 Für das Feld der Literatur sprach der Germanist Wolfgang Stammler noch 1950 von der „lutherischen Pause“.168 In dieser Sicht korrespondiert der rein praktischen Auffassung der Poesie in der Reformation die exklusive Verzweckung der Literatur in derselben. Die germanistische Forschung hat sich jedoch von dieser Sichtweise nicht übermäßig lange leiten lassen. Doch selbst wenn die Auffassung geteilt wurde, sie hat in dieser Disziplin nicht dazu geführt, sich nicht mit dem protestantischen Drama zu befassen, wie zahlreiche Einzelstudien und Neueditionen seit den sechziger Jahren belegen. Insofern liegt mit diesem Verdikt keine wirkliche Erklärung für das Fehlen einer Gesamtdarstellung vor. Die Ursache für diesen Befund könnte bei einer Gegenüberstellung der Wahrnehmung von Jesuitentheater und protestantischem Theater deutlicher werden. Dabei fällt auf, dass das Jesuitentheater ein bekannteres Phänomen darstellt. Offenkundig hat es zahlreichere und tiefere Spuren hinterlassen, bis hin zu solchen in der Architektur. Das Jesuitentheater, getragen von einer einheitlichen Gruppe und planmäßig angegangen, hat in der späteren Wahrnehmung augenscheinlich ein deutlicheres Profil entwickeln können als das protestantische Theater. Dass dieses in der Wahrnehmung weniger profiliert erscheint, dafür scheinen mehrere Ursachen verantwortlich zu sein, die freilich noch näherer Überprüfung im Hauptteil der Studie bedürfen: Eine a priori gültige, einheitliche Konzeption gab es nicht, lediglich gewisse Vorgaben seitens der Reformatoren Luther und Melanchthon und anderer bekannter Theologen. Der Kreis derer, die solche Dramen schrieben, war recht groß, zugleich in sich auch sehr vielgestaltig. Die Verfasser betrachteten es aus unter167 Vgl. Michael Maurer, Kirche, Staat und Gesellschaft im 17. und 18. Jahrhundert, München 1999, S. 99: „Differenzen der Konfessionen ergaben sich insbesondere durch die Kultivierung des Wortes auf protestantischer Seite, während auf katholischer Seite immer auch Musik, Theater, Malerei und Baukunst in den Dienst der Religion gestellt wurden – unbeschadet der Tatsache, daß es neben dem Jesuitentheater auch protestantisches Schultheater gab und daß gerade im deutschen Protestantismus die Musik seit Luther immer Bedeutung hatte ...“ Vgl. auch die Studie von Esther-Beate Körber, Öffentlichkeiten der frühen Neuzeit. Teilnehmer, Formen, Institutionen und Entscheidungen öffentlicher Kommunikation im Herzogtum Preußen von 1525 bis 1618, Berlin – New York 1998, S. 373, die nach der Feststellung, dass die Aufführungspraxis im Herzogtum Preußen sich auf zwei Darbietungen im Jahr beschränkte und ebenso nur wenige Notizen über bildliche Ausdrucksformen vorlägen, zu dem Schluss kommt: „Vielleicht wirkt in der Vernachlässigung bildlichen und theatralischen Ausdrucks eine Art protestantischen Grund-Mißtrauens gegen jene Ausdrucksformen nach, denen die spätmittelalterliche Frömmigkeitspraxis so nahezu ausschließlich gehuldigt hatte.“ Zu Aufführungen in Königsberg und im Herzogtum s. ebd., S. 201–203. Die genannte Aufführungsfrequenz bewegt sich im üblichen Rahmen des protestantischen Bereichs, wiewohl Preußen kein Kernland des protestantischen Dramas darstellt. Als gering ist die Frequenz von zwei Aufführungen im Jahr aber keineswegs einzustufen. 168 Wolfgang Stammler, Von der Mystik zum Barock. 1400–1600, Stuttgart 19502, S. 302ff. Ebd., S.  303f. formuliert er: „Für eine Generation verzichtete der Deutsche willig auf künstlerischen Lebensinhalt, weil das Religiöse ihn fest im Bann hielt.“



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schiedlichen Motiven als ihre Aufgabe, geistliche Dramen zu schreiben, zur Aufführung zu bringen und in den Druck zu geben. Das Abfassen von Dramen war als solches keine Pflicht, es war ein freiwilliges Unterfangen, dem sich die Verfasser je nach Belieben und Vermögen unterzogen. Gefördert wurde dies nicht. Etwas anders verhält es sich zwar mit der Aufführung von Dramen, die z.T. in den Schulordnungen protestantischer Territorien obligatorisch gemacht wurden und sich auf Aufführungen von Terenz-Komödien, aber auch auf Darbietungen biblischer Dramen bezogen, wobei es aber als durchaus legitim galt, auf Vorlagen zurückzugreifen. Indessen stellt sich auch in Bezug auf die Aufführungen die Frage, inwieweit die Praxis wirklich der in den Schulordnungen fixierten Norm entsprach. Oft wurde die Aufführungspraxis nicht nachgehalten. Entsprechend finden sich Klagen über den Ausfall von Darbietungen oder über Mangel an Stücken. Es verhält sich also nicht so, dass protestantische wie katholische Autoritäten das geistliche Theater in gleicher Weise favorisierten und die Praxis kontrollierten.169 Im Gegensatz zum Jesuitentheater wird das protestantische Theater weniger als protestantisches Theater wahrgenommen denn als Schultheater, das zwar auf dem Boden der Reformation entstanden ist, aber nicht als spezifisch reformatorisches und lutherisches oder reformiertes geistliches Theater in den Blick kommt. Dazu stimmt auch, dass dieses Theater meistens nur in seiner Spätform in Gestalt von Andreas Gryphius oder Christian Weise, d.h. als schlesisches Kunstdrama in den Blick kommt.

c) Kirchengeschichtliche Forschung und protestantisches Drama Dieses Faktum, dass das protestantische Theater zumeist nur als Schultheater, noch dazu in Gestalt des schlesischen Kunstdramas in den Blick genommen wird, erklärt wiederum, warum die Erforschung des protestantischen Dramas und Theaters bislang ausschließlich der germanistischen Forschung überlassen blieb und von der protestantischen kirchengeschichtlichen Forschung bis in die jüngste Zeit völlig ignoriert wurde und bis heute eine nahezu vollkommene Leerstelle bildet. Die Tatsache, dass sämtliche Arbeiten zum protestantischen Drama im deutschen Sprachraum germanistischen Ursprungs sind, lässt sich nicht leugnen. Die meisten aus protestantischer Hand stammenden Handbücher der Kirchen- und Theologiegeschichte zu dieser Epoche erwähnen das Phänomen überhaupt 169 So Gerald Strauss, Luther’s House of Learning, Baltimore – London 1978, S. 143: „The pedagogical effectiveness of biblical dramas may be gauged from the eagerness of both Protestant and Catholic authorities to instigate and support theatrical performances in conjunction with catechism classes.“ – Der von Strauss beigebrachte Beleg, S. 345 Anm. 32, bezieht sich denn auch nur auf die katholische Seite: In der von 1558 bis 1560 durchgeführten bayerischen Visitation wurden alle deutschen und lateinischen Schulmeister gefragt, ob und wenn ja welche Komödien sie zur Aufführung brächten. Wie die Ergebnisse zeigten, kann für diesen Zeitpunkt auch im katholischen Bereich nicht von einer flächenmäßigen Aufführungspraxis gesprochen werden. Doch zeigt die Aufnahme einer derartigen Frage in den Katalog einer Visitation, dass den Vertretern der Gegenreformation in Bayern die Theaterpraxis ein wichtiges Anliegen war.

58 Annäherungen nicht. Das vorzügliche Standardwerk von Ernst Koch über das konfessionelle Zeitalter geht für den Protestantismus immerhin auf das geistliche Theater in der Schweiz bzw. im Genfer Einflussbereich – erstaunlicherweise und verdienterweise, wird doch dramatische Praxis im reformierten Bereich zumeist nicht vermutet – und im katholischen Bereich auf das Jesuitentheater ein.170 Ist somit eine mangelnde Profilierung des protestantischen Theaters des 16. und 17.  Jahrhunderts gewiss eine Ursache für seine mangelnde Wahrnehmung auch und gerade im Protestantismus – es stellt auch unter evangelischen Theologinnen und Theologen eine weitgehend unbekannte Größe dar –, so muss das völlige Fehlen kirchenhistorischer Untersuchungen über Autoren und Inhalte dieser Dramen angesichts mehrerer Tatsachen doch verwundern. Einerseits erfreut sich seit einigen Jahren in der Kirchengeschichtswissenschaft die Erforschung derjenigen Gattungen theologischer Literatur aus der Zeit der Reformation und insbesondere des konfessionellen Zeitalters verstärkten Interesses, die auf das geistliche Leben und auf die Umsetzung reformatorischer Gedanken im Leben der ‚Laien‘ zielen. Zu denken ist etwa an die Predigtliteratur, das Gebiet der Kirchenlieder oder die Meditationsliteratur.171 Dabei steht auch die Frömmigkeit dieses Zeitalters und ihr Verhältnis zur akademischen Theologie im Blickpunkt. Zum andern gilt in der kirchengeschichtlichen Forschung auch den Medien, die von der Reformation zum Zwecke ihrer Popularisierung aufgegriffen wurden, wie Flugschrift und Bild, schon lange erhebliche Aufmerksamkeit. Seit neuerer Zeit wird hier zudem der Frage nachgegangen, welche Rolle Flugschriften im Prozess der Konfessionalisierung einnahmen.172 Schließlich kommt dem Medien-Begriff in der neueren geschichtswissenschaftlichen Erforschung des 16. Jahrhunderts erhebliche Bedeutung zu.173 Eine Wahrnehmung des protestantischen Dramas in der kirchenhistorischen Forschung hat dies alles allerdings noch nicht bewirkt, obwohl dieses Medium in enger Verwandtschaft zu einigen der genannten Medien, zur Predigt, zu der dialogische Elemente aufnehmenden Flugschrift wie auch zum Bild zu stehen kommt und ebenso das Lied zu integrieren vermag, obwohl es wesentlich damit 170 Vgl. Ernst Koch, Das konfessionelle Zeitalter. Katholizismus, Luthertum, Calvinismus (1563–1675), Leipzig 2000, S. 129. 102f. Auf das lutherische Theater geht Koch merkwürdigerweise nicht ein. 171 Genannt sei hier nur für die spätere Zeit die neuere Arbeit von Bernhard Liess, Johann Heermann (1585–1647): Prediger in Schlesien zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, Münster 2003, sowie die Arbeiten von Johann Anselm Steiger zu Johann Gerhard: J.A. Steiger, Johann Gerhard (1582–1637). Studien zu Theologie und Frömmigkeit des Kirchenvaters der lutherischen Orthodoxie, Stuttgart – Bad Cannstatt 1997, oder zu Johann Habermann: Traugott Koch, Johann Habermanns „Betbüchlein“ im Zusammenhang seiner Theologie. Eine Studie zur Gebetsliteratur und zur Theologie des Luthertums im 16. Jahrhundert, Tübingen 2001. 172 Harry Oelke, Die Konfessionsbildung des 16. Jahrhunderts im Spiegel illustrierter Flugblätter (Arbeiten zur Kirchengeschichte Bd. 57), Berlin – New York 1992. 173 Vgl. zuletzt Johannes Burkhardt, Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung, Stuttgart 2002, wo die Reformation wesentlich als Medienereignis interpretiert wird, ja geradezu in diesem aufgeht.



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befasst ist, reformatorisch geprägte Lehre, Frömmigkeit und Lebenspraxis zu vermitteln. In Bezug auf das Drama dominiert nach wie vor die literaturwissenschaftliche und daneben die kulturgeschichtliche Forschung; die Überblicksarbeiten über literarische Gattungen und Medien der Reformation stammen aus germanistischer oder geschichtswissenschaftlicher Hand.174 Hinzu kommen die theatergeschichtlichen Darstellungen, angefangen mit dem Opus magnum von Creizenach, in denen sich in unterschiedlicher Terminologie Abschnitte zum Drama der Reformationszeit und der konfessionellen Zeit finden.175 Daneben ist das protestantische Drama infolge seiner Gestalt als Schultheater 174 Barbara Könneker, Die deutsche Literatur der Reformationszeit. Kommentar zu einer Epoche, München 1975, zum Drama S. 56–62; Herbert Walz, Deutsche Literatur der Reformationszeit. Eine Einführung, Darmstadt 1988, zum Drama S. 112–141 (unter Einschluss weniger katholischer Dramatiker). Zu nennen ist hier auch Helmut De Boor – Richard Newald (Hrgg.), Geschichte der deutschen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 4: Hans Rupprich, Die deutsche Literatur vom späten Mittelalter bis zum Barock. Zweiter Teil: Das Zeitalter der Reformation 1520–1570, München 1973; Bd. 5: Richard Newald, Die deutsche Literatur vom Späthumanismus zur Empfindsamkeit 1570–1750, München 1951. Rupprich bietet ein Kapitel über das Drama der Reformationsepoche, gegliedert nach alten Spielgattungen, Neuerungen wie neulateinischem und deutschsprachigem Drama, Schuldrama und Bürgerspiel, gefolgt vom Jesuitendrama und den englischen Komödianten. Newald geht insbesondere auf Georg Rollenhagen, Nicodemus Frischlin und das Straßburger Akademietheater wie auf die weitere Entwicklung des Jesuitentheaters ein. Ein neueres Werk stellt dar: Cora Dietl, Das frühe deutsche Drama. Von den Anfängen bis zum Barock, Helsinki 1998. Sie bietet einen Abschnitt „Das Reformationsdrama: Kampf- und Propagandaspiele“, in dem sie auch Luthers Haltung darstellt und ansonsten exemplarisch vorgeht. Näher vorgestellt werden Rebhuns ‚Susanna‘, Waldis’ ‚Parabel vom verlorenen Sohn‘ und Ruoffs Zürcher Passionsspiel. Der Unterabschnitt „Das Theater der protestantischen Schulen“ im Teil „Das Barockdrama“ ist vor allem auf Gryphius, daneben auf Lohenstein konzentriert. – Das von seinem Gegenstand her neuartige Werk von Lucian Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, München 2005, berücksichtigt das protestantische Theater indessen nicht. 175 Wilhelm Creizenach geht in seiner Geschichte des neueren Dramas zunächst auf das lateinische Drama im deutschsprachigen Raum ein, dem er sich über die Stoffe nähert (Zweiter Band. Renaissance und Reformation. Erster Teil, Halle a.S. 19182, dort im ersten Buch. Bedeutsam für das hier verhandelte Thema sind in diesem Band auch die dem französischen Drama gewidmeten Teile (a.a.O., drittes und fünftes Buch). In einem weiteren, rein nach Ländern geordneten Teil behandelt er das deutschsprachige Drama mit Fastnachtspiel, dem volkstümlichen Drama in der Schweiz und im Elsaß und dem Meistersingdrama (Dritter Band. Renaissance und Reformation. Zweiter Teil, Halle a.S. 19232, dort im achten Buch), wobei hier der Abschnitt „Entwicklung des Dramas im Stammlande der Reformation“ (a.a.O., S. 268–331) den Schwerpunkt bildet. – Für die Schweizer Dramen der Zeit war das Standardwerk Jakob Baechtold, Geschichte der Deutschen Literatur in der Schweiz, Frauenfeld 1892, bes. S. 246–400. – Heinz Kindermann, Theatergeschichte Europas. Bd. II. Das Theater der Renaissance, Salzburg 1959; Band III. Das Theater des Barock-Zeitalters, Salzburg 19672, geht in je zwei Abschnitten für Renaissance und Barock auf das protestantische Theater ein, wobei er in dem Abschnitt zum Renaissancetheater nacheinander Humanistentheater, Fastnachtspiel nebst Bürgerspiel und Meistersingbühne und schließlich das Schultheater behandelt.

60 Annäherungen und seiner engen Verbindung zum Rhetorikunterricht auch Gegenstand schulgeschichtlicher und darin rhetorikgeschichtlicher Forschung gewesen.176 Eine kirchengeschichtliche Erforschung des Themas liegt auf der Linie der neueren Forschung, die sich nicht nur mit akademischer theologischer Literatur und nicht nur mit normativen Gattungen begnügen darf, wenn sie den Prozess der Gestaltwerdung protestantischen Christentums in seiner Gänze nachzuzeichnen versucht. Dabei kann es in keiner Weise darum gehen, dieses Forschungsgebiet der germanistischen und literaturwissenschaftlichen Forschung abspenstig zu machen. Diese befasst sich völlig zu Recht mit der vorliegenden Form der Literatur wie auch mit dem Werk Luthers – mehr noch, dies ist ihr geradezu aufgetragen. Es gilt aber, wie in Abschnitt A III zu zeigen sein wird, die theologische Perspektive einzubringen. Dabei werden, wie der folgende Überblick dokumentiert, die Ergebnisse der germanistischen und literaturwissenschaftlichen Forschung dankbar entgegengenommen. Hier wurde und wird Verdienstvolles geleistet, das unbedingt, auch von der theologischen und kirchengeschichtlichen Seite, zu würdigen ist.

2. Wichtige Stationen der Erforschung des protestantischen Dramas Der folgende Gang durch die Forschungsgeschichte berücksichtigt die skizzierte Situation. Die Struktur der Darstellung der Untersuchungen kann sich nicht nach verschiedenen Im Passus über das Barocktheater im deutschen Sprachraum firmiert das protestantische Theater als protestantisches Schultheater neben katholischem Ordenstheater, Wandertruppen und dem Barocktheater im süddeutschen Raum sowie der Barockoper. Die Gliederung bringt so für das protestantische Theater eine Entwicklung der Standardisierung zum Schultheater zum Ausdruck. Kindermann vermeidet den Reformationsbegriff als heuristischen Begriff zur Kategorisierung des Stoffs. Dies gilt auch für Manfred Brauneck, Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters. 4 Bände, Stuttgart – Weimar 1993–2003. Er geht auf das protestantische Theater ein in Bd. 1 im Rahmen des 3. Kapitels „Das Theater des Humanismus und der Renaissance“, innerhalb dessen die Abschnitte über die Weiterführung spätmittelalterlicher Spieltraditionen in Fastnachtspiel und Meistersingertheater, u.a. über Manuel, Waldis und Sachs, über das Bürgertheater in der Schweiz und im Elsaß sowie – besonders einschlägig – über lateinisches und deutsches Schultheater, in dem der Autor auch das Jesuitentheater behandelt, mit dem protestantischen Theater befasst sind. In Bd. 2 bespricht er im Rahmen des 1. Kapitels „Das Theater im 17. Jahrhundert zwischen Renaissance und Aufklärung“ nach Erörterungen über die Wanderbühnen und das katholische Ordenstheater das protestantische Schultheater, dessen Behandlung in der Darstellung der Dichter des deutschen Barockdramas gipfelt. Auch hier wird so eine Standardisierung als Charakteristikum der Entwicklung bedeutet. – Die Darstellungen von Erika Fischer-Lichte, Kurze Geschichte des deutschen Theaters (UTB 1667), Tübingen – Basel 1993, und: Geschichte des Dramas. Epochen der Identität auf dem Theater von der Antike bis zur Gegenwart. 2 Bände, Tübingen 19992, bieten keinen eigenen Abschnitt zum geistlichen Drama des Protestantismus. 176 Herausragende Darstellung ist die von Wilfried Barner, Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen, Tübingen 1970, bes. S. 302–318.



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Fächern orientieren, die ihren Rahmen bildeten; vielmehr wird hier ein weitgehend chronologisches Vorgehen gewählt. Dabei zeigt sich allerdings, dass die kirchengeschichtliche Forschung in der Mitte des 19. Jahrhunderts und den Jahrzehnten danach durchaus das protestantische Drama intensiv zur Kenntnis genommen hat, dass es aber in der Folgezeit wieder dem Vergessen anheim fiel und insbesondere der Germanistik überlassen wurde. Ein weiteres Kennzeichen der Forschungsgeschichte ist die Fülle und Dominanz von Arbeiten motivgeschichtlicher oder prosopographischer Art zum protestantischen Drama in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese können im Rahmen des hier erfolgenden Überblicks nicht wirklich gewürdigt werden; lediglich ein kurzer exemplarischer Blick ist in dieser Studie möglich.177 Statt dessen konzentriert sich die Analyse auf bedeutende allgemeine Darstellungen und wichtige Entwicklungen der neueren Forschung nach dem zweiten Weltkrieg. Nach der Durchsicht werden Konsequenzen im Blick auf das weitere Prozedere der Arbeit bedacht. Die Feststellung von Forschungsdesideraten erfolgt mit dem Ziel einer Präzisierung der Fragestellung.

a) Die ältere Forschung Wiewohl hier keine Arbeit über das Verhältnis von Kirche und Theater geboten werden soll, seien zwei ältere einschlägige Studien theologischer Herkunft erwähnt, die sich in diesem Kontext auch dem von der Reformation ausgehenden Drama zuwenden. Die erste Arbeit ist die von Heinrich Alt aus dem Jahre 1846.178 Alts Anliegen ist es, unter Rekurs auf den Ursprung des Theaters im Kult – zunächst im Dionysos-Kult, später wurde es vom Christentum aufgegriffen179 – und das von ihm auch für die weitere Geschichte ausgemachte enge Verhältnis von Theater und Kirche den Nachweis zu führen, dass sich das Theater nur dann fruchtbar entwickeln könne, wenn es dieses seines Ursprungs gedenke und sich entsprechend der Aufgabe verschreibe, der geistigen und sittlichen Bildung zu dienen. Letztes Ziel Alts ist es damit, die Theaterschaffenden wie auch die Besucher desselben auf diese religiöse Gründung im christlichen Glauben hinzuweisen und so zu einer neuen Verbindung von Kirche und Theater zu helfen, gipfelnd in dem Wunsch, dass „... das gegenwärtig in der Kirche neu erwachte Leben auch dem Theater sich mittheilt, damit dieses... ein Schauplatz der wahren Kunst und eine Anstalt zur Förderung einer christlich

177 Verwiesen sei dafür auf Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit. Ein Forschungsbericht, Bern – Frankfurt a.M. – New York – Paris 1989. 178 Heinrich Alt, Theater und Kirche in ihrem gegenseitigen Verhältniß historisch dargestellt, Berlin 1846. Unveränderter fotomechanischer Nachdruck der Originalausgabe, Leipzig 1970. 179 Nicht völlig richtig ist es, wenn Alt S. IIIf. von einer Parallelität von Bilderfeindlichkeit und Theaterfeindlichkeit ausgeht. Für den Bereich der zwinglischen Reformation stimmt dies jedenfalls nicht. Vgl. Glenn Ehrstine, Theater, culture, and community in reformation Bern, 1523–1555, Leiden – Boston – Köln 2002, S. 203, der hier von einem Nebeneinander von „theatrical iconophilia and theological iconophobia“ spricht.

62 Annäherungen sittlichen Bildung würde ...“180 In materialer Hinsicht kommt dem Mittelalter und hier dem geistlichen Spiel in Alts Studie eine bedeutende Rolle zu.181 Dieses und sein Anliegen einer Einheit von Kirche und Kunst weist darauf hin, dass der Verfasser intensiv Gedanken der Romantik verarbeitet. Das durch die Reformation bestimmte geistliche Drama behandelt er in zwei ebenfalls langen Abschnitten, von denen der eine dem Fastnachtspiel und seiner Bedeutung für die Reformation gewidmet ist, wobei besonders Niklaus Manuel Berücksichtigung findet, der andere das von der Reformation ausgehende Theater im engeren Sinne behandelt.182 Dabei bietet er einen für seine Zeit – Goedekes Grundriß war noch nicht erschienen – beachtlichen Überblick über zahlreiche Dramen. Die Funktion der Dramen bzw. Aufführungen sieht er einerseits in einer Vertiefung der Predigt, andererseits in einer Kompensation für mittelalterliche Zeremonien, die der Befriedigung der Schaulust dienten.183 Er spricht dieser Form des Dramas das Verdienst zu, die dramatische Kunst erhoben und zu einer Anstalt weiterentwickelt zu haben.184 Im Jahre 1858 erschien zum Thema des geistlichen Dramas eine aus einer Vorlesung hervorgegangene Darstellung des Kirchengeschichtlers Karl Hase.185 Er behandelt nacheinander die Mysterien des Mittelalters – ein wesentlicher Schwerpunkt des Werkes –, die Reformationsdramen unter dem Titel ‚Kampfspiele und Nachklänge‘186 und das geistliche Drama in Spanien und Frankreich. Einer Gegenüberstellung von Hans Sachs und Lessings ‚Nathan der Weise‘ folgt ein abschließender Abschnitt ‚Kirche und Theater‘, in dem er auf die Haltung Luthers, Calvins und Speners zum Theater, den Disput zwischen d’Alembert und Rousseau und die Theaterstreitigkeiten des 17. und 18. Jahrhunderts in Deutschland eingeht, aber auch grundsätzliche Reflexionen über die Möglichkeit eines geistlichen Dramas anstellt.187 Hase steht den geistlichen Dramen kritisch gegenüber, besonders auch den zu seiner Zeit entstehenden Lutherschauspielen.188 Gegen die spekulative These Richard Rothes von einer künftigen Einheit von Kultus und Bühne bleibt 180 Alt, a.a.O., S. 703, vgl. ferner das Vorwort S. III–VI. 181 Es handelt sich insbesondere um die Abschnitte XXIV (Der christliche Gottesdienst als symbolischliturgisches Drama; S. 328–341), XXV (Die Theatralische Feier der christlichen Feste; S. 342–353); XXVI (Die Mysterien; S. 354–394); XXVII (Die Moralitäten; S. 395–399). 182 Abschnitte XXIX: Die Fastnachtspiele und ihre Bedeutung für das Reformationswerk (S. 421–458); XXX: Das Deutsche Theater im Reformations-Zeitalter – Schulkomödien – Geistliche Volksschauspiele (S. 459–500). 183 Vgl. a.a.O., S. 457, wo es heißt, die Aufführung diene der deutlichen und anschaulichen Darstellung dessen, „... was die Predigt auf der Kanzel vielleicht dunkel gelassen haben könnte.“ Vgl. ferner S. 471: Das Drama ist Ersatz für Prozessionen, Bildwerke u.a. 184 Vgl. das Vorwort, S. Vf. 185 Karl Hase, Das geistliche Schauspiel. Geschichtliche Uebersicht, Leipzig 1858. 186 Vgl. a.a.O., S. 90–145. 187 Vgl. a.a.O., S. 275–319. 188 Vgl. a.a.O., S. 307ff. S. 311f. mit Anm. 37. Wichtige Argumente gegen die Möglichkeit eines geistlichen Dramas sind: das Zurückbleiben der Darstellung hinter der inneren Glaubensanschauung (S. 308), die Unverletzlichkeit der Schrift wie auch der historischen Ereignisse (S. 310), die Verlet-



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Hase bei der klaren Unterscheidung zwischen der Kirche als einer Kultus-Anstalt und dem auf Bildung und Erholung zielenden Theater.189 Das Drama kann nach Hase nur auf der irdischen Ebene verbleiben. Auch wenn auf das Religiöse nicht per se verzichtet werden könne, so verbiete sich doch die Darstellung des eigentlich Christlichen, der heiligen Geschichte und der christlichen Frömmigkeitspraxis.190 Hase bietet eine grundlegende Übersicht über das geistliche Drama der Reformationszeit und der daran anschließenden Zeit, freilich keine tiefgründigere Untersuchung zu Intention und Funktion der Dramen. Er begnügt sich mit der Auskunft, dass die Kirche in der Vergangenheit das geistliche Drama gebrauchen konnte und dass es der Reformation dienstbar geworden sei.191 Diese historisierende Sicht ist gegründet in Hases Auffassung, dass sich in der Zeit der geistlichen Spiele Zuschauer und Spieler als – eine – Gemeinde verstanden hätten, also im letzten Sinne doch ein gottesdienstliches Verständnis der Aufführung vorlag.192 Resümiert man Hases Darlegungen, so zeigt sich, dass sie doch wesentlich von der in seiner Zeit zu verortenden systematischen Fragestellung nach dem Verhältnis der Kirche zu der sich von ihr emanzipierten Umwelt und deren Institutionen bestimmt sind. Mit der 1886 erschienenen Arbeit Hugo Holsteins ‚Die Reformation im Spiegelbilde der dramatischen Litteratur [!] des sechzehnten Jahrhunderts‘ lag die erste dem hier behandelten Thema im engeren Sinne gewidmete Studie vor.193 Holstein verfügte über den Vorzug, die nunmehr vorliegende grundlegende Auflistung der Dramen der Reformationszeit bis in das frühe 17. Jahrhundert hinein zugrunde legen zu können. Der Verfasser gibt seiner Studie ein beschränktes Ziel: Nach Ausweis des Vorwortes beabsichtigt er keine ausführliche oder vollständige Darstellung des Dramas der Reformationszeit, sondern wählt ein exemplarisches Vorgehen. An die Dramen geht er mit der Intention heran, das Verhältnis der Verfasser zur Reformation bzw. den Trägern der Reformation zu klären.194 Das Generalziel bildet die Darstellung von Wirkungen der Reformation im zeitgenössischen Drama.195 Um seine Aufgabe zu erfüllen behandelt Holstein nach der Vorgeschichte des reformatorischen Dramas in Spätmittelalter und Humanismus zunächst die Stellung Luthers und Melanchthons zum Drama sowie die Berücksichtigung des Dramas, insbesondere des antiken Dramas, in den evangelischen Schulordnunzung des religiösen Empfindens bei der Darstellung von Frömmigkeitspraxis (S. 315f.). Als einzige Möglichkeit eines geistlichen Spiels eröffnet sich für Hase das undramatische Oratorium (S. 318). 189 Vgl. a.a.O., S. 318f. 190 Vgl. a.a.O., S. 312. 315f. 191 Vgl. a.a.O., S. 305 und S. 90. 192 Vgl. a.a.O., S. 307. 193 Hugo Holstein, Die Reformation im Spiegelbilde der dramatischen Litteratur [!] des sechzehnten Jahrhunderts (SVRG 14/15), Halle 1886. 194 Vgl. auch a.a.O., S. 76, wo Holstein in Bezug auf die biblischen Dramen angibt, nur diejenigen zu behandeln, die aufgrund ihres inneren Wertes hervorragen oder bei denen eine Beziehung der Verfasser zur Reformation bzw. zu den Reformatoren erkennbar sei. 195 Vgl. a.a.O., S. IIIf.

64 Annäherungen gen. Im Abschnitt über die Reformatoren führt Holstein die einschlägigen Äußerungen auf. Während er in Luther den geistigen Urheber des biblischen Dramas erkennt, habe Melanchthon Aufführungen von antiken Dramen begünstigt und gegenüber den geistlichen Spielen mit ihren biblischen Stoffen eine kritische Haltung eingenommen, was Holstein freilich nur mit kritischen Anmerkungen des Praeceptor Germaniae zum Passionsspiel belegt.196 Es folgt je ein Kapitel über das neulateinische Drama – dabei befasst er sich besonders mit den drei großen Niederländern Gnapheus, Macropedius und Crocus sowie mit dem Straßburger Akademietheater und Sapidus – und über Hans Sachs. Mit den Kapiteln über das biblische Drama, gegliedert nach alttestamentlichen und neutestamentlichen Stoffen, das allegorische Drama,197 worunter konkret die Moralitäten des Jedermann-Stoffes gefasst sind, sowie einem Kapitel über das kirchlich-polemische Drama und das protestantische Tendenzdrama – Schwerpunkte bilden hier Naogeorg und die Lutherdramen – sieht sich Holstein im Kern des reformatorischen Dramas, was sich daran zeigt, dass die Abschnitte über das biblische und das polemische bzw. Tendenzdrama die mit Abstand längsten der Abhandlung bilden. Er beschließt die Darstellung des Dramas der Reformationszeit mit einem Kapitel über das historisch-novellistische Drama und über das didaktisch-satirische Drama, d.h. über Stücke, die nicht im engeren Sinne ein geistliches Thema behandeln. Am Schluss bietet Holstein noch einen kurzen Ausblick auf das Drama der Jesuiten. Dass Holstein dem biblischen und dem polemischen Drama den größten Raum einräumt, entspricht der Tatsache, dass er die Hauptintention der protestantischen Dramatiker der Zeit in der Verbreitung des Inhalts der Bibel und in der Weiterführung des Kampfes um die reformatorischen Lehren – eben durch das Medium Drama – erkennt.198 Dieser Sicht korrespondiert, dass Holstein die Entwicklung eines biblischen Dramas in der Reformationszeit als Folgeerscheinung von Luthers Bibelübersetzung einordnet und dieses Medium neben die Predigt stellt.199 Noch ungetrübt von der genannten Behauptung Stammlers einer „lutherischen Pause“ in der Kultur des 16. Jahrhunderts,200 dafür aber in – durch den Kontext des zu Ende gehenden Kulturkampfs mitbedingter – Auseinandersetzung mit der von dem 196 Vgl. a.a.O., S. 21 (zu Luther). 31 (zu Melanchthon). 197 Vgl. Holsteins Definition des allegorischen Dramas, a.a.O., S. 160: „Das allegorische Drama gehört zu denjenigen geistlichen Dramen, in denen nicht, wie es in den biblischen geschieht, ein historischer Stoff der Bibel bearbeitet wird, sondern ein der Glaubenslehre entlehnter Satz zu bildlicher Darstellung gelangt.“ 198 Vgl. a.a.O., S. III. 199 A.a.O., S. 75: „Ein wunderbar mächtiger Zug nach Dramatisierung biblischer Stoffe erfaßte das ganze Reformationszeitalter, nachdem die Bibel durch Luthers treffliche Verdeutschung Gemeingut des deutschen Volkes geworden war. [...] So stellte sich das biblische Drama gewissermaßen neben die Predigt...“ 200 Wolfgang Stammler, Von der Mystik zum Barock. 1400–1600 (Epochen der deutschen Literatur / Band II,1), Stuttgart 19502, S. 302.



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katholischen Historiker Johannes Janssen vorgelegten These einer gewaltsamen Störung der Kulturentwicklung in Deutschland durch die Reformation mit entsprechenden Folgen für das Theater,201 eröffnet sich Holstein unter Rekurs auf Leopold von Ranke die Reformation als „... diejenige Epoche der Geschichte, in welcher ‚die religiös-politische Lebensthätigkeit der deutschen Nation in ihren kraftvollsten und produktivsten Trieben stand‘.“202 Wie die neuzeitliche Wissenschaft insgesamt, so wird auch die dramatische Dichtung des 16. Jahrhunderts als Ausfluss der Reformation für diese reklamiert, und zwar als – trotz offenkundiger Defizite in der dramatischen Technik – positive Folge, insofern die Intention der Autoren, ein neues Bildungselement in die Schule einzuführen und die Bevölkerung durch diese Form des Unterrichts geistig und moralisch auf eine höhere Stufe zu stellen, unbedingt zu würdigen sei.203 Besonders hebt Holstein die Begeisterung der beteiligten Akteure hervor, dazu auch die Stringenz, mit der das reformatorische Anliegen im Drama der Zeit seine Umsetzung fand.204 Holsteins Monographie stellt ohne Zweifel eine grundlegende Arbeit dar. Basierend auf Goedekes Grundriss stellt er in einer angemessenen Kategorisierung bedeutende Dramen und ihre Verfasser vor. Gegenüber dieser überwiegend sammlerischen Tätigkeit nehmen sich die systematischen Analysen etwas bescheidener aus. So bietet Holstein in Bezug auf die Intention der Dramatiker nur summarische Andeutungen. Gleiches gilt für die Entwicklung der Stoffe und für die Frage, wie sich die Entwicklung des Protestantismus in den Dramen widerspiegelt. Wie die Aufnahme der Lutherdramen belegt, wird die Reformationszeit sehr weit ausgedehnt, allerdings ohne dass dies näher reflektiert würde. Was fehlt, ist eine weiterführende Auswertung des mit Sorgfalt untersuchten Materials am Ende der jeweiligen Kapitel. Ab dem letzten Drittel Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu den ersten, in Ansätzen kritischen Editionen von Dramen, eine Welle, die sich bis in das erste Drittel des 20. Jahrhunderts erstreckte. So erschienen im Jahre 1868 in der von Julius Tittmann herausgegebenen Reihe ‚Schauspiele aus dem sechzehnten Jahrhundert‘ Dramen von Niklaus Manuel, Paul Rebhun, Leonhard Culmann, Jakob Funkelin, Sebastian Wild, Petrus Meckel, Bartholomäus Krüger und Jakob Ayrer.205 1880 wurde der ‚Joseph‘ 201 Vgl. Johannes Janssen, Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters. Erster Band. Deutschlands allgemeine Zustände beim Ausgang des Mittelalters, Freiburg 18817, S. 246 (dort: Zweites Buch: Kunst und Volksleben, VI. Poesie im Volke). 202 Holstein, a.a.O., S. 275. Er fährt fort: „Das evangelische Deutschland jubelt über die große Errungenschaft der Reformation, und wir freuen uns der Segnungen, die sie dem politischen und religiösen Leben der Völker, der Kunst und der Wissenschaft gebracht hat.“ – Vgl. Leopold von Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Erster Band, in: Ders., Sämmtliche Werke Erster Band, Leipzig 18674, S. 5. 203 Vgl. ebd. 204 Vgl. a.a.O., S. 276. 205 Julius Tittmann (Hrg.), Schauspiele aus dem sechzehnten Jahrhundert. Erster Theil. Nikolaus Manuel, Paul Rebhun, Lienhart Kulman, Jakob Funkelin, Sebastian Wild, Petrus Meckel. – Zweiter

66 Annäherungen des Elsässers Thiebold Gart durch Ernst Martin und Erich Schmidt herausgegeben.206 Der ‚Hans Pfriem‘ des Martin H ayneccius erschien 1882 als Abdruck der ursprünglichen Ausgabe in der Reihe ‚Neudrucke deutscher Litteraturwerke [!] des XVI. und XVII. Jahrhunderts‘.207 Carl Müller gab 1884 in dieser Reihe Martin Rinckarts ,Der Eislebische Christliche Ritter‘ (1613) heraus.208 Im gleichen Jahr erschien in der Reihe ‚Bibliothek des Litterarischen [!] Vereins Stuttgart‘ eine von Hugo Holstein besorgte Ausgabe von Dramen der für das von Wittenberg beeinflusste geistliche Theater bedeutsamen Autoren Valentin Voith und Hans Ackermann.209 Schließlich folgte eine von Richard Froning verantwortete Ausgabe mit Gengenbachs ‚Totenfresser‘, Manuels ‚Ablasskrämer‘, Waldis’ ‚Parabel vom verlorenen Sohn‘, Rebhuns ‚Susanna‘, Naogeorgs ‚Pammachius‘ in der Übersetzung durch Menius.210 Den Abschluss bildete Bergers Werk „Die Schaubühne im Dienste der Reformation“ mit Ausgaben von Manuels Fastnachtspiel vom Papst und seiner Priesterschaft, Waldis’ ‚Parabel vom verlorenen Sohn‘ und Auszügen aus Naogeorgs ‚Pammachius‘.211 Theil. Bartholomäus Krüger, Jakob Ayrer (Deutsche Dichter des sechzehnten Jahrhunderts. Mit Einleitungen und Worterklärungen hrg. v. Karl Goedeke und Julius Tittmann, Zweiter und Dritter Band), Leipzig 1868. Für den in dieser Studie verfolgten Zweck sind hier die bedeutendsten Stücke Manuels ‚Ein Faßnacht schimpff‘, Rebhuns ‚Susanna‘, Meckels ‚Ein schön Gespreche, darinnen der Sathan Anklager des gantzen Menschlichen geschlechts ist‘ sowie Krügers ‚Eine schöne und lustige newe Action, Von dem Anfang und Ende der Welt‘. – Die folgende Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 206 Joseph. Biblische Komödie von Thiebold Gart (1540), hrg. v. Ernst Martin und Erich Schmidt (Elsässische Literaturdenkmäler aus dem XIV. bis XVII. Jahrhundert, II. Band), Strassburg – London 1880. 207 Hans Pfriem oder Meister Kecks. Komödie von Martin Hayneccius. Abdruck der ersten Ausgabe (1582) (Neudrucke deutscher Litteraturwerke [!] des XVI. und XVII. Jahrhunderts), Halle a.S. 1882. 208 Der Eislebische Christliche Ritter von Martin Rinckhardt, hrg. v. Carl Müller (Neudrucke deutscher Litteraturwerke [!] des XVI. und XVII. Jahrhunderts Nr. 53–54), Halle a.S. 1884. 209 Hugo Holstein (Hrg.), Dramen von Ackermann und Voith, Stuttgart 1884 (Bibliothek des Litterarischen Vereins Stuttgart CLXX). – Weitere Ausgaben, die nur genannt seien: eine Ausgabe von Rinckarts ‚Indulgentiarius confusus‘ (1618): Eislebisch Mansfeldische Jubel-Comödie (Indulgentiarius confusus), hrg. von Heinrich Rembe, Eisleben 1885; eine Ausgabe von Thomas Brunners Jakob-Drama: Jacob und seine zwölf Söhne. Ein evangelisches Schauspiel aus Steyr von Thomas Brunner 1566, hrg. v. Robert Stumpfl (Neudrucke deutscher Literaturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts, begr. v. W. Braune, hrg. v. E. Beutler, Nr. 258–260), Halle a.S. 1928; eine Edition von Georg Rollenhagens ‚Tobias‘: Georg Rollenhagens Spiel von Tobias 1576, hrg. v. Johannes Bolte (Neudrucke deutscher Literaturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts, begr. v. W. Braune, hrg. v. E. Beutler Nr. 285–287), Halle a.S. 1930. 210 Richard Froning, (Hrg.), Das Drama der Reformationszeit, Stuttgart 1894. Als weiteres Stück bietet Froning das Drama Vincentius Ladislaus von Herzog Heinrich Julius von Braunschweig. 211 Arnold E. Berger, Die Schaubühne im Dienste der Reformation. Erster Teil (Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Reihe Reformation Bd. 5), Leipzig 1935.



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Im Gefolge dieser Ausgaben, die ein verstärktes Interesse am deutschen Drama und allgemein der deutschen Literatur der Reformationszeit dokumentieren, entstanden zahlreiche Forschungsarbeiten. Oft handelt es sich um motivgeschichtliche Studien.212 In vielen Arbeiten über das dramatische Wirken der Zeit wurde freilich oft nur die literarische Gestalt der Dramen, die dramatische Struktur oder die Form der Reime analysiert und bewertet. Dabei gelangten die Untersuchenden häufig zu negativen Urteilen über die literarische Qualität, stellten fest, dass die literarische Form des Dramas nicht erreicht worden sei, etwa weil eine bloß äußerliche Akteinteilung vorliege, aber keine wirklich dramatische Struktur. Solche Urteile waren eine zwangsläufige Folge dessen, dass man das antike Drama als Maßstab für die Bewertung der Dramen des 16. und 17. Jahrhunderts zugrunde legte. Als Beispiel sei das Urteil Erich Michaels über Martin Rinckharts Luther-Dramen in seinem Werk über den Dichter aus dem Jahre 1894 genannt – das Büchlein ist ein distinkter Beleg des durch die Veröffentlichung der Editionen einige Jahre zuvor angeregten Forschungsinteresses –, der feststellt: „... unser Dichter hat nicht vermocht, die dramatische Idee an Stelle der Historie zu setzen; ... er hat, da er nicht die Kraft in sich fühlte, innere Kämpfe zu schildern, uns nur die Handlung als solche gezeigt, nicht aber, was eigentlich dramatisch ist, ihr Werden. So haben wir in seinen Dramen eben nur dialogisierte Geschichte.“213 Noch 1935 äußerte Arnold E. Berger zu dem 1592 erschienenen Drama ‚Der calvinische Postreuter‘ von Georg Nigrinus, es sei „... lediglich eine theologische Streitschrift wider den Kalvinismus in missbräuchlicher dramatischer Einkleidung.“214 Derartige Urteile sind, sofern man ihre Voraussetzungen versteht, nicht völlig verfehlt; sie tragen allerdings nichts dazu bei, die Dramen angemessen wahrzunehmen und einzuordnen. Die spätere Forschung hat sich in Bezug auf solche Bewertungen Zurückhaltung auferlegt und den Grundsatz verfochten, dass die Dramen der Zeit aus ihren eigenen Vorgaben zu verstehen seien, insbesondere aus der Funktion, die sie nach Maßgabe der Autoren und Initiatoren erfüllen sollten. Entsprechend kamen sie zu anderen Auffassungen. Exemplarisch sei Erich Kleinschmidts Standpunkt zitiert: „Das 212 Genannt seien hier zu Joseph: Alexander von Weilen, Der ägyptische Joseph im Drama des 16. Jahrhunderts, Wien 1887; zu Esther: Rudolf Schwartz, Esther im deutschen und neulateinischen Drama des Reformationszeitalter, Oldenburg 1898; zu Tobias: August Wick, Tobias in der dramatischen Literatur Deutschlands, Heidelberg 1899; zu Judith: Otto Baltzer, Die dramatischen Bearbeitungen des Judith-Stoffes in der deutschen Literatur, Berlin 1930, Martin Sommerfeld, Judith-Dramen des 16./17. Jahrhunderts, Berlin 1933; zu Susanna: Robert Pilger, Die Dramatisierung der Susanna im 16. Jahrhundert, ZfdPh XI, 1880, S. 129–217; zum verlorenen Sohn: Hugo Holstein, Das Drama vom verlornen [!] Sohn, Halle a.S. 1880, Franz Spengler, Der verlorene Sohn im Drama des 16. Jahrhunderts, Innsbruck 1888, Adolf Schweckendiek, Bühnengeschichte des verlorenen Sohnes in Deutschland, Leipzig 1930; zum reichen Mann und armen Lazarus: Ernst Nahde, Der reiche Mann und der arme Lazarus im Drama des 16. Jahrhunderts, Borna 1928. 213 Erich Michael, Martin Rinckhart als Dramatiker, Leipzig 1894, S. 50. 214 Berger, a.a.O., S.11. Man vergleiche ferner sein Gesamturteil über die Autoren a.a.O., S.14.

68 Annäherungen Erscheinungsbild des frühneuzeitlichen Schauspiels ist in seiner grobschlächtigen Struktur aus seinem Funktionswillen kaum als defizitär zu beurteilen.“215 Die folgende Forschung ab dem zweiten Viertel des 20. Jahrhunderts konzentrierte sich entsprechend stärker auf die soziologische Einbettung und den institutionellen Rahmen des geistlichen Theaters. 1929 legte Johannes Maasen seine Studie zum Drama und Theater der Humanistenschulen in Deutschland vor.216 In ihr stellt er drei Größen, Reformation, Humanismus und Bürgertum als für das Zeitalter wirkmächtig heraus. Unter diesen sieht er das Bürgertum als den wichtigsten Faktor an, was auch für die Ausgestaltung des Dramas nach Maasen erhebliche Folgen hatte. Infolge der Indienstnahme von Humanismus und Reformation sei es zu einer Verbürgerlichung von Reformation und Humanismus gekommen mit der Konsequenz einer Dominanz praktischer Erziehungsziele.217 Stellt die Reformation, wie sie geschichtlich wirksam wurde, für Maasen einen bloßen Moralismus dar, insofern in ihr die Bibel als Gesetzbuch aufgefasst worden sei,218 so schildert er die Folgen der Dienstbarmachung des Humanismus in noch drastischeren Worten: Der Humanismus sei kleinbürgerlich, ins Schulmeisterliche umgebogen worden. Er sei, so gibt Sandro Giovanoli Maasen wieder, instrumentalisiert und auf kleine Münze geprägt worden und habe lediglich noch der Vermittlung von allgemeinen praktischen Lebensweisheiten und direkt anwendungsorientierten Kenntnissen gedient; das Kaufmannsdenken habe Einzug gehalten.219 Diesen Prozess erkennt Maasen auch in den Schuldramen, besonders bei der Wahl der Stoffe, unter denen solche am häufigsten herangezogen worden seien, in denen es um die Beziehungen der Menschen untereinander ging.220 Mit dem allem kann Maasen einen lediglich moralischen Zugang zum Schultheater der Zeit gewinnen. Zwar nennt er auch dezidiert geistliche Dramen, doch diese behandelt er entweder nur kurz oder er sucht umgehend moralische Inhalte in ihnen 215 Erich Kleinschmidt, Stadt und Literatur in der Frühen Neuzeit, Köln – Wien 1982, S. 217. 216 Johannes Maasen, Drama und Theater der Humanistenschulen in Deutschland, Augsburg 1929. 217 Vgl. a.a.O., S. 32. 218 A.a.O., S. 34: „Den Reformatoren aber und ihren Epigonen galt die Bibel als Gesetzbuch, als Sammlung von Vorschriften zu einem moralischen und sittlich einwandfreien Leben.“ 219 A.a.O., S. 28: „Und wie die tragende Schicht der Reformation die kleinbürgerliche war, so wurde auch der Humanismus ein Reservat des Bürgertums, die freie und hohe geistige und menschliche Bildung Dienerin zu kleinbürgerlichen Zwecken. [...] Das Werk Melanchthons, die Einigung von Reformation und Humanismus, muß also notwendig als eine Verbürgerung des Humanismus erscheinen, als eine Umbiegung ins Schulmeistertum...“ A.a.O., S. 32: „Besonderen Wert legt jene Zeit, dem bürgerlichen Wesen entsprechend, auf eine rein formale Bildung, die nicht als ein Mittel gilt, zur Wahrheit vorzustoßen, sondern als eine Erziehung auf das Praktische hin und auf das, was Erfolg bringt. So kommt es jenem Schulhumanismus wesentlich darauf an, die Rhetorik als die Möglichkeit, das öffentliche und private Leben zu beherrschen, besonders auszubilden.“ Vgl. a.a.O., S. 30, wo vom „Geist eines ausgeprägt rationalen und auf das kaufmännische beschränkten Denkens“ in Reformation und Schulhumanismus die Rede ist. – Zur Kritik an Maasen vgl. Sandro Giovanoli, Form und Funktion des Schuldramas im 16. Jahrhundert, Bonn 1980, S. 107ff. 220 Vgl. a.a.O., S. 76ff.



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verkörpert zu sehen. Die religiöse Bildung als solche blendet er nahezu völlig aus. Sofern er den Begriff des Religiösen oder Geistlichen aufnimmt, lenkt er sogleich auf das Feld der moralischen Bildung um, das für ihn die religiöse Bildung der Reformation darstellt.221 Bezeichnend ist, dass Maasen die geschichtlichen Dramen aus beiden Teilen der Bibel in seiner Klassifikation der religiöse Stoffe verarbeitenden Dramen völlig übergeht: Er nennt dort nur Dramentypen, die dem mittelalterlichen geistlichen Spiel entstammen, wie das Passions- und das Weihnachtsspiel, sowie Dramentypen humanistischer Provenienz, die besonders zur Vermittlung moralischer Lehrpunkte herangezogen wurden, wie die Jedermann-Dramen, die Dramen zum Gleichnis vom verlorenen Sohn und andere Parabelstoffe verarbeitende Dramen.222 Auf diese Weise vermag er der Intention der geistlichen Dramen im protestantischen Bereich in weiten Teilen nicht gerecht zu werden, zumal eine unverhohlene reformationskritische Haltung des Verfassers hinzukommt, die den Zugang zum protestantischen Drama verschließen muss. So spricht er immer wieder vom Individualismus, Subjektivismus und Intellektualismus der Reformation, dem einerseits das Mittelalter, andererseits das goldene Zeitalter des von der Reformation unbeeinflussten Humanismus gegenübergestellt wird.223 Was Maasen an dieser Stelle blockiert, ist, dass er zu stark von der Burckhardtschen Entgegensetzung von Renaissance bzw. Humanismus 221 So äußert Maasen, unmittelbar nachdem er S. 42 von der ‚Vermittlung und Art christlicher Lehre‘ auf der Bühne spricht, dass das vom reformatorischen Schulhumanismus geforderte Spiel eine Wirkung ethischer Art anstreben musste, dass jene Dichtung moralisch-sittliche Belehrung als ihr erstes Ziel angesehen habe (S. 43). Das Gleiche lässt sich S. 45ff beobachten, wo Maasen, ausgehend vom Begriff der pietas, zunächst von der „Belehrung über Gegenstände der Bibelverkündigung und -erklärung und der reformatorischen Dogmatik“, dann vom Drama als „Propagandamittel für die religiöse und sittliche Lehre der jungen protestantischen Kirche“ spricht, alsbald aber auf die ‚Vorschriften zum sittlich-moralischen Leben‘ hinüberlenkt und im Folgenden dann die Termini und Formulierungen: ‚Tugend‘, ‚bessern‘, ‚moralisierend-lehrhaft einwirken‘, fallen. Auch S. 77 erwähnt er in Hinsicht auf die religiösen Stoffe, dass das Spiel die Lehre des sola fide unterstützen und der moralischen Bildung dienen sollte, doch erscheint dies in den folgenden Ausführungen, abgesehen von der Reminiszenz an Naogeorg (S. 81), kaum. Statt dessen verweist er S. 82 auf die Bibel als das Buch, das praktische Anweisungen zum moralischen Leben gegeben hätte. Bei den anderen beiden, von ihm erkannten Stoffgruppen (Stücke, in denen es um die Ausbildung der Persönlichkeit geht, und solche, in denen die gegenseitigen menschlichen Beziehungen thematisiert werden) wird die dogmatische Dimension völlig ausgeblendet. 222 Vgl. a.a.O., S. 79ff. 223 Vgl. a.a.O., S. 25: „Die Lehre aus dem Wort aber ist der persönlichen Ueberzeugung und der Deutung des Individuums freigegeben. Die neue Religiösität [sic!] entwickelt sich zu einer autonomen, rationalistisch-intellektualistischen Form.“ A.a.O., S. 35, wird deutlich, dass Maasen der Auffassung ist, die Reformation habe „die Religion zur bloßen Erkenntnis herabgewürdigt“, die in Lehre und Eloquenz bestehe. Vgl. ferner S. 77–79. – Zur Wertung des Mittelalters durch Maasen vgl. S. 76ff. Wie Maasen dazu kommt, von der „mittelalterlichen Sicherheit der Erlösung der Welt und aller Kreatur“ (S. 77f.) zu sprechen, muss ein Rätsel bleiben. Zur Sicht des – ursprünglichen – Humanismus bei Maasen vgl. S. 25f. und S. 29.

70 Annäherungen und Reformation ausgeht. Indessen birgt seine Arbeit doch auch wichtige Ergebnisse, insbesondere was den Zweck des Schuldramas und seiner Aufführung betrifft. So stellt er neben den allgemein-pädagogischen Zwecken, der Förderung von pietas und eloquentia, die Bedeutung der institutionellen Verankerung für die Ausgestaltung und Zielsetzung des Schultheaters heraus. Wie Maasen ausführt, verfolgte man mit den Aufführungen, die ja auch die Feste der Schule umrahmten, den Zweck der Selbstdarstellung derselben mit dem Ziel der Werbung und der Einwerbung von Geldern für sie.224 Ebenso bildet es einen wichtigen Hinweis, dass in Aufführungen die Aufgaben des Stadtregiments Darstellung finden und diese Darbietungen gewissermaßen als Spiegel für die Obrigkeit, aber auch zu ihrer Unterstützung eingesetzt werden konnten.225 Schließlich bietet Maasen wichtige Informationen zu Anlässen und Zeiten von Aufführungen.226

b) Die neuere Forschung seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts Trotz einer Zahl von Einzelstudien, die in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg erschienen, nahm die Forschung in fast drei Dezennien keinen wirklichen Aufschwung.227 Die zeitlich nächstliegende Studie markiert ein Artikel von Genevieve Kelly aus dem Jahre 1973.228 Kelly hält eine Neueinschätzung des protestantischen Dramas aufgrund von dessen Leistung für überfällig.229 Als für die spezifisch deutsche Entwicklung des protestantischen Dramas ursächlich verweist sie auf die enge Verbindung von Humanismus und Reformation, von literarischen, erzieherischen sowie stilistischen Motiven und religiös-evangelistischen Motiven.230 Innerhalb des protestantischen Dramas unterscheidet sie zwischen satirisch-polemischem Theater, repräsentiert etwa von Manuel und Naogeorg, und Schultheater, das in Form des Bibeldramas neben und über der Kritik an der alten Kirche reformatorisch fundierte positive Aussagen zum familiären und öffentlichen Leben 224 Vgl. a.a.O., S. 40f. 53f. 60ff. 69f. 225 Vgl. a.a.O., S. 40. 226 Vgl. a.a.O., S. 54–60. 63ff. 70–74. 227 Vgl. Silvia Serena Tschopp, Art. ‚Reformationsdrama‘, RLW 3, S. 249. Die editorische Arbeit an neuen Ausgaben setzt freilich schon 1969 (Birck) ein, um kontinuierlich fortgesetzt zu werden: 1974 (Jos Murer); 1975 (Naogeorg). – Auf die in den siebziger Jahren diskutierte Frage nach dem nicht-aristotelischen, epischen Charakter des Dramas im 16. Jahrhundert und damit auch des protestantischen Dramas soll hier nicht näher eingegangen werden. Vgl. dazu oben im Teil A I 1 c), S. 16. Neuere motivgeschichtliche Forschungen waren z.B.: Hans Mayr, Die Estherdramen – ihre dramatische Entwicklung und ihre Bühnengeschichte von der Renaissance bis zur Gegenwart, Diss. Wien 1958; Paul F. Casey, The Susanna Theme in German Literature, Bonn 1976; Werner Brettschneider, Die Parabel vom verlorenen Sohn, Berlin 1978. 228 Genevieve Kelly, Theater and Theology in the German Reformation, LuthQ 25 (1973), S. 160– 175. 229 Vgl. a.a.O., S. 160. 230 Vgl. a.a.O., S. 163, 160f.



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formulierte. Im Dramen schreibenden Lehrer und Pfarrer erkennt Kelly das humanistische Ideal des „poeta scholar“.231 Bei den alttestamentlichen Dramen stellt sie eine Abkehr von der bei den Passionsspielen extensiv geübten typologisch-christologischen Interpretation hin zu einer erneuten Betonung der „moral interpretation“ fest.232 Zur Frage der Kontinuität des Dramas vertritt sie die Auffassung, dass die enorme dramatische Produktion des 16. Jahrhunderts doch den Regeln folgte, die sich zu Beginn der Reformation durchgesetzt hätten. Sie schließt ihren Beitrag mit der bemerkenswerten Aussage, die Reformationsdramatiker „include individuals and works enjoyable in themselves.“233 Eine für die inhaltliche Erforschung der protestantischen Dramen bedeutsame Arbeit stellt die Dissertation von Almut Agnes Meyer aus dem Jahre 1976 dar.234 Meyer hat sich intensiv mit dem in mehreren Dramen verarbeiteten heilsgeschichtlichen Stoff des Prozesses nach dem Sündenfall und dem damit verbundenen Stoff des ‚Streits der Töchter Gottes‘ beschäftigt. Dabei hat sie von den der Untersuchung zugrunde liegenden Dramen auch Verbindungen zum theologischen Denken der Zeit hergestellt. Ihre Arbeit hat zudem mehrere Forschungsergebnisse, die z.T. auch den gesamten Komplex des protestantischen Dramas betreffen, erbracht. Hauptaspekt ist der, ausgehend von Valentin (Valten) Voiths ‚Ein schÖn Lieblich Spiel / von dem herlichen ursprung: betrÜbtem Fal. Gnediger widerbrengunge. MÜseligem leben / Seligem Ende / und ewiger Freudt des Menschen‘ (1538) erkannte Zusammenhang von bildender Kunst, etwa der Darstellungen von Gesetz und Evangelium auf Altären protestantischer Kirchen, und geistlichem Drama, wobei die bildende Kunst die Gebende ist und das Drama das Empfangende.235 Dieser Einfluss von Bildern auf die Dramen, zu dem noch die Funktion der Dramen als Anrede an das Publikum hinzukomme, erkläre wiederum, so Meyer, die oft bemängelte Handlungsarmut der geistlichen Spiele.236 Ein weiteres wichtiges Resultat stellt die Erkenntnis der soziologischen Bedingtheit der Abfassung von geistlichen Dramen dar.237 Nach Meyer ist es häufig der Fall, dass ein Drama als eine Art Bewerbungsschreiben aufzufassen ist, mit dem sich der als Lehrer tätige Verfasser für die Verleihung einer attraktiveren Pfarrstelle bei seiner Obrigkeit empfehlen will. Diesem Ergebnis korrespondiert die ebenso bedeutsame Feststellung, dass entgegen bisheriger Sicht die lutherischen Höfe an Aufführungen geistlicher Dramen durchaus Interesse zeigten.238 Die genannte soziologische Bedingtheit 231 A.a.O., S. 171. 232 A.a.O., S. 174. 233 A.a.O., S. 175. 234 Almut Agnes Meyer, Heilsgewißheit und Endzeiterwartung im deutschen Drama des 16. Jahrhunderts. Untersuchungen über die Beziehungen zwischen geistlichem Spiel, bildender Kunst und den Wandlungen des Zeitgeistes im lutherischen Raum (Heidelberger Forschungen Heft 18), Heidelberg 1976. 235 Vgl. a.a.O., S. 235f. 236 Vgl. a.a.O., S. 236. 237 Vgl. a.a.O., S. 61. 117. 237f. 238 Vgl. a.a.O., S. 73 mit Anm. 49, S. 117. 129. 238f.

72 Annäherungen bietet darüber hinaus eine Erklärung für das Faktum, dass sich eine große Zahl von Menschen dem Schreiben von Dramen widmete, gleichzeitig aber immer wieder bestimmte Stoffe von diesen aufgegriffen wurden.239 Mehrfach arbeitet Meyer den Zusammenhang von Dramen mit der zeitgenössischen Theologie oder dem Zeitgeist heraus, der bestimmte Entwicklungen bei der Abfassung von Dramen bedingt habe. So habe die Verstärkung des juridischen Aspekts der Rechtfertigungslehre die Entstehung von Prozess-Dramen mit beeinflusst.240 Die Veränderung der theologischen Lage und des eschatologischen Gefühls habe bewirkt, dass sich die Funktion der Dramen von der Verkündigung des Evangeliums ab der Mitte des 16. Jahrhunderts zur katechetischen Unterweisung und schließlich ab dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts zur individuellen Ansage des Gerichts wandelte, im Vorgriff zur barocken ‚memento-mori‘-Vorstellung.241 Die leider zu wenig beachtete Arbeit Meyers bietet wichtige Impulse für die Weiterarbeit am protestantischen geistlichen Drama. Allerdings können auch Fragen an das Werk gerichtet werden. So betont Meyer in fast monokausaler Weise das Verhältnis von bildender Kunst und Drama. Völlig übergangen wird dabei von ihr der Zusammenhang mit der antiken Auffassung vom Drama, der sich etwa in der Bezeichnung eines Dramas als Spiegel manifestiert.242 Genauer herausgearbeitet werden müsste sodann das Verhältnis von Drama und Predigt:243 Kann man für das 16. und 17. Jahrhundert die Funktion der katechetischen Unterweisung derart von derjenigen der Predigt absetzen, wie Meyer das tut? Wie ist das Verhältnis von Predigt oder katechetischer Unterweisung zur Aufführung eines geistlichen Dramas genauer zu zeichnen? Hinter diesen Problemanzeigen steht aber im Grunde die weiterreichende Frage nach dem Verhältnis von Reformation und altprotestantischer Orthodoxie, danach wie stark hier wirklich eine Zäsur anzusetzen ist. Ein wichtiges Resultat für die gesamte weitere Forschung stellt ohne Zweifel die Erkenntnis dar, dass das Faktum der Abfassung von geistlichen Dramen oftmals zumindest auch soziologisch bedingt ist.244 Das Vorlegen eines gedruckten geistlichen Dramas dokumentierte die sprachlichen und literarischen Fähigkeiten des Verfassers sowie seine theologische Haltung respektive seine Rechtgläubigkeit, die ihn als für die Übernahme einer besser dotierten Pfarrstelle geeignet erscheinen ließen. Dies trifft für viele Autoren

239 Vgl. a.a.O., S. 237. 240 Vgl. a.a.O., S. 65. 150. 241ff. 241 Vgl. a.a.O., S. 226ff. 241ff. Während frühere Dramen die Heilsgewissheit betont hätten, warnten spätere vor der Gefahr falscher securitas; vgl. S. 159f. 168. 242 So weisen die bei Meyer, S. 236, gebotenen Belege (Vitus Garleben, Bartholomäus Krüger) eher auf antike Dramenauffassung als auf die bildende Kunst hin. 243 Meyer stellt S. 236 heraus, die Vorreden der Dramen betonten oft genug, dass Theater und Predigt die gleiche Funktion hätten. S. 240f. weist sie lediglich dem frühen reformatorischen Drama die Funktion der Predigt zu, die gegen Mitte des Jahrhunderts – analog der Entwicklung zur Orthodoxie – von derjenigen der katechetischen Unterweisung abgelöst worden sei. 244 Vgl. Meyer, a.a.O., S. 61.117.237f.



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mit ihren Dramen zu.245 Der Dramatiker Johannes Bertesius benennt dies in der Widmungsrede seines Hiob-Dramas, seines ersten Dramas von 1603, sogar explizit.246 Dies erklärt freilich noch nicht das Phänomen in Gänze und entbindet auch nicht davon, die Dramen selbst und die Vorstellungen ihrer Verfasser genauer zu betrachten. So gewiss dieser für viele Dramen geltend zu machende Hintergrund bedingt, dass in diesen keine lehrmäßigen Überraschungen zu erwarten sind – sie sollten ja gerade dazu dienen, die Orthodoxie des Verfassers zu dokumentieren –, so gewiss ist mit dieser Feststellung das Wesen des geistlichen Dramas und seine konkrete Gestalt, die auch durch individuelle Affinitäten des Verfassers bedingt ist, noch nicht erklärt. Folgende Fragen stellen sich: Welche Absichten hegten die Verfasser für die Zuschauer ihrer Dramen? Warum wurde überhaupt von ihnen die Gattung Drama gewählt? Warum kam es zu einer regelrechten Welle des Abfassens vor allem von Dramen durch Lehrer und Pfarrer? Wie kommen die Dramen im Gefüge von Predigt und Katechese zum Tragen? Welche Kerninhalte vermitteln sie? Wie kommt die reformatorische Theologie in ihnen vor? Wie wird diese verarbeitet, d.h. wie setzen die Verfasser sie in für Nicht-Theologinnen und Nicht-Theologen verstehbare dramatische Inhalte um? Schließlich stellt sich die Frage, ob in den Dramen eine Entwicklung erkennbar ist. Einen weiteren Schritt in der Forschung bedeutete die 1980 veröffentlichte Arbeit von Sandro Giovanoli zum Schuldrama im 16. Jahrhundert, in der besonders auch Schweizer Dramen und Autoren Berücksichtigung finden.247 Giovanolis Anliegen ist es, die Eigenständigkeit des Schuldramas herauszuarbeiten, das gattungsgeschichtlich etwas völlig Neues und Eigenständiges darstelle und weder aus dem mittelalterlichen Spiel noch aus dem humanistischen Drama ableitbar sei.248 Als Ursache für die als defizitär erkannte bisherige Sicht macht Giovanoli eine Haltung namhaft, welche die Zeit von Renaissance, Reformation und Humanismus in literarischer Hinsicht als bloße Zwischenepoche zwischen Mittelalter und Barock ohne jeden Eigenwert einordne.249 Das von ihm als Größe sui generis wahrgenommene Schuldrama definiert er wie folgt: „Man bezeichnet damit jene vorwiegend lateinischen, später auch deutschen Stücke, die unmittelbar aus dem Lateinunterricht der Schule hervorgingen: nach antikem Vorbild von literarisch Gebildeten, meist 245 Ein Beispiel ist der bei Goedeke, Grundriß Bd. 2, S. 373, erwähnte Andreas Cotta, der als Kandidat der Theologie im Jahre 1604 auf Schloss Colditz vor der Kurfürstin Sophie eine Komödie Esther zur Aufführung brachte und danach ein Diakonat in Colditz erhielt. Einer weiteren Aufführung 1612 folgte die Übernahme eines Pfarramtes in Hartha. 246 Vgl. Johannes Bertesius, Hiob Tragicomoedia, Jena 1603, der in der Widmungsrede, A 3a äußert: Um Beförderung zu erlangen, sei der Gebrauch entstanden, dass man großen Herrn, Fürsten, Adelspersonen und anderen, die potestas promovendi hätten, ein Beweis (specimen) ihres Fortschritts oder ihres ingenium widme. Auf diese Weise sei es billig, sich auf diese oder andere gebührliche Weise um Beförderung zu bewerben. Auch das vorliegende Werk sei in solcher Weise zu sehen. 247 Vgl. Sandro Giovanoli, Form und Funktion des Schuldramas im 16. Jahrhundert, Bonn 1980. 248 Vgl. a.a.O., S. 10. 249 Vgl. a.a.O., S. 73. 41.

74 Annäherungen den jeweiligen Lehrern, verfasst, im Unterricht eingeübt und hernach von den Schülern aufgeführt, oft mit biblischer Stoffvorlage und mit betont lehrhaft-gegenwartskritischer Haltung...“250 Entsprechend dieser Definition, die den Zusammenhang mit dem Unterricht, das antike Vorbild und die pädagogische Intention hervorhebt, führt Giovanoli im Verlauf seiner Arbeit verschiedene Kennzeichen dieses Genus zunächst allgemein, dann anhand von Rudolf Gwalthers ‚Nabal‘ auf. So hebt er hervor, wie sich die Vorbildlichkeit der Komödien des Terenz in den Dramen widerspiegele, etwa in der Aktgliederung oder der Herbeiführung von Entscheidungen durch Beratungsszenen.251 Darüber hinaus konstatiert er freilich auch die Vielgestaltigkeit des Schuldramas hinsichtlich von Form und Inhalt.252 Den Übergang in die Volkssprache sieht Giovanoli im Selbstverständnis des Bürgertums begründet, das in Bezug auf seine Situation in politischer, sozialer und moralischer Hinsicht Analogien zum dargestellten Römertum wahrgenommen und für sich die Form des antikisierenden Rollenspiels entdeckt habe.253 Bei dieser Studie stellt sich die Frage nach der Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse, denen sehr stark schweizerische Verhältnisse zugrunde liegen. So dürfte sich die Benutzung der Volkssprache im deutschen Sprachraum außerhalb der Schweiz doch einer anderen Ursache verdanken und etwas mit den Intentionen des zumeist die Dramen hervorbringenden und tragenden Kreises der Pfarrerschaft zu tun haben; dies bedarf aber noch näherer Untersuchung. Einen gewichtigen Beitrag zur Erforschung des protestantischen Dramas leisteten auch amerikanische Germanisten wie der bereits erwähnte Wolfgang F. Michael sowie James A. Parente jr. und daneben Richard Erich Schade.254 Michael gab 1984 einen Überblick über das gesamte dramatische Schaffen der Reformationszeit im deutschen Sprachraum bis zum Tode von Hans Sachs (1576).255 Das Werk folgt weithin einer geographischen und zeitlichen Gliederung und bietet eine gründliche Untersuchung der

250 A.a.O., S. 8f. 251 Vgl. a.a.O., S. 10f. 13ff. Für Gwalthers Nabal vgl. S. 48f. 66f. 90f. 101f. 252 Vgl. a.a.O., S. 18. Diesen Befund stellt er anhand der in Zürich aufgeführten Dramen dar; vgl. S. 20–27. 253 Vgl. a.a.O., S. 32. 254 Vgl. James A. Parente, Martyr Drama of the German Renaissance, Diss. PhD Yale 1979; Ders., Religious Drama and the Humanist Tradition, Leiden – New York 1987; Richard Erich Schade, Studies in early German comedy 1500–1650, Columbia 1988. Schade, der in der Folgezeit besonders zu Frischlin arbeiten wird (s. Literaturverzeichnis), hatte bereits zuvor Beiträge zu dramatisch arbeitenden lutherischen Pfarrern veröffentlicht: R.E.S., Martin Böhme (1557–1622). The Lutheran Pastor as Writer, Diss. Yale Univ. 1976; Ders., Martin Böhme and Ludwig Hollonius. Lutheran Apologists for Drama, Modern Language Notes 92 (1977), S. 583–594. Hier geht er insbesondere auf die Motive der Pfarrer für ihre poetologischen Interessen und die Argumente zur Verteidigung derselben ein. 255 Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern – Frankfurt a.M. – Nancy – New York 1984.



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Quellen.256 Es zeigt die Fülle der Autoren auf und führt das sie prägende Umfeld vor Augen. Mit ihm ist heute ein für die Forschung unentbehrliches Instrumentarium gegeben. Nach einer ersten Arbeit über das Märtyrerdrama in der deutschen Renaissance aus dem Jahre 1979 widmete sich Parente in einer 1987 erschienenen Studie der Frage nach dem Einfluss des Humanismus auf das geistliche Drama in beiden Konfessionen und untersuchte die literarischen, theologischen und pädagogischen Ziele, die sich geistliche Dramatiker gaben.257 Dabei geht er bewusst über die Reformationszeit hinaus und lockert die Grenze zwischen Renaissance- und Barockdrama.258 Das humanistische Vertrauen in die Natur des Menschen, in seine Vernunft und Bildungsfähigkeit sieht er in grundsätzlichem Widerstreit mit der christlichen Auffassung von der Erbsünde, was insbesondere für protestantische Dramatiker naturgemäß eine Problematik dargestellt hätte, obgleich diese den Autoren oftmals nicht bewusst gewesen sei.259 Parente kommt zu dem Ergebnis, dass für das geistliche Drama eine Überordnung der Moral über die Theologie zu statuieren sei: Die grundsätzliche Überzeugung von der Erziehungsfähigkeit habe dazu geführt, alle theologischen Auffassungen herunterzuspielen, die diese Auffassung hätten unterminieren können.260 Angesichts dieser Analyse gilt es vielleicht weniger zu prüfen, ob der von Parente erkannte, definitiv vorliegende Widerspruch zwischen humanistisch gegründetem Vertrauen auf die menschlichen Kräfte und reformatorisch begründeter Anthropologie den akademisch ausgebildeten Verfassern tatsächlich entgangen ist, als vor allem die in den Dramen zum Ausdruck kommende Theologie zu betrachten: Inwieweit war diese der Reformation verpflichtet und von ihr geprägt? Inwieweit suchten die Autoren neben moralischer auch religiöse und theologische Bildung zu vermitteln? Es stellt sich die Frage, ob nicht doch die Moral von der Theologie bestimmt wird, statt umgekehrt die Theologie von der Moral beschränkt. Dies führt letztlich zu dem immer wieder erörterten Komplex des Verhältnisses von Humanismus und Reformation, ein Punkt, der hier nicht vertieft werden kann. Gerade das protestantische Drama belegt ohne Zweifel eine Verbindung beider Größen bis in das 17. Jahrhundert hinein, die unter dem Titel des – freilich nur in der deutschen Forschung aufgenommenen Begriffs des – Späthumanismus sicher noch weiterer vertiefender Untersuchungen bedarf.261 256 Nach einem Abschnitt über den ‚Ersten Einsatz‘ des Dramas folgen längere Teile über Wittenberg, sodann über den Südwesten (Schweiz und Elsass mit Straßburg). Es folgen die Teile zu Österreich, der ‚Welt um Hans Sachs‘ – hier behandelt er u.a. Sebastian Wild, Martin Balticus und Petrus Meckel – und Nürnberg, wo Leonhard Culmann und Peter Probst Berücksichtigung finden. Hans Sachs ist ein eigener letzter Abschnitt gewidmet. Altgläubig-katholische Autoren werden mit behandelt. 257 Vgl. Parente, Religious Drama, S.5. 258 Vgl. ebd. 259 Vgl. a.a.O., S.87ff.. 260 Parente, a.a.O., S. 93. 261 Zum Begriff des Späthumanismus vgl. Notker Hammerstein – Gerrit Walther (Hrgg.), Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche, Göttingen 2000. – Der Be-

76 Annäherungen Seit den achtziger Jahren widmete sich die Forschung verstärkt der Frage nach den Auswirkungen der Reformation und darin insbesondere des Denkens Luthers auf die Gestaltung des geistlichen Dramas. Zum einen sind hier die Arbeiten der Frankfurter Germanistin Barbara Könneker zu nennen. Könneker hat sich mit verschiedenen Fragen des Themas befasst, so mit dem immer wieder verhandelten Verhältnis Luthers zum geistlichen Drama, einer Frage, der sie anhand des Dramenautors Bartholomäus Krüger nachging.262 Des Weiteren suchte sie mit einer Analyse von Joachim Greffs Osterspiel den Wandlungsprozess von geistlichem Spiel zum protestantischen Drama nachzuzeichnen.263 Dabei zeigt sie charakteristische, durch Luthers theologischen Neuansatz bedingte Modifikationen der dramatischen Struktur auf. In ihrer Studie zu Krüger kommt Könneker zu dem Ergebnis, dass Luthers Einfluss auf das protestantische Drama sich nicht auf eine bloße Übernahme von Stoffen oder eine Proklamation seiner Lehre beschränke, sondern zu einer Neustrukturierung der theatralen Darbietungsformen geführt habe.264 Durch Luther habe sich für das geistliche Drama des Protestantismus ein Konzept durchgesetzt, nach dem das Theater der Aneignung des Glaubens und nicht dem bloßen Schauen dienen sollte. Ferner sollte es in die Welt einweisen, wo der Glaube zu bewähren sei, unter Einschluss des Verhältnisses zum Nächsten. Als weitere Folge des Neuansatzes erkennt sie in Krügers Stück, dass im Gegensatz zum geistlichen Spiel, in dem die Zuschauer in passiver Schau verblieben, hier ihre Aktivität gefordert werde, sie gefragt seien, ihren Standort in ihrer Gegenwart bestimmen können und sich im Ange-

griff – Kaspar von Greyerz verwendet ihn etwa bei seiner Behandlung der stärker zum reformierten Denken neigenden höheren höfischen Beamten; vgl. Religion und Kultur, S. 120 – findet im Folgenden keine Verwendung. Der Blick soll unabhängig von einer derartigen Einordnung auf das Phänomen des geistlichen Dramas im 16. und frühen 17. Jahrhundert gelenkt werden. 262 Vgl. Barbara Könneker, Luthers Bedeutung für das protestantische Drama des 16. Jahrhunderts. Geschichte und Heilsgeschichte in Bartholomäus Krügers Newer Action von dem Anfang und Ende der Welt, Daphnis 12 (1983), S. 545–573. – Zum Verhältnis Luthers zum geistlichen Drama vgl. Thomas I. Bacon, Martin Luther and the drama, Amsterdam 1976; Andrea Seidel, Luther und das protestantische Schauspiel, in: Martin Luther in der Kulturgeschichte. Der soziale Raum von Martin Luthers Wirken. Protokolle des Wissenschaftlichen Kolloquiums am 08.06.1996 in der Lutherstadt Eisleben und am 09.11.1996 in Hettstedt, S. 35–44, bes. S. 35ff., 41ff; Siegfried Bräuer, „Seht, lieben Leut’, kehrt euch daran...“. Evangelisches Leben auf die Bühne gebracht, in: „Laßt uns aufs Neue wieder anfangen, schreiben, dichten, reimen, singen, malen.“ Die Reformation und die Künste. Wittenberger Sonntagsvorlesungen, hrg. v. Evangelischen Predigerseminar, Wittenberg 2003, S. 79–102, bes. S. 82ff. 263 Vgl. Könneker, „Wold ihrs den nicht schir gleuben do?“ Joachim Greffs protestantisches Osterspiel, Daphnis 23 (1994), S. 309–344. – Greff wurde in den letzten Jahren stärkere Aufmerksamkeit zu Teil; vgl. die leider nicht veröffentlichte Dissertation von Andrea Seidel, Joachim Greff und das protestantische Schauspiel, und Dies., Luther und das protestantische Schauspiel, S. 38ff. Nach Könneker, a.a.O., S. 309f., ist eine Neuausgabe der Dramen Greffs in Halle geplant. 264 Vgl. Könneker, Luthers Bedeutung, S. 572.



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sicht des Kampfes zwischen Gott und Teufel zu entscheiden.265 Schließlich sei ein Kennzeichen, dass sich das sinnvermittelnde Wort nicht auf das Einfühlungsvermögen, sondern auf das Erkenntnis- und Urteilsvermögen der Zuschauer richte.266 In ihrer Untersuchung des Greffschen Osterspiels beschreitet Könneker diesen Weg weiter. Sie stellt fest, dass der Bühne im protestantischen Drama bei nur geringen Konzessionen an die Schaulust die gleiche Funktion wie der Kanzel zukomme.267 Darüber hinaus arbeitet sie tiefgreifende Veränderungen gegenüber der Gestaltung des geistlichen Spiels heraus. So begrenze Greff die Darstellung auf die geschichtliche Welt und die irdisch-menschliche Ebene, auf den Raum, in dem geglaubt oder nicht geglaubt wird. Die heilsgeschichtlichen Ereignisse selbst, als selbst redende Vorgänge, kämen dagegen nicht auf die Bühne; sie würden vielmehr in eine klar vernehmbare Botschaft aufbereitet.268 Zweifellos markieren die Arbeiten Könnekers einen erheblichen Fortschritt in Fragestellung und Lösungsansätzen, ein Weg, den es weiter zu verfolgen gilt. Zum andern hat sich die Germanistin Waltraud Timmermann der Frage nach dem Verhältnis von Drameninhalten oder einzelnen Dramenaussagen mit reformatorischen Ideen gewidmet, eine Aufgabe, die sie anhand der Dramen Paul Rebhuns anging.269 Dabei geht sie davon aus, dass das Theater der Reformation primär als Medium religiöser Belehrung galt.270 Aufgrund von Rebhuns Tätigkeitsfeldern schließt sie, dass er sich der Aufgabe der Konsolidierung der reformatorischen Lehre durch Erziehung und Seelsorge verschrieb.271 Diese Intention entdeckt sie auch in Rebhuns Dramen, die sie weniger im Kontext des Schuldramas verortet als vielmehr in seine Bemühungen um die religiöse Belehrung der gesamten Gemeinde einordnet.272 In materialer Hinsicht kommt Timmermann für Rebhuns Drama Susanna zu dem Ergebnis, dass der Verfasser darin Aspekte aus Luthers Dreiständelehre zu vermitteln suche, genauer, zu lehren beabsichtige, wie sich das Subjekt in der oeconomia und der politia verhalten solle.273 Während im ersten Akt unter Deklamation der positiven reformatorischen Sicht der Ehe das Ideal des christlichen Hausstands vorgestellt werde, seien die weiteren Akte besonders mit der Frage des Erleidens von Unrecht und des Verhaltens im Falle von Übertretung göttlicher Gebote durch die Obrigkeit befasst. Der Ton liege dabei deutlich auf der Passivität und Leidens265 Vgl. a.a.O., S. 555. 567. 569f. 571. 266 Vgl. a.a.O., S. 571. 267 Vgl. Könneker, Greff, S. 322. 268 Vgl. a.a.O., S. 326. 343. Greffs Osterspiel setzt erst ein, wo das traditionelle Osterspiel aufhört. Weder die Höllenfahrt noch die Auferstehungsszene, aber auch nicht die Apostelszene mit der Verkündung der Auferstehung werden vorgeführt; vgl. a.a.O., S. 324ff. 269 Waltraud Timmermann, Theaterspiel als Medium evangelischer Verkündigung, AKuG 66 (1984), S. 118. 270 Vgl. a.a.O., S. 122. 271 Vgl. ebd. 272 Vgl. a.a.O., S. 125. 273 Vgl. zum Folgenden a.a.O., S. 129ff.

78 Annäherungen bereitschaft als dem rechten christlichen Verhalten.274 Das Drama ‚Hochzeits Spiel‘ über die Hochzeit zu Kana ist nach Timmermann eine Verteidigung der Ehe als gottgefälligem Stand gegenüber der Niedrigschätzung der Ehe durch die Altgläubigen.275 Der dritte Akt biete eine „komplette Ehelehre“276. Intensive inhaltliche Übereinstimmungen erkennt Timmermann mit Luthers Schrift ‚Vom ehelichen Leben‘. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Gesamtkonzeption der Dramen an reformatorischen Gedanken ausgerichtet ist. Inhaltlich gehe es dabei um das Leben der Christen in den verschiedenen weltlichen Bezügen. Rebhun versuche nun nicht nur Verhaltensweisen einzuschärfen, sondern auch deren Grund in der reformatorischen Lehre aufzuweisen und seinen Zuhörern zu vermitteln. Qualitativ sei das Leben der Christen durch die Gestalt von Leiden und Kreuz geprägt. Damit ergibt sich für die Funktion des Dramas bei Rebhun, dass es der Tröstung der Glaubenden dienen solle.277 Als Trost wird auf die göttliche Verheißung und auf die im Glauben erfahrene Gewissheit der Aufhebung des Leidens im göttlichen Heilshandeln verwiesen.278 Timmermanns exemplarische Studie stellt im Hinblick auf die hier anzugehende Aufgabe einen wesentlichen Fortschritt dar, als sie die Frage nach der Beeinflussung von Dramen durch reformatorisches Gedankengut und nach der theologischen Intention der Dramen aufwirft und für Rebhun überzeugend beantwortet, wenn sie die seelsorgliche Motivierung seiner Dramen herausstellt. Was nicht wirklich in der Untersuchung deutlich wird, ist die Frage, aus welchem Grunde Rebhun die Gattung Drama wählte, zumal er auch die Gattung der katechismus- bzw. predigtartigen Schrift zur Umsetzung seiner Anliegen heranzog. Siegfried Bräuer war der erste Theologe, der sich nach Jahrzehnten wieder dem geistlichen Drama der Reformation, insbesondere im Umfeld Wittenbergs gewidmet hat. Dabei bildet die Frage nach dem Verhältnis von Reformation und Dichtung den Hintergrund seiner Bemühungen. Ausgehend von dem theologischen Wandel von der mittelalterlichen Anschauung zur reformatorischen Anrede, die dem Drama neue Möglichkeiten geboten habe, untersucht Bräuer in einem Artikel mehrere Dramen sächsischer Dramatiker: Paul Rebhun, Hans Ackermann, Johann Krüginger und Johann Narhamer.279 Besonders interessiert ihn die Intention der Autoren. Wiewohl er die Konzentration auf die ethischen Konsequenzen der Rechtfertigungslehre, das angemessene Verhalten im jeweiligen Stand für das sächsische Bibeldrama für dominant erachtet – hier habe der um den evangeliumsgemäßen Aufbau der Gemeinde bemühte Rebhun prägend gewirkt280 –, vermag er auch 274 Vgl. a.a.O., S. 136. 275 Vgl. zu diesem Drama a.a.O., S. 145ff. 276 A.a.O., S. 152. 277 Vgl. a.a.O., S. 156f. 278 Vgl. a.a.O., S. 158. 279 Siegfried Bräuer, Die Reformation und die Dichtung, in: Helmar Junghans (Hrg.), Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen, Leipzig 20052, S. 177–190; zum Drama S. 182–189. 280 Vgl. a.a.O., S. 183f.



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andere Tendenzen in der Zielsetzung der Autoren zu erkennen, wie einen Ansporn zum Glauben zu geben, Polemik gegen die altgläubige Werkgerechtigkeit zu üben, zur Bewältigung von Trübsal und Anfechtung beizutragen oder Kritik an obrigkeitlichem Verhalten zu formulieren. Für die spätere Zeit bemerkt er eine Renaissance des Tendenzdramas zur Abwehr calvinistischer Tendenzen und zur Parteinahme im innerlutherischen Streit.281 Zu der Frage einer Entwicklung des Dramas konstatiert er zwar eine Wiederkehr des Jüngsten Gerichts in Dramen der siebziger Jahre des 16. Jahrhunderts aufgrund des vorherrschenden Endzeitbewusstseins, notiert zugleich aber auch, dass bei den zugrunde gelegten biblischen Themen im albertinischen Sachsen keine wesentliche Veränderung zu beobachten ist.282 In einem weiteren grundsätzlichen Beitrag behandelt er nach einem Überblick über das Verhältnis von Kirche und Theater und die Haltung Luthers zum Schauspiel wiederum das Bibeldrama einiger, mit Luther und der Wittenberger Reformation verbundener Autoren wie Rebhun, Greff und Krüginger. Zum Zwecke der Vertiefung analysiert er im Anschluss Krügingers Drama über Johannes den Täufer. Den Abschluss bildet ein Ausblick über das geistliche Theater in Wittenberg mit einem Schwerpunkt auf der Reformationsfeier 1617.283 Bräuers Forschungen belegen, dass das protestantische Drama hinsichtlich der hinter ihm stehenden Zielsetzungen durchaus von einer gewissen Vielgestaltigkeit ist, ein Eindruck, der sich vermutlich noch verstärken wird, lenkt man den Blick über die sächsischen Gebiete hinaus. Virulent bleibt ferner die Frage der weiteren Entwicklung des protestantischen Dramas, genauer inwieweit hier stärkere Modifikationen zu registrieren sind. Dies gilt zumal, da die von Bräuer näher analysierten Dramen in dem engen Zeitraum von 1535 bis 1546 abgefasst sind. Der besonders auf dem Gebiet des Jesuitentheaters arbeitende Germanist Fidel Rädle hat sich in einer vergleichenden Studie auch mit dem protestantischen Drama befasst, wobei er sich allerdings auf die lateinischen Dramen beschränkt.284 Rädle grenzt das Jesuitendrama gegen das protestantische lateinische Drama ab, indem er als Propria des ersteren benennt, dass es erstens statt nur von der Schrift kontrollierte Glaubenslehre zu bieten, auf dem Hintergrund der ständigen Möglichkeit, mit der jeweiligen Entscheidung das Heil zu verfehlen, die Frage der Lebensführung des einzelnen ins Zentrum stelle und dass es zweitens kontrolliert und gezielt Elemente der Komik einsetze.285 Hinzu komme die „innere Geräumigkeit des Jesuitentheaters“ mit dem starken Einsatz theatralischer Mittel entsprechend der, die Inanspruchnahme der Sinne fordernden Konzeption des Ignatius 281 Vgl. a.a.O., S. 188. 282 Vgl. ebd. 283 Ders., „Seht, lieben Leut’, kehrt euch daran ...“. Evangelisches Leben auf die Bühne gebracht, in: „Laßt uns aufs Neue wieder anfangen, schreiben, dichten, reimen, singen, malen.“ Die Reformation und die Künste. Wittenberger Sonntagsvorlesungen, hrg. v. Evangelischen Predigerseminar, Wittenberg 2003, S. 79–102. 284 Fidel Rädle, Theater als Predigt. Formen religiöser Unterweisung in lateinischen Dramen der Reformation und Gegenreformation, RoJKG 16 (1997), S. 41–60. 285 Vgl. a.a.O., S. 57. 58.

80 Annäherungen von Loyola.286 Im Umkehrschluss heißt das, das protestantische lateinische Drama ist charakterisiert durch die korrekte Wiedergabe der Glaubenslehre, während die Frage der Lebensführung lediglich im Hintergrund steht, sowie dadurch, dass das Komische in der Konzeption seiner Autoren keinen Platz hat. Darüber hinaus implizieren diese Ausführungen für das protestantische geistliche Drama einen Mangel an Einsatz theatralischer Elemente. Rädles Beitrag zeigt zunächst, wie dringlich die Bearbeitung auch der deutschen protestantischen Dramen ist, denn durch die Beschränkung der Betrachtung auf die – auch zahlenmäßig geringeren – lateinischen Dramen besteht die akute Gefahr einer Verzeichnung des Gesamtbildes des protestantischen Dramas, insofern es nahe liegen muss, von den humanistisch geprägten und damit in den Augen der Zeit vorbildlichen lateinischen Dramen unversehens auf die deutschen Stücke und das Gesamtcorpus der protestantischen Dramen zu schließen. Genau das muss aber geprüft werden, ob ein solcher Schluss legitim ist. Obwohl man erst nach der Analyse von Dramen hier zu einem begründeten Urteil wird gelangen können, lässt sich bereits an dieser Stelle sagen, dass zumindest Teile der Urteile Rädles problematisch sind. Schon eine Übersicht über die Dramatisierungen biblischer Geschichten – darin, dass diese Stücke zweifelsohne von der Bibel Kontrolliertes bieten, hat Rädle sicherlich Recht, wiewohl in ihnen auch von der jeweiligen biblischen Geschichte nicht Berichtetes oder nicht direkt Gedecktes zur Darstellung kommt – zeigt, dass es in ihnen auch um die Lebensführung des einzelnen geht, so gewiss Rädle in Bezug auf das Jesuitentheater sicher zuzustimmen ist, dass die „Unendlichkeit möglicher Fälle von heilsrelevanter freier Willensentscheidung“ auf der Bühne eine ebensolche Unendlichkeit von Geschichten und Themen bewirkt.287 In Hinsicht auf den Einsatz von Komik ist zu fragen, ob die Dramatik Naogeorgs mit ihrer satirischen und aggressiven Komik wirklich repräsentativ für das protestantische Drama ist.288 Wenn Rädle statuiert, das protestantische lateinische Drama sei nur auf Polemik angelegt gewesen und habe überhaupt nur in solch polemischer Negation existieren können, da es das reine Evangelium ohne den Motor der Polemik auf der Bühne schwer habe und daher derselben bedürfe,289 weil es schwierig sei, die positive protestantische Lehre auf der Bühne darzustellen,290 dann liegt der Verdacht einer petitio principii nahe. Der 286 Vgl. a.a.O., S. 56f. 287 Vgl. a.a.O., S. 57. 288 Vgl. a.a.O., S. 58. 289 Vgl. a.a.O., S. 50. Vgl. sein Urteil S. 49, das „unschuldige Bibeldrama“ sei den Anforderungen der Zeit nicht gewachsen gewesen. In diesem Zusammenhang charakterisiert er das protestantische Bibeldrama dahingehend, dass es „lediglich eine versinnlichte dramatische Nacherzählung von Geschichten des Alten und des Neuen Testaments“ geboten habe. 290 Rädle, Formen der Wertekontrastierung im lateinischen Drama der Frühen Neuzeit, in: Meier – Meyer – Spanily (Hrgg.), Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Münster 2004, S.  276 (Hervorhebung von Rädle): „Die positive protestantische Lehre des Evangeliums auf der Bühne darzustellen, erwies sich als wesentlich schwieriger, da sie für dramatische Aktion wenig Möglichkeiten bot.“ Diese These wird leider nicht näher erläutert.



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Beweis dafür, dass es schwierig sei, die evangelische Lehre als solche dramatisch darzustellen, müsste erst erbracht werden. Es gibt, wie sich zeigen wird, protestantische lateinische und deutsche Dramen, die protestantische Propria in unaufgeregter Weise zur Darstellung bringen. Umgekehrt kann gegenüber der These, dass das protestantische lateinische Drama verschwand, weil es nur mit Polemik existieren konnte, auf diese aber im Laufe der Zeit verzichtet wurde, geltend gemacht werden, dass erstens, wenn auch in geringerem Maße, ebenso in der Folgezeit lateinische Dramen begegnen und dass zweitens die konfessionelle Polemik auch in späterer Zeit ein wichtiges Element mancher protestantischer Dramen ist. Auf beides wird noch einzugehen sein. Gewiss hat Rädle insgesamt gesehen Recht, wenn er äußert, dass das protestantische Drama „unmittelbar aufklärend auf das Volk einwirken wollte“, die Verwendung der lateinischen Sprache aber die angestrebte Kommunikation mit dem Volk erschwerte, so dass das lateinische Drama als Propagandamittel keine Zukunft gehabt habe.291 Um so dringlicher müsste dann aber die Frage gestellt werden, warum das Jesuitentheater das Lateinische nicht zur Disposition stellte und inwieweit diese Entscheidung tatsächlich erfolgreich war. 1998 befasste sich Glenn Ehrstine anhand von Voiths ‚Lieblichem Spiel‘ mit dem protestantischen Drama.292 In Diskussion mit dem Ansatz Almut A. Meyers führt er aus, dass Voith sein Stück als ein „living ‚Merkbild‘“, das bildlichen Darstellungen durch seine Inszenierung auf der Bühne überlegen sei, verstanden habe, eine Auffassung, in der ihm auch andere Autoren gefolgt seien.293 Die Verfasser der Dramen forderten, so Ehrstine, in Rekurs auf Luther für ihre Stücke von den Zuschauern eine aktive Rolle294 bzw. – hier überträgt Ehrstine eine von Robert Scribner für das reformatorische Bildverständnis entwickelte Terminologie auf das Drama – einen ‚theologischen Blick‘295, der weniger auf Emotionen als auf intellektuelle Verarbeitung ziele. Sie hätten ihrem Publikum verdeutlicht, dass sie für die Aufführung keinerlei sakramentale Kraft reklamierten, konträr zu der weithin verbreiteten rezeptionsästhetischen Haltung gegenüber den geistlichen Spielen.296 Als Ursache der Beliebtheit des geistlichen Dramas im Protestantismus, des Phänomens der ‚Spielwut‘, vermutet Ehrstine, dass die Herabsetzung anderer visueller Ausdrucksweisen nach einer Kompensation verlangt habe. Angesichts des in der Zeit vorherrschenden Vertrauens auf den sinnlichen Zugang, so Ehrstine, wäre es töricht gewesen, sich protestantischerseits allein auf das Wort als Mittel zur Verbreitung der Botschaft 291 Rädle, Theater als Predigt, a.a.O., S. 53. 292 Glenn Ehrstine, Seeing is believing. Valten Voith’s Ein schön Lieblich Spiel von dem herlichen ursprung (1538), Protestant „Law and Gospel“ Panels, and German Reformation Dramaturgy, Daphnis 27 (1998), S. 503–537. 293 Vgl. a.a.O., S. 516. 537. 294 Vgl. a.a.O., S. 522. 295 Vgl. a.a.O., S. 507, zum Begriff des „theological gaze“ S. 505. Der Terminus entstammt Robert Scribner, Popular Piety and Modes of Visual Perception in Late-Medieval and Reformation Germany, JRH 15 (1988/89), S. 464. 296 Vgl. Ehrstine, a.a.O., S. 530.

82 Annäherungen zu verlassen.297 2002 legte Ehrstine eine auf einer älteren Arbeit basierende ausführliche Studie vor, in der er der Rolle des Theaters im Bern der frühen Reformationszeit nachging.298 In diesem Rahmen untersucht er die reformatorisch geprägten Fastnachtspiele Niklaus Manuels und die geistlichen und biblischen Dramen des Hans von Rüte, verfolgt also die Entwicklung des dortigen reformatorischen Dramas von den Anfängen bis 1555. Einen Schwerpunkt in seiner Studie legt Ehrstine auch auf die Einflüsse des Rates, dessen Interessenlage in Hinsicht auf das Theater und insbesondere auf die in ihm zum Ausdruck gebrachte Polemik von den wechselnden politischen Umständen abhing. Für das Berner geistliche Drama erkennt er einen Durchlauf von vier Phasen, deren erste sich durch eine antirömische, aber noch nicht reformatorische Haltung auszeichne und deren letzte durch einen Verzicht auf Polemik gegen den alten Glauben gekennzeichnet sei, einmal infolge des zweiten Kappeler Krieges und der mit diesem entstandenen konfessionellen Pattsituation, zum andern aufgrund der Intention, die Praxis des alten Glaubens vergessen zu lassen – nicht unähnlich der triumphalistischen Phase des Jesuitentheaters in entgegengesetzter Richtung. Nachdem bereits zu Beginn der Studie das Verhältnis der Reformatoren zum geistlichen Theater betrachtet wurde, setzt Ehrstine den Werdegang Niklaus Manuels vom Maler zum Dramatiker als geradezu paradigmatisch für die Kunstauffassung der frühen Schweizer Reformation. Das geistliche Theater sei zum alternativen Medium visueller religiöser Unterweisung geworden.299 Ehrstine stuft es als engen Verwandten des reformatorischen Flugblatts ein.300 Es habe einen Ausgleich für das eher passive Verhalten der Glaubenden im Gottesdienst geboten, sei aber das einzige Zugeständnis an die Sinne im reformatorischen Bern gewesen.301 Bei den Spielen Rütes nach 1528 erkennt er eine Außenorientierung im Sinne einer Werbung, die sich auf altgläubige Betrachter aus benachbarten Kantonen richtete.302 Bedeutsam an Ehrstines Studien ist, dass er sich mit Vertretern des im Umfeld Wittenbergs wie auch mit Schweizer Vertretern des protestantischen Dramas befasst, ebenso dass er rezeptionsästhetische Fragen aufnimmt. Ohne Zweifel aber bedürfen seine, von ihm selbst als Vermutungen gekennzeichnete Ausführungen zu der Frage, wie die Verfasser die Aufführung ihrer Dramen verstanden, noch näherer Überprüfung. Lag der Bevorzugung dieses Mediums eine bewusste Entscheidung zugrunde oder war es einfach en vogue? Stellte der Einsatz des Mediums wirklich eine Kompensation dar, sei es bewusst oder nur unbewusst? Stellten die Verfasser Reflexionen darüber an? Dies gilt es konkret zu analysieren anhand von Aus297 Vgl. a.a.O., S. 537. 298 Glenn Ehrstine, Theater, culture, and community in reformation Bern, 1523–1555, Leiden – Boston – Köln 2002. Vgl. ders., From iconoclasm to iconography: Reformation drama in sixteenth-century Bern, Ann Arbor 1995. 299 Vgl. a.a.O., S. 205. 300 Vgl. a.a.O., S. 223. 301 Vgl. a.a.O., S. 15. 302 Vgl. a.a.O., S. 34f.



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sagen protestantischer Dramatiker oder anderer theologischer Vertreter, die sich zu dieser Form des Dramas äußerten. An der Universität Münster wird im Rahmen eines Sonderforschungsbereiches ein Teilprojekt betrieben, in dem auch das geistliche Drama Berücksichtigung findet.303 Die ersten Ergebnisse dieser interdisziplinär angelegten Forschungen wurden bereits publiziert.304 In einem instruktiven Überblick führt Christel Meier in die verschiedenen Forschungsansätze zum Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit aus den letzten Jahren und Jahrzehnten ein. Dabei hebt sie besonders die kulturwissenschaftliche und soziologische Forschung hervor, von denen die eine mit dem Begriff der Performanz auf Eigengewicht und -dynamik einer Aufführung aufmerksam gemacht hat, die andere theatrale Formen der Wirklichkeit bzw. Gestalten des Alltagslebens als inszenierte Wirklichkeit entdeckt hat, ferner beleuchtet sie den das Zusammenspiel verschiedener Zeichensysteme berücksichtigenden semiotischen Ansatz.305 Zu diesen sind, so Meier, die Ansätze der handlungstheoretischen Forschung, der die Funktion der Spiel-Handlung ins Blickfeld führt, sowie der kommunikationstheoretischen Forschung, die mit der Kollusionstheorie die Kommunikation zwischen Spielern und Zuschauern betrachtet, hinzuzuziehen.306 Unter für das Forschungsprojekt geltendem bewusstem Verzicht auf die Konzentration auf einen einzigen Materialkomplex innerhalb des Dramenfeldes widmet der Band seine besondere Aufmerksamkeit der Interdependenz von theatraler Interaktion und gesellschaftlichem Handeln und der Kollusion von Aufführung und Zuschauern.307 Im Blick sind dabei die Fragen nach der Funktionalisierung des Theaters als Persuasionsund Kampfinstrument und Medium der Sozialisation, nach Hinweisen zur Aufführungspraxis, nach der Gestalt der Symbolik und der Verwendung von Allegorien, nach den sozialen Orten und den Trägergruppen von Aufführungen und deren Rezipienten unter Betrachtung der Dramen als symbolische Akte der Selbstvergewisserung und Selbstdarstellung.308 Ohne Zweifel sind damit wichtige Perspektiven für die Forschung eröffnet, die teils auch in dieser Studie Berücksichtigung finden sollen, zumal in ihr die protestantischen Dramen besonders auf ihre Intention und ihre Funktionalisierung im Rahmen des 303 Es handelt sich um das Teilprojekt B3 ‚Theatralische und soziale Kommunikation: Funktion des städtischen und höfischen Spiels in Spätmittelalter und früher Neuzeit‘ im Rahmen des Sonderforschungsbereiches ‚Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur französischen Revolution‘. 304 Vgl. Christel Meier – Heinz Meyer – Claudia Spanily (Hrgg.), Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit als Ort und Medium sozialer und symbolischer Kommunikation. (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496 Bd. 4), Münster 2004. 305 Vgl. Christel Meier, Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Werte im vormodernen Theater. Eine Einführung, a.a.O., S. 7f. 306 Vgl. a.a.O., S. 9. 307 Vgl. a.a.O., S. 10. 308 Vgl. a.a.O., S. 11–16.

84 Annäherungen Prozesses, der Konfessionalisierung genannt wird, untersucht werden sollen. Als weitere Konsequenz ergibt sich, dass das Augenmerk nicht nur auf den Text eines Dramas und die in ihm wirksamen Traditionen zu richten ist. Der Aspekt der Aufführung und damit zusammenhängend derjenige der Kommunikation zwischen Spielern und Zuschauern ist unbedingt in die Untersuchung einzubeziehen. Für den Bereich des protestantischen Dramas ist aus diesem Band des Forschungsprojekts vor allem der Beitrag von Wolfram Washof mit dem programmatischen Titel „Drama als Gottesdienst“ relevant.309 Hauptresultat seiner theologischen Untersuchung über das protestantische Bibeldrama – auf dieses im engeren Sinne beschränkt er seine Untersuchung – ist die These einer gottesdienstlichen Funktion des Bibeldramas im Protestantismus, die er mit dem Wandel des Gottesdienstverständnisses in der reformatorischen Theologie begründet.310 Danach ist das Hauptgeschehen im Gottesdienst, der nunmehr den Dienst Gottes am Menschen, nicht aber einen Dienst an Gott durch Opfer und Werke bezeichne, die Verkündigung des Wortes Gottes. Von daher stelle die Predigt des Evangeliums das konstitutive Element des Gottesdienstes dar. Insofern nun aber die Reformatoren, so Washof, die äußere Form des Gottesdienstes dieser Funktion der Verkündigung gegenüber für untergeordnet gehalten hätten, zieht er den Umkehrschluss, dass nach ihrer Auffassung überall wo das Wort verkündigt werde, auch ein Gottesdienst vorliege.311 Entsprechend handele es sich bei den Aufführungen der homiletisch-katechetische Funktion besitzenden Bibeldramen um einen Gottesdienst. Einen zweiten wichtigen Beleg für seine These vom gottesdienstlichen Charakter einer Aufführung sieht Washof in der Aufnahme weiterer gottesdienstlicher Elemente bzw. deren Vollzug im Rahmen der Darbietung. An erster Stelle nennt er das Element des Gesangs – bei diesem wird ja das Publikum explizit miteinbezogen –, an zweiter Stelle Gebete, wohl die innerhalb der Handlung von den Darstellern gesprochenen Gebete, und liturgische Formeln wie die Begrüßung und Ansprache der Versammelten als Gemeinde.312 Hinsichtlich des homiletisch-katechetischen Charakters der protestantischen Dramen meint Washof, dass die Verfasser mit ihnen zwar auch dogmatische Inhalte, mehrheitlich aber ethische Theologu-

309 Vgl. Wolfram Washof, Drama als Gottesdienst. Homiletisch-katechetische Funktionen und liturgische Elemente des protestantischen Bibeldramas der Reformationszeit, a.a.O., S. 159–170. 310 Vgl. a.a.O., S. 164f. 169f. 311 Vgl. a.a.O., S. 164. Washof beruft sich ebd. auf Peter Cornehl, Art. ‚Gottesdienst. VIII. Evangelischer Gottesdienst von der Reformation bis zur Gegenwart‘, TRE 14, S. 54: „[...] Nicht der Mensch dient Gott durch Werke und Opfer, sondern Gott dient dem Menschen durch Wort und Sakrament. Das ist das grundlegende Geschehen im Gottesdienst.“ Washof unterschlägt allerdings, dass der zitierte Satz Cornehls an dieser Stelle nicht zu Ende ist. Die Fortsetzung lautet: „... darauf antwortet der Mensch mit dem Bekenntnis der Sünde, mit der Anrufung um Hilfe, mit Glauben und Lobpreis (vgl. WA 49, 588).“ Dies dürfte für die Frage, ob es sich bei einer Aufführung um einen Gottesdienst handelt, nicht unwichtig sein. 312 Vgl. a.a.O., S. 169f.



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mena transportieren wollten.313 Er benennt den engen Zusammenhang von Gottesdienst, Predigt und Katechismus, reißt also nicht Predigt und Katechese auseinander.314 Damit ist bereits die Ebene der Würdigung dieses Beitrags betreten. Ein wichtiger Fortschritt in dem Artikel ist darin zu erkennen, dass Washof als erster Forscher die Bedeutung liturgischer Stücke für die Aufführung eines geistlichen Dramas im Protestantismus wahrnimmt; bis dahin wurden diese völlig übergangen und somit auch nicht nach ihrer Funktion gefragt. Dahinter wird nicht zurückzugehen sein, die Frage ist nur, wie dieser Sachverhalt angemessen zu deuten ist. Hier stellen sich nämlich vielfältige weitere Fragen. Eine der Fragen betrifft das reformatorische Gottesdienstverständnis: Entspricht der von Washof dargelegte Umkehrschluss tatsächlich der reformatorischen Auffassung vom Gottesdienst? Hier müsste noch einmal betrachtet werden, was Gottesdienst etwa nach Luther heißt. Dies sei an dieser Stelle noch offen gelassen, dennoch stellt sich schon hier die Frage, ob sich wirklich der Begriff des Gottesdienstes im eigentlichen Sinne auf die Aufführung eines protestantischen Dramas anwenden lässt: Kann man eine Aufführung, bei der sich gewiss die Zuschauer mit einer der Personen identifizieren, aber doch die Handlung von außen betrachten, mit dem Mitvollzug eines Gottesdienstes gleichsetzen? Haben sie die von den Darstellern in ihrer spezifischen Situation in der Handlung vorgetragenen Gebete als ihre eigenen Gebete verstehen und entsprechend das Amen auf sie sprechen können? Dieses Problem ist freilich auch für den Darsteller virulent. Auch bei ihm, der ein Gebet vorträgt, spiegelt dieses nicht seine eigene Situation, sondern die der Person, die er spielt. Lässt sich angesichts dieses Faktums der Uneigentlichkeit von einem Gottesdienst sprechen? Wichtiger noch erscheint die Frage, ob die Autoren selbst die Aufführung ihrer Dramen tatsächlich als Gottesdienst verstanden haben oder ob sie diese von jenem unterschieden haben, auch wenn sie Verbindungen zwischen beiden sahen. An dieser Stelle ist auf die Gefahr einer Überinterpretation aufmerksam zu machen.315 Betrachtet man Washofs Beitrag in toto, 313 Vgl. a.a.O., S. 165f. 314 Vgl. a.a.O., S. 166; vgl. S. 163. 315 Die Aufnahme einer liturgischen Formel, etwa der Begrüßung der Versammelten als in Christi Namen versammelte Gemeinde, sollte nicht überinterpretiert werden, wie es Washof, a.a.O., S. 169 mit Anm. 42, in Rekurs auf das zweite Abraham-Drama von Hans Sachs unterläuft, auch angesichts der für diese Zeit konstitutiven Einheit von kommunaler und christlicher Gemeinde in dem einen corpus christianum. Vgl. dazu Reinhold Wex, Der frühneuzeitliche protestantische Kirchenraum in Deutschland im Spannungsfeld zwischen Policey und Zeremoniell, in: Klaus Raschzok – Rainer Sörries (Hrgg.), Geschichte des protestantischen Kirchenbaues. Festschrift für Peter Poscharsky zum 60. Geburtstag, Erlangen 1994, S. 57f., der für das protestantische Kirchengebäude nachweist, dass sich in diesem Predigtraum weniger eine Gemeinschaft als vielmehr eine Gesellschaft versammelt und dass dieser Raum den Versammlungsraum auch der weltlichen Gemeinde markiert, die identisch sind. Gilt dies selbst für das in Dienst stehende Kirchengebäude, so um vieles mehr für die säkularisierte Nürnberger Marthakirche des Hans Sachs wie für das Rathaus oder den freien Platz als Aufführungsort.

86 Annäherungen dies dürfte deutlich sein, erscheint es noch dringlicher zu klären, in welcher Weise in der Reformationszeit und in der konfessionellen Zeit die Aufführung eines geistlichen Dramas verstanden wurde, seitens der Autoren, seitens der Theologen, aber auch seitens nichttheologischer Beobachter. Sollte Washof richtig liegen mit seiner These, dass eine Aufführung als Gottesdienst wahrgenommen wurde, müsste jedoch weiter gefragt werden: Gilt dieser Befund für die gesamte Reformationszeit und darüber hinaus? Lässt er sich auch in geographischer Hinsicht verallgemeinern?316 Wie aber steht es mit protestantischen geistlichen Dramen, denen keine biblische Geschichte als Stoff zugrunde liegt? Gilt dies für das deutsche wie auch für das lateinische Drama? Welche Bedeutung hat die Unterscheidung von Schuldrama und Bürgerdrama in dieser Hinsicht: Eine Aufführung im Rahmen eines Schulactus hat sicher einen anderen Charakter als eine Aufführung eines Stückes von Sachs, dem dieser institutionelle Rahmen fehlt?317 Schließlich kann man fragen, ob dem Drama nicht auch andere Funktionen zukommen. Der neuere Beitrag Washofs zum protestantischen Drama, seine Dissertation, konnte hier nicht näher oder gar en detail untersucht werden.318 Die gesamte Arbeit mit ihren Einzelergebnissen müsste letztlich dieser Studie gegenübergestellt werden. Sicher wird Washofs Monographie einen entscheidenden Beitrag zur Erforschung des protestantischen Dramas darstellen. Orientiert ist sie ganz an der Analyse von Dramen, wobei Washof eine erhebliche Anzahl von Stücken aus der Zeit von 1530 bis 1580 heranzieht. Methodisch wählt Washof den Zugang über den Aufbau der protestantisch-orthodoxen Dogmatik, d.h. über dogmatische Loci, zu denen die Dramen jeweils Exempel lieferten. Die reformatorischen Bibeldramen seien als theologisch-didaktische Werke im Theatergewand zu verstehen. Diese Perspektive ist legitim, insofern die Dramen reformatorische Gebrauchsliteratur darstellen, die wesentlich darauf zielen, die reformatorische Botschaft bei den Hörern zu internalisieren, sie in Fragen des Glaubens und der Lebensführung zu belehren, und insofern die in ihnen auftretenden Figuren von den Verfassern tatsächlich als Exempel intendiert sind. Dennoch darf die Frage gestellt werden, ob damit die Dramen tatsächlich vollständig erfasst werden, ob sie nicht, auch und gerade durch ihre Aufführung, über einen Überschuss verfügen, der sich der Wahrnehmung als Exempel entzieht bzw. über ein solches hinausgeht. Ebenso ist zu fragen, ob die Dramen nicht durch die Einbettung in ein dogmatisches System in ein Prokrustesbett gezwungen werden, das 316 Washof spricht stets von der Reformationszeit, ohne Grenzen zu benennen. In geographisch-territorialer oder auch konfessioneller Hinsicht gibt er keine Kriterien an, berücksichtigt jedoch den Schweizer Raum (Gwalther), Nürnberg (Sachs), wie auch den Wittenberger Raum (Knaust, Greff). 317 Der Unterschied zwischen lateinischem und deutschem Drama wird von Washof in dieser Studie (anders als in seiner späteren Dissertation) nicht berücksichtigt, ebenso nicht derjenige zwischen Schul- und Bürgerdrama. 318 Wolfram Washof, Die Bibel auf der Bühne. Exempelfiguren und protestantische Theologie im lateinischen und deutschen Bibeldrama der Reformationszeit (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496 Bd. 14), Münster 2007.



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ihrem Genus fremd ist und auch den Autoren fern lag.319 Sie haben ja keinen Auszug aus einer Dogmatik, keine Loci theologici fürs Volk, kein Compendium locorum in kleiner Form geschrieben, sondern eben ein Theaterstück. Ein Drama aber ist trotz seines dogmatischen Gehaltes kein dogmatischer Locus in theatralischer Einkleidung, die als bloße äußere Form grundsätzlich vom Inhalt ablösbar wäre. Hier gilt es vielmehr zu fragen, wie die Form, die dramatische Gestalt, auf den Inhalt einwirkt und warum die Autoren für den von ihnen vertretenen Inhalt gerade diese Form wählten. Die Form Drama ist sicher kein Zufall. Damit soll nicht bestritten werden, dass umgekehrt auch der Inhalt, den ein Autor in und mit seinem Stück vermitteln wollte, ihn dazu veranlasst hat, bewusst oder eher unbewusst Veränderungen an der dramatischen Gestalt zu vollziehen. Wie sich Form und Inhalt gegenseitig beeinflussten, was im Konzert der theologischen und frömmigkeitspraktischen Gattungen im Protestantismus der Reformationszeit und der konfessionellen Zeit – damit auch in den konfessionellen Auseinandersetzungen – das Proprium und der Beitrag des Genus geistliches Drama ist, dies bedarf einer weiteren intensiven Untersuchung. Bevor nach dem Ende dieses Durchgangs nun Schlussfolgerungen für die weitere Behandlung des Themas gezogen werden, sei an dieser Stelle kurz innegehalten und die aktuelle Situation der Forschung resümiert. Mit Michaels o.g. Darstellung wie auch mit seinem zu Anfang dieses Abschnitts erwähnten Forschungsbericht aus dem Jahre 1989, der die wissenschaftliche Arbeit eines Jahrhunderts ansprechend zusammenfasst, liegen gute Grundlagen für die Weiterarbeit vor, wiewohl nach wie vor die Benutzung von Goedekes Grundriss unumgänglich erscheint. Ebenso hat sich die editorische Situation gegenüber dem Ende des 19. Jahrhunderts, als die ersten Textausgaben erschienen, erheblich verbessert. Seit den siebziger Jahren sind weitere Editionen entstanden, so die Werke bekannter Dramatiker wie Niklaus Manuel, Sixt Birck, Hans von Rüte, Jos Murer, Paul Rebhun, Leonhard Culmann und Thomas Naogeorg, neuerdings Nicodemus Frischlin, aber auch solche weniger bekannterer Autoren wie Johann Narhamer, Johann Chryseus, Andreas Pfeilschmidt oder Simon Gerengel.320 Hinzu kommen bedeutende Arbeiten zu einzelnen Autoren – wie die von Hans-Gert Roloff zu Thomas Naogeorg – und 319 Ein analoges Problem ist insofern das der Erfassung der Theologie Luthers. Auch hier droht eine Darstellung nach den gängigen Lehrpunkten dem Eigentümlichen der Theologie Luthers nicht gerecht zu werden, wie sie auch ein Verständnis der christlichen Religion voraussetzt, das Luther nicht teilt, wie Reinhard Schwarz, Art. ‚Luther II. Theologie‘, RGG4 5, Sp. 573, mit Recht feststellt. 320 Für die bibliographischen Angaben sei auf das Literaturverzeichnis verwiesen. – Genannt sei ferner die Ausgabe von Dramen durch Hellmut Thomke (Hrg.), Deutsche Spiele und Dramen des 15. und 16. Jahrhunderts (Bibliothek der Frühen Neuzeit. Erste Abteilung. Literatur im Zeitalter des Humanismus und der Reformation Bd. 2), Frankfurt 1996, mit Editionen von Niklaus Manuels ‚Vom Papst und seiner Priesterschaft‘ (S. 139–209), Sixt Bircks Judith-Drama (S. 213–325), Paul Rebhuns ‚Susanna‘ (S. 327–444) sowie dem ‚Düdeschen Schlömer‘ von Johannes Stricker (S. 567–822).

88 Annäherungen Studien zu dramatischen Stoffen.321 Der Fortschritt der Forschung, so die Kulturhistorikerin Silvia Serena Tschopp in ihrem Artikel zum Reformationsdrama aus dem Jahre 2003, erlaube mittlerweile einen besseren Überblick über die dramatische Produktion in deutscher und lateinischer Sprache im 16. Jahrhundert. Dennoch gelangt sie am Schluss zu dem Ergebnis: „Trotzdem sind die in Handschriften und Drucken überlieferten Bühnenwerke des 16. Jhs. noch keinesfalls vollständig gesichtet und ediert, geschweige denn in historischer oder systematischer Hinsicht erforscht. Eine gattungstheoretische Reflexion hat bisher ebenso wenig stattgefunden wie die Analyse der vielfältigen Funktionsmöglichkeiten reformatorischer Dramen oder der Versuch einer literaturgeschichtlichen Einordnung.“322 Ähnlich urteilt Christel Meier im Jahre 2004, dass es Ansätze zu einer systematischen Aufarbeitung nur für das Jesuitentheater gebe.323 Das Phänomen des protestantischen Dramas in seiner Gänze zu erfassen, bleibt somit doch noch ein Desiderat der Forschung. Dabei ist gerade die theologische und kirchen-geschichtliche Forschung gefordert, können doch die Dramen und die sie verantwortenden Autoren erst dann angemessen eingeordnet werden, wenn die Genese der Dramen bis hin zur Aufführung und das Bedingungsgefüge, in dem die Verfasser stehen, erhellt sind.

321 Vgl. Hans-Gert Roloff, Heilsgeschichte, Weltgeschichte und aktuelle Polemik: Thomas Naogeorgs Tragoedia nova Pammachius, Daphnis 9 (1980), S. 743–767; Ders., Thomas Naogeorg und das Problem von Humanismus und Reformation, in: Ders., Kleine Schriften zur Literatur des 16. Jahrhunderts. Festgabe zum 70. Geburtstag, hrg. und eingeleitet v. Christian Caemmerer, Walter Delabar, Jörg Jungmayr, Wolfgang Neuber (Chloe. Beihefte zum Daphnis 35), Amsterdam – New York 2003, S. 317–337. Als Beispiel für eine neuere Untersuchung eines dramatischen Stoffes sei genannt: Stephen L. Wailes, The rich man and Lazarus on the Reformation stage, Selinsgrove – London 1997. 322 Silvia Serena Tschopp, Art. ‚Reformationsdrama‘, RLW 3, S. 249. 323 Vgl. Christel Meier, Symbolische Kommunikation, S. 10.

III. Der Ansatz der Studie 1. Die Zielsetzung a) Konsequenzen aus der Forschung In Abschnitt A I 2 waren bereits vorläufige Fragestellungen entwickelt worden. Diese gilt es nun mit den Ergebnissen des Forschungsstandes zu konfrontieren und zu betrachten, ob die Fragestellungen zu revidieren, zu präzisieren oder zu erweitern sind. Bereits ein grober Blick belegt, dass zwischen der Richtung der dort formulierten Leitfragen und dem, was sich aus den Tendenzen und dem Stand der Forschung ergibt, eine deutliche Deckungsgleichheit besteht. Ein erstes Feld, das oben benannt wurde, kreiste um die Frage, warum die Gattung Drama in Reformationszeit und konfessioneller Zeit aufgegriffen wurde. Die Betrachtung des Forschungsstandes forciert diese Fragestellung. Von diesem her scheint es geboten zu betrachten, ob der Gebrauch des Mediums tatsächlich eine Kompensation für den Wegfall anderer visueller Medien darstellte wie von Ehrstine beschrieben. Denkbar wäre dies, doch können vielleicht andere Ursachen namhaft gemacht werden, die das Phänomen des protestantischen Dramas und auch seine Kontinuität zu erklären vermögen. Dazu ist zu untersuchen, wie die Verfasser ihre Dramen verstanden und – diese Präzisierung ergibt sich besonders aus den Ausführungen von Meyer – wie sie ihre Werke im Gefüge von Predigt und Katechese einordneten, vorausgesetzt, dass sie darüber Reflexionen anstellten. Dies wiederum impliziert die Aufgabe zu eruieren, wo der spezifische Beitrag des geistlichen Dramas im Verband der geistlichen Gattungen liegt. Daran schließt sich als zweites Feld der Komplex des Verhältnisses von reformatorischer Theologie und Drama an, bei dem es um den Inhalt der Stücke geht, näher um die Frage, wie die reformatorische Theologie in den Dramen verarbeitet wurde. Dieses Thema ist maßgeblich in den Beiträgen Maasens und Parentes begründet, die das geistliche Drama sehr stark im Humanismus verankert und von ihm bestimmt sehen. Hier ist zu betrachten, wie weit der Einfluss des Humanismus in den Dramen geht und wie sich in ihnen das Verhältnis von Theologie oder Religion im engeren Sinne zu Moral quantitativ und qualitativ gestaltet, ob die Verfasser den Primat der Rechtfertigungslehre zuteilen und wenn ja, ob sie dieses Votum auch durchhalten. In diesen Komplex gehört schließlich die Frage nach einer Wechselwirkung von Form und Inhalt: Gibt es Beeinflussungen des Inhaltes durch die Form oder Modifikationen der Form durch den Inhalt? Zu Letzterem kann an die Ergebnisse der Arbeiten von Könneker und Timmermann angeknüpft werden. Das erste Glied der Alternative bedarf noch näherer Untersuchung. Ein drittes Feld hat die Intention der Verfasser zum Gegenstand, die Frage, was für eine Absicht sie mit den Dramen für ihre Zuschauer bzw. Zuhörer hegten. In Aufnahme von Ergebnissen der Arbeit Meyers ist die Fragestellung aber zu erweitern. Meyers Feststellung, dass das Abfassen eines Dramas als Ausweis für die Verleihung einer Pfarrstelle

90 Annäherungen diente führt zu der Frage nach der Bedeutung der dramatischen Arbeit für die Autoren selbst. Es ist zu klären, ob Meyers Ergebnis verallgemeinert werden kann oder welche anderen Zwecke sich für die Verfasser selbst mit dieser Tätigkeit verbanden. Als ebenfalls bereits oben genanntes viertes Feld harrt die Betrachtung der weiteren Entwicklung des Dramas der Klärung, vor allem im Anschluss an die Ergebnisse der Untersuchung Meyers hinsichtlich eines Wandels von der Reformation zur Orthodoxie hin. Das fünfte Feld bildet den von der Forschung weniger berührten Aspekt des Dramas im reformierten Protestantismus, zu dem aus theologischer Perspektive Andeutungen bei Meyer vorliegen. Hier gilt es aber weiter zu fragen nach möglichen theologischen Grundlagen für die Genese eines geistlichen Theaters in diesem Bereich der Reformation und für die weitere Haltung des reformierten Protestantismus zum Theater. Im sechsten Feld, das der konfessionellen Polemik im protestantischen Drama gewidmet ist, stellt sich im Anschluss an Rädle die Frage, welche Rolle diese Polemik in den Dramen spielt und welche Bedeutung ihr für das geistliche Theater im Ganzen wirklich zukommt. Auch hier droht nämlich akut die Gefahr der Verallgemeinerung. Das siebente und letzte Feld betrifft den Aufführungsaspekt. Der Frage, wie die Verfasser oder auch andere Beteiligte die Aufführung eines geistlichen Dramas verstanden, ist besonders im Hinblick auf Washofs These von der Aufführung als Gottesdienst bzw. vom gottesdienstlichen Charakter der Aufführung nachzugehen.

b) Hauptziele der Studie Bei dem Versuch einer Bündelung der genannten Komponenten ergeben sich fünf Komplexe der Untersuchung, die im Zuge dieser Studie Bearbeitung finden sollen. Sie beinhalten die Frage nach den Motiven für den Gebrauch der Gattung, die Frage der Wiedergabe der reformatorischen Lehre, die Frage der konkreten Intention, die Frage der Entwicklung und schließlich die Frage nach dem geistlichen Drama und Theater im reformierten Protestantismus. Weiter ausgeführt, bilden die Hauptziele der Arbeit entsprechend die Klärung folgender Fragen: 1) Warum fand die Gattung des geistlichen Dramas im Protestantismus des 16. und 17. Jahrhunderts Verwendung? Was war der spezifische Beitrag des Mediums Drama bzw. Theater im Verhältnis zu den anderen gängigen Formen von protestantischer Theologie und Frömmigkeit der Zeit? Wie kommt es im Konzert dieser Gattungen zu stehen? Die Behandlung dieser Frage setzt voraus, dass es Quellen gibt, in denen sich entsprechende Äußerungen, Reflexionen über das Medium Drama und Theater, finden – ein kurzer Blick in die Rahmenstücke von Dramen bestätigt dies aber. Eine noch weitergehende Frage bildet diejenige, ob im Protestantismus darüber hinaus regelrechte Theaterkonzepte entwickelt wurden, ob es also einen theoretischen Unterbau für die Praxis gab. Komplementär muss allerdings auch umgekehrt die Frage formuliert werden, ob sich die dramatische Praxis im Protestantismus ungeteilter Zustimmung erfreute oder ob sich Widerstände formierten. Es erscheint plausibel, diesem Fragekomplex der Gattung auch das Problem zu subsumieren, in welchem Sinne eine Aufführung aufgefasst



Der Ansatz der Studie

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wurde. Dabei soll ja geklärt werden, in welcher Weise die Beteiligten die Aufführung eines geistlichen Dramas verstanden, mit welchen Kategorien sie den Charakter einer Aufführung beschrieben. Mit der beispielsweise möglichen Charakterisierung der Aufführung als einer Predigt ist eine eigentliche Gattung genannt. Unter diesen Komplex fällt entsprechend auch die Diskussion der These vom gottesdienstlichen Charakter der Aufführung, was insofern Sinn ergibt, als mit dem Institut des Gottesdienstes zwar keine Gattung im engeren Sinne bezeichnet, aber eine Form anvisiert ist, die wesentlich durch das Zusammenspiel mehrerer Gattungen gekennzeichnet ist respektive eine Komposition verschiedener Gattungen darstellt. 2) Wie kam die reformatorische Lehre in den Dramen zum Tragen? Wie wurden reformatorische Inhalte im Drama umgesetzt? Wie beeinflusste die reformatorische Lehre die Gestalt und die Verwendung des Mediums Theater? Aber auch die Einnahme der umgekehrten Perspektive erscheint notwendig: Ergaben sich bei der Umsetzung reformatorischer Lehre im Drama in Hinsicht auf diese Lehre Modifikationen? In welchem Verhältnis standen im Drama die Behandlung von theologischen und religiösen Fragen zu der Behandlung von moralischen und lebenspraktischen Fragen? Insofern zur Gestalt der reformatorischen Theologie im Drama komplementär immer auch die Abgrenzung zur altgläubig-katholischen Theologie und Frömmigkeit gehört, soll die Frage nach der konfessionellen Polemik hier verortet werden: Welche Bedeutung kam der konfessionellen Polemik im Drama zu? Bildete sie ein konstitutives oder ein akzidentelles Element in ihm? Konnte es sich ohne Polemik entfalten und weiter bestehen? Gab es polemische und unpolemische Phasen? Was ist in Bezug auf die Streuung polemischer Aussagen zu bemerken? 3) Welche Intentionen verfolgten die Autoren von Dramen und die anderen Initiatoren bzw. Trägerkreise eines protestantischen Theaters? Was wollten sie bei wem mit ihren Dramen erreichen? Standen bestimmte Adressatengruppen im Fokus? War das Drama eher binnen- oder eher außenorientiert? Welche Relevanz hatte die Abfassung eines Dramas schließlich für die Autoren selbst? 4) Wie ist die weitere Entwicklung des geistlichen Dramas zu beurteilen? War sie eher von Kontinuität geprägt? Was für Prozesse sind zu beobachten? Gibt es theologische oder geistesgeschichtliche Einflüsse, die sich bemerkbar machen? Insofern es hier um die Entwicklung des protestantischen Dramas über die Reformationszeit hinaus geht, stellt sich ferner die Frage, welche Funktion das geistliche Theater in dem Konfessionalisierung genannten Prozess wahrnahm. Kann es als Medium dieses Prozesses bezeichnet werden? Was lässt sich überhaupt vom geistlichen Drama und Theater zur Konfessionalisierungsthese sagen? Ist dieses immer wieder heftig diskutierte Konzept vom Phänomen des geistlichen Theaters zu verifizieren, falsifizieren oder modifizieren? Lässt sich das geistliche Theater eher in das Paradigma der konfessionellen Kultur einordnen?324 324 Zu beiden unterschiedlichen Modellen s.u. Teil D III.

92 Annäherungen 5) Welche Bedeutung kam dem geistlichen Drama und Theater im reformierten Protestantismus zu? Wie kam es in diesem Bereich zu einem geistlichen Theater, welche Grundlagen gab es? Wie standen – angesichts immer wieder kolportierter negativer Haltungen zur Kunst – gewichtige Theologen zum geistlichen Theater? Sind hier Veränderungen wahrzunehmen? Die Übergänge innerhalb dieser Fragekomplexe sind naturgemäß fließend. So lässt sich die Frage nach der Rolle des Dramas in der Konfessionalisierung auch unter dem Aspekt der Intention betrachten. Gleiches gilt für die Einordnung der Frage der konfessionellen Polemik, die auch unter der Fragestellung der Intention aufgeführt werden könnte. Die vorgenommene Kategorisierung hat auch nur die Hilfsfunktion, die Fragestellungen zu sichten. Keine der Fragen soll im Laufe der Darstellung vernachlässigt werden, doch kommt den Titeln: Motive und Argumente für den Gebrauch der Gattung Drama; Wiedergabe der reformatorischen Lehre im Drama; konkrete, insbesondere von den Autoren mit den Dramen verbundene Intentionen; weitere Entwicklung von Dramen und Theater nach der engeren Reformationszeit; geistliches Drama im reformierten Protestantismus, der Primat zu. Mit der Behandlung aller genannten Fragen, was in gleicher Weise freilich nicht möglich sein wird, wäre das Phänomen protestantisches Drama in seiner Gänze erfasst, mit der Betrachtung der Fragekomplexe aber dürfte zumindest eine deutliche Annäherung verwirklicht werden können.

2. Die Frage der Quellen Sodann stellt sich die Frage der Heuristik. Welche Quellen können zur Klärung der formulierten Fragen beitragen? In erster Linie sind hier die – allerdings angesichts ihrer Fülle noch näher einzugrenzenden – Dramen selbst zu benennen, und darin an erster Stelle die Rahmenstücke. So geben die Autoren in den Widmungsreden und Prologen zuweilen Hinweise, warum sie sich dem Abfassen von Dramen widmen. Zuweilen äußern sich in Widmungsreden auch um – positive – Beiträge gebetene Theologen, manchmal handelt es sich dabei um bekanntere Vertreter. Prologe und Epiloge bieten Auskünfte darüber, mit welchen konkreten Intentionen die Verfasser ihre Dramen schrieben. Für den Inhalt der Dramen und die Beobachtung ihrer Entwicklung müssen naturgemäß die Dramen selbst mit ihrer Handlung herangezogen werden. Auch hier bieten aber Prologe wichtige Hinweise, etwa in Bezug auf die Wiedergabe der reformatorischen Lehre. Hinsichtlich der Entwicklung des geistlichen Dramas ist es auch sinnvoll, zu betrachten, ob sich Beobachtungen dahingehend, dass bestimmte Stoffe in einem enger oder weiter beschriebenen Zeitraum bevorzugt zugrunde gelegt wurden, verifizieren lassen. Neben den Dramen sollen aber auch andere Quellen herangezogen werden, sei es von Dramenautoren, sei es von anderen Urhebern. Relevant in dieser Hinsicht könnten sein: grundsätzliche Traktate zur Frage des geistlichen Theaters – diese sind freilich in der Reformationszeit, abgesehen von dem sich



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zu Tragödien und Komödien grundsätzlich äußernden Melanchthon, eher selten, sind aber auch in der frühen konfessionellen Zeit spärlich gesät –, Stellungnahmen von Theologen oder Behandlungen des Themas in Handbüchern – hier sind etwa Martin Bucer, Heinrich Bullinger und in der konfessionellen Zeit Balthasar Meisner oder Johannes Althusius zu nennen –, schließlich sonstige Äußerungen in Gelegenheitsschriften über geplante oder erlebte Aufführungen, die sich naturgemäß über die Forschungsliteratur eröffnen. Die Frage, wie die Reformatoren selbst sich zu dieser Praxis äußerten, ist dabei grundlegend, insofern ihr Votum für ihre Umgebung und für die folgende Generation vermutlich leitend wirkte – was freilich noch zu beleuchten ist. Als normative Quellen sind Schulordnungen oder Synodalbeschlüsse zu nennen, denen aber als Quellen dieser Art ein nur eingeschränkter Wert zukommt, beschreiben sie doch das Sollen, nicht das Sein. Insofern ist deren Betrachtung zu ergänzen durch die Untersuchung der Theaterpraxis in einer noch zu bestimmenden Auswahl von Städten, was allerdings in dieser Studie nur sehr eingeschränkt geschehen kann, da eine archivarische Arbeit in diesem Rahmen nicht möglich erschien. Eine Gegenüberstellung des protestantischen Theaters mit seinem konfessionellen Antipoden, dem Jesuitentheater, wird schließlich sein spezifisches Profil noch deutlicher hervortreten lassen. Damit ist aber bereits die Ebene des Vorgehens berührt.

3. Arbeitsschritte Die Ziele des Vorhabens wurden als Klärung von Fragen, die sich aus einem groben Überblick des Phänomens mit seinen verschiedenen Facetten sowie aus der Wahrnehmung des Forschungsprozesses ergeben haben, beschrieben. Um diese zu erreichen, ist nicht vorgesehen, die aufgeführten Fragen nacheinander abzuhandeln. Ein solches Vorgehen ließe sich aufgrund der aufgezeigten Nähe der Fragekomplexe zueinander nur schwer realisieren. Unversehens geriete man z.B. bei der Untersuchung der konfessionellen Polemik in einer Handlung oder in einer Widmungsrede von der Frage nach dem reformatorischen Inhalt des Dramas zur Frage seiner Zielsetzung, oder um ein anderes Beispiel zu nennen, ebenso unversehens gelangte man bei der Betrachtung von Äußerungen zur konkreten Intention eines Dramas aus einer Widmungsrede anhand der dort gebotenen Argumente zum Fragekomplex, warum überhaupt die Gattung Drama zur Erreichung der erhofften Ziele gewählt wird. In den Quellen gehen also die Bemerkungen zu den hier, auch anhand der Forschung entwickelten Fragen, zuweilen nahtlos ineinander über. Auch in der auf der Wiedergabe der Texte fußenden Darstellung dürften sie sich nicht sauber von einander trennen lassen. Aus diesem Grunde wird hier die Methode einer Behandlung der vorgelegten Fragen in zwei groben Schritten gewählt, die vor allem quellenmäßig definiert sind. Von dieser Quellengrundlage ergeben sich aber auch unterschiedliche Gewichtungen der Behandlung der Fragen bei beiden Schritten, wie gleich aufzuzeigen ist. Der erste der zwei zu vollziehenden Schritte ist von grundsätzlicher und übergreifender Art (Teil B). In diesem wird

94 Annäherungen eine möglichst breite Quellenbasis gesucht. Inhaltlich umschließt er eine Untersuchung der Frage, wie sich das Verhältnis der beiden Konfessionen im Protestantismus zum geistlichen Theater gestaltete. Dabei wird einerseits nach Dramen und Dramenautoren in den Kernbereichen der jeweiligen Form der Reformation gefragt, um ein mögliches Profil des Dramas in diesem Bereich der Reformation zu eruieren (Teile B I 1 und B II 1). Zum andern werden grundlegende einschlägige Äußerungen von gewichtigen theologischen Vertretern in diesen beiden Konfessionen vorgestellt, um zu analysieren, welche Stellung dem geistlichen Drama und Theater in dem jeweiligen Reformationsbereich zukommt (Teile B I 2 und B II 2). In diesen Abschnitten von Teil B werden die Dramen somit eher von außen betrachtet. Im Zentrum des Interesses stehen hier Äußerungen zum Theater im Allgemeinen, zum geistlichen Theater speziell, Aussagen zur dramatischen Arbeit, die z.T. auch programmatischer Art sind, ferner Notizen über Aufführungen. Werden dabei auch Äußerungen von Dramatikern untersucht, so handelt es sich bei diesen um Bemerkungen aus den Rahmenstücken der Dramen, insbesondere aus den Widmungsreden. Einen gewissen Schwerpunkt bildet in diesem Teil B einerseits die Behandlung der Frage, warum die Gattung Drama aufgegriffen wurde, wie dies begründet wurde, und andererseits die Untersuchung der Intention, der Ziele, die von den Verfassern oder anderen Theoretikern mit dem Abfassen und Aufführen eines Dramas verknüpft wurden. Teil B II ist daneben auf die Frage der Bedeutung des geistlichen Dramas im reformierten Protestantismus konzentriert. Ergeben sich solchermaßen die Konturen einer Konzeption des geistlichen Dramas, so soll diese Perspektive in einem zweiten Schritt von vertiefendem Charakter, durch eine Innensicht der Dramen ergänzt werden (Teil C). Die Quellenbasis bilden also hier ausschließlich die Dramen selbst. Dieser Schritt dient gewissermaßen der Überprüfung der in Teil B gewonnenen Ergebnisse. Sie erfolgt durch eine exemplarische Analyse von Dramen einschließlich der Rahmenstücke und der Handlung, mit dem Ziel, die dramatische Umsetzung der theologischen Ansätze zu betrachten. Hinsichtlich der Fragekomplexe ist Teil C wiederum deutlich konzentriert auf die Frage nach der konkreten Intention und der Verarbeitung der reformatorischen Lehre in den Dramen. Die Frage nach der Entwicklung der Dramen begleitet die Teile B und C. In einem Teil D wird schließlich versucht, zum einen Schlussfolgerungen aus den Teilen B und C hinsichtlich der vorgelegten Fragestellungen zu ziehen, zum andern Zuspitzungen hinsichtlich bestimmter, im Laufe der Arbeit noch nicht hinreichend beleuchteter Aspekte vorzunehmen. So werden hier die in den ersten Teilen nur als Nebenthemen erscheinenden Fragen nach der Bedeutung der konfessionellen Polemik und nach dem Charakter der Aufführungen sowie danach, welches Selbstverständnis die Dramatiker für sich reklamierten, behandelt. Das in dieser Weise schon ein gutes Stück vergegenwärtigte protestantische Drama und Theater wird schließlich dem Jesuitentheater gegenübergestellt, ein Schritt, der sein Profil noch deutlicher werden lassen wird. Einen letzten Schwerpunkt bildet die Frage nach der Rolle des geistlichen Dramas und Theaters im Konfessionalisierungsprozess bzw. im Rahmen einer konfessionellen Kultur. In dieser Gestalt nimmt Teil D noch einmal die Thematik der Entwicklung des protestantischen



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Dramas ab dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts auf, um in eine Schlussbetrachtung samt Würdigung und Ausblick zu münden.

4. Eingrenzungen a) Voraussetzungen Angesichts der Fülle der Dramen und Autoren stellt sich natürlich sofort die Frage nach einer angemessen begründeten Eingrenzung in Bezug auf beide Arbeitsschritte sowie nach einer sinnvollen positiven Auswahl in Bezug auf den zweiten, der Untersuchung von konkreten Dramen gewidmeten Arbeitsschritt. Um einen einigermaßen vollständigen Eindruck vom geistlichen Theaterwesen der Zeit zu erlangen, erscheint es aber wenig sinnvoll, enge geographische und zeitliche Begrenzungen zu statuieren. So würde etwa eine Auslassung der Behandlung des Verhältnisses der Reformation reformierter Prägung lediglich die Sanktionierung bereits bestehender Urteile bedeuten; gerade diese Frage aber erweist sich bei genauerem Hinsehen als einer eingehenden Prüfung bedürftig. Ähnliches gilt für den zeitlichen Umfang der Untersuchung. Eine ausschließliche Betrachtung des geistlichen Theaters und Dramas in der Zeit der altprotestantischen Orthodoxie ist zwar möglich, aber keineswegs sinnvoll, da die wesentlichen Voraussetzungen der geistlichen Theaterpraxis dieses Zeitalters in der Reformationszeit ihren Ursprung haben. Die alleinige Zugrundelegung der Reformationszeit aber würde nicht nur die weitere Entwicklung und Entfaltung des geistlichen Dramas missachten, dessen erste Blüte ohnehin in die spätere Phase der Reformation fällt, vielmehr würde auch diese Vorgehensweise mit sich bringen, dass implizit ein bestimmtes Bild, nämlich das der Diastase von Reformation und altprotestantischer Orthodoxie, von neuem perpetuiert wird. Die virulente Frage ist aber gerade die, wie die Theaterpraxis nach den Anfängen in der Reformationszeit weiter entwickelt wurde, wie sie sich neuen Herausforderungen stellte. Hinsichtlich einer Auswahl von Dramen in Teil C würden sich ähnliche Möglichkeiten anbieten. So wäre es hier etwa denkbar, sich auf bestimmte Autoren zu beschränken. Eine zweite Möglichkeit wäre es, ausschließlich Dramen bestimmter Territorien oder Regionen zu betrachten. Eine dritte Möglichkeit wäre eine eng gespannte zeitliche Eingrenzung. All diese Möglichkeiten hätten ihr Recht, sie bieten aber noch mehr Probleme, da sie zu sehr einengen. Um ein einigermaßen repräsentatives Bild zu bekommen, ist es unabdingbar, eine gewisse Vielfalt hinsichtlich von Autoren und Territorien sicherzustellen. Eine enge zeitliche Eingrenzung verhindert von vornherein, mögliche Entwicklungen beobachten zu können; insofern erweist sich eine gewisse zeitliche Streckung als notwendig. So bleibt als vierte Möglichkeit die Beschränkung auf bestimmte, möglichst typische oder dominierende Stoffe, also auf Vorwürfe, die mehrfach dramatisiert wurden, möglichst von Autoren unterschiedlicher Provenienz und Wirkungszeit. Auch die Zugrundelegung mehrerer Stoffe wird an dieser Stelle entlastend wirken.

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b) Geographische und zeitliche Eingrenzung Für die gesamte Studie, für beide Arbeitsschritte, wurde daher entsprechend den eben formulierten Prämissen der deutsche Sprachraum unter Einschluss der deutschsprachigen Schweiz als geographische Grundlage gewählt. Dabei ist es in Bezug auf die reformierte Seite gleichwohl nicht geraten, die französische Schweiz, Frankreich oder auch die Niederlande völlig aus dem Blick zu verlieren. Schwieriger erweist sich die ebenso unumgängliche zeitliche Eingrenzung. Insofern das Ziel der Arbeit gerade darin besteht, die Entwicklung des protestantischen Dramas von der Reformation bis in die konfessionelle Zeit zu verfolgen, scheint es nicht sinnvoll, die Grenze bereits an der Stelle zu ziehen, die in theaterwissenschaftlicher Hinsicht den Übergang zum Barock markiert: Als Zeit des Barocktheaters gilt dort der Zeitraum von 1580/90 bis 1710/20.325 Diese ganze Epoche jedoch mit einzubeziehen, wäre wiederum ein jeden Rahmen sprengendes Unterfangen. Sucht man nach einer sinnvollen Begrenzung, so bietet sich als historischer Wendepunkt der Beginn des Dreißigjährigen Krieges an. Zunächst einmal markiert dieser Krieg eine erhebliche Zäsur für das allgemeine Leben, auch wenn dies nicht sofort in allen Territorien des Reichs erkennbar war. Nicht ohne Einfluss auf Mentalität und Denken zumal der geistigen Elite konnte es auch bleiben, dass mit diesem Krieg die seit 1552 bzw. 1555 bestehende, einen relativen Frieden garantierende Ordnung im Alten Reich endgültig zerbrochen war. Dass hier, nicht nur aufgrund der Folgen der ab 1621 bzw. 1623 das mittlere und nördliche Deutschland heimsuchenden Kriegshandlungen, ein bedeutsamer Einschnitt vorlag, offenbaren bereits die Trostgedichte, die Martin Opitz nach seiner Flucht aus Heidelberg nach Jütland im Jahre 1621 verfasste.326 Zwar kam das geistige Leben nicht völlig zum Erliegen, doch ist der starke Rück-

325 Vgl. Wilfried Barner, Theater und Publikum des deutschen Barock, in: Anselm Maler – Ángel San Miguel – Richard Schwaderer (Hrgg.), Theater und Publikum im europäischen Barock, Berlin – Bern u.a. 2002, S. 9. 326 Martin Opitz, Trost-Getichte in Widerwertigkeit des Krieges. Das Erste Buch, in: Ders., Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe, hrg. v. George Schulz-Behrend, Bd. I, S. 193,49–194,68: „Die grosse Sonne hat mit jhren schönen Pferden Gemessen dreymal nun den weiten Kreiß der Erden / Seit daß der strenge Mars in vnser Deutschland kam / Vnd dieser schwere Krieg den ersten Anfang nahm. Ich wil den harten Fall / den wir seither empfunden / Vnd männiglich gefühlt... durch keinen blawen Dunst Vnd Nebel vberziehen... Das edle deutsche Land / mit vnerschöpfften Gaben Von GOtt vnd der Natur auff Erden hoch erhaben / Dem niemand vor der Zeit an Krieges-Thaten gleich’ / Vnd das viel Jahre her an Friedens-Künsten reich In voller Blühte stund / ward / vnd ist auch noch heute / Sein Widerpart selbselbst / vnd frembder Völcker Beute. Ist noch ein Ort dahin der Krieg nicht kommen sey / So ist er dennoch nicht gewesen Furchtefrey.“ – Vgl. ferner Thomas Kaufmann, Art. ‚Dreißigjähriger Krieg‘, RGG4 2, Sp. 986: „Die mentalitäts- und frömmigkeitsgesch[ichtlichen] Wirkungen dieser Katastrophe dürften beträchtlich gewesen sein.“



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gang der Buchproduktion ein deutliches Indiz in diese Richtung;327 Dies schließt auch ein Nachlassen der dramatischen Arbeit mit ein. Doch werden auch in literarischer Hinsicht in der Zeit um den Beginn des Krieges herum Umwälzungen erkennbar, die es rechtfertigen, die Grenze für die Untersuchung an dieser Stelle zu setzen. In der Folgezeit beginnt im Anschluss an Opitz’ ‚Buch von der deutschen Poeterey‘ 1624 mit dem barocken Kunstdrama etwas, die Form des bisherigen protestantischen Dramas sprengendes Neues, anhebend mit dem ‚Leo Armenius‘ des Andreas Gryphius 1646, den Barner als das „erste regelgemäße hohe Barocktrauerspiel“ klassifiziert328 – so gewiss auch dessen Anfänge und herausragende Vertreter Gryphius, Lohenstein und Weise aus dem protestantischen Schultheater erwachsen sind. Opitz betreibt, unter Rekurs auf die zeitgenössische neu-lateinischen Literatur, eine Normierung der deutschsprachigen Dichtung in formaler Hinsicht, was generell ein Novum darstellte.329 Auch inhaltlich zeichnet sich mit den genannten Dramatikern etwas Neues ab. So ist bei Gryphius eine eher skeptische Wahrnehmung der Geschichte, die nicht mehr als Heilsgeschichte transparent wird, zu konstatieren.330 Hinzu kommt in den Tragödien seit ‚Leo Armenius‘ die barocke Betonung der Nichtigkeit und die immer stärkere Berücksichtigung von Grausamkeiten auf der Bühne.331 Gilt Opitz’ ‚Buch von der deutschen Poeterey‘ aus dem Jahre 1624 in literaturwissenschaftlicher Hinsicht als Zäsur, so ist nun zu konzedieren, dass sich die von ihm angepeilte Wendung der deutschsprachigen Literatur zum Klassizismus in der deutschen lateinischen Literatur bereits einige Jahrzehnte vorher andeutet, wie Hans-Gert Roloff festgestellt hat.332 Als Beispiel nennt Roloff den pfälzischen lutherischen Pfarrer und Dramatiker Theodor Rhode (Rhodius), der sich im Jahre 1615 gegen die bisherige Dramatik wendet, an der er insbesondere kritisiert, dass sie einen Gegenstand in extenso und von dessen Uranfang behandele, statt ihn in Kürze und auf artifizielle Weise zu bearbeiten. Dabei geht

327 Nach Lucian Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, München 2005, S. 61, umfasste die Buchproduktion in Deutschland im Jahre 1618 den Umfang von 1700 Titeln, im Jahre 1637 dagegen nur 400 Titel. 328 Vgl. Barner, Theater und Publikum, S. 13. 329 Vgl. Roloff, Klassizismus im deutschen Drama um 1600, in: Ders., Kleine Schriften zur Literatur des 16. Jahrhunderts, hrg. v. Christian Caemmerer u.a., S. 188: „Die Innovation der Opitzianischen Bemühung liegt wesentlich auf der Eindeutschung allgemein vorhandener literarischer Phänomene der lateinischen Literatur seiner und früherer Jahrzehnte und, im weiteren, auf der Schaffung von Mustern einer künftigen deutschsprachigen Dichtung …“ 330 Vgl. Barbara Mahlmann-Bauer, Leo Armenius oder der Rückzug der Heilsgeschichte von der Bühne des 17. Jahrhunderts, in: Meier – Meyer – Spanily (Hrgg.), Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit, S. 423–465. Vgl. die Aussage S. 457: „In der Welt von Gryphius’ Bühnenfiguren ist Gottes Wirken nicht mehr direkt und konkret erfahrbar.“ 331 Vgl. Barner, a.a.O., S. 13ff. 332 Vgl. die gerade erwähnte Äußerung Roloffs, Klassizismus im deutschen Drama um 1600, S. 188:

98 Annäherungen er in Aufnahme von Julius Caesar Scaliger von aristotelischen Maßstäben aus.333 Ein weiteres Indiz stellt der Verzicht Rhodes auf die der Kommunikation mit den Zuschauern dienenden Rahmenstücke dar, die für das geistliche Drama bis dahin konstitutiv waren.334 Selbstredend ist ferner die Absage an ein Eingreifen transzendenter Mächte.335 Dass sich mit Rhode etwas Neues andeutet, wird schließlich auch daran deutlich, dass der lutherische Pfarrer in seiner Tragödie ‚Colignius‘ (1615) einen Stoff wählt, in dem der hugenottische Admiral Coligny die Hauptrolle einnimmt, und dieses Drama dem Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz widmet. Damit erscheint in konfessioneller Hinsicht eine zwar nicht indifferente, aber doch offenere Haltung, hält man dem etwa das nur zwanzig Jahre zuvor entstandene Drama ‚Lutherus redivivus‘ von Zacharias Rivander entgegen. Lässt sich so der Wandel der Dramatik nicht genau auf eine Jahreszahl fixieren, so ist doch festzustellen, dass er sich deutlich im Laufe des ersten Viertels oder Drittels des Jahrhunderts vollzieht, ohne dass damit die bisherigen Formen des geistlichen Dramas mit einem Schlage verschwanden. So soll das Jahr 1618 nur eine ungefähre Orientierungsmarke bilden.336 Deutlich ist jedenfalls, dass in einem weiteren Zeitraum um dieses Jahr herum die Theaterlandschaft im Protestantismus einem erheblichen Wandel ausgesetzt ist. Seit dem Ende des vorherigen Jahrhunderts strömen englische Theatertruppen nach Deutschland, die auch aufgrund ihrer Professionalität ohne Zweifel eine Konkurrenz für das geistliche Theater darstellen. Dieser Impuls lässt das Theater auch in Deutschland einen Modernisierungsschub vollziehen. Die ersten Theatergebäude werden errichtet. Das Schultheater, primär das in Schlesien, wird zunehmend professioneller gestaltet, sicher auch motiviert durch die jesuitische Konkurrenz. Dies impliziert aber zugleich seine Emanzipation von engeren religiösen Vorgaben. Die Entwicklung geht, zumal infolge der Erwartungen des Publikums, in Richtung eines weltlichen Theaters.

c) Die Auswahl der Dramen Bleibt noch die Frage offen, wie zu einer positiven Auswahl von Dramen für den zweiten Schritt (Teil C) zu gelangen ist. Hier stellt sich das bei diesem Thema virulente Problem, eine Eingrenzung innerhalb des Themenbereiches des protestantischen Dramas vorzunehmen, noch stärker. Oben wurde für die Option votiert, eine Auswahl mittels der drama333 Vgl. Roloff, a.a.O., S. 190. 334 Vgl. Roloff, a.a.O., S. 193. Vgl. a.a.O., S. 190, wo Roloff von der „früheste(n) Kritik am epischen Theater vom Standpunkt des aristotelisierenden Dramatikers“ spricht. 335 Roloff, a.a.O., S. 198: „Bei Rhodius sind alle Entscheidungen und alle ihnen zugrunde liegenden Werte innerweltlich-menschlich und nicht von transzendenten Mächten eingegeben, befohlen oder programmiert.“ 336 In der Einzelfallbetrachtung des geistlichen Theaters einer Stadt oder eines Territoriums gibt es z.T. konkrete Daten eines echten Einschnittes, wie es etwa das Jahr 1624 für Zürich bedeutet.



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tischen Stoffe bzw. Vorwürfe zu treffen. Deren gibt es, wie erwähnt, freilich viele, ja man kann durchaus von einer überbordenden Vielfalt sprechen. Eine repräsentative Grundlage zu finden, ist faktisch nicht möglich. Um es vorweg zu sagen, jeder Modus einer Auswahl wird anfechtbar sein. Für eine erste Eingrenzung sollen nur zwei Kriterien Berücksichtigung finden. Erstens soll darauf geachtet werden, dass der Stoff in der Forschung nicht schon hinreichend zur Kenntnis genommen und untersucht wurde. Zweitens sollen, insofern eine theologische Studie vorliegt, eher theologische Vorwürfe Gegenstand der Untersuchung sein. Dies könnte nun den Kritikpunkt evozieren, es liege eine petitio principii vor – es würden nur theologische Stoffe untersucht mit dem Ergebnis, dass diese nur theologische Inhalte beförderten und theologische Zielsetzungen verfolgten; eher moralische Stoffe behandelnde Dramen würden dagegen a priori ausgeschlossen. Doch lässt sich diese Kritik entkräften, indem die Frage nach der Moraldidaxe gerade nicht ausgeblendet, sondern neu fokussiert wird durch die Frage, ob und wenn ja wie in einem dezidiert theologische Inhalte repräsentierenden Drama Moraldidaxe betrieben wird und in welchem Verhältnis diese zu theologischen Lehrpunkten steht. Zentral soll freilich die Frage nach der Dramatisierung der reformatorischen Lehre sein. Hier führt heuristisch der Weg zu genuin reformatorische Fragestellungen verarbeitenden Dramen. In dieser Studie sollen im Rahmen von Teil C drei Dramentypen behandelt werden, die drei Stoffe verarbeiten: Dramen 1) über die Geschichte Abrahams mit dem Schwerpunkt der Opferung Isaaks aus Gen 22; 2) über die Geschichte des Protomärtyrers Stephanus aus Act 6–7; und 3) über das Leben und Wirken Martin Luthers.337 Dabei soll Vollständigkeit angestrebt werden in Bezug auf 1) und 2) sowie bei 3) in Bezug auf Dramentypen innerhalb des Genus Lutherdramen. Mit den Dramen der Stoffe 1) und 2) sind auch Fragen der Auslegungsgeschichte biblischer Texte verbunden, in den Dramen der Stoffe 1) und 3) sind Schlüsseltexte reformatorischen Denkens berührt. Diese Wahl der aus den genannten Stoffen geformten protestantischen Dramen bietet zudem den Vorteil, dass mit ihr eine große Vielfalt, die Autoren, ihre soziologische Stellung und ihr Tätigkeitsfeld anbetreffend, eröffnet wird: Die Skala reicht vom Handwerker und Kaufmann über den Stadtschreiber, Lehrer und Schulleiter bis zum Pfarrer und Superintendenten. Zugleich eröffnen sie eine zeitliche Weite, deren Eckdaten die Jahre 1533 und 1613 bilden, ebenso bieten sie eine geographische Breite. Dass dabei ein gewisser Schwerpunkt in den sächsischen und braunschweigischen Landen liegt, entspricht dem vorliegenden Befund zum protestantischen Drama. Immerhin können durch die vorgenommene Auswahl, die 16 Dramen beinhaltet, vier (bzw. fünf ) Dramen aus der Schweiz und Oberdeutschland behandelt werden. Zwei der Dramen sind reformierter Provenienz. Auch dies spricht für die getroffene Auswahl der zu untersuchenden Dramen.

337 Eine intensivere Erläuterung der Wahl der drei Stoffe wird in der Einleitung zu den entsprechenden Dramen geboten, zu Beginn der Abschnitte C I, II und III.

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5. Der Beitrag einer Studie zum geistlichen Drama und Theater Eine kirchengeschichtliche Arbeit zum geistlichen Drama im Protestantismus ist nach obigen Ausführungen durchaus geboten und auch sinnvoll. Die Erhellung dieses Aspektes der Geschichte der Theologie und Verkündigung sowie der Ausbildung von Frömmigkeit im Protestantismus des 16. und frühen 17. Jahrhunderts hat keinesfalls ihren Sinn nur in sich selbst. Sie könnte auch zur Klärung übergreifender Fragen einen Beitrag leisten. Besonders ist hier die Frage der Konfessionalisierung zu nennen. Die Erforschung des Dramas könnte einen wichtigen Beitrag zur Erkenntnis leisten, wie in dieser Zeit Theologie von im Dienste stehenden Pfarrern und Lehrern in für Nicht-Theologinnen und Nicht-Theologen verstehbare dramatische Inhalte umgesetzt wurde. Dies wiederum könnte zumindest einen Schritt auf dem Weg zur Klärung der Frage darstellen, wie hoch die Konfessionalisierung der Nicht-Theologen in dieser Zeit zu veranschlagen ist, eine Frage, die nach wie vor offen ist.338 So könnte einer Verengung der Konfessionalisierungsforschung auf eine theologische Elite, wie sie Heinrich Richard Schmidt erkannt hat, gewehrt werden,339 zugleich aber doch der Raum der Theologiegeschichte, in den auch die nicht-akademische und pfarramtliche Theologie gehört, nicht verlassen werden. Zwar wird in dieser Studie letztlich auch keine echte Klarheit über die Teilnahme an solchen Aufführungen gewonnen werden können, ebenso wenig werden absolut gültige Aussagen über ihre Wirkung getroffen werden können, deutlich aber ist, dass die deutschsprachigen Aufführungen auf Laien, ja sogar auf illiterati zielten und somit echte Bemühungen der Kirche darstellten, die Bevölkerung mit ihrer Botschaft zu erreichen, und zwar unter Berücksichtigung von deren Rezeptionsfähigkeit. Eine Untersuchung des protestantischen Dramas wird so sicher nicht feststellen, wie die reformatorische Botschaft ‚unten ankam‘,340 aber sie kann mithelfen zu eruieren, wie sie ‚unten ankommen‘ konnte, indem sie aufzeigt, wie man ‚oben‘ das ‚Unten‘ einschätzte und welche Konsequenzen man für die Vermittlung daraus zog. Insofern kommt freilich auch die schablonenhafte Vorstellung von einem ‚oben‘ und ‚unten‘ an ihr Ende. Sicher nahmen die Verfasser der Dramen, wie mit dem Begriff der Schaltstelle angedeutet, dem der des Multiplikators an die Seite gestellt werden könnte, eine mittlere Position ein, aber sie versuchten Vorstellungen und Rezeptionsvermögen der ihnen konkret vor Augen stehenden Adressaten zu berücksichtigen. Die Gattung Drama ermöglichte ihnen, den Erwartungen der Adressaten entgegenzukommen, so dass diese in 338 Heinrich Richard Schmidt, Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert, München 1992, S.61: „Leider ist auf diesem Gebiet die Forschungslage trotz einiger bemerkenswerter Arbeiten besonders trostlos... Selbst die Volkskunde hat – den Protestantismus als blasse Buchreligion betrachtend – dieser Epoche der Volkskultur kaum Aufmerksamkeit geschenkt.“ 339 Vgl. Schmidt, a.a.O., S. 119. 340 Schmidt, a.a.O., S. 98, beklagt das Desiderat, hinsichtlich der Erforschung frommen Verhaltens zu Ergebnissen zu kommen, die Aussagefähigkeit für die gesamte Bevölkerung und nicht nur für die Eliten haben.



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gewisser Weise selbst auf ihre Konfessionalisierung einwirkten, also durchaus eine Rückwirkung auf die mittlere Ebene zu konstatieren ist. Das protestantische Drama belegt das Wirken jener Menschen, die in der Zeit der Reformation und in der konfessionellen Zeit die reformatorische Lehre durch dramatische Arbeit der Bevölkerung zu applizieren versuchten. Diese Dramatiker indizieren das breite Vorhandensein eines poetologischen Interesses ihrer Schicht. Ist damit auch das Verhältnis von Kirche und Kunst berührt, so könnten sich von hier aus u.U. neue Einsichten in Bezug auf das Verhältnis des frühen Protestantismus zum Theater als einem Teil der Kunst eröffnen. Das Schaffen dieses Personenkreises dokumentiert die Wirkung der evangelischen Botschaft, extra muros ecclesiae in die Welt hinein. Diese Leistung der damaligen Zeit ist unbedingt zu würdigen; schon dies rechtfertigte eine nähere Beschäftigung mit den Dramatikern. So betrachtet aber, dürfte eine Untersuchung des protestantischen Dramas zumindest einen Beitrag zur Einlösung der von Thomas Kaufmann mit guten Gründen aufgestellten Bedingung leisten, dass die kirchengeschichtliche Forschung nur dann berechtigt sei, Kritik an der funktionalisierenden Betrachtungsweise der Religion in der Konfessionalisierungsforschung zu äußern, wenn sie selbst „... die Wirklichkeit der Religion in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens als ihr Thema begreift. Eine vorrangige Aufgabe der Kirchengeschichtswissenschaft gerade im interdisziplinären Diskurs dürfte darin bestehen, die inkulturativen Wirkungen der christlichen Religion in der Fülle ihrer lebensweltlichen, gesellschaftlichen und politischen Bezüge zu analysieren...“341 Genau darum soll es in dieser Studie gehen: zu eruieren, wie das Evangelium mit der Form Drama in Schule und Kommune wie auch am Hof in die Gesellschaft hineinwirkte.

341 Thomas Kaufmann, Die Konfessionalisierung von Kirche und Gesellschaft. Sammelbericht über eine Forschungsdebatte, ThLZ 121 (1996), Sp. 1121.

Teil B Grundlegung Konzeptionen des geistlichen Dramas im Protestantismus der Reformationszeit und der frühen konfessionellen Zeit Im Folgenden sollen, je für sich, die Bereiche der von Wittenberg ausgehenden Reformation und des sich als reformiert verstehenden Typus der Reformation nach den in ihr vertretenen Konzepten des geistlichen Dramas untersucht werden. Dabei soll zunächst gesichtet werden, wie sich die Dramenproduktion gestaltete, welche Dramentypen, besonders im Umfeld Wittenbergs für den lutherischen Bereich und in der Schweiz sowie in Frankreich für den reformierten Bereich, verfasst wurden. Ebenso werden die Verfasser der Stücke betrachtet. So ergibt sich ein erstes Bild über das Verhältnis der jeweiligen Konfession zum geistlichen Theater. Dieses wird ergänzt durch autoritative Äußerungen der Reformatoren und für die spätere Zeit durch Stellungnahmen von Theologen, die in ihrer Konfession über besonderes Ansehen vefügten, oder – im reformierten Bereich – durch Synodenbeschlüsse. Dabei wird auch zu betrachten sein, inwieweit die einschlägigen Äußerungen der Reformatoren für die folgende Generation leitend waren. Ziel ist es, die Entwicklung der Aussagen zum geistlichen Drama und Theater chronologisch bis in die konfessionelle Zeit zu verfolgen. Im Mittelpunkt steht die Frage, warum die Gattung Drama Verwendung fand, wie der Einsatz des Mediums Theater für geistliche Zwecke im Protestantismus begründet wurde, welche Argumente dafür angeführt wurden, ob es überhaupt zu systematischen Überlegungen in dieser Hinsicht kam und ob diese Überlegungen in eine Konzeption mündeten. Möglich wäre auch, dass die Überlegungen eines Verfassers diesem selbst gar nicht als Konzept erschienen, dass sich aber in der Betrachtung der einschlägigen Äußerungen Grundrisse eines solchen, dann unbewussten Konzeptes ergeben. Möglich wäre es natürlich auch, dass durch die Reformation einfach etwas aufgegriffen wurde, was sozusagen en vogue war, ohne dass dies näher reflektiert wurde, weil ihr mehr oder weniger jedes Mittel recht war, auf das der propagandistische und missionarische Eifer der reformatorischen Schriftsteller zurückgreifen konnte.1 Wie sich zeigen wird, ist dies nicht der Fall, min1 So Joseph E. Gillet, The German Dramatist of the sixteenth Century and his Bible, PMLA 34 (1919), S. 469: „But the proselytizing spirit of the Reformer, although essentially rebellious, was at the same time eager for approval and support, and therefore willing, in a measure, to make use of the means of attraction and delight provided by the ancient forms of dramatic art. Only the propagandist zeal of the Reformers can account for the fact that they should have taken to hand a means for influencing public opinion tainted alike by the use which the Catholic Middle Ages had made of it and by its association with pagan antiquity.“



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destens seit den Äußerungen der Reformatoren, aber auch die Verfasser selbst geben über ihr Tun durchaus Rechenschaft. Bedeutsamer ist die Frage, ob von der reformatorischen Grundorientierung am Worthaften oder von der Kritik an der spätmittelalterlichen Praxis heraus auch Einwände gegen ein geistliches Theater formuliert wurden. Denkbar wäre ja, dass es als mögliche Gefahr erkannt wurde, dass sich das Gezeigte gegenüber dem Worthaften verselbständigen und in der Rezeption des Zuschauers eine Eigendynamik entwickeln könnte, die über das gehörte Wort hinaus oder gar von ihm weg führen könnte. Die Frage ist, ob ein Problembewusstsein für den Sachverhalt vorhanden war, dass das Medium unter der Hand den zu vermittelnden Inhalt bestimmen und in seinem Gehalt auch verändern könnte. Vorstellbar wäre unter diesen Umständen dann aber auch, dass Befürworter des geistlichen Theaters diesen Einwand verarbeiteten und entsprechende Korrektive für die Aufführungen entwickelten, mit denen möglichen, der zeitgenössischen Schaulust2 geschuldeten Fehlorientierungen entgegengewirkt werden konnte. Des Weiteren soll in diesem Teil der Studie geklärt werden, wie von den untersuchten Theologen das Genus geistliches Drama eingeordnet wurde und in welcher Weise dessen Verhältnis zur Predigt oder zur katechetischen Vermittlung beschrieben wurde. Schließlich wird die Frage thematisiert, welche Absichten mit dem geistlichen Drama verfolgt wurden, d.h. welche Wirkungen die zu dieser Frage sich äußernden Theologen und die Verfasser selbst für die Zuhörer erhofften, aber auch welche Intentionen die Autoren für sich selbst hegten.

I. Das Verhältnis der Wittenberger Reformation und der lutherischen Konfession zum geistlichen Drama Zur Klärung der Stellung des geistlichen Dramas und Theaters im lutherischen Bereich bietet sich zunächst ein Überblick über wichtige Dramatiker im Umkreis der Wittenberger Reformation und deren Werke an. Dabei werden die wichtigsten deutschen und lateinischen Dramen – letztere repräsentiert durch Thomas Naogeorg − kurz vorgestellt, eine ausführliche Interpretation der Stücke ist indessen nicht vorgesehen. Sodann sollen theologische Stellungnahmen und Urteile über das Theater und insbesondere das geistliche Drama bzw. Theater aus diesem Bereich der Reformation gesichtet werden, wobei naturgemäß die Wahrnehmung der Position Luthers den Schwerpunkt bildet. Die Frage, in welcher Weise die Haltung der Wittenberger Reformatoren in Schulordnungen der Reformationszeit und der folgenden konfessionellen Zeit Umsetzung gefunden hat und sich in diesen widerspie2 Zur ‚Schaulust‘, dem Bedürfnis nach heilbringender Schau in der Zeit, vgl. Robert Scribner, Flugblatt und Analphabetentum. Wie kam der gemeine Mann zu reformatorischen Ideen?, in: Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Beiträge zum Tübinger Symposion 1980, hrg. v. Hans-Joachim Köhler, Stuttgart 1981, S. 71.

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104 Grundlegung gelte, ist Gegenstand eines eigenen Abschnittes. Insofern die Betrachtung von normative Texte darstellenden Schulordnungen zur Gewinnung eines Urteils allein nicht zureichend ist, soll zur Abrundung des Bildes zumindest rudimentär die Praxis des geistlichen Theaters in einigen lutherischen Städten im 16. und frühen 17. Jahrhundert betrachtet werden. Dies kann nur exemplarisch erfolgen. Es bleibt ein dringendes Desiderat, die Praxis des geistlichen Theaters in deutschen Städten aufzuarbeiten, was nur durch Archivarbeit, etwa durch Analyse von Kämmereirechnungen, erreicht werden kann, auch wenn zu manchen Städten schon ältere Einzelarbeiten vorliegen. Für die spätere Zeit soll die Begründung des geistlichen Theaters bei Ägidius Hunnius und Polykarp Leyser d.Ä. untersucht werden. Mit diesen kann das Verhältnis von zwei Vertretern der akademischen Theologie zum geistlichen Theater betrachtet werden. In einem weiteren Schritt werden anhand der Zeugnisse von Dramatikern des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts die Begründungsformen des geistlichen Theaters im Luthertum dieser Zeit beschrieben, wobei der Versuch unternommen wird, verschiedene Typen zusammenzustellen. Dabei wird deutlich, welche Konzeptionen der frühen Zeit oder der zeitgenössischen Theologie bei ihnen zum Tragen kommen. Schließlich wird, am Ende des hier betrachteten Zeitraums stehend, Balthasar Meisners systematischer Ansatz zur Begründung des Theaters im Allgemeinen und des geistlichen Theaters im Besonderen mit seiner spezifischen Zielrichtung vorgestellt.

1. Dramen und Dramenautoren im Umkreis der Wittenberger Reformation a) Dramen und Dramenautoren des Wittenberger Kreises Die Bezeichnung ‚Wittenberger Kreis‘ wurde in der Literaturwissenschaft von Wolfgang F. Michael zunächst nur als geographische Kategorie gebildet, wobei er Greff, Ackermann und Voith nennt, aber Schwierigkeiten für die Einordnung eines Agricola oder der Neulateiner erkennt.3 In der praktischen Umsetzung nimmt er allerdings ohne weitere Reflexion alle, in irgendeiner Weise zu Wittenberg oder Sachsen in Beziehung stehenden Autoren in dem von ihm betrachteten Zeitraum, der bis in die Mitte der siebziger Jahre des 16. Jahrhunderts geht, in diese Kategorie auf, so dass er auf über dreißig Repräsentanten kommt und auch Naogeorg mit einbezieht.4 Der Germanist Herbert Walz übernimmt die Terminologie ‚Wittenberger Kreis‘ in seiner Einführung in die deutsche Literatur der Reformationszeit, ohne mögliche Kriterien für eine Zugehörigkeit anzugeben.5 Auch ihm gilt Naogeorg als ein Vertreter des Kreises. Zwar beschränkt Walz seine Darstellung auf Autoren der dreißiger und vierziger Jahre, doch ist dies auf die Beschrän3 Vgl. Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 15. 4 Vgl. a.a.O., S. 5–119. 5 Vgl. Herbert Walz, Deutsche Literatur der Reformationszeit. Eine Einführung, Darmstadt 1988, S. 125–132.



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kung des betrachteten Zeitraumes – bis 1555 – zurückzuführen.6 Entsprechend gibt er zu bedenken, dass auch in der zweiten Jahrhunderthälfte „eine Vielzahl von Schuldramen Wittenberger Prägung“ entstanden seien, wofür er Lucas Mai, Thomas Brunner, Georg Rollenhagen und Nicodemus Frischlin als Beispiele anführt.7 Ebenfalls verwendet Manfred Brauneck in seiner Theatergeschichte den Begriff, beschränkt ihn aber auf frühe Autoren, jedoch unter Einschluss Naogeorgs.8 Andererseits widmet er diesem Dramatiker dann doch einen eigenen Abschnitt. Neuerdings nimmt Siegfried Bräuer die Bezeichnung mit der Intention auf, die Bedeutung Wittenbergs für die Entstehung des Bibeldramas in Sachsen, das gemeinhin mit den Städten Magdeburg und Zwickau in Verbindung gebracht wird, stärker herauszustellen. Dabei hebt er darauf ab, dass an der Leucorea die philologischen und theologischen Grundlagen für die Entwicklung des biblischen Dramas gelegt wurden, auch in Hinsicht auf die Rezeption der römischen Komödie.9 Im Anschluss an Bräuer soll die Bezeichnung hier aufgenommen und präzisiert werden. Unter ‚Wittenberger Kreis‘ seien im Folgenden solche Verfasser geistlicher Dramen verstanden, die eine besondere Beziehung zur frühen Wittenberger Reformation pflegten − sei es dass sie dort studierten, sei es dass sie sogar mit Luther und Melanchthon in freundschaftlichem Verhältnis standen – und deren dramatische Tätigkeit sich dieser Beziehung verdankte oder zumindest von ihr beeinflusst war. Dies kann sich etwa manifestieren in der Zugrundelegung der von Luther als dramatische Gedichte aufgefassten biblischen Geschichten bis hin zum Abdruck der entsprechenden Bibelvorreden des Reformators. Der zeitliche Schwerpunkt dieser Autoren liegt in den dreißiger und vierziger Jahren. Ihre Dramen sind – unter der Voraussetzung, dass der ausschließlich lateinische Dramen hervorbringende Thomas Naogeorg nicht hinzugezählt wird − ausnahmslos in deutscher Sprache verfasst. Die Bezeichnung ‚Kreis‘ ist dabei nicht in dem Sinne aufzufassen, dass alle darunter gefassten Schriftsteller untereinander in Verbindung gestanden und ein entsprechendes Gruppenbewusstsein entwickelt hätten. Wohl aber gibt es zahlreiche einzelne Verbindungen zwischen diesen Autoren. Der erste hier zu nennende Schriftsteller ist Joachim Greff, der von 1529 an in Wittenberg studierte und ab 1534 am Magdeburger Gymnasium und ab 1536/37 an der Dessauer Lateinschule wirkte. Mit der Aufführung seines Stückes über Jakob und seine zwölf Söhne im Jahre 1534 in Magdeburg hebt das Drama des Wittenberger Kreises an. Von Greff stammen ferner die Dramen ‚Judith‘ (1536), ‚Abraham‘ (1540), ein Osterspiel (1542), für 6 Vgl. a.a.O., S. 5. 7 Vgl. a.a.O., S. 132. 8 Vgl. Manfred Brauneck, Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters. Bd. 1, Stuttgart – Weimar 1993, S. 540ff. Er nennt als Vertreter Greff, Rebhun, Tirolf, Agricola, Naogeorg, Krüginger. 9 Vgl. Siegfried Bräuer, „Seht, lieben Leut’, kehrt euch daran ...“. Evangelisches Leben auf die Bühne gebracht, in: „Laßt uns aufs Neue wieder anfangen, schreiben, dichten, reimen, singen, malen.“ Die Reformation und die Künste. Wittenberger Sonntagsvorlesungen, hrg. v. Evangelischen Predigerseminar, Wittenberg 2003, S. 84f.

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106 Grundlegung dessen Schlussrede er auf Voiths ‚Spiel vom herrlichen Ursprung‘ zurückgriff,10 eine Dramatisierung der Zachäus-Geschichte (1546), ferner eine Übersetzung des die Geschichte von der Auferweckung des Lazarus verarbeitenden Dramas ‚Anabion‘ des Straßburgers Johannes Sapidus (1545). Über diese reiche Produktivität hinaus ist Greff insofern bedeutsam, als er sich im Jahre 1543 aufgrund von Kritik an seiner dramatischen Tätigkeit nach Wittenberg mit der Bitte um Gutachten wandte, was Luther, Melanchthon, Major und andere zur Beschäftigung mit der Frage des geistlichen Dramas bewegte und einige bedeutsame Antwortschreiben veranlasste. Da Greff später ein eigener Abschnitt gewidmet ist, sei an dieser Stelle auf die dort gebotene ausführlichere Darstellung verwiesen. Der zweite bedeutende Vertreter des Kreises ist der aus Österreich stammende Paul Rebhun (um 1500−1546)11, der in Wittenberg studierte und mit Luther und Melanchthon befreundet war. Nach seinem Studium war er Schulmeister in Kahla und Zwickau, wo er 1538 Rektor wurde. Später wirkte er als Pfarrer in Plauen und seit 1542 als Pfarrer und Superintendent in Oelsnitz im Vogtland. An geistlichen Dramen verfasste Rebhun ein Susanna-Drama, das 1535 in Kahla unter Beteiligung von Schülern und Bürgern zur Aufführung kam und mehrfach nachgedruckt wurde. Das Stück war überaus erfolgreich. Bis 1610 sind 14 Aufführungen, über den sächsischen Bereich hinaus, belegt.12 1538 schrieb Rebhun ein ‚Hochzeitsspiel auf die Hochzeit zu Kana‘. Mit Hans Tirolf bemühte er sich, den ‚Pammachius‘ des Thomas Naogeorg für die Bühne zu bearbeiten. Rebhun sieht den Nutzen der geistlichen Spiele unter Berufung auf Luther darin, dass der Jugend Gottes Wort und Werk eingebildet werde.13 Als generelles Ziel nennt Rebhun die Besserung des Menschen,14 die Erweckung von Gottesfurcht und Tugend15. Die Dramen bieten Exempel zur Nachahmung.16 Sie haben genuin didaktischen Charakter.17 10 Zu Greffs Osterspiel vgl. Barbara Könneker, „Wold ihrs den nicht schir gleuben do?“ Joachim Greffs protestantisches Osterspiel, Daphnis 23 (1994), S. 309–344, zur Verwendung von Voiths Spiel s. S. 341ff. 11 Zu Rebhun vgl. Reinhard Müller, Art. ‚Rebhun, Paul‘, DL3 XII, Sp. 673f. 12 Vgl. Paul Rebhun, Das Gesamtwerk, hrg. v. Paul F. Casey. Bd. 1. Dramen, Bern u.a. 2002, S. 425f. 13 Vgl. die Widmungsrede zur Susanna, in: Rebhun, Gesamtwerk, S. 11. 14 Vgl. die Vorrede zur Susanna, a.a.O., S. 12,13–17, und den Beschluss, a.a.O., S. 86,2010ff: „Drumb thue wir fürnehmlich begehrn Das yhm ein yeder nem daraus Ein lehr / vnd trags mit yhm zu haus Vnd besser sich in seinem standt ...“ Vgl. a.a.O., S. 88,2118. – Auch in seiner Widmungsrede zu Tirolfs Übersetzung des ‚Pammachius‘ schreibt Rebhun, das Spiel sei zur Besserung gedichtet worden; vgl. Thomas Naogeorg, Tragoedia nova Pammachius nebst der deutschen Übersetzung von Johan Tyrolff, in: Thomas Naogeorg, Sämtliche Werke, hrg. v. Hans-Gert Roloff. Erster Band. Dramen I, Berlin – New York 1975, S. 7,19f. 15 Beschluss zur Susanna, Rebhun, Gesamtwerk, S. 89,2131ff: „... nichts gsüchet mehr Dann das der jugnt ein reitzung wer Zu Gottes forcht / vnd erbarkeit Zu tugent / vnd Gotseligkeit...“ Vgl. die Vorrede zum ‚Hochzeitsspiel auf die Hochzeit zu Kana‘, a.a.O., S. 216,20. 16 Vgl. die Widmungsrede auf das Hochzeitsspiel, in: Rebhun, Gesamtwerk, S. 213. 17 Vgl. die Vorrede zum Hochzeitsspiel, a.a.O., S. 217,55ff: „Vnd vns ist hie zu thun viel mehr Vmb vnterricht vnd gute lehr Für iunge meid vnd iunge gseln Die sich in ehstand geben wölln...“ – In



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Mehrere Tendenzen sind in Rebhuns Werk manifest. Zum einen zeigt sich in beiden Dramen sein Interesse an der Ehekatechese, das ihn auch eine Unterweisung für Eheleute abfassen ließ. Zum andern galt seine Aufmerksamkeit der Aufgabe, Züge des wiederentdeckten antiken Dramas für die neuen biblischen Dramen fruchtbar zu machen. So führte er z.B. den Chor in seine Stücke ein. Auf dieser Linie liegt es auch, dass Rebhun ein lateinisches Schulbuch mit aus Terenz erhobenen Sprachbeispielen konzipierte. Eine dritte Tendenz wird in der Verwendung des Susanna-Stoffs erkennbar. Mit ihr griff Rebhun Luthers ein Jahr zuvor geäußerte Vermutung auf, das Buch stelle wie die Bücher Judith und Tobias ein ‚geistliches Gedicht‘ dar.18 Die Zitation der einschlägigen Stellen aus Luthers Bibelvorreden zu Judith und Tobias in der Widmungsrede ist ein weiteres Indiz dafür, dass er den Wittenberger Reformator als für seine dramatische Tätigkeit maßgebliche Autorität ansah. In der Ausgabe von 1536 erschienen diese Bibelvorreden sogar als eigener Anhang.19 Der Rekurs auf den Reformator bildete zugleich einen möglichen Schutz für eventuelle Kritik an der Dramatisierung biblischer Geschichten. Dass Rebhun hier nicht ganz unangefochten war, zeigt seine Verteidigung der Aufnahme von Elementen, die im biblischen Text nicht enthalten sind, und seine Mahnung, das Stück nicht mit der biblischen Geschichte selbst zu verwechseln.20 Keinesfalls soll die dramatische Darstellung vom biblischen Text wegführen oder ihn gar ersetzen. An diese als maßgebliche Instanz bleiben Zuschauende und Lesende gewiesen. In der Susanna-Dramatisierung dominiert insgesamt der ethische Aspekt. Susannas Verhalten wird als Spiegel und d.h. als vorbildlich gewertet.21 Darüber hinaus soll jeder Stand etwas zu seiner Besserung im Drama finden.22 Allerdings beinhaltet die Vorbild-

seiner Widmungsrede zu Tirolfs ‚Pammachius‘ spricht er von „sichtigem unterricht“; vgl. Thomas Naogeorg, a.a.O., S. 459,78f. 18 WA.DB 12, 492,8ff.: „Aber der Text Susanne, des Beel, Abacuc und Drachens, sihet auch schÖnen, geistlichen getichten gleich, wie Judith und Tobias ...“ Vgl. dazu Andrea Seidel, Luther und das protestantische Schauspiel, in: Martin Luther in der Kulturgeschichte. Der soziale Raum von Martin Luthers Wirken. Protokolle des Wissenschaftlichen Kolloquiums am 08.06. 1996 in der Lutherstadt Eisleben und am 09.11.1996 in Hettstedt, Halle 1997, S. 37. 19 Rebhun, Gesamtwerk, S. 90f. 202f. Vgl. dazu Bräuer, a.a.O., S. 85. 20 In der Vorrede zum Hochzeitsspiel, a.a.O., S. 216,36–217,50, bemerkt Rebhun, die biblische Geschichte schweige zu vielen Aspekten, da sie sich auf Jesu Wunder konzentriere. Über seine Zusätze äußert er ebd.: „Das nür ist gesetzt zu guter lehr / Das lass man bleyben ein geticht Vnd mach ihm niemand draus ein gschicht.“ 21 Vgl. die Vorrede zur Susanna, a.a.O., S. 87,2053ff: „Dann erstlich ists ein spiegel klar Darinn sich solln beschawen gar All frume frawen / die da wolln Gern wandeln / wie sie wandeln solln ...“ 22 Das Susanna-Spiel lehre, wie Rebhun in der Vorrede, a.a.O., S. 12,26ff, schreibt, „Wie yede fraw soll halten werd ihr ehre / Wie oberkeit sich halten soll jm rechten / Was zu gebürt herrn / frawn / kind / meydn / vnd knechten.“ Dies wird im Beschluss (a.a.O., S. 86–89) anhand der im Drama auftretenden Personen für die verschiedenen Gruppen (Obrigkeit, Kinder, Ehefrauen, Ehemänner, Knechte und Mägde) konkretisiert.

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108 Grundlegung funktion Susannas auch ihr Vertrauen auf Gott in der Not.23 Das Drama soll den Glauben stärken und dazu beitragen, aufkommendes Leiden in Geduld zu ertragen.24 Das Hochzeitsspiel ist ebenfalls als Exempel gedacht.25 Die Eheleute sollen aber auch Trost erhalten, wenn sie vom Teufel angefochten werden.26 Rebhuns Werk hebt vor allem auf die ethischen Konsequenzen der Rechtfertigungslehre ab.27 Diese selbst ist nicht Gegenstand der Handlung, wobei die Frage ist, ob dies Reflex einer eigenen bewussten Entscheidung ist oder Folge der Wahl des verarbeiteten Stoffes und der in ihm wirksamen Tendenzen und damit letztlich der Äußerungen Luthers. Eine Folge dieser Fixierung auf die Ethik ist das Fehlen von Polemik gegen die alte Kirche.28 Dennoch ist Rebhuns Werk als genuin reformatorisch zu beurteilen, wie sich am Lob der Ehe im Hochzeitsspiel auf die Hochzeit zu Kana zeigt, wo die Ehe durch Jesus selbst als gottseliger Stand gepriesen wird.29 Weitere Spuren reformatorischen Denkens sind etwa im Beschluss des Susanna-Dramas zu erkennen, wenn Rebhun den Eigenwillen des Menschen als böse qualifiziert oder – in Abgrenzung gegen die Täufer – auch die über noch keine Vernunft verfügenden Kinder als Geistträger würdigt und damit implizit die Praxis der Kindertaufe verteidigt.30 Dass Rebhun aber auch in scharfer Weise antipäpstliche Polemik betreiben konnte, zeigt seine Widmungsrede zu Tirolfs Übersetzung des ‚Pammachius‘.31 Dort vertritt er die unbedingte Notwendigkeit einer Aufklärung der Jugend über die Gräuel des Papsttums, die keinesfalls in Vergessenheit geraten dürften. Dies zu verhindern, könne gerade die Gattung Drama einen wichtigen Beitrag leisten. Die Abscheu vor dem Papsttum und der Dank für seine Überwindung soll in einer Art Erinnerungskultur wach gehalten werden. Von Rebhun zum Schreiben von Dramen inspiriert wurde der Zwickauer Goldschmied Hans Ackermann, über dessen Vita kaum etwas bekannt ist.32 Er verfasste 23 Vgl. Siegfried Bräuer, Die Reformation und die Dichtung, in: Helmar Junghans (Hrg.), Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen, Leipzig 2005, S. 182f. 24 Vgl. Rebhun, Vorrede zur Susanna, a.a.O., S. 12,24f. 25 Vgl. die Widmungsrede zum Hochzeitsspiel, a.a.O., S. 213. 26 Vgl. die Vorrede zum Hochzeitsspiel, a.a.O., S. 217,61ff. 27 Vgl. Bräuer, a.a.O., S. 183. 28 Vgl. a.a.O., S. 184. 29 Vgl. a.a.O., S. 183. Jesus nimmt im Drama auch die Trauung vor bzw. gibt das Paar zusammen. – In der Vorrede zum Hochzeitsspiel spricht Rebhun vom „gotseligen stand der ehe“; vgl. Rebhun, Gesamtwerk, S. 216,27. „Dises edle Gots geschepff“ nennt er die Ehe in der Widmungsrede (a.a.O., S. 214). 30 Vgl. den Beschluss, a.a.O., S. 86,2019ff: „... wie ein elend ding es sey Umb einen menschen / wenn er frey Gelassen wird seim eygnen will Wie yhm kein boßheit ist zu viel.“ Vgl. a.a.O., S. 87,2045ff: „Der Daniel [sc. der Susanna-Geschichte] beweißt vns alln Wie hertzlich Gott die kinder gfalln Vnd wie er yhn auch geben kan Seinn geist / wenns gleich vernunfft nicht han.“ 31 Vgl. die Widmungsrede, in Naogeorg, Sämtliche Werke Bd. 1, S. 458f., bes. S. 458,54f.; S. 459,77f.86ff. 32 Vgl. die Einleitung von Hugo Holstein (Hrg.), Dramen von Ackermann und Voith, Stuttgart 1884, S. 1.



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1536 unter dem Titel ‚Der ungeratene Sohn‘ ein von Gnapheus’ ‚Acolastus‘ beeinflusstes Drama zum Gleichnis vom verlorenen Sohn, das im gleichen Jahr aufgeführt und später mehrfach nachgedruckt wurde. 1539 folgte ein Paul Rebhun gewidmetes Drama Tobias und 1545/46 ein Spiel vom barmherzigen Samariter.33 Auch bei Ackermann besteht die Hauptabsicht darin, auf ein evangeliumsgemäßes Leben des Gerechtfertigten in den von Gott gestifteten Ständen zu drängen, im Falle des jungen Tobias auf Gehorsam gegenüber den Eltern. Zugleich ist er aber auch bestrebt, die reformatorische Rechtfertigungslehre zu vermitteln und das Wesen der Werkgerechtigkeit zu desavouieren, wie die Vorrede zum ‚Tobias‘ belegt.34 Dieses Anliegen kommt im Spiel vom barmherzigen Samariter zum Ausdruck und prägt auch die dritte Ausgabe des Dramas über den verlorenen Sohn aus dem Jahre 1540. Ackermann versteht so seine dramatische Arbeit als Verlängerung bzw. Unterstützung der Predigt, insbesondere von deren paränetischer Aufgabe.35 Er hebt dabei die Nachhaltigkeit des Mediums hervor.36 Valentin Voith (Voigt; ca. 1487 − ca. 1558) studierte in Wittenberg und wirkte später als Meistersinger und Steuerbeamter in Magdeburg.37 Aus seiner Feder stammen ein Georg Major gewidmetes Drama ‚Esther‘ (1537)38 und ein die Tradition der mittelalterlichen geistlichen Spiele aufnehmendes, aber in protestantischer Perspektive modifiziertes ‚Spiel vom herrlichen Ursprung, betrübtem Fall, gnädiger Wiederbringung, mühseligem Leben, seligem Ende und ewiger Freude des Menschen‘ (1538), in dem mit ausgewählten

33 Zu den Dramen Ackermanns vgl. Bräuer, a.a.O., S. 184f., und Helmut Rosenfeld, Art. ‚Ackermann, Hans‘, NDB 1, S. 37. Der 1539 in Zwickau erschienene Tobias – ‚Ein Geistlich und fast nutzlichs Spiel, von dem frommen Gottfürchtigen mann Thobia, Durch Hanssen Ackerman inn Reimen bracht Im 1539.‘ – ist ediert in Holstein (Hrg.), Dramen von Ackermann und Voith, S. 11–67, die Fassung des Dramas vom verlorenen Sohn von 1540 – ‚Der Ungeratne Sohn Luce am XV. Spielweis gereimbt, und zum theil geandert, durch Hansen Ackerman. Im 1540.‘ –, ebenfalls in Zwickau gedruckt findet sich a.a.O., S. 69–139. Das Drama zum Gleichnis vom barmherzigen Samariter ist bei Goedeke nicht verzeichnet, es findet sich auch nicht in VD 16. 34 Ackermann, Tobias, ed. Holstein, S. 13, 21–26: „Nicht das man seh auff gute werck, Die menschen thun... Und wollen selig werden mit, Dieselben werck die wil Gott nit, Nur die, do aus dem glauben sein, Als lieb des nehsten, nicht im schein...“ 35 Vgl. die Vorrede zum ‚Ungeratenen Sohn‘, ed. Holstein, S. 71,25ff: „Wie ihr dann solchs auch teglich hört, Das man euchs von der Cantzel lehrt, Des ihr euch hie erynnern solt, Ob ihr des spiels euch pessern wolt.“ 36 Vgl. a.a.O., S. 72,29ff: „Es ist abr drumb in Reimb gestalt Und wird gespielt, das ihrs behalt Und euch des tröstet dester mehr.“ 37 Zu Voith / Voigt s. Reinhard Müller, Art. ‚Voigt, Valentin‘, DL3 XXVI, Sp. 195f. 38 Das Stück – ‚Ein seer schön, lieblich, nützlich und tröstlich Spiel, aus der heiligen schrifft und dem buch Esther, inn kurtze reim gesetzt, darinn angezeigt wird, wie Gott alle zeit die hoffart und den eigenwil, die Demut und Gottfurchtigkeit, der bösen und fromen menner und weiber gestrafft und belonet hat‘, Magdeburg 1537, ist ediert in Hugo Holstein (Hrg.), Dramen von Ackermann und Voith, S. 155–205.

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110 Grundlegung biblischen Szenen die gesamte Heilsgeschichte zur Darstellung kommt.39 Das Spiel wirkte erheblich weiter, etwa auf Heinrich Knausts Tragödie von der Verordnung der Stände und auf das Osterspiel seines Freundes Joachim Greff.40 In seiner Widmungsrede weist Voith – eine Bemerkung Greffs aus dessen Judith-Drama aufnehmend − erfreut darauf hin, dass das Wort Gottes zu dieser Zeit nicht nur gepredigt, sondern auch vorgeschrieben, gesungen, gemalt und gespielt werde.41 Das geistliche Drama gilt ihm als eine Weise der Verbreitung des Wortes Gottes und der Applikation des Evangeliums. In der Pluralität der Formen erkennt er die überfließende göttliche Gnade. Für die Darstellung der Passionsszene berücksichtigt Voith die kritischen Einlassungen Luthers zu den Passionsspielen.42 Voiths Intention ist eine kerygmatische, er will dem Menschen das Heil verkünden, dessen Tun ist nicht im Blick.43 Eine für den Wittenberger Kreis singuläre Erscheinung stellt die 1537 in Wittenberg erschienene ‚Tragedia Johannis Huß‘ von Johann Agricola (ca. 1494−1566) dar.44 Agricola studierte ab 1515 an der Leucorea und stand bis zum Streit um den Antinomismus in freundschaftlicher Beziehung zu Luther und Melanchthon. Von 1525 bis 1536 wirkte er als Leiter der Lateinschule in Eisleben und als Prediger an St. Nicolai daselbst. Unabhängig von dem anhebenden Streit soll den Reformatoren das Stück als solches nicht recht zugesagt haben, wie eine in Dramenform gehaltene polemische Schrift des Johannes Cochläus ‚Ein heimlich Gespräch von der Tragedia Johannis Hussen‘ insbesondere über Melanchthon kolportiert.45 Anlass für die Dramatisierung der Vorgänge des Konstanzer Konzils dürfte die Ausschreibung eines Konzils durch Papst Paul III. im Jahre 1536 gewesen sein.46 Der Sinn der Tragödie bestand dann darin, das wahre Wesen eines päpstlichen Konzils drastisch vor Augen zu führen. Im Jahre 1538 erschien eine weitere Ausgabe des Dramas. Das Stück wurde in Torgau, zunächst vor dem Rat, dann vor dem Kurfürsten aufgeführt.47 Zum Wittenberger Kreis zu zählen ist auch der später in Hamburg wirkende Heinrich Knaust (1521/24−1557), der in Wittenberg studierte und besonders von Melanchthon geprägt wurde.48 Ab 1540 wirkte er als Rektor in Cölln, ab 1548 als Advokat am Berliner Kammergericht. Aus Knausts Feder stammen zahllose Schriften, vor allem 39 Zu diesem 1538 in Magdeburg gedruckten Drama vgl. A.A. Meyer, Heilsgewißheit, Heidelberg 1976, S. 14–57. – Ediert ist es in Holstein (Hrg.), Dramen von Ackermann und Voith, S. 207–316. 40 Vgl. Meyer, a.a.O., S. 57; Könneker, „Wold ihrs den nicht schir gleuben do?“, a.a.O., S. 341ff. 41 Vgl. Meyer, a.a.O., S. 17, und Siegfried Bräuer, „Seht, lieben Leut’, kehrt euch daran …“, S. 86. 42 Vgl. Meyer, a.a.O., S. 42ff. 43 Vgl. a.a.O., S. 56. 44 Zum Drama vgl. Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 80. 45 Ebd. und S. 369 Anm. 126. 46 Vgl. Hans-Gert Roloff, Heilsgeschichte, Weltgeschichte und aktuelle Polemik: Thomas Naogeorgs Tragoedia nova Pammachius, Daphnis 9 (1980), S. 745f. 47 Vgl. Wolfgang F. Michael, Forschungsbericht, S. 87. 48 Zu Knaust vgl. Ingrid Bigler, Art. ‚Knaust, Heinrich‘, DL3 VIII, Sp. 1394f.



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juristische, aber auch solche erbaulichen und seelsorglich-lebenskundlichen Charakters, z.B. Lasterspiegel, sowie Abhandlungen aus anderen Wissensgebieten. An geistlichen Dramen veröffentlichte er jeweils in Wittenberg eine ‚Verordnung der Stände‘ (1539) und während seiner Rektorenzeit ein Weihnachtsspiel (1541).49 Das erste Drama nimmt die Geschichten von den ungleichen Kindern Evas und vom Brudermord Kains auf. In ersterer, einer Ätiologie der gesellschaftlichen Unterschiede, begutachtet Gott die Kinder Evas und teilt ihnen nach der Prüfung ihren Beruf und Stand zu.50 Knaust folgt mit dem Stoff Melanchthon, der das Motiv kurz zuvor in einem Brief an den Graf Johann von Wied im Rahmen eines Fürstenspiegels verarbeitet hatte.51 Die Lebensdaten des aus Kahla gebürtigen Hans Tirolf sind nicht bekannt. Schüler von Rebhun in Zwickau, ist er 1538 als Student in Wittenberg belegt. 1539 verfasste er ein Drama über die Heirat Isaaks, das in Wittenberg erschien. Ferner schrieb er eine 1541 in Leipzig gedruckte Dramatisierung der Geschichte von David und Goliath. Bedeutsam ist schließlich seine Übersetzung des ‚Pammachius‘ von Naogeorg aus dem Jahre 1540.52 Als Intention für sein dramatisches Wirken gibt Tirolf an, die Darstellung von Gottes Werken diene dem gemeinen Mann zum Unterricht, das Sehen unterstütze das Hören.53 In seinem Isaak-Drama preist er die göttliche Ordnung der Ehe und die dem korrespondierende Erziehung der Kinder zur Ehe. Das David-Drama nimmt den Gedanken der Präfiguration auf und stellt Davids Geschick als Hinweis auf Christi Kampf und Sieg gegen den Teufel und seinen tyrannischen Verbündeten dar. Polemische Diktion erscheint in der Widmungsrede zu seiner Pammachius-Übertragung, wo er ähnlich wie Rebhun dafür eintritt, dass die „AbgÖttischen grewel des Babstumbs“ der in dieser Hinsicht unwissenden Jugend eingeprägt werden müssten, damit die Wohltat seiner Überwindung

49 An weltlichen Dramen schrieb Knaust eine Tragödie ‚Dido‘ (1566 veröffentlicht), eine ‚Comoedia de recta institutione juventutis‘ (1600 veröffentlicht) und eine ‚Agapetus Paedagogiae Comoedia‘ (erschienen 1600). 50 Zu diesem Drama vgl. Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 62ff. 51 Vgl. CR 3, 653–666 (Nr. 1785), s. Melanchthons Briefwechsel, hrg. v. Heinz Scheible. Regesten Bd. 2, S. 421 (Nr. 2165). Der offene Brief ist datiert vom 23.03.1539. – Vgl.dazu Maria E. Müller, Der Poet der Moralität, Bern u.a. 1985, S. 102ff. 104, Wolfgang F. Michael, ebd. – Das Motiv erscheint in weiteren Dramen der Reformationszeit, so bei Hans Sachs und in lateinischer Version bei Sixt Birck und später in Nikolaus Selneckers lateinischem Drama ‚Theophania‘. Knaust, Birck und Selnecker rekurrieren direkt auf Melanchthon, Birck unter Abdruck weiter Teile des Melanchthonbriefes. Zu dem Motiv vgl. ferner Johannes Winzer, Die ungleichen Kinder Evas in der Literatur des 16. Jahrhunderts, Diss. Greifswald 1908. 52 Sie ist der kritischen Ausgabe der Werke Naogeorgs beigegeben; vgl. Thomas Naogeorg, Sämtliche Werke. Bd. 1 Dramen I, hrg. v. Hans-Gert Roloff, Berlin – New York 1975. 53 Vgl. Michael, a.a.O., S. 75. Zu Tirolf vgl. ferner Hugo Holstein, Art. ‚Tirolff, Hans‘, ADB 38, S. 361f.

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112 Grundlegung nicht dem Vergessen anheim falle und man nicht noch einmal in einen derartigen Irrtum stürze.54 Der aus Joachimsthal stammende Johann Krüginger (1521−1571)55 erhielt seine schulische Bildung bei Johannes Mathesius und Nikolaus Herman. Er studierte in Wittenberg, Leipzig und möglicherweise auch in Tübingen. 1544 Magister in Wittenberg, wirkte er als Lehrer an verschiedenen Orten, insbesondere im erzgebirgischen Marienberg, wo er 1548 Diakon und später Pfarrer wurde. Neben seinen Bemühungen um eine Sammlung der Tischreden Luthers widmete er sich der Abfassung von Dramen. 1542/43 erschien in Zwickau seine Komödie vom reichen Mann und armen Lazarus. In der Widmungsrede geht er von der Komödie als Spiegel aus, der zu einem guten Lebenswandel reizen und einen schlechten ausschließen soll. Zugleich soll ein Drama der Glaubensstärkung dienen. Als Vorteil des Mediums benennt er dessen Nachhaltigkeit. Eine Aufführung bleibe länger im Herzen als das bloß Gesagte oder Vorgelesene. Im Jahre 1555 erschien eine Neubearbeitung aus der Hand des Verfassers, in der er den Lesern verschiedene Möglichkeiten für eine Identifikation mit Lazarus für leidende Menschen eröffnet, wobei er treue Prediger, arme Studenten, verfolgte Christen, aber auch unter ihren Eltern leidende Kinder im Auge hat. Zuvor, 1545, war Krügingers zweites Stück, die Tragödie von Herodes und Johannes dem Täufer erschienen, in dem er das Ziel einer Warnung an die Tyrannen, dass ihnen das göttliche Gericht drohe, und eines Appells an alle Christen, in der Not auf Gott zu vertrauen, verfolgt.56 Proprium dieses Stückes ist der soziale Impetus, der sich besonders gegen den Wucher richtet. Darin steht es unter den Dramen des Wittenberger Kreises allerdings recht vereinzelt da.57 Auffallend ist, dass sich Krüginger in der Widmungsrede gegen Kritik an seinem ersten Drama zur Wehr setzt, und zwar offensichtlich gegen eine grundsätzliche Verwerfung geistlicher Dramen, die wahrscheinlich aus dem Kreise der Pfarrer geäußert wurde. Krüginger antwortet auf diese ablehnende Haltung mit dem Hinweis, dass biblische Geschichten allemal besser seien als heidnische.58 Johann Chryseus, über dessen Lebenslauf nur wenig bekannt ist, verfasste 1544/45 im hessischen Allendorf ein in Wittenberg veröffentlichtes Drama ‚Hofteufel‘, das den Stoff aus Daniel 6, die Geschichte von Daniel in der Löwengrube, verarbeitet und deutlich von Naogeorgs ‚Pammachius‘ beeinflusst ist, wie auch die Wahl negativer Figuren als Hauptpersonen belegt.59 Der Daniel-Stoff bildet aber nur den Aufhänger, die Geschichte wird 54 Vgl. die Widmungsrede Tirolfs, in Naogeorg, a.a.O., S. 15,78–86. 55 Zu Krügingers Leben und Werk vgl. Siegfried Bräuer, „Seht, lieben Leut’, kehrt euch daran ...“, a.a.O., S.86ff. 56 Vgl. Bräuer, a.a.O., S. 88; zum Drama insgesamt vgl. a.a.O., S. 87–94. Siehe ferner das Titelblatt bei Bräuer, Die Reformation und die Dichtung, a.a.O., S. 187. 57 Vgl. Bräuer, Die Reformation und die Dichtung, S. 186. 58 Vgl. Bräuer, „Seht, lieben Leut’, kehrt euch daran ...“, S. 88. 59 Zum Drama vgl. W.F. Michael, a.a.O., S. 92ff., und Gustav Falter, Art. ‚Chryseus, Johann‘, NDB 3, S. 251f.



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völlig anachronistisch in die Gegenwart übertragen.60 Der Teufel erscheint als Mönch, ein Gegner Daniels wird zum Kardinal erhoben. Die Hofteufel stellen die grimmigen und wütenden Papisten dar, durch die der Teufel fromme Fürsten zu verführen und zu verfolgen sucht.61 Die Person Daniels selbst wird in den Farben eines protestantischen Pfarrers geschildert. Das Werk zeichnet sich so durch konfessionelle Polemik aus, zugleich wird in ihm deutliche Sittenkritik geübt. Die Zielsetzung des Dramas besteht in der Vermittlung von Trost für die im Glauben Bedrohten, zugleich sollen die ‚Feinde‘ zur Buße ermahnt werden – ein selten erscheinender Aspekt der Außenorientierung.62 Das Stück hat durchaus politische Brisanz, insofern Chryseus die Rede von den ‚Hofteufeln‘ auf den kaiserlichen Hof überträgt, wo diese gegen den sächsischen Kurfürsten intrigieren – es ist das Vorfeld des Schmalkaldischen Krieges −, aber den Kurfürsten keiner Untreue gegenüber Kaiser und Reich zeihen können, wie im Falle Daniels.63 Er folgert: „Nicht zu allem / was grosse Herrn wollen / wenn es Gottes ehre belanget / ja gesaget / Man mus Gott mehr mehr fÜrchten und gehorsam sein denn allen Menschen / und grossen Herrn.“64 Chryseus besorgte 1546 auch eine Übersetzung von Naogeorgs Esther-Dramatisierung ‚Hamanus‘.65 Der Straßburger Christoph Lasius (1504−1572)66, der nach in seiner Heimatstadt erfolgter Schulbildung in Wittenberg studierte, von 1537 bis 1543 Rektor in Görlitz war und von 1543 bis 1545 als Pfarrer in Geußen, später in Spandau tätig war, verfasste ein ‚Trostspiel‘ von der Geburt Christi, das dort auch im Jahre 1549 zur Aufführung kam.67 Im Prolog bringt Lasius das solus Christus massiv gegen den Papst in Anschlag, der für ihn im gewalttätigen König Herodes d.Gr. präfiguriert ist und den er als Antichristen bezeichnet.68 Im Epilog fordert er die Zuschauer auf, sich für Christus,

60 Michael, a.a.O., S. 93: „Chryseus’ Danielbehandlung mangelt jeder Eigenwert, sie dient nur als Gleichnis.“ 61 Vgl. Chryseus, Hofteufel, Frankfurt 1566, Widmungsrede, A IIIa–b. Das Werk ist kritisch ediert in Johann Chryseus, Hoffteuffel, hrg. v. Uwe Klimpel, Bern u.a 1991, vgl. hier S. 2,58ff. Vgl. ferner den ‚Beschlus‘, ed. Klimpel, S. 87,2166ff: „drumb [sc. aufgrund der Daniel-Geschichte] keiner sol / Verzagn / ob gleich der Teuffl und Welt / Mit TÜrckn und Bapst grewlich stelt.“ Das Spiel ist gemacht (S. 87,2171ff), „Darumb allein / Das es den frommen Leutn sol sein / Ein Trost...“ 62 Vgl. a.a.O., A IIIIa–b; ed. Klimpel, S. 4,117ff. 63 Vgl. die Widmungsrede, ed. Klimpel, S. 3,90–97. 64 A.a.O., S. 6,199–203. 65 Diese ist der kritischen Ausgabe der Werke Naogeorgs beigefügt; vgl. Thomas Naogeorg, Sämtliche Werke, Bd. 3, Zweiter Teil Dramen IV, hrg. v. Hans-Gert Roloff, Berlin – New York 1983. 66 Zu Lasius vgl. Ingrid Bigler, Art. ‚Lasius, Christoph‘, DL3 IX, Sp. 966f., und W.F. Michael, a.a.O., S. 67ff. Lasius verfasste ferner ein christliches Hausbuch. 67 Das Spiel wurde von Bolte ediert: Ein Spandauer Weihnachtsspiel. 1549, hrg. v. Johannes Bolte, Märkische Forschungen XVIII (1884), S. 109–222. 68 Lasius, Prologus, S. 112f. Herodes bedrohe den rechten Glauben mit Schwert und Spieß. Es sei vonnöten, dass man sich schicke und alles mit Geduld leide: „Man kann vns ja nichts geben schult, Denn das wir Euangelisch sindt, Gleuben ans new geborne Kindt, Das man der Sünde werde loß,

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114 Grundlegung d.h. aber auch für Leiden und Prüfungen, oder für Herodes, beladen mit Schuld, zu entscheiden.69 Anhand der hier vorgenommenen Zusammenschau lassen sich mehrere Tendenzen erheben. Das Drama der Vertreter des Wittenberger Kreises ist im Wesentlichen Schuldrama. Der überwiegende Teil der Verfasser wirkte als Lehrer und widmete sich dem Dramenschreiben während der Zeit dieser Tätigkeit. Allerdings gibt es auch Autoren, die nicht im Lehramt arbeiteten und aufgrund von Beziehungen zu anderen Schriftstellern oder zu den Reformatoren zum Abfassen von geistlichen Dramen motiviert wurden. Viele der Dramen wurden im schulischen Rahmen aufgeführt, jedoch ist bei einigen die städtische Bürgerschaft beteiligt. In stofflicher Hinsicht ist eine Vielfalt erkennbar, die von Patriarchengeschichten über weitere Episoden aus der Geschichte Israels über die Apokryphen, Beispielerzählungen aus den Evangelien, Jesus-Geschichten bis zu Dramatisierungen der Heilsgeschichte als ganzer oder von einzelnen Ereignissen derselben reicht. Damit zeigt sich, dass Luthers als Empfehlung aufgenommene Äußerungen über den dramatischen Charakter der Apokryphen rezipiert wurden, dass sich aber die Verfasser durch diese Aussagen wiederum auch nicht veranlasst sahen, ihre dramatische Tätigkeit auf jene Stoffe zu beschränken. Lässt sich zwar noch darauf verweisen, dass Luther gleichfalls die Dramatisierung von gesta Christi billigte, so geht doch das stoffliche Reservoir auch darüber hinaus.70 Das Drama des Wittenberger Kreises zeigt so durchaus eine Vielgestaltigkeit. Für die Stoffwahl als solche sind teilweise sogar traditionelle mittelalterliche Vorgaben relevant, wie die Verarbeitung heilsgeschichtlicher Motive belegt – womit aber über die konkrete Umsetzung dieser Stoffe noch nichts gesagt ist. So hat Barbara Könneker herausgearbeitet, dass sich das Osterspiel Greffs trotz der Aufnahme des gleichen Vorwurfs wie in mittelalterlichen Spielen charakteristisch von diesen unterscheidet und sich, in gewisser Weise entmythologisierend, auf die Frage des Glaubens der Jünger konzentriert, dagegen weder die Auferstehung selbst noch die Verkündigung durch die Engel zur Darstellung bringt.71 In gleicher Weise hat Almut A. Meyer die Modifikation der mittelalterlichen Tradition in Voiths Spiel vom herrlichen Ursprung deutlich gemacht, die besonders in der Einbeziehung der Zuschauer, in deren Anrede, zum Ausdruck kommt, durch die das Dargestellte seinen Illusionscharakter verliert und in die Gegenwart transportiert wird.72 So zeigt sich in diesen Dramen eine Tendenz weg von der Darstellung des heilsgeschichtlichen Ereignisses hin zu dessen Rezeption bei den Empfängern und damit zum Exempel

Allein durch diesen Heilandt groß, Des Bapsts geplemper sey nichts werdt, Bapst sey der Antichrist auff Erdt, Das sagen wir ohn alle schew ...“ 69 Vgl. Epilogus, a.a.O., S. 162. 70 Zu Luthers Position s.u. in Abschnitt 2 c). 71 Vgl. Könneker, „Wold ihrs den nicht schir gleuben do?“, a.a.O., S. 323, 325f., 338, 343. 72 Vgl. Meyer, Heilsgewißheit, S. 50f., die ebd. Anm. 69 aber auch auf entsprechende Tendenzen im geistlichen Drama des Mittelalters aufmerksam macht.



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und zur predigtartigen Aufbereitung des Ereignisses.73 Die von Luther nicht intendierte Dramatisierung von Geschehnissen der Heilsgeschichte wie der Geburt oder der Auferstehung Jesu, die im Zentrum der geistlichen Spiele stand, wird auf diese Weise doch in Luthers Sinne umgesetzt. Der Vorgabe Luthers folgend wird auf die Darstellung der Passion aber in Gänze verzichtet. Ein entsprechendes Vorhaben hat Joachim Greff auf Abraten von Nikolaus Hausmann und Luther nicht weiter verfolgt.74 Erhebliche Einflüsse von Aussagen der Reformatoren sind in inhaltlicher Hinsicht zu konstatieren. Als deutliche Schwerpunkte ergeben sich die Ehe- und die Ständekatechese d.h. das Leben aus der Rechtfertigung in den Bezügen des Lebens. Die dramatische Tätigkeit der Verfasser belegt damit die reformatorische Aufwertung der Welt bzw. des Lebens in der Welt. Eine weitere wichtige Intention stellt bei einigen Dramen der Trostaspekt dar. Dieser Aspekt ist durchaus mit der Ständekatechese verbunden, werden doch die Adressaten zur Geduld im jeweiligen Leiden aufgefordert. Es gilt angesichts der gegenwärtigen Widerfahrnisse auf Gott zu vertrauen, darauf, dass er alles zu einem guten Ende führen werde. Auf diese Weise wird eine Verbindung zur Rechtfertigungslehre hergestellt, indem nämlich in den Dramen der reformatorische Glaubensbegriff vermittelt wird. Auf der anderen Seite ist festzuhalten, dass die Polemik gegen die altgläubige Lehre kein dominantes Element dieser Dramen darstellt. Gewiss wird in vielen die altgläubige Auffassung von der Rechtfertigung zurückgewiesen, aber Polemik im engeren Sinne wird in den Dramen, was die Handlung selbst anbetrifft, nur in wenigen geboten. Darüber hinaus kann sie allerdings, wie in Greffs Abraham, in den Widmungsreden in Erscheinung treten. Festzuhalten ist jedoch, dass das Drama des Wittenberger Kreises keinesfalls in Polemik aufgeht, anders formuliert, dass es nicht von der Abgrenzung her bestimmt ist. Das wesentliche Ziel ist eher in der positiven Gestaltung des christlichen Lebens zu sehen. Dies meint aber nicht nur Ethik, sondern betrifft auch und gerade den kerygmatischen Aspekt, den Zuspruch des Evangeliums und die Stärkung des Glaubens. Die Abfassung und Aufführung von Dramen wird von den Verfassern als Teil der durch die Reformation begonnenen Bewegung zur Verbreitung des Wortes Gottes betrachtet. Näher hin gilt sie ihnen als eine Verstärkung und Verlängerung der Predigt.

b) Ein Dramenautor sui generis: Thomas Naogeorg Der aus Straubing stammende Thomas Naogeorg nimmt gegenüber den Dramen des Wittenberger Kreises, aber auch in Hinsicht auf das ganze reformatorische Drama eine Sonderstellung ein. Singulär an seinem dramatischen Werk ist die massive Polemik, die seinen Dramen auch das Prädikat ‚Kampfdrama‘75 eingetragen hat, ferner die Behandlung fiktionaler Stoffe und schließlich die exklusive Latinität der Dramen, die naturge73 Vgl. Könneker, a.a.O., S. 338. 343. 74 Vgl. dazu Könneker, a.a.O., S. 311–313. 75 Vgl. Herbert Walz, Deutsche Literatur der Reformationszeit, S. 129.

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116 Grundlegung mäß einen gehobeneren Adressatenkreis zur Folge hatte.76 Dieser Singularität halber sollte er daher weder paradigmatisch für eine Gesamtdarstellung des protestantischen Dramas noch für einen Vergleich desselben mit dem Jesuitendrama herangezogen werden.77 Auf der anderen Seite ist nicht zu leugnen, dass Naogeorgs dramatisches Werk im Bereich des Wittenberger Kreises rezipiert wurde, wie die Übersetzungen des ‚Pammachius‘ durch den erwähnten Hans Tirolf und durch Luthers Vertrauten Justus Menius sowie die Übertragung des biblischen Dramas ‚Hamanus‘ durch Chryseus, dessen Drama ‚Hofteufel‘ zudem durch den ‚Pammachius‘ beeinflusst ist, belegen.78 Aus diesem Grund lässt sich Naogeorg nicht völlig getrennt vom Wittenberger Kreis betrachten, so gewiss seine Wurzeln nicht in diesem liegen. Dass ihn sein weiterer Weg, nach Abfassen der drei fiktionalen Tendenzdramen, dann wieder von Luther bzw. der lutherischen Theologie entfernte, kann wiederum auch kein Grund sein, Naogeorg nicht in diesem Zusammenhang zur Kenntnis zu nehmen, aber eben als eine Gestalt sui generis, die charakterisiert ist durch eine nicht auflösbare Synthese von Humanismus und Reformation.79 Naogeorg, eigentlich Kirchmayer, wurde 1508 geboren.80 Nach dem frühen Tod seiner Eltern trat er in den Dominikanerorden ein, den er möglicherweise unter reformatorischem Einfluss im Jahre 1525 verließ. Seine nächsten Jahre liegen im Dunkeln; er muss sie für das Studium genutzt haben, denn später offenbarte er erhebliche Kenntnisse in den alten Sprachen, den antiken Autoren und auf dem Felde der Rhetorik. Ab 1535 wirkte er als Pfarrer in Mühltroff bei Plauen und in Sulza an der Ilm, von 1541 bis 1546 in Kahla an der Saale. Zuvor waren die ersten Dramen von ihm erschienen: 1538 in Wittenberg die ‚Tragoedia nova Pammachius‘, 1540 die ‚Tragoedia alia nova Mercator 76 Franz Günter Sieveke, Thomas Naogeorg, in: Füssel (Hrg.), Deutsche Dichter der frühen Neuzeit, S. 477f., äußert zu Naogeorgs Stellung innerhalb des Kreises der Anhänger der Reformation: „Aber nicht nur durch theologische Eigenwilligkeit unterscheidet sich Naogeorg von anderen politischreligiös engagierten Anhängern der Reformation aus dem Gelehrtenstand. Auch seine Abwertung der volkssprachlichen Literatur gibt ihm eine Sonderstellung innerhalb der Reformationspropaganda. Somit ist sein Adressatenkreis nicht die breite Volksmasse, sondern der humanistisch Gebildete.“ Analog ist dies auch von seiner Stellung unter den Vertretern des geistlichen Dramas der Reformation auszusagen. Vgl. ferner Hans-Gert Roloff, Thomas Naogeorg und das Problem von Humanismus und Reformation, in: Ders., Kleine Schriften zur Literatur des 16. Jahrhunderts, hrg. v. Christian Caemmerer, Amsterdam – New York 2003, S. 326: „Sein Überdruß an der durch die Reformation hervorgerufenen Literaturproduktion in der Volkssprache ist bezeichnend für seine Vorstellung von der Exklusivität der Literatur und des Schriftstellers. [...] Naogeorg stellte sich bewußt in den Gegensatz zur volkstümlichen literarischen Reformationsbewegung ...“ 77 Letzteres gilt etwa für Fidel Rädle, Theater als Predigt, RoJKG 16 (1997), S. 49ff. 78 Wolfgang F. Michael, a.a.O., S. 81f.: „Er stand in enger Verbindung mit dem Wittenberger Kreis.“ – Zu den Pammachius-Übersetzungen von Tirolf und Menius vgl. Ulrike Michalowsky, Übersetzung als Mittel politisch-religiöser Propaganda: Zwei deutsche Fassungen der Tragoedia nova Pammachius (1538) des Thomas Naogeorg, Daphnis 16 (1987), S. 615–663. 79 Vgl. Roloff, Thomas Naogeorg und das Problem von Humanismus und Reformation, S. 336. 80 Zur Vita Naogeorgs vgl. Sieveke, a.a.O., S. 478ff.



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seu iudicium‘ und 1541 das Drama ‚Incendia seu Pyrgopolinices‘, eine Weiterführung des ‚Pammachius‘. Wie sein Widmungsgedicht zum ‚Pammachius‘ und das Stück als solches, das Luthers Auftreten als göttliche Sendung zeichnet, erweist, fühlte er sich dem Wittenberger Reformator stark verbunden.81 Dies begann sich aber ab 1543 zu ändern, als ihm die Druckerlaubnis für einen Kommentar zum ersten Johannesbrief nicht erteilt wurde und Luther, Bugenhagen und Melanchthon eine diesbezügliche Beschwerde Naogeorgs zurückwiesen. In diesem Werk wurden Anklänge an Calvins Auffassung von Prädestination und Perseveranz erkannt. Auch in Naogeorgs Abendmahlslehre war eine Annäherung zur calvinischen Position zu bemerken. Der Streit eskalierte, da Naogeorg die Zensur umging. 1546 verließ er Kahla und ging über Augsburg nach Kaufbeuren, wo er als Prediger angestellt wurde. Hier geriet er aber in die Wirrnisse um das Interim. Er bat um seine Entlassung und ging nach Kempten, das er aber auch 1550 verlassen musste, da er entgegen der Vereinbarung mit dem Rat polemische Attacken gegen die alte Kirche nicht unterließ. In Basel, wohin er sich nun wendete, betrieb er Rechtsstudien, bis er 1551 von Herzog Christoph von Württemberg als Spitalprediger nach Stuttgart berufen wurde, eine Stellung, die ihn offensichtlich nicht befriedigte, insofern er die Veröffentlichung weiterer Werke mit der Hoffnung auf eine bessere Stellung verband. 1561 ging er als Oberpfarrer in die Reichsstadt Esslingen, wo er aber 1563 auch auf Drängen Herzog Christophs entlassen wurde. Die Neigung zum Calvinismus war dominant geworden, brachte ihm aber nun eine Berufung durch Friedrich III. von der Pfalz, der in diesem Jahr das reformierte Bekenntnis einführte, nach Wiesloch ein. Dort verstarb er aber infolge einer grassierenden Pest-Epidemie schon am Ende des Jahres. Seine drei weiteren, ab 1543 entstandenen Dramen sind Bibeldramen: der den Esther-Stoff behandelnde ‚Hamanus‘ von 1543, die Dramen ‚Hieremias‘ von 1551 und ‚Iudas Iscariotes‘ aus dem Jahre 1552. Daneben verfasste er weitere Werke: eine in Hexametern geformte Kurzfassung der kirchlichen Lehre (1549), ein kirchen-rechtliches Werk (1551), ein polemisch gehaltenes Epos ‚Regnum papisticum‘ (1553) und schließlich fünf Bücher Satyren, in denen Naogeorg die altrömische Satire aufnahm. Naogeorgs Intention ist, auch wenn er eher für eine Elite schrieb, als durchaus missionarisch zu beschreiben, zielt er doch darauf ab, die Men-

81 Vgl. die Widmung des Pammachius an Luther, Thomas Naogeorg, Sämtliche Werke Bd. I, hrg. v. Hans-Gert Roloff, Berlin – New York 1975, S. 18ff, bes. S. 20,39ff: „Quia igitur tu [sc. Luther] nobis primus eam tenebris Oppressam Aegyptiacis, in hanc clarissimam Lucem … Reduxisti, et primos incursus hostium, Et syncretismum omnem Satanae sodalium Scuto fidei et gladio excepisti spiritus …,“ habe er diese Tragödie unter dessen Namen herausgegeben, „ut his primiciis mea erga te omnibus Pro doctrina nota esset observantia, Quodque fatear me tibi debere plurimum, et Omni velim modo me gratum ostendere …“ – In Akt IV beauftragt Christus die Gestalt der Veritas, Theophilus d.i. Luther in den Dienst zu berufen, dass er die im Schlaf versunkenen Deutschen aufwecke und die Wechsler aus dem Tempel, den sie für eine Räuberhöhle hielten, heraustreibe; vgl. a.a.O., S. 418. – Das Motiv der Berufung Luthers durch Veritas wird später Kielmann in seinem Lutherdrama aufgreifen.

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118 Grundlegung schen dazu zu bewegen, Heuchelei und Aberglauben – in Gestalt der alten Kirche – zu verlassen und sich der wahren Frömmigkeit zuzuwenden.82 Die erste Tragödie Naogeorgs betrachtet die Entwicklung der römischen Kirche von der Zeit der Alten Kirche mit der Übernahme des christlichen Glaubens durch die römische Staatsmacht zur mittelalterlichen Papstkirche.83 Der Protagonist − typisch für die meisten Dramen Naogeorgs eine negative Figur – ist ein imaginärer römischer Bischof mit dem sprechenden Namen Pammachius, der in seinem Machtstreben den fromm gesinnten Kaiser Julianus – eine Anspielung auf Julian Apostata liegt nicht vor, vielmehr stehen Julianus und Pammachius für die Institutionen von Kaisertum und Papsttum – unterwirft. Dieses irdische Geschehen spielt sich allerdings, auch für die Zuschauer ersichtlich, in einem heilsgeschichtlich-apokalyptischen Rahmen ab. Christus eröffnet zu Beginn des Dramas Petrus und Paulus, er werde den bis dato gebundenen Satan loslassen, dem auch der zu diesem Zeitpunkt schon laue Pammachius verfallen werde. Er zeichnet Pammachius mit seiner falschen, in die Verdammnis führenden Lehre und seinem Gepränge als das Gegenbild zu sich selbst. Im zweiten Akt erfolgt der Bundesschluss zwischen Satan und Pammachius mit der Eidesleistung des Letzteren und darauf folgender Krönung mit der Tiara. Der Papst wird damit von Naogeorg deutlich als Antichrist qualifiziert. Der dritte Akt zeigt die − auf die mittelalterliche Auseinandersetzung um die Stellung von regnum und sacerdotium anspielende − Unterwerfung des Kaisers. Die Verordnungen des Pammachius werden dem Volk von dessen Berater Porphyrius aus einem Buch verkündet, um deren Offenbarungscharakter zu suggerieren. Schließlich zeigt Pammachius die von ihm erdachten Institutionen und Frömmigkeitspraktiken der römischen Kirche auf, deren Einführung durch den Papst polemisch als Akt einer neuen Schöpfung beschrieben wird. Mit dem beliebten Motiv des den Zerfall einläutenden Siegesgelages des Pammachius für sein Gefolge setzt der vierte Akt ein. Nachdem es in einen Rausch mündet, verkündet Christus die Berufung des Luther figurierenden Theophilus und beauftragt die allegorische Gestalt der Veritas, die auf ihre Bitte von Paulus begleitet wird, zur Durchführung der Einsetzung. Theophilus soll die rechte Lehre wieder aufrichten, das Papsttum erschüttern und vor dem Ergehen des göttlichen Gerichts das Evangelium verkündigen, um doch noch viele Menschen zum Heil zu führen. Der Reformation wird so in der Heilsgeschichte der Platz eines letzten Gnadenerweises Gottes zugewiesen.84 Zugleich spiegelt sich darin das apokalyptische Weltbild Naogeorgs, wie es auch der Epilog voraussetzt, wo konstatiert wird, innerhalb der irdischen Verhältnisse selbst sei keine Besserung zu erwarten.85 Die Orgie 82 Vgl. Roloff, Thomas Naogeorg und das Problem von Humanismus und Reformation, a.a.O., S. 327. 83 Zum ‚Pammachius‘ vgl. Roloff, Heilsgeschichte, Weltgeschichte und aktuelle Polemik. Thomas Naogeorgs Tragoedia nova Pammachius, Daphnis 9 (1980), S. 743–767; vgl. ferner Michael, a.a.O., S. 82f.; Sieveke, S. 480–483. 84 Vgl. Roloff, Heilsgeschichte, S. 763. 85 Pammachius, Epilog, in: Sämtliche Werke, ed. Roloff, Bd. I, S. 454,3391ff: „Nec sperandum humanis consiliis res fore Meliores, nisi Deus istius Tragoediae Finem fecerit adventu Filii sui.“



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des Pammachius wird im Folgenden gestört durch erste Meldungen von Vorgängen in Sachsen, was zur Planung hektischer Gegenmaßnahmen zwecks Eindämmung der Bewegung führt. Diese soll als ketzerisch bekämpft und durch Förderung innerer Streitigkeiten aufgelöst werden – im Hintergrund stehen die sogenannten Schwärmer und Müntzer. Ein genialer Gedanke Naogeorgs ist die Suspension des fünften Aktes, den, so der Epilog, Christus selbst in naher Zukunft mit dem Gericht vollziehen werde. Im Grunde aber hebt der letzte Akt bereits in der Gegenwart im Widerstreit von päpstlicher und reformatorischer Kirche an. Damit erhalten Leser und Zuschauer das Gefühl, in ihrem Leben Zeuge des apokalyptischen Dramas zu sein, sind zugleich aber auch gerufen, Partei zu ergreifen und sich für die Reformation zu entscheiden. Hans-Gert Roloff hat herausgearbeitet, dass wie für Agricolas Hus-Tragödie die Konzilsausschreibung durch Paul III. im Jahre 1536 den Hintergrund des Dramas markiert.86 Diese führte bei protestantischen Vertretern, die ein bloßes Konzil der Unterwerfung fürchteten, zu einer erneuten heftigen Kritik am Papsttum, die auch in Luthers Schmalkaldischen Artikeln ihren Ausdruck fand, deren Entstehung ja ebenfalls durch die Ankündigung des Konzils bedingt war.87 Naogeorgs ‚Pammachius‘ ragt aus der protestantischen dramatischen Arbeit auch dadurch hervor, dass sein Verfasser auf keinerlei Vorlage zurückgriff und sich, wie die Bezeichnung ‚nova‘ erhellt, trotz aller Kenntnis der antiken Tragödie auch nicht als Imitator derselben verstand.88 Das Stück war von großem Erfolg. Mehrere Übertragungen ins Deutsche wurden unternommen, dazu erschien eine Übersetzung ins Tschechische und ins Englische.89 Merkwürdig mutet indessen das Schweigen Luthers zu diesem Drama an.90 Ebenso bemerkenswert ist, dass über Aufführungen praktisch keinerlei Äußerungen vorliegen. Lediglich ein Hinweis in der Vorrede des Justus Menius zu seiner Übersetzung des ‚Pammachius‘ deutet auf eine Aufführung hin.91

86 Vgl. Roloff, Heilsgeschichte, S. 745ff. 87 Vgl. ASm II, Art. 4, BSLK, 429,18f.; 430,10ff. 88 Roloff, Heilsgeschichte, S. 745, führt aus: „Der Text des Pammachius, so wie er 1538 die Druckerpresse verließ, ist sozusagen aus dem Nichts hervorgegangen. Weder im deutschsprachigen noch im neulateinischen Drama des 16. Jhs gibt es etwas Vergleichbares zum Pammachius. [...] Im ganzen kann man sagen, daß Fabelbildung und Strukturierung der Tragoedia nova als absolute Eigenleistung Naogeorgs anzusehen sind – aus seinen späteren Tragoedien geht hervor, daß er sich gerade auf die Bezeichnung ‚nova‘ einiges zugute hielt und sich damit bewußt von allen antikisierenden Imitationsversuchen absetzen wollte.“ 89 Roloff, a.a.O., S. 749, nennt vier Übersetzungen ins Deutsche. Michael, a.a.O., S. 83, der von fünf deutschen Übersetzungen ausgeht, dürfte dabei die Bearbeitung durch Bömiche mitzählen. 90 Vgl. Roloff, a.a.O., S. 749: „Trotz des großen Echos, das das Drama hervorrief, hat Luther nirgendwo dazu Stellung genommen, was um so merkwürdiger ist, als der Text mindestens in tendenzieller Hinsicht in Luthers Kielwasser schwimmt.“ Im Register zur Weimarer Ausgabe ist keine Äußerung Luthers zur Person Naogeorgs durch Eintrag belegt. 91 Vgl. Naogeorg, Sämtliche Werke, ed. Roloff, Bd. I, S. 485.

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120 Grundlegung Mit der Tragödie ‚Mercator sive Iudicium‘ nimmt Naogeorg den Jedermann-Stoff auf. Sinn des Dramas ist die Gegenüberstellung von altgläubiger und reformatorischer Rechtfertigungslehre. Der Protagonist, hier keine negative Gestalt, ist ein älterer Kaufmann, der den nahenden Tod fühlt. Ein Priester behandelt ihn mit der Arznei der guten Werke. Die allegorische Figur der Conscientia aber zeigt deren Unwirksamkeit und führt den Mann dazu, sich nicht auf diese Medizin zu verlassen. Paulus und dem Himmelsarzt Cosmas gelingt es, Magen und Kopf des Patienten durch Brech- und Niesreiz von der falschen Arznei zu befreien. Infolge dieser Behandlung zeigt sich der Sterbende als reuiger Sünder und erlangt Gnade. In dem im Jenseits spielenden vierten Akt treten ein Fürst, ein Bischof und ein Franziskaner mit ihren guten Werken in Gestalt schwerer Säcke vor das göttliche Gericht, während der Kaufmann nur mit seinem Glauben in Begleitung von Conscientia erscheint. Das Gericht im fünften Akt bringt den Freispruch des Kaufmanns infolge seines Glaubens, bei Fürst, Bischof und Franziskaner neigt sich dagegen die Waage zum Bösen. Ihre guten Werke erweisen sich als nutzlos. Auch dieses Drama war literarisch überaus erfolgreich. Es wurde mehrfach übersetzt, ins Hochdeutsche dreimal, ins Niederdeutsche, ins Französische und Niederländische.92 Für die Aufführung dieses Drama gibt es ein eindrucksvolles Zeugnis, das zugleich erkennen lässt, wie ein solches Stück auf einen prominenten Vertreter des konfessionellen Gegners wirkte. Im Jahre 1560 wurde der Jesuit Petrus Canisius Zeuge einer Aufführung des Mercator am Akademietheater in Straßburg.93 Über diese berichtet er voller Entsetzen in einem Brief an den damaligen Ordensgeneral Diego (Jakob) Lainez. Er rechnet solche protestantische „fictiones poeticae“ neben Büchern, Bildern und Satiren zu den Mitteln, die der Satan gebrauche, der stets zum Schlechteren bewege.94 So laufe man zu solch grauenvollen Spektakeln von Komödien und Tragödien, mit denen alles Heilige zerstört werde. Die aufgeführte Tragödie sei eine Gotteslästerung, die gottesfürchtige Ohren und Gemüter nur verfluchen könnten. Bei der folgenden Schilderung des Inhalts des ‚Mercator‘ berichtet er mit Abscheu, wie der Protagonist, sich übergebend alles ausspeie, was Kennzeichen der katholischen Religion sein könne, womit dieses verlacht und dem Spott ausgesetzt werde.95 Alles was zur Erweckung der Frömmigkeit (pietas) eingesetzt sei, werde profaniert. Canisius sieht eine Verletzung der Majestät Christi, wenn aus dem Heiligen 92 Zu diesem Drama vgl. Sieveke, a.a.O., S. 484. Fritz Holl, Das politische und religiöse Tendenzdrama des 16.Jahrhunderts in Frankreich, Erlangen – Leipzig 1903, S. 137, geht von vier hochdeutschen Übertragungen aus. 93 Vgl. Fritz Holl, a.a.O., S. 138 Anm. 1. 94 Vgl. Petrus Canisius, Epistulae et Acta, hrg. v. Otto Braunsberger. Bd. 2, Freiburg 1898, S. 629. 95 A.a.O., S. 630: „Inde porro ad ludos theatricos, ad horrenda comoediarum et tragoediarum spectacula curritur, nimirum ut habeat juuentus et uulgus faces et flammas ad sacra omnia demolienda. [...] Acta est tragoedia, sed plane blasphema, quam piae aures et mentes non possunt non execrari. [...] Hinc euomit aegrotus [sc. Mercator], uelut nihil retinens eorum, quae catholicae religionis argumenta esse possunt. In summum ludibrium adducuntur Peregrinationes, Preces, Eleemosinae. Jeiunia, Jndulgentiae, candelae, dipolmata, vestes sacrae, calices Aderant Altaria, sandalia et calcei Monachorum, Missae, Vigiliae, Psalteria, sanctorum intercessiones ridebantur.“



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ein Spiel geschaffen werde.96 Interessant ist die Äußerung auch insofern, als sie eine eher theaterkritische Haltung des Jesuiten zu belegen scheint. Zumindest ist Canisius der Auffassung, dass das Medium missbraucht werden könne. Zu berücksichtigen ist, dass zu dieser Zeit das Jesuitentheater erst in den Anfängen stand. Im gleichen Jahr gab es die erste jesuitische Aufführung in Deutschland. Canisius’ Entsetzen über die Polemik, über die wüste Attacke gegen altgläubige Frömmigkeitspraktiken kann somit nicht leicht als unberechtigtes Zurückschlagen beurteilt werden, sondern ist als durchaus ernst zu werten. Fritz Holl erwähnt auch eine deutschsprachige Aufführung des ‚Mercator‘ nach der hochdeutschen Übersetzung des Pfarrers Jakob Rulich – sie erschien 1595 in Augsburg –, die im Jahre 1591 im Schloss von Neuburg a.d. Donau vor fürstlichem Publikum stattfand. Dabei spielten Söhne des Pfalzgrafen Philipp Ludwig und adelige Mitschüler vom Neuburger Gymnasium mit.97 Zeitgeschichtliche Ereignisse verarbeitet Naogeorg mit der Tragödie ‚Incendia seu Pyrgopolinices‘. Eine Kette von Brandstiftungen in einigen der reformatorischen Lehre aufgeschlossenen Städten wurde dort dem streng altgläubigen Herzog Heinrich von Braunschweig, Luthers ‚Hanswurst‘, angelastet. Dies nimmt Naogeorg in seinem Drama auf. Pyrgopolinices’ d.h. Herzog Heinrichs Taten erscheinen als Teil der Gegenaktion des Pammachius. Er wird aber entlarvt, das Drama endet mit seiner Verurteilung. Charakteristisch für das Stück ist das Auftreten weiterer Gestalten der Zeitgeschichte, etwa Albrechts von Mainz oder Kurfürst Johann Friedrichs von Sachsen.98 In den folgenden Bibeldramen bringt Naogeorg seine polemische Haltung zwar eher verdeckt zum Ausdruck, aber auch in diesen nimmt er Zustände seiner Gegenwart ins Visier.99 Die Tragödie ‚Hamanus‘, auf dem Buch Esther basierend, konzipiert er als Warnung vor Intrige und Machthunger. Das Werk wurde zweimal ins Deutsche übersetzt.100 Für 1546 ist eine Aufführung in Basel belegt.101 Im Drama ‚Hieremias‘ tritt der Prophet gegen Heiligenverehrung und Marienkult auf.102 Das Stück wurde noch 1603 96 Ebd.: „Huc enim tendit Sathan, ut oppraessa religione Christum ipsum petat, et in tantae maiestatis iniuriam ex sacris ludum faciat, omniaque prophanet; quae ad pietatem sunt instituta et pijs conuenire possunt.“ 97 Vgl. Holl, a.a.O., S. 137f. Erwähnt wird die Aufführung auch von Goedeke, Grundriß Bd. 2, § 145, Nr. 19 (S. 335). 98 Vgl. Sieveke, a.a.O., S. 485f. 99 Vgl. Roloff, Thomas Naogeorg und das Problem von Humanismus und Reformation, S. 333. 100 Zum Drama vgl. Sieveke, a.a.O., S. 486f., und Michael, a.a.O., S. 86. 101 Vgl. Michael, a.a.O., S. 225f. 102 Vgl. Michael, a.a.O., S. 87. Die ‚Regina Coeli‘ ist dabei keineswegs, wie Michael meint, „reine Erfindung von Naogeorg“; vielmehr wird im Jeremia-Buch 7,17f.; 44,17ff gegen den Kult einer ‚Himmelskönigin‘ Stellung bezogen. Für einen reformatorischen Autor war dies naturgemäß willkommener Anlass, seine Kritik an der Marienverehrung zu formulieren und den Kult der Himmelskönigin als Präfiguration der Marienverehrung darzustellen, als eine Kultpraxis, die schon Israel ins Verderben geführt hatte. – Der exegetische Befund ist gleichwohl komplizierter. Während in der

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122 Grundlegung in der Straßburger Akademie aufgeführt und von Wolfhart Spangenberg ins Deutsche übersetzt.103 Naogeorgs letztes Drama, die Tragödie ‚Iudas Iscariotes‘ von 1552 stellt eine Warnung vor Verrat, vor Abkehr von der Wahrheit um zeitlicher Güter willen dar, mit der er besonders auf Johann Agricola wegen dessen Mitwirkung am Augsburger Interim, auf Melanchthon aufgrund von dessen Anerkennung des Leipziger Interims und auf Moritz von Sachsen wegen dessen Pakt mit Karl V., der als Verrat an der protestantischen Sache verstanden wurde, abzielt. Auch dieses Drama ist damit wie ‚Incendia seu Pyrgopolinices‘ durch einen zeitgeschichtlichen Bezug charakterisiert. Judas wird als von einem von Satan gesandten Geist Sargannabus beherrscht dargestellt. Diesem gegenüber steht die Gestalt der Conscientia, die Judas für sein Tun schwere Vorhaltungen macht.104 In der Widmungsrede Naogeorgs an den Rat der Stadt Straßburg geht er auf Ressentiments gegen das Schreiben von Dramen seitens große theologische Werke verfassender Autoren ein.105 Auch er, so Naogeorg, vermöge Postillen und Katechismen abzufassen, er bevorzuge aber diese leichtere Arbeit, die man ihm zubilligen solle. Keinesfalls sei diese etwas Unehrenhaftes oder seinem Alter Unangemessenes, zumal große Männer sich dieser Aufgabe gewidmet hätten.106 Auch sei die Tätigkeit nichts seiner Profession Fremdes. Dramen bzw. Tragödien erfüllten gerade die Aufgaben der Theologie, pietas und wahre Gottesverehrung zu lehren, ein gottgefälliges Leben zu empfehlen und den falschen Gottesdienst als solchen zu entlarven, ja sie seien darin sogar wirksamer, was Naogeorg mit Horaz belegt.107 In seinen Dramen lasse er nichts aus, was zur vollwertigeren Theologie gehöre; sie dienten der Verbreitung der Ehre Christi und seiner Erkenntnis wie auch der Verspottung (irrisio) der falschen Lehre.108 Diese Bemerkungen belegen, dass Naogeorg seine Dramen als eine Form der Lehre auffasst. Sie sollen primär der Vermittlung des rechten Glaubens dienen, ferner auch der Beförderung tugendhaften Lebens. Typisch für Naogeorg aber ist die Betonung des für seine Dramen in der Tat konstitutiven polemiVulgata an beiden Stellen die Bezeichnung ‚regina caeli‘ erscheint, wird in der Septuaginta nur in Kap. 44 von der βασιλισσα του ουρανου gesprochen, in Kap. 7 dagegen von einem Himmelsheer (στρατια του ουρανου). Grund der unterschiedlichen Übersetzungen ist die Unklarheit der hebräischen Constructus-Verbindung ‫מלכת השמים‬, deren erstes Glied entweder auf ‫( מלאכת‬Arbeit, kultischer Dienst) oder auf ‫( מלכה‬Königin) zurückgeführt wird. In jedem Fall fand Naogeorg aber die Deutung auf eine ‚Himmelskönigin‘ schon vor. 103 Vgl. Goedeke, Grundriß Bd. 2, § 171, Nr. 5 (S. 552); vgl. a.a.O., § 145, Nr. 27 (S. 335). 104 Vgl. Michael, a.a.O., S. 90. 105 Vgl. Iudas Iscariotes, Widmungsrede, in: Naogeorg, Sämtliche Werke, ed. Roloff, Bd. IV/1, S. 271,5ff. 106 Vgl. a.a.O., S. 271,14–28. 107 A.a.O., S. 272,13ff: „Cur autem dedeceat professionem meam? Si Theologiae officium est docere pietatem verumque Dei cultum, et vitam Deo placentem bonaque opera tradere, atque è regione reprehendere impietatem, falsosque cultus vitamque pravam, haec omnia quoque nostris insunt Tragoediis, et efficacius quodammodo docentur.“ Es folgt das im Humanismus häufig angeführte Zitat aus der Ars poetica, 180ff: „Segnius inritant animos demissa per aurem quam quae sunt oculis subiecta fidelibus et quae ipse sibi tradit spectator.“ 108 Vgl. a.a.O., S. 272,6–30.



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schen Aspekts: Der falsche Glaube und der diesem entsprechende falsche Gottesdienst sollen nicht nur beim Namen genannt, sondern regelrecht vorgeführt und dem Spott ausgeliefert werden. Mit der humanistischen Tradition geht Naogeorg von einer nachhaltigeren Wirkung des Mediums Theater gegenüber der bloßen Rede aus. Daraus erhellt zuletzt, dass er seine Dramen definitiv für eine Aufführung bestimmt sieht. Trotz des schriftstellerischen Erfolges hat Naogeorg mit seinen polemischen Dramen kaum Nachahmer gefunden. Eine Ausnahme bildet der Brandenburger Georg Bömiche, dessen 1565 veröffentlichte Tragödie ‚Theomachus‘ sehr stark vom ‚Pammachius‘ abhängig ist.109 Ein gewisser Einfluss dieses Dramas ist allerdings auf spätere Lutherdramen zu konstatieren, so auf Kielmanns ‚Tetzelocramia‘ und auf Rinckarts ‚Eislebischen Christlichen Ritter‘. Auf das deutsche Bibeldrama im Allgemeinen und auf das des Wittenberger Kreises im Besonderen, sieht man einmal von Chryseus’ ‚Hofteufel‘ ab, hat Naogeorg aber keine nachhaltige Wirkung ausgeübt. Auf die weitere Entwicklung, die das geistliche Drama im lutherischen Bereich genommen hat, kann hier im einzelnen nicht eingegangen werden. Eine Vorstellung der zahllosen Dramen würde jeglichen Rahmen einer solchen Studie sprengen. An dieser Stelle müssten tatsächlich weitere Einzelstudien ansetzen, durch die entsprechende Vorarbeiten geleistet würden. Im Zuge unserer Studie sei aber verwiesen zum einen auf das Eingangskapitel A I, zum andern auf den zum vorliegenden Kapitel gehörigen Abschnitt 2 h) sowie im Besonderen auf die Einzeluntersuchungen zu den Abraham-, Stephanus- und Lutherdramen in Kapitel C I− III, welche überwiegend von sich als lutherisch verstehenden Verfassern stammen.

2. Theologische Äußerungen zum geistlichen Theater in der Wittenberger Reformation und im konfessionellen Luthertum bis zum Dreißigjährigen Krieg a) Das Verhältnis Martin Luthers zum Drama im Allgemeinen Die meisten Aussagen Martin Luthers zum antiken Drama sind für die dreißiger Jahre belegt, in denen er sich offenbar intensiver mit diesem beschäftigt hat.110 Besonders liebte er Terenz, den er nach einer eigenen Aussage aus dem Jahre 1540 täglich las.111 Seine 109 Eine gar schÖne Tragedia / Theomachus genant / die da leret / wie der Teuffel das Bapstumb gestifftet / vnd allerley AbgÖterey geursacht / vnd wie der HErr Christus durch den Ehrwirdigen Herrn D. Martinum Lutherum / in dieser letzten zeit / die reine Lehre wieder an tag gegeben / vnnd das Bapstumb durch in gefellet hat. Durch M. Georgium BÖmichen / Kirchendiener in der Newenstadt Brandenburg / reimweis gestelt, Magdeburg 1565. – Auszüge in Gestalt von Akt I bietet Hans-Gert Roloff in Naogeorg, Sämtliche Werke Bd. 1, S. 556–579. 110 Vgl. Thomas I. Bacon, Luther and the drama, Amsterdam 1976, S. 26. 111 WA.TR 4, 619,4f. (Nr. 5023): „Ego valde delector Terentianis fabulis, et sub nocte lego in Terentio quotidie.“

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124 Grundlegung guten Kenntnisse dieses Dramatikers gehen aber wohl auf Lektüre in früherer Zeit zurück. Erfahrungen mit dem Theater dürfte Luther auch bei Aufführungen in Melanchthons schola privata gemacht haben.112 Gleichwohl liegen keine systematischen Äußerungen des Reformators vor. Wie so oft sind es Gelegenheitsschriften, in denen der Reformator zu mit dem antiken Drama verbundenen Fragen Stellung nimmt. In einer Tischrede aus der ersten Hälfte der dreißiger Jahre äußert sich Luther grundsätzlich positiv zum Theater. Die neu wahrgenommenen antiken Komödien stuft er als pädagogisch wertvoll ein und hält es für gut und geboten, die Jugend Theaterstücke einstudieren und aufführen zu lassen. Als Motiv stellt er die Bildung in den Vordergrund, und zwar zum einen in formaler Hinsicht den Umgang mit der Sprache und die Sprachfähigkeit, zum andern in materialer Hinsicht das Verinnerlichen moralischer Werte, besonders das Vermögen zu erkennen, welche Haltung und welches Handeln dem Subjekt in seinem jeweiligen Stand innerhalb der Gesellschaft zukommt.113 Der Komödie kommt so die Funktion eines Spiegels zu114, eine für Luthers Bildungsverständnis seit der Ratsherrenschrift konstitutive Kategorie.115 Er nimmt damit Terenz116 bzw. dessen im Humanismus häufig gelesenen Interpreten Donatus auf, der ersteren wiederum in der Tradition Ciceros verortet.117 Spiegel meint dabei nicht, dass ein rea112 Vgl. Bacon, a.a.O., S. 50f. 113 WA.TR 1, 430,13ff (Nr. 867): „Interrogatus, an liceat comoedias agere, respondit: Comoedias pueri recitare debent, primum propter exercitium Latinae linguae, deinde quod pulchre sint in comoediis confictae personae, quibus docentur homines, quid servum, quid herum, quid adolescentem, quid senem facere oporteat ac deceat.“ Vgl. WA.TR 1, 278,18ff (Nr. 3346). Vgl. dazu Sandro Giovanoli, Form und Funktion des Schuldramas im 16. Jahrhundert, Bonn 1980, S. 9. 114 WA.TR 1, 431,2f. (Nr. 867): „Atque adeo omnium dignitatum gradus seu officia in illis quasi in speculo cernantur.“ A.a.O., 25ff: „... es wird darinnen furgehalten und fur die Augen gestellt aller Dignitäten Grad, Aemter und Gebühre, wie sich ein Iglicher in seinem Stande halten soll im äußerlichen Wandel, wie in einem Spiegel.“ A.a.O., 432,8f. ist von einem Gemälde und lebendigen Exempel die Rede. 115 Hier äußert Luther, in der Schule sollten die Kinder in Sprachen, anderen Künste und Historien gelehrt werden und das Ergehen von Städten, Reichen, Fürsten und anderen Menschen kennen lernen. Aus diesem könnten sie Wesen und Wandel der Welt wie in einem Spiegel erkennen und aus jenen Historien schließen, was zu tun und was zu meiden sei; vgl. WA 15, 45. Das Drama gehört für Luther seiner Funktion nach somit zu den Historien als übergeordneter Kategorie. 116 Das Bild des Spiegels erscheint bei Terenz etwa in der Komödie Adelphoe, Akt III 3, 415ff, wo Demea über seinen Sohn spricht (Terence with an English translation by John Sargeaunt. Bd. 2, Cambridge MA – London 1979, S. 260): „... denique inspicere tamquam in speculum in vitas omnium iubeo atque ex aliis sumere exemplum sibi: ‚hoc facito‘ [...] ‚hoc fugito‘ [...] ‚hoc laudist‘ [...] ‚hoc vitio datur‘.“ Vgl. ferner Akt III, 428f. (a.a.O., S. 262). 117 Donatus äußert in seinem Commentum Terenti, Excerpta De Comoedia V,1 (Aeli Donati quod fertur Commentum Terenti, accedunt Eugraphi Commentum et Scholia Bembina, recensuit Paulus Wessner. Vol. 1, Leipzig 1902, S.22): „... comoediam esse Cicero ait imitationem vitae, speculum consuetudinis, imaginem veritatis.“, um in V,5 (ebd., S.23) fortzufahren: „... aitque esse comoe-



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listisches Bild der Verhältnisse in der Welt bzw. des alltäglichen Lebens angestrebt wird. Vielmehr kommen positive und negative Typen als vorbildliche und abschreckende Exempel zur Darstellung.118 Der Sinn der Komödien besteht nach Luther in der Erziehung der Kinder zum Ehestand, ohne den das Gemeinwesen nicht bestehen könne, und – diesem Zweck dienend − sekundär in der Erziehung zum Gehorsam gegenüber den Eltern.119 Nicht hinderlich für die Aufführung von Komödien sei, dass diese Liebschaften thematisierten und zuweilen Anstößiges enthielten. Aus demselben Grunde, so Luther, müsste es dem Christen dann auch verwehrt sein, die Bibel zu lesen, da diese ähnliches in sich berge120 − ein humanistisches, schon von Leonardo Bruni (1369−1344) in Hinsicht auf die antike Literatur gebrauchtes Argument121. Aus dieser Bemerkung Luthers wird deutlich, was in der deutschen Fassung der Tischrede den Anlass für die Ausführungen bildet und entsprechend klarer zum Ausdruck kommt: dass es Einwände gegen die Aufführung der antiken römischen Komödien gab, und zwar aus einer christlichen Begründung heraus.122 Diese Sicht kann sich Luther nicht zu eigen machen. Er befürwortet definitiv die Aufführung von antiken Komödien durch Schüler,123 was für Schulen in evangelisch gewordenen Territorien und Städten traditionsbildend wurde.124 Leitend für ihn ist ohne Zweifel humanistidiam cotidianae vitae speculum, nec iniuria. nam ut intenti speculo veritatis liniamenta facile per imaginem colligimus, ita lectione comoediae imitationem vitae consuetudinisque non aegerrime animadvertimus.“ Bezugsstelle bei Cicero dürfte De re publica IV X,11 sein (ed. Clinton Walker Key, London – Cambridge 1961, S. 238/240). 118 Vgl. Erich Kleinschmidt, Stadt und Literatur in der Frühen Neuzeit, Köln – Wien 1982, S. 217f. 119 WA.TR 1, 431,4ff (Nr. 867). Vgl. WA.TR 3, 690 (Nr. 3891). 120 WA.TR 1, 431,9ff. 121 Vgl. Leonardo Bruni, De studiis et litteris, in: Leonardo Bruni Aretino, Humanistisch-philosophische Schriften, hrg. und erläutert v. Hans Baron, Leipzig – Berlin 1928, S. 17f., bes. S. 18,8f. Vgl. dazu James A. Parente jr., Religious Drama and the Humanist Tradition, Leiden – New York 1987, S. 18. 122 WA.TR 1, 431,16ff: „D. Johannes Cellarius fragte D.M.L. um Rath: „Es wäre ein Schulmeister in der Schlesien, nicht ungelehrt, der hätte ihm furgenommen eine Comödien im Terentio zu agiren und spielen; Viel aber ärgerten sich dran, gleich als gebührete einem Christenmenschen nicht solch Spielwerk aus heidnischen Poeten etc.“ 123 Zwar ist in der lateinischen Fassung von Luthers Antwort nur vom ‚recitare‘ der Komödien durch Knaben die Rede, allerdings wird später – nicht nur in der Frage – ausdrücklich vom ‚agere‘ der Komödien gesprochen. In der deutschen Fassung heißt es (WA.TR 1, 431,20f.): „Comödien zu spielen soll man um der Knaben in der Schule willen nicht wehren, sondern gestatten und zulassen...“ 124 Vgl. die vielen Belege aus Schulordnungen in: Vormbaum Bd. 1, S. 198f. (Breslau 1570); 281 (Kursachsen 1580); 318 (Brieg 1581); 380. 382 (Nordhausen 1583); 418 (Magdeburg 1553); 541 (Brandenburg 1564); 609 (Altdorf 1575); 633 (Frankfurt 1579); 641 (Aschersleben 1589); Bd. 2, S.  27. 41f. (Sachsen-Coburg-Gotha 1605); 119 (Beuthen 1614); 183. 188 (Hessen 1618); 245 (Weimar 1619). Für die spätere Zeit vgl. a.a.O., S. 553f. (Halle 1661). Die meisten dieser Belege werden weiter unten im Abschnitt über die Schulordnungen ausführlich besprochen. Für Straßburg vgl. ferner Johannes Sturm, Classicarum Epistolarum liber III (1565), in: Vormbaum Bd. 1, S. 708 (De Comoediis et Tragoediis).

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126 Grundlegung sches Denken, das den erzieherischen Wert der römischen Komödie behauptet. Zugleich werden aber theologische Propria des Reformators sichtbar, wenn er in diesem Zusammenhang besonders die Ehe und den kindlichen Gehorsam hervorhebt. Der materiale Zweck des Spielens einer antiken Komödie ist im Sinne Luthers in der Ständeethik und hier vorrangig auf dem Gebiet der oeconomia, aber auch der politia, für die die Ehe konstitutiv ist, zu suchen.125 Dies gilt grundsätzlich auch für ein heidnisches Gemeinwesen, doch sieht Luther in der oeconomia eine Ordnung Gottes zur Erhaltung der Welt, so dass eine Komödien-Aufführung für ihn eine Anerkennung dieser Ordnung bzw. der Rolle des Menschen in dieser impliziert. Festzuhalten ist, dass Luther an dieser Stelle konkret von einem weltlichen Drama, das in lateinischer Sprache abgefasst und in dieser aufzuführen ist, spricht, und dass er – sachlich richtig − den Terminus comoedia gebraucht. Andere Begriffe erscheinen hier nicht.

b) Das Drama bei Philipp Melanchthon Luthers Haltung in dieser Frage ist eng mit derjenigen Philipp Melanchthons zusammen zu sehen.126 Dessen positive Einstellung gegenüber dem Drama manifestiert sich zunächst in editorischen Bemühungen um das antike Drama: So gab er die Komödien des Terenz heraus und übersetzte fast alle Tragödien des Euripides. Hinzu kamen Prologe und argumenta zu Gesamtcorpus und Komödien des Terenz, zu den ‚Wolken‘ des Aristophanes sowie Prologe zu Tragödien von Euripides und Sophokles, letztere in der Ausgabe seines Schülers Veit Oertel. Waren diese Ausgaben für den Unterricht gedacht, kann es nicht verwundern, dass Melanchthon selbst der Komödie und der Tragödie mehrfach Vorlesungen widmete. Stets befürwortete er die schulische Beschäftigung mit der antiken Komödie. So empfahl er in der undatierten Gelegenheitsschrift De instituendis duobus pueris, möglichst früh mit dem Studium des Terenz zu beginnen, diesen zu memorieren – er befürwortet pro Tag zehn Verse − und dann zu Plautus überzugehen.127 Für Kursachsen selbst sah er in der Schulordnung von 1528 das Studium von Terenz und Plautus vor. Von erheblicher Bedeutung ist, dass Melanchthon humanistischer Einsicht folgend die Texte tatsächlich als Dramen wahrnimmt und nicht nur für deren Aufführung votiert, sondern sich dieser Praxis auch selbst verschreibt.128 In seinen Prologen verteidigt 125 Zu Luthers Dreiständelehre vgl. Oswald Bayer, Martin Luthers Theologie, Tübingen 2003, S. 111ff, zu oeconomia und politia S. 128ff. 126 Zu Melanchthons Bemühungen um das Drama und das Theater vgl. Bernd Roling, Erziehung durch Literatur im Werk Philipp Melanchthons, in: Meier – Meyer – Spanily (Hrgg.), Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit, S. 344–362. 127 Vgl. CR 10, 100f. 128 Roling, Erziehung, S. 345: „Nicht zuletzt aber bemühte sich Melanchthon um das regelmäßige Theaterspiel in seiner schola privata, in der Terenz und Euripides wiederholt zur Aufführung kamen.“



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Melanchthon die im Rahmen seiner schola privata respektive domestica129 abgehaltenen Aufführungen von Terenz, Plautus, Euripides und Seneca. Besonders im Prolog zum ‚Eunuchus‘ des Terenz geht er auf Vorwürfe ein, die gegen das Spielen dieser Dramen geltend gemacht werden, zum einen durch Parteigänger der überkommenen Scholastik, zum andern durch Vertreter der Reformation – beide Gruppen werden von Melanchthon als ‚barbari‘ tituliert.130 Zum Zwecke der Verteidigung der Aufführungen hebt Melanchthon hier die sprachliche Eleganz des in Frage stehenden Stückes und die in ihm gebotenen moralischen Lehren, die „hervorragenden Anweisungen für die Lebensführung“ hervor.131 Wie Luther stellt Melanchthon so den sprachlichen und den moralischen Nutzen von Aufführungen antiker Komödien heraus. Auch im Prolog zur Tragödie ‚Hecuba‘ des Euripides ist von Vorwürfen gegen die Aufführungen die Rede: Es würden ‚sera Bacchanalia‘ veranstaltet, wo man sich doch heiligen christlichen Werken widmen sollte.132 Auch diesem Vorwurf hält Melanchthon den moralischen Nutzen der vorliegenden Tragödie entgegen, der in der Warnung vor dem Laster der Hybris bestehe.133 Damit ist bereits angedeutet, aus welchem Grunde Melanchthon die Beschäftigung mit den antiken Dramen befürwortete oder, anders formuliert, was er in ihnen suchte. Für die Komödie hielt Melanchthon schon 1516 in einer Vorrede zu Terenz fest, dass sie Muster für das Handeln in der civitas und in der Familie biete und damit als Spiegel für die eigene Lebensgestaltung aufzufassen sei, eine Position, die er 1525 in ähnlicher Form wiederholte.134 Die Komödie leitet nicht nur zur Beredsamkeit an, sie lehrt auch Exempel bürgerlicher Sitten und führt so zur Tugend. Grundsätzlich zu beiden Formen von Dramen äußerte sich Melanchthon in dem Vorwort, das er im Jahre 1545 für die von seinem Freund Camerarius besorgte Ausgabe der Komödien des Terenz unter dem Titel De legendis Tragoediis et Comoediis schrieb.135 Darin hebt er hervor, dass die Tragödien keineswegs nur der Unterhaltung dienten, sondern vielmehr dazu dienten, die Begierden des Menschen unter Kontrolle zu halten.136 Sie seien besonders für die Heranwachsenden von großem Nutzen, insofern sie die Gemüter 129 Robert Seidel, Praeceptor comoedorum, S. 99 Anm. 1, wählt diesen Begriff, da er von Melanchthon selbst gebraucht wird. Der andere Begriff hatte sich seit Ludwig Koch, Philipp Melanchthon’s Schola privata: ein historischer Beitrag zum Ehrengedächtniss des Präceptor Germaniae, Gotha 1859, eingebürgert. – Die erste Aufführung war die der ‚Hecuba‘ des Euripides; vgl. Herbert Walz, Deutsche Literatur der Reformationszeit, Darmstadt 1988, S. 116. 130 Vgl. CR 19, 716f. Vgl. zum Ganzen Robert Seidel, a.a.O., S. 118f. Wer sich konkret hinter den Gegnern solcher Aufführungen aus dem reformatorischen Lager verbirgt, wird nicht gesagt. 131 Vgl. R. Seidel, a.a.O., S. 119. 132 Vgl. CR 10, 499, und Seidel, a.a.O., S. 121. 133 Vgl. CR 10, 499, und Seidel, a.a.O., S.122. 134 Vgl. In Terentii Comoedias Praefatio, CR 1, 9–11 (Nr. 3); Praefatio praemissa editioni Comoediarum Terentii, CR 1, 773 (Nr. 358), und dazu Roling, a.a.O., S. 346f. 135 Vgl. CR 5, 567–572 (Nr. 3108). 136 Vgl. a.a.O., 567.

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128 Grundlegung an die Pflichten des Lebens erinnerten, an die Zügelung der Begierden, aber auch an die Beredsamkeit.137 Kurz, sie belehrten über die Lebensführung und ermahnten zum Lernen der göttlichen Gerechtigkeit, welche die Schändlichkeiten bestrafe.138 Habe dies von den Menschen der heidnischen Antike gegolten, so gelte es um so mehr von den Christen, sei doch die Ermahnung zum Lernen der göttlichen Gerechtigkeit oft der Kirche durch die klare Stimme Gottes anvertraut worden.139 Die Tragödie erreiche dies, indem sie die Schwächen der menschlichen Natur vor Augen führe, die Unbeständigkeit des Glücks, den guten Ausgang des Schicksals der Rechtschaffenen wie auch die traurigen Strafen für die begangenen Schandtaten.140 So ermunterten sie zum Bedenken der Unglücksfälle des menschlichen Lebens, darüber zur Inanspruchnahme der entsprechenden Heilmittel und somit zur Verbesserung der Lebensführung.141 Melanchthon sieht die Zielsetzung der Tragödie in der Vermittlung der Zügelung. Zu erreichen vermag sie dies, weil sie die göttliche Ordnung der Vergeltung bzw. die göttliche Gerechtigkeit vor Augen führt, nach der kein Böses ungesühnt bleibt.142 Besonders betont er auch die Nachhaltigkeit der Tragödie, die den Augen einen schrecklichen Anblick (terribilis species) biete, „quae penetret in animos et diu haereat, et moveat illa ipsa commiseratione, ut de causis humanarum calamitatum cogitent, et singuli se ad illas imagines conferant.“143 Die Aufführung bleibe mit ihren Bildern haften, sie bewege und führe zum Nachdenken. Obwohl, so Melanchthon, bei den Komödien der Unterhaltungszweck stärker im Vordergrund stehe, gelte das Gesagte auch für diese. Indem die Komödie, wie er unter Bezugnahme auf Aristophanes feststellt, verschiedene Gestalten von Regierenden vorführe, zeige sie auf, wem von diesen zu folgen und wer von ihnen zu meiden sei.144 Ziel der Komödie ist es damit in Melanchthons Sicht, durch die Darstellung guter und böser Personen Tugenden zu erwecken und von Untugenden wegzuführen. Während die alte Komödie dies auf dem Felde der politia propagiert hätte, habe sich die neue Komödie stärker auf das Gebiet der oeconomia verlegt, wo sie lehre, dass der Betrachter das Gerechte wählen und sich nicht durch die Untugenden wie Streitsucht oder Intriganz erregen lassen solle.145 Die Komödie stellt damit nach Melanchthon den Menschen in seinem Handeln vor eine Wahl.

137 Vgl. a.a.O., 568. 138 Vgl. ebd. 139 Vgl. ebd.: „Haec Sententia [sc. der antike Satz: ‚Discite Iustitiam moniti et non spernere divos‘] multos ad moderationem flectebat, quae nos quidem magis movere debet, qui scimus eam et Ecclesiae clara Dei voce saepe traditam esse.“ 140 Vgl. a.a.O., 567. 141 Vgl. a.a.O., 568. 142 Zu diesem Komplex vgl. Roling, Erziehung, S. 348f., zur Komödie vgl. a.a.O., S. 349f. Roling bietet dort auch Hinweise zu Melanchthons Aufnahme der Komödientheorie des Donatus. 143 Melanchthon, a.a.O., 567. 144 Vgl. a.a.O., 569. 145 Vgl. a.a.O., 570ff.



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Fasst man diese Aussagen zusammen, ergibt sich folgendes Bild: Das Ziel der Beschäftigung mit den antiken Dramen, sei es in Form von Lektüre und Memorieren, sei es in Form der Aufführung, besteht für Melanchthon − und darin sieht er sich in Einklang mit den antiken Autoren – vor allem in der Vermittlung von Tugendlehre. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass Melanchthon in Bezug auf die Komödie durchaus anerkennt, dass sie auch um der oblectatio willen verfasst wurde. Dennoch steht für ihn, mit Horaz gesprochen, das prodesse im Vordergrund, dem delectare kommt nur eine dienende Funktion zu. Die Moraldidaxe wird im Drama, und das ist der Vorteil dieses literarischen Genus sowohl gegenüber der philosophischen Abhandlung als auch gegenüber der nicht-dramatischen Poesie, spielerisch und stärker affektiv vermittelt.146 Im Drama wird die Erkenntnis enger mit dem Leben verbunden, indem Grundsituationen und paradigmatische Charaktere vor Augen geführt werden. Bei der Betrachtung der Tragödien wendet Melanchthon die von ihm zur Strukturierung des theologischen Stoffes gebrauchte Loci-Methode an. Gilt von den Tragödien allgemein, dass sie elementare Begriffe wie den der göttlichen Vorsehung und Vergeltung und den der Verantwortlichkeit des Menschen vor dem göttlichen Gesetz vermitteln, so sucht Melanchthon in jeder Tragödie gesonderte loci communes zu finden, die in ihr exemplifiziert werden. Deren Erkenntnis setzt die elementaren Begriffe mit ihrer exemplarischen Umsetzung in Verbindung.147 Anders formuliert: Die Erkenntnis jener elementaren Begriffe erfolgt über die loci communes, anhand derer ein Drama hinsichtlich seiner exemplarischen Bedeutung geprüft werden kann. Die von Melanchthon anvisierte Moraldidaxe gründet in einer theologischen Erkenntnis, zu der seines Erachtens schon die heidnischen Dichter gelangen konnten und gelangten, nämlich zur Erkenntnis der Existenz Gottes als dem Schöpfer und Lenker der Welt. Nach Melanchthon hat Euripides erkannt und als Lehre vorgelegt, dass Gott zu verehren und den Eltern bzw. den an deren Stelle wirkenden Autoritäten wie den öffentlichen Gesetzen und angenommenen Sitten zu gehorchen sei.148 Hintergrund der Inanspruchnahme der antiken Tragödien für die Ethik ist eine natürliche Theologie, deren Kerngedanke in der Erkenntnis einer mens aeterna als Vergelterin der menschlichen Taten, im Wissen um Gott als dem Ursprung und Garanten einer solchen Ordnung besteht. Da diese auf den ersten Artikel bezogene Erkenntnis vom christlichen Glauben ausdrücklich bestätigt wird, ist auch die auf tugendhaftes Leben gerichtete Intention der Tragödie für die Christen nach wie vor 146 Vgl. Roling, Erziehung, S. 344. 147 Vgl. Roling, a.a.O., S. 353. 148 Vgl. CR 10, 880 (Nr. 73): „Euripides trium praecipue virtutum studium praecipit adolescentibus, ut Deum colere, ut parentibus, et quos loco parentum habent, ut publicis legibus et laudata consuetudine receptis moribus obtemperare consuescant.“ Vgl. ferner das von Roling, a.a.O., S. 360 Anm. 342 wiedergegebene Zeugnis Veit Oertels aus dessen Vorrede zur Euripides-Vorlesung, die wie ebd. Anm. 335 angedeutet wird, möglicherweise doch von Melanchthon selbst verfasst wurde: „Hoc enim ubique repetunt ac inculcant Tragoediae, quod Deus sit, quod res humanas curet, item non casu homines nasci, non casu res fieri, non temere fluere, sed divinitus gubernari omnia. Addita erant praecepta et exempla morum, taxabantur vitia…“

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130 Grundlegung gültig. In gewisser Weise entspricht die Funktion der Tragödie derjenigen des Gesetzes, insofern sie dem Menschen kundgibt, worin der von ihm zu vollziehende Wille des Schöpfers besteht, und ihn auf das göttliche Gericht hinweist; so bereitet sie andeutungsweise der Verkündigung des Evangeliums den Weg.149 Dies gilt aber nur eingeschränkt, da die Tragödie als solche noch nicht zu erkennen gibt, dass der Mensch das göttliche Gesetz nicht zu erfüllen vermag und er von diesem letztlich nur in Verzweiflung geführt werden kann. Es ist deutlich, dass Melanchthon eine funktionalisierte Sicht des Dramas vertritt, dabei nähert er sich diesem ausschließlich in moraldidaktischer Perspektive.150 Dies liegt daran, dass er die Dramen als Pädagoge wahrnimmt. Er erkennt in der Tat nicht den wirklichen tragischen Aspekt der Tragödien, womit er allerdings in seiner Zeit in keiner Weise alleine steht. Dass er den antiken Dramen damit nicht gerecht wird, dass er sie statt dessen als Fundus zur Erhebung von Wahrheiten benutzt, deren Erkenntnis auch auf anderem Weg zu erlangen wäre, ja dass er das ohnehin schon Bekannte in ihnen suchte, ist nicht zu bestreiten.151 Dennoch sind er und Luther darin wegweisend, dass sie die Dramen als Dramen verstehen und ihre Aufführung verteidigen. Dies tun sie unter Zuhilfenahme humanistischer Argumente.152 Bei beiden spielt die erkannte moralische Intention der antiken Dramen eine wesentliche Rolle. Während Melanchthon dabei infolge seiner Berücksichtigung der Tragödie auch die direkte Relation des Menschen zu Gott im Blick hat, stehen bei Luther die von der Komödie vor Augen geführten innerweltlichen Bezüge im Mittelpunkt, bei denen Gott freilich im Hintergrund steht. Seine Auffassung des antiken Dramas ist funktional von den Bedürfnissen der Gesellschaft bzw. der Stände der oeconomia und politia geprägt. Von der Erkenntnis theologischer Wahrheiten im antiken Drama spricht Luther im Gegensatz zu Melanchthon nicht. Insofern könnten sich von Melanchthon her neue Impulse zu einem Bibeldrama, über Luther hinaus, zur Konzeption einer biblischen Tragödie im Sinne einer Verdeutlichung der Gesetzespredigt eröffnen. In seinen programmatischen Stellungnahmen äußert sich Melanchthon allerdings nicht zu einem biblisch fundierten Drama, wiewohl aus diesem Faktum kein Votum gegen eine solche Praxis abzuleiten ist, wie sein brieflicher Ratschlag im weiter unten behandelten Dessauer Streit von 1543 (Abschnitt d), s.u.) belegt. Auch zu volkssprachlichen Aufführungen lässt

149 Vgl. Roling, a.a.O., S. 360. Vgl. ferner Rolings Feststellungen bezüglich Veit Oertels Widmungsrede zur Sophokles-Ausgabe (a.a.O., S. 354f.): Die Griechen besitzen als Äquivalent einer solchen mit dem Alten Bund gegebenen Tugenddidaxe die Tragödie. 150 Roling, a.a.O., S. 364, kommt zu dem Urteil: „Die Bühne wird zum Ort der moralischen Erkenntnis, des richtigen Urteils und letztendlich zu einem erweiterten Unterrichtsraum. Die Tragödie mutiert zu einer Schule der Theologie, in der die Leitideen der Vorsehung und göttlichen Gerechtigkeit dominieren und modestia gelehrt wird. [...] Auch die Komödie kennzeichnet für Melanchthon nicht die zweckfreie Freude am Humor,... sondern eine Moraldidaxe, die in exemplarischen Episoden Urteile einübt und die Allgemeinverbindlichkeit des christlichen Wertekanons belegt.“ 151 Vgl. Roling, ebd. 152 Vgl. James A. Parente, a.a.O., S. 18f.



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er nichts verlauten. Seine Haltung zu Drama und Theater bleibt maßgeblich den vom Humanismus vorbestimmten Bahnen verpflichtet, ohne darüber hinauszugehen.

c) Luther und das geistliche Drama Ausgehend von der positiven Einstellung Luthers gegenüber dem antiken Drama, insbesondere der römischen Komödie, ergibt sich als weitergehende Frage, welche Haltung Luther zur Dramatisierung geistlicher und biblischer Inhalte einnahm. Dabei ist zunächst zu prüfen, wie Luthers Stellung zum überkommenen geistlichen Spiel zu beschreiben ist. Im Anschluss soll eruiert werden, ob und in welchem Sinne Luther eine positive Konzeption des biblischen Theaters anvisiert oder gar selbst entwickelt hat. In Bezug auf die erste Aufgabe ist bei der Sichtung der Quellentexte darauf zu achten, wo Luther vom geistlichen Spiel im engeren Sinne spricht, das sich im Laufe des Mittelalters von der Liturgie gelöst hatte, und wo er von bestimmten, die Liturgie des jeweiligen Festtages begleitenden spielerischen Handlungen redet, für die in der literaturwissenschaftlichen Forschung oft der Terminus ‚Feier‘ gebraucht wird. Letztere werden im Folgenden als Elemente geistlicher Feiern oder als geistliche Spiele im weiteren Sinne bezeichnet.153 Dem Passionsspiel stand Luther kritisch gegenüber.154 Zwar konnte er über diese Spiele auch Humorvolles berichten, doch belegt die von ihm berichtete Anekdote über ein Spiel im Grunde die Unmöglichkeit einer Darstellung des Erlösungs- bzw. Vergebungsgeschehens: Dort ruft der den Christus darstellende Müller, als ihm nicht zum Spiel gehörende, sondern auf seine eigene Person zielende Vorwürfe gemacht werden: „O, wer ich nicht unser Herrgott, ich woltt dich recht betzalen.“155 Die Passion war Luther eine zu ernste Sache, als dass sie zu einem Spiel gemacht werden könnte.156 Im Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi von 1519 macht Luther auf bestimmte Gefahren bei der Betrachtung der Passion aufmerksam. Zwar bezieht 153 Vgl. Ursula Schulze, Art. ‚Geistliches Spiel‘, RLW 1, S. 684. Während es sich bei der – lateinischen – ‚Feier‘ (officium) um eine szenische Darbietung im liturgischen Rahmen handelt, spricht man von einem selbständigen ‚Spiel‘ bei der Lösung aus dem gottesdienstlichen Rahmen. Analog macht Nikolaus Henkel, Textüberlieferung und Performanz, in: Meier – Meyer – Spanily (Hrgg.), Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit, S. 24, darauf aufmerksam, dass in der deutschsprachigen Forschung diejenigen einschlägigen Texte, die in liturgischen Büchern aufgezeichnet wurden, als ‚Feiern‘ bezeichnet würden, während für die außerhalb liturgischer Bücher aufgezeichneten Texte der Begriff ‚Spiel‘ in Gebrauch sei. 154 Zu Luthers Haltung zum Passionsspiel vgl. Andrea Seidel, Luther und das protestantische Schauspiel, in: Martin Luther in der Kulturgeschichte. Der soziale Raum von Martin Luthers Wirken. Protokolle des Wissenschaftlichen Kolloquiums am 08.06. 1996 in der Lutherstadt Eisleben und am 09.11.1996 in Hettstedt, Halle 1997, S. 36f., Barbara Könneker, „Wold ihrs den nicht schir gleuben do?“, a.a.O., S. 313ff, und Thomas I. Bacon, Martin Luther and the drama, S. 42ff. 155 WA.TR 5, 528 (Nr. 6187). 156 Vgl. WA 2, 137,15ff (Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi, 1519).

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132 Grundlegung sich seine Kritik an dieser Stelle primär auf mit dem Bedenken der Passion verbundene Begängnisse und Bräuche, doch trifft sie deutlich auch die Passionsspiele. Dies erhellt zunächst aus den Kritikpunkten: Der Blick werde auf die Juden als angebliche Mörder Christi gelenkt – und damit vom Betrachtenden selbst weg. Man werde dazu verleitetet, die Betrachtung der Passion als frommes und damit verdienstliches Werk zu verstehen.157 Luther entwickelt sodann Kriterien einer rechten Passionsbetrachtung: Diese soll Erschrecken, Selbsterkenntnis mit sich bringen, dazu führen, dass sich das Subjekt im Gewissen von seinen Sünden geplagt fühlt und zu dem Schluss kommt, es selbst habe Christus gekreuzigt, es selbst habe diese Strafe verdient. Schließlich soll sie dazu anleiten, den alten Adam zu vertreiben. Diese Wirkungen sind bei einem rein äußerlichen Betrachten sicher nicht a priori in Gänze ausgeschlossen, aber ihr Eintreten wird erheblich erschwert, da den Zuschauenden doch nur die Zuschauerrolle zugewiesen wird und sie außerhalb des als historisches Geschehen Dargestellten verbleiben. Die von Luther aufgelisteten Kriterien müssen auch als auf die Passionsspiele zielend verstanden werden. Kern der Kritik ist die Befürchtung, dass es bei derartigen Aufführungen über die Erweckung von Mitleid hinaus nicht zu einer wirklichen Selbsterkenntnis komme.158 Der Betrachter und die Betrachterin blieben bei der äußeren Gestalt stehen, statt zur Liebe Christi selbst vorzudringen.159 Thomas I. Bacon spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die Passionsspiele einem für Luther zu sentimentalen Konzept der Religion entsprachen, während für ihn selbst ein Drama nur instruktiver Art sein konnte.160 Luthers Abneigung konkretisierte sich später in der Missbilligung der Pläne Joachim Greffs, ein Passionsspiel zu konzipieren. Dieses Faktum übergeht Martin Sander-Gaiser in seiner Arbeit über das Spiel als Form des Lernens bei Luther, in der er ein nahezu durchweg positives Urteil des Reformators über die geistlichen Spiele prädiziert.161 Greff selbst berichtet aber, dass Luther ihm mit den gleichen Argumenten vom Plan des Passionsspiels abgeraten habe. Die Passion sei für Christus kein Spiel gewesen, sondern allerhöchster Ernst.162 Diese späte Aussage − ihre Formulierung muss zwischen 1538, dem Jahr des Erscheinens von Greffs Versdichtung der Passion, und 1542, dem Jahr der Veröffentlichung seines Osterspiels, erfolgt sein − stellt erstaunlicherweise noch eine starke Reminiszenz an den frühen Sermon vom Leiden Christi dar. Luther vertrat also in dieser Frage kontinuierlich die gleiche Position.163 Cora Dietl 157 Vgl. WA 2, 136ff. Zur Entwicklung des Verständnisses der Betrachtung des Passionsspiels zum Bußakt, vgl. Ursula Schulze, Art. ‚Geistliches Spiel‘, RLW 1, S. 685, zur reformatorischen Kritik daran, ebd., S. 686. 158 Vgl. Seidel, ebd. 159 Vgl. WA 2, 140,30ff. 160 Vgl. Bacon, a.a.O., S. 43f. 161 Vgl. Sander-Gaiser, Lernen als Spiel bei Martin Luther, Frankfurt 1996, S. 194. 162 Vgl. dazu Barbara Könneker, „Wold ihrs den nicht schir gleuben do?“, a.a.O., S. 312f. 163 Interessant ist, dass die gleichen Argumente, die Luther hier gegen das Passionsspiel wendet, von Cyriakus Spangenberg später zwar als Argumente gegen die als ‚Spektakelpredigten‘ bezeichneten



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verweist schließlich noch, leider ohne Angabe, auf eine Fastenpredigt aus dem Jahre 1535.164 Bei etlichen Aussagen Luthers handelt es sich um Stellungnahmen zu geistlichen Spielen in einem weiteren Sinne, zu Elementen geistlicher Feiern (officia), zu Brauchtum, das Eingang in die Liturgie fand.165 Während Peter Jezler in Bezug auf diese von ‚handelnden Bildern‘ spricht, handelt es sich nach Robert Scribner um Handlungen ritueller, sakramentaler Art, denen die Gläubigen eine ‚sakramentale Schau‘ entgegengebracht hätten, eine andächtige Schau, bei der man sich eine Wirkung von dem Dargestellten erhoffte, die aber als von der jeweiligen Frömmigkeit abhängig gedacht worden sei.166 An anderer Stelle spricht Scribner von „dramatized liturgy“.167 Diese Form geistlicher Praxis kann Luther sehr kritisch beurteilen. So äußert er in der Fastenpostille aus dem Jahre 1525: „Und da man zu Weynachten das kindlin gewigt und mit reymen affenspiel getrieben hat, gleich wie auch mit den heyligen DreykÖnigen, mit der passio Christi, mit Dorothea und andern heyligen geschehen ist.“168 In systematisierter Form geht Luther auf diese Elemente geistlicher Feiern im Jahre 1530 in seiner Vermahnung an die Geistlichen, versammelt auf dem Reichstag zu Augsburg, ein. Unter der Überschrift „Die stücke, so ynn der gleissenden Kirchen ynn vbung vnd brauch sind gewest“ listet er FrömmigPassionspredigten der Mönche Verwendung finden, aber nicht gegen das, im Gegenteil ausdrücklich gelobte, Passionsspiel ins Spiel gebracht werden. Diese seien nicht ohne Frucht geblieben. Vgl. seine COMOEDIA Ein geistlich Spiel Vom Euangelio am Sontage Oculi von dem besessenen tauben vnd stummen Menschen, Schmalkalden 1590, A Vb–VIb. In diesem Zusammenhang hebt Spangenberg ausdrücklich das zu Pfingsten in Freiberg alle sieben Jahre aufgeführte geistliche Spiel als positives Beispiel hervor (A VIIb–VIIIa). 164 Vgl. Cora Dietl, Das frühe deutsche Drama. Von den Anfängen bis zum Barock, Helsinki 1998, S. 98. 165 Vgl. Ursula Schulze, Art. ‚Geistliches Spiel‘, RLW 1, S. 684. 166 Vgl. Peter Jezler, Bildwerke im Dienste der dramatischen Ausgestaltung der Osterliturgie – Befürworter und Gegner, in: Ernst Ullmann (Hrg.), Von der Macht der Bilder, Leipzig 1983, S. 237; Bob Scribner, Das Visuelle in der Volksfrömmigkeit, in: Ders. (Hrg.), Bilder und Bildersturm im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. Vorträge gehalten anlässlich eines Arbeitsgespräches vom 15. bis 17. September 1986 in der Herzog August Bibliothek (Wolfenbütteler Forschungen Bd. 46), Wiesbaden 1990, S. 15f. Scribner formuliert S. 15: „Einen ähnlichen Ausdruck dieser ‚sakramentalen Schau‘ finden wir bei den sogenannten functiones sacres [sic!], den sehr beliebten dramatischen Ausführungen während des liturgischen Jahres, die die Mysterien des Glaubens durch bildhafte, Partizipation eröffnende Darstellungen lebendig und gegenwärtig machten: das Wiegen des Christkind, der Umzug mit dem Esel am Palmsonntag, die Grablegung und Auferstehung Christi, seine Auffahrt... Vom Verhältnis... zwischen dem Visuellen und den Partizipierenden aus gesehen, können wir wieder von einer Verwirklichung des Vorgezeichneten sprechen, also von einer rituellen, sakramentalen Handlung. In dieser Weise haben die Laien aktiv und mitwirkend an der sakralen Handlung teilgenommen, also selbst eine Art piesterliche Rolle gespielt.“ 167 Scribner, Popular Piety and Modes of Visual Perception in Late-Medieval and Reformation Germany, JRH 15 (1988/89), S. 456. 168 WA 17 II, 208,35ff.

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134 Grundlegung keitspraktiken auf, die er entweder verwirft, weil und insofern sie von den notwendigen Stücken wegführten bzw. diese verdunkelten, oder zumindest als unnötig einstuft − zuvor nannte er die Stücke, die er für eine christliche Kirche als notwendig erachtet.169 Bei den für unnötig erklärten Stücken erscheint dreimal ein Wort aus der Wortgruppe ‚Spiel‘: So qualifiziert er die Sonntagsprozession als „schawspiel“, bei der Passion führt er den Brauch „Creutz aus dem grab heben vnd spilen tragen“ an und in Bezug auf das Weihnachtsfest erwähnt er „Apparuit vnd spiel“.170 Während die Bezeichnung der Prozession als ‚Schauspiel‘ deutlich negative Konnotationen birgt, kann Luther andere Praktiken im Rahmen einer Kinderkatechese durchaus billigen.171 Werden diese als Spiel gesehen und nicht als ernsthaft oder gar heilsnotwendig erachtet, könnten sie, sofern sie ‚leidlich‘ seien, nichts dem Evangelium Widersprechendes transportierten, durchaus mit Wohlwollen akzeptiert werden.172 Luther kann also mit gewissen Korrektiven und beschränkt auf die religiöse Erziehung der Kinder derartige Formen der Praxis zulassen. In der Vergangenheit haben diese Formen seiner Auffassung nach hingegen mit den Erwachsenen die Adressaten verfehlt. In Bezug auf das Osterfest wiederholt Luther diese Position in einer Predigt zur Höllenfahrt Christi aus dem Jahre 1533 und stellt diese an Kinder gerichtete Form der Didaxe neben andere Vermittlungsweisen wie Malen und Singen.173 Offenkundig geht es hier um sehr einfache Bemühungen einer Vermittlung des Inhalts des jeweiligen christli169 WA 30 II, 347,9f. 352,4ff relativiert Luther: „Wol ists war, das vnter obgezeleten stucken ettliche sind, die nicht zu verwerffen sind ...“ 170 WA 30 II, 348,8; 350,21f.; 350,16. Das an der letzten Stelle aufgeführte ‚Apparuit‘ meint den aus dem 14. Jahrhundert stammenden Gesang ‚Apparuit quem genuit‘; vgl. Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts Bd. 1, Nr. 349 (S. 211f.). 171 WA 30 II, 352,11ff: „Wenn man solche stucke hette lassen bleiben ein kinder spiel fur die iugent vnd iunge schuler damit sie hetten ein kindlich bilde gehabt Christlicher lere vnd lebens, wie man doch mus kindern, tocken, Puppen, pferde, vnd ander kinder werg furgeben, Vnd were bey dem brauch blieben, wie man die kinder leret S. Niclas vnd dem Christkind fassten, das sie sollen yhn des nachts bescheren, wie sichs lesst ansehen, das vnser vorfaren haben gemeinet. So were es wol zu leiden, das man Palm Esel, himelfart, vnd der gleichen viel liesse gehen vnd geschehen denn da were kein gewissen mit verwirret“. 172 Ebd. (Forts.): „Aber das wir allte narren, ynn Bisschoffs hueten vnd geistlichem geprenge daher gehen vnd machen ernst draus, Ja nicht allein ernst, sondern artickel des glaubens, das es sunde mus sein, vnd die gewissen martern wer solch kinderspiel nicht anbettet das ist der teuffel selbs Daraus folget denn, das alle obgenante stucke, wie kindisch vnd lecherlich sie sind, dennoch mit ernst, den Christlichen glauben vnd die rechten notigen stuck, so ob angezeigt sturmen, vnd verderben, als were sonst kein hulffe, man hette denn solchs gehalten Denn wir leyder wol erfaren, bis her das man solch kinder vnd narren spiel, hat mehr vnd ernstlicher getrieben (vnd noch) denn eben die rechten heubtstuck, So sind wir nu der mey nung [!], konnen wir solch kinderspiel die leidlich sind helffen erhalten vmb der iugent willen on nachteil, der rechten ernsten heubt stuck, so wollen wirs gerne thun ...“ 173 WA 37, 63,8ff: „Wie man auch jnn der Oster nacht ein spiel fÜr die kinder getrieben hat, Vnd gefellet mir wol, das mans also den einfeltigen fÜr malet, spielet, singet odder sagt, Vnd sols auch da bey bleiben lassen ...“



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chen Festes. Dieser Inhalt soll insbesondere visualisiert werden. An eine Vertiefung durch Problematisierung, durch Fragen ist gerade nicht gedacht. Vielmehr wendet sich Luther an der letzten Stelle gerade gegen subtiles Reden vor ‚Einfältigen‘. Wichtiger als die Dialoge sind für den Zweck der Veranschaulichung eher die Handlung und auch die Requisiten, wie der Palmesel oder die Fahne bei der Höllenfahrt Christi.174 Auf keinen Fall ist eine derartige Empfehlung Luthers von Veranschaulichungen aber zu überschätzen, wie es bei Sander-Gaiser geschieht, der zudem Luther-Texte für eine solche Empfehlung in Anspruch nimmt, in denen eine solche Anregung gar nicht oder nicht in der konkreten Gestalt erfolgt.175 Wenn Luther einer solchen Praxis befürwortend Raum verschafft, so wird man in Bezug auf die hier untersuchte Frage jedenfalls nicht behaupten können, dass er dabei tatsächlich ein ausgefeiltes geistliches Spiel oder gar ein Drama im Sinne des Wittenberger Bibeldramas oder des Humanismus vor Augen hatte. Zu beachten ist, dass der überkommene mittelhochdeutsche Begriff spil ein breites Bedeutungsspektrum umfasste und keineswegs auf den Sinn einer Aufführung zu beschränken ist.176 Wenn Sander-Gaiser unterschiedslos alle Nuancen dem Begriff subsumiert, wenn er neben dem Theaterspiel das kindliche Spiel, das Tollen, das Spiel der Tiere oder auch Scherz und Ironie unter den Begriff des Spieles fasst,177 so entspricht er damit zwar dem Spiel-Begriff des 16. Jahrhunderts, der auf alle diese Phänomene Anwendung fand, da dieser ein unverzwecktes Tun zum Ausdruck bringt, dennoch verdunkelt dieses Vorgehen mehr als es erhellt. Nicht jede dieser Formen von ‚Spiel‘ lässt sich für Lehrzwecke verwenden oder ist durch das spielende Subjekt mit einer solchen Intention versehen. Das mimetische oder dramatische Spiel bzw. eine Aufführung, eine Form dessen, was als ‚Spiel‘ bezeichnet werden kann, ist 174 Die Fahne ist ein wichtiges Requisit als Hinweis auf den Triumph Christi; vgl. WA 37, 63,5ff. 175 In der Predigt zum Palmsonntag aus dem Jahre 1534 (WA 37, 344ff) erwähnt Luther die von ihm in der Schule verorteten Palmsonntagsbräuche, spricht aber keinerlei Empfehlung aus, wie Sander-Gaiser, a.a.O., S. 200f., suggeriert. Zu konzedieren ist lediglich, dass er an dieser Stelle auch keine Kritik an jener Praxis übt. Es sollte aber Vorsicht geboten sein, die Wiedergabe einer vergangenen Praxis durch Luther zu einer Propagierung einer Norm durch ihn umzustilisieren. Ähnliches gilt für eine Predigt zum Christophorusfest von 1529 (WA 29, 498ff). Zwar äußert er als Quintessenz der Geschichte, dass alle Christen und besonders die Prediger Christus tragen sollten (a.a.O., 501,21f.), befürwortet aber in dieser Hinsicht keinerlei Ritualisierung. Luther erwähnt, dass die Legende den jungen Christen zum Zwecke des Memorierens vorgemalt worden sei (a.a.O., 504,33ff), eine Empfehlung zum Spielen der Christophoruslegende aber spricht er nicht aus, wie Sander-Gaiser, a.a.O., S. 195. 198, schließt. Er äußert lediglich in generalisierender Weise von sich selbst: Wenn er sich etwas einprägen wolle, mache er sich ein Bild oder eine Handlung (hendlin) – zu diesem Terminus vgl. Sander-Gaiser, a.a.O., S. 198 Anm. 738 – aus dem Einzuprägenden (a.a.O., 504,33–37), wie man auch mit den Kindern von Nikolaus gespielt habe. Es liegt also – nur – eine allgemeine Empfehlung eines didaktischen Prinzips vor, aber keine konkrete Empfehlung für ein Christophorusspiel oder ein Nikolausspiel. 176 Vgl. Schulze, ebd. Zum Bedeutungsspektrum von Spiel vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Bd. 10/I, Sp. 2275–2320. 177 Vgl. Sander-Gaiser, a.a.O., S. 121, 124.

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136 Grundlegung aufgrund seiner Worthaftigkeit und Dialogstruktur deutlich von anderen Formen desselben abzuheben.178 Ein weiteres Problem der Ausführungen von Sander-Gaiser bildet die Frage, ob der Reformator wirklich unter den Einfältigen oder den rudiores die Christen insgemein versteht, wie Sander-Gaiser betont und entsprechend schließt, die genannten geistlichen Spiele würden von ihm allen Gläubigen empfohlen,179 oder ob er damit nicht doch nur einen Teil der Christen im Auge hat, bei dem aufgrund geringerer materialer Vorbildung ein besonderes, der Prädisposition dieser Hörerinnen und Hörer entgegenkommendes Engagement der Prediger erforderlich ist. Wenn Luther den Komparativ rudiores verwendet,180 impliziert dies, dass es seiner Auffassung nach zumindest rudes in geringerem Maße, wenn nicht sogar ‚non rudes‘ gibt. Dass Luther ferner Kinder und Einfältige zusammenfasst,181 wäre wenig plausibel, wenn, wie Sander-Gaiser meint, seiner Ansicht nach alle Erwachsenen zu den Einfältigen zählten, es also ausnahmslos Einfältige gäbe. Erhellend ist für diese Frage die Vorrede zur Deutschen Messe, in der Luther feststellt, die vorgelegte Ordnung sei nicht um derer willen, die bereits Christen sind, konzipiert worden, sondern um der Einfältigen und des jungen Volkes willen. Diese müssten in der Schrift geübt werden, dass sie darin kundig würden, ihren Glauben zu vertreten.182 Luther hebt also bei dieser Unterscheidung auf den jeweiligen Stand in der Kenntnis des Glaubens ab, nicht unbedingt auf die intellektuellen Fähigkeiten, aber ein oder eine ‚non rudis‘ ist für ihn doch jemand, der oder die über gewisse, wenn auch u.U. marginale Kenntnisse der Bibel und des Glaubens verfügt und diese auch zu verbalisieren vermag. Es muss also dabei bleiben, dass Luther mit der Zulassung besagter geistlicher Spiele im weiteren Sinne eine religiöse Elementarerziehung intendiert, bei der er Kinder und solche Erwachsene anvisiert, die sich in Glaubensdingen als weitgehend unkundig erweisen. An anderer Stelle tritt Luther dagegen für die regelrechte Dramatisierung biblischer Stoffe ein. In einem Brief an Nikolaus Hausmann in Zwickau vom April 1530 äußert er, dass er es nicht ungern sähe, wenn die Taten (gesta) Christi in den Schulen durch korrekt und sauber zusammengestellte Spiele (ludi) bzw. Komödien in lateinischer und deutscher Sprache dargestellt (repraesentari) würden, damit diese im Gedächtnis verblieben und der Affekt der Ungebildeteren vergrößert werde.183 Offenbar, so lässt sich Luther verstehen, war die Dramatisierung von Geschichten Jesu schon Thema zwischen Hausmann und

178 Vgl. das Grimmsche Wörterbuch, a.a.O., Sp. 2292, wo von einer engeren Anwendung des speziellen, die Unterhaltung bezeichnenden Spielbegriffes die Rede ist. 179 Vgl. Sander-Gaiser, a.a.O., S. 203. 180 Vgl. WA.Br 5, 272,6–8. 181 Vgl. WA 10 II, 458,17. 182 Vgl. WA 19, 73,10f.17f. 183 WA.Br 5, 272,6ff (Nr. 1543): „Nam et ego non illibenter viderem gesta Christi in scholis puerorum ludis seu comoediis latine et germanice, rite et pure compositis, repraesentari propter rei memoriam et affectum rudioribus augendum.“



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ihm, jedenfalls scheint sich Hausmann zu dieser Frage geäußert zu haben.184 Siegfried Bräuer wertet einen früheren Brief des Reformators an Hausmann vom Februar 1530 als weiteres Indiz in dieser Richtung. In diesem hatte er den Zwickauer gebeten, ihm aus seiner Erfahrung mitzuteilen, wo er Mängel in der kirchlichen Praxis sehe.185 In diesem Zusammenhang könnte Hausmann tatsächlich die Aufführung biblischer Dramen zu Jesus-Geschichten ins Spiel gebracht haben. Ob nun das Fehlen eines geistlichen Theaters durch Hausmann als Mangelerscheinung gewertet wurde oder ob er dieses unabhängig von der zu erstellenden Mängelliste positiv bewertete, in jedem Fall greift Luther mit seiner Empfehlung dieser Praxis ein Anliegen Hausmanns auf. In inhaltlicher Hinsicht weist die Aussage Luthers Parallelen, aber noch deutlichere Unterschiede zu den bisher betrachteten auf. Zwar geht es wie in den Äußerungen zum geistlichen Spiel im weiteren Sinne auch hier um jüngere Menschen und um unkundigere Personen als Zielgruppe, andererseits fällt auf, dass neben dem Begriff des Spiels nun auch derjenige der Komödie erscheint. Luther präzisiert also und stellt ausdrücklich klar, dass es sich hierbei nicht um ein geistliches Spiel im weiteren Sinne handelt. Auch die Rede von einer Darstellung, wodurch eine reguläre Aufführung nahegelegt wird, hebt die vorliegende Form von den eben genannten Spielen ab. Hinzu kommt die Nennung der Schule als institutioneller Verankerung. Schließlich spricht Luther von deutschen und lateinischen Spielen. Der Zweck dieser Aufführung von Dramen, in denen Taten Christi im Mittelpunkt stehen, besteht darin, dass sie der Verkündigung des Evangeliums bzw. deren Vertiefung und nachhaltiger Einprägung dienen sollen. Interessant ist, dass von Luther als Zielpunkt zwei Seelenkräfte, nämlich neben der memoria der affectus d.h. der Wille bzw. der Sitz der Emotionen, genannt werden, nicht aber der Intellekt.186 Es geht dem Reformator um eine 184 Luther spricht ebd. in diesem Zusammenhang von einem Buch (volumen), das ihm von Hausmann übermittelt wurde. 185 Zum Kontext des Briefwechsels mit Hausmann vgl. Siegfried Bräuer, „Seht, lieben Leut’, kehrt euch daran ...“. Evangelisches Leben auf die Bühne gebracht, in: „Laßt uns aufs Neue wieder anfangen, schreiben, dichten, reimen, singen, malen.“ Die Reformation und die Künste. Wittenberger Sonntagsvorlesungen, hrg. v. Evangelischen Predigerseminar, Wittenberg 2003, S. 84. Der Brief Luthers vom Februar 1530 findet sich WA.Br 5, 242 (Nr. 1530). Ebd. schreibt Luther: „Velim autem, vt semel mihi singula per ordinem signares, quę tibi in Ecclesia deesse videntur.“ 186 Insofern affectus hier neben memoria erscheint, dürfte Luther in Anlehnung an die augustinische Lehre von den drei Kräften der Seele mit affectus tatsächlich auf den im Willen verorteten Affekt abheben. Johannes Maasen, Drama und Theater der Humanistenschulen in Deutschland, Augsburg 1929, S. 113 Anm. 3, meint, affectus sei von Luther ‚reformatorisch-praktisch‘ gemeint und ziele in moralisierender Absicht darauf, „... in der Jugend sittlich-moralische Antriebe durch das Spiel zu wecken.“ Dies gibt der Text so nicht her. Hugo Holstein, Die Reformation im Spiegelbilde der dramatischen Litteratur [!] des sechzehnten Jahrhunderts, Halle 1886, S. 18, übersetzt die Wendung: „zur Belebung des ästhetischen Sinnes der Jugend“. Dem schließt sich Gustav Erdmann, Die Lutherfestspiele, Wittenberg 1888, S. 137, an. Auch dies verfehlt den Sinn. Barbara Könneker, „Wold ihrs den nicht schir gleuben do?“, a.a.O., S. 313, stellt in ihrer Übersetzung der Passage heraus, dass Luther auf den stärkeren Eindruck, den eine Aufführung hinterlässt, abhebe. Er be-

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138 Grundlegung innere Beteiligung. Die Betonung des Affekts überrascht etwas, stieß sich doch die Reformation an der zu emotionalen Sehweise, die den geistlichen Spielen und auch den Bildern entgegen gebracht wurde, während sie selbst eine Wahrnehmung durch den Intellekt favorisierte.187 Auf der anderen Seite sieht Luther aber auch im eigentlichen biblischen Drama vorrangig ein Instrument der schulischen Erziehung; in diese ist ja die Aufführung eingebettet. Die von ihm gemeinte Erziehung geht über die Elementarbildung hinaus, insofern, wie das Verbum ‚augere‘ suggeriert, eine Vertiefung intendiert ist, die allerdings wesentlich auch die affektive Ebene betrifft. Spricht Luther von pueri und rudiores als Adressaten, gemahnt dies einerseits an einen Passus des Kleinen Katechismus, in dem er die Pfarrer anweist, in ihrer katechetischen Praxis zwischen jungem und einfältigem Volk (simpliciores et juniores) auf der einen und Gelehrten und Verständigen (docti homines) auf der anderen Seite zu differenzieren.188 Ebenfalls wird man nicht fehlgehen mit der Feststellung, dass Luther hier einen ähnlichen Personenkreis vor Augen hat, wie er ihn auch in der Vorrede zur Deutschen Messe erwähnt. Dort gab er als Ziel des deutschen Gottesdienstes die Einübung in der Schrift und die Entwicklung einer Sprachfähigkeit im Glauben an.189 In die gleiche Richtung weist auch die vorliegende Äußerung des Reformators zum biblischen Drama. Dazu stimmt ebenso, dass er sich gegen unangemessene Zusätze zu den biblischen Geschichten verwahrt.190 Luther sieht somit das biblische Drama in enger Verbindung werte es positiv, dass die Taten Christi dramatisch dargestellt werden, „... damit sie sich einprägen und die unerfahrene Jugend nachhaltiger beeindrucken.“ Nach dieser Übersetzung sagt Luther in beiden Satzteilen dasselbe, so dass im Grunde ein Hendiadyoin vorliegen würde. Doch dürfte Luther auf zwei unterschiedliche Aspekte zielen. Anders Sander-Gaiser, Lernen als Spiel bei Martin Luther, S. 202, der affectus mit Gefühl übersetzt. In der Tat meint Luther eine innere Beteiligung, eine „stärkere innere Beziehung“ bzw. ein „intensiveres emotionales Verhältnis“, wie Fidel Rädle, Theater als Predigt. Formen religiöser Unterweisung in lateinischen Dramen der Reformation und Gegenreformation, RoJKG 16 (1997), S. 47 mit Anm. 21, ausführt. Zum Gebrauch des Affektbegriffs bei Luther vgl. WA 56, 239,11f.: „Affectus autem siue Requisitus Dei Est ipsa Charitas Dei, que facit nos velle et amare, quod intellectus fecit intelligere.“ Vgl. WA 57 II, 41,17: „Nihil est profundius in homine quam ille affectus: diligere seipsum.“ 187 Vgl. Robert Scribner, Popular Piety and Modes of Visual Perception in Late-Medieval and Reformation Germany, JRH 15 (1988/89), S. 464. 188 Vgl. die Vorrede zum Kleinen Katechismus, BSLK 503,7f.13f. 189 Vgl. WA 19, 73,10f.17f.; 74,22f. Danach soll die deutsche Messe um der einfältigen Laien geordnet werden. Ein etwas anderer Akzent liegt in Bezug auf die Adressaten hier darin vor, dass diese beschrieben werden als solche, die (73,15) „... noch Christen sollen werden odder stercker werden.“ Als Ziel gibt er an dieser Stelle eine Reizung zum Glauben an (75,1f.25f.). Offensichtlich hat Luther hier – für den Gottesdienst – auch eine Grundkatechisation im Blick, während er für das biblische Drama eher eine vertiefende Funktion erkennt. 190 Anders deutet Bacon, a.a.O., S. 29f., die Adverbien ‚rite‘ und ‚pure‘ in diesem Brief. Er bezieht sie auf die Sprache, da Luther das Drama besonders um des Studiums von Sprache und Rhetorik willen gefördert habe. Dieser Gedanke passt im vollen Sinne nur zu lateinischen Aufführungen. Der Kontext legt eher den Bezug auf den Inhalt möglicher Dramen nahe.



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zu anderen Bemühungen um eine Vertiefung des Glaubens wie sie in der katechetischen Praxis, im deutschen Gottesdienst bzw. in der Predigt, insbesondere in der Katechismuspredigt, erfolgen soll. Letztere allein hält er dabei nicht für zureichend.191 Dem biblischen Drama kommt hier demnach die Funktion eines ergänzenden Mediums zu. Was in diesem erfolgt, ist das Geschehen, das Luther in der Vorrede zum Kleinen Katechismus als „reichen und weitern Verstand“ beschreibt, der durch „viel Exempel aus der Schrift“ erreicht werden soll,192 mittels des Großen Katechismus, aber auch mittels anderer Medien wie dem biblischen Drama. Völlig kongruent zum vorliegenden Befund ist ferner, dass Luther im Gegensatz zu Melanchthon oder Johannes Sturm in Straßburg für die Durchführung auch volkssprachlicher Aufführungen votiert.193 Weitere Hinweise sind seinen Vorreden zur Bibel zu entnehmen. In den Vorreden zu den – von ihm für apokryph erklärten – alttestamentlichen Schriften Judith und Tobias äußerte Luther 1534 die Vermutung, diese seien von ihren Verfassern als Schauspiele intendiert worden und bei den Juden regelrecht aufgeführt worden, unter ausdrücklich pädagogischer Zielsetzung. Offenkundig hat er, wie Waltraud Timmermann feststellt, die Eignung bestimmter Stoffe für eine Aufführung wahrgenommen.194 Oder mit SanderGaiser formuliert: Luther hat nach dem Sitz im Leben dieser biblischen Bücher gefragt und dabei deren dramatischen Charakter erkannt.195 Eine derartige Beobachtung konnte Luther ebenfalls für das Neue Testament anstellen. Für die in Joh 3 gebotene Episode des Gesprächs zwischen Nikodemus und Jesus machte er deren dramatisches Wesen namhaft und bemühte sich, dies in seiner Predigt über die Perikope deutlich herauszuarbeiten, auch dadurch, dass er sich selbst als den Epilog sprechenden Herold verstand.196 In Bezug auf das Buch Judith hegt Luther die Vermutung, es handele sich um ein „geticht“, bringt diese zunächst nur als Urteil anderer vor, greift sie dann aber positiv auf. Beleg ist für ihn die mangelnde Übereinstimmung des Berichteten mit anderen biblischen Büchern, die er als historische Quellen auffasst. Die von ihm angenommenen Aufführungen setzt er in Analogie zu den traditionellen geistlichen Aufführungen von Passions- und Heiligenspielen – hier rekurriert Luther tatsächlich auf die geistlichen Spiele im engeren 191 In der Vorrede zum Großen Katechismus, ‚Vom Sakrament‘, BSLK 559,2ff, äußert Luther: „Denn verlasse Dich nicht darauf, daß das junge Volk alleine aus der Predigt lerne und behalte.“ Vgl. die Vorrede zur Deutschen Messe, WA 19, 78,21ff: „Also hÖret manchs mensch drey, vier jar predigen und lernt doch nicht, das auff eyn stuck des glaubens kund antwortten, wie ich teglich wol erfare.“ Zur Katechismuspredigt vgl. die Vorrede zum Großen Katechismus, BSLK 559,18ff.27f. 192 BSLK 504,35ff; 504,4f. Vgl. dazu Gerhard Hahn, Literatur und Konfessionalisierung, in: Die Literatur im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, hrg. v. Werner Röcke und Marina Münkler, München – Wien 2004, S. 257. 193 Vgl. Bacon, a.a.O., S. 25 Anm. 28; S. 31. 194 Vgl. Waltraud Timmermann, Theaterspiel als Medium evangelischer Verkündigung, AKuG 66 (1984), S. 127. 195 Vgl. Sander-Gaiser, a.a.O., S. 206. 196 WA 20, 413–426; vgl. dazu Sander-Gaiser, a.a.O., S. 174ff.

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140 Grundlegung Sinne; zugleich ein Hinweis darauf, dass er noch nicht auf eine eigene protestantische Spielkultur verweisen konnte. Als Zielsetzung einer jüdischen Judith-Aufführung erkennt er eine deutlich theologische: Die Darstellung des dort geschilderten Ergehens des Gottesvolkes sollte bei den Adressaten, besonders der Jugend, der Stärkung des Gottvertrauens dienen, auch und gerade in Zeiten der Bedrängnis.197 Für das Buch Tobias stellt er Ähnliches fest. Es könne, so Luther, eine „heilig geschicht“ oder ein „geticht“ bzw. „spiel“ sein. Da er lediglich zu der zweiten Option, noch dazu breitere Ausführungen hinzufügt, darüber hinaus hervorhebt, dass die Septuaginta-Fassung in der ersten Person Singular als Tobias-Rede gehalten ist, und er ferner die Namensgebung als bewusste Typisierung versteht, ist evident, dass er dieser Auffassung zustimmt.198 Nach seiner Vermutung ist das Buch zu Festtagen und an Sabbaten aufgeführt worden. Es habe dazu gedient, der Jugend Gottes Wort und Taten einzuprägen.199 Das Abfassen von Dramen wertet Luther in diesem Zusammenhang als eine von mehreren Formen des Umgangs mit dem Wort Gottes.200 Die konkrete Zielsetzung der vorliegenden Geschichte sieht Luther darin, dass sie bei den Betrachtern Geduld erwecken soll, vor allem in dem vom Tobias-Buch besonders betrachteten Bereich der Ehe, aber auch in Situationen des Leidens. Sie solle verdeutlichen, dass auch den Frommen Leid widerfahre, aber Gott diesem schließlich doch ein Ende setze.201 Die beiden Vorreden, denen noch diejenige auf die Stücke Esther und Daniel an die Seite gestellt werden kann,202 erhellen auch Luthers Verhältnis zum Drama im Allgemei197 Vorrede zum Buch Judith, WA.DB 12, 4,15ff: „Etliche wÖllen, Es sey kein geschicht, sondern ein geistlich schÖne geticht, eines heiligen geist reichen mans, der darinn hab wÖllen malen und furbilden, des gantzen JÜdischen volcks glÜck und sieg, widder alle jre feinde, von Gott allezeit wunderbarlich verliehen ...“ Dieser Meinung schließt sich Luther an (6,7) und schließt (6,21ff): „Und mag sein, das sie solch geticht gespielet haben, wie man bey uns die Passio spielet, und ander heiligen geschicht, Damit sie jr volck und die jugent lereten, als jnn einem gemeinen bilde odder spiel, Gott vertrawen, from sein, und alle hÜlff und trost von Gott hoffen, jnn allen nÖten widder alle feinde etc.“ – Vgl. Sander-Gaiser, a.a.O., S. 207, der Luthers Interpretation der Absicht des biblischen Verfassers so paraphrasiert: „Ein jüdischer Poet wollte den Beistand Gottes in der Geschichte, mit Hilfe einer bildhaften Dichtung, Israel vor Augen stellen. Damit dieses ‚geistliche Gedicht‘ seine Wirkung voll entfaltete, so wurde es... als Theaterspiel aufgeführt.“ 198 Vgl. WA.DB 12, 108,21ff; 110,1ff. 199 WA.DB 12, 108,1–8, äußert Luther, dass das, was er vom Buch Judith gesagt habe, auch vom Buch Tobias gelte: „Jsts ein geschicht, so ists ein fein heilig geschicht, Jsts aber ein geticht, so ists warlich auch ein recht schÖn, heilsam, nÜtzlich geticht vnd spiel, eins geistreichen Poeten, Und ist zuuermuten, das solcher schÖner geticht vnd spiel, bey den JÜden viel gewest sind, darinn sie sich auff jre Feste vnd Sabbath geÜbt, vnd der jugent also mit lust, Gottes wort vnd werck eingebildet haben ...“ 200 WA.DB 12, 108,9f.: „Denn sie haben gar treffliche leute gehabt, als Propheten, senger, tichter vnd der gleichen, die Gottes wort vleissig, vnd allerley weise getrieben haben.“ 201 Vgl. WA.DB 12, 108,17ff. 202 WA.DB 12, 492,9ff: „Aber der Text Susanne, des Beel, Abacuc vnd Drachens, sihet auch schÖnen, geistlichen getichten gleich, wie Judith vnd Tobias.“ Als Beleg für diese Auffassung gelten Luther wiederum die Typen repräsentierenden Personen, was ihre Namen offenbaren.



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nen noch genauer. Sie belegen zunächst seine überaus positive Sicht des Theaters an sich wie auch der antiken Dramen, denn Luthers Vermutung geht sogar dahin, die Griechen hätten die Aufführung von Dramen von den Juden übernommen.203 Im Hintergrund steht dabei der Gedanke, dass alle als gut zu bezeichnenden Kulturgaben letztlich Gaben Gottes darstellen, die vermittels des Gottesvolkes in die Welt gekommen sind.204 Bedeutsam ist ferner, dass sich Luther in diesen Vorreden mit der antiken Auffassung sowie zeitgenössischen Sichtweisen von Komödie und Tragödie vertraut zeigt. Dies kommt zum Ausdruck in der Bezeichnung der Judith-Geschichte als Tragödie und der Einordnung der TobiasGeschichte als Komödie: Judith zeige das böse Ende des hoffärtigen Tyrannen, Tobias führe den Ehestand vor Augen und sei durch einen guten Ausgang gekennzeichnet.205 Damit stellt er einerseits fest, dass die Tragödie von politischen Führungsgestalten handelt und so in den Bereich der politia fällt, während die Komödie alltägliche Personen vorführt und darum in der oeconomia zu verorten ist.206 Andererseits vertritt er die Auffassung, dass die Tragödie den Untergang des Tyrannen darstellt, also einen negativen Ausgang hat, während die Komödie die endliche Rettung von frommen, einfachen Leuten thematisiert und so durch einen positiven Ausgang bestimmt ist.207 Schließlich deutet Luther an, dass 203 Vorrede zu Tobias, WA.DB 12, 108,10ff: „Vnd Gott gebe, das die Griechen jre weise, Comedien und Tragedien zu spielen, von den JÜden genomen haben, Wie auch viel ander Weisheit und Gottes dienst etc.“ 204 In diesem Gedanken liegt eine Umkehrung des auf Origenes (Philokalie, Kap. XIII, Brief an Gregor Thaumaturg, SC 148, 186ff) zurückgehenden patristischen Konzeptes der ‚spoliatio Aegyptiorum‘ vor, nach dem die Juden auf göttliche Aufforderung Kultur- und Bildungsgüter der Heiden für sich übernehmen sollten. In Luthers Ausführungen findet sicher auch der Gedanke der ‚hebraica veritas‘ seinen Niederschlag, doch treffen sie sich ebenso mit genuin altkirchlichem Denken. So äußert Justin der Märtyrer (1. Apologie, Kap. 44. 59; BKV 12, 111. 126) die Auffassung von der Priorität des Mose und der alttestamentlichen Propheten vor der Philosophie und Dichtung der Griechen; letztere seien abhängig von ersteren. 205 WA.DB 12, 108,13f.: „Denn Judith gibt eine gute, ernste, dapffere Tragedien, So gibt Tobias eine feine liebliche, Gottselige Comedien ...“ 206 Vgl. hier eine wohl in das Jahr 1533 zu datierende Tischrede, WA.TR 1, 338 (Nr. 695), in der Luther feststellt: „Iudith videtur mihi esse tragoedia, in qua finis describitur tyrannorum, Tobias vero comoedia, quae de mulieribus loquitur; illa est exemplum politicum, hic est exemplum oeconomicum.“ Vgl. dazu und zur sog. Ständeklausel, Bernhard Asmuth, Art. ‚Dramentheorie‘, Literatur Lexikon 13, S. 188. Während die Renaissance- und Barockpoetiken das Prinzip der sozialen Unterscheidung von Komödie und Tragödie auf Aristoteles zurückführten, geht es realiter auf die im 4. Jahrhundert schreibenden Grammatiker Donatus, Euanthius und Diomedes zurück; vgl. Alberto Martino, Geschichte der dramatischen Theorien in Deutschland im 18. Jahrhundert. I. Die Dramaturgie der Aufklärung (1730–1780), Tübingen 1972, S. 364f. 207 WA.DB 12, 108,14ff: „Denn gleich wie das Buch Judith anzeigt, wie es land und leuten offt elendiglich gehet, und wie die Tyrannen erstlich hoffertiglich toben, und zu letzt schendlich zu boden gehen, Also zeigt das Buch Tobias an, wie es einem fromen Baur odder BÜrger auch ubel gehet, und viel leidens im Ehestand sey, Aber Gott jmer gnediglich helffe, und zu letzt das ende mit freuden beschliesse, Auff das die Eheleute sollen lernen gedult haben, und allerley leiden, auff kÜnfftige hoff-

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142 Grundlegung Tragödie wie Komödie die Funktion des Exempels, Bildes oder − wiewohl der Begriff als solcher an dieser Stelle nicht fällt − des Spiegels zukommt.208 Die Auffassung, dass die Komödie die Standespflichten verinnerliche, war im Humanismus Gemeingut.209 Diesen Gedanken spiegeln die Vorreden Luthers durchaus. Besonders die Tobias-Geschichte und entsprechend ihre Dramatisierung verfolgt im Sinne Luthers jedenfalls auch den Zweck einer Ehe- und Hausstandskatechese. Dies bringt zudem Luthers Zeichnung der Personen als Exempel zum Ausdruck.210 Und ebenso zeigt Judith neben anderem auf, wie sich ein Fürst nicht verhalten soll. Sieht der Reformator somit die Intention dieser Dramen in gewisser Analogie zu der von ihm den antiken Dramen zuerkannten Intention, die seines Erachtens vor allem auf eine Ständeethik zielten, so gehen die biblischen Dramen doch nicht darin auf. Als primäre Intention sieht Luther für beide biblische Bücher im engeren Sinne eine theologische vor. Der Glaube der Adressaten soll gestärkt werden, sie sollen alles von Gott erhoffen.211 Biblische Aufführungen im Sinne Luthers gehen nicht in Moraldidaxe auf, ebenso wenig wie in rhetorischen Übungen.212 Dazu stimmt, dass Luther in der Vorrede zum Buch Judith dessen Funktion auch als Predigt bezeichnet,213 was sich ebenso auf eine Dramatisierung des Buches übertragen lässt. Beides, Spiegel und Predigt, wird in der weinung, gerne tragen jnn rechter furcht Gottes und festem glauben.“ – Hans Sachs unterscheidet Komödie und Tragödie nach gutem und schlechtem Ausgang; vgl. Ulrich Profitlich – Frank Stucke, Art. ‚Komödie‘, RLW 2, S.310. Für die antike, an den Humanismus vermittelte Auffassung von Komödie und Tragödie sei auf den dem Commentum Terenti des Donatus vorgeschalteten Kommentar des Euanthius, Kap. IV,2 (Ausgabe von Paul Wessner, Bd. 1, Bibliotheca Teubneriana, S. 21), verwiesen. Dieser stellt fest: Die Komödie hat einen glücklichen Ausgang, die Tragödie einen unheilvollen, die Komödie handelt von alltäglichen Schicksalen, die Tragödie von außerordentlichen Personen, die Komödie hat es mit ficta zu tun, die Tragödie mit historia, die Komödie stellt das zu ergreifende, die Tragödie das zu fliehende Leben dar. Im 16. Jahrhundert galt der Kommentar des Euanthius als Werk des Terenz.; vgl. James A. Parente jr., Religious Drama, S. 19. 208 Vgl. WA.DB 12, 6,23 (‚gemeines bild‘); 110,20f. (‚gemeines Exempel‘). Vgl. ferner WA.TR 1, 193f. (Nr. 444); 338 (Nr. 697), wo Tobias als forma, imago und exemplum eines guten Paterfamilias beschrieben wird. 209 Vgl. Parente, a.a.O., S. 19. Celtes dehnt diese Funktion von der Komödie auf beide Formen des Dramas aus. 210 Vgl. WA.DB 12, 110,1ff. 211 Vgl. WA.DB 12, 6,23f.; 108,20f. 212 Vgl. Sander-Gaiser, a.a.O., S. 202. 213 WA.DB 12, 6,26ff: „Denn die wort so die personen hie reden, sol man verstehen, als rede sie ein geistlicher heiliger Poet odder Prophet, aus dem Heiligen geist, der solche personen fur stellet jnn seinem spiel, und durch sie uns predigt.“ Vgl. dazu Timmermann, Theaterspiel, S. 127, die festhält, Luther sehe in der dramatischen Form primär ein Medium der Verkündigung. Sie fügt hinzu, mit obigem Zitat „... schreibt Luther dem Theaterspiel nicht nur Predigtfunktion zu, sondern rückt es auch in die Nähe des inspirierten Wortes.“ Luther bezieht sich dabei allerdings nicht auf das Spielen als solches, sondern auf den Text des biblischen Buches – das jedoch paradoxerweise, trotz des von ihm konstatierten Vorliegens einer Inspiration, für ihn nicht von kanonischer Dignität war.



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teren protestantischen dramatischen Literatur immer wieder als Funktion des Theaters genannt. Überhaupt waren diese Vorreden Luthers traditionsbildend. Sie wurden im Zuge von Dramenveröffentlichungen immer wieder zitiert, manchmal, wie bei Rebhun, sogar vollständig abgedruckt.214 Dass Luther der Gattung Drama und näherhin dem geistlichen Drama gegenüber überaus offen, ja positiv gestimmt ist, belegt noch eine weitere Aussage aus der Judith-Vorrede. Die Weise in Figuren oder Bildern zu reden, sei nicht nur biblisch – etwa im Hohelied oder der Johannes-Apokalypse −, vielmehr habe Christus selbst in Gleichnissen gelehrt, was in Luthers Verständnis ohne Zweifel als Beispiel und Vorbild aufzufassen ist.215 Hinter dieser Aussage ist zum einen das anthropologische Argument zu erkennen, dass der Mensch auf bildliche Vorstellungen angewiesen ist bzw. mit bildlichen Eindrücken besser und nachhaltiger lernt als ohne diese, so dass sich bei Luther die beiden pädagogischen Konzepte ‚Lernen durch Spiel‘ und ‚Lernen durch Bilder‘ verbinden.216 Den Gedanken, dass der Mensch nicht ohne Bilder lernen könne, äußert er auch an anderer Stelle.217 Und bereits die Ausgabe seines Passionalbüchleins von 1522 begründet er „... allermeist umb der kinder und einfeltigen willen, welche durch bildnis und gleichnis besser bewegt werden, die GÖttlichen geschicht zu behalten, denn durch blosse wort odder leere ...“218 Diese Begründung Luthers kommt mit Gedanken Melanchthons überein, der 1526 und 1529 konstatiert hatte, auch Erwachsene seien durch die Gleichnisse der Bibel eher erreichbar als durch auf Vernunft beruhende Argumentation. Vorteil der Gleichnisse sind nach Melanchthon die lebendigen Bilder, die auf das Subjekt nachhaltiger wirkten.219 Der Gedanke ist bei Luther aber durchaus auch als christologisches bzw. inkarnatorisches Argument zu würdigen. Zwar stellt die Aussage, dass schon Jesus selbst gedichtet habe, ein humanistisches, schon im 15. Jahrhundert erscheinendes Argument dar.220 Aller214 Zu Rebhun vgl. Timmermann, a.a.O., S. 128. – Auf Luthers Vorreden mit der Empfehlung biblischer Dramen beriefen sich neben Rebhun (Susanna 1536), Cyriakus Spangenberg (Comoedia vom Euangelio am Sontage Oculi 1590, A IIIb) auch Dedekind in seiner Vorrede zum ‚Christlichen Ritter‘ von 1590; vgl. Ein Spandauer Weihnachtsspiel. 1549, hrg. v. Johannes Bolte, Märkische Forschungen XVIII (1884), S. 195, der aber fälschlicherweise von Leysers Vorrede zu Dedekind spricht. 215 WA.DB 12, 6,3f.: „Vnd Christus vnser Herr selbst gern mit gleichnis vnd solchen getichten vmbgehet im Euangelio ...“ Der gleiche Gedanke findet sich auch in einer Predigt zur NikodemusGeschichte in Joh 3, WA 20, 426,19ff., wo von Bild und Exempel die Rede ist. 216 Vgl. Sander-Gaiser, a.a.O., S. 195. 217 WA 37, 63,25f.: „... weil wir ja mÜssen gedancken und bilde fassen des, das uns jnn worten fÜrgetragen wird, und nichts on bilde dencken noch verstehen kÖnnen ...“ 218 WA 10 II, 458,16ff. 219 Vgl. die beiden Schriften von Melanchthon, Declamatio de utilitate fabularum, CR 11, 119f., und Declamatio de studiis adolescentium, CR 11, 183f., und dazu Bernd Roling, Erziehung durch Literatur im Werk Philipp Melanchthons, in: Meier – Meyer – Spanily (Hrgg.), Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit, S. 318. 220 Vgl. Christel Meier, Die Inszenierung humanistischer Werte im Drama der Frühen Neuzeit, in: Dies. – Meyer – Spanily (Hrgg.), Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit, S. 261.

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144 Grundlegung dings impliziert dies bei Luther weit mehr, zielt es doch auf das Theologumenon, dass sich Gottes Sohn in der Inkarnation auf die Ebene des Menschen begeben hat, so dass es dem Menschen nicht unwürdig sein kann, das Gleiche zu tun.221 Der Mensch soll den sich herablassenden Gott nicht im Himmel einschließen, er soll ihn sozusagen als Verteidiger seiner Gottheit nicht rechts überholen wollen.222 Mit dem geistlichen Theater entspricht der Mensch so der inkarnatorischen Bewegung Gottes zum Menschen, die noch weitere Formen geistlicher und religions-pädagogischer Praxis umfasst. In der Berufung auf Jesu Lehren in Gleichnissen zur Begründung der dramatischen Literatur auf dem Felde der religiösen Bildung ist Luther traditionsbildend geworden. Immer wieder wurde dieser Gedanke zur Verteidigung der Abfassung geistlicher Dramen herangezogen, so von Nicodemus Frischlin in seinem ‚Phasma‘ (1580), von Melchior Neukirch in seinem ‚Stephanus‘ (1592) oder von Johannes Bertesius in seiner Dramatisierung der Geschichte vom Schalksknecht (1606). Thomas Brunnschweiler wendet im Rahmen seiner Studie über die Theaterfeindschaft des Zürcher Theologen Breitinger die von Augustin stammende Unterscheidung zwischen sacramentum und exemplum auf Luthers Haltung zum geistlichen Theater an, um einerseits negativ die Unmöglichkeit eines Passionsspiels für ihn zu erweisen und andererseits positiv die Auswahl der von ihm zur szenischen Darstellung freigegebenen Stoffe zu erklären.223 Der Begriff ‚sacramentum‘, so Brunnschweiler, bezeichne das Heilsgeschehen und damit auch die Rechtfertigung des Sünders, also das, was Gott alleine wirke, den Glauben, während der Terminus ‚exemplum‘ für das Tun des Menschen, für seine ethischen Bemühungen, für die Liebe stehe. Im Kreuzigungsgeschehen sei Christus in erster Linie Helfer und damit sacramentum. Da aber, so lautet die gedankliche Voraussetzung, eine Dramenaufführung nur im Sinne eines exemplum verstanden werden könne, sei eine Darstellung der Passion von vornherein ausgeschlossen. Entsprechend könne die Rechtfertigung selbst nicht dargestellt werden, sondern nur das Leben des Gerechtfertigten. Eine Darstellung dieser Stoffe bzw. Themen verwische die Unterscheidung von sacramentum und exemplum, von Glaube und Liebe, und kehre damit auch die Reihenfolge zwischen beiden um. Das sacramentum bleibe dem exemplum wie der Glaube der Liebe vorgeordnet.224 Auf die Bühne könnten folglich nur ethische Themen kommen, die Protagonisten könnten nur als Exempel für das Leben des Gerechtfertigten auftreten. Er kommt zu dem Schluss: „Strenggenommen war die Dramatisierung eines biblischen Stoffes nicht einer Bekehrungspredigt gleichzusetzen, 221 Vgl. Sander-Gaiser, a.a.O., S. 264. Die Struktur dieses Gedankens gemahnt an Luthers berühmten Satz aus der Vorrede zur deutschen Messe von 1526: Christus, da er Menschen ziehen wollte, musste Mensch werden, um Kinder zu ziehen, muss der Mensch mit ihnen Kind werden; vgl. WA 19, 78,13ff. 222 Vgl. Vgl. WA 37, 63,7. 223 Vgl. Thomas Brunnschweiler, Johann Jakob Breitingers „Bedencken von Comoedien oder Spilen“, Bern u.a. 1989, S. 115. 224 Vgl. a.a.O., S. 115f.



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sondern verfolgte den pädagogischen Zweck einer Einübung bürgerlich-christlicher Tugenden, die jedoch für die Rechtfertigung unerheblich waren.“225 Obwohl Brunnschweiler andeutet, dass der Wittenberger selbst, wiewohl er das Begriffspaar verwendet, bei seinen Äußerungen zum geistlichen Drama nicht explizit auf dieses rekurriert, sieht er in ihm ein angemessenes Instrument zur Erklärung von Luthers Auffassung des geistlichen Theaters.226 In der Tat verwendet Luther diese Terminologie des Kirchenvaters, er gebraucht sie sowohl in der Frühzeit als auch in späterer Zeit.227 Als sacramentum bezeichnet Luther das, was von Seiten Gottes zum Heil des Menschen geschieht, als exemplum ein positives Beispiel, dem es zu folgen gilt. Das sacramentum ist dem exemplum übergeordnet, insofern jenes das Heil mit sich bringt und auch bewirkt, was es lehrt, was beim exemplum nicht der Fall ist.228 Lassen sich beide Ebenen einerseits begrifflich klar unterscheiden, so stellen sie andererseits zugleich Betrachtungsweisen dar, so dass es möglich ist, dass ein Geschehen der Heilsgeschichte sowohl als sacramentum als auch als exemplum betrachtet werden kann, was etwa auch bei der Passion und der Auferstehung Christi nach Luther der Fall ist.229 In diesem Zusammenhang weist der Reformator aber darauf hin, dass das exemplum eines alttestamentlichen Erzvaters oder einer anderen Person eine stärkere Wirkung zeitige als der als exemplum betrachtete Tod Christi. Als Ursache dafür erkennt er das Faktum, dass dem Menschen das Beispiel eines anderen Menschen näher stehe, bei Christus es sich aber um den Sohn Gottes handele.230 Dass ein Geschehen wie Christi Tod sowohl sub specie sacramenti als auch als sub specie exempli erfasst werden kann, könnte den Einwand evozieren, jene Unterscheidung sei für eine Entscheidung darüber, was dramatisch dargestellt werden darf und was nicht, unbrauchbar, da sie nicht sauber durchgeführt werden könne. Doch ließe sich darauf entgegnen, dass es denkbar wäre, entweder das entsprechende Geschehen wie die Passion nur in seiner Bedeutung als exemplum zu dramatisieren – was allerdings die Gefahr einer Vermischung beider Ebenen heraufbeschwören könnte – oder aber gänzlich auf die Darstellung eines Geschehens, das (auch) als sacramentum betrachtet werden kann, zu verzichten. Darstellbar wäre dann tatsächlich nur das, was allein der Betrachtung als exemplum zugänglich ist. In Bezug auf Luthers Haltung zum 225 A.a.O., S. 116. 226 Vgl. ebd. – Zu Luthers Gebrauch dieser Unterscheidung in seiner Genesis-Vorlesung vgl. Ulrich Asendorf, Lectura in Biblia. Luthers Genesisvorlesung (1535–1545), Göttingen 1998, S. 432. 227 Vgl. für die Frühzeit WA 1, 77,3ff, für die spätere Zeit WA 43, 273f. Belege von Augustin werden WA 39 I, 463 Anm. 1 geboten. 228 Vgl. WA 1, 77,3f.: „… Sacramenta Christi auxilium gratiae, vita eius consilium exempli nobis praestant.“ Das sacramentum kann Luther als auxilium oder auch als donum bezeichnen; vgl. WA 39 I, 463,12. Vgl. WA 17, 74,5f., wo Luther von der Passion als sacramentum sagt: „... das mir zu gut ist geschehen.“ Zum exemplum vgl. WA 39 I, 463,8f.; 44, 542,37f. Zur Vorordnung des sacramentum vor das exemplum vgl. WA 43, 274,10ff. 229 Vgl. WA 43, 273,7f. 17f.; 274,9ff. 230 Vgl. WA 43, 273,7–10; 44, 262,31ff.

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146 Grundlegung Passionsspiel deutet sich – unter der Voraussetzung, dass jene Unterscheidung tatsächlich im Hintergrund steht – der zweite Weg an. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob Luthers Position zur Dramatisierung geistlicher Themen tatsächlich mit Hilfe dieser Unterscheidung erfasst werden kann. Die Frage ist, ob dies dem entspricht, was Luther selbst zur Dramatisierung geistlicher und biblischer Vorwürfe empfohlen hat. Die Frage ist ferner, ob dieses Kriterium dem protestantischen Drama in Gestalt des Dramas des ‚Wittenberger Kreises‘, auf das Luther zumindest indirekten Einfluss hatte, in seiner Wirklichkeit tatsächlich gerecht wird. Zunächst sei noch einmal zurückgefragt nach den Kriterien des Reformators für eine Dramatisierung. Es ist richtig, dass Luther der Aufführung eines Passionsspiels oder auch der Darstellung der Auferstehung ablehnend gegenübersteht, womit ohne Zweifel das berührt ist, was Luther an anderer Stelle als sacramentum bezeichnen kann. Es ist ferner korrekt gesehen, dass die Ständekatechese für Luther eine zentrale Bedeutung in der Theaterpraxis einnehmen soll, womit fraglos der Bereich des exemplum intendiert ist. Auf der anderen Seite geht aber, wie oben herausgearbeitet wurde, das geistliche Drama nach Luther nicht in der Ständekatechese, nicht in der Dramatisierung ethischer Stoffe oder solcher, die von der Liebe handeln, auf. Dies gilt schon für das, was Luther zum Buch Judith sagt, insofern er hier auch die Stärkung des Gottvertrauens als Ziel benennt. Noch mehr aber geht es über das bloße Darstellen von zu einem Tun anregenden exempla hinaus, wenn er die Inszenierung von ‚gesta Christi‘ empfiehlt. Hier steht das Einprägen von Christi Taten für die Menschen, von seiner Zuwendung zu ihnen im Vordergrund. An eine imitatio Christi ist dabei nicht gedacht, sondern daran, dass den Adressaten Trost vermittelt und sie im Glauben gestärkt werden, dass ihnen das Evangelium von der Rechtfertigung des Sünders vor Augen geführt und so nachhaltig verinnerlicht wird. Intendiert ist in theologischer Hinsicht eine Vergleichzeitigung der Adressaten mit den im Spiel dargestellten glaubenden Subjekten, die ihnen die Selbsterkenntnis als Sünder, aber auch als durch den Glauben Begnadigte ermöglicht. Die Adressaten sollen erkennen, dass sie es sind, die in diesem Spiel dargestellt sind. Die Aufführung gleicht so funktional der Predigt. Das bedeutet aber, dass es durchaus nicht den Sachverhalt trifft, wenn suggeriert wird, Luther sei davon ausgegangen, eine Aufführung könne von den Rezipienten nur als ein zur imitatio anleitendes exemplum aufgenommen werden. Die Beschränkung von Aufführungen allein auf die Darstellung von solchen exempla hätte zu einer Verengung geführt, die nicht den Empfehlungen Luthers entspricht. Ein weiteres Indiz in dieser Richtung ist auch darin zu sehen, dass Luther in seiner Auslegung des in dieser Studie wichtigen Textes Gen 22, in dem es nicht um Ethik, sondern um das Gottesverhältnis und um den Glauben in der Anfechtung geht, geradezu auf eine Dramatisierung der Geschichte zuläuft.231 In dieser Hinsicht folgten ihm seit Greff viele lutherische Autoren. 231 Vgl. Johann Anselm Steiger, Zu Gott gegen Gott. Oder: Die Kunst, gegen Gott zu glauben, in: Ders. – Ulrich Heinen (Hrgg.), Isaaks Opferung (Gen 22) in den Konfessionen und Medien der frühen Neuzeit, Berlin – New York 2006, S. 188ff, bes. S. 192f. und 194. Luther erkennt die



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Schaut man sich die Dramen des Wittenberger Kreises an, stellt man fest, dass eine derartige Verengung nicht eingetreten ist.232 So wird in Ackermanns Stück über den barmherzigen Samariter die Rechtfertigungslehre dramatisiert, in Greffs Abraham wird der Glaubende in der Anfechtung gezeigt. Jesus-Geschichten werden dramatisiert. Entsprechend urteilt Almut A. Meyer für das Drama der Reformationszeit: „Die Verkündigung der rechtfertigenden Gnade ... sollte auch von der Bühne herab geschehen; sie stand im Zentrum. Als Stoff boten sich neutestamentliche Perikopen wie die Parabel vom verlorenen Sohn an, aber auch alttestamentliche, die kerygmatisch interpretiert werden konnten.“233 Was allerdings zutrifft, ist, dass das eigentliche Heilsgeschehen, also das sacramentum, im Drama des Wittenberger Kreises nicht dargestellt wird, sieht man einmal vom Weihnachtsspiel ab. Das Passionsspiel fällt ganz weg, Greff bringt in seinem Osterspiel die Auferstehung als solche auf Anraten Luthers nicht auf die Bühne, Voith berücksichtigt in seinem ‚Herrlichen Spiel‘ die Kritik des Reformators am Passionsspiel. Das Heilsgeschehen wird nicht gezeigt, aber sein Widerhall bei den dieses wahrnehmenden Subjekten. Dies ist mehr und anderes als Liebe oder Ethik, es ist die Darstellung der glaubenden Existenz. Zwar wollen die Verfasser mit diesen Dramen letztlich nicht Glauben wecken – wiewohl ein Diktum Georg Majors belegt, dass dem geistlichen Drama auch eine gewisse missionarische Wirkung zugesprochen wurde234 –, aber doch im Glauben stärken. Somit ergibt sich, dass mit der Unterscheidung von sacramentum und exemplum im Sinne Brunnschweilers zwar ein Aspekt der Position Luthers zur Dramatisierung geistlicher Stoffe getroffen wird, nämlich der Ausschluss des eigentlichen Heilsgeschehens von der Bühne und die positive Einstellung zur Vermittlung ständekatechetischer Inhalte, dass aber ein wesentlicher Gesichtspunkt der Haltung Luthers damit nicht recht erfasst wird. Für die Erklärung von Luthers Sicht des geistlichen Dramas erweist sich der rein ethisch gebrauchte Begriff des exemplum als nicht hinreichend. Dieses Urteil ist aber zu modifizieren, wenn man den Begriff des exemplum über Brunnschweiler hinaus im Sinne des exemplum fidei versteht.235 Eine bloße Darstellung von Taten Christi bzw. Gottes, ohne dass eine Wirkung auf im Drama dargestellte Glaubende, ohne dass das ‚pro me‘ eine klimaktische Struktur der Geschichte und versucht den affektiven Zustand Abrahams zu eruieren. Barbara Mahlmann-Bauer, Abraham, der leidende Vater, a.a.O., S. 331, fasst ihr Resümee so zusammen: „Luthers Auslegung von Gen 22 zeigt Gespür für die dramaturgische Potenz des Stoffs. Seine Paraphrase lädt dazu ein, sich die Erzählung von Abrahams Opfer als Schauspiel vorzustellen.“ 232 Insofern ist es auch zu unpräzise, wenn Barbara Könneker, Die deutsche Literatur der Reformationszeit, München 1975, S. 57, vom protestantischen Drama schreibt, dass es „... anhand sinnfälliger Beispiele zu demonstrieren versuchte, welche Verpflichtungen dem einzelnen daraus im Umkreis seiner täglich zu bewältigenden Lebensaufgaben erwuchsen.“ Gewiss wurden, wie sie S. 60 feststellt, mit Vorliebe Stoffe herangezogen, „... die in der einen oder anderen Form um die Thematik von Familie und Ehe kreisten ...“, doch lässt sich dies nicht generalisieren. 233 Almut A. Meyer, Heilsgewißheit und Endzeiterwartung im deutschen Drama des 16. Jahrhunderts, Heidelberg 1976, S. 241f. 234 S. dazu im folgenden Abschnitt 2 d). 235 Vgl. dazu Steiger, a.a.O., S. 193.

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148 Grundlegung Verdeutlichung finden würde, ist für Luther ebenso unmöglich wie eine bloße Vorführung der leidenden und handelnden Protagonisten ohne die Intention, die Betrachtenden zu einer Vergleichzeitigung mit dem Betrachteten anzuleiten. Für Luther ist jedenfalls keine Aufführung denkbar, bei der zu erwarten ist, dass Zuschauerin und Zuschauer bloße Zuschauende verbleiben. Es muss zu einer Verbindung kommen, für die der Begriff exemplum fidei im Sinne Luthers durchaus statthaft erscheint. Der in diesem Sinne gebrauchte Exempelbegriff kennzeichnet auch die Predigtlehre Luthers, ist es doch Aufgabe der Predigt, aus Zweifeln und Anfechtung durch Beispiele und Erfahrung herauszuführen. Dies soll dadurch initiiert werden, dass die fremde Erfahrung zum Exempel des eigenen Glaubens wird.236 Ein Aspekt von Luthers Unterscheidung von sacramentum und exemplum muss aber noch Erwähnung finden. Nach seiner Genesis-Vorlesung werden die infirmi, die im Glauben Schwächeren, stärker durch exempla bewegt als durch das sacramentum.237 Die im Glauben Stärkeren dagegen zöge es zum sacramentum, sie glaubten, dass jenes Ereignis ‚pro se‘ geschehen sei.238 Daraus lässt sich schließen, dass sich in Luthers Auffassung das geistliche Theater, weil und insofern es mit dem exemplum befasst ist, in erster Linie an die im Glauben Schwächeren richtet. Ferner kann gefolgert werden, dass dem geistlichen Theater nach Luther eine hinführende Funktion zukommt. Diese Sicht findet ihre Parallele in dem, was Luther in dem genannten Brief an Nikolaus Hausmann empfiehlt, dass gesta Christi dargestellt werden sollten zur Vergrößerung des Affekts der rudiores.239 Dazu stimmt ferner, wenn Luther in Bezug auf die Exempel davon spricht, diese affizierten oder bewegten die Betrachtenden. Auch in seinem Brief an Hausmann geht er von einer wesentlich affektiven Wirkung von Aufführungen aus. Das Lehren durch biblische oder überhaupt durch Dramen stellt Luther in den breiteren Kontext eines Lehrens durch Exempel, wie er es auch in den ‚Historien‘ verwirklicht sieht. Charakteristikum dieses Lehrens, bei dem zum Wort das Exempel hinzukommt, ist die Sichtbarkeit und damit die Vergleichzeitigung, was bewirkt, dass es zu einer starken affektiven Wirkung und einer nachhaltigen Einprägung im Gedächtnis kommt.240 Beide Wirkungen werden von späte236 Vgl. Dietrich Rössler, Beispiel und Erfahrung. Zu Luthers Homiletik, in: Christian Albrecht – Martin Weeber (Hrgg.), Klassiker der protestantischen Predigtlehre, Tübingen 2002, S. 10ff. 15f. 19. Rössler bezieht sich auf WA.TR 4, 479 (Nr. 4765). 237 WA 43, 273,18f.: „Sed infirmi magis exemplis moventur, quam Sacramento.“ 238 WA 43, 273,29f.: „Sed quibus plus roboris animi et fidei est, amplectuntur Sacramentum, et quia credunt pro se filium Dei esse mortuum, insultant morti. ... “ 239 Vgl. WA.Br 5, 272,6ff (Nr. 1543). 240 Vgl. Luthers Vorrede zur Ausgabe der Historia Galeatii Capellae durch Wenzeslaus Linck aus dem Jahr 1538, WA 50, 383,5ff: „Sonst, wo die rede on Exempel gehÖrt wird ..., beweget sie doch das hertz nicht so seer, ist auch nicht so klar und nicht so fest behalten. DarÜmb ists ein seer kÖstlich ding umb die Historien. Denn was die Philosophi, weise Leute und die gantze vernunfft leren oder erdencken kan, das zum ehrlichen leben nÜtzlich sey, das gibt die Historien mit Exempeln und Geschichten gewaltiglich und stellet es gleich fur die augen, als were man dabey, und sehe es also geschehen, alles, was vorhin die wort durch die lere jnn die ohren getragen haben.“ – Die letzten



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ren lutherischen Dramenautoren immer wieder als wichtige Vorzüge des biblischen Dramas hervorgehoben. Dass die im Drama dargestellten bzw. in der Historie betrachteten Personen als Exempel in den Blick kommen,241 impliziert, dass sie als Typen, nicht als Individuen mit je eigener Psyche erkannt werden, wodurch auch die Historie letztlich ihres Eigenwertes beraubt wird und nur Hinweischarakter hat. Auch darin folgt die Praxis des weiteren biblischen Dramas dem Reformator. Zusammenfassend lässt sich Folgendes zu Luthers Einstellung zum geistlichen und biblischen Drama und Theater festhalten: Die eigentlichen geistlichen Spiele, insbesondere das Passionsspiel, betrachtet Luther kritisch. Es finden sich keine positiven Aussagen dazu. Dies wäre zwar als argumentum e silentio nicht zureichend, um zu einem begründeten Urteil zu gelangen, doch gibt Luther Kriterien für ein rechtes Passionsgedenken an, denen die Praxis der Passionsspiele nicht genügt. Für eine skeptische Haltung Luthers gegenüber dieser Gattung spricht auch, dass er und sein Freund Nikolaus Hausmann Joachim Greff vom Vorhaben eines solchen Spiels abgeraten haben, wie dieser berichtet. Andererseits greift Luther trotz seiner Kritik an der altgläubigen Frömmigkeit bestimmte Elemente eines spielerischen Brauchtums, Handlungen der geistlichen Feiern positiv auf, indem er diese als einfache Veranschaulichung im Rahmen der religiösen Didaxe von Kindern in Dienst nimmt. Dabei werden diese nicht mehr als sakrale Handlungen gesehen, sondern als didaktische Mittel, womit Luther zu einer früheren religionspädagogischen Praxis zurückzukehren glaubt, die er vor einer im Mittelalter einsetzenden Sakralisierung ansetzt.242 Diese Praxis ist aber beschränkt auf den Zweck der Kinderkatechese, wie Luther auch mit der Formulierung „kindlich bilde“ andeutet.243 Ferner ist gegenüber einer Wertung dieser spielerischen Elemente als Dramatisierung, wie sie Sander-Gaiser andeutet, Zurückhaltung geboten. Luthers berühmter Satz aus der Vorrede zur deutschen Messe: „Christus, da er menschen zihen wolte, muste er mensch werden. Sollen wyr kinder ziehen, so mussen wyr auch kinder mit yhn werden. Wolt Got, das solch kinderspiel wol getrieben wurde...“244, ist im Kontext nicht auf eine Dramatisierung biblischer Geschichten bezogen, sondern auf das von Luther zuvor genannte katechetische Säckchen-Spiel. Dieses wie die Aufführung eines biblischen Dramas kommen gewiss darin überein, dass sie den Worte dieser Aussage Luthers erinnern an das im Humanismus verbreitete Diktum des Horaz aus der Ars poetica 180ff (Ars Poetica. Die Dichtkunst. Lateinisch / Deutsch, hrg. v. Eckart Schäfer, Stuttgart 1994, S. 14): „Segnius inritant animos demissa per aurem quam quae sunt oculis subiecta fidelibus et quae ipse sibi tradit spectator.“ 241 Vgl. WA 50, 383,13ff, wo Luther den fromm und weise Lebenden dem böse und unverständig Lebenden gegenüberstellt. 242 Vgl. Sander-Gaiser, a.a.O., S. 194f. – S. 194 formuliert er: „Der Reformator will den geistlichen Spielen ihre ursprüngliche, didaktische Funktion wieder zurückgeben. In seiner Geschichtsschau wurden die geistlichen Spiele vom didaktischen Mittel zum sakralen Selbstzweck umgemünzt.“ 243 WA 30 II, 352, 12; anders Sander-Gaiser, a.a.O., S. 190 und 194, der von der Unterweisung des Volkes spricht. 244 WA 19, 78,13ff.

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150 Grundlegung Zweck der Einprägung und der Verinnerlichung des Evangeliums verfolgen,245 wie auch beide der inkarnatorischen Bewegung Gottes entsprechen. Die Dramatisierung in einem Spiel aber geht über einfaches spielerisches Lernen hinaus.246 Von erheblicher Bedeutung für das geistliche Drama der Reformationszeit, für dieses geradezu innovatorisch, ist Luthers Feststellung des dramatischen Wesens bestimmter biblischer Bücher. Zwar ist ihm darin in gewisser Weise für das Hohelied Bernhard von Clairvaux vorausgegangen, der aber mit dieser Einordnung keine wirkliche Nachwirkung entfaltet hatte. Luther hat mit seiner Auffassung von Judith, Tobias und auch Susanna als dramatischer Gedichte indirekt die Praxis ihrer Dramatisierung empfohlen und ist so zum Inaugurator des biblischen Dramas des Wittenberger Kreises geworden. Selbst wenn man diese Wirkungsgeschichte nicht mit einbezieht, erweisen die Bibelvorreden, dass Luther biblische Aufführungen offensichtlich überaus positiv bewertet. Ihren Ursprung und ihr Vorbild haben sie seiner Auffassung nach schon im Alten Testament selbst, für ihn ein deutlicher Erweis ihrer Dignität. Es handelt sich nach ihm um eine uralte, biblisch begründete kirchliche Praxis. Bestimmend für Luthers Argumentation ist das inkarnatorische Argument, dass Gott sich in Christus auf die Ebene der Menschen begeben hat und, um diese zu erreichen, in Bildern und Gleichnissen gelehrt hat. Das Wort Gottes ist nach Luther von Anfang in vielfältigen Formen verkündigt worden, zu denen er in erster Linie die Predigt, das Lied und das Gemälde zählt, in einigen Äußerungen dann auch das Theaterspiel. Aufgrund der Auseinandersetzung mit den sogenannten Schwärmern geht es in der Mehrzahl der Äußerungen um das Bild als didaktisches Mittel der Verkündigung.247 Kommt dem inkarnatorischen Argument als Begründung für das Theater somit entscheidende Bedeutung zu, so ist auch darauf hinzuweisen, dass in diesem Zusammenhang Luthers Sicht des Welttheaters von Relevanz ist, insofern die Geschichte Gottes Spiel mit den Menschen darstellt, in welchem er selbst als Spielleiter und verborgener Darsteller mit pädagogischer Absicht agiert.248 Das heißt aber, dass in ihm selbst das spielerische Moment angelegt ist, welches der Mensch dankbar aufgreifen darf. Die Entwicklung eines geistlichen Theaters wird theologisch auf diese Weise zumindest erleichtert. Hinzu kommt, dass Luther einen positiven Begriff von Person auch im Sinne von Rolle resp. Würde hat, die als Larve für das Wort Gottes dienen kann, durch welche dieses Wort den Menschen zu treffen vermag.249 Die Verbindung dieser Gedanken mit katalysierenden humanistischen Elementen erwirkt schließlich hinreichende Bedingungen für ein solches Theater in der Reformation im Einflussbereich Wittenbergs. 245 Vgl. WA 19, 77,14; 78,21.22.24. 246 Die subsumierende Rede vom ‚Lernen als Spiel‘ und von ‚spielerischen Lernprozessen‘ bei SanderGaiser, a.a.O., S. 264, verwischt dies. 247 Vgl. WA 27, 386 (1528); 51, 217,35f. (1534/35); 45, 719,12f. (1538); vgl. 18, 82,27f., wonach das Bild der Erinnerung und dem besseren Verständnis dienen soll. 248 Vgl. Sander-Gaiser, a.a.O., S. 137f. 141ff. 161f. 249 Vgl. Gerhard Ebeling, Luther, Tübingen 19814, S. 230ff.



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Humanistisches und genuin Theologisches und Reformatorisches sind bei Luther vielfach verwoben. Dies wird etwa daran deutlich, dass er die Zielsetzung von Aufführungen in formaler und moralischer Hinsicht beschreibt, wobei bei letzteren der Übergang zu rein theologischen Zielsetzungen fließend ist. Das geistliche bzw. biblische Drama dient der Glaubensstärkung und soll die innere Beteiligung am dargestellten Inhalt befördern. Besonders sollen exempla fidei zur Darstellung kommen, die die Zuschauenden bewegen und mit denen sie sich vergleichzeitigen können. Vorrangige Adressaten sind Schüler sowie ‚Einfältige‘ und im Glauben schwächer Befestigte. Das geistliche Drama vermag das eigentliche Heilsgeschehen, das sacramentum nicht darzustellen; es kann als solches in der Tat nicht bewirken, was es lehrt. Es kann aber jene innere Beteiligung anstoßen, mittels derer der Glaubende zustimmt, dass das Heilsgeschehen ein ihm zugute kommendes, ihn betreffendes Geschehen ist. Dem biblischen Drama kommt so die Funktion eines die katechetischen Bemühungen in Gestalt von Gottesdienst und biblischer Predigt wie Katechismuspredigt sowie häuslicher Katechisierung ergänzenden und vertiefenden Mediums zu, eine Vorstellung wie sie etwa auch Hans Sachs prägte.250 Obwohl Luther, allerdings nicht häufig, das Genus Dialog aufgreifen konnte, obwohl er den Aufbau eines Dramas als Struktur des auf Überzeugung zielenden erzählerischen Teils einer seiner Schriften zugrunde legen konnte, obwohl er den dramatischen Charakter einer Perikope in einer Predigt entfalten und verstärken konnte,251 obwohl schließlich sein Lied ‚Nun freut euch, lieben Christeng’mein‘ dramatisches Gespür verrät, hat er doch selber kein Drama verfasst. Lässt sich über die Gründe dafür nur spekulieren, so gibt dieses Faktum jedenfalls zu bedenken, dass das Gewicht des geistlichen Dramas bei Luther auch nicht überbewertet werden sollte. Es stellt kein Heilsmittel dar, sondern ein didaktisches Mittel, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Dessen ungeachtet hat sich maßgeblich durch Luther das protestantische Drama entwickelt, vornehmlich des Wittenberger Kreises, aber auch darüber hinaus.

d) Der Dessauer Zwischenfall Für die Beantwortung der Frage, welche Stellung gegenüber dem biblischen Drama innerhalb der Wittenberger Reformation eingenommen wurde, ergibt sich der glückliche Umstand, dass tatsächlich Quellen existieren, die auf genau diese Frage eingehen: Gelegen250 Vgl. Charles Schweitzer, Un poète allemand au XVIe siècle, Nancy 1887, S. 308, der für Sachs von der Funktion des Theaters als „auxiliaire de la chaire“ sprach. 251 Zu Luthers Dialogen und zu seinem Interesse an der Gattung Dialog, vgl. Michael Beyer, Martin Luther „bleybt ein Deudscher schreyber“. Dialog und Drama als Mittel seines literarischen Gestaltens, LuJ 59 (1992), S. 79–114. – Beyer arbeitet heraus, dass die narratio seiner Schrift ‚Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe‘ dem Aufbau des Dramas, so wie er in dieser Zeit auf Basis von Terenz, Aristoteles und Horaz gedacht wurde – sich später manifestierend in der Dramentheorie des Julius Caesar Scaliger –, entspricht; vgl. a.a.O., S. 108ff.

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152 Grundlegung heitsschriften, in denen aus einem konkreten Anlass zu klären versucht wird, ob und wie es ein biblisches Theater geben darf, die zugleich belegen, dass dieses im jungen lutherischen Protestantismus keineswegs eine selbstverständliche Einrichtung war. Aufgrund einer Anfrage von außen waren die Wittenberger Theologen im Jahr 1543 genötigt, sich mit der Dramatisierung biblischer Stoffe zu befassen. In diesem Jahr kam es zwischen dem Dessauer Schulmeister und Dramendichter Joachim Greff und Dessauer Pfarrern zu einer Auseinandersetzung über die Frage, ob es – so formuliert es Greff – erlaubt sei, heilige Geschichten in Reimen dem christlichen Volk als Komödie vorzuführen.252 Anstoß war die von Greff geplante Aufführung seines im Jahr zuvor veröffentlichten Osterspiels sowie die musikalische Ausgestaltung des Palmarum-Gottesdienstes. Greff wandte sich nach Wittenberg, wo es ihm gelang, fünf Theologen zu gutachterlichen Äußerungen zu bewegen: Luther in einem Brief an Fürst Georg von Anhalt,253 Melanchthon,254 Georg Major,255 Hieronymus Nopus256 und Paul Eber257 in Briefen an den Dessauer Hofprediger Georg Held. Paul Eber zeigt sich verwundert über die Kritik an Greffs Vorhaben. Als Bedingungen für eine solche Aufführung benennt er die reverentia. Werde diese gewahrt, sei die Aufführung würdig, sehe er nicht, warum dieser hervorragende Versuch, den imperiti auf leichte Weise eine Erkenntnis heiliger Geschichten einzuprägen, kritisiert werden könnte.258 Greffs Talente seien daher zu unterstützen und zu fördern.259 Eber sieht also das geistliche Drama als ein geeignetes Mittel religiöser Erziehung an. 252 Vgl. zum Ganzen Arnold E. Berger, Die Schaubühne im Dienste der Reformation. Erster Teil, Leipzig 1935, S. 18, Barbara Könneker, „Wold ihrs den nicht schir gleuben do, S. 316ff, und jetzt Siegfried Bräuer, a.a.O., S. 79. – Die Fragestellung Greffs ist bei Nopus belegt: „Quaerit Joachimus, an sacras historias carmine redditas tanquam Comoedias Christiano populo quovis in loco sacro vel prophano audiendas et spectandas liceat proponere.“ – Alle Gutachten finden sich jetzt in: Bernd Neumann, Geistliches Schauspiel im Zeugnis der Zeit. Zur Aufführung mittelalterlicher religiöser Dramen im deutschen Sprachgebiet. Bd. 2, München 1987; das Zitat bei Neumann, S. 910. Neumanns Sammlung ersetzt die Edition der Gutachten von Nopus und Eber durch Georg Buchwald, Zu dem Dessauer Streite über die Frage, ob der Christ Dichtungen und Schauspiele, welche biblische Stoffe behandeln, anhören und schauen dürfe, ThStKr 59 (1886), S. 568–572. 253 Luthers Brief datiert vom 5. April 1543, WA.Br 10, 284ff (Nr. 3862). 254 Melanchthons Brief stammt ebenso vom 5.4. 1543, CR 5, 86 (Nr. 2678). 255 Majors Gutachten ist – als irrtümlich Luther zugeschriebene Äußerung – ediert in: Dr. Martin Luthers Briefe, Sendschreiben und Bedenken, vollständig aus den verschiedenen Ausgaben seiner Werke und Briefe, aus andern Büchern und noch unbenutzten Handschriften gesammelt, kritisch und historisch bearbeitet von Dr. Wilhelm Martin Leberecht de Wette Bd. 5, Berlin 1828, S. 553. 256 Zu Nopus vgl. Hugo Holstein, Die Reformation im Spiegelbilde der dramatischen Litteratur [!] des sechzehnten Jahrhunderts, Halle 1886, S. 24 mit Anm. 2. 257 Zu Eber vgl. Heinz Scheible, Art. ‚Eber, Paul‘, RGG4 2, Sp. 1040. 258 Neumann, a.a.O., S. 884 (Nr. 3718): „Nam si reverentia in rerum hujusmodi celebratione digna adhibetur, non video, quomodo reprehendi hic optimus conatus inculcandi imperitis historiarum sacrarum cognitionem facile possit.“ 259 Neumann, ebd.



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Hieronymus Nopus spielt in seiner Antwort auf den Philipperbrief des Paulus an. Der Apostel habe darin seine Freude zum Ausdruck gebracht, dass Christus auf allerlei Weise verkündigt werde. Christus habe das Evangelium von unserem Heil nicht nur durch das Wort, sondern auch „sacramentorum quasi spectaculis quibusdam“ tiefer dem menschlichen Gemüt einprägen (infigere) wollen.260 Daher sei es nicht nur nützlich, sondern sogar notwendig, dass die Jugend (adolescentior aetas) die Geschichte dessen, was Christus tat und erlitt, erfasst habe.261 Grundsätzlich nicht verschieden davon sei es, die Denkwürdigkeiten des Alten Testaments der Jugend durch Predigen, Singen, Bild oder actio comica beizubringen (instillare).262 Im Folgenden nennt Nopus dafür allerdings gewisse einzuhaltende Bedingungen oder Mindeststandards: Gewährleistet sein müssten Wahrheit, Ernst (gravitas), Ehrerbietung, geschuldeter Gebrauch und Modus, ausgeschlossen sein müssten phantastische Erdichtungen von Erfindungen, also insbesondere inhaltlich problematische Zusätze zum biblischen Text, Oberflächlichkeit und Possenreißerei, Mangel an Ehrfurcht und Missbrauch.263 Nopus ist sich sicher, dass all diese Handlungsformen, Predigten, Gesänge, Bilder und Zeremonien auch in der älteren Kirche (prisca ecclesia) geübt worden seien.264 Die Komödien (actiones comicae) seien nichts anderes als sprechende Zeremonien (loquentes ceremoniae) und eine sprechende Darstellung (vocalis repraesentatio) von Handlungen bzw. Geschehnissen. Eine solche Darstellung aber pflege Sachverhalte den Herzen auch von Knaben tiefer einzuprägen als eine einfache Erzählung.265 Dies könne überall geschehen, zu Hause, auf einem öffentlichen Platz oder in der Kirche.266 Intensiv setzt sich auch Georg Major, Greffs ehemaliger Vorgesetzter an der Lateinschule in Magdeburg und wenn nicht Mitverfasser, so doch Initiator des 1534 gedruckten Jakob-Dramas,267 mit dieser Frage – er spricht von actiones sacrarum historiarum – auseinander.268 Allen Christen sei es aufgegeben, das Wort Gottes zu fördern und fortzupflanzen, und zwar auf jede nur mögliche Weise, nicht nur durch die Rede, auch durch Schriften,

260 Vgl. Neumann, a.a.O., S. 910 (Nr. 3754). 261 Ebd: „Itaque cum non utile solum sed et necessarium sit, ut adolescentior aetas teneat historiam eorum quae Christus gessit et passus est.“ 262 Vgl. a.a.O. (Forts.). 263 Vgl. a.a.O. (Forts.). 264 Ebd.: „Certe res istas omnes priscam ecclesiam in usu habuisse apparet, Conciones, cantiones, picturas, Ceremonias.“ 265 Ebd.: „Et actiones istae comicae quid aliud sunt quam loquentes Ceremoniae et vocalis rerum gestarum repraesentatio, quae altius etiam puerorum pectoribus res consuevit infigere quam simplex narratio.“ 266 Vgl. a.a.O. (Forts.). 267 VD 16, Nr. M 2114 (Bd. 13, S. 230). Zur Frage der Mitverfasserschaft Majors s.u. im Abschnitt zu Greffs Abraham-Drama (Teil C I 2). 268 Vgl. Neumann, a.a.O., S. 902f. (Nr. 3745).

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154 Grundlegung ein Bild, eine Skulptur, Psalmen, Gesänge und Musikinstrumente.269 Major nennt dafür als biblische Belege Ps 150,4, die Aufforderung, Gott mit verschiedenen Instrumenten zu loben, und Dtn 6,8f., die Aufforderung, sich das Gebot der Gottesliebe mit verschiedenen Memorierpraktiken einzuprägen und an verschiedenen Stellen anzuheften.270 Mose habe gewollt, daß das Wort Gottes bedacht und zwischen den Augen bewegt werde, was auf keine Weise angemessener und deutlicher geschehen könne als durch derartige Aufführungen,271 unter der Bedingung freilich, daß sie ernst und maßvoll, nicht gauklerisch (histrionicus) wie im Papsttum erfolgten.272 Solche Aufführungen fielen in die Augen des Volkes und bewegten zuweilen mehr als öffentliche Predigten.273 Seines Wissens nach hätten sich in Niederdeutschland, wo das öffentliche Bekenntnis zur evangelischen Lehre verboten sei, aufgrund von Aufführungen zur Thematik von Gesetz und Evangelium viele Menschen bekehrt und der evangelischen Lehre angeschlossen.274 Major kommt zu dem abschließenden Urteil: Keinesfalls seien derartige Aufführungen zu verdammen, sofern sie aus gutem Rat und aus der Bemühung, die evangelische Wahrheit zu fördern, hervorgingen und sofern sie ernst und maßvoll seien.275 In der Bibel werde gerade gefordert, das Wort Gottes auf jede nur mögliche Weise auszubreiten. Durch die dramatische Darstellung aber werde dies oft mehr als durch eine Predigt gefördert. Melanchthon sieht in der Angelegenheit einen Streit um Adiaphora, er weist die Schuld denjenigen zu, die den Streit angezettelt hätten.276 Die Aufführung biblischer Stoffe hält er für nützlich, besonders für die Jugend.277 Die solche Übung tadelten, seien in Schranken zu halten; sie sollten ihr Augenmerk lieber auf die Bewahrung des Friedens in der Kirche richten.278 Er rät allerdings zur Auslassung einer Szene mit der Aufrichtung

269 A.a.O.: „Mandatum est omnibus hominibus, ut verbum Dei Patris provehant et propagent, quibuscunque id fieri potest rationibus, non tantum voce, sed scriptis, pictura, sculptura, psalmis, cantionibus, instrumentis musicis ...“ 270 Vgl. ebd. (Forts.). 271 Ebd.: „Vult cogitari et moveri inter oculos verbum Dei Moses, quod qua ratione possit fieri commodius et illustrius, quam talibus actionibus, ...“ 272 Vgl. ebd. (Forts.). 273 A.a.O.: „Incurrunt etiam talia spectacula in oculos vulgi, ac interdum plus movent, quam conciones publicae.“ 274 Vgl. a.a.O. (Forts.). A.A. Meyer, Heilsgewißheit, S. 57, vermutet, daß Major bei den ‚actiones de lege et evangelio‘ an Voiths ‚Ein schön lieblich Spiel von dem herrlichen Ursprung, betrübten Fall, gnädiger Wiederbringung, mühseligem Lebe, seligem Ende und ewiger Freude des Menschen‘ gedacht hat. 275 Vgl. Major, a.a.O. (Forts.). 276 Melanchthon, a.a.O.: „Dolendum est, ... adhuc otiosis animis aliquos rixari de rebus non necessariis.“ 277 A.a.O.: „De recitatione historiae resurrectionis et similium verarum historiarum sentio utiliter exerceri ea recitatione adolescentiam...“ 278 Vgl. a.a.O.



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eines Kreuzes auf dem Grab.279 Offenbar gemahnte dies zu sehr an das Osterritual der Kreuzerhebung (elevatio crucis).280 Auch Melanchthon stand Passionsspielen ablehnend gegenüber, hielt sie für dem Willen Gottes nicht entsprechend. Seiner Auffassung nach konnte ihre Aufführung nur Anstoß erregen, was überdies tödliche Zwischenfälle bei der Darbietung belegten.281 Luther selbst äußert sich tendenziell in Richtung der Stellungnahme Melanchthons, bleibt in der Sache selbst allerdings eher unbestimmt. Barbara Könneker vermutet als Ursache dieser Unklarheit, Greff habe die Frage in Erwartung einer negativen Antwort bewusst unpräzise gestellt.282 Im Hintergrund könnte tatsächlich die abschlägige Stellungnahme des Reformators zu seinem Passionsspiel stehen, die ihn ein taktisches Vorgehen wählen ließ. Luther bezieht sich in seiner Antwort ausschließlich auf die Lieder und Gesänge des Palmsonntags und stellt dazu lapidar fest: „Solche neutralia, weil sie ynn vnschedlichen brauch vnd nicht ergerlich, Solt man lassen gehen, Oder so mans wolt endern, das nicht einer allein furneme im hauffen, sondern alle andere oberherrn vnd pfarrher solchs mit bedechtem Rat theten. Weil nu E.f.g. nicht allein oberherr, sondern auch Archidiaconus sind, sollen sie nicht leiden, das ein toller kopff aus ihm selber erfur fure und die Neutralia damnabilia schelte.“283 So kann diese Stellungnahme in Bezug auf Luthers Haltung zum geistlichen Drama und Theater nichts wirklich Neues bieten. Sie zeigt nur, dass es für Luther einen Bereich der Adiaphora gibt, den er nicht um irgendwelcher Interessen zur Disposition zu stellen bereit ist. Dass das geistliche Theater in dieser Weise einzuordnen ist, ergibt sich als Konsequenz, die aber von ihm hier nicht gezogen wird. Als Resümee ist festzuhalten: Die Vertreter der Wittenberger Reformation stehen einer Dramatisierung biblischer Stoffe durchaus wohlwollend gegenüber. Die Gegner solcher Dramatisierung werden aufgefordert anzuerkennen, dass es sich bei dieser Frage um ein Adiaphoron handelt. Darüber hinaus hatte Luther festgestellt, dass die Aufführung von biblischen Stoffen positive Auswirkungen habe: Die dargestellten Taten Christi könnten auf diese Weise dem Gedächtnis nachdrücklicher eingeprägt werden und der Affekt der Glaubenden könnte vertieft werden. Eine deutliche Zurückhaltung seitens der Wittenber-

279 A.a.O.: „Vellem omitti spectaculum crucis imponendae sepulchro.“ 280 Vgl. A.A. Meyer, Heilsgewißheit, S. 47; Nikolaus Henkel, Textüberlieferung und Performanz, in: Meier – Meyer – Spanily (Hrgg.), Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit, S. 23. 281 Vgl. Bacon, Martin Luther and the drama, S. 53f., ferner Johannes Bolte (Hrg.), Ein Spandauer Weihnachtsspiel. 1549, Märkische Forschungen XVIII (1884), S. 195. – Eine eher ablehnende Einstellung zu Passionsspielen offenbarte bereits Petrus Mosellanus in seiner 1518 erschienenen Paedologia; vgl. Paedologia Petri Mosellani, Leipzig 1533, C 4b. Beide Dialogpartner bekunden, auf keinen Fall die Rolle Christi einnehmen zu wollen. Auch wenn die Passion als res ficta dargestellt werde, so der eine, müsse der Christus-Spieler Beschwerliches auf sich nehmen. Der andere äußert, dass er, wenn es sich um eine ernste Sache handele, lieber Zuschauer sein wolle. 282 Vgl. Könneker, a.a.O., S. 318f. 283 WA.Br 10, 286,10ff.

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156 Grundlegung ger ist allerdings gegenüber der Darstellung des leidenden und auferstehenden Christus erkennbar. Deutlich wird bei einigen Autoren die Möglichkeit einer missionarischen Nutzung des Dramas zur Gewinnung von Altgläubigen oder Gleichgültigen erkannt. Ersteres zeigt sich bei Major, Letzteres ist außerhalb Wittenbergs, aber in dessen Einflussbereich, etwa der Fall bei dem Nürnberger Prediger Wenzeslaus Linck, einem Freund Luthers. Dieser schreibt 1539 in einem zu Leonhard Culmanns Drama ‚Ein christlich deutsch Spiel, wie ein Sünder zur Buße bekehrt wird‘ angehängten Brief: Da der größere Teil der Menschen die heilsame Lehre nicht leiden oder gar aufnehmen wolle, diese vielmehr nach ihren eigenen Lüsten selbst Lehren auflüden, so gelte: „Man müsse jetztund Gottes Wort und Lehre, gute Sitten der tollen Welt und ungezogenen Jugend fürtragen mit Reimen, Liedern, Sprüchen, Spielen der Comedien, Tragedien etc., ob vielleicht die das Predigen nicht hören, noch sonst Zucht leiden wollen, durch Spiel oder Gesänge möchten erworben werden.“284 Die Auffassung vom geistlichen Drama als einem von vielerlei Mitteln, durch das auf Menschen mit der christlichen Botschaft eingewirkt werden kann, findet sich, allerdings mit etwas anders akzentuierter Begründung, auch bei dem aus Hof stammenden, nach seinem Studium in Wittenberg als Schulmeister in Pulsnitz bei Dresden tätigen und später als Pfarrer im nahen Seifersdorf wirkenden Johann Narhamer in dessen Hiob-Drama aus dem Jahre 1546. Es bestehe die Notwendigkeit, die Menschen über die Bestrafung der Sünden durch Gott und die göttliche Hilfe für die ihm Vertrauenden zu informieren: „... und wil von nöten sein Das mans ihn für trag in Gemein Mit Schreibn Predign unde Singen Mit Geschichten Spielen und mit klingn, Damit diese letzt rohe Welt Wann einst der Baum wirdt nider gfelt Sich mit dem hab zentschüldign nicht Das sie nicht sey worden bericht Gotts zorns und seiner milten gnad Und das der fromm ein tröstung hat.“285 Da es um Heil oder Unheil der Menschen gehe, seien diese unter allen Umständen und auf alle denkbaren Weisen über ihre Lage und ihre mögliche Rettung aufzuklären. Bereits 1527 verstand Burkard Waldis seine deutsche ‚Parabel vom verlorenen Sohn‘ als ein Mittel, die Schrift allen Menschen, Handwerkern, Bauern, Dreschern, alten Frauen und Kindern nahe zu bringen, was er als unabdingbares Ziel der Reformation sah; es gelte, dass „De schrifft vp allerley wyße gehandelt vnnd tractert mochte werden.“286 Mit diesen Gedanken, in denen das geistliche Drama als durchaus universales Verkündigungsmittel erscheint, mittels dem für den evangelischen Glauben geworben wird, gehen die 284 Wenzeslaus Linck, Brief zu Leonhard Culmanns Drama Ein christlich deutsch Spiel, wie ein Sünder zur Buße bekehrt wird, Nürnberg 1539, zitiert nach: Julius Tittmann (Hrg.), Schauspiele aus dem sechzehnten Jahrhundert. Erster Theil, Leipzig 1868, S. 110. 285 Johan Narhamer, Historia Jobs 1546, hrg. v. Barbara Könneker und Wolfgang F. Michael, Bern u.a. 1983, S. 8f. – Zur Person Narhamers vgl. a.a.O., S. 98ff. 286 Burkard Waldis, De parabell vam verlorn Szohn, in: Arnold E. Berger, Die Schaubühne im Dienste der Reformation. Erster Teil (Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Reihe Reformation Bd. 5), Leipzig 1935, Widmungsrede, S. 144,16–22.



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genannten Autoren doch einen Schritt über das von Luther ins Auge gefasste Konzept des geistlichen Dramas hinaus.

e) Die Schulordnungen im lutherischen Bereich und die Theaterpraxis in lutherischen Städten Bei der Betrachtung der Schulordnungen der Reformationszeit und der folgenden konfessionellen Zeit ist zu berücksichtigen, dass sie eine normative Quelle darstellen, von der nicht einfach auf die realen Zustände zu schließen ist. Sie geben die Vorstellungen ihrer Verfasser wieder und sind an deren Idealen orientiert. Für die vorliegende Untersuchung ist dieser Tatbestand aber nicht von grundlegender Relevanz, geht es hier doch primär um die Absichten, die bei den Verfassern der Schulordnungen und danach auch bei den Schulleitern und Lehrern in Bezug auf die Aufführung von Dramen leitend waren. Eine andere, an dieser Stelle nicht zu verfolgende Frage ist es, inwieweit dies im Schulalltag wirklich umgesetzt wurde. In dieser Untersuchung aber soll verfolgt werden, welche Vorstellungen sich in den Bestimmungen zum Schuldrama spiegeln, in welchem Rahmen die Bestimmungen stehen, welche pädagogischen Ziele erreicht werden sollten und ob sich Aussagen über den Charakter der Aufführung finden lassen. Für diese Fragen aber sind die Schulordnungen von hohem Quellenwert. Ebenfalls stellt es keinen echten Einwand gegen diese Betrachtung dar, wenn darauf verwiesen wird, dass in vielen Schulordnungen vom Schultheater nicht die Rede ist. Daraus zu schließen, dass es in den diese repräsentierenden Städten keine Schulaufführungspraxis gab, wäre nämlich ein Fehlschluss. Viele Schulordnungen bieten nur ein an Melanchthons Schulordnung aus dem Unterricht der Visitatoren von 1528 orientiertes Grundgerüst.287 Dort ist für die zweite Klasse vom Studium des Terenz und des Plautus die Rede, aber nicht von Aufführungen.288 Die Praxis war auf diesem Felde also weiter als die Norm. Das lässt sich auch daran ablesen, dass in manchen Schulordnungen nur von Terenzaufführungen die Rede ist, obwohl doch viele andere Stücke belegt sind. Die Ursache dafür ist nicht nur darin zu erkennen, dass viele Lehrer sich mit Terenz nicht begnügten, sondern vor allem darin, dass sie ihren Ehrgeiz darin suchten, eigene Stücke zu schreiben und zur Aufführung zu bringen.289 Der Quellenwert der Schulordnungen ist also genau so zu beschreiben, dass diese über die mit dem Studium und der Aufführung von Schuldramen verbundenen Absichten der Verfasser der Schulordnungen der jeweiligen Städte und Territorien bzw. der hinter diesen Ordnungen stehenden Vorstellungen der jeweiligen Obrigkeiten Auskunft geben. 287 Vgl. Sebastian Kreiker, Armut, Schule, Obrigkeit, Bielefeld 1997, S. 127. 143. 288 Vgl. den Unterricht der Visitatoren, in: Die Evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, hrg. v. Emil Sehling. Erster Bd., Aalen 1979, S. 173. 289 Das Faktum des dichtenden Lehrers bestätigt, dass die Bemühungen um eine Professionalisierung, wie auch um die konfessionelle Zuverlässigkeit des Lehrerstandes durchaus Erfolge zu verzeichnen hatte. Vgl. dazu Kreiker, a.a.O., S. 164ff. 233.

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158 Grundlegung Recht früh erscheinen in Schulordnungen Bestimmungen zum Schuldrama, so bereits in der Zwickauer Schulordnung von 1523, wo das Auswendiglernen von Komödien des Terenz vorgeschrieben wird.290 In der Hamburger Schulordnung von 1529 wird, nachdem zuvor vom Studium des Terenz und des Plautus die Rede war, die Nützlichkeit von Aufführungen konstatiert.291 Aus den Schulordnungen der Reformationszeit erhellt, dass die Einübung und Aufführung von Dramen besonders der Förderung der lateinischen Sprachpraxis dienen soll. Dies zeigt etwa die Schulordnung der Schleswig-Holsteinischen Kirchenordnung von 1542 dadurch, dass Dramen letztlich auch ersetzbar durch andere Schriften wie die Colloquia familiaria des Erasmus sind.292 Die Schulordnung aus der Kursächsischen Kirchenordnung von 1580 schreibt für die dritte Klasse vor, dass die Lehrer die Schüler die Komödien von Terenz und Plautus jährlich spielen lassen sollen „... und solchergestalt sie auf das zierliche Lateinreden gewehnen.“293 Dass es bei der Aufführung von Dramen aber nicht nur um die Verbesserung des lateinischen Sprachvermögens geht, sondern auch andere Aspekte eine wichtige Rolle spielen, verdeutlichen diverse Schulordnungen, wobei sie allerdings unterschiedliche Akzentsetzungen vornehmen. In der berühmten Magdeburger Schulordnung aus dem Jahre 1553 wird die Aufführung von Komödien (Comoediarum actiones) neben der Rezitation von Gesetzen, der Deklamation und der öffentlichen Disputation über ein theologisches oder philosophisches Thema zu den öffentlichen Übungen gezählt, die als der Jugend nützlich gewertet werden.294 Die Aufführung von Dramen ist damit eingebettet in ein Feld von Redeübungen, in denen der Raum der Schule zwar nicht gänzlich verlassen, aber doch nach außen geöffnet wird für ein weiteres Publikum. Kommt die Aufführung so im Kontext der rhetorischen Ausbildung der Schüler zu stehen, wird zugleich deutlich, dass alle genannten Übungen durch die Einbeziehung der Öffentlichkeit besonders auf das Erlernen des rechten Auftretens abzielen. Dies bestätigt sich, betrachtet man die Bestimmungen zu den Komödienaufführungen, wo es heißt: „Comoediarum actiones putantur prodesse ad iustam audaciam in animis puero290 Vgl. Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 20. 291 Schulordnung aus der Hamburgischen Kirchenordnung 1529, in: Evangelische Schulordnungen. Bd. 1, hrg. v. Reinhold Vormbaum, Gütersloh 1860, S. 20f., die Bestimmung zu den Aufführungen S. 21: „Jtem idt is ock ene gude övinge, wen man se Comödien spelen leth edder edlicke Colloquia Erasmi.“ Vgl. dazu Friedrich Hahn, Die evangelische Unterweisung, Heidelberg 1957, S. 51. – Terenz und Plautus sind auch in der Wittenberger Schulordnung von 1533 für die höchste Klasse vorgesehen; vgl. Vormbaum Bd. 1, S. 28. 292 Schulordnung aus der Schleswig-Holsteinischen Kirchenordnung 1542, in: Vormbaum Bd. 1, S. 42 f.: „... vnde schollen yo alle dartho flitig geholden werden, dat se latin reden, vnde de Preceptores mit ene, alse vele alse ydt mögelick ys, Item ydt ys ock eine gude öuinge, Dat men se Comedien spelen lett, edder etlike nütte Colloquia Erasmy.“ 293 Schulordnung aus der Kursächsischen Kirchenordnung 1580, in: Vormbaum Bd. 1, S. 281. 294 Vgl. die Magdeburger Schulordnung 1553, V. Ordo (De publicis exercitiis vel actionibus), in: Vormbaum Bd. 1, S. 417.



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rum confirmandam.“295 Vorrangiges Ziel der Aufführungen ist es, den Schülern zu einem sicheren Auftreten – vor allem im Hinblick auf ihre späteren beruflichen Aufgaben – zu verhelfen. In Magdeburg sind eine lateinische und eine deutscheAufführung im Jahr vorgesehen.296 Für die lateinischen Aufführungen soll auf Terenz zurückgegriffen werden, für die deutschen Aufführungen geht die Schulordnung hingegen davon aus, dass die Lehrer der Schule (nostri) die Stücke liefern.297 Die Förderung der Sprachmächtigkeit im Lateinischen, der Aussprache, der Fähigkeit vor Menschen ohne Furcht aufzutreten und die Übung des Gedächtnisses sind für die 1580 ausgegebene Brandenburger Schulordnung die wichtigsten Zielsetzungen für das Theaterspiel in der Schule.298 Auch die Schulordnung für Frankfurt a.M. aus dem Jahre 1579 nennt als primäres Ziel den Ausbau des lateinischen Sprachvermögens, für dessen Erreichen als besonders geeignet die Komödien des Terenz eingestuft werden.299 Die Schulordnung wendet sich dann aber der Moraldidaxe zu: Den Terenzkomödien komme zudem der Vorzug zu, Lebensmuster, Exempel und verschiedene Geschehnisse vor Augen zu führen, die dem Menschen widerfahren können. Ferner beschrieben sie Laster und Tugenden in der Weise, dass die Knaben unter beilaufender interpretierender Ermahnung die Grundlagen einer zukünftigen, das Leben bewältigenden Klugheit entwickeln könnten.300 Trotz unterschiedlicher Nuancen folgen die Schulordnungen mit all diesen Zielbestimmungen deutlich den Vorgaben Luthers für Schulaufführungen.

295 A.a.O., S. 418. 296 Vgl. ebd. Die lateinische Aufführung sollte am Moritzmarkttag, um den 22. September, die deutsche Aufführung an den Markttagen um Septuagesima stattfinden. 297 Ebd.: „Ex Terentio latinae [sc. Comoediae] sumi possunt, caeteras nostri suppeditant.“ 298 Vgl. die Brandenburger Schulordnung 1564, in: Vormbaum Bd. 1, S. 541, wo es zunächst von der Aufführung heißt, sie werde durchgeführt, „... ut pura et satis latina sit in eis oratio.“ Ebd. wird weiter formuliert: „Ita enim decorae pronunciationi assuescent pueri, et turbae conspectum non reformidare discent. Exercebunt ita et memoriam aliquo modo, et latine loquendi facultati aliquid hinc accedet.“ Vgl. ferner die Landgräflich Hessische Schulordnung von 1618, in: Vormbaum Bd. 2, S. 183, wo für das Studium von Plautus und Terenz vorgeschrieben wird, dass die Knaben ihre Person mit „gebührlicher ausred vnd gebehrden“ einnehmen sollten. Darüber hinaus legt diese Ordnung Wert auf ein möglichst natürliches Reden und Auftreten. 299 Vgl. die Bestimmungen für die tertia classis der Frankfurter Schulordnung 1579, in: Vormbaum, Bd. 1, S. 633, wo es von Terenz heißt: „... nullus loquendi auctor melius summorum atque doctissimorum hominum testimonio habeatur.“ 300 Ebd. (Forts.): „Deinde et ipsa fabularum argumenta ejusmodi sunt, ut privatae vitae consuetudines atque exempla ob oculos ponant, varios casus, quales in rebus homini accidere saepe solent, exhibeant; denique ut singillatim personarum vel vitia vel virtutes praecipuas ita describant, ut si pueri de iis diligenter et cum judicio admoneantur, etiam hinc futurae prudentiae principia et quasi quaedam fundamenta parari queant.“ Eine Interpretation der terenzischen Komödien im Rahmen ihrer Einstudierung für die Aufführung ist dabei nur für den Fall der „imperitia adolescentum“ vorgesehen; vgl. a.a.O., S. 638f.

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160 Grundlegung Dem Theaterspiel kann nach den Schulordnungen aber auch eine sekundäre pädagogische Funktion zukommen. Die Brieger Schulordnung von 1581 schreibt Aufführungen vor, um die Schüler von fehlgeleiteten ‚Freizeitaktivitäten‘ fernzuhalten und ihnen statt dessen eine würdige und sinnvolle Erholung zu bieten. Aufführungen sind in lateinischer und deutscher Sprache vorgesehen.301 Die Nordhäuser Schulordnung aus dem Jahre 1583 setzt die Theateraufführungen der Fastnachtszeit in deutlichen Kontrast zu den verbotenen ‚Fastnachtsmummereien‘.302 Diese Ordnungen setzen den negativen Fastnachtsumtrieben eine positive Aktivität entgegen. Wirkt dies zunächst rein prohibitiv – die Schüler sollen von den Umtrieben abgelenkt werden –, so ist den Verantwortlichen klar, dass dies alleine nicht ausreicht. Die Aufführung muss wie das Fastnachtswesen auch Unterhaltung bieten, so dass letztlich doch ein Gemeinsames zwischen Fastnachtsumtrieben und Schulaufführung besteht. Offensiv geht diese Frage die auf den Rektor des Breslauer St. Elisabethgymnasiums und Schulinspektor Petrus Vincentius, Schüler Valentin Trotzendorfs, zurückgehende Breslauer Schulordnung von 1570 an. Nach ihr sollte die Aufführungspraxis auch dazu dienen, dass die Schüler mit größerer Freude an ihre Studien herangingen. Dass dies – infolge der Heiterkeit der Handlung – funktioniere, belege die Erfahrung.303 Die Aufführung wird als Lockmittel verstanden, das den Agierenden durch seine Form zwanglos auch den Inhalt des Aufgeführten nahe bringt. Sie erweist sich so in der Sicht der Schulordnung gegenüber anderen pädagogischen Vollzügen, die bloß worthaft verfahren, aber auch besonders gegenüber Zwangsmethoden als überlegen. Neben diesem Hauptvorzug werden die sonst üblich genannten, durch das Theater für erreichbar gehaltenen Ziele aufgeführt: Entwicklung von Aussprache, Gebärden, gutem Auftreten.304 Die Breslauer Schulordnung gibt auch Einblick, auf welche Weise die Schüler des zweiten Ordo das Studium von Terenz und Plautus betreiben sollten. So sollten, nachdem die Schüler die Summe jeder Lektion und die Bezugnahme der jeweiligen Reden aufeinander unter schriftlichem Fixieren der formulae elegantiores gelernt hätten, die Personen der Komödie unter die Schüler aufgeteilt und nach Mittag für ein oder zwei Stunden wiederholt

301 Brieger Schulordnung 1581, in: Vormbaum Bd. 1, S. 317: „Ut igitur Scholasticis omnis vagandi et tumultuandi occasio praecidatur, et tamen honestam relaxationem a seriis studiis habeant, exerceantur tempore Hilariorum in Comoediarum et Tragoediarum actionibus latinis et germanicis ...“ 302 Nordhäuser Schulordnung 1583, 4. Teil IV,6 (Amt der Schuldiener gegen die Bürgerschaft), in: Vormbaum Bd. 1, S. 382. 303 Vormbaum Bd. 1, S. 199: „... das wir, so in Schulen viel Jar gelehret, dieses vielfältig erfaren haben, das viel Ingenia so man weder mit worten noch rutten zu lehre hat bringen können, die sind also durch lustige Action der Personen in Comoedijs bewogen worden, das sie zu den Studijs ein lust gewonnen haben.“ 304 Vgl. Gustav Bauch, Geschichte des Breslauer Schulwesens in der Zeit der Reformation, Breslau 1911, S. 213. Vincentius war zuvor Rektor am Katharineum in Lübeck, wo eine Plautusaufführung durch ihn belegt ist; vgl. Bauch, a.a.O., S. 158.



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werden.305 Im ersten Ordo sollten die Schüler zuweilen eine plautinische Komödie „... distributis personis pro iudicio Praeceptorum außwendig lernen und in der Schulen zu Gelegenheit an stat einer Lection recitiren, auch bißweilen publice mit Vorwissen des Herrn Praesidium [sc. den Vorstehern der Schule] agiren mögen.“306 Die Brandenburger Schulordnung von 1564 steht Aufführungen wohlwollend gegenüber, knüpft diese aber an bestimmte Bedingungen. Die Stoffe müssten keusch sein, als besonders angemessen werden Vorwürfe aus der Bibel angesehen.307 Klingt diese Bestimmung bereits etwas restriktiver, so weist das Faktum, dass die Schulordnung darauf bedacht ist, den Unterricht selbst, von den Aufführungsvorbereitungen frei zu halten,308 in die gleiche Richtung. Die Aufführung steht nach den Schulordnungen im Dienst der in der Schule vermittelten Bildung. Dabei steht das Sprachvermögen einschließlich der Aussprache und das sichere Auftreten und Verhalten, auch mittels Gebärden, im Mittelpunkt. Dies hängt naturgemäß mit der der Schule zugedachten Aufgabe zusammen, geeignete Kräfte für die Verwaltung der Territorien und für das Pfarramt heranzubilden.309 In zweiter Linie kommen moralische Lernziele hinzu. Die Dramen bieten Typen, vorbildliche, die für Tugenden stehen, und abschreckende, die Laster repräsentieren.310 Theologische Motive im engeren Sinne erscheinen in den Schulordnungen nicht. Die eigentliche Heilsfrage, d.h. die Frage der Rechtfertigung kommt nicht in den Blick. Auch das Problem der Anfechtung spiegeln die Bestimmungen der Schulordnungen nicht wider. Ebenso wird keinerlei Verbindung zur kirchlichen Unterweisung der Schule hergestellt. Kontext der Dramen ist ausschließlich der Rhetorikunterricht. Freilich ist zu berücksichtigen, dass die Aufführung selbst eine Eigendynamik entwickeln kann, die aus dem Kontext des Rhetorikunterrichts hinausführt. So dient die Aufführung der Selbstdarstellung der Schule und verhilft auch dem Inhalt des Stückes durch die Darbietung zu stärkerer Wahrnehmung. Auch hier ist also festzustellen, dass die Praxis weiter ging als die Norm. Das düstere Bild, das Sebastian Kreiker über die protestantische Schule als Instrument der Disziplinierung mit Denunziation, Kontrolle, Hierarchisierung und Strafe entwirft,311 soll nicht in Abrede gestellt werden, doch zeigen die Schulaufführungen, dass die Schule nicht darin aufging, sondern mit dem Spiel durch dessen Form, aber auch durch den in den Stücken gebotenen Inhalt über den starren Raum der auf Disziplin bezogenen Erziehung hinausging. 305 Vgl. Bauch, a.a.O., S. 213. 306 Vgl. Vormbaum Bd. 1, S. 204, und dazu Bauch, a.a.O., S. 158. 217. 307 Brandenburger Schulordnung 1564, in: Vormbaum Bd. 1, S. 541: „Non improbamus hunc morem, ut semel in anno actio Comoediae alicuius observetur seu exhibeatur. Sed hic requirimus, ut in huiusmodi Comoediis casta sint argumenta, ex sacris literis fere petita, aut alias ab omni obscoenitate aliena ...“ 308 Vgl. ebd. 309 Vgl. Kreiker, a.a.O., S. 131. 310 Beide Intentionen des Schuldramas nennt auch Hahn, a.a.O., S. 52. 311 Vgl. Kreiker, a.a.O., S. 230f.

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162 Grundlegung Die Frage ist, inwieweit im Rahmen von Schulaufführungen biblische Stoffe zum Tragen kommen. Hahn beobachtet richtig: „Nach den Schulordnungen zu urteilen überwiegen weitaus die lateinischen Terenz- und Plautuskomödien.“312 Von daher kommt er zu dem Schluss, das hinter der Bevorzugung von Terenz und Plautus stehende sprachliche Anliegen habe ein stärkeres Eindringen der deutschen biblischen Dramen verhindert. Für Letzteres bringt er dann einige Beispiele aus Schulordnungen, wobei es sich um lateinische Bibeldramen von Frischlin handelt, aus denen die Schüler gute Sitten lernen sollten. Hahn schließt, auch bei diesen Bibeldramenaufführungen habe das humanistische Anliegen im Vordergrund gestanden.313 Es könnte allerdings sein, dass hinter diesem Ergebnis Hahns zumindest teilweise seine These von einem Einbruch des Humanismus in die christliche Unterweisung steht.314 Diese These bedarf aber erst noch der Überprüfung, einerseits durch Zeugnisse darüber, was an Schulen tatsächlich aufgeführt wurde, andererseits durch eine Analyse der Genera von Dramen, die zur Aufführung kamen. Letzteres soll in dieser Arbeit schwerpunktmäßig im Teil C erfolgen. Hinsichtlich des ersteren seien an dieser Stelle einige Beispiele zur Aufführungspraxis in Städten lutherischen Bekenntnisses im 16. und frühen 17. Jahrhundert genannt. Dies kann hier nur exemplarisch erfolgen. Ist so zwar kein vollständiger Überblick möglich, so doch ein annähernd repräsentatives Bild, insofern Städte aus verschiedenen Teilen Deutschlands, Reichsstädte wie Städte in Territorien, bedeutendere wie unbedeutendere Städte Berücksichtigung finden. Das Thema harrt klar weiterer Bearbeitung. Dazu müssten allerdings andere Aufschluss bietende Quellen wie etwa Kämmereirechnungen herangezogen werden, was den Rahmen dieser Studie sprengen würde. Dass eine regelmäßige Aufführungen vorschreibende Schulordnung für sich genommen keinesfalls eine entsprechende Umsetzung gewährleisten konnte, zeigt ausgerechnet das Beispiel des Magdeburger Gymnasiums im späten 16. Jahrhundert, an dem unter Rollenhagen die Aufführungspraxis in großer Blüte stand. Johann Baumgart spricht 1561 in seinem ‚Iuditium‘ über das Urteil Salomos von dem Wunsch des Magisters und Rektors des Gymnasiums Siegfried Saccus, Baumgarts Spiel „... fÜr einem Erbarn Rath... zu gewÖnlicher zeit / auffm Radhause / nach altem gebrauch der Schulen / zu Agiren“315 Die Aufführung soll dazu dienen, die Fortschritte der Schüler im Lernen, in Rede, Disputieren, Deklamieren den Schulherren vorzuführen; dazu solle zumindest ein lateinisches Drama im Jahr aufgeführt werden. Später solle vor dem ganzen Rat zum gleichen Zweck in deutscher Sprache gespielt werden.316 Hier wird im Sinne der Schulordnung von 1553 312 Hahn, a.a.O., S. 51. 313 Vgl. a.a.O., S. 52. 314 Vgl. Hahn, a.a.O., S. 81; vgl. S. 94. 99. 104ff, bes. S. 106: Mit dem Humanismus hat der Moralismus in den christlichen Unterricht Einzug gehalten. 315 Baumgart, Iuditium. Das gericht Salomonis, o.O. 1561, Widmungsrede, ) ( IIIa. 316 Baumgart, a.a.O., A Ia: „Vnnd das auch solcher Profectus [sc. der Jugend im Lernen, in Rede, Disputieren, Deklamieren] den Schulherrn selb kundig werde / wirt im jare auffs wenigs ein Latinische



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vorausgesetzt, dass es ein festes Datum für Aufführungen gibt, als Ort wird das Rathaus genannt. Die Wirksamkeit dieser von der Schulordnung vorgesehenen Praxis erwähnt Georg Rollenhagen in der Widmungsrede zu seinem 1569 erschienen Abraham: Gott habe ihn „... in der lÖblichen Schulen der alten Stadt Magdeburgk fÜr einen Collegam wissen vnnd gebrauchen wÖllen. Jn welchs nun viel Jahr nach ordnung jhrer wolgefasseten statuten vnd Schulgesetzen / das Comoedien / Tragoedien vnnd der gleichen Actionen in Lateinischer vnd Deutscher Sprach zu recitiren gebreuchlich gewesen...“317 Für 1576 ist ein weiteres Zeugnis Rollenhagens verfügbar, der notiert, man sei in Magdeburg gewohnt, jährlich zwei Komödien, eine lateinische im Herbst für die Schüler und eine deutsche im Sommer für die Bürgerschaft zu spielen – entsprechend der Schulordnung von 1553.318 Einer seiner Schüler, Ambrosius Pape, beklagt aber im Jahre 1602 in der Widmungsrede zu seinem David-Drama, die Schule habe dem Rat und der Bürgerschaft „in etlichen Jahren keine Action exhibiret.“319 Als Ursache für das Nachlassen bei den Aufführungen vermutet er, dass kein Stück zur Verfügung gestanden habe, zumindest kein neues, das nicht schon aufgeführt worden wäre. Aus diesem Grunde fühle er, Pape, sich berufen, ein neues aufführbares Drama zu schreiben, womit er an frühere Aktivitäten anknüpfe.320 Papes Bemerkungen zeigen, dass die Konzeption und Durchführung von Aufführungen faktisch dem Belieben und der Begabung des Lehrers überlassen war. Rollenhagen selbst beklagt im Jahre 1590 in seiner Vorrede zum Drama vom reichen Mann und armen Lazarus strukturelle Probleme, die regelmäßige Aufführungen erschwerten: „Man kan aber in vnsern Deutschen Landen solche spiel, insonderheit mit vielen Personen vnd handlungen, nicht offt gebrauchen vnd in stetiger vbung behalten, weil nicht allein die grosse vnlustige mühe mit verspildung vieler guter zeit in anweisung der vnerfahrnen Jugend vnd die vielfeltige vnkosten zu mancherley geringschetziger, aber dennoch nothwendiger zurüstung vnd der Personen vnterschiedlicher Manier von dem grösten hauffen wenig geacht vnd selten gebörlich belohnet wird, sondern weil man auch bey vns nach der Griechen vnd Römer gewonheit keine besondere Theatra vnd spielplätze hat, darauff eine grosse gemeine Volcks ordentlich vnd bequemlich sitzen vnd one hindernis zusehen vnd zuhören köndte.“321 Comedien oder Action, der Jugend auff Herrn Mess / fur den Schulherrn zu agiren aufferlegt. Vnd damit letzlich auch ein gantzer sitzender Rath (was des jars vber bey seinem Regiment die Schule zugenommen) spÜren /hÖren vnd sehen muge / wirt die Jugend mehr darzu gehalten / das die eine Deutsche Comedien auffm Rathause fur allen Herrn auch agiren vnd spielen muss.“ 317 Georg Rollenhagen, Abraham, Hildesheim 1603, Widmungsrede, A Va. Die Widmungsrede stammt aus dem Jahre 1569. 318 Vgl. Georg Rollenhagen, Tobias, Widmungsrede, in: Georg Rollenhagens Spiel von Tobias 1576, hrg. v. Johannes Bolte, Halle a.S. 1930, S. 3. Vgl. Vormbaum Bd. 1, S. 418. 319 Ambrosius Pape, David Victus et Victor, Magdeburg 1602, A VIa. 320 Vgl. ebd. und A IIIIb. 321 Georg Rollenhagen, Spiel vom reichen Manne und armen Lazaro 1590, hrg. v. Johannes Bolte, Halle a.S. 1929, S. 3.

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164 Grundlegung Dies, so Rollenhagen, habe wiederum Folgen für die Aufführungen: So geschehe es nämlich öfter, dass jemand „von gemeinem Pöfel vnsinnig zufellet“ und dabei die vornehmen Ehrenleute der Obrigkeit, aber auch die Darsteller „gantz vnd gar also verunruigt“.322 So drohe die ganze Aufführung, alle Mühen und Unkosten, in Gespött, Lärm und Tumult aufzugehen.323 Abträglich sind nach Rollenhagen zunächst die hohen Aufwendungen für eine Aufführung in zeitlicher und monetärer Hinsicht. Eine qualitativ hochwertige Aufführung bindet für einen längeren Zeitraum erhebliche Kräfte und verursacht auch gewisse Kosten, die vor einer Ausweitung der Praxis zurückschrecken lassen. Eine weitere Ursache stellt das Faktum dar, dass es keine für Aufführungen geeigneten Baulichkeiten gibt, die ein geordnetes Zusehen und Zuhören gewährleisten, keine Bühnen, die diese Teilnahme ermöglichen würden. Hinzu kommt ferner die disparate Zusammensetzung des Publikums mit offensichtlich unterschiedlichen Erwartungen und ebenso unterschiedlichem Sozialverhalten. Die dadurch bedingte Unruhe bei der Aufführung ist für Rollenhagen ein Indiz für die mangelnde Wertschätzung der Aufführung, der Spieler, aber auch des Theaters allgemein und der Kunst des Verfassers durch einen Teil des Publikums. Als Ursache dieser Nicht-Wertschätzung macht er die fehlende Bildung dieses Teils der Zuschauer aus. Während andere Vertreter des protestantischen Dramas sich gerade zum Ziel setzten, mit Aufführungen einfache Menschen zu erreichen, hält der vornehmlich vom Humanismus geprägte und dem vornehmen Magdeburger Bürgertum verpflichtete Rollenhagen dies offensichtlich von vornherein für ausgeschlossen. Für die Reichsstadt Ulm sind zahlreiche Aufführungen biblischer Geschichten belegt, die von Lehrern der Lateinschule durchgeführt wurden. Der langjährige Schulleiter, Martin Balticus (1532–1601), der wegen seiner reformatorischen Anschauungen aus Bayern ausgewiesen wurde und von 1559 bis 1593 das Amt des Rektors innehatte, verfasste selbst mehrere biblische Dramen: zwei Dramen, die die Joseph-Geschichte zum Gegenstand haben, das eine erstmals veröffentlicht 1556, das andere 1579, ferner einen ‚Daniel‘, erschienen 1558, eine ‚Geburt Christi‘ von 1588 und ein Drama ‚Sanherib‘ aus dem Jahre 1590. In seiner Komödie ‚Iosephus‘ legt er dar, er sei es schon längst (iampridem) gewohnt, mit seinen Schülern um derentwillen geistliche Stoffe in eine dramatische Gestalt zu transponieren.324 Er hatte offenbar ein vehementes Interesse an der Theater-Praxis und inszenierte auch zahlreiche Dramen anderer Autoren.325 Aber ebenso in der Folgezeit, unter den 322 A.a.O., S. 4. 323 Vgl. ebd. – Er fügt ebd. hinzu, der große Haufen schaue ohnehin nur darauf, ob Tische oder Bänke zu Bruch gingen oder sonst etwas zu beklagen oder zu belachen wäre. 324 Balticus, Iosephus, Widmungsrede, A 5b: „Cùm ergo historiarum et praecipuè sacrarum tanta sit dignitas et utilitas, ego consueui iàmpridem discipulorum meorum habens rationem aliquot sacras historias in formam Dramaticam redigere.“ Zu Balticus vgl. Franz Müller, Die Schulkomödie in Ulm, Ravensburg 1926, S. 6–9. 21–27, zu seinen Werken s. ferner Goedeke, Grundriß Bd. 2, S. 141 (§ 115, Nr. 45). 325 Vgl. Barbara Filtzinger, Ulm, eine Stadt zwischen Reformation und Deißigjährigem Krieg, Diss. München 1993, Bd. 2 Anhang, S. 185f., nennt folgende Aufführungen, die alle unter Martin Bal-



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Rektoren Johann Baptist Hebenstreit und Johann Konrad Merk, die allerdings selbst keine Dramen verfassten, sind zahlreiche biblische Aufführungen belegt.326 An der Ulmer Lateinschule wurden zunächst nur lateinische Stücke aufgeführt, bevor man auch deutsche Inszenierungen anging.327 So fertigte Balticus selbst auf Anfrage eine Übersetzung seines ersten Joseph-Stückes an, die 1579 in Ulm erschien. Dieses Drama wurde lateinisch und deutsch in der Schule und außerhalb gespielt, und zwar im Schuhhaus, dem Verkaufshaus der Schuhmacher, in dessen Obergeschoss ein Festsaal untergebracht war.328 Trotz seiner zutiefst humanistischen Neigungen bejahte Balticus die volkssprachlichen Darbietungen. Andere Kollegen wie auch die Mitglieder des geistlichen Ministeriums sahen das freilich anders, im Jahre 1585 votierten sie für ausschließliche Aufführungen in lateinischer Sprache. Vehementer Befürworter einer deutschen Spielpraxis blieb hingegen stets der Rat, der in dieser Hinsicht zumal am längeren Hebel saß, auch als Johann Konrad Merk in mehreren Anläufen versuchte, die Praxis deutscher Aufführungen zu unterminieren, wohl weil die Schule um eine Verbesserung des lateinischen Sprachvermögens der Schüler besorgt war.329 In Bezug auf Merks Haltung dürfte der starke Einfluss des ausschließlich lateinisch orientierten Straßburger Theaterwesens ausschlaggebend gewesen sein.330 Die Dramatisierungen einiger biblischer Geschichten verfolgten besonders den Zweck der Moraldidaxe, wie diejenigen der Tobias-, der Susanna-, der Josef-Geschichte oder der Erzählung vom reichen Mann und armen Lazarus. Allerdings verhält es sich nicht so, dass diese Dramen in Moraldidaxe aufgingen, boten doch die Handlungen der Geschichte von Josef oder vom reichen Mann und armen Lazarus stets auch Gelegenheit, auf das Feld von Trost in Leiden und Anfechtung zu berühren oder den Glaubensbegriff auszulegen. Umgekehrt lag der Schwerpunkt eines Dramas wie ‚Beel‘ – es handelt sich um Sixt Bircks Stück, das im Jahre 1615 aufgeführt wurde – nicht in der Vermittlung von angemessenem ethischem Verhalten. Es war der Frage nach dem wahren Glauben, der ticus zustande kamen: 1560 Josef (wohl Balticus’ Stück); 1566 Tobias – Müller, a.a.O., S. 6f., nennt als Aufführungsjahr 1564, das Stück der Aufführung von 1566 sei nicht zu ermitteln –; 1579 Josef; 1581 Daniel (vermutlich Balticus); 1584 Tobias; 1587 Zieglers Immolatio Isaac, 1588 Die Geburt Christi (sicher Balticus, lat. Titel ‚Christogonia‘), 1589 Zieglers Infanticidium, und Sanherib (vermutlich Balticus’ Drama); 1591 Josef; 1592 De diluvio (über die Sintflut). Müller, S. 8, nennt für 1585 noch eine unbekannte Aufführung. 326 Vgl. Filtzinger, a.a.O., Bd. 2 Anhang S. 186; Bd. 1 S. 274 Anm. 78. Im Jahre 1601 wurde ein ‚Josef‘ aufgeführt. Johann Konrad Merk, der seit 1606 an der Ulmer Lateinschule wirkte, konzipierte folgende Aufführungen: 1611 Judith (wohl Bircks Stück); 1615 Bircks ‚Beel‘; 1616 Frischlins ‚Rebecca‘; 1617 das Stück ‚Conflagratio Sodomae‘ von Andreas Saurius. Ein Stück ‚De conversione Pauli‘, möglicherweise das von Valentin Boltz, wurde 1613 aufgrund von Bedenken des geistlichen Ministeriums nicht zur Aufführung gebracht; vgl. Müller, a.a.O., S. 10. 327 Vgl. a.a.O., Bd. 1, S. 273f. 328 Vgl. Müller, a.a.O., S. 8. 28. Das Stück über die Geburt Christi wurde in Balticus’ Haus, dem ehemaligen Franziskanerkloster am Münsterplatz, gespielt. 329 Vgl. Müller, a.a.O., S. 28f. 330 Vgl. a.a.O., S. 31. Merk hatte in Tübingen und Straßburg studiert.

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166 Grundlegung dem Götzendienst gegenübergestellt wird, gewidmet.331 Bemerkenswert ist, dass in Ulm auch die deutschen Schulen Aufführungen veranstalteten, und zwar bereits vor Balticus’ Wirken.332 Die Blütezeit dieser Aufführungen fiel in die Zeit der Tätigkeit des Schulmeisters Lampert Baumgartner, in die Jahre 1563 bis 1569.333 Nach der Schulordnung der Lateinschule von 1613 bestand der Nutzen von Aufführungen in der Stärkung des sittlichen Verhaltens und der Verbesserung von Auftreten und Sprechen. Vorgesehen war eine Aufführung im Jahr, jeweils im August.334 Zwei Jahre später wurde allerdings der Beschluss gefasst, nur noch alle zwei Jahre zu spielen. Hintergrund war die Befürchtung, die Schüler würden von ihren Studien abgehalten.335 Die Aufführung des Dramas über die Bekehrung des Paulus im Jahre 1613 war auf Veranlassung des geistlichen Ministeriums abgesagt worden, bezeichnenderweise zu Gunsten von Dialektikunterricht. Offensichtlich herrschte in Ulm ab einem bestimmten Zeitpunkt in Bezug auf das Schultheater ein Kosten-Nutzen-Denken vor, bei dem der zeitliche Aufwand mit dem ideellen Nutzen aufgerechnet und in dieser Rechnung das Theater nicht mehr als selbstverständliches pädagogisches Mittel aufgefasst wurde. Indessen verfügte in der Stadt selbst das Theaterspiel über hohes Ansehen. Die Agierenden der Judith-Aufführung von 1612, genauer die Darsteller der Hauptrollen, erhielten vom Rat für ihr Mitwirken eine eigens angefertigte silberne Medaille. Für diese Aufführung ist auch der Eintrittspreis von 2 Kreuzern belegt; der Preis, der auch beim Auftritt von auswärtigen Komödiantentruppen genommen wurde.336 Barbara Filtzingers Untersuchung zur gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung in Ulm zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg misst dem Schultheater erhebliche Bedeutung für das gesellschaftliche Leben und die Selbstdarstellung der Reichsstadt bei: „Das Schulschauspiel hatte einen großen Einfluß auf die Ulmer Bevölkerung, indem es als repräsentatives Medium der sozial in sich geschlossenen Einrichtung Schule fungierte.“337 Die Ulmer Theaterpraxis ist auch ein Beleg dafür, dass die inszenierten Stücke zwischen den Konfessionen durchaus austauschbar waren. So wurden die Dramen ‚Immolatio Isaac‘ (1587) und ‚Infanticidium‘ (1589) des altgläubigen Augsburger Schulmeisters Hieronymus Ziegler durch Balticus zur Aufführung gebracht. 331 Freilich trat der konfessionspolemische Ton in Merks Version etwas zurück; vgl. Müller, a.a.O., S. 33. 332 Vgl. Filtzinger, a.a.O., Bd. 2 Anhang S. 185f., die unter Rekurs auf Müller, a.a.O., S. 7, folgende Aufführungen nennt: Von Erschaffung und Fall des Menschen (1551; wahrscheinlich das Drama von Valentin Voith aus dem Jahre 1538); Jonas; Sintflut (1554); Von der Stadt Samaria (1555); Hochzeit von Kana (1556; wahrscheinlich das von Rebhun 1538 erschienene Stück); Von dem Propheten Elisa und der armen Witwe (wohl das von Leonhard Culmann 1544 herausgegebene Drama); Susanna (1560); Vom reichen Prasser und dem armen Lazarus (1579). 333 Vgl. Müller, ebd. 334 Vgl. Müller, a.a.O., S. 10. 335 Vgl. a.a.O., S. 11. 336 Vgl. a.a.O., S. 9f. 337 Filtzinger, a.a.O., Bd. 1, S. 274.



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Für die zur Grafschaft Waldeck gehörende Stadt Korbach sind Aufführungen durch Schüler der Stadtschule in den Jahren 1550, 1557 und 1561 im Kloster Schaaken belegt. An einem frühen Sonntagmorgen des Jahres 1559 wurde auf dem Altstädter Kirchplatz durch Schüler der Stadtschule ein Gideon-Drama aufgeführt. Eine Inszenierung der Josephgeschichte wurde im Mai 1572 in der Kilianskirche nach einem Gottesdienst dargeboten. Als Aufführende werden Korbacher Bürgersöhne bezeichnet.338 Besonders trat das 1579 gegründete Korbacher Gymnasium durch Aufführungen hervor. Über Inszenierungen klassischer lateinischer Komödien hinaus scheint es sich bei der Mehrzahl der Darbietungen um Aufführungen biblischer Dramen in deutscher Sprache gehandelt zu haben.339 Belegt sind die Darstellung eines Spiels von Abraham und Isaak im Jahre 1582 und einer Komödie Tobias im Jahre 1586. Mit der Stadt Korbach sind auch einige Dichter geistlicher Dramen verbunden. So verfasste der aus Frankenberg stammende Jurist Abraham Saur unter Verarbeitung eines gleichnamigen Stückes des altgläubigen Kölner Dramatikers Jaspar von Gennep und beeinflusst durch den ‚Hecastus‘ des Niederländers Macropedius eine Komödie ‚Homulus‘. Diese Bearbeitung des Jedermann-Stoffes wurde 1591 mit dem Titel ‚Hecastus‘ in Marburg gedruckt und kam in Korbach zur Aufführung.340 Eine Dramatisierung der Esthergeschichte des Dresdners Andreas Pfeilschmidt, der als Geiger und Buchbinder in Korbach wirkte und 1555 das Bürgerrecht erwarb, wurde von der Bürgerschaft auf dem Marktplatz aufgeführt. Sie erschien 1555 in Frankfurt im Druck.341 Zwei Spezifika sind darüber hinaus für die Praxis des geistlichen Theaters in Korbach bedeutsam: Zum einen zeigt sich eine enge Verbindung zum Grafenhause, die eine Unterstützung der Aufführungen mit sich brachte, die auch Ausrüstungsstücke, Kleidung bis hin zu Bühnenbauten mit einschloss.342 Die gräfliche Familie war bei der Aufführung von Pfeilschmidts Esther zugegen, für die dieser in der Widmungsrede um Unterstützung bei den Requisiten gebeten hatte.343 Zum andern fällt das Engagement der Bürgerschaft für Aufführungen auf, das sich über einen längeren Zeitraum, auch nach der Gründung des Gymnasiums beobachten lässt. Noch gegen Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts existierten in der Umgegend von Korbach Spielgemeinschaften, die Aufführungen auch in einer anderen Stadt wie Wildungen gestalteten.344 338 Vgl. Wolfgang Medding, Korbach, Korbach 19802, S. 185f. 339 Vgl. a.a.O., S. 186. 340 Vgl. a.a.O., S. 186f. Zu Genneps Stück vgl. Wolfgang F. Michael, Forschungsbericht, S. 110f. 341 Vgl. Medding, a.a.O., S. 187. Zu Pfeilschmidt vgl. Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 95f. Das Stück beeinflusste sogar zwei Schweizer EstherDramen, vgl. Michael, Forschungsbericht, Bern u.a. 1989, S. 137. Es ist kritisch ediert in: Andreas Pfeilschmidt, Esther, hrg. v. Barbara Könneker und Wolfgang F. Michael, Bern u.a. 1986. 342 Vgl. Medding, a.a.O., S. 185f. 187. 343 Vgl. Pfeilschmidt, Esther, a.a.O., Beschlussrede, S. 103,2917ff; Widmungsrede, S. 6,52ff. Vgl. dazu die Bemerkungen Könnekers, a.a.O., S. 144. In der Beschlussrede dankt Pfeilschmidt dem Grafenhaus, dem Rat, der die Aufführung zu genehmigen hatte, und dem „Gemeinen Volck“. 344 So führte die Spielgemeinschaft aus Mengeringhausen in Wildungen 1573 eine Komödie ‚Herodes und die unschuldigen Kinder‘ und 1583 ein Drama vom verlorenen Sohn auf. Die Sachsenhäuser

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168 Grundlegung Für die Aufführungen in Spandau wurden von Johannes Bolte wichtige Nachrichten gesammelt.345 So wurde das Weihnachtsspiel von Christoph Lasius 1549 in der Kirche aufgeführt. 1562 wurde es durch Schulmeister und Gesellen wiederholt. Eine Susanna kam 1552 und 1553 in der Pfarrkirche zur Aufführung. 1559 wurde ein Drama vom verlorenen Sohn auf dem Rathaus durch Schulgesellen dargeboten, ein Jahr später folgte die Aufführung eines Stückes über Isaak und Rebekka durch den Schulmeister. Für das Jahr 1570 ist ein Drama über Abraham und Lot, dargestellt durch Schulgesellen belegt. Zur Fastnacht 1584 erfolgte eine Aufführung, die als ‚Daniel und Hausteufel‘ überschrieben war, womit wohl das Drama ‚Hofteufel‘ von Chryseus gemeint ist. Weitere Notizen liegen über die Aufführung einer Komödie in der Kirche im Jahre 1587 vor, über die Darbietung der Geschichte vom Verlorenen Sohn im Jahre 1590 durch ‚Schulherrn‘ in der Kirche, über eine durch ‚Schulherrn‘ dargestellte Komödie im Jahre 1594 und schließlich über die Aufführung einer Komödie von Abraham durch ‚Schulherrn‘ „aus der Kirche“ im Jahre 1597. Einen Überblick über die Theaterpraxis in Breslau hat Gustav Bauch in seiner Geschichte des Schulwesens geboten. Als erste protestantische Darbietung nennt er die Aufführung einer Komödie vom verlorenen Sohn im Jahre 1539, die zu Protesten des altgläubigen Domkapitels führte.346 Ob der ‚Acolastus‘ des Gnapheus die Vorlage bildete oder der ‚Asotus‘ des Macropedius oder vielleicht doch Waldis’ ‚Parabel vom verlorenen Sohn‘, ist nicht bekannt. Für das Jahr 1562, also nach einem recht langen Zeitraum, wird die Darbietung einer deutschen Dramatisierung der Geschichte von Kain und Abel zu den Einweihungsfeierlichkeiten des neuerbauten Gymnasiums St. Elisabeth vermeldet. Bei der Aufführung einer Tragödie von der Enthauptung Johannes des Täufers im Jahre 1573 dürfte es sich um eine katholische Aufführung gehandelt haben.347 Eine ‚Komödie von dem Patriarchen Jakob, Joseph und seinen Brüdern‘ verfasste im Jahre 1580 der aus Spielgemeinschaft gab 1604 ebendort eine Esther-Aufführung. 1616 bot die Spielgemeinschaft aus Freienhagen eine Inszenierung der Hochzeit von Kana dar. Vgl. dazu Medding, a.a.O., S. 186. 345 Vgl. zum Folgenden Johannes Bolte (Hrg.), Ein Spandauer Weihnachtsspiel. 1549, Märkische Forschungen XVIII (1884), S. 109–222. 346 Vgl. zum Folgenden Gustav Bauch, Geschichte des Breslauer Schulwesens in der Zeit der Reformation, Breslau 1911, S. 157–161. 347 Der Charakter dieser Aufführung ist zunächst nicht ganz eindeutig zu bestimmen, insofern als Durchführender von Bauch der „Poet und Rektor zu St. Johannes Johann Seckerwitz“ genannt wird. Zwar könnte es sich bei Johann(es) Seckerwitz um den aus Breslau gebürtigen späteren Greifswalder Poetik-Professor handeln, der in Wittenberg studiert hatte und elegische Dichtungen zu alttestamentlichen Stoffen vorlegte; vgl. Reinhard Müller, Art. ‚Seckerwitz, Johannes‘, DL3 XVIII, Sp. 226, und Theodor Pyl, Art. ‚Seckerwitz, Johannes‘, ADB 33, S. 523f. Jedoch wird von diesem keine Schultätigkeit in Breslau erwähnt. In Bauchs Register wird der von ihm erwähnte Johann Seckerwitz als ‚Domschulmeister‘ geführt. Das Stück wurde dem Domkapitel überreicht und Seckerwitz von diesem ein Honorar zugeeignet. Es war also eine katholische Aufführung. Bei der ‚Tragoedia de sancto Johanne decollato‘ könnte es sich auch um das gleichnamige Stück des eher der altgläubigen Kirche zuneigenden Dortmunders Jakob Schöpper von 1546 handeln. – Ähnli-



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Görlitz stammende Meistersinger Adam Puschmann (1532–1600), ein Schüler von Hans Sachs, der auch als Lehrer tätig war. Dieses Stück forderte die Kritik der lutherischen Pfarrer heraus, die in einem Gutachten obszöne Worte und Gesten bemängelten.348 Dies stellt eines der wenigen Zeugnisse von durch Theologen geübte Kritik an einem konkreten Drama dar. Ein weiteres Zeugnis der ministri verbi von 1582 belegt, dass man Trinkgelage der Agierenden befürchtete. 1583 konnte Puschmann allerdings die Aufführung beim Rat durchsetzen und 1592 erschien das Stück auch im Druck.349 Für die Fastnacht 1590 werden öffentliche Aufführungen von nicht näher bestimmten Spielen und Komödien gemeldet. Erst mit dem Jahr 1599 ist wieder ein bedeutendes Bühnenereignis gegeben. Der poeta laureatus Andreas Calagius, der zuvor Lehrer an St. Elisabeth und an der Magdalenenschule war, brachte eine deutsche Komödie ‚Rebecca‘ zur Aufführung, die sehr stark auf Frischlins gleichnamigem Drama fußt. Im Jahre 1604 veröffentlichte Calagius auch eine Übersetzung von Frischlins ‚Susanna‘. Für 1613 wird die Aufführung eines lateinischen weltlichen Stückes benannt, bei dem eine deutsche Übersetzung des Prologs und der Argumente der Akte gedruckt wurde – vermutlich nahm man sich die Praxis der seit 1597 im Jesuitentheater eingeführten Periochen zum Vorbild. Nach Bauch gab es aber in Breslau noch wesentlich mehr Aufführungen. Zum einen habe es vor dem Amtsantritt von Petrus Vincentius (1569) an beiden protestantischen Schulen Schulaufführungen gegeben, wie ein Zeugnis des Andreas Calagius belege, zum andern sei es kaum denkbar, dass Vincentius, der in Lübeck die ‚Aulularia‘ aufführen ließ, in Breslau keine Aufführungen ausrichtete.350 Als Ursache für die nur geringe Quantität von Nachrichten verweist Bauch darauf, dass lediglich die ein breiteres Publikum ansprechenden Darbietungen deutscher Dramen besonderes Aufsehen erregten, was sich in der Geschichtsschreibung entsprechend niederschlug, während die Aufführung klassischer lateinischer Dramen weitgehend ignoriert worden wären.351 Wenn dem so ist, zeigt sich zugleich, dass die Aufführung eines deutschen Stückes etwas Besonderes und keine alltägliche Erscheinung war. Die Schulordnung hebt eben nur auf die Aufführungen der Palliata ab. Aus der in den 1530er Jahren sich der lutherischen Reformation zuwendenden Stadt Soest, die, offiziell dem Herzogtum Kleve zugehörig, eine relativ unabhängige Politik verches gilt hinsichtlich der 1576 dargebotenen Aufführung einer Komödie von Adam und Eva, an der das Domkapitel beteiligt war. 348 Bauch, a.a.O., S. 159, vermutet die Potipharszene als Hintergrund, die aber – falls sie der Stein des Anstoßes war – in der Druckfassung entschärft worden sei. 349 Vgl. a.a.O., S. 155. 159. 350 Vgl. a.a.O., S. 158. 351 Bauch, a.a.O., S. 157: „Die Belege dafür [sc. Vorstellungen in Breslau] entsprechen leider den vorauszusetzenden Leistungen besonders in dem, was die Wiedergabe klassischer Dramen betrifft, in keiner Weise. Die Darstellung deutsch geschriebener Dramen brachte... die Schuljugend zum öffentlichen, geordneten Gebrauche der Muttersprache, und weil diese Vorführungen einem größeren Publikum zugänglich und verständlich waren, haben auch die Breslauer Chronisten mehr davon Notiz genommen.“

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170 Grundlegung folgen konnte, sind belegt die Aufführung eines Esther-Dramas im Jahre 1569, einer Dramatisierung der Geschichte vom verlorenen Sohn aus dem Jahre 1571, einer ‚Figur von Adam bis auf Christus‘ im gleichen Jahre, eines Dramas über Bel und Draco von 1573. 1582 kam ein Stück über die Geschichte der Zerstörung der Stadt Jerusalem durch Dortmunder Schauspieler zur Aufführung, 1590 eine ‚Comedie Nestoris‘. Die dazugehörigen Gesänge übte der Kantor ein, die Leitung der Spiele fiel dem Schulleiter zu.352 Fasst man die Ergebnisse dieser Betrachtung zusammen, so ergibt sich, dass insbesondere das Schultheater im lutherischen Bereich grundsätzlich weit verbreitet war. Nachrichten finden sich aus Reichsstädten wie aus Städten in Territorien, zuweilen sogar aus kleineren Ortschaften.353 In manchen Schulen wie in Ulm wurde die Praxis aufgrund des persönlichen Einsatzes des Schulleiters entschieden favorisiert. Immer wieder aber sind auf der anderen Seite Lücken zu verzeichnen. In manchen Jahren unterblieben Dramenaufführungen. Offensichtlich galt der entsprechende Aufwand einigen Schulleitern als zu hoch. Für Aufführungen waren die Schulen auf Zuschüsse angewiesen. Zuweilen wird im Epilog eines Dramas dem die Aufführung ermöglichenden Rat gedankt, zuweilen werden dort die zuschauenden Autoritäten um weitere Hilfe gebeten.354 Durch eine Aufführung sollte schließlich der gute Zustand der Schule vor dem Rat und der Bürgerschaft dokumentiert werden; ihr kam auch die Funktion einer Darstellung der Schule in der Öffentlichkeit zu. Sie sollte belegen, dass die bis dato für die Schule getätigten Investi-

352 Vgl. Bertram Haller, Buchwesen, Literatur und Bildung in der Gesellschaft der Stadt Soest während des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, in: Soest. Geschichte der Stadt. Bd. 2. Die Welt der Bürger. Politik, Gesellschaft und Kultur im spätmittelalterlichen Soest, hrg. v. Heinz-Dieter Heimann (Soester Beiträge 53), Soest 1996, S. 711–768. 353 Ein Beispiel ist die von Johann Sanders besorgte Aufführung seines 1588 im Druck erschienenen Dramas über Johannes den Täufer in der Ortschaft Adenstedt bei Peine. Dieses war der einzige Wirkungsort Sanders, der sich in der Vorrede, ) ( Ib, selbst als „Bawrenprediger vnd Torffpriester“ bezeichnet, dem es aber doch vergönnt gewesen sei, dass eine Hand voll armer und vor der Welt verachteter Bauern gewonnen und zu Gott bekehrt worden seien. Das Personenverzeichnis weist 52 Rollen auf (B IIIb). Zu Sanders vgl. Johannes Bolte, Art. ‚Sanders, Johann‘, ADB 30, S. 352f. 354 Vgl. Bertesius, Schalksknecht, Epilog, H IIb; vgl. ferner Daniel Walther, Von der Enthauptung Johannes des Täufers, Erfurt 1559, Epilogus, L IIIb, der dem Rat zu Vacha seinen Dank ausspricht. Georg Müntzer, Vom reichen Mann und armen Lazarus, Magdeburg 1575, dankt in der Widmungsrede, A Va, Bürgermeister und Rat der Stadt Helmstedt, die den „... Gelehrten vnd armen Studiosen mit gunst geneiget“ seien „vnnd solche Gottselige vnd Christliche Conatus mit sonderlichem ernst befÜrdern.“ Johannes Heros, Der irdisch Pilgerer, Nürnberg 1562, Beschlus, F 8a–b, schreibt: „Widerumb wÖlln wir verdienen das Wo wir kÖnnen auf alle mas Vnd bitten hiemit fleissigklich Wolt ob vns halten Vetterlich Den schulmeister vnn die schul gemein Euch lassen so beuolhen sein Das vnser Schul nit wird zerstÖrt Drinn die Jugent wirt fleissig glert / Wie jr bißher habt treulich thon / DarfÜr euch Got geb reichen lon Was wir kÖnnen / das geben wir / Das new gedicht nembt hin darfÜr / Last euch solchs gfalln sambt den fleis So wÖllen wir biß Jar ein news Das schÖner ist / euch dichten zwar.“



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tionen reiche Früchte trugen und somit zu Recht vorgenommen worden waren.355 Dass Schulen und Schüler finanzieller Unterstützung bedurften, dafür sind die Dramen Georg Müntzers und Georg Rollenhagens zur Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus beredte Zeugnisse: Der Reiche ist nicht nur gegenüber dem Armen vor seiner Haustüre geizig, sondern auch gegenüber bedürftigen Schülern und der örtlichen Schule oder einem begabten Studenten356 – eine indirekte Aufforderung an die Patrizier der Stadt, die Schule zu unterstützen; zugleich ein typisches Beispiel für die im Drama im Sinne des Spiegels geübte indirekte Kritik. Viele der genannten Aufführungen hatten biblische Dramen zum Gegenstand. Insofern zeigt sich, dass die Spielpraxis deutlich weiter ging, als die Schulordnungen es, zumeist in Gestalt von Terenz, vorgesehen hatten, weiter auch als Friedrich Hahn in seiner Studie meinte. Damit ist zwar über die Intention der Aufführungen noch nichts gesagt, diese konnte stärker in Richtung einer Moraldidaxe gehen, aber auch in einer Vermittlung von genuin Theologischem bestehen. Schließlich belegt die Betrachtung der Spielpraxis ein Ringen zwischen lateinischen und deutschen Aufführungen. Auch darin zeigt sich ein Oszillieren zwischen humanistischem Ideal und Elitedenken auf der einen Seite und Vermittlung – mutmaßlich religiös-theologischer Inhalte – in die Bürgerschaft hinein auf der anderen Seite. In Rechnung zu stellen sind in dieser Hinsicht nämlich auch die weniger das humanistische Leitbild transportierenden Aufführungen der deutschen Schulen und der Spielgemeinschaften der Bürgerschaft, die zu erforschen allerdings noch erheblicher Bedarf besteht.

f ) Die Verteidigung des geistlichen Dramas bei Ägidius Hunnius Ägidius Hunnius verfasste während seiner Zeit als Professor in Marburg drei lateinische Dramen. In zwei Dramen behandelte er den beliebten Joseph-Stoff, für ein weiteres legte er die Geschichte von Ruth zugrunde.357 Die drei Dramen veröffentlichte er gemeinsam 355 Vgl. Georg Rollenhagen, Tobias, Widmungsrede, S. 4: „... auch jhre Eltern vnd vnterhalter sehen liesse, was sie gelernet hetten vnd was von jhnen weiter zuhoffen were.“ 356 Bei Georg Müntzer, Von dem reichen Mann und armen Lazarus, Magdeburg 1575, 1. Teil Akt III, E IIb–IIIa, bittet ein Kämmerer den Reichen vergeblich um Unterstützung für einen begabten armen Studenten. Der Reiche apostrophiert den Studenten als „faule[n] SchlÜngel“. Vgl. Georg Rollenhagen, Spiel vom reichen Manne und armen Lazaro 1590, Akt III Szene 10, ed. Bolte, Halle a.S. 1929, S. 85f., wo die Kurrende singenden Schüler vor dem Reichen auftreten. Der dritte Sänger spricht dabei den Reichen an (S. 86,2068ff): „Ewr Gnad wissen, wir alle sind Ewer Bürger elende Kind. Was man vns gibt, das gibt man Gott, Das sucht der Rector one spott Vnd lesset wissentlich die Knabn Nicht jr eigen mutwillen habn.“ Der Reiche bringt darob seinen Unmut über Schüler wie Lehrer zum Ausdruck. Vgl. ferner die von Rollenhagen im Anhang gebotene Leichpredigt, a.a.O., S. 159, in der der von den Angehörigen korrumpierte Prediger das Engagement des Reichen für Kirche und Schule betont. 357 Vgl. die Vorrede von Helwig Garthe (Garthius), Hunnius’ Schwiegersohn, zum Tomus quintus et ultimus Operum Latinorum D. Aegidii Hunnii celeberrimi August. Confess. Theologi, Wittenberg

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172 Grundlegung im „Comoediarum Libellus“ erstmals 1586 in Frankfurt. 1593 wurde in Tübingen eine deutsche Übersetzung herausgegeben.358 Hunnius’ Dramen waren offenkundig ein buchhändlerischer Erfolg, wie auch die Existenz weiterer Ausgaben belegt. So gab es Neuauflagen in Straßburg im Jahre 1597 und in Halle im Jahre 1614. Eine weitere deutsche Übersetzung erschien 1602 in Dresden; diese war von dem damaligen kursächsischen Hofprediger Hoë von Hoënegg besorgt worden.359 Den Hintergrund der Straßburger Übersetzung bildete die lateinische Aufführung des Joseph-Dramas dortselbst im Juli 1597.360 Die jüngste Monographie über Hunnius von Markus Matthias geht nicht näher auf dessen Dramen ein. Diese werden von Matthias mit Haustafeln und Predigtreihen als „erbaulich-didaktische Schriften“ eingeordnet.361 Von Hunnius’ Vorwort zum Libellus aus dem Jahre 1584 lässt sich dies noch näher präzisieren. In diesem Vorwort formulierte Hunnius eine Rechtfertigung für seine poetische Tätigkeit: Weder werde durch dieses Tun dem ihm aufgetragenen ‚principale studium‘, das in lectio und meditatio der Bibel und im officium docendi bestehe, Abbruch getan, noch habe er mit dieser Tätigkeit die Schranken seines Amtes überschritten. Vielmehr hätten sich schon vor ihm andere Theologen im Abfassen von Dramen geübt.362 Hochgelehrte Theologen hätten Heiliges in epischer oder elegischer Form wie auch in Dialogen behandelt, immer mit der Absicht, „ ... ut quocunque modo religiosae pietatis semina tenerae iuventuti implantarent.“363 Er sehe darum nicht, warum man dies nicht auch in der komischen Gestalt der Rede (comicum dicendi filum) versuchen könne.364 Ein solches Tun sei dem theologischen Beruf nichts Fremdes, denn auf diese Weise werde der Versuch unternommen, das aus der heiligen Schrift entnommene Thema zu dem Zweck zu behandeln, dass 1609, +3a: „Alterum, quod Lectori scrupulum in hoc Tomo movere possit, Comoedias illas sacras concernit, quas Hunnius noster, cum in Academia et Ecclesia Marpurgensi ... professorem et Ecclesiastem ageret, in publicum edidit.“ Auch diese Bemerkung zeigt, daß das Schreiben von Dramen nicht unangefochten war. 358 Zu den Ausgaben des Libellus Comoediarum vgl. Markus Matthias, Theologie und Konfession, S. 41. 359 Vgl. Goedeke, Grundriß Bd. 2, § 147, Nr. 221 (S. 373). – Eine weitere Übersetzung des Joseph wurde von dem Rektor Andreas Gasmann in Rochlitz zur Aufführung (1603) und in Druck (Leipzig 1610) gebracht; vgl. Goedeke, a.a.O., S. 374 (Nr. 232). 360 Vgl. Goedeke, a.a.O, § 171, Nr. 2 (S. 552). 361 So findet sich lediglich das Fazit, a.a.O., S. 329: „Abgerundet wird das solchermaßen akademische, systematische, exegetische und polemische Werk durch erbaulich-didaktische Schriften (Schulkomödie, Haustafel und Predigtreihe).“ – Der Sachverhalt, dass auf Hunnius’ poetisches Wirken nicht eingegangen wird, ist um so bedauerlicher, als die ansonsten verdienstvolle Arbeit von Matthias, wie der Titel sagt, gerade der „Entstehung einer lutherischen Religionskultur“ gewidmet ist. Leider geht Matthias auf dieses Thema im engeren Sinne aber nur in Kap. 5 („Religiöse Lebensformen“; S. 233–246) ein. 362 Vgl. Ägidius Hunnius, Epistola nuncupatoria zu Iosephus. Comoediae duae, a.a.O., Sp. 833. 363 Ebd. (Forts.). 364 Vgl. ebd. (Forts.).



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es der Jugend so vertraut wie möglich werde.365 Was zuvor der Heilige Geist in der Bibel beschrieben habe, das solle, durch das beneficium comoediae wie in einem klaren Bild ausgedrückt, den Augen und dem Anblick der Menschen dargeboten und dem Gedächtnis tiefer eingeprägt werden.366 Offenbar reagiert Hunnius hier auf Vorwürfe, das Schreiben von Dramen sei einem Professor der Theologie unziemlich, da es nicht zu seinen eigentlichen Aufgaben gehöre und von der Sache wegführe. Hunnius behauptet das Gegenteil: Das Schreiben von Dramen sei durchaus dem Zweck förderlich, der Jugend die Schrift nahezubringen und ihr Samen der religiosa pietas einzupflanzen, worin er das Hauptziel seiner theologischen Arbeit als Professor sieht. Diesem Ziel könne aber auf vielerlei Weise nachgegangen werden, auch durch das Theater, das zudem den Vorteil biete, dass es den Gesichtssinn mit einbeziehe und daher der Inhalt viel tiefer im Gedächtnis verbleibe. So ergibt sich, dass das Schreiben von Dramen für Hunnius keine Nebentätigkeit im Sinne einer von seiner originären und primären Berufung wegführenden Praxis darstellt, vielmehr zielt es in seiner Sicht eindeutig auf das, was den Kern seines Amtes ausmacht, auf die Vermittlung der Schrift und das Erwirken von pietas, insbesondere bei der Jugend. Dies gilt nach Hunnius auch hinsichtlich der Aufführung geistlicher Dramen, wie der Hinweis auf die Nachhaltigkeit derselben belegt. Deutlich wird, dass er keinesfalls eine lediglich literarische Wirkung intendiert, sondern die dramaturgische Wirkung in seine Überlegungen mit einbezieht. Aus diesen Ausführungen erhellt ferner, dass für Hunnius das geistliche Drama wesentlich biblisches Drama ist. Es hat die Schrift zur Grundlage und zielt auf deren Auslegung. Als Vorteil einer Aufführung benennt Hunnius deren Anschaulichkeit und Nachhaltigkeit, insofern lässt sich sagen, dass er die dramatische Darbietung im Sinne einer verlängerten Auslegung oder Applikation auffasst. Hunnius versteht das Drama bzw. seine Aufführung als veranschaulichendes und vertiefendes Medium in Bezug auf die Bibel. Es bzw. sie visualisiert den Inhalt einer biblischen Geschichte und der Schrift überhaupt und leistet auf diese Weise einen Beitrag zu dessen Vermittlung; in Letzterem erkennt Hunnius die Funktion des biblischen Dramas. Mit dieser doppelten Orientierung an der Schrift – sie bildet die Basis, ihre Vermittlung ist das Ziel – entspricht das Drama aber der Predigt. Es lässt sich bei Hunnius analog zur Predigt einordnen, als Predigt anderer Art, ohne dieser gleich zu sein. Diese Analogie erhellt auch daraus, dass seiner Auffassung nach innerhalb der Predigt der Paraphrase eine entscheidende Funktion zukommt, d.h. das entscheidende Element ist der Predigttext selbst, den es zur Sprache zu bringen gilt. In diesem Sinne formuliert Matthias: „Die Paraphrase spricht nicht

365 A.a.O., Sp. 833f.: „Proinde a Theologica professione nihil alieni tractaverit, quia argumentum e sacris Bibliis depromptum hoc fine tractandum suscipit, ut id iuventuti quam familiarissimum evadat.“ 366 Ebd. (Forts.): „Et quod iam ante Spiritus Sanctus in sacro Bibliorum volumine descripsit: idipsum, Comoediae beneficio, velut in illustri imagine expressum oculis et aspectui hominum objiciatur; memoriaeque penitius infigatur.“

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174 Grundlegung über den Text, sondern läßt ihn noch einmal anders reden.“367 Genau dies geschieht aber auch im biblischen Drama; insofern ist es kein Zufall, dass Hunnius sich dieser Gattung bediente und biblische Stücke abfasste. Hinzu kommt allerdings noch ein individuelles Moment. In der Epistola nuncupatoria rechtfertigt Hunnius seine schriftstellerische Tätigkeit auch mit der Bemerkung, es sei unbedingt erlaubt, zuweilen von den schwereren Geschäften eine ehrenhafte und freie Erholung zu genießen.368 Schließlich sage das Sprichwort, ein zu arg gespannter Bogen breche. Dass Hunnius mit der Wertung ‚ehrenhaft und frei‘ auf eine Formulierung Augustins rekurriert, sagt er selbst nicht; sein Schwiegersohn wird in seiner Vorrede zu den Opera latina aber diese Formulierung mit dem Kirchenvater in Verbindung bringen. Für Hunnius ergibt sich die Konsequenz, dass er einen Teil der Zeit, die ihm nach Erledigung seiner gewöhnlichen Pflichten (ordinarii labores) verbleibe, einer schicklichen und ehrenhaften und doch literarischen Erholung (decens ac honesta [literaria tamen] recreatio) zuweise.369 Hunnius widmet sich dem Schreiben von Dramen auch mit der Intention, darin eine Form der Erholung – die zu suchen er für durchaus geboten hält – zu finden. Das Schreiben gilt ihm als ein zweckfreies Tun, das gleichwohl mit seinem Beruf in Verbindung steht, geht es doch aus dem Studium der Schrift hervor. Für den täglich in Lektüre und Meditation mit der Schrift Umgehenden bildet die poetische Beschäftigung mit derselben eine geradezu natürliche Frucht. Kann Hunnius mit dem Verfassen von Dramen seinen literarischen Neigungen nachkommen, so wertet er es zugleich als ein seinem Beruf angemessenes Tun, insofern er sein Amt wesentlich als Lektüre und Meditation der Schrift versteht. Aus diesem Grunde erscheint es ihm unmöglich, sein Tun in irgendeiner Weise als ehrenrührig zu verstehen. Hunnius gibt vor allem zwei Begründungen für das Schreiben von geistlichen bzw. biblischen Dramen. Die eine ist theologisch: Ein Drama soll analog zu Predigt oder Katechese der Vermittlung der Bibel oder der Vertiefung biblischer Inhalte dienen, wozu es aufgrund seiner die Nachhaltigkeit fördernden Anschaulichkeit besonders geeignet ist. Die andere kann als autorenspezifisch bezeichnet werden. Aus einem persönlichen Grund entwickelt ein potentieller Verfasser die Neigung, geistliche Dramen abzufassen. Mit einer dritten geschichtlichen Begründung rekurriert Hunnius auf dramenschreibende Theologen der Kirchengeschichte, ohne allerdings Namen zu nennen. Auf der einen Seite steht der Marburger Theologieprofessor in einer gewissen Verteidigungshaltung, in der seine Profession im Mittelpunkt steht. Inwieweit er wirklich deswegen Angriffen ausgesetzt war, kann ohne Erschließung weiterer Quellen nicht beurteilt werden. Natürlich wäre es tatsächlich denkbar, dass Hunnius an dieser Stelle einen bloßen Topos wiedergibt. Allerdings hebt die übliche Form der Kritik an der Übernahme von Dramen im kirchlichen Kontext meist auf unmoralische Inhalte ab, die mit dem Medium in seiner antiken Gestalt 367 Matthias, a.a.O., S. 236. 368 Hunnius, Opera Latina. Tomus 5, Sp. 833. 369 Vgl. a.a.O.



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verbunden werden und es als solches in den Augen der Kritiker grundsätzlich obsolet machen. Diese Kritik spiegelt Hunnius’ Vorwort nicht direkt wider, wiewohl sie durchaus im Hintergrund stehen könnte. Die Singularität des Angriffs auf den Professor könnte ein Indiz für seine Echtheit sein. Doch ob Topos oder nicht, Hunnius entwickelt von seiner Verteidigung her Ansätze zu einer positiven Konzeption des geistlichen Dramas, die es als die Bibel vertiefendes und die Auslegung in Gestalt von Predigt und Katechese ergänzendes Medium auffasst und entsprechend empfiehlt.

g) Die Konzeption des geistlichen Theaters nach Polykarp Leyser d.Ä. Der orthodoxe Lutheraner und Verfechter der Konkordienformel Polykarp Leyser (1552– 1610)370, wirkte ab 1577 als Generalsuperintendent und Professor in Wittenberg bis zur kirchenpolitischen Wende unter Kurfürst Christian I., ging 1586 nach Braunschweig, wo er ab 1589 das Amt des Superintendenten bekleidete, bis er nach dem Tod Christians nach Wittenberg zurückkehrte (1593). Schließlich wurde er Erster Hofprediger in Dresden. Leyser sah im Theater ein probates Mittel, die gesamte Bevölkerung zu erreichen. Er entwickelte diese Konzeption in seinem Vorwort zu dem 1576 erstmals erschienenen Drama ‚Der christliche Ritter‘ von Friedrich Dedekind für die Neuausgabe von 1590, zu einem Zeitpunkt, als er Superintendent in Braunschweig war. In diesem programmatischen Vorwort, das auch in anderen Dramenausgaben abgedruckt wurde,371 setzt er sich grundsätzlich mit der Frage der Legitimität geistlicher Dramen auseinander. Quintessenz der Ausführungen ist die These, dass das Theater aufgrund seiner Eigenschaften alle Menschen erreichen könne. Von daher sei das geistliche Theater in der Lage, das Evangelium tatsächlich allen denkbaren Adressaten nahe zu bringen, auch jenen, die sich bislang allen entsprechenden Versuchen gegenüber als resistent erwiesen hätten. Leyser knüpft damit an Aussagen an, die bereits im Mittelalter über die Wirkung geistlicher Spiele vorgebracht worden waren.372 Viele Menschen seien des Wortes Gottes überdrüssig. Darum seien die Prediger aufgefordert, diesem Überdruss mit nützlichen Mitteln zu begegnen und das Evangelium auf mancherlei Weise vorzutragen. Es müsse das Ziel sein, dass diese Menschen eine neue Lust am Wort Gottes und am Christenstand gewönnen. Jene Menschen müssten Christus zugeführt und gehalten werden. Leyser vertritt also ein deutlich missionarisches Anliegen. Die Vorgehensweise müsse sein wie in einer Heilbehandlung, bei der einem Kranken seine Arznei nicht schmecke: Die Arznei müsse ihm mit angenehmen Stücken zubereitet

370 Zu Leben und Werk Leysers vgl. Wolfgang Sommer, Art. ‚Leyser, Polykarp‘, RGG4 5, Sp. 302; Karl Friedrich Ulrichs, Art. ‚Leyser, Polykarp d.Ä.‘, BBKL V, Sp. 3–7. 371 Sie erscheint in einer Vorrede zu Georg Pfund‚ Eine Newe Comoedia Von dem jungen Könige Salomone, Frankfurt / Oder 1602. 372 Vgl. Ursula Schulze, Art. ‚Geistliches Spiel‘, RLW 1, S. 685.

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176 Grundlegung werden, so dass sie gerne genommen werde und es zur Gesundung komme.373 So müsse auch die Lehre des Evangeliums den Menschen von den Predigern auf eine neue Form beigebracht werden, „das sie einen newen lust dazu kriegen.“374 Allerdings dürfe es dabei nicht – darin sieht Leyser offenbar eine Gefahr – zu menschlichen Zusätzen zum Evangelium kommen. Auffallend ist, dass Leyser mehrfach den Begriff der ‚lust‘ ins Spiel bringt. Die Botschaft des Evangelium braucht nach Leysers Sicht solche Freude, um wirklich im Menschen verankert zu sein. Diese Freude ist für ihn ein Indiz, dass eine wirkliche innere Beteiligung des Subjekts vorliegt. Äußerer Zwang – hier gibt er sich keinen Illusionen hin – kann dazu keinen Beitrag leisten. Das Drama erreiche jeden, auch verstockt erscheinende Menschen.375 Es bringe großen Nutzen für den gemeinen Mann, weil das mit eigenen Augen Gesehene mehr zu Gemüt gehe und besser im Gedächtnis bleibe.376 Aus diesem Grunde empfiehlt er den Schulmeistern dringend, „... das sie sich nicht schemen / oder die mÜhe verdriessen lassen wolten / diese vnd andere dergleichen Deutsche / so wol als Lateinische Comoedien / jhren Knaben zu lernen vnd zu agiren fÜrzugeben / damit sie alle Jar zun wenigsten ein Comoedien halten mÖchten.“377 In diesem Zusammenhang kommt Leyser auf die Jesuiten zu sprechen, deren Tätigkeit zeige, dass sie diesen Vorteil des Theaters hervorragend verstanden hätten. Als Vorzug von Theateraufführungen nennt er an dieser Stelle deren Nachhaltigkeit. Das Medium sei so stark für die Wirkung des Unglaubens, den die Jesuiten „dem gemeinen Mann also fÜrgetragen fÜr augen stellen / vnd ins hertz einbilden / das es jnen hernacher nimmer-

373 Leyser, Vorrede zu Dedekind „An den Christlichen Leser“, ( ): „So sollen wir vns auch befleissen / das wir solchem eckel vnnd verdrus vnserer ZuhÖrer / mit nÜtzlichen vnnd guten mitteln begegnen / jnen das heilsame Wort auff mancherley weise fÜrtragen / damit sie also einen newen lust dazu bekomen / vnnd wir vnserm Herrn Christo etliche gwinnen vnd erhalten mÖgen. Denn gleich wie ein verstendiger Artzt / wenn er siehet / das sein Patient vber einer Artzney / an welcher jhme doch sein Leben gelegen / ein vnwillen tregt / sich befleissiget / das er die Artzney / mit andern dem Patienten annemlichen stÜcken also zurichte / das er entweder eine lust dazu gewinne / oder zum wenigsten nicht wegwerffe ... Dieser Topos geht ursprünglich auf Lukrez, De rerum natura I, 936–938 (ed. Joseph Martin, S. 35) zurück und wird dann von Quintilian, Institutio oratoria 3,1.4 (ed. Winterbottom, Bd. I, S. 129,22ff) aufgenommen. 374 Ebd. (Forts.): „Also sol auch ein verstendiger Prediger die Lehre des Evangelij also anstellen / damit die Christen einen steten lust dazu haben / oder wo etliche eckel dabey werden wolten / jhnen auff eine newe form (doch ohne Menschliche zusatz) dieselbige beybringen / das sie einen newen lust dazu kriegen.“ 375 A.a.O. äußert Leyser, es müsse „ein rechter Stock vnnd Klotz“ sein, wer durch diese Komödie Dedekinds keine Lust und keinen Eifer zum christlichen Glauben bekäme. 376 A.a.O.: „Denn weil allweg das jenige / so ein Mensch mit eignen augen sihet / einem mehr zu gemÜt gehet / vnd in besserer gedechtnis bleibet / denn was man nur hÖret / so ist kein zweiffel / das solche Comoedien dem gemeinen Mann / welcher sie spielen sehe / grossen nutz bringen wÜrden.“ 377 Ebd.



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mehr / oder ja mit grosser mÜhe heraus genomen werden kan.“378 Entsprechend fragt er, sein missionarisches Konzept propagierend: „Warumb thun denn wir / so das reine vnuerfelschte Wort Gottes haben / dasselbige nicht auch / damit wir ja auff alle mittel vnd wege dem Herrn Christo die Leute zufÜren mÖchten?“379 Als Antwort auf diese Frage kann Leyser nur auf die „nachlessigkeit“ verweisen: Die Kinder der Welt seien klüger und fleißiger als die Kinder des Lichts. Das könne aber keine Entschuldigung sein; vielmehr solle jeder tun, was in seiner Möglichkeit stehe, dass die reine Lehre des Glaubens auch für die Nachkommen erhalten bleibe.380 Diese Äußerung bildet einen der wenigen Belege protestantischer Reaktionen auf das Jesuitentheater, das hier als Herausforderung wahrgenommen wird. Ähnliches findet sich andeutungsweise noch in der Vorrede Heinrich Hirtzwigs zu seinem Lutherdrama von 1617, in der dieser auf die Strategie des Papstes verweist, mittels der den Gesichtssinn reizenden artes die heilsame Lehre anzugreifen. Hirtzwigs Vorhaben ist es, dieser Strategie auf gleiche Weise zu begegnen, also seinerseits das Mittel dieser artes aufzugreifen.381 Das Theater wird in dieser Perspektive als Missionsmittel verstanden, als Mittel, Menschen Christus zuzuführen. So hatte es 1539 schon Wenzeslaus Linck programmatisch festgestellt: Denjenigen, die die ihnen in der Predigt gebotene heilsame Lehre nicht aufnehmen wollten, sollte diese mit verschiedenen Mitteln nahegebracht werden, neben Predigten, Liedern und Sprüchen auch mit der Aufführung von Komödien und Tragödien. Als Adressat nannte er die Welt allgemein und die Jugend im Besonderen. Diese Argumentation vom geistlichen Theater als Lockmittel, die im Bereich der Zürcher Reformation 1549 auch Rudolf Gwalther vorgebracht hatte, ist freilich nicht ganz unproblematisch, setzt sie doch voraus, dass dasjenige, was den Zuschauern vorgeführt wird bzw. was diese primär wahrnehmen, in den Augen der Initiatoren nicht wirklich das ist, was sie zur Darstellung bringen wollen. Letzteres ist zwar präsent in der Vorführung, aber nur verdeckt. Kurz: Die Zuschauer sollen im Grunde getäuscht werden; unter der Hand sollen ihnen Inhalte vermittelt werden, die sie offen nicht entgegennehmen würden. Mithin könnte man sogar von einem Etikettenschwindel sprechen.382 Positiver formuliert ließe sich sagen, die Zuschauer sollen über das von ihnen Wahrgenommene hinausgeführt werden zu anderen Inhalten. Die Frage ist, ob dieses Konzept der Täuschung nicht einen grundsätzlichen Fehler in sich birgt, nämlich dass ein Widerspruch zur Wahrhaftigkeit

378 Ebd. Als Proprium des Jesuitentheaters nennt Leyser dessen Pomp und Pracht. 379 Ebd. 380 Ebd. 381 Hirtzwig, Lutherus, Widmungsrede, A 4a: „Ad quod [sc. dass das Evangelium ausgerissen wird] praecavendum in aliis plurimum contulerit, si artes, quibus Leo ille sanam doctrinam adoriri ac invadere jam olim est solitus, etiamque nunc oppugnat, et in futurum oppugnabit ob oculos positas saepius inspiciamus ...“ 382 Noch in David Wetters ‚Discursus exhibens tres sermones de Comoediis‘ von 1629 ist die Rede von einem ‚heilsamen Betrug‘.

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178 Grundlegung und damit zum Evangelium selbst vorliegt. Auch die hier von Leyser bemühten Jesuiten sahen in der Transformation der Predigt als Theater eine ‚pia fraus‘.383

h) Formen der Begründung des geistlichen Dramas im Luthertum des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts In der folgenden Darstellung sollen Formen der Begründung des geistlichen Dramas und Theaters im Luthertum der konfessionellen Zeit behandelt werden. Dies erfolgt in einer summarischen Weise, es sollen möglichst viele Stimmen zu Wort kommen. Dies bedeutet, dass im Weiteren einerseits Äußerungen aus den in dieser Studie analysierten Dramen Berücksichtigung finden, andererseits andere Stimmen, zumeist von Dramenautoren, eingearbeitet werden. Eine wirklich repräsentative Vorgehensweise – dahingehend, möglichst alle lutherischen Territorien und Städte einzubeziehen – erwies sich dabei nicht als möglich. Sie würde aber auch nicht wirklich weiterführen. Bei der Lektüre besonders der Widmungsreden und Prologe von Dramen, die dem Folgenden zugrunde liegen, ergibt sich ein recht eindeutiges Bild. Formen der Verteidigung, Begründung und positiver Konzeptionen des geistlichen Theaters wiederholen sich weitgehend. Einige Autoren wie der Österreicher Thomas Brunner und der Flacianer Cyriakus Spangenberg ragen dabei mit spezifischen Konzeptionen heraus. Die Darstellung beginnt mit der Entkräftung von Kritikpunkten am geistlichen Drama und wendet sich im Anschluss positiven Argumenten für das geistliche Theater bis hin zu umfassenden Konzeptionen zu. Charakteristisch für diese positiven Argumentationsmuster und Konzeptionen ist, dass Verfasser von Dramen oder andere Befürworter dieser Praxis darüber räsonieren, welche Ziele mit dem Einsatz dieses Mediums erreichbar sind, welche Adressatengruppen sich anbieten, welche Funktion die Praxis in der Kirche einnehmen kann und in welchem Verhältnis das Drama bzw. die Aufführung zur Predigt oder zur Katechese zu stehen kommt. Für die Begründungen eines geistlichen Dramas und Theaters sind mögliche Einwände gegen diese Praxis von erheblicher Bedeutung. Ausgehend von der Widerlegung dieser Einwände haben Verfasser und Befürworter des geistlichen Theaters eigene positive Konzeptionen eines protestantischen Theaters oder zumindest Ansätze zu einer solchen entwickelt. In Bezug auf die von ihnen referierten Kritikpunkte am geistlichen Theater und am Theater überhaupt stellt sich freilich die Frage, ob diese Vorwürfe nicht eher topischen Charakters sind. Dies wäre denkbar, da in den Prologen der als vorbildlich geltenden terentianischen Komödien stets eine Verteidigung des Werkes gegen Kritiker erscheint, eine Praxis, an die Melanchthon in seinen Terenz-Prologen anknüpfte. Auffallend in dieser Hinsicht ist jedenfalls, dass meist die gleichen Einwände gegen diese Praxis vorgebracht werden und dass wir von dieser Kritik stets nur von den Dramenschreibern erfahren, zumindest eine solche Kritik keine eigenen literarischen Werke hervorgebracht zu haben

383 Vgl. Urs Herzog, Geistliche Wohlredenheit, München 1991, S. 60.



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scheint.384 Auf der anderen Seite zeigte schon die Dessauer Auseinandersetzung, dass das Abfassen und Aufführen geistlicher Dramen zumindest in der frühen Zeit im protestantischen Bereich keineswegs völlig selbstverständlich war. Eine Tischrede Luthers belegt ferner Widerstände gegen Terenz-Aufführungen in Schlesien.385 1570 äußert der Lüneburger Rektor Albert Lenicerus Vorbehalte gegenüber Aufführungen, da sie bei der Jugend Frechheit und Zuchtlosigkeit provozierten. Da er aber auch Vorzüge von Darbietungen, die zu freiem Auftreten anleiten könnten, erkennt, rät er lediglich zu Beschränkung und Mäßigung der Aufführungspraxis.386 Dabei plädiert er für Aufführungen geistlicher Dramen, an zweiter Stelle für gereinigte terenzische Komödien.387 Der Hildesheimer Bürger Joachim Oppermann führt im Jahre 1603 ein wahres Panoptikum schädlicher Wirkungen von Komödien auf die agierenden Knaben vor Augen.388 Auffallend bleibt, dass sich bei den Verfassern geistlicher Dramen die rechtfertigenden Bemerkungen und die Widerlegungen von Einwänden gegen Ende des Jahrhunderts mehren. So ist es bemerkenswert, dass ein Dramenautor wie der Braunschweiger Melchior Neukirch in seinem StephanusDrama von 1592 an drei Stellen, in allen Rahmenstücken, auf die Grundsatzfrage eingeht, ob und wenn ja, warum biblische und geistliche Themen auf die Bühne gebracht werden können. Für diese Zeit lassen sich allerdings mögliche Quellen von Kritik an der Praxis des geistlichen Theaters nicht in gleicher Weise namhaft machen. Dies gilt zumindest für den lutherischen Bereich. Dass dies im englischen Puritanismus anders war und auch Synodenbeschlüsse reformierter Kirchen in eine andere Richtung wiesen, ist von dieser Feststellung nicht berührt. Jedoch spricht nichts dafür, die vorgebrachten Einwände gegen das Theater – und entsprechen deren Entkräftung – als konfessionell motiviert einzuordnen. In diesem Falle wären sicher die außen verorteten Theatergegner als konfessionelle Gegner mit entsprechenden Ketzertiteln apostrophiert worden.

384 Vgl. auch die von Joseph E. Gillet, The German Dramatist of the sixteenth Century and his Bible, PMLA 34 (1919), S. 474, aufgeführten Beispiele. 385 Vgl. WA.TR 1, 431,16ff. Nach der dort geäußerten Kritik sollen Christen sich nicht mit ‚Spielwerk‘ eines heidnischen Dichters befassen. 386 Die Bemerkungen Lenicerus’ finden sich bei Karl Theodor Gaedertz, Archivalische Nachrichten über die Theaterzustände von Hildesheim, Lübeck, Lüneburg im 16. und 17 Jahrhundert, Bremen 1888, S. 61: „Laudent actiones Comaediarum et Tragaediarum quicunque volent, ego rarum earundem usum probo, ac probandum esse longo usu didici. Saepius enim magno cum dolore expertus sum, quanta inde Juuentutis petulantia et disciplinae laxatio oriatur. Verum quidem est prodesse eas ad iustam audaciam in animis puerorum confirmandam, sed mediocritatem adhibendam esse suadeo.“ 387 A.a.O., S. 61: „Argumenta harum actionum sint casta, ex sacris literis fere petita, quamuis et Terentianae addi possunt, modo ab omni obscaenitate sint aliena.“ 388 Vgl. Gaedertz, a.a.O., S. 5: Die Knaben würden frech, ungehalten, mutwillig, lernten ‚saufen‘ und ‚fressen‘, achteten die Lehrer nicht, neigten zu sexuellen Ausschweifungen. Ungehorsam und Zuchtlosigkeit hielten Einzug.

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180 Grundlegung Als nicht unmöglich könnte sich prima facie eine Lösung andeuten, nach der unter den Kritikpunkten zu differenzieren ist. So scheint der Vorwurf der Darstellung und Beförderung von Unmoral eher den Verdacht des Topos nahezulegen, da er vorrangig die römischen Komödien, weniger aber die strengeren moralischen Maßstäben genügenden geistlichen Dramen im Luthertum trifft. Hingegen könnte der Einspruch gegen das dem geistlichen Theater zugrunde liegende schriftstellerische Wirken von Pfarrern, Lehrern und Professoren mit der Begründung, sie sollten sich ihren eigentlichen Aufgaben widmen, tatsächlich ein fundamentum in re haben. Dieser Einwand konvergiert mit Klagen darüber, dass die Vorbereitung einer Aufführung zu viele zeitliche Ressourcen binde, die dem Unterricht verloren gingen, und der erhoffte Lerneffekt in keinem Verhältnis zum erforderlichen Aufwand stehe.389 Hier offenbart sich eine rationalisierende Auffassung von Bildung, die die Gestaltung des Unterrichts streng an den Unterrichtszielen orientiert.390 Auch wenn die Beschränkung von Aufführungen sich gerade auch an besonders dem humanistischen Ideal verpflichteten Schulen wie in Straßburg belegen lässt,391 ist sie doch in gewisser Weise Ausdruck einer faktischen Revision des humanistischen Bildungskonzeptes. Dies entspricht dem an Rationalisierung, Professionalisierung und Zweckmäßigkeit orientierten Geist der Zeit.392 Die rationalisierende Haltung spiegelt sich aber nicht nur in der Konzeptionierung des Unterrichts wider, sondern auch in Bezug auf die Ausgestaltung des Lebens überhaupt: Alles als Ablenkendes, Überschüssiges Empfundene soll übergangen werden, nicht weil es als solches schlecht wäre, sondern weil es von dem als Eigentlichen Angesehenen wegführt oder nicht zu ihm hinführt. Deutlich ist, dass in dieser Auffassung die Zeit, aber auch die einem Subjekt zur Verfügung stehenden Kräfte als begrenzt und darum als mit Sorgfalt zu verwaltende Größen wahrgenommen werden. Das Spiel wie auch das Theater kann unter dieser Voraussetzung nur 389 Diese Haltung begegnet ansatzweise bei dem genannten Lüneburger Rektor Lenicerus (1570), der zwar nicht die Aufführungen in toto ablehnt, aber (a.a.O., S. 61) festhält: „Rectoris est uidere, ne his actionibus reliquarum lectionum cursus impediatur, sed iubeat, ut horis succisiuis et vacuis diebus, quando cessatur a praelectione strictiori, edificantur, quae ad talem actionem requiruntur.“ Ein weiteres Beispiel aus dem Jahre 1585 aus Königsberg bietet Barner, Barockrhetorik, S. 308: Die Ablehnung eines Aufführungsantrags erfolgt mit der Begründung, mit den Komödien werde zu viel in der Schule versäumt. 390 Zu nennen wäre hier etwa das Denken, das sich in der Konzeption des Pädagogen Christoph Helwig (1581–1617) spiegelt, der in seiner 1619 veröffentlichten Delineatio Didacticae generalis festhält, dass jegliche Weitschweifigkeit zu vermeiden sei, nichts den Wissenschaften beigemischt werden solle, was nicht zur Sache gehöre, nichts gelernt werde, was wieder vergessen werde und schließlich auch nicht gelehrt werde, was keinen Nutzen habe; vgl. Theodor Ballauf – Klaus Schaller, Pädagogik. Eine Geschichte der Bildung und Erziehung. Bd. II, Freiburg – München 1970, S. 159. 391 Vgl. Manfred Brauneck, Die Welt als Bühne. Bd. 1, Stuttgart – Weimar 1993, S. 546f.: „Um 1600 beanspruchten die Theateraufführungen Schüler und auch die Lehrer... so sehr, daß Klagen über den Verfall der allgemeinen Unterrichtsgestaltung aufkamen.“ 392 Vgl. dazu Heinz Schilling, Das konfessionelle Europa, in: Joachim Bahlcke – Arno Strohmeyer, Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa, Stuttgart 1999, S. 13–62, wo immer wieder die Stichworte „neuzeitliche Rationalität“, „Professionalisierung“ fallen.



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als quantité négligeable in den Blick kommen. Kräfte, Ressourcen sind auf das praktische Leben zu konzentrieren – ein deutlich ökonomisierendes Denken tritt hier hervor. Einen Beleg für eine solche Mentalität in dem hier betrachteten Zeitabschnitt bietet das Tagebuch des Hildesheimer Bürgers Joachim Oppermann aus dem Jahr 1603, wenn er aufzählt, was die verschiedenen Zuschauer einer Aufführung in dem dafür veranschlagten Zeitraum alles hätten erwirtschaften können.393 Diese Sicht verstärkt sich noch einmal, wenn besondere, Kräfte bindende Herausforderungen auftreten, infolge derer sich die reservierte Haltung gegenüber dem Theater potenziert. Deutlich wird dies etwa an der Kritik, der sich nach eigenen Angaben Balthasar Thamme 1594 ausgesetzt sah, weil er trotz der Türkengefahr sein Dorothea-Spiel, das anlässlich des Geburtstages der Dorothea, Herzogin von SachsenWeimar, in Altenburg aufführen ließ. Er rechtfertigt sich damit, dass das Spiel verdeutlichen könne, dass Gott die Seinen nicht verlasse. Er äußert aber auch den Gedanken, dass es legitim sei, Freude zu haben, da gerade so dem Teufel gewehrt werde.394 Noch weitergehende Kritik am geistlichen Theater scheint es zu offenbaren, wenn der genannte Melchior Neukirch in der Widmungsrede zu seinem Stephanus von vergessenen Leuten spricht, die das Abfassen und Darbieten von Dramen als unnötige und schädliche Praxis verwürfen; er bezeichnet diese als Klüglinge.395 Im Prolog konkretisiert er, bei vielen der Kritiker handele es sich um fromme Christen, die Lust hätten zu Gottseligkeit, Zucht und Ehrbarkeit.396 In ähnlicher Weise erwähnt Helwig Garthe, Schwiegersohn des Ägidius Hunnius, im Jahre 1609 „sanctuli“, die alle Aufführungen verwürfen.397 Dies deutet wohl doch daraufhin, dass 393 Gaedertz, a.a.O., S. 5: „Wie mancher lox garns bleibt ungesponnen, Wie mancher Schreiber kont für ein Verschreibung ½ Thlr bekohmmen, Wie mancher Handtwercks Man so vnt so viel verrichten, Wie mancher Taglöhner 3. od. 4. gh. einen Nachmittagk verdienen, Welchs er domit verseumet. Da rechen man durch die gantze Stadt, Es sehen ia alzeit 1000. 1500. 2000 menschen d. Comoedi zu, Ohn die sie nur auf d. gaßen auf vnt abgehen setzen. Diß wurde ein zimblich gelt bringen.“ Schon vorher (ebd.) verweist er auf die Unkosten einer Aufführung für Gewänder, Bühne etc. Eine Aufführung sei „eitel muhe vnt Arbeitt“. 394 Thamme, Dorothea, Prolog, A 8a: „Ob aber jemand hie wolt sagen / Es gescheh zur vnzeit in diesen tagen / Comoedien in der Trawerzeit / Da mÄnniglich tregt hertzenleid / Wegen deß TÜrcken Tyranney Zu spielen solte nicht stehen frey / Der hab von vns jhm den bescheid: Ein jedes ding hat seine zeit / Wir trawren billich allzu gleich / Vnd betn zu Gott im Himmelreich / Daß er dem Teuffel mechtig wehr / Vnd jhm sein macht vnd list zerstÖr / Weil aber Gott vns gÖnnen thut / Jn ehrn zu haben ein frÖlichen muth Zu dieser frist / sol vns die frewden Der Teuffel keines wegs erleiden / Die wir anwenden Gott zu ehren / Der alles wird zum besten keren.“ Vgl. James A. Parente jr., Martyr Drama of the German Renaissance, Yale 1979, S. 177f. 172. 157. 395 Melchior Neukirch, Stephanus. Ein schÖne geistliche Tragedia von dem ersten Merterer im newen Testament / nach der Himmelfarh Christi. Aus dem Buch der Geschichte der Apostel / am vierden / fÜnfften / sechsten vnd siebenden Capitel / in eine Action / Reimßweise / zusammen gebracht. Durch Melchiorem Newkirchen Pastorn der Kirchen Gottes in Braunschweig zu S. Peter, Magdeburg 1592, Widmungsrede, A IIIb–A IIIIa. 396 Vgl. a.a.O., Prolog, B IIb. 397 Vgl. Garthe, in: Ägidius Hunnius, Opera Latina. Tomus 5, Wittenberg 1609, +3a.

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182 Grundlegung sich eine christlich motivierte theaterfeindliche Haltung, die als Substrat wahrscheinlich immer unterschwellig vorhanden war, stärker Bahn gebrochen hat. Möglicherweise werden hier vorpietistische Einstellungen sichtbar, Kreise, denen es um pietas, um Heiligung ging, die mit Ernst Christ sein wollten, ohne dass dabei mystische Vorstellungen im Spiele waren. Auffallend ist nämlich, dass sich Johann Arndt befürwortend zum Schultheater ausgesprochen hat.398 Ein deutlich ökonomisierendes Denken in Bezug auf die Zeit deutet sich im Puritanismus an.399 Aber bereits die Weiterentwicklung des Bereichs der Meditation im Luthertum ging die Systematisierung der Andacht mittels einer Strukturierung des Alltags an.400 Letztlich muss die Frage an dieser Stelle offen bleiben. Zu ihrer Beantwortung müssten weitere Quellen, eben aus der Feder von Vertretern einer solchen mutmaßlichen theaterkritischen Position, beigebracht und erschlossen werden. Damit aber sind bereits die in den Vorworten und Widmungen der Stücke erscheinenden Hauptvorwürfe, die sich die Autoren zu widerlegen anschicken, angestoßen. Es handelt sich um die folgenden Aussagen: 1.) Das Schreiben von Dramen durch einen Pfarrer oder Lehrer führt diesen von seiner eigentlichen Tätigkeit weg. 2.) Dramen bieten unanständige, obszöne Inhalte und stellen schlechte Charaktere dar, was bei der Jugend einen Sittenverfall bewirken muss. 3.) Das Theater ist heiligen Dingen, dem Evangelium unangemessen. Diese grundsätzliche Kritik am Theater wird erhoben teilweise aufgrund der Qualität der Charaktere und deren befürchteter Wirkung, sie verbindet sich darüber hinaus oft mit dem Verdikt des Theaters aufgrund seines Ursprungs aus der heidnischen Antike. Jene Herkunft, so wird geschlossen, muss den Gebrauch des Theaters für christliche Zwecke desavouieren. Das Theater wird letztlich als mit dem christlichen Glauben unvereinbar erkannt, daher darf es auch nicht als christliches Theater für geistliche Zwecke in Anspruch genommen werden.401 398 Arndt verfasste die Vorrede zum 1619 erschienenen deutschen Drama ‚Speculum Juventutis – Jugendspiegel‘ des Lüneburger Superintendenten Friedrich Leseberg; vgl. Goedeke, Grundriß Bd. 2, S. 398 (Nr. 359a). 399 Johannes Wallmann, Art. ‚Pietismus I/1‘, RGG4 6, Sp. 1344: „Sie [sc. die puritanischen Erbauungsschriften] förderten die rel[igiöse] Individualisierung durch Anleitungen zu ständiger Selbstbeobachtung und Gewissenserforschung sowie zu rationaler, die Zeit sorgsam ausnutzender Lebensführung.“ 400 Ernst Koch, Das konfessionelle Zeitalter, Leipzig 2000, S. 257: „Bald [sc. zeitlich nach dem Schrifttum von Philipp Nicolai und den ‚Meditationes sacrae‘ von Johann Gerhard] begann man sich darum zu bemühen, den Umgang mit der reichlich vorliegenden Andachtsliteratur zu methodisieren und zu systematisieren, indem man den Alltag und seine Vollzüge strukturierte.“ Koch scheint diese Entwicklung um 1620 anzusetzen. Elemente dieser Haltung könnten aber schon vorher begegnen. 401 Beide Kritikpunkte – 1) aus hohen ernsten Dingen dürfe kein Spiel gemacht werden; 2) das Theater sei eine heidnische Erfindung – differenziert Cyriakus Spangenberg, Ein christliches Spiel oder COMOEDIA Aus dem Euangelio am Sontage Letare von 5. Gerstenbrodten vnd zween Fischen,



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Die Übergänge zwischen diesen vorgebrachten Argumentationslinien, insbesondere zwischen 2.) und 3.) sind fließend. Das Gleiche gilt aber auch für die von Verfassern und Befürwortern geistlicher Dramen angeführten Beweisgründe, mit denen auf verschiedene Vorwürfe reagiert werden kann. Der erste Kritikpunkt wird verarbeitet bei Ägidius Hunnius, bei Melchior Neukirch in seinem Stephanus-Drama von 1592 und im ‚Eislebischen Christlichen Ritter‘ von Martin Rinckart aus dem Jahre 1613. Auf die Widerlegung dieses Vorwurfes durch Hunnius wurde schon eingegangen, diejenigen der beiden anderen Vertreter werden im Folgenden erläutert. Allen drei genannten Theologen gemeinsam ist, dass sie diesen Einwand durch den Verweis auf andere, oft herausragende Theologen zu entkräften versuchen, die ebenfalls dem Abfassen von Dramen nachkamen, oder dass sie zu bedenken geben, dass diese Praxis schon seit langer Zeit in der Kirche in Geltung stehe. Nach Melchior Neukirch spricht besonders für die geistlichen Dramen, dass selbst ein so hochbegabter Mann und vornehmer Theologe wie Martin Chemnitz († 1586), der in seinem Amt genug zu tun gehabt habe, sich mit dem Abfassen von Dramen befasst habe. So habe dieser ein Spiel vom reichen Mann und armen Lazarus „angerichtet / vnd meist selbst gemacht / Auch dem M. Bergio402 die disposition, vnd meiste anleitung der Comoedien, von dem der vnter die MÖrder gefallen (Luc. 10) gegeben.“ Wenn dieser sich schon nicht zu fein für eine solche Tätigkeit war, sollten sich andere – Lehrer – nicht einer solchen Tätigkeit schämen.403 Martin Rinckart antwortet in seiner Vorrede zum ‚Eislebischen Christlichen Ritter’ von 1613404 auf den Einwand, das Schreiben von Dramen gehöre nicht zu den eigentlichen Aufgaben des Pfarrers,405 durch den Hinweis darauf, dass schon vor ihm vortreffliche Leute in Kirche und Schule diese Art zu lehren sowohl in deutscher als auch in lateinischer Sprache betrieben und auch andere zu solcher Übung der Gottseligkeit ermahnt hätten.406 Schmalkalden 1590, Widmungsrede, A IIIa. IIIIb. Er klassifiziert sie als Kritik der ‚Welt‘ am geistlichen Drama. Den ersten der beiden Punkte erwähnt Spangenberg auch in seiner Vorrede zu Andreas Hoppenrodt, Das Gulden Kalb, Straßburg 1563, Aa Ib–IIa. 402 Gemeint ist Mathias Bergius, seit 1566 Rektor des Braunschweiger Katharineums, der 1582 wegen ‚calvinistischer‘ Neigungen sein Amt aufgeben musste; vgl. Wolfgang A. Jünke, Martin Chemnitz, Bischof der Stadt Braunschweig, in: Der zweite Martin der lutherischen Kirche, hrg. vom Ev.-luth. Stadtkirchenverband Braunschweig und der Propstei Braunschweig, Braunschweig 1986, S. 301ff. 403 Vgl. Melchior Neukirch, Stephanus, A VIa–b. – Spuren einer solchen Tätigkeit von Chemnitz konnten indes nicht nachgewiesen werden. 404 Der Eislebische Christliche Ritter von Martin Rinckhardt, hrg. v. Carl Müller, Halle a.S. 1884. 405 A.a.O., S. 9. 406 Ebd.: „... vnd in gemein diese Art zu lehren, mir nicht allein meines gleichen arme StÜmper, sondern auch wol vortreffliche Leute inn Kirchen vnd Schulen, als Hunnius, Gesnerus, Cramerus, Försterus, Jenisius vnd andere so wol in Deutscher als Lateinischer Sprach sind vorgegangen, vnd mich vnd andere, so nicht so hohen AmptßgeschÄfften, Kunst vnd Gaben von Gott versehen vnd beladen, zu solchen vnd dergleichen geringer vbungen der Gottsehligkeit, gar ernst vermahnet.“ Es folgen Auszüge aus der Vorrede Leysers.

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184 Grundlegung Dabei nennt er Ägidius Hunnius (1550–1603), den aus Schlesien stammenden Wittenberger Theologieprofessor Salomo Gesner (1569–1605), den zeitweilig als Theologieprofessor in Wittenberg lehrenden, späteren Mansfelder Generalsuperintendenten Johann Förster (1576–1613)407, Verfasser eines ‚Theatron Christianae iuventutis novum‘ (1604), sowie die Namen Cramerus und Jenisius – vermutlich handelt es sich um Daniel Cramer (1568–1637), Verfasser lateinischer Dramen und Professor für Logik in Wittenberg408, und Paul Jenisch (Jenisius; 1551–1612), der in Wittenberg studierte und als Konrektor und Rektor an der Schule seiner Heimatstadt Annaberg, ab 1596 als Superintendent in Eilenburg und von 1603 an als Hofprediger in Dresden wirkte, wo er 1610 zum ersten Hofprediger in Nachfolge Polykarp Leysers d.Ä. aufstieg.409 Die Berufung auf Gesner ist insofern pikant, als der spätere eifrige Theatergegner Joachim Schröder in Rostock 1642 diesen in gleicher Weise für seine grundsätzliche Kritik am Theater in Anspruch nehmen wird, dabei rekurrierend auf eine 1636 posthum in Hamburg erschienene ‚Oratio de personis sive larvis‘.410 Als weiteren Kronzeugen führt Rinckart den Braunschweiger Superintendenten Polykarp Leyser an, und zwar dessen bereits genanntes Vorwort zu dem mehrfach aufgelegten Drama Friedrich Dedekinds ‚Miles christianus‘ mit der Quintessenz des zum locus classicus für die Begründung des geistlichen Dramas avancierenden Verses Kol 3,16 und dem daraus gezogenen Schluss: Das Wort Christi soll reichlich unter uns wohnen, „es geschehe auff was Art unnd Weise es immer wÖlle.“411 Andere Dramenautoren versichern, das Schreiben und Aufführen geistlicher Dramen sei in der Geschichte der Kirche immer gängige Praxis gewesen. Christoph Stymmelius weist in seinem Abraham-Drama 1579 darauf hin, dass schon Gregor von Nazianz, ein Theologe κατ’ εξοχήν, ein Stück ‚Der leidende Christus‘ geschrieben habe. Das Gleiche äußert Cyriakus Spangenberg.412 Öfter wird auf die alttestamentlichen Schriften Judith und Tobias und dabei auf Luthers Vorreden zu diesen Büchern hingewiesen.413 Melchior 407 Zu Förster vgl. Reinhard Müller, Art. ‚Förster, Johann‘, DL3 Ergänzungsband III, Sp. 645. 408 Vgl. den Art. ‚Cramer, Daniel‘, DL3 II, Sp. 801ff. 409 Sein Nachfolger wurde Matthias Hoë von Hoënegg. 410 Vgl. Karl Theodor Gaedertz, Archivalische Nachrichten über die Theaterzustände von Hildesheim, Lübeck, Lüneburg im 16. und 17. Jahrhundert, Bremen 1888, S. 38f., und dazu Ernst Hövel, Der Kampf der Geistlichkeit gegen das Theater in Deutschland im 17. Jahrhundert, Münster 1912, S. 54f. 411 Rinckart, a.a.O., S. 9f. 412 Vgl. Stymmelius, De immolatione Isaac, Epistola dedicatoria, α 5b; Cyriakus Spangenberg, Comoedia Ein geistlich Spiel vom Euangelio am Sontage Oculi von dem besessenen tauben vnd stummen Menschen, Schmalkalden 1590, Widmungsrede, A Vb, der ebd. auch vermutet, die Abfassung und Aufführung geistlicher Dramen sei zur Zeit Gregors ein verbreitetes Phänomen gewesen. Vgl. A IIIb: „Vnd ist gleublich / das zu allen zeiten solche geistliche Spiele bey Gottes Volck im gebrauch gewesen ...“ – Die Autorschaft des Nazianzeners ist nicht unumstritten; das Werk findet sich in PG 38,133–338. 413 Vgl. Heinrich Eckstorm, Mauritus. Eine newe TragÖdia / Von dem lÖblichen Keyser Mauritio / wie er in warer erkentniß seiner SÜnde / vnd bestendiger gedult / beneben seiner Gehmahlin und



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Neukirch stellt über die Bemerkungen des Reformators hinaus fest, dass sollte diese Praxis nicht rechtens sein, „... der heilige Geist sich des gewislich wÜrde enthalten / vnd solchen gebrauch in die Kirchen Gottes nicht eingefÜhret / noch Gottes Volck denselben zu jederzeit behalten haben ...“414 Das Schreiben und Aufführen geistlicher Tragödien und Komödien könne nichts Verwerfliches sein, da es sich sonst nicht in der Geschichte hätte behaupten können. Auffallend ist, dass Neukirch das Zurückgehen dieser Praxis beklagt. Er merkt an, als Schüler selbst bei solchen Aufführungen mitgewirkt und dies auch in seinem Studium an der Universität Rostock fortgesetzt zu haben415 – ein Beleg unter anderen dafür, dass das Mitspielen bei einem Schüler einen derart starken Eindruck hinterließ, dass er später, in arrivierter Position, selbst zum Befürworter der Theaterpraxis und zum Dramatiker wurde.416 Darüber hinaus findet sich, wie erwähnt, bei Ägidius Hunnius die weitergehende Argumentation, das Schreiben von Dramen ziele auf das, was den Kern seines Amtes ausmache, nämlich der Jugend die Schrift nahezubringen und ihr Samen der religiosa pietas einzupflanzen. Aus dieser Formulierung spricht stark der Theologe. Ähnlich, aber mehr auf den moralischen und geistigen Nutzen von Dramen abhebend, äußert sich der im thüringischen Kammerforst als Rektor tätige Johannes Bertesius in seinem Drama ‚Regulus‘ aus dem Jahre 1606.417 Bei Hunnius wie auch bei anderen Autoren erscheint Kindern / von dem Tyrannen Phoca vmb das Leben gebracht / NÜtzlich zu spielen vnd zu lesen. Gestellet durch Henricum Eckstormium M., Halberstadt 1593, A IIIa; ferner: Friedrich Dedekind, Miles christianus Der christliche Ritter. Jn ein Geistlich Spiel oder Comoedien / darinnen der gantz lebenslauff eines Christen Menschen aus der Epistel Pauli Ephes. 6. sehr lustig fÜrgebildet wird / verfasset durch M. Fridericum Dedekindum. Nun aber augiret vnd agiret Zu Braunschweig / im Februario / Anno 1604 Durch M. Johannem Bechmanum R. Der Schulen zu S. Catharinen, Braunschweig 1604, Vorrede Dedekinds von 1590 (2), und Melchior Neukirch, a.a.O., A IIIa– IIIIa. Letzterer verweist mit Luther darauf, dass Christus selbst in Parabeln gelehrt habe, da er gewusst habe, dass dies viel Frucht bringe. Tobias Kiel, Davidis aerumnosum exilium et gloriosum effugium, Erfurt 1620, Widmungsrede, A IIIa, spricht vom alten Brauch biblischer Komödien unter Hinweis auf Tobias, Susanna, Joseph, Esther und Rebekka. Vgl. ferner Georg Rollenhagen, Tobias (1576), ed. Johannes Bolte, Prologus, S. 9,17ff, und Johann Baumgart, Iuditium. Das gericht Salomonis, 1561, Widmungsrede, ) ( IIIIa–b; Cyriakus Spangenberg, Von dem besessenn tauben vnd stummen Menschen (1590), A IIIb–Va. Der lutherische Pfarrer Ludwig Hollonius geht auf die Frage in seiner Komödie ‚Somnium Vitae Humanae‘ ein, in der er festhält, die Praxis der Abfassung von Komödien sei von den vornehmsten Theologen nie missbiligt worden; es folgt der Hinweis auf Luther; vgl. Richard E. Schade, Martin Böhme and Ludwig Hollonius: Lutheran Apologists for Drama, Modern Language Notes 92 (1977), S. 592. 414 Neukirch, a.a.O., A IIIIa. Dasselbe – an sich nicht protestantische – Argumentationsschema gebraucht Luther selbst bei seiner Verteidigung der Kindertaufe in der Schrift ‚Von der Wiedertaufe an zwei Pfarrherrn‘ (1528); vgl. WA 26, 167,20ff. 415 Vgl. a.a.O., A Va–b. 416 Ein anderes Zeugnis dafür bietet der Breslauer Lehrer und Dramatiker Andreas Calagius; vgl. Gustav Bauch, Geschichte des Breslauer Schulwesens in der Reformation, S. 159. 417 Vgl. Bertesius, Regulus. Comoedia: Ein schÖn Geistliches Spiel / aus dem Euangelio Johannis am 4. Capitel. Von dem KÖnigischen / des Sohn kranck lag zu Capernaum, Leipzig 1606, A IIIIa–b.

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186 Grundlegung ferner der Gedanke, dass das Schreiben von Dramen ebenso in Bezug auf die Verfasser selbst positive Wirkungen zeitige. Es diene auch dem Zweck der Erholung. So hat Heinrich Eckstorm im Schreiben seiner Tragödie ‚Mauritius‘ (1593) Ergötzung neben seinen studia suchen wollen.418 Georg Rollenhagen sagt aus, er habe sein Abraham-Spiel an den Weihnachtsfeiertagen, wo er von seiner „Schularbeit“ befreit war, überarbeitet, und Melchior Neukirch äußert über den Zweck seines Dramenschreibens: „Zu dem dienet mirs dazu / das wenn ich vber dem studio Theologico, darinne ich mich zum meisten / meiner Profession nach exercire, bissweilen mÜde werde / Jch mit diesen vnd dergleichen Exercitijs, vnd sonderlich mit dem studio Historiarum, vnd Poëseos widerÜmb belustige.“419 Das Schreiben dient ihm einerseits zur Erholung, andererseits geht es aus dem Studium der Schrift – dieses setzte es voraus – hervor und bildet so eine Frucht desselben, den Ertrag eigener Weiterbildung. Neukirch berichtet in diesem Zusammenhang auch, dass sein Stephanus-Drama aus seiner Beschäftigung mit dem Text im Rahmen der Predigtvorbereitung hervorging.420 Das Abfassen von Dramen kann so auch als – eher beiläufiger – Ertrag theologischer oder historischer Studien beschrieben werden. Christian Schoen formuliert 1599 in seinem Isaak-Drama, dass ihm die Versifizierung biblischer Geschichten „zur Gottseligen Erinnerung“ dieser Geschichten diene.421 Die poetische Tätigkeit vertieft also auch dem Autor selbst den zugrunde liegenden Stoff. Dessen ungeachtet braucht die Abfassung eines Dramas Zeit und Ruhe, wie das Beispiel Rollenhagens zeigt. Johann Baumgart spricht 1561 davon, dass er sein Salomo-Drama innerhalb von zwei Wochen geschrieben habe. Er versichert, dass er dabei aber nicht seinen – eigentlichen – Dienst vernachlässigt habe,422 was fast wie eine Entschuldigung klingt, jedenfalls in gewisser Weise dem Vorwurf, das Verfassen von Dramen gehöre nicht zu den originären Aufgaben eines Lehrers oder Pfarrers, Recht gibt. In ähnlichem Stil äußert Martin Behm 1618, dass er zur Erholung des Gemüts von den Sorgen des Amts Dramen geschrieben habe, und zwar 418 Vgl. Eckstorm, a.a.O., Vorrede, A IIIIa, der von der Zeit vor seiner Berufung zum Predigtamt spricht: „... habe auch keinen Ruhm / sondern vielmehr eine ergetzung / neben meinen Studijs in solcher vnansehnlicher vbunge suchen wollen.“ – Vor dem hier betrachteten Zeitraum berichtet Johann Narhamer in der Widmungsrede seiner Historia Jobs von 1546, er sei trotz seiner Pflichten in der Schule und Belastungen mit Geschäften durch den Pulsnitzer Rat dem Wunsch nachgekommen, ein Drama über die Geschichte Hiobs zu verfassen, wobei er diese schriftstellerische Tätigkeit anstelle der täglichen Erholung außer Haus gesetzt habe. Er schreibt (ed. Barbara Könneker – Wolfgang F. Michael, Bern u.a. 1983, S. 5: „... [habe ich] nach gehaltner arbeit meiner Schulen / teglichen als mann sunst pflegt zu spatzieren zu gehen / eine Scene oder zwue / mir nach dem Biblischen text auffs kürtzst verfast und Colligiert.“ 419 Melchior Neukirch, a.a.O., A VIb; Georg Rollenhagen, Abraham, Widmungsrede, A Va. 420 Vgl. a.a.O., A VIa. 421 Christian Schoen, Comoedia, Von des Patriarchen Jsaacs Freyschafft, Wittenberg 1599, Widmungsrede, X IIIIa. 422 Baumgart, Iuditium,Widmungsrede, ) ( IIIa: „Vnd habe mir etzliche stunden einiger vierzehen tage (doch meine andern studijs vngehindert) darzu genommen / vnnd vnserer Schulen zugefallen vnnd gemeiner Jugend zu nutz / diese Action vnd zucht Spiegel disponiret ...“



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indem er nach eigener Aussage für diesen Zweck zuweilen eine Stunde oder eine halbe reserviert habe.423 Auch hier ist die Tendenz also, die Tätigkeit als, modern gesprochen, geringfügige Tätigkeit, die nur selten ausgeübt wird und die Pflichten der Haupttätigkeit in keiner Weise tangiert, einzuordnen. Beim zweiten Punkt des Anstoßes wird zum Zwecke der Verteidigung zunächst gerne das alte humanistische, auch von Luther im Hinblick auf die Aufführung römischer Komödien gebrauchte Argument aufgegriffen, wonach mit diesem Maßstab gemessen, die Bibel selbst nicht Gegenstand kirchlicher Katechese sein dürfe, da in ihr durchaus obszöne Inhalte anzutreffen seien. Das Hauptargument, auf das generell alle Autoren, die sich mit dieser Frage befassen, zurückgreifen, bildet aber die Aussage, die Darstellung von Unmoralischem erfolge gerade mit der Intention, vor diesem abzuschrecken, indem nämlich dessen übles Ende vorgeführt werde. Die Dramen seien selbstverständlich zu dem Zweck verfasst, eine moralische Verbesserung zu bewirken. Dies gilt nach einigen Autoren schon in einem banalen Sinne, insofern die bloße Teilnahme an Aufführungen von Trinkgelagen oder von Fastnachtsspektakeln abhalten soll, wie etwa der in Wunstorf bei Hannover als Prediger tätige Joachim Leseberg 1610 äußert und Johann Nendorf, Rektor der Lateinschule in Goslar, 1608 für die Schüler konstatiert.424 Bedeutsamer aber ist, dass und auf welche Weise die Autoren und andere Befürworter in den Dramen selbst eine moralische Zielsetzung erkennen. Die Ausgabe des ursprünglich 1576 erschienen Dramas ‚Der Christliche Ritter‘ von Friedrich Dedekind von 1604 enthält eine Vorrede des Marburger Philosophie-Professors Rudolf Goclenius (Göckel)425 die von der Fragestellung handelt, ob Theateraufführungen in einem wohl geordneten Gemeinwesen erlaubt seien.426 Als möglichen Einwand nennt Goclenius die Unanständigkeit des Dramas, welche die integritas morum bedrohe. Diesem Einwand hält er entgegen, dass Obszönes in Dramen gerade dazu dargestellt werde, dass man seiner überdrüssig würde, da man auch der Folgen solchen Handelns gewahr würde. Sei man der Meinung, dass Dramen der Jugend schadeten, so gelte das Gleiche auch für die Bibel, die ja auch viel Frevelhaftes wie Ehebruch und Inzest berichte. Die Komödie, so der schon genannte Johann Förster 1604, führe zu einer fuga vitiorum und damit zu einer cultura virtutis, weg von der Untugend zur Tugend, von der 423 Vgl. Schade, a.a.O., S. 589f. 424 Vgl. Joachim Leseberg, Jesvs dvodecennis. Jesus zwÖlff Jahr alt. Das ist: Eine Geistliche / Christliche / vnd nÜtzliche Comoedia oder Spiel, Helmstedt 1610, A VIa. Vgl. ferner die Widmungsrede Johann Nendorfs zu seinem Asotus, hrg. v. Hans Gidion, Goslar 1958, S. 34: „... in betrachtung das ihr solches [sc. das Agieren der Komödie] viel besser und dienlicher ist, als müssig und umbher gehen, oder Fastnachtlicher hendel wie der meiste hauffe der Leute auff gedachte zeit zu thun pfleget, beflissen sein...“ – Diesen Gedanken vertrat 1540 schon Greff in seinem Abraham-Drama, Drey liebliche nützbarliche Historien der dreier Ertzveter vnd Patriarchen Abrahams / Isaacs vnd Jacobs, Wittenberg 1540, c IIb. 425 Zu Goclenius vgl. Matthias Wolfes, Art. ‚Goclenius, Rudolph‘, BBKL XVIII, Sp. 514–519. 426 Rodolphus Goclenius, „An ludi scenici scholastici, quales Comoediae et Tragoediae, sint liciti in bene constituta politia“, in Dedekind, Miles Christianus.

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188 Grundlegung Faulheit zur Arbeit, von der Lust zur Mäßigung.427 An dieser Stelle wird – wie schon von Luther  – von einigen Dramatikern der antike Gedanke der Komödie als Spiegel aufgenommen, etwa von Johannes Bertesius in der Vorrede zu seiner Komödie ‚Regulus‘ von 1606 oder von Ambrosius Pape, Pfarrer in Klein-Ammensleben bei Magdeburg, in der Widmungsrede zu seinem David-Drama aus dem Jahre 1602.428 Die Komödie führe vor, dass die Tugend von Gott belohnt, die Sünde aber bestraft werde. Johann Nendorf betont in seinem 1614 veröffentlichten Drama ‚Betseba‘ die Nützlichkeit der Spiele. Auch wenn ihr Ursprung bei den Heiden liege, hätten die besseren (saniores) unter deren Dramatikern intendiert, das Gebaren der Menschen wie in einem Spiegel darzustellen und so die guten Sitten zu empfehlen und von den schlechten wegzuführen. Dies aber sei Heiden und Christen gemeinsam, ja es müsse ihnen gemeinsam sein, müssten doch die Christen um so eifriger nach diesem Ziel streben.429 Diese Sicht des Dramas und seiner moralischen Intention kann sich dann mit der von Luther favorisierten Ständepädagogik verbinden. So bemerkt Johann Sanders, Pfarrer in Adenstedt bei Peine, in seiner Tragödie über Johannes den Täufer von 1588, er habe in ihr Tugend und Laster gegenüber gestellt und ausgeführt, was einem jeglichem in seinem Stand und Beruf anstehe.430 Betrachtet man diese Aussagen, so wird deutlich, dass die Verfasser darauf vertrauen, dass die Zuschauer ein Spiel von seinem Ende her aufschlüsseln. Dieses Vertrauen gründet sich auf die in den Rahmenstücken von Prolog und Epilog durch die Verfasser vorgenommene Interpretation. Diese bildet ja eine Klammer um das Stück und soll den Zuschauern vermitteln, in welchem Sinne die Handlung zu verstehen ist. Den Rahmenteilen kommt also die Funktion zu, die Betrachtenden darin zu unterstützen oder sie allererst in die Lage zu versetzen, die Handlung von ihrem Ende her zu begreifen. Dass diese Handlung jedoch auch eine Eigendynamik entwickeln kann, dass vom Verfasser negativ gedachte Rollenmuster in Bezug auf die Betrachtenden wie auch auf die Spieler eine gewisse Anziehungskraft und damit Verführbarkeit gewinnen können, das kommt nicht oder nur selten in den Blick. Dem Vertrauen der Verfasser auf die Prägekraft der eigenen Interpre427 Vgl. Johann Förster, Theatron Christianae Iuventutis novum... Auctore et Actore M. Ioanne Forstero Poeta Caesario, Rectore tum Scholae Schneb. Iam vero Pastore Ecclesiae Cizensis ad D. Micaelis, Leipzig 1604, a 2b. 428 Vgl. Johannes Bertesius, Regulus, Leipzig 1606, A IIb–IIIb. Vgl. ferner Georg Rollenhagens Spiel von Tobias 1576, hrg. v. Johannes Bolte, Halle a.S. 1930, S.9 (unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Luther); Ambrosius Pape, David Victus et Victor, Magdeburg 1602, Widmungsrede, A IIIb–IIIIa; ders., Jonas, Magdeburg 1605, (3a) [eigentlich (5a)]; vgl. ferner Joachim Leseberg, Jesus duodecennis, A VIIa; Andreas Meyenbrunn, Tragödie Johannes des Täufers, Straßburg 1575, Widmungsrede, ) ( Va. 429 Vgl. Johann Nendorf, Betseba Das ist / Comoedia von Bekerung deß KÖnigs David nach begangenem Ehebruch mit der Betseba, Goslar 1614, Widmungsrede, + 2a–b. 430 Vgl. Tragoedia. Von dem anfang / mittel und ende / des heiligen thewren mans Gottes vnn vorleuffers Christi / Johannis des Teuffers ... Durch Johannem Sanders Pfarherrn zu Adenstedt im gericht Pein, Magdeburg 1588, ) ( IIa–b.



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tation korrespondiert ihr Vertrauen in das intellektuelle, aber auch affektive Vermögen von Zuschauenden und Spielenden. Joachim Leseberg sieht 1610 zwar eine potentielle Gefahr darin, dass die Spieler nicht den Anstand (τò πρέπον) bewahrten und die Zuschauer aufgrund dessen ohne christliche Andacht und Besserung weggingen, doch könne ein solcher Missbrauch ein an sich gutes Werk nicht aufheben.431 Kein anderes Bild ergibt sich, wenn man diesem Thema gewidmete intensivere Betrachtungen von Dramenautoren mustert. Johann Nendorf fügt als Anhang seines in Goslar aufgeführten ‚Asotus‘ über den verlorenen Sohn aus dem Jahre 1608 und in die Widmung seines 1614 veröffentlichten Dramas ‚Betseba‘ – also zu Stücken, in denen deutlich negative Verhaltensmuster erscheinen – eine von ihm verfasste Abhandlung mit dem Titel ‚De ludis scenicis‘ ein, in der Vorwürfe gegen das Theater und geistliche Dramen reflektiert und zurückgewiesen werden.432 Auch hier wird als Kritikpunkt benannt, dass ungefestigte Menschen, insbesondere die Jugend, verdorben und die Sitten dem Verfall preisgegeben würden. Einen besonders schlechten Einfluss hätten – so die von Nendorf bemühten Kritiker – die klassischen Rollen der antiken Komödie: der Possenreißer, der auf fremde Kosten lebt, der Kuppler, die Hure, der feurige Jugendliche. Die Konsequenz, deswegen alle Dramen zu verurteilen, weist Nendorf aber als unüberlegt und pauschalisierend zurück. Im Anschluss an die Widerlegung des Vorwurfs der Immoralität mit Hilfe des bekannten Gedankens, dass von diesem Einwand auch die Bibel betroffen wäre, nimmt Nendorf geschickt das von den Theatergegnern ins Feld geführte bzw. ihnen in den Mund gelegte Gegenargument auf, die Darstellung des Bösen in der Bibel verfolge den Zweck, die Macht der Erbsünde aufzuzeigen und zugleich zur Hoffnung auf Gnade hinzuführen.433 Damit aber gelingt Nendorf der Coup, er erreicht in dieser fingierten Disputation sein Ziel, indem er schließt, genau dieses könne auch für das Drama geltend gemacht werden. Das Drama führe in analoger Weise die Gestalt des Bösen vor Augen, um am lebenden Beispiel das Laster mit dem Ziel der Abschreckung zu betrachten.434 Dabei nimmt auch er das Konzept des Spiegels auf und ebenso geht seine Argumentation dahin, dass das Drama zu einer Schwächung des Lasters führe, die Tugend lobe und

431 Vgl. Jochim Leseberg, Jesus duodecennis, A VIb. 432 Johann Nendorf, Asotus, hrg. v. Hans Gidion, Goslar 1958, S. 133f.; Betseba, Goslar 1614, + 6b–8a. 433 Vgl. Nendorf, Asotus, a.a.O., S. 133,14–25. Er fragt dort u.a.: „An quod enim crimen tam foedum tamque nefandum scriptum aut patratum est, cuius non Biblia narrent exempla …?“, um die Gegner antworten zu lassen: „At dicent: Sacra biblia facta nefanda consilio hoc recitant, ut quid contagia possint, ad nos a primo terrae transfusa colono, discamus neu spem venia abiciamus amicam.“ 434 Vgl. a.a.O., S. 133,26ff: „Verum est: sed nobis quoque res accommodat ista, turpia non etenim Comoedia repraesentat exprimere ut factis ipsi vitaque velimus, sed liceat sordes vitiorum cernere vivis exemplis, veluti speculis, et tergere nostris pectoribus spurcos alios quibus esse videmus.“ Der Begriff des Spiegels erscheint noch S. 133,47.

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190 Grundlegung so Anreize zum rechten Leben biete.435 Mögliche Missbräuche werden gesehen, aber die Früchte eines rechten Gebrauchs wesentlich höher bewertet.436 Einen besonderen Gedanken steuert Zacharias Poleus, Stadtkanzler im schlesischen Frankenstein, in seiner Tragödie über die Belagerung Samarias aus dem Jahre 1603 bei, der das Verdikt des heidnischen Ursprungs des Theaters positiv zu wenden versucht. Damit ist der dritte Kritikpunkt am Theater berührt. Während Luther die Vermutung geäußert hatte, Aufführungen von Dramen hätten ihren Ursprung in Israel, von wo sie die Griechen übernommen hätten, setzt Poleus den entgegengesetzten, auf die altkirchliche spoliatio-Aegyptiorum-Allegorie zurückgehenden Gedanken voraus, nach dem die Christen von den Heiden entwickeltes Gutes legitim rezipieren durften, ja sogar auf göttliches Geheiß übernehmen sollten. Konkret bedeutet dies, dass auch das antike Drama als an sich gut einzuordnen ist. Die Christen hätten es jedoch auf eine noch höhere Stufe erhoben. So meint Poleus, dass wenn schon die Römer, wiewohl Heiden und ohne Wissen vom rechten göttlichen Willen, Komödien und Tragödien zur Verbesserung der Tugenden aufführten, es um vieles mehr den Christen zukomme, die Jugend durch dieses zu guten Künsten und christlichen Tugenden zu erziehen.437 Ein Verzicht auf das Theater wäre in dieser Sicht geradezu ein Rückfall sogar hinter die Antike zurück, in, so könnte man ergänzen, finsterste Barbarei. Der später ausführlich mit seinem Stephanus-Drama aus dem Jahre 1592 zu behandelnde Melchior Neukirch hat sich intensiv mit der Frage auseinandersetzt, warum es legitim und sogar geboten sein könne, biblische Geschichten zu dramatisieren. In Widmung, Prolog und Epilog des Dramas geht er auf dieses Thema und damit auch auf die Kritik an Aufführungen von Dramen ein.438 Zweierlei Kritikpunkte würden, so Neukirch in der Widmungsrede, vorgebracht: Zum einen seien solche Aufführungen unnötig oder gar schädlich, da durch sie die Jugend frech und wild werde und danach keinen Zwang mehr erleiden wolle. Zum andern zieme sich diese Praxis nicht für Christen, sei sie doch der Sache, heiligen Dingen, dem Evangelium unangemessen, da hier das Wort Gottes zum Gegenstand des Scherzes und damit der Verachtung würde.439 Neukirch verteidigt das geistliche Drama gegen diese Einwürfe in mehrfacher Weise. Unter Anspielung auf Kol 3,16 lautet seine Grundthese, dass das Wort Gottes auf allerlei Weise gepflanzt und verbreitet werden solle.440 Stets, so Neukirch, sei dazu neben Gesängen und Bildern auch die Dichtkunst eingesetzt worden, was sich in den Schriften Judith und Tobias, 435 Vgl. a.a.O., S. 134,52f.: „Tum vitium carpit, virtutem laudat et acres vivendi recte stimulos calcariaque addit.“ 436 Vgl. a.a.O., S. 133,31ff.45f. 437 Vgl. Zacharias Poleus, Tragedi. Aus heiliger GÖttlicher Schrifft / von dem grossen / schrecklichen / und erbÄrmlichen Hunger / Teurung und BelÄgerung der Stadt Samariae, Frankfurt / Oder 1603, Vorrede, A IIa–b. 438 Vgl. Neukirch, Stephanus, B IIb. 439 A.a.O., A IIIIa; vgl. den Prolog, B IIb. 440 Vgl. a.a.O., A IIa–b.



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im Buch Hiob oder Susanna zeige. Christus selbst, so legt er mit Luther dar, habe in Parabeln gelehrt, weil er gewusst habe, dass dies viel Frucht bringe.441 Das Schreiben und Aufführen geistlicher Tragödien und Komödien könne nichts Verwerfliches sein, anderenfalls hätte es sich nicht so lange in der Geschichte behaupten können.442 Untermauert wird das Argument durch den Hinweis auf Luthers Bibelvorreden zu Judith und Tobias. Wie diese Aussagen erhellen, geht Neukirch von defensiven, die biblischen Dramen bloß rechtfertigenden Ausführungen zu einer offensiveren Betrachtungsweise im Sinne einer umfassenden Begründung eines protestantischen Dramas über. Er bietet eine biblische Begründung, mit der er die grundsätzliche Kompatibilität des Wortes Gottes mit Formen künstlerischen Ausdrucks, ja dessen prinzipielle Bindungsfähigkeit und vom göttlichen Urheber intendierte Bindungswilligkeit an derartige Formen herausarbeitet. Ferner rekurriert er auf den Reformator, ja sogar auf die von ihm erkannte Pädagogik Christi selbst. Neukirch weist dem geistlichen Theater eine Funktion im Rahmen der Verbreitung des Gotteswortes zu. Seine Aussagen gewinnen damit den Charakter von Grundzügen einer positiven Konzeption eines geistlichen Theaters im Protestantismus. Eine intensive, ausführliche und durchaus systematische Auseinandersetzung mit möglichen Einwänden gegen das Theater und geistliche Dramen bietet der Verfasser der Vorrede zum fünften Band der lateinischen Werke von Ägidius Hunnius, Helwig Garthe (Garthius, 1579–1619), Schwiegersohn Hunnius’, im Jahre 1609. Er spricht von sanctuli, die alle szenischen Spiele rundum ablehnten.443 Es sei jedoch dem Christen unangemessen, die Komödien und Tragödien insgemein zu verurteilen. In diesem Zusammenhang geht Garthe auf die Geschichte des Verhältnisses von Kirche und Theater ein. Zwar hätten die Älteren, so konstatiert er, zu Recht und verdientermaßen die szenischen Spiele, Komödien und Tragödien der Heiden kritisiert. So habe etwa Laktanz diese einer heftigen Kritik unterzogen, da in den Komödien Schändungen von Jungfrauen und Liebschaften von Huren, in den Tragödien Vatermord und andere Schändlichkeiten auf der Tagesordnung stünden.444 Andererseits aber falle es auf, dass Augustin Dramen nicht generell verworfen habe, vielmehr habe er diejenigen unter ihnen, die nicht durch Verbalobszönitäten geprägt gewesen seien, unter die honesta et liberalia studia gerechnet, in denen die Knaben unterrichtet werden sollten.445 Garthe versucht also zu differenzieren. 441 Vgl. a.a.O., A IIb–IIIb. 442 Vgl. a.a.O., A IIIIa. 443 Vgl. Garthe, in: Ägidius Hunnius, Opera Latina. Tomus 5, Wittenberg 1609, +3a. 444 Vgl. ebd. Vgl. Laktanz, Divinae institutiones, Buch 6 Kap. 20,27–36, CSEL 19, 560ff. 445 Vgl. Garthe, ebd. Vgl. Augustin, De civitate Dei. Buch II, Kap. 8, CChr 47, 41,16–22. Vgl. dazu Werner Weismann, Kirche und Schauspiel, Würzburg 1972, S. 152. Augustin bietet allerdings an dieser Stelle keinerlei Lob des Theaters, sondern bringt lediglich zum Ausdruck, dass es unter den Spielen tolerierbarere gebe, obwohl auch sie genug Schändliches enthielten. Dabei stellt er fest, dass diese Stücke Lehrstoff der studia honesta ac liberalia gewesen seien, die den Knaben vorgelegt wurden.

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192 Grundlegung Seiner Auffassung nach ist das Medium an sich völlig neutral, es kann aber besser oder schlechter gefüllt werden. Für beides sieht er in der Geschichte Beispiele. Die Neutralität des Dramas und daraus folgend die Möglichkeit seines positiven Gebrauchs verunmöglichen aber eine völlige Ablehnung desselben. Eine weitere Differenzierung führt Garthe ein, wenn er zwischen dem Drama im Allgemeinen und dem biblischen Drama unterscheidet. Noch einmal anders, so stellt er fest, verhalte es sich mit Komödien und Tragödien, in denen Geschichten der Bibel dargestellt werden. Diese führten nicht nur zu Fortschritten der Jugend hinsichtlich der Sprachfähigkeit, sie erfreuten nicht nur die Hörer durch die Süße der Reime, vielmehr bestehe ihr nicht geringer Nutzen in der Erweckung des Studiums der pietas, in der Verbesserung der Sitten und des Gottesdienstes, dies alles durch die vorgeführten Beispiele von Tugenden und Lastern.446 Es folgt ein Verweis auf Luthers Vorreden zu den Büchern Judith und Tobias.447 Die Juden hätten Propheten, Sänger und Dichter gehabt, die Gottes Wort sorgfältig und auf verschiedene Weisen behandelt hätten. Daraus folgernd stellt er die rhetorische Frage, was es hindere, dass dieses auch heute in der Gemeinde des Neuen Bundes geschehe. Es sei ja auch erlaubt, das Wort Gottes und heilige Worte und Geschichten der zarten Jugend und dem rohen Volk in Gestalt von Hausgesprächen (colloquia domestica), heiligen Gesängen und Bildern von Historien vorzusetzen und als Ansporn (calcar), als Ausgangspunkt für fromme Meditationen (piae meditationes) zu setzen. Dann aber spreche nichts dagegen, so Garthe, dass dies auch durch heilige Komödien und Tragödien erfolge.448 Das biblische Drama hat in dieser Sicht gegenüber dem antiken bzw. weltlichen Drama ein deutliches Profil: Es kreist um die Vermittlung des Wortes Gottes, das seine Grundlage bildet, und verfolgt besonders den Zweck der Verinnerlichung von pietas, aber auch – darin kommt es in humanistischer Sicht mit dem antiken Drama in gewisser Weise überein, jedoch unter Ausgang von einer anderen Begründung – von sittlichem Verhalten. Ein letzter, die Aufführungspraxis, in der die weiblichen Rollen von männlichen Personen eingenommen wurden, betreffender Einwand, auf den Garthe eingeht, ist der Bibel entnommen: Nach dem Gebot Dtn 22,5 dürften sich Angehörige des männlichen Geschlechts nicht weiblich kleiden, wie auch umgekehrt; solches Verhalten verstoße gegen das Gesetz.449 Diesen Einwurf, so Garthe, habe bereits Luther entkräftet: Die genannte Vorschrift diene dem Erhalt der Würde beider Geschlechter.450 Garthe nimmt damit 446 Garthe, ebd.: „... non exigua profecto illarum in excitando pietatis studio morumque correctione et cultu, propositis virtutum vitiorumque exemplis, est utilitas.“ 447 Vgl. ebd. und Martin Luther, WA.DB 12, 4–7.108–111. 448 Vgl. ebd. 449 Vgl. ebd. 450 Vgl. ebd. und Martin Luther, WA 14, 701. Nach Luther ist der Kleidertausch erlaubt zwecks Vermeiden von Gefahr, zum Täuschen von Feinden und „ad ludendum ioco“. Die Vorschrift des Deuteronomiums zielt nach Luther darauf, die beiden Geschlechtern geschuldete Ehre und Würde zu bewahren. Vgl. zum Ganzen auch Thomas Brunnschweiler, Johann Jakob Breitingers ‚Bedencken von Comoedien oder Spilen‘, Bern u.a. 1989, S. 74.



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unter Rekurs auf Luther Zuflucht zur Intention eines biblischen Gebotes, die für ihn über dessen wörtlicher Rezeption zu stehen kommt. Ein letztes Mal bedenkt er mögliche Kritik am Theater und konzediert, es gebe gewiss Übertreibungen in Bezug auf die Possenreißerei in Komödien, aber das sei kein Grund, diese deswegen gänzlich abzuschaffen. Andernfalls müsste man auch Hochzeitsfeiern und andere Zusammenkünfte verbieten, in denen Ähnliches vorkomme.451 Vielmehr sei bei den Komödien und Tragödien vor allem der Zweck zu bedenken, der – in Übereinstimmung mit dem Wort Gottes – gerichtet sei auf die Ehre des Namens Gottes, die Erbauung der Kirche, die Bildung der Jugend und des Volkes und die ewige Erinnerung der im Volk Gottes geschehenen Taten. Darum sei, wer heilige Komödien oder Tragödien nicht nur meditiere und abfasse, sondern auch Schülern und Zuhörern bzw. Zuschauern als Aufführung gewähre, mehr des Lobes als des Tadels wert.452 Auch bei diesem Autor sind damit Ansätze zu einer positiven Konzeption des protestantischen Dramas erkennbar. Konstitutiv für das Drama ist der Bezug auf das Wort Gottes. Auf diesem basiert es, soll aber auch wieder zu diesem hinführen, was deutlich wird, wenn Garthe das Drama analog zu Hausgespräch, Gesang und Bild als Ansatzpunkt für die Meditation der Schrift wertet. Als primäres Ziel gilt ihm die Erweckung von Frömmigkeit und die Verbesserung der Moral. Adressat ist insbesondere die Jugend, aber auch das Volk allgemein. Auffallend ist, dass er das Drama nicht mit der Predigt parallelisiert, sondern in eine Reihe mit Formen einer intensiveren Vermittlung des Wortes Gottes stellt. Es geht Garthe um eine Bildungsbemühung, in der das in der Predigt Behandelte stärker ad hominem appliziert werden soll. Allerdings weist die Rede von der zarten Jugend und dem rohen Volk darauf hin, dass er doch eher eine Elementarbildung im Auge hat. Das Generalziel für diese Form geistlicher Praxis erkennt Garthe in der Erbauung der Kirche. Damit stellt sich die Frage, wie die Autoren das geistliche Drama in die anderen Bemühungen der Kirche um das Wort Gottes einordnen, insbesondere zwischen Predigt und Katechese. Schon 1540 hatte Paul Rebhun in der Widmungsrede zu Tirolfs Übersetzung des ‚Pammachius‘ die Aufführung des Dramas als einen ‚sichtigen Unterricht für einfältige Laien und die Jugend‘ bezeichnet.453 Dies gilt auch für die spätere Zeit. So bekundet Ambrosius Pape 1602 in Bezug auf sein David-Drama und dessen Rezipienten 451 Vgl. a.a.O., +3b. 452 Ebd.: „Considerandus est praecipue finis, quem Poetae sacri sacris spectant Comoediis et Tragoediis. Is cum verbo Dei sit consentaneus, et ad gloriam nominis divini, Ecclesiae aedificationem, iuventutis et plebis informationem, rerumque in populo Dei gestarum perennem memoriam vergat, commendationem potius quam reprehensionem merentur, qui sacras Comoedias aut Tragoedias, non solum meditari et scribere, sed discipulis etiam, auditoribus et spectatoribus suis exhibere solent.“ 453 Vgl. Naogeorg, Tragoedia nova Pammachius nebst der deutschen Übersetzung von Johan Tyrolff, in: Thomas Naogeorg, Sämtliche Werke, hrg. v. Hans-Gert Roloff. Erster Band Dramen I, Berlin – New York 1975, S. 459,78f. – Vgl. auch Hans Ackermann, der seinen ‚Ungeratenen Sohn‘ „zum Unterricht“ bestimmt sieht; vgl. die Vorrede, in: Hugo Holstein (Hrg.), Dramen von Ackermann und Voith, S. 71,4.

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194 Grundlegung die Absicht, „Das wir mit gutem vnterricht / Jhnen zu dienen sein geflissen / Mit Gottes Wort / auffs best wirs wissen ...“454 Er habe die Geschichte „... in ein Action gebracht / Gott / dieser Stad vnd Schulen zu Ehren / Vns vnd ander was guts zu leren: Die SÜnd vnd vntugend zu straffen / Das man damit nicht hab zuschaffen / Sondern dem Guten liege ob / Welchs doch allzeit behelt das Lob.“455 Auch er ordnet die Aufführung eines geistlichen Dramas als Unterricht ein, wobei dieser, passend zum Thema der dramatisierten Geschichte, insbesondere auf die Sündenerkenntnis und die Vermittlung von Tugend zielt. Ein vorrangiges Ziel des geistlichen Dramas sieht der schon erwähnte Johannes Bertesius in seinem Drama ‚Regulus‘ aus dem Jahre 1606 darin, „... die auffwachssende Jugend post catechesin, et pietatis studium, so wol in virtutum et bonorum morum disciplinis, Als in literis vnnd artibus zu informiren: Qui enim proficit in literis, et deficit in moribus, plus deficit, quàm proficit, wie man sagt: So habe ich a functione mea, von meinem Beruff vnd Stande nicht alienum sein erachtet / wenn ich der Jugend vnd einfeltigen Christen vnd Leyen, qui literas non callerent, in diesem gedienet were.“456

Die Aufführung eines geistlichen Dramas wird hier als Vertiefung der Katechese aufgefasst, mit der der doppelte Zweck von moralischer als auch geistiger Bildung verfolgt wird. Den starken pädagogischen Impetus des geistlichen Dramas, der es in die Nähe der Katechese rückt, bringt der Laubaner Pfarrer Martin Behm 1618 in seinem Tobias auf den Punkt: „Das gantze Spiel ist voller Lehrn.“457 Einen speziellen Fall eines katechetischen Dramas stellt es dar, wenn Zacharias Rivander mit seinem ‚Lutherus redivivus‘ von 1593 seinen Hörern den Streit um das Abendmahl von 1524 bis in die Gegenwart nahe bringen will, damit diese sich vom Calvinismus abwenden.458 Rivanders Bemühungen gehen also dahin, mit dem Drama in bestimmten Fragen die rechte Lehre zu vermitteln.459 Mit der Klassifizierung eines Dramas als katechetisch ist jedoch nach den Autoren keineswegs die Nähe des geistlichen Dramas zur Predigt negiert, was auch verwundern würde, ist doch die Predigt nach CA VII doctrina evangelii. Entsprechend bringen Verfasser mehrfach zum Ausdruck, ein Drama sei eine sichtbare Predigt. So bemerkt Georg Rollenhagen 1590 zu seinem Spiel vom reichen Mann und armen Lazarus, „...das solche Schawspiel ein künstlicher spiegel und allgemeine, ansehnliche Predigt ...“ sei.460 Der im württembergischen Dettingen als Diakon wirkende Johann Schlayß bezeichnet 1593 sein auf Hun454 Ambrosius Pape, David Victus et Victor, Magdeburg 1602, Prolog, B IIIIb. 455 A.a.O., B IIIIa. 456 Bertesius, Regulus, a.a.O., A IIIIa–b. 457 Martin Behm, Eine SchÖne Comedia Vom Alten vnnd Jungen Tobia, Wittenberg 1618, Prolog, A IIIIa. 458 Zacharias Rivander, Lutherus redivivus, Widmungsrede, B 1a. 459 Vgl. auch den Prolog, A Ia. 460 Georg Rollenhagens Spiel vom reichen Manne und armen Lazaro 1590, hrg. v. Johannes Bolte, Halle a.S. 1929, S. 3.



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nius basierendes Joseph-Stück als „... gleichsam ein augenscheinliche Predigt...“461 Cyriakus Spangenberg erwähnt 1590, es gebe die Auffassung, die heidnischen Spiele seien „lebendige Predigten“, durch die zu Tugenden gereizt und vor Untugenden gemahnt werden sollte.462 Das Drama kann als Verlängerung der Predigt oder als Predigt in anderer Form gesehen werden. Dies geschieht etwa in der Vorrede Ambrosius Papes zu seinem Drama ‚Mundi immundicies‘ von 1602, wo der als Pfarrer tätige Verfasser das Abfassen von Dramen als Fortsetzung seiner Predigttätigkeit begreift. Ausgangspunkt ist für ihn dabei die Wahrnehmung, dass die Menschen selbstverständlich in ihren Sünden lebten, in keiner Weise darüber in Erregung gerieten und sich vor der künftigen Strafe nicht scheuten. Daher sieht er es in Bezug auf diese Menschen als seine und generell aller Prediger Aufgabe an, „... jhnen ernstlich zuzuschreien / vnd das Gewissen zu rÜren / nicht allein mit Worten auff der Cantzel / im Beichtstul / oder sonst in geheim: Sondern auch mit der Fedder in Schrifften  / sintemal wir Gottes Wort vnter vns reichlich sollen wonen lassen / vnd darin Menniglichem seiner pflicht erinnern / vnd einen jedern fÜr Schaden warnen / ob noch etliche durch die Gnade Gottes zugewinnen / vnd zu recht zubringen weren / auch die vnbusfertigen keine entschÜldigung vorzuwenden haben mÖchten.“463

Das Drama wird hier der Verkündigung subsumiert, als sein Proprium macht Pape die Öffentlichkeit und interessanterweise die Schriftlichkeit namhaft. Er bietet auch eine biblische Begründung für die Möglichkeit des geistlichen Dramas in Gestalt des Verses Kol 3,16, den vor ihm schon Melchior Neukirch anführte. Friedrich Dedekind legt in seiner Vorrede zum ‚Miles christianus‘ von 1590 dar, dass es leider so sei, dass trotz der Predigt „die Leute gar leichtlich vnnd bald Gottes Wort satt vnn vberdrÜssig werden“, daher sei es notwendig, dass man „dasselbige Gottes Wort auff mancherley weise dem gemeinen Mann mit Geistlichen Gesengen / Reimen vnd Spielen / vnd welcher gestalt es jmmer geschehen kan / beybringe vnnd einblewe.“464 Die Aufführung gestaltet sich als Predigt mit anderen Mitteln, ist gleichwohl nicht als einzige Bemühung in dieser Hinsicht aufzufassen. Dass in der Aufführung das Gleiche erfolgt wie bei einer Predigt, darauf macht Johannes Bertesius in der Vorrede zu seiner ‚Vinea‘ aufmerksam: Wer lachen wolle, sehe besser den Affen zu. Hier gehe es um Lehre, welche die Seligkeit der Zuschauer betreffe. Wer auch sonst nicht gern an dem Ort bleibe, wo Gottes Wort verhandelt wird, der werde auch hier davonlaufen.465 Die Zuschauer sollen also dessen gewahr werden, dass ihnen in 461 Goedeke, Grundriß Bd. 2, S. 387 (Nr. 294). 462 Cyriakus Spangenberg, Ein christliches Spiel oder COMOEDIA Aus dem Euangelio am Sontage Letare von 5. Gerstenbrodten vnd zween Fischen, Schmalkalden 1590, Widmungsrede, A Va–b. 463 Pape, Mundi immundicies, Vorrede, A Va. 464 Dedekind, Miles christianus Der christliche Ritter, Braunschweig 1604, Widmungsrede. 465 Vgl. Bertesius, Vinea: Eine kurtze doch schÖne Comoedia vom Weinberg deß Herren / und Arbeitern darinnen Matthaei am 20. Capitel, Leipzig 1606, A Ib–IIa. Vgl. auch Balthasar Thamme,

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196 Grundlegung der Aufführung letztlich nichts anderes geboten wird als in der Predigt. Der Pirnaer Georg Müntzer stellt fest, die von ihm dramatisierte Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus – 1575 im Druck erschienen – werde „... alle jar in allen Kirchen getrieben vnd geprediget / daraus mancher vnterrichtet unnd getrÖstet wird ...“466 Ganz bewusst hat Müntzer demnach einen Text aufgegriffen, der des öfteren Gegenstand der Predigt und als Perikopentext schon beim Publikum bekannt ist. Dies wird keineswegs als Nachteil verstanden, sondern weist gerade darauf hin, dass das Theater als vertiefendes Medium in den Blick genommen wird. Johann Nendorf stellt für seine Komödie ‚Betseba‘ im Jahre 1614 fest, dass der ihr zugrunde liegende Stoff in Predigten häufig vorkomme. Das Recht für eine Dramatisierung und Aufführung sieht er aber in dessen inhaltlicher Bedeutung, in Gestalt der von ihm festgestellten zwei Lehrpunkte.467 Cyriakus Spangenberg und später Johannes Bertesius lassen in einigen ihrer Dramen bereits durch die Angabe des jeweiligen Sonntags im Titel erkennen, dass es sich bei dem Stoff um einen Perikopentext handelt.468 Dass bekannte Geschichten Gegenstand des Dramas sind, entspricht ohnehin dem Charakter dieses Theaters, das gerade keine Illusion erwecken und nichts Überraschendes darbieten will, sondern im Argumentum den Vorwurf schon vorab den Hörerinnen und Hörern vergegenwärtigt.

der im Prolog seines 1595 erschienenen Dorothea-Dramas, A 7b, äußert, in diesem seien keine schandbaren Fratzen, keine Narrenschwänke oder grobe Possen zu hören, „Sondern diß wird jetzt fÜrgebracht / Was man euch von der Cantzel sagt ...“ 466 Georg Müntzer, Von dem Reichen Mann / vnd armen Lazaro / Genomen aus dem Sechzehenden Capitel Luce Auffs newe in Deutsche Rheim gebracht / Durch Georgium MÜntzer von Pirn, Maggdeburg 1575, A IIIIa. 467 Vgl. Johann Nendorf, Betseba, Goslar 1614, Epilog, H Vb. Die Geschichte aus 2 Sam zielt nach Nendorf auf David als Exempel menschlicher Schwachheit und als Exempel der Barmherzigkeit Gottes. 468 Bertesius’ ‚Schalksknecht‘ zugrunde liegende Geschichte Mt 18 ist der Text des 22. Sonntages nach Trinitatis. Bei Spangenberg erscheint der Sachverhalt, dass ein Perikopentext zugrunde liegt, explizit in mehreren Dramentiteln; vgl. Reinhard Müller, Art. ‚Spangenberg, Cyriakus‘, DL3 XVIII, Sp. 389, wo erwähnt werden: 1) die Komödie über die Heilung des besessenen Taubstummen (Lk 11), Perikope am Sonntag Oculi (1589); 2) die Komödie über die Geschichte von der Brotvermehrung (Joh 6), Perikope am Sonntag Laetare (1590); 3) ein geistliches Spiel zum Evangelium für den Sonntag Judica (Joh 8, 1590). Diese Dramen werden auch von Goedeke, Grundriß Bd. 2, S. 364, verzeichnet (Nr. 167–169), der notiert, dass alle drei Dramen 1590 in Schmalkalden gedruckt worden seien und dass der Herausgabe der Dramen 1) und 3) eine Aufführung in Schlidtsee im Dezember 1589 (Drama 1) und im Januar 1590 (Drama 3) vorausgegangen sei. Keines der Dramen wird in VD 16 aufgeführt, jedoch sind Drama 1) und 2) in den Universitätsbibliotheken Leipzig und Jena vorhanden, Drama 3) in Leipzig. – Auch Friedrich Dedekind erwähnt in seiner Vorrede zum ‚Christlichen Ritter‘, dass die zugrunde liegende Epistel „jerlich am 21 Sontag Trinitatis in der Kirchen fleissig vnd mit gebuerlichem eiver vnd ernst geprediget wird ...“, dass die Leute aber dessen überdrüssig seien, so dass es nötig sei, ihnen das Wort Gottes auch auf diese Weise nahezubringen.



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Als Proprium des als Predigt bzw. als Verlängerung der Predigt verstandenen Dramas, oder präzise der Aufführung des Dramas, gilt den Verfassern die Sichtbarkeit bzw. Anschaulichkeit und der Charakter als actio, d.h. in aristotelischer Terminologie die Verbindung von οψις und μυθος.469 Es ist etwas zu sehen, ein Geschehen läuft ab. Diese beiden Kennzeichen, welche die Aufführung des Dramas von der Darbietung der Predigt unterscheiden, bedingen in der Sicht der Autoren gegenüber dem Medium Predigt nicht unerhebliche Vorteile. Sie trügen dazu bei, so die Schlussfolgerung vieler Verfasser, dass die Wirkung der Aufführung des Dramas generell stärker zu veranlagen sei als diejenige der Predigt. Zunächst könnten die in einer Geschichte auftretenden Personen durch ihre Darstellung schärfer profiliert und dadurch die mit ihnen intendierten exempla deutlicher als in einer Predigt präsentiert werden. So schließt Georg Rollenhagen nach der Klassifizierung seines Spiels vom reichen Mann und armen Lazarus als einer ‚ansehnlichen Predigt‘ weiter, dass bei vielen, besonders bei der Jugend die Worte allein nicht so kräftig seien, Exempel hingegen mehr bewirkten.470 Darüber hinaus, stellen einige Autoren fest, führten Anschaulichkeit und actio-Charakter dazu, dass das im Drama Vermittelte stärker emotional bewege und sich tiefer einpräge – dies freilich auch infolge der Reimform – als bloß Gehörtes. Als Konsequenz dessen wird für das Drama auch ein besseres Verstehen reklamiert. Als Beispiele seien Äußerungen einiger Dramatiker der hier betrachteten Epoche kurz vorgestellt, wobei zu konzedieren ist, dass längst nicht alle Autoren über diese Fragen in den Rahmenstücken reflektieren. Bei denjenigen die dies tun, sind aber stets die gleichen Tendenzen zu belegen. So merkt Georg Müntzer nach seiner Feststellung, der von ihm gewählte Vorwurf werde häufiger vom Prediger behandelt, an: „... habe ich doch gedacht / das sie [sc. die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus] die Hertzen der ZuhÖrer sehrer bewegen solte / wenn man sie in Form einer Action den Leuten mÖchte fÜrstellen. Vnd auch den gemeinen Man vnd zarte Jugend nichtes mehr pfleget zu bewegen / als wen man solche Exempel augenscheinlich vnd gleich als greiflich fÜr helt vnnd fÜr malet ...“471 So ergebe sich auch nach Ende der jeweiligen Aufführung noch ein erheblicher Impuls zum Nachdenken und damit eine bessere memoria, so wird gefolgert.472 Sie setzt also einen wirklichen Rezeptionsprozess, eine echte gedankliche Auseinandersetzung in Gang. Ähnliche Reflexionen finden sich bei Johannes Bertesius und Melchior Neu469 Vgl. dazu Bernhard Asmuth, Einführung in die Dramenanalyse, Stuttgart 20046, S. 3ff. 10ff. 470 Vgl. Rollenhagen, a.a.O., S. 9. 471 Müntzer, ebd. (Forts.). 472 Vgl. an der unteren Grenze des hier betrachteten Zeitraums Andreas Lucas, Abraham, Leipzig 1551, Prolog, B VIIa, der formuliert: „Wenn denn solch geschicht vnd dergleichn [sc. Komödien] Agirt werden / thun sie erweichn Offtmals der menschen hertzen mehr Denn wenn man auch sie lisset sehr Vnd offt auch hÖret sagen schon Wol auff dem Predigstul dauon Denn darin klerlichen jn werdn Mit sitten / mancherley geberdn Noch jeder geschichten inhalt Getragen fÜr gar mannichfalt Weise vnd mas / das werden sie Beweget vnd gereitzet je Gleichsam durch lebendige wort Das sie den sachen immer fort Vnd fort fleissiger dencken noch Vnd jnen die zu fassen joch Vnd behalten wird lieblich gar.“

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198 Grundlegung kirch.473 Cyriakus Spangenberg hebt nicht nur darauf ab, dass sich eine aufgeführte Geschichte tiefer einpräge und dem Gedächtnis länger anhafte, so dass es zu weiterem Nachdenken komme. Er konstatiert darüber hinaus, eine Aufführung bewege die Herzen der Zuschauer zum Mitleid mit den ungerecht Unterdrückten und zum Unwillen gegen deren Übeltäter.474 In dieser Bemerkung kommt die identifikatorische Funktion des Dramas zum Ausdruck.475 Der bzw. die Zuschauende wird in einer Aufführung leichter dazu gebracht, sich mit der ein gutes Exempel bildenden Rolle – sei es der Protagonisten oder eine andere Rolle – zu identifizieren, für diesen Partei zu ergreifen und sich entsprechend gegen dessen das schlechte Exempel repräsentierenden Gegenspieler einnehmen zu lassen. Auf das Verhältnis von Predigt und Drama geht Ambrosius Pape ein. Er bemerkt, unter Bezugnahme auf die Frage, warum eine Geschichte erst Gegenstand der Predigt und später Vorwurf eines Dramas sei, in seinem David-Drama pointiert: „Vnd ob wir wissen allesampt / Das solchs auch thut das Predigampt / Vnd mus es thun / so man nicht wil / Jm Zorn erfahren ein ander Spiel: So kans doch schaden auch mit nichten / Das wirs auff diese weiß verrichten. Da Wort vnd Werck beysamen sein / Vnd geht den Leuten besser ein. Man es viel lenger auch behelt / Weils vns fÜr augen ist gestelt.“476 Bereits zu Beginn der Widmungsrede, bevor er auf konkrete inhaltliche Begründungen eingeht, hält Pape fest, Historien würden auch deswegen gespielt, weil sie „... tieffer vnd besser jhnen [sc. den Zuschauern] eingebildet / vnd behalten werden mÖchten ...“477 Zacharias Rivander erhofft sich für seinen ‚Lutherus redivivus‘ von 1593, dass die Adressaten die mit diesem Stück von ihm beabsichtigte historische Information „besser verstehen vnd behalten. [...] denn es vnleugbar / daß das jenige / was man zugleich hÖret vnd siehet...

473 Vgl. Johannes Bertesius, Der Schalckß Knecht. Tragoedia. Ein new Geistlich Spiel aus dem Evangelio des 22. Sontages nach Trinitatis. Matthaei am 18. Capitel, Leipzig 1606, A IIIa und besonders A Vb: Ziel sei, dass „... die studierende Jugend vnd einfeltige Christen / dieses / wie es mit dem Schalckßknecht ergangen / an solchen Personen fÜr Augen zu sehen hetten / Vnd demnach die bedeutung vnd verstand desselben / nemlich / wie es mit allen Vnbarmhertzigen auch ergehen werde / so viel mehr begreiffen / sich einbilden / vnd desto lenger behalten mÖchten.“ Vgl. Melchior Neukirch, Stephanus, Prolog, B IIIa: „Es ist nichts das bewegt so sehr / Ein Christlichs Hertze / ja auch der Die sonst frech vnd mutwillig sein / Als solch’ Geschicht fÜr augen sehn / Da Gottes Werck der gantzen Welt / Augenscheinlich wird fÜrgestellt.“ 474 Cyriakus Spangenberg, Ein geistlich Spiel Vom Euangelio am Sontage Judica Johan. Am 8. Capitel / durch M. Cyr. Spangenberg, Schmalkalden 1590, Widmungsrede, A IIIIa: „So bewegen solche FÜrspiel auch viel mehr die hertzen zu mitleiden mit den vnbillich beleidigten vnd vnterdrÜckten vnd zu vnwillen wider die boshafftigen vnd mutwilligen Vbeltheter vnd beleidiger der vnschÜldigen.“ Zur Begründung nimmt Spangenberg das lateinische Diktum auf (a.a.O., A IIIIb): „... quia incurrunt eiusmodi Actiones in oculos, magisque mouent affectus.“ 475 Vgl. Peter Ukena, Flugschriften und verwandte Medien im Kommunikationsprozeß zwischen Reformation und Frühaufklärung, S. 166. 476 Pape, David Victus et Victor, Prolog, B IIIIa. 477 A.a.O., Widmungsrede, A IIIa.



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lenger behalten wird.“478 Dabei konzediert er, dass seine bisherigen Bemühungen das von ihm intendierte Ziel, „mit predigen / schreiben / vnd disputiren“ verbreiteten calvinistischen Einstellungen zu wehren, verfehlt haben.479 Von der Aufführung verspricht sich der Autor eine stärkere affektive Wirkung und ein tieferes Verständnis.480 Als weiteres Zeugnis sei Heinrich Hirtzwig, Rektor am Gymnasium in Frankfurt am Main, genannt, der in seinem 1617 erschienenen lateinischen Luther-Drama zu seinem Entschluss, das Leben des Reformators auf die Bühne zu bringen, insbesondere feststellt, das Theater erschüttere die Gemüter der Menschen schneller: „Praeter cetera visum etiam producere Lutherum in Theatrum, quo ipso fieri non potest, quin multo citius hominum animi percellantur, cum, quod ludo non tamen sine turbis plurimis agitur, id aliquando sic reverâ gestum esse accuratius cogitatur.“481 Den locus classicus für diesen Sachverhalt bildet das Diktum des Horaz: „Segnius inritant animos demissa per aurem quam quae sunt oculis subiecta fidelibus et quae ipse sibi tradit spectator.“482 Was (auch) vor die Augen gebracht wird und was der Betrachter sich selbst vermittelt, das erregt die Aufmerksamkeit stärker als das, was nur durch das Ohr ins Gemüt tritt. Auf dieses Wort verweist etwa Johann Nendorf in seinen Dramen.483 Alle aufgeführten Zeugnisse von Autoren geistlicher Dramen stimmen darin überein, dass für sie die Aufführung eines Dramas eine größere Nachhaltigkeit bewirkt als das Medium der Predigt. Die Aufführung bringt zunächst eine stärkere affektive Wirkung mit sich. Diese wird mit den Verben ‚bewegen‘ und ‚reizen‘ zum Ausdruck gebracht, womit deutlich Terminologie der antiken Rhetorik aufgenommen wird.484 Für das Drama ergibt sich so eine Nähe zum genus grande der Rede, in dem der Affekt berührt und zu Handlungen angeregt wird. Als Resultat der affektiven Wirkung erhofft man sich einerseits ein längeres Verbleiben des Vorgeführten im Gedächtnis, andererseits ein tieferes Verständnis des Dargestellten. An der angenommenen intensiveren Rezeption sind damit alle augustinischen Seelenkräfte beteiligt gedacht. Mit diesen Gedanken bieten die Verfasser geistlicher Dramen nicht wirklich Neues. Wie oben gezeigt, findet sich Ähnliches in früherer Zeit insbesondere bei Melanchthon, in Ansätzen bei Luther, aber auch bei dem Dramati478 Zacharias Rivander, Lutherus redivivus, 1593, Widmungsrede, B 1a. 479 Ebd. 480 Vgl. a.a.O. das Argumentum, B Ia: „Sein gantz [sc. des Dichters] Intent ist gwest / ohn hass Das er die gantz histori fass / Hat sie gstelt in solch action Das man die application So viel dest besser sehen mÖg / Auch so viel mehr die Hertzn bweg / Vnd zugleich auch der gmeine Mann / Hieuon mÖcht ein wissenschafft han. Wie dann ohn zweiffel jhrer viel Glehrter werdn heim gehn aus dem Spiel / Vnd bkommen von vieln andern Bricht / Dazu man sonst kein glegenheit nicht.“ 481 Heinrich Hirtzwig, Lutherus, Wittenberg 1617, Widmungsrede, A 4b. Vgl. auch von Ambrosius Pape das 1605 erschienene Drama Jonas, Widmungsrede, (3a) [eigentlich (5a)]: „... das Bleibet lenger hafften vnnd kleben / gehet auff tieffer zu Hertzen als das / was mann nun gehÖret hat.“ 482 Horaz, Ars poetica 180ff, ed. Schäfer, S. 14. 483 Vgl. Johann Nendorf, Betseba, Widmungsrede, + 3a; Asotus, a.a.O., S. 134,61ff. 484 Vgl. Josef Martin, Antike Rhetorik, München 1974, S. 11f.

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200 Grundlegung ker Johann Krüginger. Rhetorisches Gemeingut, humanistische Anschauungen wurden offenkundig weiter tradiert. Dennoch erscheinen die Aussagen der Vertreter der zweiten und dritten Generation ungleich stärker durch die in der Praxis gemachten Erfahrungen geprägt. Ganz offensichtlich zeigt sich auch eine Unzufriedenheit mit der Wirkung der Predigten auf die Bevölkerung, die nach einer Ergänzung der Predigt verlangte. Insbesondere für bestimmte Bevölkerungsgruppen – die Jugend und einfachere Menschen – wird deren Effizienz als defizitär beurteilt, sie erreicht diese nicht wirklich. Wird von der Aufführung eines geistlichen Dramas die Leistung einer Vertiefung der Predigt erwartet, so muss noch ein weiterer Aspekt angesprochen werden. Ihm kann auch das Vermögen zugesprochen werden, dem Genus Predigt eigene Schwächen auszugleichen, oder genauer: Schwächen der Predigt, die dadurch bedingt sind, dass diese nur durch den Prediger vermittelt werden kann, zu kompensieren. Die Aufführung eines Dramas entlastet den Prediger, und zwar von der unangenehmen Aufgabe, den Menschen ins Gewissen zu reden, kurz: das Gesetz zu predigen. Der am Pädagogium in Stettin wirkende Vitus Garleben bringt es auf die Formulierung: „Darinnen [sc. in der Komödie oder Tragödie] als im schon Gemehlt Ein jeder seh worans jm fehlt. Denn offt das so mit worten schlecht Eim andern man nicht sagen mÖcht. Jn solchen gdichten Action wird angezeigt vnd kund gethon / Da sich die Dichter schewen nicht / Allerlei sach wie die geschicht zuloben vnd zu straffen frey / Nicht achten wems zuwidern sey.“485 Das Theater führt in seiner Eigenschaft als Spiegel auf eine unaufdringliche Weise zur Selbsterkenntnis. Dem – hinter seinem Drama verschwindenden, in ihm selbst nicht erscheinenden – Dichter fällt es leichter ad hominem zu reden als dem auf der Kanzel vor seiner Gemeinde stehenden Prediger.486 Cyriakus Spangenberg kommt in seiner Behandlung des heidnischen Dramas auf die dort zuweilen geübte Obrigkeitskritik zu sprechen. Hier äußerten die Dramatiker gegenüber den Großen, „welchs jnen sonst niemands ohne gefahr wol sagen dÜrffen“.487 Reflexionen darüber, dass sich von solcher Kritik zuweilen auch Menschen 485 Vitus Garleben, Eine Geistliche vnd Trostreiche Comedie / Von dem trawrigen Fall vnnd Gnediger annehmung vnser ersten Eltern vnd des gantzen menschlichen geschlechtes, Stettin 1577, Widmungsrede, A IIb–IIIa. 486 Dass die Gesetzespredigt in dieser Hinsicht von den Predigern als Problem empfunden wurde, erhellt noch aus Johann Benedikt Carpzovs ‚Hodegeticum‘ von 1652, der den Predigern einschärft, sich in der applicatio nicht mit der allgemeinen Beschreibung von Sünden zu begnügen, nur in genere vitiorum zu reden, sondern konkret zu werden, auf die Ebene des menschlichen Lebens hinabzusteigen, ad speciem vitiorum zu reden, allerdings nicht von individuellen Personen zu sprechen; vgl. Albrecht Beutel, Aphoristische Homiletik. Johann Benedikt Carpzovs ‚Hodegeticum‘ (1652), ein Klassiker der orthodoxen Predigtlehre, in: Albrecht – Weeber (Hrgg.), Klassiker der protestantischen Predigtlehre, S. 42 mit Anm. 69; S. 46. Die gleiche Forderung, nicht in genere, sondern in specie die Sünde zu strafen, erhebt 1565 schon Michael Saxo in seinem Stephanus-Drama, Widmungsrede, A 8b. 487 Cyriakus Spangenberg, Ein christliches Spiel oder COMOEDIA Aus dem Euangelio am Sontage Letare von 5. Gerstenbrodten vnd zween Fischen, Schmalkalden 1590, A Vb. – Ein Beispiel für



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angesprochen fühlen, die vom Verfasser gar nicht intendiert waren, stellt Martin Behm an. Nach ihm kann der Dramatiker dies in Kauf nehmen, ja dies sei sogar zu begrüßen, insofern die Zuschauer in jedem Falle aufgefordert seien, sich selbst zu hinterfragen. In seinem Judith-Drama von 1618 hält er fest: „Hat jemand sonst gemerckt was mehr / Das jhm zu nah fast kommen wehr / Der sol die Schult jhm selber gebn / Vnd forthin nicht so strÄfflich lebn.“488 Ein Autor kann aber auch vorsichtiger agieren und eine Eingrenzung vornehmen mit der Versicherung, dass bei einem Kritikpunkt nur diejenigen angesprochen seien, die wirklich schwerer Vergehen oder Laster zu zeihen wären.489 Kommt dem Theater diese Funktion des Spiegels zu, so wird auf der anderen Seite auf diese Weise auch Distanz ermöglicht. Es ist nicht die eigene Person des oder der Betrachtenden, die dargestellt wird, sondern eine andere, durch die aber ein Lernprozess initiiert wird. Pape untermauert diesen Sachverhalt pointiert mit dem zuweilen Plautus zugewiesenen Diktum: „Felix, quem faciunt aliena pericula cautum.“490 Dem Drama bzw. seiner Aufführung kommt aber keinesfalls, wie man aufgrund des gerade Gesagten schließen könnte, nur die Funktion der Gesetzespredigt zu. Vielmehr dient es, abhängig vom jeweiligen Vorwurf, wie bereits in Bezug auf Luthers Haltung zum biblischen Drama und das Drama des Wittenberger Kreises herausgearbeitet wurde, auch der Vermittlung von Trost.491 Dazu seien nur wenige Beispiele genannt: Ambrosius Pape äußert in der Vorrede zu seinem Drama ‚Mundi immundicies‘, das Spiel solle „... dem Gemeinem Mann vornemlich zur Lehr vnd besserung des Lebens / auch den Busfertigen

Obrigkeitskritik bietet Johannes Römoldts ‚Ein fein christlich und nützlich Spiel von dem gräulichen Laster der Hoffart‘ (1564), in dem die Obrigkeiten vor der superbia gewarnt werden. Diese Warnung begegnet einerseits in Gestalt des gesungenen Magnificat, andererseits wird sie auch vom Hofmeister Kalogorus direkt dem König Balenicus vorgetragen; vgl. Akt I Szene 1 (ed. HermannJosef Müller, B 6–B 7v). 488 Martin Behm, Tragicomoedia. Ein SchÖn Teutsch Spiel / Vom Holoferne vnnd der Judith, Wittenberg 1618, Epilog G IIIIb (S. 104). 489 Dies ist die Vorgehensweise von Georg Müntzer, Vom reichen Mann und armen Lazarus, Beschluss, F VIIb, nach dem sich nicht jeder Begüterte mit dem im Spiel dargestellten Reichen identifizieren soll: „Jch meine die jhr Reichthumb schwer Nicht gebrauchen zu Gottes ehr Helffen niemand mit jrem Gut Brauchen das nur zu vbermuth.“ Ähnlich bemerkt Johann Sanders in seiner Tragödie über Johannes den Täufer von 1588 in der Vorrede, ) ( IIb–IIIb, er wolle nicht so verstanden werden, als ziele er auf besondere Personen. Wer sich angesprochen fühle und sich eines Lasters für schuldig halte, so Sanders, ) ( IIIa, „Der wisse das es jm zur getrewen warnunge wolmeinentlich geschrieben sey.“ Wer sich für unschuldig halte, bleibe so und vermeide die Laster auch fernerhin. 490 Pape, David Victus et Victor, Widmungsrede, A IIIIa. Die Herkunft dieses Zitats ließ sich leider nicht ermitteln. 491 Vgl. Siegfried Bräuer, „Seht, lieben Leut’, kehrt euch daran …“, S. 93, der zu Johann Krügingers Johannes-Drama konstatiert: „Das Achtergewicht liegt nicht auf dem Appell, der Forderung, dem Gesetz, sondern auf dem Trost, dem Zuspruch, dem Evangelium.“

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202 Grundlegung zum Troste ...“ dienen.492 Georg Rollenhagen bemerkt im Prologus seines Spiels vom reichen Mann und armen Lazarus, Gott selbst gebrauche in der Schrift „Exempel viel der straff vnd gnad“, aus diesen habe er, Rollenhagen, sein Spiel genommen.493 Sein 1576 erschienenes Tobias-Drama nennt er im Titel eine ‚tröstliche Komödie‘. Georg Müntzer erhofft für seine ‚Action der Historien‘, dass sie „nicht gar ohne nutz vnd trost sol gelesen vnd gespielet werden.“494 Zacharias Poleus meint, dass die in seinem Stück verarbeitete Geschichte der Belagerung Samarias „... ein mechtiger Trostspiegel ist allen denen Landen vnd StÄdten / so vom Feind / BelÄgerung / Hunger oder Teurung / genotdrenget werden.“495 Angesichts der von Anfang an zentralen Stellung der Predigt im Protestantismus erscheint es fast müßig darauf hinzuweisen, dass kein Autor intendiert, das Drama solle die Predigt überflügeln oder gar ersetzen – abgesehen davon, dass es dazu auch kaum in der Lage wäre. Ausdrücklich stellt etwa Bertesius im Epilog seines ‚Regulus‘ fest, dass eine Aufführung keineswegs als Konkurrenz zur Predigt zu verstehen sei, vielmehr zu dieser hinführen solle.496 Die Quintessenz seiner Ausführungen besteht darin, dass die rechte Lehre den Menschen gar nicht oft genug dargestellt werden könne. Dem Drama kommt dabei nur dienende Funktion zu. Nach Ambrosius Papes ‚Jonas‘ tritt das Drama unterstützend an die Seite der Predigt und ergänzt die durch das Wort wahrgenommene Erklärung.497 Melchior Neukirch erhofft sich, durch Dramen und andere Mittel bei durch die Predigt nicht erreichbaren Menschen eine Liebe zum Wort Gottes und damit auch wieder zur Predigt zu evozieren, indem ihnen das Evangelium spielerisch beigebracht wird.498 Unbestritten gebührt aber der Predigt der Primat. So beginnt die Reihung der ‚christlichen Zeremonien‘ und ‚exercitia pietatis‘ bei Neukirch – wie alle derartigen Reihungen – mit: 1. der Predigt des göttlichen Wortes, 2. christlichen Zeremonien, darunter besonders 492 Vgl. Pape, Mundi immundicies, Vorrede, A Va. Hier zeigt sich wiederum der orthodoxe Primat der Lehre vor dem Leben. 493 Rollenhagen, Spiel vom reichen Manne und armen Lazaro 1590, a.a.O., S. 9,45f.49f. 494 Müntzer, A IIIIb. 495 Poleus, Tragedi, Vorrede, A IIIa. 496 Bertesius, Regulus, Epilog, K IIIb: „Was sie [sc. die Action] nun hab in sich fÜr Lahr / HÖrn ewer gunsten alle Jahr. Auff seine Zeit in Gottes Hauß / Von Praedicanten legen auß / Dahin wir euch dann weisen solln / Vnd nicht hiemit auffziehen wolln / Jedoch / dieweil was recht vnd gut / Mann viel muß heissen eh mans thut: Ja ob man guts offt lehret schon / Doch mancher nicht viel tregt davon: Dem Predigampt doch nichts entgeht / Ob hie gleich jemand lehr empfeht.“ 497 Ambrosius Pape, Jonas, Magdeburg 1605, Widmungsrede, (3a) [eigentlich (5a)]: „Vnd ob das Wort wol genug ist zur Bekerung vnd Newen Geburt: so sind doch andere Arten / so jhm zu springen / vnd solchs Erkleren / in keinem wege zu verachten. Vnter Solchen haben die offenliche Schawspiele vnd Geistreiche Actiones Comoediarum et Tragoediarum auch ihren Hohen vnd sonderlichen Nutz ...“ 498 Vgl. Neukirch, Stephanus, Widmungsrede, A IIIa: Den Einfältigen sollten Gemälde, Bilder, Figuren oder Gedichte vorgehalten werden, „... auff das man auch hiedurch die Leute / die sonst der Predigt offt mÜde vnd vberdrÜssig werden / auff solche weise herzu fÜre / das sie zu Gottes Wort lust vnd liebe gewinnen / vnd / als spielweise / jnen mÖge bey gebracht werden.“



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dem Singen, um 3. mit der Übung, „Comedien oder Tragedien zu exhibiren...“499 zu enden. Insofern die Dramen ausnahmslos einen stark worthaften Charakter tragen, ist die Aussage, dass ein Drama eine Predigt zweiter Ordnung darstellt, durchaus vertretbar.500 Freilich sind die geistlichen Dramen, wie erwähnt, auch ein Ausdruck der Unzufriedenheit der Pfarrer mit der aktuellen Predigtsituation, d.h. mit der Resonanz und Wirkung der Predigt bei den Hörern. Ein beredtes Zeugnis davon legt der bereits erwähnte Martin Behm 1617 ab: „So siehet man auch wie es sonst bey Predigten zugehet / einer schlefft / der ander wescht / der dritte liest im Eulenspiegel oder CENTENOVELLA, mancher schweifft mit Gedancken anderswo herumb / ihr viel erwarten kaum bis die Predigt ab ist / da wischen sie auff und streichen davon.“501 Diese Äußerung belegt auch eine als demonstrativ zu apostrophierende Emanzipation bürgerlich gebildeter Gemeindeglieder, die sich lieber weltlicher Lektüre widmen als der Predigt zu folgen. Jene Haltung kann gleichwohl auch eine Reaktion auf als langweilig empfundene Prediger sein.502 Indessen blieb die Hoffnung, diese Situation durch die Aufführung geistlicher Dramen zu verbessern und so eine bessere Predigtrezeption zu befördern. Eine andere Frage könnte sich aber in Bezug auf die Charakterisierungen des geistlichen Dramas als ansehnlicher Predigt oder augenscheinlicher Predigt stellen. In diesen wird dem Begriff der Predigt ein Sichtbarkeit ausdrückendes Adjektiv beigeordnet, so dass sich eine Definition ergibt, bei der das Substantiv der Predigt das genus proximum bildet, während das adjektivische Attribut ‚sichtbar‘ die differentia specifica markiert. Ausgehend von der sich so ergebenden Definition, könnte die Frage formuliert werden, ob eine solche Bezeichnung nicht zu nahe an den Sakramentsbegriff herankommt, gilt doch das Sakrament nach augustinischer, auch von der Reformation rezipierter Tradition als verbum visibile.503 Auch hier gilt freilich, dass kein Autor die Aufführung eines geistlichen Dramas als Sakrament, als göttliches medium salutis versteht. Entsprechende Reflexionen fehlen völlig. Zwar wird, wie gezeigt, im Gefolge Luthers auf eine lange Geschichte des geistlichen Dramas in Israel und in der Kirche verwiesen, allerdings nicht auf eine göttliche Stiftung – samt einer solchen beigegebenen Verheißung – rekurriert. Die Nähe zum Sakramentsbegriff ist somit nur eine scheinbare, insofern in der Aufführung des geistlichen Dramas nicht die göttliche Verheißung sichtbare Gestalt gewinnt. Nun scheint die von einer solchen Aufführung prädizierte Dignität unüberhörbar zu sein, wenn am untersten Ende des hier betrachteten Zeitraums der in Neustadt bei Pirna als Pfarrer wirkende Andreas Lucas in 499 A.a.O., A IIIIb. 500 Siegfried Bräuer, „Seht, lieben Leut’, kehrt euch daran…“, S. 97, formuliert für das Bibeldrama des Wittenberger Kreises, es sei „eine Art zweites Katheder und zweite Kanzel“. Wie der Befund zeigt, lässt sich dies auch auf die spätere Zeit übertragen. 501 Martin Behm, Das Manna Oder Himmelbrot (Wittenberg 1617, S. 211f.), zitiert nach Richard E. Schade, Martin Böhme and Ludwig Hollonius, S. 584. 502 Vgl. Schade, ebd. 503 Vgl. Apol. XIII, BSLK 292f.,41f.

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204 Grundlegung seinem 1551 erschienenen Abraham-Drama formuliert, bei einer Aufführung würden die Zuschauerinnen und Zuschauer „... Beweget vnd gereitzet je Gleichsam durch lebendige wort Das sie den sachen immer fort Vnd fort fleissiger dencken noch...“504 Die Formulierung ‚lebendige Worte‘ bedeutet aber zunächst nur, dass Menschen in einer Situation miteinander redend in direkter Weise dargestellt sind, dieses Reden also in einem spezifischen Kontext mit agierenden Charakteren verortet ist und darum ‚echt‘ wirkt. D.h. es liegt, in Aufnahme der Terminologie der Dramenanalyse Bernhard Asmuths, eine als mimetisches Rollenspiel sinnlich dargebotene Figurenrede vor.505 Gleichwohl dürfte in dieser Beschreibung des dargestellten Redens in einer Situation als ‚lebendige Worte‘ Luthers Kennzeichnung des Evangeliums als lebendiges Wort, als vivum verbum, das der viva vox anvertraut ist,506 sowie dessen Erkenntnis mitschwingen, dass die eigentliche Gestalt des Evangeliums mündliches Wort ist, das in einer bestimmten Situation ergeht und nicht von dieser Situation abstrahiert werden darf.507 Indem das Drama jene ursprüngliche Situ504 Lucas, a.a.O., Prolog, B VIIa. – Zu Lucas und seinem Abraham-Drama s.u. Abschnitt C I 3. 505 Vgl. Bernhard Asmuth, Einführung in die Dramenanalyse, Stuttgart 20046, S. 8ff. 506 Vgl. die ‚Enarrationes epistolarum et evangeliorum, quas postillas vocant‘ (1521), WA 7, 526,13ff, wo Luther das Gesetz als scriptura mortua und darum wenig wirksam dem Evangelium gegenüberstellt, das der viva vox anvertraut ist und deshalb über mehr energia zur Bekehrung verfügt. Vgl. WA 12, 182,4ff: Gering ist der Name von Priester, Bischof und Papst verglichen mit dem Namen des „Ministrans verbum Dei vivum et inaeternum permanens, omnia potens et faciens“. Vgl. ferner seine Predigt auf das Fest Mariae Verkündigung 1524, WA 15, 480,9ff, wo Luther äußert, Christus belebe die Seele durch das Wort und diese ergreife den Spruch: ‚Dir sind deine Sünden vergeben‘. Die das Reich Christi beschreibenden Propheten hätten gewusst, dass die Bedeutung dieses Reichs kurz zusammengefasst laute (480,18): „Christus ist ein mensch, der da regirt ewigklich.“ Er resümiert (480,19): „Haec sunt viva verba et das heubtstuck in hoc Euangelio.“ Erhellend ist auch WA 29, 622,4: „Consolatio, viva verba sunt.“ Vgl. schließlich die Vorlesung zum Hebräerbrief, WA 57, 148,12ff: Gottes Wort ist lebendig als lebendigmachendes Wort. In die gleiche Richtung gehen die deutschen Belege. Das Evangelium ist lebendiges, ewiges, allmächtiges Wort, das tröstet, stärkt, von Sünden befreit und lebendig und selig macht; vgl. WA 7, 22,32ff; 10 I/2, 371,20f.; 10 III, 217,3; 11, 433,25f.; 19, 249,2ff; 23, 609,3f.; 45, 30,12; 47, 93,12ff. Es ist als mündliches Wort charakterisiert im Gegensatz zu Geboten und Gesetzen, zu toter Schrift und zum Buchstaben; WA 6, 359,21; 12, 259,10ff; 24, 243,24f.; 54, 74,17. Als Beispiele nennt Luther den Zuspruch der Verheißungen Gen 28,15 (WA 24, 492,26f.), Sach 9,9 bzw. Mt 21,5 (WA 27, 435,11f.) sowie Joh 3,16 (WA 47, 92,15; 93,12ff); 8,51 (WA 10 I/1, 266,20ff) oder auch des Satzes „Ich taufe dich“ als Aussage Gottes selbst (WA 49, 128,26ff). Dahinter steht die Erkenntnis, dass das mündliche Wort als solches vollmächtig ist, weil es durch Unmittelbarkeit geprägt ist und nachhaltiger wirkt; vgl. WA 33, 438,6–13; 12, 300,19f.; 54, 74,15ff. – In anderer Akzentuierung kann Luther auch Gottes Wohltaten in der Heilsgeschichte eine ‚lebendige Predigt‘ nennen; WA 22, 86,27ff. 507 Vgl. bei Luther ‚Ein kleiner Unterricht, was man in den Evangelien suchen und erwarten solle‘ (1522), WA 10 I/1, 17,7–12: Das Evangelium ist eigentlich mündliches Wort und sollte mit dem Mund getrieben werden. Vgl. die gerade genannte Stelle WA 7, 526,13ff sowie WA 12, 259,8–13, wo Luther auch vom Evangelium als „lebendig wort“ spricht. – In seiner Vorrede zum Neuen Testament hält Luther fest, dass eine gute Nachricht in einer bestimmten Situation ergeht – als Bei-



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ation nachahmt, bringt es dieses Proprium des Evangeliums zum Ausdruck, wiewohl es nur nachahmende Darstellung, Mimesis ist und daher nicht mit dem Evangelium selbst zu verwechseln ist. In diesem Charakter der dramatischen Darbietung als situationsgebundene, mimetische Figurenrede erkennt man aber ideale Bedingungen dafür, dass das in die Schrift gefasste Wort wieder viva vox evangelii werden kann. Dass dem so ist, bestätigt sich auch, betrachtet man die postulierte Wirkung einer Aufführung bei den Betrachtenden. Damit soll nicht behauptet werden, dass Lucas oder andere Autoren davon ausgingen, die Aufführung lege automatisch das göttliche Wort in die Herzen der Menschen und wecke Glauben – hier gilt das ubi et quando visum est Deo 508 –, wohl aber, dass sie Bedingungen dafür verwirklicht sehen, dass dieses Wort im Subjekt seine Wirkung entfalten kann. Das Verständnis des Dramas als einer Vertiefung und Verlängerung der Predigt, als einer Predigt zweiter Ordnung, führt schließlich zum Institut des sogenannten Hausspiels. Dieses findet sich mit einer singulären Begründung im Rahmen einer eigenen Konzeption bei dem Flacianer Cyriakus Spangenberg. Er empfiehlt in seinem Drama ‚Comoedia von dem Cananeischen Weiblein‘ von 1589 die regelrechte Einrichtung von Hausspielen.509 Ziel dieser Hausspiele ist für ihn die Intensivierung der religiösen Erziehung der Kinder. Spangenberg berichtet, er habe beobachtet, wie seine Kinder die biblischen Geschichten in ihren Rollen zu spielen begannen, nachdem er sie ihnen vorgelesen hatte. In diesem Verhalten erkennt er den – von ihm auch an anderer Stelle positiv gewerteten – natürlichen Spieltrieb der Kinder und entwickelt den Gedanken, diesen Spieltrieb zu nutzen, um den Kindern die biblischen Geschichten in altersgemäßer Weise nahe zu bringen. Als vorteilhaft sieht er dabei auch die Reimform an, durch die die Kinder die Geschichten leicht memorieren könnten.510 Nach eigener Aussage hat Spangenberg in seiner Mansfelspiel nennt er die Verbreitung der Nachricht vom Sieg Davids über Goliath in Israel; vgl. WA.DB 6, 2,23–4,3: „Denn Euangelion ist eyn kriechisch wortt, vnd heyst auff deutsch, gute botschafft, gute meher, gutte newzeytung, gutt geschrey, dauon man singet, saget vnd frolich ist, gleych als do Dauid den grossen Goliath vberwand, kam eyn gutt geschrey, vnd trostlich newzeyttung vnter das Judisch volck, das yhrer grewlicher feynd erschlagen, vnd sie erloset, zu freud vnd frid gestellet weren, dauon sie sungen vnd sprungen vnnd frolich waren.“ Im Folgenden weist Luther auf das Ergehen der Verheißung an Adam und Eva in Gen 3, an Abraham in Gen 22 und an David in 2 Sam 7 hin. 508 Dieses findet sich nicht nur in CA V, sondern auch bei Luther in den Invokavitpredigten; s. die Predigt zum 10.03.1522, WA 10 III, 15,26f., wo Luther feststellt, man könne den Glauben nicht ins Herz gießen und niemanden dazu zwingen, „... denn Gott thut solchs alleine und macht das Wort lebendig in der Menschen Hertzen, wenn und wo er wil nach seinem GÖttlichen erkentnis und wolgefallen.“ 509 Eine Christliche Comoedia Von dem Cananeischen Weiblein / Matthei am 15. Capittel Durch M. Cyr. Spangenberg, Schmalkalden 1589. – Zu Spangenberg vgl. Jens Wolff, Art. ‚Spangenberg, Cyriacus‘, RGG4 7, Sp. 1536f. 510 Spangenberg, a.a.O., Widmungsrede, A Vb–VIa: „Vnd als ich gesehen / das Kinder von natur zu Gesprechen vnd Spielen geneiget / vnd etwa auch vnterlang solche Historien / die ich jnen aus der Bibel vorgesagt / kindisch gespielet / da eines der alte Tobias / der andere die Hanna / das dritte der junge Tobias / das vierde der Engel sein wÖllen: Jtem / eines der Hausvater / das ander der Schaff-

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206 Grundlegung der Zeit für seine eigenen Kinder und die Nachbarskinder Geschichten der Evangelien zu kurzen Aktionen gestaltet.511 Diese Stücke hebt er von den lateinischen Dramen Bircks, Naogeorgs, Frischlins und anderer Autoren sowie von den aufwendigeren deutschen Dramen Greffs, Chryseus’ und Rebhuns – alles Vertreter des Wittenberger Kreises – deutlich ab, was er auch terminologisch zum Ausdruck bringt, wenn er von seinen Spielen als „einfeltigen Euangelischen Kinder spielen“ spricht.512 Jeder Hausvater soll ein solches Spiel mit seinen Kindern, Nachbarskindern und Gesinde inszenieren können.513 Deutlich ist, dass die Darbietungen dieser Stücke im Sinne Spangenbergs möglichst wenig Aufwand und keine Kosten verursachen sollen. Ebenso entspricht es dem Konzept, dass Spangenberg bei diesen Spielen ganz bewusst auch die Zahl der Rollen in Grenzen hält. Mit dem Gedanken, sich durch das Hausspiel auf die Ebene der Kinder zu begeben, knüpft der Flacianer deutlich an Luthers pädagogisches Konzept an, wie dieser es in der Vorrede zur Deutschen Messe formuliert hatte.514 Im geistlichen Hausspiel erkennt der von der kirchlichen Entwicklung enttäuschte Spangenberg ein wichtiges Mittel zur Tradierung und Bewahrung der evangelischen Botschaft, auch und gerade angesichts von möglichem Aufkommen von Häresie in der Amtskirche. Er beruft sich dabei auf Luthers Vorrede zum Buch Daniel, in der dieser eine Zeit prophezeit habe, in der von den Kanzeln Irrlehre verkündigt werde; darum müsste das Evangelium in den Häusern von den Hausvätern weitergereicht und erhalten werden.515 ner / die vbrigen die gedingten WeinhÄcker / etc. Hat mich solchs verursachet / jnen je bißweilen eine Euangelische Historien nur nach dem Text kurtz in Reime zu fassen / vnd in so viel Personen / als sie bestreiten kÖnnen / auszuteilen / vnd also kurtze actiones zu stellen / damit sie sich zu vben hetten / deren etliche / da die Kinder grÖsser / vnd jrer mehr worden / ich auch etwas weiter vnd ausfÜrlicher gestellet / das sich dieselbigen auch wol fÜr Alten mÖgen sehen vnd agiren lassen.“ – Positiv zum kindlichen Spieltrieb äußert sich Spangenberg auch in der Widmungsrede zu ‚Ein geistlich Spiel vom Euangelio am Sontage Judica‘, Schmalkalden 1590, A IIIa–b. 511 Vgl. die Widmungsrede der Comoedia vom Euangelio am Sontage Oculi, von dem besessenen tauben und stummen Menschen, Schmalkalden 1590, A VIIIa–b. 512 Cyriakus Spangenberg, Ein christliches Spiel oder Comoedia Aus dem Evangelio am Sontage Letare von 5. Gerstenbrodten und zween Fischen, Schmalkalden 1590, Widmungsrede, A VIIIb. Auffallend ist, dass Spangenberg bei den lateinischen Dramatikern auch altgläubig-katholische Autoren wie Ziegler, Crocus und Andreas Diether nennt. Selbst in dieser späten Zeit besteht offenbar noch eine gewisse Durchlässigkeit bei den Dramen. – Für die Hausspiele empfiehlt er eine Aufführungspraxis „ohne auffwendung grosser vnkosten“ (A VIb). 513 Vgl. a.a.O., A VIIIb–B Ia. 514 Gegen Kritiker, die solche Stücke als Kinderspiel apostrophieren, hält Spangenberg, a.a.O., A IIIIa–b, fest: „Wir aber wÖllen noch geringer werden / denn also vnd wollen nidrig sein in vnsern Augen vnd mit den einfeltigen Catechismus-SchÜlerlein also spielen / vnd mit solchen Kindern zu ehren werden.“ Vgl. dazu Luthers berühmten Satz (WA 19, 78,13ff): „Christus, da er menschen zihen wolte, muste er mensch werden. Sollen wyr kinder ziehen, so mussen wyr auch kinder mit yhn werden. Wolt Got, das solch kinderspiel wol getrieben wurde...“ 515 Vgl. die Komödie vom kanaanäischen Weib, a.a.O., A VIIIa–b. Vgl. WA.DB 11 II, 122,1–5.



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Die Hausspiele sollen die prinzipielle Unabhängigkeit der Christen von den in der Gefahr häretischer Usurpation stehenden Kanzeln ermöglichen. Entsprechend stellt Spangenberg das Hausspiel neben das Lesen von Schrift und Postille, geistliche Gesänge und die Übung des Katechismus.516 Das Hausspiel bietet eine erhebliche Diffusion der christlichen Botschaft in die Gesellschaft, nämlich in die kleinste Zelle, die Familie. Spangenbergs Überlegungen stellen ein Analogat und darin eine Weiterführung zu den Gedanken Luthers zur Katechisierung in der Familie dar, für die dieser den Hausvater verantwortlich sieht.517 Nicht zu verkennen ist, dass Spangenbergs Konzept auf seinem apokalyptischen Denken beruht, gemäß dem in der Endzeit die reine Lehre auch in der Kirche bedroht ist. Auch mit seinem apokalyptischen Denken ist er ein typischer Vertreter der Gnesiolutheraner.518 Einen eigenen Ansatz des Hausspiels hatte Jahre zuvor bereits der steyerische Dramenschreiber Thomas Brunner519 (†  1571) entwickelt. Der aus Landshut stammende Brunner hatte in Wittenberg studiert und war ein Schüler Melanchthons. Seit 1558 war er Rektor der protestantischen Lateinschule in Steyr. In seinem 1566 erchienenen Stück ‚Jakob und seine zwölf Söhne‘520 fasst er die Einrichtung des Hausspiels als Teil des Reformationsgeschehens selbst auf, insofern in ihm die Botschaft des Evangeliums über Kirche und Schule hinaus in die Privathäuser dringe: „Das also die reine Lere des heiligen Evangelii / mit predigen / schreiben / lesen / singen / spielen / nicht allein in Christlichen 516 Spangenberg, a.a.O., A VIIIb: „... da denn neben dem lesen der Schrifft vnd reiner Lutherischer Postillen / vnd den geistlichen Gesengen / vnd vbung des Catechismi / solche Hausspiel auch viel zu erhaltung gÖttlicher warheit befÖrderlich sein kÖnten / Denn die Jugend solche Reime gemeiniglich besser / denn etwas anders behalten / vnd was jnen darinnen fÜrgetragen wird / auffs tieffste jnen einbilden.“ Auch Spangenberg verweist also auf die durch eine Aufführung bewirkte bessere memoria. 517 Vgl. die Vorrede zur Deutschen Messe, WA 19, 76: Die drei Hauptstücke sollen „da heymen“ den Kindern abends und morgens vorgelesen werden; anschließend sollen katechetische Fragen gestellt werden. Vgl. die Vorrede zum Großen Katechismus, BSLK 554,11ff: „Darümb auch ein iglicher Hausvater schüldig ist, daß er zum wenigsten die Wochen einmal seine Kinder und Gesinde ümbfrage und verhöre, was sie davon [sc. den Hauptstücken] wissen oder lernen und, wo sie es nicht konnen, mit Ernst dazu halte.“ 518 Vgl. Ernst Koch, Der kursächsische Philippismus und seine Krise in den 1560er und 1570er Jahren, in: Heinz Schilling (Hrg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der „Zweiten Reformation“, Gütersloh 1986, S. 66. 519 Zu Person und Werk Brunners, vgl. DL3 II, Sp. 181. Brunner verfasste drei biblische Dramen: Jakob und seine zwölf Söhne (1566), Tobias (1569), Isaak und Rebekka (1569). Zu Brunners Tobias, der die Grundlage für Rollenhagens Tobias bildete, vgl. Rollenhagen, Tobias, Widmungsrede, S. 4. 520 Thomas Brunner, Die schÖne Biblische Historia / von dem heiligen Patriarchen Jacob / vnd seinen zwÖlff SÖnen / Spielweis gestellet vnd gehalten zu Steyr im Land Osterreich ob der Ens, Wittenberg 1566, in: Jacob und seine zwölf Söhne. Ein evangelisches Schauspiel aus Steyr von Thomas Brunner 1566, hrg. v. Robert Stumpfl, Halle 1928.

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208 Grundlegung Kirchen und Schulen / sondern auch in fromer GottfÜrchtiger Eheleute behausungen / schier in der gantzen weiten Welt (Gott lob) getrieben wird.“521 Das Verfassen von biblischen Stücken bildet nach ihm einen Teil des Überlieferungsgeschehens des Evangeliums, das durch die von der Reformation angestoßene Übersetzung in die Volkssprache in Gang gesetzt wurde. Das biblische Drama stellt so eine Weiterführung der Bibelübersetzung Luthers dar; ihm kommt die Bedeutung zu, das Ziel, die Bibel unter das Volk zu bringen, zu vollenden. Die vielerlei Begründungen für ein protestantisches Drama und für den kirchlichen Gebrauch des Mediums Theater und daraus resultierende Konzepte rekapitulierend zu kategorisieren, ist keine ganz leichte Aufgabe, da verschiedene Begründungsmuster oft miteinander verwoben sind und sich unterschiedliche Kombinationen ergeben. So können sich nicht nur bei ein und demselben Autor mehrere Begründungen finden, warum er sich des Mediums Theater bedient. Verbindung dieser Begründungen können sich bei dem einen Autor völlig anders gestalten als bei dem anderen, abgesehen davon, dass auch Übergänge zu bemerken sind. Dennoch gibt es, wie sich zeigte, einen Grundkanon an immer wiederkehrenden Argumenten. Eine Möglichkeit wäre es, die Begründungsformen direkt nach den am geistlichen Theater beteiligten Personen zu kategorisieren, d.h. nach Zuschauerinnen und Zuschauern, Spielern und Autor zu differenzieren. So wurde oben mehrfach bemerkt, dass sich ein Autor aus persönlichen Gründen der Abfassung von geistlichen Dramen widmete. Es wurde auf die geistlichen wie moralischen und formalen Inhalte hingewiesen, die den Zuschauern vermittelt werden sollten. Allerdings lässt sich für diese Vermittlung von Glaubensinhalt und moralischer und formaler Bildung nicht wirklich zwischen Zuschauern und Spielern unterscheiden, wenn auch die Vermittlung formaler Bildung insbesondere die agierenden Spieler betrifft. Doch sollten diese Inhalte auch den Zuschauenden nahegebracht werden. Auch für die Autoren ist festzustellen, dass sich hinter den persönlichen Motivationen noch eine tiefere Ebene befindet. So bietet es sich an, zwischen einem inneren und einem äußeren Begründungsmuster zu unterscheiden, dies aber mit der Ebene Zuschauer bzw. Spieler und Autor zu verbinden. Unter einem inneren Begründungsmuster wird hier eine Begründung aus der Sache selbst heraus verstanden, unter einem äußerem Begründungsmuster der Verweis auf eine höhere Autorität oder auf ein durch das Theater zu vermeidendes Negativum. Dabei ist es möglich, dass eine konkrete Begründung des geistlichen Theaters von beiden Mustern her betrachtet werden kann oder aber nur einem Muster zuzuordnen ist. Deutlich in das äußere Begründungsmuster einzuordnen ist der Verweis auf die Schulordnung. Ebenso gilt dies für das Konzept, dass eine Aufführung den Nachweis der Leistungsfähigkeit und damit der Existenzberechtigung der Schule erbringen und so für die Schule werben soll. Aber auch der Gedanke, dass Theateraufführungen von anderen, als schädlich eingestuften Vergnügen wie der Fastnacht abhalten, markiert ein äußeres Begründungsmuster, 521 A.a.O., Widmung, S. 4.



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ungeachtet der Tatsache, dass er schon implizit voraussetzt, dass die Aufführung für die Beteiligten auch ein positives Gut mit sich bringt. Die Begründung erfolgt aber hier nicht aus der Sache heraus; das Abschirmen vor moralisch fragwürdigem Vergnügen könnte auf beliebige andere Weise erfolgen. In den Zusammenhang des äußeren Begründungsmusters gehört schließlich der Hinweis auf die Tradition der Praxis geistlicher Aufführungen in der Geschichte der Kirche oder Israels, untermauert durch die Berufung auf dramatisch tätige gelehrte Theologen – ein für lutherisches und protestantisches Denken nicht unproblematisches Argument, entscheidet doch die Kontinuität einer Tradition noch nicht über deren sachliches Gewicht. In das Gefüge des äußeren Begründungsmuster einzuordnen ist ferner zunächst auch der Hinweis auf den in Gleichnissen lehrenden Christus und – seltener – der Rekurs auf das vor dem Thron Gottes im Himmel zu dessen Ergötzung vollzogene Spiel. Erstere Argumentation ist zu finden etwa im Epilog zu Nicodemus Frischlins Phasma (1580), bei Melchior Neukirch in der Widmungsrede seiner Stephanus-Tragödie (1592)522 oder bei Johannes Bertesius in der Widmungsrede zu seinem ‚Schalksknecht‘ (1606). Nach diesem entspricht die Dramatisierung eines geistlichen Inhaltes dem Vorgehen Jesu, der seine Lehre und Predigten oft „Parabels weise gethan“ und von den vornehmsten Glaubensartikeln in Gleichnissen gelehrt habe.523 Beide Verfasser nehmen damit das humanistische Argument auf, dass schon Jesus selbst gedichtet habe.524 Letztere Argumentation, in der auf Pr 8,30f. rekurriert wird, bietet Hermann Nicephorus, Rektor des Braunschweiger Martineums, in seiner 1604 erschienenen deutschen Ausgabe von Buchanans Jephthes im Prolog: „Wer kan nun solche Spiel verachtn / So man die Sach wil recht betrachtn? Spielt Gott nicht selbst ins Himmels Thron? Vnd fÜr jhm Christ sein lieber Sohn? Die heilign Engel gleicher weis / Spielen fÜr Gott mit hohem preiß: Die Stern des Himmels gleicher massn / Jn jhrem Spiel sich sehen lassn. Die Sonn gar schÖn den Tag agiert / Der Mond des Nachts daher spatziert / Desgleichen thun die andern all Fein ordentlich ins Himmels Saal. Solch frewdn Spiel hat Gott fÜrgestelt Zu schawen an der gantzen Welt.“525 522 Vgl. Frischlin, Phasma, 1592, Epilog, ed. Price, S. 336,2850ff: „Christus hat selber Parabel weiß / Vnd gleich ein Comedi mit fleiß Der Welt fÜrgemalt jhr weiß vnd geberdt / Vnd wie sie komm in Seelen geferd.“ Es folgt der Verweis auf das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus; Neukirch, Stephanus, Magedeburg 1592, Widmungsrede, A IIIb. 523 Bertesius, Schalcksknecht, Leipzig 1606, A IIa. Im Anschluss (A IIb) nennt Bertesius Beispiele: Die Artikel von Gesetz und Evangelium, von der Kirche, von der Wahl, von dem nicht zu verdienenden, sondern aus Gnaden gegebenem ewigen Leben habe Christus im Gleichnis vom Weinberg gelehrt, im Gleichnis vom verlorenen Sohn die Artikel von Sünde, Buße und Gnade usw. 524 Vgl. Christel Meier, Die Inszenierung humanistischer Werte im Drama der Frühen Neuzeit, in: Dies. – Meyer – Spanily (Hrgg.), Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit, S. 261. 525 Jephthes. Ein Christlich TragÖdia / Auß dem Buch der Richter am 11 Capitel. Von dem Hochgelarten vnd FÜrtrefflichen Poëten Georgio Buchanano Schoten in Lateinischer sprach KÜnst-

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210 Grundlegung Zunächst einmal sind diese Begründungen rein positivistisch. Gleichwohl verweisen sie auf eine tiefere Ebene im Sinne eines inneren Begründungsmusters. Der Hinweis auf das Spielen vor Gott belegt, dass das Theater als Spiel ein in sich positives Gut darstellt, das auch zur Ehre Gottes und zu seiner Ergötzung geschieht, und dass dies gilt, auch wenn das Theater sonst keinen anderen innerweltlichen Zweck verfolgt. Auch die Bezugnahme auf den in Gleichnissen lehrenden Christus geht über den bloßen Gedanken einer die Legitimität des geistlichen Theaters erweisenden imitatio Christi hinaus. So fragt Bertesius, warum Christus in Gleichnissen und Allegorien lehre, und Neukirch stellt fest, diese Art, Gottes Wort zu behandeln, bringe viel Frucht.526 Bertesius erläutert, dass Christus in Gleichnissen gelehrt habe, da dies infolge der menschlichen Vorstellungskraft besser im Gedächtnis verbleibe.527 Ähnliche Gedanken finden sich bei Melanchthon, der konstatiert, auch Erwachsene seien durch die Gleichnisse der Bibel eher erreichbar als durch auf Vernunft beruhende Argumentation. Vorteil der Gleichnisse sind nach ihm die lebendigen Bilder, die auf das Subjekt nachhaltiger wirkten.528 Damit befinden wir uns bei den inneren Begründungsmustern, gemäß denen sich das geistliche Theater aus sich heraus empfiehlt. So ist das Theater – analog zum Gleichnis oder zur Parabel – der Vermittlung des geistlichen Inhalts angemessen, weil es diesem Inhalt gegenüber angemessen ist, insofern es ihn gut zu transportieren vermag, und andererseits dem Rezeptionsvermögen der Adressaten besonders entgegenkommt – in diesem wird eine Akkomodation an die Aufnahmefähigkeit des Menschen vollzogen. Insofern lässt sich hier von einer anthropologischen Begründung des geistlichen Theaters sprechen, das in besonderer Weise dem menschlichen Rezeptionsvermögen entspricht. Dieser Ansatz rechnet mit der Schwäche des Menschen, dem das längere bloße Zuhören ohne Anschauungsmittel schwerfällt, eine Schwäche, die ebenso die Jesuiten wahrgenommen haben, die auch versuchten, diese mit dem Theater zu kompensieren.529 Freilich könnte man den genannten Sachverhalt terminologisch auch als mediumspezifische Begründung in Anschlag bringen, da hier das Theater stets als Medium im Verhältnis zu anderen lich gemacht / demnach durch Hermannum Nicephorum Rectorn der Schul zu S. Martin in Braunschweig / mit lieblichen Reimen / dem gemeinen Mann zu nutz vnd gÜnstigem gefallen ... verteutschet / auch mit dem Prologo, Epilogo vnd anderem zusatz vermehret, Braunschweig 1604, Prolog, A Vb–VIa. 526 Vgl. Bertesius, a.a.O., A IIIa; Neukirch, a.a.O., A IIIb. 527 Bertesius formuliert, a.a.O., A IIIa: „Dann er hiemit vnsere Gedancken vnd Sinne dahin ziehen wollen / daß wir vns das jenige / so er durch die gleichnisse bezeichnet / also imaginiren / vnd einbilden solten / als wenn wir solches an eingefÜhrten Personen / in ipso actu also ergehen sehen / auff daß vns dasselbe desto anmüthiger seyn / vnd lenger im Hertzen vnd Sinne bleiben mÖchte.“ 528 Vgl. die beiden Schriften von Melanchthon, Declamatio de utilitate fabularum, CR 11, 119f., und Declamatio de studiis adolescentium, CR 11, 183f., und dazu Bernd Roling, Erziehung durch Literatur im Werk Philipp Melanchthons, in: Meier – Meyer – Spanily (Hrgg.), Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit, S. 318. 529 Vgl. Urs Herzog, Geistliche Wohlredenheit, München 1991, S. 60.



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Vermittlungsformen in den Blick genommen wird und sodann Vorteile dieses Mediums gegenüber anderen Medien, insbesondere der Predigt, als Argumente für die Theaterpraxis angeführt werden. Die Autoren erkennen einen nicht unerheblichen Mehrwert des Dramas gegenüber der Predigt oder dem Lesen infolge der Sichtbarkeit, des actio-Charakters und der Darstellung von Exempeln. Entsprechend wird die Aufführung von Dramen als Ergänzung und Mittel zur Vertiefung der Predigt und der biblischen Lektüre gefordert. Indessen kann dieses Argument noch einmal besondere Zuspitzung erfahren in Gestalt einer adressatenspezifischen Begründung: Hier erscheint der Gedanke, dass sich das Medium Theater für eine bestimmte Adressatengruppe als besonders geeignet erweist, da dieser Gruppe der zu vermittelnde Stoff auf solche Weise in intensiverer Form und auf nachhaltigere Weise nahe gebracht werden kann, während andere Vermittlungsformen, zumal die Predigt, jene Adressaten nur schwer zu erreichen vermögen. Als diese Gruppe werden ausnahmslos die Jugend sowie illiterati und ‚einfältige Laien‘ genannt. Diese gelten als dem Medium Theater gegenüber aufgeschlossen, eben aufgrund der dieses kennzeichnenden Sichtbarkeit und des actio-Charakters. Ähnliches wird von Spangenberg auch für die Kinder geltend gemacht, für die das Theater aufgrund seiner Kindgemäßheit als besonders geeignet erscheint, da, so die Argumentation, es ihrem Spieltrieb entgegenkomme. Das Theater als solches wird also für diese Adressatengruppen, aufgrund des Zustands von Gemüt und Intellekt, der für diese Zielgruppen behauptet wird, für geeigneter für die Vermittlung des Evangeliums gehalten als die Predigt oder andere Formen. In gewisser Weise tritt das geistliche Drama damit die Nachfolge des mittelalterlichen Bildes in seiner Funktion als ‚biblia pauperum‘ an.530 Gleichwohl soll damit kein Zustand perpetuiert werden, die Befähigung des Subjekts zur selbständigen Bibellektüre bleibt das fernere Ziel pädagogischer Bemühungen. Die Auffassung, dass das Medium Theater ein der Vermittlung des Evangeliums angemessenes Medium darstellt, kann sich mit der biblischen Begründung Kol 3,16 verbinden, dass das Wort Christi auf alle Weise verbreitet werden soll. Damit gerät das geistliche Theater in den Zusammenhang der Verbreitung des Evangeliums bis hin zur Entwicklung eines binnenmissionarischen Konzepts, mittels dieses Theaters die gesamte Bevölkerung mit dem Evangelium vertraut zu machen. Dazu tritt ferner die Vermittlung elementarer 530 Vgl. noch das Zeugnis des Christian Schoen, Comoedia, Von des Patriarchen Jsaacs Freyschafft, Wittenberg 1599, Widmungsrede, X IIIb–IIIIa: Die Historien der Altväter hätten großen Nutzen, „Als wil von nÖhten sein / das man dieselbige offtmals lese / sie widerhole / Dauon lehre / predige / vnd handele: Vnd habe demnach / wie in den Schulen gebreuchlich / Vor etlichen Jahren / als ich Alhie zum Jessen VnwÜrdiger Schulmeister worden / Mier selbst zur Gottseligen Erinnerung / der mir befohlenen vnd vertrawten Jugend zur Christlichen vbung vnd vnterricht / Vnd anderen einfeltigen Leuten / so die Historien selbst nicht lesen kÖnnen / Oder sonst zu geistlichen Spielen lust haben / zur Lehr vnd Wolgefallen / die Historia vnnd Geschicht der Heiligen AltvÄter aus dem alten Testament / Spielweise / mir von jahr zu jahr zu agiren fÜrgenommen.“ Schoen sieht also drei Zielgruppen des geistlichen Dramas: den Autor selbst, die Jugend und die ‚Einfältigen‘ bzw. illiterati.

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212 Grundlegung moralischer Einsichten und Tugenden sowie eines dem jeweiligen Stand angemessenen Verhaltens, also einer formalen Bildung unter Einschluss guten, deutlichen Sprechens und ordentlichen, freien Auftretens. So ergibt sich in Bezug auf das geistliche Drama ein umfassendes Bildungsprogramm. Dessen letzte Aspekte sind ohne Zweifel humanistischer Provenienz, wie es im Sturmschen Ideal der ‚sapiens et eloquens pietas‘ aufscheint.531 Dass das geistliche Theater das Wort vermittelt, gilt schließlich auch für den Dramenautor selbst. Während die von Almut A. Meyer eruierte Begründung der Abfassung eines Dramas als Empfehlungs- oder Bewerbungsschrift klar einem äußeren Begründungsmuster entspricht, ist dies nicht mehr völlig eindeutig, wenn ein Verfasser seine Begabung im und seine Muße am Schreiben von Dramen als Motive für seine Tätigkeit angibt oder auf die damit gegebene Erholung verweist.532 Deutlich anders verhält es sich aber, wenn ein Autor äußert, er schreibe Dramen zur eigenen Erbauung, aufgrund der Betrachtung der Historie oder zur Meditation und Vertiefung des Textes. Hier liegt wiederum ein inneres Begründungsmuster vor. Offensichtlich ist der Verfasser von dem Inhalt der jeweiligen Geschichte derart ergriffen, dass er von diesem geradezu zu einer dramatischen Umsetzung des Textes gedrängt wird. Gewiss boten sich dazu auch andere Gattungen wie das Lied an – von einigen Dramatikern rege praktiziert –, dennoch erscheint es so, dass viele Autoren die Dramatisierung einer biblischen Geschichte als Kulminationspunkt von deren Gestaltwerdung empfanden, dass sie davon ausgingen, mit der Dramatisierung der Bewegung des Textes selbst zu entsprechen. Insofern geht diese Motivation über eine autorenspezifische Begründung, über eine auktorielle Selbstverwirklichung hinaus und repräsentiert ein inneres Begründungsmuster.

i) Der systematische Ansatz Balthasar Meisners Der 1611 als Professor nach Wittenberg berufene Balthasar Meisner (1587–1626)533 widmet in seinem im selben Jahr erstmals erschienenen ersten Band seiner Philosophia sobria die erste Quaestio des mit der Aufgabe der weltlichen Obrigkeit befassten vierten Kapitels des zweiten, praktische Fragen behandelnden Teils der Frage des Theaters. Die Fragestellung lautet dabei, ob theatralische Aufführungen in einem wohlbestellten Staat als

531 Johannes Sturm, De literarum ludis recte aperiendis, Kap. X, in Vormbaum Bd. 1, S. 661: „Propositum a nobis est, sapientem atque eloquentem pietatem, finem esse studiorum.“ Vgl. dazu Anton Schindling, Humanistische Hochschule und freie Reichsstadt. Gymnasium und Akademie in Straßburg 1538–1621 (VIEG 77), Wiesbaden 1977, S. 30f. 532 Ebenfalls an der Schwelle zwischen äußerem und innerem Begründungsmuster liegt das Motiv, dass Johann Baumgart als sekundäre Begründung angibt; vgl. Iuditium, Widmungsrede, ) ( VIa: Er schreibe (auch) aus Liebe zu den Schulen und besonders zu seiner Magdeburger Schule. 533 Vgl. Kenneth Appold, Art. ‚Meisner, Balthasar‘, RGG4 5, Sp. 996, zur ‚Philosophia sobria‘ vgl. Ernst Koch, Das konfessionelle Zeitalter, S. 224.



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legitim zu beurteilen sind.534 Das Thema erhält, bereits durch den Rahmen des gesamten Werks, dann aber auch mit Meisners einleitenden Bemerkungen, sofort eine anticalvinistische Stoßrichtung. Die Calvinisten werden den Pharisäern und Heuchlern aus Mt 23,23f. gleichgesetzt, die die wichtigsten Glaubensartikel bekämpften, aber in unwichtigeren Dingen einen unbegründetermaßen strengen Standpunkt einnähmen. Der Vorwurf ist klar: Die Calvinisten, so Meisner, beachteten nicht, dass es sich bei der Frage des Theaters um ein Adiaphoron handele, machten, locker formuliert, aus einer Mücke einen Elefanten, und kämen so zu einer radikalen Verdammung des Theaters.535 Ohne Personen oder Städte zu nennen, kolportiert Meisner dabei die Vorstellung eines humorlosen Calvinismus. In seiner Analyse geht Meisner indessen streng systematisch vor. Theatralische Aufführungen könnten betrachtet werden unter den Aspekten des Zweckes, des Stoffes und der darstellenden Personen. Beim Zweck unterscheidet er zwischen ehrenhaft und unehrenhaft. Ein ehrenhafter Zweck liege vor, wenn bei einer Aufführung weder die Ehre Gottes verletzt, noch die wahre Religion verhöhnt, noch dem Nächsten Ärgernis oder Schaden zugefügt werde, sondern sowohl den Zuschauenden als auch den Spielern ein Nutzen bereitet werde.536 Einen unehrenhaften Zweck erkennt er, wenn Gott verunehrt werde, wie es der Fall sei bei einer Anrufung heidnischer Götter, oder wenn die christliche Religion preisgegeben oder der Nächste verletzt werde oder die Ohren der Gottesfürchtigen Anstoß nehmen müssten. Dies sei sehr oft der Fall bei heidnischen Komödien.537 Damit ist die grundsätzliche Tendenz für Meisners Bewertung vorgegeben: Eine christliche Gestalt des Dramas ist möglich und als gut zu beurteilen, die heidnische Gestalt des Dramas steht in Gefahr abzudriften, ist aber nicht eo ipso zu verurteilen. Explizit bringt Meisner diesen Gedanken bei der Behandlung des Stoffes vor: Dieser könne entweder ein biblisches oder ein profanes Thema sein; ersteres sei vorzuziehen, letzteres aber nicht völlig zu verurteilen.538 Auch ein profaner Stoff müsse nicht obszön und anstößig sein. In Bezug auf die Darstellenden hält Meisner fest, dass Laster auf keinen Fall zum Wesen der ludi scenici gehörten, auch wenn sie zuweilen durch solche der Darstellenden, besonders der Narren, eingeführt würden. Darin erkennt Meisner den eigentlichen Grund für die 534 Balthasar Meisner, Philosophia sobria, Pars I. Sectio II. Cap. IV. Quaestio I. Im Folgenden wird die Ausgabe Gießen 1615 benutzt. Die Fragestellung ebd., S. 369, lautet: „An ludi scenici quales sunt Comoediae et Tragoediae in benè constituta Republ. sint ferendi?“ 535 Ebd.: „In rebus autem levioribus, et per se Adiaphoris, ad prodigium usque, tám religiosum esse, ita, ut omnes joci et sales pro vitiis habeantur, omnes ludi, etiam theatrales, quos Comoedias et Tragoedias vulgó dicimus, simpliciter damnentur et prohibeantur, an non est culicem excolare?“ 536 Vgl. a.a.O., S. 370. 537 Ebd.: Ein finis inhonestus liegt vor, „... si theatrales istae actiones suscipiantur levitatis caussa, ut gloria Dei veri dehonestetur invocatione et cultu Deastrorum gentilium; ut Christiana religio prostituatur, ut proximus laedatur, et piorum tum oculi, tum aures offendantur, quales Ethnicorum comoediae pleraeque fuerunt.“ 538 Ebd.: „Illud [sc. Thema Biblicum] semper praeeligendum, ita tamen, ut hoc non omninó contemnendum judicetur.”

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214 Grundlegung negativen Beurteilungen des Theaters durch die Kirchenväter.539 Würden die Komödien ohne solche levitates morionum nicht auskommen, müssten sie, so Meisner, in der Tat ausgesetzt werden. Aber diese Nichtigkeiten seien nur als akzidentell zu beurteilen, mitnichten gehörten sie zum Wesen des Theaters.540 Die weitere positive Argumentation Meisners zugunsten von Aufführungen beruht auf zwei Gedankengängen. Zunächst weist er darauf hin, dass eine Aufführung, indem sie Annehmlichkeit verschaffe, Erholung biete. Diese sei aber unbedingt notwendig, der Mensch könne nicht kontinuierlich arbeiten. Meisner untermauert seine Aussage u.a. mit einer Anekdote über den Evangelisten Johannes, der einmal, von einigen getadelt, dass er mit Schülern spiele, sich einen Bogen habe holen lassen und anhand desselben aufgewiesen habe, dass der Geist des Menschen brechen würde, wenn er nie Erholung in Anspruch nähme.541 Meisners aufwendige und lange Argumentation – das Erholungsbedürfnis auch des menschlichen Geistes wurde sicherlich von niemandem in Zweifel gezogen – erreicht ihr Ziel erst mit der Feststellung, es gebe keine Übung, die die Kräfte des Menschen so sehr erfreue, wie die Übung des Komischen. Durch sie werde der ganze Mensch erholsam berührt, Geist, Verstand, Phantasie, Wille, Ohren und Augen.542 Das Theater ist für Meisner demnach die höchste Form der Erholung, begründet in seiner Multisensualität. Wer dem Menschen nicht Ergötzung und Erholung rauben wolle, dürfe nicht gegen die Komödien sein.543 Der zweite Gedankengang betrifft den Nutzen der Aufführungen. Bei diesem unterscheidet Meisner zwischen dem Nutzen, den die Darsteller und demjenigen, den die Zuschauenden gewinnen. Für die Darsteller nennt er die drei klassischen Seelenkräfte: Der Intellekt gewinne Erkenntnis denkwürdiger Geschichten, der Wille werde zum Begehren der Tugend und zur Verachtung des Lasters geführt, das Gedächtnis werde vervollkommnet. Ferner würden Sprechen und Auftreten verbessert.544 Für die Zuschauenden bemerkt er ebenfalls einen Erkenntniszuwachs: Bisher unbekannte Geschichten könnten dem unkundigen Volk verinnerlicht und – Hinweis auf den Vorteil der Nachhaltigkeit – auch später wieder abgerufen werden.545 Auch Meisner nimmt somit eher weniger gebil539 Vgl. a.a.O., S. 370f. 540 Vgl. ebd. 541 Vgl. a.a.O., S. 371f., dort S. 372 die Argumentation des Johannes: „Ad eundem modum [sc. wie der Bogen] etiam animus hominis frangeretur, si nunquam á sua intentione relaxaretur.“ 542 A.a.O., S. 372: „Animos [sic!] lassus Musicis concentibus, qui semper adhiberi debent, quasi vivificatur; intellectus cognitione rerum jucundarum, phantasia perceptione specierum pulchrarum, voluntas et appetitus motione affectum, oculi visione objectorum laetabilium, aures auditione historiarum admirabilium summé et maximé reficiuntur.“ 543 Ebd.: „Quoniam igitur tanta animi humani delectatio perpetuus et comoediarum effectus, utique prohiberi non debent et tolli, nisi quis eadem opera omnem homini delectationem et recreationem, sine qua tamen nil est durabile, adimere et denegare voluerit.“ 544 Vgl. a.a.O., S. 373. 545 Ebd.: „Vulgus imperitum et ignarum hac ratione in multarum antiquarum rerum et historiarum notitiam pervenire potest; quarum etiam recordatione externorum spectaculorum, facile reminisci possunt.



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dete Schichten als Adressaten in den Blick. Ein zweiter Nutzgewinn der Zuschauer besteht auf moralischem Gebiet. Die Aufführung reize zur Tugend und nehme gegen das Laster ein. Es sei nämlich gewiss, dass der Gesichtssinn den Gehörsinn übertreffe.546 Auch wenn die Schönheit der Tugend und die Hässlichkeit der Laster mit vielen Worten vorgelegt würde, bewirke dies nicht so sehr, dass der Geist der Tugend folge, wie es der Fall sei, wenn dies mit den Augen betrachtet werde.547 Als Beispiel nennt Meisner die Warnung vor der Trunkenheit: Noch so häufiges und starkes Ausmalen kann nicht mit dem einmaligen Auftreten eines Schmutz hinterlassenden Betrunkenen in theatro mitkommen.548 Von der Feststellung, dass Tadel und Zurückweisen der Laster den Hauptzweck der Komödien bilde, kommt Meisner zu dem als rhetorische Frage formulierten Schluss, dass nur ein Wahnsinniger Komödien und Tragödien in Gänze verwerfen könne.549 Zum Ende seiner Ausführungen entkräftet Meisner schließlich den Vorwurf der Übertretung des Kleidertauschverbots unter Hinweis darauf, dass die entsprechende Vorschrift nur den böswilligen Kleidertausch zum Zwecke der Täuschung und den Kleidertausch im politischen Umgang, der zu einer Vermengung der Geschlechter führe, im Blick habe.550 Überblickt man Meisners Argumentation, ist festzustellen, dass sie durchaus traditionelle Begründungen bietet. So stimmt Meisner mit vielen lutherischen Autoren vor ihm darin überein, dass das Theater vorrangig moralisch begründet wird. Die formalen Begründungen – Schulung von Sprache und Auftreten – treten demgegenüber zurück. Daneben kommt den Dramen auch eine erkenntniserweiternde Funktion zu. Sie dienen dazu, Erkenntnisse biblischer und weltlicher Geschichten zu vermitteln, wobei – auch darin kommt Meisner mit früheren Stimmen wie Leyser überein – unkundige Adressaten anvisiert sind. Ein reguläres Programm leitet er aus diesen Aussagen aber nicht ab. Von einer Weitergabe des Evangeliums etwa ist nicht die Rede. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass Meisner eine im engeren Sinne theologische Begründung für das Drama und das geistliche Drama speziell nicht bietet. Zwar könnte man einwenden, das von ihm gewählte Genus sei dazu weniger geeignet, doch hätte es gerade gegenüber den Reformierten nahegelegen, die theologische Begründung von Dramen – etwa durch Hinweis auf die Gleichnisfähigkeit der Welt – weiter darzulegen, statt lange über die Notwendigkeit einer Erholung des Geistes zu räsonieren. Immerhin beinhalten Meisners Ausführungen ein Plädoyer für den Vorzug des geistlichen und näherhin biblischen Dramas. Das wesentlich Neue in Meisners 546 Ebd.: „Ad virtutes [sic!] studium et vitiorum fugam magnum spectantibus additur calcar. Certum enim est, visum hîc excellere auditum …“ Es folgt das Horaz-Diktum über die stärkere Wirksamkeit des Gesichtssinnes. Ferner beruft sich Meisner auf Aristoteles’ De sensu et sensato. 547 A.a.O., S. 374: „Etiamsi igitur virtutis pulchritudo et vitiorum turpitudo multis atque copiosis verbis proponatur, non tamen ad virtutem sectandam, ad vitium fugiendum ita movetur animus, quám si corám oculis aspiciatur virtutis decor et vitii foetor.“ 548 Vgl. ebd. 549 Ebd.: „... comoediarum praecipuus sit finis objurgatio et reprehensio vitiorum. Hunc usum maximum cúm praestent Comoediae, Tragoediaevé, quis sanus eas omnino rejecerit et condemnaverit?“ 550 Vgl. ebd.

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216 Grundlegung Behandlung des Themas ist einerseits die anthropologische Begründung, andererseits die den Rahmen bildende anticalvinistische Frontstellung. Zum ersten Mal wird der Calvinismus als dezidiert gegen das Theater eingestellt wahrgenommen. Meisners Eintreten für das Theater, seine Wertung desselben als Adiaphoron, steht deutlich im Dienste der konfessionellen Polemik gegen den Calvinismus. Auf diesem Hintergrund versucht er das Luthertum als theaterfreundliche Konfession zu profilieren. Diese Grenzziehung bestimmt ihn so sehr, dass er auf die Jesuiten und ihr Theaterwesen in keiner Weise eingeht.

3. Ergebnis Blickt man zurück auf das Verhältnis des Luthertums zum geistlichen Drama, so leuchten mehrere Aspekte hervor. Fast unnötig zu bemerken scheint es, dass eine weitestgehend positive Wertung des geistlichen Dramas im lutherischen Bereich zu beobachten ist. Kritische Stimmen bleiben zunächst vereinzelt, erst um die Wende zum 17. Jahrhundert scheinen sie zuzunehmen, wobei sie sich nur schwer einordnen und verorten lassen. Ursache der positiven Sicht des geistlichen Theaters ist zum einen die befürwortende Haltung Luthers, dessen einschlägige Äußerungen immer wieder zitiert werden und durch den sich bereits die frühen lutherischen Dramatiker in ihrer Arbeit berufen und ermutigt fühlen, zum andern die Aufnahme des Humanismus und seiner Wertung des Theaters. Im lutherischen Drama verbindet sich so sich genuin Reformatorisches und Humanistisches, und zwar bleibend, seit den Anfängen und durch die konfessionelle Zeit. Dies impliziert eine starke Funktionalisierung des Theaters. Es wird – zumal in der Form des Schultheaters – für die Erziehung fruchtbar gemacht, sowohl für die geistliche Bildung wie auch, in Aufnahme der Spiegel-Metapher, für die moralische Erziehung unter Einschluss des rechten Verhaltens und Auftretens im je eigenen Stand und Beruf und der dazu nötigen sprachlichen Fähigkeiten. Eine weiteres Merkmal des lutherischen Theaters ist schließlich, darin zu sehen, dass die Vorgaben Luthers weitgehend Beachtung finden. Dies wird nicht nur im Verzicht auf das Passionsspiel und in dem immer wiederkehrenden Verweis auf Luthers Bibelvorreden sowie auf den in Gleichnisform lehrenden Christus als Begründung der Nutzung der Form des Dramas deutlich, sondern zeigt sich auch darin, dass von späteren Autoren in Bezug auf Vorteile und Wirkungen, Funktion und Adressaten von geistlichen Aufführungen die gleichen Positionen vertreten werden wie vom Wittenberger Reformator. Stets wird die affektive Wirkung und die Nachhaltigkeit von Aufführungen herausgearbeitet, stets werden Jugendliche und ‚Einfältige‘ als Zielgruppe anvisiert und stets wird dem geistlichen Drama die Funktion der Vertiefung von Predigt und Katechese zugewiesen. Dabei ist man sich bewusst, dass das Drama die Predigt als direkte Anrede, als direkten Zuspruch des Evangeliums nicht ersetzen kann, sondern ihm nur dienende Funktion zukommen kann. Eine genauere Einordnung des geistlichen Dramas zwischen Predigt und Katechese lässt sich dabei nicht vornehmen. Von dem hier gemachten Befund lässt sich aber schwerlich Almut A.



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Meyers These verifizieren, die früheren Dramen der Reformationszeit seien von ihren Verfassern als Predigt verstanden worden, während die späteren Dramen des konfessionellen Zeitalters aufgrund der Entwicklung zur Orthodoxie hin und der veränderten eschatologischen Situation von ihren Urhebern als Katechese intendiert worden seien.551 Wie sich zeigt, wurden auch Dramen der konfessionellen Zeit von den Autoren nicht nur zum Katechismusunterricht in Beziehung gesetzt, sondern auch als Predigt in anderer Form aufgefasst. Die Kontinuität zwischen Reformation und Orthodoxie ist in diesem Punkt nicht zu gering zu veranschlagen. Dies belegt ebenso die Beobachtung der Gleichheit in den Begründungen eines geistlichen Dramas zwischen Luther und Dramatikern des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts. Gleichwohl ist hinsichtlich der Intention lutherischer Autoren für ihre Dramen eine gewisse Spannweite zu bemerken. Sie führt, durchaus in Entsprechung zu der oben benannten Verwobenheit von reformatorischen und humanistischen Gedanken, von der eigenen Muße über die Verbesserung der sittlichen Kompetenzen und des Sprachvermögens, der religiösen Bildung in Gestalt der Vertiefung von katechetischem Unterricht, Gottesdienst und Predigt, bis zum Nachweis der Existenzberechtigung der jeweiligen Schule und der Werbung für diese. Dadurch mitbedingt lässt sich auch nicht von einem einzigen Typus des lutherischen Dramas sprechen. In stofflicher Hinsicht geht das lutherische Drama deutlich über Luthers Vorgaben hinaus, ohne diese zu vernachlässigen; hier sei auch auf die Einzelanalysen im Abschnitt C der Studie verwiesen.552 In Weiterentwicklung von Luthers Ansätzen, z.T. unter Rekurs auf die biblische Begründung Kol 3,16, gelangen schließlich einige Theologen wie Brunner und Spangenberg zu umfassenden Konzepten einer, modern gesprochen, zielgruppengerichteten Evangelisierung, andere wie Leyser zu einem groß angelegten missionarischen Programm, mit dem man der gesamten Bevölkerung das Evangelium vermitteln und verinnerlichen will. Das so verstandene lutherische Drama sieht sich offensichtlich in Analogie zum Jesuitendrama, das nach der Auffassung Elida Maria Szarotas als Massenmedium konzipiert war.553 Ohne Zweifel hat die Leistungsfähigkeit des Jesuitendramas Theologen wie Leyser sehr beeindruckt. Zu einem wirklichen Reform- oder Missionierungsinstrument ist das lutherische Theater indessen nie geworden. Sein struktureller Nachteil ist der hohe Aufwand, der für eine Aufführung notwendig ist. So waren zumeist höchstens zwei Aufführungen im Jahr möglich, wie es etwa in Rollenhagens Schule in Magedeburg Praxis war. Für eine größere Wirkung hätte es größerer Professionalität, auch stärkerer Unterstützung für die

551 Vgl. Almut A. Meyer, Heilsgewißheit und Endzeiterwartung im deutschen Drama des 16. Jahrhunderts, Heidelberg 1976, S. 241ff. 552 So bilden etwa die Lutherdramen einen eigenen Typus, der der Erinnerungskultur dienen soll. 553 Vgl. Elida Maria Szarota, Das Jesuitendrama als Vorläufer der modernen Massenmedien, Daphnis 4 (1975), S. 129–143, bes. S. 132ff.

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218 Grundlegung Schulleiter bedurft.554 Eine gewisse Energie musste zudem in die Verteidigung des lutherischen Theaters investiert werden – nach Szarota ein typisch protestantisches Phänomen, das im Jesuitentheater nicht anzutreffen ist.555 Auffallend ist, dass sich gegen Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhundert Passagen in den Rahmenstücken von Dramen oder selbständige Traktate mehren, in denen das geistliche Drama verteidigt wird. Neben vorpietistischen Anschauungen und rationalisierend-ökonomisierenden Bildungsauffassungen könnte hier auch das neue theaterfreudige Profil der nachtridentinischen römischen Kirche eine Rolle spielen, deren inzwischen zu großer Blüte gelangtes Jesuitentheater in bestimmten Kreisen des Luthertums das geistliche Drama desavouiert haben könnte. So aber waren die weitreichenden Konzepte – abgesehen davon, dass sie eher vereinzelt vorgetragen wurden – mehr Wunsch als Wirklichkeit. Ihre nachhaltige Umsetzung wurde trotz der Institutionalisierung des geistlichen Theaters in der Schule nie richtig angegangen. Gerne wird als Grund für die geringe Zahl von Aufführungen auf die Faulheit der Schulmeister verwiesen. Als weiteres Problem kommt schließlich die Differenz zwischen dem auf eine Elite zielenden humanistischem Ideal und der theologisch motivierten intendierten Breitenwirkung hinzu, die letztlich zu einem Spagat führen musste, den zu bewältigen das geistliche Drama überfordert war. Rollenhagens Klage über den ‚Pöfel‘ zeigt dies auf drastische Weise. Die doppelte Aufgabe einer Elementarisierung in Richtung auf Jugend und illiterati einerseits, wie sie von Luther vorgegeben war, und einer Vermittlung humanistischer Standards samt Vertiefung theologischer Inhalte andererseits vermochte das konkrete geistliche Drama nur schwer zu erfüllen. Die vorliegenden Konzepte geben aber Aufschluss über das unter lutherischen Theologen der Zeit herrschende Klima. Dieses war geprägt von der Hoffnung, das geistliche Drama könnte zur Vollendung der Reformation beitragen, indem es alle Stände erreiche: Es helfe, die evangelische Botschaft den Kindern einzupflanzen, in die Familien hineinzugeben und dort das alltägliche Leben zu prägen. Es leite an, die Jugend in der Schule zu bilden, auch damit diese in der Aufführung wie im zukünftigen Leben als Mulitplikatoren des im Schultheater Erworbenenen und Vollzogenen wirken könnte. Es nehme – so benennen es Autoren wie Johann Krüginger oder Johann Sanders, wiewohl sie grundsätzliche Obrigkeitstreue bekunden – die Obrigkeit in Pflicht.556 Es appliziere das 554 Ein weiteres Problem könnte der häufige Wechsel der Schulleitung dargestellt haben. So haben nach Theobald Ziegler, Geschichte der Pädagogik, München 1895, S. 135, in Wolfenbüttel im Zeitraum von 1569 bis 1634 tatsächlich 18 Rektoren amtiert. 555 Vgl. Elida Maria Szarota, in: Deutsche Barockliteratur und europäische Kultur, hrg. v. Martin Bircher und Eberhard Mannack, Hamburg 1977, S. 240 (Diskussion zu ‚Das katholische und protestantische Schuldrama‘). 556 Sanders stellt 1588 in der Vorrede seines Dramas über den Täufer, ) ( IIIIa–b, dem „Gottseligen fromen Adel“ den „Gottlosen Epicurischen Adel“ gegenüber. Als Hauptübel benennt er die Verfolgung der Lehre Christi und die Protektion falscher Lehre und Sekten (Vorrede, A Vb), ebenso die Beraubung von Kirchen und Pfarrern „wie leider jtzt an vielen Örtern geschicht“ Sanders beklagt dabei auch die mangelnde Dotation von Stellen (A VIa). Schließlich konstatiert er die schlechte



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Evangelium schließlich auch solchen Bevölkerungsteilen, die als bildungsfern, illiterat und religiös-moralisch defizitär, ja sogar als gegenüber der Predigt resistent eingestuft werden. So ist das lutherische geistliche Drama Ausdruck einer Vorstellung von der Diffusion des Wortes Gottes, einer letztlich optimistischen Idee, dass sich das göttliche Wort in einer universalen Bewegung in die Welt hinein befindet, wo es Menschen von sich einnimmt und als Multiplikatoren gewinnt – hier die Autoren geistlicher Dramen, dort die agierenden Schüler – und schließlich alle Institutionen durchdringt und sich durchsetzt. Auf die weitere Entwicklung des lutherischen Dramas und Theaters ist hier nicht einzugehen. Auch in der Zeit der späteren Orthodoxie werden ähnliche Begründungsformen vorgebracht. Zugleich verstärkt sich aber deutlich die theaterkritische Haltung, Tendenzen, denen im Schlussabschnitt D IV noch etwas nachgegangen wird.

Behandlung der Bauern (A VIb): „Jtem die Bawren schinderey ist jtzt bey den Regenten so gros / das es Gott endlich nicht wird dulden kÖnnen...“ Auf der anderen Seite kritisiert er aber auch (ebd.), „... wenn die vnterthanen / BÜrger vnd Bawren Gottlos / auffrÜrisch / vntrewe / vnd dr Obrigkeit widersetzig sein ...“ Zu Sanders und seinem Drama vgl. auch Hugo Holstein, Die Reformation im Spiegelbilde der dramatischen Litteratur [!], Halle 1886, S. 125, und Johannes Bolte, Art. ‚Sanders, Johann‘, ADB 30, S. 352f., der auch auf die Adelskritik im Stück eingeht.

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II. Das Verhältnis des reformierten Teils der Reformation und des weiteren reformierten Protestantismus zum geistlichen Drama557 Ein unbedarftes Herangehen an die Frage nach der Einstellung des reformierten Protestantismus zum geistlichen Drama ließe vermutlich erwarten, hier habe es nur eine einhel557 Nach wie vor gibt es keine gänzlich überzeugende Terminologie für die Bezeichnung des reformierten Protestantismus, die diesen in seiner Gänze umfasst. Der Begriff der ‚zweiten Reformation‘ trifft allenfalls für diejenigen Territorien zu, die nach einer lutherischen Phase den Übergang zum reformierten Bekenntnis vollzogen haben. Zur Bezeichnung des reformierten Protestantismus außerhalb Deutschlands eignet er sich kaum, da dort zumeist keine ‚erste‘ lutherische Reformation vorlag. Doch ist es sehr die Frage, ob er wirklich in Bezug auf jene deutschen Territorien angemessen ist, in denen es zu einem solchen Übergang vom lutherischen zum reformierten Bekenntnis kam. So bezweifelt Kaspar von Greyerz, Religion und Kultur, Göttingen 2000, S. 110, dass in diesen Territorien tatsächlich eine – weitere – Reformation zu statuieren sei. Nach diesem Einwand kann der Begriff der Reformation nur auf den grundsätzlichen Vorgang der Ablegung des alten Glaubens bezogen werden, nicht aber auf einen Wechsel von einem protestantischen Bekenntnis zu einem anderen. Diese Einrede scheint in mehrfacher Hinsicht durchaus berechtigt. Aus politischen Gründen war es zunächst geboten, den Übergang vom lutherischen zum reformierten Bekenntnis möglichst ‚niederschwellig‘ zu halten. Eine vollständige Reformation im Sinne eines kompletten und nachhaltigen Wechsels eines Territoriums und seiner Bevölkerung zum Reformiertentum ist – bedingt durch den relativ späten Eintritt dieses Wechsels und die bereits stärkere Verankerung des lutherischen Bekenntnisses – eher die Ausnahme. Die Widerstände in Brandenburg, aber auch bereits in der Oberpfalz führen dies deutlich vor Augen. Beide Sachverhalte weisen darauf hin, dass äußere Umstände der Durchführung einer wirklichen ‚zweiten‘ Reformation im Wege standen. In die gleiche Richtung weist der durch Helga Schnabel-Schüle aufgewiesene Sachverhalt, dass die tatsächlichen Unterschiede der kirchlichen Verhältnisse zwischen den beiden protestantischen Konfessionen eher gering anzusetzen sind. Sie belegt dies insbesondere für das Feld der Kirchenzucht, aber auch für das der kirchlichen Verfassung. Die Differenz zwischen Theorie und Praxis marginalisierte den Unterschied zwischen Reformierten und Lutheranern, infolge der ähnlichen obrigkeitlichen Struktur; vgl. Helga Schnabel-Schüle, Der große Unterschied und seine kleinen Folgen, in: Monika Hagenmeier – Sabine Holtz (Hrgg.), Krisenbewusstsein und Krisenbewältigung in der Frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. u.a. 1992, S. 199. 201ff. 213f. Vgl. auch ihr Urteil S. 206: „Die in der Theorie klar zu scheidende Position von lutherischer und reformierter Kirche [sc. in der Kirchenzucht] vermengte sich aber in der Praxis.“ – Dass ferner die Rede von einer ‚zweiten‘ Reformation das Selbstverständnis der an dieser beteiligten Theologen wiedergebe, stimmt ebenfalls nur bedingt. Nachdenklich muss zunächst stimmen, dass der Begriff in der in Frage kommenden Zeit nicht belegt ist; vgl. Wilhelm H. Neuser, Die Erforschung der „Zweiten Reformation“ – eine wissenschaftliche Fehlentwicklung, in: Heinz Schilling (Hrg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der „Zweiten Reformation“. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1985 (SVRG 195), Gütersloh 1986, S. 385. Gewiss sahen jene, das reformierte Bekenntnis forcierenden Theologen ihr Wirken als Vollendung der Reformation, als endgültige Ausrichtung der Kirche nach Gottes Wort, was im Falle von Strigel, Pezel oder Ursinus



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auch deren eigener Biographie entspricht. Doch impliziert diese Vorstellung gerade, dass es für diese Theologen letztlich nur eine Reformation geben konnte, die sich ausschließlich an Gottes Wort orientieren und von letzten papistischen Resten gereinigt werden musste, dass also die Reformation vervollkommnet werden musste; vgl. Neuser, ebd. Dass umgekehrt auch für die lutherischen Theologen nur ‚eine‘ Reformation existieren konnte, dass eine Weiterentwicklung der Reformation in ihren Augen nur eine vermeintliche Vollendung, vielmehr eine Verdunklung darstellte, versteht sich von selbst. Gab es demnach für die Beteiligten nur eine Reformation, so lässt sich aus späterer Sicht durchaus eine Schnittmenge beider Ausprägungen der Reformation feststellen, wie sie Neuser ebd. in der Absage an das mittelalterliche Kirchenwesen und eine dieses stützende Theologie und in der Wiederentdeckung zentraler biblischer Einsichten (sola scriptura, sola gratia u.a.) erkennt – Gemeinsamkeiten, die zu sehen den an der innerprotestantischen Kontroverse Beteiligten oftmals verbaut war. So lässt sich in wissenschaftlicher Perspektive begründet nur von einer Reformation sprechen; vgl. das Urteil von Ulrich Köpf, Art. ‚Reformation‘, RGG4 7, Sp. 146f.: „... die sog. „Zweite R.[eformation]“ hat ohnehin nur den sekundären Charakter von Reformen innerhalb bereits für die R.[eformation] gewonnener Gebiete. Nur die durch Luther und Zwingli begründete originäre Reformbewegung des 16. Jh. hat ein ganzes Zeitalter geprägt und verdient deshalb den Namen der R.[eformation] ...“ Auf der anderen Seite ist evident, dass die Reformation in Zürich und Genf eine andere Entwicklung als diejenige in Wittenberg nahm, so dass zwei (oder drei) verschiedene Ausprägungen der Reformation, reformatorischer Theologie und Kirchlichkeit vorlagen – die sogenannte ‚radikale Reformation‘ einmal beiseite gelassen. Die in deutschen Territorien nach dem Ende der Reformationszeit sich entwickelnde reformierte Theologie und Kirchlichkeit verarbeitete Wittenberger, Zürcher und Genfer Einflüsse und blieb sowohl mit der Schweiz als auch mit Westeuropa in Verbindung – diese Verbindung vermag der Terminus ‚zweite Reformation‘ gerade nicht auszudrücken. Es besteht damit kein einheitlicher Ursprungsort, wie er für das Luthertum im Wesentlichen mit Wittenberg gegeben ist. Der Übergang zum reformierten Bekenntnis betraf auch die Lehre, so dass der etwa von Paul Münch, Volkskultur und Calvinismus, in: Heinz Schilling (Hrg.), Reformierte Konfessionalisierung, S. 297, stark gemachte Begriff der „Reformation des Lebens“ – mit der die ‚zweite‘ Reformation inhaltlich konkretisiert wird – irreführend ist. Zwar war eine Verbesserung des Lebens ein wesentliches Anliegen der reformierten Theologie und Kirche, was die Wertung der disciplina als dritter nota ecclesiae bedingte und zur Einführung des Presbyteramtes führte, doch war eine solche Verbesserung auch ein Ziel des Luthertums – vgl. Thomas Kaufmann, Die Konfessionalisierung von Kirche und Gesellschaft. Sammelbericht über eine Forschungsdebatte, ThLZ 121 (1996), Sp. 1013. Davon legen auch die hier analysierten Dramen beredtes Zeugnis ab. Münch bietet als Beleg Wilhelm Zeppers Traktat ‚Von der Christlichen Disziplin‘ (1596), ein Werk, in dem naturgemäß die Bedeutung der disciplina herausgestellt wird, ebenso naturgemäß aber andere den Reformierten wichtige Lehrpunkte keine Beachtung finden. Vielmehr dürfte in der Aussage, man beabsichtige eine reformatio vitae als Komplement einer bereits erfolgten reformatio doctrinae durchzuführen, eine Strategie zu erkennen sein, gegenüber den Lutheranern und gegenüber dem Reichsregiment die Veränderungen als möglichst gering und nicht die Lehre betreffend zu charakterisieren. Zur Diskussion vgl. auch Stefan Ehrenpreis – Ute Lotz-Heumann, Reformation und konfessionelles Zeitalter, Darmstadt 2002, S. 78f. – Mit welcher Begrifflichkeit könnten nun all diese Aspekte berücksichtigt werden: dass es sich in Zürich, Genf, den Niederlanden und später in der Kurpfalz oder in Nassau um Ausprägungen der einen Reformation handelt, die in sich selbst wiederum vielgestaltig sind, dass bei der Genese des reformierten Bekenntnisses in deutschen Territorien Einflüsse der von Wittenberg ausgehenden Ausprägung der Reformation, die in der

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222 Grundlegung lige Ablehnung des geistlichen Dramas geben können. Schnell steht das Beispiel Genfs vor Augen, in dem nach allgemeiner Vorstellung eine rigide Kirchenzucht herrschte, alle Formen von Unterhaltung und Spiel obsolet waren, was auch ein Verbot des Theaters einschloss, das sich in der Tat bis weit ins 18. Jahrhundert hielt.558 Denkt man dabei zunächst an das weltliche Theater, so wird man infolge der Relevanz des Bilderverbots alsbald auch das geistliche Theater in eine solche Sicht des Calvinismus und der reformierten Konfession miteinbeziehen. „Denn wir nicht sollen weiser sein denn Gott / welcher seine Christenheyt... durch die lebendige predig seines worts wil vnderwiesen haben,“559 antwortet der Heidelberger Katechismus in Frage 98 auf die Frage, ob die Bilder als ‚Bücher der Laien‘ in den Kirchen geduldet werden dürfen. Calvin betont im Genfer Katechismus von 1542, dass keine Ähnlichkeit bzw. Verwandtschaft (convenance) zwischen dem geistlichen, ewigen und unfasslichen Gott und der leiblichen, vergänglichen und sichtbaren Materie bestehe.560 Das Gleiche sagt auch die Confessio Belgica von 1566, um darüber hinaus von Gott festzuhalten: „... non potest sane ulla arte aut imagine exprimi.“561 Für das reformierte Christentum ergab sich eine noch deutlichere Konzentration auf die Predigt als im Luthertum, weg vom Sichtbaren, hin zum Wort, und ein noch schärferes Bewusstsein der Unangemessenheit einer Darstellung Gottes. All dies kann, so wird man zunächst lutherischen Konfession Gestalt angenommen hat, zu beobachten sind, ebenso aber wesentliche Impulse aus Zürich und Genf, Frankreich und den Niederlanden, derart dass sich mit diesen letzteren Kirchentümern ein starkes Zusammengehörigkeitsbewusstsein herausgebildet hat? Neuser ebd. ist zuzustimmen, dass parteiische und polemische Selbstbezeichnungen, die eine Überlegenheit zum Ausdruck bringen sollen, wie „vollkommenere“, „verbesserte“ oder „konsequente“ Reformation vermieden werden sollten. Als Hauptselbstbezeichnung der Kirchen hat sich der Begriff ‚reformiert‘ durchgesetzt, der bereits 1578 in Nassau-Dillenburg erscheint (vgl. Münch, a.a.O., S. 296 Anm. 20) und im gleichen Jahr bei der Tagung der ersten niederländischen Generalsynode verwendet wird (vgl. Georg Plasger, Art. ‚Niederlande‘, RGG4 6, Sp. 300), aber auch schon zuvor gebraucht wurde, etwa 1560 in der Confessio Scotica (vgl. BSKORK, S. 79). Zwar inhäriert auch dieser Bezeichnung ein theologischer Anspruch, doch wird die damit implizierte Abgrenzung – außerhalb des deutschen Kontextes gegen den alten Glauben, im deutschen Bereich auch gegen das Luthertum – nicht eigens zum Ausdruck gebracht. Nominell werden andere Kirchen nicht ausgeschlossen, es wird nur der Anspruch des eigenen Kirchentums vertreten, nach Gottes Wort reformierte Kirche zu sein. Ein nicht geringer Vorteil dieser Terminologie besteht demnach darin, der Verbindung der deutschen und westeuropäischen Kirchen dieses Typs Ausdruck zu verleihen, zugleich aber aufgrund der Ableitung vom Substantiv ‚Reformation‘ auch die Linie zu Wittenberg hin zu wahren. Von daher soll im Folgenden vom ‚reformierten Teil‘ oder ‚reformierten Bereich‘ der Reformation gesprochen werden. Der Terminus ‚Calvinismus‘ wird, da für den deutschen Bereich zumindest unpräzise und nur teilweise zutreffend, weitgehend vermieden und nur dort verwendet, wo ein dominanter Einfluss Calvins zu statuieren ist. 558 Vgl. Thomas Brunnschweiler, Johann Jakob Breitingers ‚Bedencken von Comoedien oder Spilen‘, Bern u.a. 1989, S. 122. 559 BSKORK, S. 174,5ff. Vgl. die Fassung in EKO XIV, S. 362. 560 Vgl. Le Catéchisme de l’Eglise de Genève, Art. 145, BSKORK, S.18,1ff. 561 Confessio Belgica Art. IV, BSKORK, S. 226,15f.



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schließen, als nicht unbedingt förderlich für die Entwicklung eines geistlichen Dramas angesehen werden. Das Verhältnis des reformierten Teils der Reformation zum Theater und zum geistlichen Drama ist schon lange Gegenstand der Forschung. Ältere Beiträge gehen dabei durchaus differenziert vor. So konstatiert Fritz Holl in seiner Arbeit über das Drama in Frankreich im 16. Jahrhundert für die französische Reformation einen Hintergrund, der der Entwicklung des geistlichen Theaters eher abträglich ist, während er für Deutschland die theaterfreundliche Haltung der Reformatoren hervorhebt: „Anders in den Ländern französischer Zunge. Dort hat die Reformation einen ernsten, strengen Charakter. An ihrer Spitze stehen um das Seelenheil ihrer Mitbürger ängstlich besorgte, durch das Exil verbitterte Männer.“562 Wenig später stellt er aber fest: „Aber diese puritanische Richtung behielt nicht immer und nie ausschließlich die Oberhand und gefährdete wiederholt die Sache des Calvinismus. Denn sie widerstrebte dem Charakter des Volkes, das nach den Sorgen und Mühen des Tages Erheiterung und Erholung suchte und damals besonders im Theater fand. Zudem erkannten einsichtsvolle Männer bald im Theater ein ausgezeichnetes Kampfmittel; auch sahen sie ein, dass es erziehend und erhebend wirken könne, dass sogar durch seine Förderung das Streben des Volkes nach Erholung und Zerstreuung in richtige Bahnen gelenkt werde.“563

Trotz des von ihm erkannten ernsten Gepräges der französischen Reformation konnte das Theater nach Holl Aufnahme finden, und zwar nicht nur als Instrument der konfessionellen Auseinandersetzung, sondern auch als Mittel der Erziehung und als – freilich eine Konzession darstellendes – Angebot einer unverfänglichen Unterhaltung für das Erholung suchende Volk. Ebenso sei Wilhelm Creizenach mit seiner Geschichte des neueren Dramas genannt. Dieser würdigt das biblische Drama des französischen Protestantismus und Beza als dessen Initiator.564 Zugleich bemerkt er für den späteren Calvinismus die Entwicklung der Auffassung, es sei eine Entweihung, die biblischen Begebenheiten in dramatischer Form vorzuführen, eine Haltung, die zu den Beschlüssen der Synoden von Nîmes 1572 und Figeac 1579 geführt, ihren Ausdruck ferner in Beschlüssen niederländischer Synoden gefunden hätte.565 So hält er fest: „In den folgenden Jahren verfaßten dann noch meh562 Fritz Holl, Das politische und religiöse Tendenzdrama des 16. Jahrhunderts in Frankreich, Erlangen – Leipzig 1903, S. 102. 563 Holl, a.a.O., S. 103. 564 Wilhelm Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Zweiter Band. Renaissance und Reformation. Erster Teil, Halle a.S. 19182, S. 428: „Sein [sc. Bezas] Abraham wurde nicht nur durch zahlreiche Drucke verbreitet, sondern hat auch das biblische Drama beeinflusst, das seit Beginn der sechziger Jahre in Frankreich, zunächst ausschließlich in calvinistischen Kreisen gepflegt wurde.“ 565 Vgl. a.a.O., S. 452, wo ferner auf Gisbert Voetius verwiesen wird.

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224 Grundlegung rere kalvinistische Dichter geistliche Dramen in einem strengeren Stil, indessen sahen wir schon, daß seit etwa 1570 in der kalvinistischen Welt die Ansicht zur Herrschaft gelangte, daß die Aufführung von Dramen aus der heiligen Schrift nicht geduldet werden dürfe.“566 Neuere Beiträge arbeiten für den reformierten Bereich eine dem geistlichen Theater geltende grundsätzlich kritische Haltung heraus. Almut Agnes Meyer stellt in ihrer Arbeit über ‚Heilsgewißheit und Endzeiterwartung im deutschen Drama des 16. Jahrhunderts‘ im Zusammenhang mit Aufführungen im kurhessischen Schmalkalden – in dem Moritz von Hessen bekanntlich das reformierte Bekenntnis einführen wollte – die Frage, ob die Aufführung von Spielen als solche für Reformierte anstößig war. Diese Frage beantwortet sie grundsätzlich positiv und stellt lediglich einschränkend für reformiert gewordene Territorien in Mittel- und Norddeutschland fest, dass die Tradition von Schul- und Hofaufführungen nicht einfach abgestellt werden konnte.567 Die Bejahung der Ausgangsfrage erfolgt aufgrund mehrerer von ihr genannter Indizien:568 1.) 1546 seien öffentliche Theateraufführungen – gemeint ist Genf – auf Betreiben Calvins verboten worden.569 2.) Seit 1559 habe es in Genf keine Schulaufführungen mehr gegeben. 3.) Im Jahre 1572 habe eine „Synode der reformierten Kirche“ ein allgemeines Theaterverbot erlassen.570 4.) Schließlich sei gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Spieltradition in der deutschsprachigen reformierten Schweiz abgebrochen. Von dieser dunklen Folie – wie auch vom Katholizismus – werden dann das Luthertum bzw. die spielfreudigen lutherischen Höfe abgehoben.571 Eine allerdings nur scheinbare Ausnahme ist für Meyer das Straßburger Schultheater, das trotz reformierten Einflusses weiter bestand, aber eben nur das lateinische Schuldrama übte. Meyer kommt zu dem Ergebnis: Wo der reformierte Einfluss nicht so stark war, dass auf das Theater gänzlich verzichtet wurde, war das humanistische Bildungsideal bestimmend, so dass sich ein humanistisch geprägtes Theater ergab.572 Annähernd zu dem gleichen Ergebnis wie die Germanistin und Theologin Meyer kommt später der Literaturwissenschaftler Hellmut Thomke.573 566 A.a.O., S. 506f. 567 Vgl. Meyer, Heilsgewißheit, S. 137. 568 Vgl. ebd. 569 Diese Aussage wird in Abschnitt 2. e) als falsch erwiesen werden. 570 Auch hier wird nicht gesagt, um welches Territorium es sich handelt. Bekanntlich gab und gibt es bei den Reformierten keine allgemeine Synode, die etwas für alle reformierten Kirchen Verbindliches erlassen könnte, auch wenn die Dordrechter Synode (1618/19) stets als eine solche ‚Universalsynode‘ dargestellt wird, da zu ihr u.a. Vertreter aus der Schweiz und Deutschland eingeladen wurden. 571 Vgl. a.a.O., S.239, wo von der „theaterfreundlichen Atmosphäre der lutherischen Höfe“ die Rede ist und konstatiert wird, das deutschsprachige Drama habe sich im 17. Jahrhundert ausschließlich im lutherischen Raum weiterentwickelt. Vgl. ferner S. 137. 572 Vgl. Meyer, a.a.a.O., S. 239. 573 Vgl. Hellmut Thomke, Die Zügelung und Unterdrückung des Theaters durch die Obrigkeit in den reformierten Staaten, in: Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock, hrg v. Dieter Breuer,



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Auch Peter Burke vertritt in seiner volkskundlichen Arbeit über die Volkskultur der Frühen Neuzeit in Europa die These von der Theaterfeindlichkeit der Reformierten. Er rekurriert – leider ohne Beleg – auf die Synode in Nîmes, die im Jahre 1572 Theateraufführungen auch mit biblischem Inhalt verboten habe, und kommt zu einem sehr generalisierenden Urteil.574 Burke kann allerdings auch theaterkritische Stimmen aus dem Katholizismus dieser Epoche beibringen, die sich gerade auch auf geistliche Dramen beziehen.575 Damit wird die reformierte Kritik am weltlichen und geistlichen Theater in eine in der Frühen Neuzeit festzustellende allgemeine Spielfeindlichkeit, die besonders von Geistlichen getragen wurde und Teil einer Reform der Volkskultur war, eingeordnet. Dennoch bleiben alle diese Stimmen in Hinsicht auf die Analyse des Verhältnisses der reformierten Reformation zum Theater und zum geistlichen Theater unbefriedigend. Zum einen ist die zugrunde liegende Quellenbasis recht schmal; der Befund müsste insgesamt genauer belegt werden. Zurückhaltung ist gegenüber den Ergebnissen dieser Untersuchungen auch darum geboten, weil sie zu wenig differenzieren. Im Grunde suggerieren sie alle, die Ablehnung des geistlichen Theaters bilde einen dem Reformiertentum zukommenden Wesenszug, sei also kein ihm geschichtlich zugewachsenes Akzidenz, und entsprechend gehen sie davon aus, das Reformiertentum sei von Anfang an ein einheitlicher Block ohne divergente Stimmen gewesen. Dass diese Sicht unzureichend ist, zeigt schon die Tatsache, dass innerhalb des reformierten Teils der Reformation geistliche Dramen abgefasst wurden und auch zur Aufführung kamen. Das führt im Falle eines Festhaltens an der These, die Ablehnung des geistlichen Theaters folge aus dem Wesen reformierter Theologie zu der Auskunft, die Existenz geistlicher Dramen im reformierten Bereich der Reformation stelle eine bloß temporäre Erscheinung, ein anfänglich noch vorhandenes Substrat bzw. das Ergebnis eines von außen einströmenden Einflusses dar. Die geistlichen Dramen gelten dann als Relikt der mittelalterlichen Kultur, als taktisches Hilfsinstrument bei der Destruktion des alten Glaubens, das für die Errichtung des neuen Glaubens funktionslos wurde, oder als Element eines bald als fremd empfundenen und deswegen zurückgedrängten humanistischen Einflusses. Diese Urteile bedürfen einer Überprüfung, was nur durch eine sorgfältige Analyse geschehen kann. Dazu existieren mit der umsichtig konzipierten Arbeit von Brunnschweiler zur Theaterkritik des Zürcher Theologen Johann Jakob Breitinger hervorragende Ansätze.576 Für eine genauere Untersuchung ist es unumgänglich, sich einen Überblick Teil II (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung Bd. 25), Wiesbaden 1995, S. 630–642, bes. S. 630. 641. 574 Vgl. Peter Burke, Helden, Schurken und Narren. Europäische Volkskultur in der frühen Neuzeit, Stuttgart 1981, S. 232. 575 Vgl. Burke, a.a.O., S. 225. 576 S. vorige Anm. Besonders intensiv wird von Brunnschweiler Breitinger interpretiert, aber auch das Verhältnis Zwinglis (S.122ff), Bullingers und Gwalthers (S. 133ff) sowie Calvins (S. 119ff) zum Theater wird untersucht. Den Dramen selbst wendet sich Brunnschweiler allerdings nicht zu.

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226 Grundlegung über die geistlichen Dramen in den unterschiedlichen reformierten Gebieten zu verschaffen, zu betrachten, wann, wo und von wem Stücke verfasst und aufgeführt wurden, aber auch den Inhalt der Stücke mit einzubeziehen und zu fragen, inwieweit sie reformierte Theologie und Frömmigkeit widerspiegeln, inwieweit sie möglicherweise eine einheitliche Konzeption erkennen lassen. Ebenso muss der Charakter von Argumenten für oder gegen Aufführungen, die in Dramen oder anderen literarischen Quellen erkennbar sind, herausgearbeitet werden. Bei jeder Äußerung über das geistliche Drama und bei jedem Drama selbst ist somit zu berücksichtigen, wie diese oder dieses chronologisch und geographisch einzuordnen ist. Dass generalisierenden Urteilen mit Vorsicht zu begegnen ist, zeigt die Tatsache, dass bezüglich der Vorbehalte in der Theologie des reformierten Teils der Reformation gegenüber bildlichen Darstellungen und visueller Wahrnehmung in der neueren Forschung darauf aufmerksam gemacht worden ist, dass auch hier das Visuelle in der Frömmigkeitspraxis nicht völlig bedeutungslos war. So konnte Calvin den didaktischen Wert eines eine Geschichte darstellenden Bildes herausstellen und Beza Bilder der Reformatoren als Hilfen bei der Frömmigkeitsübung empfehlen.577 Robert Scribner ist der Auffassung, dass die Front, analog der Situation in der Abendmahlsfrage, zwischen denjenigen verlief, die der Auffassung waren, dass der Mensch Gott durch irdische Wirklichkeiten, wozu auch die Bilder zu zählen sind, erkennen könne, und denjenigen, die dies negierten, da sie meinten, der Mensch könne Gott nur im Herzen erkennen.578 Scribner fasst daher Luther, Calvin und Beza zusammen, um sie Zwingli und Karlstadt gegenüberzustellen. Allerdings kann auch Zwingli ‚geschichtsweise‘ darstellende Bilder, die nicht der Verehrung dienen, außerhalb der Kirche dulden.579 Jedes Bild, das eine Verehrung ausschließt, ist grundsätzlich möglich.580 All diese Feststellungen sind für die Ausbildung eines geistlichen Theaters zumindest nicht hinderlich, so gewiss eine einfache Übertragung der Haltung in der Bilderfrage auf diejenige in der Theaterfrage nicht statthaft ist, denn das Vorliegen einer bilderkritischen Haltung bei einem Theologen muss nicht eo ipso das Vorliegen einer theaterkritischen Haltung bei ihm implizieren, wie auch eine bilderfreundliche Haltung nicht automatisch eine theaterfreundliche Haltung bedingen muss. Vielmehr muss bei aller Analogie, die in der visuellen Wahrnehmung besteht, das Medium geistliches Theater als eigenständiges Medium betrachtet werden, wie auch – wie sich zeigen wird – bei den Argumenten für oder wider das geistliche Theater neben sol577 Vgl. Bob Scribner, Popular Piety an Modes of Visual Perception in Late-Medieval an Reformation Germany, JRH 15 (1988/89), S 462; zu Calvin bes. Margarete Stirm, Die Bilderfrage in der Reformation, Gütersloh 1977, S. 177. 189. Alles was die Augen erfassen können, ist nach Calvin grundsätzlich auch darstellbar (Opera selecta Bd. 3, S. 100,26–101,6). Allerdings sollen Bilder keinen Verkündigungscharakter bekommen; vgl. Stirm, a.a.O., S. 218. 578 Vgl. Scribner, ebd. 579 Vgl. Stirm, a.a.O., S. 144. S. Zwinglis ‚Eine kurze christliche Einleitung‘ (1523), CR 89, 658,19f. 580 Vgl. Stirm, a.a.O., S. 146.



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chen, die auch für oder gegen Bilder vorgebracht werden, noch anders geartete Argumente eigener Art Verwendung finden. Die folgende Untersuchung geht von zwei Eckpunkten aus, die nicht zu bezweifelnde Fakten darstellen: Zunächst ist festzuhalten, dass es, wie schon ein flüchtiger Blick zeigt, auch im reformierten Bereich geistliche Dramen, ja sogar eine reiche Tradition derselben gab. Sogar die Puritaner haben, wie die neuere Forschung gezeigt hat, das Drama als Mittel zur Verbreitung reformatorischer Gedanken genutzt.581 Besonders aber ist darauf zu verweisen, dass prominente Vertreter der Schweizer Reformation Dramen abgefasst haben. Auf der anderen Seite ist aber auch deutlich, dass es reformierte Theologen waren, durch welche die massivsten kritischen, weil grundsätzlichen Einwände gegen diese Praxis laut wurden. Nicht zu leugnen ist allerdings ebenso, dass von reformierten Theologen auch positive Aussagen über die Praxis des geistlichen Theaters belegt sind. Für die Untersuchung ergeben sich so in Präzisierung zwei Zielrichtungen. Zum einen sollen die verschiedenen Dramenautoren und Dramen reformierter Provenienz vorgestellt sowie Zeugnisse über Aufführungen in vom reformierten Teil der Reformation beeinflussten Städten oder Territorien dargeboten werden. Hinsichtlich der Verfasser ist dabei die Frage von Interesse, auf welchem Hintergrund sie sich dem Abfassen von Dramen widmeten, hinsichtlich der Dramen, welche Stoffe in Szene gesetzt wurden. Zielpunkt dieses ersten Teils der Untersuchung ist die Klärung der Frage, ob und inwiefern Kernpunkte einer spezifisch reformierten Konzeption des geistlichen Dramas oder des geistlichen Theaters erkennbar sind – wobei hier naturgemäß keine Geschichte des geistlichen Dramas im reformierten Bereich geboten werden kann. Zum andern wird eine Darstellung und Analyse von einschlägigen Äußerungen gewichtiger Theologen und von bedeutenden Traktaten und Synodenbeschlüssen reformierter Provenienz angestrebt, die auch den jeweiligen konkreten Hintergrund mit einbezieht. Von besonderem Interesse sind dabei die theaterkritischen Voten, bei denen sich die Frage stellt, ob durchgängige Argumentationsmuster zu eruieren sind. Ziel dieses Teils der Untersuchung ist es zu klären, ob die Äußerungen eine Wurzel der Theaterkritik erkennen lassen, wenn ja, wie diese zu bestimmen ist und wie sich das Verhältnis zur Bilderkritik gestaltet. Am Ende der Untersuchung, die sich in beiden Teilen zunächst dem oberdeutsch-schweizerischen und dann dem französischen Protestantismus zuwendet, soll sich so ein Gesamtbild der Haltung des 581 Vgl. Glenn Ehrstine, Theater, culture and communitiy in reformation Bern, Leiden u.a. 2002, S. 13, unter Berufung auf Margot Heinemann, Puritanism and Theatre. Thomas Middleton and Opposition Drama under the Early Stuarts, Cambridge 1980; Patrick Collinson, Birthpangs of Protestant England, London 1988; Paul Whitfield White, Theater and Reformation. Protestantism, Patronage, and Playing in Tudor England, Cambridge 1992; Bryan Crockett, The Play of Paradox. Stage and Sermon in Renaissance England, Philadelphia 1995; Huston Diehl, Staging Reform – Reforming the Stage. Protestantism and Popular Theater in Early Modern England, Ithaca 1997. Die alte Forschung, repräsentiert von Harold Gardiner, Mysteries‘ End. An Investigation of the Last Days of the Medieval Religious Stage, New Haven 1946, hatte behauptet, dem Puritanismus inhäriere von Anfang an eine theaterfeindliche Haltung.

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228 Grundlegung reformierten Christentums zur Dramatisierung geistlicher Stoffe ergeben – ein Gesamtbild, das nach den Ausgangsdaten vermutlich ein differenziertes und Entwicklungen einschließendes sein wird.

1. Dramen, Verfasser und Aufführungen in Bereichen des reformierten Teils der Reformation a) Dramen, Dramenautoren und Aufführungen in der deutschsprachigen reformierten Schweiz In gewisser Weise kann die Schweiz als Ursprungsland des Reformationsdramas angesehen werden,582 insofern hier bereits in den frühen zwanziger Jahren Stücke inszeniert werden, in denen nicht nur heftige Kritik an der alten Kirche und deren Frömmigkeitspraxis und Lehre geübt wird, sondern auch die neue Lehre zumindest angedeutet wird. Bei diesen ersten Stücken handelt es sich um Fastnachtspiele, später folgen reguläre Bibeldramen. Im Folgenden werden die wichtigsten Dramen und Aufführungen vorgestellt. 1523 legte der auch als Politiker tätige Maler Niklaus Manuel (1484–1536) in Bern die beiden überaus erfolgreichen Fastnachtspiele ‚Vom Papst und seiner Priesterschaft‘ und ‚Von Papsts und Christi Gegensatz‘ vor, die viele Menschen zum evangelischen Glauben bewegt haben sollen.583 Das erste, beeinflusst durch Gengenbachs ‚Totenfresser‘, führt die Bereicherung verschiedener Kleriker im System der römischen Kirche vor, wobei aktuelle Bezüge, wie der Hinweis auf den scharf antiprotestantischen Thomas Murner oder die türkische Eroberung von Rhodos, nicht fehlen. Am Ende treten Petrus und Paulus auf, die das Gebaren des ‚Entchristelo‘ genannten Papstes brandmarken. Im zweiten Spiel erleben zwei Bauern den einfachen und leidenden Christus auf der einen Seite, auf der andern den geschmückten und machtvollen Papst, worüber sie ins Gespräch kommen. Mitte der zwanziger Jahre folgen weitere Spiele. Bedeutsam ist der ‚Der Ablasskrämer‘ 582 Jakob Baechtold, Geschichte der Deutschen Literatur in der Schweiz, Frauenfeld 1892, S. 249, brachte dies auf den Punkt mit seiner Formulierung: „Die Schweiz ist das Hauptland, die eigentliche Geburtsstätte des neuern, durch die Reformation hervorgerufenen Dramas.“ Zu dieser Sicht etwas kritisch steht Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 121. 583 Zu diesen Fastnachtspielen vgl. Wolfgang F. Michael, a.a.O., S. 35–37; Karl Hase, Das geistliche Schauspiel, Leipzig 1858, S. 7. Die Werke Manuels sind kritisch ediert in: Niklaus Manuel, Werke und Briefe. Vollständige Neuedition, hrg. v. Paul Zinsli und Thomas Hengartner, Bern 1999. Vgl. Ehrstine, a.a.O., S. 79. 95–107. 224ff. 228ff. – Ehrstine fragt a.a.O., S. 84, wie die Gattung Fastnachtspiel im reformierten Bern weitergeführt werden konnte angesichts der von protestantischen Theologen betriebenen Unterdrückung von Karnevalsfeiern. Seine Antwort (S. 90) geht dahin, dass die fastnächtliche Belustigung über kirchliche Autoritäten in Bern Tradition war und dass dazu auch Manuels erste Stücke gehörten.



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(1525), in dem Bauern einen Ablasshändler durchschauen und ihm sein Geld abnehmen.584 An weiteren Stücken, die der offiziellen Einführung der Reformation in Bern (1528) vorangingen, sind die Spiele ‚Barbali‘, über eine Tochter, die ins Kloster gehen will (1526), zu nennen sowie das Spiel ‚Ein klegliche Botschafft dem Bapst zu kommen‘ (1528). Ein anderer bedeutsamer Dramenautor in Bern war Hans von Rüte († 1558)585, Mitglied des großen Rats, dessen dramatisches Wirken in die Zeit nach dem Übertritt der Stadt zum evangelischen Bekenntnis fällt. 1531 inszenierte er das ‚Fastnachtspiel von heidnischer und päpstlicher Abgötterei‘, in dem die Heiligenverehrung und das Messwesen kritisiert werden.586 Diesem Tendenzdrama ließ er fünf biblische Dramen folgen. 1538 verfasste er einen vom Josephs-Drama des Cornelius Crocus beeinflussten, zu einem zweitägigen Drama ausgebauten und deutlich protestantisierten ‚Joseph‘, in welchem er auch den Präfigurations-Gedanken aufnimmt.587 In seinem ebenfalls zweitägigen ‚Gideon‘ (1540) tangiert er erneut das Thema Götzendienst. Für die Baalspriesterschaft, die mit dem römischen Klerus gleichgesetzt wird, wird auf die Einnahmeeinbußen durch Gideons Reformation abgehoben.588 In diesem Stück sind allerdings auch antitäuferische Tendenzen erkennbar.589 Weitere Dramen sind ein ‚Noah‘ (1546)590, ein gegen den alten Glauben gerichtetes Osterspiel (1552)591, in dem Rüte aber auch von ihm erkannte katholisierende Entwicklungen im Calvinismus kritisiert, und ein ‚Goliath‘592 (1555), in dem die Kraft des Glaubens betont und das richterzeitliche Israel deutlich mit der Stadt Bern gleichgesetzt wird. Für das Jahr 1567 ist in Bern schließlich die Aufführung eines Esther-Dramas belegt.593 Hans von Rüte ist auch insofern für die Geschichte des geistlichen Theaters von Interesse, als er in der Vorrede zu seinem ‚Noah‘ auf Erwartungen und Kritik der Bevölkerung in Bezug auf Aufführungen eingeht. Die Quintessenz seiner Ausführungen liegt darin, dass der Dichter es aufgrund divergierender Erwartungshaltungen niemandem Recht machen könne: Die einen wollten Ernsthaftes auf der Bühne sehen, die andern Unterhaltung bekommen oder satirische Kritik geübt wissen. Die einen verlangten nach biblischen 584 Zu diesem Spiel vgl. Michael, a.a.O., S. 37f; Ehrstine, a.a.O., S. 107–113. 585 Zu Leben und Werk Rütes s. Kenneth A. Fisher, Hans von Rüte, Austin 1975. Seine Dramen sind kritisch ediert in: Hans von Rüte, Sämtliche Dramen, hrg. v. Friederike Christ-Kutter – Klaus Jaeger – Hellmut Thomke. 3 Bände, Bern u.a. 2000. 586 Vgl. Michael, a.a.O., S. 136ff.; Ehrstine, a.a.O., S. 124–133. 234ff. 587 Vgl. Michael, a.a.O., S. 138–141; Ehrstine, a.a.O., S. 157–166. 588 Vgl. Michael, a.a.O., 143f. 589 Zu Rütes ‚Gideon‘ vgl. auch Ehrstine, a.a.O., S. 166–176, zur antitäuferischen Ausrichtung des Stückes vgl. bes. S. 167f. 590 Vgl. dazu Ehrstine, a.a.O., S. 176–188. 591 Zu diesem Stück s. Ehrstine, a.a.O., S. 186–200. Insbesondere in der Kirchenzucht sieht Rüte katholisierende Tendenzen. 592 Zu diesem zweitägigen Drama vgl. Michael, a.a.O., S. 146f., und Ehrstine, a.a.O., S. 148–157. 593 Vgl. Michael, a.a.O., S. 170.

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230 Grundlegung Aufführungen, die anderen meinten, die Bibel gehöre allein auf die Kanzel, man solle nur weltliche Geschichten spielen.594 Offenbar gab es Strömungen, die die Dramatisierung biblischer Stoffe verwarf, aber nicht das Theater insgesamt. Rüte selbst verweist auf die breite und lange Tradition des Spielens, auch in Israel – an dieser Stelle ist er möglicherweise von Luthers Bibelvorreden zu den Apokryphen beeinflusst, in denen dieser auf eine von ihm ausgemachte Theaterpraxis Israels hinwies – und der Christenheit, auf ihren Nutzen; aus dem Spielen folge nichts Böses.595 Die Aufführungen in Bern erfolgten überwiegend durch Jugendliche, genauer durch ‚Bürgersöhne‘ d.h. aus den gehobeneren Familien.596 Sie dienten damit auch der Identitätsstiftung innerhalb des Gemeinwesens.597 Ebenso repräsentierten sie das Gemeinwesen vor Delegationen anderer, auch altgläubiger Städte.598 Die Stücke von Manuel und Rüte waren eindeutig für Aufführungen, für ein Publikum bestimmt und keine Lesedramen.599 Auffallend für Bern und singulär im deutschen Sprachraum ist die Konzentration auf geistliche Dramen, die bis ins Jahr 1573 zu beobachten ist.600 Am Anfang der Entwicklung stehen die Fastnachtspiele mit heftiger antipäpstlicher Polemik, die von biblischen Dramen abgelöst werden.601 Wurde der Brauch der Fastnachtspiele unter Aufnahme protestantischer Inhalte zunächst beibehalten, so wurde er in den dreißiger Jahren aufgrund des Drucks von Theologen aufgegeben. Am Ende des 16. Jahrhunderts sind in Bern Maßnahmen erkennbar, die auf eine stärkere Zensurierung, aber auch auf eine Beschränkung 594 Hans von Rüte, Noe, Vorrede, in: Ders., Sämtliche Dramen Bd. 2, S. 407,57–68: „Einer g’hÖrt gern hoch ernsthafft sachen / Der will / man sÖll jm kurtzwyl machen Der b’gert / man sÖlle anden ruch Nach der alten Satyren bruch Was sunst nieman strafft / hoch vnd nider Etlich wÖllent ander darwider. Der wil denn ein Histori han Die man find in der Bibli stan / Der ander meint die heilge g’schrifft Die syg allein an Cancel g’stifft Man sÖll nun spilen weltlich gschichten Old etwan ein fabel erdichten.“ 595 Vgl. a.a.O., S. 407,84–408,101. Das Argument vom Theater „zíHierusalem“, im „heilig volck“ dürfte bei dem Berner Dramatiker gegen diejenigen, die biblische Dramen ablehnen, gerichtet sein. Wer diese Haltung vertritt, sagt er nicht. Zwar ist nicht ganz auszuschließen, dass er auf Kritik am geistlichen Theater Genfer Provenienz zielt, doch spricht dagegen, dass die von Rüte benannten Kritiker weltlichen Aufführungen durchaus zugeneigt waren, was etwa für Farel undenkbar ist. – Den erzieherischen Wert des Theaters für die Jugend, wenn auch als Äußerung anderer, führte Rüte bereits zuvor ins Feld: Es ertüchtige die Jugend, zeige deren Intellekt, es biete eine außerhalb des Spiels unmögliche Darstellung des Lasters dar, in scherzhafter Weise; vgl. a.a.O., S. 406,46–50. Allerdings beinhaltet diese Äußerung auch Kritik an jenen, die unter dem Vorwand einer erzieherischen Maßnahme in erster Linie an der Zurschaustellung der Laster interessiert sind. 596 Vgl. Ehrstine, a.a.O., S. 36. 597 Vgl. Ehrstine, a.a.O., S. 294. 598 Vgl. a.a.O., S. 141. 599 Ehrstine, a.a.O., S. 40: „Both Manuel and Rüte created their works for the requirements of a living audience, not for the aesthetic tastes of elite and remote readers.“ 600 Vgl. Ehrstine, a.a.O., S. 7. 601 Vgl. a.a.O., S. 12.



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der Theaterpraxis zielten. Den Hintergrund bildet ein stärkeres Drängen auf Sittlichkeit, das Mittel besteht in der Abtrennung der Aufführungen vom öffentlichen Raum; verboten wurden sie allerdings nicht.602 Rudolff Schmid in Lenzburg griff aus dem Buch Josua die Geschichte vom Durchzug Israels durch den Jordan auf. Dem Berner Bereich zuzurechnen ist auch der in Teil C I 5 behandelte Herman Haberer, der 1551 ein nicht mehr erhaltenes Drama ‚Jephta‘ schrieb und 1562 das ‚Spiel vom gläubigen Vater Abraham‘ abfasste. Der Aarauer Schulmeister Mattheus Rotbletz veröffentlichte 1558 ein Drama ‚Samson‘, das das gleichnamige Drama von Hieronymus Ziegler zur Vorlage hatte.603 In Zürich604 inszenierte Jakob Ruoff († 1558) 1535 ein Drama ‚Hiob‘. 1539 verfasste er das ‚Spiel von des Herrn Weingarten‘605, das den Stoff aus Mt 21, Mk 12 und Lk 20 aufnimmt. Den Part der Widersacher übernehmen dabei der Papst und ein Kardinal samt ihren Gehilfen, den Mönchen. Auch der Satan erscheint im Mönchshabit. Es folgt die Dramatisierung der Joseph-Geschichte als zweitägiges Stück (1540). Das 1542 verfasste, national geprägte weltliche Drama ‚Etter Heini‘ ist von antirömischer Polemik durchzogen.606 1545 verfasste Ruoff ein für zwei Tage konzipiertes Passionsspiel607, in dem Teile aus der ‚Grablegung‘ des Mathias Gundelfinger vom Ende des 15. Jahrhunderts aufgenommen sind. Das Drama spiegelt auch die zwinglische Abendmahlslehre wider. Die 1550 vorgelegte Dramatisierung der Geschichte von Adam und Eva, ebenso ein zweitägiges Stück, bei dem 105 Personen mitwirkten, verfolgt die Urgeschichte vom Sturz Lucifers bis zur Sintflut.608 Alle Aufführungen erfolgten durch die Zürcher Bürgerschaft. Über Zürich hinaus bekannt wurde der humanistisch geprägte Schulleiter Georg Binder, der 1535 seine – auch nach Deutschland weiterwirkende – Übersetzung des ‚Acolastus‘ von Gnapheus zur Aufführung brachte und eine vorrangig moralische Zielsetzung des 602 Heidi Neuenschwander, Geschichte der Stadt Lenzburg. Von der Mitte des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, Argovia 96 (1984), S. 192 mit Anm. 183: „Gegen Ende des 16. Jahrhunderts... versuchte die Berner Obrigkeit, immer mehr, alle Bereiche des Lebens durch Verbote und Sittenmandate einzuschränken. Im Zuge dieser Zeittendenz erließ die Berner Regierung im Juni 1592 ein Mandat, wonach das Dichten von weltlichen und geistlichen Spielen von ihrer Erlaubnis abhängig gemacht wurde.“ Die Aufführungen sollten nicht mehr auf den Gassen stattfinden, sondern in Häusern. Für 1591 sind belegt die Darbietungen zweier Stücke, vom verlorenen Sohn und von der Enthauptung Johannes des Täufers, durch eine reisende Theatertruppe; vgl. Michael Gebhardt (Hrg.), Das Johannesspiel, Innsbruck 2000, S. 44. 603 Vgl. Wolfgang F. Michael, Forschungsbericht, S. 145f. 604 Die folgenden Angaben beziehen sich einerseits auf Goedeke, Grundriß Bd. 2, § 146 (S. 337– 355), andererseits auf Brunnschweiler, a.a.O., S. 267ff. Zu den modernen Ausgaben von Dramen Ruoffs vgl. W.F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit (1989), S. 147f. mit Anm. 312. 605 Zu diesem Drama vgl. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit (1984), S. 152f. 606 Vgl. a.a.O., S. 152. 607 Zu diesem Drama vgl. Michael, a.a.O., S. 156f. 608 S. dazu a.a.O., S. 159ff.

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232 Grundlegung Dramas vertrat.609 Jos Murer610 (1530–1580), Glasmaler und Mitglied des großen Rats, legte 1556 eine Dramatisierung der Naboth-Geschichte vor, die in Winterthur zur Darstellung kam. 1559 folgte ein Drama ‚Belagerung der Stadt Babylon‘, dessen Aufführung aber wegen Feuersbrünsten abgesagt wurde. Weiter widmete er sich den Geschichten von Absalom (1565), gespielt von der Zürcher Jugend, und der Esther-Geschichte (1567), aufgeführt in Zürich und in Bern anlässlich einer Hochzeit. Diesen Dramatisierungen folgten ein von Funkelin und Ruoff beeinflusstes Auferstehungsspiel (1566/67)611 und ein apokryphen Stoff aufnehmendes zweitägiges Drama ‚Zorobabel‘ (1575), beides Bürgeraufführungen. Wie Wolfgang F. Michael feststellt, sind Murers Dramen von der Religionsfrage nicht berührt, ihre Intention liegt auf der Ebene der Moral.612 Als namhafter Theologe hatte Rudolf Gwalther, Bullingers Nachfolger in Zürich, bereits 1549 seinen ‚Nabal‘ verfasst, der zweimal in Zürich aufgeführt wurde und 1562 in Straßburg gedruckt wurde.613 Für das 16. Jahrhundert sind für Zürich rund 30 Dramenaufführungen belegt.614 Bei den meisten handelt es sich um Inszenierungen von biblischen oder geistlichen Dramen, die als Schul- und Bürgerdrama lateinisch oder deutsch inszeniert wurden.615 Die ersten Aufführungen markieren das eher einen Dialog darstellende ‚Osterspiel‘ von Utz Eckstein (1525), das politisch-konfessionelle, aber in der Polemik zurückhaltende Gespräch ‚Eine Badenfahrt guter Gesellen‘ (1526) und als erstes süddeutsches Bibeldrama ein ‚Spiel vom reichen Mann und vom armen Lazarus‘ (1529).616 Zu den Dramenaufführungen der genannten heimischen Autoren kamen diejenigen von auswärtigen Dichtern hinzu. So wurde 1538 die Susanna von Sixt Birck von Lateinschülern gespielt, 1543 Funkelins Drama vom reichen Mann und armen Lazarus, ferner Aufführungen von Dramen, deren Verfasser nicht belegt sind: ein ‚Spiel vom reichen Mann und vom armen Lazarus‘ (1540), ein Drama ‚König Salomo‘ (1548), ein Spiel ‚Der verlorene Sohn‘ (1570/71), ein Drama ‚Susanna‘ (1594). Im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts sind weitere drei Aufführungen von geistlichen Dramen auszumachen: zwei Aufführungen der Esther-Geschichte (1601 609 Vgl. Michael, a.a.O., S. 202. 204 610 Zu Murer vgl. Phyllis Manning, Jos Murer and the Protestant Easter Drama, Austin 1971. Eine Gesamtausgabe liegt vor: Jos Murer, Sämtliche Dramen, hrg. v. Hans-Joachim Adomatis u.a., Berlin – New York 1974. 611 Diese Aufführung findet sich nicht in Brunnschweilers Auflistung, aber bei Goedeke, a.a.O., S. 350 (Nr. 77,5). Zum Drama vgl. Michael, a.a.O., S. 166ff, der eine Aufführung voraussetzt. 612 Vgl. Michael, a.a.O., S. 162. 613 Zu Gwalther vgl. Kurt Jakob Rüetschi, Art. ‚Gwalther, Rudolf‘, RGG4 3, Sp. 1356f., zu dessen ‚Nabal‘ vgl. S. Giovanoli, Form und Funktion des Schuldramas im 16. Jahrhundert, Bonn 1980, S. 43ff. 82ff. Ebd. bietet Giovanoli auch eine Edition und Übersetzung des Dramas. 614 Vgl. Brunnschweiler, a.a.O., S. 125. 615 Zu anderen Dramenarten vgl. Brunnschweiler, a.a.O., S. 129f. 616 Zu diesem Stück vgl. Michael, a.a.O., S. 45f.; zu modernen Ausgaben vgl. ders., Forschungsbericht, S. 163.



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und 1621), möglicherweise Naogeorgs ‚Hamanus‘ und eine Aufführung der Opferung Isaaks von Beza (1617). Besondere Höhepunkte des Schul- und Bürgerdramas bildeten die Jahre 1530 bis 1550 und 1560 bis 1575. Dies zeigt, dass die Aufführungsintensität auch von der Existenz und der Produktion heimischer Dramenautoren abhängig war. Besonders nach der Jahrhundertwende ging die Zahl der Aufführungen stetig zurück.617 Infolge der Kritik Johann Jakob Breitingers wurden die Schulaufführungen in Zürich 1624 abgeschafft.618 Insofern Basel bis in die fünfziger Jahre infolge der zwinglianischen Prägung des führenden Theologen Oswald Myconius klar der Zürcher Reformation zuzuordnen ist und die meisten der hier betrachteten Dramen dieser Zeit entstammen, muss eine Darstellung der dramatischen Praxis in Basel in diesem Kapitel erfolgen, ungeachtet der unter Simon Sulzer vollzogenen Annäherung an das Luthertum, die in der Annahme der Wittenberger Konkordie im Jahre 1571 gipfelte, nach Sulzers Tod (1585) aber stetig wieder zurückgenommen wurde.619 Von 1530 bis 1536 wirkte in der Stadt der Augsburger Sixt Birck (Xystus Betuleius; 1501–1554)620 als Schulmeister, der in der Folgezeit in seiner Heimatstadt tätig war. Während er in Augsburg nur noch lateinische Dramen zur Aufführung brachte, sind aus seiner Basler Zeit ausschließlich deutsche Dramen belegt. Einem Drama ‚Ezechias‘ (Hiskia) über die Belagerung Jerusalems durch den Assyrerkönig Sanherib, der die Juden zum Götzendienst zwingen will, folgten die Dramen ‚Zorobabel‘, ‚Susanna‘ (1532), ‚Joseph‘, ‚Judith‘ und das in Bezug auf seine Verfasserschaft angezweifelte, zuweilen auch Kolroß zugeschriebene, auf der Daniel-Geschichte beruhende Drama ‚Beel. Tragödie wider die Abgötterei‘ (1535).621 Wolfgang F. Michael attestiert Birck hinsichtlich der konfessionellen Frage weitgehende Zurückhaltung.622 Der genannte Schulmeister Johannes Kolroß, der mit dem ‚Beel‘ in Verbindung gebracht wird, verfasste das Drama ‚Von Fünfferley betrachtnussen‘, in dem das sola fide durchscheint.623 Der Birck-Schüler 617 Vgl. Brunnschweiler, a.a.O., S. 130ff. 618 Vgl. ebd., S. 180. – Zur Theaterkritik Breitingers s.u. Abschnitt 3 a). 619 Zur konfessionellen Haltung Basels nach Myconius’ Tod (1552) vgl. Ernst Koch, Das konfessionelle Zeitalter, S. 117ff. 129f. 620 Zu Birck und seinen Basler deutschen Dramen vgl. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, S. 208–214. Eine kritische Ausgabe der Dramen liegt vor: Sixt Birck, Sämtliche Dramen, hrg. v. Manfred Brauneck. 3 Bände, Berlin 1969–1980. Zu dieser Ausgabe der Dramen Bircks, in der das Drama ‚Beel‘ aufgenommen ist, vgl. W.F. Michael, Forschungsbericht, S. 96. Zu Birck s. ferner Ernst Messerschmid, Sixtus Birck, Erlangen 1922. 621 Zum Drama ‚Beel‘ und zur Frage der Verfasserschaft Bircks vgl. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, S. 213 mit S. 383 Anm. 313. 622 Lediglich eine Stelle in dem in Augsburg entstandenen Stück ‚Sapientia Salomonis‘ benennt er, in der Birck, von der Prädestination sprechend, seine zwinglianische Haltung durchscheinen lasse; vgl. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, S. 214f. 623 Vgl. Michael, a.a.O., S. 224. Die Aussage des Kolroß, dass der rechte Glaube ohne Werke und Tugend nicht sein könne, muss nicht notwendigerweise ‚katholisch‘ sein, wie Michael ebd. behauptet. Pointe der reformatorischen Rechtfertigungslehre ist ja gerade auch die Befreiung des gu-

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234 Grundlegung Heinrich Pantaleon (1522–1595) dramatisierte 1546 die Zachäus-Geschichte als lateinisches Schuldrama unter deutlicher Aufnahme der reformatorischen Lehre.624 Von dem Spitalpfarrer Valentin Boltz sind zwei Dramen, eine ‚Tragicocomoedia Sant Pauls Bekerung‘625, 1546 aufgeführt, und eine ‚Ölung Davids‘ (1554) bekannt.626 Der Elsässer Stadtschreiber Mathias Holzwart inszenierte 1571 in Basel ein zweitägiges Drama ‚Saul‘.627 Weitere Aufführungen geistlicher Dramen in Basel bildeten die Inszenierung einer ‚Tragödie wider die Abgötterei‘ (1535), einer ‚Komödie der Samaritaner‘ (1546), einer ‚Susanna‘ (1546) und des ‚Hamanus‘ von Naogeorg.628 Für Biel ist der aus Konstanz stammende überaus produktive Pfarrer Jakob Funkelin († 1565), Schüler des Ambrosius Blarer, zu nennen, der infolge des Schmalkaldischen Krieges in die Schweiz floh. 1550 wurde durch die Bürgerschaft, mit besonderer Beteiligung der Jugend, ein Drama vom reichen Mann und armen Lazarus aufgeführt, in dem deutlich das solus Christus und das sola fide zum Ausdruck gebracht wird.629 Diesem folgte die Dramatisierung der Geschichte von der Auferweckung des Lazarus, 1552 von der Bieler Jugend gespielt, eine Bearbeitung des lateinischen Dramas ‚Anabion‘ des Straßburgers Johannes Sapidus.630 Funkelin inszenierte ferner ein Weihnachtsspiel (1553), gespielt durch die Bieler Jugend, und ein Osterspiel (1562).631 Als weitere durch Funkelin initiierte Aufführungen führt Goedeke eine Inszenierung der Geschichte von Lot und Abraham (1552, von Schülern gespielt), eine Bürgeraufführung der Esther-Geschichte (1552), eine Darstellung der Geschichte vom Untergang Sodoms und Gomorrhas (1554), eine Inszenierung der Apokalypse (1555), eines Stückes ‚Die in Lastern hinlebende Welt‘ (1555), eines Dramas zur Geschichte vom verlorenen Sohn (1562) und zur SusannaGeschichte (1565) an.632 Alle diese von Goedeke angeführten Dramen sind verlorengegangen. Für Schaffhausen sind belegt: die Aufführung einer deutschen Übersetzung von Gwalthers ‚Nabal‘ (1559) und einer Komödie ‚Die Immolation Isaaks‘ (1566), beide

ten Werkes. Insofern es der Glaube allein ist, der rechtfertigt, und entsprechend die Liebe von diesem Glauben unterschieden wird, wird das Werk der Liebe zugeordnet, das sich, von jeder Verzweckung befreit, auf den Nächsten richtet. So führt der Glaube, der den Primat vor der Liebe hat, notwendig zum guten Werk, dem aber ein Frömmigkeitswerk wie das Fasten nicht mehr subsumiert werden kann. 624 Vgl. Michael, a.a.O., S. 226. 625 Zu diesem Stück und eventuellen antikatholischen Elementen vgl. Michael, a.a.O., S. 131f. 626 Zu Boltz vgl. Michael, a.a.O., S. 227ff, zu seinem dritten Drama, S. 229f. 627 Vgl. Michael, a.a.O., S. 231. 628 Vgl. a.a.O., S. 225f. 629 Vgl. Michael, a.a.O., S. 173–176. 630 Vgl. a.a.O., S. 176f. 631 Vgl. a.a.O., S. 177ff. 632 Vgl. Goedeke, a.a.O., S. 349.



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durch den dortigen Schulmeister Sebastian Grübel (1528–1595)633, ferner die von jungen Bürgern durchgeführte Darbietung eines Dramas ‚Tobias‘ durch den Pfarrer Johannes Jezeler (1605). Weitere Aufführungen von geistlichen Dramen nicht mehr zu ermittelnder oder unbekannter Autoren in der deutschsprachigen Schweiz sind bei Goedeke aufgeführt.634 Führt man sich die in der deutschsprachigen reformierten Schweiz verfassten und aufgeführten Dramen vor Augen, ist zu bemerken, dass sowohl alt- und neutestamentliche als auch fiktionale Stoffe verarbeitet wurden. In der Anfangszeit wurden ausschließlich fiktionale Stoffe mit heftiger antirömischer Polemik auf die Bühne gebracht. Infolge des zweiten Kappeler Krieges 1531 kam es zu einer Einschränkung der konfessionellen Polemik.635 Ab dem Ende der zwanziger Jahre setzt bereits das Bibeldrama ein, bei dem insgesamt die alttestamentlichen Vorwürfe dominieren. Bei diesen werden besonders Geschichten aus der Richter- und der Königszeit, in denen das Gottesvolk in Kämpfe verwickelt ist und auch der Idololatrie – die für den alten Glauben steht – widerstehen muss, ferner die Esther- und Josepherzählung aufgegriffen. Unter den neutestamentlichen Stücken sind zahlreich auch Passions- und Osterspiele vertreten, deren Stoffe wie auch die Weihnachtsgeschichte Gegenstand der mittelalterlichen und der zeitgenössischen geistlichen Spiele der altgläubigen Schweiz waren. Dies zeigt, dass der Einfluss Luthers mit seinen Empfehlungen zum geistlichen Drama durchaus begrenzt war.636 Allerdings werden auch deutliche Affinitäten zum sächsischen geistlichen Drama sichtbar, wie sich in der Wahl bestimmter Stoffe zeigt, etwa der Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus, vom verlorenen Sohn, der Esthergeschichte oder der apokryphen Geschichten von Susanna, Tobias und Judith, die sich großer Beliebtheit erfreuten. Auffallend ist schließlich die große Länge der Dramen, die teils als Schul-, teils als Bürgeraufführungen auf die Bühne kamen. Deutlicher Schwerpunkt des Bibeldramas sind die fünfziger und sechziger Jahre des 16. Jahrhunderts. In Zürich und Schaffhausen lässt sich die Spielpraxis bis ins 17. Jahrhundert hinein verfolgen.

633 Für das Abraham-Drama Grübels wird, wie Daniel Bolliger, Dramatisches Symbol konfessioneller Grundhaltungen zwischen Glaube und Politik, in: Steiger – Heinen (Hrgg.), Isaaks Opferung (Gen 22) in den Konfessionen und Medien der frühen Neuzeit, S. 307 Anm. 125, erwähnt, das lateinische Abraham-Stück Hieronymus Zieglers von 1547 als Grundlage vermutet. Dies bedürfte aber näherer Überprüfung. 634 Vgl. a.a.O., S. 344 die Aufführung eines ‚Nebukadnezar‘ im Jahr 1535 im Basler Raum, S. 347 diejenige eines Passionsspiels 1544 im Münsterhof zu Zürich, S. 351 eines ‚Elisa‘ 1566 in Basel sowie S. 347 mehrere Aufführungen der Geschichte vom verlorenen Sohn. 635 Vgl. Ehrstine, Theater, S. 134. 636 Ehrstine, a.a.O., S. 26: „Luther’s influence was not absolute, however. Swiss Protestant playwrights apparently enjoyed greater freedom in adapting Catholic theater ...“

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236 Grundlegung

b) Dramen, Dramenautoren und Aufführungen im französischsprachigen reformierten Protestantismus Überaus reich ist die Tradition französischsprachiger geistlicher Dramen im reformierten Frankreich und der reformierten französischsprachigen Schweiz.637 Auch die folgende Darstellung nimmt keine Vollständigkeit in Anspruch, ganz abgesehen davon, dass die Zahl der gespielten Dramen vermutlich weit größer war als die der gedruckten.638 Bei manchem Drama lässt sich nicht zur Gänze klären, ob es wirklich reformierter Provenienz ist, ob sein Verfasser oder seine Verfasserin als Protestant oder Protestantin zu bezeichnen ist. Einige Dramen verdanken sich den ‚Libertins spirituels‘, einer Gruppe, die Affinitäten zum Protestantismus aufweist, aber daneben Gedanken der mittelalterlichen Mystik aufnimmt und einige mit dem reformierten Glauben nicht kompatible Elemente mit sich führt.639 Andere Stücke ergehen sich in Kirchenkritik oder Satire gegen den Klerus, ohne schon eine wirkliche Verbindung zum neuen Glauben erkennen zu lassen. Da die Stücke wie auch ihre Verfasserinnen und Verfasser im deutschen Sprachraum kaum bekannt sind, seien sie im Folgenden in chronologischer Reihenfolge vorgestellt. Zuerst werden solche Moralitäten und Stücke geboten, deren Vorwürfe nicht biblischen Ursprungs sind und in denen meist direkt Personen und Einrichtungen der alten Kirche angegriffen werden. Sodann wird auf die biblischen Dramen eingegangen, schließlich auf lateinische geistliche Dramen. Näher analysiert werden können die Dramen in diesem Rahmen nicht; dies würde eine eigene Studie erfordern. Fritz Holl klassifiziert die von den französischen Protestanten verwendeten dramatischen Gattungen in die polemische Moralität und das Bibeldrama. Erstere diente nach ihm dazu, „... die des Lesens ungeübte breite Masse des Volkes für die protestantische Sache zu gewinnen.“640 Sie übe Kritik an der Kirche und ihren Amtsträgern, die als Ausbeuter und Götzendiener geschildert würden, um von dort aus in die neue Lehre einzuführen. Für das Bibeldrama nennt Holl Erbauung und Tröstung als Ziele. Aus den Errettungen Israels sollten die Protestanten die Gewissheit schöpfen, dass Gott das Papsttum vernichten werde. So komme dem Bibeldrama die Funktion zu, die bereits Bekehrten im Glauben zu stärken.641 Während die polemische Moralität ihren Zweck aufgrund ihrer mangelnden Verbreitung nicht erreicht habe, habe das Bibeldrama nach kurzer Blüte Einwände auf sich gezogen. Unter diesen Einwänden versteht Holl allerdings nicht theologische Kri-

637 So erscheint es unverständlich, dass Otto Erich Strasser-Bertrand, Die evangelische Kirche in Frankreich, Göttingen 1975, in dem Abschnitt „Hugenottische Kultur im 16. und 17. Jahrhundert“ (S. 151–153) das protestantische Drama mit keinem Wort erwähnt. 638 Vgl. Raymond Lebègue, La Tragédie religieuse en France, Paris 1929, S. 291. 639 Zu den Libertinern vgl. Wilhelm Neuser, Calvin, Berlin 1971, S. 9. 640 Holl, a.a.O., S. 215. 641 Vgl. a.a.O., S. 216.



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tik, sondern dichterische oder dramentheoretische Kritik von poetischer Seite.642 Gerard Jonker unterscheidet drei Gruppen im französischsprachigen protestantischen Theater: das polemisch-didaktische Theater, das biblische Theater und das künstlerische Theater. Unter letzterem fasst er Autoren, die mit ihren Dramen nicht den Zweck der Erbauung oder Tröstung verfolgt, ihr dramatisches Werk nicht als Predigt oder Lehre verstanden und sich bei Zugrundelegen biblischer Texte gewisse Freiheiten gegenüber diesem Text erlaubt hätten. Als Ziel dieser Autoren erkennt Jonker die Vermittlung von Affekten und künstlerischem Genuss.643 John Spencer Street unterscheidet bei den protestantischen Dramen die Propagandadramen, die meist in Form von Satiren, Moralitäten und Allegorien gehalten sind, aber auch Bibeldramen umfassen und wesentlich am Kriterium der Effektivität, dem Erreichen von Menschen orientiert sind, von den am Stil ausgerichteten humanistisch-neoklassischen Dramen, zu denen er z.B. die Stücke von de la Taille und Rivaudeau zählt.644 Der Typologie Jonkers soll hier nicht gefolgt werden. Nahezu alle von Jonker genannten Autoren haben biblische Dramen verfasst. Auch wenn sich in ihnen ohne Zweifel neue Tendenzen in Hinsicht auf eine Verselbständigung des Theaters von geistlichen Vorgaben manifestiert, so verbindet der zugrunde liegende Stoff doch diese Dramen mit den anderen biblischen Dramen. Auch wird sich zeigen, dass bei aller Priorität des Künstlerischen dieser Dramen der erbauliche Zweck nicht entfällt. Die Klassifizierung Streets gibt ebenfalls deutliche Nachteile zu erkennen. Sie ebnet den Unterschied zwischen Bibeldramen und Moralitäten und Satiren zu sehr ein. Wie Jonker trennt auch Street jene biblischen Dramen, deren Autoren sich ebenfalls klassischpoetologischen Gesichtspunkten verpflichtet fühlten, zu stark von den anderen, biblische Vorwürfe aufnehmenden Dramen ab. Eine Sonderrolle unter den Autoren geistlicher Dramen in Frankreich nimmt aufgrund ihrer Herkunft und ihrer förmlichen Zugehörigkeit zur alten Kirche Margarete von Navarra († 1549), Schwester Königs Franz. I., ein, die aus diesem Grunde vorab Erwähnung finden soll. Ihre zwei Jahre vor ihrem Tod erschienen Stücke, darunter vier Komödien auf biblischer Grundlage, die die gesamte Weihnachtsgeschichte umfassen, sind durchaus als Ausdruck eines, wenn auch verhaltenen Protestantismus zu werten. Obwohl Margarete keinen offiziellen Bruch mit der römischen Kirche vollzog, gewährte sie verfolgten Protestanten Schutz und vertrat in der Frage der Rechtfertigung eine protestantische Position.645 In ihren Dramen gibt sie die wichtigsten protestantischen Grund642 Vgl. ebd. 643 Vgl. Gerard Dirk Jonker, Le protestantisme et le théâtre de langue française au XVIe siècle, Groningen 1939, S. 129. 644 Vgl. John Spencer Street, French sacred drama from Bèze to Corneille, Cambridge u.a. 1983, S. 30.42. Die von Street genannte dritte Gruppe von Dramen, die wesentliche Punkte der christlichen Lehre darlegen, kann hier vernachlässigt werden, da es sich bei diesen nur um Dramen altgläubiger Autoren handelt. 645 Vgl. Jonker, a.a.O., S.38.40.

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238 Grundlegung sätze wieder, ungeachtet der Tatsache, dass sie gegen Ende ihres Lebens auch Gedanken der ‚Libertins spirituels‘ verarbeitete, was ihr Kritik seitens Bezas eintrug.646 Bereits in der frühen, in den zwanziger Jahren anzusetzenden ‚Farce des Theologastres‘647, deren Verfasser unbekannt ist, wird seitens der Figur des Glaubens der Entzug des Textes der heiligen Schrift als Ursache des gegenwärtigen Elends namhaft gemacht, während die um ihren Bauch bemühten ‚Theologastres‘ – wieder ein sprechender Name – auf die Glossen und Meinungen der Scholastiker verweisen und heftige Klage über die Übersetzung der Schrift in die Volkssprachen führen.648 Das Stück lässt einen humanistischen Standpunkt erkennen. Jonker spricht von einem moderaten Protestantismus, der eher gegen die Sorbonne als gegen die alte Kirche selbst gerichtet sei.649 Im Jahre 1533 erschien in Neuchâtel die ‚Moralité de la Maladie de Chrestienté‘650, deren Verfasser vermutlich der vormalige Dominikaner und damalige Pastor in Neuchâtel, Matthieu Malingré († 1572), ein eifriger Vertreter der Reformation, war.651 In diesem Drama kämpfen der reformierte Docteur und die Inspiration mit der Hypocrisie und der als Nonne gekleideten Peché um die erkrankte Chrestienté / Christenheit. Hypocrisie reicht der Christenheit einen Gifttrank, der sie noch kränker macht. Peché empfiehlt ihr als Heilmittel Wallfahrten, Messen und Heiligenverehrung. Christus als Arzt schickt ihr daraufhin Inspiration zur Hilfe. Es wird festgestellt, dass Chrestienté schon vierhundert Jahre krank sei, da ihr von Hypocrisie die Bibel geraubt und Christus ihr nicht mehr als einziger Mittler gelehrt wurde.652 Chrestienté wird schließlich durch die Arznei des Evangeliums geheilt, Hypocrisie und Peché werden vertrieben. Aveugle und Varlet, zwei komische Figuren, begleiten das Geschehen mit Spott über den Papismus.653 Eine Aufführung der ‚Moralité de la Maladie de Chrestienté‘ ist für Beaulmes im Juni 1549 belegt, sehr wahrscheinlich auch eine für Neuchâtel.654 Kindermann nennt ferner eine Darbietung für Genf im Jahre 1546.655 Ein ähnliches Stück wurde in Grenoble im Jahre 1560 aufge-

646 Vgl. a.a.O., S. 38f.55. 647 Es liegt eine Faksimileausgabe vor: Les Theologastres, in: Moralités françaises. Bd. III, hrg. v. Werner Helmich, Genf 1980, S. 1–10. 648 Vgl. Fritz Holl, Das politische und religiöse Tendenzdrama des 16. Jahrhunderts in Frankreich, Erlangen – Leipzig 1903, S. 115ff; ferner Jonker, a.a.O., S. 56ff. 649 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 59. 650 Auch diese Moralität ist enthalten in: Moralités françaises. Bd. III, hrg. v. Werner Helmich, Genf 1980, S. 11–108. 651 Vgl. zu diesem Stück Holl, a.a.O., S. 122; Jonker, a.a.O., S. 63ff, der von einer „moralité nettement protestante“ (S. 63) spricht. 652 Vgl. Holl, a.a.O., S. 123f. 653 Vgl. a.a.O., S. 124f. 654 Vgl. Holl, a.a.O., S. 125, Jonker, a.a.O., S. 66. 655 Vgl. Heinz Kindermann, Theatergeschichte Europas. II. Band. Das Theater der Renaissance, Salzburg 19692, S. 200; dazu s.u. in Abschnitt II 2 e), S. 267.



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führt, eventuell auch in La Rochelle 1558, wo etliche Bekehrungen zum Protestantismus die Folge gewesen sein sollen.656 Zusammen mit diesem Drama erschien eine weitere moralité mit dem Titel ‚La Verité cachée‘657, deren Verfasser unbekannt ist. Die den Menschen unbekannte Verité wird von Gott befreit und zu den Menschen gesandt, die sie nicht kennen. Auf der Kanzel gibt sie die protestantische Lehre kund und kündigt an, dass diese auch in Frankreich anerkannt werde. Ihr Widerpart ist Symonie, der es gelingt, Verité gefangen zu nehmen und selber eine gelehrt wirkende Predigt zu halten. Ein einziger Mann mit dem bezeichnenden Namen Aucun hält sich zur Botschaft der Verité, lehnt die Messe ab und bekennt das solus Christus.658 Ihm gelingt es, trotz Widerständen Verité zu befreien.659 Der aus dem Stück zu ziehende Schluss ist, dass die Wahrheit nicht einfach der breiten Masse zugänglich ist, sondern sich dem Einzelnen erschließt, der für sie zu leiden bereit sein muss.660 Erstmals in einem französischen Drama wird hier der Papst als Antichrist bezeichnet.661 Die beiden wahrscheinlich in Angers 1550 aufgeführten Stücke ‚Le monde renversé‘ von Martial Guyet und ‚Dialogues des Moynes‘ von dessen Bruder Lézin Guyet sind verloren.662 Der nach Fritz Holl in Genf zum Prediger ausgebildete und in der Folgezeit in Frankreich wirkende Henry de Barran veröffentlichte 1554 eine ‚Tragique Comedie Françoise de l’homme justifié par Foy‘.663 Darin wird der alte Glaube in Gestalt eines Rabbis dargestellt,664 der den Menschen durch die allegorische Figur des Gesetzes und damit durch die guten Werke vor dem Satan zu bewahren versucht, während Paulus ihn durch den Glauben und die Gnade Gottes retten will. Nachdem es dem Satan zunächst gelingt, dem Menschen das Gesetz schmackhaft zu machen, kann Paulus ihm seine Verderbnis verdeutlichen und ihn in seiner Verzweiflung trösten. Die Gnade versichert ihm, dass Gott seine Sünde Christus zugerechnet habe und er in diesem seine Rechtfertigung als reines 656 Vgl. Holl, a.a.O., S. 125f. 217; Jonker, a.a.O., S. 70. 208 Anm. 2, der erwähnt, Philippe Vincent, ein Pastor, habe 1693 geäußert, die Aufführung der ‚Maladie de Chrestienté‘ in La Rochelle 1558 habe zu vielen Konversionen geführt; J.S. Street, French sacred drama, S. 227. 657 Street, a.a.O., S. 304 Anm. 3, S. 293 (Nr. 122) nennt eine Ausgabe Genf 1559. Die Moralität ist ebenfalls in der Faksimileausgabe von Helmich enthalten, a.a.O., S. 109–188. 658 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 68. 659 Vgl. Holl, a.a.O., S. 127f. 660 Vgl. a.a.O., S. 128. 661 Vgl. ebd. 662 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 70. 663 Zu diesem Stück vgl. Holl, a.a.O., S. 133, Jonker, a.a.O., 74ff., Street, a.a.O., S. 42f. Street geht S. 226 davon aus, dass das Stück in Genf erschien. – Eine Faksimileausgabe bietet Helmich, a.a.O., S. 489–584. 664 Darin eine Abmilderung der Haltung gegenüber der römischen Kirche zu sehen, wie Holl, a.a.O., S. 133f., äußert, dürfte nicht angehen. Allenfalls manifestiert dies eine gewisse Vorsicht des Verfassers.

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240 Grundlegung Geschenk habe. Deutlich wird in diesem Stück die reformatorische Rechtfertigungslehre zum Ausdruck gebracht.665 In seiner Vorrede an den Leser erläutert der Verfasser, es sei der Schrift nicht unwürdig sie zu versifizieren.666 Dennoch habe er Bedenken gehabt, die ihn zögern ließen, das Drama (tragique comedie) zu veröffentlichen. Es seien die großen Missbräuche (grans abuz), die in einer Aufführung drohten, besonders dass von den Spielern Heiliges und Profanes vermischt werden und von einigen Hörern nur Unterhaltung statt Nutzen und Erbauung gesucht werden könnte. Manche verzichteten darum auf das Abfassen von Komödien, da der gefallene Mensch diese nur missbrauchen könne. Dennoch habe er selbst sich zur Veröffentlichung durchgerungen, im Wissen darum, dass die Gläubigen Gutes zur Ehre Gottes und zur Erbauung des Nächsten zu gebrauchen wüssten. Ziel einer solchen Geschichte (histoire) sei die Erbauung. Barran bittet die Leser, die heilige Schrift nicht zum Zeitvertreib zu missbrauchen.667 Eine Materie mittels Reden durch Personenrollen nahe zu bringen, birgt für ihn auch pädagogische Vorteile. Zwar komme die Erkenntnis der Glaubensartikel aus der Predigt, aber das Mittel der Lehre durch Dialoge könne einen Beitrag dazu leisten. So begründet er seine Wahl, die grundlegende Lehre von der Rechtfertigung in dramatische Form gefasst zu haben.668 Umstritten ist, ob Barran eine Aufführung für sein Drama anvisierte. Jonker vertritt die Auffassung, das Stück sei, die Beschlüsse der Synode von Nîmes 1572 vorwegnehmend, nicht für eine Aufführung bestimmt gewesen. Es sei als Schulbuch gedacht gewesen, das den Katechismusunterricht und die Predigt ergänzen sollte, als ein – wie Barran formuliert – ‚Unterrichten durch Dialoge‘.669 Auf der anderen Seite spricht Jonker von einer Schulaufführung und stellt sogar fest, die Aufführung eines solchen Dialogs sei auch nach den restriktiven Synodenbeschlüssen grundsätzlich möglich gewesen.670 Holl weist hingegen auf Angaben Barrans hin, die er als Hinweise auf eine mögliche Aufführung wertet – so erscheint die Bitte um Ruhe; ebenso spricht Barran davon, das Stück so eingerichtet zu

665 Vgl. Street, a.a.O., S. 42. 666 Vgl. Barran, L’Homme justifié par Foy. Epistre au Lecteur, a.a.O., S. 494. Vgl. Pieter Keegstra, Abraham sacrifiant de Théodore de Bèze et le théâtre calviniste de 1550 à 1566, Den Haag 1928, S. 117. 667 Vgl. a.a.O., S. 493. Vgl. Street, a.a.O., S. 52; Holl, a.a.O., S. 113; Jonker, a.a.O., S. 210f. 668 Barran, a.a.O., S. 493f.: „Car combien que par le ministere de la parole nous ayos [!] cognoissance des articles de nostre foy, si est ce que ce moyen d’enseigner par Dialogues y peut aucunement seruir. Et pourtant que l’article de justification est le fondement de toute la doctrine Chrestienne, j’ay pensé que ceste maniere de parler par personnages ne seroit inutile pour nous mener à quelque cognoissance de celuy.“ Vgl. Holl, a.a.O. Anm. 1. 669 Jonker, a.a.O., S. 212, meint, Barrans ‚Tragique Comedie‘ sei nicht als Theaterstück intendiert gewesen. In der Tat spricht Barran in der Vorrede davon, das Drama noch einmal als „petit traité en prose“ (a.a.O:, S. 495) herauszugeben. Weder diese geplante Umarbeitung noch die Formulierung ‚Unterrichten durch Dialoge‘ (a.a.O., S. 494) schließen aber eine Aufführung des Werkes aus. 670 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 211f.



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haben, dass das Aufsagen der Dialoge erleichtert werde.671 Letztlich steht hinter dieser Differenz die Frage, inwiefern man bei einem in Rollen verteilten Dialog, bei diesem „moyen d’enseigner par dialogues“, einem „parler par personnages“, von einer regulären Aufführung sprechen kann. Ohne Zweifel impliziert diese Rede Barrans ein spielerisches Moment und zielt mindestens, wie Jonker ja auch einräumt, auf eine Schulaufführung – was zu dem beherrschenden pädagogischen Aspekt passt. Dass Barran, wie Jonker behauptet, Aufführungen in toto als schlecht ablehne, während er bei den Dramen als solche gute und schlechte unterscheide,672 gibt der Brief an den Leser nicht her: Insofern in diesem von Missbräuchen bei den Aufführungen die Rede ist, wird ein positiver Gebrauch als möglich vorausgesetzt. Ebenso wird festgehalten, dass den Beiwohnenden aus einer Aufführung Nutzen und Erbauung erwachsen könne.673 Da Barran selbst eine Art Aufführung intendierte, kann man nicht von einer Verwerfung sprechen. So ist Street Recht zu geben, der feststellt, dass für Barran der Nutzen einer Aufführung schwerer wog als die möglichen Risiken.674 Diese einzudämmen war sein Ziel, dazu baute er Korrektive ein: So bittet er am Ende der Epistre au Lecteur, falls das Ganze in öffentlichen Dialogen vorgetragen werde, „... que ce soit en toute modestie et reuerence de Dieu et de sa Parole ...“; die heilige Schrift sei nicht zu Verhöhnung und Spott gegeben.675 Er erkannte die Gefahren, aber die radikalen Konsequenzen, die 18 (!) Jahre später die französische Nationalsynode zog, ergaben sich ihm noch nicht.676 Ein nicht erhaltenes Drama ‚La Prison de Réformation‘ wurde 1554 durch vier Schüler der Schule in Clairac bei Agen aufgeführt.677 Für das Jahr 1555 ist für Libourne die Aufführung eines Stückes, das die Heiligenverehrung angreift, belegt.678 Der Genfer Buchdrucker Conrad Badius, der seine Heimat Paris um seines Glaubens willen verlassen musste und sich 1549 in Genf niederließ, verfasste unter dem Pseudonym Thrasibule Phenice eine ‚Comédie du Pape malade‘, die 1561 in Genf gedruckt und auf671 Vgl. Holl, a.a.O., S. 135. Vgl. Barran, a.a.O., S. 495 (Epistre au Lecteur). S. 498 (Prologue). 672 Jonker, a.a.O., S. 210: „Ce sont les jeux scéniques qu’il condamne et regarde comme illicites, car les pièces ellesmêmes peuvent être saintes et très-utiles.“ 673 Vgl. den Brief an den Leser, a.a.O., S. 493. – Schwierig ist in dieser Hinsicht die Auslegung des Satzes (ebd.): „Je me tay de plusieurs autres grans abuz qui y peuuent estre faitz, pour lesquelz ces actes (quelque espece d’edification qu’ilz portent) sont illicites à tous Chrestiens.“ Auch hier geht es aber nur um die Möglichkeit von Missbräuchen. Entsprechend heißt es (Hervorhebung von mir), dass „plusieurs bons espritz“ aus diesem Grunde auf das Schreiben von Komödien verzichteten. Wäre der Missbrauch zwangsläufig, wäre doch das Abfassen von vornherein und universaliter ausgeschlossen. 674 Street, a.a.O., S. 53: „Barran concluded that the instruction an audience might derive from a play outweighed the risks, and avoided the danger of profaning Scripture by inventing his own allegorical action.“ 675 Barran, a.a.O., S. 495. 676 Der Fehler Jonkers und auch anderer Forscher besteht darin, die Intentionen der Dramenschreiber nach den Synodenbeschlüssen zu lesen. 677 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 69.189; Street, a.a.O., S. 226. 678 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 70.189.

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242 Grundlegung geführt wurde.679 Dabei handelt es sich um ein polemisch gehaltenes, teilweise von Naogeorgs ‚Mercator‘ beeinflusstes Stück, in dem das durch die Reformation in Bedrängnis geratene todkranke Papsttum in seiner Verfassung vorgeführt wird. Der Satan bietet einige satirisch dargestellte Personen für den Kampf gegen die Hugenotten auf, doch die Figur der Wahrheit kündigt am Ende den Untergang des Papstes an. Gilbert Cousin veröffentlichte 1561 eine ‚Tragedie de l’Homme affligé‘.680 Cousin war zeitweise Sekretär bei Erasmus gewesen und diente später dem Bischof von Besançon. Aufgrund seiner Hinwendung zur Reformation brachte man ihn in Dôle in Haft, in der er im Jahre 1567 starb. Das Stück soll in Paris und in Lyon aufgeführt worden sein.681 1562 wurde in Lyon ein ‚Monologue de Messire Jean Tantost‘ publiziert und aufgeführt, in der ein altgläubiger Priester über die neue Situation, besonders über die bibelkundigen Laien einschließlich der Frauen klagt und nicht umhin kommt, die neue Lehre darzulegen. Ein Nachfolgestück ‚Suite du Monologue‘ zeigt eine Disputation des Priesters mit einem fünfzehnjährigen Knaben, der ersteren argumentativ bezwingt.682 Beide Dramen, die an die Spruchdialoge des Hans Sachs von 1524 erinnern, tragen Züge des populären Theaters und entstammen vermutlich nicht einem gelehrten Reformierten.683 Ebenfalls in Lyon erschien 1563 eine ‚Tragedie de Timothee Chrestien‘, in der sich der Protagonist gegen das päpstliche Verbot der Bibellektüre durch Laien widersetzt und den Märtyrertod stirbt. Am Ende kündigt die Figur der Gerechtigkeit dem Papst das Gericht an.684 Das Stück hat deutlich tröstlichen Charakter.685 Es scheint für eine Aufführung bestimmt gewesen zu sein, da die Rahmenstücke sich an Zuschauer wenden; ob es indessen dazu kam, ist unsicher.686 Die ‚Comédie du monde malade et mal pansé‘ von Jacques Bienvenu, in der die Unverbesserlichkeit der Welt den Gegenstand bildete, wurde 1568 anlässlich der Erneuerung des Bündnisses zwischen Genf und Bern in Genf aufgeführt.687 In seinem erst 1589 in Nîmes erschienenen Drama ‚Le Voyage du Frere Fecisti‘ tritt ein Hugenotte gegen den den Reformierten ihren baldigen Untergang voraussagenden Nostradamus auf.688 Eben679 Vgl. dazu Holl, a.a.O., S. 143, Jonker, a.a.O., S. 80ff.; Street, a.a.O., S. 227. – Es liegt eine Faksimileausgabe bei Helmich, a.a.O., S. 189–264, vor. 680 Zu diesem Stück vgl. Holl, a.a.O., S. 147, und Jonker, a.a.O., S. 71. 681 Vgl. Holl, a.a.O. Anm. 1. 682 Vgl. Holl, a.a.O., S. 147ff, und Jonker, a.a.O., S. 71ff. 683 Vgl. a.a.O., S. 149, ähnlich Kindermann, Theatergeschichte Europas. Band II. Das Theater der Renaissance, Salzburg 19692, S. 200. 684 Vgl. Holl, a.a.O., S. 149f. 685 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 84. Ob das Drama eine Übersetzung eines lateinischen Dramas von Beza ist, muss offen bleiben; vgl. ebd. 686 Vgl. a.a.O., S. 86. 687 Vgl. Holl, a.a.O., S. 154ff, Jonker, a.a.O., S. 90ff. – Helmich, a a.O., S. 441–488, bietet eine Faksimileausgabe. 688 Vgl. Holl, a.a.O., S. 157ff; Jonker, a.a.O., S. 95.



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falls aus Anlass der Bundeserneuerung wurde in Genf die ‚Pastorale sur l’Alliance perpétuelle‘ von Simon Goulart aufgeführt, in der drei Hirten auftreten, die ermahnt werden, dass nicht sie, sondern Gott Eigentümer der Herden sei, sie aber dessen Diener seien.689 In Den Haag erschien 1605 die ‚Commedie des quatre estats du monde‘ von Antoine Lancel.690 ‚La tragedie de François Spera‘ aus dem Jahre 1608 behandelt ein Geschehen, das sich 60 Jahre zuvor ereignet hatte: das Schicksal des italienischen Juristen Francesco Spiera, der, Protestant geworden, aufgrund einer Denunziation verhaftet wurde und 1548 dem evangelischen Glauben abschwor. Im selben Jahr verstarb er, unter Depressionen leidend, vermutlich weil er den erneuten Wechsel innerlich nicht verkraftet hatte.691 Später wurde in protestantischen Kreisen kolportiert, sein Tod sei ein Suizid gewesen. Das Drama fußte auf den ‚Commentarii‘, dem großen Reformationsgeschichtswerk des Sleidanus.692 Das Stück, das als Warnung für schwankende Protestanten intendiert war, wird von Jonker dem Gascogner Joseph Duchesne zugeschrieben.693 Holl sieht aufgrund der Widmung den Ursprung in der französischen Schweiz.694 Bereits 1561 war die Geschichte von Spiera durch Johannes Reinhard in Königsberg lateinisch dramatisiert worden.695 Das polemische Drama des französischen Protestantismus hatte nach Anfängen in der dritten und vierten Dekade seinen Höhepunkt in den fünfziger und sechziger Jahren des Jahrhunderts. Hinsichtlich seines Endes ist Kindermann der Auffassung, dass das Theater unter Heinrich IV. aufgehört habe, in die politisch-religiöse Kontroverse einzugreifen, da infolge der Verschärfung der Zensur ein polemisches Theater unmöglich geworden sei.696 Allerdings hatte man schon zuvor auf dieses Instrument verzichtet.697 Inhaltlich kreist das polemische Drama häufig um den Entzug der Bibel, für den die alte Kirche angegriffen wird. Ziel ist die Ermöglichung der Bibellektüre durch Laien,698 die in ihrer Gelehrtheit den darüber klagenden Klerikern gegenübergestellt werden. Diese werden als durch Gier, 689 Zu diesem Stück vgl. Jonker, a.a.O., S. 94f. 690 Vgl. Street, a.a.O., S. 304 Anm. 3. 691 Vgl. Joachim Weinhardt, Art. ‚Spiera, Francesco‘, RGG4 7, Sp. 1579. 692 Vgl. Holl, a.a.O., S. 159. Zu Sleidanus vgl. Alexandra Kess, Art. ‚Sleidanus, Johannes‘, BBKL XXV, Sp. 1326–1333. 693 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 94 Anm. 4. Von Duchesne stammte das 1584 anlässlich der Bundeserneuerung zwischen Genf und Bern aufgeführte Stück ‚L’ombre de Granier Stoffacher‘, das antikheidnische und christliche Allegorien enthielt; vgl. ebd. 694 Vgl. Holl, ebd. 695 Vgl. Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Dritter Band. Renaissance und Reformation, Halle a.S. 19232, S. 326. 696 Vgl. Kindermann, a.a.O., S. 203; Raymond Lebègue, La Tragédie religieuse en France, Paris 1929, S. 291. 697 Vgl. Street, a.a.O., S. 56. 698 Marguerite Soulié, Le théâtre et la Bible au XVIe siècle, in: Bible de tous les temps. Vol. 5: Le temps des Réformes et la Bible, ed. Guy Bedouelle et Bernard Roussel, Paris 1989, S. 636: „Ainsi s’exprime à travers le théâtre ce désir très répandu d’avoir librement accès aux ,Sainctes lettres‘ ...“

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244 Grundlegung Käuflichkeit und Scheingelehrsamkeit geprägt dargestellt und verspottet. Das polemische Drama lenkt seinen Blick aber nicht nur auf Personen, sondern auch auf die Instrumente und Frömmigkeitspraktiken der alten Kirche, deren Nutzlosigkeit dem Zuschauer vor Augen geführt wird. Deutlich ist, dass diese Form des Dramas ein Kampfmittel gegen die bestehende Kirche ist, die mit diesem zur Hand liegenden Mittel dem Spott ausgesetzt werden konnte, wie Jonker formuliert: „Que les protestants y aient vu un excellent moyen de propagande cela ne surprend nullement, et beaucoup d’entre eux ont essayé cette arme contre l’Eglise romaine.“699 Ohne Zweifel war diese Kritik aber kein Selbstzweck, vielmehr sollten die Aufführungen auch neue Anhänger für die Reformation gewinnen. Dazu stimmt etwa der o.g. Bericht, eine zu Ehren des Königs von Navarra und seiner Gemahlin Johanna d’Albret anlässlich ihres Besuchs in La Rochelle im Jahre 1558 dort veranstaltete Aufführung habe den Übertritt zahlreicher Zuschauer zum Protestantismus bewirkt.700 Zugleich ist aber festzustellen, dass obwohl die Polemik in den Stücken im Mittelpunkt steht, das erbauliche Moment nicht fehlt.701 Dies wird daran deutlich, dass die Situation der Verfolgung, die ja für den französischen Protestantismus eine ständige Bedrohung darstellte, nicht verschwiegen wird. Es wird darauf hingewiesen, dass der Glaubende in Verfolgung geraten kann. Darum bedarf er des Trostes, der ihm – und darin zeigt sich wiederum, dass es sich um polemische Dramen handelt – in der Ankündigung des Sieges der protestantischen Sache und des Untergangs der Papstkirche gespendet wird. In diesem Zug kommen die entsprechenden französischen polemischen Dramen mit den lateinischen Dramen Naogeorgs überein. Das eigentliche Bibeldrama entwickelte sich im französischsprachigen Protestantismus erst relativ spät, ab Ende der vierziger Jahre, während es sich in den deutschsprachigen protestantischen Teilen der Schweiz schon ab den späten zwanziger und vollends in den dreißiger Jahren durchgesetzt hatte. 1549 wurde im Schweizer Lignerolles ‚La prophetie de Jeremie et la destruction de Jerusalem‘ aufgeführt.702 Im gleichen Jahr kam im benachbarten Romamostier ‚L’histoire de Daniel et son fils, ensemble le mariage de Sara‘ zur Darstellung.703 Als Auftakt zum klassischen französischen Bibeldrama gilt Bezas im Jahre 1550 veröffentlichtes und in Lausanne von Schülern der Akademie aufgeführtes Drama ‚Abraham sacrifiant‘, das er unmittelbar nach seiner Flucht aus Frankreich verfasste. Dieses Drama,

699 Jonker, a.a.O., S. 56. 700 Vgl. Holl, a.a.O., S. 125. 217, der eine Bearbeitung der ‚Moralité de la Maladie de Chrestienté‘ vermutet. Zu dem Stück vgl. Kindermann, a.a.O., S. 200. Allerdings lässt ein Zuschauerbericht dieser Aufführung, wie Jonker, a.a.O., S. 66f., bemerkt, wesentliche Unterschiede zur Moralité erkennen, so dass offen bleiben muss, um was für ein Stück es sich letztlich handelte. 701 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 98. 702 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 190. 703 Vgl. Jonker, a.O., S. 190; Holl, a.a.O., S. 132.



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das einigen Autoren zum Vorbild für ihre dramatische Arbeit mit Geschichten der Bibel wurde,704 wird in Teil C I 8 ausführlich behandelt. Der als Pastor in Thonon und Grenoble wirkende Joachim de Coignac, der später in die Schweiz flüchtete, verfasste 1550/51 das Drama ‚La Desconfiture de Goliath‘, das in Genf erschien. Dieses widmete er dem minderjährigen englischen König Eduard VI., den er in Analogie zu David setzte und als denjenigen anredete, der sein Land vom Ungeheuer des Papsttums gereinigt habe.705 Der David der Geschichte figuriert die wahre Kirche, während Goliath für den Papst steht. Das Drama hat die Ermutigung der Gläubigen zum Ziel, versichert sie, dass Gott nicht die enttäuscht, die sich auf seinen Schutz in der Situation der Unterdrückung verlassen.706 Das die Geschichte von den drei Männern im Feuerofen aus Daniel 3 aufnehmende Stück ‚Les Enfans dans la fornaise‘ von dem in Diensten des Antoine de Bourbon stehenden Antoine de la Croix, das vor dem Jahre 1561 verfasst wurde, ist der Königin von Navarra gewidmet.707 De la Croix drückt darin den Wunsch aus, Karl IX. möge die Götzenbilder aus seinem Reich verbannen. Die exilierten und zum Bilderdienst gezwungenen Juden werden mit den verfolgten Hugenotten parallel gesetzt, entsprechend wird Nebukadnezar als Papst dargestellt.708 Ziel des Dramas war es, die verfolgten Gläubigen zu einem unbeugsamen Glauben zu ermahnen, aber sie auch durch die Zusage zu trösten, dass Gottes Macht stärker ist als die des Verfolgers.709 Auch diesem Drama ist eine Beeinflussung durch Bezas Abraham-Drama anzumerken.710 Höhepunkt ist der Gesang der Männer im Feuerofen. Intendiert war offenbar eine Aufführung vor dem Hof von Navarra.711 Den Davidstoff griff auch der als Sekretär des Kardinals Johann von Lothringen tätige Louis Desmasures auf, der sich unter Genfer Einfluss zunächst vorsichtig, ab 1559 offen der Reformation zuwandte. Nach seiner Flucht aus der lothringischen Hugenottenhochburg St. Nicolas-du-Port im Jahre 1562 wirkte er in Metz als Diakon und Ältester.712 704 Vgl. Wilhelm Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Zweiter Band. Renaissance und Reformation. Erster Teil, Halle a.S. 19182, S. 428: „Sein [sc. Bezas] Abraham wurde nicht nur durch zahlreiche Drucke verbreitet, sondern hat auch das biblische Drama beeinflusst, das seit Beginn der sechziger Jahre in Frankreich, zunächst ausschließlich in calvinistischen Kreisen gepflegt wurde.“ 705 Vgl. dazu Holl, a.a.O., S. 165f., und Jonker, a.a.O., S. 105ff. Nach Holl ist Coignacs Stück 1558 in Lausanne erschienen, nach Jonker ebd. und Street, a.a.O., S. 262, 1551 in Genf. 706 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 106; Street, a.a.O., S. 44. Pieter Keegstra, Abraham sacrifiant de Théodore de Bèze et le théâtre calviniste de 1550 à 1566, Den Haag 1928, S. 92, formuliert: „La pièce de Coignac est donc une œuvre de propagande protestante, écrite pour édifier les fidèles et pour exciter la haine contre les Catholiques…“ 707 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 108. 708 Vgl. Holl, a.a.O., S. 172f.; Keegstra, a.a.O., S. 109; Jonker, ebd. 709 Vgl. Soulié, a.a.O., S. 644; Street, a.a.O., S. 45. 710 Vgl. Keegstra, a.a.O., S. 110. 711 Vgl. Street, a.a.O., S. 304 Anm. 5. 712 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 111f.

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246 Grundlegung Er bekundete, seinem bisherigen fiktionalen Dichten zu entsagen, insbesondere auf die Verwendung mythologischer Elemente zu verzichten, um seine Gabe in den Dienst Gottes zu stellen.713 1563 erschien in Genf seine David-Trilogie: ‚Tragedies sainctes: David combattant, David triomphant, David fugitif‘, die von Bezas Drama beeinflusst ist.714 In der Epistre gibt Desmasures auch Auskunft über die Zielsetzung des Dramas und der Darstellung der Person des David. Die Dramatisierung der Geschichte soll der Lehre und der Bildung von Gottesfurcht und Tugend dienen.715 Die David-Geschichte, so Desmasures, habe er der Lehre, nicht der Unterhaltung halber darstellen wollen, auch deswegen weil das Wort Gottes Ehrfurcht erheische.716 Wiederum repräsentiert David die gegenwärtigen protestantischen Glaubenden. Allerdings nimmt Desmasures auch den Gedanken der Präfiguration Christi durch David auf.717 In der Vorrede setzt er die römische Kirche mit den Philistern gleich, die das Gottesvolk bedrängen, in den Dramen selbst erscheint jedoch keine massive Polemik.718 Für Desmasures bildete der Beginn des protestantischen Widerstands gegen diese Verfolgung den Anlass zur Abfassung seiner Dramen.719 Angesichts dieser Situation war es sein Ziel, die Hörer bei einem unerschütterlichen Glauben an die Erwählung und das helfende Eingreifen Gottes, der die Geschichte in seiner Hand hat, zu halten.720 Polemik gegen die römische Kirche verbindet sich bei ihm mit der Darlegung reformierter Lehre.721 So erläutert David, Gottes Gnade sei unverdient; er wisse, dass er alles Gott verdanke. Eine bedeutende Rolle spielt die Satanfigur, die Goliath und Doeg zu ihrem Tun anstiftet und auch David zu Stolz und Verzweiflung versucht. Die Anfechtung tangiert David nur wenig, sein Glaube wirkt etwas statisch.722 Wie Beza baut Des-

713 Vgl. a.a.O., S. 112. 714 Zu den Dramen vgl. Jonker, a.a.O., S. 112ff; Keegstra, a.a.O., S. 99ff; Holl, a.a.O., S. 167ff.; Street, a.a.O., S. 46ff. – Eine kritische Ausgabe liegt vor: Louis Des-Masures, Tragédies saintes, hrg. v. Charles Comte, Paris 19322. 715 Desmasures, Tragédies saintes, ed. Comte, Epistre, S. 6,90ff: „… escrire en vers ces tragiques histoires Qui serviront aussi pour instruire et former A craindre le Seigneur, et de veru s’armer …“ 716 Desmasures, a.a.O., Epistre, S. 7,119f.124ff: „Aussi l’ay-je voulu ici representer Pour servir à instruire, et non pour plaisanter… Sont les publiques jeux produits à passe-temps. Non, non. Que du vray Dieu la Parole tant saincte Jamais prise ne soit qu’en reverence et crainte.“ Vgl. dazu Holl, a.a.O., S. 168. 717 Vgl. Desmasures, a.a.O., Epistre, S. 10,220. 718 Vgl. a.a.O., S. 6,84. Vgl. Holl, a.a.O., S. 168f.; Keegstra, a.a.O., S. 105f. Allerdings spielt Desmasures auf das Mönchtum an, wenn er von denjenigen spricht, die den Mantel der heiligen Religion trügen und eine gestellte Heiligkeit zeigten; vgl. Keegstra, a.a.O., S. 106. 719 Vgl. Marguerite Soulié, Le théâtre et la Bible au XVIe siècle, S. 643. 720 Vgl. Soulié, a.a.O., S. 647. Jonker, a.a.O., S. 117: „Toute la trilogie est un enseignement de foi, de constance, de confiance en Dieu, un encouragement à rester fidèle comme David malgré toute la misère de la vie présente; car Dieu n’abandonnera jamais les siens.“ 721 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 116. 722 Vgl. Creizenach, a.a.O., S. 429; Street, a.a.O., S. 49f.



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masures Chöre ein, deren Gesänge die reformierte Psalmendichtung aufnehmen.723 Diese Chöre nehmen weite Teile der Dramen ein; dies zeigt nach Marguerite Soulié, dass das geistliche Theater, sofern es auf einem tiefen Einklang zwischen Verfasser und Publikum beruht, einen Charakter liturgischer Zelebration und Gemeinschaft hatte.724 Desmasures David-Trilogie war überaus erfolgreich, sie erlebte zahlreiche Auflagen. An Aufführungen ist nach Jonker jedoch nur eine aus dem Jahre 1627 belegt,725 was angesichts der in der Zwischenzeit ergangenen Verbote von Aufführungen erstaunlich anmutet. 1566 erschien in Genf ein weiteres Stück von Desmasures, das an sich in die Rubrik der didaktisch-polemischen Dramen gehört, aber wegen des Verfassers an dieser Stelle aufgeführt wird. In der ‚Bergerie spirituelle‘ bekämpft Erreur, für das Papsttum stehend, Vérité und deren Tochter Religion. Am Ende erscheint Providence divine und sichert Vérité und Religion ihren Schutz zu.726 Bedeutsam ist Desmasures, weil er ein Dichten repräsentiert, das sich ausschließlich im Dienste der Verkündigung weiß: „L’amour de la vérité biblique, l’amour de la doctrine calviniste, l’a poussé à écrire ces drames, dans lesquels l’art a dû céder la place à l’enseignement et à la propagande.“727 Diese Auffassung hat zur Voraussetzung, dass geistliches Drama und reformierter Glaube miteinander vereinbar sind, und zwar nicht nur als Kampfmittel gegen den alten Glauben. Dem in dieser Zeit auch in Frankreich beliebten Estherstoff728 widmete sich André de Rivaudeau (1540–1580) mit seiner Tragödie ‚Aman‘, die er Johanna d’Albret, der Mutter Heinrichs IV. widmete.729 Ob das Stück tatsächlich 1561 in Poitiers aufgeführt wurde, ist umstritten.730 Dort wurde es im Jahre 1566 veröffentlicht. Nach einer von Creizenach aufgegriffenen Reminiszenz rühmte der angesehene Hugenotte Babot den jugendlichen Verfasser dafür, „... daß er sich von den Lüge und dem Schmutz der Griechen zur heiligen Poesie gewendet habe.“731 Auffallend an diesem Drama ist das Fehlen 723 Vgl. Holl, a.a.O., S. 169, Jonker, a.a.O., S. 117. 724 Vgl. Soulié, a.a.O., S. 646f. 725 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 118f., der folgende Neuauflagen nennt: Genf 1566, 1583; Antwerpen 1582; Paris 1587, 1595. Ohne Zweifel hatte Desmasures aber Aufführungen vorgesehen, wie er in der Epistre, a.a.O., S. 8,167ff, nahe legt: „Ces personnages donc, pour les cognoistre mieux, Ay-je voulu ici representer aux yeux Des benins sprectateurs.“ Vgl. a.a.O., S. 7,128. 726 Zu diesem Stück, das auch unter dem Titel ‚Verité, Religion, Erreur, et Providence divine‘ geführt wird, vgl. Holl, a.a.O., S. 150f.; Jonker, a.a.O., S. 119f.; Street, a.a.O., S. 50, der Zweifel über den dramatischen Charakter des ‚Stückes‘ äußert. – Die Faksimileausgabe bietet Helmich, a.a.O., S. 265–312. 727 Jonker, a.a.O., S. 118. 728 Vgl. Soulié, a.a.O., S. 647, die diesen Befund mit der kollektiven Angst infolge der Religionskriege erklärt. 729 Eine kritische Ausgabe hat Keith Cameron besorgt: André de Rivaudeau, Aman, hrg. v. Keith Cameron, Genf – Paris 1969. 730 Jonker, a.a.O., S. 137f., spricht sich dagegen aus. 731 Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Zweiter Band. Renaissance und Reformation. Erster Teil, Halle a.S. 19182, S. 429.

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248 Grundlegung jeglicher direkter Polemik.732 Dennoch ist es offensichtlich, dass die verfolgten Juden mit den Hugenotten gleichgesetzt werden, was Marguerite Soulié formulieren lässt: „... c’est la vie même du peuple protestant qui est en jeu.“733 Intention auch dieses Dramas war es, den Glauben mit dem Verweis auf Gottes Erretten aus der Not zu stärken, zur Eingebung in Gottes Willen und zur Demut zu bewegen.734 Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass Rivaudeau mit Jean de la Taille zu denjenigen Autoren zählt, für deren Dramen vorrangig dramatische Gesichtspunkte ausschlaggebend waren.735 Möglicherweise wurde Rivaudeau zu dem Stück inspiriert durch das Edikt König Heinrichs II. zu verstärkter Verfolgung der Protestanten im Jahre 1559.736 Wohl ein Pseudonym stellt der Name Messer Philone dar, von dem 1566 in Genf eine Tragödie ‚Josias‘ erschien, die im Untertitel als Übersetzung aus dem Italienischen bezeichnet wird.737 In diesem Drama wird der Stoff 2. Könige 22 und 23 in Szene gesetzt. Dabei wird der Baalskult in Analogie zum alten Glauben gesetzt. Vermutlich richtete sich das Stück an den jungen König Karl IX, auf den sich die reformierte Hoffnung des Erscheinens eines neuen Josia richtete.738 Der Untertitel bringt die Bemühung um Aktualität auf den Punkt: „Vrai miroir des choses advenues de notre temps“.739 Ziel des Stückes ist neben der Polemik – so wird etwa der im Alten Testament erwähnte Kult der Himmelskönigin in den Farben der Marienverehrung gezeichnet – die Tröstung durch 732 Vgl. Holl, a.a.O., S. 174f. 733 Soulié, a.a.O., S. 644. Zu keiner einheitlichen Lösung gelangen die Versuche, Aman (Haman) mit einer zeitgenössischen hohen katholischen Persönlichkeit zu identifizieren; vgl. ebd. – Street, a.a.O., S. 308 Anm. 8, hält es für möglich, dass das Stück eine Warnung an die Guisen ist, denen wie Haman das Ende ihrer Macht droht. Denkbar sei aber auch eine Anspielung auf den Tod des Franz von Guise (1563), dann wäre eine Entstehung bereits im Jahre 1561 ausgeschlossen. 734 Vgl. a.a.O., S. 648. Street, a.a.O., S. 65: „… the whole play is arranged to recommend humble submission to God.“ – Die Wahl des Stoffs spiegelt auch die Hoffnung der Hugenotten auf einen Wandel der Haltung des Königs ihnen gegenüber; vgl. Kindermann, a.a.O., S. 201. 735 Gegen Jonker, a.a.O., S. 129, der von Rivaudeau und de la Taille behauptet: „... leur but n’est ni la prédication ni la consolation, mais ‚la passion‘, l’émotion dramatique et la jouissance artistique.“ Die von Jonker ebd. vollzogene strikte Trennung von Predigt und Drama dürfte ein Anachronismus sein. – Dass für Rivaudeau nichtsdestotrotz dramatische Gesichtspunkte leitend sind, zeigt sich auch daran, dass er das aristotelische Axiom der Einheit der Zeit übernimmt; vgl. Street, a.a.O., S. 63. 736 Vgl. Daniel Lord Smail, Predestination and the Ethos of Disinheritance in Sixteenth Century Calvinist Theater, SCJ 23 (1992), S. 308. 737 Ob es wirklich ein italienisches Original gab oder ob dies Fiktion ist, muss offen bleiben; vgl. Jonker, a.a.O., S. 121, Soulié, a.a.O., S. 644. Zum Stück vgl. ferner Raymond Lebègue, La Tragédie religieuse en France, Paris 1929, S. 323ff. 738 Vgl. Holl, a.a.O., S. 169f., Jonker, a.a.O., S. 121, der auf Beza verweist, und Soulié, ebd. – Im Stück selbst, besonders im zweiten Akt, werden auch Anforderungen an einen Regenten formuliert; vgl. Street, a.a.O., S. 51. 739 Vgl. Soulié, ebd.



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den Verweis auf die endliche Rettung durch Gott.740 Unter dem gleichen Namen wurde 1586 in Lausanne die Tragödie ‚Adonias‘ gedruckt. Vermutlich richtete sie sich gegen die Guisen, die mit dem illegitimen Thronfolger Adonia und dessen Helfern in eins gesetzt werden, während der Protestant Heinrich von Navarra dem Verfasser als Salomo gilt.741 Der unbekannte Dichter intendiert mit diesem, eng am biblischen Text liegenden Drama seine Glaubensgenossen zu stärken.742 Den Judithstoff behandelt eine Frau, Catherine de Parthenay (1554–1631), in der ungedruckten und nicht erhaltenen Tragödie ‚Holopherne‘, die 1572 in La Rochelle aufgeführt wurde.743 Bedeutend ist Jean de la Taille (1540–1608), der sich auch um die Theorie des Dramas bemühte. Mit diesem bahnt sich innerhalb des französischen Bibeldramas insofern eine neue Entwicklung an, als für ihn in seiner dramatisierenden Arbeit ausschließlich künstlerische Gesichtspunkte leitend waren.744 Die Tragödie soll nach seiner Auffassung nur mitleiderweckende Katastrophen großer Herren behandeln und die Unbeständigkeit des Schicksals zum Ausdruck bringen.745 Aus diesem Grunde, aber auch darum weil es in der Tragödie weder um gänzlich schlechte noch um völlig gute Personen gehe – erstere würden zu Recht bestraft, letztere zu Unrecht – schieden das Opfer Abrahams und die Geschichte von David und Goliath als Gegenstand einer Tragödie aus.746 Damit stellt sich de la Taille gegen Beza, de Coignac und Desmasures. Gibt er zu bedenken, dass viele Stoffe, die in Bibeldramen verarbeitet würden, besser für eine Predigt geeignet seien,747 so greift nichtsdestotrotz auch er neben weltlichen Stoffen748 biblische Vorwürfe auf. Es sind die Tragödien ‚Saul le Furieux‘, gedruckt 1572, und ‚La Famine ou les Gabéonites‘, veröffentlicht 1573, die beide mehrfach neu gedruckt wurden.749 Zudem lässt er in diesen durchaus theologische Zielsetzungen erkennen.750 Diese sind freilich allgemeinerer Art. 740 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 122.125. Street spricht ebd. etwas abschwächend von dem „controlling influence of God’s will in human affairs“ als Hauptthema, dem aber insofern tröstende Funktion zukommt, als Gott auch das Unglück anordne, um letztlich Gutes zu wirken (S. 52). 741 Vgl. Holl, a.a.O., S. 171; Street, a.a.O., S. 53, und Soulié, ebd. 742 Jonker, a.a.O., S. 128, schreibt für beide Stücke: „L’auteur a l’intention, dans l’une et dans l’autre, d’encourager ses coreligionnaires en montrant comment Dieu a gardé et protégé les siens dans des circonstances semblables à celles de son temps.“ Vgl. Street, a.a.O., S. 53f. 743 Vgl. Street, a.a.O., S. 52; Holl, a.a.O., S. 178, und Jonker, a.a.O., S. 191. Holl nennt als Aufführungsjahr das Jahr 1574, Jonker das Jahr 1573. Vgl. ferner Lebègue, a.a.O., S. 326. 744 Vgl. Holl, a.a.O., S. 179, Jonker, a.a.O., S. 215. 745 Vgl. Holl, a.a.O., S. 179f. 746 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 140. 747 Vgl. Holl, a.a.O., S. 180, Jonker, a.a.O., S. 215. 748 Zu den ‚weltlichen‘ Dramen de la Tailles vgl. Jonker, a.a.O., S. 157ff. 749 Eine kritische Ausgabe ist durch Elliott Forsyth erstellt worden: Jean de la Taille, Saül le furieux – La Famine, ou les Gabéonites. Edition critique par Elliot Forsyth, Paris 1968. 750 Street, a.a.O., S. 67: „… it is not plausible that La Taille should have chosen biblical subjects, if he had no religious intentions whatsoever.“

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250 Grundlegung So gibt er als Intention der ersten Tragödie an, diese solle zeigen, dass Gott den Menschen lenke, ohne dass dieser zu erkennen vermöge, welche Absichten er dabei verfolge; so bleibe nur, sich ihm zu unterwerfen.751 Niemand solle an der Gerechtigkeit von Gottes Willen zweifeln.752 Andererseits fällt aber auf, dass de la Taille sich nicht durch die Tendenz der Schrift und der kirchlichen Verkündigung gebunden fühlt. In seinem Saul-Drama entwickelt er gegen die Richtung des biblischen Berichts deutliche Sympathien für Saul.753 Einen freien Umgang mit der Bibel – der ohne Zweifel dazu führt, dass die Person Sauls an Komplexität und menschlicher Wahrscheinlichkeit gewinnt754 – zeigt seine Erklärung der Verwerfung Sauls an. Nach de la Taille ist es die Weigerung, die göttliche Gnade anzuerkennen und das Schweigen Gottes zu akzeptieren, d.h. die Sünde des Verzweifelns, die seinen Fall herausfordert.755 Wird bei dieser Auslegung einerseits darauf verwiesen, dass de la Taille damit einen Gedanken äußere, der eine christliche Interpretation darstelle, die auch bei Calvin zu finden sei,756 so wird von anderer Seite festgestellt, dass für diesen Autor ohne Zweifel Maßstäbe der antiken Moral und die aristotelische Vorstellung des tragischen Helden leitend seien, die ihn dazu führten, eine göttliche Bestrafung Sauls aufgrund seines Verschonens des Amalekiterkönigs für unmöglich zu erklären und ihn als human handelnden König, der den Ehrenkodex auch gegenüber dem gegnerischen König wahrt, darzustellen.757 So lässt de la Taille auf der anderen Seite erkennen, dass für ihn der König zu Recht gegen Gott rebelliert.758 Bahnen sich damit moderne Positionen an, so ist jedenfalls ein erbaulicher Zweck nicht mehr direkt auszumachen.759 Das Stück erscheint widersprüchlich, oszillierend zwischen biblischen und antiken Gedanken, was sich darin manifestiert, dass de la Taille schwankt, Sauls Ergehen als gerechte Strafe oder als Schick-

751 Vgl. Holl, ebd.; Street, a.a.O., S. 67ff. 70. 752 Vgl. Street, a.a.O., S. 73. 753 Vgl. Creizenach, a.a.O., S. 429f. 754 Vgl. Soulié, a.a.O. S. 652. 755 Vgl. Soulié, ebd. 756 Vgl. Elliot Forsyth, in: Jean de la Taille, Paris 1968, S. XLVIf. – Eine entsprechende Tendenz lässt Calvin allerdings in seinen Predigten zum ersten Samuelbuch nicht erkennen. In diesen hält er klar fest, dass Saul wegen seines Ungehorsams gegenüber der göttlichen Weisung bestraft wurde; er hätte diese genau befolgen müssen; vgl. CR 58, 89f. (Homilie LII): „Quam foeda enim et quam turpis illa foret ingratitudo, si Saul in regiam illam dignitatem evectus a Domino, Dei mandata sperneret, et ex animi sui sententia et arbitrio vellet regnum administrare?“ Vgl. CR 58, 96 (ebd.): „Sic quum ita Saul immutatus est, ut Dei voluntati non obtemperarit, Deus illum a se reiici declarat.“ Vgl. ferner CR 58, 139f. (Homilie LVI). Dem widerspricht nicht, dass Saul sich nach Calvin auch der Sünde des Unglaubens schuldig gemacht hatte, weil und insofern er das Volk fürchtete; letzteres wird von Saul als Erklärung für sein Verhalten vorgebracht. Calvin deutet dies als Unglauben: In seiner Furcht habe Saul Gott vergessen, dessen Schutz habe ihm nicht genügt; CR 58, 124 (Homilie LV). 757 Vgl. Soulié, ebd. 758 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 149. 759 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 142.



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sal zu deuten.760 Entsprechend war das Stück unter den Protestanten nicht unumstritten, verherrlichte es zudem den Suizid eines Feindes Gottes.761 Starken Einfluss des Stoizismus zeigt de la Tailles zweites Drama über den Stoff aus 2. Sam 21, das Strafgericht über Sauls Familie.762 Diese Tendenz zu einem vor allem am künstlerischen Maßstab orientierten Theater ohne Berücksichtigung der konfessionellen Frage ist in zugespitzter Form bei Jacques Grévin (1538–1570) zu erkennen, der seinen im Jahre 1562 veröffentlichten Komödien und Tragödien ausschließlich weltliche Stoffe zugrunde legte. In diesen ist von seinen religiösen Meinungen keine Spur zu erkennen, selbst vor der Darstellung von Anstößigem schreckt er nicht zurück.763 Zudem bringt Grévin seine ablehnende Haltung gegenüber der Dramatisierung biblischer Stoffe zum Ausdruck, aber mit durchaus theologischer Begründung: Die Religion soll seiner Auffassung nach nicht mit fiktiven Dingen vermischt werden. Die heiligen Schriften seien nicht von Gott gegeben, um daraus ein Spiel zu machen.764 Diese Position ist von Ehrfurcht vor der Religion geprägt, trennt aber deren Sphäre von allem übrigen Handeln, von der Weltlichkeit ab und rückt sie damit in eine gewisse Distanz – ein Schritt, der säkularisierende Tendenzen erkennen lässt bzw. diese befördert. Unter die französischen Dramen fallen auch die zwei biblischen Dramen des Antwerpener Schulmeisters Pierre Heyns, die dieser in den achtziger Jahren verfasste: ‚Le Miroir des vefves‘ über das Judith-Thema und ‚Jokebed. Miroir des vrayes meres‘ über die Kindheit des Mose. Sie erschienen 1596 und 1597 in Amsterdam – Heyns war vor Alexander Farnese nach Harlem entwichen.765 In beiden, die als Schuldramen aufgeführt worden waren, ‚Jokebed‘ 1580, ‚Le Miroir des vefves‘ 1582, treten auch allegorische Figuren auf. Die Intention des ersten besteht darin, die Zuschauer zum Vertrauen auf Gott zu führen. Der Versuch des Pharao, Mose zu töten, schlägt fehl. Das zweite Drama ist von Polemik gegen die römische Kirche geprägt.766 760 Vgl. Street, a.a.O., S. 71. Jonker, a.a.O., S. 149, stellt fest: „Toute la pièce est un mélange curieux d’idées bibliques et d’idées paiennes.“ 761 Vgl. Jonker, ebd. 762 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 155, der dort wiederum zu dem Ergebnis gelangt: „En vain on chercherait l’esprit calviniste dans cette pièce.“ Doch lässt das Stück, wie Street, a.a.O., S. 72ff, ausführt, durchaus christliche Aussagen erkennen. 763 Jonker, a.a.O., S. 168, formuliert: „Ses opinions religieuses ne sont pour rien dans son oeuvre.“ Vgl. a.a.O., S. 169 Anm. 1: „Lui, qui a souffert pour sa religion, qui a vu la possibilité du martyre, a écrit des pièces qui ne trahissent aucunement ses idées calvinistes.“ Vgl. a.a.O., S. 178. 764 Vgl. Holl, a.a.O., S. 206f., der dort – leider ohne Angabe – Grévin folgendermaßen zitiert: „Car ce n’est pas notre intention De mesler la religion Dans le subiect des choses feinctes. Aussi jamais les lettres sainctes Ne furent donnees de Dieu Pour en faire apres quelque ieu.“ Dasselbe Zitat mit kleinen Variationen bietet Jonker, a.a.O., S. 169f., ebenfalls ohne genaue Angabe; deutlich wird nur, dass es sich um das „Avant-Jeu“ der Komödie ‚La Trésorière‘ handeln muss. 765 Vgl. Street, a.a. O., S. 54ff. 766 Vgl. a.a.O., S. 55. 306 Anm. 36.

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252 Grundlegung Der letzte hier zu nennende Autor ist Antoine de Montchrestien (1575–1621), dessen Zugehörigkeit zum Protestantismus Françoise Charpentier wahrscheinlich gemacht hat.767 Er verfasste ein Drama ‚David‘, das, 1601 publiziert, die Bathseba-Geschichte als Vorwurf aufgreift. Ferner schrieb er eine Tragödie ‚Aman‘, die im gleichen Jahr erschien.768 In letzterer ist das durch das Edikt von Nantes veränderte Klima in Frankreich insofern deutlich spürbar, als besonders die Friedfertigkeit und die Loyalität der – für die Reformierten stehenden – Juden gegenüber dem König betont wird.769 Zugleich zeige aber, so Soulié, die Zitation des für die Überlebenden der Bartholomäusnacht wichtigen Ps 79 durch Mardochai, dass die Hugenotten sich auch in einer Zeit der Versöhnung ihrer erlittenen Wunden, die ihre Identität bestimmten, bewusst blieben.770 Insgesamt notiert Soulié für dieses Drama ein eher neutestamentliches Gepräge, etwa darin sich manifestierend, dass Gott als sanfter und milder Vater erscheint.771 Zum Schluss dieser Übersicht sei auf zwei anonyme nicht erhaltene Dramen hingewiesen, die auch für eine Aufführung vorgesehen waren. Für das Jahr 1563 ist die Aufführung eines Spiels ‚Veau d’or‘ über die Geschichte vom goldenen Kalb in Flamen belegt. Dabei kam es, da keine Erlaubnis zur Darstellung vorlag, zur Verhaftung von sieben Personen.772 In Lyon wurde die Aufführung eines Stückes über die ‚Rotte Korah‘, Korah, Dathan und Abiram, vorbereitet.773 Wie schon Creizenach feststellte, entwickelte das reformierte geistliche Drama in Frankreich eine Vorliebe für Stoffe aus dem Alten Testament.774 Zwar zieht im französischen Bereich, sofern biblische Stoffe gewählt werden, auch das altgläubige Drama vorzugsweise Erzählungen aus dem Alten Testament heran, für das reformierte Drama aber ist kennzeichnend, dass ausschließlich alttestamentliche Geschichten dramatisiert werden. Dominant sind dabei wiederum die ‚Kampfstoffe‘, Geschichten in denen Israel oder der 767 Vgl. Françoise Charpentier, Les débuts de la tragédie héroique. Antoine de Montchrestien (1575– 1621), Lille 1981, S. 320ff. Eine etwas andere Position hatte zuvor David Seidman, La Bible dans les tragédies religieuses de Garnier et de Montchrestien, Paris 1971, eingenommen. Zwar stellt auch er fest, Montchrestien benutze eine protestantische Bibel, die von Olivetan, und er bringe in den Dramen eine protestantische Konzeption der Gnade vor (S. 88f.), aber er erkennt an anderen Stellen Sympathien für den gallikanischen Katholizismus als Kirche der Majorität in Frankreich (S. 92. 99). 768 Beide Dramen wurden mehrfach nachgedruckt; vgl. die Übersicht bei Street, a.a.O., S. 236ff. Eine kritische Ausgabe liegt vor: Les Tragédies de Montchrestien. Nouvel Édition d’après de 1604, hrg. v. Louis Petit de Julleville, Paris 1891. 769 Vgl. Soulié, a.a.O., S. 651.655. 770 Vgl. ebd. 771 Vgl. a.a.O., S. 653f. 772 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 190; Street, a.a.O., S. 228, gibt als Spielort Mouveaux an. 773 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 190f., unter Berufung auf Raymond Lebègue, La Tragédie religieuse en France, Paris 1929, S. 58 Anm. 2. Nach Letzterem zeigte sich der Protestantismus in Anspielungen zum Erlösungs- und zum Glaubensbegriff. 774 Vgl. Creizenach, a.a.O., S. 428.



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Repräsentant Israels in einer Verteidigungsposition steht und für das Gottesvolk und den Glauben an den wahren Gott gegen einen übermächtigen Gegner kämpft, ein Kampf, bei dem die Existenz des Gottesvolkes auf dem Spiel steht. In einer solchen Situation sahen sich die französischen Protestanten, entsprechend deuteten sie mit den derartige Situationen wiedergebenden Geschichten – besonders der in der Philisternot spielenden DavidGeschichte oder der Esther-Geschichte – ihr Schicksal. Die Übernahme dieser Typologie entspringt ihrem Selbstverständnis als bedrängtem und verfolgtem Gottesvolk; die verfolgte protestantische Gemeinde sollte sich mit dem umlagerten Israel identifizieren. Die Wahl der Stoffe war also existentiell bedingt.775 So wie in der reformierten Frömmigkeitspraxis die Psalmen als Gesänge herangezogen wurden, da die Reformierten in diesen Gebeten aus dem Alten Testament ihre Situation widergespiegelt sahen, so deuteten Dramenautoren das Ergehen der protestantischen Gemeinde mit Hilfe alttestamentlicher Geschichten. Im Ergehen Israels sollte sich die Gemeinde wiederfinden, sollte sie erkennen, dass ihr Leiden kein Zufall war, sollte sie versichert sein, dass Gott endlich eingreifen würde, um die Verfolger der Gemeinde zu stürzen, und, so getröstet, im Glauben beständig sein und durchhalten. So ist es auch kein Zufall, dass sich in Bezas Stück und anderen Dramen Psalmenbearbeitungen finden. Ohne Zweifel liegt hier ein eigener Typus von Drama vor: das existentiell motivierte reformierte Bibeldrama, das auf Tröstung und Erbauung zielt. Dieser Intention sind besonders diejenigen Dramenautoren verpflichtet, die sich in der Nachfolge Bezas sehen.776 Typisch für das Bibeldrama sind auf diesem Hintergrund auch Anspielungen auf die Tagespolitik, aktuelle Bezüge: „Le trait commun de tous ces drames [sc. der ‘tragédies des protestants militants’] c’est leur actualité.“ 777 Protagonisten werden

775 Lebègue, La Tragédie religieuse en France, S. 291: „D’autre part, les Calvinistes cherchaient dans la Bible tout ce qui pouvait être rapporté à leur situation: la captivité des Hébreux, la traversée de la Mer Rouge, la mort de Goliath, etc. ..., leur fournissaient des motifs de résignation et d’espérance. 776 Jonker, a.a.O., S. 212: „Les auteurs qui imitèrent de Bèze, qui forment, pour ainsi dire, son ‚école‘, ont montré clairement leur intention édifiante.“ Vgl. auch Béatrice Perregaux, Théodore de Bèze, Abraham sacrifiant (1550), in: Andreas Kotte (Hrg.), Sondierungen zum Theater, Basel 1995, S. 43, die in ihrer Studie zu Bezas Drama zu dem Ergebnis kommt, dass mit diesem weder ein mittelalterliches geistliches Spiel noch eine wirkliche psychologische Tragödie vorliege, vielmehr repräsentiere das Stück etwas radikal Neues: „un théâtre de l’exemple, un théâtre de témoignage personnel lié à une urgence biographique, communautaire et historique.“ Dieses richte sich an jene, die alles verlassen hätten, sich harten Prüfungen ausgesetzt sähen und von Zweifeln geplagt seien. 777 Soulié, a.a.O., S. 642 (Hervorhebung von ders.). – Auf die Frage, welche Position die Dramenverfasser in der Frage des Widerstandsrechts einnehmen, ist hier nur Folgendes zu bemerken: Von der biblischen Quelle her legen etwa die David-Dramen gewaltsamen Widerstand nahe, in anderen Stücken votieren Autoren für geduldiges Ertragen, so der Verfasser des Dramas ‚Adonias‘; vgl. Street, a.a.O., S. 54: „The evils of Kings must be endured patiently, for by patience God’s servants will triumph.“ Auch Desmasures weist am Ende seiner Epistre zu den David-Dramen, in der er die Hörer bzw. Leser dazu auffordert, David nachzugehen und in ihm zu kämpfen, doch darauf hin, dass der Sieg in der Geduld bestehe. Ebenso spricht die Aufforderung zum Kämpfen in Christus, der

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254 Grundlegung Gestalten der Obrigkeit gleichgesetzt, von denen man eine Wendung der Politik zugunsten der Protestanten erwartet. Das französische Bibeldrama entwickelt sich ab den späten vierziger Jahren, sein Höhepunkt fällt in die sechziger Jahre des 16. Jahrhunderts. Danach gibt es nur noch vereinzelte Notizen, davon wenige aus dem 17. Jahrhundert. Die Gattung war auch insofern bedeutsam, als erst ab Mitte der siebziger Jahre das katholische französischsprachige Bibeldrama im engeren Sinne Aufschwung nahm.778 Das protestantische Bibeldrama war Ausdruck der Forderung, die Bibel in der Volkssprache und damit den Laien zugänglich zu machen – eine Forderung, auf die die alte Kirche nur mit Verbot reagiert hatte, was auch in der dramatischen Praxis verarbeitet wurde. Für Desmasures, de Coignac und de la Croix war das Theater dabei nur Mittel, kein Zweck.779 Im Mittelpunkt stand die Botschaft. Bei späteren Autoren zeigen sich dagegen Tendenzen, die dramatische Umsetzung von biblischen Texten zu begrenzen, weniger aus glaubenskritischen als aus poetologischen Motiven. Hinzu kommt schon 1562 bei Grévin das Motiv der Ehrfurcht vor dem biblischen Text, nach dem eine Dramatisierung eine Profanierung darstellt – ein Gedanke, den später auch die protestantischen Nationalsynoden von Sainte Foi 1578 und Figeac 1579 erkennen lassen. Die Beschlüsse der Synoden seit 1572 führten zum weitgehenden Auslaufen der biblischen Dramen. Allerdings entstanden in der Folgezeit immer wieder Neudrucke vorhandener Werke. Von besonderer Wirksamkeit waren allerdings auch einige lateinische Dramen protestantischer Provenienz. Naturgemäß handelt es sich bei diesen um Schuldramen, was einer potentiellen Übersetzung ins Französische aber nicht im Wege stand. Bedeutsam waren die Tragödien des Schotten George Buchanan, der während seiner Tätigkeit in Bordeaux von 1539 bis 1544 ein Drama ‚Jephtes‘, erstmals gedruckt in Paris 1554, und ein Drama ‚Baptistes‘, erschienen in London 1577, verfasste. Beide waren für Schulaufführungen konzipiert.780 Der ‚Jephtes‘ wurde wohl im Collège de Guyenne in Bordeaux aufgeführt.781 Dieses Drama trug deutlich protestantische Züge. So wurde Polemik gegen Priester und Bilder vorgetragen und die Praxis monastischer Gelübde bestritten. Zugleich hatte es durch die Aufnahme von antikem Gedankengut und Moral humanistisches Gepräge.782

die Welt besiegt habe, eher dagegen, dass Desmasures zur Gewalt aufruft; vgl. Desmasures, a.a.O., S. 10,229ff. 778 Vgl. Soulié, a.a.O., S. 654. Zuvor handelt es sich, wenn ein biblischer Hintergrund vorliegt, zumeist um die Aufführung eines Mysterienspiels oder eines Teils desselben. 779 Vgl. Keegstra, a.a.O., S. 2. 780 Vgl. Soulié, a.a.O., S. 639; Street, a.a.O., S. 22ff. 301 Anm. 3 und 12. Street weist darauf hin, dass Buchanan von Bordeaux nach Paris ging, wo ihn auch Beza kennen lernte, der dort vermutlich auch seine Dramen las. 781 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 186. 782 Vgl. Holl, a.a.O., S. 176; Jonker, a.a.O., S. 185f.; Street, a.a.O., S. 22ff.



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Es wurde mehrfach ins Französische übersetzt.783 Erwähnt seien schließlich die Tragödien des Genfer Pastors Jean Jacquemot (Jacomotus; 1543–1615), der 1597 Bezas AbrahamDrama ins Lateinische übertrug. Sein ‚Ehud‘, in dem das von den Moabitern bedrohte Israel der Richterzeit für das Genf der 1590er Jahre steht, erschien erstmals 1597 in Genf, im Jahre 1600 auch in Paris. Die Tragödie ‚Agrippa Ecclesiomastix‘ wurde 1597 in Genf gedruckt.784 Letztere bildet innerhalb der Dramen französisch-reformierter Provenienz insofern eine Ausnahme, als in ihr eine neutestamentliche Geschichte verarbeitet wird, die Verfolgung der Urgemeinde durch Agrippa nach Act 12. Die durch savoyischen Druck gekennzeichnete Situation der Genfer wird mit derjenigen der verfolgten Christen der Anfangszeit parallelisiert.785 In Bezug auf das Schultheater weist Jonker darauf hin, dass die Reformierten – er nennt besonders Beza und Viret – aus pädagogischen Gründen gerne von der Gattung Dialog Gebrauch machten.786 Dramen kleineren Formats stellten die Dialoge von Ravisius Textor am Collège de Navarre dar, in denen heftig gegen die römische Kirche polemisiert wird.787 Als Schuldramen wurden in Lausanne 1550 Bezas ‚Abraham sacrifiant‘ und 1565 eine ‚Susanna‘ aufgeführt.788 Hinsichtlich der Aufführungspraxis gibt es durchaus Unklarheiten. Während oben bei jedem Stück, für das Nachrichten vorliegen, auf etwaige Aufführungen hingewiesen wurde, gibt es für manche Dramen keine oder widersprüchliche Mitteilungen. So weist Jonker darauf hin, dass aus dem 16. Jahrhundert weder von den Stücken von de Coignac, von de la Croix, noch von denen Desmasures Aufführungen bekannt sind.789 Desmasures ‚David combattant‘ wurde allerdings 1627 in dem zu Württemberg gehörenden – und damit lutherischen – Montbéliard gespielt.790 Street geht davon aus, dass viele 783 Vgl. Holl, a.a.O., S. 175f.; Jonker, a.a.O., S. 181.185f. Die Übersetzer waren Florent Chrestien (1567; dreimal, u.a. in Genf nachgedruckt), Claude de Vesel (1566) und Mage de Fiefmelin (1601). Street, a.a.O., S. 301 Anm. 3, nennt noch eine Übersetzung von Pierre de Brinon (1614). Holl, S. 169, gibt die Vermutung weiter, es gebe eine Version von Desmasures, was vermutlich darauf beruht, dass einer Ausgabe der Übersetzung durch Chrestien (Paris 1587) dessen DavidTrilogie beigebunden war. Der ‚Baptistes‘ wurde nur zweimal ins Französische übertragen, durch Roland Brisset (1589) und Pierre de Brinon (1613). Zu diesem Drama vgl. Street, a.a.O., S. 24f. 784 Vgl. Goedeke, Grundriß Bd. 2, S. 143 (Nr. 69a und b), Barbara Mahlmann-Bauer, Abraham, der leidende Vater, a.a.O., S. 348 Anm. 114 und 115. Zu Jacquemot, der der Genfer vénérable Compagnie angehörte und als Mitarbeiter Bezas wirkte, vgl. Mahlmann-Bauer, a.a.O., S. 346. 785 Vgl. Mahlmann-Bauer, a.a.O., S. 348 mit Anm. 115. 786 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 217ff. 787 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 221f. 788 Vgl. Holl, a.a.O., S. 112; Jonker, a.a.O., S. 190. 789 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 212. 790 Vgl. Street, a.a.O., S. 242; vgl. Keegstra, a.a.O., S. 117. 122. – Ebenfalls in Montbéliard wurde in den Jahren 1588 und 1609 das teilweise von Bezas Abraham beeinflusste Stück ‚Les tentations d’Abraham‘ des Schulmeisters Jean George aufgeführt, das 1609 dortselbst auch im Druck erschien. Es nimmt neben der auf Beza fußenden Versuchungsgeschichte die Hagar-Geschichte auf und zielt auch auf Moraldidaxe für das Leben in der Familie bzw. im Haushalt; vgl. Street, a.a.O.,

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256 Grundlegung Dramen von ihrer propagandistischen Zielsetzung her für eine improvisierte Aufführung bestimmt waren. Gebete und Gesänge ließen die Zuschauer die Aufführung als eine Art Gottesdienst aufnehmen.791

2. Theologische Äußerungen zum geistlichen Theater im deutschen und im französischen reformierten Protestantismus in Reformationszeit und früher konfessioneller Zeit Die Haltung reformierter Theologen zum geistlichen Theater und zum biblischen Drama wird, wie Marguerite Soulié herausstellt, gerne auf die von Raymond Lebègue geprägte Formel gebracht: In der Theorie misstraut man dem geistlichen Theater und erachtet diese Erscheinung als eine gefahrvolle Belustigung, in der Praxis aber hat man von ihm als Propagandamittel weiten Gebrauch gemacht.792 Soulié schließt sich dieser Sichtweise nicht an, scheint eine solche Auffassung doch den reformierten Theologen eine geradezu machiavellistische Haltung zu unterstellen. Vielmehr geht sie davon aus, dass sich beide Auffassungen auf zwei Personengruppen verteilten. So gab es nach ihr Theologen, die das geistliche Theater gänzlich ablehnten. Ebenso aber gab es Pastoren, die Dramenaufführungen als ein Mittel ansahen, die evangelischen Ideen solchen Menschen zu erschließen, die für die Predigt noch nicht wirklich sensibilisiert waren, ferner auch als ein Propagandainstrument zur geistlichen Ausrüstung der Jugend.793 Selbst Lebègue bleibt allerdings nicht bei seiner Formel stehen, wenn er in Bezug auf das biblische Theater vom Zweck der Erbauung spricht und sogar konkludiert: „Le spectacle fut l’auxiliaire du prêche.“794 Wie gestalten sich nun theoretische Äußerungen von reformierten Theologen zum Theater und zum geistlichen Drama? Wird es solchermaßen gerechtfertigt: als willkommene Waffe in der Auseinandersetzung mit dem Gegner, als nach außen gerichtetes Instrument mit destruktiver Zielrichtung, dem aber nach innen gerichtet, für den positiven Aufbau des eigenen Kirchentums, keine Funktion und darum keine Würdigung zukommt, das bei Absehen vom konfessionellen Kampf maximal geduldet wird und bei S. 94–96. 232. 238. 270f. (Nr. 55). Gegenüber Bezas Drama sieht Street bei George ein deutliches Gefälle, wenn er für letzteren von „Bèze’s exploration of the struggle of the patriarch’s faith into a moralising chronicle of the exemplary deeds of the hero and his family“, spricht. 791 Vgl. Street, a.a.O., S. 304 Anm. 5. Auf die Gefahr, dass eine als gottesdienstliches Geschehen gestaltete Aufführung aufgrund des Verhaltens des Publikums entgleitet, führt Street ebd. die Zurückdrängung der Aufführungspraxis in der reformierten Kirche Frankreichs zurück. 792 Vgl. Soulié, a.a.O., S. 649, die auf Raymond Lebègue, La Tragédie religieuse en France, Paris 1929, S. 290f., verweist. Dieser hatte (S. 289) formuliert: „... en théorie, ils s’en mefient et le considèrent comme un divertissement dangereux; en pratique, ils usent largement de ce moyen de propagande.“ 793 Vgl. Soulié, ebd. 794 A.a.O., S. 290.



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Zurücktreten der Notwendigkeit eines Instruments nach außen umgehend wegfallen kann oder gar muss? Oder lassen sich noch andere Tendenzen erkennen? Wie und in welchem Genus kommt überhaupt die Frage des Theaters zur Sprache? Wird es als eigenes Thema in den Blick genommen? Bei den im Folgenden aufgeführten Theologen wird wiederum mit der oberdeutsch-schweizerischen Seite begonnen, sodann geht der Blick in die französischsprachige Schweiz und nach Frankreich. Zum Schluss sollen die Schriften von zwei deutschschweizerischen Vertretern betrachtet werden, die schon etwas jenseits des hier betrachteten Zeitraums liegen, aber den Ertrag der Diskussionen um die Legitimität des Theaters in hervorragender Weise zusammenfassen: Es handelt sich um Johann Jakob Breitingers ‚Bedencken von Comoedien oder Spilen‘ von 1624 und David Wetters ‚Discursus exhibens tres sermones de Comoediis‘ von 1629.

a) Martin Bucer Der Straßburger Reformator Bucer wird an dieser Stelle behandelt, da ihm seine reformatorische Tätigkeit zunächst einen Platz innerhalb der oberdeutschen Reformation zuweist. Zugleich bildet er ein Verbindungsglied zur Wittenberger Theologie. In seinem 1550 erschienenen Werk ‚De Regno Christi‘ behandelt Bucer im 54. Kapitel des zweiten Buches, überschrieben mit dem Titel ‚De honestis ludis‘, die Frage von Aufführungen. Bucers Ausgangspunkt bildet die Einsicht, dass die Schwachheit der menschlichen Natur es erfordere, sich nicht ständig mit ernsten und schweren Dingen, sondern auch mit Scherz und Spiel zu beschäftigen.795 Von daher gelte es zu prüfen, auf welche Weise solche Spiele gewährt werden könnten, bei denen nicht zu befürchten sei, dass mit ihnen eine Auflösung der Sitten oder eine Verlockung zu Müßiggang einhergehe, sondern es vielmehr zur Stärkung des Wohlbefindens, ja zu einem Wachstum der Bildung des Gemüts komme.796 Dabei unterscheidet Bucer Spiele, die aus der musischen und solche die aus der gymnastischen Kunst hervorgehen. Zu den aus der musischen Kunst hervorgehenden ludi zählt er neben Gedichten und Liedern sowie gottgefälligen Reigen auch Komödien und Tragödien. Bedauert er diejenigen Menschen, die nur durch Obszönes ergötzt werden können, so erkennt er an, dass mit dem Aufführen von Komödien und Tragödien durch die Jugend den Menschen eine ehrenvolle und zur Vermehrung der Gottesfurcht nicht unnütze Ergötzung gewährt werden könne.797 Diejenigen, die solche Dramen schreiben, die zu einer Verbesserung der Sitten und zu einem gottgefälligen 795 Vgl. Bucer, De Regno Christi Libri duo, ed. François Wendel, Paris – Gütersloh 1955, Liber II Cap. LIIII, S. 252. Vgl. dazu Ehrstine, Theater, S. 29. 796 Vgl. Bucer, ebd. 797 A.a.O., S. 254: „Ter sane miseri sunt homines et perditi, quos nihil potest oblectare, quam quod sit, si non obscoenum et spurcum, leue tamen, inane, nullius bonae frugis, ridiculum et homine indignum… Poterit iuuentus etiam exerceri agendo comoedias et tragoedias, populisque his honesta et ad augendam pietatem non inutilis exhiberi oblectatio…“

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258 Grundlegung Einrichten des Lebens beitragen, bezeichnet Bucer als gottesfürchtig, zum Reich Christi gelehrt und weise.798 Komödie und Tragödie behandelt Bucer nacheinander und legt Beispiele für biblische Vorwürfe von beiden vor, um an diesen auch mögliche Lehrpunkte aufzuzeigen. Sein Vorgehen entspricht also dem Melanchthons. Bucers Schwerpunkt liegt dabei aber deutlich auf der Komödie, für die er die Geschichte von Abraham und Lot aus Gen 13, die Geschichte von Isaaks Brautwerbung aus Gen 24799 und diejenige von der Flucht Jakobs zu Laban aus Gen 28 empfiehlt. Besonders ausführlich geht er auf das erste Beispiel ein, anhand dessen sich sechs loci behandeln ließen: die Güte Gottes über denen, die um seiner Sache etwas verlassen; das Unglück, das Menschen aus Eingebung des Satans und aus eigener Verderbnis auf sich ziehen; die Schwäche von Knechten, ihre Herren mit falschen Anklagen zu belegen; die Schwäche der menschlichen Natur, Wohlwollen und Ruhe zu halten; das hohe und seltene Gut, wenn Freunde und Verwandte miteinander friedlich umgehen; das Amt wahrer Menschlichkeit und gottgefälliger Herablassung, wie es aus dem Beispiel Abrahams mit seiner Freigebigkeit deutlich wird.800 Für die in der Reformationszeit mehrfach dramatisierte Geschichte von Isaaks Brautwerbung gibt Bucer sogar elf Lehrpunkte an: 1) die gottgefällige Sorge der Eltern dafür, dass ihre Kinder eine fromme Ehe eingehen; 2) der gute Glaube und die Diensteifrigkeit bewährter Knechte; 3) die Kraft eines heiligen Gebets; 4) der diesem entsprechende gewünschte Ausgang der Dinge; 5) die keusche, menschliche und gastfreundliche Natur des Mädchens; 6) die Bereitschaft der Eltern zu gottgefälligem Verdingen ihrer Töchter; 7) die Menschlichkeit, dass sie die Töchter nicht zu einer bestimmten Verbindung zwingen, die diese nicht wollen; 8) die wunderbare Kraft Gottes, die Menschen in einer Ehe verbindet; 9) der Freimut, dass sich Rebekka nicht schämte, ihren Willen zur Eheschließung zu bekennen; 10) die Gottesfürchtigkeit des noch jungen Isaak, die sich etwa in seiner Gebetspraxis manifestiert; 11) die heilige Ehe, die in Gottesfurcht eingegangen wird.801 In Bezug auf die Geschichte von der Flucht Jakobs erwähnt er die Jakob zuteil werdenden Tröstungen durch Engel, die keinem Christen fremd seien, auch wenn sie nicht allen unter solchen sichtbaren Zeichen geschenkt würden, unter denen sie Jakob gewährt worden seien. Alle Christen aber hätten Vater und Sohn in sich wohnen und die Engel als Diener.802 Er resümiert, die Schrift enthielte sehr viele Geschichten, aus denen heilige und den Christen angemessene Komödien gedichtet werden könnten; allerdings 798 Ebd. (Forts.): „... sed piis et ad regnum Christi doctis atque sapientibus uiris opus fuerit, qui comoedias eas atque tragoedias componant... quae ad certam morum correctionem et piam conferat uitae institutionem.“ 799 Diese Geschichte bezeichnet Bucer als für die Auferbauung der pietas sehr geeignete Materie; vgl. a.a.O., S. 256. 800 Vgl. a.a.O., S. 255. 801 Vgl. a.a.O., S. 256. 802 Vgl. ebd.



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seien fähige und gottesfürchtige Dichter in der Lage, auch aus anderen Geschichten Komödien zu formen.803 Diese Frage greift Bucer im Folgenden noch einmal im Zuge der Besprechung der Tragödie auf. Er erwähnt, dass die Bibel überaus reichen Stoff für Tragödien liefere, durch ihre Geschichten von den Vätern, Königen, Propheten und Aposteln, handelten doch diese Geschichten von göttlichen und heldenhaften Personen, Affekten, Sitten, Taten, unerwarteten Geschehnissen, in denen das Gegenteil des Erwarteten herbeigeführt werde, was Aristoteles als ‚Peripetie‘ bezeichne.804 Weil diese Geschichten, so Bucer, in jeder Hinsicht eine wunderbare Kraft hätten, den Glauben an Gott zu stärken, die Liebe und den Eifer für Gott zu entzünden, die Bewunderung für die Gottesfurcht und die Gerechtigkeit und umgekehrt das Erschrecken vor Gottlosigkeit und jeder Frevelhaftigkeit einzupflanzen und zu vermehren, gebühre es den Christen, aus diesen ihre Dichtungen zu ziehen, mehr als aus den gottlosen Fabeln oder Geschichten der Heiden.805 Die Beschreibung und Darstellung von Lastern und Sünden in Komödie und Tragödie erfolge nur zum Zwecke des Erschreckens vor dem göttlichen Gericht und des Schauderns vor der Sünde; keinesfalls solle damit Ergötzung am Frevel zum Ausdruck gebracht werden.806 Es sei somit besser, etwas vom dichterischen Schmuck abzuziehen als die Sorge um die Erbauung der Gottesfurcht der Zuschauer zu vernachlässigen. Diese verlange, dass in jeder Darstellung der Sünde die Verdammung des eigenen Gewissens und das schaudernde Zittern vor dem Urteil Gottes wahrgenommen werde.807 Gottgefällige Aufführungen haben nach Bucer möglichst klar den Sinn der göttlichen Barmherzigkeit und das Vertrauen in die Verheißungen Gottes einschließlich der Lust, das Rechte zu tun, zum Ausdruck zu bringen.808 Bucer fasst seine Bemerkungen zur Zielsetzung der Dramen dahingehend zusammen, die Charaktere, Sitten und Affekte der Heiligen würden durch sehr passende Nachahmung

803 Vgl. ebd. 804 Vgl. a.a.O., S. 257. Vgl. Aristoteles, Poetik XI (Aristotelis Opera, ed. Academia Regia Borussica, Bd. II, S. 1452a). 805 Bucer, a.a.O.: „Quae [sc. hae historiae scripturae] omnia cum mirificam uim habeant fidem in Deum confirmandi et amorem studiumque Dei accedendi, admirationem item pietatis atque iustitiae, et horrorem impietatis omnisque peruersitatis ingenerandi atque augendi, quanto magis deceat Christianos, ut ex his sua poemata sumant,… quam ex impiis ethnicorum uel fabulis, uel historiis!“ 806 Ebd.: „Adhibendae autem sunt in utroque genere poematum, comico et tragico, ut, cum hominum uitia et peccata describuntur et actione quasi oculis conspicienda exhibentur, id fiat ea ratione, ut, quamuis perditorum hominum referantur scelera, tamen terror quidam in his diuini iudicii et horror appareat peccati, non exprimatur exultans in scelere oblectatio…“ 807 Ebd.: „Praestat hic detrahere aliquid decoro poetico, quam curae aedificandi pietate spectatores, quae poscit, ut in omni peccati repraesentatione sentiatur conscientiae propriae condemnatio et a iudicio Dei horrenda trepidatio.“ Vgl. dazu Ehrstine, Theater, S. 29f. 808 Vgl. Bucer, ebd.

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260 Grundlegung dargestellt, um im Volk Gottesfurcht und Tugend zu erneuern.809 Erweckung von pietas und virtus stellen somit für den Straßburger die Intentionen des Theaters dar. Damit es aber zu der erwünschten Wirkung bei den Zuschauern komme, sei es notwendig, dazu ausgewiesene Männer, die sich dem Studium des Reiches Christi hingäben, mit der vorherigen Prüfung der Dramen bzw. Inszenierungen zu betrauen. Nichts Gauklerisches oder Seichtes solle bei einer Aufführung mit einfließen.810 Bei der Darstellung gehe es weniger um die Sachen selbst oder um die Taten, Affekte und Leidenschaften als um die Sitten und Charaktere. Diese sollten so dargestellt werden, dass bei den Zuschauern durch das, was auf der Bühne an Rechtem durchgespielt worden sei, ein eifriges Nachahmen, durch das aber, was an Gebräuchen und Taten schlecht sei, bei ihnen Abscheu und lebhaftes Vermeiden erweckt und befestigt werde.811 Würden diese Vorsichtsmaßnahmen beachtet, könne der Jugend viel nützliche Materie zum Spielen mit dem Ziel zur Beförderung der Tugend gewährt werden. Für die Dramen empfiehlt Bucer sowohl die deutsche als auch die lateinische und griechische Sprache.812 Er stellt fest, mittlerweile gebe es einige solcher Dramen, die nicht zu verwerfen seien, wiewohl sich die Gelehrten dieser Welt in Bezug auf Komödien und Tragödien an den antiken Autoren und ihrem Stil orientierten,813 die Gelehrten des Reiches Christi aber und jene, die sich um das Erlernen der Weisheit für Gott zu leben bemühten, in den Dichtungen der Gegenwart doch nicht die himmlische Lehre, Affekte, Sitten, Rede und den Kindern Gottes würdige Ausgänge suchten. Dennoch sei zu hoffen, dass jene, denen Gott es verleihe auf diesem Feld vortrefflich zu sein, es vorzögen, dies zu seiner Ehre zu entfalten, als die gottgefälligen Studien anderer durch unzeitige Kritik zu behindern. Es sei besser, Komödien und Tragödien zu bieten, durch die das Wissen zum ewigen Leben vortrefflich dargeboten werde, selbst wenn die Dichtkunst in diesen in geringerem Maße erscheine, als solche, durch die zwar etwas an Begabung, Sprache und Bildung befördert werde, Geist und Sitten aber durch gottlose, hässliche und närrische Nachahmung besudelt würden.814 Als Hauptziel der Dramen erscheint hier die scientia vitae aeternae. Bucer sieht somit noch einen erheblichen Mangel an geeigneteten biblischen Stücken, die über humanistisch geprägten Vorgaben 809 Ebd.: „Hac enim ratione sanctorum et ingenia, et mores, et affectus ad instaurandam in populo omnem pietatem ac uirtutem quam scitissima imitatione repraesentantur.“ 810 Vgl. a.a.O., S. 257f. 811 Vgl. a.a.O., S. 258. 812 Vgl. ebd. 813 Für die Komödien nennt er den Scharfsinn, geistreichen Witz und die Schönheit der Rede, den man an Aristophanes, Terenz und Plautus bewundere, für die Tragödien die Erhabenheit, List und Eleganz der Rede eines Sophokles, Euripides, Seneca; vgl. ebd. 814 A.a.O., S. 258f.: „Optandum tamen, ut quibus Deus plus dedit in his rebus praestare, ut id mallent ad eius gloriam explicare, quam aliorum pia studia intempestiuis suis reprehensionibus retardare, atque ducere satius comoedias atque tragoedias exhibere, quibus, si minus ars poetica, scientia tamen uitae aeternae praeclare exhibetur, quam quibus ut ingenii linguaeque cultus aliquid iuuatur, ita animus et mores impia, foeda et scurrili imitatione conspurcantur.“



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hinaus auch den von ihm entwickelten inhaltlichen Kriterien entsprechen. Er ermuntert gerade die Theologen zu entsprechenden Dichtungen. Nach seinen Ausführungen über die aus der ars gymnastica hervorgehenden Spiele hält er noch einmal fest, dass Studium und Praxis der Tugenden das eine Ziel der Spiele bei den Christen darstelle.815 In seinen abschließenden Ausführungen beklagt er, viele Völker hätten, obwohl sie Gott nicht kannten, Müßiggang und Trägheit von sich abgedrängt und ihre Bürger zu ernsten und dem Gemeinwesen nützlichen Aufführungen erzogen und angetrieben, während wir, obschon Kinder Gottes, die Sorge um diese so heilige und heilsame Sache stark vernachlässigt hätten.816 Bucers Bemerkungen sind als klares Votum für das geistliche, in Sonderheit für das Bibeldrama aufzufassen. Als wesentlich erachtet er für das geistliche Theater den pädagogischen Charakter. Zugleich spiegelt sich in seinen Ausführungen das Straßburger humanistische Ideal der ‚sapiens et eloquens pietas‘. Neben die theologischen treten die moralischen Lehrpunkte. Bucer spricht dabei nicht nur von Dramen, sondern ausdrücklich von Aufführungen. Er empfiehlt sie, ohne mögliche Gefahren zu verschweigen. Geht Bucer in seinen Gedanken von der Schwäche der menschlichen Natur aus, die eine ständige Beschäftigung mit Ernstem ausschließe, so dass mit der Aufführung von geistlichen Dramen diese Schwäche kompensiert werde,817 so wäre es doch eine Verzeichnung, Bucers Erlaubnis der geistlichen Dramen lediglich als bloßes Zugeständnis an die Verfassung des Menschen zu begreifen. Dass er mit seinem Votum vorsichtige Kritik an Johannes Sturm und seinem Straßburger Akademietheater vorträgt – dieser favorisierte bis 1565 antike Stücke, während ihm die neulateinischen als zu mittelmäßig galten – ist denkbar, wiewohl er keiner grundsätzlichen Ablehnung der antiken Dramen das Wort spricht.818 Mit Ehrstine ist jedenfalls zu resümieren: „Of all continental reformers, Martin Bucer perhaps best represents the general consensus among Protestant theologians on the utility of ‚honest plays‘ in fostering faith.“819

b) Huldrych Zwingli Für Huldrych Zwingli hält Thomas Brunnschweiler in seiner der Stellung Johann Jakob Breitingers zum Theater gewidmeten Studie fest: „Die Quellen zu Zwinglis Einstellung gegenüber der dramatischen Kunst sind spärlich. Sie beschränken sich praktisch 815 A.a.O., S. 260: „... ad studium usumque uirtutum, qui unus omnium ludorum apud Christianos est finis …“ 816 Vgl. ebd. 817 Vgl. dazu Ehrstine, a.a.O., S. 29. 818 Vgl. François Wendel in Bucer, a.a.O., S. 259 Anm. 12. Zur Haltung Sturms, der von ihr evozierten Kritik und zur Aufführung neulateinischer Dramen in Straßburg ab 1565, vgl. Heinz Kindermann, Theatergeschichte Europas. Bd. II, S. 320, und Manfred Brauneck, Die Welt als Bühne. Bd. 1, S. 544. 819 Ehrstine, Theater, S. 28.

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262 Grundlegung auf die Notizen zu einer Aufführung des ‚Plutos‘ von Aristophanes, welche Zwingli als den Komponisten der Begleitmusik nennen.“820 Die bei dieser durch Georg Binder veranstalteten Aufführung zum Ausdruck kommende Begeisterung Zwinglis galt, so Brunnschweiler, vermutlich mehr den sprachlichen Fähigkeiten der Spieler in Bezug auf das Griechische als der Aufführung als solcher.821 Dieser Sachverhalt zeigt zugleich, dass das Schultheater für Zwingli eine unhinterfragte Einrichtung darstellte.822 Ein Einwand gegen das geistliche Drama seinerseits ist nicht belegt. Zu einer genaueren Einschätzung von Zwinglis Haltung zu gelangen, verwehrt aber sein früher Tod, vor der eigentlichen Blüte des Bibeldramas in Zürich. Ein gewisses positives Indiz markiert das Faktum, dass er eine Abschrift von Niklaus Manuels ‚Ablasskrämer‘ erbat.823 Außerdem fanden in der Zeit seiner Wirksamkeit durchaus Aufführungen geistlicher Dramen statt, so Ecksteins Osterspiel (1525), das ‚Spiel vom reichen Mann und vom armen Lazarus‘ (1529); die für 1530 geplante Aufführung der Binderschen Fassung des ‚Acolastus‘ von Gnapheus musste abgesagt werden.824 Ehrstine mutmaßt, Zwinglis Haltung gegenüber den Bildern sei auch auf dramatische Aufführungen übertragbar. Der Zürcher Reformator akzeptierte in seiner Schrift ‚Eine kurze christliche Einleitung‘ aus dem Jahre 1523 Bilder, sofern es sich um erzählende und historische Bilder handelte, die außerhalb der Kirche angebracht und nicht zur Verehrung bestimmt waren, sondern dazu dienten, das intellektuelle Verständnis eines Geschehens zu befördern.825 Biblische Personen und Erzählungen könnten bildnerisch dargestellt werden, sofern sie „geschichteswyß“ präsentiert würden. Auch Brunnschweiler hält die Übertragung dieser Auffassung Zwinglis auf die dramatische Kunst für legitim.826 Nun kann dies nicht mit Sicherheit behauptet werden, da leider keine theoretischen Äußerungen von ihm zum Theater vorliegen. Insofern Theateraufführungen als lebende Bilder betrachtet wurden, spricht zunächst einmal nichts gegen eine solche Übertragung und damit eine Gleichbehandlung von Bildern und Aufführungen. Allerdings würde dies, da Zwingli jeglichen liturgischen Vollzug von den Bildern getrennt haben 820 Brunnschweiler, a.a.O., S. 123. Zu Zwinglis Beitrag zu dieser Aufführung vgl. Charles Garside jr., Zwingli and the arts, New Haven – London 1966, S. 72f. 821 Vgl. Brunnschweiler, ebd. 822 Vgl. Ehrstine, a.a.O., S. 27. 823 Vgl. Ehrstine, a.a.O., S. 40 Anm. 134. 824 Vgl. Brunnschweiler, a.a.O., S. 267. 825 Vgl. Ehrstine, a.a.O., S. 204. Zwingli äußert in ‚Eine kurze christliche Einleitung‘, CR 89 658,19f.: „Wo sy [sc. die ‚bilder‘ und ‚gemeld‘] in geschichteswyß ieman hette one anleytung der eerenbietung usserthalb den templen, möchte geduldet werden. So ferr aber man sich anhuebe darvor bucken und eer enbieten, sind sy nienen uff dem erdrich ze dulden; denn sy kurzlich ein hilff der abgöttery sind oder die abgöttery gar.“ – Dazu formuliert Garside, a.a.O., S. 172 (kursiv von Garside): „The persons and events of Christian history, its central figure not excluded, are portayable in visual form only, geschichteswyss, purely historical phenomena. “ Vgl. ferner Stirm, Die Bilderfrage in der Reformation, S. 144. 826 Vgl. Brunnschweiler, a.a.O., S. 124 mit Anm. 39.



Konzeptionen des geistlichen Dramas im Protestantismus

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wollte, implizieren, dass dies auch für Aufführungen gelten müsste.827 Hinsichtlich der Frage, ob man für die Zürcher Aufführungen von geistlichen Dramen von einem liturgischen Kontext, den Zwingli – ist diese Sicht richtig – von seinen Vorgaben her letztlich nicht hätte akzeptieren können, sprechen kann, äußert Garside, die Zürcher Aufführungen hätten einen religiösen, aber keinen liturgischen Inhalt gehabt.828 Was über die bloße Analogie von Bild und Aufführung bzw. von nicht-ikonodulischem, geschichtsbetrachtendem Umgang mit einem Bild und der entsprechenden Wahrnehmung einer Aufführung eine theatralische Darbietung in Zwinglis Augen in ein anderes Licht gestellt haben dürfte, ist sicher der Umstand, dass es sich bei einer Aufführung nicht um ein reines Bild handelte, sondern dass in ihr dem Wort konstitutive Funktion zukam.829 Der Gedanke, dass sich eine „geschichteswyß“ gedachte, deutlich als Darstellung einer längst vergangenen Begebenheit gekennzeichnete und vom Publikum in diesem Sinne auch verstehbare Aufführung der Zustimmung Zwinglis erfreuen konnte, hat für sich, dass einem solchen Konzept von Aufführung eine distanzierte Betrachtung von Personen und Ereignissen der Heilsgeschichte zugrunde liegt, die Zwinglis Theologie durchaus entspricht. Deren Hintergrund besteht bekanntlich in einem geistliche und materielle Sphäre trennenden Spiritualismus. Auf diese Weise konnte sich eine Aufführung, die gänzlich unsakramental aufgefasst wurde, bei der also keine Vergleichzeitigung der Betrachtenden und keine Heilsvermittlung intendiert war, in die für Zwingli typische Praxis der Erinnerung einfügen. In diesem Sinne, ‚geschichteswyß‘, war in Zürich sogar ein Passionsspiel möglich, das an sich am ehesten in der Gefahr stand, sakramental, als Gnadenmittel verstanden zu werden. In dieser Weise wäre das ‚significat‘ sogar ein Katalysator der Theaterpraxis in Zürich. Es muss aber noch einmal betont werden, dass es sich hier letztlich um Schlussfolgerungen handelt, negativ formuliert, um Mutmaßungen, da Zwingli sich nicht explizit zum geistlichen Theater geäußert hat. Dass der Zürcher Reformator geistlichen Aufführungen nicht völlig ablehnend gegenübergestanden hat, zeigt die Tatsache, dass es auch zu seiner Zeit schon in Zürich eine solche Praxis gab. Der Befund für dieses reformatorische Zentrum, vor allem auch in Gestalt der aus der Zeit nach Zwinglis Tod belegten zahlreichen Aufführungen, widerrät jedenfalls dem Urteil Thomkes: „Wesentlich zurückhaltender in der Duldung weltlicher und geistlicher Kunst und Dichtung [sc. als die auf der Reformation Luthers und Melanchthons gründenden Städte] waren die reformierte Geistlichkeit und die Obrigkeiten in den eidgenössischen Stadtstaaten, die sich Zwingli anschlossen.“830 Gilt 827 Garside, ebd. (Forts.): „Christian representational art is thus voided entirely by Zwingli not only of any liturgical and ecclesiastical content or purpose but also of any spiritual dimension.“ 828 Vgl. Garside, a.a.O., S. 182f. – Dies kann freilich nicht generalisiert werden; wie in Teil C I 5 deutlich wird, konnte der unter Zürcher Einfluss stehende Herman Haberer durchaus für sein Abraham-Drama einen liturgischen Rahmen konzipieren. 829 Vgl. Garside, a.a.O., S. 172f. 830 Hellmut Thomke, Die Zügelung und Unterdrückung des Theaters durch die Obrigkeit in den reformierten Staaten, in: Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock, hrg. v. Dieter Breuer, Teil II, Wiesbaden 1995, S. 633.

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264 Grundlegung dies nicht für die anderen deutschsprachigen Schweizer Städte, so ganz und gar nicht für das protestantische Zürich Bullingers und Gwalthers.

c) Heinrich Bullinger Zwinglis Nachfolger Heinrich Bullinger muss schon deshalb als dem Theater grundsätzlich gewogen erachtet werden, als er ein Drama ‚Lukretia und Brutus‘ verfasste, in dem er die politische Situation der Schweiz verarbeitete. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass Aufführung und erstmaliger Druck des Dramas 1533 in Basel ohne Bullingers Wissen erfolgte, was seinen Unmut erregte.831 Indessen hat Bullinger sich auch theoretisch mit der Frage des Dramas befasst, in definitiv befürwortender Weise. In seiner Studiorum ratio aus dem Jahre 1527 kommt er in dem Abschnitt „De lectione poetarum“ auch auf die Komödie und die Tragödie zu sprechen, nicht ohne zuvor erklärt zu haben, dass nichts so sehr das Gemüt erfreue und bewege wie erdichtete Geschichten (fabulae).832 Als Nutzen der Tragödien hebt er hervor, dass sie – indem sie wechselvolle Schicksale und unerwartete Wendungen ins Unglück zeigten – die Zuschauer dazu führten, bescheiden von sich zu denken und sich im Glück nicht zu überheben.833 Die Komödie stellt Bullinger ciceronianischer Tradition folgend als „vite humane speculum“ vor.834 Sie lege Beispiele gemeiner Sitten bzw. üblichen Verhaltens und des diesen folgenden Ergehens vor. Dadurch führten sie die Betrachter dazu, vorsichtiger in menschlichen Angelegenheiten zu urteilen; insofern kommt ihnen nach Bullinger eine warnende Funktion zu.835 Wie andere poetische Gattungen dienten damit auch Komödien und Tragödien dem Lob der Guten und dem Tadel der Schlechten.836 Insofern der Zürcher Antistes den Dramen eine eminent moralisch-erzieherische Funktion zukommen lässt, kann man durchaus auch von einer geistlichen Funktion sprechen. Allerdings berührt er in der Studiorum ratio nicht das geistliche Drama als solches, was naturgemäß aber auch daran liegt, dass eine humanistisch gegründete Schulordnung zwangsläufig auf antike Autoren rekurriert. Insofern in der Amtszeit Bullingers zwei Phasen einer großen Blüte des Zürcher Bibeldramas zu verzeichnen sind, dürfte es kein 831 Vgl. Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Berlin u.a. 1984, S. 200; Ehrstine, Theater, S. 28. 832 Vgl. Heinrich Bullinger, Studiorum ratio. 1. Teilband, hrg. v. Peter Stotz, Zürich 1987, S. 38,47. 833 A.a.O., S. 40,91ff: „… si animadvertas fortune vicissitudines et miseriarum inexpectatos casus, qui movebunt et te et principes, ut modeste de nobis sentiamus, nemo sibi impense placeat in fortunis, etc.“ Insofern in der Tragödie Personen höherer Würde dargestellt werden, sind zu dieser Gruppe gehörige Zuschauer primäre Adressaten der Tragödie, doch betrifft die in ihr dargestellte Lehre Zuschauer jeden Standes. 834 A.a.O., S. 40,95. 835 A.a.O., S. 42,96ff: „…[comici] imprimis huc spectarunt, ut communium morum et eventuum exempla proponerent, quibus admoniti prudentius iudicaremus in rebus humanis.“ 836 Vgl. a.a.O., S. 42,98.



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Fehlschluss sein, zu folgern, dass Bullinger der Abfassung und Aufführung von geistlichen Dramen grundsätzlich positiv gegenüberstand.837

d) Rudolf Gwalther Rudolf Gwalther, Nachfolger Bullingers als Antistes der Zürcher Pastoren, spricht sich im Vorwort zu seinem ‚Nabal‘ 1549 überaus positiv zur Aufführung von biblischen Dramen aus. Er vertritt den Gedanken, durch Aufführungen könne man die Menschen jeder Herkunft und jedes Standes erreichen und sie über ihre Pflichten belehren. Da genau dies die Aufgabe des Predigerstandes sei, stelle das Dichten – und damit das Abfassen von Dramen – keine dem Amt des Predigers fremde Tätigkeit dar.838 Um aber das Ziel, den Menschen die Lehre zu kommunizieren, zu erreichen, sei es notwendig, diese nicht nur an den üblichen Orten des Gottesdienstes zu vermitteln, sondern auch, wie Gwalther formuliert, auf dem Platz, im Rathaus, auf der Straße und auf dem Theater. Auch an diesen Orten sollten die Menschen – wiewohl dies vielleicht unfreiwillig geschehe – lernen, darauf aufmerksam zu werden, welche Gelegenheiten sie zu Sünden und schlechten Taten verleiteten.839 Diese Vorgehensweise des frommen Betrugs bezeichnet Gwalther als heilsame List, mittels derer die Menschen mit der Botschaft in verborgener Gestalt und zudem an Orten, an denen sie es nicht erwarteten, konfrontiert würden. Dies sei nötig, da sich die Menschen der Lehre vom Wort Gottes widersetzten, wenn sie ihnen unverhüllt präsentiert werde.840 Gwalther nimmt dabei den aus der antiken Rhetorik stammenden verbreiteten Topos von der versüßten bitteren Medizin auf. Zur Rechtfertigung seines Tuns weist er schließlich auf das Vorbild der veteres hin, die die Wahrheit mit der Poesie ausschmückten.841 Aus den Bemerkungen der Widmungsrede ist zu erkennen, dass das Theater für Gwalther vor allem darauf zielt, die Menschen vom Laster weg zum Guten zu führen. Ist damit zunächst ein moralischer Zweck intendiert – es geht um die ‚officia‘–, so ist doch 837 Vgl. Brunnschweiler, a.a.O., S. 130f. 136. 838 Rudolf Gwalther, Nabal, Widmungsrede, in: Rudolf Gwalthers ‚Nabal‘, hrg. v. Sandro Giovanoli, Bonn 1979, S.10: „... nec a mea professione, nec a nostri saeculi statu quidquam alieni me fecisse puto, qui aliquantum temporis poeseos studio consecrarim.“ „... cumprimis etiam in hoc incumbendum esse puto omnibus ecclesiarum et Christi ministris, ut singulorum hominum, cuiuscunque loci et ordinis, officia privatim et publice pro virili informent.“ 839 Ebd. (Forts.): „Nec sufficere puto, ut in loco religioni et divinis cultibus sacro illud fiat, nisi eadem doctrina et foro, et curiae, et compitis, et theatris etiam inferatur: ut ibi quoque vel inviti sapere discant homines, unde peccatorum et scelerum occasiones desumi consueverunt.“ 840 Ebd. (Forts.): „Et quia inter summam novissimi huius saeculi corruptelam, multorum ea est improbitas, ut verbi Dei doctrinam, cum nuda simplexque proponitur, audire prosrsus dedignentur, necessarium puto, ut fideles medicos imitemur, qui pharmaca acerbiora melle condire, vel labra summa pyxidum eodem inungere solent, ut aegrotos, qui morosi nimium amara et acerba fastidiunt, hoc pio et salubri dolo fallant.“ 841 Vgl. a.a.O., S. 12.

final

266 Grundlegung darauf hinzuweisen, dass Gwalther durch das Stichwort ‚doctrina‘ zu erkennen gibt, dass es ihm um das Heil des Menschen geht. Das geistliche Theater kommt neben der Predigt als deren Verstärkung zu stehen. Er hält das Medium gegenüber der Predigt insofern für überlegen, als es auf leichte Weise Menschen jeden Standes und auch Widerstrebende zu erreichen vermöge. Gwalthers Äußerungen zeigen freilich auch, dass das Abfassen von Dramen durch Theologen in Zürich nicht unumstritten war. Es wurde offensichtlich als der geistlichen Berufung widersprechend und als der durch Anfechtung geprägten kirchlichen Lage unangemessen gewertet.842 Die Intensität und Quantität, mit der Gwalther auf ihm in dieser Richtung gemachte Vorwürfe zu sprechen kommt,843 widerrät der Vermutung, es handele sich dabei lediglich um einen Topos. Es ist also denkbar, dass eine gewisse Strömung von Theaterkritik in Zürich zu dieser Zeit bereits vorhanden war. Gegenüber dieser appelliert Gwalther in humanistischer Manier an die Bildung seiner Adressaten.844 Dass Gwalther eine im reformierten Bereich hervorstechende positive Sicht des geistlichen Theaters vertritt, dafür legt seine Widmungsrede ein beredtes Zeugnis ab. Brunnschweilers Aussagen über Gwalthers Haltung zum Theater sind etwas widersprüchlich, wenn er formuliert, „... für eine grundsätzliche Abkehr Gwalthers von der positiven humanistischen Einschätzung des Schauspiels gibt es keine Belege, aber die Tatsache, dass nach Bullingers Tod die Zürcher Spielpraxis in eine Flaute geriet, und das Wissen um Gwalthers unnachgiebige Forderung nach strengen Sittenvorschriften sind doch Hinweise darauf, dass der alte Antistes dem Drama die paränetische Wirkung nicht mehr zutraute.“845 Dazu lässt sich nur sagen, dass gegenüber argumenta e silentio Vorsicht geboten ist. Der Rückgang der Aufführungen dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass offenbar keine Autoren mehr nachkamen. Explizite Belege einer Revision seiner Ansicht durch Gwalther liegen jedenfalls nicht vor. Diese müsste auch angesichts der ungemein theaterfreundlichen Haltung des Zürchers so radikal sein, dass sie eher unwahrscheinlich ist.

e) Johannes Calvin Die Stellung des Genfer Reformators Calvin zum geistlichen Drama lässt sich nicht auf Anhieb auf eine griffige Formel bringen, der Befund wirkt nicht ganz eindeutig. Ohne Zweifel tritt Calvin nicht als massiver Gegner dieser Praxis auf. Die Frage ist freilich, ob dabei nicht auch taktische Motive eine Rolle spielen.846 Zugleich wird aber, stellt man 842 Vgl. a.a.O., S. 10. 843 In der Widmungsrede spricht Gwalther zunächst vom ‚Ungeheuer der Verleumdung‘ (monstrum calumniae), das gegen ihn auftrete (a.a.O., S. 10). Mit dem Dramenschreiben hätte er eine furchtbare Tat begangen (ebd.). Auch in Bezug auf den gewählten Stoff verwahrt sich Gwalther noch einmal vor dem Vorwurf, etwas seinem Amt Fremdes getan zu haben (a.a.O., S. 14). 844 A.a.O., S. 14: „… qua in re quantum Comicarum actionum aculei valeant, nemo vere sapientum ignorare potest.“ 845 Brunnschweiler, a.a.O., S. 137. 846 Diese Sicht vertritt Brunnschweiler, a.a.O., S. 121.



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Calvin die Vertreter Zürichs: Zwingli, Bullinger oder Gwalther gegenüber, schnell deutlich, dass der Genfer auch nicht zu den selbstverständlichen Befürwortern eines geistlichen Theaters zählt. Da keine einlinigen Aussagen, geschweige denn ein der Frage gewidmetes Werk vorliegen, ist eine genauere Untersuchung notwendig. Die Aufmerksamkeit der Forschung hat immer wieder der Zwischenfall auf sich gezogen, der sich im Jahre 1546 in Genf um Aufführungen von Bibeldramen ereignete.847 Die Position Calvins in dieser Sache wird freilich unterschiedlich aufgefasst. Doch seien zunächst kurz die Ereignisse wiedergegeben. Für eine für den 2. Mai, den Sonntag Quasimodogeniti vorgesehene Aufführung eines Stückes verwies der Rat auf die Pastoren, die zuvor gehört werden müssten. Nachdem es von diesen hieß, das Stück trage zur Erbauung und Verbreitung des Wortes Gottes bei, fand die Aufführung statt; sogar unter Ausfallen der Abendpredigt.848 Möglicherweise handelte es sich bei diesem Stück um die ‚Moralité de la Maladie de Chrestienté‘ von Malingré.849 Aufgrund des Erfolges beantragten die Darsteller unter Leitung eines gewissen Loys du Four bereits am 24. Mai eine weitere Aufführung für ein Stück mit dem Titel ‚Les Actes des Apostres‘, die der Erbauung des Volkes dienen sollte.850 Der Rat beauftragte Calvin mit einer Prüfung und bekundete, die Genehmigung von einer positiven Äußerung abhängig zu machen.851 Doch die am 15. Juni ergangene Antwort Calvins, der es für unerlässlich gehalten hatte, sich in dieser 847 Zu diesem Zwischenfall vgl. Jonker, a.a.O., S. 197ff. 848 Vgl. Emile Doumergue, Jean Calvin. Tome III, Lausanne u.a. 1905, S. 581, unter Berufung auf die Register des Genfer Rates. Diese Aufführung erwähnt Thomke, Zügelung, S. 635, nicht, wodurch der Eindruck entstehen muss, Calvin nehme von Anfang an eine dezidiert theaterkritische Haltung ein. 849 Vgl. Kindermann, Theatergeschichte Europas. Band II. Das Theater der Renaissance, Salzburg 19692, S. 200. 850 Vgl. Annales Calviniani, CR 49, 381. Es handelt sich dabei wohl um eine Bearbeitung des aus dem 15.  Jahrhundert stammenden Mysterienspiels, das die Handlung vom Pfingstgeschehen bis zum Ende der Apostelgeschichte umfasste. Dieses für mehrtägige Aufführungen konzipierte Spiel wurde auch im 16. Jahrhundert aufgeführt, so etwa 1541 in Paris. Eine mutmaßlich protestantisierende Bearbeitung durch den Augustiner Jean Chapponeau kam im Jahre 1536 in Bourges zur Aufführung. Chapponeau muss sich irgendwann dem Protestantismus zugewendet haben. 1538 ist er als protestantischer Pastor in Neuchâtel, als zweiter Pastor nach Farel belegt – mit dem er aber bald in Streit geriet; vgl. zu der Aufführung in Bourges und zu Chapponeau Raymond Lebègue, Le Mystère des Actes des Apotres, Paris 1929, S. 80. 235ff. Nun ist kaum anzunehmen, dass Calvin ein solches mittelalterliches Spiel auch inhaltlich gebilligt hätte. Da er gegen den Inhalt keine Einwände vorbringt, kann es sich nur um eine Bearbeitung im protestantischen Sinne, vielleicht um jene von Chapponeau, handeln. Ernst Pfisterer, Calvins Wirken in Genf, Neukirchen 1957, S.  70, ist Doumergue, a.a.O., S. 581f., folgend der Auffassung, dass das Mysterienspiel von Calvins Kollegen Abel Poupin bearbeitet und gekürzt worden sei. Doch ist dies mit Lebègue, a.a.O., S. 30, nicht zu vermuten, da der Genfer Rat Poupin nicht als Richter in eigener Sache mit der Prüfung des Stückes beauftragen konnte. 851 Vgl. ebd.

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268 Grundlegung Sache mit seinen Kollegen zu beraten, fiel negativ aus.852 Er empfahl im Namen seiner Kollegen die Aufführung nicht stattfinden zu lassen, sie sei nicht nützlich. Zwar sei das Stück durchaus heilig und gottgemäß, doch sprächen mehrere Gründe gegen eine Aufführung, insbesondere würde eine solche Verwirrung stiften. Allerdings wolle man nicht gegen den Rat streiten, falls dieser die Aufführung befürworte.853 Pfisterer ist der Auffassung, Calvin hätte mit Abel Poupin die Aufführung gebilligt, doch hätte er das Votum seiner Amtsbrüder nicht unterlaufen wollen.854 Ähnliches hatte bereits Doumergue vorgetragen: Die Auffassungen Calvins und seiner Kollegen hätten nicht übereingestimmt; nicht Calvin, sondern die Mehrheit der Pastoren habe eine rigoristische Auffassung vorgetragen, er habe sich diesen aber untergeordnet.855 Calvin, so Doumergue, habe versucht die Haltung seiner Mitbrüder zu mäßigen und sich vorsichtig für die Aufführung ausgesprochen.856 Tatsächlich fanden die Pastoren nach der Wiedergabe der Verhandlungen in den Ratsprotokollen vom 31. Mai in dem Stück nichts Gutes. Daher wollten sie keine Aufführung zulassen.857 In der Folgezeit bringen sie als weiteren Vorwurf vor, die Spieler wollten mit dem eingenommenen Geld keine Liebeswerke tun, sondern es zu ihrem Zeitvertreib einsetzen.858 Indessen verdeutlichen die Verhandlungen vom 15. Juni, wie sie in den Annales Calviniani wiedergegeben werden, Folgendes: Erstens lässt die von Calvin vorgetragene Bitte, das Stück nicht aufzuführen, in keiner Weise den Schluss zu, dass der Genfer Reformator sich von dieser Bitte distanziere.859 Fraglich sein kann somit nur, welche Haltung die Pastoren zu dem Stück selbst einnahmen. Die in den Annales Calviniani aufgeführte Aussage Calvins, die Geschichte sei heilig und gottgemäß, ist nicht als Sondervotum Calvins und Poupins gekennzeichnet. Auch diesen Satz trägt Calvin im Namen aller Pastoren vor. Wenn Doumergue daraus schließt, dass Calvin eine Wende vollzogen habe, dass er sich nach Einnehmen einer aufführungsfreundlichen Haltung zu diesem Zeitpunkt die aufführungskritische Position seiner Kollegen zu eigen gemacht, ja „kapituliert“ habe,860 dann müsste allerdings vice versa ebenso gefolgert werden, dass die anderen Pastoren jetzt, am 15. Juni, Calvins positive Meinung über das Stück selbst übernommen hätten. Nun 852 Vgl. den Brief an Farel vom 4. Juli 1546 (Nr. 807), CR 40, 355f.; Annales Calviniani, CR 49, 382. 853 Vgl. Annales Calviniani, ebd.; Brief Calvins an Farel (Nr. 807), ebd. – Aus der Begebenheit entnimmt Ehrstine, Theater, S. 28, dass Calvin theaterfreundlich war. Allerdings sanktionierte Calvin nicht die Aufführung des Stückes, wie Ehrstine behauptet. 854 Vgl. Pfisterer, a.a.O., S. 70. 855 Vgl. Doumergue, a.a.O., S. 582. 856 Doumergue, a.a.O., S. 582: „Ainsi Calvin adoucit la pensée de ses collègues, émousse la pointe de leur intransigeance, et estime qu’il ne faut pas laisser l’un, c’est-à-dire la représentation théatrale, pour l’autre, l’œuvre de charité!“ 857 Vgl. Doumergue, a.a.O., S. 582. 858 Vgl. ebd. 859 Dazu passt auch Calvins Brief an Farel vom 3. Juni, in dem er eindeutig gegen eine Aufführung votiert; s. folgende Seite. 860 Vgl. Doumergue, a.a.O., S. 583.



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bleiben für die Verhandlungen über die Aufführung gewisse Unsicherheiten, für wen Calvin jeweils wirklich spricht, ob nur für sich, für seine Kollegen oder für seine Kollegen und sich. Dennoch lässt sich als Ergebnis zunächst festhalten: Aus dem Munde Calvins ist in dieser Begebenheit nur die Äußerung belegt, das Stück sei heilig und gottgemäß. Hingegen ist seinerseits keine Äußerung nachzuweisen, in der er den Inhalt des vorgeschlagenen Dramas kritisiert – auch nicht aus seinen Briefen an Farel.861 Aus den Ratsprotokollen wiederum wird deutlich, dass seine Kollegen das Stück als solches ablehnen. In der Missbilligung der Aufführung stimmen Calvin und seine Mitbrüder dann allerdings überein. Eine Wende Calvins in dieser Frage bleibt ein unbeweisbares Postulat. Gegen die Behauptung einer tatsächlichen Wende in Calvins Position zu der Aufführung spricht vor allem ein Brief an Wilhelm Farel, den er schon am 3. Juni verfasst hatte. In diesem manifestiert sich bereits eine grundsätzlich aufführungskritische, in gewisser Weise allerdings auch theaterkritische Haltung, wenn Calvin ausführt, die geplante Aufführung (actio) der Komödie könne keineswegs gebilligt werden. Er und die Seinen wollten aber in dieser Sache nicht bis zum letzten kämpfen, da im Falle einer Niederlage ihre Autorität möglicherweise Schaden nehmen könnte. Insofern es nicht möglich sei, alle Unterhaltungen zu verbieten, genüge es ihm, dass sie d.h. die Andersdenkenden verstünden, dass ihnen das, was nicht zu lasterhaft sei, zwar gewährt würde, aber gegen seinen und seiner Mitstreiter erklärten Willen.862 Hier geraten nun alle Aufführungen unter das Verdikt ‚Unterhaltung‘ (oblectamentum). Diese Kategorie ist für Calvin deutlich negativ besetzt, er sähe sie am liebsten abgeschafft. Allerdings unterscheidet der Reformator zwischen mehr oder weniger lasterhaften Unterhaltungen und die geplante Aufführung zählt er zu den weniger lasterhaften. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Calvin und seinen Mitbrüdern ist an dieser Stelle nicht zu erkennen. Indessen entschied der Rat, die Aufführung solle doch stattfinden, und gewährte auch einen Zuschuss zu den Kosten.863 Nach diesem Beschluss polemisierte der Pastor Michel Cop in zwei Predigten massiv gegen die Aufführung und die Schauspieler und Schauspielerinnen, denen er unlautere Absichten unterstellte. Er erklärte, sie suchten keinen anderen Zweck als ihre Körper, ihre Kleidung und ihre Güter zu zeigen, um unreine Begierden bei den Zuschauern zu erwecken. Es sei seine Pflicht, all diejenigen zu bannen, die an einer ähnlichen Posse teilnähmen, die zum Ziel habe, die Schrift in ein Stück zu setzen

861 Gegen Thomke, Zügelung, S. 635f., der behauptet, Calvin habe auch die Handlung des vorgeschlagenen Stückes verworfen. In dem Brief an Farel (s. folgende Anm.) geht es um die Aufführung (actio) des Dramas und vor dem Rat sagt Calvin eindeutig, das Stück sei heilig und gottgemäß. 862 Calvin, Brief an Farel (Nr. 800), CR 40, 347f.: „Nihil hic habemus novi, nisi quod secunda comoedia iam cuditur. Cuius actionem testati sumus nobis minime probari. Pugnare tamen ad extremum noluimus, quia periculum erat ne elevaremus nostram autoritatem, si pertinaciter repugnando tandem vinceremur. Video non posse negari omnia oblectamenta. Itaque mihi satis est si hoc, quod non est adeo vitiosum, indulgeri sibi intelligant, sed nobis invitis.“ 863 Vgl. Annales Calviniani, CR 49, 384.

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270 Grundlegung und Götzendienst zu begünstigen.864 Nach wütenden Protesten wurde Cop in Schutzhaft genommen. Calvin gelang es, die Gemüter zu beruhigen und Cop zur Mäßigung zu bewegen. Er schätzte Cops Vorgehen als unzeitig und unklug ein. Jonker meint, in der Sache hätte Calvin keine Differenzen zur Auffassung von Cop gesehen, lediglich in der Vorgehensweise.865 Doch belegen Formulierungen Calvins aus einem weiteren Brief an Farel, in dem er ausführlich über die Ereignisse berichtet, durchaus eine stärkere Distanzierung von Cop. Über den Vorwurf der Unzeitigkeit hinaus sagt Calvin klar, er habe nicht billigen können, was Cop gesagt habe; was jener als wahr behauptet hätte, habe er verneint.866 Es geht also über die Form der von Cop geübten Kritik hinaus auch um deren Inhalt. Die Frage ist, wie diese Äußerung zu verstehen ist. Da nicht zu bestreiten ist, dass Calvin die bevorstehende Aufführung ablehnte – worin er mit Cop einig war –, da ferner Cops Bemerkungen besonders auf die Darstellenden zielten,867 was für ihn offenbar einen der Hauptgründe für die Verwerfung der Aufführung bildete, kann sich Calvins Unbehagen über Cops Kritik nur auf dessen Unterstellungen hinsichtlich der Motive der Darstellenden richten. Diese Kritik hatte die Darstellenden aufgebracht und Calvin hatte nun die unangenehme Aufgabe, die Protestierenden zu beruhigen. Mit ihnen zu verhandeln, fiel ihm gerade auch deshalb schwer, weil er zwar gegen die Aufführung war, aber Cops Aussagen trotzdem nicht folgen, ihn nicht verteidigen konnte. Calvins briefliche Äußerung über den Zwischenfall um Cop belegt indessen keine erneute Wendung in dieser Frage zum Positiven hin, wie Doumergue letztlich suggeriert. Sie zeigt aber, dass Calvin nicht als radikaler Theaterkritiker in Genf auftrat. Nach der schließlich trotz Abratens der Pastoren am Sonntag, dem 4. Juli erfolgten Aufführung, der Pierre Viret als entsandter Beobachter beiwohnte, beantragten die Pastoren beim Rat, keine solche Aufführung mehr zu gestatten. Das entsprechende Geld sollte vielmehr zur Unterstützung der Armen aufgewendet werden.868 Dem Wunsch der ministri gab der Rat statt, so dass 864 Nach Jonker, a.a.O., S. 200, zielt diese Bemerkung Cops nur auf die Aufführung, nicht auf das Stück als solches. Dies könnte dadurch seine Bestätigung finden, dass Cop nach der von ihm provozierten Unruhe seine Haltung dahingehend erläuterte, dass er vor der Aufführung wegen der gewöhnlich mit solchen Spielen verbundenen Extravaganzen gewarnt habe. Besonders wiederholt er seine Missbilligung des Auftretens von Frauen auf der Bühne. Indessen könnte diese Erläuterung auch ein taktisch bedingtes Einlenken darstellen. 865 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 201f. Anders Creizenach, a.a.O., S. 506, der meint, aus der Stelle spreche eine milde Haltung gegenüber Aufführungen. 866 Calvin, Brief an Farel vom 4. Juli 1546 (Nr. 807), CR 40, 356: „… nam imprudentem fuisse iudicabam qui extra tempus tali declamatione usus foret. Verum magis displicet excessus, nullo enim modo approbare poteram quod dixerat. Ille verum esse tuebatur, ego constanter negabam.“ 867 Ebd.: „… pro concione iterum invectus est in actores…“ Dabei ging es Cop auch um das Mitspielen von Frauen; vgl. Pfisterer, ebd; Doumergue, a.a.O., S. 585. 868 Annales Calviniani, CR 49, 385: „Les ministres ont prier ne permecstre plus ainsin joyer telle ystoyres mes que largent soyt employe pour les povres.“ Schon zuvor war bei ihnen das Argument vorgebracht worden, das Geld sollte nicht auf diese Weise vergeudet und Werke der Liebe sollten – infolge einer Aufführung – nicht vernachlässigt werden; vgl. Jonker, a.a.O., S. 198.



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fernerhin, abgesehen von Schulaufführungen und Aufführungen zu besonderen Anlässen, keine derartigen Theateraufführungen (telles ystoyres) mehr in Genf genehmigt wurden.869 Der Vorfall belegt zunächst, dass für Genf Aufführungen geistlicher wie auch weltlicher Dramen von Anfang an nicht selbstverständlich sind – im Gegensatz etwa zu Zürich. Calvin wird eingeschaltet, im ersten Fall stimmen er und seine Pastorenkollegen zu, schon im zweiten Fall ist ihr Votum abschlägig. Zum andern wird deutlich, dass sich die Kritik vorrangig gegen die Aufführungen richtet. Gegen die vorgeschlagenen Stücke als solche, gegen deren Inhalt wird von Calvin nicht opponiert.870 Hier taktische Gründe zu vermuten, geht nicht an, auch wenn Calvins Stellung in der Stadt zu dieser Zeit noch nicht völlig unangefochten war.871 Das Ergebnis einer Verwerfung der Dramen selbst wäre ja dasselbe gewesen: die Forderung ihrer Nicht-Aufführung. Calvin hätte – wie in anderen Fällen – sicher deutlich formuliert, wenn er die theologische Aussage eines Stückes für häretisch befunden hätte. Bei der Ablehnung von Aufführungen werden von den Genfer Pastoren – lassen wir an dieser Stelle einmal die Frage nach dem Anteil Calvins an diesen beiseite – vorwiegend pragmatische und moralische Argumente ins Feld geführt. Dabei wird darauf abgehoben, dass eine Aufführung sowohl materielle als auch zeitliche Ressourcen beansprucht, die an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt wären, worunter insbesondere die Zuwendung zum Nächsten verstanden wird. Damit wird ein Argument aufgenommen, das im reformierten Protestantismus auch gegen die Produktion von Bildern verwendet wurde: Diese stelle eine Geldverschwendung, genauer eine Beraubung der ärmeren Bevölkerungsschichten dar, deren Ressourcen, so unnütz gebunden, den Reichen zur Verfügung stünden.872 Insofern könnte die Nachricht, dass die Spieler das eingenommene Geld nicht für wohltätige Zwecke einsetzen wollten, zur Ablehnung der Aufführung beigetragen haben.873 Ebenso leuchtet an dieser Stelle schon ein Gedanke auf, der im Folgenden zu einem der weitreichendsten Argumente gegen das Theater weiterentwickelt 869 Vgl. Annales Calviniani, ebd. Vgl. dazu Jonker, a.a.O., S. 237. Bis 1758 gab es kein Theater in Genf. Ein allgemeines Verbot von Theaterspielen erging nach Brunnschweiler (a.a.O., S. 86.122) im Jahre 1617; anders Thomke, Zügelung, S. 637f., der auf einen Beschluss des Conseil Ordinnaire von 1609, wonach Aufführungen der Genehmigung bedurften, sowie auf ein Verkleidungsverbot aus dem Jahre 1617 verweist. Ein reguläres totales Aufführungsverbot habe es aber nicht gegeben. 870 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 199. Dies verkennt Thomke, a.a.O., S. 635f. 871 Vgl. Alister E. McGrath, Johann Calvin, Zürich 1991, S. 165. 872 Vgl. die Auslassungen Zwinglis in seiner ‚Auslegung und Begründung der Schlußreden‘ von 1523 zu Art. 41, wo er den Tyrannen vorwirft, sie gewährten der Pracht, dem Machtanspruch und der Willkür der Geistlichen Schutz, weil sie von deren Reichtümern profitierten, die doch den Armen gehörten. So erlaubten sie, dass die Geistlichen mit erfundenen Lehren das arme Volk seiner Güter beraubten in Form von goldenen und silbernen Götzenbildern, Monstranzen, Kelchen und Kreuzen, die sie in Notzeiten an sich rissen; vgl. CR 89, 340,6–16. 873 Vgl. Annales Calviniani, CR 49, 382. – Diese Entscheidung der Spieler konnte freilich auch als Übernahme des – seit der Alten Kirche verpönten – Schauspielerberufs verstanden werden, was ohne Zweifel einer positiven Haltung der ministri nicht sonderlich zuträglich war.

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272 Grundlegung wird: Eine Aufführung bindet zeitliche Ressourcen, sie lenkt die Betrachtenden davon ab, Liebeswerke zu üben. Dieser Gedanke führt in der Folgezeit zu dem Argument, eine Aufführung bringe von der eigentlichen Berufung des Christen, von dem ihm aufgetragenen Leben ab. Die Vorwürfe Cops gehen hingegen mehr auf die Begleitumstände einer Aufführung, die seines Erachtens moralisch bedenkliche Auswirkungen zur Folge haben. Darüber hinaus beurteilt er die Dramatisierung eines biblischen Textes als verfehlt und äußert sogar den Vorwurf des Götzendienstes, was Calvin auch in seinem recht theaterkritischen Brief an Farel nicht tut, ebenso wenig die anderen Pastoren. Der genannte Brief Calvins verdeutlicht zum dritten, dass es für ihn Lasterhafteres als eine solche Aufführung gibt und dass er darum den Einsatz an anderen Fronten als vordringlicher, an dieser Front bis zum letzten zu kämpfen nicht für sinnvoll erachtet. Dennoch zählt Calvin die vorgesehene Aufführung zumindest zu den ‚oblectamenta minus vitiosa‘, die zwar geduldet werden können, aber doch ohne jeden Zweifel in die Kategorie lasterhafte Unterhaltung einzuordnen sind. Das Faktum, dass in Genf nach 1546 Theateraufführungen kaum noch genehmigt wurden, das Schultheater aber von Beschränkungen ausgenommen war, lässt die Frage aufkommen, welche Stellung Calvin zur Institution des Schultheaters einnahm. Calvin folgt bei der Erstellung der Schulordnung für Genf im Jahre 1559 dem Vorbild der von Johannes Sturm 1538 für das Straßburger Gymnasium entwickelten Ordnung.874 Er hatte sie während seines Straßburger Aufenthalts 1538 bis 1541 kennen und offensichtlich schätzen gelernt. Allerdings gibt es eine Ausnahme: Alles, was mit dem Schultheater zusammenhängt, übernimmt Calvin für Genf nicht, weder die festlichen Aufführungen selbst, noch die Behandlung von Dramen im Rhetorikunterricht.875 Während die Behandlung von Homer, Vergil, Ovid, Cicero, Isokrates und Demosthenes sowie von Livius, Xenophon, Polybios und Herodian, also durchaus von antiken heidnischen Autoren wie in den anderen Schulordnungen der Zeit vorgesehen ist,876 übergeht Calvin Terenz und Plautus. An Stelle von Aufführungen sind Deklamationen vorgesehen.877 Wie ist dieser Befund zu deuten? Zum einen wird deutlich, dass Calvin den antiken Komödien nichts abgewinnen konnte. Zum andern zeigt sich, dass er die Praxis der Aufführungen auch im schulischen Rahmen nicht unterstützte. Als obligatorische Veranstaltung hatte sie keinen Raum, was allerdings gelegentliche Aufführungen nicht ausschloss. Insofern in seiner Schulordnung das Theater keinerlei Raum hat, weder die theoretische Behandlung von Dramen noch die Aufführungspraxis, könnte dies zu der Vermutung führen, Calvins Haltung sei Ausfluss der Erkenntnis, dass ein Drama stets auf seine Aufführung hin konzipiert ist. Allerdings hat Calvin, wie gezeigt, biblische Dramen als solche nicht abgelehnt. Könnte man dies als widersprüchlich bezeichnen, so ist doch darauf hinzuweisen, dass in der Schulordnung, wie sie Calvin in Straßburg kennen lernte, 874 Vgl. die Leges Academiae Genevensis (1559), CR 38, 65–84. 875 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 223f. 876 Vgl. Leges Academiae Genevensis, CR 38, 78. 80. 877 Vgl. CR 38, 76. 80.



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infolge der humanistischen Orientierung an der Antike zeitgenössische biblische Dramen als Unterrichtsstoff nicht vorgesehen waren. Sie in den Stoffkanon aufzunehmen, wäre somit – auch für Calvin – überaus ungewöhnlich gewesen. Die Gestalt von Calvins Schulordnung widerspricht so nicht der von den Ereignissen des Jahres 1546 her festgehaltenen Beobachtung, dass er zwar Aufführungen kritisch sah, geistliche oder biblische Dramen selbst aber nicht verwarf. Für diese Auffassung spricht auch, dass in Genf zahlreiche Dramen bzw. Übersetzungen von Dramen, denen biblische Geschichten oder geistliche Stoffe zugrunde lagen, sowohl polemisch-didaktische als auch biblische Dramen zum Druck gebracht wurden, und zwar auch in der Zeit nach 1546 und nach 1553, als Calvins Stellung in Genf unumstritten war. Hätte Calvin gegenüber dem Abfassen und der Herausgabe geistlicher Dramen stärkere Vorbehalte gehabt, wäre es sicher nicht über einen längeren Zeitraum zu dieser Praxis gekommen. Nach dem Auftakt mit Bezas Drama 1550 wurde 1551 in Genf das Drama ‚La Desconfiture de Goliath‘ von Joachim de Coignac herausgebracht. Der Drucker Jean Crespin veröffentlichte 1558 in Genf eine französische Übersetzung des ‚Mercator‘ von Naogeorg.878 1559 erschien die Moralität ‚La Verité cachée‘.879 Die ‚Comédie du Pape malade‘ des Genfer Buchdruckers Conrad Badius wurde 1561 gedruckt.880 1562 gab Jacques Bienvenu ‚Le Triomphe de Jesus Christ‘, die französische Übersetzung der Komödie ‚Christus triumphans‘881 des Engländers John Foxe (1517–1587) von 1556 heraus, einer Darstellung der gesamten Geschichte mit antirömischer Polemik.882 1563 kam in der Stadt Desmasures’ DavidTrilogie zum Druck, die 1566 und 1583 mit der Moralität ‚Bergerie spirituelle‘ erneut aufgelegt wurde. 1566 erschien unter Pseudonym die Tragödie ‚Josias‘, 1568 Bienvenus ‚Monde malade‘. Die französische Übersetzung des Dramas ‚Jephthes‘ des Schotten George Buchanan durch Florent Chrestien wurde in Genf 1581 neu gedruckt, sein Drama über Johannes den Täufer ‚Baptistes‘ erschien 1590.883 Beide lateinische Tragödien 878 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 77. Neuauflagen dieser Version erschienen 1561, 1582, 1585, 1591 und 1594; vgl. Street, a.a.O., S. 227. 231ff. 879 Vgl. Street, French sacred drama from Bèze to Corneille, S. 304 Anm. 3, S. 293 (Nr. 122). 880 Vgl. Street, a.a.O., S. 227f. 232, wo auch weitere Genfer Drucke aus den Jahren 1562 und 1584 erwähnt werden. 881 Vgl. Goedeke, Grundriß Bd. 2, S. 142 (Nr. 58): Le Triomphe de Jesu Christ. Comédie apocalyptique, en six actes, traduite du latin de Jean Foxus, en rime françoise, par Jacques Bienvenu, citoyen de Genève, et augmentée d’un petit discours sur la maladie de la Mess. Genève, Jean Bonnefoy 1562. Es gibt eine kritische Ausgabe: Two Latin Comedies by John Foxe the Martyrologist. Titus et Gesippus – Christus Triumphans, ed. and translated John Hazel Smith, Ithaca – London 1973. Zu Struktur und Inhalt vgl. Street, a.a.O., S. 46. 882 In diesem als Lesedrama gedachten Stück wird zur Zeit Konstantins der Satan losgelassen und beginnt, die Kirche zu knechten. Schließlich aber wird sie befreit durch Menschen, die die Bibel lesen. Das Stück erinnert an Naogeorgs Pammachius. Vgl. Holl, a.a.O., S. 152; Jonker, a.a.O., S. 87ff. – Foxe stellt in Bezug auf die Verbreitung reformatorischen Gedankengutes das geistliche Theater auf eine Ebene mit Predigt und Flugschrift; vgl. Glenn Ehrstine, a.a.O., S. 15. 883 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 182; Goedeke, a.a.O., S. 139 (Nr. 40).

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274 Grundlegung Buchanans waren Beigabe zu der von Beza 1593 besorgten Ausgabe der Psalmenparaphrase des Schotten. Schließlich wurde auch die von dem Pastor Jean Jacquemot (Jacomotus) besorgte lateinische Übersetzung von Bezas Abraham-Drama als Teil von dessen Poemata varia 1597 in Genf herausgebracht. Allein acht französische Ausgaben dieses Dramas erschienen in Genf bis zum Ende des 16. Jahrhunderts.884 Im selben Jahr gab Jacquemot auch seine lateinischen Tragödien ‚Ehud‘ und ‚Agrippa Ecclesiomastix‘ dortselbst heraus.885 All dies belegt eine relativ konstante Druckpraxis. Lediglich die siebziger Jahre fallen aus diesem Befund auffallenderweise heraus. Wurde so die Aufführungspraxis beschränkt, auch weil und insofern Calvin sie nicht forcierte, so hat es in Genf doch weiterhin Aufführungen gegeben. Durchgeführt wurden zum einen Schulaufführungen, auch wenn sie nicht obligatorisch waren, zum andern Aufführungen anlässlich der Erneuerung des Bündnisses zwischen Genf und Bern in den Jahren 1531, 1558, 1568 und 1584. Deren für unseren Zusammenhang bedeutsamste Inszenierungen waren diejenige des Dramas ‚Devis entre Volonté divine, Vérité, Paix, Mensonge et Guerre‘ von Jacques Bienvenu im Jahre 1558, ein Dialog, in dem es dem göttlichen Willen gelingt, Lüge und Krieg von Bern und Genf zu vertreiben, und diejenige des Stückes ‚Le monde malade et mal pansé‘ von Jacques Bienvenu im Jahre 1568.886 An Aufführungen durch Schüler sind für Genf einige belegt.887 Eine Schulaufführung war diejenige eines lateinischen Dramas über Joseph im Jahre 1547, möglicherweise ein Dialog Sebastian Castellios.888 Bedeutsam für die Martyrologie ist die Aufführung der ‚Geschichte von den fünf Studenten, die in Lyon um ihres Glaubens willen hingerichtet wurden‘ von 1558.889 1561 wurde die o.g., durch antirömische Polemik geprägte ‚Comédie du Pape malade‘ von Conrad Badius890 auf die Bühne gebracht. Einige wenige Aufführungen sind für das 17. Jahrhundert belegt.891 Daneben gab es Aufführungen weltlicher Dramen.

884 Vgl. die Übersicht bei Street, a.a.O., S. 227–234. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts folgen drei weitere Ausgaben. 885 Vgl. Barbara Mahlmann-Bauer, Abraham, der leidende Vater, S. 348 Anm. 114 und 115. 886 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 224f. 87. 90ff. Pfisterer, Calvins Wirken in Genf, S. 69, nennt noch Aufführungen zur Bundeserneuerung für die Jahre 1546 und 1551, für die keine Belege gefunden werden konnten. 887 Vgl. Pfisterer, a.a.O., S. 71f. Keegstra, a.a.O., S. 11, spricht von vier Schuldramenaufführungen zwischen 1550 und 1561. 888 So Keegstra, a.a.O., S. 9. Vgl. auch Wilhelm Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Zweiter Band. Renaissance und Reformation. Erster Teil, Halle a.S. 19182, S. 507. 889 Vgl. Pfisterer, a.a.O., S. 72. 890 Zu diesem Stück vgl. Kindermann, a.a.O., S. 200. 891 1662 wurde mit der Aufführung des Stückes ‚Genève délivrée, Comédie sur l’Escalade‘ des misslungenen Überfalls der Savoyer auf Genf im Jahre 1602 gedacht. Es gab auch eine Bearbeitung für eine Schulaufführung ‚L’Echelle de Savoie, tragedie‘; vgl. Holl, a.a.O., S. 162f.



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Eigentliche lehrhafte Äußerungen zum Theater oder zum geistlichen Theater sind bei Calvin nicht zu finden. Eine Stelle aus den Praelectiones in Danielem von 1561 demonstriert nach Brunnschweiler ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem Theater. So legt Calvin mit Bezug auf die antiken Dramen dar, die Dichter hätten die Welt mit schmutzigen Irrtümern erfüllt und mit diesen die Gemüter der Menschen quasi trunken gemacht. Calvin sieht dahinter ein Handeln des Teufels, der ungelehrte wie gelehrte Menschen derart entzünde, dass sie überzeugt wären, es sei wahr, was sie auf der Bühne sähen.892 Indessen kann diese Stelle keinesfalls als Indiz für eine grundsätzliche und generelle Ablehnung des Theaters im Allgemeinen oder des geistlichen Theaters im Besonderen gewertet werden. Calvin legt an dieser Stelle die Erzählung aus Dan 3 aus, in der der heidnische Nebukadnezar ein Götzenbild errichten lässt und dessen Anbetung befiehlt. Er legt dar, dass Nebukadnezar damit eine Religion habe errichten wollen, die für alle Völker seines Reichs maßgeblich sein sollte, ausgehend von der Frage, was ihm Nutzen bringe, und nicht davon, was Gott vom Menschen fordere. Von Anfang an hätten sich mächtige Menschen ihre Götter fingiert. Es gebe aber drei Arten von fingierten Göttern: philosophische, politische und poetische Götter. Im Rahmen der Erklärung der poetischen, von Dichtern erdachten Götter kommt Calvin auf das – antike – Theater zu sprechen. Bei den von ihm namhaft gemachten Irrtümern geht es also dezidiert um von den Poeten erdichtete und auf die Bühne gebrachte Götter. An dieser Stelle kritisiert er demnach nicht das Theater als solches, er rügt es allein, insofern es wie das antike Theater Götzen darstellt. Dieser Interpretation entspricht auch eine Bemerkung Calvins aus seinem 1554 erschienenen Genesis-Kommentar zur Geschichte von der Opferung Isaaks, in der er feststellt, die griechischen Tragiker hätten die Technik des ‚Deus ex machina‘ aus dem Ausgang dieser biblischen Geschichte entwickelt, hätten aber zugleich infolge ihrer Verarbeitung der heidnischen Mythologie diese Art des Ausgangs kontaminiert. Auch hier erkennt Calvin ein bewusstes Handeln des Teufels, der auf diese Weise das göttliche Rettungshandeln habe ad absurdum führen und dem Spott preisgeben wollen.893 Wiederum zeigt sich Calvin dramaturgischen Überlegungen durchaus wohlwollend gegenüber, während er das heidnische Theater als durch und durch degeneriert wahrnimmt. Da Calvin sich, wie gezeigt, nicht explizit mit dem Theater auseinandersetzt, bleibt nur, das nicht ganz ungefährliche Feld der Erschließung seiner Haltung aus Äußerungen in anderen Zusammenhängen, zu betreten. 892 Calvin, Praelectiones in Danielem, Cap. III, CR 68, 620: „Sed poetae deinde fabulati sunt quidquid libuit: et ita implerunt mundum crassissimis, et peraeque etiam foedis erroribus. Quum personarent omnia theatra illis vanis commentis, statim imbutae fuerunt vulgi mentes iisdem deliriis: quemadmodum scimus humana ingenia propensa esse ad vanitatem. Ubi autem diabolus accendit ignem, iam furiose videmus abripi et doctos et indoctos. Sic factum est, ut sibi persuaserint verum esse quod videbant repraesentari in theatris.“ 893 Calvin, Commentaria in Pentateuchum. Primus Mosis liber Genesis vulgo dictus, CR 51, 317. Vgl. dazu Barbara Mahlmann-Bauer, Abraham, der leidende Vater, S. 333.

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276 Grundlegung Dass Aufführungspraxis für Calvin eher negativ besetzt ist, dass sie Distanz zu dem impliziert, was der Mensch in den Augen Gottes ist, wo er gemäß seinem Wort zu stehen kommt, dafür bietet Calvins Kritik an der Abendmahlslehre Zwinglis ein weiteres Zeugnis. In einem Brief an Bullinger aus dem Jahre 1547 – wir befinden uns im Vorfeld des Consensus Tigurinus – legt Calvin dar, Zwinglis Abendmahlsauffassung könne ‚gute Männer‘ zu dem – falschen – Schluss führen, das Abendmahl sei ein „theatricum spectaculum“.894 Hintergrund dieser Bemerkung ist der Vergleich der Sakramente mit profanen Bildern. Ohne Näherbestimmung hält Calvin diesen Vergleich für unzulässig. Im Sakrament sei im Unterschied zum Bild der Heilige Geist wirksam, er belebe dieses und sei in unseren Herzen wirksam.895 In Calvins Sicht der Abendmahlslehre Zwinglis, nach der die Teilnehmenden die eigentlichen Subjekte des Abendmahlsgeschehens sind, indem sie es als Gedächtnismahl vollziehen, suchen die Teilnehmenden das ursprüngliche Geschehen von sich aus nachzuvollziehen, bleiben damit aber nur äußere Betrachter der ursprünglichen Abendmahlshandlung; es geht keine Bewegung vom Ursprungsgeschehen zur Gegenwart aus. Anders formuliert: Zwinglis Abendmahlslehre schafft nach Calvin Distanz, insofern zwischen dem ursprünglichen Geschehen und der gegenwärtigen Abendmahlshandlung keine innere Verbindung besteht und die Teilnehmenden der gegenwärtigen Abendmahlshandlung in dieser als einem Geschehen, das nicht von Gott gewirkt ist, nicht als Angesprochene, nicht als Empfangende zu stehen kommen, sondern von sich aus etwas zu inszenieren gezwungen sind. Der Begriff des Schauspiels weist darauf hin, dass für Calvin im Heilsgeschehen, das auch das Abendmahl mit umfasst, keine Distanz möglich ist, sondern der Mensch vor Gott stets der Angesprochene ist. Wird das Abendmahl bewusst oder unbewusst als Schauspiel vollzogen, kann für Calvin dessen Charakter nur verfehlt werden. An einer anderen Stelle des Briefes geht Calvin vom Wortlaut der verba testamenti aus, wenn er die zwinglische Abendmahlspraxis als Schauspiel charakterisiert: Wenn Christus befohlen habe, das Brot zu essen, das er als seinen Leib bezeichne, dann würden diejenigen, die nicht den Leib zu genießen meinten, das Mahl als Schauspiel (actio histrionica) vollziehen.896 Den Vollzug als Gedächtnismahl unter Verzicht der Annahme einer Wirksamkeit Christi in diesem Mahl entgegen dem expliziten Gehalt der rezitierten verba testamenti kann Calvin nur als Schauspiel werten. So ist dieser Brief zum einen ein beredtes Zeugnis dafür, dass für den Genfer Reformator der Begriff einer Theateraufführung eher negativ besetzt ist, wenn er eine von ihm als Folge falscher theologischer Lehre kritisierte Praxis als ‚Schauspiel‘ qualifiziert. Zum andern zeigt er, dass nach Calvin dem

894 Brief Calvins an Bullinger vom 25. Februar 1547 (Nr. 880), CR 40, 482f.: „Scio multos bonos viros abhoruisse a Zwinglii doctrina, quod toties occurreret ista comparatio [sc. der Vergleich des Abendmahls mit einem profanen Bild] absque correctione. Inde enim colligebant fieri ex coena theatricum spectaculum.“ Vgl. dazu Brunnschweiler, a.a.O., S. 120 Anm. 24. 895 Vgl. Calvin, ebd. 896 Calvin, a.a.O., CR 40, 488: „Nonne histrionica erit actio nisi corpus edamus.“



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Menschen vor Gott weder die Rolle des Betrachtenden noch die des Schauspielers zukommen kann. Als weiteren Schluss kann man daraus folgern, dass Calvin Theateraufführungen insofern nichts abgewinnen konnte, als die Aufführung eine zweite selbstgewählte Berufung, eine partielle Abstraktion von der realen Berufung voraussetzt, zum einen in Bezug auf die Agierenden, die eine andere Person annehmen, als auch in Bezug auf die Zuschauenden, insofern ihnen die Rolle von Betrachtern zugewiesen wird bzw. ihnen suggeriert wird, sie könnten sich von ihrer eigentlichen Berufung distanzieren und die Rolle des Betrachters einnehmen. Dieser Gedanke steht auch hinter anderen von Calvin und seinen Kollegen vorgetragenen Einwänden zu der Aufführung von 1546. Es handelt sich um pragmatische, genauer ökonomisierende Argumente gegen Theateraufführungen: Das Geld, das im Zuge einer Aufführung verbraucht wird, käme besser Bedürftigen zugute. Zugleich werden die Aufführenden dafür kritisiert, dass sie das eingenommene Geld für ihren Zeitvertreib verschwenden. Somit geht es in dieser Argumentation auch um die sinnvolle Verwendung der Ressource Zeit, die man offensichtlich im Zusammenhang von Begleiterscheinungen einer Aufführung gefährdet sieht.897 Auf den ersten Blick wirken diese Argumente etwas hergeholt oder vorgeschoben, als ob die wirklichen Gründe, die dann eher im Inhaltlichen lägen, verschwiegen werden sollten. Allerdings erscheint der Gedanke in der damaligen Zeit durchaus öfter.898 Zu bedenken ist, ob das Argument nicht stärker beim Wort genommen werden sollte und ob es nicht Ausdruck einer tiefer liegenden Argumentationsstruktur ist. Einerseits war der Aufwand für eine Aufführung in der Tat recht hoch, die Aufführenden waren auf einen Zuschuss des Rates angewiesen. Andererseits strömten immer wieder Glaubensflüchtlinge in die Stadt, die einer Unterstützung bedurften.899 Das Motiv der für den Nächsten aufzubringenden Zuwendung findet seine Parallele oder genauer seinen Grund – es muss ja die Person sein, die sich in materieller oder immaterieller Weise dem Nächsten zuwendet – im zweiten Teilargument: Der Mensch soll die ihm zur Verfügung stehende und zu investierende Zeit genau bedenken, er soll sie nicht vergeuden, vielmehr mit ihr etwas Gutes zugunsten des Nächsten bewirken. Letzteres ist der Maßstab des Handelns. Erscheint darin Luthers Erkenntnis, dass das Tun des Menschen sich auf den Nächsten zu erstrecken hat und er an ihm Liebe üben soll, so zeigt doch das ökonomisierende Denken einen neuen Aspekt an. Ein Christ soll seine Zeit möglichst diszipliniert und unabgelenkt in der genannten Hinsicht einsetzen, er soll seine Zeit in toto einbringen. Das heißt aber, dass er in seiner Existenz als ganzer, mit seiner ganzen Person 897 Ob Calvin dieses Argument von Anfang an vertreten hat, muss offen bleiben. Doumergue, a.a.O., S. 582, weist es für den 1.6.1546 Calvins Mitbrüdern zu. Nach den Annales Calviniani (CR 49, 385) vom 12.7.1546 tragen die „ministres“ das Argument dem Rat vor, der es aufnimmt. 898 So wird er auch von Katholiken vorgebracht; vgl. Burke, a.a.O., S. 227. – 1598 erscheint der Gedanke im Beschluss der reformierten Nationalsynode von Montpellier zum Verbot von Marionettenspielen. 899 Vgl. McGrath, Johann Calvin, S. 161.

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278 Grundlegung und stets gefordert ist. In dieser seiner Berufung soll er sich nicht zerstreuen lassen – eine Gefahr, die als in Aufführungen durchaus virulent gesehen wurde. Ob man wie Thomas Brunnschweiler von einer Haltung des Verdachts sprechen sollte, die ständig die Gefahr wittere, das Vergnügen könnte über die Erbauung die Oberhand gewinnen und damit zu bloßer Zeitverschwendung verführen,900 ist eine andere Frage. So gewiss es richtig ist, dass Calvin dem bloßen Vergnügen nichts abgewinnen konnte, wie auch der genannte Brief an Farel zeigt, so ist das Ziel seiner Argumentation doch weniger negativ das Abstellen von Vergnügen als positiv das Leben gemäß der göttlichen Berufung – von dem es keine Auszeit geben kann. Indessen kann Calvin – allerdings nicht im Zusammenhang mit der Frage der Legitimität von Aufführungen – von der Theatermetapher positiven Gebrauch machen. Dabei steht der Begriff ‚Schauspiel‘ für die Wirklichkeit selbst und nicht für ein fiktionales Spiel. Auffallend ist, dass Calvin diese Metapher bei der Behandlung von Fragen, die im Zusammenhang mit dem Locus der Schöpfung stehen, heranzieht. So spricht er im ersten Buch der Institutio von 1559 von der Schöpfung als Schauspiel, bei dem der Mensch Gottes Werke mit seinen Augen betrachtet und tatsächlich die Zuschauerrolle einnimmt. Dieses Betrachten wertet er aber nur als Vorstufe, da das Hören des Wortes Gottes zu größerer Erkenntnis führe.901 Die Stelle belegt, dass für Calvin das Zuschauen auch im Rahmen der Wahrnehmung der einen göttlichen Berufung – es geht ja gerade um den die Schöpfung betrachtenden Christen, der seiner Berufung gemäß lebt – höchstens eine Vorstufe bilden kann; der Christ kann nicht beim Betrachten stehen bleiben.902 Nach der hier gegebenen Begründung kann eine tiefere Erkenntnis nur aus der Schrift bzw. der Predigt des göttlichen Wortes kommen, nicht aus dem Betrachten der Schöpfung. Dem Gehörsinn eignet so eindeutig der Primat, obwohl Calvin hier auch dem Gesichtssinn durchaus eine gewisse Dignität zubilligt. Der Vorrang des Hörens hängt mit dessen konstitutivem Bezug auf die heilige Schrift zusammen; dieses Medium ist – als Gottes Wort – den als solchen betrachteten Schöpfungswerken überlegen. An einer anderen Stelle im ersten Buch der Institutio formuliert Calvin gegen die Verfechter der Auffassung, die Welt sei ihr eigener Schöpfer, den Satz, die Welt sei von Gott zu einem Schauspiel (spectaculum) seiner Ehre gegründet worden.903 Auch hier geht es, 900 Vgl. Brunnschweiler, a.a.O., S. 119. 901 Calvin, Institutio I 6,2; Opera selecta Bd. III, S. 62f.: „Ergo quanvis hominem serio oculos intendere conveniat ad consideranda Dei opera, quando in hoc splendidissimo theatro locatus est ut eorum esset spectator: aures tamen praecipue arrigere convenit ad verbum, ut melius proficiat.“ 902 Georg Plasger, Johannes Calvins Theologie – Eine Einführung, Göttingen 2008, S. 41, formuliert: „Der Mensch, der dies erkennt und ausspricht [sc. dass die Welt theatrum gloriae Dei ist], sieht sich selbst als Teil der Schöpfung einbezogen in diese Bewegung: Auch ich bin von Gott geschaffen und bin aufgerufen – zur Ehre Gottes.“ Plasger folgert ebd. (Forts.): „Eine distanzierte Betrachtung der Schöpfung ist Calvin gar nicht möglich.“ 903 Institutio I 5,5; Opera selecta Bd. III, S. 50: „Nempe ut mundus qui in spectaculum gloriae Dei conditus est, suus ipse sit creator.“



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wie der Kontext zeigt, um die Schöpfung in ihrer Universalität. Gott wird als der Urheber eines Schauspiels erkannt, das ihn verherrlichen soll. Über mögliche Betrachter dieses Schauspiels äußert Calvin nichts. Deutlich ist nur, dass die Geschöpfe Teilnehmende des Schauspiels sind. Diesen Gedanken nimmt Calvin in seiner 1552 erschienen Schrift ‚De aeterna Dei praedestinatione‘ auf. Dort spricht er in der Auslegung von Pr 16,4 von der Schöpfung als „theatrum gloriae“: Gott gründete die Schöpfung, dass sie ein Schauplatz seiner Herrlichkeit wäre.904 Dabei geht es nun nicht mehr alleine um die Schöpfung als solche, vielmehr ist diese eingebettet in das Heilsgeschehen als ganzes. Calvin sucht gegen den altgläubigen Niederländer Albert Pighius zu erweisen, dass auch der Zweck des menschlichen Heils in der Verherrlichung Gottes besteht, wozu er Schöpfung und Erlösung eng zusammenbindet. Damit aber wird auch der Bereich der Geschichte und der menschlichen Handlungen in das göttliche Schauspiel integriert. Die Geschichte ist Teil eines Dramas, das mit der Schöpfung beginnt und dessen Ziel die Verherrlichung Gottes markiert. Kontext und Ursprung dieses Gedankens ist, wie schon der Titel der Schrift verrät, die Prädestinationslehre. Das Schauspiel ist festgelegt von Gott, die Menschen haben lediglich den ihnen auferlegten Part zu übernehmen, d.h. auf dem Schauplatz haben sie die ihnen von Gott zugedachte Berufung wahrzunehmen, die wie auch immer sich diese Berufung gestaltet, zur Ehre Gottes gereicht. Ist die Schöpfung aber als ganze ein solches theatrum, so ist der Versuch der Abstraktion von diesem Schauplatz nicht nur obsolet, sondern auch sinnlos. Initiator des Geschehens ist Gott, die Menschen sind nolens volens stets Beteiligte und Agierende. Als Betrachter des Geschehens kommt insofern nur Gott in Frage, was vor allem durch den Topos suggeriert wird, das Schauspiel erfolge zu seiner Ehre, was zwangsläufig an eine damals übliche Theateraufführung zu Ehren einer königlichen Majestät denken lässt. Damit aber eröffnen sich wesentliche Einsichten auch zur Frage der Haltung Calvins zu Theateraufführungen im eigentlichen Sinne. Auch wenn der Genfer Reformator die Verbindung von der Prädestinationslehre zur Frage von Theateraufführungen selbst nicht ausdrücklich herstellt, so zeigt sein Gebrauch der Theatermetaphorik doch, dass für ihn das irdische Geschehen ein ganzes darstellt, in dem der Mensch den ihm von Gott zugedachten Part, seine Berufung wahrzunehmen hat, und zwar ständig und mit seiner ganzen Person. Für Calvin kann es nur die eine Berufung und nur die eine von Gott gesetzte Handlungsebene, aber keine Meta-Ebene geben. Der Mensch kann sich nicht davon abstrahieren, indem er eine andere Rolle als die seiner Berufung einnimmt, etwa indem er sich als unbeteiligten Betrachter versteht. Betrachter des irdischen Geschehens als einer Gesamtheit kann ausschließlich Gott sein, zu dessen Verherrlichung es abläuft. Damit deutet sich an, dass Calvin der Vorstellung von der Welt als Bühne, dem Topos vom Welttheater, der dem barocken Theater zugrunde liegt, recht nahe kommt. Allerdings 904 Calvin, De aeterna praedestinatione V,16; CR 34, 294: „Ergo hoc axioma retinendum sic Deo fuisse curae salutem nostram, ut sui non oblitus, gloriam suam primo loco haberet, adeoque totum mundum hoc fine condidisse, ut gloriae suae theatrum foret.“

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280 Grundlegung geht er nur von der Ebene der Wirklichkeit aus, es gibt keine Ebene des Scheins, die mit der Wirklichkeit verschwimmen könnte. Damit wird zugleich eine positive Haltung zum Theater im eigentlichen Sinne erschwert. Hinzu kommt die Überzeugung Calvins, dass die aus der Schrift bzw. dem Hören des Wortes Gottes gewonnene Erkenntnis einer durch das Sehen hervorgerufenen Einsicht qualitativ überlegen ist. Wie lassen sich die z.T. schwer einzuordnenden Aussagen Calvins zusammenfassen? Zunächst ist festzustellen, dass die Frage des geistlichen Theaters im theologischen Denken Calvins keinen derartigen Stellenwert hat, dass er sie als eigenständiges Thema verfolgte. Aus den vorliegenden Äußerungen Calvins und aus sonstigen Zeugnissen kann aber gefolgert werden, dass Calvin eine gemäßigt theaterkritische Haltung einnahm – sofern man der Auffassung folgt, es gehöre zum Wesen eines Dramas, aufgeführt zu werden.905 Wirklich positive Äußerungen zu Aufführungen lassen sich nicht nachweisen. Auch eine Entwicklung Calvins in dieser Frage konnte nicht konstatiert werden. Die Aussage Keegstras, Calvin sei Aufführungen nicht feindlich gesonnen, er habe das Theater als solches nie verurteilt,906 greift etwas zu kurz, worüber auch die positive Aufnahme der Theatermetaphorik nicht hinwegtäuschen kann. Gleiches gilt für die zu positive Schilderung Pfisterers, der auf Calvins briefliche Äußerungen nicht eingeht und nur die Genfer Praxis, für die in erster Linie der Rat, höchstens in zweiter Linie Calvin verantwortlich war, berücksichtigt.907 So gewiss Calvin ihm vorliegende Stücke nicht kritisiert, so steht er doch nach eigener Aussage – sein Brief an Farel ist völlig klar – deren Aufführung eher ablehnend gegenüber. Gewiss ist zu bedenken, dass Calvin sich ab dem Jahre 1546 in heftigen Kämpfen mit Pierre Ameaux, Ami Perrin und anderen um die Durchsetzung der Kirchenzucht befand,908 was einer Duldung oder Förderung öffentlicher Aufführungen, die immer auch potentielle Gelegenheiten für Proteste, Unruhen oder deviantes Verhalten boten, eher abträglich war.909 Auch hätte in diesem Kontext ein Einlenken bei den Aufführungen als Nachgeben in der Frage der Kirchenzucht verstanden werden können. Allerdings tritt Calvin auch nicht für das Schultheater ein.910 Dennoch gibt es auch die 905 Die gegenteilige Auffassung vertritt Jonker, a.a.O., S. 232: „D’autre part, l’exécution et la représentation ne sont pas absolument nécessaires pour comprendre un drame ou jouir d’une symphonie.“ 906 Vgl. Keegstra, a.a.O., S. 11. Keegstra äußert dort auch, Calvin habe die Stücke toleriert, allerdings seien dies fast ausschließlich Schuldramen gewesen. 907 Vgl. Pfisterer, a.a.O., S. 68–73. 908 Vgl. Neuser, Calvin, S. 70ff. 909 Ein Beispiel dafür ist Perrins Aufruf, beim Schützenfest 1546 gegen das Luxusverbot zu verstoßen; vgl. Neuser, a.a.O., S. 73. 910 Dies verkennt Neuser, a.a.O., S. 83, wenn er schreibt: „Geistliche Stücke, sogenannte Mysterien, wurden seit 1546 nicht mehr aufgeführt, weil sie sich offensichtlich überlebt hatten. Die Zeit der Schuldramen begann. Das Genfer Gymnasium führte nun römische Komödien und Fabeln oder Stücke mit reformatorischer Kritik am Papsttum auf.“ Der erste Satz ist zu grob und missverständlich formuliert: Ist das mittelalterliche Mysterienspiel gemeint? Dieses hatte sich für den Protestantismus in Deutschland, in der Schweiz (dort mit gewissen Einschränkungen) und in Frankreich



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andere Seite, genauer gesagt Indizien dafür, dass Calvin nicht radikal theaterkritisch eingestellt war: Von der massiven Kritik eines Michel Cop heben sich seine Aussagen ab, ebenso vertritt er in dem Streit eine deutlich gemäßigtere Position als seine Mitbrüder. Den Brauch der Aufführungen anlässlich der Bundeserneuerung zwischen Genf und Bern hat Calvin nicht bekämpft.911 Es hat auch zu seiner Zeit Schulaufführungen gegeben. Besonders aber ist hervorzuheben, dass die Publikation von geistlichen Dramen in der Zeit seiner Wirksamkeit und danach einen enormen Umfang einnahm. Die gewaltige Zahl und die Art der in Genf veröffentlichten Stücke ist in Bezug auf Calvin ein Beleg zum einen für ein starkes Interesse an der Polemik gegen die römische Kirche, zum andern für eine positive Wertung des Abfassens von geistlichen oder biblischen Dramen, der Versifizierung biblischer Geschichten. Offenbar konnte Calvin biblische Dramen losgelöst von ihrer möglichen Aufführung, als literarisches Zeugnis und Ausdruck eines biblischen Textes betrachten. Lesedramen waren für den Genfer Reformator ohne weiteres denkbar. Aufführungen hat er nicht favorisiert, sondern von ihnen abgeraten, aber unter bestimmten Bedingungen konnte er sie durchaus dulden.912

f ) Wilhelm Farel und Pierre Viret Eine eigene Haltung lassen die Äußerungen Wilhelm Farels zu Theateraufführungen erkennen. In seinem Antwortbrief an Calvin 1546 anlässlich des Genfer Streits legt er dar, der Darsteller müsse bei einer Aufführung die Person, den Charakter einer anderen Person annehmen. Damit müsse er sich jedoch zugleich des eigenen Charakters entkleiden. Dies aber hindere ihn, seiner Pflicht nachzukommen, denn als Christ habe er seine Person in jedem Bereich des Lebens in den Dienst Christi zu stellen. Zudem fürchtet Farel, dass das darstellerische Vollziehen von Sünden die Agierenden auch im wirklichen Leben zum Sündigen bringe.913 Leider ist der Text an dieser Stelle verderbt und bricht ab. So muss ohne Zweifel überlebt, nicht aber das biblische Drama, wie wiederum der Protestantismus in diesen Ländern einschließlich Frankreichs in dieser Zeit (1546) erweist. Ursache dieses Fehlurteils Neusers, der hier Pfisterer (a.a.O., S. 71) folgt, ist die Nichtunterscheidung von Mysterien und anderen geistlichen, insbesondere den biblischen Dramen. Der zweite Satz ist nur bedingt richtig, insofern Calvin, wie dargelegt, das Schultheater nicht in das Curriculum für die Genfer Schule aufnahm, wenngleich Schulaufführungen stattfinden konnten. 911 Vgl. Pfisterer, a.a.O., S. 69. 912 Damit bestätigt sich das Urteil Olivier Millets, Kunst und Literatur, in: Calvin Handbuch, hrg. v. Herman J. Selderhuis, Tübingen 2008, S. 419: „Man kann dem [sc. der Ablehnung des antiken Theaters] hinzufügen, dass der Reformator, auch wenn er dies nicht explizit sagt, sich schwer damit tut, das biblische Themen darstellende christliche Theater anzuerkennen, auch wenn er dieses nicht ablehnt.“ 913 Farel, Brief an Calvin (Nr. 802), CR 40, 351: „Isti qui tam delectantur ludis, utinam non serio dolore torqueantur. Timendum est ne qui alienis personis oblectantur quum propriam in Christo debeant sustinere in omni genere officiorum, ne ferre cogantur non personatos, qui fingunt nocere,

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282 Grundlegung offen bleiben, ob Farel nicht grundsätzlich auch umgekehrt die Möglichkeit einer sittlichen Besserung, einer positiven Beeinflussung durch das Darstellen von sittlichem Handeln konzediert.914 Dessen ungeachtet bleibt in jedem Fall der Vorwurf, das Einnehmen einer anderen Person sei ein Verlassen der eigenen Person und damit eine Verletzung der göttlichen Berufung. In einem Brief an Pierre Viret vom September 1550 vertritt Farel diese Auffassung in pointierter Form noch einmal: „Serio agere debet Christianus et tueri et agere personam quam habet vere, et non fictam sumere, quum hypcorisis [sic!] tam male udiat [!] et omnis hypocrita.“915 Aus dieser Aussage wird deutlich, dass Farel eine fundamental kritische Haltung gegenüber dem Theater und damit auch gegenüber dem geistlichen Theater einnimmt. Theateraufführungen als solche, unabhängig von ihrem Inhalt, sind vom Standpunkt des christlichen Glaubens nicht akzeptabel, weil das Spielen einer Rolle mit der Existenz als Christ nicht vereinbar ist. Das Spielen einer Rolle bedeutet für Farel eo ipso ein Sich-Verstellen und damit Heuchelei (hypocrisis). Die Berufung als Christ aber verlangt nach Farel den wirklichen und den ganzen Menschen. Die christliche Existenz ist definitiv eine Existenz, eine Rolle, die eine Vielheit ausschließt. Als biblischer Beleg dient das Faktum, dass Petrus nach Act 6 die Übernahme der Armenfürsorge zum Dienst am Wort abgelehnt habe. Besonders kritisch sieht Farel folglich auch die Übernahme von Rollen durch einen Pastoren.916 Jonker fasst die Position dieses Reformators zusammen: „Ce jeu, cette feinte, cette hypocrisie qui masque le vrai caractère, lui semble incompatible avec la vie sérieuse et austère qu’un chrétien doit mener.“917 Pierre Viret selbst, Beobachter der Aufführung vom Juli 1546, gelangt nicht zu einer derart radikalen Einschätzung. Er spricht keine Verdammung und auch kein Verbot aus, hält indessen das Theater für nutzlos und letztlich für Zeitverschwendung.918

g) Theodor Beza Theodor Beza muss schon durch das Faktum seines später ausführlich zu besprechenden Dramas ‚Abraham sacrifiant‘ aus dem Jahre 1550 als grundsätzlich theaterfreundlich bezeichnet werden. Dass dieses Drama des Calvin-Nachfolgers 1597 mit einem Vorwort von ihm in lateinischer Übersetzung in Genf neu publiziert wurde, zeigt, dass er auch in seised qui nimis vere afflictent et angant. […] Utinam in malis personati tandem essent, nec aliquid ipsi facerent, tantum aliorum peccata repraesentarent,…” An dieser Stelle ist der Text leider unterbrochen. Zu Farels Äußerung insgesamt vgl. Jonker, a.a.O., S. 204. 914 A.a.O. (Forts. nach verderbtem Text): „... omnes ea vitarent, in bonis veri essent actores, imo factores.“ 915 CR 41, 640 (Nr. 1406). Der Text muss wohl lauten: „male audiat“. 916 Vgl. ebd. 917 Jonker, a.a.O., S. 205. 918 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 206f., bes. S. 207: „Si donc Viret n’interdit pas formellement le théâtre aux fidèles, il croit bien que c’est perdre du temps qu’on pourrait employer mieux, que d’assister à une représentation, et que c’est un plaisir vain sans aucun profit.“



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ner Spätzeit das Abfassen von Dramen keiner Kritik unterzog. Im Gegenteil: Er verteidigt diese Praxis – bei aller Vorsicht, die dabei zu walten hat – gegen Kritiker, die er als pedantisch (morosulus) bezeichnet. Als Argument dient ihm die Tatsache, dass gelehrte Theologen sich dieser Tätigkeit widmeten, in der Alten Kirche bereits Gregor von Nazianz mit seinem ‚Christus paschon‘, aber auch in der Gegenwart etliche Theologen.919 In der ursprünglichen französischen Fassung des Abraham von 1550 geht Beza von der Spiegel-Funktion eines Dramas aus. Darüber hinaus betont er als Vorteil des Dramas dessen Nachhaltigkeit, was eigentlich nur auf eine intendierte Aufführung hindeuten kann. Diese erfolgte auch, durch Schüler der Akademie in Lausanne – angesichts der Ereignisse in Genf vier Jahre zuvor nicht unbedingt selbstverständlich. Dass das Drama in den Augen des Verfassers auch literarisch wirken sollte, ist nicht zu bestreiten.920 Jonker versucht nun, Bezas Haltung, wie sie 1597 aus dem Vorwort zur lateinischen Übersetzung des Dramas durch Jacquemot erkennbar ist, mit den Beschlüssen der französischen reformierten Synoden zu verbinden. So legt er dar, Beza stehe mit seinem dramatischen Wirken in Einklang mit den Bestimmungen der Synode von Sainte-Foi von 1578, die einen engen Anschluss an die biblische Vorlage fordern.921 Angemessener wäre es gewesen, zunächst einmal das Original von 1550 zu befragen und in Bezug auf Vorgehensweise und Intention Bezas mit der Neuausgabe von 1597 zu vergleichen und herauszuarbeiten, inwieweit Verschiebungen zu beobachten sind. Denkbar wäre ja auch, dass Beza 1597 – eingedenk der inzwischen veränderten Haltung zum geistlichen Drama in der reformierten Kirche – rückblickend sein Tun oder auch seine Intention anders darstellt als es 1550 zur Zeit der Abfassung von ‚Abraham sacrifiant‘ tatsächlich der Fall war. Gänzlich unangemessen wäre es freilich, Bezas dramatische Tätigkeit von 1550 an Beschlüssen zu messen, die mehr als zwanzig Jahre später gefasst wurden. Zunächst ist festzustellen, dass Beza 1597 keine Geschichtsklitterung betreibt. Er verschweigt die Aufführung von 1550 ebenso wenig wie die Tatsache, dass das Drama an vielen Orten Frankreichs mit Erfolg gespielt wurde.922 Dabei sieht er sich nicht genötigt, dies im Nachhinein zu rechtfertigen. Wenn Jonker nun für die Ausgabe von 1597 feststellt, dass diese als lateinische nur für eine Schulaufführung bestimmt sein konnte,923 lässt er zum einen außer Acht, dass damit das französische Original nicht erledigt war, zum andern, dass 919 Beza, Poemata varia, Genf 1597, 143a–144a: „Quod ad scriptionis autem genus attinet sibi quoque videri magnum in tam sacris rebus esse tenendum modum, et omnia religiosissime tractanda, sed mihi non deesse quae morosulis nonnullis obiicerem, nempe et ipsius Nazianzeni τòν χριστòν πασχóντα et non paucorum aetatis nostrae doctissimorum virorum in Ecclesiis laudatissimis exemplum.“ Die ‚Tragödie‘ des Nazianzeners – seine Verfasserschaft ist umstritten; vgl. Hans Urs von Balthasar, Theodramatik. Bd. 1, Einsiedeln 1973, S. 98 Anm. 56 – findet sich in PG 38,133–338. 920 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 220. 921 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 210. 922 Beza, Poemata varia, Genf 1597, 143b. – Eine Aufführung vor einem König, wie Karl Hase, Das geistliche Schauspiel, Jena 1858, S. 103, sie erwähnt, konnte nicht verifiziert werden. 923 Jonker, ebd.: „... il s’agit d’une édition de la traduction latine qui tout au plus pourrait servir à une représentation scolaire.“ Vgl. ebd. Anm. 1.

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284 Grundlegung nach dem Beschluss der Synode von Nîmes 1572 auch für Schulaufführungen biblische Geschichten obsolet waren. Es könnte sich so verhalten, dass Beza im Jahre 1597, auch in Anbetracht der zwischenzeitlich ergangenen einschlägigen Synodenbeschlüsse, nicht mehr an eine Aufführung seines Dramas dachte. Eine Bemerkung Bezas im Vorwort, die von Vorbehalten gegenüber Aufführungen (ludi) zeugt, liefert keine völlige Klarheit in dieser Hinsicht: Er sei es gewohnt gewesen, derartige Aufführungen zu veranstalten; diese seien auch nicht als solche oder zur Gänze zu verurteilen.924 Beza verteidigt hier Aufführungen und gibt einer differenzierten Betrachtungsweise den Vorzug. Gleichwohl ist die Notiz retrospektiv formuliert, als Rückblick auf seine Aufführungspraxis. Ist damit für den CalvinNachfolger Theaterfeindschaft definitiv ausgeschlossen, so ist doch in der Frage, ob Beza 1597 sein Drama noch aufgeführt wissen wollte, keine letzte Gewissheit zu gewinnen. Deutlich ist hingegen, dass das Stück auch in der Zeit nach den einschlägigen französischen Synoden und auch nach Erscheinen der lateinischen Ausgabe aufgeführt wurde, so durch Nathan Chytraeus in Rostock 1590 in deutscher Übersetzung, 1595 im reformierten holländischen Leiden, wie Joseph Scaliger, Sohn des berühmten Poetiktheoretikers Julius Caesar Scaliger, in einem Brief berichtet,925 und 1617 in Zürich. Street nennt weitere Aufführungen in den Niederlanden, eine Darbietung 1594 in Leiden und eine im Jahre 1606 vor der Witwe von Wilhelm von Oranien.926 Auf all diese Aufführungen konnte Beza naturgemäß keinen Einfluss ausüben.

h) Die Beschlüsse der französischen Nationalsynoden Die Untersuchung des Verhältnisses des reformierten Bereichs der Reformation und darin besonders der französischen Reformierten zum geistlichen Theater wäre nicht vollständig, würden nicht die einschlägigen Bestimmungen reformierter Synoden Frankreichs betrachtet. Die erste Synode, die sich mit der Frage des Theaters befasst, ist bereits die zweite Nationalsynode von Poitiers, die im März 1560 in Ergänzung zu der von der ersten Nationalsynode 1559 verabschiedeten Discipline de l’Eglise in Artikel II ein Verbot von Tänzen, Mummereien und Komödien formuliert.927 Von geistlichen Dramen ist dabei nicht die Rede. 924 Beza, Poemata varia, 143a: „Scis enim quo loco habere nostros illos, etsi nec, opinor, per se culpandos, nec prorsus vanos ludos consueverim.“ 925 Vgl. Joseph Scaliger, Lettres françaises inédites. Publiées et annotées par Philippe Tamizey de Larroque, Genf 1970, S. 311f. Die durch Kinder erfolgte Aufführung wird von Scaliger als überaus erfolgreich skizziert. Die Zuschauer seien geradezu entrückt, einige zu Tränen gerührt gewesen; vgl. ebd. 926 Vgl. Street, a.aa.O., S. 233. 237. Unklar ist, ob einer Aufführung 1604 in Leiden Bezas Stück zugrunde lag. 927 Jean Aymon, Tous les synodes nationaux des églises réformées de France. Tome premier, La Haye (Den Haag) 1710, S. 16: „Item, tous Consistoires seront avertis par les Ministres de défendre soigneusement toutes Danses, Mommeries, tours de Gibeciere et Comedies.“



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Die achte Nationalsynode von Nîmes im Mai 1572 nimmt die Frage des Theaters wieder auf und verbietet in Artikel XXIX den Gläubigen, weltlichen Spektakeln wie Tanzvorführungen, Komödien, Tragödien oder Possen beizuwohnen, ungeachtet ob diese öffentlich oder im Besonderen (en particulier) aufgeführt werden. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass derartige Veranstaltungen als unerlaubte Vergnügungen, die auch die guten Sitten zerstörten, durch die Kirchen Gottes immer verboten worden seien, insbesondere wenn sie die heilige Schrift profanierten. Wenn aber eine Schule es für angemessen erachte, um der Übung der Jugend willen Geschichten aufzuführen, die nicht in der heiligen Schrift enthalten seien – diese sei nicht zum Zeitvertreib gegeben, sondern dazu gepredigt zu werden –, dann sollten diese Aufführungen toleriert werden, vorausgesetzt dies erfolge selten und gemäß der Auffassung der Klassikalsynode (colloque), die das Thema vorgebe.928 Zielt der erste Teil der Bestimmung auf Weltliches im engeren Sinne, d.h. auf Handlungen, die als weltlich und unsittlich qualifiziert werden und darum für die Gläubigen nicht in Frage kommen, so kommt in der Begründung der Aspekt der Vermischung von Weltlichem und Heiligem in Gestalt der Bibel in den Blick, der freilich nicht bei allen im ersten Teil abgelehnten Handlungen relevant ist. Der Hinweis auf das seit den Anfängen der Kirche bestehende Verbot nimmt eindeutig Bezug auf die Kritik des Theaters durch die Kirchenväter. Dass freilich der Tatbestand der Profanierung der Schrift genannt wird, könnte entweder auf ein Theater zielen, in dem geistliche Dinge verspottet werden, oder eben auf das geistliche Theater als solches. Würde man eher ersteres erwarten – war doch zu Beginn des Artikels von weltlichen Spektakeln die Rede –, so zeigt die Fortsetzung des Textes, der vom Schultheater handelt, dass tatsächlich das geistliche Theater mit gemeint ist. Der unvermittelte Übergang vom weltlichen Theater zum geistlichen Theater, das den Autoren definitiv eine geistliche Angelegenheit und ein Mittel der Glaubensvermittlung war, und die sofortige Subsumption des geistlichen Theaters unter das weltliche muss erstaunen. Die Formulierung zeigt, dass die Synodalen tatsächlich davon ausgingen, dass die Form des Theaters bzw. die Theateraufführung von der Wurzel her etwas Negatives darstellt und daher der biblischen Botschaft nicht angemessen ist. Dem entsprechend sind auch für das Schultheater biblische Vorwürfe ausgeschlossen. Konsequent gedacht, müsste freilich das Theater als solches aus der Schule verbannt werden, was sich offenbar noch nicht durchsetzen lässt. So wird für das Schultheater eine Ausnahmeregelung getroffen, mit der Maßgabe, dass sie möglichst selten Anwendung finden sollte. 928 Aymon, a.a.O., S. 118f.: „Il ne sera pas permis aux Fideles d’assister aux spectacles profanes, comme aux Danses de Theatre, aux Comedies, Tragedies, ou Farces, soit qu’on les represente en public, ou en particulier; parce qu’ils ont été defendus de tous tems par les Eglises de Dieu, comme des amusements illicites et qui corrompent les bonnes mœurs, particulierement lorsque la Sainte Ecriture y est profanée. Mais si le College juge convenable pour exercer la jeunesse de representer des histoires qui ne soient pas contenuës dans la Sainte Ecriture, (laquelle ne nous a pas été donnée pour nous servir de Passetems, mais pour être prêchée, et pour nôtre Conversion et Consolation;) pourvû que cela se fasse rarement, et par l’avis du Colloque, qui en fournira le sujet, ces representations seront tolerées.“ – Vgl. dazu Jonker, a.a.O., S. 207.

final

286 Grundlegung Die neunte Nationalsynode von Sainte Foi im Februar 1578 beschließt in Artikel XX, dass diejenigen, die Geschichten der heiligen Schrift versifizieren, nicht dichterische Fabeln beimengen und nicht Gott die Namen falscher Gottheiten beilegen, überhaupt nichts der Schrift hinzufügen oder aus ihr entfernen, sondern sich an die der Schrift eigene Begrifflichkeit halten sollten.929 Dieser Beschluss steht in Entsprechung zu einem Beschluss der fünften Nationalsynode von 1565, nach dem Pfarrer und Älteste, die über ein schriftstellerisches Talent verfügen, dieses in einer der Majestät des Wortes Gottes angemessenen Weise ausüben sollen.930 Er verdeutlicht, dass das Abfassen von biblischen Dramen nicht verboten war. Allerdings wird diese Tätigkeit streng reglementiert, sie muss sich genau an die biblische Vorlage halten.931 Die zehnte Nationalsynode von Figeac vom August 1579 verfügt in Artikel XVII zusätzlich, dass die biblischen Bücher, kanonische wie apokryphe, nicht in Komödien oder Tragödien für eine Aufführung von tragischen Geschichten oder anderen Dingen, die sie enthalten, verwendet werden sollen.932 Dieser Beschluss – einen analogen hatten 1574 die schottischen Reformierten gefasst933 –, der auf der Linie der Synode von 1572 liegt, verbietet die Verwendung biblischer Geschichten und aller in einer solchen enthaltenen Elemente für jedwede Aufführung. Mit einbezogen sind nunmehr auch die Apokryphen, von denen in Frankreich der Judith- und der Susannastoff gerne für Dramen herangezogen wurden. Die 18. Nationalsynode von Montpellier verbietet im Jahre 1598 schließlich u.a. Marionettenspiele, wobei auch auf die ökonomisierenden Argumente des Kostenaufwands und der Zeitverschwendung zurückgegriffen wird.934 Alle Synodenbeschlüsse zielen damit auf die Einschränkung bzw. auf das Verbot von Aufführungen. Das Abfassen dramatischer Literatur selbst, auch solcher, der biblische Texte zugrunde liegen, wird nicht verurteilt,935 wenn auch ein enger Rahmen dafür abgesteckt wird. 929 Aymon, a.a.O., S. 129: „Ceux qui mettent la main à la main la plume pour écrire les Histoires de l’Ecriture Sainte en Vers, seront avertis de n’y mêler pas des Fables Poëtiques, et de n’attribuer pas à Dieu les noms des fausses Divinités, et de n’ajoüter ni retrancher aucune chose de l’Ecriture, mais de s’en tenir aux propres termes du Texte Sacré.“ 930 Vgl. Aymon, a.a.O., S. 69f. (Art. IV). Ebenso sollen sie nicht in lächerlicher oder beleidigender Weise schreiben. 931 Zu dieser Bestimmung passt, was Brunnschweiler, a.a.O., S. 176, zu Johann Jakob Breitingers theaterkritischem Traktat festhält: „Damit wird auch der Bibeltext, der im 16. Jahrhundert noch der dichterisch-dramaturgischen Verfügbarkeit von Laien anheimgegeben wurde, zurückgenommen in die strenge Literalität und unter die Kontrolle der Theologen.“ 932 Aymon, a.a.O., S. 142: „Les Livres de la Bible, soit Canoniques ou Apocryphes, ne seront point emploiés en Comédies ou Tragédies par aucune representation des Histoires Tragiques, ou des autres choses qu’ils contiennent.“ – Vgl. Jonker, ebd. 933 Vgl. Wilhelm Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Dritter Band. Renaissance und Reformation. Zweiter Teil, Halle a.S. 19232, S. 491. 934 Vgl. Aymon, a.a.O., S. 219 (Art. XXVIII). 935 Vgl. Jonker, ebd.



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Die Beschlüsse belegen, dass an die Frage der Dramatisierung biblischer Geschichten nur mit Abgrenzungen und Klauseln herangegangen wird. Es besteht eine prinzipielle Furcht, dass eine derartige Praxis ins Weltliche abgleitet. Das Theater, Dramatisierung und Aufführung, wird zunächst einmal grundsätzlich unter Verdacht gestellt. Aufführungen sind bis auf solche des Schultheaters, die in einem engen Rahmen und eher widerwillig konzediert werden, ausgeschlossen. Das erste Argument gegen Aufführungen ist, dass sie der Unsittlichkeit Vorschub leisten. Als solche dürfen sie nicht mit geistlichen Inhalten in Verbindung gebracht werden. Diese selbst dürfen wiederum nur in der Predigt als dem angemessenen Mittel weitergegeben werden. Als zweites Argument beim Verbot von Aufführungen erscheint der Gedanke, dass sie Zeitvertreib darstellen, Verschwendung von Zeit und Geld mit sich bringen. Dieses Motiv, das ökonomisierende Denken, das schon bei Calvin und Viret in Erscheinung trat, setzt voraus, dass der Mensch sein Zeitbudget einheitlich, konzentriert auf eine Sache, seine Berufung einsetzen soll. Ablenkung ist dabei ausgeschlossen. Das Dramatisieren biblischer Texte wird unter Bedingung der Abtrennung von der Aufführung zugelassen. Dabei wird ein enger Anschluss an die biblische Vorlage für unerlässlich gehalten. Den Beschlüssen liegt somit ein einheitliches Denken zugrunde. Ihre Entwicklung muss als durchaus folgerichtig beurteilt werden. Dass überhaupt eine Entwicklung vorliegt, ist in der zeitlich vor den Synoden liegenden Verbreitung von Aufführungen reformatorischer Dramen begründet.

Exkurs: Das geistliche Theater in den reformierten Niederlanden Auf die reformierten Niederlande soll hier nur kurz eingegangen werden, da die Entwicklung letztlich der in Frankreich analog ist. Die Niederlande gehörten seit den Zeiten des beginnenden Humanismus – mit Gnapheus, Macropedius und Crocus – zur führenden Theaternation. Wie in anderen Ländern kam es auch hier zur Aufführung von Stücken, die sich kritisch mit der alten Kirche auseinandersetzten. So wurde 1539 in Middelburg ein Stück ‚Der Baum der heiligen Schrift‘ zur Aufführung gebracht, das sich gegen die Geistlichkeit und den ‚Aberglauben‘ richtete.936 Mit der Dramatisierung alttestamentlicher Stoffe verarbeiteten Niederländer ihren Befreiungskampf. Dabei identifizierten sie sich mit dem alttestamentlichen Israel und stellten Wilhelm von Oranien als neuen Mose oder David dar.937 1577 wurde Wilhelm von Oranien mit einer Aufführung eines ‚lebenden Bildes‘ – die sogenannten ‚lebenden Bilder‘, stumme Darstellungen, die noch deutlich die Verbindung des Theaters zur Malerei belegen, waren typisch für das Theater 936 Vgl. Burke, Helden, Schurken und Narren. Europäische Volkskultur in der frühen Neuzeit, hrg. und mit einem Vorwort von Rudolf Schenda, Stuttgart 1981, S. 242. 937 Vgl. Mieke B. Smits-Veldt, Images de Resistance et de Revolte dans le théâtre neerlandais du XVIIe siècle, in: Image et Spectacles. Actes du XXXe Colloque International d’Etudes Humanistes du Centre d’Etudes Supérieures de la Renaissance, ed. Pierre Béhar, Amsterdam – Atlanta GA 1993, S. 66.

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288 Grundlegung der Niederlande – von David, der Goliath niederstreckt und von Mose, der die Israeliten aus Ägypten führt, im Triumph empfangen. Ebenso wurde 1594 sein Sohn Moritz mit einer öffentlichen Aufführung des triumphalen Einzugs Davids in Amsterdam empfangen.938 Joost van den Vondel (1589–1679) erinnert sich, als Kind an einer Schulaufführung eines Dramas über David und Goliath in Utrecht teilgenommen zu haben.939 Ein zweites für das Theater der Niederlande eigentümliches Element sind die ‚Rederijker‘ (Rhetoriker). Diese, den deutschen Meistersingern zu vergleichen, organisierten sich am Ende des Mittelalters als Kammern und führten ihre Künste in Wettbewerben vor.940 Die Rederijker-Kammern vertraten in der Reformationszeit z.T. den evangelischen Glauben und gestalteten entsprechend auch Spiele, allerdings aufgrund von Repressionen und Zensur in eher zurückhaltender Form.941 Die erste reformierte Nationalsynode der Niederlande im Jahre 1578 in Dordrecht sprach sich gegen öffentliche Aufführungen geistlicher und biblischer Dramen aus. In dem unter „Particuliere Vraghen“ – es lag eine Anfrage vor – protokollierten Beschluss wird darauf verwiesen, dass diese Praxis weder in Israel noch in der Kirche der Apostel geübt worden sei. Da die Verfasser solcher biblischer Dramen über kein genügendes Wissen über die Grundlagen des christlichen Glaubens verfügten, seien Verfälschungen der Lehre zu befürchten. Darüber hinaus wird die Darstellung biblischer Geschichten als Profanation des Wortes Gottes empfunden.942 Diese Bestimmung ist, wie schon das Stichwort „rhetoryke spelen“ zeigt, offensichtlich gegen die Rederijker gerichtet, denen als Laien die nötige theologische Qualifikation abgesprochen wird. Während im französischen Protestantismus auch Pastoren zu den Autoren von Dramen zählten, war dies offenbar in den Niederlanden nicht der Fall. Die Arbeit der Rederijker wird als illegitime Usurpation der Bibel und wohl auch als Konkurrenz wahrgenommen. Eine zweite in diesem Beschluss 938 Vgl. ebd. – Zu den ‚lebenden Bildern‘ vgl. Heinz Kindermann, Theatergeschichte Europas. Bd. II. Das Theater der Renaissance, Salzburg 19692, S. 217f. 939 Vgl. Mieke B. Smits-Veldt, ebd.. 940 Zu den Rederijkern vgl. Kindermann, a.a.O., S. 215ff. 941 Vgl. a.a.O., S. 224f. Vgl. ferner Cornelis Augustijn, Art. ‚Niederlande‘, TRE 24, S. 478: „Die volkstümlichen Aufführungen der rederijkers (Rhetoriker) geben das religiöse Erleben der gebildeten Laien wieder, oft mit Betonung der Bedeutung des Glaubens...; ihre religiöse Interpretation ist kaum angegangen worden.“ 942 Die Akten der Synode sind ediert durch W. van ’t Spijker, Acta Synode van Dordrecht 1578, in: De Nationale Synode van Dordrecht 1578, hrg. v. Doede Nauta u.a., Amsterdam 1978, S. 142–184. Die Bestimmung zum geistlichen Theater umfasst Frage 26 der „Particuliere Vraghen“, S. 173: „Oft men gheestelicke comedien ende tragedien voor den volcke in rhetoryke spelen magh? Antdw. Nademael dese ghewoonte noyt in de Israelitische ofte Apostolische Kercke gheweest is ende vele ongheschicktheden daeruut volghen ende het oock openbaer is dat de facteurs der selver dickwils de fundamenten der christelicker religie niet ghenoegh verstaen, waer uut met recht ghevreest wordt dat vervalschinghe der leere soude moghen volghen, dewijle het oock is een ontheylighinghe van het Woordt Gods, soo behoort men te aerbeyden dat se soo vele moghelick is gheweert ende alle lidtmaten der kercken affgheraden worden.“



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erkennbare Linie geht aber von einer grundsätzlichen Ablehnung geistlicher Aufführungen unabhängig von deren Organisatoren aus. Man hält diese in Bezug auf das göttliche Wort für unangemessen und Verwirrung stiftend. Zur Unterdrückung des Rederijker-Dramas aber fehlte der Synode jegliches Mittel. So führten diese auch am Ende des 16. Jahrhunderts und zu Anfang des 17. Jahrhunderts neben anderen Stücken weiter biblische Sinnspiele auf. Bedeutende Verfasser waren Abraham de Koninck und Jans Colm.943 Im 17. Jahrhundert gab es durchaus noch Aufführungen biblischer Dramen im Rahmen des öffentlichen Theaters.944 Nicht unter Kritik standen die Schulaufführungen, die weiter durchgeführt wurden. Ein Beispiel sind die aus den Jahren 1594 und 1595 belegten Aufführungen von Bezas ‚Abraham sacrifiant‘. Der den Remonstranten zugehörende Hugo Grotius verfasste biblische Dramen, ebenso der auf der Seite des Gomarus stehende Daniel Heinsius.945 Doch kam es in der reformierten Orthodoxie unter dem Einfluss des Puritanismus und schließlich des Präzisismus, wie er in Gisbert Voetius personifiziert ist, zu einer radikalen Ablehnung des Theaters.

3. Die weitere Entwicklung a) Johann Jakob Breitingers Theaterkritik Im Jahre 1623 verfasste Johann Jakob Breitinger, Antistes in Zürich, einen Traktat ‚Bedencken von Comoedien oder Spilen‘, in dem er eine dezidiert theaterkritische Haltung vortrug. Dieses Werk wurde kurz darauf ohne Angabe des Verfassers gedruckt. Veranlasst war es durch das Spielbegehren junger Zürcher Studenten, die unter Berufung auf das reformatorische Schuldrama diese Spielpraxis bewahren wollten – 1621 war eine ‚Esther‘

943 Vgl. Kindermann, Theatergeschichte Europas. Band III. Das Theater des Barock-Zeitalters, Salzburg 19672, S. 248; vgl. S. 245. 944 So brachte der große niederländische Dramatiker Joost van den Vondel (1587–1679), der, täuferischer Abkunft, 1641 zum Katholizismus konvertierte, einige biblische Dramen auf die Bühne. Zu van den Vondel vgl. Kindermann, a.a.O., S. 250f. Die Aufführung seines Stückes ‚Pascha‘ durch eine protestantische Rederijker-Kammer im frühen 17. Jahrhundert erwähnt Mieke B. Smits-Veldt, a.a.O., S.67f. Dabei wurde die Befreiung Israels aus der ägyptischen Sklaverei mit der Befreiung der Niederländer parallelisiert. 945 Zu den biblischen Dramen von Grotius (‚Adamus exul‘ 1601; ‚Christus patiens‘ 1610, basierend auf Gregor von Nazianz’ gleichnamigem Drama; Sophompaneas [= Joseph] 1635) und Heinsius (‚Herodes infanticida‘ ca. 1611, erschienen 1632), vgl. Jan Bloemendal, Senecan Drama from the Northern and Southern Netherlands: Paganization and Christianization, NAKG 81 (2001), S. 39ff. 1602 schrieb Heinsius eine Tragödie ‚Auriacus‘ über die Ermordung Wilhelms von Oranien. Zu Heinsius vgl. Karl Felix Halm, Art. ‚Heinsius, Daniel‘, ADB 11, S. 653–656.

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290 Grundlegung aufgeführt worden –, bei den Pfarrern aber auf Widerstand stießen.946 Daraus erhellt, dass es in Zürich zu dieser Zeit noch Verteidiger des Schultheaters und des geistlichen Dramas, allerdings auch eine theaterkritische Stimmung in der Pfarrerschaft gab. Breitingers Antwort auf dieses Bestreben ist von heftiger Polemik geprägt. Thomas Brunnschweiler hat den Traktat unter Berücksichtigung seiner rhetorischen Struktur in sorgfältiger Weise untersucht, so dass es hier genügt, die wichtigsten Argumente darzubieten. Grundsätzlich gilt nach Breitinger, dass das Theater in der Bibel weder empfohlen, noch als Mittelding freigegeben sei – was für seine Tolerierung notwendig gewesen wäre.947 Dazu kämen die eindeutigen Zeugnisse der Kirchenväter.948 Da die Befürworter der geistlichen Dramen auf der Unterscheidung und einem deutlichen Gefälle zwischen antiken heidnischen Dramen und christlichen Dramen insistieren, ist Breitinger gezwungen, diese Unterscheidung zu destruieren bzw. für irrelevant zu erklären.949 Er geht diese Aufgabe mit einem Kunstgriff an, indem er das Bilderverbot als Vergleichspunkt heranzieht: Beide Artikel, der von den Bildern und der von den Komödien – womit er suggeriert, es gebe analog zum Bilderverbot einen Komödienartikel –, seien verwandt.950 Wie nun das Bilderverbot sowohl die Bilder der Heiden, mit denen Götzen verehrt würden, als auch diejenigen der Christen, mit denen man vermeine, den wahren Gott zu verehren, verwerfe, so seien auch bei den Komödien sowohl diejenigen der Heiden als auch diejenigen der Christen obsolet.951 In letzteren würden nämlich die Taten Gottes auf die Weise gespielt, wie in ersteren die Untaten der Götter gespielt worden seien.952 Das Medium, geprägt durch seine heidnische Herkunft, vermag also nur die christliche Botschaft zu verfälschen, oder kurz: Die fremde Form muss zwangsläufig den Inhalt in ihrem, dem heidnischen Sinne verändern. Entsprechend ziele auch das Bilderverbot auf das Verbot 946 Vgl. Brunnschweiler, a.a.O., S. 154f. – Zu Breitinger vgl. ferner Helmut Meyer, Art. ‚Breitinger, Johann Jakob‘, RGG4 1, Sp. 1744f. 947 Vgl. Breitinger, in Brunnschweiler, a.a.O., S. 10,9ff (A 5b). 16,16ff (A 8b). 948 Vgl. Breitinger, a.a.O., S. 17f. (B 1a–b); dazu Brunnschweiler, a.a.O., S. 159. 949 Vgl. Breitinger, a.a.O., S. 18,8ff (B 1b); dazu Brunnschweiler, a.a.O., S. 162. 950 Breitinger, a.a.O., S. 19,13ff (B 2a): „Was ein vnvernünfftiges vnderscheiden gebracht habe für schaden der allgemeinen Christenheit / ist leich zí mercken im articul von Bilderen / welchen disem articul von den Comoedien gar natürlich verwandt ist.“ 951 Breitinger, a.a.O., S. 22,26ff (B 3a–4b): „Eben also / vnd anders nit ists beschaffen mit den Comoedien. Die Comoedien der Heiden sind vnrecht: die Comoedien aber der Christen sind darumb nit recht.“ 952 A.a.O., S. 23,12ff (B 4a): „Also sind die Comoedien der Christen auch nur desto ein grÖssere sünd / darumb daß man vermeinen will / es dÖrffind vnnd kÖnnind die werck deß gesegneten wahren Gottes gehandlet vnd gespilt werden in form vnd gestalt / wie einist gehandlet vnnd gespilt worden die Fablen vnnd Vnthaten der Heidnischen vnd erdichteten Abgoetteren.“ Vgl. auch a.a.O., S. 56,22ff (D 4b), wo Breitinger darauf hinweist, dass auch die Heiden ihre Komödien aus vermeintlicher Frömmigkeit heraus aufführten. Insofern entschuldige es die Christen nicht, wenn sie mit guten Beweggründen ihre Dramen zur Aufführung brächten. Vielmehr dürfe Gott nicht nach eigenem Gutdünken verehrt werden; S. 58,7 (D 5b).



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des Bildes selbst, nicht auf einen etwaigen falschen Umgang mit dem Bild. Missbrauch könne es nur geben bei einer an sich guten Sache. So muss der Schluss gezogen werden, dass wie das Bild selbst so auch die Komödie selbst zu verwerfen ist, nicht nur ein Missbrauch derselben.953 Die Komödie resp. das Schultheater wird auf diese Weise, auf dem Hintergrund der Einbettung des antiken Theaters in den heidnischen Kult, in die Nähe der Idololatrie gestellt.954 Die Kirche, so fährt Breitinger fort, bedürfe keiner besonderen Schauspiele, da die Geschichten der Bibel die Schauspiele der Kirche seien. Entsprechend hätten die Kirchenväter die heidnischen Schauspiele nicht durch christliche ersetzt; vielmehr wollte Gott sein Wort nur durch Lesen und Predigen dargeboten haben.955 Es folgen als theaterkritisch interpretierte Stellen aus einem heidnischen Autor, Cicero, und einem zeitgenössischen Theoretiker der Politik, Jean Bodin.956 Statt der Komödien empfiehlt Breitinger in polemischer Weise ‚mannhafte‘ und nützliche Dinge, insbesondere Wehrerziehung, Mathematik und Geometrie.957 Besondere Polemik bringt er gegen die Jesuiten vor, deren Taktik es sei, alle möglichen Rollen einzunehmen, sich zu verkleiden, um Protestanten vom Glauben loszureißen. Auch mit dieser Bemerkung versucht er das Theater als solches zu desavouieren, indem er das Jesuitentheater auf das theatralische Wesen der Jesuiten, denen es eigen sei sich zu verstellen, zurückführt. Ihre Theaterpraxis spiegelt ihr böses Wesen – und ist von daher zu verwerfen.958 Zugleich kann Breitinger auf diese Weise das eigene konfessionelle Profil schärfen: „... so sol der Jesuiten beyspil / vns grad eben von deßwegen den lust zun Comoedien außnemmen / damit wir auch dißfahls mit disem so blítgirigen Orden nichts gemein habind.“959 Theaterfeindlichkeit soll so ein Signum des Profils der reformierten Kirche werden. Eine der Hauptschwierigkeiten, die sich Breitinger stellten, war diejenige, wie mit theaterfreundlichen Äußerungen und Verhaltensweisen prominenter Vertreter der Reformation umzugehen sei, deren Aussagen oder Handlungen er nur für falsch halten konnte, deren Autorität er aber keinesfalls zu untergraben gedachte.960 Breitinger konzediert die – s.E. nur anfängliche – Befürwortung des Theaters, geht aber dabei durchaus selektiv vor. So verschweigt er, dass Bullinger ein Stück schrieb und sich auch theoretisch zum Drama 953 Vgl. Breitinger, a.a.O., S. 23,21–24,20 (B 4a–b). Er schließt: „Daher kompt es / daß Gott nit verbotten der Bilderen mißbrauch / sonder die Bilder selbs / als welche bey dem Gottsdienst ohne sünd nit gebraucht werden kÖnnend / also ist verbotten nit der Comoedien mißbrauch / sonder die Comoedien selbs.“ Vgl. dazu Brunnschweiler, a.a.O., S. 163. 954 Vgl. Brunnschweiler, a.a.O., S. 163f.; 176. 955 Vgl. Breitinger, a.a.O., S. 28,5ff (B 6b); 30,24ff (B 7b); 31,9ff (B 8a). 956 Vgl. a.a.O., S. 32f. (B 8b–C 1a); s. dazu Brunnschweiler, a.a.O., S. 164ff. 957 Vgl. Breitinger, a.a.O., S. 34,1ff (C 1b). 958 Vgl. a.a.O., S. 35,4–36,24 (C 2a–b); s. dazu Brunnschweiler, a.a.O., S. 167. 199. 959 Breitinger, a.a.O., S. 36,19ff (C 2b). 960 Vgl. Brunnschweiler, a.a.O., S. 168. Breitinger setzt sich a.a.O., S. 37–50 (C 3a–D 1a), also recht extensiv mit der Frage auseinander.

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292 Grundlegung äußerte. Zur Lösung der Frage legt er dar, die gelehrten Vertreter der Reformation hätten nur in ihren jungen Jahren die Spiele gebilligt, auch hätten sie sich gezwungen gefühlt, ihren Zeitgenossen Zugeständnisse zu machen; im vorgerückten Alter aber hätten sie infolge fortschreitender Erkenntnis die Dramen verworfen.961 Die Erkenntnis des Gotteswillens sei heute größer als zu Beginn der Reformation.962 Als Gründe für die spätere Ablehnung verweist er auch auf allerlei kuriose Begebenheiten, zu denen es im Rahmen von Aufführungen gekommen sei und die als okkulte Geschehnisse oder göttliche Reaktionen gedeutet werden.963 Brunnschweiler formuliert zusammenfassend: „Der Antistes versucht also mit allen Mitteln, das Schauspiel als zwar entschuldbare, aber nicht minder gefährliche Kinderkrankheit des aufgehenden reformatorischen Zeitalters zu definieren ...“964 Die Schilderung jener als okkulte Geschehnisse gedeuteten Begebenheiten belegt, dass Breitinger davon ausgeht, dass die Rolle die darstellende Person derart prägt, dass es für den Darstellenden unmöglich ist, die Distanz zu seiner Rolle wirklich durchzuhalten; diese wird in seiner Sicht vielmehr völlig aufgehoben.965 Mit diesem Gedanken greift Breitinger die Voraussetzung des protestantischen Theaters an, das gerade keine Illusionierung der Zuschauer beabsichtigte. Werden die Dramen einschließlich der biblischen Dramen damit restlos verworfen, entwickelt Breitinger im Schlussteil seiner Schrift einen positiven Begriff des Schauspiels, den er den fiktionalen Schauspielen gegenüberstellt und als den eigentlichen Begriff des Schauspiels reklamiert. Er verweist auf das Geschehen in der Welt; dieses sei ein von Gott initiiertes Schauspiel, das er bald diesem, bald jenem Land

961 So stellt er etwa Bucer, den er unter dem Titel eines englischen Reformators führt, die gewachsene Erkenntnis, wie sie sich bei William Perkins manifestiere, gegenüber; vgl. a.a.O., S. 38,17–42,5 (C 3b–5b). Für Calvin hält er fest, dieser habe zunächst Komödien wider Willen zugelassen wie Mose die Scheidung, später aber sei ganz darauf verzichtet worden; vgl. S. 42,6ff (C 5b). Bullinger habe nur als junger Mann das Theater befürwortet; vgl. S. 46,22 (C 7b), das Gleiche gelte für Gwalther, der die Komödien infolge seiner poetischen Begabung zeitweise befürwortet habe; S. 47,17ff. 48,10ff (C 8a–b). Schließlich hätten Zwingli und Bullinger (!) in ihren Studienordnungen die Komödien übergangen; vgl. S. 9,8ff.19ff (D 1a). Als positives Beispiel wird zuletzt Petrus Martyr Vermigli genannt; S. 50 (D 1b). Vgl. dazu Brunnschweiler, a.a.O., S. 170. Beza wird von Breitinger nicht erwähnt. 962 Breitinger, a.a.O., S. 58,15ff: „... die erkandtnus GÖttlichen willens diser jetzigen zeit durch Gottes besondere gnad wol grÖsser ist / als sie gewesen domahlen / da die Comoedien in Teutschland zum aller ersten gesehen worden...“ 963 Vgl. Breitinger, a.a.O., S. 51,1–52,18 (D 2a–b). Breitinger berichtet, Darsteller Gottes seien bald verstorben, Darsteller von Personen mit Lastern seien in denselben, etwa in Alkoholsucht, versunken. Der beliebte Topos der Vermehrung der Teufel auf der Bühne erscheint ebenso wie derjenige von Unglücksfällen und Katastrophen in zeitlicher Nähe zu Aufführungen. Vgl. dazu Brunnschweiler, a.a.O., S. 172f. 964 A.a.O., S. 171. 965 Vgl. Brunnschweiler, a.a.O., S. 173.



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vor Augen stelle.966 Das gegenwärtige Geschehen – Hintergrund ist der in Deutschland tobende Dreißigjährige Krieg – mit der Verfolgung von Glaubensgeschwistern bis hin zum Martyrium erscheint ihm als Tragödie, bei der die Bekenner der evangelischen Lehre die Hauptrolle einnehmen und Krieg, Pest, Teuerung u.a. weitere Mitspieler sind. In diesem Schauspiel aber kann es nach Breitinger keine wirklichen Zuschauer geben. Auch diejenigen, die sich im Augenblick noch in der Zuschauerrolle fühlten, hätten bald eine aktive Rolle zu übernehmen. Schon jetzt sei es ihre von Gott auferlegte Pflicht, derer zu gedenken, die in Bedrängnis und Verfolgung lebten, als wären sie selbst die Leidenden. Überdies könne sie das Leiden bald selbst treffen.967 Den verfolgten Glaubensbrüdern, den Protagonisten dieses Dramas, könne man aber nicht mit der Aufführung von Märtyrertragödien und dem aus deren Betrachten resultierendem unechtem Mitleid helfen.968 Vielmehr sei von den die Nebenrollen einnehmenden Zeugen echte Solidarität gefordert, ein Herausgehen aus der Zuschauerrolle durch Wachen und Beten, Bittschriften bei der Obrigkeit, Geldspenden.969 Das heißt, jeder Christ hat in diesem Schauspiel – Breitinger verwendet für das Geschehen mehrfach auch die Kampfmetapher – seine Rolle gemäß seiner Berufung einzunehmen. Entsprechend beschließt Breitinger seinen Traktat mit der Versicherung: „Vnd so vnser ein jeder sich fleissen wirt vor Gott vnd der Welt zí praesentieren vnd zívertrÄtten die person eines widergebornen rechtschaffnen Christen / da neherend wir vns vngezweiflet der aller herrlichisten ewig wÄrenden Comoedi in dem Himmelischen Amphitheatro.“970 Erfüllen die Glaubenden in dem gegenwärtigen Drama ihre Rolle als Christenmenschen, so werden sie Teilnehmer der eschatologischen Komödie, des letzten Aktes des Welttheaters sein. In dieser geht es aber nicht mehr um eine 966 Vgl. Breitinger, a.a.O., S. 59,5ff (D 6a). In diesem Zusammenhang zitiert er das Wort 1 Kor 4,9: ‚Wir sind ein Schauspiel geworden der Welt, den Engeln und den Menschen‘, das die verfolgten Glaubensgenossen auf sich anwenden könnten. 967 Breitinger, a.a.O., S. 60,15–21 (D 6b): „Hie erforderet Gottes befelch vnn vnsere pflicht / daß wir bey zeiten gedenckind der gebundnen / als werind wir schon jetzunder mitgebunden... vnd nit wüssen mÖgend wie bald der Actus auch werde an vns sein.“ 968 Vgl. a.a.O., S. 60,22–61,7 (D 6b–7a). Diesen Gedanken nimmt später Rousseau in seiner Auseinandersetzung mit d’Alembert wieder auf; vgl. Karl Hase, Das geistliche Schauspiel, Leipzig 1858, S. 278f. 969 Vgl. a.a.O., S. 61,7–23 (D 7a). Vgl. dazu Brunnschweiler, a.a.O., S. 177f. – S. 186f. resümiert er: „Für den Antistes ist die Welt ein ernstes Trauerspiel … Angelegt ist das Trauerspiel als Märtyrerdrama, … in dessen Zentrum die um ihres Glaubens willen Verfolgten als Protagonisten stehen. Gott selbst inszeniert das Spiel, lässt Krieg, Teuerung und Pest als Personen auftreten. Solange das Weltspiel im Gange ist, erfordert die Solidarität mit den Verfolgten, dass auch die nicht direkt Betroffenen als potentielle Märtyrer jederzeit sich zum Eintritt in den Agon zur Verfügung halten... Das Zuschauen von sicherer Warte aus wird so desavouiert. In Gottes ernstgemeintem Spiel kann und darf der Zuschauer nie der moralischen Dimension entzogen, und damit die Rezeption des Weltspiels eine ästhetische werden. Deshalb ist auch die dramatische Mimesis des Märtyrerschicksals unmöglich, weil das dadurch ausgelöste Mitleid ein ästhetisch-illusionäres bliebe.“ 970 Breitinger, a.a.O., S. 62,13–19 (D 7b).

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294 Grundlegung Handlung bzw. ein Agieren, sondern ausschließlich darum, dass die Teilnehmenden alle Auserwählten aus Juden und Heiden, alle Bekenner und Märtyrer sehen werden, und zwar in ihrem wahren und von Gott verherrlichten Wesen, nicht in angenommenen Rollen.971 Mit diesem – in seinen Voraussetzungen nicht ganz unpelagianischen – Gedanken führt Breitinger auch die patristische Vorstellung, die Geschichten der Bibel seien die wahren, ‚erzählten Komödien‘, in denen sich das Schicksal der Christen spiegele, zu ihrem eigentlichen Ziel: Im Eschaton wird die bis dahin geltende Beschränkung des Zugangs zu den Protagonisten dieser Geschichten auf ausschließliche Wahrnehmung in Gestalt von Literalität, Schrift und Predigt aufgehoben; diese sind nun endlich visuell zugänglich.972 Diese letzte Bemerkung Breitingers bietet damit noch einen weiteren Kritikpunkt am Theater: Der eine Person Darstellende wird nie diese Person ersetzen, wird nie deren Wesen wirklich vollkommen wiedergeben können. Wo aber die Alternative von Darstellung oder Wirklichkeit eröffnet wird, kann die Darstellung nur hoffnungslos unterlegen sein. Bei Breitinger laufen verschiedene Motive der Theaterkritik zusammen und bilden nunmehr ein Ganzes. Der innovative Beitrag des Zürcher Antistes besteht aber nicht nur in der Zusammenführung schon kursierender Elemente, er entwickelt auch eigenständige Gedanken. So ist er es, der eine wirkliche Analogie zwischen dem Gebrauch von Bildern und der Aufführung von Dramen in der religiösen Praxis statuiert. Dabei erkennt er das tertium comparationis in der sinnlichen Vermittlung, die er als in jeder Form dem Wort Gottes gegenüber unangemessen ablehnt.973 Breitingers Konstatieren einer inneren Verwandtschaft von Bild und Drama hebt sich von den zuvor geübten Versuchen, das Bilderverbot für die Theaterkritik zu nutzen, die lediglich in positivistischer Weise darauf verwiesen, dass Gott sein Wort allein als Offenbarungsmittel bestimmt habe, deutlich ab. Zwar verfolgt auch Breitinger diese Linie, die ihren pronocierten Ausdruck in der Aussage findet, Gott dürfe nicht nach eigenem Gutdünken verehrt werden,974 aber er begnügt sich nicht mit dieser. Vielmehr stellt er heraus, dass dem Theater wesensmäßig, von seinem Ursprung her, eine Unfähigkeit inhäriert, das Wort Gottes zu vermitteln, so dass es zwangsläufig zu falscher Erkenntnis führen muss. Die Schlussfolgerung ist naturgemäß die gleiche: Die Christen werden statt an Bild oder Komödie, an das Wort Gottes verwiesen, das allein über Lektüre und Predigt kommuniziert werden darf. Aussagen Wilhelm Farels führt Breitinger fort, wenn auch er davon ausgeht, dass der eine andere Person Darstellende mit der Übernahme dieser Rolle die Distanz zur dargestellten Person verliert und gewissermaßen in ihr aufgeht, was zum Verlust der eigenen Person führt: „Jegliche Übernahme von fiktionalen Rollen, jegliches Sich-Einfühlen in ein dramatisches Spiel führt zur Selbstvergessenheit, zum Vergessen der eigenen Rolle.“975 971 Breitinger, a.a.O., S. 62,17–26 (D 7b). 972 Vgl. Brunnschweiler, a.a.O., S. 200. 202f. 973 Vgl. Brunnschweiler, a.a.O., S. 78. 974 Vgl. Breitinger, a.a.O., S. 58,5ff (D 5b). 975 Brunnschweiler, a.a.O., S. 188.



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Dies kann Breitinger aber nur als Abfall von der durch Gott zugewiesenen Berufung auffassen; von daher muss das Rollenspiel für die Person der Christen radikal verworfen werden. Die jeweilige Berufung muss mit der ganzen Person wahrgenommen werden.976 Diese Gedanken verbinden sich aber bei Breitinger, und darin erscheint wieder ein innovatives Element, mit der Vorstellung vom Welttheater. Er nimmt, damit über Calvin hinausgehend, im Zusammenhang der Diskussion der Theaterfrage die Theatermetapher auf – ein durchaus paradoxer Vorgang, der ohne Zweifel darauf abzielt, vom Begriff des Theaters her die Unmöglichkeit des theatralischen Rollenspiels zu erweisen, d.h. den Begriff des Theaters ausschließlich für Gottes dramaturgisches Handeln mit der Welt zu reservieren.977 Mit beiden Motiven – unbedingtes Wahrnehmen der wirklichen Berufung und Welttheater als Vollzug des göttlichen Drehbuchs für die Welt – sind wir bei der Prädestinationslehre angelangt, die für den Teilnehmer an der Synode von Dordrecht ein konstitutives Element seiner Theologie bildete. Für jedes Subjekt im Weltgeschehen, jeden in diesem Welttheater Mitspielenden ist der jeweilige Ausgang durch das decretum absolutum festgelegt, allerdings kennen die Agierenden diesen Ausgang nicht. Dennoch gibt es für sie zum Wahrnehmen der Person des Christen keine Alternative, denn „... nur in der Selbstvergewisserung, die Rolle des Erwählten möglichst gut zu spielen, kann der Christ auf dem schmalen Grat zwischen Verzweiflung und Hochmut dem himmlischen Amphitheater entgegenschreiten. Der Besitz des Gnadenstandes vermag also nur durch die Bewährung im Welttheater ausgewiesen zu werden.“978 Umgekehrt ist damit jedes Spielen mit anderen Rollen ausgeschlossen, weil und insofern die letzte Identität der eigenen Person – ist sie erwählt oder verdammt? – nicht gesichert ist.979 Dass diese Folgerungen dem ursprünglichen Sinn der Prädestinationslehre nicht gerecht werden, steht auf einem anderen Blatt. Diese Lehre sollte ja gerade jeden Angriff auf die Heilsgewissheit verunmöglichen, indem sie diese am äußersten Punkt fixierte, wo kein Agieren des Menschen oder ein anderweitiges Geschehen sie zu verdunkeln vermag, nämlich in der Ewigkeit Gottes.980 Die 976 A.a.O., S. 175: „Für den Antistes ist der Einsatz der ganzen Person notwendig…“ 977 Vgl. a.a.O., S. 185. Es dürfte angemessener sein, von einer Reservation oder Beschränkung des Theaterbegriffs für Gott zu sprechen als davon, dass das Theater zwar als Bildspender in Anspruch genommen, die Sache an sich aber verworfen werde, wie es Brunnschweiler ebd. tut. Breitinger sieht das von der göttlichen Dramaturgie getragene Welttheater als das eigentliche Theater, bar jeder Scheinhaftigkeit, an, demgegenüber das vom Menschen erdachte Theater noch nicht einmal einen Abklatsch darstellt. Ansonsten bliebe unerklärlich, warum er den Begriff des Theaters überhaupt aufnimmt. 978 A.a.O., S. 190. Mit dieser Auslegung Breitingers durch Brunnschweiler ist der Syllogismus practicus umschrieben, den dieser selbst aber nicht explizit verbalisiert. 979 Vgl. a.a.O., S. 190f. 193f. 980 Vgl. für Calvin die Formulierung Wilhelm Niesels, Die Theologie Calvins, München 19572, S. 171: „Heilsgewißheit ist nach Calvin nur als Erwählungsgewißheit wirkliche Gewißheit des Heils.“ Zuvor äußert er (S. 170), die Erwählungslehre sei „... der letzte und notwendige Ausdruck der evan-

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296 Grundlegung Lehre von der Prädestination sollte klarstellen, dass für das göttliche Urteil über Heil oder Unheil eines Menschen dessen Agieren keine Relevanz haben kann, dass diesem Handeln keine identitätsstiftende Funktion zukommen kann – sei es als Erwählter oder Verdammter. Insofern ist der Fall eines verzweifelt die Rolle eines erwählten Christen Spielenden systemsprengend; er würde gerade das darstellen, was Farel als Verstellen einordnet. Die Prädestinationslehre geht schlicht davon aus, dass der Mensch die Einheit seiner Person durch sein Handeln eben nicht herstellen kann. Dies ist auch Breitinger klar, indessen gibt es keine Alternative dazu, die Menschen aufzufordern, ihr Leben als erwählte Christen zu führen, also vom Status der Erwählung auszugehen, andernfalls wäre auch der göttliche Befehl zum christlichen Tun sinnlos.981 Einen anderen Lösungsweg beschreitet Breitinger, wenn er das irdische Leben als Probe, als göttliche Prüfung charakterisiert, die der Mensch mit seiner Berufung zu bestehen hat. Dabei sieht er dieses Bestehen als von der Hilfe des Heiligen Geistes abhängig an.982 Insofern man voraussetzen kann, dass dem Bestehen in dieser Prüfung bestätigende Bedeutung für den Handelnden zukommt, deutet sich die Lehre vom Syllogismus practicus an, doch benennt Breitinger dieses Theologumenon in seinem Traktat nicht verbaliter. Verfehlt der Zürcher Antistes die ursprüngliche Intention der Erwählungslehre, so ist doch Vorsicht geboten, Gemeinwesen ohne diese Lehre und mit Theaterpraxis als Hort von Freiheit und Rollenexperimenten hinzustellen, demgegenüber Gemeinwesen mit Prädestinationslehre durch diese als Überwachungsinstrument eine rigide soziale Kontrolle ausübten, wie es Brunnschweiler in Kritik Breitingers suggeriert.983 So gewiss dem Spiel eine befreiende Komponente nicht abzusprechen ist, so gewiss muss doch darauf hingewiesen werden, dass auch das Bürgertheater die vorhandenen sozialen Unterschiede im Gemeinwesen widerspiegelte, ja sogar sanktionierte, kam doch dem Spiel in der Frühen Neuzeit wesentlich die Aufgabe zu, das Gemeinwesen zu repräsentieren, so dass dem spielerischen Moment gewisse Grenzen gesetzt waren.984 gelischen Gnadenlehre.“ Vgl. jetzt auch Georg Plasger, Johannes Calvins Theologie, S. 89: „Entscheidende Intention in der Erwählungslehre Calvins ist die Vergewisserung.“ Vgl. a.a.O., S. 95f. 981 Auf „Gottes befelch vnn vnsere pflicht“ verweist Breitinger, a.a.O., S. 60,15f. (D 6b). 982 Breitinger, a.a.O., S. 62,8ff: „Der gnedig getrewe Gott verleihe vns durch den H. Geist / daß wir vns von tag zí tag fertig machind / da es jhme gefallen thete vns auch auff die prob zísetzen...“ 983 Brunnschweiler, a.a.O., S. 194: „Doch gerade diese Macht des Spiels fürchtet Breitinger, da sie nicht nur die Aufrechterhaltung der einzelnen Rollenidentität gefährdet, sondern letztlich jene Kontrolle in Frage stellen könnte, die mittels der Prädestinationslehre ausgeübt wird. Das Spiel überschreitet Grenzen, befreit, spiegelt Möglichkeiten, die nicht vorgesehen sind, misstraut unmittelbaren Evidenzen ...“ 984 Dies wird schon daran deutlich, dass die nicht über das Bürgerrecht verfügenden Einwohner zumeist nicht aktiv am Spiel teilnehmen durften. Vgl. Erich Kleinschmidt, Stadt und Literatur in der Frühen Neuzeit, S. 187. Auch die Platzierung der Zuschauer spiegelte dies je länger je mehr; vgl. a.a.O., S. 222. Für das Bürgertheater des 16. Jahrhunderts gilt ohnehin, dass (a.a.O., S. 225) „der Unterschied zwischen szenischem und alltäglichem Handeln noch wenig Gewicht besaß, da beide



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Fragt man nach den Wurzeln von Breitingers Theaterkritik, so wird man zwar auch auf Calvin und Farel verweisen. Gerade die Gedanken Farels zum Einnehmen einer Rolle systematisiert der Zürcher Antistes und ebenso führt er Calvins Gedanken des Geschichtslaufs als theatrum gloriae weiter und setzt ihn explizit mit dem Theater in Verbindung. Bedeutsamer dürften indessen noch andere Einflüsse sein. Auf der einen Seite ist das Gewicht des in der Entwicklung begriffenen niederländischen Präzisismus und des darin wirksamen englischen Puritanismus nicht zu verkennen.985 Deren Kenntnis führt Brunnschweiler auch auf Breitingers Teilnahme an der Dordrechter Synode 1619 zurück. Für die Einwirkung des Puritanismus auf Breitingers Denken bietet der Zürcher durch sein ausführliches Referat der Argumente des puritanischen Theologen William Perkins (1558–1602) gegen das geistliche Theater ein deutliches Zeugnis. Diese Argumente gruppiert er in vier Punkte: 1) Kurzweil in heiligen Dingen ist nicht erlaubt. 2) Die Schrift ist nur zur Predigt als deren legitimer Auslegung gegeben, nicht zur Präsentation in Schauspielen. 3) Die Darstellung Gottes ist verboten. 4) Es ist noch nie ein Sünder durch ein geistliches Drama bekehrt worden; die Teilnahme an einer Aufführung senkt eher die Bereitschaft zum Hören der Predigt.986 Kern dieser Argumente ist ein Auseinanderrücken von Schrift und Aufführung. Letztere gehört der weltlichen Sphäre an, so dass die Aufführung eines biblischen Dramas notwendigerweise eine Profanierung der Schrift bedeutet. Der Theologe Perkins ist auch insofern für die Analyse von Breitingers Theologie von Bedeutung, als er ebenso von einer strengen Prädestinationslehre ausgeht und das Leben des Christen als Kampf, auch gegen den Zweifel an der eigenen Erwählung, und als Prüfung ansieht – Gedanken, die für Breitingers Theologie konstitutiv sind.987 Die Bewährung des Glaubens kann Perkins als Indiz der Erwählung auffassen.988 Diese Konsequenz, den Syllogismus practicus, bringt Breitinger nicht explizit zum Ausdruck, doch ist es naheliegend, dass er sie vertrat. Das rechte Wahrnehmen der Rolle als Christ auf der Ebene des repräsentativen Agierens in einander übergingen ...“ Vgl. a.a.O., S. 224. – Auf der anderen Seite gelten aber auch die folgenden Aussagen Kleinschmidts, a.a.O., S. 188: „Das dramatische Spiel wurde offenkundig als ein attraktiver Freiraum im sozialen Handlungsgefüge der Stadtgesellschaften empfunden.“ A.a.O., S. 205 (zum Theater der Meistersinger): „Einer machtpolitisch vom Regiment ausgeschlossenen Mittelschicht wuchs hier ein Medium zu, sich wenigstens über ein kontinuierliches Forum im ideologischen Herrschaftsraum der Stadt artikulieren zu können.“ 985 Zur Theaterfeindschaft des Puritanismus vgl. Michael O’Connell, The idolatrous eye: Iconoclasm, Anti-Theatricalism, and the image of the Elizabethan Theater, English Literary History 52 (1985), S. 279ff. 282ff. 986 Vgl. a.a.O., S. 40f. (C 4b–5a); vgl. dazu S. 169. 987 Vgl. Klaus Deppermann, Der englische Puritanismus, in: Geschichte des Pietismus. Bd. 1, hrg. von Martin Brecht, Göttingen 1993, S. 27f., bes. S. 28 die Aussage: „Das Leben des Christen sah Perkins als permanenten Kampf (‚Christian warfare‘) gegen den Zweifel am Ruf Gottes, an der Erwählung, gegen die Verlockung der Sünde, gegen Verzweiflung und Ungeduld in den schweren Prüfungen, die auch dem Frommen wie Hiob auferlegt werden.“ 988 Vgl. a.a.O., S. 29.

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298 Grundlegung wird jedenfalls nicht zu Zweifeln an der Erwählung führen, sondern diese eher zerstreuen helfen, wenngleich eine letzte Gewissheit nicht zu erlangen ist, wie es generell bei den Vertretern des Syllogismus practicus der Fall ist. Auffallend ist auf der anderen Seite, dass in Breitingers Ausführungen Gedanken Platons erscheinen. Im dritten Buch der Politeia fragt Platon, ob es den Wehrmännern der gedachten Stadt erlaubt sein dürfe, sich der nachahmenden Darstellung zu widmen. Diese Frage wird verneint mit der Begründung, wer eine solch wichtige Aufgabe wahrnehme, könne nicht noch darüber hinaus andere Tätigkeiten wahrnehmen; alles müsse auf diesen Dienst zugespitzt sein. Sofern die Wehrmänner nachahmend darstellten, sollten sie tapfere Männer nachahmen, d.h. sie können und sollten nur nachahmen, was ihnen selbst zu sein bzw. zu werden aufgetragen ist. Gänzlich unvorstellbar sei es, dass ein tüchtiger Mann eine Frau darstelle.989 Die Erörterung gipfelt in der Forderung der freundlichen Ausweisung der Schauspieler.990 Was hier als darstellendes Tun konzediert wird, ist allerdings letztlich nicht mehr im Sinne von darstellendem Tun als uneigentlichem Tun zu verstehen. Der Darstellende nimmt keine fremde Rolle, nicht die Person eines anderen, sondern die eigene Person wahr. Auch der Gedankengang Platons geht somit von der Voraussetzung aus, dass die Wahrnehmung einer Rolle von der eigenen Person wegführt, dass diese im Spiel verborgen werden muss – sofern man nicht die eigene Person spielt.991 Diese Gedanken Platons lassen sich leicht christianisieren, wie es bei Breitinger erkennbar ist: Ersetzt man den Wehrmann durch den – im geistlichen Kampf befindlichen – Christen, so ergibt sich: Der Christ hat sich nur seiner Berufung als Christ zu widmen; alles hat sich darauf zu konzentrieren. Wie für Breitinger waren für Platon die Ideale der Tüchtigkeit und militärischen Fertigkeit bestimmend, die im Gegensatz zu der durch das Theater provozierten Verweichlichung stehen.992 Einen weiteren Gedanken Platons, den auch Breitinger bietet, markiert die Aussage, das Leben selbst sei die wahre Tragödie.993 Nun ist nicht unbedingt zu vermuten, dass Breitinger Platon direkt studiert hat, aber die platonische Tradition stand ihm offensichtlich zur Verfügung. Schon für Calvin ist eine gewisse Affinität zur platonischen Lehre beobachtet worden in Bezug auf Schöpfung, Anthropologie und staatliche Ordnung.994

989 Vgl. Platon, Politeia, Buch III, 395 b–d, in: Platon, Werke in acht Bänden, hrg. v. Gunther Eigler, Bd.4, Darmstadt 1990, S. 208. 990 Vgl. a.a.O., 398a, S. 216. 991 Zur Haltung Platons zur mimetischen Dichtung vgl. Rolf Tarot, Mimesis und Imitatio. Grundlagen einer neuen Gattungspoetik, Euphorion 64 (1970), S. 138. 992 Vgl. a.a.O., 395c–d, S. 209. Für Breitinger vgl. Brunnschweiler, a.a.O., S. 167. 196. Sowohl bei Platon wie auch bei Breitinger ist dieses Motiv mit einer Abwertung der Frau verbunden. 993 Vgl. Platon, Nomoi, Buch VII, 817b, in: Platon, Werke in acht Bänden, hrg. v. Gunther Eigler, Bd. 8/2, S. 87. Für Breitinger vgl. Brunnschweiler, a.a.O., S. 186. 994 Vgl. Gerd Babelotzky, Platonische Bilder und Gedankengänge in Calvins Lehre vom Menschen, Wiesbaden 1977.



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Für Breitinger stellt schon das Abfassen von biblischen Dramen einen illegitimen Umgang mit der Bibel dar.995 Der totale Verzicht auf das Theater, auf das weltliche wie das geistliche, auf das Aufführen, aber auch das Abfassen von Dramen wird damit als konfessionelles Kennzeichen verstanden, mit dem sich die reformierte Kirche von den anderen, insbesondere der römischen Kirche abhebt. Ohne Zweifel stellt Breitingers Traktat den Kulminationspunkt der Theaterkritik im reformierten Bereich dar.

b) David Wetters Sicht des Theaters Als letztes Zeugnis der Diskussion um das Theater innerhalb des reformierten Teils der Reformation sei auf einen Traktat des Rektors des Gymnasiums von St. Gallen, David Wetter, verwiesen, auf dessen 1629 in Basel gedruckten ‚Discursus exhibens tres sermones de Comoediis: Quorum primus Comoedias laudat, Alter vituperat et damnat, Tertius distincte respondet‘. Die bloße Existenz dieser Schrift zeigt, dass das Theaterspielen zu dieser Zeit in St. Gallen nicht mehr selbstverständlich war, nicht nur weil Argumente pro und contra gegenübergestellt werden, sondern auch dadurch, dass der Traktat aus drei declamationes d.h. Schulreden besteht, die im reformierten Bereich von Calvins Schulordnung her den Ersatz für die Schultheateraufführungen bildeten. Dieses Genus bringt es auch mit sich, dass die Frage von Theateraufführungen in schulmäßiger Weise angegangen wird. Die Abfassung des Traktats belegt aber ebenso, dass das Thema des Theaters noch diskurswürdig war. Dass dabei eine gewisse Intensität der Ausführungen zu beobachten ist, ist in gleicher Weise ein Indiz dafür, dass die Frage des Theaterspielens nicht völlig abseitig und erledigt war, sondern durchaus kontrovers behandelt werden konnte. Dafür sprechen besonders die in der letzten Rede zur Sprache gebrachten vorsichtigen Voten zugunsten des Theaters. Der erste Redner verweist auf den St. Gallener Theologen, Mitreformatoren und Nachfolger Joachim Vadians, Johannes Kessler (ca. 1502–1574), der als Lehrer der Heimat noch das Schultheater geübt und um der Ganzheitlichkeit der Praxis willen geschätzt habe.996 Gegenüber dem Vorwurf der Darstellung verwerflicher Inhalte weist der Redner darauf hin, dass heute biblische Geschichten den Stoff bilden würden.997 Nach Erwähnung von Würdigkeit und Alter des Theaters verweist er auf die Dramenschreiber Reuchlin, Frischlin, Buchanan, Schonaeus und auf die dem Theater wohlwollend gegenüberstehenden Theologen Bucer, Bullinger, Gwalther und Viret (!), die auch Aufführungen beigewohnt hätten.998 Die Komödie definiert er als belebte Rhetorik, die ein Bild des Lebens 995 Vgl. Brunnschweiler, a.a.O., S. 176. 996 Discursus exhibens tres sermones de Comoediis: Quorum primus Comoedias laudat, Alter vituperat et damnat, Tertius distincte respondet. Autore Davide Wettero, Gymnasii Sangallensis Rectore, Basel 1629, S. 3. 997 Vgl. a.a.O., S. 4. 998 Vgl. a.a.O., S. 5.

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300 Grundlegung wie in einem Spiegel darstelle.999 Intention dieser Praxis sei, die Zuschauer zum Erlernen von Tugenden und zum Meiden von Lastern zu führen, ebenso ziele sie auf Religion und ehrenvolle Erholung.1000 Zwar sei zu konzedieren, dass die Darstellung einer anderen Person und einer fremden Geschichte einen Betrug bedeute, es handele sich dabei aber um einen heilsamen Betrug.1001 Vorteil des Theaters sei, dass es alle Wissenschaften beinhalte, dass es sich an alle Menschen, egal welchen Alters, Standes, Geschlechts oder Volkes richte, schließlich dass es etliche Untugenden korrigiere. Vermöge schon die Rede viel, so das Theater nicht weniger.1002 Ursache dessen sei die Visualisierung des Themas, wodurch das Theater eine größere Wirkung als die Rede erziele.1003 Gegen den Vorwurf der heidnischen Herkunft des Theaters setzt der Redner die altkirchliche, auf Origenes zurückgehende Typologie der ‚spoliatio Aegyptiorum‘ aus Ex 12,35f., nach der Israel auf göttlichen Befehl die Gerätschaften der heidnischen Ägypter zur Benutzung an sich nahm, womit er die Legitimität der Aufnahme heidnischer Kulturgüter durch die Kirche erweist.1004 Auf den – bei Farel und Breitinger erscheinenden – Kritikpunkt, der Christ solle seine Berufung 999 Ebd.: „Est enim Comoedia, viva quaedam et animata Rhetorica, civilis privataeque vitae imaginem velut in speculo repraesentans.“ 1000 Vgl. a.a.O., S. 6. 1001 Ebd.: „… sic ea [sc. die comoedia] spectatorum animis insinuat, ut salutari quadam fraude mentem et intellectum decipiat ...“ 1002 Vgl. a.a.O., S. 7f. In diesem Zusammenhang gibt der Redner S. 8 eine Anekdote über Friedrich den Freidigen, Markgraf von Meißen (1257–1323) wieder, der in Eisenach einer Aufführung eines geistlichen Spiels von den fünf klugen und fünf törichten Jungfrauen beigewohnt habe, die seinen Glauben an die Wirkung der Anrufung der Heiligen – die klugen Jungfrauen, zu denen im Spiel auch Maria gehört, hätten das Ansinnen bzw. die Bitte der törichten Jungfrauen abgelehnt, für sie vor Gott einzutreten und ihnen so zum Eintritt in die Seligkeit zu verhelfen – erschüttert habe, mit der Folge dass er einen Schlaganfall erlitt, der schließlich zu seinem Tod führte. Zuvor habe der Markgraf geäußert (ebd.): „Quid est ... fides nostra Christiana, si neque Maria, neque alia Sancta exorari potest, ut deprecetur pro nobis?“ Nach Wetters Traktat lehnen die klugen Jungfrauen also die Fürbitte ab, lassen sich nicht zu ihr erweichen. Die Zeugnisse über die Aufführung aus Chroniken sagen hingegen aus, die törichten Jungfrauen bzw. die Sünder hätten durch Gebete an Maria und die anderen Heiligen keine Gnade für sich finden können. Gott habe sein Urteil nicht abändern wollen; vgl. Bernd Neumann, Geistliches Schauspiel im Zeugnis der Zeit. Bd. 1, München – Zürich 1987, S. 306f. (Nr. 1481–1483). Wetter trägt also in gewisser Weise schon die reformatorische Sicht ein. Die Anrufung der Heiligen wird bereits im Vorfeld als unmöglich und unnütz erwiesen. Die Heiligen selbst lehnen schriftgemäß diese Praxis ab. Zu der Begebenheit vgl. Konrad Sturmhoefel, Illustrierte Geschichte der Sächsischen Lande und ihrer Herrscher. I. Band 1. Abteilung, Leipzig o.J., S. 378f. 1003 A.a.O., S. 9: „Aspectus rei ipsius vel personae plus saepe valet prolixa et nervosa oratione.“ Ebd.: „Nam historiae per concionatorem ex Sacris libris pro suggestu praelectae et explicatae, aures quidem populi personabant, postea vero per personas in Actibus scenicis expressae, non aures tantum verberabant, sed oculos etiam, adeoque per duos hos sensus ceu canales in corda sensim fluxerunt, et ad veritatem permoverunt.“ 1004 Vgl. a.a.O., S. 10.



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nicht verlassen und keine andere Person annehmen, entgegnet er, auch die Engel nähmen zuweilen andere Gestalt an.1005 Darstellung von Obszönem lehnt er ab. Die Gegenrede bietet zunächst antike Gegner des Theaters wie Plutarch und das Beispiel von theaterfeindlichen Städten auf.1006 Um so unverständlicher ist es für den Redner, dass die nicht auf das Licht der Natur allein angewiesenen Christen auf das Theater hereinfielen. Das Lesen von Stücken sei ungefährlich, nicht aber das Spielen. Es beeinflusse die Moral in negativer Richtung, über kurz oder lang gewöhne sich der lasterhafte Menschen Darstellende an deren Handeln, präge er einen schlechten Habitus aus. Der Einfluss eines dargestellten schlechten Handelns sei viel stärker und nachhaltiger als der eines dargestellten tugendhaften Tuns.1007 Der Redner bemüht auch die alten Vorurteile gegen die Schauspieler, deren Darstellung tugendhafter Personen aufgrund ihres sonst andersartigen Verhaltens nur als unglaubwürdig gelten könne.1008 Undenkbar sei, dass ein Drama das Volk bilden oder gar an Stelle der Predigt stehen könne; weder in der Bibel noch bei den Kirchenvätern seien jemals Aufführungen vorgesehen gewesen.1009 Gegen den Einwand der Befürworter des geistlichen Dramas, es reiche nicht, wenn eine Geschichte der Bibel nur vom Prediger ausgelegt werde, sie müsse auch sichtbar vor Augen geführt werden, setzt er das paulinische ‚fides ex auditu‘ – nicht ohne seinen Gegnern, die auf dem Nachvollziehen einer Geschichte beharren, in Bezug auf das Opfer Christi eine auf die tridentinische Eucharistielehre anspielende Formulierung unterzuschieben.1010 Als große Gefahr der Darstellung biblischer Geschichten sieht der Redner, dass die Zuschauer von der Darstellung her über die Schrift urteilen und sich damit letztlich über die Schrift stellen würden, deren Autorität so zwangsläufig leiden müsse.1011 Nach weiteren moralischen Vorwürfen gegen die Theaterpraxis – gipfelnd in der Gleichsetzung von Komödie und Götzendienst1012 – folgt ein Lob der reformierten Kirche Frankreichs, die dieser Praxis, auch durch Maßnahmen der Kirchenzucht gegen Zuschauer von Aufführungen, ein Ende gesetzt habe.1013 Dass bekannte Theologen wie Bucer, Bullinger oder Gwalther das Spielen zugelassen und an diesen teilgenommen, ja sogar Dramen verfasst hätten, lasse sich, so der Redner, aus der Situation der beginnenden Reformation erklären, in der bild1005 Vgl. a.a.O., S. 10f. 1006 Vgl. a.a.O., S. 13. 1007 Vgl. a.a.O., S. 14f. Die Erlaubnis der Nutzung von Dramen als Lesedramen wird auch S. 19 ausgesprochen. 1008 Vgl. a.a.O., S. 16. 1009 Vgl. ebd. 1010 Vgl. a.a.O., S. 17. Die Position der Gegner umschreibt er mit den Worten: „Ita Christus frustra praedicatur crucifixus, nisi quotidie sub alterius persona ligno affigatur.“ Die Befürworter des geistlichen Theaters, so führt er weiter aus, seien dem ungläubigen Thomas vergleichbar. 1011 Ebd.: „… ex persona infami de scriptura judicat, cujus autoritatem hoc ipso vilescere necesse est.“ 1012 Ebd.: „Praeterea non video, quid sit discriminis inter Idololatriam et Comoediam (ut vocant) sacram, nisi quod ibi bruta et muta, hic viva Idola admiremur!“ 1013 Vgl. a.a.O., S. 18.

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302 Grundlegung lich gesprochen die Sonne aufgegangen sei, zugleich aber noch starker Nebel geherrscht habe. Sie seien auf der Suche nach einer geeigneten Form gewesen, aus heutiger Perspektive würden sie diese Haltung keinesfalls mehr vertreten; ihre frühere Einstellung wäre ihnen in der Gegenwart eher peinlich.1014 Als Gewährsmänner nennt der Redner den puritanischen Theologen William Perkins und Johann Jakob Breitinger.1015 Er schließt mit dem Hinweis, die Sinne seien nicht zum Laster der Ablenkung gegeben, Gott habe sie vielmehr zu dem Zweck verliehen, dass sie seine Lehre empfingen, aber auf die Weise, wie er es angeordnet habe. Wolle man Beispiele heiliger Männer hören und sehen, wende man sich der heiligen Schrift zu.1016 Diese wird als Anleitung zur Gottesfurcht und als Begleiterin auf dem Weg der persönlichen Frömmigkeit empfohlen. Die letzte Rede – man wird nicht fehlgehen, in ihr die Haltung des St. Gallener Rektors vertreten zu sehen – bietet nicht nur in den ersten Abschnitten ein unsicher wirkendes Lavieren zwischen beiden Positionen. Auf das Theater zu verzichten, sei dem Menschen würdiger, sei er doch zum Eingehen in den Himmel berufen. Auch sei es angemessener, die wirkliche Welt mit ihrer Schönheit zu betrachten als eine künstlich gemachte, gemalte oder mit Masken bekleidete. Auf der anderen Seite bedürfe der Mensch in diesem Leben aber auch der Erholung und Ergötzung.1017 Aufgrund dessen billigt der Redner die Aufführungen von Dramen, allerdings mit Einschränkungen. So dürften Aufführungen nicht beliebig sein, weder in Bezug auf die Stücke und die zugrunde gelegten Stoffe, noch in Hinsicht auf die Darsteller, noch hinsichtlich des Aufführungszeitpunktes.1018 Räumt er dies ein, bekundet er gleichwohl umgehend, selber Scheu zu haben, der Aufführung einer Komödie beizuwohnen, einerseits da der Unmoral Möglichkeiten eröffnet würden, besonders aber weil die Gefahr bestehe, dass Heiliges durch Profanes befleckt werde.1019 1014 Vgl. a.a.O., S. 18f.: „Ipsi [sc. die Theologen Bucer, Bullinger, Gwalther, Vater und Sohn Keßler, ebenso Reuchlin] autem, si nunc e sepulchris prodirent, nosque suos filios his Crepundiis delectari viderent; si denique tot damna ex Comoediis illata usu didicissent, citra controversiam, quod antea sub primo Euangelii velut resurgentis diluculo, cum adhuc quaedam nebulae sylvis et vallibus inerrarent, probarunt, jam Sole medium Coeli iter carpente discußis nebulis, carbone obducerent.“ – Den St. Gallener Theologen Johannes Kessler (ca. 1502–1574) und dessen Sohn Josua hatte bereits der erste Redner S. 3f. als Verfasser geistlicher Dramen und Befürworter von Aufführungen erwähnt. – Das Argument erschien in ähnlicher Gestalt schon bei Breitinger; vgl. Brunnschweiler, a.a.O., S. 58: Die Gotteserkenntnis sei jetzt größer geworden als zu Beginn der Reformationszeit. 1015 Vgl. a.a.O., S. 19. 1016 A.a.O., S. 20: „… hi duo sensus, oculorum puta et aurium, non sunt ad vitium detorquendi, qui nobis ideo dati sunt, ut doctrinam DEI, modo, quo praescripsit, percipiamus. Itaque si voluptas est, audire et videre exempla Virorum sanctorum, Sacras literas adi, has vide, has interroga, has audi, nihil hic fuci, nihil periculi, hic est ipsa Veritas, comes et socia pietatis.“ 1017 Vgl. a.a.O., S. 21. 1018 Vgl. a.a.O., S. 22. 1019 A.a.O., S. 22: „Fateor ingenue, a Comicis actionibus vehementer me abhorrere, tum, quia lasciviae fenestram aperiunt; tum maxime, quod sacra prophanis coinquinent.“ Der Konjunktiv im zweiten Nebensatz indiziert, dass der Redner diese Behauptung zurückhaltender vorbringt.



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Eine Übung, durch die der Mensch besser werde, sei zu loben; diese ehrenvolle Erholung sollte aber einen neuen Namen erhalten. Statt der Namen ‚Komödie‘ und ‚Tragödie‘, die aus der Christenheit entfernt werden sollten, schlägt der Redner aufgrund der Nähe des Theaters zur Rhetorik den Terminus der ‚Prosopopoiie‘ vor, bei der es sich um die rhetorische Übung handelt, in der nichtpersonhafte Dinge oder Tote als sprechende und handelnde Personen eingeführt werden.1020 Hinsichtlich der Materie trifft der Redner einige Festlegungen. Werde weltlicher Stoff zugrunde gelegt, sei Vorsicht gegenüber Anstößigem geboten. Maßstab müsse sein, dass die Aufführung ehrenhaft und nützlich sei, Tugenden befördere. Gut geeignet seien Stoffe, die die Vergänglichkeit, die Unbeständigkeit des Glücks, das Staatswesen und die Erziehung thematisierten.1021 Dabei sei die Darstellung gewisser, nicht justiziabler Laster wie Heuchelei, Geiz, Zorn und Hochmut als abschreckendes Beispiel erlaubt, zumal auch die Schrift derartige Beispiele darbiete. Ausgeschlossen sei hingegen die Zurschaustellung von Ehebruch, Mord, Raub und Lästerung.1022 Das Ziel der Darstellung von Lastern bestehe darin, den Zuschauern zu helfen, unter dem Mantel der Tugend auftretende Laster zu entlarven. Biblische Dramen lässt der Redner ausdrücklich zu, wobei er als deren Intention erstaunlicherweise ausschließlich die Übung in der lateinischen Sprache angibt.1023 In Bezug auf die Darstellenden schließt er alle in öffentlichen Funktionen Stehenden, alle Handwerker sowie ältere Menschen, Familienoberhäupter und Verheiratete sowie alle Frauen aus, so dass als Darsteller für Aufführungen nur jüngere Schüler und als Ort die Schule in Betracht kommen.1024 Die Schüler könnten durch die Aufführungen die ihnen gegebenen Gaben entdecken. Zuschauer seien bei den Aufführungen durchaus willkommen.1025 Billigt der Redner so die Praxis des Schultheaters innerhalb streng zu beachtender Grenzen, so stellt er im Zuge des letzten behandelten Punktes, der Frage nach dem rechten Aufführungszeitpunkt, im Grunde alle vorherigen positiven Ausführungen in Frage. Angesichts der Situation in Deutschland – es herrscht der Dreißigjährige Krieg – seien Aufführungen nicht statthaft. Krieg, Tod und Hunger tobten, die Künste seien ausgelöscht, die Gesetze außer Kraft gesetzt, die Religion ausgelöscht. Es sei einem Menschen unpassend, Vorgaukelung eines ruhigen Friedens, Zerstreuung, Belehrungen über die Wendungen des Schicksals zu suchen, wenn gleichzeitig seine Konfessionsverwandten

1020 Vgl. ebd.; vgl. Holl, a.a.O., S. 103. – Zur Figur der Prosopopoiie vgl. Heinrich Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, München 1960, § 826 (S. 411). 1021 Vgl. Wetter, a.a.O., S. 23. 1022 Vgl. a.a.O., S. 24f. 1023 A.a.O., S. 25: „Ligata tamen oratione, vel dramatico dicendi genere historias biblicas consignare non prohibeo, sed ut ita consignatas sedula lectione in usum suum convertant, Latinae linguae studiosos etiam atque etiam invito … nam ob linguae studium haec actio maxime videtur excogitata.“ 1024 Vgl. a.a.O., S. 26. 1025 Ebd.: „… explorantur et hoc artificio multorum ingenia… Nemo vero cogitet, hanc exercitationem ad Scholas ita me transferre, ut spectaturo populo non detur aditus.“

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304 Grundlegung (concorpores fratres religionis tuae) vertrieben würden.1026 In den folgenden Ausführungen über das Theater und alles, was mit ihm zusammenhängt, geht der Redner allerdings, wie die gebrauchte äußerst negativ qualifizierende Terminologie zeigt,1027 durchaus ins Grundsätzliche. Er nimmt dabei die positiven Aussagen, die er zuvor getroffen hatte, wieder zurück und disqualifiziert das Aufführen und sogar das Abfassen von biblischen Dramen. Dabei fallen wiederum die Vorwürfe, die Teilnahme an einer Aufführung führe von der wirklichen Berufung und von gewichtigeren Übungen und damit von der gegenüber Gott zu erfüllenden Pflicht, von der pietas weg. Statt Aufführungen zu suchen empfiehlt der Redner nun, die Gedanken nach oben zu heben, zu beten und die traurige Seele durch Meditation aufzurichten; dies sei rechte Muße und wirklich fromme Übung.1028 Als letztlich überflüssig werden die Aufführungen gezeichnet, wenn der Vortragende äußert, um sich die Unbeständigkeit des Schicksals zu vergegenwärtigen, solle man in sich gehen und sich selbst betrachten. Ferner solle man zu Hause die Bibel durchgehen sowie die von den Geschichtsschreibern aufgeschriebenen Exempel und die Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts.1029 Anstelle des Theaters wird also die private Bibellektüre und die Beschäftigung mit der Geschichte empfohlen. Gegen das Bedürfnis zu spielen wird schließlich erneut auf den Charakter der Zeit verwiesen, die etwas Trauriges für die Zukunft erahnen lasse und derart qualifiziert sei, dass sie stets Rechenschaft für das vergangene Leben fordere und damit auf die Wiederkunft Christi verweise.1030 Der Redner schließt seine Ausführungen, nicht zufällig, mit einer Aufforderung, unter Ablegen der Person des alten Adams die Person eines treuen Christen zu bewahren.1031 Dies, so muss man folgern, ist für ihn die wahre, eigentliche und einzige Rolle des Christenmenschen. Lediglich der den Lesern eingeschärfte Schlusssatz, die mittelalterliche Sentenz: „Quicquid agis, prudenter agas, et respice finem“1032, verrät eine etwas vorsichtigere Haltung, nach der es dem Leser und der Leserin selbst überlassen bleibt, zu einer eigenen, eigenständig reflektierten Position in der Frage zu kommen.

1026 Vgl. a.a.O., S. 27. 1027 Vgl. ebd., wo von der müßigen und tobenden Masse die Rede ist und davon, dass eine biblische Geschichte in ein Stück verkrüppelt, in geschmacklose Reime gezwungen und in Szenen zerschnitten würde. Narren drückten dann das Ganze mit rohen Possen und schauspielerischen Gesten aus. Dies könne keine sacra exercitatio, kein sanctum institutum sein. 1028 Vgl. a.a.O., S. 27f. 1029 Vgl. a.a.O., S. 28. 1030 Vgl. ebd. Die Formulierung ist verräterisch, der Wunsch nach Aufführungen wird deutlich negativ qualifiziert: „Quod si autem ea te ludendi sitis, et Comoediarum agendarum libido invasit, ut a proposito divelli nolis, parce tamen huic tempori, quod singulis fere diebus triste aliquid praesagit; nec ulla hora praetervolat, quae non aliquam vitae anteactae rationem postulet, et de ultimo CHRISTI adventu concionetur!“ 1031 Ebd. (Forts.): „Hic vide sis, ut veteris Adami abjecta, fidelis Christiani personam tuearis.“ 1032 Ebd. Der Spruch geht auf Sir 7,40 zurück.



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Der Traktat hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Es finden sich in ihm sehr wohlwollende Aussagen zum Theater und zum geistlichen Theater und das Kennzeichen des Traktats ist das lange Abwägen von Argumenten insbesondere in der dritten Rede. Eine gewisse Bewunderung für die Leistungen humanistisch geprägter Dramenschreiber ist nicht zu verkennen. Dennoch ist die Tendenz, trotz der prinzipiellen Zulassung des Schultheaters innerhalb eines engen Rahmens, insgesamt doch eher als theaterkritisch zu beurteilen. Nun wäre es eine Verzeichnung, die Position des letzten Redners, der die ‚Lösung‘ der Frage bieten soll, mit der des zweiten, fundamental theaterkritischen Redners einfach in eins zu setzen – dann wäre die dritte Rede letztlich überflüssig. Dennoch ist auch in dieser Rede ein erhebliches Kritikpotential vorhanden, wie die starken Einschränkungen für das Theater belegen und wie es vor allem der theaterkritische letzte Abschnitt zeigt. Der Discursus als ganzer zeigt, dass die Kritik am Theater in zwei Richtungen geht: 1) Das Theater zieht die Menschen von der gottgegebenen Wirklichkeit ab; 2) es ist kein von Gott gestiftetes Offenbarungsmittel. Hinsichtlich des ersten Motivs ist den Reden deutlich zu entnehmen, dass das Spielen als eine dem Menschen von seiner Bestimmung her zumindest uneigentliche Form des Tuns gewertet wird, insofern dieses nicht seiner zur himmlischen Welt führenden Berufung und der ihm solchermaßen zukommenden Würde entspricht. Derart kann das Spielen höchstens als ein Zugeständnis für dieses vorläufige Leben in Betracht kommen oder besser, eingeräumt werden. Deutlich spiegelt sich somit der Vorwurf wider, das Spielen einer Rolle führe von der wirklichen Berufung, die nicht verlassen werden dürfe, weg, unterstützt durch das Argument, die Person des Dargestellten nehme den Darstellenden derart in Beschlag, dass er dessen Handlungsweisen und -maximen, vorrangig ins Negative, übernehme. Analog ist der Vorwurf, das Theater lenke von der bestehenden wirklichen Welt ab, deren Betrachtung als Schöpfung Gottes unbedingte Priorität haben müsse. Dieser Punkt kommt schließlich auch in dem Gedanken zum Tragen, der für den Verfasser der dritten Rede am Ende ausschlaggebend ist für sein Votum zugunsten eines vorläufigen Moratoriums von Aufführungen. Diese passten nicht in die Situation des Dreißigjährigen Krieges, der demonstriere, wie es wirklich in der Welt zugehe und wie die wirkliche Situation des rechten Christen in der Welt gekennzeichnet sei. Dass damit das geistliche Theater in toto problematisiert ist, erkennt der Redner durchaus folgerichtig. Denn sofern der Krieg nur verstärkt zum Ausdruck bringt, was stets die Welt charakterisiert und generell die Situation des Christen in ihr prägt, ist deutlich, dass die gegen die Durchführung von Aufführungen sprechende Grundsituation letztlich immer gegeben ist. Niemand vermag letztlich festzustellen, dass ein Zeitpunkt vorliegt, an dem keinerlei Verhältnisse vorliegen, die der Durchführung von Theateraufführungen widersprechen. Unfreiwilligen Ausdruck findet der Gedanke, das Theater führe von der realen Welt und der realen Rolle des Christen weg, in dem Topos vom ‚frommen Betrug‘, der in der das Theater befürwortenden Rede vorgetragen wird. Mit diesem kann das Theater und besonders das geistliche Theater bei den Gegnern der Praxis in dieser Zeit nur völlig desavouiert werden, denn der Vorsatz, einen Betrug in geistlichen Dingen, wenn auch in

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306 Grundlegung positiver Abzweckung, zu begehen, muss ihnen gänzlich unstatthaft erscheinen. Zugleich deutet sich damit ein grundsätzliches Problem des geistlichen Theaters an, insofern ein Betrug nur funktioniert, solange er nicht erkannt wird. Ein von vornherein – in diesem Fall von den Zuschauern – durchschauter Betrug mutet hingegen sinnlos an und muss das geistliche Theater über kurz oder lang fragwürdig erscheinen lassen. In Entsprechung müsste der Topos vom ‚heilsamen Betrug‘ auch in Frage stellen, dass es sich beim geistlichen Theater um ein göttliches Offenbarungsmittel handelt. Allerdings wird dieses Argument im Traktat nicht fruchtbar gemacht. Das Theater ist als Offenbarungsmittel weniger deswegen ausgeschlossen, weil es verwerflich oder aus sich selbst heraus ungeeignet wäre, als weil es von Gott nicht vorgesehen und in der Schrift nicht erwähnt ist. Die Argumentation ist an diesem Punkt also eher positivistisch. Die Lehre von Gott soll auf die Weise weitergegeben bzw. empfangen werden, die er selbst bestimmt hat, und das ist die Predigt. Wird eine direkte Verbindung zum Bilderverbot in dem Traktat nicht gezogen, so ist doch zu bemerken, dass die genannte positivistische Argumentation auch bei der Erklärung des Bilderverbots Verwendung findet. Die Konzentration auf die Predigt kann so in analoger Weise zum Ausschluss einerseits des geistlichen Theaters, andererseits des Bildes führen. Die ausschließliche Orientierung an den von Gott bereitgestellten Offenbarungsmitteln bedingt auch die Konzentration auf die Schrift, der sich der Christ direkt, auch in Privatlektüre, zuwenden soll. Deren Autorität ist unbedingt zu schützen, sie wird als verletzlich angesehen, so dass der Gebrauch eines anderen Mediums – auch und gerade, wenn dieses die Schrift aufnimmt – als die Autorität derselben relativierend oder gar unterminierend wahrgenommen werden muss. So ist Wetters Discursus im Endeffekt doch Ausdruck einer theaterkritischen Linie, einer gewiss nicht radikalen Linie, insofern an einigen Stellen eine Sympathie für das Schultheater durchscheint. Möglicherweise sah man sich in St. Gallen gezwungen, der theaterfeindlichen Tendenz Zürichs Tribut zu zollen. Der Discursus belegt jedenfalls, dass die durch Breitinger fünf Jahre zuvor propagierte Fundamentalkritik am Theater im Allgemeinen und am geistlichen Theater im Besonderen in der deutschsprachigen Schweiz wirkte und die von ihm formulierten Kritikpunkte Widerhall fanden, mindestens in der Weise, dass man sich mit ihnen auseinandersetzen musste. Blickt die befürwortende Seite auf die als vorbildlich gewertete St. Gallener Theaterpraxis unter Johannes Kessler und seinem Sohn zurück, so steht die ablehnende Seite unter dem Zwang, die Existenz eines geistlichen Theaters in der Reformationszeit und dessen Billigung und Förderung durch maßgebliche Vertreter der Reformation retrospektiv zu erklären – ohne diese für die eigene Identität unverzichtbaren Vertreter in ein schlechtes Licht zu stellen. Dies gelingt dem Redner, indem er das reformatorische Theater historisierend erklärt und es als typisches Phänomen der Situation des Anhebens einer geschichtlichen Erscheinung, wo manches noch ungeklärt und unüberschaubar ist, einordnet. Die reformatorischen Theologen, so der Redner, konnten noch nicht wissen, dass das, was sie befürworteten, doch nicht empfehlenswert war. Dies stellte sich erst später heraus; ihrerseits lag kein Unvermögen vor. Mit diesem Vorgehen kann der Redner seine grundsätzlich theaterkritische Haltung



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durchhalten. Das geistliche Theater hatte nie ein Existenzrecht, aber dies konnte unter den Bedingungen des religiösen Umbruchs noch nicht erkannt werden. Ebenfalls historisierend, aber in abgeklärterer Weise blickt der französische Protestant Philippe Vincent jenseits des hier betrachteten Zeitraumes im Jahre 1693 in seinem Werk über die Reformation in La Rochelle auf die Aufführung der ‚Maladie de Chrestienté‘ zurück. Er räumt ein, dass obschon die Religion eine zu ernste Sache sei, um gespielt zu werden, Gott damals die Erlaubnis erteilen konnte, dass das Theater spreche, weil diejenigen, die von ihm zum Sprechen berufen worden seien, die Inhaber der Predigtstühle, stumm blieben oder Märchen und Legenden erzählten.1033 Nach der hier vorgenommenen Historisierung ist das geistliche Theater zwar in der Gegenwart obsolet, da das ordentliche Offenbarungsmittel, die Predigt, funktioniert, in der Reformationszeit war es aber infolge des Versagens der Prediger der römischen Kirche durchaus legitim, so dass für diesen Autor in außerordentlichen Situationen Ausnahmen vom Verbot des geistlichen Theaters möglich sind. Vincents theaterkritische Haltung hat also deutlich gemäßigteren Charakter als die radikal theaterkritische Linie Breitingers.1034 Zugleich zeugt sie aber davon, dass zu dieser Zeit die Frage des geistlichen Theaters erledigt ist. Sie wird als Frage einer vergangenen Zeit gewertet, die in der Gegenwart keiner Diskussion mehr bedarf.

4. Ergebnis Überblickt man die hier aufgeführten Notizen und Stimmen prominenter Theologen zur Theaterpraxis aus dem reformierten Teil der Reformation, so lässt sich Folgendes festhalten: Die Ablehnung der Aufführung geistlicher Dramen kann nicht als wesentliches Element dieses Bereichs der Reformation angesehen werden, zum einen weil es eine Einheit, die etwa der Begriff Calvinismus suggeriert, zumindest nicht von vornherein gab, vielmehr handelt es sich um in sich sehr unterschiedlich geprägte Kirchentümer in unterschiedlichen Regionen insbesondere West- und Mitteleuropas, aber auch Osteuropas, die eine je eigene Entwicklung vollzogen haben1035 –, zum andern weil eine solche Ablehnung in den Kirchen der Reformation, die mit den Begriffen ‚reformiert‘ oder ‚calvinistisch‘ zusammengefasst werden, nicht von Anfang an gegeben ist. Im Gegenteil: Sowohl in der 1033 Vgl. Holl, a.a.O., S. 114; Jonker, a.a.O., S. 208 Anm. 2. Vincents Werk hat den Titel ‚Recherches sur les commencements et les premiers progrès de la Réformation en la ville de la Rochelle‘. 1034 Zu anderen radikaleren theaterkritischen Stimmen dieser Zeit, etwa Benoit Pictet, vgl. Jonker, a.a.O., S. 237. 1035 Vgl. Stefan Ehrenpreis, Einleitung: Das Erziehungswesen der Reformierten im Kontext frühneuzeitlicher Kultur und Wissenschaft, in: Heinz Schilling – Stefan Ehrenpreis (Hrgg.), Frühneuzeitliche Bildungsgeschichte der Reformierten in konfessionsvergleichender Perspektive, Berlin 2007, S. 7. 13, der auf die Bedeutung nationaler Besonderheiten im Reformiertentum hinweist.

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308 Grundlegung Schweiz als auch in Frankreich gab es eine reiche Spielpraxis. Wie im Wittenberger Bereich der Reformation bedienten sich auch Vertreter der Reformation in der Schweiz und in Frankreich zunächst ohne Bedenken des Theaters. Dies lässt sich a posteriori nicht generell als unbedachter Eifer einordnen,1036 vor allem weil durch den Humanismus geprägte Theologen das Medium Theater bewusst einsetzten bzw. über seinen Einsatz reflektierten wie Heinrich Bullinger, Rudolf Gwalther, Theodor Beza oder auch ein Henry de Barran, der in umsichtiger Weise die Frage von Aufführungen erörterte. Ist die Ablehnung des Theaters und des geistlichen Theaters nicht als wesentliches, so kann sie nur als historisch zugewachsenes Moment beurteilt werden. Im Laufe der Zeit kommt es sowohl in der Schweiz als auch in Frankreich zu einer zunehmenden Ablehnung des Theaters, besonders von Aufführungen. Dieses Zugewachsen-Sein ist indessen kein völliger Zufall, sondern durchaus in den Grundlagen reformierten Denkens angelegt. Von Anfang an wird im reformierten Bereich stärker auf eine Umsetzung der christlichen Botschaft im Leben des einzelnen gedrängt, der sein Leben als ganzes nach dieser ausrichten, seiner göttlichen Berufung mit seinem Lebenswandel zur Gänze entsprechen soll. Die hohe Bedeutung, die dem Bilderverbot beigemessen wird, zeigt, dass ebenfalls von Anfang an eine höhere Sensibilität gegenüber den Medien des Wortes Gottes festzustellen ist, dass auch entsprechend empfindlicher auf eine mögliche Profanierung des Wortes Gottes reagiert wird. Deutlicher wird hier die Frage formuliert, welche Form und welcher Rahmen dem Wort Gottes angemessen bzw. von Gott selbst zum Gebrauch seines Wortes angeordnet ist. So ist der Dramenschreiber Henry de Barran bereits 1554 in Sorge, die Schrift könne in einer Aufführung profaniert und missbraucht werden. Ein wesentlicher Impetus des Theaters im reformierten Bereich ist im Humanismus zu sehen. Viele Dramen der reformierten Schweiz, aber auch Frankreichs verdanken sich humanistischen Bestrebungen. Ein Zeugnis dessen sind für Oberdeutschland und die deutsche Schweiz auch die Studienordnungen Bucers und Bullingers. Die Relevanz des Theaters in diesen zeigt sich darin, dass das Theater als eigenständiges Thema erscheint. Es wird als ein bedeutsames Mittel für die Erziehung der Jugend angesehen. Die humanistische Hochschätzung des Theaters spricht auch aus den Dramen Gwalthers und Bezas, besonders aus den Vorworten zu diesen. Eine andere Wurzel des geistlichen Theaters der deutschen Schweiz stellt das Bürgerspiel dar. Betrachtet man die im reformierten Bereich der Reformation aufgeführten Stücke, so widerrät der Befund der Auffassung, das Theater habe nur aus taktischen Gründen

1036 Jonker, a.a.O., S. 236, meint, die Reformierten hätten dieses Propagandamittel in ihrem Eifer für die Sache gebraucht, ohne sich zu fragen, ob es auch Gefahren mit sich trage. Für den französischen Bereich mag das der Fall gewesen sein, dennoch verrät es eine Sicht post factum, die in selbstverständlicher Weise von der Unangemessenheit geistlicher Aufführungen im reformierten Bereich ausgeht. In jedem Fall verraten Bullinger und Gwalther ein durchaus überlegtes Vorgehen, wenn sie für das Theater eintreten.



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Verwendung gefunden.1037 Das geistliche Theater etwa in Frankreich hat nicht nur einen propagandistischen, außenorientierten Zweck, es soll ebenso der Tröstung und Stärkung der eigenen Gläubigen in der Zeit der Bedrängnis dienen. Es kommt zur Ausbildung eines eigenen Typus von Drama, dem existentiell motivierten reformierten Bibeldrama. Die Dramenautoren deuten das Ergehen der protestantischen Gemeinde mit Hilfe alttestamentlicher Geschichten. Die verfolgte Gemeinde soll sich mit dem bedrängten Israel identifizieren. Mit den dramatisierten Geschichten wollen die Verfasser die Gemeinden trösten und zur Geduld und zum Durchhalten im Glauben ermahnen. Ebenso ist bei den in der Schweiz aufgeführten Stücken festzustellen, dass die rein polemischen Stücke, die in der Anfangsphase dominieren, mit der endgültigen und dauerhaften Etablierung der reformierten Konfession zurücktreten und auch bei den biblischen Dramen die propagandistische Absicht mehr und mehr in den Hintergrund tritt.1038 Polemik gegen das Papsttum in Form von dramatischen Aufführungen konnte sich dagegen noch an Orten mit Flüchtlingsgemeinden wie in Frankfurt Ausdruck verschaffen, wo im Jahre 1586 eine französische Wandertruppe ein antipäpstliches Stück darbot. Aus politischer Rücksichtnahme unterband der dortige Rat aber forthin Derartiges.1039 Zu der inneren Entwicklung von der Polemik weg trat als äußerer Grund – mit dieser Beobachtung in Frankfurt übereinstimmend – sowohl in der Schweiz als auch in Frankreich das Drängen der Obrigkeit auf Einstellen der konfessionellen Polemik. Ein besonderes Interesse an der Edition polemischer Stücke ist allerdings in Genf wahrzunehmen. Die allgemeine Entwicklung geht jedoch von fiktional-polemischen zu biblischen Dramen mit seelsorglicher Orientierung. Analog erweist es sich als eine falsche Generalisierung, wenn den aus dem reformierten Protestantismus hervorgegangenen Stücken eine ausschließlich propagandistische Zwecksetzung unter Ausschluss jeglicher Unterhaltungsabsicht attestiert wird.1040 Auch wenn dies für einige Dramen – besonders aus Frankreich1041 – zutreffen mag, so gibt 1037 Vgl. Jonker, a.a.O., S. 216: „Ils [sc. die Protestanten] avaient employé la comédie satirique comme moyen de propagande, mais ils se détournaient de la comédie qui n’était qu’un passe-temps frivole ...“ 1038 So ist etwa im Drama von Gwalther keine und in dem von Haberer nur geringe Polemik gegen den alten Glauben zu erkennen. 1039 Zu dieser Aufführung vgl. Elisabeth Mentzel, Geschichte der Schauspielkunst in Frankfurt a.M., Frankfurt 1882, S. 19. Bei der Komödie könnte es sich um die ‚Comédie du Pape malade‘ von Conrad Badius gehandelt haben, die, 1561 erstmals in Genf gedruckt, 1584 in einer Neuauflage erschien. In Frage kommen könnten aber auch die ‚Moralité de la Maladie de Chrestienté‘ von 1533 und das – allerdings nur als Lesedrama intendierte – Stück ‚Christus triumphans‘ von John Foxe (1556; 1562 frz.). Alle Stücke zeichnen sich durch antipäpstliche Polemik aus. 1040 So etwa Thomke, Zügelung, S. 637: „Diese Stücke [sc. diejenigen der Beza folgenden Dichter] waren allerdings nur geschrieben ‚pour servir à instruire et non pour plaisanter‘ [Zitat von Desmasures]. Theater, das nur der Glaubenspropaganda diente und den Grundsatz des delectare verleugnete, trug aber den Todeskeim in sich, nachdem sich der Glaube verfestigt hatte und die Reformierten ihre Stellung hatten sichern können.“ 1041 Vgl. Soulié, a.a.O., S. 650, die meint, die Protestanten hätten infolge des ihnen auferlegten ernsten und gefahrvollen Lebens für Unterhaltung und Spaß keinen Sinn zu entwickeln vermocht.

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310 Grundlegung es doch Gegenbeispiele wie Gwalther, der für seinen ‚Nabal‘ ausdrücklich das delectare neben dem prodesse erwähnt,1042 oder das in Teil C I 5 untersuchte Abraham-Drama Herman Haberers, der in dieses durchaus komische Szenen und Motive, wie die Figur des betrunkenen Kochs, einbaut. Die Entwicklung der Einstellung zum Theater lässt sich augenfällig an der literarischen Behandlung der Frage des Theaters in der Schweiz ablesen. Nach der positiven Bearbeitung in eigenen Abschnitten in Studienordnungen taucht die Frage des Theaters in der Schweiz ab der Mitte des 16. Jahrhunderts literarisch nicht mehr als eigenständig behandeltes Thema auf. Hintergrund dessen ist, dass für Zürich und die Ostschweiz auf humanistischer Basis die Praxis weitgehend selbstverständlich war, in Genf hingegen kein besonderes Interesse an der Frage von Aufführungen bestand, wobei die Palette der Auffassungen hier von Duldung bis zu deutlicher Ablehnung ging, einige Fest- und Schulaufführungen indessen stattfanden. Die der Genfer Reformation angehörenden Theologen Calvin, Viret und Farel äußern sich zur Frage von Aufführungen nur auf Anfrage bzw. aufgrund äußeren Anlasses. Dieser, wie der literarische Befund zeigt, stillschweigend hingenommene Sachstand kommt am Ende des ersten Viertels des 17. Jahrhunderts ins Wanken. Mit Johann Jakob Breitingers Traktat in Zürich erscheint eine einschlägige Schrift, die die erneute Aktualität des Themas belegt, diesmal mit umgekehrtem Vorzeichen. Der Traktat ist Ausdruck einer radikal theaterkritischen Position, einer ideologisch begründeten Ablehnung des Theaters. Hinter dieser Haltung ist eine Radikalisierung und Systematisierung negativer Äußerungen Calvins und Farels sowie der Einfluss des Puritanismus und des in den Niederlanden sich entwickelnden Präzisismus zu erkennen. Hinzu kommt die Aufnahme platonischer Elemente in der Ethik. Am Ende steht nicht mehr nur die Aufführung, sondern auch das Abfassen von Dramen unter Verdikt. Es kommt in weiten Teilen des reformierten Protestantismus zu einer völligen Ablehnung des Theaters, mit der sich dieser als theaterkritische Konfession profiliert. Dass dieser Verzicht einen Verlust an Außenwirksamkeit impliziert, nimmt man dabei in Kauf. Ein ganzes Bündel an theaterkritischen Argumenten trägt so zum weitgehenden Auslaufen des reformierten Dramas bei. An erster Stelle ist die ökonomisierende Argumentation zu nennen, nach der eine Aufführung zeitliche und finanzielle Ressourcen bindet,1043 die besser für einen anderen Zweck investiert werden sollten. Diese Argumentation, die zunächst ein wenig vorgeschoben wirkt, hat den Gedanken der Berufung und der Ernsthaftigkeit des christlichen Lebens zur Voraussetzung und wendet sich primär gegen die Aufführungspraxis. Dem Gedanken der Berufung korrespondiert das an zweiter Stelle stehende Argument, dass der Berufene sein Amt in strenger Ausschließlichkeit wahrnehmen soll. Er soll nie und mit keinem Teil seiner selbst ein anderer sein und sein wollen als dieser Berufene. Damit ist jedes mimetische Handeln a radice ausgeschlossen. Jede 1042 Vgl. dazu Sandro Giovanoli, Form und Funktion des Schuldramas im 16. Jahrhundert, Bonn 1980, S. 103. 106f. 112. 1043 Vgl. Soulié, a.a.O., S. 650.



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Darstellung impliziert die Uneigentlichkeit des Darstellenden, führt somit eo ipso zu Unernsthaftigkeit der Lebensführung und stellt die Vortäuschung einer falschen Tatsache dar. Der Mensch soll mit seiner ganzen Person, als ganzer und stets, für Gott da sein. Er soll ausschließlich diejenige ‚Rolle‘ einnehmen, die Gott ihm zugedacht hat. An dritter Stelle ist schließlich das Argument der Gefahr der Profanierung der Bibel zu nennen, das zuerst in Frankreich vorgebracht wurde. Das Heilige soll nicht in einen ihm unwürdigen Rahmen gestellt werden, es soll nicht mit Profanem vermischt werden. Die Gefahr der Profanierung der Bibel sah man primär bei einer Aufführung gegeben. Die Tendenz ging entsprechend dahin, dass man zwischen Aufführung und dramatischer Literatur unterschied und in Konsequenz Aufführungen gänzlich abschaffte.1044 In späterer Zeit wurde das Argument aber auch auf das Abfassen von biblischen Dramen bezogen, das zwar nicht verboten, aber stärker reglementiert wurde. Es lässt sich nicht leugnen, dass eine gewisse Tragik darin liegt, dass dort, wo man darum kämpfte, dass die Bibel dem Volk zugänglich wurde, der Gebrauch der Bibel stark eingeengt wurde. Die radikal-theaterkritische Haltung Johann Jakob Breitingers ist zu beurteilen als eine Weiterführung und Systematisierung von Aussagen Calvins und Farels anhand der – nunmehr als Zentrallehre des Calvinismus verstandenen – Prädestinationslehre, in deren Zusammenhang vorhandene theaterkritische Topoi jetzt explizit gestellt wurden, und als eine unter dem Einfluss des Puritanismus stehende Fortentwicklung theaterkritischer Bestimmungen des französischen Protestantismus, in denen die Schrift vor Profanierung geschützt werden sollte. Dies hatte zwar keine Zerstörung, aber doch eine Beschränkung des Humanismus zur Folge. Insofern hat Hellmut Thomke Recht, wenn er formuliert: „Nur dort, wo sich die Synthese von Christentum und Humanismus nicht halten und wo sich ein moralischer Rigorismus in quasi theokratischen Staatswesen durchsetzen konnte, kam es im 17. Jahrhundert zu einer eigentlichen Unterdrückung des Theaters und der Dramendichtung.“1045 Es sei darauf hingewiesen, dass die Verbindung mit der Prädestinationslehre durchaus sekundärer Art ist. Ein ausdrücklicher Bezug wird erst durch Breitin1044 Jonker, a.a.O., S. 237: „Nous croyons donc pouvoir dire que les Protestants à bon escient n’ont pas voulu du théâtre. Après l’avoir cultivé comme moyen de propagande et d’édification, ils l’ont condamné en distinguant souvent très nettement entre les jeux scéniques et la littérature dramatique … le style de la vie protestante se développait de plus en plus dans la direction d’un bannissement total des jeux scéniques.“ Genauer müsste man sagen, man schnitt die dramatische Literatur von ihrem Ziel in Gestalt der Aufführung ab, denn ohne Zweifel ist das Proprium der Wirkung eines Dramas die actio, das Agiert-Werden bzw. die sinnliche Darbietung; vgl. Bernhard Asmuth, Einführung in die Dramenanalyse, S. 10. Anders Jonker, der S. 232 äußert: „D’autre part, l’exécution et la représentation ne sont pas absolument nécessaires pour comprendre un drame ou jouir d’une symphonie.“ 1045 Thomke, a.a.O., S. 631. Im Folgenden stellt er fest, dies sei am nachhaltigsten im Bereich des ‚Calvinismus‘ geschehen, aber auch dort nur in Republiken, in denen es zu oligarchischen oder aristokratischen Verfassungen in Kombination mit der Durchsetzung von seitens der Theologen erhobenen theokratischen Ansprüchen gekommen sei.

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312 Grundlegung ger hergestellt. In der Zeit zuvor konnten reformierte Dramatiker, angefangen mit Beza, dem Desmasures und Rivaudeau folgten, sogar die Prädestinationslehre im Drama – für die Spätzeit ein Widerspruch par excellence – thematisieren.1046 Die in der Diktion Breitingers und in einigen bei David Wetter gebotenen Argumenten zum Ausdruck kommende Ideologisierung der Ablehnung des Theaters ist darin zu erkennen, dass man das Theater um jeden Preis zu verhindern gedenkt, dass das abschlägige Urteil schon feststeht und man nun daran geht, alle nur denkbaren Argumente aufzubieten, auch wenn diese höchstens sekundär etwas austragen oder gar ein ernsthaftes Bemühen um eine positive Würdigung des Theaters vortäuschen. Wenn es etwa heißt, man könne sich infolge des Krieges keine Aufführung erlauben, so wird darin doch ein vorgeschobenes Argument erkennbar. Der dies Vortragende wird stets und unter allen Umständen eine Kriegssituation erkennen, die das Theaterspielen verunmöglicht, und er allein wird die Definitionsmacht über das, was als ‚Krieg‘ zu bezeichnen ist, für sich beanspruchen. So zeigt sich bei Breitinger, dass die gesamte christliche Existenz eo ipso als eine Existenz im Kriege, als Agon, verstanden wird. Dieses Argument erweist auch insofern seinen Charakter als erzwungen, als protestantische Dramen in Frankreich durchaus auch während der Religionskriege, jedenfalls in Zeiten stärkerer Bedrängnis, entstanden.1047 Dramen erschienen sowohl während der Verfolgungswelle unter Heinrich II. ab 1547 – Beza verarbeitete seine Erfahrung mit dem Schreiben seines AbrahamDramas – als auch in den sechziger Jahren nach dem Massaker von Vassy und dem Beginn der Hugenottenkriege. Die ideologisierende Betrachtung aber setzt Theater mit Jesuiten und Teufel gleich. Dass diese Entwicklung jedoch kein völlig einheitlicher und gradliniger Prozess war, belegt für die frühere Zeit z.B. das paradox anmutende Faktum, dass der als strenger Puritaner geltende Arthur Golding 1575 bzw. 1577 Bezas Abraham-Drama ins Englische übersetzte, wiewohl er damit nur ein Lesedrama intendierte.1048 Auch für die spätere Zeit ergibt sich ein pluriformes Bild. Die Zürcher Spieltradition blieb bis ins frühe 17. Jahrhundert, bis zum Wirksamwerden der puritanischen Tendenzen erhalten. Im ostschweizerischen St. Gallen, wo die humanistische Tradition lebendig war, wurden auch weiter Dramen aufgeführt, um einerseits ein Gegengewicht zur jesuitischen Aufführungspraxis zu bieten und ferner den altgläubigen Vorwurf einer Kulturfeindlichkeit des Protestantismus zurückzuweisen.1049 Dabei spielte der Sohn David Wetters, der Dramatiker Josua Wet1046 Vgl. dazu Daniel Lord Smail, Predestination and the Ethos of Disinheritance in Sixteenth-Century Calvinist Theater, SCJ 23 (1992), S. 307ff. 1047 Gegen Soulié, a.a.O., S. 650, die meint, Kriege hätten eine weitere Entwicklung des geistlichen Dramas bei den Reformierten verhindert; zum Abfassen und Aufführen von Stücken wäre Frieden notwendig gewesen. 1048 Vgl. Wilhelm Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Dritter Band. Renaissance und Reformation. Zweiter Teil, Halle a.S. 19232, S. 490. 1049 Vgl. Ernst Koch, Das konfessionelle Zeitalter, S. 129; Erich Kleinschmidt, Stadt und Literatur in der Frühen Neuzeit, S. 189. 213 Anm. 470.



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ter (1622–1656) eine bedeutsame Rolle.1050 Bezeichnenderweise verzichtete dieser aber auf das Abfassen geistlicher Dramen, worin sich vermutlich doch Zürcher Einfluss geltend gemacht haben dürfte. In Genf gab es im 17. Jahrhundert einige wenige Aufführungen und in der ersten Jahrhunderthälfte erschienen dort drei Ausgaben von Bezas Abraham sowie im Jahre 1637 das Drama ‚Israel affligé‘ des einheimischen Jean Vallin.1051 Auch in Frankreich gab es mehrere Editionen von Bezas Stück im 17. Jahrhundert.1052 Die Kritik Breitingers am Theater und am geistlichen Theater 1624 war dann für Zürich allerdings durchschlagend. Wetters Traktat von 1629 zeugt jedoch davon, dass die Diskussionen um die Legitimität des Theaters in der reformierten Schweiz mit der Zürcher Entscheidung keinesfalls beendet waren, wenn sich auch die kritische Tendenz mehr und mehr verstärkte. Anders gestalteten sich die Verhältnisse im reformierten Deutschland, wo aufgrund des landesherrlichen Kirchenregiments eine eigentümliche Situation gegeben war. Der Adel konnte oder wollte sich nicht der allgemeinen Kultur entziehen.1053 Entsprechend gab es hier Aufführungen vor Landesherren, auch in späterer Zeit, so die Aufführung von Gryphius’ Catharina von Georgien am Hof des calvinistischen Piastenherzogs Christian in Ohlau im Jahre 1655.1054 Bedeutsam ist ferner, dass Landgraf Moritz von Hessen-Kassel, der von 1592 bis 1627 regierte und 1605 sein Territorium dem reformierten Bekenntnis zuführte, mehrere geistliche und weltliche Dramen verfasste, nachdem er vor seiner Konversion das erste Theatergebäude in Deutschland errichtet hatte.1055 Offenbar verstand er dies nicht als Widerspruch zu seinem reformierten Glauben. Das Theater, und damit auch das geistliche, gehörte hier selbstverständlich zur Hofkultur. Hinzuweisen ist schließlich auf das Reformiertentum Ungarns und Siebenbürgens. Nachdem Aufführungen im Jahre 1562 im Erlauthaler Bekenntnis als unmoralisch deklariert und in der Folgezeit nicht mehr praktiziert wurden, nahm das Schultheater im 18. Jahrhundert unter Einfluss von Comenius’ ‚Schola Ludus‘ einen neuen Aufschwung.1056 Dabei kamen – trotz der ablehnenden 1050 Zu Wetter vgl. Hellmut Thomke, Art. ‚Wetter, Josua‘, Literatur Lexikon 12, S. 279f. 1051 Vgl. Street, a.a.O, S. 171. 293 (Nr. 121). Gewidmet war das Drama der Stadt Neuchâtel. 1052 Street, a.a.O., S. 237ff, nennt für Genf die Editionen von 1606, 1617 und 1638. Für Frankreich zählt er folgende Editionen auf: Saumur (1606), Sedan (1626 und 1637), Hainault (1628), Paris (1644). Unsicher sind die Editionen Paris (1617) und Sedan (1623). 1053 Zu den deutschen Verhältnissen vgl. Thomke, a.a.O., S. 641. 1054 Vgl. Peter Burschel, Sterben und Unsterblichkeit, München 2004, S. 98. 1055 Zu Moritz’ literarischem Werk vgl. Reinhard Müller, Art. ‚Moritz Landgraf von Hessen‘, DL3 X, Sp. 1327f. Danach sind die von Moritz verfassten oder redigierten Dramen verschollen oder in der Zuschreibung unsicher. Nach Goedeke, Grundriß Bd. 2, S. 522f. (§ 167 IV), soll es sich um die Dramen ‚Holofernes‘, ‚Nebukadnezar‘, ‚Esther‘, ‚Saul‘, die Komödie von den drei Kammerdienern des Königs Herodes, ‚Zorobabel‘ und die Tragödie von Herodes’ Tod handeln. 1056 Vgl. Júlia Nagy, School dramas, or Schoolbooks in Dialogues? Schola Ludus by Comenius and the Hungarian Calvinist School dramas in the 18th century, PH 38 (2002), S. 251–264, bes. S. 253. Erwähnung findet dieser Sachverhalt bei Stefan Ehrenpreis, Einleitung, S. 13, und ders,

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314 Grundlegung Haltung von Comenius selbst – auch Bibeldramen, überwiegend mit alttestamentlichen Vorwürfen, zur Aufführung.1057 Auch dieses Faktum bestätigt so die Richtigkeit der These, dass die reformierte Theologie nicht wesensmäßig, unter allen Umständen, die Ausbildung einer theaterkritischen Haltung impliziert, wie sich auch an Johannes Althusius zeigt.1058 Zwar gibt es Elemente reformierten Denkens, die eine Anlage zur Theaterkritik bilden, doch ob jene Elemente auch tatsächlich theaterkritisch wirksam wurden, hing davon ab, mit welchen anderen geistesgeschichtlichen Erscheinungen sich reformiertes Denken verband. Während der Einfluss des Humanismus sich positiv auf ein reformiertes Theater auswirkte, setzte die Einwirkung des Puritanismus und später des Präzisismus eminent theaterkritische Impulse frei. Diese bestimmen – durchaus zu Unrecht – bis heute das Bild der reformierten Sicht des Theaters und des geistlichen Theaters.

Bildung, S. 429. – Vgl. den Abschnitt „De ludis, choreis et spectaculis“ im Erlauthaler Bekenntnis, in: E.F. Karl Müller, Die Bekenntnisschriften der reformierten Kirche, Leipzig 1903, Nachdruck Zürich 1987, S. 312f., hier S. 313: „Cum autem ludi, spectacula, impudicae saltationes non careant his malis [sc. die Übel von unechter, scherzhafter oder schmeichlerischer Rede, Possenreißerei, Unzüchtigkeit und Begierde] prohibemus et damnamus cum concilijs. Nam qui theatrales larvas induunt, obscoenos habitus et gestus edunt, facem libidinis accendunt. [...] Non negamus tamen honestum et non impudicum lusum, et saltationem pudicam, impudico et superbo motu et tactu carentem, recreandi animi causa. Sicut David et sanctae puellae saltarunt.“ Das Verbot von Aufführungen ist hier deutlich moralisch begründet. Wie später in den Beschlüssen der Synode von Nîmes (1572) erscheint neben der moralischen Kritik der Hinweis auf die Haltung der Alten Kirche zum Theater. 1057 Vgl. Nagy, a.a.O., S. 254f. 262. 1058 Der reformierte Staatstheoretiker Johannes Althusius (1557–1638) schreibt in seinem Werk Politica Methodicè Digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata, 2. Neudruck der 3. Auflage Herborn 1614, Aalen 1981, in Kap. 37, überschrieben „De administratione civili rerum publicarum et privatarum“ (S. 852), dass der Staat für Theater – an erster Stelle erwähnt –, Stadien und Bäder zu sorgen habe, damit dasjenige, was zum Gebrauch ehrenvoller Ergötzung gedacht sei, nicht in Missbrauch falle und zum Verfall der Sitten führe. Die Rede vom Missbrauch setzt voraus, dass es einen ordentlichen und guten Gebrauch desselben gibt; gegen Brunnschweiler, a.a.O., S. 82, der Althusius’ Haltung hier zu negativ beschreibt. Ein kritischeres Urteil fällt Althusius in Kap.2 „De privata domestica consociatione“ (a.a.O., S. 21) allerdings zu den (professionellen) Schauspielern, ‚comoedi‘ und ‚tragoedi‘.

Teil C Konkretion Die Dramatisierung geistlicher Stoffe im protestantischen Drama der Reformationszeit und des konfessionellen Zeitalters I. Der Abraham-Stoff im protestantischen Drama der Reformationszeit und des konfessionellen Zeitalters Wenn im Folgenden der Abraham-Stoff exemplarisch für die Untersuchung des protestantischen Dramas des 16. und frühen 17. Jahrhunderts herangezogen wird, so hat dies in erster Linie nicht pragmatische Gründe, obwohl angesichts der Vielzahl der Stoffe und Dramen eine Auswahl getroffen werden musste. Für die vorgenommene Wahl sprechen gewichtige inhaltliche Gründe. Ein erster liegt im Abraham-Stoff selbst resp. seiner Interpretation. Durch die Abraham-Deutung des Paulus, der in Röm 4 den Erzvater als Urbild des aus Glauben Gerechtfertigten darstellt, stand die Person Abrahams von Anfang an im Mittelpunkt der protestantischen Theologie, damit aber auch von vornherein im Zentrum der Auseinandersetzung mit der römischen Kirche. Für diese Kontroverse ist bedeutsam, dass die Abraham-Gestalt schon innerneutestamentlich umstritten war, gilt sie doch dem Verfasser des Jakobusbriefs als Zeuge dafür, dass nicht der Glaube allein rechtfertige, sondern dieser mit seinen Werken zusammenwirke, wofür ihm die Geschichte von der Opferung Isaaks als Beleg dient. Entsprechendes gilt ebenso für das Abraham-Drama, in dem diese Geschichte ausnahmslos zur Darstellung kommt und zumeist im Zentrum steht. Auch altgläubige Autoren setzten sich mit der Abraham-Thematik auseinander. Der aus Rothenburg stammende Augsburger Schulmeister Hieronymus Ziegler verfasste im Jahre 1543 ein Drama ‚Immolatio Isaac‘, das ein Jahr später auch in deutscher Übersetzung erschien. 1546 schrieb der aus Arras gebürtige, im Hennegau wirkende Lehrer Petrus Philicinus (Pierre Campson), ein Freund des franziskanischen Dramatikers Livinus Brechtus, den gegenüber anderen Dramen recht kurz gehaltenen ‚Dialogus de Isaaci Immolatione‘.1 Diesen Dialog legte der Dortmunder Priester Jakob Schöpper nach eigenen Angaben seinem Stück ‚Tentatus Abrahamus‘ zugrunde, das 1551 erschien.2 All diese 1 Zur Person des Philicinus vgl. Françoise Coutas, L’œuvre dramatique de Pierre Campson dit Philicinus. Tome I: introductions, traductions et notes, Diss. Grenoble 1991, S. 7–45, zum ‚Dialogus de Isaaci immolatione‘ vgl. a.a.O., S. 47–59. Eine Edition des Textes bietet Coutas, a.a.O. Tome II: édition critique de textes latins, S. 6–29. 2 Vgl. Tentatus Abrahamus. Actio sacra comice recens descripta. Ex Genesis XXII. Capite. Authore Iacobo Schoeppero Presbytero, Köln 1564. In seinem Schlusswort an den Leser (a.a.O., E IIIa) versichert er, dass er in seinem Stück – abgesehen von der biblischen

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Die Dramatisierung geistlicher Stoffe im protestantischen Drama

durchaus erfolgreichen Stücke haben auch auf protestantische Abraham-Dramen Einfluss genommen. Später hat sich das Jesuiten-Theater ebenfalls des Stoffes angenommen, etwa durch den bekannten Theoretiker Jacobus Pontanus, dessen Drama ‚Immolatio Isaac‘ 1590 in Dillingen erstmals zur Aufführung kam und danach noch weitere Inszenierungen erlebte.3 Nach Jean-Marie Valentin kamen zwischen 1569 und 1772 dreißig Dramen zu Abraham und Isaak auf der Jesuitenbühne zur Aufführung, davon acht in dem hier betrachteten Zeitraum; die Zahlen schwanken aber.4 In jedem Fall zeigt sich, dass die Abraham-Dramen auch im katholischen Theater sehr beliebt waren. Der dargelegte Befund lässt für die protestantischen Abraham-Dramen zunächst fragen, welchen StellenQuelle – keine Vorlage benutzt habe außer dem Werk des Philicinus, dem er vor allem „in Allegoria“ gefolgt sei, womit Schöpper die in seiner peroratio von Philicinus übernommene Deutung der einzelnen Personen meint. – Hinsichtlich der Person Schöppers ist umstritten, ob er nicht eher zur Reformation zu rechnen ist. Tatsache ist jedoch, dass er die altgläubige Kirche zeit seines Lebens nicht verlassen und auch sein Priesteramt nicht zur Disposition gestellt hat. Er vertritt allerdings lehrmäßig in einigen Lehrpunkten auch evangelische Anschauungen. Nach Heinz Schilling, Dortmund im 16. und 17. Jahrhundert, in: Dortmund. 1100 Jahre Stadtgeschichte, hrg. v. Gustav Luntowski und Norbert Reimann, Dortmund 1982, S. 159f. 167–174, repräsentiert er ein deutlich erasmianisch geprägtes Reformchristentum, das, typisch für den niederrheinisch-westfälischen Raum, ein via-media-Konzept in der Reformationsfrage darstelle und als vorkonfessionell zu bezeichnen sei, insofern es weder dem Drang städtischer Schichten zur Reformation, noch dem Druck der Kölner Gegenreformation nachgebe. Als lutherisch ist Schöpper jedenfalls nicht zu bezeichnen; sein Schüler Hamelmann vollzog diesen Schritt unter massiver Kritik an seinem Lehrer; vgl. a.a.O., S. 177. 3 Vgl. Paul Richard Blum, Jacobus Pontanus SJ, in: Füssel (Hrg.), Deutsche Dichter der frühen Neuzeit, S. 632. Zu Pontanus vgl. ferner Barbara Mahlmann-Bauer, Jacob Pontanus in Augsburg. Seine Schülergespräche, seine Poetik und sein Drama Opferung Isaaks, in: Helmut Gier (Hrg.), Jakob Bidermann und sein „Cenodoxus“. Der bedeutendste Dramatiker aus dem Jesuitenorden und sein erfolgreichstes Stück, Regensburg 2005, S. 15–59. 4 Vgl. Jean-Marie Valentin, Le théâtre des jésuites dans les pays de langue allemande. Répertoire chronologique des pièces représentées et des documents conservés (1555–1771), 2 Bde., Stuttgart 1983f., S. 1983f. Valentin nennt Aufführungen in Wien 1567 (Nr. 62; Immolatio Isaaci), Prag 1575 (Nr. 119; Abrahami Sacrificium in Filio Isaaco), Trier 1581(Nr. 170; Abraham sive oboedientia), Köln 1589 (Nr. 278; Abrahami res gestae), Fribourg / Schweiz 1590 (Nr. 294; Abraham [Pontanus?]), Koblenz 1609 (Nr. 614; Abraham filium immolans), Olomouc (Olmütz) 1611 (Nr. 660; Servus Abrahami Rebeccam Isaaco ex Mesopotamia deducens seu Franciscus Xaverius sponsum Christi ex Indio magno labore adducens), Hagenau 1612 (Nr. 673; Isaac immolandus a Patre Abraham). Fritz Reckling, Immolatio Isaac. Die theologische und exemplarische Interpretation in den AbrahamIsaak-Dramen der deutschen Literatur insbesondere des 16. und 17. Jahrhunderts, Diss. phil. Münster 1961, S. 237, führt noch mehr Darbietungen auf: Trier nach 1562, Annaberg 1579, Graz 1587, 1590 (Pontanus) und 1591 Dillingen, Luzern 1595, Chomutov (Komotau) 1607, Paderborn 1612, Wien 1615. Barbara Mahlmann-Bauer, Abraham, der leidende Vater, Nachwirkungen Gregors von Nyssa in Exegese und Dramatik (im 16. bis 18. Jahrhundert), in: Steiger – Heinen (Hrgg.), Isaaks Opferung, S. 369, nennt noch die ‚Actio sacra de Abrahamo filium suum Isaac offerente‘, eine Fuldaer jesuitische Bearbeitung von Schöppers ‚Tentatus Abrahamus‘, der zwei Auflagen bis 1564 erfuhr.



Der Abraham-Stoff

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wert die Rechtfertigungslehre in ihnen einnimmt, wie sie in ihnen verarbeitet wird und in welchem Verhältnis dazu moraldidaktische Inhalte stehen. Der Vergleich der Werke katholischer Provenienz kann das spezifische Profil protestantischer Dramen noch deutlicher hervortreten lassen. Ein weiterer Grund für die Wahl dieses Stoffes liegt darin, dass die Opferung Isaaks in der traditionellen Exegese als Präfiguration des Kreuzesopfers Christi verstanden wurde und als solche Teil vieler geistlicher Spiele des Mittelalters war. Von daher stellt sich die Frage, welche Bedeutung diesem Gedanken der Präfiguration in den protestantischen Abraham-Dramen zukommt. Der Abraham-Stoff bietet sich für eine Untersuchung des protestantischen Dramas aber auch aus äußeren Gründen an. Der in dieser Hinsicht wichtigste ist, dass der Abraham-Stoff von den Anfängen protestantischen Theaters Ende der dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts bis in das 17. Jahrhundert hinein immer wieder von protestantischen Autoren zur Dramatisierung herangezogen wurde. Dieser Befund ist natürlich nicht zufällig, er ist eine Folge der oben beschriebenen Gründe. Er bedeutet aber den für diese Untersuchung glücklichen Umstand, dass sich im Falle der Abraham-Dramen nach möglichen Entwicklungen, in der Dramatisierung des Stoffes, im Umgang mit ihm, aber auch im protestantischen Theater allgemein, fragen lässt. Von nicht geringerer Bedeutung ist ferner das Faktum, dass in geographischer Hinsicht die Entstehungsorte von Abraham-Dramen eine weite Streuung aufweisen, von der Schweiz über das Elsass, die Reichsstadt Nürnberg in die Kernlande der Reformation ins ernestinische und albertinische Sachsen, das Erzstift Magdeburg, bis nach Norddeutschland in die Herzogtümer Pommern und Mecklenburg. Wie die Beispiele Theodor Beza und Nathan Chytraeus sowie Herman Haberer zeigen, wurde der Stoff auch von Autoren aus dem Bereich des reformierten Protestantismus behandelt. Es wäre also denkbar, dass sich in den Dramatisierungen Gemeinprotestantisches wie auch konfessionelle Propria manifestieren. Ein letzter Punkt betrifft schließlich die Autoren selbst. Auch hier lässt sich eine deutliche Bandbreite erkennen. Unter den Verfassern sind zum einen Lehrer oder ehemalige Lehrer und Pfarrer, zum andern aber auch der Handwerker Hans Sachs – zweifellos ein Phänomen sui generis –, der Stadtschreiber Jakob Frey und der Kaufmann Joachim Schlue. Anhand des Abraham-Stoffes lässt sich somit die Vielgestaltigkeit des protestantischen Dramas und seiner Vertreter aufzeigen und davon ausgehend fragen, inwieweit sich auch Autoren außerhalb der Schule in ihrem dramatischen Schaffen von der Gattung Schuldrama beeinflussen ließen. Gegenstand der Untersuchung sind die Dramen protestantischer Autoren, in denen der Patriarch der Protagonist ist und die in dem abgegrenzten Zeitraum bis zum Dreißigjährigen Krieg im deutschen Sprachraum entstanden sind oder – wie im Falle Bezas – dort ihre Wirkung entfalteten. Die Analyse setzt ein mit dem ersten eigentlichen Abraham-Drama aus der Hand von Hans Sachs aus dem Jahre 1533, gefolgt von dem Joachim Greffs, das 1540 veröffentlicht wurde. Da hier nur die eigentlichen Abraham-Dramen Gegenstand sind, ist dem Drama ‚Ein schön lieblich Spiel vom herrlichen Ursprung, betrübtem Fall, gnädiger Wiederbringung mühseligem Leben, seligem Ende und ewiger Freude des Men-

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schen‘ von Valentin Voith aus dem Jahr 1538 kein eigener Abschnitt gewidmet. Wie der Titel ankündigt, bildet das Thema dieses Stückes die Heilsgeschichte in ihrer Gänze. Die Abraham-Geschichte stellt nur einen Teil dar, der den vierten Akt umfasst.5 Insofern dieser vierte Akt von Voiths Drama allerdings Züge bietet, die auch in eigentlichen Abraham-Dramen wiederkehren, wird er in die Untersuchung mit einbezogen. Ein weiteres Abraham-Drama, die ‚Comoedia latina de sacrificio Abrahae, in quo volebat filium immolare‘, erschien 1539 in Wittenberg,6 ist aber verschollen. Über ein bei Goedeke angegebenes Drama von Caspar Textor mit dem Titel ‚Isaac redivivus‘, das 1608 in Frankfurt an der Oder veröffentlicht wurde, konnten keine Angaben ermittelt werden.7 Gleiches gilt für ein lateinisches Drama des Niederländers Johannes Sylvius mit dem Titel ‚Isaacus Xylophorus‘ von 1548, das 1554 gedruckt wurde und, wie bereits der Titel erhellt, die präfigurative Bedeutung des Geschehens hervorhebt.8 Nicht berücksichtigt wird ferner ein singulär dastehendes griechisches Abraham-Drama, das 1535 in Venedig gedruckt wurde. Singulär ist es nicht nur in Bezug auf die Sprache, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht: Ein Engel teilt dem schlafenden Abraham den Befehl mit, wobei er von Sara beobachtet wird, die auf Abraham eindringt, er solle sagen was vor sich gehe, auch wenn dies den Inhalt hätte, dass Isaak am nächsten Tag sterben würde. Sara wird eingeweiht, wie auch – und dies findet sich nirgendwo sonst – die Knechte, wobei ihn einer der Knechte von dem Vorhaben abbringen will, da es sich bei dem Befehl nur um ein Phasma handele.9 Schließlich konnte das deutsche Drama ‚Immolation Isaaks‘ des Schaffhauser Lehrers Sebastian Grübel nicht beschafft werden.10

5 Zu diesem Stück vgl. Almut A. Meyer, Heilsgewißheit, S. 14–57. Aus der Heilsgeschichte werden die Paradiesgeschichte, die Geschichte von Kain und Abel, von Abraham und David aufgenommen. Den letzten Akt nimmt das neutestamentliche Christus-Geschehen ein, allerdings ohne dass das Passionsgeschehen als solches dargestellt wird. Die Handlung ist dabei verwoben mit Szenen, in denen die allegorischen Figuren Satan, Gesetz, Sünde und Tod auftreten. Das Stück bildet den Auftakt zu zahlreichen protestantischen Dramen, die den Prozess Gottes mit den höllischen Mächten um die gefallenen Menschen zum Gegenstand haben. 6 Vgl. dazu Paul Bahlmann, Die lateinischen Dramen von Wimphelings Stylpho bis zur Mitte des sechzehnten Jahrhundert. 1480–1550, Münster 1893, S. 79 (Nr. 53). 7 Vgl. Karl Goedeke, Grundriß Bd. 2, S. 395 (Nr. 345). 8 Zu diesem Drama vgl. Wilhelm Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Zweiter Band. Renaissance und Reformation. Erster Teil, Halle a.S. 19182, S. 103, und Johannes Bolte (Hrg.), Ein Spandauer Weihnachtsspiel. 1549, Märkische Forschungen XVIII (1884), S. 205. 9 Vgl. Creizenach, a.a.O., S. 68f. – Die Behauptung Creizenachs, a.a.O., S. 68: „Durch diese Szene unterscheidet sich unser Spiel von allen übrigen Dramatisierungen des Stoffs, in denen nirgends Sara in das Geheimnis eingeweiht wird;“ ist definitiv falsch; in den beiden Abraham-Dramen von Sachs teilt der Patriarch seiner Gattin die Wahrheit mit. 10 Die Aufführung dieses Dramas 1556 in Schaffhausen findet Erwähnung bei Hugo Holstein, Die Reformation im Spiegelbilde der dramatischen Litteratur [!], Halle 1886, S. 83. Grübel übersetzte auch Gwalthers ‚Nabal‘, den er 1559 ebendort zur Aufführung brachte; vgl. a.a.O., S. 95.



Der Abraham-Stoff

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Die Vorgehensweise wird im Folgenden so sein, dass nach biographischen Ausführungen über den Autor das Drama mit seinen Besonderheiten vorgestellt wird. Danach wird die Intention untersucht, die der Verfasser mit seinem Drama verfolgt. Einen weiteren Schritt der Analyse bildet die Frage, wie die Abraham-Gestalt gezeichnet wird, welche Merkmale sie bestimmen und wie diese zum Charakter des Stückes beitragen. Schließlich wird die Wiedergabe der reformatorischen Lehre mit dem Schwerpunkt der Rechtfertigungslehre in den Blick genommen. Im Mittelpunkt steht hier die Frage, wie reformatorische Theologumena im Drama zur Sprache kommen und den Zuschauern verdeutlicht werden. Dabei wird auch die Interpretation Luthers von Gen 22 im Rahmen seiner Genesis-Auslegung mit einbezogen, dies um so mehr, als mit Barbara Mahlmann-Bauer festzustellen ist: „Luthers Auslegung von Gen 22 zeigt Gespür für die dramaturgische Potenz des Stoffs. Seine Paraphrase lädt dazu ein, sich die Erzählung von Abrahams Opfer als Schauspiel vorzustellen.“11 Durch diese Schritte wird das Profil des Dramas herausgearbeitet und erkennbar, welche Akzente der Verfasser mit ihm setzen wollte. Zugleich wird so festgestellt, wo Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Abraham-Dramen bestehen. Dass es solche gibt, hat die bisherige Forschung bereits erwiesen. Es muss jedoch noch genauer untersucht werden, wie weit diese gehen, d.h. es muss genau abgegrenzt werden, wo Abhängigkeiten vorliegen und inwieweit sie den Charakter und besonders die Intention des Dramas wirklich beeinflussen. Sind diese Fragen analysiert, wird deutlich, inwieweit Entwicklungen in der Dramatisierung des Abraham-Stoffes durch protestantische Autoren zu erkennen sind, ob es charakteristische Veränderungen und Akzentverschiebungen gab und ob solche Veränderungen mit Entwicklungen der Theologie der Zeit in Verbindung gebracht werden können. Aufgebaut werden kann für die Untersuchung auf der gründlichen literaturwissenschaftlichen Arbeit von Fritz Reckling über die Abraham-Dramen.12 Recklings Grundthese geht dahin, dass die protestantischen Abraham-Dramen den zentralen Gedanken im Glauben Abrahams sehen, während die katholischen Abraham-Dramen diesen im Gehorsam Abrahams erkennen. Ob sich in Bezug auf die protestantischen Dramen noch andere Tendenzen erkennen lassen, wird die Analyse zeigen.

11 Barbara Mahlmann-Bauer, Abraham, der leidende Vater, S. 331. Vgl. auch Johann Anselm Steiger, Zu Gott gegen Gott. Oder: Die Kunst, gegen Gott zu glauben. Isaaks Opferung (Gen 22) bei Luther, im Luthertum der Barockzeit, in der Epoche der Aufklärung und im 19. Jahrhundert, in: Steiger – Heinen (Hrgg.), Isaaks Opferung, S. 208f., der äußert, dass insofern im lutherischen Bereich die Versuchung durch Gott auch als ein Spielen Gottes mit dem Menschen bezeichnet wurde, eine Dramatisierung der Geschichte von Isaaks Opferung durchaus nahe gelegen habe. 12 Reckling, a.a.O.

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1. Hans Sachs, Die Opferung Isaaks (1533) – Abraham, Lot samt der Opferung Isaaks (1558) Der in Nürnberg 1494 als Sohn eines Schneidermeisters geborene Hans Sachs13 besuchte die Lateinschule seiner Heimatstadt. 1509 bis 1511 erlernte er das Schuhmacherhandwerk und wurde in dieser Zeit auch in den Meistergesang eingeführt. Nach seiner Gesellenwanderung, die ihn durch Bayern und Franken und an den Rhein führte, kehrte er 1516 nach Nürnberg zurück, wo er heiratete und sich als Schuhmachermeister niederließ. Schon früh sympathisierte Sachs mit den Ideen der Reformation, die in der wirtschaftlich und kulturell blühenden Reichsstadt auf fruchtbaren Boden fielen. Ein Beleg für die Beschäftigung mit der Reformation ist die dreijährige Schaffenspause ab 1520,14 die 1523 in das berühmte Spruchgedicht ‚Die Wittenbergisch Nachtigall‘ mündete, in dem er – allegorisch verhüllt – Luthers Sieg über die Feinde des Evangeliums feierte. In den ein Jahr später verfassten vier Spruchdialogen wurde die reformatorische Sicht vertieft. Ausdrücklich berief er sich auf Luthers ‚Von der Freiheit eines Christenmenschen‘.15 Als besonders wichtig wertet Sachs, dass die Reformation zur Schrift als alleiniger Quelle zurückkehrte und den Laien die Bibellektüre ermöglichte, durch die diese – und damit auch er – instand gesetzt wurden, in religiösen und theologischen Fragen zu begründeten Urteilen zu kommen, und so eine erhebliche Aufwertung erfuhren.16 Die Schrift entlarvt menschliche Vorschriften, mit denen die Gewissen bedrängt werden.17 Grundlegender Inhalt der Schrift ist für Sachs das solus Christus18 und die Rechtfertigung sola fide19. Der Glaube ist dabei ein Werk Gottes am Menschen.20 Deutlich kommt in den Dialogen Luthers Auffassung eines guten Werkes als eines am Nächsten orientierten nützlichen Werkes und die von ihm vertretene Hochschätzung der Arbeit zum Ausdruck,21 schließlich auch die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium22. 13 Zum Folgenden vgl. Barbara Könneker, Art. ‚Sachs, Hans‘, Literatur Lexikon 10, S. 99–102. Einen guten kurzen Überblick bietet Reinhart Hahn, Art. ‚Sachs, Hans‘, DBE 8, S. 487. 14 Ganz eindeutig ist dies zwar nicht, doch kann als gesichert gelten, dass Sachs in dieser Zeit etliche Schriften von Luther erwarb; vgl. Franz Otten, mit hilff gottes zw tichten, Göppingen 1993, S. 2. 15 Hans Sachs, Disputation zwischen einem chorherren und schuchmacher, darinn das wort gottes unnd ein recht Christlich wesen verfochen wirt (1524), in: Hans Sachs, Werke, hrg. v. Adelbert von Keller und Edmund Goetze, Bd. XXII, Stuttgart 1894, S. 17,21f. 16 Vgl. Helmut Krause, Die Dramen des Hans Sachs, Berlin 1979, S. 26. 17 Vgl. Disputation, a.a.O., S. 11,19ff; 22,7–13; vgl. 18,18f.; 19,18–30; 21,17ff. 18 Vgl. a.a.O., S. 18,11f.; 24,10f. 19 Vgl. a.a.O., S. 24,10ff.18ff. Voraussetzung ist für Sachs dabei die Erkenntnis des Machtcharakters der Sünde, die den Menschen gefangenhält und eine Erlösung durch eigene Werke verunmöglicht; vgl. a.a.O., S. 24,6f.; 25,31ff. 20 Vgl. a.a.O., S. 29,23ff. 21 Vgl. Disputation, a.a.O., S. 22f.; 24,27ff, und Krause, a.a.O., S. 29. 22 Vgl. Krause, a.a.O., S. 34.



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Zugleich lassen sich in den Dialogen aber auch andere Tendenzen namhaft machen: So hatte Sachs durch die Reformation auch eine soziale Neuordnung mit Behebung bestehender Ungerechtigkeiten erwartet – eine Hoffnung, die enttäuscht wurde und ihn zu harscher Kritik an den evangelisch gewordenen Kaufleuten führte.23 Die Frage, ob dieser Punkt ihn auch lehrmäßig von der Reformation Luthers distanzierte, ist allerdings zu verneinen. In den grundlegenden Entscheidungen blieb er bei Luther. So stellt er ausdrücklich fest, trotz des schlechten Lebens in Form von Geiz und Lastern sei die Lehre durchaus gut.24 Ein weiteres Problem birgt der vierte Dialog mit seiner, unter Zugrundelegung der auffallenden Unterscheidung ‚lutherisch – evangelisch‘ ermöglichten, heftigen Kritik an den sich ‚lutherisch‘ nennenden Zeitgenossen: Diese zeigten sich in der Auseinandersetzung mit den Altgläubigen blindwütig und gestalteten, so Sachs, ihr eigenes Leben nicht nach dem Evangelium.25 Wie Krause feststellt, bedeutet aber auch dies an sich noch keine Abkehr von Luther.26 Man könnte sogar sagen, dass Sachs mit der Kritik an den „... vorwärtsdrängenden Anhängern der Reformation, die ihre evangelische Freiheit kompromißlos realisieren wollen, indem sie etwa die Fastengebote brechen und nach der Richtschnur der Bibel möglichst schnell, notfalls auch durch Zwang, die bisherigen Gottesdienst- und Frömmigkeitsformen abzuschaffen trachten“,27 unter bewusstem Übergehen jener, deren Gewissen bei diesem Vorgehen Vorbehalte äußert, eine Intention Luthers aufnimmt, wie dieser sie als Reaktion auf die Wittenberger Bewegung zwei Jahre zuvor erkennen ließ.28 Gleichwohl ist es richtig, wenn Otten feststellt, dass Sachs nicht in Luther aufgeht, auch weil er andere Traditionen aus seiner Genese mit einbringt, wie 23 Vgl. a.a.O., S. 31ff, ferner Eckhard Bernstein, Hans Sachs, Reinbek 1993, S. 45–47. 24 Vgl. Krause, a.a.O., S. 33. Vgl. Otten, a.a.O., S. 191ff, der zeigt, dass Sachs aufgrund der Gegebenheiten der reformatorischen Bewegung Nürnbergs und seiner Stellung darin seine eigene Position zu den sozialen Fragen nicht als ‚Meister Hans‘ formulieren konnte, da diese Position altgläubigen Vorwürfen gegen die wohlhabenden Evangelischen entsprach. Sollte sie Gehör finden, musste sie in anderer Gestalt erklingen, aber mit Argumenten der Schrift, wie es von der hier auftretenden Figur des Romanus vollzogen wird. 25 Vgl. Krause, a.a.O., 35f. 26 Vgl. a.a.O., S. 37. Vgl. auch Bernstein, a.a.O., S. 47f. 27 So beschreibt Berndt Hamm, Bürgertum und Glaube, Göttingen 1996, S. 216, diejenigen, an deren Haltung Sachs Anstoß nimmt. 28 Dies gesteht Hamm, a.a.O., S. 216 Anm. 84, selbst zu, wenn er feststellt, Sachs übernehme die „irenische‘, besänftigende, auf Schonung der Schwachen drängende Seite Luthers“. Dass Sachs in diesem Kontext die durch die Obrigkeit ausgeübte Gewalt grundsätzlich kritisch sieht, d.h. von einem negativen Begriff obrigkeitlicher Gewalt ausgeht, entfernt ihn allerdings, wie Hamm ebd. mit Recht feststellt, wiederum von Luther. Auf der anderen Seite steht er mit seiner Ablehnung einer Gewaltexekution durch die Bauern in Nähe zum Reformator. Zur Situation in Nürnberg vgl. Otten, a.a.O., S. 143ff. Otten zeigt S. 147. 152ff. 172f. überzeugend, wie Sachs in seiner Kritik an den rücksichtslos vorpreschenden Anhängern der Reformation die Intention Luthers aus dem Jahre 1522 (Luthers ‚Treue Vermahnung‘) aufnimmt. Keinesfalls intendiert er eine Kritik an Luther, sondern an denen, die sich lutherisch nennen und dessen Lehre pervertieren; vgl. a.a.O., S. 166f.

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die des vorreformatorischen Meistergesangs mit seiner offensiven Beschreibung der Rolle der Laien gegenüber dem Anspruch der Kirche auf Heilsvermittlung.29 Eine andere Frage ist, ob sich bei Sachs in dieser Zeit täuferischer oder spiritualistischer Einfluss geltend macht. Für diese Auffassung werden Stellen aus dem ersten Dialog zwischen einem Chorherrn und einem Schuhmacher angeführt, in denen er eine innere Erleuchtung zu einem hermeneutischen Prinzip zu machen scheint.30 Das Konzept einer inneren Erleuchtung wäre möglicherweise ein Hinweis auf eine spiritualistische Haltung, da die Infragestellung des Äußeren ein konstitutives Element dieser Position darstellt. Ein unabdingbares Kennzeichen der täuferischen Position ist sie jedoch nicht.31 Liegt aber bei dem Nürnberger wirklich spiritualistisches Denken vor? Gegen ein Selbstverständnis von Sachs als Spiritualist spricht zunächst, dass er sich nicht von Luther distanziert hat.32 Ein positives Indiz in dieser Richtung könnte aber der Sachverhalt darstellen, dass Sachs im August 1526 der Schwärmerei verdächtigt und vor den Rat zitiert wurde.33 Allerdings zeitigte dies keine weiteren Folgen für ihn. Um zu einem begründeten Urteil zu gelangen, muss der genannte Abschnitt aus dem ersten Spruchdialog genauer untersucht werden. Zu beachten ist zunächst, dass Sachs, wenn er im ersten Dialog die äußere Berufung zu Gunsten einer göttlichen innerlichen Berufung – von Erleuchtung spricht er nicht – problematisiert, in Gestalt des Chorherrn die altgläubige Priesterweihe vor Augen hat.34 29 Vgl. Otten, a.a.O., S. 18f., und Maria E. Müller, Der Poet der Moralität. Untersuchungen zu Hans Sachs, Bern u.a. 1985, S. 21ff. 30 Vgl. Krause, a.a.O., S. 27f. 39ff. S. 28 schreibt er: „Das Motiv der inneren Erleuchtung jedoch, das Sachs für sich in Anspruch nimmt, steht zu Luthers Theologie in Widerspruch und deutet auf wiedertäuferische Einflüsse hin.“ 31 Vgl. Volker Leppin, Art. ‚Spiritualismus II/1‘, RGG4 7, Sp. 1586. Vgl. seine Definition des Spiritualismus, Art. ‚Spiritualismus I‘, a.a.O., Sp. 1585: „Gemeinsam ist den unter S(piritualismus) zusammengefaßten Vertretern die Orientierung an einer Unmittelbarkeit des Geistwirkens im Innern des Menschen, in Abgrenzung von der äußeren Wirkung durch das Wort der Schrift.“ 32 Vgl. das Zeugnis bei Krause, a.a.O., S. 56, unter Rekurs auf Disputation, a.a.O., S. 23,35f.; ferner Keller – Goetze Bd. XI, S. 78,26ff. Hier taktische Motive zu unterstellen, würde Sachs nicht gerecht. Die Möglichkeit aber, dass Sachs in einer spiritualistischen Position keinen Widerspruch zu Luther wahrnahm, ist angesichts seines durchaus scharfen theologischen Sinnes kaum in Erwägung zu ziehen. So bleibt als Lösung nur, dass er seine Position nicht als spiritualistisch und nicht als Luther widersprechend verstanden hat. – Sachs hat sich auch fernerhin nie von Luther losgesagt, wie schließlich sein Epitaphium auf Luthers Tod belegt; vgl. Krause, a.a.O., S. 38. 33 Vgl. Hamm, a.a.O., S. 227. 34 Disputation, a.a.O., S. 13,8–16: „Chorherr: Ey, hört ir nit? Ir müßt vor [= bevor mit dem Wort Gottes Umgang geübt wird] durch die heylig weich [= Weihe] berufft sein unnd darnach von der oberkeit erwelt werden darzu, sonst zymbt es euch nicht mit der heyligen schryfft umbzugan. – Schuster: Christus spricht Luce an dem X. (2): Die ernd ist groß, aber der arbeitter ist wenig; bit den herren der ernd, das er arbeitter schick in seyn ernd. Derhalb muß der beruff nit euserlich, sonder innerlich von got sein. Euserlich aber sint alle prediger beruffen, die falschen gleich so wol als die gerechten.“



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Kontext seiner Äußerung ist die Frage der Bibelauslegung durch Laien. Sachs kann diese grundsätzlich mit der Taufe, aber auch gewissermaßen als Notrecht mit dem Versagen der Bischöfe oder als Ergänzung zum Wirken der Geistlichkeit begründen.35 Die Erfahrung lehrte Sachs, dass die altgläubige Weihe keine Garantie für eine evangeliumsgemäße Schriftauslegung bot, was mutatis mutandis auch auf die evangelische Ordination anzuwenden war. In dieser Hinsicht galt ihm eine innere, göttliche Berufung als unumgänglich und gegenüber der äußeren von größerem Gewicht. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Gott nur selbst seine Kirche erhalten kann, zugleich aber auch die Einsicht, dass dies gerade nur über die Auslegung der Schrift erfolgen kann. Damit aber ist festzuhalten, dass es Sachs nicht um innere Erlebnisse, sondern um das Verstehen der Schrift geht. Entsprechend schärft er in Gestalt des Schusters unter Berufung auf Joh 14,26 deutlich ein, dass der Geist an Christus gebunden ist und keinerlei neue Lehre offenbart.36 Es geht Sachs um die Bindung an das Evangelium – dieses ist der Maßstab und von diesem her ist eigenes Gutdünken ausgeschlossen.37 Stets verweist der Schuster dieses Dialogs auf die Schrift als Basis, legt also klar das sola scriptura zugrunde. An keiner Stelle argumentiert er gegen die äußere Vermittlung des Wortes oder auch gegen die Sakramente.38 Gewiss favorisiert Sachs eine Aufwertung der Rolle des Laien, im doppelten Sinne: im ursprünglichen Sinne gegen die Kleriker bzw. die Träger des ordinierten Amtes, aber auch im weiteren Sinne gegen die schulmäßig ausgebildeten Theologen. Es geht ihm um eine fides explicita, um ein selbständiges Bewegen im Glauben.39 Dabei gehört er zur Gruppe jener Autoren, die gegen die akademische Bildung polemisieren, wenn er etwa auf die Frage des Chorherrn nach dem Zweck der „hohen schul“ angesichts der Auslegung durch nicht ausgebildete Laien zurückfragt: „Uff welcher hohen schul ist Joannes gestanden, 35 Die erste grundsätzliche Begründung findet sich a.a.O., S. 10,29f., die stärker situativ konzipierten Begründungen S. 12,24; 13,20ff. 36 A.a.O., S. 20,12ff, bes. S. 20,15ff, wo der Schuster spricht: „Hört, herr, er [sc. Christus] spricht nit, er [sc. der Heilige Geist] werd euch new ding leern, welches ich [Christus] euch nit gesagt hab, sonder des, das ich euch gesagt hab, würdt er euch erindern, erklären, auff das irs recht verstet, wie ichs gemaint hab.“ 37 Der Schuster äußert a.a.O., S. 21,25ff: „Ja, wann ir das evangelion und das wort gottes lautter saget, so soll wir euch hören, wie Christum selbs. Wo ir aber ewer eygen fündt und gutgeduncken sagt, soll man euch gar nicht hören ...“ 38 Hamm, Bürgertum und Glaube, S. 226 Anm. 113: „Bei Sachs ist jedoch aufgrund des Quellenbefunds ... nicht von einem spiritualistischen Denken zu sprechen. Eine Abwertung des äußeren Schrift- und Predigtworts oder gottesdienstlicher Ordnungen zugunsten eines unvermittelten Einsprechens des Hl. Geistes in die Herzen der Gläubigen ist bei ihm nicht zu erkennen.“ Vgl. zu dieser Frage auch Otten, a.a.O., S. 137 Anm. 163. S. 138. S. 139 f. mit Anm. 165, der zu der Auffassung kommt, dass Sachs keine ‚schwärmerischen‘ Auffassungen vertrat. S. 128ff arbeitet er überzeugend die Zentralität der Schrift für Sachs heraus. 39 Vgl. Sachs, a.a.O., S. 11,9ff: „Die juden wissen ir gesetz und propheten frey außwendig, sollenn dann wir Christen nit auch wissen das evangelium Jesu Christi ...“ Zuvor hatte er schon auf 1 Petr 3,15 verwiesen.

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der so hoch geschriben hat?“40 Dennoch wird auch bei Sachs die Unmöglichkeit dieser, schon im Spätmittelalter vertretenen Haltung deutlich: Ihre Präsentation stellt schon einen Widerspruch in sich dar, ja sie muss einen solchen darstellen. Der Schuster der Disputation mit dem Chorherrn behauptet von sich Unverbildetheit, beansprucht aber für sich, als getaufter Christ „in der schrifft zu forschen, lesen, schreiben“,41 was zwangsläufig eine gewisse Bildung voraussetzt und einen Zuwachs an Bildung zum Ziel hat. Analog ist die ganze ‚Disputation‘ ein Beleg der theologischen Schulung Sachs’, die keineswegs nur auf Bibelkenntnis beschränkt ist.42 Ist Sachs so in der Tat keine Kopie Luthers in Kleinformat oder in Handwerkerausgabe, wie Berndt Hamm mit Recht feststellt,43 so geht es auch nicht an, ihn unter die Spiritualisten zu rechnen. Bei aller Hervorhebung des Geistwirkens im Inneren bestreitet er nicht die Bindung des Geistes an das verbum externum und dessen bleibende Notwendigkeit. Sachs bleibt Luther verbunden.44 Daher gilt: „Der Ort von Sachs ist innerhalb der sich zu Luther haltenden evangelischen Bewegung Nürnbergs und dann innerhalb des sich ausbildenden lutherischen Kirchentums zu sehen, zu keinem Zeitpunkt aber auf seiten [sic!] eines antilutherischen (etwa Karlstadtschen oder Denckschen) Flügels der Reformation.“45 Hamm hat diese Sicht später noch präzisiert. Innerhalb des pneumatologischen Antiklerikalismus der Reformation unterscheidet er anhand verschiedener Nürnberger Vertreter: 1) einen äußere Vermittlung des Wortes und gelehrte Bildung, besonders das Sprachstudium einschließenden, integrativen Typ; 2) einen polarisierenden Typ, der die Rolle der gelehrten Bildung relativiert, dagegen aber die Geistbegabung für konstitutiv hält und entsprechend die Bedeutung der theologischen Laien aufwertet, ohne die äußere Vermittlung des Wortes und die Verbindung von Geistwirken und äußerem Wort zu problematisieren; 3) einen spiritualistischen Typ, in dem eben dieses geschieht und damit, unter Aufnahme mystischer Terminologie, der inneren Geisterfahrung allein die Gewissheit zugeteilt wird; 4) einen Müntzerschen Typ, der spiritualisierende und gewaltsame Züge aufweist.46 Innerhalb dieses Schemas ordnet er Sachs und einige andere Vertreter 40 A.a.O., S. 14,27f. 41 Vgl. a.a.O., S. 10,30. 42 So hat Sachs von der altkirchlichen Bewegung des Montanismus Kenntnis; vgl. a.a.O., S. 15,10f. Ebenso verfügt er über kanonistisches Grundwissen und kennt Bestimmungen des Dictatus Papae (der Papst darf nicht bestraft werden, S. 9,23; die Fürsten sollen seine Füße küssen, S. 9,6f.) wie auch das von Innozenz III. gebrauchte Bild von Sonne und Mond als Analogie für das Verhältnis von Papst und Kaiser (S. 9,4ff). 43 Vgl. Hamm, Bürgertum und Glaube, S. 197. 44 Dies gilt auch und gerade für die Rechtfertigungslehre, wiewohl manches an Luthers Terminologie bei Sachs nicht zu belegen ist, wie Hamm, a.a.O., S. 197 Anm. 43, äußert. Indessen ist gegen Hamm festzuhalten, dass Sachs durchaus das simul iustus et peccator benennt; vgl. den Dialog zwischen einem Chorherrn und einem Schuhmacher, a.a.O., S. 25,33–26,6. 45 Hamm, a.a.O., S. 224 Anm. 109 (kursiv von Hamm). 46 Vgl. dazu Hamm, Lazarus Spengler (1479–1534), Tübingen 2004, S. 135–162.



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der nicht ehrbaren, keine akademische Bildung aufweisenden Mittelschicht dem zweiten polarisierenden Typ zu, der noch eine große Nähe zu Luther besitzt.47 Nicht restlos geklärt ist bei den Vertretern dieses Typs die Frage, wie sie als theologische Laien, die für sich gegen die altgläubigen Kleriker das Recht in Anspruch nahmen, mit dem biblischen Wort umzugehen, diese ihre Funktion auffassten. Hier stellt sich zum einen die Frage, ob diese Aktivität auch gegen das Wirken evangelischer Prediger verteidigt wird. Polemik in dieser Richtung erscheint allerdings nicht. Auch Sachs’ innerreformatorische Kritik zielt auf die Patrizier. Zum andern erhebt sich die Frage, wie jene Laien und mit ihnen Sachs ihr Tun tatsächlich definierten: Galt es ihnen als Form öffentlicher Verkündigung, und wenn ja, als prinzipiell gebotene oder nur als aufgrund äußerer Umstände nötige und somit temporäre Aufgabe, oder sahen sie es als Ausübung des allgemeinen Priestertums. Manche Aussagen sind eher in dieser Weise zu verstehen.48 Andere legen ein Verständnis als öffentlicher Verkündigung nahe, zuweilen als temporärer, zuweilen als grundsätzlich notwendiger Aufgabe.49 Auch mit diesem divergierenden Selbstverständnis dürfte es zusammenhängen, dass dieser Typ eines polarisierenden Antiklerikalismus seit 1525 verschwand.50 Wer seine Verkündigungstätigkeit als bloß temporäre Aufgabe ansah, konnte sie nach Etablierung eines evangelischen Kirchentums und eines von diesem getragenen ordinierten Amtes getrost beenden. Wer sie als grundsätzlich gebotene Aufgabe verstand, musste auch aufgrund des zunehmenden Drucks gegen die radikale Reformation in Schwierigkeit geraten. Wer sein Tun als Gestaltwerden des allgemeinen Priestertums auffasste, konnte es fortsetzen, insbesondere wenn er, wie Sachs, nicht als Prediger auftrat, sondern als Dichter. Sachs’ beispielloses literarisches Werk besteht nach der 26-bändigen Ausgabe Adelbert von Kellers und Edmund Goetzes aus über 6.100 Titeln, die in Meisterlieder (4.100), 47 Vgl. a.a.O., S. 141f. 150. 48 Kontext der Verteidigung des Umgangs mit der Schrift durch den Schuster im Dialog mit dem Chorherrn von Sachs ist die „straff“, die der Schuster am Chorherrn üben möchte, also eine Form des allgemeinen Priestertums; vgl. Sachs, a.a.O., S. 9f. – Einen völligen usus privatus verrät das bei Hamm, a.a.O., S. 148, gebotene Zitat des Kürschners Sebastian Lotzer: „bitt got umb gnad: er wirt dir gníg zí verston geben, was dir notwendig zír seligkeit ist.“ Hier ist die Lektüre der Bibel nur vom Bedürfnis nach eigener Vergewisserung des Heils motiviert, also nur für den persönlichen Gebrauch vorgesehen. 49 Vgl. Hamm, a.a.O., S. 144f. mit Anm. 109 und dem dort gebotenen Zitat aus einer Flugschrift ‚Beklagung eines Laien‘: „... uns ist allen geboten bey unser sel hail, das ainer den anndern sol gíts leeren, dann wann unser faist beüch, junckherren, thím pfaffen predigetten, uns die warhait sagten, so dorfft es kain baur thín als ich bin, so wartet ich meyner arbaitt.“ In einem bei Hamm ebd. aufgeführten Zitat aus dem Dialog von einem Schneider und einem Pfarrer kann diese Tätigkeit auch als unter allen Umständen nötige, von der Sache der unbedingt notwendigen Verkündigung des Evangeliums her geforderte skizziert werden: Da Gott am jüngsten Tage das Blut von demjenigen fordert, der seinen Nächsten nicht unterwiesen habe; daher müssten letztlich alle Prediger – genau dieser Begriff erscheint hier – sein. 50 Vgl. Hamm, a.a.O., S. 167.

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Komödien und Tragödien (ca. 130),51 Fastnachtspiele (85), dazu Fabeln, Schwänke, Spruchgedichte und Kampfgespräche eingeteilt werden. An geistlichem Gut schrieb er Kirchenlieder und Spruchgedichte. Ferner veröffentlichte er eine Bearbeitung von 13 Psalmen und brachte weite Teile der Bibel in deutsche Verse, wobei er Luthers Übersetzung zugrunde legte.52 Unter den zahlreichen Komödien und Tragödien finden sich auch etliche, zumeist kurze geistliche bzw. genauer biblische Dramen.53 Sachs nahm dabei nahezu alle gängigen biblischen Stoffe auf.54 Die biblischen Stücke bilden ungefähr ein Drittel von Sachs’ dramatischem Werk.55 Dieses setzte mit dem Jahre 1527 ein, seinen Hintergrund bildete die Wende von der Agitation zur Didaxe. Sachs verzichtete ab dieser Zeit auf die Einmischung in tagespolitische Auseinandersetzungen und auf die Abfassung von Streitschriften und versuchte statt dessen, seine Vorstellungen im Drama zu vermitteln.56 Nimmt Sachs gegenüber nahezu allen der hier betrachteten Verfasser aufgrund seiner sozialen Stellung und seines Werdeganges in der Reformationsepoche eine Sonderstellung ein, so gilt dies auch für seine Dramen, die sich von den anderen hier behandelten Dramen darin unterscheiden, dass sie ihren Ursprung in den aus der agitatorischen Periode stammenden Prosadialogen haben und entsprechend von einem ausgesprochenen gesellschaftsbezogenen Anspruch geprägt sind.57 Im Gegensatz zu den Schuldramen wurden sie nicht von Kindern, sondern von Erwachsenen und für Erwachsene gespielt. Bernstein kommt auf dem Hintergrund der Bibeldramen zu dem Urteil: „In theologischen Fragen steht Sachs fest auf dem Boden des Luthertums. Selbst die alttestamentarischen Gestalten seiner Dramen sind durch die lutherische Schule gegangen.“58 Dies, d.h. die Frage, welche theologische Haltung in den Dramen Sachs’ zum Ausdruck kommt, gilt es im Folgenden anhand der beiden Abraham-Dramen näher zu analysieren.

51 Helmut Krause, Die Dramen des Hans Sachs, S. 89ff, kommt in seiner Analyse auf 123 von Sachs verfasste Dramen. 52 Vgl. Hamm, Bürgertum und Glaube, S. 191. 53 Einen Überblick bietet Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 329–349. 54 W.F. Michael, a.a.O., S. 353: „Kein deutscher Dramatiker vor oder nach ihm behandelte eine solche Fülle der Stoffe. Biblische Stoffe von der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht erfreuten sich natürlich in der Reformationszeit auch sonst großer Beliebtheit, wenn auch gewisse Figuren: Joseph, Susanna, Judith, Esther, Tobias, der Verlorene Sohn, der arme Lazarus besonders oft herangezogen wurden. Sachs übergeht keine der biblische [sic!] Gestalten oder Geschehnisse; er gibt ihnen wenigstens in späteren Jahren ein klares Profil.“ 55 Vgl. Könneker, a.a.O., S. 101. 56 Vgl. Krause, a.a.O., S. 42ff. 57 Vgl. Krause, a.a.O., S. 46. 58 Bernstein, a.a.O., S. 114.



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Tragedia, mit neun person zu agiern. Die opferung Isaac (1533)59 Das kurze Drama des Nürnbergers – der Ehrenhold bezeichnet es im Argumentum als „geistlich spil“60 – stellt die früheste Dramatisierung des Abraham-Stoffes in der Reformationszeit dar. Zugleich ist sie auch die kürzeste. Sie besteht aus nur drei Akten, die nicht in Szenen unterteilt sind. Das Spiel hat mit neun Personen auch eine sehr geringe Personenzahl unter den hier untersuchen Dramen. Durch die Reduktion des biblischen Stoffes steht die Opferung Isaaks in einer Weise im Mittelpunkt wie in keinem der anderen Abraham-Isaak-Dramen der Zeit. Besonderheiten des Dramas bilden darüber hinaus zwei Punkte: Zum einen weiß Sara in diesem Spiel, wozu ihr Mann und ihr Sohn aufbrechen. Zum andern ist Isaak, als ihm der Vater mitteilt, was er 61vorhat, sofort bereit, sein Leben herzugeben. Im Drama selbst erscheinen nur sieben sprechende Personen. Im Mittelpunkt steht dabei die Person Abrahams, als dessen Widerpart Sara fungiert. Zu der Nürnberger Aufführung ist noch eine in Basel 1602 zu vermelden.62 Vor Beginn der Handlung tritt – wie in Sachs’ Dramen üblich – der Ehrenhold auf und gibt das Argument kund. Der erste Akt stellt den Besuch der drei Männer – Sachs spricht von dem Herrn, der mit „zweyen engeln“ kommt – bei Abraham (Gen 18) dar. Abraham bewirtet sie, der Herr kündigt die Geburt des verheißenen Sohnes an, was Sara für einen Spott hält. Nach dem Aufbruch des Herrn und der Engel, die sich der Sodom-Frage widmen wollen, entspannt sich ein längerer Dialog zwischen Abraham und Sara über die Möglichkeiten Gottes und den Glauben.63 Im zweiten Akt ergeht unmittelbar nach einem kurzen Dankgebet Abrahams für die Geburt des Sohnes der Opferbefehl. Umgehend erklärt Abraham seiner Frau, dass er ein Opfer verrichten müsse.64 Auf die Frage Saras, was er denn zu opfern gedenke, sagt er ihr die furchtbare Wahrheit. Sara versucht ihn davon abzuhalten. Sie wendet ein, ihm sei eher der Teufel erschienen. Abraham aber versichert ihr, es sei Gottes Stimme gewesen. Ein längerer Dialog schließt sich an. Der dritte und längste Akt führt in die Situation vor der Ankunft am Berg Moria. Abraham und Isaak trennen sich von den beiden Knechten Mesech und Simri. Die beiden Knechte äußern in einem Gespräch untereinander die Vermutung, dass etwas nicht in Ordnung sei, von ihren Herren hätten sie in der Nacht und bei der 59 Das Stück findet sich in: Hans Sachs, Werke, hrg. v. Adelbert von Keller und Edmund Goetze, Bd. X, Stuttgart 1876, S. 59–75. 60 A.a.O., S. 59,6. 61 Reckling, Immolatio Isaac, S. 45f., meint, Sachs weiche mit diesem Zug vom biblischen Text ab. Daraus schließt er auch, es könne ihm nicht um Bibeltreue gegangen sein. Dieser Schluss baut aber auf einem argumentum e silentio auf. In Gen 22 steht weder das eine noch das andere. Andreas Lucas, darin Luther folgend, legt dar, es sei wahrscheinlicher, dass Abraham Sara nicht eingeweiht habe, der Text erzwinge dies im Grunde. Entsprechend verfahren denn auch bis auf Sachs alle hier untersuchten Autoren. Im übrigen ist Sachs bemüht, dem biblischen Text genau zu folgen. 62 Vgl. Reckling, a.a.O., S. 151. 63 Sachs lässt das Einweihen Abrahams durch Gott über seine Absichten mit Sodom und die Fürbitte Abrahams für Sodom in Gen 18 aus. 64 Vgl. dazu Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 333.

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Verabschiedung Klagen vernommen. Als sie entdecken, dass ihr Esel weggelaufen ist, gehen sie ab. Abraham bindet Isaak die Hände, was in diesem die Frage erweckt, was er denn Übles getan habe. Abraham erklärt ihm, dass er ein Opfer sein müsse. Isaak bekundet sofort seine Bereitschaft zu sterben.65 Er befiehlt sich Gott an. Als Abraham sein Messer zückt, erscheint der Engel. Mit einem Lob Gottes durch Abraham und Isaak endet die Handlung. Im Beschluss fasst der Ehrenhold das Drama in vier Lehrpunkten zusammen. Wie bei Sachs üblich, versucht der Ehrenhold im Beschluss eine Verbindung zwischen dem Spielgeschehen und der Lebenswelt seiner Zuschauer herzustellen.66

Der Handlung liegt somit wesentlich das in Gen 22 Berichtete zugrunde. Lediglich für den ersten Akt bildet Gen 18 die Grundlage. Der gesamte Stoff dazwischen, die Zerstörung Sodoms und die Rettung Lots, die Krisis um Hagar und Ismael und deren Vertreibung, wird von Sachs ausgelassen. Die Magd und der zweite Abraham-Sohn finden keinerlei Erwähnung. Auch das Faktum der Geburt Isaaks wird nur in einem Dankgebet Abrahams gestreift. Sachs hält sich an die biblische Vorlage, bietet aber darüber hinaus drei Zusätze in Form von Dialogen: Es handelt sich um zwei Gespräche Abrahams und Saras, eines nach dem Besuch der drei Männer und eines vor dem Aufbruch zum Moria, sowie um einen Dialog zweier Knechte Abrahams, den diese führen, unmittelbar nachdem Abraham und Isaak zum Aufstieg zum Moria angesetzt haben.67 Das Drama bietet damit nichts, was in irgendeiner Weise von der zentralen Handlung wegführt. Auch die Unterredung der beiden unwissenden, aber ahnungsvollen Knechte lenkt nicht vom Thema ab. Sie hat die Unruhe der Eheleute zum Gegenstand und verdeutlicht damit noch einmal den Ernst der Situation. Für das Publikum ist die Szene insofern reizvoll, als es mehr weiß als die Knechte. Im übrigen bereitet sie nur den Boden für das Gespräch zwischen Isaak und seinem Vater auf dem Moria. Durch die Konzentration auf Gen 18 und 22 und durch die beiden Dialoge der Eheleute ist die Handlung zugespitzt auf die Sohnesverheißung und den sich auf diese beziehenden Glauben. Für dieses Stück bestätigt sich andererseits die Regel, dass der Handlungshöhepunkt eines Sachs-Dramas in der mittleren Szene des mittleren Aktes zu erkennen ist.68 Danach liegt die Klimax des Dramas in der Zusage des Gehorsams durch Abraham: „Ja lieber Herr, ich will es thon, Dir opfern Isaac, mein sohn, Gehorsamlich nach deinem wort An disem angezeigten ort.“ Folglich ergibt sich, dass der Ton des Stückes auf dem Gehorsam gegenüber Gott liegen müsste, was es aber zu überprüfen gilt. Allgemein gilt für seine Bibeldramen, dass Sachs mit ihnen die Absicht verfolgte, die Bibelkenntnis der Zuschauer zu verbreitern.69 Wie er in der Vorrede zur Gesamtausgabe 65 Vgl. dazu W.F. Michael, a.a.O. 66 Vgl. Bernstein, a.a.O., S. 111. 67 Vgl. Ralf Georg Bogner, Ein Bibeltext im Gattungs- und Medienwechsel, in: Steiger – Heinen (Hrgg.), Isaaks Opferung, S. 438, spricht von der Einführung im Prätext nicht vorhandener Elemente. 68 Vgl. Helmut Krause, Die Dramen des Hans Sachs, S. 130ff. 69 Vgl. Krause, a.a.O., S. 51.



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formuliert, ist es seine Absicht, in die Herzen der Zuschauer Gottseligkeit, Furcht und Liebe Gottes einzupflanzen.70 Für die biblischen Dramen ergibt sich somit, auch im Gegenüber zu den weltlichen Dramen, eine durchaus theologisch bestimmte Absicht. Zugleich sind die Dramen von Sachs durch eine starke didaktische Intention geprägt.71 Er erhofft sich, durch sie den Glauben des Publikums zu stärken, aus dem, wie er sich erwünscht, zumindest mit der Zeit ein entsprechendes Leben folgen soll.72 Charles Schweitzer spricht für Sachs von der Funktion des Theaters als „auxiliaire de la chaire“73. Diese Sicht vertritt auch Eckhard Bernstein, nach dem sich das Drama des Nürnbergers durch seine didaktische Funktion der Predigt annähert.74 Proprium und Vorteil des Theaters gegenüber der Predigt sei seine Handgreiflichkeit und Sinnenfälligkeit.75 Zugleich weist er darauf hin, dass Sachs durch die im Prolog vorweggenommene Inhaltsangabe Distanz schaffe; der Zuschauer solle sich nicht durch die Handlung selbst gefangen nehmen lassen.76 Das Erwirken von Distanz als bewusstem methodischem Schritt bei Sachs unterstützt die These von der didaktischen Intention der Dramen des Nürnbergers. Bernstein folgt mit seinen Ergebnissen der Untersuchung von Helmut Krause. Nach ihm sind Sachs’ Dramen mit der Dreiteilung von Prolog, Handlung und Epilog (Beschluss) durch eine Parabolisierung gekennzeichnet. Der Prolog, durch den die Zuschauer von vornherein gelenkt würden, weise sie darauf hin, dass die Handlung nicht wörtlich, sondern als Gleichnis zu verstehen sei, also keinen wirklichen Eigenwert besitze. Der Epilog wiederum löse die Parabel auf und lege sie aus.77 So unterscheide Sachs zwischen dem fiktiven Geschehen und dem eigentlichen Wahrheitsgehalt.78 Der Prolog mit seiner Parabolisierung wirke spannungsmindernd und verhindere Identifikation mit 70 ‚Vorred in das dritt und letzt buch der gedicht‘ (1561), Keller-Goetze Bd. X, S. 7,15ff.: „... zu erst die geistlichen spiel, auß altem und newem testament, figur, geschicht der König und prophetn, auch evangelia und ander geistlich materi, dardurch die gotseligkeit, forcht und liebe Gottes inn die hertzen ein zu bilden unnd pflanzen.“ Sachs fährt mit der Bestimmung der Zielsetzung seiner weltlichen Stücke und seiner Fastnachtspiele fort: Während er die Intention der weltlichen Dramen in der Anreizung von Tugend und der Abschneidung von Lastern sieht – und damit dem folgt, was man in der Zeit als Intention der antiken Komödie erkannte –, nennt er als Zielsetzung der Fastnachtspiele die Aufmunterung schwermütiger Herzen. 71 Vgl. Bernstein, a.a.O., S. 109, der als Zielsetzung der Dramen von Sachs im Allgemeinen – d.h. die weltlichen Dramen eingeschlossen – eine „moralisch-pädagogische Intention“ herausarbeitet: „Die Zuschauer sollten praktische Ratschläge zur Bewältigung der verschiedensten Lebenssituationen an die Hand bekommen.“ 72 Vgl. Krause, a.a.O., S. 34. 73 Charles Schweitzer, Un poète allemand au XVIe siècle, Nancy 1887, S. 308. 74 Bernstein, a.a.O., S. 115: „Für Sachs, wie für andere Dramatiker seiner Zeit, ist Drama die Fortsetzung der Predigt mit anderen Mitteln.“ 75 Vgl. ebd. 76 Vgl. a.a.O., S. 110. 77 Vgl. Krause, a.a.O., S. 136f. 154. 78 Vgl. a.a.O., S. 138.

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den handelnden Personen. Korrespondierend dazu ergebe sich eine Affektvermeidung, die ebenfalls zum gewünschten Effekt mit beitrage.79 Sachs ziele nämlich mit seinen Dramen auf den Intellekt.80 Als widersprüchlich erscheint es zunächst, wenn Krause einerseits feststellt, Sachs hebe auf eine Affektvermeidung ab, andererseits zu bedenken gibt, dass kein Theater auf Darstellung von Affekten verzichten könne,81 was die Frage evoziert, warum er dann überhaupt das Medium Theater aufgreifen konnte. Krause löst den Widerspruch bzw. nimmt ihm die Schärfe, indem er feststellt, Sachs verbinde rationale und emotionale Theaterelemente und komme dem Unterhaltungsbedürfnis entgegen.82 Dabei behalte aber die Didaxe in Form der Deutung der Handlung die Oberhand.83 Sachs erwirkt also mit seinen Mitteln eine Desillusionierung, eine Distanz der Zuschauer zur dargestellten Geschichte, die sich nicht von dieser absorbieren lassen sollen. Als Absicht der Bibeldramen nennt Krause die Verbreitung von Bibelkenntnis und Moraldidaxe.84 Fragt man zusammenfassend, warum sich Sachs für jene Ziele dieses Mediums bedient hat, ist unter Einbeziehung des Werdegangs von Sachs zu bemerken, dass er ein Vehikel suchte, das erstens geeignet war, die von ihm vertretene und propagierte theologische, moralische und soziale Botschaft zu vermitteln, und das zweitens in Anbetracht der Entwicklungen des Jahres 1525 – Niederschlagung des Bauernaufstands und Stabilisierung der sozialen Lage in Nürnberg – und der seiner Person widerfahrenden Behandlung – Zitation vor den Rat im Jahre 1526 und Publikationsverbot ein Jahr später aufgrund einer massiv papstkritischen Schrift – nicht offen agitatorisch wirkte, sondern gleichnishaft und dadurch eher unaufdringlich.85 Dass Sachs seine Dramen mit den das Verständnis des Publikums lenkenden Elementen Prolog und Epilog versah und sich ferner um affektvermeidende Mittel bemühte, zeigt, dass er mit dem Medium reflektiert umging, dass er sich bewusst war, dass es über eine gewisse Eigendynamik verfügte und deshalb in gewisser Weise kontrolliert oder beschränkt werden musste. In den Abraham-Dramen selbst trifft Sachs keine Feststellungen zur Intention seines dramatischen Wirkens im Allgemeinen. Es fallen keine Bemerkungen dazu, warum er sich für seine Absichten der dramatischen Form bediente. Fragt man nach der Intention des Abraham-Dramas von 1533, so erteilt zunächst der Beschluss Auskunft. In diesem geben die Worte des Ehrenhold deutlich eine didaktische Zielsetzung des Dramas zu erkennen, wenn er äußert, dass in ihm den Zuschauern 79 Vgl. a.a.O., S. 137 Anm. 4. 147ff. 154: „Der Zuschauer wird von Anfang an dazu angehalten, zwischen dargestelltem Geschehen und Lehrgehalt zu unterscheiden. Inhaltsangabe, Affektvermeidung, typisierende Personengestaltung sollen die Kritikfähigkeit des Zuschauers vor psychischer Absorption bewahren...“ 80 Vgl. a.a.O., S. 149. 155. 81 Vgl. a.a.O., S. S. 155. 82 Vgl. a.a.O., S. 158f. 83 Vgl. a.a.O., S. 161f. 84 Vgl. a.a.O., S. 51. 85 Vgl. a.a.O., S. 43f.



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„... vier stück werden bericht.“86 Damit sind Lehrpunkte angesprochen, in denen Sachs die Handlung zusammengefasst sieht. Diese Lehrpunkte sind von verschiedener Manier. Der erste, einzig nicht von einer Person repräsentierte ist deutlich seelsorglicher Art. Die Zuschauer sollen aus dem Spiel für sich mitnehmen, dass Gott hält, was er verheißt.87 Stellt dies eine tröstliche Wahrheit dar, so wird der Zuschauer durch sie allerdings auch zum Glauben aufgefordert: Gott halte, was er versprochen habe „wahrhafft und gewiß, Wo man im nur gelaubet diß.“88 Die Voraussetzung dafür wird im Folgenden benannt, die Aktualisierung: Dass Gott zu seiner Verheißung steht, ist nach Sachs kein Faktum der Vergangenheit. Es galt nicht nur Abraham, sondern gilt auch noch heute. Sachs sieht diese Aktualisierung in Christus gegeben, durch den Gott seinen der Christenheit versprochenen Gnadenbund „noch heut zu dieser stund Helt ...“89 Die Lehrpunkte zwei und drei können zusammengefasst werden, da sie auf dem Kontrast Abraham – Sara beruhen. Abraham wird seines Glaubens und Gehorsams wegen den Zuschauern als Vorbild vorgeführt, während Sara dessen Gegenbild darstellt, da sie auf ihre Vernunft statt auf Gott vertraut, sich über Gottes Wort stellt und mit ihm rechten will. Sachs vermisst in dieser Gestalt die rechte Demut vor Gott.90 Folgerichtig führt Gott sie durch das Kreuz in die Krise.91 Immerhin wird Sara allerdings als durchaus belehrbar gezeichnet. So erklärt sie, ihren Sohn – an dessen Geburt sie zwar noch Zweifel hegt – zu Gottesfurcht, Zucht und Ehre erziehen zu wollen92, und willigt auch nolens volens in das Opfer des Sohnes ein93. Die Gegengestalt zu Sara bildet Abraham mit seinem vollendeten Gehorsam, seinem Glauben, seiner unerschütterlichen Haltung, die keinem Zweifel Raum gibt. Diese beiden Lehrpunkte, Abraham und Sara, enthalten somit eine Aufforderung zum Glauben, zum äußerlichen wie innerlichen Gehorsam gegen Gott94, zum Vertrauen darauf, dass er das Beste mit dem Glaubenden vorhat und ihm beisteht95. Der vierte Lehrpunkt ist der einzige, der rein lehrhaften Charakter zu tragen scheint: Isaak figuriert Jesus Christus. Allerdings wird auch dieser Punkt von Sachs umgehend aktualisiert. So ist Christus vom Vater geopfert „Für unser sünd auff dem altar...“96 Besonders hält Sachs fest, dass Christus derjenige ist, „Dadurch noch alle Christenleut Werden

86 Hans Sachs, Die Opferung Isaaks, a.a.O., S. 74,18. 87 Vgl. a.a.O., S. 74,19ff. 88 A.a.O., S. 74,21f. 89 A.a.O., S. 74,23f. 90 Vgl. a.a.O., S. 74,39f.: „Und kan sich gar nit schicken drein, Will nur ob dem wort meister sein …“; und S. 75,5ff: „Will sich dem wort nicht untergebn Und einfeltig glauben darnebn, ...“ 91 Vgl. a.a.O., S. 75,7ff. 92 Vgl. Akt 1, S. 64,7ff. 93 Vgl. Akt 2, S. 69,1ff. 94 Vgl. a.a.O., S. 74, 6: „Und was er sie heist, in gefelt.“ 95 Vgl. a.a.O., S. 74,34f.: „Sie glauben, daß Gott auff das best Mit in meint, trewlich ob in helt …“ 96 A.a.O., S. 75,18.

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gesegnet und auch sind Auß gnaden worden Gottes kind.“97 Durch ihn besitzen sie das himmlische Vaterland.98 Auch in diesem Lehrpunkt ist folglich eine tröstliche Note enthalten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Sachs’ Abraham-Drama vorrangig zwei Ziele verfolgt: Zum einen möchte es Tröstung vermitteln, die in der Treue Gottes gesehen wird, der zu seiner Verheißung gegenüber den Menschen steht. Zum andern möchte es zum Glauben als dem rechten Umgang mit Gott auffordern und zum Gehorsam und zur Demut ihm gegenüber bewegen. Als unangemessen in Hinsicht auf Gott wird der Zweifel an ihm und das in der Vernunft begründete Rechten mit ihm gekennzeichnet. Das Drama intendiert somit grundsätzlich eine religiöse Unterweisung. Eine moralische Belehrung wird dagegen nicht berührt; im Blick ist nur das Verhältnis zu Gott. Eine, allerdings nicht unbedeutende, Nebenrolle nimmt der Gedanke der Präfiguration ein, nicht unbedeutend, insofern er an mehreren Stellen erscheint und auch im Beschluss in Form einer Allegorisierung von Sachs ausgeführt wird. So wird an zwei Stellen vom Holz gesprochen, dass Isaak auf sich nimmt.99 Ferner betet Isaak auf dem Altar Ps 31,6.100 Im Beschluss weist der Ehrenhold die Zuschauer darauf hin, dass Isaak für die nicht leidende göttliche Natur des Erlösers steht, während der Widder als Hinweis auf die leidende menschliche Natur Jesu Christi zu verstehen ist.101 Adressaten sind, insofern Abraham und Sara die Hauptfiguren des Dramas sind, alle Glaubenden. Sie werden vom Zweifel und Rechten weg zum Gehorsam gegen Gott gerufen, wie ihn Abraham erfüllt. Zwar wird auch Isaaks Gehorsam genannt,102 doch spielt der Junge als solcher, wie gesagt, insgesamt nur eine Nebenrolle. Gleiches gilt für die beiden Knechte, die allerdings als mitfühlend und unaufdringlich dargestellt und in dieser Hinsicht als Vorbilder gezeichnet werden. Wenn hier festgestellt wird, Sachs ziele mit dem Drama auf alle Glaubenden, meint dies, dass er keinen Stand besonders heraushebt und anredet und dass er die Zuschauer und Zuschauerinnen als Glaubende anspricht. Dass Sachs mit seinen Werken besonders für den ‚gemeinen Mann‘ schreiben wollte – und

97 A.a.O., S. 75,22ff. 98 Vgl. a.a.O., S. 75,25f. 99 Vgl. a.a.O., S. 59,22f.; 69,10f. – Dabei ist freilich zu berücksichtigen, dass schon in der Geschichte Gen 22, also unabhängig vom Kreuz Jesu, der Begriff Holz erscheint. Im Neuen Testament ist insbesondere auf Act 5,30, 10,39, Gal 3,13 und 1 Petr 2,24 zu verweisen, wo vom Kreuz Jesu als Holz gesprochen wird. Vom Tragen des Kreuzes durch Jesus ist in Joh 19,17 die Rede. – Vgl. dazu auch Johann Anselm Steiger, Zu Gott gegen Gott. Oder: Die Kunst, gegen Gott zu glauben, in: Ders. – Heinen (Hrgg.), Isaaks Opferung, S. 222, der mit Ambrosius, Augustin und Isidor von Sevilla auch patristische Vorbilder dieser Auslegung von Joh 19,17 nennt. 100 Vgl. a.a.O., S. 72,28. – Vgl. Lk 23,46. Auch Luther stellt sich so Isaak vor der Opferung vor; WA 43, 221,1. 101 Vgl. a.a.O., S. 75,16–21. 102 Vgl. a.a.O., S. 59,22f.; 72,9.



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sich so überwiegend auch sein Publikum zusammensetzte –, bedeutet dazu keinen Widerspruch.103 Wie in Sachs’ Dramen üblich, werden die Personen als Typen gezeichnet. Dies bedeutet aber nicht, dass keinerlei besondere Züge an einer Person gezeichnet würden. So wird Abraham etwa als gastfreundlich geschildert.104 Als leicht zu begeisternd wird er gezeigt, wenn er im ersten Akt erneut die Sohnesverheißung erhält und dies freudig Sara mitteilt, obwohl er de facto nichts in der Hand hat.105 Immer wieder appelliert er hinsichtlich des Glaubens an seine Frau.106 Merkwürdig und menschlich unwahrscheinlich bleibt, dass er sofort bereit ist, seinen Sohn Gott darzubringen,107 und dies auch, wenn auch nicht von sich aus, sondern gefragt, umgehend Sara mitteilt.108 Obwohl er deutlich seine Meinung Sara gegenüber zum Ausdruck bringt, bleibt er freundlich zu ihr.109 Den Knechten gilt ihr Herr als gehorsam und fromm, sie stufen ihn und Sara als gottesfürchtig ein.110 Insbesondere wird Abraham als gehorsam und beständig im Glauben dargestellt. Sein Gehorsam wird im Drama vom Anfang bis zum Ende herausgestellt.111 Zugleich ist er standfest. Er hält durch, obwohl er von allen Seiten angefochten wird. Der Befehl Gottes dringt ihn hart an, Sara widerspricht ihm massiv. Sie führt alles an, was gegen ein Befolgen der Order Gottes spricht: die natürliche Erfahrung, die Vernunft, das väterliche Gefühl. Abraham lässt sich aber dadurch nicht abbringen. Er orientiert sich alleine an Gottes Wort. Entsprechend stellt der Ehrenhold im Beschluss Abraham als Vorbild für alle gläubigen Christen vor, „So auff Gottes wortes zusagen Alle gefär gehorsam wagen On allen zweifel, starck und vest. Sie glauben, daß Gott auff das best Mit in meint, trewlich ob in helt Und was er sie heist, in gefelt.“112 Umgekehrt verkörpert Sara die menschliche Vernunft, die disputieren will und sich nicht in Gottes Willen schickt, sondern sich über sein Wort stellt, ermessen will, wie, wann und warum ein Geschehnis eintrifft und nicht „einfeltig glauben“ will.113 Trotz der Erwähnung menschlicher Regungen – dass er Isaak töten soll, ficht ihn schwer an114 – bleibt die Gestalt Abrahams angesichts der schweren Prüfungen, die sie 103 Vgl. Krause, a.a.O., S. 163 Anm. 68. 104 Vgl. Sachs, a.a.O., S. 60,12ff. 105 Vgl. a.a.O., S. 62,8f. 106 Vgl. a.a.O., S. 62,27; 63,23; 67,17ff; 68,34. 107 Vgl. Akt 2, a.a.O., S. 65,14ff. 108 Vgl. a.a.O., S. 66,2f. Vgl. zu diesem Zug Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 333. 109 Vgl. a.a.O., S. 66,19: „Mein liebe Sara…“ 110 Vgl. Akt 3, a.a.O., S. 70,31.28. 111 Vgl. Argumentum, S. 59,20f.29; Akt 2, S. 65,16; Akt 3, S. 70,31 (Worte des Knechts); 73,3.6.18 (Worte des Engels); 74,32 (Beschluss). 112 A.a.O., S. 74,28ff. 113 Vgl. a.a.O., S. 74,37ff. 114 Vgl. Akt 2, S. 66,10, wo Abraham sagt: „Mir ist wol also angst als dir.“ Vgl. S. 64,34.

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durchstehen muss, insgesamt der irdischen Sphäre stark enthoben und faktisch ins Übermenschliche gesteigert. Auffallend ist, dass in der eigentlichen Moria-Szene kein Gefühl Abrahams gezeigt wird. Er wird von Sachs als der ideale Glaubende gezeichnet.115 Ein auf psychischer oder theologischer Ebene ausgetragener Konflikt – Befehl Gottes kontra Verheißung – wird nicht vorgeführt. Trotz der Zeichnung gewisser konkreter Züge hat der Verfasser nicht die Absicht, Charaktere zu zeichnen oder psychische Konflikte zur Darstellung zu bringen; ein Indiz dafür ist auch das Fehlen des Monologs.116 Vielmehr zielt Sachs auf Allgemeingültiges, typische Verhaltensweisen, die in den konkreten Zügen hindurchscheinen. Von daher geht es ihm darum, in Abraham die Tugend bzw. den Gehorsam zu personifizieren.117 Der Zuschauer und die Zuschauerin soll sich nicht mit Abraham als Person identifizieren, sondern mit seinem Gehorsam.118 In Entsprechung intendiert Sachs nicht, Emotionen zu erwecken, er zielt auf den Intellekt.119 Die Darstellung eines standfesten, weitgehend von Apathie geprägten Abraham wird bei Sachs auch durch den von ihm vertretenen Stoizismus unterstützt.120 Gemäß dem Argument liegt der intentionale Schwerpunkt des Dramas auf der Frage des Gehorsams. So formuliert der Ehrenhold dort: „Zu hand der vatter Abraham Deß Herren wort war gehorsam. Auch war der sohn gehorsam gnug, Das holtz selb auff seim rücken trug,...“121 Auch die Worte des die Opferung unterbrechenden Engels heben darauf ab.122 Im Verlauf des Stückes macht Sachs aber sehr schnell deutlich, dass er unter diesem Gehorsam den Glauben versteht. Der Glaubensbegriff steht im Mittelpunkt der beiden längeren Gespräche zwischen Abraham und Sara. In der ersten Gesprächsrunde nach dem Besuch Gottes und der beiden Engel im ersten Akt vertritt Abraham die Seite des Glaubens, während Sara Einwände aus Vernunft und Erfahrung der Natur zur Sprache bringt. Sie fragt ihren Mann, wie es möglich sein könne, dass sie mit ihren 90 Jahren noch ein Kind zur Welt bringe, auch er sei ja 100 Jahre alt: „Derhalben kann ich das nit gelauben.“123 Abraham antwortet, auch wenn dies der Natur unmöglich sei, so sei es 115 Vgl. Ralf Georg Bogner, Ein Bibeltext im Gattungs- und Medienwechsel, a.a.O., S. 445. 116 Vgl. Bogner, a.a.O., S. 443. 117 Vgl. Helmut Krause, Die Dramen des Hans Sachs, Berlin 1979, S. 109: „Die Handlungsfiguren haben lediglich die Funktion, jene Lehre zu exemplifizieren; sie sind daher keine Charaktere, sondern Typen, die um der didaktischen Wirkung willen Tugend oder Laster unmißverständlich zur Darstellung bringen.“ Vgl. Bernstein, a.a.O., S. 112: „... geht es Sachs auch nicht um die Schaffung einzigartiger Individuen mit all ihren Konflikten und Widersprüchen, sondern um ‚Exempla‘ für richtiges oder falsches Verhalten ...“ Vgl. a.a.O., S. 149. 118 Vgl. Krause, a.a.O., S. 145, und sein Urteil S. 149: „Die Moral wird nicht über Identifikationsmechanismen vermittelt, sondern intelligibel gemacht.“ 119 Vgl. a.a.O., S. 149. 155: Die Dramen erschließen sich nur dem mitdenkenden Zuschauer. 120 Zum Einfluss des Stoizismus auf Sachs vgl. Krause, a.a.O., S. 71f. 121 Sachs, a.a.O., S. 59,20ff. 122 Vgl. a.a.O., S. 73,6.18. 123 A.a.O., S. 62,25.



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doch für Gott etwas Geringes. Ihm seien alle Dinge möglich, er habe ja auch im Anfang alle Kreatur allein mit seinem Wort geschaffen.124 Im Weiteren legt Abraham dar, es habe Gott gefallen, dass er ihnen „nit nach der natur Ein sohne gebe, sondern pur Durch sein verheissung auß genaden.“125 Der Glaube kann also gegen den Lauf der Natur zu stehen kommen, insofern er sich auf Gott richtet, der in seiner Allmacht praeter naturam handeln kann. Im Zweifelsfalle soll folglich dem Glauben vor der alltäglichen Erfahrung der Natur der Vorzug gegeben werden. Der Glaube kann ferner gegen die Vernunft stehen. Abraham fordert Sara auf nicht zu zweifeln. Gott halte sein Wort und dieses sei mächtig das zu vollbringen, was er rede. Rufe er einem Ding, so stehe es da.126 Darum gelte: „Gott kanst du thon kein grösser ehr, Denn einfeltig seim wort gelauben. Laß dein vernunfft dich nit betauben! Sie ist blind in götlichen sachen.“127 Der rechte Umgang mit Gott und seinem Wort besteht im Glauben, über den hinaus Gott nichts vom Menschen verlangt. Aus diesen Sätzen spricht ein reformatorisches Verständnis des Glaubens. Der Glaube ist auf die göttliche Verheißung bezogen. Er hat sich alleine an Gottes Wort zu halten, nicht an die Sicht der Vernunft, nicht an die von der Natur gespeiste Erfahrung. Ferner ist der Glaube nicht mit menschlichen Zusätzen zu verbinden. Aus dem allem erhellt, dass nach Sachs der Glaube nicht das einfach Naheliegende ist. Er stellt nicht eine dem Menschen zu Händen liegende Möglichkeit dar, vielmehr widerspricht er dem natürlichen Menschen. Luthers Auffassung entsprechend, die dieser besonders in seiner Schrift ‚De servo arbitrio‘ zum Ausdruck bringt, hält Sachs die Vernunft in Bezug auf Gott für blind.128 Auch die Rechtfertigungslehre leuchtet in den von Abraham statuierten Sätzen auf: Wenn er in Bezug auf die Geburt Isaaks äußert, der Sohn werde allein aus Gnade gegeben, nicht nach der Weise der Natur, lässt das über die Inkarnation hinaus an die Erlösung denken. ‚Gnade‘ impliziert dabei für Sachs im strengen Sinne Ausschluss von anderem Mitwirkendem, sein Gnadenbegriff schließt deren Verständnis als ‚sola gratia‘ ein. Im zweiten Dialog zwischen Sara und Abraham geht es ebenfalls um den Glauben. Wiederum nimmt Sara den Part des Zweifels ein. Sie vermutet, Abraham sei eher ein Gespenst Satans erschienen statt Gott selbst.129 Wenn es aber tatsächlich Gott sei, der zu Abraham gesprochen habe, so sei klar, dass er ihnen nunmehr feindlich gesonnen sei 124 A.a.O., S. 62,28ff: „Ist es gleich der natur unmüglich, Das wir sind zu gepern untüglich, So ist es aber Gott gering. Dem sind ie müglich alle ding, Weil im anfang der schöpfer pur Beschaffen hat alle creatur Allein mit seinem einigen wort.“ 125 A.a.O., S. 63,6ff. 126 A.a.O., S. 63,23ff: „Ach, Sara, zweifel nit daran! Was Gott redt, das wird er auch than. Sein wort ist gewiß und warhafft Und hat ein allmechtige krafft, Das zu verbringen, was er redt. Wo er eim ding rüfft, es da steht.“ 127 A.a.O., S. 63, 30ff. 128 WA 18, 707,22f.: „Ratio humana … cum in omnibus verbis et operibus Dei caeca, surda, stulta, impia et sacrilega est…“ – WA 18, 762,3ff: „Quid est esse non intelligentem Dei et boni, nisi rationem … esse ignaram Dei et boni, hoc est, caecam in cognitione pietatis?“ Vgl. ferner WA 18, 659,3ff. 129 Vgl. Sachs, a.a.O., S. 66,12ff.

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und ihnen Gnade und Gunst entzogen habe.130 Abraham verweist darauf, dass er des Herren Stimme kenne – eine Anspielung auf Joh 10,4.131 Gott sei ihnen nicht zum Feind geworden, auch wenn er das Opfer des Sohnes verlange. Der Sohn gehöre Gott, der ihn gegeben habe. Er habe sich gewiss etwas dabei gedacht, vielleicht werde aus Isaak ein böser Mensch werden, was Gott durch diesen Tod verhindern wolle.132 Dieser Versuch der Rationalisierung lässt Sara umgehend einwenden, dass Gott in solchem Falle einen nicht so bitteren, blutigen Tod wählen könne. Abraham hält seiner Frau daraufhin, wiederum Luther aufnehmend, Unverstand für Gott vor: „Ach, warumb redst du wider Got, Samb dir die Gottes werck nit taugen? Mein Sara, du hast menschlich augen, Die sind in Gottes wercken blend, Sein heimligkeit gar nit verstend. Derhalben so ist wunder nicht, Das dir die götlichen gericht Auß unverstand nit gefallen.“133 Sara wendet sich nun an Abraham als Vater, dessen väterliche Hand sich tatsächlich im Blut des Sohnes waschen sollte: „Das ist nit billich, recht noch gut. Kein mensch doch nie erhöret hat Solch mördisch unmenschliche that. Was hat doch Gott nur lust darvon?“134 Dies bringt Abraham zu seiner grundsätzlichen Stellungnahme: Was Gott befehle, solle man tun, „Ob es gleich die vernunft dunckt gräulich, Närrisch oder gar abschewlich, Oder so schlecht es immer wöll, Iedoch man es verbringen söll Einfeltig mit hertzen und sinn Und gar nit nachvorschen darinn Die ursach warumb, wie und wenn, Sonder strachs seinem wort nachgehn. Drumb thu ohren und augen zu! Laß dir gefallen, was Gott thu! Wann Gott ligt an den wercken nicht, Sonder nur auff den ghorsam sicht. Den will Gott allein von uns haben.“135

Aus diesem Passus tritt zum einen erneut die Entgegensetzung von Glaube und Vernunft hervor, zum andern zeigt sich, dass für Sachs der Glaube ein Nichtzweifeln an Gottes Eingenommensein für das Subjekt ist. Der Glaube hält sich an diese, ihm kund gewordene Haltung Gottes, an seine Gnade. Auffallend ist, dass Sachs den Gehorsam, der den göttlichen Befehl erfüllt, von den Werken abgrenzt. Der in Gottes Auftrag einwilligende Gehorsam ist gerade kein Werk, mit dem der Mensch etwas bei Gott zu erwirken versucht, sondern er ist nach Sachs Glaube, eben weil der Mensch mit ihm nicht eigenem Sinn folgt, sondern dem göttlichen Wort. Auf diese Weise vermag Sachs, in deutlicher Wendung gegen die altgläubige Position, das sola fide zur Sprache zu bringen. Die Werke sind vor Gott ausgeschlossen, es zählt nur der Glaube. Seine Terminologie ist an dieser Stelle offensichtlich von der Mystik beeinflusst, wenn er von der Einfalt spricht, vom

130 Vgl. a.a.O., S. 66,22ff. 131 Vgl. a.a.O., S. 66,19f. 132 Vgl. a.a.O., S. 66,33ff. 133 A.a.O., S. 67,17ff. 134 A.a.O., S. 67,30ff. 135 A.a.O., S. 67,36ff.



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Schließen von Augen und Ohren und das Leben des Glaubenden als eine vita passiva beschreibt. Den letzten Einwand Saras bildet die in den Dramen über Isaaks Opferung immer wieder gestellte Frage, wie Gott denn seine Verheißung erfüllen wolle, wenn Isaak tot sei.136 Abraham bringt seinen Glauben zum Ausdruck, indem er seine Zuversicht bekundet: Gott werde seinen Bund halten, und zwar auch wenn Isaak sterbe, „So kan doch der allmechtig Gott Uns wol ein andere frucht fürstrecken Oder den Isaac aufferwecken Wider auß dem verbrendten aschen, Dardurch den segen wir erhaschen.“137 Gott habe viele, ihnen unbekannte Wege in seiner allmächtigen Hand. Es gelte ihm zu vertrauen, sich willig drein zu geben.138 Aus diesen Sätzen spricht stärker eine Sicht des Glaubens als Vertrauen. Dieses richtet sich auf den Gott, für den auch der Tod keine Grenze bildet; insofern ist auch das göttliche Auferstehungshandeln Gegenstand des Glaubens.139 Der durch Abrahams Äußerungen vorgezeichneten Linie folgt auch der Beschluss. Die erste Lehre des Dramas liege, wie der Ehrenhold ausführt, darin, dass Gottes Verheißung fest stehe: „Erstlich was Gott, das höchste gut, Uns durch sein wort verheissen thut, Das halt er wahrhafft und gewiß, Wo man im nur gelaubet diß...“140 Auch heute noch halte er seiner Christenheit den Gnadenbund durch seinen Samen. Isaak präfiguriere diesen Samen, Jesus Christus, durch den alle Christen gesegnet würden und „auch sind Auß gnaden worden Gottes kind...“141 Erneut hält Sachs fest, dass die Verheißung die Grundlage des Glaubens bildet und dass dieser die Gottes Wort entsprechende Haltung ist. Die Verheißung kulminiert in Jesus Christus, das Heilsgut stellt die Gotteskindschaft dar. Wenn Sachs formuliert, dass diese den Christen bereits verliehen sei, ist dies ein deutlicher Ausdruck der reformatorischen Heilsgewissheit, wobei offen bleibt, ob er dabei an die Taufe oder an den Zuspruch des Evangeliums in der Predigt denkt. Angesichts dieses Befundes ist der Versuch, das Stück aus dem Jahr 1533 als Beleg für ein Abweichen Sachs’ von der reformatorischen Linie zu verwenden, definitiv obsolet. Krause erkennt eine solche Devianz in Sachs’ Verständnis von Gnade als „diesseitige Belohnung für ‚richtiges‘ Verhalten“ und in seinem „Abweichen von Luthers SolafidesLehre“.142 Genau diese Ansichten vertritt Sachs in seinem Drama nicht. Zwar versteht er 136 Vgl. S. 68,15ff. 137 A.a.O., S. 68,24ff. – Dies entspricht der Vorstellung Luthers von dem, was er vor dem Opfer zuspricht; WA 43, 216,27f.: „... cum sit omnipotens, potest servare promissionem etiam te mortuo et in cinerem redacto.“ 138 Vgl. a.a.O., S. 68,34. 139 Eine Verbindung zur Rechtfertigungslehre wird an dieser Stelle aber nicht hergestellt. 140 A.a.O., S. 74,19ff. 141 A.a.O., S. 75,22ff. 142 Krause, Die Dramen des Hans Sachs, S. 39; vgl. S. 60 mit Anm. 45, wo er auch die beiden Abraham-Dramen als Belege aufführt. – Wenn Krause S. 39 Anm. 42 bei Sachs eine unvollständige Zitation von Luthers Freiheitsschrift (WA 7, 23) im ‚Dialog den Geiz betreffend‘ (Keller – Goetze Bd. XII, S. 65) – Sachs erwähne nicht die vom Gesetz bewirkte Verzweiflung, auf die Luther zu

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den Glauben primär als Gehorsam, aber nicht als ein Werk des Menschen, auch nicht als ein moralisches, an einer Tugendlehre zu messendes Tun143. Das Opfer Isaaks wird als Prüfung durch Gott verstanden, der Abraham versuchen will, ob er ihn gehorsam gegenüber seinem Wort findet.144 Der rechte Umgang mit Gott ist nach Sachs der Glaube.145 Kein eigener menschlicher Anteil seitens der Vernunft liegt im Glauben, ein Mitwirken der Natur und damit auch des Menschen als causa secunda gibt es nicht. Entsprechend fasst Sachs die Gnade nicht als Belohnung, nicht als Reaktion auf vorgängiges menschliches Verhalten auf. Sie ist für ihn auch keine irdische Vergeltung, sondern Gottes Eingenommensein für den Menschen, dem er sich zuwendet, Gottes Liebe und Gunst.146 Zwar erhält Abraham nach seiner Versuchung eine durchaus diesseitige Verheißung,147 aber hier folgt Sachs nur der biblischen Vorlage. Vollends erhellt der Epilog, dass die Gnade keine diesseitige oder profane Größe ist. Durch sie wird man Kind Gottes und erhält Anteil am himmlischen Vaterland; einen Bund der Gnade hat Gott verheißen, den er in Christus gehalten bzw. erfüllt hat und noch erfüllt.148 In gleicher Weise versteht Sachs die von den Glaubenden zu vollziehenden guten Werke nicht als solche, mit denen die Seligkeit verdient werden soll. Vielmehr richten sie sich auf den Nächsten und sind Ausdruck der Dankbarkeit gegenüber Gott, seiner vorgängigen Zuwendung.149 Wiederum mutet es erstaunlich an, wie der Laie Sachs die reformatorische Theologie verinnerlicht hat.150 Deutlich erscheinen Topoi der reformatorischen Lehre. Auch wenn reformatorische Formeln als solche nicht auftauchen, auch wenn die Handlung nicht mit Gen 15,6 verbunden wird, sind der Sache nach das sola fide und das sola gratia präsent. sprechen kommt – als Beleg für Sachs’ moralisierende und pädagogisierende Rechtfertigungslehre anführt, so dürfte dies überinterpretiert sein. Auch in den von Sachs gebotenen Worten kommt zum Ausdruck, dass der Mensch wurzelhaft böse ist und dass er, um dies zu erfassen, der Predigt des Gesetzes bedarf, die ihn erschreckt und zum Evangelium treibt. Das völlige Unvermögen des Menschen zum Guten und seine Bestürzung darüber wird von Sachs durchaus zur Sprache gebracht. Diese existentielle Sicht geht deutlich über bloßes Moralisieren hinaus. 143 Gegen Krause, a.a.O., S. 60. Die von Krause in Anm. 45 aus den beiden Abraham-Dramen angeführten Stellen aus den Epilogen belegen gerade das Gegenteil dessen, was er mit ihnen beweisen will. 144 Vgl. den Beginn von Akt 2, S. 64,30f. 145 Vgl. Sachs, Akt 1, S. 63,30. 146 Vgl. die Äußerung Saras in Akt 2, S. 66,27ff: „Nun merck ich wol: es ist umb sunst Und hat ein end lieb, gnad und gunst, Die uns doch Gott thet vor den tagen Durch seinen eignen mund zusagen.“ 147 Vgl. Akt 3, S. 73,7ff. 148 Vgl. den Beschluss, S. 74,23ff; 75,21ff. 149 So ist Abrahams Gastfreundschaft an Fremdlingen durch die Dankbarkeit gegen Gott motiviert; vgl. Akt 1, S. 60,11ff. 150 Dabei ist zu bedenken, dass sich Sachs drei Jahre, von 1520 bis 1523, intensiv mit Luthers Schriften beschäftigt hat; vgl. dazu Niklas Holzberg, Die Tragedis und Comedis des Hans Sachs. Forschungssituation – Forschungsperspektiven, in: Hans Sachs und Nürnberg, hrg. v. Horst Brunner u.a., Nürnberg 1976, S. 126.



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Das Stück lehrt klar, dass die Werke bei der Erlangung des Heils ausgeschlossen sind. Reformatorischer Auffassung verdankt sich ebenso der Gedanke, dass der Glaube über der Vernunft steht. Auffallend ist lediglich, dass der Glaube von Sachs vorrangig als Gehorsam gefasst wird – wobei, wie sich zeigte, der Vertrauensaspekt keineswegs fehlt. Zwar liegt dies auch an der zugrunde gelegten Geschichte, die den Ton auf den Gehorsam legt, doch wäre diese Lösung nicht zwangsläufig gewesen, wie das Beispiel anderer Autoren zeigt. Durch seine Auslegung der Begriffe Glaube und Gehorsam gelingt es Sachs aber, einer möglichen Tendenz zur Moralisierung nicht zu erliegen. So liegt tatsächlich ein durch und durch theologisches Drama vor, in dem aber an keiner Stelle konfessionelle Polemik erscheint. Tragedia. Der Abraham, Lott sampt der opfferung Isaac, hat 21 person und 7 actus (1558)151 Sachs hat sich im Jahr 1558, also 25 Jahre nach Abfassung der Tragödie von der Opferung Isaaks, noch einmal mit dem gleichen Vorwurf befasst und ein zweites „geistliches spiel“152 zu Abraham herausgegeben. Dabei hat er das Stück von 1533 zur Grundlage genommen und dessen Formulierungen im Wesentlichen übernommen. Allerdings hat Sachs den Stoff erheblich ergänzt und auf sieben Akte aufgestockt, was auch im Titel ‚Abraham, Lot samt der Opferung Isaaks‘ seinen Niederschlag findet.153 Das Drama umfasst die biblische Überlieferung von Gen 16 bis 22. Dadurch ist die deutliche Konzentration auf die Opferung Isaaks, die sein erstes Abraham-Drama prägte, nicht mehr gegeben.154 In diesem Zusammenhang fällt ferner auf, dass die beiden gewichtigen Dialoge zwischen Abraham und Sara – man muss sagen, leider – in diesem Drama stark reduziert werden, der erste fällt sogar in Gänze weg. Leitend für Sachs ist nunmehr der biblische Faden. Nach dem den Inhalt vorstellenden Argumentum beginnt die Handlung des sieben, nicht in Szenen unterteilte Akte umfassenden Dramas: Der erste Akt enthält den Stoff aus Gen 16–17. Hauptgegenstand ist die Hagar-Thematik. Der Akt hebt an mit der Klage Saras, dass ihr ein Nachkomme versagt ist. Sie schlägt Abraham vor, er solle Hagar zusätzlich zur Frau nehmen, damit diese ihm einen Sprössling schenke, ein Vorschlag, der Abrahams Billigung findet. Nachdem Sara ihren Mann und Hagar miteinander verbunden hat und Hagar schwanger geworden ist, bringt diese allerdings umgehend ihren Übermut zum Ausdruck. Es folgt die Klage Saras über ihre Magd und deren Flucht. Nach ihrer auf Geheiß des Engels erfolgten Rückkehr gibt Gott den Befehl zur Beschneidung und erneuert die Sohnesverheißung. Der zweite Akt stellt die Geschehnisse aus Gen 18 dar. 151 Das Drama findet sich bei Keller – Goetze Bd. X, S. 15–58. 152 A.a.O., S. 15,6. 153 Vgl. dazu W.F. Michael, a.a.O., S. 333. Freilich hat Sachs den Text von 1533, wie gezeigt wird, nicht völlig unverändert gelassen. 154 Reckling, Immolatio Isaac, S. 47: „Durch diese Erweiterungen ist die klare Gliederung und Geschlossenheit des ersten Dramas verlorengegangen.“

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Er bietet den mittels Vorbereitungstechnik155 dem Zuschauer schon angekündigten Besuch der drei Männer – Sachs spricht von dem Herren und zwei Engeln. Nach der Ankündigung der Geburt eines Sohnes und den Verwicklungen um Saras Lachen kündigt Gott seine Pläne mit Sodom und Gomorra an, worauf Abraham seine, im Drama von 1533 nicht gebotene Fürbitte vorträgt.156 Im dritten Akt, der den ersten Teil von Gen 19 wiedergibt, kehren die zwei Engel – es handelt sich um Gabriel und Uriel – bei Lot ein. Lot spricht aus, dass die gesamte Stadt in Sünde verfallen sei und niemand da sei, der richte. Es folgt der Ansturm der Sodomiten, von denen drei in Erscheinung treten. Die herbeigerufenen Schwiegersöhne verweigern sich dem Rettungsversuch. Der erste mit dem Namen Serel gibt kund, nicht alleine im Himmel sein zu wollen. Auch habe Gott sie noch nie geplagt, darum fürchte er sich nicht.157 Der zweite mit Namen Sirel antwortet mit einem alten Sprichwort, nach dem man den, der von einem Drohwort sterben will, begraben solle158: „Zu Sodom so will bleiben ich Bey andern guten schluckern allen. Solt gleich der himel nider fallen, So wern gefangen alle vögel.“159 Der vierte Akt nimmt seinen Stoff aus dem zweiten Teil von Gen 19 und präsentiert die Flucht Lots und seiner Familie, den Tod von Lots Frau und die Geschichte von Lot und seinen Töchtern. Eingeschaltet ist, ausgehend von Gen 19,27f., ein Monolog Abrahams, in dem dieser seine Hoffnung zum Ausdruck bringt, dass Gott Lot gerettet habe „Durch sein grosse barmhertzigkeit, Weil er auff ihn trawt diese zeit.“160 Im fünften Akt wird die Abimelech-Episode aus Gen 20 dargeboten. Der sechste Akt stellt den zweiten Teil der Hagar-Geschichte aus Gen 21 dar. Vorausgesetzt wird die Geburt Isaaks, zu Beginn des Aktes treten Abraham und Sara mit dem gewickelten Isaak auf.161 Abraham dankt für die Geburt des Sohnes; Gott habe Sara mit seiner Gnade heimgesucht.162 Er fordert Sara auf, nun nicht mehr an Gott zu zweifeln, sondern ihm zu gehorchen, denn: „Gott ist ein trewer halter All seiner wort; was er verheist, Dasselb er warhafftigklich leist.“163 Die HagarGeschichte wird eingeleitet durch eine Klage Hagars darüber, dass Isaak nunmehr dem Ismael vorgezogen werde, worauf Ismael ankündigt, er werde Isaak hart anpacken. Es folgt die Klage Saras

155 Vgl. Niklas Holzberg, Die Tragedis und Comedis des Hans Sachs, S. 124, der dort auf die verschiedenen Verfahren zur Information der Zuschauer und zur Vorbereitung der Handlung bei Sachs zu sprechen kommt. 156 Infolge der Aufnahme der Ankündigung der Zerstörung Sodoms und der folgenden Fürbitte Abrahams hat Sachs keinen Raum mehr für den Dialog der Eheleute über die Verheißung des Sohnes; er fällt ersatzlos weg. 157 A.a.O., S. 32,18ff: „Wolt ungern allein im himel sein. Man hat es vor auch offt gesagt Und uns Gott doch nie mit geplagt. Derhalb fürcht wir uns nicht fürthin.“ 158 A.a.O., S. 32,36ff: „Ein altes sprichwort hören sagen: Welcher von trowort sterben wöll, Denselben man begraben söll Mit strowischen hinein die erden.“ 159 A.a.O., S. 33,4ff. 160 A.a.O., S. 36,38f. 161 Vgl. a.a.O., S. 43,1f. 162 A.a.O., S. 43,5ff: „Du hast nach deim götlichen wort Mein weib Sara an disem ort Mit dein genaden heimgesucht…“ 163 A.a.O., S. 43,30ff.



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über die Behandlung Isaaks durch Ismael mit der Bitte um Vertreibung der Magd. Abraham zeigt sich betrübt, aber Gott weist ihn an Sara zu folgen. Unmittelbar schließt sich die Vertreibung an, wiederum durch einen traurigen Abraham164, und darauf die Wüstenszene mit der Erscheinung des Engels Gabriel. Der Akt schließt mit dem Zuspruch an Ismael durch seine Mutter.165 Der siebente und längste Akt des Dramas ist der Opferung Isaaks aus Gen 22 gewidmet. Er beginnt mit einer Selbstrede Gottes: „Abraham will versuchen ich, Ob ich in find bestendigklich Und gehorsam in meinem wort, Was ich im gebewt an dem ort. Es wird im hertzlich bitter sein.“166 Umgehend willigt Abraham ein. Auf die Frage Saras nach dem Opfer antwortet Abraham ohne Umschweife, er müsse Isaak opfern. Darauf entwickelt sich ein Zwiegespräch zwischen beiden. Diesen Dialog hat Sachs aus seinem Drama von 1533 übernommen, jedoch stark gekürzt.167 Abraham verweist auf den Befehl Gottes, der keine Ausrede zulasse.168 Sara meint, Abraham habe eher „ein gespenst und phantasey“ des Satans gehabt.169 Abraham entgegnet, er kenne die Stimme des Herrn.170 Sara fragt, ob Gott so zornig sei, dass er sie des verheißenen Trostes beraube. Er habe ihnen wohl die Gnade und Gunst entzogen, die er ihnen zugesagt habe.171 Abraham widerspricht: Gott sei ihnen nicht feind, auch wenn sie ihm Isaak opfern müssten. Gott sei das höchste Gut, der alle Dinge im Besten und auch nichts ohne Ursache tue.172 Schließlich willigt Sara ein: Des Herren Wille geschehe.173 Damit endet das Gespräch zwischen den beiden, bei dem weite Teile der Fassung von 1533 ausgelassen sind.174 Es folgt der Aufbruch, die Trennung von den Knechten, 164 Vgl. a.a.O., S. 46,11 und 47,4f. 165 Vgl. a.a.O., S. 49,5f.15: „Gott ist mit dir; das merck ich wol, Wann er ist aller barmung vol... Nun komb! mit dir ist Gottes hand.“ 166 A.a.O., S. 49,19ff. 167 Vgl. a.a.O., S. 50,26 – 51,36 (Drama 1558), mit a.a.O., S. 66,4 – 69,6 (Drama 1533). In der Edition von 1876 umfasst das Gespräch im Drama von 1558 nur knapp mehr als eine Seite, im Drama von 1533 dagegen drei Seiten. 168 Vgl. a.a.O., S. 50,29ff. Die Formulierung ist wörtlich aus dem Drama von 1533 übernommen. 169 Vgl. a.a.O., S. 51,34ff. Auch diese Stelle ist wörtliche Aufnahme aus dem Drama von 1533; lediglich heißt es 1558 ‚gelaublich‘ (51,2) statt ‚gelaubig‘ (66,12). 170 Vgl. a.a.O., S. 51,9f. Bis auf ein weggelassenes ‚wol‘ liegt wörtliche Übernahme aus dem Drama von 1533 vor. 171 Vgl. S. 51,12ff. Der Text ist weitgehend aus dem Drama von 1533 geschöpft. 172 Vgl. S. 51,23ff. Diesen Passus hat Sachs neu konzipiert. 173 Vgl. S. 51,32ff. Auch dieser Passus ist neu formuliert bis auf Zeile 51,34, die auch in Saras Worten im Drama von 1533 (69,5) erscheint. 174 So fehlt der Rationalisierungsversuch Abrahams, nach dem Gott Isaak durch seinen Tod vor einer schweren Sünde bewahren wolle (67,3ff). Entsprechend ist auch der Einwand Saras, für diesen Zweck reiche auch ein natürlicher Tod, ausgelassen (67,10ff). Aber auch der weitere Gesprächsgang: Saras Appell an Abraham als Vater (67,26ff), Abrahams Bekundung, man müsse tun, was Gott will, und die daraus folgende Absage an die Vernunft (67,35ff) und das eigene Nachforschen (68,4ff) sowie der Appell an Sara, sich gefallen zu lassen, was Gott tue, da ihm nicht an Werken, sondern am Gehorsam liege (68,8ff), Saras Einwand bezüglich der göttlichen Verheißung (68,13ff) und dessen abschließende Widerlegung durch Abrahams Hinweis auf die Allmacht Gottes, die entweder

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deren Gespräch, in dem sie böse Ahnungen äußern, und die Moriaszene. Abraham bindet Isaak die Hände, der daraufhin fragt, was er denn Böses getan habe. Abraham eröffnet ihm, er müsse das Opfer sein, worauf Isaak seine gebundenen Hände aufhebt, zum Himmel sieht und freudig dem Vater seine Bereitschaft erklärt: „Wann Gottes wort und werck sind gut, Der alle ding im besten thut, Er sey uns nehmen oder geben, Reichtumb, armut, tod oder leben. Darumb sein will an mir geschech!“175 Nach einer Bemerkung Abrahams befiehlt er seinen Geist in Gottes Hand, worauf Abraham das Messer zückt und der Engel erscheint. Abraham löst den Isaak, beide loben Gott. Die Handlung schließt mit Worten Abrahams über die Freude Saras und mit einer Danksagung an Gott. Im Beschluss verkündet der Ehrenhold schließlich fünf aus dem Drama zu ziehende Lehrpunkte, die er in verschiedenen Personen bedeutet sieht; sie werden weiter unten behandelt.

Sachs folgt in diesem Drama deutlich der biblischen Vorlage von Gen 16 bis 22. Ausgelassen ist nur die weniger bedeutende Szene von Isaaks Geburt und Entwöhnung in Gen 21. Den auffallenden Zug, dass Abraham der Sara eröffnet, was er mit Isaak vorhat, hat Sachs aus dem ersten Drama übernommen. Gleiches gilt für Isaaks nahezu freudige Bekundung seiner Bereitschaft, sich Gott zu opfern, als Abraham ihm mitteilt, dass Gott ihm aufgetragen habe, ihn zum Opfer darzubringen. Sachs bietet keine Szenen über die biblische Überlieferung hinaus. Allerdings baut er gewisse Züge darin aus, so z.B. die Erklärungen der Schwiegersöhne des Lot und der Sodomiten im dritten Akt, den Monolog Abrahams im vierten Akt und das Gespräch Hagars und Ismaels im sechsten Akt. Aus dem Drama von 1533 transferiert, jedoch etwas gekürzt, hat Sachs im siebenten Akt das Gespräch der beiden Knechte, nachdem sich Abraham und Isaak von ihnen zum Aufstieg verabschiedet haben.176 Ein Schwerpunkt des Dramas liegt in der Hagar-Ismael-Handlung, die den ersten und den sechsten Akt bestimmt. Gleichwohl ist der letzte und längste Akt, auf den die Handlung zielt, für die Opferung Isaaks reserviert. Insofern ist zu konstatieren, dass auch für dieses Drama das Thema der Versuchung Abrahams den Zielpunkt bildet. Die Regel, dass der Höhepunkt eines Sachs-Dramas in der mittleren Szene des mittleren Aktes zu finden ist,177 hilft hier nicht weiter. Im Argumentum fällt keine Bemerkung zur Intention des Dramas. Im Beschluss nennt der Ehrenhold, nachdem er bemerkt, die Geschichte sei zu Gottes Lob und Ehre verfasst, ausdrücklich „fünf lehr“,178 was die didaktische Absicht Sachs’ anzeigt. Diese Lehrpunkte werden sämtlich durch Personen der Handlung repräsentiert: eine andere Frucht ‚fürstrecken‘ oder Isaak auferwecken könne (68,20ff), fällt ersatzlos weg. Damit streicht Sachs auch wichtige Bezüge zur reformatorischen Lehre. 175 A.a.O., S. 54,11ff. 176 Vgl. a.a.O., S. 52,33 – 53,26 (1558), mit S. 70,7 – 71, 22 (1533). Der Hinweis auf Abrahams Gehorsam und Frömmigkeit und auf die Gottesfurcht der beiden Eheleute entfällt 1558. 177 Vgl. Krause, Die Dramen des Hans Sachs, S. 130ff. 178 Sachs, a.a.O., S. 56,22ff.



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1) Hagar, die auf irdisches Glück und Gut vertraue und sich in Hochmut versteige, aber durch Gott ins Elend geschickt werde, womit zur Demut aufgefordert werde; 2) Sara, die sich von der eigenen Vernunft regieren lasse, sich nicht dem Wort Gottes unterstelle und nicht einfältig glaube, bis sie an der Tat sehe, was Gott verheißen hat; 3) Abraham, der Gottes Wort gläubig annahm und ein „holdselig fürbild Aller glaubigen Christen mild, Die auff Gottes wortes zusagen Alle gefer gehorsam wagen Ohn allen zweifel starck und vest, Die glauben, das Gott auff das best Mit in meint trewlich, ob in helt Und was er sie heist, in gefelt.“179; 4) die Sodomiten, die ein „grewlich exempel ... Aller verstockten sünder schar“ seien180; 5) Isaak, der Christus, den Heiland anzeige, durch den „... noch alle Christenleut Werden gesegnet und auch sind Auß gnaden worden Gottes kind ...“181 Gegenüber dem Drama von 1533 sind die Lehrpunkte korrespondierend zur Ausdehnung des Vorwurfs um zwei erweitert worden, die durch Hagar und die Sodomiten figuriert werden, die beide negative Handlungsmuster darstellen. Der nicht persongebundene erste Lehrpunkt aus dem früheren Drama, dass Gott zu seiner Verheißung steht, ist dagegen entfallen. Aus dem ersten Drama übernommen sind die Lehrpunkte zu Sara, Abraham und Isaak. Drei Lehrpunkte stellen nun negative Exempel dar; lediglich Abraham markiert für sich genommen einen positives Exempel, insofern Isaak den den Glaubenden gegenüberstehenden Christus repräsentiert. Am weitesten entfernt von Gott und den Glaubenden kommt die durch die Sodomiten repräsentierte Haltung zum stehen, die als Verstocktheit, Unbußfertigkeit, wollüstiges Sündigen, Verachten Gottes und seines Wortes charakterisiert wird, die zudem noch die Frommen bedrängt und so nur das Gericht Gottes verdient. Gegenüber dem früheren Abraham-Drama fällt damit die gesteigerte Bedeutung negativer Handlungsweisen ins Auge. Trat im ersten Drama nur Sara als Widerpart von Abraham auf, die gleichwohl auch nicht in absolutem Gegensatz zu Abraham stand, so kommen in diesem Stück neben Sara noch Hagar als Verkörperung der menschlichen superbia und insbesondere die Sodomiten als völlig verstockte Sünder182, als Verkörperung der Gottlosigkeit zum Stehen. Während nun für den Hagar-Typus noch Hoffnung besteht, insofern dieser durch das Kreuz als pädagogisches Mittel zur Besinnung kommt,183 hält Sachs die Lage der verstockten Sünder für aussichtslos. Bestätigt sich so die Grundregel für Sachs, dass eine Person entweder gut oder böse ist,184 so zeigt 179 A.a.O., S. 57, 18ff. 180 A.a.O., S. 57,28f. 181 A.a.O., S. 58,6ff. 182 Vgl. Beschluss, S. 57,28f. 183 Vgl. S. 56,35ff. 184 Vgl. Bernstein, a.a.O., S. 112, der freilich der Auffassung ist, es gebe keine Abstufungen in der Zeichnung der Personen.

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sich andererseits, dass er durchaus gewisse Unterschiede bei den negativ gezeichneten Personen kennt.185 Mit den, verstockte Sünder bezeichnenden, beiden Schwiegersöhnen Lots hat Sachs offensichtlich einen zeitgenössischen Libertinismus vor Augen. Während es von ihnen im Buch Genesis nur heißt, Lots Rede sei ihnen lächerlich, komponiert Sachs zwei längere Bemerkungen der Schwiegersöhne. Diese ergehen sich nicht nur in amoralischen Handlungen, die auf das Stillen der Genusssucht zielen.186 Sie werden als „spötter deß Herren wort“ und ausdrücklich als „gotloß“ bezeichnet.187 Sie zeigen sich in keiner Weise interessiert, die Seligkeit zu erwerben, vielmehr erscheinen sie ausschließlich am Diesseits orientiert.188 Auch dieses Drama zielt mit seinen Lehrpunkten auf den Glauben und den Gehorsam, repräsentiert durch Abraham, und die Demut, deren Gegensatz durch Hagar und Sara verkörpert wird. Nahezu unverändert hat Sachs den Lehrpunkt zu Abraham von 1533 in das neue Drama überführt.189 Ähnliches gilt für denjenigen zu Sara, wobei Sachs allerdings das Schicken des Kreuzes durch Gott an dieser Stelle bei dem durch Sara repräsentierten Typ weglässt und dem durch Hagar verkörperten Typ zuordnet.190 Statt dessen fügt er in Bezug auf die durch Sara figurierten Menschen ein, dass sie erst der Zweifel verlasse, wenn sie an der Tat sähen, was Gott ihnen verheißen hat.191 Saras Haltung wird damit noch stärker als Unglauben, der Beweise sehen will, charakterisiert. Der Trostaspekt wird 185 Für dieses Drama greift somit die Auffassung zu kurz, Sachs kenne nur ein vollkommenes Gutes und ein vollkommenes Böses, wie sie Hugo Beck, Das genrehafte Element im deutschen Drama des XVI. Jahrhunderts, Berlin 1929, S. 109f., vertritt: „Darum werden die Personen scharf gezeichnet, vollendet böse, vollendet gut.“ In den Typen im Abraham-Drama von 1558 setzt Sachs innerhalb des Bereichs des Bösen bzw. Nicht-Guten Differenzierungen an. Dabei konstatiert er auch für die Besseren der Nicht-Guten, d.h. Sara und Hagar eine Hoffnung auf einen Übergang in den Bereich des Guten. 186 Vgl. Akt 3, S. 32,8ff; 33,4ff.15f. 187 S. 33,20.18. Vgl. die Charakterisierung der Sodomiten durch den Ehrenhold im Beschluss, der davon spricht, dass sie Gott und sein heiliges Wort verachten (S. 57,32). 188 Vgl. S. 32,14ff: „Darnach [sc. nach dem Genuss] so wolt ich geren sterben Mit dem grossen hauffen verderben Und mit in abfaren gen hellen. Da west ich auch vil guter gsellen, Die auch mit mir füren hinein. Wolt ungern allein im himel sein.“ Vgl. ferner das S. 32,37f. vom zweiten Schwiegersohn zitierte ‚alte Sprichwort‘: „Welcher von trowort sterben wöll, Denselben man begraben söll.“ 189 Vgl. Sachs, S. 57,16–26 (1558) mit S. 74,28–36. Statt vom lieblichen Vorbild ist jetzt vom holdseligen Vorbild die Rede. Hinzugefügt sind ferner die Zeilen: „Der Gottes wort glaubig an namb“ (57,17), und „Das sind die rechten außerwelt“ (57,26). 190 Den Einsatz zu Sara formulierte er 1558 etwas anders (S. 57,3f.): „Zum andern Sara figuriert Leuth, so nur ihr vernunfft regiert,“, statt wie 1533 (S. 74,37f.): „Zum dritten Sara figuriert Menschlich vernunfft, die disputiert ...“ Der Hinweis im Drama von 1533 auf das Kreuz, das Gott diesen Menschen schickt, um sie zu überwinden (S. 75,7f.), fällt 1558 weg, um in Bezug auf Hagar zu erscheinen (S. 56,35ff). 191 Vgl. a.a.O., S. 57,13ff: „Biß sie das sehen an der that, Was ihn Gots wort verheissen hat, Erst sie der zweifel gar verlat.“



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durch Abraham berührt, der die „rechten außerwelt“192 bedeutet, wie auch durch Isaak, der Christus bezeichnet, der – wie Sachs mit Worten seines früheren Dramas formuliert – für unsere Sünden vom Vater geopfert wurde und durch den „noch alle Christenleut Werden gesegnet und auch sind Auß gnaden worden Gottes kind.“193 Insgesamt tritt der Trostaspekt aber nicht so stark hervor wie im früheren Abraham-Drama. Durch die Dominanz der negativen Exempel (Hagar, Sara, Sodomiten) wird stärker herausgearbeitet, wie man sein Leben nicht gestalten soll. Dabei gerät auch das moralische Verhalten des Menschen in den Blick. So lebt Hagar weltlich und verachtet andere Menschen, die nicht über die ihr geschenkten Gaben verfügen, die Sodomiten trachten nach sündiger Wollust und bekümmern die Frommen. Als die Wurzel dieses Verhaltens zeichnet Sachs aber Vergehen gegen Gott: den Hochmut, der sich über Gott erhebt und nicht wahrnimmt, dass von ihm allein alles Gute kommt194, und die damit einhergehende Verachtung Gottes. Sachs geht es also auch in diesem Drama grundlegend um das Verhältnis des Menschen zu Gott. Dies erhellt auch daraus, dass die Dominanz der negativen Beispiele auf der anderen Seite gerade bedingt, dass das positive Beispiel Abrahams, seine Vorbildlichkeit, die im Glauben und im Gehorsam gegenüber Gott besteht, um so stärker hervorragt. Wie das Drama von 1533 zielt also auch das des Jahres 1558 auf eine geistliche Unterweisung hinsichtlich des rechten Umgangs mit Gott. Viele Züge aus dem früheren Abraham-Drama Sachs’ erscheinen auch in diesem Drama. So wird er wiederum als gastfreundlich geschildert.195 Das Verhältnis zu Sara ist durch Ermahnungen bestimmt.196 Er erinnert Sara sogar daran, dass sie vordem an der Geburt Isaaks Zweifel hegte.197 Abraham wird durchaus mit menschlichen Zügen dargestellt. So sorgt er sich um Lot.198 Öfter ist er betrübt: als ihm bei Abimelech Sara entrissen wurde199, als Sara von ihm die Vertreibung Hagars und Ismaels verlangt200. Die Austreibung der beiden fällt ihm schwer, er hätte ihnen so gerne Gutes getan.201 Danach 192 A.a.O., S. 57,26. 193 A.a.O., S. 58,1f.6ff. – Den Passus zu Isaak übernimmt Sachs weitgehend aus seinem ersten Drama. Die Zeilen (S. 75,12ff): „Von Gott, dem vatter, her gesand, Verheissen von allen propheten, So hertzlich auff in hoffen theten.“, fallen 1558 weg. Neu ist 1558 die Zeile S. 58,12: „Und end hat alles ungemachs.“ 194 Vgl. a.a.O., S. 57,1. 195 Vgl. Akt 2, S. 22,17ff. 196 So ermahnt Abraham Sara in Akt 6, S. 43,33f.: „Derhalb zweifel fort nicht an im! Gehorch seiner göttlichen stimb!“, und in Akt 7, S. 51,29: „Derhalb so red darwider nicht! Du bist mit worten gar zu gech.“ 197 Vgl. Akt 6, S. 43,14f., wo Abraham nach der Geburt Isaaks zu Sara sagt: „Wiewol du daran zweifelst gar, Als ob Gott sollichs wer unmüglich.“ 198 Vgl. Akt 4, S. 36,36ff. 199 Vgl. Akt 5, S. 39,20ff. 200 Vgl. Akt 6, S. 45,12. 201 Vgl. Akt 6, S. 46,2.5f.

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ist er schwermütig.202 Gegenüber dem früheren Drama neu ist die Regieanweisung, dass Abraham auf dem Moria traurig zu Isaak redet.203 In allem aber folgt er der Weisung Gottes, der in seinem Leben die maßgebliche Rolle spielt. So befiehlt er die Sache mit Sara Gott im Gebet an. 204 Seinen Sohn Ismael will er zur Gotteserkenntnis erziehen und damit der Ehre Gottes dienen.205 Gott weiß, dass Abraham seinen Kindern sein Wort einschärft, er gilt ihm als vorbildlicher Hausvater.206 Auch wenn es unangenehm ist, folgt er Gott, wie bei der Vertreibung Hagars207 oder der Opferung Isaaks208. Er weiß: „... was unser Gott Schaffet, das ist als wol und gut. Weil er all ding am besten thut, So soll wirs mit freuden annemen ...“209 Auch in diesem Drama ist der Hauptzug in der Zeichnung Abrahams sein Gehorsam,210 ebenso folgt er hier sofort dem Befehl Gottes. Der Engel konstatiert den Gehorsam Abrahams.211 Insgesamt lässt sich so festhalten, dass in Bezug auf die Person Abraham die Tendenzen der früheren Dramatisierung auch die spätere prägen. Obgleich auch für dieses Stück gilt, dass in ihm Typen dargestellt werden, erscheinen die menschlichen Züge Abrahams etwas verstärkt, was, wie die Regieanweisung für die Moria-Szene zeigt, nicht nur durch die Aufnahme anderer Episoden der Abraham-Geschichte bedingt ist.212 In vielerlei Hinsicht gilt das zum ersten Abraham-Drama in Bezug auf die Verarbeitung reformatorischer Lehre Gesagte auch für die zweite Dramatisierung des Stoffes. Zentral ist wiederum der Glaubensbegriff. Einen Wesenszug des Glaubens bildet wie im Drama von 1533 der Gehorsam.213 Der Sinn des Opfers besteht für Sachs darin, dass Gott den Gehorsam Abrahams ‚versuchen‘214, seine Beständigkeit prüfen wollte215. Wie im früheren Drama 202 Akt 6, S. 47,4ff: „Ach, Ismael der tawert mich, Macht mir mein hertz schwermütigklich, Dergleichen auch mein magd Hagar,...“ 203 Vgl. Akt 7, S. 54,20. 204 Vgl. Akt 5, S. 39,26f. 205 Vgl. Akt 1, S. 20,35ff. 206 Akt 2, S. 24,31ff: „Ich weiß: er wird den kindern sein Entpfelhen in seim hauß allein, Das sie halten deß Herrn wort, Was gut und recht ist an dem ort...“ 207 Vgl. Akt 6, S. 46,1ff. 208 Vgl. Akt 7, S. 50,3ff. 209 Akt 1, S. 17,4ff. 210 Vgl. Argumentum S. 16,20.27; Beschluss, S. 57,20ff. 211 Vgl. Akt 7, S. 55,7.10.22. 212 Vgl. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 353, der darauf aufmerksam macht, dass Sachs den von ihm aufgegriffenen biblischen Gestalten in späteren Jahren ein klares Profil gibt. 213 Vgl. S. 57,20f.: „Die auff Gottes wortes zusagen Alle gefer gehorsam wagen …“, und S. 57,25: „Und was er sie heist, in gefelt.“ Sachs hat dies aus dem Drama von 1533 übernommen; vgl. S. 74, 31f.36. 214 Vgl. Argumentum, S. 16,20f. 215 In Akt 7, S. 49,19ff, spricht Gott: „Abraham will versuchen ich, Ob ich in find bestendigklich Und gehorsam in meinem wort, Was ich im gebewt an dem ort.“



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wird der Glaube der von Sara figurierten Vernunft gegenübergestellt. Diese will „meister“ über Gottes Wort sein, sich ihm nicht untergeben und stets die Ursachen und Umstände eines Geschehnisses ergründen.216 Glaube ist demgegenüber einfältiger Glaube.217 Auch wenn Gottes Handeln prima facie nicht einsichtig erscheint, gilt es doch seinem Willen zu folgen, weil und insofern dieser sich als gnädig erwiesen hat.218 Wesentlich für den Glauben ist damit zugleich der Vertrauensaspekt.219 Abrahams Glaube ist darin vorbildlich, dass er auf die Zusagen des Wortes Gottes hin Gehorsam wagt und nicht zweifelt220, dass er glaubt, dass Gott es mit den Seinen „auff das best... meint trewlich“221. Der Glaube hält sich also an Gottes Verheißung, er weiß sich daher mit Gott vertraut.222 Zugleich bezieht sich der Glaube auf Gottes Gnade. Unter Gnade versteht Sachs, auch hier seinem Drama von 1533 folgend, die Liebe und Gunst Gottes, seine grundsätzliche Haltung für die von ihm erwählten Menschen.223 Diese ist Grundlage des Glaubens, von daher verteidigt Abraham Gott gegen den Verdacht, es sei aus mit seiner Gnade, er sei ihnen zum Feind geworden.224 Das Gnadenhandeln Gottes wird von Sachs in Bezug auf die Sodomiten ferner als Vergeben der Schuld, als Schonen und Verschonen, als Stillen des Zorns sowie als Gabe bzw. Einräumen von Buße und Segen beschrieben.225 Der Begriff ‚Segen‘ bezeichnet bei Sachs also nicht einfach Fruchtbarkeit und irdischen Reichtum, was freilich in Aufnahme 216 Vgl. S. 57,6ff.9ff. (1558) mit S. 74, 40; 75,3ff (1533). 217 Vgl. S. 57,12. 218 In Akt 5, S. 38,34f., formuliert Abraham anlässlich der (aus dem biblischen Text Gen 20 nicht zu erhebenden) göttlichen Weisung, zu Abimelech zu ziehen: „Und thuts zu dem besten uns allen, Wann es thut im also gefallen, Ob wir gleich das nicht verstehn. Sein gneding willen ich erkenn.“ Vgl. Akt 6, S. 43,30ff, wo Abraham zu Sara spricht: „Gott ist ein trewer halter All seiner wort; was er verheist, Dasselb er warhafftigklich leist. Derhalb zweifel fort nicht an im! Gehorch seiner göttlichen stimb!“ – Sachs bestreitet aber nicht die Rationalität Gottes, wie eine Äußerung Abrahams in Akt 7, S. 51,26ff, zeigt: „Wann Gott der ist das höchste gut, Der alle ding im besten thut. On ursach nichts durch in geschicht.“ 219 Vgl. Akt 4, S. 36,37ff, wo Abraham sagt: „Villeicht hat ihn [sc. Lot] errettet Gott Durch sein grosse barmhertzigkeit, Weil er auff ihn trawt diese zeit.“ Vgl. ferner Akt 1, S. 21,28, wo Gott spricht: „O Abraham, vertraw doch mir!“ 220 Vgl. Beschluss, S. 57,20ff. 221 A.a.O., S. 57,23f. 222 Wie im ersten Drama äußert Abraham, er kenne des Herren Stimme; vgl. Akt 7, S. 51,9f. (1558) mit Akt 3, S. 66,19f. (1533). 223 Vgl. in Akt 7, S. 51,18, die Worte Saras: „Und hat ein end lieb, gnad und gunst, Die uns denn Gott thet vor den tagen Durch seinen eigen mund zusagen.“ Die gleiche Formulierung findet sich im Drama von 1533 in Akt 2, S. 66,28. Sachs spricht in diesem Drama – über das frühere AbrahamDrama hinaus – ausdrücklich von den „rechten außerwelt“; vgl. Beschluss, S. 57,26. 224 Vgl. Akt 7, S. 51 (1558) mit Akt 3, S. 66 (1533). 225 Vgl. Akt 2, S. 25f. In der Lutherbibel ist an diesen Stellen lediglich davon die Rede, dass Gott den Sodomiten nichts tut, sie nicht verderbt. Nur in Gen 18,24.26 erscheint dort das Verbum ‚vergeben‘. An dieser Stelle spricht Sachs einmal davon, dass Gott seinen Zorn stillen lässt, später vom Vergeben der Schuld.

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des biblischen Textes Gen 22,17 durchaus der Fall ist, sondern umfasst auch den Aspekt von Vergebung und Heil. Ansonsten erscheint die Kategorie der Vergebung aber nur im Beschluss im Hinweis auf das Kreuz Christi. Gnade kann er schließlich als Einlösen der Verheißung durch Gott auffassen.226 An einer Stelle erscheint die Verheißung konditioniert durch das Wohlverhalten des Menschen.227 Wie im ersten Drama werden die guten Werke aus der Dankbarkeit zu Gott begründet.228 Eine Besonderheit dieses Dramas bildet der dritte Akt, der im Hause Lots in Sodom spielt. Nach der mit der unsicheren Lage in der Stadt begründeten Einladung Lots an die Engel Gabriel und Uriel fragt letzterer, ob denn in der Stadt niemand sei, der die Übeltäter bestrafe, was Lot klagend negieren muss. Auch die ‚Oberen‘ seien mit Lastern behaftet.229 Es folgt die Darstellung der Sodomiten und besonders der Schwiegersöhne Lots mit ihrer spöttisch-epikureischen Haltung, die Uriel nur als „gotloß“ bezeichnen kann.230 Auch dieser Passus lässt sich auf dem Hintergrund reformatorischen Denkens sehen. So ist auch nach Sachs die Obrigkeit notwendig, um dem Bösen zu wehren. Ihr Fehlen oder besser ihren Ausfall kann er nur als unsagbares Unglück werten. Die Szene ist eine deutliche Ermahnung an die Obrigkeit, der ihr von Gott übertragenen Aufgabe nachzukommen, Recht und Gerechtigkeit zu bewahren. Der Schaden, den Lot für Sodom feststellt, ist radikal. Er betrifft die Führungsschicht wie das breite Volk. Nun wird man derartige Zustände sicher nicht einfach auf Nürnberg übertragen können. Ebenso wenig wird man sagen können, dass in der Reichsstadt entsprechende Einstellungen unter dem Patriziat die vorherrschenden waren.231 Indessen ist zu bedenken, dass Sachs die Bürger seiner Stadt und die dortigen Zustände äußerst negativ zeichnen konnte. Nach einem Spruchgedicht aus dem Jahre 1540 erscheinen ihm die Bürger durch und durch verderbt; es regiere der blanke Eigennutz.232 Indirekt spielt Sachs in diesem Spruchgedicht sogar auf die Sodom-Geschichte an, wenn es dem Erzähler im Gedicht nicht gelingt, die Auflage des Teufels zu erfüllen, zehn fromme Männer zu finden, die seine These von der allgemeinen Tugendhaftigkeit der Bevölkerung bestätigen.233 Auch in 226 Vgl. Akt 2, S 22,30f. 227 Vgl. Akt 2, S. 24,31ff: Abraham erzieht seine Kinder „Das sie halten deß Herrn wort, Was gut und recht ist an dem ort, Auff das der Herr laß kommen gwiß Auff Abraham, was er verhieß.“ 228 So erweist Abraham seine Gastfreundschaft an Fremdlingen aus Dankbarkeit gegen Gott; vgl. Akt 2, S. 22,17ff (1558) mit Akt 1, S. 60,11ff (1533). 229 Vgl. Akt 3, S. 28,8–19, bes. die Antwort Lots: „Ach nein, es strafft niemand besunder; Es ist der ober wie der under. Sie sind all mit lastern behafft. Derhalb niemand das ubel strafft. Deß hat genommen uberhand Sünd unde schand im gantzen land.“ 230 Vgl. a.a.O., S. 32,4–21. S. 32,33–33,16; das Urteil Uriels S. 33,18. 231 Vgl. Krause, a.a.O., S. 167 Anm. 9, der darauf aufmerksam macht, dass das Nürnberger Patriziat strenge Maßstäbe an sich anlegte. Die Belege stammen allerdings aus dem 15. und frühen 16. Jahrhundert. 232 Vgl. Maria E. Müller, Der Poet der Moralität, Bern u.a. 1985, S. 151f. 233 Vgl. Sachs, Von dem teuffel, dem die hell will zu eng werden, Keller – Goetze Bd. III, S. 591f.



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einem 1557, ein Jahr vor dem Drama verfassten Spruchgedicht „Das gelechter Democroti [sic!], deß philosophus, ob der torheit dieser welt“ beklagt Sachs den katastrophalen, alle Stände umfassenden sittlichen Verfall.234 Er gelangt zu dem Urteil: „Ghrechtigkeit ligt undter der banck, Trew und warheit ist worden kranck, Demut und keuschheit ist gestorben, Frümbkeit und tugend ist verdorben, Veracht ist weißheit, zucht und ehr. Des ist fort nichts zu warten mehr, Denn die grundsupp als ungemachs, Gott wend es denn selb...“235 Eine Verbesserung der Situation gilt ihm als äußerst unwahrscheinlich, sie kann letztlich nur durch ein Eingreifen Gottes erfolgen. Findet also die Darstellung Sodoms durchaus ihre Entsprechung in der negativen Zeichnung der Gegenwart, so kommt hinzu, dass die Schilderung der Haltung der Schwiegersöhne durch Sachs so eindringlich und lebendig ist, dass diese kaum einfach seiner Phantasie entspringen dürfte. Viel näher liegt die Vermutung, dass er solchen Sätzen zuweilen begegnet ist. Die in ihnen zum Ausdruck gebrachte Position weist auf eine Predigtresistenz hin, wie sie, allerdings dreißig Jahre später, auch das Stephanus-Drama von Zacharias Zahn widerspiegelt. Die Drohungen mit dem Zorn Gottes in der Gesetzespredigt laufen ins Leere, sie sind zu oft wiederholt worden, ohne dass ein Gerichtshandeln Gottes erkennbar gewesen wäre. So äußert Lots Schwiegersohn Serel: „Man hat es vor auch offt gesagt Und uns Gott doch nie mit geplagt. Derhalb fürcht wir uns nicht fürthin.“236 Der andere fügt als „altes Sprichwort“ hinzu: „Welcher von trowort sterben wöll, Denselben man begraben söll...“237 Auf derartige Einstellungen, die rein am Diesseits orientiert sind, keinerlei Begehren der Seligkeit erkennen lassen und den Bereich der Transzendenz faktisch negieren, dürfte Sachs tatsächlich getroffen sein. Die Szene ist damit zum einen ein Beleg für Sachs’ starkes Interesse an Fragen der Moraldidaxe, zum andern stellt sie ein weiteres Zeugnis für seine schon in früheren Jahren zu beobachtende Enttäuschung über den Fortgang der Reformation dar. Eine wirkliche Veränderung der Lebensverhältnisse ist nicht eingetreten. Das Leben wird nicht von der Liebe, sondern vom Eigensinn bestimmt.238 Und von einigen wird die Reformation offenbar als Vorwand für libertinistisches Gebaren missbraucht. Gewiss ist für Sachs auch im Jahre 1558 Nürnberg nicht wirklich das Sodom der Tragödie, gilt doch auch für dieses, dass es einen Typ repräsentiert. Dennoch dürften derartige epikureische Einstellungen virulent gewesen sein und Sachs gibt mit dieser Szene eine eindringliche Mahnung an die Obrigkeit, die Zustände nicht so weit kommen zu lassen, andernfalls drohe das Gericht. 234 Sachs, Das Gelächter Demokrit, Keller – Goetze Bd. III, S. 107,28ff: „Wenn yetzund kem Democritus Und sech der welt thörichten wandel Inn wort und werck in allem handel So lasterhafft und unverschambt, letz bey den leuten allesambt, Durch auß und auß in allen lendern, In hohen und nideren stendern ...“ Vgl. a.a.O., S. 104,6–9. 235 A.a.O., S. 108,2–6. 236 Sachs, a.a.O., S. 32,19ff. 237 A.a.O., S. 32,36ff. 238 Vgl. dazu Berndt Hamm, Bürgertum und Glaube, S. 229f., und die dort zitierten Spruchgedichte Sachs’ aus den Jahren 1540 und 1535.

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Damit ergibt sich in der Vermittlung einer grundlegenden Moral, eines elementaren Verhaltens, das in der Fürbitte Abrahams als Gerechtigkeit, Frömmigkeit und Gottesfurcht bezeichnet wird,239 eine dringend anzugehende Aufgabe. Diese Feststellungen widersprechen nicht der hohen Anschauung, die Sachs von der Obrigkeit im Allgemeinen und dem Nürnberger Rat im Besonderen hat: Er bzw. sie gilt ihm als Garant des Gemeinwohls.240 Dies ist der Zweck, die Aufgabe der Obrigkeit, an deren Erfüllung Sachs sie misst. Das Drama belegt, dass die Obrigkeit im Sinne des usus politicus für Sachs notwendig und als solche gut ist. Dieser Aufgabe nachzukommen, ist das Anliegen, das Sachs mit der vorliegenden Szene erhebt.241 Ohne Zweifel vertritt Sachs auch in diesem Drama einen reformatorischen Glaubensund Gnadenbegriff, zugleich fällt aber auf, dass ihr Kern, die Rechtfertigungsthematik, im Drama kaum in Erscheinung tritt. Entsprechend findet das sola fide und das sola gratia im Gegensatz zum Drama von 1533 keinen wirklichen Ausdruck. Die Ursache dieses Befundes ist zum einen darin zu sehen, dass im Verhältnis zu dem früheren Abraham-Drama neue Handlungszüge wie die Sodom-Episode aufgenommen werden, die einen stärkeren Bezug zu den Themen Gottesfurcht und Moral aufweisen. Zum andern ist er bedingt durch die genannten Auslassungen der Dialoge zwischen Abraham und Sara, in denen die reformatorische Lehre prägnant formuliert war.242 Man mag dies bedauern, aber genau dadurch geben beide Abraham-Dramen tatsächlich ein Spiegelbild der theologischen Position des Nürnberger Schusters, die gekennzeichnet ist durch Festhalten an der reformatorischen Botschaft einerseits und friedlichem Drängen auf Verbesserung von Moral und sozialen Verhältnissen andererseits. Und diese wiederum bestimmten seine Intention als Verfasser biblischer Dramen.

2. Joachim Greff, Abraham (1540) Drey liebliche nützbarliche Historien der dreier Ertzveter vnd Patriarchen Abrahams / Jsaacs vnd Jacobs / aus dem Ersten buch Mosi / in Deudsche reim verfasset durch Joachi239 In der Fürbitte Abrahams wird ‚gerecht‘ und ‚fromm‘ im gleichen Sinne aufgefasst; vgl. Akt  2, S. 25–27, besonders S. 26,30. Den Begriff ‚fromm‘ kann er wiederum mit ‚gottesfürchtig‘ gleichsetzen; vgl. Akt 4, S. 36,21. 240 Vgl. Müller, a.a.O., S. 153. Falsch ist aber, wie Müller, a.a.O., S. 170, zu Recht feststellt, das Klischee einer grenzenlosen Obrigkeitsgläubigkeit des Nürnberger Schusters. 241 Insofern ist die Sichtweise Krauses etwas zu revidieren, der a.a.O., S. 165 Anm. 4 konstatiert: „In keinem seiner Dramen übt Sachs Kritik an der Nürnberger Obrigkeit.“ 242 Die Verschiebung kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass bei den Lehrpunkten der erste des Dramas von 1533, der von Gottes Verheißung handelte, in das Drama von 1558 nicht übernommen wird. Statt dessen ist in den Lehrpunkten des zweiten Dramas – abgesehen von Opfer Isaaks, das in gleicher Weise wie im früheren Stück als Präfiguration des Kreuzes Christi gedeutet wird – nur noch von Typen verkörpernden Menschen die Rede.



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mum Greff von Zwickaw / zu spielen vnd zu lesen trÖstlich, Wittemberg 1540 [Exemplar Wolfenbüttel] Der bereits mehrfach erwähnte Schulmeister und Dramatiker Joachim Greff243 wurde um 1510 in Zwickau geboren. Über seine Schulzeit in Zwickau ist kaum etwas bekannt.244 Er studierte ab 1529 Theologie in Wittenberg, wo er auch im Sommer 1531 noch weilte.245 Danach wirkte er als Schulmeister in Halle, ab 1534 am Magdeburger altstädtischen Gymnasium unter Georg Major, dessen Nachfolger er wurde. 1536/37 wechselte er an die Lateinschule in Dessau, wo er 1538 auch das Rektorat übernahm.246 Im Jahre 1548 verließ er Dessau, um ein Pfarramt in Roßlau zu versehen, wo er 1552 starb. Nach eigenem Bekunden will er insbesondere durch die Begegnung mit Melanchthons späterem Schwiegersohn Georg Sabinus zu seiner dramatischen Arbeit – auch in deutscher Sprache – angeregt worden sein.247 Greff hat mehrere geistliche Dramen verfasst. Sein erstes Stück ‚Ein lieblich und nützbarlich spil von dem Patriarchen Jacob und seinen zwelff Sönen‘ wurde 1534 auf dem Schützenhof in Magdeburg aufgeführt und im gleichen Jahr veröffentlicht. Das Stück war überaus erfolgreich. Es wurde dreimal gedruckt und im gleichen Jahr noch einmal in Torgau vor dem kursächsischen Hof aufgeführt.248 Es gilt als „das erste durchgängig an Terenz orientierte deutsche Drama“249. Lange Zeit war umstritten, ob Georg Major Mitverfasser des Dramas war, doch deutet alles darauf hin, dass Greff es alleine geschrieben hat – wie er es auch in der Vorrede zu dem sechs Jahre später erschienenen ‚Abraham‘ bekundet –, Major aber der Anreger und Förderer dieses Unternehmens war.250 An geistlichen Vorwürfen griff er neben der Väter-251, die Judith- (1536) und die Zachäus-Geschichte (1546) auf. Das Judith-Drama wurde 1536 im Wittenberger Schloss, möglicherweise im Beisein des Kurfürsten, aufgeführt.252 Sein Osterspiel (1542), löste, wie oben näher beschrieben, Verwicklungen aus, die ihn bewogen die Wittenberger Reformatoren einzuschalten.253 Das von der Auferweckung des 243 Zu Leben und Werk Joachim Greffs vgl. Reinhard Müller, Art. ‚Greff, Joachim‘, DL3 VI, Sp. 740f., und Heinz Wittenbrink, Art. ‚Greff, Joachim‘, Literatur Lexikon 4, S. 321. 244 Vgl. Reinhard Buchwald, Joachim Greff, Leipzig 1907, S. 3f. 245 Vgl. Buchwald, a.a.O., S. 5f. 246 Vgl. a.a.O., S. 19f. 247 Vgl. a.a.O., S. 7. 10. 248 Vgl. a.a.O., S. 13. 249 Wittenbrink, ebd. 250 Vgl. Buchwald, a.a.O., S. 14–16. Die Mitverfasserschaft vertritt jetzt wieder Markus Wriedt, Georg Major als Pädagoge, in: Georg Major (1502–1574), hrg. v. Irene Dingel u.a., Leipzig 2005, S. 171 mit Anm. 54. 251 Merkwürdigerweise findet Greffs Drama über die Patriarchen bei Wittenbrink ebd. keine Erwähnung. 252 Vgl. Siegfried Bräuer, „Seht, lieben Leut’, kehrt euch daran ...“, S. 86. Zu diesem Drama vgl. ferner Ronald William Walker, Joachim Greff’s Tragoedia des Buchs Iudith. Textedition and introduction to the text, Columbus, Ohio State University Diss. 1978. 253 Dazu s.o. Abschnitt B I 2 d).

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Lazarus handelnde Drama ‚Anabion‘ des Straßburgers Johannes Sapidus übersetzte er ins Deutsche (1545). Außerdem verfasste er ein Fastnachtspiel mit dem Titel ‚Mundus‘, eine Ständesatire. Bildeten die Komödien des Terenz das dramatische Vorbild für Greff, so war seine erste dramatische Arbeit aber im Jahr 1533 eine Übersetzung der ‚Aulularia‘ des Plautus, die er in gereimte Verse übertrug. Ein weiteres geistliches Werk Greffs stellt ‚Das Leiden und Aufferstehung unsers Herrn Jhesu Christi, aus den vier Evangelisten durch D. Johan Bugenhagen Pomern vleissig zusamen gebracht, und nachmals durch Joachimum Greff... jnn Deudsch Reim verfasset ...‘ (1538), dar, das ursprünglich als Vorarbeit für ein von ihm geplantes Passionsspiel gedacht war; eine Idee, von der ihn allerdings die Haltung der Reformatoren und ein Ratschlag Nikolaus Hausmanns wieder Abstand nehmen ließen.254 An seiner Stelle verfasste er später das Osterspiel. Die Aufführung von Dramen gilt ihm als eine der verschiedenen Weisen der Verbreitung und Applikation des Wortes Gottes neben Schreiben, Lesen, Singen, Malen und Predigen.255 Ohne Zweifel ist Joachim Greff einer der produktivsten geistlichen Dramatiker des Wittenberger Kreises und des frühen Protestantismus. Das 1540 veröffentlichte Abraham-Drama des Joachim Greff ist als der erste Teil eines Erzväter-Zyklus konzipiert. Für dieses Projekt hatte Greff sein Jakob-Drama von 1534 umgearbeitet und eine Vorrede für das Gesamtwerk verfasst. Allerdings erschien nur der erste Teil des Werkes mit der Vorrede.256 Der ‚Abraham‘ umfasst die AbrahamGeschichte vom Auszug aus Haran (Gen 12) bis zum Empfang der Rebekka durch Isaak (Gen 24). Das Thema der Opferung Isaaks ist nur in zwei Szenen Gegenstand der dramatischen Handlung. In sechs Akten lässt Greff 52 Personen auftreten, neben dem Actor, Gott und den Hauptpersonen, etliche Knechte und Mägde.257 Eine Besonderheit von Greffs Dramatisierung liegt darin, dass der den Prolog und den Epilog (beschlus) sprechende Actor auch während der Handlung auftritt und immer wieder Informationen über nicht dargestellte Ereignisse gibt, aber ebenso bestimmte Geschehnisse deutet und so dem Zuschauer eine Hilfestellung zum Verstehen bietet. Dabei bringt er allerdings auch neue Aspekte in das Spiel hinein, die dem Zuschauer durch den Text des Stückes wohl nicht in den Sinn gekommen wären, wenn er etwa den Besuch der drei Männer in menschlicher Gestalt bei Abraham als Hinweis auf die Menschwerdung Jesu Christi und die Zwei-Natu254 Vgl. Buchwald, a.a.O., S. 22f. 255 Vgl. Siegfried Bräuer „Seht, lieben Leut’, kehrt euch daran ...“, S. 86, unter Berufung auf Greffs Judith. 256 Vgl. Buchwald, a.a.O., S. 22f. 257 Das Personenverzeichnis (c VIb–VIIb) nennt: Actor; Gott; Abraham; Sara; Lot; zwei Knechte; zwei Mägde; drei Fürsten des Königs; Pharao; Kämmerer Pharaos; Rentmeister Pharaos; Engel; Hagar; drei Einwohner von Gerar; Kämmerer des Königs Abimelech; Abimelech; zwei Kaufleute, die sich verirren; zwei Räte des Abimelech; Ismael; Phichol, Feldhauptmann Abimelechs; Isaak; zwei Knaben Abrahams; Bote Nahors; drei Hethiter; Abrahams ältester und oberster Knecht; drei Unterknechte desselben; Rebekka; Laban; Bethuel, Rebekkas Vater; Rebekkas Mutter; Bethuels Brüder Kemuel und Haso; drei Mägde Bethuels; drei Knechte Bethuels; Debora, die Amme Rebekkas.



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ren-Lehre deutet.258 Die Gestalt des Actor ist somit auch eine Antizipation des Epilogs bzw. – in Greffs Terminologie – des ‚beschlus‘, durch den dem Hörer bestimmte Lehrpunkte bereits während der Handlung verdeutlicht werden.259 So lobt er kommentierend etwa Abrahams fürbittendes Eintreten für Sodom und stellt es als beispielhaft auch für die gegenwärtigen Christen hin. Zugleich äußert er sich zum Gebet im Allgemeinen und zur Frage seiner Erhörung, als deren Bedingung der Glaube genannt wird.260 Mit dem Actor gibt Greff aber vor allem Rechenschaft über die Prinzipien seines dramatischen Arbeitens. So legt er dar, nicht alle Ereignisse einer Geschichte zur Darstellung gebracht zu haben, einerseits um nicht letztlich uninszenierbare Episoden der Geschichte auf die Bühne bringen zu müssen, andererseits um zu einer inhaltlichen Profilierung der Gesamtgeschichte zu kommen, d.h. nur die dem von Greff gewählten Hauptaspekt bzw. dem von ihm erkannten Duktus der Gesamtgeschichte dienlichen Teile zu dramatisieren.261 Dies führt zur Auslassung der Zerstörung Sodoms und der Kriegsszene aus Gen 14, die nach Greff „... in sich nicht hat viel nutz.“262 Greff hat also ausgewählt, es geht ihm nicht einfach formal um die Darstellung der biblischen Geschichte als solcher bzw. in toto, sondern um einen materialen Aspekt, der ihm in dieser Geschichte hervorleuchtete und den er den Zuschauern des Stückes vermitteln wollte. Anders formuliert: Er intendiert ein multum, nicht multa. Gleichwohl bildet die Schrift den obersten Maßstab für Greffs dramatische Arbeit. So muss der Dramatiker hinnehmen, dass die Schrift über Isaaks Jugend nach der Opfergeschichte keine Angaben macht und Isaak mit einem mal als Erwachsener erscheint. Es ist ihm nicht gestattet, diese Lücke mit eigenen Ideen auszufüllen.263 Die Zuschauer werden entsprechend darauf aufmerksam gemacht, dass Isaak nun mit Bart auf der Bühne erscheine. Damit folgt Greff der Auslegung Luthers, der meint, Isaak sei zum Zeitpunkt der Opferung etwa 25 Jahre alt gewesen.264 Der erste Akt behandelt in acht Szenen die Ereignisse vom Auszugsbefehl, über die Episode beim Pharao, den Zug nach Bethel und die Trennung von Lot, die Verheißung bis zum Bundesschluss in Gen 15. Ausgelassen wird die Geschichte von der Entführung Lots und der Begegnung mit Melchisedek (Gen 14), da wie der Actor mitteilt, die Geschichte dieser Kriege nicht viel Nutzen 258 Vgl. Greff, Abraham, Akt III Szene 1, D IIIIa. 259 So ist H IIIIb in Bezug auf den Actor vom ‚unterrichten‘ die Rede, an dieser Stelle, zwei Szenen nach der Moria-Szene, freilich etwas nachklappend: Abraham habe Isaak nicht aus Frevel oder Vorwitz opfern wollen. 260 Vgl. ebd. 261 Vgl. C IIIb. 262 Vgl. D VIIb–VIIIa; C IIIIa. Ein anderes Beispiel ist das Auslassen des Begräbnisses der Sara, H Va. 263 H Vb: „Sonst aber / wer wolt wissen das Wer gern wolt wissen alles das Was auch in seiner jugent schon Geschehen sey / Der merck das an / Das Moises der lerer gut Gar nichts daruon vermelden thut / Het ers aber gezeiget an Wir woltns auch eingefuret han.“ 264 WA 43, 215,7. In einer Predigt aus dem Jahre 1523 ging Luther davon aus, dass Isaak zum Zeitpunkt des Opferbefehls 20 Jahre alt war; vgl. WA 14, 299,14.

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habe und zum Verstehen des weiteren Verlaufs nicht notwendig sei.265 Der zweite Akt umfasst in fünf Szenen die Geschehnisse in Gen 16 und 17: den Streit zwischen Hagar und Sara, den abgebrochenen Fluchtversuch der schwangeren Hagar, Abrahams Dank für die Geburt Ismaels und die Einführung der Beschneidung mit erneuter Verheißung. Der dritte Akt geht auf Gen 18–20 ein. Mit seinen sechs Szenen berichtet er vom Besuch der drei Männer bei Abraham, der – allerdings nach Auskunft des Actor bewusst nicht gezeigten – Zerstörung Sodoms und der Rettung Lots, dessen Dankgebet, sodann vom Aufenthalt Abrahams und Saras in Gerar mit seinen Verwicklungen, der Rückgabe Saras durch Abimelech und der Fürbitte Abrahams für diesen. Vor der letzen Szene bietet Greff ein Intermezzo in Form des Auftritts zweier Kaufleute, die sich verirrt haben und gegenseitig verspotten. Der vierte Akt setzt die Geburt Isaaks voraus: Abraham dankt für die Geburt des Sohnes. Hauptthema dieses Aktes, der aus sechs Szenen besteht, ist der Konflikt Saras mit Hagar und Abrahams Rolle in diesem Konflikt: Sara fordert die Vertreibung Hagars, Abraham willigt auf Intervention Gottes ein; Hagar und Ismael werden in der Wüste errettet. Die letzten beiden Szenen gehen auf anderes ein: Die fünfte Szene stellt den Bundesschluss Abrahams mit Abimelech dar. Die sechste und letzte Szene verlässt Gen 21, aus dem alle fünf Szenen genommen sind, und bietet den göttlichen Befehl zur Opferung Isaaks aus Gen 22. Abraham willigt ein. Es folgt ein Monolog Abrahams und ein Gebet. Diese Szene weist damit über diesen hinaus auf den fünften Akt, in dessen erster Szene – nur in dieser – die Bindung Isaaks dargestellt wird. Singularitäten bestehen in diesem Teil darin, dass Sara von den Geschehnissen auch im Nachhinein nichts erfährt und dass Isaak den Vater beim Aufbruch zum Abstieg daran erinnern muss, dass er noch an den Händen gefesselt sei. Die folgenden fünf Szenen des Aktes behandeln bereits wieder andere Geschehnisse: einen Besuch eines Boten der Familie Nahors aus Abrahams Heimat – von Greff im Anschluss an die genealogische Liste in Gen 22,20–24 komponiert – nebst der Meldung, dass Sara erkrankt ist, ein Gebet Abrahams und den Tod Saras, den Kauf der Höhle in Machpela aus Gen 23, schließlich in zwei Szenen den Beginn der Behandlung der in Gen 24 berichteten Begebenheiten: Nach einer Information durch den Actor, dass Isaak inzwischen erwachsen ist, gibt Abraham seinem Knecht den Befehl, für Isaak eine Ehefrau zu suchen. Schließlich wird die Abreise berichtet samt einem Gebet Isaaks und seinem Dank an Abraham. Der gesamte sechste Akt umfasst in neun Szenen die Ereignisse aus Gen 24 von der Ankunft des Knechtes und der Begegnung mit Rebekka, der Besprechung mit der Familie Bethuels, der Vorbereitung des Mahls, zwei Episoden der Knechte und Mägde Bethuels, dem Versuch der Mutter, Rebekka noch länger zu Hause zu halten, der Belehrung Rebekkas und ihrem Aufbruch bis zur Ankunft bei Isaak. Isaak empfängt Rebekka. Der Knecht will dem kranken Abraham von der Reise und ihrem Ergebnis berichten. Sie ziehen ein, womit das Drama beschlossen wird.

Eine Vorlage hat Greff für sein Abraham-Drama nach eigener Angabe nicht herangezogen. Ausdrücklich negiert er, Voiths ‚Spiel vom herrlichen Ursprung, betrübtem Fall, gnädiger Wiederbringung etc.‘ oder Tirolfs Drama über Isaak und Rebekka benutzt zu 265 Vgl. Greff, Abraham, C IIIb–IIIIa.



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haben.266 Dennoch lassen sich Parallelen zu Voiths Drama erheben. Dies betrifft zum einen die Struktur – wiewohl Voiths vierter Akt kürzer ist, da er die Hagar-Geschichte und die Abimelech-Episode auslässt –, aber auch ähnliche Partien. So sind deutliche Parallelen im Gebet Abrahams nach der Beschneidung erkennbar, wo beide Autoren über die biblische Vorlage hinaus Abraham seinen Vorsatz, Gott gehorsam zu sein, obwohl es der Vernunft zuwider sei, formulieren lassen.267 Auch Abrahams Monolog nach dem Opferbefehl bietet im ersten Teil Analogien, etwa dass Abraham sich vornimmt, Sara den Befehl zu verschweigen, dass er den Willen bekundet, lieber selber zu sterben, und dass es ihm die schlimmste Qual sei, selber den Sohn töten zu müssen.268 Des Weiteren hat Buchwald bemerkt, dass die Knechtszene in Akt VI Szene 4 – es handelt sich um den Streit eines guten mit einem faulen Knecht – der ‚Mostellaria‘ des Plautus entstammt, die Küchenszenen aber aus der ‚Aulularia‘ desselben entnommen sind.269 Buchwald vertrat die Auffassung, Greff sei in der Vorrede an den Leser so zu verstehen, dass das Stück von Bürgern aufgeführt worden sei, doch äußert Greff an dieser Stelle nur allgemein, dass in vielen Städten derartige Dramen von Bürgern oder verständigen Jugendlichen gespielt würden.270 In jedem Fall geht Greff davon aus, dass das Drama für eine Aufführung bestimmt ist und empfiehlt indirekt dem sächsischen Kurfürsten, für eine solche Aufführung zu sorgen, wenn er dessen Wirken bei vergangenen Inszenierungen lobend hervorhebt.271 Mit dem Druck ist zugleich eine literarische Wirkung intendiert.272 Allgemein stellt Greff in der Vorrede an den Leser fest, dass insbesondere die geistlichen Spiele nicht ohne Nutzen und Frucht bleiben könnten.273 Dies gelte schon rein 266 Vgl. die Vorrede an den Leser b VIIIa–c Ia, und dazu Buchwald, a.a.O., S. 55. 267 Vgl. Greff, Akt II Szene 5, D IIb–IIIa, mit Voith, Akt IV, ed. Holstein, S. 266f. 268 Vgl. Greff, Akt IV Szene 6, G IIb–IIIa, mit Voith, a.a.O., S. 273f. Vgl. bei Luther WA 24, 380,32ff. Im weiteren Verlauf gehen die Monologe allerdings auseinander. Dabei fällt auf, dass sich Voith sehr stark an Luthers Äußerungen zu Gen 22, insbesondere an einer Predigt aus dem Jahre 1527, orientiert: Er erwähnt, dass die Versuchung darin bestehe, dass Gott geboten habe nicht zu töten, dass ein Widerspruch zur Verheißung vorliege, dass es aber nun gelte, an das erste Wort Gottes zu glauben, da er nicht lügen könne. Gott werde Isaak das Leben wiedergeben, er sei allmächtig und wahrhaftig. Vgl. WA 24, 381,5f.; 382,15f.; 384,15; 386,20f.; WA 43, 204,17f.; 205,2; 212,2. Sowohl in Luthers Predigt (WA 24, 379,33) als auch bei Voith (a.a.O., S. 273,1748) ist ebenso von Isaak als dem „höchsten Gut“ Abrahams die Rede. Voith (a.a.O., S. 279,1910ff) nimmt ferner den von Luther in seiner Auslegung gebotenen Gedanken auf, der Molochkult sei ein aus dieser Geschichte selbst erdichtetes Werk des Menschen; vgl. WA 43, 224,35ff. Schließlich wertet er mit Luther die Länge der Reise und die Frage Isaaks nach dem Opfer als Verstärkung der von Abraham erlittenen Qualen (Voith, S. 275,1823ff; 276,1835ff; vgl. WA 43, 214,20f.; 215,23; 14, 299,30: „Interrogatio Isaac igneus gladius fuit in corde patris.“). 269 Vgl. Buchwald, a.a.O., S. 61f. 270 Vgl. Greff, a.a.O., c IIb, und Buchwald, a.a.O., S. 54. 271 Vgl. Greff, Widmungsrede, B VIIa. 272 Vgl. Vorrede an den Leser, C IIa. 273 Vgl. ebd., ferner den beschlus, P IIIa.

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äußerlich durch den lapidaren Sachverhalt, dass eine Aufführung die Beteiligten, Spieler und Zuschauer, von schändlichen Tätigkeiten fernhalte.274 Als positiven Begründungszusammenhang führt er die Spiegel-Funktion der geistlichen und weltlichen Spiele an, die allen Menschen zum Exempel dienten. Man solle sich in ihnen spiegeln, um „.. gutes daraus zu lernen / vnd das bÖse zuuermeiden.“275 Im ‚beschlus‘ stellt Greff die Funktion des ‚prodesse‘ und darin die lebenspraktische Bedeutung von Dramenaufführungen für das tägliche Leben heraus.276 Für die Erhellung der Intention des Abraham-Dramas sind zunächst die Rahmenstücke, besonders die Widmungsrede an Kurfürst Johann Friedrich den Großmütigen, der ‚beschlus‘, aber auch der vom Actor gehaltene Prolog (Vorrhede) und in geringerem Maße die Vorrede an den Leser von Relevanz. Überblickt man diese Teile, dominieren inhaltlich die Begriffe ‚Glaube‘ und ‚Versuchung‘. Greff hat sich der Abraham-Geschichte angenommen, da sie um diese Themen kreist. Entsprechend zielt er mit seinem Drama einerseits darauf, die Vorbildlichkeit des Glaubens Abrahams zu verdeutlichen, den Glauben als alleinige Form des Umgangs mit Gott und seinem Wort, als alleinigen Heilsweg zu vermitteln und zum Festhalten an diesem Glauben aufzufordern, andererseits sucht er darzulegen, dass der Glaubende von Gott versucht wird, dass diese Versuchung dem Zweck seiner Bewährung dient, aber keineswegs das Ende des Weges Gottes mit ihm darstellt. Greff verfolgt damit den Zweck der Lehre, insbesondere der Vermittlung der reformatorischen Lehre, und der Tröstung der versuchten oder angefochtenen Glaubenden. Schon die Widmungsrede, die den aktuellen Rahmen abgibt, in dem Greff sein Stück verstanden wissen möchte, zeigt die zentrale Rolle beider Themen an. Nachdem der Glaube als alleiniger Heilsweg beschrieben wird, kommt Greff auf Abraham zu sprechen, der von Seiten Gottes durch die Versuchung heimgesucht werde, wie es Gott mit den Seinen zu tun pflege. Abraham aber, so Greff, hielt dank göttlicher Erhaltung am Glauben fest, was ihm nach Gen 15,6 zur Gerechtigkeit angerechnet wurde.277 Quintessenz der Ausführungen bildet die Aufforderung, nach dem Exempel des Abraham am zentralen Artikel von der Rechtfertigung festzuhalten.278 Damit wird Abraham als Vorbild des Glaubens gezeichnet, dem es nachzueifern gilt.279 Mit der nicht bar jeder Panegyrik stehenden Gleichsetzung Abrahams mit Kurfürst Johann Friedrich geht Greff zu der 274 Vgl. c IIb. Greff führt einen ganzen Katalog von Sünden an, von Trinken, Fluchen, Gotteslästerung, Zank, Hader bis zu Ehebruch und Mord. 275 Ebd. 276 Beschlus, P IIIa: „Die erst Histori hat ein end Wir wollen aber nu behend Ein kleine lehr daraus geben Der wir alhie in vnserm lebn / MÜgen gebrauchen allezeit Dann man ja stetz mit dem bescheid / Mit solcher weis in solchen sachn Sol handeln / Auff das jm kan machn / zu nutz vnd fromen jderman / Drumb werdn gespilt solch Action.“ 277 Vgl. Widmungsrede, a VIIIa. b IIIb–IIIIa. 278 Vgl. b IIIIa–b. 279 Vgl. auch b VIIb die Bitte an den Kurfürsten um gnädige Annahme des Stücks „Allermeist vmb der vrsach ... das das Exempel dieser lieben drey Ertzveter / ob Gott wil E.C.G kein schade / sondern



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zweiten Zielsetzung über: Die Abraham-Geschichte zeige, was Abraham um des Glaubens willen auf sich genommen habe, was er mit dem vorliegenden Drama hörbar und augenscheinlich in Erinnerung rufen wolle. Sie zeige aber auch, dass Gott den Glaubenden nicht verlasse, insofern sei sie tröstlich. Ihre Dramatisierung soll der Tröstung, besonders auch des Kurfürsten, dienen.280 Wie der Actor im Prolog (Vorrhede) vor Beginn der Handlung feststellt, ist der Glaube, der als Glaube an Christus das Hauptstück der christlichen Lehre bilde, das eigentliche Thema der Geschichte. Dieser Glaube zeichnete als Glauben an den verheißenen Samen auch die Patriarchen aus.281 Dabei geht es aber nicht um einen abstrakten Glauben, sondern um den in Versuchungen bewährten Glauben. Abraham sei leiblich und geistlich versucht worden, bis hin zu der Aufforderung, den Sohn zu opfern, was die höchste Versuchung darstelle, wie Greff mit Luther festhält.282 Solche Versuchungen dienten der Formierung nach dem Willen Gottes, der Formierung der glaubenden Persönlichkeit, der Bewährung. Sie verwiesen den Versuchten allein auf Gott.283 Die Bewährung, das Standhalten Abrahams sieht Greff, wie aus den Worten des Actor erhellt, nicht im Faktum des Gehorsam gegenüber dem göttlichen Befehl, sondern im Glauben, dessen Ausdruck der Gehorsam war. Dieser Glaube richtete sich auf die an ihn von Gott ergangene Verheißung, an der er gegen die Erfahrung, ja gegen Gott selbst festhielt.284 Nach dem Prolog intendiert Greff mit seinem Stück also eine Vermittlung des Glaubensbegriffs und einen Appell, in Anfechtung den Glauben durchzuhalten. Letzteres beinhaltet zugleich einen Trostaspekt, insofern die Versuchung als von Gott initiierte Bewährung und Formierung des Glaubenden gefasst wird. Damit wird die Versuchungssituation entschärft: Sie kommt von Gott – unbeschadet der Tatsache, dass Greff in der Widmungsrede auch den Teufel als Urheber der Versuchung erwähnen kann, aber alsbald auf Gott als deren Subjekt zurücklenkt 285 – und sie hat einen erkennbaren Sinn, ein Ziel und ein Ende. grosser nutz sein werde / E.C.G sich darinne zuspigeln / vnd aller mas wie sie die Patriarchen / in gleicher weis darnach zu leben. 280 Vgl. b IIIIb–Vb; b Vb formuliert Greff: Der Kurfürst habe es nicht besser als Abraham und andere, aber er solle „... doch des gentzlich vertrÖstet sein / Gott werde E.C.G. ia so wenig als jene verlassen / on allen zweiuel / wider alles das / das sich E.C.G. zugegen / sonderlich des wort Gottes halben aufflehnen kan vnd mag / durch seine allmechtigkeit wol erhalten vnd schÜtzen.“ 281 Vgl. A Ia–b. Auch in der Vorrede an den Leser wird der Glaube als Hauptthema der Historie bezeichnet; vgl. c IIa. 282 Vgl. A Ibff. Vgl. WA 43, 200,32; 24, 379,33, und dazu Johann Anselm Steiger, Zu Gott gegen Gott, S. 189. 283 Vgl. A IIIa; A IIIIa. 284 A IIIb–IIIIa.: „Ja freilich / da er sich besan Gieng er mit allen freuden dran / Das wort das er gefast einmal Glaubt er Gott wÜrds jm halten wol / Jm geist hielt er das festiglich Wiewol das fleisch des widert sich / On allen zweiuel / Dan gewis Er so wol blut vnd auch fleisch ist / Gewest / als vnser einer jtz... Er gleubet Gott alleszumal.“ 285 Vgl. Widmungsrede, B IIIb; B IIIIb. Die Gestalt des Teufels erscheint im Spiel nicht. Greffs Ausführungen verweisen auch auf Gott als letzten Urheber der Versuchung, wiewohl er dem Teufel das

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Eine Zusammenfassung der Zielsetzungen bietet, wie in den meisten Dramen üblich, der ‚beschlus‘, in dem Greff seine Intentionen als ‚Lehren‘ zu bündeln und zu kategorisieren versucht. Auch hier stehen die mit den Begriffen ‚Versuchung‘ und ‚Glaube‘ verbundenen Intentionen im Mittelpunkt, zwischen denen der Duktus der Ausführungen oszilliert. So gibt Greff als erste Lehre an, die Versuchung Abrahams durch Gott zeige, dass Gott seine Erwählten versuche.286 Diese Lehre soll der Tröstung dienen, was sie erfüllt, indem das Leiden durch Zurückführen auf Gott rationalisierend erklärt wird. Greff bietet auch eine Konkretion dieses Gedankens: Er wendet ihn an auf die um ihres evangelischen Glaubens willen Exilierten, die damit versichert würden, dass sie nicht in der Gewalt der Verfolger stünden, sondern in der Hand Gottes, der die Versuchung schicke, ihr aber auch ein Ende setze. Gott werden ihnen helfen und sein Wort nicht liegen lassen.287 Greffs Ausführungen münden in die Aufforderung an die Exulanten, wie Abraham zu glauben.288 Gott gebe, wo nichts sei, er schenke den Seinen vollauf genug, wie die Geburt Isaaks belege. Doch, so Greff, gebe es diese Freude nie ohne Betrübnis, was ihn wiederum zu dem Appell führt, an Gott festzuhalten und sich nicht von ihm schrecken zu lassen.289 Ein zweiter Lehrpunkt wird konsequenterweise durch den Glaubensbegriff markiert. Greff hält die zentrale Rolle des Glaubens beim Bestehen der Versuchung fest und statuiert, durch den Glauben sei Abraham gerecht gesprochen worden. Im Glauben bestehe Heil und Trost der Welt.290 Mit dem Lob des Glaubens Abrahams, dessen Erinnerung das Stück dienen soll, will Greff den Rezipienten die reformatorische Lehre nahe bringen. Die Aktion sei gut „… Das man sich drin erinnnern [sic!] thut / Seins [sc. Abrahams] angenomen glaubens ia Das / so du glauben wirst alda / Jn den samen Abrahe fein Welcher Christus der Herr allein / So wirstu selig vnd gerecht On alle deine werck gar schlecht / Vnd kriegst durch jn das ewig lebn ...“291 Dies setzt Greff wiederum sofort mit den Angefochtenen in Verbindung, wenn er vom Glauben als auf Christus als Trost bezogen spricht. Damit ist Greff bei einem weiteren Lehrpunkt, in dem er herausstellt, dass Gott nach der Versuchung, die nur eine kurze Zeit andauere, einen übergroßen Ausgleich gewähre. Dies sei tröstlich und darum gelte es, seiner Barmherzigkeit zu vertrauen. Die

Bemühen zuweist, den Glauben zu zerstören. Dass der Teufel im Stück nicht auftritt, dürfte aber vor allem dadurch bedingt sein, dass er in der biblischen Perikope nicht erwähnt wird. 286 Vgl. P IIIa–b. 287 P IIIb: „Daraus lern jder fromer Christ Der jtz verjagt vertriben ist / Von dem seinen vnschuldig zwar Vnd mus aus sein / ein frembder gar / Von wegen Gottes wort jtzund Gott wird dir doch zu aller stund Gwis helffen wie er hie gethan Vnd wird sein wort nicht liegen lan / Er wird dich niemmer mehr verlassn. Den Trost magstu hie erstlich fassn.“ 288 Ebd.: „Doch du mich so verstehen solt / Dein glauben soltu richten so So dirs gehet wie diesem do / Dem lieben Abraham ...“ 289 Vgl. P IIIIa–b. 290 Vgl. P IIIIb. 291 P Va–b. Vgl. insgesamt die Passage P IIIIb–Vb.



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Versuchung durch Gott ziele nur auf die Bewährung des Glaubenden, er verlasse diesen nicht.292 Ein letzter Lehrpunkt nimmt auf den Schlussteil des Dramas Bezug, der die Brautwerbung Isaaks zum Gegenstand hat. Die Historie stelle vorbildlich dar, wie Eltern ein Kind beraten sollten, dass es in die Ehe gegeben werde – ohne Zwang, ohne Schielen nach Geld und Gut, wie es, so Greff, heute bei manchem Vater der Fall sei.293 Die präfigurative Bedeutung der Isaak-Handlung erscheint nur am Rande, als Anhang zu der Erläuterung des Begriffs des Glaubens, der als auf den Samen, auf Christus bezogen definiert wird.294 Fassen wir den Befund aus den Rahmenstücken zusammen, so ergibt sich, dass Greff überall zwei wesentliche Ziele verfolgt. Das eine vorrangige Ziel seines Dramas sieht er darin, Trost für die Situation der Versuchung zu vermitteln. Dabei wird diese als konstitutiv für das Christenleben gewertet. Die Versuchung zu ertragen hilft zunächst ihre Einordnung als göttliches Handeln mit der Abzweckung der Bewährung des Glaubenden und der Hinweis auf den Beistand Gottes in dieser Situation. Das zweite maßgebliche Ziel besteht für Greff darin, den Glauben als das in der Versuchung gebotene Verhalten, welches das Subjekt die Versuchung überstehen lässt, zu propagieren. Weil und insofern Abraham für Greff Muster dieser Haltung ist, soll das Drama bei den Rezipienten die Erinnerung an ihn wach halten. Mit dieser Zielsetzung, die Zuhörer zum Festhalten am Glauben zu bewegen, intendiert Greff zugleich eine Vermittlung des reformatorischen Glaubensbegriffs bzw., in den Worten Greffs, des Artikels von der Rechtfertigung. Moralische Intentionen im engeren Sinne hat Greff primär nicht im Blick. So ist es auffallend, dass er lediglich an einer Stelle, in der Vorrede an den Leser, äußert, die drei Historien der Patriarchen seien um der Besserung willen geschrieben worden, um aber umgehend wieder auf den Glaubensbegriff hinzulenken.295 Nur der dritte, die Ehe empfehlende Intention, die am Ende des ‚beschlus‘ erscheint, lässt sich in dieser Weise einordnen, bildet aber nach Ausweis des Verfassers keinesfalls das Hauptziel des Dramas. Die Handlung spiegelt diese Form der Zielsetzung wider. Das Thema der Versuchung erscheint naturgemäß in der Opferungsszene. Bereits zuvor lässt Greff Abraham konstatieren: Dass er viel leiden müsse, geschehe durch Gottes Vorsehung.296 Der Glaubensbegriff steht in den Szenen des Auszugs aus Ur, der Sohnesverheißung, der Einsetzung der Beschneidung, der Opferung des Sohnes, aber auch in der Unterredung Abrahams mit Isaak vor der Brautwerbung im Mittelpunkt.297 Oft sind es dabei Gebete, in denen Abra292 Vgl. P Vb–VIa. 293 Vgl. P VIa–b. 294 Vgl. P Va und dazu Reckling, Immolatio Isaac, S. 129. 295 Vgl. c IIa. 296 Akt IV Szene 6, G IIa: „Jch gleub vnd weis es ist dein will Das ich hie mus leiden so viel / Mit vnrecht / Aber es geschicht Durch dein versehn vnd anders nicht / Ob ich hie ein frembdling mus sein Doch lob ich vnd preis den namn dein...“ 297 Vgl. Akt I Szene 1, A Vb (Gebet); Akt I Szene 7, C IIIa (Gebet); Akt I Szene 8, C Va (Gebet); Akt II Szene 5, D Ia. D IIb–IIIa (Gebet); Akt IV Szene 6, G IIIb (Gebet); Akt V Szene 1, G VIa; Akt V

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ham seinen Glaubensvorsatz zum Ausdruck bringt.298 Augenfällig ist Greffs Bearbeitung der Rede des Engels und der von ihm zitierten Gottesrede an Abraham in Gen 22,12.18. Zu den Worten über Abrahams Gottesfurcht, die sich darin zeigte, dass er seinen Sohn nicht verschonte, fügt er an: „Sonder gleubt fast.“299 Zu den Worten über seinen Gehorsam setzt er hinzu: „... vnd mir gleubet fast.“ 300 Schließlich wird der Begriff des Glaubens, bezogen auf die Menschwerdung, beim Besuch der drei Männer in Mamre durch den Actor eingebracht.301 Diese Szene ist insofern bedeutsam, als sie zeigt, dass dem Gedanken der Präfiguration Christi im Alten Testament in der Handlung selbst durchaus Gewicht zukommt, während er im ‚beschlus‘ eher beiläufig verbalisiert wird. Der Actor macht die Zuschauer ausdrücklich und breit darauf aufmerksam. In der Opferszene scheint der Präfigurationsgedanke in der Aufforderung Abrahams an Isaak, auf das Holz zu steigen oder auch in der Anweisung, die Kleider auszuziehen.302 Ab Akt V Szene 5 kommt mit der Brautwerbung Isaaks das Thema der Ehe in den Blick, die von Greff ausdrücklich als ‚Orden‘ bezeichnet wird.303 Damit gibt er Luthers Auffassung der Ehe wieder. Wichtiger für die hier interessierende Frage nach der Intention des Stückes ist, dass er in diesem Zusammenhang über den biblischen Text hinausgehend eine Ehekatechese, allerdings nur für Rebekka seitens ihrer Eltern, zur Darstellung bringt. Sie soll nicht dem Mann über den Mund fahren, demütig sein, keinen Tratsch ins Haus tragen. Schimpfe der Mann, solle sie schweigen.304 An dieser Stelle liegt eine eindeutig moraldidaktische Zielsetzung vor. Doch gilt dies nicht für die anderen Partien des Stücks. Gegenüber anderen Dramen fällt etwa auf, dass der Gehorsam des Sohnes gegenüber dem Vater nicht thematisiert wird. In diese Richtung geht lediglich der Hinweis Isaaks, dass der Vater nicht in Gewalt mit ihm verfahren sei; eine Aufforderung an die Väter unter den Zuhörern, es ebenso zu tun: „Man machts darmit gar selten gut / Wo man die kinder thut zwingen Vnd mit gewalt darzu dringen.“305 Für die übrige Handlung gilt: Wo

Szene 3, G VIIIbff (Gebet); Akt V Szene 5, Ib–IIa. 298 Weitere Gebete, in denen Abraham vom Glauben spricht, finden sich in Akt III Szene 3, E IIIIa; Akt IV Szene 1, F Ia. 299 Akt V Szene 1, G VIa. 300 A.a.O., G VIb. 301 Vgl. Akt III Szene 1, D IIIIa. Der Gedanke ist, dass Abraham unter der menschlichen Gestalt Gott erkannte und damit auch dessen innewurde, dass Gott in Christus Mensch werden sollte. 302 Akt V Szene 1, G VIa. Vb. Im Neuen Testament ist in Act 5,30; 10,39; 13,29; Gal 3,13 und 1 Petr 2,24 vom Kreuz Jesu als dem ‚Holz‘ die Rede. 303 Akt V Szene 5, H Va, kommentiert der Actor das Geschehen mit den Worten, Isaak solle nun „tretten in den ordn / Des Ehstandts.“ 304 Vgl. Akt VI Szene 8, O IIb–IIIb. 305 Akt V Szene 6 – im Text ist fälschlicherweise die Zahl 5 angegeben –, K IIb. – Vgl. aber in der Opferszene die Bekundung des Gehorsams Isaaks beim Aufbruch zum Moria und Abrahams Ausdruck der Freude darüber; Akt V Szene 1, G IIIIb.



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von Besserung die Rede ist, geht es Greff um den Glauben.306 Weder die Bosheit der Sodomiten, noch die Wahl Lots für das reiche Land gibt Greff Anlass zu einschlägigen Ausführungen. Moraldidaxe ist allenfalls ein sekundärer Zweck des Dramas. Neben den genannten, auch in den Rahmenstücken thematisierten Intentionen lässt sich aus der Handlung noch ein weiteres Ziel Greffs erschließen. Er will die Zuhörer zur Praxis des Gebets führen. Dies erhellt etwa daraus, dass der Actor zur Fürbitte Abrahams bemerkt, mit dieser Fürbitte sei allen Christen ein Beispiel gegeben, ebenso gelte, dass das Gebet auch heute noch kräftig sei.307 Dass dies offensichtlich ein wichtiges Anliegen Greffs war, belegen die zahlreichen Gebete Abrahams. Anstatt ihn Monologe führen zu lassen, stellt er ihn als ständig im Gespräch mit Gott stehend dar. Damit ist aber bereits die Frage der Darstellung des Patriarchen aufgeworfen. Nach Sichtungen der Äußerungen Greffs zur Intention des Abraham-Dramas, in denen dem Glauben eine maßgebliche Rolle zukommt und der Glaube Abrahams als Exempel fungiert, kann es nicht überraschen, dass Abraham als Vorbild in den Blick genommen wird, explizit auch für den Kurfürsten.308 Dies schlägt sich etwa nieder in der Bezeichnung des Patriarchen als einem ‚hohen Gottesfreund‘309. Sein Geist, so Greff im Prolog, hält in der Versuchung gegen das Fleisch an der Verheißung fest; so gilt er ihm als Ausbund des Glaubens.310 Im ‚beschlus‘ lässt Greff Abrahams Glauben durch den Actor preisen: „Sein glaub ... Der sol der aller hÖchste sein / Dergleichn nicht ward gefunden je Der sieder auch gehÖret nie ...“311. Die Handlung bestätigt diesen Befund; Abraham wird als gläubig und gehorsam dargestellt. Dies beginnt schon in der ersten Szene. In den Befehl, aus seiner Heimat auszuziehen, willigt Abraham sofort ein. Er sieht sich als Kind seines göttlichen Vaters, dem er fest glaubt.312 Er vertraut Gott und folgt seinem Willen ohne Zwang.313 Immer wieder bringt er zum Ausdruck, dass er der Verheißung Gottes glaubt.314 Er traue Gott, dass dieser ihm

306 Vgl. die Rede des Actor in Akt III Szene 1, D IIIIb. 307 Akt III Szene 1, D IIIIa–b: „So sols mit allen Christen gehn / Dan vns hierin ein beispil schon Jst furgstelt / Auch dergleich zuthun / Wie Abraham den Herren bat fur Sodoma die grose Stad / Wo er so vil vnd so vil fÖnd Gerechtn / ob er dan schonen kÖnd / Gott verhiesch vnd sagets jm zu Wer zweiffelt das ers nicht noch thu? Das er vnser bit zu allm zil Geweren vnd erhÖren wil / Nu wir eins rechten glaubens sein ...“ 308 Vgl. die Widmungsrede, b VIIb. 309 Vgl. a.a.O., b IIIIa. 310 Vgl. Prolog, A IIIb–IVa. 311 P IIIIb. 312 Vgl. A Va–b. 313 Vgl. Akt I Szene 7, wo Abraham äußert (C IIIa): „Von hertzen folg ich aber gern Dir meinen lieben Gott vnd herrn / Du wirst mich ja verfuren nich Hoff jch vnd traw dirs zu gentzlich.“ 314 Vgl. Akt I Szene 8, wo Abraham nach der Sohnes- und Nachkommensverheißung von Gen 15,5 – Abrahams Nachkommen sollen so zahlreich wie die Sterne werden – sagt (C Va): „Ach Herr mein Gott ich gleube dir Du wirst auch solchs wol halten mir.“

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in der Notlage hilft.315 Ebenso konstatiert er, dass Gottes Wort nicht lügen könne.316 Abraham befindet sich ständig im Zwiegespräch mit Gott. Häufig wird er als Beter vorgeführt, in Dank317, Bitte318, aber auch in Klage319. Als vorbildlich gilt seine Fürbitte, verkörpert in seinem Eintreten für die Sodomiten.320 Er bekennt, stets Gottes Diener sein zu wollen.321 Auch in den Opferbefehl willigt Abraham umgehend ein: „Herr es sol geschen was du wilt Dieweil dir also wolgefelt.“322 Allerdings folgt auf diese Aussage ein längerer Monolog, in dem Abraham seine Ratlosigkeit gegenüber der Forderung und seine Betrübnis zum Ausdruck bringt.323 In ihm erscheinen Einwände gegen das Gehörte: Ein solcher Befehl könne nicht real sein. Er stelle ein ganz anderes Wort dar als das bisher von Gott Vernommene. Der gerade von Gott gegebene Sohn solle ihm wieder genommen werden, noch dazu durch ihn selbst. Er solle sein eigenes Fleisch und Blut töten, was doch keine unvernünftige Kreatur tun würde. Dies bereitet ihm große Schmerzen: „Man denck nur zu / Jch selbst sols thun Jch sol selbst wÜrgen meinen son ... Geporn aus meiner Sara schon.“324 Er bringt seinen Schmerz vor Gott und schließt dabei auch Sara ein. Isaak ist für ihn „Vnser trost vnd hÖchst freud nechst Gott“325. An dieser Partie ist bedeutsam, dass Greff Abraham hier in ganz menschlichen Zügen zeichnet. Andererseits ist zu bemerken, dass Abraham ein Selbstgespräch führt, während sein Sinnieren sonst immer in Gebetsform, also coram Deo erfolgt. Unmittelbar darauf aber erfolgt der Umschwung, indem Abraham wieder vor bzw. mit Gott redet.326 Er bekennt vor ihm, dass er wisse, dass seinem Wort zu glauben sei, Gott rede stets wahr. Er erinnert sich der ihm von Gott erwiesenen Wohltaten. Gott habe alles gehalten, was er verheißen habe. So fordert er sein Herz auf, wieder frisch und fröhlich zu sein. Gott habe ihn erlöst, er habe bewiesen, dass er alleine der sei, dem zu vertrauen ist. Auf sein Wort könne man bauen. Er vertraue auf Gott, denn auch wenn sein Sohn sterben müsse, werde Gott doch alles ausrichten, was er zugesagt habe. Darauf, dass Gottes Wort wahr sei, verlasse er sich ganz. So wolle er ihm folgen und stets gehorsam sein. Er kündigt sogar an, sich nun, früher als sonst, zur Ruhe zu begeben, um am folgenden Tag früh auf315 Vgl. Akt III Szene 3, in der Abraham, als Abimelech Sara zu sich holen lässt, zum Ausdruck bringt, Gott habe die Sache auch beim letzten Mal aufs Beste gelöst (E IIIIa): „Herr von gantzem hertzn traw ich dir Du wirst mich trÖstn vnd helffen mir.“ 316 Vgl. Akt IV Szene 1, F Ia. Dieser Satz fällt im Dankgebet Abrahams für Isaak. 317 Vgl. Akt IV Szene 1, E VIIIb, wo Abraham für die Geburt Isaaks dankt. 318 Vgl. Akt I Szene 6, in der Abraham für Lot um Hilfe bittet (C IIb). 319 Vgl. Akt I Szene 3, als Sara von einem Fürsten des Pharao abgeholt wird (B Ibff). 320 Vgl. Akt III Szene 1, D IIIIa. 321 Vgl. Akt V Szene 5, H VIa. 322 Akt IV Szene 6, G IIb. 323 Vgl. G IIb–IIIb. 324 G IIIa. 325 G IIIb. 326 Ebd.



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zustehen und das – als notwendig erachtete – Werk durchzuführen.327 Ihren Höhepunkt findet die Schilderung Abrahams als Glaubenden in der eigentlichen Opferszene. Als Isaak auf dem Altar liegt und Abraham das Messer zückt, ruft er aus: Dies ist Gottes und mein Wille.328 Etwaige Zweifel oder gar ein Ringen mit dem unbegreiflichen Auftrag sind hier überhaupt nicht mehr auszumachen. Kein retardierendes Element verzögert Abrahams Handeln. Insgesamt zeigt sich, dass Abraham als im völligen Einklang mit Gottes Willen stehend dargestellt wird. Entsprechend lobt der Engel seine Gottesfurcht und seinen Glauben.329 Insofern dies alles belegt, dass die Person Abrahams als Typ, als Spiegel fungiert, kann es nicht verwundern, dass andere Eigenschaften des Patriarchen nicht näher entwickelt werden. Zu verweisen ist lediglich darauf, dass er in Akt II Szene 1 Sara freien Lauf zur Demütigung ihrer Magd lässt, aber kein gutes Gefühl dabei hat.330 In diesem Zusammenhang wird er als harmoniebedürftig dargestellt: Es wäre ihm angenehmer, wenn sich die beiden Frauen vertrügen. Als Sara Ismael verbannt wissen will, wehrt Abraham ab und steht zu seinem Sohn.331 Auf die Weisung Gottes hin aber lenkt er gemäß biblischem Text sofort ein. Als dadurch bedingt, dass Abraham als Typ und Vorbild vorgeführt wird, erweist sich auch die Zeichnung des Erzvaters als vorbildlicher Vater, die Isaak vornimmt.332 Abraham wird somit nicht als individuelle Person, sondern um seiner Funktion als Spiegel willen, als Typ und Muster des Glaubenden auf die Bühne gebracht. Bei der Untersuchung der Frage, wie Greff die reformatorische Lehre in seinem Stück aufnimmt und wie er sie verarbeitet, ist wiederum zu unterscheiden zwischen den Rahmenstücken und der eigentlichen Handlung. Insofern den Rahmenstücken, besonders der meist dem Landesherrn dedizierten Widmungsrede, zumeist die Funktion zukommt, die Rechtgläubigkeit des Verfassers unter Beweis zu stellen, erscheinen in diesen naturgemäß häufig die Topoi der reformatorischen Lehre. Dennoch stellt sich auch hier die Frage, in welcher Weise sie rezipiert und mit dem jeweiligen Vorwurf in Verbindung gebracht wird, ob lediglich Formeln übernommen werden oder ein selbständiger Zugang zu erkennen ist. Für die Handlung selbst ist diese Frage noch einmal und schärfer zu stellen, da der Verfasser sich hier nicht an ein Geländer von Formeln hängen bzw. den Protagonisten nicht einfach die entsprechenden Worte in den Mund legen kann. Hier muss besonders untersucht werden, wie Greff die Begriffe des Glaubens und der Gnade und das Verhältnis von Gott und Mensch fasst und auf der Bühne zur Sprache bringt. Insofern Greff dem Wittenberger Kreis angehört, kann es nicht überraschen, dass in seinem Abraham-Drama von Anfang an die reformatorische Lehre im Mittelpunkt und 327 Vgl. G IIIIa. 328 Vgl. G VIa. 329 Vgl. ebd. 330 Vgl. C VIa–b. 331 Vgl. Akt IV Szene 2, F IIIa. 332 Vgl. Akt V Szene 6, K IIb.

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zugleich von vornherein in einem gegen die altgläubige Position gerichteten Kontext steht. Dies wird aus seiner Widmung an Johann Friedrich von Sachsen deutlich. Greff setzt mit der Feststellung ein, alle Menschen seien Sünder, eine Wahrheit, die von den Papisten bestritten werde, was daran offenbar werde, dass sie den Himmel mit ihren Werken erkaufen wollten.333 Demgegenüber betont Greff die Notwendigkeit zu bekennen, dass man Sünder und doch durch das Blut Jesu Christi „... lauter vmbsonst / vnd on alles zuthun seiner werck / nur allein / in vnd durch den glauben / vnd sonst durch nichts / von allen seinen sunden gereiniget / geheiliget / vnd selig gemacht sey.“334 Greff hebt also an mit der Behauptung der Universalität der Sünde, deren Gewalt jede Mitwirkung des Menschen durch Werke bei der Rechtfertigung ausschließe. Die Rechtfertigung erfolge vielmehr allein aus Gnade und sie werde allein im Glauben zugeeignet. Wie die Geschichte der Kirche aber zeige, sei dieser Inhalt des Glaubens recht bald verdunkelt worden und mit ihm der Weg zum Heil. Die Ursache dessen sieht Greff im Wirken des Teufels, der versuche, den Glauben aus den Herzen zu reißen durch Säen von Zweifel und Ungehorsam, worum er sich auch bei Abraham bemüht habe.335 Im Folgenden spricht Greff allerdings nicht mehr vom Teufel, obwohl er beim Thema der Versuchung verweilt, diese aber nun in Gott verortet. Nachdem Gott den Abraham zuvor schon leiblich und geistlich versucht hatte, griff er ihn nun mit der Weisung, seinen eigenen Sohn zu opfern, „... mit der allerhÖchsten / ia nie erhorten / versuchung ...“336 an. Doch er erhielt ihn, so dass Abraham nicht in Verzweiflung fiel, nicht zweifelte, sondern Gott von Herzen glaubte. Dies aber wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet, wodurch er selig, zum Freund Gottes wurde.337 Greff setzt an dieser Stelle die im Drama dargestellte Geschichte von der Versuchung Abrahams mit dem reformatorischen locus classicus für die Lehre von der Glaubensgerechtigkeit, dem Vers Gen 15,6 in Verbindung. In diesem Rahmen will er sein Stück verstanden wissen: Die Geschichte aus Gen 22 soll im Lichte der reformatorischen Lehre von der Glaubensgerechtigkeit dargestellt werden, womit zugleich ausgesagt wird, dass sie auch als Beleg dieser Lehre aufgefasst wird. Diesem Exempel gelte es seitens der Christen nun nachzueifern, indem man diesem Artikel von der Glaubensgerechtigkeit, den Greff als den allerhöchsten und zur Seligkeit nötigsten klassifiziert, fest anhänge und glaube, dass allein der Glaube an Christus ohne Mitwirkung eigener Werke die Seligkeit bewirke.338 Die Diktion gemahnt an die Schmal-

333 Vgl. a.a.O., a VIa–b. 334 A.a.O., a VIIIa. 335 Vgl. a.a.O., b Ib. IIIb. 336 A.a.O., b IIIIa. 337 Vgl. ebd. 338 b IIIIa–b: „Vorwar diesem Exempel nach / mÜssen alle Christgleubigen (so fern sie zu Gott zukomen gedencken) an diesem Artickel / welchs der allerhÖchste vnd nÖttigste ist zur selen seligkeit / fest vnd auffs aller hertzte hangen / sich wider den Teuffel / noch die welt / oder ichtes anders sonst auff erden daruon reissen lassen / Nemlich das sie fest gleuben / das allein der einige glaub / in den



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kaldischen Artikel.339 Was aber an dieser Formulierung insbesondere auffällt, ist, dass der Glaube hier als Zustimmung zu einem Glaubensartikel gefasst wird, zwar nicht als bloßer assensus, sondern schon in Form eines Vertrauensaktes, aber eben doch als Anhängen an einem Glaubensartikel. Man könnte darin einen ersten Schritt zur Orthodoxie abgezeichnet sehen. In jedem Fall ist Greffs Widmungsrede eindeutig ein Dokument der lutherischen Lehre; zweimal wird das reformatorische sola fide berührt. Während in der an die Leser gerichteten zweiten Widmungsrede keine reformatorischen Theologumena berührt werden, erscheinen diese wiederum in der vom Actor gehaltenen ‚Vorrhede‘, die Teil der Aufführung war. In dieser bezeichnet er – auch dies an die Schmalkaldischen Artikel erinnernd – den Glauben an Jesus Christus als das Hauptstück und die Summe der christlichen Lehre, wie es von der Schrift angezeigt werde, gibt aber zugleich zur Kenntnis, diese Frage sei gegenwärtig umstritten und Gegenstand von Disputationen.340 Keinen Zweifel lässt er aber an der Richtigkeit der protestantischen Position aufkommen, die er durch die Schrift eindeutig belegt sieht. Damit leuchtet das Schriftprinzip und die Überzeugung von der Eindeutigkeit der Schrift in Sachen des Hauptartikels auf. Die gleiche Einordnung des Glaubens wiederholt der Actor auch im ‚beschlus‘ am Ende, wo er den Glauben als das nötigste Stück, in dem Heil und Trost der Welt liege, wertet.341 Die weiteren Ausführungen in der Vorrede und im ‚beschlus‘ gelten dem Glaubensbegriff. Dieser wird als auf die Verheißung bzw. das göttliche Wort bezogen aufgefasst.342 Ebenso wird Versuchung, leiblicher und geistlicher Art, und Anfechtung als ein konstitutives Element desselben beschrieben.343 Der Glaube steht auch darin gegen die Erfahrung, dass er Glaube an den Gott ist, der aus dem Nichts schafft. Beleg dafür ist die der Natur widersprechende Geburt Isaaks.344 Der Glaubensbegriff wird schließlich im ‚beschlus‘ thematisiert. Greff weist darauf hin, dass die Auslegung der Abraham-Geschichte kontrovers sei. Man gönne Abraham nicht die Ehre, alleine durch den Glauben Gottes Huld erlangt zu haben.345 Versamen Abrahe / das ist in vnsern Herrn Jhesum Christum/ fur Gott on alles zuthun vnser werck / selig vnd gerecht mache.“ 339 Vgl. BSLK, S. 415,6.21. 340 Vgl. A Ia: „Die gantze welt die fraget jtz Vnd Disputirt mit grosser witz / Was doch das heubtstÜck vnd die Sum Sey / Dadurch man in himel kum / Die heilge schrifft die zeigts vns frey Vnd spricht / Das anders nichtes sey / Denn gleuben in den Jhesum Christ Welcher der werlet Heiland ist.“ 341 Vgl. Beschluss, P IIIIb. 342 Vgl. A IIIb; P IIIb. 343 Vgl. Beschluss, P IIIa–b: „Daran wir erstlich sollen lern / Das / wenn Gott sicht ein / der jn gfelt Ein menschn der sich nach seim wort helt / Das er sich zu Gott wenden wil Dem schickt er zu versuchung viel / Gros anfechtung / Vnd kein allein Geistlich vnd leiblich beid gemein.“ Vgl. P IIIIa. P Vb. 344 P IIIIa: „Gott gibt dir da gar nichtes ist Wie ers beweist zu jhener frist / An Abraham / Vnd heut zu tag Solch beispil war der Jsaac.“ Entsprechend wurde Isaak dem Abraham durch den Glauben geschenkt. 345 P IIIIb–Va: „Vber welchen [sc. den Glauben Abrahams] zu dieser frist Noch heut zu tag solch hader ist / Das man dem Abraham die ehr So gros / fort nicht wil gunnen mehr / Das er nur durch den

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mittelt der Actor so seinen Hörern das sola fide, bringt er ihnen im Folgenden auch das solus Christus nahe. Der Glaube wird als alleine auf Christus – bzw. für Abraham und die Glaubenden vor Christus auf den ‚Samen‘ – gerichtet definiert. Wiederum sind die Werke dabei ausgeschlossen.346 Zugleich deutet Greff an, dass es sich bei der Rechtfertigung um einen forensischen Akt als Gerechtsprechung durch Gott handelt.347 Die Rahmenstücke lassen damit keinen Zweifel an der reformatorischen Haltung Greffs aufkommen. Besonders deutlich bringt er zwei Aspekte zum Ausdruck: Zum einen stellt er fest, dass es alleine der Glaube unter Ausschluss der Werke ist, der gerecht macht, zum andern wertet er diesen Locus als zentralen Artikel des christlichen Glaubens, in dem er dessen Inhalt zusammengefasst sieht. Daneben erscheint ihm wichtig, dass dieser Glaube allein auf Christus ausgerichtet, auf die Verheißung von ihm bezogen ist und sich an sein Wort zu halten hat. Er äußert die feste Überzeugung, dass dies auch die klare und eindeutige Auffassung der Schrift ist. Daneben deutet er an, dass er den Glauben als ein Geschenk Gottes348 auffasst und eine forensische Rechtfertigung vertritt. Das sola gratia erscheint zwar nicht in expliziter Form, ist aber durch die Formulierung ‚lauter umsonst‘ präsent. Während der Begriff der Gnade in den Rahmenstücken nur einmal erscheint, verwendet Greff dort den Terminus ‚huld‘ häufiger, wobei er unter diesem Begriff besonders die endliche Haltung Gottes versteht, die dem Glaubenden, und nur ihm, im Gericht zuteil wird und mit der er dieses besteht.349 Die Gnade als Huld Gottes wird also als eine vom Menschen zu erlangende Größe in den Blick genommen, die durch den Glauben erworben wird. Als vorgängige, dem Menschen gegenüber eingenommene Haltung Gottes erscheint sie hingegen nicht. Bei der Betrachtung der eigentlichen Handlung fällt zunächst – wie bereits erwähnt – auf, dass Greff den Glaubensbegriff auch über die biblische Vorlage hinaus in sein Drama glauben sein Gottes huld hat erlanget fein / Wie Paulus der Apostel gut Solche lehr weidlich treiben thut / Welch jtz von ir vielen zuhaud Erleid so grossen widerstand / Das nur der liebe Abraham Durch seinen glauben / in den sam / Der jm verheischen ward von Gott Solt sein erlÖst von aller not.“ 346 P Vb: „... so du glauben wirst alda / Jn den samen Abrahe fein Welcher Christus der Herr allein / So wirstu selig vnd gerecht On alle deine werck gar schlecht / Vnd kriegst durch jn das ewig lebn...“ P Va formuliert Greff, dass Abraham mit den Christen der Gegenwart glaubte, dass Christus bzw. sein Same „... der werlet trost Allein nur wehr der jn erlost / Jn aller gfahr / von aller not Der jn erret vom ewign todt.“ Der Glaube schließt Abraham und die Christen, inklusive denen der Gegenwart, zusammen. – In diesem Zusammenhang erscheint auch die Deutung Isaaks als Figur Christi. 347 P IIIIb: „Durch den glauben spricht die Schriff dar Wird er so gar gerecht vorwar / Von Gott selber gesprochen ja Do er sein worten gleubet da.“ 348 Vgl. die Widmungsrede, b IIIIa: Gott erhielt Abraham in der Versuchung, so dass er nicht in Verzweiflung fiel. 349 Vgl. Widmungsrede, a Va; Vorrede, A IIIIa; Beschluss, P Va. Der Begriff der ‚gnade‘ erscheint in der Vorrede, A Ia, und meint hier das Zuteilwerden der Erkenntnis, dass das Leiden nur der Bewährung des Glaubenden dient, also in spätmittelalterlicher Terminologie einer gratia gratis data bzw. gratia specialis.



Der Abraham-Stoff

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einfügt.350 Dies belegt die eminente Bedeutung des Begriffs für Greff, der in diesem Terminus die gesamte dargestellte Geschichte zusammengefasst sieht. An etlichen Stellen legt er den Glaubensbegriff aus. Den Akt des Glaubens umschreibt er mit verschiedenen Verben. So heißt Glauben alleine auf Gott vertrauen351, ihm trauen352, seine Zuversicht auf ihn setzen353, ihn vor Augen haben354, sich auf sein Wort, auf das, was er zugesagt hat, verlassen355, auf sein Wort bauen356, auch wenn die Erfahrung, hier in Gestalt des bevorstehenden Todes Isaaks, dagegen spreche. Zum Glauben gehört ferner das Moment des Gewissseins.357 Ein deutlicher Schwerpunkt liegt in der Beschreibung des Glaubens als Vertrauen. Entsprechend kennzeichnet er den Gegensatz des Glaubens als Haltung des „misstrew“.358 Konstitutiv für den Glauben ist der Bezug auf das göttliche Wort, insbesondere auf die Verheißung.359 Von daher ist Reckling beizupflichten, wenn er Greffs Glaubensbegriff als unbedingtes Festhalten am Wort Gottes umschreibt.360 Umgekehrt geht daher das ‚misstrew‘ der göttlichen Verheißungen verlustig.361 Als Sitz des Glaubens wird oft das Herz genannt.362 Die entsprechenden Textstellen zeigen, dass Greff damit eine Verankerung im Innersten des Menschen und eine Prägung der ganzen Person im Blick hat. Der Erkenntnisaspekt des Glaubens fehlt bei Greff ebenfalls nicht. Der Glaube ist auch ein Wissen darum, dass Gottes Wort wahr ist, dass Gott nicht lügen kann.363 Der Aspekt des Vertrauens ist mit dem der Erkenntnis untrennbar verbunden.364 Auf der ande350 Akt V Szene 1, G VIa (Gen 22,12); G VIb (Gen 22,18). 351 Vgl. Akt IV Szene 6, G IIIb; vgl. Beschluss, P Vb. 352 Akt III Szene 3, E IIIIa: „Herr von gantzem hertzn traw ich dir Du wirst mich trÖstn vnd helffen mir.“ Vgl. Akt I Szene 7, C IIIa; Akt IV Szene 6, G IIIb. Das gleiche Verbum erscheint im Beschluss, P VIa, in einem Appell zum Glauben durch den Actor. 353 Vgl. Akt III Szene 2, E Ia. 354 Vgl. Akt V Szene 5, I IIa. 355 Vgl. Akt IV Szene 6, G IIIIa. 356 Vgl. a.a.O., G IIIb. 357 Vgl. Akt II Szene 5, D IIb. 358 Akt V Szene 5, I Ib: „Gott helt ia fest / An vns nichts bricht So wir vns selbs nur teÜschen nicht / Vnd seiner zusag vns beraubn Durch vnser misstrew vnd vnglaubn ...“ 359 Vgl. Akt IV Szene 1, F Ia; Akt IV Szene 6, G IIIb. 360 Vgl. Fritz Reckling, Immolatio Isaac, Münster 1962, S. 49. 361 Akt V Szene 5, I Ib. 362 Vgl. Akt I Szene 7, C IIIa; Akt III Szene 3, E IIIIa; ferner aus den Rahmenstücken: Widmungsrede b IIIb. IVa; vgl. b IIIIb. 363 In Akt IV Szene 1, F Ia, äußert Abraham im Gebet: „Ach lieber Gott vnd Herre mein Es kan nicht ligen das wort dein ...“ In Akt IV Szene 6, G IIIb, nach dem Opferbefehl lauten seine an Gott gerichteten Worte: „So weis ich dennoch freilich wol / Das deinem wort zugleuben ist Du redest war zu aller frist. ..“ Ebd.: „... das weis ich zwar Dein wort ist ja gewisslich war.“ Vgl. ferner Akt I Szene 1, A Vb, die Gebetsformulierung Abrahams: „Du heist mich ja nichts bÖs weis ich ...“ 364 Dies zeigt auch eine Bestimmung des Glaubens im Beschluss: Man soll Gott für den halten, der aus aller Not hilft (P IIIIa). Die Bedeutung des Begriffs ‚Dafürhalten‘, das zunächst den intellektiven

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ren Seite grenzt Greff den Glauben gegen die Vernunft ab. Eindrücklich ist die Szene des Empfangs des Beschneidungsgebotes am Ende des zweiten Aktes. In einem Gebet sinniert Abraham über das göttliche Gebot der Beschneidung, dem er folgen will, „Wiewol es mag der vernunfft sein / Ein schlecht vnd vnansehlich ding Aber ich achts traun nicht gering / Was vns beuehlen thut dein gunst Das mus traun nicht sein vmb sonst / Jch halts vnd gleubs gewis darfur Dein gnade mus vorwar gen mit ...“365 Ist der Glaube Erkenntnis, so ist diese Erkenntnis aber nicht auf dem Wege der Vernunft zu erreichen. Die Glaubenserkenntnis ist vielmehr eine Frucht des Geistes, zu der menschliche Klugheit und Verstand nicht zu gelangen vermögen. So habe Abraham, wie er den Actor mitteilen lässt, in dem Besuch der drei Männer einen Hinweis auf die zukünftige Menschwerdung Gottes gesehen, eine Erkenntnis, zu der sein Verstand nicht habe gelangen können, die ihm nur durch den Glauben geschenkt worden sei.366 Damit deutet sich an, dass der Glaube für den Menschen nicht selbstverständlich ist. Die häufig wiederkehrende Rede vom ‚festen Glauben‘367 oder vom ‚rechten Glauben‘368 weist darauf hin, dass der Mensch beim Glauben gefordert ist, dass der Glaube kultiviert werden muss. Der Glaube ist gefährdet, wofür in der Vorrede369 das dem Geist entgegengesetzte Fleisch verantwortlich gemacht wird. Nach den Rahmenstücken ist es Gottes Wille, den Glauben zu ‚bewähren‘, daher ist dem Glauben die Anfechtung nichts Fremdes. Ist es dem Menschen daher aufgegeben, den Glauben zu üben, ihn festzuhalten, so lässt Greff andererseits erkennen, dass er den Glauben selbst als eine Gabe Gottes fasst. Ein Beleg dafür ist Abrahams Bitte an Gott, er möge ihn in der Gnade und in der Zuversicht erhalten, dass er ihm glaube.370 Ebenso weiß der Patriarch, dass er nach dem Opferbefehl völlig verzweifelt wäre, hätte Gott ihn nicht bewahrt und ihm nicht wieder ein gläubiges Herz zu ihm erweckt.371 Nach der glücklichen Wendung der Ereignisse bekennt Abraham, Gott habe ihn in seinem Wort rein erhalten, so dass

Aspekt impliziert, wird durch die Näherbestimmung seines Objekts als Helfer in der Not auf den Vertrauensaspekt ausgeweitet. 365 Akt II Szene 5, D IIb. Greff folgt hier Voiths Spiel vom herrlichen Ursprung, Akt IV Szene 2, ed. Holstein, S. 266. 366 Vgl. Akt III Szene 1, D IIIIa: „Gottes geist solches leret jn Nur durchn glaubn / Dan durch menschen sin / Durch menschen klugheit vnd verstand Hat er freilich solchs nicht erkand.“ 367 Vgl. Akt I Szene 1, A Vb; Akt III Szene 1, D IIIIa (Actor); Akt V Szene 1, G VIa.b; Akt V Szene 5, I IIa; vgl. ferner die Vorrede, A IIIb, wo von ‚festiglich halten‘ die Rede ist. 368 Vgl. Akt III Szene 1, D IIIIb. 369 Vgl. A IIIb. 370 Vgl. Akt IV Szene 1, F Ia. 371 Akt V Szene 3, H Ib: „Ja het ich der natur folgn solln Nicht deiner zusag trÖsten wÖlln / Verzweiffelt wer ich gantz vnd gar Aber du hast mich erhaltn zwar / Du kanst trÖsten / du kanst schrecken Vnd dem traurign wider erweckn / Ein frisch vnd gleubigs hertz gen dir Herr du hast es beweist an mir.“



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er sein Diener bleiben wollte.372 Der Glaubende werde in der Prüfung nicht von Gott fallen gelassen.373 Fasst Greff das Verhältnis des Menschen zu Gott grundlegend in der Kategorie des Glaubens, so lassen sich für dieses Verhältnis aus dem Text noch weitere Bestimmungen erheben. Bereits in der ersten Szene des Dramas bekennt sich Abraham als Kind Gottes und Gott als seinen Vater.374 Bedeutsam ist ferner, dass, wie oben gezeigt, Abraham als ständig im Gebet mit Gott stehend dargestellt wird. Immer wenn er alleine auftritt, spricht er mit Gott. Der Patriarch hält keine Monologe, seine Gedanken bringt er stets vor Gott. Dazu gibt es lediglich eine Ausnahme. Nach Erhalt des Opferbefehls spricht Abraham einen längeren Monolog, in dem er an den Rand der Verzweiflung geführt wird.375 Erst mit der erneuten Wendung zum Gebet löst sich diese Situation. Daraus erhellt, dass für Greff der Mensch immer in der Relation coram Deo zu sehen ist und der Glaube der permanente Vollzug dieses Verhältnisses von Seiten des Menschen ist. Greffs Darstellung des ständig betenden Abraham verdeutlicht, dass für ihn der Mensch ein relationales Wesen ist. Der Mensch existiert nicht von sich her, als Subjekt existiert er in Relation von einem anderen, von Gott her. Der Glaube erkennt dies, darum ist er die stete Wahrnehmung dieser Relation zu Gott. Umgekehrt gilt, dass sofern der Mensch bei sich selbst verbleibt, die Relation nicht wahrnimmt, er in Gefahr steht, seine Bestimmung, sein Wesen zu verfehlen, was im Zustand der Verzweiflung kulminiert. Mit diesen Bestimmungen zum Glauben zeigt Greff sich als deutlich in der Linie Luthers stehend. Dies manifestiert sich auch darin, dass Greff Anfechtung und Versuchung als ein Kennzeichen des Glaubens versteht. Bereits vor dem Befehl zur Opferung seines Sohnes konstatiert Abraham, dass er ohne Ursache viel leiden müsse, dass dies aber durch Gottes „versehn“ geschehe.376 Diese Erkenntnis wird vertieft durch das Widerfahrnis des göttlichen Befehls. Die Lehre, die Abraham daraus zieht, verdeutlicht er in einem Gebet in Akt V Szene 3, in dem er gewissermaßen stellvertretend für alle Glaubenden in der ersten Person Plural spricht: Wir sollen nicht zweifeln, auch wenn es scheint, als stände Gott wider uns, und wir zu dem Ergebnis kommen, er sei alles andere als allmächtig. Der Glaubende macht die Erfahrung, und zwar „offt vnd mannichfald“, dass Gott ihn verlasse und ihm nicht helfe, so dass er zu verzweifeln drohe.377 Der Befehl Gottes zur Opferung Isaaks schien wider die Vernunft, wider die Natur, aber auch wider die von Gott selbst gegebene Verheißung. So ergab sich, wie Greff deutlich im Anschluss an Luthers Auslegung der 372 Vgl. Akt V Szene 5, H VIb. 373 Vgl. Akt V Szene 5, I IIa. 374 Akt I Szene 1, A Vb: „Sey du Vater / Vnd ich wil dein Forthin dein son vnd dein kind sein.“ 375 Vgl. Akt IV Szene 6, G IIb–IIIb. 376 Akt IV Szene 6, G IIa. 377 Akt V Szene 3, H Ia, betet Abraham: „Du stelst dich offt gegen vns hier Gegen vns arme menschn / Das wir / Das wir meinen du seist nicht Gott Der almechtig / Vnd der aus not / Helffen kÖnde vnd vns erhalt Dan du vns offt vnd mannichfald / Gantz vnd gar verlest vnd hilffst nicht Das es ein anders nicht ansicht / Dan das es sey alles verlorn Wir werden druber gar zu thorn.“

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Geschichte formuliert, ein „widerspil“ in der Erfahrung Gottes. Isaak sollte leben und doch sterben, was unmöglich war.378 In diesem Widerspruch der Erfahrung Gottes, so gibt Abraham kund, tröstete er sich der Zusage Gottes, so dass er schließlich nicht verzweifelte und von Gott gehalten wurde. Er erfuhr, ähnlich wie Luther es mit den Begriffen des deus revelatus und des deus absconditus fasste, dass Gott trösten und schrecken könne, dass sich der Glaubende in diesem Fall in der göttlichen Verheißung trösten müsse, in der Zuversicht, dass Gott ihm am Ende wieder „ein frisch vnd gleubigs hertz“ erwecke.379 Fassen wir den aus der Handlung erhobenen Befund zusammen, so ist festzustellen, dass auch in dieser die reformatorische Lehre maßgeblich ist und Greff als Leitfaden der Dramatisierung dient. Manifest wird dies besonders an seinem Begriff des Glaubens, der sich, als Vertrauen und als Erkenntnis bzw. Fürwahrhalten gefasst, auf die göttliche Verheißung bezieht und als der rechte Umgang des Menschen mit Gott verstanden wird. Ist der Glaube die Wahrnehmung der Relation zu Gott, so manifestiert er sich im Gehorsam Gott gegenüber, der aus der Gewissheit des Glaubens folgt.380 Reformatorisch ist schließlich die Wertung der Anfechtung als konstitutives Moment des Glaubens. Eine gegen die altgläubige Auffassung gerichtete Ausprägung ist in den in der Handlung gebotenen Ausführungen prima facie nicht zu erkennen. In diese Richtung weist auch das Faktum, dass reformatorische Formeln als solche dort nahezu nicht vorkommen. Eine Ausnahme bildet lediglich die in Akt III Szene 1 erscheinende Formulierung, der Glaube mache uns vor Gott allein gerecht, welche bezeichnenderweise aber vom Actor eingebracht wird.381 Daraus erhellt zweierlei: Zum einen bemüht sich Greff geschichtlich zu denken. Er vermeidet es, den Patriarchen in anachronistischer Weise reformatorische Sätze in den Mund zu legen und so die aktuelle Kontroverse in die biblische Geschichte einzutragen. Zum andern ist festzustellen, dass Greff den Glaubensbegriff nicht in aprioristischer Abgrenzung, sondern positiv aus der Handlung selbst entwickelt. Hintergrund dieser Vorgehensweise ist sicher auch, dass Greff sich der Schrift verpflichtet fühlt, deren Klarheit in der Hauptsache für ihn

378 A.a.O., H Ia–b: „Lieber Gott du verhiescht mir ja Das aus meins son Jsaac da / Solten gesegenet werden Alle volcker hie auff erden / Wars nicht das widerspil / Frag ich Da du jn hiessest todten mich? Wie solt doch das jmmermehr gschen Aber wie solt es doch zugehn? Er solt leben vnd sterben auch Wer das wol muglich jmmer doch? War das nicht wider all natur Wie ich hab gesaget zufur?“ Vgl. für Luther, WA 43, 201,30: „Deus enim manifeste hic sibi ipsi contradicit: quomodo enim conveniunt haec: ‚in Isaac vocabitur tibi semen‘, et: ‚tolle filium tuum, et macta eum‘.“ Vgl. 216,35ff: „Sed verbum conciliat haec duo: Quod mortuus vivit, et vivens moritur. Sic nos vivimus, et tamen morimur.“ Vgl. ferner Luthers Predigt aus dem Jahre 1523, WA 14, 299,15ff. 379 Greff, a.a.O., H Ib: „Ja het ich der natur folgn solln Nicht deiner zusag trÖsten wÖlln / Verzweiffelt wer ich gantz vnd gar Aber du hast mich erhaltn zwar / Du kanst trÖsten / du kanst schrecken Vnd dem traurign wider erweckn / Ein frisch vnd gleubigs hertz gen dir Herr du hast es beweist an mir.“ 380 Vgl. G IIIb–IIIIa: „Dein wort ist ja gewisslich war / Darauff ich mich verlas gantz gern Wil folgen dir meim Gott vnd Herrn / Dir will ich stetz gehorsam sein Allzeit thun nach dem willen dein ...“ 381 Vgl. D IIIIb.



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freilich feststeht, wie die Vorrede verdeutlicht.382 Die Aktualisierung gegen die altgläubige Auffassung wird von Greff alleine in den Rahmenstücken vorgenommen. Im Stück selbst geht es ihm nicht, jedenfalls nicht primär um Abgrenzung, sondern um die Vermittlung eines aus der Schrift erhobenen, in sich positiven Gutes, besonders der reformatorischen Lehre vom Glauben, unter Absehung von deren Bestreitung durch die Altgläubigen. Greffs Vorsatz ist es, der Schrift zu folgen, wobei für ihn zwischen dieser und der reformatorischen Lehre völliger Einklang besteht, insofern letztere die klare und eindeutige und damit einzig mögliche und notwendige Auslegung der ersteren ist. Damit stellt sich die Frage nach der Verarbeitung der konfessionellen Auseinandersetzung und der konfessionellen Polemik im Drama. Die Kontroverse hat für Greff ihr Zentrum in der unterschiedlichen Haltung zur heiligen Schrift bzw. in der Frage ihrer rechten Auslegung und, daraus folgend, in der Frage des Glaubensbegriffs. Die Altgläubigen bzw. die ‚Papisten‘, so führt Greff in der Widmungsrede an den Kurfürsten aus, widerstrebten dem Wort Gottes. Sie negierten dessen fundamentale Aussage, dass die Menschen universal Sünder seien, was Greff aus dem Vorsatz der Altgläubigen ableitet, durch Werke die Seligkeit zu erlangen.383 Das Insistieren auf Werken als dem Weg zum Heil bedeute aber die Leugnung des Faktums, dass der Glaube alleine die Weise sei, Gottes Huld und damit das Heil zu empfangen, wie Greff im Beschluss unter Berufung auf das Beispiel Abrahams ausführt, wo er im Zuge seines Rühmens des Glaubens Abrahams auf die aktuelle Auseinandersetzung zwischen der reformatorischen und der altgläubigen Theologie anhand der umstrittenen Interpretation Abrahams und seines Glaubens zu sprechen kommt.384 Die Ablehnung des Wortes zeitigt nach Greff noch weitere erhebliche Folgen. Eine zwangsläufige Konsequenz stellt die Bekämpfung der Träger des Wortes dar, bis hin zum Mord an denjenigen, die Christus predigten und bekennten und für die evangelische Wahrheit einträten.385 Greff sieht die ministri verbi wie auch die anderen Gläubigen durch Verfolgung seitens der Altgläubigen bedroht. Als Beleg dieser Verfolgung führt er im Beschluss die Vertreibung protestantischer Exulanten auf, die um des Wortes Gottes willen ihre Heimat verlassen mussten.386 Eine andere, von Greff als fatal eingestufte Folge ist darin zu sehen, dass über Jahrhunderte – als Initialpunkt benennt er bereits die Apostelzeit – der Weg zur Seligkeit nicht bekannt war.387 Dank der Gnade Gottes aber leuchte das Wort nun wieder. 382 Vgl. den Actor, C IIIb; Vorrede des Actor, A Ia. 383 Vgl. Widmungsrede, a VIa–b. 384 Beschluss, P IIIIb–Va: „Sein [sc. Abrahams] glaub (darin beschrieben fein) Der sol der aller hÖchste sein / Dergleichn nicht ward gefunden je Der sieder auch gehÖret nie / Vber welchen zu dieser frist Noch heut zu tag solch hader ist / Das man dem Abraham die ehr So gros / fort nicht wil gunnen mehr / Das er nur durch den glauben sein Gottes huld hat erlanget fein ...“ 385 Vgl. Widmungsrede, a VIb. 386 Vgl. Beschluss, P IIIb. Greff fasst dies als leibliche Anfechtung, die wie alle Anfechtung der Glaubenden letztlich in Gottes Willen begründet ist. 387 Widmungsrede, b Ib: Das Wort Gottes wurde seit „... der Apostel zeit schir bisher verblend / in eitel menschen tandt... / das niemand hat gewust den rechten Gottes steig zum himel ...“

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Im Gegensatz zu sämtlichen, auch den maßgeblichen geistlichen Vertretern der Altgläubigen, den Bischöfen, Domherren, die er mit dem Schimpfwort „Verthumbte“ belegt, den nicht-regulierten Klerikern, den als faul, gefräßig und gottlos charakterisierten Mönchen sowie den als ungelehrt apostrophierten Pfaffen, gehe der Kurfürst, ein theologischer Laie, täglich gerne mit Gottes Wort um.388 Grundvorwurf an die Vertreter der Altgläubigen seitens Greff ist somit die Verachtung des Wortes Gottes und in Entsprechung dazu die Unterdrückung der an diesem Wort festhaltenden Rechtgläubigen. Die Verachtung des Wortes aber befördert für Greff nicht nur weitere Misstände, vor allem bringt sie den Menschen von vornherein in eine falsche Richtung, weg vom Weg zum Heil, das alleine durch den Glauben zu erlangen ist, auf einen Weg, der auf die Werke verweist und damit nicht zum Heil führen kann. Sie bricht dem Glauben ab und verunmöglicht damit das Heil. In diesem Punkt kulminiert innerlich die Kritik Greffs an den Vertretern der Altgläubigen, oder anders formuliert markiert er mit diesem Punkt die Grenze zwischen dem falschen alten und dem rechten evangelischen Glauben. Äußerlich gipfelt die Reihe der Kritikpunkte im Vorwurf des Mordes an frommen christgläubigen Menschen. Dieser Aspekt ist Greff insofern wichtig, als ihm im vorliegenden Stück Tröstung und Stärkung der Angefochtenen und besonders der um ihres evangelischen Glaubens willen bedrängten Christen, wie gezeigt, ein wichtiges Anliegen bildet. Evoziert ist dies durch das Ergehen Abrahams, der ebenfalls seine Heimat verließ, dem aber darob wieder Gnadenerweise Gottes zuteil wurden, worin Greff einen besonderen Trost für jene Exulanten erkennt.389 Auf eine stärker vulgär zu verortende, massive Polemik begibt sich Greff schließlich bei der Kritik der geistlichen Vertreter der alten Kirche. Hier greift er die verbreiteten Urteile über das Nichtstun und die Gier der Mönche und die Dummheit der Pfaffen auf. Wie der Kontext zeigt, resultieren auch diese Zustände in Greffs Sicht letztlich auf mangelndem Umgang mit dem Wort Gottes. Insgesamt betrachtet zeigt sich, dass bei Greff die konfessionelle Polemik und Abgrenzung gegen den alten Glauben präsent ist, allerdings von ihm nicht im Übermaß geübt wird. So ist die Handlung selbst nicht von ihr bestimmt. Greff trägt sie nicht in die Geschichte ein. Die Rahmenstücke zeigen freilich, dass der Verfasser die Rezeption des Stückes nicht in Absehung von der kontroverstheologischen Situation für möglich 388 Vgl. a.a.O., b VIb. 389 Beschluss, P IIIb: „Daraus lern jder fromer Christ Der jtz verjagt vertriben ist / Von dem seinen vnschuldig zwar Vnd mus aus sein / ein frembder gar / Von wegen Gottes wort jtzund Gott wird dir doch zu aller stund / Gwis helffen wie er hie gethan Vnd wird sein wort nicht liegen lan / Er wird dich niemmer mehr verlassn Den trost magstu hie erstlich fassn.“ Dieser Vergleich, so konzediert Greff im Folgenden, hinke freilich etwas, da Abraham sein Land auf Befehl Gottes verließ, die protestantischen Exulanten aber durch altgläubige Obrigkeiten gewaltsam vertrieben worden seien. Gleichwohl sei auch dies als eine Schickung Gottes zu begreifen, der aber letztlich den Glaubenden erhalte und ihm aus der Armut helfe. Damit wiederum soll im Sinne Greffs das erlittene Unrecht nicht verschwiegen werden.



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erachtet. So ist er sich mit seiner Feststellung, das Thema des Glaubens sei der zentrale Inhalt der Geschichte, bewusst, dass das Drama letztlich keinen neutralen Charakter haben könne, da genau dieser Begriff des Glaubens zwischen beiden Parteien umstritten sei.390 Ebenso kann er, wie er in Widmungsrede und Beschluss ausführt, das Stück nur als deutliches Plädoyer für die reformatorische Seite aufgefasst wissen wollen, wobei er sich nicht an eine Partei, sondern an die Schrift selbst als – in späterer Terminologie – norma normans gebunden weiß.

3. Andreas Lucas, Komödie, wie Abraham seinen Sohn Isaak opfern sollte (1551) Ein schÖne vnd trÖstliche Comoedia / in Reim weis gestellet / wie Abraham seinen Son Jsaac / aus Gottes befelh / zum Brandopffer opffern solte / Zu ehren der Durchleuchtigen Hochgebornen FÜrstin / Fraw Catharinen / Hertzogin zu Sachsen etc. Durch Andream Lucam Aldenbergensem, Leipzig 1551 [Exemplar Wolfenbüttel] Über Andreas Lucas ist wenig bekannt.391 Er stammte aus Altenburg, wo er 1528 geboren wurde. 1548 ist er an der Universität Leipzig belegt. Zwei Jahre später erscheint er als Diakon bzw. Inhaber der zweiten Stelle in Neustadt bei Pirna. Zur Zeit der Abfassung und Drucklegung seines Dramas wirkte er nach eigener Angabe als Prediger.392 So viel ihm diese Aufgabe und die anderen Kirchengeschäfte Zeit ließen, habe er – nach einigen Überlegungen – das Abraham-Drama verfasst.393 Das Stück ist Herzogin Katharina von Sachsen, geborene Herzogin von Mecklenburg gewidmet. Nur ein Jahr nach Erscheinen der Komödie wurde Lucas aber wegen Geisteskrankheit emeritiert – ein auch angesichts dieses, wie sich zeigen wird, als überaus gelungen zu bezeichnenden Dramas durchaus erschütternder Sachverhalt. Außer der Abraham-Komödie hat er noch einen Traktat ‚Von der Trunkenheit, dem gräulichen und schädlichen Laster‘ verfasst, der 1550 in Erfurt erschien.394 390 Vgl. Widmungsrede an den Leser, c IIa; Vorrede, A Ib; Beschluss, P IIIIb–Va. 391 Zum Folgenden vgl. die Angaben in: Sächsisches Pfarrerbuch. Die Parochien und Pfarrer der Ev.luth. Landeskirche Sachsens (1539–1939), bearb. v. Reinhold Grünberg, II. Teil: Die Pfarrer der ev.-luth. Landeskirche Sachsens (1539–1939) 1. Abteilung, Freiberg 1940, S. 555, sowie a.a.O., I. Teil: Die Parochien der ev.-luth. Landeskirche Sachsens (1539–1939), 2. Abteilung, S. 456. 392 So bezeichnet er sich in der Widmung des Abraham-Dramas als ‚armen und geringen Diener des Wortes Gottes‘ (A VIIIb) und kommt auf die Predigt als seine Hauptpflicht zu sprechen (B Ia). 393 Lucas, Abraham, A VIIIb–B Ia: „… hab ich nach vielfeltigem bedencken mich vnterstanden mit Gottes hÜlffe (so viel ich dazumal zeit vnd weil gehabt / neben der predigt / vnd andern notwendigen geschefften in der Kirchen auszurichten) in ein Deutsch Comoediam Reim weis zu fassen... die herrliche vnd Überaus trÖstliche Historien / wie Abraham seinen einigen vnd lieben Son Jsaac / nach dem Gebot Gottes ... opffern wolt etc.“ 394 VD 16, L 2910f. (I. Abteilung Bd. 11, S. 579).

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Andreas Lucas konzentriert sich in seinem Drama auf die Geschehnisse der Opferung Isaaks. Das Stück besteht aus sieben Akten. Es treten 32 Personen auf, neben den Hauptpersonen und Gott-Vater, dem Prologus, Epilogus, Actor (oder Comoedus) etliche Knechte und Mägde Abrahams und Saras, die griechische Namen tragen, daneben Beelzebub und allegorische Figuren wie der Tod oder die Hoffnung und der Glaube sowie die vier Erzengel.395 Mit dem Einbau der Allegorien, insbesondere der negativen: Antipalus, dem Nebenbuhler, Sycophanta, dem Intriganten und Schmarotzer, Pitho, dem ‚überreden Wollenden‘, Perinoia, der Überklugheit, Thanatus, dem Tod, und Beelzebub, verfolgte Lucas nach eigener Auskunft den Zweck, den Glauben Abrahams, der auch und gerade darin bestand, gegen seine eigene Vernunft zu stehen, noch prägnanter hervortreten zu lassen.396 Unterstützt wird er von den Figuren der Pistis, dem Glauben, und der Elpis, der Hoffnung. Nach Widmungsrede, Prologus und Argumentum setzt die Komödie ein mit dem aus zwei Szenen komponierten ersten Akt, bestehend zum einen aus einem Dankgebet Abrahams, das einen Rückblick auf die vorhergehenden Begebenheiten – Abraham nennt die Lösung des Konflikts mit Hagar, den Frieden mit Abimelech und die Geburt Isaaks – enthält. Er spricht von der Hoffnung, dass Isaak eine ‚gottselige, fromme‘ Frau finde. In der zweiten Szene wird Isaak von Abraham in diesen Wunsch eingeweiht. Er stimmt zu. Der zweite Akt mit seinen vier Szenen bietet zunächst ein Lob des Hauses Abrahams und des Regiments Abrahams durch die Knechte und Mägde. Die vierte Szene leitet implizit zum Thema der Opferung Isaaks über: Die Magd Lesbia bittet die anderen Knechte, zum Herrn zu kommen. Trotz Bitten weigert sie sich zu sagen, worum es geht. Der dritte Akt verlässt in der ersten Szene zunächst die irdische Sphäre und berichtet aus dem Hofstaat Gottes. Die Erzengel Michael, Gabriel und Uriel loben Gott und sein geplantes Erlösungshandeln am Menschen, dass er diesen allein aus Gnaden durch den verheißenen Samen erretten wolle. In der zweiten Szene lobt Gott zunächst Abrahams Glauben und seinen Gehorsam – er zählt Beispiele auf –, äußert dann aber seinen Entschluss, Abraham zu „probieren“ durch den Befehl, Isaak zu opfern, was er im Anschluss Abraham mitteilt. Der vierte Akt ist bestimmt durch das Ringen Abrahams. Zwei Szenen stellen den Jammer Abrahams dar. Beelzebub und seine Verbündeten versuchen ihn, aber er bleibt gehorsam. Pistis und Elpis reden Abraham zu. Dieser beschließt, Sara und Isaak nicht in die Sache einzuweihen. Im fünften Akt werden in drei Szenen die Geschehnisse um die Reise dargestellt: die Vorbereitungen zur Reise und die Frage der Knechte nach dem Sinn des Unternehmens;

395 Das Personenverzeichnis besteht aus: Prologus; Argumentum; GottVater; den vier Erzengeln; Abraham; Sara; Isaac; den Knechten Abrahams und Saras mit Namen Prospolus, Therapon, Eurialus, Eubulus, Philoponus und Epichorius; den Mägden Abrahams und Saras mit Namen Milichia, Euphrosina, Merimna, Euterpe, Eulalia und Lesbia; ferner Beelzebub; Antipalus; Thanatus; Sycophanta; Pitho; Perinoia; Elpis; Pistis; Actor vel Comoedus; Epilogus. – Die Namen der Knechte beruhen auf der klassischen Tradition; vgl. Wilhelm Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Dritter Band. Renaissance und Reformation, Halle a.S. 19232, S. 303. 396 Vgl. den Epilogus, L Ib–IIa.



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ein Gespräch Abrahams und Isaaks, in dem das Vertrauen auf Gott zum Ausdruck kommt; die Ankunft am Berg Moria, wo Abraham die Knechte um Zurückbleiben bittet, was diese verwundert. Der sechste Akt mit seinen fünf Szenen, ist ganz der Bindung Isaaks gewidmet. Er besteht überwiegend aus Gesprächen Abrahams mit Isaak. Letzterer fragt in der ersten Szene nach dem zu opfernden Lamm, zeigt sich aber gehorsam angesichts der vagen Auskunft seines Vaters. Die zweite Szene markiert den Höhepunkt des Ganzen: Abraham weiht seinen Sohn in das Geschehen ein. Dieser kämpft gegen seinen Tod mit starken Einwänden. Abraham hält eine Gegenrede. Schließlich willigt Isaak ein und das Geschehen nimmt seinen Gang, bis die plötzliche Wende durch das Eingreifen des Erzengels Raphael erfolgt. In den Szenen vier und fünf wird eine Rede Raphaels und ein Gebet Abrahams geboten. Der siebente Akt hat die Rückkehr zum Thema, was in drei Szenen entfaltet wird. Ein Gespräch zwischen Abraham und seinem Sohn beim Abstieg vom Berg enthält einen Rückblick auf die Befindlichkeit in der durchlebten Grenzsituation. Die Gesprächspartner reflektieren das Geschehene, insbesondere die Frage, ob Abraham in der Situation seine Zuversicht behielt. Die zweite Szene berichtet die Rückkehr zu den wartenden Knechten, denen Abraham erst bei der Heimkehr vom Geschehenen erzählen will. In der dritten und letzten Szene kommen die beunruhigte Sara und deren Mägde den Reisenden entgegen. Auch hier gibt Abraham trotz der Bitte Saras seine Absicht kund, erst nach der Rückkehr von dem Geschehenen zu berichten. Sara lenkt daraufhin ein. Mit der Heimkehr endet das Drama. Nach der Aufführung soll das vom Autor konzipierte Lied ‚O Gott in deinem höchsten Thron‘ gesungen werden, das bei Wackernagel verzeichnet ist und neun Strophen umfasst.397 In ihm wird der Inhalt des Stückes bestätigt: Gottes Wort, das jetzt klar gepredigt wird, zeigt den Weg zur Seligkeit auf, welcher alleine der Glaube an Christus ist. Kein Werk kann vor Gott bestehen. Gott wird gebeten, dem Satan zu wehren, der Gottes Wort wegnehmen will. Er möge den Seinen helfen, Abraham und Isaak im Glauben zu folgen.

Das Drama gibt eine klare Gliederung zu erkennen. Akt I stellt Abraham und Isaak vor und legt ihr gutes Verhältnis zueinander wie auch die Zukunftspläne für Isaak dar. Akt II stellt durch die Unterhaltung der Knechte den Haushalt des Patriarchen als einen wohl geordneten vor. Beide Akte bieten die Disposition für Akt III, in dem der Opferbefehl als Probe bzw. Versuchung im Mittelpunkt steht, kontrastiert mit dem Lob Abrahams durch die Erzengel. Auf die Versuchung durch Gott folgt in Akt IV die Versuchung durch die Mächte des Bösen, angeführt durch Beelzebub, bei der Pistis, der Glaube, und Elpis, die Hoffnung, als Mächte des Guten Abraham Unterstützung leisten. Akt V führt die Reise vor bis zur Verabschiedung von den Knechten. Akt VI – an Szenen der umfangreichste – bietet die Geschehnisse auf dem Moria, Akt VII die Reflexion der Ereignisse und die Rückkehr. An dieser Gliederung ist auffällig, dass sich die Spannung von Akt III bis Akt VI zieht. Das Moria-Geschehnis stellt nicht die Mitte des Ganzen dar; es steht eigentümlich im hinteren Teil, obwohl es sehr breit dargestellt wird. Für Lucas bildet vielmehr die Versuchung durch die Mächte des Bösen – nebst der Unterstützung durch Pistis und Elpis 397 Philipp Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts. Dritter Band, Leipzig 1870, S. 788 (Nr. 930).

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–, die Bewährung des Glaubens das eigentliche Zentrum des Dramas, demgegenüber das Moria-Geschehnis deutlich in den Hintergrund tritt, auch wenn es kein bloßer Vollzug ist. Die Entscheidung fällt in dieser Versuchung; zugleich führt sie vor Augen, dass der Mensch kein freies Subjekt darstellt, sondern Schauplatz eines Kampfes von Mächten ist. Der in der Mitte stehende Akt IV markiert also auch das inhaltliche Zentrum des Dramas.398 Reckling erkennt überdies, dass das Drama zu erkennen gebe, dass Lucas die Grundregeln des Handlungsaufbaus der antiken Komödie bekannt waren. Er vermutet, wohl mit Recht, dass der Verfasser den Terenzkommentar des Donatus gekannt hat, „... denn die verschiedenen Stufen der Handlung entsprechen den ‚partes comoediae‘: Protasis, Epitasis und Katastrophe, bei Donatus.“399 Lucas orientiert sich oft an Luthers Auslegung zu Gen 22. So wie dieser die Versuchung dahingehend beschrieben hatte, dass in ihr der Teufel suggeriere, dass der Versuchte denke, Gott reue die Verheißung, weil er eine Sünde begangen habe, sich überhoben habe oder nicht dankbar genug gewesen sei, so versucht Perinoia Abraham einzureden, die Ursache für den Opferbefehl liege darin, dass Abraham Gott nicht für Isaak gedankt habe, zu stolz geworden sei oder sonst Böses getan habe.400 Lucas folgt Luther auch nahezu wörtlich darin, dass Isaak, nachdem ihn Abraham eingeweiht hat, daran erinnert, er sei der verheißene Samen, und weiter fragt, wie denn trotz seines Todes die Verheißung erfüllt werden solle.401 In einer Schlussrede an den Leser rechtfertigt er schließlich bestimmte Vorgehensweisen mit dem Wittenberger: So habe er ein Gespräch Abrahams mit Isaak vor der Opferung eingefügt, in dem Abraham dem Sohn das Bevorstehende mitteile und mit ihm über die Auferstehung spreche, und er habe es im Stück so geordnet, dass Isaak – im Gegensatz zu geläufigen Darstellungen – auf dem Altar auf seinem Rücken gelegen habe.402 In diesem Abschnitt reflektiert Lucas auch die Frage der Texttreue, nicht nur um sich selber Rechenschaft zu geben, sondern, wie er ausführt, um Fragen oder möglichem Spott zuvorzukommen. Er erklärt, warum er bestimmte Entscheidungen in seiner Dramatisierung getroffen hat. So rechtfertigt er die Einführung der allegorischen Figuren, 398 Lucas’ Vorgehen entspricht damit demjenigen von Hans Sachs; vgl. Helmut Krause, Die Dramen des Hans Sachs, Berlin 1979, S. 130f. 399 Reckling, Immolatio Isaac, S. 68f. Zu diesen Teilen und zur Weiterentwicklung der Theorie im 16. Jahrhundert bei Scaliger vgl. Bernhard Asmuth, Einführung in die Dramenanalyse, Stuttgart – Weimar 20046, S. 130. 400 Vgl. Akt IV Szene 1, F IIIIb–Va mit WA 43, 202,13ff. 401 Vgl. Akt VI Szene 2, G VIIIb–H Ia, mit WA 43, 216,18–22. 402 Vgl. Lucas, L IIb. IIIa–b, mit Luther, WA 43, 216,15ff; 215,3f. – Johann Anselm Steiger, Zu Gott gegen Gott, S. 217, macht darauf aufmerksam, dass auch in der Predigt der Zeit – er nennt Vincentius Schmucks (1565–1628) im Jahre 1607 erschienene Predigten – die Hörer darüber belehrt wurden, dass die ikonographische Tradition zu korrigieren sei. – Zu der nach Luthers Auslegung auf dem Moria von Abraham gehaltenen Rede über die Auferstehung vgl. Ulrich Asendorf, Lectura in Biblia, Göttingen 1998, S. 128.



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die Abrahams Kampf wie auch seine menschlichen Affekte um so stärker verdeutlichen ließen. Abraham habe solche durchaus gezeigt, er sei, wie Lucas wiederum mit Luther festhält, nicht άστοργος gewesen.403 Eine stoische Ethik liegt Lucas offenkundig fern. Er ist aber der Auffassung, dass Abraham den göttlichen Befehl vor Sara verbarg, da dies der Text „reichlich erzwinget“, womit er sich Luther anschließt.404 All dies zeigt, dass Lucas in seinem Drama eine plausible Handlung präsentieren möchte, dass er dieses Ziel aber vom Text her zu erreichen gewillt ist. Er will dem Text treu sein, wo dieser aber einen für die Handlung unbedingt notwendigen Sachverhalt offen lässt, füllt er ihn gemäß dem Urteil der Wahrscheinlichkeit, nach dem Maßstab der Texttreue. Nähere Beziehungen zu Voiths ‚Spiel vom herrlichen Ursprung‘ oder zu Greffs ‚Abraham‘ sind nicht erkennbar. Singulär ist das ‚Nachgespräch‘ von Vater und Sohn nach der Lösung des Konflikts, in dem Befindlichkeit und Glauben Abrahams in der überstandenen Grenzsituation thematisiert werden. Eine weitere Eigenart des Stückes besteht darin, dass während Gott den Glauben Abrahams ‚probiert‘ und versucht, ob er sich seinem Willen hingibt,405 eine Versuchung Abrahams von Seiten Beelzebubs und seiner Gefährten erfolgt.406 Lucas’ Komödie war offenkundig für eine Aufführung konzipiert.407 Aus dem Text selbst wird nicht deutlich, ob es dazu kam. Albert Freybe vergleicht Lucas’ Abraham-Drama mit demjenigen von Schlue und kommt zu dem Ergebnis, ersteres biete „mehr lehrhafte Betrachtung als Handlung“, auch sei es im Gegensatz zu letzterem ermüdend.408 Ob dieses Urteil dem Stück von seiner Struktur und insbesondere auch von seiner Intention her gerecht wird, ist nun zu klären. Andreas Lucas geht sowohl auf die Frage nach der Intention eines geistlichen Dramas als auch auf die Intention seiner Dramatisierung des Abraham-Stoffes ein. In Bezug auf den ersten Punkt statuiert er in seiner Widmungsrede an Katharina Herzogin von Sachsen einen Mehrwert des Gesehenen und Gehörten gegenüber dem nur Gehörten oder Gelesenen: „Auch weil sonderlich solche vnd der gleichen Comoedien vnd Historien / so sie agirt vnd gehandelt / die leute offtmals mehr bewegen vnd lehren / dann wenn sie schon auch sonst vielmals dauon hÖren / oder dieselbigen auch selbst lesen ...“409 An dieser Stelle rekurriert Lucas auf die antike Rhetorik – ein Beleg für den engen Zusammenhang von protestantischem Theater und Rhetorik, deren Verbindungsglied der Rhetorikunterricht als Sitz im Leben des Schultheaters markiert. Von den drei Aufgaben, die der Red403 Vgl. Lucas, L Ib–IIa; vgl. WA 43, 206,1f., ferner 43, 161,38ff, und dazu Asendorf, a.a.O., S. 108. 404 Vgl. Lucas, L IIa–b, ferner Luthers Genesis-Vorlesung, WA 43, 205,35ff. 405 Vgl. Akt III Szene 2; F Ia–b. 406 Vgl. Akt IV Szene 1; F IIaff. 407 Vgl. Lucas, Widmungsrede, B IIa. 408 Vgl. Des Bergenfahrer Joch. Schlu’s Comedia von dem frommen, gottfürchtigen und gehorsamen Isaac. Ein Schrift-Denkmal der deutschen Hansa mit Act IV und V aus Georg Rollenhagens Abraham. Zwei Zeugnisse lutherischen Glaubens, hrg. und behandelt von Dr. Albert Freybe, Zweite erweiterte Auflage Norden – Soltau 1892, S. *38. 409 A.a.O., B IIa.

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ner im Auge haben soll, sind nach Lucas für das Medium Theater in besonderer Weise diejenigen des movere und docere relevant, während die Aufgabe des delectare übergangen wird.410 Hinsichtlich der mit diesen beiden Aufgaben intendierten Wirkungen übertrifft nach Lucas das Theater, weil es eine actio bietet, andere Formen der Applikation. Dies betrifft zum einen solche Formen, die sich des Hörens bedienen, und zwar auch jene, bei denen es zu einem mehrfachen Hören kommt, womit in diesem Zusammenhang das Hören einer Lesung eines Textes bzw. einer Geschichte, aber auch das Hören einer Predigt über einen Text bzw. eine Geschichte gemeint sein dürfte. Zum andern gilt die postulierte stärkere Wirkung des Theaters gegenüber einer Applikation mittels Lesen. Dies ist insofern bedeutsam, als das Lesen eine Applikation darstellt, in der die aktive Beteiligung des Rezipienten ein viel höheres Maß hat, als es beim Hören der Fall ist, liest er doch selbst den Text, wodurch er selbst die Applikation beeinflusst und steuert – durch langsames, lautes oder wiederholtes Lesen eines Teiles oder des ganzen Textcorpus. Doch auch das Lesen ist der actio Lucas zufolge noch unterlegen. Deutlich wird, dass nach ihm das Theater einerseits eine auf den Willen zielende Funktion hat. Er soll zu bestimmten Haltungen oder Handlungen bewegt werden. Das Theater korrespondiert so der Stilart des die Affekte erregenden genus grande der Rede. Entsprechend vermerkt Lucas, für ein Schuldrama eher selten, bei bestimmten Passagen der Handlung den Hinweis ‚Pathos‘ mit der Abzweckung, einen Affekt zu erzeugen.411 Andererseits kommt dem Theater auch eine lehrhafte, auf den Intellekt abzielende Funktion zu. In dieser Hinsicht hat es eine Affinität zur Stilart des eher nüchternen genus humile der Rede. Naturgemäß hängt es vom Inhalt der jeweiligen Passage ab, welche Stilart und Aufgabe verfolgt und welcher diesem korrespondierende Zweck anvisiert wird. In seinem Prolog kommt Lucas zunächst auf den Sinn der Komödien bei Griechen und Römern zu sprechen. Im Mittelpunkt steht für ihn dabei die Auffassung von der Komödie als Spiegel des menschlichen Lebens: Alle Menschen, egal welchen Standes und Alters, finden in der Komödie ein „model“ dafür, wie sie ihr Leben gestalten sollen, was recht und billig ist, was sie tun oder lassen sollen.412 Es hat damit eine moralische Intention, zielt bei den Zuschauern auf „Erbarkeit Zucht / ehren“.413 Erweitert wird diese Aufgabenstellung der Komödie nach Lucas, wenn es sich um christliche Komödien handelt, deren Stoffe der heiligen Schrift entnommen sind. In diesem Falle ziele die Komödie nicht nur auf das Verhalten des Menschen gegenüber anderen, sondern lenke auf das Wort

410 Vgl. Josef Martin, Antike Rhetorik, München 1974, S. 11f. 411 Vgl. dazu Reckling, a.a.O., S. 69, und Wilhelm Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Dritter Band. Renaissance und Reformation, Halle a.S. 19232, S. 295. 412 Vgl. a.a.O., B Vb–VIa. 413 A.a.O., B VIa. Vgl. B VIb, wo es heißt, die Komödie lehre, „... Wie sich ein jeder schicken sol / Jn seinem leben / wandel recht Der tugent nur nachfolgen schlecht Was jr aber entgegen ist Dasselb meiden zu aller frist.“



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Gottes und damit auf etwas ungleich Wichtigeres.414 Das Wort Gottes zeige, wie Gott mit seinen Christen handele, wie er sie im Glauben erhalte und rette.415 Für die christliche Komödie bestätigt Lucas im Folgenden, was er zur Komödie im Allgemeinen zuvor gesagt hatte: „Wenn denn solch geschicht vnd dergleichn Agirt werden / thun sie erweichn Offtmals der menschen hertzen mehr Denn wenn man auch sie lisset sehr Vnd offt auch hÖret sagen schon Wol auff dem Predigstul dauon Denn darin klerlichen jn werdn Mit sitten / mancherley geberdn Noch jeder geschichten inhalt Getragen fÜr gar mannichfalt Weise vnd mas / das werden sie Beweget und gereitzet je Gleichsam durch lebendige wort Das sie den sachen immer fort Vnd fort fleissiger dencken noch Vnd jnen die zu fassen joch Vnd behalten wird lieblich gar.“416

Das Ziel einer Aufführung, das er zuvor als ‚Bewegen‘ bezeichnet hatte, umreißt er nun auch mit den Verben ‚erweichen‘ und ‚reizen‘. Es zielt auf das Herz, das Zentrum der menschlichen Regungen. Explizit nennt Lucas hier die Predigt als Beispiel einer nur durch das Hören bestimmten Applikation, der gegenüber das Theater bzw. die Aufführung überlegen sei, insofern die Darstellung einer Geschichte auf mannigfaltige Weise geschehe. Gemeint sein dürfte, dass in einer Aufführung nicht nur der bloße Text einer Geschichte laut wird, sondern dieser unterstützt wird durch das Auftreten der Personen, durch die Aktion, die Gebärden, Kostüme, Requisiten und Bühne und andere Effekte. Dass die Aufführung das Herz mehr erweicht, impliziert, dass sie eine tiefer gehende Wirkung erzielt als eine Predigt, stärker auf das Herz und die Emotionen einwirkt. Summarisch formuliert Lucas, es handele sich bei der Aufführung einer Komödie um ‚lebendige Worte‘, um gespielte, vorgeführte Worte. Solchermaßen charakterisiert, findet die Aufführung nicht nur in der Vernunft oder im Willen ihren Zielpunkt, sondern auch in der memoria, insofern lebendige Worte nachhaltiger wirken, besser im Gedächtnis verbleiben und zum weiteren Nachdenken anregen. Die stärkere Wirkung einer Aufführung gegenüber anderen Applikationen besteht somit nach Lucas in ihrer stärkeren Intensität – sie wirkt tiefer – und in ihrer stärkeren Nachhaltigkeit – sie wirkt länger. Die Frage, die sich hier stellt, ist, ob Lucas nicht den potentiellen Sprengstoff bemerkt hat, den diese Gedanken beinhalten. Wenn er eine Komödie bzw. eine Aufführung derselben als ‚lebendige Worte‘ bezeichnet, folgt dann nicht daraus, dass für ihn das gepredigte Wort ein wenn nicht gar ‚totes Wort‘ zumindest ein weniger lebendiges Wort ist? Allerdings ist es gerade ein Prediger, der dies sagt. Anscheinend war er sich der Wirkung seiner eigenen Predigt und der Predigt im Allgemeinen nicht übermä414 Vgl. a.a.O., B VIb: „Dadurch die leute heut zu tag Nicht allein in eussern geberdn Gelert vnd vnterrichtet werdn Wie sie sollen recht halten sich Jm wandel gegen menniglich Sonder wis auch auff Gottes wort Acht geben / vnd den grÖsten hort Vnd schatz des hertzens jn lan sein.“ 415 Vgl. ebd. Dieser Aspekt wird in Recklings Analyse des Prologs, a.a.O., S. 69, leider ausgeblendet. 416 A.a.O., B VIIa.

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ßig gewiss. Erstaunlich ist diese Bemerkung, insofern die Predigt nach reformatorischer Auffassung das Medium der evangelischen Botschaft darstellt. Dennoch deutet nichts darauf hin, dass Lucas mit einer Aufführung der Predigt Konkurrenz verschaffen will und der Auffassung vom dienenden, die Predigt vertiefenden Charakter der Aufführung den Abschied erteilt.417 Einen ersten Hinweis auf die Frage nach seinen Kriterien für die Wahl des AbrahamStoffes gibt Lucas dadurch zu erkennen, dass er unter den Titel die Bibelverse Röm 4,3, in dem Paulus Gen 15,6 aufnimmt, und Röm 15,4 gesetzt hat. Es geht ihm um die Rechtfertigung aus Glauben, für die Abraham steht, um die Lehre und die Tröstung, die die Schrift bietet, ihre Aktualisierung und Applikation an die Menschen seiner Zeit. Ausführlich kommt der Autor auf die Gründe der Wahl dieses Stoffes sowohl in der Widmungsrede als auch im Epilog zu sprechen. Im Epilog verweist er darauf, dass die Geschichte von der Opferung Isaaks tröstlich sei und unbedingt wert, der Jugend, dem gemeinen Mann und allen Christen insgesamt ‚eingebildet‘ zu werden.418 Während er hier allein auf den Trostcharakter der Geschichte abhebt, dominiert in der Widmungsrede419 der lehrhafte und konfessionspolemische Aspekt: „Vnd hat mich auch sonderlich diese Historien fÜrzunemen verursacht / das warlich hell vnd klar / ja deutlich vnnd augenscheinlich wider die falsche vnd Antichristische lehr vns allen in Abraham vnd Jsaac wird fÜrgehalten vnd eingebildet / ein trefflich vnd lÖblich Exempel eines starcken vnwanckelbaren glaubens / des gleichen wir / ausgenomen den Herren Christum) in der gantzen heiligen Schrifft nicht finden.“420

Abraham und Isaak werden als Exempel des Glaubens vorgestellt, allerdings sofort in konfessionspolemischer Weise. Die Formulierung gibt zu erkennen, dass Lucas die Geschichte von der Opferung Isaaks schon aus dem Grunde wählte, weil sich mit ihr die altgläubige Lehre widerlegen ließ. Die Geschichte von Abraham ist umstritten, die altgläubige Theologie vertritt eine andere – nach Lucas’ Auffassung falsche – Auslegung derselben. Die Geschichte verdeutliche nämlich klar das von der altgläubigen Seite bestrittene ‚sola fide‘, „das wir alleine durch den glauben an den verheischen Samen Christum ... selig / gebenedeiet / vnd gesegenet werden / welches dann der Heuptpunct vnd Artickel ist vnsers Christlichen glaubens / religion vnd lehre ...“421 Lucas gibt damit durch die Widmungsrede von Anfang an klar seinen reformatorischen Standpunkt zu erkennen: Der Mensch wird alleine durch den Glauben an Jesus Christus gerettet; diese Erkenntnis ist

417 Zu dieser Stelle s.o. im Abschnitt B I 2 h) S. 203ff. 418 Vgl. a.a.O., L IIIIa. 419 Gleichwohl spricht Lucas auch hier von einer ‚überaus tröstlichen Historie‘; vgl. a.a.O., B Ia. 420 A.a.O., B Ia–b. 421 A.a.O., B Ib.



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der Hauptartikel der christlichen Lehre. Mit diesen Feststellungen nimmt Lucas deutlich Luthers Theologie auf.422 Lucas’ Intention in diesem Drama liegt zum einen in dem Trost, den die Geschichte bietet. Dieser besteht darin, dass Gott diejenigen rettet, die auf ihn vertrauen und dass keine Not, einschließlich Sünde und Tod, dem Glaubenden letztlich etwas anhaben kann. Von daher soll man sich das Widerfahrnis des Kreuzes durch Gott gefallen lassen, beständig im Glauben bleiben, sich den Glauben nicht rauben lassen. Intendiert ist somit eine Anweisung zum Verhalten im Leiden, zur Bewährung des Glaubens in den Kämpfen und Versuchungen des Lebens. Dem entspricht, dass der dieser Intention korrespondierende Akt in der Mitte des Dramas steht. Nach dem Epilogus bildet dies den ersten Lehrpunkt.423 Zum andern zielt Lucas auf die Lehre – die immer auch Abgrenzung bedeutet –, hier insbesondere die Lehre des sola fide. Dies stellt den zweiten Lehrpunkt des Epilogus dar.424 Dabei schließt sich Trost und Lehre in Lucas’ Verständnis natürlich nicht aus.425 Der christliche Glaube ist eo ipso Lehre und Trost. Das sola fide, das als Lehre gefasst wird, bietet dem Menschen Trost, indem es ihn von sich selbst entlastet und von den eigenen Werken weg auf Christus verweist. Dass diese Lehre von anderer Seite bestritten wird, nötigt erneut zu ihrer genauen Fassung und Verteidigung und zu steter Katechisierung der Glaubenden. Als dritten Lehrpunkt nennt Lucas die Präfiguration Christi durch Isaak.426 Auf diesem liegt allerdings kein sonderlicher Schwerpunkt verglichen mit den beiden anderen Lehrpunkten. Die konfessionspolemische und konsolatorische Ausrichtung des Dramas dürfte mit der zeitgeschichtlichen, durch das Interim geprägten Situation zusammenhängen. Die Kirche bzw. die Glaubenden sind bedroht, der Teufel will Gottes Wort wegnehmen.427 Gegenüber diesen primär theologischen Hauptintentionen, primär insofern sie den articulus stantis et cadentis, die Rechtfertigung betreffen, verfolgt Lucas implizit andere Ziele. Diese treten besonders in Akt II hervor. So ist Isaak Vorbild eines gehorsamen Kindes, der den Eltern in allem folgt, nicht dem Vater ins Wort fällt und kein Unnütz redet428. Alle Kinder sollten Isaak folgen, wie die Magd Eulalia sagt.429 Allerdings schränkt Lucas dies durch die clausula Petri (Act 5,29)430 ein, wozu auch passt, dass er nicht Abraham und Gott als Gehorsamsempfänger nebeneinander setzt, sondern beide Gott unter-

422 Vgl. Schmalkaldische Artikel, II. Teil Art. 1, BSLK S. 415,6.16f., wo das sola fide als ‚Häuptartikel‘ bezeichnet wird. 423 Vgl. a.a.O., K Vb; vgl. K IIIIa. 424 Vgl. a.a.O., K VIb. 425 Vgl. im Epilogus K IIIIa, wo Lucas mit Röm 15,4 festhält, dass alles, was in der Schrift geschrieben sei, zur Lehre geschrieben sei, und dass die Schrift Hoffnung und Trost biete. 426 Vgl. a.a.O., K VIIb. 427 Vgl. die Widmungsrede, A VIIIb. 428 Vgl. Akt II Szene 2; D VIIIa. 429 Vgl. a.a.O., D VIIIb. 430 Vgl. Akt I Szene 2; C VIa.

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stellt431. Grundsätzlich aber gebührt es dem Amt und Stand des Kindes, in allen Dingen gehorsam zu sein, was Isaak im Verlauf der Geschichte auch erfüllt. Vorbildlich sind ferner die Knechte, die über ihre Herren Gutes reden,432 sich freuen, wenn es denselben wohl ergeht433. Sie sind fromm und hören gerne dem Glaubensgespräch zwischen Abraham und Isaak zu.434 Sie halten ihren Dienst für sinnvoll.435 Vorbildlich sind schließlich Abraham und Sara als Herren bzw. Familie. Bei ihnen herrscht eine positive Atmosphäre, geprägt von Einigkeit. Es wird nicht geschimpft oder geflucht oder unnütz geredet. Für Reichtum, Macht, Ehre und sonstige Gaben danken sie Gott und setzen dies alles nicht unnütz, nicht zum Übermut, sondern zum Wohl anderer ein.436 So denken sie auch an die Armen. Sie gehen vorbildlich mit dem Gesinde um und lassen sich die religiöse Erziehung des Sohnes ein Anliegen sein.437 Lucas führt vor, wie ein vorbildlicher Sohn, vorbildliche Knechte und Mägde und auch vorbildliche Herren aussehen. Als sekundäre Intention ergibt sich damit deutlich eine Moraldidaxe, die Vermittlung der Pflichten der verschiedenen Stände. Sie stellt eine sekundäre Intention dar, insofern sie en passant erfolgt und die auf die Rechtfertigung bezogene Intention den Vorrang hat. Auch in Lucas’ Drama gilt Abraham in jeder Hinsicht als Vorbild. Er ist Isaak ein liebender Vater. Er sorgt für ein vorbildliches Familienklima, er geht in mustergültiger Weise mit dem Gesinde um.438 Er ist fromm und lehrt Isaak von klein auf im wahren Glauben.439 Schon vor dem Opferbefehl wird er von Gott für seinen Glauben und seinen Gehorsam gelobt.440 Diese Order ficht ihn hart an, wäre er doch lieber tot als dass er Isaak Not leiden sähe.441 Er reagiert an dieser Stelle und auch im Folgenden mit Jammer, wobei Lucas am Rande die Anweisung ‚Pathos‘ vermerken lässt.442 Im Epilog weist er – mit Luther – entsprechend darauf hin, Abraham sei kein Klotz oder Stein gewesen, son431 So sagt Abraham auf dem Moria zu Isaak, er solle Gottes Gebote halten (H Ib) „... vnd mit mir itzund fein Demselbigen gehorsam sein.“ 432 Vgl. Akt II Szene 1 und 2; D IIIIa. D VIb. 433 Vgl. Akt VII Szene 2 und 3; I IIIb. I VIb. 434 Vgl. Akt II Szene 1; D IIIIa; Akt V Szene 2; G IIIa–b; Akt V Szene 3; G IIIIaff. 435 Vgl. Akt II Szene 2; E IIb–IIIa. 436 Vgl. Akt II Szene 1 und 2; D IIIIaff. D VIb. 437 Vgl. Akt II Szene 2; E IIa; Akt I Szene 2; C VIb. 438 In Akt II Szene 2 loben die Mägde das in der Familie herrschende Klima und ihre eigene Behandlung; vgl. D VIb und VIIIb. Gerade dann, wenn sie Fehler gemacht hätten, würden sie „Mit worten glimpflich vnd gelind“ unterwiesen statt beschimpft (E IIa). Vgl. ferner Akt II Szene 1 (D IIIIaff), wo die Knechte die Atmosphäre im Hause rühmen. So äußert der Knecht Epichorius, er möchte nicht irgendwo anders dienen, habe er doch hier mehr von Gott und seinem Wort gehört als in vielen Jahren zuvor. Ebenso wird der Umgang mit Geld – auch in Hinsicht auf die Armen – und Macht als hervorragend eingeschätzt. 439 Vgl. a.a.O., C VIb. Die erste Szene beginnt mit einem Gebet Abrahams; vgl. B VIIIbff. 440 Vgl. a.a.O., E VIIb–VIIIa. 441 Vgl. a.a.O., C VIb 442 Vgl. Akt IV Szene 1; F IIa.



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dern ein Mensch mit στοργή, mit natürlicher Liebe zu den Seinen.443 Es geht dem Autor darum, dass der im Drama dargestellte Abraham auf eindrückliche Weise das ihn treffende Leid zu erkennen gibt – ohne Zweifel in der Absicht, auf der dunklen Folie seinen Glauben und seinen Gehorsam deutlicher erstrahlen zu lassen.444 Dieses Leid trägt er selbst; so beschließt er, das Ungeheuerliche vor Sara und Isaak geheim zu halten.445 Trotz seines Jammers lässt Abraham von Anfang an keinen Zweifel daran, den Befehl Gottes ausführen zu wollen. Er will gehorsam sein, weil es Gott ist, der solches befiehlt, ob es ihm selbst süß oder sauer ist.446 Dennoch tritt der Jammer erneut auf.447 Starke Emotionen brechen bei Abraham durch, als er auf dem Moria Isaak küsst und umarmt, nachdem er ihn über das Bevorstehende in Kenntnis gesetzt hat.448 Während er ihn bittet, sich auf den Altar zu legen, bricht ihm die Stimme; sie geht in Tränen auf.449 Die Regieanweisungen zeigen, dass dies auch zur Darstellung kommen soll. Wie Abraham post factum feststellt, fühlte er Schmerzen, steuerte und linderte diese aber durch den Glauben.450 Reckling stellt fest, auf dem Moria sehe Isaak immer entschlossener dem Tod entgegen, während Abraham die Ausführung des Befohlenen immer schwerer falle.451 Diese Beobachtung ist richtig, dennoch lässt der Abraham des Lucas nie einen Zweifel aufkommen, dass er den göttlichen Willen zu erfüllen entschlossen ist. Abraham gilt Lucas vor allem als Vorbild des Glaubens und des Gehorsams. Er bleibt im Glauben beständig, auch wenn die Vernunft und alle Umstände dagegen sprechen. Dies gilt nach Lucas’ Drama allerdings nicht nur von Abraham, sondern, wie er mehrfach ausführt, genauso von Isaak452, den er als bereits erwachsenen Menschen zeichnet453. Das sola fide verbindet er aufgrund des biblischen Zeugnisses in Röm 4 freilich nur mit Abra-

443 Vgl. L IIa. Vgl. bei Luther eine Predigt aus dem Jahre 1523, WA 14, 298,35f: „Non lapis ergo erat Abraham.“ Ähnlich äußerte er sich später in einer Genesis-Vorlesung, WA 43, 206,1f.: „Quomodo existimas cor Abrahae hic affectum fuisse? habuit enim carnem, nec, ut saepe dixi, fuit αστοργος.“ Vgl. auch WA 43, 212,37f. – Vgl. dazu Johann Anselm Steiger, Zu Gott gegen Gott, S. 193f. mit Anm. 47, der anhand von Lucas’ Drama konstatiert, dass Luthers Auslegung, gemäß der Abraham durch die auf den Vorsatz der Tötung des Sohnes folgende Verletzung der väterlichen Liebe noch größere Qualen habe ertragen müssen, in Dramen übernommen wurde. 444 Damit rechtfertigt Lucas die Einfügung der allegorischen Figuren; vgl. a.a.O., L Ib–IIa. 445 Vgl Akt IV Szene 2; F VIIb. Im Epilogus führt Lucas aus, dass dies zwar nicht explizit im Text stehe, jedoch von diesem erzwungen werde; eine Auffassung, die auch Luther vertrete; vgl. L IIa–b. 446 Vgl. Akt IV Szene 1; F IIa–b. IVa; Akt IV Szene 2; F VIIa. 447 Vgl. a.a.O., F VIa. 448 Vgl. Akt VI Szene 2; G VIIb. Am Rande ist ‚Pathos‘ vermerkt. 449 Vgl. a.a.O., H IIb; angemerkt wird: „Pathos Lachrimabili uoce haec Abraham loquetur.“ 450 Vgl. Akt VII Szene 1; I IIIb. 451 Vgl. Reckling, a.a.O., S. 157. 452 Vgl. Lucas, Widmungsrede B Ia; Epilogus K IVa. IIIIb–Va. Vb. Vgl. im Drama H IIa. 453 So hofft Abraham in Akt I Szene 1 (B VIIIbff) auf ein ‚gottseliges, frommes Weib‘ für Isaak und weiht Isaak auch in Szene 2 (C IIIb) in dieses Vorhaben ein.

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ham.454 Zeichnet Lucas die Person Abrahams auf allen Ebenen als Vorbild, bei der keinerlei problematische Züge erscheinen und deren Widerfahrnisse ihren Glauben nur noch kräftiger ans Licht treten lassen, ja geradezu selbst stärken, so ist klar, dass Lucas nicht die Absicht hat, ein realistisches Bild einer Person zu zeichnen. Auf der anderen Seite aber vermag er durchaus menschliche Züge einer Person in einem schweren Konflikt anzudeuten, wie die Anweisungen zu den emotionalen Äußerungen Abrahams zeigen. Fasst man dies zusammen, bringt Abrahams Rückblick auf das Ereignis Lucas’ Perspektive auf Abraham durchaus auf den Punkt: Ihm fiel es schwer, das Befohlene zu tun, aber er hatte die feste Hoffnung, Gott würde Isaak wieder auferwecken.455 Wie bereits angedeutet, lässt Lucas von Anfang an klar seinen reformatorischen Standpunkt erkennen. Hauptthema des Dramas ist der Glaube; die Geschichte zeigt nach Lucas gegen die römische Lehre das sola fide, den Hauptartikel des christlichen Glaubens gemäß lutherischer Auffassung, an. Die Formel ‚allein durch den Glauben‘ erscheint nicht nur in der Widmungsrede, sondern auch im Epilogus als zweiter Lehrpunkt: Aus dieser Geschichte können wir lernen, „Wie Abraham vor Got dem Herrn Allein durch glauben ist gerecht Worden / wie das bezeuget schlecht Der lieb Paulus zun RÖmern klar Am vierdten ... Also mÜssen wir auch allein Durch den glauben erlangen fein Gerechtigkeit vnd seligkeit ...“456 Gerichtet ist dies, so Lucas, gegen die Auffassung, die Werke des Menschen oder sein heiliges Leben könnten ihn rechtfertigen: „Vnser werck helffen nicht ein meit Kein heilges strenges leben je Kein heiligkeit auff erd alhie Verdient den himel nur allein / Solchs alles fÜr Gott ist vnrein Wenn ers nach seim strengen gericht Vrteilen wil / bestets gar nicht.“457 Merkwürdig mutet an dieser Formulierung das ‚nur allein‘ an, das das sola fide in Frage zu stellen und auf ein Mitwirken der Werke hinzudeuten scheint. Auf der anderen Seite helfen sie nicht ‚ein meit‘. Hintergrund dieser Sätze könnte die majoristische Auffassung sein, gute Werke seien zwar nicht als meritum, aber als debitum zur Seligkeit notwendig. Lucas’ Ausführungen an diese Steller sind allerdings gegen die altgläubige Lehre gerichtet, die dem Glauben Abbruch tue und – so stellt er den altgläubigen Standpunkt in seiner Sicht dar – die Rechtfertigung allein den 454 Vgl. Epilogus K VIb. 455 Akt VII Szene 1, I IIa: „Wenn ich die warheit sagen sol Vnd bekennen wie dazumol Mir ist gewesen vmb das hertz Wil ich nicht leugnen one schertz Das deinr ich mich verzihen hatt Zuuor aus weil mir solche that Von Gott dem Herren auffgeleit Dich zu opffern / ich doch allzeit Hatt ich ein gut hoffnung vnd trost Du wÜrdest widerumb erlost Werden / vom tod wider erstehn Ob ichs gleich nicht wie es zu gehn WÜrde / vorstehen kunde ebn Das du im tod auch wÜrdest lebn.“ Im weiteren Verlauf berichtet Abraham von seinem Jammer und Schmerz (I IIIb): „Ja ich vermocht warlich das hertz Welchs ich das mal gehat on schertz Mit keinen worten reden aus Was ich darin vor einen straus Jammer vnd schmertz gehabet dan Jedoch wil ich das zeigen an Dir widerumb das ich gleichwol Solch schmertzen / wie ichs nennen sol Gelindert vnd gestewert hab Durch den glauben ...“ 456 Epilogus, K VIb–VIIa. 457 Ebd. (Forts.).



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Werken zuschreibe.458 Paulus zeige demgegenüber klar, dass kein Mensch durch Gesetz und gute Werke fromm werde.459 Außer Frage steht für Lucas, dass der rechte Glaube durch die Werke tätig ist,460 eine Formel, die an Gal 5,6 erinnert, wo allerdings von der Liebe, durch die der Glaube tätig ist, die Rede ist. Mit der Feststellung einer falschen Lehre, die die Rechtfertigung allein den Werken zuschreibe, liegt eine Vergröberung und in gewisser Weise Verfälschung der altgläubigen Position vor, zumal in dem in Sessio VI verabschiedeten Dekret des Trienter Konzils über die Rechtfertigung vom Januar 1547 eine Rechtfertigung allein aus Werken explizit ausgeschlossen wird.461 Auch zuvor wurde diese Sicht nicht von altgläubiger Seite vertreten, wie auch Luther in seiner Genesis-Vorlesung konstatiert.462 Ohne Zweifel stellt dies bei Lucas ein Moment konfessioneller Polemik dar. Die mindestens drei Jahre vor der Entstehung des Abraham-Dramas gefassten Beschlüsse hätten Lucas bekannt sein können. Möglicherweise waren sie ihm auch tatsächlich bekannt, dann würde er mit diesem Urteil nur seine, der reformatorischen Auffassung verpflichtete Interpretation der Bestimmungen des Dekrets wiedergeben. Die dahinterstehende gedankliche Sequenz könnte folgendermaßen gestaltet sein: Wer das sola fide bestreitet, tut dem Glauben Eintrag und muss zwangsläufig zu einem solis operibus gelangen. Die im Rechtfertigungsdekret geforderte Mitwirkung des Menschen verschiebt in dieser Sicht nolens volens die Gewichtung auf die Werke hin. Dies zeigt sich schon in der Vorbereitung; die Gerechtigkeit wird nach dem jeweiligen Maß der dispositio und cooperatio zugeteilt.463 Voraussetzung einer solchen Mitwirkung ist das Vorhandensein eines freien Willens,464 der als die entscheidende Instanz im Vorgang der Rechtfertigung erscheinen muss. Wenn dann der Glaube selbst als insuffizient gewertet wird, dahingehend dass er erst durch Werke der Liebe vervollkommnet werden muss,465 so bildet letztere selbst die hinreichende Bedingung für die Rechtfertigung. Da das Konzil in Kanon 24 diejenigen verurteilt, die behaupten, die empfangene Gerechtig458 Vgl. a.a.O., K VIIb: „Darumb wir sollen auch kurtzumb Wo wir wollen die seligkeit Erlangen / hÜten vns allzeit FÜr falscher lehr / welche die schrifft Verfelschet vnd dem glaub abbricht Rechtfertigung schreibet sie zu Allein den eigen wercken nu.“ 459 Vgl. a.a.O., K VIIb. 460 Vgl. K Vb, wo Abraham und Isaak vortreffliche Exempel genannt werden „... Eins starcken festen glaubens recht Der durch die werck thetig ist schlecht.“ 461 Der Kanon 1 des Dekrets über die Rechtfertigung, DH 1551 (S. 516): „Si quis dixerit, hominem suis operibus, quae vel per humanae naturae vires, vel per Legis doctrinam fiant, absque divina per Christum Iesum gratia posse iustificari coram Deo: anathema sit.“ Vgl. ferner ebd., Kap. 5, DH 1525 (S. 504), wo verneint wird, dass der Mensch sich ohne die Gnade Gottes durch seinen freien Willen auf die Gerechtigkeit hinbewegen könne. 462 WA 43, 253,32f. äußert Luther über die pontificii: „Non enim simpliciter operibus iustitiam tribuunt, sed operibus coniunctis cum fide.“ Vgl. 253,38ff. 463 Vgl. ebd., Kap. 7, DH 1529 (S. 506). 464 Vgl. ebd., Kap. 1, DH 1521 (S. 503); Kanon 4, DH 1554 (S. 517). Vgl. ferner Kanon 9, DH 1559 (S. 517f.). 465 Vgl. ebd., Kap. 7, DH 1531 (S. 507); vgl. Kap. 10, DH 1535 (S. 509).

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keit werde nicht durch gute Werke bewahrt,466 kann im Umkehrschluss vermutet werden, dass am Ende doch von einer letzten Verantwortlichkeit des Subjekts für die Rechtfertigung in Gestalt seiner guten Werke ausgegangen wird. Betrachtet man das Dekret unter der Alternative Glaube oder Werke, neigt sich die Waage zu Gunsten der Werke, so dass erklärlich wird, wie es zu der Auffassung kommen konnte, in Trient sei eine Rechtfertigung solis operibus vertreten worden. Die Alternative Glaube oder Werke wird später auch von Martin Chemnitz in seinem Examen Concilii Tridentini unter Rekurs auf Paulus aufgegriffen.467 In besonderer Weise hebt dieser aber den Gegensatz von Verdienst Christi und innewohnender Qualität der Gerechtigkeit hervor. In seiner Prüfung des Rechtfertigungsdekrets stellt Chemnitz heraus, dass der Kern der Kontroverse in der Frage bestehe, weswegen Gott den sündigen Menschen in Gnaden annimmt, was dazwischen tritt, dass Gott dem seines Zornes würdigen Menschen gnädig ist, ob jenes ‚Dazwischentretende‘ Genugtuung, Gehorsam und Verdienst Christi ist oder die dem Menschen inhärierenden neue Qualitäten, die in ihm anhebende Liebe, die zu guten Werken führt.468 Trient, so Chemnitz, votiere für die inhärierende Qualität der Liebe, die als Formalursache verstanden werde, während das Verdienst Christi zur Materialursache abgewertet werde.469 In diesem Gegensatz sieht der Braunschweiger den eigentlichen Hintergrund des Dissenses, über den Gegensatz von Glauben und Werken hinaus. Lucas selbst stellt keine derartigen Überlegungen an. Er breitet seine Gedanken, die Kritik der Rechtfertigungslehre betreffend, nicht weiter aus. Und, das ist zu konzedieren, er geht auf das Tridentinum selbst nicht explizit ein, sondern konstatiert lediglich sein Urteil über die altgläubig-katholische Rechtfertigungslehre. Eine notwendigerweise ausführlichere Argumentation hätte nicht nur den zur Verfügung stehenden Raum, genauer, den zeitlichen Rahmen, sondern auch die Gattung Drama gesprengt und dieses in Richtung auf eine theologische Abhandlung abgelenkt. So bleiben freilich Hörer – der Epilogus wurde ja bei der Aufführung vorgetragen – wie Leser auf Lucas’ deklamatorisches Urteil allein angewiesen. Für eine akribische theologische Argumentation mit Beweisgründen ist die Form des Dramas nicht geeignet.

466 Vgl. DH 1574 (S. 520). 467 Martin Chemnitz, Examen Concilii Tridentini, hrg. v. Eduard Preuss, Darmstadt 1972, Prima Pars Locus VIII, S. 169 B: „Omnino enim talem immediatam facit Paulus antithesin fidei et operum, gratiae et operum, meriti Christi et nostrorum operum, in articulo justificationis, cujus extrema nullo modo possint conjungi aut convenire, sed posito uno, statim excludatur et tollatur alterum.“ Dies, so Chemnitz (a.a.O., S. 170 A), gelte sowohl von den Werken der Nicht-Wiedergeborenen wie der Wiedergeborenen. 468 Vgl. a.a.O., S. 148 B; vgl. 165 B. 166 A. 469 Vgl. a.a.O., S. 166 B; vgl. 167 B. Vgl. dazu Kap. 7 des tridentinischen Rechtfertigungsdekrets, DH 1529 (S. 506), wo von der Materialursache allerdings nicht die Rede ist, sondern von Christus als der causa meritoria gesprochen wird.



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Den Glauben umschreibt Lucas besonders als Vertrauen470, Sich-Verlassen und Bauen471. Er ist eo ipso Glaube an die Verheißungen Gottes. Der Glaube an die göttlichen Verheißungen kulminiert im Glauben daran, dass Gott Isaak auferwecken wird bzw. dass Isaak lebt, obwohl er jetzt stirbt.472 In der Versuchung durch Beelzebub, Antipalus, Thanatus und Sycophanta in Akt IV Szene 1 unmittelbar nach dem Opferbefehl bekennt Abraham, Gott könne Isaak „... wol aus nÖten Erretten / wenn ich jn gleich tÖdtn Mus / vnd zu aschen machen ebn Kan er jm doch bald wol das lebn Widergeben ...“473 Auf dem Moria versichert Abraham Isaak das Gleiche, da Gott, wie er feststellt, seine Verheißung erfüllen werde.474 Und Isaak stimmt schließlich ein: „Ob ich gleich zu aschen verbrend Vnd in die lufft werd ausgespend Er doch gar leichtlich kan erweckn Wider vom tod...“475 Beim Abstieg vom Moria gibt Abraham kund, er hätte gehofft und sich darin getröstet, dass Gott seinen Sohn erlösen werde, obwohl er nicht habe verstehen können, wie das zugehen sollte, dass Isaak im Tod leben werde.476 Der Glaube steht damit gegen die Erfahrung. Er hat seinen Grund in der Allmacht Gottes, denn er ist Glaube daran, dass Gott aus dem Nichts schafft.477 Entsprechend redet die Pistis Abraham zu: So wie es Gott möglich war, aus der unfruchtbaren Sara einen Sohn hervorzubringen, so gelingt es ihm auch, Isaak das Leben wiederzugeben; er schafft aus dem Nichts.478 Der Glaube, der damit Luther folgend für Lucas eo ipso Auferstehungsglaube, Glaube an den Gott, der aus dem Nichts schafft, ist,479 steht solchermaßen gegen die Vernunft und die sinnliche Wahrnehmung. Der Epilogus stellt fest, Abraham habe sich Gottes Befehl ergeben, obwohl nach dem Urteil der Vernunft diese göttliche Versuchung gräulich zu tun war. Er habe die Versuchung überwunden, indem er glaubte, dass Gott allmächtig sei und seinen Sohn erhalten, ja sogar aus dem Tod auf wunderbare Weise erwecken könne.480 Besonders deutlich wird dieser Sachverhalt in der Versuchungsszene (Akt IV Szene 1). Darin tritt zuerst Beelzebub auf, der Abraham vorhält, der Opferbefehl 470 Vgl. Lucas, Akt V Szene 2; G IIa, wo Abraham spricht: „Darumb [sc. aufgrund der ihm von Gott erwiesenen Wohltat] ich jm vertrawen wil Auff jn hoffen im lebn vnd tod ...“, und Akt I Szene 2; C VIb, die als „gemein red vnd wort“ eingeführte Äußerung Isaaks: „Wer Got dem Herrn allein vertraut Der hat gar recht vnd wol gebaut.“ Vgl. ferner Akt VI Szene 3 und 5; H Va. VIIIb sowie den Epilogus, K Vb. 471 Vgl. a.a.O., H VIIIb; Epilogus, K Vb: ‚auf Christus bauen‘. 472 Vgl. Akt VII Szene 1, I IIa. Vgl. bei Luther WA 43, 204,43ff; 216,35f. 473 F IIIIb. 474 Vgl. Akt VI Szene 2; H Ib. 475 A.a.O., H IIa. Vgl. bei Luther WA 43, 217,12; 221,1f.; 222,11ff. 476 Vgl. Akt VII Szene 1; I IIa. 477 Vgl. Akt VI Szene 5; H VIIa. Vgl. die Rede Abrahams in Akt IV Szene 1; F IIIIb: „Gott ist allmechtig Gewaltig / ewig / gÜtig / krefftig.“ 478 Vgl. Akt IV Szene 2; F Vb. 479 Vgl. Ulrich Asendorf, Lectura in Biblia, S. 133. 480 Vgl. Lucas, a.a.O., K IIIIa–b.

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widerstreite der Verheißung; ihn zu befolgen wäre toll und töricht.481 Auch sei er der natürlichen Liebe des Vaters zum Kind entgegengesetzt; der Tod sei grauenhaft, wie Antipalus und Thanatus hinzufügen. Sycophanta weist darauf hin, dass die Kinder nicht wie Weintrauben an den Reben und Birnen an den Bäumen wüchsen; was zerstört sei, komme nicht wieder.482 Pitho wendet sodann auf das Bekenntnis Abrahams, dass Gott dem toten Isaak das Leben wiedergeben könne, hin ein, keine Weisheit dieser Welt könne ihn überzeugen, dass jemand tot sei und doch lebe.483 Alle diese Einwände laufen darauf hinaus, dass der göttliche Befehl bzw. seine Befolgung dem ‚Natürlichen‘, der sinnlichen Wahrnehmung und der Vernunft zuwider ist. Das göttliche Handeln, auf das sich der Glaube richtet, das er empfängt und dem er vertraut, ist mit den Mitteln der menschlichen Weisheit nicht erfassbar.484 Es ist aber auch nicht – und das gilt gerade für den unfassbaren Befehl, den eigenen Sohn zu opfern – aus menschlichem Handeln ableitbar, wie die letzte Versuchung durch Perinoia, die Überklugheit, Abraham weismachen will. Sie behauptet, die Ursache für den göttlichen Befehl bestehe darin, dass Abraham Gott nicht für Isaak gedankt habe, zu stolz geworden sei oder sonst Böses getan habe – eine deutliche Aufnahme von Luthers Genesis-Vorlesung.485 Damit negiert sie das über Abraham ergangene Rechtfertigungsurteil Gottes (Gen 15,6), treibt einen Keil zwischen Abraham und Gott und verweist diesen auf sein Tun, zerstört also den Gedanken einer Rechtfertigung sola gratia sola fide. Lucas hält demgegenüber fest, dass alle Einwände, auch der Einwand gegenüber der eigenen Person und ihren Werken, nicht durchschlagen können, da sich der Glaube an die göttliche Verheißung bzw. an das göttliche Wort hält. Entsprechend fordert Pistis in Akt IV Szene 2 den Abraham auf: „Thu augen / ohren / vernunfft / verstand Beseits / vnd halt dich nur zuhand An Gots befelh / er wirts wol machn.“486 Spricht die Erfahrung, Wahrnehmung und Vernunft gegen die göttliche Verheißung, so ergibt sich als Konsequenz, dass der Mensch von sich aus nicht zum Glauben kommen kann. Genau dies lässt Lucas auch Abraham in Akt VII Szene 1 aussprechen, wenn er vom Glauben redet als dem, „... welchen mir gab Jns hertz mein liebster Gott vnd Herr.“487 Der Glaube ist kein Werk des Menschen, sondern ein Geschenk Gottes. Dem sola fide korrespondiert das sola gratia, auf das Lucas mehrfach im Drama anspielt. So rühmt der Erzengel Michael in Akt III Szene 1 das Wunder, dass Gott allein aus Gnaden das

481 Vgl. a.a.O., F IIb. 482 Vgl. a.a.O., F IIIIa. 483 Vgl. a.a.O., F IIIIb. 484 Vgl. Akt VI Szene 5; H VIIIb. 485 Vgl. a.a.O., F IIIIb–Va. Lucas folgt hier Luthers Ausführungen WA 43, 202,12f., der dort mögliche Gedanken Abrahams nach dem Opferbefehl wiedergibt. Dieser könnte denken: Gott hat mir einen Sohn gegeben, worüber ich fröhlich bin, „... sed forte ex hoc dono nimis superbivi, nec Deo tam fui gratus, ut debebam, poenitet igitur eum promissi etc.“ 486 A.a.O., F VIa. Lucas nimmt hier Ps 37,5 auf. 487 A.a.O., I IIIb.



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menschliche Geschlecht durch den verheißenen Samen wieder zurechtbringen wolle.488 Abraham selbst spricht in Akt V Szene 2 beim Aufbruch zur Reise von der „... wolthat gros Welche er [sc. Gott] mir aus gnad hat blos On mein verdienst erzeiget viel ...“489 Ebenso verkündet der Erzengel Raphael in Akt VI Szene 4 das sola gratia.490 Den Verdienst-Begriff lehnt Lucas ab. Gottes Gnade ist nur in seiner Liebe begründet. Zwar definiert Lucas das Wesen der Gnade im Drama nicht direkt, aber er umschreibt es in den Worten Abrahams in Akt V Szene 2, wo dieser von Gott sagt, „Das er zu vns ein vater hertz Vnd grosse lieb tregt allezeit Vff weg vnd steg sorgt fÜr vns weit.“491 Schließlich lässt Lucas durch den Erzengel Raphael das solus Christus verkünden. Allein durch den Samen, durch keines anderen Werk, Namen, Heiligkeit oder Zutun würden die Völker gesegnet.492 Mit der Tradition ist die Geschichte von Abrahams Opfer auch für Lucas eine Präfiguration für das Kreuzesopfer Christi. Abraham entspricht dabei Gott Vater und Isaak Jesus Christus.493 Dies wird freilich nur im Epilogus angefügt, ohne dass sich weitere Ausführungen anschließen würden. Reckling stellt sehr stark heraus, dass in den ersten beiden Akten die Moral, genauer diejenige eines bürgerlichen Haushalts im Vordergrund steht. In diese, so Reckling, münde das Drama mit der Rückkehr in die häusliche Welt auch wieder ein.494 Auf der anderen Seite sieht er aber durchaus, dass, auch nach den Angaben von Lucas, der Glaube im Mittelpunkt des Dramas liegt und dessen Infragestehen den Höhepunkt der Handlung bildet.495 Er zieht aber nun den Schluss: „Die biblische Handlung mit ihrer religiösen Lehrhaftigkeit steht also nicht für sich, sie ist vielmehr eingebettet in eine vorbildlich bürgerliche Welt.“496 Formal hat diese Sicht etwas Bestechendes für sich. Dennoch stellt sie eine Verzeichnung dar, klingt es doch so, als ob für Lucas im Alltag die Moral, eine im Grunde vom Evangelium ablösbare Größe genüge, in den Grenzsituationen dagegen der Glaube gefordert sei. Beides aber lässt sich in Lucas’ Sicht nicht trennen, er ist kein Voraufklärer. Auch in den ersten beiden Akten steht durchaus der Glaube im Vordergrund. Dies gilt nicht nur, weil Abraham in der allerersten Szene von dem verheißenen Samen spricht (für dessen Kommen die bevorstehende Heirat Isaaks unumgänglich sei) und damit implizit schon zu Beginn des Dramas die Rechtfertigung berührt wird. Insbesondere ist zu erkennen, dass auch in den familiären Bezügen der Glaube im Mittelpunkt steht, wenn Isaak in Akt I Szene 2 über seine religiöse Erziehung spricht, deren Kern er in dem Satz formuliert: „Wer Got dem Herrn allein vertraut Der hat gar recht vnd wol 488 Vgl. a.a.O., E VIa. 489 A.a.O., G IIa. 490 Vgl. a.a.O., H VIa. 491 A.a.O., G IIa. 492 Vgl. Akt VI Szene 4; H VIa. 493 Vgl. Epilogus; K VIIb. 494 Vgl. Reckling, a.a.O., S. 160. 495 Vgl. a.a.O., S. 158. 496 A.a.O., S. 160.

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gebaut“,497 oder wenn in Akt II Szene 1 der Knecht Epichorius kundtut, dass er nicht woanders dienen wolle, da er bei Abraham mehr von Gott und seinem Wort gehört habe als überall sonst.498 Dass dieser Glaube nach Auffassung von Lucas sich in den Beziehungen der Menschen – und dabei konnte er nur von den ihm vorliegenden Verhältnissen in der Mitte des 16. Jahrhunderts ausgehen – widerspiegeln soll, entspricht durchaus dieser Lehre. Wenn die Magd Euterpe in Akt II Szene 2 den Umgang der Herrschaft mit dem Gesinde lobt – auch wenn diesem Fehler unterliefen, werde nicht mit Zorn reagiert, sondern ruhig unterwiesen499 – so lässt sich das gewiss als Versuch einer Internalisierung der bürgerlichen Verhältnisse für die unteren Schichten deuten, deren Zufriedenheit auf diese Weise vorgeführt wird, aber zugleich doch auch als Moraldidaxe für die Herrschaft, sich entsprechend gegenüber den ihnen Anvertrauten zu verhalten, als Moraldidaxe, die aber aus dem Glauben erwächst.

4. Jakob Frey, Wie Abraham seinen Sohn Isaak aufopfern sollte (ca. 1550–1560) [Exemplar Wolfenbüttel] Ein AndÄchtig / Biblisch / schÖn / vnd lustig spiel / Wie Abraham Jsaac seinen sín / auffopffern solte / vnnd von austreibung Agar der magdt / sampt Jsmaheln ihrem sín / Auch von der verderbung / Sodome vnd Gomorre / etc. Menigklichem fruchtbar / auch nutzlich zí lesen vnnd zí hÖren. Durch Jacob Freyen / stattschreibern zí Maursmünster / in reymen gebracht vnd verfertigt, Straßburg o.J. Über das Leben des Elsässers Jakob Frey ist relativ wenig bekannt.500 Er wurde um 1520 in Straßburg geboren. Über seine Ausbildung lassen sich keine Aussagen machen, doch zeigen seine Werke eine gewisse Bildung.501 1545 ist er erstmals als Stadtschreiber und Notar in Maursmünster im Elsass belegt.502 Bis zu seinem Tod 1562 war er dort in dieser Stellung tätig. Sein literarisches Hauptwerk bildet die sogenannte ‚Garten Gesellschaft‘, eine Bearbeitung von Schwankerzählungen, die 1557 in Straßburg zum ersten Mal gedruckt wurde. Neben anderen Werken verfasste er auch zwei geistliche Dramen.503 Außer der Geschichte von der Opferung Isaaks durch Abraham dramatisierte er den im 16. Jahrhundert oft benutzten Stoff vom reichen Mann und vom armen Lazarus. In diesem Stück Freys – es ist die Übersetzung eines in Freiburg im Breisgau aufgeführten 497 Lucas, Abraham, C VIb. 498 A.a.O., D Va. 499 Vgl. a.a.O., E IIa. 500 Vgl. zu Jakob Frey Hans-Jürgen Bachorski, Art. ‚Frey, Jakob‘, Literatur Lexikon 3, S. 525. 501 Vgl. Johannes Bolte (Hrg.), Jakob Freys Gartengesellschaft (1556), Tübingen 1896, S. VIII. 502 Dieses wie seine Straßburger Herkunft hat erstmals Gustav Könnecke, Zu Jakob Frey, Zeitschrift für Vergleichende Litteraturgeschichte und Renaissance-Litteratur [!] NF 2 (1889), S. 200, herausgearbeitet. 503 Vgl. die Übersicht bei Bolte, a.a.O., S. IX–XIX.



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Dramas, von dem allerdings nichts erhalten ist504 – finden sich innerhalb des ersten Aktes deutliche Übernahmen aus dem ‚Hekastus‘ von Georg Macropedius (1539). Beziehungen zu anderen Dramatisierungen des Stoffes lassen sich aber nicht nachweisen.505 1533 hatte Frey bereits ein Fastnachtspiel ‚Von einem Krämer oder Triackersman vnd zwey Mägdlen‘ verfasst, in dem ein ‚Theriakskrämer‘ auftritt, bei dem sich Bauern und Dienstmägde Arzneimittel kaufen.506 Für Wolfgang Stammler zählt Frey neben dem Elsässer Thiebold Gart zu jenen Dramatikern, denen der evangelische Glaube zu selbstverständlich geworden ist, dass sie ihn nicht mehr ausdrücklich betonen.507 Ob dem beizupflichten ist oder ob das von Stammler beobachtete Zurücktreten der reformatorischen Lehre nicht andere Ursachen hat, wird sich nach der Analyse zeigen. Beide geistliche Dramen Freys wurden in Straßburg ohne Jahresangabe gedruckt. Leider lässt sich nicht genau sagen, wann das Abraham-Drama verfasst wurde. Der Terminus a quo für den Druck ist das Jahr 1545, in dem Frey seine Stellung als Stadtschreiber in Maursmünster antrat. Das Drama behandelt in fünf Akten die AbrahamGeschichte von Gen 20–22, die sehr gerafft abgehandelt wird; es liegt also eine sehr starke Konzentration vor. Im Drama treten 22 Personen auf, die konzentriert sind um die Familie und das Gesinde Abrahams – inklusive Hagar und Ismael – und den Hof Abimelechs. Daneben erscheinen Gott und zwei Engel.508 Bolte vertritt die Auffassung, Frey habe den ‚Abraham‘ – wie auch den ‚Lazarus‘ – für eine Aufführung der Bürger von Maursmünster verfasst.509 Eine Beeinflussung durch ältere Dramatisierungen kann er nicht nachweisen.510 Jeder Akt bildet thematisch eine Einheit. Das führt auch dazu, dass Frey eine biblische Szene, die von diesem Thema abweicht, auslässt. Zwischen den Akten ist ein gewisser liturgischer Rahmen erkennbar. So heißt es nach der Vorrede: „Jetzt singt man / oder schlecht der Organist.“511 Diese implizite Aufforderung erscheint danach zwischen den Akten. Sie 504 Vgl. a.a.O., S. X. 505 Vgl. a.a.O., S. XI. 506 Vgl. Hans Rupprich, Die deutsche Literatur vom späten Mittelalter bis zum Barock. Zweiter Teil: Das Zeitalter der Reformation 1520–1570, München 1973, S. 338f. 507 Vgl. Wolfgang Stammler, Von der Mystik zum Barock. 1400–1600, Stuttgart 19502, S. 375f. 508 Das Personenverzeichnis nennt: „Vorreder“; Abraham; Isaak; Sara; Lot; die Knechte Abrahams: Thaas, Gaam, Damascus, Eleazar; die Mägde Saras: Melcha, Rebecca, Roma; Agar; Ismael; Abimelech; Abimelechs Räte: Nathanael, Baruch, Thobias, Amon; dazu: Gott; erster Engel; zweiter Engel. Nicht im Personenverzeichnis erwähnt werden zwei in Akt I Szene 6 auftretende, zum Umkreis Abimelechs gehörende Personen, der Narr Herman und Jason, ein „Kemmerling“. 509 Vgl. Bolte, a.a.O., S. XVIII. Dieselbe Vermutung äußert Wilhelm Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Dritter Band. Renaissance und Reformation, Halle a.S. 19232, S. 264. 510 Vgl. Bolte, ebd. Er nennt Joachim Greff, Andreas Lucas sowie die altgläubigen Autoren von Abraham-Dramen Hieronymus Ziegler, Petrus Philicinus, und Jakob Schöpper. 511 Frey, Abraham, A IIIb.

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setzt zumindest voraus, dass das Drama in einer Kirche aufgeführt werden kann. Zugleich wird eine Aufführung und eine liturgische Gestaltung derselben empfohlen. Gegenstand des ersten Aktes ist die Abimelech-Episode aus Gen 20, die in sechs Szenen entfaltet wird: Die erste Szene schildert die Krise Abimelechs; die Räte empfehlen ihm, Sara zurückzugeben. Dazu holt der Rat Amon in der zweiten Szene Abraham, der in der dritten Szene vor Abimelech tritt. Im Folgenden führt Amon Knechte und Mägde heran, die der König Abraham zum Geschenk machen will. In der fünften Szene bittet er Abraham, für ihn Fürbitte zu halten. Abraham redet zu den Knechten und Mägden, spricht ein Dankgebet und gibt Gott ein Gelübde, ihm gehorsam zu sein. Aus dem Rahmen fällt die humoristisch gehaltene sechste Szene, in der sich zwei nicht im Personenverzeichnis erscheinende Gestalten, Herman Narr und der ‚Kemmerling‘ Jason unterhalten. Herman vertritt die Auffassung, dass die Frau, gemeint ist wohl Sara, dem König das Gesinde vertreibe, er sei ein Tor und gehe hinterher am Bettelstab. Jason widerspricht, die Frau sei fromm und keusch, das wisse er als ‚Kemmerling‘. Thema des zweiten Aktes, der aus zwei Szenen besteht, ist die Person Lots. Dieser hält in der ersten Szene einen Rückblick vom Auszug aus Mesopotamien bis zu seiner Rettung aus Sodom und dem Tod seiner Frau. Er ist auf der Suche nach Abraham, dem er in der zweiten Szene einen Besuch abstattet – eine Episode, die Frey zum biblischen Text hinzufügt. In dieser Szene blickt auch Abraham zurück. Er beschäftigt sich mit dem Besuch der drei Männer und dem Lachen Saras. In einem Gebet dankt er für die Geburt Isaaks (Gen 21,1ff), die im Drama selbst nicht Gegenstand der Handlung ist. Indem der Akt so mit der Existenz Isaaks schließt, leitet er zum dritten Akt über, in dem die Geschichte Hagars im Mittelpunkt steht. Der Akt besteht aus sieben Szenen und hebt an mit einer Beschwerde Saras über Hagar. In der zweiten Szene gibt der Engel Abraham den Befehl, die Magd mit ihrem Sohn zu vertreiben, ein Ansinnen, in das Abraham in der dritten Szene einwilligt. Die vierte Szene bietet wieder eine nichtbiblische Episode: Zwei Mägde Saras unterhalten sich über den Konflikt der beiden Frauen, wobei die eine Mitleid mit Hagar hat, die andere eindeutig für Sara Partei ergreift und eine Bestrafung Hagars für gerechtfertigt hält.512 Die Intention der Szene besteht in einer Kritik des Klatsches. Das Gesinde soll der Herrin oder dem Herrn die Ehre geben. In der fünften Szene erfolgt die Austreibung Hagars, die sechste Szene umfasst Hagars Aufenthalt in der Wüste am Brunnen mit ihrer Klage, die siebente Szene stellt die Erscheinung des Engels vor Hagar dar.513 Der vierte und fünfte Akt ist der Opferung Isaaks gewidmet. Der vierte Akt, bestehend aus acht Szenen, beginnt mit dem Ergehen des Opferbefehls an Abraham, in den dieser spontan einwilligt. Die zweite Szene bietet einen Monolog Abrahams. Er klagt, dass er erst Ismael habe hergeben müssen und nun auch noch Isaak, und fragt, wo die Verheißung bleibe. Dennoch bekundet er seine Bereitschaft, dem Befehl zu folgen, und seinen Glauben an Gottes Verheißung. Die dritte Szene bietet ein Gespräch Abrahams mit dem Knecht Eleazar (Elieser), in dem es um die Vorbe512 Zu dieser Szene vgl. Creizenach, a.a.O., S. 264. 513 Die Geschichte von Abrahams Bund mit Abimelech (Gen 21,22ff) wird ausgelassen. – Creizenach würdigt ebd. die Szene von Hagars Klage als in dem von ihm als eher durchschnittlich gewerteten Drama als verhältnismäßig am besten geraten.



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reitungen für die Reise geht. Abraham gibt keinen Zweck der Reise an. In der folgenden Szene unterhält sich Eleazar mit dem ihm untergebenen Knecht Damascus. Zwangsläufig kommt man dabei darauf zu sprechen, welchen Sinn die mitten in der Nacht angesetzte Reise haben könnte. Frey setzt also voraus, dass unmittelbar auf den Befehl die Ausführung bzw. der Aufbruch erfolgt. In der Unterhaltung der Knechte ist von einem Opfer die Rede, zu dessen Stätte die Reise fünf Tage in Anspruch nehmen soll. In der fünften Szene folgt die Aufforderung Abrahams an seinen Sohn zum Aufbruch. Isaak zeigt sich gehorsam; sein Gehorsam wird als vorbildlich herausgestellt. Es kommt zum Aufbruch. Eine Verabschiedung von Sara wird auffallenderweise nicht dargestellt. Die sechste Szene bietet, aus dem Duktus der Opfergeschichte herausfallend, eine Rede Saras an ihre Mägde, während Abraham mit Isaak und zwei Knechten als auf dem Wege befindlich gedacht ist. Inhalt der Rede ist eine Aufforderung der Mägde zur Gottesfurcht und der richtige, züchtige Umgang mit dem Gesinde. In der siebenten Szene trennen sich Abraham und Isaak in der Nähe des Berges Moria von den Knechten, die in der achten Szene ein Gespräch führen. Damascus spricht in abschätziger Weise über den ‚Alten‘. Eleazar verbittet sich solches Reden. Den Knechten stehe kein Urteil zu. Der Herr müsse auch nicht alle Pläne mitteilen. In jedem Fall verbiete es sich für Knechte zu spotten. Der fünfte Akt hebt in seiner ersten Szene mit dem Aufgang zum Berg an, wobei Isaak nach dem Opfer fragt. Die zweite Szene meldet die Ankunft, legt aber den Schwerpunkt auf ein Gespräch zwischen den Knechten Damascus und Eleazar. Damascus gibt vor, sich Sorgen um Abraham zu machen: Abraham sei sehr alt, Isaak sehr jung. Bald müsse man den Alten und den Jungen suchen, wenn etwas passiert sei. Wiederum hält Eleazar dagegen: Wen Gott erhalten wolle, der sei sicher. Damascus könne sich eher um sich selber Sorgen machen. Die dritte Szene markiert den vorläufigen Höhepunkt des Dramas: Abraham eröffnet seinem Sohn die Situation. Isaak bittet um sein Leben, argumentiert mit seiner Jugend und der Verheißung Gottes. Abraham fordert ihn auf, sich in sein Schicksal zu ergeben. Er befiehlt ihm, sich binden zu lassen. Isaak fügt sich in sein Schicksal, er wird an Händen und Füßen gebunden. Die vierte Szene bringt die Wende; der Engel erscheint. In der fünften Szene, in der Abraham den Widder findet, dankt Isaak Gott. Er konstatiert, dass er lieber gestorben wäre, als etwas gegen den Willen Gottes oder etwas, das dem Vater Ungnade eintragen würde, zu tun, und bekundet seinen Vorsatz, auch weiterhin fest in Gottes Gebot zu wandeln. Während des Opfers gibt der Engel in der sechsten Szene dem Abraham eine neue Verheißung Gottes, weil er gehorsam war. Es folgt eine Rede Abrahams, der seiner Frau berichten will, was Gott mit ihnen getan habe, wie wunderbar er wirke und die Gehorsamen beschütze. Er und Isaak brechen vom Berg auf. Damascus und Eleazar sehen sie in der siebenten Szene kommen und unterhalten sich. Einen Ortswechsel vollzieht die achte Szene, die nur Sara auftreten lässt, die sich große Sorgen über Abraham und Isaak macht. In der neunten Szene brechen die Reisenden zum Heimweg auf. Die letzte Szene stellt das Wiedersehen dar. Sara heißt die Rückkehrenden willkommen und erzählt von ihrer Angst. Isaak deutet an, dass etwas passiert sei, was im Folgenden von Abraham berichtet wird. Das Drama schließt mit der Reaktion Saras, die sich froh zeigt, dass sie nicht wusste, zu welcher Reise Abraham aufbrach. Zugleich aber stellt sie fest, dass Gott den nicht lasse, der auf ihn vertraut. Es folgt der das Drama und seine Lehre zusammenfassende und applizierende ‚Beschlusz‘.

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Die Geschichte der Opferung Isaaks ist deutlich der Schwerpunkt dieses Dramas. Frey befasst sich in den letzten beiden Akten, die mit achtzehn Szenen recht umfangreich sind – die drei anderen Akte umfassen zusammen fünfzehn Szenen –, mit dieser Handlung. Als Quintessenz des ersten Aktes sieht Reckling, dass Abraham sich als unter Gottes Schutz stehend erfahre, als diejenige des zweiten Aktes, dass er wahrnehme, dass Gottes Worte wahr seien und stets in Erfüllung gingen, woraus Abraham die Konsequenzen des unbedingten Gehorsams und des Glaubens als Festhalten am Wort Gottes ziehe.514 Beides aber werde in den folgenden Akten von Gott einer Prüfung unterzogen. Einflüsse anderer Dramen lassen sich nicht ausmachen. Wenige Ähnlichkeiten zu Voiths ‚Spiel vom herrlichem Ursprung‘ sind erkennbar, etwa in der Monologszene nach dem Opferbefehl, in der Abraham zum Ausdruck bringt, dass er Gott alle Zeit gehorsam sei und glaube, was er verheißen habe, sowie in der Opferszene, in der Isaak äußert, seinen Willen ‚dreinzugeben‘ und dem Gebot Gottes und des Vaters zu folgen.515 Jedoch ist unsicher, ob Frey dieses Drama gekannt hat. Strukturelle Analogien zu dem Stück bestehen nicht. Bolte kommt zu einem nicht sonderlich positiven Urteil über das Drama, wenn er formuliert: „Dem Abraham mangelt die geschlossene komposition des Lazarus; Frey dialogisiert einfach die in kap. 19 [sic!] – 22 der Genesis berichteten, unter einander nicht näher zusammenhängenden ereignisse aus Abrahams leben.“516 Diese Sichtweise erstaunt etwas angesichts der luziden Struktur des Freyschen Dramas. Doch soll in den folgenden Abschnitten wie bei allen anderen untersuchten Dramen die Frage nach den im Stück zum Ausdruck kommenden theologischen Entscheidungen im Mittelpunkt stehen. Der ‚Vorreder‘ gibt an, das Spiel solle Zucht, Ehre und Gottesfurcht der Eltern lehren. Gezielt wird damit auch auf die Kinder, die gehorsam zu sein lernen sollen.517 Obwohl der ‚Vorreder‘ diesen Punkt zunächst ausdrücklich als alleinigen nennt, gibt er im Folgenden zur Kenntnis, dass zudem in dem Spiel gemeldet werde, „Wie Got noch in der alten welt. Sein gnad thet Abraham vnd Loth / Die alzeit hielten sein geboth. Dann sollichs spil vns zeiget an / Die gnad so vns Gott hat gethan.“518 Zielt Frey demnach zum einen auf Moraldidaxe, so will er auf der anderen Seite die Gnade bzw. Güte Gottes vermitteln, die er auch in seiner Gegenwart am Werke sieht, bezeichnenderweise jedoch bei denen, die seine Gebote halten. In der weiteren Vorrede dominieren die Begriffe Güte und Gehorsam, letzterer veranlasst durch die Geschichte von der Opferung Isaaks. In der einzigen Äußerung Freys zu der Frage, warum er die Abraham-Geschichte in die Form des Dramas fasst, stellt er dagegen die Güte Gottes in den Mittelpunkt und gibt zu bedenken, durch das Spielen 514 Vgl. Reckling, Immolatio Isaac, S. 137f. 515 Vgl. Frey, Akt IV Szene 2, C VIIb, mit Voith, Spiel vom herrlichen Ursprung, ed. Holstein, S. 274,1797f., sowie Frey, Akt V Szene 3, D VIb, mit Voith, a.a.O., S. 277,1851ff. 516 Bolte, a.a.O., S. XIV. 517 Vgl. Frey, a.a.O., A IIa. 518 Ebd.



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werde die Güte, in der Gott sich Abraham zuwendete, ‚anmutiger‘ erkannt.519 Gott wolle uns auch heute ein Vater aller Güte sein, der uns vor Schaden behüte. Die Verbindung von menschlichem Gehorsam gegenüber Gottes Willen und göttlicher Güte gegen den Menschen markiert damit das Anliegen, das Frey in diesem Stück verfolgt, wobei er den Gehorsam als Voraussetzung der Güte fasst. Den Gehorsam gegen Gott wertet Frey als absolut notwendig. Es gilt, den göttlichen Willen immer und in allen Dingen zu vollbringen.520 Er hat Vorrang, ungeachtet aller sonstigen Konsequenzen: „Was Gott will soll ein fürgang han / Vnd wer das erdtrich gwendt daran.“521 Demgemäß lobt der Engel den Gehorsam Abrahams, er habe stets ohne Angst und Zittern der Stimme Gottes gehorcht.522 Der Gotteswille kann nun, wie der Befehl zur Opferung des Sohnes zeigt, in stärkste Bedrängnis führen. Trotzdem gilt es auch dann gehorsam zu sein. Gott ist eben, wie Abraham feststellt, wunderbar, er prüft auf diese Weise den Gehorsam: „Er fragt / begert / vnd sícht ein an. So er dann willig findt den man. So bschirmbt er dannocht ihn vor leidt / Vnd sicht an sein gehorsamkeit. Darbey du wol magst lernen eben / All zeit im willen Gots zí leben.“523 Der Gehorsam Gott gegenüber bildet den wichtigsten Lernpunkt des Dramas. Über ihm steht nach Frey die Verheißung der Bewahrung. Frey kann diesen Gehorsam auch als Gottesfurcht bezeichnen, die der Isaak rettende Engel Abraham attestiert und die entsprechend von Gott belohnt wird.524 Wo sie fehlt, hat das katastrophale Folgen.525 Relativ dünn fallen demgegenüber die Beschreibungen der Güte Gottes aus. Im Vordergrund steht die Bewahrung und der Beistand, im Falle Lots oder Isaaks.526 Daneben nennt Frey auch materielle Güter, mit denen Abraham für seinen Gehorsam belohnt wurde.527 Zielt Frey auf den Gehorsam gegen Gott, so auch auf den Gehorsam gegenüber dem irdischen Vater. Der Sohn soll dem Vater gehorsam sein, wie es Isaak beim Aufbruch zur Reise in Akt IV Szene 5 formuliert.528 Das Opfer ist nicht nur eine Order Gottes, sondern 519 Vgl. ebd. 520 Vgl. Akt IV Szene 1; C VIIa; Szene 2; C VIIb. 521 Akt V Szene 3; D VI b. Vgl. ebd. die Worte Abrahams: „Es ist nicht minders / das mÖss sein / Es darff nicht wort.“ 522 Vgl. Akt V Szene 6; E Ia. Vgl. Akt V Szene 10; E IIIIa. 523 A.a.O., E Ib. 524 Vgl. Akt V Szene 4; D VIIb. Vgl. auch den Beschlusz, E Vb, wo konstatiert wird, dass Abraham diese Gottesfurcht, die ihn auszeichne, weiter zu vermitteln suchte und Isaak in ihr erzog. 525 Vgl. Akt IV Szene 6; D IIb. 526 Vgl. Akt II Szene 1; B IIIa (Lot wurde beschirmt); Akt V Szene 4; D VIIb (Erretten Isaaks). VIIIa (Isaak wurde erlöst); Szene 6; E Ib (Beschirmen vor Leid); Szene 10; E IIIIb (Gott lässt nicht den, der ihm vertraut). 527 Vgl. Beschlusz, E Vb–VIa. 528 Dort (D IIa) sagt Isaak: „Will dir getrewlich volgen mit. Wie dann ein yeder ghorsam sín / Soll gegen seinem vatter thín.“

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auch des Vaters, in die der Sohn, nachdem er die Vergeblichkeit seines Flehens eingesehen hat, unter Darbieten seiner Hände und Füße mit den Worten einwilligt: „Mag es dann anders nicht gesein / So gib ich meinen willen drein. Dann was mir Got vnd du gebeut / Dem will ich folgen alle zeit.“529 An dieser Stelle werden Gottes und des Vaters Wille parallelisiert. Gehorsam gegenüber Gott und gegenüber dem Vater verschwimmen. Zwar wird die hier gegebene Ineinssetzung von väterlichem und göttlichem Willen durch Isaak nach seiner Rettung dahingehend rationalisierend aufgelöst, dass ein Widersetzen gegenüber dem Willen Gottes dem Vater, der den göttlichen Befehl ausführen musste, Schaden und Ungnade gebracht hätte,530 doch spricht auch daraus die Sicht, dass die Person des Vaters als Werkzeug an Gottes Statt steht. Frey intendiert somit an zweiter Stelle eine Moraldidaxe für die Kinder – sie sollen dem Vater bzw. den Eltern gehorsam sein –, die aber in engem Zusammenhang mit der Hauptlehre des Dramas – Gehorsam gegen Gott – steht. Das Thema Gehorsam, an erster Stelle in Bezug auf Gott, an zweiter in Bezug auf den Vater, zieht sich durch das ganze Stück und wird in beiden referentiellen Bezügen auch im ‚Beschlusz‘ aufgenommen. Einen weiteren, deutlich sekundären Zweck nimmt dagegen eine punktuell im Drama erscheinende Moraldidaxe für das Gesinde ein. Knechte und Mägde sollen ihren Herren die Ehre geben, demütig sein – die Negativfolie dafür bildet Hagar – und sich nicht der Geschwätzigkeit hingeben.531 Sie sollen den Herren nicht spotten, besonders der Spott Alten gegenüber ist verachtungswürdig. Ferner sollen sie sich nicht in deren Angelegenheiten einmischen, sondern respektieren, dass diese bestimmte Angelegenheiten für sich behalten wollen.532 Umgekehrt enthält Freys Stück auch eine Anweisung für den Umgang mit dem Gesinde. So konstatiert Sara, das Gesinde sei in Hut zu halten, mit Worten als einer Rute zu strafen. Der Hausherr habe das Recht zur Strafe. Die Herrin sei die Mutter des Gesindes.533 Im ‚Beschlusz‘ lässt Frey eine recht pessimistische Sichtweise erkennen. Er beklagt, dass der Gehorsam gegen Gott weithin ausfalle, wo doch die Abraham-Geschichte aufzeige, dass Gott die ihm Gehorchenden nicht verlasse. Der Abraham-Stoff dient nach Frey umgekehrt auch zur Warnung. Die Sodomiten sind ein Beispiel für jene, die Gottes Gebote verachten; sie werden grausam geplagt.534 Gott strafe die Sünder, seinen Knech529 Akt V Szene 3, D VIb. 530 Vgl. Akt V Szene 5; D VIIIa–b. 531 Vgl. Akt III Szene 4; C Ia. C IIb–IIIa. Vgl. Akt V Szene 2; D IIIIbff. 532 Vgl. Akt IV Szene 8; D IIIb–IIIIa, wo der freche Knecht Damascus dem guten Knecht Eleazar gegenübergestellt wird. Eleazar endet mit den Worten (D IIIIa): „Vnd vber das so sind wir knecht. Des herren spotten ist vnrecht.“ 533 Vgl. Akt IV Szene 6; D IIIa. 534 Vgl. Beschlusz, E VIa: „WOlt Gott es stÜnd noch heut bey tag / Bey vns also wie ich euch sag. Zí gleicher weiss Got seine knecht / Nit gar verlasst das sehnd jr schlecht. So grausam plagt er die zír schand / So sein gebott verachtet hand. Das habt ihr freylich wol vernommen / Wie Loth ist da von dannen kommen. Da Sodom ward so gar verhert...“



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ten aber beschere er Gutes. Es wäre so naheliegend, meint Frey, sich zu Gott zu kehren. Aber das Gegenteil sei heute der Fall. Die Menschen seien in ihren Sünden verstockt. Er kommt zu dem erschreckenden Schluss: „Jch glaub nit das es ye auff erden / Mit bossheit doch mÖcht bÖser werden.“535 Dieses Urteil wendet er auf die Jugend an, die alles andere als Isaaks Einstellung und Verhalten erkennen lasse, vielmehr Lehre und gute Sitte der Eltern verspotte, wo diese sich doch so sehr bemüht hätten, dass aus den Kindern ehrbare Menschen würden. Statt dessen ließen sie die Eltern in Sorge zurück und zögen in den Krieg.536 Entsprechend redet Frey die Eltern an und ermahnt sie, die Kinder zum Gehorsam zu erziehen.537 Im Zusammenhang mit dem Gehorsam Isaaks nennt Frey einen letzten Lehrpunkt, die Präfiguration des Opfers Christi am Kreuz durch Isaak. Die Geschichte von Isaak führt nach Frey so zur Betrachtung des Leidens Christi, der unschuldig und geduldig für unser Seelenheil ans Kreuz gegangen sei. Auf diesem Hintergrund schließt er eine allgemeine Mahnung an. Er fordert er dazu auf, Gott zu vertrauen, die Werke durch Gehorsam zu mehren und Gottes Gebot willig zu folgen. Gott sei ein barmherziger Gott. Wenn sich der Mensch aber nicht darum kümmere, sei mit Schlimmerem als mit dem Schicksal Sodoms zu rechnen.538 Steht also auch dieser Lehrpunkt im Zusammenhang mit seinem Anliegen, die Menschen zum Gehorsam gegen Gott zu bewegen, so gewinnt doch der Gedanke der Präfiguration des Leidens Christi ein gewisses Eigengewicht, nicht nur insofern er mehrfach erscheint, sondern auch insofern Frey biblische Diktion aufnimmt und in der Betrachtung des Leidens Christi einen gewichtigen Zielpunkt erkennt.539 Nicht zufällig spricht Frey auch von ‚präfigurieren‘. Erscheint dieser Aspekt auch in anderen AbrahamDramen, so doch in Freys Drama am betontesten, womit er deutlich in mittelalterlicher Tradition steht. An Abraham wird, was keinesfalls überraschen wird, besonders sein Gehorsam hervorgehoben. Dies setzt schon in der Vorrede540 ein und wird im Stück fortgeführt. Nach dem Zwischenfall bei Abimelech gelobt Abraham, Gott stets gehorsam zu sein.541 Obwohl ihm 535 E VIb. 536 Vgl. a.a.O., E VIb–VIIa. – Isaaks Gehorsams wird im ‚Beschlusz‘ ausdrücklich gelobt; vgl. E Vb. 537 Vgl. a.a.O., E VIIIa. 538 Vgl. a.a.O., E VIIb–VIIIa. 539 Vgl. Akt V Szene 10; E IIIb, wo Abraham formuliert: „Sein eigen holtz tríg er an dstatt / Die mir Got angezeiget hatt.“ Vgl. ferner den Beschlusz, E VIIb, wo Frey festhält, Jesus Christus sei durch Isaak ‚bezeichnet‘ und fortfährt: „Vnd als Jsaac getragen hatt / Sein eygen holtz zír opffer statt. Also hat Christus auch gethan / Gedultig sein creutz gnomen an. Vnd getragen das mit grosser pein / Biss an die statt der marter sein. Summa wie Christus hat gefÜrt / Sein leiden / würt prefiguriert. Jn disem spiel / als wir hie sind / Bey disem vnschuldigen kind. [...] Wir sollend auch hie bey erachten/ Das leiden Christi wol betrachten. Vnd Got getrawen vnserm Herrn / Die werck durch die gehorsam mehrn. Vnd willig halten sein gebott ...“ 540 Vgl. a.a.O., A IIb. 541 Vgl. Akt I Szene 5, A VIIIb.

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Ismael am Herzen liegt, ist er der Auffassung, man solle immer dem folgen, was einem Gott befehle.542 Dies bestätigt er, als er in Akt IV Szene 1 den Opferbefehl von Gott erhält und sofort sein Einverständnis bekundet: „Herr Got das selbig das soll sein. Dann deinen willen zí volbringen / Binn ich bereit in allen dingen.“543 Trotz gewisser Zweifel, die sich in der folgenden Szene in einem Monolog Ausdruck verschaffen, ringt er sich doch recht schnell zum Gehorsam durch: „Zí opffern doch binn ich bereit. Was Got dann mehr will von mir han / Will ich all zeit gehorsam than.“544 Frey zeichnet den Erzvater in seinem Gehorsam mit einer gewissen Härte aus. So äußert Abraham auf die Klage und das Flehen Hagars bei der Vertreibung: „Wolan gehab dich nicht so hert“545, um sich sofort Ismael zuzuwenden. Ebenso verweist er in Bezug auf die Opferung Isaaks auf den Willen Gottes, „Drumb darff es nit vil feder lesen.“546 Der Sohn musste weg, da half keine Bitte.547 Im übrigen charakterisiert er ihn als einen Frommen, der Gott dankbar ist und sich seiner Gnade für unwürdig hält.548 Das Gesinde ermahnt er zur Friedlichkeit.549 Demgegenüber stehen die menschlichen Eigenschaften Abrahams nicht im Vordergrund, fehlen freilich nicht. So ist ihm die Treue als Vater wichtig. Entsprechend wehrt er sich gegen das Ansinnen, Ismael zu vertreiben550 – allerdings sagt die biblische Vorlage das Gleiche. Über den Bibeltext hinausgehend allerdings empfindet er Schmerzen, als er in Akt III Szene 5 seinem Sohn doch die Ausweisung mitteilt.551 Auf dem Moria bringt er zum Ausdruck, dass ihm das Tun des Befohlenen der Natur nach schwer falle.552 Schließlich gesteht er seine Schwäche, dass er das von Gott Geforderte verschwiegen habe und das Opfer heimlich vollbringen wollte.553 Freys Abraham ist sich bewusst, dass der göttliche Befehl Widerstand erwecken musste, und will dem aus dem Wege gehen. Dessen ungeachtet hat der göttliche Befehl für ihn Vorrang und er ist bestrebt, diesen unter allen Umständen zu erfüllen. Zusammenfassend lässt sich mit Stammler feststellen: „Psychologie wird versucht, besonders in Abrahams Seelenkämpfen bei der Verstoßung der Hagar und bei der Opferung Isaaks; aber es geschieht mit einer gewissen nüchternen Sachlichkeit und knappen Trockenheit, weil eben die innere Anteilnahme des Dichters ausbleibt.“554 542 Vgl. Akt III Szene 3; C Ia. 543 C VIIa. 544 C VIIb. 545 Akt III Szene 5; C IIIIb. 546 Akt V Szene 10; E IIIb. 547 Vgl. a.a.O., E IIIIa. 548 Vgl. Akt IV Szene 2; C VIIb; vgl. ferner Abrahams Gebet in Akt II Szene 2; B VIIb. 549 Vgl. Akt I Szene 5; A VIIIa–b. 550 Vgl. Akt III Szene 1; B VIIIa. 551 Vgl. C IIIb. 552 Vgl. Akt V Szene 3; D VIIa. 553 Vgl. Akt V Szene 10; E IIIb. 554 Stammler, a.a.O., S. 376.



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Dass der Elsässer Jakob Frey den Tenor seines Stückes wie dargelegt derart stark auf den Gehorsam legt, kann nicht ohne Folgen für die Explikation dessen bleiben, was er an Elementen einer Rechtfertigungslehre in seinem Drama vorbringt. Der Gehorsamsbegriff ist gegenüber dem Glaubensbegriff vorherrschend. Gleichwohl erscheint auch der Begriff des Glaubens. Die Frage ist, wie er gefüllt wird. Dazu werden im Folgenden Stellen untersucht, wo vom Glauben die Rede ist. Mehrfach wird der Glaube als Vertrauen, Hoffen und Bauen charakterisiert. In einem Gebet nach der Begegnung mit dem dem Unheil entronnenen Lot bittet Abraham, Gott möge seinen Knecht nicht verlassen, „... Der dir glaubt / vnd in dich vertrawt / Auch in dich hofft / vnd auff dich bawt.“555 Er empfiehlt Hagar, Gott zu trauen; er verlasse sie und Ismael nicht.556 Mit fast den gleichen Worten bringt Sara nach der Rückkehr von Abraham und Isaak denselben Sachverhalt zum Ausdruck.557 Bezugspunkt des Glaubens ist die göttliche Verheißung.558 Was aber vor allem auffällt, wenn in Freys Drama vom Glauben gesprochen wird, ist die Beigabe von Adverbien, und zwar solchen, die eine Festigkeit ausdrücken. So fordert der Engel Hagar auf: „... drumb vestiglich glaub jm.“559 Besonders dominiert diese Redeweise im ‚Beschlusz‘. Frey konstatiert als ersten Lernpunkt, dass Gott es vergelte, „So wir allein steiff auff ihn bawen ...“560 Kein Mensch habe so ‚steif geglaubt‘ wie Abraham.561 Der Glaube muss fest sein. Man darf nicht in seinem Glauben schwanken.562 Doch ist mit dieser Festigkeit noch mehr intendiert. Frey schreibt im ‚Beschlusz‘, dass Abraham fest an die Verheißung glaubte und gehorchte.563 Fest zu glauben wird mit gehorchen parallelisiert. Dies bestätigt sich, wenn Frey kurz darauf formuliert: „So streng / so steiff / vertrawt er Got / So ernstlich hielt er sein gebott. Das ihm Gott alles so er bgert / Hat geben / vnd ihn auch gewert.“564 Alle diese Aussagen sind Belege für eine Quantifizierung des Glaubens bei Frey. Seine Formulierungen erwecken den Eindruck, als erfahre der Glaube durch den Gehorsam oder die Werke eine Vertiefung und Intensivierung.565 Der Glaube geht letztlich im Gehorsam auf und erfährt in ihm seine Vollendung. Dem Gehorsam ist nach Frey die göttliche Güte 555 Frey, Akt II Szene 2; B VIIb. 556 Vgl. Akt III Szene 5; C IIIIb. 557 Vgl. Akt V Szene 10; E IIIIb: „Doch lasst Gott nit der jm vertrawt / Mit glauben vest auch auff ihn bawt.“ Vgl. ferner Stellen aus dem ‚Beschlusz‘, wo Frey das Glauben als Bauen und Vertrauen umschreibt: E Va. VIa. VIIb. 558 Vgl. Akt II Szene 2; B IIIb. B VIIb; Akt IV Szene 2; C VIIb; Beschlusz, E Vb. 559 Akt III Szene 7; C VIa. Vgl. die eben zitierte Rede Saras in Akt V Szene 10, E IIIIb (vest...bawt). 560 E Va. 561 Vgl. ebd. 562 Vgl. Akt IV Szene 6; D IIb. 563 Vgl. E Vb. 564 E VIa. 565 Vgl. E VIIb: „Vnd Got getrawen vnserm Herrn / Die werck durch die gehorsam mehrn. Vnd willig halten sein gebott...“

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zugesagt, wie es Abraham im Rückblick auf den Besuch Gottes bei ihm und das Lachen Saras über das ihr zugesagte Glück zum Ausdruck bringt, wenn er darauf zu sprechen kommt, wie es jetzt um Sara stehe: „Wolan sie merck die gaben Gots / An den die warten seins gebots. Die lasst er nimmer für vnd für...“566 Zwar scheint der Abraham Freys ein Bewusstsein zu haben, dass der Mensch die Gnade eigentlich nicht verdient, ihrer unwürdig ist, aber dies klingt zum einen eher wie eine captatio benevolentiae in Richtung auf Gott; zum andern ist der Wortlaut bezeichnend, sagt Abraham doch an dieser Stelle, Gott habe ihm mehr Gnade getan, als ihm gebühre.567 Geht die göttliche Gnade in ihrer Vergeltung auch über das Tun des Menschen hinaus, so setzt sie doch ein Mindestmaß an Gehorsam voraus. Was im Endeffekt zählt, ist der Gehorsam.568 Immerhin weiß Frey von Paulus (Gal 3; Röm 4) her, dass Abraham glaubte, bevor das Gesetz gegeben wurde,569 er zieht aber daraus keine Konsequenzen. Zwar spricht er von den Verheißungen, um jedoch sofort wieder auf das Geheiß oder die Forderung Gottes zu sprechen zu kommen. Er verweist auch auf den barmherzigen Gott, der uns vom Teufel erlöst habe, zugleich aber stellt er klar, dass demjenigen, der sich daran nicht kehre und sich nicht weisen lasse, eine schwerere als die Sodom zuteil werdende Strafe drohe.570 Solchermaßen ist das Stück eher als Drohung zu verstehen und endet auch nicht zufällig mit einem Verweis auf das Gericht, vor dem man „rechnung geben“ muss.571 Eigentümlich blass bleibt dagegen der Gnadenbegriff, der in der Bewahrung vor Schaden572 oder in irdischem Gut573 aufgeht. Hin und wieder werden andere Töne laut. So spricht Frey immerhin einmal vom „sunder hort“574 und davon, dass der Gehorsam letztlich eine Gottesgabe sei.575 Dennoch, Freys Drama wird kaum als Ausdruck einer genuin reformatorischen Rechtfertigungslehre gelten können, nicht nur weil – im Gegensatz zu vielen anderen Stücken – bezeichnenderweise auf jegliche konfessionelle Polemik verzichtet wird, was für elsässische Dramen nicht untypisch ist.576 Ein deutlicheres Indiz ist, dass sola fide und sola gratia in diesem Drama, und das gilt auch für die Rahmenstücke, weder explizit noch implizit auf566 Akt II Szene 2; B IIIb. Vgl. ‚Vorreder‘, A IIa: „Wie Got noch in der alten welt. Sein gnad thet Abraham vnd Loth / Die alzeit hielten sein geboth.“ 567 Vgl. Akt IV Szene 2; C VIIb. 568 Vgl. die Belege aus Akt V Szene 6; E Ia (Rede des Engels) und E Ib die Bemerkung Abrahams: „... Vnd sicht an [sc. Gott] sein gehorsamkeit“. 569 Vgl. Beschlusz, E Va. 570 Vgl. E VIIb–VIIIa. 571 Vgl. E VIIIa. 572 Vgl. etwa A IIb; B IIIa; E Ib. 573 Vgl. C VIIb. 574 Akt II Szene 2, B VIIb. 575 Vgl. Akt V Szene 5, D VIIIb. 576 Vgl. Heinz Kindermann, Theatergeschichte Europas. Bd. II. Das Theater der Renaissance, Salzburg 1959, S. 319. 323. – Zum Theater im Elsass vgl. ferner Jean Lebeau – Jean-Marie Valentin, L’Alsace au siècle de la Réforme, Nancy 1985.



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leuchten. Frey bleibt in Reaktion zu den von ihm kritisierten Zuständen der Zeit zu sehr in der Forderung nach Gehorsam und damit in der Moraldidaxe, in der Pädagogisierung theologischer Gedanken verhaftet. Betrachtet man solchermaßen das Drama Freys, bleibt es unverständlich, wie Reckling zu seinem Urteil kommt: „Da der ganze Aufbau des Werkes die religiöse Grundtendenz zum Ausdruck bringt, steht Frey im Epilog wohl von einer Darlegung der protestantischen Heilslehre ab, verzichtet aber nicht gänzlich auf das fabula docet, sondern schließt mit Ermahnungen, die im Wesentlichen das Zusammenleben in einem Bürgerhause seiner Zeit betreffen.“577 An anderer Stelle führt er aus, das ganze Spiel sei eine „Dokumentation der Treue und der Barmherzigkeit Gottes“.578 Obwohl das Drama bis in die Struktur hinein von protestantischem Geist bestimmt sei, fehle doch expressis verbis jeder Hinweis auf die reformatorische Lehre.579 Dazu kann nach der Analyse des Stückes nur gesagt werden: Die religiöse Grundtendenz des Dramas ist eine andere als Reckling meint. Es steht weniger die Gnade als vielmehr der Gehorsam im Zentrum. Und der genannte Verzicht auf Ausführungen zur reformatorischen Lehre, zur Rechtfertigungslehre im Epilog und der dort vorherrschende Ton stimmt mit dem Inhalt des Dramas durchaus überein. Immerhin muss Reckling zugestehen, dass Rollenhagen Freys Stück, in dem die Moral von großer Wichtigkeit gewesen sei, theologisiert.580

5. Herman (Hemmann) Haberer, Spiel vom gläubigen Vater Abraham (1562) Ein gar schÖne Spyl von dem glÄubigem Vatter Abraham / wie Gott mit jhm / vnd er auß seim befelch gehandlet. Von einer BÜrgerschafft zu LÄntzburg im ErgÖuw auff den 29. Mayens gespilt / vnd newlich außgangen, Köln 1592 [Exemplar Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Abteilung Historische Drucke] Über das Leben des Schweizers Herman oder Hemmann Haberer ist in den letzten Jahrzehnten durch die Bemühungen aargauischer Forscher doch einiges ans Licht getreten. Haberer wurde kurz nach 1500 in Brugg geboren, wo er vermutlich auch die Lateinschule besuchte.581 1522/23 ist er an der Universität Basel belegt. 1532 erlangte er die Vollmacht für das Notariatsamt in den hohen und niederen Gerichten der Herren von Hallwil. Im Jahre 1535 wurde er vom Schultheiß und Rat zu Bern zum Landschreiber in 577 Reckling, Immolatio Isaac, S. 56. 578 Vgl. a.a.O., S. 139. 579 Vgl. ebd. 580 Vgl. a.a.O., S. 57. 581 Zur Vita Haberers vgl. Max Banholzer, Hemmann Haberer von Brugg, Separatdruck aus den Brugger Neujahrsblättern 1960, S. 27–36, ferner Reinhard Müller, Art. ‚Haberer, Hermann‘, DL3 VII, Sp. 24, und Jakob Baechtold, Art. ‚Haberer, Herman‘, ADB 10, S. 267.

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Lenzburg im Aargau – dieses gehörte zu Bern und war 1528 endgültig der Reformation zugeführt worden582 – berufen, wo er die Kanzlei des Landvogtes zu betreuen, Urkunden auszustellen und bei Schiedssprüchen mitzuwirken hatte sowie auch als Berater des Landvogtes fungierte. Von 1548 bis 1552 war er Mitglied des Kleinen Rates von Lenzburg. Im Jahre 1554 war er Teilnehmer einer Zusammenkunft, bei der in Anwesenheit des Obervogts von Lenzburg und des an Zürich orientierten Theologen und Lenzburger Pfarrers Gervasius Schuler über die Uneinigkeit zwischen Bern und Zürich in der Söldnerfrage verhandelt wurde.583 Schon 1533 war Haberer, wie ein Brief an Bullinger belegt, um die Beilegung eines Konfliktes zwischen den beiden reformierten Städten bemüht.584 In einer Urkunde des Stadtarchivs Brugg vom Oktober 1556 wird er noch als „landtschriber zí Lentzburg“ erwähnt.585 Unklar ist der Grund für seine Abberufung als Landschreiber durch Bern im Juli 1558. Wenige Monate später, im März 1559 wurde er allerdings zum Stiftsschreiber von Zofingen ernannt. Dieses Amt nahm er bis zu seinem Tod im Jahre 1577 wahr. Noch in seiner Lenzburger Zeit trat Haberer als Dramatiker hervor. 1551 entstand sein Drama ‚Jephta‘, das in Aarau zur Aufführung kam.586 Dieses Stück ist offenkundig verloren gegangen.587 1562 wurde Haberers ‚Spiel vom gläubigen Vater Abraham‘, wie der Titel besagt, von der Bürgerschaft der Stadt Lenzburg in Szene gesetzt. Dies belegt, dass er auch nach seiner Abberufung noch in Beziehungen zu Lenzburg stand.588 Im gleichen Jahr ging dieses Drama bei Froschauer in Zürich erstmals in Druck.589 1592 folgte ein zweiter Druck bei Heinrich Nettesheim (Nettessem) in Köln. Ob er weitere Dra582 Vgl. Jean Jacques Siegrist, Lenzburg im Mittelalter und im 16. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte der Kleinstädte, Argovia 67 (1955), S. 212. 583 Vgl. Heidi Neuenschwander, Geschichte der Stadt Lenzburg. Von der Mitte des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: Argovia 96 (1984), S. 115. Bern stand der Söldnerwerbung positiv gegenüber, Zürich lehnte sie ab. Gervasius Schuler fürchtete infolge dessen eine Schwächung der evangelischen Städte gegenüber den katholischen, besonders Luzern. – Schulers Haltung belegt, wie Neuenschwander, a.a.O., S. 116, ausführt, dass „.... auch noch in den 1550er Jahren Bern im Aargau in erster Linie den organisatorischen Rahmen zur Kirchenreform setzte, während die geistigen Impulse aus Zwinglis und Bullingers Zürich kamen.“ – Gervasius Schuler (1495–1563) stammte aus Straßburg, er war Pfarrer in Lenzburg von 1550 bis zu seinem Tod. 584 Vgl. Banholzer, a.a.O., S. 30. 585 Die Urkunden des Stadtarchivs Brugg, hrg. v. Georg Boner, Aarau 1937, S. 209 (Nr. 446). 586 Vgl. Banholzer, a.a.O., S. 32, der von einer Aufführung anlässlich des Aarauer Maienzuges spricht. Neuenschwander, a.a.O., S. 192, geht dagegen von einer Aufführung beim großen Jugendfest in Aarau aus. 587 Vgl. Baechtold, a.a.O., Banholzer, ebd. 588 Vgl. Banholzer, a.a.O., S. 31. 589 Vgl. Banholzer, a.a.O., S. 33; vgl. Goedeke, Grundriß Bd. 2, S. 351. – Bei diesem Werk gibt es etwas Verwirrung in Bezug auf die Frage, wann der Druck erfolgte. Nach VD 16 Bd. 8, H 9 (S. 319) ist der Druck um 1554 anzusetzen. Ähnlich heißt es im Katalog der Zentralbibliothek Zürich: „vor 1555“.



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men verfasste, ist unbekannt. Erhalten sind im Staatsarchiv Zürich schließlich zwei Briefe Haberers an Heinrich Bullinger.590 Diese wie die in Briefen Schulers an Bullinger übermittelten Grüße an den Leiter der Zürcher Kirche deuten darauf hin, dass Haberer diesem und damit Zürich theologisch und kirchenpolitisch nahestand.591 Der Druck hebt mit dem Hinweis auf einen vierstimmigen Gesang und der kurzen Vorrede (A Ib–IIa.) an, auf die das durch den Herold gesprochene ausführliche Argumentum (A IIa–IIIIb) folgt, worauf die Handlung beginnt.592 Ein Personenverzeichnis fehlt, insgesamt treten 31 Personen auf.593 Das Drama besteht aus fünf, nicht in Szenen unterteilten Akten. Erster und fünfter Akt sind – bei jeweils gleicher Länge – die längsten des Spiels. Ein Argumentum vor den Akten bietet Haberer nicht. Dafür gibt es am Ende jedes Aktes einen ‚Chorus‘ oder eine ‚Musica‘, in dem bzw. in der ein Lied gesungen wird, das recht lehrhaften Charakter annehmen kann, wie das mehrfach zu Beginn erscheinende Stichwort ‚lernen‘ belegt.594 Der ‚Beschluß‘ (I Vb–VIIIa) schließt das Drama ab. Das Stück deckt Geschehnisse aus Gen 15 bis 22 ab. Der erste Akt umfasst die Ereignisse der Abraham-Geschichte, die in Gen 15–17 erzählt werden.595 Der zweite Akt ist zur Gänze dem Besuch der drei Männer bei Abraham aus Gen 18 gewidmet. Im dritten Akt wird rückblickend auf die in Gen 19 berichtete Zerstörung Sodoms und Gomorras eingegangen sowie die Geburt Isaaks (Gen 21,1–7) geschildert. Den in Gen 20 beschriebenen Aufenthalt Abrahams bei Abimelech mit dem Motiv der Gefährdung der Ahnfrau lässt Haberer aus. Der vierte Akt hat die Ereignisse von Gen 21,8 bis 22,2 zum Gegenstand, 590 Vgl. Banholzer, a.a.O., S. 30. 35. 591 Vgl. Neuenschwander, a.a.O., S. 113. 592 Eine Inhaltsangabe des Stückes bietet Jakob Baechtold, Geschichte der Deutschen Literatur in der Schweiz, Frauenfeld 1892, S. 367. 593 Folgende Personen treten in der Handlung auf: Abraham, Sara, Isaak, Agar, Ismael, die Knechte Eleazar (Elieser), Abdi, Sodi, Abdenago, Abed (Küchenknecht), Adalia (Metzger), der Koch, Obadja, Abdechel, die beiden Kinder Becher und Nabaim, die Jungfrauen Susa und Sota, Naa (‚gevatter‘ Isaaks), Melchi, eine ‚gÖtty‘ und ein ‚gotte‘ für einen Knaben Naary, Aohiman (Knecht Lots), Melchizedek, Sorech, daneben Gott und die Engel Thabelias und Nabeoth, der Satan, der laut Anweisung vorne wie ein Engel wirken, aber von hinten als Satan erkennbar sein soll (so die Randbemerkung F VIIIb), und schließlich die beiden Narren Beemoth und Zamro. 594 Vgl. D Vb (Akt II); E VIIIb (Akt III); G Va (Akt IV); I IIIIb–Va (Akt V). Diese Lieder ließen sich in Wackernagels Bibliographie zum deutschen Kirchenlied nicht nachweisen; sie dürften von Haberer selbst stammen, auch insofern als sie eng auf die zuvor dargestellten Begebenheiten bezogen sind. Anders verhält es sich mit dem den ersten Akt beschließenden Gesang „Kum schÖpffer heiliger geist“ ( C IIIIb). 595 Damit wird hier für den ersten Akt eine etwas andere Auffassung der biblischen Grundlage vertreten als bei Reckling, Immolatio Isaac, S. 53 Anm. 18, wo Gen 12,1–8; 13,14–17; 16,1–16; 17,1–27 genannt werden. Unverständlich ist, dass hier Gen 15 nicht erwähnt wird. Die Nennung von Gen 12 und 13 könnte nur dadurch gerechtfertigt werden, dass in diesem Akt Elemente der Abraham dort gegebenen Verheißung auftauchen. Die eigentliche Handlung aber beginnt mit Gen 15, wie auch Baechtold, Geschichte der Deutschen Literatur in der Schweiz, S. 367, feststellt.

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von der Austreibung Agars bis zum Opferbefehl. Im fünften Akt geht es ausschließlich um die Bindung Isaaks nach Gen 22. Dieses Thema ist somit Gegenstand von zwei Akten und markiert – auch durch das Erscheinen des Satans – ohne Zweifel den Höhepunkt des Dramas. Im einzelnen verläuft der Handlungsstrang im ‚Spiel vom gläubigen Vater Abraham‘ folgendermaßen: Der erste Akt beginnt mit der Verheißungsszene aus Gen 15. Gott erscheint Abraham. Er blickt auf Abrahams Verhalten seit dem Auszug aus Chaldäa zurück und lobt seinen Glauben, der vor ihm viel gelte. Abraham klagt, Eleazar (Elieser) sei sein Erbe, erhält aber von Gott die Sohnesverheißung. Er bekundet seinen Glauben, worauf Gott erklärt: „das zell ich dir zur gerechtigkeit.“596 Es folgt die Vorbereitung zum Opfer mit einem Gebet Abrahams. Eingeflochten ist eine kurze Szene, in der Sara Abraham sucht. Diese Technik, Handlungsabläufe zu unterbrechen, wendet Haberer öfter an. Die Erscheinung des Engels Thabelias bei Abraham, die (Selbst-)Entzündung des Opfers597 entsprechend dem biblischen Bericht (Gen 15,17) und der Bundesschluss schließen diese Szene ab. In einem Gespräch unterbreitet Sara ihrem Mann den Vorschlag, Agar könne ihm einen Nachkommen verschaffen (Gen 16,1–3). Diese Idee wird von den Narren Beemoth und Zamro in einem langen Gespräch, in das sie auch den Knecht Sodi einbinden, spöttisch kommentiert.598 Die Narren stellen diesem Unternehmen eine schlechte Prognose: Sie prophezeien einen Aufruhr Agars und fürchten, Sara schaffe so ihr eigenes Unglück. Eingeflochten in diese Szene ist die Anfrage an Agar, die zunächst Bedenken zeigt, dann aber einwilligt. Die inzwischen eingetretene Schwangerschaft Agars (Gen 16,4) lässt das Gefüge der Gemeinschaft brüchig werden. Es kommt zu einem Zusammenstoß zwischen Sara und ihrer Magd. Sara klagt bei Abraham, der die Magd in ihre Gewalt gibt (Gen 16,5f.). In einer Unterredung zwischen Herrin und Magd kommt es zur Entlassung. Agar geht, sie bereut ihre Haltung. Der Engel Nabeoth nötigt sie zur Umkehr. Sie bittet ihre Herrin um Begnadigung, die ihr auch gewährt wird. Am Ende des Aktes wird auf das in Gen 17 behandelte Beschneidungsthema übergelenkt. Gott schließt seinen Bund mit Abraham, dieser erhält die Verheißung von Nachkommen und Land und das Beschneidungsgebot. Unmittelbar darauf gibt Abraham Eleazar den Befehl, das Gebot umzusetzen. Den Auftakt des zweiten Akts bildet eine kurze Küchenszene, die – wie in vielen Dramen der Zeit – den Koch als dem Trinken nicht unabgeneigt zeigt. Den gesamten übrigen Akt nimmt der Besuch der drei Männer bei Abraham (Gen 18) ein. Abraham lädt die Besucher, Gott und zwei Engel ein; die Vorbereitungen zur Verpflegung beginnen. Es folgt das Gespräch über die Ankündigung der Geburt Isaaks mit dem Lachen Saras und Gottes Reaktion darauf. Das gemeinsame Mahl wird durch Tisch- und Dankgebet, das von Knaben gesprochen wird, umrahmt. Im Anschluss isst das Hausgesinde. Es kommt zum Aufbruch der Männer, bei dem Gott Abraham in das von ihm 596 Haberer, a.a.O., A VIa. 597 Vgl. B Ia: „Hie in dem zÜndt sich selbs an das opffer vom himmel herab ...“ 598 Zu dieser Szene vgl. Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 180.



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den Städten Sodom und Gomorra zugedachte Geschick einweiht. Die Engel gehen bereits voran (Gen 18,22), während das Gespräch Abrahams mit Gott und seine Fürbitte für die Städte erfolgt. Ein zusammenfassendes Gebet des auf die Knie gehenden Abrahams schließt den Akt ab. Nach dem Chor wird in der Regieanweisung die Zerstörung Sodoms (Gen 19) angezeigt: „Nach dem gesang wirdt man im zugerÜsten Himmel donneren vnnd drey schutz thun / vnnd das fÜhr herab kommen / vnnd Sodoma anzÜnnden.“599 Der dritte Akt beginnt mit einem Gebet Abrahams um die Rettung Lots. Aohiman, Lots Bote, berichtet in einem längeren Gespräch von Lots Errettung. Am Ende des Dialogs meldet die Magd Susa die Geburt Isaaks (Gen 21,1f.). Es folgt ein Gebet Abrahams, die Klage der Magd Sota über ihre vorlaute Kollegin Susa und ein weiteres Gebet des seinen Sohn im Arm haltenden Abraham. Im Anschluss werden die Vorbereitungen für die Zeremonie der Beschneidung (Gen 21,4) durchgeführt. Diese wird – singulär in den Dramen – durch die Priester Melchizedek (Gen 14,18–20) und Melchi vollzogen. Eine Ansprache Melchis erklärt den Sinn der Beschneidung, die deutlich spiritualisiert wird und auf die Beschneidung des Herzens zielt. Es erfolgt die mit der Namensgebung verbundene Beschneidung Isaaks, Ismaels und des von Haberer erdachten Naary. Szene und Akt werden durch ein Gebet Melchizedeks, in dem besonders Gottes Allmacht gepriesen wird, beschlossen. Gegenstand des vierten Akts ist die Vertreibung Agars und Ismaels (Gen 21). Es kommt zur Misshandlung Isaaks durch Ismael, der seinen Spott mit dem Stiefbruder treibt. Sara zeigt sich verärgert und fordert von Abraham die Entlassung. Abraham wehrt zunächst ab und sucht eine andere Lösung, die in einer Art Trennung der Streitenden besteht. Er sieht sich aber in einer Zwickmühle und bringt sein Dilemma im Gebet vor Gott, der ihm befielt, dem Wunsch seiner Frau zu entsprechen. Es kommt zu einem Streit zwischen Sara und Agar, deren Resultat das Aussprechen der Entlassung durch Abraham bildet. Dies mündet in eine längere Abschiedsszene, in der Ismael den Vater ohne Erfolg um Rücknahme bittet. Völlig unvermittelt, aber sehr eindrucksvoll an die Vertreibung des anderen Sohnes angeschlossen, wird daraufhin der Befehl zur Opferung Isaaks (Gen 22,1f.) eingeflochten. Nach kurzem Verstummen gibt Abraham Gott seine Einwilligung kund. Die nächste Szene zeigt das Geschehen um Agar und Ismael in der Wüste, während Haberer danach wieder zu Abraham schwenken lässt, der von dem in Engelsgestalt erscheinenden Satan versucht wird, die Opferung des Sohnes zu verweigern. Es gelingt ihm jedoch, den Satan erfolgreich zurückzuweisen, der mit Feuer flieht. Ein erneutes Hinüberlenken in die Wüste zeigt ein Gebet Ismaels in Todesnot sowie die endliche Erscheinung des Engels Thabelias und die Errettung von Mutter und Kind. Der fünfte Akt ist ganz der Opferung Isaaks gewidmet. Er beginnt mit der Zurüstung zur Fahrt. Sara bringt bei der Verabschiedung ihre Besorgnis wegen der Mitnahme Isaaks zum Ausdruck. Auf der Reise unterhalten sich die beiden Begleiter, die Knechte Abdechel und Adalia über den mitgenommenen bissigen Esel, mit dem sie sich abmühen. Bei der Ankunft am Berge trennen 599 Haberer, a.a.O., D VIa. Michael, ebd.: „Die eigentliche Zerstörung Sodoms wird mehr angedeutet, als durchgespielt.“ Allerdings werde aus dem ‚zugerüsten Himmel‘ mit Donner, Schwefel und Feuer operiert.

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sich Abraham und Isaak von den Knechten, nachdem kurz die Frage besprochen wird, wer das Holz tragen soll. Auf einen Dialog zwischen Abdechel und Adalia folgt ein Gespräch Abrahams mit Isaak. Der Sohn fragt nach dem Opfer und dem Grund seiner Mitnahme. Abraham verweist unter Bezugnahme auf Röm 4,17 darauf, dass Gott aus dem Nichts etwas schaffen könne. Er kenne ihren Mangel, sie sollten ihm gehorchen, dem sie – Rekurs auf Röm 14,8 – im Leben wie im Sterben gehörten. Auf dem Berg angekommen, beginnen sie mit dem Altarbau. Thema eines weiteren Dialogs zwischen Abdechel und Adalia ist die Sorge, dass Vater und Sohn etwas zustoßen könnte. Abdechel äußert in diesem Zusammenhang die Befürchtung, Abraham könnte Isaak opfern. Adalia widerspricht dem und ist der Meinung, eher würde sich Abraham selbst umbringen. Es folgt ein längeres Gespräch zwischen Abraham und Isaak, in dem Abraham versucht, auf indirekte Weise eine Einwilligung Isaaks in dessen Opferung zu erlangen. Er versucht zunächst, durch das Stichwort ‚Gehorsam‘ Isaaks grundsätzliche Bereitschaft, dem Vater in allen Dingen zu gehorchen, zu eruieren. Sodann lenkt er auf Gott, der allein das irdische Leben geben könne und es wieder nehme. Er allein könne auch denen, die ihn lieben und ehren, das himmlische Leben verleihen, in dem im Gegensatz zu diesem Leben kein Mangel, sondern Vollkommenheit herrsche. Darum sei ihm zu gehorchen. Wer hier das Leben um seinetwillen verliere, werde es dort ewig und ohne Mangel finden. So versucht er, unter Bezugnahme auf 1 Kor 2,9 und Röm 8,35–39 dem Sohn die himmlische Seligkeit als erstrebenswertes Ziel vor Augen zu stellen. Auch hier fragt der Vater nach der Bereitschaft des Sohnes, diesen Gott mehr zu lieben als das Irdische. Auf die Frage Isaaks, was der Vater fordere, gibt er ihm den göttlichen Opferbefehl kund, worauf Isaak um sein Leben fleht. Er willigt dann aber ein, bittet jedoch um eine ausführliche Gelegenheit zur Klage. In seiner ersten Klage redet er Sara und Abraham an. Als Abraham ihn binden will, protestiert er, er sei kein wildes Tier und werde schon nicht weglaufen. Erneut erklärt er sein Einverständnis in die Opferung als Vollzug des Willens Gottes. In einer zweiten langen Klage, in der er zunächst Gott anredet, bringt er in der Sprache der Psalmen seine ganze Hoffnungslosigkeit zum Ausdruck. Den Vater ansprechend, ruft er aus, er komme nicht wieder. Schließlich befiehlt er seine Seele Gott an. Abraham bittet Gott um Kraft zur Durchführung der Opferhandlung und um Annahme des Opfers. Es folgt das Erscheinen des Engels Nabeoth und die von einem Gebet Abrahams begleitete Opferung des Widders. Die nächste Szene lenkt den Blick noch einmal auf Adalia und Abdechel, die sich weiterhin um Abraham und Isaak sorgen. Den Schluss des Aktes bildet nach einem Gebet Abrahams die Erscheinung des Engels Thabelias, der Abraham die aufgrund seines Gehorsams wirksame Bestätigung der göttlichen Verheißung übermittelt. Mit Abrahams einwilligenden Worten, so möge es geschehen, und seinem Signal zum Abstieg vom Berg endet die Handlung.

Haberers Spiel vom gläubigen Vater Isaak stellt ein durchaus singuläres Drama dar. Ohne Analogie ist, dass im ersten Akt die schwangere Agar von Sara förmlich entlassen wird und im fünften Akt Abdechel den Verdacht äußert, Isaak selbst könne das Opfer werden. Auffallend ist ferner die Verschachtelungstechnik, die große Zahl der eingestreuten Gebete und die Aufnahme von Effekten, so der Selbstentzündung des Opfers im ersten Akt, der Darstellung der Zerstörung Sodoms zwischen zweitem und drittem Akt und des Ausspei-



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ens von Feuer durch den flüchtenden Satan im vierten Akt.600 Eine Besonderheit bildet ebenso das Faktum, dass der Tod Isaaks an einigen Stellen als Akt der Buße gezeichnet wird.601 Deutlich hervorstechende Züge sind ebenso die ausführliche Klage Isaaks im fünften Akt und die Beschneidungsszene im dritten Akt, aus der – anders als Luthers Auslegung von Gen 22, die in Entgegnung der altgläubigen Position gerade den Hausvater und ‚Laien‘ Abraham als Priester bezeichnet – durchaus ein gewisser Klerikalismus spricht, insofern die ‚reguläre‘ Priesterschaft – gegen den Wortlaut des Textes (Gen 17,23f.; 21,4) – den Akt der Beschneidung vollzieht, womit diese von den übrigen Gläubigen abgehoben wird.602 Zu nennen ist schließlich noch das häufige Einfließen von biblischen Versen bzw. von Anspielungen derselben. Andere Züge stellen wiederum Parallelen zu anderen Abraham-Stücken dar. So tritt wie bei Rollenhagen und Beza / Chytraeus der Satan auf, um den Zwiespalt, in dem sich Abraham befindet, noch zu verstärken. Eine Analogie zu Stymmelius’ Stück bildet der Versuch Abrahams, durch theologische Argumente die Einwilligung Isaaks in seine Opferung zu erreichen. Beide Reden sind in sich jedoch zu unterschiedlich, als dass Stymmelius aus Haberer geschöpft haben könnte. Sie kommen darin überein, dass der Tod um Gottes willen gerühmt und die Seligkeit als überreicher Ausgleich für diesen Tod dargestellt wird. Ähnlichkeiten zu Voiths Spiel vom herrlichen Ursprung bestehen in der Behandlung von Gen 15, 17 und 18 oder auch in der Fürbitte Abrahams für Lot.603 Alle diese Züge sind aber zu schwach, um eine Abhängigkeit des Dramas Haberers zu belegen, das damit eine genuine Schöpfung dieses Autors sein dürfte.604 Erstaunlich ist, dass dieses Drama, das sich von seiner Herkunft wie auch im Drama selbst als deutlich protestantischer Provenienz erweist, im katholischen Köln und zwar in recht später Zeit gedruckt wurde. Der Verleger Heinrich Nettesheim, der nach dem gescheiterten Reformationsversuch des Gebhard Truchsess von Waldburg wirkte,605 druckte mehrere Dramen: die ‚Zehn Alter dieser Welt‘ von Jörg Wickram, den ‚Homulus‘ des altgläubigen Jaspar von Gennep, eine wohl auf eine Straßburger Vorlage zurückgehende Komödie von der Liebe des Nächsten zur Geschichte vom barmherzigen Samariter 600 Vgl. Banholzer, a.a.O., S. 33. Auch das komische Element ist in einigen Szenen vorhanden. 601 Vgl. Akt V; H Vb; H VIa. An der letzten Stelle äußert Isaak: „Bezale jetz mit meinem blut mein sÜnd allein dem Herren gít.“ Vgl. ferner I Ib. 602 Vgl. E IIIIbf.; vgl. WA 43, 223,10ff. 603 Vgl. Haberer, Akt III, D VIb, Voith, Spiel vom herrlichen Ursprung, ed. Holstein, Akt IV, S. 272,1709ff. 604 Auch für eine Abhängigkeit Haberers vom Abraham-Drama Hieronymus Zieglers, wie sie von Daniel Bolliger, Dramatisches Symbol konfessioneller Grundhaltungen zwischen Glaube und Politik, in: Steiger – Heinen (Hrgg.), Isaaks Opferung, S. 307 Anm. 125, erwogen wird, findet sich kein Anhaltspunkt. 605 Zum Leben Heinrich Nettesheims vgl. Wolfgang Schmitz, Volkstümliche Literatur und ‚Neueste Nachricht‘. Zur Tätigkeit des Kölner Verlegers Heinrich Nettesheim, ca. 1585–1603, in: Ars impressoria, hrg. v. Hans Limburg u.a., München u.a. 1985, S. 137f.

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von einem unbekannten Autor, eine Komödie über die Befreiung des Petrus nach Act 12 von dem Kölner Schulmeister Christian Helciopoeus, eine deutsche Übersetzung von ‚De voluptate ac virtutis pugna‘ des altgläubigen Priesters Jakob Schöpper und ein auf eine Kölner Aufführung zurückgehendes ‚Spiel vom Tobias‘, das von Wickrams Tobias abhängig ist.606 Überwiegend hat Nettesheim Stücke altgläubiger Verfasser oder Bearbeiter verlegt. Haberers ‚Abraham‘ fällt dabei etwas aus dem Rahmen. Wolfgang Schmitz geht in seinem Beitrag über Nettesheim nicht auf die konfessionelle Frage im Allgemeinen und den konfessionellen Charakter des Dramas Haberers im Speziellen ein. Er mutmaßt über das – von ihm als literarisch schwach eingestufte – Drama lediglich, seine Beliebtheit habe auf seinen Effekten und seiner Schilderung der Alltagswelt beruht, was auch Nettesheims Interesse an ihm geweckt habe.607 So richtig diese Beobachtungen anbetreffend die Effekte und die Schilderung der Alltagswelt – etwa der Aktivitäten in der Küche zur Zubereitung der Speisen – sind, so erklären sie doch nicht, dass ein solches Drama mit dezidiert protestantisch und antikatholisch geprägten Rahmenstücken von einem katholischen Kölner Verleger verbreitet wurde. Ein negatives Urteil über Haberers ‚Abraham‘ fällte bereits Jakob Baechtold. Er spricht von einem ‚rohen Machwerk‘, „... das namentlich effektreiche Momente, wie das Verschmachten Ismaels oder die Opferung des Isaak, auf die Spitze treibt“.608 Insbesondere kritisiert er „... die lange, ins Widerliche verzerrte Opferszene...“609 Diese steht nun naturgemäß bei einem Abraham-Drama, eben nicht nur bei diesem, im Zentrum und bildet fast ausnahmslos bei allen Dramen auch den längsten Teil derselben. Die Frage kann nur sein, ob Haberer mit seinem Stück das von ihm intendierte Ziel erreicht oder ob die von Schmitz und Baechtold beobachteten Elemente dem Erreichen dieses Zieles abträglich sind. Aus diesem Grunde kann ein Urteil über die Qualität des Stückes erst nach der weiteren Analyse erfolgen. Bemerkungen über den Zweck der Abfassung und Aufführung eines geistlichen Dramas finden sich nicht. Allerdings erhellt aus einigen Formulierungen, dass Haberer mit seinem Drama pädagogische Absichten verfolgt.610 Nach der Aussage des Herolds im Argumentum besteht die Intention des Stückes darin, den Zuhörern Frömmigkeit einzupflanzen. Besonders möchte Haberer diejenigen ‚reizen‘, deren Christsein nur einen Schein darstelle. Eine solche Haltung wertet er als falschen Glauben, der zum Scheitern 606 Vgl. a.a.O., S. 141ff. 151–155. 607 Vgl. a.a.O., S. 143, wo Schmitz über Haberers Abraham urteilt: „Die literarische Qualität ist gering, wesentlich bezieht das Stück seinen Erfolg aus Effekthascherei, wobei den Gebärden ein hoher Stellenwert zukommt. Dies wie auch die breite Schilderung der Alltagswelt machte wohl die Beliebtheit aus, und deshalb wagte Nettesheim 30 Jahre nach der Erstaufführung im Aargau den Druck.“ 608 Baechtold, Geschichte der Deutschen Literatur in der Schweiz, S. 367. 609 Ebd. – Vgl. auch die in die gleiche Richtung weisenden Aussagen von Johannes Bolte, Unbekannte Schauspiele des 16. und 17. Jahrhunderts, SPAW.PH 1933, S. 388. 610 Vgl. Haberer, Spiel vom gläubigen Vater Abraham, Musica zu Akt II, D Vb, zu Akt III, G VIIIb, sowie den Chorus zu Akt IV, G Va, wo die Zuhörer jeweils aufgefordert werden zu ‚lernen‘.



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verurteilt sei. Ihr entgegenzuwirken dient das Beispiel Abrahams, seines Glaubens und seiner Werke.611 Im ‚Beschluß‘ legt Haberer dar, sein Vorhaben sei es gewesen, in dem Stück alles einzuführen, was einen Christen zu einem Christen mache. Dies werde an Abraham und seinem Glauben deutlich.612 Haberer hat demnach die Gestalt Abrahams für sein Drama gewählt, um anhand dieses Vorbildes zu verdeutlichen, was Glaube ist und wie ein aus dem Glauben kommendes christliches Leben aussieht. Besonders trete dies in der Geschichte von der Versuchung Abrahams hervor.613 Präzise geht es ihm um die Frage des rechten Glaubens, um das Verhältnis von Glauben und Werken bzw. die rechte Einordnung der aus dem Glauben hervorgehenden Werke. Dies ist nicht nur im Sinne einer theoretischen Klärung gemeint, sondern auch und vorrangig als praktische Aufforderung zu glauben und Werke zu tun. Haberer sieht sich durch in seiner Sicht zeitgenössische Fehlurteile des Verhältnisses von Glauben und Werken zu seinem Drama veranlasst: „Jn disem spyl so dahin schifft / fÜr auß zulernen was das betrifft / Abrahams glaub der gut werck gebirt / weil vnser zeit dran vil wirt geirt.“614 Er möchte er die Zuhörer zu einer mittleren Haltung motivieren, die nicht zu zwei Seiten hin abfalle: Sie sollen sich einerseits nicht auf ihre Werke verlassen, sondern glauben. Andererseits darf ihr Glaube kein Wahn bleiben, er muss im Herzen verwurzelt sein, was daran erkennbar ist, dass man der Stimme Gottes folgt.615 Diesem Ziel entsprechend betont Haberer, der Glaube müsse in der Liebe tätig sein, vor Gott zählten alleine Glaube und Liebe.616 Gilt somit auf der einen Seite, dass Haberer durch das Drama das menschliche Herz gestärkt wissen möchte, dass es nicht wanke noch zweifele, sondern sich an Gottes Zusage halte, so sieht er es auf der anderen Seite als Warnung und Aufforderung, sich an den göttlichen Willen zu halten.617 In diese Richtung geht auch die in der ‚Musica‘ am Ende des zweiten, mit der Zerstörung Sodoms endenden Akts verkündete und mit dem Gericht begründete Lehre, dass der Mensch Gott fürchten lerne und sich von seinen Sünden kehre.618 Der Mensch soll dessen Langmut nicht über Gebühr strapazieren. Im ‚Beschluß‘ spricht Haberer zunächst alle Zuhörer bzw. Leser an, die sich im wahren Glauben üben und Gott gehorsam sein sollen, um sich im Anschluss an die Eltern, die ihre Kinder in dieser Hinsicht erziehen sollen, und an die Kinder zu wenden, die Gehorsam gegen die Eltern üben, Sünde meiden und Liebe praktizieren sollen.619 Tritt in diesen Ausführungen das Ziel der Moraldidaxe deutlich hervor, so ist doch festzuhalten, dass diese nicht in reiner Form vorliegt, insofern es Haberer stets auch um den Glauben 611 Vgl.a.a.O., Argumentum, A IIa. 612 Vgl. a.a.O., Beschluß, I Vb. 613 Vgl. a.a.O., Argumentum, A IIIIb. 614 A.a.O., Argumentum, A IIb. 615 Vgl. Argumentum, A IIb–IIIa. 616 Vgl. Argumentum, A IIb, und die Musica zu Akt III, E VIIIb. 617 Vgl. Argumentum, A IIIb. 618 Vgl. a.a.O., Musica zu Akt II, D Vb. 619 Vgl. a.a.O., Beschluß, I VIIa.

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geht. In der Handlung selbst wird, losgelöst von der Haupthandlung, an verschiedenen Stellen verdeutlicht, was Glaube bzw. christliches Leben im Alltag heißt. So wird etwa Saras Vergebungsbereitschaft gegenüber Agar als vorbildlich herausgestellt.620 Hervorgehoben wird ebenso die Frömmigkeit des Hauses Abrahams, in dem vor und nach der Mahlzeit Knaben beten und auch das Gesinde vor dem Essen betet.621 Diese sekundären, beiläufig erscheinenden Absichten stehen aber alle im Dienste der Hauptintention, zum Glauben und zur Liebe zu bewegen. Beides kann Haberer in der Formel des ‚styff am Herren bleiben‘622 zusammenfassen, die überdies die Festigkeit und das Nichtwanken als Bestimmungen des wahren Glaubens zum Ausdruck bringt. Im Argumentum lässt Haberer seine Intention durch den Herold pointiert formulieren: „... drumb all die wollen zu himmel kommen / Die mÜssen solchen glauben han / der krÄfftig thÄttig sey on wan / Geziert mit vngefewrter lieb mit wolthat sich gehm nÄchsten Üb / Nit zweiffel an Gottes zusag sonder weiß gewiß das komm an tag / Was Gott verheisset durch sein wort.“623 Die Präfiguration des Opfers Christi spielt demgegenüber in Haberers Drama eine geringere Rolle. Sie erscheint allerdings an prononcierter Stelle, im Chorus des fünften Aktes am Ende des Dramas und im ‚Beschluß‘.624 Ebenso wird die Errettung Isaaks in der Handlung als Auferstehung gezeichnet.625 Eine Anspielung auf die Passionsgeschichte könnte auch darin bestehen, dass Isaak vor seiner Opferung Gott um Aufnahme seiner Seele bittet, er benutzt an dieser Stelle die einschlägige Formulierung des Lukasevangeliums.626 Insgesamt steht aber deutlich die Person Abrahams und nicht die Isaaks im Zentrum des Stückes, wie schon der Titel ‚Spiel vom gläubigen Vater Abraham‘ anzeigt. Insofern auch in diesem Drama Abraham als Vorbild des Glaubens eingeführt wird627 – die Versuchung durch den Satan und ihre Überwindung durch Abraham lässt seinen Glauben noch größer erscheinen – und insofern auch Haberer engen Anschluss an den biblischen Text sucht, ist es naturgemäß ein schwieriges Unterfangen, eine Charakteristik des Habererschen Abrahams zu erstellen. Einige hervorstechende Züge seien jedoch genannt. 620 Vgl. a.a.O., Akt I, C Ib–IIa. 621 Vgl. a.a.O., Akt II, C VIIIb–D Ia; D IIa–b; D IIIa. Positiv gewertet wird auch die religiöse Erziehung von Kindern und Hausgesinde durch Abraham; s. D IIIa. 622 Vgl. Akt II, D IIIa. Das Adverb ‚styff‘ begegnet insbesondere mit dem Verbum ‚glauben‘ recht häufig im Drama. 623 A.a.O., Argumentum, A IIb. 624 Vgl. a.a.O., I Va; I VIa. – Anders Reckling, Immolatio Isaac, S. 81, der für Haberer von einem Verzicht auf jegliche typologische Deutung spricht. 625 Vgl. Haberer, a.a.O., Akt V, I IIa. 626 Akt V, I Ia: „… drumb nimm hin zu deiner gnaden huld / O Herr Herr jetz mein arme seel erlÖß mein geist auß todes quel.“ 627 Vgl. den Prolog, A Ib; Argumentum, A IIa („beyspil“), A IIIIb (Abrahams Glaube uns vorgestellt als „ebenbild“), Beschluß, I VIIb („... habt jhr hie gehÖrt vil von Abraham in disem spil / Wie groß vnd starck sein glaub ist gesein...“).



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Abraham wird insgesamt als eher vorsichtig gezeichnet. In Bezug auf die Opferung Isaaks verschweigt er Sara gegenüber den göttlichen Befehl und beruhigt sie mit Worten, die nichts preisgeben, mit denen er aber auch keine Falschaussage begeht: Es werde Isaak so ergehen, wie Gott es verordnet habe.628 Auch gegenüber Isaak geht er in dieser Sache vorsichtig zu Werke. Ganz langsam führt er ihn heran, um quasi im Schlussverfahren eine Einwilligung des Sohnes in das ihm von Gott aufgetragene Schicksal zu erwirken. Abraham ist um seinen Ruf besorgt, wie er nach der Aufforderung Saras, Agar zu vertreiben, im Gebet gesteht.629 Besondere Affekte werden anlässlich der Vertreibung Agars und Ismaels bei Abraham nicht deutlich. In Bezug auf den Befehl, seinen Sohn zu opfern, kommen etwaige Bedenken Abrahams nicht zur Sprache. Zwar verstummt er zunächst, lenkt aber sofort ein und ist sogar in der Lage, sich anschließend wieder schlafen zu legen, wie die Regieanweisung angibt.630 Im eigentlichen Opferungsteil, genauer nachdem er Gottes Plan dem Sohn mitgeteilt hat, fällt Abrahams Auftreten gegenüber dem Isaaks, auch was die Redeanteile betrifft, etwas ab. Wiederum spart Haberer mit Emotionen auf Seiten Abrahams, während Isaak seinen Gefühlen – auch im Gedenken an die Mutter – freien Lauf gibt, worauf Abraham vor allem mit Aufforderungen, geduldig und tapfer zu sein, sich in Gottes Willen zu ergeben und sich ihm anzuvertrauen, reagiert.631 Dies ist Programm, insofern Abraham geradezu Gott bittet, das Opfer reibungslos, unerschrocken zu vollziehen: „Doch sol es gentzlich als vmb dich nit rÜwen noch bedauren mich.“632 Haberer zeichnet Abraham somit als Menschen in stoischer Ruhe und Unbewegtheit, der sich völlig im Zaum hält. Dass Haberer dies nicht als für den ‚ganzen‘ Abraham repräsentativ ansieht, zeigt sich in seinem Dankgebet nach der unerwarteten Errettung Isaaks und den darauf folgenden Worten an den Sohn.633 Besonderes Merkmal Abrahams in Haberers Werk ist seine Frömmigkeit, die durch seine zahlreichen Gebete belegt wird. Abraham steht in ständigem Gespräch mit Gott. Stets ist er darauf bedacht, Gottes Willen umgehend zu erfüllen.634 Er stimmt mit diesem überein, wie er zweimal nach der Erscheinung äußert: „Ach Herr dein wil der gange fort das mir geschÄch nach deinem wort.“635 Dabei wird er aber nicht als überheblich gezeichnet. Vielmehr verleiht er mehrfach seinem Sündenbewusstsein Ausdruck.636 Er respektiert auch gegebene Ordnungen, wenn er die Priesterschaft zum Vollzug der Beschneidung herbeiruft.637 628 Vgl. a.a.O., Akt IV, G VIa. 629 Vgl. a.a.O., Akt IV, F IIIb. 630 Vgl. a.a.O., Akt IV, F VIIb–VIIIa. 631 Vgl. a.a.O., H VIIa; H VIIIa; I Ia–b. 632 A.a.O., I IIa. Vgl. I Ib. 633 Vgl. a.a.O., I IIa–b. 634 Vgl. a.a.O., Akt I, C IIIIa, wo Abraham Eleazar unter den Worten: „Gang ylentz hin“, aufträgt, die Vorbereitungen für die Erfüllung des Beschneidungsbefehls zu treffen. 635 A.a.O., Akt I, C IIIIa; vgl. B Ib. 636 Vgl. a.a.O., Akt II, D IIIIb, D Va; Akt III, D VIa. 637 Vgl. a.a.O., Akt III, E IIIb.

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Besonders in den Randstücken von Haberers Spiel, aber auch in der Szene der Versuchung Abrahams durch den Teufel tritt eine deutlich reformatorische Haltung hervor, die das sola fide hervorhebt. Diese wird aber zugleich von dem Anliegen durchdrungen, auf Werke zu dringen, heuchlerische Christen zum echten Gehorsam zu führen: Der Glaube soll entsprechende Werke hervorbringen, damit er vollkommen und kein bloßer Schein ist. Wie oben festgestellt und schon der Titel von Haberers Drama andeutet, geht es ihm um den rechten Glauben, wie er in der Gestalt Abrahams beispielhaft zu Tage tritt. Nach der Vorrede handelt das Drama von Abraham, „... deß glaubens stamm / wie er von hertzen reine / vertruwt / glaubt / fÖrcht alleine / den hÖchsten Gott / halt seine bott / zÜcht auß zu handt / verlaßt sein landt ... gar on all zwyfels gruse.“638 Das rechte Verhältnis zu Gott ist der Glaube.639 Haberer umschreibt ihn als Vertrauen,640 als Sich-Verlassen,641 als Wissen oder gewisses Wissen642. Der Glaube hält sich an die Verheißungen Gottes,643 er weiß, dass das von Gott Verheißene geschieht, dass Gott kein Ding unmöglich ist644. Er hofft, wo nach menschlichem Ermessen keine Hoffnung zu erwarten ist und die Vernunft keinen Ausweg erkennen kann, er vertraut der Macht Gottes, auch wenn die Vernunft oder der Augenschein widerspricht.645 Möglich ist ihm dies, insofern er die Allmacht Gottes kennt, die das was nicht ist, ins Sein ruft, wie der Priester Melchizedek in Anspielung an Röm 4,17 ausführt.646 In diesem Sinne beantwortet Abraham auch Isaaks Frage nach dem Opfer und rät ihm, er solle „im steyffen glauben“ beharren und Gottes Wirken wahrnehmen, Gott seien alle Dinge möglich, er könne mit nichts oder wenig viel machen: „Er beut dem leben so ists da.“647 Gerichtet ist der Glaube allein auf Gott bzw. auf Christus648. In einem Gebet im ersten Akt spricht Abraham mit Worten, die an Luthers Auslegung des ersten Gebots im Großen Katechismus erinnern, dass allein derjenige Mensch Gott verehre, der sich alles Guten zu ihm versehe, ihn als sein höchstes Gut, als seine Hilfe, Schutz und Schirm erkenne.649 Abraham bekennt, dass sein Herz ganz an ihm hänge, vertraue und glaube, dass Gott sein vollkommenes Genüge

638 A.a.O., Vorrede, A Ib. 639 Vgl. ebd: „... allein wer recht glaubt / find bey Gott freud vnd sÖne.“ 640 Vgl. a.a.O., Argumentum, A IIa; ‚Musica‘ zum dritten Akt, E VIIIb; Chorus zum vierten Akt, G Va; Beschluß, I VIb. 641 Vgl. a.a.O., Akt III, E VIIIb. 642 Vgl. a.a.O., Akt IV, F VIIIa; Argumentum, A IIIIb. 643 Vgl. a.a.O., Argumentum, A IIb. 644 Vgl. a.a.O., Akt IV, F VIIIa. 645 Vgl. a.a.O., Argumentum, A IIIb; Akt II, C VIIIb. 646 Vgl. a.a.O., Akt III, E VIIIa. 647 A.a.O., Akt V, H Ib–IIa. 648 Im Beschluß, I VIa, heißt es vom Erlöser: „... an Jsaacs statt auffgeopfferet Gott / Sunst keim vertrawt wÄr doch der sey / der ist schon fromm gemacht vnd recht frey.“ 649 Vgl. a.a.O., Akt I, A VIIIa. Vgl. BSLK, S. 560.



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sei.650 Ein weiteres konstitutives Element des Glaubens ist schließlich die Heilsgewissheit, gemäß der der Glaubende, wie Haberer in Aufnahme von Joh 5,24 formuliert, nicht ins Gericht kommen wird.651 An einer Stelle kann er sogar in der mystischen Kategorie der Einwohnung Christi im Glaubenden reden.652 Überdies preist er, nach dem Durchgang durch die Wolke der Zeugen aus Hebr 11 von Abel über Henoch, Noah und Abraham, in Aufnahme des Summariums Hebr 11,33ff, was der Glaube alles bewirkt: Durch ihn hätten die „alten frommen“ Heere besiegt, Gerechtigkeit gewirkt, die Verheißung erlangt, die Kraft des Feuers ausgelöscht, dem Tod seine Macht genommen, ja Tote auferweckt; sie seien großer Gewalt entronnen, hätten Gefahren verachtet, Gefängnis, Geißelung und Tod auf sich genommen.653 Mit der Bitte an Gott, er möge solch großen Glauben verleihen – der Glaube bleibt Gabe Gottes –, schließt Haberer sein Drama.654 Der Glaube konstituiert das rechte Verhältnis des Menschen zu Gott, in ihm besteht die Rechtfertigung des Menschen. Nicht zufällig beginnt die Handlung mit der Szene in Gen 15, in der der glaubende Abraham von Gott für gerecht erklärt wird. Den Glauben, wie er besonders in der Opferungsszene zu Tage tritt, rechnet Gott zur „frommkeit“ an, die er mit der Seligkeit vergilt.655 Aus sich heraus aber ist der Mensch Sünder. Als solcher bekennt sich auch Abraham, wenn er in der Fürbitte für Sodom äußert: „Vns allen gehÖrt zu offne schandt dieweil wirs wol verdienet hand,“656 oder in einem anderen Gebet feststellt: „Weil dann nun vnser hertz vnd gemÜt / verkert vnd stÄtz wider dich wÜt / Vnd das fleisch nimmer mehr mag rein sein / so bitt ich drumb die gÜte dein / Von gantzem hertzen innigklich das du verzeyhest gnedigklich Vnser schwachheit vnd missethat die vnseren leib besudlet hat Mit sÜnd vnd lastren vil vnd schwÄr.“657 Daher verlässt er sich nicht auf seine eigene Gerechtigkeit, die vor Gott eine große Schwachheit ist.658 Haberer wahrt in Bezug auf die in der Verleihung der göttlichen Gerechtigkeit an den Sünder bestehende Rechtfertigung streng das extra nos. Der Glaubende hält dafür, dass Gott seine Gerechtigkeit sei.659 Etwas überraschend, aber durchaus kongruent mit diesem Befund ist die durch die Hagar-Geschichte motivierte Aufnahme der Sara-Hagar-Allegorie aus Gal 4,22–31 im Chorus des vierten Aktes nach der Vertreibung von Mutter und Sohn. Haberer konstatiert, wer dem Gesetz entronnen sei, der werde angenommen, die „werckgenossen“ 650 Vgl. Haberer, a.a.O., A VIIIa–b. 651 Vgl. a.a.O., Beschluß, I VIa. 652 A.a.O., I VIb: „Nun wirt er [sc. Christus] gefunden hie allein in jedes menschen hertzen rein / das jm ergeben gantz vnd gar.“ 653 Vgl. I VIIb–VIIIa. 654 Vgl. I VIIIa. 655 Vgl. a.a.O., Argumentum, A IIIIb. Vgl. Akt I, A Va, wo Gott zu Abraham sagt: „... dein glaub vor mir vil gilt.“ 656 A.a.O., Akt II, D Va. 657 A.a.O., Akt III, D VIa. 658 Vgl. a.a.O., Akt IV, G Ib. 659 Vgl. a.a.O., Beschluß, I VIb.

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hingegen würden ausgeschlossen.660 Er greift damit die reformatorische Lehre von Gesetz und Evangelium auf. Im ‚Beschluß‘ erklärt er im Anschluss an Paulus, dass das Heil auch die Befreiung vom Gesetz einschließe.661 Ist der Glaube die Rechtfertigung des Menschen, so ist für Haberer die notwendige Konsequenz, dass es der Glaube allein ist, dass die Werke vom Rechtfertigungsvorgang ausgeschlossen sind. Im Argumentum wehrt er sich an erster Stelle gegen eine Auffassung, nach der der Mensch das Heil selbst verdiene, solis operibus, durch Erfüllen der Gebote Gottes, und dieses nicht durch Christi Tat erlange, vielmehr des Glaubens entbehren könne.662 Dies zielt auf eine freilich missverstandene, vergröbert dargestellte altgläubige Haltung – sei es dass diese protestantischerseits bewusst oder unbewusst falsch verstanden wurde, sei es dass sie von Altgläubigen selbst vergröbert aufgefasst wurde –, insofern diese bekanntlich nicht das solis operibus, sondern ein ‚fide et operibus‘ vertritt. Während so an dieser Stelle noch offen bleiben muss, ob sich Haberer wirklich das sola fide zu eigen macht, kommt dieses in der Szene der Versuchung durch den Satan deutlicher zum Ausdruck. Dieser hatte Abraham an seine Werke gewiesen: Ihnen könne er vertrauen, sie trösteten ihn, kämen ihm zu Hilfe und könnten die Seligkeit verdienen, was Abraham verwirft.663 In seinem mit vielen biblischen dicta probantia versehenen ‚Beschluß‘ stellt Haberer ausdrücklich das sola fide in den Mittelpunkt.664 Dieses sei der Inhalt seines Stückes, das er mit den Worten zusammenfasst: „Deß jr vil gehÖrt in einer summ wie man wirt fromm / vnd zu Gott kom Allein durch glaub in jn gericht ...“665 Die aufgeführten biblischen Belege Jes 55,1 und Mt 11,28 – in dem Appell an die Hörer übereinkommend, sich ihrem Heil zuzuwenden – heben hervor, dass das Heil umsonst gegeben wird und in der Befreiung von den Sünden besteht. Entsprechend erklärt Haberer im Folgenden, was der Inhalt dieses Glaubens ist: dass Jesus Christus „seinethalben“, d.h. um dessentwillen, der diese Botschaft hört, gekommen ist und „... On vnser thun erworben platz / erlÖßt vom teufel / hell vnd gesatz / Durch seinen todt vnschuldigklich bezalt vnsere sÜnd dÜltigklich.“666 Glaube ist somit nach Haberer eo ipso Glaube an das Christusgeschehen 660 Vgl. a.a.O., Akt IV Chorus, G Va. 661 Vgl. a.a.O., Beschluß, I VIa. 662 Vgl. a.a.O., Argumentum, A IIb. Haberer bedient sich an dieser Stelle und überhaupt in diesem Zusammenhang monetarischer Begrifflichkeit. Die von ihm kritisierte Haltung der Selbstrechtfertigung vermeine den Himmel selbst zu verdienen und mit Münzen zu bezahlen, die man nirgendwo finden könne. Kein Gut, Gold, Silber, Geld kann einen äquivalenten Gegenwert zur himmlischen Herrlichkeit darstellen (a.a.O.). Vgl. auch die Aufnahme von Jes 55,1 im Beschluß, I Vb. 663 Vgl. Akt IV, G Ib. 664 Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 180: „Im Beschluß wird der Sinn des Dramas deutlich gemacht in dem einfachen ‚allein durch gloub‘, das in steter Wiederholung dem Zuschauer eingeprägt wird.“ 665 Haberer, a.a.O., Beschluß, I Vb. 666 I VIa.



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als ein Geschehen pro me. Im Glaubensbegriff eingeschlossen ist ferner die Gewissheit, dass bei der Zueignung des Heils dem Tun des Menschen keinerlei Stellenwert zukommt, dass es kein Verdienst vor Gott gibt. Entscheidend für das Gottesverhältnis ist die Frage von Glaube oder Unglaube. Die Werke, egal wie groß sie sind, spielen dabei keinerlei Rolle. Sie werden nach Haberer vielmehr durch die Haltung, sich durch sie das Heil zu sichern, desavouiert und zu einem „werck der gleißnerey“.667 Das Propagieren des sola fide ist für Haberer von solchem Gewicht, dass er es im ‚Beschluß‘ noch zweimal artikuliert, an der ersten Stelle als Appell gefasst: „Drumb wiß hie mengklich / das allein durch glauben werden die hertzen rein / Vnd ohn glauben sey mÜglich nit / Gott zugefallen nimmer mit.“668 Dies gelte auch für die alttestamentlichen Frommen, deren Werke allein ihr Glaube gut und rein gemacht habe.669 Mehrfach wird der Glaube mit dem Prädikat ‚steif‘ versehen.670 Der ideale Glaube, wie er an Abraham, dem „ebenbild“ des Glaubens671 sichtbar wird, ist für Haberer der feste, nicht wankende Glaube. In Frage gestellt wird dieser Glaube durch die Anfechtung. Unter diesem Begriff wird auch der Befehl, den Sohn zu opfern, ausdrücklich gefasst.672 Abraham aber hält sich in dieser Anfechtung an die Verheißung, insofern er glaubt, Gott werde ihm einen anderen Sohn geben,673 insofern er aufs gewisseste weiß, dass Gott das ihm Verheißene einlöse, „... wol widerumb ein andren son / Oder disen widrumb geben vom todt nehmen vnd machen lÄben.“674 Der Glaube schließt den Glauben an die Auferweckung, an die Macht Gottes über den Tod ein.675 Der Satan versucht, das göttliche Mandat und die göttliche Verheißung auseinander zu reißen und zwei verschiedenen Instanzen zuzuordnen. Abraham sei nicht Gott, sondern ein Geist erschienen, da Gott in seinem Reden und Handeln eindeutig sei.676 Ein solches Mandat stelle die Verwirklichung der Verheißung in Frage, seine Befolgung sei gerade eine Über667 I VIIa. 668 I VIb. Haberer nimmt hier Hebr 11,6 auf, ebenso in der Musica zu Akt III, G VIIIb. 669 Vgl. I VIIa. 670 Vgl. a.a.O., Akt I, A VIIIa; Akt III, E VIb; E VIIIb; Akt V, H Ib; vgl. Akt II, D IIIa. 671 A.a.O., Argumentum, A IIIIb. 672 Vgl. a.a.O., Vorrede, A Ib; Argumentum, A IIIIa. 673 Vgl. Vorrede, A IIa. 674 Argumentum, A IIIIb. 675 Vgl. a.a.O., H IIIIa–Va: In der an Isaak gerichteten Rede, in der Abraham ihm den bevorstehenden Tod mitteilt, begründet er, warum Isaak sterben soll. Er legt dar, Gott gebe und nehme das Leben, er erwecke auch den toten Leib wieder. Im Weiteren hebt er die Vollkommenheit des ewigen Lebens hervor, das derjenige erhalte, der das irdische Leben um Gottes willen verliert, und dringt auf Isaaks Gehorsam. 676 Vgl. a.a.O., Akt IV, F VIIIb–G Ia. Reckling, Immolatio Isaac, S. 54, unterscheidet eine Versuchung des Satans, die auf das Gefühl, die Freude Abrahams an seinem Sohn zielt, und eine, die auf die Vernunft Abrahams gerichtet ist. Der Schwerpunkt liegt aber schon quantitativ deutlich auf letzterer, in der er auch die genannten theologischen Argumente heranzieht.

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tretung des Bundes.677 Im weiteren Verlauf verweist der Satan Abraham auf seine Werke, die ihn trösten und ihm die Seligkeit verdienen könnten, ja es könne ihn kein Unglück mehr berühren.678 Die in diesen Äußerungen zum Ausdruck kommende Werkgerechtigkeit und securitas lehnt Abraham entschieden ab und vertreibt den Satan. Er gibt kund, sich nicht auf seine eigene Gerechtigkeit zu verlassen. Was immer Gott befehle, er zweifle nicht an dessen Zusage.679 Abraham hält also an der ursprünglichen Verheißung, an dem ersten Wort Gottes fest und bleibt in seinem Glauben trotz Befolgung des Mandates fest. Das eigentliche Haberer umtreibende Problem ist jedoch, wie erwähnt, das des Verhältnisses von Glaube und Werken bzw. die rechte Einordnung der aus dem Glauben hervorgehenden Werke und nicht zuletzt das Evozieren solcher Werke aus dem Glauben. Selbst das Tischgebet des Knaben Becher kulminiert darin, dass Speise und Trank dazu gegeben würden, „... Dass wir zu guten wercken all geschickt bleiben...“680 Nach Haberers Auffassung vollbringt der Glaubende Gottes Werk und Gottes Willen, hält seine Gebote. Diese Feststellung ist ihm so wichtig, dass sie im Druck am Rande extra hervorgehoben ist.681 Entsprechend soll sich jeder im wahren Glauben üben und Gott gehorsam sein. Die Eltern werden ermahnt, dass sie in dieser Weise ihr Kind unterweisen, dann werde Gott dessen Freund sein. Ebenso ermahnt er die Kinder, den Eltern gehorsam, gottesfürchtig, fromm, still und züchtig zu sein, Sünde, Hoffart und Neid zu vermeiden und Liebe gegen einander zu üben.682 Im Argumentum grenzt Haberer sich nicht nur gegen das Missverständnis, das Heil werde allein durch Werke erlangt, ab, sondern auch gegen eine Einstellung, die sich auf den Glauben berufe, in der aber der Glaube nicht im Herzen verwurzelt sei, weil man nicht der Stimme Gottes folge. In diesem Fall kann nach Haberer der klare Schluss gezogen werden, dass nur ein Wahn von Glaube vorliege, der Glaube des Teufels aus Jak 2.683 Wie die Werkgerechtigkeit, so meint er, so müsse auch diese Haltung an Gott scheitern, sie könne mitnichten die Seligkeit erlangen. Im Blick dürfte ein äußerliches Christentum sein, bei dem man unter dem Vorwand des Glaubens seine eigenen Ziele weiterverfolgt. Mit seiner Auslegung folgt Haberer Zwinglis Genesis-Kommentar, der gleichfalls zu Gen 22,15–17 unter Aufnahme von Jak 2 vor einem heuchlerischen Christentum warnt.684 677 Vgl. ebd. 678 Vgl. Haberer, a.a.O., G Ib. 679 Vgl. ebd. 680 A.a.O., Akt II, D Ia. 681 A.a.O., Beschluß, I VIb: „Welcher in Gott glaubt der thut das werck vnd den willen Gottes. Wer glaubet haltet Gottes gebott.“ 682 Vgl. I VIIa. 683 Vgl. Argumentum, A IIIa. 684 Vgl. Zwingli, Farrago, CR 100,152. – Dass hier Jak 2 ins Spiel kommt, ist typisch für die reformierte Auslegung von Gen 22 und damit auch ein konfessionsunterscheidendes Moment. Vgl. dazu Daniel Bolliger, Dramatisches Symbol konfessioneller Grundhaltungen zwischen Glaube und Politik. Die Opferung Isaaks in frühen reformierten Auslegungen von Huldrych Zwingli bis Jean Crespin, in: Steiger – Heinen (Hrgg.), Isaaks Opferung, S. 282ff.



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Es stellt sich die Frage, ob hier nicht wieder das Heil konditioniert wird, mithin das sola fide im Nachhinein in Frage gestellt wird. Allerdings ist Haberer der Auffassung, dass in diesem Fall gar kein Glaube vorliegt, insofern eben der Glaubende Gottes Gebote erfüllt. Darin dass der zur Lösung der Versuchung erscheinende Engel den Gehorsam Abrahams bzw. die Tatsache, dass er der Stimme Gottes gefolgt ist, als ausschlaggebend für die Erneuerung der göttlichen Verheißung herausstellt, folgt Haberer dem biblischen Text. Dieser Gehorsam wird um so größer gewertet, als Isaak beim Vater um sein Leben gefleht hätte, Abraham aber nicht den mit dem Tod des Sohnes für ihn gegebenen „grimm“ beachtet hätte.685 So sehr Haberer freilich auf Werke dringt, so sehr er nicht ganz unproblematische Formulierungen bietet – etwa in der ‚Musica‘ zu Akt III, wo es in der fünften Strophe heißt, dass bei Gott nur Glaube und Liebe gelten, oder stärker noch in der Formel aus dem Argumentum, nach der wer in den Himmel kommen wolle, einen solchen Glauben haben müsse, der kräftig tätig sei686 – dies bleibt stets eingebunden in die Lehre der Rechtfertigung sola fide. Deutlich wird dies wiederum an der ‚Musica‘ zu Akt III, wo die Strophen zwei und vier erläutern, dass der Glaube selig macht.687 Kräftigstes Zeugnis des sola fide aber bleibt der ‚Beschluß‘, der die Lehrpunkte des Dramas zusammenfasst, dabei dreimal auf das sola fide verweist und zugleich die Forderung nach dem Hervorbringen von Werken einrahmt, sodann mit der Feststellung, dass der Glaube der „alten frommen“ allein ihre Werke gut gemacht hätte, zur Wolke der Zeugen überleitet, um sachgerecht in die Bitte um den Glauben zu münden.688 Damit aber ist Haberers Drama als Zeugnis genuin reformatorischer Theologie zu werten. Konfessionelle Polemik findet sich in diesem Drama nur in sehr geringem Maße. In Akt I äußert Beemoth über Hagar: Sie „... thut eim man nit weit fliehen / Besonder im BarfÜsser orden.“689 Mit Banholzer ist in dieser Bemerkung ein Seitenhieb auf die Bettelmönche zu sehen, die hier als gegenüber sexuellen Freuden durchaus nicht abgeneigt karikiert werden.690

685 Vgl. Haberer, a.a.O., I IIIIa. 686 Vgl. a.a.O., E VIIIb, A IIb. 687 Vgl. E VIIIb. 688 Der Beschluß beginnt I Vb mit dem sola fide („... wie man wirt fromm / vnd zu Gott kom Allein durch glaub in jn gericht ...“), das I VIb wiederholt wird („Drumb wiß hie mengklich / das allein durch glauben werden die hertzen rein ...“). Es folgt die Feststellung, dass der Glaube Werke tut (ebd.) nebst der Aufforderung zum Gehorsam und zur entsprechenden Erziehung, um dann aber I VIIa in die Aussage zu münden: Wer Gott nicht fürchte, vertraue, glaube, der werde des wahren Erbes beraubt, wobei auch kein Werk der „gleisnerey“ helfe, denn alle alten Frommen hätten durch Glauben Zeugnis bekommen, dass ihr Glaube allein ihre Werke gut gemacht hätte. Die Bitte um den Glauben I VIIIa schließt die nun folgende Wolke der Zeugen ab. – Vgl. Michael, a.a.O., S. 180. 689 Haberer, a.a.O., B IIIa. 690 Vgl. Banholzer, a.a.O., S. 33. – ‚Besonder‘ ist hier als Adverb mit ‚vorzüglich‘, ‚besonders‘ wiederzugeben.

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Für ein vollständiges Bild von Haberers Drama sei zuletzt die Frage aufgegriffen, ob reformierte Propria in diesem Stück aus dem Aargau erkennbar sind. Neben der eben erwähnten Aufnahme von Jak 2 könnten an zwei Stellen solche Elemente angedeutet sein. So ist zweimal von der Erwählung die Rede: „... glÜckhafft all kindt / in deim sam zelt / ist schon erwelt.“691 Abraham weiß sich als „außerwelt“.692 Bedeutsamer ist, dass der Beschneidungsszene – zu ihr kommt die ‚ganze Gemeinde‘ zusammen693 – in Haberers Drama im Unterschied zu sämtlichen anderen Dramen erhebliche Relevanz eingeräumt wird. Hintergrund dieser Entscheidung Haberers ist die Auseinandersetzung mit den Täufern um die Praxis der Kindertaufe. Dagegen argumentierte bereits die frühe reformierte Theologie mit dem Hinweis auf die für das Alte Testament obligate Beschneidung der männlichen Säuglinge des Gottesvolkes. Zwingli leitete seine Verteidigung der Kindertaufe seit 1524 auch von der Beschneidung des alten Bundes her.694 Ebenso wird später der Heidelberger Katechismus in Frage 74 unter Berufung auf die Beschneidung die Legitimität der Kindertaufe verteidigen.695 Auch in Gesprächen mit Täufern, etwa 1538 in Bern, wurde die Praxis der Kindertaufe unter Berufung auf die Einsetzung der Beschneidung in Gen 17 verteidigt.696 Bei Haberer wird entsprechend implizit gegen die Täufer argumentiert, wofür auch der erwähnte Klerikalismus – der Priester vollzieht die Beschneidung, nicht Abraham selber – spricht. Zwar sind die Täufer in Lenzburg selbst erst in den siebziger Jahren hervorgetreten, doch waren ihre Aktivitäten seit ihrer Separation in Zürich 1525 in der Schweiz ein akutes Thema.697 Haberer gestaltet die Beschneidungszeremonie in deutlicher Analogie zur Taufzeremonie. So werden Paten bestellt, die für die Kinder, die noch keinen Verstand haben, das Versprechen ableisten, das Kind im Glauben an Gott und zu Gehorsam gegen ihn zu erziehen, es entsprechend zu ‚lehren‘, dass es Gott fürchte und dem Fleisch absterbe.698 Die Beschneidungsformel besteht aus einem Satz, der eine Geistverleihung zum Ausdruck bringt.699 Schließlich ist die Beschneidung mit der Namengebung verbunden. Gewichtig ist, dass die Bedeutung 691 Haberer, a.a.O., Chorus zu Akt V, I Va. 692 A.a.O., Akt III, E IIa. 693 Vgl. a.a.O., E Va. 694 Vgl. Peter Stephens, Zwingli. Einführung in sein Denken, Zürich 1997, S. 110. – Die Begründung der Kindertaufe mit dem Beschneidungsgebot bietet Zwingli auch in seinem Genesis-Kommentar, der Farrago von 1527, zu Gen 17,10f., CR 100, 105f.: Wie die Kinder Abrahams sub pacto waren, so auch die Kinder der Christen; daher kann ihnen auch das symbolum pacti nicht verweigert werden; es wird ihnen ex pacto geschuldet (debetur). 695 Vgl. BSKORK, S. 166,25–29. 696 Vgl. Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz. Vierter Band. Drei Taufgespräche, hrg. v. Martin Haas, Zürich 1974, S. 347, wo vom „ußwenndigen zeichenn der beschnidung“ die Rede ist; vgl. ferner S. 351. 365. 697 Vgl. Siegrist, Lenzburg im Mittelalter und im 16. Jahrhundert, S. 213. 698 Vgl. Haberer, a.a.O., Akt III, E VIa. 699 Vgl. E VIb.



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der Beschneidung hauptsächlich in einer Inbeschlagnahme gesehen wird.700 Ihr Sinn ist, dass das Herz von Bosheit und Abgötterei beschnitten wird, dass „... wir mÜssen werden andre menschen hie auff erden / Vnd absterben fleischlichem lust ...“701 Könnte die zitierte Formulierung Haberers als bloßer Imperativ aufgefasst werden, so zeigt die eigentliche Beschneidungsformel, dass auch mit einem innerlichen Werk Gottes am Menschen gerechnet wird: „Jsaac der Herr Gott Israel der beschneide gleich dein hertz vnd seel / Wie ich eusserlich beschneid dein fleisch das du werdest ein kind des geist.“702 Aus dieser Formel erhellt, dass Haberer in Hinsicht auf die Beschneidung innere und äußere Ebene unterscheidet, wie Zwingli es für die Taufe tut. Die innerliche Beschneidung wird als Tun Gottes am bzw. im Menschen verstanden, als Besitznahme durch den Geist Gottes. Dies wird von der äußeren Beschneidung hingegen nicht gesagt. Die Formel, konjunktivisch gehalten, impliziert auch nicht, dass beide, innerer und äußerer Akt zugleich erfolgten, so dass Gott mit seiner inneren Beschneidung an die äußere Beschneidung gebunden wäre. Auch darin folgt Haberer also Zwinglis Taufverständnis, nach dem die heilsnotwendige inwendige Geisttaufe durch Gott – von ihm umschrieben als eine Erleuchtung, ein inneres Lehren durch Gott, ein Ziehen Gottes, ein Erweichen der Herzen, was dazu führt, dass der Mensch glaubt und Gott anhängt – nicht an die äußere Taufe, die als menschlicher Akt gesehen wird, gebunden ist.703 700 Vgl. E Vb, wo Melchi den Sinn der Beschneidung erklärt: „… Vnd bey diser beschneidung vernemen warumb sey vns Gott hab geben / Nemlich das wir sein einig volck sollen sein vnders himmels wolck Allzeit heilig / gerecht / fromm vnd rein / in vnschuld dienen jhm gemein / Vertrawen vnd vns an jn lan / trost / hoffnung in kein andren han Jn fÖrchten / lieben vnd verehren / aller sÜnd / anfechtung wehren. Wann wir dann so halten sein gebott so wÖlle er sein vnser Gott ...“ 701 Ebd. – Auch hier ergeben sich Parallelen zu Zwinglis Erklärung der Beschneidung, die für diesen Ermahnungscharakter hat und das Subjekt erinnert, dass ihm Buße, Reinigung, Tötung des Fleisches und Abschneiden der Affekte („amputandos esse adfectus ex corde“) aus dem Herzen aufgegeben sind. Das Gleiche gilt nach Zwingli für die Taufe; vgl. Farrago zu Gen 17,10f., CR 100,107. In ähnlicher Weise äußert sich aber auch Calvin in seinem Genesis-Kommentar über den Sinn der Beschneidung: Die von ihr an den Tag gebrachte Verderbnis der Natur führe die Menschen zur Abtötung des Fleisches. Von daher sei die Beschneidung ein Symbol der Buße; vgl. CR 51, 241. 702 Haberer, a.a.O., E VIa. 703 Zur Geisttaufe bei Zwingli vgl. besonders den ‚Commentarius de vera et falsa religione‘, CR 90, 764,25–27.34–37; 765,1f., und seine Schrift ‚Von der Taufe, von der Wiedertaufe und von der Kindertaufe‘, CR 91, 219,29–31; 220,28f.; 221,4f.; 225,4–226,5, bes. 225,20–23.26.28–31. Von der äußeren Taufe aber gilt nach Zwingli (CR 91, 224,25f.), „... das an gheinem usseren touff das heyl stat.“ Die Wassertaufe ist „... ein cerimonisch zeichen ..., an das die säligheit nit gebunden ist.“ Vgl. a.a.O., 224,1. Innere und äußere Taufe bedingen nicht einander, müssen nicht zusammen laufen; vgl. a.a.O., 224,29f. Entsprechend ist das äußere Zeichen auch nicht zur Festigung des Glaubens gegeben; vgl. a.a.O., 226,31ff. Zu Zwinglis Taufauffassung vgl. Peter Stephens, a.a.O., S. 113. Die Entwicklung von Zwinglis Tauflehre, auf die Stephens eingeht, kann hier außer acht bleiben. – Anders akzentuiert der Heidelberger Katechismus in dieser Frage. Zwar werden auch hier innere und äußere Ebene unterschieden, doch werden beide nicht auseinandergerissen, sondern parallel

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Trotz der Behauptung einer Notwendigkeit einer inneren Beschneidung bzw. Geisttaufe durch Gott misst Haberer der mit der äußeren Beschneidung bzw. Taufe eingegangenen Verpflichtung erhebliche Bedeutung zu. Zum einen steht auch dahinter sicher die Absicht, den Täufern entgegenzutreten und ihrer Kritik an der Unverbindlichkeit des Kirchenwesens den Wind aus den Segeln zu nehmen. Zum andern war aber die Frage nach einem verbindlichen Christentum ein auch innerhalb des reformierten Kirchenwesens diskutiertes Thema. So setzte sich in Lenzburg Gervasius Schuler für eine rigorose Kirchenzucht ein. Mit den Zuständen seiner Gemeinde war er nicht zufrieden, auch die Berner Haltung in dieser Frage war ihm zu lax.704 Ungeachtet der Urteile von Baechtold und Schmitz hat Haberer ein bedeutsames Drama verfasst, in dem sich die reformatorische Theologie und darin noch einmal die Theologie Zwinglis deutlich widerspiegelt. Es zeigt als Autor einen theologisch gebildeten Nichttheologen und zeugt von dessen intensivem Umgang mit der Bibel. Hervorzuheben ist auch sein unpolemischer Charakter. All dies trägt dazu bei, dass das Drama ohne Zweifel dem von seinem Verfasser intendierten katechetischen Zweck in, nach seinen Maßstäben angemessener Weise nachkommen konnte.

6. Georg Rollenhagen, Abrahams Leben und Glauben (1569) Abraham. Des Ertzvaters Abrahams leben vnd glauben / Der Jugend in Schulen vnd Geselschafften zu vnterricht vnnd zu nÜtzlicher Christlicher vbung / in eine kurtze richtige Action oder Spiel gefasset / vnnd in Druck verordenet / Durch Georgen Rollenhagen von Beren Awe. Gedruckt zu Hildesheim / Durch Andream Hantzsch. Anno 1603 [Exemplar Wolfenbüttel] – Erstveröffentlichung Magdeburg 1569 Georg Rollenhagen705 wurde 1542 in Bernau bei Berlin als Sohn eines Tuchmachers, Landwirts und Bierbrauers geboren, der allerdings schon ein Jahr später starb, was im Zusammenhang einer schnellen Eheschließung seiner Mutter zur Folge hatte, dass er durch seinen Großvater erzogen wurde. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Prenzlau folgte ein sehr bewegtes Leben. Er ging er über Magdeburg, Wittenberg, wo er Melanchthon predigen hörte, Leipzig und Halle nach Mansfeld, wo er kurz als Hauslehrer tätig war. 1559 nahm ihn das Magdeburger Gymnasium als Schüler auf. Ein Jahr später wurde er an der Universität Wittenberg immatrikuliert. Dort studierte er bei den Theologesetzt. Dem äußeren Zeichen gilt, so gewiss es nur äußeres Zeichen ist und nichts im Inneren bewirkt, noch Gott nötigen kann, doch dessen Verheißung; vgl. die Fragen 69 und 73, BSKORK, S. 165,11ff; 166,11ff . 704 Vgl. Neuenschwander, a.a.O., S. 113. 705 Zu Leben und Werk Rollenhagens vgl. Dietmar Peil, Georg Rollenhagen, in: Füssel (Hrg.), Deutsche Dichter der frühen Neuzeit, S. 561–574. Vgl. ferner Ernst Bernleithner, Humanismus und Reformation im Werke Georg Rollenhagens, Diss. phil. (Masch.) Wien 1954.



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gen Paul Eber, Georg Major und Caspar Cruciger, ferner hörte er Johann Major zur lateinischen Poetik und Dichtung sowie den Mediziner Caspar Peucer. Er befasste sich auch mit Naturkunde und anderen Wissenschaften.706 1563 übernahm er das Rektorat der Johannisschule in Halberstadt, 1565 ging er jedoch nach Wittenberg, wo er 1567 zum Magister artium promoviert wurde. Im gleichen Jahr wurde er als Prorektor an das Magdeburger Gymnasium berufen. Im Jahre 1575 erhielt er das Amt des Rektors des Gymnasiums, „... das unter seiner Leitung zur bekanntesten und größten protestantischen Gelehrtenschule in Deutschland wurde; zeitweise besuchten 1600 Schüler die Anstalt.“707 Alle Berufungen in andere Städte lehnte Rollenhagen ab, so dass er über 40 Jahre an der Magdeburger Schule wirken konnte. 1573 übernahm er zusätzlich das Amt des Predigers am Stift St. Sebastian. Er starb 1609. Rollenhagen verfasste zahlreiche Werke verschiedener Art. Die meisten stehen – wie auch seine geistlichen Dramen – im Zusammenhang seiner Schultätigkeit. So schrieb er eine Gymnasialpädagogik und eine Studienordnung ‚De studiis recte instituendis‘. Ebenso fertigte er Übersetzungen von Schulbüchern an. Er übersetzte die Grammatik des Donatus ins Deutsche. Von der Ilias und der Odyssee erstellte er Teilübersetzungen ins Lateinische. Ferner verfasste er eine lateinisch-deutsche Lesefibel. Darüber hinaus schrieb er einen Dialog ‚De versutia rusticorum‘ als Fastnachtsvortrag sowie drei, wichtige Ereignisse berichtende und kommentierende Chroniken aus den Jahren 1589/90. Wie Peil für Rollenhagens Haltung in diesen Werken feststellt, „... macht er aus seiner Abneigung gegen die katholische Kirche und den Papst, aber auch gegen Calvinisten und Schwärmer, keinen Hehl.“708 Das Gleiche belegt auch die einzige erhaltene Predigt Rollenhagens über die Himmelfahrt Jesu, die schwerpunktmäßig vom Abendmahl handelt,709 also eine kontroverstheologische Frage aufgreift. Diese Texte dokumentieren, dass Rollenhagen sich als orthodoxer Lutheraner verstand. Sein bekanntestes Werk ist aber das Tierepos ‚Froschmeuseler‘, eine volkstümliche Bearbeitung der pseudo-homerischen Batrachomyomachia mit Moralsatire und Kritik am geistlichen und weltlichen Regiment.710 Georg Rollenhagen gilt als einer der profiliertesten protestantischen Schuldramatiker der Zeit. Unter ihm nahm nicht nur das Gymnasium, sondern auch das dortige Schultheater einen gewaltigen Aufschwung. Seine Tätigkeit als Dramatiker ist in engem Zusammenhang mit seinem schulischen Wirken zu sehen. Nach den Magdeburger Schulstatuten aus dem Jahre 1553 wurde zweimal im Jahr ein Stück aufgeführt, einmal ein

706 Vgl. Peil, a.a.O., S. 561. 707 Vgl. a.a.O., S. 561f. 708 Vgl. Peil, a.a.O., S. 562, der an dieser Stelle Ernst Bernleithner, a.a.O., S. 90–92, aufnimmt. 709 Vgl. Bernleither, a.a.O., S. 95ff. 710 Zum ‚Froschmeuseler‘ vgl. Richard Newald, Die deutsche Literatur vom Späthumanismus zur Empfindsamkeit 1570–1750, München 1951, S. 54f.

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lateinisches, das andere mal ein deutsches.711 Neben deutschen Inhaltsangaben zu den Komödien des Terenz verfasste Rollenhagen drei geistliche Dramen in deutscher Sprache: den hier behandelten ‚Abraham‘ (1569), einen ‚Tobias‘ (1576) und einen ‚Lazarus‘ (1590). In all diesen Werken griff Rollenhagen auf bereits vorliegende ältere Dramen zurück. Allerdings übernahm er sie nicht einfach, sondern überarbeitete sie selbständig, insbesondere im Hinblick auf die Bedürfnisse seiner Schule.712 So vermehrte er die Rollen, da es sein Ziel war, möglichst viele Schüler an den Aufführungen zu beteiligen. Für seinen ‚Tobias‘ bildete das Drama des österreichischen Schuldramatikers Thomas Brunner die Vorlage. Für den Vorwurf vom reichen Mann und vom armen Lazarus griff er auf die Bearbeitung durch den Braunschweiger Rektor und nachmaligen Magdeburger Prediger Joachim Lonemann zurück, der wiederum den ‚Lazarus mendicus‘ des Niederländers Georg Macropedius zur Grundlage hatte.713 Richard Newald attestiert dem Schulhumanismus Rollenhagenscher Prägung, er habe seine räumliche Einengung und Beschränkung auf die Gebildeten verloren und sei eine feste Bindung mit der Unterhaltungslektüre des Stadtbürgertums eingegangen. Auf diese Weise habe er Schuldrama und Volksschauspiel verbunden. Sein dramatisches Wirken sei von einem demokratischen Zug geprägt. Es verbinde den Zug in die Weite mit einem geschlossenen, moralisch gefestigten Weltbild in Form der häuslichen bürgerlichen Tugenden.714 Durch die Stoffwahl der drei Dramen sieht Newald diese Ausrichtung auf bürgerliche, häusliche und zeitnahe Verhältnisse bestätigt. Aufgeführt wurden die deutschen Dramen – im Unterschied zu den lateinischen, die einer internen Aufführung vorbehalten blieben – öffentlich auf freiem Platze.715 Rollenhagens Abraham – nach Bernleithner verdankt er sich allein dem Bedarf nach einer Schulaufführung und nicht den literarischen Ambitionen des Verfassers716 – wurde erstmals 1569 aufgeführt und im gleichen Jahr zum ersten Mal gedruckt. Das Stück stammt somit aus der frühen Phase seiner Wirksamkeit an der Magdeburger Schule. Allerdings stellt es bereits eine Überarbeitung eines anderen, von ihm während seiner Zeit an der Schule in Halberstadt um 1563/64 konzipierten Dramas dar.717 In der Widmung 711 Vgl. Peil, Georg Rollenhagen, S. 562. Vgl. Vormbaum, Bd. 1, S.418, wo von den ‚Markttagen Mauricii‘ die Rede ist, an denen eine lateinische Komödie aufgeführt werden soll, und von den ‚Markttagen der Septuagesima‘, an denen eine deutsche Komödie oder Tragödie zur Aufführung gebracht werden soll. Lateinische und deutsche Aufführungen sollen einander abwechseln. – Eine Zusammenstellung der bekannten Aufführungen des Magdeburger Gymnasiums bietet Bernleithner, a.a.O., S. 121f. 712 Vgl. Peil, a.a.O., S. 563. 713 Vgl. dazu Johannes Bolte, Quellenstudien zu Georg Rollenhagen, in: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse 1929, S. 676f. 714 Vgl. Newald, a.a.O., S. 53. 715 Vgl. ebd. 716 Vgl. Bernleithner, a.a.O., S. 127, der dies für die Halberstädter Aufführung konstatiert. 717 Vgl. Rollenhagen, a.a.O., A IIIIb; vgl. dazu Peil, ebd., und Bolte, a.a.O., S. 669.



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erklärt er, er habe in Halberstadt eine gedruckte Komödie von der Opferung Isaaks aufführen wollen, habe diese aber – allgemein wird vermutet, es handele sich um die 1543 in lateinischer Sprache erschienene und ein Jahr später ins Deutsche übersetzte ‚Immolatio Isaac‘ des altgläubigen Dramatikers Hieronymus Ziegler – für den von ihm vorgesehenen Zweck „accomodiren“ müssen. Als Gründe nennt er die Kürze des Stückes, die zu geringe Zahl der Personen und das aus seiner Sicht ungebräuchliche Deutsch der Übersetzung.718 Entsprechend erklärt er, für die Halberstädter Aufführung, Materie, Personen und Sprache des Dramas geändert zu haben. Für die Aufführung in Magdeburg, die gemäß der Schulordnung von 1553 im Februar anzusetzen ist,719 unterzog Rollenhagen das Werk einer erneuten, nach eigenen Aussagen radikalen Überarbeitung. Er habe, so die Widmungsrede, „... alles von newen retexiret vnnd wenig reime ausgenommen / gantz vnd gar geendert ...“720 Angesichts dieser doppelten Überarbeitung des mutmaßlich Zieglerschen Dramas stellt sich die Frage, was von diesem Drama noch in Rollenhagens Stück übrig geblieben ist. Insofern Ziegler dem alten Glauben anhing, wäre es reizvoll zu untersuchen, ob und wie Rollenhagen es von reformatorischen Positionen aus modifiziert hat – vorausgesetzt, dass die altgläubige Position in Zieglers Stück entsprechenden Ausdruck gefunden hat. Nach Boltes Untersuchung kann man ab dem dritten Akt von einer Benutzung Zieglers durch Rollenhagen sprechen, die sich bis zum fünften Akt erstrecke. Dabei sei allerdings zu berücksichtigen, dass in diesen Akten die Personen ausführlicher redeten als bei Ziegler und zudem neue Auftritte eingeschoben worden seien. Für wörtliche Entlehnungen ganzer Verse aus Zieglers Stück fänden sich hingegen keine Belege.721 Auch Bernleithner sieht kaum Parallelen in Bezug auf die Komposition und die formale Gestaltung beider Dramen. Rollenhagens Drama habe einen ganz anderen Aufbau; lediglich der vierte Akt Zieglers könnte Rollenhagen als Vorlage gedient haben. Alle anderen Gemeinsamkeiten ergäben sich aus der gemeinsamen biblischen Grundlage.722 Obwohl er die Frage berührt, warum man angesichts dieses Befundes überhaupt auf Zieglers Drama als mögliche Vorlage gekommen sei, hält er dies doch für plausibler als die Benutzung eines anderen Stückes. Dass kaum Spuren dieses Stückes zu finden seien, erklärt er mit der mehrmaligen Umarbeitung der Vorlage, die das Original nicht mehr erkennen lasse.723 In ähnlicher Weise kommt Reckling zu dem Urteil, die Magdeburger Fassung von Zieglers Stück habe kaum noch etwas mit Zieglers Stück gemein.724 Nun wird der Befund freilich noch komplizierter dadurch, dass Rollenhagen eine weitere Vorlage benutzt hat, 718 Vgl. Rollenhagen, a.a.O., A IIIIb; vgl. Bolte, ebd. 719 Vgl. Vormbaum Bd. 1, S., 418. 720 Vgl. Rollenhagen, a.a.O., A Va. 721 Vgl. Bolte, a.a.O., S. 671. 722 Vgl. Bernleithner, a.a.O., S. 127f. 723 Vgl. ebd. 724 Vgl. Fritz Reckling, Immolatio Isaac, Münster 1962, S. 141.

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nämlich das oben besprochene Abraham-Drama des Elsässers Jakob Frey,725 das von Rollenhagen selbst allerdings auch nicht genannt wird. Nach Wolfgang F. Michael hat Rollenhagen weite Teile sogar wörtlich aus Jakob Freys Drama übernommen.726 Für Bolte stellt sich der Befund etwas differenzierter dar. Danach hat Rollenhagen von Frey die Aufnahme des Aufenthaltes Abrahams bei Abimelech und den Besuch Lots im ersten bzw. zweiten Akt übernommen. Auch die Konzeption der übrigen Akte verdanke sich wesentlich Frey, so dass dessen Stück hinsichtlich des Ganges der Handlung die Vorlage bilde. Jedoch bemerkt Bolte in Bezug auf den Umgang Rollenhagens mit Freys Drama auch deutliche Erweiterungen.727 Reckling ist der Auffassung, Rollenhagen folge in seinem Stück weitgehend dem Drama Freys.728 Bevor ein endgültiges Urteil in dieser Frage gefällt werden kann, sei zunächst Inhalt und Verlauf von Rollenhagens Drama vorgestellt, der mit der Benutzung von nur drei der fünfzehn Abraham gewidmeten Kapitel des Buches Genesis „gleichsam einen Querschnitt durch Abrahams ‚Leben und Glauben‘ geben“ will.729 Dem Drama vorgeschaltet sind eine Chronologie Abrahams (A Ib), die Widmungsrede (A IIa–Vb), das Personenverzeichnis, die Vorrede (A VIIIa–B Ia) und das Argumentum (B Ib–IIIa), in dem die Handlung und deren Vorgeschichte von der Berufung Abrahams aus einer Welt der Abgötterei und falschen Lehre geschildert wird. Das Drama besteht aus fünf jeweils mit einer Summa versehenen Akten, in denen vierzig redende Personen auftreten, dazu etliche personae mutae. 730 Zwischen dem vierten und dem fünften Akt, sonst allerdings nicht, wird durch den Hinweis „canitvr tibiis“731 auf eine gesangliche Begleitung bzw. Beteiligung des Publikums aufmerksam gemacht. Die Handlung beginnt mit der Episode von Abrahams Aufenthalt im Gebiet des Königs Abimelech (Gen 20). Neben einem Rückblick auf die Zerstörung Sodoms und die Rettung Lots bilden 725 Vgl. Peil, Georg Rollenhagen, S. 563. 726 Vgl. W.F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Berlin u.a. 1984, S. 113: „Sein Abraham ist nicht nur weitgehend eine Adaption des lateinischen Dramas von Hieronymus Ziegler, sondern Rollenhagen übernimmt auch vielfach Zeile auf Zeile ein Drama von Jakob Frey.“ 727 Vgl. Bolte, a.a.O., S. 672f. 728 Vgl. Reckling, a.a.O., S. 141. 729 Bernleithner, a.a.O., S. 130. 730 Das Personenverzeichnis (A VIb–VIIb) umfasst folgende Personen: drei Personen, die Vorrede, Argumentum und Beschluß sprechen; fünf Personen, die die Summen der einzelnen Akte sprechen; dann die Dargestellten: Abimelech; die Narren Evil und Claus; Doeg, Nabon, Chasid (königliche Räte Abimelechs); den jungen Edelmann Zedon, den Feldobersten Pichol, den Kammerjunker Malach aus Abimelechs Gefolge; dazu etliche Trabanten und Hofgesinde wie Nabal; ferner Knechte und Mägde, die Abraham von Abimelech zum Geschenk gemacht werden, wovon Abed, Schimeon und der ‚Reuterknecht‘ Scophel sprechende Rollen sind; den Engel Abrahams; den Engel Lots; Abraham; Lot; die Knechte Abrahams Eliezer und Caldaeus; den Engel Saras; den Engel Hagars (Agars); Sara; Hagar; Ismael; Isaac; die Mägde Saras Martha, Schiphchah, Boselah und Amah; Gott; die Erzengel Michael und Raphael; Satan. Der Satan ist mit einem „MÜnchischen GÜrtel“ versehen. 731 Vgl. H VIIa.



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die Geschichte von Hagar und Ismael und von der Bindung Isaaks den Gegenstand der Handlung. Die beiden letzten Akte sind dabei durch die Geschichte von der Opferung Isaaks belegt. Der erste Akt verfügt über acht Szenen und schildert die Ereignisse bei Abimelech nach dessen Traum. Die erste Szene stellt die Beratungen der Räte mit Abimelech dar, die zweite den Rat des Narren Evil. In der dritten Szene holt der Kammerjunker Malach Abraham. In der vierten Szene tritt Abraham vor Abimelech und seinen Hofstaat, in der folgenden holen die Räte Sara herbei. Die sechste Szene stellt dar, wie Abraham etliche Knechte als Geschenk erhält, die ihm in der siebenten Szene Treue geloben. Er spricht ein Gebet. Abgeschlossen wird der Akt durch ein Gespräch des Narren Evil mit Nabal, einem Knecht Abimelechs. Der zweite Akt – er besteht lediglich aus drei Szenen – beschäftigt sich mit der Person Lots. Er beginnt mit einer langen Rede Satans, der sich dem Publikum vorstellt und erklärt, wie er die Leute – auch heute – verführe. Die Rede endet mit einem Rückblick auf die Zerstörung Sodoms. In der zweiten Szene tritt Lot auf, der in einem Gebet für seine Rettung dankt, obwohl auch er sich als Sünder wahrnimmt. Er gibt kund, dass Gott sich jedes Sünders annehme, der bei dem verheißenen Messias seine Zuflucht suche. Die dritte Szene hat einen Besuch Lots bei Abraham zum Gegenstand. Abraham berichtet von der Begegnung mit den drei Männern, wobei er darin Gott selbst in menschlicher Gestalt erkennt – eine Präfiguration der Inkarnation. Lot erzählt vom Unheil Sodoms und seiner Errettung. Der dritte Akt hat mit seinen sieben Szenen die Hagar-Geschichte aus Gen 21 zum Gegenstand. In der ersten Szene klagt Sara über Hagar und Ismael, über die Verspottung Isaaks und bittet Abraham, Hagar wegzuschicken. Abraham hält dies zunächst für eine Intrige des Teufels, doch ergeht sogleich die Weisung Gottes in der Sache, der er sich gefügig zeigt. Die zweite Szene enthält gegenüber allen anderen Stücken ein Besonderes: Der Satan will sich die Hagar-Krise zu Nutze machen, die Ehe Abrahams und Saras zu zerstören. In der dritten Szene erfolgt die sehr emotional gestaltete Austreibung Hagars mit ihrem Jungen. Die vierte Szene beinhaltet ein Gebet Abrahams, der Fürbitte für Hagar hält und um Trost für sich bittet. Die fünfte Szene spielt in der Wüste, wo Satan Hagar versucht, dass sie den hungernden und durstenden Ismael töte und anschließend sich selbst umbringe, wozu er ihr ihre Schuld Sara gegenüber vor Augen malt. Hagar fleht zu Gott, dieser möge seiner Zusage gedenken. Die sechste Szene bringt das rettende Eingreifen des Erzengels Raphael, während in der siebenten Szene Evil einen Kommentar zur Hagar-Geschichte abgibt: So solle es allen Mägden ergehen, die ihre Herren und Frauen für Narren hielten. Mit dem vierten Akt erscheint das Thema der Opferung Isaaks. Die erste der sieben Szenen bringt kontrastreich nach einem Lob Gottes – Abraham preist ihn für die baldige Geburt des Messias – den Opferbefehl, der Abraham erst schweigen, dann einwilligen lässt. In der zweiten Szene tritt wiederum der Satan auf, nachdem Abraham seinen Gefühlen freien Lauf lässt. Er beschließt, Sara nicht einzuweihen, im übrigen aber gehorsam zu sein und an Gottes Verheißung festzuhalten. Genau damit versucht ihn freilich der Satan: Durch die Opferung Isaaks gehe die Verheißung verloren; ein solcher Befehl könne nicht von Gott stammen; er selber werde zum Mörder. Er müsse Gott um Rücknahme bitten und Sara in Kenntnis setzen. Trotz aller Versuche des Satans hält Abraham allerdings daran fest, Gottes Willen zu folgen. In der dritten Szene treffen Abraham und die Knechte Eliezer und Caldaeus die Vorbereitungen zur Reise. Die vierte Szene bietet ein

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aus der Handlung fallendes Gespräch der beiden Knechte Abrahams, in dem Eliezer Kritik an Caldaeus’ Trunksucht übt. In der fünften Szene verabschieden sich Abraham und Isaak von Sara. Diese äußert nach der Abreise ihr ungutes Gefühl über das Unternehmen; Abraham habe traurig und still gewirkt. Szene sechs zeigt ein Gespräch Saras mit ihrer Magd Martha, in dem ebenfalls die Befürchtung zum Ausdruck kommt, Isaak könne nicht mehr zurückkommen: Eheleute ohne Kind seien wie ein Herz ohne Haupt oder der Mond ohne die Sonne. Sie würde lieber sterben als ohne Erben zu leben. Im Mittelpunkt der letzten Szene steht ein Gespräch der beiden Knechte, in dem sich Caldaeus über Abraham als den ‚Alten‘ lustig macht. Eliezer ermahnt ihn, nicht über das Alter zu spotten und seinen Herrn und dessen Frau zu ehren. In der ersten von elf Szenen des fünften Aktes steigen Isaak und Abraham zur Opferstätte hinauf. Die zweite Szene lenkt wieder zu den Knechten über, die sich über Abraham unterhalten. Dabei weist Eliezer Caldaeus, der sich, vom Satan versucht, negativ über Abraham und sein Schicksal äußert, auf die Gottesfürchtigkeit und Frömmigkeit Abrahams hin, die er als vorbildlich vor Augen stellt und als ursächlich für dessen Wohlergehen bezeichnet. In der dritten Szene erklärt Abraham seinem Sohn, was vor sich geht. Er mahnt ihn zum Gehorsam, dann werde er Gottes Gnade sehen und wieder vom Tode erstehen.732 Dennoch appelliert Isaak an den Vater, fragt nach Gottes Barmherzigkeit, bittet den Vater, nicht das einzige Kind zu erwürgen. Er gelobt, so fromm und gerecht zu leben wie kein anderer Mensch. Nach erneuter Erklärung des Vaters fügt sich Isaak in sein Schicksal und gelobt seinen Gehorsam, reicht sogar Füße und Hände dar.733 Seine Haltung gipfelt in dem Bekenntnis, dass Gott ihn auferwecken werde, auch wenn er tausendmal zu Asche verbrannt werde – eine Aufnahme von Luthers Auslegung.734 Die vierte Szene stellt das rettende Eingreifen des Erzengels Michael dar, die fünfte schildert ein Gebet Isaaks. In der sechsten Szene gibt Abraham einen Hinweis auf die künftige Erlösung durch den Tod des verheißenen Samens. Die siebente Szene bildet ein Gespräch Abrahams und Isaaks, in dem Abraham das Geschehen auf Christus deutet: Dies sei eine Figur dafür, wie der Zorn Gottes gestillt werde. Denn alle Menschen müssten sterben, wenn sich nicht ein Opferlamm, der Erlöser finden würde. Die achte Szene schildert die Rückkehr zu den Knechten. In der neunten Szene steht Sara im Mittelpunkt, in der zehnten wird die Rückkehr vorgeführt. Abraham und Isaak berichten Sara, die ihre Glaubenszuversicht zum Ausdruck bringt. Das Drama schließt mit einem Auftritt des verärgerten Satans.

Hinsichtlich der Beziehung von Rollenhagens Drama zu seinen potenziellen Vorlagen, den Dramen Zieglers und Freys, kommt man nach genauerer Betrachtung zu folgenden Ergebnissen: Zieglers Drama hat eine völlig andere Struktur als Rollenhagens Stück Es nimmt seinen Ausgang bei Abrahams Auszug aus Ur und endet mit der Heirat Isaaks. Die Abimelech-Episode wird dabei ausgelassen. Auf der anderen Seite folgt Rollenhagen

732 Vgl. bei Luther WA 43, 216,25ff. Nach Luther muss Abraham den Isaak vor der Bindung zum Gehorsam aufgefordert und ihn auf die zukünftige Auferstehung hingewiesen haben. 733 I IIIb; vgl. bei Luther WA 43, 217,11, wo allerdings von der Kehle die Rede ist. 734 Vgl. WA 43, 222,11ff.



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im Aufbau seines Dramas völlig Freys Drama, wie Reckling mit Recht bemerkte.735 So bringt er im ersten Akt die Abimelech-Geschichte mit der Gefährdung der Ahnfrau, im zweiten die Lothandlung, im dritten die Hagar-Geschichte, während vierter und fünfter Akt für das Opfer Isaaks bestimmt sind. Unterschiede im genauen Aufriss der Handlung zwischen Frey und Rollenhagen ergeben sich insbesondere dadurch, dass Rollenhagen die Figur des Satans aufnimmt, die bei Frey ebenso wenig erscheint wie bei Ziegler. Darüber hinaus nimmt er einige Verschiebungen vor. So wird etwa die erste Szene des zweiten Akts bei Rollenhagen von der Selbstvorstellung des Satans eingenommen, die zweite und dritte Szene entsprechen hingegen wieder der ersten und zweiten Szene bei Frey. Im dritten Akt schließt Rollenhagen die beiden ersten Szenen Freys zu einer Szene zusammen. Seine zweite Szene entspricht dann der vierten Szene bei Frey, nur dass hier wiederum der Satan auftritt. Gemeinsam sind die Klage über Hagar und die Forderung nach Gehorsam des Gesindes. Die Vertreibung Hagars erfolgt bei Rollenhagen schon in der dritten Szene, bei Frey erst in der fünften – nach einem Monolog Abrahams und dem Auftritt der Mägde. Im Folgenden strukturiert Rollenhagen wiederum selbständig, indem er ein Gebet Abrahams als weitere Szene einfügt und nach den mit Frey gemeinsamen Stücken von Hagar in der Wüste – die bei ihm aber wiederum vom Satan heimgesucht wird – und der Erscheinung des Engels vor Hagar eine Szene mit einem – ebenfalls von Frey nicht gebotenen – Narr hinzufügt. Inhaltlich sind keine nennenswerten Unterschiede zu erwähnen.736 Der vierte Akt bei Rollenhagen entspricht wieder weitgehend den Abläufen bei Frey, nur dass Rollenhagen die letzte Szene, einen Dialog der Knechte, nicht übernimmt. Neben dem Auftritt des Satans sind kleinere Verschiebungen darin zu erkennen, dass Rollenhagen in der Knechtszene – bei beiden Stücken handelt es sich um Szene 4 – das Thema ändert und statt der bloßen Mitteilung der Reise eine Tadelung des nachgeordneten Knechtes durch den vorgesetzten Knecht bietet. Ebenso ändert er das Thema der Unterhaltung Saras mit ihrer Magd bzw. ihren Mägden: Geht es bei Frey um die Ermahnung zur Gottesfurcht und den Umgang mit dem Gesinde, so kreist das Gespräch Saras mit Martha bei Rollenhagen um die Reise des Sohnes. Den göttlichen Opferbefehl baut Rollenhagen gegenüber Frey sehr effektvoll ein, indem er unmittelbar vor der Gottesrede Abraham über die baldige Ankunft des Messias, der sich selber opfere und so Versöhnung wirke, sinnieren lässt und so einen starken Kontrast schafft. Der fünfte Akt Rollenhagens folgt ebenfalls weitgehend Frey. In der siebenten Szene bringt Frey einen Dialog der Knechte, während Rollenhagen Abraham mit Isaak sprechen und letzteren den Hinweis auf Christus einführen lässt. Die Szenen 8 und 9 sind schließlich vertauscht und nach der Ankunftsszene 735 Vgl. Reckling, Immolatio Isaac, S. 141. 736 Unterschiedlich sind die Motive, aus denen heraus Abraham zunächst die Vertreibung Hagars ablehnt. Bei Frey sind es Vatergefühle, bei Rollenhagen äußert Abraham, der Teufel hetze die Frauen auf; statt dessen solle man sich der Vernunft bedienen. Diese Änderung entspricht der Rolle des Satans bei Rollenhagen.

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führt Rollenhagen eine elfte Szene mit dem Satan ein. Inhaltliche Modifikationen ergeben sich in der Opferszene, in der Isaak bei Rollenhagen über Frey hinaus nach der Barmherzigkeit Gottes fragt und gelobt, immer fromm und gerecht zu sein. In Szene 5 dieses Aktes bei Rollenhagen vergleicht sich Isaak mit der neuen Kreatur – hierin vielleicht beeinflusst von Voiths ‚Spiel vom herrlichen Ursprung‘737 – und einem Auferstandenen, in der folgenden Szene weist Abraham auf die zukünftige Erlösung durch den Tod des Samens hin. Es erfolgt also in Rollenhagens Handlung eine stärkere Bindung der Abraham-Geschichte an das Christusgeschehen, an Tod und Auferstehung Jesu. Schon in der dritten Szene spricht Abraham dem Sohn – über Frey hinaus – zu, Gott werde ihn auferwecken. Ob er damit größeren Wert auf den Gedanken der Präfiguration Jesu in dieser Geschichte liegt, ist noch zu klären. Bedeutsam ist, dass Rollenhagen des öfteren Schlüsselsätze Freys wörtlich übernommen hat. So griff er die Formulierung des Gebets Abrahams auf: „Verlass deine Knechte nicht, die an dich glauben, dir vertrauen ...“738, die Aussage Abrahams nach dem Opferbefehl: „Gott findet mich allezeit gehorsam. Ich glaube, was er verheißen hat“739, oder den Satz Saras bei der Wiederkunft: „Doch lässt Gott [den] nicht, der ihm vertraut, mit festem Glauben auf ihn baut“740, um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen.741 Es lässt sich somit deutlich feststellen, dass – zumindest für die jetzige Form von Rollenhagens Abraham-Drama das Abraham-Stück Freys die Grundlage bildet, anhand dessen er dieses konzipiert hat. Dies gilt für die Handlung selbst. Etwas anders verhält es sich mit den Rahmenstücken. Aus Freys nicht sonderlich ausführlicher Vorrede hat Rollenhagen überhaupt nichts aufgegriffen, sondern eine eigene Vorrede verfasst, in der er seiner theologischen Gelehrsamkeit Ausdruck verleiht und auf die Bedeutsamkeit der Person Abrahams 737 Vgl. Rollenhagen, Akt V Szene 5, I Va, mit Voith, Spiel vom herrlichen Ursprung, ed. Holstein, S. 277,1873. – Die weiteren Parallelen zu Voiths Drama finden sich schon in Freys Stück: die Äußerung Abrahams, er wolle alle Zeit Gott gehorsam sein und glaube, was er verheißen hat (Rollenhagen, Akt IV Szene 2, G VIb; Frey, Akt IV Szene 2, C VIIb; Voith, a.a.O., S.274,1797f.), und die Bekundung Isaaks, seinen Willen ‚dreinzugeben‘ (Rollenhagen, Akt V Szene 3, I IIIa; Frey, Akt V Szene 3, D VIb; Voith, a.a.O., S. 277,1851f.). Von einer eigentlichen Benutzung von Voiths ‚Spiel‘ durch Rollenhagen ist daher nicht zu sprechen. Dennoch dürfte, wofür die erste Parallele ein Indiz sein könnte, Rollenhagen das ‚Spiel vom herrlichen Ursprung‘, zumal es in Magdeburg erschienen war, gekannt haben. 738 Vgl. Frey, Akt II Szene 2, B VIIa, mit Rollenhagen, Akt II Szene 3, E IIIIb. Diese und die folgenden Stellen werden, da auf Frey und Rollenhagen rekurriert wird, in moderner Sprache geboten. 739 Vgl. Frey, Akt IV Szene 2, C VIIb, mit Rollenhagen, Akt IV Szene 2, G VIb. 740 Vgl. Frey, Akt V Szene 10, E IIIIb, mit Rollenhagen, Akt V Szene 10, K Ib. 741 Vgl. etwa die folgenden Beispiele aus Akt V Szene 3 (bei beiden identisch), Abrahams Satz: „Schick dich, dass ich dich vor Gott gehorsam finde“ (Frey, D VIa, mit Rollenhagen, I IIa); Isaaks Appell: „Ist es möglich und Gottes Wille, Vater, halte stille“ (Frey, D VIa, mit Rollenhagen, I IIb); Isaaks Satz: „Kann es nicht anders sein, so gebe ich meinen Willen drein. Was mir Gott und Ihr gebietet, dem will ich folgen“ (Frey, D VIb, mit Rollenhagen, I IIIa).



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für die Rechtfertigungslehre eingeht. Offensichtlich genügte Freys Vorrede nicht seinen Ansprüchen. Im Gegensatz dazu griff er Teile des Beschlusses von Frey auf, und zwar diejenigen, die das Verhältnis von Eltern und Kind, die allgemeinen moralischen Verhältnisse und das innerweltliche Gerichtshandeln Gottes, dessen Darstellung schließlich in die Gegenüberstellung von Gnade mit Abraham und Strafe mit Sodom mündet, zum Gegenstand haben.742 Die Anfangspartien seiner Vorrede, in denen die Rechtfertigungslehre thematisiert und Abraham als Exempel gezeichnet wird, hat Rollenhagen dagegen wiederum selbständig, ohne Rekurs auf Frey formuliert.743 Wie aber steht es in inhaltlicher Hinsicht mit der Verwendung von Zieglers ‚Immolatio Isaac‘ durch Rollenhagen? Der Magdeburger hätte dieses Werk ohne große Skrupel benutzen können, insofern die altgläubige Lehre in ihm nur verhalten zum Ausdruck kommt und die entsprechenden Passagen sich leicht verändern ließen. So spricht Ziegler in Akt I Szene 2 – diese Handlung erscheint bei Rollenhagen allerdings nicht – von der Tugend, die allein im Himmelreich den Engeln gleichmache.744 In Akt IV Szene 5 bringt er die Kategorie des Opfers ins Spiel und lässt Gott selbst – im Gegensatz zu anderen Abraham-Dramen und zum biblischen Text – die Verheißung begründet sehen in Abrahams Gehorsam und seiner Gottesliebe, was ihm zur Gerechtigkeit zugerechnet wurde.745 Auf der anderen Seite kann er aber auch festhalten, dass Gott seine Gnade umsonst austeile.746 Zieglers vorsichtige Haltung hängt sicherlich mit seiner Stellung als Lehrer am protestantischen St. Annagymnasium in Augsburg zusammen.747 Jedoch ist festzustellen, dass in Rollenhagens ‚Abraham‘ keine konkreten Spuren von Zieglers Stück zu entdecken sind. Zwar gibt es Züge, die beiden Dramen gemeinsam sind, wie die von Ismael bei der Vertreibung gestellte Frage, was er denn Böses getan habe, aber die Unterschiede wiegen doch erheblich stärker. Die konkreten inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen den Dramen Rollenhagens und Zieglers, die ja auch durch den gleichen Vorwurf mitbedingt sind, stehen in keinem Verhältnis zu den inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen Rollenhagen und Frey. Zudem sind in Bezug auf diese Dramen auch erhebliche strukturelle Übereinstimmungen zu beobachten. Dennoch ist eine Benutzung von Zieglers Drama durch Rollenhagen nicht auszuschließen, insofern Rollenhagens Angaben über das ihm vorliegende Drama zu diesem, aber nicht zu anderen passen.748 742 Rollenhagen nimmt Freys Beschluss, der E Va beginnt, ab E VIb auf. 743 Vgl. Rollenhagen, K IIb–IIIb. 744 Vgl. Ziegler, Immolatio Isaac, A Vb; vgl. B Ib. 745 Vgl. a.a.O., D Va–b. 746 Vgl. a.a.O., A VIIa. 747 Vgl. Reckling, Immolatio Isaac, S. 49. 132. 748 Man kann die Frage stellen, wie es überhaupt zu der Vermutung kam, dass es sich bei dem in der Widmungsrede von Rollenhagen erwähnten Werk (A IIIIb) um Zieglers Drama handeln sollte. Jedoch weist alles darauf hin, insofern es erstens ein Drama war, das die ‚Opferung Isaaks‘ zum Gegenstand – und damit wohl auch zum Titel – hatte, und zweitens ein ursprünglich lateinisches Drama war, das ins Deutsche übersetzt wurde. Das trifft alles auf Zieglers Drama, aber auf kein anderes zu. Zu dem

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Rollenhagen ist durchaus als eigenständiger Autor zur Kenntnis zu nehmen. Zwar hat er dankbar Freys Drama als Rahmen aufgegriffen, aber er hat diesen Rahmen eigenständig ausgefüllt. Ein bedeutsames und auffälliges Charakteristikum für die Art, wie er seine Vorlage bearbeitet hat, stellt die von ihm vorgenommene Einführung der Figur des Satans und die Rolle, die diese im Drama einnimmt, dar. Die Gestalt des Satans war, wie erwähnt, in seinen Vorlagen nicht enthalten.749 Durch seinen Gürtel wird der Satan als Mönch gezeichnet, ein Moment konfessioneller Polemik. Zugleich zeigt sich an der Gestalt des Satans, dass Rollenhagen sein Drama als ganzes konzipiert und durchdacht hat, insofern der Satan nicht zufällig oder als Lückenbüßer auftritt, sondern in der gesamten Handlung wirkt, sowohl bei Abraham als auch bei Lot, Hagar oder den Knechten und Mägden, zunächst offen, später im Hintergrund. Wie Reckling mit Recht feststellt, bekommt damit auch das alltägliche Handeln, etwa der Mägde, theologische Relevanz, darin, dass auch in ihm – nicht durch es – das Heil gefunden oder verspielt wird.750 Innerhalb des Dramas wandelt sich der Satan vom offen einladenden Wirt zur inneren Stimme des subtil Versuchenden.751 Vor Abraham tritt der Satan schließlich als personifizierte Vernunft auf, die den Menschen unscheinbar vom Glauben entfernt. Er flüstert Abraham in die Ohren, aber dieser nimmt ihn gar nicht als solchen wahr.752 Dies wird dem Zuschauer als gefährliche Möglichkeit vorgeführt, der er aber wie Abraham durch den Glauben an Christus entweichen kann.753 Die Figur des Satans trägt damit zu einer Theologisierung des Dramas bei, sie wird „... auch zum Interpreten des Stückes, insofern Glaubenssätze verkündet werden sollen.“754 Rollenhagen aktualisiert die Satan-Gestalt auch, indem er sie die zeitgenössische securitas zum Ausdruck bringen lässt, die die Menschen veranlasst, ihre Buße zu verschieben, die Prediger zu verachten und die von ihnen gegeißelten Missstände klein zu reden.755 Mit Recht kann somit davon gesprochen werden, dass Rollenhagen die religiös-theologische Tendenz weit stärker betont als Frey und dessen Werk theologisiert.756

noch vom Titel her denkbaren ‚Dialogus de Isaaci immolatione‘ von Petrus Philicinus (Pierre Campson) aus dem Jahre 1546 ist keine deutsche Übersetzung belegt. Vgl. aber Johannes Bolte (Hrg.), Ein Spandauer Weihnachtsspiel. 1549, Märkische Forschungen XVIII (1884), S. 205, der meint, das Drama des Philicinus sei Vorbild für Rollenhagens Drama gewesen. 749 Vgl. Bolte, a.a.O., S. 673. 750 Vgl. Reckling, a.a.O., S. 57. 751 Vgl. Bernleithner, a.a.O., S. 137ff. 752 Vgl. Rollenhagen, Akt IV Szene 2, G VIb und VIIa, an letzter Stelle die Regieanweisung zu Abraham: „Cogitabundus non respiciens ad Satanam.“ 753 Vgl. a.a.O., S. 144. Vgl. Bernleithner, a.a.O., S. 140. 754 Ebd. Vgl. auch S. 57. 755 Vgl. Rollenhagen, Akt II Szene 1, D Ib–IIb. – Zur Selbstvorstellungsrede des Satans vgl. Peil, Georg Rollenhagen, S. 564, der von einer satirischen Vorstellungsrede spricht, die mit der Geißelung der Laster spätmittelalterliche Gepflogenheiten wieder aufgreife. 756 Vgl. Reckling, a.a.O., S. 56f.



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Rollenhagens Abraham war recht erfolgreich. Es wurde 1576 in dänischer Sprache in Ripen in Dänemark und 1603 in Hildesheim erneut aufgeführt, wo es auch neu gedruckt wurde.757 1606 nahm Joachim Schlue Rollenhagens Stück als Grundlage für sein eigenes Abraham-Drama. Auch in der Forschung hat es immer wieder Aufmerksamkeit geweckt. Sehr positiv wird es von Bolte bewertet: „Auch Rollenhagen begnügt sich nicht damit, das Opfer Isaaks als den Höhepunkt in Abrahams Leben darzustellen. Er folgt aber nicht einfach dem Bericht der Bibel, sondern gestaltet die Handlung zu einigen großen Bildern, in denen voraufgegangene Ereignisse rekapituliert werden.“758 Bernleithner konstatiert, es handele sich um eine „szenische Illustration protestantischer Dogmatik“, andererseits finde man in Rollenhagens ‚Abraham‘ nichts mehr von der Schroffheit lutherischer Formulierungen, aufgrund der moralisch-pädagogischen Tendenzen, die bei Rollenhagen, aber auch im Luthertum der Zeit generell im Hintergrund stünden.759 Peil schätzt das Werk auch wegen der Aufnahme von Sentenzen und Sprichwörtern, die es wirklich zu einem ‚künstlichen Spiegel‘ und zu einer ‚ansehnlichen Predigt‘ machten.760 Eine Einschätzung dieser Urteile soll an dieser Stelle nicht vorgenommen werden, sondern erst, wenn die weiteren Schritte der Analyse erfolgt sind. In seiner Widmungsrede gibt Rollenhagen an, er habe sich vor etlichen Jahren als Rektor in Halberstadt „... zur gottseligen erinnerung / der mir befohlenen Jugendt / zur Christlicher vbung vnd vnterricht / vnnd anderen so die Historien selbst nicht lesen kÖnnen / oder sonst zu Geistlichen spielen lust haben / zur lehr vnd wolgefallen / eine vorgedruckte Comoediam von der Opfferung Jsaacs zu agiren vorgenomen.“761 Wie aus weiteren Bemerkungen im Drama hervorgeht, ist bei Rollenhagen das Theater ganz auf den Zweck des Schultheaters abgestellt. Es zielt auf den „nÜtzlichen brauch der Schulen“762 ab. Rollenhagen gab seinen Abraham nach eigenen Angaben in den Druck, damit auch andere Schulen das Stück aufführen könnten,763 wobei er allerdings auch illiterati als mögliche Adressaten einer Aufführung im Blick hat. Als Folge dieser Perspektive ergibt sich, dass für Rollenhagen die Inszenierbarkeit eines Stückes ein unerlässliches Kriterium darstellt. Insofern betrachtete er es als notwendig, das ihm vorliegende Abraham-Drama nach

757 Vgl. Albert Freybe, in: Des Bergenfahrer Joch. Schlu’s Comedia von dem frommen, gottfürchtigen und gehorsamen Isaac. Ein Schrift-Denkmal der deutschen Hansa mit Act IV und V aus Georg Rollenhagens Abraham. Zwei Zeugnisse lutherischen Glaubens, hrg. und behandelt v. Dr. Albert Freybe, Zweite erweiterte Auflage Norden – Soltau 1892, S. *27. Vgl. ferner Johannes Bolte (Hrg.), Ein Spandauer Weihnachtsspiel, S. 205, nach dem die dänische Übersetzung von Sören Skriver stammt. 758 Bolte, a.a.O., S. 670. 759 Bernleithner, a.a.O., S. 144; dagegen Peil, a.a.O., S.564. 760 Vgl. Peil, ebd. 761 Rollenhagen, Abraham, A IIIIb. 762 A Vb. Vgl. A Va: Das Schreiben eines Dramas dient der Förderung der Schule. 763 Vgl. A Vb: „... zu vnser vnd anderer Schulen nutz in Druck verfertiget.“

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Stoff, Personen und Sprache zu ändern und den Bedürfnissen seiner Schule anzupassen.764 Weitergehende Äußerungen zum Sinn des geistlichen Theaters bzw. zur Wahl des Mediums Theater finden sich in diesem Drama nicht. Entsprechend seiner Abzweckung auf die Schule stellt Rollenhagen im ‚Abraham‘ die Lehre in den Mittelpunkt. So weist er in der Vorrede darauf hin, dass dieses Spiel dazu vorgenommen werde, „Vns vnd andre was guts zu lehrn.“765 Es hat also deutlich pädagogischen Charakter. Was für eine Lehre aber will er im Abraham vermitteln? Die Lehre, so Rollenhagen, zielt auf den Glauben und das Leben; er stellt sich so mit der Wahrung des Primats der Lehre vor dem Leben in die Tradition der lutherischen Orthodoxie: „Daran vns hoch vnd viel gelegn / Sollens offt lesen vnd bewegn / Draus lernen wie man gleuben sol / Wie man auch lebe recht vnd wol / Das Gott im Himmel wolgefelt / Vnd besteht fÜr Teuffel vnd Welt.“766 Eine besondere Einladung ergeht dabei wiederum an die illiterati.767 Rollenhagen vertritt somit, wie Bernleithner richtig feststellt, ein dogmatisches und ein moralisches Anliegen.768 In seinem ‚Beschlus‘ notiert Rollenhagen als ersten Lehrpunkt, dass Abraham als Exempel des Glaubens zu verstehen sei, weswegen Mose und Paulus seine Person für die Erklärung der Rechtfertigung gewählt hätten. Wer das Himmelreich begehre, müsse ihm gleich werden, indem er mit festem Glauben Christus umfange.769 Sofort weist Rollenhagen aber darauf hin, dass dies nicht davon entbinde, sich ‚fromm‘ zu verhalten an dem Ort, wo Gott den Menschen hingestellt habe; dann werde Gott ihn nicht verlassen.770 Auf diesem letzten Punkt liegt im weiteren Verlauf deutlich der Schwerpunkt der Ausführungen. Dieser verschiebt sich von der theologischen Lehre zur Moraldidaxe. In Aufnahme von Passagen aus Jakob Freys Abraham-Drama sucht Rollenhagen die Aufforderung, sich fromm zu verhalten, zu aktualisieren und auf das Publikum anzuwenden: „Aber hie wollen wir nicht dran / Vnd gehn jmmer ein ander bahn. Der Mund rÜmt das wir Christen sein / Das Hertz vnd dthat spricht lauter nein. Wir sollen rechten glauben lernn / Gott vnd seim Gebott folgen gern / So wenden wir das spiel herum / Wollen gleuben vnd sind nicht frum.“771 Rollenhagen kritisiert damit das Christentum seiner Zeitgenossen als ein bloß äußerliches. Bekenntnis und Tun der Menschen gingen auseinander. Er schließt eine Aufzählung der Vergehen an, die im Schwange seien: Verachtung des Wortes Gottes, Lästerung mit Fluchen und Schwören, Missachtung der Predigt, mangelnde Ehrung der 764 Vgl. A IIIIb. 765 A VIIIb. Vgl. Argumentum, B IIIa: „Es ist vns zu thun vmb die Lahr / Das die klar sey vnd offenbar.“ 766 B Ia. 767 A.a.O.: „Wer aber selbst nicht lesen kan / Odr hat sonst ein gefallen dran / Dies in eim gemeldt anzusehn / Wie es fÜr alters ist geschehn / Der kom vnd seh / vnd hÖr mir zu ...“ 768 Vgl. Bernleithner, a.a.O., S. 132. 769 Vgl. Rollenhagen, Abraham, K IIIa–b. 770 Vgl. K IIIb. 771 Ebd.



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Obrigkeit und der Eltern. Im Zentrum seiner Kritik steht der mangelnde Gehorsam der Kinder, dem Isaaks Gehorsam gegenüberstellt wird: In uns – Rollenhagen schließt den Ungehorsam der Jugend als Schuld der ganzen Gemeinschaft zusammen – sei nicht die Stimme Isaaks, die niemals dem Vater widerspreche.772 Rollenhagen verweist mit Frey allerdings auch auf das schlechte Vorbild der Eltern, die ihre Kinder selber Schlechtes lehrten und sie bewusst nicht zur Schule schickten. All dies führe zu Untugenden und Untaten, die wiederum Gottes Strafe hervorriefen.773 Darüber beschwerten sich dann die Menschen, indem sie für sich in Anspruch nähmen Christen zu sein und an Jesu Tod erinnerten, der ihnen gemäß seinem Wort in der Not Hilfe leisten müsse. Demgegenüber verweist Rollenhagen darauf, dass zum christlichen Glauben auch das entsprechende Leben dazu gehöre: „Ja mein Freund es hÖrt mehr dazu / Zum tantzen als ein roth par Schu. Er hat dir auch befehl gegebn / Das du hie solt vnstrefflich lebn. Nicht allein gleuben mit dem Mund / Es sol im hertzen haben grund. Solt ein gut Gewissen behaltn / Vnd dein Ritterstand recht verwaltn.“774 In auffallender Kürze bespricht Rollenhagen den zweiten und dritten Lehrpunkt, die die anderen Hauptpersonen des Dramas betreffen. Sara und Hagar bedeuten das Gegenüber von ehelicher Liebe und Demut auf der einen und Hochmut auf der anderen Seite. Isaak steht für Jesus Christus, womit Rollenhagen das verbreitete Motiv der Präfiguration des Opfers Christi durch die Opferung Isaaks aufnimmt. Er betont dabei, dass Abraham diesen Gedanken schon im Spiel „Beyleufftig“ vertreten habe, was die Zuschauer – captatio benevolentiae – ohne Zweifel erkannt hätten.775 Eine Entfaltung dieser Präfiguration, dahingehend Parallelen zwischen Isaaks und Jesu Geschick zu finden, unternimmt Rollenhagen hier indessen nicht. Immerhin entfaltet er sie in der Handlung etwas stärker. Rollenhagen bezweckt mit seinem Abraham-Drama so zweierlei. Was er zuvor in seiner Vorrede zum Ausdruck gebracht hatte, gibt er auch in seinem ‚Beschlus‘ zu erkennen: dass er zum einen auf die rechte Glaubenslehre zielt, zum andern auf die rechte Lebenspraxis. Beides bildet für ihn allerdings eine Sache, beides subsumiert er unter den Glaubensbegriff. Entsprechend besteht der an die Person Abrahams gebundene erste Lehrpunkt aus beiden Aspekten. Weil Abraham glaubt, ist er gehorsam. Der Glaubensgehorsam ist das Bindeglied vom Glauben zum Tun. Der Glaube ist für Rollenhagen nicht denkbar ohne das entsprechende Tun. So verlagert sich der Akzent vom Glauben zum Tun, von der Lehre zum Leben bzw. zur Moral. Gebührt auf der einen Seite der Lehre in Gestalt der iustificatio sola fide sola gratia der Vorrang in Rollenhagens Gedankenführung, ganz entsprechend der Theologie der lutherischen Orthodoxie, so liegt auf der anderen Seite 772 Vgl. K IIIb–IIIIa. 773 Vgl. K IIIIa–b. 774 K IIIIb. 775 Vgl. K Va–b. Vgl. Akt V Szene 7, wo Abraham sagt (I VIb): „Dis ist ein recht Figur vnd Bild / Wie der zorn Gottes wird gestillt / Vor vnser aller SÜnden gros / Die jhn erzÜrnen vber moss. Denn alle Menschen mÜsten sterbn / Vnd im grund ewiglich verderbn / Wo sich nicht fÜnd das Opfferlam ...“

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das Schwergewicht seines Interesses doch auf dem Leben, wie schon der Umfang der Ausführungen anzeigt: Innerhalb des ersten für Abraham reservierten Lehrpunkts handeln 49 Zeilen von der Lehre, 87 Zeilen hingegen vom Tun. Insofern ist es legitim zu sagen, dass nach dem ‚Beschlus‘ die Aufforderung zum rechten Leben die Hauptintention von Rollenhagens Abraham darstellt – im Gegensatz zu den Ausführungen in der Widmungsrede, in der die Lehre dominiert, aber auch in Modifikation zu den Äußerungen der Vorrede, die ein Gleichgewicht von Lehre und Leben suggerieren. Im ‚Beschlus‘ wechselt Rollenhagen auch auffälligerweise in die Anrede der zweiten Person Singular, um am Ende des ersten Lehrpunktes ausdrücklich zur Entscheidung aufzurufen: „Gott dir beidrley gezeiget hat / Wasser vnd Fewr auch zorn vnd gnad. Greiff du zu welchem das du wilt.“776 So erscheint das Gericht als dunkle Folie über denen, die nach ihrem eigenen Willen leben und Knechte der Sünde sein wollen. Das Kreuz Christi bzw. dessen Präfiguration in Isaak spielt demgegenüber im ‚Beschlus‘ nur eine marginale Rolle, seine Trostfunktion wird dort nicht geltend gemacht. Welche Folgen dieser Befund für die Frage der Wiedergabe der reformatorischen Theologie in diesem Drama hat, wird weiter unten behandelt, wenn Rollenhagens Verständnis von Glaube und Gnade analysiert wird. Freilich werden hier schon gewisse Tendenzen deutlich. Zu bedenken ist allerdings, dass Rollenhagen den moraldidaktischen Teil seines ‚Beschlus‘ zu großen Teilen aus der Schlussrede des Abraham-Dramas von Jakob Frey geschöpft hat,777 während die andere Akzente setzenden Teile der Widmungsrede und der Vorrede von ihm selbst formuliert sind. Über diese beiden Hauptintentionen hinaus verfolgt Rollenhagen implizit weitere Absichten, die insbesondere in der Handlung hervortreten. An erster Stelle ist dabei der Gehorsam des Sohnes zu nennen. In Akt IV Szene 1, noch vor dem Opferbefehl, lobt der Vater den Gehorsam des Sohnes.778 Dazu stimmt, dass Isaak in Akt IV Szene 5 alles zu tun gelobt, was ihm gebühre; es könne ihm auch nichts Lieberes geschehen, als mit dem Vater zu gehen.779 Im Gespräch, in dem Abraham Isaak das Unvorstellbare ankündigt, willigt Isaak nach anfänglichem Widerstand ein: „Kan es denn gar nicht anders sein / So

776 K Va. 777 Von Frey übernommen hat Rollenhagen den Gedanken, dass die Menschen entgegen der Weisung Gottes eine andere Bahn gingen, sich von ihm nichts sagen ließen, was sich in den entsprechenden Sünden (Lästern durch Fluchen und Schwören etc. – hier kürzt Rollenhagen allerdings) niederschlage. Ferner nahm er die Formulierung auf, dass ‚in uns (Frey: ‚in ihnen‘) keine Stimme Isaaks ist‘, obwohl die Eltern viel Mühe für die Kinder aufgebracht hätten, teilweise aber auch ein schlechtes Vorbild seien. Sodann stammt von Frey die Aufzählung der für dieses Verhalten von Gott verhängten Strafen. Schließlich übernahm Rollenhagen von dem Elsässer die Formulierung (K Vb): „Last euch das Spiel wol eingedenck sein / Zu rath vnd trost fÜr ewre Seeln.“ 778 Vgl. G IIIIb. 779 Vgl. H IIIIb.



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geb ich meinen willen drein / Was jr mir gebietet vnd Gott / Dem folg ich / auch bis in den Todt.“780 Eine weitere Nebenintention, die ebenfalls mit dem Begriff des Gehorsams zu umschreiben ist, betrifft die Knechte bzw. das Gesinde. Die Kontrastierung des treuen Knechts Eliezer und des respektlosen, nur an seinen leiblichen Vorteil denkenden, vom Satan aufgehetzten Caldaeus stellt den ersteren als Vorbild für das Gesinde hin.781 Eliezer bringt aber auch die angestrebte Haltung gegenüber Caldaeus zum Ausdruck: „Sein Herrn vnd Frawen sol man ehrn / Vnd was sie thun zum besten kehrn.“782 Wie Caldaeus ist auch Hagar ein schlechtes Vorbild in Bezug auf das Gesinde. Anhand ihres Schicksals hält der Narr Evil in Akt III Szene 6 fest: „So soll es allen Megden gan / Die Herrn vnd Frawn fur Narren han. Do spieglt euch an jhr beissig Gretn / Lernet from sein vnd fleissig betn.“783 Ein letztes Ziel Rollenhagens in seinem Drama besteht darin, Anweisungen zum Verhalten im Leiden zu geben. In Akt IV Szene 2 hält Abraham fest, Gott sei ein „wunderbarer Gott“, der seine Heiligen wunderlich führe.784 In der folgenden Auseinandersetzung mit dem Satan weist der Erzvater darauf hin, dass, ungeachtet der Zusage göttlichen Beistands, Trübsal zu diesem Leben hinzugehöre, wobei Gott allerdings Linderung spende und zuletzt dem Geplagten Rettung zuteil werden lasse.785 Es gelte, sich an seine Zusage zu halten.786 In Akt V Szene 7, einem Dialog Abrahams und Isaaks nach den Opfergeschehnissen, belehrt Abraham seinen Sohn, dass Gott den Glauben ‚probiere‘, damit der Mensch seine Schwachheit erkenne und ihm für die Erlösung dankbar sei. Er gibt Isaak den Rat, wenn ihm Widerwärtiges widerfahre und es scheine, als ob sich Gott gegen ihn und damit gegen seine eigene Verheißung stelle, so solle er fest stehen, nicht von Gottes Wort weichen und in seinem Beruf an seinem Ort bleiben.787 Auch im ‚Beschlus‘ führt Rollenhagen diesen Gedanken an, allerdings nicht als eigenständigen Lehrpunkt, sondern umrahmt von den moraldidaktischen Ausführungen. Wenn man sich recht verhalte, müsse man wissen, dass Gott ein wunderbarer Gott sei. Er ‚probiere‘ den Glaubenden mit dem Kreuz. Das angemessene Verhalten des Glaubenden in dieser Situation sei es, mit 780 Akt V Szene 3, I IIIa. Nach Akt V Szene 5, I Va, wollte Isaak Gott gehorsam sein und seinem Vater nicht widerstreben. Der Gehorsamsbegriff ist hier für Gott reserviert, während in Bezug auf den Vater das – etwas schwächere – Nicht-Widerstreben gilt. – Das schnelle Einwilligen Isaaks nach Vorbringen eines Einwandes stammt aus Voiths ‚Spiel vom herrlichen Ursprung‘; vgl. Holstein (Hrg.), Dramen von Ackermann und Voith, Stuttgart 1884, S. 276f. 781 Vgl. Rollenhagen, Abraham, Akt IV Szene 4, H IIb; Akt V Szene 2, H VIIIb–I Ia. 782 Akt IV Szene 2, H VIIa. 783 G IIIa. Vgl. Akt III Szene 2, F IIIb, wo die Magd Boselah äußert, eine Magd müsse ihrer „Frawn“ untertan sein und ihre Dienstgenossin Schiphchah ihr ausdrücklich beipflichtet. 784 Vgl. G Vb. 785 Vgl. G VIIb–VIIIa. 786 Vgl. Akt V Szene 3, I IIa. 787 Vgl. I VIbff.

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Hoffnung stille zu halten und in Geduld um Vergebung zu bitten. Gott werde schließlich kommen und das Leiden des Glaubenden in Freude verwandeln.788 Das Kreuz, gehört also nach Rollenhagen zum christlichen Leben. Von ihm werden auch die Tugendhaften nicht verschont. Nach diesen Bemerkungen kehrt Rollenhagen zur Moraldidaxe zurück, indem er einschärft, nicht seinem eigenen Willen zu folgen, nicht der Sünde Knecht zu sein, da man sonst den Lohn Sodoms und Gomorras einfahre.789 Es ist auffallend, dass Rollenhagen diese Gedanken seinen moral-didaktischen Ausführungen inkorporiert hat. Er hätte sie im ‚Beschlus‘ auch in die Erklärung des Glaubensbegriffes einflechten können, wo er auf die Infragestellung des Glaubens durch den Opferbefehl zu sprechen kommt und Abrahams Durchhalten im Glauben herausstellt, allerdings den Terminus ‚Kreuz‘ nicht erwähnt. Dies hätte stärker verdeutlichen können, dass das Kreuz, das Leiden bzw. die Anfechtung zum Glauben gehört und den Glaubenden vom Deus absconditus zum Deus revelatus treibt. Rollenhagen geht anders vor. In seiner Konstruktion stellt die Erfahrung des Leidens das Tun des Rechten in Frage, indem sie die Motivation untergräbt. Dazu aber darf es nach ihm keinesfalls kommen, in diesem Falle stünde die Seligkeit auf dem Spiel, wie der Hinweis auf das Schicksal Sodoms und Gomorras zeigt. Vom Glauben, vom Festhalten der Verheißung, vom Deus revelatus ist hier nicht die Rede. Rollenhagen verweist auf eine Frömmigkeitshaltung, die sich in Beten und geduldigem Stillehalten äußert. Dennoch sollte man diese Stelle nicht geradewegs als Kontrapunkt zur lutherischen Rechtfertigungslehre in Anspruch nehmen: Immerhin bringt Rollenhagen zum Ausdruck, dass auch das rechte Tun des Glaubenden kein Garant des Heils, kein Schutz vor Leiden ist. Auch der tugendhaft Lebende und um dieses sein Tun Wissende hat Gott um Vergebung zu bitten. Abraham ist für Rollenhagen insbesondere ein Exempel des Glaubens. In der Widmungsrede bezeichnet er den Erzvater als einen „... rechten wolgeÜbten vnnd erfahrnen Meister des Glaubens kunst vnd sonderlichen wunderman Gottes ...“790 Aus diesem Grund nenne ihn Paulus in seiner Disputation an erster Stelle; er wolle, dass alle Christen ihn erkennen und betrachten. Gott habe ihn allen nachkommenden Heiligen zum Exempel und Vater vorgestellt.791 An Eigenschaften Abrahams hebt Rollenhagen in der Widmungsrede dessen Standhaftigkeit und Bekennermut im Glauben hervor.792 Allerdings nennt er hier, wo es um den Gehalt der Abraham-Geschichte und damit um die Inhalte ihrer Dramatisierung geht, am ersten Rang die ihm von Gott erwiesene Gnade und an zweiter Stelle den Grund seines Glaubens, also nicht analytisch, etwas in ihm Befindliches, sondern etwas ihm von außen Zugesprochenes und Erwiesenes.793 Die 788 Vgl. K Va. 789 Vgl. ebd. 790 A IIIIb. 791 Vgl. A IIIb. Vgl. im ‚Beschlus‘, K IIIa: Die Schrift weist Abraham uns allen zum Exempel. 792 Vgl. Widmungsrede, A Va. 793 Vgl. a.a.O.



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Rechtfertigungslehre wirkt sich auf die Charakterisierung der Person Abrahams aus. Im ‚Beschlus‘ hebt Rollenhagen den Glauben und den Gehorsam Abrahams hervor, der seinen größten Ausdruck in der Bereitschaft zur Opferung des Sohnes gefunden habe, sowie sein Hoffen gegen allen Augenschein.794 Auch hier rühmt er aber wieder, dass Abraham von Seiten Gottes Gnade widerfahren sei.795 Schaut man sich die Handlung selbst an, findet man die Glaubensfestigkeit und den Gehorsam Abrahams im Zentrum stehend. Nach der Summa des vierten Akts steht Abrahams Glauben wie eine Mauer, er ist hoch zu preisen.796 Zugleich weist sie aber auch auf die emotionale Situation Abrahams hin, in die sich kein Mensch versetzen könne, da sie anderen verborgen bleibe: „Sein Hertz aber kan niemand beschreibn / Es wild [sic!] wol vnerfaren bleibn.“797 In allem Gehorsam bleibt Abraham ein Mensch mit seinen Affekten. Er würde lieber für Isaak sterben, aber er weiß, dass er Gott nicht widerstreben kann, Gott werde ihn immer gehorsam finden.798 Nach dem Opferbefehl bricht er in Schweigen aus, was Rollenhagen mittels Regieanweisung als Ausdruck heftigen Schmerzes gefasst haben will.799 Dem väterlichen Herz fällt am Ende von Akt V Szene 3 die Opferung Isaaks schwer. Auch gegenüber Ismael hegt er väterliche Liebe, gehorcht aber Gott, wiewohl es ihm aus Herzens Grund jammert.800 Beim Abschied umarmt und küsst er seinen Sohn.801 Der Gehorsam gegenüber der göttlichen Weisung behält jedoch stets die Oberhand. So willigt Abraham in Akt IV Szene 2 in den Opferbefehl ein mit den Worten: „Jn ewigkeit Gottes Wort besteht / Was er gebeut dem folg ich recht / Er ist mein Herr / ich bin sein Knecht / Hie hat kein ander bedencken fug / Mein Sohn sol sterbn ohn alln verzug.“802 Abraham weiß, wie er mit Gott umgehen muss. Er weiß, dass er Gott nicht mit seiner Vernunft erreichen kann.803 Seine Frömmigkeit und sein Leben werden als vorbildlich charakterisiert. Eliezer schildert seinen Herrn als fromm und heilig.804 Für Rollenhagen am bedeutendsten ist jedoch der Sachverhalt, dass Abraham allen Prüfungen standhält. Dies gilt für die Prüfung durch Gott, den Opferbefehl, in den Abraham nach kurzem Schweigen mit seiner ersten Äußerung einwilligt und schließlich auch gegen Isaaks Bitten zur Ausführung bringt. Dies gilt aber auch für die Versuchung durch den Satan in Akt IV Szene 2. Nach einem längerem Disput, in dem der Satan ein ganzes Arsenal von Einwänden gegen eine Tötung Isaaks, von der väterlichen Liebe, über den 794 Vgl. K IIIa. 795 Vgl. K IIb–IIIa. 796 Vgl. G IIIb. 797 Ebd. 798 Vgl. Akt IV Szene 2, G VIa–b. 799 Vgl. Akt IV, Szene 1, G Vb: „Tacet aliquandiu attonitus.“ Vgl. dazu Bernleithner, a.a.O., S. 135. 800 Vgl. Rollenhagen, Abraham, Akt III Szene 1, F Ia; F Vb. 801 Vgl. Akt III Szene 3, F VIb. 802 H Ia. 803 Vgl. Akt IV Szene 2, G Vb. 804 Vgl. Akt V Szene 2, H VIIIb.

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zukünftigen Ruf Abrahams bis zu rationalen und theologischen Argumenten aufbietet, bleibt Abraham standhaft und weist den Versucher von sich.805 Schließlich verharrt er fest auch gegenüber seinen eigenen Affekten. Die Darstellung der menschlichen Emotionen gegenüber seinen Söhnen hat vor allem den Zweck, den Glauben und den Gehorsam Abrahams in einem noch helleren Licht strahlen zu lassen: Er besiegt sogar sich selbst, seine eigenen Gefühle, hält ihrem Ansturm stand. Rollenhagen stellt somit im ganzen Drama Abrahams Gehorsam und Glaubensfestigkeit als dessen Haupteigenschaften heraus. Bei der Untersuchung der Frage, wie Rollenhagen in seinem Drama die reformatorische Lehre verarbeitet, ist zu unterscheiden zwischen den Rahmenstücken, unter denen wiederum die Widmungsrede eine prononcierte Stellung einnimmt, und der Handlung selbst. Die Widmungsrede bietet Rollenhagen, wie vielen Verfassern geistlicher Dramen, den Anlass, theologisch Grundlegendes zu formulieren. Dabei äußert er sich grundsätzlich zur Frage der Rechtfertigung. Es wird nicht überraschen, hier eine orthodox-lutherische Auffassung dargelegt zu sehen. So gewiss der Verfasser sein Stück im Lichte dieser Ausführungen verstanden wissen will – es dürfte nicht angehen, diese als bloßes Lippenbekenntnis oder als abgeforderte Pflichtübung aufzufassen –, so gewiss ist indessen zu überprüfen, inwieweit sich die Position der Widmungsrede im Beschluss widerspiegelt, in dem Rollenhagen seine Intention zum Ausdruck bringt, und ob und auf welche Weise sie in der Handlung selbst aufgenommen und umgesetzt wird. Zunächst aber seien die Aussagen der Widmungsrede vorgestellt. Rollenhagen setzt ein mit einer Zusammenfassung der paulinischen Aussagen aus Röm 3: Der Mensch werde aus Gnade gerecht vor Gott durch den Glauben ohne Verdienste der Werke. Diese Aussage wolle der Apostel im vierten Kapitel „... mit gewissen vrsachen vnnd Argumenten erkleren / beweisen vnd erstreiten...“806 Paulus gehe dies an, so Rollenhagen weiter, indem er diverse Gegensatzpaare zusammenordne: gute Werke – Sünde; (aus) Verdienst – (aus) Schuld; Gerechtigkeit vor den Menschen – Ungerechtigkeit vor Gott; Pflicht – Gnade; Besoldung – Verehrung; Lohn – Geschenk, und nun anhand der Person Abrahams die Frage stelle, welcher Seite der Gegensatzpaare die Gerechtigkeit zugeeignet werde.807 Als Interpretament führt Rollenhagen eine weitere kleine Reihe von Gegensatzpaaren an: Es gebe zweierlei Lehre, mit der Gott sich und seinen Willen dem Menschen offenbare: Gesetz und Evangelium, Gebot und Verheißung sowie Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.808 Auf einem dieser beiden Wege müsse der Mensch seine 805 Vgl. G VIbff. Die Einwände Satans ergeben ein ganzes Spektrum: Was wird aus der Verheißung? Eine Tötung ist gegen den Grund des Glaubens. Sie ist wider die Natur. Gott befiehlt nichts Widerwärtiges. Man muss den Befehl uminterpretieren, dass er mit der Verheißung in Einklang kommt. Gott versucht über den Befehl nur, Abraham zum Anflehen seiner Barmherzigkeit zu drängen; er soll an sein Mitleid appellieren und um Rücknahme bitten. Abraham soll den Befehl Sara mitteilen. Er würde so zum Mörder, sein Ruf würde völlig ruiniert. 806 A IIa. 807 Vgl. A IIIa. 808 Vgl. ebd.



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Gottwohlgefälligkeit und Seligkeit erlangen, entweder durch die Erfüllung des Gebotes mittels der Werke oder dadurch, „... das er ohn verdienst der werck des Gesetzes die verheissung mit festem glauben annehme / sich zueigene / auff Gottes zugesagte Gnad vnnd Barmhertzigkeit beruhe / vnd dadurch vnd also von Gott / aus Gnaden gerecht geschetzt werden / da er doch fÜr sich selbst vngerecht ist.“809 Der erste Weg, so Rollenhagen, komme nicht in Betracht, da aus der Schrift nicht zu beweisen sei, dass Abraham aufgrund seines unschuldigen Lebens oder wegen der von ihm durchgeführten Beschneidung – von Rollenhagen als pars pro toto für die Erfüllung des Gesetzes angeführt – vor Gott gerecht gewesen sei: Letzteres erledige sich durch die Posteriorität des Ergehens des Beschneidungsgebots an den schon für gerecht erklärten Erzvater. Ersteres sei dadurch widerlegt, dass Abrahams äußerliche Zucht ihm lediglich bei den Menschen einen guten Namen eingebracht habe, nicht aber bei Gott – Rollenhagen rekurriert, ohne dass der Begriff fällt, auf den Gedanken der iustitia civilis –, habe er sich doch selber nach Gen 18,27 vor Gott als Erde und Asche bezeichnet.810 Damit aber bleibe zur Erlangung der Seligkeit nur der zweite Weg. Auf der Grundlage von Gen 15,6 entwickelt Rollenhagen im Folgenden seine Auffassung von der Rechtfertigung des Menschen, indem er die Elemente dieses Verses erklärt: „Als das Gleuben sey auff Gottes Barmhertzigkeit vertrawen vnnd die verheissene Gnade hoffen / nicht mit Wercken etwas erwerben. Gerechtigkeit aber zu rechenen / sey nicht nach Verdienst lohnen / sondern aus genaden auch einen Gottlosen der mit Wercken nichts verdienet / aber doch gleubet / gerecht schetzen vnnd halten.“811 Er schließt: Abraham wurde ohne Verdienst aus Gnade durch den Glauben gerecht; dies gelte für alle Menschen.812 Abraham ist, wie Rollenhagen seine Auslegung von Röm 4 zusammenfasst, als der ‚Meister des Glaubens‘, als Vorbild, das alle Christen betrachten sollen, zu verstehen.813 Es ist evident, dass Rollenhagen hier eine unanfechtbare Zusammenfassung der reformatorischen Rechtfertigungslehre vorlegt, eine ‚Normaltheologie‘, bei der keinerlei Aufweichung dieser Lehre oder gar eine Distanzierung von dieser in irgendeiner Form auszumachen ist.814 Die Rechtfertigung des Menschen ist erstens reine Gnade, sie beruht in keiner Weise auf Verdiensten. Dem Menschen steht die Seligkeit nicht im geringsten zu. Die Rechtfertigung ist zweitens keine göttliche Reaktion auf eine Veränderung im Menschen; dieser bleibt in sich Sünder, Gottloser. Die Rechtfertigung ist entsprechend drittens eine Gerechtsprechung, mit der Gott den Sünder für gerecht erklärt. Sie gilt schließlich 809 A IIIa–b. 810 Vgl. A IIIb. 811 A IIIIa. 812 Vgl. ebd. 813 Vgl. A IIIIa–b. 814 Bernleithner, a.a.O., S. 131, spricht von einer „Tendenz zur Untermauerung der lutherischen Solafides-Lehre“.

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dem Glauben, der primär als Vertrauen, das sich an Gottes Verheißung bzw. seine Gnade hält, gefasst und von jeglichem auf Werken gegründeten Erwerben abgegrenzt wird. Das Prinzip der Gerechtigkeit aus Glauben wird so dem der Gerechtigkeit aus Werken bzw. durch Verdienste in ausschließender Weise gegenübergestellt. In seiner Zusammenfassung bietet Rollenhagen damit die wichtigsten Elemente der reformatorischen Rechtfertigungslehre: den Locus von Gesetz und Evangelium, das – auch wenn die Formel also solche nicht fällt – sola gratia und das sola fide, die Lehre von der imputativen Gerechtigkeit und das simul iustus et peccator. Deutlich gibt sich der Magdeburger Schulleiter als Vertreter einer imputativen Rechtfertigung melanchthonischer Prägung zu erkennen; eine effektive Rechtfertigung, wie sie von Osiander aufgebracht wurde, wird verworfen. Nun hat Dietmar Peil geäußert, die Charakterisierung Abrahams als Exempel für das sola fide sei weitgehend auf die Widmungsrede beschränkt, während sie im Drama selbst kaum in Erscheinung trete. Auch im ‚Beschlus‘ stehe die Mahnung zu einem gottgefälligen Lebenswandel im Zentrum.815 Er gelangt zu dem Urteil: „Die theologische sola-fidesLehre wird somit aus moralisch-didaktischen Gründen entscheidend ergänzt und dadurch auch relativiert... Die protestantische Position wird nicht in aller Schärfe von der katholischen Lehre abgesetzt, sondern die konfessionellen Grenzen werden eher verwischt.“816 Diese These gilt es zu überprüfen. Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde bereits bei der, insbesondere auf dem ‚Beschlus‘ basierenden Analyse der Intention des Dramas deutlich, dass Rollenhagen stärker auf den Aspekt des Tuns bzw. der Moral abhebt. Auch wenn er an dieser Stelle des Beschlusses Passagen von Jakob Freys Drama aufgenommen hat, so hat er sich diese doch zu eigen gemacht. In jedem Fall scheint sich eine eigentümliche Divergenz in der Tendenz des Dramas zu ergeben. Allerdings ist das Interesse an der Änderung des Lebens durch die Zuhörer alleine noch kein zureichendes Argument, dem Verfasser eine faktische Revision der reformatorischen bzw. hier lutherischen Rechtfertigungslehre zu attestieren. Um zu einem endgültigem Urteil zu kommen, ist es notwendig, zu analysieren, wie Rollenhagen in der Handlung und im Beschluss, in den Teilen, in denen er nicht explizit die Rechtfertigungslehre entfaltet, die Begriffe Glauben und Gnade füllt, wie er die Frage nach der Rechtfertigung angeht und welche Bedeutung dem Tun und dem Moralischen zukommt. Daneben kann ein Vergleich mit dem von Rollenhagen verarbeiteten Abraham-Drama von Jakob Frey die Tendenz von Rollenhagens Stück deutlicher ins Licht setzen. Wir wenden uns zunächst der Handlung zu, um im Anschluss zu beleuchten, ob und inwiefern Rollenhagen im Beschluss eine Zuspitzung des im Stück zum Ausdruck kommenden Verständnisses der Rechtfertigung vornimmt. Betrachtet man, wie Rollenhagen in der Handlung vom Glauben spricht, so zeigt sich, dass er auch durch die Personen des Stückes den Glauben vorrangig als Vertrauen 815 Vgl. Dietmar Peil, Zur konfessionellen Problematik in den Schuldramen Georg Rollenhagens, in Dieter Breuer (Hrg.), Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock, Teil II, Wiesbaden 1995, S. 647. 816 A.a.O., S. 648f.



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zeichnet. Dies erfolgt insbesondere durch Abraham, so in Akt II Szene 3 in einem Gebet und in Akt IV Szene 1 in einem Monolog vor Ergehen des Opferbefehls.817 Der Verfasser lässt dieses Verständnis des Glaubens aber auch Sara formulieren: „Doch lest Gott nicht der jhm vertrawt / Mit festem Glauben auff jhn bawt.“818 Der Glaube ist Vertrauen, aber auch das Wissen, dass dem Glaubenden durch das Verdienst Christi das Himmelreich erworben ist.819 Damit ergibt sich als weiteres Element des Glaubens, dass ihm die Gewissheit des Heils eignet. Als Bezugspunkt des Glaubens nennt Rollenhagen die Verheißung.820 Prägnant verkörpert Isaak in der Opferszene, was Glauben bedeutet, wenn er äußert: „WÜrd ich gleich tausentmahl verbrandt / Jch bleib dennoch in Gottes handt / Der wird mich aus der Asch erweckn / Ehe sein Verheissung bleiben steckn.“821 Auch dieses Bekenntnis ist Ausdruck der Gewissheit, ebenso verweist es auf die göttliche Verheißung als deren Grund. Inhalt des Glaubens ist, dass Gott den Glaubenden zur Vollendung, zur Auferstehung führen wird. Da dies mit der jeweiligen Wirklichkeit in Konflikt geraten kann und muss, wie die Szene von Isaaks Opferung belegt, ist der Glaube zwangsläufig Glaube gegen die Erfahrung und gegen die Vernunft. In diesem Konfliktfall hat der Glaube über der Vernunft zu stehen, was möglich ist, insofern er in der Allmächtigkeit Gottes gründet. Darin folgt Rollenhagen durchaus Luther.822 Potenziert wird dieser Konflikt allerdings noch einmal dadurch, dass es Gott selbst ist, der ihn herbeiführt. Der Glaube wiederum erkennt dies und vermag darin einen Sinn zu erkennen, den Abraham folgendermaßen formuliert: „Sihe auch bedenck vnd merck hiebey / Wie Gott so wunderbarlich sey / Wie er seine Lieben regirt / Vnd jhren Glauben recht probirt.“823 Für diesen Fall gilt es, gegen Gott an Gott zu glauben.824 In all diesen Gedanken kommt ohne Zweifel ein reformatorisches, an Luther orientiertes Glaubensverständnis zum Zuge.825

817 Vgl. Rollenhagen, Abraham, E IIIIb: „O Herr verlas nicht deine Knecht... / Die an dich gleuben / dir vertrawn / Jn dich hoffen vnd auff dich bawn.“ – G IIIIb: „... Jhm gleuben / vnd fest auff jhn bawn.“ 818 Akt V Szene 10, K Ib. 819 Vgl. Akt IV Szene 1, G IIIIb. 820 Nach Ergehen des Befehls stellt Abraham fest (Akt IV Szene 2, G VIb): „Jch gleub was er verheissen hat / Das wird er thun nach seinem Rath / Wird mir helffen aus allem leid / Gottes wort bleibt in ewigkeit.“ Vgl. a.a.O., G VIIIa: Abraham will den Befehl erfüllen „Vnd dennoch auch das gleuben fest / Das er sein zusag nicht verlesst.“ Vgl. Akt V Szene 3, I IIa. 821 Akt V Szene 3, I IIIb. 822 Vgl. Ulrich Asendorf, Lectura in Biblia, Göttingen 1998, der S. 133 in Bezug auf Luthers Genesisvorlesung formuliert: „Zusammenfassend ist also Glaube seinem Wesen nach Auferstehungsglaube, weil er an den Gott glaubt, der aus dem Nichts alles schafft.“ 823 Rollenhagen, Akt V Sz 7, I VIb. 824 Vgl. Akt V Szene 7, I VIb–VIIa. 825 Vgl. WA 19, 223,15f.

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Auch Rollenhagens Gehorsamsbegriff, der mit dem des Glaubens untrennbar verbunden ist, unterminiert dies nicht. Dass Abraham etwa in Bezug auf die Vertreibung Hagars und Ismaels hart bleibt und sich auch nicht durch die Tränen seines Sohnes davon abbringen lässt, dem Befehl Gottes zu folgen, ist nicht nur als Gehorsam, sondern, wie Bernleithner herausgearbeitet hat, auch als Glauben zu begreifen, insofern Abraham an die dem Ismael gegebene Verheißung glaubt und so keine Angst um ihn an den Tag zu legen hat.826 Der Gehorsam geht nicht nur aus dem Glauben hervor, er gründet in der göttlichen Verheißung und ist infolgedessen kein blinder Gehorsam Als etwas zwiespältig erweist sich dagegen der Gnadenbegriff der Handlung. Nach manchen Äußerungen erscheint die göttliche Gnade konditioniert, durch vorgängiges menschliches Handeln erst ermöglicht. So formuliert Sara beim Aufbruch zum Moria: „Gedenck auch bey dem Opffer mein / Das Gott mir auch wol gnedig sein.“827 Ebenso bittet Abraham Isaak um Gehorsam gegen Gott, dann werde er dessen Gnade sehen und vom Tod auferstehen.828 Isaak bestätigt diese Sicht ausdrücklich und bietet dem Vater Füße und Hände dar, „... Das er vns mit genaden ansehe.“829 Auf der anderen Seite weiß Rollenhagens Isaak, dass es letztlich Gott war, der ihn in diesem Gehorsam bewahrt hat.830 Das menschliche Handeln ist umklammert vom göttlichen, so dass die Gnade allererst den Gehorsam des Menschen ermöglicht. Ebenso lässt Rollenhagen den Isaak zum Ausdruck bringen, dass Gottes Gnade an den Tod Christi gebunden ist, also dem Menschen propter Christum appliziert wird.831 Dass das göttliche Erlösungshandeln und damit die Gnade die Rechtfertigung zum Inhalt hat, die dem Sünder gilt, hatte zuvor schon Lot in einem Gebet, in dem ferner die Bindung an die Person Christi und die zentrale Bedeutung des Glaubens in der Rechtfertigung des Sünders erscheinen, unter Aufnahme des Protevangeliums verbalisiert: „Vnd nimpst dich aller SÜnder an / Die gleubn vnd jhr zuflucht han / Zu dem verheissen Messiah / Des Weibes Sohn vnd Jehouah / Wie du geredt hast mit deim Mund / Da der Mensch erstlich fiel in SÜnd ...“832 Betrachtet man dies alles, wird man nicht sagen können, dass Rollenhagen in seinem Drama nicht der reformatorischen Lehre Ausdruck verleihe. Vergleicht man das Stück mit seiner entscheidenden Vorlage, dem Abraham-Drama Freys, wird man sogar eher von einer Durchdringung des Stoffes durch die protestantische Rechtfertigungslehre sprechen, oder gar mit Albert Freybe von einem Drama, „... in welchem die lutherische Lehre von

826 Vgl. Bernleithner, a.a.O., S. 134. 827 Rollenhagen, Abraham, Akt IV Szene 5, H IIIIa. 828 Vgl. Akt V Szene 3, I IIa. 829 A.a.O., I IIIb. 830 Akt V Szene 5, I Va „Hast mich in gehorsam bewart ...“ 831 Vgl. Isaaks Gebet in Akt V Szene 6, I Vb: Gott erlöst uns durch den Tod des verheißenen Samen; „... Seinthalben wolst vns gnedich sein.“ Er möge uns das ewige Leben aus Gnaden geben (ebd.). 832 Akt II Szene 2, D VIIa.



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der Rechtfertigung aus der sola fides so anschaulich dargestellt wird...“833 In jedem Fall „... ist die religiös-theologische Tendenz bei ihm weit stärker betont.“834 Man wird zwar nicht der Auffassung Recklings zustimmen, Rollenhagen habe das Stück Freys fast ganz aus dem Bereich bürgerlicher Moral herausgehoben, aber ihm doch darin folgen, dass er dieses Stück tatsächlich zu einem theologischen Drama gemacht hat.835 Trotzdem bleiben Zweifel an der Haltung des Verfassers, die sich aus anderen Tendenzen seines Stückes nähren. Doch ehe auf diese eingegangen wird, sei ein Blick auf den ‚Beschlus‘ geworfen. In diesem unterscheidet Rollenhagen am Beispiel Abrahams einen weiteren und einen engeren Gnadenbegriff. Im weiteren Sinne ist sie all das, was Gott Abraham an Gütern verliehen hat, von Gut und Geld über Gesundheit, Frieden und Bewahrung. Im engeren Sinne ist sie die „... grÖsser gnad / Das er Gott selber zum Freund hat / Der sein schutz ist / vnd Bundgesell...“836 Rollenhagen rekurriert an dieser Stelle auf Jak 2,23, wo die Gerechtigkeit aus Gen 15,6 als Freundschaft mit Gott ausgelegt wird. Das Wesen der Gnade wird unter Bezug auf Ps 8 dahingehend erläutert, dass Gott sich des Menschen annehme,837 dass er ihm durch Christus das ewige Leben geben wolle.838 Dies, so Rollenhagen, gelte dem Glaubenden, „... darumb / das er jhm vertrawt / Von gantzem Hertzen auff jhn bawt.“839 Dieser Glaube wird zwar auch hier umgehend als Gehorsam interpretiert, doch erfolgt diese Einordnung funktional. Zielpunkt ist für Rollenhagen der Glaube als Glaube gegen die Erfahrung, wie es bei Abraham der Fall war: „Gleubt dennoch sein Sohn der wÜrd lebn /... Hofft fest da gar kein Hoffnung war / Gottes zusag blieb ewich war.“840 So werde Abraham zum Exempel der Rechtfertigung, von Rollenhagen belegt mit der Zitation von Gen 15,6. Seinerseits fordert er im Folgenden die Zuschauer auf Abraham gleich zu werden, „Mit festem Glaubn Christum vmbfangn / Von jhm die Seligkeit erlangn / Aus gnaden / ohn der Werck verdienst.“841 Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass Rollenhagen mit all diesen Äußerungen fest auf dem Boden der lutherischen Lehre steht: Er versteht die Gnade als Zuwendung der Freundschaft Gottes. Der Glaube gründet auf der Verheißung Gottes, er richtet sich auf Christus. Klar stellt Rollenhagen das sola gratia des Rechtfertigungsgeschehens heraus. Und wenn Peil bemängelt, dass Rollenhagen daraufhin fordere, jeder solle in seinem

833 Freybe, Des Bergenfahrer Joch. Schlu’s Comedia von dem frommen, gottfürchtigen und gehorsamen Isaac, S. I. 834 Reckling, Immolatio Isaac, S. 56. 835 Vgl. a.a.O., S. 57. 836 Rollenhagen, Abraham, Beschlus, K IIIa. 837 K IIb. 838 K IIIa. 839 K IIIa. 840 K IIIa. 841 K IIIb.

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„dienst“ bleiben und sich in seinem „beruff“ recht halten,842 so ist darauf zu verweisen, dass auch dieser Gedanke zunächst einmal reformatorisch ist: Zum einen hat er paulinische Wurzeln (1 Kor 7,20), zum andern ist er gegen die altgläubige Vorstellung gerichtet, nach der durch einen Wechsel in einen geistlichen Stand eine höhere Heiligkeit erlangt werden könne. Vielmehr soll das Christsein im jeweiligen „beruff“ verwirklicht und gelebt werden.843 Auch in Bezug auf den Beschluss ist festzuhalten, dass Rollenhagen die reformatorischen Elemente offensichtlich bewusst eingefügt hat, denn in seiner Vorlage, dem Freyschen Drama, war Entsprechendes in dieser Form nicht zu finden.844 Wenn nun doch von anderen Tendenzen des Dramas die Rede ist, so steht dahinter die Frage, ob Rollenhagen wirklich völlig hinter der zum Ausdruck gebrachten reformatorischen Position steht oder ob er sich nicht verpflichtet fühlte, die entsprechenden Sätze erscheinen zu lassen, ohne dabei innerlich wirklich beteiligt zu sein. Anders formuliert: Wo schlägt in Bezug auf die Rechtfertigungslehre wirklich das Herz des damaligen Magdeburger Prorektors? Oben war bereits notiert worden, dass Rollenhagen im Beschluss nach der Entfaltung des ersten Lehrpunktes, in dem er zum Glauben an Christus auffordert, umgehend bemerkt, dass diese Lehre nicht davon entbinde, sich ‚fromm‘ zu verhalten und als Folge des so charakterisierten Verhaltens die göttliche Bewahrung benennt.845 Offenbar steht dahinter die Furcht, die Rechtfertigungslehre könnte zu einer Vernachlässigung dessen führen, was Rollenhagen als Frömmigkeit oder frommes Verhalten skizziert. Letzteres aber markiert damit am deutlichsten das tatsächliche Anliegen Rollenhagens, den Punkt, der ihm am wichtigsten, im Konfliktfall wichtiger auch als jene Lehre erschien, die für die Reformation den articulus stantis et cadentis ecclesiae bildete. Entsprechend nimmt das Stichwort ‚Frömmigkeit‘ in der Handlung eine bedeutende Stellung ein. So ist für Eliezer Abraham ein Vorbild an Frömmigkeit und Heiligkeit.846 Von diesem weiß er auch, „Das die Engel auff den Henden tragn / All GottfÜrchtige fromme Leut ...“847 Gottesfürchtigkeit und Frömmigkeit wiederum lobt Abraham auch an Isaak.848 Die Frage ist freilich noch, was Rollenhagen unter ‚fromm‘ versteht. Akt IV Szene 1 verdeutlicht, dass er von der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs ‚pietas‘ ausgeht. Die Frömmigkeit Isaaks äußert sich so gegenüber Gott in Gebet und Studium des Wortes Gottes und 842 Vgl. ebd., und dazu Peil, Zur konfessionellen Problematik in den Schuldramen Georg Rollenhagens, S. 648. 843 Vgl. dazu Oswald Bayer, Martin Luthers Theologie, Tübingen 2003, S. 128f. 844 Zwar äußert sich auch Frey zum Glaubensbegriff, lässt aber die Tiefe der Ausführungen Rollenhagens vermissen, für den der Glaube im Glauben gegen die Erfahrung gipfelt. Zudem bietet Frey keinerlei Ausführungen zum Verständnis der Gnade, erst recht findet das sola gratia keinen Widerhall bei ihm. 845 Vgl. Rollenhagen, Abraham, K IIIb. 846 Vgl. Akt V Szene 2, H VIIIb. 847 A.a.O., I Ia. 848 Vgl. Akt V Szene 3, I Ib. – Die Frömmigkeit Abrahams, Saras und Isaaks wird in Akt IV Szene 1, G IIIIb–Va, herausgestellt.



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gegenüber dem Vater in Gehorsam und aufmerksamer Fürsorge.849 Es geht Rollenhagen darum, dass der Mensch den ihm zukommenden Platz einnimmt und ausfüllt, sich selbst bescheidet und seine Pflicht erfüllt. Diese Haltung soll ihn auch im Leiden tragen, wenn es scheint, Gott sei gegen seine Verheißung, wie Abraham seine Katechese nach der MoriaSzene beschließt: „So stehe doch fest / weich nicht vom Wort / Bleib in deim beruff an deim ort Thue recht / lass den lieben Gott waltn / Er wird dir all sein zusag haltn.“850 Es wäre verfehlt, die Elemente dieser Sätze als unreformatorisch zu bezeichnen, weist Rollenhagen in ihnen doch gerade an das Wort und auf die Wahrnehmung des Glaubens im jeweiligen ‚Beruf‘, aber es spricht doch wiederum das Ideal der Selbstbescheidung und der Pflichterfüllung, weniger das des an Christus orientierten, mit ihm ringenden Glaubens aus ihnen. Erhellend ist schließlich die Selbstvorstellungsrede des Satans in Akt II Szene 1. Danach versucht er solche Menschen zur Hölle zu bringen, „.. die sich noch frÖmlich stelln ...“, „... Wo jrgnd ein falscher gleissendr Christ / Mir etwas zu stoltz worden ist ...“851 Diese inspiriert er mit den Untugenden Dünkel, Ehrgeiz und Hoffart, durch die er einst selbst zu Fall kam.852 Die Menschen, so hält er fest, verachteten die Predigt, wie im Falle Noahs deutlich geworden sei. Er könne so in ihnen Geiz, Zorn, Hass, Neid, Sicherheit und Völlerei erwecken.853 Sie führten ein gutes Leben und meinten, es habe noch Zeit mit der Hinwendung zu Gott.854 Er bestärkt sie in dieser Haltung und gibt ihnen die Lehre, „Das niemnd sich an die Pridigr kehr / Welch ruffen vnd schrein zu aller stund / Vollsauffen sey ein grosse SÜnd / Man mÜsse drumb zur Hellen fahrn / Vnd thuns doch selber wenig sparn.“855 Erneut tritt das Ideal von Selbstbescheidung und Demut hervor. Daneben geht es dem Verfasser um wahre, nicht vorgetäuschte Frömmigkeit. Wo die Frömmigkeit nur zum Schein geübt wird, besteht dagegen Anfälligkeit für moralische Laster. Fasst man diese Aussagen zusammen, ist zu sagen, dass für Rollenhagen der Begriff der Frömmigkeit zentral ist. Aufgrund der lutherischen Drei-Stände-Lehre ergibt sich für den Hörer die Aufforderung, in seinem jeweiligen Stand und Ort seine Pflicht zu erfüllen. Auch infolge dessen ist die Selbstbescheidung ein wesentliches Element dieser Frömmigkeit. Allerdings geht diese nicht in bürgerlichem Wohlverhalten auf, insofern die Wendung zu Gott essentiell in den vorliegenden Begriff der Frömmigkeit eingeschlossen ist. Auch aus dem Beschluss spricht dieses Anliegen Rollenhagens. So kritisiert er dort ein heuchlerisches Christentum. Rechter Glaube bedeute, Gott und seinem Gebot zu

849 Vgl. Akt IV Szene 1, G IIIIb. 850 Akt V Szene 7, I VIIa. Isaak kommentiert dies ebd.: „Ja Vater / das sind schÖne Lehrn.“ 851 D Ib. 852 Vgl. ebd. 853 Vgl. D IIa. 854 Vgl. D IIb: „Zu from werden ist noch zeit gnuch.“ 855 D IIb.

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folgen, fromm zu sein.856 Konsequent wendet Rollenhagen dies auf die drei Stände an und greift seine Zeitgenossen an, dass sie sich nicht belehren ließen, keine Weisung entgegennähmen, nicht nach Gottes Wort fragten, die Predigt nicht beachteten und sogar Gott lästerten, die Obrigkeit nicht achteten und die Eltern nicht ehrten.857 Gegenüber den Ausführungen Freys fügt Rollenhagen ausdrücklich Predigt und Obrigkeit ein, Reflex der von ihm verarbeiteten Drei-Stände-Lehre.858 Besonders aber wird an dieser Stelle Rollenhagens Glaubensbegriff fassbar. Wo er selbst den Begriff des Glaubens füllt, tut er dies anhand des Begriffs der Frömmigkeit. Glaube im Vollsinn des Wortes bedeutet für den Magdeburger fromm zu sein. In diesem Fromm-Sein, im Wahrnehmen der Pflicht gegen Gott bzw. die Prediger, die Obrigkeit und die Eltern bzw. die Familie kulminiert der Glaube, kommt er zu seiner letzten Erfüllung. Zu dieser Haltung will Rollenhagen seine Hörer bewegen. Am Ende des Beschlusses legt er ihnen, in gewisser Weise konsequent, zwei Wege vor, aus denen sie auswählen können: „Gott dir beidrley gezeiget hat / Wasser vnd Fewr auch zorn vnd gnad. Greiff du zu welchem das du wilt / Dein lust wird dir reichlich gestillt.“859 Damit setzt er eine Wahlfähigkeit des Menschen voraus. Resümiert man all diese Beobachtungen, ergibt sich folgendes Bild als Ergebnis: Trotz aller Aufnahme reformatorischer Sätze spricht aus manchen Formulierungen zum einen die Auffassung, dass Gott den, der sich wohl verhält und sich um ihn bemüht, entlohnen werde bzw. ihm seine Gnade erweisen werde, eine Auffassung, hinter der letztlich die Position eines facere quod in se est aufleuchtet. Trotz seiner Verortung in der lutherischen Orthodoxie, trotz Darbietung einer korrekten Rechtfertigungslehre insbesondere in der Widmungsrede gibt Rollenhagen doch zu erkennen, dass sein Herz an anderer Stelle schlägt. Es geht ihm primär um ein Tun, zu dem er bewegen will, um Frömmigkeit und Moral. Während er in der Widmungsrede den Vorrang der Lehre vor dem Leben betonte, setzt er im Beschluss das ‚unsträfliche Leben‘ über ein bloßes Namenschristentum.860 856 Beschluss, K IIIb: „Aber hie wollen wir nicht dran / Vnd gehn jmmer ein ander bahn Der Mund rÜmt das wir Christen sein / Das Hertz vnd dthat spricht lauter nein. Wir sollen rechten glauben lernn / Gott vnd seim Gebott folgen gern / So wenden wir das spiel herum / Wollen gleuben vnd sind nicht frum.“ – Erhellend ist hier der Vergleich mit Freys Abraham-Drama, von dessen Beschluss Rollenhagens Ausführungen zwar beeinflusst sind, dieser aber doch bezeichnende Änderungen vornimmt. So formuliert Frey, Abraham, E VIb, wir kehrten das Spiel herum, seien verstockt und je länger dumm. Rollenhagen fügt also den Begriff des Glaubens und den der Frömmigkeit von sich aus ein. 857 Vgl. K IIIb–IIIIa. 858 Vgl. Frey, Beschluss, E VIb. Zur Wiederbelebung der Drei-Stände-Lehre ab der Mitte des 16. Jahrhunderts vgl. Luise Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit in der Frühneuzeit, Gütersloh 1996, S. 31. 859 Rollenhagen, K Va. 860 Auf den Einwand, dass Gott in der Not nicht dem helfe, der von sich sage, er sei Christ, antwortet Rollenhagen (K IIIIb): „Ja mein Freund es hÖrt mehr dazu / Zum tantzen als ein roth par Schu. Er hat dir auch befehl gegebn / Das du hie solt vnstrefflich lebn. Nicht allein gleuben mit dem



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Dabei nähert er sich ohne Zweifel einer Haltung an, die von der Annahme des liberum arbitrium, ausgeht, wie seine Formulierung von den beiden Möglichkeiten belegt. Jedenfalls nennt er dort keine Einschränkung, negiert er nicht ausdrücklich, dass der Mensch die Freiheit besitze, den Weg zur Seligkeit oder zur Verdammnis zu wählen.861 Damit aber bewegt er sich auf die Bahn einer allgemeinen, nicht christologisch bestimmten Frömmigkeit zu. Angesichts des so erhobenen Befundes gilt es schließlich noch der Frage nachzugehen, welcher Stellenwert im Abraham-Drama der konfessionellen Polemik zukommt. Nach Richard Newald synchronisiert Rollenhagen die biblischen Stoffe, d.h. er stattet sie mit Motiven, Szenen und Bräuchen aus seiner Zeit und Umwelt aus: „Hier kann er auf Glaubenspolemik verzichten, da er den Zugang zur Bibel über das zeitnahe Menschentum, nicht über das Dogma oder die reine Lehrhaftigkeit findet.“862 Dennoch gibt es Andeutungen von Polemik, über die Bernleithner freilich äußert: „Vorhandene Reste erscheinen als Zugabe an literarische Mode und Publikumsgeschmack.“863 Eindeutiges, aber auch einziges Element antirömischer Polemik ist der als Mönch gekleidete Satan. Dieser bildete ohne Zweifel für das Publikum ein tatsächlich wahrnehmbares Merkmal konfessioneller Polemik. Insofern der Mönch die Hauptfigur antikatholischer Polemik ist und häufiger in protestantischen Dramen auftritt, dürfte das Publikum die Anspielung verstanden haben.864 Eine andere Frage ist, ob die jüngeren Zuschauer wirklich noch einzuordnen wussten, worum es sich bei einem Mönch handelt. Interessanter aber ist die Frage, wofür der die römische Kirche repräsentierende Satan steht. Nach der Vorstellungsrede des Satan in Akt II Szene 1 gehören zu den Seinen die Scheinchristen, jene, die nicht mit Ernst Christen sein wollen, die er in dieser Haltung bestärken will. Daneben gehören zur Partei des Satans auch die, die sich für sicher halten und meinen nicht fallen zu können.865 Ohne Zweifel trifft Rollenhagen damit reale Kritikpunkte des Protestantismus am Katholizismus und am Mönchtum: eine letzte Unernsthaftigkeit im Glauben, eine mangelnde Verortung des Glaubens im Gewissen auf der einen Seite, und die vergebliche Vorgabe des Mund / Es sol im hertzen haben grund. Solt ein gut Gewissen behaltn / Vnd dein Ritterstand recht verwaltn.“ 861 Vgl. Bernleithner, a.a.O., S. 145. 273, bes. S. 276: „Das Wesentliche ist, man bemüht sich, ein guter Mensch zu sein und geht auf den Wegen Gottes, von dem die ganze Welt abhängig ist.“ 862 Newald, Die deutsche Literatur, S. 53. 863 Bernleithner, a.a.O., S. 148. 864 Anders Peil, Zur konfessionellen Problematik in den Schuldramen Georg Rollenhagens, S. 645: „Antikatholische Polemik findet sich in Rollenhagens Schuldrama nur in teilweise sehr rudimentären Ansätzen. Im Abraham läßt er die Figur des Teufels „mit eim Schwartzen Buch / Dintenfaß / und Feder am Münchischen Gürtel“ auftreten, aber es fragt sich, ob das Publikum das einschlägige Accessoire tatsächlich als eine kritische Anspielung auf das Mönchstum [!] registriert hat.“ – Ein weiteres Indiz für die Zuschauer könnte es sein, dass der Teufel in Akt II Szene 1, D Ib, von seinem ‚Orden‘ spricht. 865 Vgl. Rollenhagen, D Ib.

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Mönchtums, eine via securior zum Heil zu bieten, auf der anderen Seite. Doch damit wäre das Vorgehen Rollenhagens an dieser Stelle noch nicht erklärt. Wichtiger erscheint, dass er mit dieser Zeichnung denen, die er im eigenen Kirchentum für unernsthafte Christen hält, und denen, die seines Erachtens für sich eine securitas in Anspruch nehmen, letztlich vorwirft, in den alten Glauben zurückzufallen. Die konfessionelle Polemik hat ihren Sinn nicht einfach in sich selbst. Sie steht im Dienst der Intention Rollenhagens die Glieder des eigenen Kirchentums zu wahrer Frömmigkeit zu erziehen. Ihr kommt nach der Vorstellungsrede kein wirklicher Eigenwert zu, sie wird funktionalisiert. Etwas anders verhält es sich mit der Versuchungsszene nach dem Opferbefehl, in der der Satan Abraham zu erklären versucht, der Opferbefehl sei wider die Natur und die göttliche Verheißung.866 An dieser Stelle ist es das Ziel des Satans, Abraham vom göttlichen Wort abzubringen, durch direkte Ablehnung des Befehls oder durch eine Interpretation, aufgrund derer der Befehl letztlich hinfällig wird – man müsse den Befehl deuten, dass er sich mit der Verheißung reime.867 Rollenhagen weist hier dem Satan die Rolle eines Lehramtes zu, das sich anmaßt, über das göttliche Wort zu urteilen, nach eigenen, selbstgewählten Maßstäben. Damit setzt er ihn ungeachtet des Mönchshabits, wie in der Tradition seit Luther üblich, mit dem Papst gleich. Allerdings aktualisiert Rollenhagen auch diesen Vorwurf, jedoch nicht in Richtung von Christen des eigenen Kirchentums als solchen. Vielmehr geht dieser Schlag gegen den zeitgenössischen ‚Calvinismus‘. Dies erhellt die Reaktion Abrahams, der der Auffassung des Satan, man müsse den göttlichen Opferbefehl so deuten, dass er mit der Verheißung übereinkomme, da er eine „verblÜmte red“ darstelle, entgegen hält: „Solt ich dann die weißheit regiern Vnd Gott im Himel reformirn / Sagn was vnd wie er reden sol?“868 Im Hintergrund steht der lutherische Vorwurf, die Reformierten betrieben Rationalismus, sie stellten sich mit der Vernunft über das göttliche Wort. Die konfessionelle Polemik ist also in Rollenhagens Abraham durchaus präsent. Sie wird aber nicht um ihrer selbst willen gesucht, sondern vom Verfasser im Lichte seiner Intention zur Anwendung gebracht. Mit dieser Polemik wird deutlich, dass der Verfasser auf dem Boden des lutherischen Kirchentums steht. Man kann Rollenhagen keinen konfessionellen Indifferentismus unterstellen. Dies ginge auch nur unter Absehen von den eindeutigen Aussagen der Widmungsrede. Rollenhagen gibt sich als auf dem Boden der lutherischen Lehre stehend zu erkennen. Dass er dabei auch andere Tendenzen vertritt, wird bei der Betrachtung der Handlung und aus Formulierungen des Beschlusses deutlich. Rechte Frömmigkeit und Moral stehen ihm im Konfliktfalle höher als die rechte Lehre. Ohne Zweifel gibt sich in dieser Position der Lehrer zu erkennen. Insofern hat Peil recht, wenn er formuliert: „Schon Rollenhagen begreift offensichtlich die Bühne als

866 Vgl. Akt IV Szene 2, G VIb–VIIa. 867 Vgl. G VIIa. 868 Akt IV Szene 2, G VIIa.



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eine ‚moralische Anstalt‘.869 Allerdings dürfte darin gerade ein Spezifikum, ein besonderes Anliegen Rollenhagens und kein Gattungsspezifikum zu erkennen sein, wie Peil behauptet.870 In anderen Dramen, auch in Abraham-Dramen, kann die rechte Lehre und die konfessionelle Polemik durchaus eine zentralere Stellung einnehmen.871 Gerade das Abraham-Drama des Magdeburgers Georg Rollenhagens ist ein ausdrucksstarker Beleg der Bedeutung der Individualität für das protestantische Drama.

7. Christoph Stymmelius, De immolatione Isaac (1579) Comoediae dvae. I. Isaac. De immolatione Isaac II. Stvdentes. De vita et moribus studiosorum. quarum prior recens scripta, posterior iam olim edita, nunc vero recognita et multis in locis correcta est. a Christophoro Stymmelio D., Stettin 1579 [Exemplar Wolfenbüttel] Christophorus Stymmelius (eig. Christoph Stummel)872 wurde 1525 in Frankfurt an der Oder geboren. Dort besuchte er Schule und Universität. 1546 erlangte er an der Universität seiner Heimatstadt den Magistergrad. In der Folgezeit wirkte er als Leiter der Schule in Beeskow, dann zwei Jahre als Hofprediger in Lübbenau. Von 1551 bis etwa 1553 hielt er sich in Wittenberg auf, wo er sich dem Umfeld Melanchthons anschloss.873 Seit 1554 ist er als Prediger in Crossen belegt. In dieser Zeit (1555) wurde er auch an der Viadrina zum Doktor der Theologie promoviert. 1556 erlangte er die Stelle eines Pastors an der Marienkirche im pommerschen Stettin und eines Professors an dem daselbst 1543 gegründeten Pädagogium. Ebenso fungierte er als Berater der Räte des pommerschen Herzogs Barnim IX. (XI.). Im Jahre 1561 nahm er mit drei Bevollmächtigten an den zur Einigung des Luthertums unternommenen Verhandlungen anlässlich des

869 Peil, a.a.O., S. 653. 870 Vgl. ebd. 871 Dies gilt etwa für Greffs Abraham-Drama. Von den hier untersuchten Stephanus-Dramen bieten dasjenige von Saxo, das kurz vor Rollenhagens Stück erschien, und das spätere von Zahn deutliche konfessionelle Polemik. 872 Zur Vita Stymmelius’ vgl. Wilhelm Kühlmann, Art. ‚Stymmelius, Christophorus‘, Literatur Lexikon 11, S. 277, und Reinhard Müller, Art. ‚Stymmelius, Christophorus‘, DL3 XXI, Sp. 284f.; ferner Georg Voss, Christophorus Stymmelius, Jahresbericht des Kaiser-Wilhelms-Gymnasium zu Aachen, 1898/99 und 1901/02; Die Evangelischen Geistlichen Pommerns von der Reformation bis zur Gegenwart. Auf Grund des Steinbrück’schen Manuskriptes bearb. v. Ernst Müller. Teil 2, Stettin 1912, S. 562; Otto Clemen, Zur Lebensgeschichte Christophorus Stymmelius’, ZGEU 27 (1937), S. 51–54. 873 Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 104, spricht von Stymmelius als ‚persönlichem Schützling des alternden Melanchthon‘.

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Naumburger Fürstentages teil, die allerdings erfolglos blieben.874 1566 Superintendent und Domprediger in Merseburg, kehrte er jedoch bereits 1567 wieder in seine Stettiner Ämter zurück. Von 1570 bis 1572 nahm er das Amt des Generalsuperintendenten in Stettin wahr. In dieser Funktion wirkte er auch in der Kommission mit, die 1572 die von Herzog Johann Friedrich von Pommern-Stettin angeordnete Visitation durchführte,875 zog es aber in der Folgezeit vor, sich auf seine Arbeit im Pädagogium zu konzentrieren. Theologisch engagierte sich Stymmelius in Stettin in den Auseinandersetzungen um die Osiandrische Rechtfertigungslehre und den Kryptocalvinismus, als dessen scharfer Gegner er sich exponierte. Er predigte heftig gegen die vom Konrektor des Pädagogiums, Konrad Berg, ab 1577 verbreitete Auffassung, die menschliche Natur Christi sei an den Himmel gebunden.876 Darüber hinaus wirkte Stymmelius an der Erstellung der 1563 verabschiedeten pommerschen Kirchenordnung mit. Neben seiner dramatischen Tätigkeit trat Stymmelius auch als Liederdichter in Erscheinung. Zum fünfzigsten Jubiläum der Einführung der Reformation in Pommern im Jahre 1585 verfasste er ein Lied.877 1588 starb Stymmelius in Stettin. In seiner Frühzeit, 1545, schrieb er ein Drama ‚Studentes. Comoedia de vita studiosorum‘, das 1549 gedruckt wurde und das Studentenleben seiner Zeit thematisiert. Dieses Drama, das zweimal vor Melanchthon in Wittenberg aufgeführt worden sein soll,878 ist didaktisch orientiert. Es führt den eifrigen, durch die bürgerliche Moral geprägten Studenten Philomathes vor und kontrastiert ihn mit Lasterfiguren. Zugleich schildert es das Leben in der Universitätsstadt mit seinen Scharmützeln mit Handwerksgesellen, Stadtwache und Bürgerschaft. Bedeutsam ist, dass Stymmelius in diesem Stück auch zwei sehr 874 Pommern hatte bereits gegen den von Melanchthon entworfenen Frankfurter Rezeß (1558), einer vermittelnden Formel in den strittigen Lehrpunkten Rechtfertigung, gute Werke, Abendmahl und Adiaphora, Widerspruch erhoben; vgl. Ernst Koch, Das konfessionelle Zeitalter, S. 213. 875 Vgl. Hellmuth Heyden, Kirchengeschichte Pommerns. Bd. 2, Köln-Braunsfeld 19572, S. 17; Hans Branig, Geschichte Pommerns. Teil I, Köln – Weimar – Wien 1997, S. 157. 876 Vgl. Heyden, a.a.O., S.53. 877 Vgl. a.a.O., S. 66. 878 Vgl. Johannes Bolte (Hrg.), Ein Spandauer Weihnachtsspiel. 1549, Märkische Forschungen XVIII (1884), S. 196. – Dem Druck von 1579 sind zwei Briefe Melanchthons an Stymmelius aus den Jahren 1553 und 1554 beigefügt – in ersterem erwähnt Melanchthon dessen „elegantissima comoedia“, zu der er ein Vorwort geschrieben habe, das er Stymmelius bei dessen Kommen überreichen könne, andernfalls werde es ihm durch Boten zugesandt; im zweiten Brief beglückwünscht Melanchthon ihn zu seiner Hochzeit – sowie ein Schreiben Melanchthons von 1553 an den Hallenser Pfarrer Sebastian Boetius, in dem Stymmelius, der in Frankfurt und Wittenberg bonae artes und ecclesiae doctrina studiert habe, für ein geistliches Amt empfohlen wird. Vgl. Melanchthons Briefwechsel, hrg. v. Heinz Scheible. Regesten Bd. 7, S. 35 (Nr. 6738); S. 178 (Nr. 7139). Der erste Brief Melanchthons an Stymmelius ist in der Ausgabe des Dramas fälschlich auf Weihnachten 1553 datiert, er stammt aber vom 25.12.1552; vgl. Regesten Bd. 6, S. 397 (Nr. 6682). Zuvor (15.12.1551) hatte Stymmelius den Wittenberger um eine solche Vorrede gebeten; vgl. a.a.O., S. 239 (Nr. 6281).



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verbreitete geistliche Dramen niederländischer Provenienz verarbeitet, die vom verlorenen Sohn handeln: den ‚Acolastus‘ von Wilhelm Gnapheus und den ‚Asotus‘ von Georg Macropedius. Ein weiteres weltliches Stück von ihm, das ‚Iudicium Paridis‘, erschien 1549. Es folgte eine lange literarische Abstinenz. 1579 wurde sein Drama ‚De immolatione Isaac‘ gedruckt, das Stymmelius nach eigenen Angaben vom 14. November 1576 bis zum 8. Januar 1577 geschrieben hatte.879 Um diese Zeit verfasste er auch ein Vorwort zu einem Drama von Vitus Garleben.880 Stymmelius’ lateinisches Stück besteht aus fünf Akten.881 Auf jeden Akt folgt – ungewöhnlich, nimmt man die römische neue Komödie als Vorbild, aber ein Jahr später wird Frischlin in seinem ‚Phasma‘ unter Rückgriff auf Aristophanes das Gleiche tun882 – ein Chor. Es liegt deutlich ein typisches neulateinisches Drama vor.883 Grob gegliedert, handelt das Drama im ersten Akt von Lot sowie von drei nicht näher bestimmten Männern, die in Kontakt zu Abraham stehen, im zweiten und dritten Akt steht die Hagar-Geschichte im Mittelpunkt, im vierten und fünften Akt geht es um die Opferung Isaaks. Die Periocha zu Beginn gibt als Vorwurf des Dramas die Geschichte der zwei Söhne Abrahams und die seiner Versuchung durch das Opfer Isaaks an.884 Es treten dreißig Personen auf: neben Abraham und seiner Familie, vier Knechte Abrahams und eine Magd Saras, Lot und seine beiden Knechte, drei Männer, die mit Abraham in Kontakt stehen, Abimelech und sein Feldhauptmann, einige Nebenrollen und der Engel Gottes.885 Auf eine Darstellung Gottes verzichtet Stymmelius. Der erste Akt mit seinen vier Szenen setzt an mit einem Gebet Lots, der für seine Rettung dankt und auf die Zerstörung Sodoms zurückblickt. Er schämt sich des Zwischenfalls mit seinen Töchtern, 879 Vgl. Stymmelius, De immolatione Isaac, α 5a. 880 Das Drama heißt: ‚Eine Geistliche vnd Trostreiche Comedie / Von dem trawirgen vnd Gnediger Annehmung unser ersten Eltern vnd des gantzen menschlichen geschlechtes‘, Alten Stettin 1577. In dem Vorwort (A IIIIa) unterscheidet er scharf zwischen Philosophie und Theologie. Die menschliche Weisheit (als Beispiele nennt er Aristoteles und Platon) könne weder die causa mali noch die causa salutis erkennen, hingegen habe es Mose, der größer sei als die Genannten, durch göttliches Wehen überliefert. 881 Eine kurze Inhaltsangabe bietet Wolfgang F. Michael, a.a.O., S. 105. 882 Vgl. Adalbert Elschenbroich, Imitatio und Disputatio in Nikodemus Frischlins Religionskomödie „Phasma“, in: Stadt, Schule, Universität, Buchwesen und die deutsche Literatur im 17. Jahrhundert, hrg. v. Albrecht Schöne, München 1976, S. 346f. 883 Die Gesänge der Chöre, die sich sonst nicht nachweisen ließen, dürften von Stymmelius verfasst worden sein, auch insofern diese engen Bezug auf die vorhergehende Handlung nehmen. 884 Vgl. a.a.O., A 2b / S. 4. 885 Das Personenverzeichnis nennt den Engel; Abraham; Sara (Sarah); Isaak (Isacus); Hagar (Agar); Ismael; vier Knechte Abrahams (servi Abrami): Eleazarus, Ebedcaton, Syriscus, Androdus; eine Magd Saras: Schipcha; Lot (Lothus); zwei Knechte Lots; [drei nicht näher bestimmte Männer:] Mamre; Eskol; Aner; Abimelech (Rex Gerar), Pichol (Imperator Regis); zehn Begleiter (satellites); einen Boten Ismaels.

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der ihn auf die Verfallenheit des genus humanum führt und ihn ein Sündenbekenntnis ablegen lässt. Er beschließt Abraham aufzusuchen. In der zweiten Szene zeigen sich drei Männer, Mamre, Eskol, Aner, dankbar dafür, dass Abraham ihnen den wahren Gott bekannt gemacht habe und sie von den Götzen weggeführt worden seien. Unklar ist ihnen aber, wie sie sagen, was es mit dem Samen auf sich habe, von dem Abraham spreche. Nachdem sie beschließen, Abraham zu bitten, ihnen diese Frage zu klären, erfolgt dies im Rahmen einer Rede Abrahams in der dritten Szene. Über den Sündenfall und die Todverfallenheit der Menschheit erläutert er den Erlösungsplan Gottes: Er sei barmherzig, die clementia habe die Gerechtigkeit besiegt, die Erlösung komme durch den Samen, der von einer Jungfrau geboren werden solle, der als Sohn Gottes Gott und Mensch zugleich sei. Wann dies aber geschehe, wisse er nicht. In der vierten Szene begegnet Lot seinem Onkel und gratuliert ihm zur Geburt Isaaks, dessen Namen im Folgenden erklärt wird. Der zweite Akt besteht aus fünf Szenen. In der ersten Szene sinniert Abraham über die Unterredung mit Lot. Eine solche Unterhaltung sei ein gutes remedium gegen die Traurigkeit. Es folgt ein Gebet. Ab der zweiten Szene steht die Geschichte um Hagar, Sara und Ismael im Mittelpunkt. Diese beginnt, den biblischen Faden von Gen 21,9 an aufnehmend, mit einem Streit der Sara mit Ismael, dem sie vorwirft, Isaak zu verlachen und das Erstgeburtsrecht für sich zu beanspruchen. Ismael tut dies in der dritten Szene seiner Mutter kund, die daraufhin beschließt Sara zu fragen, warum sie Ismael so schlecht behandele. Es folgt in der vierten Szene ein bis zu Gewaltandrohung eskalierender Streit zwischen Hagar und Sara, in den Abraham in der fünften Szene hineingerät. Er schickt zunächst Hagar hinaus, um mit seiner Frau zu sprechen, die umgehend die Entlassung der Magd fordert. Abraham zeigt sich zurückhaltend, er will erst einmal Gott befragen. Der dritte Akt, der über sieben Szenen verfügt, beginnt mit einer Klage Abrahams über die Frauen einschließlich seiner Sara. Sie seien geneigt zu schwer zu zügelnden Gemütsbewegungen, an ihnen werde die Schwäche der Menschen, von denen keiner ohne vitium geboren werde, deutlich. Diese Schwäche der Frauen sei größer als die des männlichen Geschlechts, das ja bestimmt sei über das andere Geschlecht zu herrschen. Ein Engel gibt Abraham sodann die Anweisung, der Bitte seiner Frau zu folgen, da der Same aus Isaak kommen solle. In der zweiten Szene stellt Abraham fest, es sei besser, auf die Stimme Gottes zu hören als Affekten nachzugeben, und weist seinen Knecht Ebedcaton an, Hagar und Ismael herzuführen, was in der dritten Szene erfolgt, wobei Hagar Vorahnungen äußert. Die vierte Szene bietet die Vertreibung. Abraham gibt Gottes Verheißung an Hagar und ihren Sohn weiter. Die nächste Szene zeigt die Verzweiflung Hagars, die nicht weiß, wo sie sich hinwenden soll. Ismael erinnert sie dagegen an die göttliche Verheißung. Die sechste Szene fällt aus dem Rahmen, insofern sie der biblischen Erzählung folgend, die Begegnung Abrahams mit Abimelech und den Bundesschluss der beiden (Gen 21,20ff) berichtet. Die Szene schließt mit einer Fürbitte Abrahams für Hagar und Ismael. Die siebente Szene stellt das Umherirren Hagars und Ismaels in der Wüste und das Erscheinen des Engels dar. Der vierte Akt wendet sich der Geschichte von der Opferung Isaaks zu. In der ersten der vier Szenen reflektiert Abraham den ergangenen göttlichen Befehl. Kaum habe er eine schlechte Nachricht, die Vertreibung Hagars und Ismaels verdaut, komme eine neue und viel schlimmere. Er redet Gott an und stellt ihm Fragen: Freue er sich an menschlichem Blut? Wo blieben seine Verheißungen? Diese Weisung stehe konträr dazu. Des Weiteren denkt er an Sara, die bittere Tränen



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vergießen würde, wenn sie von dem Befehl wüsste. Dennoch vertraut er darauf, dass Gott das Verheißene verleihen könne, auch wenn das Gegenteil geschehe. Sein Wort könne nicht täuschen. Er sei treu, er versuche nicht über die Kräfte und schenke einen guten Ausgang. In der zweiten Szene lässt Abraham die Knechte Ebedcaton und Eleazarus kommen, denen er erklärt, dass er zu einer Opferhandlung aufbrechen müsse. Es folgen Anweisungen für die Reise. Die dritte Szene bietet ein Gebet Abrahams, in dem er an Weisheit, Vorsehung und Güte Gottes erinnert. In seiner Hand lägen Glück und Unglück. Er bedenkt die Wohltaten Gottes, die er bisher erfahren hat, bringt aber dann seine Verzweiflung zum Ausdruck, dem eigenen Sohn die Kehle durchzuschneiden. Dennoch äußert er die Absicht zu tun, was Gott befehle, und bittet ihn, seinem Geist Stärke zu verleihen. In der vierten Szene befragt Sara Abraham über das ihr ungewöhnlich scheinende Unternehmen, der ihr aber keine weiterführenden Auskünfte erteilt und darauf beharrt, das Ganze jetzt auszuführen und ebenso das Opfer an der befohlenen Stelle, einer anderen als der bis dato üblichen, darzubringen, weil Gott es so wolle. In der ersten Szene des fünften Aktes, der fünf Szenen umfasst, reden Sara und der Knecht Eleazar über die geplante Opferreise. Dabei favorisiert Sara die Auffassung, man könne Gott überall ein Opfer darbringen, die Reise sei unnötig. Eleazar stimmt zwar im Grundsatz zu, möchte aber nicht gegen seinen Herrn argumentieren und hält dagegen, Gott habe sich eben dieses Mal einen bestimmten Ort auserwählt, woran Abraham gebunden sei. Sara bringt ihre Angst um Isaak zum Ausdruck. Die zweite Szene stellt das Geschehen bei der Ankunft am Fuße des Moria dar. Abraham bittet die beiden Knechte Syriscus und Androdus unten zu bleiben, während er und Isaak aufsteigen wollten. Isaak fragt zum ersten Mal nach dem Opfer. Syriscus wundert sich, was Abraham in den Sinn gekommen sei und warum sie nicht mit zum Opfer dürften, worauf der Hausherr sonst gerade größten Wert lege, zumal er nach den Gebeten predige. Die dritte Szene bildet den Höhepunkt des ganzen Stückes. Sie zeigt Abraham und Isaak auf dem Moria. Während sie ausruhen, beginnt ein Dialog. Isaak fragt erneut nach dem Opfer. Abraham weicht aus und bittet den Sohn um Hilfe beim Bau des Altars. Isaak zeigt sich gehorsam. Sodann beginnt Abraham einen langen Redegang: Er stellt fest, er habe Isaak immer geliebt und würde alle vergänglichen Güter für ihn hergegeben,886 so liebe er ihn. Aber es liege ein – von Abraham noch nicht näher bestimmter – Befehl Gottes vor, der ihn in einen Zwiespalt zwischen pietas und väterlichem Affekt führe. Dies, so Abraham, erkläre sein Zögern, Isaak zu sagen, worum es sich handle. Nun nennt er den Befehl: Er solle Isaak Gott zum Opfer darbringen. Dieser wolle seinen Glauben und seinen Gehorsam erforschen, wie Abraham den Sinn des Befehls deutet. Noch einmal verweist er auf seine Gemütslage: Er sei unschlüssig, aber er könne Gott nicht widerstreben. Im Folgenden versucht Abraham Isaak zu trösten, wobei er freilich allgemein ansetzt: Jeder Mensch sei (ohnehin) sterblich. Trost gebe es aber darin, daß der Mensch nach Gottes Willen zur ewigen Seligkeit bestimmt sei. Diese Seligkeit wolle er jetzt, durch diesen Tod, Isaak verleihen. Dazu sei er aus allen Sterblichen auserwählt. Es sei aufgrund dieses göttlichen Befehls ein seliger Tod, der noch dazu nur einen kurzen Augenblick dauere. Gottes Verheißung aber täusche nicht. Nach Abrahams Ausführungen redet Isaak, der sofort seine Bereitschaft signalisiert zu sterben. Es sei billig, Gott 886 Vgl. Voiths Spiel vom herrlichen Ursprung, Akt IV, ed. Holstein, S. 273,1755f.

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zu gehorchen und es gebe in der Tat nichts Wertvolleres als den Tod der Heiligen. So fordert er den Vater auf, tapfer in die von ihm dargebotene Kehle zu stechen, hierin Luthers Auslegung zu Gen 22 aufnehmend und noch verstärkend.887 Diese Haltung lobt der Vater, sie bestärkt ihn fortzufahren. In einem Gebet befiehlt sich Isaak Gott an. Da erscheint der Engel, der Abraham Einhalt gebietet und konstatiert, er habe seinen Glauben und Gehorsam ausgeforscht. Abraham preist Gott, der den Versuchten nicht zerstöre und einen fröhlichen Ausgang gebe. Isaak dankt Gott mit ähnlichen Worten. Nach dem verrichteten Opfer und nochmaligem Dank Gottes durch Abraham erfolgt der Abstieg vom Berg. Die Begegnung mit den beiden mitgenommenen Knechten wird dabei nicht dargestellt. In der vierten Szene hält Eleazar einen Monolog. Er macht sich Sorgen um Sara, die nun hinzutritt. Er redet ihr zu, hat aber, wie sich zeigt, selber Zweifel. Sara erzählt ihm von einem Traum, in dem sie sah, wie Abraham dem Isaak die Kehle aufschnitt. Eleazar hält dagegen, so etwas sei wider die Natur. Da treffen die Reisenden ein, man begrüßt sich. Ein Bericht über das Geschehen erfolgt nicht. Die abschließende fünfte Szene, die aus diesem Strang der Handlung herausfällt und an das Ende des dritten Aktes anknüpft, lässt einen Boten Ismaels auftreten, der meldet, dass dieser lebe und es ihm gut gehe. Damit schließt das Drama.

Stymmelius’ Drama kommt unter den Abraham-Dramen recht singulär zu stehen. Es zeigt von der Struktur her keinerlei Beeinflussung durch andere Dramen, etwa durch Voiths ‚Spiel vom herrlichen Ursprung‘ oder durch Rollenhagens ‚Abraham‘. Wohl gibt es Analogien zu anderen Stücken. In Bezug auf die inhaltliche Füllung sind abgesehen von kleineren Reminiszenzen zu ersterem und allgemeinen Analogien, die durch die reformatorische Haltung – etwa in der Zusammengehörigkeit von Glaube und Verheißung – bedingt sind, Ähnlichkeiten zu letzterem darin erkennbar, dass in beiden Dramen die Akte IV und V der Opferung Abrahams gewidmet sind und von der Auferweckung als Erweckung aus der Asche888 gesprochen wird. Mit den Abraham-Dramen von Hans Sachs gemeinsam ist der Zug, dass in beiden Isaak keinerlei Widerstand gegen die ihm angekündigte Opferung betreibt und umgehend in seinen Tod einwilligt. Dennoch sind diese Ähnlichkeiten zu schwach, um Abhängigkeiten zu postulieren. Stymmelius’ Stück fällt auch dadurch in der Reihe der Abraham-Dramen auf, dass in ihm nicht vorgesehen ist, dass Gott in irgendeiner Weise auftritt. Darin berührt es sich nur mit Chytraeus bzw. Beza. Auch auf die Figur des Satans verzichtet Stymmelius. Lediglich auf die Gestalt des Engels kann er nicht verzichten. Im übrigen stellt er das Geschehen rein anhand der agierenden Menschen und der Äußerung ihrer Haltungen und Affekte dar. Als zentraler Konflikt ergibt sich der Gegensatz zwischen pietas und affectus. Reckling meint, der zweite und dritte Akt zielten mit der Hagargeschichte auf den Gehorsam Abrahams, während der vierte und fünfte Akt den Glauben des Patriarchen

887 Vgl. WA 43, 217,11f. 888 Vgl. Stymmelius, Akt V Szene 3, D 6a [60!], mit Rollenhagen, a.a.O., Akt V Szene 3; I IIIa.



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thematisierten.889 Für diese These lässt sich geltend machen, dass mit dem Opfer Isaaks insbesondere der Glauben herausgefordert ist, der ja auf die Verheißung bezogen ist und nun einer schweren Probe unterzogen wird, während es bei Ismael nicht im strengen Sinne um ‚die‘ Verheißung, d.h. die Verheißung des heilbringenden Samens geht und gewissermaßen der einfache Gehorsam gefordert ist. Doch lassen sich beide Handlungsstränge nach Stymmelius nicht in dieser Weise auseinanderreißen. Die Vertreibung Ismaels erfolgt gerade deshalb, um die Nachkommenschaft Isaaks zum Zuge kommen zu lassen, um anzuzeigen, dass aus dieser der verheißene Same kommt, wie der Engel Abraham anweist. Ferner ist das Verhalten Abrahams nach dem Opferbefehl zweifelsohne auch als Gehorsam aufzufassen. Hinzu kommt, dass es auch in Akt III um den Glauben als das angemessene Verhalten des Menschen zur göttlichen Verheißung geht. Abraham gibt die Verheißung Gottes an Hagar und Ismael weiter. Ismael hält sich an diese Verheißung, glaubt, als Hagar in der Wüste zu verzweifeln droht, wie Reckling richtig bemerkt und denn auch seine These relativiert.890 Auch in der Hagargeschichte geht es somit um den Glauben an Gottes Verheißungen. Dies erklärt auch, warum das Drama – an sich ungewöhnlich – mit der Nachricht vom Wohlergehen Ismaels schließt. Mit dieser Meldung kommt endlich die Handlung des dritten und vierten Aktes zum Ziel, wird gezeigt, dass gleichermaßen im Falle Ismaels die göttliche Verheißung sich erfüllt und Ismaels ebenso wie Abrahams Glaube auch in diesem Fall ins Recht gesetzt wird. Beide Handlungsstränge gehören somit zusammen, in beiden geht es um den Glauben, in beiden geht es darum, nicht den Affekten nachzugeben.891 Damit erübrigt sich auch die Auffassung Creizenachs, Stymmelius sei mehr an der Geschichte Isaak – Ismael interessiert, weit weniger an der Opferung.892 Zum einen sind zwei Akte für diese Handlung, die zweifelsohne den Höhepunkt des Dramas bildet, reserviert, zum andern sind, wie gezeigt, beide Handlungsstränge miteinander verwoben. Dem Drama liegt vielmehr eine wohl überlegte Struktur zugrunde. Deutlich lassen sich die Stufen von Protasis, Epitasis, Katastasis und Katastrophe den Akten zuordnen. Akt I bietet mit dem Hinweis auf den zukünftigen Samen und die durch diesen ins Werk zu setzende Erlösung die Einleitung. Akt II und III zeigen eine Verwicklung. Akt II lässt zunächst fragen, wer denn der Same ist bzw. aus wem er kommen soll, von Isaak her oder von Ismael her. Der damit einhergehende Konflikt steigert sich in Akt III. Eine anhaltende Verwicklung ergibt sich in Akt IV, die fragen lässt, wie denn angesichts des Opferbefehls 889 Vgl. Reckling, Immolatio Isaac, S. 59. 890 Vgl. Reckling, ebd. 891 Vgl. Reckling, a.a.O., S. 148: „Daß beides [sc. der Gehorsam Abrahams in Akt II und III und sein Glaube in Akt IV und V] zusammengehört, wird rein äußerlich dadurch unterstrichen, daß die erste Handlung die zweite umklammert; denn erst in der letzten Szene des fünften Aktes erfährt Abraham, daß es Ismael gut geht und daß er selbst gut daran getan hat, Gott zu gehorchen.“ 892 Vgl. Wilhelm Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Zweiter Band. Renaissance und Reformation. Erster Teil, Halle a.S. 19182, S. 104.

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der Same und damit der göttliche Erlösungsplan zum Zuge kommen kann. Akt V löst die ganze Spannung: Isaak lebt und damit wird der auf seinem Samen beruhende Erlösungsplan bestätigt. Ja sogar der einstige Gegner, Ismael, glaubt an den Samen und die Erlösung. Als weiterer Wesenszug des Dramas und damit der Theologie seines Verfassers ergibt sich ferner das Konzept eines Universalismus: Heiden wie Ismael kommen zum Glauben an den einen Samen. Über eine Aufführung des Stückes ist nichts bekannt. Allerdings wurde es 1613 in Magdeburg noch einmal neu gedruckt.893 Stymmelius gibt im Widmungsbrief an Markgraf bzw. Kurfürst Johann Georg von Brandenburg an, er sei nach langer Abstinenz vom Dichten, jedenfalls was größere Werke anbetreffe, durch eine göttliche Eingebung oder Anregung zum Schreiben eines geistlichen Dramas gekommen.894 Mit diesem singulären Argument – in zurückhaltender Form erscheint es noch einmal im Epilog, wo es heißt, die in der actio dargestellte Geschichte sei vom Heiligen Geist diktiert895 – versucht er von Anfang an, Argumente gegen diese Tätigkeit zu entkräften. Keineswegs könne das Abfassen von Dramen etwas seiner Profession Fremdes sein, wenn dieses Tun bei ihm auf einen ‚instinctus divinus‘ zurückgehe. Zum andern werde dies auch durch berühmte Theologen belegt, die sich dem Dichten widmeten. So habe Gregor von Nazianz ein Drama ‚Der leidende Christus‘ geschrieben.896 Die im Folgenden von Stymmelius in Aufnahme Ciceros aufgeführten Vorzüge des Dichtens (haec studia) nennen als erste Punkte die Nährung der Jugend und die Unterhaltung der Älteren; sie berühren aber nicht das Theater speziell.897 Auf weitere Argumente für das Theater und für geistliche Dramen, insbesondere für die Zuschauer, geht er auch danach nicht mehr ein. Als Grund für die Wahl der „historia Isaci“ äußert Stymmelius im Widmungsbrief, die Geschichte enthalte eine vielfältige Lehre und einen reichen Vorrat an heilsamem Trost.898 Ferner verweist er darauf, dass das Geheimnis unseres Heils in der Geschichte präfiguriert werde.899 Im Epilog hält Stymmelius fest, die im Drama dargestellte Geschichte enthalte eine für das Leben besonders nützliche Lehre, die er in sechs Punkten (regulae) zusammen-

893 Vgl. Paul Bahlmann, Die lateinischen Dramen von Wimphelings Stylpho bis zur Mitte des sechzehnten Jahrhunderts. 1480–1550. Ein Beitrag zur Litteraturgeschichte [!], Münster 1893, S. 100 (Nr. 64). Im Wolfenbütteler Katalog ist als Jahr des Druckes 1614 angegeben. 894 Vgl. Stymmelius, Epistola dedicatoria, α 4b. 895 Epilog, D 8a / S. 64 [63]: Der Dichter sagt den Zuschauern Dank, „… Quòd Actionem hanc magno cum silentio Audistis, quae à Sancto dictata est Spiritu, Et non conficta humano ingenio fabula, Sed verè gesta res ...“ 896 Vgl. Epistola dedicatoria, α 5a–b. – Die Autorschaft des Nazianzeners ist umstritten; das Werk findet sich in PG 38,133–338. 897 Vgl. a.a.O., α 5b. 898 Vgl. α 5a. 899 Vgl. α 6b.



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fasst.900 Diese regulae werden alle mit einem ‚docet‘ eingeleitet. Als ersten Lehrpunkt nennt er, dass in allen Ängsten Gott zu vertrauen sei. An seinem Wort sei nicht zu zweifeln, auch wenn die von Gott gegebene Wirklichkeit und seine Verheißung auseinander fielen.901 Ein zweiter Punkt lehrt, dass Gott zu gehorchen sei, auch wenn die menschlichen Affekte und die Natur davor zurückschreckten.902 Nach dem dritten Punkt sei, wenn Gott aus ganzem Herzen angerufen werde, ein guter Ausgang zu erhoffen und zu erwarten, eine klare Sonne nach dichten Wolken.903 Dass Gott Tote auferwecken könne, weil sein Wort niemanden täuschen kann, markiert den vierten Punkt.904 Als fünften Punkt führt er an, unsere Kräfte seien Gott bekannt, er lasse nicht zu, dass wir über sie versucht würden. Mit der Versuchung gebe er einen guten Ausgang.905 Als letzten Punkt nennt Stymmelius das Geheimnis, dass das Opfer des Sohnes Abrahams das Opfer des Gottessohnes präfiguriere.906 Diesem Punkt versucht er im Drama selbst gerecht zu werden, indem er in die Opferhandlung Hinweise auf die Passion Jesu einbaut: So wird Isaak an Händen und Füßen gefesselt und beendet sein Gebet mit Worten, die deutlich an Jesu letztes Wort am Kreuz nach Lk 23,46 anspielen.907 Die Präfiguration ist kein bloßer Nebengedanke, vielmehr ist sie wichtig für die Struktur des Dramas, das im ersten Akt auf die Notwendigkeit der Erlösung durch den Samen und im fünften auf deren im Opfer bestehenden Modus hinweist.908 Zu dieser Bedeutung des Gedankens der Präfiguration stimmt auch der Zug, dass Isaak umgehend seiner Opferung zustimmt und keinerlei Einwände vorbringt. Obwohl Stymmelius im Epilog von ‚Lehre‘ spricht, steht doch der Trostaspekt bei den meisten Punkten im Vordergrund, wenn er im ersten Punkt von Ängsten redet, in denen Gott zu vertrauen sei, im dritten Punkt von der Hoffnung auf einen guten Ausgang spricht, im vierten Punkt auf die göttliche Potenz zur Auferweckung Toter verweist und im fünften Punkt unter Aufnahme des Paulus-Wortes 1 Kor 10,13 versichert, dass Gott den Menschen nicht über seine Kräfte versuche und das Ganze zu einem guten Ende bringe. Lediglich der sechste Lehrpunkt, die Präfiguration Christi durch Isaak, kann als rein lehrhaft bezeichnet werden. Gleichwohl weist Stymmelius durch diesen Punkt auch auf etwas Tröstliches hin, nämlich dass in Christi Blut die Sünden der Welt gesühnt 900 Vgl. Epilog D 8a / S. 64 [63]: Die Geschichte ist eine „… verè gesta res, quae multam continet Doctrinam, in tota vita in primis vtilem, Quam paucis breuiter complectemur regulis.“ 901 A.a.O.: „Docet in cunctis fidendum esse Deo angustijs Nec dubitandum de Verbo, etsi contraria Promißioni eueniunt de coelo editae …“ 902 Vgl. a.a.O., D 8b / S. 65 [64]: „Docet parendum esse Deo, quamuis refugiant Affectus humani, et penitus abhorreat Natura visceribus ipsis ex intimis.“ 903 Vgl. a.a.O. 904 Vgl. a.a.O. 905 Vgl. a.a.O. 906 Vgl. a.a.O. 907 Vgl. D 6b / S. 60 [59]; vgl. dazu Reckling, a.a.O., S. 59f. – Auch Luther stellt sich so Isaak vor der Opferung vor; vgl. WA 43, 221,1. 908 Vgl. Reckling, ebd.

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seien. Der zweite Lehrpunkt zielt auf den Gehorsam des Menschen gegenüber Gott. Alle anderen genannten Punkte sind seelsorglich orientiert und zugleich theologisch geprägt, besonders der erste, der den Glaubensbegriff und sein Verhältnis zu Verheißung und Wirklichkeit zur Sprache bringt. Insgesamt laufen alle Lehrpunkte auf die Aufforderung hinaus, in widrigen Situationen im Glauben zu beharren und sich an Gott zu halten, der die Sache zu einem guten Ende führe. Einzigartig gegenüber anderen Dramen wirkt in Stymmelius’ Stück ein Abschnitt der das Opfervorhaben eröffnenden Rede Abrahams, in dem er Isaak zu trösten versucht, ein förmlich als Trostrede gehaltener Passus.909 Mit der Konstruktion dieser Rede folgt Stymmelius der Genesis-Auslegung Luthers, nach der Abraham dem Isaak vor dem Opfer eine Rede hielt, in der es zentral um die Auferstehung der Toten ging.910 Stymmelius lässt Abraham feststellen, dass die Menschen nicht zur Sterblichkeit, sondern zur himmlischen und ewigen Seligkeit, zum Verkehr mit Gott bestimmt seien. Schon jetzt lebten in solcher Weise die Engel mit Gott, mit welchen auch sie selbst – er schließt sich und Isaak zusammen – die ewigen Freuden genießen würden. Diese zunächst allgemein formulierte Wahrheit wendet er nun auf Isaak und seine spezielle Situation an. Gott wolle, dass Isaak Teilhaber dieser Seligkeit sei. Dabei spielt auch die Art seines Todes eine signifikante Rolle: Gott wolle, dass er durch diesen ruhmreichen Tod sterbe, ja er habe ihn als Opfer aus allen Sterblichen erwählt. Man könne nicht seliger sterben, als wenn man auf seinen Befehl hin sein Leben als Opfer darbringe. Gewiss sei dies ein Opfer, aber es stelle nur einen kurzen Augenblick dar, und in diesem Augenblick erfolge ein Wechsel zum ewigen Leben. Gott sei wahrhaft in seinen Verheißungen und täusche nicht. Er werde ihn aus dem Tod wieder lebendig machen.911 Mit diesen Worten versucht Abraham dem vom Tode bedrohten Isaak Trost zu spenden. Sie zeigen die selbstverständlich geltende Überordnung des himmlischen Lebens gegenüber dem irdischen. Das irdische Leben findet sein Ziel im himmlischen, über das freilich wenig Konkretes gesagt wird. Problematischer erscheint, zumal heute, die Deutung des Todes Isaaks.912 Die Frage ist, ob Stymmelius hier eine Rationalisierung begeht, insofern er Gottes Tun, das doch, wie Abraham formuliert, Glück und Unglück, Gutes und Widerwärtiges umfasst, das in seiner unerforschlichen Weisheit gründet,913 zu erklären versucht. In diesem Passus verweist Abraham zwar darauf, dass dem Bitteren Süßes beigemischt sei – was man als Rationalisierungsversuch deuten kann  –, 909 Vgl. Stymmelius, Akt V Szene 3; D 5b / S. 59 [58]. 910 Vgl. WA 43, 216,15ff.24ff. Vgl. dazu Ulrich Asendorf, Lectura in Biblia, Göttingen 1998, S. 128ff. 911 Vgl. Stymmelius, a.a.O., D 6a / S. 60 [59]. 912 Stymmelius’ Bemerkungen lassen im heutigen Kontext eher an Verlautbarungen islamistischer Terrorgruppen denken. Dass ein Mensch sein Leben Gott zum Opfer darbringt, insofern er dazu von Gott auserwählt wurde, dass einem solchen Tod eine besondere Dignität eignet, mutet fatal an, öffnet es doch Tür und Tor, Schutz und Unantastbarkeit des menschlichen Lebens, bei sich selbst wie bei anderen, aufzuheben. 913 Vgl. Akt IV Szene 3; C 7b / S. 46.



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aber als Grund nennt er die wunderliche Mischung des den Sterblichen verborgenen göttlichen Rates.914 Insofern ist in Abrahams Trostrede tatsächlich eine gewisse Rationalisierung zu konstatieren, mit der das Unerforschliche erklärt werden soll. Allerdings sah sich Stymmelius mit der Tatsache konfrontiert, dass der Befehl zum Opfer eben ein göttlicher war und als solcher irgendwie in der göttlichen Weisheit gründen musste. Man kann nun fragen, ob er einen eigenmächtigen, rein menschlichen Trostversuch zu Darstellung bringen wollte, was allerdings – schon infolge der Vorbildfunktion Abrahams – von vornherein kaum zu vermuten ist. War demnach der Trostversuch Abrahams ein in den Augen Stymmelius’ ernst gemeinter, wenn auch ein Reden ad hominem, so lässt sich darauf verweisen, dass die Bereitschaft, für Gott sein Leben zu lassen, für Stymmelius gewiss einen positiven Wert darstellte. Von Isaak wird dieser Gedanke auch an sich voll akzeptiert.915 Zum andern ist hier schon ein impliziter Hinweis darauf zu sehen, dass für Stymmelius im Opfer Isaaks das Kreuzesopfer präfiguriert ist, ein Opfer, das ebenfalls von Gott eingerichtet wird, dem Christus mit seiner oboedientia passiva folgt und mit dem jegliches Menschenopfer abgetan wird, und zwar a priori, in der Weise, dass es gar nicht mehr zur Opferung Isaaks kommt. Überlegen ist dieses Opfer ohnehin, wird doch vom Opfer Isaaks keine Heilsbedeutung, keine Wirkung für andere ausgesagt. Aus diesen, heute nur schwer nachvollziehbaren Worten spricht, und das sollte nicht verkannt werden, allerdings auch eine – trotz der Härte der Anordnung Gottes – unerschütterliche Heilsgewissheit. Am Ende steht die Auferweckung bzw. ein guter Ausgang. Dies bildet den Kern der Rede. Insofern mündet Abrahams Trostrede in den Hauptlehrpunkt, in die Aufforderung, auch in der Not im Glauben an Gott festzuhalten, der schließlich die Not wenden wird. Über diesen einen zentralen Lehrpunkt hinaus bietet Stymmelius in seinem Drama nebenher weitere, streng theologische Lehren, die er den Zuschauern seines Dramas nahezubringen sich nicht scheut, obwohl sie recht anspruchsvoll sind. So legt Lot in seinem Gebet in Akt I Szene 1 die Erbsündenlehre dar: Der Mensch ist geneigt zu allem Bösen, nichts Gutes wohnt in ihm.916 Abraham bestätigt sie in Akt III Szene 1: Kein Mensch wird ohne Fehler (vitium) geboren.917 Damit ist jegliche Mitwirkung des Menschen zu seinem Heil ausgeschlossen. Ferner weist Abraham seinen – von ihm vom Heidentum zum Glauben an den einen Gott bekehrten – Gesprächspartnern nach, dass der kommende Erlöser aus zwei Substanzen bestehe, bringt ihnen also die Zwei-Naturen-Lehre nahe.918 914 Vgl. ebd. 915 Vgl. Akt V Szene 3; D 6a / S. 60 [59]. 916 Vgl. A 4b / S. 8. 917 Vgl. B 7b–8a / S. 30f. 918 Vgl. Akt I Szene 3; A 7b / S. 14. – Auch in dem Gedanken, Abraham habe die autochthone Bevölkerung bzw. Vertreter derselben im Glauben an den einen Gott unterrichtet, folgt Stymmelius Luthers Genesisvorlesung; vgl. WA 42, 499,15ff.24f. Nach Luther lehrte Abraham erst seine Familie über die vera religio, sodann auch die benachbarten Kanaanäer (vicini Cananaei). Vgl. dazu Asendorf, a.a.O., S. 87.

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In seinem Gebet nach dem Opferbefehl in Akt IV Szene 3 erwähnt Abraham die göttliche Vorsehung (providentia), die in conservatio und gubernatio wirke.919 Den Höhepunkt dieser Einführung von Lehren bildet das Gespräch zwischen Sara und Eleazar (Elieser) über den Modus der göttlichen Allgegenwart in Akt V Szene 1.920 In diesem Gespräch zeigt sich Sara philosophisch und theologisch hoch gebildet – was für Stymmelius sehr überraschend ist, kolportiert er doch, wie gleich gezeigt wird, sonst recht negative Urteile über die Frau. Ausgangspunkt ist Saras Frage, warum Abraham nicht am üblichen Standort opfere wie sonst. Gott sei doch nicht an einen bestimmten Ort gebunden, er höre Gebete an jedem Ort. Denn es gelte: „... qui infinitus est loco Non circumscribitur, sed replet omnia.“921 Sara verfügt somit über das Wissen von verschiedenen Weisen der Anwesenheit eines Subjekts an einem Ort, wie Luther sie in seiner Schrift ‚Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis’ (1528) referiert.922 Eleazar kommt in diesem Dialog in eine schwierige Situation, als er Sara inhaltlich zustimmen muss, sich aber zugleich seinem Herrn verpflichtet fühlt. Er konzediert, Gott sei überall und empfange unsere Verehrung an jedem Ort, in diesem Falle aber habe er sich einen bestimmten Ort erwählt. So sei Abraham durch ein spezifisches Mandat an den Ort gebunden, von dem Gott wolle, dass er dort das Opfer vollbringe, nicht an dem Ort, den sich die menschliche Devotion erwähle.923 Beiläufig gibt Stymmelius, wie erwähnt, auch seine Sicht der Frau zu erkennen. So wird im Chor nach dem zweiten Akt, in dem der Streit zwischen Hagar und Sara im Mittelpunkt steht, festgehalten, dass wo kein weiser Mann mit seinem Rat herrsche, Streit nie fehlen werde. Die Frau ähnele dem bewegten, stürmischen Meer.924 Abraham sinniert in Akt III Szene 1 darüber, wie schwer die Gemüter der Frauen beruhigt werden könnten. So sei auch die aufgebrachte Sara durch kein Heilmittel zu heilen, sie könne den Bewegungen ihres Gemüts keinen Zügel anlegen. Im Folgenden verbindet er diesen seinen Befund mit der Erbsündenlehre: So groß sei die Schwäche von der ersten Geburt her, dass kein Mensch ohne Fehler geboren werde. Dem weiblichen Geschlecht sei aber viel zu verzeihen, da seine Schwäche um vieles größer als die des männlichen Geschlechts sei, das Gott als Lenker eingesetzt habe, um das schwächere Geschlecht mit wahrem Wissen zu regieren.925 Deutlich zeichnet Stymmelius das weibliche Geschlecht als das schwächere, insofern es leichter erregbar und schwerer zu beruhigen, aber auch weniger weise sei als das männliche. Es ist für ihn daher nur folgerichtig, dass Gott letzteres als Lenker über das erstere eingesetzt habe. Die Überordnung wird also mit einem göttlichen Mandat, das seinerseits durch den Sündenfall 919 Vgl. Stymmelius, C 7a / S. 45. 920 Vgl. D 1bff / S. 50ff. 921 D 1b / S. 50. 922 Vgl. WA 26, 327ff, wo Luther dreierlei Weise an einem Ort zu sein unterscheidet: 1) circumscriptive resp. localiter; 2) diffinitive; 3) repletive. Letztere kommt, wie Luther ausführt (327,27ff), als übernatürliche nur Gott zu. Sara kommt auf die Weisen 1) und 3) zu sprechen. 923 Vgl. D 2a / S. 51. 924 Vgl. B 7a / S. 29. 925 Vgl. B 7b–8a / S. 30f.



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hervorgerufen wurde, begründet. Mit dieser Auffassung des weiblichen Geschlechts steht Stymmelius innerhalb der Auslegungen von Gen 22 nicht alleine da.926 Hinter dieser Sicht der Geschlechter leuchtet auch deutlich ein stoisches Ideal auf. Dieses erscheint ebenso an anderen Stellen im Drama. So werden die menschlichen Affekte – sie werden als dumm und töricht qualifiziert – eher kritisch gesehen, wie Abrahams Äußerung nach Erhalt des Befehls zur Exilierung Hagars und Ismaels zeigt.927 Die stoische Haltung spricht auch aus der Bemerkung Ismaels in Akt III Szene 5, man solle mit standhaftem Gemüt tragen, was nicht zu ändern sei.928 Ein weiteres Ziel des Dramas von Stymmelius, das implizit vertreten wird, besteht in der Propagierung des Gehorsams gegen den Vater durch den Sohn. Dieses Ziel wird durch das Vorbild des Isaak anvisiert. Auf dem Moria, bevor Abraham ihn in sein drohendes Geschick einweiht, bekundet Isaak seine höchste Bereitschaft (promptitudo) den Anordnungen des Vaters zum Bau eines Altars zu folgen.929 Unüberbietbaren Ausdruck findet dieser Gehorsam Isaaks in den drastischen Bemerkungen, die er verlauten lässt, direkt nachdem ihm Abraham zaghaft seine Absicht eröffnet hat. Während der Vater zerknirscht ist, richtet der zum Sterben bestimmte Sohn ihn auf und fragt ihn, warum er sein Gemüt mit so großer Trauer zerschlage. Er, Isaak, sei bereit zu sterben und werde Gott gern gehorchen. Er könne nicht ehrenvoller oder seliger in den Tod gehen als auf diese Weise. So bietet er dem Vater die Kehle dar und ermuntert ihn, tapfer zuzustechen. Es sei billig, dass er dem Vater gehorche und viel mehr noch Gott, dem nichts wertvoller sein könne als der Tod der Heiligen.930 Auffallend ist an dieser Formulierung, dass Stymmelius doch zwischen dem Gehorsam gegenüber dem Vater und dem Gehorsam gegenüber Gott unterscheidet. Der Wille Gottes geht nicht im Willen des irdischen Vaters auf. Der göttliche Wille bleibt übergeordnete Instanz gegenüber dem menschlichen. Er bildet die Grenze, innerhalb derer der menschlichen Autorität Folge zu leisten ist. Dies wiederum stellt Stymmelius dann allerdings in keiner Weise in Frage. In dieser Klammer ist der Untergebene der menschlichen Autorität definitiv Gehorsam schuldig. Seine Sicht des weiblichen Geschlechts als dem männlichen untergeben und seine Auffassung vom Gehorsam des Sohnes gegenüber dem Vater in den Schranken des göttlichen Willens bilden die Moraldidaxe seines Dramas. Dessen ungeachtet ist Stymmelius’ Hauptanliegen in seinem Drama ein religiöses, kein moralisches. Er will Trost spenden, indem er zeigt, wie der in Sünde gefallene Mensch erlöst 926 S. dazu Barbara Mahlmann-Bauer, Abraham, der leidende Vater, S. 339: „Dabei gehen sie [sc. Beza, Jacquemot, Pontanus u.a. mit ihren Auslegungen] von einer Anthropologie der Geschlechter aus, der zufolge die Frau stärker von der Natur bestimmt werden und Anfechtungen weniger Widerstandskraft entgegensetzen könne als der Mann.“ Aus diesem Grunde, so Mahlmann-Bauer ebd. gingen die meisten Dramatiker auch davon aus, dass Abraham die göttliche Order vor Sara verschwieg und sich nicht mit ihr darüber beriet. 927 Vgl. Stymmelius, Akt III Szene 2; B 8b / S. 32. 928 Vgl. C 2b / S. 36. 929 Vgl. Akt V Szene 3; D 4b / S. 57 [56]. 930 Vgl. a.a.O., D 6a / 60 [59].

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werden kann. Dies geschieht aufgrund des Opfers Christi und indem der Mensch glaubt, sich an die göttliche Verheißung hält und dies auch durchhält, wenn die Wirklichkeit der Verheißung widerspricht. Insofern trifft Fritz Reckling die Sache, wenn er im Falle von Stymmelius’ ‚De Immolatione Isaac‘ von einer „Tendenz zum rein religiösen Drama“ spricht.931 Abraham wird in durchaus menschlichen Zügen und mit Affekten beschrieben. So ist ihm etwa die Freundschaft wichtig.932 Dem Streit der Frauen Hagar und Sara mit ihren Emotionen steht er etwas hilf- und verständnislos gegenüber.933 Er zeigt auch Niedergeschlagenheit.934 Besonders zeichnet ihn die väterliche Liebe aus, die sich in seinem Umgang mit dem Opferbefehl auswirkt. Diese Order wirft ihn aus der Bahn. Massive Fragen über Gott kommen in ihm auf.935 In einem Gebet zwei Szenen nach dem Befehl bringt er vor Gott zum Ausdruck, wie er an seiner Hoffnung frustriert ist.936 Überhaupt fällt in diesem Drama auf, wie sehr Abraham, bis dass er sich zum Opfer anschickt, mit sich ringt. Auf dem Moria angekommen hält er eine lange Rede vor Isaak.937 Er legt ihm dar, dass er für ihn alle vergänglichen Güter zurücklassen würde, dass er so viel Freude bei seiner Geburt empfunden, dass er ihn immer mit väterlichem Affekt umarmt habe. Nun aber sei ihm alle Freude verloren gegangen. Pietas – die Verantwortung vor Gott938 – und der Affekt des väterlichen Herzens rängen miteinander aufgrund dieses Befehls, den er mit Gemüt und Hand verabscheue. Er wisse nicht, was er tun solle. Deutlich bringt er seine Trauer zum Ausdruck. Dennoch siegt in ihm der Gehorsam gegen Gott, da ihm zu widerstreben nicht erlaubt sei.939 Trotz des inneren Ringens war ihm dies im letzten Grunde auch zuvor nicht zweifelhaft.940 Abraham wird als fromm gezeichnet, mehrfach wird er als Beter vorgeführt.941 Charakteristisch aber ist seine Zeichnung als theologischer Lehrer. So erklärt er in Akt I Szene 3 den einheimischen Mamre, Escol und Aner, die er zuvor zum Glauben an den einen Gott geführt hatte, das Protevangelium (Gen 3,15), die Berufung des Menschen zur Seligkeit und die Notwendigkeit der Geburt des Erlösers aus einer Jungfrau, wobei er die 931 Reckling, Immolatio Isaac, S. 57. 932 Vgl. Stymmelius, Akt II Szene 1; B 2af / S. 19. 933 Vgl. Akt II Szene 5 und Akt III Szene 1; B 4bff / S. 24ff; B 7b–8a / S. 30f. 934 Vgl. Akt III Szene 6; C 2bff / S. 36ff. 935 Vgl. Akt IV Szene 1; C 5b / S. 42: Erfreut sich Gott an menschlichem Blut? Wo bleiben seine Verheißungen? 936 Vgl. Akt IV Szene 3; C 8a / S. 47. 937 Vgl. für das Folgende, Akt V Szene 3; D 5a / S. 58 [57]. 938 Zum Begriff pietas vgl. Fidel Rädle, Formen der Wertekontrastierung im lateinischen Drama der Frühen Neuzeit, in: Meier – Meyer – Spanily (Hrg.), Das Theater des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, S. 267. 939 Vgl. Stymmelius, a.a.O.; D 5b / S. 59 [58]. 940 Vgl. Abrahams Gebet in Akt IV Szene 3, wo er äußert, dass er tun werde, was Gott befehle (C 8a / S. 47). 941 Vgl. Akt II Szene 1; Akt III Szene 6; Akt IV Szene 1; Szene 3; Akt V Szene 3.



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Zwei-Naturen-Lehre berührt.942 In diesen Ausführungen nimmt Stymmelius auch die aus dem Mittelalter herrührende Tradition vom ‚Streit der Töchter Gottes‘ auf.943 Ebenso bezeugt der Knecht Syriscus in Akt V Szene 2 die Gewohnheit, dass Abraham die Knechte zu einer Andacht zusammenrufe, Gebete verrichte und zu ihnen predige.944 Die Trostrede an Isaak besteht wesentlich aus längeren theologische Ausführungen.945 Abraham entspricht damit dem Idealbild Luthers vom Hausvater, der die zu seinem Haushalt gehörigen Glieder zur Andacht versammelt und diese leitet. Fritz Reckling konstatiert in seinem Werk über die Abraham-Dramen: „Der Verkündigung dieses, wenn man so sagen darf, protestantischen ‚Dogmas‘ vom alleinrechtfertigenden Glauben ist das Drama Stymmels vornehmlich gewidmet.“946 Welche Topoi der reformatorischen Lehre aber tauchen in Stymmelius’ Drama auf? Wie bringt er die Rechtfertigungslehre in ‚De immolatione Isaac‘ zur Geltung? Zunächst fällt auf, dass Stymmelius im ersten Akt die Erbsündenlehre thematisiert.947 Unter diesem Vorzeichen steht die gesamte Handlung des Dramas.948 Lot legt ein regelrechtes Sündenbekenntnis ab.949 Zugleich aber vertraut er darauf, dass Gott alle Sünder, die an den verheißenen Samen d.h. an Jesus Christus glauben, in Gnade empfange.950 Die göttliche Vergebung beschreibt er als Nicht-Anrechnung des Vergehens (delictum).951 Deutlich gibt Stymmelius damit eine imputative Rechtfertigungslehre und die Lehre vom simul iustus et peccator wieder. Auch dieses Drama ist damit Ausdruck seiner Gegnerschaft zur osiandrischen Rechtfertigungslehre. Die aus dieser Stelle sprechende Heilsgewissheit bringt er auch in einer Bemerkung zum Ausdruck, in der Abraham dem Isaak seine Auferweckung aus dem Tod ankündigt, wobei er dies – für ein humanistisches Drama typisch – in antikisierender Form tut: Du wirst wie Phoenix aus der Asche wieder lebendig werden, damit die mir gemachte Ver-

942 Vgl. A 6bff / S. 12ff. 943 Zum sog. Streit der Töchter Gottes vgl. Almut A. Meyer, Heilsgewißheit und Endzeiterwartung im deutschen Drama des 16. Jahrhunderts, S. 58ff. Die Tradition geht auf Bernhard von Clairvaux zurück. Vgl. ferner Wolfgang F. Michael, a.a.O., S. 96ff. 944 Vgl. Stymmelius, D 4b / S. 57 [56]. 945 Vgl. Akt V Szene 3; D 5b–6a / S. 59f. [58f.]. 946 Reckling, a.a.O., S. 150. 947 Vgl. Stymmelius, Akt I Szene 1; A 4b / S. 8. 948 Richtig Reckling, a.a.O., S. 148: „Die Funktion dieses ersten Aktes besteht also darin, den großen heilsgeschichtlichen Rahmen anzudeuten, in dem das in den übrigen Akten Dargestellte als Einzelgeschehen seinen Platz hat...“ 949 Stymmelius, ebd. 950 Vgl. a.a.O., A 5a / S. 9: „Sed haec mea est minimè fallens fiducia Quod recipis omnes peccantes in gratiam, Qui credunt in promissum semen mulieris. Haec in corde meo laetitiam parit fides...“ Dazu Reckling, Immolatio Isaac, S. 59: „Die als Hauptanliegen des Werkes anzusehende ‚doctrina‘ wird sogleich in der ersten Szene ausgesprochen: Nur der Glaube an Christus rettet den Menschen und verbürgt die Seligkeit.“ 951 Vgl. Stymmelius, a.a.O., A 4b / S. 8.

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heißung erfüllt wird.952 Schließlich lässt Stymmelius im Epilog klar das solus Christus erkennen.953 Dem Glaubensbegriff kommt in Stymmelius’ Drama eine fundamentale Bedeutung zu. Er beschreibt ihn primär als Vertrauen.954 Der Relevanz des Glaubensbegriffs und seiner Fassung als Vertrauen entspricht es, wenn er als ersten Lehrpunkt erwähnt, Gott sei in allen Ängsten zu vertrauen.955 Denjenigen, die auf Gott vertrauen, die Stymmelius auch als pii bezeichnet, ist Gottes mit seiner Hilfe verbundene Gegenwart verheißen.956 Der Glaube überwindet alle Traurigkeiten.957 Zugleich kann er den Glauben aber auch mit einer stoischen Haltung verbinden: Man soll mit standhaftem Gemüt tragen, was nicht zu ändern ist.958 Entsprechend der Gegenüberstellung von pietas und affectus wird der Glaube als im Kampf gegen die natürlichen Affekte stehend geschildert. Dieser Konflikt steht sowohl bei der Vertreibung Ismaels als auch bei der Opferung Isaaks im Zentrum. Trotz des von Stymmelius betonten stark lehrhaften Elements, setzt er den Glauben andererseits über dem Verstehen an.959 Dies liegt daran, dass der Glaube sich entsprechend reformatorischer Theologie an die göttliche Verheißung hält. Da diese sich aber mit der Wirklichkeit, die auch eine Wirkung Gottes darstellt, in Widerstreit befinden kann, steht er zuweilen gegen die Vernunft.960 Namentlich die Versuchung stellt die Verheißung in Frage.961 Der Sinn des Opfers besteht, wie Äußerungen Abrahams und des Engels verdeutlichen, nach Stymmelius aber gerade in der Erforschung des Glaubens und des Gehorsams der Menschen durch Gott. Insofern Abraham in erster Person Plural spricht, er sich also mit Isaak zusammenschließt, ist sein eigener wie auch Isaaks Glaube und Gehorsam Gegenstand der Erforschung seitens Gottes.962 Der Engel, den Vater alleine anredend, spricht hingegen lediglich von Abrahams Glauben und Gehorsam.963 An diesen Stellen wird der Glaubensbegriff durch den des Gehorsams ergänzt. Vom Glaubenden wird verlangt, dass er in dieser, durch den 952 Vgl. Akt V Szene 3; D 6a / S. 60 [59]. Vgl. für Luther WA 43, 216,27f. 953 Vgl. Epilog, D 8b / S. 65 [64]: „Sic Æternus Pater pro nobis filium Suum vnigenitum … obtulit, Suo qui solus expiauit sanguine Peccata mundi, quae nullius victimae Vnquam potuerunt expiari sanguine …“ 954 Vgl. Akt I Szene 1; A 5a / S. 9; Akt III Szene 5; C 2b / S. 36: „... certa et firma credere fiducia ...“; vgl.den Chor zu Akt V; D 8a / S. 64 [63]; Epilog, D 8a / S. 64 [63]. 955 Vgl. Epilog, D 8a / S. 64 [63]. 956 Vgl. den Chor zu Akt V; D 8a / S. 64 [63]. 957 Vgl. den Chor zu Akt IV; D 1a / S. 49. 958 Vgl. Akt III Szene 5; C 2b / S. 36. 959 Vgl. Akt IV Szene 1; C 6b / S. 44. 960 Vgl. Epilog, D 8a / S. 64 [63]. 961 Vgl. Akt IV Szene 1, wo Abraham im Gebet fragt (C 5b–6a / S. 42f.): „Vbi tuae nunc sunt promißiones de hoc meo Gnato, ante viginti et quinque annos clementer editae …“ 962 Vgl. Akt V Szene 3; D 5b / S. 59 [58]. 963 Vgl. a.a.O., D 6a / S. 60 [59].



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göttlichen Befehl hervorgerufenen, im Widerspruch zur göttlichen Verheißung zu stehen scheinenden Situation dem Befehl gehorsam ist. Er hat sich aber als Glaube zugleich auch an die Verheißung zu halten, sonst wäre er kein Glaube mehr. Der Glaube hat sich also in dieser Situation zu bewähren. Entsprechend formuliert Stymmelius in Bezug auf den Glauben in gerundivischer Form: „Et credendum esse tuo verbo, etiamsi contraria Eueniant, totaque videatur contradicere Natura rerum.“964 Der Glaube ist in dieser Situation durch ein ‚Dennoch‘ geprägt: Es gilt, „spe contra spem“ zu glauben.965 Zur Begründung dieser beharrenden Haltung verweist Stymmelius aber nicht auf die Glaubensmächtigkeit des Menschen, sondern wiederum auf das Wort bzw. die Verheißung Gottes: „Non emim potest nos fallere Verbum tuum, quod est immota et certa veritas“,966 formuliert Abraham im Gebet. Letztlich geht es dabei darum, dass die Verheißung kein von Gott zu trennendes Wort ist. Man kann Gott und seine Verheißung nicht voneinander separieren. Er ist vielmehr in diesen Verheißungen. Wäre dem entsprechend die Verheißung gefährdet, stünde auch die Wahrhaftigkeit Gottes oder, zugespitzt formuliert, die Gottheit Gottes auf dem Spiel, die die Verheißung verbürgt. Demgegenüber aber kann Abraham Isaak versichern: Gott ist wahrhaftig (verax) in allen seinen Verheißungen; er kann nicht täuschen.967 Der Glaube kann sich an die göttliche Verheißung auch gegen den Augenschein oder die Erfahrung halten, weil Gott, wie es zweimal im Drama Erwähnung findet – gegen die Gesetze, den Lauf und die Ordnung der Natur zu handeln vermag.968 Gottes Wirken ist geradezu ein Wirken ex nihilo. So lässt Stymmelius in einem Gebet Abraham in Anlehnung an das Paulus-Wort Röm 4,17 sprechen, Gott rufe das, was nicht sei, und mache die Toten von den Ketten des Todes los.969 Er bringt damit deutlich zum Ausdruck, dass Gott nicht auf das Mitwirken der Kreatur angewiesen ist; diese ist gar nicht in der Lage, beim göttlichen Schöpfungs- und Erlösungshandeln mitzuwirken. Das bestätigt auch die in Akt I Szene 1 profilierte Erbsündenlehre, nach der nichts Gutes im Menschen wohnt und er zu allem Bösen geneigt ist.970 Überblickt man Stymmelius’ Rechtfertigungslehre, so wie sie in diesem Stück erscheint, so sind in ihr keine Widersprüche zu reformatorischen Aussagen zu erkennen. Gewiss fällt auf, dass etwa die Formeln sola gratia und sola fide nicht erscheinen. Das Stich-

964 Akt IV Szene 1; C 6a / S. 43. 965 Vgl. a.a.O., C 6b / S. 44. 966 A.a.O., C 6a / S.43. 967 Vgl. Akt V Szene 3; D 5b / S. 59 [58]. 968 Vgl. Akt I Szene 4; A 8a / S. 17; Akt IV Szene 3; C 8a / S. 47. 969 Akt IV Szene 1; C 6b / S. 44: „... tu quae non sunt vocas, et mortis vinculis Exoluis defunctos ...“ Röm 4,17 nimmt auch Luther in seiner Auslegung auf, WA 43, 222,12, hier als Glaubensaussage Isaaks. 970 Vgl. Stymmelius, A 4b / S. 8.

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wort Gnade kommt im qualifizierten Sinne eher selten zur Sprache.971 Stymmelius geht es allerdings weniger um Formeln. Er flicht die reformatorischen Lehrpunkte in gelehrter Form, nicht formelhaft, sondern eher unauffällig ein. Gott will in seiner Gnade die Menschen, die Sünder und von ihrer Geburt an zum Bösen geneigt sind, erlösen. Christus ist das alleinige Opfer für die Sünden. Wer sich Gott anvertraut und seiner Verheißung glaubt, der wird gerettet werden. Das ist gewiss, auch wenn die Wirklichkeit dagegen zu stehen scheint. Die Heilsfrage, die Frage nach Trost in den Glauben anfechtenden Widerfahrnissen markiert das Zentrum des Dramas. Die Moraldidaxe steht nicht im Vordergrund. Trotz der mit der Frage nach Trost gegebenen Konzentration auf den articulus stantis et cadentis ecclesiae bietet das Drama keine konfessionelle Polemik in Richtung auf die römische Kirche. Auch in Hinsicht auf die Reformierten, denen Stymmelius bekanntlich recht kritisch begegnete, ist keine direkte Polemik erkennbar. Keineswegs wird der lutherische Standpunkt verhüllt. Deutlich wird, wie erwähnt, etwa der lutherische Universalismus972 zum Ausdruck gebracht. Intensiver aber werden nur Lehren berührt, die innerprotestantisch nicht umstritten sind. Lediglich in indirekter Weise wird der innerprotestantische Dissens um das Abendmahl berührt, zunächst dadurch, dass Sara auf den Modus der Gegenwart eines Subjekts an einem Ort zu sprechen kommt und aussagt, Gott sei repletive an einem Ort gegenwärtig. Diese Form der Gegenwart wird in der lutherischen Christologie bekanntlich auch von der menschlichen Natur Christi prädiziert, um deren Gegenwart im Abendmahl sicherzustellen. In dem Dialog zwischen Sara und Eleazar geht es ferner um die Frage, ob es denkbar sei, dass sich Gott unbeschadet seiner Allgegenwart an einen bestimmten Ort binde. Eleazar vertritt, Sara im Grundsatz bestätigend, die Auffassung, dass Gott an jedem Ort durch den Menschen legitim verehrt werden dürfe. Im vorliegenden Falle jedoch habe Gott sich einen bestimmten Ort erwählt und Abraham sei durch ein göttliches Mandat an diesen Ort gebunden. Im Falle eines solchen speziellen göttlichen Mandats hat dieses also Vorrang vor dem allgemeinen Grundsatz und damit vor der Freiheit der menschlichen Devotion; diese ist in einem solchen Falle an den erwählten Ort gebunden. Darin könnte sich Kritik an einer spiritualistischen Position artikulieren: Die Christen, so die implizite Botschaft, sind an das göttliche Mandat in Gestalt der von Gott eingesetzten Sakramente als media salutis gebunden. Letztere sind weder eine Ange971 So redet Isaak in Akt I Szene 1 von Gott als der unerschöpflichen Gnadenquelle; er sei barmherzig allen, die zu seiner Gnade fliehen (A 4a / S. 7). In dieser Szene wird auch der Glaube namhaft gemacht als Glaube daran, dass Gott alle Sünder, die glauben, in Gnade empfängt (A 5a / S. 9). In Akt I Szene 3 (A 7b / S. 14) lässt Stymmelius Abraham von der clementia Gottes sprechen. Der barmherzige Gott habe die Menschen in Gnade empfangen. Vgl. auch den Chor zu Akt I; B 2a / S. 19: „Longanimis, patiens Deus est, et tardus ad iram, Ad se nos reuocans pro bonitate sua.“ – Im nicht qualifizierten Sinne ist von der Gnade in Akt IV Szene 3 die Rede. Dort geht es um die väterliche Güte (C 7a / S. 45) bzw. um die ‚privative Gnade‘ in Form der Bewahrung von Übel (C 7b / S. 46). 972 Vgl. Konkordienformel Epitome Art. XI, BSLK 821,5ff.



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legenheit menschlicher Wahl noch eine solche freier menschlicher Devotion. In ihnen handelt Gott am Menschen und nicht umgekehrt. Liest man die Zeilen so, lassen sie sich als indirekt formulierte Kritik an einer Auffassung verstehen, für die Taufe und Abendmahl auf der Seite der menschlichen Devotion zu stehen kommen. Wäre dem so, zielte Stymmelius an dieser Stelle über die Reformierten und die ihnen unterstellte Sakramentsfeindlichkeit hinaus auf eine spiritualistische Religiosität, die den Sakramentsgedanken an sich, das Konzept eines durch göttliches Mandat eingesetzten medium salutis, verwirft.973 Freilich könnte dies nur als versteckte Andeutung gewertet werden, insofern es im Drama um ein Opfer und damit um einen Akt menschlicher Devotion geht, allerdings um ein von Gott gebotenes Opfer, das als alttestamentlicher Typos des neutestamentlichen Sakraments verstanden werden kann. Eine gänzlich andere Möglichkeit wäre aber, dass der ursprüngliche Melanchthonschüler Stymmelius hier dessen Abendmahlslehre, welche die Realpräsenz der menschlichen Natur Christi nicht negiert, aber unter bloßem Rekurs auf die Einsetzungsworte und Verzicht auf philosophische Begründungen zurückhaltender formuliert,974 in vorsichtiger Weise propagiert: Die besondere Gegenwart Gottes in der Zuwendung zu den Glaubenden bzw. hier der menschlichen Natur Christi im Abendmahl beruht auf einem speziellen Mandat Gottes, in diesem Falle den Einsetzungsworten. Dann wären diese Sätze als eine versteckte Kritik an der Ubiquitätslehre zu verstehen. Ob diese Möglichkeit aber angesichts des Engagements von Stymmelius gegen die ‚Kryptocalvinisten‘ wahrscheinlich ist, muss hier offen bleiben. Bei den aus einem anderen Kontext stammenden Aussagen Saras und Eleazars besteht bei einer solchen Metabasis eis allo genos leicht die Gefahr einer Über- oder gar Fehlinterpretation. Aber selbst wenn eine derartige kryptisch formulierte Kritik an Spiritualisten und Reformierten oder an der Brenzschen Abendmahlslehre im Drama vorliegen sollte, hinterlässt Stymmelius mit diesem insgesamt gleichwohl einen eher irenischen Eindruck. Wolfgang F. Michaels Urteil: „Eine Opferung Isaacs 1579 kam an Bedeutung nicht an sein erstes Drama heran“975, – gemeint ist ‚Studentes‘ – mag vielleicht zutreffend sein, wird ihm aber nicht gerecht, insofern es an einem Maßstab gemessen wird, der nicht dem von Stymmelius, nicht seiner Intention entspricht. Angesichts des theologischen Gehaltes, aber auch angesichts der wohl durchdachten Struktur des Dramas kann am Ende nur eine anerkennende Würdigung dieses Werkes stehen. 973 Vgl. etwa die Zeichnung der Position der Schwenckfelder in der Konkordienformel, Epitome Art. XII, BSLK 825,29ff.33ff. 974 Vgl. Melanchthons Ausführungen in den Loci von 1559, Melanchthons Werke in Auswahl, hrg. v. Robert Stupperich. Bd. II/2, S. 522,4–11. Heinz Scheible, Art. ‚Melanchthon‘, TRE 22, S. 394, stellt fest: „Aussagen über das Verhältnis des Leibes und Blutes Christi zu den Abendmahlselementen machte Melanchthon in seinen Lehrbüchern nicht. Die substantielle Gegenwart Christi in der Abendmahlsfeier genügte ihm.“ Vgl. ferner Ernst Koch, Das konfessionelle Zeitalter, S. 232f. 975 W.F. Michael, Forschungsbericht, Bern u.a. 1989, S. 157.

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8. Nathan Chytraeus, Tragoedia von Abrahams Opfer (1595 / Theodor Beza, Abraham sacrifiant [1550]) Eine herliche / sinreiche / vnd einem Christlichen hertzen sehr anmÜtige TRAGOEDIA Von Abrahams Opfer. Newlich auß dem FrantzÖsischen gedicht des EhrwÜrdigen hochgelehrten Herrn THEODORI BEZAE verteutschet von NATHANE CHYTRAEO. Sampt einem zusatz etlicher außerlesenen mehrertheils newen / vnd auf allerley anligen eines Christlichen hertzens gerichten gotseligen Gesengen: gestellet von Sebastiano Ambrosio. Hermanno Vespasio. Nathane Chytraeo etc. Gedruckt zu Herborn in der Grafschaft Naßaw Catzenelnbogen / etc. durch Christof Raben. 1595 [Exemplar Kopie der Universitätsbibliothek Rostock von Paris, Bibliothek Mazarin, 46045] Theodor Beza (de Bèze)976, der 1519 in Vézelay geboren wurde, ist bekannt als Calvins späterer Nachfolger in Genf. Nach seinem Jurastudium in Orléans trat er besonders als lateinischer Dichter hervor. Dies betrieb er auch weiter, nachdem er sich 1548 infolge einer religiösen Krise offen zur Reformation bekannte und nach Genf flüchtete. An der Akademie in Lausanne lehrte er Griechisch bis zu seiner Berufung nach Genf im Jahre 1559. Neben den alten Sprachen widmete er sich auch seiner Muttersprache. So schuf er eine Psalmenübertragung, die überaus erfolgreich wurde. Ein weiteres Werk in dieser Hinsicht war das Drama ‚Abraham sacrifiant‘, das im Jahre 1550 erschien. Nathan Chytraeus, Bruder des bekannteren, zwölf Jahre älteren David Chytraeus, ist erst in den letzten Jahren, allerdings sehr intensiv Gegenstand der Forschung geworden. Er wurde am 15. März 1543 in Menzingen im Kraichgau geboren.977 Im Alter von zehn Jahren wurde er an das berühmte Sturmsche Gymnasium in Straßburg geschickt, das er 1555 verließ, um bei seinem Bruder in Rostock zu studieren – dieser war seit 1550 in der Hansestadt Professor für Theologie, lehrte aber auch an der Artistenfakultät. Chytraeus studierte die Artes und hörte auch theologische Vorlesungen.978 1560 folgte ein kur976 Zu Beza vgl. Alain Dufour, Théodore de Bèze: poète et théologien, Genf 2006, ferner ders., Art. ‚Beza, Theodor von‘, RGG4 1, Sp. 1402f., und als neuestes Werk den Tagungsband von Irena Backus (Hrg.), Thédore de Bèze (1519–1605), Genf 2007. – Bezas Vita und Werk sollen hier nicht weiter vorgestellt werden, da die vorliegende Arbeit das deutsche Abraham-Drama des Chytraeus zugrunde legt. Damit das Profil dieser Version aber deutlich hervortritt, wird im Folgenden des öfteren auf Bezas Fassung wie auch auf dessen ursprüngliche Intention rekurriert und von dort aus die Übersetzungs- und Interpretationsarbeit des Chytraeus betrachtet. 977 Zur Vita Chytraeus’ vgl. Thomas Fuchs, David und Nathan Chytraeus. Eine biographische Annäherung, in: in: Glaser – Lietz – Rhein (Hrgg.), David und Nathan Chytraeus, S. 42–46; Art. ‚Chytraeus, Nathan‘, DL3 II, Sp. 631f. – Menzingen gehörte in dieser Zeit zu einer kleinen reichsunmittelbaren Ritterschaft; vgl. Helge Bei der Wieden, Nathan Chytraeus und die Gründung der Großen Stadtschule zu Rostock, in: Elsmann – Lietz – Pettke (Hrgg.), Nathan Chytraeus 1543–1598, S. 32. 978 Vgl. Thomas Kaufmann, Universität und lutherische Konfessionalisierung, Gütersloh 1997, S. 322 Anm. 354.



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zer Studienaufenthalt an der Universität Tübingen. 1562 wurde er zum Magister artium promoviert. Ab 1564 wirkte er – unterbrochen durch eine ausgedehnte Bildungsreise durch Deutschland, Frankreich, Italien, die Schweiz und England in den Jahren 1565 bis 1567979 – in Rostock als Universitätsprofessor für lateinische Sprache und Poesie. Er hielt Vorlesungen über Ovid, Terenz und Horaz.980 Ferner befasste er sich mit den Schriften Ciceros, mit der Rhetorik des Aristoteles und des Hermogenes.981 1580 wurde er vom Rat zum ersten Rektor der neugegründeten Stadtschule ernannt, dessen durch Johannes Sturm beeinflusstes Schulprogramm ‚Ludi Literarii ab amplissimo Senatu Rostochiensi in civium suorum utilitatem nuper aperti Sciographia‘ er verfasste.982 Leitend war ihm der Gedanke, dass die Jugend nicht nur in guter Lehre, sondern auch in den guten Sitten unterrichtet werden sollte.983 Noch nicht völlig geklärt ist, wie und wann Chytraeus mit vom lutherischen Abendmahlsverständnis abweichenden Gedanken in Berührung kam984 und ebenso wie und wann der entsprechende Verdacht aufkam, er vertrete ‚kryptocalvinistische‘ Gedanken. Auffallend ist, dass schon im Jahre 1588 eine Berufung Chytraeus’ nach Wittenberg im Gespräch war, die sich allerdings zerschlug.985 Den Auslöser des Konflikts bildete jedoch erst eine Predigt des Rostockers Johannes Schacht im Oktober des Jahres 1590, in der dieser Personen kritisierte, die von ihrer vorherigen ‚Confession‘ abgefallen wären, dies aber verschweigen würden, was Chytraeus – nach eigener Auskunft auch infolge gezielter

979 Vgl. Helge Bei der Wieden, a.a.O., S. 32, der die von Chytraeus besuchten Städte nennt, und Thomas Kaufmann, Die Brüder David und Nathan Chytraeus in Rostock, in: Glaser – Lietz – Rhein (Hrgg.), David und Nathan Chytraeus., S. 209 Anm. 77. Während Kaufmann keine Reise nach England erwähnt, nennt Bei der Wieden auch Oxford als Besuchsort. Über die Reise fertigte Chytraeus eine Gedichtsammlung unter dem Titel ‚Hodoeporicon‘ an; vgl. das Titelblatt in: Elsmann – Lietz – Pettke (Hrgg.), Nathan Chytraeus 1543–1598, S. 43. 980 Vgl. Kaufmann, Brüder, a.a.O., S. 114. 981 Vgl. Fuchs, David und Nathan Chytraeus, a.a.O., S. 42f. 982 Vgl. Fuchs, a.a.O., S. 44, und Helge Bei der Wieden, a.a.O., S. 35–37. 983 Vgl. Fuchs, a.a.O., S. 45 mit Anm. 94. – Dieser Gedanke erklärt das Interesse von Chytraeus an dem Traktat ‚Galateus. De morum honestate et elegantia‘ des Giovanni della Casa, eines Vertreters der Gegenreformation in Italien; vgl. Thomas Elsmann, Reformierte Stadt und humanistische Schule. Nathan Chytraeus in Bremen (1593–1598), in: Ders. – Lietz – Pettke (Hrgg.), Nathan Chytraeus 1543–1598, S. 89f. 984 Fuchs, a.a.O., S. 42, verweist auf Chytraeus’ Aufenthalt in Straßburg, Kaufmann, Brüder, a.a.O., S. 115, auf seine Reisen; die mit ihnen gegebenen Kontakte hätten ein stärkeres Gewicht humaner Vernunftkriterien bewirkt. Ernst Koch, Der Weg von Nathan Chytraeus von Rostock nach Bremen auf dem Hintergrund der kirchlichen und theologischen Bewegungen der Zeit, in: Elsmann – Lietz – Pettke (Hrgg.), Nathan Chytraeus 1543–1598, S. 57f., schwankt ebenfalls zwischen der Bildungsreise und den Kontakten zu kryptocalvinistischen Gelehrten. 985 Vgl. Thomas Klein, Der Kampf um die Zweite Reformation in Kursachsen 1586–1591, Köln – Graz 1962, S. 83. Vgl. zum Ganzen Kaufmann, Universität, S. 201–205.

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Blicke auf ihn – auf seine Person bezog.986 Daher verfasste er ein Bekenntnis vom Abendmahl, in dem er seine Anschauungen verteidigte und darüber hinaus den Vorwurf erhob, in Rostock sei noch etwas vom „antichristischem Saurteigk“ übrig.987 Dieses übergab er dem ihm vertrauten Superintendenten Pauli, der auch sein Schwager war, und seinem Beichtvater Lucas Bacmeister. Kurz darauf kam es zu einem ‚Colloquium‘ bei Bacmeister, der besonders dem Vorwurf nachging, in der kirchlichen Praxis der Hansestadt wären ‚reliquiae Antichristi‘ im Schwange. Als Dissenspunkte wurden vor allem die Lehren von der Ubiquität und der manducatio oralis impiorum manifest.988 Ergebnis des Gesprächs war der Ausschluss Chytraeus’ vom Abendmahl, der bis zu seinem Weggang nicht aufgehoben wurde. Das in der Folgezeit umlaufende Gerücht, er sei ein Calvinist – von Chytraeus auf einen Bruch der Verschwiegenheit seines Beichtvaters zurückgeführt –, bewog ihn 1592, das Bekenntnis in Druck gehen zu lassen, um Vorverurteilungen entgegenzuwirken.989 Eine erneute Auflage und Verteilung des Werkes im Juli 1593 führte zum endgültigen Zerwürfnis. Von Bacmeister vor dem Rostocker Rat als Calvinist bezichtigt, wurde er aufgrund öffentlichen Propagierens calvinistischer Anschauungen von Rat und Herzog aus seinen Funktionen entlassen.990 Chytraeus verließ Rostock, um in Bremen – seine Kontakte dorthin waren in Rostock nicht verborgen geblieben991 – das Amt des Rektors des Gymnasiums zu übernehmen. Bremen hatte sich bekanntlich maßgeblich unter dem Einfluss Christoph Pezels992, 986 Vgl. die (Große) Apologie Nathans wegen Herausgabe seiner Confession, in: Sabine Pettke (Hrg.), Nathan Chytraeus. Quellen zur zweiten Reformation in Norddeutschland, Köln – Weimar – Wien 1994, S. 63–65. 987 Nathans handschriftliches Bekenntnis vom Abendmahl, in: Pettke, a.a.O., S. 19–23, hier S. 23. 988 Vgl. Bacmeisters Bericht über das Colloquium, in: Pettke, a.a.O., S. 27. 989 Vgl. Kaufmann, Universität, S. 202f.; vgl. Chytraeus’ (Große) Apologie, in: Pettke, a.a.O., S. 67f. 69. Das ‚Christliche und richtige Glaubens Bekentnuß Nathanis Chytraei’, Druck 1592, findet sich in: Pettke, a.a.O., S. 51–61. Vgl. auch die (Kleine) Apologie, in: Pettke, a.a.O., S. 77f. 990 Vgl. Kaufmann, Universität, S. 200ff. 420f., dessen Untersuchung eindeutig erwiesen hat, dass nur diejenigen Angehörigen der Universität Rostock mit einer Maßregelung zu rechnen hatten, die ihr Abweichen von der Konkordienformel öffentlich machten. Eine Unterschriftspflicht unter die Konkordienformel bestand nur für die Theologen, nicht aber für die Artistenfakultät, der Nathan Chytraeus angehörte. Eine generelle individuelle Gewissensprüfung erfolgte nicht; vgl. a.a.O., S. 422 Anm. 761. 991 Vgl. die (Kleine) Apologie, Pettke, a.a.O., S. 79f.: „Vileicht wirt mir auch mein Examinator furweißen, das ich wie er furgibt, zu Bremen meine herberg bei Doctore Pezelio soll gehabt haben. [...] Auch hatt eben derselbige mein Examinator so genawe nachforschung auff meine reise zugelegt, das er auch (forte per Muscas inquisitorias, aut spiritum familiarem) weis wo Jch durch getzogen, eingekeret, gegeßen vnd getruncken, ja auch wann vnd wo meinem Kutschen das Pferdt ist hinkend worden.“ Chytraeus negiert, Quartier bei Pezel bezogen zu haben. 992 Zu diesem vgl. Ernst Koch, Art. ‚Pezel, Christoph‘, RGG4 6, Sp. 1184, ferner Jürgen Moltmann, Christoph Pezel (1539–1604) und der Calvinismus in Bremen, Bremen 1958, und Richard Wetzel, Christoph Pezel (1539–1604). Die Vorreden zu seinen Melanchthon-Editionen als Propagan-



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der 1584 Professor am Gymnasium und 1589 Superintendent wurde, dem reformierten Bekenntnis zugewandt.993 Dieser Prozess, der einen längeren Zeitraum in Anspruch nahm – 1595 entstand der Consensus ministerii Bremensis ecclesiae, ab 1600 wurde der Heidelberger Katechismus übernommen –, kam erst nach dem Tode Chytraeus’ zum Abschluss. Aus der Vorrede zum Abraham-Drama spricht die Verbindung Chytraeus’ zur Familie des Bremer Bürgermeisters Daniel van Büren, der die Bewegung der Stadt vom Luthertum weg forciert hatte.994 Deutlich ist noch die Erschütterung darüber zu spüren, dass an dem Tage, als Chytraeus zu seinem ersten Besuch in Bremen eintraf, dem 12. Juli 1593, der langjährige Bürgermeister zu Grabe getragen wurde.995 Vermutlich hatte dieser bei der Berufung des Rostockers nach Bremen eine bedeutende Rolle gespielt. Dies würde erklären, warum Chytraeus sich der Familie bleibend verbunden fühlte und sein Drama dem Schwiegersohn van Bürens, Johann Havemann, den er seinen „lieben gÖnner vnd freund“ nennt, widmete.996 Chytraeus konnte nur wenige Jahre, die darüber hinaus von materiellen Nöten geprägt waren, in seiner neuen Heimat Bremen wirken.997 Er starb am 25. Februar 1598. Chytraeus’ Œuvre998 umfasst verschiedenartige geistliche und weltliche Werke in lateinischer und deutscher Sprache. Bei den geistlichen Werken ragen – für einen Philippisten eher ungewöhnlich – besonders Schriften der Andachts- und Trostliteratur hervor. In Versform gehalten sind die ‚Imaginum et meditationum sacrarum libri III‘ aus dem Jahre 1573. Später erschien das ‚Viaticum itineris extremi‘.999 Auch geistliche Lieder dich-

datexte der ‚Zweiten Reformation‘, in: Heinz Scheible (Hrg.), Melanchthon in seinen Schülern, Wiesbaden 1997, S. 465–566. 993 Zur konfessionellen Entwicklung Bremens vgl. Anneliese Sprengler-Ruppenthal, Art. ‚Bremen‘, RGG4 1, Sp. 1747, und Hans-Georg Aschoff in: Anton Schindling u.a. (Hrg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und der Konfessionalisierung, Bd. 3. Der Nordwesten, Münster 1991, S. 50f. 994 Vgl. Aschoff, ebd. 995 Vgl. Chytraeus, Tragoedia von Abrahams Opfer, S. 3 (A IIa), und dazu Sabine Pettke, Nathan Chytraeus und die Tragoedia von Abrahams Opfer, Mecklenburgische Jahrbücher 112 (1997), S. 94. 996 Chytraeus, a.a.O.; vgl. Pettke, ebd. 997 Vgl. Fuchs, David und Nathan Chytraeus, S. 46; zu Chytraeus’ Wirken in Bremen ferner ausführlicher: Thomas Elsmann, Reformierte Stadt und humanistische Schule, S. 87–93. 998 Eine Zusammenstellung bieten Astrid Händel und Hanno Lietz, Bibliographie (bis 1600), in: Elsmann – Lietz – Pettke (Hrgg.), Nathan Chytraeus 1543–1598, S. 107–136. 999 Nach Ernst Koch, Der kursächische Philippismus und seine Krise in den 1560er und 1570er Jahren, in: Schilling (Hrg.), Reformierte Konfessionalisierung, S. 73, gehört das Viaticum zu den wenigen, der Erbauung gewidmeten Werken philippistischer Provenienz. Zu den ‚Imaginum et meditationum sacrarum libri III‘ s. VD 16, C 2783 (1. Abteilung Bd. 4, S. 273). Für das Viaticum sind Drucke vom Anfang des 17. Jahrhunderts greifbar. VD 17 nennt als ersten Druck Herborn 1601.

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tete Chytraeus.1000 Daneben findet sich auch ein dogmatisches Werk, das in der Form eines carmen protrepticon die wichtigsten Kapitel der christlichen Lehre erklärt. Aus dem Jahre 1573 stammen die zwölf Bücher der fasti der christlichen Kirche, ein in poetischer Form gefasster protestantischer Fest- bzw. Heiligenkalender.1001 Chytraeus trat auch als Übersetzer und Herausgeber hervor. Bereits 1587 war das ‚Creutz und Trostbüchlein. Sampt einem Buß und Bettbüchlein‘ erschienen, eine Übersetzung aus dem Französischen. Ebenso übertrug er die weit verbreitete Psalmen-Paraphrase des Schotten George Buchanan ins Deutsche.1002 Ferner gab er eine Fabelsammlung heraus – er verfasste auch selbst Fabeln –, erstellte ein lateinisch-niederdeutsches Wörterbuch und veröffentlichte eine lateinische Grammatik. Wie der von Sabine Pettke entdeckte Druck des AbrahamDramas (1595) zeigt, betätigte sich Chytraeus auch als Sammler geistlicher Lieder.1003 Will man Chytraeus’ Gesamtwerk würdigen, so wird man mit Elsmann konstatieren, dass sein Autor als „Humanist christlicher Prägung“ und „vielseitiger neulateinischer Dichter“ zu bezeichnen ist.1004 Theologisch ist Chytraeus dem Philippismus zuzuordnen. Nichttheologe und Humanist wie viele Vertreter desselben,1005 hegte auch er die in diesem Kreis gepflegte Auffassung, Glied der einen Kirche zu sein, die keiner menschlichen Autorität, keines Konfessionalismus bedürfe.1006 Möglicherweise hängt damit auch sein Widerwille gegen1000 Vgl. die bei Philipp Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts. Fünfter Band, Leipzig 1877, S. 186f. verzeichneten Lieder (Nr. 258 und 259), und die in Pettke, Nathan Chytraeus und die Tragoedia von Abrahams Opfer, S. 97–105 aus der im Anhang des Druckes der Tragödie befindlichen Liedsammlung erhobenen Lieder des Nathan Chytraeus. 1001 Zum ‚Carmen protrepticon, Summam doctrinae christianae et confessionis fidei suae complectens‘, Herborn 1595, s. Händel – Lietz, a.a.O., S. 107. Zu den Büchern der fasti (s. VD 16, C 2777; 1. Abteilung Bd. 4, S. 272) vgl. Hermann Wiegand, Nathan Chytraeus als neulateinischer Dichter, in: Elsmann – Lietz – Pettke (Hrgg.), Nathan Chytraeus 1543–1598, S. 46f., ferner Fuchs, David und Nathan Chytraeus, S. 46. Zu diesem Werk und zur ‚Confessio fidei‘ s. ferner Händel – Lietz, a.a.O., S. 107. 111f. 1002 Das ‚Kreuz- und Trostbüchlein‘, in VD 16 nicht nachgewiesen, findet sich in der Bibliothek des Ev. Stifts Tübingen. Zu Buchanan (1506–1582) vgl. William L. McClelland, Art. ‚Buchanan, George‘, RGG4 1, Sp. 1817. Händel – Lietz, a.a.O., S. 114. 135, nennen u.a. einen Frankfurter und einen Herborner Druck aus dem Jahre 1595. – Einschlägig sind noch die ‚Preces et soliloquia‘, ebenfalls eine Übersetzung aus dem Französischen, erstmals 1592 in Herborn erschienen; vgl. Händel – Lietz, a.a.O., S. 134. Es handelt sich um Gebete aus Predigten Calvins über das Buch Hiob; vgl. Barbara Mahlmann-Bauer, Abraham, der leidende Vater, S. 344 Anm. 97. 1003 Vgl. Pettke, Nathan Chytraeus und die Tragoedia von Abrahams Opfer, S. 94. 109. 1004 Thomas Elsmann, Reformierte Stadt und humanistische Schule, S. 93. 1005 Vgl. Koch, Der kursächische Philippismus, S. 68. 1006 Vgl. ‚Nathans handschriftliches Bekenntnis vom Abendmahl‘, in: Pettke, Nathan Chytraeus. Quellen, S. 19: „... bekenne mich also hiemit fur einen Burger vnd haußgenoßen, der heilligen allgemeinen Christlichen Kirchen, welche weder an Schweitz noch Schwaben, weder an Deutschland



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über der Ubiquitätslehre zusammen.1007 Diese empfand er als „zusatz“ zu Gottes Wort und damit als Neuerung.1008 Er fühlte sich auf dem Boden der Confessio Augustana stehend.1009 Ablehnend stand Chytraeus dem Zwinglianismus, dessen Abendmahlsauffassung und Christologie gegenüber.1010 Als seine lehrmäßigen Grundlagen hielt er den Kleinoch Franckreich, weder an Doctor Luther, Brentium, Zwinglium oder Calvinum gebunden, sondern durch die gantze weite welt zerstrewet ist.“ Vgl. Kaufmann, Brüder, S. 115, der von einem „Bewußtsein von der Zusammengehörigkeit aller Protestanten“ spricht. Vgl. ders., Universität, S. 203 mit Anm. 384. 1007 Vgl. Koch, a.a.O., S. 71: „Jedenfalls wird die gnesiolutherische Ubiquitätstheologie auf philippistischer Seite als störend empfunden, weil sie in der Art, wie sie als Schulmeinung vertreten wird, dem Ziel der alsbaldigen Schaffung eines allumfassenden Corpus doctrinae integrum und damit der Einigung der Kirche entgegensteht.“ 1008 Vgl. Christliche und richtige Glaubens Bekentnuß Nathanis Chytraei, Druck 1592, in: Pettke, Nathan Chytraeus. Quellen, S. 56. Für seine Auffassung beruft sich Chytraeus auf den deutschen Katechismus und den Johanneskommentar von Johannes Brenz „ignota adhuc vbiquitate“ (a.a.O., S. 54). Vgl. Nathans Antwortschrift auf die Verantwortung der Rostocker Prediger, Druck Bremen 1594, a.a.O., S. 166. 168. 1009 Vgl. Christliche vnd richtige Glaubens Bekentnus Nathanis Chytraei, in: Pettke, a.a.O., S. 185; vgl. S. 166. – Zur Stellung der Confessio Augustana bei den Reformierten vgl. jetzt Jan Rohls, Die Confessio Augustana in den reformierten Kirchen Deutschlands, ZThK 104 (2007), S. 207– 245, für den hier betrachteten Zeitabschnitt bes. S. 213–229, zu Bremen S. 223f. Was dieser Aufsatz, der das Verdienst hat, die tatsächlich universale Berufung des deutschen Reformiertentums auf das Augsburger Bekenntnis (als CA variata) vor Augen zu führen, freilich nicht beantwortet, ist die Frage, ob sich die Berufung auf die CA nicht doch eher taktischen oder, vorsichtiger formuliert, reichsrechtlichen Motiven verdankt. Offen bleibt, ob auch innere theologische Motive im Spiel waren und ob diese nominelle Geltung der CA für die theologische Gesamtausrichtung tatsächlich Auswirkungen hatte. Das Faktum, dass die CA bei den Reformierten auch nach dem Ende des Alten Reiches in Geltung blieb (S. 244), kann für die frühere Zeit kein tragendes Argument sein. Für die Zeit nach 1806 gilt, dass ein einmal vertretenes Bekenntnis wohl kaum einfach verabschiedet werden konnte. Die Anerkennung der CA (variata) spiegelt geradezu das spezifische deutsch-reformierte, philippistisch beeinflusste Profil, das auch den Heidelberger Katechismus kennzeichnet. Eine weitere Frage ist, ob die Reihe der Konversionen von Fürsten vom lutherischen zum reformierten Bekenntnis tatsächlich vor allem durch das Konkordienwerk evoziert wurden, wie der gesamte Artikel voraussetzt (vgl. S. 228). Mit Recht weist Rohls allerdings darauf hin, dass der Alleinvertretungsanspruch der die Konkordienformel voranbringenden Stände auf die rechte Auslegung der CA erheblichen Widerstand provozieren musste – wie hier im Falle des Nathan Chytraeus – und dass die Rede von ‚der‘ Confessio Augustana ein historisches Konstrukt darstellt, insofern schon von Anfang an zwei nicht kongruente Fassungen derselben existierten. 1010 Vgl. ‚Nathans handschriftliches Bekenntnis vom Abendmahl‘, in Pettke, a.a.O., S. 22f.: „Sein auch etwa hie oder anderßwo Sacramentirer, so den heren Christum lügen straffen, die allmacht gottes verleugnen, vnd Christum in den himmel, alß ein gefengknus einsperren, vnd auß dem h. abendtmahl, alß einer Baurenzech, gleich alß wenn darin nur nuda vnd vacua signa wehren, gantz vnd gahr außschliessen, vnd von dem heren Christo nicht höher halten, alß der Turckische Alcoran,... so will ich der erste sein, der ich ihre furores improbiren, sie meiden, vnd fur gottlose

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nen Katechismus Luthers, das Examen ordinandorum Melanchthons, die Confessio Augustana und die Mecklenburgische Kirchenordnung fest.1011 Über die schon genannten Lehrpunkte hinaus verwarf er vor allem die manducatio impiorum und den Exorzismus als Zusätze zur Schrift, ferner die Ablehnung der Eigenständigkeit des Bilderverbots als zweitem Gebot des Dekalogs sowie des Brotbrechens beim Abendmahl; beides wertete er als Abbruch der Schrift.1012 Aus Bremen gelangte er zu positiven Äußerungen über Calvin und philippistische Autoren.1013 Eindeutig formulierte er im Zusammenhang des Abendmahls nunmehr auch, dass als kirchliche Praxis nur das gehalten werden dürfe, „was mit dem ausdrücklichen wort Gottes kan bestetiget vnd bekrefftiget werden.“1014 In den Abendmahlsliedern seiner Sammlung kommt eine am Heidelberger Katechismus orientierte Sakraments- und Abendmahlsauffassung zum Ausdruck. Theodor Beza schrieb sein Drama ‚Abraham sacrifiant‘ 1550, als er Professor für Griechisch in Lausanne war. Er war um dieses Stück gebeten worden.1015 Es war sein erstes Werk, nachdem er Frankreich um seines Glaubens willen verlassen hatte, eine Erfahrung, die sich deutlich in ihm widerspiegelt.1016 Das Stück, das ein Werk sui generis ist und keine zeitgenössischen Dramen als Quellen voraussetzt,1017 wurde auch in Lausanne von den Schülern aufgeführt, vermutlich in der Kathedrale St. Pierre.1018 Es folgten nach Ausweis Bezas mehrere Aufführungen in Frankreich.1019 Das Drama war vom Verfasser bewusst in Ketzer vnd Sectirer halten will.“ Vgl. Koch, Der kursächische Philippismus, S. 71. – In der Fassung von 1592 schließt Chytraeus auch (etwaige) Calvinisten ein, die er falls sie eine derartige Auffassung vertreten sollten, für Ketzer halten will. 1011 Vgl. Christliche vnd richtige Glaubens Bekentnus Nathanis Chytraei, in: Pettke, a.a.O., S. 52f. Allerdings konzediert er, dass er den von der Mecklenburger Kirchenordnung gebotenen Exorzismus verwirft. 1012 Vgl. a.a.O., S. 55f. 1013 Vgl. Nathans Antwortschrift auf die Verantwortung der Rostocker Prediger, Druck Bremen 1594, in: Pettke, a.a.O., S. 180 (zu Calvin); ebd. (Olevian); S. 182 (Ursinus, Pezel); S. 186 (Ursinus). 1014 A.a.O., S. 167. 1015 Vgl. Théodore de Bèze, Abraham sacrifiant. Edition critique avec Introduction et Notes par Keith Cameron u.a., Genf 1967, S. 11f. Im Folgenden wird diese Ausgabe herangezogen. Es sei aber ebenso verwiesen auf eine neuere Edition: Théodore de Bèze, Abraham sacrifiant, hrg. v. Marguerite Soulié, Mugron 1990. 1016 Vgl. a.a.O., S. 16f. – Wilhelm Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Zweiter Band. Renaissance und Reformation. Erster Teil, Halle a.S. 19182, S. 426 Anm. 3, macht darauf aufmerksam, dass nach der Notiz des Druckers Conrad Badius zum Genfer Druck 1550 Beza mit diesem Stück Buße für seine ihm nun ärgerlichen Jugendpoesien habe leisten wollen. 1017 Vgl. Beza, Abraham sacrifiant, S. 12f. 23. 1018 Vgl. a.a.O., S. 31f. Vgl. ferner Bezas Ausführungen in der Vorrede zum lateinischen Abraham sacrificans, in: Poemata varia, Genf 1599, S. 143b. Zum Aufführungsdatum vgl. Barbara Mahlmann-Bauer, Abraham, der leidende Vater, in: Steiger – Heinen (Hrgg.), Isaaks Opferung, S. 343. 1019 Vgl. Beza, Poemata varia, ebd.



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einem einfacheren Stil verfasst, um einen über Lehrer und Schüler hinausgehenden Kreis zu erreichen.1020 Es erlebte in französischer Sprache etliche Auflagen.1021 1597 wurde es von Jean Jacquemot (Jacomotus) ins Lateinische übertragen, wozu Beza ein Vorwort verfasste.1022 Joseph Scaliger berichtet in einem Brief aus dem Jahr 1595 von einer überaus erfolgreichen Schüleraufführung des Stückes im niederländischen Leiden.1023 Belegt ist ferner eine Aufführung in Zürich im Jahre 1617.1024 Die Herausgabe der deutschen Übersetzung von Bezas Abraham-Drama durch Chytraeus erfolgte von Bremen aus. Die Vorrede datiert aus dem Jahr 1594, der Druck aus dem Jahr 1595. Allerdings hat das Drama eine Rostocker Vorgeschichte. In seiner Vorrede gibt Chytraeus an, dass die Tragödie in Rostock „erstlich von den Studenten in beyseyn etlicher jungen FÜrsten / Grafen vnd Herren fÜr drithalb jaren ist agiret worden.“1025 Es handelte sich also um eine an der Universität Rostock offenbar übliche Studentenaufführung, wie sie Melchior Neukirch für seine Studienzeit erwähnt.1026 Die Aufführung ist demnach um das Jahr 1591 anzusetzen, 1027 also zu einer Zeit, als der Konflikt schon aufgeflammt war. Chytraeus erklärt weiter, dass diese Aufführung auch seinen ‚verfolgern‘ gefallen, ja sie zu Tränen gerührt habe; sie hätten nämlich nicht gewusst, von wem die Tragödie stamm1020 Vgl. a.a.O., S. 32f.; Street, French sacred drama, S. 25. 1021 Vgl. Beza, Abraham sacrifiant, S. 39–41. Vgl. ferner Béatrice Perregaux, Théodore de Bèze, Abraham sacrifiant 1550, in: Andreas Kotte (Hrg.), Sondierungen zum Theater – Enquêtes sur le théâtre, Basel 1995, S. 43, die von elf Editionen im 16. Jahrhundert spricht. 1022 Poemata varia, Genf 1599, S. 143a–144b. Das Werk trägt den Titel ‚Abrahamus sacrificans. Tragoedia Gallicè à Theod. Beza iam olim edita, recens verò Latinè à Ioanne Iacomoto Barrensi conversa‘. – Bereits 1577 war das Werk von Arthur Golding ins Englische übertragen worden; vgl. Johannes Bolte (Hrg.), Ein Spandauer Weihnachtsspiel. 1549, Märkische Forschungen XVIII (1884), S. 207. Gerard Dirk Jonker, Le Protestantisme et le Théâtre de langue française au XVIe siècle, Groningen 1939, S. 104, erwähnt ferner eine italienische Übersetzung. Zu den Übersetzungen vgl. jetzt auch Barbara Mahlmann-Bauer, Abraham, der leidende Vater, a.a.O., S. 343f., die auch noch eine Übersetzung ins Niederländische erwähnt. Von Chytraeus’ Übersetzung ist ihr nichts bekannt. – Zu Jacquemots Version vgl. Mahlmann-Bauer, a.a.O., S. 352ff, die ebd. auch einen intensiven Vergleich der Versionen Bezas und Jacquemots vornimmt, der hier nicht erfolgen kann. 1023 Vgl. Joseph Scaliger, Lettres françaises inédites. Publiées et annotées par Philippe Tamizey de Larroque, Genf 1970, S. 311f. 1024 Vgl. Thomas Brunnschweiler, Johann Jakob Breitingers ‚Bedencken von Comoedien oder Spilen‘. Die Theaterfeindlichkeit im Alten Zürich. Edition – Kommentar – Monographie, Bern u.a. 1989, S. 270. 1025 Chytraeus, Tragoedia von Abrahams Opfer, S. 6 (A IIIb). 1026 Vgl. Melchior Neukirch, Stephanus, Ein schÖne geistliche Tragedia von dem ersten Merterer in newen Testament / nach der Himmelfart Christi etc, Magdeburg 1592, A Va, wo Neukirch äußert, er habe dieses exercitium „... auch darnach auff der Vniversitet Rostock geÜbt ...“. 1027 Vgl. Pettke, Nathan Chytraeus und die Tragoedia von Abrahams Opfer, S. 95.

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te.1028 Das Werk war von ihm als das eines Anonymus zur Aufführung gebracht worden, in Voraussicht der „konfessionelle[n] Engführung der Verantwortlichen in Rostock“1029. Die von Bremen her erfolgende Herausgabe der Tragödie mit Angabe des Verfassers ist in gewisser Weise für ihn ein Akt der Genugtuung. Seinen Gegnern, die sich seiner Ansicht nach nur an der Person bzw. an der Einordnung der Person in ihre konfessionellen Schemata statt am Inhalt selbst orientierten, kann er nun vorführen, dass das bei ihnen einst auf Zustimmung gestoßene Drama ausgerechnet von einem ‚Calvinisten‘, noch dazu von Calvins Nachfolger Beza verfasst wurde.1030 Entsprechend mutmaßt er über eine nachträgliche Verwerfung des Dramas durch die Rostocker Autoritäten. War Übersetzung und Rostocker Aufführung ein verborgenes, nur Chytraeus verständliches Dokument seines Konfessionswechsels, so dokumentiert die offene Herausgabe des Dramas mit Bezas Namen nunmehr die Vollendendung seines Konfessionswechsels. Insofern lässt sich sagen, dass in diesem Fall einem geistlichen Drama eine wichtige biographische Rolle in einem Übergang zu einer anderen Konfession darstellt, nicht ursächlich – Bezas Drama hat den Wechsel nicht ausgelöst oder evoziert –, aber begleitend, als Ausdruck des Wechsels durch ein Bekenntnis zur Person Bezas. Chytraeus’ Umgang mit diesem Drama ist insofern ein Sonderfall, als er mit ihm nicht die von seiner Umgebung geforderte – lutherische – Rechtgläubigkeit zur Formulierung bringt wie es in den meisten geistlichen Dramen der Fall ist, wo die Verfasser in konfessioneller Hinsicht das zum Ausdruck bringen, was die Umgebung von ihnen fordert. Sein Umgang mit dem Drama ist andererseits gerade kein Sonderfall, insofern es, besonders seine Herausgabe, tatsächlich die konfessionelle Haltung des Herausgebers manifestiert, wenngleich nicht die vom Rostocker Umfeld erwünschte Haltung, dafür aber die für seine neue Bremer Heimat konstitutive. Auf die von Chytraeus verfasste Vorrede folgt das Argumentum, das wie bei Beza lediglich den Text der Perikope Gen 22,1–18 wiedergibt. Chytraeus griff dabei auf die Übersetzung Luthers zurück.1031 Nach dem Personenverzeichnis1032 hebt der Prolog an,

1028 Vgl. Chytraeus, Tragoedia von Abrahams Opfer, a.a.O.: “… hat sie auch meinen verfolgern so wol gefallen / daß sie sich des weynens nicht haben enthalten kÖnnen. Dann sie wußten dazumal noch nicht wer der autor, oder der interpres were.“ Vgl. Pettke, a.a.O. 1029 Pettke, ebd. 1030 Vgl. ebd. Vgl. Chytraeus, Tragoedia von Abrahams Opfer, a.a.O. (Forts.): „Nu sie es aber grÜndlich erfaren werden / wird es ohn zweyfel bey jhnen durchauß alles nichts taugen mÜssen. So vrtheilt man leyder jetziger zeit nicht nach dem wehrt vnd wÜrde eines dinges / sondern allein nach den personen.“ Im Gegensatz zu den Rostocker Autoritäten spricht er die Bremer als „vnparteyische Christenleut“ (ebd.) an. 1031 Vgl. Pettke, a.a.O., S. 96. Der vollständige Titel des Arguments lautet: „Argument vnd Inhalt dieser Tragedien. Auß dem XXII. Capitel des ersten buchs Mose“ (S. 8–10 [A IIIIb–Vb]). 1032 Vgl. S. 11 (A VIa).



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in dem Chytraeus bei der Hinführung zur Geschichte auch die Rostocker Zuschauer anspricht.1033 Im Gegensatz zu vielen anderen Abraham-Dramen treten in Bezas bzw. Chytraeus’ Stück nur sehr wenige Personen auf: Abraham, Sara, Isaak, ein Engel, der in einer „mÜnchskappen“ bekleidete Satan1034, Prologus und Epilogus sowie eine zum Haus Abrahams gehörende Menge von Hirten, die noch einmal in zwei Gruppen geteilt ist.1035 Diese Reduktion ergibt sich aus der Konzentration des Dramas um die Geschehnisse aus Gen 22, die den alleinigen Hintergrund für das Stück bilden. Dieses ist auch darin von den meisten anderen Dramen unterschieden, dass es nicht in explizite Akte und – als solche gekennzeichnete – Szenen unterteilt ist. Allerdings findet sich an zwei Stellen die Angabe ‚Pausa‘, so dass sich eine Dreiteilung ergibt. Kriterium dieser Teilung ist der jeweilige Ort, d.h. die Szenerie an Abrahams Heim, am Fuße des Berges und auf dem Berg.1036 Infolge dessen ist der erste Teil mit ca. 17 Seiten im Herborner Druck deutlich der längste, gefolgt von dem die Opferung behandelnden Teil mit 11,5 Seiten. Mit 4,5 Seiten recht kurz ist dagegen der am Fuße des Moria spielende Abschnitt, in dem nur die Verabschiedung von den Hirten gezeigt wird. Über diese äußerliche Einteilung gibt es in der Handlung freilich andere bedeutsame Zäsuren, wie sich zeigen wird. Ein weiteres Kennzeichen des Dramas sind schließlich die Gesänge, die von Abraham und Sara und von den Hirten zum Lob Gottes angestimmt werden und stets deutlich mit dem jeweiligen, den Kontext bestimmenden 1033 Vgl. Prolog (S. 12–14 [A VIb–VIIb]), S. 13 (A VIIa), wo Chytraeus die Zuschauer auffordert, sich mit Herz und Gemüt von hier weit weg in ein fernes Land zu begeben: „Da sol doch schweben ewer sin / Jetzt Rostock ist gar weit von hier.“ 1034 Vgl. a.a.O., S. 25 (B Ia). Unzutreffend ist die Ansicht Perregauxs, a.a.O., S. 27, Bezas AbrahamDrama sei in der Aufnahme der Satangestalt singulär, wie einige in dieser Studie untersuchte Dramen belegen. Der Satan tritt auch in Jakob Ruoffs ‚Spiel von des Herren Weingarten‘ aus dem Jahre 1539 im Mönchshabit auf. Wo Beza diesen Gedanken aufgegriffen hat, muss letztlich offen bleiben. Ruth Stawarz-Luginbühl, L’Abraham sacrifiant, Tragedie françoise ou comment mettre en scène l’épreuve de la foi?, in: Théodore de Bèze (1519–1605). Actes du Colloque de Genève (septembre 2005) publiés par l’Institut d’histoire de la Réformation sous la direction d’Irena Backus, Genf 2007, S. 408, verweist auf Luthers Genesis-Vorlesung (WA 43, 223), doch wirkt diese Herleitung etwas künstlich. Luther äußert hier, die Mönche könnten nicht verstehen, dass Abraham (und damit jeder Christ) Priester sei. Dass die von ihm verworfene Auffassung für Luther letztlich eine satanische ist, ist nicht zu bestreiten; mit gleichem Recht könnte der Satan aber auch im Papst-, Kardinals- oder Bischofsornat auftreten; die entsprechenden Gruppen führt Luther an dieser Stelle ebenso als Vertreter der von ihm gerügten Auffassung an. Die Darstellung des Teufels als Mönch geht auf bildliche Darstellungen zurück, die von Luther in einer Predigt aus dem Jahre 1532 ausdrücklich begrüßt wurden (WA 32, 514,17ff): „Darumb habens die Maler eben recht troffen, wenn sie den Teuffel malen jnn einer mÜnchs Cappen und seine Teuffels klawen unten erfur, Denn er von anfang der welt nichts anders thut denn die welt mit mÖncherey verfuret.“ 1035 Zieht man die Hirten ab, die ja nicht als Individuen auftreten, hat das Stück die geringste Personenzahl der hier untersuchten Dramen. 1036 Vgl. Gerard Dirk Jonker, Le Protestantisme et le Théâtre, S. 101.

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Thema in Verbindung stehen. Die von Beza gedichteten Gesänge, die Chytraeus getreu in deutsche Verse übertragen hat, sind stark an der Sprache der Psalmen orientiert und tragen damit durchaus reformierten Charakter.1037 Das Drama ist sehr handlungsarm, da an Aktion nur die Geschichte von der Opferung Isaaks dargestellt wird. Entsprechend ist es stark worthaft gestaltet und verlangt aus diesem Grund, ausführlicher vorgestellt zu werden. Das eigentliche Stück beginnt mit einem Gebet Abrahams, in dem er Rückschau hält.1038 Dabei hebt er besonders die Erlösung von den Chaldäern und ihren Götzen hervor. Manche Gefahren habe er ausgestanden, aber Gott wirke durch das Kreuz Gutes. Wie er aus dem Nichts etwas schaffe, so vollbringe er auch aus Bösem Gutes. In seiner Heimat sei es ihm sehr gut gegangen, aber dies nutze nichts, wenn man umgeben sei von Menschen, die Götzen aus Holz und Stein anbeteten statt den einen Gott zu verehren. So war der Befehl, alles was ihm auf dieser Welt behagt zu verlassen, nur folgerichtig. Wer Gott von ganzem Herzen glaube, der könne in aller Not sagen, er gehe getrost auf rechter Bahn, aus der ihn niemand vertreiben könne. Auch Sara dankt in einem Gebet Gott für die erwiesenen Wohltaten, insbesondere dafür, dass sie in hohem Alter einen Sohnes geschenkt bekommen habe und dass Gott Abraham und sie unter diesem Geschlecht, das Gott weder fürchte noch ehre, erhalten habe.1039 In der folgenden Begegnung Saras und Abrahams bekundet Sara ihre Freude, ihrem Gatten zu gehorchen. Abraham konstatiert, man könne sich nichts Besseres vornehmen, als Gottes Ehre auszubreiten.1040 Die Begegnung mündet in einen längeren Gesang: „Wolan so laßt vns heben an Zu preisen Gott in seinem thron“1041. Auch dieses Lied hat die Herausführung der Abraham-Sippe aus dem Götzendienst, ihre Bewahrung unter Frevlern und die in dem allem sich manifestierende Erwählung durch Gott zum Thema. Seine Gnade wird gezeichnet als freundschaftliches Gedenken an die Seinen.1042 Der Gesang endet mit der Bitte um das Offenbarwerden und die Durchsetzung der Ehre Gottes, um Vergeltung durch den Fall der Feinde und Zerstörung der Götzen.1043 Es folgt ein kurzer Dialog der beiden. Eine deutliche Zäsur markiert die Selbstvorstellungsrede des mit einer ‚Mönchskappe‘ bedeckten Satans, die eine vorsichtige Überleitung zum Versuchungsthema bildet.1044 In dieser kommt ein 1037 So ist der erste Gesang Abrahams und Saras durch Ps 8; 135; 136 geprägt, der zweite Gesang der Hirten durch Ps 1; 37; einige Verse stammen aus Bezas Übertragung von Ps 40,4; der zweite Teil hat Ereignisse aus Abrahams Leben zum Gegenstand (S. 38–41). Der dritte Gesang, wiederum von den Hirten gesungen, nimmt Ps 102,25–27 auf, ferner Koh 1,2–7; Beza, Abraham sacrifiant, S. 61. 73. 88. Vgl. Perregaux, a.a.O., S.40. 1038 Vgl. a.a.O., S. 14–16 (A VIIb–VIIIb). 1039 Vgl. a.a.O., S. 16f. 1040 Vgl. a.a.O., S. 18. – Sara äußert: „Was kÖnt vnd mÖcht auf diser erd Mir lieber seyn von Gott beschert / Dann euch [= Abraham] z’wilfaren stetiglich / Dazu auch bin erschaffen ich?“ 1041 Vgl. a.a.O., S. 19–24. 1042 Vgl. a.a.O., S. 23: „Wenn deine gnad sich vndernimt Als freund an vns zu gdencken.“ 1043 Vgl. a.a.O., S. 23f.: „Vnd du o wahrer Gott vnd Herr Thu dich einmal herfÜr mit ehr / Daß wir werden gerochen An vnsern feinden alzumal / Die gmachten GÖtter vberal Mit ernst werden zerbrochen.“ 1044 Vgl. a.a.O., S. 25–29 (B Ia–IIIa).



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starker Dualismus zum Ausdruck. Der Satan reklamiert die Erde als seinen Machtbereich, während der Himmel, in dem allein Gottes Wille geschehe, diesem vorbehalten bleibe. Zugleich kehrt der Satan aber seine Überlegenheit gegenüber Gott heraus, insofern er zum einen Götter ohne Zahl geschaffen habe und zum andern Menschen gemacht habe, die böser seien als er selber, während Gott nichts geschaffen habe, das so vollkommen sei wie er selbst.1045 Er bekundet sein Wissen, dass nur ein einziger Gott sei, brüstet sich aber, vielen dieses Ziel verrückt zu haben, so dass sie lieber Götzen dienten.1046 Bedauerlich findet er, dass er bei Abraham bislang keinen Erfolg hatte, bringt aber seinen festen Vorsatz zum Ausdruck, ihm seinen Glauben zu brechen. Stehe Abraham nicht fest, könne ihm die Hoffnung nicht helfen.1047 Die „mÜnchskappen“ hat nach seiner Aussage die Funktion, Irrtum, Sünde und Gleisnerei zu bemänteln.1048 Nach einer Bemerkung Abrahams, in dem er seine Trägheit hinsichtlich des Gotteslobs beklagt, erscheint ein Engel und erteilt ihm den Opferbefehl.1049 Abraham, kurz sein Erschrecken zeigend, willigt doch sofort ein. Allerdings artikulieren sich umgehend die Fragen: „Wolst dennoch mir halten zu gut / Daß diese zeitung meinen mut Mir krenckt o Herr / vnd macht mir schmertz Jn meinem zarten vatterhertz.“1050 Er schließt eine Bitte an, Gott möge ihm Stärke verleihen, dass er dieses Werk verrichten könne, äußert aber danach die Vermutung, er habe Gott erzürnt, dass dieser ihm solches zumute. Sie lässt ihn fragen: „O schÖpfer himels / erd vnd meer / Wider wen richtstu disen streit? Wiltu ernidern mich so weit?“1051 Das Ende seiner Rede ist durch Ratlosigkeit geprägt, wie er diese Sache in Angriff nehmen soll. Die folgende Szene wendet sich wieder dem alltäglichen Leben zu. Dargestellt wird ein Gespräch der Hirten mit Isaak. Dieser würde gerne mit den Hirten aufs Feld ziehen. Die Hirten sind aber der Auffassung, er müsse dazu die Erlaubnis seiner Eltern haben. Demgegenüber zeigt sich Isaak einsichtig, er gelobt den Eltern gehorsam zu sein, auch wenn ihn dies das Leben koste.1052 Es folgt ein Gesang der Hirten: „Wie selig / o wie selig Auf erd ist solch ein man / der in not mannigfaltig Gott stets vertrawen kann“.1053 In diesem Gesang wird Abraham als Exempel des Glaubens vorgeführt. Die ersten Strophen handeln allgemein vom Glauben und seiner Unüberwindbarkeit. Weder Günstiges noch Widriges, auch nicht die auf tausend Weisen agierende Versuchung, könnten ein frommes Herz hindern, denn: „Der glaub zu sigen weiß.“1054 Obwohl dem Glaubenden viel Leid widerfahre und er auch zuweilen strauchele, richte ihn Gott doch wieder auf. Dafür wird auf Abra-

1045 Vgl. a.a.O., S. 25f. (B Ia–b). 1046 Vgl. a.a.O., S. 26f. (B Ib–IIa). 1047 Vgl. a.a.O., S. 29 (B IIIa). 1048 Vgl. a.a.O., S. 28 (B IIb). 1049 Vgl. a.a.O., S. 30 (B IIIb). 1050 A.a.O., S. 31 (B IIIIa). 1051 Ebd. 1052 Vgl. a.a.O., S. 33 (B Va). 1053 A.a.O., S. 34–41. 1054 A.a.O., S. 38 (B VIIb).

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ham als Beispiel verwiesen. Sein Herz halte fest an Gott, je mehr Anstöße kämen.1055 Die weiteren Strophen gehen von dieser Basis aus diverse Ereignisse aus Abrahams Leben durch. Die anschließende Szene bringt ein Gespräch Saras mit Isaak, in dem es um die bevorstehende Reise geht, der Sara sehr kritisch gegenüber steht. Abraham ist der unbedingten Meinung, was Gott befehle, müsse ausgeführt werden, man dürfe nicht widerstreben. Sara verweist darauf, Gottes Wille müsste zuvor bekannt sein. Ihrer beider Hoffnung ruhe allein auf Isaak. Dem widerspricht Abraham, die Hoffnung ruhe auf Gott.1056 Sara vermutet, dass hinter diesem Vorhaben etwas Heimliches stehe. Bleibt zunächst unklar, ob ihr von Abraham der ganze Inhalt des Befehls mitgeteilt worden ist, da nicht dargestellt wird, was Abraham ihr von der bevorstehenden Reise weitergegeben hat, so wird doch im weiteren Verlauf deutlich, dass sie den eigentlichen Zweck nicht kennt. So sind ihre Sorgen um das Ergehen Isaaks damit begründet, dass dieser noch klein und der Weg gefährlich sei. In diesem Kontext äußert Abraham den versteckten Hinweis: „Der Gott folgt vnd stirbt / selig ist.“1057 Diesen Gedanken, von ihr nur im Hinblick auf einen Unfall zu verstehen, lehnt Sara ab: „Stirbt er / so ists mit vns verlorn,“ äußert sie, worauf Abraham entgegnet: „Der stirbt in Gott / ist vnverlorn.“1058 Endlich gibt Sara nach, worauf sich unmittelbar die Verabschiedungsszene anschließt. Bemerkenswert an dieser sind Saras Aufforderung an Isaak, dem Vater zu gehorchen und fleißig zu beten, und Isaaks Bitte an seine Mutter, nicht in Schwermut zu verfallen.1059 Es folgt ein Monolog des Satans, der nun seine Zeit gekommen sieht. Er kalkuliert: Opfert Abraham den Isaak, wird er vor Leid zugrunde gehen, opfert er ihn nicht – was ihm lieber wäre –, so ist er Gott untreu geworden und wird von ihm verstoßen werden.1060 Der Hinweis ‚PAVSA‘ indiziert, dass eine neue Einheit einsetzt, beginnend mit einem Gespräch zwischen Abraham und den Hirten, die ihn und Isaak begleiteten.1061 Die Gruppe ist am Fuß des Berges angekommen. Abraham bittet die Hirten unten zu bleiben, wo sie für sich und für ihn beten sollten. Es folgt ein Gespräch der Hirten.1062 Sie äußern ihre Verwunderung, dass Abraham so betrübt ist, zumal sie keine Ursache dafür ausmachen können. Es könne nicht von Feinden herrühren, auch seine Haushaltung sei in Ordnung. Er habe einen Sohn und überhaupt mangele es ihm an nichts. Daher müsse es etwas Großes und Wichtiges sein, das hinter seiner Betrübnis stehe. Sie entschließen sich, einen Gesang anzustimmen, in dem die Eitelkeit der Welt und das menschliche Elend betrachtet wird. Herz und Mund sollten sich zum Himmel, zu einem besseren Vaterland erheben und die Welt verachten. Es folgt der Gesang „Jn dieser welt so weit vnd breit / So manigfelt / so schÖn bekleidt Jst nichts das so bestendig sey / Das nicht auch hab sein end dabey“1063. In diesem Gesang geht es um die Unbeständigkeit und Vergänglichkeit in der Natur. Man solle nicht 1055 Vgl. ebd. 1056 Vgl. a.a.O., S. 42. 1057 A.a.O., S. 43. 1058 Ebd. 1059 Vgl. a.a.O., S. 44. 1060 Vgl. a.a.O., S. 47. 1061 Vgl. a.a.O., S. 48f. 1062 Vgl. a.a.O., S. 49–51 (C Ia–IIa). 1063 A.a.O., S. 52–56 (C IIb–IIIIb).



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auf Irdisches bauen, auch nicht auf den elendigen Menschen, der schnell zu Fall komme. Auf dem Holzweg sei, wer denke, auf Erden könne man ohne Traurigkeit und Qual leben. Vielmehr solle man nach dem Himmelsthron sehen, eine Haltung, für die Abraham ein Exempel sei. Nach erneuter Zäsur, angedeutet durch den Hinweis ‚PAVSA‘, stellt Isaak seine Frage nach dem Opfer, sorgt sich aber auch um den betrübt wirkenden Vater, der sich im Anschluss zum Gebet zurückzieht.1064 Ein Intermezzo und – wie der Rückzug Abrahams zum Gebet – deutlich retardierendes Element bildet der Monolog der Sara, in dem sie ihren Schmerz über das ungewisse Schicksal ihres Mannes und ihres Sohnes zum Ausdruck bringt.1065 Eigentlich sei sie, wie sie statuiert, zu solcher Seligkeit erkoren wie keine Frau sonst. Sie hätte besser mit auf die Reise gehen sollen. Der Monolog mündet in ein Gebet, in dem sie Gott, der Herz und Mund probiere, um Hilfe, die Situation auszuhalten, um Beständigkeit, um ein Verkürzen der ungewissen Tage, um Kraft, die Last zu tragen, und um ein endliches Wiedersehen bittet. Während seines Rückzugs tritt der Satan an Abrahams Seite,1066 was dem Ringen des Patriarchen starken Ausdruck verleiht. Dabei kommt es aber zu keinem wirklichen Gespräch. Vielmehr streut der Satan kurze Bemerkungen ein, meist nur aus einem Satz bestehend, mit denen er auf Abrahams Äußerungen reagiert oder sie auch kommentiert. Er spricht dabei Abraham mit ‚du‘ an. Abrahams Redeteile stellen dagegen längere Einheiten dar, in denen er entweder für sich selbst Gedanken reflektiert oder diese an Gott richtet, aber nicht für den Satan bestimmt.1067 Offensichtlich ist also an eine innere Versuchung gedacht, so dass Abraham als den Satan gar nicht wahrnehmend gezeichnet wird.1068 Die Szene beginnt mit einem Gebet Abrahams, in dem er auf seine Angst und Qual verweist. Gott allein könne ihm helfen: „Mit einem ding / wens dir gefiel / Mir wer geholffen bald zum ziel.“1069 Darauf erscheint der Satan. Abraham fragt sich, ob Gott etwas verheiße und später widerrufe, ob er ein Betrüger sei. Auf der anderen Seite habe Gott aber so oft schon verwirklicht, was er verheißen habe. So nimmt er sich vor, den Befehl auszuführen; Gottes Wille möge geschehen, auch wenn es ihn, Abraham, und den Satan1070 verdrieße, dass Gott den Sohn wieder-

1064 Vgl. a.a.O., S. 57f. (C Va–b.) 1065 Vgl. a.a.O., S. 58–60 (C Vb–VIb). 1066 Vgl. a.a.O., S. 60–68 (C VIbff). 1067 Jonker, Le Protestantisme et le Théâtre, S. 101 und 103, spricht von einer „longue méditation“ Abrahams. Barbara Mahlmann-Bauer, Abraham, der leidende Vater, S. 363, drückt die Rolle des Satans so aus: „Er verstärkt echoartig mit kurzen spaßigen Kommentaren die Selbstzweifel, mit denen sich Abraham in Selbstgesprächen quält. Er gibt dem Erzvater diese Zweifelargumente jedoch nicht ein.“ 1068 Vgl. Cameron in Beza, Abraham sacrifiant, S. 28: „Invisible aux acteurs sans l’être à l’assistance, il voit et entend tout…“ Vgl. Jonker, a.a.O., S. 101: „Il [sc. der Satan] ne prend aucune part au dialogue, reste invisible aux autres et écoute la longue méditation d’Abraham sans être vu de lui …“ Vgl. ferner Perregaux, a.a.O., S. 15, die von einer „présence invisible de Satan“ spricht. 1069 Chytraeus, a.a.O., S. 60 (C VIb). 1070 Bei diesem konzessiven Nebensatz handelt es sich um eine Ergänzung zu Bezas Text seitens Chytraeus. Im ursprünglichen Text ignoriert Abraham den Satan.

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haben wolle. Er, Abraham, könne sich als Sünder nicht erheben, Gottes Gericht zu erforschen.1071 Auf einen Einwurf des Satans befällt ihn aber erneut der Zweifel: Ob dies ein Traum sei oder ihm ein böser Engel erschienen sei. Ein solch grausames Opfer könne Gott, gütig und barmherzig, nicht begehren. Gott habe Kain wegen des Totschlags seines Bruders verflucht, wie könnte ihm gefallen, wenn er, Abraham, sein eigenes Kind erwürgte.1072 Nach dem Einwurf des Satans: Wenn er das wirklich tun werde, werde er erblinden,1073 wendet sich Abraham an Gott. Er bittet ihn um Verzeihung. Gott möge ihn vom bösen Weg zurückziehen und von dieser Pein erretten, doch möge Gottes Wille geschehen, nicht sein eigener: „Wiltu daß er von meiner hand Geschlachtet wird so ists kein tand / Ein billich vrsach zwar es hat / Ob mir wol vnbewust dein raht. Darumb zu thun gebÜrt es mir.“1074 Nachdem der Satan seinen Willen bekundet, dies zu verhindern, äußert Abraham erneut Zweifel. Wenn er diese unmenschliche Tat ins Werk setze, mache er Gott zum Lügner, der ihm doch die Gnade verheißen habe, dass von Isaak ein großes Volk herkommen sollte, zum Heil für die ganze Welt. So aber sei Gottes Bund bedroht. Es stellt sich ihm die Frage, ob Gottes Versprechungen umsonst wären, ob alles verloren sei, dessen er so teuer vergewissert wurde, ob seine Hoffnung nichtig sei wie aller Menschen Tun. Er habe oft um Kinder gebetet und gemeint, darum selig zu sein, nun aber habe er nichts davon. Den ältesten Sohn habe er entlassen müssen und für diesen sei er nun Vater und Henker oder Mörder zugleich. Er fragt Gott, der mit großer Geduld seine Fürbitte für Sodom angehört habe, ob er ihn jetzt nicht errette, wo er für sich selbst bete.1075 Auf die Bitte um Gnade bemerkt der Satan nur, dass ihm dieses Wort unbekannt sei.1076 Nochmals bringt Abraham Argumente gegen das ihm Aufgetragene ins Gespräch: Die Vaterhand könne nicht solch einen Stich geben. Wie solle er Sara begegnen? Wenn er sage, Gott habe dies befohlen, wer werde es ihm glauben? Nirgendwo könne er mehr Menschen begegnen. Wie könne er im Alter solches ertragen?1077 Er habe sich nie vom Weg Gottes abwenden lassen, nun aber bitte er, sein Herz möge zerspringen. Zugleich erinnert er sich jedoch des bisherigen Schutzes durch Gott. So kommt es zum endgültigen Umschwung. Abraham redet Gott an: Wolle er Isaak von ihm ‚entlehnen‘, dann solle er ihn hinnehmen. Man vermöge nicht gegen ihn zu disputieren. Wenn Isaak tot sei, könne er ihn wieder erwecken und seine Zusage erfüllen.1078 Er, Abraham, sei ein elender Mensch, voll von Sünden, der ohne Gott nichts Gutes tun könne. Er bittet um Beistand durch Gottes Kraft, die dem Gläubigen alles möglich mache. Affekt, Sinn, Mut und menschliche Weisheit weist er zurück. 1071 Vgl. a.a.O., S. 61. – Dies entspricht der reformierten antispekulativen Haltung in der Gehorsamsfrage; vgl. Daniel Bolliger, Dramatisches Symbol konfessioneller Grundhaltungen zwischen Glaube und Politik, in: Steiger – Heinen (Hrgg.), Isaaks Opferung, S. 381. 1072 Vgl. Chytraeus, a.a.O., S. 62. 1073 Vgl. ebd. 1074 Ebd. 1075 Vgl. a.a.O., S. 63f. 1076 Vgl. a.a.O., S. 64. 1077 Vgl. a.a.O., S. 65. – Von dem den Patriarchen schreckenden Gedanken, vor der Öffentlichkeit als Kindsmörder dazustehen, spricht auch Calvin in seinem Genesiskommentar, CR 51, 313 – möglicherweise im Anschluss an Beza. 1078 Vgl. Chytraeus, a.a.O., S. 67.



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Ihm könne nichts gut und recht sein, außer dem was Gott gefalle.1079 Der Satan kommentiert diese Wendung aber nun als für sich positiv. Auf diese Weise werde alle Hoffnung Abrahams und Saras zunichte, so könnten beide seine Beute werden.1080 In der folgenden Szene kommt Isaak auf Abraham mit der Frage zu, was ihn bekümmere. Abraham erklärt ihm bestürzt, Strick, Holz und Messer seien für ihn bestimmt, was selbst den Satan in Mitleid versetzt. Isaak bittet um Erbarmen, worauf Abraham entgegnet, er wäre selber bereit für ihn zu sterben, aber Gott wolle es so nicht haben.1081 Isaak bittet um Gnade, er sei doch der einige Trost der Eltern. Er habe das Leben von Abraham, wie könne er es ihm dann nehmen. Unerwartet erfolgt aber der Umschwung. Isaak erklärt, wenn es Gottes Wille sei, werde er aufhören zu klagen und niederfallen. Er sei bereit, das Leiden von Gott und seinem Vater entgegenzunehmen. Jedoch wolle er wissen, was er an Bösem getan habe, dass er sterben müsse. Auch weist er darauf hin, was dieser Tod für seine Mutter bedeuten werde. Zuletzt fragt er, durch wen er denn zu Tode kommen solle.1082 Abraham drücken diese Fragen nieder, so dass er Gott bittet, sterben zu dürfen. Er vertraut dem Sohn an, er selber solle ihn töten, dann aber stehe ihm der Vatername nicht mehr zu.1083 Isaak bittet Gott um Kraft, über sich selbst zu siegen, sowie um Vergebung für seine Sünden. Abraham möge ihm etwaiges Böses verzeihen. Ebenso bittet er um Beistand für Sara, dass sie nicht zu sehr erstarre.1084 Nach diesem Gespräch erfolgt die Bindung Isaaks. In einem weiteren Gebet gibt Isaak seiner Heilsgewissheit Ausdruck, der ihm von Gott gegebenen Hoffnung, dass dieser ihm etwas Besseres geben werde als das, was er nun verlasse. Er fordert den Vater auf, Gottes Willen an ihm zu erfüllen. Daraufhin wendet sich der Satan enttäuscht ab: So habe noch kein Kind geredet, es habe ihn selbst zuschanden gemacht, darum könne er nicht dort bleiben.1085 Der Vater möchte Isaak noch einmal umarmen. Er ruft Himmel und Erde als Zeugen an, dass ihm von Gott verheißen worden sei, aus diesem Sohn werde ein großes Volk hervorgehen, und dass er sich an seinem Sohn nicht aus Rachgier, Zorn, Hass oder Neid vergreife, sondern dass dies ein Befehl Gottes sei. Sie mögen bezeugen, dass er aus Gottes Güte einen solchen Glauben habe, der desssen Wort gegen alle menschliche Vernunft für wahr halte.1086 Damit indiziert Abraham, dass er trotz dieser göttlichen Order an der göttlichen Verheißung festhält, auch wenn sie der Vernunft widerspricht. Nachdem ihm, wie die Regieanweisung vorschreibt, vor Zittern das Messer aus der Hand gefallen ist und er noch einmal sein Leid zum Ausdruck gebracht hat, fordert Isaak ihn auf: „Laßt fahrn doch dise forcht davon / Das bit ich euch / o vatter trew / Hawt dapfer zu ohn alle schew. Warumb wolt jhr mich

1079 Vgl. ebd. 1080 Vgl. a.a.O., S. 68. 1081 Vgl. a.a.O., S. 69f. 1082 Vgl. a.a.O., S. 71f. 1083 Vgl. a.a.O., S. 72. 1084 Vgl. a.a.O., S. 73 (D Ia). 1085 Vgl. a.a.O., S. 74 (D Ib). 1086 Vgl. a.a.O., S. 75f. (D IIa–b).

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halten? Daß nicht volbring ich meinen lauf Zu meinem Gott / der mich wil haben?“1087 Abraham lobt den Mut seines Sohnes, bittet ihn um Verzeihung und will zustechen, als der Engel eingreift. Abraham erhält das Zeugnis, dass er Gott ganz und gar von Herzens Grund liebt und ihm die Ehre gibt.1088 Es folgen die Opferung des Widders und die durch den Engel ergehende erneute Verheißung einschließlich der Ankündigung des Erlösers, begründet mit der Treue und dem Gehorsam Abrahams.1089 Mit dieser Rede des Engels endet die Handlung, auf die als Abschluss des Dramas der Epilog folgt, in den ein Gebet mit der Bitte um die rechte Wirkung des Dramas mit eingeschlossen ist. Singulär ist, wie Béatrice Perregaux zu Recht feststellt, dass auf jegliche Zelebration des guten Endes, sei es mit den Hirten oder mit Sara, verzichtet wird.1090

Sehr stark betont wird die Einzigartigkeit des Dramas von Béatrice Perregaux, was für den Rahmen der von ihr untersuchten Dramen unbedingt zutrifft.1091 Diese Sicht relativiert sich, wenn Bezas / Chytraeus’ Drama mit weiteren protestantischen Dramen verglichen wird. Aber auch die unabhängig von anderen Dramen vorgenommene Betrachtung von Bezas Drama durch Perregaux kann zu Einseitigkeiten führen. So stellt sie immer wieder heraus, Beza lasse im Ungewissen, wer der Versucher sei, wer hinter dem durch den Engel mitgeteilten Befehl stehe.1092 Abraham bringt aber auch nach diesem Drama den Befehl mit Gott in Verbindung, so gewiss er daran Zweifel hat, die er jedoch zu überwinden vermag. Abgesehen davon wird zu Beginn der in dieser Sache eindeutige Bibeltext als Argumentum vorgetragen. Worin Perregaux, auch wenn man ihr in diesem Punkt nicht folgt, sicher Recht hat, ist, dass die Intention Bezas darin besteht, weniger die Frage des Woher der Versuchung zu verfolgen als diejenige, ob die Prüfung den Menschen von seinen Überzeugungen abstehen, den Bund Gottes aufgeben lässt.1093

1087 A.a.O., S. 76f. (D IIb–IIIa). – Dazu Mahlmann-Bauer, a.a.O., S. 367: „Neu ist Bezas dramaturgischer Einfall, den Tiefpunkt der psychischen Krise Abrahams mit Isaaks heroischer Überwindung seiner natürlichen Todesangst zu verbinden.“ 1088 Vgl. Chytraeus, a.a.O., S. 77 (D IIIa). 1089 Vgl. a.a.O., S. 78–80 (D IIIb–IIIIb). 1090 Vgl. Perregaux, a.a.O., S. 42. 1091 Vgl. Perregaux, a.a.O. Es handelt sich bei den von ihr analysierten Dramen aber bis auf das Sachssche Drama ausschließlich um mittelalterliche und altgläubig-katholische Spiele, zu denen noch ein Drama byzantinisch-orthodoxer Provenienz herangezogen wird; vgl. die Übersicht, S. 16f. 44–46. 1092 Vgl. Perregaux, a.a.O., S. 26. 28. 36. Sogar eine Verbindung des den Befehl übermittelnden Engels mit dem Satan zieht sie für Beza in Erwägung. In ähnlicher Weise spricht Ruth StawarzLuginbühl, L’Abraham sacrifiant, S. 406, von einem Schweigen des Dramas über die Frage der Herkunft des Engels. Dieses Schweigen entspreche aristotelischem Denken; Erkenntnis erfolge nicht durch göttliche Zeichen. 1093 Vgl. a.a.O., S. 37.



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Vergleicht man Chytraeus’ deutsche Fassung des Dramas mit dem französischen Original Bezas, so ist festzustellen, dass sich Chytraeus insgesamt recht treu an seine Vorlage gehalten hat. So lässt er keinen bei Beza erscheinenden Redebeitrag aus. Die einzige, freilich auch nicht wirkliche Ausnahme bildet die Szene unmittelbar vor dem Opfer, wo Chytraeus zwei kurze Beiträge Isaaks zusammenzieht und ein Stöhnen Abrahams weglässt.1094 Zu dem von Beza gerne verwendeten Stilmittel der Exklamationen, mit dem er zu belegen versucht, dass es sich bei der befohlenen Tötung des Sohnes letztlich um ein unfassbares, nicht in Worte auszudrückendes Geschehen handelt, kann Chytraeus offensichtlich keinen Zugang finden.1095 Über das ganze Stück bietet er nur vier erwähnenswerte Erweiterungen.1096 Allerdings übersetzt Chytraeus recht breit, so dass sich oft kleinere Hinzufügungen ergeben.1097 Die Vorrede Bezas an die Leser – mit ihren sehr persönlichen Ausführungen über seine Emigration – übergeht Chytraeus und formuliert statt dessen eine eigene Widmungsvorrede. Den Prolog Bezas übernimmt er und ersetzt lediglich die Erwähnung Lausannes durch diejenige Rostocks. Die im Prolog mit der Übersetzung gegebenen Veränderungen sind relativ unbedeutend.1098 Im Epilog folgt

1094 Vgl. Chytraeus, a.a.O., S. 76f. (D IIb), mit Beza, Abraham sacrifiant, S. 108f. 1095 Zu den Exklamationen bei Beza vgl. Mahlmann-Bauer, a.a.O., S. 351. Bezas Satz (S. 106,885f.) „A, a, a, a, et qu’est-ce et qu’est cecy?“, gibt Chytraeus (S. 73 [D Ia]) wieder: „O was ist diß / o was ist das?“ Die Exklamation „A, a, a, a,“ (Beza, S. 109,930), lässt Chytraeus ganz weg. Die französische Wendung ‚hélas‘ gibt er meist mit ‚ach‘ wieder. 1096 So bietet Chytraeus S. 33f. und S. 51 eine Überleitung zum Gesang der Hirten – offensichtlich fehlten ihm hier entsprechende Überleitungen. S. 41 hat er eine zusätzliche letzte Strophe zum Lied der Hirten eingefügt, in der diese für die Wohltaten Gottes danken und um die Bewahrung Abrahams bitten. Eine letzte Erweiterung bietet schließlich der Epilog S. 82, wo Chytraeus gegen Ende das Anliegen formuliert, der Zuhörer möge sich durch das Stück zu Gottesfurcht, Gehorsam, Liebe und Glaube anreizen lassen und nicht zu lange mit seiner Buße warten. Wer dies ‚aus dieser action‘ tue, erlange Lohn und ziehe Nutzen aus der angeschauten Sache. Abrahams Exempel sei ein Vorbild rechten Glaubens. 1097 Einige Beispiele seien hier angeführt. S. 57f. gibt Chytraeus den Beitrag Abrahams, der bei Beza, S. 92,660f., lautet: „A mon retour, mon filz, vous scaurez tout. Mais cependant prier vous fault aussi,“ folgendermaßen wieder: „Mein Sohn / so bald ich kome wider / Sol dirs kundt werden / knie jetzt nider / Vnd rufe Gott von hertzen an / Daß er vns gnedig wÖll beystan.“ Chytraeus fügt also die Aufforderung, das Knien als Gebetshaltung einzunehmen, ein. – Den Satz Isaaks bei seiner Bindung, der durch Beza, S. 107,903–905, so formuliert ist: „Mais je suis seur que de Dieu la promesse Me donnera trop mieux que je ne laisse. Je suis tout prest mon pere, me voila,“ überträgt Chytraeus, S. 74 (D Ib), so: „Doch bin ich gwiß der hofnung mein / Die Gott vns geben hat allein / Vnd vnserm hauß / daß er gewiß Mir geben wirt das besser ist / Dann das jenig so ich verlaß Jetzt hinder mir nach disem paß. Jch bin bereit / o vatter mein / Thut nur an mir Gotts willen fein.“ Hier wird der ausladende Stil Chytraeus’ sehr deutlich. 1098 Manchmal übersetzt Chytraeus recht frei; vgl. etwa Bezas Satz, S. 57,29f.: „Dict Abraham, celuy mesmes duquel Par vive foy, le nom est immortel“, mit Chytraeus, S. 13 (A VIIa): „Abraham der tewre Gottes knecht / Welchs nam vnsterblich ist mit recht.“

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Chytraeus ebenso sehr getreu Beza,1099 fügt aber am Ende einen ihm offensichtlich wichtigen Passus1100 ein. Wirkliche Beziehungen dieses Stückes zu anderen Dramatisierungen des AbrahamStoffes sind nicht zu erkennen.1101 Das Drama wirkt in der Struktur und den Inhalten recht singulär.1102 Dies gilt besonders für mit der Opferung in Zusammenhang stehenden Szenen, die lange Monolog- und Gebetsreihe Abrahams unter Anwesenheit des Satans und das Zwiegespräch Abrahams mit Isaak auf dem Moria. Lediglich kleinere Parallelen zu anderen Dramen sind auszumachen. So erinnert Abrahams Bemerkung, Gott habe Kain verflucht und er selbst werde zum Mörder, an Valentin Voiths Drama (1538), in dem Abraham sich wundert, dass er töten solle, was Gott doch zuvor verboten habe.1103 Gewisse Ähnlichkeiten sind zur Tragödie von der Opferung Isaaks von Hans Sachs (1533) zu erkennen. So unterhalten sich in beiden Dramen die Knechte über die Gründe für die von ihnen festgestellte Betrübnis Abrahams, deren Ursache sie nicht erkennen, sondern nur bestimmte Gründe ausschließen können.1104 Ebenso fällt in beiden die Vermutung, ein Traum oder ein Trugbild des Satans stehe hinter dem Opferbefehl.1105 Da innerhalb dieser Szenen selbst aber mannigfaltige Unterschiede zu beobachten sind und die Unterschiede in der Struktur um so schwerer wiegen, rechtfertigen die Parallelen nicht, eine Abhängigkeit Bezas / Chytraeus’ von Voith oder Sachs zu vermuten.

1099 Hier kommt es bei Chytraeus, S. 81 (D Va), nur zu kleineren Zusätzen (vgl. Beza, S. 113f.), von denen zwei genannt seien: So heißt es von Abraham, „Vnd sich nicht lesset fechten an...“ Bei der warnenden Erwähnung von Personen, die sich auf den Sinn ihres eigenen Gehirns – so übersetzt Chytraeus Bezas „conseil de sa teste“ (S. 114,1002) – und ihre eigene Phantasie („tout ce qu’il imagine“ [ebd. Z. 1003]) verlassen und schnell umgestoßen werden, fügt Chytraeus die weitere Bedingung ein: „Vnd ist gotloß vnd bÖß dabey“. 1100 Vgl. Chytraeus, a.a.O., S. 82, wo er das von Beza (S. 114,1012ff) formulierte Gebet, Gott möge wirken, dass jeder der Anwesenden aufgrund dieses Vorbilds in lebendigem Glauben lebe, in Richtung einer Aufforderung zur Buße erweitert: Die Zuschauer sollen sich anreizen lassen zu Gottesfurcht, Gehorsam, Liebe und Glauben und die Buße nicht zu lange aufschieben. 1101 Vgl. Cameron in Beza, Abraham sacrifiant, S. 23f. 1102 Anders Jonker, Le Protestantisme et le Théâtre, S. 98, der unter Berufung auf Lebègue, La Tragédie religieuse en France, Paris 1929, S. 305, Beziehungen zu Zieglers Abraham-Drama erkennt. 1103 Vgl. Chytraeus, a.a.O., S. 62. 64 (C VIIb. VIIIb), mit Valentin Voith, Spiel vom herrlichen Ursprung, Akt IV Szene 5, ed. Holstein, S. 274,1772ff. 1104 Vgl. Chytraeus, a.a.O., S. 49–51 (C Ia–IIa), mit Sachs, Die Opferung Isaaks, ed. Keller – Goetze Bd. X, Akt 3, S. 70f. In beiden Szenen werden materielle oder gesundheitliche Nöte von den Knechten ausgeschlossen. – Beide Szenen sind in sich allerdings wieder sehr unterschiedlich gestaltet. So werden von Beza / Chytraeus – bezeichnenderweise – die Feinde als möglicher Grund der Unruhe ins Spiel gebracht. Sachs wiederum kann Sara erwähnen, da diese in den göttlichen Befehl eingeweiht ist. 1105 Vgl. Chytraeus, a.a.O., S. 62 (C VIIb), mit Sachs, a.a.O., S. 66, 12ff (vorgetragen von Sara).



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Für die folgende Untersuchung wird das Drama in der Fassung des Chytraeus zugrunde gelegt, wobei allerdings immer wieder die Rückfrage nach Bezas ursprünglichem Werk vorgenommen wird. Im Epilog zum Abraham kommt Chytraeus Beza folgend auch auf den Sinn von Dramen bzw. Aufführungen im Allgemeinen zu sprechen. Dabei teilt er dem Drama die Funktion des Spiegels zu. In diesem könne jede und jeder erkennen, wie es um sie oder ihn bestellt sei, ob jemand auf guten oder bösen Wegen gehe.1106 So sind die Zuschauer aufgefordert, sich diesen Spiegel vor Augen zu halten.1107 Damit steht Chytraeus nicht minder als Beza auf dem Boden antik-humanistischer Dramentheorie. Auf dem Hintergrund der humanistischen Anschauungen des Chytraeus kann dies nicht verwundern. Die von ihm im Gefolge Bezas im Epilog formulierte Aufforderung an die Hörer bzw. Zuschauer: „... laßt nicht komn auß ewr memori / Diß schÖn vnd warhaftig histori,“1108 zeigt, dass beide letztlich von der Nachhaltigkeit einer Aufführung eines Dramas ausgehen. Weitere Ausführungen über Vorteile des Mediums Theater finden sich aber in diesem Drama nicht. In Bezug auf mit dem Abraham-Drama verbundene Absichten weist Chytraeus zunächst darauf hin, dass die Lesung und Beherzigung – von der Aufführung spricht er nicht – dieses Buches „nicht ohn nutz vnd frucht“ bei Unparteiischen, bei denjenigen, die auf den Inhalt des Stückes achteten und nicht nach einer möglichen Einordnung des Verfassers fragten, bleiben werde.1109 Das Drama soll einen Nutzen bewirken. Aus dem Prolog erhellt, dass der Inhalt um das Thema Versuchung kreist. Abraham wird als ein Mensch gezeichnet, der aufs Äußerste versucht wurde.1110 Das Drama stelle dar, wie der Glaube die Feinde: Affekt, Herz, Art, Sinn und Mut der Welt und des Fleisches, überwinde.1111 Entsprechend sieht Chytraeus die Zielsetzung seines Dramas darin, eine Anleitung zum rechten Verhalten in der Situation der Versuchung zu geben. Im Epilog erklärt Chytraeus zu Anfang, in diesem Stück sehe man die Kraft des Glaubens und den Lohn, den Gehorsam erwirke.1112 Glaube und Gehorsam sind die beiden Ziele, zu denen er die Zuschauer bzw. Zuhörer oder Leser führen will. Er führt dies aus, indem er die zuvor von ihm eingeführte Spiegel-Metapher auf den Stoff des AbrahamDramas anwendet. Dabei stellt er seinen Adressaten zwei Typen menschlichen Verhaltens und deren unterschiedliche Ausgänge gegenüber: auf der einen Seite, repräsentiert durch 1106 Vgl. Chytraeus, a.a.O., Epilog, S. 80 (D IIIIb): „Dann das die besten spiegel sein / Da jederman mag sehen fein / Ob er sey schÖn odr vngestalt / Ob er sey hÖckricht / graw odr alt / Ob er aufrichtig geh vnd steh / Odr krumb auf bÖsen wegen geh.“ Vgl. Beza, a.a.O., S. 113,985ff. 1107 Vgl. ebd. 1108 Chytraeus, a.a.O., Epilog, S. 80; vgl. Beza, a.a.O., S. 112,976ff: „Je vous supply quand sortirez d’ici Que de voz cueurs ne sorte la memoire De ceste digne et veritable histoire.“ 1109 A.a.O., Widmungs-Vorrede, S. 6 (A IIIb). 1110 Vgl. a.a.O., Prolog, S. 13 (A VIIa). 1111 Vgl. a.a.O., S. 14 (A VIIb). 1112 Vgl. a.a.O., Epilog, S. 80 (D IIIIb).

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Abraham, Gehorsam und Treue gegenüber Gott, der bzw. die sich selbst Gott unterstellt, kühn glaubt und sich nicht von Vernunft und menschlicher Schwachheit anfechten lässt, auf der anderen Seite das Vertrauen auf die eigene Vernunft oder Phantasie, das gottlos und böse vom – nicht näher beschriebenen – ‚Weg‘ abweicht.1113 Den Ausgang des ersteren zeichnet Chytraeus als gut, ja als besser als es eine diesen Typus einnehmende Person jemals vermuten würde. Aber nicht nur der Ausgang stellt sich positiv dar, auch der vorherige Verlauf ist in solcher Weise geprägt. Zwar ist auch dieser Typus Widrigkeiten des Lebens ausgesetzt, die metaphorisch als Naturkatastrophen, als Brausen des Meeres und Beben der Erde umschrieben werden, doch bleibt er infolge seiner festen Gründung unerschrocken und unverletzt.1114 Der andere Typus dagegen wird schon von einem kleinen Wind umgestoßen.1115 Entsprechend fordert Chytraeus – formuliert ist der ganze Abschnitt von Beza her als an Gott gerichtete Bitte, der aber Chytraeus diese Ergänzung beigibt – den Zuschauer bzw. die Zuschauerin auf, sich am ersten Typus zu orientieren: „... daß sich jederman hiedurch Anreitzen laß zu Gottesfurcht / Zu ghorsam / lieb vnd glauben wahr Daß er zu lang sein buß nicht spar.“1116 Er will demnach das Publikum zur möglichst nicht aufgeschobenen, sondern schnellen Buße bringen. Seinem zuvor entwickelten Kontrastschema korrespondierend, verspricht er demjenigen, der sich danach richtet, dass er „... auß diser action Zuhauß wirt gehn nicht ohne lon / Zu nutz wirt er jhm kÖnnen machen Alle die angeschawte sachen.“1117 Kurz zusammengefasst stellt Abraham für Chytraeus ein Exempel und zwar ein „fÜrbild rechtes glaubens“ dar, das sich der Zuschauer zu eigen machen soll.1118 Als Zielpunkte des Dramas kommen somit Glaube, Gehorsam und Treue gegenüber Gott zu stehen. Dies wird noch einmal zugeschnitten auf die Situation der Versuchung, in der es um das Fortführen dieser Haltungen geht. Für diesen Fall weist der Verfasser auf den Lohn als Vergeltung für den Durchhaltenden hin. In der Erwartung der baldigen Buße ist ein eigenes Anliegen Chytraeus’ zu erkennen. Eine weitere Intention ist im Forcieren des ersten und zweiten Gebots zu sehen. So ist an zahlreichen Stellen im Drama von den Götzen die Rede, die Abraham und die Seinen verlassen haben, an deren Verehrung die Zeitgenossen aber weiterhin festhalten. Angesprochen wird die Verehrung anderer Götter und materialer Götzenbilder. Deutlich wird dabei eine Situation des Minderheitendaseins und der Gefährdung des Glaubens beschrieben, in der sich Abraham mit seiner Familie befindet. Die dahinter stehende Absicht ist zum einen der Appell an die Treue der Zuhörer und Leser, die ihren Glauben auch in einem Umfeld, das ihnen gleichgültig oder feindlich gegenübersteht, durchhalten sollen 1113 Vgl. a.a.O., Epilog, S. 80–82 (D IIIIb–Vb). 1114 Vgl. a.a.O., S. 81 (D Va). 1115 Vgl. a.a.O., S. 82 (D Vb). 1116 Ebd. 1117 Ebd. 1118 Ebd.



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– damit dürften Bezas Landsleute in Frankreich angesprochen sein. Der Glaube an den einen Gott wird als grundsätzlich gefährdet gesehen, demgegenüber der Unglaube den ‚Normalfall‘ darstellt. Zugleich werden auf diese Weise die Zuhörer auch zur Dankbarkeit ermahnt, dass sie die ihnen widerfahrene Befreiung aus einem der Verehrung anderer Götter ergebenen Umfeld – gemeint ist natürlich die altgläubige Religiosität – nicht gering schätzen. Diese Intention des Dramas dürfte sich der persönlichen Erfahrung Bezas, der als Exulant aus Frankreich in die Schweiz kam, wie überhaupt den Erfahrungen reformierter Glaubensflüchtlinge verdanken.1119 Damit verbinden lässt sich auch das Motiv der Prüfung des Glaubens. Die Erfahrung der Adressaten besteht darin, dass sie um ihres Glaubens willen alles verlassen haben oder dass ihnen Verfolgung bis hin zum Scheiterhaufen droht. Das Drama zeigt auf, dass Abraham eine ähnliche Prüfung durchmachen musste, ja dass er sogar das sichtbare Pfand der Verheißung hergeben sollte, aber in dieser Prüfung Gott und der Verheißung treu blieb.1120 Über diese Gedanken hinaus sind einige Nebenintentionen zu benennen. Eine bedeutende Rolle spielt auch in diesem Drama der Gehorsam innerhalb des Familienverbandes, derjenige von Ehefrau und Kindern. So betrachtet es Sara als ihre vornehmliche und von Gott gegebene Aufgabe, ihrem Ehemann Gehorsam zu schenken.1121 Ebenso wird der Gehorsam Isaaks erwähnt, der in seiner Haltung bei der Opferung1122 kulminiert, aber auch außerhalb dessen eine Rolle spielt. So zieht Isaak nicht einfach mit den Hirten weg, sondern fragt selbstverständlich bei seinen Eltern um Erlaubnis. Er bekundet gehorsam zu sein, auch wenn das sein Leben gefährde.1123 Die Hirten wiederum lassen Isaaks Vorbildlichkeit nicht unerwähnt.1124 In diesen Zusammenhang gehört auch das Dringen auf eine frühzeitige und ordentliche Erziehung der Jugend. Dies benennt Abraham als weiteren Zweck menschlichen Lebens nach dem Dienst für Gott und dem Rühmen seiner Wohltaten: „Darneben auch gut aufsicht z’haben Auf vnsern son den jungen knaben / Daß er sich nicht so sehr in gfahr Begeb bey dieser grossen schar So vil bÖser gotloser leut / Darunder wir hie wonen heut. Ein newes gfeß den aller ersten Geruch vnd schmack behelt am meisten / Damit es erstlich ist begossen. Also geschichts auch gleicher massen Mit kinder ziehen / wann schon wer Ein kind von art vnd natur her Gantz still vnd from / so hilfts doch nicht / Wens fehlt an guter kinderzucht.“1125 1119 Vgl. Beza, Abraham sacrifiant, S. 17.19. 1120 Vgl. Perregaux, a.a.O., S. 43, vgl. S. 37f. 1121 Vgl. Chytraeus, a.a.O., S. 18, wo Sara im Dialog mit Abraham äußert: „Ja lieber herr vnd haußwirt mein / Was kÖnt vnd mÖcht auf diser erd Mir lieber seyn von Gott beschert / Dann euch z’wilfaren stetiglich / Dazu auch bin erschaffen ich?“ 1122 Vgl. a.a.O., S. 71. 72. 73. An der letzten Stelle bittet Isaak Gott im Gebet, dass er über sich selbst siege, und fordert dann, dass man ihn binde, schlachte und brenne, er sei ganz bereit. 1123 Vgl. a.a.O., S. 33. 1124 Vgl. a.a.O., S. 51. 1125 A.a.O., S. 24.

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Auch und gerade in dieser Äußerung spiegelt sich die Furcht vor dem Götzendienst, vor der Gefährdung des eigenen Glaubens wider. Als Gegenmittel wird die Erziehung betrachtet. Im Hintergrund steht der Gedanke, das in der Kindheit Internalisierte stelle die Weichen für das ganze Leben. Gerade die Jugend, die am intensivsten formbar sei, sei in dieser Hinsicht besonders gefährdet, aber damit auch fähig, in positiver Weise geprägt und geschützt zu werden. Aus diesem Grunde sollten die Kinder möglichst früh eine entsprechende Erziehung erhalten, die auf nachhaltige Weise einen Grund für das ganze Leben zu stiften vermöge. Über allem jedoch zielt das Drama auch darauf, Trost zu spenden. Dieser Trost besteht darin, dass Gott durch das Kreuz hindurch Gutes wirkt und den Seinen auch in der Situation des Minderheitendaseins und des angefochtenen und umstrittenen Glaubens die Treue hält, sie bewahrt und alles zu einem guten Ende ausführt.1126 Die Präfiguration auf das Opfer Christi ist dagegen kaum im Blick.1127 Auch in diesem Drama ist Abraham als Vorbild gezeichnet. Er ist fromm, auf das Gotteslob bedacht und Gott gehorsam. Die religiöse Erziehung des Sohnes ist ihm ein wichtiges Anliegen. Die Hirten zeichnen Abraham als „tewren Gottes man“: „Sein hertz helt fest an Gott“.1128 Auf der einen Seite ist er sich dessen auch bewusst und reklamiert in der verzweifelten Situation für sich, dass er sich, auch in Verfolgung und Feindschaft, nicht von Gottes Weg habe abwenden lassen.1129 Jedoch weiß er, dass er Sünder ist, vermag sich also vor Gott recht einzuordnen.1130 Über seine Frömmigkeit hinaus wird Abraham auch deutlich als Mensch mit Emotionen und Fragen dargestellt.1131 In der Versuchungssituation wirkt er durchaus unsicher. Er kann Zweifel daran äußern, dass der Befehl zur Opferung des Sohnes von Gott kommt; der gütige und barmherzige Gott könne unmöglich ein solches Opfer verlangen.1132 1126 Vgl. a.a.O., S. 15 und S. 38, den Gesang der Hirten: Gott sorgt für die Glaubenden; Armut, Krankheit, Schmerzen und alles Leiden können ein frommes Herz nicht hindern: „Der glaub zu sigen weiß.“ 1127 Nur die kurze Bemerkung des Engels, a.a.O., S. 79, dass von Abrahams Samen der herkommen solle, in dessen Namen alle Völker auf der ganzen Erde gesegnet werden sollen, und dass die Schätze der göttlichen Allmacht über ihnen ausgebreitet werden sollen, ist ein expliziter Hinweis auf Christus. Hinsichtlich der Opferung Isaaks erfolgt aber keinerlei Anspielung auf Christus, es sei denn man wertet den stark herausgestellten Gehorsam Isaaks als solchen. Vgl. dazu Perregaux, a.a.O., S. 24f.: Beza meide die Analogie zwischen Isaak und dem Opfer Christi, für die Aussage des Engels gelte (S. 25): „Rappel non pas du Christ victime sacrificielle clouée sur la croix, mais du Christ descendant d’Abraham en qui se réalise la promesse …“ 1128 Vgl. a.a.O., S. 38. 1129 Vgl. a.a.O., S. 66. 1130 Vgl. a.a.O., S. 61. 67. 1131 Vgl. Street, a.a.O., S. 21: Bezas Darstellung ist auf die Emotionen Abrahams konzentriert, die durch die Krise ausgelöst werden. 1132 Vgl. Chytraeus, a.a.O., S. 62f.



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Ebenso fragt er, warum Gott so etwas tue, und vermutet, er wolle ihn erniedrigen.1133 Der Abraham Bezas / Chytraeus’ zeigt viel Emotionen: Er klagt, grämt sich, äußert, dass ihm sein Herz im Leib zittere, er gibt zu, Angst und Pein zu leiden, er küsst und umarmt seinen Sohn, bevor er das für ihn Unfassliche zu tun gedenkt.1134 Das Messer fällt ihm vor Zittern aus der Hand.1135 Er will lieber selber sterben, so grausam ist ihm das Bevorstehende; er bittet Gott um seinen eigenen Tod, im Tod seines Sohnes werde er ohnehin selbst entleibt.1136 Bevor er zustechen will, bittet er Isaak um Verzeihung.1137 Richtig ist auch die Beobachtung Mahlmann-Bauers, dass Abraham zwar gegenüber Sara oder den Hirten sehr sicher wirkt, für sich alleine aber alsbald in tiefe Zweifel und Unsicherheit gerät.1138 Allerdings werden diese Affekte im Endeffekt nicht völlig positiv gewertet. Sofern sie gegen den Glauben und die ihm zugrunde liegende Verheißung stehen, werden sie zu Feinden.1139 Die Wendung der Handlung wird gerade darin gesehen, dass Abraham seine Affekte überwindet, allein den göttlichen Willen als Maßstab anerkennt und zu einem Voluntarismus gelangt, nach dem alles was Gott will, eo ipso gut ist.1140 Der Glaube Abrahams, sein Gehorsam Gott gegenüber behält im Zweifelsfalle den Vorrang vor allen anderen, auch grundsätzlich guten Emotionen, wie der Liebe zum Sohn. Deutlich geht Chytraeus – und vor ihm Beza – von der reformatorischen Rechtfertigungslehre aus. So erscheint im Druck von Bezas Stück unter dem Titel programmatisch der Vers Gen 15,6.1141 Konstitutiv ist dabei der Glaubensbegriff, um den das Drama zentriert ist. Es geht um das Wirken des Glaubens in Abraham.1142 Der Glaube wird besonders als Vertrauen gefasst: „Er setzt wol auf Gott sein vertrawn / Vnd thut auf Gottes bund

1133 Vgl. a.a.O., S. 31. Vgl. Street, a.a.O., S. 26. 1134 Vgl. Chytraeus, a.a.O., S. 60. 69. 72. 75. 1135 Vgl. die Regieanweisung, a.a.O., S. 76. Möglicherweise greift Beza an dieser Stelle Überlegungen Zwinglis in dessen 1527 erschienener Genesis-Auslegung ‚Farrago‘ auf; s. CR 100, 149,9f. die Frage Zwinglis: „Nonne debebant concidere brachia?“, so Barbara Mahlmann-Bauer, Abraham, der leidende Vater, a.a.O., S. 329. 346 Anm. 105. 351. Freilich zielt Zwinglis Auslegung auf die Stärke des Glaubens Abrahams, der die Affekte und insofern auch die Haltung der Arme kontrolliert. So bleibt offen, ob die Frage Zwinglis nicht eher einen versteckten Irrealis darstellt. 1136 Vgl. Chytraeus, a.a.O., S. 70. 66. 72. 76. 1137 Vgl. a.a.O., S. 77. 1138 Vgl. Mahlmann-Bauer, a.a.O., S. 359, vgl. 361. 1139 Vgl. Chytraeus, a.a.O., Prolog, S. 14 (A VIIb). 1140 Vgl. a.a.O., S. S. 67: „Pack dich derhalben fleisch vnd blut / Weicht von mir affect / sin vnd mut / Zu rÜck all menschlich weißheit steh / Vnd was bißher mir gthan hat weh. Mir kan nichts gut vnd recht jetzt sein / Ohn was gefelt dem Herren mein.“ Allerdings weiß Abraham, dass auch der von ihm undurchschaubare Opferbefehl „Ein billich vrsach ... hat“ (a.a.O., S. 62). Vgl. Beza, Abraham sacrifiant, ed. Cameron, S. 19, wo auf Calvin, Inst. III, 23,2 verwiesen wird. 1141 Vgl. Beza, a.a.O., S. 43. 1142 Vgl. Street, French sacred drama, Cambridge u.a. 1983, S. 28.

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fest bawn.“1143 Glaube heißt, auf Gottes Zusage zu bauen.1144 Zum Glauben gehört aber auch das Element des Fürwahrhaltens, das sich ebenfalls auf das göttliche Wort richtet.1145 Der Glaube ist damit von seinem Wesen her auf Gottes Wort bzw. seine Verheißung oder Zusage – Chytraeus gebraucht beide Begriffe – bezogen.1146 Der Befehl zur Opferung Isaaks, die Versuchung1147 stellt die Verheißung in Frage.1148 Die Verheißung bzw. der Glaube an sie gerät dadurch in einen Gegensatz zur Vernunft. Der Glaubende selbst, also Abraham, sieht sich, wie der Satan feststellt, in ein Dilemma geführt: Tötet er Isaak, stirbt mit diesem die Verheißung; tötet er ihn nicht, wird er Gott untreu und von ihm verstoßen.1149 Der Glaube bedeutet in dieser Situation, gegen die menschliche Vernunft, gegen den eigenen Sinn und die Einbildung, aber auch gegen die menschlichen Emotionen, ja gegen die eigene Person, am göttlichen Wort und seiner Verheißung festzuhalten und sich nicht von diesen anfechten zu lassen.1150 Damit ist der Glaube auch ein Triumph über das eigene Ich und seine Affekte. Entsprechend kann Chytraeus im Prolog formulieren: „Jn summa / hie wirt euch fÜrgestelt Des fleisches vnd der gantzen welt Affect vnd hertz / art / sin vnd mut / Vnd wie solch feind vbrwinden thut Der ware lebendmachend glaub ...“1151 Im Zweifelsfall hat der Glaube Vorrang vor Vernunft und Affekt. Wie es im Epilog heißt, stellt der Glaube sich selbst und all sein Tun Gott anheim.1152 Dass er damit Elemente einer stoischen Unerschütterlichkeit umfasst, wird deutlich, wenn es etwa im Epilog heißt: „Laß wehen wind / das meer laß brausen / Laß vngewitter vmbher sausen / Die erd erschÜtle jhren schoß / Mit donnr vnd blitz fall hagels gschoß. Der hencker b’reit sein folterbanck / Sein kercker / strick / schwert / fewr vnd stanck / Der himel kreft bewegen sich / Vnd lasse alls ansehen sich Als wolt es in ein 1143 Chytraeus, a.a.O., S. 29. Vgl. den Gesang der Hirten, S. 34, ferner S. 65 („trawen“). 1144 Vgl. a.a.O., S. 65. 1145 Vgl. a.a.O., S. 76. 1146 Vgl. a.a.O., S. 23, wo Abraham und Sara singen: „Gott hat vns das verheissen klar / Darumb wir jhm auch glauben zwar / Er wird sein wort wol halten.“ Gegenstand ist hier die Verheißung von Land und Kindern. – Das französische Substantiv gibt Chytraeus meist mit „zusag“ wieder (vgl. S. 17.60), aber auch mit „eid“ (S. 79). 1147 Von ‚versuchen‘ und ‚probieren‘ spricht Chytraeus im Prolog; vgl. a.a.O., S. 13, Beza, a.a.O., von ‚tenter‘. 1148 Vgl. das Gebet Abrahams, Chytraeus, a.a.O., S. 63. 1149 Vgl. a.a.O., S. 47. 1150 Vgl. a.a.O., S. 76, wo Abraham Himmel und Erde als Zeugen herbeiruft, die ihm attestieren sollen, „Daß in jhm sey ein solcher glaub Auß Gottes lauter gÜt vnd gab / Der wider all menschlich vernunft Gotts wort helt wahr ohn widerruf.“ Beza, a.a.O., S. 108,925, hatte formuliert: „... non obstant toute raison humaine“. Vgl. ferner Chytraeus, a.a.O., Epilogus, S. 81, wo von Abraham gesagt wird: „Vnd sich nicht lesset fechten an Was sein vernunft darwider sag.“ A.a.O., S. 67, äußert der mit sich ringende Abraham: „Weicht von mir affect /sin vnd mut / Zu rÜck all menschlich weißheit steh ...“ 1151 Chytraeus, a.a.O., Prolog, S. 14 (A VIIb). 1152 Vgl. a.a.O., S. 81.



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hauffen fallen: Ein gleubig hertz doch in dem allen Gantz vnerschrocken bleibt vnd steht / Vnd vnverletzt sein strasse geht.“1153 Als Grund für diese Unerschütterlichkeit verweist Chytraeus hier auf die feste Fundierung des Glaubens.1154 Der Glaube führt damit von der Welt weg. Er richtet sich naturgemäß auf Gott allein und setzt seine Hoffnung nicht auf Innerweltliches, auch nicht auf den verheißenen und lang ersehnten Sohn, wie es Abraham gegenüber Sara zum Ausdruck bringt.1155 Wiewohl göttliche Gabe, bietet das Innerweltliche keinen Trost und kein Heil. Der Glaube hält sich allein an Gott, den Götzen schenkt er keine Macht. Lediglich der Satan behauptet in seiner Vorstellungsrede zunächst, es gebe einen ‚arbeitsteiligen‘ Dualismus, nach dem Gott im Himmel regiere, wo dessen Wille erfüllt werde, während er selbst für sich die Herrschaft auf Erden reklamiert, wo sein Wille erfüllt und er von den Seinen angebetet werde.1156 Nimmt dies der Satan später selbst etwas zurück, indem er einräumt, es gebe nur einen Gott,1157 so weiß der Glaube, dass Gott am Ende über den Satan und die Götzen obsiegen wird.1158 Im konkreten Fall Abrahams und seiner Versuchung bedeutet der Glaube als Festhalten an der Verheißung und als Absatzbewegung von der Welt, dass Abraham glaubt, Gott könne den Isaak auferwecken und so seine Zusage zur Erfüllung führen.1159 Glaube ist somit Glaube an die Auferweckung und damit an die Allmacht Gottes, der wie aus dem Nichts, so auch aus dem Bösen und dem Kreuz Gutes schaffen kann.1160 Dies betrifft auch den Tod, denn: „Der stirbt in Gott / ist vnverlorn.“1161 1153 Ebd. Ruth Stawarz-Luginbühl, L’Abrahams sacrifiant, S. 413, sieht den Tenor in den zuvor von Beza dargebotenen Emotionen Abrahams und damit eine antistoische Linie, die auch Calvin vertrete. Der Wortlaut an dieser Stelle spricht jedoch deutlich dagegen. 1154 Vgl. Chytraeus, ebd. 1155 Auf die Äußerung Saras, a.a.O., S. 42: „Diß einig kind han wir allein [...] Auf welchem allein steht vnd ruht Vnser so grosse hofnung gut,“ entgegnet Abraham: „Mit nicht auf jm / sondern auf Gott.“ Abraham selbst gibt später zu, dass er auch einmal so gedacht habe; vgl. a.a.O., S. 63: „Jn summa / ich oft gebeten hab Vmb kinder / als ein bsonder gab / Vnd meynt ich wÜrd drumb selig sein ...“ 1156 Vgl. a.a.O., S. 25. 1157 Vgl. a.a.O., S. 26f.: „Was mich anlangt / so gleub ich frey / Daß Gott ein eintzig wesen sey / Vnd daß ich sey ein bÖsewicht / Der alles bÖß hab angericht.“ A.a.O., S. 25., legt er dar, er selber habe die Götzen geschaffen. 1158 Vgl. a.a.O., S. 23f. (Gesang Abrahams und Saras); S. 79 (Rede des Engels: Der Same wird Gottes und seine Feinde besiegen). 1159 Vgl. a.a.O., S. 67; vgl. a.a.O., S. 43: „Der Gott folgt vnd stirbt / selig ist.“ 1160 Vgl. a.a.O., S. 47.15. Von Gottes „almechtigkeit“ bzw. „almacht“ ist S. 18 und 79 die Rede. – Darin trifft sich Beza bzw. Chytraeus mit Luthers Genesis-Auslegung (WA 43, 216,27f.); vgl. Ulrich Asendorf, Lectura in Biblia, Göttingen 1998, S. 133. 1161 A.a.O., S. 43. Chytraeus gibt hier eine andere Lesart als die des Erstdruckes von 1550 wieder, der von den Herausgebern zugrunde gelegt wurde. Im Erstdruck heißt es: „Les mots de Dieu sont asseurez.“ Vgl. Beza, Abraham sacrifiant, S. 80. Chytraeus muss also entweder einen Lyoner

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Hinsichtlich der Rechtfertigung gilt gemäß Gen 15,6, dass der Glaube den Menschen gerecht macht.1162 Der Glaube wird dabei als Gabe Gottes gesehen.1163 Voraussetzung der Rechtfertigung ist die liebende Zuwendung Gottes, der durch seine Gnade der Seinen als Freunde gedenkt – in dieser Weise wird im reformatorischen Sinne die Gnade Gottes definiert.1164 Der Glaubende wird von Chytraeus bzw. Beza durchaus als Sünder gesehen. So wird im ersten Gesang der Hirten festgehalten, dass auch der Glaubende bisweilen fehle, strauchele und falle, aber von Gott wieder aufgerichtet werde. Auch Abraham, aber ebenso Isaak geben das Bewusstsein zu erkennen, dass sie Sünder seien.1165 Die Lehre von der Erbsünde wird angedeutet.1166 Allerdings steht dies nicht im Zentrum. Dass der zu rechtfertigende Mensch Sünder ist, wird nicht eigens thematisiert. Vielmehr wird Abraham mit den Seinen als von vornherein von den ihn umgebenden Menschen, die andere Götter verehren, geschieden gesehen: Gott behütet die frommen Leute, die Gottlosen bestraft er.1167 Die Radikalität einer iustificatio impii wird demnach nicht anvisiert. Von der Handlung her, die ja völlig auf Gen 22 konzentriert ist, kann sie freilich auch kein eigenes Thema darstellen. Abraham wird von vornherein als Glaubender präsentiert. In diesem Glauben wird er in der Versuchung angefochten, aber er besteht in Gehorsam und Treue und fällt nicht von Gott ab. Dem biblischen Text entsprechend wertet der Engel Abrahams Verhalten als Gehorsam.1168 Zu Beginn des Epilogs wird der Glaube bzw. die Kraft des Glaubens und der Gehorsam parallel gesetzt.1169 Der Gehorsam ist Treue Gott gegenüber oder wie der Engel zu Abraham sagt, Liebe zu Gott von Herzensgrund.1170 Chytraeus bzw. Beza geht es darum, den Glauben in der Anfechtung durchzuhalten. Dieses Durchhalten gehört zum Begriff des Glaubens dazu. Einer Konditionierung des Heils ist damit nicht der Weg gebahnt, insofern der Glaube Gottes Gabe ist und Gott die Glaubenden begleitet, für sie sorgt und sie nach möglichem Fallen auch wieder aufrichtet. Ist somit im Drama die reformatorische Rechtfertigungslehre verarbeitet, so ist zugleich festzustellen, dass reformatoriDruck aus den 1550er Jahren benutzt haben, der die Lesart: „Les morts en Dieu sont asseurez.“, bietet, oder einen der Genfer Drucke seit 1561, die die Formulierung „Les morts de Dieu sont asseurez,“ haben, wobei die erste Formulierung seiner Übersetzung näher steht. Zu den verschiedenen französischen Drucken von Bezas Stück bis zu seinem Tod, vgl. Beza, Abraham sacrifiant, ed. Cameron, S. 39–41. 1162 Vgl. Chytraeus im Prolog, a.a.O., S. 13: „Durch glauben auch gerecht gemacht.“ 1163 Vgl. a.a.O., S. 76. 1164 Vgl. den Gesang Abrahams und Saras, a.a.O., S. 23. 1165 Vgl. a.a.O., S. 38. 61. 67. 73. 1166 Vgl. a.a.O., S. 30, wo Abraham sagt, seine Natur sei „verstelt“. Deutlicher tritt es bei Beza, a.a.O., S. 69,274 heraus, wo von „ma nature damnable“ die Rede ist; vgl. a.a.O., S. 18. 1167 Vgl. Chytraeus, a.a.O., S. 76. 1168 Vgl. a.a.O., S. 79f. 1169 Vgl. a.a.O., S. 80: „Hie seht jhr nu des glaubens kraft / Vnd was fÜr lohn der ghorsam schaft.“ 1170 Vgl. ebd. und S. 77.



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sche Formeln in expliziter Form im Drama nicht erscheinen. Direkte Polemik gegen den alten Glauben steht nicht im Vordergrund, ist aber gleichwohl präsent, etwa wenn der Satan im Mönchshabit auftritt oder wenn von dem götzendienerischen Umfeld Abrahams und von den Feinden Abrahams und Gottes die Rede ist. Das Drama wird so von einer latent polemischen Haltung bestimmt, auch wenn keine moralischen Vorwürfe vorgebracht oder altgläubige Frömmigkeitspraktiken verspottet werden.1171 Zuletzt gilt es nach reformierten bzw. ,calvinistischen‘ Tendenzen in diesem Stück zu fragen. Einen ersten Hinweis markiert die Tatsache, dass das Argumentum nur aus dem Bibeltext Gen 22,1–18 besteht. Das Drama soll einzig der Wiedergabe des biblischen Textes dienen, ihm Raum verschaffen. Jeglicher sonstiger Schmuck, jegliche eigene Beigabe des Autors soll demgegenüber zurücktreten. Eine Konsequenz dessen ist die Konzentration der Handlung auf die vorliegende Geschichte. Das Drama besteht nur aus dem Geschehen Gen 22, dem lediglich Gesänge, die wiederum biblisch fundiert sind, beigegeben sind. Über den biblischen Text hinaus gehen aber das Erscheinen des Satans – den jedoch auch Calvin in seinem Genesiskommentar nennt1172 –, das den Glauben Abrahams um so größer erscheinen lässt, das Auftreten der Hirten – die aber keine eigene Handlung initiieren, sondern nur kommentieren und sich dem Gotteslob zuwenden – einschließlich des Wunsches Isaaks, mit ihnen zu ziehen, ferner der Redebeitrag Saras während der Vorbereitungen zum Opfer sowie der Rückzug Abrahams zum Gebet vor dem Opfer. Letzteren beiden kommt deutlich retardierende Funktion zu. Auch Beza ist nach Ausweis seiner Vorrede bemüht, einen Spannungsbogen aufzubauen und die Geschichte den Anforderungen des Theaters anzupassen.1173 Alles sonstige Beiwerk aber fehlt, es gibt keinerlei Nebenhandlung. Dies alles entspricht der reformierten Haltung gegenüber der Schrift. Auffallend ist darüber hinaus, dass das Drama ausschließlich am Literalsinn orientiert ist. Die typologische Deutung, die Präfiguration auf das Opfer Christi wird – zumindest nicht explizit – namhaft gemacht.1174 Dass Gott 1171 In der Rede des Satans, a.a.O., S. 26, deutet sich eine antiklerikale Polemik an, wenn der Satan von seinen eigenen prächtig gezierten und gut genährten ‚Engeln‘ spricht. Vgl. Beza, a.a.O., S. 19, wo aber die Herausgeber darauf dringen, diese polemische Seite nicht zu sehr herauszustellen. 1172 Calvin, Commentarius in Genesin (1554), CR 51, 315, hält ein Erscheinen des Satans vor Aufbruch der Reise zum Moria für möglich: „Nec dubium est quin Satan inter noctis tenebras ingentem curarum acervum illi congesserit.“ Möglicherweise liegt hier eine Beeinflussung durch Bezas Drama vor. 1173 Beza, Abraham sacrifiant, schreibt in seiner Vorrede an den Leser (a.a.O., S. 49,72ff): „Quant à la maniere de proceder, j’ay changé quelques petites circonstances de l’histoire, pur m’approprier au theatre. Au reste j’ay poursuyvy le principal au plus pres du texte que j’ay peu, suyvant les conjectures qui m’ont sempleé les plus conbenables à la matiere, et aux personnes.“ 1174 Der Engel deutet in seiner Schlussrede lediglich an, dass von Abrahams Samen der herkommen soll, in dessen Namen alle Völker gesegnet werden; vgl. a.a.O., S. 79. Eine Deutung des Opfers in dieser Hinsicht aber vollzieht er nicht. – Calvin übergeht die traditionelle Deutung des Isaak-Opfers auf das Kreuz völlig; vgl. dazu Willem Balke, Calvins Auslegung von Genesis 22,

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selber nicht auf der Bühne dargestellt wird, passt ebenfalls zu der hier zum Ausdruck kommenden Theologie. Beidem kann allerdings nicht der Part eines ausschließenden Merkmals einer reformierten Auslegung zukommen. Der Gedanke der Präfiguration Christi durch die Person Isaaks hat längst nicht in allen lutherischen Dramen eine tragende Funktion, zuweilen wird er nur nachklappend im Epilog benannt wie bei Andreas Lucas.1175 Dagegen erscheint er ansatzweise beim reformierten Schweizer Haberer.1176 In gleicher Weise gilt dies für die Darstellung Gottes: Auch im Abraham-Drama des Lutheraners Stymmelius erscheint Gott nicht auf der Bühne, während er bei Haberer dargestellt wird.1177 Bedeutsam für das Drama ist der mehrfach erscheinende Gedanke von der Ehre Gottes, der in der Theologie Calvins eine konstitutive Rolle spielt. So bekundet Isaak, zur Ehre Gottes geschaffen zu sein.1178 Abraham betrachtet es als seine Aufgabe, mit seinem Haus Gottes Ehre auszubreiten, durch Lob und Dank für seine Wohltaten.1179 Im Lobgesang Abrahams und Saras wird Gott gebeten, die Seinen zu rächen und seine Ehre gegenüber den Verehrern der Götzen und Feinden Abrahams durchzusetzen: „Vnd du o wahrer Gott vnd Herr Thu dich einmal herfÜr mit ehr / Daß wir werden gerochen An vnsern feinden alzumal / Die gmachten GÖtter vberal Mit ernst werden zerbrochen.“1180 in: Théorie et pratique de l’exégèse, hrg. v. Irena Backus und Francis Higman, Genf 1990, S. 225. 1175 Während die Allegorie in Luthers Predigten über Gen 22 aus den Jahren 1523 und 1527 breiten Raum einnimmt (vgl. WA 14, 306ff – gipfelnd 310,9: „Et quanquam de Isaac dicatur, tamen omnia referenda in Christum.“ –; vgl. WA 24, 398ff), spielt der Präfigurationsgedanke in seiner Genesis-Vorlesung 1535–1545 lediglich eine bescheidene, keineswegs eine konstitutive Rolle. Er könnte grundsätzlich auch wegfallen. Der Gedanke erscheint in der Auslegung von Gen 22,13, WA 43, 234,16ff: Der Widder ist figura Christi. Darüber urteilt Luther (234,22): „Haec satis bona allegoria est, quam non improbo.“ Auch dieses Lob zeigt aber die grundsätzliche Verzichtbarkeit dieser Allegorie. Gleichwohl ist die Auffassung von Reckling, Immolatio Isaac, S. 80f., Luther verzichte seit Beginn seiner Genesis-Auslegung 1535 auf jede typologische Auslegung, in der dramaturgischen Dichtung sei aber keine Auswirkung dieses geänderten exegetischen Standpunktes festzustellen, zu unpräzise. 1176 Gegen Reckling, a.a.O., S. 81. Reckling stellt aber zu Recht fest, dass Zwingli den Präfigurationsgedanken in seiner ‚Farrago‘ beibehält; vgl. Zwingli, CR 100, 143. 147f. 153. 1177 Wilhelm Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Zweiter Band. Renaissance und Reformation. Erster Teil, Halle a.S. 19182, S. 427, scheint dies für ein ausschließendes reformiertes Proprium zu erachten: „Die persönliche Vorführung Gottes hat der calvinistische Dichter vermieden.“ – Creizenach hält ebd. auch die Teufelsfigur mit ihren Aussagen über die üppigen fetten Pfaffen als ihre besten Diener für ein Merkmal von Bezas Zugehörigkeit zum Calvinismus. Doch ist dies nur ein Zug allgemeiner Polemik gegen die Altgläubigen, der sich bei reformatorischen Autoren generell findet. 1178 Vgl. Chytraeus, a.a.O., S. 73. 1179 Vgl. a.a.O., S. 18: „FÜrwar ein frommer biderman Nichs bessers jhm fÜrnemen kan / Dann so er mit weib / kind vnd hauß Gotts ehr hilft trewlich breiten auß Mit lob vnd danck ...“ 1180 A.a.O., S. 23f.



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Schließlich wertet der Engel die Bereitschaft Abrahams, das Opfer seines Sohnes darzubringen, als Beweis seiner Liebe zu Gott und als Beleg dafür, dass er ihm die Ehre gibt.1181 Alles Geschehen ist von Gott zu dem Zweck geordnet, dass seine Ehre vermehrt und auf Erden gegen den Widerstand seiner Feinde durchgesetzt wird.1182 Besonders betont wird im Drama das Gefälle Gottes zum Menschen. Der Mensch als Sünder kann sich nicht erdreisten, Gott und sein Tun zu ergründen.1183 Er soll nicht über Gott spekulieren, sondern sich ihm anvertrauen, insofern sein Wille die oberste Instanz bildet. Trotz dieses voluntaristischen Elementes in der Gottesvorstellung wird aber an der Rationalität Gottes festgehalten. Auch wenn der göttliche Wille von Seiten des Glaubenden nicht durchschaut werden kann, liegt doch ein letztes Vertrauen in die Rationalität dieses Willens vor. So kommentiert Abraham den göttlichen Befehl zur Opferung Isaaks: „Ein billich vrsach zwar es hat / Ob mir wol vnbewust dein raht.“1184 Was Gott tut, geschieht nicht ohne Grund, es ist nicht irrational. Damit aber ist dieser Wille auch definitiv ein einheitlicher, obschon der Glaubende ihn zuweilen – wie hier Abraham, der promissio und mandatum nicht miteinander verbinden kann – als einen doppelten wahrnimmt. Die Duplizität des göttlichen Willens besteht also nur in der menschlichen Wahrnehmung. Auch dieser Zug des Dramas entspricht bei Calvin erkennbaren Tendenzen.1185 Ein weiterer der Theologie Calvins entsprechender Aspekt des Dramas besteht in der Zeichnung Abrahams und der Seinen als einer Minderheit, die in götzendienerischer Umgebung lebt. Überaus häufig wird hervorgehoben, dass Abraham von den Götzen der Chaldäer befreit wurde – an dieser Stelle wird die Terminologie des Exodus verwendet; es ist also an eine Unterdrückung gedacht – und dass die übergroße Menge der Menschen um ihn herum nach wie vor in der Anbetung der Götzen verharrt.1186 Zwar stellt auch Georg Rollenhagen in seinem Drama im Argumentum heraus, Abraham sei aus Mesopotamien aus einem Umfeld herausgeführt worden, in dem Abgötterei und falsche Lehre herrschten, doch wird dies eher als eine vergangene Erscheinung beschrieben, auch insofern Rollenhagen feststellt, in Abraham sei die rechte Lehre vom zukünftigen ‚Erlöser aller Welt‘ ans Licht getreten, der der Welt den Segen bringen werde, zu dem diese gera-

1181 Vgl. a.a.O., S. 77. 1182 Vgl. Alfred Adam, Lehrbuch der Dogmengeschichte. Bd. 2,Gütersloh 19865, S. 343. 1183 Vgl. Chytraeus, a.a.O., S. 61. 1184 A.a.O., S. 62. – Entsprechend ist die reformierte Exegese der Geschichte von Isaaks Opferung eher rationalisierend; vgl. Steiger, Zu Gott gegen Gott, S. 199. 1185 Vgl. Balke, a.a.O., S. 222, der zu Recht herausarbeitet, dass Calvins Formulierungen in Bezug auf eine Duplizität Gottes sehr verhalten sind: „Calvin drückt sich sehr zurückhaltend aus, wenn er schreibt ‚als ob Gott mit sich selbst im Streit läge‘, oder dass Gott ‚zuweilen gewissermassen [!] eine zweifache Person annähme‘...“ 1186 Vgl. Chytraeus, a.a.O., S. 14. 15. 22; vgl. S 16.

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dezu hindrängen werde.1187 Anders bei Chytraeus’ bzw. Bezas Abraham: Große Sorge gilt Isaak, der ausgerechnet in einer solchen Umgebung groß wird.1188 Die Verehrer der Götzen werden zudem als Feinde bezeichnet, die die Glaubenden verfolgen.1189 Vergleicht man dieses Stück mit anderen Abraham-Dramen, wird das gänzlich andere Klima vollends deutlich: So geht etwa in Schlues Stück Isaak mit den Kindern der Philister zusammen zur Schule und teilt mit ihnen gemeinsame Erfahrungen und in Stymmelius’ Drama verkehrt Abraham mit seinen Nachbarn und lehrt sie die rechte Gottesverehrung, darin Luther folgend.1190 Bei Chytraeus bzw. Beza spiegelt sich dagegen die umgekehrte Erfahrung, eine angefeindete und in ihrem Überleben gefährdete Minderheit zu sein. Stets muss sie darauf bedacht sein, sich gegen die Majorität abgrenzen und sich ihres Glaubens zu versichern. Statt des Gedankens einer positiven Infiltration, einer Prägung der Umgebung durch den eigenen Glauben herrscht hier die Angst vor negativen Einflüssen von außen, aufgrund deren nur eine Rückzugsbewegung und ein Sich-Abschließen der Gemeinschaft in Frage kommt. Diese ist aufgerufen, bei ihrem Bekenntnis zu verharren. Als erwählter Gemeinschaft ist ihr aber verheißen, dass sie von Gott bewahrt wird. Fragt man nach der Ursprungssituation des Dramas, seiner ursprünglichen Fassung, so ist deutlich, dass Beza hier die Erfahrung seines Weggangs aus Frankreich verarbeitete, oder mit Daniel Bolliger formuliert: „Der Abraham im Drama gleicht... dessen Verfasser, was die Beschreibung der Auswanderung angeht, mehr oder minder perfekt: Abrahams Auszug aus Chaldäa und Bezas Flucht aus Paris entsprechen sich sozusagen durchgehend.“1191 Bolliger geht in seiner Interpretation noch etwas weiter. Er sieht Bezas Drama beeinflusst von Calvins an die französischen Protestanten gerichteten Aufforderung zum offenen Bekenntnis – gegen nikodemitisches Gebaren, den evangelischen Glauben zu verschweigen. Konkret nennt Bolliger Calvins Traktat über die Pflichten eines die evangelische Wahrheit erkennenden, unter den Papisten lebenden Glaubenden von 1543, in dem dieser den Leidensdruck Abrahams auf die Verfolgungssituation in Frankreich bezieht und das Beispiel des Patriarchen als Aufforderung versteht, die Verfolgung zu ertragen und sich der Vorsehung Gottes anzuvertrauen.1192 Insofern Calvin für diese Haltung auch die Geschichte von der Opferung Isaaks als Beleg nennt – Abraham 1187 Vgl. Rollenhagen, Abraham, Argumentum, B Ib, und Akt IV Szene 1, G IIIIb, wo es von Christus heißt: „... Vnd aller Welt den Segen bringn / Die mit gewalt wird zu jhm dringn...“ 1188 Vgl. Chytraeus, a.a.O., S. 24. 1189 Vgl. a.a.O., S. 66, wo Abraham von erlittener Verfolgung und Feindschaft spricht. 1190 Vgl. WA 42, 499,23ff. 1191 Daniel Bolliger, Dramatisches Symbol konfessioneller Grundhaltungen zwischen Glaube und Politik, in: Steiger – Heinen (Hrgg.), Isaaks Opferung, S. 294f. 1192 Vgl. Bolliger, a.a.O., S. 293f. Vgl. Calvin, Petit traicté monstrant que c’est que doit faire un homme fidele congnoissant la verité de l’evangile, quand il est entre les papistes, CR 34, 570f. Der Reformator hält dort fest, man müsse dem, was Gott gefalle, folgen, sei es dass man fliehen und alle seine Güter verlassen müsse, sei es dass man ins Gefängnis geworfen werde oder gar sein Leben lassen müsse.



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folge dem Befehl Gottes und vertraue sich der providentia Dei an – geht Bolliger von einem zumindest indirekten Einfluss dieses Traktats auf Beza aus.1193 Muss dies hier letztlich offen bleiben, so ist doch Bezas Drama mit seiner Abraham-Gestalt ohne Zweifel Ausdruck einer antinikodemitischen Haltung des Verfassers, zu der dieser sich mit seiner Flucht durchgerungen hatte. Dass Beza seinen Durchbruch anhand der Figur Abrahams und der Erzählung Gen 22 verarbeitete, könnte sich in der Tat dem Faktum verdanken, dass bereits Calvin diese als Paradigma für die von ihm favorisierte Glaubenshaltung aufgegriffen hatte. Bolliger stellt allerdings auch umgekehrt einen Einfluss von Bezas Drama auf Calvin in dessen 1560 erschienenen ‚Trois sermons sur le sacrifice d’Abraham‘ fest. In ihnen sei der Genfer Reformator „... Bezas migrationsstimulierender Interpretation der Opferungsbereitschaft Abrahams zumindest indirekt ...“ gefolgt.1194 Hubert Bost vertritt die gleiche Auffassung in Bezug auf die in diesen Predigten Calvins erkennbare Aufnahme von tragödientheoretischen Elementen und die dramaturgische Ausgestaltung der Geschichte.1195 Dies kann wahrscheinlich gemacht werden, zumal sich wohl auch, wie erwähnt, gewisse Einzelzüge der Calvinischen Auslegung von Gen 22 Bezas Drama verdanken.1196 Damit ergibt sich die – zumal für Calvin – erstaunliche Tatsache, dass auch das Medium Drama, das ohne Zweifel ebenso als Auslegung verstanden sein will, Auslegungen im engeren Sinne zu beeinflussen vermochte. Alle diese Auslegungen, sei es durch Calvin, sei es durch Beza und ihm folgend durch Chytraeus, belegen die im reformierten Bereich vorherrschende Tendenz zu einem paradigmatischen Verständnis, zu einer das Isaak-Opfer nivellierenden Tendenz, d.h. zu einer Funktionalisierung und Substituierung des Kindesopfers, hin auf eine Überordnung des Selbstopfers über das Kindesopfer.1197 Der Befehl zur Opferung Isaaks ist die höchste jener Erprobungen, durch die Abraham und alle Glaubenden zur abnegatio sui bzw. zur mortificatio, zum Verlassen der Welt gebracht werden sollen.1198 Ein weiterer Zug des Dramas, der stärker der Genfer Situation entspricht, besteht darin, dass der Abraham dieses Dramas nicht nur den Verehrern anderer Götter gegen1193 Vgl. Bolliger, a.a.O., S. 294. Calvin, CR 34, 571, formuliert: „Car c’est le refuge où nous meine par son exemple nostre pere Abraham: lequel ayant le commandement de tuer son propre filz, quand il est interrogué au chemin de ce qu’il veut faire, dit: Le Seigneur y provoira (Gen 22,8).“ 1194 Bolliger, a.a.O., S. 295f. 1195 Vgl. Hubert Bost, La mise en scène Genèvoise d’Abraham sacrifiant, ETR 76 (2001), S. 544ff. Vgl. dazu Bolliger, a.a.O., S. 296. Olivier Millet, Exegèse évangélique et culture littéraire humaniste: entre Luther et Bèze, l’Abraham sacrifiant selon Calvin, ETR 69 (1993/94), S. 373, geht hingegen von einer Beeinflussung Calvins durch Luther aus. 1196 Es handelt sich um das Erscheinen des Satans vor Abraham und Abrahams Klage, vor der Öffentlichkeit als Kindsmörder dazustehen. 1197 Vgl. Bolliger, a.a.O., 291. 298. 300. 1198 Für Calvin vgl. Balke, Calvins Auslegung von Gen 22, a.a.O., S. 215. Bei Calvin s. CR 51, 317f.: „Sicuti autem Abraham Deum se timere ostendit, proprio et unigenito filio non parcens: ita eiusdem timoris commune a piis omnibus testimonium exigitur in abnegatione sui.“

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übersteht, sondern sich auch gegen Skeptizisten richtet, die die Existenz Gottes in Frage stellen und diese für Phantasie halten.1199 Dies spiegelt Haltungen wider, mit denen sich die Genfer Theologie konfrontiert sah, wie es etwa der Zwischenfall um Jacques Gruet im Jahre 1547 belegt.1200 Deuten diese Beobachtungen auf eine anders geartete Grundstimmung hin, eben jene im westeuropäischen Protestantismus vorherrschende, die für den Calvinismus die Grundlage bildete, so ist auf der anderen Seite aber festzustellen, dass das profilierteste Merkmal calvinischer Theologie, die Lehre von der Prädestination, im Drama nicht offensiv propagiert wird. Dies gilt zunächst für Bezas Drama, dann aber verstärkt für die Übertragung durch Nathan Chytraeus. Von der Erwählung ist nur an wenigen Stellen und dort in relativ unauffälliger Weise die Rede,1201 im Lobpreis und in einem dem Rückblick gewidmeten Monolog Abrahams. Damit sind wir bei der Frage, ob und inwieweit Chytraeus die genannten, der Genfer Theologie entsprechenden Züge umsetzt. Dabei ergibt sich zunächst – von der oben festgestellten Auslegungslinie bei Beza und Calvin ausgehend, bei der Abraham Vertreter der glaubenden Minderheit ist, die von der Mehrheit angefeindet wird – eine Vermutung, warum Chytraeus Bezas Drama aufgriff: Seine Situation als ‚Kryptocalvinist‘ in Rostock entspricht durchaus derjenigen Bezas in Paris. Und wie dieser nach seiner Flucht in die Schweiz, so gibt Chytraeus das Stück nach seiner Umsiedlung nach Bremen als gewissermaßen öffentliches Dokument seiner erfolgten Konversion zum reformierten Glauben und damit als Bekenntnis – auch zur Person des Theologen Beza – heraus. Auch für Chytraeus ist also zu statuieren, dass er sich in der Gestalt Abrahams wiederfand. Insofern ließe sich sagen, dass der Herausgabe des Dramas auch ein Abrücken von der Glaubensform ‚Kryptocalvinismus‘ inhäriert. Voraussetzung dieser Interpretation ist freilich, dass

1199 Vgl. Chytraeus, a.a.O., S. 27: „Die andern habn ein solchen wahn / Es sey mit Gott vnd seinem nam Ein lauter trawm vnd phantasey / Da nichts gewisses vnter sey.“ – Beza, a.a.O., S. 67,228, spricht von einer ‚opinion vaine‘. 1200 Vgl. Bernard Cottret, Calvin, Stuttgart 1998, S. 230, der konstatiert, die Verteidigungsrede Gruets könne „mit Fug und Recht als Bekenntnis zum Atheismus angesehen werden“. Gottfried Arnold spricht später vom Atheismus in Frankreich als einem schon lange existierenden Phänomen; vgl. Hartmut Lehmann, Zur Bedeutung von Religion und Religiosität im Barockzeitalter, in: Ders., Religion und Religiosität in der Neuzeit, hrg. v. Manfred Jakubowski-Tiessen und Otto Ulbricht, Göttingen 1996, S. 23. 1201 Vgl. den Gesang Abrahams und Saras bei Beza, S. 62,130f.: „Que nous as entre tous Choisiz et retenuz?“ Chytraeus, a.a.O., S. 22, übersetzt: „Ach lieber Herr was seyn wir doch Daß du vns so fÜr allen hoch Geliebt hast vnd erwehlet?“ In dem zuvor dargestellten Monolog Abrahams lässt Beza, a.a.O., S. 59,63f., den Patriarchen formulieren: „Las j’ay vescu septante et cinq années, Suyvant le cours de tes predestinées …“ – Anderer Auffassung ist Creizenach, a.a.O., S. 427: „Der calvinistische Standpunkt Bezas zeigt sich darin, daß er jede passende und unpassende Gelegenheit benützt, um die Prädestinationslehre einfließen zu lassen...“



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Chytraeus das Rostocker Luthertum als Vertreter der von Abrahams Feinden figurierten götzendienerischen Haltung einordnet.1202 Ob Chytraeus’ theologische Position aufgrund seiner veränderten persönlichen Situation einen Wandel nach sich zog, muss hier offen bleiben. Eine Radikalisierung zeichnete sich in vielen Punkten bereits in Rostock ab, was die Lehrpunkte Ubiquität, Abendmahl (Realpräsenz, manducatio impiorum), Bilderverbot, Exorzismus, Not- und Jähtaufe (durch Hebammen) anbetrifft. Die Basis an im Drama erscheinenden Lehrpunkten einschließlich der Rahmenstücke ist aber zu schmal, um zu einem wirklich begründeten Urteil zu kommen. Lediglich in Bezug auf die Frage der Prädestination lässt sich eine Beobachtung anführen. Zwar erwähnt Chytraeus im Lobgesang Abrahams und Saras die Prädestination, in der Rede Abrahams entschärft er diesen Lehrpunkt hingegen.1203 In seinen einschlägigen Äußerungen zur konfessionellen Frage in der Rostocker Zeit hatte Chytraeus diesen Punkt nicht erwähnt. Dass er dieses Schibboleth im Rahmen seiner Übersetzung des Dramas nicht verstärkte, ist verständlich. Zum Zeitpunkt der Aufführung, 1591, wurde Chytraeus zwar schon calvinistischer Neigungen verdächtigt und war vom Abendmahl ausgeschlossen. Eine Eskalation, wie sie später, ab 1592 von ihm aufgrund einer veränderten Situation durchaus in Kauf genommen wurde, stand zu diesem Zeitpunkt nicht in seiner Absicht. Mit dem Wechsel nach Bremen und dem offiziellen Übergang zur reformierten Konfession veränderte sich Chytraeus’ Situation. Den Gedanken der Prädestination forcierte er aber nicht stärker. Was sich änderte, war die Nennung Bezas als Verfasser des Dramas – diesen in Rostock anzuführen, war obsolet, andernfalls hätte das Werk im lutherischen Umfeld nicht angenommen werden können. In der Prädestinationsfrage blieb Chytraeus vorsichtiger. Offensichtlich orientierte er sich in dieser Frage an dem ihm lieb gewordenen Heidelberger Katechismus, der an dieser Stelle bekanntlich eher zurückhaltend operiert.1204 Das vorliegende Drama als Zeugnis für Chytraeus’ Parteinahme für die reformierte Theologie markiert in Bezug auf seine Zeit im lutherischen Rostock diesen Übergang auf verborgene Weise, insofern Chytraeus bemüht war, einen Skandal zu vermeiden. Seine Herausgabe in seiner Bremer Zeit transformiert diese Übersetzung des Dramas 1202 Chytraeus, a.a.O., S. 6, spricht in Bezug auf seine Rostocker Gegner von seinen „verfolgern“. Deutlich spricht aus seinen Bemerkungen ebd. die Genugtuung, das seinerzeit von ihm aufgeführte und im lutherischen Rostock begeistert aufgenommene Stück nunmehr als das Werk des reformierten Beza zu enthüllen („Nu sie es aber grÜndlich erfaren werden...“). 1203 Während es bei Beza, a.a.O., S. 59,63f., heißt: „Las j’ay vescu septante et cinq années, Suyvant le cours de tes predestinées,“ überträgt Chytraeus, a.a.O., S. 15: „Jch hab zubracht Mit meim leben schier fÜnftzig acht [sic!] Nicht wenigr jar / Wie dirs gefallen Daß ich also solt vmbher wallen.“ Chytraeus verzichtet auf den umstrittenen Begriff, entschärft aber auch die Sache, indem er statt von einer Vorherbestimmung von einem Gefallen Gottes redet, an das Abraham sich hält. Die Erwähnung der Prädestination im Lobpreis übernimmt Chytraeus, a.a.O., S. 22. 1204 Vgl. die Fragen 1, 26 und 27 des Heidelberger Katechismus, BSKORK, S. 149. 155f. Die Erwählung erscheint aber explizit in Frage 54, a.a.O., S. 162,2f.

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zum Dokument eines öffentlichen Bekenntnisses. Insofern dieser Akt einen Bruch mit dem Vergangenen impliziert, kann man durchaus von einer Radikalisierung Chytraeus’ reden. Er stellt sich hinter ein Dokument des Schülers Calvins und Leiters der Genfer Kirche. Eingedenk der relativ schmalen Basis des Dramas berechtigt aber nichts, eine weitergehende Revision seiner Theologie – eine Radikalisierung seiner philippistischen, deutsch-reformierten Haltung – zu vermuten.

9. Jo(a)chim Schlue, Komödie vom frommen, gottesfürchtigen und gehorsamen Isaak (1606) Comedia von dem frommen / GottfrÜchtigen1205 / vnd gehorsamen Isaac. Aller frommer Kinder vnd SchÖler Spegel / darauß sie lernen / wie sie ihre Eltern vnd Praeceptores ehren / frÜchten / ia auch biß in den Todt gehorsam sein sollen. Auß dem 22. Capittel des ersten Buchs Moyse gestellet vnd in druck vorfertiget / durch Jochim Schlue BÜrger vnd Bargerfahr in Rostock, 1606 Jochim oder Joachim Schlue1206 – auch sein Nachname ist nicht eindeutig belegt; es finden sich ebenfalls die Formen Schlu, Schlüs und Sluhe – wurde ca. 1563 in Rostock als jüngster Sohn von Hans und Anna Schlue geboren. Er hatte zwei ältere Geschwister, sein Vater verstarb früh. Zum Erlernen des Kaufmannsberufes wurde er im Alter von etwa 14 Jahren 1577 an den Kontor der Hanse nach Bergen in Norwegen geschickt. Seine Ausbildung absolvierte er, wie er in der Widmung zum Isaak sagt, bei dem Lübecker Harm Tiemann. Ebenfalls gab er sich dort – so die Widmung – dem Orgelspiel hin. Gegen 1592 kehrte er nach Rostock zurück, wo er sich als Kaufmann und Mitglied der ‚Bergenfahrer Handelsgesellschaft‘ niederließ. 1606 erschien seine Isaak-Komödie in Rostock, die er für die Kaufgesellen des Hansekontors bestimmte. Weitere Werke sind von ihm nicht bekannt. Unklar ist auch das Datum seines Todes. Albert Freybe charakterisiert Schlue als einen Menschen von lutherischer Lebensanschauung in der Mitte zwischen Weltflucht und Weltgenuß mit humoristischer Begabung.1207 Schlues Widmung zu seinem Drama belegt, dass in dem Hansekontor Dramen aufgeführt wurden. Auch die Bestimmung seines Werkes für die Kaufgesellen belegt dies; allerdings bildet Schlues Drama das einzige erhaltene literarische Denkmal des Berge1205 Das Drama ist ediert in: Des Bergenfahrer Joch. Schlu’s Comedia von dem frommen, gottfürchtigen und gehorsamen Isaac. Ein Schrift-Denkmal der deutschen Hansa mit Act IV und V aus Georg Rollenhagens Abraham. Zwei Zeugnisse lutherischen Glaubens hrg. und behandelt v. Dr. Albert Freybe, zweite erweiterte Auflage Norden – Leipzig 1892. – Mit der Form „gottfrÜchtig“ gibt Schlue das Rollenhagensche „gottfÜrchtig“ wieder; vgl. Schlue, ed. Freybe, Akt I, S. 21,10, mit Rollenhagen, Abraham, Akt IV Szene 1, G IIIIb. 1206 Zu Schlue vgl. den kurzen Artikel von Reinhard Müller in DL3 XV, Sp. 224f, und die ausführliche Abhandlung bei Freybe, a.a.O., S. IIIf. 1207 Vgl. Freybe, a.a.O., S. V.



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ner Kontors.1208 In diesem Haus, in dem nur unverheiratete Männer aus Deutschland in gewisser Isolation von ihrer Umgebung wohnten, herrschte eine strenge Hierarchie. Unter dem Hauswirt lebten getrennt Kaufmannsgesellen, Stubenjungen und Bootsjungen. Zugleich war dieses Zusammenleben durch eine gewisse Rauheit geprägt. Deutlich ist, dass Schlue die Weise des Lebens und der Ausbildung im Kontor mit und in seinem Drama zu verteidigen versucht. Offensichtlich hatte er eine starke, positiv geprägte Erinnerung an seine dortige Ausbildungszeit, dass er vierzehn Jahre nach seiner Rückkehr diese Komödie verfasste. Wir folgen hier der von Albert Freybe 1892 vorgelegten Edition, für die er die gedruckten Exemplare aus Rostock und Linköping berücksichtigte.1209 Schlues Drama besteht aus sieben Akten. Auffallend ist, dass schon im ersten Akt der Opferbefehl an Abraham ergeht. Als Vorlage diente ihm, wie Freybe ausführt, Rollenhagens AbrahamDrama mit den Akten IV und V, wobei er jedoch die Anzahl der Personen mehrte.1210 Eine weitere Quelle bildete, wie Freybe erstmals und später Reckling vorbrachte, die im Jahr 1600 in Altenstettin erschienene ‚Comoedia de nuptiali contractu Jsaaci‘ des Johannes Butovius.1211 Über beide Quellen schweigt Schlue allerdings in seinem Vorwort. Zusätzlich fügte er einige volkstümliche Szenen in niederdeutscher Sprache ein. Einige dieser Szenen sind recht rohen Gehaltes, verfolgen aber den didaktischen Zweck, den Gegensatz zwischen fromm und böse möglichst klar vor Augen zu führen.1212 Insgesamt bietet Schlue eine gegenüber Rollenhagen verkürzte Version.1213 Es treten 28 Personen auf: neben dem Geck, dem Prologus, Argumentator und Epilogus, Abraham mit seinem Umfeld, Abimelech mit seiner Entourage, Gott und Engeln, der Teufel sowie zehn volkstümliche Gestalten.1214 In seiner Widmung geht Schlue bereits auf das Thema der Erziehung der Jugend ein. Er rühmt den Kontor zu Bergen, in dem die Jugend in guter Disziplin gehalten wür1208 Vgl. a.a.O., S. VI. *4. 1209 Des Bergenfahrer Joch. Schlu’s Comedia von dem frommen, gottfürchtigen und gehorsamen Isaac. Ein Schrift-Denkmal der deutschen Hansa mit Act IV und V aus Georg Rollenhagens Abraham. Zwei Zeugnisse lutherischen Glaubens, hrg. und behandelt von Dr. Albert Freybe, Zweite erweiterte Auflage Norden – Soltau 1892; vgl. dort S. III. *3f. 1210 Vgl. Freybe, a.a.O., S. I. *30. 1211 Vgl. Freybe, a.a.O., S. *27, und Reckling, Immolatio Isaac, S. 74. 185f. Butovius’ Drama wird bei Goedeke, Grundriß Bd. 2, S. 395, als Nr. 343 erwähnt. 1212 Vgl. a.a.O., S. *37. 1213 Vgl. a.a.O., S. *32. 1214 Vgl. das Personenverzeichnis a.a.O., S. 14, das besteht aus: Geck (Narr), Prologus, Epilogus, Argumentator, Abraham, Sara, Isaak, den Knechten Caldeus und Elieser, der Magd Martha, dem Königsohn Abimelech, dem Sohn des Feldhauptmanns mit Namen Syrus, den Dienern Felix, Prudens und Michael, Gott bzw. Jehova, vier im Himmel singenden Engeln, dem Erzengel Michael sowie dem Kriegsmann Jungeblot, seiner Frau Margaretha, Bartholomeus, Wobbeke, Gorries Drewes, KÖnike, Cheleken, Ostke, dem Eselryder und dem Teufel.

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de.1215 Hier gelinge es, den aus verschiedenen Teilen Deutschlands kommenden, oft völlig ungebildeten Kindern das Lesen und Schreiben zu vermitteln, ja manchmal sogar die widerwilligen unter ihnen in Zucht zu bringen.1216 Einen hervorragenden Platz nimmt in diesem Erziehungskonzept die religiöse Unterweisung im Kontor ein, wobei er das Lernen des Katechismus, die Benutzung des Psalmbuchs, das Singen, aber auch das Spielen von Komödien und Tragödien benennt.1217 Der Komödie vorgeschaltet ist „Des Geckes inganck vor der Comediae“, in dem der Narr die ovidische Fabel von Pyramus und Thisbe frei wiedergibt.1218 In diesem bei Rollenhagen fehlenden Element bildet die Erkenntnis: „De brennende Leue wert balde kranck, Vnde ys gewis hertzleidens anfanck Dith Exempel neme manniger in acht, Den ydt hefft offt einen thom Narren gemacht“1219, die Moral. Vor dem Prolog folgt ein zweiter Abschnitt „Deß Geckes ingang“, der ebenfalls keinen Anhalt bei Rollenhagen hat und schon zur Person Abrahams hinführt.1220 Im Prolog nimmt Schlue Georg Rollenhagens Vorrede zu seinem Abraham auf und mit dem ersten Akt setzt seine Benutzung der Akte IV und V des Magdeburgers ein.1221 Als Inhalt gibt der Prolog die Versuchung Abrahams an; dieser sei willig und bereit dazu gewesen, aber Gott habe Isaak aus dem Leid geholfen.1222 Der erste Akt nimmt seinen Anfang beim Bundesschluss zwischen Abraham und Abimelech, von dem Abraham Isaak und seinen Knechten berichtet. Dabei kommt er auf die ihm von Gott gemachten Verheißungen zu sprechen. Als zentrale göttliche Zusagen nennt er die Verheißung des Messias, der Gott und Mensch sei und dessen Werk in der Versöhnung mit Gott und der Errettung von Sünde, Hölle und Tod bestehe. Unmittelbar darauf folgt der Opferbefehl mit der ebenso umgehenden Einwilligung Abrahams. Umrahmt wird dieses Gespräch zwischen Gott und Abraham von einem Sanctus-Gesang. In der nächsten Szene, in der Abraham alleine ist, kommen ihm jedoch Bedenken: Gott sei ein „Wunderbar Godt“, dieser Befehl gehe über seine Vernunft. Er fragt sich, wie unter dieser Bedingung Gottes Zusagen erfüllt werden können. Dennoch hält er an Gott fest, sein Wille soll ihm nicht widerstreben. Er bekennt, er glaube, was Gott verheißen habe. Gott werde aus allem Leid helfen. Er beschließt, Sara nicht in die Sache einzuweihen. Sofort werden die Vorbereitungen für die Reise getroffen und die Knechte eingeschaltet. Der plötzliche Befehl löst beim Knecht Caldeus Verwunderung aus, was ihm allerdings die Schelte des Knechts Elieser einbringt. 1215 Vgl .a.a.O., S. 4. 1216 Vgl. a.a.O., S. 4f. 1217 Vgl. a.a.O., S. 4. 1218 Vgl. a.a.O., S. 9–13 und dazu Freybes Ausführungen, a.a.O., S. *30; ferner Reckling, Immolatio Isaac, S. 74. 179. Es handelt sich um Ovid, Metamorphosen IV, 5–166. Sinn der Einführung der Geschichte ist eine Warnung der Jugend vor den heftigen Leidenschaften der Liebe. 1219 A.a.O., S. 13,11–14. 1220 Vgl. a.a.O., S. 15. 1221 Vgl. a.a.O., S. *30. 1222 Vgl. a.a.O., S. 18,2ff.



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Dieser sinniert über böse Knechte, „... welcke Gottes wordt vnde ehre vorachten Vnde nicht nach dem Hemmel trachten...“1223 Als Lehre des ersten Aktes hält der Argumentator fest: „Ein jeder Christ nehm das fÜr ein Exempel an, Das Gott einen Wunderbar erretten kan.“1224 Der kurze zweite Akt zeigt Isaak mit dem Königsohn Abimelech und Sirus, dem Sohn des Feldhauptmanns, seinen Mitschülern, die sich mit ihm sehr gut verstehen. Die Mitschüler unterhalten sich und kommen dabei auf Isaak zu sprechen, nach dem sie sich sehnen. Isaak wird von Abimelech sehr gelobt: Er sei geschickt, habe keine Lust zur „bÜberye“, aus ihm sprächen nur Ehre und Zucht, er lebe in Gottesfurcht, sei fleißig. Dazu rede er oft von himmlischen Dingen, vom zukünftigen Messias, der die verlorenen Schafe zurechtbringe. Nach diesem Gespräch erscheint Isaak und kündigt an, er werde mit dem Vater auf Reisen gehen, nicht ohne dabei zu versichern, dass er seine ‚Lectiones‘ auf dem Wege lernen werde. Als Lehre hält der Argumentator fest: „Allen frommen SchÜlern zum Exempel gethan, Das sie fleissig zur Schule gahn. Nicht sollen auff der strassen muthwillen treiben, Sondern fromb vnd zÜchtig leben, Jhren Praeceptores gehorchen fein, So werden Gottes Engele bey jhnen sein.“1225 Der ebenfalls recht kurze dritte Akt bringt den Aufbruch Abrahams und Isaaks und die Verabschiedung von Sara, der nicht gut zu Mute ist. Sie ahnt nichts Gutes, aber Abraham behält das Vorhaben bei sich allein. Isaak folgt seinem Vater freudig und wird dafür als Vorbild gerühmt: „Also sollen fromme Kinder jhren Oldern folgen Vnde nichtes thun wider jhren willen.“1226 Der vierte Akt bildet ein längeres, ausdrücklich als ‚weltlich‘ gekennzeichnetes Intermezzo. Insbesondere tritt hier der furchtlose Kriegsmann Jungeblot auf, der viel in der Welt herumgekommen ist und dorthin zieht, wo er Geld bekommt, auch wenn ihn der Teufel anwirbt, sowie ein fauler Bauer, der sich ein angenehmes Leben machen möchte. Beide werden vom Teufel, der als Landsknechtswerber auftritt, angeheuert. Der Abschnitt dient besonders als Warnung vor Faulheit.1227 Im fünften, dem kürzesten Akt des Dramas, treten Sara und ihre Magd Marta auf. Sara bringt ihre Traurigkeit zum Ausdruck. Sie würde alles entbehren, wenn sie nur Isaak und Abraham wieder hätte. Dennoch gewinnt die Zuversicht in ihr Oberhand, als sie sich der göttlichen Verheißung erinnert. Als Lehrpunkt nennt der Argumentator, so wie Sara sollten sich alle frommen Frauen verhalten, wenn ihre Männer auf Reisen sind. Besonders sollten sie sich in der Fürbitte für sie üben.1228 Der lange sechste Akt ist dem Thema der Opferung Isaaks gewidmet. Die vier Reisenden, Abraham, Isaak und die beiden Knechte Elieser und Caldeus kommen am Fuß der Opferstätte an. Die Knechte bleiben zurück und unterhalten sich. Caldeus bemerkt, dass die beiden Opfernden kein Opfertier mit sich führen. Auch meint er, die beiden würden sich zu Krüppeln laufen, ehe sie auf den Berg gelangten, Abraham sei wohl „in averwitze“. Elieser widerspricht heftig. Als Knechten 1223 A.a.O., S. 28,11f. 1224 A.a.O., S. 19,21f. 1225 A.a.O., S. 30,7–12. 1226 A.a.O., S. 34,3f. 1227 Vgl. a.a.O., S. 37,26: „Drumb will ich etzliche gewarnet haben, Die nicht wollen drosschen oder graben.“ 1228 Vgl. a.a.O., S. 47,14ff.

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stehe ihnen kein Urteil zu. Sie hätten die Herren zu ehren. Caldeus äußert seine Befürchtung, dass sie die beiden Opfernden noch suchen müssten. Elieser stellt fest, dass wen Gott erhalten wolle, der sei ganz sicher, wo immer er sei. Im Folgenden wird der Bauer Gorries eingeführt, der mit einem Schaf zur Stadt unterwegs ist, um es zu verkaufen. Müde geworden, bindet er das Schaf an einen Baum und legt sich nieder. Sodann werden Abraham und Isaak gezeigt. Abraham weiht Isaak in Gottes Plan, den er durchzuführen gedenkt, ein. Es kommt zu einem längeren Gespräch – der Argumentator spricht von einer „Disputation“ –, in dem Isaak seinen Vater anfleht und ihn um Verschonung bittet. Er möge doch sein einziges Kind nicht erwürgen. Isaak fragt auch nach Gott, ob er nicht mehr gnädig sein wolle und wie unter dieser Bedingung die Verheißung erfüllt werden könne, ähnlich wie Luther es in seiner Auslegung vermutet.1229 Er gelobt höchste Frömmigkeit und Gerechtigkeit, wenn er nur gerettet würde. Abraham erläutert ihm noch einmal die Lage, Isaak willigt ein. Er reicht sogar Füße und Hände zum Binden dar – so auch Rollenhagen –, bittet um Gottes Hilfe an seinem Ende und befiehlt sich ihm an. Es folgt das Eingreifen des Erzengels. Beim Opfern des Schafes wird wieder das Sanctus angestimmt. Der Erzengel gibt die Verheißung Gottes kund, auf die Abraham und Isaak antworten. Auffallenderweise werden im Argument dieses Aktes keine Lehrpunkte genannt. Im siebenten und mit Abstand längsten Akt sind verschiedene Teile zusammengefügt. Er beginnt mit einer kurzen Unterredung Saras mit Marta, in der Sara ihre Befürchtung äußert, Abraham und Isaak wäre etwas passiert. Abimelech macht sich ebenfalls Sorgen und fragt bei Sara nach dem Verbleiben Isaaks. Im Anschluss wird der Bauer Gorries gezeigt, der seine Verwunderung über das zum Ausdruck bringt, was er gesehen hat, und dies seinem Nachbarn erzählt. Er wurde Zeuge der Opferszene, die schließlich zur Opferung seines Schafes führte.1230 Der Bauer fürchtet sich nach Hause zu kommen, seine Frau schilt ihn auch, dann aber findet er wunderbarerweise eine Summe Geld in seiner Tasche, die dem dreifachen Wert des Bocks entspricht. Es folgt die Heimkehr Abrahams und Isaaks und der Bericht über das Geschehene. Isaaks Freunde treten hinzu, Isaak lädt sie zu einem Fest ein. Mit einer weiteren volkstümlichen Szene, in die auch der Knecht Caldeus verwickelt ist, endet das Drama: Der Teufel eröffnet sein Heerlager, um seine Söldner zu bewirten.1231 Ein besonderer Lehrpunkt wird im Argumentum nicht angeführt. Der ‚Beschluth‘, gegenüber demjenigen in Rollenhagens Abraham stark gekürzt,1232 fasst das Stück und seine Lehre noch einmal zusammen. Während der Handlung wird laut der Anweisung Schlues an mehreren Stellen das Sanctus, von ihm als Gesang der Engel bezeichnet, gesungen, so im ersten Akt vor dem Opferbefehl von den Engeln, nach Abrahams umgehender Einwilligung in das Opfer, nach dem dritten Akt d.h. dem Aufbruch Abrahams und Isaaks zum Moria und schließlich im sechsten Akt nach der Errettung Isaaks während der Opferung des Schafes.1233

1229 Vgl. WA 43, 216,18ff.21f. 1230 Vgl. auch Schlue, a.a.O., S. *32. 1231 Vgl. dazu Reckling, Immolatio Isaac, S. 73. 1232 Vgl. Freybe, a.a.O., S. *34. 1233 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 22f.24.36.60.



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Ein genauer Vergleich zu Rollenhagens Abraham-Drama soll an dieser Stelle erfolgen. Die Widmungsrede Schlues ist völlig selbständig von diesem verfasst, die Rollenhagensche Widmung verwendet er nicht. Keine Grundlage bei Rollenhagen hat auch „Des Geckes inganck vor der Comoediae“ mit der dort gebotenen Fabel Ovids. Ebenso keine Parallele im Stück des Magdeburger Rektors hat der zweite Eingang des ‚Gecken‘, der zur Person Abrahams hinüberlenkt. Dafür verzichtet Schlue auf die Person des Evil Narr, der in Rollenhagens Abraham an späterer Stelle, nach dem Argument, unmittelbar vor der Handlung auftritt und die Zuschauer zur Ordnung mahnt. Im Prolog bedient sich Schlue in Teilen der Vorrede Rollenhagens. Er nimmt den Gedanken auf, dass das Stück kein Fastnachtspiel, sondern zum Lob Gottes und dem Schandteufel zu Spott angerichtet sei und dass es sich um eine wahrhaftige Geschichte handele.1234 Schlue übergeht auffälligerweise, was Rollenhagen als Intention des Dramas angegeben hatte, nämlich dass man lerne, wie man glauben und recht leben solle.1235 Statt dessen gibt er als Inhalt des Dramas bzw. „Sum“ der Komödie die Versuchung Abrahams an.1236 Die ersten drei Akte von Rollenhagens Abraham lässt Schlue weg. Er setzt mit seiner Handlung mit Akt IV Szene 1 von Rollenhagen ein, dem Monolog Abrahams, in dem dieser auch auf den künftigen Messias und dessen zwei Naturen zu sprechen kommt; er bewirke die Versöhnung, an ihn glaube er, auf ihn vertraue er und wisse, dass durch sein Verdienst das Himmelreich erlangt werde.1237 Schlue übernimmt den Monolog in Gänze, ebenso den folgenden Opferbefehl und die Einwilligungsbekundung Abrahams. Auch den ersten Teil des Monologs Abrahams nach dem Opferbefehl aus Rollenhagens Akt IV Szene 2 – hier findet sich auch die bei Frey, Rollenhagen und in ähnlicher Form bei Voith erscheinende Äußerung Abrahams, Gott fände ihn allezeit gehorsam, er glaube, was Gott verheißen hat – rezipiert er mit kleinen Auslassungen.1238 Den zweiten Teil dieser Szene, die Versuchung durch den Satan, lässt er hingegen aus, um am Schluss den Faden der Rollenhagenschen Szene, nach der Vertreibung Satans, wieder aufzunehmen, wo Abraham seinen Vorsatz bekennt: Was Gott befiehlt, dem folge ich recht.1239 Die nächste Szene, in der Abraham und die beiden Knechten auftreten, übernimmt Schlue ebenso wie die darauf folgende, in der ein Gespräch der beiden Knechte gezeigt wird.1240 Schlues zweiter Akt – die Schulszene – hat keine Vorlage. Im dritten Akt folgt er wiederum Rollenhagens Verabschiedungsszene mit kleinen Kürzungen.1241 Seinen vierten Akt, ein Intermezzo, hat Schlue selbst komponiert. Für den fünften Akt, das Gespräch Saras mit Martha, legt er wieder Rollenhagen 1234 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 17, mit Rollenhagen, Abraham, A VIIIb. 1235 Vgl. Rollenhagen, a.a.O., B Ia. 1236 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 18. 1237 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 20f., mit Rollenhagen, a.a.O., G IIIb–Va, hier G IIIIb. 1238 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 24f., mit Rollenhagen, a.a.O., G Vb–VIb. 1239 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 25,15–18, mit Rollenhagen, a.a.O., H Ia. 1240 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 25–29, mit Rollenhagen, a.a.O., Akt IV Szene 3 und 4, H Ia–IIIa. 1241 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 34–36, mit Rollenhagen, a.a.O., Akt IV Szene 5, H IIIb–Va.

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zugrunde, den er erneut etwas kürzt.1242 Differenzierter verfährt Schlue in seinem sechsten Akte mit Rollenhagens siebenter Szene in Akt IV: Er führt hier den Bauern Gorries ein, während er – wie üblich – den Satan übergeht, das Gespräch der Knechte aber zum Teil übernimmt.1243 Die kurze erste Szene des fünften Aktes bei Rollenhagen überführt Schlue in seinen sechsten Akt,1244 die zweite – Auftreten der Knechte und Satans – lässt er dagegen aus. In der eigentlichen Opferszene greift er zwar auch auf Rollenhagen zurück, streicht aber einen wichtigen Passus, in dem Isaak seine Zuversicht äußert, Gott werde ihn, auch wenn er tausendmal verbrannt sei, aus der Asche erwecken.1245 Den Szenen 4 und 5 von Rollenhagens Akt V folgt Schlue wieder mit kleinen Änderungen, so kürzt er letztere, die nur aus einem Gebet Isaaks besteht, und streicht etwa die Bemerkung Isaaks, er sei eine neue Kreatur.1246 Rezipiert er die sechste Szene des fünften Aktes Rollenhagens,1247 so kürzt er die siebente sehr massiv. Aus der Katechese Abrahams entfällt die Erklärung der Geschichte als Figur und Bild des Opfers Christi völlig; der Verweis darauf, dass Gott den Glauben der Seinen probiere, nebst entsprechenden Konkretionen wird erheblich verstümmelt.1248 Die Aussage Abrahams, dass es aussehen könne, als ob Gott Isaak widerstehe (wiewohl es sich de facto anders verhalte), bleibt so bei Schlue etwas unklar stehen. Die folgende Szene bei Schlue stimmt wiederum mit Szene 8 von Akt V bei Rollenhagen überein.1249 Deutliche Änderungen gegenüber den Szenen 9 und 10 von Rollenhagens fünftem Akt ergeben sich hingegen in Schlues siebentem Akt. Zwar stellen beide jeweils dort die Heimkehr Abrahams und Isaaks dar, aber bei Schlue treten erheblich mehr Personen – Diener, Mitschüler Isaaks u.a. – auf und die letzte Szene geht schließlich in die beschriebene ‚weltliche‘ Feier über. Parallelen sind für den Bericht 1242 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 47–49, mit Rollenhagen, a.a.O., Akt IV Szene 6, H Va–VIa. 1243 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 52f., mit Rollenhagen, a.a.O., Akt IV Szene 7, H VIb–VIIa. 1244 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 54, mit Rollenhagen, a.a.O., Akt V Szene 1, H VIIb–VIIIa. 1245 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 54–57, mit Rollenhagen, a.a.O., Akt V Szene 3, I Ib–IIIb. Die ausgelassene Äußerung Isaaks findet sich I IIIb. 1246 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 57–59, mit Rollenhagen, a.a.O., Akt V Szene 4 und 5, I IIIb–Va. Der weggelassene Satz Isaaks steht I Va. 1247 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 59–61, mit Rollenhagen, a.a.O., Akt V Szene 6, I Va–VIa. Die Bemerkung Freybes, a.a.O., S. *34, die Weissagung auf Christus, d.h. den Hinweis auf Christus als Lamm Gottes, habe Schlue „viel natürlicher und zuträglicher Abraham selbst in den Mund gelegt“, bleibt unverständlich. Die Formulierung Schlues ist mit derjenigen bei Rollenhagen (I Vb), wo es auch eindeutig Abraham ist, der spricht, praktisch identisch. Die Stelle taugt – ebenso angesichts von Akt V Szene 7, wo Rollenhagen Abraham einige Ausführungen zur Präfiguration des Opfers Christi vortragen lässt, die von Schlue gestrichen werden – also nicht dazu, Rollenhagen aufgrund der gewiss etwas dürren Formulierung zur Präfiguration des Opfers Christi im Beschluss (K Va–b), die Schlue übergeht, zu kritisieren. Überzogen ist allerdings die Feststellung Recklings, Immolatio Isaac, S. 81, der für Schlue von einem Verzicht auf jegliche typologische Deutung spricht. 1248 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 61,9–20, mit Rollenhagen, a.a.O., Akt V Szene 7, I VIa–VIIa. 1249 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 62f., mit Rollenhagen, a.a.O., Akt V Szene 8, I VIIb.



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Abrahams und die Reaktion Saras festzustellen.1250 Die Schlussszene Rollenhagens mit dem verärgerten Satan übernimmt Schlue naturgemäß nicht. Im ‚Beschluth‘ folgt Schlue zunächst Rollenhagen sehr getreu mit nur wenigen Auslassungen1251, macht sich also dessen Rechtfertigungslehre zu eigen. Über seine Vorlage hinaus bringt er das sola fide und das sola gratia explizit zum Ausdruck.1252 Daneben fällt auf, dass er das im Drama Dargestellte stärker mit den Zuschauern bzw. Zuhörern verbinden will. So nennt er Abraham einen gehorsamen Christen, stellt ihn also wesentlich mit den Zuhörern als Christen auf eine Stufe.1253 Zudem ändert er an einigen Stellen die bei Rollenhagen verwendete dritte Person Singular in die erste Person Plural ab.1254 Schlue will offensichtlich den Eindruck verstärken, dass es die Sache der Zuschauer ist, die hier verhandelt wird. Das Überraschende ist nun, dass Schlue den zweiten Teil des Rollenhagenschen Beschlusses – dieser hatte ihn seinerseits Jakob Freys Drama entnommen –, in dem eine erhebliche Aktualisierung mit einem starken ethischen Impuls zum Tragen kam, ganz übergeht.1255 Dass er diesen langen Passus auslässt und statt dessen einen eigenen formalen und inhaltlich unbedeutenden Schlussabschnitt formuliert,1256 ist allein aus dem Grunde erstaunlich, als es Schlue doch – gerade nach Ausweis des Titels, aber auch etwa nach Akt II oder dem Argument von Akt III – wesentlich um den Gehorsam in den Bezügen von Familie und Schule geht. Genau dies aber war ein wesentliches Thema im zweiten Teil von Rollenhagens Beschluss. Zusammenfassend lässt sich hinsichtlich der Rezeption von Rollenhagens ‚Abraham‘ in Schlues Drama Folgendes feststellen. In den Szenen, in denen Schlue Rollenhagen 1250 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 73,10–74,22, mit Rollenhagen, a.a.O., Akt V Szene 10, I VIIIa–K Ib. Die Szenen 9 und 10 umfassen bei Rollenhagen die Seiten I VIIb–K Ib. Schlue nimmt auch Kürzungen der Redebeiträge Abrahams und Saras vor. 1251 Schlue lässt die weitere Anspielung auf Ps 8 (Rollenhagen, K IIb: „Das du dich sein annimmst so gros / Vnd ist ein armer Erdenklos“) weg, ebenso den Hinweis auf die Bezeichnung ‚Gott Abrahams‘ (Rollenhagen, K IIIa) und schließlich – schwerwiegender – den Satz: „Hofft fest da gar kein Hoffnung war / Gottes zusag blieb ewich war.“ (Rollenhagen, ebd.). 1252 Schlue, a.a.O., S. 87,5–7: „Vnd thut jhme verheissen zu geben, Durch seinen Samen das ewige leben. Allein darumb das er jhme vertrawet...“ A.a.O., S. 87,29: „Aus gnaden allein ohne der wercke verdienst.“ Vgl. dazu Rollenhagen, a.a.O., K IIIa („So wÖll er heissen / vnd jhm gebn / Durch seim Samen das ewig lebn. Das darumb / das er jhm vertrawt ...“) und K IIIb: „Aus gnaden / ohn der Werck verdienst.“). 1253 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 87,9, mit Rollenhagen, a.a.O., K IIIa. 1254 So formuliert Schlue, a.a.O., S. 86,20f.: „Herre was sein doch wir Menschen kindt, Das sich deine gnade so zu vns findt.“ Vgl. dazu die sich an die Diktion von Ps 8 haltende Formulierung bei Rollenhagen, a.a.O., K IIb. Vgl. ferner Schlue, a.a.O., S. 88,3f. („So wird Gott der Herr in gleicher massen, In ewigkeit vns nicht verlassen“) mit Rollenhagen, a.a.O., K IIIb („So wird dann Gott auch gleicher massn / Jn ewigkeit jhn nicht verlassn“). 1255 Vgl. Rollenhagen, a.a.O., K IIIb–Vb. Freybe, a.a.O., S. *34, erwähnt nur, dass Schlue den Beschluss Rollenhagens, dem er sonst im Ganzen folge, um vier Seiten gekürzt hat. 1256 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 88,5–28.

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aufnimmt, folgt er ihm in inhaltlicher und sprachlicher Hinsicht zumeist recht treu. Die Abweichungen sind unbedeutend. Allerdings ist er um Kürzung seiner Vorlage bemüht. Zu Recht bemerkt Freybe, Schlue habe den ‚Abraham‘ Rollenhagens mit bewusster Planmäßigkeit benutzt.1257 Er wählt genau aus, was er benutzen möchte. So lässt er die ersten drei Akte Rollenhagens, also die gesamten mit König Abimelech, Lot und Hagar befassten Handlungsstränge weg. Dies führt zunächst zu einer Konzentration des Dramas auf die Opferungsgeschichte. Allerdings könnte nun statuiert werden, Schlue hebe diesen Effekt sofort wieder dadurch auf, dass er andere Ströme des Geschehens aufnimmt, durch die auch über Rollenhagen hinaus neue Personen eingeführt werden: die Schulszene in Akt II, in der Isaak im Mittelpunkt steht, die ‚weltliche‘ Szene in Akt IV, die Episoden um den Bauer Gorries in Akt VI und VII sowie die volkstümliche Schlussszene in Akt VII. Ohne Zweifel beabsichtigte Schlue, mit diesen Szenen besondere Akzente zu setzen. Mit der Aufnahme der Schulszene kann er den von ihm schon im Titel betonten Gehorsam Isaaks klarer ins Licht setzen und die Zielgruppe von jungen Menschen deutlicher ansprechen. Durch die Einführung der anderen Szenen trägt Schlue auch dem komischen Element Rechnung,1258 etwa durch die Episode vom schlafenden Bauern Gorries, dem das von Abraham geopferte Schaf gehörte. Ob man diesen Zug als Rationalisierung deuten sollte, wie Reckling meint,1259 oder nicht einfach nur als komischen Effekt, mit dem das Publikum erheitert werden sollte, sei dahingestellt. Immerhin scheidet Schlue die komische Szene sorgsam vom Geschehen um die Opferung ab, der Haupthandlung soll kein Eintrag geschehen.1260 In den komischen Szenen allein tritt in Schlues Drama auch der Satan – bei Schlue heißt er ‚DÜuel‘ – mit entsprechender Gesellschaft auf. In den Geschehnissen um das Isaak-Opfer spielt er im Gegensatz zu Rollenhagens Drama keine Rolle. Auch dies spricht für die These Recklings, dass in der komischen Nebenhandlung kein bloßes Zugeständnis an den Aufführungstermin – Fastnacht – und, so kann ergänzt werden, den Geschmack der Zuschauer zu sehen ist. Vielmehr entwickele Schlue in ihnen eine „Gegenbildlichkeit zur Haupthandlung“, um im Kontrast zu den frommen und gottesfürchtigen Hauptpersonen Abraham und Isaak aufzuzeigen, wie das Schicksal der gottlosen und ungehorsamen Menschen aussieht.1261 Entsprechend findet sich der schlechte Knecht Caldeus am Ende im Heerlager des Teufels wieder. So lässt sich sagen, dass Schlue die Haupthandlung um die Opferung Isaaks von Rollenhagen übernommen hat. Die gegenbildliche Handlung hat Schlue dagegen selbst gestaltet. Er hat dabei die in gleicher Manier gebildete gegenbildliche Handlung aus den Akten IV und VIII aus Butovius’ Isaak-Drama zum Vorbild genommen. In dieser wird gezeigt, wie der Bauern1257 Vgl. Freybe, a.a.O., S. *32. 1258 Vgl. Freybe, a.a.O., S. *32. 1259 Vgl. Reckling, Immolatio Isaac, S. 73 und 183 Anm. 68. 1260 Gorries berichtet erst im Nachhinein, was ihm widerfahren ist. 1261 Vgl. a.a.O., S. 73f. und 184.



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sohn Pagel nicht auf den Rat seines frommen Vaters hört, sondern es vorzieht, die reiche Bauerntochter Alheit zu heiraten, die sich aber in der Folgezeit als faul und rechthaberisch erweist, so dass es zu einem in beiderseitiger Gewalt endenden Zerwürfnis kommt.1262 Die Szenen selbst hat Schlue allerdings nicht verwendet, auch keine Passagen aus diesem Drama übernommen. Es ist also die Frage, ob man in diesem Falle wirklich von einer Quelle für Schlue sprechen kann, wie es Freybe nahe legt, der von einer Erweiterung durch Stellen aus Butovius spricht.1263 Vorsichtiger formuliert Reckling, Schlue habe versucht Butovius nachzuahmen, die komischen Szenen stammten in ihrer Ausgestaltung von Schlue selbst, seien aber „durch ähnliche Szenen bei Butovius angeregt“.1264 Inhaltlich gemeinsam ist diesen beiden Nebenhandlungssträngen aus den zwei Dramen, dass es sich um volkstümliche, in niederdeutscher Sprache gehaltene Szenen handelt. In formaler Hinsicht wird mit ihnen auch der gleiche Zweck verfolgt, nämlich das Geschick der Agierenden in der Haupthandlung mittels Kontrast zu den schlecht handelnden Gestalten noch stärker hervortreten zu lassen.1265 Bezeichnet man Butovius’ Stück als Quelle, so ist sie es jedenfalls in ungleich geringerem Maße als Rollenhagens Drama. Nach dem Titel handelt Schlues Stück vom ‚frommen und gehorsamen Isaak‘ und war intendiert als ‚Spiegel aller frommen Kinder und Schüler‘, aus dem sie lernen sollten, wie sie ihre Eltern und Lehrer ehren, fürchten und ihnen gehorsam sein sollten, bis zur letzten Konsequenz. Adressaten sind damit besonders die Kinder, und zwar in ihrer Rolle als Kinder und als Schüler, denen Isaak als Vorbild vorgestellt wird. Schlues Drama ist damit das einzige der hier untersuchten Dramen über den Stoff aus Gen 22, in dem nach dem Willen des Autors nicht Abraham, sondern Isaak im Mittelpunkt stehen soll – soll, insofern Schlue dies im Drama selbst, wie sich zeigt, nicht gänzlich durchhält. In einigen Teilen des Dramas steht mit dem Thema Glaube nicht Isaak, sondern Abraham, z.T. auch Sara im Zentrum. Besonders auffällig ist dies im ‚Beschluth‘, in dem die Lehren des Stückes gebündelt werden. In anderen Teilen, in den Akten II, III und teilweise auch in VI kommt Isaak dagegen wirklich der Hauptpart zu, entsprechend der primären Inten-

1262 Vgl. COMOEDIA De nuptiali contractu Isaaci, Das ist: Heyraths Spiegel / Darinnen aus dem Exempel des frommen Isaacs vnd der keuschen Rebeccae / allen Gesellen vnd Jungfrawen / so da heyrahten wollen / gezeiget wird / wie sie von Jugend auff zu einem Gottseligen Ehestande sich bereiten / vnd hernach beyde fÜr vnd in der Ehe / schicken vnd verhalten sollen. Allen Liebhabern des Hochgelobten heiligen Ehestandes zu nÜtzlichem gebrauch aus dem 24. Capittel des Ersten Buchs Mosis / Gestellet vnd verfertiget / Durch JOHANNEM BUTOVIUM T.P. Der Gemeine Jesu Christi in CÖrlin Pfarhern. [...] Gedruckt zu Alten Stetin 1600, Akt IV (D IIIb–E IIa) und Akt VIII (F VIa–G IIIIb). 1263 Vgl. Freybe, a.a.O., S. *27. 1264 Reckling, a.a.O., S. 185f. 74. 1265 Butovius schreibt dies auch explizit in seinem Vorwort. Dort (A VIa–b) führt er aus, dass er „... daneben ein Pawrspiel mit eingefÜhret habe / daraus quasi ex antithesi zuersehend / woher es offtmals komme / das der Eheliche stand vbel gerathe ...“

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tion Schlues, die Vorbildlichkeit Isaaks an Kinder und Schüler zu vermitteln. Mit dieser Intention hebt Schlue deutlich auf eine erzieherische Funktion des Stückes ab. Damit stimmt auch Schlues Widmung überein, in der er auf das Theater im Allgemeinen zu sprechen kommt. Er stellt dieses in den Kontext der Erziehung, deren Ziel er vor allem in Zucht und Ordnung sieht. So rühmt er, dass die Jugend im Bergener Kontor in ‚guter Disziplin‘ gehalten werde.1266 Die Mittel zum Erlangen dieses Zieles sind freilich religiöser Natur. An erster Stelle nennt er den Kirchgang, sodann das Lernen des Katechismus, das Lernen der Psalmen, das Singen und schließlich die Zucht.1267 Dieser Reihung schließt er als eine ‚schöne Ordnung‘ das Abhalten von Spielen an, die mit herrlichen Komödien und Tragödien geziert würden.1268 Die Klassifizierung der Spiele als schöne Ordnung und die Wertung der Dramen als Zierde lassen darauf deuten, dass Schlue das Theater als nicht essentiell zur Erziehung gehörig betrachtet, sondern als einen, allerdings sehr sinnvollen Zusatz, der auch seines Erachtens zu Recht von Anfang an im Bergener Kontor zum Tragen kam. Daher spricht er denen sein Lob aus, die sich an den Aufführungen beteiligen, wenn sie sonst keine Pflichten zu erfüllen haben.1269 Die Existenz eines Theaters als Erziehungsinstitut im Bergener Kontor ist Schlue zugleich ein willkommenes Argument gegen die in der deutschen Heimat verbreitete Auffassung, die Kaufgesellen des Kontors seien ungebildete Menschen und könnten nur mit Fischerbooten umgehen, Ansichten, gegen die er nach seiner Rückkehr ankämpft.1270 Mit der Einbeziehung der Theateraufführungen und ihres Rahmens in Form der Spiele in die Erziehung am Kontor tritt er ebenso in Deutschland kursierenden Vorwürfen entgegen, die Spiele glichen eher wilden und verschwenderischen Gelagen.1271 Verteidigt Schlue hier die Theateraufführungen, so wird aus seinen Ausführungen deutlich, dass für ihn der positive Zweck des Theaters ein erzieherischer ist. Es soll nach ihm besonders auf die Jugend zielen, und zwar vor allem auf die Darsteller bzw. die an Einstudierung und Aufführung Beteiligten. Im eigentlichen Prolog zum Drama kommt Schlue auch auf die Zuschauer zu sprechen. Die Aufführung geschehe zu ihrem Wohlgefallen.1272 Im Folgenden aber verweist er auf den Hintergrund des Stoffes: Das Argument entstamme dem Alten Testament. Damit lenke es die Zuschauer auf die Schrift, in der sie selbst nachlesen sollten.1273 Dem 1266 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 3f. 1267 Vgl. a.a.O., S. 4,2ff. Zum Lernen des Katechismus und der Psalmen vgl. auch a.a.O., S. 6,4ff, wo Schlue auf seine eigene Erziehung am Kontor zu sprechen kommt. 1268 Vgl. a.a.O., S. 4,7ff: „Haben auch schone Ordenunge, mit jhren von anfang des Kuntors gebreuchlichen Spielen, welche mit herrlichen Comedien vnd Tragedien gezieret werden.“ 1269 Vgl. a.a.O., S. 4,11ff. 1270 Vgl. a.a.O., S. 4,15ff. 1271 Vgl. dazu a.a.O., S. *43f. 1272 Vgl. den Prologus, a.a.O., S. 17,15f. 1273 Vgl. a.a.O., S. 17,21ff, wo Schlue sagt, das Stück sei keine Fabel oder Gedicht, sondern eine wahre Geschichte: „Wo euwr liebe selbst mach lesen. Jm Alten Testament klÄrlich steth geschriben. Daran vns hoch vnd viel ist gelegen, sollen auch offt Lesen vnd bewegen.“



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biblischen Drama kommt somit die Funktion zu, zur Bibel hinzuführen. Dabei schließt Schlue die illiterati nicht aus, die obschon sie nicht lesen, doch durch Sehen und Zuhören, einen Gefallen an dem Stück finden könnten.1274 Einen anderen Aspekt berührt Schlue, wenn er betont, das Stück sei kein Fastnachtspiel, sondern zu Lob und Ehre Gottes konzipiert.1275 Damit rückt er die Aufführung eines Dramas in die Nähe eines Gottesdienstes. Verstärkt wird dies innerhalb des Dramas selbst durch die dreimalige Einfügung des Sanctus-Gesangs1276 und durch die Gestaltung des Einsatzes des ‚Beschluth‘ als Gebet1277. Zur Intention dieses Stückes sagt Schlue in der Widmung auffallenderweise nichts. Auch im Prolog bringt er dazu nur Allgemeines, nichts Stoffspezifisches bis auf eine Inhaltsangabe vor.1278 Ausdrückliche Lehrpunkte nennt Schlue dann allerdings zu einzelnen Akten. Als Lehrpunkt des ersten Aktes führt er den Gedanken an, Gott könne Menschen wunderbar erretten; diesen Punkt sollten alle Christen zu einem Exempel nehmen.1279 Gemeint ist der Glaube Abrahams, der es auf die Zusagen Gottes hin wagt, in die Opferung seines Sohnes einzuwilligen, der sich darauf verlässt, dass Gott alles wunderbar machen kann.1280 Mit dem zweiten Akt, der die Freunde und Schüler Abimelech, Sirus und Isaak zeigt, zielt Schlue auf die Jugend: Sie soll sich fleißig zur Schule halten, einen gesitteten Lebenswandel führen und Gehorsam gegenüber den Lehrern üben, dann steht sie unter Gottes Schutz.1281 Der dritte Akt, in dem es um den Aufbruch zum Moria geht, stellt Isaak als Vorbild für die Kinder dar, die gegenüber ihren Eltern gehorsam sein sollen.1282 Der vierte Akt schließt eine Warnung vor Faulheit an.1283 Mit dem fünften Akt wird Sara als Vorbild für das Verhalten der Frauen bei Abwesenheit ihrer Männer geschildert; sie sollen in Furcht leben und bei Gott Fürbitte halten.1284 Für den sechsten und siebenten Akt gibt Schlue keine Lehrpunkte an. Nach Schlues Sicht, wie sie im Titel manifest wird, sollte die Vermittlung von Isaaks Vorbildlichkeit für Kinder und Schüler das Ziel seines Dramas bilden. Legt man die Akte II, III und im Wesentlichen auch VI zugrunde, so ist dies auch der Fall. Grundlegend ist dabei der 1274 Vgl. a.a.O., S. 17,27ff. 1275 Vgl. a.a.O., S. 17,11–13. 1276 Vgl. a.a.O., S. 22f. 24. 60. 1277 Vgl. a.a.O., S. 86,14–21. 1278 So gibt er S. 18,2ff den Inhalt des Stückes an und wünscht sich als Ziel S. 18,15, dass es Frucht schaffe bei jung und alt. 1279 Vgl. a.a.O., S. 19,21f. 1280 Vgl. a.a.O., S. 19,15–20. 1281 Vgl. a.a.O., S. 30,7ff: „Allen frommen SchÜlern zum Exempel gethan, Das sie fleissig zur Schule gahn. Nicht sollen auff der strassen muthwillen treiben, Sondern fromb vnd zÜchtig leben. Jhren Praeceptores gehorchen fein, So werden Gottes Engele bey jhnen sein.“ 1282 Vgl. a.a.O., S. 34,3f. 1283 Vgl. a.a.O., S. 37,25ff. 1284 Vgl. a.a.O., S. 47,14ff.

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Begriff des Gehorsams. Dabei geht Schlue konzentrisch vor: vom Gehorsam gegenüber den Lehrern über den gegenüber den Eltern bzw. dem Vater hin zum Gehorsam gegenüber Gott. Der zweite Akt nimmt – jenseits des biblischen Textes und singulär in den hier betrachteten Dramen – die Schule in den Blick, entsprechend dem Titel des Stückes, der den Gehorsam gegenüber Eltern und Lehrern benennt. In dieser bewusst konzipierten Beiordnung folgt Schlue Luthers Auslegung des (in lutherischer Zählung) vierten Gebotes.1285 Isaak wird als vorbildlicher Schüler dargestellt, dem die Zuschauer und Darsteller nacheifern sollen. Sein Lob erhält er – taktisch klug – nicht von den Eltern oder Lehrern, sondern von eigenen Mitschülern. Dahinter dürfte der Gedanke stehen, dass dies bei den jugendlichen Adressaten eher Eindruck zu erwecken vermag.1286 Zugleich stehen die Mitschüler Isaaks sozial auf einer höheren Stufe und kommen zudem von außen, nicht aus der eigenen Familie. Der Königsohn Abimelech rühmt Isaaks Benehmen und seine intellektuellen Fähigkeiten, dazu seine Religiosität und sein theologisches Wissen, ebenso seine Gabe, davon zu reden, die auch die Lehrer beeindruckt.1287 Der Feldherrensohn Sirus stimmt dem zu.1288 Damit wird Isaak freilich wieder von den ‚normalen‘ Schülern weggerückt.1289 Die an dieser Stelle gebotene Schilderung seiner Person erinnert deutlich an die Geschichte vom zwölfjährigen Jesus im Tempel (Lk 2,41ff) und spiegelt den Einfluss des Gedankens der Präfiguration Christi durch Isaak wider. Zugleich sind beide Mitschüler auch innerlich eng mit Isaak verbunden, sie mögen ihn und wollen ungern auf seine Gesellschaft verzichten.1290 Das Miteinander der Schüler wird als ideale Gemeinschaft beschrieben, in der die drei einander helfen.1291 Schlue schildert also nicht nur Isaak als Vorbild – gleiches müsste für seine Mitschüler gelten, die zu erkennen geben, dass sie Isaaks Maßstäbe voll mittragen –, er will auch ein soziales Muster 1285 Vgl. Großer Katechismus, BSLK, S. 596,23, wo Luther die Schulmeister neben die Eltern stellt, insofern letztere bestimmte Erziehungsaufgaben an erstere delegieren. 1286 Dies schließt nicht aus, dass auch Abraham seinen Sohn lobt; vgl. im ersten Akt S. 21,10–14, wo er Isaaks Gottesfurcht, seine religiöse Verständigkeit, seine Gebetspraxis und seine Zuneigung zum Vater erwähnt. Vgl. ferner in Akt VI, S. 54,12–14, wo Abraham von Gottesfurcht, Frömmigkeit und Tugend spricht. 1287 Vgl. a.a.O., S. 30,21.23ff: „… er ist ein wol geschickter Knabe … er hat gar keine lust zu bÜberye, Er achtet keine lichtferdicheit edder Fantasye. Es scheinet nichts ander in jhme dan ehr vnd zucht, Darzu lebet er in Gottes frucht.“ S. 31,13–20 urteilt Abimelech: „Er stellet sich in allem fleissig an, Das man sich seiner nicht gnugsam verwundern kan. Auch redet er so offt von so herrlichen dingen, Das einem das hertz im Leibe mach springen. Dauon unsere Praeceptores groß wunder haben, Das sodahn verstant ist im Knaben. Er kan gar herrlich seine wÖrte machen, Vnd redet offt von grossen Himmelschen sachen.“ Inhalt der theologischen Rede Isaaks ist die Ankunft und das Werk des Messias (ebd.). 1288 Vgl. a.a.O., S. 32,1–6. 1289 Vgl. auch a.a.O., S. 31,3f. 1290 Vgl. a.a.O., S. 30,16–20; 32,7ff; 33,11–14. 1291 Vgl. die Rede des Sirus a.a.O., S. 32,7–12. Sirus preist hier die „einigkeit“ der drei und empfiehlt (ebd.): „Vnd mÖchten vns vnterandern exerceren, Was der eine nicht wÜste, kÜnt er vom andern leren.“



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bieten: eine Gemeinschaft der Freundschaft und gegenseitigen Unterstützung, jenseits von Konkurrenz, aber in Disziplin. Isaak bestätigt die Reden seiner Mitschüler, indem er die Zuneigung entgegnet und für seine bevorstehende Reise verspricht: „Jch wil meine Lectiones auff dem wege lernen.“1292 Der dritte Akt stellt das Verhältnis Isaaks zu seinem Vater bzw. den Eltern in den Mittelpunkt. Isaak folgt dem Vater gerne, ist gehorsam; es gibt für ihn nichts Schöneres als mit dem Vater auf Reise zu gehen.1293 Darin ist er Vorbild für fromme Kinder.1294 Seine Krise und seinen Höhepunkt findet dieser Gehorsam in der Opferszene auf dem Moria im sechsten Akt, in dem Schlue sehr genau seiner Vorlage, Rollenhagen, folgt. Es geht um den Gehorsam gegen den Vater und gegen Gott. Nachdem Abraham ihm eröffnet hat, was bevorsteht, fleht Isaak den Vater an. Er fragt nach Gottes Gnade und bittet den Vater, für ihn bei Gott einzutreten.1295 Der Vater möge sich doch nicht am eigenen Kind vergreifen, zumal an ihm auch die Verheißung hänge. Er gelobt, so fromm und gerecht zu sein wie kein Mensch sonst, und bittet um Erbarmen.1296 Nach einer nur kurzen Erläuterung Abrahams willigt Isaak aber ein: „Kan ydt denn jo nicht anders syn, So geue ick mynen willen darin, Wat gy my gebeden vnd Godt, Dem folge ick willich beth in den dodt.“1297 Die Klimax des Gehorsams Isaaks bildet das freiwillige Darbieten der Hände und Füße.1298 Dass dieser dem Verfasser als vorbildlich erscheint, belegt auch das Zeugnis des ‚neutralen‘ Beobachters Gorries im siebenten Akt, der vor dem Bauern Drewes den gewaltigen Gehorsam Isaaks hervorhebt.1299 Deutlich ist, dass Schlue in diesem Passus eine Parallelisierung des Gehorsams gegen Gott und gegen den Vater vollzieht. So stellt Abraham fest, Isaak leiste Gott und ihm Gehorsam, und im Anschluss bittet er ihn, ihm und Gott zu gehorchen.1300 Isaak statuiert, dass er in allem, sogar bis in den Tod, dem Vater und Gott folge.1301 Dies wiederholt er nach der Rettung in ähnlicher Form noch einmal.1302 Auch dieser Punkt gemahnt wiederum an Luthers Auslegung des vierten Gebotes im Großen Katechismus.1303 1292 A.a.O., S. 33,2. 1293 Vgl. a.a.O., S. 34,10–12; 36,12. 1294 Vgl. a.a.O., S. 34,3f.: „Also sollen fromme Kinder jhren Oldern folgen, Vnde nichtes thun wider jhren willen.“ 1295 Vgl. a.a.O., S. 55,23ff. 1296 Vgl. a.a.O., S. 56,1ff.9ff. 1297 A.a.O., S. 56,27–57,3. 1298 Vgl. a.a.O., S. 57,4f.: „Dar sindt myne vÖte dar sindt myne hende, Bindet my Vader wo gy ydt gudt erkennen.“ 1299 Vgl. a.a.O., S. 69,23–26: „Vpt leste gaff sick de SÖne willich darin, Vnd wolde in allem gehorsam syn. Vnd helt dem Vader tho vÖte vnd hende, He scholde en binden mit starcken benden.“ 1300 Vgl. a.a.O., S. 54,13; 56,23. 1301 Vgl. a.a.O., S. 57,2f. 1302 Vgl. a.a.O., S. 61,22–24: „Jck wil ock allen flyt ankeren, Dat ick do Godt vnd juw gefallen, Vnd wil juw folgen in allen.“ 1303 Vgl. Großer Katechismus, BSLK, S. 587,28ff: „... also daß man dem jungen Volk einbilde, ihre Eltern an Gottes Statt fur Augen zu halten ...“ Vgl. a.a.O., S. 592,39ff.

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Erstaunlich ist nun, dass Isaak im ‚Beschluth‘, den Schlue, wie gesagt, aus Rollenhagens Beschluss in sein Drama übernommen hat, überhaupt keine Berücksichtigung findet.1304 Hier geht es nur um Abraham, der als ‚Exempel‘ der Glaubensgerechtigkeit vorgestellt wird. Wäre dem Autor die Rolle Isaaks so wichtig gewesen, hätte er gerade im ‚Beschluth‘ auf sie eingehen müssen. Statt dessen verzichtet er sogar auf die in diese Richtung weisenden Schlussteile von Rollenhagens, seinerseits auf Frey zurückgehenden Beschluss. Als Zielsetzungen Schlues ergeben sich einerseits – dies wird im Folgenden noch deutlicher zu Tage treten – die Katechese des Glaubensbegriffs und der Rechtfertigungslehre, zum andern aber besonders die Internalisierung des Gehorsams gegenüber Autoritäten und damit des rechten Handelns in der Gemeinschaft. Reckling sieht in letzterer, ohne dass er den Begriff verwendet, ein Korrektiv der Rechtfertigungslehre. Die in dieser enthaltene Abwertung der Werke und des Handelns habe in der Praxis auf Schwierigkeiten stoßen müssen und hätte zu einem Verzicht auf jede moralische Belehrung führen können.1305 Um dem entgegenzuwirken, habe Schlue die Schulszene und die komischen Szenen eingeführt. Diese Beobachtung dürfte nach den obigen Ausführungen durchaus zutreffend sein: Schlue holt mit diesen Szenen die in der Haupthandlung zu kurz kommende Moraldidaxe ein. Doch sollte dies nicht als Korrektiv der Rechtfertigungslehre aufgefasst werden. Denn, wie gleich zu zeigen ist, verstärkt Schlue auffälligerweise sogar noch das reformatorische sola gegenüber seiner Vorlage, dem durchaus sich orthodox verstehenden Rollenhagen. Keinesfalls will er die Rechtfertigungslehre verdunkeln oder verwischen. Doch legt er Wert darauf, dass diese nicht zu missverstehen ist. Der Glaube soll zum rechten Tun führen. Für die vorsätzlich Gott und seinen Willen Missachtenden bleibt nach Schlues Auffassung nur das Heerlager des Teufels übrig, in dem sich die angeworbenen Söldner und Caldeus am Schluss der Handlung – erschreckenderweise offensichtlich nichts ahnend – wiederfinden. Dies wird als dunkle Folie sichtbar gegenüber dem guten Ausgang für Abraham und Isaak, denen es nachzueifern gilt. Abraham wird von Schlue besonders als liebender Vater gezeichnet: Er liebt Isaak von Herzen1306, er würde sein eigenes Leben für ihn geben1307. Es fällt ihm schwer, gegen seinen Sohn zu handeln, wie er beim Aufbruch äußert und besonders auf dem Moria zu erkennen gibt, was auch der unfreiwillige Zeuge, der Bauer Gorries dem ihm unbekannten Abraham attestiert.1308 Auf der anderen Seite wird er als gehorsam gegenüber Gott charakterisiert. Seine sofortige Einwilligung in den göttlichen Befehl gilt ihm bald als voreilig,

1304 Reckling, a.a.O., S. 182, stellt lediglich fest: „Im Epilog ist nur auf diese eine Lehre [sc. die Solafides-Lehre] hingewiesen. Doch geht aus dem Titel noch ein weiterer Zweck des Spieles hervor...“ 1305 Vgl. Reckling, a.a.O., S. 183. 1306 Vgl. a.a.O., S. 21,15. 1307 Vgl. a.a.O., S. 21,26, wo Abraham dies noch vor dem Opferbefehl äußert, und nach dem Befehl S. 25,5. 1308 Vgl. a.a.O., S. 36,11; 57,18; 69,22.



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bevor er sich dann doch rasch zum Gehorsam durchringt.1309 Er kann sogar formulieren: „Myn SÖne schal steruen ahne allen vertog.“1310 Sara gegenüber jedoch verschweigt er das Bevorstehende. Auf der anderen Seite ist ihm klar, dass es der Mutter schwer ums Herz ist. So kündigt er unmittelbar nach der Rettung an, der Mutter alles zu erklären.1311 Nach der Rückkehr verteidigt er im Gespräch mit ihr mit massiven Worten, dass er so handeln musste wie er handelte: „Jdt ys Gottes wille also gewesen, Daruem bedarff ydt nicht vele fedder lesen...“1312 Dominierender Zug in der Gestalt Abrahams ist somit der Gehorsam, neben dem sich aber auch retardierende menschliche Züge finden, über die im Konfliktfall aber der Gehorsam die Überhand behält. Albert Freybe nennt Schlues Drama „... ein klares Zeugnis und mannhaftes Bekenntnis der evangelisch lutherischen Lehre. ...“1313 Dass Schlue sich auf dem Boden der lutherischen Lehre zu befinden weiß, wird schon aus seinem in der Widmungsrede formulierten Wunsch deutlich, Gott möge den Kontor „... bey reiner Lere des heiligen Euangelij ... erhalten ...“1314 Im Weiteren gilt es zu prüfen, wie Schlue die reformatorische Lehre aufnimmt und wiedergibt. Die Untersuchung setzt an bei der Handlung, um sich sodann dem ‚Beschluth‘ zuzuwenden, in dem Schlue die wichtigsten Lehrpunkte des Stückes zusammenfasst. Im ersten Akt, noch vor dem Opferbefehl, kommt Abraham auf den zukünftigen Messias zu sprechen, der aus seinem Sohn Isaak hervorgehen soll. Dabei formuliert er: „An em glÖuen vnd fast up en buwen, Wo ick den ock darup will truwen Vnd weet dat ich dorch synen vÖrdenst, Dat Hemmelryke hebbe gewiset.“1315 Aus dieser Äußerung lassen sich wesentliche Elemente dessen erheben, was Schlue unter Glauben versteht. Erstens ist der Glaube auf Christus und sein Werk bezogen, zweitens richtet er sich auf die Seligkeit, die das Heilsgut bildet, drittens ist dieses Heilsgut dem Glauben gewiss und viertens umfasst der Glaubensbegriff die Aspekte des Vertrauens und des Wissens. Dass für Schlue der Glaube wesentlich Vertrauen und Wissen ist, tritt auch an anderen Stellen hervor. Nach einer Bemerkung Saras, in der freilich als Gegenstand des Glaubens allgemein Gott genannt wird, ist Glaube Vertrauen auf Gott, Bauen auf ihn.1316 Dass er ein Wissen darstellt, erhellt 1309 Noch im Gespräch mit Gott äußert Abraham (a.a.O., S. 23, 13f.): „Jck bin bereit in allen dingen Dyn befeel tho vollen bringen.“ Dann kommen ihm Zweifel (S. 24), bevor er S. 25,8–10 sagt: „Jck wil em mynen SÖne thom Offer geuen. Vnde wat he mehr van my wil han He findet my alle tydt gehorsam.“ 1310 A.a.O., S. 25,18. 1311 Vgl. a.a.O., S. 61,13ff. 1312 A.a.O., S. 73,24f. 1313 Vgl. a.a.O., S. *33. 1314 Vgl. a.a.O., S. 8,7f. 1315 A.a.O., S. 21,3–6. Zu dem hier erscheinenden ungewöhnlichen Wort ‚gewiset‘ vgl. die Ausführungen von Freybe, a.a.O., S. *48, wonach wahrscheinlich ein Druckfehler vorliegt und es statt dessen ‚gewisset‘ oder ‚gewissent‘ mit dem Sinne ‚verbürgt‘, ‚garantiert‘ heißen müsste. 1316 Vgl. a.a.O., S. 74,13f.: „Godt vorlett nicht de vp en vortuwen, Vnd mit fasten geloven vp ene buwen.“

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aus einer weiteren Aussage Saras, gesprochen angesichts der Sorgen, die sie wegen des ungewissen Schicksals ihres Mannes und ihres Sohnes umtreiben: „Doch weet ick Godt sorget vor de framen. Vnd hÖlt ock synen hilligen Bundt, He hefft gespraken mit syner Mundt.“1317 Aus dieser Äußerung wird ein weiterer Zug des Glaubensbegriffs Schlues manifest: Der Glaube hat es mit Äußerungen Gottes zu tun, mit seinen Verheißungen und Zusagen – beide Worte verwendet Schlue. Entsprechend ist er ein Festhalten an Gottes Zusage, ein Sich-Verlassen auf sein Wort.1318 Damit richtet er sich auf Gottes Willen, von dem er gewiss ist, dass er für den Glaubenden eintritt. Zugleich aber muss er sich auch auf Gottes Macht richten, von der er ebenso gewiss ist, dass sie fähig ist, die göttliche Zusage umzusetzen. Insofern ist der Glaube für Schlue stets Glaube daran, dass Gott alles wunderbar machen, erretten kann.1319 Folglich hat er auch die Auferstehung zum Inhalt.1320 Auf der anderen Seite bringt Schlue auch zum Ausdruck, dass es sich keinesfalls so verhält, dass das Leben durch den Glauben ohne Probleme zu bewältigen sei. Der Glaube hat die angefochtene Existenz bei sich. Er ist auch Glaube gegen die Erfahrung, und wie Schlue an diesem Stoff deutlich macht, auch gegen die Erfahrung Gottes.1321 Wie Abraham nach der Rettung Isaaks zu bedenken gibt, scheine es zuweilen, wenn man Gottes Werk betrachte, als ob dieser gegen den Glaubenden stehe. So sagt er zu seinem Sohn: „Denn im wercke leth ydt sick so sehn an, Alse wenn dy Godt wolde wedder stahn.“1322 Dies beinhaltete die Erfahrung Abrahams, dass gerade von Gott ein Befehl kam, der der Verheißung widersprach, ihn selber im Innersten traf und seine Existenz zu zerstören schien. In diesem Fall gilt es nach Schlue, den Glauben dennoch durchzuhalten, wie Abraham zu Isaak bemerkt: „Twyfel nicht do recht lath Godt walten, He werdt dy alle syne Thosagen halten.“1323 Es gilt, auch und gerade gegen die Erfahrung Gottes sich an dessen Zusagen zu halten, in der jenseits der Erfahrung gegründeten Gewissheit, dass Gott zu seinen Zusagen steht und sie erfüllen wird. Schlue stimmt an dieser Stelle mit Luthers Genesis-Auslegung überein, nach der der Mensch, wenn Gott seiner Verheißung zu widersprechen scheint, so dass der Schluss nahe liegt, Gott hasse ihn, zur Verheißung fliehen soll.1324 Damit berührt er ebenso Luthers Rede vom deus absconditus, von dem 1317 Vgl. a.a.O., S. 48,26f. 1318 Vgl. a.a.O., S. 25,11–13: „Jck gelÖue wat he vorheten hat, Dat wert he dohn dÖrch synen rath, Vnde wert my helpen vth allem leit …“ Vgl. S. 55,18, wo Abraham auf dem Moria, nachdem er Isaak seinen bevorstehenden Tod eröffnet hat, diesen ermahnt: „... holt dy fast an Gottes thosage.“ Vgl. ferner die Äußerung Abrahams gegen Ende von Akt VI, S. 61,7: „Here ick vorlate my vp dyn wordt ...“. 1319 Vgl. das Argumentum zum ersten Akt, a.a.O., S. 19,20. 1320 Isaaks Rettung wird folglich als Auferstehung, aber auch als Wiedergeburt beschrieben; vgl. a.a.O., S. 59,3f.; 63,11. 1321 Vgl. dazu für Luther: Johann Anselm Steiger, Zu Gott gegen Gott, S. 186f. 1322 Schlue, S. 61,17f. 1323 A.a.O. (Forts.). 1324 Vgl. WA 43, 202,19.30f. Vgl. WA 24,383,24ff.



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weg der Mensch zum deus revelatus fliehen soll.1325 Über Rollenhagen hinaus verdeutlicht Schlue, dass es nur die Verheißung ist, an die sich der Mensch auch im Krisenfall, wenn sie in Frage steht, halten kann und muss.1326 Schlue trifft mit seinen Ausführungen deutlich den Kern des reformatorischen Glaubensbegriffs. Dies gilt besonders für die Auffassung des Glaubens als Vertrauen und Wissen, für das Gegenüber von Glaube und göttlichen Verheißungen, für die Behauptung der Heilsgewissheit. Auch dass der Glaube eine Beziehung zu Christus und seinem Werk, in dem das Heil gewirkt wird, ist, steht für Schlue fest. Obschon öfter nur von Gott als Gegenstand des Glaubens die Rede ist, so ist dieser für ihn eo ipso der Gott der Messiasverheißung. Nicht unproblematisch scheint es freilich, wenn Schlue an einer Stelle nach einer Äußerung Isaaks die Gnade an das Tun des Menschen zu binden scheint: Isaak fordert den Vater auf, ihn zu binden, „Darmit Gottes wille geschehe Vnd er vns mit gnaden ansehe.“1327 Auf der anderen Seite betont Abraham seine Unwürdigkeit.1328 Und wenn Isaak nach der Lösung äußert: „Ein wunder handel wart mit mir vorgenomen... Do schickte Gott einen Engel schon, Das der Vater mich kein leidt muste thun. Dauon der Vater grosse frewd nam, Do bescherte jhm Gott wunderbar ein Lam, Welches vor mir geopffert wardt, Jch wart vor allem leidt bewardt“1329, so lässt sich darin eine deutliche Anspielung auf das im Christusgeschehen vollzogene, von Luther in seinen ‚Operationes in Psalmos‘ erwähnte admirabile commercium1330 sehen. Der Mensch, der Sünder wird freigesprochen, Christus stirbt für ihn den Opfertod, den er selbst eigentlich hätte sterben müssen. Deutlich wird hier das Opfer des Widders – bei Schlue bezeichnenderweise ein Lamm – als Präfiguration des Opfers Christi dargestellt. In expliziter, deutlich lehrhafter Form tritt die reformatorische Rechtfertigungslehre im ‚Beschluth‘ hervor, in dem Schlue Rollenhagen folgt. Er geht vom Begriff der göttlichen Gnade aus, die er in eine geringere und eine größere differenziert. Die geringere Gnade ist Abraham als irdisches Gut, Gesundheit und Frieden zuteil geworden.1331 Die 1325 Vgl. WA 5, 204,25ff, wo Luther empfiehlt, in der Versuchung zu Gott gegen Gott zu fliehen; die Attribute ‚revelatus‘ und ‚absconditus‘ fallen dabei nicht, sind aber der Sache nach präsent. 1326 Vgl. Schlue, S. 61,19f.: Abraham verweist Isaak für diesen Fall auf die Verheißung. Rollenhagen lässt Abraham den Isaak einfach ermahnen, in dieser Situation festzustehen und nicht vom Wort zu weichen (vgl. Akt V Szene 7; I VIIa). 1327 Schlue, S. 57,6f. In die gleiche Richtung deutet eine andere Formulierung Isaaks, nach der Gott sich der Frommen annimmt; vgl. S. 59,2. 1328 Vgl. a.a.O., S. 61,7f. 1329 A.a.O., S. 75,18.23–76,4. 1330 WA 5, 608,6ff: „Atque hoc est mysterium illud opulentum gratiae divinae in peccatores, quod admirabili commertio peccata nostra iam non nostra, sed Christi sunt, et iustitia Christi non Christi, sed nostra est. Exinanivit enim se illa, ut nos ea indueret et impleret, et replevit se nostris, ut exinaniret nos eisdem …“ 1331 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 86,25f. Vgl. Rollenhagen, Abraham, K IIb.

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größere Gnade besteht darin, Gott selbst zum Freund zu haben und von ihm die Verheißung des ewigen Lebens zu empfangen. Schlue – bzw. Rollenhagen, von dem die Passage übernommen ist – nimmt an dieser Stelle Jak 2,23 auf, wo die Gerechtigkeit aus Gen 15,6 als Freundschaft mit Gott ausgelegt wird.1332 Er empfängt dies allein im Glauben, was Schlue über Rollenhagen hinaus verstärkt, und im Gehorsam gegen Gott, der sich in der Bereitschaft zur Opferung seines Sohnes manifestiert.1333 In dieser Versuchungssituation hält er an Gottes Verheißung fest.1334 Den Glauben definiert Schlue im ‚Beschluth‘ insbesondere als Vertrauen auf Gott. Dies führt er dahingehend näher aus, dass Glauben heiße, dass ein Mensch fest auf Gott baut, und zwar von Herzens Grund, mit seiner ganzen Existenz, von seinem Innersten her.1335 Glaube ist dabei Glaube an die Verheißung Gottes. Der bevorstehende Tod des Sohnes stellt diese Verheißung in Frage, jedoch hält Abraham den Glauben durch. Das Moment der Tapferkeit, des trotzigen Dennoch, schwingt aufgrund der Versuchungssituation hinein.1336 So ist es für Schlue nicht zufällig, dass die Schrift Abraham den anderen Glaubenden als Exempel empfehle, wenn sie auf die Frage der Rechtfertigung – an dieser Stelle verwendet er den Begriff „Rechtfertigen“ – eingeht.1337 Das Exempel besteht nach Schlue in Abrahams Glauben, wozu er auf Gen 15,6 rekurriert.1338 Dabei gibt er mit Rollenhagen zu erkennen, dass dies auch von Paulus aufgenommen wird: Mose und Paulus sind so die Kronzeugen für die Glaubensgerechtigkeit Abrahams. Für die Glaubenden heißt das, Abraham gleich zu werden, Christus mit festem Glauben zu umfassen, um von ihm die Seligkeit zu erlangen.1339 Schlue macht klar, dass die Seligkeit „... Aus gnaden 1332 Schlue, a.a.O., S. 87,3–6: „Zu dem kompt noch grÖsser genad, Das er Godt selbst zum Freunde hat. Vnd thut jhme verheissen zu geben, Durch seinen Samen das ewige leben.“ Vgl. Rollenhagen, a.a.O., K IIIa. Schlue kürzt hier seine Vorlage etwas. Er lässt die Formulierung von Gott als Abrahams Schutz und Bundesgesell sowie den Hinweis auf den Titel ‚Gott Abrahams‘ weg. 1333 Schlue, a.a.O. (Forts.): „Allein darumb das er jhme vertrawet, Von hertzen grundt fast auff jhn bawet. Vnd alle zeit ein gehorsamer Christ, Was Gott von jhm foddert zu jeder frist. Welchs sich dan recht ausweiset wol, Da er jhme seinen Sohn Opffern sol.“ Vgl. Rollenhagen, a.a.O., wo das ‚allein‘ fehlt. 1334 Schlue, a.a.O., S. 87,15f.: „Gleubte dennoch sein Sohn wÜrde leben, Gott wÜrde durch jhn seinen Segen geben.“ Vgl. Rollenhagen, a.a.O. Schlue streicht den bei Rollenhagen folgenden Satz: „Hofft fest da gar kein Hoffnung war.“ 1335 Rollenhagen, a.a.O., hatte formuliert: „Von gantzem Hertzen“. 1336 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 87,14: „Er wolte es [sc. das Opfer] vollenbringen wie ein Man.“ 1337 Vgl. a.a.O., S. 87,19–22: „Dan dieses ist das die Schrifft so preiset, Vnd vns allen zum Exempel weiset. Wie solchs Paulus vnd Moses spricht, Von dem Rechtfertigen den bericht ...“ Vgl. Rollenhagen, a.a.O., K IIIa. 1338 Vgl. Schlue, a.a.O. (Forts.): „Abraham hat getrawet Gottes barmhertzigkeit, Das ist jhme gerechnet zur gerechtigkeit.“ Vgl. Rollenhagen, a.a.O., K IIIa–b, der aber im Präsens formuliert (trawt). 1339 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 87,25ff: „Wer nun begeret das Himelreich, Warlich der muß jhme werden gleich. Mit fastem glauben Christum vmbfangen, Von jhme die Seligkeit zu erlangen.“ Vgl. Rollenhagen, a.a.O., K IIIb.



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allein ohne der wercke verdienst ...“1340 erworben wird. Eindeutig bringt er gegenüber den Zuhörern das sola gratia über seine Vorlage, Rollenhagen, hinaus zum Ausdruck. Daraus, dass die Seligkeit allein aus Gnaden verliehen wird, folgt nun nach Ansicht Schlues weder, dass der Mensch seinen Stand und Beruf verändern solle, noch dass sein Verhalten darin Gleichgültigkeit besäße.1341 Der Mensch soll in seinem Beruf verbleiben und sich in ihm recht, als ein ‚frommer Knecht‘ verhalten. Tue er dies, werde Gott ihn bzw. die Christen – Schlue schließt sich hier in erster Person Plural mit dem Publikum zusammen – nicht verlassen.1342 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Schlue deutlich auf dem Boden der lutherischen Lehre steht. Gerade ein Vergleich mit Rollenhagens Ausführungen zum Thema zeigt sein diesbezügliches Bemühen um Orthodoxie. So verstärkt er über seine Vorlage hinaus das reformatorische ‚sola‘. Ferner verzichtet er auf den moralisierenden zweiten Teil des Rollenhagenschen Beschlusses, und dies obwohl er selbst von starken pädagogischen Interessen geleitet wird. Die Rechtfertigungslehre bleibt bei Schlue klarer als lutherische Rechtfertigungslehre erkennbar als bei Rollenhagen, was ihn aber nicht daran hindert, ein starkes moraldidaktisches Anliegen vorzubringen.

10. Ergebnis Belegt schon das Faktum, dass der Abraham-Stoff und die Geschichte von seiner Versuchung von neun protestantischen Autoren in der Zeit von 1533 bis 1606 herangezogen wurde, eine deutliche Kontinuität, so lässt sich diese Beobachtung grundsätzlich auch für die Gestaltung der Interpretation in den Dramen konstatieren. Eine wirkliche Weiterentwicklung der Dramatisierung ist nicht zu erkennen, auch wenn ein Autor immer wieder einmal einen anderen Akzent mit einbringt. Ein Faktor dieser Kontinuität ist ohne Zweifel die sehr starke Orientierung der Autoren an Luthers Genesis-Auslegung, was auch für Bezas Stück gilt.1343 Diese hatte offensichtlich einen normativen Rang inne. 1340 Schlue, a.a.O., S. 87,29. Vgl. Rollenhagen, ebd. Schlue hat das ‚allein‘ hinzugefügt. 1341 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 87,30ff: „Doch sol er bleiben wie ich mein, Jn seinem beruff sich halten recht, Nicht sein ein schalck, sondern ein from knecht.“ Vgl. Rollenhagen, ebd. 1342 Vgl. Schlue, a.a.O., S. 88,3f. Vgl. Rollenhagen, a.a.O. 1343 Vgl. Johann Anselm Steiger, Zu Gott gegen Gott, a.a.O., S. 205, zu Beza vgl. Ruth Stawarz-Luginbühl, L’Abraham sacrifiant, S. 401. 408. 413 Anm. 41. – Ob, wie Barbara Mahlmann-Bauer aufzuzeigen versucht, Einflüsse der Auslegung von Gen 22 des Gregor von Nyssa vorliegen, ist schwierig nachzuweisen. Die von ihr genannten Propria dieser Auslegung sind recht allgemein gehalten oder liegen bei einer Auslegung der an Angaben recht schmalen Erzählung durchaus nahe. Sie nennt insbesondere den Opferbefehl als Klimax von Prüfungen Abrahams, die Zerlegung des Opferbefehls in Einzelteile, die Gegenüberstellung der Reaktion Abrahams zu der eines gewöhnlichen Vaters, den Widerstand Saras, die mit der Frage Isaaks nach dem Opfer gegebene Verstärkung des Schmerzes Abrahams; vgl. Mahlmann-Bauer, Abraham, der leidende Vater, a.a.O., S. 342f.

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Daraus ergibt sich, dass in vielen Dramen ein Schwerpunkt auf dem Trostaspekt liegt. Den Christen der Gegenwart wird damit Trost zugesprochen, indem ihnen versichert wird, dass das was ihnen an Leid erfährt, eine göttliche Prüfung ist. Dies ist insofern tröstlich, als diese Prüfung erstens von Gott und nicht von widergöttlichen Mächten stammt und zweitens einen guten Ausgang nimmt. Die Hörer werden aufgefordert, in dieser Situation den Glauben, der immer Glauben an die göttliche Verheißung ist, durchzuhalten und sich nicht durch Einwände der Vernunft oder der eigenen Affekte davon abbringen zu lassen. Zentral ist so für alle Dramen der Glaubensbegriff, der immer als Festhalten an der Verheißung beschrieben wird, also konstitutiv auf diese bezogen ist. Zuweilen wird er stärker als Gehorsam gefasst, wie bei Sachs und Frey, doch überlagert lediglich in der Handlung bei Frey und Rollenhagen das Anliegen auf ein dem Glauben entsprechendes Leben das reformatorische Glaubensverständnis. In den meisten Dramen steht das Thema des Glaubens angesichts gegenteiliger Erfahrung im Zentrum, nur in den beiden genannten Dramen schiebt sich die Intention der Moraldidaxe erkennbar in den Vordergrund. Im Falle von Schlues Drama ist der Befund etwas komplexer, insofern er einerseits betont reformatorisch formuliert, in Korrektur seiner Vorlage Rollenhagen, andererseits aber das Motiv des Gehorsams in einigen Akten des Dramas dominant ist. Kommt der moralische Aspekt somit in der Mehrheit der Dramen an zweiter Stelle zu stehen, ist zugleich festzustellen, dass er nirgendwo gänzlich fehlt. Ohne Zweifel ist dies Reflex der Gattung Schuldrama. Die Aufforderung zum Gehorsam gegenüber Eltern und Autoritäten ist konstitutiver Bestandteil der Abraham-Dramen. Die Abraham-Dramen bilden eine deutlich binnenorientierte Gattung. Die Verfasser wollen auf die Glaubenden des eigenen Kirchentums einwirken. Die Intention, Altgläubige zur Annahme der reformatorischen Rechtfertigungslehre zu bewegen und zum evangelischen Glauben zu bekehren, wird nicht verfolgt. Dessen ungeachtet wird zwar in vielen Dramen Polemik gegen die römische Kirche geboten, diese ist aber wie im Falle von Greff und Lucas nur an die Rahmenstücke gebunden oder wie im Falle von Haberer, Rollenhagen und Beza-Chytraeus nur sehr vorsichtig vorgebracht; bei Sachs, Frey, Stymmelius und Schlue spielt Polemik gar keine Rolle. Wo sie erscheint, kommt ihr lediglich die Funktion zu, die rechtgläubige Position zu untermauern bzw. zu verstärken, d.h. deren Profil deutlicher hervortreten zu lassen. Sie ist dienender Natur, eigenständige Bedeutung hat sie nicht. Gewisse Ausnahmen bilden die Dramen von Andreas Lucas, der in der Widmungsrede erklärt, dass er den Stoff aufgegriffen habe, weil in ihm Abraham und Isaak gegen die falsche und antichristliche altgläubige Lehre als Glaubensexempel vorgestellt würden, sowie von Joachim Greff, der in seiner Widmung recht massive Polemik übt und der römischen Kirche Verachtung des Wortes Gottes und daraus folgende Unterdrückung der Glaubenden vorwirft und dabei auch auf das Schicksal Schaut man sich die hier behandelten Dramen in Bezug auf eine Schilderung des Widerstands Saras an, könnten am ehesten die Dramen von Beza-Chytraeus, Haberer und Sachs durch Gregor beeinflusst sein.



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protestantischer Glaubensflüchtlinge zu sprechen kommt. Gerade bei Greff wendet sich dies allerdings wieder in Richtung einer Binnenorientierung, indem er die Exilierung der Glaubensflüchtlinge mit Abraham parallelisiert und unter dem Titel der göttlichen Prüfung fasst, die wiederum auch die Adressaten Greffs betrifft, denen das Stück in dieser Situation Trost bieten soll. Bei Lucas geht es im Folgenden ausschließlich um die positive Darlegung der Patriarchen als Glaubensexempel. Greff und Lucas kommen darin überein, dass sie ihren Hörern die Grundlinien der Rechtfertigungslehre, den sie als den Hauptartikel erkennen, vermitteln wollen. War für das mittelalterliche geistliche Spiel in Bezug auf die Opferung Isaaks der Gedanke der Präfiguration des Opfers Christi konstitutiv, so kann für die protestantischen Dramen keine völlig eindeutige Haltung zu diesem Motiv ausgemacht werden, was sich durchaus im Umgang der Reformatoren mit diesem spiegelt.1344 Festzuhalten ist, dass der Hinweis auf die typologische Deutung des Isaak-Opfers in fast allen Dramen gegeben wird, am schwächsten allerdings bei Beza-Chytraeus. Berücksichtigung findet er in den Epilogen fast ausnahmslos, allerdings nie an erster Stelle und nie mit weiteren, sich daran anschließenden Ausführungen. Schließlich wird das Motiv in der Handlung einiger Dramen aufgenommen mit entweder leichten Anspielungen oder bestimmten Anpassungen in der Handlung. Große Zurückhaltung übt der Lutheraner Lucas, wiewohl er es als Lehrpunkt im Epilog erwähnt. Eine tragende Rolle kommt dem Präfigurationsgedanken in keinem Fall zu. Der Hinweis wirkt oft sehr nachklappend, wirkliche Konsequenzen werden aus ihm nicht gezogen. Wesentlich für die protestantischen Abraham-Dramen ist statt dessen, dass ein Bezug zu den Adressaten hergestellt wird, dass ihnen vermittelt wird, dass es in der dargestellten Handlung um sie selbst geht, insofern Abraham als Exempel des Glaubens vorgeführt und die ihm gegebene Verheißung als auch dem Zuhörer und der Zuhörerin geltende Zusage entfaltet wird. Von dem dargelegten Befund her sei nun ein kurzer Blick auf katholische AbrahamDramen geworfen, auf Dramen zweier Schuldramatiker und eines jesuitischen Dramatikers. Zieht man Jakob Schöppers ‚Tentatus Abrahamus‘ von 1551 heran, sind in der Tat andere Tendenzen bemerkbar.1345 Schon nach dem Prolog gilt Schöpper der Glaube in mittelalterlicher Tradition als Tugend.1346 Ebenso fällt auf, dass er mehrfach vom ‚lebendigen Glauben‘ spricht, was wohl doch als Kritik an der reformatorischen Position gewertet 1344 So war Luther nach früherer Aufnahme des Gedankens in Predigten in seiner Genesis-Vorlesung (1535–1545) eher zurückhaltend, verwarf ihn aber nicht. Auch Zwingli konnte den Gedanken aufgreifen, während Calvin ihm ablehnend gegenüberstand. Vgl. Luthers Genesis-Vorlesung WA 43, 234,16ff, ferner Zwinglis Aussagen in seiner Auslegung Farrago, CR 100, 143. 147f. 153. Zu Calvins Haltung s. Willem Balke, Calvins Auslegung von Genesis 22, in: Théorie et pratique de l’exégèse, hrg. v. Irena Backus und Francis Higman, Genf 1990, S. 225. 1345 TENTATUS ABRAHAMUS. ACTIO SACRA, COMICE RECENS DESCRIPTA. Ex genesis XXII. Capite. Authore Iacobo Schoeppero Presbytero. Coloniae. Excudebat Petrus Horst. Anno 1564. 1346 Vgl. a.a.O., Prolog, A 3b.

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werden darf, auch wenn eine viva fides nicht expressis verbis die fides caritate formata ist.1347 Der Glaube gilt ihm zumindest als qualitativ verbesserbar, eine Tendenz die auch der Chor nach Akt I zum Ausdruck bringt, wenn in ihm vorgetragen wird, Gott züchtige, damit dadurch der Glaube strahlender werde.1348 Das Opfer diente der Erprobung des Gehorsams Abrahams gegen Gott.1349 In der peroratio deutet Schöpper die Geschichte ausschließlich auf das, was er allegoria bzw. sensus mysticus nennt, auf den geistlichen Sinn, was sprachlich am immer wiederkehrenden Paar „ut – sic“ zu erkennen ist. Den geistlichen Sinn aber sieht er in der Präfiguration des Opfers Christi. So stellt der „uir longè sanctißimus“, Abraham, Gott Vater dar und Isaak ist der Typus des Sohnes Gottes.1350 Schöppers Drama zeigt sich somit als stark in der mittelalterlichen Tradition verankert. Auch in der ‚Immolatio Isaac‘ des altgläubigen Hieronymus Ziegler aus dem Jahre 1544 ist die konfessionelle Tendenz bemerkbar, wiewohl er sich als Lehrer am protestantischen Annagymnasium in Augsburg insgesamt zurückhält.1351 Charakteristisch ist aber die Formulierung, dass die Tugend allein im Himmel den Engeln gleich mache.1352 Noch deutlicher ist die in eine Gottesrede eingebundene Aussage, Abraham werde gesegnet, weil er Gott gehorcht und ihn geliebt habe, was ihm zur Gerechtigkeit angerechnet werde.1353 Hier wird nun die Rechtfertigung ausdrücklich als Reaktion auf Abrahams Handeln gewertet. In der ‚Immolatio Isaac‘ des Jakob Pontanus von 1590,1354 in dem die Versuchung Abrahams als Konflikt zwischen der das Opfer ablehnenden natura und der zur Beachtung des Gotteswillen auffordernden ratio dargestellt wird, leuchtet das Katholische in mehreren Punkten auf: Zum einen wird das gesamte Verhalten Abrahams als Tugend auf-

1347 Vgl. a.a.O., Prolog, A 3b; peroratio, E 2b. 1348 A.a.O., Chor zu Akt I, A 8b: „Id [sc. die Züchtigung] uerò hanc ob causam facit, Iuxta scripturae oracula. Vt syncera ipsorum fides Reddatur inde illustrior.“ 1349 So äußert es Abraham selbst in Akt V Szene 6, D 7b, als er post factum den Sinn der Prüfung verstanden hat: „Nam satis exploratam Domino esse nunc meam Erga se obedientiam...“ 1350 Vgl. a.a.O., peroratio, E 1a. Sara stellt nach Schöpper die unwissende Synagoge dar; vgl. E 2a. – Zur Hervorhebung des Präfigurationsgedankens bei Schöpper vgl. Wilhelm Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Zweiter Band. Renaissance und Reformation. Erster Teil, Halle a.S. 19182, S. 103f. 1351 Immolatio Isaac. Ein sonder schÖne Comedi / auß dem ersten bích Mosi gezogen / von der Historien Abraae / wie er seinen ainigen sun Jsaac / auß stercke seines glaubens gegen Gott / opfferen wolt. Zí trost aller hertzglaubigen menschen. Durch Hieronymum Zieglerum Rottenburgensen, Augsburg 1544. 1352 Vgl. a.a.O., Akt I Szene 2, A Vb. 1353 Akt IV Szene 5, D Vb: „... Darumb das du mir hast gehorcht / Vnd mich geliebt in aller forcht / Welches dir zí gerechnet würdt Zur ghrechtigkait / wie es sich bürdt.“ 1354 Jakob Pontanus, Immolatio Isaac, in: Jacobi Pontani De Societate Iesu Poeticarum Institutionum libri III, Editio tertia cum auctario et Indice hactenus desiderato. Eiusdem Tyrocinium poeticum cum supplemento, Ingolstadt 16003, Buch II, S. 557–592.



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gefasst.1355 Entsprechend wird ihm durch den Engel Lohn für seine Tugend und Gnade für seine Gottergebenheit (pietas) verheißen.1356 Ferner wird das Verhältnis des Menschen zu Gott meist in der Kategorie der Liebe beschrieben, nicht in der des Glaubens.1357 Schließlich heißt es im Epilog, dass auch wenn Abraham vor dieser Begebenheit schon Gott angenehm (Deo charus), d.h. im Gnadenstand war, er nunmehr Gott weit angenehmer war (longe charior), also die Gnade vermehren konnte.1358 Das Publikum wird aufgefordert, es ihm gleichzutun und Gott zu gehorchen, was immer er befehle, auf ihn allein sein Vertrauen zu setzen. So erlange man eine Ehre, die durch kein Zeitalter zugrunde gehen werde, d.h. die Seligkeit.1359 Geben oft prima facie lediglich die Rahmenstücke Aufschluss über den konfessionellen Hintergrund eines Stückes, leuchtet dieser doch auch innerhalb der Handlung zuweilen charakteristisch auf. So wird der Glaube als Tugend nivelliert und in das Subjekt verlagert. Die Liebe gilt als dem Glauben übergeordnete Größe, als Komplement, die diesen vervollständigt. Der Glaubensbegriff wird in der Dramatisierung zurückgedrängt, insofern er als defizitär bzw. ergänzungsbedürftig gilt. In diesem Punkt unterscheiden sich jene Dramen von den protestantischen. Deutlich spricht aus den drei genannten Dramen eine altgläubig-katholische Rechtfertigungslehre. Der Präfigurationsgedanke spielt eine wesentliche Rolle dagegen nur bei Schöpper. Ist so die konfessionelle Tendenz erkennbar, ist auf der anderen Seite gleichwohl für Ziegler und Schöpper festzuhalten, dass sie aufgrund ihrer spezifischen Situation in einen eher interkonfessionellen Kontext gehören. Bei Pontanus ist hingegen erkennbar, dass für sein Drama deutlich humanistische Bestimmungen maßgeblich sind. Dies bedingt, dass in der Handlung dieser Dramen vielfach wesentlich Gemeinchristliches verarbeitet wird. Auch insofern kann es nicht überraschen, dass sich in vielen Details protestantische und altgläubig-katholische Abraham-Dramen stark ähneln. Zugleich wird deutlich, dass das konfessionelle Moment alleine nicht die gesamte Gestalt eines Dramas hinreichend erklärt, sondern individuelle Anlagen und Anliegen eines Verfassers zu berücksichtigen sind. 1355 Vgl. a.a.O., Szene 9, S. 579. 1356 Vgl. Szene 12, S. 587: „... hanc ego mercedem virtuti remetior, tuae pietati talem refero gratiam.“ Vgl. Szene 9, S. 579: Gott verziert die Tugend Abrahams mit großem Ruhm, dass kein Vergessen seinen Namen zerstört. 1357 Vgl. den Prolog, S. 557: Abraham war „in amore sempiterno numini.“ A.a.O., S. 558, heißt es aber auch, Gott erforsche den Glauben und den Gehorsam Abrahams. Dies wird aber sogleich als Tugend gewertet (ebd.): „Tum laudibus Eximiam ob virtutem tollitur amplißimis.“ 1358 Vgl. den Epilog, S. 592: „Idcirco cum esset antea charus Deo, Euasit longe charior, et adeptus est Nullis honorem intermoriturum saeculis.“ 1359 Vgl. dazu Fritz Reckling, Immolatio Isaac, S. 177: Wie Abraham wird dem, der Gott in allem gehorcht, ‚gnadenreiche Verheißung als Belohnung‘, d.h. letztlich die ewige Seligkeit... zuteil. Die Tendenz dieses Stückes ist also die gleiche wie bei den anderen Jesuitendramen, dem Trierer ‚Abraham sive obedientia‘ und der Fuldaer ‚Actio sacra de Abrahamo‘, und fußt auf dem gleichen Grundsatz: durch Erfüllung des Willens Gottes die ewige Seligkeit zu erlangen.“

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Dies berührt zuletzt die Frage, ob sich auch die lutherisch-reformierte Kontroverse in den Abraham-Dramen wiederfindet. Das ist weitestgehend zu verneinen. Von einigen kleinen Anspielungen bei Rollenhagen und Stymmelius abgesehen, kommt diesem Thema keine Bedeutung zu. Das bedeutet nun nicht, dass man einem Drama nicht anmerken könnte, welcher konfessionellen Seite innerhalb des Protestantismus sein Autor zuzuordnen wäre. Sowohl das Drama von Haberer als auch das von Beza-Chytraeus sind als reformierte Stücke identifizierbar; beide dokumentieren reformierte Propria, was umgekehrt auch von den lutherischen Dramen auszusagen ist. Wohl aber lässt sich sagen, dass die Abraham-Dramen eher das Gemeinprotestantische zum Gegenstand haben. Insofern gilt hier das von Helga Schnabel-Schüle in Bezug auf die Praxis der Kirchenzucht in beiden protestantischen Konfessionen formulierte Diktum vom großen Unterschied und seinen – doch nur – kleinen Folgen.1360 Bezeichnend ist, dass Bezas Abraham-Drama ohne Nennung des Verfassers im streng lutherischen Rostock durch Nathan Chytraeus aufgeführt werden konnte. Bei aller Kontinuität und ungeachtet der Präsentation von Gemeinprotestantischem in den protestantischen Abraham-Dramen ist zugleich nicht zu verkennen, dass jedes Stück auch über eine individuelle Note verfügt, die der jeweilige Autor entwickelt. So steht über dem, was allen untersuchten Dramen weitgehend gemeinsam ist und unter dem Stichwort der Rechtfertigungslehre zu verbuchen ist, bei Schlue das Thema Schule im Vordergrund. Stymmelius sucht theologische Bildung zu vermitteln. Bei Beza spiegelt sich sein persönliches Schicksal, die Flucht aus Frankreich wider, bei Chytraeus wird die Herausgabe des Dramas zum Bekenntnis seines Übergangs zur reformierten Konfession. Haberer schließlich bringt eine antitäuferische Linie in sein Drama hinein. All dies sind Aspekte, die für das jeweilige Drama spezifisch sind, in den anderen aber nicht erscheinen. Diesen Sachverhalt, dass ein protestantisches Drama wesentlich auch Ausdruck eines Individuums mit seinen religiösen, theologischen sowie moralischen und gesellschaftlichen Anliegen und Befindlichkeiten ist, gilt es für ein Gesamturteil im Blick zu halten.

1360 Helga Schnabel-Schüle, Der große Unterschied und seine kleinen Folgen. Zum Problem der Kirchenzucht als Unterscheidungskriterium zwischen lutherischer und reformierter Konfession, in: Monika Hagenmeier – Sabine Holtz (Hrgg.), Krisenbewußtsein und Krisenbewältigung in der Frühen Neuzeit – Crisis in Early Modern Europe. Festschrift für Hans-Christoph Rublack, Frankfurt a.M. u.a. 1992, S. 197–214.

II. Der Stephanus-Stoff im protestantischen Drama des konfessionellen Zeitalters Auffallend ist, dass aus dem Bereich des protestantischen Dramas der Reformationszeit und der konfessionellen Zeit kein Drama über einen Märtyrer aus der reformatorischen Zeit belegt ist. Das einzige Drama, das einen Martyriumsvorwurf aus dem Umfeld der Reformation aufgreift, ist die frühe ‚Tragedia Johannis Hus‘ des Johann Agricola.1361 Die Märtyrer der nachbiblischen Zeit sind im protestantischen Drama der Reformationszeit und der konfessionellen Zeit kaum vertreten. Zu nennen ist hier Balthasar Thammes Dorothea-Spiel aus dem Jahr 1594. Erst in der späteren Zeit aber – erinnert sei an Gryphius’ ‚Catharina von Georgien‘ – nimmt das protestantische Märtyrerdrama eine bedeutendere Stellung ein. Die Situation ist damit eine signifikant andere als im Bereich des Jesuitendramas, in dem seit Ende des 16. Jahrhunderts zahlreiche Märtyrerdramen über nachbiblische Glaubenszeugen zur Aufführung kamen. Dieser Befund mutet erstaunlich an, gibt es doch im deutschen Protestantismus seit Anfang der fünfziger Jahre des 16. Jahrhunderts, beginnend mit dem Straßburger Prediger und späteren Ulmer Superintendenten Ludwig Rabus, den Versuch, ein von reformatorischen Grundsätzen ausgehendes Märtyrergedenken zu entwickeln, bei dem biblische, altkirchliche, mittelalterliche und zeitgenössische Märtyrer berücksichtigt wurden, deren Wirken und Leiden im Sinne der reformatorischen Sache gedeutet wurde.1362 Diesem Märtyrergedenken kam wie in allen Konfessionen eine identitätsstiftende Funktion zu.1363 Es war gegen die altgläubige Kirche gerichtet, in deren Farben der jeweilige Verfolgende gemalt wurde, auch wenn es sich bei diesem nicht um die römische Kirche handelte. Sie galt als die Christenverfolgerin schlechthin, weil und insofern feststand, dass der Papst die Gestalt des Antichrists verkörperte. Nun gab es aber auch im Protestantismus im 16. und frühen 17. Jahrhundert einen durchaus breiteren Strom von Dramen, die sich mit dem Thema des Martyriums befassten. In diesem wurden allerdings biblische Martyrien verarbeitet. Großer Beliebtheit erfreute sich die Geschichte Johannes des Täufers, deren Dramatisierungen in der Forschung schon länger Beachtung fanden.1364 Dieser Stoff wurde – abgesehen von der frühen Inszenierung 1361 Die Dramatisierungen des Endes des vormals protestantischen italienischen Juristen Francesco de Spiera waren nicht als Märtyrerdramen intendiert. 1362 Vgl. dazu Peter Burschel, Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit, München 2004, S. 51ff. 62ff. 1363 Vgl. a.a.O., S. 23f. 1364 Vgl. Wolfgang F. Michael, Forschungsbericht, S. 43. An älterer Literatur ist zu nennen: Ludwig Gombert, Johannes Aals Spiel von Johannes dem Täufer und die älteren Johannesdramen, Breslau 1908, der sich besonders dem altgläubigen Schweizer Dramatiker Aal widmet; Oskar Thulin, Johannes der Täufer im geistlichen Schauspiel des Mittelalters und der Reformationszeit, Leipzig 1929, und dazu die Rezension von Johannes Bolte, Deutsche Literaturzeitung 51 (1930),

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durch Hans Sachs – seit Mitte der 1540er Jahre in Dramen bearbeitet, durch Johann Krüginger 1545, Simon Gerengel 1553, Daniel Walther 1559, Ambrosius Lobwasser 1583, dieser abhängig von George Buchanans Stück aus dem Jahre 1577, und Johann Sanders 1588. Seit den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts zog daneben auch die Gestalt des Protomärtyrers Stephanus die Aufmerksamkeit protestantischer Dramenautoren auf sich – Dramen, die bislang noch keine Analyse erfahren haben.1365 Wenn diese im Folgenden untersucht werden sollen, spielen auch die Fragen mit hinein, die sich von der Gattung der Martyrologien her stellen: Inwieweit verfolgten die Verfasser den Zweck, mit ihren Dramen zur Identitätsstiftung und -sicherung des Protestantismus beizutragen, dadurch dass die Hörer sich mit dem Märtyrer Stephanus identifizierten? Inwieweit ging es den Autoren darum, den Adressaten das Selbstverständnis einer Leidensgemeinschaft zu vermitteln, die sich, weil ihr die göttliche Wahrheit anvertraut ist, zwangsläufig der Verfolgung durch die widergöttliche Macht ausgesetzt sieht?1366 Inwieweit wollten sie also eine Sinnstiftung des Leidens um des Glaubens willen bieten? Martyriumsgeschichten konfrontieren ihre Rezipienten mit der Erfahrung, dass die andere Seite, der nach dem eigenen Wertesystem das Falsche und Böse zugeordnet wird, einen zumindest äußerlichen Triumph verbuchen kann, die eigene Seite hingegen eine zumindest äußerliche Niederlage hinnehmen muss. Dies führt zu der Frage, welche Erfahrungen ein solches Drama in Bezug auf den Umgang mit der Differenzerfahrung, mit dem Sieg des Bösen, aufbewahren könnte. Dies leitet unmittelbar zu weiteren Fragen. Die protestantischen Stephanus-Dramen aus dem Untersuchungszeitraum entstammen einer relativ schmalen Zeitspanne von knapp dreißig Jahren von 1564 bis 1592, einer Zeit, in der nach dem Augsburger Religionsfrieden für die protestantischen Territorien in Deutschland zwar Rechtssicherheit geschaffen war, aber ein gewisser Druck infolge der ‚Gegenreformation‘ spürbar war – das Trienter Konzil war abgeschlossen, vor allem aber nahm das Wirken des Jesuitenordens zu. Es legt sich die Vermutung nahe, dass dieser Stoff nicht zufällig in dem genannten Zeitraum dramatisch ausgestaltet wurde, und damit stellt sich die Frage, ob und wie sich die beschriebene Situation in den Stephanus-Dramen widerspiegelt. Ist auch in ihnen der Verfolger die römische Kirche? Oder werden in den im Folgenden angeführten Dramen, Sp. 982–984. Den Stand der Forschung repräsentiert Michael Gebhardt in seiner Edition des Johannesspiels von Simon Gerengel: Simon Gerengel, Das Johannesspiel. Die schön euangelisch History von der enthauptung des heiligen Johannis des Tauffers, Innsbruck 2000, S. 41ff. – Zu Krügingers Johannes-Drama vgl. Siegfried Bräuer, „Seht, lieben Leut’, kehrt euch daran ...“, S. 87–94. 1365 Es verhält sich also nicht so, wie Jean-Marie Valentin, Les jésuites et le théâtre (1554–1680). Contribution à l’histoire culturelle du monde catholique dans le Saint-Empire romain germanique, Paris 2001, S. 186, zu vermitteln sucht, dass sich nur wenige Theologen und Dramatiker an das Genus Märtyrerdrama in der Zeit vor der Entstehung des jesuitischen Märtyrerdramas gewagt hätten. 1366 Vgl. a.a.O., S. 30.



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die sämtlich lutherischer Provenienz sind, auch die sich in dieser Zeit in einigen deutschen Territorien und Städten etablierenden Reformierten anvisiert? Luthers Deutung in der Hauspostille von 1544 ging auf die Altgläubigen: „Das man auß der Histori fein kan spüren, die Juden sind mit Stephano umbgangen, wie heuttigs tags die Papisten mit uns umbgehn.“1367 Es lag somit nahe, die verfolgenden jüdischen Obrigkeiten mit den die Protestanten bedrängenden altgläubigen Potentaten zu identifizieren und die Verfolger in Umrissen und Farben der römischen Kirche zu zeichnen. Diese Identifikation war zuvor auch in Dramen über den Täufer vollzogen worden: Daniel Walther und Simon Gerengel verglichen die Inhaftierung des Täufers mit dem Leiden jener Protestanten, die um ihres Glaubens willen verfolgt wurden.1368 So gilt es für die Stephanus-Dramen zu prüfen, ob und wenn ja welche Rolle die konfessionelle Polemik in den Stücken einnimmt und gegen wen sie sich richtet. Zu berücksichtigen bei der Interpretation ist jedoch auch und nicht zuletzt der zeitgenössische Antijudaismus. Nach James Parente wurde der Stephanus-Stoff von den Jesuiten nicht dramatisiert.1369 Johannes Müller listet nur eine Aufführung in Mainz aus dem Jahre 1602 auf.1370 Elida Maria Szarota notiert noch die Ingolstädter Perioche einer Komödie über den ‚H. Apostel Fürsten Paulus‘, seine Kindheit und seine Bekehrung aus dem Jahr 1631, in der das Martyrium des Stephanus behandelt wird.1371 Damit deutet sich an, dass der Stephanus-Stoff – im Gegensatz zum Johannes-Stoff – zu einem durchaus genuin protestantischen Stoff avancierte. Möglicherweise liegt dies auch daran, dass sich für die altgläubige Seite der Umgang mit einem predigenden Diakon schwierig gestaltete. Jean-Marie Valentin vermutet hingegen, dass die traditionelle Bezeichnung des Stephanus als Protomärtyrer die jesuitischen Autoren Zurückhaltung üben ließ, hielten sie doch Christus für den eigentlichen Protomärtyrer.1372 Dessen ungeachtet, bildeten die Märtyrerdramen einen erheblichen Schwerpunkt im Jesuitendrama, zumal deshalb weil der Orden selbst aufgrund seiner Missionstätigkeit zahlreiche Martyrien aufweisen konnte, aus denen sich auch das eigene Selbstbewusstsein und das Gefühl der zum Ziel gekommenen Erneuerung

1367 WA 52, 593,5ff. 1368 Vgl. James Parente, Martyr Drama of the German Renaissance, S. 101; vgl. S. 96. 1369 Vgl. a.a.O., S. 113. 1370 Vgl. Johannes Müller, Das Jesuitendrama in den Ländern deutscher Zunge vom Anfang (1555) bis zum Hochbarock (1665). Bd. II, Augsburg 1930, S. 126; vgl. Valentin, a.a.O., S. 189. 1371 Vgl. Elida Maria Szarota, Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Eine Periochenedition. Texte und Kommentare. Bd. III,1, München 1983, S. 143ff. Die Steinigung wird in Akt II Szene 4 vollzogen. Zuvor, in Szene 2, hat der Diakon ein Wunder vollbracht. – In Valentins Répertoire findet sich kein Hinweis auf ein Stephanus-Drama. 1372 Valentin, ebd. (Hervorhebung durch Valentin): „A la scène, l’histoire de la lapidation d’Etienne rapportée par les Actes n’est traitée qu’une seule fois: l’épithète de protomartyr ne pouvait s’appliquer qu’au fils de Dieu.“ Dabei könnte auch die Diktion des lukanischen Martyriumsberichts mit ihrer starken Nähe zum Passionsbericht eine Rolle spielen.

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der römischen Kirche speiste.1373 Auch von daher gilt es zu fragen, welche Tendenzen die protestantischen, genauer lutherischen Stephanus-Dramen als Märtyrerdramen kennzeichnen und wie sich das in ihnen zum Ausdruck kommende Martyriumsverständnis vom jesuitischen unterscheidet. Wie bei den Abraham-Dramen wird zunächst der Autor und sein Drama vorgestellt und im Anschluss nach der Intention des Stückes gefragt. Sodann wird analysiert, wie die Gestalt des Stephanus im Drama interpretiert wird, um zum Schluss zu betrachten, in welcher Weise die reformatorische Lehre aufgenommen und wiedergegeben wird. Der relativ schmale Zeitraum, in dem die Dramen entstanden sind, in Verbindung mit ihrer gleichzeitigen weiten geographischen und territorialen Streuung – von der Stadt Braunschweig mit ihren spezifischen Verhältnissen und den welfischen Landen über Thüringen bis zur Reichsstadt Augsburg – bietet die Gewähr dafür, dass die Dramen vergleichbar sind und sich tatsächlich repräsentative Aussagen ableiten lassen. Tatsächlich sind die Ähnlichkeiten zwischen den Dramen von nicht geringem Maße, ohne dass Abhängigkeiten zu statuieren wären. So tritt etwa in allen Stephanus-Dramen der Teufel auf. Damit aber ist schon der Raum der eigentlichen Interpretation betreten.

1. Michael Saxo [Sachse], Tragödie von Stephanus (1564) Eine SchÖne Tragedia / von Stephano dem heiligen marterer / Darinne klar angezeigt wird / wie sich die vndanckbare welt / gegen Gott / sein heiliges wort vnnd diener erzeigt / Gemacht durch Michaelem Saxonem Meringensem ludimoderatorem in Rembda (= Remda), [Weissenfels 1565] [Exemplar Wolfenbüttel] Michael Saxo bzw. Sachse wurde 1542 in Mehringen in Anhalt geboren.1374 1562 ist er als Lehrer und Stadtschreiber in Egeln belegt. Später wirkte er als Hofprediger in Gräfentonna. Wie der Titel erhellt, war Saxo zur Zeit der Abfassung der Tragödie von Stephanus Schulleiter in Remda bei Rudolstadt in Thüringen. Später Hofprediger bei Graf Georg II. von Gleichen-Tonna in Gräfentonna, wurde er 1590 zum Schlossprediger in Ohrdruf berufen. Seine Funktion als Beichtvater des Grafenhauses behielt er auch bei, als er von 1593 ab als Pfarrer in Wechmar bei Gotha wirkte, wo er 1618 verstarb. Saxo entwickelte eine rege, viele Fragen berührende schriftstellerische Tätigkeit.1375 Neben Predigten, Erbauungs- und seelsorglichen Schriften belegt sein ab 1593 in mehreren Teilen 1373 Vgl. Valentin, a.a.O., S. 190. 1374 Zur Vita Saxos vgl. das Thüringer Pfarrerbuch. Bd. 1: Herzogtum Gotha, Neustadt a.d. Aisch 1995, S. 574. 1375 Zu Saxos Werken s. VD 16, S 690–726 (I. Abteilung Bd. 17, S. 637–643). Einen Überblick über die wichtigsten Genera von Saxos Werken bietet Ernst Koch, Michael Sachs (1542–1618), in: Jürgen John (Hrg.), Kleinstaaten und Kultur in Thüringen vom 16. bis 20 Jahrhundert, Weimar u.a. 1994, S. 75–92.



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erschienenes Buch ‚Christlicher Zeitvertreiber oder Geistliches Rätselbuch‘ sein Interesse, den theologischen Laien auf spielerische Weise die Bibel nahe zu bringen, ihnen eine Art geistlicher Unterhaltung zu bieten, um so den Erfordernissen des prodesse wie des delectare in gleicher Weise Genüge zu leisten – analog der Zielsetzung des geistlichen Dramas.1376 Dieses überaus erfolgreiche Werk wurde mehrfach aufgelegt und auch ins Niederdeutsche, sogar ins Schwedische übertragen.1377 In Frageform gehalten, behandelt es die im Sinne des Verfassers wichtigsten Punkte der Bibel und verweist in der Antwort stets auf Bibelstellen.1378 Ein am Schluss beigegebener Brief Nikolaus Selneckers begrüßt dieses Werk. Die Widmungsrede gibt Zeugnis von der streng anticalvinistischen Haltung des Hofpredigers.1379 Auch als Liederdichter betätigte sich Saxo,1380 wozu allerdings bei Wackernagel keine Belege gefunden wurden. Titel gelehrter Literatur finden sich bei ihm hingegen nicht. Bis auf ein Glückwunschgedicht sind alle seine Schriften in deutscher Sprache abgefasst.1381 Die auffallend kurze ‚Tragödie von Stephanus‘, Saxos erstes Werk, besteht aus nur drei, in Szenen unterteilten Akten, deren Einteilung etwas willkürlich wirkt. Es treten mit den Rahmenfiguren 29 Personen auf.1382 Dem Drama vorgeschaltet ist eine Widmungsrede an Katharina Gräfin zu Schwarzburg; es handelt sich um Katharina Gräfin zu 1376 Christlicher zeituertreiber / oder Geistlich Retzelbuch / Darinn die allerlustigsten Fragen sampt darauff gestelter Antwort / verfasset sind / von Gott / von der SchÖpffung / von Engeln / Teufeln / Menschen / vnd von allen Creaturen vnd Erdgewechsen: Aus der heiligen Bibel zusammen gezogen / den einfeltigen vnd der Jugend gantz nÖtig / nÜtzlich vnd lieblich zulesen. Durch Michaelem Sachsen / Gl. Hoffprediger zu Thonna vnd Ohrdruff. Mit einer Vorrede D. Iohannis Galli / vnd anderer Gelerten commendation Schrifften, Leipzig 1593. Vgl. die Widmungsrede, A 8a: „Auch durch solche Christliche Vbung fein in die Bibel gejaget / vnd zu fleissiger nachsuchung angetrieben wÜrden / vnd also nicht alleine mit lust / sondern auch mit grossem Nutze vnd Besserung die zeit vertreiben lerneten vnd kÖndten.“ Zu diesem Werk vgl. ferner Ernst Koch, Michael Sachs, S. 83–85. 1377 Zu den Ausgaben des 16. Jahrhunderts (Leipzig 1593, 1595, Wittenberg 1596, Dresden 1597, Hamburg 1597) vgl. VD 16, S. 697–704. Vgl. Koch, a.a.O., S. 85. 1378 Geordnet ist es nach Gott, seinen Werken, Christus und der Erlösung, dem Hl. Geist und der Schöpfung. Auf letzterer liegt insgesamt ein größerer Schwerpunkt. Saxo befasst sich dort u.a. mit dem Wetter, Sonne und Mond, den Gliedern des menschlichen Leibes, der Frau, dem Kind, verschiedenen Tieren und ihrer Nutzung, der Pflanzenwelt und ihrer Nutzung, dem Bergbau, aber auch mit Engeln und Teufeln. Am Schluss behandelt er die Sünde und die Frage, wie man von ihr loskommt. 1379 Vgl. Saxo, a.a.O., A 8b–B 1a. 1380 Vgl. Wilhelm Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Dritter Band. Renaissance und Reformation, Halle a.S. 19232, S. 317f. 1381 Vgl. Koch, a.a.O., S. 78. 1382 Das Personenverzeichnis nennt als Rollen: Herolt; Argumentator; der Lahme; Petrus; Johannes; Ananias und seine Frau Saphira; deren Magd Phina; Josel und seine Frau Anna; ein Engel; der Narr Morio; ein Hauptmann; der Hohepriester; ein alter Jude; Hannas; Kaiphas; der Trabant Dorio, Knecht des Hauptmanns; Gamaliel; die beiden falschen Zeugen Colax und Abinad; Meister Hans;

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Schwarzburg-Blankenburg geborene Gräfin von Henneberg-Schleusingen. Vor Eintritt in die Handlung spricht zunächst der Herold einen Prolog, sodann folgt das Argumentum. Der Herold nennt als Thema des Dramas die Verachtung des göttlichen Wortes und die Verfolgung seiner Diener, Erscheinungen, die er auch und gerade in der gegenwärtigen Zeit im Schwange sieht.1383 Entsprechend steht schon unter dem Titel der Satz: „Wiltu wissen wie die schnÖde Welt Sich kegen Gott vnd sein Wort helt Dazu wie sie denselben ehrt Der sie vnterweiset vnd lehrt Lis dis BÜchlein mit allem vleis Es zeigt dir an jhr art vnd weis.“ Der Argumentator führt in das Thema ein, beginnend bei Schöpfung und Fall sowie Protevangelium bis zu Missionsbefehl, Geistausgießung und Verfolgung von jüdischer Seite. Das Argumentum schließt mit der Aufforderung an die Hörer, sich zu bekehren und das Wort Gottes nicht zu verachten.1384 Entgegen dem Titel, handelt das Drama nicht nur vom Geschick des Protomärtyrers, sondern bringt Begebenheiten aus Act 2 bis 7 auf die Bühne, bietet also eine Geschichte der Urgemeinde von der Zeit nach Pfingsten bis zum ersten Martyrium. Auch insofern Stephanus nur in vier der dreizehn Szenen auftritt, mutet es merkwürdig an, dass Saxo die Tragödie nach ihm benannt hat. Der erste Akt stellt in fünf Szenen Erzählungen aus der Apostelgeschichte von der Auferweckung des Lahmen (Act 3) bis zur Geschichte von Ananias und Saphira (Act 5) dar. Die erste Szene berichtet die Heilung durch Petrus und Johannes und eine sich anschließende Predigt des Johannes, der darin die Heilung auf den Glauben an Jesus Christus zurückführt; dieser Glaube allein bewirke auch die Seligkeit.1385 Die folgende Szene führt die Beratungen der jüdischen Autoritäten über die Christen vor. Beelzebub gelingt es, ihnen die Gefangenlegung der Apostel nahe zu legen.1386 Die dritte Szene zeigt die Vorführung des Petrus und des Johannes vor dem hohen Rat mit der Verhängung des Predigtverbotes. In der vierten Szene werden Johannes und andere Christen und ihr Gebet dargestellt. Die letzte Szene bietet zunächst eine längere Rede des Narren Morio mit aktuellen Bezügen, um dann die Gütergemeinschaft darzustellen, was schließlich in die Geschichte von Ananias und Saphira mündet. Ein Christ namens Josel stellt sein Geld den Aposteln zur Verfügung. Ananias würde gerne seinem Beispiel folgen, aber Saphira ist dagegen.1387 Petrus verkündet die Lehre aus der Schergenknecht; der Stadtknecht; Nicanor; Stephanus; Philippus; die beiden Teufel Beelzebub und Cacobalas. 1383 Vgl. Saxo, Tragödie von Stephanus, B IIIb. – Wenn Creizenach, a.a.O., S. 305, meint, im Prolog halte der Narr den lauen Christen eine energische Strafpredigt, wobei Saxo genau diesen Umstand vergessen habe, dass der Narr hier rede, so liegt wohl eine Verwechslung mit Akt I Szene 5 vor: Dort spricht der Narr Morio und hält in der Tat eine derartige Strafpredigt. Vgl. den gleichen Fehler, a.a.O., S. 312 Anm. 1. Richtig ist gleichwohl, dass auch der im Prolog sprechende Herold mit zeitkritischen Bemerkungen hervortritt. 1384 Vgl. Saxo, a.a.O., B IIIIb–VIIa. 1385 In Act 3 wird die das Geschehen deutende Predigt allerdings von Petrus gehalten. 1386 Beelzebub wird mit einem Blasebalg dargestellt, mit dem er die bösen Gedanken einflößt; vgl. Creizenach, a.a.O., S. 306. 1387 Die Teufel schleppen am Ende ihre Leiche weg; vgl. dazu Creizenach, a.a.O., S. 305.



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dieser Begebenheit, dass man Gott nicht verachten solle; er lasse sich nicht spotten. Er schließt mit dem Aufruf zur Buße. Im zweiten, aus fünf Szenen bestehenden Akt werden die Begebenheiten von der Befreiung des Petrus und des Johannes (Act 5) über deren Verhör und Züchtigung (ebd.), die Wahl der Diakone (Act 6) bis zum Beginn der Streitigkeiten um Stephanus auf die Bühne gebracht. Dieser Akt, so könnte man sagen, hat die wachsende Eskalation zum Thema. Die erste Szene zeigt Gefangenschaft und Befreiung der Apostel, die zweite die Entdeckung der Flucht und die daraus gezogenen Konsequenzen. In der dritten Szene wird das Verhör, die Apologie des Petrus, die Rede des Gamaliel und die Züchtigung der Apostel dargestellt. In der vierten Szene wird die Wahl der Diakone und deren Ordination geboten.1388 Die letzte Szene führt eine Predigt des Stephanus vor, die in dieser Form über den biblischen Text hinausgeht und den Anlass für das Einschreiten der jüdischen Behörden gegen den Diakon schafft. Die Predigt handelt von Christus, dem alleinigen Mittler, von der Rolle der Werke, des Gesetzes und des Glaubens. Die Szene endet mit einem Verhör des Stephanus, der das Schlusswort spricht. Der dritte Akt mit nur drei Szenen ist ausschließlich dem Geschick des Stephanus nach Act 6–7 gewidmet. Die erste Szene führt den Prozess, die zweite die Verurteilung und Steinigung vor. In der dritten Szene wird dargestellt, wie der Teufel, der sich zunächst erfreut über den Tod des Stephanus zeigt, mit einem Engel um die Seele des Märtyrers streitet. Diesen Kampf kann der Engel für sich entscheiden. Die Handlung schließt damit, dass Philippus und Josel den Leib des Märtyrers wegtragen. Eine Conclusio am Ende des Dramas fasst die Lehren des Stückes zusammen.1389 Grob gesehen, spiegelt das Drama so das Schema des Donatus mit der einleitenden Protasis, der die Verwicklung darstellenden Epitasis, in der es zu wachsender Konfrontation mit der jüdischen Seite kommt, in die schließlich auch Stephanus involviert wird, und der die Lösung bietenden Catastrophe.

Überlegungen, was die allgemeine Intention der Aufführung eines geistlichen Dramas ist, bietet Saxo in keinem Teil des Dramas. Auf die Eigenheiten eines geistlichen Dramas als Drama geht er nicht ein. Auffallend ist, dass die unter dem Titel gedruckte Notiz nur auf das Lesen des „BÜchlein(s)“ eingeht. Offensichtlich ist also mit dem Druck nur eine literarische Wirkung intendiert.1390 Das Hauptthema der Tragödie von Stephanus wird bereits in dem unter dem Titel gedruckten Satz offengelegt: Es geht Saxo grundsätzlich um das Verhältnis der Welt zu Gott und zu seinem Wort sowie zu dessen Verkündigern. Dabei wird schon im Titel die Welt als undankbar gegenüber Gott, seinem Wort und den Predigern qualifiziert. Entspre1388 Saxo entschuldigt, dass nicht die Ordination aller sieben Diakone gezeigt wird, sondern nur die von Stephanus und Philippus (Akt II Szene 4, E VIaff), da sonst zu viele Personen auftreten würden. Die Bemerkung zeigt die – für protestantische Dramen typische – Bemühung Saxos um Schriftgemäßheit; vgl. Creizenach, a.a.O., S. 316. 1389 Vgl. a.a.O., G IIIIb–VIb. 1390 Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 106, schreibt zu Saxos Drama: „Die dramatische Form war offenbar so populär geworden, daß man sie nutzte, auch wenn man gar nicht an die Bühne dachte.“

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chend legt der Herold im Prolog dar, Thema des Dramas sei die Verachtung des göttlichen Wortes und, daraus folgend, die Verfolgung der Diener, deren Auftrag es sei, dieses Wort zu verkündigen.1391 Diese Äußerungen erinnern an Luthers Auslegung der Geschichte in der Hauspostille von 1544, in der dieser von der Steinigung des Stephanus feststellt, so lohne die Welt den treuen Knechten und Dienern Christi.1392 Die Verachtung des göttlichen Wortes stellt nach den Worten des Herolds in der Gegenwart ein erhebliches Problem dar. Er spricht sogar davon, dass Christus heute mehr gekreuzigt werde als damals und konkretisiert dies mit den Sünden des Fluchens und der Begierde nach zeitlichen Gütern und zeitlicher Pracht.1393 Dass die Verkündigung des Gotteswortes durch die Prediger von den Adressaten nicht ernst genommen werde, zeige sich am Urteil der Menschen über die Darstellungen des Bösen und des Gerichtes in den Predigten. Diese würden von den Hörern als deutlich übertrieben empfunden. Der Herold zitiert jene, die in seinen Augen Toren sind: „Sie dÜrffen nochwol sprechn die thorn [„]Ho die hell ist lang so heis nit Als sie der Pfaffe machen thut / Der Teuffel auch lang nit so schwartz Als man jhn malt / ist nur ein schertz Jch wil doch thun was mir behagt Gott geb was auch der Pfaffe sagt[“].“1394 Aus diesen Aussagen wird vielerlei deutlich: Einerseits scheint in den Augen Saxos die durch die Prediger vermittelte Botschaft, zumal die Gesetzes- und Bußpredigt, keine Wirkung zu zeitigen, andererseits waren offenkundig die überkommenen eschatologischen Vorstellungen und die Auffassungen vom Bösen nicht mehr wirklich vermittelbar. Das Tun, zumindest der durchschnittlichen Menschen wird von diesen als nicht so schlecht wahrgenommen, dass es einer massiven Strafe würdig wäre, oder anders formuliert: Gott wird nicht mehr als ein solcher gesehen, der dieses Tun des durchschnittlichen Menschen als radikal böse bewertet und entsprechend massiv bestraft. Suggeriert wird damit auch, die ‚Pfaffen‘ würden den Menschen täuschen, ihn bewusst schlecht machen und das göttliche Gericht um so drastischer ausmalen – wohl um die Menschen als ihrer Verkündigung und Absolution bedürftig erscheinen zu lassen. Das Sündenbewusstsein hat demnach nachgelassen. Zugleich wird ein Verlangen nach Autonomie sichtbar, das sich nicht mehr fremdbestimmen lassen will. Es ist die Frage, welche Ursachen diese Denkmuster haben. Sicher wird man das neuzeitliche Streben nach Autonomie namhaft machen, das allerdings ohne Zweifel durch den Katalysator der Reformation verstärkt wurde. Im Hintergrund könnte somit eine Vulgarisierung reformatorischen Denkens stehen, wonach Gott eo ipso, unter allen Umständen gnädig ist und es für den Menschen in jedem Fall zu einem guten Ende kommen muss. Auf der anderen Seite geht die hier skizzierte Haltung aber auch davon aus, dass das durchaus als vorhanden gesehene Böse des Menschen bestraft wird, allerdings

1391 Vgl. Saxo, Prolog, B IIIb; vgl. ferner das Argumentum, B VIb–VIIa: Die Welt ist undankbar gegen Gottes Wohltat und verachtet das Wort Gottes, sie verachtet das Wort samt den Predigern. 1392 Vgl. WA 52, 595,5f. 1393 Vgl. Saxo, Prolog, B IIIIa. 1394 Ebd.



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im ‚Normalfall‘ nicht so gravierend, wie es die Prediger ausmalen. Saxo selbst macht aber nicht die reformatorische Botschaft verantwortlich für die von ihm beklagten Missstände. Der Narr Morio greift in Akt I Szene 5 diese Beurteilung der Gegenwartssituation auf und nimmt die positive Schilderung der Urgemeinde in Act zum Anlass, dieser die gegenwärtige, von der Reformation geprägte Kirche gegenüberzustellen. Die jetzigen Zustände seien den damaligen völlig konträr: Die Glieder der Urgemeinde waren trotz Verfolgung eins, was sich auch darin manifestierte, dass einer dem anderen aushalf, sie wagten Leib und Leben und unterstellten sich dem Schutz Gottes.1395 Zwar würden sich heute alle ‚Christen‘ nennen, aber es seien in Wirklichkeit Scheinchristen. Sie gingen lieber ins Wirtshaus als in die Kirche – trotz der Reformation. Von den Gliedern der Urgemeinde hingegen könne man sagen: „Seind nicht wie vnser Euangelsch Jch solt wol sagen eigenwilsch Welche vnter eim falschen schein Allesam wollen Christen sein Sprechen sie haben Gottes Wort Nun in die viertzig jar gehort. Ja recht: sag aber einer frey? Han sie sich auch gbessert dabey Nein zwar: sondern der meiste theil Geht noch jmmer am alten Seil Lest die Kirche wol Kirche sein Geht lieber zum Bier oder Wein ...“1396

Er fährt, zunächst unter Aufnahme des Gleichnisses vom königlichen Mahl, fort, die Menschen trachteten lieber nach irdischem Gut statt nach dem ewigen und statt dem Armen zu helfen: Niemand denke daran, dass er einmal Rechenschaft geben müsse. Und wenn diese Menschen doch in die Kirche kämen, schliefen sie noch und achteten nicht auf das Wort Gottes.1397 Mit seiner kuriosen Deutung des Begriffs ‚evangelisch‘ vollzieht der Narr die Deutung der Situation: Die Ursache für die Zustände erkennt er im Eigenwillen der Menschen. Offensichtlich hätten sie diesen mit ‚evangelisch sein‘ verwechselt. Aus den Sätzen des Narrs leuchtet die tiefe Enttäuschung des etwas mehr als eine Generation nach Aufkommen und Ausbreitung der Reformation auf diese zurückblickenden – das Drama gibt deutlich das Bewusstsein des Abstands zur Zeit der Reformation zu erkennen – Saxo darüber hervor, dass die Reformation nicht zu einer Besserung des Lebens geführt hat. Eine derart heftige Kritik an den Kirchengliedern, an den Zeitgenossen, die sich als Christen und Evangelische verstehen, die für Saxo aber nur Scheinchristen sind, die ihren Eigenwillen vertreten und denen er ihr Evangelisch-Sein abspricht, ist ohne Zweifel erstaunlich. Der Schulleiter greift damit die Menschen seines Ortes massiv an, wenn auch nicht in eigener Person, sondern hinter der Gestalt des Herolds und des Narren Morio. Aufgrund dieser Situation, in der der Eigenwille konträr zur kirchlichen Verkündigung steht, erhellt auch, warum die Prediger sich keines Ansehens erfreuen. Sie reden von der Sünde und betrachten es als ihre Aufgabe, den Menschen konkret ihre Vergehen aufzuzeigen, womit sie zwangsläufig Kritik an ihrer Lebensführung üben. Wie Saxo in der Wid1395 Vgl. Akt I Szene 5, D IIb–IIIa. 1396 A.a.O., D IIIa. 1397 Vgl. a.a.O., D IIIb.

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mungsrede ausführt, denke jeder nur an seinen Bauch, an Geld und Gut und kümmere sich weder um Gott noch um seinen Nächsten. Darum aber verfolge man die Prediger, jedenfalls diejenigen, die ihr Amt recht führten, „... sÜnd vnd laster nicht allein in genere sondern auch in specie straffen vnd die vnbusfertigen teuffels kinder excommuniciren nach dem befehl des herrn Christi Matth: 18. vnnd nach dem exempel des heiligen Pauli 1 cor: 5.“1398 Diese Prediger, die ihrem Auftrag gemäß Kirchenzucht üben und damit Saxos Bild vom rechten Prediger entsprechen, erfreuen sich, was nicht überraschen kann, keiner sonderlichen Beliebtheit bei den ihnen anvertrauten Menschen. Sie würden geschmäht und geplagt, wie Saxo feststellt.1399 Nicht ungeschickt verleiht der Schulmeister in diesem Zusammenhang in seiner an die Gräfin Katharina gerichteten Widmungsrede auf implizite Weise auch seiner Bitte an die Obrigkeit um Schutz der Diener des Wortes Ausdruck. Die Fürstin, so die captatio benevolentiae, habe – im Gegensatz zu den Verächtern des Wortes – in Erfüllung ihres gottgegebenen Auftrags die Kirchen und Schulen versorgt und den Predigern ihren Beistand erwiesen.1400 Aus dem allem wird die erste Intention Saxos deutlich: Er sucht die Hörer und Leser seines Dramas zum Ernstnehmen des Wortes Gottes zu bringen und damit auch zur Ehrfurcht vor den ministri verbi zu bewegen. Letzteres scheint e contrario durch, insofern Saxo deutlich den Umgang mit den Predigern beklagt. Da das Wort Gottes nur durch die berufenen Diener verkündet werden kann, gilt die Achtung auch diesen selbst. Im Argumentum bringt er seinen Vorsatz auf den Punkt: „DarÜmb bekert euch doch zu Gott Last euch sein Wort nicht sein ein spot Ach fart nicht so in sunden fort Ach verachtet nicht Gottes wort Ach hÖrts vleissigk / bessert ewr leben So wirt euch Gott ewr SÜnd vergebn.“1401 Es folgt, Ez 33,11 aufnehmend, die Aussage, dass Gott nicht den Tod des Sünders wolle, sondern dass er lebe, indem er sich bekehre. In der Handlung konkretisiert wird das Anliegen, dass die Hörer bzw. Leser ihr Leben bessern sollen, zum einen in der dargestellten Geschichte von Ananias und Saphira, aus der Petrus das Fazit zieht: „Da seht jhr lieben freunde wol Das man Gott nicht verachten sol Darumb thut buss / das ist das best / Furwar Gott sein nicht spotten lest.“1402 In ähnlicher Richtung mahnt Johannes, nicht wissentlich zu sündigen und Gott nicht zu versuchen.1403 Zum andern wird die Absicht, die Menschen von der Verachtung des Wortes Gottes und seiner Verkündiger wegzuführen, aus der Vorführung der Verfolgung der Apostel abgeleitet. So warnt Meister Hans, der Petrus und Johannes gezüchtigt hatte (Act 5,40), sie sollten sich hüten, noch einmal an diesem Ort zu predigen, „Den wer den Herrn

1398 Widmungsrede, a.a.O., A VIIIb. 1399 Vgl. a.a.O., B Ia. 1400 Vgl. a.a.O., B Ib. 1401 Argumentum, B VIIa. 1402 Akt I Szene 5, D VIa. 1403 Vgl. a.a.O., D VIIa.



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die warheit sagt Der wirdt gar baldt von jn verjagt.“1404 Auch an Kaiphas, der die Predigt von Christus verbietet, obwohl er weiß, dass die Auferstehung wahr ist, wird deutlich, dass die jüdischen Oberen und ihre Gehilfen wider besseres Wissen, mit bösem Willen sündigen.1405 Darin sind sie den Verächtern des Gotteswortes in der Gegenwart gleich, mit denen sie so parallel gesetzt werden.1406 Des Weiteren tritt diese Hauptintention in der Conclusio zu Tage. Die Zuhörer bzw Leser werden aufgefordert, das Gute mit nach Haus zu tragen und das Leben zu bessern.1407 Zugespitzt wird dies besonders auf den Umgang mit irdischen Gütern. Man solle nicht nach zeitlicher Wollust trachten. Mit Gut der Welt könne man keine Seele erlösen, vielmehr solle man das ewige Gut ergreifen.1408 Die Conclusio schließt mit einer Warnung vor dem Gericht: Die Gottlosen müssen, weil sie Gott und sein Wort verachtet haben, zu Boden gehen und ewig in der Hölle verbleiben.1409 Die Drohung mit dem Gericht vermag auf den ersten Blick überraschen, fand doch diese mit der Beschreibung der Höllenqualen bei den Predigthörern mehr Spott als Anklang. Allerdings ist für Saxo mit dieser Reaktion der Gerichtsgedanke auf keinen Fall erledigt. Die negative Reaktion der Hörer macht die Botschaft nicht unwahr. Im Gegenteil, so könnte man Saxos Auffassung wiedergeben, die Reaktion zeigt, dass die Verkündigung des Gerichts um so dringlicher ist. Mit der einen Hauptintention, zur Annahme des Wortes Gottes und zur Buße zu motivieren, hängt die zweite Hauptintention zusammen. Saxo möchte den Predigern – angesichts des geringen Erfolges ihrer Predigt und der ihnen widerfahrenden Verachtung –, aber auch allen Christen, die durch das Gebaren derer, die Gottes Wort verachten, angefochten sind, Tröstung zukommen lassen. Diese Absicht benennt er vor allem in der Widmungsrede und in der Conclusio. Stets ist diese Tröstung verbunden mit dem Appell, die gegebene Situation durchzustehen und im Glauben sowie in der rechten Amtsführung zu beharren. Besonders deutlich wird dies an den Ausführungen der Conclusio. Saxo setzt hier mit einer Ermahnung der Hörer bzw. Leser ein, sie sollten Gott um Beistand bitten, dass er sie nicht straucheln lasse. Auch ihnen könne es so wie den Christen, den Aposteln und Stephanus in der dargestellten Geschichte ergehen, wenn sie das göttliche Wort bekennen, lehren oder hören.1410 So könnten sie sich in der Anfechtung trösten.1411 Im Folgenden wendet er sich der Frage nach dem Sinn eines solchen Leidens zu, wobei er zu einer rationalisierenden Pädagogik gelangt. Wer Christus recht dienen wolle, müsse viel Verfolgung leiden und versucht werden, damit er nicht im Glauben erkalte, sondern sich 1404 Akt II Szene 3, E Vb. 1405 Vgl. Akt I Szene 3, C Va. 1406 Im Fall der Verfolgung des Stephanus erscheint das genannte Anliegen hingegen auffallenderweise nicht. 1407 Conclusio, G IIIIb: „Das gut mit euch tragen zu hauss Ewr leben auch fein bessern draus.“ 1408 Vgl. a.a.O., G IIIIb–Va. 1409 Vgl. a.a.O., G VIa–b. 1410 Vgl. a.a.O., G Va. 1411 Ebd.: „Auff das wann sich anfechtung findt Jhr euch selber fein trÖsten kÖndt.“

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weiter zu Gott halte.1412 Er fordert die Adressaten auf, auf diesem Hintergrund zu lernen, im Kreuz geduldig zu sein; der Mensch habe das Kreuz so nötig wie das tägliche Brot.1413 Ein erster Trost besteht demnach darin, dass jene Leidenssituation und die mit ihr gegebene Anfechtung von Gott selbst gesandt wird – nicht von anderen Mächten – und dass ihr von diesem eine Absicht beigegeben ist. Darüber hinaus aber gibt es auch im Leiden bzw. in der Anfechtung einen göttlichen Trost. So gelte, es sich vor Augen zu halten, dass das irdische Leiden in keinem Verhältnis zur himmlischen Herrlichkeit stehe und dass Gott nicht über das Maß des Erträglichen versuche.1414 In diesem Zusammenhang verweist Saxo auf das im Drama dargestellte Widerfahrnis des Petrus und des Johannes, aus dem man lernen solle, dass Gott den Seinen in der Not beistehe und der Teufel und die Welt ihnen ohne Gottes Einwilligung nicht schaden könnten.1415 Dass Saxo zur Erläuterung dieser göttlichen Trostverheißung auf eine, in eine Befreiung mündende, positiv ausgehende Geschichte zurückgreift, macht wiederum das Problem der Differenzerfahrung deutlich. Die Stephanus-Geschichte konnte er von sich aus schlecht heranziehen, endet sie doch mit dem Tode des Predigers und scheint den Sieg des Bösen zu dokumentieren. Aus diesem Grund forciert er einen positiven Ausgang auch dieser Geschichte: Der Engel vertreibt den Teufel und verdeutlicht den Zuhörenden, dass die Seele des Gesteinigten zu Gott gehört. Die Christen sollen aber auch, wie Saxo zu bedenken gibt, der im Falle ihres Abfalls ihnen drohenden Höllenqualen eingedenk sein.1416 Die himmlische Herrlichkeit als Ziel wie auch die Qualen der Hölle als unbedingt zu Vermeidendes bilden so ein Motiv, das einen Anreiz zum Beharren im Glauben bieten soll. Mit dieser Bemerkung schlägt Saxo eine Brücke zu seiner ersten Intention, zur Buße aufzurufen. Dahinter steht der Gedanke, dass auch diejenigen, die fest im göttlichen Wort und im Glauben verankert zu sein scheinen, in der Anfechtung fallen können. Die letzte und wirkliche Tröstung ist so nur in Gott selbst zu finden, im Vertrauen auf ihn und nicht in rationalisierenden Überlegungen: „Vertrawet nur dem lieben Gott Der wirdt euch rettn aus aller nodt Er ist vnd heist allein der man Der vns aus nÖten helffen kan Er weis gar wol die rechte zeit Vns zu erlÖsen aus dem streit.“1417 So bleibt über allem die Aufforderung, sich auf Gott allein zu verlassen, der allein derjenige sei, der die Not wenden könne. Er habe, so Saxo, die Macht dazu, während die Welt und der Teufel über keine wirkliche Macht verfügten und trotz aller Machtgebärden am Ende nur Marionetten seien. Aufgrund seiner Güte und Liebe habe er aber auch den Willen dazu. Die höchste Tröstung besteht so in Gott selbst, von dem fest 1412 Vgl. a.a.O., G Va–b. 1413 Vgl. a.a.O., G Vb. 1414 Vgl. ebd. 1415 Vgl. a.a.O., G VIa: „Da sollet jr fein lernen draus Das der ewige gÜtig Gott Den seinen beysteht in der nodt Das jn der Teuffel vnd die Welt Nichts schaden kÖnn wo es Gott nit gfelt.“ 1416 Vgl. ebd. Man soll das Kreuz geduldig tragen: „Gedenckt wie heis die helle wer ...“ 1417 Ebd.



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zu glauben ist, dass er zu Gunsten der Seinen eingreifen wird. Dazu möchte Saxo seine Leser und Hörer führen. In der Widmungsrede bietet Saxo nichts wesentlich darüber Hinausgehendes. Hier geht er aber kurz besonders auf die Prediger als diejenigen ein, die vorrangig die Verachtung zu tragen hätten, wiewohl dies von allen Glaubenden, die Christus recht dienen, gelte. Als Tröstung formuliert Saxo, alle Glaubenden, die im Leiden gehorsam waren, würden gerettet werden.1418 Wie in der Conclusio verbindet er ebenso an dieser Stelle das Anliegen der Tröstung mit demjenigen, zum Durchhalten im Gehorsam zu motivieren. Von den in der Verachtung oder Verfolgung getreuen Lehrern im Speziellen äußert Saxo in Aufnahme des als dictum probans für die Auferstehung herangezogenen Verses Dan 12,3, sie „ ... werden leuchten wie des Himmels glantz vnd die so viel zur gerechtigkeit gewiesen haben / wie die stern jmer vnd ewiglich Dan. 12.“1419 Ob und inwieweit Saxo damit eine eschatologische Sonderstellung des Lehrstandes andeuten möchte, muss offen bleiben. Über den zitierten Vers hinaus deutet nichts in diese Richtung.1420 In der eigentlichen Handlung spiegelt sich dieses Anliegen der Tröstung wider, zum einen in der Befreiung der Apostel durch den Engel (Act 5,19ff),1421 aber auch – über den biblischen Text hinaus – in der offenbarwerdenden Angst des Hohenpriesters vor Bekanntwerden dieser Flucht in der Öffentlichkeit,1422 was letztlich seine Ohnmacht anzeigen würde. Im Falle des Stephanus unterstützen zunächst seine Vision1423 (Act 7,55f.) sowie sein Gebet im Sterben1424 (Act 7,59f.) die Funktion des Dramas, angefochtenen oder verachteten Christen Trost und Stärkung zu geben. Ein weiteres von Saxo zum biblischen Prätext hinzugefügtes Element in dieser Richtung bildet, neben dem schon erwähnten Motiv der Angst des Hohenpriesters, die Schlussszene, in der ein Engel und der über den Tod des Stephanus sich erfreut zeigende Teufel um die Seele des Märtyrers streiten. Dem Engel gelingt es, den Teufel zu vertreiben. Dieser, so der Engel, habe keinen Teil an der Seele Stephanus’, denn Christus habe sie erlöst.1425 Er folgert weiter: „Also das du seiner Gleubgen schar Nicht krÜmmen kanst / ein einges har On sein willen vnd verhengnis Ob du sie gleich bringst ins gefengnis / Jn angest / vnglÜck hon vnd spot Auch offt dazu in Todes nodt.“1426 Mit diesen Worten bekräftigt der Engel, was kurz darauf in der Conclusio festgestellt wird: dass weder der Teufel noch eine andere Macht – die letztlich nur vom

1418 Vgl. Widmungsrede, B Ia. 1419 Ebd. 1420 Dieser Gedanke wäre katholisierend: Den Lehrern käme aufgrund ihres – höheren – Verdienstes ein größerer Lohn zu. 1421 Vgl. Akt II Szene 1, D VIIb–VIIIb. 1422 Vgl. Akt II Szene 2, E Ib. 1423 Vgl. Akt III Szene 1, F VIIb. Vgl. dazu Luthers Auslegung der Geschichte, WA 52, 593f. 1424 Vgl. Saxo, Stephanus, Akt III Szene 2, F VIIIaff. 1425 Vgl. Akt III Szene 3, G IIIa. 1426 A.a.O., G IIIb.

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Teufel angestiftet sein und nicht aus eigener Vollmacht handeln kann1427 – der Seele eines zu Gott gehörenden Menschen etwas anhaben kann. Auch der Teufel ist in der Hand Gottes, ohne dessen Willen er nichts zu vollführen vermag. Mit der Schlussszene gelingt es Saxo ebenso, die mit dem Tod dieser Hauptfigur aufkommende Frage nach dem Trost angesichts des Todes aufzunehmen. Die Seele des Toten gehört zu Gott, sie ist für die Mächte des Bösen unantastbar und unverletzlich. Wie erwähnt, gehört zum Anliegen der Tröstung auch umgekehrt der Appell an die Glaubenden, im Glauben zu beharren. Auch dies bringt die Handlung zum Ausdruck, nicht als Appell, sondern als dargestellte Geschichte. So lässt der Apostel Petrus sich durch die Drohungen gegen ihn nicht dazu bewegen, von der Verkündigung Jesu Christi abzulassen. Das ihm auferlegte Predigtverbot kritisiert er schon, als es erlassen wird: „O lieben Herrn das kan nicht sein Wolt eh verliern das leben mein Eh ich verleugne Gottes wort Das ich erkant hab vnd gehort.“1428 Und darauf ruft er seinen Grundsatz aus, dass man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen (Act 4,19), den er (gemäß Act 5,29) in Akt II Szene 3 erneut vor dem Hohenpriester vorbringt.1429 In gleicher Weise hält Stephanus seinen Glauben und seinen ihm erteilten Auftrag durch und fällt in Verhör und Prozess nicht ab, auch nicht, als er gesteinigt wird. Aus all diesem spricht eine starke Binnenorientierung. Saxo wendet sich mit seinem Drama an die Menschen in seinem Umfeld. Darin ruft er diejenigen, die in seinen Augen das Wort Gottes verachten, zur Umkehr und zur Umsetzung dieses Wortes in ihrem Leben auf. Die anderen, die in seiner Sichtweise rechten Prediger und jene Christen, die versuchen, nach dem göttlichen Wort zu leben, versucht er zu stärken, zum einen durch den Hinweis auf die im Leiden verborgene göttliche Pädagogik sowie das endliche Eingreifen Gottes zu Gunsten der Seinen, zum andern durch den Appell sich trotz Verachtung oder Verfolgung in Geduld zu üben und durchzuhalten. Beiden Hauptintentionen zugrunde liegt eine Parallelisierung: zum einen der Verfolger aus der Apostelgeschichte mit den Verächtern der Botschaft in der Gegenwart, zum andern der Verfolgten der (vom Narren Morio gerühmten) Urgemeinde mit den zu Zeiten des Autors samt ihrer Botschaft verschmähten ministri verbi und den sich an dieser orientierenden Menschen. Eine weitere darin liegende stillschweigende Voraussetzung ist der Gedanke, dass das Wort Gottes und seine Verkündiger zwangsläufig Geringschätzung und Verfolgung erleiden oder versucht werden, wohinter letztlich die Aktivität des Teufels zu erkennen ist. Dieser verhindert durch sein verblendendes Handeln auch die Erkenntnis der Sünde und der aus ihr folgenden Strafen.1430 Neben diesen beiden, das Drama dominierenden Hauptintentionen bietet Saxo noch eine Nebenintention. Aus den Äußerungen der Apostel und des Stephanus durch die 1427 Vgl. Akt I Szene 2, C IIbff. 1428 Akt I Szene 3, C VIIIa. 1429 Vgl. Akt II Szene 3, E IIb. 1430 Vgl. Argumentum, B VIIa.



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gesamte Handlung hindurch spricht – über die im Text der Act sich findenden Aussagen hinaus – die reformatorische Lehre, die der Verfasser seinen Hörern bzw. Lesern auf diese Weise einprägen will. Darüber hinaus findet sie sich in der Widmungsrede, zu deren Wesen es freilich gehört, die Orthodoxie des Autors zum Ausdruck zu bringen. Die Präsenz reformatorischer Topoi vom Anfang bis zum Ende der Handlung, deren Fülle sowie in diesem Zusammenhang erscheinende Elemente konfessioneller Polemik, das alles spricht jedoch dafür, hier ein besonderes Anliegen Saxos zu erkennen; dies wird weiter unten dargestellt und analysiert. Stephanus tritt erst ab der vierten Szene des zweiten Aktes und dadurch nur in vier von insgesamt dreizehn Szenen auf. In diesen Szenen tritt er nach seiner Wahl und Einsetzung in zwei Szenen ausschließlich als Prediger in Erscheinung. Über den in Act 7 gegebenen Wortlaut hinaus deutet er das Alte Testament auf Christus hin, indem er den Verkauf des Erzvaters Joseph mit dem Verrat Jesu durch Judas parallelisiert.1431 Das eigentliche Proprium seiner Predigt ist aber in der reformatorischen Lehre zu erkennen, in der er sich als ganz verortet erweist. So legt er die Funktion des Gesetzes dar und stellt dabei den usus elenchticus als zentralen Gebrauch heraus.1432 Ebenso führt er aus, dass den Werken in der Rechtfertigung keinerlei Bedeutung zukommt.1433 Statt dessen verweist er auf Christus und den Glauben: Die Erlösung des Menschen erfolge allein durch Christus, wobei allein der Glaube gerecht mache. Aus diesem Glauben aber gingen gute Werke als Früchte hervor.1434 Am nächsten kommt die Stephanus-Predigt Saxos der lukanischen StephanusPredigt noch in der Aussage, dass seine Gegner und die Väter das Gesetz nicht gehalten hätten,1435 allerdings vertritt Stephanus im Drama die Auffassung, dass kein Mensch das Gesetz erfüllen könne und es keinen Heilsweg darstelle, sondern als solches aufgehoben sei.1436 Die Gestalt des Stephanus ist aufgrund der Struktur des Dramas nicht die unbestrittene Hauptfigur, sie ist dies nur eingeschränkt mit Petrus und Johannes zusammen. Wie in allen Stephanus-Dramen dient die Gestalt des Protomärtyrers dem Propagieren von Beharrungsvermögen und Geduld in der Verfolgung. Dies wird allerdings nicht in besonderer Weise herausgearbeitet. Stephanus bleibt bei seiner Lehre, ohne dass er außerordentliche oder grundsätzliche Aussagen – wie Petrus – formulierte. Von der Darstellung der Predigt des Stephanus abgesehen, folgt Saxo dem biblischen Bericht der StephanusGeschichte und fügt keinerlei Elemente hinzu. Auch daran ist zu erkennen, dass ihn an Stephanus offensichtlich insbesondere die diesem in den Mund gelegte reformatorische Lehre interessiert; mit dieser identifiziert er ihn geradezu. Überhaupt wirkt das ganze 1431 Vgl. Akt III Szene 1, F IIIb. 1432 Vgl. Akt II Szene 5, E VIIIa. 1433 Vgl. a.a.O., E VIIb–VIIIa. 1434 Vgl. a.a.O., E VIIIa. 1435 Vgl. Act 7,39.53 mit Saxo, Stephanus, Akt III Szene 1, F VIa. VIIa. 1436 Vgl. die Aussagen in Akt II Szene 5, E VIIIa.

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Drama im Grunde wie eine bloße, überzeitliche Darstellung der reformatorischen Lehre. Die Geschichte von Stephanus ist in diesem Drama zwar nicht nivelliert, aber doch eingeordnet in die Geschichte der Urgemeinde, die selbst wiederum lediglich die – in sie eingetragene – reformatorische Lehre reproduziert. Dahinter steht das Geschichtsbild der lutherischen Theologie, mit dem aufzuweisen versucht wird, dass die reformatorische Lehre keine Neuerung, sondern in der christlichen Gemeinde von Anfang an und damit in der Urgemeinde vorhanden war, bis es unter dem Papsttum zu ihrer Unterdrückung und endlich zu ihrer Wiederentdeckung durch Luther kam.1437 Insgesamt ergibt sich, dass Stephanus als eigener Charakter nicht in den Blick kommt. So kann er auch nicht wirklich als Identifikationsfigur dienen: Gerade durch seine Übergeschichtlichkeit, aber ebenso durch das Fehlen menschlicher Emotionen ist er zu weit entfernt von den Hörern und Lesern. Hinzu kommt seine Beiordnung zu den Aposteln, von denen allerdings das Gleiche festzustellen ist. Der massiv lehrhafte Charakter des Dramas erschwert alle möglichen Identifikationen und die Randfiguren bleiben zu blass, um diesem Zwecke dienen zu können. Für die Klärung der Frage nach der Wiedergabe der reformatorischen Theologie sollen im Folgenden zunächst die Widmungsrede, und im Anschluss die Handlung unter Einschluss der bei einer Aufführung vorgetragenen Rahmenstücke untersucht werden. Während die Widmungsrede bei einer möglichen Aufführung nicht zum Tragen kam und somit nur literarisch, bei den Leserinnen und Lesern wirken konnte, gilt dies für die anderen Rahmenstücke nicht. Prolog – hier gesprochen vom Herold –, Argumentum und Conclusio bildeten eigene Rollen und wurden rezitiert. Mit der Handlung konnten sie also auf doppelte Weise wirken. In deutlicher Form verleiht Saxo seiner reformatorischen Grundhaltung in der Widmungsrede Ausdruck. Diese ist trinitarisch aufgebaut, wobei der christologische Abschnitt am längsten ist,1438 gefolgt von dem dem Heiligen Geist gewidmeten Passus.1439 In letzterem handelt Saxo vom Schicksal der Kirche in der Geschichte, unter dem Papsttum, in der Reformation und – von letzterer abgehoben! – in der gegenwärtigen Zeit.1440 In ersterem erscheinen die Lehrpunkte der Erbsünde, von Gesetz und Evangelium, von der iustitia aliena, vom Glauben als Werk des Heiligen Geistes und von den Gnadenmitteln. Wie die Sünde dem Menschen von Adam angeboren sei, so müsse die Gerechtigkeit Christi zur eigenen werden.1441 Man komme aber nicht in der eigenen Gerechtigkeit, sondern in der durch Christus erworbenen zu Gott.1442 In Christus würden all die – im geistli1437 Vgl. die Widmungsrede, A VIb–VIIa. 1438 Vgl. Widmungsrede, A IIIb–VIb. 1439 Vgl. a.a.O., A VIb–B Ia. 1440 Diese Stelle ist erneut Ausdruck von Saxos Bewusstsein des Abstands zur Reformation, auf die er zurückblickt. 1441 Vgl. a.a.O., A IIIIb. 1442 Vgl. ebd.



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chen Sinne verstanden – lebendig gemacht, die aus der Predigt des Gesetzes ihre Sünde erkennen würden und darüber Missfallen empfänden, aber zugleich glaubten, dass Gott ihnen gnädig sein und um des Gehorsams Jesu Christi willen vergeben wolle.1443 Dieser Glaube aber sei ein Werk des Heiligen Geistes; der Geist wirke durch die Gesetzespredigt Erkenntnis und Bekenntnis der Sünde und Reue, durch die Verheißung des Evangeliums aber erwecke und erhalte er mit Predigt, Absolution, Taufe und Abendmahl den Glauben in den reuigen Sündern.1444 Im dritten Abschnitt hält Saxo fest, dass Gott ‚uns‘ aus dem Papsttum befreit habe und das Licht seines Wortes, des Gesetzes und des Evangeliums, das lange Zeit verdunkelt gewesen sei, in dieser letzten Zeit durch Martin Luther, das Werkzeug des Heiligen Geistes, neu angezündet habe.1445 Diese Lehre habe Gott bisher trotz der Anschläge von Rotten und Sekten rein erhalten, so rein, wie sie zu Zeiten der Apostel gewesen sei.1446 Nun wisse man wieder, was zu glauben sei und wie man leben solle. Man könne Gott anrufen, was nach Saxo unter dem Papsttum unmöglich war, und verfüge über das rechte Verständnis der Schrift.1447 Um so unverständlicher ist es für Saxo, dass die Welt sich, wie ihr Verhalten zeige, derart undankbar gegen diese Gnade Gottes erweise.1448 Mit dieser Bemerkung leitet er zu seinem o.g. Anliegen, der Verachtung des göttlichen Wortes und seiner Prediger, über. Die Theologie der Widmungsrede erweist ihren Ver1443 A.a.O. Va–b: In Christus würden lebendig gemacht „... Alle die erstlich aus der predigt des gesetzes durch wirckung des heiligen geistes jhr verderbt natur vnd sÜndlichs leben erkennen / ein hertzlichs misgefallen dran haben vnd ernstlich erschrecket sein vor gottes zorn vnd gericht vber die sÜnde / die in jhm stecket vnd sie gethan / zittern vnd zagen / vnd doch nicht verzagen sondern gleuben vnd gewis schliessen / wie das Euangelium lautet / das Gott nicht jhr richter sondern jhr lieber Vater sein wil jn gnedig sein / die sÜnde vergeben / sie annemen / gerecht vnd als kinder vnd erben des ewigen lebens halten vnd erhÖren / aus lauter gnaden vnd barmhertzigkeit / ohn al jhr verdinst vnd wirdigkeit / allein vmb des volkomnen gehorsams willen Jesu Christi.“ Saxo nimmt hier Formulierungen aus Luthers Erklärung des ersten Artikels im Kleinen Katechismus auf; vgl. BSLK, S. 511,3ff. 1444 Saxo, a.a.O. (Forts.): „Solcher glaube aber ist auch nicht vnsers thuns / sondern ein werck Gottes des heiligen Geistes Johan: 6. denn der Heil. Geist durch die gesetz predigt wirckt erkentnis / vnd bekentnis der sÜnden in warer rew / also auch wircket er in rewenden hertzen vnd zÜndet an waren glauben durch die verheischung des Euangelij / die den rewenden sÜndern verkÜndigt wirt / offentlich in der Predigt / insonderheit in der absolution / in der heiligen tauff / vnd im nachtmal des waren wesentlichen leibes vnd blutes Jesu Christi / vormirt / stercket vnd erhelt jhn auch dardurch.“ 1445 A.a.O., A VIb: Gott habe „... vns aus dem schentlichen verfluchten Bapstum erledigt vnd gerissen / vnd das selige licht seines heiligen gottlichen worts beide des gesetzes vnd allein seligmachenden Euangelij ... welchs lange zeit vordunckelt ist gewesen / itzunt in der letzten zeit widerumb angezÜndet / vnd durch den hohen vnd teuren man gottes vnd wergkgezeugen des heiligen geists Doct. Mar. Lut. seliger an tag bracht.“ 1446 Vgl. a.a.O., VIIa. 1447 Vgl. VIIa–b. 1448 Vgl. a.a.O., VIIIb.

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fasser als genuin lutherischen Theologen. Als ihm besonders wichtig erscheint die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium und der Gedanke der iustitia aliena. Um jeglichen Synergismus auszuschließen, stellt Saxo klar, dass auch der Glaube ein göttliches Werk ist. Ohne Zweifel will der Verfasser, wie es üblich war, mit seiner ausführlichen Widmungsrede seine Orthodoxie belegen, vermutlich auch, um sich im Grafenhause für eine bessere Stellung zu empfehlen; zur Zeit der Abfassung wirkte er ja als Schulleiter.1449 Von daher ist auch diese Widmungsrede grundsätzlicher Art; sie holt weit aus, um schließlich zum eigentlichen Thema des Dramas hinzulenken. Dennoch gelingt Saxo an dieser Stelle eine relativ organische Überleitung. Schon beim ersten Betrachten der Handlung wird deutlich, dass auch in ihr die wichtigsten reformatorischen Lehrpunkte zur Sprache gebracht werden, und zwar in allen drei Akten gleichermaßen, wenn auch nicht durch alle Szenen hindurch. Für die Rahmenstücke der Handlung gilt, dass die reformatorische Lehre besonders im Argumentum erscheint, weniger im aktualisierenden Prolog und in der Conclusio. Eine herausragende Zusammenfassung reformatorischer Gedanken findet sich in der ersten Predigt des Stephanus nach seiner Wahl. Nach dieser Predigt des Diakons ist das Gesetz ein Spiegel, durch den die sündige Art des Menschen aufgezeigt wird.1450 Mit der Rechtfertigung haben die Werke, mit denen man das Gesetz zu erfüllen versucht, nichts zu tun; dies, so Stephanus, sei ein falscher Wahn, denn das Gesetz sei aufgehoben.1451 Dass das Gesetz nicht selig machen könne, bestätigt Stephanus auch im Verhör durch den Hohenpriester.1452 Im Prozess sagt er vor diesem, vor Hannas und den falschen Zeugen aus, der Dekalog sei den Vätern zum Spiegel gegeben, nach dem sie leben sollten. Sie aber seien den Geboten nicht gefolgt.1453 Während sie dächten, durch ihre Heiligkeit die Seligkeit zu erreichen, stehe fest, dass kein Mensch mittels seiner Kräfte die vom Gesetz befohlenen Werke erfüllen könne.1454 Stephanus lehrt somit nicht nur eine faktische Nichterfüllung des Gesetzes, sondern seine prinzipielle Nichterfüllbarkeit. Weiter stellt sich die Frauge, ob der Stephanus Saxos von einer generellen Abrogation des Gesetzes ausgeht oder nur von einem Ausschluss des Gesetzes als Heilsweg. Zwar ist ein tertius usus bei ihm nicht erkennbar, doch vertritt er keinen Antinomismus. Das Gesetz behält seine Funktion als Spiegel im usus elenchticus. Dies entspricht dem, was Saxo in der Widmungsrede bezüglich des Gesetzes zum Ausdruck bringt. 1449 Vgl. dazu Almut A. Meyer, Heilsgewißheit und Endzeiterwartung im deutschen Drama des 16. Jahrhunderts, Heidelberg 1976, S. 73 mit Anm. 49, S. 117.129.238f. 1450 Akt II Szene 5, E VIIIa: „Das Gsetz ist nur ein Spiegel zart Der vns anzeigt die SÜndig art...“ 1451 A.a.O., E VIIb–VIIIa: „Darumb steht ab jtzt also drat Von ewrn SÜnden vnd falschen wan Als solt jr durch ewr wercke han Das ewig leben: nein furwar Das Gsetz ist auff gehoben gar Es hilffet nicht zur Seligkeit Solches allein am Glauben leit ...“ 1452 Vgl. a.a.O. 1453 Vgl. Akt III Szene 1, F VIa. 1454 Vgl. a.a.O., F VIIa.



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Der Heilsweg ist statt dessen Jesus Christus, der alleinige Mittler, wie Stephanus in seiner Predigt, im anschließenden Verhör und im Prozess äußert.1455 In gleicher Weise positionieren sich Petrus und Johannes anlässlich der von ihnen gewirkten Heilung des Lahmen, mit der die Handlung des Dramas einsetzt. Petrus vollzieht sie „Jm namen Jesu Christi allein“,1456 womit Saxo das solus Christus zwar nicht in den biblischen Text einträgt, es aber doch eigens herausstellt.1457 Analog erfolgt die Deutung des Geschehens durch den Geheilten, der – statt eines in Act berichteten Lobes Gottes – Jesus mit den Worten preist: „Er ist vnd bleibt allein der man Der vns aus nÖten helffen kan.“1458 Jesus Christus alleine ist der Heilsweg, und zwar als derjenige, „Der fÜr vns al gestorben ist“1459, von dem gilt: „Er ist furwar der man allein Durch welchen wir sind worden rein Von SÜnden ...“1460, wie Petrus in den Verhören bekennt. Durch sein Leiden habe Christus, so wiederum Petrus, Gnade erworben – zu ergänzen ist: beim Vater –, durch welche die Glaubenden Gottes Erben seien.1461 Teilhabe an dem durch ihn erwirkten Heil vermittelt aber allein der Glaube, der aus dem Evangelium kommt. So stellt Stephanus fest, dass das Gesetz nicht zur Seligkeit helfe, „... Solches allein am Glauben leit Der sich fest helt zu aller frist An den eingen Herrn Jesum Christ... Das Euangelion aber ist Ein krafft zur Seligkeit on list Allen di jr vertrawen han zu Christo Jesu Gottes Sohn.“1462 Petrus vertritt in seinem Verhör die gleiche Linie: „Vnd ist also der Glaub allein Dardurch das gschenck gefast wil sein.“1463 Auch der Apostel Johannes verkündet in der ersten Szene im Anschluss an die Heilung des Gelähmten vor dem Volk das sola fide: „Es kan kein mensch nicht Seligk werdn Wie heiligk er auch lebt auff erdn Denn durch den Glaubn an Jesum Christ.“1464 In derselben Szene erläutert Petrus dem Geheilten das Wunder, allein sein Glaube habe ihm diese Pein gelindert. Wiederum hat Saxo damit einen reformatorischen Kernpunkt, das sola fide, über den bloßen Wortlaut des Textes Act 3 hinaus in der Darstellung verankert. Den Glauben selbst definiert Saxo als ‚sein Vertrauen zu Christus haben‘,1465 d.h. dass man sein Vertrauen auf Christus setzt, oder kurz als Vertrauen auf Gott, und zwar mit dem konkreten Inhalt, dass dieser sich gegen das Böse durchsetzt und die Glaubenden aus der Not errettet.1466 1455 Vgl. Akt II Szene 5, E VIIb. VIIIa; Akt III Szene 1, F VIIa: In Christus allein ist die Stärke, durch ihn allein wird die ewige Gnade gegeben. 1456 Akt I Szene 1, B VIIIa. 1457 Nach Act 3,6 erfolgt die Heilung unter den Worten: „Im Namen Jesu Christi von Nazareth“. 1458 Saxo, a.a.O., B VIIIb. 1459 A.a.O., B VIIIa. 1460 Akt II Szene 3, E IIIa. 1461 Vgl. ebd. 1462 Akt II Szene 5, E VIIIa. 1463 Akt II Szene 3, E IIIa. 1464 Akt I Szene 1, C IIa. 1465 In dieser Weise fasst ihn Stephanus in Akt II Szene 5, E VIIIa. 1466 Vgl. Conclusio, G VIa.

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Auch als ein Festhalten an Christus kann der Glaube bestimmt werden.1467 In all diesen Formulierungen dominiert der Aspekt des Vertrauens, der den Glauben personal qualifiziert, d.h. den Glaubenden an eine Person bindet, dabei aber diese Person: Christus bzw. Gott, als dem Glaubenden heilwirkend wahrnimmt.1468 Zugleich ist der Glaube nach den Aussagen des Petrus auch ein Annehmen des von Christus erbrachten Heilswerkes bzw. der von ihm erworbenen Gnade.1469 Insofern kommt ihm auch das Moment der Zustimmung, des assensus, zu. Dies verhält sich so, weil der Glaube die von Gott verordnete Weise des Umgangs mit ihm darstellt.1470 Entsprechend beinhaltet er ebenfalls ein Element des Gehorsams Gott gegenüber. Zum Glauben gehört schließlich das Aussprechen seines Inhalts; ihn zu verleugnen, ist an sich unmöglich.1471 Mehrfach äußert Saxo in den Äußerungen über den Begriff des Glaubens, dass diesem das Prädikat ‚fest‘ zukommt, oder er bringt zum Ausdruck, dass der Glaube derart gestaltet sein müsse.1472 Daraus erhellt zum einen die enge personale Bindung, die im Glauben vorliegt, zum andern, dass der Glaube die höchste Stufe des Überzeugtseins darstellt, schließlich aber auch, dass in den Augen Saxos die Kraft des Glaubens nachlassen kann. Dies belegt etwa auch die Verwendung des Wortes ‚bestehen‘ in diesem Zusammenhang.1473 Der Glaube ist in der Welt nicht selbstverständlich; es gilt ihn gegen Widerstände durchzuhalten. Saxo sieht entsprechend die Gefahr, dass der Mensch im Glauben erkalten könne,1474 eine Gefahr, die er in der Gegenwart bei seinen Zeitgenossen deutlich wahrnimmt. Die Anfechtung gilt ihm als durchaus integrales Moment des Glaubens, den Gott auf die Probe stellt und zur Geduld führen will. Als Gegenmittel empfiehlt er, sich nahe zu Gott zu halten und ihn im Gebet anzurufen.1475 Ohne Gottes Willen könne der Teufel den Seelen der Glaubenden keinen Schaden antun, der ihr Heil betreffen würde.1476 Die Glaubenden, so kann Saxo das Heilsgut zusammenfassen, sind Gottes Erben, sie haben Gnade bei ihm gefunden und sind rein von Sünden geworden.1477 Aus dem Ausschluss der Werke aus der Rechtfertigung ergibt sich schließlich deren rechte Stellung, die Saxos Stephanus mit Worten, die an Luther erinnern, festhält: „Vns macht allein der

1467 So formuliert Stephanus in Akt II Szene 5, E VIIIa. 1468 Gott wird durch ihn als ewig gütiger Gott (Conclusio, G VIa), als lieber Gott (ebd.) erkannt. 1469 Akt II Szene 3, E IIIa: „Es ist vnd bleibt nur eitel gnad Die Christus vns erworben hat Durch sein bitter leiden vnd sterbn Drumb seint wir nun recht Gottes erbn So fern wir solches nemen an Mit festem Glauben auch bestan ...“ 1470 Vgl. ebd. (Forts.): „... Vnd ist also der Glaub allein Dardurch das gschenck gefast wil sein.“ 1471 Vgl. Akt I Szene 3, C VIIIa, die Ausführungen des Petrus. 1472 Vgl. Akt I Szene 1, B VIIIa; Akt II Szene 3, E III a; Akt II Szene 5, E VIIIa. 1473 Vgl. Akt II Szene 3, E IIIa. 1474 Vgl. Conclusio, G Vb. 1475 Vgl. a.a.O., G Va–b. 1476 Vgl. Akt III Szene 3, G IIIb. 1477 Vgl. Akt II Szene 3, E IIIa; vgl. Akt III Szene 1, F VIIa.



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Glaub gerecht Die wercke seint die frÜcht draus schlecht.“1478 Sie stellen eine Frucht dar, die aus dem Glauben hervorgeht.1479 Deutliche Anspielungen sind im Drama auch auf jene Theologie zu finden, gegen die es sich abgrenzt: die altgläubige Theologie. War bereits in der Widmungsrede vom Papsttum als Unterdrücker des in der Reformation wieder zum Leuchten gebrachten Gotteswortes die Rede,1480 so wird die konfessionelle Kontroverse der Zeit auch in die Handlung selbst eingetragen. Petrus bringt das solus Christus gegen altgläubige Frömmigkeitspraktiken in Stellung: „Er ist furwar der man allein Durch welchen wir seind worden rein Von SÜnden / sonst hÜlffe gar nicht Fasten: noch der Heiligen furbit Viel wenger wirts aussrichten nun Vnser MÜnche vnd Pfaffen thun.“1481 Dass ferner die verfolgten Christen von den sie verfolgenden jüdischen Autoritäten als ‚Ketzer‘ bezeichnet werden,1482 zeigt, dass sich auch in einem protestantischen Drama der 1560er Jahre zumindest noch Ansätze konfessioneller Polemik gegen die römische Kirche finden, wenn diese auch auf eine Szene (II/3) innerhalb der Handlung – und außerhalb ihrer auf die Widmungsrede – beschränkt sind. Ebenso sind es nur Ansätze; so werden etwa in diesem Drama die jüdischen Oberen nicht in den Farben altgläubiger Würdenträger gemalt. Die in der Handlung vorgetragene Lehre aber ist eindeutig antirömisch. Wendungen gegen reformierte Tendenzen oder gegen Täufer und Spiritualisten, wie sie in der Widmungsrede zu Tage treten, finden sich in der Handlung nicht.1483 Vorrangig ist Saxos ‚Tragödie von Stephanus‘ gegen die Verächter des Gotteswortes aus den eigenen Reihen, d.h. der zum eigenen protestantischen Kirchenwesen gehörenden Glieder, gerichtet. In der Handlung wehren sich die Vertreter der jüdischen Obrigkeit bzw. Geistlichkeit gegen die Botschaft, trachten danach, sie mit allen Mitteln zu verhindern. Da sie ein Predigtverbot nicht durchsetzen können, verfolgen sie die ministri verbi. Vor allem aber versuchen sie, Gott und die Prediger seines Wortes auseinander zu dividieren, ihre Autorität zu unterminieren. Entsprechend fragt Kaiphas die Apostel, wer sie geheißen habe zu predigen, Gott oder der Teufel, wie Saxo zum Wortlaut von Act 4,7

1478 Akt II Szene 5, E VIIIa. 1479 Vgl. WA 39 I, 46,28ff; WA.DB 7, 10,6ff. Einen tertius usus legis lehrt Saxo im gesamten Drama nicht. 1480 Vgl. Saxos Widmungsrede, A VIb–VIIa. 1481 Akt II Szene 3, E IIIa. 1482 Vgl. Akt I Szene 4, D Ia; Akt II Szene 3, E IIIa–b. An der letzten Stelle erfolgt diese Bezeichnung durch Gamaliel, der in diesem Stephanus-Drama im Gegensatz zu dem von Sebastian Wild ganz auf die jüdische Seite gehört. 1483 Für ein späteres Werk Saxos, eine katechismusartige Auslegung des 34. Psalms, stellt Ernst Koch, Michael Sachs, S. 88, „das Fehlen auch nur eines Anflugs von Polemik gegenüber dem Papsttum und dem Calvinismus“ fest. Bei dem hier betrachteten Drama ist zu berücksichtigen, dass es Saxos erstes Werk darstellt, mit dem er ohne Zweifel seine Orthodoxie zu belegen sich genötigt sah, was die Aufnahme von Elementen konfessioneller Polemik erklärt.

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hinzufügt.1484 Im Urteil wird ihnen angelastet, aus eigener Vollmacht zu predigen.1485 Das Gleiche prädiziert Saxo aber von seinen Zeitgenossen: Dass sie, weil sie die Botschaft ablehnen, behaupten: Was die Prediger ihnen verkündigten, entspreche nicht Gott, und dass sie meinen, man bedürfe keiner ministri verbi.1486 Demgegenüber ist für Saxo das Wort Gottes eng an die Diener des Wortes gekoppelt. Ohne diese gibt es das Wort nicht – hat doch Gott selbst gemäß CA V das Predigtamt eingesetzt. So gilt zwangsläufig: Wer die Diener des göttlichen Wortes verachtet, der nimmt auch das göttliche Wort nicht ernst, der muss notwendig auch dieses Wort verfehlen, das Gott an seine Diener gebunden hat. Und es gilt umgekehrt: Wer das göttliche Wort verachtet, der muss auch die Diener dieses Wortes schmähen und verfolgen,1487 wie es in der dargestellten Geschichte eingetreten ist und von Saxo für die Gegenwart festgestellt wird. Ein abschließender Blick sei auf das Argumentum geworfen, das direkt vor der Handlung steht und in diese einweist. In ihm wird von Saxo deutlich die Richtung angegeben, in der das Drama verstanden werden soll: Es ist die Rechtfertigungslehre, die er unter ausdrücklicher Aufnahme des sola fide und des sola gratia – mit der Marginalnote Rom: 3 – zusammenfasst. Gott habe der ganzen Welt seine Wohltat erwiesen, „Auff das wir nicht ewigk vertÜrbn Sondern die Seligkeit erwÜrbn Allein durchn glauben an Christum Aus gnaden ohn all vnser thun.“1488 Als Resümee ergibt sich, dass die Handlung des Dramas die theologische Haltung Saxos, die er in seiner Widmungsrede zum Ausdruck bringt, vollkommen widerspiegelt. In dieser hatte er sich durch die Darlegung seiner Rechtfertigungslehre, aber auch durch andere Bemerkungen eindeutig als Lutheraner zu erkennen gegeben. So sprach er von den Anschlägen der Rotten und Sekten1489 wie auch vom Abendmahl als dem „nachtmal des waren wesentlichen leibes vnd blutes Jesu Christi“1490. In der Handlung ist nichts dem Widersprechendes wahrzunehmen. Vielmehr bildet die lutherische Rechtfertigungslehre Voraussetzung und Hintergrund der Handlung. So zeigt die Handlung, wie wichtig dem Verfasser die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist.1491 Zwar ist dem Begriffe nach von der iustitia aliena nicht die Rede, doch ist zu berücksichtigen, dass trotz des erheblich lehrhaften Charakters der Ausführungen ein Drama vorliegt und kein theologischer Traktat. Bedeutsamer ist, dass trotz der wesentlichen Intention Saxos, mit seinem Drama zur Buße zu rufen und an die Zeitgenossen zu appellieren,1492 man nicht behaup1484 Vgl. Akt I Szene 3, C VIb. In Act 4,7 lautet die Frage: „Aus welcher Kraft und in welchem Namen habt ihr das getan?“ Sie bezieht sich auf die Heilung des Lahmen. 1485 Vgl. a.a.O., C VIIb. 1486 Vgl. den Prolog des Herolds, B IIIIa. 1487 Vgl. Argumentum, B VIIa. 1488 Argumentum, B VIb; zum sola gratia vgl. Akt II Szene 3, E IIIa. 1489 Vgl. Widmungsrede, A VIIa. 1490 A.a.O., A Vb. 1491 Vgl. in Akt II Szene 5, E VIIIa, die entsprechenden Aussagen des Stephanus. 1492 Vgl. nur die Aufforderung des Argumentators, B VIIa.



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ten können wird, dass dieses Anliegen die Rechtfertigungslehre überlagere. Zu klar wird diese in allen Schichten des Dramas formuliert, zu eindeutig sind die Redebeiträge der Apostel Petrus und Johannes und des Stephanus wie auch die Aussagen im Argumentum. Im Gegenteil, mit seinem lehrhaften Drama gelingt es Saxo, das Anliegen des Bußrufs mit dem der Tröstung der Glaubenden und dem der Einprägung der Rechtfertigungslehre in sinnvoller Weise zu verbinden, letztlich indem er die Predigt des Gesetzes als notwendig für die Predigt des Evangeliums erweist. Beide in Saxos erstem Werk sich manifestierende Tendenzen sind auch in seinem ferneren Lebenslauf, in seinem Wirken als Dorfpfarrer und Hofprediger erkennbar, in dem er sich als Anhänger der Konkordienformel zeigte und zugleich seine Anstrengungen gegen ein Scheinchristentum fortsetzte, die ihn – möglicherweise in Anspielung auf Johann Arndt – vier Predigten vom wahren Christentum verfassen ließen.1493 Dabei gewann, wie seine weiteren Schriften verdeutlichen, das zweite, auf eine Verinnerlichung des christlichen Glaubens und eine Umsetzung im Leben hin drängende Anliegen Saxos in seinem Wirken offensichtlich zusehends an Gewicht.

2. Sebastian Wild, Die Versteinigung Stephani (1566) Die ander Tragedj. Ein schÖne Tragedj / auß der Apostel gschicht gezogen / vom sechsten Capitel an biß ins acht / Vnd der innhalt von der versteynigung Stephani, in: Ders., SchÖner Comedien vnd Tragedien zwÖlff: Auß heiliger / GÖttlicher / schrifft / vnnd auch auß etlichen Historien gezogen. / Alle sehr lieblich vnd annemlich / etwa trawrig vnd frÖlich zuhÖren vnd zulesen / In den der Welt lauff / grÜndtlich fÜrgebildet vnnd angezeigt / wirt / Welche auch Christlich aufferbawlich / vnd nutzlich / sonderlich fÜr die Jugendt / zur Übung / zuhalten vnd zu lesen sind. Auffs new in Truck verfertiget / Durch / Sebastian Wilden, Augsburg 1566, G IIIIa–M Ia [Exemplar Staats- und Stadtbibliothek Augsburg] Über den Augsburger Meistersinger Sebastian Wild ist nur sehr wenig bekannt.1494 Er wird als Schneider bezeichnet, wirkte jedoch später als Lehrer, womit er zu den angeseheneren Mitgliedern der 1450 gegründeten Meistersingschule der Reichsstadt aufstieg.1495 Theologisch ein Laie, wie auch die Darlegung der Trinitätslehre durch Stephanus in der 1493 Vgl. Koch, Michael Sachs, S. 90. 83. 1494 Zu den bekannten Daten über Wild vgl. Willy Brandl, Sebastian Wild, ein Augsburger Meistersinger (Forschungen zur neueren Literaturgeschichte 48), Weimar 1914, S.7ff, ferner Max Radlkofer, Die schriftstellerische Tätigkeit der Augsburger Volksschullehrer im Jahrhundert der Reformation, Augsburg 1903, S. 6.10. 1495 Vgl. Brandl, a.a.O., S. 8. Wild und einigen anderen wurde der Ehrenname ‚Tichter‘ durch die Schule verliehen. – Wild scheint, wie Brandl, a.a.O., S. 10, ausführt, ein großes Standesbewusstsein entwickelt zu haben, wenn er im Drama über die Geschichte vom goldenen Kalb die Lehrer neben die Apostel stellt; vgl. a.a.O., S. 66. – Vgl. Wilhelm Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Dritter Band. Renaissance und Reformation, Halle a.S. 19232, S. 360f.: „In Augsburg war der Schulmeister Sebastian Wild zugleich auch Mitglied der Meistersingzunft und deshalb

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‚Versteinigung Stephani‘ belegt, wo ihm in persona Stephani der Lapsus unterläuft, von einer Person in Gott zu reden,1496 verfügte er doch über eine große Kenntnis der Bibel wie auch anderer Wissensgebiete.1497 Aus der Tatsache, dass Wild an vielen Stellen seiner Dramen die Verlesung eines offiziellen Aktenstückes, einer Prozessvorladung oder eines Sendschreibens, vornimmt, schließt Brandl, dass er möglicherweise auch Schreibarbeiten für einen Notar erledigte.1498 In seiner ersten Ehe war Wild ebenfalls mit einer Lehrerin verheiratet; möglicherweise ist er durch sie zu seiner Tätigkeit als Lehrer inspiriert worden. Von ihr wird im Lehrerverzeichnis berichtet, dass sie als Protestantin aufgrund des Interim 1551 abgesetzt wurde.1499 Bereits 1552 aber wurden diese Lehrenden von der Stadt wieder aufgenommen. In den folgenden Jahren verliert sich wieder Wilds Spur. 1566 erschien die Ausgabe seiner Dramen in Augsburg. 1573 ging Wild eine zweite Ehe mit Elisabeth Stedelin aus Sontheim ein. Im Steuerprotokoll des Jahres 1583 wird er zum letzten Male erwähnt. Wann genau er danach verstorben ist, ist nicht bekannt. Wild war Protestant, bringt diese Gesinnung in seinen Werken aber nur an einigen Stellen zum Ausdruck, was Brandl auf die paritätische Konstellation in der Stadt zurückführt. Lediglich an einer Stelle in seinem Stück ‚Die schöne Magelone und der Ritter Peter‘ tritt seine kritische Haltung gegenüber dem Wallfahrtswesen deutlich hervor.1500 Die zwölf Dramen, die Wild verfasste, erschienen 1566 in Augsburg im Druck und waren dem Augsburger Bürger Melchior Linck gewidmet. Sieben der Dramen behandeln einen geistlichen Stoff: 1) „Die Geburt Christi“; 2) Die Versteynigung Stephani; 3) „Der Passion vnnd die Aufferstehung Christi“; 4) „Der Belial fÜrt ein recht mit Christo“1501; 5) „Der Junger gefengknuß“ (nach Act 5); 6) „Der Nabott“ (nach 2 Kön 21); 7) „Das Gesetz Mose / vnnd vom guldin Kalb“ (nach Ex 20–33); weltliche bzw. eher weltliche Stoffe bieten: 8) „Vom krancken Keyser Thito“; 9) „Vom Keyser Octauiano“; 10) „Die siben weysen hatten auch die dortigen Meistersinger nichts dagegen einzuwenden, daß ihm das Komödienhalten gestattet wurde.“ 1496 Vgl. Wild, Versteinigung Stephani, Akt II, I Ib. 1497 Vgl. Radlkofer, a.a.O., S. 10. Radlkofer votiert an dieser Stelle in der damals umstrittenen Frage, ob es sich bei den in Augsburger Dokumenten genannten Leonhard bzw. Leonhard Sebastian Wild, der als Lehrer und Meistersinger, der mit seinen Schülern Stücke aufführt, bezeichnet wird, auf der einen Seite, und dem dichtenden Schneider Sebastian Wild auf der anderen Seite um dieselbe Person handelt, für die Identität. Dafür und d.h. für die Ausübung des Lehrerberufs spreche Wilds Belesenheit. Hinzuzufügen als Argument wäre auch der didaktische Charakter von Wilds Dramen, deren Autor sich Sebastian Wild nennt. 1498 Vgl. Brandl, a.a.O., S. 11, vgl. S. 71. 1499 Vgl. dazu Friedrich Roth, Augsburgs Reformationsgeschichte. Bd. 4, München 1911, S. 357f. 1500 Vgl. a.a.O., S. 124. 1501 Unverständlich ist, warum Brandl, a.a.O., S. 68 bzw. 68–89, dieses Drama und den ‚Kaiser Tydo‘ als „halbgeistliche“ Dramen einordnet. Der Belial bietet einen durch und durch geistlichen Stoff mit, wie Brandl selbst S. 71f. erklärt, ständigem Bezug zur Bibel, auch wenn keine konkrete biblische Geschichte den Vorwurf bildet – was wohl Brandl zu seiner Kategorisierung bewogen hat.



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Maister (Von des Kaisers Pencyanus son)“; 11) „Die schÖn Magelona / vnd Ritter Peter“, und schließlich 12) „Der Doctor mit dem Esel / vnnd Spiegel der Wellt“.1502 Alle Dramen sind in deutscher Sprache verfasst. Sie tragen didaktischen Charakter, wobei Brandl feststellte, die Lehren würden oft sehr aufdringlich dargeboten und stünden zudem häufig in nur geringem Zusammenhang mit der Handlung des Dramas.1503 In manchen Stileigentümlichkeiten kommt Wild dem ebenfalls in der Meistersingtradition stehenden Hans Sachs nahe – etwa im Einbau des Ehrenholds / Herolds oder in der Aufnahme des eigenen Namens in den Schlussvers. Creizenach stufte Wild daher als Nachahmer von Sachs ein.1504 Brandls genaue Analyse von Wilds Werk erbrachte aber, dass keine direkten Entlehnungen aus Sachs vorliegen.1505 Brandl sah Wilds geistliche Dramen durchaus kritisch, er urteilte: „Die geistlichen Dramen sind belanglose Reimereien.“1506 Eine Ausnahme bildete für ihn das Weihnachtsspiel, insofern dieses seinen Hintergrund in der volkstümlichen Tradition habe. Ferner sei der Belial stoffgeschichtlich von Interesse, da hier mittelalterliche Elemente wiederkehrten.1507 Mit dem Abfassen eines Weihnachtsspiels steht Wild durchaus schon in einer protestantischen Tradition. Er folgt strenger als die mittelalterliche Tradition den biblischen Vorlagen.1508 Besonders hervorzuheben ist die Szene zur Geschichte vom zwölfjährigen Jesus im Tempel, aus der deutlich hervorgeht, dass Wild mit seinen Dramen einen didaktischen Zweck verfolgt, wenn Jesus mit seinem Schulsack in den Tempel geht unter den Worten: „Das ich der Jugent zum Exempel Yetzund will in die Schul gehen eben.“1509 Gleiches gilt, wenn Jesus vor den Schriftgelehrten etliche Bibelstellen aufsagt und so einerseits er selbst ein Vorbild für das Auswendiglernen wird, andererseits aber auch die zitierten Stellen als memorierwürdig, als Lernstoff deklariert werden oder gar schon während des Spiels

1502 Vgl. Hans Rupprich, Die deutsche Literatur vom späten Mittelalter bis zum Barock. Zweiter Teil: Das Zeitalter der Reformation 1520–1570, München 1973, S. 346. Das Drama vom Doktor mit dem Esel ist greifbar in: Schauspiele aus dem sechzehnten Jahrhundert, hrg. v. Julius Tittmann. Erster Theil, Leipzig 1868, S. 209–245. 1503 Vgl. a.a.O., S. 10. 1504 Vgl. Wilhelm Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. Dritter Band. Renaissance und Reformation, Halle a.S. 19232, S. 361. 1505 Vgl. Brandl, a.a.O., S. 11. 1506 A.a.O., S. 13. 1507 Vgl. ebd. 1508 Vgl. Brandl, a.a.O., S. 22: „In viel größerem Maße als der traditionellen Überlieferung folgt Wild der Bibel, wie sich das ja bei einem protestantischen Schullehrer, der zudem noch Meistersinger ist, ganz von selbst versteht. Die unevangelischen Zutaten konnte er bloß zur Ausschmückung der biblischen Geschichte verwenden ...“ 1509 A.a.O., S. 32f. – A.a.O., S. 22f, wertet Brandl den Zug, dass Anna die Maria beim Besuch der Elisabeth begleitet, dass sie überhaupt sehr hervorgehoben wird, als Zeichen der Ablehnung der Marienverehrung. Maria werde menschlicher, wenn sie sich in allem ihrer Mutter anvertraut.

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memoriert werden können. Die Moral des Stückes besteht in der Erkenntnis, dass Verfolgung zum Christenstand dazugehört.1510 Ungewöhnlich – zumindest mit den Maßstäben der Wittenberger – ist, dass Wild ein Passionsspiel geschrieben hat. Hinsichtlich dieses hatte bereits 1870 August Hartmann nachgewiesen, dass es neben dem Spiel von St. Ulrich und Afra einen Teil des Oberammergauer Passionsspiels bildet.1511 Wilds Drama selbst ist wiederum abhängig von dem lateinischen Drama ‚Christus redivivus‘ des englischen Dichters Nicholas Grimald.1512 Bemerkenswert ist, dass Jesu Tod nicht auf der Bühne vorgeführt wird, wofür bühnentechnische, aber auch religiöse Gründe maßgebend sein können.1513 Maria nimmt am Geschehen nur stumm teil. Die weiteren von Brandl zur Kategorie der geistlichen Dramen gerechneten Stücke behandeln eine biblische Geschichte, so ‚Der Jünger Gefängnis‘, das für Brandl, da ohne jede selbständige Zutat, schlechteste Drama, oder der ‚Nabot‘, mit dem Wild vor dem Geiz warnen will.1514 Im ‚Goldenen Kalb‘ versucht Aaron, den Israeliten ihren Plan auszureden: Der neue Gott könne nicht so viele Wunder tun wie der alte. Als er nachgibt, entschuldigt er sich vor dem Publikum, er könne sich der Menschen nicht erwehren. Bei der anschließenden Feier wendet er sich aber von dem ihn grausenden Geschehen ab. Im Beschluss weist Wild aktualisierend darauf hin, dass man auch heute die Menschen ständig durch die Predigt ermahnen müsse. Dazu habe Christus Apostel und Lehrer eingesetzt. Man solle immer den rechten Weg gehen bis zum verheißenen Vaterland, in das man schließlich durch Christus, den geistlichen Mose gelange, der nun Gottes Zorn stille.1515 Wild nimmt an dieser Stelle die präfigurative Deutung des Mose auf. Zu den von ihm als ‚halbgeistlich‘ bezeichneten Dramen zählt Brandl den auf dem Teufelsprozess basierenden ‚Belial‘. Das Stück endet bei Wild mit einem Vergleich der Vertrauensmänner beider Seiten, wonach die Sünder nicht dem Teufel gehören dürfen und Luzifer gebunden bleiben muss, die Teufel aber frei sein sollen. Dem Satan wird eine Frist von 40 Monaten eingeräumt, in der er die Kirche angreifen kann. Vor diesen angekündigten Anschlägen warnt Wild im Beschluss, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass auch Christus seine Boten ausgesandt habe, so dass sich zwei ungleiche Herren mit zwei ungleichen Belohnungen gegenüber ständen.1516 Das Stück endet mit dem Hinweis, dass jeder und jede die Wahl habe, Jesus oder Belial zu dienen, und der Warnung, nicht dem Teufel zu vertrauen, der in dieser Zeit viele Menschen von Jesus abspenstig gemacht 1510 Vgl. a.a.O., S. 52. 1511 Vgl. a.a.O., S. 56f., und August Hartmann, Das Oberammergauer Passionsspiel in seiner ältesten Gestalt, Leipzig 1880. 1512 Dieses Drama wurde 1543 in Köln 1543 gedruckt, später auch in Augsburg. Ostern 1556 wurde es im St. Anna Gymnasium in Augsburg aufgeführt; vgl. Brandl, a.a.O., S. 57. 1513 Vgl. a.a.O., S. 58. 1514 Vgl. a.a.O., S. 60f. 65. 1515 Vgl. a.a.O., S. 66f. 1516 Vgl. a.a.O., S. 75f. Zum Drama vgl. auch A.A. Meyer, Heilsgewißheit, S. 150–160.



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habe.1517 Das Drama vom kranken Kaiser Titus (Tydo) hatte die Legende vom Schweißtuch der Veronika zur Vorlage, übergeht aber Veronika und das Tuch völlig. Dieses Änderung ist nicht das einzige Indiz einer deutlichen Protestantisierung des Stoffes. So treten als Zeugen für Jesus Lazarus und der Blindgeborene an Stelle des in der Tradition gebräuchlichen Longinus auf. Ferner werden Kaiphas und Hannas als Bischöfe bezeichnet.1518 Als Moral des Stückes hält Wild fest, Gott räche sich an seinen Feinden. Gelte dies schon von seinen Kindern, den Juden, dann um vieles mehr von den aus den Heiden stammenden Christen, die an Stelle der Kinder aus Gnade aufgenommen worden seien.1519 Über Aufführungen von Wilds Dramen ist wenig bekannt.1520 Belegt sind aber Neudrucke. So wurde das Schauspiel ‚Der Jünger Gefängnis‘ 1613 in Augsburg nachgedruckt. Die Passion wurde wohl in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch einmal aufgesetzt.1521 Die weitere Geschichte dieses Werkes wurde oben erwähnt. Brandl resümiert, Wild könne nicht ganz vergessen gewesen sein, sonst hätte man nicht fünfzig Jahre später noch einmal etwas von ihm neu gedruckt.1522 Ungewöhnlich ist freilich, dass die Passion des Protestanten Wild Grundstock für das Erler Passionsspiel in Tirol und das Oberammergauer Passionsspiel wurde.1523 Offenbar war nicht mehr bekannt, dass er der evangelischen Konfession angehörte und ebenso hat man keine offenkundigen protestantischen Spuren in dem Stück entdeckt. Auch Wilds Stephanus-Stück hat anderwärts Spuren hinterlassen. Eine Handschrift schweizerischer Provenienz bietet eine rätoromanische Übersetzung eines Teils des zweiten Aktes.1524 Auch hier wird ein altgläubiger Übersetzer vermutet.1525 Da in dem Fragment Darsteller genannt werden, die zum Teil aus anderen Bezügen bekannt sind, lässt sich schließen, dass es aufgeführt wurde und dass diese Aufführung um 1570, also recht kurz nach Erscheinen des Wildschen Dramas, anzusetzen ist.1526 Das Stück, das Act 6–7 folgt und somit auf die Stephanus-Geschichte konzentriert ist, umfasst drei Akte. Szenen werden als solche nicht deklariert, allerdings Auf- und Abgänge

1517 Vgl. Meyer, a.a.O., S. 159f. 1518 Vgl. Brandl, a.a.O., S. 80ff, bes. 85. 87. 88. 1519 Vgl. a.a.O., S. 89. 1520 Radlkofer, a.a.O., S. 50, meldet, ‚Die sieben weisen Meister‘ sei in einem Jahr sechsmal in Augsburg gespielt worden. 1521 Vgl. a.a.O., S. 162f. Die Neuauflage der Passion ist, wie Brandl mitteilt, ohne Orts- und Jahresangabe erschienen. Orthographie und Abänderungen deuteten auf eine deutlich spätere Zeit als 1566 (Erscheinen der Gesamtausgabe) hin. 1522 Vgl. a.a.O., S. 163. 1523 Vgl. ebd. 1524 Vgl. Henri Alesch, Il gö da San Steivan, Annalas da la Societad Retorumantscha 108 (1995), S. 71ff. 1525 Vgl. a.a.O., S. 72. 1526 Vgl. a.a.O., S. 73.

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bezeichnet. Nach dem Personenverzeichnis erscheinen 31 Figuren.1527 Das Spiel wird eröffnet und beschlossen durch den Herold. Die Eröffnungsrede, die mit der Anrufung der Trinität und der Bitte um deren Gegenwart und um deren Gnade für die Aufführung einsetzt, bietet eine Einführung in die Stephanus-Geschichte. Als Grund für die als Movens der Handlung genannte Verärgerung der Schriftgelehrten wird die große Zahl von Bekehrungen zum Christentum namhaft gemacht.1528 Die eigentliche Handlung des ersten Aktes hebt mit einem Gespräch des Procorus mit Barnabas an, in dem der Konflikt um die griechischen Witwen Thema ist. Barnabas meint, das Übersehen der Witwen sei nicht aus Vorsatz geschehen. Sie schalten in der Frage die Apostel, Petrus, Jacobus und Johannes ein. Petrus ist daran gelegen, dass keine Zwietracht in der Gemeinde entsteht; dies entspreche auch dem Willen Jesu. Den Aposteln komme es aber nicht zu, die Aufgabe der Verpflegung der Witwen zu übernehmen, „Dann vns gebÜret als den allten / Jn dem Predigampt anzuhalten.“1529 Johannes stimmt dem zu und macht den Vorschlag, zum Zwecke der Versorgung sieben Männer zu erwählen. Jacobus bringt sodann konkrete Namen ins Gespräch. Nach dem Abgehen der genannten Personen erscheinen die potentiellen Diakone, zu denen die Apostel hinzutreten. Petrus teilt ihnen den Vorschlag der Versammlung mit, den Philippus positiv aufgreift und eine theologische Begründung, bezugnehmend auf das göttliche Heilswerk, anführt.1530 Johannes betont die Gleichheit aller Menschen in Christi Reich ungeachtet ihrer Herkunft, Nicolaus pflichtet dem bei und bittet die Apostel, in der Lehre des göttlichen Wortes fortzufahren.1531 Sodann ordiniert Petrus die Diakone unter Handauflegung und Segenszuspruch. In seinem Sendungswort sagt er die Hilfe der Apostel im Falle des Auftretens von Schwierigkeiten zu und ermahnt die Erwählten zu ehrbarem Wandel. Stephanus schlägt eine – in der biblischen Vorlage nicht belegte – Arbeitsteilung vor, nach der Philippus, Niconor und er selbst für die Hebräer zuständig seien, die anderen vier Diakone für die Griechen.1532 Die folgende Szene zeigt eine Versammlung der Unterwelt mit Belial, Ascharet und Satan, in der es um deren Situation geht. Mit der Befindlichkeit der drei Teufel steht es nicht zum besten. Ihre, mit dem von ihnen initiierten Tod Jesu verbundenen Hoffnungen auf Ruhe hätten sich nicht 1527 Vgl. das Personenverzeichnis in Wild, Versteinigung Stephani, G IIIIa. Dort werden genannt: der Heroldt; Barnabas; die Apostel Petrus und Johannes; Jacobus; die sieben Diakone Stephanus, Philippus, Niconor, Thimon, Parmenas, Nicolaus, Procorus; von jüdischer Seite Cayphas; Gamaliel; Nathan; Nephthalim; die vier Schriftgelehrten Simon, Jose, Bobe und Juda; Rabi Therfon; zwei Zeugen (Jayrus und Levi); Hadoran; Beleg; ein Handwerksmann (mit Namen Salach); zwei Hammerknechte; der Engel Gabriel; drei Teufel (= Satan, Belial, Ascharet). 1528 Vgl. a.a.O., G IIIIb–Va. 1529 A.a.O., G VIa. 1530 A.a.O., G VIIb: „Warumb wolten wir das nit than. Wir seind schuldig zdienen den Armmen / Gott thet sich vnser auch erbarmmen. Da er vns schicket seinen Son ...“ 1531 Vgl. a.a.O., G VIIIa–b. 1532 Vgl. a.a.O., H Ia. Nach Act 6 sind die Diakone ausschließlich für die hellenistischen Witwen verantwortlich.



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erfüllt, insofern nun die Apostel predigten und viele Menschen bekehrten, sogar Wunder täten. Besonders negativ ist ihnen Stephanus aufgefallen, der obschon kein Apostel, sondern nur ‚Almosenknecht‘, dem das Predigtamt nicht auferlegt sei, doch viele Leute verführe. Ascharet berichtet, der Diakon habe ihn aus einem Menschen vertrieben. Satan erklärt daraufhin seinen Willen, die Schriftgelehrten gegen Stephanus aufzuhetzen. Man ist optimistisch, da Stephanus von geringerer Macht als Jesus sei. Satan will die Schriftgelehrten um Mittag aufsuchen, wenn sie betrunken seien. In der nächsten Szene treten Hadoran, Beleg, Rabbi Therfon und der Handwerksmann Salach auf. Die Gruppe hat den Wunsch Stephanus zu sehen, von dem Wundertaten berichtet werden. Rabbi Therfon wirft ein, bei Stephanus sei Zauberei und Gaukelei im Spiele, was Salach bestreitet. Dieser verteidigt die Christen und vermittelt auf Bitten Hadorans eine Begegnung mit Stephanus – wiederum unter der Kritik von Rabbi Therfon, der sich um die seines Erachtens leicht verführbaren Menschen besorgt zeigt. Stephanus verweist darauf, dass die Menschen nicht durch seine Kunst, sondern durch den Glauben an den Namen Jesu gesund würden. Ihn, den die Schriftgelehrten ums Leben gebracht hätten, habe Gott auferweckt. Jeder Mensch solle sich von Sünde bekehren, so werde er Gnade finden. Durch den Namen Jesu werde das ewige Leben mitgeteilt. Es kommt zu einer kurzen Unterhaltung, bis Stephanus und seine Begleiter weitergehen. In dem darauf folgenden Gespräch geben sich Salach, Hadoran und Beleg als Christen zu erkennen, die mit Schriftbelegen zu erweisen suchen, dass Jesus der Messias sei. Rabbi Therfon argumentiert dagegen. Wer sich kreuzigen lasse, könne nicht Messias sein. Auch habe er Jesus von Kind auf gekannt. Die drei anderen bekunden sich taufen zu lassen, Therfon ist hingegen entschlossen, dies den Gelehrten anzuzeigen. Der zweite Akt beginnt mit einer Versammlung der vier Schriftgelehrten, zu denen Satan „in einem erbarn kleyd“1533 hinzutritt, um sie zu Maßnahmen gegen die Christen und besonders gegen Stephanus zu bewegen. Er läuft damit offene Türen ein. Juda, einer der Schriftgelehrten, erklärt, ein Freund von ihm sei auch in die ‚Sekte‘ geführt worden. Nach dem Verschwinden Satans, den die Schriftgelehrten nicht identifizieren, sondern für einen Gesetzeseiferer halten, tritt Rabbi Therfon auf, der von der Bekehrung seiner Begleiter erzählt und gegen Stephanus wettert. Man beschließt, Stephanus zu examinieren. Schnell ergibt sich dazu die Gelegenheit, als der Diakon vorbeikommt und sich eine längere Debatte entspinnt (I Ia–VIIIb). Simon beginnt die Examination mit der Frage, wie Stephanus das Bekenntnis zu Jesus und zum Heiligen Geist mit dem Glauben an den einen Gott vereinbare – er verweist auf Dtn 6. Stephanus bekennt sich zur Trinität und sucht aus dem Alten Testament Belege für die Gottheit des Geistes beizubringen. Auf erneute Frage nach der Vereinbarkeit des Glaubens an Christus als Sohn mit dem Glauben, dass Gott nur einer sei, sucht er zu erweisen, vom Sohn Gottes sei an etlichen Stellen des Alten Testaments die Rede. Simon wirft ihm vor, mehrere Götter zu haben, Stephanus sieht dagegen in Gen 1,26 und Gen 18 Hinweise auf die Trinität. In der nächsten Runde geht es, eingeleitet von Jose, um die Frage der Jungfrauengeburt und der Herkunft Jesu. Stephanus kommt dabei auf den in seinen Augen im Alten Testament geweissagten Zug der drei Weisen zu sprechen.1534 Mit Gen 49,10 und dem Hinweis auf das Königtum des Ausländers Herodes sucht er 1533 Vgl. a.a.O., H VIIa. 1534 Unter Bezug auf Jes 60 spricht er im weiteren Verlauf von Königen.

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die Behauptung zu widerlegen, der Messias sei noch nicht erschienen. Bobe lenkt die Debatte auf das Gesetz, das er unter Berufung auf die Kanonformel Dtn 4,2 und 27,26 für sakrosankt und heilsnotwendig erklärt. Den Vorwurf, das Gesetz verworfen zu haben, gibt Stephanus zurück: „Jr seyts die das Gesetz thín brechen ...“1535 Er attackiert seine Gesprächspartner, sie hätten sich am Gesetz nicht Genüge sein lassen, sondern 613 Vorschriften mit dem Talmud neu eingeführt, sie wollten klüger sein als Gott. Im Weiteren kreist das Gespräch um den Tod Jesu, dessen Notwendigkeit Stephanus mit Dan 9 und einem Zitat aus Jes 53 erklärt. Es schließt sich durch Juda der Vorwurf an, die Christen hätten den Leichnam Jesu gestohlen, worauf Stephanus die Auferstehung Jesu biblisch (Ps 16,10; Jer 31,26 u.a.) zu beweisen angeht. In einem Schlussplädoyer beklagt der Diakon mit Jes 1,2 die Halsstarrigkeit seiner Gesprächspartner und spricht von der „Vermaledeyung auff Erden“, die ihnen widerfahren werde, „Weil euch nur ewr Thalmut thut gfallen.“1536 Therfon kündigt Konsequenzen für Stephanus an und Simon fordert, dies müsse dem „Bischoff“ angezeigt werden. Nach dem Abgang der Schriftgelehrten äußert der Stephanus begleitende Philippus seine Sorge über dessen Schicksal, die dieser zu zerstreuen versucht. In der folgenden Szene kommt es bereits zur Verhaftung des Diakons durch die ‚Hammerknechte‘ des Kaiphas, womit der Akt endet. In der ersten ‚Szene‘ des dritten Aktes kommen die Schriftgelehrten mit Kaiphas zusammen und beraten über Stephanus, vor dessen Gelehrsamkeit und Schlagfertigkeit sie Respekt zeigen. Therfon fordert angesichts der Zahl der Bekehrungen bis in die Kreise von Schriftgelehrten hinein eindringlich seinen Tod. Den herbeigerufenen Gelehrten Gamaliel, Nathan und Nephthalim schildert Kaiphas den Fall. Während Nephthalim und Nathan ihr Urteil schnell gefällt haben, ist Gamaliel der unbedingten Auffassung, kein Mensch könne unverhört umgebracht werden. So könne er kein Urteil fällen. Die Vorführung des Stephanus wird angeordnet. Sie beginnt damit, dass Simon die Anklage vorbringt: Stephanus habe Gott gelästert, er wolle ein anderes Gesetz bringen, er verachte Mose. Ferner behaupte er, Jesus sei vom Tode auferstanden. Es folgt die Befragung der Zeugen Jayrus und Levi. Zu den in Act 6,13f. genannten Vorwürfen fügt Levi den Punkt hinzu, Stephanus behaupte, dass Jesus die Gewalt habe, Sünden zu vergeben.1537 Jayrus bestätigt diese Vorhaltung und verstärkt sie noch durch die Aussage, Stephanus rede so, als ob sein Herr die Menschen lebendig ins Himmelreich bringen könne und die Vollmacht habe zu verdammen. Damit aber taste er die Majestät Gottes an. Kaiphas fordert Stephanus auf, Stellung zu nehmen, und dieser beginnt seine lange Rede (K Va–VIIIa), die Act 7,2–53 folgt. Wild kürzt diese allerdings etwas.1538 Zudem fällt auf, dass sich Stephanus im Gegensatz zur Vorlage schon im mittleren Teil der Rede von seinen Anklägern in Hinsicht auf die Väter distanziert: Schließt er sich im Falle Abrahams noch mit ihnen zusammen und spricht von ‚unserem‘ Vater, so redet er bei den dem Gesetz nicht gehorchenden, das goldene Kalb verehrenden Vorfahren dagegen von ‚euren‘ – statt wie Act 7,39 von ‚unseren‘ – Vätern.1539 1535 A.a.O., I Vb. 1536 A.a.O., I VIIIa. 1537 Vgl. a.a.O., K IIIIb: „Gibt auß / wie das Jesus sein Herr. Den Menschen kündt die sünd verzeyhen.“ 1538 So lässt er z.B. 7,26–29 und auch weitere Versteile weg. 1539 Vgl. a.a.O., K VIIa; vgl. K VIIb.



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Die Anwesenden bekunden ihr Entsetzen – Nathan nennt ihn einen Ketzer1540 – und drängen auf schnelle Verurteilung, aber Gamaliel insistiert auf einer weiteren Beratung unter Abwesenheit des Angeklagten, ein Wunsch, dem stattgegeben wird. An dieser Stelle gibt Gamaliel seinen – in Act an anderer Stelle (5,34–39) erscheinenden – bekannten Ratschlag.1541 Dieser löst bei den Anwesenden – im Gegensatz zu Act 5,34ff – durchaus Empörung aus. Kaiphas meint, bisherige Verbote hätten keine Wirkung gezeitigt, und Nephthalim verdächtigt Gamaliel, er sei ein Parteigänger der Christen. Gamaliel bittet um Mäßigung, wobei er Gen 9,6 anführt und an die Geschichte von Kain und Abel erinnert. Er warnt, sich an diesem frommen Mann zu vergreifen – eine Bezeichnung, die wiederum eine Reaktion von Rabbi Therfon auslöst. Gamaliel erwähnt die engelhafte Gestalt des Diakons (Act 6,15), was Therfon entgegnen lässt, der Teufel könne sich in einen Engel verwandeln. Nach einer letzten Bitte Gamaliels um Schonung des Gefangenen lässt Kaiphas ihn wieder hereinführen und ermahnt ihn, von seiner Lehre abzulassen, sonst verliere er sein Leben. Dies verweigert Stephanus, er könne seinen Herrn nicht verleugnen. Sterbe er, so werde er doch bei Christus sein, den er zur Rechten des Vaters stehen sehe (Act 7,55). Diese Äußerung ruft erneute Empörung hervor. Stephanus bittet um Segen für Gamaliel und wird abgeführt. Gamaliel drückt sein Entsetzen über die Vorgehensweise aus, er befürchtet, Gott werde diese an Kaiphas rächen. So verlässt er die Versammlung, die sich verwundert darüber zeigt, dass der Gelehrte offensichtlich zu den Christen gehöre. Nach dieser Szene lässt Therfon die Vorbereitungen zur Steinigung anlaufen. Saulus trägt die Steine zusammen, während Stephanus für seine Mörder betet und – in Zufügung zum biblischen Text – der Engel Gabriel erscheint und ihn tröstet, er werde das ewige Leben erhalten, seine Wohnung sei schon bereit. Er solle nur stark im Geist und im Glauben bleiben. Stephanus willigt ein. Sodann beginnt die Steinigung. Stephanus befiehlt seinen Geist Gott an und stirbt. Ein zu spät kommender Knecht kann zu seiner Betrübnis keinen Stein mehr werfen.1542 Saulus kündigt sein Vorgehen gegen die Christen in Damaskus an. Die folgende Szene zeigt die Repräsentanten der Unterwelt, die voller Freude über ihre gelungene Aktion sind. Satan erläutert seine Taktik, die Christen nicht selbst anzurühren, sondern die Juden gegen sie zum Vorgehen zu reizen, bis dass Gott über sie zürne und sie in die Gewalt des Teufels gebe, so dass die Hölle wieder angefüllt werde. In der letzten Szene nehmen sich die Jünger des Leichnams Stephanus’ an und beklagen seinen Tod. Niconor (Nikanor) wundert sich darüber, dass Juden und Pharisäer, Schriftgelehrte und Sadduzäer, indem sie nicht nur die Propheten und Christus, sondern jetzt auch noch die Jünger verfolgten und so aller Welt Sünde auf sich lüden, alles Verderben auf sich brächten und den ewigen Tod erleiden 1540 Vgl. a.a.O., K VIIIa. Im Druck ist aus Versehen ‚Sathan‘ angegeben, doch tritt der Satan bis auf die Szene, in der er die Schriftgelehrten aufwiegelt, nicht unter den Menschen auf. Der gleiche Fehler erscheint K Ib (Dathan) und K IIIa. Gemeint ist eindeutig der zu dem Gelehrtengremium gehörende, von Kaiphas herbeigerufene Nathan. Vgl. dazu auch Brandl, a.a.O., S. 61, der allerdings irrtümlich von ‚Dathan‘ spricht, während im Personenverzeichnis der richtige Name – Nathan – angegeben ist. 1541 Vgl. Wild, a.a.O., L Ia. 1542 Vgl. Brandl, a.a.O., S. 60, der den Knecht, der sich beklagt, dass er zu der – auf der Bühne stattfindenden – Steinigung zu spät kommt und keinen Stein mehr werfen kann, als komische Person einordnet.

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müssten. Petrus legt dar, Stephanus habe überwunden und Gottes Gnade und das ewige Leben erlangt. Er ermahnt seine Brüder, keine Scheu vor dem Tod zu haben. Christus habe auch gelitten und damit ein Vorbild für die Christen gestiftet. So gelte es, das Leiden mit Geduld zu tragen. Christus habe keine Vergeltung geübt, sondern für die Verfolger gebetet. Dem sollten die Christen nacheifern und Gottes Gnade vertrauen, auf die auch Stephanus gebaut habe. Mit dem Wegtragen des Leichnams endet die Handlung, die dem Schema einer kontinuierlichen Steigerung folgt.

Die Schlussrede des Herolds spricht von der Handlung als von einem Spiegel. In diesem sei das Vorbild des Stephanus zu sehen, der zuerst für seinen starken Glauben gerühmt wird. Durch diesen habe er bis in den Himmel sehen können, was ihm wiederum Trost verschafft habe, weil er über dem Verlust des irdischen Lebens hier des ewigen Lebens dort gewiss geworden sei. Er habe den Tod verachtet und Fürbitte für seine Feinde gehalten. Der Herold fordert das Publikum auf, ebenso zu handeln. Wo Verfolgung drohe, solle man keine Rache begehren, sondern alles Gott überlassen. Dieser werde zu seiner Zeit richten. Das Gericht über die Juden sei bereits ergangen. Zum Beleg verweist der Herold das Publikum auf Josephus Flavius, auf dessen Werk ‚De Bello Iudaico‘, in dem dieser die Zerstörung Jerusalems durch Titus schildert. Solchermaßen aber werde es allen ergehen, „... Die sich wider Gottes wort setzen / Vnd des Herren diener verletzen.“1543 Mit dieser Warnung und der Bitte um den Heiligen Geist und das ewige Leben endet das Drama, bei dem keinerlei Beziehungen zu anderen Stephanus-Dramen zu erkennen sind. Auch zur ‚Versteinigung Stephani‘ fällt Brandls Urteil äußerst negativ aus: „Diese ist eine langweilige Versifizierung des Berichtes in der Apostelgeschichte.“1544 Der Höhepunkt, die Predigt des Stephanus nach Act 7,2–53, werde Vers für Vers in Reime gebracht, wobei die zitierten Bibelstellen alle am Rand angegeben seien. Das einzig dramatische Moment stelle die Einfügung des Rates Gamaliels aus Act 5,34ff und die mit diesem verbundene Beratung in Abwesenheit des Stephanus dar. Ähnliches stellt Wolfgang F. Michael fest. Wild folge übergenau dem biblischen Text, „... wobei uns auch die lange Rede von Stephanus vor dem Rat nicht erspart wird. Hier wie auch sonst wird das Drama zur reinen Katechisation.“1545 Bei genauer Betrachtung erweist es sich zwar als richtig, dass Wild bei der Rede des Stephanus weitgehend dem Text der Act folgt (s.o.), doch bietet er in seinem Drama durchaus freie, selbst komponierte Stücke. Zu nennen sind das Gespräch der drei zum Christentum bekehrten Männer mit Rabbi Therfon, die Unterhaltungen der drei Teufel und, mit Brandl, der in diese Handlung transferierte Ratschlag des Gamaliel, der ein deutlich retardierendes Element darstellt. Besonders hervorzuheben ist aber die Debatte der Schriftgelehrten mit Stephanus. An letzterer Stelle setzt Wild auch eigene inhaltliche Akzente, insofern in diesem Streitgespräch die – bis in Wilds Gegenwart und darüber hinaus – zwischen Juden und Christen umstrittenen Themen 1543Vgl. Wild, a.a.O., Beschluss, L VIIIb. 1544 Brandl, a.a.O., S. 60. 1545 Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 283.



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zur Sprache gebracht werden, die in Act 6–7 nicht berührt werden: der Komplex Trinität – Monotheismus, die Frage des Todes Jesu und der Messianität Jesu, die Frage nach der Bedeutung der Tora, einschließlich der Frage nach einer mündlichen Tora. Keinesfalls klebt Wild somit am biblischen Text. Was allerdings auffällt, ist, dass er eine ungeheure Zahl an Bibelstellen aufbringt.1546 Auch wenn er damit seine eigene Gelehrsamkeit darstellen konnte, was vielleicht ein Nebenzweck war, so dürfte er hier primär einen pädagogischen Zweck verfolgt haben, und zwar nicht nur einen rein bibelkundlichen. Das Gleiche gilt nämlich für die im Drama gebotene Diskussion zwischen Christentum und Judentum. Wie sich Wild Kenntnisse des Judentums und der in diesem umlaufenden schulmäßigen Argumente gegen das Christentum aneignete, muss offen bleiben. Seinerseits scheint er aber den Zweck zu verfolgen, seinen Hörern und Lesern durch die Angabe der Bibelstellen am Rande Argumente für Streitgespräche mit Juden darzubieten. Damit ist aber schon die Frage nach der Intention Wilds in diesem Drama berührt. Es kann nicht verwundern, dass Wild entsprechend seiner Tätigkeit als Lehrer für seine Dramen vor allem eine pädagogische Zielsetzung im Auge hat. Wie er in seiner ‚Vorredt‘ zur Gesamtausgabe seiner Dramen festhält, geht es ihm darum „... etwas darauß zu lernen.“1547 Er reklamiert für seine Stücke, dass deren Lektüre und Aufführung generell „Christlicher aufferbawung vnd besserung“ diene.1548 Im Anschluss visiert er, unter Reduktion einer unmittelbar religiösen Zielsetzung, die Jugend als vornehmlichen Adressaten an, die durch das Studium der Stücke ihr Gedächtnis verbessern, ihr Sprechvermögen verfeinern und ihre Fähigkeit, entsprechende Gebärden einzusetzen, vervollkommnen soll.1549 Deutlich liegt diesen Bemerkungen die Haltung Luthers und Melanchthons zu Dramen und ihrem Nutzen zugrunde, entsprechend findet sich bei Wild im Folgenden auch die verbreitete Charakterisierung der Dramen bzw. Komödien als Spiegel, in dem gute Exempel zu sehen seien.1550 Zusammenfassend stellt er fest, geistliche und weltliche Spiele lehrten „wolreden / zucht vnnd erbarkeit“.1551 Wild vertritt somit die gängigen Begründungstheorien 1546 Vgl. Brandl, a.a.O., S. 32f., der darauf aufmerksam macht, dass in Wilds Weihnachtsspiel der zwölfjährige Jesus im Tempel eine Unzahl von Bibelstellen aufsagt. Damit wird er als Vorbild für die Jugend im Auswendiglernen gezeichnet. Zugleich sind damit aber auch die zitierten Stellen selbst hervorgehoben, die der Jugend zu lernen durch das Spiel empfohlen werden, wozu die Aufführung – durch das Ausendiglernen und Üben der Spieler und die Zitation bei der Aufführung – wiederum selbst beiträgt. 1547 Wild, SchÖner Comedien vnd Tragedien zwÖlff, Vorrede, A IIIb. 1548 Vgl. a.a.O., A IIb–IIIa. 1549 Vgl. a.a.O., A IIIa: „Vnnd sonderlich fÜr die Jugent / sich darinnen zu Üben / vnnd zu kurtzweylen / darauß ein gute Memorij / oder gedechtnuß / vnnd geberten sich gegen einander zuerzeygen ...“ Vgl. dazu Brandl, a.a.O., S. 8. 13. 1550 Vgl. Wild, a.a.O. – In der Widmungsrede redet Wild nur von ‚Commedien‘ oder ‚Spil‘, obwohl die Gesamtausgabe nach dem Titel Komödien und Tragödien umfasst und der Autor auch den Stephanus als Tragödie bezeichnet. 1551 Wild, a.a.O.

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des protestantischen Schuldramas.1552 Auffallend ist, dass religiöse Intentionen im engeren Sinne in der Vorrede zur Gesamtausgabe nur am Rande erwähnt werden: als ‚christliche Auferbauung‘1553. Vielmehr sieht Wild den Ertrag seiner weltlichen wie auch seiner geistlichen Dramen insgesamt vornehmlich in der moralischen und daneben in der formalen Bildung. Dieser Befund könnte sich aus der konfessionellen Situation der Stadt erklären. In Aufnahme des horazischen ‚prodesse‘ und ‚delectare‘ tritt darüber hinaus neben die pädagogische Zwecksetzung auch eine unterhaltungsmäßige: Wild möchte, dass die sich mit seinen Dramen beschäftigende Jugend dabei Kurzweile empfindet und er geht davon aus, dass diese kurzweilig zu lesen, zu hören und zu halten seien.1554 Schaut man sich unter diesen Vorgaben die Stephanus-Tragödie an, so ist festzustellen, dass in diesem das religiöse Anliegen die Oberhand behält, infolge des zugrunde liegenden Stoffes. Wild möchte seine Zuhörer zur Treue in Verfolgungssituationen bewegen. Nach dem ‚Beschluß‘ soll man die Verfolgung gering achten – was möglich ist, weil diese gegenüber der himmlischen Freude kaum oder gar nicht ins Gewicht fällt –, das Leiden mit Geduld tragen, den Tod nicht achten und keine Rache üben.1555 Die Verkörperung dieser Haltung ist Stephanus, der infolge seiner Glaubensstärke bis in den Tod standhaft bleibt. In dieser Haltung bestärkt wird er durch den Engel Gabriel, der ihn zum Durchhalten bewegt.1556 Gegenüber Stephanus treten die eigentlichen Apostel (im Sinne des lukanischen Apostelbegriffs) etwas zurück. Zwar erscheinen sie im ersten und im dritten Akt, aber aufgrund der Konzentration auf Act 6 und 7 spielen sie in der eigentlichen Geschichte keine Rolle, sie werden auch nicht von dieser Verfolgung heimgesucht. Petrus unterstützt allerdings in seiner Rede am Ende der Handlung die empfohlene Haltung. Er mahnt dazu, den Tod nicht zu scheuen, Leiden geduldig zu tragen und für die Verfolger zu beten. Stephanus lobt er als Vorbild, er sei in diesen Verhaltensweisen Christus, dem eigentlichen Vorbild, gefolgt.1557 Über Stephanus hinaus bietet Wild aber noch weitere Personen, denen die Funktion eines Vorbildes in der Situation der Bedrängung oder Verfolgung zukommt. So bekennen sich im ersten Akt der Handwerker Salach sowie Hadoran und Beleg, die sowohl Rabbi Therfon als auch den Schriftgelehrten als fromm bekannt sind, trotz Widerständen und Drohungen von Seiten des Rabbi zum christlichen Glauben.1558 Ihr weiteres Schicksal verfolgt Wild nicht, doch steht die – den Konvertiten nicht bekannte – Anzeige durch 1552 Vgl. Brandl, a.a.O., S. 13, der von der ‚typischen Auffassung von den Schulkomödien‘ spricht. 1553 Vgl. Wild, a.a.O., A IIIa. 1554 Vgl. Wild, a.a.O., A IIb–IIIa: “… welche alle [sc. Dramen] sehr nutzlich vnnd trÖstlich / etwa klÄglich vnd frÖlich / lieblich vnnd kurtzweilig zulesen / zuhÖren / auch nach Christlicher aufferbawung vnd besserung zuhalten seind.“ 1555 Vgl. Wild, Beschluss, L VIIIb. 1556 Vgl. in Akt III, L IIIIb–Va, die Formulierungen Gabriels: „Mein Stephan biß keck ...“, oder: „Darumb mein Stephanus bleyb gÜtig / Jm Geyst vnn dem Glauben starck mÜtig.“ 1557 Vgl. Akt III, L VIIb–VIIIa. 1558 Vgl. Akt I, H Va–VIb. Vgl. Akt III, K IIb, wo Hadoran von Kaiphas als fromm bezeichnet wird.



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Therfon im Raum.1559 Aufgrund ihrer Erscheinung können sie eher die Funktion eines Vorbildes für die Zuhörer übernehmen: Sie sind theologisch interessiert, sie wissen nicht von vornherein alles, Stephanus nehmen sie zunächst als Wundertäter wahr. Sie sagen ihre Meinung und lassen sich durch Spott oder Beschimpfungen nicht beeindrucken.1560 So wirken sie geerdeter als der Diakon, dessen Entrücktheit später noch durch die Extremsituation der Todesgefahr und einer besonderen religiösen Erfahrung verstärkt wird. Standhaft zeigt sich ferner der von Wild im dritten Akt geradezu verchristlichte Gamaliel, der auf festen Rechtsgrundsätzen beharrt und diese auch unter Druck nicht preisgibt.1561 Seine positive Auffassung von Stephanus verschweigt er nicht.1562 Allerdings gehört er – noch – zur anderen Seite. Stephanus erbittet für ihn in seinem Abschiedssegen den Heiligen Geist, der ihn in die Wahrheit führen werde, zur völligen Bekehrung zu Christus.1563 Ohne Zweifel steht Wild hier in einer von der Legenda aurea repräsentierten Tradition, nach der sich Gamaliel in den Zusammenkünften des Synhedrion den Christen gewogen zeigte, Stephanus in seinem Grab beisetzen ließ und sich schließlich auch zum christlichen Glauben bekehrte.1564 Die Aufnahme der Person Gamaliels in die Stephanus-Handlung ist allerdings ein für ein protestantisches Stephanus-Drama erstaunliches Faktum, insofern für protestantische Bibeldramen der biblische Handlungsrahmen konstitutiv war, die biblische Vorlage aber weder Anlass noch Notwendigkeit zur Einführung der Person des Gamaliel bot. Das Faktum zeigt, dass protestantische Autoren durchaus mittelalterliche Überlieferungen rezipieren konnten. Eng neben diesem Anliegen, Vorbilder in Gestalt von unter Druck standhaften Menschen zu bieten, steht die Zielsetzung, den Zuhörern Trost zu vermitteln. Dieser ist im Besonderen den um ihres Glaubens willen Verfolgten verheißen. Verdeutlicht wird das an Stephanus, dem zuerst göttlicherseits der Trost gewährt wird, in den Himmel zu schauen, d.h. seines Heils und der Höherwertigkeit des ewigen Lebens gegenüber dem irdischen Leben gewiss zu sein1565, und dem ferner vor seinem Martyrium eine Tröstung durch den

1559 Vgl. Akt I, H VIIa; Akt II, VIIIb. 1560 Vgl. Akt I, H IIIa–VIb. 1561 Vgl. Akt III, K IIIa. VIIIb. 1562 Vgl. a.a.O., L IIa. Er nennt ihn einen ‚Frommen‘ und befindet sein Angesicht für rein und lauter, ohne alle List. 1563 Vgl. a.a.O., L IIIb. 1564 Vgl. Legenda aurea, Cap. VIII (De sancto Stephano), ed. Th. Graesse, S. 53: „Sanctus vero Gamaliel et Nicodemus, qui erant pro christianis in omnibus consiliis Judaeoreum, sepelierunt eum in agro ipsius Gamalielis …“ Vgl. ferner Cap. CXII (De inventione sancti Stephani protomartiris), S. 462, wo berichtet wird, wie Gamaliel im 5. Jahrhundert dem Jerusalemer Presbyter Lucian erscheint und ihm erzählt, neben ihm liege Stephanus, dem er sein neues Grab zur Verfügung gestellt habe, und sein Sohn Abibas, der mit ihm selbst die Taufe empfangen habe. 1565 So deutet der Herold im Beschluss, L VIIIb, das L IIIa Dargestellte. Aber auch Stephanus drückt ebd. seine Gewissheit über den Erhalt des ewigen Lebens aus. – Als Trost deutet auch Luther in

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vom Himmel erscheinenden Engel Gabriel zuteil wird.1566 Trost und Stärkung von Gott erhält – und hier besteht die Verbindung zur ersten Intention Wilds, der Aufforderung, die Verfolgung zu ertragen –, wer der Verfolgung nicht ausweicht, sondern darin standhaft bleibt. Petrus unterstützt in seinem Schlussbeitrag dieses Anliegen, indem er darlegt, der Protomärtyrer habe in und mit seinem Tod Gottes Gnade und das ewige Leben erworben.1567 Als Quintessenz für die Zuhörer ergibt sich, dass sie wie Stephanus auf Gottes Gnade vertrauen sollen.1568 Der Trost besteht in der Verheißung des Gnadenstandes und des ewigen Lebens einschließlich der Heilsgewissheit. Er beinhaltet, dass die vom Teufel angestifteten Gegner der Christen nicht das letzte Wort haben, dieses bleibt Gott vorbehalten. Der Trost impliziert damit auch das göttliche Gericht an den Feinden Gottes und der Christen. Dieses sollen die Christen in keinem Fall selbst in die Hand nehmen. Ihnen bleibt allein, sich auf Gott zu verlassen und auf sein Eingreifen zu warten; dessen aber können sie gewiss sein. Nun ist die Frage, inwieweit sich in der ‚Versteinigung Stephani‘ die konfessionelle Frontstellung widerspiegelt. Der Stoff selbst bietet eine Situation der Verfolgung und Bedrängung der Christen, aus der Wild seine Ziele, zur Treue im Glauben aufzufordern und Tröstung zu spenden, ableitet. Ohne Zweifel muss er dabei die zu seiner Zeit zunehmend schwierigere Position des Protestantismus im Auge gehabt haben. Der Appell zur Standhaftigkeit im Falle von Verfolgung oder Unterdrückung und der dieser Haltung geltende Zuspruch von Trost, besonders der Verheißung des ewigen Lebens, lassen sich nicht vom Kontext der beginnenden Gegenreformation trennen. Ist dem so, ist sogleich aber zweierlei hinzuzufügen. Zunächst greift Wild die konfessionelle Problemstellung in diesem Drama nur verdeckt auf. Als Chiffre für die Auseinandersetzung zwischen Protestanten und Altgläubigen gebraucht er die Konfrontation zwischen Christen und Juden. Zum andern verhält es sich so, dass die Kontroverse zwischen Christen und Juden im Drama derart dominant ist und auch in materialer Hinsicht solchermaßen konkretisiert wird, dass ihr durchaus eine eigenständige Bedeutung zukommen muss. Die Verhandlungen zwischen Stephanus und seinen jüdischen Gegnern hat Wild zu konkret und zu ausführlich gefasst, als dass man von dieser direkt gegebenen Bedeutungsebene absehen könnte, um sofort zu der anderen, der Ebene der konfessionellen Auseinandersetzung im 16. Jahrhundert überzugehen. Die ungewöhnlich lange, fast den gesamten zweiten Akt einnehmende Szene der Examination des Stephanus durch die jüdischen Schriftgelehrder Hauspostille zur Stephanus-Geschichte von 1544 die Vision, die belege, dass Stephanus den Heiligen Geist gehabt habe; vgl. WA 52, 594. 1566 Gabriel sagt Stephanus zu (Akt III, L IIIIb): „Mein Stephan biß keck / Gott wirt dir / Das Ewig leben geben / für. Dises / so du yetzt leydest pein. Vmb seines Sons willens allein. Die wonung seind bereyttet schon / Für all die seinen willen thon. Die werden besitzen das Reich / Bey vns mit friden Ewigkleich.“ Er schließt (L Va): „Gott der Herr wirt dich hoch erheben.“ 1567 Vgl. Akt III, L VIIb. 1568 Vgl. a.a.O., L VIIIa.



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ten bietet geradezu eine Anleitung für Diskussionen mit Juden, um auf deren Anfragen und Einwürfe antworten zu können. Typisch für Wild, werden von Stephanus zahlreiche Bibelstellen aus dem mit dem Judentum gemeinsamen Alten Testament angeführt, um in den strittigen Themen: Trinität, Einheit Gottes, Herkunft Jesu, Gesetz, Tod Jesu, die Wahrheit der christlichen Position zu erweisen und zu belegen, dass die von den jüdischen Gesprächspartnern ebenfalls zahlreich in Anschlag gebrachten biblischen Belegstellen hier keine Anwendung finden und so entkräftet werden können.1569 Eine scharfe Polemik wird gegenüber dem Talmud entwickelt, dessen Vorschriften für den Stephanus Wilds geradezu eine menschliche Aushebelung des Gesetzes darstellen.1570 Der Verweis auf den Talmud lenkt so den mittels der Kanonformel aus Dtn 4,2 formulierten Vorwurf des Schriftgelehrten Bobe, Christus habe das Gesetz verachtet, auf den Ankläger zurück und mündet in den christlichen Vorwurf ein, die jüdischen Schriftgelehrten wollten – durch den Talmud – klüger sein als Gott.1571 Gegen Ende der Disputation ist die jüdische Haltung zum Talmud für Stephanus der Grund für seine Ankündigung des Verdammungsurteils über seine Gegner.1572 Zwar werden die Argumente und biblischen Belege der Schriftgelehrten durchaus sachlich vorgeführt, doch ist die Darstellung ohne Zweifel tendenziös. Schon äußerlich sind die Redeanteile des Diakons größer. Hinzu kommt dessen Disputationskunst: Er kann zahlreiche biblische Belege beibringen und die Schriftauslegung der Schriftgelehrten als falsch widerlegen. Nach jeder Antwort des alleine agierenden Stephanus wählen die Schriftgelehrten, die zu viert vertreten sind und damit über den Vorteil verfügen, sich abwechseln zu können, ein neues Thema aus. So wird suggeriert, dass sie dem Diakon nichts entgegenzusetzen vermögen. Überhaupt werden die Schriftgelehrten durch den belehrend und altklug bis arrogant wirkenden Stephanus

1569 Vgl. Akt II, I Ia–VIIIb. 1570 Vgl. a.a.O., I Vb. VIIIa. 1571 A.a.O., I Vb: Die Juden hätten die zehn Gebote nicht stehen gelassen, sondern zu diesen noch 613 weitere geschrieben: „Dises ist ewer Talmuts lehr. Die gebietend jr jung vnd allten / Das man die vestigklich soll halten. Verlaßt dardurch Gottes gebott / WÖlt allweg gscheyder sein dann Gott.“ 1572 Vgl. a.a.O., I VIIIa. – Dass die Juden durch ihre Wendung zum Talmud nicht mehr als Juden anzusehen seien, ist ein Gemeinplatz der antijudaistischen Polemik im 16. Jahrhundert; vgl. Thomas Kaufmann, Die theologische Bewertung des Judentums im Protestantismus des späteren 16. Jahrhunderts (1530–1600), ARG 91 (2000), S. 230. Johannes Pfefferkorn sieht in seinem ‚Juden Spiegel‘ zu Anfang des Jahrhunderts in der Anerkennung des Talmud durch die Juden den Grund für ihre Verwerfung und Vertreibung und kommt zu der Forderung, die Christen sollten den Juden den Talmud wegnehmen. Vgl. Winfried Frey, Der ‚Juden Spiegel‘. Johannes Pfefferkorn und die Volksfrömmigkeit, in: Peter Dinzelbacher – Dieter R. Bauer (Hrgg.), Volksreligion im hohen und späten Mittelalter, Paderborn u.a. 1990, S. 188. 190f.; vgl. S. 184f. – Dass die Juden sich mit dem Talmud von den Geboten des Alten Testaments und damit von Gott entfernt hätten, ist ein Argument, das schon bei Raimundus Lullus erscheint; vgl. Gaby Knoch-Mund, Disputationsliteratur als Instrument antijüdischer Polemik, Tübingen – Basel 1997, S. 260 Anm. 351.

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als unterlegen vorgeführt,1573 an anderer Stelle werden sie zudem als der rechten Wahrnehmung entbehrend dargestellt: So hält der Schriftgelehrte Simon den mit ihm und seinen Kollegen sprechenden Satan für einen frommen Mann, der um das Gesetz eifere.1574 Die Disputation endet damit ergebnislos: Während Stephanus seinen Gegnern Halsstarrigkeit attestiert und wütend ein irdisches Gericht androht, verbleibt den Schriftgelehrten keine andere Möglichkeit als der Griff zu Zwangsmitteln.1575 Mit dieser Disputation soll zum einen die Überlegenheit des christlichen Glaubens gegenüber dem jüdischen erwiesen werden, andererseits wird für die konkrete Apologetik gegenüber jüdischen Diskussionspartnern sogar ein Katalog von Schriftstellen und Argumenten zur Widerlegung von Einwänden geboten. Nicht auszuschließen ist, dass Wild hier von kursierenden antijudaistischen Werken wie der mehrfach zu seiner Zeit nachgedruckten ‚Pharetra‘ (‚Pfeilköcher‘) beeinflusst ist.1576 Eine konkrete Übernahme von Argumentationen des in der ‚Pharetra‘ streitenden Christen lässt sich aber nicht nachweisen; lediglich die Einwände des jüdischen Opponenten sind verwandt. Der Christ in der ‚Pharetra‘ geht jedoch grundsätzlich ähnlich wie Wilds Stephanus vor: Er versucht, die Juden vor allem aus ihren eigenen Quellen, mit alttestamentlichen Stellen zu widerlegen.1577 Während dies im Hochmittelalter nur gebildeteren Klerikern vorbehalten war – Laien und ungebildeten Priestern wurde von Disputationen mit Juden abgeraten1578 – belegt das Faktum der deutschen Übersetzungen der ‚Pharetra‘ ab dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts wie auch der Untertitel des hier benutzten lateinischen Druckes von 1502, der das Werk für „quivis christifidelis“ bestimmt,1579 eine seit im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit aufkommende Tendenz, auch Laien in die Auseinandersetzung mit dem Judentum einzubeziehen und auf diese Weise den Disput zu forcieren – eine Tendenz, der auch das in der Volkssprache gehaltene

1573 Vgl. die Formulierungen Stephanus’: „Ey wird jr nit so hoch gelehrt. So sprech ich jr redt wie ein Kind.“ (Wild, I IIIa); „Ey mein Herr / thít die Schrifft baß leren.“ (I IIIb); „Jch hÖr wol jr habt nit gelesen / Das neünvndviertzigst Capitel / Genesis ...“ (I Va); „Mein Herr jr seyt ein allter Mann. Mich wundert das jr noch nit wist / Die aufferstÄndtnuß Jesu Christ ...“ (I VIIb). Auch Voreingenommenheit aus niederen Motiven wird den Disputationspartnern unterstellt; vgl. I Vb: „Mein Herr jr redt auß neyd vnd Hass.“ 1574 Vgl. Akt II, H VIIIa. 1575 Vgl. a.a.O., I VIIIb. 1576 Zur ‚Pharetra‘ vgl. Karl Heinz Keller, Art. ‚Theobaldus de Sexannia‘, VerLex2 9, Sp. 737–741, ferner Heiko A. Oberman, Wurzeln des Antisemitismus. Christenangst und Judenplage im Zeitalter von Humanismus und Reformation, Berlin 19812, S. 110f. 1577 Gleich ist bei Wild und in der Pharetra etwa der Verweis auf Jes 53 für das Leiden Christi; vgl. Pharetra, Leipzig 1502, A Vb. 1578 Vgl. Knoch-Mund, a.a.O., S. 260 Anm. 355; S. 264. 1579 Zu den deutschen Übersetzungen des Werkes vgl. Keller, a.a.O., Sp. 740. Der volle Titel des Leipziger Druckes von 1502 lautet: Pharetra fidei catholice siue ydonea disputatio inter Christianos et Judeos in qua perpulcra tanguntur media et rationes quibus quiuis christifidelis tam ex prophetis suis proprijs quam ex nostris eorumque erroribus faciliter poterit obuiare.



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Drama Wilds unterliegt. In all dem aber ist es ein Zeugnis des sich verstärkenden Antijudaismus seiner Zeit.1580 Auf der anderen Seite macht Wild aber deutlich, dass die in der ‚Versteinigung Stephani‘ dargestellte Auseinandersetzung nicht einfach in dem aufgeht, was man dort sieht: den Streit zwischen Christen und Juden. Wie für ihn hinter den Christen verborgen Gott steht, so sieht er – durchaus in Übereinstimmung mit Luther1581 – hinter dem Handeln der jüdischen Autoritäten den Teufel agieren, so dass sich ein apokalyptisches Drama abzeichnet. Nach der Aussage Satans benutzt die Unterwelt lediglich die jüdischen Autoritäten, um der christlichen Gemeinde zu schaden und sie zu zerstören, ohne dass sie selbst Hand anlegen müsste. So stachelt der Satan die Schriftgelehrten zum Vorgehen gegen Stephanus auf.1582 Zugleich gelingt es der Unterwelt auf diese Weise, dass Gott ihr in seinem Zorn die Juden zur Beute gibt.1583 Das Gebaren der jüdischen Autoritäten ist für Wild somit nur ein Beispiel für das in der Geschichte stets gegenwärtige gottfeindliche, auf die Vernichtung seiner von ihm auf Erden eingesetzten Gemeinde zielende Verhalten des Teufels, dem es immer wieder gelingt, irdische Mächte unwissend für seine Zwecke in Dienst zu nehmen. Damit tritt nun wieder die konfessionelle Bedeutungsebene ins Licht, die aber nur verhüllt präsent ist, und zwar aus gutem Grund: Der Rat der Stadt Augsburg drang, auch aufgrund der Polizeiordnung von 1553, darauf, öffentliche Schmähreden und Beleidigungen in Lied und Gesang zu ahnden, mit dem Erfolg, dass die religiösen Auseinandersetzungen in der gemischt konfessionellen Stadt in Schranken gehalten werden konnten.1584 Auf der Tagesordnung aber stand die konfessionelle Frage für einen Protestanten in der Reichsstadt schon deshalb, weil die katholische Seite in den sechziger Jahren erhebliche Erfolge in der Rekatholisierung erzielte, nicht zuletzt durch das Wirken des als Domprediger berufenen Petrus Canisius von 1559 bis 1565.1585

1580 Wilds Antijudaismus spiegelt sich auch in seinem, freilich auf einer Legende aus dem 12. Jahrhundert beruhenden Stück ‚Vom krancken Keyser Thito‘, der an den Juden Rache wegen der Tötung Christi üben will; vgl. Radlkofer, a.a.O., S. 9. – Zu informellen Streitgesprächen zwischen Juden und Christen in der Frühen Neuzeit, vgl. Haim Hillel Ben-Sasson, Jewish-Christian Disputation in the Setting of Humanism and Reformation in the German Empire, HThR 59 (1966), S. 369–390. 1581 Vgl. die Hauspostille zur Stephanus-Geschichte von 1544; WA 52, 592,17f. 1582 Vgl. Akt I, H IIa–IIIa; vgl. Akt III, L VIa. 1583 Nach der Steinigung äußert der Satan in Akt III, L VIb: „Den Christen aber mÖgen wir / Nichts leids thon / darum volgend mir. Lassend vns die Juden dermassen / Raitzen / das sie die Christen hassen. Vnd vmbbringen mit schmach vnd spott / Das vber sie erzürne Gott. Vnd geb vns vber sie den gwallt...“ 1584 Vgl. Herbert Immenkötter, Kirche zwischen Reformation und Parität, in: Gunther Gottlieb – Wolfram Baer u.a. (Hrgg.), Geschichte der Stadt Augsburg, Stuttgart 1984, S. 404. 1585 Vgl. ebd., wo von der Rückgewinnung Tausender lauer oder übergetretener Katholiken die Rede ist.

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In der Schlussrede wird entsprechend diesem Befund die Entgegensetzung von Stephanus und den ihn verfolgenden jüdischen Autoritäten aktualisiert und zugleich generalisiert. Während Stephanus für alle diejenigen steht, die trotz Gegendrucks am Glauben festhalten, repräsentieren die jüdischen Gegner des Diakons alle diejenigen, die sich Gottes Wort widersetzen und gegen seine Diener agieren.1586 Damit ergibt sich ein differenziertes Bild der Zielsetzung von Wilds Drama. Für diejenigen, die zur protestantischen Seite gehören, gilt, dass sie zum Beharren im Glauben bewegt werden und in dieser Haltung auch für den Fall der Unterdrückung des Glaubens bestärkt werden sollen. Zugleich fordert Wild die Bedrängten zur Zurückhaltung gegenüber den Verfolgern auf, wie es sowohl Petrus in seiner Schlussbetrachtung als auch der Herold ausdrücklich unter Hinweis auf Stephanus vorbringt.1587 Als primär an die Außenstehenden, d.h. an die Bedränger der Gemeinde gerichtet erweist sich aufgrund der scharfen Kontrastierung von Verfolgten und Verfolgern die Ermahnung zur Ehrfurcht vor Gottes Wort und vor den Dienern des geistlichen Amtes, die im Beschluss erfolgt und die Wild auch dadurch zu erreichen sucht, dass er unter Andeutung des vergangenen Schicksals der Juden vor Augen führt, was den Verächtern des göttlichen Wortes in Zukunft droht: die Verurteilung im göttlichen Gericht.1588 Parallel weist Wild in der Handlung aber darauf hin, dass stets die Möglichkeit verbleibt, sich zu Christus zu bekehren und von den Sünden abzuwenden. Stephanus selbst bringt dies im ersten Akt gegenüber seinen jüdischen Gesprächspartnern zum Ausdruck; eine Einladung, die diese bis auf Therfon auch annehmen.1589 Die Hörenden sollen eingedenk sein, dass auch dem Umkehrenden die Verheißung von Gnade und ewigem Leben gilt, wie sie dem Beharrenden gewiss ist. Ohne Zweifel klingt dies sehr dualistisch – die wahre Gemeinde, sprich die Protestanten, wird den sie bedrängenden Altgläubigen gegenübergestellt; den Gliedern der einen wird das ewige Leben verheißen, den Parteigängern der anderen wird mit dem göttlichen Gericht gedroht. Und doch sind noch andere Töne vernehmbar. Singulär in einem protestantischen Stephanus-Drama ist, wie erwähnt, die Aufnahme der Person des Gamaliel in die eigentliche Stephanus-Handlung – über den biblischen Text hinaus, der dazu keinerlei Anlass bot.1590 Dass Wild hier auf mittelalterlicher Tradition fußt, erklärt noch nicht die 1586 Vgl. Wild, .a.a.O., Beschluss, L VIIIb. 1587 Vgl. Akt III, L VIIb–VIIIa; Beschluss, L VIIIb: „Also sollen wir jm auch thon / Wo wir verfolgung mÜsten bstohn. Vnd nit raach begeren auß neyd / Dann Gott der wirt zu seiner zeyt. Wol rechen / vnd die HÄsser sein / Selbst straffen mit Ewiger pein.“ 1588 Vgl. Beschluss, L VIIIb. 1589 Vgl. Akt I, H Va. Vb–VIb. 1590 Zwar tritt Gamaliel auch in den Stephanus-Dramen von Michael Saxo und Melchior Neukirch auf, diese geben aber die Handlung von Act 2–7 (Saxo) bzw. Act 4–7 (Neukirch) wieder und lassen Gamaliel an der Stelle auftreten, wo er nach Act (5) seinen Ratschlag gab, nicht aber innerhalb der Stephanus-Handlung. – Eine analoge Einfügung des Gamaliel findet sich in Buchanans Drama ‚Calumnia‘ über Johannes den Täufer. Darin kritisiert der jüdische Lehrer in ähnlicher Weise die Hinterhältigkeit seiner Kollegen; vgl. Marguerite Soulié, Le théâtre et la Bible au XVIe siècle,



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Funktion der Gestalt des Gamaliel in seinem Drama. Gamaliel, selbst angesehener Vertreter der Gegenpartei, aber gegenüber Stephanus vorsichtig wohlwollend eingestellt,1591 fordert seine Parteigänger zur Zurückhaltung gegenüber den Christen auf und legt das Urteil in der Religionsfrage allein in die Gewalt Gottes. Damit wird das Motiv deutlich, das Wild zum Einbau der Gestalt Gamaliels in sein Drama veranlasste. Mit ihr suchte er die altgläubige Partei zu erreichen und zur Mäßigung gegenüber den Protestanten zu bewegen. Vorrangig dürfte er dabei deren gemäßigte Vertreter im Rat, vielleicht sogar heimliche Sympathisanten des protestantischen Glaubens, im Blick gehabt haben, in zweiter Linie ihm weise und weitsichtig erscheinende altgläubige Ratsmitglieder. Der Verweis auf den Ratschlag Gamaliels und dessen – in den Augen Wilds – die Katastrophe Jerusalems bzw. Israels, für die er auf Josephus rekurriert,1592 auslösende Verwerfung, dürfte einen Appell an die Vertreter der altgläubigen Seite der gemischt konfessionellen Stadt darstellen, sich nicht auf die Unterdrückung der Evangelischen einzulassen und sich nicht für Machenschaften von anderer Seite gegen diese instrumentalisieren zu lassen. Wild sieht es als historische Schuld der jüdischen Oberen an, dass sie damals nicht dem Rat Gamaliels zur Zurückhaltung folgten.1593 Dieses aber darf sich seines Erachtens in der Gegenwart nicht wiederholen: Eine gewaltsame Lösung der Konfessionsfrage würde auch der eigenen Gruppierung und damit dem gesamten Gemeinwesen nur Schaden einbringen. So dürfte Wilds Drama ein Appell an die Altgläubigen sein, die Protestanten zu dulden. Nimmt man hinzu, was für sich genommen zwar sicher einen Topos darstellt und alleine keinen hinreichenden Beleg für eine veränderte Einstellung bietet, nämlich dass die Gegenseite aufgefordert wird, im Falle von Verfolgung das Gericht Gott anheim zu stellen und auf Hass und Rache zu verzichten,1594 so sind zumindest Ansätze zu einem veränderten gegenseitigen Umgang spürbar. Gewiss ist Wilds Drama kein Dokument einer echten Irenik, aber es lässt doch Ansätze eines Plädoyers für einen friedlichen, geordneten Umgang miteinander, für ein verträgliches Verfahren in der konfessionellen Frage erkennen. Dabei gibt Wild, wie das Drama zeigt, den eigenen Wahrheitsanspruch nicht preis. S. 640. Obwohl Buchanans Drama bereits während seines Aufenthalts in Bordeaux (1539–1544) entstand, wurde es erst 1577 in London gedruckt (vgl. Karl Goedeke, Grundriß. Bd. 2, S. 139 [Nr. 40]), so dass eine Übernahme eher unwahrscheinlich ist. 1591 Auch darin ist der Gamaliel Wilds von dem Saxos und Neukirchs unterschieden, in deren Dramen Gamaliel klar die Interessen der jüdischen Seite vertritt. 1592 Beschluss, L VIIIb: „Dann Gott der wirt zu seiner zeyt. Wol rechen / vnd die HÄsser sein / Selbst straffen mit Ewiger pein. Wie nun den Juden ist geschehen / Das mÖcht jr in Josepho sehen. Was sie für ein lohn haben gnommen.“ 1593 Akt III, L IIIb–IIIIa, redet Gamaliel: „O Cayphas was groß vngefel / Wirst du laden auff Jsrael. Schaw das der spruch nit vber dich / Komm / der da spricht / sie haben mich. Gehasset / ohn alle vrsach / Gwiß wirt kommen die GÖtlich raach. Jn dein Raht will ich nymmer kummen / So du ertÖdten lest die frummen. Christen / thíst ohn vrsach verdammen.“ 1594 Beschluss, L VIIIb: „Also sollen wir jm auch thon / Wo wir verfolgung mÜsten bestohn. Vnd nit raach begeren auß neyd.“

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Er lässt keinen Zweifel daran, dass Gott in seinem Gericht auf Seiten der Bedrängten, der Protestanten steht, während er die Unterdrücker, die altgläubigen Potentaten, ihrer Strafe zuführen wird. Er erhofft sich auch die Bekehrung Altgläubiger, wie die drei konvertierten Juden und auch Gamaliel belegen. Schließlich disputiert Stephanus hart mit seinen Kontrahenten und kündigt ihnen das göttliche Gericht und die höllischen Qualen an. Ungeachtet dessen stellt Wilds Drama einen Appell zur Mäßigung dar. Dieser ist zwar in erster Linie an die Altgläubigen gerichtet, aber über die Aufforderung zur Geduld und zum Verzicht auf Hass gilt er sekundär auch der eigenen Partei. Weder die Altgläubigen, sofern sie die Überlegenen sind, noch die Protestanten, sofern sie in die Rolle der Bedrängten geraten, sollen zu Mitteln von Druck oder Gewalt greifen. Die Tragödie von der ‚Versteinigung Stephani‘ erweist sich so in ihrer Zielrichtung als ungemein polyphon, insofern Wild, bedingt durch die konfessionelle Situation seines Wirkungsortes Augsburg, verschiedene Adressaten anspricht. Das Drama wartet mit einer Binnen- und einer Außenorientierung auf. Es will die eigene Gruppe, die Protestanten, im Glauben bestärken und zugleich die Außenstehenden, die Altgläubigen, zur Zurückhaltung und zur Besonnenheit in der konfessionellen Auseinandersetzung motivieren, ein Anliegen, das wiederum auf die Protestanten zurückstrahlt. Wild zeichnet Stephanus als hochgelehrt.1595 Der Diakon kennt die Bibel bzw. das Alte Testament und ist kundig in der Theologie, wie seine Verteidigung der Trinitätslehre belegt.1596 Die Gegner wissen um seine Schlagfertigkeit und Redegabe, sie fürchten, in Disputationen mit ihm zu unterliegen.1597 Auf alle ihm entgegengeworfenen Argumente vermag er zu antworten. Wild stellt ferner die Führungskraft des Stephanus heraus. So teilt er den anderen Diakonen und sich selbst die Aufgabenbereiche zu.1598 Die Diakone Philippus und Nicanor treten als seine Begleiter auf, er selber aber ist der Wortführer. Die Tätigkeit des Stephanus ist vorrangig die eines Predigers. Die Unterwelt in Gestalt Ascharets nimmt Anstoß daran, dass er predigt, obwohl ihm dies nicht befohlen sei, sei er doch bloß ein ‚Almosenknecht‘.1599 Dies ist die einzige Stelle in einem Stephanus-Drama, wo der in der lukanischen Vorstellung des Apostolats und der Urgemeinde gründende Widerspruch zwischen der Tätigkeit, die von der Einsetzung der Diakone her zu erwarten gewesen wäre, und dem ganz andersartigen Dienst, den der ‚Diakon‘ Stephanus nach seiner Einsetzung wahrnahm, festgehalten wird. Gleichwohl setzt Wilds Drama voraus, 1595 Vgl. a.a.O., K Ib. 1596 Vgl. Akt II, I Ib–IIa. 1597 Vgl. die Äußerungen von Rabbi Therfon, a.a.O., I Ia (Akt II), sowie von Simon und Jose zu Beginn des dritten Aktes, K Ib. 1598 A.a.O., H Ia–b, äußert Stephanus (Akt I): „Gott wÖll sein genad darzu geben. Philip vnd Niconor wir drey / WÖllen das Ampt versehen / bey. Den Hebereern / mit andacht / So habend jr vier auch gít acht. Bey den Griechen / damit das wir / Allen zwitracht stillen hinfür. Wann wir nyemand kein abbruch than.“ Wild geht demnach von einer Arbeitsteilung der ‚Diakone‘ nach beiden Gemeindeteilen aus, was aus Act 6 so nicht direkt herauszulesen ist. 1599 Vgl. a.a.O., H IIa (Akt I). Den Begriff ‚Diakon‘ gebraucht Wild im Drama nicht.



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dass Stephanus nicht nur predigte. Act 6,8 aufnehmend, wird darauf eingegangen, dass er Wunder wirkte, was als Erklärung für seine Anziehungskraft dient,1600 von seinen Gegnern aber als Zauberei abgewertet wird.1601 Ein exorzistisches Wirken wird angedeutet.1602 Zur Darstellung gebracht wird jedoch nichts dergleichen. Damit wäre Wild zu stark von der biblischen Vorlage abgewichen; auch hätte eine solche Szene vermutlich eine zu große Eigendynamik entwickelt, zumindest aber ein sehr starkes Eigengewicht gehabt. Von einem diakonischen Wirken in der Fürsorge für die Witwen der Urgemeinde geht das Drama im ersten Akt gemäß Act 6 aus. Besonders in geistlicher Hinsicht wird von Wild die Vorbildlichkeit des Stephanus herausgestellt. Wie zu erwarten wird seine Geduld und Leidensfähigkeit sowie seine Standhaftigkeit im Glauben hervorgehoben. Philippus äußert sich vor der Verhaftung besorgt über das Schicksal des Stephanus, was dieser mit den Worten abtut: „Es ist nur vmb den Leyb zuthon. Die Seel sie mir nit nemen künden.“1603 Er bleibt auch standhaft, als ihm Kaiphas mit dem Todesurteil droht: „Solt ich nach meinem leben fragen. Vnd verlaugnen des Herren rein / Der sein leben gab für das mein. Das sey ferr / tÖdt jr mich hie eben / So wirt ich doch dort Ewig leben. Bey Christo meinem Herren fron.“1604 Als Ursache für sein Beharrungsvermögen wird seine Glaubensstärke namhaft gemacht. Diese ließ ihn, so der Herold, sogar Christus im Himmel sehen und brachte ihn dazu, den Tod nicht zu achten.1605 Als vorbildlich wird schließlich sein Verhalten gegenüber seinen Peinigern dargestellt, sowohl durch Petrus anlässlich des Begräbnisses als auch durch den Herold in der Schlussrede.1606 Stephanus ist so eindeutig, mit qualitativem Abstand zu allen anderen Gestalten, die Hauptperson des Dramas.1607 Damit ist er freilich auch von den Zuschauerinnen und Zuschauern weit entfernt, was eine völlige Identifikation mit ihm erschwert. Die ihn begleitenden Diakone Nicanor und Philippus treten zu selten und zu wenig profiliert auf, als dass sie das Vakuum füllen und in die Rolle von Vermittlern der Botschaft des Protagonisten oder sekundären, zuhörernahen Vorbildern aufrücken könnten. Ähnliches gilt für den zu Beginn und am Ende auftretenden Petrus, der mehr außerhalb der eigentlichen 1600 Hadoran äußert in Akt I den Gedanken (H IIIa): „Jch mÖcht den geren sehen / der / So grosse wunder hin vnd her An den Leüten thít wie man sagt / Die Leüt heylt vnd Teüffel außjagt. Die krummen krad / die krancken gsund / Macht wie der verstorb Jesu / vnd. Heylt sie ohn alle Artzney.“ Vgl. das Argumentum, G IIIIb; Akt II, H VIIb; I Ia; Akt III, K IIIa. 1601 Vgl. die Bemerkung des Rabbi Therfon, Akt I, H IIIb, und des Hohenpriesters, Akt III, K IIIa. 1602 Vgl. Akt I, H IIa. 1603 A.a.O., I VIIIb–K Ia (Akt II). 1604 A.a.O., L IIIa. 1605 A.a.O., L VIIIa–b: „[Stephanus] … Wellicher voller Glaubens war / Dardurch er biß in Hymel klar. Gesehen hat / vnd Gottes Sun / Sitzen zur ghrechten Gottes nun ... Sollicher glaub hat jn ergetzt. Das er des tods nit hat geacht.“ 1606 Vgl. a.a.O., L VIIb–VIIIa; L VIIIb. 1607 Dabei fällt allerdings der erste Akt mit der Einsetzung der Diakone aus dem Rahmen.

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Handlung als Kommentator zu stehen kommt. So bleibt nur Stephanus als nahezu unerreichbares und kaum von Christus selbst abgesetztes Vorbild.1608 Direkte Spuren der reformatorischen Theologie sind in Wilds Drama nur in geringem Maße zu erkennen. Explizite Anspielungen auf die konfessionelle Frage finden sich kaum. Wie erwähnt, hängt dieser Befund mit der besonderen Situation in Augsburg zusammen. Konfessionelle Polemik gegenüber den Altgläubigen betreibt Wild aus diesem Grunde nicht. Derartige Anspielungen auf die Situation im 16. Jahrhundert sind nur darin zu erkennen, dass zweimal vom ‚Bischof‘ – gemeint ist der Hohepriester – als dem für die Überwachung der Lehre Zuständigen die Rede ist,1609 und dass Stephanus im Prozess als ‚Ketzer‘1610 bezeichnet wird. An einer Stelle äußert der sich zum christlichen Glauben bekehrende Beleg auf eine längere Bemerkung des Stephanus: „Jr lieben Freünd ist das der grund / Werden die Leüt also gesund. Durch den creützigten Jesu frey / Brauchend jr sonst kein Artzeney. Wann jr helfft eim Stummen vnd tauben.“1611 Nicanor ergänzt: „Nein / welcher thít an Jesum glauben. Dem mag gholffen werden fürbaß.“1612 Die Feststellung, allein Christus sei der Arzt, darum bedürfe man sonst keiner Arznei, eine Bezeugung des solus Christus, lässt sich auch als vorsichtige Kritik an der altgläubigen Heiligenverehrung oder speziell der Verehrung der Nothelfer verstehen. Ein Indiz für die reformatorische Lehre ist auch darin zu sehen, dass der Glaube als Vertrauen auf Gottes Gnade, als Bauen auf seine Gnade gefasst wird.1613 Schließlich verdeutlicht die Disputation des Stephanus mit den Schriftgelehrten, dass nur auf der Basis der Schrift argumentiert werden kann, was Stephanus reichlich realisiert. Dass dabei nur das Alte Testament herangezogen wird, ist sicher dadurch bedingt, dass Wild sich bewusst war, dass die jüdischen Gesprächspartner nur dieses als Grundlage anerkennen würden. Dass der historische Stephanus noch nicht über das Neue Testament verfügen konnte, dürfte keine Rolle spielen, insofern der Diakon des Dramas durchaus auch Ergebnisse der altkirchlichen Trinitätslehre andeuten kann.1614 Scharf wendet er sich gegen eine Erweiterung des Gesetzes, wie sie für ihn der Talmud repräsentiert. Dies alles könnte zumindest ein Reflex des sola scriptura und der Kritik am römischen Traditionsbegriff sein. Wie andere Autoren von Stephanus-Dramen geht auch Wild von einer engen Kopplung des Wortes an die Prediger aus: Wer diese verachtet, trifft auch jenes. Den Predigern ist das Wort anvertraut, Gott identifiziert sich mit ihnen. Wie die jüdischen Verfolger des 1608 Bezeichnenderweise muss Belial Ascharet darauf hinweisen, dass die Macht des Stephanus geringer ist als diejenige Jesu, dem an Kraft kein Mensch gleich sei, da er Gott sei (Akt I, H IIb). 1609 Akt II, I VIIIb. 1610 Akt III, K VIIIa. Vgl. Wolfgang F. Michael, a.a.O., S. 283. 1611 Wild, a.a.O., H Va (Akt I). 1612 Ebd. 1613 Vgl. Akt III, L VIIIa. 1614 Vgl. Akt II, I Ib, wo Stephanus von einem ‚einigen unzerteilten Gott‘ spricht und klar die Gottheit des Geistes vertritt.



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Stephanus, so droht der Herold, „... Also werden die all vmbkommen. Die sich wider Gottes wort setzen / Vnd des Herren diener verletzen.“1615 Petrus hebt in seiner Schlussbetrachtung den Gedanken der imitatio Christi hervor.1616 Er stellt das Leiden Christi am Kreuz als Beispiel dar, dem es zu folgen gelte. Diese Haltung habe Stephanus verwirklicht. Ebenso statuiert er, der Diakon habe durch seinen Tod Gottes Gnade erlangt.1617 Die Aussagen dieser Rede bringen nicht wirklich genuin reformatorisches Gedankengut zum Ausdruck, sondern geben eher gemeinchristliches Gut aus dem Mittelalter wieder. Dies entspricht der Tendenz des Dramas überhaupt. Es stellt eher das Christliche in Abgrenzung zum Judentum als das innerchristlich Kontroverse heraus. Vergleicht man Wilds Drama mit den anderen Stephanus-Dramen, so fällt das nahezu völlige Fehlen reformatorischer Theologumena wie des sola fide, des sola gratia oder der Lehre von Gesetz und Evangelium auf. Die um das Gesetz kreisende Auseinandersetzung des Stephanus mit den Schriftgelehrten hätte die Möglichkeit geboten, Aussagen zur Funktion des Gesetzes zu treffen. Gleiches wäre in Bezug auf die Charakterisierung des Glaubens als eines ohne die Werke rechtfertigenden Glaubens denkbar gewesen. Zwar war Wild, wie eingewandt werden könnte, theologischer Laie, doch gilt dies auch für einen Hans Sachs, dessen hier untersuchte Dramen deutlich seine reformatorische Grundhaltung zu erkennen geben. Verweist man auf die konfessionelle Situation der Stadt, so wäre es immerhin möglich gewesen, die reformatorische Lehre positiv, ohne Polemik gegen den alten Glauben darzubieten. So ist Wilds Drama eher als kirchenpolitisch denn als theologisch bedeutsam einzuordnen.

3. Zacharias Zahn, Tragödie vom gesteinigten Stephanus (1589) TRAGOEDIA Lapidati Stephani. Wie der heilige Martirer S. Stephanus vmb der Warheit vnd Bekentnis reiner Lehre von den JÜden zu Todte gesteiniget worden. Allen getrewen Dienern des heiligen Euangelij zu Troste / vned jedermennigljchen zu warhafftiger Busse vnd Christlicher warnung geschrieben. Durch ZACHARIAM ZAHN Northemensem. Gedruckt zu MÜhlhausen / durch Andream Hantzsch. 1589 [Exemplar Wolfenbüttel] Zacharias Zahn1618 wurde 1541 in Northeim geboren. Nachdem er als Lehrer in seiner Heimatstadt und in Burgsteinfurt wirkte, hatte er 1566 für kurze Zeit ein Rektorat in 1615 Beschluss, L VIIIb. 1616 Akt III, L VIIb: „... habt kein scheühen ab dem todt. Sonder frewd euch zu allen zeyten / Wann jr mit Christo sollend leyden. Verfolgung / oder sonst auff Erden / Vmm seins nammens willen gschmecht werden Dann er hat vns auch solcher massen Dessen ein ebenbild gelassen. Da er sein Leyb gítwillig eben / Am Creütz für vns in todt hat geben.“ 1617 Vgl. ebd. 1618 Vgl. zur Vita Zahns: Hugo Holstein, Art. ‚Zahn, Zacharias‘, ADB 44, S. 670f., ferner die Angaben in: Die Pastoren der Landeskirchen Hannovers und Schaumburg-Lippes seit der Reformation, hrg. v. Philipp Meyer. Bd. 1, Göttingen 1941, S. 42 (Bearbeiter Georg Rabe).

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Osterode inne, ging aber bald darauf als Pfarrer nach dem zum Fürstentum Grubenhagen gehörenden Avendshausen bei Einbeck (1566/67). Dort ist er längere Zeit verblieben; auch die Tragödie Stephanus muss während seiner Tätigkeit dort verfasst und in Druck gegeben worden sein. Dem entspricht, dass die Intention des Dramas besonders auf die ministri verbi und ihre Würde abzielt, ja dass das Stück vornehmlich diesem Personenkreis gewidmet ist. Über das weitere Schicksal Zahns gehen die Angaben auseinander. Laut Angabe des hannoverschen Pastorenbuches wurde er 1614 in Avendshausen wegen Unfleißes abgesetzt. Dort sei er auch verstorben, eine Jahreszahl wird aber nicht genannt.1619 Holstein schreibt dagegen, Zahn sei nach 1596 in Avendshausen verstorben.1620 Zahn hat zahlreiche kleinere Schriften verfasst.1621 Er scheint dabei ein gewisses Interesse an Märtyrerstoffen gehabt zu haben, insofern er sich mit der Geschichte von Johannes dem Täufer und von Stephanus auch in Gedichtform auseinandersetzte.1622 Aus Zahns Feder stammen zwei biblische Dramen: Außer der Tragödie vom gesteinigten Stephanus legte er noch ein Drama vor mit dem barocken Titel: ‚Tragoedia fratricidii. Wie Cain und Abel Opffer thaten und darüber unwillig wurden, weil Abels Opffer für Gott angenem gewesen, und von seinem eigenen Bruder Caino zu Tod geschlagen worden‘.1623 Die Vorrede des Stückes datiert von 1589, es erschien 1590 wie sein ‚Stephanus‘ in Mühlhausen. Gewidmet war das Werk dem Grafen zu Lippe und Rettberg. Mit diesem Drama zielte Zahn auf die Jugend, die er zum rechten Handeln vor Gott und untereinander erziehen wollte. Der Brudermord entsteht durch Aufwiegelung Kains durch die allegorischen Figuren Serpens, Furia und Pluto, die mit den Erzengeln Raphael, Gabriel und Michael im Kampf stehen. Schwerpunkte dieses Dramas sind die Ermahnungen der Eltern zu Frömmigkeit und Tugend sowie die Darstellung der elterlichen Trauer nach dem Tod Abels. Holstein war weder von der Qualität dieses Dramas noch von der des ‚Stephanus‘ überzeugt. Beiden attestiert er, sie seien von ermüdender Breite, und kommt so zu dem Urteil: „Im ganzen zeigt der Verfasser nur geringe dramatische Befähigung und die Dramatik des 16. Jahrhunderts hat durch seine Leistungen nichts gewonnen.“1624 Die Tragödie vom gesteinigten Stephanus hatte Zahn bereits 1584 verfasst, gab sie aber erst 1589 in Druck. Über eine Aufführung ist nichts bekannt, auch wenn im Epilog 1619 Die Pastoren der Landeskirchen Hannovers und Schaumburg-Lippes, a.a.O. 1620 Vgl. Holstein, a.a.O. 1621 Zu den Schriften Zahns s. VD 16, Z 53–61 (I. Abteilung Bd. 22, S. 496f.). Erwähnenswert sind eine Ehelehre mit dem Titel ‚Progymnasmata oeconomica‘, eine Auslegung eines Teils der Sonntagsevangelien und eine das Thema der geistlichen Ritterschaft behandelnde Schrift ‚Christianus miles‘. 1622 Vgl. die ‚Historia De Vita et Morte beati Iohannis Baptistae, Decollati... Heroico carmine Scripta’ (Widmungsrede 25.06.1587) und die ‚Historia De Vita et Morte beati Stephani, lapidati ... Heroico carmine Scripta’. Beide Werke sind an ein Brautgedicht (Epithalamium) Zahns von 1587 angeschlossen. 1623 Zu diesem Drama vgl. ebd. 1624 A.a.O., S. 671.



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die Zuschauer als in einem Saal Versammelte angesprochen werden.1625 Dies weist aber zumindest darauf hin, dass eine Aufführung von Zahn vorgesehen war. In dem Drama treten insgesamt 36 handelnde bzw. redende oder kommentierende Personen auf, hinzu kommt noch eine jüdische Volksmenge.1626 Die Handlung umfasst lediglich das Auftreten des Stephanus, seinen Prozess und seinen Tod, sie folgt damit recht frei Act 6,8 – wobei nicht auf die Wunder, sondern nur auf die Predigttätigkeit des Diakons eingegangen wird – bis Act 7,60. Die in Act 6 berichtete Wahl der Diakone lässt Zahn weg, entsprechend treten auch die Apostel in seiner Tragödie im Gegensatz zu anderen Dramatisierungen nicht auf. Dem Drama ist eine Widmungsrede an die Grafen Johann – ein Unterzeichner der Konkordienformel1627 – und Anton von Oldenburg vorgeschaltet, die, auf das Jahr 1589 datiert, offensichtlich für den Druck verfasst wurde. Gefolgt wird diese Widmungsrede von einer zweiten, von Zahn schon 1584 bei der Abfassung des Dramas formulierten, gemäß der das Drama allen Predigern und Liebhabern des Wortes Gottes zugeeignet ist. Die von Prolog und Epilog umrahmte Handlung besteht aus fünf, in Szenen unterteilten Akten, wobei jedem Akt wiederum ein Prolog, der in die folgende Handlung einführt, vorangestellt ist. Nach jedem Akt soll ferner – in Aufnahme des antiken Chores – ein Gesang angestimmt werden, dessen erste lateinische Worte zitiert werden.1628 1625 Vgl. den Epilog, I 8b. 1626 Das Personenverzeichnis führt folgende Rollen auf: Gott Vater; Christus; die Erzengel Gabriel, Michael und Raphael; Stephanus; sein Diener Theophorus; der als ‚intercessor beati Stephani‘ bezeichnete Conradus; Saulus, der Hohepriester; sein Diener Panocnus; die Diener Nomophorus, Phisandrogus, Autologus und Panphidius; drei Zeugen ohne Namen; drei Schriftgelehrte ohne Namen; ein Richter; der Praetor; der Rhetor; deren Diener Parasitaster; der Wächter des Senats bzw. Rates Archastholus; dazu die Unterwelt mit Pluto, Charon und Cerberus; ferner die Rahmenfiguren Prologus, der die Veranlassung des Geschriebenen nennt; fünf Prologistae, die den Inhalt der Akte wiedergeben; Epilogus, der die Geschichte zusammenfasst und die Lehrpunkte festhält. Holstein, a.a.O., spricht von 37 Personen. 1627 BSLK, S. 764. Es handelt sich um Graf Johann XVI zu Oldenburg. 1628 Der Gesang nach dem ersten Akt „Audi tellus, audi magni maris nymbus“ ist ein mittelalterlicher Hymnus; vgl. James A. Parente jr., Martyr Drama of the German Renaissance, Diss. Yale 1979, S.  147 Anm. 21, der auf Franz Joseph Mone, Hymni Latini Medii Aevi Bd. I, Freiburg i.Br. 1853, S. 403, verweist. Der Hymnus findet sich auch bei Philipp Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts. Erster Band, Leipzig 1864, S. 136 (Nr. 215), unter dem Titel ‚De die iudicii‘, zugeschrieben Papst Innozenz III. Der Gesang des zweiten Aktes, „In te proiectus sum“, rekurriert wohl auf Ps 21 Vg, Ps 22,11, nach Luther: Auf dich bin ich geworfen (von Mutterleib an). Über den Gesang des dritten Aktes mit dem Titel „Hinc abiens, quoniam cogor“, ließ sich nichts feststellen. Bei dem Gesang des vierten Aktes, „Timor et tremor venit in Niniven“, der auf die Gerichtsbotschaft des Propheten Jona anspielt, könnte es sich um einen mittelalterlichen Antiphon mit dieser Bezeichnung handeln. Einen Gesang mit diesem Titel hat aber auch der flämisch-niederländische Komponist Jacobus Clemens (1510/15 – ca. 1555) komponiert; vgl. Rudolf Rasch – Thomas Schmidt-Beste, Art. ‚Clemens (non Papa), Jacobus‘, MGG2 Personenteil 4, Sp. 1218–1230. Der Gesang zum fünften Akt, der verdeutlicht, dass die Gesänge das zuvor Dargestellte zusammenfassen, hat den Titel: „Lapidabant

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Der erste Akt mit seinen fünf Szenen hat die Voraussetzungen der Stephanus-Geschichte in der unsichtbaren Welt zum Gegenstand und holt dazu weit aus. In den ersten drei Szenen werden Motive der Dramen über den ‚Streit der Töchter Gottes‘ aufgenommen. Die Handlung hebt an mit einem Gespräch im Himmel, in dem Gott Vater seine Absicht bekundet, die sündige Menschheit dem Gericht zuzuführen. Dagegen votiert der Sohn Gottes. Pluto, Vertreter der Unterwelt, ahnt Böses und plant einen erneuten Anschlag auf die Menschheit. Der Sohn schlägt dem Vater vor, selbst die Bezahlung der Schuld zu übernehmen, wozu der Vater seine Zustimmung signalisiert. Mit der vierten Szene erfolgt ein Sprung in die Situation nach der Mission Jesu. Dargestellt wird ein Gespräch zwischen Gott Vater und drei Erzengeln, in dem die Ankündigung der Berufung des Stephanus ergeht. Im weiteren Verlauf geht es um den Zweck der Sendung des Stephanus und um das Verhältnis dieser zur Sendung Jesu. Stephanus soll die Aufgabe bekommen zu prüfen, ob sich die Menschen nach der Himmelfahrt Jesu nach dessen Lehre richten. Die Engel erhalten den Auftrag, ihn und seine Lehre zu schützen. Der Akt endet mit einer Gegenüberstellung. Auf der einen Seite stehen die Erzengel, die feststellen, dass Gott immer wieder, auch über Jesu Wirken hinaus, Möglichkeiten zur Umkehr gebe. Auf der anderen Seite wird die besorgte Unterwelt gezeigt, die darüber klagt, dass Gott um Jesu willen Vergebung gewähre. Der zweite Akt, bestehend aus sechs Szenen, schildert das Auftreten des Stephanus, sein Lehren, und die Beratschlagung der religiösen Führer über seinen Fall. Nach einem Gebet des Diakons kündigt sein Diener Theophorus eine Predigt seines Herren über das sola fide an, in der dieser auch eine Verbindung vom Alten zum Neuen Testament ziehen will. Die folgende Szene zeigt den Pharisäer Nomophorus, der auch als Dechant bezeichnet wird, in seiner Bestürzung über die Lehre des Stephanus, die ihn einige Gefährten herbeirufen lässt. Das darauf geführte Gespräch hat zum Gegenstand aber auch das von Pamphidius zum Unmut seiner Gefährten eingeführte Thema der Laster von Völlerei und Trunkenheit, deren er sich und die anderen schuldig sieht und die ihn das göttliche Gericht fürchten lassen. Ein Dialog zwischen Parasitaster, dem Diener der Richter, und Archastholus, dem Ratswächter, informiert über eine Disputation der Libertiner-Schule, des Hohenpriesters und der Pharisäer über Stephanus. Dieser, so wird berichtet, greife die Schule an und schrecke nicht vor Personen zurück. Die vierte Szene zeigt den schon betagten Richter, der auf sein Leben zurückblickt und dabei herausstellt, welchen Bildungsgang er absolviert hat und wie begehrt er als Richter stets war. In der Sache Stephanus gibt er seine Ratlosigkeit kund. Die von ihm einberufene Runde mit dem Praetor, dem Schriftgelehrten und dem Rhetor verständigt sich darauf, einer Predigt des Stephanus beizuwohnen. Im Folgenden wendet sich der Blick wieder Stephanus zu, der seine Predigt hält. Beginnend bei der Schöpfung über den Fall und das Protevangelium kommt er auf das Gesetz zu sprechen, das nach dem Willen Gottes auch innerlich gehalten werden sollte, aber von niemandem wirklich gehalten werde. Christus aber habe das Gesetz erfüllt und mit Stephanum“. Gesänge oder Motetten mit dieser Bezeichnung gibt es auffallenderweise von Komponisten im Dienste der Gegenreformation, so 1564 und 1569 von Giovanni Pierluigi Palestrina (ca. 1525–1594), Giovanni Maria Nanini (1543/44–1607) und 1582 von Claudio Monteverdi (1567–1643). Dass ein so dezidiert reformatorisch schreibender Autor wie Zahn ein Gesangsstück gegenreformatorischer Provenienz rezipierte, erscheint zumindest unwahrscheinlich.



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seinem Tod die Seligkeit erwirkt. Als Reaktionen auf die Predigt schwört der Hohepriester bei sich selbst, dass er dies nicht auf sich beruhen lassen werde. Conradus, Vertrauter des Stephanus, lobt die Predigt, Theophorus fasst sie in der Aussage zusammen, dass allein der Glaube gerecht mache und die Werke dem Nächsten zugute kämen. Das Ganze wird weiter von Pluto kommentiert. Die letzte Szene zeigt Conradus, Theophorus und Stephanus in einem Gespräch, in dem Vermutungen über den Unmut des Hohenpriesters geäußert werden, da er die Rede vom Glauben nicht vertragen könne. Stephanus erläutert daraufhin seine Auffassung von den Werken. Die beiden Vertrauten machen sich Sorgen um den Diakon, der in einem Gebet die Bitte um die Gaben von Freimut und Beharren vor Gott bringt, die er nötig habe, wenn er vor den Rat zitiert werde. Der bedeutsame dritte Akt zeigt die Eskalation des Geschehens: Der Rat lädt Stephanus vor, damit er Rechenschaft über seine Lehre gibt, aber dieser weicht, ungeachtet des ihm entgegentretenden Zornes, nicht von seinen Auffassungen ab. Die Handlung beginnt mit der Vorstellung des niedergeschlagen wirkenden Hohenpriesters, der über sein Leben nachsinnt – die Szene ist analog konzipiert zur Vorstellung des mit dem Hohenpriester befreundeten Richters im zweiten Akt. Er klagt darüber, dass Stephanus in das „Gottes haus“ gelangen konnte, zu dem er über Jahrzehnte die Schlüssel besessen hatte – darin und im Titel „sanctus Pater“ sind deutliche Anspielungen auf das Papsttum zu erkennen. In einem Gespräch mit dem Diener Panocnus über die Frage der Berufung des Stephanus, geht er von einer Selbstberufung aus, während der Diener meint, die Jünger Jesu hätten ihn berufen. In der zweiten Szene kommen der Richter und der Hohepriester zusammen, um – nach einer Klage über das Gesinde – den Fall des Stephanus zu beraten. Der Richter will dessen Lehre von Gelehrten prüfen lassen. Dazu soll der Rat und die ‚Canonisey‘ aus dem Kapitel einberufen werden. Die dritte Szene schildert die Einberufung durch die Diener und den Unmut der Einberufenen, die vierte die Zusammenkunft von Prätor, Rhetor, Schriftgelehrten und Nomophorus mit dem Hohenpriester und dem Richter. Nach der Einbringung durch den Richter, in der dieser darlegt, Stephanus verkünde eine neue Lehre, er propagiere den Christenglauben, fragt er die Schriftgelehrten nach ihrer Meinung. Diese reden allerdings völlig durcheinander und widereinander, worauf der Richter verärgert konstatiert, unter diesen Umständen solle statt dessen das ius canonicum befragt werden. Nach dieser Demonstration, dass die Schrift in den Augen des Richters nicht eindeutig und damit insuffizient ist, bringen Prätor und Rhetor Schriftbelege aus Gen 22 und 2 Sam 7 für die Auffassung des Stephanus, d.h. für den Glauben an Christus und für das solus Christus bei – womit die Schrift ihre Klarheit erweist. Nomophorus erkennt umgehend die Brisanz dieser Erkenntnisse und stellt klar, diese seien unbedingt vor dem Volk zu verheimlichen, da dies ihre Pfründen, das Kloster- und Opferwesen in Frage stelle, was, wie er vermutet, keiner von ihnen zur Disposition stellen wolle. Die Versammlung endet mit der Vorladung des Stephanus. Diese ist auch Gegenstand eines Gesprächs zwischen Stephanus und Conradus, der seine Angst in dieser Sache zum Ausdruck bringt. Stephanus ergibt sich in den Willen Gottes, ihm gehe es um die Seligkeit des Menschen und das Lob Gottes. Die Verhandlungen mit Rat, Schriftgelehrten, Pharisäern und dem Hohenpriester beginnen mit dem Vorwurf an Stephanus, er verkünde dem gemeinen Mann eine andere Lehre und lästere gegen Tempel und Stadt. Der Hohepriester stellt – in einem an das Verhör Luthers in Worms erinnernden Beitrag – fest, man hätte Schrift und Lehre, und das schon lange Zeit, wie könne er, kühner Mann, sich erdreisten sie anzugreifen. Er lehre, so

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fasst er die Auffassung des Stephanus zusammen, dass allein der Glaube an Christus selig mache. Stephanus legt daraufhin seine Lehre vom Gesetz, in Gestalt des Dekalogs, und der Verheißung dar – am Rande ist der Hinweis „Galat. 4“ vermerkt. Die Gebote müssten gehalten werden, sonst falle man der Verdammnis anheim. Der Mensch könne aber genau dies durch eigene Werke des Gesetzes nicht schaffen. Christus habe das Gesetz erfüllt und die Schuld bezahlt. Wer dies glaube, könne der Vergebung seiner Sünden gewiss sein. Der Rat zieht sich zu einer Bedenkzeit zurück. In einem Gespräch mit Conradus klagt Stephanus über die törichte Welt, die sich auf eigene Werke und Verdienste verlasse, wo sie doch so schwach sei. Der Mensch sei Bundesgenosse der Sünden, sein Tun sei verloren, auch gute Werke könnten nicht bestehen. Allein Christus, der Glaube an ihn sei der Weg zur Seligkeit. Conradus stimmt dem zu. Stephanus wiederum bringt seine Hoffnung auf eine Bekehrung der religiösen Führer zum Ausdruck. Er schickt sich nun an, ein Konzept für seine Disputation zu erstellen. Die siebente und letzte Szene zeigt die Beratung von Schriftgelehrten und Pharisäern mit dem Hohenpriester und dem Richter. Stephanus sei entweder mit Fleiß, mit den Schriften oder mit Macht zu überwinden. So entsteht die Idee, seiner mit falschen Zeugen habhaft zu werden. Der vierte Akt stellt die weitere Zuspitzung der Geschehnisse dar. Nach Ausweis des Prologs wird in ihm geschildert, wie die religiösen Führer ihre Macht an Stephanus beweisen und ihn anklagen, Stephanus aber an seinem Bekenntnis festhält. In der ersten Szene beratschlagen der Rat, Pharisäer und Schriftgelehrte zunächst in Abwesenheit, dann in Gegenwart des Stephanus. Die zweite Szene zeigt den Richter und die herbeigeholten Zeugen, die ihre Vorwürfe gegen Stephanus formulieren. Cerberus, Vertreter der Unterwelt, will daraufhin Stephanus in Versuchung führen, hat aber Zweifel, dass ihm dieses Unterfangen gelingen werde. In der dritten Szene kommt es zum Prozess. Stephanus wiederholt die These, Christus habe ‚für uns‘ das Gesetz erfüllt und sei so die Tür zum Himmelreich – am Rande ist angemerkt: „Joh. 10“. Christus allein erlöse ihn. Der Hohepriester stellt die Frage, ob nicht das Tun des Gesetzes selig mache, was Stephanus, dessen Züge nun den Anwesenden verklärt erscheinen, als unmöglich bezeichnet. Es folgt der Auftritt der Zeugen und die Frage des Hohenpriesters, ob er bei seiner Lehre bleibe. Dies bejaht Stephanus unter Hinweis auf seine Ruhe im Herzen. Die vierte und letzte Szene bringt die große Rede aus Act 7, deren Konzept von Stephanus sorgfältig vorbereitet wurde. Die so entwickelte und schriftlich fixierte, bekenntnishafte Rede liest er dem Gericht vor. Er stellt fest, die Israeliten hätten den ihnen von Gott als Richter gesandten Mose verleugnet. Er verweist auf die Präexistenz Christi, der während der Wüstenwanderung des Volkes gegenwärtig gewesen sei und zu den Vätern geredet habe. Er schließt mit dem Vorwurf an die Anwesenden, sie hielten selbst das Gesetz nicht. Im Prolog des fünften Aktes wird – in durchaus antijudaistischer Weise – der Vorwurf erhoben, das Land der Juden habe sich an Stephanus vergangen, obgleich dieser ihnen doch nichts getan habe. Er aber habe sein Kreuz geduldig getragen. Die Engel hätten sich seiner angenommen und seine Seele empor geführt. Der Prolog schließt mit der Feststellung, die Welt überlege mit allen Kräften, wie sie den göttlichen Dienern Leid zufügen könne. Die erste Szene führt eine weitere Beratung von Rat, Pharisäern, Schriftgelehrten, dem Richter und dem Hohenpriester vor, in der Stephanus auf die Frage des Richters nicht von seiner Lehre ablässt. Er sieht den Himmel offen und bekundet, sich zur Himmelfahrt anzuschicken. Der Hohepriester urteilt ihn ab und der Prätor gibt den Befehl zur Steini-



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gung, zu der es im Beisein des „populus“ kommt. Stephanus richtet seine kurzen Bitten an Gott. In der folgenden Szene spricht der Richter ein Dankgebet für die Erlösung. Der Hohepriester weist darauf hin, dass man solchen Entwicklungen zuvorkommen müsse. Der Richter äußert allerdings aufgrund des Auftritts der Zeugen Zweifel an dem ergangenen Urteil, was der erste Schriftgelehrte entschieden zurückweist; er sieht sich im Recht und gibt seiner Freude Ausdruck, dass Stephanus nicht mehr da ist. Der Hohepriester mahnt alle darauf zu achten, dass nicht noch mehr Menschen dem Irrtum verfielen. Die dritte Szene zeigt Conradus und den Diener Theophorus, die noch nicht wissen, was vorgefallen ist und sich große Sorgen um Stephanus machen. Beim Rathaus, wo eine große Menschenmenge versammelt ist, erkundigen sie sich und finden den Toten. Saulus, bei dem die an der Steinigung Beteiligten ihre Kleider ablegten, berichtet ihnen in sachlicher Weise, was geschehen ist. Auf die Nachfrage des Conradus bestreitet er, bei der Steinigung mitgewirkt zu haben. In der vierten Szene wird ein Gespräch der Diener der religiösen Obrigkeit über das Schicksal des Stephanus dargestellt. Überwiegend hegt man Zweifel am gewählten Vorgehen, ja sogar Sympathien für den Gesteinigten. Lediglich der skeptisch-zynische Panocnus verweist darauf, dass die Welt nun einmal so sei, und will das Ganze mit Wein hinunterspülen. Der hinzukommende Conradus geht die Diener hart an und fragt, ob sie dächten, sie hätten etwas vor Gott Gutes getan. Er erklärt ihnen, Stephanus sei von Gott berufen, um den Menschen ihre Sünden aufzuzeigen und den Weg zur Seligkeit zu eröffnen. Der Glaube an Christus sei allein der Weg zum Leben. Diese Lehre werde auch durch Gottes Hilfe bleiben, egal wie die Welt sich dagegen stelle. Während Parasitaster den Schriftgelehrten die Verantwortung für das Geschehen zuschiebt, meint Panocnus, die „Pfaffen“ müssten sich wehren, sonst käme die ganze Stadt in Not. Die Szene schließt mit einem Gebet des Conradus für die notleidende Kirche. Der Blick wendet sich darauf in die himmlische Welt. Die Erzengel klagen über die irdischen Zustände, über das Verhalten der Welt gegenüber Gottes Sohn und über das Geschick des Stephanus. Sie wollen Gott Bericht erstatten. Die sechste Szene zeigt im Kontrast dazu die Unterwelt mit Pluto, dem offenkundigen Vorgesetzten, Charon und Cerberus. Sie freuen sich über das Geschehen und rühmen sich dessen, was sie an Zwietracht, Unfrieden und Aufhetzung ins Werk gesetzt haben. Pluto mahnt aber, dies alles könnten sie nicht von sich aus tun, sie seien von Gott abhängig. Die letzte Szene führt in den Himmel und zeigt Gott Vater, Christus und die Erzengel. Christus klagt über die Welt, die seine Diener und Gottes Wort verachte. Sie lebe, wie sie wolle, sei verstockt. Gott Vater erklärt, die Welt wolle sich nicht warnen lassen. Es tue ihm weh, wie sie die von ihm erwählten Diener verachte. Er kündigt an, dass Stephanus getröstet werden und die Seligkeit erlangen solle, den Juden hingegen wolle er ‚Herzeleid‘ zufügen. Er erteilt den Engeln den Auftrag, die Seele des Stephanus in den Himmel zu holen. Der Sohn aber solle die Juden strafen, damit die Welt merke, dass Gott die Diener, die sein Wort der Welt anzeigen, unverletzt haben wolle. Das Drama endet mit der Ausführung des Befehls; die Engel bringen die Seele des Gesteinigten vor Gott.

James Parente bemängelt Zahns mangelndes Verständnis für das Handlungsgerüst und für eine Entwicklung der Charaktere. Die dramatische Wirkung des Stücks werde begrenzt durch die Konzentration der Darstellung auf Stephanus als Prediger.1629 Wie immer man 1629 Vgl. Parente, a.a.O., S. 126f.

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dies zu beurteilen vermag, Sinn für eine dramatische Struktur dürfte Zahn nicht abzusprechen sein, kann man doch in diesem Drama durchaus die Stufen des Donatus mit Protasis, Epitasis und Katastrophe in den fünf Akten erkennen. Ebenso lenkt das Ende wieder auf den Anfang zurück, auf den Himmel als Ursprung und Ziel allen Geschehens. Im Prolog zu seiner Tragödie widmet sich Zahn auch der Frage, welchen Sinn geistliche Dramen in der Kirche haben können. Deutlich schwingt in der Fragestellung mit, dass der Verfasser es nicht für selbstverständlich hält, einen Stoff aus der Schrift auf die Bühne zu bringen; dies bedarf, um möglichen Vorwürfen zu begegnen, einer Begründung.1630 Zahns Rechtfertigung hebt mit dem Verweis auf die Begründungen der antiken Dramatiker an, die mit ihren Stücken Exempel bieten wollten, um mit diesen bei den Zuschauern eine Verinnerlichung guter Sitten zu bewirken und sie zu einer korrekten Lebensführung zu bewegen.1631 Eine analoge Zielsetzung, so Zahn weiter, habe auch die christliche Botschaft: Auch aus ihr solle man lernen, was man tun oder lassen solle. Im Gegensatz zu den um die Moral zentrierten Ausführungen zu den antiken Autoren legt Zahn aber hier eine außerhalb des Handelns selbst liegende Begründung vor: Aus der christlichen Lehre solle man das rechte Tun lernen, um der Verdammnis zu entkommen und die Seligkeit zu erlangen.1632 Das rechte Tun steht also nicht um seiner selbst willen im Blick, es wird vielmehr mit der Heilsfrage kombiniert. Obwohl Zahn in diesem Passus das geistliche Drama nicht beim Namen nennt, so ist doch der Bezug evident, zumal er an dieser Stelle als Aufgabe der Prediger die Vermahnung zur Buße namhaft macht1633: Auch die geistlichen Dramen haben – wie die antiken – den Zweck, das rechte Tun zu lehren, allerdings mit der über dieses Leben hinausweisenden Begründung, mittels diesem der drohenden Verdammnis zu entgehen und die Seligkeit verliehen zu bekommen.1634 Dem geistlichen Drama kommt in der Perspektive Zahns mithin die gleiche Zwecksetzung wie der Predigt zu: Es soll um des ewigen Heils willen zur Buße, zum Meiden der Sünde 1630 Zahn, Prologus, A 6b: „Vnd so mich jemandt fragen thet / Worumb ich fÜrgenomen het. Sanct Stephanum den theuren Man / Zu bringen hier auff diesen plan. Weil es ein sache Geistlich ist / Wie man in heiliger Schrifft list. Der mag wol freundtlich wissen das ...“ 1631 Prologus, A 6b–7a: Die Alten haben den Menschen dienliche Werke geschrieben, „Gleich wie da sein die Tragici / Vnd auch die Comici dabey. Jhr Schrifft auff sitten han gericht / Wann sie bewiesen jhr getich. Theten die guten Sitten fein / Exempels weise fÜhren ein. Auff das ein Erbar jederman / Sein leben solt im Zaume han.“ 1632 A.a.O., 7a: „Wir aber sein Christen erkorn / Durchs wort / Geist vnd tauff new geborn. Haben die Lehr von Christi reich / Daraus wir lernen allzu gleich. Was man thun vnd man lassen mus / Wil man flihen der Hellen flus.“ Parente, a.a.O., S. 8, meint, Zahn sehe klassische Komödie und Tragödie ausschließlich negativ an, da die dort empfohlenen Tugenden nicht dem Christentum entsprächen. Dagegen ist zu sagen, dass Zahn zwar von einer Überlegenheit des christlichen Dramas ausgeht, aber die Leistung der klassischen Dramatiker für ihre Zeit durchaus anerkennt und auch die von ihnen propagierten Tugenden in keiner Weise kritisiert. 1633 Vgl. Zahn, ebd. 1634 Der Verweis auf die Berufung und die Taufwiedergeburt ebd. verhindert dabei, diese Aussage synergistisch misszuverstehen.



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und zum Tun des Guten bewegen. Insofern Stephanus in Zahns Drama vorwiegend als Prediger fungiert bzw. dargestellt wird, der seine Botschaft immer wieder mit ähnlichen Worten vorbringt, kommt Parente zu der Einschätzung, das ganze Drama erscheine als eine „dramatization of a sermon“1635. In der Frage nach der Intention der Stephanus-Tragödie ergibt sich ein differenziertes Bild, je nachdem welcher Teil des Textes betrachtet wird. Explizit äußert sich Zahn in den zahlreichen Rahmenstücken, dem Titelblatt, der kurzen lateinischen Vorrede, den beiden Widmungsreden, dem Prolog und dem Epilog, zu den Zielen, die er mit seinem Stück zu erreichen sucht. Aufschluss darüber gibt aber naturgemäß auch die Handlung selbst. Im Folgenden werden Zahns Hinweise zur Intention des ‚Stephanus‘ aus den Rahmenstücken aufgeführt, in einem zweiten Schritt soll dann untersucht werden, ob und inwieweit sich diese Vorgaben tatsächlich in der Handlung widerspiegeln und ob sich dort noch andere, in den Rahmenstücken nicht ausdrücklich genannte Absichten erkennen lassen. Nach dem Titelblatt hat Zahn seinen Stephanus „Allen getrewen Dienern des heiligen Euangelij zu Troste / vnd jedermenniglichen zu warhafftiger BÜsse vnd Christlicher warnung ...“ verfasst. Damit ergeben sich nicht nur zwei Intentionen, sondern auch zwei Kreise von Adressaten. Die primären Adressaten in Zahns Sicht sind seine Mitbrüder im ministerium verbi, also eine relativ kleine und spezielle Zielgruppe. Nach der zweiten Intention richtet sich das Drama an alle potentiellen Hörer. Inhaltlich geht es bei dem ersten Personenkreis um die Vermittlung von Trost, bei dem zweiten größeren Personenkreis ist hingegen die Entwicklung einer Bußgesinnung die erklärte Absicht. In der lateinischen Vorrede hebt Zahn besonders auf die erste Intention ab. Die Lehrer sollen dem Stück Trost entnehmen mit dem Ziel, stark im Gemüt zu sein und nicht zu unterliegen, wenn sie um der Lehre Christi willen Leid auf sich nehmen müssen, eine Haltung, die als für alle Christen vorbildlich gewertet wird.1636 In der ersten Widmungsrede an die Grafen von Oldenburg erscheint das zweite Anliegen Zahns in konkreterer Gestalt, wenn er konstatiert, „... damit [sc. mit dem Drama] die junge Welt zu besserem gehorsam des Heiligen Ministerij“1637 zu bringen. Die Bußhaltung ist hier mit dem Gehorsam gegenüber den Predigern in eins gesetzt. Das erste Anliegen, die Tröstung der Prediger, ist dagegen nicht direkt berührt. Die hinter diesem Anliegen stehende Hochschätzung des Dienstes der ministri verbi divini ist jedoch in Zahns Aussagen deutlich präsent. So rühmt er auch die Grafen dafür, dass sie die Diener des Wortes ebenso wie die zu diesem Wort gehörenden Studien gefördert hätten.1638 In der zweiten Widmungsrede nimmt Zahn den Faden der Titelangabe auf, berücksichtigt aber in der Überschrift zu dieser Rede nur den ersten engeren Adressatenkreis: Das Drama ist zugeeignet „Allen getrewen Predigern vnd fromen Liebhabern des GÖttlichen 1635 Parente, a.a.O., S. 126. 1636 Vgl. Zahn, a.a.O., A 1b. Zu dieser Stelle s. Parente, a.a.O., S. 18f. 1637 Zahn, Erste Widmungsrede, A 3a. 1638 Vgl. a.a.O., A 3a–b.

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worts / wes Wirden vnd Standes die sein,“1639 womit die enge Zielgruppe der Prediger um fromme Laien erweitert wird. Im Text selber wendet sich Zahn zunächst dem zweiten Anliegen des Titels, dass alle potentiellen Hörer betrifft, zu: Jeder soll seinen Beichtvater ehren und die von ihm erteilte Lehre, die als die von Christus gebrachte Lehre, als Evangelium verstanden wird, für sich annehmen. Ferner soll er das Gesetz annehmen und ernstnehmen. Eigentlicher Zielpunkt ist die Erkenntnis der Sünde.1640 Noch bevor Zahn explizit auf seinen ersten Punkt, die Tröstung der Prediger, zu sprechen kommt, leuchtet dieses Anliegen bereits in den Ausführungen zur Buße deutlich auf, wenn er die Zuhörer auffordert, den ministri verbi nicht mit Neid zu begegnen, ihnen kein ‚Herzeleid‘ anzutun und ihre Botschaft nicht zu verachten.1641 Mit diesen Bemerkungen entwickelt Zahn organisch aus dem zweiten sein erstes Anliegen, indem er Hinweise darauf gibt, warum die Prediger seiner Meinung nach eines solchen Trostes bedürfen. Offenbar sieht er sie verschiedenen Angriffen ausgesetzt, die insbesondere ihrem Werk gelten: Ihre Predigt erfährt Verachtung, sie selbst sind Objekte des Neids – letzteres könnte an sich auf ihren Stand bezogen sein, doch beschreibt Zahn damit auch die Reaktion der Zuhörer auf die ihnen vorgetragene Lehre. Urheber derartiger Angriffe nennt Zahn nicht, doch dürfte deutlich sein, dass es sich nur um Angriffe oder Anfragen von innen, d.h. aus der dem Prediger gegenüberstehenden Gemeinde heraus handeln muss und nicht um polemische Attacken durch Vertreter der römischen Kirche oder seitens anderer Gruppierungen. Wenn Zahn als Missstand anführt, dass die Predigt auf mangelnden Widerhall stoße, dürfte er vor allem eine bewusste Ablehnung der von den Predigern gebotenen Handlungsmaximen im Blick haben. Zwar fordert er die Hörer auf, beides, das Evangelium und das Gesetz anzunehmen, doch nennt er nur für die Predigt des Gesetzes eine seitens der Hörer zu vermeidende Haltung: Es bestehe die Gefahr, dass diese das Gesetz für Geschwätz hielten.1642 Augenscheinlich spielt Zahn weniger auf eine mögliche Ablehnung der reformatorischen Dogmatik an als vielmehr auf ein Ignorieren der von der Kanzel gepredigten konkreten Moral. Die Frage ist, welchen Personenkreis er hier vor Augen hat. Könnte das Reden von Neid für untere Schichten sprechen, deren Verfehlungen mit Vorliebe von Predigern aufgegriffen wurden,1643 so könnte die Aufforderung, den Rat des Beichtvaters zu beherzigen, auch auf mittlere Schichten hindeuten, die sich stärkerer Aufmerksamkeit der Pfarrer erfreuten. Auch waren sie wirtschaftlich eher in der Lage, sich deviantes Verhalten zu leisten und dies auch öffentlich zu dokumentieren. In jedem Fall spiegelt sich in 1639 Zahn, Zweite Widmungsrede, A 4a. 1640 Vgl. ebd. 1641 Vgl. a.a.O., A 4b: „Vnd wenn das so gelehrt wirdt / Wie jetzundt kÜrtzlich ist gehÖrt. So sol man nicht die diener werdt / Darumb neiden auff dieser erdt. Auch machen jhn kein Hertze leidt / Jetzund zu dieser letzten zeit ...“ Parente, a.a.O., S. 123: „The primary lesson Zahn wishes his viewers to learn from his Stephen tragedy is to respect the teachings of God’s representatives.“ 1642 Vgl. Zahn, a.a.O., A 4a. 1643 Vgl. Lucian Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, München 2005, S. 53.



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Zahns Bemerkung der Widerstand der Gemeinde gegen Kanzelkritik und Kirchenzucht, der sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts intensivierte, der auf der anderen Seite das ‚geistliche Sonderbewusstsein‘ des Predigerstandes, der es als seine Aufgabe ansah, derartige Kritik zu üben, zur Voraussetzung hatte.1644 Die eigentlichen, dem Zweck der Tröstung gewidmeten Ausführungen sind kürzer gehalten. Aus der Handlung sollen die Diener einen guten Mut haben und das Kreuz mit Geduld tragen, wie es Stephanus getan habe. Sie sollen dies im Bewusstsein tun, dass auch Christus auf Erden gelitten und den Seinen befohlen habe, im Kreuz geduldig zu sein.1645 Zahn betrachtet es als seine Aufgabe, den Predigern Mut zuzusprechen und sie in ihrem Dienst zu stärken. Deutlich ergibt sich somit auch aus den Widmungsreden, dass Zahn mit seinem Drama eine zweifache Intention verfolgt. Zum einen wendet er sich an seine Amtsbrüder, um ihnen Trost zu spenden, zum andern versucht er, alle Gemeindeglieder zur Buße und darin eingeschlossen zur Achtung der Prediger, ihres Dienstes und ihrer Verkündigung zu bewegen und zu ermahnen. Diesem Ziel dient denn auch die Drohung, dass derjenige, der sich gegen Gottes Wort wende, von Gott nicht ungestraft gelassen werde.1646 Im Prolog weist Zahn, wie erwähnt, darauf hin, dass den Christen die Lehre von Christi Reich gegeben sei, aus der man lerne, was man tun und lassen müsse, um der Hölle zu entfliehen. Zu diesem Zweck vermahnten die Prediger zur Buße und straften mit dem Gesetz.1647 In Aufnahme einer Formulierung aus der zweiten Widmungsrede, hier jedoch in positiver Fassung, erscheint im Anschluss die Aussage, dass eine – als ‚wir‘ bezeichnete, Verfasser und Hörer zusammenschließende – Gruppe diese Predigt des Gesetzes für Geschwätz erachte und die Rede vom Zorn Gottes ablehne.1648 Zahn redet, wie das ‚wir‘ und die im Folgenden verwendete Form der rhetorischen Frage zeigt, an dieser Stelle generalisierend, fällt also ein theologisches Urteil: Kein Mensch halte sich an Gottes Wort, bekehre sich von Sünden. Die Nächstenliebe sei allgemein erkaltet, es gebe keinen Glauben, keine Furcht, keine Verehrung Gottes und keine Zucht. Niemand sorge sich um sein Seelenheil oder bedenke sein Ende.1649 Dennoch ist der Passus durchaus als Situationsbeschreibung zu verstehen. Endpunkt dieses Verhaltens stellt auch hier die Not des Predigerstandes dar: „Die Diener mÜssen mangel han / Vorachtet auch von jederman.“1650 Die Abhängigkeit der Prediger von der Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung war immer wieder Quelle von Auseinandersetzungen.1651 Auf diese Weise parallelisiert Zahn die Stellung der Prediger mit dem Schicksal des Stephanus. Als ausdrücklich genannte Intention tritt 1644 Vgl. dazu Luise Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit in der Frühneuzeit, Gütersloh 1996, S. 399ff. 1645 Vgl. Zahn, a.a.O., A 4b. 1646 Vgl. ebd. 1647 Vgl. Prolog, 7a. 1648 Vgl. ebd.. 1649 Vgl. a.a.O., 7b. 1650 Ebd. 1651 Vgl. Schorn-Schütte, a.a.O., S. 264.

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im Prolog aber nur Zahns zweites Ziel hervor, die Hörer bzw. Zuschauer zu einer völligen Verhaltensänderung, zur Buße zu bewegen. Das erste Ziel, die Tröstung der Diener des Wortes, wird lediglich indirekt berührt, insofern Mangel und Verachtung der Prediger als Verfehlungen der Zeitgenossen erwähnt werden. Einen etwas anderen Akzent bietet Zahn in dem die Handlung zusammenfassenden Epilog. Dort nennt er zwei Lehrpunkte für seine Tragödie. Der erste – bereits in Titelblatt, Widmungsreden und Prolog vertretene – besteht darin, dass die Hörer lernen sollen, Gottes Wort nicht zu verachten. Diesen subsumiert, erscheint wiederum das Anliegen, die Menschen zur Achtung der Prediger zu motivieren. Die ministri verbi divini werden in eine Reihe mit den alttestamentlichen Propheten, Erzvätern und Königen und den neutestamentlichen Evangelisten und Aposteln gestellt.1652 Während die Welt nach Zahn die Prediger in Unruhe bringt, wartet er sogar mit der Aufforderung an seine Adressaten auf, die Diener Gottes zu lieben.1653 Die Mahnung zur Achtung und zur Liebe der Prediger bildet freilich kein eigenständiges Ziel. Sie ist eingebettet in die Zielsetzung, die Hörer zur Annahme der Inhalte ihrer Predigt zu bewegen. So folgt auf die Ermahnung zur Zuneigung gegen die Prediger diejenige, von Sünden abzulassen, Gottes Wort zu ehren, nach ihm zu leben, seine Ehre auf Erden auszubreiten, zur Kirche zu gehen und Nächstenliebe zu üben.1654 Dennoch wird deutlich, dass die Wertschätzung der Prediger durch die Gemeindeglieder für Zahn ein außerordentlich wichtiges Anliegen darstellt; es ist in beiden Widmungsreden präsent. Die Absicht der Tröstung der Diener des Wortes erscheint hingegen im Epilog nicht als eigenständiger Punkt. Dafür nennt Zahn jedoch einen weiteren Lehrpunkt, der Neues bietet: Mit dem Drama möchte er die Adressaten zum Glauben auffordern, dass Jesus Christus für sie gelitten hat und dass dieser Glaube allein gerecht macht. Die Hörerinnen und Hörer des Stephanus sollen das Erlösungswerk Jesu Christi für sich annehmen und auch das reformatorische sola fide verinnerlichen.1655 Damit ist im Verhältnis zu den bisherigen Äußerungen zwar nicht unbedingt ein gänzlich neues Ziel angesprochen, insofern es mit der Absicht, bei den Adressaten die Akzeptanz der durch die Prediger dargebotenen Botschaft zu erhöhen, kompatibel ist – das Evangelium von Jesus Christus und die iustificatio sola fide stellt ja den wesentlichen Inhalt ihrer Predigt dar. Dennoch setzt Zahn an dieser Stelle einen kontrapunktischen Akzent, da es ihm nach Ausweis von Prolog und Widmungsreden vor allem um ein Tun, um das Handeln nach den von den Predigern gelehrten Verhaltensanweisungen, d.h. um die Akzeptanz der Gesetzespredigt geht, die eine Buße bewirken soll. Diese am Gesetz orientierte Zielsetzung vertritt Zahn in allen Rahmenstücken, unbeschadet dessen, dass das sola fide am Schluss der zweiten Widmungsrede Erwähnung findet und dass ohne Zweifel das 1652 Vgl. Zahn, Epilog, K 1b. 1653 Vgl. a.a.O., K 1b–2a. A.a.O., 2a: „Liebet die diener Gottes werd / Die Gott euch gibt auff dieser erd.“ 1654 Vgl. a.a.O., K 2a. 1655 Vgl. a.a.O., K 2a–b.



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Evangelium eingeschlossen ist, wenn Zahn zu Beginn dieser Rede von der Lehre spricht, die Christus vom Himmelsthron gebracht habe.1656 Fasst man diesen Befund zusammen, ergibt sich folgendes Bild: Zahn verfolgt die Absicht, die Hörer bzw. Zuschauer mit seinem Drama zur Buße und zur Annahme der Verkündigung der Prediger zu führen. Sie sollen ihre Sünden erkennen, die Lehre Christi annehmen und ihr Verhalten ändern. Eine wesentliche Voraussetzung für Zahn ist der Gedanke, dass die Verkündigung nicht von den Verkündigern zu trennen, dass diese nicht ohne jene zu erhalten ist. Den Verkündigern kommt daher eine kaum zu überbietende Hochschätzung und Würde zu. Wie das Wort, das sie predigen, sollen auch sie Gegenstand der Liebe sein. Deutlich spiegelt Zahns Drama damit das, was Luise Schorn-Schütte als „geistliches Sonderbewusstsein“ der lutherischen Geistlichkeit bezeichnet hat.1657 Die Wirklichkeit bestätigt für Zahn diese enge Verbindung von Botschaft und Predigern, allerdings unter umgekehrtem Vorzeichen. Die Wertschätzung wird in das Gegenteil verkehrt, die Prediger des Gotteswortes erfahren wie dieses Wort selbst Verachtung. Darum bedürfen sie des Trostes, den seinen Amtsbrüdern zu spenden Zahns zweites Hauptanliegen darstellt. Wie spiegeln sich diese von Zahn in den Rahmenstücken entwickelten Zielsetzungen des Dramas in der Handlung selbst wider? Die Handlung ist konzentriert auf die Verfolgung des als Prediger gezeichneten Stephanus, womit sich wie von selbst als Hauptthema die Verachtung und Verfolgung der Prediger des göttlichen Wortes und des von ihnen verkündigten Wortes ergibt. Tatsächlich wird in der Darstellung das Widerfahrnis des Stephanus als Teil einer größeren Bewegung gedeutet, in der letztlich alle Prediger durch die Welt Verfolgung erfahren. So heißt es im Prolog zum fünften Akt, die Welt überlege mit allen Kräften, wie sie den göttlichen Dienern Leid zufügen könne.1658 Selbst Pamphidius, ein Vertreter der Welt, weiß, dass, während die ‚Pfaffen‘ in Reichtum lebten, die Propheten Mangel litten.1659 Verachtung und Verfolgung treffen die die Kirche als ganze, die Angehörigen der die reine Lehre vertretenden Kirche. Conradus fleht nach dem Tod seines Herrn zu Gott: „Ach Gott von Himel schaw darein / Die Kirche dein lidt not vnd pein.“1660 Dies wird auch in der himmlischen Welt so wahrgenommen. Entsprechend seufzen in Akt V Szene 5 die Erzengel über die irdischen Zustände und das Verhalten der Welt gegenüber Gottes Sohn und Stephanus.1661 Schließlich bringt Christus selbst in Akt V Szene 7 eine Klage über die Verachtung seiner Diener und seines Wortes durch die verstockte, nach ihrem eigenen Willen lebende Welt vor, in die Gott Vater ausdrücklich ein-

1656 Vgl. die zweite Widmungsrede, A 5a. 4a. 1657 Vgl. Schorn-Schütte, a.a.O., S. 399. 450. 1658 Vgl. Zahn, a.a.O., H 4b. 1659 Vgl. Akt II Szene 2, C 6b. 1660 Akt V Szene 4, I 4b. 1661 Vgl. I 5a–b.

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stimmt.1662 Vergleicht man diese Aussagen mit den einschlägigen Sätzen der Widmungsreden und des Prologs, so wird freilich auch die Differenz deutlich. Während in der nach der Vorlage Act 7 ausgerichteten Handlung klar die dort beschriebene Verfolgungssituation ab extra aufgezeigt wird, in der die gesamte Kirche steht und die in der Ablehnung der von ihr vertretenen Botschaft gründet, spiegeln die Rahmenstücke die Situation eines durch Verachtung angefochtenen Predigerstandes wider. Geht es also in der Handlung um eine von außen die Kirche und ihre Prediger bedrohende Verfolgung, so in Widmungsreden und Prolog vorrangig um eine Situation der Herabsetzung der Prediger und ihrer Botschaft innerhalb eines gesellschaftlichen Kontextes, zu dem die Prediger selbst dazugehören. Das Gemeinsame beider Situationen sucht Zahn dadurch auszudrücken, dass er in den Gruppen, die die junge Kirche und den Predigerstand des konfessionellen Zeitalters bedrohen, das repräsentiert sieht, was er theologisch als ‚Welt‘ qualifiziert. Sowohl die die Kirche verfolgenden jüdischen Autoritäten als auch die Verächter der protestantischen Prediger stehen für die Gott, seinem Wort und seinen Dienern feindlich gesonnene Welt. Konsequenterweise werden die jüdischen Verfolger als im qualifizierten Sinne weltlich gezeichnet. Gleichgültigkeit, Zynismus, Völlerei und Trunksucht prägen ihren Lebensstil. In Akt II Szene 2 wehren sich die zu einem Gespräch zusammengekommenen Pharisäer gegen das ihnen dreisterweise von dem Knecht Pamphidius aufgenötigte, ihnen unangenehme Thema Trunksucht und Völlerei.1663 In Akt III Szene 4 lässt – der nach seinem Namen am Gesetz festhaltende – Nomophorus deutlich erkennen, dass es ihm lediglich um seine eigenen Vorteile in Form von Pfründen geht.1664 Auch für die Diener der religiösen Obrigkeit, die in Akt V Szene 4 vorgeführt werden, gilt, wenn auch in geringerem Maße, dass skeptisch-zynische Haltungen vorliegen, so bei Panocnus, der konstatiert, die Welt sei nun einmal so, wie sie sei, und sich dem Wein hingibt, und bei Parasitaster, der ungeachtet seiner Einsicht in das Unrecht des Urteils gegen Stephanus die Schuld für den Tod des Diakons den Schriftgelehrten zuweist.1665 In diesen Szenen erscheint nicht der Begriff ‚Welt‘, verstehen sich doch die jüdischen Autoritäten keinesfalls als Welt im pejorativen Sinne. Der Schluss, dass sie Welt sind, wird in den Rahmenstücken, wie etwa in den schon genannten Aussagen des Prologsprechers zu Beginn des fünften Aktes, und den im Himmel spielenden Szenen 5 und 7 dieses Aktes gezogen.1666 In der letztgenannten Szene bittet Gott Vater den Sohn, an den Juden die Strafe zu vollziehen. Diese Bestrafung zielt 1662 Vgl. I 7b–8a. Christus (I 7b) bemerkt gegenüber Gott Vater, dass sich das Handeln der Welt gegen seine Diener auf verschiedene Weise vollziehe: Sie bringt diese in Gefahr, in Not, zu Tod oder sie verachtet sie, tut ihnen Übermut. Immer aber spricht daraus ihre Verachtung der Diener und ihre Verwerfung des Wortes Gottes. 1663 Vgl. a.a.O., C 6b–7a. 1664 Vgl. F 1a: „Wollen wir behalten vnser stifft / Praebenden Oell / vnd klÖsterricht. Vnd auch die Opffer mannigfalt / Vns gar nicht wÜrden abgestalt. So mÜssen wir bey vnser lehr / Bleiben / vnd das ohn all gefehr / Vns lassen nicht mercken so sehr.“ 1665 Vgl. I 2a–3b. 1666 Vgl. H 4a–b. I 5a. 7b–8b.



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aber auf die Welt, die wahrnehmen soll, dass Gott hinter seinen Dienern, die sein Wort der Welt anzeigen, steht und gewillt ist, diese zu verteidigen.1667 Nun wollte Zahn, wie er besonders in der zweiten Widmungsrede äußert, mit seinem Drama seinen Amtsbrüdern Trost bieten. Diesen zu vermitteln, geht er in der Handlung auf verschiedene Weise an. Wenn er aufzeigt, dass die den Predigern der Gegenwart geltende Verachtung Teil einer übergeordneten größeren Bewegung der Welt gegen Gottes Wort und seine Verkündiger ist, relativiert er zunächst das seinen Zeitgenossen widerfahrende Leid, indem er verdeutlicht, dass nicht nur sie Verachtung erfahren. Bedeutsamer ist, dass er auf diese Weise die Prediger der Gegenwart eng mit ihren verfolgten Vorgängern zusammenschließt. Mit dieser Traditionskette vermag er das Selbstbewusstsein seiner angefochtenen predigenden Zeitgenossen zu stärken: Sie sind die ‚Stephani‘ der Gegenwart, die von Gott in ihr Amt berufenen, darum verfolgten1668, aber zugleich standhaften Prediger des Evangeliums. Dieser Zuspruch, der sie mit einem vollmächtigen, geistbegabten, nach Akt I Szene 4 von Gott berufenen1669 Prediger der jungen Kirche verbindet, ist zugleich auch Anspruch, denn er enthält die Aufforderung, wie der Protomärtyrer den auferlegten Dienst auch fernerhin treu zu verrichten und keinesfalls den Inhalt der Verkündigung – aller Verhöhnung und Kritik zum Trotz – nach den Wünschen der Hörer umzugestalten.1670 Als besondere Tugend Stephanus’ wird seine Amtstreue, die ihn auch Leiden in Kauf nehmen lässt, herausgestellt,1671 ferner sein Nichtansehen der Person, was als unbedingt vorbildlich gewertet wird.1672 Ein weiterer Gedanke tritt hinzu. So ruht die genannte Bewegung der Welt gegen Gottes Wort und seine Boten nicht in sich selber, sie ist vielmehr durch die Unterwelt initiiert und inspiriert, deren Repräsentanten die Vertreter der Welt zu ihrem bösen Tun anstiften. Die Gegenbewegung, an der Stephanus in der Vergangenheit und die lutherischen Prediger in der Gegenwart teilhaben, kämpft mit einem überweltlichen Gegner. Verborgen agiert dieser auch im Falle des Stephanus. So versucht Cerberus, den Diakon durch dessen

1667 Vgl. die Rede Gott Vaters, I 8b: „Mein Sohn die JÜden straffen sol. Auff das die Welt gedenck daran / Das ich will vnuerletzet han / Die diener die mein Tewres wort / Der Welt mÜssen anzeigen fort.“ 1668 Vgl. Akt V Szene 7, I 8a, wo Gott Vater äußert: „Hab auch viel theurer Menner werdt / Zu dienst erwehlt da auff der erdt. Wie sie dieselben achten thut / Das krencket offtmal meinen muth.“ 1669 Vgl. die Rede Gott Vaters a.a.O., B 4b: „Wil ich erwecken einen Man / Welches sie [sc. die Stadt Jerusalem] nicht entrathen kann. Sanct Stephanus ist er genandt.“ 1670 Darauf weist z.B. die Bemerkung des Conradus in Akt V Szene 4, I 4a: „So sol doch niemandt wider sein wort geben raht. Vnd auch die warheit Gottes nicht Verfelschen thun ...“ 1671 Vgl. die Bemerkung des Stephanus in Akt III Szene 5, F 2 a: „Mein Ampt dem mus ich leben nach / Es folge was dann folge doch. Dieweil es Gott wil haben so / So mus ich dem nachleben jo. Jch such auch nicht die Ehren mein ...“ 1672 Vgl. Akt III Prolog, 7b–8a, besonders die Bemerkung: „Wie dann ein jeder Lehrer gut / Mus haben einen solchen mut.“

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Todesschicksal in Verzweiflung zu stürzen.1673 Gelingt ihm dies auch nicht – trotz seines Todes verzweifelt Stephanus nicht –, so sieht doch die Unterwelt den Tod des Diakons als ihr Werk an.1674 Auch dieser letztlich apokalyptische Gedanke bietet Trost, insofern er eine Erklärung für die Härte von Verachtung und Verfolgung eröffnet und sie verstehbar macht. Der höchste und entscheidende Trost besteht für Zahn allerdings darin, dass der überweltliche Gegner in dieser Auseinandersetzung weder das erste noch das letzte Wort hat, sondern Gott selbst. Der überweltliche Gegner kämpft letzten Endes mit Gott. Wer die Prediger des Wortes anrührt, der rührt Gott selbst an.1675 Zahns Drama beginnt und endet im Himmel. Damit weist er seine Zuschauer darauf hin, dass Anfang und Ende der Geschichte von Gott gestaltet wird. Weder die Unterwelt noch die irdischen Verfolger der Kirche haben aus sich selbst heraus Macht über die Kirche oder die Verkündigung des Evangeliums. Pluto selbst als Vertreter der Unterwelt muss in Akt V Szene 6 einräumen, dass die von ihm und seinen Mitstreitern ausgeübte Macht nur von Gott verliehen ist.1676 Alles Geschehen, auch das negative, liegt also letztlich in Gottes Hand, der aber – das ist die Quintessenz des Dramas – das Böse nicht einfach nur zulässt, sondern das Gute schließlich das Böse überwinden lässt und seine Kirche zur Vollendung in seinem Reich führt. Dies wird dadurch angedeutet, dass die Engel am Ende der Handlung die Seele des Stephanus gemäß göttlichem Befehl zu Gott empor bringen. Dass Stephanus das Heil von Gott erhält, belegt, dass er mit seiner Predigt recht lag. Zugleich zeigt dieser Schluss paradigmatisch auf, dass die Anweisung Gottes ausgeführt wird und Gott sich am Ende durchsetzen wird. Auf den ersten Blick nicht leicht auflösen lässt sich für die Betrachtenden gleichwohl der Widerspruch zwischen dem den Engeln im ersten Akt gegebenen Auftrag, Stephanus und seine Lehre zu beschützen, und dem tatsächlichen Tod des Protagonisten. Die Engel führen den göttlichen Befehl nicht in der Form aus, dass sie den ihnen Anvertrauten vor dem Tod bewahren. Zur Lösung dieser Differenzerfahrung ist zunächst klarzustellen, dass die verheißene Hilfe nicht Schutz vor dem Kreuz, sondern Beistand im Kreuz beinhaltet; Stephanus soll in der ihm zwangsläufig drohenden Gefahr nicht alleine sein.1677 Zum andern bezieht Zahn das schützende Handeln der Engel darauf, dass dem Diakon trotz aller Gefahren ermöglicht wird, die ihm anvertraute Botschaft auszurichten

1673 Vgl. Akt IV Szene 2, G 2b. Dahinter steht letztlich der Gedanke, dass die angestrebte Trübsal und Verzweiflung der erste Schritt zur Apostasie sein könnte. 1674 Vgl. Akt V Szene 6, I 6a. 1675 Vgl. Akt I Szene 4, B 4b. Die Verfolgung seiner Diener kränkt Gott und drängt ihn einzugreifen. 1676 Vgl. I 7a, wo Pluto seinen Genossen einschärft: „Aber das seid von mir bericht / Von euch selber jhr kÜnnen nicht / Wenn Gott euch ewren willen bricht.“ 1677 Vgl. Akt I Szene 4, B 5b–6a, die Worte Raphaels: „Wir wollen das außrichten fein. Zu stehn bey jhm in seiner not / Nach dem befehl frÜ vnd spat. Auff das er nicht in Creutz vnd pein / Trostlos mÖchte verlassen sein.“



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und nicht davon abzulassen,1678 dass so der Inhalt der Verkündigung bewahrt und diese unversehrt weitergegeben wird.1679 Der Plan des Cerberus, Stephanus in Verzweiflung zu bringen, läuft ins Leere. Ein besonderer Trost wird ihm dadurch zuteil, dass er vor seinem Tod Christus schauen darf, ein Gedanke der sich auch in Luthers Auslegung findet.1680 Schließlich wird das bewahrende Handeln der Engel darin erkannt, dass Stephanus die Seligkeit erlangt. Während der biblische Text mit dessen Tod endet, beschließt Zahn sein Stück damit, dass die Seele des Protomärtyrers empor geführt wird, unter den anbetenden Worten Michaels: „Heiliger Gott vnd Vater werdt / Zu dir wir komen von der erdt. Vnd bringen dir in deinen schos... Die Seel des Theuren dieners dein / ErlÖset aus noth vnd aus pein.“1681 Zuvor hatte der Sohn gegenüber Gott Vater seine Bekümmernis über diesen Tod zum Ausdruck gebracht – dabei tritt seine Funktion als Interzessor der Glaubenden vor dem Vater hervor, der ebenfalls Trostcharakter zukommt –, worauf Gott Vater ihm die Tröstung des Märtyrers ankündigt: „Wollan er sol getrÖstet sein / Ewig in meines hertzen schrein. Wil geben ihm die seligkeit ...“1682 Die Handlung bestätigt somit, dass die Stärkung und Tröstung des Predigerstandes eine vorrangige Intention des Zahnschen Dramas bildet. Die Prediger werden des göttlichen Beistands versichert, sie können sicher sein, dass Gott auf ihrer Seite steht, dass er die ihnen widerfahrende Verachtung – für Zahn scheint sie sich aktuell besonders in der schlechten materiellen Situation der Prediger zu manifestieren, worin er Luthers Auslegung der Geschichte folgt1683 – wahrnimmt1684 und sich zu eigen macht: Wer sie angreift, 1678 Vgl. den Befehl Gott Vaters an die Erzengel Gabriel und Raphael in Akt I Szene 4, B 5b: „Wilt euch auch jhn befohlen han / Das jhr von jhm nicht abelan. Zu schÜtzen jhn vnd seine lehr / Geleiten jhn durch all gefehr / Bis das er seines lebens zeit / Vollbracht / zu sterben sey bereit.“ Die drei auftretenden Erzengel wachen dabei auch darüber, ob Stephanus seinen Auftrag erfüllt; vgl. a.a.O., B 6a: „Wollen auch achtung geben thun / Auff den diener Sanct Stephanum. Wie er sein Ampt vorschaffen thut / Nach deim befehl hertz sin vnd mut.“ 1679 Vgl. Akt II Szene 6, D 7a, die Bitte des Stephanus um Beständigkeit: „Se geb mir Gott ein freyen Geist / Vnd mir sein huld vnd gnaden leist. Das ich bestendiglich in der lehr / Verharren mÖg ohn alle gefehr.“ Vgl. ferner Akt III Szene 6, F 5a, die an Gott gerichtete Bitte des Diakons um Schutz für seine Lehre. 1680 Vgl. Akt V Szene 1, H 5a; Epilog, K 1a: „Er zeiget dem Sanct Stephano / Den trost Christum im Himel do.“ Vgl. dazu WA 52, 593,40ff. 1681 Akt V Szene 7, I 8b. 1682 A.a.O., I 8a; vgl. die Klage Christi I 7b. 1683 Vgl. Akt II Szene 2, C 6b, die Äußerung des Pamphidius: „Jn des thun die Propheten werdt / Mangel leiden auff dieser erdt.“ Die Armut der Propheten stellt er der Völlerei der jüdischen Autoritäten gegenüber. – Die Prediger der reformatorischen Kirche sind für Zahn als Vertreter der reinen Lehre ohne Zweifel die legitimen Nachfolger jener Mangel leidenden Propheten. – Vgl. WA 52, 591,24f.36f., wo Luther die schlechte Versorgung der Pfarrherrn durch Bürger und Bauern, die ihre Gaben lieber zurückbehielten, beklagt. Er nennt die ministri verbi bei den durch Kirchengüter zu versorgenden Personen an erster Stelle. 1684 Vgl. Akt V Szene 5, I 5b: Die Engel wollen Gott berichten, was vorgefallen ist.

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greift Gott an, der das Geschehene nicht einfach hinnimmt. So wie Stephanus, sollen auch sie in ihrem Glauben und in ihrer Berufung bewahrt werden, dieser gewiss sein, und schließlich die Seligkeit gewinnen. Stephanus wird damit naturgemäß auch zum Vorbild in seiner Treue und Beständigkeit, aber auch in seiner Geduld und Friedfertigkeit.1685 Der von Zahn beabsichtigte Trost betrifft nach der Handlung aber nicht nur die eigentlichen Amtsträger, die der predigende Stephanus repräsentiert, sondern auch die ‚einfachen‘ Christen, für die Conradus und Theophorus, die Vertrauten des Diakons, stehen. In diesen bietet Zahn Gestalten an, mit denen sich die gewöhnlichen Hörerinnen und Hörer identifizieren können. Sie erweisen sich als gelehrige Hörer des Stephanus. Nach seinem Tod halten sie an der Lehre fest und treten mutig auf.1686 Conradus bringt im fünften Akt vor den Dienern der religiösen Autoritäten seine Überzeugung zum Ausdruck, dass das Evangelium trotz der Tötung des Stephanus durch Gottes Hilfe bleiben werde, wie auch immer sich die Welt dagegen stelle.1687 Damit formuliert er den wichtigsten Zuspruch, den Zahn in seinem Drama zu versuchen bietet: Die göttliche Lehre und damit auch die göttliche Gerechtigkeit wird sich am Ende gegen alle Widerstände seitens der Welt durchsetzen.1688 Zahns apokalyptischer Dualismus führt zwangsläufig zu einer negativen Sicht der Welt: Diese will sich nicht warnen lassen,1689 womit sie auf ihre Katastrophe zuläuft. Ungeachtet dessen zielt Zahn aber in durchaus ernsthafter Weise auf eine Bekehrung der solchermaßen qualifizierten Welt.1690 Die am Ende angekündigte Bestrafung der Juden soll ein Exempel für die Welt sein, dass es ihr analog ergehen könnte.1691 Voraussetzung für diesen Gedanken ist, dass die Welt nicht gänzlich dem Bösen verfallen ist. Dass Zahn die Welt in dieser Weise einschätzt, dass sie für ihn keinen monolithischen Block darstellt, erhellt aus verschiedenen Stellen im Drama. So äußert der Richter Zweifel an der Vorgehensweise

1685 Vgl. Akt III Szene 6, F 5a, wo Conradus äußert: „Ja lieber Herr so thut jhr recht / Dann das gebÜrt eim Gottes knecht. Das er zu Has geb vrsach nicht / Sondern zum frieden sey gericht.“ 1686 Damit bestätigt sich, was Parente, Martyr Drama, S. 26 zum Märtyrerdrama allgemein sagt, dass es die Hörer ermutige „to practice the virtues of fortitude and constancy whenever they are oppressed by Christ’s enemies.“ 1687 Vgl. Zahn, Akt V Szene 4, I 3b. 1688 Parente, a.a.O., S. 21: „The maryr play prepares the audience to accept misfortune and to trust in God’s justice.“ 1689 Vgl. Zahn, Akt V Szene 7, I 8a, die Bemerkung Gott Vaters: „Boßheit durchwandelt alle reich / ... Die welt wil sich nicht warnen lan.“ 1690 Gott bleibt auch der Erhalter der Schöpfung; vgl. den Prolog zum ersten Akt, A 8a. 1691 Vgl. Akt V Szene7, I 8b. – Zu diesem für die altprotestantische Theologie der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts typischen Gedanken, dass den Juden die Funktion zukam, als warnendes Exempel für die Situation des Verworfensein zu dienen, vgl. auch Thomas Kaufmann, Die theologische Bewertung des Judentums im Protestantismus des späteren 16. Jahrhunderts (1530–1600), ARG 91 (2000), S. 233.



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gegen Stephanus,1692 gleiches gilt von einigen Dienern der Obrigkeit.1693 Allerdings ziehen die Beteiligten aus solchem Aufleuchten von Erkenntnis keinerlei Konsequenzen,1694 was bei den Dienern von der römischen Komödie her auch gattungsbedingt begründet ist1695. Dennoch haben die Prediger auf eine Bekehrung der Welt hinzuwirken. Gott will nach den Worten des Erzengels Michael durch Christus einen jeden im Glauben zu Gnaden annehmen.1696 Conradus fasst den Auftrag des Stephanus darin zusammen, dass er den Menschen ihre Sünden aufzeigen und den Weg zur Seligkeit eröffnen soll. Er selbst erhofft sich auch nach der Eskalation des Geschehens noch eine Umkehr der jüdischen Autoritäten.1697 Die Erzengel geben in Akt I Szene 5 zur Kenntnis, dass Gott immer die Möglichkeit zur Umkehr gewähre; auch die Unterwelt muss dies mit Entsetzen feststellen.1698 All diese Aussagen sind ohne Zweifel ein Reflex des lutherischen Universalismus. Die Voraussetzung für die Möglichkeit einer Bekehrung der Angehörigen der Welt ist auf der anderen Seite gerade die Bewahrung der Botschaft des Evangeliums durch die Standhaftigkeit der Prediger – insofern bedingen beide Zielsetzungen des Dramas einander. Allerdings vermag Gott auch unabhängig vom Dienst der Prediger, über die Verkündigung der reinen Lehre hinaus, Mittel und Wege zu finden, die Menschen zur Bekehrung zu führen. So vermahnt er, wie Michael ausführt, die Menschen durch Zeichen am Himmel, Kometen, aber auch durch Krieg, Inflation und Krankheiten zur Buße.1699 Es fehlt also nicht an Möglichkeiten 1692 Vgl. Zahn, Akt V Szene 2, H 7b. 1693 Vgl. Akt V Szene 4, I 1b–2a, wo Archastholus und Parasitaster sich entsprechend äußern. 1694 Vgl. für Parasitaster, a.a.O., I 2b. Selbst der ansonsten völlig skeptizistisch geprägte Panocnus scheint Stephanus in Akt III Szene 1, E 2a, positiver zu sehen, fällt aber später wieder in seine ursprüngliche Haltung zurück. 1695 Parente, a.a.O., S. 121: „Like their classical prototypes, Pamphidius and Panocnus fight without any justification (III.3), and disclaim any responsibility for their masters’ actions (V.4).“ 1696 Vgl. Zahn, Akt I Szene 5, B 6b. 1697 Vgl. Akt V Szene 4, I 3a; Akt III Szene 6, F 5a. 1698 Vgl. B 6b–7b; 8a. 1699 A.a.O., B 7a–b, äußert Michael: „Gibt zeichen an des Himels thron / Braucht auch offtmal Comoeten schon. Straffet mit Krieg vnd theurer zeit / Bringt offt noch ander hertzeleidt. Auch Pestilentz vnd plagen mehr / Vnd viel vnfals vnd jammers her. Sich auch offtmalen grimmig stelt / Das er bekeren mÖcht die welt. Wenn das geschicht so wil er schon / Zur Bus die menschen fÜrdert han.“ Das allgemein verbreitete Phänomen der Kometenfurcht steigerte sich nach 1572 und einer weiteren Kometenerscheinung im Jahre 1577. In Flugschriften meist protestantischer Provenienz wurden Kometenerscheinungen als Ankündigung göttlicher Strafe und Ruf zur Buße interpretiert. Vgl. Kaspar von Greyerz, Religion und Kultur. Europa 1500–1800, Göttingen 2000, S. 192–194, der das Phänomen in den zeitgenössischen Vorzeichenglauben einordnet, eine der Vorstellungen der Volkskultur, die von der reformatorischen Theologie aufgegriffen wurde. Zur weiteren Entwicklung im 17. Jahrhundert, vgl. Hartmut Lehmann, Die Kometenflugschriften des 17. Jahrhunderts als historische Quelle, in: Literatur und Volk im 17. Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland, hrg. v. Wolfgang Brückner u.a. Teil II, Wiesbaden 1985, S. 683–700. – Interessant ist, dass Reflexionen über die Erscheinung von Kometen im unmittelbaren Umfeld Zahns, in der

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oder Gelegenheiten sich zu bekehren. Das Ende bleibt freilich in gewisser Weise dunkel: Das den steinigenden Juden angekündigte exemplarische Gericht wird nicht mehr dargestellt, doch wissen die Hörerinnen und Hörer, dass es erfolgt ist. Dieses Gericht aber ist nur exemplarisch verstanden, als solches soll es die Welt warnen. Insofern ist die Aussage nicht zu hoch gegriffen, dass Zahn die Hörenden des Dramas selbst als Mitspieler ansieht, wobei eben offen ist, ob sie die Welt oder die sich an Gottes Wort haltenden Glieder der Kirche repräsentieren. Zwar wird kein Zweifel daran gelassen, dass Gott am Ende den Sieg davontragen wird, wiewohl dies nicht mehr Gegenstand des Dramas ist, dennoch ist deutlich ein pessimistischer Grundton erkennbar, insofern nicht wirklich damit gerechnet wird, dass sich die Welt die ihr verkündigte Botschaft zu Herzen nimmt. Eine merkwürdige Rolle spielt in dieser Hinsicht Saulus, der in der Steinigungsszene nicht in Erscheinung tritt und später im Gespräch mit Conradus seine Rolle in dem Geschehen nicht nur völlig marginalisiert, sondern sogar sein Entsetzen über diesen Tod zum Ausdruck bringt.1700 Damit könnte Zahn andeuten, dass eine Person wie der spätere Apostel nicht wirklich zur Welt, die auch wenn ihr Zweifel an ihrer Handlungsweise kommen, doch keine Konsequenzen erkennen lässt, gehören kann. Im Zusammenhang mit der theologischen Beurteilung der Welt fällt auch ein Licht auf den im Drama erscheinenden Antijudaismus, der besonders den fünften Akt, beginnend mit dem Prolog1701 einnimmt. Ein weiteres Indiz markiert das Auftreten des ‚populus‘ in der Steinigungsszene und sein Wunsch bei der Steinigung mitzuwirken.1702 Damit wird von einer Generalverantwortung der Juden für den Tod des Stephanus ausgegangen. So spricht Saulus von dem Gottesmann, „.. Den vnser volck gesteinet han.“1703 Ähnlich formuliert der Erzengel Raphael, Stephanus sei von den Juden umgebracht worden, fährt allerdings fort, diese hätten ihr Tun nicht gut bedacht; derjenige, der ihnen dazu geraten hätte, werde in großen Schaden kommen.1704 Insofern relativiert Zahn den Antijudaismus ein wenig: Der eigentlich Verantwortliche ist ein anderer, dem schwere Strafe droht. Ebenso sprach der Erzengel Michael zuvor von der Welt, die gegen Gottes Sohn vorgehe. Das Handeln der Steinigenden stellt mithin nur einen Teil des bösen Handelns der Welt

Kirchenordnung des Herzogtums Braunschweig-Grubenhagen von 1581 angestellt werden; vgl. EKO VI/2, S. 1041f., und dazu Ernst Koch, Das konfessionelle Zeitalter, S. 252. Möglicherweise bildete dies die Vorlage für Zahns Gedanken. 1700 Vgl. Zahn, Akt V Szene 3, I 1a. 1701 Vgl. Akt V Prolog, H 4a, wo es heißt, das ganze Judenland habe sich an Stephanus’ Tod schrecklich versündigt, die Juden und die ganze Schar hätten den frommen Mann gesteinigt, der ihnen nie etwas getan habe. 1702 Vgl. Akt V Szene 1, H 6a–b. 1703 Akt V Szene 3, I 1a. Vgl. in dieser Szene auch die Bemerkung des Theophorus, H 8b: „Gott geb den JÜden alle drÜs. Was mÖgen sie han angericht?“ Auch im Epilog geht Zahn von einer Generalverantwortung aus (K 1a): „Was sie an jhm begangen han / Jm JÜdenthum ein jederman.“ 1704 Vgl. Akt V Szene 5, I 5b.



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dar.1705 Die Parallelisierung der Welt und der Juden findet auch darin ihre Zuspitzung, dass Stephanus es der Welt anlastet, sie stelle sich töricht, da sie sich auf eigene Werke und Verdienste verlasse,1706 ein Vorwurf, der an sich in gleicher Weise in Richtung der jüdischen Religion gehen könnte. Stehen die Juden somit für das, was Zahn theologisch als Welt qualifiziert, so kann dennoch die antijudaistische Grundhaltung nicht geleugnet werden, die auch in der Ankündigung der bevorstehenden Bestrafung des jüdischen Volkes durch Christus zum Ausdruck kommt.1707 Damit vertritt Zahn die im Protestantismus der Frühen Neuzeit durchaus übliche Linie.1708 Die Juden stellen auch für ihn das Exempel des Verworfenseins durch Gott dar.1709 Das im Epilog von Zahn benannte Ziel, das solus Christus und das sola fide bei den Hörern zu befestigen, wird in der Handlung immer wieder zum Ausdruck gebracht, nicht nur in den Aussagen von Stephanus selbst, ebenso in solchen seiner Begleiter wie auch in Äußerungen seiner Gegner. Die reformatorische Lehre ist mit Ausnahme des vierten Aktes ständig, und zwar in expliziter Form präsent. Damit ist aber schon die Frage der Darstellung der reformatorischen Theologie im Drama berührt, die weiter unten behandelt wird. Der Diakon wird – wie nicht anders zu erwarten – als Vorbild in seinem Amt geschildert. Er übt seinen Dienst treu aus, hält sich an seinen Auftrag.1710 Sein Tun besteht im Predigen, andere Aufgaben werden nicht genannt.1711 Sein Diakonenamt vollzieht sich in Lehre und ‚gutem Rat‘.1712 Dass er Wundertaten wirkt, wie es in Act 6,8 Erwähnung findet, wird nur von seinen Gegnern angedeutet, aber nicht weiter ausgeführt.1713 Dass er die ihm anvertraute Botschaft gemäß den Wünschen wirklicher oder potentieller Hörer verändert, ist unvorstellbar, er achtet nicht auf die Person: „Er gibt jhnen guten bescheidt / Weicht aber von der lehr nicht weit. Er Protestiret offenbar / Vom Glauben fÜr der gantzen schar. Vnd bleibt in seiner meinung recht / Wie sich gebÜrt eim Gottes knecht ... Vnd 1705 Vgl. a.a.O., I 5a. 1706 Vgl. Akt III Szene 6, F 4b. 1707 Vgl. Akt V Szene 7, I 8b, die entsprechende Ankündigung Gott Vaters. 1708 So wurde insbesondere das Exil als Strafe für den Gottesmord gedeutet; vgl. Joseph Dan, Art. ‚Antisemitismus / Antijudaismus V. Mittelalter und frühe Neuzeit‘, RGG4 1, Sp. 567f. Zum Antijudaismus der altprotestantischen Theologie, der ausschließlich auf Luthers späte Schriften rekurrierte, vgl. Thomas Kaufmann, Die theologische Bewertung des Judentums im Protestantismus des späteren 16. Jahrhunderts, ARG 91 (2000), S. 191–237. 1709 Vgl. Kaufmann, a.a.O., S. 233. 1710 Zahn, Akt III Szene 1, F 2a, sagt Stephanus: „Mein Ampt dem mus ich leben nach / Es folge was dann folge doch. Dieweil es Gott wil haben so / So mus ich dem nachleben so.“ Entsprechend notiert Parente, Martyr Drama, S. 125, Stephanus werde von Zahn als Vorbild für die Pastoren dargestellt, insbesondere darin, dass er die Verfolgung ertrage und in seinem Auftrag beharre. 1711 Zahn, Akt II Szene 1, C 3a: „Nach dem ich durch GÖttliche gab / Zum Predigampt befehlich hab.“ Vgl. a.a.O., C 2b; Akt I Szene 4, B 4b. Vgl. Parente, a.a.O., S. 123f., der Predigen und Disputieren als Hauptaufgaben benennt. 1712 Vgl. Zahn, Akt II Szene 1, C 1b; vgl. Akt II Prolog, C 1a. 1713 Vgl. die Bemerkung des Parasitaster in Akt II Szene 3, C 8b.

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ligt jhm noch nicht viel daran / Ob darumb zÜrnet jederman.“1714 Er ist geduldig, immer wieder erklärt er auf Nachfrage die evangelische Lehre.1715 Zorn, persönliche Animosität ist ihm fremd.1716 Auch nach der Zuspitzung der Situation hofft er auf Umkehr derer, die ihn anklagen.1717 Er scheut kein Leid und ergibt sich in sein Schicksal, weil Gott es so verfügt hat.1718 Die ihm gebotene Möglichkeit zu widerrufen schlägt er aus; Ruhe im Herzen prägt ihn auch am Ende seines Prozesses.1719 So stirbt er in fester Glaubenszuversicht. Motivation für seinen Dienst ist das Heil der Seelen und die Ehre Gottes.1720 Eigene Ehre oder irdische Vorteile sucht er nicht.1721 Ganz offensichtlich stellt Stephanus für Zahn das Ideal eines protestantischen Predigers und Lehrers dar.1722 Indem er so alle Tugenden auf sich vereinigt, wirkt er naturgemäß etwas entrückt, was sich zusätzlich noch steigert durch die Verklärung seiner Gestalt und die ihm zuteil werdende Christusvision – beides nach biblischer Vorlage Act 6,15 und 7,55. Dies alles aber macht es für die Zuschauer schwierig, sich völlig mit Stephanus zu identifizieren. Zudem steht er im Wesentlichen, d.h. abgesehen von seinen in der zweiten Reihe verorteten Schülern, alleine seinen Gegnern gegenüber, auch insofern die Apostel im Drama nicht auftreten – sie werden nur im Prolog zum zweiten Akt erwähnt. Stephanus wirkt so eher wie ein Luther oder ein Hus. Dazu passt es, dass seine Redebeiträge auch als ‚Confession‘ bezeichnet werden.1723 Er wird damit deutlich als in der Situation des Bekennens stehend dargestellt. Seine Begleiter Theophorus und Conradus werden als gelehrige Schüler dargestellt, wie ihre Äußerungen nach Predigten des Diakons zeigen.1724 Sie stehen den Hörern deutlich näher und sind auch stärker mit Emotionen versehen. So sorgen sie sich um das

1714 Akt III Prolog, D 8a. Vgl. Akt II Szene 3, D 1a, die Worte Parasitasters über Stephanus: „Achtet auch die Personen nicht...“ 1715 Akt III Szene 5, F 3b: „Von hertzen grund wil ich euch thun / Nochmahl meine Confession.“ Vgl. Akt IV Szene 3, G 3b. 1716 Vgl. Akt III Szene 6, F 5a, wo Conradus in Bezug auf Stephanus konstatiert, ein Gottesknecht müsse – so wie der Diakon – den Frieden im Sinne haben. Vgl. auch die Bitte des Stephanus um Vergebung für die ihn Steinigenden nach Act 7, 60, Akt V Szene 1, H 6b. 1717 Vgl. Akt III Szene 5, F 4a; Akt III Szene 6, F 5a. 1718 Akt III Szene 5, F 2a: „Thut man mir darumb dann gewalt / So wil ichs Gott han zugestalt.“ Vgl. Akt IV Szene 1, G 1a. 1719 Vgl. Akt IV Prolog, F 7a; Akt IV Szene 3, G 4a.5a–b; Akt V Szene 1, H 5a. 1720 Akt III Szene 5, F 2a: „... Sondern des menschen seligkeit / Vnd Gottes lob vnd aller zeit. Das such ich vnd auch anderst nicht ...“ Vgl. Akt III Szene 6, F 5b; Akt IV Szene 1, G 1b; Akt IV Szene 3, G 4b. 1721 Vgl. Akt II Szene 1, C 2a; Akt III Szene 5, F 2a. 1722 Dass er selbstverständlich die reformatorische Botschaft vertritt, verstärkt diesen Eindruck nur noch. So hält Parente, Martyr Drama, S. 118, fest: „... Zahn transformed Stephen into a reformed spokesman who promotes the primacy of faith over good works.“ 1723 Vgl. Zahn, Akt IV Prolog, F 7a; Akt III Szene 5, F 3b. 1724 Vgl. Akt II, Szene 5, D 6a; Akt III Szene 6, F 5a.



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Schicksal ihres Lehrers.1725 Getreu setzen sie sein Werk fort, wie das mutige Auftreten des Conradus vor den Knechten des Hohen Rates andeutet.1726 Dessen Frömmigkeit belegt auch das abschließende Gebet, die letzte irdische Handlung im Drama.1727 Mit diesen beiden Gestalten vermögen sich die Zuschauer eher zu identifizieren. Damit kommt ihnen die Funktion des ‚Spieler-Zuschauers‘, wie ihn ab Ende des 16. Jahrhunderts das Jesuitentheater ausgeprägt hat, zu.1728 Sie vertreten die Zuschauer im Spiel und sind zugleich Mittler zu ihnen hin; die für die Zuschauer vom Autor erhoffte Wirkung des Dramas tritt an ihnen exemplarisch zutage. Wie schon bei der Darstellung der Rahmenstücke im Zuge der Analyse der Intention deutlich wurde, lässt Zahns Drama keinen Zweifel daran aufkommen, dass sich sein Verfasser auf dem Boden der reformatorischen Theologie bewegt; dies gilt auch für die Handlung selbst. Die wichtigsten Theologumena der lutherischen Theologie finden in Äußerungen in der Handlung der Sache nach Erwähnung. Im Zentrum stehen dabei das sola fide und das solus Christus.1729 Diese erscheinen nicht nur an einer Stelle, sondern treten in allen fünf Akten hervor, häufig auch miteinander verbunden. Von Anfang an wird die Predigt des Diakons als zentral durch das sola fide und das solus Christus geprägt präsentiert. Bei seinem ersten Auftritt im Drama, in seiner nach einem Gebet vorgebrachten zweiten Äußerung kündigt er an: „So mus ich mich schicken darzu / Das ich morgen ein Predig thu. Wie das allein der Glaub fÜr Gott / Die Menschen gerecht machen thut. Vornim der Glaub an Jhesum Christ / Das Er all vnser Heiland ist.“1730 Nach der Predigt fasst Stephanus’ Vertrauter Theophorus – der schon dem Namen nach Gott respektive seine Lehre trägt – unter diesen Titeln die Verkündigung des Stephanus zusammen.1731 Das Gleiche gilt für Conradus, den anderen Begleiter des Diakons.1732 Die reformatorische Botschaft des Stephanus wird damit deutlich als verstehbar gekennzeichnet. Der konkrete, Stephanus von Gott erteilte Auftrag lautet, er möge den Willen Gottes verkündigen, insbesondere die Einsicht, dass ‚dieses Volk‘ das Gesetz Gottes nicht halten könne, ja dass das Gesetz dazu da sei, denen, die es nicht hielten, die Höllenqualen vorzuhalten.1733 Das Gesetz zeige, dass niemand vom Sündigen lassen könne.1734 Damit 1725 Vgl. Akt II Szene 6, 7a; Akt III Szene 1, F 1b; Akt V Szene 3, H 8a–b. 1726 Vgl. Akt V Szene 4, I 3a–4a. 1727 Vgl. a.a.O., I 4b. 1728 Vgl. dazu Peter Sprengel, Der Spieler-Zuschauer im Jesuitentheater. Beobachtungen an frühen oberdeutschen Ordensdramen, Daphnis 16 (1987), S. 47–106. 1729 Das sola fide und das solus Christus finden sich auch in der zweiten Widmungsrede Zahns; vgl. A 5a: „Auff das wir Kinder Gottes sein / Durch den Glauben sein allein.“ 1730 Akt II Szene 1, C 2b. 1731 Vgl. Akt II Szene 5, D 6a. 1732 Vgl. Akt V Szene 4, I 3a. 1733 Vgl. Alt I Szene 4, B 4b. 1734 Vgl. Akt I Szene 3, B 3a, wo Gott Vater spricht: „Wie macht mans dann mit dem gesetz / Das halten sie fÜr ein geschwetz. Daraus ich aber mercken kan / Das keiner kan von SÜnden lan.“

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wird auf die Funktion des Gesetzes als usus elenchticus abgehoben, gemäß dem es zur Sündenerkenntnis führt. Vorausgesetzt ist, dass alle Menschen Sünder sind, wie Christus es mit Hilfe der Erbsündenlehre formuliert.1735 Durch das Gesetz vermag der Mensch nur zur Erkenntnis der Sünde zu gelangen, erfüllen kann es niemand.1736 Kein Mensch kann durch Werke des Gesetzes gerecht werden.1737 Das Heil kann nicht dadurch erlangt werden, dass man auf die eigenen Werke oder Verdienste vertraut. Die Schwachheit des Menschen ist zu groß, als dass jemand die Seligkeit verdienen könnte; vielmehr ist all sein Tun verloren.1738 Gottes Wille ist es aber, die Menschen zu retten – deutlich wird ein Universalismus, wie in der lutherischen Theologie üblich, gelehrt.1739 Der Weg zur Seligkeit wird dadurch eröffnet, dass Christus an des Menschen Stelle das Gesetz erfüllt, was in der Hingabe seines Lebens gipfelt.1740 Liegt der Ton in Zahns Auffassung vom Werk Christi somit deutlich auf der oboedientia passiva, so übergeht er indessen die – auch in der Konkordienformel festgeschriebene – oboedientia activa nicht.1741 Indem dargelegt wird, dass Christus sich für die Sünder als Mittler hingibt, die Schuld bezahlt und die Sünder im Glauben daran von Gott in Gnaden angenommen werden,1742 bringt Zahn die im Protestantismus rezipierte anselmische Satisfaktionslehre im Drama zur Geltung. Allein Christus ist es, der das Heil erwirkt.1743 Die Erlösung besteht in seiner Gerechtigkeit,1744 d.h. in einer iustitia aliena. Die Heilsteilhabe erfolgt im Glauben, allein der Glaube an Christus rettet.1745 Die Verkündigung des Stephanus umfasst somit nicht nur die Geset1735 Vgl. Akt I Szene 2, B 2b, die Aussage Christi: „Menschen sein sie all zu gleich / Vnd SÜnder all auff Erdenreich. Jhr keiner ist der gutes thu / Leben in mancher vngerhu. Die schuldt ist jhnen angeerbt / Vnd sein durch den fall so verderbt.“ In Akt II Szene 5, D 4b, stellt Stephanus fest, dass die Sünde Adams Auswirkungen auf alle Menschen habe. Vgl. auch die erste Widmungsrede, A 2b. 1736 Vgl. Akt II Szene 5, D 5a.b. 1737 Vgl. Akt II Prolog, C 1a: „Lehret [sc. Stephanus] wie das kein menschen knecht / Durchs Gesetzes werck sey gerecht.“ Vgl. Akt III Szene 5, F 4b, sowie den Wortwechsel zwischen dem Hohenpriester und Stephanus in Akt IV Szene 3, G 4b. 1738 Vgl. Akt III Szene 6, F 4b. 1739 Vgl. Akt I Szene 5, B 6b.8a; vgl. FC Epitome XI, BSLK, S. 821, 5ff. 1740 Vgl. Zahn, Akt II Szene 5, D 5b; ferner Akt III Szene 5, F 4a: Christus will die Schuld zahlen und das Gesetz erfüllen mit seinem Tod zu guter Letzt. 1741 Vgl. die erste Widmungsrede, A 2b. Zur innerprotestantischen Auseinandersetzung um die oboedientia activa vgl. Friederike Nüssel, Allein aus Glauben, Göttingen 2000, S. 139ff. 1742 Vgl. Zahn ebd., ferner Akt III Szene 5, F 3b–4a sowie die erste Widmungsrede, A 2b. 1743 Vgl. besonders Akt III Szene 6, F 4b: „... Das Christus Gottes Sohn allein / Bezalt hab vnser SÜnde gemein ...“ Akt IV Szene 3, G 4a: „Vnd hab bey mir denselben trost / Das Christus mich allein erlÖst.“ – Vgl. daneben Akt I Szene 4, B 6a; Akt III Szene 4, G 8b. 1744 Vgl. Akt I Szene 3, B 3a. 1745 Vgl. Akt II Szene 1, C 2b; Akt II Szene 6, D 7a; Akt II Szene 5, D 6a, wo Theophorus spricht: „So macht allein der Glaub gerecht / Die werck die sein des nechsten knecht.“ Vgl. ferner das Diktum des Nomophorus in Akt II Szene 2, C 5b: „... Vnd das der Glaub an jhn allein / Die thÜr sol zu dem Himel sein ...“, und die Aussage des Richters in Akt III Szene 5, F 3a.



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zespredigt, sondern auch die des Evangeliums. Entsprechend fasst Conradus den Dienst des Stephanus in zwei Punkten zusammen: Er ‚taxiere‘ die Sünden aller und zeige den Weg zum Himmel, der einzig im Glauben an Christus bestehe.1746 Die Botschaft des Stephanus, so wie sie von Zahn gezeichnet wird, stimmt so wesentlich mit der des Apostels Paulus überein. Diese Lehre bildet auch den wesentlichen Punkt des Anstoßes bei den jüdischen Autoritäten. Schon in Akt II Szene 6 äußern die Christen die Vermutung, dass der Hohepriester und sein Gefolge die Rede vom Glauben nicht zulassen werde.1747 Dies bestätigt sich im Verhör des Diakons, in dem der Richter in der Auffassung, allein der Glaube mache selig, den Kern von dessen Lehre erkennt, der für ihn zugleich den wesentlichen Anklagepunkt markiert.1748 Damit gibt er Stephanus freilich Gelegenheit, seine Lehre in dieser Hinsicht ausführlich darzulegen, um sie in der folgenden Szene, im Gespräch mit Conradus, nochmals zu wiederholen.1749 Auch im letzten Akt, nach dem Tod des Diakons, erscheint der zentrale reformatorische Gedanke. Conradus legt ihn vor den Dienern der jüdischen Oberen dar und zeichnet den Glauben an Christus als alleinigen Weg zum Leben.1750 Mit dieser Bemerkung des Conradus und seiner Versicherung, jene Lehre werde durch Gottes Hilfe bleiben, egal wie die Welt sich gegen sie stelle,1751 wird implizit und explizit angezeigt, dass das Evangelium – und das heißt für Zahn die reformatorische Lehre – trotz des Todes des Protagonisten nicht aufzuhalten ist. Die lutherische Rechtfertigungslehre wird mit allen Folgerungen vorgestellt. So lässt Zahn Stephanus im Verhör vor dem Rat im dritten Akt die Konsequenz ziehen, dass der Glaubende der Vergebung und damit seines Heils gewiss sei, eine Auffassung, bei der er auch angesichts der drohenden Verurteilung bleibt und die ihm nach eigener Aussage Ruhe im Herzen verleiht.1752 Vermittels dessen kann Zahn zur Darstellung bringen, dass die reformatorische Lehre auch im Ernstfall Trost zu spenden vermag und so ihre Nagelprobe besteht. Einen weiteren Punkt in der Handlung bildet die Erläuterung von Sinn und Funktion guter Werke. Theophorus, der sich als guter Schüler des Diakons erweist, erklärt, die guten Werke würden dem Nächsten gelten.1753 Stephanus selbst fasst seine Lehre von den guten Werken mit den Worten zusammen: „Die werck vorbiet ich auch ja nicht / Dann sie sein ja des nechsten knecht. Der glaub wird dadurch recht erkandt / 1746 Vgl. Akt V Szene 4, I 3a. 1747 Vgl. die Ausführungen des Theophorus, D 6b. 1748 Vgl. Akt III Szene 5, F 3a. 1749 Vgl. a.a.O., F 3b–4a; Akt III Szene 6, F 4b–5a. 1750 Vgl. Akt V Szene 4, I 3a: „Er [sc. Stephanus] thet den weg zum Himelreich / Den menschen zeigen allzu gleich. Wie das der Glaub an Jhesum Christ. Der weg allein zum leben ist.“ 1751 Vgl. a.a.O., I 3b. 1752 Vgl. Akt III Szene 5, F 4a: „... wer gleubt an diesen Sohn / Der sol das Ewig leben han. Sol sein gewis das seine SÜnd / Jhm sollen sein vorgeben hindt.“ Vgl. Akt IV Szene 3, G 4a.5a–b. 1753 Vgl. Akt II Szene 5, D 6a: „So macht allein der Glaub gerecht / Die werck die sein des nechsten knecht.“

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Wenn die werck recht geschen zuhandt.“1754 Den dahinter stehenden Vorwurf der altgläubigen Seite, nach der reformatorischen Lehre seien die guten Werke verboten, erwähnt auch Luther in seiner Hauspostille zur Geschichte des Stephanus.1755 Auch an dieser Stelle macht sich der Einfluss der Auslegung des Reformators geltend. Gegenüber diesem Vorwurf wird klargestellt, dass die guten Werke keinesfalls obsolet seien. Sie gelten, wie ebenso im Anschluss an Luther festgestellt wird, dem bzw. der Nächsten. Indem er oder sie das Kriterium für ein gutes Werk ist, wird festgestellt, dass dieses sich nicht auf das eigene Subjekt rückbezieht. Damit ist zum einen klar, dass die guten Werke für die Rechtfertigung nicht notwendig sind. Als weitere Folgerung ergibt sich, dass die Frömmigkeitswerke der römischen Kirche nicht mehr als gute Werke gelten können – eine Konsequenz, die allerdings im Drama selbst nicht erscheint, vermutlich, weil sie der Stoff nicht hergab. Die gebrauchte Formulierung, die guten Werke seien des Nächsten Knecht, gemahnt an Luthers Freiheitsschrift,1756 allerdings rekurriert Zahn an dieser Stelle deutlich auf eine Strophe des Liedes „Es ist das Heil uns kommen her“ von Paul Speratus aus dem Jahr 1523.1757 Dort findet sich auch der Gedanke, dass die guten Werke den Glauben des Christen zu erkennen geben. Als Korrektiv erscheint aber im Zusammenhang der die guten Werke betreffenden Aussagen stets die Erläuterung, dass allein der Glaube errette – auch dies in Aufnahme der Strophe von Speratus.1758 Sämtliche Bemerkungen in Zahns Drama zur Rechtfertigung und den guten Werken zeigen, dass er in dieser Hinsicht völlig auf dem Boden der Konkordienformel steht, die in keiner Weise das sola fide antastet, aber die guten Werke als zum lebendigen Glauben gehörig bezeichnet.1759 Dem steht nicht entgegen, dass er, wie gezeigt, einen starken Akzent auf die Notwendigkeit der Buße legt, dass der Glaube nahezu mit der Abwendung von den Sünden, mit der Buße gleichgesetzt wird.1760 Eine solche Buße wird auch in der Konkordienformel gegenüber der von ‚Epikuräern‘ vertretenen Position gefordert.1761 In dieser 1754 Akt II Szene 6, D 6b–7a. 1755 Vgl. WA 52, 593,14. 1756 Vgl. WA 7, 34,29ff: „Drumb soll seyne meynung ynn allen werckenn frey und nur dahynn gericht seyn, das er andernn leutten damit diene und nÜtz sey, Nichts anders yhm furbilde, denn was denn andernn nott ist ...“ Vgl. 35,11f.; 35,25f.; 36,3f.; 37,18ff. 1757 EG 342,7: „Die Werk, die kommen g’wißlich her / aus einem rechten Glauben; / denn das nicht rechter Glaube wär; / wollst ihn der Werk berauben. / Doch macht allein der Glaub gerecht; / die Werk, die sind des Nächsten Knecht, / dran wir den Glauben merken.“ Vgl. bei Wackernagel, a.a.O. Dritter Band, Leipzig 1870, S. 31f. (Nr. 55); dort handelt es sich um die zehnte Strophe. 1758 Vgl. Zahn, D 6a.7a. 1759 Vgl. FC Epitome IV, BSLK, S. 787,19ff.24ff; vgl. 789,30. 1760 Vgl. etwa Zahn, Akt I Szene 5, B 6b, wo es heißt, Gott wolle den Sündern vergeben, „So bald sie an die reine lehr / Christi Gleuben fÜr vnd fÜr. Lassen von jhren SÜnden ab / Nemen sie nicht mit sich ins grab. Vnd ob sie wol mit schwacheit gros / Beladen sein ohn vnterlas. So sollen sie doch Busse thun / Durch seinen außerwelten Sohn.“ 1761 Vgl. FC Solida Declaratio IV, BSLK, S. 942,33ff; 947,11ff; 948,20ff; diese Stelle unter Berufung auf Apologie Art. XX, a.a.O., S. 316.



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Frontstellung ist auch Zahns Drama mit seinen vielfachen Aufforderungen zur Umkehr zu sehen. Typisch für Zahn ist darüber hinaus die immer wiederkehrende Formulierung ‚Der Glaube an Jesus Christus allein macht gerecht‘, und damit die Verbindung von solus Christus und sola fide. Der Glaube ist Glaube an Jesus Christus, nämlich an ihn als Lösegeld für die Sünden.1762 Dieses muss der oder die einzelne für sich gelten lassen, dann wird er und sie des Heils teilhaftig. Zahns Äußerungen klingen durchaus konditionierend in dem Sinne, dass der Glaube stärker als Bedingung für das Heil denn als Teilhabe an ihm wahrgenommen wird.1763 Auffallend ist, dass das sola gratia gegenüber solus Christus und sola fide zurücktritt; ausdrücklich erscheint es lediglich in der ersten Widmungsrede.1764 Nun wäre es aber eine Verzeichnung, würde Zahn einer Auffassung des Glaubens geziehen, nach der dieser ein Werk wäre. In eine andere Richtung weisen die Aussagen zur Heilsgewissheit, insofern sich diese nicht auf das eigene Subjekt und sein Tun, sondern nur auf Christus stützen kann. Schließlich gibt Stephanus auch zu erkennen, dass sich der Glaube Gott verdankt, wenn er darum bittet, dass Gott den Verblendeten seinen Geist verleihen möge.1765 Gestreift wird im Drama auch die Frage des Amtes. Der gegen Stephanus vom Hohenpriester geäußerte Vorwurf ist der einer Selbstberufung.1766 Demgegenüber wird im Drama vorrangig auf die Berufung des Stephanus durch Gott selbst,1767 nur an einer Stelle auf seine Berufung durch die Apostel verwiesen.1768 Erstere, intersubjektiv nicht nachprüfbar, ist für das Selbstverständnis des Diakons wie auch der von ihm repräsentierten Gemeinde unerlässlich, wird aber außerhalb dieser infolge des ihr inhärierenden Mangels nicht anerkannt werden können. Das Gleiche gilt allerdings auch für die apostolische Berufung: Eine Ordination durch die Apostel kann vor dem Hohen Rat keine Anerkennung finden, folglich wird dieses Argument von Stephanus auch nicht vorgebracht. Allerdings bringt 1762 Vgl. Zahn, Akt II Szene 6, D 7a: „Aber das ist die Sum der sach / Das der Glaub Allein selig macht. Vornim der Glaub an Jhesum Christ / Ders Lytron vnser SÜnden ist.“ Vgl. Akt II Szene 1, C 2b. 1763 Vgl. Akt I Szene 5, B 7a. Die Buße besteht aus demütigem Bitten aus Gnade, zu der Gabriel im Folgenden ausführt: „Wenn das geschicht in dieser zeit / Ehe kompt das letzte Hertzeleidt. So will sich Gott abbitten lan / Jm glauben durch Christ seinen Sohn ...“ Vgl. ferner die negativen Aussagen Gott Vaters in Akt I Szene 4, B 5, und des Stephanus in Akt III Szene 6, F 4b–5a über diejenigen, die die Botschaft nicht annehmen, nicht nach Gottes Willen leben. 1764 Vgl. Erste Widmungsrede, A 3a. 1765 Vgl. Akt III Szene 6, F 5a. 1766 Der Hohepriester fragt Panocnus in Akt III Szene 1, E 1b: „Sag an wie ist Sanct Stephanus / Doch komen in das Gottes haus. Wer hat die SchlÜssel jhm gethan / Das er zu lehren fenget an?“ Panocnus verweist auf die Jünger, während der Hohepriester vermutet (ebd.): „Er sol sich han gedrungen zu.“ Vgl. Akt III Prolog, D 7b. 1767 Akt II Szene 1, C 2a: „Weil ich zu diesem Ampt erkorn / Durch deinen willen bin zuuorn ...“ A.a.O., C 3a: „Nach dem ich durch GÖttliche gab Zum Predigampt befehlich hab ...“ Vgl. a.a.O., C 1b.2b. 1768 Vgl. Akt II Prolog, C 1a.

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er in seinem Verhör auch nicht die göttliche Berufung zur Sprache. Für die Zuschauer ist freilich seit dem ersten Akt klar, dass Stephanus von Gott selbst berufen wurde,1769 aus der biblischen Geschichte ist bekannt, dass ihn die Apostel eingesetzt haben. Völlig verständlich wird das Vorgehen Zahns in diesem Punkt erst auf dem Hintergrund der zwischen Protestanten und Altgläubigen strittigen Frage um die rechte Berufung. Für die Altgläubigen war die protestantische Ordination als nicht in der apostolischen Sukzession stehend per se inakzeptabel, während der Verweis auf eine göttliche Berufung zwangsläufig den Verdacht des Subjektivismus oder gar der Schwärmerei erregt hätte. Für die Protestanten war auch aus diesem, aber ebenso aus inneren theologischen Gründen die äußere Berufung spätestens seit CA XIV unerlässlich. Die bloße Behauptung einer göttlichen Berufung und eine damit einhergehende Usurpation des Verkündigungsamtes war obsolet. Gleichwohl konnte man nicht darauf verzichten, die eigenen Prediger als – obschon mittelbar – auch durch Christus, den Herrn der Kirche, berufen zu qualifizieren. Nur mit diesem Gedanken konnte ja letztlich die Durchführung der Reformation – gegenüber den nach ihrer eigenen Auffassung ordentlich berufenen altgläubigen Autoritäten – überhaupt legitimiert werden. Entsprechend wertet etwa Leonhard Hutter auch die mittelbare Berufung, als deren Prototypen er die sieben Diakone anführt – die unmittelbare Berufung durch Gott endete mit derjenigen der Apostel, – als eine Berufung durch göttliche Autorität,1770 abgesehen davon, dass er gemäß CA V das ministerium ecclesiae ohnehin als von Gott eingesetzt hinstellt.1771 Zahn betont die göttliche Berufung des Stephanus stärker als die apostolische ganz entsprechend der Intention und der Struktur seines Dramas, nach der alles irdische Geschehen in Gott allein begründet ist: Er spricht das erste Wort und folgerichtig initiiert er im Vorhinein auch die Berufung des Diakons. Die Berufung durch Gott impliziert die Zahn wichtige enge Verbindung von göttlichem Wort und Prediger. Stephanus’ wirkliches Pfund ist die rechte Lehre. An dieser, und an der Schriftgemäßheit derselben, nicht an äußerlichen Argumenten entscheidet sich der Anspruch, die echte Offenbarung zu bieten. Der Hohepriester verweist im Gespräch mit Stephanus darauf, dass er selber bereits über 50 Jahre das Haus Gottes regiere, dass man schon so lange Zeit über Schrift und Lehre verfüge und sich nun ein ‚kÜner Man‘

1769 Vgl. Akt I Szene 4, B 4b, wo Gott Vater seinen Willen zur ‚Erweckung‘ des Stephanus kundtut. 1770 Leonhard Hutter, Compendium Locorum Theologicorum, hrg. v. Wolfgang Trillhaas, Berlin 1961 (Nachdruck der Ausgabe Wittenberg 1610), Locus XVI,9–11, S. 79: „Quotuplex est vocatio ad Ministerium? Duplex: Una immediata, qualis erat vocatio Prophetarum et Apostolorum, quae a Deo ipso sine medio facta est, et cum Prophetis et Apostolis desiit: Altera est Mediata, quae hodie fit per Ecclesiam, quae constat ex Magistratu, Ecclesiae ministris, et Auditoribus reliquis ... – Ergone vocatio Ministrorum ad totam Ecclesiam pertinet? Omnino: idque ex praxi Apostolica. […] Sic Diaconi septem a plebe eliguntur, et Apostolis sistuntur confirmationis gratia: Act. 6,5. – Quid igitur et Minister Ecclesiae? Est persona, autoritate divina, per Ecclesiam legitime vocata, ad pure docendum verbum Dei, et administrandum Sacramenta, iuxta institutionem Christi.“ 1771 Vgl. Hutter, a.a.O., Locus XVI,5, S. 78.



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wie Stephanus erdreiste, diese anzugreifen.1772 Gegen diese Beweisführung, die an die von Karl V. in Worms gegen Luther vorgetragene Argumentation erinnert, kann Stephanus letztlich nur ein weiteres Mal die von ihm vertretene Lehrauffassung vortragen.1773 In Bezug auf die Stellung zur Schrift bietet Zahns Drama eine geradezu geniale Szene in der Zusammenkunft der Schriftgelehrten mit Hohepriester und Richter, in der es um die Frage geht, was von der Schrift her zu den Thesen des Stephanus zu sagen sei. Das Durcheinanderreden der Schriftgelehrten lässt den Richter auf das kanonische Recht zurückgreifen, von dem er sich mehr Sicherheit verspricht.1774 Auf diese Weise kann Zahn die altgläubige Auffassung vorführen, in der die Schrift als nicht eindeutig qualifiziert wird und der Ergänzung durch die Tradition und das kanonische Recht bedarf.1775 Die Verbindung der hier vorgetragenen Position mit der der römischen Kirche lässt sich für kundige Zuhörer relativ leicht vollziehen, insbesondere durch die explizite Rede vom ius canonicum. Das Interessante ist aber nun, dass, wie die Szene verdeutlicht, die Schrift nicht zum Schweigen gebracht werden kann, sondern sich Gehör verschafft und sogar ihre Klarheit erweist – gegen die Auffassungen der versammelten Experten. Entsetzt müssen die Oberen feststellen, dass die Schrift die von Stephanus vertretene Lehre bestätigt. So heißt es für die marginal vermerkte Stelle Gen 22: „Man findt im Genesi alldar / Wie das da steht geschrieben klar. Das Abraham gegeben ist / Von Got der Heilandt Jhesus Christ. Vnd wer gleubt an jhn allein / Sol dadurch Ewig selig sein.“1776 Die Schrift wird damit unfreiwillig auch von den Gegnern selbst als klar erwiesen. Damit ist die Frage nach der konfessionellen Polemik aufgeworfen, die durchaus aus dieser Szene spricht, werden doch die Glaubenshüter in ihren Interessen durchschaut und der Lächerlichkeit preisgegeben. Für das Drama in toto ist der Befund zunächst derart, dass die Gegner des Stephanus deutlich in Farben der römischen Kirche gezeichnet werden. So wird bei Aussagen über den Hohenpriester – ohne Zweifel für die meisten Hörer verstehbar – auf das Papstamt angespielt. ‚Heiliger Vater‘ genannt, beansprucht er für sich die Schlüsselgewalt über das „Gottes haus“.1777 In Akt III Szene 5 äußert er, er habe dieses Gotteshaus fast 50 Jahre regiert.1778 Widerhall findet auch die verbreitete Kritik an Völlerei und Trunkenheit des Klerus,1779 am Pfründenwesen und überhaupt am fiskalischen Wesen

1772 Vgl. Zahn, Akt III Szene 5, F 3a. 1773 A.a.O., F 3b: „HÖrt doch jhr Herren vnd jr Man. Gebt euch zu frieden Allzugleich ... Von hertzen grund wil ich euch thun / Nochmahl meine Confession ...“ 1774 Vgl. Akt III Szene 4, 7b–8a. 1775 Vgl. auch die vom Hohepriester gewählte Formulierung „schrifft vnd lehr“ in Akt III Szene 5, F 3a. 1776 Akt III Szene 4, E 8b. Auch 2 Sam 7 bestätigt die Auslegung des Diakons; vgl. a.a.O., E 8b–Fa. 1777 Vgl. Akt III Szene 1, E 1a. D 8b. 1778 Vgl. F 3a. 1779 Vgl. Akt II Szene 2, C 6b, die Äußerung des Pamphidius an die versammelten Räte: „Gelebt habt jhr wie Maste schwein / Jm saus / vnd bey dem kÜlen wein ...“

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der Kirche, zu dessen Rettung das Kirchenvolk dumm gehalten werden muss.1780 Daneben finden sich Anspielungen auf in der römischen Kirche geläufige Bezeichnungen.1781 In diesem Vorgehen folgt Zahn letztlich Luther, der in seiner Auslegung der Geschichte die verfolgenden jüdischen Autoritäten mit den ‚Papisten‘ gleichsetzt, die in der Gegenwart die Anhänger der evangelischen Lehre verfolgten.1782 Die als altgläubige Kleriker skizzierten jüdischen Oberen bilden die dunkle Folie, auf der Stephanus um so heller leuchtet. Betont wird seine gute Amtsführung. Sein erstes Auftreten beginnt er mit einem Gebet um Verleihung einer christlichen Lebensführung, insbesondere darum, keinen zeitlichen Nutzen zu suchen.1783 Diese Haltung steht in deutlichem Kontrast zum ‚Klerus‘, der seine eigenen privaten Interessen verfolgt. So lässt der Richter erkennen, dass es ihm besonders um seine Ehre geht, er sonnt sich darin, dass alle Welt seiner bedarf.1784 Auch der Hohepriester sieht sich gerne im Mittelpunkt, doch spricht aus seiner Rede, mit der er seine Person einführt, eine gewisse Morbidität. Wehmütig schaut er auf bessere Zeiten zurück und deutet den Verfall an, in dem sich seine Institution befindet, und die Verachtung, die ihr entgegengebracht wird.1785 Der erhobene hohe Anspruch ist nicht mehr durch die Realität gedeckt. Auch darin ist Spott auf das Papsttum angedeutet. Ist so Polemik gegen die römische Kirche deutlich auszumachen – wobei über deren Stellenwert damit noch nichts gegesagt ist –, lässt sich Polemik gegen die Reformierten nicht erkennen.1786 Überblickt man das Drama, ergibt sich ein differenziertes Bild. Auf der einen Seite stehen die Rahmenstücke, die Himmelsszenen des ersten Aktes sowie der fünfte Akt, die besonders auf die Buße wie auf die Achtung und Annahme des Gotteswortes gerichtet sind. Dem stehen die Akte II bis IV gegenüber, aus denen besonders konfessionelle Polemik gegen die altgläubige Kirche in Gestalt der jüdischen Oberen spricht. In diesem Teil wird die reformatorische Lehre in ihren Facetten dargestellt. Die Hörerinnen und Hörer sollen hier in der reformatorischen Botschaft, im solus Christus und im sola fide sowie in der richtigen Auffassung von den guten Werken befestigt werden. Allerdings werden die Vertreter der altgläubigen Kirche als Repräsentanten der Welt im qualifizierten Sinne wahrgenommen, wie aus der ihnen unterstellten unbußfertigen Haltung mit Völlerei, Geldgier und Selbstvergötzung erhellt. Insgesamt ist zu konstatieren, dass die konfessionelle Polemik nicht das Hauptthema des Dramas bildet. Indem die römische Kirche mit ihren Vertretern als zur Welt gehörig, als Gegenspielerin Gottes und seines Wortes 1780 Vgl. Akt III Szene 4, F 1a. 1781 Vgl. den Titel „Dechant“ (Akt II Szene 2, C 4b); die Bezeichnung „Canonisey“ (Akt III Szene 2, E 3b.4a); die „Praebenden“ und „klÖsterricht“ (beides Akt III Szene 4, F 1a). 1782 Vgl. WA 52, 593,5ff. 1783 Vgl. Zahn, Akt II Szene 1, C 2a. 1784 Vgl. Akt II Szene 4, D 1b. 1785 Vgl. Akt III Szene 1, D 8a–E 1a. 1786 Gegen die Reformierten, allerdings an der genannten Stelle ohne Adressat, wird lediglich der Universalismus angeführt: Gott zielt auf die Rettung aller Menschen; s. Akt I Szene 5, B 6b.



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vorgestellt wird, ergibt sich als Folgerung, dass sie nur ein Teil der vom Bösen infizierten Welt und deren gegen Gott gerichteter Aktivität ist. Diese Welt sieht Zahn vielmehr weit in die lutherische Gemeinde hineinragen, in Gestalt von Menschen, bei denen er die Missachtung des Gotteswortes beklagt. Eine ebenso starke, und nach Ausweis der Rahmenstücke sogar stärkere Frontlinie ist daher in der Bekämpfung von Indifferentismus und Skeptizismus in der eigenen protestantischen Umgebung zu erkennen. Die mehrfach erscheinende Bemerkung, das Gesetz werde für Geschwätz gehalten,1787 lässt auf einen gewissen Antinomismus schließen. Diesen zurückzudrängen, die Menschen zur Buße, zum Gottesdienstbesuch und zur Annahme des in der Predigt Gehörten zu bewegen und auf der anderen Seite seine Amtsbrüder ob dieses Phänomens zu stärken, dürfte für Zahn in seiner Situation das wichtigere Anliegen gewesen sein.

4. Melchior Neukirch, Stephanus (1592) Stephanus Ein schÖne geistliche Tragedia von dem ersten Merterer im newen Testament / nach der Himmelfarh Christi. Aus dem Buch der Geschichte der Apostel / am vierden / fÜnfften / sechsten vnd siebenden Capitel / in eine Action / Reimßweise / zusammen gebracht. Durch Melchiorem Newkirchen / Pastorn der Kirchen Gottes in Braunschweig zu S. Peter. [Magdeburg] 1592 [Exemplar Wolfenbüttel] Melchior Neukirch,1788 auch Neofanius genannt, wurde um 1540 in Braunschweig geboren. Er studierte in Wittenberg und Rostock, wo er 1561 immatrikuliert wurde.1789 1564 wurde er Rektor in Husum, zwei Jahre später wechselte er zum Braunschweiger Katharineum, später übernahm er das Rektorat der Ägidienschule. Im Jahre 1569 übernahm er eine Superintendentenpfarrstelle in Barem, heute Salzgitter-Barum.1790 Seit 1571 1787 Vgl. die Zweite Widmungsrede, A 4a; Prolog, A 7a; Akt I Szene 3, B 3a. 1788 Zur Vita Neukirchs vgl. Reinhard Müller, Art. ‚Neukirch (Neofanius), Melchior‘, DL3 XI, Sp. 175; Die Pastoren der Braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche seit Einführung der Reformation, bearb. v. Georg Seebass und Friedrich-Wilhelm Freist, hrg. v. Landeskirchenamt Wolfenbüttel 1969–1980, Bd. 1, S. 51.171, Bd. 2, S. 215 (Nr. 2773), Bd. 3, S. 50; Johannes Bolte, Art. ‚Neukirch, Melchior‘, ADB 23, S. 512f. – Bei dem von Luise SchornSchütte, Evangelische Geistlichkeit in der Frühneuzeit, Gütersloh 1996, S. 478, genannten Johann Neukirch, Pastor von St. Petri in Braunschweig, Sohn von Johann Neukirch, der Pastor an St. Andreas in Braunschweig war, handelt es sich um Melchior Neukirch. Dies ergibt sich sowohl aus den Lebensdaten als auch aus der Notiz über seine Ehe mit Lucia Coloander, Tochter von Johann Coloander, Pastor an St. Martini in Brauschweig, und derjenigen über seinen ebenfalls als Pastor tätigen Sohn Friedrich. 1789 Neukirch besuchte damit die von den Braunschweiger Pastoren dieser Zeit am meisten aufgesuchten Universitäten; vgl. Schorn-Schütte, a.a.O., S. 194. 1790 Vgl. Die Pastoren der Braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche seit Einführung der Reformation, Bd. 1, a.a.O., S. 157.

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war er Prediger an St. Petri in Braunschweig. Dort starb er am 30. August 1597. Er verfasste neben Predigten Erbauungsschriften und lateinische Gelegenheitsgedichte. Ferner befasste er sich mit geschichtlichen Fragen. So schrieb er eine Geschichte der Prediger des evangelischen Braunschweig und ein analoges Werk zu den Bischöfen von Halberstadt, ebenso eine Geschichte der deutschen Kaiser wie eine Geschichte der Welt ab der Schöpfung.1791 Neukirch war ein großer Verehrer des Braunschweiger Superintendenten Martin Chemnitz, dessen Predigten er 24 Jahre lang mitschrieb und später, mit einer Vorrede von Polykarp Leyser versehen, herausgab.1792 Dieses Werk ging dreimal, 1593 in Frankfurt sowie 1594 und 1604 in Magdeburg in Druck. Bereits 1580 war die ‚Historia der Passion unsers lieben Herrn und Heilands Jesu Christi‘, die ebenfalls aus Predigten Chemnitz’ zusammengestellt war, erschienen.1793 Ein Exemplar der ‚Historia‘ befand sich später auch in der Bibliothek Johann Gerhards.1794 Melchior Neukirchs für den Druck um eine ausführliche Widmungsrede an die Provisoren, Vorsteher, Kastenherren und Diakone der Stifte, Klöster, Kirchen und Spitäler der Stadt Braunschweig erweiterte Tragödie von Stephanus besteht aus sechs Akten, die jeweils in Szenen unterteilt sind. Ein besonderes Merkmal des Dramas ist die hohe Zahl der Rollen; es treten 75 sprechende Darsteller auf, die noch durch die Chöre der Engel und der Heiligen im Himmel verstärkt werden.1795 Die Handlung führt von der Geschichte von 1791 Zu den Schriften Neukirchs s. VD 16, N 1361–1387 (I. Abteilung Bd. 14, S. 569ff); zu den historischen Werken s. N 1363. 1364. 1381. 1383. 1792 Vgl. Theodor Mahlmann, Bibliographie Martin Chemnitz, in: Der zweite Martin der Lutherischen Kirche, hrg. v. Ev.-luth. Stadtkirchenverband Braunschweig und der Propstei Braunschweig, Braunschweig 1986, S. 418f. Vermutlich hat Neukirch dabei stärker redaktionell in die Predigten eingegriffen und auch Predigten zusammengezogen; vgl. Johannes Beste, Geschichte der Braunschweigischen Landeskirche von der Reformation bis auf unsere Tage, Wolfenbüttel 1889, S. 102. 1793 Historia Der Passion vnsers lieben HERRN vnd Heylands Jesu Christi / Wie dieselbe von den vier Euangelisten einhellig beschrieben ist. Aus den Predigten / deß weyland Ehrwirdigen / Achtbarn vnd Hochgelahrten Herrn D. MARTINI CHEMNITII, Superintend. Der Kirchen zu Braunschweig / zusammen gezogen vnd in Druck verfertiget / Durch Melchiorem Newkirchen / Pastorn zu S. Peter in Braunschweig. 1591. – In diesem Werk schreibt Neukirch (A IIIa), er habe „viel Jahr … mit ziemlichen fleis“ die Predigten von Chemnitz „nach geschrieben / vnd vielen / die sie begeret / communicieret.“ Die Witwe von Chemnitz nennt er (A IIIa–b) „meine freundliche liebe Gefatterin“. Da Chemnitz erst 1554 nach Braunschweig kam, dürfte hier die Bedeutung ‚Freundin der Familie‘ die zutreffende sein und nicht diejenige der ‚Patin‘. 1794 Vgl. Johann Anselm Steiger, Bibliographia Gerhardina, Stuttgart – Bad Cannstatt 2003. 1795 Das Personenverzeichnis (B Ia–IIa) nennt: Jesus Christus, die drei Erzengel Gabriel, Raphael und Uriel – Cherubin –, die zwölf Apostel Petrus, Jakobus, Johannes, Andreas, Philippus, Thomas, Bartholomäus, Matthäus, Jakobus der Kleine, Simon Zelotes, Judas Thaddäus und Matthias; die sieben Diakone Stephanus, Philippus, Prochorus, Nicanor, Timon, Parmina und Nicolaus; Elizabeth, die Frau des Stephanus; Isaac und Benjamin, Söhne des Stephanus; Barnabas, der Diener der Apostel; die Jünger bzw. Christen Marcus, Justus, Joses, Silas, Timotheus, Titus, Joseph und



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Ananias und Saphira bzw. der Darstellung der Gütergemeinschaft in der Urgemeinde (Act 4) bis zur Steinigung des Stephanus (Act 7) resp. seinem in der Bibel nicht berichteten Begräbnis. Sie geht damit über das im Titel genannte Thema hinaus und stellt die Stephanus-Erzählung in den Rahmen der Geschichte der Jerusalemer Urgemeinde. Das Drama war sicher für eine Aufführung gedacht, was etwa daraus hervorgeht, dass eine Rede des Todes an die ‚speculatores‘ ergeht.1796 Der erste Akt handelt von der Gütergemeinschaft und von der Geschichte von Ananias und Saphira gemäß Act 4–5, berührt aber auch die Wahl der Armenpfleger nach Act 6. Er besteht aus acht Szenen. Die Handlung beginnt mit einem Monolog des Petrus, in dem dieser Gott für seine Berufung vom Fischer zum Apostel dankt, die Geschichte Jesu und die Entstehung der Urgemeinde rekapituliert, um schließlich auf die Gütergemeinschaft und das Problem der Überbelastung der Apostel durch die Sorge um das Wort und um die Austeilung der Güter in der Gemeinde zu sprechen zu kommen. Die zweite Szene zeigt ein Gespräch von Jakobus und Johannes über die Verachtung und Verfolgung des Wortes Gottes, auf das in der nächsten Szene eine Versammlung der Apostel folgt, in der es um die Frage der Versorgung in der Gemeinde geht. Dabei spielt auch das Gerücht eine Rolle, die Apostel nähmen nur betuchte Leute in die christliche Gemeinde auf. Bei der Suche nach einem Verwalter der für die Armen reservierten Gelder wird Stephanus vorgeschlagen. In der vierten Szene treten Ananias und Saphira auf, die über ihre Ersparnisse reden und überlegen, ob sie sich den Christen anschließen sollen. Ananias gibt zu erkennen, dass ihm die Religion egal sei, dass aber das Wissen versorgt zu sein, aus ihm einen Christen mache. Saphira ist der Auffassung, man müsse nicht das ganze Vermögen offen legen. Die folgende Szene bietet vor allem die Ordinationsrede des Petrus für die neuen Diakone. An deren Ende erscheint Ananias, der bei Petrus ein ungutes Gefühl auslöst. Die sechste Szene führt die versammelte Unterwelt vor, die in Unruhe versetzt ist, weil es trotz der Kreuzigung Jesu mit dem ‚Ketzer‘ weitergehe. Es werden Gegenmittel beraten. In der siebenten Szene kommt es bei der Befragung des Ananias durch Petrus zu dessen Tod. Der hier als Person erscheinende Tod hält sodann eine längere Rede ad speculatores, in der er zu Beginn auf seine eigene Entstehung zu sprechen kommt. Gott habe ihm durch das Gesetz den Stachel gegeben, so dass er zu allen Menschen durchdringe. Er freut sich über Ananias, bedauert aber insgesamt, dass er infolge des Auftretens Christi an Macht verloren habe und einige Menschen sich nicht mehr vor ihm fürchteten. Petrus hebt als Lehre dieses Geschehnisses hervor, man solle nicht mit Gottes Dienern Spott treiben, sie führten das Amt an Gottes Statt. Was an Geld einmal für Kirche oder Schule bestimmt sei, daran solle man sich nicht vergreifen. Die Szene endet Lucas; Ananias und Saphira; Herodes; Herodias; Pilatus; Progne, die Frau des Pilatus; Claus Narr; der Hohepriester Hannas; Caiphas; die ‚Fürsten‘ der Priester Johannes, Alexander und Ananias; Gamaliel; der oberste Schriftgelehrte Balthasar; der Priester Levi; der Pharisäer Simon; Simeon, ein Ältester des Rates; Saulus; der Sekretär Casparus; Malchus, Knecht des Hohenpriesters; der Oberhauptmann; der Hauptmann des Tempels; Meister Matz, der Scharfrichter; die Steckenknechte Fabian, Cuntze und Urban; vier Häscher; die zwei Zeugen Judas und Teudas; aus der Unterwelt Beelzebub; Sathan; Astaroth; Leviathan; Belial; Behemoth; der ‚Hoffteufel‘ und der Tod. Dazu kommen noch zwei Engelchöre und die Heiligen im Himmel. 1796 Vgl. Neukirch, Tragödie von Stephanus, Akt I Szene 7, E Va.

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mit einer Unterredung der Teufel. In der letzten Szene wird das Ende der Saphira vor Petrus und einigen Gemeindegliedern dargestellt. Thema des zweiten Aktes mit seinen sieben Szenen ist die angehende Verfolgung der Christen. Auffallend ist, dass es sich bei den Auftretenden nur um Nichtchristen handelt. Vorgeführt wird die in Act 5,17ff berichtete Verfolgung der Apostel, wobei diese über den Text der Act hinaus mit der Person des Herodes Antipas verknüpft wird. Der Tetrarch erzählt in der ersten Szene die Geschichte seines Geschlechts über die Ränkespiele Herodes d.Gr. bis zur Teilung des Reichs, wofür Neukirch auf Josephus Flavius rekurriert. Daneben teilt er mit, was er über die Christen weiß. In der folgenden Szene wird eine Unterredung des Herodes Antipas mit Herodias vorgeführt. Diese ist nicht begeistert darüber, dass Herodes nach Jerusalem gehen will. Schon einmal – Anspielung auf die Geschichte Johannes des Täufers – habe ein Pfaffe ihre Liebe gestört. Sie wirft ihm vor – auch dies eine Anspielung auf die Täufergeschichte –, er habe immer noch Mitleid, wenn er einem Pfaffen etwas antun solle. Der Tetrarch bekräftigt aber seine Absicht, mit den Christen (‚Pfaffen‘) kurzen Prozess zu machen. Die dritte Szene stellt – ebenfalls über die konkrete biblische Vorlage hinausgehend – Pilatus vor, der seine Meinung über die Herodianer und über sein Verhältnis zu Herodes Antipas eröffnet. Hinsichtlich einer Verfolgung der Christen zeigt er sich eher zurückhaltend. Die jüdischen Autoritäten sollten eine solches Vorgehen verantworten. Diese treten denn auch in der folgenden Szene auf und verleihen ihrer Forderung Nachdruck, die Christen zu verfolgen und ihre Lügen auszurotten. Einen Kontrast bietet die fünfte Szene, in der die Frau des Pilatus erscheint, die ihre Angst vor Herodes Antipas und davor, dass dieser ihren Mann zu einer Christenverfolgung verleiten könnte, in Worte fasst. Sie berichtet von einer Vision, in der Christus im hohepriesterlichen Ornat und mit Schwert erschienen sei und Pilatus gewürgt habe. Christus sei nicht so schlecht, wie man sich sage. Nach einer Zwischenrede des – im Personenverzeichnis gar nicht aufgeführten – Narren Morio, der den Christen die drohende ‚Ketzerverfolgung‘ vor Augen hält und die ‚Pfaffen‘ warnt, sich mit Kritik an den Oberen zurückzuhalten, meldet in der siebenten Szene der Oberhauptmann, dass die Verfolgung eröffnet werde, was beim Hofteufel Freude auslöst. Nach Ausweis des Arguments steht im dritten Akt, der sechs Szenen umfasst, die Verfolgung der Apostel und ihre Befreiung nach Act 5,17–24 im Mittelpunkt. Den Beginn der Verfolgung zeigt die erste Szene. Die Häscher fassen die Apostel, die aber Zuversicht ausstrahlen. Auf die Feststellung eines der Häscher, sie vertrauten viel auf ihren gekreuzigten Gott, bekundet Andreas, dieser habe sie noch nie verlassen. Der Hofteufel kommentiert das Geschehen. Er sieht Stephanus kommen und hegt auch gegen ihn Pläne. Die folgende Szene bringt eine Unterredung des Stephanus mit dem Christen Joses, in der dritten stellt sich Saulus in einem Monolog vor. Er sinniert über die Christen und kündigt an, sich in deren Verfolgung zu engagieren. Er müsse gegen die von Menschen wider Gottes Wort aufgebrachte Lehre vorgehen. In der vierten Szene hört Gott die Klage der Christen und sendet den Erzengel Gabriel, um die gefangenen Apostel zu befreien und zu stärken, dass sie mit der Predigt des Wortes fortfahren. Dies, so Thomas, könnten sie nun erst recht tun, hätten sie doch erfahren, dass Gott für sie sorge. Die beiden letzten Szenen sind mit den Folgen der Befreiung befasst. Die Häscher entdecken die Flucht, die von den betrunkenen Wächtern nicht verhindert wurde. Die jüdischen Autoritäten beraten. Hannas ist nicht ganz unglücklich über die Flucht, Kaiphas befürchtet aber, die Christen würden von ihrem Tun nicht ablassen.



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Im vierten Akt – er hat acht Szenen – wird die erneute Verhaftung der Apostel und der Rat des Gamaliel vorgeführt, folgend dem Text Act 5,25–40. Der Akt beginnt mit einer Beratung der jüdischen Autoritäten, der auch Saulus beiwohnt. Man will freundlich zu den Aposteln reden, um sie endgültig von ihrer Lehre abzubringen, dabei aber keine Unruhe zu verursachen. Saulus ist jedoch skeptisch. In der Anschlussszene erfolgt die Verhaftung, in der dritten Szene wird das Verhör gezeigt. Im Mittelpunkt stehen – über den Wortlaut der biblischen Vorlage hinausgehend – die Fragen des Kaiphas, wer ihnen befohlen habe, ihre ‚Ketzereien‘ auszubreiten, und wer sie zu diesem Amt berufen habe. In der vierten Szene bringt Gamaliel seinen Rat vor, der in der fünften diskutiert wird. Der Ratschlag ist nicht unumstritten: Es erhebt sich die Forderung, dass zumindest eine kleine Bestrafung zur Abschreckung erfolgen müsse, damit die Apostel von der Predigt abließen. Die Unterwelt verleiht in der sechsten Szene ihrer Freude über das Schauspiel der Geißelung der Apostel Ausdruck, obwohl sie diese lieber am Galgen gesehen hätten. In Kontrast dazu stimmt Astaroth eine Klage über die Übermächtigkeit Gottes an. Sie, die Mitglieder der Unterwelt, seien ihm gegenüber wie die Maus gegenüber der Katze. Die siebente Szene besteht aus einem Gespräch Josephs mit Lukas, zweier Christen, die sich darüber unterhalten, warum Gott nicht eingreife. Er sei langsam zum Zorn und wolle, dass die Verfolger sich bekehrten. Er werde eingreifen, doch jetzt müssten die Unschuldigen leiden. Gott werde aber das zeitliche Leiden vergelten und in diesem Wissen könne man die Verfolgung ertragen. Beide Christen bestärken sich in ihrem Vertrauen auf Gott. Die letzte Szene zeigt eine weitere Versammlung der Unterwelt. Der Hofteufel berichtet von Gamaliels Rat und kündigt die Verfolgung des Stephanus an. Mit dem fünften Akt, der über sieben Szenen verfügt, beginnt die Stephanus-Geschichte. Die Handlung folgt in freier Weise dem Text Act 6,8–7,57, bringt allerdings die Predigt des Stephanus aus Act 7,2–53 nicht wirklich zur Darstellung. Die erste Szene zeigt Stephanus in einem Monolog. Ein Freund im Hohen Rat habe ihn gebeten sich zurückzuhalten, damit er nicht in Gefahr komme. Christus, sein Herr, aber habe gesagt: Wenn jemand aus Rücksicht auf sein Leben nicht seinen Glauben vor der Welt frei bekenne, wolle er diesen vor seinem Vater auch nicht bekennen. Darum wolle er, Stephanus, ohne jede Scheu seinen Glauben offen heraus sagen. Er berichtet ferner von der Disputation mit einem pharisäischen Studenten, von dem er den Eindruck habe, dieser werde den Christen noch zusetzen. Auch befürchtet er, von Diasporajuden verklagt zu werden. Die zweite Szene führt die überzeugten Juden Judas und Teudas ein, die in der dritten Szene mit Saulus verhandeln. Dieser sucht zwei Zeugen, mittels derer er Stephanus anklagen und verurteilen lassen kann. Judas und Teudas dienen sich Saulus an, worauf dieser die Häscher losschickt.1797 Die vierte Szene bietet die Verhaftung des Stephanus im Kreise seiner Familie. Im Mittelpunkt steht die Verabschiedung. Seine Frau Elizabeth zeigt sich gefasst: Wenn es Gottes Wille sei, dass er der erste Märtyrer werde, so möge er ihm Beständigkeit verleihen.1798 Der kleine Sohn fragt, wo der Vater hingehe. Auf die Auskunft der Mutter, dass er ‚zum lieben Jesulein‘ gehe, merkt der Junge an, dieser habe aber biestige Knechte. In der fünften Szene kommt es zu einem kurzen Dialog zwischen Saulus und Ste1797 Vgl. dazu Parente, Marty Drama, S. 116. 1798 Parente, a.a.O., S. 135: „… Stephen’s family demonstrates how Christians should bear persecution.“

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phanus. Sodann wird der Diakon Hannas vorgeführt, der ihm Verkleinerung der Religion und der Reputation der jüdischen Autoritäten beim gemeinen Mann sowie Verunehrung Gottes und seines Gesetzes zum Vorwurf macht. Stephanus bestreitet die Vorwürfe. In seiner Erläuterung deutet er das mosaische Gesetz samt Zeremonien, Priestertum und Opfern als Figuren, die auf Christus verwiesen. Den Tempel interpretiert er als Ort der Predigt des Wortes Gottes und des Offenbarwerdens des Messias, worauf er von den Mitgliedern des Rates beschimpft wird. Neukirch spielt an dieser Stelle zwar auf die Rede des Diakons aus Act 7 an, konstruiert aber wesentlich selbständig und lässt Stephanus stärker als die biblische Vorlage Act 7 auf die ihm nach Act 6,13f. entgegengehaltenen Vorwürfe reagieren. In der sechsten Szene erfolgt die Urteilsberatung; die Todesstrafe wird gefordert. Auf den Einwand des Johannes, eines ‚Fürsten der Priester‘, diese sei doch den Römern vorbehalten, wird auf eine Unterredung des Hannas mit dem Landpfleger verwiesen. Deren Ergebnis sei, dass die Juden in ihrer Religion aufgrund der Überhandnahme der Sekte nunmehr freie Hand zum Handeln hätten. Wer in der jüdischen Lehre irre, den sollten sie frei verurteilen können.1799 Auf diese Erläuterung hin kommt es zum einhelligen Urteil. Die letzte Szene führt im Anschluss an Act 7,56 Stephanus vor, wie er im Herzen Trost und Freude verspürt und den Himmel offen sieht. Ananias – auch er trägt den Titel ‚Fürst der Priester‘ – macht sich über dessen Bekundungen lustig. Die Christen seien närrische Leute, da sie an eine andere Welt glaubten, in der denen große Freude bereitet sei, die nach Frömmigkeit und Tugend strebten. Neukirch zeichnet Ananias offensichtlich als Sadduzäer mit den für diese Gruppe charakteristischen Anschauungen. Im sechsten Akt mit seinen fünf Szenen wird nach einem vergeblichen Versuch des Saulus Stephanus umzustimmen, der Tod des Diakons und seine Bestattung dargestellt. Neukirch dramatisiert hier grob die Geschehnisse von Act 7,58–8,1. Die erste Szene zeigt Elizabeth, die mit ihren Kindern für Stephanus betet. In der folgenden Szene bietet Saulus dem Stephanus die Möglichkeit zum Widerruf an, dieser lehnt ab – eine Szene, die Neukirch zur biblischen Vorlage hinzufügt und sicherlich absichtlich an Ketzerprozesse erinnern lässt. Für zeitliches Gut könne er Gott nicht verleugnen. Er wolle nur bei Christus sein. Nach einer Fürbitte um die Bekehrung des Saulus erteilt dieser den Befehl zur Steinigung. Die dritte Szene führt kontrastierend in den Himmel und spielt auf die Visionen der Apk an: Zwei Engelchöre loben Gott, der Chor der Heiligen betet mit Worten aus Apk 1,6 und die Cherubim reden Christus unter Aufnahme der Formulierung aus Apk 5,12f. an. Es folgt eine Rede Gott Vaters an den Sohn, in der er darauf verweist, dass er dem Sohn Gewalt und Macht verliehen habe, und ihn auffordert, sich nun zu erheben und den Christen zu Hilfe zu kommen. Der Sohn bittet jedoch um Geduld und Nachsicht. Er will den Menschen noch eine Möglichkeit zur Umkehr gewähren, indem er mittels seiner Diener durch Strafen, Vermahnen und Lehren auf sie einwirke. Darauf konzediert der Vater eine Gnadenzeit von 40 Jahren. Stephanus müsse so leiden und sterben, aber er werde reichlich belohnt werden. Den Engeln wird befohlen, umgehend die Seele des Stephanus in den Himmel zu holen, sobald diese vom Leib getrennt sei. 1799 Dieser Zug stellt eine interessante Erklärung für die Tötung des Stephanus dar, die nach der auch Neukirch bekannten, von den Römern sanktionierten Rechtslage eigentlich nicht möglich war. Die Erklärung zeugt durchaus vom historischen und juristischen Einfühlungsvermögen Neukirchs.



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Während die vorangehende und die folgende Szene um die Steinigung kreisen, zeigt diese Szene, wo wirklich über das Geschehen auf der Erde entschieden wird. In der vierten Szene bezeugen Judas und Teudas noch einmal, dass gegen Stephanus ein gerechtes Urteil ergangen sei. Es kommt zur Steinigung, Stephanus befiehlt seine Seele Gott an und betet für seine Peiniger (Act 7,59f.). Der Tod wird festgestellt. Saulus bekundet sein Genügen, fügt aber hinzu, dass er völlig zufrieden erst dann sei, wenn es keine Christen mehr gäbe. Die fünfte und letzte Szene zeigt vier Christen, die sich über Gottes Wege, die nicht zu begreifen seien, verwundert zeigen. Sie fragen sich, warum Gott den Bösen so viel Glück gewähre und die Frömmsten oft die Elendsten seien. Dies wird an Stephanus konkretisiert, den Gott sehr geliebt habe. Nun aber scheine es, als ob Gott ihn nicht achte. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass es sich in Wirklichkeit so verhalte, dass Gott die Seinen liebe, auch wenn es ihnen auf Erden schlecht ergehe. Er prüfe gerade diejenigen, die er zur Seligkeit auserwählt habe. Es folgt die Bestattung und die Heimführung der Seele durch Raphael. Das Drama endet mit einem Schlusswort Uriels, der die Zuhörer auffordert, Gott zu fürchten und sich ihm im Leben und im Tod anzubefehlen. Dann würden sie, die Engel, an ihrem Ende gegenwärtig sein und ebenso ihre Seelen zu Gott führen.

Eine erste Betrachtung des Dramas in toto lässt Folgendes erkennen. Neukirch folgt dem biblischen Text in einer gewissen Freiheit. Er fügt zahlreiche Personen und Szenen ein, so die Familie des Stephanus, insgesamt acht nichtprominente Christen aus der Gemeinde, Herodes Antipas und Pilatus jeweils mit ihren Frauen, etliche Vertreter der jüdischen geistlichen Gewalt, dazu Wachpersonal. Ferner fällt auf, dass er die lange Rede des Stephanus aus Act 7,2–53 nicht als solche aufgenommen hat. Vielmehr lässt er Stephanus selbständig auf die Vorwürfe reagieren, die nach Act 6,13f. gegen ihn erhoben werden und um die Bereiche Tora und Tempel kreisen. Andererseits bringt er z.T. längere Vorstellungsreden bzw. Monologe des Petrus (Akt I Szene 1), des Herodes Antipas (Akt II Szene 1), des Pilatus (Akt II Szene 3), seiner Frau (Akt II Szene 5), des Saulus (Akt III Szene 3) und des Stephanus (Akt V Szene 1), in denen oft unter Anspielung auf andere biblische Texte Rückblicke vorgenommen werden. Diese Szenen helfen dem Publikum, die Situation klarer zu erfassen und die Handlungsweisen der jeweiligen Personen zu verstehen. Neukirch hat diese Änderungen bewusst vorgenommen. In der Widmungsrede gibt er über seine Prinzipien Auskunft. Das erste Prinzip benennt die Bedingung der Aufnahme von über den biblischen Text hinausgehenden Elementen: Nur solche Elemente würden in die Handlung eingeführt, die der Materie, dem Stoff der Geschichte angemessen seien. Von daher lehnt er die Aufnahme ‚lächerlicher Possen‘, insbesondere in die Stephanus-Geschichte ab.1800 Das zweite Prinzip hat das Ziel einer derartigen Aufnahme zum Gegenstand. Alles Eingeführte, so Neukirch, diene dem Zweck, zu verhindern, dass die Betrachter der bloßen Geschichte überdrüssig würden.1801 Neukirch hat also sein Vorgehen genau reflektiert. 1800 Vgl. Neukirch, Tragödie von Stephanus, Widmungsrede, A VIb–VIIa. 1801 Vgl. a.a.O., A VIIa–b.

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Möglicherweise hat er die ‚Tragödie von Stephanus‘ von Michael Saxo aus dem Jahr 1565 gekannt. Einige Züge von Neukirchs Drama sind dem Saxos ähnlich, z.B. die Figur des Narren Morio, die Aufnahme der Geschichte von Ananias und Saphira, die Auffassung des Leidens als Prüfung durch Gott oder die im Epilog gefällte Aussage, dass weder Teufel noch Welt einem Menschen schaden könnten, wenn dies Gott nicht gefalle. Doch führt Neukirch all dies eigenständig aus, eine literarische Abhängigkeit besteht nicht. Darüber hinaus hat Neukirchs Stück eine andere Struktur. Für Saxos Drama wesentliche Elemente wie die Heilung des Gelähmten oder der Kampf von Teufel und Engel um die Seele des Stephanus erscheinen bei Neukirch nicht. Ebenso bietet Neukirch vieles, was keinen Anhalt bei Saxo hat, etwa die Reden der weltlichen Autoritäten im zweiten Akt, die Beiträge der ‚einfachen‘ Christen, die Himmelsszene. Sein auch aus anderen Schriften vorscheinendes historisches Interesse manifestiert sich in der Verarbeitung von Material aus Josephus Flavius, insbesondere in der Vorstellungsrede des Herodes Antipas. Zudem heben sich die Reden der Apostel und des Stephanus von denjenigen bei Saxo deutlich ab. Ein mit der ‚Versteinigung Stephani‘ von Sebastian Wild von 1566 gemeinsamer Zug ist die Verärgerung der Unterwelt über die Tatsache, dass trotz des Kreuzestodes Jesu die Predigt von ihm weiterlaufe, doch ist dieses Drama von völlig anderer Gestalt als das Neukirchs. Ähnliches gilt für Zacharias Zahns ‚Tragödie vom gesteinigten Stephanus‘ aus dem Jahre 1589, in dem ebenfalls Analogien zu erkennen sind: die Einsicht der Unterwelt, dass sie von Gott abhängig ist, der Einbau einer Himmelsszene am Schluss. Auffallend ist aber, dass Christus dort nicht für die Welt eintritt, sondern nur über sie Klage führt, während der Vater sie zu strafen entschlossen ist. Überdies liegt auch in diesem Drama eine gänzlich andere Struktur vor. Neukirchs Stephanus hat in der Forschung hin und wieder Beachtung gefunden. Zu einem negativen Urteil gelangte Bolte, der meinte, das Drama sei „... eine wenig zu lobende, weil noch vielfach in der unverarbeiteten epischen Form stecken gebliebene Dramatisirung aller im Cap. 4–7 der Apostelgeschichte erzählten Vorgänge mit mancherlei äußerlich angereihten Erweiterungen ...“1802 Kritik übt er ferner daran, dass Herodes Antipas ohne jede Veranlassung aus dem Spiel im zweiten Akt die „Geschichte der letzten hundert Jahre aus dem Josephus“ vortragen müsse.1803 Auch diese Szene zeugt freilich von dem Bemühen des Verfassers, die Handlung des Dramas historisch sachgerecht einzuordnen und dies auch dem Publikum zu vermitteln, wiewohl es von der eigentlichen Handlung, dem Ergehen der Urgemeinde, wegführt, wie Parente mit Recht betont.1804 Zugleich macht er darauf aufmerksam, dass mit dem Erscheinen des Tetrarchen und des römischen 1802 Johannes Bolte, Art. ‚Neukirch, Melchior‘, ADB 23, S. 512. 1803 Vgl. ebd. 1804 Parente, Martyr Drama, S. 130: „While both monologues [sc. die Reden von Herodes Antipas und Pilatus] contain useful historical information for the student audience, their content detracts from Neukirch’s presentation of early church history.“ Zu Fehlern Neukirchs bei seinem Referat des Josephus s. a.a.O., S. 149 Anm. 41.



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Prokurators eine deutliche Parallele zum Tod Jesu gezogen werde,1805 so dass Neukirch an dieser Stelle eine theologische Einordnung des Todes des Stephanus und der Verfolgung der Urgemeinde vornimmt. Dass es Neukirch nicht einfach darum geht, historische Informationen um ihrer selbst willen einfließen zu lassen, er vielmehr das Bestreben hat, mit dem von ihm gebotenen geschichtlichen Material das Verständnis der Handlung zu erleichtern, wird besonders offenbar in der Behandlung der Frage der Exekution der Kapitalstrafe durch die jüdische religiöse Gewalt in Akt V Szene 6 oder in der Schilderung der sadduzäischen Haltung des Ananias in Akt V Szene 7. Dass er daneben auf diese Weise auch dem Publikum bzw. den Lesern seine Bildung vorführen kann, lässt sich schlechterdings nicht leugnen. Parente bemängelt, Neukirchs Drama bestehe im Grunde aus zwei Dramen, aus einer Dramatisierung der Geschichte der frühen Kirche und einer solchen der Stephanus-Geschichte, wobei er letztere zu einem Kampf zwischen Stephanus und Saulus entwickele.1806 Zu einem positiven Urteil kommt Wolfgang Stammler, insofern er für Neukirchs Stephanus-Drama ein eigenes Erleben des Verfassers als Hintergrund namhaft macht, was innerhalb der großen Zahl der Dramatiker der Zeit eine seltene Ausnahme darstelle.1807 Mit dieser Fragestellung ist aber schon die Frage nach der Intention des Verfassers berührt. Ein endgültige Einschätzung des Dramas kann erst nach der weiteren Analyse vorgenommen werden. Melchior Neukirch hat sich in den Rahmenstücken seines Stephanus-Dramas intensiv mit der Grundsatzfrage beschäftigt, welche Gründe für ein geistliches Theater sprechen und wie Einwände gegen jenes entkräftet werden können. In breitem Maße geht er auf diese Fragen in der Widmung, aber auch im Prolog und im Epilog ein, was dokumentiert, dass ihn dieses Thema offensichtlich in nachhaltiger Weise bewegt hat. Zugleich zeugen die entsprechenden Ausführungen von einem sehr reflektierten Umgang Neukirchs mit dem Medium Theater. Aufgrund des grundsätzlichen Charakters der Überlegungen Neukirchs wurden diese bereits in Teil B I 2 h) dargestellt und analysiert. So geht es an dieser Stelle lediglich um die Frage, welche Intentionen der Braunschweiger Pastor mit der Dramatisierung des Stephanus-Stoffes verfolgt. Angaben dazu bietet er in Prolog und Epilog, doch gibt auch die Handlung selbst darüber reichen Aufschluss. Im Folgenden werden zuerst die Aussagen der Rahmenstücke vorgestellt, sodann wird überprüft, inwieweit sich dieser Befund in der Handlung widerspiegelt. Der Prolog gibt als erstes Ziel des Dramas den Trost an. Die Verfolgung des Stephanus und der Kirche im Besonderen wird als vom Teufel ausgehecktes Vorhaben beschrieben,

1805 Vgl. Parente, ebd., der auch auf das Auftreten der Frau des Pilatus analog zu Mt 27,19 verweist. 1806 Vgl. a.a.O., S. 131f. 1807 Vgl. Wolfgang Stammler, Von der Mystik zum Barock. 1400–1600, Stuttgart 19502, S.  351. Neukirch sei ergriffen von einer Predigt über Stephanus gewesen und habe so eine Tragödie über den Stoff verfasst. Neben Neukirch erwähnt Stammler noch Simon Gerengel, der im Gefängnis sein Johannes-Drama schrieb.

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dem nach Neukirch auch in der Gegenwart eine Realität zukomme.1808 Genau diesem verfolgten Stephanus sei aber die Auszeichnung zuteil geworden, Gott in seiner Herrlichkeit mitsamt den Vollendeten und deren Herrlichkeit zu schauen, derer er mit seinem Tod unmittelbar teilhaftig geworden sei: „Des sich mit Stephano zugleich / Zu trÖsten haben sicherlich Wir alle / die wir Christen sind / Vnd hab’n die gantze Welt zu Feind.“1809 Die damalige Situation des Diakons wird mit der gegenwärtigen Lage der Christen parallel gesetzt. In beiden Fällen ist der handelnde Widerpart die Welt. Dem Stephanus-Drama kommt zweitens auch die Funktion eines Spiegels zu. Es ist eine Warnung für diejenigen, die nur dem Schein oder ihren Worten nach Christen sind; als deren Paradigma gilt Ananias. Indem das Drama zeigt, welches Ende einer solchen Handlungsweise droht, fordert es die Hörer auf, die Konsequenz zu ziehen, Gott ernst zu nehmen und das Predigtamt zu achten.1810 Ihre Konkretion findet die zweite Zielsetzung Neukirchs somit in der Ermahnung, die Prediger zu ehren und ihrer Verkündigung des Gotteswillens zu folgen. Neukirch gibt zu erkennen, dass die von ihm für die Gegenwart erkannte Verfolgung der Kirche in der Verachtung des Predigtamtes kulminiert.1811 Die Ausführungen des Epilogs gehen in die gleiche Richtung. Danach verfolgt Neukirch mit seinem Stephanus-Drama zwei Absichten. Zum einen zielt die Tragödie auf die Erweckung von Geduld bei den als fromm bezeichneten Adressaten ab. In dem Spiel, so Neukirch, werde gezeigt, was den Christen auf dieser Erde widerfahre.1812 Hinter allem Geschehen aber stehe Gott. Darum solle man Tod, Teufel und Hölle rumoren lassen. Weder der Teufel noch Gewalt oder Tyrannei der Welt könnten den Christen Schaden zufügen, wenn es Gott nicht gefalle.1813 Stehe aber ein derartiges Leiden in seiner Absicht, so müsse der Christ leiden, denn Gottes Wille müsse geschehen. Doch sollten die Frommen versichert sein, dass Gott die Seinen nicht los lasse.1814 Im zweiten Teil des Epilogs bietet Neukirch eine weitere Zwecksetzung. Wiederum hat er Personen im Auge, die sich ihm als nur scheinbare Christen präsentieren: Die Tragödie soll eine Warnung an diejenigen sein, die nur zum Schein Frömmigkeit an den Tag legen und meinen, weder Gott noch der Prediger erführe, wie es in ihrem Inneren wirklich aussehe.1815 Entgegen dieser 1808 Vgl. Neukirch, Stephanus, Prolog, B IIIIa, und dazu Parente, a.a.O., S. 131. 1809 Neukirch, a.a.O., B IIIIb. 1810 Vgl. a.a.O., B IIIIb–Va: „Es hab’n jr abr die jenen auch / Am Ananj, zu spiegeln sich / Die Falsche vnd Maulchristen sind / Die seh’n hie / wie endlich geschwind / Sie treffen werde Gottes Zorn / Den sie verachtet lang zuuorn. Auff das sich jederman fÜrseh / Den ernst Gott’s lerne kennen hie / Vnd halt’ in ehrn das Predigampt /...“ 1811 Ebd. (Forts.): „... Das sonst verachtet allesampt / Was g’waltig ist in dieser Welt ...“ Der Sachzusammenhang einschließlich der Handlung erfordert, dass das Predigtamt in dem ersten Relativsatz Objekt und nicht Subjekt ist. 1812 Vgl. a.a.O., Epilog, P VIb. 1813 Vgl. a.a.O., P VIb–VIIa. 1814 Vgl. a.a.O., P VIIa. 1815 Vgl. a.a.O., P VIIa–b.



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Auffassung, so Neukirch, sehe Gott ins Herz, er lasse sich nicht spotten.1816 Offenkundig rekurriert Neukirch in Bezug auf diese Zielsetzung auf die im ersten Akt mit aufgegriffene Geschichte von Ananias und Saphira. Bestätigt wird dies durch die anfügte Warnung, sich nicht an dem Gut zu vergreifen, das Gott einem bestimmten Zweck zugewendet habe; andernfalls bleibe Gottes Segen aus.1817 Aus den Rahmenstücken ergibt sich somit hinsichtlich der Zielsetzung deutlich eine Bipolarität: Der Stoff der Verfolgung der Apostel und des Martyriums des Stephanus wird mit den rechten, in der Gegenwart unter Druck geratenen Christen in Verbindung gebracht und soll dazu dienen, sie zur Geduld zu führen und sie auf den göttlichen Trost zu verweisen. Dieser wird in dem Gedanken gesehen, dass es Gott ist, der alles Geschehen in seinen Händen hat, und dass die Christen gewiss sein dürfen, die himmlische Herrlichkeit zu erlangen. Der Stoff der Geschichte von Ananias und Saphira richtet sich an eine andere Adressatengruppe. Er wird auf in Neukirchs Augen heuchlerische Christen angewandt. Sie sollen davor gewarnt werden, Gottes Willen, der ihnen in der Predigt mitgeteilt wird, zu verachten. Aus dieser Intention spricht eine enge Verkopplung von Predigtamt und Gott. Beide namhaft gemachte Intentionen finden sich in differenzierter Form auch in der Handlung wieder. Die Textgrundlage aus Act bietet selber bereits Motive, die sich mit einer trostspendenden Funktion verbinden lassen. So werden gemäß Act 5,17ff in Akt III Szene 4 die Apostel von einem Engel – im Drama ist es Gabriel – befreit. Dabei ist davon die Rede, dass Gott die Klage der Christen gehört habe und Gabriel zur Stärkung der Gefangenen sende.1818 Der Engel sieht es als die ihm Erfüllung gebende Aufgabe an, den Christen auf Erden zu Hilfe zu kommen.1819 Bei den Aposteln fördert dieses göttliche Engagement für die Seinen die Gewissheit, dass Gott für sie sorge; um so freudiger könnten sie sich an die Verkündigung des Gotteswortes heranwagen.1820 Als auslösendes Moment für das Gotteshandeln wird das Gebet der Christen genannt1821 – eine implizite Aufforderung an die gegenwärtigen Gläubigen, das Gebet zu üben und darin nicht nachzulassen. Für diesen Zweck hat Neukirch das Gebet der Elizabeth vor dem Tod des Stephanus als Muster komponiert. In diesem erinnert die Frau des Stephanus einerseits an das frühere Rettungshandeln Gottes bei Daniel, Elia und Josef und appelliert damit an sein gegenwärtiges Handeln, bittet andererseits aber um Kraft für Stephanus, falls es Got-

1816 Vgl. a.a.O., P VIIb. 1817 Vgl. ebd. 1818 Vgl. Akt III Szene 4, H VIIb–VIIIa. 1819 Vgl. a.a.O., I Ia. 1820 Vgl. a.a.O. die Aussagen des Petrus (I IIa) und des Thomas (I IIb). 1821 Vgl. Akt III Argumentum, H IIb; Szene 4, H VIIb. Stephanus drückt vor der Befreiung der Apostel in Akt III Szene 2 im Gespräch mit Jose seinen Willen aus, Gott in der versammelten Gemeinde anzurufen.

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tes Wille sein sollte, dass er das Martyrium erleiden solle. Das Gebet endet mit der Bitte um den Heiligen Geist, damit Stephanus, was Gott gefalle, erdulden könne.1822 Deutet der Duktus dieses Gebetes an, dass ein übernatürliches Eingreifen Gottes nicht den Zielpunkt des Dramas bildet, so zeigt auch die Szene von der Befreiung der Apostel, dass das Eingreifen Gottes zwar die Apostel in ihrer Überzeugung bestärkt, dass Gott sie nicht fallen lassen wird, dass das Ereignis selbst aber diese Einsicht nicht erst verursacht hat. So äußern sich die Apostel schon bei ihrer Verhaftung, pointiert Andreas: „Er [sc. der, wie der Häscher zuvor formulierte, gekreuzigte Gott] vns noch nie verlassen hat“,1823 und Philippus: „Der Herr wolt mit vns gehen hinein / Vnd jm gefencknis bey vns sein“, worauf Simon sekundiert: „Dar wollen wir nicht zweiffeln an Denn wir sein wort vnd zusag han.“1824 In diesen Beiträgen wird mehr darauf abgehoben, dass Gott auch ohne ein besonderes, für die Empfänger erkennbares oder gar auf spektakuläre Weise erfolgendes Handeln bei den um seines Wortes willen Leidenden ist, mit ihnen in die Verfolgung geht. Ein weiteres Element der biblischen Geschichte, das Neukirch Luther folgend im Sinne eines trostspendenden Motivs auslegt, ist die aus Act 7,55 stammende Aussage, Stephanus habe Christus im offenen Himmel gesehen.1825 Dieses Motiv wird an zwei Stellen, im Prozess und bei der Steinigung, aufgenommen.1826 Bei der ersten Stelle ist jedoch ebenfalls festzustellen, dass die von Neukirch eingefügte Bemerkung, Stephanus bekunde, dass er im Herzen Trost und Freude verspüre, vor der Himmelsvision fällt.1827 Die Vision wird ebenso an dieser Stelle als ein die Glaubensgewissheit stärkendes göttliches Geschenk gewertet. Zielpunkt des Trostes ist also die Stärkung des Glaubens, unabhängig, ob dies auf übernatürliche oder natürliche Weise erreicht wird. Dies entspricht der Auslegung Luthers, der in Bezug auf die Tröstung des Stephanus durch die Christus-Vision feststellt, die Christen der Gegenwart sähen Christus nicht leiblich, aber im Wort, so dass sie auf diese Weise Trost empfingen.1828 Dass auf den in der biblischen Vorlage stehenden übernatürlichen Tröstungen nicht wirklich der Hauptakzent ruht, wird noch aus zwei Szenen ersichtlich, die Neukirch dem Stoff inkorporiert hat und die in besonderer Weise die Frage nach dem Trost im Leiden thematisieren. In Akt IV Szene 7 fragen sich die als der Jerusalemer Gemeinde angehörend gedachten Christen Joseph und Lucas angesichts der Inhaftierung der Apostel, warum Gott hier nicht eingreife. Als Lösung ergibt sich ihnen der Gedanke, dass Gott die Bekehrung der Verfolger anstrebe und diese daher zunächst gegen die Christen 1822 Vgl. Akt VI Szene 1, O VIIa–VIIIa. 1823 Akt III Szene 1, H IIIIa. 1824 A.a.O., H IIIIb. 1825 Vgl. WA 52, 593,40ff. 1826 Vgl. Neukirch, Akt V Szene 7, O Vb; Akt VI Szene 2, P Ib. 1827 Vgl. Akt V Szene 7, O Vb. An der zweiten Stelle (P Ib) äußert Stephanus vor der Vision, er wolle bei Jesus sein. 1828 Vgl. WA 52, 594,11f.



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agieren lasse. So wie er sich gegenüber den jetzigen Christen gnädig erwiesen habe, so zeige er sich nun gegen die Verfolger langmütig. Kehrseite dieses göttlichen Handelns ist freilich das Leiden der Christen, das von diesen geduldig ertragen werden soll. Letzteres ist möglich, weil den Glaubenden die Verheißung gegeben ist, dass Gott ihnen ihr zeitliches Leiden vergelten wird.1829 Daraus folgert der Christ Lucas für sich, Gott zu vertrauen, sich getrost auf mögliche Verfolgungen einzustellen und diese geduldig zu ertragen. Er hat die Zuversicht, dass Gott ihnen den nötigen Mut verleihe, dem Druck standzuhalten, und auch die Gnade gewähre, die Verfolgung durchzustehen.1830 Die Lehre, die mit diesen Aussagen den Adressaten zugedacht wird, ist also die Aufforderung zur Geduld im Falle von Bedrängnis und zum Vertrauen auf Gott, der das Ganze zu einem guten Ausgang führen wird. Wird mit Letzterem Trost anvisiert, so soll der gesamte Gedankengang die grundsätzliche Eingenommenheit Gottes für den Menschen erweisen. Dass Neukirch in der letzten Szene des Dramas noch einmal explizit die Frage nach Trost im Leiden aufgreift, belegt, dass für ihn dieses Thema von eminenter Bedeutung ist, ja das zentrale Thema darstellt. Wiederum treten Christen auf, die in der Gemeinde nicht in der ersten Reihe stehen; Neukirch hat sie Timotheus, Titus, Silas und Justus genannt.1831 Sie zeigen sich über Gottes Handeln verwundert und stellen die Frage von Ps 73, warum Gott den Bösen so viel Glück gewähre, während die Frömmsten oft Elend erleiden müssten.1832 Viele Menschen, so stellt einer der vier, Timotheus, fest, neigten zu der Auffassung, Gott achte nicht darauf, was an Gutem oder Bösem geschehe und den Frommen widerfahre.1833 So scheine es gar, als liebe Gott Stephanus nicht, wie man aus seinem Schicksal schließen könnte.1834 Die in diesem Gespräch gefundene Antwort besteht einerseits in der – als rhetorische Frage formulierten – Feststellung, dass ein derart frommer Mann wie Stephanus Gott lieb und wert sein müsse, wie auch immer es ihm auf Erden gehe. D.h. das irdische Ergehen eines Menschen ist kein Maßstab zur Erhebung der Haltung Gottes zu diesem Menschen. Auf die Frage nach dem Leiden wird andererseits mit der Vorstellung geantwortet, das Leben der Frommen habe den Charakter einer 1829 Vgl. Neukirch, Akt IV Szene 7, L IIIb–IIIIa. 1830 Vgl. a.a.O., L Vb. 1831 Die entsprechenden Namen sind bewusst gewählt. Da es Christen aus der zweiten Reihe sind, hat Neukirch Namen von Gehilfen des Paulus ausgesucht. Ob in dem Namen Justus eine Anspielung auf den bei der Apostelnachwahl in Act 1,23 unterlegenen Kandidaten zu sehen ist oder eine auf den in Act 18,7 genannten Korinther Titius Justus, in dessen Haus Paulus nach seinem Verlassen der Synagoge wechselt, oder eine solche auf den in Kol 4,11 erwähnten Jesus Justus, der als Mitarbeiter des Paulus präsentiert wird, muss letztlich offen bleiben. Die Analogie zu den Paulus-Mitarbeitern spricht zumindest für eine der beiden letzten Stellen. 1832 Der Christ Timotheus bringt das Problem auf den Punkt, wenn er in Akt VI Szene 5, P Va äußert: „Wenn ich das groß GelÜck gesehn / Das offt den BÖsen ist geschehn / Die d’ aller ergsten Buben sind ... Dagegen die aller FrÖmmesten Sind offte die Elendesten.“ 1833 Vgl. ebd. 1834 Vgl. a.a.O., P Vb.

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Prüfung, der Gott die von ihm zur Seligkeit Auserwählten unterziehe. Auch hier ergibt sich als Quintessenz, das Leiden in Geduld zu ertragen, auf Gott, der das Geschehen in seiner Hand behält, zu vertrauen und auf ein gutes Ende in Form der Seligkeit zu hoffen.1835 Damit ist auch an dieser entscheidenden Stelle die Intention, die Adressaten zur Geduld im Leiden zu bewegen mit derjenigen, ihnen Trost und Stärkung zukommen zu lassen, verbunden. Die Tröstung baut auf der Zuversicht auf, dass Gott den Seinen grundsätzlich positiv gewogen ist – das Leiden ist kein Indiz dafür, dass ein Mensch nicht Gott wohlgefällig wäre1836 – und dass alles Geschehen in seiner Hand liegt. Am Ende wird sich erweisen, dass Gottes Handeln zuerst und zuletzt zu Gunsten der Seinen erfolgt. Nicht zufällig finden sich diese wesentlichen Aussagen im Munde einfacher Gemeindechristen, die zuvor ihre Klagen über das Handeln Gottes vorgebracht haben. Damit kommt diesen Personen deutlich der Charakter von Identifikationsfiguren zu. Sie sind es, die jener Frage nach dem Leiden der Christen, nach einer Lösung der Differenzerfahrung, die die Zuschauerinnen und Zuschauer angesichts des Geschickes des Diakons bewegt, Stimme verleihen und sie verbalisieren. Sie sind es zugleich, die wichtige Antworten auf die Frage nach dem Leiden bieten, in denen die Zuschauer Muster für ihre eigene Beantwortung jener Frage finden können. Erleichtert wird die Übernahme der hier gegebenen Muster dadurch, dass die genannten Personen ‚einfache‘ Christen, nichtprominente Gemeindeglieder repräsentieren.1837 So gewiss Stephanus das große, aber eben auch übergroße Vorbild in der Dramenhandlung darstellt, so gewiss sind es im Drama wohl eher die ihn flankierenden Christen ohne herausragende Funktion, die das Geschehen beobachten, mit denen sich nach Maßgabe des Autors die Hörerinnen und Hörer am ehesten identifizieren werden. Jene ‚normalen‘ Christen müssen zuschauen wie das Publikum. Sie kommentieren, sind gleichwohl nicht unbeteiligt. Vielmehr leiden sie an der Tötung des Diakons und stellen angesichts dieses Geschehens jene Frage nach dem Handeln Gottes, die jeden Hörer der Geschichte bewegt, der Stephanus aber im Grunde bereits enthoben scheint. Auf diese Weise werden sie zum Sprachrohr des Hörers, vertreten ihn im Spiel. Damit nehmen diese Figuren deutlich die Funktion des im Jesuitendrama ab Ende des 16. Jahrhunderts häufig 1835 Vgl. a.a.O., P Vb–VIa. Vgl. Parente, Martyr Drama, S. 127: „Neukirch also emphasized the significance of Stephen’s martyrdom for all Christians. The protomartyr demonstrates how God will never abandon his faithful if they patiently endure persecution and trust in his righteousness.“ 1836 Dem steht nicht entgegen, dass Petrus in Akt III Szene 4, I IIa, die Befreiung durch den Engel als Beleg dafür ansieht, dass die Apostel Gott angenehm seien. Auch die Apostel müssen Leiden durchstehen und Neukirch würde ein solches Indiz der Hilfe Gottes in der Bedrängnis nicht negieren. Seine Zuschauer aber möchte er zu der vertieften Erkenntnis führen, dass sie im Gnadenstand sind, auch wenn die Erfahrung dagegen spricht und übernatürlicher Trost ausbleibt. 1837 Zu diesen Szenen vgl. auch Parente, Martyr Drama, S. 134f., der allerdings nicht das Faktum berücksichtigt, dass es sich um einfache Christen handelt. – Insofern die Szenen Muster für die Beantwortung der Frage nach dem Leiden bieten, besteht ihre Funktion durchaus darin, den angesichts der Handlung betroffenen Zuhörern ihr Leiden zu erleichtern (a.a.O., S. 135), was sie indessen auch durch eine intellektuelle Klärung leisten.



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erscheinenden ‚Spieler-Zuschauers‘ wahr,1838 denn zugleich sind jene Christen auch die ersten Getrösteten, die den Ertrag der Handlung auf sich anwenden. Sie erhalten dabei keine unmittelbare Offenbarung – eine solche wird zweimal nur Stephanus selbst zuteil, der aber nicht mehr in das irdische Leben zurückkehrt –, doch vermögen sie sich im Gespräch gegenseitig zu trösten und erneut zuversichtlich den Herausforderungen des Lebens zu stellen. So gewiss diese Tröstung ohne Zweifel eine Rationalisierung darstellt – das Leiden wird als Prüfung durch Gott aufgefasst –, entspricht sie in ihrer Nüchternheit dem Erfahrungshorizont der Hörerinnen und Hörer, in dem eine übernatürliche Tröstung nicht vorkommt. Es werden Antworten präsentiert, die in den Augen der Adressaten nachvollziehbar erscheinen. Gott hat die Dinge in der Hand. Wenn es zu Verfolgungen kommt, ist das sein Wille; dieser aber ist und bleibt dem Verfolgten durchaus zugetan.1839 Das Faktum der Verfolgung spiegelt paradoxerweise sogar die Güte Gottes wider, der die schlechten Menschen eine Zeit lang verschont und darauf wartet, dass sie zu ihm umkehren. Das Leiden verliert sein Gewicht dadurch, dass es von Anfang an in Gottes Hand besteht, dass es von ihm vorausgesehen und eingeplant ist und dass es in einem letzten, alles Leiden aufwiegenden Gotteshandeln abrogiert wird. Der in diesen Vorstellungen zum Ausdruck kommende Trost wird durch weitere Aussagen und Züge des Dramas bestätigt. So ist das Leiden insofern nichts Unerhörtes, nicht ein Gott überraschendes Element, als Christus selbst den Seinen vorhergesagt hatte, dass sie leiden müssten, wie Johannes konstatiert.1840 Elizabeth, die Frau des Stephanus, bedeutet ihrem Sohn, dass die böse Welt dem Vater nur das antun könne, was Gott gefalle.1841 Dass Gott gegen den Augenschein die Oberhand behält, wird auch an der – zur biblischen Vorlage hinzugefügten – Fürbitte des Stephanus für die Bekehrung des Saulus deutlich, deren Erhörung Stephanus gewiss ist.1842 Dass diese Bitte Erfüllung findet, wird im Drama selbst nicht dargestellt – Saulus weist sie weit von sich –, aber der einigermaßen bibelkundige Zuschauer weiß darum. Im Gegensatz zum Jesuitentheater wird der in diesem Faktum zum Ausdruck kommende Triumph des Märtyrers nur angedeutet,1843 ist aber präsent. Auch das protestantische Märtyrerdrama kennt zumindest andeutungsweise die Bekehrung als Folge des Martyriums.1844 Allerdings ist es 1838 Vgl. Peter Sprengel, Das Phänomen des Spieler-Zuschauers im Jesuitentheater. Beobachtungen an frühen oberdeutschen Ordensdramen, Daphnis 16 (1987), S. 47–106. Vgl. auch Peter Burschel, Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit, München 2004, S. 278 Anm. 79. 1839 Parente, a.a.O., S. 21: „The martyr play prepares the audience to accept misfortune and to trust in God’s justice.“ 1840 Vgl. Neukirch, Akt I Szene 2, C Va. 1841 Vgl. Akt VI Szene 1, O VIIIa. 1842 Vgl. Akt VI Szene 2, P Ia–b. 1843 Im jesuitischen Märtyrerdrama gibt es kein Martyrium ohne Konversion; vgl. Peter Burschel, Sterben und Unsterblichkeit, S. 281. 1844 Eine Bekehrung, die des heidnischen Beamten Theophilus, gibt es etwa auch in Thammes Dorothea-Spiel; vgl. Thamme, Dorothea, Akt V Szene 7, K VIIa–b, und dazu Parente, a.a.O., S. 164.

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hier nicht der Eindruck, den die Standhaftigkeit des Leidenden hinterlässt, sondern Gott selbst wirkt die Bekehrung auf die Fürbitte des Märtyrers hin. Gemäß der theologia crucis bleibt der Triumph verborgen, er verbleibt bei Gott selbst. Dies aber muss auch der Teufel anerkennen. In Gestalt Astaroths muss er konzedieren, Gott sei mächtiger als er selbst.1845 Schließlich endet das Drama mit der Heimführung der Seele des Stephanus durch den Erzengel Raphael, die trotz des Todes des Protagonisten augenscheinlich den Sieg Gottes über die Verfolger belegt.1846 Den höchsten Trost markiert die Verleihung der Seligkeit an Stephanus. Dies verdeutlicht, dass das irdische Leiden das individuelle Heil nicht zu zerstören vermag, vorausgesetzt der Glaube wird durchgehalten. Entsprechend folgert das durch den Erzengel Uriel gesprochene Schlusswort, die Zuschauer sollten Gott fürchten und sich ihm anbefehlen: „So woll’n wir auch an ewerm End Bey euch sein / vnd in unser Hend Ewr Seele nehmn / vnd tragen hin / Da sie in ewigr Frewd soll sein / Vnd mit vns hernach preisen Gott / Der vns vnd euch geschaffen hat.“1847 Die zweite Zielsetzung tritt zunächst, wie erwähnt, vorrangig aus dem ersten Akt hervor. Petrus fasst in Akt I Szene 7 die Lehre der Geschichte von Ananias und Saphira zusammen in dem Satz: „Was einmal ist zur Kirchn vnd Schul Verordnet / daran niemand soll / Sey wer er wol / vergreiffen sich / Das rath ich euch allen trewlich.“1848 Man wird nicht fehlgehen, darin einen Appell an die Zeitgenossen zu erkennen, der Kirche und der – im biblischen Text naturgemäß nicht erscheinenden – Schule Geld zur Verfügung zu stellen; ein Gedanke, der auch in Rollenhagens ‚Spiel vom reichen Manne und armen Lazaro‘ von 1590 erscheint.1849 Wie in diesem Stück Rollenhagen den Magdeburger Honoratioren den Spiegel des reichen Mannes vorhält, so fordert hier Neukirch das Braunschweiger Patriziat auf indirekte Weise, in Gestalt des Apostels Petrus, zur finanziellen Unterstützung der Schule auf und geißelt in der Person des einfachen Christen Justus den „schendlichn Geitz / Finantzerey“.1850 Zugleich ist darauf zu verweisen, dass Neukirch sich an dieser Stelle Luthers Auslegung der Stephanus-Geschichte in der Hauspostille von 1544 anschließt, in der dieser bemängelt, Kirchendiener und Schulen würden

Dies relativiert die These Burschels, nach der es ein Proprium des jesuitischen Märtyrerdramas darstellt, dass dieses unbedingt auf eine Bekehrung zuläuft, insofern ein wenig, als die Aufnahme von Konversionen als Ziel von Martyrien zumindest teilweise schon in der Vorlage der Dramen angelegt war. So hat auch Thamme die Bekehrung seiner Vorlage, der Legenda aurea, entnommen. Allerdings gilt für das jesuitische Märtyrerdrama durchgängig, dass es in der Konversion kulminiert, was beim protestantischen Märtyrerdrama nicht der Fall ist. 1845 Vgl. Neukirch, Akt IV Szene 6, L IIIb. 1846 Vgl. Akt VI Szene 5, P VIa–b. 1847 A.a.O., P VIb. 1848 Akt I Szene 7, E VIIa. 1849 Vgl. Georg Rollenhagen, Spiel vom reichen Mann und armen Lazaro, ed. Johannes Bolte, Halle 1929, S. 85,2050ff (Akt III Szene 10). 1850 Neukirch, Akt I Szene 8, F IIa.



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zu schlecht unterhalten, weil jeder sein Geld behalten wolle.1851 In der Aufnahme dieser Kritik in ein Drama wird die den Prediger hinsichtlich der Gesetzespredigt entlastende Seite des geistlichen Dramas deutlich. Er kann auf diese Weise, in der Person anderer, Kritik an reichen Gemeindegliedern üben, ohne selber ex cathedra zu schelten, ohne Menschen beim Namen zu nennen – eine Praxis, die seit Mitte des Jahrhunderts zu heftiger Kritik führte und einen Höhepunkt 1562 im Mandat der Stände des niedersächsischen Reichskreises in Lüneburg ‚Wider das Schelten auf den Cantzeln‘ fand.1852 Die im Drama geübte Kritik ist eine verborgene, ein Wink mit dem Zaunpfahl, ein Spiegel, die aber ohne Zweifel von den anvisierten Adressaten verstanden wurde. Keinesfalls verhält es sich aber so, dass die von den Pfarrern geübte Kritik ausschließlich auf untere Schichten zielte, während ihre eigentliche geistliche Begleitung der bürgerlichen Schicht und dem Adel galt.1853 Auffallend ist, dass Neukirch den Petrus in den Mund gelegten Appell zur finanziellen Unterstützung der Kirche mit der Aufforderung verbindet, den Dienern Gottes, d.h. den ministri verbi nicht mit Spott zu begegnen, sondern ihnen Ehre entgegenzubringen. Zur Begründung wird darauf verwiesen, diese führten ihr Amt an Gottes Statt.1854 Die Achtung vor den Institutionen von Kirche und Schule, die sich für Neukirch auch in finanzieller Hinsicht bemerkbar machen muss, schließt die Träger des geistlichen Amtes ein. Umgekehrt findet die Verachtung des göttlichen Wortes durch die Bürger ihren Ausdruck auch in der mangelnden materiellen Unterhaltung seiner Prediger durch dieselben. Die zweite Intention Neukirchs erscheint durchaus differenziert. Betrifft sie diejenigen, die als nur scheinbare Christen charakterisiert und kritisiert werden, so möchte Neukirch jene Zeitgenossen doch zugleich auch zur Umkehr bewegen, womit er den lutherischen Universalismus aufnimmt. Diese Zielsetzung ist in der zweiten Intention eingeschlossen, steht aber über die Feststellung, das den Christen von den Verfolgern zugefügte Leid werde von Gott zugelassen, um ihnen Zeit zur Umkehr zu geben, mit der ersten Intention in untrennbarem Zusammenhang. Die Frage, welche Adressaten Neukirch dabei im Sinne hat, ist aber noch einmal zu präzisieren. So evident es ist, dass der Braunschweiger Pastor in den Personen von Ananias und Saphira zeitgenössische Gemeindeglieder im Augen hat, denen er Scheinchristentum attestiert, so gewiss erinnert er mit den Verfolgern der Kirche in Person der jüdischen Autoritäten deutlich an die Vertreter der römischen Kirche, worin er Luthers Auslegung folgt.1855 Die Verfolgung der Apostel und des Stephanus im Besonderen gemahnt an Verfahren der Inquisition gegen 1851 Vgl. WA 52, 591,18ff. 1852 Vgl. dazu Luise Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit in der Frühneuzeit, Gütersloh 1996, S. 400. 1853 Dies suggeriert die Darstellung von Lucian Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, München 2005, S. 53. 1854 Neukirch, Akt I Szene 7, E VIb: „Lernt jr hieraus ja fÜrchten Gott / Vnd treibt nicht mit sein’n dienern spot Wir sind wol Menschen gleich wie jr / Das heilig’ Ampt abr das wir fÜhrn / An der heilgen Dreyfaltigkeit stat / Das macht vntr vns den vnterscheid.“ 1855 Vgl. WA 52, 593,5ff.

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Protestanten. Die Diktion der die Apostel bedrängenden jüdischen Behörden folgt der eines Ketzerprozesses. So wird den Aposteln und Stephanus ‚Ketzerei‘ vorgeworfen.1856 Vor der Hinrichtung ergeht durch Saulus das Angebot an Stephanus zu widerrufen.1857 Einen ebensolchen, über den biblischen Text hinausgehenden Zug stellt es dar, wenn Neukirch Kaiphas im Verhör der Apostel die Frage stellen lässt, wer ihnen befohlen habe, ihre ‚Ketzereien‘ auszubreiten.1858 Nun mutet es durchaus merkwürdig an, wenn konstatiert wird, den Verfolgern der Apostel werde infolge der Langmut Gottes die Möglichkeit zur Umkehr eingeräumt. Zwar würde Neukirch, wie oben erwähnt, gewiss nicht das universale, auch für die römischen Amtsträger geltende Heilsangebot Gottes bestreiten, gleichwohl ist es unwahrscheinlich, dass er damit rechnete, dass eine derartige Möglichkeit der Umkehr jemals Wirklichkeit werden könnte. Dagegen spricht auch, dass die Rezipienten des Dramas letzten Endes nur Protestanten sein konnten. Diese wollte Neukirch ansprechen, allein sie konnte er erreichen. Das wiederum bedeutet, dass auch das Ziel der Umkehr sich primär nur auf Protestanten bezieht. Damit aber deutet sich an, dass Neukirch die Kritiker und Spötter der Träger des geistlichen Amtes und ihrer Verkündigung innerhalb des Protestantismus, innerhalb seines Kirchenwesens, in der Stadt Braunschweig, mit dem altgläubigen, die reformatorische Kirche bedrängenden Klerus und den Verfolgern der Kirche zur Zeit der Urgemeinde auf eine Stufe stellt und sie unter dem Begriff der Welt fasst. Es ist letztlich die gottlose, ‚närrische‘ Welt, die gegen Gott und sein Wort, gegen die Kirche rumort, wie Stephanus formuliert.1859 Diese Welt manifestiert sich in den Verfolgungsbestrebungen der jüdischen oder römisch-katholischen Autoritäten wie auch im Verhalten von Ananias und Saphira, die nicht glauben und zugleich die Kirche betrügen und ausnutzen,1860 wie auch in der Verachtung des Prediger-

1856 Vgl. Neukirch, Akt IV Szene 3, K IIIb; Akt IV Szene 5, K VIIIb; Akt V Szene 3, M VIIa; Akt VI Szene 2, O VIIIb. 1857 Vgl. Akt VI Szene 2, O VIIIb. Auch hier ist von „Ketzrische Ler“ die Rede. – Vgl. Akt VI Szene 4, wo Saulus nach dem Tod des Stephanus weitere Verfolgungen plant (P Va): „Jch wil sie zwingn zum Widerruff / Odr sollen sterben allzu hauff.“ 1858 Vgl. Akt IV Szene 3, K IIIb. 1859 Vgl. Akt V Szene 1, M Ia; vgl. auch Akt VI Szene 1, O VIIIb, wo Elizabeth die ‚böse Welt‘ als Widersacher ihres Mannes benennt. Vgl. auch die in der letzten Anm. zitierte Stelle aus dem Prolog. A.a.O., B IIIIb, notiert Neukirch, die Christen hätten die ganze Welt zum Feind. 1860 Beides kommt in der Haltung des ‚Priesterfürsten‘ Ananias (Hannas) zusammen, der gemäß seiner sadduzäischen Einstellung die Hoffnung auf eine andere Welt nach diesem Leben und das diesbezügliche Streben nach Frömmigkeit und Tugend ablehnt. In Akt V Szene 7, O VIa, sagt er über die Christen: „Wie sind das doch so nerrisch Leut / Wie man der viele findet heut / Die meinen / es sey ein ander Welt / Da sey gar grosse Frewd bestelt. Denen die hie in diesem Lebn Nach FrÖmbkeit / Ehr vnd Tugend strebn. Jch halte aber nichts dauon / Wers gleuben wil / der mag es thun.“ Anscheinend will Neukirch andeuten, dass sich hinter dieser Haltung eine eher skeptizistische und epikureische Linie verbirgt.



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standes und seiner Verkündigung in der Gegenwart, die Neukirch im Prolog ebenfalls als Verfolgung qualifiziert.1861 Gilt das Umkehrangebot allen, so sind für ein Drama – abgesehen von möglichen versprengten altgläubigen Besuchern oder Lesern – doch primär die zum eigenen Kirchenwesen gehörigen, ihr Christsein vortäuschenden Gemeindeglieder die Adressaten. Deren Bekehrung zu erwirken, sieht Neukirch als vorrangige Aufgabe der Prediger und seiner selbst. Entsprechend äußert Christus, durch die Träger des geistlichen Amtes auf die Menschen mit Strafpredigten, Ermahnungen und Belehrungen erzieherisch einwirken zu wollen, woraufhin Gott Vater den Menschen eine 40-jährige Frist zur Buße gewährt.1862 Die Frage, wie diese ‚Gnadenzeit‘ zu deuten ist, wird wohl doch dahingehend zu beantworten sein, dass Neukirch hier zunächst einmal historisch auf die Zerstörung Jerusalems 70 n.Chr. als Ergehen des Gerichts über Israel anspielt. Eine wie auch immer geartete aktualisierende Interpretation auf seine eigene Zeit muss spekulativ bleiben. Deutlich ist nur, dass Neukirch apokalyptisch, unter Einschluss von Kategorien der Naherwartung denkt.1863 Die Handlung bestätigt so die von Neukirch in den Rahmenstücken gemachten Vorgaben. Es geht ihm um zwei Ziele: Zum einen beabsichtigt er die Tröstung der sich bedrängt fühlenden Christen, die er auf verschiedene Weise zu erreichen versucht. Zu dieser Zielsetzung gehört es auch, die Christen zu Geduld im Leiden und zum Gebet zu ermahnen.1864 Insofern ist es richtig, wenn Stammler schreibt: „Ebenso griff man zur Geschichte des ersten Märtyrers Stephanus und zu Petri Befreiung aus dem Kerker, um sich im Glauben zu stärken und gegen die Verfolgungen und Martern zu wappnen.“1865 Inwieweit er mit Verfolgung oder Bedrängnis rechnete, muss offen bleiben; seinem apokalyptischen Weltbild aber war dies nichts Fremdes. Zum andern intendiert Neukirch, diejenigen unter den Zuschauern, bei denen er ein nur äußeres Christentum erkennt, zur 1861 Vgl. Prolog, B IIIIa, wo es vom Teufel heißt: „Wie er noch heut zu tage thut / Vber der armen Christen Blut / Die Gottloss’ Welt vnd grosse Herrn / Verhetzet vnd bewegt zu Zorn.“ 1862 Der Sohn spricht in Akt VI Szene 3, P IIIa–b, zum Vater: „Ach Vater / hab Gedult mit jn / Laß noch die Gnadenzeit erschein Vbr sie noch etlich’ wenig Jahr / Jch wil mit Straff / Vermanung / LÄr  / Durch meine Diener / halten an Bey jn / ob sie wÜrden Busse thun / Verachten sie die Gnadenzeit / So sols jn werden ewig leid.“ Darauf lenkt Gott Vater ein, der zuvor den Sohn zum massiven Eingreifen aufforderte. 1863 Zur Apokalyptik im Luthertum dieser Zeit vgl. Hartmut Lehmann, Endzeiterwartung im Luthertum im späten 16. und im frühen 17. Jahrhundert, in: Rublack (Hrg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland, S. 545–554, bes. S. 551f. Dass Pfarrer diese Einstellung favorisierten, ließ sich auch bei Zacharias Zahn erkennen. Dass das Bürgertum diese Ansicht des bevorstehenden Endes teilte (a.a.O., S. 548), ist von den Dramen mit ihrer Kritik an bürgerlicher Lebensweise eher fraglich. Gleiches gilt für das von Lehmann ins Spiel gebrachte Gruppenbewusstsein von Anhängern einer Naherwartung (a.a.O., S. 550). 1864 Vgl. Parente, Martyr Drama, S. 19f. 1865 Stammler, Von der Mystik zum Barock, S. 356.

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Umkehr zu bewegen. Dem subsumiert ist die Absicht, die Zuschauer zur Achtung vor Predigern, Kirche und Schule zu motivieren, was auch den finanziellen Aspekt der Unterhaltung von Kirche und Schule einschließt. Neukirchs Drama wirkt damit hinsichtlich der Intention sehr stringent.1866 Diese wird im letzten ersichtlich in der Gegenüberstellung des mutig seinen Glauben bekennenden Stephanus auf der einen und den sich in Lügen verstrickenden, der Welt nicht zu entsagen vermögenden Gestalten des Ananias und seiner Frau Saphira.1867 Obwohl Stephanus aufgrund der Struktur des Dramas das erste Mal bereits in der fünften Szene des ersten Aktes auftritt und in der dritten Szene desselben Aktes zum ersten Mal genannt wird, erscheint er als handelnde Person nur in acht der insgesamt 36 Szenen. In den Akten II und IV taucht er gar nicht auf. Allerdings sind seiner Geschichte die Akte V und VI komplett gewidmet; insofern gehören 14 von 36 Szenen der StephanusGeschichte an, also nicht ganz die Hälfte der Handlung. In den genannten zwei Szenen des ersten Aktes wird Stephanus gemäß der biblischen Vorlage als Helfer zur Versorgung der Witwen dargestellt,1868 ein Dienst, von dem im weiteren Verlauf, ebenfalls nach dem biblischen Text, nicht mehr die Rede ist. In der Haupthandlung der Akte V und VI wird sein Tun vorwiegend als Bekennen1869, Disputieren1870 oder auch als Predigen1871 beschrieben. Wie in den anderen Dramen – mit Ausnahme desjenigen von Wild – wird ein in der Wahrnehmung unterschiedlicher Tätigkeiten bestehender Widerspruch nicht thematisiert. Allerdings bietet Neukirch auch keinerlei Szene, in der Stephanus predigt oder mit jüdischen Vertretern disputiert; in Äußerungen Stephanus’ oder seiner Gegner wird lediglich vorausgesetzt, dass er sich in dieser Weise tatsächlich betätigt. Die ‚Mitdiakone‘ spielen im Drama keine Rolle, von Anfang an wird Stephanus als der Verwalter des kirchlichen Guts genannt.1872 Auch in diesem Drama wird Stephanus als vorbildlich gezeichnet. Zwar wird er im Verhältnis zu anderen Dramen deutlich auch als Mensch dargestellt, doch wird dies im Sinne der lutherischen Berufsethik zugespitzt. So hat er eine Familie, eine Frau und zwei kleine Söhne. Stephanus gilt, wie Glaubensgenossen feststellen, als ehrbar, gottselig, beliebt bei

1866 Eine besondere, auf die Prediger zielende Intention dahingehend, dass diese ihre Pflichten mit gleicher Treue und gleichem Mut wie Stephanus erfüllen sollen, wie es Parente, a.a.O., S. 127, unter Berufung auf die Widmungsrede darlegt, wird im Stück, in Handlung, Prolog und Epilog, von Neukirch nicht eigens herausgestellt. Dort geht es ihm vielmehr ausdrücklich um alle Christen. 1867 Vgl. Parente, a.a.O., S. 133f. 1868 Vgl. Neukirch, Tragödie von Stephanus, Akt I Szene 3, D Ib; Szene 5, D VIIa. 1869 In Akt V Szene 1 spielt das Verbum ‚bekennen‘ eine wichtige Rolle, zweimal hat es den Glauben als Objekt, einmal die ‚Meinung des Herzens‘, zweimal wird es mit dem Adverb ‚frei‘ verbunden, einmal mit dem Adverb ‚öffentlich‘ (M IIa). 1870 Vgl. Akt V Szene 1, M IIIa; Akt V Szene 2, M IIIIa. 1871 Vgl. Akt V Szene 3, M VIIb–VIIIa.b. 1872 Vgl. Akt I Szene 3, D Ib.



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vielen Menschen, seinem Haus zugetan und fromm.1873 Der Sohn Benjamin erweist sich als religiös erzogen und von eifrigem Glauben. Ausdrücklich wird festgestellt, dass der Vater dem Sohn von der Seligkeit und von Jesus erzählt; dorthin möchte auch er gelangen.1874 Stephanus’ Frau Elizabeth ist in Sorge um ihren Mann, trägt aber seinen Dienst mit. Als fromme Christin ist sie darauf gefasst, dass ihm das Martyrium drohen kann. Ihrer Haltung entsprechend versucht sie nicht, ihren Mann davon abzuhalten, seiner Berufung gemäß zu handeln.1875 Mit den Kindern betet sie nach der Verhaftung für ihren Gatten.1876 So stellt Elizabeth die idealtypische vorbildliche Ehefrau und Pfarrfrau dar. Was Stephanus vor allem auszeichnet, ist seine Standhaftigkeit in der Predigt des Evangeliums. So bekräftigt er nach der Gefangennahme der Apostel im Gespräch mit dem Christen Joses, er wolle sein Amt wie zuvor verrichten.1877 Aufgrund der unsicheren Situation legen sich ihm dann doch Überlegungen nahe, sich mit der öffentlichen Verkündigung zurückzuhalten. So teilt er mit, er sei dessen gewahr geworden, dass man im Rat die Ausrottung der Christen beschlossen habe.1878 Ein ihm gewogenes Mitglied des Rates, das gegen diesen Beschluss votiert hätte, habe ihn gewarnt und gebeten sich zurückzuhalten und vorzusehen.1879 So erwog er: „Jch kÖnn ja wol ein zeitlang mich Enthalten / vnd nicht Öffentlich Meins Hertzen meinung bekennen bald / Biß die sach g’win ein ander gestalt. Wie man halt’ hinterm Berg bißweiln / Biß das die Feind furÜber eiln.“1880 Obwohl er den guten Willen jenes Menschen anerkennt, kann er sich letztlich nicht dazu entschließen zu schweigen. Statt dessen zeigt er sich entschlossen, notfalls unter Inkaufnahme des Verlustes von Familie, Hab und Gut, ja des eigenen Lebens mit der Predigt fortzufahren. Unter Aufnahme des Herrenwortes Mt 10,32f. äußert er: „Es sagt mir aber mein HErr Christ / Wo jemand so zaghafftig ist / Das Er vmb dieses Lebens willn / Odr andr Gefahr / woll halten still / Vnd nicht / was sein Glaube sey / FÜr der Welt werd bekennen frey / Den woll Er vor dem Angesicht Seins Vaters auch bekennen nicht. DrÜmb ich bey mir entschlossen bin / Es bring mir schaden odr gewin / Es koste Hauß / Hoff / Weib / Kind / Gut / Leib oder Lebn / Gut oder Blut / So wil ich doch / on alle schew / Was mein Glaub ist bekennen frey.“1881

Der letzte Satz kann als Überschrift über die Haltung des Diakons im Drama aufgefasst werden. Diese hält er durch, obwohl er, als Protest gegen seine Predigt aufkommt, fürch1873 Vgl. Akt VI Szene 5, P Vb. 1874 Vgl. Akt V Szene 4, N IIIIa. 1875 Vgl. a.a.O., N IIIb–IIIIa. 1876 Vgl. Akt VI Szene 1, O VIIa–VIIIa. 1877 Vgl. Akt III Szene 2, H Va–VIa. 1878 Vgl. Akt V Szene 1, M Ib. 1879 Vgl. ebd. 1880 A.a.O., M IIa. 1881 Ebd. (Forts.).

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tet, dass man ihn verklagen wird.1882 Im Kreise seiner Familie ergibt er sich in sein ihm von Gott zugewiesenes Schicksal.1883 Auch im Angesicht des drohenden Todes zeigt er sich völlig standhaft. So wehrt er den nicht ungeschickten Versuch des Saulus, ihn unter Hinweis auf das Schicksal seiner Familie und mittels der Voraussage einer zukünftigen großen Karriere umzustimmen,1884 klar ab: Um zeitlichen Gutes willen könne er seinen Gott nicht verleugnen.1885 Vielleicht wollte Neukirch mit diesem Gedanken kritisch auf Konversionen zum alten Glauben aus mehr oder weniger verdeckt opportunistischen Gründen anspielen. Ein solcher Weg ist für Stephanus keine Alternative. Im Martyrium selbst bestimmt ihn allein der Wunsch, bei Christus und des Leidens um seinetwillen würdig zu sein.1886 Dabei ist er seines Heils gewiss und verspürt Trost und Freude im Herzen.1887 Stephanus wird als theologisch gebildet charakterisiert. In seiner Verteidigungsrede liegt ein Schwerpunkt auf der typologischen Deutung des Alten Testaments auf Jesus Christus hin. Gesetz, Zeremonien, Priestertum und Opfer haben ausschließlich die Funktion, Figuren zu sein und auf Christus zu verweisen.1888 Den Tempel interpretiert der Diakon als Ort der Verkündigung des Gotteswortes.1889 Er ist beredt und kann argumentieren, so dass er seinen Diskussionsgegnern Paroli bietet, was er selbst auf Gottes Gnade zurückführt.1890 Weitere theologische Gedanken, etwa hinsichtlich der reformatorischen Lehre, legt Stephanus aber nicht dar. So sehr Stephanus als vorbildliche Person akzentuiert ist, so sehr wirkt er, wie bereits gesagt wurde, doch den gemeinen Christen enthoben. Den durchschnittlichen Zuschauern werden statt dessen andere Identifikationsfiguren geboten, die, das Stephanus-Geschehen kommentierend, die Haltung der Zuschauer zum Ausdruck bringen und damit dem Phänomen des ‚Spieler-Zuschauers‘ entsprechen.1891 Könnte man nun schließen, Stephanus und jene ‚Spieler-Zuschauer‘ zielten auf unterschiedliche Adressatengruppen: die ‚Spieler-Zuschauer‘ fungierten als Identifikationsfiguren und Vorbilder der einfachen 1882 Vgl. a.a.O., M IIIb. 1883 Vgl. Akt V Szene 4, N IIa–IIIa. 1884 In Akt VI Szene 2, O VIIIb, sagt Saulus zu Stephanus: „Besin dich doch / es ist noch zeit. Was kan dir helffen / der selbs nicht Vom Galgen hat kÖnn retten sich? Besin dich lieber Stephane Du kanst zu grossen dingen hie Noch kommen / so du wÜrdest nur Verleugnen diß’ Ketzrische Ler.“ 1885 Vgl. a.a.O., P Ia. 1886 Vgl. Akt VI Szene 2, P Ia. P Ib. 1887 Vgl. Akt V Szene 4, N IIIb; Akt V Szene 7, O Vb; Akt VI Szene 2, P Ia. 1888 Akt V Szene 5, O IIa: „Diß ist der Moses / durch den Gott Das Gesetz vnd Ceremonien hat Geordnet / vnd das Priesterthumb / Sampt den Opffern / die vmb vnd vmb Nichts anders sein denn ein Figur / Das all’s auff Christum weiset nur ...“ Es folgt der Verweis auf Dtn 18. Im Folgenden erklärt er, auch das heilige Zelt der Wüste und der Gnadenstuhl seien ein Bild des neutestamentlichen Geschehens gewesen; vgl. O IIb. 1889 Vgl. a.a.O., O IIb. 1890 Vgl. Akt V Szene 1, M IIIa. 1891 So erscheinen in Akt IV Szene 7 Joseph und Lukas, in Akt VI Szene 5 Timotheus, Titus, Silas und Justus.



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Zuschauer, Stephanus hingegen als Identifikationsfigur und Vorbild allein für die Prediger, so steht dem zunächst entgegen, dass Stephanus nicht wirklich in seinem Predigtdienst wahrgenommen und dargestellt wird. Seine Darstellung erfolgt vielmehr allein in Hinblick auf seine Standhaftigkeit resp. seinen Bekennermut und seine – insofern diese Haltung unweigerlich Leiden mit sich bringt – daraus folgende Funktion als Trostspender. In seiner Standhaftigkeit aber ist seine Figur als Vorbild für alle Zuschauerinnen und Zuschauer konzipiert. Dass er in Form seiner Emporführung durch Raphael umgehend das ewige Heil erhält, bedingt seine Funktion als Trostspender.1892 So gilt es, ihm im Falle von Bedrängnis in der Bekennerhaltung und allgemein in der Glaubenstreue zu folgen, um sich des Trostes, den diese erheischen, zu versichern.1893 Die ‚Spieler-Zuschauer‘ bestätigen ausdrücklich die Vorbildlichkeit des Diakons. Ihre Situation aber entspricht mehr derjenigen der Zuschauer – sie betrachten die Verfolgung eher von außen, befinden sich jedenfalls nicht in direkter Todesgefahr –, während Stephanus einen Zustand in extremo durchleiden muss. So ist der ‚Spieler-Zuschauer‘ der ideale Zuschauer, der zugleich auf die Vorbildlichkeit des Protagonisten verweist. Zwar ist dieser nach der Geschichte primär Muster für die Situation der Verfolgung, doch wird sein Glaube und seine Frömmigkeit als auch für das alltägliche Leben der gegenwärtigen Christen, mustergültig dargestellt, eingeschlossen jede Art von Kreuz. Wendet man sich der Frage der Wiedergabe reformatorischer Theologie in Neukirchs Stephanus-Drama zu, so fällt zunächst auf, dass in den Rahmenstücken – Widmungsrede, Prolog und Epilog – keine reformatorischen Topoi erscheinen. Dass Neukirch auf dem Boden der lutherischen Orthodoxie stand, steht jedoch außer Frage, fühlte er sich doch Martin Chemnitz sehr verbunden.1894 Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war Neukirch schon über zwanzig Jahre lang Prediger in Braunschweig, so dass er sich nicht mehr genötigt sah, mit diesem Drama seine Orthodoxie unter Beweis zu stellen. Auch für eine bessere Stellung musste er sich nicht mehr empfehlen. Ungeachtet des Befundes der Rahmenstücke gilt es somit zu prüfen, welche Bedeutung profiliert reformatorischen Aussagen in der dramatischen Handlung selbst zukommt, d.h. wie Neukirch die reformatorische Theologie in dieser aufnimmt und umsetzt. Auch hier zeigt sich nun, dass reformatorische Topoi nicht in geballter Form, etwa in einer bedeutenden Rede, und auch nicht formelhaft – weder ‚sola gratia‘ noch ‚sola fide‘ erscheinen im Begriff – begegnen. Sie drängen sich dem Betrachter und der Betrachterin nicht direkt auf. Am ehesten ist ein Zusammentreffen von Elementen der reformatorischen Theologie noch in der Eingangsrede des Petrus zu Beginn des Dramas zu erkennen. In seiner Darstellung der Begegnung mit Johannes dem Täufer geht Petrus auf die Lehre von Gesetz und Evangelium ein. Der Täufer habe ihn in das Gesetz gewiesen und damit 1892 Vgl. den Prolog, B IIIIb: Stephanus sah Gott und die Vollendeten in ihrer Herrlichkeit, zu der er sofort gelangte, „Des sich mit Stephano zugleich / Zu trÖsten haben sicherlich Wir alle ...“ 1893 Vgl. das Schlusswort Uriels in Akt VI Szene 5, P VIb. 1894 Selbstverständlich findet sich im Drama keinerlei abweichendes Element.

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sein Herz getroffen, so dass er seine Sünde erkannt habe. Auf sein Erschrecken hin habe ihm der Täufer aber die Gnade und Barmherzigkeit Gottes vorgehalten.1895 Diese Gnade Gottes sieht Petrus als wesentlich für sein Leben an; sie habe sich besonders darin manifestiert, dass er als einfacher Fischer von Jesus zum Apostel berufen worden sei.1896 Die Rechtfertigungslehre im engeren Sinne erscheint dagegen nur ansatzweise. Sie kommt besonders in der mehrfachen Bekundung des Stephanus zum Tragen, seines Heils gewiss zu sein.1897 In ähnlicher Weise bringt der einfache Christ Titus die sich ergebende Konsequenz auf den Punkt in der Erkenntnis, Gott angenehm zu sein hänge nicht vom jeweiligen Ergehen ab.1898 Zu leiden ist somit kein Ausweis dafür, von Gott nicht gnädig angesehen zu werden – Reflex der theologia crucis. Dass an einigen Stellen betont wird, die Christen seien einfache oder ungelehrte Leute, dürfte ebenso einen Widerhall der Einsicht darstellen, dass Gott den Menschen ungeachtet von dessen Leistung rechtfertigt und in Dienst nimmt.1899 Deutlicher kommt im Drama die Christologie, genauer die Lehre vom Werk Christi zum Vorschein. Gibt die Rede des Diakons vor Kaiphas die zentrale Rolle Christi zu erkennen,1900 so wurde schon zuvor das solus Christus angedeutet, wenn Stephanus im Gespräch mit Saulus bekennt, dass Christus sein Fürsprecher und Redner sei.1901 Zwar wird diese Aussage dort nicht direkt gegen andere Fürsprecher in Anschlag gebracht, doch zeigt sie, dass Stephanus seine Gewissheit einzig aus dem Eintreten Christi für ihn schöpft. Bemerkenswert ist, dass der Sohn in der Himmelsszene vor dem Vater für die Fernstehenden, die Verfolger der Gemeinde eintritt, also die intercessio generalis zum Zweck ihrer Bekehrung vollzieht.1902 In dieser Szene rühmt der Vater das Werk des Sohnes; mit seinem Tod habe er Tod, Teufel, Hölle und Sünde überwunden und dem Gesetz genug getan.1903 Indem das Kreuz mit der dem Gesetz geltenden Genugtuung verbunden wird, wird diese als oboedientia passiva qualifiziert. Im Mittelpunkt der das Werk Christi betreffenden Aussagen steht, wie in der lutherischen Orthodoxie üblich, das priesterliche Amt, sowohl in Form der satisfactio als auch der intercessio. In dieser Himmelsszene wird allerdings auch 1895 Vgl. Akt I Szene 1, B VIb–VIIa. 1896 Vgl. a.a.O., B VIb. 1897 Vgl. Akt V Szene 4, N IIIb; Akt V Szene 5, N Va: Stephanus ist gewiss, dass Gott auf seiner Seite ist. Vgl. Akt V Szene 7, O Vb; Akt VI Szene 2, P Ia. 1898 Vgl. Akt VI Szene 5, P Vb. 1899 So nennt Hannas in Akt IV Szene 5, L Ib, die Christen „Vnglerte“. Ähnlich äußert sich Saulus in Akt V Szene 3, M Vb. Vgl. die schon genannte Aussage des Petrus in Akt I Szene 1, B VIb. 1900 Vgl. Akt V Szene 5, O IIa–b. 1901 Vgl. Akt V Szene 5, O IIa. 1902 Vgl. Akt VI Szene 3, P IIIa–b. Ob die angesprochenen Personen tatsächlich umkehren, liegt nach der Formulierung Christi an diesen selbst („Jch wil ... halten an Bey jn / ob sie wÜrden Busse thun / Verachten sie die Gnadenzeit / So sols jn werden ewig leid“). Damit lehnt Neukirch implizit die calvinistische Prädestinationslehre ab. 1903 Vgl. Akt VI Szene 3, P IIIa.



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das königliche Amt und – durch die Predigt seiner Diener – das prophetische Amt Christi berührt.1904 Als wesentliches Tun der Kirche wird aus dem Drama die Predigt erkennbar.1905 In Bezug auf das im Stück zum Ausdruck kommende Amtsverständnis ist festzustellen, dass Neukirch die lutherisch-orthodoxe Auffassung vom Amt wiedergibt. Für die Apostel bekennt Johannes im Verhör auf die Frage des Kaiphas: „Welchr Teufl hat euch Tropn befohln / Das jr ewr Ketzereyen solln Widr vnsrn willen breiten aus / Vnd offentlich lern in Gottes Hauß? Wer hat euch zu dem Ampte b’stelt?“,1906 Jesus Christus habe ihnen befohlen, „... das Ampt / Zu lern das Euangelion / Von jm / dem waren Gottes Son.“1907 In Bezug auf die Apostel als Träger des Amtes wird also gemäß orthodoxer Lehre eine unmittelbare Berufung durch Christus festgehalten.1908 Umgekehrt spricht Neukirch für Stephanus in Akt I Szene 5 ausdrücklich von einer äußeren Berufung, auch hier entsprechend den Vorgaben der lutherisch-orthodoxen Auffassung für Stephanus und den minister verbi der nachapostolischen Zeit,1909 der seine Beauftragung zur Predigt durch eine mittelbare Berufung durch die Kirche erhält und gemäß CA XIV rite vocatus sein muss. Dessen ungeachtet gilt für das ministerium verbi als solches ein Verständnis, das Petrus in pointierter Form verbalisiert: „Lernt jr hieraus ja fÜrchten Gott / Vnd treibt nicht mit sein’n dienern spot Wir sind wol Menschen gleich wie jr / Das heilig’ Ampt abr das wir fÜhrn / An der heilgen Dreyfaltigkeit stat / Das macht vntr vns den vnterscheid.“1910 Dieser CA V entsprechende Amtsbegriff gilt für das Amt der Apostel wie für das der ministri verbi der Gegenwart, was auch aus dem Faktum zu schließen ist, dass Petrus an dieser Stelle die Zuschauer anspricht, um sie zur Ehrfurcht vor den Inhabern des ministerium verbi zu bewegen: Der minister verbi führt das Amt in Stellvertretung für Gott. Das Amt steht in enger Verbindung zu Gott. All diese in der Handlung erscheinenden Äußerungen haben ihren Grund im lutherisch-orthodoxen Amtsverständnis des Verfassers, entsprechen aber auch der oben festgestellten Zielsetzung, die er seinem Drama gab. Thema des Dramas ist auch die Auslegung der Schrift, genauer deren Umstrittenheit. Saulus spricht den Christen die Befähigung zur Schriftauslegung ab. Diese käme nur den jüdischen Gelehrten zu, denen allein der Grund der Schrift bekannt sei.1911 Die entgegengesetzte Behauptung der Christen, sie alleine verstünden die Schrift, weist er damit zurück. An einer anderen Stelle verdeutlicht der Apostel Jakobus im Gespräch mit Johannes, es sei 1904 Vgl. a.a.O., P IIIa (königliches Amt) und b (prophetisches Amt). 1905 So ist schon der Tempel Ort der Predigt des Wortes Gottes; vgl. Akt V Szene 5, O IIb. Vgl. Akt III Szene 4, H VIIb–VIIIa. 1906 Akt IV Szene 3, K IIIb. 1907 A.a.O., K IIIIa. 1908 Vgl. Leonhard Hutter, Compendium Locorum Theologicorum (Wittenberg 1610), Berlin 1961, Locus XVI,9, S. 79: Die unmittelbare Berufung endete mit den Aposteln. 1909 Vgl. Hutter, a.a.O., Locus XVI,9–10, ebd. 1910 Neukirch, Akt I Szene 7, E VIb. 1911 Saulus behauptet, als gelehrten Leuten sei ihnen alleine die Lehre und der Grund der Schrift bekannt; vgl. Akt V Szene 3, M Vb.

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nicht selbstverständlich, dass die Schrift ‚lauter‘ und ‚rein‘ zuhanden sei; sie könne auch verkehrt, ihr Sinn verstellt werden.1912 Mit diesen Aussagen wird auf der Ebene der dargestellten Geschichte der Umgang der Juden mit der Schrift kritisiert: Pharisäer und Schriftgelehrte beharrten auf ihrer falschen Auslegung mit der Konsequenz der Verwerfung des Messias, und das trotz des Vorteils, über die Schrift lauter und rein in der Muttersprache zu verfügen. Nun lassen sich diese Passagen auch aktualisierend auffassen. Die Frage ist, ob der Verfasser sie in dieser Weise verstanden wissen wollte; in jedem Fall könnten sie von kundigen Hörern so aufgenommen werden. Dann ergibt sich aus den Formulierungen zum einen die Dankbarkeit, in der Gegenwart durch das Verdienst Luthers der Schrift wieder in reiner Form ohne Zusätze begegnen und sie auch in der eigenen Sprache lesen zu können – ein Faktum, das nach dem Text als nicht selbstverständlich anzusehen ist. Diejenigen, die, weil die Schrift nicht in ihrer Muttersprache vorliegt, diese nicht lesen können bzw. denen sie vorenthalten wird, sind stets auf die – u.U. falschen – Auslegungen der Hierarchie angewiesen. So lässt sich zum andern aus diesen Aussagen Kritik am römischen Lehramt vernehmen, das für sich ein Auslegungsmonopol in Anspruch nimmt, das nach reformatorischer Auffassung grundsätzlich verfehlt ist, insofern mit ihm die Schrift nicht zu der ihr zustehenden Geltung kommen kann. Darüber hinaus verfälscht dieses Lehramt mit ihrer Auslegung willkürlich den Sinn der Schrift. Zugleich wird dabei freilich ebenso deutlich, dass auch die Gegenseite – im Text die christliche Seite, in der aktualisierenden Auslegung die reformatorische – darauf beharrt, ihre Auslegung sei die einzig richtige, so dass zwei sich gegenseitig ausschließende Positionen aufeinander treffen. Lassen sich diese Aussagen ohne größere Schwierigkeiten aktualisieren, so sind sie doch in Neukirchs Perspektive primär eine zutreffende Beschreibung des Streits zwischen Juden und Christen um die rechte Auslegung der Schrift und zeugen von Neukirchs Bemühungen um eine historisch exakte und einfühlende Darstellung. Dennoch dürfte die aktualisierende Auslegung, wie etwa die Bemerkung des Jakobus erhellt, das Wort Gottes werde überall verachtet und verfolgt,1913 durchaus mitschwingen. Dass dem Wort Gottes unter allen Umständen zu folgen, dass es über menschlichen Ratschlag zu setzen ist, zeigt das Bekenntnis des Stephanus zu dem Herrenwort Mt 10,32f.1914 Insgesamt ist festzustellen, dass Neukirch nicht versucht, die reformatorische Schriftlehre als solche im Drama unterzubringen. So setzt er das ‚sola scriptura‘ zwar voraus, nennt es aber doch nicht explizit beim Namen. Ebenso wenig spricht er in direkter Weise von der Klarheit der Schrift. Etwas schwieriger zu beantworten ist die Frage, wie die im Drama erkennbaren Bemerkungen über den intellektuellen Stand der Apostel einzuordnen sind. Sowohl Saulus als auch Hannas stellen die Apostel und Stephanus als ungelehrt hin, während sie selbst sich rühmen, aus einer Schule hervorgegangen zu sein, sich wissenschaftlich mit der Religion

1912 Vgl. Akt I Szene 2, C IIIIa. 1913 Vgl. a.a.O., C IIIb. 1914 Vgl. Akt V Szene 1, M IIa.



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befasst zu haben und gelehrt zu sein.1915 Diesen in einen Vorwurf mündende Tatbestand lässt Neukirch von Petrus andeutungsweise bestätigen.1916 Die Frage ist, ob sich dieser Zug auf die Kirche zur Zeit Neukirchs aktualisieren oder auf die reformatorische Theologie hin deuten lässt. Nun ist kaum anzunehmen, dass Neukirch für den protestantischen Prediger keine Bildung verlangen würde, und zwar in erster Linie aus der Sache bzw. dem Zentrum heraus – dem Wort Gottes –, aber auch angesichts der Bildungsbemühungen des konfessionellen Gegners. Er würde wohl auch kaum Luther und die führenden Reformatoren als ungebildet klassifizieren. Einerseits könnte darauf verwiesen werden, dass sich diese Bemerkungen wiederum Neukirchs Bestreben verdanken, die Geschichte historisch genau, am Text orientiert darzubieten, denn in Act 4,13 ist von den Aposteln als von einfachen und ungelehrten Leuten die Rede. Andererseits lässt das Stichwort ‚Schule‘ an die von Luther gebrandmarkte und bekämpfte scholastische Theologie erinnern, die für sich eine lange Tradition der Gelehrsamkeit gegenüber der als neu apostrophierten Wittenberger Theologie reklamiert. Das wird von protestantischer Seite als Anmaßung wahrgenommen, nimmt doch diese selbst für sich in Anspruch, zum einfachen Evangelium zurückgekehrt zu sein. So dürften die Bemerkungen der jüdischen Seite als konfessionelle Polemik einzuordnen sein. Deren Korrelat bildet die Aussage des Petrus über die Berufung einfacher Leute zu Aposteln. Unmöglich aber kann Neukirch für die protestantische Prediger den Verzicht auf Bildung propagiert haben. Entsprechend stellt er denn auch an anderer Stelle der biblischen Vorlage folgend die Gelehrsamkeit und intellektuelle Überlegenheit des Stephanus heraus.1917 Damit ist die Frage der konfessionellen Polemik im Drama aufgeworfen. Offene Polemik gegen die römische Kirche findet sich in der Handlung nicht. Wenn im Drama die verfolgten Christen von den jüdischen Autoritäten als ‚Ketzer‘ bezeichnet werden und ihre Lehre als ‚Ketzerei‘ qualifiziert wird,1918 sie zum Widerruf gezwungen werden sollen1919 oder Herodes Antipas den Christen die gemeinmenschliche Begierde zu reformieren und etwas Neues anzufangen unterstellt,1920 spielt Neukirch jedoch deutlich auf die altgläubige Kirche, ihre Sicht auf die Protestanten und den daraus folgenden Umgang mit ihnen

1915 Vgl. Akt IV Szene 5, L Ib, wo Hannas den Aposteln entgegenhält: „Denckt jr nicht das auch wir etwas Verstehen? Zwar wir mÜsten je baß Der sachen / der jr euch nehmet an / Denn jr / Vnglerte / wissnschafft han ...“ Vgl. die Frage des Saulus in Akt V Szene 3, M Vb: „Was solten hieruon [sc. der Inhalt der Schrift] wissen die / Welch’ in kein Schul gekommen je?“ 1916 Vgl. Akt I Szene 1, B VIa. 1917 Vgl. Akt V Szene 1, M IIIa; Akt V Szene 5, N VIa–O IIb. 1918 Vgl. Akt IV Szene 3, K IIIb; Akt IV Szene 5, K VIIIb; Akt V Szene 3, M VIIa; Akt V Szene VI Szene 2, O VIIIb. 1919 Vgl. Akt VI Szene 4, P Va; vgl. Akt VI Szene 2, O VIIIb. 1920 In Akt II Szene 2, G IIIb, redet Herodes zu seiner Frau: „Die gantze Welt thun stetes jrrn / Vnd jedrman wolten reformiern / Kan doch das gringste geschehen nicht Das diß Gesinde nicht anficht.“

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an. Auch an den ‚Ketzerhut‘ erinnert er an einer Stelle.1921 Gleiches gilt, wie gezeigt, für die Rede von den ‚Schulen‘. Des Weiteren finden sich einige verborgenere Anspielungen. Die über den Text von Act 5 hinausgehende Formulierung der Frage nach der Bevollmächtigung der Apostel zum Predigtamt zählt dazu. Die Darstellung des Priesterfürsten Ananias als skeptizistischen Sadduzäer mit epikureischen Tendenzen lässt an die Haltung eines Renaissancepapstes oder -klerikers denken, verdankt sich aber in erster Linie wieder Neukirchs historischem Interesse, das sich an Josephus orientiert.1922 Überblickt man alle genannten Aussagen, so wird jedoch deutlich, dass nur von einer sehr vorsichtigen, nicht direkten Polemik gesprochen werden kann. Sie besteht im Grunde nur darin, dass im Gefolge von Luthers Auslegung1923 Sicht und Behandlung der Christen durch jüdische Autoritäten in der Zeit der Urgemeinde mit derjenigen der Protestanten durch die altgläubigen Autoritäten im 16. Jahrhundert parallel gesetzt werden, wie etwa durch den Begriff ‚Ketzer‘ suggeriert wird. Darüber hinausgehende Polemik – von der eher verdeckten Anspielung auf einen römischen Kirchenfürsten durch die Darstellung des sadduzäischen Priesterfürsten abgesehen – gegen die alte Kirche oder gegen den alten Glauben ist nicht auszumachen. So lässt Neukirch keine altgläubigen Bezeichnungen wie ‚Bischof‘ o.ä. einfließen, katholische Lehren und Frömmigkeitspraktiken oder das Mönchtum werden nicht erwähnt. All dies verhindert Neukirchs historisches Interesse, das keine Anachronismen zulässt. Nur wo sich in evidenter Weise Parallelen abzeichnen, greift er diese auf, sucht sie aber nicht offensiv. Ähnliches gilt auch für Polemik gegen andere Gruppierungen. So könnte sich in Neukirchs Fassung des Rates Gamaliels eine Anspielung auf die Täufer verbergen: Gamaliel erklärt, ‚Judas Gaulonites‘ d.i. Judas Galiläus, der Gründer der zelotischen Bewegung, vertrete die Position, nur Gott sei für den Menschen Obrigkeit, alle Menschen auf Erden wären gleich.1924 Auch hier ist aber wieder zu konzedieren, dass Neukirchs Bestreben, über den biblischen Text (Act 5,37) hinaus historische Informationen zu geben, den Anlass zur Einfügung dieser Aussage bietet. Er nimmt hier erneut Josephus auf, der vom

1921 In Akt II Szene 6, H Ia, warnt der Narr Morio vor Beginn der Verfolgung: „Jst jemand der ein Christe ist / Der seh’ sich fÜr zu dieser frist / Dem ist geschnidtn ein bÖse Kapp ...“ 1922 Vgl. Akt V Szene 7, O VIa. Ananias belustigt sich über die Christen: „Wie sind das doch so nerrisch Leut / Wie man der viele findet heut / Die meinen / es sey ein ander Welt / Da sey gar grosse Frewd bestelt. Denen die hie in diesem Lebn Nach FrÖmbkeit / Ehr vnd Tugend strebn. Jch halte aber nichts dauon / Wers gleuben wil / der mag es thun.“ Vgl. Josephus, De bello iudaico II 8,14, ed. Michel – Bauernfeind. Bd. 1, S. 148f. 1923 WA 52, 593,5f.: „Das man auß der Histori fein kan spüren, die Juden sind mit Stephano umbgangen, wie heuttigs tags die Papisten mit uns umbgehn.“ – Die Sadduzäer werden auch in Sanders Drama über den Täufer als Epikuräer gezeichnet; dort gibt es die Rolle des ‚Epicurus Saduceus‘; vgl. das Personenverzeichnis, B IIIb. 1924 Vgl. Neukirch, Akt IV Szene 4, K VIb.



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Auftreten des Judas Galiläus berichtet.1925 Ebenso ist zu berücksichtigen, dass die Bemerkung von jüdischer Seite – das wäre also in der Analogie die altgläubige Seite – erfolgt. Polemik gegen die Reformierten ist nicht zu erkennen.1926 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es Neukirch in diesem Drama nicht in erster Linie um die Vermittlung reformatorischer Aussagen geht. Diese werden vorausgesetzt und, wo es sich anbietet, unaufdringlich eingebracht. Doch insgesamt verhält es sich so, dass die biblische Handlung – einschließlich dessen, was Neukirch aus anderen Quellen in Bezug auf den biblischen Stoff für das Stück nutzbar machen konnte –, nicht aber die aktualisierende Auslegung die dramatische Handlung des Stücks bestimmt. Der Schwerpunkt im Drama liegt so einerseits auf der Vermittlung biblisch-historischer Bildung – ein für Neukirch generell wichtiges Anliegen –, andererseits auf der Vermittlung von Trost und der Aufforderung zur Umkehr. In Bezug auf den Trost ist es bemerkenswert, dass in diesem Drama die theologia crucis eine bedeutsame Rolle spielt. So sagt der Häscher, der die Apostel ins Gefängnis führen soll: „Jr trawt viel ewrm gecreutzigten Gott.“1927 Und Philippus konstatiert: „Der HErr wolt mit vns gehen hinein / Vnd jm gefencknis bey vns sein.“1928 Christus wird als der Mitleidende gesehen, sogar die Rede vom ‚gekreuzigten Gott‘ wird durchgehalten. Gleichwohl ist es nicht zutreffend, wenn Stammler meint, Neukirch gehöre zu derjenigen Gruppe von Dramendichtern mit passiv ausgerichtetem evangelischem Glaubensgefühl, die schwer am Bekenntnis trügen, von Angst, Resignation oder Fatalismus geprägt seien.1929 Denn die Macht von Tod und Teufel ist nach Neukirch gebrochen. Trotz gewisser Erfolge müssen Tod und Teufel selbst einsehen, dass sie Christus unterlegen sind.1930 Die Glaubenden brauchen sich nicht mehr vor ihnen zu fürchten, ja sie können sie sogar verachten. In dieser Hinsicht ist das Drama denn doch ein deutlicher Ausdruck der evangelischen Botschaft.

1925 Vgl. Josephus, De Bello Iudaico II 8,1, ed. Michel-Bauernfeind, S. 204; Antiquitates XVIII 1,6, ed. Clementz, S. 508. 1926 Die Bemerkung des Herodes Antipas in Akt II Szene 2, G IIIb, „... jedrman wolten reformiern“, bezieht sich auf die ‚rechten‘ Christen der Urgemeinde, deren Glauben von Herodes in skeptizistischer Manier als Neuerung und Veränderung um der Veränderung willen abgetan wird. Damit kommt sie nicht als Anspielung auf die Reformierten in Betracht, sondern als solche auf die Reformation durch Luther, die Neukirch positiv wertet, während sie von den (altgläubigen) Gegnern verurteilt wird. 1927 Akt III Szene 1, H IIIIa. 1928 A.a.O., H IIIIb. 1929 Stammler, a.a.O., S. 374: „Wenn sie [sc. diese Gruppe von Autoren] Dramen dichten, geschieht das nicht aus Glaubenseifer oder Glaubensmut, sondern aus Glaubensqual. Dieser Gruppe gehören Dichter wie Gerengel oder Neukirch an, die in religiösen Dramen ihrem gepreßten Herzen Luft machen müssen. Ein gewisser Fatalismus weht durch diese Stücke.“ Vgl. a.a.O., S. 370. 1930 Vgl. die Klage Astaroths in Akt IV Szene 6, L IIIb, und ferner die Rede des Todes in Akt I Szene 7, E Va–VIa.

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5. Ergebnis Vier Stephanus-Dramen protestantischer, genauer lutherischer Provenienz waren Gegenstand der Untersuchung. Dabei zeigte sich einerseits eine gewisse Vielfalt in der dramatischen Ausgestaltung, andererseits aber auch eine Kontinuität bestimmter Grundlinien. In der Tendenz sehr nahe beieinander liegen die zwei zeitlich letzten Dramen von Zahn und Neukirch, die aber eine Linie aufnehmen, die schon bei Saxo vorgebildet ist. Diese drei Dramen sind von Theologen verfasst. Das Drama von Wild fällt dagegen etwas aus diesem Rahmen heraus, aufgrund sehr spezifischer Interessen des Verfassers, die durch seinen anderen Hintergrund als Meistersinger und Lehrer sowie durch die besondere Situation des Augsburger Kontextes bedingt sind. Zu dem Gemeinsamen gehört die wenn auch grobe Orientierung an Luthers Auslegung der Stephanus-Geschichte, grob insofern sie etwas undeutlicher ausfällt als bei den Abraham-Dramen. Es findet sich aber nichts der Interpretation Luthers Widersprechendes in den Dramen. In den Stephanus-Dramen ist eine eigene lutherische Gestalt des Märtyrer-Dramas erkennbar. Die Dramen dieses Typs heben zum einen darauf ab, dass der Märtyrer standhaft bleibt, dass er insbesondere die ihm aufgetragene Verkündigung durchhält bis zum Tode. Das geschieht durch verborgenen göttlichen Beistand und mündet schließlich in die Verleihung der Seligkeit. Die Hauptbotschaft der Dramen ist damit die Tröstung. Den das Wort Gottes Verkündigenden und Aufnehmenden wird die Verheißung bestätigt, dass Verfolgung und Bedrängnis oder Verachtung des Gotteswortes dieses nicht hindern kann. Eigen ist diesem Typus von Märtyrerdrama auch, dass in ihm nichts Übernatürliches geboten wird, abgesehen von dem im biblischen Text Berichteten. Die Dramen berichten nüchtern die dort aufgeführten Fakten. Insofern kann man sagen, dass sie die theologia crucis Luthers durchhalten. Es gibt keine aufsehenerregenden Begleitumstände wie Bekehrungen oder besondere Erscheinungen, die die Verfolger wahrnehmen und die bei ihnen eine Wirkung auslöst. Der Härte der Differenzerfahrung wird nicht ausgewichen. Zu ihrer Beantwortung wird nicht auf Innerweltliches, sondern auf Gottes eschatologisches Eingreifen verwiesen; erst dieses in Gestalt der Verleihung der Seligkeit an die Verfolgten und in Form der Exekution des Gerichts an den Verfolgern vermag die Spannung zu lösen, indem es die Verachtung des Wortes und die Verfolgung als von Gott für eine Weile zugelassen, zuletzt aber grundsätzlich überwunden darstellt. Ein Kennzeichen der späteren Stephanus-Dramen ist, dass sie Ansätze zu der im Jesuitendrama voll ausgebildeten Figur des ‚Spieler-Zuschauers‘ entwickeln. Mittels dieser Figur versuchen die Verfasser nicht nur, den Abstand zwischen dem übergroßen Vorbild des Protagonisten und den gegenwärtigen ‚normalen‘ Zuschauern zu verringern. Vor allem führt diese Figur deren Fragen, insbesondere die nach der Differenzerfahrung, in die Handlung ein und vermittelt zugleich Antworten an das Publikum. Indem der ‚Spieler-Zuschauer‘ auf der Ebene der Zuschauer zu stehen kommt, kann er stärker als der Protagonist die Funktion der Identitätsstiftung erfüllen. Zugleich kann der Verfasser mit dieser Figur das Eintreten der vom Inhalt des Dramas erhofften Wirkung verifizieren. Erweist sich die Kernaussage



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des Stückes beim ‚Spieler-Zuschauer‘ als wahr, so wird sie sich auch in Bezug auf das Publikum als wirksam und tragfähig erweisen. Was die Stephanus-Dramen auszeichnet, ist ihre Binnenorientierung. Sie richten sich auf den eigenen kirchlichen Kontext. Zwar findet sich Polemik gegen die römische Kirche in einigen Stücken, am wenigsten bei Wild, kaum auch bei Neukirch, diese spielt aber in keiner Weise die Hauptrolle. Die Verfasser verfolgen nicht das Ziel, sich mit der römischen Kirche auseinander zu setzen oder diese als Verfolgerin der Protestanten zu brandmarken. Dieser Kontext ist am ehesten noch präsent in Wilds Drama. Im Übrigen werden die Verfolger der Stephanus-Geschichte durchweg als Verächter des Gotteswortes und damit auch der Prediger dieses Wortes charakterisiert. Diese Haltung aber wird von allen Dramatikern bis auf Wild in einem zweiten Schritt im eigenen Kirchentum wiedergefunden, mit dort begegnenden Einstellungen identifiziert. Mangelnde Beachtung des in der Predigt Gehörten, Verachtung der Prediger, mangelnde Unterstützung der Pfarrer, von Kirche und Schule, Immoralität, mit diesen Phänomenen werden die Verfolger des Stephanus gleichgesetzt.1931 Aus diesen Aussagen spricht eine tiefe Enttäuschung über die Wirkungen der evangelischen Predigt im engeren Sinne und der Reformation im weiteren Sinne. Die Predigthörer, die lutherischen Christen, denen wie bei Saxo durchaus konfessionelles Bewusstsein attestiert wird, sehen in dieser Sicht ihre protestantische Konfession nur als Vorwand für die Verwirklichung ihrer Freiheit. So kommt den Stephanus-Dramen die Funktion des Bußrufs und der Warnung an die der Verachtung des Gotteswortes und des Pfarrerstandes beschuldigten eigenen Gemeindeglieder zu. Stets wird in ihnen auch auf das Gericht rekurriert. Dem korrespondiert, dass die genannte Trostfunktion auf die Pfarrerschaft und die wenigen Frommen als Adressaten zielt. Ob ihrer Geringschätzung, ob der Verachtung ihrer Predigt soll ihnen Trost zugesprochen werden; ihr Wort, ihr Glaube, ihre Verkündigung bleibt nicht vergeblich, sondern wird von Gott angenommen und mit der Seligkeit belohnt. Ja, die Ablehnung des Gotteswortes in der Welt ist nicht Ausdruck einer eigenständigen Macht, sondern nur Aktivität der von Gott zeitweilig geduldeten gottfeindlichen Mächte – in allen Stephanus-Dramen tritt nicht zufällig der Teufel mit seinen ‚Mitarbeitern‘ auf1932 –, über die er aber bald im Gericht triumphieren wird. Aus den Dramen spricht somit apokalyptisches Denken mit einer starken Naherwartung.

1931 Damit ergibt sich ein gegenüber den früheren Täuferdramen verändertes Bild. Allerdings konnte schon Simon Gerengel in seiner Tragödie über Johannes den Täufer von 1553 im Epilog, S. 148,1706–1713 seinen Hörern ins Stammbuch schreiben: „Darumb jr Frawen vnd jr Mann Laßt euch Gots wort zu hertzen gan Haltet lieb vnd werd die Priester So euch verkünden raine lehr Wer sie auffnimpt der hÖret Got Wie Christus selb gesprochen hat Mathei am zehenden klar Findt mans geschriben offenbar.“ 1932 Dazu stimmt die Beobachtung Almut A. Meyers, Heilsgewißheit, S. 29, dass nach der Jahrhundertmitte in den Dramen die Teufel-Hierarchie wieder auftaucht. Bedingt ist dies durch den apokalyptischen Kontext.

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Besonders Zahns Haltung entspricht dem, was Hartmut Lehmann als ein Movens der Endzeiterwartung im Luthertum ausgemacht hat.1933 Die Stephanus-Dramen spiegeln mehr oder weniger die reformatorische Theologie wider. Auf der Rechtfertigungslehre liegt aber zumeist kein eigener Akzent; eine Ausnahme bildet in dieser Hinsicht Saxo, der offensichtlich in deren Vermittlung eines seiner Anliegen erkennt. Für die anderen Dramen bedeutet dieses Faktum aber keineswegs eine Revision der reformatorischen Lehre. Sie wird nicht in Frage gestellt, einzelne Topoi erscheinen. Polemik gegen die Reformierten findet sich keine. Während diese Front überhaupt nicht präsent ist, erscheint hingegen in fast allen Stücken ein latenter oder offener Antijudaismus. Es verhält sich nicht so, dass auf diese Bedeutungsebene zu Gunsten der Kontroverse mit der römischen Kirche völlig verzichtet würde. Dies variiert aber von Autor zu Autor, was deutlich zeigt, dass den individuellen Interessen der Autoren in ihrem dramatischen Wirken eine ganz erhebliche Bedeutung zukommt. Ist dies bereits prima facie in den Dramen von Wild mit seinen bibeldidaktischen und juristischen Vorlieben und Neukirch mit seinem Interesse an der Historie dokumentiert, so gilt generell für die Stephanus-Dramen, dass sie Ausdruck des Bedürfnisses eines angefochtenen Pfarrer- und Lehrerstandes nach Trost sind. Damit aber eröffnet sich ein vertiefter Blick auf die protestantischen Dramen überhaupt, der in den individuellen und standesmäßigen Noten sogar eines ihrer wesentliches Kennzeichen erkennt.

1933 Hartmut Lehmann, Endzeiterwartung, S. 549: „Gott sei der unbotmäßigen, sündigen Menschheit überdrüssig ... Mit der Reformation habe er allen, die begreifen und sich bekehren wollten, das Licht des wahren Evangeliums aufs neue gezeigt, ohne daß aber Sünde und Unglauben aufgehört hätten. In seiner unermesslichen Güte warne Gott die Menschen durch zahlreiche Kometen, er strafe sie auch durch Unwetter und Krieg und besonders durch die Türken. Gottes Geduld währe aber nicht ewig. Wer sündige, könne sich nicht darauf verlassen, daß Gott das Endgericht immer wieder hinausschiebe, im Gegenteil: Die große Not der eigenen Zeit könne nur als Teil des Endzeitgeschehens richtig verstanden werden.“

III. Die Gestalt Martin Luthers in protestantischen Dramen des konfessionellen Zeitalters Das protestantische Lutherbild des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts ist in der Forschung schon längere Zeit thematisiert worden. Dabei wurden zahlreiche Schriften, in denen sich die Verfasser, zumeist Theologen, über Luthers Person und Werk äußerten, untersucht, und wichtige Faktoren für die Ausprägung eines Lutherbildes herausgearbeitet. Auf diese Weise wurden Grundzüge eines Lutherbildes erhoben, die in erstaunlicher Kontinuität von der Zeit unmittelbar nach Luthers Tod bis über das Reformationsjubiläum 1617 hinaus vorherrschten.1934 Die Ergebnisse seien hier kurz zusammengefasst. Von erheblicher Bedeutung für die Ausprägung eines Lutherbildes waren die nach dem Tod des Reformators gehaltenen Leichenpredigten. Großen Einfluss hatte etwa die Predigt Bugenhagens, der Luther einen Propheten nannte und ihn mit dem Engel aus Apk 14 gleichsetzte.1935 Die erste Lebensbeschreibung Luthers erfolgte durch seinen Schüler Ludwig Rabus in den fünfziger Jahren. Darin wird der Reformator bereits ‚Prophet der deutschen Nation‘ genannt; er gilt als Zeuge des Evangeliums vor Cajetan in Augsburg und vor dem Kaiser in Worms.1936 Prägend für lange Zeit wirkte die 1566 erschienene, in Predigtform gehaltene vollständige Luther-Biographie des Johannes Mathesius, der ebenfalls noch bei Luther studiert und zeitweise bei ihm gewohnt hatte. Mathesius, der eine chronologische Vorgehensweise wählte, wertete Luther als Werkzeug Gottes, durch den das Wort Gottes in die Geschichte einbrach; entsprechend sei sein Auftreten schon von Hus und anderen geweissagt worden.1937 Gott habe ihn als deutschen Propheten zur letzten Zeit gesendet.1938 Seine Lehre wird mit Got1934 Zu Ansätzen Luthers selbst, in seinen späteren Jahren auf sein Bild einzuwirken, vgl. Eike Wolgast, Biographie als Autoritätsstiftung: Die ersten evangelischen Lutherbiographien, in: Walter Berschin (Hrg.), Biographie zwischen Renaissance und Barock. Zwölf Studien, Heidelberg 1993, S. 42–51. 1935 Vgl. Johannes Bugenhagen, Aus der Leichenpredigt auf Luther, Wittenberg, 22. Februar 1546, nach Ernst Walter Zeeden, Martin Luther und die Reformation im Urteil des deutschen Luthertums. II. Band: Dokumente zur inneren Entwicklung des deutschen Protestantismus von Luthers Tode bis zum Beginn der Goethezeit, Freiburg 1952, S. 15. Robert Kolb, Die Umgestaltung und theologische Bedeutung des Lutherbildes im späten 16. Jahrhundert, in: Rublack (Hrg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland, S. 203 Anm. 5, notiert, dass Luther schon im Jahre 1522 in einem Lied von Michael Stiefel als Engel der Apokalypse bezeichnet wurde. 1936 Vgl. Kolb, a.a.O., S. 204. 1937 Vgl. Kolb, a.a.O., S. 204f.; vgl. Ernst Walter Zeeden, Martin Luther im Urteil des deutschen Luthertums. Studien zum Selbstverständnis des lutherischen Protestantismus von Luthers Tode bis zum Beginn der Goethezeit, I. Band: Darstellung, Freiburg 1950, S. 41. 1938 Vgl. Zeeden, a.a.O. Vgl. die Belege aus: Mathesius, Historien / Von des Ehrwirdigen in Gott Seligen thewren Manns Gottes / Doctoris Martini Luthers / anfang / lehr / leben und sterben ..., Nürnberg 1566, hier zitiert nach Zeeden, a.a.O., Bd. 2, S. 20. 21. 26. Vgl. ferner Wolgast, Biographie, S. 64.

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tes Wort gleichgesetzt.1939 Dass ihm, obwohl er viel Widerstand erfahren habe, kein Haar gekrümmt worden sei, bestätige, dass sein Werk ein göttliches gewesen sei.1940 Drei Jahrhunderte bildete Mathesius die Hauptquelle für alle weiteren biographischen Werke über Luther.1941 Bedeutsam waren neben Mathesius die in den sechziger und frühen siebziger Jahren entstandenen, größtenteils noch nicht von diesem beeinflussten Lutherpredigten des Lutherschülers Cyriakus Spangenberg, „... die zwar nicht Luthers Lebensweg verfolgten, ... sondern statt dessen Luther darstellten als ‚... treuen Haushalter, geistlichen Ritter, Prophet, Elias,1942 Apostel, Paulus, Evangelist und Johannes, Theologe, Engel des Herrn, Märtyrer Christi, Pilger Gottes, Jakob und Priester‘.“1943 Spangenberg kann ihn auch den ‚letzten Elia‘ nennen.1944 Er stellt seinen Mut und sein Gottvertrauen heraus.1945 Auffallend ist, dass gerade diejenigen, die noch persönliche Eindrücke von Luther hatten, seine Monumentalisierung betrieben. In der Folgezeit entstanden weitere biographische Werke, die insbesondere als Antwort auf katholische Angriffe gedacht waren. Als Beispiel sei Anton Probus, Pfarrer in Eisleben, genannt, der 1583 Luthers Standhaftigkeit im Bekennen des Glaubens sowie seine Gaben, Gewissen zu trösten, die Schrift auszulegen und Wunder und Prophezeiungen zu tätigen, hervorhob.1946 Nach Robert Kolb trat in den 1580er Jahren in der lutherische Auffassung des Reformators insofern eine Änderung ein, als durch das Erscheinen des Konkordienbuches nunmehr den Bekenntnisschriften der Status einer norma normata zukam und nicht mehr Luthers theologischen Äußerungen als solchen; das Lutherbild selbst sei dabei aber unverändert geblieben.1947 Auch der apokalyptische Rahmen der Sicht Luthers als einer Gestalt der kurz vor ihrem Ende stehenden Heilsgeschichte, die als solche folgerichtig in der Schrift selbst angekündigt werde, sei beibehalten worden. In der Tat wurde der Reformator auch zu Beginn des 17. Jahrhunderts und beim Reformationsjubiläum noch als 1939 Vgl. Zeeden, a.a.O. Bd. 1, S. 42. 1940 Vgl. Mathesius, nach Zeeden, a.a.O. Bd. 2, S. 32. 1941 Vgl. Kolb, a.a.O., S. 205; vgl. S. 208. 1942 Nach Kolb, a.a.O., S. 203 Anm. 4, taucht die Bezeichnung Luthers als Elia schon 1519/20 in Schweizer Humanistenkreisen auf. 1943 Kolb, a.a.O., S. 205. Spangenbergs Werk war dabei motiviert durch seine gnesio-lutherische Position, die ihn Luther als Zeugen anführen ließ; vgl. a.a.O., S.207f. Vgl. ferner Wolgast, Biographie, S. 66ff, der den panegyrischen Charakter der Predigten hervorhebt und deren Wirkung für eher gering erachtet. 1944 Vgl. Spangenberg, Cithara Lutheri. Teil II, Mühlhausen 1571, nach Zeeden, a.a.O., Bd. 2, S. 50. 1945 Vgl. a.a.O., S. 56. 1946 Vgl. Kolb, a.a.O., S. 209. 1947 Als Beispiel nennt Kolb, a.a.O., S. 212f., zwei biographische Reden Nikolaus Selneckers aus dem Jahre 1574 und 1590, die, gegen die ‚Kryptocalvinisten‘ gerichtet, Luther als Elia und Mose der letzten Zeit apostrophieren. Dabei erscheint 1590 nicht mehr die Aussage von 1574: Die Lutheraner verwerfen alles, was mit Luther nicht übereinstimmt, da er beständig zum Wort Jesu führt, ihm also höchste Autorität nach der Schrift zuzubilligen ist.



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dritter Elia1948 aufgefasst, als die Schrift restituierender Prophet1949 und als der Engel der Apokalypse1950. Als sein Hauptwerk galt die Wiederherstellung der Autorität der Bibel.1951 Der Vorabend des Dreißigjährigen Krieges mit seinen wachsenden Spannungen führte zu einer weiteren Verstärkung der Zeichnung des Papsttums als Antichrist, die mit der Sicht Luthers als des Befreiers der Kirche, als neuem Mose korrelierte.1952 Ein Novum in der Lutherdeutung des Reformationsjubiläums bildete die Behauptung einer unmittelbaren Berufung des Reformators durch Gott, die von etlichen Predigern vertreten wurde, die allerdings Johann Gerhard in seiner Jubiläumsdisputation über die legitima vocatio Lutheri ad ministerium et reformationem ausdrücklich verwarf.1953 Einem Mathesius lag dies schon deshalb fern, weil er in Auseinandersetzungen mit Täufern stand; ein Konflikt, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts stark in den Hintergrund getreten war.1954 Blieb das Lutherbild materialiter weitgehend stabil, so ist Kolb doch der Auffassung, Luthers Stellung habe sich von einer autoritativen zu einer historischen reduziert, wiewohl er eine Person von hohem symbolischen Wert geblieben sei.1955 Insofern spricht er für das Lutherbild von einer Verfestigung und Erstarrung: Die für Luther gängigen Bezeichnungen ‚Prophet‘ und ‚Apostel‘ seien infolge der Kanonisierung der Bekenntnisschriften erstarrt und zu Titeln mit beschränkter Funktion geworden.1956 Das so von der Forschung eruierte Lutherbild der Zeit von Luthers Tod bis zum Reformationsjubiläum entstammt zumeist Predigten. Daneben sind es polemische Schriften, Reden oder Flugschriften, die den Lebenslauf und das Werk des Reformators in konfessionellen Auseinandersetzungen mit katholischen oder reformierten Theologen argumentativ verwerten, die als Quelle genutzt wurden. An nichtschriftlichen Quellen wurden ferner die zeitgenössischen Luther-Porträts untersucht, anhand derer ein Weiterwirken von Zügen der Heiligenverehrung im Protestantismus statuiert wurde.1957 1948 Vgl. Kolb, a.a.O., S. 214, für den sächsischen Oberhofprediger Hoë von Hoënegg, und HansJürgen Schönstädt, Antichrist, Weltheilsgeschehen und Gottes Werkzeug. Römische Kirche, Reformation und Luther im Spiegel des Reformationsjubiläums (VIEG 88), Wiesbaden 1978, S. 265ff. 1949 Vgl. Schönstädt, a.a.O., S. 268. 1950 Vgl. Kolb, a.a.O., S. 214 (für Hoënegg), und Schönstädt, a.a.O., S. 254ff. 1951 Vgl. Schönstädt, a.a.O., S. 269ff. 1952 Vgl. Kolb, a.a.O., S. 214f., und Thomas Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur, Tübingen 1998, S. 22. – Schon Mathesius parallelisierte aber Luther mit Mose und entsprechend Melanchthon mit Aaron; vgl. Wolgast, Biographie, S. 64f. 1953 Vgl. Kolb, a.a.O., S. 215. 1954 Vgl. ebd. 1955 Vgl. a.a.O., S. 231. 1956 Vgl. a.a.O., S. 203. 1957 Diese Frage hat sich Robert W. Scribner, „Incombustible Luther“: The Image of the Reformer in Early Modern Germany, Past and Present 110 (1986), S. 38–68, angenommen, der besonders das

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Kaum zur Kenntnis genommen wurden in der Forschung aber die protestantischen Lutherdramen des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts. Dies ist erstaunlich, wäre es doch denkbar, dass diese Texte noch wichtiges Material bieten, das eine genauere Erfassung des Lutherbildes der Epoche in protestantischer Theologie und Kirche, aber auch – infolge möglicher Rezeption volkstümlicher Sichtweisen – in der Bevölkerung generell ermöglichen könnte. Kolb erklärt in seinem Vortrag lediglich: „Am Ende des 16. Jahrhunderts wurde Luthers Geschichte sogar Thema von ‚Dramen‘, die hauptsächlich zu erbaulichem Gebrauch in Schulen bestimmt waren. Basierend auf Standardquellen wie Mathesius und Sleidanus, lieferten diese Dramen, die sich oft am ersten Lutherdrama des Schullehrers Andreas Hartmann orientieren, einen Überblick über Luthers Leben von freilich jeweils variierender Genauigkeit, und verankerten so das Zeugnis von Luthers göttlicher Berufung zum Engel der Apokalypse, dritten Elia usw.“1958

Sind diese Aussagen keineswegs falsch, so erscheint es doch notwendig, sie anhand der Quellen mit Inhalt zu füllen. Vor allem aber kann mit ihnen ein Beitrag zur Verifikation oder Falsifikation von Kolbs Thesen einer Erstarrung des Lutherbildes und einer Reduktion der Autorität Luthers zu Gunsten derjenigen der Konkordienformel bzw. der Bekenntnisschriften geleistet werden. Zunächst sei aber dargelegt, was hier unter protestantischen Lutherdramen verstanden wird. Zwar entstanden schon in der Frühzeit der Reformation dramatische Dichtungen, in denen die Person Luthers auftrat, diese tragen jedoch mehr den Charakter von Kampfschriften.1959 Sie nehmen nicht wirklich auf Luthers Vita Bezug und lassen nur nacheinander verschiedene Personen auftreten, die der alten Kirche den Todesstoß versetzen. Über ihre Aufführungen gibt es nur legendarische Notizen, die selbst antirömischer Polemik entstamPhänomen der Berichte wundersamer Errettungen von Luther-Porträts in Feuersbrünsten analysiert. 1958 Kolb, a.a.O., S. 215. Hartmann wirkte freilich nicht als Schullehrer, dazu s.u. S. 673. – Zu dem als Chronist der Reformation wirkenden Sleidanus vgl. Hellmut Zschoch, Art. ‚Sleidanus, Johannes‘, RGG4 7, Sp. 1398, und Alexandra Kess, Art. ‚Sleidanus, Johannes‘, BBKL XXV, Sp. 1326–1333. 1959 Zu diesen Spielen vgl. Hugo Holstein, Die Reformation im Spiegelbilde der dramatischen Litteratur [!] des sechzehnten Jahrhundert, Halle 1886 (SVRG 14/15), S. 175f. (‚Kögelspiel‘ von 1522), S. 193–196 (Pariser Reformationsspiel von 1524) und S. 196f. (Augsburger Reformationspantomime von 1530 vor Karl V.); vgl. Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 42f., und ders., Forschungsbericht, S. 70, zur Augsburger Reformationspantomime, die Michael für ein Phantasiegebilde hält, und S. 136f. zum Pariser Reformationsspiel, das wohl eher eine Flugschrift war, jedenfalls nicht aufgeführt worden ist. – Zu dem 1545 erschienenen anonymen Stück ‚Radtschlag des allerheiligsten Bapsts Pauli des Dritten, Mit dem Collegium Cardinalium gehalten, wie das angesetzte Concilium zu Trient‘, in dem Luther am Ende kritisiert wird, vgl. Michael, a.a.O., S. 79.



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men. In der Folgezeit, etwa in Naogeorgs ‚Pammachius‘ von 1538 oder zuvor in Waldis’ ‚Parabel vom Verlorenen Sohn‘ von 1527, wird Luthers Auftreten zwar reflektiert, er selbst tritt aber als Gestalt nicht in Erscheinung.1960 Die eigentlichen Lutherdramen, Dramen, in denen Luther als wirkliche Figur erscheint, wurden abgesehen von einer Ausnahme, in der aber nicht der lebendige Luther Darstellung findet, erst längere Zeit nach seinem Tod verfasst.1961 Almut A. Meyer stellt für das spätere 16. Jahrhundert fest: „Aus dem Bewußtsein heraus, daß die Wiedergewinnung der evangelischen Wahrheit ein Ereignis der Vergangenheit ist, auf das man sich zurückschauend beruft, entstanden die Luther- und Reformationsdramen in den folgenden Jahrzehnten“1962 Die Lutherdramen, die ab 1580, also eine Generation nach Luthers Tod und dann besonders zum Jubiläum des Thesenanschlags 1617 geschrieben wurden, betrauern deutlich die Abwesenheit der Person Luthers und bilden den Versuch, an ihn und sein Werk zu erinnern, um sich desselben zu vergewissern. Wie das erste Lutherdrama zeigt, sind die Dramen von Anfang an Teil einer Erinnerungskultur, die Jubliläen der Reformation zum Anlass nimmt, seiner Person zu gedenken: Nicodemus Frischlins ‚Phasma‘ wurde 1580 zum fünfzigsten Jahrestag der Confessio Augustana aufgeführt. 1592 wurde es posthum zu dem, wie es im Titel heißt, fünfundsiebzigsten Jahr der „Enthüllung des Antichristen“ veröffentlicht.1963 Als Lutherdramen sollen hier also solche Dramen verstanden werden, in denen die Gestalt Luthers auftritt und in irgendeiner, u.U. aber sehr entfernten Weise Bezug auf die Vita Luthers genommen wird. 1960 Vgl. Almut A. Meyer, Heilsgewißheit, S. 212 Anm. 52. Zur Berücksichtigung Luthers in Waldis’ Drama – dort klagt der Wirt in Akt I,2 (ed. Berger, S. 160f.) über die Folgen seines Wirkens: seit Luther die Mönche aus dem Kloster treibe, gehe es mit den Bordellen bergab –, vgl. Gustav Adolf Erdmann, Die Lutherfestspiele, Wittenberg 1888, S. 13. Zum Verweis auf Luther in Krügers ‚Eine schöne und lustige neue Aktion‘, vgl. Erdmann, a.a.O., S. 18f. 1961 Die Ausnahme bildet das niederdeutsche ‚Spiel vom Interim‘ von Liborius Hoppe aus dem Jahre 1548, das Wolfgang Stammler, Von der Mystik zum Barock. 1400–1600, Stuttgart 19502, S. 365f., erwähnt. In diesem bittet Luther nach den Propheten und Aposteln für die Kirche. Vgl. dazu auch Helmut De Boor – Richard Newald (Hrg.), Geschichte der deutschen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 4: Hans Rupprich, Die deutsche Literatur vom späten Mittelalter bis zum Barock. Zweiter Teil: Das Zeitalter der Reformation 1520–1570, München 1973, S. 324. Ohne Zweifel bietet diese Darstellungsform die Wahrnehmung Luthers als eines Heiligen. 1962 Meyer, a.a.O., S. 212. 1963 S. das Titelblatt: PHASMA: Hoc est; COMOEDIA POSTHVMA, NOVA ET SACRA: DE VARIIS HAERESIBVS ET HAERESIARCHIS, QVI CVM LVCE renascentis per DEI gratiam Evangelij hisce novissimis temporibus extiterunt. AUCTORE NICODEMO FRISCHLINO, DOCTORE… IMPRESSVM IN IAZYGIBVS-METANASTIS, Anno CHRISTI-NATI 1592, Antichristi verò revelati 75. – Vgl. dazu Richard Erich Schade, Komödie und Konfession: Eine Dokumentation zu Frischlins Phasma (1592), Euphorion 86 (1992), S. 296. Im Folgenden wird die kritische Edition von Phasma im Rahmen der Frischlin-Gesamtausgabe benutzt: Nicodemus Frischlin, Sämtliche Werke. Dritter Band Dramen III 2. Teil: Phasma, hrg. und übers. v. David H. Price. Deutsche Übersetzung unter Mitarbeit v. Volkhard Wels und Walter D. Wetzels, Stuttgart – Bad Cannstatt 2007.

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Bei diesen Dramen ist nämlich zu unterscheiden zwischen 1) solchen, die den Lebenslauf des Wittenberger Reformators oder eine bestimmte Phase oder ein Ereignis darin gewissermaßen historisch nachzuzeichnen versuchen und so einen Abschnitt seines Lebens der Dramatisierung zugrunde legen, wobei dies durchaus frei gestaltet werden kann, und 2) solchen, die einen anderen Stoff, sei es (a) einen vorgegebenen, u.U. legendarischen oder (b) einen vom Autor selbst geschaffenen Stoff, zur Grundlage haben, der in einem zweiten Schritt mit der Person Luthers und mehr oder weniger, manchmal nur andeutungsweise mit seinem Lebenslauf in der Weise in Verbindung gesetzt wird, dass dem Reformator der Hauptpart zugeteilt wird. Alle drei Formen von Dramen, die nicht immer rein auftreten, werden im Folgenden dem Begriff ‚Lutherdramen‘ subsumiert. Damit wird in dieser Studie ein weiterer Begriff von Lutherdramen vertreten, der über den von Erdmann favorisierten engen Begriff, nach dem ein Lutherdrama das Leben des Reformators als dramatischen Vorwurf nimmt, hinausgeht.1964 Ein solcher Ausschluss ist aber fragwürdig, versperrt er doch möglicherweise, ja wahrscheinlich, die Kenntnisnahme von Perspektiven auf die Person Luthers, die im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert relevant waren. Auch bei Zugrundelegung eines fiktionalen Stoffes wird deutlich, infolge der größeren Freiheit von der Historie möglicherweise sogar deutlicher als in ‚historischen‘ Dramen, wie ein Autor Person und Werk des Reformators wahrnahm und einordnete. Von den anderen in dieser Studie bearbeiteten Dramen heben sich die Lutherdramen deutlich ab, nicht nur durch die Tatsache, dass es keine biblischen Dramen sind, vor allem geht es in ihnen ausschließlich um eine Person, und zwar eine Person der jüngeren Vergangenheit, der aber erhebliche Bedeutung für die kirchliche und theologische Gegenwart der Autoren zukommt. Dies spiegelt sich auch in der Untersuchung. In ihr soll besonders der Frage nachgegangen werden, was für ein Lutherbild die Dramen zu überliefern suchen und ob dieses Bild mit den von der Forschung bislang eruierten Eckpunkten des Lutherbildes der Zeit grundsätzlich übereinstimmt oder ob neue Züge hinzutreten. Zu berücksichtigen ist dabei die Frage nach dem Beitrag des Mediums ‚Drama‘, die Frage, ob im Lutherbild der Dramen durch das Medium Drama bedingte Spezifika zu beobachten sind. Bei der Analyse der Stücke sollen die Aspekte der Persönlichkeit Luthers, seines Werkes und seiner Funktion für die Gegenwart betrachtet werden. Dementsprechend wird hier nach Vorstellung von Autor und Drama zum ersten nach der in den Dramen erfassbaren Persönlichkeit Luthers gefragt, danach, wie diese beschrieben wird. Zum zweiten wird gefragt nach dem Werk Luthers: Als was wird Luther in den Dramen geschildert? Worin sieht man den Schwerpunkt seines Wirkens, was gilt als seine Leistung, sein Hauptwerk? Zu diesem Komplex gehört damit auch die Frage nach der Wiedergabe der reformatorischen Lehre. Zum dritten ist der Zweck der Abfassung eines Lutherdramas mit einzubeziehen: Wozu 1964 Vgl. Erdmann, Lutherfestspiele, S. 24. Aufgrund seines Begriffs setzen die ‚eigentlichen‘ Lutherdramen erst mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts ein; die bis dahin auf Luther eingehenden Dramen hätten sich nur mit seiner theologischen Wirksamkeit befasst und nur wenige „Episoden aus seinem bürgerlichen Leben“ berücksichtigt (ebd.).



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brauchte man Luther in der aktuellen Situation, welche Funktion für seine Gestalt sieht man in Hinsicht auf die jeweilige Gegenwart? Insofern der Gegenstand der Lutherdramen eine die damalige Gegenwart betreffende und durch das Reformationswerk prägende Person ist, ist in diesem Genus der Aspekt der Aktualisierung dieser Person dominant. Das bedeutet, dass die Intention dieser Dramen aufs engste mit der Gegenwartsbedeutung dieser Person verbunden ist. Darin unterscheidet sich diese Art der Dramen von den anderen in dieser Studie untersuchten Dramenarten. Dies rechtfertigt ein etwas anderes Vorgehen als bei der Analyse der biblischen Dramen: Die Frage nach der im Drama erkennbaren Intention als Frage danach, zu welchem Zweck in der Gegenwart laut diesem Drama die Person Luthers gebraucht wurde, wird sinnvoll erst nach der Untersuchung der Darbietung von Person und Werk Luthers im jeweiligen Stück thematisiert. Darum soll der Frage nach der Intention, im Gegensatz zu der bei den Abraham- und Stephanus-Dramen gewählten Vorgehensweise, erst am Schluss der Interpretation nachgegangen werden. Da eine ausführliche Analyse aller Lutherdramen zu weit führen würde, sollen hier drei sehr unterschiedliche Lutherdramen, von denen jedes einen der drei oben erkannten Typen von Lutherdramen repräsentiert, näher untersucht werden. Es handelt sich um die Dramen: 1) Papista conversus des Lüneburger Superintendenten Friedrich Dedekind aus dem Jahre 1596, 2) Erster Theil, des Curriculi vitae Lutheri des Kanzleisekretärs Andreas Hartmann aus dem Jahre 1600, veröffentlicht 1601, und 3) Der Eislebische Christliche Ritter des auch als Liederdichter wirkenden Predigers und Archidiaconus Martin Rinckart von 1613. In zwei dieser drei Dramen steht Luther explizit im Mittelpunkt, in Dedekinds Stück spielt er zwar nicht die Hauptrolle, aber doch die tragende Rolle im Hintergrund. Hartmanns Drama gehört dem ersten Typus (1) an, es zeichnet einen Abschnitt aus Luthers Leben nach. Die beiden anderen stehen für den zweiten Typus, der andere Stoffe mit dem Reformator in Verbindung setzt, Rinckarts Drama für den einen legendarischen Stoff aufnehmenden Typ (2a), Dedekinds Drama für den, einen vom Autor selbst entwickelten Stoff verarbeitenden Typ (2b). Zuvor sei aber ein Überblick über die Lutherdramen, soweit bekannt, gegeben. Bei größerer Bedeutung und sich stellenden Interpretationsproblemen werden die Dramen ausführlicher vorgestellt. Vor dem Reformationsjubiläum wurden folgende Dramen verfasst: 1.) Im Jahre 1580 verfasste der Württemberger Nicodemus Frischlin1965 zum fünfzigsten Jubiläum der Confessio Augustana ein lateinisches Drama ‚Phasma‘ (‚Erscheinung‘),

1965 Frischlins bekannter Lebenslauf – das Attribut ‚bewegt‘ dürfte für diesen deutlich zu gering gegriffen sein, von der Art seines Todes ganz zu schweigen – soll hier nicht referiert werden. S. dazu Richard Erich Schade, Komödie und Konfession: Eine Dokumentation zu Frischlins Phasma (1592), Euphorion 86 (1992), S. 284–289; Ders., Philipp Nicodemus Frischlin, in: Füssel (Hrg.), Deutsche Dichter der frühen Neuzeit, S. 613–625.

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das in Tübingen und Stuttgart zur Fastnacht 1580 vor hohem Publikum aufgeführt wurde.1966 Das Drama1967 behandelt in fünf Akten die konfessionellen Streitigkeiten. Den Titel hat Frischlin einer verlorengegangenen Komödie des Menander entnommen, die bei Terenz und Donatus Erwähnung findet. Analog zu deren Handlung1968, wird bei Frischlin der Teufel zum nächtlich Erscheinenden, der, getroffen durch die ihm in der Reformation zugefügten Einbußen, verschiedenen Menschen Häresien einflößt, und zwar solche, die längst als Irrlehren verurteilt sind.1969 Frischlin benennt die Täufer und die Vertreter der Zürcher Abendmahlslehre – mit beiden Gruppen setzt sich im Drama Luther selbst auseinander –, ferner Schwenckfeld, aber auch die Altgläubigen. Letztere erscheinen in Gestalt Papst Pius IV. und zweier Bischöfe, des Kardinals Tommaso Campeggio und des päpstlichen Legaten, Stanislaus Hosius, eines Mönchs und einer Nonne sowie eines von dem im Mönchshabit auftretenden Satan für den Katholizismus zurückgewonnenen, sich zunächst skeptizistisch gebärdenden Bauern. Als Vertreter der rechten Lehre steht neben Luther Johannes Brenz, dieser sicher aufgrund seiner Bedeutung für den württembergischen Protestantismus.1970 Zeitlich spannt das Drama einen Bogen von der Zeit vor dem Marburger Religionsgespräch bis zur dritten Periode des Trienter Konzils im Jahre 1562/63. Die oben aufgestellte Typologie kommt hier an gewisse Grenzen, insofern einerseits der historische Ablauf zugrunde gelegt oder verarbeitet wird, andererseits aber eine fiktionale Handlung eingebaut ist. Hinzu kommt, dass Frischlin dies mit Elementen aus einer terenzischen Komödie verwebt. Das Drama stellt also eine Mischform aus allen drei Spezies dar. Luther tritt in den drei mittleren Akten, und zwar in fünf der insgesamt achtzehn Szenen auf. Im zweiten Akt bekämpft er die Täufer, repräsentiert von dem Bauern Meliboeus, der seine Frau Thestylis verlassen will, um nach Mähren zu gehen.1971 Die Auseinandersetzung kreist um die Themen Taufe, Ehe und Obrigkeit. Nach dem Weggang des Meliboeus unterstützt Luther dessen Frau bei der Wahrung ihrer Rechte.1972 Der dritte Akt handelt 1966 Vgl. Adalbert Elschenbroich, Imitatio und Disputatio in Nikodemus Frischlins Religionskomödie „Phasma“, S. 344. Zu Frischlins Werken und deren Ausgaben s. Thomas Wilhelmi – Friedrich Seck, Nikodemus Frischlin (1547–1590). Bibliographie, Leinfelden-Echterdingen 2004, S.  25–90. – An geistlichen Dramen schrieb Frischlin ferner eine ‚Rebecca‘ (1576) und eine ‚Susanna‘ (1578). 1967 Zu dem Drama vgl. Holstein, a.a.O., S. 229–231. 1968 Diese wird kurz referiert von Elschenbroich, a.a.O., S. 349f. – Veranlasst zu dem Titel wurde Frischlin möglicherweise durch die Erzählung eines Traumgesichtes durch Zwingli; vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 350f. 1969 Vgl. dazu und zum Folgenden den Prolog des Phasma, ed. Price, S. 6,5–8,69. 1970 Frischlins Frau Margarete war eine Enkelin von Brenz; vgl. Schade, Komödie und Konfession, S. 285. 1971 Vgl. Frischlin, Phasma, Akt II Szene 2, S. 40–80, bes. ab S. 48,383. 1972 Vgl. Akt II Szene 3, S. 82–86.



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von der Auseinandersetzung mit Karlstadt und Zwingli. Nach einem Vorgespräch Luthers mit Brenz kommt es zum Marburger Religionsgespräch mit den Kontrahenten.1973 Einer halbwegs freundlichen, von Verdächtigungen aber nicht freien Begrüßung folgend, stellt Luther die Kernfrage: „Utrum tu Cingli et Carolstadi Verè credatis, in coena Domini adesse corpus et sanguinem Christi, an secus?“1974 Zwinglis Antwort lautet: Leib und Blut Christi sind so weit vom Abendmahl entfernt, wie der höchste Punkt des Himmels vom tiefsten Punkt der Erde entfernt ist.1975 Luther hält dagegen: Christi Leib und Blut sind so nahe beim Abendmahl, wie sie näher nicht sein können.1976 Es folgt eine heftige Kontroverse, bei der sich die Gesprächspartner gegenseitig mit verschiedenen Ketzernamen der Kirchengeschichte belegen, Zwingli und Karlstadt auf die Unmöglichkeit der menschlichen Natur, an mehreren Orten zu sein, und auf die Vernunft verweisen, während Luther und Brenz ihren Kontrahenten vorwerfen, sie würden die Menschheit Christi gefangen setzen.1977 Brenz hebt auf die Notwendigkeit unbedingter Klarheit des Testaments Christi ab.1978 Nach wilden Beschimpfungen durch Zwingli und Karlstadt drängt Luther darauf, den Ort zu verlassen und die Fürsten über den wahren Charakter Zwinglis und Karlstadts zu unterrichten.1979 Betrachtet man die Redeanteile dieser Szene, ist festzustellen, dass Luther nicht vor den anderen Gesprächsteilnehmern liegt. In der letzten Szene des vierten Aktes tritt Luther noch einmal auf, um Brenz den Tod Karlstadts und Zwinglis mitzuteilen und von ihm einen Bericht vom Trienter Konzil entgegenzunehmen.1980 Luther bemerkt, kein Papist habe ihn so übel geschmäht wie Zwingli in einem Begleitbrief zu seiner ‚Exegesis‘. Zwingli und andere hätten ihn angefeindet, obwohl er der erste gewesen sei, der seinen Mund gegen Rom aufgetan habe. Er habe zuerst das Eis gebrochen, sie aber hätten den Preis davontragen wollen.1981 Aus diesen Worten spricht eine gewisse Verbitterung. Der Bericht vom Konzil wird nicht mehr vorgeführt, Brenz möchte ihn in dem von ihm angedeuteten Hause geben, worauf Luther ihn bittet ihm zu folgen. So endet die 1973 Vgl. Akt III Szene 3, S. 124–158. – Als Beteiligte lässt Frischlin nur Luther und Brenz – der in Marburg nur eine Nebenrolle spielte – auf der einen und Zwingli und Karlstadt – der Oekolampad ersetzt – auf der anderen Seite auftreten. 1974 A.a.O., S. 130,1040ff. 1975 A.a.O., S. 132,1047: „Dico igitur, quòd Christi corpus et sanguis tam longè à coena sacra Remota sint, quàm longè abest supremum coelum à terra infima.“ 1976 A.a.O., S. 132,1051f.: „Nam ego contra sic statuo: Christi corpus et sanguinem Tam propè adesse in coena, ut propius adesse non queat.“ 1977 Vgl. a.a.O., S. 138,1092–1103, die Rede Luthers, und das Votum Brenz’ S. 142,1124ff. 1978 Vgl. a.a.O., S. 142,1135–1141. 1979 Vgl. a.a.O., S. 156,1228ff.1236. 1980 Vgl. Akt IV Szene 4, S. 226–230. 1981 A.a.O., S. 228,1856–1863: „Paulò antè Exegesin ad me miserat [sc. Zwingli], Adiecta epistola, plena temeritatis et superbiae: Nihil est scelerum aut crudelitatis, cuius me non reum Agat: adeò ut nec Papistae me sic lacerent, ut illi amici Et fratres nostri: qui sine nobis et ante nos nihil penitus erant, Ac ne hiscere quidem audebant: nunc nostra inflati victoriâ In nos convertunt impetum. Hoc scilicet est gratias Agere: hoc est benè mereri apud homines.“

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Szene mit den auch übertragen zu verstehenden Worten Brenz’: „Ich folge“.1982 Im fünften Akt kündigt Christus dem Papst und seinen Klerikern sowie Zwingli, Karlstadt und Schwenckfeld, ferner dem täuferischen und dem römisch gewordenen Bauern ihre Verurteilung zur Hölle an. Luther und Brenz sollen auf den wiederkehrenden Christus warten, um von ihm zum Vater geführt zu werden.1983 Wie diese Handlungsabläufe zeigen, geht Frischlin zuweilen anachronistisch vor: So stellt sich die Frage, wann er Akt IV Szene 4 verortet sehen wollte, in der Luther Brenz von Karlstadts (1541) und Zwinglis (1531) Tod berichtet und zugleich von Brenz Informationen über die zweite Periode des Trienter Konzils, während derer eine württembergische Delegation die Versammlung besuchte, entgegennimmt – diese aber konnte er nicht mehr erleben, sie wurde 1551/52 abgehalten. Dies muss verwundern, will doch der Autor das Drama durchaus als historisches Drama verstanden wissen.1984 Es ist allerdings zu beachten, dass Frischlin das „Prinzip der Kontraktion historischer Abläufe“ verfolgt.1985 In theologischer Hinsicht wurde den in diesem Fach Unkundigen mit dem Stück einiges zugemutet. Höhepunkte in dieser Hinsicht ist zum einen die Szene, in der der Papst die Kanones des Trienter Konzils zur Rechtfertigungslehre verkünden lässt, zum andern die Darstellung des Marburger Religionsgesprächs, in der die Christologien des Nestorius und des Eutyches erläutert werden.1986 Neben Letzterem enthält das Drama weitere altkirchliche Reminiszenzen und Anspielungen auf ‚Häretiker‘ der alten und mittelalterlichen Kirchengeschichte. Zur rechten Erfassung des Dramas ist ein Blick auf seine Entstehungs- und Wirkungsgeschichte unumgänglich. Auffallend ist, dass Frischlin das Drama nach der Aufführung zurückhielt.1987 Adalbert Elschenbroich führt dies darauf zurück, dass Frischlin nicht massive Kritik seitens der akademischen Theologie heraufbeschwören wollte, die er befürchten musste, da er mit der Darstellung theologischer Disputationen, die er zudem zuvor mit den aufführenden Studenten im Rhetorikunterricht durchgespielt haben musste, seine Kompetenzen überschritten habe1988 – Hintergrund ist Elschenbroichs Erklärung der Genese des Dramas, das sich der Übung der imitatio verdanke, einer unter Heranziehung von exempla von den Rhetorikstudenten im Unterricht selbständig zu voll-

1982 A.a.O., S. 230,1875f.. Luther: „… eamus intrò. sequere me.“ – Brenz: „Sequor.“ 1983 Vgl. Akt V Szene 5, S. 318,2575ff. – In Akt V Szene 2 wird der Papst und sein Anhang von Christus verurteilt, in Szene 3 Karlstadt und Zwingli, in Szene 4 die Vertreter des Mönchtums, Franciscus und Brigitta, der Täufer Meliboeus und Schwenckfeld, in Szene 5 schließlich der skeptizistische und später zum katholischen Glauben konvertierte Bauer Menalcas. 1984 Schade, Komödie und Konfession, S. 300, spricht von Frischlins „Anspruch auf Geschichtlichkeit“. 1985 Elschenbroich, Imitatio, S. 358. 1986 Vgl. Akt IV Szene 3, S. 212,1736–216,1766; Akt III Szene 3, S. 136,1089; 138,1097. 1987 Vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 344. 1988 Vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 347–349. Als Hinweis dient ihm auch der Epilog (S. 328,2685), wo das Werk als Gemeinschaftsarbeit „der Studenten gantzen Orden“ vorgestellt wird.



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ziehenden Übung.1989 Könnte man gegen diesen Versuch der Deutung der Unterdrückung des Stückes durch seinen Autor geltend machen, dass dies in gewisser Weise für viele geistlichen Dramen gelten müsste, in denen von Nichttheologen theologische Fragen behandelt werden, so hebt sich Frischlins ‚Phasma‘ doch von den meisten geistlichen Dramen dadurch ab, dass in ihm tatsächlich schulmäßige theologische Disputationen auf die Bühne gebracht werden. Allerdings bleiben auch mit dieser Erklärung immer noch die Fragen, wieso Frischlin erstens ein solches Drama gerade vor einem auch Theologieprofessoren umfassenden Publikum überhaupt aufführen ließ und warum zweitens die Aufführung als solche keine Kritik provozierte. Lässt sich letzter Einwand noch halbwegs mit der Auskunft, dass die Aufführung zu Fastnacht stattfand, auflösen,1990 gelingt das bei ersterem nicht. Der Hinweis Elschenbroichs auf Frischlins Verteidigung geistlicher Dramen im Epilog ist nicht zureichend, da dort lediglich die zum Topos gewordene Kritik an der Dramatisierung geistlicher Inhalte und deren Widerlegung formuliert wird.1991 Nun zeigen die Ereignisse um Frischlins ersten Weggang aus Tübingen, dass man problematische Äußerungen seinerseits, hier die adelskritische ‚Oratio de vita rustica‘, durchaus passieren ließ, erst der Druck führte zu heftigem Widerstand, der mit der Demission Frischlins endete.1992 Erst 1592, zwei Jahre nach seinem Tod, wurde ‚Phasma‘ erstmals gedruckt. Die Veröffentlichung durch den anonymen Verleger erfolgte unter Angabe eines fiktiven Druckortes.1993 Möglich ist, dass das Verdikt über den beim württembergischen Herzog und Tübinger Professorenkollegen in Ungnade gefallenen und bei der Flucht aus der Haft in Hohenurach tödlich verunglückten Humanisten noch zu stark nachwirkte. Dies erklärt allerdings nicht, dass bereits 1593 das Drama unter Angabe des Verfassers in deutscher Übersetzung durch Arnold Glaser, der zu dieser Zeit in Rostock bei Lucas Bacmeister Theologie studierte,1994 in Greifswald erschien. 1606 gab Johannes Bertesius in Leip1989 Vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 337. Den Ausgangspunkt Elschenbroichs bildet die Frage, auf welche Weise akademische Unterrichtsmethoden Frischlin in seiner Abfassung von ‚Phasma‘ mitbestimmt haben; vgl. a.a.O., S. 335. 1990 Vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 349. 1991 Vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 347. Mit seinen Ausführungen im Epilog des Phasma, ed. Price, S.  336,2832–338,2796, steht Frischlin in völliger Übereinstimmung mit anderen Verfassern geistlicher Dramen, wie insbesondere der sich auf Luthers Bibelvorreden beziehende Hinweis auf Komödien zu Judith, Susanna und Tobias zeigt. 1992 Vgl. Richard E. Schade, Komödie und Konfession, S. 286. 1993 Zum vermutlichen Druckort Straßburg und zur Bedeutung der fiktiven Angabe ‚Iazyges Metanastae‘ s. Schade, Komödie und Konfession, S. 298. 1994 Phasma: Das ist: Ein newe / Geistliche / nachgehndig / Comoedie vnd Gesicht: von mancherley Ketzereyen / sampt deroselben Anfenger vnd Ertzketzern / so neben dem hellen Liecht des heiligen Euangelij auß Gottes Gnaden durch D. Mart. Luth. seliger gedechtnus wider auff die Bahn gebracht / zu diesen letzten zeiten herfÜr komen sind. Jm Latein: Von dem Hochgelarten vnd weitberÜmpten Herrn Nicodemo Frischlino Weiland / Doctoren / vnd vortrefflichem Redner vnd Philosophen/ (geb / wems leid sey) auch Pfaltzgraffen vnd Poeten / erstlich beschrieben /

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zig eine weitere deutsche Fassung des Dramas heraus.1995 Die Wirkungsgeschichte des Werkes in Gestalt der Übersetzungen zeigt, dass ‚Phasma‘ eindeutig als ein lutherischorthodoxes Dokument rezipiert wurde.1996 Literarisch-verlegerisch war das Stück überaus erfolgreich.1997 Dem steht die Geschichte des Originalwerkes in Württemberg gegenüber. Auch hier wurde Phasma zunächst als Zeugnis eines strengen Luthertums aufgefasst. Elschenbroich behauptet, dass nachdem der Verfasser in Ungnade gefallen war, in seinem Werk calvinistische Spuren entdeckt wurden, was Jörg Baur bestreitet.1998 Sollte es derartige Unterstellungen gegeben haben, wofür Elschenbroich in der Tat keinen Beleg bietet, so wären diese völlig haltlos gewesen.1999 Allerdings leistet der Verfasser gewollt oder ungewollt durch sein Drama dem konfessionellen Indifferentismus Vorschub. Immer wieder erklingt seitens der Bauern der Satz, es gebe so viele Sekten, man wisse nicht, woran man sich halten solle – eine Haltung, für die Frischlin, auch durch die Zeichnung einer bukolischen Szenerie, Sympathien erkennen lässt.2000 Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die dargestellten subtilen theologischen Streitigkeiten und die Unnachgiebigkeit, mit der diese ausgetragen werden. Elschenbroich hat ohne Zweifel Recht, wenn er Frischlins Stück etwas Zweideutiges attestiert und bemerkt, die Komödie gerate „... unversehens zu einer gegen Dogmenstreitigkeiten, Intoleranz und Verunglimpfung der Ketzer gerichteten Satire.“2001 Hinzu kommt die durch Pamphilus Gengenbach und Alles auß allerseits Schrifften vnd BekÄntnissen selbsten / wie auch auß GÖttlicher Schrifft grundt klÄrlich erwiesen vnd dargethan. Jtzundt aber dem Gemeinen Mann zu nutz / Lehre / Warnung vnd besserm vnterricht sich fÜr solche Ketzereyen zu hÜten /einfÄltig in deutsche Reime verfasset / Durch M. Arnoldvm Glasern / Othmar: Tuentium, der H. Schrifft Studiosum, Gryphiswalt / Gedruckt durch Augustin Ferber, 1593. – Zu Glaser vgl. Schade, Nicodemus Frischlins Phasma (1592), S. 526ff. 1995 Eine weitere anonyme Übersetzung wurde 1671 mit fiktiver Ortsangabe publiziert. 1996 Vgl. Richard Erich Schade, Nicodemus Frischlins Phasma (1592). Eine Dokumentation zu den Übersetzungen, in: Sabine Holtz – Dieter Mertens (Hgg.), Nicodemus Frischlin (1547–1590), Stuttgart – Bad Cannstatt 1999, S. 526; vgl. ferner Elschenbroich, Imitatio, S. 343f.: „Beide Übersetzer [sc. Glaser und Bertesius] faßten das Stück als nützliche und nötige Warnung eines strenggläubigen Lutheraners vor der Ketzerei in jeglicher Gestalt auf ...“ Ebenso äußert sich Jörg Baur, Nikodemus Frischlin und die schwäbische Orthodoxie, in: Holtz – Mertens (Hrgg.), Nicodemus Frischlin (1547–1590), S. 372 Anm. 22. 1997 Vgl. Schade, Komödie und Konfession, S. 299. 1998 Vgl. Adalbert Elschenbroich, Art. ‚Frischlin, Nicodemus‘, Literatur Lexikon 4, S. 38; Jörg Baur, Nikodemus Frischlin und die schwäbische Orthodoxie, S. 373 Anm. 22. 1999 Bereits im Prolog geißelt Frischlin Calvin, Viret und Beza als französische Vertreter der Irrlehre Karlstadts, Zwinglis und Ökolampads; vgl. ed. Price, S. 8,37–41. In Akt IV Szene 1, D, S. 186,1525ff, bekundet der Satan, mit Hilfe Bezas einen großen Krieg zu entfachen und das Volk zu einem Aufstand gegen seine Fürsten zu treiben. 2000 Elschenbroich, Imitatio, S. 353. 2001 Ebd.



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Niklaus Manuel beeinflusste Art der Vorführung der theologischen Auseinandersetzungen, die unweigerlich zu dem Schluss kommen lässt, die dogmatischen Kontroversen würden als Narrenrevue vorgeführt.2002 Elschenbroich gebührt das Verdienst, noch Drastischeres, wenn auch für die damaligen Hörer wohl kaum Erkennbares herausgearbeitet zu haben: Frischlin konzipiert – ohne dies auszuweisen – den im Rahmen des Marburger Religionsgesprächs gedachten Dialog zwischen Brenz und Zwingli über die Realpräsenz in wörtlicher Anlehnung an eine Szene der plautinischen Komödie ‚Amphitruo‘, in der der Sklave Sosia seinen Herrn Amphitruo davon in Kenntnis setzt, soeben an anderer Stelle seiner eigenen Person begegnet zu sein – nicht ahnend, dass der Gott Merkur sich in seine Gestalt verwandelt hat –, dass er also an zwei Orten gleichzeitig sein könne, worüber Amphitruo seinen Sklaven für betrunken oder krank erklärt.2003 Problematisch an der Wahl dieses exemplum ist bereits dessen Vorwurf, liegt doch dem Geschehen der Komödie die Verwandlung des Jupiter in Amphitruo zugrunde, der in Amphitruos Gestalt mit dessen Frau Alkmene sein Liebesverlangen zu stillen sucht. Wenn aber hier die Verwandlung eines heidnischen Gottes oder genauer, die nur aufgrund der Täuschung des Merkur zustande gekommene Wahrnehmung des Sosia als exemplum für die Realpräsenz Christi im Abendmahl herangezogen wird, gewinnt, so Elschenbroich, diese Art der imitatio den Charakter einer Parodie mit zudem doppelsinnigen Zügen.2004 All diese Beobachtungen bestätigen den Eindruck der Zweideutigkeit des Dramas. Dass diese Parallelen in der gedruckten Fassung leichter erkannt werden konnten, lässt es einsichtig werden, warum Frischlin das Werk zurückhielt.2005 Ein Problem dieser Deutung von Frischlins Drama stellt freilich dessen Schluss dar, wo es zur Verurteilung aller – vom lutherischen Standpunkt aus gesehenen – Ketzer im Endgericht kommt. Diese Partien sieht Elschenbroich gegenüber dem Vorhergehenden von weitgehender Intoleranz geprägt und damit als Frischlins Humanismus widersprechend.2006 Jedoch betrachtet er auch diese andersartigen Teile auf dem Hintergrund von Frischlins Praxis der imitatio, der allerdings am Schluss nicht mehr auf antike exempla, sondern auf das Vorbild der mittelalterlichen Weltgerichtsspiele und auf Naogeorgs ‚Pammachius‘ – diesen nunmehr überbietend, indem er den Vollzug des Gerichts auf die Bühne bringe – rekurriere.2007 Damit konstatiert Elschenbroich für das Drama freilich einen Bruch zwischen den Akten I bis III einerseits und IV – hier beginnt bereits die Darstellung der in das Gericht übergehenden Zeitgeschichte – und V andererseits. Wenn 2002 Vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 354. 2003 Plautus, Amphitruo, II, 1 561–579, Plauti Comoediae Vol. I, ed. Friedrich Leo, Berlin 1958, S. 25f. 2004 Vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 360f. 2005 Vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 362. – Die hier von Elschenbroich beigebrachten Belege für Zweideutigkeiten im ‚Phasma‘ finden bei Baur, a.a.O., leider keine Berücksichtigung. 2006 Vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 370. 2007 Vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 367–369.

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Elschenbroich zu seinem abschließenden Urteil gelangt, das Stück sei kein konfessionelles Lehrstück, es wolle Welttheater der Endzeit sein,2008 stellt sich die Frage, inwiefern dies eine ausschließende Alternative sein soll. Deutlich aber wird damit seine Auffassung, Frischlin wolle das Drama von dessen letztem Akt her gelesen wissen und suche die ersten Akte mit ihrer Kritik an der theologischen Zänkerei in gewisser Weise zu relativieren. Allerdings sind nominell auch die ersten drei Akte keineswegs von konfessioneller Toleranz geprägt. Und gerade wenn der Schlussakt das Vorzeichen für die Handlung der ersten Akte darstellt, liegt der Schluss Richard E. Schades nahe, dass das Drama ein konfessionelles Lehrstück und zugleich Welttheater der Endzeit sei.2009 Der Leser werde von Anfang an auf die religiöse Grundspannung im Drama – wahres Wort Gottes gegen häretische Lehre – und damit auf ein apokalyptisches Ende eingestimmt.2010 Zu bedenken ist ferner, dass – wie das Jesuitentheater mit seiner, in der frühen Phase starken antiprotestantischen Polemik belegt – später Humanismus und konfessionelle Intoleranz keine Gegensätze darstellen. So bleibt aber die Frage nach dem Stellenwert der Kritik Frischlins am konfessionellen Streit und damit nach seiner wirklichen Haltung. Offenbar sind im Stück zwei Ebenen zu unterscheiden. Vom reinen Wortlaut her lässt sich dem Verfasser in keiner Weise eine konfessionelle Devianz oder eine irgendwie geartete Kritik an der lutherischen Orthodoxie nachweisen. Sämtliche anderen Lehren außerhalb derjenigen Luthers werden als Resultat des teuflischen Phasma gewertet, als eingeflößt vom Satan. In diesem Sinne ist es richtig, wenn Baur feststellt, in diesem Drama habe „... Frischlin alles gesagt, was uns auch aus den theologischen Texten von Brenz und Andreä, Heerbrand, Theodor Schnepf und Lucas Osiander als geistige Gestalt der schwäbischen Renaissance-Orthodoxie vor Augen tritt.“2011 Auch in menschlicher Weise werden die Opponenten Luthers desavouiert. Der Täufer opponiert gegen den Ehestand und versagt in seiner Ehe. Zwingli und Karlstadt werden als Luther gegenüber illoyal dargestellt – sie bekunden vor den Altgläubigen, die Lutheraner hätten ihren Ursprung im Teufel2012 –; im Gespräch mit Luther und Brenz werden sie zutiefst ausfällig. Der Papst wird als Exempel von superbia gezeichnet, wenn er sich von Hosius als irdischer Gott präsentieren lässt.2013 Während Luther auf dieser Ebene durch seine Verwicklung in die Kämpfe vergrämt und auch ermüdet wirkt, hebt sich davon der einfache Bauer Corydon deutlich ab. Offensichtlich ist das Drama auf einer zweiten Ebene ein Plädoyer für einen einfachen Glau2008 Vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 370. 2009 Vgl. Schade, Komödie und Konfession, S. 291. 2010 Vgl. Schade, a.a.O., S. 294f. 2011 Baur, a.a.O., S. 383. Vgl. a.a.O., S. 387, wo er Frischlin als „Genossen und Mitstreiter der Tübinger Orthodoxie“ bezeichnet. 2012 Vgl. Frischlin, Phasma, Akt III Szene 2, ed. Price, S. 120,971f.. 2013 Akt IV Szene 3, S. 212,1718: „... Cùm sit terrestris quispiam Deus ...“ Etwas später (S. 212,1730) folgt die – ursprünglich aus dem Dictatus Papae Gregors VII. (PL 148, 408 B) stammende – Aussage, der Papst richte alles, dürfe aber von niemandem gerichtet werden.



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ben, wie ihn Corydon verkörpert. Als Ursache des Konfessionsstreits macht er Ehrgeiz namhaft.2014 Er selbst kehrt sich nicht an den Zank, will beim Glauben seiner Vorfahren bleiben, dem Glauben an Gott Vater, Sohn und Geist, wobei er Luthers Kleinen Katechismus aufnimmt, besonders die Erklärung des 3. Artikels.2015 Zugleich ist er aber der Auffassung, nicht einfach den jeweiligen Pfarrern zu folgen, sondern selbst die Lehre zu prüfen, Unwissenheit (ignorantia) entschuldige nicht.2016 Nachdem sich der Satan, der in Gestalt eines Franziskaners auftritt, einschaltet, verweist Corydon darauf, dass es auch ihm als Laien zukäme zu beten, mit Gottes Wort umzugehen und die Stimme des Hirten zu hören.2017 Auf die Frage des Satans, ob er Lutheraner sei, antwortet er: „Non sum haereticus, nam Christum pastorem sequor.“2018 Corydon vermeidet also bewusst die Bezeichnung ‚Lutheraner‘. Als Proprium seiner Religion legt er dar, an Christus selbst festzuhalten. Auf die weitere Frage, wie er es mit dem Stellvertreter Christi halte, bekennt er, auf Erden keine Herren seines Gewissens zu kennen.2019 So gut dies alles nach Luther klingt, so sehr kann es doch auch gegen das Wesen der Konfession und damit jede Konfession gewendet werden – auch gegen die in der Handlung und im Epilog als wahre Konfession bezeichnete lutherische. Als Empfehlung für das Eingehen in die Seligkeit wird schließlich am Ende den Zuhörerinnen und Zuhörern empfohlen, an Christus allein zu glauben, auf ihn zu hoffen, gegenseitige Liebe zu üben und sich fernzuhalten von Bosheiten, Hass, Hader, Zank, Neid.2020 Frischlin gibt so in seinen Kernaussagen eine einfache protestantische Religion zu erkennen, die erstens alle menschlichen Instanzen von sich weist und den einzelnen auf sein Gewissen verweist und der zweitens aller Konfessionshader, als dessen Ursache Hass und Neid erkannt wird, fern liegt. Dieser einfache Glaube bringt – im Gegensatz zu den sektiererischen Verirrungen – auch eine sittliche Verbesserung mit sich. Darin und in seinem Aufruf an die Glaubenden, die ignorantia zu überwinden, kommt Frischlins humanistischer Standpunkt zum Ausdruck. Auch wenn Baur beeindruckende Zeugnisse für die Einnahme einer orthodox-lutherischen Position durch Frischlin inner- wie außerhalb des Dramas präsentiert – er erwähnt Frischlins Einsatz 2014 Vgl. Akt I Szene 1, S. 18,140f.. 2015 Akt IV Szene 2, S. 192,1582–1587, äußert Corydon: „Nihil ad me istae controversiae, Nam patres mei docuerunt me, Patrem, Qui in coelis est, invocare: et credere in Deum Patrem, qui me creavit: Filium, qui me morte sua A peccatis meis redemit: et spiritum sanctum, qui me Sanctificat, et verbo suo rectè illuminat.“ 2016 Vgl. a.a.O., S. 192,1593–194,1612. 2017 Corydon, a.a.O., S. 196,1621ff: „Ah mi Franciscane, Deus nos aequè orare iussit: Et verbum suum colere, et vocem pastoris audire oves Voluit.“ 2018 A.a.O., S. 198,1625. – Richtig Baur, a.a.O., S. 384: „In der Gestalt des Bauern Corydon findet die ihre Unvertretbarkeit beanspruchende evangelische Subjektivität ihr Wort.“ Er verkennt aber die Sprengkraft dieser Haltung. 2019 Frischlin, a.a.O., S. 198,1630ff: „In his Terris nullos ego novi sanctissimos, nullos conscientiae Meae dominos, nullos in negotio fidei patres.“ 2020 Vgl. Akt V Szene 5, S. 320,2592ff.

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für Polykarp Leyser in Braunschweig im Jahre 1590, für Lucas Osiander im Streit mit Bezas Mitarbeiter Danaeus im Jahre 1580 und sein Engagement gegen die kryptocalvinistischen Tendenzen in Kursachsen unter Christian I. während seines Aufenthaltes in Wittenberg 1588 –2021, im Drama sind die Spuren einer Orthodoxie und konfessionellen Streit kritisch hinterfragenden Haltung nicht zu übersehen: die Haltung des Corydon, die schier endlose Abfolge der Streitereien, die diese zur Karikatur werden lassen, und schließlich die nur bei genauerem Hinsehen erkennbaren, auf verborgener Ebene liegenden parodistischen Elemente. Die beiden letzten Sachverhalte zusammen machen den Schluss einer letzten Unernsthaftigkeit des Verfassers im Drama wahrscheinlich. Jedenfalls eröffnen sie eine zweite Ebene, einen jenseits des Wortlautes liegenden Sinn, mit dem Frischlin gespielt haben könnte, für den er aber letztlich nicht angegriffen werden konnte, da der den Zugang zu dieser Ebene verschaffende Code aller erst ermittelt werden musste und der Literalsinn doch ganz anderes ausdrückte. Insofern ist es richtig, wenn Fidel Rädle von einer gelassenen Distanz Frischlins spricht, der in seinen Dramen „kein persönlich motiviertes, theologisch orientiertes Interesse an der konfessionellen Polemik“ verrate. Ihm sei es nicht um die Frage nach dem Rechtbehalten einer Konfession, sondern um die anthropologischen Aspekte und die humanen Effekte der Religion und Konfessionen gegangen, die er mit dem Auge der humanistisch geschulten Vernunft betrachte.2022 Dies dürfte die Sache treffen, wobei er, wie gesagt, diese Religion mit einer einfachen, unpolemischen Spielart lutherischer Religion übereinstimmend sieht. Deutlich ist, dass die Theologenzunft dabei nicht sonderlich gut wegkommt. Der Humanist nimmt hier die Position des einfachen Bauern, des einfältigen Mannes ein. Die ‚rabies theologorum‘, der Konfessionalismus an sich aber wird ad absurdum geführt. Wendet man sich von hier aus der Darstellung Luthers zu, so wundert es nicht, dass dieser in der Handlung als recht unversöhnlich gezeichnet wird. Nahezu ausschließlich wird er als in antiketzerischer Haltung befindlich dargestellt. Das Gespräch mit dem Täufer Meliboeus geht er sachlich und leidenschaftslos an.2023 In der Auseinandersetzung mit Zwingli formuliert er umgehend den status quaestionis und gibt das weitere Procedere vor,2024 während kurz zuvor noch Brenz seinem Wunsch Ausdruck verliehen hatte, mit den Gesprächspartnern zu einer Einigung zu kommen. Am Ende der Szene drängt Luther 2021 Vgl. Baur, a.a.O., S. 378ff. 2022 Vgl. Fidel Rädle, Frischlin und die Konfessionspolemik im lateinischen Drama des 16. Jahrhunderts, a.a.O., S. 521. 2023 Vgl. Schade, Komödie und Konfession, S. 307. 2024 Vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 358. Theologisch etwas ungenau definiert Elschenbroich (S. 359) die Irrlehre des Nestorius, die Zwingli erneuere, als Dyophysitismus. Der Dyophysitismus, die Zwei-Naturen-Lehre, war aber seit Chalkedon geltende Lehre in der abendländischen Kirche wie in der byzantinisch-orthodoxen Kirche; auch Luther hat diese Lehre nicht in Frage gestellt. Was Nestorius und später Zwingli vorgeworfen wurde, war vielmehr eine Trennung der beiden Naturen.



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unter Verweis auf das Verlassen des Bades, in dem der Gnostiker Kerinth zugegen war, durch Johannes,2025 zum Abbruch der Zusammenkunft. Er gibt den Ton an, während Brenz, dem die Aufgabe zukommt, die Verbindung zu den Fürsten zu halten, folgt.2026 Am Ende wirkt Luther in seiner Ehre gekränkt. Eine etwas andere Akzentsetzung lässt hingegen die Szene erkennen, in der Luther mit der von ihrem täuferischen Mann verlassenen Thestylis deren Lage bespricht. Hier wird der Reformator seelsorglich engagiert, getrieben von christlicher Liebe präsentiert. In der Kontroverse mit Zwingli wiederum zeigt er seine persönliche Verletzung. Ohne Zweifel entspricht diese Zeichnung Luthers der konfessionellen Zeit. Luther gilt – auch unterstützt durch das völlige Fehlen Melanchthons2027 – als unbestrittener Führer der Reformation, dem das Verdienst gebührt, der Wahrheit zum Durchbruch verholfen zu haben. Entsprechend wird er am Ende zur Seligkeit erhoben.2028 Zugleich wird aber deutlich, dass für Frischlin Luther als Mensch eine etwas ambivalente Gestalt darstellt, womit das Drama aus dem Rahmen der hier betrachteten ein wenig herausfällt. 2.) Durch den innerprotestantischen Streit motiviert ist das Stück von Zacharias Rivander (Bachmann; 1553–1593): Lutherus redivivus. Eine newe Comoedia Von der langen vnd ergerlichen Disputation bey der Lehre vom Abendmal / der so man Lutherisch vnd Calvinisch / So wol der andern / die man Philippisch vnd Flacianisch heist. Darinnen Historischer Bericht / wenn / von wem / vnd wie solch erbermlich wesen Anno 24. angefangen vnd gefüret worden biß zum ende des 92. Jahres (1593). Rivander wurde in Leisnig geboren.2029 Er studierte in Leipzig und Wittenberg und erlangte den theologischen Doktorgrad. 1575 wurde er Diakon in Borna, 1577 Pfarrer in Oberschlema und 1578 Diakon in Großsalza bei Magdeburg, dann in Luckenwalde. 1586 war er Pfarrer und Superattendent in Forst, 1592 in Bischofswerda. Er exponierte sich als scharfer Gegner des Kryptocalvinismus. Die damit verbundenen Auseinandersetzungen führten zu seiner Ermordung durch den Hauslehrer seiner Kinder mittels eines vergifteten Fisches. Für seinen ‚Lutherus redivivus‘, in dem Luther nach seinem Tod noch einmal aufersteht, um im 2025 Vgl. die Notiz bei Eusebius von Caesarea, Kirchengeschichte III 28,6, ed. Heinrich Kraft, Darmstadt 19893, S. 179. 2026 Vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 358. Eine eigenständige Rolle kommt Brenz nur in der Auseinandersetzung mit Schwenckfeld zu; vgl. dazu Baur, a.a.O., S. 390ff. Dies könnte motiviert sein durch Schwenckfelds Aufenthalt in und um Württemberg in seinen späteren Jahren. 2027 Zu der 1588 während seines Wittenberger Aufenthalts geübten Kritik Frischlins an der ängstlichen Haltung Melanchthons im Interim und zu der dort von ihm vorgenommenen Distanzierung von Luther und Melanchthon vgl. Baur, a.a.O., S. 381. 2028 Vgl. Akt V Szene 5, S. 318. 2029 Zu seiner Vita vgl. auch Sächsisches Pfarrerbuch. Die Parochien und Pfarrer der Ev.-luth. Landeskirche Sachsens (1539–1939), bearb. v. Reinhold Grünberg, II. Teil: Die Pfarrer der ev.-luth. Landeskirche Sachsen (1539–1939). 1. Abteilung, Freiberg 1940, S. 22. Hier finden sich allerdings um ein Jahr abweichende Lebensdaten (1554–1594).

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Abendmahlsstreit Ordnung zu schaffen und Melanchthon und seine Schüler vor die Wahl zu stellen, nahm er mehr als 300 Streitschriften zur Kenntnis.2030 Zahlreiche andere Werke stammen aus seiner Feder.2031 Das Stück repräsentiert den Typus 2b). 3.) Friedrich Dedekinds ‚Papista conversus‘ (1596) wird in Abschnitt 1. unten behandelt. 4.) Andreas Hartmanns ‚Erster Theil des Curriculi vitae Lutheri‘ (1600) ist Gegenstand von Abschnitt 2. unten. 5.) Luther und Melanchthon treten als Nicodemus und Philothaeus auf in dem in Leipzig 1606 erschienenen Drama ‚Vinea‘ über das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20) des seit 1598 im thüringischen Thamsbrück und später in seinem Heimatort Kammerforst als Rektor tätigen Johannes Bertesius auf. Bertesius verfasste mehrere geistliche Dramen: ‚Hiob‘, ‚Regulus‘ über die Heilung des Sohnes des Königlichen nach Joh 4, ‚Dina‘ aus Gen 24 und ‚Phasma‘, eine Übersetzung des Dramas von Frischlin.2032 Ebenso ist das Stück ‚Vinea‘ von Frischlins Phasma beeinflusst. Bereits die Namengebung (z.B. Thestylis) gemahnt an dieses Drama. Auch hier treten Täufer auf, die nach Mähren auswandern wollen. Luther und Melanchthon überzeugen Altgläubige, die nach Santiago de Compostela pilgern wollen, von der Nutzlosigkeit dieses Unternehmens und bewegen sie zur Arbeit im Weinberg. Das Drama entspricht dem Typus 2a). 6.) Martin Rinckarts ‚Der Eislebische Christliche Ritter‘ (1613) wird näher untersucht in Abschnitt 3. unten. Zum Reformationsjubiläum 1617 wurden die folgenden Dramen verfasst: 7.) Heinrich Hirtzwig, geboren 1587 in Langenhain bei Bad Nauheim, verstorben 1635 in Butzbach, der nach dem Studium der Theologie in Marburg und Gießen in Speyer und 2030 Vgl. W. Schöpff, Zacharias Rivander. Sein Leben und seine Komödie Lutherus redivivus. Mit kurzer Charakterisierung seiner übrigen Schriften, Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins zu Leisnig 13 (1908), S. 10. – Erdmann, Lutherfestspiele, S. 36, wertet Rivanders Drama – wie auch Frischlins ‚Phasma‘ – als Dialog über dogmatische Meinungsverschiedenheiten ab. 2031 Vgl. Reinhard Müller, Art. ‚Rivander (Bachmann), Zacharias‘, DL3 XIII, Sp. 88f. Dort werden als Werke aufgeführt: Thüringische Chronik (1581); Lupus excoriatus oder Schafspelz öffentlicher und heimlicher Calvinisten (1582); Promptuarium exemplorum das ist Historien- und neu Exempelbuch von Gottes erschrecklichem Zorn und Gerichte (1592); De arte amandi oder Freierbüchlein das ist Auslegung über Genesis 24 und 34 (1594); Passional in 42 Predigten (1601). Zu Rivanders wechselvollem Schicksal und seinem Werk vgl. auch Schöpff, a.a.O., S. 1–36, der als Werke noch einen ‚Bericht vom Cometen‘, eine ‚Heerpredigt widern Türken‘ (S. 5) sowie eine ‚Susanna‘ (S. 22) angibt. 2032 Zu Bertesius vgl. DL3 I, Sp. 454.



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seit 1615 als Rektor am Gymnasium in Frankfurt am Main wirkte, verfasste: LUTHERUS DRAMA M. HENRICI HIRTZVVIGII Gymnasii Moeno Francofurtani Rectoris, Megalandri Martini Lutheri Islebio Mansfeldii infinitos Circa ortum progreßumque repurgati à se Evangelij Labores ostendens. ANNO Jubilaeo Evangelico primo Qui est à nato Christo MDCXVII VVITEBERGÆ (1617). Im gleichen Jahr erschien eine weitere Ausgabe des Dramas in Frankfurt.2033 Das Personenverzeichnis des lateinischen Stückes weist 105 Rollen aus, wobei noch das Argumentum hinzukommt und manche Rollen wie die ‚Hispani‘ mehrere Spieler implizieren.2034 Hirtzwig schrieb auch ein theologisches Werk über die Verdammnis ‚De reprobatione ad aeternam damnationem. Disputatio theologica‘ 1607) und zwei weitere geistliche Dramen in lateinischer Sprache, ein Weihnachtsspiel ‚Jesulus. Comoedia sacra‘ (1613) und ein Drama ‚Balsasar‘ (1615).2035 Zu Balthasar Meisners ‚Philosophia sobria‘ steuerte er ein Epigramm bei.2036 Hirtzwigs Lutherdrama ist darin von besonderer Bedeutung, dass es Luthers Leben von seiner Berufung nach Wittenberg bis zu seinem Tod umfasst.2037 Damit repräsentiert das Stück den Typus 1). Hirtzwig unternimmt den Versuch, alle Ereignisse sofern irgend möglich auf die Bühne zu bringen, wobei er sogar rein literarische Auseinandersetzungen dramatisiert.2038 In einigen Partien ist das Drama von Hartmanns Lutherdrama abhängig, im Wesentlichen aber liegt eine eigenständige Komposition vor.2039 Das Stück wurde wohl zu den Reformationsjubiläumsfeierlichkeiten in Frankfurt aufgeführt.2040 Auch in Wittenberg wurde es zum Jubiläum vor der Schlosskirche von Studenten und Dozenten dargeboten. 1618 erschien in Wittenberg eine deutsche Übersetzung des dortigen damaligen Konrektors Johann Seger (1582–1637); über eine Aufführung ist allerdings nichts bekannt.2041 2033 Vgl. Siegfried Bräuer, „Seht, lieben Leut’, kehrt euch daran ...“, S. 96. 2034 Goedeke, Grundriß Bd. 2, S. 145, merkt an, dass 105 Personen beschäftigt wurden, Gustav Adolf Erdmann, Die Lutherfestspiele, Wittenberg 1888, S. 34, spricht von 110 Personen. 2035 Zu Hirtzwig vgl. Ingrid Bigler, Art. ‚Hirtzwig(ius), Heinrich‘, DL3 VII, Sp. 1254. 2036 Vgl. Balthasar Meisner, Philosophia sobria, Gießen 1615, + 7a–8a. 2037 Vgl. Amalie Zabel, Lutherdramen des beginnenden 17. Jahrhunderts, Diss. phil. München 1911, S. 58. Kindheitsgeschichte und Eintritt ins Kloster sowie die durch diesen provozierte Auseinandersetzung mit dem Vater werden ausgelassen. Zum Drama vgl. ferner Erdmann, a.a.O., S. 32–34. 2038 Vgl. Zabel, a.a.O., S. 60. 64. 67. 2039 Vgl. Zabel, a.a.O., S. 58. 66. 2040 Vgl. Hans-Jürgen Schönstädt, Antichrist, S. 56f. Erdmann, a.a.O., S. 32, erwähnt noch eine Aufführung in Speyer. Nach Ruth Kastner, Geistlicher Rauffhandel, Frankfurt – Bern 1982, S. 206f., wurde das Stück 1617 in Speyer aufgeführt, während der Frankfurter Rat die ursprünglich erteilte Genehmigung für eine Aufführung im Mai 1618 wieder zurückzog. War das Drama dem Rat zu antimelanchthonisch und damit zu antireformiert? 1617 war in Frankfurt ein sehr melanchthonfreundliches Flugblatt erschienen, wohl im Hinblick auf dort zahlreich vertretene reformierte Abnehmer; vgl. Kastner, a.a.O., S. 253ff. 2041 Vgl. Bräuer, a.a.O., S. 95f. – Zu Seger, der neben anderen Werken auch eine Komödie von Christi Geburt (1612) verfasste, vgl. Alexander Reifferscheid in ADB 33, S. 592ff.

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Das Drama umfasst fünf Akte. Grob gesagt behandelt der erste Akt den Ablassstreit bis zum Thesenanschlag, der zweite Akt die Ausweitung des Streits. In diesem verwandelt Hirtzwig literarische Auseinandersetzungen Luthers aus der Zeit 1517/18 mit Eck, Prierias, Wimpina, dem päpstlichen Inquisitor Hoogstraten und anderen in eine große Szene, die in dieser Form naturgemäß völlig unhistorisch ist.2042 Am Schluss tritt sogar Leo X. auf. Humorvolle Szenen in Akt I und II behandeln das üppige Leben am päpstlichen Hof und informieren zugleich über die Verquickung mit dem Ablasshandel Tetzels und der Verleihung des Pallium für Albrecht von Mainz. Der dritte Akt bietet das Augsburger Verhör vor Cajetan, der vierte stellt die Geschehnisse rund um den Wormser Reichstag 15212043 und Szenen um die Radikalisierung der Reformation dar. Auch in diesem Akt bringt Hirtzwig wieder schriftliche Dialoge aus der Folgezeit auf die Bühne, so mit Karlstadt, Latomus, Friedrich dem Weisen, Müntzer und dem englischen König Heinrich VIII.2044 Im fünften Akt geht Hirtzwig bei der Darstellung der späteren Jahre Luthers exemplarisch vor. Einen gewissen Schwerpunkt bildet dabei – aus der konfessionellen Zeit verständlich – der Abendmahlsstreit mit dem Marburger Religionsgespräch und der Wittenberger Konkordie. Präsentiert wird ferner Luthers Aufenthalt in Eisleben mit seinem Tod als Ausdruck seiner Heilsgewissheit.2045 Das Stück endet damit, dass Karl V. nach dem Sieg im Schmalkaldischen Krieg am Grab Luthers steht. Er verwehrt den spanischen Soldaten, Luthers Leichnam auszugraben und zu verbrennen.2046 Die Spanier, deren Vertreter in Worms gegen Luther vor Zorn entbrannt waren und ihn im Feuer sehen wollten, müssen so am Schluss konzedieren: „Lutherus triumphat vivus, triumphat mortuus.“2047 Während Akt IV Szene 5, der ersten, die Luthers Auftritt beim Reichstag zu Worms vorführt, hat Hirtzwig nach der berühmten Bemerkung Luthers, er gehe nach Worms, auch wenn er wüsste, dass es dort ebenso viele Teufel wie Dachziegel gebe, durchaus passend das

2042 Vgl. dazu Zabel, a.a.O., S. 64f. Das Gespräch in Akt II Szene 3 kreist um die Frage eines Schatzes der Kirche, ferner um das Verhältnis der Stellung des Papstes zur Autorität der Schrift (E 3a–b). Am Schluss stellt Luther fest, dass der Papst der Antichrist sei (E 3b). – Zur Verlesung eines Briefes des Papstes an Friedrich den Weisen, bei der Luther die Falschheit des Papstes bemerkt, vgl. Zabel, ebd. 2043 Luthers Worte lauten nach Hirtzwig, Akt IV Szene 6, K 5b: „Nisi scripturâ aut argumentorum evidentiâ, (Nam solis, Papae et Concilijs, quia saepiùs Errârunt nil tribuo) convictus, omnium, Quae scripsi, quae docui, ne gry revocavero; Verbo victâ divino conscientiâ. Sto, aliud nil mî opis, Deus memet adjuves. Amen.“ 2044 Vgl. Zabel, a.a.O., S. 67. – Bei der Auseinandersetzung mit Karlstadt und den Orlamündern in Akt IV Szene 8 geht es schwerpunktmäßig um die Bilderfrage. 2045 Hirtzwig, Lutherus, Akt V Szene 9, O 4b. Jonas fragt Luther: „Christo et doctrinae quam professus es immori Constanter est animus?“, worauf Luther antwortet: „Est maximè mihi.“ 2046 Karl V. äußert (Akt V, Szene 10, O 7b): „Istuc dico edicoque vobis milites, Ne quis sepulcrum Lutheri violet; neque Injuriam faciat ullam, mortuis quies Suis salva esto.“ 2047 A.a.O., O 8a. Vgl. Akt IV Szene 6, K 2b–3a; Szene 7, K 8b.



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Singen des Lutherliedes ‚Ein feste Burg‘ vorgesehen, dessen dritte Strophe anhebt: „Und wenn die Welt voll Teufel wär“.2048 Die konfessionelle Tendenz des Stücks erhellt etwa aus einer Mahnung Luthers an Melanchthon, die Confessio Augustana so zu belassen, wie sie sei, zumal deren Behandlung Sache der Fürsten sei. Luther sieht die Gefahr, dass aus dem Bekenntnis ein doppelzüngiges Dokument werde.2049 Beim Abschluss der Wittenberger Konkordie, deren Hauptlehrpunkt die ‚manducatio impiorum‘ bildet, bedauert Bucer ausdrücklich seine früheren Irrtümer.2050 Kritisch setzt sich Luther auch mit Georg Major auseinander, dem er vorwirft, die rechte Abendmahlslehre zu verschweigen.2051 Es gibt aber auch eine andere Seite. Das Marburger Religionsgespräch, bei dem überwiegend Luther und Zwingli zu Wort kommen, ist insgesamt durch ein eher mildes Klima geprägt. Im Gegensatz zu Frischlins Darstellung des Gesprächs stellt Hirtzwig zu Anfang die Punkte heraus, in denen Konsens besteht.2052 Alle Gesprächspartner hätten die salus publica im Auge, wie Luther zum Schluss bekundet.2053 Er selbst zeigt sich um eine im Rahmen der politica pax gesehene Verständigung bemüht.2054 Die Schlusserklärung wird explizit als formula concordiae bezeichnet.2055 Dessen ungeachtet, bringt Luther seinen Standpunkt klar zum Ausdruck, wie sich in der Zurückweisung der Ansicht, Joh 6 – mit dem Spruch Jesu, dass Fleisch nichts nützt – handele vom Abendmahl, zeigt.2056 Deutlich wird der Hiat auch an der vor Beginn des Gesprächs fallenden Bemerkung des Beobachters Timotheus, er habe gehört, Luther sei von den ‚Sakramentierern‘ mehr gehasst worden als von den ‚Römern‘.2057 Dies wie die positive Wertung des Verhaltens Karls V. am Grab Luthers kann auch als Hinweis auf die Politik Sachsens – das Drama ist Kurfürst Johann Georg  I. 2048 Vgl. I 7a. 2049 Akt V Szene 7, N 7a: Melanchthon: „Istuc in Augustana Confessione sum Augenda formandaque melius nonnihil.“ Luther: „Quis verò genius Philippe te malus citat Id ut emendendum tu tibi ausis sumere. Quod Electorum et principum est? audaciam In Philippum tantam cadere? de tabula manum Egon’ ut deinde Wittembergae commorer? Quae quid è Sione fit? sententia bilinguium.“ Vgl. auch das Argumentum, A 7a: „Augustanae Confessionis syllabam Ne quam mutet dehortatur Melanchthonem.“ – Zur Parallelisierung von Wittenberg und Zion, s.u. S. 656 mit Anm. 2074. 2050 Vgl. Akt V Szene 6, N 6b und N 5b. 2051 Vgl. Akt V Szene 7, N 8a: Major: „Id credo quod de Coena Domini tu doces.“ Luther: „Si verum, veritatem cur silentio Prodis? cur tergiversâre, quod credis, eloqui.“ 2052 Vgl. Akt V Szene 1, 2a. Als Punkte, bei denen Einigkeit herrscht, werden herausgestellt die Themen von Erbsünde und Taufe, aber auch die Lehre, dass der Heilige Geist durch Wort und Sakrament verliehen wird. 2053 Vgl. a.a.O., M 5a. 2054 Vgl. ebd. 2055 Vgl. a.a.O., M 5b. 2056 Vgl. a.a.O., M 3a. 2057 A.a.O., M 1b–2a, äußert sich Timotheus skeptisch über die Erfolgsaussichten des Gesprächs: „Mihi quid de eventu promittam nescio. Id Lutherum alicubi, à sacramentariis Plus odii accepisse quàm à Romanis audii.“

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gewidmet – im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges mit seiner prohabsburgischen Haltung gelesen werden.2058 Es entspricht aber auch der vorsichtigen Haltung der Reichsstadt Frankfurt.2059 Das Stück verbalisiert über die Abendmahlslehre hinaus etliche theologische Grundgedanken Luthers, wie die Stellung der Schrift über Papst und Kirchenrecht oder die Haltung des christlichen Glaubens zu Gewalt und Obrigkeit.2060 Gegen Karlstadt bringt er den Gedanken der christlichen Freiheit ins Spiel.2061 Weitere Theologumena dokumentieren, dass ein durchaus anspruchsvolles Drama vorliegt, das bei den Hörerinnen und Hörern gewisse Kenntnisse voraussetzt.2062 Der Gestalt des Timotheus kommt im Drama eine besondere Bedeutung zu. Timotheus, ein einfacher Mann, der in 12 der insgesamt 39 Szenen auftritt, reagiert entsetzt auf die Ablasspredigt Tetzels und macht Luther auf das hier vorliegende scandalum aufmerksam.2063 Danach erscheint er immer wieder an der Seite Luthers, so bei der Verbrennung von Corpus Juris Canonici und Bannandrohungsbulle oder auch in Worms, beim Marburger Religionsgespräch, bei der Wittenberger Konkordie, dem Besuch des päpstlichen Gesandten Pietro Paulo Vergerio bei Luther, schließlich beim Tode Luthers und den darauf folgenden Ereignissen bis hin zum Eintritt Karls V. in die Schlosskirche. Im Personenverzeichnis erscheint er als ‚famulus Lutheri‘ 2064, in der Handlung wird er 2058 Akt V Szene 10, O 7b. – Auch das Wormser Edikt wird von Hirtzwig nicht erwähnt, ebenso wird die von Karl V. einen Tag nach dem Verhör Luthers abgegebene Erklärung, in der er Luther einen notorischen Häretiker nennt (vgl. Reinhard Schwarz, Luther, Göttingen 1986, S. 107), nicht direkt zur Sprache gebracht; allerdings spielt der Trierer Erzbischof in Akt IV Szene 7, K 6a, darauf an: „IMperator etsi gravem de te sententiam Scriptam, frequente Senatu principum, tulit ...“ 2059 Vgl. Anton Schindling – Georg Schmidt, in: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Bd. 4, hrg. v. Anton Schindling und Walter Ziegler, Münster 1992, S. 50. 2060 Vgl. Hirtzwig, Lutherus, Akt II Szene 3, E 3b (Schrift steht über dem Papst, der irren kann); Akt III Szene 3, G 1b–2a (Schrift steht über dem Kirchenrecht); Akt IV 8, L 8a (Christus geht nicht mit Gewalt um); Akt V Szene 4, N 1a: „Non tollit Evangelium Jura politica.“ 2061 Akt IV Szene 8, L 4a: „Christianam rapit [sc. Karlstadt] libertatem in licentiam.“ 2062 Einige Belege seien noch geboten: Die Sakramente sind nur im Glauben zu nehmen (Akt III Szene 3; G 2a); Gott ist nicht an die Gesetze der Natur gebunden – Ermöglichungsgrund der Realpräsenz Christi im Abendmahl (Akt V Szene 1; M 3a); der Papst erkennt die evangelische Ordination nicht an; aufgrund göttlichen Mandats haben wir, so Luther, sehr geeignete Menschen „ad sacra obeunda“ konsekriert, wofür er als „lebendiges Beispiel“ Bugenhagen nennt, den „wir als Bischof (Episcopum) der Kirchen eingesetzt haben (constituimus)“ (Akt V Szene 5; N 3b–4a). Schließlich erwähnt Luther die altkirchliche Häresie der Donatisten sowie seine Schrift ‚De captivitate babylonica‘ (Akt V Szene 1; M 3a–b). 2063 Vgl. a.a.O., Akt I Szene 6 (C 1a–5a) und 8 (C 6a–8a). – In Akt V Szene 1 (Marburger Religionsgespräch) erscheint Timotheus zwar nicht im Personenverzeichnis, tritt allerdings dann doch alsbald auf. 2064 Vgl. A 7b.



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als solcher aber nicht bezeichnet. In wichtigen Szenen gewinnt Timotheus die Funktion, Emotionen zu verbalisieren. So akzentuiert er in einem Monolog vor den Verhandlungen in Worms sein Gefühl des Erschrecken angesichts der Gefährdung Luthers. Er deutet dies mit Elementen der Aussendungsrede Jesu: Luther sei ein wehrloses Schaf unter vielen wilden Wölfen (Mt 10,16), in großer Gefahr, aber er habe den Wölfen schon getrotzt, so dass sie bestürzt gewesen seien und sich vor ihm fürchteten.2065 Auf die Hassbekundungen der Spanier tröstet er sich mit Mt 10,28: Es gelte nicht die Menschen zu fürchten, die den Leib in ihrer Hand hätten, sondern Gott, in dessen Hand Seele und Leib seien.2066 Vor Luthers Auftritt spricht er ihm aufmunternde Worte zu.2067 Später bejubelt er dessen Rückkehr von der Wartburg, um in Wittenberg einzugreifen.2068 In den späteren Jahren nimmt Timotheus an Luthers Unruhe Anteil, bringt aber auch seine Freude über die Heimkehr des Reformators zum Ausdruck.2069 Offensichtlich ist es Hirtzwigs Intention, mittels der Timotheusfigur zu einer emotionalen Identifikation mit Luther beizutragen. Emotionen, die Luther äußert oder die sein Schicksal evoziert, werden auf diese Weise verstärkt und eine Empathie mit Luther bewirkt. Die Funktion des Timotheus ist aber auch die eines Kommentators, der den Zuschauern Verständnishilfen gewährt. Zum Marburger Religionsgespräch bietet er eine kurz Einführung, ebenso zum Besuch Vergerios und zum Auftritt einer Gruppe von Juden, die Luther sprechen wollen.2070 Bei den Trauerzeremonien für Luther gibt er den Zuschauern Hinweise über die auftretenden Personen, wobei er sich ausdrücklich an die Zuschauer wendet.2071 Noch in der letzten Szene führt er in die historische Situation – Niederlage im Schmalkaldischen Krieg – ein und meldet das Vordringen der spanischen Soldaten zum Grab Luthers.2072 Als nicht-historische und nicht-hochgestellte Person stellt Timotheus ein Verbindungsglied zu den Zuschauern dar, zu denen er Kontakt sucht. Zugleich fungiert er als Luther nahestehende Person, verbindet also die Zuschauer mit dem Luther des Dramas. Repräsentiert er so ansatzweise die Institution des ‚Spieler-Zuschauers‘, so wirkt er andererseits zu stark rückwärtsgewandt. Er betrauert die Abwesenheit Luthers und, daraus folgend, die mangelnde Einheit des Luthertums. Als Weg für die Zukunft wird von ihm nichts Konkretes vermittelt, abgesehen von der Besinnung auf die Person Luthers.

2065 Vgl. Akt IV Szene 6, K 1b–2a. 2066 Vgl. K 3a. 2067 Vgl. K 4a. 2068 Vgl. Akt IV, Szene 8, L 3b. 2069 Vgl. Akt V Szene 7, N 7b–8a. 2070 Vgl. Akt V Szene 1, M 1b–2a; Szene 5, N 2b–3a; Szene 7, N 8b. 2071 Vgl. Akt V Szene 9, O 4b–7a. Vgl. die einführenden Worte des Timotheus (O 5a): „Hanc spectatores ego vobis operam dabo Ex me scietis pompae quae quò pertinent.“ 2072 Akt V Szene 10, O 7b: „Elector captus, Witeberga dedita, Hispanis unum est opus Lutherum ut eruant, Et, quia vivum non potuêre, mortuum crement. Videtis autem ut ad Sepulcrum confluunt.“

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Am Ende des Dramas fallen die berühmten Worte Melanchthons vom gefallenen Wagen Israels und seinem Gespann, die den Reformator mit dem Propheten Elia gleichsetzen.2073 Eine gewisse Parallelisierung mit Leben und Wirken Jesu lässt sich nicht leugnen.2074 Auch Rittermotive können auf Luther Anwendung finden.2075 Ferner wird er als ‚wahrer Hus‘ bezeichnet.2076 Des Timotheus Rede vor Luthers Reichstagsverhör stellt die Einzigartigkeit seiner Person seit der Apostelzeit voraus und weist ihm die auch im Titel des Dramas erscheinende Ehrenbenennung ‚megalandrus‘ zu.2077 Die Trauerzeremonien am Schluss des Dramas veranschaulichen, wie beliebt Luther war und wie groß die Trauer um ihn ist. Zahlreiche Fürsten erweisen ihm die letzte Ehre.2078 Er ist der unbestrittene Führer der Reformation. Dies bringt mit sich eine nahezu völlige Marginalisierung anderer Gestalten der Reformation, insbesondere der Person Melanchthons. Diese findet ihren Kulminationspunkt beim Abschluss der Wittenberger Konkordie, wo der Praeceptor Germaniae zum bloßen Protokollanten degradiert wird.2079 Luthers Führungsstellung impliziert allerdings auch, dass er von verschiedenen Seiten und vielen Personen angegriffen wird, viele Beschimpfungen über sich ergehen lassen muss.2080 Je länger, je mehr wird er angegriffen, wobei Altgläubige und ‚Sakramentierer‘ die Hauptfronten bilden. Letztere spalten sich aber in weitere Gruppen wie die Anhänger Schwenckfelds auf, die Luther bedrängen. Auch eine gravierende antijudaistische Tendenz prägt das Drama.2081 Charakterlich wird bei Luther ein gewisser Ernst hervorgehoben.2082 In den letzten Szenen ist eine Verbitterung und Unruhe spürbar; Luther befürchtet, dass ihm Nahestehende in 2073 Vgl. Akt V Szene 9, O 7a. 2074 Vgl. Zabel, Lutherdramen, S. 60. Vgl. auch die Parallelisierung Wittenbergs mit dem Berg Zion in der Widmungsrede, A 3a. – A 3b stellt Hirtzwig fest: Wie Juden, Heiden, Pharisäer, Pseudoapostel die von Zion durch den Mund Christi ergangene Lehre und Gesetz bekämpften, so attackierten römische Tyrannis, Kaiser, Karlstadtianer, Zwinglianer, Wiedertäufer die von Wittenberg, „deinem Zion“, zurückgeführte Lehre. Vgl. ferner Akt V Szene 7, N 7a. 2075 Vgl. Hirtzwig, a.a.O., Akt II Szene 3, D 7b. 2076 Vgl. Akt V Szene 9, O 6a. 2077 Akt IV Szene 6, K 2a: „Ab apostolorum seculo nemo fuerit, Ad megalandrum qui comparandus hunc siet.“ 2078 Vgl. Akt V Szene 9, O 5a–7a. 2079 Akt V Szene 6, N 6b, gibt Luther Melanchthon die oblique Weisung: „restat Philippe formulam Initae conficias pacis.“ Vgl. in Bezug auf die Confessio Augustana die Äußerung des Kurfürsten zu Luther, Akt V Szene 3, M 8a: „Confessionis exhibendae lineas Ducprimas: filum Philippus sectabitur tuum...“ 2080 So beschimpfen ihn die Bauern als ‚parasitus Principum‘ (Akt IV, Szene 8, M 1a). 2081 Vgl. Akt V Szene 8, O 2b, wo Luther die Juden als verworfenes Volk, das Christus Schmach zugefügt habe, bezeichnet. Man solle nicht gegen sie streiten, sie aber auch nicht bei sich aufnehmen. Auch der Vorwurf, dass sie die Christen aussaugten, erscheint im Folgenden. Die Ausführungen gipfeln in der Aussage, die Juden sollten fühlen, dass sie Knechte seien. 2082 Vgl. Akt V Szene 7, N 7a, wo Timotheus die Ankunft Luthers beschreibt: „Atque eccum prodit multâ severitudine.“



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den Rücken fallen.2083 Von Selbstbewusstsein ist sein Verhalten gegenüber Friedrich dem Weisen geprägt, dem er – in unhistorischer Szene – seine von diesem bekanntlich abgelehnte Rückkehr nach Wittenberg erklärt.2084 Diese Rückkehr hatte Melanchthon schon sehnlichst herbeigewünscht.2085 Die überragende Stellung Luthers muss die mit dem Tod des Reformators gegebene Situation problematisieren. Mit Luthers Ende, so wird herausgestellt, gingen constantia und concordia verloren, eine Befürchtung, die Timotheus zweimal nach dem Tod verbalisiert.2086 Luther wird offenkundig als Garant der Einheit und der Beständigkeit des lutherischen Lagers gesehen. Die Entwicklung nach Luther kann in Hirtzwigs Augen trotz des triumphalistischen Schlusssatzes, der die Rolle Sachsens als Zentrum des Luthertums hervorhebt,2087 letztlich nur eine Verschlechterung darstellen. Der Auftrag muss lauten, das Erbe des Reformators zu wahren, was für den Verfasser ausschließlich in der konkordistischen, nicht-philippistischen Gestalt lutherischer Lehre erfolgen kann. 8.) Heinrich Kielmann wurde 1581 in Wien geboren, studierte in Leipzig, Halle und Jena. Zunächst als Rechtsanwalt tätig, wurde er 1612 Konrektor am Gymnasium in Stettin, wo er 1649 starb.2088 Er schrieb das Drama: „Tetzelocramia. Daß ist / Eine lustige Comoedie / Von Johan Tetzels Ablaßkram / wie Gott der HeRR denselben / Jtzo fÜr Hundert Jahren durch sein erwehltes RÜstzeug. D. Martinum Lutherum / in krafft des Heiligen Evangelij vmbgestossen vnnd außgetrieben / lauter vnd rein / wieder die Antichristischen Römischen Grewel in Teutschlandt zu Predigen angefangen / vnd weit vnd breit hat erschallen lassen. Zum Jubel Jahr vnd Frewden Fest / 1617. Gott zu Ehren vnnd

2083 Vgl. Akt V Szene 7, N 7b, vgl. 7a. 2084 Akt IV Szene 8, L 3b–4a: Friedrich: „qui sic invito me?“ Luther: „illustrissime Elector, revocatus sum ab Ecclesia: irruit In septa lupus: Diabolus otium petit Evangeli [!] intestinis turbatoribus; Christianam rapit libertatem in licentiam Corrupta multitudo concionibus Ineptis.“ 2085 Melanchthon äußert, a.a.O., L 2a: „Vtinam Lutherus noster tandem praesto sit. Namque nescio Carolstadius quid parturit.“ 2086 Akt V Szene 9, O 7a, äußert Timotheus: „Hic in Constantiae et Concordiae obît diem. Metuo, ne simul Constantia et Concordia Conclamatum est.“ Zu Beginn von Akt V Szene 10, ebd., sagt er: „HOc illud est fore quod vobis praedixeram, Cum Luthero ut Concordia et Constantia Expiret.“ Als Beleg gilt ihm im Folgenden das Erscheinen spanischer Soldaten am Grab Luthers. 2087 Akt V Szene 10, O 8a. Die gesamte Bemerkung der Spanier will wohl als Ausdruck des politischen Triumphes Sachsens verstanden werden: „Lutherum habete vobis vestrum Saxones. Mam [sic!] cum cruentis esse non licet, metus Deinde à nobis vobis multò erit minor: Lutherus triumphat vivus, triumphat mortuus.“ Hier wird das Luthertum gewissermaßen als sächsische Nationalreligion propagiert. 2088 Zu Kielmann vgl. Ingrid Bigler, Art. ‚Kielmann, Heinrich‘, DL3 VIII, Sp. 1142. Kielmann verfasste ferner eine lateinische Tragödie ‚Venus‘ (1613).

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Menniglich zum Nutz gemacht. Vnd in druck verfertiget / Erstmaln zu Alten Stettin / Jetzo in Wittenberg“ (1618).2089 Das Drama wurde im Rahmen der Feierlichkeiten zum Reformationsjubiläum am Gymnasium in Stettin und in Stargard aufgeführt, also im Herzogtum Pommern, das sich bei den Jubiläumsfeierlichkeiten am kursächsischen Vorbild orientierte.2090 Es nimmt die Ablasspraxis der römischen Kirche aufs Korn.2091 Das Spiel ist nicht ohne Polemik.2092 Der Chronist Daniel Cramer bemerkt, dass die Aufführung in Stettin unter dort lebenden katholischen Polen erheblichen ‚Verdruß‘ verursacht habe.2093 In einigen Passagen ist die Benutzung von Hartmanns Drama zu erkennen, dennoch ist die ‚Tetzelocramia‘ ein eigenständiges Werk.2094 Verarbeitet wurde das Drama in einem parallel erscheinenden Flugblatt von dem gerade genannten Cramer.2095 Das Stück stellt den Ablasshandel Tetzels bzw. des ‚Mainzer Schatzmeisters‘ als Projekt des Teufels dar, der auch in Rom das Sagen hat. Gegen Tetzel agieren die allegorischen Figuren der Veritas und der Religio, ebenso opponiert ein ‚Junker‘, wie sich auch bei anderen Personen Unzufriedenheit oder gar Spott über den Ablass einstellt. Erst am Schluss, in den beiden letzten – von 31 – Szenen tritt Luther, lokalbedingt zusammen mit Bugenhagen, auf. Zwar wird er ab der ersten Szene des letzten Aktes erwähnt, wo auf seine Aktivitäten gegen 2089 Im Folgenden wird diese Ausgabe benutzt. Der Erstdruck erschien, wie der Titel sagt, 1617 in Stettin. Das Drama wurde ferner noch zweimal aufgelegt, 1617 in Halle und 1618 in Greifswald; vgl. Ruth Kastner, Geistlicher Rauffhandel, S. 157. 2090 Vgl. Schönstädt, Antichrist, S.30. 33, unter Bezug auf die pommersche Kirchenchronik von Daniel Cramer. 2091 In Akt III Szene 4, D IIIIb–Va, wird die Ablassbulle Leos X., bezeichnenderweise durch die Figur des Hybrista, in lateinischer Sprache verlesen. 2092 Vgl. etwa die Darstellung des Einzugs des auf einem Stuhl getragenen Papstes mit Kardinälen und Bischöfen samt Sakramentshäuschen und Weihwasser in Akt II Szene 2 (C Ib–IIa). Dabei wird auch der liturgische Stil des Katholizismus dem Spott ausgesetzt. Der Papst intoniert – dazu die Regieanweisung „Papa extollit vocem“ (nebst Notensequenz): „Oho lector lectorum dic mihi quid sit unum“, worauf die anwesenden Mönche respondieren: „Unus est Dominus Deus omnipotens, qui regnat in coelis, Sancta Maria.“ Der folgende Gesang hat den Stil eines als Memorierhilfe oder zum Erlernen der Zahlen dienenden Kinderliedes. Jede Strophe wiederholt den vorherigen Text und wird um ein Glied verlängert: 1) Einer ist Herr ...; 2) Zwei Tafeln Moses, einer ist Herr ...; 3) Drei Patriarchen, Abraham, Isaak und Jakob, zwei Tafeln Moses, einer ist Herr ... usw., bis zur zwölften Strophe. Der Text ist – als Verballhornung der römischen Liturgie – lateinisch gehalten. 2093 Vgl. Schönstädt, a.a.O., S. 33. 2094 Vgl. Zabel, Lutherdramen, S. 12ff. – Vgl. etwa die Verspottung Tetzels durch einen Landsknecht (Hartmann, Akt II Szene 6, E IIIaff; Kielmann, Akt III Szene 6, E Iaff, oder die Reihung der Tätigkeiten Luthers (Hartmann, Widmungsrede, A 5b; Kielmann, Akt V Szene 6, H 3b–4a; Akt V Szene 5, H 3a). – Zum Drama vgl. ferner Erdmann, Lutherfestspiele, S. 40ff. 2095 Vgl. dazu Kastner, a.a.O., S. 316f.: „Es scheint die Absicht des Flugblattverfassers gewesen zu sein, im Zusammenwirken mit dem Autor des Dramas das momentane Erlebnis des Triumphes während der Theateraufführung durch die Wiedergabe auf dem illustrierten Flugblatt festzuhalten.“



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den Ablass hingewiesen wird, gezeigt werden diese oder andere Tätigkeiten seiner selbst aber nicht. Der Reformator bleibt in diesem Stück eigentümlich passiv, er tut eigentlich nichts. Von ihm wird lediglich die Beauftragung vorgeführt, die in einer Berufung durch Gott gründet, deren Umsetzung der Erzengel Michael anleiten soll.2096 Von einem Apostolat ist dabei nicht die Rede.2097 Die eigentliche förmliche Ordinationshandlung erfolgt auch nicht durch Michael, sondern durch die Figur der Veritas, die auch in Naogeorgs ‚Pammachius‘ die Berufung des Reformators durchführen soll. Mit der vocatio erhalten Luther und Bugenhagen den Auftrag, die Kirche vom Papsttum zu reinigen. Dieser Auftrag wird als konfessorische und insbesondere als schriftstellerische Tätigkeit beschrieben. Entsprechend erhalten die Ordinanden eine Schreibfeder.2098 In der Skizze der vor ihnen liegenden Tätigkeit wird das wissenschaftlich-universitäre Wirken hervorgehoben, ohne dass der verkündigende Aspekt vernachlässigt würde. Es handelt sich um ein Lehramt am Wort Gottes. So weist Veritas beiden Theologen nach der Ordination ihre cathedra zu.2099 Zusätzlich erhalten sie von ihr einen Ring, der sie als der Wahrheit Angetraute kenntlich macht.2100 Beide Beauftragte mussten zuvor einen Amtseid leisten, dass sie in ihrer Lehre der Bibel folgen.2101 Erst in der allerletzten Szene kommt es zu einem längeren Redebeitrag Luthers, der die Prinzipien seines Handelns und Denkens verkündet. Hauptgegenstand dieses Beitrags ist die heilige Schrift, die als höchstes Gut bezeichnet und mit dem Mund Gottes gleichgesetzt wird.2102 An ihr ist unbedingt festzuhalten, sie ist der Maßstab (‚Probierstein‘), 2096 In Akt V Szene 5, H 2b, eröffnet Michael die Handlung: „Der hÖchste Gott hat euch erweckt / Das jhr euch wiedr das Babstthum streckt / Mit Beten / Predign / Lehrn vnd Schreibn / Die Heilge Schrifft mit fleiß zutreibn.“ 2097 So A.A. Meyer, Heilsgewißheit, S. 213 Anm. 53, nach der damit der Reformator den Aposteln nahezu gleichgestellt wird. Für die neutestamentliche Apostelvorstellung aber ist die unmittelbare Berufung durch Christus selbst konstitutiv. 2098 Kielmann, a.a.O., H 3a, spricht Veritas: „Nembt hin die schreibfedrn / welch allein Solln ewre Wehr vnd Waffen sein / Mit profitirn vnd disputirn, Mit schreibn vnd lesn / vnd praedicirn Das rein Wort Gotts zu aller stund Das fÜhret rein in ewrem Mund.“ 2099 Vgl. Akt V Szene 6, H 3b. Vgl. dazu Luthers Rede, a.a.O., H 3b–4a.: „Weil mich dann nun Gott außerkorn / Vnd hab ein tewren Eidt geschworn / Welcher mein Leib vnd Seel betrifft / Das hÖchste Gut die Heilig Schrifft Gantz fest zuhaltn mein lebenlang Mit rechtem ernst ohn allen Wanck / Mit Lehren / Predign / profitirn, Mit Schreiben vnd mit disputiern, Vnd allen KÄtzern wiedersprechn ...“ 2100 Akt V Szene 5, H 3a. Veritas überreicht den Ring mit den Worten: „Den Ring nembt auch: mir seidt vertrawt / Wie ein Breutgam ist seiner Braut / Die lauter Warheit lehren solt / Gleich wie auch lauter ist diß Goldt.“ 2101 A.a.O., H 2b–3a: Veritas bittet Luther und Bugenhagen zu knien und ihr zu schwören, „... Das jr die Heilge Bibel werth Wolt halten jmmr / vnd also Lehrt Wie es darin geschrieben stat. Denn solchs allein safft vnd krafft hat.“ Darauf antwortet Luther: „Promitto, et juro.“ Ihm folgt Bugenhagen. 2102 Vgl. Akt V Szene 6, H 3b; H 4a: „Sic Scriptum est, das ist der grund / Hie ist das Wort vnd Gottes Mund.“

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an dem auch die Väter und die scholastischen Lehrer zu messen sind.2103 Hält Luther in dieser Weise das reformatorische Schriftprinzip fest, so verdeutlicht er mit Bugenhagen aber auch, dass der letzte Zweck ihres Wirkens nicht auf die Schrift als solche, sondern auf die Verherrlichung Christi zielt.2104 Auffallend ist allerdings, dass die von der Reformation als Hauptartikel der Schrift angesehene Rechtfertigungslehre selbst nicht in den Blick kommt. Ein weiterer Punkt in Luthers Rede ist der Gedanke, dass die Ordination einen Trostaspekt beinhalte.2105 Denkbar wäre, dass Kielmann dies einem, angesichts eines in die Defensive geratenen Luthertums, in seinem Tun oder in seiner Akzeptanz verunsicherten lutherischen Pfarrerstand ins Stammbuch schreibt, er solle sich seiner Berufung erinnern, doch bedürfte es zur Erhärtung dessen weiterer Hinweise. In jedem Fall gehen die Bemerkungen davon aus, dass zur Verkündigung des Wortes Anfechtung gehört. Gleichwohl ist Kielmann überzeugt davon, dass die göttliche Wahrheit am Ende den Sieg davon tragen wird, wofür ihm Luthers Auftreten, aber auch die Haltung der im Stück gezeigten theologischen Laien ein sicheres Zeichen ist.2106 Entsprechend endet das Drama mit den bekannten, von Religio gesprochenen Worten: „Denn Gottes Wort Lutheri Lehr Vergehet nun vnd nimmermehr.“2107 Der Kampf um den Ablass erscheint in diesem Stück als apokalyptischer Kampf. So wie hinter Luther Gott wirkt, so steht hinter Tetzel und dem Papst mit dem Ablasswesen der Teufel als Initiator. Dazu gibt es noch eine Zwischenebene, die auf der Seite des Bösen von den Figuren der Hypocrisis und des Gnathaster, des Fuchsschwänzers, eingenommen wird, auf der göttlichen Seite von den Figuren der Veritas und der Religio, die jedoch selbst 2103 A.a.O., H 4a–b: „Die VÄtr vnd Kirchen Lehrer auch / Die jtzt im schwang gehn vnd gebrauch / Will ich zwar lesn / abr allzeit schawn / Das ich jhn nicht zu viel mÖg trawn. Wenn sie gemeß der Schrifft thun Lehrn / Wil ich sie haltn in grossen ehrn. Schrifft Schrifft sol der Probierstein sein Wenn Babst vnd Ketzr sprechn lauter nein.“ – Dem entspricht, dass Luther und Bugenhagen in der Ordination (Akt V Szene 5, H 3a) geheißen wurden, das reine Wort Gottes, ohne menschliche Zusätze, zu verkünden. 2104 Vgl. a.a.O., H 4b. 2105 A.a.O., H 4a: „Sol dieß Vocation auch mein Mir in meim Ampt sehr trÖstlich sein. Will darauff trotzen stets vnd bawn / Vnd lassen mich gar nichtes grawn. Jn Wiederwertkeit dein Trost ist Sagt Syrach / das dich Gott außg’rÜst: Drumb auff dein Ampt trotz / denn wer solt Dem helffen der verzagen wolt An seym Ampt? Wer kan den erhaltn / Der in seym Ampt selbst thut erkaltn?“ 2106 Dies ist der Tenor der im Epilog aufgeführten Lehrpunkte, vgl. H 6a: „FÜrs FÜnffte merck das die warheit Gleichwol zu letzt noch oben leit. Denn sie zwar sehr gedrÜcket war / Abr doch nicht vnterdrÜcket gar. Wahr bleibt doch wahr / vnd recht bleibt recht Des trÖste sich manch guter Knecht.“ A.a.O., H 6b: „FÜrs sechst merckt wie zu jeder frist Gleichwol Gotts Kirch geblieben ist / Obs gleich gewesen dÜnn vnd klein / Vnd sondrlich vntr gemeinen lÄyen: Doch weils getauffte Christn gewesn / Seind sie doch Gottes Gnad genesn / Das also mitten im Babstumb Auch selig wordn viel leute frumb. Schließlich merckt / wie Gott jmmerdar Die Kirch durch seine Engel bewahr / Wie thewr werckzeug er bring herfÜr / Sie wÜnderlich schÜtz vnd regier ...“ Vgl. Akt IV Szenen 2, 6 und 7. 2107 H 5a.



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auf göttlichen Beistand angewiesen sind. Luther wird in diesem Drama als ein göttliches Werkzeug gesehen, was seine eher passive Rolle erklärt. Im Zentrum steht seine göttliche Beauftragung. Dessen ungeachtet wird als seine Leistung die Rückkehr zur Schrift und die mit dieser verbundenen Konsequenzen, die Abwehr von Untugend, Aberglauben und falscher Lehre gewertet.2108 Von daher kann ihn Kielmann, ähnlich wie andere Autoren, einen Wundermann und Gottesmann nennen,2109 eine Terminologie, die an einen Propheten, insbesondere Elia gemahnt. Das Drama entspricht Typus 2b) unter Aufnahme von Elementen des Typus 1). 9.) Von Martin Rinckart kam das Drama: Indulgentiarius Confusus, Oder Eislebische Mansfeldische Jubelcomoedia ..., Eisleben 1618, im Rahmen der Jubiläumsfeiern der Grafschaft Mansfeld am Gymnasium zu Eisleben zur Aufführung.2110 Es repräsentiert Typus 1). 10.) Balthasar Voidius (Voigt)2111 aus Wernigerode, der von 1553–1636 lebte, ab 1588 Konrektor in seiner Geburtsstadt war und als Pastor ab 1593 in Wasserleben und ab 1611 in Drübeck wirkte, verfasste das Drama „Echo Iubilaei Lutherani. Das ist Ein Christlich Gedicht vnd Widerschall vom Lutherischen Jubelfest: so deß abgewichenen 1617. Jahrs in der Christlichen Catholischen vhralten vnd Lutherischen Kirchen Celebrirt worden / mit Personen als eine Comedia zugericht / dessen Innhalt folgender Prologus anzeigt / Patri Sixto zu Rom Dedicirt / Gestellt von einem liebhaber der Catholischen Warheit“ (1618).2112 In diesem Drama ist Luther zum Jubiläum von den Toten auferstanden. Er begegnet dem als Reliquienhändler tätigen Tezelius, den er verjagt. Schließlich triumphiert er über den Papst, der ihn mit Hilfe der Jesuiten (‚Jesuwider‘) umbringen will; trotz der Hilfe durch die Kardinäle Bembo, Bellarmin und Hosius wird der Papst vom Teufel weggeführt. Voidius schrieb ferner eine geistliche Komödie ‚Josephus‘, die 1619 in Leipzig erschien. Das Stück vertritt klar Typus 2b).

2108 Vgl. die Rede Michaels in Akt V Szene 1, G 6a: „So hat auch Gott gesehen an / Wie sein Werckzeug ein bhertzter Mann Martin Luther aus Sachsen Landt Sich hat zur GÖttlichn Schrifft gewandt / Vnd dadurch tapffer helffen wehrn Allm Laster / Aberglaub / falschem Lehrn.“ 2109 Vgl. den Epilog, H 7a; Akt V Szene 4, H 2a. 2110 Vgl. Schönstädt, a.a.O., S. 27. Das Drama ist abhängig von Hartmann und Kielmann; vgl. Erdmann, Lutherfestspiele, S. 39.43ff. Es schließt mit zwei Komödientänzen, bei denen es sich um eine Allemande handelt. 2111 Zur Vita Voidius’ vgl. Eduard Jacobs, Art. ‚Voigt, Balthasar‘, ADB 40, S. 198–200, wo allerdings nur das Joseph-Drama Erwähnung findet. Es handelt sich um Balthasar Voigt den Älteren. Zabel, Lutherdramen, S. 22, verweist auf ADB 40, S. 200ff; dieser Art. hat jedoch Balthasar Voidius den Jüngeren zum Gegenstand, von dem kein Drama bekannt ist. 2112 Bei Goedeke, Grundriß Bd. 2, S. 376, wird es unter den sächsischen Spielen aufgeführt. Zu dem Drama vgl. Zabel, a.a.O., S. 22–26; Erdmann, a.a.O., S. 48f.

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11.) Nach 1617 erschien: Martin Rinckart, Der Müntzerische Bauernkrieg (1625). Auch dieses Drama gehört zum Typus 1). 12.) Erdmann erwähnt noch ein Drama ‚Eusebia Magdeburgensis‘ eines nach ihm unbekannten Verfassers, das zum Jubiläum der Einführung der Reformation 1624 in Magdeburg erschienen ist.2113 Autor war der aus Salzwedel stammende gekrönte Poet Johannes Blocius, dessen historische Studien über die Magdeburger Reformation in ein fünfaktiges Drama mündeten. Es handelt sich eher um dramatisierte Dialoge, in denen alle Reformatoren und die Vertreter einer radikaleren Reformation auftreten, wobei es auch zu Anachronismen kommt.2114 Dennoch ist es Typus 1) zuzuordnen. Aus diesem Überblick ergibt sich, dass die Lutherdramen in verschiedenen lutherischen Territorien verbreitet waren, wobei ein gewisser Schwerpunkt in den Kernlanden der Reformation in Mitteldeutschland liegt. Ein Höhepunkt für die Entstehung von Lutherdramen besonders der ersten Kategorie bildet das Reformationsjubiläum 1617, nicht zufällig, gilt doch, dass Luthers Leben „ein wesentliches Moment der Selbstvergewisserung des Luthertums“2115 bildete und insofern identitätsstiftend wirken sollte.2116 Danach geht die Produktion von Lutherdramen stark zurück. Abgesehen von dem Magdeburger Drama, hat lediglich Martin Rinckart nach 1617 versucht, zu weiteren Jubiläen der Reformation ein Lutherstück zu veröffentlichen. Nach dieser Einführung geht es im Folgenden um die exemplarische Interpretation der drei zuvor genannten Dramen, die je einem Typus von Lutherdrama entsprechen.

1. Friedrich Dedekind, Papista conversus (1596) Papista conversus Ein newe Christlich Spiel von eim Papisten / der sich zu der rechten warheit bekeret vnd darÜber in Gefengniß vnd gefahr des lebens kompt. Darauß er durch Gottes hÜlffe gnediglich erlÖset wirdt. NÜtzlich zu lesen. Gefertiget durch M. Fridericum Dedekindum den Elteren, Hamburg 1596 [Exemplar Wolfenbüttel] Friedrich Dedekind2117 wurde 1524 in Neustadt am Rübenberge bei Hannover geboren. Er studierte in Marburg und Wittenberg und erwarb 1550 den Magistergrad. Wie 2113 Vgl. Erdmann, a.a.O., S. 49. 2114 Zu Blocius s. Wilhelm Scherer, Art. ‚Blocius, Johannes‘, ADB 2, S. 712. 2115 Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede, S. 22. 2116 Zur identitätsstiftenden Funktion der Jubiläumsfeierlichkeiten unter besonderer Berücksichtigung der Gottesdienste vgl. Helga Robinson-Hammerstein, Sächsische Jubelfreude, in: Rublack, Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland, S. 461f. 464. 474. Vgl. ferner Kaufmann, a.a.O., S. 23: „Die vergegenwärtigende Erinnerung der Reformation im Jubelfest konstituierte gleichsam die eigene Geschichte.“ 2117 Zu Dedekinds Leben und Werk vgl. Barbara Könneker, Art. ‚Dedekind, Friedrich‘, Literatur Lexikon 3, S. 11f.



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sich aus Briefen Melanchthons an den Doktor der Medizin Burkhard Mithoff entnehmen lässt, war Dedekind bereits vor seinem Studium in Wittenberg in Kontakt zu Melanchthon getreten, eine Verbindung, die bis zum Tode des Reformators aufrecht erhalten wurde. So findet sich Dedekinds Name auch nach Verlassen der Universität weiterhin in Briefen des Reformators an Mithoff, der letzte datiert vom 20. Juli 1559. Melanchthon war es auch, der Dedekinds literarische Neigungen förderte und durchaus Anteil an dessen Erstlingswerk, dem ‚Grobianus‘ hatte, auch indem er die Vorbereitungen zum Erscheinen des Werkes unterstützte.2118 1551/52 trat Dedekind das Amt des Pfarrers in seiner Heimatstadt, an der Liebfrauenkirche an.2119 Vermutlich war er es, der in dieser Kirche ein Melanchthon-Epitaph anbringen ließ.2120 1576 wurde Dedekind Pfarrer in Lüneburg und Inspektor über alle Kirchen in den Bistümern Verden und Lübeck. 1598 verstarb er in Lüneburg. Dedekind verfasste 1549 sein erstes Werk, den ‚Grobianus‘, eine Satire über schlechtes Benehmen, die sehr beliebt war und mehrfach nachgedruckt wurde. Daneben schrieb er geistliche Dramen, so den ‚Miles christianus. Der christliche Ritter‘ aus dem Jahr 1576, eine Dramatisierung der geistlichen Rüstung aus Eph 6, die ebenfalls mehrfach nachgedruckt wurde. Ein weiteres Drama Dedekinds auf die biblische Geschichte von der Hochzeit zu Kana – diese wie auch andere Hochzeitsstoffe, etwa die Heirat Isaaks und Rebekkas, wurden in der Reformationszeit und in der konfessionellen Zeit häufiger zum Zwecke der Ehekatechese dramatisiert – wurde erst vor wenigen Jahren entdeckt.2121 1596 verfasste Dedekind das Drama ‚Papista conversus‘, der bekehrte Papstanhänger.2122 Das Drama verarbeitet in Anlehnung an Act 12 einen fiktionalen Stoff und setzt in diesen die Personen Martin Luthers und Philipp Melanchthons ein. Dies ist von besonderem Interesse, als so beobachtet werden kann, welche besonderen Züge Luther im Gegenüber zu Melanchthon erhält. Das Stück besteht aus fünf Akten:

2118 Vgl. Eberhard Doll, Liebfrauenkirche in Neustadt am Rübenberge. Der Klerus vor der Reformation und die ev.-luth. Pastoren bis 1679. Eine personengeschichtliche Studie, Bramsche 2003, S.  215.Vgl. Melanchthons Briefwechsel. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe, hrg. v. Heinz Scheible. Regesten Bd. IV, S. 369, Nr. 4257; Bd. VIII, S. 367, Nr. 9008. 2119 Vgl. Doll, ebd. 2120 Vgl. ebd. 2121 Vgl. Britta J. Kruse – Ulrike Gaebel, Ein unbekanntes Spiel von Friedrich Dedekind: Hochzeit zu Cana in Galilea, Daphnis 4 (1990), S. 715–719, und: Ulrike Gaebel – Erika Kartschoke – Britta J. Kruse, Gebrauchsliteratur der Frühen Neuzeit: Ehedialoge und Spiele über die Hochzeit zu Kana, in: Editionsdesiderate zur Frühen Neuzeit. Beiträge zur Tagung der Kommission für die Edition von Texten der frühen Neuzeit, hrg. v. Hans-Gert Roloff. Erster Teil (Chloe. Beihefte zum Daphnis Bd. 24), Amsterdam – Atlanta GA 1997, S. 83ff, bes. 85f. 2122 Zu diesem Drama vgl. jetzt auch Kai Bremer, Konversion und Konvertiten auf dem Theater der Frühen Neuzeit, in: Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit, hrg. v. Ute LotzHeumann, Jan-Friedrich Mißfelder und Matthias Pohlig, Göttingen 2007, S. 437f.

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Inhalt des ersten Aktes ist die Begegnung Luthers und Melanchthons mit dem altgläubigen Simon, der gerade ein Gebet zur Gottesmutter Maria verrichtet hat, und dessen Bekehrung zum reformatorischen Glauben. Das Drama beginnt mit einer Unterhaltung Luthers mit Melanchthon über den Fortgang der Reformation, besonders über die Widerstände seitens der Altgläubigen. Beide hegen aber die Hoffnung, Menschen für die Reformation zu gewinnen. In der zweiten Szene kommt es zur Begegnung mit Simon, den sie in ein Gespräch über das Erlangen der Seligkeit verwickeln. Simon schildert seine Frömmigkeit. Luther stellt fest, eine solche Frömmigkeitspraxis stamme nicht aus Gottes Wort. Simon meint, diese Frömmigkeit habe immer schon bestanden und die Kirche habe doch stets Gottes Wort gehabt. Luther entgegnet, man habe nicht auf die Bibel gehört. Auf die eigene Andacht aber könne man sich nicht verlassen, sie gebe keine Gewissheit. Er erklärt ihm, wie der Mensch vor Gott gerechtfertigt werden kann. Simon bekommt erste Zweifel an der hergebrachten Lehre und will die beiden noch ein andermal hören. Nachdem sich Simon in der folgenden Szene alleine bedenkt, begegnet er erneut den Reformatoren (Akt I Szene 4). Dabei kommt es zu einer zweiten ausführlicheren Katechese. Luther fragt nach der Buße, Simon zeigt kein Sündenbewusstsein. Melanchthon predigt ihm das Gesetz: Hast du wirklich Gott über alles geliebt und den Nächsten wie dich selbst? Er stellt fest, die ganze Natur des Menschen sei verdorben. Luther erklärt, Gott fordere das ganze Herz des Menschen. Simon pocht auf seine Werke, seine Frömmigkeit sowie die Fürbitte Marias und der Heiligen. Melanchthon verweist auf die Schrift, die davon nichts sage. Luther predigt Simon das Evangelium: Der Mensch werde sola gratia sola fide gerecht. Simon, obwohl er sich als Laie fühlt, zeigt Einsicht.2123 Die Reformatoren schenken ihm ein Buch und verabschieden sich. Zu Beginn des zweiten Aktes beklagen zwei Mönche, Vertreter der Bettelorden, die Ausbreitung der Reformation; sie fänden nur noch Verachtung vor. Die beiden Mendikanten tauschen sich darüber mit einem Pfarrer aus. Ein kaiserlicher Herold erscheint und gibt ein Mandat Kaiser Karls (V.) bekannt. Darin wird die Absicht bekundet, die Ketzerei Luthers auszurotten. Alle Bücher Luthers sollen verbrannt werden. Die Reichsacht wird über ihn und alle, die dem Mandat zuwider handeln, verhängt. Die Mönche bitten den Priester um eine Gabe. Dieser weigert sich und zieht es vor, sich dem Essen zu widmen, auf das er sich gefreut hat – eine Satire auf den Klerus. Im dritten Akt wird dargestellt, wie es Simon gelingt, seinen Kindern den evangelischen Glauben beizubringen. Simons Nachbar, der der ‚Examination‘ durch Simon beiwohnt, ist vom Wissen der Kinder derart beeindruckt, dass auch er sich dem evangelischen Glauben anschließt. Allerdings kommt es nun zwischen Simon und seiner Frau mit dem bezeichnenden Namen Isebel zum Streit: Diese wehrt sich heftig gegen die neue Lehre. Simon begegnet daraufhin Luther und Melanchthon (Akt III Szene 6), die sich erkundigen, wie es ihm ergangen sei, ob es Anfechtungen und Widerstände gebe. Simon bezeugt, zum evangelischen Glauben zu stehen, klagt aber über seine Frau. Die Reformatoren verdeutlichen ihm, dass Kreuz, Anfechtung und Widerstände zur christlichen Existenz dazugehörten. In der folgenden Szene unterhalten sich Luther und Melanchthon über die Verbreitung der reformatorischen Gedanken. Gott gebe eher den Geringen das Evangelium als den 2123 Die Bekehrung Simons ist also kein mit einem Gespräch, schnell vollzogener Akt, wie es Bremer, a.a.O., S. 437, suggeriert, sondern ein, wenn auch nicht sehr gedehnter Prozess.



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Großen. Sie machen sich Sorgen, der Satan könnte es auf Simon abgesehen haben, ihm könnte eine Verfolgung drohen. Der vierte Akt bringt eine erneute – ergebnislose – Unterredung zwischen Simon und Isebel. Diese informiert ihre Familie über die Situation und holt ihren Vater und ihre Brüder zu Hilfe, denen sie klagt, ihr Mann sei vom christlichen Glauben abgefallen. Die Verwandtschaft Isebels wirkt vergeblich auf Simon ein. Diese schaltet den Ortspfarrer ein, dessen Bemühungen ebenfalls erfolglos bleiben. Der fünfte Akt beginnt damit, dass der Pfarrer Simon vor dem Bischof anklagt. Dieser beruft zur Beratschlagung ein Gremium ein, dem der Pfarrer, einer der Bettelmönche, ein Domherr und ein Jesuit angehören. Es kommt zu einer letzten Begegnung Simons mit den Reformatoren in Szene 4, die zugleich auch deren letzten Auftritt im Drama bildet. Simon klagt zunächst im Gebet über die drohende Verfolgung. Er freut sich über die Ankunft Luthers und Melanchthons und berichtet ihnen von der bedrohlichen Situation. Luther erklärt ihm, dass zum Christsein das Kreuz gehöre. Gott aber sorge für ihn, er werde ihn schützen und bewahren. Er lasse den, der auf ihn traut, nicht zuschanden werden. Auch werde ihm verliehen, was er im Falle eines Verhörs sagen solle. Im Folgenden wird Simon vorgeladen und verhört. Er bleibt bei seiner Lehre. Daraufhin wird beschlossen, ihn dem weltlichen Arm zu übergeben und zum Tod durch Verbrennung zu verurteilen. Das Urteil soll am folgenden Tag vollstreckt werden. Simons Kinder und sein Nachbar sind verzweifelt und bitten Gott um Hilfe. Da befreit ihn ein Engel in der Nacht aus dem Gefängnis und bringt ihn ins Haus des Nachbarn, wo seine Kinder ihn glücklich empfangen – ein Motiv, das Dedekind aus Act 12, aus der Geschichte von der Befreiung des Petrus übernommen hat. Mit diesem ‚happy end‘ schließt das Drama.

In sechs Szenen des Dramas treten Luther und Melanchthon – immer gemeinsam – auf, in zwei Szenen darunter erscheinen sie alleine. Die übrigen vier Szenen stellen Begegnungen mit Simon dar, den sie zum reformatorischen Glauben bringen. Nie stehen die Reformatoren selber altgläubigen Klerikern gegenüber; ihr einziger Kontakt nach außen bzw. zu den Altgläubigen ist Simon – ein Reflex der Situation, dass die Reformatoren in Dedekinds Zeit den Verteidigern des lutherischen Glaubens nicht mehr zur Verfügung standen. Auch Simon geben sie zwar den entscheidenden Anstoß, im Folgenden aber lediglich Hilfe zur Selbsthilfe. Nach den Begegnungen verschwinden sie. Simon muss seine Kämpfe mit seiner Familie und den Vertretern der katholischen Hierarchie alleine ausfechten. Dem Erscheinen der Reformatoren haftet etwas Unwirkliches an. Die Begegnungen Simons mit den beiden Wittenbergern finden abseits des normalen Lebens, ohne Beteiligung jener Personen statt, mit denen Simon sonst kommuniziert. Das Auftreten Luthers und Melanchthons wirkt, obgleich sie schon in der ersten Szene des Dramas agieren, unvermittelt. Stereotyp erklären sie am Schluss ihrer Gespräche mit Simon, sie müssten an einen anderen Ort weiterziehen– wie eine Art Feuerwehr, die immer dorthin geschickt wird, wo es brennt. In gewisser Weise erscheinen die beiden Reformatoren, negativ formuliert, als Agitatoren, die aus dem Untergrund plötzlich auftauchen, ihr Agitationswerk verrichten und dann wieder verschwinden, um an anderer Stelle weiterzuwirken und dort

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Menschen für die Reformation zu gewinnen. Positiv gefasst könnte man sagen, dass die beiden Reformatoren die Funktion von Engeln erfüllen, die punktuell an einem Ort in göttlichem Auftrag wirken, um sich nach erfüllter Mission einem neuen Wirkungsort zuzuwenden. Sie verlieren dabei aber, wie im Falle Simons deutlich wird, den Menschen, dem sie sich zugewendet haben, nicht aus dem Sinn, sondern betreuen ihn – punktuell – weiter. Dedekind lässt natürlich keinen Zweifel daran, dass die Reformatoren Menschen sind. In Akt V Szene 8, tritt tatsächlich ein Engel in solch punktueller Weise auf, der Simon auf göttliches Geheiß aus dem Gefängnis befreit.2124 Trotz gewisser Analogien lässt sich also keineswegs sagen, Dedekind stelle Luther und Melanchthon als Engel dar. Auch im engeren Sinne Wunderbares, etwa übernatürliches Wissen, wird nicht von Luther ausgesagt. Lediglich von der Verleihung göttlicher Gnade, bezogen auf die Verkündigung des Wortes, ist zu Beginn des Dramas die Rede,2125 d.h. ihm wird ein prophetisches Amt der Lehre zuerkannt, was auch Dedekinds Vorrede bestätigt, die Luther offenbarende Funktion zuerkennt2126 und in der er als göttliches Werkzeug bezeichnet wird2127. Dieses nimmt aber im Drama keine wunderbaren Züge an. Auffallend ist nur, dass die Reformatoren nicht auf ihre eigene Gefährdung durch Verfolgung – in Akt II wird auch und gerade über sie die Reichsacht verhängt – zu sprechen kommen. Das Drama gibt zu erkennen, dass die Reformatoren nicht mehr gegenwärtig sind, obwohl man in der aktuellen konfessionellen Situation ihren Beistand gut gebrauchen könnte. Zur Lösung dieses Problems verweisen Luther und Melanchthon selbst zum einen auf ihre Bücher – exemplarisch schenken sie zwei dem Simon –, in denen die reformatorische Lehre präsent bleibt.2128 Zum andern geben sie, genauer Melanchthon, zu bedenken, dass es nicht auf Namen ankomme, sondern auf die Lehre: Man müsse fragen, ob eine 2124 Vgl. Dedekind, Papista conversus, M Ia, wo der Engel sagt, Gott habe ihn vom Himmel gesandt und fortfährt: „Denn auch wir Engel allezeit / Zu dienst den leuten sein bereidt / Die Gott der Herr beruffen hat / Daß sie hernach durch seine gnad / Beerben solln die seligkeit / Mit vns in alle ewigkeit.“ 2125 In Akt I Szene 1; A IIIIa–b, sagt Luther: „Wir aber han durch Gottes gnadt / Den sachen also viel geratn / Das nun mehr Öffentlich an tag / Die lauter warheit kommen mag / Vnd aller Welt bekant nun werdn / So mir der Schepffer himls vnd erdn / Wie er schon angefangen hat / Verleihen wirdt sein gÖttlich gnad. Das vnverhindert / an allem ort / Das allein seligmachend wort / Gepredigt werd vnd vor sich geh / Wie ich mich des zu jhm verseh.“ 2126 Vorrede; ( ) IIIb: „... hat dennoch der getrewe vnd gÜtige Gott ... zu diesen letzten zeiten sein heilsames vnd allein seligmachendes wort / aus sonderlichen gnaden durch den tewren mann D. Lutherum / Christlicher vnd seliger gedechtniß / sampt seinen getrewen gehÜlffen gnediglich wider offenbaren / vnd an den tag gegeben / damit die Sonne der Gerechtigkeit / am abend der Welt / noch vnter den Wolcken / als zu guter letzt / auffblickte / vnd also den lieben tag beschlÜsse.“ 2127 A.a.O.; ( ) VIIa, wo von „seinem heilsamen werckzeug Doctorem Martinum Lutherum” die Rede ist. 2128 Vgl. Akt I, Szene 4; C Ia. Es wird nicht gesagt, um welche Bücher es sich handelt. Möglicherweise denkt Dedekind an einen Katechismus, verfügen doch Simons Kinder in Akt III Szene 3 (E IIIIaff) über beträchtliches katechetisches Wissen.



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Lehre Gottes- oder Menschenlehre sei.2129 Zwar könnte die Tatsache, dass Simons Frau, die die – verborgene – Gegnerin Luthers darstellt, den Namen Isebel trägt, darauf hindeuten, dass Dedekind Luther als ‚dritten Elia‘ auffasst, doch lässt sich dafür aus dem Drama kein weiteres Indiz direkt namhaft machen. In ihm selbst erscheinen keine apokalyptischen Gedanken, Dedekind gibt solche allerdings im Prolog zu erkennen.2130 Im Verhältnis Luther – Melanchthon fällt zunächst auf, dass Luther deutlich mehr Redeanteile hat. Legt man alle Szenen, in denen die beiden Reformatoren auftreten, zugrunde, kommt Luther nahezu doppelt so oft wie Melanchthon zu Wort. Seine Äußerungen sind dabei auch mehr als doppelt so lang. In den Gesprächen zwischen den beiden gibt Luther den Ton an. Zwar kommen beide in diesem Fall fast gleichmäßig zu Wort, doch sind Luthers Beiträge auch hier fast doppelt so lang wie die seines Mitstreiters. Hinzu kommt, dass er das Geschehen bestimmt. So signalisiert er, wann Simon anzusprechen ist, und hält Melanchthon erst einmal zurück.2131 Nachdem Luther in Akt III Szene 7 das Zeichen zum Aufbruch gibt, „Damit wir an ein andern ort / Auch ferner pflantzen Gottes wort ...“, sagt Melanchthon: „Ja Herr des bin ich auch bereidt / Vnd folg euch gern zu aller zeit.“2132 Luther wird ‚Doctor‘ genannt, Melanchthon „sein trewe gefert“.2133 Auch in den Gesprächen mit Simon ist Luther der Wortführer. So ist er es, der Simon anspricht und später nach seinem Ergehen fragt.2134 In den betreffenden Szenen kommt Luther etwas mehr als doppelt so häufig zu Wort wie Melanchthon, dessen Beiträge wiederum weit mehr als doppelt so kurz sind. Melanchthon fällt nur ein unterstützender Part zu. Die einzige Stelle, an der er länger spricht, ist der Vollzug der Gesetzespredigt an Simon in Akt I Szene 4,2135 diese freilich bezogen auf den Zuspruch des Evangeliums, der wiederum Luther vorbehalten bleibt. Luther gibt die Richtung an, Melanchthon unterstützt materialiter. So gibt er in Akt III Szene 7 nach Luthers Bemerkung, nur die Geringen nähmen die reine Lehre an, den Hinweis auf Jes 55.2136 In Akt I Szene 4 belehrt er Simon, dass die Bibel nichts von Heiligenverehrung sage.2137 Auch in den letzten Begegnungen mit Simon ist Luther derjenige, der inhaltlich das Gespräch voranbringt und Simon auf das für das 2129 Vgl. C Ib. 2130 Vorrede; ( ) IIIb: „... hat dennoch der getrewe vnd gÜtige Gott ... zu diesen letzten zeiten sein heilsames vnd allein seligmachendes wort / aus sonderlichen gnaden durch den tewren mann D. Lutherum / Christlicher vnd seliger gedechtniß / sampt seinen getrewen gehÜlffen gnediglich wider offenbaren / vnd an den tag gegeben / damit die Sonne der Gerechtigkeit / am abend der Welt / noch vnter den Wolcken / als zu guter letzt / auffblickte / vnd also den lieben tag beschlÜsse.“ Vgl. ( ) VIIa, wo von „diesen letzten zeiten“ die Rede ist. 2131 Vgl. Akt I Szene 1 und 2; A VIa–b. 2132 F VIIIa. 2133 Akt V Szene 4; K IIIa. 2134 Vgl. Akt I Szene 2; A VIIb und Akt III Szene 6; F Va. 2135 Vgl. B VIaff. 2136 Vgl. F VIIb. 2137 Vgl. B VIIIa.

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Christenleben konstitutive Kreuz verweist, aber auch auf den Trost, der in der Erlösung durch Christus besteht. Insgesamt wirkt Luther zuversichtlicher, zugleich aber auch realistischer als Melanchthon. So ist er in Akt I Szene 1 gegen Melanchthons Sorgen gewiss, dass die reformatorische Sache nicht in der Gewalt der Gegner, sondern in der Hand Gottes liege und dass es verborgene reformatorische Christen unter den Altgläubigen gebe.2138 Andererseits vermutet er in Akt III Szene 7, dass Simon vom Teufel heimgesucht werde,2139 was Melanchthon in Akt V Szene 4 als eingetroffen konstatiert. Trotz dieser Unterschiede werden Luther und Melanchthon als von einem breiten Grundkonsens getragen dargestellt. In keiner Weise erscheint Melanchthon als Widerpart Luthers. Beide stehen für dieselbe Theologie, wobei Luther der Wortführer und Melanchthon sein treuer Gefährte ist, der unterstützende Dienste leistet.2140 Was ergibt sich nun aus diesem Drama für ein Werk Luthers? Damit ist die Frage berührt, worin nach Dedekind die reformatorische Lehre ihren Kern hat. Als klare Antwort ergibt sich, dass im Drama theologisch die Rechtfertigungslehre, die Frage, wie der Mensch selig werden kann, und damit die Auseinandersetzung mit der altgläubigen Frömmigkeit im Vordergrund steht. Dieses Thema erscheint schon im ersten Dialog Luthers und Melanchthons. Von Beginn an steht es im Gespräch der Reformatoren mit Simon im Mittelpunkt. Luther setzt dort ein mit der Bemerkung, es scheine, als sei Simon in Sachen Seligkeit noch nicht recht unterrichtet: „So sagt vns doch zu dieser frist / Wie dÜnckt euch das mans machen soll / So einer selig werden woll.“2141 Auf die Antwort Simons, der seine eigene altgläubige Frömmigkeitspraxis darstellt, fragt Luther Simon, ob er denn gewiss sei, dass dieses Tun selig machen könne und Gott wirklich gefalle.2142 Luther räumt ein, dass Simons Auffassung seit langer Zeit üblich sei, dass aber nun die Schrift, das göttliche Wort wieder hervorgekommen sei; dieses „... zeigt vns widdr die rechte bahn / Darauff wir trewlich wandern solln / So fern wir selig werden wolln.“2143 Man müsse sich an Gottes Gebot, nicht an die Bräuche der Väter halten. In diesem Abschnitt verlagert sich damit der Schwerpunkt mehr auf die Frage der Stellung der Bibel. Diese habe man in der Vergangenheit nicht gelesen, sich statt dessen auf eigene Andacht begeben. Darauf aber könne sich das Herz nicht verlassen, die Seligkeit bleibe so im Zweifel.2144 Im Folgenden verweist Luther auf Christus, der allein durch seinen Tod dem Menschen Gnade, Vergebung und damit die Seligkeit erworben habe, die man im Glauben erlange.2145 2138 Vgl. A IIIIb. Vb. 2139 Vgl. F VIIb–VIIIa. 2140 Vgl. auch die Vorrede; ( ) IIIb, wo Dedekind von Luther und „seinen getrewen gehÜlffen“ spricht. 2141 A VIIIa. 2142 Vgl. B Ia. 2143 B Ib. 2144 Vgl. B IIa. 2145 Vgl. B IIb–IIIa.



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Auch das zweite Gespräch der Reformatoren in Akt I Szene 4 mit Simon steht unter dem Thema der Frage nach dem rechten Weg zur Seligkeit.2146 Es entwickelt sich ein Lehrgespräch, in dem Luther strukturiert vorgeht: Er erläutert Simon, dass es der erste Schritt auf dem Weg zur Seligkeit sei, von Herzen rechtschaffene Buße zu tun, was Simon nachvollziehen kann.2147 Rechte Buße vollziehe sich nun darin, sein Gewissen zu prüfen und sich zu fragen, ob man vor Gottes Gericht bestehen könne. An Simon gewendet, fragt Luther, ob er Sünden nennen könne, die ihn verdammen könnten.2148 Auf die Darlegung seiner Frömmigkeitswerke durch Simon setzt Melanchthon mit seiner Gesetzespredigt ein, in der er zum Ausdruck bringt, dass jeder Mensch vor Gott schuldig, die ganze Natur des Menschen verdorben sei, so dass er zum Tun des Guten unfähig sei.2149 Luther fasst zusammen: Gott fordere den ganzen Menschen. Da dies bei keinem Menschen gegeben sei, könne keiner vor Gottes Gericht bestehen.2150 Kein eigenes Werk könne die Seligkeit verleihen.2151 Auf die Frage Simons, wie denn die Schrift – an diese als Grundlage hatte ihn Melanchthon gewiesen – den Weg zur Seligkeit definiere, verweist Luther auf Christus und das sola fide: „Diß ist die summ: mein lieber mann / Daß Christus hat genug gethan / Mit seinem todt vor vnser schuldt / Vnd vns erworben Gottes huldt / Das mus man gleuben festiglich / So wirt man selig ewiglich. Kein ander weg zum Himmel ist / Denn nur der glaub an Jesum Christ.“2152 Umgehend erläutert Luther auch die reformatorische Auffassung von der Stellung der guten Werke: „Vnd wenn der mensch den ist gerecht / Durch glaubn / vnd ein frommer knecht / So hat den Gott ein wolgefalln / Ans menschen guten wercken alln.“2153 Diese Werke belohne Gott auch, wie Luther feststellt, allerdings bleibe die Seligkeit immer ein Gnadengeschenk.2154 Auf Simons Einwand, diese Lehre sei neu, antwortet Luther, das sei gerade das Schlimme, dass man den Christen falsche Lehre geboten und sie betrogen habe.2155 Die Abschlusscharakter tragende Frage Simons, ob diese Lehre die Wahrheit sei, gibt Luther die Gelegenheit zu verdeutlichen, dass diese Lehre nicht von ihnen selbst aufgebracht worden, sondern aus Gottes Wort genommen sei.2156 Den Schwerpunkt der beiden ersten Gesprächsrunden mit Simon und schon zuvor der Reformatoren untereinander markiert also die Frage nach dem Erlangen der Seligkeit, die Rechtfertigungslehre, das Materialprinzip der Reformation. Das Formalprinzip, die 2146 Simon (B Va): „So wolt ich euch gebeten han / Jhr wolt doch wider fangen an / Vnd geben mir grÜndtlich bescheidt / Vom rechten weg zur seligkeit.“ 2147 Vgl. B Vb. 2148 Vgl. ebd. 2149 Vgl. B VIaff. 2150 Vgl. B VIIa–b. 2151 Vgl. B VIIb. 2152 B VIIIa. 2153 Ebd. 2154 Vgl. B VIIIa–b. 2155 Vgl. B VIIIb. 2156 Vgl. ebd.

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reformatorische Auffassung von der Schrift, erscheint zwar auch in den Gesprächen, aber nur in der Umfassung durch die Rechtfertigungslehre, nicht selbständig. In den Gesprächen agiert Luther als Lehrer mit didaktischem Impetus. Es gelingt ihm, Simons hergebrachte Auffassung zu erschüttern und zugleich ein reformatorisches Gedankengebäude in ihm zu errichten. Ein zweites Thema erscheint in den weiteren Gesprächsrunden. Nachdem Simon den evangelischen Glauben angenommen hat und in seinem Umfeld lebt, erfährt er Bedrängnis und Verfolgung. Luther, der dies aus seiner Erfahrung vermutet, hat in Akt III Szene 6 das Verlangen von ihm zu hören, wie es um ihn steht, und schneidet das Thema auch bei der nächsten Begegnung an; er erkundigt sich genau nach dem Befinden Simons, der schließlich doch über seine Frau klagt.2157 Luther weist in seiner Antwort auf Christus, der gesagt habe, dass zuweilen die Hausgenossen die ärgsten Feinde des gläubigen Christen seien. Er bittet Simon um Geduld.2158 Trübsal, Anfechtung, Not, kurz: das Kreuz, das man Christus nachtrage, gehöre zur christlichen Existenz.2159 Dem Kreuz folge aber die ewige Seligkeit. So solle er getrost sein, Gott selbst wache über ihn, er sei bei ihm und werde ihn aus dem Tod retten.2160 Auch in der letzten Gesprächsrunde, Akt V Szene 4, fragt Luther nach Simons Befinden, dessen Traurigkeit ansprechend.2161 Luther wiederholt seine Überzeugung, wer Jünger Christi sein wolle, müsse leiden.2162 Er möge sich Gott anbefehlen, der ihn schützen und bewahren werde; er solle sich dessen erinnern, was er habe: „ein gute sachn“, und so Mut fassen. Auch werde ihm im Falle des Verhörs gegeben, was er reden solle, wie Christus es verheißen habe.2163 Luther schließt: „Mein lieber Simon seit getrost / Jn Christo / der euch hat erlÖst / Greifft zur gedult vnd weset still / Erwartet was Gott haben will / Wer dem vertrawt / auff dieser erdn / Den lest er nicht zu schanden werdn.“2164 Luther erscheint in diesen Unterredungen als Seelsorger und durchaus einfühlsamer Gesprächspartner – eine Funktion, die im Drama anschaulicher dargestellt werden konnte als etwa in Predigten. Reformation gestaltet sich für Dedekind offenkundig auch und vor allem als Seelsorge, anteilnehmende Begleitung von Menschen aus einem rechtfertigungstheologisch motivierten Interesse heraus, dem es um das Heil des Menschen geht. Wie Kai Bremer zu Recht feststellt, ist die Zielsetzung des Dramas in der Erbauung der Adressaten zu erkennen: „Geschildert wird eine Extremsituation, die durch Standhaftigkeit im Glauben und mit Hilfe göttlichen Beistands überwunden wird.“2165 Dies bedeu2157 Vgl. Akt III Szene 6; F IIIIb–Va. 2158 Vgl. B VIa. 2159 Vgl. B VIb. 2160 Vgl. ebd. 2161 Vgl. K IIIa. 2162 Vgl. K IIIIb. 2163 Vgl. ebd. 2164 K IIIIb. 2165 Kai Bremer, Konversion, S. 438.



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tet auch, dass nicht die Bekehrung des altgläubigen Simon im Zentrum steht, sondern dessen „scheiternde Re-Konversion“.2166 Es liegt somit ein binnenorientiertes Drama vor. Zugleich legt Dedekind seinen Adressaten eine scharfe Abgrenzung gegenüber jeglichen Vertretern des alten Glaubens und seien es nahe Familienangehörige ans Herz; eine Toleranz erscheint ihm unmöglich.2167 Was Bremer allerdings nicht herausarbeitet, ist Bedeutung und Funktion der im Stück auftretenden Reformatoren. Diese sind ja nicht nur für die Bekehrung Simons verantwortlich, vielmehr begleiten sie ihn auch in der weiteren Phase seiner Glaubensentwicklung. Dass auch dies mit dem Ziel der Stärkung des Glaubens in einer diesen bedrängenden Situation in Verbindung steht, dürfte deutlich sein. Für eine genauere Erfassung der Intention ist einerseits die Zeit, in der Dedekind das Drama schrieb, andererseits seine eigene theologische Herkunft, die wesentliche Impulse der Theologie Melanchthons verdankt, zu berücksichtigen. Die wesentliche Frage ist entsprechend, wozu man Luther in diesem Stück als einem Produkt seiner Zeit brauchte. ‚Papista conversus‘ ist zunächst Ausdruck eines Luthertums, das sich nach Eintracht sehnte und eine letzte theologische Einheit zwischen Luther und Melanchthon postulierte. Nicht zufällig treten im Drama Dedekinds, der noch bei Melanchthon studiert hatte und sich diesem bleibend verbunden fühlte, was auch die von ihm initiierte Aufstellung eines Melanchthonepitaphs in der Neustädter Liebfrauenkirche belegt2168, Luther und Melanchthon gemeinsam auf. Nicht zufällig wird Melanchthon der ‚treue Gefährte‘ Luthers genannt. Ganz sicher nicht zufällig ist auch die starke Konzentration auf die Rechtfertigungslehre, die als der ursprüngliche Kern der lutherischen Anschauung und als gemeinsamer Nenner aufgefasst wird, abseits von allen innerlutherischen Streitereien um Abendmahlslehre und Christologie. Insofern ist es nur folgerichtig, wenn – in Aufnahme Melanchthons, der der Theorie der Ubiquität kritisch gegenüber stand – bei der Examination der Kinder auf jegliche Theorie zur Erklärung der Realpräsenz Christi im Abendmahl verzichtet wird.2169 Dedekind gibt sich auch mit diesem Werk als Vertreter einer moderaten Linie in den innerlutherischen Streitigkeiten zu erkennen.2170 Er steht damit in der Tradition Selneckers in seiner mittleren Phase, der 2166 Ebd. Insofern stellt sich die Frage, warum Bremer das Drama zu Beginn seiner Ausführungen (S. 437) als ‚Konversionsdrama‘ vorstellt. 2167 Bremer ebd.: „Dedekind akzentuiert die Brisanz der Situation dadurch, daß er den konfessionellen Konflikt in die Familie verlegt ... Religiöse Toleranz – gar in Gestalt einer Mischehe – schließt Dedekind aus.“ 2168 Vgl. Eberhard Doll, Liebfrauenkirche in Neustadt am Rübenberge, S. 215. 2169 Vgl. Dedekind, Papista conversus, Akt III Szene 3; E VIIb–VIIIa. – Heinz Scheible, Art. ‚Melanchthon‘, TRE 22, S. 394, stellt fest: „Aussagen über das Verhältnis des Leibes und Blutes Christi zu den Abendmahlselementen machte Melanchthon in seinen Lehrbüchern nicht. Die substantielle Gegenwart Christi in der Abendmahlsfeier genügte ihm.“ Vgl. Melanchthons Ausführungen in den Loci von 1559, Melanchthons Werke in Auswahl, hrg. v. Robert Stupperich. Bd. II/2, S. 522,4–11. 2170 Vgl. Eberhard Doll, Art. ‚Dedekind, Friedrich‘, BBKL XX, Sp. 375.

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in seiner ‚Historica oratio‘ von 1574 bemüht ist, den Einklang Luthers und Melanchthons in der Lehre aufzuzeigen.2171 Entscheidendes Kennzeichen des Dramas ist die Auseinandersetzung mit der römischen Kirche – der Streit mit den Reformierten erscheint erstaunlicher Weise nur am Rande2172 – mit dem Bemühen um eine scharfe lehrmäßige Abgrenzung. Das zeigt sich auch daran, dass zweimal auf den Vorwurf angespielt wird, Luthers Lehre sei eine Neuerung, wogegen Luther argumentiert, die reformatorische Lehre stamme aus Gottes Wort bzw. von Gott selbst.2173 Das Drama bietet entsprechend in Form von Luthers Dialogen mit Simon und Simons Gesprächen mit seinen Nachbarn Musterargumentationen für die Auseinandersetzung mit Katholiken. Es geht dem Verfasser wesentlich darum, die Zuhörer durch Vermittlung katechetischen Wissens im evangelischen Glauben zu befestigen und für die konfessionelle Auseinandersetzung zuzurüsten. Dazu stimmt auch, dass er in Akt III Szene 3 eine Anleitung zur Katechisation der Kinder gibt.2174 Die durch die Hinwendung zur Reformation gegebene Möglichkeit einer Steigerung des religiösen Wissens gilt ihm offensichtlich als Verdienst Luthers.2175 Der Kern des evangelischen Glaubens und damit sowohl der gemeinsame Grund und Garant der Einheit des Luthertums als auch der entscheidende Differenzpunkt zur katholischen Lehre wird dabei in der Rechtfertigungslehre gesehen. Gebraucht wird Luther in dieser Hinsicht vor allem als Lehrer. Mit seinem Drama intendiert Dedekind, dass sich die lutherischen Zeitgenossen auf diesen Kern der Reformation besinnen, sich um innere Einheit bemühen, um gegen die Angriffe der römischen Kirche gewappnet zu sein. Damit leuchtet ein Drittes auf, das hinter dem Drama steht: ein Bedürfnis nach Leitung, geprägt von dem Wunsch, ein Luther möge in der gegenwärtigen, durch die Erfolge 2171 Vgl. Zeeden, Martin Luther. Bd. 1, S. 55. Vgl. Selnecker, Historica oratio, in: Zeeden, a.a.O. Bd. 2, S. 58, wo Luther und Melanchthon als Mose und Aaron bezeichnet werden. – In der Neufassung der Historica oratio von 1590 betont Selnecker, wohl aufgrund der Geschehnisse in Kursachsen unter Christian I. wesentlich stärker den Vorrang Luthers unter Verzicht auf ausdrückliche Hervorhebung der Eintracht beider. Zum Ganzen vgl. Hans-Peter Hasse, Die Lutherbiographie von Nikolaus Selnecker. Selneckers Berufung auf die Autorität Luthers im Normenstreit der Konfessionalisierung in Kursachsen, ARG 86 (1995), dort S. 101. 111f. mit S. 115. 118. 2172 Eine Anspielung findet sich in der eben erwähnten Stelle Akt III Szene 3. Dort befragt Simon seine Tochter Elisabeth zur Realpräsenz von Leib und Blut Christi und erwähnt den reformierten Einwand des certo loco (E VIIb), naturgemäß ohne auf dessen Ursprung einzugehen, worauf Elisabeth antwortet (ebd.): „Das kan ich zwar noch nicht verstehn / Jch mus Gott ja nicht lÜgn straffn / Er hats gesagt / er kans wol schaffen“, worauf Simon entgegnet (E VIIIa): „Gleub jm er wirdt dich nicht betrign Er ist die warheit. Er kan nicht liegen / Was er verspricht das helt er auch.“ 2173 Akt I Szene 1; A IIIIb: „Wir habens ja nicht erst erdacht / Er selbest [sc. Gott] hats ans liecht gebracht.“; Akt I Szene 4; B VIIIb: „Wir habens ja nicht erst erdacht / Gotts wort hat vns hier auffgebracht.“ 2174 Vgl. dazu auch die Vorrede, ( ) VIIb. 2175 Diese Auffassung teilt auch der theologisch entgegengesetzte Gnesiolutheraner Cyriakus Spangenberg; vgl. Spangenberg, Cithara Lutheri, Teil III, nach Zeeden, Martin Luther. Bd. 2, S. 52.



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der Gegenreformation forcierten Situation die Richtung angeben.2176 Diese Sehnsucht zeigt sich auch in der Aussage des Dramas, dass dem Reformator noch Erfolg im Umgang mit den Altgläubigen beschieden war. Ihm gelang es Simon zu bekehren und beim neuen Glauben zu halten, so dass er sprechen konnte: „Nun sey gelobet Gott der Herr / Der vns nun hat die reine lehr / Seins Heilign Wortes wider gebn / Vnd gibt die gnade auch danebn / Daß es bey vielen dennoch hafft / Vnd allenthalbn noch frÜchte schafft.“2177 Am Schluss bekennt sich Gott ausdrücklich zu Luthers Werk, indem er den inhaftierten Simon aus dem Gefängnis befreit und einen glücklichen Ausgang schafft. Insofern kommt dem hier dargestellten Luther auch eine seelsorgliche Funktion zu, die Zeitgenossen ob dem eher geringen Erfolg ihrer Predigt zu trösten, auf die Verheißung Christi zu verweisen und sie – wie Simon – des Trostes in der Anfechtung zu versichern.2178

2. Andreas Hartmann, Erster Theil des Curriculi Vitae Lutheri (1600) Erster Theil / des Cvrricvli Vitae Lvtheri. Das ist: WArhafftige vnd kurtze Historische Beschreibung / der Geburt vnd Ankunfft / Auch Lehr / Lebens / Wandels / BerÜffs / Standes vnd Ampts / Vnd sonderlich der beharlichen vnd standhafftigen Glaubens Bekendtnis / bey reiner Euangelischer Warheit / vnd in Summa / der gantze Laufft / beydes Lebens vnd Sterbens/ Des Ehrwirdigen / Hocherleuchten / Gottseligen vnd Tewren Mannes Gottes / Herrn D. Martini Lutheri / etc. Heiliger GedÄchtniß. Jetzo gantz New Jnn etlichen vnterschiedenen / sehr schÖnen vnd Christlichen Comoedien repraesentiret vnd an Tag gegeben / Durch: Andreen Hartmann / etc., o.O. 1601 [Exemplar Wolfenbüttel] Andreas Hartmann stammte aus Herzberg. Für das Jahr 1559 ist belegt, dass er in Wittenberg studierte. 1586 wurde er als Unternotarius im Konsistorium in Dresden angestellt. 1587 erschien von ihm ein weltliches Drama „Historia von des... Ritter Amadisens aus Franckreich... Thaten“. 1593 wechselte er als Kanzleisekretär zur Stiftsregierung in Merseburg. Für 1600 liegt ein Zeugnis über sein Wirken in Magdeburg vor.2179 Ein Jahr später erschien sein Luther-Drama. Wie aus dem Titel erhellt und der Verfasser auch in der Vorrede an den Leser kundtut, wollte Hartmann mehrere Teile der Vita Luthers dramatisieren, wozu es allerdings nicht kam.2180 1624 erschien lediglich eine 2176 Zu den Erfolgen der Gegenreformation und hier zu deren, das Umfeld Dedekinds betreffenden Auswirkungen im Nordwesten als Folge des Kölner Krieges seit den 1580er Jahren, vgl. Thomas Kaufmann, Art. ‚Gegenreformation‘, RGG4 3, Sp. 540. 2177 Akt III Szene 7; F VIIa–b. 2178 Vgl. auch die Vorrede; ( ) Va–b. VIa. 2179 Zu Hartmann vgl. Reinhard Müller, Art. ‚Hartmann, Andreas‘, DL3 VII, 403f. 2180 Vgl. Hartmann, Erster Theil des Curriculi Vitae Lutheri, A VIIIa–b. Vgl. Erich Michael, Martin Rinckhart als Dramatiker, Leipzig 1894, S. 10.; Amalie Zabel, Lutherdramen, S. 5f.

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Neuausgabe des Dramas unter dem Titel ‚Lutherus redivivus‘.2181 Bis auf einige wenige Änderungen in der Schreibweise handelt es sich um eine genaue Wiedergabe der ersten Ausgabe. Allerdings wurden Widmungsrede und Vorrede an den Leser aus der ursprünglichen Ausgabe in dieser Version nicht mit abgedruckt. Ausdrücklich informiert Hartmann in der Widmungsrede über die von ihm herangezogenen Quellen: Er habe nach Anleitung aus 1. den Predigten Mathesii, 2. Sleidanus, 3. den ‚Tomi‘ Melanchthons, 4. den Colloquia Lutheri, 5. dem ‚Promptuarium exemplorum‘ und anderen glaubwürdigen Autoren diesen Lebenslauf Luthers „extrahiret“.2182 Sehr eng schließt er sich an Mathesius an, dessen Lutherpredigten ihn nach eigener Auskunft besonders beeindruckt haben.2183 Den Anlass für seine Dramatisierung der Vita Luthers sieht der Verfasser in einer mangelnden Würdigung des Werkes des Reformators, eine Haltung, die er als Undankbarkeit bezeichnet und die er vielerorts auch gegenüber den Predigern der Gegenwart erkennt.2184 Besonders schmerzt ihn, dass einige Jahre zuvor sogar Schüler Luthers sich dessen Namen geschämt hätten. Wenn er wenig später von Luthers Lehre als „... der wahren reinen reformireten, Euangelischen Lehre ...“2185 spricht, wird deutlich, dass er die ‚Kryptocalvinisten‘ im Visier hat, die für ihn von Luther abgefallen sind. Hartmanns Ziel ist es, durch Luthermemoria auch der lutherischen Lehre wieder aufzuhelfen, was er allerdings negativ formuliert: Wer Luther vergesse, vergesse auch die lutherische Lehre.2186 Die Wahl der Gattung Drama begründet Hartmann damit, dass man mit Rhythmen und Komödien „... nit allein jugend / sondern auch. woll mehr jarigen offtermals die vnbekantesten vnnd schweresten Sachen / Historien / Geschichten vnd HÄndel / leichtlich einbilden / vnnd AnmÜtig machen kan / welche sonsten von dem gemeinem Manne / beuor auß den vnachtsamen Weltkindern inn Wind geschlagen / vnnd nicht ange-

2181 Lutherus redivivus. Das ist: Eine warhaffte Beschreibung / der Geburth / Ankunfft / Lehr / Lebens / Beruffs / Ampts / auch sonderlicher stanthaffter glaubens Bekendtnis bey reiner Evangelischer Warheit / Des EhrwÜrdigen / Hocherleuchten vnnd Gottseligen Mannes / Herrn D. Martini Lutheri / Jn eine sehr schÖne / anmutige vnd Christliche Comedia gebracht / Durch Andream Hartman / Jetziger Zeit sehr nÜtzlich zu lesen vnd zugebrauchen, Hall in Sachsen 1624. 2182 Vgl. Hartmann, a.a.O., Widmungsrede; A VIb. Mit den ‚Tomi Melanchthons‘ dürfte Hartmann dessen die Ereignisse bis 1521 abdeckende Lutherbiographie von 1546 (CR 6, 155–170; zugleich Vorrede zum zweiten Band der lateinischen Lutherausgabe), in Verbindung mit dessen Begräbnisrede (CR 11, 726–734) bezeichnen. Bei den ‚Colloquia Lutheri‘ handelt es sich um die Sammlung von Tischreden des Johannes Aurifaber (1519–1575) aus dem Jahre 1566; vgl. Ruth Kastner, Geistlicher Rauffhandel, S. 215. Das eine Luthervita enthaltende ‚Promptuarium exemplorum. Historien und Exempelbuch‘ wurde 1568 von Andreas Hondorff (ca. 1530–1572) herausgegeben; vgl. Kastner, a.a.O., S. 219, dort auch Angabe von weiterführender Literatur. 2183 Vgl. Hartmann, a.a.O., A VIa.; A. Zabel, Lutherdramen, S. 5.8. 2184 Vgl. Hartmann, a.a.O., A IIIIa. 2185 Vgl. a.a.O., A Vb. 2186 Vgl. a.a.O., A VIa.



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sehen werden...“2187 Er vertritt also ein inneres Begründungsmuster im Sinne einer adressatenspezifischen und zugleich anthropologischen oder mediumspezifischen Begründung. Mit der Wahl der Gattung sieht er sich als Pionier, insofern es eine Neuheit darstelle, das Leben Luthers „auff Poetisch art So zuuorn nie gesehen ward“, nahezubringen.2188 Das Drama, das zu der ersten Art, den ‚historischen‘ Dramen gehört, besteht aus fünf Akten, in denen insgesamt 60 Personen auftreten. Es folgt dem Lebenslauf Luthers vom Klostereintritt bis zur Entführung zur Wartburg, umfasst also knapp 16 Jahre seines Lebens, und zeichnet bestimmte bedeutende Ereignisse nach. Dabei trifft Hartmann eine Auswahl; durchaus folgenschwere Begebenheiten wie die Disputation mit Eck 1519 werden weggelassen. Die grobe Gliederung des Dramas ist folgende: Akt I: Luthers Klostereintritt und die Kritik des Vaters an diesem Schritt und am Mönchtum Akt II: Luthers Berufung nach Wittenberg und der Beginn des Ablassstreites Akt III: Das Verhör vor Cajetan in Augsburg Akt IV: Der Reichstag zu Worms: hinter den Kulissen; erste Anhörung Akt V: Der Reichstag zu Worms: zweite Anhörung, Gespräche, Abreise und Entführung Luthers. Der erste Akt behandelt, beginnend mit einem Gespräch Hans Luthers mit seinem Sohn darüber, Luthers Eintritt ins Kloster. Dabei bringt der Vater scharfe Kritik am Mönchtum vor: Hier werde auf eigene Werke vertraut und Heuchelwerk verkauft, eine Einschätzung, gegen die Luther sich zur Wehr setzt. In der zweiten Szene stellt der ‚Ehrenholdt‘, an sich eine Narren-Figur, Luther um seines Namens Martin als christlichen Ritter vor und berichtet sodann retrospektiv von Stationen seines Lebenslaufes über Magdeburg, Eisenach und Erfurt bis zum Eintritt ins Kloster. Es folgt ein weiteres Gespräch zwischen Vater und Sohn, in dem der Vater dem Sohn vorwirft, gegen das Gebot der Elternehrung zu verstoßen, und die Frage stellt, ob Gott das Klosterleben gefalle. Luther verweist auf das Stotternheim-Erlebnis. Die folgende Szene thematisiert die Suche Kurfürst Friedrichs nach einem Professor für die Universität Wittenberg. Staupitz schlägt Luther vor. Ein Monolog Luthers lässt ihn darüber klagen, dass man ihm die Bibel, die er zu Anfangs noch lesen konnte, genommen habe. Statt dessen müsse er sich mit Schullehrern und ‚Sophisterey‘ befassen. Wolle er die Bibel lesen, müsse er dies verstohlen tun, wo ihm die Bibel doch Herz und Seele durchdringe. Die asketischen und frommen Werke hingegen verliehen keinen Trost. Tröstlich schätzt er die Worte des Beichtvaters Staupitz ein, die ihn auf das Werk Christi verwiesen. Staupitz selbst äußert sich sehr positiv über Luther, der gegen die ‚Sophisterey‘ vorgehe, die solange geherrscht habe, wobei er Thomas von Aquin, Scotus und Albertus Magnus nennt. Luther gehe auf den rechten und gewissen Grund, auf dem die Seligkeit stehe: Er „Lehrt daß die Bibel gewisser sey Denn aller

2187 A.a.O., A VIa–b. 2188 A.a.O., B III b.

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Schulen Sophisterey.“2189 Gegen Einwände von Dr. Möllerstadt (Mellerstadt) – es handelt sich um den Gründungsrektor der Universität Wittenberg Martin Pollich von Mellerstadt († 1513)2190 –, Luther mache die Lehrenden irre und bringe neue Lehre auf, tritt Staupitz für ihn ein und konstatiert, Gott werde ihn zu großen Sachen gebrauchen. Der Akt endet mit der Entscheidung des Kurfürsten, Luther zu berufen. Der zweite Akt hebt an mit dem Eid Luthers, bei dem die Schrift im Mittelpunkt steht. Er möchte, dass all sein Schreiben und Lehren allein Christus zu Ehren gereiche. Eine Übergangsszene lässt den Ehrenholdt über die Reichtümer und Einkünfte des Papstes klagen. Im Folgenden beginnt der Streit um den Ablass mit einer Szene, in der Tetzel mit seinem Ablass prahlt. Auch wer keine Reue habe oder Buße tue, erlange Gottes Huld. ‚Herr Omnes‘, der Jedermann, will einen Ablass erwerben. Luther spricht vom Jahrmarkt; es sei besser Almosen zu geben. Es kommt zum Streit mit Tetzel. Luther vertritt die Auffassung, der Ablass könne keine Vergebung schenken, der Gerechte lebe gar nicht aus seinen Werken, vielmehr werde man selig durch den Glauben an Christus. In den übrigen Szenen treten verschiedene Personen unterschiedlicher Herkunft auf, die mit Tetzel in Kontakt treten: Der Narr Claus berichtet von Tetzels unmoralischem Lebenswandel, worauf die ‚Herren Omnes‘ nicht mehr kaufen wollen. Ein Landsknecht ersteht einen Ablass für seine Eltern. Nachdem ihm Tetzel zusichert, seine Eltern seien nunmehr im Himmel, zahlt er nicht. Ein Bergmann übt Kritik am einnehmenden Wesen des Papstes, worauf Tetzel verärgert weggeht. Damit ergibt sich, dass der Spott über den Ablass für den Betrachter zwar durch Luthers Wortgefecht mit Tetzel (Akt II Szene 4) ausgelöst erscheint, deutlich erkennbar wird aber zugleich auf eine vorhandene antirömische Stimmung angespielt. Zwar will Herr Omnes, die Menge, vor dem Streitgespräch Luthers mit Tetzel einen Ablass erwerben (Akt II Szene 3), was er danach verwirft, jedoch ist dieses Verwerfen direkt motiviert durch die von Claus Narr geäußerte Kritik an der Moral Tetzels (Akt II Szene 5).2191 Auch die in den Szenen 6 und 7 gebotene Kritik nimmt – durchaus realistisch geschildert – nicht wirklich die Einwände des Reformators gegen den Ablass auf, sondern gibt populäre Kritik am einnehmenden Wesen des Papstes wieder.2192 In den dritten Akt führt der Ehrenholdt ein, indem er darauf hinweist, wie der Ablass betrüge und vom Weg zur Seligkeit wegführe. Sodann berichtet er vom Thesenanschlag Luthers und kündigt die bevorstehende Disputation mit Cajetan an. Dr. Fleck, Prior des Klosters Steinlausitz, konstatiert, Luther sei der Mann, auf den man so lange gewartet habe. Vom weißen Berg werde alle

2189 C VIIIb. 2190 Vgl. Schönstädt, Antichrist, S. 301. Von Mellerstadt behaupteten protestantische Prediger zum Reformationsjubiläum, er hätte Luthers Reformationswerk vorhergesagt; vgl. ebd. 2191 Vgl. Hartmann, a.a.O., Akt II Szene 3; D Va, und Szene 5; D VIIIb–E Ib. 2192 Vgl. die Äußerungen des Bergmanns in Akt II Szene 7; E IIIIb–Va. – Der in Akt II Szene  6 (E IIIb) dargestellte Landsknecht begnügt sich damit Tetzel hereinzulegen, indem er, nach der ihm von Tetzel gegebenen Zusicherung der Erlösung seiner Eltern aus dem Fegfeuer, diese als erfolgt ansieht und die Zahlung für den Ablass verweigert. Kielmann wird diese Episode später in seine ‚Tetzelocramia‘ aufnehmen.



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Welt ihre Weisheit holen. Friedrich der Weise nennt Luther einen ‚deutschen Propheten‘2193, er äußert seinen Willen, Luther nur in Deutschland verhören zu lassen. Dies wiederum verärgert Cajetan, dem für eine Überführung Luthers nach Rom ein zweites Kardinalat in Aussicht gestellt wurde. Dies ist auch weiter seine Absicht, zumal Ketzern gegenüber kein Geleitversprechen Geltung besitze. Der Orator Urbanus von Serralonga will Luther zur Begegnung mit Cajetan abholen, die Augsburger Dr. Johann Auer(bach) und der Domherr Christoph Langenmantel halten Luther zurück und warnen vor „Der Welschen untrew“.2194 Es folgt ein Gespräch Luthers mit dem Orator. Dieser möchte Luther bewegen zu kommen, er brauche nur das ‚revoco‘ zu sprechen. Luther weigert sich, man habe ihm untersagt zu kommen, ehe er nicht Geleit habe. Der Orator meint, der Kurfürst werde sein Land nicht wegen Luther in Gefahr bringen. Das Folgende behandelt das Verhör mit Cajetan, das um die Bereiche Ablass, Gewalt und Primat des Papstes sowie das Altarsakrament kreist, gegen welche Luther geschrieben und disputiert habe, wie ihm Cajetan vorhält. Luther vertritt die Auffassung, der Ablass habe keinen Grund in Gottes Wort und für den, der zum Altarsakrament gehe, sei der Glaube notwendig: „Denn ohne den Glauben fÜr allen Jst es vnmÜglich Gott gefallen / Ja niemand je kan Selig sein Denn durch den glaubn an Gott allein.“2195 Er erklärt, seine Position sei durch Gottes Wort „bewehret“2196. Auf die Aufforderung Cajetans nicht zu disputieren, sondern zu widerrufen, stellt er fest, er könne nicht widerrufen und nicht um ein Haar von der Schrift abweichen. In einem Disput über die Auslegung der Extravagantes bestreitet Luther, die Verdienste Christi seien der Ablassschatz. Zu Beginn des vierten Aktes berichtet der Ehrenholdt von der weiteren Entwicklung, der Verurteilung Luthers durch den Papst, der Appellation Luthers an ein Konzil, der Einberufung eines Reichstages durch Kaiser Maximilian, der durch den Tod des Kaisers nicht zustande kam, der Sendung eines Botschafters – der Name Karl von Miltitz fällt nicht – zu Friedrich dem Weisen, der ‚Entdeckung‘ Luthers, dass der Papst der Antichrist sei, der Bekanntmachung der päpstlichen Bannbulle und deren und der päpstlichen Dekrete Verbrennung in Wittenberg. Im Folgenden wendet er sich dem Reichstag zu Worms zu, auf dem Luther beständig an Gottes Wort geblieben sei.2197 Die Darstellung beginnt mit der Überbringung des Geleites durch den kaiserlichen Herold. Der Blick auf dem Reichstag geht zunächst hinter die Kulissen. Albrecht von Mainz fordert ein scharfes Vorgehen. Friedrich der Weise will Luther noch warnen zu kommen. Albrecht von Mainz erzählt, er habe dem Kaiser geraten, wie in Konstanz das Geleit zu brechen, dieser lehne das aber ab. Er empfiehlt nun eine List: Man solle zu Franz von Sickingen schicken, damit er Luther aufgrund einer kaiserlichen Verordnung auf seine Burg einlade. Dann versäume Luther den Termin und das Geleit sei verstrichen. Kurfürst Ludwig, Pfalzgraf zu Rhein, widerspricht: Wer wolle dann noch einem Geleit Vertrauen schenken? Der Bruch des Geleits in Konstanz habe Kaiser Sigismund kein 2193 Zu dieser gängigen Bezeichnung für Luther vgl. Hans Preuss, Martin Luther. Der Prophet, Gütersloh 1933, S. 55ff. 2194 Hartmann, a.a.O., F VIa–VIIa. 2195 G IIIb. 2196 Ebd. 2197 Vgl. H Ia.

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Glück gebracht. Man solle keine Tücken anwenden. Die ‚Päpstischen‘ bewirkten es selber, dass nichts von ihnen gehalten werde. Ein Bote des Kurfürsten warnt Luther nach Worms zu kommen, danach trifft Bucer im Auftrag Franz von Sickingens bei Luther ein. Luther ist unsicher, was er tun soll. Überdies hat er das kaiserliche Edikt schon gesehen. Käme er aber nicht nach Worms, wäre das dem Papst gerade recht. Er entscheidet sich zu stellen und auf Gott zu vertrauen: „Jch wil mich lassen nicht auffhalten / Den lieben Gott es lassen walten / Dem ich allein von Hertzen traw / Dargegn auff Menschen wenig baw [...] Heroldt / ich wil mit euch hienein / Solt Worms gleich so voll Teuffel sein Als viel Dachziegeln da sein mÜgn ...“2198 Es folgt die Darstellung eines Gesprächs zwischen Eck und Albrecht von Mainz. Eck stellt fest, Luther beharre auf der Schrift, er achte den Papst für nichts und weiche weder Konzilien noch Vätern. Er wolle aus der Schrift überwunden werden. Er selbst, Eck, wisse auch nicht, wie seine Lehre nach Gottes Wort zu tadeln wäre; dieser habe die Schrift für sich. Auch Albrecht konzediert dies. Das meiste in Luthers Aussagen stimme mit der Schrift überein. In der Tat sei des Papstes Hof, Lehre und Leben auch in vielen Stücken zu strafen. Dennoch dürfe ein einzelner nicht gegen die ganze Kirche aufstehen. Eck schlägt vor, die kaiserlichen Räte auf ihre Seite zu bringen. Glapion, der kaiserliche Beichtvater, will versuchen, den Kaiser zum Bruch des Geleits zu bewegen. Sodann beginnen die Vorbereitungen zur Anhörung mit dem Beschaffen der Bücher Luthers. Eck beginnt das Verhör mit der Frage, ob sich Luther zu seinen Büchern bekenne und bereit sei zu widerrufen. Luther nimmt darauf Unterscheidungen innerhalb seiner Werke vor, wobei er die Lehrbücher und Disputationen als unwiderrufbar in Schutz nimmt, da in diesen nichts als Gottes Wort gelehrt werde. Lediglich bei den Streitschriften ist er zu Konzessionen bereit, im übrigen bittet er um Bedenkzeit. Es folgt ein Gespräch Philipps von Hessen mit Luther. Sodann findet Luthers Diener einen Brief, in dem geäußert wird, Papst und Kaiser aber auch Friedrich würden ihn verdammen und nicht Treue halten. Der Akt schließt mit einem Gebet des Reformators, Gott möge Vernunft, Weisheit und Tücke der Welt vertreiben. „Die sach ist nicht mein / sondern dein.“2199 Er fragt Gott, ob er ihn nicht höre, er wisse aber, dass dieser sich nur verberge, und bekundet sein Vertrauen zu Christus: „Der sol mein schutz vnd schirm allein / Ja meine feste Burgk auch sein.“2200 Er sei bereit, sein Leben zu lassen, die Sache sei gerecht und dazu Gottes Sache. „Die Welt mus mich vmbs Gwissen mein / Gar vngezwungen lassen wol / Wehr sie gleich aller Teuffel voll ...“,2201 sollte er selbst zugrunde gehen. Der fünfte Akt hebt damit an, dass Friedrich der Weise Luther ermutigt, beim Wort Gottes zu verharren. Es folgt die zweite Anhörung. Eck verweist auf die Unnötigkeit der Konzession einer Bedenkzeit, worauf Luther um Verzeihung bittet, wo er gegen die Sitten des hohen Hauses verstoßen habe. In seinen Ausführungen unterscheidet Luther zwischen Büchern gegen das Papsttum und Büchern gegen Verteidiger des Papsttums. Die ersten hätten „... der Bapst Gottloß lehr vnd leben / Der Christenheit an Tag gegeben / Mit welchem grossen Seelen Schaden / Sie ward geengstigt vnd

2198 I IIa. 2199 K IIIb. 2200 K IIIIb. 2201 Ebd.



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beladen.“2202 Wenn er diese widerrief, „WÜrd ich des Bapsts abgÖtterey / Sein Gottloß wesn vnd Tyranney / Bekrefftigen / vnd sein hinfort / Vrsach viel armer Seelen Mordt.“2203 Im Falle der zweiten Gruppe räumt er zwar ein, diese Bücher seien hart, aber auch diese könne er nicht widerrufen, sonst würden die Gegner dies nutzen und sofort neue Gräuel errichten. Gewiss könne auch er wie jeder Mensch irren, doch das müsse man ihm mit der Schrift nachweisen: „... wo ich nicht vberwiesen werd / Worin ich vnrecht hab gelehrt / Mit der lieben Propheten Wort / Vnd Aposteln Schrifft hinfort / Jch gar nicht widerruffen kan / Noch Gottes Wort lassen vnrecht han.“2204 Er schließt – Verarbeitung der berühmten Schlussworte: „Wo man mit zeugniß heiliger Schrifft / Meine BÜcher / vnd Lehr nicht prÜfft / Vnd mich nicht wird mit hellen grÜnden / Klar beweisen vnd vberwÜnden / So kan vnd wil ich gantz vnd gar / Nicht widerruffen vmb ein Haar / Denn das ich mein Gewissn vorsehr / Das thu ich nun noch nimmermehr / So kan ich dem Bapst gar nicht glaubn / Den Concilien auch nicht trawen / Weils am Tag ist vnd offenbahr / Das sie offtmals gejrret gar / Vnd jhnen selber mehr den ein / Widerwertig gewesen sein / Jch kan nicht anders / ich stehe allhier / Gott helff mir Amen / Amen schier.“2205

Auf Beratschlagung und nochmalige Aufforderung Ecks an Luther, nur mit Ja oder Nein zu antworten, entgegnet Luther: So man ihn nicht mit Gottes Wort überwinde, könne er von seiner rechten Lehre nicht weichen, zumal Papst und Konzilien oft geirrt hätten – was Eck umgehend bestreitet. Friedrich der Weise äußert sein Wohlgefallen an dieser Szene. Nach Ende der Anhörung kommt es seitens des Trierer Erzbischofs, des Markgrafen Joachim von Brandenburg, des Herzogs Georg von Sachsen und des Bischofs von Augsburg zu einem erneuten Versuch, Luther umzustimmen und zum Widerruf zu bewegen. Luther äußert, was Gottes Wort anbetreffe, könne er nichts vergeben. Was dies nicht anbetreffe, könne er durchaus gehorchen, aber nur, wo es nicht wider den Glauben und Christi Ehre wäre. Auch auf die Vorschläge des badischen Kanzlers Bheuß und des Trierer Erzbischofs für einen Schlichtungsversuch antwortet er, dass die Schrift und das Wort Gottes den Maßstab bilden müsse; der Schrift dürfe kein Abbruch geschehen. Ebenso weist er Bheuß’ Anregung zurück, wenigstens in einigen Artikeln nachzugeben: Dies sei nur möglich, wenn es etwas extra scripturam betreffe. Unvermittelt tritt nun der Theologe Cochläus auf, der unter der Voraussetzung, dass Luther auf sein Geleit verzichte, mit ihm zu disputieren bereit ist. Luther ist schon geneigt darauf einzugehen, als Vollrad von Watzdorff Cochläus scharf zurückweist und Cochläus unter Gelächter flieht. Auf die Frage des Trierer Erzbischofs, was er, Luther, denn rate, antwortet er mit dem Rat des Gamaliel. Der Bischof schlägt vor, Artikel aus Luthers Büchern einem Konzil zum Urteil zu geben, worauf Luther zu bedenken gibt, dass man in Konstanz Gottes Wort verdammt habe. Er aber wolle lieber Leib und Leben lassen als vom Wort Gottes um ein Haar abzuweichen. Es kommt zum Abschied. Luther erhält ein neues Geleit, nach dem er binnen 20 Tagen in Wit2202 K VIIa. 2203 K VIIb. 2204 K VIIIa. 2205 L Ia.

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tenberg sein muss und weder predigen noch sonst das Volk erregen darf. Albrecht von Mainz zeigt sich darauf unzufrieden. Er hätte es gern gesehen, wenn man Luther verdammt und verbrannt hätte. Immerhin gebe es ja das neue kaiserliche Edikt, dass Luther in Bann und Reichsacht getan sei. Dieses Edikt sei schon bekannt geworden, es werde der Sache ein Ende machen. Kurfürst Friedrich äußert seine Angst um Luther, er fürchtet einen Überfall. Ihm kommt die Idee, selber Luther überfallen zu lassen, die er umgehend weitergibt. Der Ehrenholdt preist Luthers Auftreten: Dies sei einer der herrlichsten Tage, wo man das reine, lautere Gotteswort vor Kaiser und Reichstag „... Mit so Christlicher frewdigkeit / Bekandt hat vnd bezeuget heut.“2206 Gott habe Luther Kraft und Gnade verliehen. Der Ehrenholdt berichtet, er habe Luther gemeldet, dass die Reichsacht über ihn verhängt sei. Er habe ihm aber auch ein Schreiben Friedrichs des Weisen übergeben, in dem angedeutet werde, dass er aus der Gefahr errettet werde. Mit diesen Geschehnissen wird das Ende des Dramas angedeutet: Luther entlässt, in Kursachsen angekommen, den kaiserlichen Herold. Er gibt ihm ein Schreiben mit, aus dem man ersehen werde, „... Was ich fÜr wichtige vrsach hab / Das der Keyserlichen hoheit / Noch der RÖmischen Geistligkeit / Jch nicht hab jhrem Urthel dort / Wolln vntergebn Gottes Wort.“2207 Es folgt der ‚Überfall‘ auf Luther, der mit den an Amsdorf gerichteten Worten das Drama beschließt: „Ob mir gleich da gewalt geschicht / So bin ich doch in Gottes HÄnden / Der kan all meinen vnfall wenden / Ziehet in Gottes Namen hin / Jch weiß weß gefangner ich bin.“2208

Im Mittelpunkt des Dramas steht ohne Zweifel der Reichstag zu Worms und darin Luthers Auftritt vor Kaiser und Reichsständen, wofür Hartmann zwei Akte reserviert. Obwohl Luther in den einzelnen Szenen zumeist von Menschen umgeben ist, oft auch von solchen, die sein Anliegen teilen, erscheint er doch als der einsame Kämpfer seiner Sache. Gleichrangige Persönlichkeiten neben ihm – etwa ein Melanchthon – treten nicht auf. Personen an seiner Seite haben nur unterstützende Funktion oder aber sie sind Gegner. Der einzige, der Thesen der reformatorischen Theologie – diese vorwegnehmend – eigenständig, ohne Zutun von Luther proklamiert, ist sein Vater, dem der Sohn paradoxerweise zu diesem Zeitpunkt noch widersprechen muss.2209 Alle anderen Theologen auf Seiten des Reformators nehmen die Rolle von Unterstützern und Bewunderern an, wie etwa Staupitz, der an Luther bewundert, dass er gegen die scholastische Theologie auftrete, einen gewissen Grund suche, auf dem die Seligkeit stehe, und vor allem auf die Bibel als Fundament der Theologie zurückgehe.2210 Besonders hervorgehoben an Luthers Charakter wird – entsprechend dem Titel des Werkes – seine Standhaftigkeit, sein Mut und sein Gottvertrauen – ein Zug, der mit 2206 M IIb. 2207 M III b. 2208 M VIa. 2209 Vgl. Akt I; B Vaff und B VIIIbff. 2210 Vgl. Akt I; C VIIIa–b. – Staupitz äußert über Luther (C VIIIb): „Lehrt daß die Bibel gewisser sey Denn aller Schulen Sophisterey.“



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seinen Konsequenzen, dem Auftreten vor Cajetan und in Worms, in den Jubiläumspredigten als Zeichen der unmittelbaren Berufung Luthers aufgefasst wurde.2211 Besonders tritt seine Standhaftigkeit und sein Mut in Worms hervor. Während sein Kurfürst sich Sorgen macht und ihn warnt, während die Gegner eine List ersinnen, um nach Ablauf des Geleits seiner habhaft werden zu können, geht er im Vertrauen auf Gott unbeirrt nach Worms. „Vnd bleibt bestendig fort vnd fort Mit breitten Fuß an Gottes Wort“, wie der Ehrenholdt zu Beginn des vierten Aktes formuliert,2212 obwohl die Geistlichkeit das Geleit brechen und ihn verbrannt sehen will. Als der Bote des Kurfürsten ihm die Warnung überbringt und Bucer ihn im Auftrage Franz von Sickingens einlädt, äußert er zunächst Unsicherheit, was er tun soll, zumal er bereits Kenntnis des kaiserlichen Edikts hat (Akt IV; I Ib). Alsbald aber beschließt er, sich im Vertrauen auf Gott zu stellen.2213 Allerdings lässt Hartmann Luther hier auch von taktischen Überlegungen geleitet sein: Käme er, Luther, nicht nach Worms, so zeige er sich ungebührlich – was seiner Sache abträglich wäre. Erschiene er nicht vor dem Kaiser, wäre das dem Papst ein gewünschtes Spiel.2214 Eine gewisse Vorsicht Luthers war schon darin zum Ausdruck gekommen, dass er vor Cajetan versprach, nicht mehr vom Ablass zu schreiben, obwohl dieser keinen Grund in Gottes Wort habe.2215 Solche menschlichen Züge – Gedanken der Taktik, Zögern, Angst, Entwicklungen – darzustellen und aufzufangen ist das Medium Theater eher in der Lage als die kürzere Predigt. Insgesamt aber ist der Mut der beherrschende Charakterzug Luthers in Hartmanns Sicht. Bei Cajetan bleibt er standhaft und weigert sich zu widerrufen.2216 Ebenso gibt er auch in Worms nicht nach. Nach Ablauf der von ihm erbetenen Bedenkzeit spricht er in der zweiten Anhörung klar von der Abgötterei des Papsttums und seiner Tyrannei,2217 verweigert den Widerruf2218 und verlangt, allein die Schrift solle Basis einer möglichen Widerlegung seiner Lehre sein. Erfolge dies nicht, könne er nicht widerrufen. Er könne sein Gewissen nicht verletzen.2219 Dazu bringt er sogar die Behauptung von Irrtumsfähigkeit und Widersprüchlichkeit von Papst und Konzilien vor. Er schließt: „Jch kan nicht anders / ich stehe allhier / Gott helff mir Amen / Amen schier“,2220 und wiederholt auf erneute Frage nochmals: So man ihn nicht aus Gottes Wort überwinde, könne er von sei2211 Vgl. Schönstädt, Antichrist, S. 295. 2212 Hartmann, a.a.O., H Ia. 2213 Akt IV; I IIa: „Jch wil mich lassen nicht auffhalten / Den lieben Gott es lassen walten / Dem ich allein von Hertzen traw / Dargegn auff Menschen wenig baw /... Heroldt / ich wil mit euch hienein / Solt Worms gleich so voll Teuffel sein Als viel Dachziegeln da sein mÜgn ...“ 2214 Vgl. I Ib–IIa. 2215 Vgl. Akt III; G IIIa. 2216 Vgl. G Va. 2217 Vgl. Akt V; K VIIa–b. 2218 Vgl. K VIIb. VIIIa. 2219 Vgl. L Ia. 2220 Ebd.

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ner rechten Lehre nicht weichen.2221 Papst und Konzilien hätten oft geirrt. Selbst Albrecht von Mainz attestiert ihm Mut und Unerschrockenheit.2222 Luthers Gottvertrauen, aber auch seine Nöte und Zweifel bringt ein Gebet zum Ausdruck, das er in Worms nach der ersten Anhörung spricht und in dem er Gott um Beistand gegen die Weisheit und Tücke der Welt bittet. Er fragt Gott, ob dieser ihn höre oder ob er tot sei, doch Gott könne nicht sterben, er verberge sich nur. Luther beteuert, dass er nie gegen die großen Herren habe auftreten wollen. Er tröstet sich in Christus: „Der sol mein schutz vnd schirm allein / Ja meine feste Burgk auch sein“, bekundet seine Bereitschaft, sein Leben zu lassen.2223 Seine Sache sei gerecht, er wolle sich nicht von ihr und von Gott scheiden. Die Welt könne ihn um seines Gewissens willen nicht zwingen, auch wenn es ihn sein Leben koste.2224 In diesen Äußerungen bildet das an Gottes Wort gebundene Gewissen den entscheidenden Maßstab für Luthers Verhalten. Auch in den informellen Gesprächen nach der zweiten Anhörung wehrt Luther alle Versuche durch einige sich neutral gerierende Reichsstände ab, ihn umzustimmen und zum Widerruf zu bewegen: aus brüderlicher Liebe, wegen der Gefahr für ihn selbst, um des Reiches Besten willen.2225 Ebenso lehnt er es ab, die kaiserliche Majestät als Kriterium zugrunde zu legen,2226 einer Schlichtung durch die Reichsstände zuzustimmen2227 oder wenigstens in einigen Artikeln nachzugeben2228. Basis könne für ihn nur das Wort Gottes sein, dem kein Abbruch geschehen dürfe. Nachgeben könne er nur in etwas, das nicht die Schrift betreffe.2229 Auch ein Konzil zieht er aufgrund der Erfahrung von Konstanz, wo Gottes Wort verdammt worden sei, nicht mehr in Betracht2230 – worin Hartmann eine Entwicklung in Luther konzediert, hatte doch der Reformator an ein solches laut Mitteilung des Ehrenholdt zu Beginn des vierten Aktes vor Worms appelliert2231. Luther erklärt seine Bereitschaft, auf das Geleit zu verzichten,2232 eher Leib und Leben zu lassen statt das Wort Gottes preiszugeben.2233 Ausdruck seiner Gelassenheit ist ebenfalls Luthers Entgegnung auf die Frage des Trierer Erzbischofs nach seinem Rat in der Sache, auf die er mit dem Rat des Gamaliel antwortet: Komme die Reformation von Menschen, werde sie nicht bestehen bleiben. Komme sie aber von Gott, „So werdt jhrs dempffen nimmermehr  / 2221 Vgl. L Ib. 2222 Vgl. Akt IV; I IIIa. 2223 Ebd. 2224 Vgl. ebd. 2225 Vgl. Akt V; L IIIaff. 2226 Vgl. L IIIIa. 2227 Vgl. ebd. 2228 Vgl. L Vb. 2229 Vgl. L IIIIaff. 2230 Vgl. L VIIa. 2231 Vgl. G VIIb. 2232 Vgl. L IIIIaff. 2233 Vgl. L VIIa.



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Vnd mÖgen Keysrlich Maiestat / Chur vnd FÜrsten / vnd Reiches Rath / Dem Pabst also zuschreiben diß.“2234 Der Gesamteindruck, der sich ergibt, ist trotz der Integration differenzierter Sichtweisen mit der Darstellung menschlicher Züge Luthers doch der einer deutlichen Glorifizierung seiner Person. In allem wirkt Luther wie ein einsamer Streiter, der auch und gerade über die nutzlosen Aktivitäten seiner Anhänger, erst recht aber über die Machenschaften seiner Gegner triumphiert, da er Gottes Werkzeug ist, der sein Werk mit ihm zum Ziel bringt. Damit ist aber bereits das Thema von Luthers Werk berührt. Fragt man danach, wie in diesem Drama die reformatorische Theologie fixiert wird, so wird deutlich, dass Luthers Leistung primär darin gesehen wird, dass er die Schrift wieder zu der ihr zustehenden Geltung gebracht hat, aufgrund seiner Einsicht, dass sie den Maßstab der Theologie bildet. Dieser Gedanke zieht sich zunächst durch das ganze Drama und markiert entsprechend den Hauptpunkt des Streites beim Verhör vor Cajetan2235 und beim Reichstag zu Worms2236. Das letzte Wort in der Sache ist ein Brief Luthers, den er an der kursächsischen Grenze dem kaiserlichen Herold mitgibt, in dem er noch einmal begründet, warum das Wort Gottes weder dem Urteil des Kaisers noch dem der römischen Geistlichkeit unterliege.2237 Schon früh nach seinem Eintritt ins Kloster erfährt Luther an sich selbst die Kraft der Bibel,2238 während ihm Messelesen, Studieren und Frömmigkeitswerke keinen Trost spenden können. Zugleich nimmt er aber auch wahr, dass der Gebrauch der Bibel in der Klostergemeinschaft und in der Theologie Beschränkungen unterliegt: Klosterbrüder zeigen sich neidisch, die Bibel wird ihm weggenommen und gegen scholastische Lehrbücher ausgetauscht. Nur im Verborgenen kann er die Bibel lesen.2239 Bedeutsam wird ihm der von ihm bei Antritt seiner Professur geleistete Eid, gemäß dem er die Heilige Schrift „Mit rechtem ernst ohn allen wanck“ predigen und lehren und den Ketzern

2234 L VIIa. 2235 Vor Cajetan stellt Luther fest, der Ablass habe keinen Grund in Gottes Wort, seine Position sei durch Gottes Wort „bewehrt“, er könne nicht von der Schrift um ein Haar weichen; vgl. G IIIa. IIIb. Va. 2236 Vgl. in der ersten Anhörung (Akt IV) die Aussage, seine Lehrbücher seien „Gar fest auff Gottes Wort gegrÜndt“, in ihnen sei „Das lauter reine Gottes Wort“ (I VIIIb). Durch seine Lehrbücher und Disputationen werde nichts als Gottes Wort gelehrt (I VIIIb). In der zweiten Anhörung (Akt V) konstatiert er zunächst, seine Bücher seien nicht von gleichem Inhalt. In etlichen habe er allein Gottes Wort lauter und rein gepredigt und gelehrt; diese könne er nicht widerrufen (K VIb– VIIa). Im Anschluss verlangt er, dass man ihm aus der Schrift beweise, wo er geirrt haben sollte (K VIIIa) und stellt fest (L Ia): „Wo man mit zeugniß heiliger Schrifft / Meine BÜcher / vnd Lehr nicht prÜfft / Vnd mich nicht wird mit hellen grÜnden / Klar beweisen vnd vberwÜnden / So kan vnd wil ich gantz vnd gar / Nicht widerruffen vmb ein Haar.“ 2237 Vgl. Akt V; M IIIb. 2238 Luther in Akt I (C Va): „Die Bibel / sag ich ohne schertz Die die dringet mir durch Seel vnd Hertz / O wenn der fromme Gott doch wolt / Daß ich ein solch Buch haben solt / Wie wolt ich drinn so fleißiglich Tag vnd Nacht zu studiren mich.“ 2239 Vgl. C IIIIb–Va.

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widersprechen sollte, wie zu Beginn von Akt II erwähnt wird.2240 Auch alle Personen um Luther herum, ob Anhänger oder Gegner, sehen im Rekurs auf die Bibel Luthers eigentliches Anliegen: Dies gilt von Staupitz,2241 dem skeptischen Mellerstadt2242 wie auch von Eck, der in einer Unterredung mit Albrecht von Mainz sogar konzedieren muss, Luther sei von der Schrift her im Recht.2243 Höhepunkt der Wiederentdeckung der Stellung der Schrift ist für Hartmann Luthers Auftritt in Worms, von dem der Ehrenholdt am Ende des Dramas verkündet: Ist das nicht einer der herrlichsten Tage, die jemals waren, wo man das reine, lautere Gotteswort vor Kaiser und Reichstag „Mit so Christlicher frewdigkeit Bekandt hat vnd bezeuget heut“.2244 Dieser Handlung entsprechend sieht Hartmann Luthers Hauptwerk darin, „Wie Er stets so gewaltiglich / Jn Deutschen Landen hie vnd dort / Hat restauriret Gottes Wort / Vons Pabstumbs Grewel vnd vnflath / Gesauwret vnd gereiniget hat.“2245 Aus dem Schriftprinzip folgen, wie dieses Zitat deutlich macht, Luthers Haltungen zu Papsttum und Kirche. So konstatiert er in Worms, er habe einige Bücher gegen das Papsttum verfasst, „Die der Bapst Gottloß lehr vnd leben / Der Christenheit an Tag gegeben / Mit welchem grossen Seelen Schaden / Sie ward geengstigt vnd beladen.“2246 Die Gewissen wurden betrübt. Diese Bücher könne er nicht widerrufen, sonst würde er „... des Bapsts abgÖtterey / Sein Gottloß wesn vnd Tyranney / Bekrefftigen ...“2247 Er fügt hinzu, er könne dem Papst nicht glauben und auch den Konzilien nicht trauen, „... Weils am Tag ist vnd offenbahr / Das sie offtmals gejrret gar / Vnd jhnen selber mehr den ein / Widerwertig gewesen sein.“2248 Gegenüber dem Gewicht, das dem Formalprinzip der Reformation, dem Schriftprinzip, im Drama zukommt, ist das Materialprinzip, die Rechtfertigung sola gratia sola fide, von geringerer Bedeutung. Dieses Thema spielt zunächst eine Rolle in der Darstellung von Luthers Klostererfahrungen im ersten Akt. Schon im Kloster hatte Luther durch seinen Beichtvater erfahren, welcher Trost darin bestand, den Weg zur Gnade Gottes darin zu suchen, mit festem Glauben der Barmherzigkeit Gottes zu trauen, in dessen Sohn man einen gnädigen Gott habe.2249 Demgegenüber könnten die Werke der Frömmigkeit kei-

2240 Vgl. D IIb. Vgl. dazu auch Reinhard Schwarz, Luther, Göttingen 1986 (KIG 3 I), S. 26. Den Eid erwähnt besonders Mathesius; nach Zeeden, Martin Luther. Bd. 2, S. 25. 2241 Vgl. Hartmann, Akt I; C VIIIb. 2242 Vgl. ebd. 2243 Vgl. Akt IV; I IIIb. 2244 M IIb. 2245 B IIIa. 2246 Akt V; K VIIa. 2247 K VIIb. 2248 L Ia. Entsprechend hatte Eck schon im vierten Akt geäußert, Luther achte den Papst für nichts und weiche weder Konzilien noch Vätern (I IIIa). 2249 Vgl. Akt I; C Va–b.



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nen Trost bieten.2250 Die Frage der Rechtfertigung tritt vor allem im zweiten Akt in der Auseinandersetzung um Tetzels Ablasspredigt hervor. Luther stellt fest, dass der Gerechte nicht aus eigenen Werken, nicht aus dem Gesetz und erst recht nicht aus dem Ablass lebe, vielmehr erlange man die Seligkeit durch den Glauben an Jesus Christus.2251 Im Augsburger Verhör kommt Luther bei der Frage nach dem Altarsakrament auf den Glauben zu sprechen, der für den Empfang des Sakraments notwendig sei, „Denn ohne den Glauben fÜr allen Jst es vnmÜglich Gott gefallen / Ja niemand je kan Selig sein Denn durch den glaubn an Gott allein“,2252 womit er deutlich das sola fide vorbringt. Zu berücksichtigen ist natürlich, dass durch Hartmanns Schwerpunktsetzung bei Luthers Auftritt auf dem Reichstag zu Worms die Frage der Bedeutung der Schrift zwangsläufig in den Vordergrund geraten musste. Entsprechend der Tatsache, dass die Schrift den Primat in Luthers Wirken einnimmt, übt er – was allerdings im Drama selbst nicht näher ausgeführt wird – ein prophetisches Amt aus, wie bereits sein Landesherr aussagt.2253 Staupitz schätzt Luther als guten Prediger.2254 Hartmann konstatiert im Prolog, „... Wie treulich Luther Gottes Wort / Zu lehrn vnd Predigen angefangn ...“2255 habe. Ob es sich bei diesem prophetischen Amt um eine unmittelbare oder mittelbare Berufung handelt und in welchem Verhältnis Luthers Amt zu dem der Propheten und Apostel der Bibel steht, wird nicht gesagt.2256 Als Prophet wiederum ist Luther für Hartmann eine Person, die in göttlicher Beauftragung steht und damit eine Person der Heilsgeschichte. Dies erhellt nicht zuletzt aus dem göttlichen Schutz, unter dem er und sein Wirken steht. So gehen alle Anschläge gegen ihn fehl: der Versuch Cajetans, einem Geleit zuvorzukommen;2257 der Versuch Albrechts von Mainz, Karl V. zu überzeugen, das Geleit zu brechen;2258 die List seiner Gegner,

2250 Ebd. 2251 Vgl. D VIIIa. 2252 G IIIb. 2253 Vgl. Akt III; E VIIa. 2254 Vgl. Akt I; C IIIa. 2255 B IIIIa. 2256 Die Berufung zu einer Professur in Wittenberg, deren Bedeutung durch den Promotionseid hervortritt, ist Ausdruck einer mittelbaren Berufung. – Die einführende Notiz Hartmanns, die aber in der zweiten Ausgabe entfiel, spricht eher für eine unmittelbare Berufung; vgl. A IIa: „Natus es Islebij, diuine Propheta LVTHERE, Relligio [sic!] fulget TE duce, Papa jacet. Lvther: zu Eißlebn bist geboern / Von Gott ein Prophet außerkoern / Gottes Wort leucht nun weit vnd breit / Durch dich / der Pabst zu bodem leidt.“ Vgl. A IIb: „ADuenisti desiderabilis, quem expectabamus in tenebris. BJß wilkommen du tewrer Man / Des wir so lang gewartet han / Jns Pabstumbs Finsterniß so groß / Gottlob seins Jrrthumbs seind wir loß. NVlla ferent talem secla futura virum. SO lang / vnnd weil die Welt noch stehet / Wird kommen kein solcher Prophet / Als Doctor Luther ist gewesen / Wers nicht weiß / mag sein Schrifften lesen.“ Der Notiz beigefügt ist ein Lutherbildnis. 2257 Vgl. Akt III; F VIIIaff. 2258 Vgl. Akt IV; H Vb.

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ihn zu Franz von Sickingen einzuladen;2259 der erneute Versuch des kaiserlichen Beichtvaters Glapion, den Kaiser zum Bruch des Geleits zu bewegen;2260 ein von Luthers Diener gefundener, offensichtlich anonymer Brief mit der Ankündigung, das Geleit werde nicht gehalten, Papst, Kaiser, sogar der eigene Kurfürst würden ihm keine Treue halten.2261 Aber auch gutmeinende Ratschläge seiner Anhänger, die ihm unwissentlich Verderben eingebracht hätten, werden von ihm nicht befolgt, so die Warnung Friedrichs des Weisen, nicht nach Worms zu kommen, oder die Einladung Franz von Sickingens durch Bucer.2262 In Person Albrechts von Mainz müssen die Gegner nach Worms einräumen, sie hätten alles versucht, Luther zu verdammen und zu verbrennen, aber er habe Glück; weder List noch Tücke hätten geholfen.2263 Dabei von Gott zu sprechen ist ihnen natürlich verwehrt, dies bleibt dem Ehrenholdt vorbehalten, der am Schluss bekennt, Gott habe Luther Kraft und Gnade verliehen.2264 Dass Luther in aller Gefahr bewahrt wird, dokumentiert seinen Status als göttliches Werkzeug. Auch dies wurde in den Jubiläumspredigten als Indiz seiner unmittelbaren Berufung gewertet.2265 Ist Luther für Hartmann göttliches Werkzeug und Person der Heilsgeschichte, so ist es nur folgerichtig, dass sein Wirken auch Gegenstand von Weissagungen ist. So prophezeit Staupitz, Luther werde ein Werkzeug Gottes sein.2266 Dr. Fleck weissagt, vom ‚weißen Berg‘ werde alle Welt ihre Weisheit holen.2267 Hartmann fügt im Prolog weitere Weissagungen aus der Zeit vor Luther hinzu. Er setzt mit der Weissagung Hus’ in Konstanz ein, nach der auf ihn, die Gans, ein Schwan, d.i. Luther folgen werde,2268 sowie mit der Weissagung eines frommen Mönchs aus Eisenach, dass bald die Zeit gekommen sei, in der sich der Mann präsentieren werde, „So euch wird wissen zu reformiren.“2269 Diese Weissagungen gingen, wie Hartmann mit Worten Mathesius’ feststellt, auf den Mann, den man „... mit warheit nennen kan / Den Rechten grossen wunderman / Den Gott zu eim Propheten sandt Zur guter letzt dem Deutzschen landt.“2270 Weissagungen und 2259 Vgl. Akt IV; H Vbff. 2260 Vgl. Akt IV; I Vb. 2261 Vgl. Akt IV; K IIb–IIIa. 2262 Vgl. Akt IV; H IIIIa. VIIIa–b. I Ia. 2263 Vgl. Akt V; L VIIIb. 2264 Vgl. Akt V; M IIb. 2265 Vgl. Schönstädt, Antichrist, S. 296. 2266 Vgl. Hartmann, a.a.O., Akt I; D Ia. 2267 Vgl. Akt III; E VIa. 2268 Vgl. dazu Schönstädt, a a.O., S. 298. 2269 Hartmann, B IIb. Es handelt sich um den Barfüßermönch Johann Hilten aus Eisenach. Dessen als Weissagung auf das Erscheinen Luthers verstandene Aussagen erscheinen schon in Melanchthons Apologie zur CA Art. XXVII (BSLK, S. 377f.); vgl. Schönstädt, a.a.O., S. 300. 2270 Erster Theil, B IIb–IIIa. Es folgt die Aussage, aus Japhets Stamm sei kein größeres Licht auf Erden gekommen als Martin Luther. Hartmann nimmt hier deutlich Mathesius auf, der Luther einen Wundermann (vgl. Mathesius nach Zeeden, Martin Luther. Bd. 2, S. 20.24) nennt und von ihm



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Erfolg seines Wirkens bestätigen somit die Auffassung Luthers als eines von Gott gesandten Propheten, dem nach dieser Bemerkung wenn nicht eine nahezu universale Würde, so doch zumindest eine nicht zu übertreffende Stellung in Bezug auf Deutschland für die zu Ende gehende Zeit – Hartmann geht, wie zu seiner Zeit im Luthertum üblich, von einer Naherwartung aus – zukommt. Mit all dem bleibt der Verfasser im Rahmen der Luther-Deutung seiner Zeit, die Luther als Propheten in der letzten Phase der Welt sieht, dessen Werk in der Wiederherstellung der Autorität der Bibel und davon ausgehend in der Restauration der Kirche besteht. Sein Verständnis der Reformation ist damit weniger inhaltlich als institutionell bestimmt. Fragt man nach der Intention von Hartmanns Drama, so ist zunächst festzustellen, dass der Verfasser mit der Darstellung von Luthers Lebenslauf und Wirken dem Vergessen und dem Undank wehren möchte. Es sei Luther zu verdanken, dass das Wort Gottes bis heute lauter, rein und wohl bekannt sei. Er habe angefangen, Gottes Wort zu lehren und zu predigen, er habe es wiederhergestellt und von Schmutz gereinigt. Man dürfe nicht vergessen, so nimmt er Gedanken von Mathesius auf, welche Gräuel noch vor 80 Jahren unter dem Papsttum geherrscht hätten, durch Luther aber zerstört worden seien.2271 Hartmann hegt für seine Zeit die Befürchtung, dass die in Luthers Werk bestehende göttliche Gabe in Vergessenheit gerät, nicht mehr angemessen gewürdigt wird. Würdigung aber heißt für ihn Dankbarkeit. Diese Dankbarkeit kann zwar Luther selbst nicht mehr entgegengebracht werden, aber seinen Sachwaltern, besonders den Pfarrern, als deren Anwalt Hartmann sich implizit engagiert. Hartmanns Stück ist so weniger in eigentliche theologische Fragen vertieft, es ist stärker im lutherischen Kirchentum gegründet. Es zielt weniger auf eine inhaltliche Abgrenzung gegen andere Lehren als auf eine sich in Dankbarkeit ausdrückende Treue zu Luther und seinen Nachfolgern und zu seiner Kirche. Dabei setzt er, wie der Hinweis auf die Gräuel unter dem Papsttum zeigt, eher auf Emotionen. Dies bedeutet nicht, dass die lehrmäßige Ebene völlig ausfällt. Gewiss will der Verfasser durch sein Werk auch eine Stärkung der lutherischen Position in den konfessionellen Auseinandersetzungen der Zeit erreichen.2272 Der Cantus firmus des Dramas besteht ja darin, dass Luther Gottes Wort bzw. die Schrift wieder aufrichtet. Das aber wird in einer Weise eingeprägt, die vermuten lässt, dass der Verfasser genau hier das Problem sah: dass seinen Zeitgenossen nicht mehr so klar war, worin Luthers Werk bestand. Dies will er ihnen durch das Drama neu ins Bewusstsein rufen.

als dem (a.a.O., S. 21) „... werden Deutschen Propheten, den Gott uns Japhiten und dem heyligen Deutschen Reich zur letzte gesandt ...“, spricht. 2271 Vgl. den Prologus B IIIa. Vgl. Mathesius, Historien, nach Zeeden, a.a.O. Bd. 2, S. 20: „.. vil leut, so heut leben, nicht wissen, wie es vor fünfftzig jaren inn der unterdruckten und gefangenen Kirchen gestanden ...“ 2272 Die Handlung selbst berührt explizit nur den Streit mit der altgläubigen Seite, während Hartmann in der Widmungsrede auf den Dissens mit der reformierten Seite anspielt.

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Das führt zu der Frage, wofür man Luther in diesem Drama brauchte. Was ist seine Funktion in dieser Zeit? Die Darstellung Luthers in diesem Drama dient der Vergewisserung von Luther und seinem Wirken als Verteidiger der Bibel und Reformator der Kirche. Die Lutheraner werden aufgefordert, sich diese prophetische Figur mit ihrem Werk zu vergegenwärtigen und ihre Identität in ihr und ihrem reformatorischen Werk zu suchen. Seine Person, sein standhaftes Verhalten soll den Zuschauern zum sie einigenden Vorbild werden. Luther kommt also in diesem Drama als identitätsstiftender Urvater und als Vorbild in den Blick, intendiert für Adressaten, die der von Luther vertretenen Sache nicht mehr völlig gewiss sind.

3. Martin Rinckart, Der Eislebische Christliche Ritter (1613) Als drittes Beispiel für ein Lutherdrama sei Martin Rinckarts ‚Der Eislebische Christliche Ritter‘2273 genannt. Der vollständige Titel lautet: „Der Eißlebische Christliche Ritter / Eine newe vnd schÖne / Geistliche Comoedia, Darinnen nicht allein die Lehr, Leben vnd wandel des letzten deutschen Wundermans LVTHERI / sondern auch seiner / vnd zu fÖrderst des Herrn Christi zweyer vornemsten Heuptfeinden / PAPSTS, vnd CALVINISTEN, so wol als anderer vielfeltige Rath- vnd Fehlschlege / auch endlicher in Gottes Wort offenbarter vnd gewisser außgang / biß an den nunmehr bald zukÜnftigen JÜngstentag: beydes nach schÖner Poetischer vnd verblÜhmter Art, vnd denn auch historischer richtiger Warheit / inn 3. Rittern BrÜdern / PSEUDOPEtro, MARtino vnd IOhanne, als die vmb ein erbschafft vnd Testament streiten / abgemahlet vnd auffgefÜhret / Durch Martinum Rinckhart, Diac: zu Eißle: in der Newstadt: Agiret aber vom Gym. daselbst post ferias Caniculares“ (1613). Das Drama wurde demzufolge mit Schülern des Gräflich-Mansfeldischen Gymnasiums in Eisleben 1613 aufgeführt und im gleichen Jahr gedruckt. Der auch als Liederdichter tätige, musikalisch begabte Rinckart (* 1585), der in Leipzig studierte, schrieb das Drama in seiner Eisleber Zeit. 1610 hatte er sich um das Diakonat an Stadtkirche in seinem Geburtsort Eilenburg beworben, wo er abgelehnt worden war, weil er sich weniger dem theologischen als dem philosophischen und insbesondere musischen Studium zugewendet hatte. Im gleichen Jahr wurde er allerdings Kantor an der Eisleber Nikolaikirche und Lehrer am dortigen Gymnasium. 1611 übernahm er auch das Diakonat an der Annenkirche in Eisleben. 1613 wählte man ihn zum Pfarrer in Erdeborn im Mansfeldischen, zwei Jahre später wurde er zum Poeta laureatus gekrönt. 1617 trat er dann doch das Archidiakonat in Eilenburg an. Sein dichterisches

2273 Das Drama ist ediert: Der Eislebische Christliche Ritter von Martin Rinckhardt, hrg. v. Carl Müller, Halle a.S. 1884.



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Wirken bezeugt ihn als strengen Anhänger der Konkordienformel.2274 Er starb 1649 in Eilenburg.2275 In der vom Neujahrstag 1625 datierten Einleitung zu seinem Drama ‚Der Müntzerische Bauernkrieg‘ hatte Rinckart den Vorsatz geäußert, „... die gantze Historiam Reformationis Evangelico-Lutheranae, Comoedienweise außfÜhrlich zu beschreiben  ...“2276 Dieses Ziel wollte er durch einen Zyklus von sieben Komödien erreichen, bestehend aus:2277 1) dem 1613 erschienen ‚Eislebischen Christlichen Ritter‘; 2.) einem Drama ‚Lutherus Desideratus‘, d.h. der lang erwünschte Luther, in dem Reformationsvorboten aus den Jahren von 1300 bis 1500 behandelt werden sollten; 3.) dem 1618 erschienenen Stück ‚Indulgentiarius Confusus‘, d.i. der unverschämte Ablasskrämer, das Luthers Vita mit dem Aufbruch zur Reformation von 1510 bis 1520 zum Gegenstand hatte; 4.) einem Drama ‚Lutherus Magnanimus‘, d.h. der großmütige Luther, das den Reichstag zu Worms 1521 darstellt; 5.) dem erwähnten ‚Monetarius Seditiosus‘, d.i. der Müntzerische Bauernkrieg mit Berücksichtigung der Ereignisse von 1521 bis 1526; 6.) einem Drama ‚Lutherus Confirmatus‘2278, bei dem der Reichstag zu Augsburg 1530 im Mittelpunkt stehen sollte samt einer Präsentation der Geschehnisse von 1526 bis 1536; schließlich 7.) einem Drama ‚Lutherus Triumphator‘, in dem es um den „lutherische[n] Reformationis-Triumph vnd Außgang“ von 1536 bis 1546 gehen sollte. Der Reihe der Dramen 2) bis 7), also abgesehen vom Eislebischen Christlichen Ritter, sollte damit der Lebenslauf Luthers von 1510 bis zu seinem Tod und damit das gesamte Reformationswerk zugrunde liegen. ‚Lutherus Desideratus‘ fällt dabei insofern heraus, als es nicht von Luther selbst, sondern von der Zeit davor handelt. Drei der sieben vorgesehenen Dramen umfassen eine Dekade, zwei einen kürzeren Zeitraum von fünf Jahren und von einem Jahr. Offensichtlich galt Rinckart der Zeitraum um 1520 mit Luthers Auftritt beim Reichstag zu Worms und den damit zusammenhängenden Ereignissen als die gefüllteste Zeit im Leben des Reformators. 2274 Vgl. Richard Erich Schade, Nicodemus Frischlins Phasma, a.a.O., S. 538. 2275 Zur Vita Rinckarts vgl. Karl Dienst, Art. ‚Rinckart, Martin‘, BBKL VIII, Sp. 372–374. Ältere Beiträge zu seiner Biographie sind zu finden in: Martin Rinckarts geistliche Lieder, hrg. v. Johannes Linke, Gotha 1886, S. 1–164, und: Wilhelm Büchting, Martin Rinckart, ein Lebensbild, Göttingen 1903. Zur Bibliographie Rinckarts s. Gerhard Dünnhaupt, Art. ‚Rinckart, Martin (1586–1649)‘, in: Ders., Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. Fünfter Teil, Stuttgart 1991, S. 3350–3373, dort auch S. 3350f. ein Verzeichnis der Forschungsliteratur. 2276 Vgl. Martin Rinckart, Der Müntzerische Bawren-Krieg. Ein Lutherdrama in fünf Akten, hrg. und mit einer Einleitung versehen von Fritz-Dieter Maaß, Hildesheim – Zürich – New York 1991 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1625), A VIb. 2277 Vgl. a.a.O., A Ib. – Dünnhaupt, a.a.O., S. 3355, erwähnt noch ein 1618 anonym in Halle gedrucktes Drama ‚Lutherus Reformator‘ als Werk Rinckarts. Nach Auskunft der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel bedarf dies noch einer genaueren Überprüfung. 2278 Nach der bei Erich Michael, Martin Rinckhart als Dramatiker, Leipzig 1894, S. 7f., aufgeführten Vorrede Rinckarts zu seinem Werk ‚Summarischer Discurs vnd Durch-Gang / Von Teutschen Versen ...‘ von 1645, in der Rinckart ebenfalls seinen Zyklus vorstellt, sollte dieses Drama ‚Lutherus Augustus‘ heißen.

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In der gleichen Einleitung muss Rinckart allerdings feststellen, dass zwar „... vor vnd nach dem Jubelfest etwas davon in Truck außkommen; das vbrige aber (so mit fortgehendem Seculo von Jahren zu Jahren hette erfolgen sollen) wegen der so hochschwÜrigen Kipper- vnd Wipperzeiten in manglung des Verlags / biß dato beliegen blieben.“2279 Rinckart macht also den Geldwertverfall dafür verantwortlich, dass noch nicht alle bis zu diesem Zeitpunkt vorgesehenen Dramen erschienen waren, womit er insbesondere die Komödie ‚Lutherus Magnanimus‘ gemeint haben könnte, die zum Jubiläum 1621 hätte vorliegen sollen.2280 Dies sollte sich jedoch auch in der Folgezeit nicht wesentlich ändern. Nach Rinckarts Vorrede zu seiner Verslehre, die er 1645 unter dem Titel ‚Summarischer Discurs vnd Durch-Gang / Von Teutschen Versen...‘ veröffentlichte, seien die meisten Dramen fertig, aufgrund von Geldwertverfall und Kriegszeiten seien aber nur der ‚Eislebische Christliche Ritter‘, der ‚Indulgentiarius Confusus‘ und der ‚Müntzerische Bauernkrieg‘ in den Druck gekommen und an Schulen in Eisleben, Eilenburg, Altenburg und Grimma aufgeführt worden.2281 Erich Michael ist der Auffassung, Rinckart habe ‚Lutherus Magnanimus‘ und ‚Lutherus Augustus‘ (= confirmatus) vollendet; von letzterem sei aber nur ein Fragment erhalten.2282 Bleibt letztlich unklar, wie viele Dramen Rinckart wirklich vollendete,2283 so gilt jedenfalls, dass für die Dramen ‚Lutherus Desideratus‘‚ ‚Lutherus Magnanimus‘, ‚Lutherus Augustus‘ und ‚Lutherus Triumphator‘ weder ein Druck noch eine Handschrift nachzuweisen ist.2284 Gedruckt wurden hingegen 1618 der ‚Indulgentiarius Confusus‘,2285 der abhängig ist von Hartmanns Luther-Drama und Kielmanns ‚Tetzelocramia‘,2286 und der ‚Müntzerische Bauernkrieg‘, in dem Rinckart ausdrücklich

2279 Rinckart, Müntzerischer Bauernkrieg, a.a.O., A VIb–VIIa. 2280 Allerdings weist eine Notiz darauf hin, dass ‚Lutherus Magnanimus‘ im September 1625 vorgelegen haben könnte; vgl. Adalbert Elschenbroich, Der Eißlebische Christliche Ritter von Martin Rinckart. Reformationsgeschichte als lutherische Glaubenslehre im volkstümlichen Drama des 17. Jahrhunderts, in: Literatur und Volk im 17. Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland, hrg. v. Wolfgang Brückner u.a. Teil II, Wiesbaden 1985, S. 559 mit Anm. 6, der auf Albert Freybe, Art. ‚Rinckart, Martin‘, RE 17, S.15, verweist. Danach sei ‚Lutherus Magnanimus‘ „... allhier in patria am 7. und 8. September 1625 mit guten Contento agiert worden ...“, aber nicht im Druck erschienen. 2281 Vgl. Michael, a.a.O., S. 7f., und Maass, a.a.O., S. 4*. 2282 Vgl. Michael, a.a.O., S. 9f. Er bietet das Fragment a.a.O., S. 41–45. Elschenbroich, ebd. Anm. 9, macht darauf aufmerksam, dass dieses Werk im Leipziger Messkatalog 1629 und 1630 angekündigt wurde. 2283 Dienst, a.a.O., Sp. 373, bemerkt nur vom ‚Lutherus Triumphator‘, „... es wurde...wohl nicht vollendet.“ 2284 Vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 559. 2285 Ein Neudruck liegt vor: Eislebisch Mansfeldische Jubel-Comödie (Indulgentiarius confusus), hrg. von Heinrich Rembe, Eisleben 1885; ein weitere Ausgabe wurde von August Trümpelmann 1890 in Torgau erstellt. 2286 Vgl. Zabel, Lutherdramen, S. 36.



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zahlreiche Quellen heranzog2287 und der zur hundertsten Wiederkehr des Ereignisses im Jahre 1625 erschien.2288 Der ‚Eislebische Christliche Ritter‘, Rinckarts erste bekannte Veröffentlichung, wurde 1613 aufgeführt, erschien also nicht zu einem Jubiläum.2289 Da unklar ist, wann Rinckart den Plan einer ‚Luther-Heptalogie‘ fasste, ob erst 1625 oder schon früher,2290 bleibt es im Dunkeln, ob er dieses Drama von Anfang an als Auftakt einer Reihe zur hundertsten Wiederkehr der Reformation vorgesehen hatte. Wäre dem so, hätte Rinckart schon sehr früh darüber nachgedacht, wie das Jubiläum in angemessener Weise begangen werden könnte. Spätestens 1625, als er den ‚Eislebischen Christlichen Ritter‘ als erstes der Reihe verzeichnete, nahm es die Rolle des Fundaments im geplanten Zyklus ein, wofür es sich anbot, insofern es eine Gesamtinterpretation Luthers und seines Lebens darstellte: „Das erste Stück bietet uns gewissermassen die Disposition für die anderen, es ist der Brennpunkt aller in den übrigen Dramen ausgeführten Gedanken, nur dass sie uns hier in allegorischer Einkleidung begegnen.“2291 Rinckart nimmt in diesem Drama einen legendarischen Stoff2292 – er erinnert an die von Boccaccio überlieferte und später von 2287 Sie sind angegeben a.a.O., B IIb. Zum ‚Monetarius seditiosus‘ vgl. Erdmann, Lutherfestspiele, S. 50. 2288 Obwohl Teil einer Reihe, können beide Dramen auch für sich genommen werden; beide werden zu einem Abschluss gebracht; vgl. Zabel, a.a.O., S. 35. 2289 Schönstädt, Antichrist, S. 27 Anm. 59, bezeichnet den ‚Eislebischen Christlichen Ritter‘ als ‚Jubiläumsdrama‘. Von seinen Vorgaben her kann Erdmann, Lutherfestspiele, S. 24, das Stück nicht als Lutherdrama im eigentlichen Sinne werten. 2290 Vgl. Elschenbroich, ebd. 2291 Michael, a.a.O., S. 9. 2292 Die Frage, woher Rinckart das Motiv des christlichen Ritters hat und wie er auf die Idee kam, Luther als christlichen Ritter darzustellen, welche Quelle er benutzte, soll hier nicht näher verfolgt werden. Erich Michael, a.a.O., S. 16f., meint, Rinckart habe die erste Anregung durch Dedekinds ‚Miles christianus‘ erhalten, da er die diesem Werk beigegebene Vorrede von Polykarp Leyser zitiert. Zwar hat Rinckart sicher dieses Werk gekannt, allerdings ist dort nicht Luther der christliche Ritter. Zu recht konzediert Michael ebd., Dedekinds Drama habe keinen Einfluss auf Rinckart ausgeübt. Daher votiert er S. 18 dafür, dass Andreas Hartmanns ‚Erster Theil des Curriculi vitae Lutheri‘ Rinckart dazu gebracht habe, Luther als christlichen Ritter einzuführen. In der Tat bezeichnet der Ehrenholdt in Hartmanns Drama in Akt I Szene 2 Luther als christlichen Ritter (vgl. Hartmann, Lutherus redivivus, B VIIa: „Der wird in seiner Tauff behendt Mit Nahmen Martinus genendt / Zum Zeugnis vnd Bekendtnis frey Daß er ein Christlicher Ritter sey.“). Als weiteres Argument dient Michael S. 18f. die Tatsache, dass Hartmann in seiner Vorrede als eine Quelle das ‚Promptuarium exemplorum‘ angibt, in dem sich auch die von Rinckart zugrunde gelegte Fabel vom König und seinen Söhnen finde. Im strengen Sinne beweisen lässt sich das freilich nicht. Rinckart hat nach eigenen Angaben eine ältere Fabel von einem König der Skythen in Verbindung mit der Geschichte von Salomos Urteil benutzt (Akt IV Szene 5, Ausgabe Carl Müller, a.a.O., S. 86). Müller, a.a.O., S. V.VII, verweist darauf, dass diese Geschichte im 45.  Kapitel der ‚Gesta Romanorum‘ dargeboten wird, die Rinckart allerdings selbst nicht als Quelle verwendet habe. Seine unmittelbare oder mittelbare Vorlage sei das ‚Theatrum vitae hu-

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Lessing aufgenommene Ringparabel2293 –, eine Fabel auf. Diese überträgt er zunächst auf die Person Luthers in ihrem Gesamteindruck und baut in dieses Ganze Ereignisse seiner Vita ein, ein Verfahren, das zu Spannungen führen muss, sobald Fabel und Historie divergieren.2294 Dass Rinckart hier insbesondere das Verhör vor Cajetan in Augsburg und den Auftritt auf dem Reichstag zu Worms in breiter Form aufnimmt, spricht für die Vermutung, dass er Hartmanns Lutherdrama gekannt und benutzt hat.2295 Nach Elschenbroich hat Rinckart auch durch Naogeorgs ‚Pammachius‘ und Frischlins ‚Phasma‘ Anregungen erhalten.2296 Starke Analogien in der Geschichtsauffassung sieht er zu Mathesius und Spangenberg.2297 Die starke Polemik, auch gegenüber Calvin und seinen Anhängern, hat ein negatives Urteil über das Drama befördert.2298 Im Zentrum des fünf Akte umfassenden Stückes, in dem (mit Prolog-, Epilogsprechern und Argumentatoren) 33 Personen auftreten, stehen die drei Brüder Pseudo-Petrus, der älteste, Martin, der mittlere, und Johannes der jüngste, allesamt Ritter und Söhne des Königs Immanuel, mit dem Christus gemeint ist.2299 Als zu Beginn des ersten Aktes Immanuel stirbt, missachtet Pseudo-Petrus das Testament des Vaters und errichtet eine Alleinherrschaft. Sogleich fordert er Polylogus, der im Personenverzeichnis als manae‘, das die Geschichte in das Land der Skythen verlege (a.a.O., S.Xf.). Diese habe Rinckart auf die Auseinandersetzung Luthers mit seinen Gegnern übertragen; vgl. a.a.O., S. XI: „So stellte denn R., „soviel sichs leide wollen“ (Vorr. A vijb), den Kampf Luthers mit dem Papste und Calvin und den Vorzug, den Luthers Lehre vor jenen beiden verdient, allegorisch unter dem Gewande der alten Erzählung der Gesta dar ...“ Vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 563. 570f., der ebenfalls auf die ‚Gesta Romanorum‘ verweist, aber feststellt, die unmittelbare Quelle Rinckarts stehe nicht fest. – Zum Bild des christlichen Ritters, das auf das ‚Enchiridion militis christiani‘ des Erasmus zurückgeht, und zur Miles-Christianus-Literatur, vgl. Andreas Wang, Der „Miles christianus“ im 16. und 17. Jahrhundert und seine mittelalterliche Tradition. Ein Beitrag zum Verhältnis von sprachlicher und graphischer Bildlichkeit, Bern – Frankfurt a.M. 1975. 2293 Vgl. Dienst, a.a.O., Sp. 372f. Allerdings erscheinen hier keine Ringe. Analogon ist der Streit dreier Söhne um das Erbe und die gegenseitige Bestreitung der Legitimität einer Erbschaft der anderen. 2294 Vgl. Zabel, Lutherdramen, S. 28. 2295 Dafür spricht auch die starke Benutzung von Hartmanns ‚Curriculum Vitae Lutheri‘ in Rinckarts ‚Indulgentiarius Confusus‘; vgl. Michael, a.a.O., S. 25. Vgl. ferner Erdmann, Lutherfestspiele, S. 39. 2296 Vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 562. 2297 Vgl. a.a.O., S. 568. 2298 Dies gilt etwa für Erdmann, a.a.O., S. 36, der formuliert, dass „... wir hier vor dem Werke eines der starrköpfigsten Lutherfanatiker stehen, dem jeder Andersgläubige einfach ein Teufel war, und wenn sich die Glaubensdifferenz auch nur auf ein I-Pünktchen beschränkt hätte.“ 2299 Zum Folgenden vgl. Michael, a.a.O., S. 13–16, der aber auffallenderweise nicht die – in dieser Übersicht eingefügten – Ereignisse der Vita Luthers erwähnt, auf die Rinckart anspielt und zuweilen im Text, zuweilen in den Randbemerkungen ausdrücklich Bezug nimmt. Vgl. etwa Akt II Argumentum; S. 31,526. – Zum Drama vgl. ferner Erdmann, Lutherfestspiele, S. 35–39.



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‚Tetzel‘ bezeichnet wird, auf, mit Härte den Zehnten beim Volk einzutreiben, wovon es unter dem verstorbenen König verschont geblieben war. Er selbst gibt sich einer babylonischen Hure mit dem bezeichnenden Namen Sarcophila hin. In der zweiten Szene wird ein Bauer mit Namen Six, seine Frau Pluhne und der Bergmann Ohme eingeführt, die voller Zuversicht sind, der neue König werde wie der alte sein. In der dritten Szene fordert Polylogus den Zehnten ein. Pseudo-Petrus droht mit Häschern, worauf die Geängsteten die Absicht äußern, den Zins in Korn zu liefern. Erstmals in der vierten Szene wird Martin erwähnt, von dem Thrasistomus – im Personenverzeichnis steht er für Cajetan und andere Ratgeber des Papstes – meldet, dass ihm alles Volk nachlaufe und er das Volk aufwiegele, keinen Zins zu zahlen. In der fünften Szene klagt Martin darüber, dass sein Bruder das Testament des Vaters nicht achte. Der zweite Akt bringt eine Steigerung. In der ersten Szene erscheint der Nachbarfürst Friedvertus – er steht im Personenverzeichnis für Friedrich den Weisen –, der sich Sorgen um Martin macht und seinen Ratgeber Uranophron (‚der himmlisch Gesinnte‘) beauftragt, Martin von unbedachten Schritten abzuhalten. Die zweite Szene bringt eine erste Eskalation zwischen Martin und Pseudo-Petrus; die Szene steht für das Verhör vor Cajetan in Augsburg. Nachdem Thrasistomus Martin vergeblich zum Widerruf auffordert, greift Pseudo-Petrus ein und wirft Martin Meuterei vor. Martin wiederum beschuldigt den Bruder der Tyrannei. Es soll zu einem Duell kommen, aber es gelingt Uranophron, Martin wegzuführen. Martin will ihm dieses Mal weichen, aber schriftlich seine Meinung weiterhin darlegen. In der dritten Szene überfallen die Bauern Six und Ohm den Polylogus. Die vierte Szene ist ein Intermezzo in Form des Auftritts von Vertumnus, übersetzt ‚der wetterwendische Mensch‘ – er steht für „... allerley Schwermer, Carolstad, Oecolumpad, MÜntzern, Zwinglium vnd andere mit jhren thÖrichten vornehmen“2300 –, der im Drama die durch ihre Kleidung hervorstechende komische Figur des Leimstänglers wahrnimmt. In der fünften Szene schlägt Astyages – im Personenverzeichnis Albrecht von Mainz – dem Pseudo-Petrus vor, Martin nach Rom vorzuladen. Vertumnus teilt in der sechsten Szene seinen Entschluss mit, als Bauer sein Glück zu versuchen, was er in der achten Szene wiederum revidiert, um Hauptmann zu werden und die Herren aus dem Lande auszutreiben. Szene 7 und 9 stellen die Reaktion des Friedvertus’ dar: Er und sein Berater wollen Martin warnen, nicht nach Rom zu gehen (Szene 7), was der Berater in Szene 9 an Martin weitergibt. Im dritten Akt kommt es zunächst zu einer Gerichtsszene, in der Martin seine Klage gegen Pseudo-Petrus vor ein Richtergremium, das aus Pentonomus – er steht für Kaiser Karl V. –, Friedvertus und Astyages besteht. Angespielt wird hier auf den Reichstag zu Worms 1521. In der zweiten Szene versucht Vertumnus – der nun für Müntzer steht – ohne Erfolg, die Bauern Six, Pluhne und Ohm zu überreden, mit ihm die Herren aus dem Land zu verjagen. Ein Zweikampf zwischen Pseudo-Petrus und Martin in der dritten Szene führt zu einer Verwundung des Pseudo-Petrus am Bein. In der vierten Szene tritt Sarcophila an Martin heran, um ihn zu versuchen; er soll sie anbeten. Martin widersteht der Versuchung, er tötet ihren Drachen und vertreibt sie. Die fünfte Szene bringt die eigentliche Verhandlung von Worms: Dr. Quadratius – Johannes Eck – verlangt von Martin das revoco, was dieser verweigert. Das bringt ihm den Spott der Diener ein. In der sechsten Szene teilt 2300 Rinckart, Der Eislebische Christliche Ritter, Personenverzeichnis, ed. Carl Müller, S. 12.

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Sarcophila ihre Absicht mit, unter dem Namen Phrenophila (‚Vernunftfreundin‘) in die Schweiz zu gehen. Die siebente Szene zeigt Astyages, der verärgert ist, dass Martin nicht widerrufen hat. Die achte Szene führt den Juden Michael ein und stellt dar, wie er vom Schuster KÜhlogista – dieser steht für „alle BildstÜrmer vnnd Calvinische gemeine Leute“2301 – ausgeraubt wird. In der neunten Szene besiegt Friedvertus die aufständischen Bauern.2302 Martin tröstet den über den Aufstand traurigen Fürsten in der zehnten Szene. Im vierten Akt verführt der Teufel, Cacangelus genannt, Vertumnus – hier als Zwingli auftretend – dazu, sich in den Streit um das Testament des Königs einzumischen. Er führt Martin eine neue Auslegung des Testaments vor, nach der dieses nach dem Geist, nicht nach dem Buchstaben zu verstehen sei. Martin widerlegt Vertumnus, der entweicht. In der zweiten Szene bekundet der Jude Michael gegenüber Martin seine Absicht, mit ihm über die Bibel zu disputieren. Martin erinnert sich, einmal vor einem Juden mit roten Haaren gewarnt worden zu sein. Er beschließt, Michael den Kopf waschen zu lassen.2303 Die dritte Szene zeigt erstmals den jüngsten Sohn, Johannes, der mit seiner Braut Phrenophila, der vormaligen Sarcophila, und seinem Rat Theomastix2304 aus der Schweiz anreist. Er hat einen ungewöhnlichen Vorschlag zur Schlichtung des Streits über das Testament im Gepäck: Alle drei sollen nach dem Leichnam des Vaters schießen, und wer dem Herzen des Vaters am nächsten komme, solle König sein. In der vierten Szene erfolgt die – vergebliche – Kopfwaschung Michaels. Die fünfte Szene stellt dar, wie Johannes den Brüdern seinen Vorschlag unterbreitet, dem Pseudo-Petrus zustimmt, während Martin sich weinend abwendet. Das Schießen findet statt, Pseudo-Petrus und Johannes verfehlen, aber Johannes ist näher dran. Er beansprucht den Thron, was Pseudo-Petrus bestreitet und ihn dazu führt, Martin einen Vergleich vorzuschlagen, womit Rinckart auf das Interim von 1548 anspielt. Die sechste Szene zeigt, wie Vertumnus sich um des Genusses willen auf die Seite des Pseudo-Petrus schlägt. Polylogus erklärt seine Sympathien für die Partei Martins, bleibt aber wegen der Armut Martins bei Pseudo-Petrus. In der siebenten Szene tritt Hetschky, Gesandter des Sultans, an Martin heran, um ihm dessen Gunst anzubieten, was Martin ablehnt, da es sich um den Erbfeind seines Vaters handele. Im Folgenden tritt auch der Jude Barabbas in ein Gespräch mit Martin. Martin fragt Hetschky und Barabbas, ob in ihren Völkern Gott und die Eltern geehrt würden, was beide bejahen. Dies erweckt in Martin erneut Traurigkeit, dass solch Unerhörtes in seiner eigenen Familie möglich sei. In der achten Szene bekun2301 Ebd. 2302 Dabei beruft sich KÜhlogista im Gespräch mit Martin für die Forderungen der Bauern auf die Reformation; S. 64,1497ff. Martin versucht ihnen beizubringen, dass es nicht des Vaters Wille ist, sich selbst Macht zu nehmen (S. 65,1514ff). 2303 Hier scheint es sich um eine Anspielung auf die Episode um den Juden Michael von Posen zu handeln, der angeblich einen Anschlag auf Luther plante; vgl. Thomas Kaufmann, Die theologische Bewertung des Judentums im Protestantismus des späteren 16. Jahrhunderts (1530–1600), ARG 91 (2000), S. 227 Anm. 158, und Heinz Scheible, Reuchlins Einfluß auf Melanchthon, in: Ders., Melanchthon und die Reformation, hrg. v. Gerhard May und Rolf Decot, Mainz 1996, S. 84 mit Anm. 100. Zur Sache vgl. ferner Gaby Knoch-Mund, Disputationsliteratur als Instrument antijüdischer Polemik, Tübingen – Basel 1997, S. 123 Anm. 86. 2304 μάστιξ bedeutet Geißel oder Plage.



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det Pseudo-Petrus die Absicht, heimlich ein Bündnis mit Johannes einzugehen, als ihn die falsche Nachricht vom Tode Martins erreicht – Polylogus spricht sogar von Selbstmord. Die Gerüchte lassen Martin in der neunten Szene ungerührt; nach einem Gespräch mit dem treuen Uranophron stirbt er in Frieden. Johannes erhält in der zehnten Szene die Meldung vom Tod Martins, was ihn davon abbringt, ein Bündnis mit Pseudo-Petrus einzugehen, das er gerade erwogen hatte. Theomastix berichtet Johannes, Martin habe kurz vor seinem Tod seinen guten Freund, der ihnen selbst wohlgesonnen sei – am Rande ist vermerkt: „Melanchthon“ – gebeten, sich mit dem Testament zu ihnen zu begeben. Der fünfte Akt zeigt Pseudo-Petrus in Überlegungen, mit Johannes Martins Seite zu besiegen. In der zweiten Szene gelingt es Uranophron, die Bauern gegen Pseudo-Petrus und Johannes zu gewinnen; alle werden aber in der dritten Szene durch Pseudo-Petrus gefangen gesetzt und erhalten in der folgenden Szene das Todesurteil. Da erscheint Immanuel, der verstorbene König: Martins Feinde fallen vor Schreck tot um und werden von Cacangelus in die Hölle abgeführt. In der letzten Szene erscheinen Martin und Friedvertus im Sterbegewand. Sie werden von Immanuel empfangen und in sein Reich geführt.

Ausdrücklich beansprucht Rinckart eine gewisse Historizität, die den Ablauf der Ereignisse berücksichtigt,2305 macht aber zugleich darauf aufmerksam, dass das Genus ‚Komödie‘ und die Darstellung der Personen als Ritter gewisse Umformungen mit sich brächten. So habe er „... solchen gantzen Handel, so viel sichs leiden wollen, nach Verlauff vnnd Ordnung der Historien, wie Papst, Luther vnnd Calvinus als Mannhaffte Ritter mit einander streiten, alles in Inventione GleichnÜßweise in Ritterlichen weltlichen Stand, vnd Drama comicum oder Comoedienspiel, vbersetzet ...“2306 Rinckart geht chronologisch vor, greift aber auch manchmal voraus.2307 Am Rand sind Personen, Ereignisse oder Jahreszahlen notiert. Gleichwohl übermalt die Legende den historischen Befund: So ist Luther in Augsburg nicht dem Papst selbst begegnet, während das Drama Martin und PseudoPetrus dort aufeinandertreffen lässt. Diese Übermalung gilt auch für die Zeichnung von Luthers Person, die ganz vom legendarischen Stoff her geschildert wird. Als Hauptstilmittel der Allegorisierung erweist sich die Namengebung Rinckarts,2308 die auch seine humanistische Bildung zum Ausdruck bringen soll. Die Namen können dabei für mehrere Personen stehen, stellen also deutlich Typen dar. So nimmt Vertumnus, der Wetterwendische und römische Gott des Wechsels, den Rinckart aus den Satiren des Horaz kannte, verschiedene Personen aus dem schwärmerischen Umfeld an und unterstellt die2305 Elschenbroich, a.a.O., S. 567, spricht davon, dass Rinckart historisches Wissen in volkstümlicher Form mit dem Ziel der Festigung des lutherischen Bekenntnisses der Gemeinde vermitteln wolle. Im ‚Müntzerischen Bauernkrieg‘, B IIb, führt Rinckart ausdrücklich seine Quellen auf. 2306 Rinckart, Der Eislebische Christliche Ritter, Vorrede, S. 8. 2307 So wird das Interim schon in Akt IV Szene 5; S. 87, erwähnt, obwohl Martin noch lebt; sein Tod erfolgt erst in Akt IV Szene 9; S. 97. 2308 Vgl. zum folgenden Elschenbroich, a.a.O., S. 563f., und Zabel, Lutherdramen, S. 28.

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sen Flatterhaftigkeit – zuletzt wird er als Papist und Epikuräer geführt. Auch Thrasistomus kann für mehrere Personen der päpstlichen Partei stehen. Personifizierte Allegorien stellen Sarcophila und Phrenophila dar. Daneben treten als Konzession an die Hörer Personen aus dem Volk auf, die in Mundart sprechen. Ohne Zweifel ist das Drama inhaltlich sehr überspannt, insofern Rinckart auch die Auseinandersetzung mit Karlstadt,2309 Zwingli und den Bauernkrieg aufnimmt. Wie stellt nun Rinckart Martin Luther dar? In seiner Widmungsrede an die Grafen von Mansfeld geht er zunächst auf die Legende des heiligen Georg ein, um sodann Luther als Ritter zu zeichnen: „So ist vornemlich hieher gehÖrig, merck- und denckwÜrdig, daß die hohe Majestat Gottes nunmehr bald vor 100. Jahren, aus E.E.G.G. Erb- vnnd Hauptstadt Eißleben, vnd darzu aus derselben Vnterthanen vnnd armen verachten Bergvolck (welchs den Rum gleich so viel desto grÖsser machet) einen Geistlichen Manßfeldischen thewren vnnd werthen Ritter Martinum Lutherum erwecket, welcher als ein rechter Martinus, das ist ein streitbarer Held, ja recht als ein Ritter des gÜldenen FlÜß, das LÄmblein Gottes im Hertzen vnnd Munde vor KÖnigen und FÜrsten Öffendlich vnnd vngeschewet getragen, vnnd in Krafft dessen nicht nur einen Keyser oder KÖnig, ein zwey oder mehr Lande bestritten: auch nicht nur einzehle Personen oder Geschlechte, so sich den Geist Gottes regieren lassen, zum Christlichen Glauben bekehret: sondern die gantze Welt voll Teufel, ... die vns vnd jhn, ja die gantze heilige Christliche Kirche, ... gantz vnd gar verschlingen vnnd vmbbringen wollen.“2310

Dabei setzt er die Teufel umgehend mit den Brüdern Martins, dem Papst und den ‚Sakramentierern‘, die der „streitbare, Manßfeldische Held Lutherus“ erlegt habe, gleich.2311 Rinckart hebt Luthers Person in nahezu biblische Sphären. Nicht nur dass er in diesen Sätzen die universale Bedeutung Luthers herausstellt, auch die Funktion des Reformators wird in biblischer Terminologie, die an die Berufung des Paulus (Act 9,15) gemahnt, beschrieben. Ihren Höhepunkt findet dies in der, obgleich als uneigentliche Rede gestalteten und von Lokalpatriotismus gespeisten Übertragung der messianischen Weissagung Mi 5,1 auf Luther. Den Mansfeldern komme die von Gott verliehene Ehre zu, Luther hervorgebracht zu haben: „Gott hat sie [sc. die Ehre] Jhnen vor allen andern VÖlckern, Leuten vnd Zungen gegÖnnet, vnd das liebe Vaterland LVTHERI vber alle Lande vnd KÖnigreiche inn dem Fall gar hoch erhÖhet, gleich als ob er von ewigen Zeiten hergesaget, wie zuvor von Bethlehem Juda: Vnnd du Eißleben bist mit nichten die Kleineste vnter den tausenden inn Deutschland: Denn aus dir soll mir kommen, der vber mein geistliches Volck Jsrael ein Ritter vnnd der letzte Prophet sey.“2312 2309 Vgl. Rinckart, Akt II Szene 8; S. 42. 2310 A.a.O., S. 6f. 2311 Ebd. 2312 A.a.O., S. 8.



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Luther gilt dem Verfasser als von Gott berufener Prophet, ein Gedanke, der auch im Prolog des Stückes erscheint: „Deß Namen dir nicht vnbekant, Martinus Luther ist genant. Den Gott vor etlich Tausend Jahrn, Vns heimlich lassen offenbarn, Durch Propheten- vnd ander Gsicht ...“2313 Hier behauptet Rinckart nun ausdrücklich, Luthers Auftreten sei Gegenstand biblischer Weissagungen. Das Auftreten Martins erhält einen apokalyptischen Rahmen, wenn im Titel vom ‚bald zukünftigen jüngsten Tag‘ und entsprechend vom ‚letzten deutschen Wundermann‘2314 oder in der Vorrede von ‚dieser bösen Zeit‘ als dem ‚letzten Actus der Welt‘ die Rede ist.2315 Das Aufstehen von Papst und Teufel gegen die Christenheit zeige, dass Christus „Mit seinem lieben jÜngsten Tag“ vor der Tür stehe.2316 Betrachtet man die Handlung, sind die Züge Luthers stark von der Idee des Ritters gezeichnet.2317 Er ist treu, weise und bescheiden.2318 Er denkt nicht an sich, setzt sich für andere ein, zeigt sich seinem Gewissen verpflichtet, bringt den einfachen Leuten Liebe entgegen.2319 Rinckart zeichnet ihn auf der einen Seite als sensibel:2320 So lässt ihn der Vorschlag des Johannes in Tränen ausbrechen.2321 Auf der anderen Seite ist er als Ritter überaus tapfer, tritt dem Feind Auge in Auge gegenüber und ist stets bereit zu kämpfen: „Was mir der Vater eigen gebn, Dabey besteh ich todt vnd lebn. Vnd wilt nicht? so kom vor die Kling. Wir wollen bald eins werdn der ding“,2322 entgegnet er Pseudo Petrus in Augsburg und vor dem Einzug in Worms, als ihn Uranophron im Auftrag Friedvertus’ 2313 A.a.O., S. 15. 2314 Vgl. S. 1. Als Wundermann bezeichnet Mathesius Martin Luther; vgl. bei Zeeden, Martin Luther. Bd. 2, S. 20. 24. 2315 Rinckart, Vorrede, S. 9; vgl. S 7. – Rinckart vertritt auch sonst die apokalyptische Anschauung seiner Zeit, die ihn dazu führt in der ‚Dedication-Schrifft‘ seines ‚Müntzerischen Bauernkriegs‘, a.a.O., A VIb, Luther als ‚Engel mit dem ewigen Evangelium‘ (Apk 14,6) zu bezeichnen. 2316 Vgl. Der Eislebische Christliche Ritter, Akt V Argumentum; S. 100,2587ff. 2317 Vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 571f.: Rinckart identifiziert das Ideal der allegorischen Figur des miles christianus mit der historischen Person Luthers, stellt bei diesem aber nur den äußeren Kampf dar. 2318 Uranophron sagt Akt II Szene 2; S. 32,562f. über Martin: „... Wann ich sein weise AnschlÄg hÖr, Vnd so Mannhafte Bscheidenheit.“ 2319 Akt I Szene 5; S. 26f.,385ff: „Ja wolt mir lieber vntern HÄndn Das Testament vollnt gar entwendn. Aber das soll er noch wol lahn, Es soll drÜbr oder drunter gahn. KÖnt ich doch nicht von gwissens wegn, Der armen Leut so lassn pflegn.“ – Vgl. Akt II Szene 2; S. 33,587ff: „Zwar es tawret mich sein [sc. Pseudo-Petrus’] Vnfall, Vnd wolte nichts mehr vberall, Als daß er nur des Vatern Ehr, Die doch hiermit sein eigen wer, Nehme Hinfort in beßre Acht, Vnd die armen Leut nicht so plagt, Wolt ich (Gott weiß allr Menschen hertzn) Mein eigen Wolfarth gern verschertzn, Was den schnÖden Primat belangt ...“ 2320 So lässt er ihn sagen, dass ihm wegen des Verhaltens seines älteren Bruders das Herz im Leib wehtue; S. 26, 373f. 2321 Vgl. Akt IV Szene 5; S. 85f. 2322 Akt II Szene 2; S. 36,682ff.

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wieder in seine Heimat führen will, verkündet er die berühmten Worte: „Jch wil in Gottes Namn hinnein, Vnd sollt er so voll Teufel seyn, Als er Haar auff sein Kopffe tregt.“2323 Er ist standhaft: „Ja soll ich mir so schmelig lassn Meins Vatern Testament vmbstossn? Das thu ich nicht, vnd thu es nicht, Gott geb was mir darÜmb geschicht“2324, sagt er in Worms und fügt hinzu: „Hier leit meins Vatern Testament, Da bleib ich bey, biß an mein End. Jch kan nit mehr, da steh ich da, Gott helff mir...“2325 Immer ist er bereit, Leib und Leben dafür zu geben, dass der Vater ungeschändet bleibt.2326 Er hält der Versuchung durch Sarcophila stand,2327 widersteht der Möglichkeit, ein Bündnis mit den Türken einzugehen.2328 Er wird als fromm charakterisiert, verschiedentlich betet er.2329 Differenzierte Aspekte von Martins Person und Leben werden nur am Rande erwähnt. So zeigt der Ritter an einer Stelle Unsicherheit und gibt dort auch eine gewisse Naivität zu erkennen.2330 Uranophron, um Martin besorgt, gelingt es einmal, ihn von einer weiteren Konfrontation mit PseudoPetrus zurückzuhalten, was Martin um Uranophrons willen billigt2331 – ein Zugeständnis an den realen Ablauf der Ereignisse, den Zabel vom Stoff her für eine Entgleisung hält.2332 So ergibt sich, dass die Schilderung der Person Martins eine – abgesehen von einigen, durch historische Reminiszenzen bedingten Notizen – starke Idealisierung darstellt, jedenfalls keinen wirklichen Versuch bildet, ein getreues Bild von Luther zu zeichnen. Das hier gebotene Lutherbild ist das eines standhaften, treuen Dieners von hoher Moral, eines Anwalts der Schwachen, eines mutigen Kämpfers, den seine Gegner nicht besiegen können, obwohl er alleine steht – weil Gott sich zu ihm bekennt. Bezeichnend ist, dass auf Luthers Seite neben ihm kein einziger Theologe agiert. Er ist hier das einsame theologische Oberhaupt. Alle anderen im Drama genannten Theologen gelten als Vertreter einer devianten Lehre. Dies trifft auch Melanchthon, der trotz Berührung der Übergabe der Confessio Augustana nicht als agierende Person auftritt, sondern lediglich um seiner Calvin-freundlichen Haltung kritische Erwähnung findet.2333 Wirk2323 Akt II Szene 9; S. 43,892ff. Vgl. Akt III Argumentum; S. 46,992ff: „Allda sich vnser Ritter stellt, Recht als ein Ritter vnd ein Held. Seinen Vater gewaltiglich, (Den Herren Christum meine ich) Wie sichs gebÜhret defendirt, Womit zugleich erleget wird Der alte Babylonische Drach...“ 2324 Akt III Szene 5; S. 58,1341ff. 2325 A.a.O., S. 58f.,1346ff. Der Satz endet: ...jhr hÖrt was ich sah. 2326 Vgl. Akt IV Szene 7; S. 89,2276. 2327 Vgl. Akt III Szene 4; S. 56,1272ff. Bevor Sarcophila angreift, singt Martin das Lied ‚Ein feste Burg‘. 2328 Vgl. Akt IV Szene 7; S. 91,2319ff. 2329 Vgl. Akt I Szene 5; S. 26,369ff; Akt III Szene 4; S. 55f.,1259ff (in Worms). 2330 Vgl. im Gespräch mit Uranophron in Augsburg Akt II Szene 2; S. 34,618 und 625, wo Martin fragt, was nun zu tun sei, und beteuert: „Hab ich doch niemand Leids gethan.“ 2331 Vgl. Akt II Szene 2; S. 37,704ff, wo Luther zu Uranophron sagt: „Nun wolan, Herr euch zu Gefalln, Wil ich jhm weichen dieses mal, Doch aber Schreiben hinderlahn, Vnd drin mein Meinung zeigen an.“ 2332 Vgl. Zabel, Lutherdramen, S.30, die auch sieht, dass hier eine Konzession an die wirklichen Geschehnisse vorliegt. 2333 Vgl. Rinckart, Akt IV Szene 10; S. 98, 2549ff.



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lich neben Luther steht nur die Obrigkeit in Gestalt von Friedvertus und Uranophron, die treu zu ihm stehen. Ansonsten gilt für den Reformator: Viel Feind, viel Ehr. Auf der hellen Folie Luthers wirken diese Gegner um so dunkler. Das Papsttum wird besonders mit Ausbeutung in Form von Ablass, Zehntem2334 und mit Tyrannei2335 identifiziert. Die Bevölkerung muss hungern.2336 In einem Gebet klagt Martin über PseudoPetrus und nimmt dabei den in der Zeit recht beliebten typologischen Vergleich des Papsttums mit dem Pharao auf: „Er drÜckt das Volck mit plagn so schwehr, Als ob er alter [d.h. ein zweiter] Pharao wer. Frist, seufft, hurt, vnd lebt wie ein schwein Vnd wil noch heiligr Engel seyn!“2337 Das Papsttum steht für Unmoral, verübt Gräueltaten,2338 betreibt Götzendienst2339, ja macht sich selbst zum Abgott.2340 Zwar wird dem Pseudo-Petrus der Status des ältesten Sohnes konzediert,2341 aber sein Anspruch auf Primat bzw. Alleinherrschaft wird als eklatante Missachtung des väterlichen Willens im Testament gewertet.2342 Calvin bzw. die ‚Sakramentierer‘ kommen nicht wesentlich besser weg. Der Vorschlag des Johannes, auf den sich Pseudo-Petrus einlässt, wäre noch nicht einmal den barbari, Juden und Türken, in den Sinn gekommen. Johannes wird vor allem sein Vertrauen auf die Vernunft und seine durch die Jugend bedingte Hitzigkeit zum Vorwurf gemacht.2343 Er verlässt sich auf den Rat der Vernunft statt auf Gottes Rat.2344 Das Zertrennen der Brust des Vaters zur Vorbereitung auf das Schießen wird von Rinckart als Hinweis auf den Nestorianismus des Johannes gedeutet.2345 Zwar unterscheidet er zwischen Vertumnus, der auch Zwingli darstellt, und Johannes,2346 doch gilt dem Verfasser ebenso der ‚Calvinismus‘ als unange2334 Akt I Argumentum; S. 20,193ff: „... Pseudo-Petrus..., Sich recht wie ein fetter Wanst brÜst, Die Vnterthan aussaugt vnd frist.“ Vgl. die Klage des Thrasistomus in Akt I Szene 4; S. 25,346ff. 2335 Martin vor Pseudo-Petrus in Augsburg (Akt II Szene 2; S. 35,653ff): „Bruder, was hast denn du vor Gfalln An Tyranney vnd andern Sachn, Die du ins Vatern Reich thust machn? Plag arme Leut nicht so verwegn, Vnd thu dir kein Primat zulegn.“ 2336 Vgl. Akt I Szene 5; S. 28,430ff. 2337 Akt I Szene 5; S. 26,381ff. Zum Vergleich Papsttum – Pharao vgl. Schönstädt, a.a.O., S. 261. 2338 Vgl. Rinckart, Akt II Szene 3; S. 38,730f. 2339 Akt I, Argumentum; S. 20,196f.: „Seufft mit der Babylonischn Hurn, Vnd zwingt die Leut dieselb zu ehrn.“ – In Akt I Szene 1; S. 22,256, betet Pseudo-Petrus Sarcophila als ‚große Göttin aller Welt‘ an. 2340 Vgl. Prologus; S. 17,89f.; Akt II Szene 2; S. 33,597. 2341 So kann Martin in Augsburg (Akt II Szene2; S. 34,609) sogar sagen, dass „Der JÜnger billig den Ältern ehrt“, um freilich fortzufahren: „Wiewol ers seines theils nicht werth.“ 2342 Vgl. Prologus; S. 17,81ff. 2343 Vgl. Prologus; S. 17,105.110. 2344 Vgl. Akt IV Argumentum; S. 70f.,1702ff. 2345 Vgl. Akt IV Szene 5; S. 86,2176ff. 2346 Vgl. Akt IV Szene 1; S. 72f., wo Vertumnus, angesteckt durch Cacangelus, das significat vertritt. Elschenbroich, a.a.O., S. 570, stellt freilich für Rinckart einen Verzicht auf jegliche Differenzierung fest. Es gebe eine kontinuierliche Entwicklungslinie von Karlstadt über Zwingli zu Calvin; der Calvinismus übertreffe das Papsttum noch an Gefährlichkeit.

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messener Umgang mit Gottes Wort, der auf die eigene Vernunft setze, willkürliche Auslegungen nach eigenem Geschmack vollziehe und keine Ehrfurcht vor dem Heiligen kenne, sondern Würde2347 und Macht Christi bestreite. Als Leistung Martins gilt zum einen die Bewahrung des Testaments, d.h. des Willens Christi hinsichtlich der Restituierung der Schrift, der rechten Abendmahlslehre und der Leitung der Kirche, zum andern seine befreiende Tätigkeit im engeren Sinne, besonders die Befreiung vom Ablass.2348 So sagt Martin in Akt IV Szene 5 aus Anlass des Augsburger Reichstags 1530 und der Verlesung der Confessio Augustana: „Jch danck es nun dem trewen Gott, Daß er so weit gewand mein Noth, Daß ich vnd die lieb Vnterthann, Vnser Freyheit erhalten han, Wie es denn vnlÄngest also, Jm jÜngesten Concilio, (Verstehe auffm Reichßtag zu Augspurg, Anno Chr. 1530.) Endlichen ist ratificirt, Vnd vom gantzen Reich confirmirt, Nachdem wir vnser Meinung ebn, Schrifftlichen haben vbergebn.“2349

Wird der Papst als Pharao bezeichnet, so müsste entsprechend Luther als Mose apostrophiert werden, was Rinckart allerdings nicht explizit tut, obwohl er die Reformation als Befreiung und damit andeutungsweise als neuen Exodus beschreibt.2350 Als Höhepunkt im Wirken Luthers gilt Rinckart dessen Auftritt in Worms, von dem der Argumentator sagt: „Diß ist ein Tag, den Gott gemacht, Deßgleichen man in tausend Jahrn, Nicht hat gesehen noch erfahrn, Do mein vnd deine Seligkeit, Jm Grund zu reden, daran leit.“2351 Die Lehre von der Rechtfertigung, die in diesem Zitat aufleuchtet, tritt aber aufs Ganze gesehen völlig in den Hintergrund. Bezeichnend ist, dass der Ablassverkauf ausschließlich als eine Art Steuer, erhoben aus dem Motiv der Geldgier, erwähnt wird, hingegen in keiner Weise angedeutet ist, dass er als Gewährung von Heil in Form von Erlass zeitlicher Sündenstrafen gedacht war.2352 Luthers Werk lässt sich so bündeln: Der Reformator hat Menschen vom Papsttum, seiner Alleinherrschaft, Tyrannei und Ausbeutung befreit. Er tat dies entsprechend dem Willen Christi, den er in seinem Wortlaut in der Schrift und im Abendmahl auch gegen alle ‚calvinistischen‘ Einwände wieder aufgerichtet hat. In gewisser Weise lässt sich sagen, dass weniger Luther selbst der eigentliche Gegenstand des Dramas ist, als das Testament des Vaters, das in mehrfacher Weise gefüllt werden kann. Es steht für den Willen des Vaters d.h. Christi, einmal in Gestalt der heiligen Schrift, zum andern, 2347 So bezeichnet Johannes in Akt IV Szene 3; S. 80,2010, den Leib seines Vaters als „bloß cadaver“. 2348 Akt I Argumentum; S. 20,198ff: „Da solt jhr euch erinnern bey, Was vor zeiten fÜr Teufeley Jm Bapsthumb sey gewest, vnd noch, Wo arme Leute drÜckt das Joch. Der Ablas sie vmbs Geld geheut, Vnd darzu vmb die Seligkeit. Davon vns Gottes GÜt vnd Gnad Durch Lutherum befreyet hat ...“ 2349 S. 82,2063ff. Rinckart suggeriert somit, der Reichstag habe die CA offiziell anerkannt. 2350 Zur Bezeichnung Luthers als Mose in lutherischen Jubelpredigten vgl. Schönstädt, a.a.O., S. 261. 2351 Rinckart, Akt III Argumentum; S. 47,1001ff. 2352 Vielmehr brachte er die Menschen um die Seligkeit; vgl. Akt I Argumentum; S. 20,202f.



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von den verba testamenti her naheliegend, in Gestalt des Abendmahls. Entsprechend wird auf der römischen Seite der Primat des Papstes, der nicht dem Willen Christi entspreche, das päpstliche Lehramt über die Schrift,2353 der ‚Bibelraub‘ und der Entzug des Kelchs2354 und auf der calvinistischen Seite die Bestreitung der Ubiquitätslehre und damit der Realpräsenz Christi im Abendmahl bzw. die figürliche oder geistliche Auslegung des Wortes Gottes2355 als Missachtung des Testaments (oder gar als Schießen auf den Vater, also auf Christus2356) gewertet. Diesem allem gegenüber wird Luther und mit ihm die lutherische Kirche als treuer und ergebener Sachwalter des Testaments dargestellt. Das Drama, dem deutlich anzumerken ist, dass es einen Theologen zum Verfasser hat, bietet somit einiges an theologischen Gedanken auf, die sicher nicht jeder Zuhörer und jede Zuhörerin verstehen konnte. Der Epilog resümiert die deutlich als Vorbild betrachtete Leistung Luthers, zu der hier noch die Wiederherstellung rechter Obrigkeit gezählt wird, folgendermaßen: „Betracht du liebe Christenheit, Die du dich heut lest Lvthrisch nennn, Lern deinen Vor-Ritter recht kennn, Vnd danck der grossen Gottes Gnad, So er dir durch jhn geben hat, Daß wir des Papstes Schinderey, Rent vnd Zinsen sind worden frey: Daß wir der lieben Obrigkeit Schutz haben vnnd geniessen heut: Daß auch das Himlisch Testament Vnd sein GÜter vns zu gewÄnd: Jm Gegentheil vom Lesterstreit Des Sacramentschwarms sind befreyt, Summa, daß wir habn Christi Wort, Rein, pur vnd lauter fort und fort, Daß vnd vielmehr, nechst Gottes gnad, Ritter Martin erstritten hat, Wider Teufel, Welt, Fleisch vnd Blut, Stetz obgesiegt mit grossem Muth.“2357

Wendet man sich der Frage der Intention des Dramas zu, ist zu konstatieren, dass der Verfasser Luthers Leben als von vornherein in die Auseinandersetzung des Luthertums mit der römischen Kirche und dem ‚Calvinismus‘ eingebettet thematisiert. Das Drama zielt 2353 Akt IV Argumentum; S. 70,1692ff: „Jtem daß Gottes Wort vor voll Nicht ehe stat habn noch gelten soll, Es werde denn vom Papst geschmiert, Wie sies nennen, canonisirt.“ 2354 Prologus; S. 17,85ff, über Pseudo-Petrus: „Wil seine BrÜdr vnd Vnterthann Nur fÜr lauter Fußhadern han, Nicht wol die helffte lahn geniessn, Vom Testament, odr auch nur wissn.“ Am Rand steht die Bemerkung: „Kelligs vnd Bibelraub“. 2355 In Akt IV Szene 1; S. 73,1769ff, schlägt Vertumnus (hier: Zwingli) Martin vor, das Testament nicht nach dem Buchstaben auszulegen. Martin widersetzt sich dem: Dies würde kein ehrlicher Jurist tun. Vgl. Akt IV Argumentum; S. 70,1688ff: „... das Christo vnmÜglich sey, (Ach daß mir Gott die Red verzeyh) Auff einmal mehr als an eim Ort Zuseyn, wider sein klares Wort.“ Vgl. ferner Akt IV Szene 3; S. 77,1905ff. 2356 So die in Akt IV Argumentum; S. 70, genannten Untaten des „Papsts vnd Calvini Rott“ des päpstlichen Lehramts und der Bestreitung der Realpräsenz im Altarsakrament. 2357 Epilogus; S. 106,2755ff.

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deutlich auf die Gegenwart ab, in der sich die lutherische Kirche zwischen der römischen und der reformierten, bedrängt von zwei Seiten, wiederfindet. Das Luthertum, das aus diesem Stück spricht, wirkt sehr unter Druck. „Drauff, wiewol auch die andern Zwen Biß Dato noch im Streite stehn, Verfolgn sie doch biß auff den Tod Den mitlern Bruder ...“,2358 heißt es im Prolog über den letzten Akt, in dem die Anhänger Martins verfolgt werden. Vor dem jüngsten Tag erheben sich Papst und alle Teufel gegen die Christenheit,2359 dies hebt in der Gegenwart an.2360 Dem Luthertum steht ein Zweifrontenkrieg bevor. Zwar räumt Rinckart ein, dass römische und reformierte Kirche sich bis jetzt noch im Streit miteinander befänden, doch erwähnt er ein Bündnis beider gegen die Lutheraner. Deutlich angespielt wird in Akt V Szene 1 auf die 1609 gegründete katholische Liga, von der Pseudo-Petrus sagt, Johannes werde ihr nicht in den Rücken fallen.2361 Aus dem Drama spricht so eine Furcht vor dem Erstarken des Katholizismus wie vor einer Ausbreitung des ‚Calvinismus‘ im Reich. Versuche zur Rekatholisierung wie in Donauwörth lagen noch nicht lange zurück. In Territorien wie Anhalt oder Hessen-Kassel (seit 1605) waren die Landesherren dabei, diese zur reformierten Konfession zu überführen. Ob Rinckart sein Drama schon in Kenntnis von dem 1613 vollzogenen Wechsel des Kurfürsten Johann Sigismund in Brandenburg zum reformierten Bekenntnis schrieb, kann nicht entschieden werden, aber die Angst vor Konversionen zu den Reformierten wird ihn umgetrieben haben. Es scheint, als ob Rinckart in apokalyptischer Manier eine Art Entscheidungsschlacht erwartete.2362 Dieser letzte Kampf geht im Drama zunächst negativ aus, erst am Ende, das dann auch das Ende der Geschichte bildet, bekennt sich Gott zum Luthertum und vernichtet dessen Feinde.2363 Ziel des Dramas ist nun zum einen die Vermittlung von Trost, indem es zeigt, „Wie Gott wird allzeit bey vns stahn ...“;2364 auch Luther blieb trotz seines mutigen Auftretens von seinen Gegnern unversehrt. Zum andern stellt das Drama, erinnernd an den Landtag zu Sichem (Jos 24), die Zuschauer vor die Entscheidungsfrage, ob sie sich zur lutherischen Seite bekennen wollen oder nicht.2365 Rinckart will in dieser zugespitzten Situation die 2358 Prologus; S. 18,123ff. 2359 Vgl. Akt V Argumentum; S. 100,2587ff. 2360 Prologus; S. 19,182ff: „Derowegn eben jtzigr zeit, Do sich erhebt viel Noth vnd Streit, Wider Ritter Martinum frum ...“ 2361 Vgl. S. 100,2616ff. 2362 Uranophron sagt in Akt V Szene 2; S. 101,2642ff: „Vnser Nachtbarn fast all zu Hauff Sich wider vns thun lehnen auff, VerknÜpffen sich mit losen Strickn, Vns vollend gar vnter zu drÜckn.“ 2363 Vgl. Akt V Szene 3 und 4. Am Ende von Szene 4 kommt auf das Gebet Uranophrons hin Immanuel, Christus zurück, die Feinde Martins fallen nieder (S. 104). In Akt V Szene 5; S. 104f.,2716ff spricht Immanuel zu Martin: „Jch bin es ja, mein liebes Kind, Frew mich, daß ich dich trew erfind, Vnd wil dich des geniessen lahn, Mit sampt mein frommen Vnterthann.“ 2364 Prologus; S. 19,187. 2365 Vgl. Akt V Szene 2; S. 102,1665ff. Vgl. dazu Thomas Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede, S. 21f.: „Die sich im Zusammenhang des Reformationsjubiläums mit neu-



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lutherischen Zuschauer – sein Drama zielt über den Rahmen der Schule hinaus2366 – für die lutherische Seite vergattern und sie im lutherischen Glauben bestärken.2367 Letzteres sucht er zu erreichen, indem er daran erinnert, aus welch unerträglichen Zuständen Luther die Christen in den lutherischen Territorien befreit habe. Durch das Drama sollen die Menschen hinter dem Befreier Luther geeint werden, sich mit seiner Sache identifizieren. Dies können sie nach Rinckhart in der Gegenwart nur in der Form realisieren, dass sie sich hinter die Schutz gewährende lutherische Obrigkeit stellen.2368 Der Luther, der in diesem Kontext gebraucht wird, ist einmal der Wohltäter, der in einem Akt der Befreiung eine rechte Ordnung aufgerichtet hat, den es dankbar in Erinnerung zu rufen gilt, was identitätsstiftend wirkt. Es ist aber vor allem der standhafte, beim Wort verharrende Luther, der sich nicht auf dem Wort unangemessene theologische Dispute einlässt. Um ihn gilt es sich zu scharen. Dieser Luther dient der Vergewisserung eines besonders von außen bedrohten Luthertums, dem die Orientierung an Luther und seinem von Gott sanktionierten Wirken Rettung zu verheißen vermag.

4. Ergebnis Die nähere Durchsicht von drei Lutherdramen und die Kenntnisnahme der weiteren Lutherdramen zeigt eine relativ große Bandbreite von Inszenierungen des Reformators. In einem Drama kann er mittels eines vom Autor selbst entwickelten Stoffes als Wanderlehrer dargestellt, in einem anderen mittels einer auf ihn angewendeten Fabel zum Ritter stilisiert werden. Das Drama bietet grundsätzlich große Möglichkeiten, die Person Luthers vorzustellen. Zum einen kann es verschiedene Facetten seiner Person zur Geltung bringen und es kann Aspekte seiner Person, die in biographischen Werken nicht oder nur am Rande eine Rolle spielen, stärker berücksichtigen. So wird Luther in Dedekinds Stück, artiger Intensität meldende Kritik am anti-christlichen Papsttum und das damit verbundene Bewußtsein, in einer von Gott selbst heraufgeführten eschatologischen Entscheidungssituation vor der baldigen Wiederkunft Christi zu stehen, sind im Spiegel ‚populärer‘ Gattungen im Umfeld des Jubiläums als prägende Momente lutherischer Mentalität unmittelbar vor Ausbruch des Krieges anzusprechen.“ Zur Bezeichnung Luthers als Mose in dieser Zeit vgl. Robert Kolb, Umgestaltung, S. 214. 2366 Elschenbroich, a.a.O., S. 561: „Rinckart hat sich formal und in der didaktischen Zielsetzung der Tradition des protestantischen Schuldramas in jener volkstümlichen Gestalt angeschlossen, die, über den Rahmen des Gymnasialunterrichts hinausgreifend, im 16. Jahrhundert bevorzugt von evangelischen Predigern gepflegt worden war und sich als vorzügliches Instrument zur religiösen Unterweisung der gesamten Einwohnerschaft einer Stadt erwiesen hatte.“ 2367 Vgl. Elschenbroich, a.a.O., S. 567. 2368 Die Obrigkeit hält Rinckart in großen Ehren; vgl. Der Eislebische Christliche Ritter, Epilogus; S. 106,2762f. Zu beachten ist, dass am Ende Martin und Friedvertus zusammen von Immanuel in die Seligkeit geführt werden; S. 104f.

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ebenso etwas bei Frischlin auch als Seelsorger in Szene gesetzt; ja er wird in Kombination mehrerer Aspekte nebeneinander als Seelsorger und Lehrer vorgestellt. Die jeweils andere Szenerie in der vom zeitlichen Ablauf her gesehen längeren Gattung Drama bedingt das Hervortreten jeweils eines anderen Aspektes seiner Person, was diese lebendiger erscheinen lässt. Es kann freilich auch die Konzentration auf nur einen Aspekt geben. Rinckarts Entscheidung, Luther als Ritter darzustellen, impliziert ein festes Bild seiner Person und seines Werkes, schließt andere Aspekte dagegen a priori aus. Von der Figur des Ritters führt kein direkter Weg zu dem einfühlsamen und im Lehrgespräch stehenden Luther im Drama Dedekinds, der von der Frage nach der Seligkeit bewegt wird. Diese Bandbreite an Facetten aber ist im Genus Lutherdrama möglich. Zum andern tragen die im Drama mit Luther kommunizierenden Personen zu einem lebendigen Bild seiner Person und zur Schärfung dieses Bildes bei. Dies gilt für die ihm wohlgesonnenen Personen, die stets eher im Hintergrund zum Stehen kommen, womit klar angezeigt wird, dass Luther das Zentrum bildet. Diese Personen werden nur als Helfer dargestellt, denen faktisch bloß die Funktion zukommt, die Größe des Reformators herauszustellen. Zuweilen ist ihr Auftreten regionalen Interessen geschuldet.2369 In der Konsequenz führt dies dazu, dass durchaus gewichtige Vertreter der Reformation abgewertet werden, insbesondere die Person Melanchthons stark an den Rand gedrängt wird oder gar völlig ausfällt, was freilich auch theologische Gründe, die Abwehr des mit seiner Theologie in Verbindung gebrachten ‚Kryptocalvinismus‘, hat. Besonders aber profiliert die Darstellung der Gegner Luthers das Bild des Reformators: ihre Unmoral, ihr maßloser Zorn auf Luther, ihre Intrigen und Anschläge, die doch vergeblich bleiben, ihre Lehren, die sich als kurios und offenkundig unhaltbar erweisen, ihr insgeheimes Eingestehen, Luther sei im Recht. Dies alles macht dem Zuschauer klar: Luther ist von der Sache her im Recht, er ist moralisch im Recht, Gott steht auf seiner Seite. Dies bedeutet, dass die Person Luthers idealisiert dargestellt wird, am massivsten bei Rinckart. Sie repräsentiert immer die rechte Sache, hat keine Schwächen. Wie in allen geistlichen Dramen bildet auch die Person Luthers einen Typ. Dies schließt aber wie im Falle Rinckarts die Darstellung starker Emotionen der Person Luther nicht aus. Die Präsentation menschlicher Züge findet aus mehreren Gründen Berücksichtigung: Sie ist zunächst dem Medium geschuldet und steht zweitens als Vorführung positiv gewerteter Emotionen im Dienste der Idealisierung. Sie ist aber auch theologisch von Bedeutung, insofern so unter Rekurs auf Luther gezeigt wird, dass Kreuz und Anfechtung zum Leben des Christen in der Welt gehören und auch eine gefühlsmäßige Reaktion des Menschen provozieren.2370 In den Dramen von Hartmann und Rinckart ist ferner deutlich von der Rolle des Gewissens in Luthers Vita die Rede, so dass Zeedens Auffassung, das Gewissen

2369 So das Auftreten Brenz’ in Frischlins ‚Phasma‘ und Bugenhagens in Kielmanns ‚Tetzelocramia‘. 2370 Zum Gedanken der Anfechtung bei Luther vgl. Oswald Bayer, Martin Luthers Theologie, Tübingen 2003, S. 10. 33f.



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erscheine in den Lutherbiographien seit 1546 nicht mehr,2371 in dieser Form unzureichend ist. Bieten die Dramen kein historisches Bild der Persönlichkeit Luthers, so gibt Hartmanns, zum ersten Typus von Lutherdramen gehörendes Stück einen durchaus verlässlichen Überblick über den Werdegang Luthers mit etlichen Details.2372 Der Grund dafür ist die Orientierung an den Quellen, die den Verfasser tatsächlich in zuverlässiger Weise belegte Luther-Worte zitieren lässt. Auch die nicht der Vita folgenden Dramen des zweiten Typus stellen zumindest nichts dar, was kein fundamentum in re in Luthers Leben und Wesen hätte. Durchweg arbeiten sie Aspekte der Person Luthers heraus, die für diese tatsächlich zutreffen oder realistisch wirken – wie eine gewisse Verbitterung in den letzten Lebensjahren2373 –, was freilich den Sachverhalt der Idealisierung dieses Luthers nicht aufhebt. Idealisierung und Typisierung bedingen ferner, dass der Reformator als aufs engste mit seinem Werk verbunden in den Blick kommt. Wie bei anderen biographischen Darstellungen handelt es sich in den Dramen um eine dogmatische Betrachtung des Reformators, in denen seine Person in ihrem Werk aufgeht bzw. dahinter zu verschwinden droht.2374 Die Darbietung menschlicher Züge hat nur die Funktion, jenes Werk stärker herauszustellen. Idealisierung und Typisierung bedeuten drittens, dass Luther ausschließlich auf dem Hintergrund der konfessionellen Auseinandersetzung betrachtet wird. Das Medium Drama verstärkt dabei das Konfrontative, bis hin zu dem in endlosem Streit stehenden Luther Frischlins und dem im Zweifrontenkrieg stehenden Luther Rinckarts. Dies lenkt zu der Feststellung, dass es in den Dramen stets um einen aktualisierten und damit instrumentalisierten Luther geht. Es geht um einen Luther, der a priori im Lichte der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit dem konfessionellen Gegner wahrgenommen wird und einem bestimmtes Zweck dienen soll, im Blick auf die eigene Anhängerschaft in Richtung auf Einigung und Identifikation, im Blick auf die andere Seite mit dem Ziel der Abgrenzung. Anders formuliert: Das in den Dramen transportierte Bild Luthers und seines Wirkens ist abhängig von der Zeit und ihren Bedürfnissen, von den Frage- und Frontstellungen, die der Verfasser wahrnimmt. Der Zweck, den der Autor verfolgt, bestimmt die Darstellung Luthers mit. Je danach, wie der theologische Standpunkt des Verfassers verortet ist und wie er die Situation der lutherischen Kirche bewertet, wandelt sich daher 2371 Vgl. Zeeden, Martin Luther. Bd. 1, S. 69. 2372 Vgl. Zabel, Lutherdramen, S. 7f. 2373 Dies arbeiten Frischlin und Hirtzwig in ihren Stücken heraus. Ein differenziertes Bild des alten Luther gibt Martin Brecht, Martin Luther. Bd. 3, Stuttgart 1987, S. 234: „Angesichts immer neu auftretender kirchlicher Schwierigkeiten und Verwicklungen konnten sich Sorge, Ungehaltenheit und Resignation melden und zu schroffen Reaktionen führen. Dennoch waren die alten Tage Luthers keineswegs nur von Mißmut erfüllt, und es fehlte ihm nicht an Distanz gegenüber seiner eigenen Situation.“ 2374 Nach dem Gesagten verbietet sich dennoch der Schluss Zeedens, a.a.O., S. 69: „Seit Mathesius und Sleidan verschwand das Menschlich-Lebendige aus den Charakteristiken Luthers ... Er verwuchs völlig mit seinem Werk.“ Letzteres stimmt, das Erste ist von den Dramen her zu negieren.

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der Aspekt, den er zur Charakterisierung des Hauptwerkes Luthers thematisiert. Bei dem Melanchthonschüler und um Herausstellen der Einheit zwischen Luther und Melanchthon bestrebten Dedekind ist es die Rechtfertigungslehre. Dies ist aber singulär. In den meisten Dramen steht die Restitution der Autorität der Schrift und die Befreiung vom Papsttum im Mittelpunkt, besonders kennzeichnend ist dies für die Dramen Hartmanns, Rinckarts und Kielmanns. Dass mehrheitlich das Bemühen Luthers um die Schrift, also das Formalprinzip der Reformation ins Zentrum gerückt wird, dürfte nicht nur daran liegen, dass dies unverfänglicher war, es spiegelt den Stellenwert der in der Konkordienformel als „unica regula et norma“ bezeichneten Schrift für die lutherische Orthodoxie, der sich auch in der Dignität des die erste Stelle einnehmenden Locus De scriptura sacra bekundet.2375 Bei den Lutherdramen ist der Anteil von Dramen, in denen den Zuhörern kompliziertere theologische Sachverhalte zu Gehör gebracht werden, von altkirchlichen Häresien bei Frischlin bis zur Ubiquitätslehre bei Rinckart und dem Gedanken der manducatio impiorum bei Hirtzwig, deutlich größer als in anderen Dramentypen. In allen Dramen wird Luther, wie in den Predigten der Zeit, als göttliches Werkzeug mit besonderem heilsgeschichtlichen Auftrag verstanden. Auf der anderen Seite wird in den drei vertieft untersuchten Dramen in Hinsicht auf Luther nichts Übernatürliches geboten – sieht man vom Finale des ‚Eislebischen Christlichen Ritters‘ ab, das aber für Rinckart noch in der (nahen) Zukunft liegt; auch der im ‚Papista conversus‘ bemühte Engel tritt nicht Luther gegenüber. Dies ist insofern erstaunlich, als erstens die Darbietung von Übernatürlichem vom Medium Drama her keineswegs ausgeschlossen war, trat doch in vielen Dramen der Zeit Gott Vater oder Christus auf und es wurden massive Effekte geboten, und zweitens auch in die Überlieferung der Luthervita zunehmend Wundersames wie Wunder und Visionen in Anlehnung an die mittelalterliche Heiligenlegende hineindrängte.2376 Im Drama sind lediglich Prophezeiungen auf Luther ein Indiz in dieser Richtung. Dass es sich bei Luthers Wirken um einen göttlichen Auftrag handelt, wird entweder vom Verfasser im Vorwort erwähnt oder Personen der Handlung bezeichnen den Reformator als göttliches Werkzeug. Eine unmittelbare Beauftragung durch Gott, wie sie von altprotestantischen Theologen z.T. vertreten wird, erfährt aber zumeist keine Darstellung. In dieser Hinsicht bildet Kielmanns Drama mit der Ordination durch die vom Erzengel Michael instruierte allegorische Figur der Veritas eine Ausnahme.2377 Trotz des auch in den Dramen vorausgesetzten apokalyptischen Rahmens geht es den Verfassern nicht 2375 Solida Declaratio, BSLK, S. 767. Vgl. etwa Leonhard Hutter, Compendium Locorum Theologicorum, Berlin 1961 (Wittenberg 1610), S. 1 (Locus Primus: De Scriptura Sacra). 2376 Vgl. Kastner, Geistlicher Rauffhandel, S. 221f. Kastner konstatiert aber im Folgenden einen Wandel in der protestantischen Heiligenauffassung weg vom bildhaft-symbolischen Legendenheiligen zum rational-überzeugenden Bekennerheiligen und sich selbst aufopfernden Glaubenskämpfer. 2377 Dass eine unmittelbare göttliche Beauftragung für die Argumentation sowohl gegenüber der römisch-katholischen Theologie als auch gegenüber spiritualistischen Anschauungen erhebliche Probleme geschaffen hätte, dürfte keine Rolle spielen. Protestantische Prediger konnten eine solche durchaus behaupten.



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darum, in der Handlung Luthers göttliche Berufung zum dritten Elia und zum Engel der Apokalypse zu zementieren. Diese Sicht ist zwar im Hintergrund vorhanden, spielt aber in der Handlung keine echte Rolle.2378 Anders verhält es sich mit der Auffassung Luthers als des die Schrift wiederherstellendem Propheten, die in der Handlung einiger Dramen umgesetzt wird. Bedeutsamer als die apokalyptische Titulatur sind die Funktionen, in die Luther in den Dramen tritt, sei es die des Seelsorgers, sei es die des theologischen Schriftstellers oder des Führers der Reformation. Festzuhalten ist, dass in allen Dramen nicht nur Luthers Lehre im Mittelpunkt des Interesses steht,2379 sondern mindestens in gleicher Weise seine Praxis. Das Medium Drama bedingt, dass die anschaulichen umwälzenden Wirkungen von Luthers Wirken im Mittelpunkt der Handlung stehen: die öffentlichen Auftritte und Dispute, das Konfrontative, das mutige Beharren auf dem ‚es steht geschrieben‘. Das Stillere, Unanschaulichere, Versöhnliche wird meist ausgeblendet. Aspekte wie Luthers Lehrtätigkeit in Wittenberg oder sein Ringen um die Bibel lassen sich im Drama nur schlecht darstellen. Ereignisse wie das Augsburger Verhör und der Wormser Reichstag gehören hingegen zum Standardmaterial der Lutherdramen. Die späteren Geschehnisse scheiden aufgrund ihres undramatischen Charakters zumeist aus.2380 Hier gilt in der Tat: Das Medium bestimmt die Botschaft. Freilich gibt es Ausnahmen, wie Hirtzwigs Drama, in dem die Wittenberger Konkordie auf die Bühne gebracht wird und rein literarische Auseinandersetzungen in dramatische Szenen verwandelt sind. Die Leistung der Lutherdramen dieser Zeit ist erstaunlich. Wie einige nicht nur das Schrille in Luthers Leben transportieren, so bieten die Lutherdramen insgesamt eine erhebliche Breite an Aspekten von Person und Werk und damit eine gewisse Pluriformität im Lutherbild. Sie können jedenfalls nicht als Beleg für eine Erstarrung des Lutherbildes dienen. Ihr Vorzug als Drama ist, dass sie Luther mit anderen Personen auftreten lassen. Dadurch lassen sie ein lebendiges Bild eines Menschen in seinem Umfeld erstehen, auch wenn dies die Tendenz des Bildes vom einsam Kämpfenden nicht verhindert. Die Wirkung eines im Drama dargestellten Luthers war vermutlich doch nachhaltiger als die einer Predigt auf den Reformator. Damit aber konnten sie das Lutherbild der Zeit, das über die darstellenden Schüler auch deren Familien und andere Zuschauer erreichen konnte, entscheidend mitprägen.2381 2378 Diese von Kolb, Umgestaltung, S. 215, für die Lutherbiographie um das Lutherjubiläum erkannte Tendenz spiegelt sich im Lutherdrama der Zeit nicht wider. 2379 Vgl. Zeeden, Martin Luther. Bd. 1, S. 98. 2380 Vgl. Zabel, Lutherdramen, S. 68: „Bis zum Reichstag von Worms liegt ein dramatisch lebendiger Zug im Laufe der Ereignisse, der von den Autoren mehr oder weniger stark hervorgehoben, aber nie ganz verwischt werden konnte.“ 2381 Kastner, a.a.O., S. 158, äußert über den Erfolg der Aufführungen von Lutherdramen beim Jubiläum 1617, „... die persuasive Wirkung dieser Jubelkomödien auf das Bewußtsein einer evangelisch-lutherischen Stadtbevölkerung wird im Vergleich mit den parallel eingesetzten volkstümlichen Medien, dem Flugblatt, der Medaille, der Predigt, am höchsten zu veranschlagen sein.“

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Die Lutherdramen setzen das Fehlen der Führungspersönlichkeit Luther voraus, sie sind auch Ausdruck einer gewissen Sehnsucht nach dieser. Aufgrund ihrer Entstehung erst eine Generation nach Luthers Tod wird man aber nicht sagen können, dass sie diesen Verlust verarbeiteten. Die Genese der Lutherdramen markiert eine neue Phase. Die Reformationszeit mit Luthers Werk und den nachfolgenden Streitigkeiten um die rechte Auslegung desselben ist an ein Ende gekommen. Im Bewusstsein des Abstands bemüht man sich neu um Luther. Der gefühlte Abstand ist nicht nur zeitlicher Natur, der Streit um die Auslegung Luthers und die Konkordienformel stehen zwischen dieser Generation und Luther. Der neue Blick auf Luther kann davon nicht absehen, er setzt den Konkordienprozess voraus. Aber dieser Blick geht auf Luther, auf dessen Werk man sich neu besinnen will; die Dramen bekunden ein neues Interesse an Luther selbst. Die Konkordienformel und der zu ihr führende Prozess ließen sich schlecht dramatisieren. Nun könnte man einwenden, letztlich gehe es dann nur um einen symbolischen Gebrauch der Luther-Vita. Seine Person wird als einheitsstiftende Figur benötigt. Dies ist die These von Robert Kolb: Infolge des Konkordienprozesses, durch den die Bekenntnisschriften in den Rang der norma normata gekommen seien, sei es zu einer Reduktion der Autorität Luthers gekommen. Statt einer autoritativen habe er nur noch eine historisch-symbolische Stellung eingenommen.2382 Die Frage ist, ob die Lutherdramen das bestätigen können. Sicher präsentieren sie einen instrumentalisierten Luther. Den Verfassern geht es um eine Aktualisierung. Sie wissen auch, dass die Person Luthers mehr bewirken kann als eine Bekenntnisschrift. Dies alles kann als Beleg der These Kolbs angeführt werden. Besonders für Kielmanns Drama ist eine letztlich nur symbolische Bedeutung Luthers zu konstatieren, zumal der Reformator in der Handlung völlig passiv bleibt. Nun ist es angesichts der Tatsache, dass die Theologie Luthers und die in der Konkordienformel zum Ausdruck kommende Theologie nicht diametral entgegengesetzt sind, schwierig, in den Dramen zwischen Luthers Gedanken und solchen, die sich der Konkordienformel verdanken, zu unterscheiden. Betrachtet man aber die Dramen in Gänze, so lässt sich doch festhalten, dass hier Impulse von Luthers Person und Werk ausgehen, die über die Konkordienformel hinausführen. Dies betrifft nicht nur das Stück Dedekinds. Zu nennen ist hier Frischlin, der auf die Aspekte von Luthers Ehe- und Taufauffassung eingeht, in Gestalt des Bauern Corydon auf Christus als den alleinigen Hirten verweist, auf dem Gewissen als Instanz insistiert und auch das Recht des einzelnen Christen auf Beurteilung der Lehre verficht. Dies ist ein deutlicher Rekurs auf den Luther der frühen zwanziger Jahre. Dazu führt Frischlin den Kleinen Katechismus an, gewiss eine Kolb, a.a.O., S. 215, sieht die Dramen hauptsächlich zu erbaulichem Gebrauch in den Schulen bestimmt. 2382 Kolb, a.a.O., S. 231: „Als die Corpora doctrinae der Landeskirchen sowie das Konkordienbuch dann diese Rolle [sc. der norma normata] übernahmen, wurde Luthers Autorität zu einer historischen, nicht mehr lebendigen reduziert. Im Luthertum blieb er freilich Autorität von symbolischem Wert ...“ Vgl. a.a.O., S. 203.



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Bekenntnisschrift, aber auch ein Werk Luthers. In dem zeitlich später liegenden Drama Hirtzwigs spielen theologische Gedanken Luthers bezüglich der Haltung der Christen zu Obrigkeit und Gewalt und zum Kirchenrecht eine Rolle, die auf Luther selbst rekurrieren. Er geht ferner auf Luthers Schrift ‚De captivitate babylonica‘ ein. Schließlich ist zu bedenken, dass die Darstellung einer Person wie der Luthers im Drama eine gewisse Eigendynamik entwickeln kann und dass dies von den Verfassern durchaus intendiert war. Die Lutherdramen bekunden ein Bedürfnis nach wirklicher Weisung durch die Person Luthers und damit auch durch seine Theologie, damit aber auch weit hinausgehend über eine neue Form der Heiligenverehrung.2383

2383 Diese Sicht der Lutherdramen vertrat Wolfgang Stammler, Von der Mystik zum Barock, Stuttgart 19502, S. 368: „In der Dichtung, die Luther feiert, hat die Sehnsucht des damaligen Deutschen nach Helden und Heiligen Gestalt gewonnen. Die Heiligen waren ihm genommen, also musste er sich neue suchen und fand Luther.“

Teil D Ertrag Nach der Betrachtung dreier Typen von protestantischen Dramen gilt es nun, nach dem Ertrag in Bezug auf die eingangs in Abschnitt A III 1 b) formulierten Zielsetzungen zu fragen. Zu diesem Zweck sollen hier in Abschnitt I wichtige Ergebnisse zusammengefasst werden, wobei die Fragen nach der Begründung der Verwendung der Gattung Drama, nach der Verarbeitung der reformatorischen Lehre im Drama und nach der konkreten Intention der Dramen (Hauptziele 1–3) im Zentrum stehen. In Abschnitt II erfolgt eine Darstellung des Jesuitendramas und -theaters, mittels derer sich das Profil des protestantischen Dramas und Theaters noch genauer wahrnehmen lässt. Dies mündet in eine Schlussbetrachtung in Abschnitt III, in dem unter Einbeziehung der Frage nach der Bedeutung des geistlichen Dramas im reformierten Protestantismus ferner die Fragen Betrachtung finden, wie die weitere Entwicklung des protestantischen Dramas zu beurteilen ist und was für eine Bedeutung dem protestantischen Theater im Prozess der Konfessionalisierung zuzumessen ist (Hauptziele 4–5). Damit aber ist eine noch grundlegendere Frage berührt, ob sich von der Untersuchung des protestantischen Dramas und Theaters vielleicht neue Perspektiven zur Klärung des seit langem kontrovers diskutierten Komplexes der Konfessionalisierung eröffnen können.

I. Bündelung und Zuspitzung Im Folgenden sollen die Ergebnisse aus den Teilen B und C gebündelt werden. Dies erfolgt einerseits nach einer Gliederung in die Komplexe Intention, Inhalt und Gattung. Insofern sich bei der Betrachtung aber die wesentliche Bedeutung der Faktoren Autor und Aufführung herausstellte, folgt die Darstellung komplementär auch dem Schema Autor, Drama und Aufführung. Beide Gliederungsmodi sind ineinander verwoben; die Pluriformität der Gliederungspunkte verfolgt die Absicht, die Propria des protestantischen Dramas und Theaters multiperspektivisch zur Geltung zu bringen. Material geht es um die in Abschnitt A III 1 b) als Hauptziele 1 bis 3 formulierten Punkte. Die bislang nur implizit behandelten Fragen nach dem Selbstverständnis der Dramatiker, nach der Bedeutung der konfessionellen Polemik und nach dem Charakter der Aufführung werden nun ausführlich verfolgt, unter Darbietung entsprechenden Materials. Diese Abschnitte haben damit stärker zuspitzenden Charakter.



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1. Stellung und Selbstverständnis der protestantischen Dramatiker a) Das protestantische Drama als Spiegel individueller Neigungen und Erfahrungen Unter den untersuchten Dramatikern sind Andreas Lucas und Michael Saxo Beispiele dafür, wie sich akademisch ausgebildete Theologen, die ihren Dienst auf einer schlecht dotierten Lehrerstelle versahen, durch die Abfassung eines geistlichen Dramas für eine bessere Stelle, d.h. eine Pfarrstelle empfehlen wollten. Das vollendete geistliche Drama einschließlich der an die jeweiligen Patrone gerichteten Widmungsrede diente insbesondere als Ausweis ihrer Orthodoxie und ihres Sprachvermögens. Die dahingehende These von Almut A. Meyer findet damit ihre Bestätigung.1 Allerdings bietet diese These vom Drama als ‚Bewerbungsschreiben‘ keine hinreichende Erklärung für die fast massenhaft zu nennende Abfassung geistlicher Dramen im betrachteten Zeitraum. Überdies wären sicher auch andere Gattungen geeignet gewesen, den genannten Zweck zu erfüllen. Aber selbst wenn es einem angehenden Theologen quasi als Pflicht erschien, ein Drama zu schreiben, erklärt dies nicht, warum viele Autoren sich auch lange nach der Erlangung arrivierter Positionen weiter dem Abfassen von geistlichen Dramen widmeten. Der Hinweis, dass dies eine Mode war, stellt keinen befriedigenden Erklärungsgrund dar, wird er doch weder dem Selbstverständnis der Autoren noch ihren Stücken wirklich gerecht. Hinzuweisen ist zum einen institutionell darauf, dass Schulen und Städte nach Dramen verlangten, wie es oben von Cyriakus Spangenberg berichtet wurde.2 Zum anderen aber sind hier die individuellen Interessen der Autoren zu nennen. So gewiss die Dramen also eine ‚Normaltheologie‘ präsentieren und nicht die Bühne für heterodoxe Auffassungen sein können, so gewiss geben sie doch Aufschluss über die speziellen Interessen und Anliegen der Autoren. Die vielfältigen Beweggründe, die von Autoren für ihre dramatische Tätigkeit zuweilen explizit in den Widmungsreden angeführt werden, sich aber oft auch innerhalb der Werke spiegeln, können hier nicht alle noch einmal aufgeführt werden. Dies beginnt damit, dass für einige Autoren das Abfassen von Dramen ihrer Erholung dient, so etwa bei Ägidius Hunnius, oder Frucht einer vertieften Meditation des Bibeltextes im Rahmen der Predigtvorbereitung ist, wie im Falle Melchior Neukirchs. Darüber hinaus sind aber weitere spezifische Neigungen erkennbar. So zeigt das Abraham-Drama des Christoph Stymmelius die besonderen theologischen Interessen des Verfassers, Frischlins Lutherdrama belegt die poetologischen Neigungen seines Urhebers, Melchior Neukirchs Stephanus-Drama zeugt von den historischen Interessen des Braunschweigers, juristische Vorlieben leuchten in Sebastian Wilds Stephanus-Drama auf, Ausdruck des besonderen theologischen Anlie1

Vgl. Almut A. Meyer, Heilsgewißheit und Endzeiterwartung im deutschen Drama des 16. Jahrhunderts. Untersuchungen über die Beziehungen zwischen geistlichem Spiel, bildender Kunst und den Wandlungen des Zeitgeistes im lutherischen Raum (Heidelberger Forschungen Heft 18), Heidelberg 1976, S. 61. 117. 237f. 2 S.o. im Teil A I 1 g), S. 38f.

712 Ertrag gens des Verfassers ist das Lutherdrama des um eine bleibende Einheit von Luther und Melanchthon bemühten Friedrich Dedekind. Diese Beweggründe werden zuweilen von den Autoren in den Rahmenstücken, besonders in der Widmungsrede reflektiert. Über diese sachlichen Anliegen und Neigungen hinaus kann ein Drama auch die Vita des Verfassers spiegeln, eine enge Verbindung zur Biographie des Autors bezeugen. So ist Bezas ‚Abraham sacrifiant‘ Reflex seiner Flucht aus Frankreich, die Übersetzung, Aufführung und endliche Herausgabe dieses Werkes durch Nathan Chytraeus markiert dessen Übergang zum reformierten Bekenntnis. Waldis’ ‚Parabel vom verlorenen Sohn‘, verfasst kurz nach seinem Austritt aus dem Franziskanerorden, ist letztlich eine Abrechnung mit der monastischen Lebensweise, die in seiner Deutung der Geschichte der ältere Bruder verkörpert. Für all diese Interessen, Neigungen und Erfahrungen fanden die Verfasser offenbar in der Gattung Drama ein geeignetes Medium. Das Drama war eher in der Lage, solche Interessen und Erfahrungen aufzunehmen als andere Gattungen, zumal als die Hauptgattung der theologischen Praxis, die Predigt. Die Gattung Drama bot den Theologen – und die Mehrzahl der Verfasser waren Theologen – einen gewissen Freiraum, einen größeren Freiraum als die Gattung Predigt, gegenüber der seitens der Zuhörer feste Erwartungshaltungen vorherrschten: Dort sprach der Pfarrer als Pfarrer, und zwar, von der Gattung her festgelegt, in einem bestimmten Redestil. Rolle und Sprache bzw. Stil boten also nur wenig Spielraum. Nun wäre es Unfug, das Drama des 16. und 17. Jahrhunderts, auch wenn es Spielcharakter hat, als einen Raum völliger Freiheit für die Verfasser zu umschreiben. Auch das Drama folgte in dieser Zeit bestimmten Gattungsgesetzen, ganz abgesehen davon, dass bestimmte theologische und moralische Standards nicht unterschritten werden durften. Dennoch bot dieses Medium dem Verfasser eine gewisse Gestaltungsfreiheit. Es bereitete die Möglichkeit zu einem ungebundeneren Reden, es gab dem Verfasser, der ja in ihm nicht oder nur verdeckt in der Person von Prolog- und Epilogsprecher auftrat, ein größeres Spektrum an Redeformen und ebenso bot es ihm die Gelegenheit, seine besonderen Gaben zur Geltung zu bringen, zunächst seiner sprachlichen und poetologischen Gaben, dann auch von ihm gepflegter materialer Gaben wie die Kenntnis historischer Quellen im Falle von Neukirch. Nicht zuletzt konnte der Dramatiker in seinem Stück unaufdringlich die von ihm erworbene Bildung vorführen. Zugleich gewährte ihm das Drama die Chance zur breiteren, vertieften Entfaltung eines ihm wichtigen Themas. Die Verfasser protestantischer Dramen sind somit als Individuen wahrzunehmen; jedes Stück hat seine individuelle Note. Das dahinterstehende Phänomen des Individualismus in der protestantischen Pfarrerschaft markiert (je weiter in der Neuzeit, desto stärker, bis zum heutigen Tage) eine Stärke, aber auch eine Schwäche des Protestantismus. Während ein Jesuitendrama im Sinne seiner Initiatoren eher als ein Gruppenprodukt, als Produkt eines genau umrissenen Verbandes verstanden werden sollte, haben wir es im protestantischen Drama mit einzelnen und sehr unterschiedlichen Autoren und d.h. auch mit ihren jeweiligen Vorlieben und Anliegen zu tun, ebenso auch mit ihren literarischen und poetologischen Stärken und Schwächen. Das heißt nicht, dass nicht auch andere Subjekte



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auf die Entstehung eines Dramas eingewirkt haben. Der Verfasser sah sich mit Erwartungen der Schule oder im Falle von Bürgeraufführungen der Bürgerschaft konfrontiert. Er wusste, dass das Stück vom geistlichen Ministerium begutachtet wurde. Um eine größtmögliche Wirkung zu erreichen, war er schließlich um Konzessionen an den Geschmack des Publikums bemüht. Innerhalb dieses Rahmens war er aber recht frei.

b) Das Drama als Medium des Trostes für den Pfarrerstand Darüber hinaus ist aber, jedenfalls für den lutherischen Bereich der späteren Zeit, noch mehr festzustellen. Das geistliche Drama scheint zumindest auch das Medium des Pfarrerstandes und sich ihm verbunden fühlender Personen zu sein, in dem dieser Stand seine spezifische Situation reflektiert und seine Erfahrungen artikuliert. Diese These kann vor allem aus der Analyse der Stephanus-Dramen gewonnen werden; sie lässt sich sowohl anhand des ersten Dramas von Saxo (1564) als auch anhand der späteren von Zahn (1589) und Neukirch (1591) verifizieren. Belegen lässt sie sich auch mit einigen Lutherdramen, etwa denjenigen von Dedekind und Rinckart, aber auch mit dem Lutherdrama des Kanzleisekretärs Andreas Hartmann, der mit seinem Stück die Dankbarkeit gegenüber Luther und d.h. gegenüber den sein Erbe tradierenden Pfarrern befördern möchte. Genauer müsste man sagen, dass das geistliche Drama für den Pfarrerstand die Funktion erfüllt, die von ihm wahrgenommene spezifische Differenzerfahrung, den in seiner Sicht geringen Erfolg der Predigt, das Ausbleiben von Fortschritten in Hinsicht auf eine reformatio vitae,3 schließlich die Erfahrung einer mangelnden Wertschätzung und Unterstützung seiner selbst zu verarbeiten. Kurz, das lutherische Drama dient wesentlich auch der Artikulation von Klagen des offenkundig angefochtenen Pfarrerstandes, das sich eines Trostes zu versichern sucht, eines Standes, der selbst trostbedürftig ist, nach dem Wort sucht, das er sich selbst nicht sagen kann, und dem doch Trost zuzusprechen aufgetragen ist. Mit dem geistlichen Drama kann sich der lutherische Pfarrer des göttlichen Trostes speziell für ihn vergewissern. Dem geistlichen Drama kommt so eine Trostfunktion auch in Bezug auf die Autoren und ihren Stand zu. Luise Schorn-Schütte hat in ihrer Arbeit zur protestantischen Pfarrerschaft in der Frühen Neuzeit für die lutherischen Pfarrer die Entwicklung eines geistlichen Sonderbewusstseins konstatiert.4 Ohne Zweifel sind die geistlichen Dramen Ausdruck dieses Bewusstseins eines Standes, der sich – ebenso über seine Bildung, deren Besitz sich im Drama hervorragend en passant zeigen ließ – von 3 Dass die reformatio vitae auch im Luthertum ein Thema war, hat Thomas Kaufmann, Die Konfessionalisierung von Kirche und Gesellschaft. Sammelbericht über eine Forschungsdebatte, ThLZ 121 (1996), Sp. 1013, nachgewiesen. 4 Luise Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit in der Frühneuzeit. Deren Anteil an der Entfaltung frühmoderner Staatlichkeit und Gesellschaft. Dargestellt am Beispiel des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel, der Landgrafschaft Hessen-Kassel und der Stadt Braunschweig (QFRG 62), Gütersloh 1996, S. 399. 450.

714 Ertrag den anderen abzusetzen versuchte, auch um ihnen in der Verkündigung das Gegenüber wahren zu können. Genauer untersucht werden muss noch, welche literarische Gattungen dem Pfarrerstand zur Artikulation seine Bewusstseins dienten; dass das geistliche Drama dazu gehört, dürfte nach dem aufgezeigten Befund allerdings evident sein.

2. Zielsetzungen für das protestantische Drama Für das protestantische Drama ist eine ausgesprochene Binnenorientierung festzustellen. Erreicht werden sollen die Angehörigen des eigenen Kirchentums, nicht aber altgläubigkatholische Adressaten oder Angehörige der jeweils anderen protestantischen Konfession oder von täuferischen und spiritualistischen Gemeinschaften. Zwar ist die konfessionelle Frage in den meisten Dramen präsent, doch dienen die entsprechenden Ausführungen der Befestigung der Adressaten in der eigenen Lehre. Letztlich kommt ihnen eine identitätsstiftende Funktion zu. Andersgläubige sind somit zumeist nicht als Adressaten vorgesehen. Ein wirklich missionarischer Ansatz in Bezug auf Altgläubige konnte in dieser Studie nur in Georg Majors Stellungnahme zum Dessauer Streit belegt werden. Dass Aufführungen zu Konversionen Altgläubiger führten, ist eher ein Signum der frühen Zeit und dort des reformierten Bereichs. So sollen die beiden ersten Fastnachtspiele Niklaus Manuels aus dem Jahre 1523 viele Zuschauer zur Annahme des evangelischen Glaubens bewegt haben. Hans von Rütes Spiele umwarben altgläubige Betrachter aus benachbarten Kantonen. Für den außerdeutschen Raum kann ferner auf die frühen französischen polemischen Moralitäten verwiesen werden. So soll die Aufführung einer Bearbeitung der ‚Moralité de la Maladie de Chrestienté‘ in La Rochelle im Jahre 1558 zahlreiche Übertritte bewirkt haben.5 Den polemischen Moralitäten kam so im Sinne seiner Vertreter durchaus die Aufgabe zu, Unentschiedene für den evangelischen Glauben zu gewinnen.6 Die gesamte spätere Zeit aber ist deutlich von einer Binnenorientierung geprägt. Auch wo man am ehesten an den konfessionellen Gegner als Mitadressat denken könnte wie im Falle der Verfolgung und Martyrium eines Christen zeigenden Stephanus-Dramen, ist zentral das eigene Kirchenwesen im Blick, besonders die offensichtlich unter Druck stehende Pfarrerschaft. Andere Stoffe, von denen aus in gleicher Weise die Auseinandersetzung mit dem altgläubigen Gegner hätte gesucht werden können, wie etwa der von Andreas Hoppenrodt aufgegriffene Vorwurf der Geschichte vom goldenen Kalb, wurden ebenso nicht in dieser Weise aktualisiert, sondern lediglich mit dem allgemein gehaltenen Hinweis versehen, dass hohe Häupter und Hochgelehrte in der Gefahr stünden abzufal-

5 Vgl. Glenn Ehrstine, Theater, culture, and community in reformation Bern, 1523–1555, Leiden – Boston – Köln 2002, S. 79, unter Rekurs auf den Berner Chronisten Valerius Anshelm, ferner S. 34; Fritz Holl, Tendenzdrama, S. 217. 6 Vgl. Holl, Tendenzdrama, S. 215.



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len; der hochgelehrte Aaron selbst habe den Abgott gemacht.7 Statt dessen kommt hier vorsichtige Obrigkeitskritik zum Tragen.8 Die Binnenorientierung ist bestimmend für das existentiell motivierte reformierte biblische Drama, das, ausschließlich alttestamentliche Stoffe aufgreifend, in der Situation der Bedrohung wesentlich die Funktion der Tröstung und der Identitätsstiftung erfüllt. Die protestantischen Zuschauer sollen sich als Glieder des Gottesvolkes verstehen, dem Gott endlich zu Hilfe kommen wird. Auch auf der lutherischen Seite markiert der Aspekt der Tröstung eine der wichtigsten Zielsetzungen, wie anhand der hier untersuchten Dramen aufgezeigt werden konnte. Die Intention der Tröstung lässt sich in den Dramen der frühen Zeit bis zu den Lutherdramen des Reformationsjubiläums nachweisen. Während zu Anfang allgemein das Kreuz, das Leiden im Christenleben als Prüfung des Glaubens die Frage bildet, auf die das Drama tröstend zu antworten versucht, spiegeln die späteren Dramen die schwierige Situation, in der sich der lutherische Pfarrerstand infolge mangelnden Widerhalls seiner Bemühungen wie das gesamte deutsche Luthertum aufgrund des Druckes seitens der Gegenreformation und des expandierenden Calvinismus befand. Neben der Tröstung spielt aber von Anfang an die Moraldidaxe eine bedeutsame Rolle. Entsprechend der von Luther in den Bibelvorreden zu Judith und Tobias formulierten Richtung soll das geistliche Drama das rechte Handeln in den verschiedenen Bezügen des Lebens – in der Ehe, gegenüber den Eltern, gegenüber der Obrigkeit – veranschaulichen und zu internalisieren helfen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Ehekatechese, ein Thema, das zahlreiche Autoren zumal des Wittenberger Kreises aufgriffen, womit sie Luthers Lob der Ehe entsprachen. Keinesfalls verhält es sich aber so, dass das lutherische Drama in Moraldidaxe aufginge, eine Position, die Thomas Brunnschweiler vertritt: Die Dramatisierung eines biblischen Stoffes habe nicht die Funktion einer Bekehrungspredigt gehabt, sondern nur den pädagogischen Zweck einer Einübung bürgerlich-christlicher Tugenden verfolgt, die für die Rechtfertigung als solche unerheblich seien.9 Stimmt der erste Teilsatz, zumindest in Bezug auf Angehörige einer anderen Konfession, so greift der zweite eindeutig zu kurz. Wie gesehen, ist das protestantische Drama, sei es das lutherische, sei es das schweizerische oder französische Drama, mehr. Gewiss bietet es Lebensmuster, will es Hinweise zur Lebensführung des Gerechtfertigten geben. Die Abraham-Dramen und auch die Stephanus-Dramen aber zeigen eminent theologische Fragen im Mittelpunkt: Die Verfasser möchten mit ihnen dem und der Glaubenden aufzeigen, wie er und sie angesichts des Leidens von Gott, von seiner Haltung zu ihm bzw. ihr denken soll. Es geht 7 Vgl. Andreas Hoppenrodt, Das gulden Kalb, Straßburg 1563, Ee IIb–IIIa (Akt III Szene 2); Ff VIIIa (Beschluss). 8 Vgl. a.a.O., Dd VIIa (Akt II Szene 1): Die Fürsten haben Aaron zu dieser Tat bewegt. Vgl. ferner den Beschluss, Ff VIIIb: Aufgabe der Obrigkeit ist es die Abgötterei abzuwenden. 9 Vgl. Thomas Brunnschweiler, Johann Jakob Breitingers ‚Bedencken von Comoedien oder Spilen‘. Die Theaterfeindlichkeit im Alten Zürich. Edition – Kommentar – Monographie. (Zürcher Germanistische Studien Bd. 17), Bern u.a. 1989, S. 115.

716 Ertrag ihnen um den Glaubensbegriff, so gewiss davon auch die Lebenspraxis berührt ist. Im Zentrum steht der Zuspruch der Glaubensgerechtigkeit, und das ist noch einmal mehr und anderes als ein Appell zur Genügsamkeit, zum Aushalten des Leidens. Dass die Rechtfertigung selbst nicht dargestellt werden kann, ist wahr, wohl aber kann der Zuspruch der Verheißung und das Bekenntnis des Glaubens auf der Bühne seinen Ort haben. Darüber hinaus verfolgen die Autoren mit den geistlichen Dramen den Zweck, Glaubenswissen und Bibelkenntnis und religiöse Praxis zu vermitteln, also aus den Zuhörern auskunftsfähige, ihren Glauben praktizierende Christen zu formen. Brunnschweilers erster Teilsatz wiederum ist in dieser Hinsicht ebenfalls nicht völlig richtig, insofern, wie aus den Stephanus-Dramen deutlich wurde, protestantische Dramen auch auf Bußbereitschaft und Beherzigung des in der Predigt Gehörten zielen, dabei aber die Glieder der eigenen Kirche die Adressaten sind. Vereinzelte Stimmen in späterer Zeit wie Polykarp Leyser verfechten schließlich eine weiter reichende Bestimmung des geistlichen Dramas. In offensichtlicher Reaktion auf die jesuitische Konkurrenz und die von lutherischen Theologen konstatierte mangelnde Effizienz des protestantischen Hauptmediums der Predigt schlagen sie das geistliche Theater als binnenmissionarisches Mittel vor, um schwer erreichbaren Bevölkerungsteilen wie den illiterati oder verstockt erscheinenden Menschen sowie der durch die Predigt wenig zu begeisternden Jugend das Evangelium zu vermitteln. Als Ziel gilt hier die Vertiefung des in der Predigt Gehörten bzw. die Hinführung zur Predigt. Insofern man sich von dieser Praxis verspricht, wirklich alle Menschen des eigenen Kirchentums zu beeinflussen und letztlich nachhaltig zu überzeugen, könnte man von der Hoffnung auf eine Vollendung der Reformation, und zwar sowohl der intensiven Verankerung der reformatio doctrinae wie auch der Durchsetzung der als noch ausstehend betrachteten reformatio vitae sprechen. Zuvor wurden bereits binnenmissionarische Konzepte in Form des Hausspiels vertreten, das bei dem von der Entwicklung der Kirche enttäuschten Flacianer Cyriakus Spangenberg kirchenkritische Gestalt annahm. Alle Vertreter dieser Konzeptionen sehen das geistliche Theater, z.T. unter Berufung auf Kol 3,16, als probates Mittel einer Verkündigung des Wortes, das die verschiedensten Medien in Gebrauch nimmt, um seinen universalen Zweck zu erfüllen. Ungeachtet des intendierten universalen Zieles ist allerdings auch festzustellen, dass die Verfasser der protestantischen Dramen, das ein weitgehend städtisches Phänomen darstellte, der bäuerlichen Landbevölkerung eher negativ gegenüber eingestellt waren – sieht man einmal von der bukolischen Verklärung der Bauern bei Frischlin ab. Dem Jesuitendrama gelang es besser, die bäuerliche Bevölkerung mit einzubeziehen. Im protestantischen Drama wurde oft auf die Bauern herabgesehen.10 Eine Ausnahme bildet 10 Vgl. Alexander Heintzel, Propaganda im Zeitalter der Reformation, St. Augustin 1998, S. 210. Im ‚Schalksknecht‘ des Johannes Bertesius z.B. sind im Prolog Bauernfiguren Gegenstand der Belustigung (A VIIIa): „Wir bitten aber schweiget still / Vnd / ob der Bawrn zu lachen wer / Ihr wolt nicht lachen allzusehr.“



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der Pfarrer Johann Sanders aus Adenstedt bei Peine, der sich in der Vorrede zu seinem Täuferdrama als „Bawrenprediger“ bezeichnet, der einige Bauern bekehrt habe, fernerhin für die Bauern Partei ergreift und Kritik an ihrer Behandlung äußert.11 Zuweilen findet sich Gesellschafts- und auch Kirchenkritik, wie z.B. in Rollenhagens Spiel vom reichen Mann und armen Lazarus von 1590. Die dort gebotene Darstellung der korrupten Geistlichkeit – die religiösen Autoritäten speisen mit dem Reichen, halten sich mit Kritik zurück und lassen sich nach dessen Tod durch eine finanzielle Zuwendung zu einer den Reichen lobhudelnden Trauerpredigt hinreißen – ist nicht nur als Antijudaismus zu begreifen, sondern auch als implizite Kritik an zeitgenössischer Praxis.

3. Die Verarbeitung der reformatorischen Lehre im protestantischen Drama a) Topoi der reformatorischen Lehre im Drama Einige Stücke waren austauschbar zwischen den Konfessionen, was dem Befund entspricht, dass bei manchen Dramen unklar bleibt, welche konfessionelle Position der Verfasser einnahm.12 Darin spiegeln sich unklare konfessionelle Verhältnisse wie auch das Phänomen der Transkonfessionalität.13 Andere Dramen repräsentieren deutlich die evangelische Lehre. Die meisten der Verfasser von Abraham-Dramen folgten in ihrer dramatischen Auslegung der Geschichte Gen 22, wie gezeigt, sogar recht eng der Auslegung Luthers in seiner Genesis-Vorlesung.14 Im Falle von Beza konnte eine solche dramatische Auslegung umgekehrt Einfluss auf eine Auslegung im engeren Sinne, die Calvins, ausüben.15 Viele der hier näher untersuchten Dramen, aber auch viele andere, beginnend mit Waldis’ Drama über die Geschichte vom verlorenen Sohn, rekurrieren zentral auf die Rechtfertigungslehre, nicht nur in den Rahmenstücken, sondern auch in der Handlung. Zentrale Topoi der Rechtfertigungslehre wie die particula exclusiva, allen voran das sola fide, das solus Christus, aber auch das sola gratia und das sola scriptura werden manchmal sogar explizit zur Sprache gebracht. Zuweilen erfolgt dies in einprägsamen Sprüchen, 11 Vgl. Johann Sanders, Tragoedia Johannis des Täufers, Vorrede; ) ( Ib. A VIb. 12 Nach Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984, S. 14, verhielten sich die meisten Dramatiker im Drama neutral. Dies lässt sich allenfalls für die frühe Zeit so formulieren und auch hier nur eingeschränkt. Die Tendenz eines Stückes im Religionsstreit lässt sich oft aus kleinen Bemerkungen erkennen. Das bedeutet nicht, dass alle Stücke kämpferisch waren, das Gegenteil ist der Fall. 13 Vgl. dazu jetzt Kaspar von Greyerz – Manfred Jakubowski-Tiessen – Thomas Kaufmann – Hartmut Lehmann (Hrgg.), Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese (SVRG 201), Gütersloh 2003. 14 Vgl. dazu Johann Anselm Steiger, Zu Gott gegen Gott, S. 205. 15 Vgl. Daniel Bolliger, Dramatisches Symbol konfessioneller Grundhaltungen zwischen Glaube und Politik, S. 295.

718 Ertrag befördert durch die Reimform des Knittelverses. In der ‚Parabel vom verlorenen Sohn‘ von Waldis erscheint mehrfach der auf die Verleihung des Heils bezogene Vers: „Vth rechter gnad vnd ydel gunst On all vnße todont, werck vnd kunst.“16 In Dedekinds ‚Miles christianus‘ schmettert dieser dem Werke empfehlenden Mönch Franciscus entgegen, dies finde man aber nicht in der Schrift, Paulus berichte es anders: „Der Glaub allein mach vns gerecht / Vnsr gute werck sind viel zu schlecht / Das ewig leben ist nur gnad / Verdienst kan hie nicht haben stadt.“17 Daneben können auch andere protestantische Theologumena Gegenstand von Ausführungen der Akteure sein, etwa die Klarheit der Schrift, die Orientierung der guten Werke am Wohl des und der Nächsten oder die Stellung der Christen zur Obrigkeit.

b) Der Modus der Verarbeitung der reformatorischen Botschaft Auf welche Weise wird nun die reformatorische Lehre im Drama vermittelt? Zumeist geschieht es in der Form, die das Medium des Protestantismus schlechthin ist: in Form einer Predigt bzw. einer predigtartigen Rede, d.h. hier in der Form eines Monologs, durch den Protagonisten oder einen anderen der Akteure – ein Beispiel ist der Auftritt Lots in Stymmelius’ Abraham-Drama. Eines predigtartigen Stils bedient sich letztlich auch der Sprecher des Prologs oder Epilogs, der die wichtigen Lehrpunkte aus dem Spiel, die die Zuhörer als viaticum mitnehmen und fernerhin bedenken sollen, erläutert. Die Wirkung wird dabei auch durch die Wiederholung der Kernaussagen im Epilog verstärkt. Das Drama bietet aber noch mehr Möglichkeiten der Vermittlung seiner Botschaft. Diese kann auch in einem Dialog nach und nach, durch Rückfragen, Einwände und Positionsbestimmungen entwickelt werden. Ein Beispiel für diese dialogische Vermittlung bietet Dedekinds Lutherdrama mit den Gesprächen zwischen dem altgläubigen Simon und Luther sowie sekundierend Melanchthon. In den Stephanus-Dramen von Zahn und Neukirch helfen die Diener bzw. Begleiter des Stephanus dem Diakon, seine Lehre zu präzisieren. Eine andere Weise ist die Entgegensetzung. So repräsentiert in den Abraham-Dramen des Hans Sachs der Patriarch den Glaubenden, während Sara für die gegen den Glauben opponierende Vernunft steht. In der ‚Parabel vom verlorenen Sohn‘ von Burkhard Waldis bedeutet der rückkehrende Sohn den im Glauben gerechtfertigten Menschen, während der ältere Sohn sich dem die Seligkeit durch Werke zu erreichen suggerierenden Mönchtum zuwendet. Überhaupt lässt die Konfrontation den Vertreter der rechten Lehre um so heller leuchten, auch insofern die ohnehin moralisch verdorbenen 16 So zweimal in der Vorrede des Actor, ed. Arnold E. Berger, S. 148,85f.; 151,183f., einmal in der deutenden Zwischenrede des Actor nach dem ersten Akt, als der Sohn sich als Schweinehirte verdingt, S. 178,1087f., schließlich im zweiten Akt in einer weiteren deutenden Rede des Actor nach dem Streitgespräch des älteren Sohnes mit dem Vater, S. 192,1564f. Vgl. ferner die Worte des Actor zum Bordellbesitzer S. 200,1824f. im Rahmen von dessen Bekehrung. 17 Friedrich Dedekind, Miles christianus. Der christliche Ritter, Akt V Szene 5, M Ia.



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Gegner, von höllischen Mächten inspiriert, zu unlauteren Mitteln greifen, zugleich aber auch selbst heimlich konzedieren, dass der Vertreter der rechten Lehre – etwa Stephanus oder Luther – im Recht ist. Die Konfrontation mit dem Satan oder seinen Vertretern führt die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung vor Augen, in der es um das Ja oder Nein der Erlangung der Seligkeit geht. Das Hinzutreten von positiven Allegorien – Elpis und Pistis bei Andreas Lucas; ein anderes Beispiel stellt der ‚Miles christianus‘ von Dedekind dar – zeigt auf, dass der Mensch im Glaubenskampf, in der Versuchung auf Hilfe angewiesen ist, kurz: sich das Heil nicht selbst schaffen noch sichern kann. Dies wird auch bestätigt durch die Struktur mancher Stücke, die mit Himmelsszenen einsetzen und enden und damit dem Zuhörer bedeuten, wo die eigentliche Entscheidung gefällt wird und wie der Vertreter der rechten Lehre göttliche Unterstützung erfährt. Weitere Darstellungsmittel sind das Gebet und die Gesänge der Chöre, die z.T. auch von den Zuhörern gesungen werden, und die Darbietung von Bibelworten, auch und gerade solchen, die nicht zur gespielten Geschichte gehören und zur Memorierung geboten werden. Damit ist konzediert, was an sich ein Problem für das protestantische Drama darstellte: die Einführung prätextfremder Elemente bei einem biblischen Vorwurf, die eigentlich dem Prinzip des sola scriptura zuwiderlief.18 Ohne Zweifel suchten die Autoren, und das gilt auch für Beza, den dramatischen Charakter des Stoffes noch zu verstärken. Insofern kann man sagen, dass das Medium Änderungen am Inhalt erzwang. Diese haben aber stets dienende Funktion und weisen nicht vom Hauptthema weg. Im Übrigen erweist sich der zugrunde gelegte Stoff erstaunlich resistent, insofern auch völlig Undramatisches aus der jeweiligen biblischen Geschichte auf die Bühne gebracht wird. Nicht die Frage der Dramatik aber bildete das letzte Kriterium für die Verwendung in der Handlung, sondern ohne Zweifel der Inhalt. Diesen galt es zu elementarisieren, herunterzubrechen auf die Ebene der Hörerinnen und Hörer, was nicht nur intellektuell zu verstehen ist, sondern auch statusmäßig. Dieser Intention verdankt sich etwa die Einführung der ‚SpielerZuschauer‘ in den späteren Stephanus-Dramen, die dialoghaft die Zuschauer mit ihren Fragen im Spiel vertreten und zugleich vorbildlich zu stehen kommen, insofern sie den Inhalt der Handlung für sich annehmen. Die positive evangelische Lehre ließ sich nur schwer anschaulich darstellen.19 Die wortorientierte Botschaft, die einen Ausschluss der Werke aus dem Verhältnis zu Gott statuierende Lehre und die wenig Aktion bietende Frömmigkeit boten keine direkten Anknüpfungspunkte. Leichter war es, die altgläubig-katholische Lehre zu verballhornen oder deren Frömmigkeit der Lächerlichkeit preiszugeben. Diese Polemik soll im nächsten 18 Vgl. dazu Ralf Georg Bogner, Ein Bibeltext im Gattungs- und Medienwechsel, S. 438. 19 Vgl. das – nicht näher erläuterte – Urteil von Fidel Rädle, Formen der Wertekontrastierung im lateinischen Drama der Frühen Neuzeit, in: Meier – Meyer – Spanily (Hrgg.), Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit, S. 276 (Hervorhebung von Rädle): „Die positive protestantische Lehre des Evangeliums auf der Bühne darzustellen, erwies sich als wesentlich schwieriger, da sie für dramatische Aktion wenig Möglichkeiten bot.“

720 Ertrag Abschnitt näher betrachtet werden, hinsichtlich der hier besprochenen Frage ist an dieser Stelle aber zu bemerken, dass für frühe polemische Dramen wie die französischen Moralitäten oder im ‚Mercator‘ Naogeorgs (1540) die Polemik für die Darlegung der positiven Lehre von geradezu konstitutiver Bedeutung war. In diesen, generell in den Moralitäten, wird in gewisser Weise die Rechtfertigung anschaulich gemacht durch Kontrastierung mit der altgläubigen Frömmigkeit und der in ihr zum Ausdruck kommenden Lehre: In der ‚Moralité de la Maladie de Chrestienté‘ (1533) wird die erkrankte Chrestienté vergeblich durch die Gestalt der Sünde (peché) mittels altgläubiger Frömmigkeitswerke behandelt, bis sie von der Figur der ‚Inspiration‘ mit dem Evangelium geheilt wird. In der ‚Tragique Comedie Françoise de l’homme justifié par Foy‘ (1554) von Henry de Barran erfährt der Mensch, nachdem er durch die Vorstellung des die Werke empfehlenden Gesetzes durch einen Rabbi in Verzweiflung gerät, durch die von Paulus wahrgenommene Verkündigung der Gnade, der Nicht-Zurechnung seiner Sünde in Christus Tröstung. Gleiches gilt für den ‚Mercator‘, in dem die dem Patienten verschriebenen guten Werke vom Gewissen als unwirksam erwiesen werden und er schließlich in recht drastischer, körperlich erfahrbarer Weise von den altgläubigen Frömmigkeitswerken befreit wird, Gnade erfleht und, diese erlangend, im Tode gerettet wird. Zu nennen ist ferner Leonhard Culmann ‚Ein christlich deutsch Spiel, wie ein Sünder zur Buße bekehrt wird‘ von 1539. Es gab also Versuche, die Rechtfertigung mit Hilfe der Polemik zu veranschaulichen, d.h. zu zeigen, wie ein Mensch unter ausdrücklichem Verzicht auf die altgläubigen Frömmigkeitswerke im Glauben Rettung erfährt.20 Diese Versuche treten in der Folgezeit weitgehend zurück, ohne völlig zu verschwinden, wie Dedekinds ‚Miles christianus‘ belegt.

4. Konfessionelle Polemik im protestantischen Drama Nach dem in dieser Studie bislang Erörterten wird man, um im Bilde zu bleiben, nicht sagen können, dass der Polemik im Gesamtcorpus der protestantischen Dramen der Part der Hauptrolle zukäme. Gleichwohl ist sie in einem Teil der Dramen ein nicht unwesentlicher Faktor, in früherer, z.T. aber auch in späterer Zeit. Allerdings helfen solche groben Bestimmungen noch nicht weiter, um zu einer sachgerechten Einordnung dieses Phänomens zu gelangen. In der Forschung dominiert die These von der zunehmenden Reduktion der Polemik im protestantischen Drama. So kommt etwa Kai Bremer zu dem Urteil: „Doch sind die aggressiven Dialoge und Dramen vor allem eine Erscheinung etwa der ersten fünfzig Jahre nach der Reformation – um 1600 erschienen nur noch wenige Texte dieser Art.“21 20 Auch dies lässt sich gegen Brunnschweilers Auffassung, dem protestantischen Drama könne nur ethische Funktion zukommen (a.a.O., S. 116), ins Feld führen. 21 Kai Bremer, Konversion und Konvertiten auf dem Theater der Frühen Neuzeit, in: Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit, hrg. v. Ute Lotz-Heumann, Jan-Friedrich Missfelder und Matthias Pohlig, Göttingen 2007, S. 432.



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Die auf dieser Auffassung beruhende, weitergehende These vertritt Fidel Rädle, nach dem die zunehmende Reduktion der Polemik mit einem zunehmenden Bedeutungsverlust des Dramas korreliert – eine These, die offenkundig auf der Voraussetzung beruht, ein protestantisches Drama könne nur als polemisches Drama, in kämpferischer Abgrenzung zur alten Kirche existieren, die Polemik sei mithin ein konstitutives Element des protestantischen Dramas.22

a) Unterscheidungen Bei näherer Betrachtung gibt sich die Polemik im protestantischen Drama als ein differenziert wahrzunehmendes Phänomen zu erkennen. Der Topos Polemik im protestantischen Drama lässt zumeist nur an Angriffe auf die altgläubig-katholische Religion denken, was auch dem quantitativen Befund entspricht. Allerdings tritt dieser in lutherischen Dramen aus späterer Zeit auch Polemik gegen die reformierte Konfession und gegen Täufer und Spiritualisten zur Seite. In den hier untersuchten Dramen reformierter Provenienz findet sich Polemik gegen die römische Kirche, aber auch antitäuferisches Gut; antilutherische Aussagen birgt bei den wenigen in dieser Studie untersuchten reformierten Dramen lediglich die Widmungsrede des Nathan Chytraeus. Hinzu kommen für beide Konfessionen im Protestantismus antijudaistische Aussagen, die in dieser Studie allerdings nicht vertiefend untersucht werden sollen. Innerhalb der polemischen Elemente ist aber weiter zu differenzieren: Die Polemik kann sehr scharf oder eher schwach sein, sie kann in die Form einer theologischen Auseinandersetzung münden, sie kann aber auch verborgen erscheinen. Zuweilen ist ein ganzes Drama von ihr durchdrungen, zuweilen tritt sie nur in den Rahmenstücken oder lediglich in der Widmungsrede – dort mutmaßlich mit der Intention, die Orthodoxie des Verfassers zu untermauern – auf. Ferner können sich polemische Aussagen gegen Inhalte der Lehre, gegen die Frömmigkeitspraxis oder gegen bestimmte Personengruppen richten. Es ergibt sich somit die Aufgabe, die polemischen Elemente der Dramen zu sondieren: auf ihre Formen und auf ihren Gegenstand, d.h. auf ihren Inhalt, dann aber auch auf ihre Verteilung und ihr Vorkommen in den Dramen und im protestantischen Drama generell, somit auf ihren Ort und ihr Gewicht innerhalb der Dramen, auf ihr Vorkommen in verschiedenen Dramentypen, auf ihre zeitliche Verteilung mit möglichen Schwerpunkten sowie auf lokale Besonderheiten. Erst dann können sich begründete Aussagen über den Stellenwert der Polemik im protestantischen Drama und über ihre Bedeutung für das Genus im Ganzen gewinnen lassen. Im Folgenden wird anhand dieser Kategorien zunächst auf die antikatholische Polemik im lutherischen und reformierten Drama, dann auf die antireformierte Polemik im lutherischen Drama und sodann auf die antitäuferische und antispiritualistische Polemik im lutherischen und 22 Vgl. Fidel Rädle, Theater als Predigt. Formen religiöser Unterweisung in lateinischen Dramen der Reformation und Gegenreformation, RoJKG 16 (1997), S. 49. Ebd. spricht Rädle vom ‚unschuldigen Bibeldrama‘, das den Anforderungen der Zeit nicht gewachsen gewesen sei.

722 Ertrag reformierten Drama unter Zugrundelegung insbesondere der hier näher untersuchten Dramen eingegangen.

b) Formen der Polemik gegen die alte Kirche Welche Formen der Polemik sind im protestantischen Drama zu beobachten und auf welche Gegenstände sind diese in Bezug auf die altgläubig-katholische Seite gerichtet? Grundsätzlich ist zwischen offener und chiffrierter Polemik zu unterscheiden. Gegenstand der offenen Polemik können Vertreter oder Gruppen des konfessionellen Gegners oder auch seine Frömmigkeitspraxis und theologische Eigenarten sein. Eine erste Variante besteht in der Betitelung von Personen oder Personengruppen mit Schimpfnamen, etwa in der auch in anderen literarischen Genera erscheinenden Bezeichnung der Jesuiten als „Jesu wider“, z.B. im Lutherdrama des Balthasar Voidius,23 oder der Domherren als „Verthumbte“, so Greff im Beschluss seines Abraham-Dramas. Eine visualisierte Beschimpfung der Mönche stellt es dar, wenn Dramatiker den Teufel im Mönchshabit auftreten lassen. Die Darstellung des Teufels als Mönch geht auf bildliche Darstellungen zurück, die von Luther in einer Predigt aus dem Jahre 1532 ausdrücklich begrüßt wurden.24 Sie begegnet bereits in Jakob Ruoffs ‚Spiel von des Herren Weingarten‘ 1539. Ihm folgen darin etliche Autoren in ihren Dramen, so Chryseus im ‚Hofteufel‘ 1545, Beza in seinem Abraham-Drama 1550, Rollenhagen in seinem ‚Abraham‘ 1569, Frischlin in seinem ‚Phasma‘ von 158025 und Thamme in seinem Dorothea-Spiel von 1594.26 Eine zweite Variante ist die Verunglimpfung von Vertretern der anderen Seite. Dazu gehört die Zeichnung von in der Handlung auftretenden Klerikern oder Mönchen als dümmlich, geldgierig oder sonst moralisch anfechtbar. In Waldis’ ‚Parabel vom verlorenen Sohn‘ werden die Mönche als Besucher von Bordellen präsentiert.27 Greff spricht 1540 in seinem Beschluss im ‚Abraham‘ von den gefräßigen, faulen Mönchen. In Bezas Abraham charakterisiert der Satan die fetten Pfaffen als seine besten Diener. Herman Haberer zeichnet 1565 die Bettelmönche als sexuellen Freuden nicht abgeneigt. In Balthasar Thammes Dorothea-Spiel protzt Mephistopheles damit, er habe mehrere Priester in München dazu gebracht, einige Nonnen zu verführen.28 Die Kolportage dieses Vorfalls 23 Kai Bremer, a.a.O., S. 436, nennt einen gegen den Konvertiten Friedrich Staphylus gerichteten Dialog um 1562. Er verweist auf Hans-Georg Kemper, Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 2. Konfessionalismus, Tübingen 1987, S. 137–150. 24 WA 32, 514,17ff: „Darumb habens die Maler eben recht troffen, wenn sie den Teuffel malen jnn einer mÜnchs Cappen und seine Teuffels klawen unten erfur, Denn er von anfang der welt nichts anders thut denn die welt mit mÖncherey verfuret.“ 25 Vgl. Frischlin, Phasma, Akt IV Szene 1, ed. Price, S. 188,1543ff. 26 Darin erscheint der Teufel Mephistopheles im Mönchsgewand; vgl. Parente, Martyr Drama of the German Renaissance, Yale 1979, S. 179. 27 Vgl. Waldis, Parabel vom verlorenen Sohn, Akt I, ed. Arnold E. Berger, S. 160f. 28 Vgl. Parente, ebd.



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dient dazu, protestantische Urteile über die Verfassung des römischen Klerus zu bestätigen. Nach der Vorrede von Johann Sanders 1588 gedrucktem Drama über Johannes den Täufer sind die von ihm in das Spiel aufgenommenen Pharisäer ein Bild der untreuen falschen Lehrer und der „vnnÜtzen faulen Thumpfaffen vnd MÜnche“. Diese Form der Polemik begegnet sehr früh; sie ist ohne Zweifel einer der Ausgangspunkte des protestantischen Dramas. Niklaus Manuels Fastnachtspiel ‚Vom Papst und seiner Priesterschaft‘ stellt bereits 1523 die Bereicherung von Klerikern dar, in seinem Fastnachtspiel ‚Von Papsts und Christi Gegensatz‘ aus dem gleichen Jahr wird der einfache Christus der Figur des machtbewussten und reichen, in seinem Gepränge daherkommenden Papstes gegenübergestellt. Papst und Kardinäle werden auch in Jakob Ruoffs Weingarten aus dem Jahre 1539 angegangen. Ebenfalls tritt diese Form der Polemik in den französischen Moralitäten hervor, in denen um ihren Bauch bemühte Kleriker wie auch das todkranke Papsttum in drastischer Weise vorgeführt werden. In Bartholomäus Krügers ‚Schöner und lustiger neuer Aktion‘ von 1580 wird der als Antichrist bezeichnete Papst „mit seim beschornen ganzen haufen“ gescholten, er habe mit diesen von den Gläubigen Geld genommen, aber das göttliche Wort verschwiegen.29 Dem altgläubigen Klerus wird damit Käuflichkeit attestiert.30 Objekt dieser Gestalt der Polemik sind der Papst, zuweilen mit Kardinälen dargestellt, häufiger aber sind es Kleriker und Mönche. Auch konkrete historische Personen können getroffen werden, wie in den Lutherdramen zum Reformationsjubiläum die Person Tetzels und der Theologe Cochläus. Spott über Frömmigkeitspraktiken oder theologische Eigenarten vollzieht sich als Karikierung von Ablass, Wallfahrten, Heiligenverehrung und Messe, die als veräußerlichte, aber auch als schädliche Handlungen gezeichnet werden. Auch diese Form polemischer Auseinandersetzung hebt recht früh an. Niklaus Manuels ‚Der Ablasskrämer‘ von 1525 attackiert die genannte Praxis, Hans von Rütes ‚Fastnachtspiel von heidnischer und päpstlicher Abgötterei‘ von 1531 zieht gegen Heiligenverehrung und Messe zu Felde. Gleiches gilt für französische Moralitäten, in denen diese Heilsmittel desavouiert werden. Waldis lässt 1527 in seiner ‚Parabel‘ den Actor nach dem ersten Akt betonen, dass alle Erfindungen des Papstes, vom Kirchenrecht über die Scholastik bis hin zum Mönchtum, keinem

29 Bartholomäus Krüger, Eine schöne vnd lustige newe Action, Akt IV Szene 3; ed. Tittmann, S. 90,242f.: „... das gelt han sie von uns genommen und nichts gesagt von deinem wort ...“ Weitere Kritik richtet sich gegen die den Gläubigen empfohlene Wallfahrt nach Santiago de Compostela und die Messe, was den Übergang zur zweiten Form der Polemik markiert, wobei im Falle Krügers derartige Praktiken zwar heftig kritisiert werden, da sie nicht aus der Schrift zu erheben seien, aber nicht mit eigentlichem Spott belegt werden; vgl. etwa zum Ablass a.a.O., S. 94,334–336. Vgl. ferner a.a.O., S. 93,318ff, wo es über den Papst heißt: „Er hat verdrucket Gottes wort, darzu verfelscht, und menschen tand geleret.“ 30 Krüger, a.a.O., Akt V Szene 1, a.a.O., S. 109,116f.: „ja, wer nur hatte gut und gelt, dem wurden alle sünd vergeben ...“

724 Ertrag Sünder Ruhe gegeben hätten.31 Später folgert er, Mönche und Päpste gingen nicht in den Himmel ein, weil sie Gottes Gnade verachteten.32 Am Schluss zählt der ältere Bruder in Anspielung auf das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner (Lk 18,9–14) seine Verdienste in Form von Fasten, Kasteiung, Mönchsgelübde und Messe auf.33 Besonders das Wallfahrtswesen ist immer wieder dem Spott ausgesetzt, auch in späterer Zeit noch. Es wird einerseits als nutzlos dargestellt, andererseits als Entzug der – nach göttlichem Gebot notwendig einzusetzenden – Arbeitskraft gewertet. In Bertesius’ biblischem Drama ‚Vinea‘ (1606), einer Dramatisierung des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg, wird über die Wallfahrt nach Santiago de Compostela gespottet. Von dieser bringen Luther und Melanchthon die Leute ab. Gemäß der reformatorischen Lehre wird propagiert, Arbeiten im Weinberg sei wichtiger als Wallfahren.34 Gleichfalls treten in diesem Drama der Barfüßermönch – mit dem sprechenden Namen – Anypodetus und der Jesuit Plebanus auf. Der Mönch meint, Gott müsse ihm das ewige Leben um seines Einsatzes im Weinberg willen geben – eine einfach gehaltene Polemik gegen das Mönchtum.35 In Dedekinds ‚Miles christianus‘ von 1576 tritt ein Mönch namens Franciscus auf, der den Ritter zu ‚falscher Heiligkeit‘ in Form von Fasten, Beten, Almosengeben führen will, die mittlerischen Dienste seines Mönchslebens gegen entsprechende Zahlung anbietet und in Bezug auf sein Ende das Sakrament der letzten Ölung, die Bestattung im Ordensgewand und Seelenmessen als Heilsmittel empfiehlt, damit er aus dem Fegfeuer gelange.36 Später verweist er auf das andächtige Hören der Messe, die Anrufung der Mutter Gottes und die Anbetung der Heiligen als Werke mit satisfaktorischer Potenz.37 In Thammes ‚Dorothea‘ wird die römische Messe als ‚baalitischer Gottesdienst‘ – und d.h. als Götzendienst und Abfall vom wahren Glauben – bezeichnet, dem am Ende die Reformation angekündigt wird.38 Den Übergang zu einer sachlichen theologischen Auseinandersetzung, die von der Form her aber auch an der Schwelle zu einer verborgeneren Weise der Polemik steht, markiert es, wenn Christus in Bertesius’ ‚Regulus‘ äußert, er sei der rechte Nothelfer, was von Zuhö31 Vgl. Waldis, Parabel vom verlorenen Sohn, a.a.O., S. 182,1241–1245: „All, wat de Pauwest ye hefft erfundenn Vnd all mynschen erdencken kundenn, All geystloeß recht vnd Decretael, Schotus, Thomas, Alexander aell, All Cappen, platten, geystlich leuen Mochten ny keynem sonder rouwe geuenn.“ 32 Vgl. a.a.O., S. 198,1760ff. 33 Vgl. a.a.O., S. 203f. Dietl, Das frühe deutsche Drama, S. 109, spricht wohl aus Versehen vom Gleichnis ‚vom reichen Mann und armen Lazarus‘. 34 Vgl. Bertesius, Vinea, Akt IV Szene 3; D VIb–VIIb. Nach der Aussage des Luther repräsentierenden Nicodemus kommen die Leute von der Wallfahrt so wieder, wie sie gegangen sind, nur mit weniger Geld und Wachs. 35 Vgl. a.a.O., Akt V Szene 1; E Va. Vgl. den Epilog; E VIIb: „Die JÜden / MÖnch / vnd andre mehr / Die widern Haußherrn murrten sehr Han von dem Groschen / als jhrem Lohn / Ein lange Disputation / Gott mÜsse jhn das ewig Leben vmb jhrer Arbeit willen gebn.“ 36 Vgl. Dedekind, Miles christianus. Der christliche Ritter, Akt I Szene 2; B Vb–VIa. 37 Vgl. a.a.O., Akt V Szene 5; L VIIIa. 38 Vgl. Thamme, Dorothea, Akt V Szene 10; L IIIIb.



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rer und Zuhörerin nur als Bestreitung der altgläubig-katholischen Nothelfervorstellung aus dem Mund Christi verstanden werden kann.39 In der chiffrierten Form der Polemik wird die Kritik an altgläubigen Klerikern auf indirekte Weise formuliert. Wenn in französischen Moralitäten theologische Laien als gelehrt und schlagfertig gegenüber den Klerikern dargestellt werden, wird die Ungelehrtheit von Letzteren herausgestellt, ohne dass dies direkt verbalisiert wird. Gleiches gilt, wenn die Kleriker darüber klagen, dass das Volk nun die Schrift in der eigenen Sprache lesen könne. Indirekt wird damit darauf abgehoben, dass sie etwas zu verbergen haben, dem Volk etwas vorenthalten und sich davor fürchten, durchschaut zu werden und ihre Besitzstände zu verlieren. Diese Form der Polemik ist allerdings immer noch sofort als solche erkennbar. Subtiler wird es, wenn David oder Daniel als Repräsentanten des Gottesvolkes dem Goliath und den Philistern bzw. Nebukadnezar gegenübergestellt werden und die Philister als die Altgläubigen beschrieben werden und Nebukadnezar als Papst, wie in französischen Bibeldramen, wenn die Baalspriester in Hans von Rütes ‚Gideon‘ von 1540 die römischen Kleriker repräsentieren oder wenn die in neutestamentlichen Dramen auftretenden Vertreter der jüdischen Obrigkeit, der Sadduzäer, oder auch der negativ besetzten Pharisäer in den Farben altgläubiger Kleriker dargestellt werden. Zacharias Zahn beschreibt die Gegner des Stephanus als durch Völlerei, Trunkenheit und Pfründenwesen charakterisiert. Gerade das Letzte will er von den Zuhörern als Anspielung auf die altgläubigen Würdenträger verstanden haben. Auf diese Weise werden Züge von klar als übel bewerteten biblischen Typen auf gewichtige Repräsentanten der Altgläubigen übertragen.40 Dieses Verständnis wird dadurch unterstützt, dass die verfolgten Christen von den jüdischen Verfolgern ‚Ketzer‘ genannt werden und ihr Vergehen ‚Ketzerei‘, so bei Saxo, Wild und Neukirch. Gleiches erfolgt in dem Dorothea-Spiel Balthasar Thammes – es nimmt einen im protestantischen Theater seltenen Stoff aus der Heiligentradition auf –, wenn in aktualisierender Polemik auf die spanische Inquisition als einer offenkundig bekannten und gefürchteten Erscheinung hingewiesen und mit der Furcht vor dieser bewusst gearbeitet wird.41 Zur chiffrierten Form der Polemik gehört schließlich die Verzeichnung oder Vergröberung der altgläubigen Position, etwa die Behauptung, die römischen Theologen lehrten, die Rechtfertigung sei alleine den Werken zuzuschreiben, bei Andreas Lucas beobachtet, oder die Aussage, die Papisten behaupteten, sie seien sündlos, die Joachim Greff fällt. Eine ähnliche Verzeichnung vollzieht Frischlin, wenn er in seinem ‚Phasma‘ Kardinal Hosius den amtierenden Papst Pius IV. als irdischen Gott apostrophieren lässt.42 39 Vgl. Bertesius, Regulus, Akt IV Szene 7 (nicht 6); H IIIb. 40 Vgl. Parente, Martyr Drama, S. 45, der konstatiert, dass die Einführung heuchlerischer klerikaler Figuren bei den Autoren populär war: Sie stellten die Märtyrer als protestantische Reformer dar, die – in Gestalt der jüdischen Autoritäten – den altgläubigen Klerus kritisieren. 41 Vgl. Parente, a.a.O., S. 179 und S. 234 Anm. 41. 42 Frischlin, Phasma, Akt IV Szene 3, S. 212,1718: „... Cum sit terrestris quispiam Deus ...“ In direkter Form begegnet dieser Topos in Bartholomäus Krügers ‚Schöner und lustiger neuer Aktion‘,

726 Ertrag Die chiffrierte Polemik ist anspruchsvoller. Sie nötigt den Betrachter und die Betrachterin zum Nachdenken. Er und sie selbst sollen Schlüsse ziehen, allerdings gelenkt, so wie der Verfasser es intendiert. In der Schärfe steht die chiffrierte Polemik der offenen in nichts nach.

c) Antikatholische Polemik: Gewichtung und Dramentypen In der gerade gebotenen Auflistung wurde hin und wieder schon der Ort polemischer Aussagen im Drama erwähnt wie auch verschiedene Dramentypen und Zeit- und Herkunftsangaben. Dies soll nun etwas systematisiert werden. In Bezug auf den Ort der Polemik in einem Stück ist es evident, dass ihrer Aufnahme in der Handlung – einschließlich der vorgetragenen Teile von Prolog und Epilog – größeres Gewicht zukommt als der Formulierung polemischer Aussagen in der Widmungsrede. Diese nimmt in vielen Dramen bekanntlich wesentlich die Funktion wahr, bei der jeweiligen Obrigkeit die Orthodoxie des Verfassers zu belegen und dies kann im Rahmen einer im damaligen Kontext möglichen lehr- und frömmigkeitsmäßigen Abgrenzung zur anderen Konfession in Polemik münden, wiewohl dies nicht der Fall sein muss; manche Widmungsreden lassen keinerlei Polemik erkennen. Auf jeden Fall lässt sich von einer konfessionelle Polemik enthaltenden Widmungsrede nicht darauf schließen, dass der Inhalt oder die Intention des jeweiligen Stückes polemischen Charakters sein muss. Mit der Widmungsrede ist aber nur eine literarische Wirkung berührt, sie ist kein Teil des Spiels. Nun gibt es aber zwischen Dramentypen hinsichtlich des Vorkommens von Polemik in der Handlung gewisse Unterschiede. Die Handlung der genannten Moralitäten, seien es die französischen, sei es Naogeorgs ‚Mercator‘ oder Dedekinds ‚Miles christianus‘, sind geradezu durch polemische Elemente geprägt. Gleiches gilt für die frühen schweizerischen Fastnachtspiele, die in gewisser Weise als dramatisierte Flugblätter bezeichnet werden könnten.43 Potentiell polemisch in der Handlung angelegt sind ferner alle Dramen, die konfrontative Strukturen darbieten, wie zumal ein Großteil der französischen Bibeldramen oder Waldis’ ‚Parabel vom verlorenen Sohn‘, in dem der verlorene Sohn für den seine Sünde einsehenden, allein auf die Gnade Gottes vertrauenden Menschen steht und so den evangelischen Glauben verkörpert, während der ältere Sohn nur um seines persönlichen Vorteils willen die Befehle des Vaters ausführt und später seine Annahme bei Gott durch den Eintritt ins Mönchtum erzwingen will.44 Akt IV Szene 4, ed. Tittmann, S. 98,470ff, als Vorwurf durch den lutherischen Christen Christophorus formuliert: „... singet nun zu eren ein neues lied Got, unserm herren, dem leidign bapst zu hon und spot, der sich hat selbst gemacht zum Got.“ 43 Vgl. Ehrstine, Theater, S. 223. 44 Vgl. Waldis, Parabel vom verlorenen Sohn, a.a.O., S. 155,282ff (Akt I). In Akt II, S. 191,1526ff, verweist der ältere Sohn auf Antonius, Franciscus und Dominicus, die um himmlischen Lohn zu erlangen, Mühe, Unglück und Tod auf sich genommen hätten: „Ohr harde leuen vnd strenge ordenn



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Bei den hier intensiver behandelten Dramen ergibt sich ein differenziertes Bild. Die Abraham-Dramen sind nur zum Teil polemisch geprägt. Vier der neun Dramen lassen keine Polemik erkennen. Greff bietet in der Widmung recht scharfe Polemik gegen den römischen Klerus und das Mönchtum.45 Auch Lucas zeigt eine heftige Polemik, allerdings auch nur in der Widmungsrede. Für Polemik in der Handlung bleiben damit nur drei Dramen, in denen das Phänomen aber auch nur sehr beschränkt begegnet: Den Satan im Mönchsgewand bieten Beza-Chytraeus und Rollenhagen auf und Haberer lässt an einer Stelle den Narren Beemoth eine spöttische Bemerkung über die Bettelmönche machen. Beza tradiert den Topos von den wohlgenährten Pfaffen und bezeichnet sie als Diener des Satans – beides Elemente offener Polemik. Mit dem Verweis auf das götzendienerische Umfeld Abrahams greift er aber ein Element chiffrierter Polemik auf, womit er für das französische Bibeldrama traditionsbildend wirkt. In den Stephanus-Dramen ist das Verhältnis umgekehrt. Lediglich Wilds Drama zeigt an keiner Stelle direkte konfessionelle Polemik. Saxo wettert in der Widmungsrede gegen das Papsttum und lässt die Apostel in der Handlung Fasten und Heiligenfürbitte sowie das Tun von Mönchen und Pfaffen als nutzlos apostrophieren.46 Neukirch und Zahn wählen in der Handlung die chiffrierte Form der Polemik: Die Stephanus verfolgenden jüdischen Obrigkeiten werden als altgläubige Repräsentanten beschrieben. Während Neukirch sonst nur sehr vorsichtig Polemik vorbringt, findet sich bei Zahn auch Spott auf das Papsttum. Bestimmender ist die Polemik gegen die römische Kirche in den Lutherdramen, bereits beginnend mit Frischlin. Dedekinds ‚Papista conversus‘ ist einerseits insofern polemischer Natur, als es eine Verfolgungssituation zum Gegenstand hat. In der Widmungsrede wird das Papsttum als Eindringen von Ketzerei, Aberglauben und Abgötterei in die Kirche skizziert.47 Chiffrierter ist die Polemik aber in der Handlung, wenn der Ortspfarrer des zum evangelischen Glauben bekehrten Simon seine Unterlegenheit gegenüber Simon eingestehen muss.48 Im Übrigen zeigt Dedekind die altgläubige Frömmigkeit des Laien Simon aber sehr behutsam. Zum Reformationsjubiläum verschärft sich der polemische Ton. Kielmanns ‚Tetzelocramia‘, beeinflusst durch Naogeorgs ‚Pammachius‘, sprüht vor Spott auf das Papsttum.49 Der Teufel tritt als Mönch auf, das Lasterleben des päpstlichen Hofes und sein Finanzgebaren wird hervorgehoben. In Akt II Szene 6 wird der Js my tho eynen Exempel worden. Jck will myn vader dar tho bringhenn, Mit geystlick leuen ohn doen dwinghenn, Will he my anders nicht vnrecht doen, Moet he my geuen den hemmel tho lohn.“ 45 Vgl. Greff, Abraham, Widmung; A VIa–b. B Vb–VIa: Die Papisten behaupten, sie seien keine Sünder, sie kaufen seinen Himmel ab mit Werken, morden fromme christgläubige Menschen, die Christus und sein Wort predigen und bekennen, kämpfen gegen die evangelische Wahrheit. Der Kurfürst geht im Gegensatz zu Bischöfen, ‚Verthumbten‘ und Irregulierten, faulfräßigen, gottlosen Mönchen und ungelehrten Pfaffen täglich gerne mit Gottes Wort um. 46 Vgl. Saxo, Stephanus, Widmungsrede; A 6b, und Akt II Szene 3; E IIb. 47 Vgl. Dedekind, Papista conversus, Widmungsrede; ( ) IIIa–b. 48 Vgl. a.a.O., Akt V Szene 1; I VIb. 49 Vgl. Kielmann, Tetzelocramia, Akt II Szene 2; C Ib–IIa.

728 Ertrag Stuhl mit dem Papst von seinen Trägern fallen gelassen, wobei Kinder spotten, vor Freude singen, einen Reigen tanzen und Gott für die Erlösung vom Papst danken. In einigen Szenen wird der mit dem Teufel im Bunde stehende Tetzel veralbert und betrogen. Eine um weniges subtilere Polemik transportiert Kielmann, wenn er einen Bauern von einer Wallfahrt zurückkehren und darüber klagen lässt, bei dieser keinen Trost empfangen zu haben und sein Gewissen nicht gestillt haben zu können, wenn er einen weiteren Bauern zeigt, der einen Ablass erworben hat, aber konstatiert, dass der Brief ihm gar nichts nütze, weil der Teufel, der ihn plage, sich damit nicht verjagen lasse.50 Im Epilog nennt Kielmann als vierten Lehrpunkt aufzuzeigen, dass die Heiligkeit des Papsttums bestehe „Jn Affenspiel vnnd Geuckeley / Walfahrten / Ablaß / krÄmerey / Jn viel gesetz vnd regel gebn / Auch widr vmbs Gelt dieselbn auffhebn.“51 Auch in Hartmanns nüchternerem Drama zu Luthers Vita ist Tetzel besonderer Gegenstand des Spottes – sein unmoralischer Lebenswandel wird genannt, schließlich wird er betrogen und verhöhnt –, daneben auch Johannes Cochläus. Im Prolog ist es ihm wichtig, an die ‚Gräuel des Papsttums‘ zu erinnern.52 Erwähnt sei schließlich die massive Polemik in Rinckarts ‚Der Eislebische Christliche Ritter‘, der den Ablass als reines Ausbeutungsinstrument des dem Pharao entsprechenden Papstes wertet. In den meisten dieser Dramen verstärkt sich die offene Polemik in Form von Verunglimpfung von Personen und Personengruppen und der Verspottung von Frömmigkeitspraktiken merklich, so dass man von einem Rekurs auf die frühe Polemik, wie sie in den schweizerischen Spielen oder bei Naogeorg erscheint, sprechen kann. Die Vermutung liegt nahe, dass der Polemik hier im Rahmen einer Erinnerung an die Anfänge der Reformation die Funktion der Identitätsstiftung zukommen soll, was ja für das Luthergedenken überhaupt gilt. Demgegenüber lässt sich nicht behaupten, dass die Polemik gegen den alten Glauben im zeitlich früher liegenden Drama des Wittenberger Kreises ein dominantes Element sei. Die Dramen von Rebhun und Tirolf etwa zeigen sich völlig unpolemisch. Das gilt auch für die Rahmenstücke. Dass gerade beide Autoren allerdings auch dieses Feld abdecken konnten, belegen ihre Widmungsreden zu Tirolfs ‚Pammachius‘-Übesetzung. Ausgeprägte Polemik findet sich im ‚Hofteufel‘ von Chryseus, der Daniel als reformatorischen Pfarrer zeichnet, dem ein Kardinal und die als Papisten bezeichneten Hofteufel gegenüberstehen, eine Polemik, die von der chiffrierten in die offene Form übergeht. Das Weihnachtsspiel des Christoph Lasius lenkt im Prolog die Rezeption dahingehend, dass unter Herodes der Papst als Antichrist präfiguriert sei. Eine Sonderform stellt Johann Agricolas Tragödie über Hus dar. Insgesamt aber ist das Drama des Wittenberger Kreises in diesem 50 Vgl. a.a.O., Akt IV Szenen 2 und 3; E 8bff. In der folgenden Szene plagt einen Fürsten das Gewissen, dass er seine Schwester geheiratet hat, wofür ihm Dispens erteilt worden war. Durch den Ablass findet er keinen Trost. 51 Epilogus; H VIa. Zuvor ging er auf den Ablass ein, der seinen Ursprung im Geiz habe (ebd.): „Geitz wird ein wurtzl alls vbls genandt / Den fleuch im Kirchn- vnd weltlichn standt.“ 52 Vgl. Hartmann, Erster Theil, Prolog; B IIIa.



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Punkt zurückhaltend, was durch die in diesem vorherrschende Thematik bedingt ist. Wo bei diesen Autoren Polemik erscheint, ist sie auffälligerweise zumeist durch Thomas Naogeorgs dramatisches Wirken evoziert. Dessen Dramen ‚Pammachius‘ (1538) und ‚Mercator‘ (1540) gehören zu den am massivsten polemischen im deutschen Sprachraum. Auch in seinen biblischen Dramen tritt eine scharfe Polemik zutage, wenn Jeremia gegen Heiligenverehrung und Marienkult zu Felde zieht. In der Widmungsrede seines Judas-Dramas gibt er in Bezug auf die Intention seiner Dramen ausdrücklich an, diese sollten auch der Verspottung der falschen Lehre dienen.53 Lateinisch abgefasst, war ihre Wirkung indes auf Übersetzungen angewiesen. Sind gewisse Dramen im deutschen Bereich durch ihn mit geprägt, so der ‚Hofteufel‘ des Chryseus oder später Georg Bömiches ‚Theomachus‘, und wird zum Reformationsjubiläum wieder an sein Werk dramatisch angeknüpft, ist insgesamt doch festzuhalten, dass der Einfluss Naogeorgs nicht überschätzt werden sollte und keinesfalls die These begründen kann, das ‚eigentliche‘ protestantische Drama sei polemischer Natur. Dazu ist sein dramatisches Werk zu singulär. Viele biblische Dramen, und zwar nicht nur in der späteren Zeit, lassen keine oder nur wenig Polemik gegen die alte Kirche erkennen.

d) Resümee Als Resümee ergibt sich, dass die Polemik gegen den alten Glauben und die römische Kirche in der Frühzeit in Gestalt der offenen Polemik in bestimmten Dramentypen stark hervortritt: in den Moralitäten, in den Dramen Naogeorgs oder auch in Waldis’ ‚Verlorenem Sohn‘, der sein Drama mit der Intention schrieb, „Dat den gestoppet werde de mundt, De godts wordt lestern tho aller stundt.“54 Im biblischen Drama früherer und späterer Zeit kann die Polemik in offener und chiffrierter Form eine Rolle spielen. Konstitutiv aber ist sie nicht. Ob sie aufgegriffen wird, hängt vom jeweiligen Vorwurf und der mit diesem verbundenen Intention des Verfassers ab. Eine Entwicklung ist in dieser Hinsicht nicht zu konstatieren. Die scharfen polemischen Werke in der Schweiz finden keine Nachfolger, wofür wohl politische Gründe anzusetzen sind.55 Die polemischen Moralitäten im deutschen Sprachraum treten etwas zurück, eine dominante Gattung bildeten sie hier aber nie. Thomas Naogeorg mit seiner massiven Kritik ist letztlich nicht traditionsbildend geworden, was sicher durch seinen theologischen Werdegang bedingt ist. Allerdings knüpft man in späterer Zeit im Rahmen der Lutherdramen erneut an ihn an. Besonders vor dem Reformationsjubiläum verschärft sich die Auseinandersetzung. Ein bestimmtes Niveau an Polemik ist somit kontinuierlich vorhanden, wenngleich in der frühen Zeit – Naogeorg ist in dieser Hinsicht eher schon ein Spätprodukt – durch die schweizerischen 53 Vgl. Iudas Iscariotes, Widmungsrede, in: Naogeorg, Sämtliche Werke, ed. Roloff, Bd. IV/1, S. 272,6–30. 54 Waldis, Parabel vom verlorenen Sohn, Vorrede des Actor, ed. Berger, S. 151,189f. 55 Vgl. Glenn Ehrstine, Theater, S. 134.

730 Ertrag Stücke ein erheblicher polemischer Impetus freigesetzt worden war, der naturgemäß nachlassen musste und erst zum Jahrhundertende neuen Schwung empfängt. Dass theatralisch ausgetragene Polemik gegen den alten Glauben zurücktreten konnte, dass sie aber auch trotz Widerständen weiter geübt werden konnte, zeigt das Beispiel von Städten mit gemischter Bevölkerung. Bei Wild in Augsburg war zu beobachten, wie sich der Autor in der Auseinandersetzung mit dem alten Glauben in Zurückhaltung übte. Ein anderer Beleg ist die Stadt Hildesheim. Dort kritisierte der Lutheraner Joachim Oppermann 1603 eine Aufführung, in der Psalmverse und das Herrengebet zum Zwecke der Verspottung des Papstes verballhornt wurden, zum einen, so Oppermann, weil es nicht erlaubt sei, das von Christus gelehrte Gebet zu ‚verkehren‘, zum anderen sollten die Katholiken nicht mit Worten und Werken beleidigt werden, was auch in Mandaten so geregelt sei.56 Die von ihm gerügten Gebetsformulierungen verraten in der Tat einen deftigen Humor und eine wüste Polemik.57 Die geübte Polemik tangierte in Oppermanns Augen auch den eigenen Glauben, schien diesem gegenüber als unangemessen und pietätlos. Die Gebetsformeln wurden daraufhin aus dem Stück entfernt. Wenige Jahre später erweckte eine Aufführung des Hildesheimer Gymnasium Andreanum unter der Leitung des Rektors Heinrich Gödeken im Jahre 1608 den Protest von Kanzler und Räten des Stifts Hildesheim, die im Auftreten von Spielern im Mönchshabit nicht nur eine Anfeindung ihrer Religion sahen, sondern auch einen Verstoß gegen die Konstitutionen des Reichs. Der um Stellungnahme gebetene Rektor spielte das Geschehen einerseits herunter, verwies andererseits aber darauf, dass dies schon länger übliche Praxis bei Aufführungen sei. Zudem spielte er den Ball zurück; in katholischen Dramen, insbesondere auch in denjenigen der deutschen Jesuitenschulen, zumal in Hildesheim selbst, geschehe dasselbe.58

e) Formen der anticalvinistischen Polemik im lutherischen Drama Seltener begegnet in lutherischen Dramen Polemik gegenüber dem Calvinismus. Ein frühes Zeugnis für eine chiffrierte Polemik bildet Dedekinds ‚Miles christianus‘ (1576), in dem die allegorische Gestalt der Vermessenheit den Ritter verführen will und ihm einredet, er habe Verstand, er könne die Schrift selbst auslegen: „Was in der Kirch euch nicht gefelt / Als nicht nach ewrem sinn bestelt / Das mÜgt jr reformiren all / Nach ewrem eigen wolgefall.“59 Der Vorwurf ist Subjektivismus, Verlassen des Wortlauts der Schrift. 56 Vgl. Karl Theodor Gaedertz, Archivalische Nachrichten über die Theaterzustände von Hildesheim, Lübeck, Lüneburg im 16. und 17. Jahrhundert, Bremen 1888, S. 6, der dort Auszüge aus dem Tagebuch Oppermanns bietet. 57 Ebd.: „Aller Raben Augen warten auf dich, Herr Papst, der du bist ihre Speise zu ihrer Zeit, Du tust deine diebische Hand auf und raubst alles ... Vater Papst, der du bist zu Rom, entheiligt werde dein Name, zerstört werde dein Reich, Dein Wille gescheh nimmermehr ...“ 58 Vgl. Gaedertz, a.a.O., S. 9–12. 59 Vgl. Dedekind, Miles christianus, Akt V Szene 3; K VIIIa.



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Vorsichtige Andeutungen finden sich, wie erwähnt, bei Christoph Stymmelius in seinem Abraham-Drama 1579. In späterer Zeit nimmt Johann Nendorf 1608 in seinem ‚Asotus‘ in der Widmung in offener Form gegen das decretum absolutum Stellung, mit dem der Teufel die Menschen vom Vertrauen zu Gott und der Hoffnung auf einen barmherzigen Gott abbringen wolle.60 In der Handlung selbst verwendet Nendorf eine chiffrierte Polemik. So lässt er den Satan seiner Hoffnung Ausdruck geben, dass trotz des universalen Heilswillens Gottes, dem ‚gekreuzigt für alle Welt‘, seinem Reich kein großer Eintrag geschehe.61 Als den verlorenen Sohn die allegorische Figur der Desperatio mit dem Einwand heimsucht, er könne nicht wissen, ob er erwählt sei, sein Leben bezeuge nicht seine Erwählung, hält die Gestalt der Fides dagegen, er solle sich nicht beirren lassen, sondern an Gottes Wort festhalten und seinen neuen Wandel fortführen. Wer Christus liebe, stehe schon im Buch des Lebens geschrieben.62 Den Universalismus des göttlichen Heilswillens bringt auch Bertesius in seiner ‚Vinea‘ im Epilog argumentativ vor.63 Andere Dramen demonstrieren eine offenere Form der anticalvinistischen Polemik. Auf der Ebene der Lehre bleibt Zacharias Rivanders ‚Lutherus redivivus‘ aus dem Jahre 1593, der gegen die zwinglianische und calvinistische Abendmahlsauffassung gerichtet ist. Ein scharfer Ton herrscht in Frischlins ‚Phasma‘ 1580 vor, das besonders gegen Zwingli und Karlstadt und deren Abendmahlslehre Partei ergreift, überdies Zwingli der Illoyalität gegenüber Luther bezichtigt. Im Prolog attackiert Frischlin allerdings auch Calvin, Viret und Beza als französische Vertreter der Zürcher Irrlehre.64 Der Satan betrachtet Beza als sein williges Instrument bei der Entfesselung eines großen Krieges.65 Die Polemik nimmt hier die Form von Verunglimpfung von Vertretern der reformierten Kirche an. Dieser Gestalt der Polemik bedient sich auch Martin Rinckart in seinem ‚Eislebischen Christlichen Ritter‘, in dem der Calvin repräsentierende Johannes als lieb- und pietätlos dargestellt wird, schlägt er doch das Schießen auf Leichnam und Herz des Vaters vor. Ein negative Wertung erfährt er schon infolge seiner Ablehnung des Testaments des Vaters, d.h. der nicht-wörtlichen Auslegung der verba testamenti. Daneben wird eine offene theologische Auseinandersetzung geboten. So werden die Reformierten wegen ihrer Vernunftgläubigkeit und ihrer Bestreitung des universalen Heilswillens Gottes angegriffen. Einen Höhepunkt an massiver Polemik bietet der ‚Calvinische Postreuter‘ von Georg Nigrinus von 1592.66 Bei diesem Werk, das gattungsmäßig eher einen Dialog darstellt, 60 Vgl. Nendorf, Asotus, hrg. v. Hans Gidion, Goslar 1958, S. 34. 61 Vgl. a.a.O., Akt I Szene 2; S. 48,195ff. 62 Vgl. a.a.O., Akt V Szene 2; S. 116,3116–3131. 63 Vgl. Bertesius, Vinea, Epilog; E VIIIa. Er verweist u.a. auf 1 Tim 2,4, Gen 3,15 und Joh 3,16. 64 Vgl. Frischlin, Phasma, ed. Price, S. 8,39ff. 65 Vgl. Akt IV Szene 1, a.a.O., S. 186,1525f. 66 Georg Nigrinus, Der Caluinische Post-Reuter / von Anno 1590. an / biß auff das 92. Jahr, o.O. 1592. Nigrinus war ebenfalls Vertreter eines scharfen Antijudaismus; vgl. Thomas Kaufmann, Die theologische Bewertung des Judentums im Protestantismus des späteren 16. Jahrhunderts (1530– 1600), ARG 91 (2000), S. 229ff.

732 Ertrag da eine echte Handlung nicht vorhanden ist, blicken zwei lutherische Bauern zurück auf den Reformversuch Christians I. († 1591) in Kursachsen. In das Gespräch, das später im Wirtshaus des ebenfalls lutherischen Wirts fortgeführt wird, schaltet sich ein calvinistisch gesinnter Bürger ein. Theologische Gegenstände des Gesprächs sind insbesondere die calvinistischen Modifikationen in der Taufpraxis sowie die Bilderfrage. Die Umstände des Todes Christians führen die lutherischen Gesprächsteilnehmer dazu, diesen als Strafe zu interpretieren.67 Der Bürger muss sich schließlich zu der von ihm vertretenen Lehre bekennen und wird am Ende hinausgeworfen: „Werfft den Schelm hindern Tisch herfÜr / Das er bekomme seinen solt / Er hats nicht anders haben wolt“, resümiert der Wirt.68

f ) Gewichtung und Vorkommen anticalvinistischer Polemik Die Polemik gegen den Calvinismus in lutherischen Dramen erscheint recht spät, bedenkt man, dass die Kurpfalz bereits 1563 zum reformierten Bekenntnis überging. Wirklich virulent wird das Thema offenkundig erst mit dem literarischen Kampf um die Einführung des ‚Calvinismus‘ in Kursachsen unter Christian I. in den frühen neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts, der sich in den Dramen von Nigrinus und Rivander widerspiegelt. Im Mittelpunkt der Polemik steht die Auseinandersetzung in der Lehre, dabei vorrangig um die Abendmahlslehre und in Verbindung damit um die Rolle der Vernunft in der Auslegung sowie um die Prädestinationslehre. Eine moralische Abqualifikation wird abgesehen von Rinckart seltener vollzogen, gleichwohl wird die reformierte Lehre als vom Teufel geboren oder zumindest als von ihm protegiert und in Dienst genommen gezeichnet. In einigen Werken fällt die Polemik überaus scharf aus. Der Ton ist hier weniger humoristisch-satirisch wie in der Polemik gegen die Altgläubigen als vielmehr von aggressiver Natur, bis hin zur Darstellung von Handgreiflichkeiten bei Nigrinus. Dieses Stück wie auch das Rivanders sind eigens zum Zweck des Kampfes gegen die Reformierten verfasst worden. Andere wie Frischlins ‚Phasma‘, Bertesius’ ‚Vinea‘ oder Rinckarts ‚Eislebischer Christlicher Ritter‘ sind sowohl gegen den alten Glauben als auch gegen die Reformierten gerichtet. Eine Affinität zur anticalvinistischen Polemik ist für die Lutherdramen zu konstatieren. Das Bibeldrama kann sie aufnehmen, obligatorisch ist sie für dieses indes nicht. Vielmehr gilt auch hier, dass viele der untersuchten lutherischen Dramen aus dem in Frage kommenden Zeitraum keine Polemik gegen die Reformierten erkennen lassen, denkt man an die späteren Stephanus-Dramen oder an Schlues Abraham-Drama. Aber ebenso sind die Lutherdramen von Hartmann und Dedekind kaum durch anticalvinistische Polemik gekennzeichnet.69 Auch diese Auseinandersetzung dominiert nicht das protestantische, hier das lutherische Drama. 67 Vgl. a.a.O., E IIa–b. 68 A.a.O., E IIIIa. 69 Hartmann bietet in seiner Widmungsrede zum ‚Ersten Theil‘; A Vb, eine Anspielung auf die Reformierten, wenn er Luthers Lehre als „... der wahren reinen reformireten, Euangelischen Lehre...“



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g) Polemik gegen Täufer und Spiritualisten Vereinzelt findet sich schließlich Polemik gegen Täufer und Spiritualisten. In Frischlins ‚Phasma‘ verlässt der Täufer Meliboeus seine Frau Thestylis, um nach Mähren zu gehen. Luther streitet mit ihm über Taufe, Ehe und Obrigkeit. Am Ende verfällt Meliboeus dem Gericht. Auch in der ‚Vinea‘ (1606) von Bertesius, die vielfach auf Frischlin fußt, wird gegen die Täufer und ihren Kommunismus polemisiert.70 Auf die Frage, wie die Täufergruppe aus Mähren zum Weinberg gefunden habe, verweisen die Vertreter auf eine Offenbarung des Geistes.71 Statt aber im Weinberg zu arbeiten, ergehen sie sich in ihren Träumen.72 Ägidius Hunnius wendet sich mit seinen Joseph-Dramen auch gegen die Auffassung der Täufer, eine reine Kirche herzustellen. Als Beleg dient ihm die typologisch für die Kirche stehende Familie des Patriarchen Jakob.73 Frischlin und Hirtzwig wenden sich in ihren Lutherdramen ebenfalls gegen Schwenckfeld. Ein Beispiel für eine reformierte Auseinandersetzung mit den Täufern bietet das Abraham-Drama Herman Haberers, in dem aber keine Polemik im engeren Sinne erscheint, sondern eine vorsichtige theologische Kritik in Gestalt einer Verteidigung der Kindertaufe in zwinglianischer Tradition. Diese Auseinandersetzung wird in den Dramen einerseits lehrhaft-theologisch, andererseits satirisch verarbeitet. Deutlich ist, dass das Thema auch bis ins 17. Jahrhundert hinein in den Stücken Berücksichtigung findet.

h) Zu den antijudaistischen Aussagen im protestantischen Drama Auf die Abgrenzung gegenüber dem Judentum soll im Rahmen dieser Studie nicht näher eingegangen werden. Dies bedürfte einer eigenen Untersuchung. Bei den hier untersuchten Dramen wurde Antijudaismus besonders in den Stephanus-Dramen von Sebastian Wild und Zacharias Zahn erkannt. In den Stephanus-Dramen wird das Judentum theologisch auf die Welt schlechthin gedeutet. Die Verfolgung der christlichen Gemeinde in der Zeit der Apostel ist Ausdruck des Verhaltens der Welt gegenüber dem Wort Gottes und der Gemeinde, wie sie sich später in der Unterdrückung des rechten Glaubens durch die römische Kirche und in der Gegenwart in der Verachtung der Predigt durch Glieder des eigenen Kirchentums manifestiert. Als solche ist sie aber auch teuflisch inspiriert. bezeichnet. Dedekind argumentiert mit Hilfe des biblischen Wortlautes in Akt III Szene 3; E VIIb– VIIIa, gegen die im Gedanken des ‚certo loco‘ zum Ausdruck kommende reformierte Abendmahlslehre und Christologie, ohne aber auf dessen Urheber einzugehen. 70 In Bertesius, Vinea, Akt III Szene 1, äußert der aus Mähren kommende Täufer Truncus: „Wir seyn auff Erden alle gleich / Vnd solten auch seyn alle gleich Reich / Vnd keiner haben eigen Geldt / So stÜnde es wol in der Welt / Wers alls gemein so giengs recht zu.“ Als Einwand wird formuliert: „Wer wolt vns denn die arbeit thu?“ 71 Vgl. a.a.O., C IIa. 72 Vgl. a.a.O., Akt IV Szene 1; D IIIa. 73 Vgl. Hunnius, Iosephus. Comoediae duae, Epistola Nuncupatoria, 733f.

734 Ertrag Gerne wird aufgrund der Betonung der Werke die Frömmigkeit des alten Glaubens mit der jüdischen Frömmigkeit parallelisiert, etwa in Bertesius’ ‚Vinea‘, was in gleicher Weise antijüdische wie antikatholische Polemik impliziert. Antijudaistische Tendenzen lassen schließlich aus dem Genus der Lutherdramen der ‚Lutherus‘ Hirtzwigs und Rinckarts ‚Eislebischer Christlicher Ritter‘ erkennen.

i) Stellenwert und Bedeutung konfessioneller Polemik im protestantischen Drama Am Schluss dieses Überblickes sei nach der Bedeutung der konfessionellen Polemik für das protestantische Drama gefragt. Dabei ist zuerst festzuhalten, dass die konfessionelle Polemik kein konstitutives Merkmal des protestantischen Dramas überhaupt ist. Sie stellt keinen wesensmäßigen Zug der Gattung dar. Wer dies behauptet, vermag nicht zu erklären, dass nur ein Teil der protestantischen Dramen wirklich von konfessioneller Polemik geprägt ist und dass das frühe Drama des Wittenberger Kreises nahezu ohne Polemik auskommt. Es verhält sich also nicht so, dass das protestantische Drama nur von der Polemik lebte. Ebenso wird man nicht sagen können, dass Stücke ohne Polemik defizitär erschienen; diese wiederum wird man aber auch nicht als harmlos abqualifizieren können. In zahlreichen Dramen gelang es den Autoren, eine positive Darstellung der Lehre ohne polemische Abgrenzung zu entwickeln. Zu konzedieren ist allerdings auch, dass ein gewisser Bodensatz an Polemik kontinuierlich zu beobachten ist, der ohne Zweifel dem Klima der konfessionellen Zeit und dem Verlangen nach Bekenntnis zur Orthodoxie geschuldet ist, der aber oft auch nur auf die Widmungsrede und vielleicht noch auf wenige Teile der Handlung beschränkt ist. Differenziert ist auch die Frage einer Entwicklung der Verwendung konfessioneller Polemik im protestantischen Drama zu beurteilen. Die Anfänge des geistlichen Dramas in der Schweiz und in Frankreich sind deutlich polemischer Natur, in offener Form gehalten, die Anfänge im Wittenberger Kreis sind es hingegen nicht. Das Zurücktreten der Polemik in der Schweiz hat wiederum politische Gründe. Zu beobachten ist allerdings ein Wiederanknüpfen an frühe scharfe antirömische Polemik gegen Ende des Jahrhunderts und zum Reformationsjubiläum. Zu diesen beiden Zeitpunkten spielt auch die anticalvinistische Polemik eine größere Rolle. Dass die Polemik bis auf einige Stücke nicht das beherrschende Element darstellt, könnte auch damit zusammenhängen, dass die meisten Dramen auf dem Hintergrund des Schultheaters entstanden, die Schule aber nach Melanchthons Unterricht der Visitatoren von 1528 nicht der Ort für „hadersachen“ sein sollte.74 Dietmar Peil hat für Georg Rollenhagen beobachtet, dass bei diesem die konfessionelle Problematik in seinen Schuldramen nicht den Hauptaspekt markiert, während sie in anderen Gattungen, etwa in Predigten, aber auch in seinem Froschmeuseler stärker hervortritt.75 Er schließt daraus, dass „... die eher zweitrangige Behandlung dieses Themas 74 Vgl. EKO I, S. 173. 75 Vgl. Dietmar Peil, Zur konfessionellen Problematik in den Schuldramen Georg Rollenhagens, in: Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock, hrg. v. Dieter Breuer. Teil II, Wiesbaden 1995,



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in den Schuldramen nicht auf individuelle Charakterzüge des Autors oder auf eine grundsätzliche Änderung der politisch-kirchlichen Verhältnisse im ausgehenden 16. Jahrhundert zurückzuführen ist, sondern wohl doch als ein Spezifikum der Gattung verstanden werden muß.“76 Das Theater schon dieser Zeit sei eher als eine moralische Anstalt zu verstehen, wobei die konfessionelle Problematik als ein Thema neben anderen zweitrangig werde und die konfessionelle Polemik sogar ganz zurücktrete.77 Nach dem eben Gesagten dürfte dies so nicht zutreffen. Sofern das Drama als Schuldrama mäßigenden Einfluss ausübte, gilt dies für den gesamten betrachteten Zeitraum. Dass die konfessionelle Frage im protestantischen Drama gegen Ende des 16. Jahrhunderts zurücktrete, wird man nach den hier aufgeführten Zeugnissen nicht behaupten können. Die Analyse von Rollenhagens Abraham-Drama wiederum zeigte in genauer Entsprechung, dass die konfessionelle Auseinandersetzung nicht sein eigentliches Anliegen bildet. Insofern ist die Hintanstellung des Themas bei Rollenhagen doch im Autor selbst begründet. Zurückzuweisen ist aber ferner die, auch von Peil kritisch gesehene These Gudrun Thiels, gegen Ende des 16. Jahrhunderts hätten die theologischen Lehrmeinungen nicht mehr dramatisch ausgetragen zu werden brauchen, da diese inzwischen internalisiert gewesen seien.78 Auch dies ist auf dem Hintergrund des hier vorgetragenen Befundes als nicht zutreffend zu bezeichnen. Die Existenz polemischer Dramen aus dieser Zeit – sei es gegen den alten Glauben, sei es gegen die Reformierten – widerlegt diese Sicht. Das Vordringen des ‚Calvinismus‘ und die Fortschritte der ‚Gegenreformation‘ nötigten lutherischerseits dazu, sich der eigenen Lehre zu versichern. Gerade die späteren Dramen zeigen überdies, dass den Verfassern die eigene Bevölkerung noch nicht als wirklich in der eigenen Lehre verankert galt. Das Drama konnte hier nach wie vor als probates und dankbares Mittel aufgegriffen werden, die jeweilige Bevölkerung in der offiziell sanktionierten Lehre zu prägen. Einen integralen Teil dieser Prägung bildete die konfessionelle Abgrenzung, nun gegen zwei andere Gestalten der Lehre, und im Zuge dieser Abgrenzung konnte auch die Polemik zum Zuge kommen. Dies gilt um so mehr in Zeiten der Verhärtung des konfessionellen Klimas wie im Umkreis des Reformationsjubiläums vor dem Dreißigjährigen Krieg. Die These von der Reduktion der Polemik greift offensichtlich zu kurz, gerade in Hinsicht auf die Wende zum 17. Jahrhundert. Ist damit der Vordersatz, die Protasis der These Rädles vom Bedeutungsverlust des protestantischen Dramas in Frage gestellt, so wird durch den Nachweis, dass die Polemik kein konstitutives Element des protestantischen Dramas bildet, sondern dass es von Anfang an auch einen breiten Strom unpolemischer Dramen gibt, die VorS. 651f. A.a.O., S. 651, formuliert er: „Insgesamt gesehen muß festgehalten werden, daß in Rollenhagens Schuldramen sowohl die polemische Auseinandersetzung mit dem konfessionellen Gegner als auch die Darstellung der eigenen Glaubensgrundsätze nicht im Zentrum stehen.“ 76 A.a.O., S. 653. 77 Vgl. ebd. 78 Vgl. Gudrun Thiel, Die Spiele vom reichen Mann und armen Lazarus und die Jedermanndramen – Ars vivendi versus ars moriendi?, Daphnis 19 (1990), S. 163.

736 Ertrag aussetzung dieses Schlusses bestritten. Rädles These lässt sich somit nicht verifizieren. Sie beruht auf der Einschätzung des protestantischen Bibeldramas als ‚unschuldig‘, d.h. als einer vom zeitlichen Kontext losgelösten, von äußeren Umständen unabhängigen ewigen Botschaft, die einfach den biblischen Text nacherzählte.79 Dass eine solche Sicht eine Fiktion ist, dass das protestantische Drama die biblische Geschichte aktualisierend appliziert, dürfte deutlich geworden sein.

5. Reflexionen über das Medium Drama Warum wurde die Gattung Drama von der Reformation in Dienst genommen? War dies eine Konzession an die überkommene Schaulust oder eine Kompensation für die Zurücknahme anderer visueller Medien durch die Reformation? Dies bildete die Ausgangsfrage und die begleitenden Fragen für die Behandlung des Genus protestantisches Drama.

a) Gründe für die Wahl des Mediums Drama in der Reformationszeit Die Gattung Drama aufzunehmen, war in der Reformation naheliegend. Das Drama war unmittelbar vor der Reformation durch den Humanismus als Drama wiederentdeckt worden. So wie die Reformation in Bezug auf die traditionellen literarischen Gattungen u.a. Predigt, Kirchenlied, Traktat und Spruchgedicht verwenden konnte und auch neue Gattungen wie Flugblatt und Flugschrift sowie Prosadialog aufgreifen konnte, sprach grundsätzlich nichts dagegen, dass reformatorisch gesinnte Autoren, sich auch des Dramas bemächtigten.80 Allerdings bedurfte es dabei doch einer gewissen Entwicklung bzw. Weiterentwicklung der Gattung.81 Ein Indiz dafür ist der Prozess, der von den kirchenkritischen Fastnachtspielen hin zu Niklaus Manuels Spielen und zu polemischen Moralitäten führte. Die Gattung des geistlichen Spiels wurde nicht einfach übernommen, sondern meist wurden einzelne ihrer Elemente dramatisiert, zumindest eine Auswahl der Szenen nach reformatorischen Kriterien getroffen. Warum aber war es naheliegend, das Theater zu verwenden? Eine erste Antwort geht dahin, dass das Theater ein hervorragendes propagandistisches Medium darstellte, womit man an die Dramatisierung spätmittelalterlicher Kritik im Fastnachtspiel anknüpfen konnte. Ein erheblicher Vorzug der polemischen Darstellung der in der alten Kirche herr79 Vgl. Fidel Rädle, Theater als Predigt. Formen religiöser Unterweisung in lateinischen Dramen der Reformation und Gegenreformation, RoJKG 16 (1997), S. 49, wo er vorbringt, das protestantische Bibeldrama habe „lediglich eine versinnlichte dramatische Nacherzählung von Geschichten des Alten und des Neuen Testaments“ geboten, es habe auch nicht auf die Anforderungen der Zeit reagiert. 80 Zu den von der Reformation verwendeten Gattungen vgl. Herbert Walz, Deutsche Literatur der Reformationszeit. Eine Einführung, Darmstadt 1988, S. 2f. 81 Vgl. Walz, ebd.



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schenden Verhältnisse in den frühen schweizerischen Spielen war dabei ihre Anschaulichkeit. Ihre Vorteile gegenüber dem Medium Flugblatt bestanden in der längeren Entfaltung des Themas und in der Möglichkeit einer unmittelbaren Rezeption durch Leseunkundige, die bei Flugblatt und Flugschrift auf Vermittler angewiesen waren. Eine zweite Antwort ergibt sich in der Betrachtung des Dramas als Medium der Verkündigung. Wie seitens der Reformation eine Vielfalt von Formen aufgegriffen wurde, so wurden diese Formen in den Dienst der Verbreitung des auf neue Weise zugänglich gemachten Wortes in der heiligen Schrift gestellt. Das ist die inhaltliche Wurzel des biblischen Dramas. Wenn Valentin Voith 1538 äußert, das Wort Gottes werde in dieser Zeit nicht nur gepredigt, sondern auch vorgeschrieben, gesungen, gemalt und gespielt, trifft das genau diesen Sachverhalt.82 Wie dieses Wort alle Menschen in ihren jeweiligen Bezügen erreichen sollte, wofür die Widmungsrede des Burkard Waldis ein beredtes Zeugnis bietet,83 so sollte es auch in alle literarischen Formen gegossen werden. Die Dramatiker sahen sich als Teil dieser Bewegung des Wortes in die Welt hinein. Die Indienstnahme der Gattung Drama spiegelte letztlich jene inkarnatorische Bewegung des Wortes. Mit dieser Sicht des geistlichen Dramas als einem verkündigenden Medium ist eine unmittelbare Nähe zum Medium der Predigt gegeben. Die Dramen werden von der Predigt her wahrgenommen. Dokument dafür sind die Wertungen eines geistlichen Dramas als ‚sichtbare Predigt‘ oder auch als ‚lebendige Worte‘. Das genus proximum markiert hier die Predigt, die Verkündigung. Dem entspricht der stark worthafte Charakter der Dramen. In der differentia specifica dieser Prädikate erscheint dasjenige, was das Drama über die Predigtartigkeit hinaus qualifiziert: die Anschaulichkeit und Lebendigkeit, die man als Vorteil gegenüber dem Medium Predigt erkennt oder zumindest als etwas, mit dem die Predigt ergänzt und dadurch unterstützt werden kann. Eine dritte Antwort verweist schließlich auf die Lehrhaftigkeit des Dramas. „Stage plays, incidentally, were considered of great utility in influencing the minds and consciences of the young and simple. Jesuit pedagogy is well known for the integral place given to the theater in its system of education, but Protestants had learned this lesson much earlier.“84 Ohne Zweifel ist diese Aussage von Gerald Strauss den Sachverhalten gegenüber als angemessen zu beurteilen. Ein pädagogischer Impetus kommt dem protestantischen Theater von Anfang an zu. In ihm verbindet sich Humanistisches, das besonders in den formalen Zielen des Dramas wie Sprachfähigkeit, Auftreten u.a. seinen Ausdruck findet, und Reformatorisches. Das protestantische Drama ist stark lehrhaften Charakters. Es transportiert eine Lehre, die am Ende in regulären Lehrpunkten formuliert

82 Vgl. Almut A. Meyer, Heilsgewißheit, S. 17. 83 Vgl. Burkard Waldis, De parabell vam verlorn Szohn, in: Arnold E. Berger, Die Schaubühne im Dienste der Reformation. Erster Teil (Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Reihe Reformation Bd. 5), Leipzig 1935, Widmungsrede, S. 144,16ff. 84 Gerald Strauss, Luther’s House of Learning, Baltimore – London 1978, S. 143.

738 Ertrag und für die Zuschauer gewissermaßen zum Mitnehmen und weiteren Ruminieren gebündelt wird. Es entspricht damit einer Katechese. Der propagandistische Aspekt spiegelt sich in den schweizerischen Fastnachtspielen, in den Werken von Waldis und Naogeorg und in den französischen Moralitäten. Der Verkündigungsaspekt betrifft besonders die Bibeldramen, wobei es, schaut man auf Waldis’ ‚Parabel vom verlorenen Sohn‘, Überschneidungen gibt. Der katechetische Aspekt berührt sich auch mit den Bibeldramen, er verbindet das protestantische Drama aber weniger mit einem bestimmten Dramentyp als vor allem mit der Institution, die es in Deutschland zumeist trug, der Schule. Der Schule kam es aber durchaus zu, das Gemeinwesen zu repräsentieren. Insofern ist das geistliche Theater auch in diesem Falle Ausdruck eines Bekenntnisses des Gemeinwesens zur reformatorischen Botschaft, aber ebenso zu einer humanistisch geprägten Bildung in weltlichen und geistlichen Angelegenheiten. Der Gemeinschaftsbezug der Dramen ist also stets präsent, er steigert sich aber, wenn die Gemeinschaft unter Druck gerät. Auf diesem Hintergrund ist das existentiell motivierte biblische Drama des französischen Protestantismus entstanden, das Ausdruck einer Gemeinschaft, genauer einer bestimmten Situation dieser Gemeinschaft und eines bestimmten Verständnisses dieser Gemeinschaft ist – sie versteht sich als Gottesvolk und setzt sich parallel zum alttestamentlichen Israel – und auf diese Gemeinschaft in identitätsstiftender Weise zielt. Lag es somit nahe, die Gattung Drama von reformatorischer Seite aus zu verwenden, da sie sich als geeignet erwies, die mit der Reformation verbundenen Ziele zu vermitteln, so erwies sie sich in gewisser Weise auch als gegenüber anderen Gattungen überlegen, mit denen sie andererseits eng verbunden war. Fritz Holl äußert über die Vorteile des Dramas: „Neben der Predigt ist sie [sc. die dramatische Form] die einzige Form, die sich direkt an das Volk wendet, und dazu viel wirkungsvoller als jene und als alle Flugschriften, mit denen das Land damals überschwemmt wurde. Hier vermag das Volk dem Gedankengange des Autors leichter zu folgen, während die besten, spitzfindigsten Dissertationen für die grosse [sic!] Menge unverständlich und ungeniessbar [sic!] blieben. In Rede und Gegenrede ist es leicht, die eigene Ansicht darzulegen und zu verteidigen, die Einwürfe der Gegner zu widerlegen und ad absurdum zu führen, diese selbst lächerlich und verächtlich zu machen.“85

Vorzüge des Dramas sind so nicht nur der mit der Predigt übereinkommende Anredecharakter – besonders gegeben durch Prolog und Epilog –, sondern auch eine gegenüber der Predigt und anderen schriftlichen Gattungen größere Verständlichkeit. Das Drama wirkt gegenüber anderen Medien als ein freieres Medium. Es bietet infolge seiner gedehnteren Gestalt und seiner dialogischen Struktur weit mehr Raum als andere Gattungen, Gedanken zu entwickeln und zu entfalten, kompliziertere Sachverhalte zu erklären, Gegenpositionen zu widerlegen, kurz: das zu Vermittelnde in ansprechender und gemeinverständ85 Fritz Holl, Tendenzdrama, S. 114.



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licher Weise darzubieten. Mit dem Drama ist es stärker als mit den genannten anderen Gattungen möglich, dem Niveau des überwiegenden Teils der Zuschauer bzw. Zuhörer zu entsprechen. Dadurch bedingt, kann mit ihm ein größerer Kreis an Adressaten erreicht werden als mit den genannten anderen Gattungen. Denkbar war natürlich auch, dass das Drama mit anderen Gattungen zusammenwirkte, wie es in späterer Zeit für die Aufführung von Kielmanns ‚Tetzelocramia‘ belegt ist, zu der ein Flugblatt angefertigt wurde.86 Die Dramatisierung eines Predigttextes konnte zur Vertiefung des Inhalts genutzt werden, den die Predigt zuvor vermitteln sollte. Ein weiteres Medium steht in engem Zusammenhang mit dem Drama: das Bild. Für einen bestimmten Typus von Dramen, die heilsgeschichtlich strukturierten Prozessdramen, hat Almut A. Meyer eine Verbindung zwischen bildender Kunst und dramatischer Kunst dahingehend festgestellt, dass Bilder in dramatischer Form ausgelegt wurden.87 Belegt dies die Verwandtschaft von Bild und Drama, die auch terminologisch in der Bezeichnung einer Aufführung als ‚Gemälde‘ zum Ausdruck kommen kann,88 so zeigt doch die Worthaftigkeit des Dramas, dass man den Akzent nicht primär auf die Visualität setzte; dieser kam nur dienende Funktion zu. Durch seinen worthaften Charakter galt das Drama als gegenüber dem Bild überlegen; dieses war stumm und damit letztlich der Auslegung bedürftig. Dem korrespondiert, dass im Bereich der Reformation dem Bild nur eine unterstützende Funktion zugesprochen wurde und darum ein Bild mit einem der dargestellten Szene entsprechenden Bibelwort oder mit dem Kernwort der jeweiligen biblischen Geschichte kombiniert werden sollte.89 Hintergrund war die Furcht vor 86 Vgl. Ruth Kastner, Geistlicher Rauffhandel, S. 316f. 87 Vgl. Almut A. Meyer, Heilsgewißheit, S. 235f. 88 So Georg Rollenhagen in seinem Abraham, Argumentum; B Ia: „Wer aber selbst nicht lesen kan / Odr hat sonst ein gefallen dran / Dies in eim gemeldt anzusehn / Wie es fÜr alters ist geschehn / Der kom vnd seh / vnd hÖr mir zu ...“ Dabei wird auf die Spiegelfunktion des Dramas abgehoben. Vgl. auch Andreas Lucas, Abraham, Prolog; B VIa: „Daher die alten auch denn han Wie uns jr schrifften zeigen an Comoediam genent fÜrwar Des menschen lebens spiegel klar Ja ein gemelde hÜbsch und fein Darin die menschen all gemein Sich bespiegeln / beschawn eben Darnach auch abmessen jr lebn Sollten / vnd nach der Erbarkeit Zucht / ehren / streben allezeit.“ Vgl. ferner Vitus Garleben, Eine Geistliche vnd Trostreiche Comedie / Von dem trawrigen Fall vnnd Gnediger annehmung vnser ersten Eltern vnd des gantzen menschlichen geschlechtes, Widmungsrede; A IIb: „Darinnen [sc. in der Komödie oder Tragödie] als im schon Gemehlt Ein jeder seh worans jm fehlt.“ – Ein weiterer Ausdruck der Verwandtschaft ist die Bezeichnung ‚lebendes Bild‘, die für die Darstellung stummer Szenen im niederländischen Theater Verwendung fand; vgl. Heinz Kindermann, Theatergeschichte Europas. Bd. II. Das Theater der Renaissance, Salzburg 19692, S. 217f. – Der Terminus „conterfäht“ im Untertitel des Joseph-Dramas von Johann Schlayss bezieht sich hingegen auf die Predigt, als deren lebendiges Abbild Schlayß sein Drama versteht; vgl. Goedeke, Grundriß Bd. 2, S. 387 (Nr. 294). 89 Vgl. Gerlinde Strohmaier-Wiederanders, „Bilder mag ich wohl haben oder machen, aber...“. Das Wort und die Bilder, in: „Laßt uns aufs Neue wieder anfangen, schreiben, dichten, reimen, singen, malen.“ Die Reformation und die Künste. Wittenberger Sonntagsvorlesungen, hrg. v. Evangelischen Predigerseminar, Wittenberg 2003, S. 48.

740 Ertrag einer Eigendynamik der Bilder. Ein übergroßer Zusammenhang zwischen dramatischer Kunst und bildender Kunst ist indessen nicht zu konstatieren. Das von Meyer zu Tage geförderte Ergebnis lässt sich nicht verallgemeinern. Das Reservoir des protestantischen Dramas ist wesentlich größer als das der bildenden Kunst des Luthertums der Zeit, auch wenn dieses, wie etwa die Sgraffiti der Neuburger Residenz belegen, in keiner Weise als gering zu bezeichnen ist.90 Deutlich ist ferner, dass für die bildende Kunst die typologische Auslegung, der Gedanke der Präfiguration des Christusgeschehens im Alten Testament von ungleich größerer Bedeutung war als für das geistliche Drama. So zielt die Darstellung der Opferung Isaaks auf Altarbildern auf diesen Gedanken, während diesem in den Dramen, wie gezeigt, nur eine Nebenrolle zukommt.91 Dass es eine Korrelation und ein Zusammenwirken zwischen beiden Formen der Auslegung gab, belegt die Geschichte von Abraham und Isaak gleichwohl. Luthers Auslegung in seiner Genesis-Vorlesung favorisierte eine bestimmte Darstellung der Moria-Szene, die sich in Dramen, etwa bei Andreas Lucas, aber auch in bildlichen Darstellungen widerspiegelt. Ein Zusammenwirken ist auch darin erkennbar, dass die Druckausgaben von Dramen mit bildlichen Darstellungen versehen werden konnten. Ein Beispiel ist – interessanterweise aus dem reformierten Bereich – das Abraham-Drama von Herman Haberer. Die genannte Furcht vor einer Eigendynamik gab es in Bezug auf die Aufführung von Dramen allerdings auffälligerweise nicht. Ein Bewusstsein von einem derartigen Prozess, der einer Aufführung immanent wäre, ist nirgendwo erkennbar. Vielmehr herrschte allenthalben ein klares Vertrauen auf die Wirksamkeit der Rahmenstücke Prolog und Epilog, denen die Aufgabe zufällt, die Rezeption der Anwesenden zu steuern. Das Drama wurde somit anders wahrgenommen als ein Bild, wiewohl Zusammenhänge gesehen wurden. Das leitet zu der Frage, ob das geistliche Drama als Ersatz für visuelle religiöse Vollzüge, auf die in der Reformation verzichtet wurde, einzuordnen ist. Dies ist die These von Glenn Ehrstine, die dieser anhand von Äußerungen von Hans von Rüte und Joachim Greff entwickelt.92 In diesen Äußerungen werden die leblosen und statischen Bilder den lebendigen Spielen gegenübergestellt. Nach dem oben Gesagten kann dem nur zugestimmt werden. Das Drama wurde dem Bild gegenüber als durch seine Worthaftigkeit überlegen angesehen. Dies gilt aber auch für das kommentierte Bild. Das Drama bietet ‚lebendige Worte‘, Sätze der biblischen Akteure eingebettet in ihren jeweiligen Kontext, und damit 90 Bei diesen unter Herzog Wolfgang von Zweibrücken im Jahre 1565 von Hans Schroer angefertigten Sgraffiti wurden zahlreiche biblische Geschichten bildlich dargestellt, die auch Objekt von Dramatisierungen waren wie die Opferung Isaaks, Davids Kampf gegen Goliath, Salomos Urteil, die Geschichten von Joseph, Esther und Judith oder das Gastmahl des Belsazar. – Die zuvor unter Kurfürst Ottheinrich entstandenen Fresken der Schlosskapelle, beeinflusst von Andreas Osiander, fußen stark auf dem Präfigurationsgedanken, wie die Darstellung der Erhöhung der ehernen Schlange, der Opferung Isaaks und des Verkaufs Josephs durch seine Brüder belegt. 91 Ein weiteres Indiz in dieser Richtung ist darin zu erkennen, dass die präfigurativ gedeutete Geschichte der ehernen Schlange kein eigener Gegenstand der Dramatisierung ist. 92 Vgl. Glenn Ehrstine, Seeing is believing, S. 536f.



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eine weitergehende Verbindung von Wort und Bild.93 Ob aber der, um im Begriff zu bleiben, dramatische Aufschwung der Aufführungspraxis, zumal in der Schweiz, der – dort stärkeren – reformatorischen Kritik am Bild geschuldet ist,94 scheint nicht wirklich beantwortet werden zu können. Die sprichwörtliche ‚Spielwut‘ in der Schweiz und im Elsass setzte mit Pamphilus Gengenbach etwa unmittelbar mit der Reformation ein und betraf auch altgläubige Gebiete. Dass die Wahrnehmung der Zeit nach wie vor wesentlich auf der Visualität beruhte, wie auch die Forschungen Robert Scribners ergeben haben,95 daran konnten die Vertreter der Reformation nicht völlig vorbeigehen. So aber bildeten Wort und Bild eine ideale Synthese, wie es in der späteren Zeit eindrucksvoll in einer Szene in Bartholomäus Krügers ‚Schöner und lustiger neuer Aktion‘ zum Ausdruck kommt, in der die Engel das vom Teufel vorgehaltene Sündenregister zerreißen.96 Einen erheblichen Katalysator für die Dramatisierung biblischer Geschichten bildeten die Vorreden Luthers zu den biblischen Büchern Susanna und Tobias, die immer wieder von Dramatikern zitiert wurden. Grund dieses Votums war die Erkenntnis des dramatischen Charakters dieser Bücher durch den Reformator. Auch bei anderen biblischen Erzählungen nahm er deren Eignung zur Dramatisierung wahr, was in dieser Studie an Gen 22 deutlich wurde. Obwohl viele Autoren dies in die Tat umsetzten, wurde die von Luther erkannte Grundlage in der Folgezeit kaum reflektiert. Eine Ausnahme bildet hier Cyriakus Spangenberg, der, von den Erfahrungen mit seinen Kindern ausgehend, die dramatische Potenz biblischer Geschichten eher zufällig entdeckte. Luther bot auch Überlegungen zu der Frage, in welcher Weise das Theater wirkt. Er ging von einer affektiven Wirkung aus und betonte die Nachhaltigkeit einer Aufführung. In beidem folgten ihm protestantische Autoren bis ins 17. Jahrhundert hinein. Stets wurde in der Folgezeit hervorgehoben, dass die Darbietung eines Dramas aufgrund ihrer Anschaulichkeit länger im Gedächtnis verbleibe und stärker bewege und reize, d.h. einen deutlicheren affektiven Eindruck hinterlasse, damit aber auch letztlich ein besseres Verständnis ermögliche.

93 A.a.O., S. 537: „Like Lutheran art, their images were also augmented and anchored by text, yet the possibilities for interaction between word and image were much broader on the stage.“ 94 Vgl. ebd. – In seinem Werk über das Berner Theater: Theater, culture, and community in reformation Bern, S. 213, verweist Ehrstine als Beleg für diese These auf die Biographie Niklaus Manuels, der von der bildenden zur dramatischen Kunst überging. 95 Vgl. Robert Scribner, Flugblatt und Analphabetentum. Wie kam der gemeine Mann zu reformatorischen Ideen?, in: Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Beiträge zum Tübinger Symposion 1980, hrg. v. Hans-Joachim Köhler, Stuttgart 1981, S. 71. 96 Bartholomäus Krüger, Eine schöne vnd lustige newe Action, Akt IV Szene 6, ed. Tittmann, S. 104,640–645: Satan: „Schaut hie, wies zuget in der welt; da ist es alles fein erzelt.“ Regieanweisung: „Da nemen die engel das register und zerreißen dasselbig.“ Raphael: „Was wiltu daraus machen doch? sih, dein register hat ein loch, ist ganz cassiert, zerrißen ser; darfst nun darauf nicht pochen mer ...“ Zur Begründung verweist der Erzengel darauf, dass dieses Register nicht durch Christus legitimiert und daher beim Vater verworfen sei.

742 Ertrag

b) Begründungen für das geistliche Drama in der konfessionellen Zeit In der konfessionellen Zeit wurde das geistliche Drama beibehalten – wobei wir hier die reformierte Seite mit ihrem eigenen Umgang mit dem Drama aussparen. Auf der lutherischen Seite hatte sich das geistliche Drama in der Institution des Schultheaters in enger Koalition mit humanistischen Vorstellungen etabliert. In den theoretischen Äußerungen über das Drama bei Autoren und anderen Befürwortern dieser Praxis lässt sich ein ganzes Arsenal an Begründungen erkennen. Dies ist allerdings mitbedingt durch eine offenkundig zunehmend theaterkritische Hintergrundstimmung, in der einerseits die üblichen moralisierenden Argumente gegen das Theater erscheinen, andererseits ein ökonomisierendes und rationalisierendes Denken in die Bildungsauffassung einzieht. Nach einem äußeren Begründungsmuster wird das Theater auf seine Funktion für den Träger, die Schule oder das Gemeinwesen, hin betrachtet. Nach diesem Muster erfüllt das Theater bestimmte Funktionen, die freilich auch andere Einrichtungen oder Vollzüge zu leisten in der Lage wären. So zeigt eine Theateraufführung den Lernfortschritt der Schüler, kann auf diese Weise dem Schulträger Rechenschaft über die geleistete Arbeit geben, zukünftige Schüler werben und der Schule finanzielle Unterstützung sichern. Ferner vermag es die Schüler durch die Form des Spiels zu motivieren und nebenbei von schädlichen Aktivitäten fernzuhalten. Mit der Darbietung kann die Schule die jeweilige Stadt repräsentieren und den Ruf ihrer selbst wie auch denjenigen der Stadt vergrößern. Entsprechend ist eine Bestimmung zur Aufführungspraxis Bestandteil vieler Schulordnungen. Ein äußeres Begründungsmuster repräsentiert auch der Gedanke, dass die Abfassung und Aufführung von Dramen schon lange Tradition sei, wobei die Autoren auf Vorgänger in Gestalt namhafter Theologen verweisen können. Diese Begründungen stellen sich dar als prinzipiell unabhängig vom konkreten Inhalt der Aufführungen – sofern nur dieser nicht den intendierten Zielen zuwiderläuft. Ein geistliches Theater zu begründen, sind sie alleine nicht in der Lage, aus sich heraus können sie nicht einmal die Notwendigkeit des Theaters im Allgemeinen erweisen. Ein inneres Begründungsmuster bietet Argumente, warum das Theater aus sich heraus ein hervorragendes Instrument ist. Das Argument, Christus selbst habe in der Form von Gleichnissen gelehrt, markiert zwar zunächst ein äußeres Begründungsmuster, insofern es auf göttliche Autorität verweist – womit es einen gewissen defensiven Charakter aufweist. Es impliziert aber vor allem den stärker offensiven Gedanken, dass eine gleichnishafte Form eine der evangelischen Botschaft angemessene Form ist, weil sie diese Botschaft gut transportieren, den Inhalt dem Menschen hervorragend vermitteln kann und exakt aus diesem Grunde von Christus aufgegriffen worden ist.97 Damit stellt die Verwendung die97 Eine Gleichnistheorie, nach der das Gleichnis eine eigentliche Rede darstellt und so das Evangelium besser zu sagen vermag, es gewissermaßen erst auf den Punkt bringt, bieten die Autoren indessen nicht. Sie sehen die Gleichnishaftigkeit ausschließlich als Instrument in Bezug auf die Rezeptionsfähigkeit der Hörer.



Bündelung und Zuspitzung

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ser Form einen Teil der Bewegung des Wortes Gottes zu dessen Geschöpfen dar. Auf das geistliche Drama angewendet bedeutet das, dass dieses in besonderer Weise dem Rezeptionsvermögen des Menschen entgegenkommt. Voraussetzung dieses anthropologischen Arguments ist die Wahrnehmung, dass das Rezeptionsvermögen des Menschen begrenzt ist und dass die evangelische Botschaft dem Menschen akkomodiert werden muss, damit sie leichter erfasst werden kann. Dies geschieht durch die Sichtbarkeit und die Darstellung von lebendigen Exempeln, die das Defizit zu kompensieren in der Lage sind, weil durch sie das Gemüt stärker bewegt wird und der Inhalt schneller erfasst und leichter im Gedächtnis behalten werden kann – an dieser Stelle werden die verbreiteten Begründungen aufgenommen. In anderer Perspektive ist das anthropologische Argument zugleich ein medium-spezifisches Argument, insofern das Theater durch seine genannten Propria – Visualität, lebendige Exempel – die Schwächen anderer Medien, insbesondere des protestantischen Zentralmediums, der Predigt, auszugleichen in der Lage ist. In dieser Sicht gilt die Predigt als weniger anschaulich und weniger lebendig und darum im Endeffekt als für das Subjekt schwerer erfassbar. Da allerdings die menschliche Rezeptionsfähigkeit unterschiedlich gestaltet ist, kann das mediumspezifische Argument in weiterer Perspektive auch als adressatenspezifisches Argument betrachtet werden. Während Gebildete das in der Predigt Gehörte besser aufnehmen und verarbeiten können, sind Kinder, Jugendliche und illiterati dazu nur wenig in der Lage; ihnen kann die evangelische Botschaft besser mit einem geistlichen Drama appliziert werden. In dieser Hinsicht wird das geistliche Drama zu einem Element einer biblia pauperum. Dies führt zu einem weiteren Gedanken: Als wesentliches Movens tritt in dieser Zeit die Unzufriedenheit mit der Predigtsituation hinzu. In den Werken einiger Dramen verfassender Pfarrer spiegelt sich nicht nur eine gewisse Verletztheit bezüglich der Würdigung ihres eigenen Predigens seitens der Hörerinnen und Hörer, sondern auch ein allgemeines Misstrauen in die Wirksamkeit des Mediums Predigt. Dieses Misstrauen speist sich aus der Deutung der Erfahrung: Die Jahrzehnte seit der Reformation, so die Sicht, hätten gezeigt, dass die Predigt nur eine geringe Wirkung entfaltet hätte. Die Reformation sei bei den Gemeindegliedern noch nicht wirklich verankert, vor allem sei es noch nicht zu einer reformatio vitae gekommen. Entsprechend wird Verstocktheit und Indifferentismus beklagt und konstatiert, dass die Predigt einer Ergänzung bedürfe. Das geistliche Drama, auf der Schrift basierend, soll helfen, die Schrift zu vermitteln, womit es die Aufgabe der Predigt erfüllt – so Ägidius Hunnius. Das Drama bietet das, was die Zuschauer in der Kirche von den Predigern hören können, wohin die Zuschauer gewiesen werden. Das Drama soll damit zur Predigt hinführen, wie der Dramatiker und Pfarrer Johannes Bertesius in seinem ‚Regulus‘ bedeutet. Entsprechend stellen die Vorwürfe der Dramen Perikopentexte dar, die man auf diese Weise besser zu vermitteln – so in Bezug auf ‚Verstockte‘ – oder zu vertiefen meint. Damit verfügt das Drama dieser Zeit auch über lehrhaft-katechetischen Charakter. Derselbe Bertesius kann dasselbe Drama als eine Bemühung um die Jugend post catechesin bezeichnen, was sicher nicht rein zeitlich, sondern auch sachlich zu verstehen ist. Dies

744 Ertrag führt aber zu der Frage, ob eine Entwicklung von einem Verständnis eines Dramas als Predigt hin zu einer Auffassung des Dramas als Katechese zu postulieren ist. In den hier näher untersuchten Dramentypen konnte keine Entwicklung in dieser Hinsicht wahrgenommen werden. Auch in sonstigen Äußerungen aus der Reformationszeit und aus der konfessionellen Zeit begegnet sowohl die Charakterisierung eines Dramas als Predigt als auch diejenige als Katechese. Schon 1540 bezeichnet Paul Rebhun den ‚Pammachius‘ in der Vorrede zu seiner Übersetzung als ‚sichtigen Unterricht‘. Almut A. Meyer äußert: „Jener Generation, die bereits im evangelischen Glauben aufgewachsen war oder ihn angenommen hatte, weil die Obrigkeit die Reformation eingeführt hatte, wurde von der Bühne nicht mehr eine Predigt gehalten, die das befreiende sola gratia, solus Christus, sola fide verkündete, sondern eine katechetische Unterweisung erteilt, die den Artikel von der Rechtfertigung erklärte und die zu ziehenden Konsequenzen einschärfte.“98

Stimmt das? Die Autoren waren erstens nicht der Meinung, dass ihre Hörer schon wirklich im evangelischen Glauben verankert waren; gerade deswegen galt es ja, sie auch in diesem zu unterweisen. Dass die Autoren mit den Dramen zumindest auch die Rechtfertigung, Trost zusprachen, hat jedenfalls die Untersuchung der im Rahmen dieser Studie behandelten Dramen deutlich gezeigt, ohne dass damit ein völlig repräsentatives Bild zu geben intendiert wäre. Dass mit dem Zuspruch der Rechtfertigung nur ein Teil der Hörer anvisiert wurde, soll damit nicht bestritten werden. Für den anderen Teil galt einerseits wohl die im Stück erfolgende Belehrung, vor allem aber der Bußruf. Im Übrigen erscheint es schwierig, Predigt und Katechese derart auseinander zu reißen, nicht nur weil die Predigt wesentlich doctrina (CA VII) ist, lehrhaften Charakter hat, sondern auch weil sich Katechese weitgehend als Predigt vollzog. Was die Aufführung nicht bot, war der direkte Zuspruch des Evangeliums, wenn man so will, das ‚ego te absolvo‘; dieses aber hat die Bühne letztlich nie bieten können, insofern auf ihr zwar in der Handlung – um die Terminologie aufzunehmen – ‚lebendige Worte‘ geboten werden, andererseits aber stets nur in persona alterius gesprochen wird, also keine authentische Situation vorliegt, und eine persona alterius angesprochen wird, nicht die hinter der Rolle stehende Person, nicht der Hörer oder die Hörerin selbst – trotz der Intention der Vergleichzeitigung. Letzteres klarzustellen, das ‚tua res agitur‘ zu vermitteln, oblag Prolog und Epilog, die als direkte Anrede an die Hörerinnen und Hörer die der Predigt nahekommendsten Teile des Dramas bildeten, wiewohl jene Teile damit vielleicht überfordert waren. Das Drama ist Ergänzung und Vertiefung der Predigt, eine Predigt zweiter Ordnung, aber nicht diese selbst. Es konnte – in diesem Punkte waren sich die Verfasser einig – die Predigt nicht ersetzen. Dass ein Drama auch anders eingeordnet werden konnte, zeigt das Beispiel Helwig Garthes, der das Drama neben Hausgespräch, Gesang und Bild setzt.

98 Meyer, Heilsgewißheit, S. 243f.



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Dass die Form des Dramas bei den Autoren so beliebt war, dürfte zuletzt, aber nicht an letzter Stelle, damit zusammenhängen, dass das Drama eine Bündelung verschiedener Formen darstellte – von Predigt, Flugblatt, Flugschrift und Bild war schon die Rede. Hinzu kommen weitere gottesdienstliche Formen oder Formen der Andacht, die in ihm verarbeitet wurden, wie das Kirchenlied und das Gebet, in die das Drama in gewisser Hinsicht auf spielerische Weise, en passant, einweisen konnte. Mit diesen beiden Aspekten aber, dem Charakter des Dramas als mimetischem Spiel, als Rollenspiel, und den gottesdienstlichen Elementen im Drama, ist bereits die Frage nach der Auffassung der Aufführung aufgeworfen.

6. Das Verständnis der Aufführung In diesem Abschnitt soll keine erschöpfende Analyse der Aufführungspraxis des protestantischen Dramas geboten werden. Dazu bedürfte es noch erheblicher Vorarbeiten unter Einschluss archivarischer Untersuchungen. Im Mittelpunkt hier steht vielmehr eine Frage, ob die Aufführung eines geistlichen Dramas von den Autoren der Stücke als Gottesdienst aufgefasst wurde. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob eine Aufführung – unabhängig von der Auffassung der Verfasser oder anderer Vertreter aus dem Kreis der Initiatoren und Träger des protestantischen Theaters – vom Gottesdienstverständnis Martin Luthers aus als Gottesdienst aufzufassen ist. Evoziert sind die Ausführungen an dieser Stelle durch die von Wolfram Washof vorgelegte These des gottesdienstlichen Charakters der Aufführung eines protestantischen Dramas, der sich dafür auch auf Luthers Gottesdienstverständnis beruft.99 Dieses gilt es also noch einmal zu betrachten und dabei zu überlegen, in welcher Weise eine Aufführung phänomenologisch einzuordnen ist.

a) Einübung in Gottesdienst und private Frömmigkeit In seiner Arbeit über das Schultheater in Ulm bezeichnet Franz Müller die dramatische Tätigkeit des Ulmer Rektors Martin Balticus als Predigen und entsprechend die Aufführung als Gottesdienst. Den Schwerpunkt dieser Predigttätigkeit sieht er im Moralisieren.100 Cora Dietl spricht für Burkard Waldis und seine ‚Parabel vom verlorenen Sohn‘ von einem „Gottesdienstrahmen“.101 Für das französische reformierte Drama spricht John 99 Vgl. Wolfram Washof, Drama als Gottesdienst. Homiletisch-katechetische Funktionen und liturgische Elemente des protestantischen Bibeldramas der Reformationszeit, in: Meier – Meyer – Spanily (Hrgg.), Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit als Ort und Medium sozialer und symbolischer Kommunikation, S. 159–170, bes. S. 164f. 169f. 100 Vgl. Franz Müller, Die Schulkomödie in Ulm, Ravensburg 1926, S. 23: „... die biblische Komödie ist ihm nichts anderes als Gottesdienst und Erbauung.“ Indiz dafür ist ihm auch Balticus’ enger Anschluss an den biblischen Wortlaut. 101 Cora Dietl, Das frühe deutsche Drama, S. 110.

746 Ertrag Spencer Street davon, dass die Aufführung von den Zuschauern als eine Art Gottesdienst verstanden worden sei.102 Dass aber ein Autor eine Aufführung terminologisch ausdrücklich als Gottesdienst bezeichnet, konnte nicht nachgewiesen werden. Das Gleiche gilt für die Schulordnungen und für Berichte von Aufführungen, die in dieser Studie Berücksichtigung fanden. Dass eine Aufführung der Josephgeschichte 1572 in der Korbacher Kilianskirche nach einem Gottesdienst dargeboten wurde, könnte vielleicht ein Indiz in dieser Hinsicht sein.103 Mehr ließ sich hier allerdings nicht eruieren. Gleichwohl legt es sich für das Drama von Waldis tatsächlich nahe, von einem Gottesdienst zu sprechen. Nicht nur wird die Aufführung durch das Singen von geistlichen Liedern begleitet. Es erfolgt auch eine als Lesung bezeichnete Rezitation des zugrunde liegenden Textes. Auffallend ist ferner, dass die eigentliche Handlung mit einem Lied eröffnet wird, in dem um die Gegenwart des Heiligen Geistes gebetet wird. Schließlich wird die Aufführung auch mit der Bitte um den Segen beschlossen.104 In der Widmungsrede des Druckes teilt er mit, er habe seine ‚Parabel‘ „gespeelt vnde vor der Christliken gemeynte allhir tho Ryga vthgelecht.“105 Viele andere Dramen bieten einen gewissen liturgischen Rahmen. Ein Beispiel ist das Osterspiel Joachim Greffs, in dem vor der Rede Christi am Schluss „Christ ist erstanden“ gesungen wird und nach dieser Rede als Schluss des Dramas „Christ lag in Todesbanden“ angestimmt wird.106 In Daniel Walthers Johannes-Drama (1559) ist nach dem Epilog, verteilt auf zwei Chöre, der Gesang der drei Strophen von „Erhalt uns Herr bei deinem Wort“ (chorus puerorum), „Beweis dein Macht, Herr Jesu Christ“ (chorus discipulorum Christi), „Gott Heilger Geist du Tröster wert“ (chorus puerorum) vorgesehen. Im Anschluss soll durch die Zuschauer „Verleih uns Frieden gnädiglich (chorus totius multitudinis)“ gesungen werden.107 Innerhalb der Handlung treten an mehreren Stellen in Bartholomäus Krügers ‚Schöner und lustiger neuer Aktion‘ Kinder auf, die etwa „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“ oder „Ein feste Burg“ singen.108 Die Beispiele ließen sich vermehren. Von den hier untersuchten Dramatikern, die ihren Stücken Kirchenlieder bzw. Gesänge beigefügt haben, sind insbesondere noch Andreas Lucas, Jakob Frey, Herman Haberer, Georg Rollenhagen, Christoph Stymmelius, Theodor Beza / Nathan Chytraeus, Joachim Schlue, dessen Beschluss ein Gebet einschließt, Zacharias Zahn und bei den Lutherdramen Heinrich Hirtzwig zu nennen. Einige davon bieten handlungsimmanente Gesänge, wie auch Martin Rinckart in seinem Drama. Keine Hin102 Vgl. John Spencer Street, French sacred drama from Bèze to Corneille: Dramatic forms and their purposes in the early modern theatre, Cambridge – London u.a. 1983, S. 304. 103 Vgl. Wolfgang Medding, Korbach, Korbach 19802, S. 185f. 104 Vgl. Waldis, Parabel vom verlorenen Sohn, ed. Berger, S. 151f. (Lesung); S. 153 (Lied: Nun bitten wir den Heiligen Geist); S. 205f.,2025–2036. 105 A.a.O., S. 144,30. 106 Vgl. dazu Barbara Könneker „Wold ihrs den nicht schir gleuben do?“, S. 339 Anm. 53. 107 Zu Walther und seinem Drama vgl. Johannes Bolte in ADB 41, S. 99. 108 Vgl. Bartholomäus Krüger, Eine schöne vnd lustige newe Action, Akt IV Szene 3 (ed. Tittmann, S. 91,77f.; 92,287f.); Szene 4 (a.a.O., S. 98); Szene 6 (a.a.O., S. 105,667ff).



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weise geben Michael Saxo, Sebastian Wild, Melchior Neukirch und Friedrich Dedekind. Nicht-Theologen (Frey, Schlue, Haberer) konnten also einen liturgischen Rahmen vorsehen, wie Theologen (Saxo, Neukirch, Dedekind) auf einen solchen verzichten konnten – mindestens für die Druckfassung, die zur Vorlage für weitere Aufführungen werden konnte. Ob allerdings die Aufnahme von Liedern, auch wenn diese von den versammelten Zuschauerinnen und Zuschauern gesungen werden sollten, ausreicht, um den Autoren zu attestieren, dass sie diese Aufführung als Gottesdienst intendierten, bleibt zunächst einmal offen. Terminologisch kann diese Antwort nicht bejaht werden. Lediglich im Falle von Waldis liegt es nahe, das zu postulieren. Insgesamt sollte eher von einem gottesdienstlichen oder liturgischen Rahmen einer Aufführung gesprochen werden. Eine andere Frage ist es, ob eine solche Aufführung den Kriterien für einen Gottesdienst genügt, die für Martin Luthers Gottesdienstauffassung bestimmend sind. Luther hat in seiner berühmten Torgauer Predigt zur Einweihung der Schlosskirche aus dem Jahre 1544 Kriterien für einen evangelischen Gottesdienst entwickelt. Dabei geht er einmal auf äußere Kriterien ein. So stellt er – in Abgrenzung gegenüber Juden und Altgläubigen – heraus, dass ein Gottesdienst nicht an einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit gebunden sei, ebenso wenig an ein Amtspriestertum.109 In dieser Hinsicht bestehe eine weitgehende Freiheit, Übereinkünfte zu treffen; einzige Bedingung sei, dass es ordentlich zugehe.110 Bereits in der Vorrede zur Deutschen Messe hatte Luther geäußert, aus der Gottesdienstordnung solle kein Gesetz gemacht werden.111 Dies spricht zunächst einmal nicht gegen die Wertung einer dramatischen Aufführung als Gottesdienst, sondern könnte diese Sicht geradezu befördern. Für den Gottesdienst selbst arbeitet Luther bekanntlich zwei Kennzeichen heraus: Das eine ist, dass Gott sein Wort zu den Versammelten spricht bzw. dass die Versammelten zusammenkommen und Gottes Wort hören: „... das nichts anders darin geschehe, denn das unser lieber Herr selbs mit uns rede durch sein heiliges Wort...“112 Dies kann für die Aufführung eines biblischen oder geistlichen Dramas klar in Anspruch genommen werden. Das andere ist, dass die Gemeinde zum Gebet zusammenkommt und ihre Nöte wie auch ihren Dank vor Gott bringt: „... und wir widerumb mit jm reden durch Gebet und Lobgesang.“113 Ähnlich äußert sich Luther auch in 109 Vgl. WA 49, 590,33ff. 110 Vgl. a.a.O., 591,23ff. 111 Vgl. WA 19, 72,6f. 112 WA 49, 588,15–17; Vgl. 592,16–18: „… Sondern sollen hierin sich zugleich alle einig und fertig machen und zusamen komen Gottes Wort zuhÖren …“ Vgl. 594,25–27: „… das wir auff zeit und ort, da wir des eines sind, zusamen komen, Gottes Wort handlen und hÖren …“ Vgl. 599,11ff, wo Luther nach der Predigt des Wortes Gottes noch ein weiteres Kennzeichen einführt (599,21), „... das wir Gottes wort, so wir gehÖret, in unser hertz fassen ...“, doch kann dies der Predigt subsumiert werden. Vgl. ferner 600,31f.; 604,22. 113 A.a.O., 588,17f.; 592,18f. (Forts.): „… und jn widerumb mit einander anruffen und zubeten fur allerley not und fur empfangene wolthat dancken.“ Vgl. 594,27–30 (Forts.): „… und Gotte unser und ander gemeine und sondere not furtragen und also ein starck, krefftig gebete gen Himel schic-

748 Ertrag seiner Genesis-Vorlesung: „Per benedictionem, per concionem et per administrationem Sacramentorum descendit Deus, et loquitur mecum. Ibi audio ego. Et rursus adscendo et loquor in aures Dei audientis orationem meam.“114 Das priesterliche Wirken, auf das Luther an dieser Stelle eingeht, bestehe aus docere, Predigt oder Absolution, und orare pro se et aliis.115 Genau an diesem letzten Punkt ergeben sich aber Einwände. Propria der Aufführung eines Dramas sind der Darbietungscharakter und der Rollenspielcharakter.116 Diese aber schließen es letztlich aus, dass die Gemeinde sich das vorgetragene Gebet tatsächlich zu eigen macht. Die Versammelten werden die vorgetragenen Gebete nicht als ihr gemeinsames Gebet, als Vorbringen ihrer Nöte vor Gott verstehen können. Das uneigentliche Vortragen eines Gebetes – uneigentlich, insofern der Darsteller nicht seine eigene Not oder seinen eigenen Dank, sondern die bzw. den der dargestellten Person vorbringt – verhindert, dass es bei den Zuschauern zu einer wirklichen Identifikation kommt. Die Uneigentlichkeit der Situation bedingt eine doppelte Entfremdung der Zuschauer: Ihre Not bzw. ihr Dank ist nicht dasjenige, was dort zur Darstellung kommt, und es ist ebenfalls nicht die Not und der Dank der agierenden und zu sehenden Person selbst, was allein Anteilnahme evozieren würde. Nun könnte man einwenden, durch das Institut der ‚Spieler-Zuschauer‘ etwa in Zahns Stephanus-Drama würde die von der vorgeführten Handlung hervorgerufene Betroffenheit auf Seiten der Zuschauer, würden ihre Fragen und Nöte verbalisiert und letztlich vor Gott gebracht. Dies ist richtig, es lässt sich auch auf die die Rollen der ‚Spieler-Zuschauer‘ übernehmenden Spieler übertragen, dennoch bleibt eine letzte Distanz. Das Bewusstsein, einer Darbietung, einer Demonstration beizuwohnen, wird bei den Zuschauern nicht völlig schwinden.117 Es bleibt eine Distanz zum Spiel, denn den Zuschauern wurde ja die Illusion genommen, als sei das Vorgeführte das historische Geschehen selbst, als sei die gesehene Steinigung des Stephanus ‚echt‘. Ebenso war intendiert, dass der Spieler zu seiner Rolle Distanz halten, nicht in ihr aufgehen sollte. Beide beschriebenen Formen der Distanz lassen es für die Zuschauer schwierig erscheinen, innerlich für sich das vorgeführte Gebet zu übernehmen. Gewiss stehen dem gegenüber die Versuche zur Vergleichzeitigung – diesem Ziel sollten gerade die erwähnten Formen der Distanz dienen −; den Zuschauern sollte ja vermittelt werden, dass es um sie ging, dass das Dargestellte für ihre Lebenswirklichkeit relevant war, also in ihrem Kontext spielte, wie das Sachssche ‚Vernürnbergern‘ zeigt.118 Aber auch hier bleibt noch die Distanz der ken, Auch mit einander gottes wolthat mit dancksagung rhímen und preisen ...“ Vgl. 599,25–31 (... das wir mit einander jn anruffen und beten...); 600,33; 604,22f. 114 WA 43, 564,15−18. Vgl. dazu William Nagel, Geschichte des christlichen Gottesdienstes, Berlin 19702, S. 124f. 115 WA 43, 564,6−9. 116 Vgl. Bernhard Asmuth, Einführung in die Dramenanalyse, S. 10ff (zur sinnlichen Darbietung) und S. 13f. (zum Rollenspiel). 117 Vgl. Eckhard Bernstein, Hans Sachs, Reinbek 1993, S. 111f. „Keinen Moment sollen die Zuschauer vergessen, daß sie einer Demonstration beigewohnt haben.“ 118 Vgl. Barbara Könneker, Die deutsche Literatur der Reformationszeit, München 1975, S. 60.



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Demonstration. Die vorgeführte Handlung kann letztlich den Status des nur Exemplarischen nicht von sich abschütteln. Erst der Epilogsprecher befindet sich wieder auf der Ebene des Eigentlichen, bzw. er vollzieht durch seine Deutung der Handlung den Übergang von der Sphäre des Exemplarischen in die des Eigentlichen. Ist die Handlung aber von nur exemplarischem Charakter, gilt dies auch für die in ihr vorgetragenen Gebete. Schließlich lässt sich nur schwer sagen, dass die Gemeinde hier als Gemeinde in existentieller Situation zusammenkommt, mit dem Zweck, ihre Not vor Gott zu bringen. Allerhöchstens kann in den als Gebeten konzipierten Liedern, etwa „Verleih uns Frieden gnädiglich“, ein Gebet in diesem Sinne erkannt werden. Es fehlt letztlich das coram-DeoBewusstsein, das für das gottesdienstliche, wie auch für das private Gebet konstitutiv ist. Zwei weitere Punkte kommen hinzu: Zum einen ist der Vollzug der Sakramente als eigentlicher Vollzug in einer Aufführung schlechterdings undenkbar. Zum andern ist nach der Vorrede zur Deutschen Messe für diejenigen, die – gemäß Luthers Sicht – noch nicht Christen sind bzw. darin gestärkt werden müssen, eine feste Ordnung des Gottesdienstes notwendig, eben jene deutsche Messe, die Luther vorlegt und auch das Anliegen einer Grundkatechisation verfolgt. Lediglich für die schon vollkommenen Christen hält Luther als Gottesdienst im Geist einen formloseren Gottesdienst für möglich, wobei auch dieser nicht vollkommen formlos sein soll.119 Das biblische Drama zielt aber nach dem Reformator gerade auf die Jugend und die Ungebildeteren.120 Auch im Sinne der von Martin Luther für einen Gottesdienst vorgelegten Kriterien scheint es somit nicht geraten, von einer Aufführung als einem Gottesdienst zu sprechen. Dem Reformator ging es um wirkliche innere und aktive Beteiligung der Teilnehmenden, gerade in Überwindung der zur „Schaumesse“ degenerierten mittelalterlichen Messe.121 Angemessener dürfte es daher sein, die Aufführung als Einübung in den Gottesdienst und 119 Vgl. WA 19, 73,10ff; 75,3−16, und dazu Nagel, a.a.O., S. 127: „Keine Rede also davon, daß diese [sc. die mit Ernst Christen sein wollen] des Gottesdienstes entraten könnten; vielmehr zeigt auch hier der Umriß einer ganz schlichten Form die beiden wesentlichen Linien eines Geschehens von Gott her in Wort und Sakrament und der Antwort der Gemeinde in Gebet und Nächstenliebe.“ Dieser Gottesdienst für die ‚Fortgeschrittenen‘ unterscheidet sich von einer Aufführung auch dadurch, dass er „muste nicht so offentlich auff dem platz geschehen unter allerley volck“ (75,4). Zu dem in der Vorrede zur Deutschen Messe vorherrschenden pädagogischen und missionarischen Aspekt im Gottesdienstverständnis vgl. Nagel, a.a.O., S. 125−127. 120 WA.Br 5, 272,6ff (Nr. 1543): „Nam et ego non illibenter viderem gesta Christi in scholis puerorum ludis seu comoediis latine et germanice, rite et pure compositis, repraesentari propter rei memoriam et affectum rudioribus augendum.“ 121 Vgl. Nagel, a.a.O., S. 129. Vgl. ferner Peter Cornehl, Art. ‚Gottesdienst. VIII. Evangelischer Gottesdienst von der Reformation bis zur Gegenwart‘, TRE 14, S. 57: „Es war ein wesentliches Ziel der praktischen Gottesdienstreform, die Beteiligung der Gemeinde an der Liturgie zu stärken.“ Dies änderte sich Cornehl (a.a.O., S. 58) zufolge freilich, als es im Gefolge der Entscheidung für den volkskirchlichen Gottesdienst mit dem Ziel der Katechisierung zu einer Pädagogisierung des Gottesdienstes kam, in dem die Laien lediglich als Objekt für Predigt und Unterweisung aufgefasst wurden. Darin trifft sich die Aufführung des geistlichen Dramas in Bezug auf die Zuschauer, wäh-

750 Ertrag in die private Hausandacht, zugleich auch als vertiefende Begleitung des im Gottesdienst Vollzogenen und Gehörten zu betrachten.122 Versteht man die Aufführung im Sinne der Einübung von Verhaltensweisen für den Gottesdienst und die private Frömmigkeit und als Vertiefung dessen, fügen sich die einzelnen Elemente gut ein. Menschen sind versammelt, eine biblische Geschichte wird präsentiert und ausgelegt, Lieder werden von den Versammelten gesungen oder von den Darstellern vorgetragen, diese sprechen Gebete. Das alles hat einen Bezug zum öffentlichen Gottesdienst wie auch zur privaten Andacht. Zunächst einmal werden elementare Verhaltensmuster, wie sie für den öffentlichen Gottesdienst konstitutiv sind, eingeübt: Das betrifft an erster Stelle das andächtige Zuhören, sodann das Singen von Liedern der Gemeinde. In diesen Elementen kommt die zum Gottesdienst hinführende Funktion der Aufführung zum Tragen. Die Funktion der im Rahmen einer Aufführung vorgetragenen Gebete geht darüber hinaus. Zwar betreffen auch sie einerseits die Ebene des öffentlichen Gottesdienstes, wiederum als Einübung gesammelten, mitbetenden Zuhörens, andererseits sollen sie die eigene Gebetspraxis fördern, womit sie auf die Ebene der von der Reformation geförderten häuslichen Andacht unter Leitung des Hausvaters – auf diese wird zumal in einigen Dramen selbst, etwa in manchen Abraham-Dramen durch Bemerkungen des Gesindes, angespielt − wie auch auf die Ebene der persönlichen Frömmigkeit zielen. Die vorgetragenen Gebete sind evident als Muster für das eigene Beten konzipiert. Die gezeigte Gebetspraxis führt das Beten als normalen, täglichen Vollzug vor Augen, der das ganze Leben prägt. Für die Darstellung der biblischen Geschichte selbst lässt sich wieder auf das Zuhören, als mitdenkendes, den Stoff auf die eigene Existenz anwendendes Zuhören verweisen. Daneben kommt in der Darbietung der biblischen Geschichte oder eines anderen Stoffes die vertiefende Funktion der Aufführung in Bezug auf den Gottesdienst zum Zuge. Eine aus dem Besuch des Gottesdienstes bekannte Perikope wird in breiterer Form vertiefend erklärt. Hinsichtlich der Frage, wie von der Aufführung eines geistlichen Dramas phänomenologisch gesprochen werden kann, ist somit festzuhalten, dass infolge der Aufnahme gottesdienstlicher bzw. liturgischer Elemente zwar eine gewisse Nähe zum Gottesdienst besteht, dass aber kein eigentlicher Gottesdienst vorliegt. Vielmehr intendieren die Verfasser und Initiatoren mit einer Aufführung, einerseits zum Gottesdienst hinzuführen und gottesdienstliche Elemente einzuüben, sowie andererseits das dort Gehörte und Vollzogene zu vertiefen. Zugleich geben sie Muster für die private Frömmigkeit.

rend die Darstellenden in einer aktiven Rolle verbleiben und in der Erarbeitung des Stückes intensiv beteiligt sind. 122 Im Übrigen sei, obgleich dies eine anachronistische Anmerkung darstellt, daran erinnert, dass auch heute kirchliche Veranstaltungen durchgeführt werden, die über einen gewissen liturgischen Rahmen verfügen, ohne dass sie direkt gottesdienstlichen Charakter annähmen, wie etwa die Bibelstunde oder Gemeindevorträge u.a.



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b) Die Aufführung als Predigt zweiter Ordnung In diesem Rahmen sei noch einmal der Frage nachgegangen werden, ob sich beim geistlichen Drama eine Nähe zur Predigt ergibt, präziser, ob sich eine Aufführung als Predigt im reformatorischen Sinne begreifen lässt. Hier stellt sich das Problem, dass die für diese Gattung konstitutive Person des Predigers zunächst einmal entfällt. Er kann ersetzt werden durch Rahmenfiguren wie Argumentator, Prologista und Epilogista oder durch eine Person der Handlung. Ohne Zweifel nehmen die Rahmenfiguren Funktionen des Predigers wahr, so die Einführung in die biblische Geschichte und deren Deutung. Hinzu kommt, dass die Rahmenfiguren die Zuhörer direkt ansprechen, mit ihnen in eine Kommunikation treten. Damit wird auch dem möglichen Einwand genuggetan, dass nach der altprotestantischen Homiletik der Prediger jede ‚histrionica levitas‘ vermeiden soll, wie es Benedikt Carpzov in seinem ‚Hodegeticum‘ von 1652 formuliert.123 Die Rahmenrollen wirken auf die Betrachter am wenigsten als schauspielerische Rollen. Gleichwohl können auch der Protagonist oder andere Rollen einen verkündigenden Charakter einnehmen; insofern die Darsteller aber nicht in ihrer Rolle aufgehen sollten, galt auch für sie die Regel von der Vermeidung der ‚histrionica levitas‘. Insofern nach Luther der Predigt drei Aufgaben zukommen – das Niederwerfen durch das Gesetz, das Aufrichten durch das Evangelium und das Herausführen aus Zweifeln besonders durch Exempel und Gleichnisse124 −, gilt es zu prüfen, ob eine Aufführung diese Aufgaben tatsächlich zu erfüllen vermag. Für die Gesetzespredigt ist dies schnell auszuräumen, kommt doch die Aufführung dieser Bestimmung durch ihre Spiegelfunktion in hervorragender Weise nach. Schwieriger verhält es sich mit der durch die Vermittlung von Exempeln intendierten Lösung aus Zweifeln. Als Argument gegen einen Predigtcharakter der Aufführung könnte hier geltend gemacht werden, dass die Darsteller nicht in eigener Person, nicht als existentiell betroffenes unvertretbares Subjekt reden, sondern eine fremde Person agieren. Damit aber, so könnte man schließen, geben sie nicht ihre eigene Erfahrung wieder, sind mithin nicht authentisch. Indessen ist zu bedenken, dass auch in einer Predigt nach Luther nicht einfach die Erfahrung des Predigers, nicht seine Erfahrung als solche vermittelt wird oder dieser sich selbst als Exempel zur Sprache bringt. Was er allerdings tut, ist eine Erfahrung oder ein Exempel vorzustellen, in dem die Zuhörer wie auch er selbst sich wiederfinden können.125 Dieses lässt sich aber auch über 123 Vgl. Albrecht Beutel, Aphoristische Homiletik. Johann Benedikt Carpzovs ‚Hodegeticum‘ (1652), ein Klassiker der orthodoxen Predigtlehre, in: Klassiker der protestantischen Predigtlehre, hrg. v. Christian Albrecht und Martin Weeber, Tübingen 2002, S. 39. 124 Vgl. WA.TR 4, 479 (Nr. 4765), und dazu Dietrich Rössler, Beispiel und Erfahrung. Zu Luthers Homiletik, in: Albrecht – Weeber (Hrgg.), Klassiker der protestantischen Predigtlehre, S. 10ff. 125 Vgl. Rössler, a.a.O., S. 21f., bes. S. 22: „Was in ihm [sc. im Exempel in Luthers Predigt] zu Wort und Sprache kommt, ist exemplarisch auch für die Erfahrung des Predigers und bringt eben diese Erfahrung mit zur Sprache.“

752 Ertrag den Exempelcharakter des geistlichen Dramas aussagen. Der Darsteller etwa eines Abraham bringt zwar nicht seine eigene Erfahrung zum Ausdruck, sondern stellt Abraham als Exempel vor, dessen Situation nicht mit der seinen identisch ist. Und doch gilt ebenso dafür, dass das dargestellte Exempel auch dem Darstellenden als glaubendem Subjekt von exemplarischem Charakter ist. Wie aber verhält es sich mit der durch das Evangelium zu vollziehenden Aufrichtung des Gewissens? Ist eine Aufführung Anrede, Zueignung des Evangeliums? Hier ergibt sich in der Tat ein Problem, gilt doch für die Zueignung des Heilsgeschehens, dass es zugesprochen werden muss. So äußert Luther in seiner Schrift ‚Wider die himmlischen Propheten‘ in Bezug auf das Heilsereignis der Kreuzigung Christi für die Menschen, Christus wäre umsonst gekreuzigt worden, „... wenn nicht das wort Gottes keme, und teylets aus und schencket myrs und spreche, das soll deyn seyn, nym hyn und habe dyrs.“126 Die Frage ist dabei weniger, ob dieser Zuspruch nur in persona sui, also von einem authentischen, unvertretbaren Subjekt erfolgen kann, sondern eher, ob ein solcher Zuspruch tatsächlich aus der − eine geschlossene Größe − darstellenden Handlung an die Zuhörer ergeht, ob es zu einer derartigen Applikation kommt. Am ehesten wird eine solche Applikation durch den Epilogista erfolgen, dem die Aufgabe zukommt, am Schluss des Stückes die Zuhörer anzureden und ihnen die Lehrpunkte der Handlung zu applizieren. Zwar sprechen die Epilogistae die Zuhörer eher selten in der zweiten Person Singular an – ein Beispiel ist der Zuspruch in Joachim Greffs Abraham-Drama127 −, aber es gibt diesen Zuspruch, so bei Johann Nendorf in seinem ‚Asotus‘ (1608)128 oder bei Vitus Garleben in seiner ‚Komödie vom traurigen Fall und gnädigen Annahme der ersten Eltern‘ (1577)129. So kann die Aufführung eines geistlichen Dramas durchaus als Predigt, wenn auch als Predigt zweiter Ordnung charakterisiert werden. Sie vollzieht das, was die Predigt im engeren Sinne, die durch die Person des Pfarrers im gottesdienstlichen Rahmen vorgetragene Rede, vollzieht. So schreibt Melchior Neukirch im Epilog seines ‚Stephanus‘: „Es kan der V`rmanung nicht zu viel Der heilig Geist auch hiedurch wil Bißweilen wircken 126 WA 18, 202,39−203,2. 127 Nach Greff, Abraham, Beschluss; P Va−b, ist die Aktion gut, „Das man sich drin erinnnern [sic!] thut / Seins angenomen glaubens ia Das / so du glauben wirst alda / Jn den samen Abrahe fein Welcher christus der Herr allein / So wirstu selig vnd gerecht On alle deine werck gar schlecht / Vnd kriegst durch jn das ewig leben ...“ 128 Nendorf, Asotus, Epilogus, ed. Gidion, S. 131,21−28: „.. es [sc. dieses geistliche Spiel] uns weißt der Christen trost, wie sie durch Christum sein erlöst, und das kein Sünde sey so groß, der man nicht könne werden loß, wen man sich seinr schwacheit nit schem und sein zuflucht zu Christo nehm und trotz nicht auff sein heiligkeit, die für Gotts Richtstul nicht besteit.“ 129 Vitus Garleben, Komödie vom traurigen Fall und gnädigen Annahme der ersten Eltern, Epilogus; G IIIb: „Zum dritten lernt jr / wie wir sein Vnd auch durch wem von dieser pein Ewigs verdamnis vnd der hell ErlÖst / vnd wer vns widerstelt Gerechtigkeit vnd ewigs heil / Bei Godt versÜn / vnd vns mitteil WidrÜm das rechte GÖttlich bild / Nemblich Gotts Son den jammer stillt / Der stellt sich willig fÜr vns ein / Vnd nimpt auff sich die schult vnd pein Weil vns denn Godt aus sonder Gnad / Durch seinen Son angnommen hat.“



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etwas guts / Wie er sonst durch die Predigt thut.“130 Umgekehrt sind sogar Einflüsse der Dramatik auf die Predigtpraxis denkbar, zumindest über die Rhetorik, die beiden übergeordnet ist. Wenn etwa nach Carpzov die Hörerinnen und Hörer zu Beginn der Predigt erfahren sollen, was sie in der Predigt erwartet und welcher Weg verfolgt werden soll,131 spiegelt sich darin die dramatische Praxis von Prolog und Argument wider.

130 Neukirch, Stephanus, Epilog; P VIIb−VIIIa. 131 Vgl. Beutel, a.a.O., S. 40. 46.

II. Drama und Theater der Jesuiten im Vergleich Das Profil des protestantischen Dramas und Theaters wird noch deutlicher, stellt man ihm Drama und Theater der Jesuiten gegenüber. Dass dies erst an dieser Stelle erfolgt, ist durchaus Absicht: Das protestantische Drama und Theater sollte erst einmal für sich betrachtet werden, um dessen Wesenszüge herauszuarbeiten, bevor es der Größe Jesuitentheater gegenübergestellt wird, zumal dieses prima facie betrachtet eine recht einheitliche Gestalt zu besitzen scheint. Beide Formen von geistlichem Drama und Theater werden am Ende des Abschnitts miteinander in Beziehung gesetzt. Das Ergebnis dieses Vergleichs fließt in die Schlussbetrachtung in Abschnitt IV 1 a) ein. Aufgrund der im Verhältnis zum protestantischen Drama und Theater komfortabel anmutenden Forschungssituation – es kann auf mehrere Handbücher zurückgegriffen werden – scheint es kein unmögliches Unterfangen darzustellen, einen Überblick über das Jesuitentheater zu erstellen. Ruprecht Wimmer hielt bereits 1982 fest: „... heute können wir sagen, daß ein Großteil der erhaltenen theatralischen Texte und Dokumente der deutschsprachigen Ordensprovinzen erfaßt ist, daß wir das Gebiet der Jesuitendramatik überblicken, freilich ohne alle seine Bereiche schon genau zu kennen.“132 Ein solcher Überblick kann hier naturgemäß nur in oberflächlicher Form erfolgen, doch sollen alle für das Jesuitentheater relevanten Felder Berücksichtigung finden. So findet zunächst die Entstehung und frühe Entwicklung des Jesuitentheaters im Rahmen des altgläubigen Theaters und im Kontext der auch im altgläubigen Bereich anzutreffenden Theaterkritik Berücksichtigung. Dabei sollen Dokumente jesuitischer Provenienz mit teils offiziellem oder normativem Charakter befragt werden, in denen explizit über Drama und Theater reflektiert wird. Im Anschluss stellt sich die Frage nach dem Wesen und der konkreten Erscheinung des Jesuitentheaters. Da – wie sich zeigen wird – die zuvor zugrunde gelegten Dokumente zur Klärung dieses Komplexes nur wenig beizutragen vermögen, soll in einem ersten Schritt die Frage präzisiert werden in Hinsicht auf den Hintergrund des Jesuitentheaters in der Theologie und Spiritualität des Ordens. In einem zweiten Schritt sollen anhand einer kurzen Betrachtung von Stoffrepertoire, wichtigen Dramen und bedeutenden Aufführungen Charakteristika des Jesuitentheaters beschrieben werden. Unumgänglich zur Einordnung des Jesuitendramas ist es dabei zu eruieren, welchen Stellenwert die konfessionelle Polemik in ihm einnimmt. Daran schließt sich die Untersuchung von strukturellen und äußeren Merkmalen des jesuitischen Instituts an, denen deutlich das Attribut katalysierender Faktoren zukommt. Ein weiteres, ohne Zweifel wesentliches Element des Jesuitentheaters bildet dessen strenge Latinität. Der diesem Thema gewidmete Passus markiert das Ende des nach dem Wesen des Jesuitentheaters fragenden Abschnitts und das Scharnier zu dem folgenden, in dem die Wirkung des Jesuitentheaters reflektiert wird; dies deshalb, da die Latinität die Wirkung desselben radikal in Frage zu stellen scheint. Als Zielpunkt der 132 Ruprecht Wimmer, Jesuitentheater. Didaktik und Fest, Frankfurt a.M. 1982, S. 1.



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Ausführungen ist schließlich das Verhältnis von Jesuitendrama und -theater zum protestantischen Drama und Theater zu thematisieren. Die Darstellung verbleibt in den Grenzen dieser Studie; der weiteren Geschichte des Jesuitentheaters ab dem zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts wird nicht nachgegangen. Dies entspricht auch der von Elida Maria Szarota vorgelegten Periodisierung des oberdeutschen Jesuitendramas.133 Der Nachsatz der zitierten Aussage Wimmers könnte nun allerdings tatsächlich ein Problem indizieren, das durch die Methodik unserer Studie weiter perpetuiert würde: die Beschränkung der Darstellung auf einige wenige Koryphäen des Jesuitentheaters, auf einige wenige herausragende, aufsehenerregende Aufführungen. Diese Beschränkung hat nämlich aus der Not eine Tugend gemacht, d.h. sie hat die durch einen tatsächlichen Mangel an Dramentexten geprägte Editionslage faktisch zu einem IstZustand erklärt. Dieser Mangel ist allerdings weder zufällig, noch verdankt er sich einer Textvernichtung –, vielmehr weist er bereits auf zwei wesentliche Merkmale des Jesuitentheaters hin: Die Dramen jesuitischer Autoren waren erstens derart auf die Aufführung zugeschnitten, dass mit ihnen in keiner Weise eine literarische Wirkung intendiert wurde. Der Aufführungscharakter galt als das wahre und eigentliche Merkmal eines Dramas, das herauszustellen man sich verpflichtet sah – mit der Folge, dass nur ein relativ kleiner Teil der aufgeführten Dramen tatsächlich erhalten ist. Der Druck eines Jesuitendramas war nicht der Normalfall. Die Ausgabe der Dramen Bidermanns ist eine posthume, die Dramen des Pontanus sind als Muster verstandene Beigaben für seine Poetik.134 Hinzu kommt zweitens die Auffassung des Dramas als einer Gemeinschaftsarbeit des Kollegiums bzw. der Schule.135 Dennoch ist Wimmers Aussage über die gute Forschungssituation zuzustimmen: Es gibt breite Darstellungen, es wurden neue Text133 Vgl. Elida Maria Szarota, Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Eine Periochenedition. Texte und Kommentare. Erster Band: Vita humana und Transzendenz, München 1979, S. 57, die die erste Periode überschreibt: „Das Jesuitendrama im Dienst der Gegenreformation“. Sie begrenzt diese mit den Jahren 1574 und 1622. Die Frühzeit bis 1574 zählt sie hier nicht als eigene Periode, wohl weil – wie sie an anderer Stelle formuliert (S. 18) – das frühe Jesuitendrama in den fünfziger und sechziger Jahren eng an das Humanistendrama angelehnt ist. – Das Problem, was diese erste und weitere von Szarota erkannte Phasen des Jesuitendrama kennzeichnet, soll hier nicht weiterverfolgt werden; vgl. dazu Ruprecht Wimmer, Neuere Forschungen zum Jesuitentheater des deutschen Sprachbereiches. Ein Bericht (1945–1982), Daphnis 12 (1983), S. 669f. 134 Prägnant Fidel Rädle, Lateinisches Theater fürs Volk. Zum Problem des frühen Jesuitendramas, in: Zwischen Festtag und Alltag. Zehn Beiträge zum Thema ‚Mündlichkeit und Schriftlichkeit‘, hrg. v. Wolfgang Raible, Tübingen 1988, S. 137: „Sie [sc. die dramatische Literatur Jesuitendrama] lebte nämlich tatsächlich gar nie als ‚Literatur‘ im eigentlichen Sinne, als an den geschriebenen Buchstaben fixiert, somit allgemein lesbar und beliebig reproduzierbar, sie lebte vielmehr intensiv, aber kurz, in der Aufführung. [...] Anders als in der lebendigen, aber vergänglichen Aufführung wollten und sollten sie gar nicht existieren.“ Im Folgenden stellt er fest, dass für die ersten hundert Jahre des Jesuitentheaters im deutsch-sprachigen Raum lediglich drei Dramen im Druck erschienen, diejenigen von Pontanus. 135 Vgl. a.a.O., S. 136.

756 Ertrag editionen hervorgebracht, insbesondere aber lässt sich über die reichlich erhaltenen und auch bereits ausgewerteten Aufführungsperiochen, kurze Zusammenfassungen der Stücke, wie auch über ein Verzeichnis der erfolgten Aufführungen tatsächlich ein Überblick über das Jesuitentheater gewinnen.136 Insofern ist obige Infragestellung zu relativieren, als Problemanzeige ist sie aber bei der Lektüre von Überblicksdarstellungen durchaus im Bewusstsein zu halten.

1. Das Jesuitentheater im Rahmen des altgläubig-katholischen Theaters im deutschen Sprachraum Überblickt man Goedekes Grundriss, wird rasch deutlich, dass in der Geschichte des geistlichen Theaters in Deutschland im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts das pro-

136 Die größte neuere Gesamtdarstellung ist Jean-Marie Valentin, Le théâtre des Jésuites dans les pays de langue allemande (1554–1680). Salut des âmes et ordre des cités. Drei Bände (Publications Universitaires Européennes 255,1–3), Bern – Frankfurt a.M. – Las Vegas 1978. Vgl. von dems., Les jésuites et le théâtre (1554–1680). Contribution à l’histoire culturelle du monde catholique dans le Saint-Empire romain germanique, Paris 2001, wobei es sich um eine Neuausgabe des dreibändigen Werks handelt. Bei dieser entfielen aber das einleitende Kapitel zu den Theaterverhältnissen in Deutschland um 1550 und zur Gattung von Jesuiten- und Ordensdrama sowie der individuelle Lebensführung und politische Ordnung als Rahmenbedingungen berücksichtigende erste Teil. – An neueren Editionen seien genannt: Harald Burger, Jakob Bidermanns ‚Belisarius‘. Edition und Versuch einer Deutung, Berlin 1966; Urs Herzog, Jakob Gretsers ‚Udo von Magdeburg‘ 1598. Edition und Monographie, Berlin 1970; Livinus Brechtus, Euripus, in: Lateinische Ordensdramen des XVI. Jahrhunderts. Mit deutschen Übersetzungen, hrg. v. Fidel Rädle, Berlin – New York 1979, S. 1–277; Georg Bernardt SJ, Dramen I. Theophilus Cilix 1621. Ein Faust-Drama der Jesuiten. Lateinisch und deutsch, hrg., übers. und komm. v. Fidel Rädle, Amsterdam 1984. Dramen II. Tundalus Redivivus 1622. Eine Jenseitsvision aus dem Dreißigjährigen Krieg und der mittelalterlichen ‚Visio Tnugdali‘. Lateinisch und deutsch, hrg., übers. und komm. v. Fidel Rädle, Amsterdam 1985; Triumphus Divi Michaelis Archangeli Bavarici. Triumph des Heiligen Michael, Patron Bayerns (München 1597). Einleitung – Text und Übersetzung – Kommentar, hrg. v. Barbara Bauer und Jürgen Leonhardt, Regensburg 2000; Nicolaus Avancini S.J., Pietas victrix – Der Sieg der Pietas, hrg. v. Lothar Mundt und Ulrich Seelbach, Tübingen 2002. – Um die Sammlung und Untersuchung von Periochen verdient gemacht hat sich Elida Maria Szarota, Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Eine Periochenedition. Texte und Kommentare. Erster Band: Vita humana und Transzendenz, München 1979; Zweiter Band: Tugend- und Sündensystem, München 1980. Dritter Band: Konfrontationen, München 1983. Die Zahl der z.T. noch unentdeckten Periochen umfasst mehrere Tausende; vgl. a.a.O. Bd. 1, S. 57. Jean-Marie Valentin hat schließlich das hervorragende Hilfsmittel eines Verzeichnisses der Aufführungen erstellt: J.M.V., Le théâtre des jésuites dans les pays de langue allemande. Répertoire chronologique des pièces représentées et des documents conservés (1555–1773). Zwei Bände, Stuttgart 1983–1984.



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testantische Theater dominiert.137 Ein partiell anderes Bild ergibt sich für die altgläubig gebliebenen Kantone der Schweiz oder auch die altgläubigen Teile des Elsass. Dass in diesen Gebieten blühende Theaterwesen spiegelt sich auch in der regen Tätigkeit altgläubiger Dramatiker wieder. Besonders ragen der in Luzern wirkende Hans Salat († 1561), der in Solothurn als Pfarrer tätige Johannes Aal († 1551) oder der Colmarer Stadtschreiber Jörg Wickram († 1562), Bearbeiter einer Fassung der ‚Zehn Alter‘ von Pamphilus Gengenbach, hervor. Für den engeren Bereich Deutschlands sind in dieser Zeit einige altgläubige Schuldramatiker zu nennen wie der Augsburger Lehrer Hieronymus Ziegler († 1562), der Dortmunder Priester Jakob Schöpper († 1554), um die Jahrhundertmitte der Kölner Buchdrucker Jasper von Gennep, Übersetzer eines Jedermann-Dramas des Niederländers Petrus Disthemius, der in Wien als Lehrer wirkende Wolfgang Schmeltzl († um 1560), ferner der Augsburger Meistersinger Daniel Holtzman († 1620), der neben einer ‚Hochzeit zu Kana‘ ein Fronleichnamsspiel verfasste. Zur Ausbildung eigentlicher Zentren des altgläubigen Schultheaters analog zur Entwicklung in Wittenberg oder in Straßburg kommt es allerdings nicht.138 Von großer Bedeutung für das weitere katholische Theaterwesen sind einige niederländische, dem alten Glauben verbundene Autoren: Georg Macropedius († 1558), auf den die erste Dramatisierung des Jedermannstoffes zurückgeht, der auch im protestantischen Theater einen beliebten Vorwurf darstellte; Cornelius Crocus († 1550), Schöpfer eines Joseph-Dramas, der später Jesuit wurde – diese beiden gelten mit dem Protestanten Gnapheus zusammen als die Wegbereiter des neulateinischen Dramas –; schließlich der Franziskaner Livinus Brechtus († 1560), dessen Stück ‚Euripus‘ von 1549 zum ersten erfolgreichen Stück des Jesuitentheaters avancierte. Das katholische Schultheater bringt nahezu dieselben biblischen Stoffe wie das evangelische auf die Bühne. Hier dominieren ebenfalls Abraham, Joseph, der verlorene Sohn, Johannes der Täufer, Stoffe aus den alttestamentlichen Geschichtsbüchern. Auch hier gibt es Polemik, etwa wenn die den Tempel erobernden Babylonier mit den Bilderstürmern gleichgesetzt werden. Neben dem Schultheater läuft als zweiter Strang des altgläubigen Theaters in katholischen Gebieten die Tradition der geistlichen Spiele weiter. Die bedeutsamste Entwicklung dieser Zeit aber bildet das in der Jahrhundertmitte entstehende Jesuitentheater. Obwohl die Jesuiten nicht der einzige dramatisch tätige Orden waren – eine gewisse Bedeutung kam auch dem benediktinischen Theater zu139 – erlangten sie doch schließlich nahezu ein Monopol für das geistliche Theater in katholischen Territorien und übernahmen dabei

137 Zum Folgenden vgl. Karl Goedeke, Grundriß Bd. 2, und Wolfgang F. Michael, Das deutsche Drama der Reformationszeit, Bern u.a. 1984. 138 Vgl. Manfred Brauneck, Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters. Bd. 1., Stuttgart – Weimar 1993, S. 547. 139 Bedeutendster Vertreter war Simon Rettenbacher (1634–1706) in Salzburg; vgl. Manfred Brauneck, Die Welt als Bühne. Bd. 2, S. 380.

758 Ertrag Elemente des geistlichen Spiels wie auch des humanistischen Theaters.140 Zentrum des Jesuitentheaters war Süddeutschland mit den Niederlassungen in Dillingen, Ingolstadt und München sowie in den konfessionell gemischten Städten Augsburg und Regensburg, ferner das Rheinland. Mit der Gegenreformation fasste das Jesuitentheater auch in anderen Gebieten Fuß wie im Eichsfeld oder im Stift Hildesheim. Die Jesuiten spielten bis zur Aufhebung des Ordens im Jahre 1773.

a) Altgläubig-katholische Theaterkritik Ohne Zweifel erfuhr das altgläubig-katholische Theater in dieser Zeit eine Normierung. Das von einzelnen Schulmeistern getragene Schultheater wurde nicht forciert, vielmehr wurde es vom Jesuitentheater aufgesogen, damit aber faktisch auch an den Rand gedrängt. Ähnliches gilt für das geistliche Spiel, das deutlich kanalisiert und einer stärkeren Kontrolle unterworfen wurde – ein Prozess, der durchaus mit den Begriffen Konfessionalisierung und Sozialdisziplinierung verbunden werden kann. Diese Erscheinungen prägten auch das katholische Theaterwesen ab der Jahrhundertmitte und brachten – was oft vergessen wird, wenn vom sinnen- und feierfreudigen Katholizismus die Rede ist – eine starke Theaterkritik auch im Katholizismus hervor. Der Volkskundler Peter Burke sieht diese im Rahmen der allgemeinen Zurückdrängung der Volkskultur, die auch katholische Territorien betraf; er nennt zwei Beispiele:141 Bereits 1534 verhängte der Bischof des portugiesischen Evora über Theateraufführungen die Zensur unter ausdrücklichem Einschluss von Passions- und Osterspielen, da aus diesen viel Unpassendes entstehe und bei im Glauben ungefestigten Zuschauern Anstoß erregt würde. Für die hier betrachteten Zusammenhänge wichtiger ist wohl noch die Tatsache, dass Carlo Borromeo, der eifrige Förderer der tridentinischen Reformen in Mailand, durch ein Provinzialkonzil 1566 reli140 Vgl. Wilfried Barner, Theater und Publikum des deutschen Barock, in: Anselm Maler – Ángel San Miguel – Richard Schwaderer (Hrgg.), Theater und Publikum im europäischen Barock, Berlin – Bern – Bruxelles – New York – Oxford 2002, S. 16; zuvor schon ders., Barockrhetorik, S. 16. Ruprecht Wimmer, Die Bühne als Kanzel: Das Jesuitentheater des 16. Jahrhunderts, in: Hildegard Kuester (Hrg.), Das 16. Jahrhundert. Europäische Renaissance, Regensburg 1995, S.  153, verweist darauf, dass das Jesuitentheater jeweils regionale Traditionen aus geistlichen Spielen aufnahm. Beispiele dafür sind die Aufführungen eines Stückes über den hl. Martin, den Patron der Mainzer Diözese, in Mainz im Jahre 1569, eines Kilian-Stückes 1570 in Würzburg, eines Dramas über den Bischof Konrad von Konstanz daselbst im Jahre 1607 und eines Willibald-Dramas in Eichstätt im Jahre 1615. Peter Burschel, Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit, München 2004, S. 266, sieht die Übernahme lokaler Traditionen auf die ersten Jahrzehnte beschränkt. 141 Vgl. zum Folgenden Peter Burke, Helden, Schurken und Narren. Europäische Volkskultur in der frühen Neuzeit, Stuttgart 1981, S. 225. Zur Theaterkritik im Katholizismus des 17. Jahrhunderts vgl. ferner Hans Urs von Balthasar, Theodramatik. Erster Band: Prolegomena, Einsiedeln 1973, S. 93ff.



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giöse Schauspiele verbieten ließ.142 Gerade die Verbindung volkstümlicher theatralischer Elemente mit religiösen Themen war offensichtlich suspekt und nicht erwünscht. Eine theaterkritische Haltung vertrat auch der ebenso Trient verpflichtete Bologneser Kardinal Gabriele Paleotti, dabei mit der Begründung, dass Aufführungen dem Arbeitsethos abträglich wären.143 Auffallend ist, dass somit gerade Autoren, die in Bezug auf eine Theologie des Bildes schriftstellerisch hervortraten, in Hinsicht auf das Medium Theater starke Zurückhaltung, wenn nicht gar Resistenz übten.144 So ergibt sich der – gegenüber dem Zürich Zwinglis genau umgekehrte – Sachverhalt, dass Bilderfreunde zugleich Theatergegner waren. Beides aber belegt, dass das Theater als eigenständiges Medium und nicht als Ableger des Mediums Bild zur Kenntnis zu nehmen ist.

b) Jesuitische Theaterkritik: Juan de Mariana Dass auch die Jesuiten nicht in einem absoluten Sinne unter dem Titel ‚theaterfreundlich‘ verbucht werden können, dass sich die zeitgenössische Kritik am Theater auch bei ihnen findet, interessanterweise noch in einer Zeit, in der der Orden schon auf eine gewisse Spielpraxis zurückblicken konnte, belegt das König Philipp III. von Spanien gewidmete Werk ‚De rege et regis institutione‘ des spanischen Jesuiten Juan de Mariana, das erstmals 1599 in Toledo, später auch in Deutschland erschien.145 In dem Kapitel „De spectaculis“ in Buch III wendet er sich der Frage theatralischer Aufführungen zu, wobei er vorrangig auf das Berufstheater fokussiert ist. Seine Begutachtung des Theaters fällt äußerst negativ aus. Dominierend ist bei Mariana die moralische Kritik: Das Theater ist eine „officina impudicitiae atque improbitatis“146. Gefahren biete gerade die – anderwärts gerühmte – Nachhaltigkeit des Mediums. Die dargestellten Unzüchtigkeiten hafteten dem Gedächtnis stärker an, was schließlich dazu führe, dass die Zuschauer das Dargestellte und von ihnen Belachte, damit aber auch letztlich Gebilligte, im eigenen

142 Vgl. ferner Burke, a.a.O., S. 235. 244, sodann Thomas Brunnschweiler, Johann Jakob Breitingers ‚Bedencken von Comoedien oder Spilen‘, Bern u.a. 1989, S. 105f. 143 Vgl. Burke, a.a.O., S. 227. 144 Zu den Bildauffassungen Borromeos und Paleottis vgl. Helmut Feld, Der Ikonoklasmus des Westens, Leiden u.a. 1990, S. 200–208. Trotz seiner grundsätzlich bilderfreundlichen Haltung war Paleotti allerdings in Bezug auf die Bildprogramme Verfechter erheblicher Restriktionen bis hin zur Forderung eines entsprechenden Index. 145 Hier wird folgende Ausgabe benutzt: Joannis Marianae Hispani, e Societate Iesu, De rege et regis institutione Libri III, Mainz – Frankfurt 16112. – Zu Widerständen im Orden gegen das Theater vgl. Jean-Marie Valentin, Les jésuites et le théâtre (1554–1680). Contribution à l’histoire culturelle du monde catholique dans le Saint-Empire romain germanique, Paris 2001, S. 47–51. 146 Juan de Mariana, De rege et regis institutione. Liber tertius. Caput XVI, S. 341. Für besonders gefährlich in dieser Hinsicht hält Mariana das Auftreten von Frauen als Schauspielerinnen; vgl. a.a.O., S. 345–347.

760 Ertrag Leben in die Tat umsetzten.147 Entsprechend empfiehlt er dem König, von einem häufigen Besuch von Aufführungen Abstand zu nehmen, um kein schlechtes Vorbild abzugeben, und keine Theatergebäude zu errichten, auch weil damit verschiedenen Fehlentwicklungen der Weg gebahnt würde, wie der freien Begegnung von Männern und Frauen, der Verachtung der Herren seitens der Diener und der Ehemänner durch ihre Frauen, der unaufhaltsamen Verführung der Jugend. Vor allem werde so die Möglichkeit einer Permanenz des Schauspiels und Zuschauens geschaffen.148 Besonders wehrt sich Mariana dagegen, dass Schauspielertruppen zu geistlichen Festen geistliche Dramen in Kirchen aufführten. Auch den Einwand, dass die Truppen in diesem Falle heilige Geschichten behandelten und weder das Lachen der Zuschauer provozierten, noch Obszönes zur Darstellung brächten, lässt er nicht gelten.149 Er hält es für unmöglich, dass Schauspieler heilige Geschichten mit Würde zur Darstellung bringen und die Gestalt eines Franziskus, Dominicus, einer Magdalena, der Apostel oder gar Christi verkörpern könnten. Dies wäre eine Vermischung von Heiligem und Profanem.150 Diese Gedanken führen Mariana zu der – von seinem Ausgangspunkt betrachtet durchaus erstaunlichen – Aussage, dass er, sofern er wählen müsste, die Inszenierung weltlicher Stoffe durch Schauspieler derjenigen geistlicher Stoffe durch dieselben vorziehen würde; zu Letzterem seien diese von ihren moralischen Voraussetzungen eben nicht in der Lage.151 Auch der platonische Argumentationsstrang spielt bei Mariana eine Rolle, wenn er

147 Vgl. a.a.O., S. 341f. 148 Vgl. a.a.O., S. 342. 348. 149 Vgl. a.a.O., S. 343f. Hier wird deutlich, dass Marianas Kritik von der Missbilligung der Berufsschauspieler ihren Ausgang nimmt; vgl. S. 343: „Illud certe omni cura praestandum, vt haec natio perditorum hominum à templis penitus exturbetur. Quod Romanorum tempore fuisse aliquando factum.“ Nach dem Einwand kommt er zu dem Urteil (S. 344): „Ego crediderim potuius quasi sordes et religionis ludibria, hos omnes ludos à sanctissimis templis esse exeterminandos ac imprimis publicos histriones, qui cum turpi rita sint, religionem foedare potius sua ipsorum ignominia videntur: et assueti turpibus, etiam in sanctissimis locis odorem, quo imbuti sunt, ore, oculis et toto corpore exhalant. ac nescio an aliquando fabulam agant, quin verba turpia, vel imprudentibus saepe excidant: et hos tamen contendemus diuinis celebratibus adhibere?“ 150 A.a.O., S. 344f.: „Sed fac, quod nunquam accidisse probabis, histriones seuera aliqua lege constrictos, intra modestiae fines contineri posse, ac sacras tantum historias cum dignitate referre: contendo non minus eum morem cum religionis sanctitate pugnare, neque minus dedecus reip. afferre. Qui enim conveniat ab hominibus turpibus Diuorum res gestas referri, eosque Francisci, Dominici, Magdalenae, Apostolorum, ipsius etiam Christi personas repraesentare? An non id sit coelum terrae ... sacra profanis miscere?“ 151 A.a.O., S. 345: „Itaque si duorum optio danda esset, mallem ab histrionibus profanas fabulas agi, quam sacras historias: quoniam cum decore, ac honestate eos facere non posse, persuasum plane habeo: tum ob eorum vilitatem et dedecus, tum ob foedissimos mores, paremque actionum leuitatem et turpitudinem.“



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seine Befürchtung äußert, aus den Theater besuchenden Jugendlichen könnten keine fleißigen Soldaten oder gute Ratsherren werden.152 Der spanische Jesuit ist sich allerdings bewusst, dass ein völliges Theaterverbot zu erwirken unmöglich ist. Statt dessen sollten mit Gesetzen Grenzen gezogen werden, die niemand ungestraft überschreiten dürfe. Als primäre Maßnahme nennt er, wieder an platonische Bestimmungen anknüpfend, eine Zensur, konkret eine Prüfung der Stoffe durch viri prudentes. Daneben stellt er einen Forderungskatalog bezüglich Rahmen und Ablauf von Aufführungen auf.153 Obwohl er auch diese Vorschriften als im Letzten nicht hinreichend einstuft, erhofft er sich doch zumindest bei den Zuschauern die Wahrnehmung dessen, dass Schauspiele vom Staat nicht gebilligt würden, dass sie aber dem Volk zur Zerstreuung auf dessen zudringliche Bitten hin gegeben würden. Mehr, Besseres zu erreichen hält Mariana für nicht möglich, darum pflege man das in geringerem Maße Schlechte zu tolerieren.154 Votiert er derart für ein eingeschränktes Theaterwesen, so spricht doch aus seinen Aussagen, dass er das Bedürfnis des Volkes nach Zerstreuung für Oberflächlichkeit und seine Erfüllung durch das Theater für grundsätzlich fehlgeleitet erachtet. Es stellt nur eine Konzession dar. In der durch Theater vermittelten Unterhaltung, im delectare, vermag Mariana keinen Sinn zu erkennen. Dass er trotz dieser radikalen Bemerkungen kein völliger Theatergegner ist, erhellt nur aus einer Bemerkung am Rande, wenn er in seiner Argumentation gegen Frauen auf der Bühne offenkundig aus eigener Erfahrung äußert, Knaben hätten verschiedene Personen mit Würde und Eleganz gespielt.155

c) Die Entstehung des Jesuitentheaters Marianas Gedanken – ebenso wie jesuitische Kritik am Fastnachtspiel156 – führen vor Augen, dass die Entwicklung eines Jesuitentheaters keineswegs völlig selbstverständlich 152 A.a.O., S. 349: „Postremo num iuvenes ex his priuilegiis et bacchanalibus, aut strenuos milites, aut bonos senatores fore crediums? …cum totos dies residere in theatris consueuerint: quo tempore aut equos calcaribus incitare et flectere potuissent, aut alia ratione vires corporis exercere, aut certo pacis artes commentari.“ 153 Vgl. a.a.O., S. 350ff. Die weiteren Forderungen betreffen: Einschränkungen der interludi, keine Frauen als Schauspielerinnen, keine Aufführungen an Festtagen, Heiligenfesten, in Fastenzeiten, keine Aufführungen in Kirchen, Verzicht auf unsittliche Gesten, Fernhalten von Jungen und Mädchen minderen Alters von Aufführungen, Präsenz von öffentlich bestimmten Aufsehern (inspectores), die Vollmacht haben, im Falle von frechem Gebaren Strafen zu vollziehen. 154 A.a.O., S. 352: „Denique populus intelligat histriones non probari à republica, sed populi oblectationi atque importunis precibus dari: quae cum non potest quae sunt meliora obtinere, solet aliquando minora mala tolerare, et populi leuitati aliquid concedere.“ 155 Vgl. a.a.O., S. 347. 156 Zur Kritik am Fastnachtspiel vgl. Jean-Marie Valentin, Das Jesuitendrama und die literarische Tradition, in: Deutsche Barockliteratur und europäische Kultur. Zweites Jahrestreffen des Internationalen Arbeitskreises für deutsche Barockliteratur in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 28. bis 31. August 1976. Vorträge und Kurzreferate, hrg. v. Martin Bircher und Eberhard Man-

762 Ertrag war, auch wenn dieses sich von vornherein in eine von der Volkskultur unterschiedene, dem Humanismus Rechnung tragende Richtung bewegt hatte. Gleichwohl ist festzuhalten, dass die Jesuiten zum Theater eher wie die Jungfrau zum Kind gekommen waren, nämlich über die Erziehung der Knaben, die eines der ihnen zugewiesenen Instrumente darstellte.157 Indem man sich dafür zur schulischen Tätigkeit entschloss, fand man die Institution des Schultheaters vor, die man in pragmatischer Weise, ohne vorherige Entwicklung eines Konzeptes übernahm.158 Gegenüber der späteren planmäßigen Durchführung muss es überraschen, dass zu Beginn keinerlei programmatische oder theoretische Äußerungen zum Theater vorgelegt wurden. Eine poetologische Theoriebildung kommt im Orden erst später auf. Mangels eigener Stücke nutzte man auch zuerst solche nichtjesuitischer Autoren. Das Drama ‚Euripus‘ des niederländischen Franziskaners Livinus Brechtus, eine Moralität, wurde 1555 in der ersten Jesuitenaufführung im deutschen Sprachraum in Wien dargeboten. Es folgten Aufführungen 1560 in München und Prag, 1563 in Innsbruck, 1565 in Trier und 1566 in Dillingen sowie ein weiteres Mal in Wien.159 Zu den ersten mit Vorliebe rezipierten Dramen zählten ferner der ‚Hecastus‘ des Macropedius, der diesem verwandte ‚Homulus‘ des Jasper von Gennep und der ‚Acolastus‘ des Protestanten Gnapheus. Dies, wie auch die Aufführung von Terenz und Plautus und von alttestamentlichen Stücken in der Frühzeit, zeigen eine starke Orientierung am humanistischen Theater.160

2. Das Jesuitentheater in offiziellen und normativen Dokumenten a) Jesuitenregel und Ratio studiorum Diesem Befund entspricht die Linie der offiziellen Dokumente, einerseits darin, dass diese vom Theater zunächst recht restriktiv handeln, andererseits darin, dass sich in ihnen doch eine Entwicklung spiegelt, dem Theater mehr und mehr Raum zu geben, so dass die mit ihm gegebenen Möglichkeiten ausgeschöpft werden können. Die rechtliche Regelung folgt der Aufführungspraxis erst in weitem Abstand. Eine erste Bestimmung findet sich in der Jesuitenregel von 1582 bei den Vorschriften für den Provinzial: „Der Provinzial lasse Komödien und Tragödien sehr selten aufführen. Es sollen nur lateinische und anstännack (Dokumente des Internationalen Arbeitskreises für deutsche Barockliteratur Bd. 3), Hamburg 1977, S. 135. 157 Wimmer, Jesuitentheater, S. 12: „Der Weg des Ordens zum Theater geht über die Schule.“ 158 Vgl. a.a.O., S. 14. 159 Vgl. Christof Wolf, Jesuitentheater in Deutschland, in: Rüdiger Funiok – Harald Schöndorf (Hrgg.), Ignatius von Loyola und die Pädagogik der Jesuiten. Ein Modell für Schule und Persönlichkeitsbildung, Donauwörth 2000, S. 195 Anm. 22. 160 Vgl. Elida Maria Szarota, Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Eine Periochenedition. Texte und Kommentare. Erster Band: Vita humana und Transzendenz, München 1979, S. 18.



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dige Stücke aufgeführt werden. Er selbst soll sie zuvor prüfen oder anderen zur Prüfung vorlegen.“161 Diese Bestimmung klingt recht restriktiv und auf den ersten Blick scheint sie die Entwicklung eines Theaterwesens eher zu ersticken. Die Forderungen von Zensur und Latinität, die nie aufgegeben wurden, haben indes den Aufschwung der Theaterpraxis nicht gebremst. Die Beschränkung der Aufführungen konnte letztlich nicht durchgehalten werden, obwohl sie weiter tradiert wird. In der Ratio studiorum von 1586 heißt es schon, die Jugendlichen und ihre Eltern würden erheitert und entflammt, ja auch für die eigene Gesellschaft gewonnen, wenn die Knaben im Theater durch Hilfe der Ordensangehörigen etwas von ihrem Studium, ihrer Aufführung und einen Beweis ihres Gedächtnisses darböten. Um in der Übung zu bleiben – eine öffentliche Aufführung konnte wegen des Aufwands nur am Ende des Schuljahres erfolgen –, sollen die Schüler drei- oder viermal im Jahr selbst gedichtete Szenen oder Dialoge ohne szenische Ausstattung unter Anleitung des Lehrers rezitieren.162 Dies zeigt, dass das Bewusstsein vorhanden war, dass zur Dichtung und damit zu dem diese behandelnden Unterricht notwendig die theatralische Übung gehört. Die hier genannte Erheiterung wird an anderer Stelle deutlich als pädagogischer Impuls im humanistischen Sinne, zielend auf das Studium der artes, verstanden. Auf keinen Fall soll durch die Vorbereitung der Aufführung einer Verschlechterung von Sitte und Lehre Vorschub geleistet werden.163 Als einer Regelung notwendig gesehen wird die Aufgabenverteilung bei der Aufführung, da mit dieser erheblicher Arbeitsaufwand verbunden ist. Da das Dichten eines Stückes als solches bereits ein beschwerliches Werk darstelle, sollten andere Lehrkräfte beim Einstudieren, beim Erwerb von Kostümen wie beim Errichten der Bühne helfen.164 Beschränkungen bei Aufführungen wurden hinsicht-

161 Regulae Societatis Iesu, Rom 1582, S. 36 (Regulae provincialis, Kap. VI, Nr. 58). 162 Ratio atque Institutio Studiorum Societatis Iesu, ed. Ladislaus Lukácz (Monumenta Paedagogica Societatis Iesu Bd. V), Rom 1986, Kap. 6,7, S. 137f.: „Adolescentes tandem eorumque parentes mirifice exhilarantur atque accenduntur, nostrae etiam devinciuntur Societati, cum nostra opera possunt in theatro pueri aliquod sui studii, actionis, memoriae specimen exhibere. Agenda itaque videntur comaediae ac tragaediae, ea tamen moderatione, quae regula 58 provincialis praescribitur. [...] Quoniam vero tragoediae nec ubique, nec semper, nec frequenter agi possunt, ne in nimiam desuetudinem abeat exercitatio, sine qua poesis pene omnis friget ac iacet, non parum expedit, ter aut quater in anno privatim in scholis humanitatis et rhetoricae sine scaenico ornatu a pueris mutuo colloquentibus recitari ab ipsis compositas aeglogas, scaenas, dialogos; quorum partes ita magister disponet ac dividet paulo provectioribus scribendas, ut coniunctae postea unum corpus coagmentent.“ Den Kontext für die eigentliche Aufführung bildet die jährliche Prämierung der zehn oder zwölf besten Schüler. 163 Vgl. a.a.O., S. 206: „… sicut his rebus [sc. die Darbietung eines Stückes durch die adolescentes] pueriles animi exhilarantur, et ad studia bonarum artium inflammantur quam maxime …“ Die Lehrer sollen vermeiden, dass die Schüler nicht Schaden an Sitten und Lehre leiden, wenn sie sich auf das Theater vorbereiten; vgl. ebd. 164 Vgl. a.a.O., S. 137. 205.

764 Ertrag lich des weiblichen Geschlechts formuliert.165 Auffallend ist, dass eine im engeren Sinne theologische Begründung nicht ausgesprochen wird. In der Ratio studiorum von 1591 erscheint das Theater schließlich als vollgültiger Bestandteil der pädagogischen Praxis.166 Die anlässlich der Prämierung vorgesehenen Aufführungen sollen nicht ausgesetzt werden. Die Ausführungen gipfeln in der Aussage: „Ohne Theater verdorrt die Poesie.“167 Die Bestimmungen zur Entlastung des Dichters werden deutlich wiederholt.168 In dem Entwurf zur Ratio studiorum von 1591 wird schließlich eine dezidiert theologisch motivierte Konzeption formuliert: Alle Aufführungen sollen dem von der Gesellschaft Jesu intendierten Zweck entsprechen. Sie sollen dazu beitragen, dass die Gemüter bewegt, schlechte Sitten verdammt werden, dass die Gelegenheit zu sündigen geflohen, die Lehre der Tugend und die Nachfolge der Heiligen gesucht wird.169 Mit dieser Bestimmung – sie fehlt freilich in der Ratio studiorum von 1599, in die aber die Vorschrift aufgenommen ist, der zugrunde liegende Stoff solle ein „argumentum sacrum... ac pium“ sein170 – werden die engeren pädagogischen Zielsetzungen überstiegen. Die Formulierung moralischer Intentionen steht im Rahmen des missionarisch-religiösen Auftrags des Ordens, der in der Rettung des Menschen gesehen wird.171

b) Jesuitentheater und Ansätze zu jesuitischen Dramentheorien Zieht man zu diesen Bestimmungen die Ausführungen eines der ersten Dramentheoretiker der Jesuiten, des Dramendichters und Rhetorikprofessors Jakob Pontanus, zum Vergleich heran, so zeigt sich, dass er stärker das humanistische Anliegen betont. Das im eigentlichen Sinne theologische Anliegen hingegen spielt bei ihm keine Rolle. Ganz ähnlich wie protestantische Vertreter stellt er 1589 den pädagogischen Nutzen von Theateraufführungen heraus: Sie schulten das gewandte Auftreten, den richtigen Gestus, das freie und furchtlose Sprechen, übten das Gedächtnis. Aber sie bewirkten auch Klugheit und 165 Vgl. a.a.O., S. 205: Weibliche Rollen sollen die Ausnahme sein, der Zutritt zu Aufführungen soll Frauen höchstens in Deutschland (transalpinis provinciis) gestattet sein. 166 Vgl. Jean-Marie Valentin, Gegenreformation und Literatur: Das Jesuitendrama im Dienste der religiösen und moralischen Erziehung, HJ 100 (1980), S. 241. 167 Regulae Provincialis, regula 84, a.a.O., S. 241: „Publica praemiorum distributio, par est, ut quotannis recurrat, nec dramata aequo diutius intermittantur; friget enim poesis sine theatro.“ In der Fassung von 1586 war es die exercitatio, ohne welche die poesis verdorre. 168 Vgl. a.a.O., S. 248 (Nr. 55). Ferner wird bestimmt, dass der Provinzobere rechtzeitig über ein Stück zu informieren ist. 169 Regel 13 für den Rektor, zitiert nach Fidel Rädle, Das Jesuitentheater in der Pflicht der Gegenreformation, Daphnis 8 (1979), S. 180: „Accomodentur dein actiones omnes ad finem a Societate intentum, ad motum animorum, in detestationem malorum morum, pravarum consuetudinum, ad fugandam occasionem peccandi, ad studium maius virtutum, ad imitationem Sanctorum ...“ 170 Ratio studiorum 1599, Regulae Rectoris, regula 13, a.a.O., S. 371. 171 Vgl. Rädle, a.a.O., S. 181.



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Erkenntnis des moralisch Rechten. Schließlich sprächen auch äußere Gründe für das Theater. Mit ihm werde für die Schule geworben und deren Ruhm vermehrt. Die Eltern seien stolz auf ihre Kinder, reiche Bürger spendeten der Schule. Die dargebotenen, zumeist aus den heiligen Schriften entnommenen Stücke gefielen dem Publikum.172 Es ist evident, dass Pontanus hier von den erhofften Wirkungen des Theaters ausgeht, die er für alle an einer Aufführung Partizipierenden postuliert. Deutlich wird aus den normativen Bestimmungen nicht nur, dass sich das Theaterwesen der Jesuiten über einen längeren Zeitraum entwickelt hat, sie führen vor allem auch vor Augen, dass die Theorie der Praxis etwas hinterherhinkt, ja dass die Praxis weiter und vielgestaltiger ist, als es die Theorie vorgibt. Nur am Rande treten in den normativen Texten theologische Gesichtspunkte auf. Jean Marie Valentin räumt ein, dass den jesuitischen Dramatikern in ihrem Theaterschaffen mit den einschlägigen Bestimmungen wenig geholfen war, dass diese oft eher restriktiven Charakters waren und dass mit ihnen gar nicht intendiert war, dem jesuitischen Theater eine einheitliche Wesensbestimmung mit zu geben.173 Die Spielpraxis war weiter als die anfangs sehr von der Theaterkritik inspirierte Norm, und sie war auch weiter als die später einsetzende, stark vom Humanismus geprägte Theoriebildung. Gewiss konnte der Orden bedeutende poetologische Leistungen vorweisen, wie sie repräsentiert wurden durch Martin Delrio (1551–1608), dessen ‚Syntagma tragoediae latinae‘ 1593 erschien,174 Jakob Spanmüller gen. Pontanus (1542–1626), der 1594 seine ‚Poeticarum institutionum libri tres‘ herausgab und selber Dramen schrieb,175 im hier betrachteten Zeitraum ferner Alessandro Donati (1584–1640) und Jacob Masen

172 Jacobi Pontani De Societate Jesu Progymnasmatum Latinitatis, sive Dialogorum. Bd. 1, Ingolstadt 15892, S. 456–461 (Kap. 99 – Actio scenica). 173 Jean-Marie Valentin, Das Jesuitendrama und die literarische Tradition, a.a.O., S. 122. Seine Ausführungen gipfeln in dem Satz (ebd.): „Das Wesen des Jesuitentheaters wurde offiziell nie definiert.“ – Der eher restriktive Charakter normativer Bestimmungen spiegelt sich z.B. auch in den Anordnungen, die der Visitator Oliverius Manareus anlässlich seiner Visitation der rheinischen Ordensprovinz 1583 traf. Danach soll kein Kirchengerät bei Aufführungen Verwendung finden. Die Begründung lautet: „Dedecet enim res vere sacras ad usus non sacros transferre.“ Aus dieser Bemerkung erhellt, dass die Aufführung nicht als im eigentlichen Sinne geistliche Aktion angesehen wurde. Allerdings kann Manareus auch konzilianter sein, wenn er aus Billigkeitsgründen erlaubt, dass Aufführungen auf Bitten von Fürsten erfolgen dürften; vgl. Ratio Studiorum et Institutiones Scholasticae Societatis Jesu per Germaniam olim vigentes collectae concinnatae dilucidatae. Tomus I, hrg. v. Georg Michael Pachtler (Monumenta Germaniae Paedagogica Bd. II), Berlin 1887, S. 274. 174 Vgl. Barbara Bauer, Multimediales Theater. Ansätze zu einer Poetik der Synästhesie bei den Jesuiten, in: Renaissance-Poetik. Renaissance Poetics, hrg. v. Heinrich F. Plett, Berlin – New York 1994, S. 203ff. 175 Vgl. Manfred Brauneck, Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters. Bd. 1, Stuttgart – Weimar 1993, S. 550. Zur Dramentheorie des Pontanus vgl. Joseph Bielmann, Die Dramentheorie und Dramendichtung des Jakobus Pontanus S.J. (1542–1626), Literaturwissenschaftliches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 3 (1928), S. 45–85.

766 Ertrag (1608–1681).176 In diesem Punkt scheint sich eine Überlegenheit des Jesuitentheaters gegenüber dem protestantischen Theater anzudeuten. Allerdings ergibt sich bei genauerer Betrachtung kein einheitliches Bild. Zum einen gab es nicht die Dramentheorie der Jesuiten, sondern lediglich eine Verschiedenheit von Ansätzen.177 Zum andern herrschte bei den jesuitischen Autoren im Ganzen Pragmatismus vor.178 Wie Ruprecht Wimmer und Barbara Mahlmann-Bauer herausgearbeitet haben, war die jesuitische Aufführungspraxis oft nicht durch die stark an der antiken Poetik, besonders Aristoteles orientierte Theorie gedeckt, auch weil die Theorie teilweise abseits der Spielpraxis entstand, was notwendigerweise zu Divergenzen zwischen Poetik und faktischer dramatischer Umsetzung führte.179 Diese Divergenzen wurden freilich wiederum poetologisch fruchtbar gemacht und gingen in die theoretische Behandlung des Theaters durch jesuitische Autoren ein, so dass in der weiteren Geschichte des Jesuitentheaters für Theorie und Praxis eine konvergierende Bewegung festzustellen ist, die aber nicht einfach in nachträglicher Rechtfertigung der Spielpraxis aufging.180 Das damit zu konstatierende Fehlen eines vorgegebenen Konzeptes eröffnete den jesuitischen Autoren andererseits eine große Gestaltungsfreiheit, die von ihnen auch genutzt wurde.181 Aus diesem Grunde soll im Folgenden – nunmehr abseits offizieller und normativer Gattungen, in denen explizit Drama und Theater reflektiert wird – gefragt werden, auf welchem geistigen Hintergrund es zur Ausbildung eines Jesuitentheaters gekommen ist und auf welche Weise Theologie und Spiritualität der Jesuiten das Wesen und die konkrete Erscheinung ihres Theaters mitbestimmen – eine Fragestellung, die vermutlich ertragreicher sein dürfte.

3. Zur Frage nach dem Wesen des Jesuitentheaters a) Die Fundierung in jesuitischer Theologie und Spiritualität Insofern ein Proprium des Theaters die Visualität ist, könnte man nach der Bedeutung dieses Aspekts in der jesuitischen Spiritualität fragen, danach, ob dieser den Hintergrund für die Bevorzugung des Mediums Theater bildet. Sibylle Appuhn-Radtke hat herausgearbeitet, dass dem Visuellen in der jesuitischen Anthropologie eine grundsätz-

176 Vgl. Bauer, a.a.O., S. 213ff. 215ff. 177 Vgl. Christof Wolf, Jesuitentheater in Deutschland, S. 172. 178 Vgl. Ruprecht Wimmer, Jesuitentheater. Didaktik und Fest, S. 13. 179 Vgl. Wimmer, a.a.O., S. 15; Bauer, a.a.O., S. 197–200; Jean-Marie Valentin, Les jésuites et le théâtre, S. 163. 180 Vgl. Wimmer, ebd. 181 Vgl. Fidel Rädle, Das Jesuitentheater in der Pflicht der Gegenreformation, S. 174.



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lich größere Bedeutung als im reformatorischen Denken zukommt.182 Hier bezog man sich stärker auf den Aristoteles rezipierenden Thomas von Aquin, der in seinem Kommentar des aristotelischen Buchs über den Sinn und das Wahrgenommene den grundsätzlichen Vorrang des Gesichtssinnes vertritt – freilich konnte sich auch der Lutheraner Balthasar Meisner in seiner Verteidigung des Theaters auf Aristoteles berufen.183 Der Dramatiker Jacob Bidermann brachte die Überlegenheit des visuellen Aspekts in einem Epigramm über ein Bild Johannes des Täufers auf eine prägnante Formulierung, in der der Betrachter den Täufer anredet: „Adstantem digitos intendis mutus in Agnum: / Non poteras clamans dicere plura mihi.“184 Entsprechend war die jesuitische Meditationspraxis stark auf Bilder fixiert.185 Bedeutsam ist in dieser Hinsicht auch das Faktum, dass den Katechismen des Petrus Canisius ab 1555 in steigendem Maße Bilder von Tugenden und Sünden beigegeben waren, was der Gestaltung vieler Jesuitendramen entspricht, in denen Allegorien den Seelenzustand des Protagonisten verdeutlichen, der so klar als Folge innerer Kämpfe oder des Streites von um ihn ringenden Mächten erkennbar wird.186 Allerdings sind die Allegorien ein – weiteres – Medium im an und für sich selbstredenden Medium Theater, ein Medium, das insbesondere aufgrund der strikten Latinität im Jesuitendrama zu Ehren kam. Es sollte die Wirkung des Ausgangs-Mediums noch einmal steigern bzw. garantieren, dass dieses tatsächlich die Adressaten erreichte. Für das Jesuitendrama als solches ist die Allegorie keineswegs ein konstitutives Element; es lässt sich von der Allegorie aus kein direkter Weg zum Jesuitendrama postulieren. Bedeutsam aber ist das Faktum, dass die der illustrierten Ausgabe von Canisius beigegebenen Figuren Ausgangspunkt für erläuternde Kommentare wurden und in kleine szeni182 Vgl. Sibylle Appuhn-Radtke, Visuelle Medien im Dienst der Gesellschaft Jesu. Johann Christoph Storer (1620–1671) als Maler der Katholischen Reform, Regensburg 2000, S. 25 mit Anm. 67. Jean-Marie Valentin, Les jésuites et le théâtre, S. 37, sieht den Grund für die Bevorzugung des Gesichtssinnes in der erkannten geringeren Irrtumsfähigkeit: „Pour les jésuites, l’œil est l’organe supérieur et le moins sujet à l’erreur.“ Valentin spricht ebd. in Anlehnung an Lucien Febvre von einem „siècle visuel“, das nach 1540 das vorherige „siècle auditif“ abgelöst habe. 183 Vgl. Thomas von Aquin, S. Thomae Aquinatis Doctoris Angelici In Aristotelis Libros De Sensu et Sensato De Memoria et Reminiscentia Commentarium, lectio II,28 und 29, cura et studio Raymundi M. Spiazzi OP, Turin – Rom 19493, S. 10: „Alio modo visus est praevium auditui secundum se, quia magis cognoscitivus est plurium quam auditus. [...] Dicit [sc. Aristoteles] ergo primo, quod visus ideo secundum se est melior, quia potentia visiva, sua apprehensione annunciat nobis multas differentias rerum, et diversorum modorum.“ Zur Überlegenheit des Gesichtssinnes bei Robert Bellarmin vgl. Jens M. Baumgarten, Die Gegenreformation in Schlesien und die Kunst der Jesuiten – Das Transitorische und das Performative als Grundbedingung für die Disziplinierung der Gläubigen, JSKG NF 76/77 (1997/1998), S. 142ff. – Zu Meisner s.o. Teil B I 2 i). 184 Zitiert nach Appuhn-Radtke, ebd. Anm. 67. 185 Vgl. Appuhn-Radtke, a.a.O., S. 28, unter Bezug auf den Ignatius-Gefährten Petrus Faber und Francisco de Borja. 186 Vgl. Szarota, Das Jesuitentheater im deutschen Sprachgebiet. Bd. 1, S. 49; Appuhn-Radtke, a.a.O., S. 27.

768 Ertrag sche Umsetzungen durch Kinder mündeten.187 Valentin belegt dies für das Neuburger Kolleg für das Jahr 1616. Man wird so in den Illustrationen zu Canisius’ Katechismus nicht die Wurzel des Jesuitentheaters, wohl aber einen Ausdruck der Vorliebe des Ordens für theatralische Umsetzungen erkennen, die auch zu elementaren Formen von Theater führte.188 Von der jesuitischen Betonung des visuellen Sinnes als hervorgehobenem Sinn allein aber ergibt sich keine direkte Bahn zu dem Stellenwert, den das Theater im Orden innehatte. Wie die Möglichkeit der Kombination von Theaterfeindschaft und Bilderfreundlichkeit im posttridentinischen Katholizismus zeigte (und umgekehrt die Kombination von Theaterfreundlichkeit und Bilderfeindschaft in Zürich), muss das Theater als eigenständiges Medium gewürdigt werden, das nicht einfach eine Unterkategorie des Mediums Bild darstellt; vielmehr ist das Theater gekennzeichnet durch das Zusammenspiel von visuellem und auditivem Aspekt. Bedeutsamer erscheint daher der für die jesuitische Meditationspraxis wichtige Aspekt der Imagination.189 In den geistlichen Übungen des Ignatius von Loyola kommt dem Imaginieren und darin der räumlichen Vorstellung eine konstitutive Bedeutung zu. Dies wird zunächst zu Beginn der Übungen und Betrachtungen wirksam. Hier wird der Meditierende aufgerufen, die compositio loci zu vollziehen, d.h. einen Schauplatz in der Vorstellung einzurichten.190 Dabei entsteht geradezu eine Bühne, ein Schauplatz, bei dem der Meditierende nicht nur das nackte Geschehen als solches betrachten soll, sondern auch Ausmaße des Raumes wie auch Einzelheiten in ihm wahrzunehmen aufgefordert ist. So soll er sich etwa Länge, Breite und Tiefe der Hölle, die Gemächer im Haus der Maria und die Gestalt des Weges von Nazareth nach Bethlehem vorstellen.191 Die vorgestellten Personen werden also stets in ihrem Raum verortet wahrgenommen. Der zweite Punkt, an dem Imagination und räumliche Vorstellung wirksam wird, ist die applicatio sensuum, bei der nach der compositio loci die Sinne konzertierend an das imaginativ Geschaute herangeführt werden sollen, besonders eindrücklich bei der Vorstellung der Hölle.192 Nach Juan de Polanco (1516–1577), dem Sekretär des Ignatius, ist die applicatio sensuum für die Unerfahrenen ein Hilfsmittel, um sich irdische Erfahrungen bewusst zu machen und mittels ihrer in die übersinnliche Welt zu gelangen.193 Die applicatio sensuum impliziert eine starke Rückwirkung auf den Meditierenden, der das Geschaute sogar betastet. Damit deutet sich der intensive Eindruck an, den das Vor187 Vgl. Valentin, Les jésuites et le théâtre, S. 36. 188 Vgl. ebd. 189 Nach Valentin, a.a.O., S. 33, bestimmte die Praxis geistiger Bilder bei den Jesuiten alle Aspekte des geistlichen Lebens. 190 Vgl. Appuhn-Radtke, a.a.O., S. 29. 191 Vgl. Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen. Nach dem spanischen Urtext übers. v. Peter Knauer SJ, Würzburg 20064, S. 54 (1. Woche, 5. Übung); 64ff (2. Woche, 1. Tag, 1. Betrachtung); 66f. (2. Woche, 1. Tag, 2. Betrachtung); S. 97 (4. Woche, 1. Betrachtung). 192 Vgl. Ignatius, a.a.O., S. 55 (1. Woche, 5. Übung); S. 69 (2. Woche, 1. Tag, 5. Betrachtung). 193 Vgl. Appuhn-Radtke, a.a.O., S. 29f.



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gestellte auf den Betrachter hat. Dieser verbleibt nicht in Distanz, sondern tritt in den betrachteten Raum und ist damit in der in diesem ablaufenden Handlung präsent.194 Man wird mit der Annahme nicht fehlgehen, darin einen Impuls zur späteren Praxis jesuitischer Autoren zu erkennen, Zuschauerebene und Spielerebene miteinander zu verschränken. Wie Jean-Marie Valentin herausgearbeitet hat, bezeugt die Entwicklung der jesuitischen Meditation und darin das Verständnis der applicatio sensuum von Ignatius über Louis Richeome (1544–1625) und Nicolas Caussin (Causinus; 1583–1651) eine zunehmende Tendenz zum Theatralisieren, zur Identifikation mit den dargebotenen Figuren, die sich als eines der Kennzeichen der applicatio sensuum erweist.195 All dies bedeutet jedoch auch hier nicht, dass ein direkter Weg von den Exerzitien zu den Aufführungen der Jesuiten führen würde, wohl aber, dass das Theater ein zur Spiritualität des Ordens kongeniales Instrument darstellt.196 Jedenfalls ist es kein Zufall, dass für die Exerzitien ein unerhörter Einfluss auf das Theater, aber auch auf andere Felder der Kunst wie bildende Kunst und Musik statuiert wird.197 Sucht man nach dem systematischen Hintergrund des Jesuitentheaters, lässt sich schließlich auf die jesuitische Auffassung vom Diesseits als vorausweisendem Abbild des Jenseits verweisen, die zu einer positiven Wertung der sinnlichen Erscheinung und der sinnlichen Erfahrung führte, so dass letztere als notwendige Voraussetzung für das Heil beurteilt wurde.198 Dadurch kam es im Jesuitentheater zu einer Steigerung der Darstellung des Sinnenhaften, wobei dies nicht als ein plumpes Ausnutzen der menschlichen Sinnlichkeit intendiert war. Vielmehr ging es darum, dem Zuschauer das Endliche als für das Jenseitige offen aufzuzeigen, darum, ihm den „Prozeß des Auffindens heilsgeschichtlicher Dimensionen im Endlichen“ vorzuführen.199 Die Zuschauer sollten so dazu gebracht werden, den Brückenschlag von der eigenen Realität zur Realität der Bühne zu vollziehen.

194 Vgl. in den Geistlichen Übungen etwa 2. Woche, 1. Tag, 2. Betrachtung (a.a.O., S. 66f.); 2. Woche, 4. Tag (a.a.O., S. 77). 195 Vgl. Valentin, Les jésuites et le théâtre, S. 34. 196 Vgl. Fidel Rädle, Theater als Predigt, S. 57; Urs Herzog, Geistliche Wohlredenheit, München 1991, S. 60f. Ruprecht Wimmer, Jesuitentheater. Didaktik und Fest, S. 19, lehnt eine einfache Herleitung des Theaters aus den Exercitia spiritualia ab. 197 Vgl. Appuhn-Radtke, a.a.O., S. 28. 198 Vgl. Wimmer, Jesuitentheater. Didaktik und Fest, S. 18f., dort S. 19 die Aussage: „Die Abbildhaftigkeit der sinnlichen Erscheinungen aber ließ die Sinne zu Instrumenten der Erkenntnis werden und machte die sinnliche Erfahrung zur notwendigen Voraussetzung für das menschliche Heil.“ Vgl. auch Wimmers Ausführungen in ders., Die Bühne als Kanzel, S. 164. Vgl. ferner Jean-Marie Valentin, Les jésuites et le théâtre, S. 21f. Prägnant formuliert Valentin a.a.O., S. 36: „En vérité, le spectacle dramatique se rattache à une conception du monde et à une pratique spécifique. […] Il a sa place dans les modes d’expressions d’une spiritualité qui fait du visible le sacrement l’invisible.“ 199 Wimmer, Jesuitentheater. Didaktik und Fest, S. 20.

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b) Die konkrete Gestalt: Stoffrepertoire, bedeutende Dramen und Aufführungen Um die Frage nach dem Wesen des Jesuitendramas bzw. -theaters in konkreterer Weise anzugehen, bietet sich eine Annäherung über die aufgegriffenen Stoffe an, bevor strukturelle Merkmale behandelt werden. Charakteristisch für das Jesuitentheater ist ein gegenüber dem protestantischen Theater deutlich reicheres Stoffreservoir.200 Umstritten ist nach wie vor die Frage, wie man die aus den Stoffen geformten Dramatisierungen einteilen kann.201 Diese Frage kann und soll hier nicht behandelt werden. Statt dessen sei zunächst eine Stoffübersicht gegeben, sodann seien einige herausragende Dramatisierungen benannt, die wie die Forschungsliteratur belegt, von hoher Relevanz sind. Neben biblischen wurden kirchengeschichtliche Stoffe, Materien aus der Heiligenliteratur, fiktionale Stoffe, aber auch zeitgeschichtliche Stoffe wie das Schicksal jesuitischer Missionare in 200 Rädle, Theater als Predigt, S. 57f., spricht von der Unendlichkeit möglicher Fälle von heilsrelevanten freien Willensentscheidungen, die einer Unerschöpflichkeit der Geschichten und Themen korrespondiert. 201 Vgl. dazu Wimmer, Neuere Forschungen, S. 689, der auf den Versuch Szarotas in: Dies., Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Eine Periochenedition. Texte und Kommentare. Erster Band: Vita humana und Transzendenz, München 1979, S. 33–57, Bezug nimmt. Dieser Entwurf ist nicht völlig konsistent, zumal die Verfasserin im Anschluss, bei der Erstellung einer Periodisierung (S. 57ff) eine andere Typisierung, die stärker inhaltliche Gesichtspunkte berücksichtigt, ins Spiel bringt: Hier ist dann von „Bekehrungsdramen“ und „Märtyrerdramen“ die Rede sowie von Dramen, „... in denen die religiöse Entscheidung des Menschen das Zentralproblem ... ist.“ In dem ersten Entwurf erscheint etwa Bidermanns ‚Cenodoxus‘ sowohl unter den ‚klassischen Stücken mit einem Zentralhelden als Exemplum‘ wie auch unter den Allegorien (S. 40. 52). Dessen ungeachtet verdient Szarotas Entwurf durchaus Würdigung. Ihr gelingt es so, einen Weg durch die Fülle der Dramatisierungen zu bahnen und unter diesen Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Daher seien die Formen summarisch vorgestellt: 1) Revuestücke, reihen Szenen zur Illustration einer Grundidee aneinander; Beispiel: ‚Triumph des Erzengels Michael‘ (1597); 2) Heiligenviten, reihen Szenen aus dem Leben des Heiligen auf, um die Person in ihrer Herrlichkeit zu zeigen; Beispiele: Bidermanns ‚Joseph‘ (1615); ‚Leben des Ignatius von Loyola‘ (1622); 3) „klassische Stücke mit dem dramatischen Zentralhelden als Exemplum“, exemplifizieren am Protagonisten eine Tugend oder ein Laster; Beispiele: Bidermanns ‚Cenodoxus‘; sein ‚Belisar‘; Gretsers ‚Udo‘; Dramen über Julian Apostata, Mauritius; 4) episch-novellistische Stücke, erzählen eher profane Lebensgeschichten von meist durchschnittlichen Menschen; Beispiele: Dramen über den verlorenen Sohn oder Tobias-Dramen; 5) konfrontative Stücke, stellen zwei Verhaltensweisen, modi vivendi, einen als positiv, einen als negativ beurteilten, gegenüber, wobei die entsprechenden Personen nicht direkt miteinander streiten; Beispiel: ‚Nicephorus und Sapritius‘ (1614); Nicephorus erleidet das Martyrium, sein Freund Sapritius fällt vom Glauben ab; 6) Dramen mit Konfliktstrukturen, in denen sich zwei einander ausschließende Prinzipien in Gestalt von Personen bekämpfen; Beispiele: ‚Theoderich – Boethius‘; ‚Hermenegildus‘ (beide nach 1620); ‚Thomas Becket‘; ‚Thomas Morus‘; 7) Dramata musica (erst ab 1643); 8) Allegorien, zeigen das Innere eines Menschen, der zwischen Tugenden oder Mächten steht und sich entscheiden muss; Beispiel: Bidermanns ‚Cenodoxus‘. Szarotas Typologie wird aufgenommen von Christof Wolf, Jesuitentheater in Deutschland, S. 179–185.



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Japan auf die Bühne gebracht. Möglicherweise bewirkten diese Vielfalt, die Neuheit und Ungewohntheit und der Gegenwartsbezug der Vorwürfe eine stärkere Anziehungskraft des Jesuitendramas,202 zumindest konnte auf diese Weise ein Ausgleich zur strengen Latinität geboten werden. Ganz verschiedene Themen wurden im Jesuitentheater behandelt: der Kampf von Tugenden und Lastern, die Vergänglichkeit der Welt und ihrer Güter, Buße, Unbußfertigkeit und Strafe Gottes, der Kampf mit der Häresie und der Triumph der Kirche. Grundsituationen im Leben eines Menschen wurden aufgezeigt: der Mensch, der vor der Wahl steht, der die Geister unterscheiden muss – hier werden deutlich die für die ignatianischen Exerzitien konstitutiven Handlungsvollzüge der electio und der discretio spirituum verarbeitet;203 die jesuitische Spiritualität spiegelt sich also nicht nur in der Präferenz der Gattung Drama, sondern auch in der konkreten Gestaltung der Dramen –, der Mensch in der Versuchung, der sterbende Mensch. Bei den um die Rettung des Menschen kreisenden Dramen wird die Realität dieser Möglichkeit stets aufgezeigt; zuweilen wird sie vom Protagonisten genutzt, zuweilen nicht.204 Damit spiegelt das jesuitische Drama die tridentinische Rechtfertigungslehre. Stets ist die Rettung ein Zusammenwirken von Gnade und freiem Willen, stets nimmt sie ihren Ausgang von göttlicher Initiative, stets aber muss der Wille zustimmen.205 Die Bedeutung der Werke für das Heil wird eingeschärft. In den jesuitischen Abraham-Dramen etwa wird der Aspekt des Gehorsams hervorgehoben, nicht der des Glaubens.206 Ein wesentliches Kennzeichen des Jesuitendramas ist, dass es psychologisches Gespür entwickelt. Es versucht, über die bloße Darstellung von 202 So Manfred Brauneck, Die Welt als Bühne. Bd. 1, S. 549: „Die behandelten Stoffe wurden näher an die Gegenwart herangerückt, der thematische Bereich wurde erheblich erweitert. Schon darin lag die größere Attraktivität dieses Theaters für die Zuschauer, die der ständigen Wiederholung der biblischen Parabeln, des hauptsächlichen Stoffreservoirs der protestantischen Theaterautoren, wohl überdrüssig waren.“ Fidel Rädle, Das Jesuitentheater in der Pflicht der Gegenreformation, S. 185, bietet ein einschlägiges Beispiel aus Augsburg, wo im Jahre 1622 zur Kanonisation des Ignatius von Loyola ein Drama über die Bekehrung des Ignatius den zuschauenden Protestanten Vergnügen bereitet habe, da sie den ungewöhnlichen Stoff nicht gekannt hätten. 203 Vgl. Elida Maria Szarota, Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Eine Periochenedition. Bd. I, S. 49; Bd. II, S. 24ff. 49. 204 Elida Maria Szarota, Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Eine Periochenedition. Bd. II, München 1980, S. 12: „Bei aller Macht, die er [sc. Lucifer] über die Menschen hatte, sollte in überzeugender Weise demonstriert werden, daß der Mensch immer die Freiheit hat, seine electio, seine freie Wahl zu treffen, sich für das Gute zu entscheiden. Er hat bis zum letzten Augenblick die Möglichkeit, das Richtige zu wählen, das Böse zu verwerfen: er steht niemals unter einem wirklichen Zwang des Bösen ...“ 205 Zur Bedeutung des freien Willens in Josephsdramen vgl. Ruprecht Wimmer, Die Bühne als Kanzel, S. 161. 206 Vgl. Szarota, a.a.O., S. 18; Wimmer, Neuere Forschungen zum Jesuitentheater des deutschen Sprachbereiches. Ein Bericht (1945–1982), Daphnis 12 (1983), S. 662f. – Dem entspricht der von Szarota, a.a.O., S. 15, statuierte Befund, dass in den Jesuitendramen die caritas die größte Rolle unter den theologischen Tugenden spielt.

772 Ertrag Verhaltensweisen hinaus Einblicke in das Innere von Menschen in bestimmten Situationen zu geben. Dies schließt zwar nicht aus, dass auch in diesem Theater letztlich Typen zur Darstellung kommen, doch nähert sich das Jesuitendrama durch die Vielfältigkeit der Protagonisten und der Situationen, in die diese verwickelt sind, sowie durch die sorgfältige psychologische Zeichnung der Protagonisten einer Beschreibung von Individuen an.207 Ein Beispiel für einen solchen Einblick ins Innere und hier mit einem positiven Ausgang ist das möglicherweise von Matthäus Rader (1561–1634) stammende Drama ‚Theophilus‘, das im Jahre 1596 zur Aufführung kam.208 Im Mittelpunkt steht ein infolge seiner, auf einer Intrige beruhenden Amtsenthebung gekränkter bischöflicher Verwalter. Er geht einen Pakt mit dem Teufel ein, erlangt so seine Wiedereinsetzung und Reputation und nutzt nun die ihm gegebenen Möglichkeiten zur Steigerung seiner Macht. Schließlich aber reut ihn sein Gewissen, die allegorischen Figuren der gratia und poenitentia bemühen sich um ihn und Maria tritt vermittelnd für ihn ein. Schließlich muss der Teufel ihn auf Anweisung Christi freigeben. Dieses Drama verdeutlicht das Zusammenwirken von Eigeninitiative und Gnade. Durchaus indirekt, jedenfalls nicht in aggressiver Weise wird die katholische Heilslehre dargestellt. Der Mensch hat die Wahl, die Gnade bietet ihm die Möglichkeit der Rettung an.209 Dies gilt nicht nur für die gern gezeigten Bekehrungen, sondern auch im Falle jener Protagonisten, von denen gezeigt wird, wie sie ihr Ende in der Verdammung finden. Auch so dienen sie aber als Exempel. Ein Beispiel ist die 1587 in Ingolstadt uraufgeführte Tragödie ‚Udo‘ von Jakob Gretser. Der ursprünglich nicht sehr beschlagene Udo wird von der Gottesmutter mit intellektuellen Gaben beschenkt, die ihm einen Aufstieg ermöglichen, der ihn auf den Thron des Magdeburger Erzbischofs führt. Hier aber wird er hochmütig und beginnt ein ausschweifendes Leben, die Warnungen der Figur des timor Dei missachtet er. Schließlich verfällt er dem Gericht. Das Drama ist eine Warnung, mit den Gaben der Vernunft sorgsam umzugehen.210 Ein weiteres Beispiel für einen – auf den ersten Blick besehenen – negativen Ausgang ist der berühmte ‚Cenodoxus‘ Jacob Bidermanns (1578–1639), dessen Hintergrund eine Legende über die Bekehrung Brunos von Köln, des Gründers des Kartäuserordens, bildet. Cenodoxus ist ein bekannter scholastischer Lehrer, der als höchst gelehrt und moralisch integer gilt. Bei den Trauerfeierlichkeiten für ihn kommt es aber zu einem merkwürdigen Zwischenfall: Drei Tage hintereinander erhebt sich sein Leichnam unter dem Ausruf, er sei von Gott angeklagt, gerichtet und 207 Zu einem etwas anderen Schluss gelangt Elida Maria Szarota, Das Jesuitendrama als Vorläufer der modernen Massenmedien, Daphnis 4 (1975), S. 142f. 208 Nach Jean-Marie Valentin, Le théâtre des jésuites dans les pays de langue allemande. Répertoire chronologique des pièces représentées et des documents conservées (1555–1773). Bd. I, Stuttgart 1983, S. 42 (Nr. 376), ist die Zuweisung an Rader unsicher. 209 Zu diesem Stück vgl. Szarota, a.a.O. Bd. I, S. 25f.; Brauneck, Die Welt als Bühne. Bd. 1, S. 551. 210 Zu diesem Drama vgl. Szarota a.a.O. Bd. I, S. 27ff; Brauneck, a.a.O., S. 550f.; Valentin, Les jésuites et le théâtre, S. 338–341.



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verdammt. Auf dieses schaurige Erlebnis hin entsagt Bruno der Welt und wählt umgehend ein Leben in Einsamkeit und Askese. Mit dem Drama bietet Bidermann eine Darstellung des Innenlebens des Gelehrten: Er, der äußerlich ein gutes Leben führte, war in seinem Inneren alleine vom Ehrgeiz getrieben, hatte nur der Eitelkeit gedient und sein Leben dem leeren Ruhm gewidmet – daher sein Name ‚Cenodoxus‘. Im Angesicht des Todes kann er schließlich nicht mehr zurück. Das Drama stellt eine deutliche Mahnung an die Betrachter dar, dass es ein ‚Zu Spät‘ geben kann und der negative Ausgang unvermeidlich ist. Zugleich zeigt sie aber in Gestalt des Ordensgründers Bruno einen positiven Ausweg auf, der mit Bekehrung, Reue über die Sünden und einem grundlegenden Richtungswechsel im Leben verbunden ist.211 Die Darstellung von Martyrien soll den Triumph des Glaubens belegen, insofern – abgesehen von der Standhaftigkeit des Verurteilten, die seine Rettung verbürgt – mit dem Martyrium immer Bekehrungen verbunden sind.212 So müssen in dem 1576 aufgeführten Drama ‚Katharina von Alexandrien‘ die Philosophen nach der Disputation mit der gelehrt auftretenden Katharina bezeugen, dass Christus alleine Gott sei. Die mit ihnen ebenfalls bekehrte Gattin des heidnischen Kaisers erleidet auch den Märtyrertod. Das unbeirrbare Auftreten der Protagonisten, ihre unbeugsame Haltung bis hin zur Martyriumsbereitschaft, aber auch die Unwiderlegbarkeit ihrer Aussagen evozieren im Sinne der Verfasser die Konversion der Beobachter. Die große Zeit der Märtyrerdramen auf der Jesuitenbühne setzt um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert ein. Befördert wurde das Abfassen von Märtyrerdramen durch die gerade den Jesuitenorden heimsuchende Christenverfolgung in Japan seit 1603.213 Einen weiteren Katalysator könnte die sich zuspitzende Lage in Deutschland gebildet haben, die eine wachsende Heroisierung produzierte.214 In einigen großflächigen Aufführungen ist die Kirche in ihrem Kampf gegen Heidentum und Häresie Thema, ein Kampf, der in diesen Dramen in einen einzigartigen Triumph mündet. 1597 wurde in München zur Einweihung der jesuitischen Michaelskirche der ‚Triumph zu Ehren des heiligen Erzengels Michael‘ mit neunhundert Mitspielern inszeniert.215 Das Drama führt in Aufnahme von Apk 12 den Kampf der Frau mit dem 211 Zu Bidermann und seinem ‚Cenodoxus‘ vgl. jetzt Helmut Gier (Hrg.), Jakob Bidermann und sein „Cenodoxus“. Der bedeutendste Dramatiker aus dem Jesuitenorden und sein erfolgreichstes Stück (Jesuitica. Quellen und Studien zu Geschichte, Kunst und Literatur der Gesellschaft Jesu im deutschsprachigen Raum Bd. 8), Regensburg 2005, dort die Beiträge Julius Oswald, Jakob Bidermann – der Jesuit, S. 79–95, und Hans Pörnbacher, Das Drama von der gefährlichen Selbsttäuschung. Die Botschaft von Jakob Bidermanns Cenodoxus, S. 97–105. Vgl. ferner Valentin, a.a.O., S. 347–353. Als ältere Arbeit s. Rolf G. Tarot, Jakob Bidermanns ‚Cenodoxus‘. Diss. Köln 1960. 212 Vgl. Elida Maria Szarota, Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Bd. 1, München 1979, S. 22. 58f.; Peter Burschel, Sterben und Unsterblichkeit, S. 281f. 213 Vgl. Szarota, a.a.O., S. 58. 214 So Burschel, a.a.O., S. 274, der die Wurzel der Heroisierung in der ‚Aufrüstung‘ in den beiden Vorkriegsjahrzehnten sieht. 215 Zu diesem Stück vgl. Valentin, Les jésuites et le théâtre, S. 259–261; Szarota, a.a.O., S. 33.

774 Ertrag Drachen vor, in dem diese schließlich mit Hilfe des Engels obsiegt. Es stellt eine Allegorie für den Kampf der Kirche gegen Häresie und Abtrünnigkeit dar. In dem 1575 auf dem Münchner Marienplatz über zwei Tage aufgeführten Drama ‚Constantinus Magnus‘, in dem mehr als tausend Darsteller, darunter vierhundert Reiter mitwirkten, besiegt der sich für den katholischen Glauben entscheidende Konstantin seine Gegner.216 Erster Höhepunkt des Stückes ist die Darstellung der Schlacht an der Milvischen Brücke, gedeutet als Sieg des Himmels über die Hölle. Sein eigentlicher Zielpunkt aber liegt in der Krönung Konstantins durch Papst Sylvester und damit in dem Triumph der Kirche im Römischen Reich. Ein Epigramm stellt Analogien zwischen Konstantin und dem bayerischen Herzog Albrecht V. her, der die Inszenierung wohl auch in Auftrag gegeben hatte – Beleg für den engen Konnex zwischen gegenreformatorisch gesinntem katholischem Adel und Jesuitentheater. Typisch für diese Art von Aufführungen sind Massenszenen und massive Effekte. Allerdings ging das Jesuitentheater nicht in derartigen opulenten Vorstellungen auf. Die Darbietungen konnten in großem Rahmen als Freilichtaufführung wie in kleinem Rahmen in der Schulaula bzw. im Atrium des Kollegiums erfolgen.217 Das Thema Häresie wurde aber auch später unter Zuhilfenahme altkirchlicher Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Arianern aufgegriffen, wie etwa in dem ab 1623 immer wieder aufgeführten Drama ‚Hermenegildus‘, wo der katholisch gewordene Königssohn der Westgoten gegen die arianisch eingestellte Mehrheit steht.218

c) Konfessionelle Polemik im Jesuitendrama Fragt man nach dem Wesen des Jesuitendramas, stellt sich auch die Frage nach dem Stellenwert der konfessionellen Polemik in ihm. Dazu werden in der Forschungsliteratur unterschiedliche Auskünfte gegeben. Einer Auskunft zufolge spielt die Polemik im Jesuitendrama nahezu keine Rolle. Es antworte zwar in aller Ruhe auf das wüstere protestantische Theater, lenke aber, geprägt vom Bewusstsein der Unanfechtbarkeit der eigenen konfessionellen Position, den Blick nie von der eigenen Kirche und Lehre weg.219 Einer anderen Auskunft zufolge ist eine frühe, von Polemik geprägte Phase von einer zweiten unpolemischen, ruhigeren Periode zu unterscheiden, in der die Auseinandersetzung mit dem konfessionellen Gegner auf eine subtilere Ebene gehoben und die Vermittlung posi216 Zu diesem Drama vgl. Valentin, a.a.O., S. 247–251; Wimmer, Die Bühne als Kanzel, S. 162f.; Szarota, a.a.O., S. 19f. 217 Vgl. Szarota, a.a.O., S. 7. 218 Vgl. Szarota, a.a.O., S. 45. 65f. 219 So etwa Kai Bremer, Konversion und Konvertiten auf dem Theater der Frühen Neuzeit, S. 432: „Mit dem Aufkommen des Jesuitentheaters in Deutschland... setzten sich im religiös motivierten Drama Themen durch, die primär auf die Festigung des Glaubens zielten und weniger auf konfessionelle Konfrontation.“ S. 440 formuliert er zurückhaltender (Hervorhebung meinerseits): „Auf dem Theater weicht die ecclesia militans zunehmend der ecclesia triumphans.“ Vgl. ferner Brauneck, a.a.O., S. 548.



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tiver Richtlinien angestrebt wurde.220 Letzteren, differenzierenden Ansatz vertritt auch der Germanist Fidel Rädle. Während in einer ersten Phase der konfessionelle Gegner massiv attackiert worden sei, sei man in einer zweiten Phase dazu übergegangen, diesen zu ignorieren.221 Darüber hinaus seien in Bezug auf die Konfessionspolemik nicht nur zeitliche Wandlungen, sondern auch starke lokale Unterschiede zu statuieren. So sei in konfessionell gemischten Städten ein zurückhaltenderer Ton geboten gewesen.222 Rädle macht ferner darauf aufmerksam, dass der konfessionelle Gegner seine Position nur thesenhaft zu Wort bringen durfte und dass von jeder Erläuterung, die ein gewisses Verständnis für die eingenommene Position hätte evozieren können, abgesehen worden sei.223 Damit sei die Überlegenheit der eigenen Position in einem „teilweise geradezu triumphalistischen Theaterbetrieb, einem inszenierten ‚Wir sind wir‘ auf lateinisch“224 vorgeführt worden. Nicht zufällig entstanden tatsächlich in dieser Zeit Dramen, die den Begriff ‚triumphus‘ im Titel führen.225 Das Problem beider Positionen ist erstens, dass sie einen sehr engen Begriff von Polemik voraussetzen, der letztlich von den in Naogeorgs Dramen begegnenden massiv polemischen Elementen ausgeht, und zweitens, dass diese Elemente als konstitutiv für das protestantische Theater erachtet werden, so dass auf dem Hintergrund der dunklen Folie des solchermaßen als (ausschließlich) polemisch erkannten protestantischen Dramas das Jesuitendrama unpolemisch oder zumindest nur in sehr schwachem Maße polemisch erscheinen muss.226

220 Vgl. Jean Marie Valentin, Gegenreformation und Literatur, S. 246; Szarota, Das Jesuitentheater im deutschen Sprachgebiet. Bd. 1, S. 29. 58. 64; Rädle, Das Jesuitentheater in der Pflicht der Gegenreformation, S. 192 (vgl. aber S. 172, wo Rädle äußert, das Jesuitentheater habe während der ersten hundert Jahre die Häresie nicht so sehr in direkter und aggressiver Form bekämpft, womit er der ersten Position nahe kommt); Wolf, a.a.O., S. 185ff. 221 Vgl. Fidel Rädle, Frischlin und die Konfessionspolemik im lateinischen Drama des 16. Jahrhunderts, in: Sabine Holtz – Dieter Mertens (Hrgg.), Nicodemus Frischlin (1547–1590), Stuttgart – Bad Cannstatt 1999, S. 522f. 222 Vgl. Rädle, a.a.O., S. 521f. 223 Vgl. Rädle, a.a.O., S. 523. 224 Rädle, a.a.O., S. 524. 225 Vgl. Rädle, Das Jesuitentheater in der Pflicht der Gegenreformation, S. 192. 226 Vgl. etwa Brauneck ebd.: „Von Beginn an unterschied sich dieses Theater deutlich von dem Spielbetrieb der Protestanten. Während das Reformationstheater den geistlichen Gegner frontal attackierte, in schärfster Satire bloßstellte und mit schonungslosem Spott überschüttete, wandte sich das Jesuitentheater unmittelbar an die gläubigen Seelen.“ In vielen Darstellungen des Jesuitentheaters wird das protestantische Drama ausschließlich mit Naogeorgs Kampfdramen gleichgesetzt. Ein Beispiel ist Fidel Rädle, Theater als Predigt, S. 58, der die Frage der Komik im protestantischen Drama ausschließlich anhand von Naogeorg angeht. – Mit dieser Sicht der Dinge folgt man vermutlich dem Urteil des Petrus Canisius, der zufällig einer Naogeorg-Aufführung in Straßburg beiwohnte, über die er sich später äußerst abfällig äußerte. S.o. Teil B I 1 b), S. 120f.

776 Ertrag Die oben entwickelte Unterscheidung zwischen offener und chiffrierter Polemik lässt sich auch auf das Jesuitentheater anwenden. Der polemische Aspekt kann auch chiffriert erscheinen, indem statt des aktuellen Disputs die altkirchliche Auseinandersetzung mit dem Arianismus auf die Bühne gebracht wird. Anhänger des im altkirchlichen Sinne katholischen d.h. trinitarischen Glaubens gegen die Arianer, seien es Herrscher wie Hermenegildus oder Gelehrte wie Boethius, werden für die römische Kirche in Anspruch genommen, während die – bekanntlich auch von den Protestanten als Irrlehre deklarierte – arianische Position mit der reformatorischen Lehre parallelisiert wird. Dies lässt sich nur so deuten, dass man der reformatorischen Theologie vorwarf, eine Neuauflage der scheinbar längst überwundenen, jedenfalls längst als Irrtum erkannten und verurteilten altkirchlichen Häresie zu sein. Damit wird sie einerseits relativiert und marginalisiert als bloßer Neuaufguss einer alten Irrlehre, andererseits wird sie auf diese Weise dämonisiert, indem ihr unterschoben wird, ihren wahren Charakter hinter der Gestalt einer neuen Lehre zu verbergen und so Produkt einer dämonischen Aktion zu sein, mit der die wahre Kirche immer wieder attackiert wird. In diese Kategorie chiffrierter Polemik ist auch die Bewertung der Reformation als einer Frucht der ignorantia, die notwendig in haeresis münden muss, einzuordnen.227 Gewiss ist es, betrachtet man die Fülle der jesuitischen Dramen, richtig, dass offene grobe Polemik auf der Bühne nur selten anzutreffen ist.228 Gleichwohl ist festzuhalten, dass diese Form der Polemik im hier betrachteten Zeitraum immer wieder begegnet. In der Frühzeit des Theaters ist sie in einigen Dramen zu finden. So wird im ‚Euripus‘ von Brechtus eine scharfe Auseinandersetzung mit der reformatorischen Rechtfertigungslehre geführt.229 In Fabricius’ ‚Samson‘ aus dem Jahre 1568 wird in polemischem Rahmen vor Mischehen mit Protestanten gewarnt.230 Massive Polemik kann aber auch in einem späteren Zeitraum noch angetroffen werden. Deutlich antiprotestantischer Impetus kennzeichnet die Regnum-Humanitatis-Dramen Jakob Gretsers aus der zweiten Hälfte der achtziger Jahre des 16. Jahrhunderts.231 Wenn es in dem Drama ‚Cyriacus‘ von 1596 um den Besitz eines häretischen mariologischen Buches nestorianischer Provenienz geht, das sich für den unbewussten Eigentümer Cyriacus als lebensgefährlich erweist, bis dass es schließlich verbrannt wird, so ist auch dies an sich schon ein klar polemisches Element, steht dies doch im Kontext jesuitischer Bücherverbrennungen.232 Auf der zweiten, die 227 Vgl. Rädle, Das Jesuitentheater in der Pflicht der Gegenreformation, S. 169ff. S. 171 statuiert er: „Der ‚häretische‘ Gegner, den man gleichwohl nie aus dem Auge verliert, wird dadurch, daß man das kostbare Ziel humanistischer Kultur erreicht, gewissermaßen implizit besiegt.“ 228 So Rädle, a.a.O., S. 171. 229 Vgl. a.a.O., S. 188. 230 Vgl. Szarota, Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Bd. 1, S. 19. 231 Vgl. a.a.O., S. 29. 232 Zu diesem Stück vgl. Szarota, Das Jesuitendrama als Vorläufer der modernen Massenmedien, S. 137; Peter Sprengel, Der Spieler-Zuschauer im Jesuitentheater. Beobachtungen an frühen oberdeutschen Ordensdramen, Daphnis 16 (1987), S. 51–57, hier S. 52f.



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Gegenwart betreffenden Handlungsebene wird dann tatsächlich vorgeführt, wie Schriften Luthers und Bezas verbrannt werden, inszeniert als spontane Zuschauerreaktion.233 In manchen Dramen werden somit Reformatoren namentlich erwähnt und heftiger Kritik unterzogen. Ein weiteres Beispiel ist der Münchner ‚Cento Lutheranus‘ von 1602, in dem Luthers Werk als Kompilation alter häretischer Schriften vorgestellt wird. Vier Jahre zuvor erschien ebendort in einem Stück die Gestalt des ‚Lutheranismus‘ als einer von mehreren bösen Geistern auf der Bühne. Bereits in etwas früheren Dramen wurden die Personen der Reformatoren selbst Gegenstand des Spottes.234 Als Ergebnis erweist sich der Schluss als unumgänglich, dass der Polemik im Jesuitentheater doch größere Bedeutung zukommt, als ihr gemeinhin von Forscherinnnen und Forschern des Jesuitentheaters zugewiesen wird. Dies legt sich schon von daher nahe, als – wie durchaus auch von Forschenden herausgearbeitet wurde, die das Jesuitentheater in nur geringem Maße von Polemik geprägt sehen –, der protestantische Gegner in fast allen Dramen präsent ist, sei es als Bekämpfter oder schon Besiegter.235 Dies gilt für die offene Form der Polemik, erst recht aber für die chiffrierte Gestalt derselben. Andererseits ist die Feststellung richtig, dass das Jesuitentheater nicht in Polemik aufgeht, was wesentlich dem großen Stoffreservoir und der Orientierung an individueller Psychologie zu verdanken ist. Primär ist das Jesuitendrama an dem Zweck orientiert, dem Menschen in den Entscheidungssituationen, in die er gestellt ist, Hilfe zu geben, die richtige Wahl zu treffen. Dies schließt zwar die Anerkennung der katholischen Lehre, die Bekehrung zum katholischen Glauben mit ein, geht aber noch erheblich weiter. Insofern ist die Polemik tatsächlich kein konstitutives Element dieses Theatertypus.

d) Strukturelle Merkmale des Jesuitentheaters Für den Aufschwung des Jesuitentheaters sind äußere und strukturelle Faktoren namhaft zu machen. An erster Stelle ist dabei die gezielte Begünstigung des Jesuitentheaters durch den katholischen Adel zu nennen. Besondere Förderung erfuhr es seitens der bayerischen Herzöge. Infolge dieses Einflusses wandelte es sich vom reinen Schultheater zum Theater für das Volk und wurde zudem Teil der Hofkultur.236 Die Ziele des Jesuitentheaters entsprachen den Zielen der katholischen Obrigkeiten, so dass diese in ihm ein willkommenes 233 Dies hat Sprengel, ebd. herausgearbeitet; vgl. S. 54–57. 234 Vgl. Rädle, a.a.O., S. 190. – 1565 wurde in Köln ein ‚Dialogus de Luthero, Calvino et Anabaptistis‘ aufgeführt; Vgl. Jean-Marie Valentin, Le théâtre des jésuites dans les pays de langue allemande. Répertoire chronologique des pièces rprésentées et des documents conservées (1555–1773). Bd. 1, Stuttgart 1983, S. 5. 235 Szarota, a.a.O. Bd. 1, S. 58, formuliert: „Latent ist dieser Kampf fast in jedem Stück vorhanden.“ Vgl. Rädle, a.a.O., S. 171. 236 Vgl. Fidel Rädle, Das Jesuitentheater in der Pflicht der Gegenreformation, S. 194ff. Ein herzoglicher Erlass von 1590 schrieb für Bayern zudem Kollegaufführungen zur jährlichen Prämienverteilung zu Beginn des neuen Schuljahres vor; vgl. Sprengel, Spieler-Zuschauer, S. 83f.

778 Ertrag Instrument der gegenreformatorischen Indoktrination sahen.237 Über dieser von außen kommenden Unterstützung, die wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde, sind aber auch strukturelle, in Wesen und Praxis des Jesuitenordens verankerte Faktoren für den Aufstieg des jesuitischen Theaterwirkens in Anschlag zu bringen. So war es zunächst grundsätzlich ein großer Vorteil für das Jesuitentheater, dass es von einer homogenen, durch eine einheitliche Regel und Spiritualität geprägte Gruppe innerhalb der katholischen Kirche getragen war. Dies leuchtet unmittelbar ein, wenn man das protestantische Theater zum Vergleich heranzieht. Auch wenn, wie gezeigt, nicht von einer wirklich einheitlichen Konzeption des Jesuitendramas gesprochen werden kann, ebenso wenig davon, dass es auf einer uniformen Theorie basierte, so handelt es sich doch um „... ein bei aller Vielgestaltigkeit unverwechselbares Theater“.238 Dem entspricht auch das Faktum, dass es in ihm zu keiner Entwicklung von unterschiedlichen regionalen Ausprägungen gekommen ist.239 In der Existenzweise des Trägerkreises als Orden liegt ein zweiter katalysierender Faktor begründet, der zugleich ein wesentliches strukturelles Merkmal des Jesuitentheaters bildet. Es handelt sich um die Planmäßigkeit, mit der die Theatertätigkeit in Angriff genommen wurde. Dass die Vertreter des Ordens das Abfassen von Dramen auf ganz andere Weise angingen als protestantische Dramenautoren, wird zunächst an der dramatischen Produktion mancher Ordensdramatiker deutlich. So umfasst das dramatische Werk Jakob Bidermanns (1578–1639) 11 bzw. 12 Dramen und dasjenige Jakob Gretsers (1562–1625) sogar 23 Dramen – eine Quantität, die von keinem der protestantischen Dramatiker in dem hier betrachteten Zeitraum auch nur annähernd erreicht wird.240 Das Faktum der Planmäßigkeit zeigt sich aber auch in der Aufführungspraxis. So ging man auf die Aufführungen im Jesuitentheater in zielstrebiger Weise zu. Neu eingerichtete Schulen begannen umgehend mit dem Einstudieren von Stücken und mindestens einmal im Schuljahr wurde ein Stück auf die Bühne gebracht.241 Die Aufführungen wurden in keiner Weise 237 Vgl. Rädle, a.a.O., S. 197f. Der Adel galt entsprechend als bevorzugter Teil des Publikums, was sich auch in der Begrüßung durch den Prologus niederschlug. 238 Ruprecht Wimmer, Jesuitentheater. Didaktik und Fest, S. 9. 239 Erich Kleinschmidt, Stadt und Literatur in der Frühen Neuzeit, Köln – Wien 1982, S.  200: „Überlokaler Initiative, Disposition und Finanzierung verdankt nur das jesuitische Schultheater in den Städten sein Leben, das folglich auch zu einer fast zweihundertjährigen Tradition ohne Ausbildung regionalistischer Sonderformen fand.“ 240 Die posthume Ausgabe der Dramen Bidermanns von 1666 wurde von Rolf Tarot herausgegeben: Jakob Bidermann, Ludi theatrales 1666, hrg. v. Rolf Tarot. 2 Bände, Tübingen 1967. Die Ludi theatrales boten neun Dramen und ein kurzes Deklamationsstück. Zwei weitere Dramen Bidermanns wurden textlich nicht überliefert; vgl. Bd. II, S. 27*ff. Zu Gretser vgl. Rolf Decot, Art. ‚Gretser, Jakob‘, RGG4 3, Sp. 1276; Valentin, Les jésuites et le théâtre, S.301–333. 241 Dies zeigt etwa das Beispiel von Siegen, das 1626 durch ein Religionsedikt des katholischen Grafen Johann des Jüngeren katholisch wurde, wobei die Lateinschule in ein Jesuitengymnasium umgewandelt wurde: Bereits 1627 bringen die Schüler ein Drama zur Aufführung; vgl. Hans Kruse, Ge-



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dem Zufall oder dem ingenium oder dem Willen eines Lehrers überlassen. Die Zuständigkeit war genau festgelegt: Dem Rhetorik- und Poetiklehrer der letzten und vorletzten Klasse des Gymnasiums oblag es, die Stücke für die planmäßigen Aufführungen abzufassen und diese mit den Schülern zu inszenieren, damit die Funktion des ‚choragus‘ einnehmend.242 Beide Tätigkeiten waren als seine Pflicht deklariert. Vergleichbares lässt sich im protestantischen Theater nicht erkennen. Allein der Titel ‚choragus‘ zeigt, wie ernst diese Aufgabe genommen wurde. Einen letzten, nicht zu vernachlässigenden katalysierenden Faktor für die Entwicklung des Jesuitentheaters bildet der Gedanke der aemulatio und concertatio, des Eifers und Wettkampfes der Schüler.243 Ziel der aemulatio war die Verbesserung von Schülern durch gegenseitigen Wettbewerb innerhalb einer Klasse oder aus nächstfolgenden Klassen. Eine Steigerung der aemulatio war die concertatio in Gestalt eines offenen Wettkampfes, wiederum innerhalb einer Klasse oder zwischen benachbarten Klassen. Dabei war jeder Schüler aufgerufen, mögliche Fehler bei seinem Konkurrenten sofort zu korrigieren. Eine Gestalt der rhetorischen concertatio bestand in einer fingierten Gerichtssitzung. Indem die concertatio so das begrenzt-öffentliche Auftreten des Schülers übte und durch die Konkurrenzsituation seine Leistungsbereitschaft und seinen Eifer anspornte, bewirkte sie in indirekter Weise eine Förderung der Praxis des geistlichen Theaters. Die rhetorische concertatio stellte aber durch die ihr eigene Rollenspielform auch eine direkte Unterstützung in dieser Hinsicht dar. Wenn Theodor Ballauf und Klaus Schaller in ihrer Pädagogik-Geschichte formulieren: „Die literarischen Wettkämpfe der Schüler trugen viel zur dramatischen Belebung der alten Schule bei,“244 so ist dies, wie der Kontext zeigt, sicher in übertragener Weise im Sinne einer dem Lernen zugute kommenden Auflockerung gemeint, doch lässt sich dies auch als auf dasjenige bezogen verstehen, was mit der concertatio gegeben ist: den Interaktions- und Darbietungscharakter. Die concertatio transponierte so die Dramatik in den Unterricht selbst und verankerte sie in diesem. All diese Gegebenheiten belegen, dass der Professionalisierungsgrad des Jesuitentheaters höher anzusetzen ist als der des protestantischen Theaters. Sie legen ferner die Vermutung nahe, dass die Jesuiten das Theater gezielt als Medium zur Durchsetzung ihrer Ziele einsetzten. Auf diesem Hintergrund ist Elida Maria Szarota zu der Einschätzung gekommen, die Jesuitendramen hätten die Funktion von Massenmedien eingenommen, welche die Kommunikation mit Anhängern, Zöglingen und den Schichten der Bevölkeschichte des höheren Schulwesens in Siegen 1536–1936, Siegen 1936, S. 68f. Vgl. ferner Ruprecht Wimmer, Jesuitentheater, Didaktik und Fest, S. 2. 242 Vgl. Fidel Rädle, Lateinisches Theater fürs Volk. Zum Problem des frühen Jesuitendramas, in: Zwischen Festtag und Alltag. Zehn Beiträge zum Thema „Mündlichkeit und Schriftlichkeit“, hrg. v. Wolfgang Raible, Tübingen 1988, S. 135f. 243 Zu aemulatio und concertatio in der jesuitischen Pädagogik vgl. Theodor Ballauf – Klaus Schaller, Pädagogik. Eine Geschichte der Bildung und Erziehung. Bd. II. Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Freiburg – München 1970, S. 96f. 244 A.a.O., S. 97.

780 Ertrag rung herstellen sollten.245 Das Jesuitentheater weise die charakteristischen Merkmale von Massenmedien auf, wozu Szarota die ständige Einführung von Neuerungen, etwa im Stoff sowie im bunten Spektrum an Figuren vom Himmel bis zur Hölle und an – burlesken bis grausigen – Szenen wie auch an besonderen Effekten wie Blitzen zählt.246 Dies alles sei bewusst erfolgt: Die Jesuiten hätten im Wissen um den Menschen als Augenwesen eine Vorliebe für die visuelle Wahrnehmung entwickelt, wie die häufiger wiederkehrende Aufnahme von Höllenstürzen und Folter belegt, und sie hätten im Wissen um die Wirkung bestimmter Formeln und Szenentypen darum gewusst, auf welche Weise im Betrachter Furcht und Schrecken erweckt werden könnten. Damit, so Szarota, liege der – von ihr im weiteren Verlauf deutlich negativ beurteilte – Sachverhalt einer Manipulation des Publikums vor.247 Dem hält Ruprecht Wimmer zwar entgegen, dass der Orden nie seine Ziele verheimlicht hätte,248 doch trägt dies bei genauerem Hinsehen wenig aus, ist doch kaum damit zu rechnen, dass der theologisch unbedarfte Zuschauer die einschlägigen Traktate oder Passagen der Schulbücher gelesen hatte. Die Wirkung der Predigt aber wurde ohnehin nicht sehr hoch eingeschätzt, weswegen man gerade auf das Medium Theater zurückgriff.249 Somit dürfte der Adressat tatsächlich eher über das je nach Perspektive zweifelhafte Glück verfügt haben, im Theater implizit, suggestiv überzeugt zu werden, so gewiss eine mit dem Begriff ‚Manipulation‘ möglicherweise konnotierte Unaufrichtigkeit der Jesuitenpatres sicherlich auszuschließen ist,250 bildet doch dieser Vorwurf einen Topos, der sich selber gegenteiliger konfessioneller Polemik verdankt.

e) Das Problem der Latinität Der Klassifikation des Jesuitendramas als Massenmedium scheint nun ein Faktum massiv zu widersprechen: die strenge Beschränkung auf die Latinität, die auch dem intendierten Zweck eigentlich völlig zuwiderläuft.251 Die Ratio studiorum von 1599 verbot endgültig sogar volkssprachliche interludi.252 Auch wenn man in Rechnung stellt, dass manche lateinische Formeln aus der Liturgie bekannt waren, so konnte doch die große Masse dem dargebotenen Text nicht wirklich folgen. Es stellt sich die Frage, was die Jesuiten zu dieser 245 Elida Maria Szarota, Das Jesuitendrama als Vorläufer der modernen Massenmedien, Daphnis 4, 1975, S. 129.134. 246 Vgl. a.a.O., S. 132f. 247 Vgl. a.a.O., S. 134f. Vgl. S. 137f. 248 Vgl. Ruprecht Wimmer, Neuere Forschungen, S. 671. 249 Nach Rädle, Lateinisches Theater, S. 133, ist die Aufführung eine gesteigerte Predigt. 250 Vgl. Wimmer, ebd. 251 Rädle, Das Jesuitentheater in der Pflicht der Gegenreformation, S. 193 Anm. 105: „Der Einsatz der lateinischen Sprache vor einem Publikum, das zum weitaus größten Teil des Lateins unkundig oder gar analphabetisch ist, bleibt allerdings ein letzten Endes ungelöstes und unlösbares Problem der Theaterpraxis bei den Jesuiten.“ 252 Ratio studiorum 1599, Regula rectoris 13, a.a.O., S. 371.



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Entscheidung bewog. Ein Beweggrund war sicher, dass sich der Jesuitenorden als einzig legitimen Sachwalter des wahren Humanismus ansah.253 Zugleich nahm die Verwendung des Lateinischen die Gestalt eines Bekenntnisses gegen die auf die Volkssprache setzende Reformation ein.254 Diese Sprache war als Sprache der römischen Kirche und der Messe ein Symbol der Einheit der Kirche, ein Kennzeichen der Kontinuität der Kirche und ein Zeichen der Verbindung mit Rom. Dieser Wertung entspricht durchaus die Einordnung der haeresis als Folge der Untugend der ignorantia.255 Damit ergab sich aber der bemerkenswerte Umstand einer Zweistufen-Zuschauerschaft. Während Kleriker oder auch höhere Beamte dem lateinischen Text folgen konnten, das Stück in allen seinen Schichten aufzunehmen in der Lage waren, war dies den unteren Schichten verwehrt. Diese waren in ihrer Wahrnehmung des Stückes beschränkt oder auf andere Hilfsmittel angewiesen. Bevor auf letzteres eingegangen wird, stellt sich aber die Frage, wie auf diesen Personenkreis eine derartige Aufführung wirken musste. Man dürfte nicht fehlgehen in der Vermutung, dass jene Gruppe die Darbietung wohl als Mysterium, in gewisser Analogie zur Messe aufnahm. Dass eine heilige Geschichte dargeboten wurde, dass es um individuelles Erlangen oder Verfehlen des Heils ging, dass himmlische und höllische Mächte auf den Protagonisten einwirkten, konnte auch von jener Gruppe erspürt werden. Damit war aber auch das Bewusstsein für die Frage erweckt, wie es um das eigene Leben, um den eigenen Status in Bezug auf Heil oder Verdammnis stand – womit im Sinne der Initiatoren des Theaters schon sehr viel erreicht war. Dem Aufnahmevermögen jener großen Gruppe entgegenzukommen geschuldet war der Umstand, dass das Jesuitentheater darauf verzichtete, komplexe theologische Fragen auf die Bühne zu bringen.256 Das Verständnis eines Stückes wurde auch dadurch erleichtert, dass es als weniger auf den Intellekt als auf den Affekt zielend gedacht war. Es sollte mehr über die evozierten Emotionen wirken. Während, typisch für das protestantische Theater, Andreas Lucas für sein Abraham-Drama in Aufnahme der antiken Rhetorik mit ihren drei vom Redner zu berücksichtigenden Aufgaben das movere und docere als Zweck herausstellt, ist für das Jesuitentheater das movere bzw. flectere und das delectare konstitutiv.257 Gleichwohl erschien die Situation, dass die Majorität vom vollen Verständnis eines Dramas ausgeschlossen war, auf Dauer unbefriedigend. Nach längerer spielpraktischer Erfahrung wurde seitens der Jesuiten die Notwendigkeit erkannt, Mittel zu finden, durch die bei den Lateinunkundigen doch eine möglichst große Wirkung erreicht werden konnte. Ein solches Mittel sah man in den ab 1597 eingeführten Periochen (von περιοχή: Inhalt, Umfasstes). In diesen Programmen wurde der Inhalt des Dramas sowie 253 Vgl. Rädle, Das Jesuitentheater in der Pflicht der Gegenreformation, S. 176. 254 Vgl. Rädle, Lateinisches Theater, S. 138. 255 Vgl. Rädle, Das Jesuitentheater in der Pflicht der Gegenreformation, S. 169ff. Vgl. ders., Theater als Predigt, S. 45. 256 Vgl. Rädle, Das Jesuitentheater in der Pflicht der Gegenreformation, S. 188. 257 Vgl. Rädle, Theater als Predigt, S. 57.

782 Ertrag Beschreibungen der einzelnen Szenen in lateinischer und deutscher Sprache angegeben, wodurch dem lateinunkundigen Publikum eine stärkere Teilnahme ermöglicht wurde. Dass in den Periochen ferner die einzelnen Darsteller, die Schüler verzeichnet waren, trug nicht unerheblich zur Identifikation mit der Institution bei; auch dies stärkte also die Teilnahme, besonders der Verwandten der Darsteller. Dass die Einführung der Periochen tatsächlich den Sinn hatte, alle Lateinunkundigen zu erreichen, erhellt aus der ersten, zur Münchner Aufführung des Triumphs des Erzengels Michael gedruckten Perioche.258 Auf der anderen Seite ist aber festzuhalten, dass nur ein Teil des Publikums tatsächlich in den Besitz von Periochen kam, nämlich die Honoratioren.259 Ebenso ist darauf zu verweisen, dass zum Publikum auch illiterati gehörten. Die Periochen können also nur sehr begrenzt als Kompensationsmittel für die exklusive Latinität in Anspruch genommen werden. Eine weitere Möglichkeit, das Verständnis des Stückes beim nicht-lateinischsprechenden Publikum zu fördern, lag in der verstärkten Verwendung sichtbarer Effekte, der Darbietung beeindruckender, erschüttender Bilder und Schlüsselsituationen. Dabei ging es aber weniger um aufsehenerregende Szenenteile als um verdeutlichende Darstellungen, um die Umsetzung der Handlung in Schaubares, z.B. durch den Einsatz eindeutiger Symbole.260 Dies geschah etwa in der Gestaltung der Gewänder, die ihre Träger auf bestimmte Weise kennzeichneten und so zu Vehikeln einer fest umrissenen und als solcher verstehbaren Botschaft wurden. Ebenso wurde das System der Gesten perfektioniert. Als besonders wirksames Instrument wurde das Auftreten selbst redender Allegorien erkannt, die, wiederum gekennzeichnet durch Symbole und Gewänder, eine bestimmte innere Haltung oder Zustand, eine Tugend oder ein Laster repräsentierten.261 Erhebliche Bedeutung kam schließlich der Musik zu. Ein Charakterzug der Aufführung eines Jesuitendramas wurde so die Multimedialität.262

258 Dort heißt es in der Einführung, zitiert nach Szarota, Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Bd. 1, S. 8: „Damit aber ein jeder leichter fassen und verstehn möchte / was auff dem Theater fürgehet / und was iedes bedeuttet / so ist aller Act: und ieder Scenen summarischer Innhalt kürtzlich allhie verfasset worden.“ 259 Vgl. Ruprecht Wimmer, Neuere Forschungen, S. 689 Anm. 537, der so die Beurteilung der Periochen als Beitrag zu einer Demokratisierung des Jesuitentheaters in Frage stellt, wie sie Szarota, Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Bd. 1, S. 11, vorbringt. Vgl. auch das Urteil Rädles, Lateinisches Theater, S. 143: „Obwohl sich die Periochen offensichtlich bewährt haben, wird man sagen können, daß auch sie den einfachen Zuschauer nicht in den Stand setzen konnten, die lateinischen Dialoge auf der Bühne zu verstehen.“ 260 Vgl. Rädle, Lateinisches Theater, S. 144. 261 Vgl. a.a.O., S. 144ff. Szarota, a.a.O., S. 49, betont, mit den Allegorien habe man leicht Kontakt zum Publikum herstellen können. 262 Vgl. Burschel, a.a.O., S. 268. Zur Multimedialität des Jesuitentheaters, besonders in der späteren Zeit, vgl. Barbara Bauer, Multimediales Theater. Ansätze zu einer Poetik der Synästhesie bei den Jesuiten, in: Renaissance-Poetik, hrg. v. Heinrich F. Plett, Berlin – New York 1994, S. 197–238.



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4. Zur Frage der Wirkung des Jesuitentheaters Mit diesen Ausführungen ist bereits das Thema der Wirkung des Jesuitentheaters berührt. Dabei stellt sich auch die Frage, ob die Jesuiten mit ihrer Form des Theaters eher in der Lage waren diese zu steuern, d.h. die Wirkung auf die Adressaten im Griff zu halten. Unbestritten ist die Feststellung Valentins, dass das Jesuitendrama neben Predigt, Gebet- und Gesangbuch, Kongregationsheften und Katechismen „... eines der wichtigsten Medien des gegenreformatorischen Gedankenguts im städtischen und kleinstädtischen Milieu gewesen ist.“263 Was auffällt, ist allerdings die Tatsache, dass die Wirkung des Theaters von den Jesuiten selbst als sehr hoch eingeschätzt wurde. Dass man um die Feststellung wie um das Festhalten der Wirkung einer Aufführung sehr bemüht war, belegen die Diarien der Kollegien, in denen häufig Reaktionen von Zuschauern Erwähnung finden. Besonders hervorgehoben wurden dabei Äußerungen von Lutheranern, die sich nach Ausweis der Diarien zuweilen von der Darbietung beeindruckt zeigten.264 Immer wieder ist zudem von massiven spontanen Reaktionen die Rede, einerseits von Konversionen zu monastischen Lebensformen, andererseits von Bekehrungen anwesender Lutheraner. Nun bildeten Bekehrungen von der Häresie ein wesentliches Ziel des Ordens. Insofern leuchtet es ein, dass die entsprechenden Zeugnisse, wie die Konversion einer Magd bei der Aufführung des Dramas ‚Johannes von Damaskus‘ in Bamberg im Jahre 1622, gezielt überliefert wurden.265 Die Aufführung des ‚Rosarium Beatae Virginis Mariae‘ 1597 in München bot die Bekehrung eines jugendlichen Häretikers dar und hatte, wenn nicht selbst die Bekehrung von Häretikern, so doch die Erweckung von Bekehrungseifer im Publikum zum Ziel.266 In Bezug auf den Wahrheitsgehalt derartiger Mitteilungen erheben sich allerdings Einwände. Dies gilt zumal hinsichtlich des berühmten Berichts über die Hinwendung von 14 adligen Hofbeamten zum monastischen Leben nach der Münchner CenodoxusAufführung 1609. In diesem schließt der Chronist: Die Darstellung des Stückes hat große Bewegungen in den Gemütern der Zuhörer hervorgebracht. Hier wurde mit einer Aufführung von wenigen Stunden bewirkt, was hundert Predigten kaum hätten zustande bringen können. Diese Darstellung, die der 1666 erschienenen Sammlung von Dramen Bidermanns vorangestellt wurde – es handelt sich also um einen recht späten Beleg –, wird heute zumeist nicht mehr als wirkliches Zeugnis anerkannt. Es handelt sich wohl

263 Jean Marie Valentin, Gegenreformation und Literatur, S. 256. 264 Vgl. Rädle, Das Jesuitentheater in der Pflicht der Gegenreformation, S. 184. 265 Nach dem Bericht des Bamberger Kollegs hielt die Magd das Wunder, dass Maria die abgehackte Hand des Johannes wieder anfügte – Johannes war nach der Überlieferung das Opfer einer Intrige des ikonoklastischen Kaisers geworden, der ihn, den Bilderverteidiger, bei seinem muslimischen Oberherrn als Teilnehmer an einer byzantinischen Verschwörung verleumden ließ – für ein reales Geschehen; vgl. Rädle, ebd. 266 Vgl. Rädle, ebd. und dazu Anm. 63.

784 Ertrag um eine Leseanleitung für die Dramen.267 Die Bekehrung der Beamten steht analog zu der am Ende des Stückes gezeigten conversio Brunos und seiner Gefährten. Bruno und seine Gefährten sind so die idealen Zuschauer fiktionaler Art, die nun in das reale Publikum transponiert werden.268 In der Perioche zur Ingolstädter Aufführung des ‚Cenodoxus‘ von 1617 wird zum letzten Akt der Zuschauerstatus Brunos prägnant zum Ausdruck gebracht: „Bruno spectator huius Tragoediae, ne et ipse fieret actor, vitam Deo dicat.“269 Auf der Bühne kommt also nicht nur die reine Spielebene zur Geltung, sondern bereits die Zuschauerebene, insofern als im Spiel bzw. auf der Bühne der ideale Zuschauer bereits die von den Initiatoren für das Spiel erhoffte Wirkung in die Tat umsetzt. Keinesfalls ist demnach von spontanen Zuschauerreaktionen auszugehen, sondern von bewussten Inszenierungen.270 Es gehört somit mit zur Selbstinszenierung des Jesuitentheaters, zum Gesamtkonzept der Aufführung, die Ebene von Zuschauern und Mitspielern miteinander zu verschränken. Dies führte aber dazu, dass in den Berichten, ob bewusst oder unbewusst, allzu leicht Spielebene und Zuschauerebene ineinander verschwimmen konnten und die erhoffte Wirkung bereits als de facto eingetretene Wirkung zur Sprache gebracht werden konnte. Negativ formuliert: Es bestand die Neigung, die erfahrene Wirklichkeit der im Spiel gezeigten höheren Wirklichkeit anzupassen. Die entsprechenden Berichte zeigen aber auf, wie jesuitischerseits die Idealwirkung einer Aufführung gesehen wurde und damit belegen sie, welcher Stellenwert diesem Medium beigemessen wurde. Allein die Tatsache, dass Berichte über die Aufführungen – ungeachtet ihrer jeweiligen realen oder nur erhofften Wirkung – in den Diarien der Kollegien erschienen, zeigt den größeren Stellenwert des Theaters. Dazu sind sie Ausdruck des Willens, das jesuitische Theater als wirkmächtiger als das protestantische darzustellen: „Eine gute dramatische Aufführung war, bei der außerordentlichen Resonanz solcher Ereignisse, der strahlende Beweis für die Überlegenheit einer Weltanschauung und eines Bildungssystems ...“271 Modern gesprochen, kennzeichnet das Jesuitentheater ein besseres Marketing als das protestantische Theater. Die Jesuiten spielten nicht nur Theater, sie sorgten zugleich auch für das Prestige der Aufführungen. Sibylle Appuhn-Radtke führt dies auf die aus der 267 Vgl. Günter Hess, Spectator – Lector – Actor. Zum Publikum von Jacob Bidermanns „Cenodoxus“. Mit Materialien zum literarischen und sozialgeschichtlichen Kontext der Handschriften von Ursula Hess, Internationales Archiv für Sozialgeschichte der Literatur 1 (1976), S. 30–106, dort S. 88f. Abdruck der das Zeugnis beinhaltenden Praemonitio ad Lectorem aus den Ludi theatrales Bidermanns; vgl. in der Ausgabe von Rolf Tarot (Hrg.), Jakob Bidermann, Ludi theatrales. Bd. 1, Tübingen 1967, S. (+ 8b). 268 Vgl. Peter Sprengel, Spieler-Zuschauer, S. 50. 269 Jakob Bidermann, Cenodoxus, in: Ders., Ludi theatrales. Bd. 1, hrg. v. Rolf Tarot, Tübingen 1967, S. 164. 270 Sprengel, a.a.O., S. 56f., hat dies auch wahrscheinlich gemacht für die Bücherverbrennung nach der Theophilus-Aufführung in München im Jahre 1596. 271 Rädle, Das Jesuitentheater in der Pflicht der Gegenreformation, S. 198.



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Armut des Ordens begründeten Notwendigkeit, Werbung und Imagepflege zu betreiben, zurück: „Das Armutsgebot des Ordens, das diesen immer wieder von potenten Stiftern abhängig machte, legte stets eine Selbstdarstellung bzw. eine Präsentation erzielter Erfolge nahe.“272 Kam so der Aufführung als solcher der Charakter der Repräsentation der Schule und der Werbung für sie zu – auch aus diesem Grunde trat der Autor in den Hintergrund und galt das Stück als Stück der Schule –, so sollte dieser Charakter nach der Aufführung in anderen Medien seinen nachhaltigen Ausdruck finden. Zur Aufführung gehörte nach jesuitischem Konzept konstitutiv auch die Dokumentation und die memoria derselben.273 Ohne Zweifel hat das Jesuitentheater seinen eigenen Mythos geschaffen: Es hat seine eigene Praxis kultiviert, indem es an seinem Ruf mitschrieb. Diese Feststellung entbindet aber nicht von der Frage, wie die reale Wirkung des Jesuitentheaters zu beschreiben ist. Dass auch von direkter Einwirkung jesuitischer Aufführungen unberührte protestantische Quellen – sie werden im Anschluss besprochen – in eher furchtsamem Ton eine nachhaltige Wirkung derselben konstatieren, spricht eher für die Möglichkeit, dass vom Jesuitentheater tatsächlich eine starke Wirkung ausging. Protestantische Warnungen vor ihrem Besuch sprechen hier eine beredte Sprache. Freilich könnten auch solche Meldungen Reflex der jesuitischen Theaterwerbung sein, im dem Sinne, dass ihm sein ‚Ruf‘ vorauseilte. Doch ist insgesamt in Rechnung zu stellen, dass sowohl das Faktum der sorgfältigen Vorbereitung einer Aufführung wie auch die gewählten Stoffe und dazu die eingeplanten Effekte eine deutliche Wirkung garantierten. Insgesamt dürfte, auch unter Einbeziehung der Latinität, die ohne Zweifel ein retardierendes Moment für die Wirkung bildete, Fidel Rädle zuzustimmen sein, wenn er urteilt: „Indem das Jesuitentheater in einem klug abgestimmten Verhältnis religiöspädagogische Weisung mit einer alle Sinne ansprechenden Unterhaltung und Erheiterung verband, also das prodesse und delectare der klassischen Poetik verwirklichte, übte es eine nicht zu unterschätzende ‚affirmative‘ und solidarisierende Wirkung auf das Volk aus...“274 Zugleich ist festzuhalten, dass auch das Jesuitentheater vor allem ein städtisches Publikum, nicht aber die Bauern erreichte.275 Es verstand sich eben auch als elitäres, humanistisches Theater.276

272 Appuhn-Radtke, a.a.O., S. 35. 273 Vgl. Appuhn-Radtke, ebd.: „Lief eine Feier als Theateraufführung oder rhetorischer Akt ab, so bildeten Graphiken, Thesen- und Promotionsblätter, Festschriften und Nachstiche der Festdekorationen geeignete Medien, das jeweilige Ereignis in Erinnerung zu halten. Sie konnten damit ihrerseits zur Grundlage neuer Traditionen werden.“ 274 Rädle, ebd. 275 Vgl. Sprengel, Spieler-Zuschauer, S. 96f. 276 Dies belegt eine von Fidel Rädle, Lateinisches Theater, S. 143 mit Anm. 33, wiedergegebene briefliche Bemerkung von Georg Stengel, der von seinem 1617 aufgeführten ‚Deiparae Virginis Triumphus‘ schreibt, das Schauspiel tauge nichts für das gewöhnliche Volk („Comoedia ... tamen est ita facta, ut etiam pro vulgo non sit ...“).

786 Ertrag

5. Jesuitendrama und -theater und protestantisches Drama und Theater Als letzter zu betrachtender Aspekt stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von protestantischem Theater zum Jesuitentheater. Im Rahmen dieser Fragestellung soll zum einen untersucht werden, wie Theoretiker und Praktiker des protestantischen Theaters oder andere mit diesem Betraute das Jesuitentheater beurteilten und welche Konsequenzen sie aus ihrer Einschätzung für die eigene Theaterpraxis zogen.277 Zum andern soll die Frage verfolgt werden, inwieweit Einflüsse des protestantischen Theaters auf das Jesuitentheater und solche in umgekehrter Richtung zu konstatieren sind.

a) Protestantische Äußerungen zum Jesuitentheater Protestantische Aussagen zum Jesuitentheater entstammen zum einen jesuitischen Quellen, die entsprechende Zeugnisse, die naturgemäß ausnahmslos positiven Charakters sind, akribisch notieren. Zum andern finden sich einschlägige Äußerungen bei Vertretern des protestantischen Theaters, die allerdings ihre Information nicht unbedingt aus erster Hand erhalten haben müssen, wiewohl in konfessionell gemischten Städten jesuitische Quellen mit Wohlwollen die Anwesenheit protestantischer Lehrer bei Aufführungen zur Kenntnis geben, die zum Teil sogar zuvor eingeladen wurden.278 Die im Folgenden beigebrachten Äußerungen von Vertretern des protestantischen Theaters sind Urteile negativer Natur, bei denen aber zugleich Achtung und Respekt vor diesem Institut zum Ausdruck kommt. Offenkundig wurde das Jesuitentheater protestantischerseits als massive Konkurrenz und mit einer gehörigen Portion Neid betrachtet. Dies gilt für Polykarp Leysers Äußerung aus dem Jahre 1590. Er kommt zu dem Urteil, die Jesuiten hätten die Vorzüge des Theaters hervorragend verstanden. Die Nachhaltigkeit des Mediums bewirke, dass sie den Unglauben „... dem gemeinen Mann also fÜrgetragen fÜr augen stellen / vnd ins hertz einbilden / das es jnen hernacher nimmermehr / oder ja mit grosser mÜhe heraus genomen werden kan.“279 Zu Hilfe nähmen die Jesuiten dabei auch Pomp und Pracht. Eine ähnliche Sicht verrät eine Bemerkung des Rektors des Hildeshei277 Der umgekehrten Frage, wie jesuitische Praktiker und Theoretiker über das protestantische Drama und Theater urteilten, soll hier nicht nachgegangen werden. Dies würde eine wesentlich intensivere Quellenarbeit im jesuitischen Schrifttum voraussetzen. Hingewiesen sei hier auf das o.g. negative Urteil des Petrus Canisius über eine Naogeorg-Aufführung. Insofern dieses Faktum weithin die Perspektive der Interpreten des Jesuitendramas auf das protestantischen Dramas mitsteuert, bildet die Untersuchung dieser Frage in der Tat ein dringendes Desiderat. 278 Vgl. Rädle, Das Jesuitentheater in der Pflicht der Gegenreformation, S. 182, in Bezug auf die Joseph-Aufführung in Augsburg im Jahre 1583. Den Lehrern des Anna-Gymnasiums hatten die Prediger allerdings den Besuch untersagt, dennoch erschienen fünf von ihnen. – Zu den Wirkungen des Jesuitentheaters auf Protestanten in Süddeutschland vgl. Rädle, a.a.O., S. 181–185. 279 Leyser, Vorrede zu Dedekind „An den Christlichen Leser“ (1590), in: Friedrich Dedekind, Miles Christianus. Der christliche Ritter, Braunschweig 1604.



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mer lutherischen Gymnasium Andreanum, Heinrich Gödeken, aus dem Jahre 1608.280 Hier bestand die Konkurrenz zum jesuitischen Gymnasium, dem Josephinum. Gemeinsam ist diesen Aussagen zum einen der Gedanke, dass man mit dem Jesuitentheater ein bewusstes und durchdachtes Katechisationsinstrument der Jesuitenpatres vorliegen sieht, zum andern die Schlussfolgerung, dass auf dieses Medium protestantischerseits mit dem gleichen Medium reagiert werden sollte. Das Beispiel Hildesheim verweist auf die Konkurrenzsituation, in der sich in gemischt konfessionellen Städten protestantische und jesuitische Schule und damit auch das jeweilige Schultheater gegenüberstanden. Weitere Beispiele in dieser Hinsicht sind Augsburg und Breslau. In der schlesischen Metropole führte dies dazu, dass den protestantischen Schülern der Besuch von Aufführungen der Jesuiten verboten wurde.281 Schließlich bekundet Heinrich Hirtzwig in der Vorrede zu seinem Lutherdrama von 1617 indirekt Respekt vor dem Jesuitentheater, wenn er von der Strategie des Papstes spricht, mittels der den Gesichtssinn reizenden artes die heilsame Lehre anzugreifen, und empfiehlt, dieser Strategie auf gleiche Weise zu begegnen, also ebenso zum Medium visuell vermittelnder artes zu greifen, um die evangelische bzw. lutherische Lehre zu applizieren.282 Inhaltlich laufen alle diese Argumentationen darauf hinaus, dass den Jesuiten ein kluger, ein im Verhältnis zur eigenen Praxis wirkungsvollerer Umgang mit dem Gesichtssinn bescheinigt wird. Dass dies auch als Scharfsinn und List beurteilt oder mit dem Einsatz von Pomp verbunden, also moralisch abgewertet wird, dürfte doch etwas mit Neid zu tun haben, da man sich andererseits erhofft, mit gleicher Waffe zurückschlagen zu können. In jedem Fall wird auf diese Weise den Jesuiten attestiert, dass sie ihre Mittel überlegt und gezielt anwenden, wie ja überhaupt das Faktum stärkerer Professionalisierung des jesuitischen Schulwesens von protestantischer Seite Anerkennung fand, wie eine Äußerung des Pädagogen Johann Justus Winckelmann (1620–1699) belegt, der den Dilettantismus vieler lutherischer Pfarrer und Lehrer beklagt und davon in positiver Weise 280 Gödeken schreibt in einem Brief an den Bürgermeister, von vielen Seiten sei an ihn der Wunsch herangetragen worden, mit der Schule eine Komödie anzugehen. Dafür spricht nach ihm nicht nur der Gedanke der Übung der Schüler in Sprache und Auftreten: „... über das auch die lobl. Bürgerschafft ermuntert, vnd zu vielerhand gedancken vnd Wercken angemahnet würde: besondern auch man sich auff solchen Schlag den Vermeinend Kunstreichen vnd Scharffsinnigen Jesuiten, beqwemlich zuwider setzen kunte, oder jo ihn etwas nachkommen, wo nicht zuvor.“ In seinen weiteren Ausführungen berichtet er, die Jesuiten rühmten sich ihrer monatlichen Komödien – Meldungen, die Gödeken durch Jesuitenschüler hinterbracht wurden. Der Text des Schreibens ist abgedruckt bei Karl Theodor Gaedertz, Archivalische Nachrichten über die Theaterzustände von Hildesheim, Lübeck, Lüneburg im 16. und 17. Jahrhundert, Bremen 1888, S. 7f. – Vgl. dazu Ernst Hövel, Der Kampf der Geistlichkeit gegen das Theater in Deutschland im 17. Jahrhundert, Münster 1912, S. 45 Anm. 1. 281 Vgl. Barner, Theater und Publikum, S. 17, zur Konkurrenzsituation auch S. 16. 282 Hirtzwig, Lutherus, Widmungsrede, A 4a: „Ad quod [sc. dass das Evangelium ausgerissen wird] praecavendum in aliis plurimum contulerit, si artes, quibus Leo ille sanam doctrinam adoriri ac invadere jam olim est solitus, etiamque nunc oppugnat, et in futurum oppugnabit ob oculos positas saepius inspiciamus ...“

788 Ertrag die Spezialisierung der jesuitischen Lehrer auf ein Fach abhebt,283 ein Faktum, das sich im Jesuitentheater deutlich widerspiegelt. Sehen die genannten Stimmen also im Jesuitentheater im Grunde eine vorbildliche Institution, die sich lediglich in den falschen Händen befindet und daher zu falschen Zwecken betrieben wird, so leiten sie daraus die Forderung verstärkter eigener Theaterpraxis ab. Der Gebrauch des Mediums sollte forciert werden, mit der Intention, auf diese Weise den Bemühungen der Jesuiten etwas entgegenzusetzen. Kurze Zeit später konnten Existenz und Wesen des Jesuitentheaters allerdings auch umgekehrt als Argument gegen eigenes Theaterwirken gewendet werden. Dies beginnt im Bereich des reformierten Protestantismus, der durch den Puritanismus beeinflusst ist. Der Zürcher reformierte Theologe Breitinger ordnete 1624 das Jesuitentheater dem von ihm verabscheuten Wesen der Jesuiten zu. In noch späterer Zeit fand dieses Argument in modifizierter Form auch Eingang ins Luthertum. 1660 und 1662 forderten die Konsistorien in Leipzig und Dresden das Verbot von Schüleraufführungen aufgrund der Infiltration von Übersetzungen von Jesuitendramen böhmischer Provenienz. Sie äußerten die Sorge, dass diese Stücke bei der Jugend Sympathien für die Jesuiten auslösen könnten.284 Der Auslöser war hier das Auftauchen jesuitischer Dramentexte, deren rein literarische Wirkung man zunächst fürchtete. Das geforderte Verbot belegt aber auch, dass man seitens der Konsistorien ebenso befürchtete, dass sich diese literarische Wirkung in eine theatralische, als gefährlicher betrachtete Wirkung verwandeln könnte. Angst bestand demnach vor einer Beeinflussung des eigenen Theaters durch das jesuitische, mit der Folge, dass die eigene Praxis eingeschränkt wurde.

b) Das Verhältnis beider Größen: Einwirkungen oder Beziehungslosigkeit? Ein zweites Feld stellt die Frage dar, ob es Beziehungen zwischen jesuitischem und protestantischem Theater oder gar Einflüsse des protestantischen Theaters auf das jesuitische oder Rückwirkungen des Jesuitentheaters auf das protestantische Theater gibt. Dabei ist zunächst zu unterscheiden zwischen inhaltlichen und äußeren Aspekten. In Bezug auf letztere werden zuweilen jesuitische Einflüsse im protestantischen Theater erkannt. So sieht Franz Müller Einwirkungen des Jesuitentheaters auf das Straßburger Akademie283 Nachdem Winckelmann dargelegt hat, die meisten Prediger und Schuldiener könnten weder Griechisch noch Hebräisch lesen und reden, fährt er fort (zitiert nach Theodor Ballauf – Klaus Schaller, Pädagogik, S. 242): „Demnach aber in dieser Welt nichts volkomliches ist / und nicht alzeit folget / daß ein Dialecticus auch ein guter Grammaticus oder Poeta seye / als nehmen die Jesuiten dieses sehr wol inacht / in dem sie einem allein eine Disciplin uebergeben und zu einer Lection geordnet wird / darauf er sein gantzes Studium richtet / und all seine Sinne und Gedancken schlaegt / derselben Disciplin denckt er fleissig nach / und wird mit der Zeit so fertig / daß er alle Vortheil zu lehren desto eigentlicher mercken und der Jugend aufs baeste / leichteste und geschwindtste beybringen kan: also ist einer fuergesetzet der Grammatic / dem andern ist zutractiren anbefohlen die Logic / Physic / dem dritten die Poetic und so fortan.“ 284 Vgl. Hövel, a.a.O., S. 69f. mit Anm. 1.



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Theater mit seinem großen Pomp, seinem Aufwand an Schauspielern, Kostümen, mit dem Einsatz von Feuerwerk und musikalischen Einlagen.285 Auch die strenge Latinität könnte man hier nennen. Erhöhten äußeren Aufwand erkennt Müller ab der Wende zum 17. Jahrhundert auch für das – wiederum von Straßburg beeinflusste – Ulmer Schultheater, wobei er hier als Hintergrund die Konkurrenz durch englische Theatertruppen und Meistersinger und den damit gegebenen Wunsch des Publikums nach Vergnügen, Schau und Prachtentfaltung benennt.286 Auch für Ulm ließe sich freilich auf jesuitische Konkurrenz, etwa im nicht allzu weit entfernten Dillingen verweisen. Die gesamte Argumentation wirkt nicht wirklich zwingend. Effekte sind bei protestantischen Aufführungen ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hin und wieder anzutreffen. So sollen in Bartholomäus Krügers ‚Aktion vom Anfang und Ende der Welt‘ aus dem Jahre 1580 bei der Vorführung der Weihnachtsgeschichte Raketen eingesetzt werden und in Haberers Abraham-Drama wird bereits 1562 durch einen Feuereffekt im Hintergrund die Zerstörung Sodoms angezeigt. Ebenso ließe sich fragen, ob nicht umgekehrt eine Beeinflussung des Jesuitentheaters durch das Straßburger Akademietheater vorliegt, zumal dieses vor jenem existierte und bereits 1565 seine moderne Bühne eröffnete.287 Die Ähnlichkeiten zwischen beiden Formen des Theaters dürften daher rühren, dass sich beide als dezidiert humanistisch verstanden. Darüber hinaus gibt es allerdings in Straßburg keine thematischen Übernahmen aus jesuitischen Stücken, ebenso wenig in umgekehrter Richtung. Überhaupt sind in stofflicher Hinsicht faktisch keine Auswirkungen des Jesuitendramas auf das protestantische Theater festzustellen. Dies ändert sich im Wesentlichen erst mit Gryphius. Bezeichnend ist, dass im hier betrachteten Zeitraum im protestantischen Theater nicht auf altkirchliche Themen zurückgegriffen wurde. Ebenso bildete der Bereich der Heiligenlegenden eine nahezu völlige Leerstelle. Keine Dramatisierung erfuhr ferner das Schicksal zeitgenössischer protestantischer Märtyrer. Hinsichtlich der umgekehrten Frage nach protestantischen Einflüssen auf das Jesuitentheater müssten detailliertere Untersuchungen konkrete Abhängigkeiten belegen. Das spätere Einsetzen des Jesuitentheaters könnte dazu verleiten, zahlreiche solcher Abhängigkeiten zu postulieren, auch dort, wo sie nicht gegeben sind. Zwar gibt es einen gemeinsamen Bereich von Stoffen, dieser verdankt sich aber teils der humanistischen Wurzel beider Theaterformen, teils dem gemeinsamen biblischen Fundus. Eher zur ersten Linie – soweit sich diese überhaupt unterscheiden lassen – gehören Stücke über den Jedermann-Stoff, über die Geschichte vom verlorenen Sohn oder die Josephsgeschichte, zur zweiten Linie Dramen über Abraham, Jakob, Daniel, Esther, Tobias oder Johannes den Täufer. Eine Entwicklung ist hier nicht zu konstatieren. Für den gesamten betrachteten Zeitraum kann festgehalten werden, dass typisch protestantische Themen wie der Ursprung der Stände oder die Ehekatechese im Jesuitentheater keine Rolle spielten. Einen seltenen Fall, wo ein Stoff zuerst im protestantischen Bereich 285 Vgl. Franz Müller, Die Schulkomödie in Ulm, Ravensburg 1926, S. 31. 286 Vgl. Müller, a.a.O., S. 32. 287 Vgl. Brauneck, a.a.O., S. 546.

790 Ertrag und erst später von den Jesuiten aufgegriffen wurde, bildet der Mauritius-Vorwurf. Dieser wurde zuerst von dem Protestanten Heinrich Eckstorm im Jahre 1593 herangezogen, bevor ihn der jesuitische Dramatiker Keller im Jahre 1602/1603 dramatisierte. Darüber hinaus sind beide Theaterformen durch parallele Entwicklungen geprägt, die sich dann aber wiederum völlig unterschiedlich entwickelten. Ein Beispiel dafür ist die in Dramen beider Gruppen – im protestantischen Bereich häufig in Stücken über die Heilsgeschichte oder den Töchterstreit – begegnende Differenzierung der Unterwelt und das aus dieser folgende Motiv der Zwietracht unter ihren Vertretern.288 Ein anderes Beispiel ist die Einrichtung des ‚Spieler-Zuschauers‘.289 Mit diesem Institut wird dem Zuschauer im Drama eine Identifikationsmöglichkeit geschaffen, eine Figur, die ihn im Spiel vertritt. Zugleich stellt sich auch die intendierte Wirkung des Stückes bereits an der Gestalt des ‚Spieler-Zuschauers‘, und damit im Spiel selbst ein, gewissermaßen antizipatorisch für die bei den Zuschauern erhoffte Wirkung. In dieser Studie konnte ein andeutungsweiser Aufbau dieses Instituts in protestantischen Stücken, in den späteren Stephanus-Dramen von Zahn und Neukirch beobachtet werden. Es wurde allerdings nicht weiter ausgebaut. Anders verhielt es sich im Jesuitentheater, das eine starke Verschränkung von Spieler und Zuschauer charakterisiert. Die jesuitischen Autoren entwickelten in dieser Hinsicht eine erhebliche Experimentierfreudigkeit.

288 Zu diesem Motiv im Jesuitentheater vgl. Rädle, Gottes ernstgemeintes Spiel, S. 136 Anm. 99. 289 Vgl. Peter Sprengel, Der Spieler-Zuschauer im Jesuitentheater. Beobachtungen an frühen oberdeutschen Ordensdramen, Daphnis 16 (1987), S. 47–106.

III. Potentiale des protestantischen Dramas in der konfessionellen Zeit Die Untersuchung der Geschichte des protestantischen Dramas führt abschließend dazu, die Bedeutung des protestantischen geistlichen Theaters in der konfessionellen Zeit zu betrachten. Dies konkretisiert sich in der Frage, ob das Gestalt gewordene protestantische geistliche Theater als Medium in demjenigen Prozess bezeichnet werden kann, für dessen Erklärung seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts das Konzept der Konfessionalisierung entwickelt wurde. Etwas vorsichtiger, ohne den Terminus, der bekanntermaßen ein umstrittenes Konzept repräsentiert, formuliert: Welche Möglichkeiten konnten dem protestantischen geistlichen Theater in den Bemühungen zur Etablierung und Ausgestaltung der protestantischen Kirchentümer und Territorien grundsätzlich zukommen? Dass es einen solchen Prozess gab, ist unbestritten, die Deutung dieses Geschehens aber ist in der Forschung nach wie vor Gegenstand der Diskussion. Nun wäre es denkbar, dass vom protestantischen Drama und Theater und vom geistlichen Theater allgemein her eine neue Perspektive auf das Problemfeld Konfessionalisierung eröffnet werden könnte: Möglich wäre, dass Beobachtungen zum Phänomen des protestantischen Dramas das mit den Historikern Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard verbundene Konzept der Konfessionalisierung verifizieren, falsifizieren oder modifizieren könnten oder eine Ergänzung desselben notwendig erscheinen ließen.290 Denkbar wäre dabei auch, dass vom 290 Zum Konzept der Konfessionalisierung, das als weitgehend bekanntes hier nicht eigens vorgestellt werden soll, vgl. folgende Werke seiner Urheber: Heinz Schilling, Die Konfessionalisierung im Reich, HZ 246 (1988), S. 1–45; Ders., Das konfessionelle Europa. Die Konfessionalisierung der europäischen Länder seit Mitte des 16. Jahrhunderts und ihre Folgen für Kirche, Staat, Gesellschaft und Kultur, in: Joachim Bahlcke – Arno Strohmeyer (Hrgg.), Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa Bd. 7), Stuttgart 1999, S. 13–62; Ders., Die Konfessionalisierung des lateinischen Christentums und das Werden des frühmodernen Europa – Modernisierung durch Differenzierung, Integration und Abgrenzung, in: Jan Rohls – Ludwig Mödl – Gunther Wenz (Hrgg.), Das Wesen des Christentums, Göttingen 2003, S. 209–229; Wolfgang Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, ZHF 10 (1983), S. 257–277; ferner die Tagungsbände zu den jeweiligen Formen der Konfessionalisierung: Heinz Schilling (Hrg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der „Zweiten Reformation“, Gütersloh 1986; Hans-Christoph Rublack (Hrg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland, Gütersloh 1992; Wolfgang Reinhard – Heinz Schilling (Hrgg.), Die katholische Konfessionalisierung, Gütersloh – Münster 1995. – Zum Begriff des Paradigmas vgl. Luise Schorn-Schütte, Konfessionalisierung als wissenschaftliches Paradigma?, in: Bahlcke – Strohmeyer (Hrgg.), Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa, S. 64, die auf den, dem Begriff innewohnenden Aspekt des Perspektivenwechsels – Wahrnehmung der Verflechtung von Religion und Politik im 16. und 17. Jahrhundert, d.h. einer grundlegenden Bedeutung des Faktors Religion in dieser Zeit sowie die Entdeckung der Parallelität

792 Ertrag protestantischen Theater her das von Thomas Kaufmann alternativ vorgelegte Konzept einer Konfessionskultur stärker zu favorisieren ist.291 Dies gilt es zu prüfen. Bevor aber vom Phänomen des geistlichen Theaters her die Frage des Konfessionalisierungskonzepts angegangen wird, muss zunächst untersucht werden, inwieweit das protestantische Drama und Theater überhaupt als Medium in der konfessionellen Zeit eingesetzt und instrumentalisiert werden konnte.

1. Die Instrumentalisierbarkeit des protestantischen Dramas und Theaters Im Folgenden soll betrachtet werden, inwieweit und inwiefern sich das protestantische Drama und Theater als Medium im Prozess der Ausgestaltung der protestantischen Kirchentümer und Territorien eignet und wo es diesem Prozess gegenüber eher als widerständig erscheint. Ein erster Blick auf die protestantischen geistlichen Dramen legt den Schluss nahe, dass sie und ihre Aufführungen im Sinne einer Internalisierung einer bestimmten Konfession instrumentalisierbar sind. Dies belegt zunächst ihr pädagogischer Charakter. Sie vermitteln primär eine religiöse Bildung, indem sie mit biblischen Geschichten bekannt machen, Glaubensinhalte elementarisieren und Muster für die eigene praxis pietatis bereitstellen. In Dramen gebotene Darstellung der Lehre und Polemik gegenüber anderen Konfessionen sind Indiz dafür, dass ihnen auch eine abgrenzende Funktion zukommt. Ferner transportieren die Dramen moralische Inhalte. Im Mittelpunkt steht dabei besonders das angemessene Verhalten im jeweiligen Stand und gegenüber Autoritäten. Dies kann über den Inhalt eines Dramas hinaus ebenso für die Aufführung eines Dramas bzw. für die Teilnahme an einer solchen geltend gemacht werden. Diese setzt nicht nur gewisse Standards im Benehmen voraus, wobei Mängel zuweilen kritisch bemerkt werden. Oft hat die Aufführung im Sinne der Dramenautoren und –initiatoren zumindest auch die Bestimmung, die Zuschauerinnen und Zuschauer von anderen als verderblich angesehenen Vergnügungen wie der Fastnacht abzuhalten und entsprechende Auswüchse zu verhindern oder derartige fastnächtliche Umtriebe von vornherein ganz zu unterbinden. Hinzu kommt, dass sich in der Aufführung die Schule und das diese tragende Gemeinwesen darstellt. Auch damit kann eine Darbietung implizit im Sinne einer Konfessionalisierung wirken: Sie wirbt für die Schule und trägt auf diese Weise dazu bei, für den frühneuzeitlichen Staat

der Entwicklung in den drei Konfessionen mit der Folge einer neuen Sicht der Entwicklung in katholischen Territorien – abhebt. Im Folgenden findet zumeist der Begriff des Konzeptes Verwendung. 291 Thomas Kaufmann hat den Begriff erstmals entwickelt in: Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede, Tübingen 1998, S. 7.



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potentielle Führungskräfte zu rekrutieren.292 Dies geschieht ebenso dadurch, dass die Darsteller im Sinne des schon von Luther vertretenen Konzepts Auftreten und öffentliches Sprechen lernen, wichtige Voraussetzungen für eine Führungsposition im frühneuzeitlichen Staat wie auch in der Kirche. Darüber hinaus befördert die Aufführung die Identifikation mit Schule und Stadt, insbesondere durch die Beteiligung zahlreicher Schüler. Das protestantische Drama und Theater erfüllt prima facie betrachtet die Voraussetzungen für einen Einsatz als Medium im Sinne einer Internalisierung konfessioneller Inhalte einschließlich der damit verbundenen moralischen und gesellschaftlichen Vorstellungen. Betrachtet man die Aufführung als solche, kann es ferner zumindest ansatzweise auch zu einem Instrument der Sozialdisziplinierung im Rahmen des Konfessionalisierungsprozesses avancieren.293 Zu einer genaueren Klärung ist aber ein multiperspektivisches Herangehen an das protestantische Theater notwendig. In Bezug auf das Drama ist zu differenzieren, vom Autor bis zur Aufführung. Dies gilt weniger in Bezug auf die unterschiedliche Stellung des geistlichen Dramas im lutherischen und im reformierten Bereich – ganz abgesehen davon, dass die Bedeutung des geistlichen Dramas im Laufe der Festigung der reformierten Kirche rapide sinkt. Vielmehr ist erstens zu berücksichtigen, dass an Entstehung und Darbietung eines Dramas im protestantischen Bereich verschiedene Personen und Institutionen beteiligt sind bzw. sein können: Pfarrer und Lehrer zumeist, zuweilen auch andere Personen als Autoren, geistliches Ministerium, Schulleitung, Landesherr, städtischer Rat oder Schulaufsicht als Auftraggeber und Leiter der Aufführung. Entsprechend sind die Motive und Anliegen, welche die das geistliche Drama tragenden Personen, Kreise und Institutionen bei einem Drama und einer Aufführung bewegen, von einer gewissen Variation geprägt. Die Ergebnisse dieser Studie zeigten zwar, dass zwischen der Intention des Autors und derjenigen der Institution Schule, d.h. des Schulleiters, eine weitgehende Deckungsgleichheit besteht, was nicht verwundern kann, schreibt doch der Autor meist im Rahmen der Schule, dass aber die Motive des Verfassers auch durch individuelle Vorstellungen geprägt sein können. Dies betrifft vielfach theologische Anliegen im engeren Sinne, die zwar bei allen an der Genese einer Aufführung Beteiligten eine Rolle spielen, aber zentral den Autor bestimmen und damit gegenüber der Intention der Vermittlung moralischer Normen und dem Ziel der Überprüfung der Lernfortschritte, der Repräsentation der Schule samt Werbung für sie – letztere Punkte nehmen bei den Schulträgern zentrale Bedeutung ein – einen Überschuss bieten können. Repräsentations- und Unter292 Zum Personalbedarf des frühneuzeitlichen Staates und zum Ertrag der Konfessionalisierung in personeller Hinsicht vgl. Heinz Schilling, Das konfessionelle Europa, S. 45, zur Bildungsoffensive der Zeit vgl. Wolfgang Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung. Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, ZHF 10 (1983), S. 265. 293 Der Begriff der ‚Sozialdisziplinierung‘ stammt von dem Historiker Gerhard Oestreich, Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in: Ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, Berlin 1969, S. 179–197.

794 Ertrag haltungszwecke bestimmen die in den weiteren Kontext der Hofkultur einzuordnende Aufführung vor der fürstlichen Obrigkeit. Ferner ist zu bedenken, dass das verfasste Drama selbst über ein Eigengewicht verfügt und Wirkungen freisetzen kann, die seitens der Urheber nicht unbedingt intendiert waren. Dies gilt zunächst für die Aufführung, die eine derartige Eigendynamik entwickeln kann, dass von den Inauguratoren und Organisatoren nicht beabsichtigte oder jedenfalls nicht primär beabsichtigte Wirkungen in der Rezeption der Adressaten in den Vordergrund treten. Der Rezeptionsvorgang durch die Adressaten kann sich vorgedachten Instrumentalisierungen entziehen. Ebenso kann das Drama durch den Druck als literarisches Werk noch einmal neue Wirkung entfalten, die ebenfalls über das von Autor und Trägern Intendierte und in Widmungsrede sowie in Prolog und Epilog Ausgedrückte hinausgehen kann. Schließlich können die anvisierten Rezipienten durch Artikulation von Wünschen und Vorlieben ihrerseits indirekt auf Entstehung und Aufführung eines geistlichen Dramas einwirken, indirekt, insofern sich protestantische Autoren zuweilen genötigt sehen, dem Geschmack des Publikums Zugeständnisse zu bieten, um eine möglichst breite Rezeption des Werkes zu ermöglichen. Im Hinblick auf die weiter unten zu diskutierende Konfessionalisierungsthese ließe sich bereits hier feststellen, dass geistliches Drama und Theater einer einseitigen Sicht des Prozesses der Konfessionalisierung widerraten, nach der a priori feststeht, wer als Subjekt und wer als Objekt dieses Vorganges zu bezeichnen ist, und gerundivisch formulieren: Auch ‚die zu Konfessionalisierenden‘ wirkten auf ihre ‚Konfessionalisierung‘ ein, eine erste Anfrage an das Konfessionalisierungskonzept, die dem von Heinz Richard Schmidt geäußerten ‚Etatismusvorwurf‘ entspricht.294 Nach diesen Beobachtungen kann nicht von einer einfachen Instrumentalisierung ausgegangen werden: Die Träger des protestantischen Dramas bilden ein differenziertes Geflecht von Interessen aus. Insofern das protestantische Drama selbst wesentlich durch seinen Verfasser geprägt ist, dieser aber in seinen Motiven über das von anderen Trägern Erwartete hinausgehen kann, zumindest aber dieses Erwartete selbständig mit seiner Person und deren spezifischen Anliegen füllt, ergibt sich zum einen eine gewisse Pluralität, zum andern ein leicht retardierendes Moment für Instrumentalisierungen abseits oder unabhängig vom jeweiligen Autor. Zugleich wird aus taktischen Gründen auch versucht, die Vorstellungen der Adressaten wenigstens ansatzweise zu berücksichtigen. 294 Vgl. Stefan Ehrenpreis – Ute Lotz-Heumann, Reformation und konfessionelles Zeitalter, Darmstadt 2002, S. 68: „Die Protagonisten des Paradigmas [sc. Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard] gehen grundsätzlich davon aus, dass die Konfessionalisierung vom Staat in Gang gesetzt oder wesentlich mitbestimmt wurde und dass sie sich deshalb als ein Prozess erwies, der von oben nach unten verlief.“ Die diese Voraussetzung hinterfragende Kritik sieht im Konfessionalisierungsparadigma eine „etatistische Verengung“; vgl. Heinrich Richard Schmidt, Sozialdisziplinierung, HZ 265 (1997), S. 639f. Vgl. ferner Luise Schorn-Schütte, Konfessionalisierung als wissenschaftliches Paradigma?, S. 67, deren Feststellung, dass die Konfessionalisierung nicht dort angekommen sei, wo sie wirken sollte, freilich nicht die These von der Konfessionalisierung als solche trifft, sondern lediglich den tatsächlichen Erfolg einer Konfessionalisierung von oben in Abrede stellt.



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Im Hinblick auf die Frage einer Instrumentalisierbarkeit des protestantischen Dramas bietet sich als weitere Perspektive ein Vergleich desselben mit anderen geistlichen literarischen Genera an. Dabei sind deutlich unterschiedliche Affinitäten zu erkennen. So stellt die Gattung Predigt ein weithin benutztes Instrument in Bezug auf das durch den Begriff Konfessionalisierung Bezeichnete dar.295 Bedingt ist dies durch die klare Kommunikationsstruktur. Eine Person gibt theologische und moralisch-lebenspraktische Inhalte weiter. Die Adressaten sind nur als Hörerinnen und Hörer beteiligt und greifen nicht in die Genese des ihnen zu vermittelnden Inhalts ein. Ebenso lässt sich das Medium bzw. der dieses bergende Gottesdienst leicht für Verlautbarungen der Obrigkeit verwenden, was zudem dadurch erleichtert wird, dass das Medium flächendeckend sowie häufig und regelmäßig zum Einsatz kommt. Die Teilnahme am Gottesdienst wird kontrolliert, so dass zumindest nominell davon ausgegangen werden kann, dass die gesamte Bevölkerung den Inhalt der Predigt zur Kenntnis nimmt. Der Kontext des Gottesdienstes bedingt ferner eine gemeinsame, weithin kontrollierbare Rezeption, befördert auch durch eine Aura des Heiligen, von Gott Verkündeten. Insofern keine Lesefähigkeit verlangt wird, ist das Medium relativ ‚niederschwellig‘, wiewohl zum völligen Verstehen eine gewisse intellektuelle Schulung vonnöten ist, so dass davon auszugehen ist, dass nicht alle Gottesdienstteilnehmer wirklich der Predigt folgen konnten. Zieht man zum Vergleich die Gattung der Erbauungsliteratur heran, zeigen sich markante Unterschiede. Infolge mangelnder Lesefähigkeit erreicht man mit dieser Gattung nur geringe Bevölkerungsteile. Die Rezeption ist eine stark individualisierte, abseits gemeinschaftlicher Bezüge. In Bezug auf die vermittelten Inhalte ist eine Tendenz erkennbar, dass stärker das Gemeinchristliche im Zentrum steht, weniger protestantische konfessionelle Propria.296 Es machen sich Einflüsse der mittelalterlichen Mystik, z.T. vermittelt über altgläubig-katholische Verfasser, bemerkbar. All dies bedingt, dass die Gattung der Erbauungsliteratur sich dem Prozess einer Instrumentalisierung für vorgedachte Ziele stärker zu entziehen vermochte. Damit soll nicht behauptet werden, dass solche Literatur von denjenigen, die sie rezipierten, eo ipso in einem nicht der jeweilig herrschenden Konfession entsprechenden Sinne gelesen wurde – in dieser waren die Rezipienten ja sozialisiert.297 Wohl aber liegt es nahe zu 295 Vgl. Wolfgang Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung?, S. 264, zählt die Predigt nach dem Katechismus und vor der Kirchenmusik zu den „volkstümlichere[n] Formen der Indoktrination“. Vgl. die Feststellung Heinz Schillings, Das konfessionelle Europa, S. 35, im Luthertum sei die Disziplinierung vorrangig über Predigt und Seelsorge des Pfarrers sowie über staatliche Verordnungen und Beaufsichtigung erfolgt. 296 Vgl. Ernst Koch, Das konfessionelle Zeitalter, S. 311: „Die antik-mittelalterliche Tradition der Gebets- und Betrachtungstexte wurde gelegentlich von allen Konfessionen, aber auch in spiritualistischen Kreisen als Quelle für die Frömmigkeitsliteratur und -praxis genutzt.“ Diese Rezeption setzte bereits um 1560 mit der Übersetzung mittelalterlicher Betrachtungs- und Gebetsliteratur ein; vgl. a.a.O., S. 257. 297 Vgl. Thomas Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede, Tübingen 1998, S.  8 Anm. 14.

796 Ertrag vermuten, dass für die Kreise, die das Ziel verfolgten, die eigene Bevölkerung in ihrer Konfession zu prägen, derartige Literatur tendenziell eher ein weniger geeignetes Medium darstellte, mindestens in Bezug auf diesen begrenzten Zweck. An diesem Punkte kann nur sehr vorsichtig formuliert werden, verstanden sich doch Autoren der Erbauungsliteratur wie Philipp Nicolai, auch ein Johann Arndt oder später Johann Gerhard als Theologen mit dezidiert lutherischem Selbstverständnis, die ihr schriftstellerisches Wirken auf diesem Gebiet in keiner Weise als Gegensatz zu ihrer konfessionellen Verortung sahen. Insofern kann Heinz Schilling dieses Genus zu den Mitteln der Konfessionalisierung rechnen.298 Versucht man, in dieses Geflecht das geistliche Drama und seine Aufführung einzuordnen, so lässt sich der Eindruck nicht leugnen, dass es für eine nachhaltige Verankerung der etablierten Konfession in der Bevölkerung geradezu prädestiniert ist. Mit der Predigt kommt das Drama darin überein, dass in ihm ein lehrhafter Inhalt, moralischlebenspraktischer oder theologischer Natur im engeren Sinne, weitergegeben werden soll. Gegenüber der Predigt zeigt es sich aber insofern überlegen, als es eine längere, elementarisierende Entfaltung des zu vermittelnden Inhalts bietet und eine nachhaltige Verinnerlichung des Inhalts durch die Visualisierung und das Evozieren von Emotionen bewirkt. Die ‚Niederschwelligkeit‘ ist im Verhältnis zur Predigt noch erhöht. Diese wiederum setzt die Hoffnung frei auf eine Erreichbarkeit von Schichten, die sich gegenüber der Predigt als weitgehend resistent erweisen, sowie von Bevölkerungsteilen, denen als illiterati ein individueller Zugang zur evangelischen Botschaft mittels Lektüre von Bibel und Erbauungsliteratur verwehrt ist; diese aber bildeten die übergroße Mehrheit der Bevölkerung.299 Die Rezeption einer Aufführung ist eine gemeinschaftliche. Für das Medium Theater kennzeichnend ist der Sachverhalt, dass es der Selbstdarstellung der spielenden bzw. versammelten Gemeinschaft dient und damit Identifikation bewirken und Zusammenhalt 298 Heinz Schilling, Das konfessionelle Europa, S. 36: „Auch die Seelsorge und die Verkündigung der christlichen Lehre ging neue, erfolgreiche Wege – mit frommen Schriften wie Trost-, Andachts-, Gebet- und Gesangbüchern...“ 299 Nach Herbert Walz, Deutsche Literatur der Reformationszeit, Darmstadt 1988, S. 4, verfügten in der Reformationszeit nur 5 bis 10 % der Bevölkerung über die Fähigkeit zu lesen. Auch wenn der mit der Einführung der Reformation verbundene Bildungsschub in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Verbesserung dieser Situation bewirkte, dürfte die Zahl der illiterati immer noch die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung umfasst haben. Mit dem Dreißigjährigen Krieg kam es wiederum zu einem starken Rückgang der Lesefähigkeit; vgl. Lucian Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, München 2005, S. 60f. – Zu berücksichtigen ist freilich, dass für die hier betrachtete Zeit ein individuelles Lesen der Bibel noch nicht vorauszusetzen ist; vgl. Koch, Das konfessionelle Zeitalter, S. 256. Zwar war aufgrund dessen für alle Interessierten eine individuelle und aktive Aneignung der evangelischen Botschaft erschwert, für die illiterati aber war der Weg zu solcher individuellen Aneignung noch eingeschränkter und letztlich nur auf passive Weise möglich. Vermochte eine Aufführung dieses Faktum zwar nicht aufzuheben, so leistete sie doch einen Beitrag zum vertieften Verständnis des in der Predigt ausgelegten biblischen Textes.



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stärken kann.300 Die im Spiel vermittelten Werte kommen als Werte der Gruppe zu stehen. Verstärkt wird dieser Effekt durch partizipatorische Elemente. Ein Ausdruck dessen ist das in der Aufführung vorgesehene Singen von Liedern durch die Zuhörenden, das deutlich die Funktion eines Bekenntnisses erfüllt und damit auch dazu dient, Solidarität unter der Zuhörerschaft und mit den Agierenden herzustellen.301 Auf diese Weise erfüllt das Theater zugleich die Funktion, in die im Gottesdienst praktizierten Handlungsvollzüge einzuüben und diese zu internalisieren; zu berücksichtigen ist dabei, dass für die Gemeindeglieder selbst noch keine Gesangbücher zur Verfügung standen, mittels derer sie Gesänge hätten einüben können.302 Ebenso sind hier die von den Darstellern rezitierten Gebete zu nennen, die einerseits dazu dienen, die Andacht beim gottesdienstlichen Beten zu intensivieren und ein tieferes Verständnis der dort gesprochenen Gebete zu befördern, damit aber auch als Anleitung zum rechten Beten in der privaten Frömmigkeitspraxis dienen können – in letzterem Fall ist auch ein Zusammenwirken des Mediums Theater mit dem Medium Gebetbuch möglich. Gegenüber den beiden anderen Medien bietet das Drama somit erhebliche Vorteile: Die Studie zeigte, dass sich die Autoren und Initiatoren dieser Vorteile bewusst waren und deutlich, wenn nicht eine Überlegenheit gegenüber der Predigt, dem Medium par excellence der Konfessionalisierung, postulierten, so doch dem Drama eine die Predigt ergänzende Funktion zuwiesen. Insgesamt ist zu konstatieren, dass man sich vom geistlichen Theater eine ähnliche Wirkung erhoffte, wie sie die Autoren der Andachtsliteratur seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts für ihre Werke erwünschten, ein intensiveres Erfassen des Wortes Gottes mit dem Herzen.303 Der sich durch Einnehmen dieser Perspektive ergebende Eindruck, dass das Medium des geistlichen und hier des protestantischen Theaters ein nahezu universales, auf mehreren Ebenen anwendbares und höchst wirksames Medium darstellt, das sich für eine Instrumentalisierung zum Zwecke der Verinnerlichung der Konfession und der mit ihr verbundenen moralisch-lebenspraktischen Inhalte unmittelbar anbietet, erhärtet sich, stellt man es der von Wolfgang Reinhard entwickelten Palette von Instrumenten des Konfessionalisierungsvorgangs gegenüber.304 Dabei zeigt sich, dass das geistliche Drama 300 Vgl. Erich Kleinschmidt, Stadt und Literatur in der Frühen Neuzeit. Voraussetzungen und Entfaltung im südwestdeutschen, elsässischen und schweizerischen Städteraum (Literatur und Leben NF 22), Köln – Wien 1982, S. 194. 212. 301 Vgl. Robert Scribner, Flugblatt und Analphabetentum. Wie kam der gemeine Mann zu reformatorischen Ideen?, in: Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Beiträge zum Tübinger Symposion 1980, hrg. v. Hans-Joachim Köhler, Stuttgart 1981, S. 70. 302 Ernst Koch, Das konfessionelle Zeitalter, S. 256: „Die gedruckten Gesangbücher waren zunächst zum Gebrauch von Kantoren und Schulchören und erst seit ca. 1650 für die Hand der Gottesdienstteilnehmer gedacht.“ 303 Vgl. Koch, a.a.O., S. 257. 304 Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung?, S. 263ff, bezeichnet diese Instrumente als „Verfahren“ oder „Methoden“, mit denen die Geschlossenheit der neuen Großgruppe „Konfession“ erzielt wurde.

798 Ertrag bzw. Theater mit nahezu allen genannten Instrumenten übereinkommt, zumal mit denjenigen der Verbreitung und Durchsetzung neuer Normen, der Propaganda, der Internalisierung der neuen Ordnung durch Bildung, der Disziplinierung der Anhänger oder der Beeinflussung der Sprache. Dem Instrument des Theaters nicht zugeordnet werden kann der Zweck der Wiedergewinnung klarer theoretischer Vorstellungen, insofern das Theater nicht auf der Ebene der akademischen Theologie anzusiedeln ist und auch nach den Vorstellungen seiner Inauguratoren nicht das Ziel verfolgt, theologische Impulse zu liefern: Das Theater ist weder ein Instrument der Bekenntnisbildung noch ein solches der Ausmerzung konfessioneller Unklarheiten.305 Allenfalls ist ein Stück Indikator einer theologischen Entwicklung, kaum deren Faktor. In gleicher Weise ist für das Verfahren der Anwendung von Riten festzustellen, dass das geistliche Theater nicht dem Bereich des eigentlichen Kultus angehört, auch wenn zuweilen Riten – und damit deren (im Sinne des Verfassers) ordnungsgemäßer Vollzug – in Dramen erscheinen. Zu allen anderen von Reinhard genannten Instrumenten besteht aber eine deutliche Verbindung, zuweilen enger, zuweilen lockerer. Besonders eng, ja nach den Untersuchungen als wesensmäßig zu bezeichnen, ist die Verbindung zu den Instrumenten der Verbreitung und Durchsetzung neuer Normen, Propaganda306, und Bildung, während die Beziehung zu den Instrumenten von Disziplinierung und Beeinflussung der Sprache als eher akzidentiell einzustufen ist. Das geistliche Theater ist kein eigentliches Instrument der Disziplinierung – was durchaus als Vorteil gesehen werden konnte, war es doch so ein unverdächtiges, unaufdringliches Medium307 – wie zumal die Visitation. Gleichwohl schwingt das Ziel der Disziplinierung mit und wird als Vorzug und Nebenintention einer Aufführung zuweilen erwähnt. Im Verständnis Reinhards ist mit Beeinflussung der Sprache die Namengebung gemeint.308 Versteht man darunter aber im weiteren Sinne die Einübung einer religiösen Sprache, fällt auch das geistliche Drama und Theater unter diesen Punkt, betrachtet man etwa die in Stücken gebotenen Gebete oder theologische Sprachregelungen. Auf der anderen Seite sind dem Medium Theater Wesenszüge eigen, aufgrund derer es sich definitiv nicht völlig instrumentalisieren lässt. Zunächst ist das Theater, insofern sein Proprium in der Aufführung besteht und eine nicht nur literarische Wirkung angestrebt wird, Spiel. Die Aufführung eines geistlichen Dramas markiert einen dem Alltag entho305 Vgl. a.a.O., S. 263. 306 Lediglich bei diesem Punkt führt Reinhard, a.a.O., S. 264, das geistliche Drama, freilich nur das katholische auf. Daneben nennt er – stets in Bezug auf diese Konfession – Katechismen, Predigten, Kirchenmusik und besondere Kultformen (Prozessionen, Wallfahrten, Reliquien- und Heiligenverehrung). Zu diesem Aspekt zählt er ebenso die Verhinderung von Gegenpropaganda in Gestalt der – auch im Protestantismus anzutreffenden – Zensur. 307 Vgl. Schilling, Das konfessionelle Europa, S. 36f., der, festhaltend, dass Prägung nicht nur durch Kontrolle, sondern auch durch Seelsorge und Verkündigung erfolgte, den von ihm erkannten neuen Wegen von Verkündigung und Seelsorge neben erbaulichen Literaturformen auch die Lehrdramen subsumiert. 308 Vgl. Reinhard, a.a.O., S. 267.



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benen Freiraum.309 Damit soll nicht behauptet werden, dass das geistliche Drama des 16. und 17. Jahrhunderts alle Merkmale eines Spiels aufwiese: Es war für die Agierenden ein befohlenes Spiel und mit ihm wurde in der Tat ein außerhalb seiner selbst liegender Zweck verfolgt.310 Das Spiel hat in der Tat einen festen Rahmen, den der vom Autor konzipierte Handlungsablauf wie auch das Einwirken des Spielleiters mit seinen Regieanweisungen umschreibt. Darüber hinaus verfügen aber die Charaktere über ein Eigenleben, das sich nicht völlig steuern lässt. Auch die Wirkung der Handlung auf die Zuschauer lässt sich nicht zur Gänze im Vorfeld absehen. Vor einer gewissen Unwägbarkeit und Unsicherheit hinsichtlich der Wirkung einer Aufführung konnten Organisatoren derselben wie Georg Rollenhagen nicht die Augen verschließen. Kanalisiert werden sollte dies durch die Rahmenstücke, aber im Vollzug der Handlung selbst hatte der Autor oder Spielleiter keinen Zugriff auf die Wirkung des Vorgeführten. Rollenhagens Bemerkung, eine bestimmte Gruppe der Zuschauer lache an der falschen Stelle, spricht hier eine deutliche Sprache. Das Medium Theater entzieht sich völliger Beherrschung und Planbarkeit, was auch Pannen dokumentieren.311 Der Grat, sowohl dem prodesse, der Lehre, der intendierten Wirkung zu genügen, als auch das delectare nicht zu vernachlässigen, mittels dessen die Zuschauer allererst gewonnen werden sollten, war schmal. Keinesfalls sollte nach Maßgabe der Initiatoren letzteres die Oberhand gewinnen, aber ohne dieses war das Erreichen von ersterem nach ihrer Auffassung ein unmögliches Unterfangen. Wie alle Kunst lässt sich auch das Theater nicht gänzlich funktionalisieren. So ist es kein Zufall, dass das Medium nicht unumstritten war, dass manche Kritiker die erhoffte Wirkung durch die Darstellung negativer Charaktere und die damit verbundene Eigendynamik konterkariert sahen. Selbst in den Augen der Inauguratoren galt das geistliche Theater infolge dessen als nicht völlig sicheres Medium. Führte dies im hier betrachteten Zeitraum im Luthertum nicht zu seiner Verabschiedung, so setzte sich in einem großen Teil der reformierten Konfession doch die Auffassung durch, das geistliche Theater sei seinem Gegenstand, der heiligen Schrift letztlich doch unangemessen.

309 Vgl. Michael Parmentier, Art. ‚Spiel‘, in: Dietrich Benner – Jürgen Oelkers (Hrgg.), Historisches Wörterbuch der Pädagogik, Darmstadt 2004, S. 930; Erich Kleinschmidt, Stadt und Literatur in der Frühen Neuzeit, S. 188: „Das dramatische Spiel wurde offenkundig als ein attraktiver Freiraum im sozialen Handlungsgefüge der Stadtgesellschaften empfunden ...“ A.a.O., S. 189, konstatiert er, dass „… das bürgerschaftliche Spiel die Möglichkeit zu einer sozialen Profilierung außerhalb einer amtlichen oder beruflichen Sphäre,“ geboten habe. 310 Vgl. ebd. Das geistliche Drama der Frühen Neuzeit erfüllt damit zumindest eines der drei von Parmentier aufgeführten Kennzeichen des Spiels. 311 Adalbert Elschenbroich, Imitatio, S. 367f. Anm. 108, erwähnt den Bericht von Martin Crusius in dessen Schwäbischer Chronik über eine Panne bei der Aufführung eines Weltgerichtsspiels in Waiblingen im Jahre 1571, bei der ein Feuer entstand und die auf der Bühne aufgebaute Hölle in Flammen aufging, worauf die ‚Teufel‘ davonliefen und der Darsteller Gottes, der hoch auf einem Thron saß, zornig wurde. Das Geschehen führte zum Gelächter der Zuschauer.

800 Ertrag Noch größeres Gewicht kommt der Tatsache zu, dass die Autoren ihre eigenen Vorlieben und Interessen in die Handlung mit einbrachten, was auch für stark an der biblischen Vorlage orientierte Stücke gilt. Bei der Betrachtung der Abraham- und StephanusDramen wurde die individuelle Note der Verfasser deutlich. Die Form Drama wurde von vielen Autoren – abgeschwächt gilt dies auch für die Theologen, denen ein Drama als Ausweis einer Befähigung für eine höhere Stelle dienen sollte – aus freien Stücken gewählt. Das Abfassen war für die Verfasser sozusagen Kür statt Pflicht, sie konnten hier das ihnen unbedingt Wichtige ausdrücken und weitergeben. Dabei mussten ihre Vorstellungen nicht unbedingt denen der Obrigkeit entsprechen. Ohne Zweifel waren aber die Verfasser die entscheidende Schaltstelle für das protestantische Drama; diese wies gegenüber einer Instrumentalisierung eine gewisse Resistenz auf. Schließlich wirkte die komplexe Kommunikationssituation im Zuge der Entstehung und Aufführung eines geistlichen Dramas mit der Beteiligung verschiedener Personen und Institutionen – Autor, fürstliche und städtische Obrigkeit, geistliches Ministerium, Schulleitung, Agierende, Bürgerschaft, Zuschauer – und dem daraus resultierenden Konglomerat unterschiedlicher Interessen in Bezug auf eine Instrumentalisierung retardierend; dies in charakteristischem Gegensatz zum Jesuitentheater mit seiner einfacheren Kommunikationsstruktur. In Bezug auf die Möglichkeit einer Instrumentalisierung des geistlichen Dramas und Theaters ist somit als Ergebnis eine gewisse Ambivalenz festzuhalten. Drama und Theater boten grundsätzlich erhebliche Möglichkeiten für eine Verwendbarkeit als Medium, besonders aufgrund der erkannten Nachhaltigkeit. Die praktische Umsetzung aber erwies sich als schwierig. Die Kommunikationswege waren verwickelt und der Kreis der Autoren bot in Bezug auf eine Konfessionalisierung im Sinne einer Instrumentalisierung für von außen herangetragene Zwecke gewisse Unsicherheiten (was nicht heißt, dass sie NichtKonfessionelles verbreiteten). Das Risiko der Aufführung mit Nichtplanbarkeit und Spielcharakter konnte durch die Rahmenstücke allenfalls minimiert, aber nicht völlig ausgeschlossen werden. Schließlich schränkten strukturelle Nachteile die Instrumentalisierung ein, wie fehlende Ausstattung, hoher Aufwand und Bindung von Ressourcen.

2. Protestantisches Drama und Theater und die Frage der Konfessionalisierung Die folgenden Ausführungen kreisen um die Frage, was sich vom protestantischen geistlichen Drama und Theater her zu dem vieldiskutierten Problem der Konfessionalisierung sagen lässt, konkret zu der Frage, ob dieses Konzept die historischen Sachverhalte angemessen wiederzugeben vermag oder ob sich das Konzept einer Konfessionskultur als geeigneter erweist. Die Studie hob an mit dem Zitat des englischen Dichters George Whetstone aus dem Jahre 1578. Dieses Zitat belegt über das Feld des Theaters die Dominanz des religiösen Faktors für das Deutschland dieser Zeit, eine Dominanz, die vermutlich den deutschen Zeitgenossen gar nicht mehr auffiel, um so mehr aber von einem



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außenstehenden Betrachter aus einem gänzlich anderen Kontext wahrgenommen wurde. Whetstones Aussage, die sich anhand eines Blickes in Goedekes Grundriss und, für die frühe konfessionelle Zeit, auch in Wolfgang F. Michaels Darstellung schnell verifizieren lässt, bestätigt so einen grundlegenden Aspekt der Konfessionalisierungsthese – nicht für die anderen von ihm betrachteten Länder, aber für Deutschland –, dass nämlich die Religion bzw. Konfession den das kulturelle Leben bestimmenden Faktor darstellt.312 Deutlich wurde im letzten Abschnitt auch, dass das protestantische Drama und Theater, bei allem Bedenken von Grenzen der Verwendung, über eine gewisse Disposition für eine Instrumentalisierbarkeit in Bezug auf eine Verankerung der Konfession, eine Internalisierung konfessioneller Inhalte und Normen verfügt und sich ebenso in die mit dem Konfessionalisierungsbegriff eng verbunden gesehenen Bestrebungen zu einer Sozialdisziplinierung gut einfügen lässt. Damit könnte der Schluss nahe liegen, wesentliche Aspekte des Konfessionalisierungskonzepts bestätigt zu sehen. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, bedenkt man, dass sich diese Beobachtung sowohl am lutherischen wie am Jesuitentheater verifizieren lässt. Doch griffe dieser Schluss zu kurz. Das Faktum, dass sich das Institut des protestantischen Dramas und Theaters wie auch das Jesuitentheater in die Konfessionalisierungsthese einordnen lässt, impliziert noch nicht die Richtigkeit dieser These. Im Umkehrschluss müsste dann auch gelten, dass die oben in gleicher Weise aufgezeigten Faktoren, die einer Instrumentalisierbarkeit des protestantischen Theaters gewisse Grenzen setzen, eo ipso die Konfessionalisierungsthese widerlegen würden. Auch dieser Schluss wäre übereilt, allerdings ist es nicht ausgeschlossen, dass sich bei diesen Faktoren, die eine Begrenztheit der Instrumentalisierbarkeit bedingen, Indizien eruieren lassen, die entweder auf eine Sprengung des Systems einer Konfessionalisierung hindeuten oder zumindest deutliche Schranken für die Verwirklichung derselben aufzeigen könnten. Damit wäre in der Tat die Konfessionalisierungsthese fraglich oder zumindest in Bezug auf ihre Reichweite in Frage gestellt. Von dieser Beobachtung ausgehend sollen im Anschluss die gegen das Konfessionalisierungskonzept in der Forschung erhobenen Einwände unter Berücksichtigung jener, in Bezug auf die Instrumentalisierbarkeit des geistlichen Dramas retardierenden Elemente – besonders der Individualität der Autoren, des Charakters der Aufführung als Spiel und der Nichtplanbarkeit der Wirkung – betrachtet werden. Dabei zeigt sich, um es vorwegzunehmen, dass die Konfessionalisierungsthese keineswegs hinreichend zur Erklärung des Phänomens des geistlichen Theaters in toto ist, sondern dieses offensichtlich einen Überschuss bietet, so dass es zu seiner Erklärung weiterer Modelle bedarf, mithin die Konfessionalisierungsthese allein der Komplexität der Wirklichkeit nicht gerecht wird. Die 312 Die Auffassung Schillings, die Konfessionalisierung habe ganz Europa ergriffen – vgl. ders., Das konfessionelle Europa, S. 13: „Rund hundert Jahre, etwa zwischen 1550 und 1650 wurde die Geschichte Europas wesentlich durch den Faktor ‚Konfession‘ geprägt.“ Vgl. a.a.O., S. 15 und 16 – könnte von diesem Diktum Whetstones her zumindest in Bezug auf Theater und Kultur – eine gewisse Relativierung erfahren.

802 Ertrag Einwände gegen das Konzept der Konfessionalisierung seien an dieser Stelle in geraffter Form referiert, unter Ergänzung durch die Perspektive des geistlichen Theaters.

a) Einwände gegen das Konfessionalisierungskonzept aus der Perspektive des protestantischen Dramas und Theaters Keinen wirklich durchschlagenden Kritikpunkt stellt die Aussage dar, dass die Konfessionalisierung nicht ‚unten‘, wo sie hätte wirken sollen, angekommen, sondern weitgehend erfolglos geblieben sei und nur als Absicht existiert hätte.313 Dieser Vorwurf setzt gerade voraus, dass es einen solchen Prozess gab und dass er zumindest gewisse Wirkungen zeitigte, wenn auch in einem u.U. recht beschränkten Personenkreis. Dass Normen nicht überall und nicht sofort durchgesetzt werden konnten, leuchtet ein.314 Ebenso deutlich dürfte aber sein, dass diejenigen, die mit solchen Normen konfrontiert wurden, sich in irgendeiner Weise dazu verhalten mussten. Auf das hier bearbeitete Thema angewendet: Der mögliche Erfolg des geistlichen Theaters ist, auch infolge der Nichtplanbarkeit der Wirkung, schwer abzuschätzen. Inwiefern Verhaltensänderungen eintraten, lässt sich kaum eruieren, und selbst wenn solche statuierbar sind, wird sich nur im Ausnahmefall belegen lassen, dass sie auf das geistliche Theater und nicht auf anderen Bemühungen mittels anderer Medien zurückführen sind. Dass aber das Medium geistliches Theater in einer Welt, die noch nicht durch die permanente Immission von Medien geprägt war, Einflüsse ausgeübt hat und die Menschen in irgendeiner Weise zu reagieren nötigte, dürfte evident sein. Dass es damit eine Aufgabe von Geschichtswissenschaft und Kirchengeschichtswissenschaft bleibt, zu eruieren, wie solche Reaktionen aussahen, ist eine logische Konsequenz dieser Aussage. Als etwas gravierender erweist sich der an den ersten Punkt anschließende Einwand des Etatismus,315 dergestalt, dass der Konfessionalisierungsprozess ausschließlich als ein Geschehen von oben nach unten gezeichnet werde. Dass diese Sicht der Verhältnisse des 16. und 17. Jahrhunderts zu einseitig ist, dafür ist das protestantische Theater ein beredter Beleg. In ihm dominierten nicht einfach die Vorstellungen der weltlichen oder geistlichen Obrigkeit, vielmehr brachten die Autoren ihre eigenen Vorstellungen ein und sie konnten Erwartungen der Zuschauer, der potentiellen Adressaten, also der ‚zu Konfessionalisierenden‘ wenn nicht positiv aufnehmen, so doch berücksichtigen und gewissen Wünschen in Bezug auf das Unterhaltungsbedürfnis entgegenkommen: Volkstümliche interludi wurden aufgenommen, komische Szenen fanden Berücksichtigung; auch auf die Stoffwahl konnte die Bürgerschaft zumindest partiell einwirken, wie ein Zeugnis Cyriakus Spangenbergs 313 Vgl. dazu Luise Schorn-Schütte, Konfessionalisierung als wissenschaftliches Paradigma?, S. 66f. 314 Vgl. Michael Stolleis, Religion und Politik im Zeitalter des Barock. „Konfessionalisierung“ oder „Säkularisierung“ bei der Entstehung des frühmodernen Staates?, in: Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock, hrg. v. Dieter Breuer. Teil I, Wiesbaden 1995, S. 37. 315 Vgl. Schorn-Schütte, ebd.



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dokumentiert.316 Eine einfache Sicht von ‚oben‘ und ‚unten‘, wie sie das Konfessionalisierungskonzept nahe legt, lässt sich nicht völlig mit der Wirklichkeit des geistlichen Theaters in Deckung bringen. Allerdings ist zu konzedieren, dass dies kein hinreichendes Argument gegen das Konzept darstellt, verdankt sich die Aufnahme von Zuschauererwartungen wesentlich taktischen Gründen und impliziert keine wirkliche Verarbeitung und Rückwirkungen dieser Erwartungen auf Verfasser und Träger. Immerhin belegt dieser Prozess aber die Wahrnehmung von Einstellungen der Adressaten und ein entsprechendes Einfühlungsvermögen der Autoren. Aber selbst wenn die Existenz dieses Phänomens extensiv als Rückwirkung der Zuschauerhaltungen auf die Autoren verstanden wird, markiert dies kein wirklich durchschlagendes Argument gegen die Konfessionalisierungsthese als solche, lässt sich doch die Konfessionalisierung zumindest partiell auch als Selbstkonfessionalisierung auslegen.317 Ein weiterer bedeutender Einspruch gegen die Konfessionalisierungsthese besteht in der Aussage, dass man mit ihr einer teleologischen Geschichtsbetrachtung folge, in der die Epoche des konfessionellen Zeitalters letztlich über keinerlei Eigenwert verfüge, sondern lediglich im Hinblick auf spätere Epochen von Bedeutung sei: Das konfessionelle Zeitalter wird nur auf das hin betrachtet, was in ihm an solchen Wirkungen erkannt wird, die als modernisierend, als für die weitere Neuzeit wegweisend, als letzthin erfolgreich erachtet werden.318 Was nicht in dieses Schema passt, keine Modernisierung darstellt, sondern in der Betrachtung a posteriori als Rückschritt erscheint, wird in der Gesamtbetrachtung des Zeitalters dagegen vernachlässigt und spielt für die Gesamtbeurteilung desselben keine Rolle. Mit Recht hat Luise Schorn-Schütte bemerkt, dass dabei nicht geklärt worden sei, was Modernisierung für frühneuzeitliche Gesellschaften heiße. Auch verlaufe sozialer Wandel nicht immer zielgerichtet, er sei auch keineswegs immer intendiert. Für die Frühe Neuzeit sei die Existenz verschiedener Entwicklungsziele und -pfade und deren Nebeneinander anzunehmen.319 Die Vielgestaltigkeit des protestantischen Dramas widerspricht diesen Feststellungen Schorn-Schüttes nicht. Hinzuweisen ist etwa auf das Vorhandensein 316 Die Berücksichtigung von Erwartungen der Hörerinnen und Hörer geht nach den hier erhobenen Befund – zumindest im Verständnis der Autoren – noch über das hinaus, was Erich Kleinschmidt, Stadt und Literatur in der Frühen Neuzeit, S. 219, herausstellt: „Die Erwartungen und Einflüsse des Publikums gegenüber dem Theaterspiel betreffen nicht den konstruktiven Modus der Texte. Sie richten sich auf Stoff- und Stückwahl, Ausstattung (Spieldauer, Finanzaufwand), Gattung (Tragödie, Komödie, Fastnachtsspiel [!], Allegoriespiel, Moralität usw.) und schließlich die Trägerschaft (Meistersänger, Bürgerspiel, Schultheater).“ 317 So etwa der Ansatz von Heinrich Richard Schmidt, Sozialdisziplinierung? Ein Plädoyer für das Ende des Etatismus in der Konfessionalisierungsforschung, HZ 265 (1997), S. 639–682, der die Bemühungen um Disziplinarisierung und Konfessionalisierung auf die Ebene der Kommune verlagert, ohne Direktiven seitens der Obrigkeit oder der Konfession völlig auszuschließen. 318 Vgl. die häufigen Formulierungen „modernisierend“, „neuzeitlich-rational“ bzw. „neuzeitliche Rationalität“ bei Schilling, Das konfessionelle Europa, S. 19. 24. 30. 32. 56. 319 Vgl. Schorn-Schütte, a.a.O., S. 67f.

804 Ertrag mittelalterlicher Elemente, wie sie der ‚Streit der Töchter Gottes‘, das Prozessmotiv oder auch das Erscheinen der Teufelshierarchie ab der Mitte des 16. Jahrhunderts bedeuten.320 Diese Elemente traten in der engeren Reformationszeit fast völlig zurück, was im Sinne einer Modernisierung gedeutet werden könnte; überraschenderweise wurden sie aber in der Folgezeit wieder aufgenommen, und zwar auf weite Distanz hin, was der Modernisierungsthese diametral widerspricht. Ebenso widerrät das Nebeneinander von Kritik und Befürwortung des geistlichen Theaters im Protestantismus einer einlinigen Klassifikation des Phänomens: Gewiss könnte man die auf Rationalisierung und Ökonomisierung der Bildung dringenden Theatergegner als Modernisierer einordnen, doch mit gleichem Recht ließe sich auch die befürwortende Position, die in der Aufführungspraxis ein für die Ausbildung der Eliten nützliches Instrument erkennt, als modernisierend einstufen. Aber wie auch immer hier votiert wird und wie auch immer der Modernisierungsbegriff gefüllt wird, er verhindert als von außen herangetragene Kategorie letztlich eine sachgerechte Kenntnisnahme des gesamten Phänomens der ‚Konfessionalisierung‘ und des geistlichen Theaters. Im Anschluss daran ließe sich auch trefflich darüber streiten, inwiefern die Rede von einer alle Verhältnisse bestimmenden Konfessionalisierung oder Modernisierung tatsächlich den Abläufen der Geschichte angemessen ist. Gerade weil und insofern Treitschkes Konzept von den Geschichte machenden Männern ebenso wie das gegenteilige des Marxismus überwunden sind, muss die Frage erlaubt sein, ob hier nicht ein neues universales Subjekt der Geschichte installiert wird, indem die Konfessionalisierung oder Modernisierung zu einer Größe hypostasiert wird, die als zielgerichtet und zwangsläufig ablaufendes, über die Konfessionen und Territorien ergehendes Geschehen alle verantwortlich Agierenden und das ganze Leben aller Betroffenen ergreift.321 Problematisch daran ist einerseits die Behauptung der Monokausalität, die der Komplexität nicht gerecht wird, andererseits die Behauptung eines unpersönlichen und überpersönlichen Subjekts in Verbindung mit der Statuierung einer Zielgerichtetheit, die das Kontingente und Unverrechenbare verkennt. Insofern ist Kaspar von Greyerz’ Urteil zuzustimmen: „Die Erforschung der Geschichte der Frühen Neuzeit darf nicht in das Prokrustesbett deterministischer Vorstellungen... hineingezwängt werden.“322 In Bezug auf das Konfessionalisierungskonzept verkennt er allerdings nicht, dass dessen Befürworter Modifikationen eingebaut hätten, 320 Zu diesen Elementen vgl. Almut A. Meyer, Heilsgewißheit. 321 Vgl. die Formulierungen von Heinz Schilling, Die Konfessionalisierung des lateinischen Christentums und das Werden des frühmodernen Europa – Modernisierung durch Differenzierung, Integration und Abgrenzung, in: Jan Rohls – Ludwig Mödl – Gunther Wenz (Hrgg.), Das Wesen des Christentums, Göttingen 2003, S. 224: „Auch im katholischen Umfeld, nicht anders als bei Lutheranern, Anglikanern oder Calvinisten, wirkten die Agenten der Konfessionalisierung im Sinne einer Verchristlichung der Gesamtgesellschaft ...“ S. 216 ist von der „... Konfessionalisierung, die ab dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts so gut wie alle Gesellschaften und Staaten Europas ergriff ..., “ die Rede. 322 Kaspar von Greyerz, Religion und Kultur. Europa 1500–1800, Göttingen 2000, S. 65.



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derart dass sie von einem komplexen Geschehen, nicht von einem linear verlaufenden Modernisierungsvorgang ausgehen würden. Dennoch ist nach von Greyerz der grundsätzliche Eindruck einer „evolutionistischen Zwangsläufigkeit“ des Konfessionalisierungsmodells nicht gänzlich von der Hand zu weisen.323 Ein letzter, mit dem vorigen im Zusammenhang stehender wesentlicher Einwand gegen das Konfessionalisierungskonzept besteht im Vorwurf der Funktionalisierung. Auch dieser Kritik liegt die Warnung vor dem Rückgriff auf sachfremde Maßstäbe zugrunde. Man gehe letztlich, so die kritische Analyse, von der heutigen, durch Funktionen bestimmten pluralistischen Gesellschaft aus und übertrage dieses Bild auf die frühneuzeitliche Gesellschaft, mit der direkten Folge, dass aus Trägergruppen Funktionselemente eines Systems würden, und der weiteren Folge, dass die Frühe Neuzeit nicht mehr als eigenständige historische Zeit wahrgenommen werde.324 Eine Spezifizierung dieses Kritikpunktes aus theologisch-kirchengeschichtlicher Perspektive ist in der Kritik Thomas Kaufmanns am Konfessionalisierungskonzept zu sehen, der von der Frage nach der Bedeutung der Religion und Konfession ausgeht und zu der Auffassung gelangt, das Konzept impliziere eine „funktionalistisch-reduktionistische Betrachtung der Religion in ihrem gesellschaftlichen Kontext“.325 Daraus resultiere eine Ausblendung der theologischen Wahrheitsfrage. In der Tat fragt das Konfessionalisierungskonzept nur nach der Funktion, die die Religion in Gestalt der jeweiligen – im Grunde dann beliebigen – Konfession für die Entstehung des frühneuzeitlichen Staates einnimmt. Dabei wird in keiner Weise nach dem Selbstverständnis der Vertreter der jeweiligen Konfession gefragt. Für jene, insbesondere Theologen, Pfarrer und Lehrer, aber war die Wahrheitsfrage konstitutiv; für sie nahm das Bekenntnis den Primat ein. Maßgeblich für die Stellung von Religion und Konfession nach dem Konfessionalisierungskonzept ist – welche Motive und Interessen dem auch zugrunde liegen – das Wirken der Repräsentanten der weltlichen Obrigkeit; Reflex der etatistischen Sicht der Konfessionalisierung. Blickt man zum geistlichen Drama und Theater, so erhellt, dass eine funktionalistische Sicht der Konfession deutlich zu kurz greift. Ginge man von der alleinigen Geltung der Konfessionalisierungsthese aus, gelangte man für das Gebiet des geistlichen Theaters letztlich wieder zu der lange kolportierten, von Jörg Baur mit Recht kritisierten Auffassung, die Orthodoxie stehe für „... ein auf das volksdisziplinarische Programm des christlichen Fürstenstaates hin funktionalisiertes kümmerliches Überleben von Kunst und Dichtung.“326 Das geistliche Drama und Theater ist zumindest auch Ausdruck 323 A.a.O., S. 105. 324 Vgl. Schorn-Schütte, a.a.O., S. 69, im Anschluss an Wolfgang Reinhard, Sozialdisziplinierung – Konfessionalisierung – Modernisierung. Ein historiographischer Diskurs, in: Die frühe Neuzeit in der Geschichtswissenschaft, hrg. v. Nada Boškovska Leimgruber, Paderborn 1997, S. 54. 325 Thomas Kaufmann, Die Konfessionalisierung von Kirche und Gesellschaft, ThLZ 121 (1996), Sp. 1121. 326 Jörg Baur, Lutherisches Christentum im konfessionellen Zeitalter – ein Vorschlag zur Orientierung und Verständigung, in: Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock, hrg. v. Dieter Breuer. Teil I, Wiesbaden 1995, S. 47.

806 Ertrag der Spielfreudigkeit der Bevölkerung, vor allem aber der konfessionellen, der besonderen theologischen, schließlich aber auch der individuellen poetologischen Interessen der Autoren. Die Autoren wie auch die tragenden Kreise in Schule und Bürgerschaft verstanden sich nicht als Agenten eines Prozesses, in dem das ihnen wertvolle, im Drama zu vermittelnde Glaubensgut durch Instrumentalisierung seinen Charakter verändern musste und nur noch Folie für eine andere Botschaft sein konnte.327 Die Konfessionalisierungsthese geht offensichtlich am Selbstverständnis der Theologen und an ihrer Auffassung von der Gestalt dessen, was sie zu bekennen suchten und zu vermitteln sich berufen wussten, vorbei. Sie geht aber auch an dem zu vermittelnden Inhalt selbst, an dessen Gewicht und Dynamik vorbei. Dieser ließ sich nicht einfach instrumentalisieren, sondern war fest an das jeweilige Bekenntnis gebunden. Dies schließt natürlich nicht aus, dass Autoren und andere Trägerkreise unbewusst doch einen gewichtigen Beitrag zu einer Konfessionalisierung leisten konnten und leisteten.328 Mit diesen Feststellungen soll somit nicht in Abrede gestellt werden, dass es einen Prozess gab, der als ‚Konfessionalisierung‘ bezeichnet werden kann, dass die in einem Territorium dominierende Konfession mit allem, was zu dieser gehört, zum Zwecke der Zentrierung der Macht eingesetzt wurde, ohne dass dieser Vorgang den theologischen Akteuren wirklich als solcher und mit allen seinen Auswirkungen bewusst war oder gar zum Gegenstand von Reflexionen wurde. Die Konkurrenzsituation der Konfessionen trieb letztlich weltliche Obrigkeit und Kirche zu einander, wie auch beide wiederum von diesem Vorgang profitierten. Wohl aber soll hier festgehalten werden, dass die Geschichte der Frühen Neuzeit nicht im Prozess der Konfessionalisierung aufgeht. Der Hinweis auf das Selbstverständnis der Dramen abfassenden oder ihre Aufführung propagierenden Kreise zeigt, dass das Konfessionalisierungskonzept die Verhältnisse im frühneuzeitlichen Deutschland nicht völlig erklärt. So fruchtbringend dieses Konzept als heuristische Leitkategorie ist, so gewiss bedarf es einer Ergänzung durch eine andere Perspektive, in der das Selbstverständnis der jeweiligen Konfession bzw. der diese tragenden Kreise Berücksichtigung findet, womit besonders auf die Theologen, die ministri verbi und Lehrer, abgehoben ist. Wird damit dem Faktor Konfession – im Grundsatz in Übereinstimmung mit dem Konfessionalisierungskonzept, dann aber in anderer Akzentuierung – eine maßgebliche Rolle zugestanden, so ist damit nicht negiert, was von anderer Seite in die Konfessionalisierungsdebatte eingeworfen wurde, nämlich dass über dem religiös-konfessionellen Moment noch andere Aspekte für die Genese des frühneuzeitlichen Staates ausschlagge-

327 Die Begrifflichkeit „Agenten der Konfessionalisierung“ erscheint bei Schilling, Das konfessionelle Europa, S. 51, und in gleichem Wortlaut in ders., Die Konfessionalisierung des lateinischen Christentums, S. 224. 328 Reinhard konzediert dies, wenn er zwischen intendierten und nichtintendierten Modernisierungsaspekten der Konfessionalisierung unterscheidet; vgl. Reinhard, Was ist katholische Konfessionalisierung?, in: Ders. – Schilling (Hrgg.), Die katholische Konfessionalisierung, S. 432–434.



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bend waren.329 Dies betrifft allerdings weniger die genannten Kernträger der jeweiligen Konfession, wie gerade die Untersuchung des geistlichen Dramas bestätigte, insofern in ihm dem konfessionell-theologischen Moment der Primat zuerkannt wurde. Jedoch gilt es mit Stolleis der Gefahr gewahr zu werden, das Phänomen der Konfessionalisierung in seiner Bedeutung gegenüber anderen nicht-religiösen Faktoren zu überschätzen.330 Ein Grundproblem des Konfessionalisierungskonzeptes ist ohne Zweifel, dass es als komparatistisch entwickeltes Modell von einer abstrakten Ebene aus entworfen ist. Es bietet sozusagen eine Vogelperspektive über den drei Konfessionen und den, jeweils eine dieser drei forcierenden Territorien und vermag eine mit den Händen zu greifende und durch die Konkurrenzsituation weiter beförderte Parallelität zwischen den drei Konfessionsbildungsprozessen herauszuarbeiten.331 Was dabei aus dem Blick gerät, sind die konfessionellen Propria, die Unterschiede zwischen den drei Prozessen, das Faktum, dass die ‚Konfessionalisierung‘ in jeder Konfession etwas je anderes ist. Mit Blick auf das geistliche Theater formuliert: Es ist in der Tat auffallend, dass sich in allen drei Konfessionen parallel, wenn auch zeitlich versetzt, ein geistliches Theater entwickelte und als Medium eingesetzt wurde, ebenso dass es die grundsätzliche Möglichkeit der Übernahme eines in einer Konfession entstandenen Dramas durch eine andere Konfession gab, eine Möglichkeit, die mehrfach Wirklichkeit wurde. Erinnert sei an die Aufführung von Bezas Abraham in Rostock, an die Aufführungen von Dramen Hieronymus Zieglers in Straßburg und Ulm sowie an die Aufführungen von Dramen des Protestanten Gnapheus im katholischen Bereich und solchen des Katholiken Macropedius auf protestantischer Seite. Das Spezifische aber der jeweiligen Form des geistlichen Theaters lässt sich mit dem Konfessionalisierungskonzept nicht erfassen: die Ausgestaltung des katholischen Theaters als Jesuitentheater mit spezifischen Eigenarten, das lutherische Theater mit seinen Propria, das reformierte Theater mit sehr speziellen polemischen Moralitäten und einem existentiell motivierten Bibeldrama, schließlich aber von dieser reformierten Seite auch die massive Kritik am geistlichen Theater und dessen weitgehende Reduktion in diesem Bereich der Reformation. Es bedarf also, um in dem verwendeten Bilde zu bleiben, einer Froschperspektive, um das Phänomen der Konfession im Allgemeinen oder das des konfessionellen geistlichen Theaters im Besonderen wirklich zur Gänze erklären zu können. Diese Perspektive bildet nicht nur eine ergänzende, für die Erfassung des jeweiligen Phänomens markiert sie vielmehr die entscheidende Perspektive, berücksichtigt sie doch das Selbstverständnis der die jeweilige Konfession tragenden Kreise und den inneren Kern dieser Konfession. Der gravierende Nachteil der Konfessionalisierungsthese besteht letztlich darin, dass deren Verfechter bei aller Betonung der Bedeutung des religiös-konfessionellen Faktors für die Entwicklung der Gesellschaft – worin mit Kaufmann die eigentliche Leis329 Vgl. Michael Stolleis, Religion und Politik im Zeitalter des Barock, S. 39. 330 Vgl. ebd. 331 Dies konzediert Schilling selbst, wenn er formuliert (Das konfessionelle Europa, S. 19), im Folgenden gehe es um „eine Beschreibung des konfessionellen Europa im Vogelflug.“

808 Ertrag tung des Konzeptes zu erkennen ist332 – letztlich doch diesem Faktor nicht völlig gerecht werden können. Sie gehen – analog zu den Vertretern des Gedankens einer natürlichen Religion in der Aufklärung, die, unter Verkennung des Sachverhaltes, dass Religion nur und immer schon als konkrete positive Religion existiert, einen unhistorischen Begriff von Religion statuierten – von einem abstrakten Begriff des religiös-konfessionellen Faktors aus, wo doch dieser in dem betrachteten Zeitraum nur als je konkrete Konfession wirksam ist und nur in Gestalt der spezifischen Konfessionskirche in Erscheinung tritt.333 Insofern sollte an sich auch terminologisch immer vom protestantischen bzw. lutherischen und reformierten und vom Jesuitentheater die Rede sein statt einfach vom geistlichen Theater, so gewiss dieser Begriff unumgänglich erscheint, um all diese Phänomene begrifflich zu bündeln, wie es die Konfessionalisierungsthese vollzieht, die somit – es sei nochmals betont – keinesfalls als obsolet zu bezeichnen ist, aber in den rechten referentiellen Rahmen eingeordnet werden muss.

b) Die Konfessionskultur als primärer Rahmen des protestantischen Dramas Für die genannte ergänzende Perspektive bietet sich das von Thomas Kaufmann entwickelte Konzept der Konfessionskultur an. Dieser versteht darunter den „... Formungsprozeß einer bestimmten, bekenntnisgebundenen Auslegungsgestalt des christlichen Glaubens in die vielfältigen lebensweltlichen Ausprägungen und Kontexte hinein, in denen der allenthalben wirksame Kirchenglaube präsent war.“334 Dieses Konzept füllt das beschriebene Defizit der Konfessionalisierungsthese aus; es versucht „... die Innenperspektive der Konfessionen, ihre Selbstdeutungen, ihre Wirkungen in der gesellschaftlichen und kulturellen Lebenswelt... einzubeziehen.“335 Mit Kaufmann ist vom Primat der Konfession auszugehen, die den Rahmen bildet und zu einer je eigenen lebensweltlichen Ausprägung des konfessionellen Glaubens, und d.h. für das hier behandelte Thema auch zu einer je spezifischen Form des geistlichen Dramas und seiner Verwendung führt. Die dramatische Praxis, die Abfassung eines Dramas, seine Aufführung wie auch seine Herausgabe als 332 Kaufmann, Konfessionalisierung, Sp. 1115: „Die für jede weitere historische Perspektive auf die europäische Geschichte des 16. bis 18. Jh.s bemerkenswerteste Leistung des Konfessionalisierungsparadigmas dürfte darin bestehen, daß es die sich in Gestalt konkurrierender, funktional parallel entwickelter Konfessionssysteme ausprägende gesellschaftsgestaltende Kraft der christlichen Religion als das wesentliche Moment der historischen Entwicklung behauptet...“ – Vgl. etwa die Formulierung von Schilling, Das konfessionelle Europa, S. 18 Anm. 5: „Konfessionalisierung ist die epochenspezifische Modernisierung, die historisch adäquat nur erfaßbar ist, wenn die Dignität des religions- und kirchengeschichtlichen Faktors bewahrt ist.“ 333 Vgl. Kaufmann, a.a.O., Sp. 1116, der in Auseinandersetzung mit dem von Heinrich Richard Schmidt vorgeschlagenen Konzept einer Kirchengeschichte als Religionsgeschichte von der „Dominanz ‚kirchlich-institutioneller‘ Prägungen in der vorneuzeitlichen Kirchengeschichte“ spricht. 334 Thomas Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede, Tübingen 1998, S. 7. 335 Ebd.



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Druck erfolgt stets im Rahmen der jeweiligen Konfession, was besonders die Rahmenstücke, in denen die Autoren ihre Orthodoxie im Sinne einer ‚Normaltheologie‘ betonen, belegen. Das geistliche Theater in seiner jeweiligen Gestalt als lutherisches, reformiertes oder Jesuitentheater bestätigt ebenso Kaufmanns These, dass auch Elemente konfessionsübergreifender Christlichkeit in der jeweiligen Konfessionskirche ihren Ort hatten.336 Auch wo ein Stück aus einem anderen konfessionellen Kontext übernommen wurde, wo also offensichtlich Gemeinchristliches erkannt wurde, wurde das Stück, wenn nicht in gewissen Passagen überarbeitet – ein Beispiel ist die Verwendung des Johannes-Dramas des schweizerischen altgläubigen Dramatikers Johannes Aal durch Andreas Meyenbrunn in Colmar –, so doch zumindest durch die Rahmenstücke in den eigenen Kontext transponiert und auf einen neuen Interpretationsrahmen festgelegt. Die geistlichen Dramen erweisen sich je als Teil einer spezifischen Konfessionskultur. Bestimmte Eigenarten der Konfession bedingen bestimmte Merkmale in Drama und Theater, etwa die lutherische Hochschätzung der Ehe, die in vielen Stücken ihren Niederschlag findet, oder das reformierte Gottesvolkbewusstsein, das die französischen Bibeldramen kennzeichnet. Die Dramen tradieren und internalisieren diese Eigenarten in der Anhängerschaft weiter und wirken damit in die Lebenswelt der Menschen hinein. Indem dabei die Form Drama aufgegriffen wird, wird auch der kulturelle Kontext der Menschen involviert. Die Konfession mit ihrer Kultur erscheint so wesentlich aus sich selbst heraus bestimmt. Sie übt ihrerseits Einflüsse auf andere Bereiche aus, was verdeutlicht, dass sie nicht völlig durch äußere Faktoren funktionalisierbar ist. Der Begriff der Konfessionskultur als solcher verweist freilich wieder auf die Parallelität dieser Erscheinung in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Die sich im Zuge der Reformation etablierenden Konfessionen bilden ihre je eigene Kultur aus, aber dieser Prozess läuft parallel und nicht ohne gegenseitige Einflüsse ab. Das Faktum, dass sich in Deutschland ein geistliches Drama parallel in den Konfessionen entwickelte und dass es das Theaterwesen weithin dominierte, wie es die zitierte Außenwahrnehmung des Engländers Whetstone bezeugt, bestätigt die These von der Konfessionalisierung als einem parallelen Prozess sowie die für das Konfessionalisierungskonzept konstitutive Auffassung von der wesentlichen Bedeutung des Feldes der Religion für die damalige Gesellschaft. Unterstützt wird dies durch das Faktum der Austauschbarkeit, der Übernahme von Stücken durch eine andere Konfession. Die ausschließlich spezifische Gestalt dieses Dramas aber als lutherisches, reformiertes oder als Jesuitendrama bestätigt zugleich die These vom Primat der Konfession im Sinne Kaufmanns. Von der Betrachtung des geistlichen Theaters her ist letztlich dem Schilling-Schüler Matthias Pohlig Recht zu geben, der beide Ansätze als komplementär zueinander versteht.337 Gerade eine entwickelte, oder besser: nur eine entwickelte Konfessionskultur konnte dem Prozess der Konfessionalisierung 336 Vgl. a.a.O., S. 8. 337 Vgl. Matthias Pohlig, Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung. Lutherische Kirchen- und Universalgeschichtsschreibung 1546–1617, Tübingen 2007, S. 25f.

810 Ertrag zugute kommen. Paradoxerweise beförderte ausgerechnet ein verstärktes Engagement in Bezug auf die eigene Konfessionskultur, also der Versuch, ein selbstbestimmtes Profil zu gewinnen, insgesamt die Entwicklung der Konfessionalisierung. Die Bemühungen, sich von den anderen Konfessionen abzusetzen, ergriffen alle Konfessionen und riefen naturgemäß auch die Obrigkeiten auf den Plan. Auch vom geistlichen Theater her erweist sich der Faktor der Konkurrenz als wesentliches Movens in diesem Prozess, wie an der lutherischen Ehrfurcht vor dem Jesuitentheater und zuvor am Aufgreifen des protestantisch behafteten Theaters durch die Jesuiten deutlich wird. Bedingen also beide Entwürfe einander – Konfessionalisierung setzt Konfessionskultur voraus, Konfessionskultur bringt Konfessionalisierung mit sich –, so muss die Hauptperspektive für die Wahrnehmung des protestantischen Dramas die Wahrnehmung desselben als Produkt der spezifischen Konfessionskultur sein. Nur in diesem Rahmen sind die primären Intentionen der Verfasser anzusiedeln und zu verstehen, nur in diesem Rahmen ist letztlich die Genese eines protestantischen Dramas in dieser Zeit zu begreifen.338 Die Wahrnehmung der Dramen als Medium im Prozess der Konfessionalisierung aber ist eine unumgängliche zusätzliche Perspektive, mittels derer das Profil des protestantischen Dramas noch deutlicher herausgestellt zu werden vermag und zugleich stärker Wirkungen dieser Gestalt des Dramas aufgezeigt werden können, die originär nicht oder kaum intendiert waren. Nun könnte man fragen, ob nicht auch der Ansatz einer Konfessionskultur eine zu funktionale Sicht eröffnet, wenn mit ihm alle Ausdrucksformen von Religiosität, auch das individuelle Christentum von vornherein in den Dienst der jeweiligen Konfessionskirche gestellt werden. Wird nicht so aus dem Konzept der Konfessionskultur unter der Hand wieder ein Konfessionalisierungskonzept, wenn auch mit anderem, rein konfessionellem Vorzeichen und nur für den Bereich des Glaubens- und Frömmigkeitslebens? Geht aber die Konfession eines Dramenautors in dieser Zeit derart in ihm auf, dass diese sein gesamtes Schaffen durchdringt? Wie verhält es sich mit den individuellen Elementen, denen in dieser Studie für das protestantische Drama konstitutive Bedeutung zuerkannt wurde? Nun dürfen auf keinen Fall Vorstellungen von Individualität in der späteren Neuzeit in frühneuzeitliche Kontexte eingetragen werden. Die Prägung eine Autors in seiner Konfessionskultur ist für diese Epoche als das Wesentliche und Durchschlagende anzusehen. Dass individuelle Elemente im Drama erscheinen, widerspricht dem nicht eo ipso. Konfessionskultur bedeutet nicht Festlegung auf eine doktrinär und formal eng beschriebene Linie, vielmehr bestand, wie die Dramen belegen, innerhalb derselben eine relative Spannweite, die den Autoren Raum für die Artikulation individueller Interessen ließ.339 Gerade im lutherischen Bereich war auch nach 1577 ohnehin keine volle Lehreinheit gegeben,

338 Aus diesem Grunde werden hier die Akzente genau umgekehrt gesetzt wie bei Pohlig, a.a.O., S. 26, der formuliert: „Konfessionalisierung schafft Konfessionskultur.“ 339 Vgl. Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede, S. 145.



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die Konkordienformel nicht überall anerkannt.340 Entsprechend finden wir Autoren vom melanchthonischen wie vom flacianischen Flügel. In ähnlicher Weise stehen auf reformierter Seite radikale Theaterkritik bei Breitinger und – unter Einfluss von Vadian – humanistisch geprägtes Theater in der Ostschweiz nebeneinander. Ein Indiz dafür, dass die Konfessionskultur durchaus von einer gewissen Offenheit geprägt war, ist auch darin zu sehen, dass die Zensur bei der Vorlage von Dramen nur selten Anlass zu Beanstandungen sah – zumindest konnten in dieser Hinsicht kaum Nachrichten erhoben werden. Gewiss ist zu konzedieren, dass hier auch Mechanismen einer Selbstzensur wirksam gewesen sein könnten, doch wäre dies eher ein Beweis für die Gewichtigkeit der Konfessionskultur bzw. für die Internalisierung von Normen, nicht aber eine bloße Fremdbestimmung.

c) Das protestantische Drama zwischen Konfessionskultur und Konfessionalisierung Als Ergebnis sei festgehalten: Existenz und Gestalt des protestantischen Dramas widersprechen der Konfessionalisierungsthese nicht. Das protestantische Drama war offen für eine Instrumentalisierung in Gestalt der Vermittlung lebenspraktischer Regeln und einer Ständeethik. Insofern ihm letzteres schon von Luther beigegeben wurde, lässt sich kaum zwischen aus sich selbst heraus bestimmter Konfessionskultur und stärker fremdbestimmter Konfessionalisierung trennen. Die Konfessionalisierungsthese allein erweist sich aber als zur Erklärung des lutherischen Theaters nicht zureichend. Das protestantische Drama und Theater, das lutherische, aber auch das frühe reformierte – mit umgekehrtem Vorzeichen auch die dort sich entwickelnde Theaterkritik – ist primär Ausdruck einer Konfessionskultur, in der die Verfasser sozialisiert waren und die sie mit ihren Dramen weiter vermitteln wollten. Dies erhellt zum einen aus dem besonderen Stellenwert der reformatorischen Theologie in den Dramen, die sich als gegenüber unmittelbarer Instrumentalisierung ab extra weitgehend resistent erwies. Ein besonderes Signum des lutherischen Theaters, die Orientierung an Texten Martin Luthers, weist in die gleiche Richtung. Ein weiterer Beleg gegen eine starke Modifikation speziell des lutherischen Theaters durch den Prozess einer Funktionalisierung der Konfession ist in der keine bedeutsamen Brüche aufweisenden Kontinuität desselben seit den 1530er und 1540er Jahren bis in das 17. Jahrhundert zu sehen, es sei denn, man wollte mit Harm Klueting die Konfessionalisierung schon 1525 beginnen lassen, was aber die weitere Entwicklung des Religionsstreites in Deutschland völlig marginalisiert.341 340 Vgl. Ernst Koch, Das konfessionelle Zeitalter, S. 215, zu den Territorien, die sich der Konkordienformel nicht anschlossen. Vgl. auch S. 217 zu den Widerständen von flacianischer Seite und zum Protest des – für Drama und Theater bedeutsamen – Straßburger Rektors Johannes Sturm. 341 Vgl. Harm Klueting, Das konfessionelle Zeitalter 1525–1648, Stuttgart 1989, S. 24. Dieser Ansatz verkennt die Bedeutung der Zäsuren in den vierziger bis sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts: Wirken des Jesuitenordens, Konzil von Trient, Augsburger Religionsfriede, innerlutherische Streitigkeiten und das Fußfassen der reformierten Konfession in Deutschland.

812 Ertrag Zum andern erhellt den Primat der Konfessionskultur das in den Dramen entgegentretende Bewusstsein der Verfasser, zumeist Theologen, Sachwalter der Wahrheit zu sein und diese offensiv weiterzugeben. Als wesentlich für das protestantische Drama wurde in dieser Studie das Selbstverständnis des Pfarrerstandes herausgearbeitet. Mit den hier besonders anhand der lutherischen Dramen von 1560 an gewonnenen Erkenntnissen übereinstimmend ist die Feststellung eines besonderen Selbstverständnisses der Pfarrerschaft, wie es Luise Schorn-Schütte ermittelt hat. Dieses Selbstverständnis steht zunächst einmal auch deutlich gegen eine Funktionalisierung und Instrumentalisierung des Standes.342 Die Entwicklung einer solchen keineswegs zu leugnenden Instrumentalisierung ist von daher eher als ein Spätprodukt der konfessionellen Zeit zu werten.343 Immer wieder wird die Frage nach den Grenzen der Konfessionalisierung gestellt. Die konkreten Dramen belegen das Faktum eines gewissen Indifferentismus in bürgerlichen Schichten, der sicher nicht nur als Negativfolie in den Köpfen der Dramenautoren existierte.344 Die Dramen dokumentieren zugleich ein weitgehendes Desinteresse am Bauernstand und unterbäuerlichen Schichten, die zumal in den interludi eher Gegenstand des Spottes sind. Nach Hartmut Lehmann liegt das Glaubensleben der Unterschichten in der Zeit der Konfessionalisierung weitgehend im Dunkeln. Es deute nichts darauf hin, dass die Konfessionalisierung hier Erfolge aufzuweisen hätte.345 Die Analyse der protestantischen 342 Vgl. Luise Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit in der Frühneuzeit. Deren Anteil an der Entfaltung frühmoderner Staatlichkeit und Gesellschaft. Dargestellt am Beispiel des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel, der Landgrafschaft Hessen-Kassel und der Stadt Braunschweig (QFRG 62), Gütersloh 1996, S. 24f. 343 Vgl. Schorn-Schütte, a.a.O., S. 25. Danach setzt die eigentliche Phase der Konfessionalisierung im Sinne einer „konfessionspolitische[n] Funktionalisierung im Interesse weltlicher zentraler Herrschaft“ erst nach 1648 ein – paradoxerweise gleichzeitig mit der „Differenzierungs- und Entkonfessionalisierungsphase“. 344 Zu der das Bürgertum betreffenden Indifferenz im 16. und 17. Jahrhundert vgl. Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, München 2005, S. 86. Dass das „fromme Bürgertum“ Träger der Endzeiterwartung war, wie Hartmut Lehmann, Endzeiterwartung im Luthertum im späten 16. und im frühen 17. Jahrhundert, in: Rublack (Hrg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland, S. 548, feststellt, mag zwar zutreffend sein, besonders die Stephanus-Dramen aber lassen eher ein indifferentes Bürgertum Gegenüber des Pfarrers sein. Wenn Lehmann, a.a.O., S. 550, darüber hinaus äußert: „Gruppen von endzeitorientierten Frommen begannen, sich als Endzeitgemeinde zu verstehen. Der Glaube an das Wüten des Antichristen in der Endzeit band sie als Gruppe zusammen ...“, müsste er den Beweis erbringen, dass es ein solches Gruppenbewusstsein als soziologisch fassbares Phänomen wirklich gab. Die Stephanus-Dramen legen zumindest den Eindruck nahe, dass die Pfarrer sich etwas verloren vorkamen und ihre Predigt vom nahen Ende bei den Hörerinnen und Hörern wirkungslos verhallte. Dies könnte man zwar als Topos abtun, doch liegt die Vermutung näher, dass man in der Gattung Drama tatsächlich der Befindlichkeit des Pfarrerstandes gegenübertritt. 345 Vgl. Hartmut Lehmann, Grenzen der Erklärungskraft der Konfessionalisierungsthese, in: Kaspar von Greyerz – Manfred Jakubowski-Tiessen – Thomas Kaufmann – Hartmut Lehmann (Hrgg.),



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Dramen kann zwar dazu keine echte Auskunft geben, deutlich ist aber, dass zumindest ein Teil, vermutlich der größere Teil der hier untersuchten Autoren mit seinen dramatischen Bemühungen nicht nur vor allem auf das Bürgertum zielte, sondern auch bewusst in Kauf nahm, dass unterbäuerliche Schichten oder, wie Rollenhagen äußert, der ‚Pöfel‘ nicht angesprochen wurden. Dies steht in starkem Gegensatz zu der erklärten Intention anderer, mit dem geistlichen Drama die gesamte Bevölkerung erreichen zu wollen. Dass schließlich im Drama Elemente erscheinen können, die geeignet sind, die konfessionelle Kultur und die Instrumentalisierung der Konfession durch die Konfessionalisierung zu sprengen, ist eher selten zu beobachten, aber grundsätzlich möglich, in chiffrierten Ansätzen etwa bei Frischlin. Was die Dramen wiederum nicht spiegeln, ist aber das in heutigen Handbüchern z.T. stark herausgestellte Phänomen der Magie; dieses oder, aus kirchlicher Sicht als Aberglaube apostrophierte Praxis spielt in den Dramen auffälligerweise keine Rolle.346 Ein konkretes Beispiel zu der Frage der Verankerung der Konfession bietet Michael Saxos Stephanus von 1565: Wenn dort der Narr den Gemeindegliedern die Leviten liest, sie verstünden das Attribut ‚evangelisch‘ im Sinne von ‚eigenwillig‘, belegt dies zweierlei: Das anvisierte Publikum versteht sich zu diesem relativ frühen Zeitpunkt ganz offensichtlich als ‚evangelisch‘; in diesem Prädikat sieht es seine Identität begründet. Es hat also ein Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese (SVRG 201), Gütersloh 2003, S. 246f. 346 Zum Begriff des Aberglaubens vgl. Hölscher, a.a.O., S. 84f. Für recht umfänglich hält Heinrich Richard Schmidt den Bestand von Magie und Volksreligion in protestantischen Kirchentümern; vgl. ders., Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert, S. 62f. 97f. Vgl. ferner Richard van Dülmen, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. Dritter Band. Religion, Magie, Aufklärung 16.–18. Jahrhundert, München 20053, S. 55ff. Kaspar von Greyerz, Religion und Kultur. Europa 1500–1800, Göttingen 2000, geht recht extensiv auf das Phänomen ein; vgl. das Sachregister. Seine Grundthese geht dahin, dass das Verhältnis von kirchlich approbierter Religion und Magieglauben bzw. magischen Praktiken von den Zeitgenossen bzw. Laien nur in Ausnahmefällen als religiöser Synkretismus empfunden wurde (S. 26, vgl. S. 68f.), dass sich entsprechend Religion und Magie in dieser Zeit kaum scheiden ließen (S. 12f.), dass Magie als wissenschaftlich angesehen worden sei und daher nicht das Phänomen des Rückganges der Magie, sondern vielmehr die Entstehung eines der Religion entgegengesetzten Begriffes der Magie in der Frühen Neuzeit interpretationsbedürftig sei (S. 39). Von Greyerz möchte das Phänomen Magie weniger aus der normativen als aus der mentalitätsgeschichtlichen Perspektive betrachten (S. 89). Zu Ausprägungen der Magie vgl. S. 192. 202. 222f. – Dieser Ansatz ist durchaus legitim und fruchtbringend. Auch soll hier nicht behauptet werden, dass es dieses Phänomen nicht gab; dies wäre ein argumentum e silentio. Konzediert sei ebenso, dass Alchemie und Astrologie nicht als unwissenschaftlich wahrgenommen wurden. Dessen ungeachtet muss es aber zu denken geben, dass das Phänomen in den Dramen nicht reflektiert wurde, wiewohl die Verfasser in ihnen mit Kritik an der Lebensführung der Gemeindeglieder wirklich nicht geizten. Nun wird man den Autoren nicht attestieren, sie seien über solche Praktiken mit Schweigen hinweggegangen, weil sie die kirchlichen Vorstellungen in diesem Punkte nicht verinnerlicht hätten. So stellt sich umgekehrt die Frage, ob dem Phänomen in dieser Zeit wirklich eine derart hohe Relevanz zukommt, zumindest in Bezug auf bürgerliche Schichten als denjenigen, die das protestantische Drama vorwiegend zu erreichen vermochte.

814 Ertrag gewisses konfessionelles Bewusstsein entwickelt. Zugleich versteht es dieses EvangelischSein aber in seinem Sinne, nicht gemäß dem Verständnis des minister verbi. Wie der Kontext dieser Äußerung zeigt, dürfte dies dahingehend zu deuten sein, dass Teile der reformatorischen Lehre durchaus in der hier kleinstädtischen Bevölkerung verankert waren, besonders vermutlich der Gedanke der Freiheit des Christenmenschen, dass daraus aber keine im Sinne der Träger des protestantischen Theaters positiven Konsequenzen für die Lebensgestaltung gezogen wurden. Offenkundig gehegte Hoffnungen auf eine erhöhte Christlichkeit und eine intensivere Frömmigkeit – statt einer im protestantischen Denken mit der vorreformatorischen Zeit verbundenen extensiven – hatten sich zerschlagen. Dies zu ändern, erhofften sich die Autoren mit ihren Dramen. Zum Schluss stellt sich die Frage, ob sich von der Wahrnehmung des protestantischen Dramas und des geistlichen Dramas im Allgemeinen Aussagen zur Epochenfrage treffen lassen. Dies ist der Fall, zumal die Dramen in der Tat das geistige Klima der Zeit spiegeln, wiewohl zeitlich etwas versetzt.347 Ein Gesamtbild ergibt sich dabei allerdings nicht, lediglich zwei wichtige Hinweise. Zum einen ist vom geistlichen Theater her die Zäsur zwischen Reformationszeit und konfessioneller Zeit als nicht über Gebühr scharf zu beurteilen. Für die Prozessdramen hat Almut A. Meyer zwar eine ab den fünfziger Jahren einsetzende Veränderung feststellen können: In dieser Zeit sei es im Gefolge des nunmehr dominierenden juridisch-forensischen Verständnisses der Rechtfertigung im geistlichen Drama zu einer Wende vom Zuspruch der Rechtfertigung zur Belehrung über sie gekommen. Diese Wende habe unter Aufnahme der mittelalterlichen Stoffe des ‚Streits der Töchter Gottes‘ und des ‚Satansprozesses‘ im Drama auch eine neue Sicht des Gerichts bewirkt, das nunmehr als individuelles, vor allem aber als zu fürchtendes Gericht erwartet worden sei.348 Für diese Gattung von Dramen soll der von Meyer erhobene Befund nicht in Zweifel gezogen werden. Bei den in dieser Studie untersuchten Dramen konnte ein echter Umschlag vom Zuspruch zur Belehrung aber nicht nachgewiesen werden. Verifiziert werden konnte die gesteigerte Bedeutung des Gerichtsgedankens, und zwar als Reflex der Enttäuschung über das Ausbleiben von Fortschritten in der Lebensführung der Gemeindeglieder nach den Maßstäben der Reformation. Insgesamt zeigt sich das lutherische Drama aber als eine recht konstante Größe von seinen Anfängen in den dreißiger Jahren bis zum Dreißigjährigen Krieg.349 Zum andern ist eine gewisse Zäsur in Bezug auf das Drama um 1580 zu erkennen. Mit dem Aufkommen der Lutherdramen wird deutlich 347 Vgl. Almut A. Meyer, Heilsgewissheit, S. 240. 244. 348 Vgl. Meyer, a.a.O., S. 242–246. 349 Dies erkennt für einige Stoffe auch A.A. Meyer an, wenn sie a.a.O., S. 244f. Anm. 10, formuliert: „Unter den Stoffen, die im 16. Jh. dramatisiert wurden, gibt es solche Stoffe, die sehr lange beliebt blieben, weil sie mit zentralen Aussagen der evangelischen Glaubenslehre in Verbindung gebracht werden konnten wie z.B. der Prodigus-Stoff oder der Paradiesprozeß, und andere, die immer wieder aufgenommen wurden, weil sie mit geringen Modifikationen stets neuen Tendenzen dienstbar gemacht werden konnten.“



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auf die Reformationszeit als auf eine vergangene Zeit zurückgeblickt, ein Bewusstsein der Distanz ist nunmehr vorhanden. Zugleich will man sich neu der Person Luthers und seines Werkes versichern. Es liegt nahe, diese Entwicklung mit dem Konkordienwerk zu verbinden. Die weitgehende Beilegung des innerlutherischen Konfliktes durch Lösungen der Streitfragen machte zunächst den Weg frei für eine neue Beschäftigung mit dem Reformator. Dass nun aber dieses Konkordienwerk zwischen jener Generation und Luther stand, nötigte geradezu die Entwicklung zu erneuter direkter Bemühung um Luther, dazu, sich dessen rückzuversichern, dass die lutherische Kirche noch auf dem Weg Luthers und der ursprünglichen Reformation war. Existenz und Ausgestaltung des geistlichen Theaters belegt ferner die einschneidende Bedeutung der Reformation. Weder das protestantische Drama, das lutherische oder das reformierte, noch das Jesuitendrama wäre ohne die Reformation denkbar gewesen. Alle Formen des geistlichen Theaters in den Konfessionen belegen, dass man sich in diesem in irgendeiner Weise zur Reformation verhalten musste. Auch wo das Jesuitentheater die Reformation in triumphalistischer Manier ignoriert, liegt doch eine Reaktion auf die Reformation vor. Fidel Rädle hat dies für das Jesuitentheater herausgearbeitet, indem er den klimatischen Unterschied zwischen der in „eine einmütige, nicht kontroverse christliche Geistes- und Erlebniswelt“ eingebetteten Aufführung des mittelalterlichen geistlichen Dramas und dem die Reformation voraussetzenden Jesuitendrama, in dem die Religion selbst zur Debatte steht, notiert.350 Damit bestätigt sich aus der Perspektive des geistlichen Dramas, was Barbara Könneker schon 1975 äußerte, dass die Reformation in literarischer Hinsicht deutlich als neue und eigenständige Epoche zu beurteilen ist. Als Beleg benennt sie die Entdeckung des Wortes als Waffe und seine gezielte Einsetzung zur Gewinnung und Mobilisierung der öffentlichen Meinung, wodurch wie kaum in einem anderen Jahrhundert die Dichtkunst aus ihrer ästhetischen Selbstgenügsamkeit herausgetreten sei.351 Die Reformation habe auf Jahre hinaus das allgemeine Interesse in einem Maß auf sich gezogen, „daß alle anderen Bestrebungen dahinter zurücktraten und die deutsche Literatur, zwischen 1520 und 1530 ausschließlich, bis 1550 vorwiegend, nichts anderes als Bekenntnis-, Propaganda- und Zweckdichtung war.“352 Damit liege ein Funktionswandel der Literatur vor, der sich nicht auf das Inhaltliche beschränkt, sondern sich zwangsläufig auch auf die formale und sprachliche Gestaltung der literarischen Texte ausgewirkt habe, so dass auch in ästhetischer Hinsicht von einer eigenen Literaturepoche zu sprechen sei.353 Diese Sichtweise hat sich in der germanistischen Forschung durchgesetzt.354 Ein Indiz in diese Richtung ist ebenso die weitge350 Vgl. Fidel Rädle, Lateinisches Theater, S. 134. 351 Vgl. Barbara Könneker, Die deutsche Literatur der Reformationszeit. Kommentar zu einer Epoche, München 1975, S. 8. 352 Ebd. 353 Vgl. ebd. 354 Herbert Walz, Deutsche Literatur der Reformationszeit. Eine Einführung, Darmstadt 1988, S. 2, schließt sich dieser Auffassung ausdrücklich an.

816 Ertrag hende Zurückdrängung des geistlichen Spiels, das zwar im katholischen Bereich überlebte, aber doch vom Jesuitentheater überholt wurde. Gewiss finden im protestantischen Drama Elemente jener Spiele noch Verwendung, doch erscheinen diese in einem völlig veränderten Rahmen. Das Faktum, dass derartige Elemente wie der ‚Töchterstreit‘ oder die Teufelshierarchie ab den sechziger und siebziger wieder stärker im protestantischen Drama Aufnahme finden, bestätigt, dass hier eine Zäsur zu setzen ist. Die Untersuchung des protestantischen Dramas kann entsprechend, gerade aufgrund seiner Kontinuität seit den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts, die Auffassung von Heinz Schilling, dass der eigentliche real- oder strukturgeschichtliche Wandel weniger von der Reformation selbst als von der Konfessionalisierung vorangetrieben worden sei, nicht bestätigen.355 Am Ende der vierziger Jahre ist das lutherische Theater als Schultheater nahezu voll ausgebildet. Das schweizerische reformierte Theater ist zu diesem Zeitpunkt bereits länger in voller Blüte. Eine besondere Entwicklung der konfessionellen Zeit bildet hier freilich die Zurückdrängung des geistlichen Theaters, die im reformierten Bereich ab der Jahrhundertmitte einsetzt und ihren Höhepunkt mit dem Abbruch der Spieltradition in Zürich 1624 findet. Im französischen reformierten Protestantismus hatte sich diese Tendenz schon in den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts durchgesetzt. Ein völlig einheitlicher Prozess liegt innerhalb des reformierten Typus der Reformation aber nicht vor. Überhaupt mahnt auch hier die Unterschiedlichkeit der Prozesse in den drei Konfessionen und die zeitliche Differenz derselben zu Zurückhaltung in Bezug auf die Sicht der Konfessionalisierung als eines einheitlichen Geschehens. Auch die unterschiedlichen zeitlichen Abläufe lassen die Einnahme der konfessionskulturellen Perspektive als notwendig erscheinen.

355 Vgl. Heinz Schilling, Die Konfessionalisierung des lateinischen Christentums, S. 212.

IV. Schlussbetrachtung Am Schluss gilt es, die Frage nach dem Profil des protestantischen Dramas noch einmal neu zu stellen. Dies kann nunmehr in zugespitzterer Form erfolgen, da mit dem Jesuitendrama eine profilierte andere Konzeption gegenübergestellt werden kann und die Rolle des protestantischen Dramas zwischen konfessioneller Kultur und Konfessionalisierung erhellt ist. Die Studie beschließt eine Würdigung und ein kurzer Ausblick, in dessen Rahmen auch ein Blick auf die Weiterentwicklung der theaterkritischen Position geworfen wird.

1. Zum Profil des protestantischen Dramas und Theaters a) Das Profil des protestantischen Dramas und Theaters im Verhältnis zum Jesuitendrama und -theater Das Proprium des protestantischen Dramas ist nicht in den mit dem Jesuitendrama gemeinsamen Elementen zu sehen; dies zu vertreten, entspräche dem Ansatz des Konfessionalisierungskonzepts. Um das Profil des protestantischen Dramas zu eruieren, muss es im Rahmen des konfessionskulturellen Rahmens wahrgenommen werden. Für eine Annäherung bietet es sich aber an, dies zunächst in komparatistischer Perspektive durch Gegenüberstellung des Jesuitendramas anzugehen. Vergleicht man das protestantische Theater mit dem Jesuitentheater, fällt zunächst der höhere Organisationsgrad von letzterem auf. Nicht nur waren die Zuständigkeiten genau festgelegt, die Abläufe im Jesuitentheater waren erheblich einfacher als beim protestantischen Drama, für dessen Aufführung ein kompliziertes Geflecht von Verantwortlichkeiten – damit aber auch von Interessen – wahrzunehmen ist, von der weltlichen Obrigkeit, dem geistlichen Ministerium, der Schulleitung, der Bürgerschaft bis zum Autor. Für das Jesuitentheater stand die Schule als Ganze, in relativ autonomer Weise, auch wenn z.B. die bayerischen Herzöge zuweilen Aufführungen bestellten. Das Jesuitentheater war Produkt einer homogenen Gruppe, die sich selbst als Instrument verstand. Insofern ließ sich auch eine Instrumentalisierung des Jesuitendramas leicht verwirklichen, leichter als die des protestantischen Dramas, das einerseits durch das genannte komplizierte Geflecht der Träger geprägt war, andererseits aber individuellen Charakter hatte, insofern sich im Drama selbst sehr stark der Autor spiegelte. Während bei den Jesuiten das Theater planmäßig angegangen wurde, war es im protestantischen Bereich zumeist doch dem Belieben von Schule und Autor überlassen, ob es zu Aufführungen kam. Die Aufführungspraxis wurde nicht wirklich nachgehalten.356 Ebenso fehlte eine entsprechende Vermarktung. 356 Vgl. Jean-Marie Valentin, Les jésuites et le théâtre, S. 8, der von den „spectacles sporadiques des collèges protestants“ spricht, wobei er das Straßburger Akademietheater bis 1621 ausdrück-

818 Ertrag Spricht dies gegen eine Effizienz des protestantischen Theaters, so markiert die stärkere Volkssprachlichkeit des protestantischen Theaters einen deutlichen Vorteil gegenüber dem strenge Latinität wahrenden Jesuitentheater. Eine verästelte Systematik, wie sie Elida Maria Szarota für das jesuitische Drama entwickelt hat, ist für das protestantische Drama nicht wirklich anwendbar.357 So ist dieses vom Prinzip sola scriptura sehr stark biblisch, an einer biblischen Grundlegung orientiert, auch da, wo fiktionale Stoffe dramatisiert werden, wie z.B. in Dedekinds ‚Papista conversus‘. Zwar könnte man sagen, dass etwa ein Drama über die Beispielerzählung vom reichen Mann und armen Lazarus ein in Szarotas Terminologie ‚konfrontatives Stück‘ darstellt, bei dem der Reiche für bestimmte Untugenden, Lazarus – katholisch formuliert – für die Tugend des Glaubens steht, also zwei Lebensarten gegenübergestellt werden. Ebenso könnte ein Abraham-, ein Josephs- oder auch ein Daniel-Drama ein ‚klassisches Stück mit einem Zentralhelden als Exemplum‘ bilden, bei dem eine Tugend exemplifiziert wird. Ferner ließe sich ein David-Goliath-Drama in die Kategorie der ‚Dramen mit Konfliktstrukturen‘ einordnen und schließlich wäre die Bezeichnung eines Dramas zum Motiv des christlichen Ritters als ‚Allegorie‘ völlig einsichtig. Allerdings förderte diese Zuordnung gerade zutage, wie stark sich das protestantische Drama vom Jesuitendrama unterscheidet. So verfehlt der Tugendbegriff letztlich das protestantische Drama. Zentral ist stets der Glaube, der nicht als Tugend im eigentlichen Sinne verbucht werden kann. Ein solcher Vergleich kann nur die Nichtvergleichbarkeit beider Dramenformen dokumentieren. Die Nichtanwendbarkeit der Systematik Szarotas trägt relativ wenig aus; sie impliziert mitnichten den Schluss, das protestantische Drama sei nicht vielgestaltig oder es sei einfallslos gewesen. Allerdings führt ein Vergleich mit der jesuitischen Praxis anhand der dramatisierten Stoffe auch vor Augen, dass sich in der weiteren Entwicklung des protestantischen Dramas keine oder kaum innovative Trends herausgebildet haben. Es gibt recht viele Stoffe, die kontinuierlich seit der Frühzeit des protestantischen Theaters dramatisiert wurden, wie die Geschichten von Tobias, Susanna, Judith, Esther, die Gleichnisse vom reichen Mann und armen Lazarus, vom verlorenen Sohn, die Patriarchenerzählungen von Abraham einschließlich der Brautwerbung Isaaks, die Josephsgeschichte, die Täufergeschichte. Kontinuierlich dramatisiert wurden ferner Stoffe aus der Heilsgeschichte wie der ‚Töchterstreit‘ und die Weihnachtsgeschichte. Darüber hinaus wurden zahlreiche weitere Vorwürfe in dramatische Form gegossen, die meisten aber ohne dass sie Traditionsbildungen eröffneten. Auch in späterer Zeit, nach 1550, wurden immer wieder neue Stoffe inszeniert, allerdings entwickelten sich daraus nur selten tatsächliche Inszenierungstraditionen. Ausnahmen bilden der Jephthes- und der David-Stoff, das Motiv des christlichen Ritters, die StephanusGeschichte und – wie gezeigt allerdings sehr disparat – die Vita Luthers. Andere Stoffe lich ausnimmt. Demgegenüber stünden die „représentations régulières des établissements catholiques“. 357 Vgl. Elida Maria Szarota, Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Eine Periochenedition. Texte und Kommentare. Erster Band: Vita humana und Transzendenz, München 1979, S. 33–57.

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hielten sich über eine kurze Zeitspanne. Beispiele sind die Geschichten vom goldenen Kalb und vom zwölfjährigen Jesus im Tempel. Der großen Mehrzahl der neu herangezogenen Stoffe aber war es eigen, nur einmal oder jedenfalls nur binnen eines kurzen Zeitraumes inszeniert zu werden. Auffallend ist ferner, dass die Kirchengeschichte und die Zeitgeschichte im protestantischen Drama kaum instrumentalisiert wurde. Das protestantische Drama konnte mit der Experimentierfreudigkeit des Jesuitendramas nur teilweise mithalten. Hinzu kommt, dass die Visualität im protestantischen Theater stärker gegenüber der Worthaftigkeit zurücktrat. Massive Effekte kamen in ihm nur selten zur Geltung, positiv gewendet: Es fand keine visuelle Suggestion statt, das Wort sollte überzeugen.

b) Stärken und Leistungsfähigkeit des protestantischen Dramas und Theaters Einige der hier wiedergegebenen Beobachtungen zum Vergleich mit dem Jesuitendrama und -theater könnten das protestantische Drama und Theater als defizitär oder jedenfalls unterlegen erscheinen lassen. Dies wäre aber ein sehr verzeichnetes Bild. Gewiss ist das Jesuitentheater durch einen höheren Organisationsgrad in Bezug auf Kommunikationsstrukturen als auch die Infrastruktur geprägt. Eine geschlossene Gruppe bringt eine recht geschlossen wirkende Form des Dramas hervor. Das protestantische Drama und Theater verfügt aber über erhebliche Stärken, die die organisatorischen Mängel teilweise kompensieren und ihrerseits eine nicht zu unterschätzende Leistungsfähigkeit dieses Theaters bewirkt haben. Das protestantische Drama stellt zunächst eine intensive Form der Bibelauslegung dar. Es vermittelt dem Publikum in anschaulicher und verständlicher Weise eine biblische Geschichte. Darüber hinaus befördert es die Bibelkenntnis durch die Präsentation etlicher Bibelverse aus anderen Kontexten, was besonders z.B. in Wilds Stephanus-Drama zu Tage tritt, oder spezifischer biblischer Zusammenhänge wie in den Prozessdramen, in Dedekinds ‚Miles christianus‘ (1576) mit seinen Auftritten von Mose und Paulus oder auch in Bertesius’ ‚Schalksknecht‘ (1606), in dem ebenfalls Mose agiert. In unaufdringlicher Weise elementarisiert es, wie an Stymmelius’ Abraham-Drama deutlich wurde, z.T. schwierige theologische Sachverhalte. Als wesentlich für die Dramen wurde in dieser Studie die Prägung durch die reformatorische Theologie erkannt. Diese vermittelt es, ohne zu einem theologischen Traktat zu degenerieren. Teils tritt sie stärker in den Vordergrund, teils steht sie eher im Hintergrund, etwa dort, wo stärker auf die ethischen Konsequenzen der Rechtfertigung hingewiesen wird. Es ist aber nochmals zu betonen, dass es eine Verkürzung des protestantischen Dramas darstellt, wenn es, um es für das Thema der Ehe zu konkretisieren, auf die Vorwürfe zu Tobias, Susanna, die Hochzeit zu Kana oder Isaak und Rebekka verkürzt wird. Deutlich wurde, dass die Dramatiker Luthers Vorschläge zum geistlichen Drama beherzigten, dass sie aber darüber hinausgingen, ohne der Linie des Reformators Widersprechendes auf die Bühne zu bringen. In den konkreten Dramen wiederum, auch in Bezas ‚Abraham sacrifiant‘, ist der Einfluss Luthers recht stark. Über diese inhaltlichen Punkte hinaus zeichnet sich das protestantische Drama durch besondere Stärken in Bezug auf die intendierte Wirkung auf die Zuhörerinnen und Zuhö-

820 Ertrag rer aus. Zunächst sind viele Dramatiker bemüht, die Zuschauer durch das delectare, durch die Einfügung komischer Elemente oder den Alltag der Zuschauer karikierender interludi an den jeweiligen Stoff zu binden. Auch in der Stoffauswahl gibt es Bemühungen, den Erwartungen der Zuschauerschaft entgegenzukommen. Zweitens steht das protestantische Drama nicht für sich alleine. Ihm kommt die Aufgabe zu, zur Vertiefung der Predigt beizutragen oder zu dieser hinzuführen. Das Drama, seine Aufführung, gilt den Trägern als Ergänzung der Predigt, mit welcher der Predigt eigene Schwächen kompensiert werden können. Besteht so ein enger Konnex mit dem Genus der Predigt, so gilt dies in Hinsicht auf den gesamten Komplex des Gottesdienstes, insofern durch das Singen von Kirchenliedern und das Vortragen von Gebeten der Aufführung deutlich eine zum Gottesdienst im engeren Sinne hinführende Funktion eignet. Die Aufführung wirkt mit Gottesdienst und Predigt zusammen, was ihrer Wirksamkeit Synergie verleiht. Eine weitere Stärke des protestantischen Dramas ist die Prägung durch einen individuellen Verfasser, der, besonders im Falle eines Pfarrers, meist seine konkrete Gemeinde vor Augen hat, sich dadurch auf seine Adressaten einstellen und zugleich die Botschaft des Dramas auf diese, genauer auf die von ihm gesehenen Bedürfnisse derselben zuspitzen kann. Der individuelle Charakter des protestantischen Dramas stellt freilich auch seine Schwäche dar, insofern es so keine einheitliche Gestalt erreichen kann und zudem in seiner Qualität völlig von den Fähigkeiten des Verfassers abhängt. Andererseits bildet er aber aufgrund stärkerer Authentizität und seelsorglicher Zuwendung seine Stärke. Im Gegensatz zum Jesuitendrama, wo im Normalfall das Kollektiv für das Drama verantwortlich zeichnet, repräsentiert im Protestantismus trotz des komplexeren Netzes von Zuständigkeiten der Autor das Drama und damit ein Individuum mit spezifischen Neigungen, die sich im Stück widerspiegeln. Auf diese Weise wird das Werk für die Adressaten konkreter, menschlicher und auch authentischer. Das Jesuitendrama wirkt transzendenter; insofern ist es kein Zufall, dass hier das Institut des ‚Spieler-Zuschauers‘ konstitutive Bedeutung annimmt, um das Geschehen auf der Bühne stärker mit den Zuschauern zu verbinden. Wo der Protagonist des protestantischen Dramas wie der Protomärtyrer Stephanus in unerreichbarer Ferne erscheint, entwickeln sich auch hier, in den späteren Stephanus-Dramen, Ansätze zu einer Figur des ‚Spieler-Zuschauers‘, doch zeigt sich in dieser wiederum sehr stark der Autor selbst. Wiewohl das protestantische Drama nicht im Bibeldrama aufgeht – erinnert sei an die Moralitäten, an die Lutherdramen, an polemische Fastnachtspiele oder Dramen mit historischen Stoffen –, stellt der überwiegende Teil der protestantischen Dramen Bibeldramen dar, die entweder eine einzige Geschichte, einen Zyklus von Geschichten oder die gesamte Heilsgeschichte in Szene setzen. Der Fundus an dramatisierten Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament einschließlich der Apokryphen ist übergroß. Das Bibeldrama bietet damit schon stofflich eine erhebliche Vielfalt. Dieser Eindruck verstärkt sich, betrachtet man die konkreten Dramatisierungen einer Geschichte. Selbst da, wo literarische Abhängigkeiten vorliegen, gleichen sich die Dramen niemals völlig. Die Struktur eines Dramas verdankt sich wesentlich dem Autor, die Ideen zur Umsetzung eines Stoffes sind ganz verschiedener Art: Einführung von Allegorien, Hintergrundszenen, Verbindungsleute

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als ‚Spieler-Zuschauer‘, Darstellung des gegnerischen Lagers. Keinesfalls verkörpern die Bibeldramen eine bloße Wiedergabe des Textes. Auch wenn in ihnen nur Typen und keine Individuen dargestellt werden, werden diese doch sehr anschaulich gezeichnet. Dass ein Verfasser mit einem Bibeldrama nicht bloß einen Text aus der Vergangenheit wiedergeben, dramatisch nacherzählen will, sondern mit ihm in die Gegenwart spricht, d.h. eine aktualisierende Auslegung vollzieht, unter Einschluss von Gesellschafts- und partiell auch Obrigkeitskritik, wird bei der Kritik an diesem Genus meist vergessen. Schon von den bisherigen Aussagen her wird man nur konstatieren können, dass eine Verfallstheorie in Bezug auf das protestantische Drama unhaltbar ist. Eine solche Sicht vertritt Fidel Rädle, wenn er für die spätere Zeit vom ‚unschuldigen Bibeldrama‘ spricht, das den Anforderungen der Zeit nicht gewachsen gewesen sei – eine Folie, vor der dann das polemische Theater Naogeorgs um so heller scheinen muss und von der nur die Dramen Frischlins ausgenommen werden.358 Hier wird nicht nur das geistliche Theater deutscher Sprache weitgehend ausgeblendet, wie auch andere Dramen lateinischer Sprache faktisch für unbedeutend erklärt werden, es wird zudem nicht bedacht, dass auch biblische Dramen Orte neuartiger Interpretationen und Impulse sein können, wie die hier untersuchten Stücke belegen. Das protestantische Drama wird ebenfalls massiv verkürzt, wenn es auf Ständeethos und Kampfdramen reduziert wird. Es verhält sich dem entsprechend auch nicht so, dass das protestantische Drama nur in der Anfangszeit der Reformation als Agitationsinstrument eine Rolle spielte, wie es etwa die These des Kulturwissenschaftlers Burke vom Bedeutungsverlust des protestantischen Theaters suggeriert.359 Dass, wie Burke behauptet, das geistliche Drama in späterer Zeit seine Indoktrinierungsaufgabe erfüllt hätte oder infolge der Fortschritte der Lesefähigkeit überflüssig geworden wäre, lässt sich nicht verifizieren. Diese Erfolge waren beschränkt,360 die Dramen waren allerdings auch nicht nur für illiterati bestimmt und die Katechisierungsaufgabe blieb, wie gerade die Rahmenstücke der Dramen belegen, auch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts virulent. Lässt sich etwas über den Erfolg des protestantischen Theaters sagen?361 An diesem Punkt kann nur sehr vorsichtig argumentiert werden; man wird letztlich über Mutmaßungen nicht hinauskommen. Die nachhaltigste Wirkung dürfte das protestantische Theater auf die direkt mit ihm Verbundenen ausgeübt haben, auf die Mitwirkenden, für die diese Erfahrung besonders prägend war. Ein Beispiel ist Melchior Neukirch, der, weil ihn als Student die Mitwirkung am geistlichen Theater beeindruckt hatte, intensiv für diese Praxis eintrat und selbst ein Drama verfasste. Mithin ist zu vermuten, dass das protestantische Theater vor allem durch diese Multiplikatoren weiterwirkte; hier dürfte der Identifikati358 Vgl. Fidel Rädle, Theater als Predigt, S. 49. 359 Vgl. Peter Burke, Helden, Schurken und Narren, S. 241f. 360 Vgl. Herbert Walz, Deutsche Literatur der Reformationszeit, Darmstadt 1988, S. 4; Lucian Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, München 2005, S. 60f. 361 Zum Problem der Erfolge der Konfessionalisierung in der Bevölkerung vgl. Heinrich Richard Schmidt, Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert, München 1992, S. 61–67. 94–98. 103–105.

822 Ertrag onsgrad am höchsten gewesen sein. Für die Zuschauer gilt, dass das Zusammenwirken von Drama mit Predigt und Katechese eine gegenseitige Verstärkung der Wirkung befördert haben könnte. Ob wie von Polykarp Leyser erhofft, auch illiterati erreicht wurden, muss letztlich offen bleiben. Einerseits gibt es die Bemühung, in den interludi auf die Volkskultur einzugehen, weitgehend gelingt es auch die Botschaft zu akkomodieren. Andererseits wird in manchen Dramen doch eher auf untere Schichten herabgeschaut. Ein wirkliches Verständnis für diese lässt etwa der humanistisch geprägte Georg Rollenhagen nicht erkennen. Freilich sollte das geistliche Theater auch nicht unterschätzt werden. Seine Verbreitung von erheblichem Ausmaß belegt die Omnipräsenz der Lehre, bis auf den Marktplatz hinaus. Dies kann nicht völlig folgenlos in Bezug auf die Bevölkerung geblieben sein. Dabei ist vor allem an das Bürgertum zu denken, rudimentär dürften aber auch untere Schichten beeinflusst worden sein. Aus der Perspektive des Identifikationsgrades war es aber wohl ein Versäumnis, die Ansätze zu einem Bürgerdrama, die etwa bei Paul Rebhun vorliegen, nicht weiter zu forcieren.

2. Deutung und Würdigung des protestantischen Dramas Das in sich vielgestaltige protestantische Drama im deutschen Sprachraum kann nicht leicht auf eine Formel gebracht werden. Deutlich ist, dass in den Dramen, sowohl in der frühen wie auch in der späteren Zeit, die Funktion einer Predigt im Vordergrund steht. Dies beinhaltet einerseits eine Ständepredigt hinsichtlich des Verhaltens in der Ehe oder gegenüber der Obrigkeit, andererseits aber auch den an die Glaubenden gerichteten Zuspruch des Trostes im Leiden. Die Zielsetzung der Bekehrung vom alten Glauben ist nur für wenige Dramen wirklich bestimmend. Ebenso gilt für die konfessionelle Polemik im Drama, dass sie in den meisten Stücken keinen Selbstzweck darstellt. Die – dies sei konzediert – aufsehenerregenden Ausnahmen wie Naogeorgs Dramen mit dem ‚Pammachius‘ an erster Stelle oder die anticalvinistischen Stücke von Nigrinus und Rivander oder auch die frühen Fastnachtspiele Niklaus Manuels sollten nicht zum Maßstab der Wahrnehmung und Auslegung der Dramen erhoben werden. Im Übrigen hat die Polemik, wo sie erscheint, dienende Funktion für die Befestigung der Adressaten in der eigenen Lehre. Als Charakteristikum des protestantischen Dramas fiel immer wieder die Individualität der Dramen auf. Mit dem Genus Drama stand den Verfassern ein Instrument zur Verfügung, in dem sie, die zumeist Theologen waren, abseits der dafür ungeeigneten Gattung der Predigt ihren eigenen Neigungen und Interessen nachgehen und ihre spezifischen Erfahrungen verarbeiten konnten. Letztere sind gekennzeichnet durch eine gewisse Enttäuschung über die Verankerung der Reformation in der Gemeinde und besonders über das Ausbleiben einer echten reformatio vitae unter den Gemeindegliedern. Die Dramen belegen ferner den intensiven meditativen Umgang der Verfasser mit der Schrift, der nach angemessenen Ausdrucksformen verlangte. Das protestantische Drama ist als Medium

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der Theologen, der Lehrer und Pfarrer, besonders auch als Medium des nach Vergewisserung suchenden, angefochtenen Pfarrerstandes wahrzunehmen. Dies erweist sich als der hermeneutische Schlüssel zum Verständnis des geistlichen Dramas, mindestens des konfessionellen Zeitalters. Das protestantische Drama bezeugt mit seiner weiten, flächendeckenden Verbreitung die Bemühungen vor allem der Theologen um eine geistliche Prägung der Bevölkerung, um die Vermittlung eines religiösen Elementarwissens, das auch die reformatorischen Grundentscheidungen beinhaltet, ebenso dokumentiert es die Anstrengungen um die Applikation moralischer Maßstäbe, mit dem Ziel einer Hebung des sittlichen Niveaus, einer reformatio vitae. Auch vom geistlichen Theater der konfessionellen Zeit her erweist sich das Postulat einer eigenen Reformorthodoxie als überflüssig.362 Das auf einem intensiven Umgang mit der Schrift beruhende protestantische Drama ist ein bedeutendes Medium für das in Reformationszeit und konfessioneller Zeit in verschiedene Gattungen diffundierende biblische Wort. Indem die dem reformatorischen Inhalt angepasste Form des Dramas mit diesem Wort auch den Weg aus dem engeren Raum der Kirche antritt, markiert es zugleich den letzten Versuch der Kirche, tatsächlich die gesamte Bevölkerung mit der biblischen Botschaft zu erreichen und deren Verwurzelung in dieser zu befördern, ohne dabei auf Zwangs- oder Kontrollmaßnahmen363 zurückzugreifen. Mit dieser Intention des geistlichen Dramas ergeben sich markante Parallelen zur späteren Bewegung des Pietismus: Auch diesem ging es neben einer ebenso intendierten Verwirklichung einer reformatio vitae vorrangig darum, das Wort Gottes unter das Volk zu bringen. Dieser Punkt, wie im protestantischen Drama untermauert mit Kol 3,16, war Speners erster Reformvorschlag, „Daß man dahin bedacht wÄre / das Wort Gottes reichlicher unter uns zu bringen.“364 Dahinter stand das Bewusstsein, dass die Predigt nicht ausreiche,365 ein Gefühl, das, wie gezeigt, auch manchem geistlichen Dramatiker die Motivation für sein Tun vorgab. Die Mittel waren allerdings völlig verschieden: Hier die Wendung nach außen mit einer spielerischen Vertiefung der gepredigten Bibeltexte, dort einerseits der Verweis auf Privatlektüre sowie auf kursorische Verlesung in der Kirche, andererseits die Einrichtung von collegia pietatis zur Erbauung der Gemeinde und zur geistlichen Anleitung der Hausväter, womit faktisch die Kerngemeinde anvisiert wurde,

362 Vgl. Jörg Baur, Lutherisches Christentum im konfessionellen Zeitalter, S. 52. Reformanstrengungen waren Gemeingut der Orthodoxie. 363 Zu diesen lässt sich aufgrund der Teilnahmepflicht – vgl. Christian Grethlein, Art. ‚Gottesdienst. II. Historisch. 6. Westen. c) Neuzeit’, RGG4 3, Sp. 1192 – auch der Gottesdienstbesuch rechnen. Nagel, Geschichte des christlichen Gottesdienstes, S. 159f., hält es allerdings für eine Verzeichnung, wenn man in der Aufrechterhaltung der regelmäßigen Teilnahme am Gottesdienst bis ins 18. Jahrhundert hinein „nur Gewöhnung oder gar das Ergebnis äußeren Zwanges“ erkennt. 364 Philipp Jakob Spener, Pia Desideria, hrg. v. Kurt Aland, Berlin 19643, S. 53,31f.; der Verweis auf Kol 3,16, S. 56,33ff. 365 Vgl. a.a.O., S. 54,10.

824 Ertrag wiewohl dies nicht unbedingt von Spener intendiert war.366 Obwohl also im Pietismus die universalen Ansprüche nicht aufgegeben wurden, setzte man doch bei der Annäherung an dieses Ziel auf einen inneren Kreis – mit der stets präsenten Gefahr, bei diesem Kreis stehen zu bleiben. Das protestantische Theater der konfessionellen Zeit, das lutherische geistliche Theater, aber auch das in Restbeständen überlebende reformierte Theater – erinnert sei an Nathan Chytraeus sowie an das in der Tradition Joachim Vadians stehende Theater der Ostschweiz – manifestiert ferner das Weiterleben des Humanismus über die Reformationszeit hinaus, die Protestantisierung des Humanismus.367 Die unterschwellige Kritik am geistlichen Theater im Luthertum ist aber wiederum der Beleg einer ab Ende des 16. Jahrhundert stärker werdenden Kritik am Humanismus im Protestantismus bzw. dessen allmähliche Abwertung zu Gunsten einer rationalisierenden und ökonomisierenden Haltung in Bildung und Frömmigkeit. Bereits seit der Jahrhundertmitte hatte sich im französischsprachigen reformierten Bereich eine theaterkritische Haltung verstärkt, die zunächst dort, zeitlich versetzt auch in weiten Teilen der deutschsprachigen Schweiz unter puritanischem Einfluss das geistliche Theater zurückdrängte. Argumente waren hier die Ernsthaftigkeit der christlichen Existenz, die kein Rollenspiel zuließ, und die Furcht vor Profanierung der Schrift. In Kauf genommen wurde dabei ein Verzicht auf Präsenz des biblischen Wortes in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Als, um im Genre zu bleiben, tragisch zu bezeichnen ist diese Entwicklung, insofern etliche französische reformierte Dramen Ausdruck der Forderung nach Zugang zum Wort Gottes sind, nun aber die Freiheit des Umgangs mit diesem Wort infolge jener Entwicklung wieder eingeschränkt wird.

3. Ausblick In diesem abschließenden Abschnitt kann nicht die gesamte folgende Entwicklung seit dem Dreißigjährigen Krieg verfolgt werden. Vielmehr sollen einige exemplarische Punkte der Theaterkritik und der weiteren Entwicklung des geistlichen Theaters benannt werden. Festzuhalten ist, dass die Ansätze eines Bürgertheaters im 17. Jahrhundert nicht weiter verfolgt wurden, dass aber das protestantische Schultheater über das ganze Jahrhundert erhalten blieb. Ein Beleg ist die Ordnung des Gymnasiums zu Halle von 1661, in der bezeichnenderweise aber auch auf Einwände gegen Schulaufführungen eingegangen wird: Die szenische Darbietung beinhalte nicht wenig Schädliches, weswegen einst Synoden 366 Zu Speners Absicht, durch die collegia pietatis Multiplikatoren zu gewinnen, vgl. a.a.O., S. 56,21f. Auf der anderen Seite benennt Spener als Resümee dieses ersten Reformschrittes (S. 58,8ff), „... daß der eckel der Schrifft / so bey vielen ist / oder die nachlÄssigkeit in derselben zu studiren / abgethan / und hingegen hertzlicher eiffer zu derselben erwecket werde.“ 367 Zu der infolge von Jakob Burckhardt vorherrschenden Tendenz, Reformation und Humanismus radikal entgegenzusetzen, vgl. Jörg Baur, a.a.O., S. 46–49.

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dagegen votiert hätten.368 Um den Nutzen von Aufführungen zu erweisen, bemüht die Schulordnung das Autoritätsargument in Gestalt einer Berufung auf Luther, Melanchthon, Mörlin und Chemnitz, die solche Übungen gerühmt hätten.369 Dass derartige Bemerkungen nun in einer Schulordnung erscheinen, kann nur als Reaktion auf eine offensichtlich immer deutlicher hervortretende theaterkritische Haltung gedeutet werden. Das aufkommende weltliche Theater und später die Oper stellten für das protestantische Schultheater eine massive Konkurrenz auf der einen Seite dar, die vom höchst professionell angegangenen Jesuitentheater auf der anderen Seite noch verstärkt wurde. Das schlesische Schultheater befolgte, diese Herausforderungen annehmend, einen eigenen Weg, der zu dem mit den Namen Gryphius, Lohenstein und Weise verbundenen schlesischen Kunstdrama führte. Diese Entwicklung war aber zum einen in Bezug auf das protestantische Schultheater singulär, zum andern schloss sie eine Säkularisierung ein.370 Eine unterschwellige, literarisch kaum fassbare theaterkritische Stimmung konnte im lutherischen Bereich für den ganzen hier betrachteten Zeitraum vorausgesetzt werden. Diese Haltung dominierte aber in keiner Weise, sie führte – abgesehen von wenigen bekannten Zensurmaßnahmen, die sich auch nicht gegen das Theater als solches richteten – lediglich dazu, dass darauf geachtet wurde, dass dem Unterricht kein Eintrag geschah. In diesem Punkt täuscht Ernst Hövels Arbeit zur Theaterkritik der Geistlichen, wenn er die theaterkritische Stimmung schon im 16. Jahrhundert als vorherrschend einordnet und dafür die auch in dieser Studie genannten wenigen Einsprüche gegen Aufführungen aus dem 16. Jahrhundert als Beleg anführt.371 Im Laufe des 17. Jahrhunderts veränderte sich aber das Klima in Bezug auf die Aufführungspraxis in massiver Weise. Die theaterkritische Position gewann zum einen an Öffentlichkeit, zum andern radikalisierte sie sich dahingehend, dass grundlegende Kritikpunkte, die im reformierten Bereich bereits verbreitet 368 Ordnung des Gymnasiums zu Halle von 1661, Caput XI (De Comoediis et Tragoediis) § IV, in: Vormbaum Bd. 2, S. 553f.: „Habet quidem scena non parum incommodi; quamobrem olim synodicis censuris etiam notata est.“ 369 A.a.O.: „Sed magnitudo vtilitatis grauissimos quoque theologos, Lutherum, Philippum, Moerlinum, Chemnitium, et alios, ad huiusmodi exercitia retinenda et collaudanda impulit, quorum auctoritas, vt praeclare de scholis meritorum, non temere conuellenda.“ 370 Vgl. Barbara Mahlmann-Bauer, Leo Armenius oder der Rückzug der Heilsgeschichte von der Bühne des 17. Jahrhunderts, in: Meier – Meyer – Spaniliy (Hrgg.), Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit, S. 423–465, und hier bes. die Aussage S. 457: „In der Welt von Gryphius’ Bühnenfiguren ist Gottes Wirken nicht mehr direkt und konkret erfahrbar.“ Vgl. ferner Cora Dietl, Das frühe deutsche Drama, S. 170ff.; Manfred Brauneck, Die Welt als Bühne Bd. 2, S. 391ff. 371 Vgl. Ernst Hövel, Der Kampf der Geistlichkeit gegen das Theater in Deutschland im 17. Jahrhundert (Diss. phil. Münster), Münster 1912, S. 18. Hövels Arbeit als ganze suggeriert, Theaterfeindschaft wäre in der protestantischen Pfarrerschaft das Normale gewesen, eine positive Auffassung vom Theater hingegen die Ausnahme. Selbst für das 17. Jahrhundert bietet er andererseits noch Belege für eine wohlwollende Haltung. Die Kritik des Rostocker Pfarrers Joachim Schröder etwa, findet, wie Hövel selbst bemerkt (a.a.O., S. 56f.), keinen Widerhall beim Lübecker geistlichen Ministerium.

826 Ertrag waren wie die Auffassung, die Übernahme einer Rolle impliziere Heuchelei oder Lüge, nun ins Luthertum Eingang fanden. Aufgegriffen wurde auch das Argument, Aufführungen seien wie andere Vergnügungen in der als notvoll beschriebenen Gegenwart – damit war nicht nur der große Krieg gemeint, sondern allgemein die sittlichen Zustände – nicht opportun.372 Ebenso wurde die Theaterkritik der Kirchenväter neu entdeckt.373 Katalysator dieser zunehmenden Problematisierung des Theaters war das verstärkte Drängen der englischen Theatertruppen nach Deutschland, die mit ihrer Spielfrequenz nicht nur die Wirksamkeit des protestantischen Theaters weit überholten, sondern sich auch zu einer gefährlichen Konkurrenz für den Gottesdienst entwickelten. Aus dem Frankfurt des Jahres 1615 – als Messestadt für die Wanderbühnen von erhöhtem Interesse – wird der Spottvers überliefert: „Die Englische Comedianten Haben mehr Leuht den Predikanten, Da lieber 4 stund stehn hören zu, Dan ein in die Kirch, da sie mit Ruhe, Flux einschlaffen auff ein hart banck, Dieweil ein stund in felt zu lang ...“374 Nicht allein der Inhalt der gespielten Stücke forderte somit den Widerstand der Pfarrer heraus, sondern bereits die mit dem Auftreten der Wandertruppen gegebene faktische Rivalität. So kann es nicht verwundern, dass die Prediger gegen übermäßigen Besuch der englischen Theatertruppen Protest erhoben.375 Dies führte dazu, dass in den Augen einiger Theologen das Theater als solches desavouiert war. Nikolaus Hunnius, der Sohn des selbst Dramen schreibenden Ägidius Hunnius, formulierte 1630 als Lübecker Superintendent zwar kein Verbot, aber doch eine Restriktion von Aufführungen; die Schüler sollten ausschließlich von den Lehrern vorgesetzte Stücke spielen.376 Die grundsätzliche Kritik wurde dann durch den entstehenden Pietis-

372 So die von Joachim Schröder 1642 geübte Kritik: Für Aufführungen sei die Zeit zu erbärmlich, die Menschen müssten eher, wie einst in Ninive, in Sack und Asche gehen; vgl. Karl Theodor Gaedertz, Archivalische Nachrichten über die Theaterzustände von Hildesheim, Lübeck, Lüneburg im 16. und 17. Jahrhundert, Bremen 1888, S. 38f. 373 Vgl. ebd. Schröder rekurriert nacheinander auf Augustin, Isidor von Pelusium, Clemens von Alexandrien, Laktanz, Johannes Chrysostomos, Hieronymus und Tertullian. 374 Zitiert nach Elisabeth Mentzel, Geschichte der Schauspielkunst in Frankfurt a.M., Frankfurt 1882, S. 58f. Die Verse stammen aus einem anonymen Gedicht „Ein Discurs von der Frankfurter Messe und ihrer vnderschiedlichen Kaufleuten gut vnd böss“. Zum Wirken der englischen Bühnen in Deutschland, deren erste unter der Leitung von Robert Browne ab 1586 auftrat, vgl. Cora Dietl, a.a.O., S. 153ff. 375 Vgl. Mentzel, ebd. 376 Das Gutachten des geistlichen Ministeriums findet sich bei Gaedertz, Archivalische Nachrichten, S. 34. Aufführungen seien erlaubt, „Wann fleissige achtung darauf gegeben würde, daß die Schüler ... außer der praeceptorum direction, durchaus keine Comoediam (ob auch schon die materia nicht zu tadeln were) agiren ...“ Insbesondere sei in Bezug auf Kleidung u.a. „gebührliche moderation“ zu wahren. Zwar verwerfe man das Auftreten „in habitu comico“ nicht an sich, wohl aber sei es nicht zu billigen, wenn junge Burschen in schrecklichen Teufelslarven oder mit Hellebarde und Gewehr aufzögen. – Vgl. dazu Hövel, a.a.O., S. 50.

Schlussbetrachtung 827

mus artikuliert. Zwar vertrat Spener in seinen Äußerungen eine gemäßigte Haltung,377 doch gab auch er sich als Gegner des Theaters zu erkennen, was sich in seinem nahen und ferneren Umfeld – Petersen, Arnold, Francke – weiter verstärkte. Gleichwohl gab es auch Stimmen, die sich grundsätzlich für das Theater aussprachen. So votierte der Basler Theologieprofessor Samuel Werenfels (1657–1740), Vertreter einer nach Karl Barth ‚vernünftigen Orthodoxie‘ zwischen Aufklärung und Pietismus und Freund des Jean-Alphonse Turretini, in einer berühmt gewordenen akademischen Rede „Oratio pro comoediis“ im Jahre 1687 – dem Jahr des Hamburger Opernstreits – für das Schultheater.378 Dabei griff er auf die von Humanismus und Reformation entwickelten Begründungen zurück und forderte, auch unter Hinweis auf den Erfolg des Jesuitentheaters, die Wiederaufnahme von Schulaufführungen.379 Werenfels’ Rede wurde später von Gottsched und Lessing im Sinne eines allgemeinen Plädoyers für das Theater gelesen und aufgegriffen. Eine gewisse Rolle spielten auch in der Folgezeit Aufführungen zu mit der Reformation verbundenen Jubiläen. So wurde im Jahre 1676 zum Jubiläum der Konkordienformel an der Universität Wittenberg ein ‚Triumphus Concordiae Consensus repetiti dramaticus‘ aus Anlass der Einführung des Rektors Deutschmann durch Studenten aufgeführt. Es diente der Verherrlichung des konkordistischen Luthertums und zeichnete sich durch Polemik gegen Georg Calixt aus, der als Drache erscheint.380 Weiterer Beliebtheit erfreute sich das Genre der Lutherdramen. 1732 wurde in Jena das Stück ‚Der gestürzte Goliath 377 Zur Haltung Speners gegenüber dem Theater während seiner Frankfurter Zeit vgl. Elisabeth Mentzel, Geschichte der Schauspielkunst in Frankfurt a.M., S. 93f. 110. Danach konnte Spener das Theater durchaus differenziert wahrnehmen. So ging er nicht gegen Aufführungen von Johann Velthen, Leiter einer Komödiantentruppe, vor, während er andere Theatertruppen nicht schonte. Auch im Hamburger Opernstreit 1687 suchte Spener eine Eskalation der Kontroverse zu vermeiden. Lediglich sollten die Frommen vor dem Theater gewarnt werden; vgl. Martin Brecht in: Ders. (Hrg.), Geschichte des Pietismus Bd. 1, Göttingen 1993, S. 346. Das alles bedeutet aber nicht, dass er das Theater nicht ablehnte; vgl. a.a.O., S. 353. 377. Die Überwindung des Theaters sollte aber eher indirekt erfolgen, dadurch dass die Christen es nicht mehr aufsuchten. 378 Vgl. dazu Martin Stern – Thomas Wilhelmi, Samuel Werenfels (1657–1740): Rede von den Schauspielen. Der lateinische Urtext (1687/1716), die Übersetzungen von Mylius (1742) und Gregorius (1750) sowie deren Rezeption durch Gottsched, Lessing und Gellert. Ein Beitrag zur Theaterfrage in der Frühaufklärung, Daphnis 12 (1993), S. 73–171, in der Einleitung bes. S. 73–81. 84f.  – Zum Begriff einer ‚vernünftigen Orthodoxie‘ vgl. Karl Barth, Samuel Werenfels (1657– 1740) und die Theologie seiner Zeit. Antrittsvorlesung, Basel 1936, S. 5f. 379 Vgl. Stern – Wilhelmi, a.a.O., S. 84f. Nicht ganz richtig ist, wie ebd. gesagt wird, Werenfels sei der erste gewesen, der sich auch mit der Wirkung einer Aufführung auf die Zuschauer befasst habe. Solche Gedanken finden sich, wie hier gezeigt werden konnte, bei vielen Dramatikern oder anderen, zum Theater sich äußernden Autoren wie Polykarp Leyser, in systematischer Form ferner bei Balthasar Meisner. 380 Zu dieser Aufführung vgl. Karl Hase, Das geistliche Schauspiel, Leipzig 1858, S. 109. Vgl. dazu jetzt Anselm Schubert, Nachspiel auf dem Theater. Lutherische Orthodoxie und Synkretismus

828 Ertrag oder die über das Papstthum triumphierende evangelische Wahrheit‘ von Studenten aufgeführt.381 Gegen das Erscheinen Luthers auf der Bühne erhoben sich nach Karl Hase aber anlässlich des zum Reformationsjubiläum 1817 in Weimar einstudierten Dramas ‚Luthers Entscheidung‘ des Erfurter Professors Heinrich Schorch Bedenken. 1857 kam es zu einer Aufführung von Zacharias Werners Lutherdrama in Weimar am Vorabend des Reformationsfestes, von Hase als halbwegs geglückt beurteilt.382 Überhaupt brachte das 19. Jahrhundert eine Renaissance der Lutherdramen. So zählte Gustav Adolf Erdmann in seiner insgesamt kritisch gefärbten Darstellung der Lutherfestspiele für die erste Hälfte des Jahrhunderts dreizehn Dramen in deutscher Sprache sowie ein aus dem Italienischen übersetztes Drama, während das 18. Jahrhundert kein bedeutendes Lutherdrama hervorgebracht habe.383 Ohne Zweifel ist diese Entwicklung im Kontext des aufbrechenden Nationalbewusstseins zu sehen, das sich in historischen Werken, in der Trivialliteratur wie auch in Lutherdenkmälern widerspiegelt.384 Diese Tendenz setzte sich im 20. Jahrhundert fort. Eine Werbebroschüre des Reclam-Verlages von 1935 bot zum Thema Luther eine Rubrik „Luther-Festspiele für die nationale Bühne, für Laienspiel- und Schulaufführungen“385 Die spätere kirchliche Praxis kannte bis zum heutigen Tage fast nur noch das traditionelle Krippenspiel und Anspiele in einem z.T. evangelistischen Kontext. Daneben bringen Laienspielgruppen immer wieder Stücke zur Aufführung. Neuere Entwicklungen stellen das Bibliodrama dar sowie die populäre Gattung des Musicals. Als ein wenn auch entfernter Ableger des ursprünglichen geistlichen Dramas sind die Oratorien Johann Sebastian Bachs oder Georg Friedrich Händels zu werten. Mit diesem Ausblick hat die Studie ihr Ende erreicht. Das protestantische Drama verdankt sich wesentlich dem poetologischen Interesse von Lehrern, Pfarrern und anderen Autoren und ihrem Umgang mit dem biblischen Wort, ja letztlich ihrer Überwältigung von diesem. Die Verfasser markieren damit nicht nur eine wichtige Station der Auslegungsgeschichte der heiligen Schrift, sie und ihr Wirken repräsentieren auch einige zwischen Theologie und Literatur, KuD 45 (1999), S. 225–250. Verfasser des Stückes war der ungarische Hauslehrer Deutschmanns, Georg Gassitzius (S. 229). 381 Vgl. Hase, a.a.O., S. 100 Anm. 11. 382 Vgl. Hase, a.a.O., S. 311 Anm. 37. Hase wertet diese Spiele insgesamt eher kritisch; Luthers Leben sieht er dem Protestantismus derart eingepflanzt, dass eine Dramatisierung, die hier notwendigerweise Umbildungen vornehmen müsste, ebenso notwendig Irritationen mit sich bringen müsste. 383 Gustav Adolf Erdmann, Die Lutherfestspiele, Wittenberg 1888, S. 51f. Vgl. seine Abschnitte „Lutherdramen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ (S. 52–81) und „Die neueren Lutherdramen mit besonderer Berücksichtigung der Festspiele von Devrient, Herrig und Trümpelmann“ (S. 81–133; zu den Spielen der zweiten Hälfte des Jahrhunderts). Das Lutherfestspiel von Hans Herrig wurde 1886 in Wittenberg aufgeführt, wofür die von den Veranstaltern erwünschte Stadtkirche allerdings nicht zur Verfügung gestellt wurde; vgl. Siegfried Bräuer, „Seht, lieben Leut’, kehrt euch daran ...“, S. 96. 384 Vgl. Karl-Heinz zur Mühlen, Art. ‚Luther III. Wirkung‘, RGG4 5, Sp. 594. 385 Beworben werden Spiele von E. Bahlsen (‚Im Frührot einer neuen Zeit‘), O. Devrient (‚Luther‘) und J. Mastropasqua (‚Martin Luther‘).

Schlussbetrachtung 829

Anfragen an die gegenwärtige kirchliche Praxis: dass sich die Kirche von der Bibel nach ‚draußen‘ bringen lässt, dass sich Pfarrerinnen und Pfarrer und andere Gemeindeglieder literarischer Betätigung widmen und kulturbildend wirken, dass Menschen über Inszenierungen und Darbietungen beteiligt werden, dass ein bewusster, reflektierender Umgang mit dem Medium Theater im kirchlichen Raum geübt wird – jenseits einer Nutzung als bloßes Füllmaterial und Einlage, aber auch diesseits einer Nutzung auf Kosten der Predigt. Man kann die Frage stellen, ob eine biblische Geschichte im Sinne der Reformation nicht dann erst verstanden ist, wenn die Hörerinnen und Hörer sie in ihren Worte wiederzugeben vermögen. Auch eine Bejahung dieser Frage nötigt gewiss nicht dazu zu behaupten, eine solche Geschichte sei erst dann internalisiert, wenn sie dramatisiert und gespielt wird. Cyriakus Spangenberg bemerkte indes, dass eine biblische Geschichte zu ihrer Dramatisierung geradezu einlädt, ja letztlich auf sie zuläuft. Für jede Dramatisierung aber gilt, was Hans Tirolf in seiner Übersetzung des ‚Pammachius‘ formuliert hat: „Ein gticht es ist / jedoch nichs minder war.“386

386 Hans Tirolf, Vorrede zum ‚Pammachius‘, in: Thomas Naogeorg, Sämtliche Werke, hrg. v. Hans Gert Roloff. Erster Bd. Dramen I, Berlin – New York 1975, S. 27,68.

Anhang Quellen und Literatur Sofern nicht anders vermerkt, richten sich die Abkürzungen der benutzten Literatur nach dem Abkürzungsverzeichnis von RGG4 Bd. 8, Tübingen 2005, S. XXIX–LXXXV. Sofern Forschungsliteratur mit einem Kurztitel zitiert wurde, ist dieser durch Unterstreichung kenntlich gemacht. Quellenwerke und Forschungsliteratur sind alphabetisch geordnet. Bei gleichen Titeln bzw. unterschiedlichen Ausgaben desselben Werkes erfolgt die Auflistung in chronologischer Weise.

A Quellen I Autoren von geistlichen Dramen in der Reformationszeit und der konfessionellen Zeit 1. Sammelwerke Berger, Arnold E., Die Schaubühne im Dienste der Reformation. Erster Teil (Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Reihe Reformation, Bd. 5), Leipzig 1935 Froning, Richard (Hrg.), Das Drama der Reformationszeit, Stuttgart 1894 Moralités françaises. Réimpression facsimilé de vingt-deux pièces allégoriques imprimées aux XVe et XVIe siècles. Avec une introduction de Werner Helmich, 3 Bände, Genf 1980 Rädle, Fidel (Hrg.), Lateinische Ordensdramen des XVI. Jahrhunderts. Mit deutschen Übersetzungen, Berlin – New York 1979 Szarota, Elida Maria, Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Eine Periochenedition. Texte und Kommentare, 3 Bände, München 1979–1983, Registerband München 1987 Thomke, Hellmut (Hrg.), Deutsche Spiele und Dramen des 15. und 16. Jahrhunderts (Bibliothek der Frühen Neuzeit. Erste Abteilung. Literatur im Zeitalter des Humanismus und der Reformation, Bd. 2), Frankfurt 1996 Tittmann, Julius (Hrg.), Schauspiele aus dem sechzehnten Jahrhundert. Erster Theil. Nikolaus Manuel, Paul Rebhun, Lienhart Kulman, Jakob Funkelin, Sebastian Wild, Petrus Meckel. Zweiter Theil. Bartholomäus Krüger, Jakob Ayrer (Deutsche Dichter des sechzehnten Jahrhunderts. Mit Einleitungen und Worterklärungen hrg. v. Karl Goedeke und Julius Tittmann, Zweiter und Dritter Band), Leipzig 1868

2. Einzelne Autoren Avancini, Nicolaus: Nicolaus Avancini S.J., Pietas victrix – Der Sieg der Pietas, hrg., übers., eingeleitet und mit Anmerkungen versehen v. Lothar Mundt und Ulrich Seelbach (Frühe Neuzeit.



Quellen und Literatur

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Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext Bd. 73), Tübingen 2002 Balticus, Martin: Drama comicotragicvm Danielis prophetae, LEONIbus obiecti, et ab angelis dei rursus liberati historiam complectens, quae est imago dulcis ac vtilis cum filij Dei pro peccatis generis humani crucifixi et resuscitati, tum totius omnium temporum Ecclesiae, cum ministris Sathanae luctantis. ADDITA EST ET EVRIpidis Tragoedia Cyclωps, ita Latino carmine reddita, ut versus versui fere’ respondeat. Avthore Martino Baltico Boio, Augusburg 1558 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A 116.11 Eth. (3)] Ders., Iosephvs. Hoc est Comoedia sacram et mirabilem Iosephi Patriarchae Iacobi filij historiam, quae extat in Genesi, complectens. Composita a Martino Baltico. Vlmae Ioannes Antonius Vlhardus Excudebat, Ulm 1579 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A 76.8 Eth.] Baumgart, Johann: Ivditivm. Das gericht Salomonis Zu ehren einem Erbarn Rath vnd der Christlichen Schulen der lÖblichen vnd alten Stadt Magdeburg / Jn eine Action einer Comedien gefast / vnd zu Reim gemacht. Darinnen beide nach der Politia / das Hoff stad vnd Hausregiment / Nach der Theologia zu gleich auch das Reich vnsers lieben Herrn Jhesu Christi klerlichen begriffen vnd beschrieben ist. Durch Johannem Bawmgarten, o.O. 1561 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Lo 283] Behm, Martin, Acolastus. Eine Lustige Comoedia vom verlornen Sohne, Wittenberg 1618 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 173.1 Poet. (5)] Ders., Eine SchÖne Comedia Vom Alten vnnd Jungen Tobia, Wittenberg 1618 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 173.1 Poet. (4)] Ders., Tragicomoedia. Ein SchÖn Teutsch Spiel / Vom Holoferne vnnd der Judith, Wittenberg 1618 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 173.1 Poet. (3)] Bernardt, Georg: Georg Bernardt SJ, Dramen I. Theophilus Cilix 1621. Ein Faust-Drama der Jesuiten. Lateinisch und deutsch, hrg., übers. und komm. v. Fidel Rädle, Amsterdam 1984. Dramen II. Tundalus Redivivus 1622. Eine Jenseitsvision aus dem Dreißigjährigen Krieg und der mittelalterlichen ‚Visio Tnugdali‘. Lateinisch und deutsch, hrg., übers. und komm. v. Fidel Rädle, Amsterdam 1985 Bertesius, Johannes: Hiob Tragicomoedia, Ein schÖn Newes Geistliches Spiel / darinnen der Gedult ein sondermercklich Exempel wird fÜrgestellet. Auctore Ioanne Bertesio Cammerfortense Thuringo, Jena 1603 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 107.16 Eth. (4)] Ders., Der Schalckß Knecht: Tragoedia. Ein new Geistlich Spiel / aus dem Euangelio des 22. Sontages nach Trinitatis. Matthaei am 18. Capitel / Also gemacht / durch Iohannem Bertesium Cammerforstensen Thuringum. Leipzig 1606 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Lo Sammelbd. 64 (4)] Ders., Regvlvs. Comoedia: Ein schÖn Geistliches spiel / aus dem Euangelio Johannis am 4. Capitel. Von dem KÖnigischen / des Sohn kranck lag zu Capernaum. IOHANNES BERTESIVS. Cammerforstensis, Thuringus, Leipzig 1606 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Lo Sammelbd. 64 (2)]

832 Anhang Ders., Vinea: Eine kurtze doch schÖne Comoedia vom Weinberg deß Herren / vnd Arbeitern darinnen Matthaei. am 20. Capitel Gestellet durch / Iohannem Bertesium Cammerforstensem Thuringum. Leipzig 1606 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Lo Sammelbd. 64 (3)] Beza, Theodor: Abraham Sacrifiant – Tragédie Françoise – Autheur Théodore de Bèsze, Natif de Vézelay en Bourgogne, Genf 1550, in: Théodore de Bèze, Abraham sacrifiant. Edition critique avec Introduction et Notes par Keith Cameron, Kathleen M. Hall, Francis Higman (Textes litteraires français 135), Genf 1967 Ders.: Théodore de Bèze, Abraham sacrifiant. Édition, introduction et notes par Marguerite Soulié (Collection texte), Mugron 1990 Ders.: Abrahamvs sacrificans. Tragoedia Gallicè à Theod. Beza iam olim edita, recens verò Latinè à Ioanne Iacomoto Barrensi conversa, in: Ders., Poemata varia, Genf 1599, S. 143a–174b [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Li 445] Ders.: Theodori Bezae Vezelii Poemata varia. Sylvae. Elegiae. Epitaphia. Epigramm. Icones. Emblemata. Cato Censorivs. Abrahamvs sacrificans. Canticvm Canticorvm, Genf 1599 [Erstveröffentlichung 1597] [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Li 445] Bidermann, Jakob: Burger, Harald, Jakob Bidermanns ‚Belisarius‘. Edition und Versuch einer Deutung, Berlin 1966 Ders., Ludi theatrales 1666, hrg. v. Rolf Tarot. 2 Bände (Deutsche Neudrucke Reihe Barock, Bd. 6–7), Tübingen 1967 Birck, Sixt: Sixt Birck, Sämtliche Dramen, hrg. v. Manfred Brauneck. 3 Bände (Ausgaben deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts), Berlin 1969–1980 Bischoff, Johann: Comoedia Vom Schalckhafftigen Knecht. Ein schÖnes / herzliches vnnd Christlichs Spiel / auß dem 18 Capit. Matthei des Euangelisten fleissig gezogen: Dardurch wir erinnert werden der fÜnfften Bitt im heyligen Vatter vnser / daß vns Gott der Herr gleicherweiß / wie wir vnserm Nechsten verzeihen / auch wÖlle vergeben / Jetzt new kÜnstlich inn Reimen gestelt vnd verfaßt / durch den Wolgelehrten M. Johannem Episcopium von WÜrtzburg. Allen Christen gantz trÖstlich vnd nÜtzlich zulesen, [Frankfurt a.M.] 1568 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Li Sammelbd. 279 (3)] Bömiche, Georg: Eine gar schÖne Tragedia / Theomachus genant / die da leret / wie der Teuffel das Bapstumb gestifftet / vnd allerley AbgÖterey geursacht / vnd wie der HErr Christus durch den Ehrwirdigen Herrn D. Martinum Lutherum / in dieser letzten zeit / die reine Lehre wieder an tag gegeben / vnnd das Bapstumb durch in gefellet hat. Durch M. Georgium BÖmichen / Kirchendiener in der Newenstadt Brandenburg / reimweis gestelt, Magdeburg 1565 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, H: P 1691.8º Helmst. (12)] Brunner, Thomas: Die schÖne geistliche Geschicht oder Historia / von dem fromen und GottsfÜrchtigen Tobia / auff das kÜrtzest Spielweis gestellet / zu Ehren und wolgefallen dem Edlen und Vesten Wolffen Urkauff / und der Tugenthafften Jungfrawen Margarethen Presenhuberin, Wittenberg 1569, in: Thomas Brunner, Tobias. Faksimiledruck nach der Auflage von 1569, hrg. und eingeleitet v. Wolfgang F. Michael und Dona Reeves (Nachdrucke Deutscher Literatur



Quellen und Literatur

833

des 17. Jahrhunderts, unter Mitwirkung namhafter Germanisten hrg. v. John D. Lindberg), Bern – Frankfurt a.M. – Las Vegas 1978 Ders., Die schÖne Biblische Historia / von dem heiligen Patriarchen Jacob / vnd seinen zwÖlff SÖnen / Spielweis gestellet vnd gehalten zu Steyr im Land Osterreich ob der Ens, Wittenberg 1566, in: Jacob und seine zwölf Söhne. Ein evangelisches Schauspiel aus Steyr von Thomas Brunner 1566, hrg. v. Robert Stumpfl (Neudrucke deutscher Literaturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts, begr. v. W. Braune, hrg. v. E. Beutler, Nr. 258–260), Halle a.S. 1928 Butovius, Johannes: COMOEDIA De nuptiali contractu Isaaci, Das ist: Heyraths Spiegel / Darinnen aus dem Exempel des frommen Isaacs vnd der keuschen Rebeccae / allen Gesellen vnd Jungfrawen / so da heyrahten wollen / gezeiget wird / wie sie von Jugend auff zu einem Gottseligen Ehestande sich bereiten / vnd hernach beyde fÜr vnd in der Ehe / schicken vnd verhalten sollen. Allen Liebhabern des Hochgelobten heiligen Ehestandes zu nÜtzlichem gebrauch aus dem 24. Capittel des Ersten Buchs Mosis / Gestellet vnd verfertiget / Durch JOHANNEM BUTOVIUM T.P. Der Gemeine Jesu Christi in CÖrlin Pfarhern. [...] Gedruckt zu Alten Stetin 1600 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 169.12 Poet.] Campson, Pierre: Coutas, Françoise, L’œuvre dramatique de Pierre Campson dit Philicinus. Tome I: introductions, traductions et notes. Tome II: édition critique de textes latins, Diss. Grenoble 1991 Chryseus, Johann: Hoffteuffel. Ein Drama des 16. Jahrhunderts, hrg. v. Uwe Klimpel (Arbeiten zur Mittleren Deutschen Literatur und Sprache Bd. 19), Bern – Frankfurt a.M. – New York – Paris 1991 Ders.: Hofteufel. Das Sechste Capitel Danielis / Den GottfÜrchtigen zu trost / den Gottlosen zur warnung / Spielweiß gestellet vnd in Reimen verfasset durch Johannem Chryseum, Frankfurt a.M. 1566 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Li Sammelbd. 279 (2)] Chytraeus, Nathan: Eine herliche / sinreiche / vnd einem Christlichen hertzen sehr anmÜtige TRAGOEDIA Von Abrahams Opfer. Newlich auß dem FrantzÖsischen gedicht des EhrwÜrdigen hochgelehrten Herrn THEODORI BEZAE verteutschet von NATHANE CHYTRAEO. Sampt einem zusatz etlicher außerlesenen mehrertheils newen / vnd auf allerley anligen eines Christlichen hertzens gerichten gotseligen Gesengen: gestellet von Sebastiano Ambrosio, Hermanno Vespasio, Nathane Chytraeo, etc., Herborn 1595 [Mikrofilm Universitätsbibliothek Rostock – Abteilung Sondersammlungen, von Paris, Bibliothek Mazarin, 46045] Culmann, Leonhard: Senger, Matthias Wilhelm, Leonhard Culmann: A literary biography and an edition of five plays. As a Contribution to the Study of Drama in the Age of the Reformation (Bibliotheca humanistica et reformatorica Bd. 35), Nieuwkoop 1982 Ders., Von der Hochzeyt Jsaacs vnd Rebecce / ein spil nützlich vnd trÖstlich den ehelewten / auch iungen gesellen / vnnd Junckfrawen / so ehelich wÖllen werden /zígericht durch Leonhardum Culman. 1547, in: Senger, Leonhard Culmann (s. dort), S. 463–519 Ders., Ein Christenlich Teütsch Spil / wie ein SÜnder zír Bíß bekÄrt wirdt / Von der sÜnd Gsetz vnd Evangelion / zígericht vnd gehalten zí NÜrnberg Durch Lienhardum Culman. 1539, in: Senger, Leonhard Culmann (s.dort), S. 255–328 Ders., Ein schön Teütsch geistlich Spil Von der Witfraw / die Gott wunderbarlich durch den Propheten Elisa / mit dem Öl von ihrm schuldherrn erlediget / gezogen auß dem andern tayl der

834 Anhang KÜnigen am. 4. Capitel / zu trost allen Witwen vnd waysen / Durch Leonhardum Culman von Craylßheym. 1544, in Senger, Leonhard Culmann (s. dort), S. 329–390 Dedekind, Friedrich: Miles Christianvs Der christliche Ritter. Jn ein Geistlich Spiel oder Comoedien / darinnen der gantz lebenslauff eines Christen Menschen aus der Epistel Pauli Ephes. 6. sehr lustig fÜrgebildet wird / verfasset durch M. Fridericum Dedekindum. Nun aber augiret vnd agiret Zu Braunschweig / im Februario / Anno 1604 Durch M. Johannem Bechmanum R. Der Schulen Zu S. Catharinen. Braunschweig 1604 [Erstveröffentlichung 1576] [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 107.16 Eth.] Ders., Papista conversus. Ein newe Christlich Spiel von eim Papisten / der sich zu der rechten warheit bekeret vnd darÜber in Gefengniß vnd gefahr des lebens kompt. Darauß er durch Gottes hÜlffe gnediglich erlÖset wirdt. NÜtzlich zu lesen. Gefertiget durch M. Fridericum Dedekindum den Elteren, Hamburg 1596 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 136.5.1 Poet. (3)] Desmasures, Louis: Louis Des-Masures, Tragédies saintes: David combattant – David triomphant – David fugitif. Édition critique publiée par Charles Comte (Société des Textes français modernes), Paris 19322 Eckstorm, Heinrich: Mauritivs. Eine newe TragÖdia / Von dem lÖblichen Keyser Mauritio / wie er in warer erkentniß seiner SÜnde / vnd bestendiger gedult / beneben seiner Gehmahlin vnd Kindern / von dem Tyrannen Phoca vmb das Leben gebracht / NÜtzlich zu spielen vnd zu lesen. Gestellet durch Henricum Eckstormium M., Halberstadt 1593 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Lo 1177.1] Förster, Johann: Theatron Christianae Iuventutis novum. Quo exhibentur Sex ludi scenici sacri, et quidem tres Tragoediae, itemque tres Comoediae, quarum catalogus sequenti pagina habetur. Ex Sacrae Scripturae historiis, usque institutioni, ac informationi juventutis praecipue accommodatis, omnes desumptae, stylo maxime Terentiano descriptae, et in tres libellos distributae, quorum hic est primus, ubi prodeunt. I Ursi Ultores Elisaei Tragoedia. II Samuel Princeps Comoedia. Autore et Actore M. Ioanne Forstero Poeta Caesario, Rectore tum Scholae Schneb., jam vero Pastore Ecclesiae Cizensis ad D. Micaelis, Leipzig 1604 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Xb 1759 (3)] Foxe, John: Two Latin Comedies by John Foxe the Martyrologist. Titus et Gesippus – Christus Triumphans, ed. with introduction, translation and notes by John Hazel Smith (Renaissance text series Bd. 4), Ithaca – London 1973 Frey, Jakob: Jakob Freys Gartengesellschaft (1556), hrg. v. Johannes Bolte (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart CCIX), Tübingen 1896 Ders., Ein AndÄchtig / Biblisch / schÖn / vnd lustig spiel / Wie Abraham Isaac seinen sín / auffopffern solte / vnnd von austreibung Agar der magdt / sampt Jsmaheln ihrem sín / Auch von der verderbung / Sodome vnd Gomorre / etc. Menigklichem fruchtbar / auch nutzlich zí lesen vnnd zí hÖren. Durch Jacob Freyen / stattschreibern zí Maursmünster / in reymen gebracht vnd verfertigt, Straßburg o.J. [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 109.2 Eth.] Frischlin, Nicodemus: Phasma: Hoc est; comoedia posthvma, nova et sacra: de variis haeresibvs et haeresiarchis; QVI CVM LVCE renascentis per DEI gratiam Evangelij hisce novissimis temporibus extiterunt. AUctore Nicodemo Fri-



Quellen und Literatur

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schlino, Doctore, oratore et Philosopho (rumpantur utilia Momis) clarißimo, SacriPalatij-Comite, nec-non Poëta-Coronato. IMPRESSVM IN IAZYGIBVS-METANASTIS [wohl Straßburg], Anno CHRISTI-NATI 1592, Antichristi verò revelati 75 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 139.1 Poet. (2)] Ders.: Phasma: Das ist: Ein newe / Geistliche / nachgehndig / Comoedie vnd Gesicht: von mancherley Ketzereyen / sampt deroselben Anfenger vnd Ertzketzern / so neben dem hellen Liecht des heiligen Euangelij auß Gottes Gnaden durch D. Mart. Luth. seliger gedechtnus wider auff die Bahn gebracht / zu diesen letzten zeiten herfÜr komen sind. Jm Latein: Von dem Hochgelarten vnd weitberÜmpten Herrn Nicodemo Frischlino Weiland / Doctoren / vnd vortrefflichem Redner vnd Philosophen/ (geb / wems leid sey) auch Pfaltzgraffen vnd Poeten / erstlich beschrieben / Alles auß allerseits Schrifften vnd BekÄntnissen selbsten / wie auch auß GÖttlicher Schrifft grundt klÄrlich erwiesen vnd dargethan. Jtzundt aber dem Gemeinen Mann zu nutz / Lehre / Warnung vnd besserm vnterricht sich fÜr solche Ketzereyen zu hÜten /einfÄltig in deutsche Reime verfasset / Durch M. Arnoldvm Glasern / Othmar: Tuentium, der H. Schrifft Studiosum, Gryphiswalt / Gedruckt durch Augustin Ferber, 1593 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 1023.10 Theol. (6)] Ders.: Phasma, in: Nicodemus Frischlin, Sämtliche Werke. Dritter Band. Dramen III 2. Teil: Phasma, hrg. und übers. v. David H. Price. Deutsche Übersetzung unter Mitarbeit v. Volkhard Wels und Walter D. Wetzels, Stuttgart – Bad Cannstatt 2007 Garleben, Vitus: Eine Geistliche vnd Trostreiche Comedie / Von dem trawrigen Fall vnnd Gnediger annehmung vnser ersten Eltern vnd des gantzen menschlichen geschlechtes. Auff vieler gudthertziger Christen fleissige anforderung gestellet / vnd in den druck verfertiget Durch Vitum Garleben / des FÜrstlichen Paedagogij in Alten Stettin Cantorem, Stettin 1577 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 60.2 Eth. (5)] Gart, Thiebold: Joseph. Ein schÖne und fruchtbare Comedia, auß heyliger Biblischer schrifft in rheimen bracht, mit anzeygung irer Allegori und geistliche bedeüttung, In welcher vil Christlicher Zucht unnd Gottsforcht gelernet wirt. Durch Thiebolt Gart, burger zí Schletstat geordnet und zísammen bracht, auch daselbst auff Sontag noch Ostern mit einer Ersamen burgerschafft offentlich gespilt. Im Jar. 1.5.40, in: Joseph. Biblische Komödie von Thiebold Gart (1540), hrg. v. Ernst Martin und Erich Schmidt (Elsässische Literaturdenkmäler aus dem XIV. bis XVII. Jahrhundert, II. Band), Strassburg – London 1880 Gerengel, Simon: Das Johannesspiel. Die schön euangelisch History von der enthauptung des heiligen Johannis des Tauffers, hrg. v. Michael Gebhardt (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Germanistische Reihe Bd. 60), Innsbruck 2000 Greff, Joachim: Drey liebliche nützbarliche Historien der dreier Erzveter vnd Patriarchen Abrahams / Isaacs vnd Jacobs / aus dem ersten buch Mosi / in Deudsche reim verfasset durch Joachimum Greff von Zwickaw / zu spielen vnd zu lesen trÖstlich, Wittemberg 1540 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Lo 2248.1] Ders.: Walker, Ronald William, Joachim Greff’s Tragoedia des Buchs Iudith. Textedition and introduction to the text, Columbus, Ohio State University Diss. 1978 [Erstveröffentlichung 1536]

836 Anhang Gretser, Jakob: Herzog, Urs, Jakob Gretsers ‚Udo von Magdeburg‘ 1598. Edition und Monographie, Berlin 1970 Gwalther, Rudolf: Rudolf Gwalthers „Nabal“. Ein Zürcher Drama aus dem 16. Jahrhundert, hrg. und übers. v. Sandro Giovanoli (Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik Bd. 83), Bonn 1979 Haberer, Herman, Ein gar schÖne Spyl von dem glÄubigem Vatter Abraham / wie Gott mit ihm / vnd er auß seim befelch gehandlet. Von einer BÜrgerschafft zu LÄntzburg im ErgÖuw auff den 29. Mayens gespilt / vnd newlich außgangen. CÖlln 1592 [Staatsbibliothek zu Berlin– Preußischer Kulturbesitz, Abteilung Historische Drucke, Yp 9786] Hartmann, Andreas: Erster Theil / des Cvrricvli Vitae Lvtheri. Das ist: WArhafftige vnd kurtze Historische Beschreibung / der Geburt vnd Ankunfft / Auch Lehr / Lebens / Wandels / BerÜffs / Standes vnd Ampts / Vnd sonderlich der beharlichen vnd standhafftigen Glaubens Bekendtnis / bey reiner Euangelischer Warheit / vnd in Summa / der gantze Laufft / beydes Lebens vnd Sterbens/ Des Ehrwirdigen / Hocherleuchten / Gottseligen vnd Tewren Mannes Gottes / Herrn D. Martini Lutheri / etc. Heiliger GedÄchtniß. Jetzo gantz New Jnn etlichen vnterschiedenen / sehr schÖnen vnd Christlichen Comoedien repraesentiret vnd an Tag gegeben / Durch: Andreen Hartmann / etc., o.O. 1601 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 107.16 Eth. (3)] Ders., Lutherus redivivus. Das ist: Eine warhaffte Beschreibung / der Geburth / Ankunfft / Lehr / Lebens / Beruffs / Ampts / auch sonderlicher stanthaffter glaubens Bekendtnis bey reiner Evangelischer Warheit / Des EhrwÜrdigen / Hocherleuchten vnnd Gottseligen Mannes / Herrn D. Martini Lutheri / Jn eine sehr schÖne / anmutige vnd Christliche Comedia gebracht / Durch Andream Hartman / Jetziger Zeit sehr nÜtzlich zu lesen vnd zugebrauchen, Hall in Sachsen 1624 [Zweite Ausgabe von ‚Erster Theil‘ – Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 173.1 Poet. (6)] Hayneccius, Martin: Hans Pfriem: Oder Meister Kecks. Comoedien oder Spielweis geschrieben, Erstlich im Latein, Von M. Martino Hayneccio Vor: Vnd jetzo aus dem Latein vordeutschet, Jung vnd Alt nÜtzlichen vnd lustig zu betrachten, in: Hans Pfriem oder Meister Kecks. Komödie von Martin Hayneccius. Abdruck der ersten Ausgabe (1582) (Neudrucke deutscher Litteraturwerke [!] des XVI. und XVII. Jahrhunderts 36), Halle a.S. 1882 Heros, Johannes: Tragedia. Der irrdisch pilgerer genandt. Darinnen artlich abgemalet wirt / die vnsicherheit menschliches Lebens / welches in disem Jamerthal auff Erden / als auff einer unsicheren Raiß / durch vil MÖrder vnd Feindt wandern muß / FÜrnemlich aber durch die Ertzfeindt / den Teufel / die Welt vnnd eygen fleisch. Durch Johannem Heroe / Schulmeister zu Roath [= Roth a.d. Rednitz], Nürnberg 1562 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Li Sammelbd. 279 (7)] Hirtzwig, Heinrich: Jesulus. Comoedia sacra: DE Nativitate Domini et Salvatoris Nostri Jesu Christi. Facta et acta à M. Henrico Hirtzvvigio Gymn. Spir. Conrector, Speyer 1613 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 113.2 Poet.] Ders.: LUTHERUS DRAMA M. HENRICI HIRTZVVIGII Gymnasii Moeno Francofurtani Rectoris, Megalandri Martini Lutheri Islebio Mansfeldii infinitos Circa ortum progreßumque



Quellen und Literatur

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repurgati a se Evangelij Labores ostendens. ANNO Jubilaeo Evangelico primo Qui est a nato Christo MDCXVII VVITEBERGAE [Wittenberg 1617] [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 762 Theol. (1)] Hoë von Hoënegg, Matthias: Eine schÖne Geistliche / Geistreiche Comoedi / Von dem H. Joseph / Sehr lieblich vnd nÜtzlich zu lesen vnd zu halten / Hiebeuor Lateinisch beschrieben von dem HochberÜhmten Theologo, Herrn D. Aegidio Hunnio, etc. Jetzo vielen frommen einfeltigen Christen zu nutz ins Deutsch versetzet Durch Mathiasen HÖe, Dresden 1602 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Li 4071.1] Hoppenrodt, Andreas: Das Gulden Kalb. Ein Spiel auß der Historia des zwey vnd dreissigsten Capitels / im Andern Bŭch Mose / Reimen weiß gefasset durch Andream Hoppenrodt, Straßburg 1563 [Exemplar Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar – Stiftung Weimarer Klassik, 09: 131] Hunnius, Ägidius: Iosephvs. Comoediae dvae. QVARUM PRIOR HISTORIAM IOSEPHI A MOSE DESCRIPTAM usque ad exaltationem eius ad dominum Ægypti persequitur. POSTERIOR EA CONTINET, QUAE AB Annis fertilitatis gesta sunt usque ad descensum paternae familiae in Ægyptum, et mutuam laetamque agnitionem Iacobi Patris, et Iosephi filii [1584], in: Ders., Opera Latina. Tomvs quintvs et vltimvs Opervm Latinorvm D. Ægidii Hvnnii, celeberrimi Avgvst. Confess. Theologi. continens dispvtationes et orationes academicas, cum tribus Comoediis, Wittenberg 1609, Sp. 833–932 [Exemplar Kopie von Mikrofilm der Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Abteilung Historische Drucke Be 2720 MF-5, durch Universitätsbibliothek Gießen] Ders., Rvth. COMOEDIA NOVA ET SACRA [1586], ebd., Sp. 932–970 [Exemplar Kopie von Mikrofilm der Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Abteilung Historische Drucke Be 2720 MF-5, durch Universitätsbibliothek Gießen] Kiel, Tobias: Davidis Aerumnosum Exilium et gloriosum Effugium. Die Beschwerliche Flucht vnd herliche Außflucht / deß vnschÜldigen KÖniglichen Hoffdieners Davidis / Wie er vom KÖnige Saul verfolgt / glÜcklichen entgangen / vnd an dessen stadt zum KÖnigreich mit Ehren erhaben worden. Jn die Form einer Christlichen Comedien vnd Spiel verfast / Gott zu Ehren zum erstenmal agiret zu Baldstedt / Auff begehren etlicher ehrlicher Leute zum Drucke vbergeben. Von Tobia Kilio Baldstadensi, Pfarrer zu Eschenberga, Erfurt 1620 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 173.1 Poet. (2)] Kielmann, Heinrich, Tetzelocramia. Das ist Eine Lustige ComÖdie von Johan Tetzels Ablaß Kram. Wie Gott der Herr den selben / Jtzo fÜr Hundert Jahren durch sein erwehltes RÜstzeug D. Martinum Lutherum, in kraft des Heiligen Evangelij / vmbgestossen vnnd außgetrieben / vnd sein GÖttlichs wort dakegen lauter vnd rein / wieder die Antichristischen RÖmischen grewel in Teutschlandt zu Predigen angefangen / vnd weit vnnd breit hat erschallen lassen. zum Jubel Jahr vnnd frewden Fest Gott zun Ehren vnd menniglich zum nutz gemacht / vnd in druck verfertigt. Alten Stettin 1617 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 159 Poet. (4)] Ders.: TETZELOCRAMIA. Daß ist / Eine Lustige Comoedie / Von Johan Tetzels Ablaßkram / wie Gott der Herr denselben / Jtzo fÜr Hundert Jahren durch sein erwehltes RustzeÜg. D.

838 Anhang MARTINUM LUTHERUM in krafft des Heiligen Evangelij vmbgestossen vnnd außgetrieben / lauter vnd rein / wieder die Antichristischen RÖmischen Grewel in Teutschlandt zu Predigen angefangen / vnd weit vnd breit hat erschallen lassen. Zum Jubel Jahr vnd Frewden Fest / 1617. Gott zu Ehren / vnd Menniglich zum Nutz gemacht: Vnd in druck verfertiget / Erstmaln zu Alten Stettin / Jetzo in Wittenberg / Bey Johan Matthaeo / Jn Verlegung Paul Helwigen Buchf. Editio Secunda Correctior, Wittenberg [1618] [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Xb 5427] Krüger, Bartholomäus, Eine schöne und lustige newe Action, Von dem Anfang und Ende der Welt, darin die gantze Historia unsers Herrn und Heylandes Jhesu Christi begriffen (1580), in: Schauspiele aus dem sechzehnten Jahrhundert, hrg. v. Julius Tittmann. Zweiter Theil. Bartholomäus Krüger. Jakob Ayrer (Deutsche Dichter des sechzehnten Jahrhunderts. Mit Einleitungen und Worterklärungen hrg. v. Karl Goedeke und Julius Tittmann, Dritter Band), Leipzig 1868, S. 7–120 Leseberg, Joachim: Iesvs Dvodecennis. Jesus zwÖlff Jahr alt. Das ist: Eine Geistliche  / Christliche / vnd nÜtzliche Comoedia oder Spiel / Aus der schÖnen lieblichen vnd Biblischen Historia, des zwÖlffJÄhrigen lieben Jesuleins / Lucae am andern genommen / vnd zum denckwÜrdigen Exempel vnd Zucht-Spiegel der zarten Jugend: Wie auch zum Lehr: Trost: vnd Warnungs-Spiegel jedermenniglich: Dann auch zu des heylsamen gemeinen Nutzes beforderung zugerichtet vnd verfertiget / Durch M. Ioachimvm Lesebergivm, Predigern vnd Canonicum im Stifft zu Wonstorff, Helmstedt 1610 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Lo 4410.1] Lonemann, Joachim: Comedia / Vom Reichen Manne / vnnd Armen Lazaro / Neben der Leichpredigt. Zu Magedeburg gespielet / im Monat Augusto / etc. Jtzund aber auffs newe vber sehen / Corrigiert / vnd an veilen orten gebessert. durch / M. Georg Rollenhagen, Magdeburg 1602 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Lo 5149.1] Lucas, Andreas: Ein schÖne vnd trÖstliche Comoedia / in Reim weis gestellet / wie Abraham seinen Son Jsaac / aus Gottes befelh / zum Brandopffer opffern solte / Zu ehren der Durchleuchtigen Hochgebornen FÜrstin / Fraw Catharinen / Hertzogin zu Sachsen etc. Durch Andream Lucam Aldenbergensem, Leipzig 1551 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Lo 5164.1] Manuel, Niklaus: Niklaus Manuel, Werke und Briefe. Vollständige Neuedition, hrg. v. Paul Zinsli und Thomas Hengartner unter Mitarbeit v. Barbara Freiburghaus, Bern 1999 Meyenbrunn, Andreas: Tragoedia. Johannis des heiligen VorlÄuffers vnd TÄuffers Iesv Christi, warhaffte Hystori von anfang seines lebens / biß in das endt seiner Enthauptung. Auß den vier Euangelisten in Reimen zísammen gesetzt / vnd gespilt durch ein Ehrsame Burgerschafft zí Colmar / auff den 25 vnd 26 tag Maij / Anno 1573, Straßburg 1575 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 116.10 Eth. (2)] De Montchrestien, Antoine: Les Tragédies de Montchrestien. Nouvel Édition d’après de 1604. Avec notice et commentaire par Louis Petit de Julleville, Paris 1891 Müntzer, Georg: Von dem Reichen Mann / vnd armen Lazaro / Genomen aus dem Sechzehenden Capitel Luce Auffs newe in Deutsche Rheim gebracht / Durch Georgium MÜntzer von Pirn, Maggdeburg 1575 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Lo 5637]



Quellen und Literatur

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Murer, Jos: Jos Murer, Sämtliche Dramen, hrg. v. Hans-Joachim Adomatis u.a. Erster Teil: Dramen (Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts. Reihe Drama IV Bd. 49), Berlin – New York 1974 Naogeorg, Thomas, Hamanus mit der deutschen Übersetzung von Johannes Chryseus, in: Naogeorg, Sämtliche Werke (s. dort). Dritter Band, Zweiter Teil Dramen IV, Berlin – New York 1983, S. 287–654 Ders., Hieremias, in: Naogeorg, Sämtliche Werke (s. dort). Vierter Band, Erster Teil Dramen V und VI, Berlin – New York 1987, S. 1–288 Ders., Incendia mit einer zeitgenössischen Übersetzung, in: Naogeorg, Sämtliche Werke (s. dort). Dritter Band, Erster Teil Dramen III, Berlin – New York 1983, S. 1–285 Ders., Iudas Iscariotes mit einer zeitgenössischen Übersetzung, in: Naogeorg, Sämtliche Werke (s. dort). Vierter Band, Zweiter Teil Dramen V und VI, Berlin – New York 1987, S. 267–424 Ders., Tragoedia alia nova Mercator mit einer zeitgenössischen Übersetzung, in: Naogeorg, Sämtliche Werke (s. dort). Zweiter Band, Dramen II, Berlin – New York 1982, S. 1–511 Ders., Tragoedia nova Pammachius nebst der deutschen Übersetzung von Johan Tyrolff, in: Naogeorg, Sämtliche Werke (s. dort). Erster Band, Dramen I, Berlin – New York 1975, S. 1–474 Ders., Sämtliche Werke, hrg. v. Hans-Gert Roloff, bisher 4 Bände (Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts) Berlin – New York 1975–1987 Narhamer, Johann: Historia Jobs auffs kürtzt Spiels weise in Reim verfasset / den betrÜbten vnd angefochteten hertzen / gar trÖstlich / Sunsten jeden Christen fast nÜtzlich zu Lesen Durch JOHAN Narhamer Curiensem, [Zwickau] 1546, in: Johan Narhamer, Historia Jobs 1546, hrg. v. Barbara Könneker und Wolfgang F. Michael (Arbeiten zur Mittleren Deutschen Literatur und Sprache Bd. 12), Bern – Frankfurt a.M. – New York 1983 Nendorf, Johann: ASOTVS, Das ist: Comoedia Vom Verlohrnen Sohn / Auß dem 15. Capitel S. Lucae […] Jn der Keyserfreyen Reichßstadt Goßlar edirt vnd agirt, Durch M. IOANNEM NENDORFIVM der Schulen Rectorem daselbst. Gedruckt zu Goßlar Jm Jahr 1608, in: Mag. Johannes Nendorf „Asotus“ ein Spiel vom Verlorenen Sohn, neu hrg. und eingeleitet v. Dr. Hans Gidion (Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar Heft 17), Goslar 1958 Ders.: Betseba Das ist / Comoedia von Bekerung deß KÖnigs David nach begangenem Ehebruch mit der Betseba /vnd todschlag an jhrem Manne Vria / auß den 11 und 12 Cap. des 2 buchs Samuelis [...] Gestellet / edirt vnd agirt in der Kayserfreyen Reichßstadt Goßlar / Von M. Joanne Nendorfio, Der Schulen Rectore daselbst, Goslar 1614 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Lo 5695] Neukirch, Melchior: Historia Der Passion vnsers lieben HERRN vnd Heylands Jesu Christi / Wie dieselbe von den vier Euangelisten einhellig beschrieben ist. Aus den Predigten / deß weyland Ehrwirdigen / Achtbarn vnd Hochgelahrten Herrn D. MARTINI CHEMNITII, Superintend. Der Kirchen zu Braunschweig / zusammen gezogen vnd in Druck verfertiget / Durch Melchiorem Newkirchen / Pastorn zu S. Peter in Braunschweig. [Wolfenbüttel] 1591 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Lo 5702] Ders., Stephanus Ein schÖne geistliche Tragedia von dem ersten Merterer im newen Testament / nach der Himmelfarh Christi. Aus dem Buch der Geschichte der Apostel / am vierden / fÜnff-

840 Anhang ten  / sechsten vnd siebenden Capitel / in eine Action / Reimßweise / zusammen gebracht. Durch Melchiorem Newkirchen Pastorn der Kirchen Gottes in Brauschweig zu S. Peter, Magdeburg 1592 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Lo 5702] Nicephorus, Hermann: Jephthes. Ein Christlich TragÖdia / Auß dem Buch der Richter am 11. Capitel. Von dem Hochgelarten vnd FÜrtrefflichen Poëten Georgio Bvchanano Schoten in Lateinischer sprach kÜnstlich gemacht / demnach durch Hermannum Nicephorum Rectorn der Schul zu S. Martin in Braunschweig / mit lieblichen Reimen / dem gemeinen Mann zu nutz vnd gÜnstigem gefallen / (folgends beyd Lateinisch vnnd Teutsch zu agiren) verteutschet / auch mit dem Prologo, Epilogo vnd anderem zusatz vermehret, Braunschweig 1604 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Li 2142] Nigrinus, Georg: Der Caluinische Post-Reuter / von Anno 1590. an / biß auff das 92. Jahr / Wie sie jhre falsche verfÜhrerische Lehr haben wollen an Tag bringen / Vnd die wahre vnverfelschte Lutherische Lehr vnterzudrucken sich vnterstanden haben / Wird hie kÜrtzlich vermeldet / wie es jtziger zeit ein außgang mit jhnen gewinnet / etc. Jn ein einfeltige Commedia verfasset mit Vier Personen [...] Gestellet durch einem liebhaber GÖttlichs Worts / I.N.A.B.I.S.P. [o.O. 1592] [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 231.85 Theol. (5)] Pape, Ambrosius: ADVLTERIVM. Zwo christliche Spiele / vom laster des Ehebruchs /wie leichtlich man drin geraten kan: Vn was bey den Bekehrten so wol / als den Vnbekehrten / doch nur einem grossen vnd gewissen vnterscheid / darauff erfolget. Deren Erstes heist: David Victus et Victor [...] Das Ander Spiel. Mundi immundicies eiusque poena, Magedeburg 1602 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 51.15 Eth.]: Das Erste Spiel. David Victus et Victor. KÖnig Dauids grewlicher fall / wie er in Ehebruch vnd Mord geraten / vnnd welcher gestalt er von Gott gnade vnd vergebung erlanget hat: Da denn zugleich mit eingefÜret ist / die Belagerung vnnd ErÖberung der Stad Rabba / aus dem 11. vnnd 12. Cap: des 2. Buchs Samuelis gezogen / vnd Reimweise in ein schÖn vnd ausfÜhrlichs Spiel verfasset / vnd in den Druck verordnet / Durch Ambrosium Papen Magdeburgensem Pfarherrn zu LÜtken Ammensleben im Ertzstifft Magdeburg. Das Ander Spiel. Mundi immundicies eiusque poena. Das ist: Ein kurtzer Bericht / von derjtzigen eingerissenen vnreinigkeit der Welt / sonderlich das Laster des Ehebruchs betreffent / wie weit es hin vnd wider einreisst / woher es kome / vnd sich verursache / was es mit sich bringe / vnnd was fÜr vnheil vnd Straffen drauff erfolgen / menniglichem zur Lehr vnd warnung beschrieben vnd verfertiget. Durch Ambrosium Papen Magdeburgensem Pfarherrn zu LÜtken Ammensleben im Ertzstifft Magdeburg Ders.: Jonas Rhythmicus. Das ist: Die Historia / Vom Prophet Jona Reim weiß beschrieben / vnd in ein Action gebracht / auch nach dem Biblischen Texte also aus gefÜhret / das sie mit Lust vnd Nutz gelesen / vnnd leichtlich verstanden werden kan / jetziger Zeit NÖtig zu betrachten / vnd allen Menschen zum Exempel Wahrer vnd ernster Busse vorgestelt / Verfertiget / vnd in Druck verordnet / Durch Ambrosivm Papen Magdeburgensem den Eltern weiland Pfarherrn zu LÜcken Ammenschleben im Ertzstifft Magdeburgk, Magdeburg 1605 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, X: Fiche 1:90 (1–3)]



Quellen und Literatur

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Pfeilschmidt, Andreas: Andreas Pfeilschmidt, Esther 1555, hrg v. Barbara Könneker und Wolfgang F. Michael (Arbeiten zur Mittleren Deutschen Literatur und Sprache Bd. 16), Bern – Frankfurt a.M. – New York 1986 Poleus, Zacharias: Tragedi. Aus heiliger GÖttlicher Schrifft / von dem grossen / schrecklichen / vnd erbÄrmlichen Hunger / Teurung vnd BelÄgerung der Stadt Samariae: Nach inhalt des 6. vnd 7. Capitels im andern Buch der KÖnige. Gestellet durch Zachariam Polevm, StadtCantzlern zu Franckenstein in Schlesien, Frankfurt / Oder 1603 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 118.7 Eth. (6)] Pontanus, Jakob: Immolatio Isaac, in: Jacobi Pontani De Societate Iesu Poeticarum Institutionum libri III, Editio tertia cum auctario et Indice hactenus desiderato. Eiusdem Tyrocinium poeticum cum supplemento, Ingolstadt 16003, Buch II, S. 557–592 [Exemplar Universitätsbibliothek Tübingen, Rara Dh 139] Ders., Jacobi Pontani De Societate Jesu Progymnasmatum Latinitatis, sive Dialogorum Volumen primum, cum annotationibus de rebus literariis. Editio secunda, emendatio et locupletior, Ingolstadt 1589 [Exemplar Universitätsbibliothek Tübingen, Rara Cc 238-1] Rebhun, Paul, Ein Geistlich spiel/ von der Gotfurchtigen vnd keuschen Frawen Susannen/ gantz lustig vnd fruchtbarlich zu lesen, in: Paul Rebhun, Das Gesamtwerk, hrg. v. Paul F. Casey. Bd.  1: Dramen (Mittlere Deutsche Literatur in Neu- und Nachdrucken, hrg. v. Hans-Gert Roloff, Bd. 27), Bern – Berlin – Bruxelles – Frankfurt a.M. – New York – Oxford – Wien 2002, S. 7–95 [Fassung Zwickau 1536] Ders., Ein Hochzeit spiel auff die Hochzeit zu Cana Galileae gestellet / dem Gottgeordenten Ehestand zu ehren / vnd allen gottfürchtigen Eheleuten / Gesellen / vnd Junckfrawen zu trost / vnd vnterricht durch Paulum Rebhun. 1538, in: Paul Rebhun, Das Gesamtwerk (s. dort). Bd. 1, S. 209–306 [Fassung Zwickau 1538] Rinckart, Martin, Der Müntzerische Bauernkrieg (1625), in: Der Müntzerische Bawren-Krieg. Ein Lutherdrama in fünf Akten, hrg. und mit einer Einführung versehen v. Fritz-Dieter Maass, Hildesheim – Zürich – New York 1991 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1625] Ders., Eislebisch Mansfeldische Jubel-Comödie (Indulgentiarius confusus), hrg. von Heinrich Rembe, Eisleben 1885 [Ersterscheinung 1618] Ders., Martin Rinckarts geistliche Lieder, hrg. v. Johannes Linke, Gotha 1886, S. 1–164 Ders., Der Eislebische Christliche Ritter (1613), in: Der Eislebische Christliche Ritter von Martin Rinckhardt, hrg. v. Carl Müller (Neudrucke deutscher Litteraturwerke [!] des XVI. und XVII. Jahrhunderts Nr. 53–54), Halle a.S. 1884 (Original: Der Eißlebische Christliche Ritter / Eine newe vnd schÖne / Geistliche Comoedia, Darinnen nicht allein die Lehr, Leben vnd wandel des letzten deutschen Wundermans LVTHERI / sondern auch seiner / vnd zu fÖrderst des Herrn Christi zweyer vornemsten Heuptfeinden / PAPSTS, vnd CALVINISTEN, so wol als anderer vielfeltige Rath- vnd Fehlschlege / auch endlicher in Gottes Wort offenbarter vnd gewisser außgang / biß an den nunmehr bald zukÜnftigen JÜngstentag: beydes nach schÖner Poetischer vnd verblÜhmter Art, vnd denn auch historischer richtiger Warheit / inn 3. Rittern BrÜdern / PSEUDOPEtro, MARtino vnd IOhanne, als die vmb ein erbschafft vnd Testament streiten / abgemahlet vnd auffgefÜhret / Durch Martinum Rinck-

842 Anhang hart, Diac: zu Eißle: in der Newstadt: Agiret aber vom Gym. daselbst post ferias Caniculares [Eisleben 1613]) Rivander, Zacharias: Lvthervs redivivvs. Eine newe Comoedia Von der langen vnd ergerlichen Disputation bey der Lehre vom Abendmal / derer so man Lutherisch vnd Caluinisch / So wol der andern / die man Philippisch vnd Flacianisch heist. Darinnen Historischer Bericht / wenn / von wem / vnd wie solch erbermlich wesen Anno 24. angefangen / vnd gefÜret worden biß zum ende des 92. Jahres. Aus denen daruon ausgegangenen mehr als drey hundert Streitschrifften mit fleis colligiret. vnd menniglichen zur Lehr / Trost / Warnung vnd Vermahnung / keinen Theil weder zu lieb noch zu leid / auffs aller glimpflichst fÜr augen gestellet / Durch D. Zachariam Riuandrum, Pfarherren vnd Superattendenten zu Bischoffswerda, [o.O.] 1593 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, H: P 500.4’ Helmst. (1)] Rivaudeau, André de: André de Rivaudeau, Aman. Tragédie sainte. Édition critique avec Introduction et Notes par Keith Cameron (Textes Littéraires français), Genf – Paris 1969 Rollenhagen, Georg: Abraham. Des Ertzvaters Abrahams leben vnd glauben / Der Jugend in Schulen vnd Geselschafften zu vnterricht vnnd zu nÜtzlicher Christlicher vbung / in eine kurtze richtige Action oder Spiel gefasset / vnnd in Druck verordenet / Durch Georgen Rollenhagen von Beren Awe. Gedruckt zu Hildesheim / Durch Andream Hantzsch. Anno 1603 [Erstveröffentlichung Magdeburg 1569] [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 176.5 Poet. (1)] Ders., Spiel vom reichen Manne und armen Lazaro 1590, hrg. v. Johannes Bolte (Neudrucke deutscher Literaturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts Nr. 270/273), Halle a. S. 1929 Ders., Georg Rollenhagens Spiel von Tobias 1576, hrg. v. Johannes Bolte. (Neudrucke deutscher Literaturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts Nr. 285–287), Halle a.S. 1930 Römoldt, Johannes: Ein fein Christlich und nÜtzlich Spiel/ von dem grewlichen Laster der Hoffart. Aus dem Tugendspiel gezogen vnd gebessert/ Durch Johannem RÖmoldt, in: Johannes Römoldt, Ein fein christlich und nützlich Spiel von dem gräulichen Laster der Hoffart. In Abbildung des Erstdrucks von 1564 hrg. v. Hermann-Josef Müller (Litterae. Göppinger Beiträge zur Textgeschichte, hrg. v. Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer, Nr. 80), Göppingen 1984 Rüte, Hans von, Sämtliche Dramen, hrg. v. Friederike Christ-Kutter – Klaus Jaeger – Hellmut Thomke. 3 Bände (Schweizer Texte. NF Bd. 14), Bern – Stuttgart – Wien 2000 Sachs, Hans: Tragedia. Der Abraham, Lott sampft der opfferung Isaac, hat 21 person und 7 actus (1558), in: Hans Sachs, Werke (s. dort). Zehnter Band (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart Bd. CXXXI), Stuttgart 1876, S. 15–58 Ders., Tragedia, mit neun person zu agiern. Die opferung Isaac. Hat 3 actus (1533), in: Hans Sachs, Werke (s. dort). Zehnter Band, Stuttgart 1876, S. 59–75 Ders., Werke, hrg. v. Adelbert von Keller und Edmund Goetze. 26 Bände, Stuttgart 1870–1908. Registerband v. Roger A. Crockett, Hildesheim – New York 1982 Sanders, Johann: Tragoedia. Von dem anfang / mittel vnd ende / des heiligen thewren mans Gottes vnn vorleuffers Christi / Johannis des Teuffers / in welcher aller stende verruckung / verkerunge vnd vnordnunge / so in dieser letzten zeit der Sathan gewaltiglich anrichtet / abgemalet vnd fÜr



Quellen und Literatur

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augen gestellet wird. Worin auch die ruchlosen Weltkinder fÜr SÜnden vnd vntugendt / auch mißbrauch jhres standes vnd ampts gewarnet / vnd zu warer buß / Christlichen tugenden / vnd rechtmessiger fÜrung jhrs beruffs vnd ampts vermanet vnd gereitzet werden / Gestellet vnnd zugericht Durch Iohannem Sanders Pfarherrn zu Adenstedt im gericht Pein, Magdeburg 1588 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 136.5.1 Poet. (2)] Saxo (Sachse), Michael: Eine SchÖne Tragedia / von Stephano dem heiligen marterer / Darinne klar angezeigt wird / wie sich die vndanckbare welt / gegen Gott / sein heiliges wort vnnd diener erzeigt / Gemacht durch Michaelem Saxonem Meringensem ludimoderatorem in Rembda, Weißenfels 1565 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, H: P 1734.8º Helmst. (5)] Schlue, Jo(a)chim: Des Bergenfahrer Joch. Schlu’s Comedia von dem frommen, gottfürchtigen und gehorsamen Isaac. Ein Schrift-Denkmal der deutschen Hansa mit Act IV und V aus Georg Rollenhagens Abraham. Zwei Zeugnisse lutherischen Glaubens hrg. und behandelt von Dr. Albert Freybe, zweite erweiterte Auflage Norden – Leipzig 1892 Schoen, Christian: Eine schÖne Liebliche vnd NÜtzliche Comoedia, Von des Patriarchen Jsaacs Freyschafft. Aus dem XXIIII. Capittel des Ersten Buchs Moysis. Allen Christlichen Eltern / so im Heiligen Ehstand leben / Zu sonderlichem Trost; Auch allen frommen Jungen Gesellen / vnd Jungfrawen / welche sich auch in den Heiligen Ehstand begeben wollen / zum Gottseligen vnterricht / wie sie eine Christliche vnd Ehrliche Freyschafft anfangen sollen. Von dem Herren Nicodemo Frischlino inn Latein gebracht. Jtzo Vordeutscht vnnd Reim weise verfasset vnd geschrieben. Durch M. Christianum SchÖn V V. Schulmeistern zum Jessen, Wittenberg 1599 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 173.6 Poet. (2)] Schöpper, Jakob: TENTATUS ABRAHAMUS. ACTIO SACRA, COMICE RECENS DESCRIPTA. Ex genesis XXII. Capite. Authore Iacobo Schoeppero Presbytero. Coloniae. Excudebat Petrus Horst. Anno 1564 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 168.14 Poet. (1)] Selnecker, Nikolaus: Teophania. Comoedia nova, et elegans, De primorvm Parentvm conditione, et ordinvm sive gradvvm in genere hvmano institvtione. Nicolavs Selneccervs, Wittenberg 1560 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 856 Theol. (6)] Spangenberg, Cyriakus: COMOEDIA. Ein geistlich Spiel VOm Euangelio am Sontage Oculi / von dem besessenen / tauben vnd stummen Menschen / Luce am 11. Durch M. Cyr. Spangenberg. [Schmalkalden] 1590 [Exemplar Universitätsbibliothek Leipzig – Sondersammlungen, 8-B.S.T. 676/3] Ders., Eine Christliche Comoedia Von dem Cananeischen Weiblein / Matthei am 15. Capittel. Durch M. Cyr. Spangenberg. [Schmalkalden] 1589 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Lo 7242.1] Ders., Hecastvs Ein schÖn geistreich Spiel / darinnen der Mensch / wider die Sicherheit / Busse zu thun / vnd sich auff ein seligen Abscheid zubereiten / Exempel weise / trewlich gewarnet vnd erinnert wird. Gestellet im Latin / durch Georgium Macropedium. Vnd Christlich verdeutscht vnd gebessert / durch M. Ciriacum Spangenberg, Erfurt 1564 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, H: QuH 158.1 (3)]

844 Anhang Ders., Ein christliches Spiel oder COMOEDIA, Aus dem Euangelio am Sontage Letare / von 5. Gerstenbrodten vnd zween Fischen / damit Christus fÜnff tausent Mann gespeiset / Johan. 6. Durch M. Cyr. Spangenberg. [Schmalkalden] 1590 [Exemplar Universitätsbibliothek Leipzig – Sondersammlungen, 8-B.S.T. 676/1] Ders., Ein geistlich Spiel VOm Euangelio am Sontage Judica / Johan. am 8. Capitel. Durch M. Cyr. Spangenberg. [Schmalkalden] 1590 [Exemplar Universitätsbibliothek Leipzig – Sondersammlungen, 8-B.S.T. 676/2] Stymmelius, Christophorus: De immolatione Isaac, in: Comoediae dvae I. Isaac. De immolatione Isaac II. Stvdentes. De vita et moribus studiosorum. quarum prior recens scripta, posterior iam olim edita, nunc vero recognita et multis in locis correcta est. a Christophoro Stymmelio D., Stettin 1579 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, H: P 1693.8º Helmst. (6)] De la Taille, Jean, Saül le Furieux – La Famine, ou les Gabéonites. Édition critique avec Introduction et Notes par Elliot Forsyth (Société des Textes français modernes), Paris 1968 Thamme, Balthasar: Tragicomoedia, Ein schÖn Christliches Spiel / von der Gottseligen / zÜchtigen Jungfrawen Dorothea. Welche vnter dem Keyser Maximino zu Alexandria die Kron der Martyrer empfangen. Zu Ehren vnd glÜckwÜndschung des Geburtßtages der Durchlauchtigen / Hochgebornen FÜrstin vnd Frawen / Frawen Dorotheae Mariae, Gebornen von Anhalt vnd FÜrstin zu Sachsen. Beschrieben vnd agiret auff dem FÜrstlichen Schloß zu Aldenburgk / vnd in Druck verfertiget / vnd mit schÖnen Figuren gezieret / Durch Balthasarvm Thammivm, Cantorem vnd Collegam der Schulen daselbst, Leipzig 1595 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 118.7 Eth. (c)] Triumphus Divi Michaelis Archangeli Bavarici. Triumph des Heiligen Michael, Patron Bayerns (München 1597). Einleitung – Text und Übersetzung – Kommentar, hrg. v. Barbara Bauer und Jürgen Leonhardt, Regensburg 2000 Voidius (Voigt), Balthasar, Echo Iubilaei Lutherani. Das ist Ein Christlich Gedicht vnd Widerschall vom Lutherischen Jubelfest: so deß abgewichenen 1617. Jahrs in der Christlichen Catholischen vhralten vnd Lutherischen Kirchen Celebrirt worden / mit Personen als eine Comedia zugericht / dessen Innhalt folgender Prologus anzeigt / Patri Sixto zu Rom Dedicirt / Gestellt von einem liebhaber der Catholischen Warheit, o.O. 1618 [Exemplar Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar – Stiftung Weimarer Klassik, 09: 191] Voith, Valentin: Ein schön Lieblich Spiel, von dem herlichen ursprung: Betrübtem Fal. Gnediger widerbrengunge. Müseligem leben, Seligem Ende, und ewiger Freudt des Menschen aus den Historien heiliger schrifft gezogen gantz Tröstlich, in: Dramen von Ackermann und Voith, hrg. v. Hugo Holstein (Bibliothek des Litterarischen Vereins Stuttgart CLXX), Stuttgart 1884, S. 207–316 [Erstdruck Magdeburg 1538] Waldis, Burkard, De parabell vam verlorn Szohn, in: Arnold E. Berger, Die Schaubühne im Dienste der Reformation. Erster Teil (Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Reihe Reformation Bd. 5), Leipzig 1935, S. 143–206 Walther, Daniel: Eyne Christliche vnd in heiliger Schrifft gegrÜndete Historia / von der entheuptung Johannis Baptistae / in ein Tragediam gestalt. Jetzt von newen zugericht / mit vielen



Quellen und Literatur

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Personen vnd Rithmis / auch mit einem newen Epilogo vnd Prologo gemehret Durch Danielem Waltherum / Schulmeister zu Fach / Agirt daselbst / Anno nach Christi vnsers Herrn geburt 1559, Erfurt 1559 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Lo 7824.1] Wild, Sebastian: Die ander Tragedj. Ein schÖne Tragedj / auß der Apostel gschicht gezogen / vom sechsten Capitel an biß ins acht / Vnd der innhalt von der versteynigung Stephani, in: SChÖner Comedien vnd Tragedien zwÖlff / Auß heiliger GÖttlicher schrifft / vnd auch auß etlichen Historien gezogen / Alle sehr lieblich vnd annemlich / etwa trawrig vnd frÖlich zuhÖren vnn zulesen / Jn den der Welt lauff grÜndtlich fÜrgebildet vnnd angezeigt wirt / Welche auch Christlich / e aufferbawlich / vnd nutzlich /sonderlich fÜr die Jugendt / zur vbung zuhalten vnn zu lesen sind. Auffs new in Truck verfertiget Durch Sebastian Wilden, Augsburg 1566 [Exemplar Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, Rar 71] Zahn, Zacharias: Epithalamium in Gratiam et Honorem clarissimi et Doctissimi Domini Georgij à Dassel, patricij Luneburgensis, et castissimae, pudicissimae quam Sponsae, Dorothaeae Raben, Theodori Raben patricij Eimbecensis, piae memoriae, relictae filiae, Mühlhausen 1587 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 154.2 Poet. (2)] Ders., Historia De Vita et Morte beati Iohannis Baptistae, Decollati. Amplissimis et Prvdentisimis viris et Dominis Consulibus, Senatoribus, et omnibus incolis inclytae ciuitatis Gottingensis, Dominis suis colendissimis, honori, Heroico carmine Scripta [Widmungsrede vom 25.06.1587, erschienen mit Zahn, Epithalamium in Gratiam et Honorem clarissimi et Doctissimi Domini Georgij à Dassel, patricij Luneburgensis, et castissimae, pudicissimae quam Sponsae, Dorothaeae Raben, Theodori Raben patricij Eimbecensis, piae memoriae, relictae filiae], Mühlhausen 1587 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel] Ders., Historia De Vita et Morte beati Stephani, lapidati. Amplissimis et Prvdentissimis viris et Dominis Consulibus, Senatoribus, et omnibus incolis inclytae ciuitatis Hildesiensis, Dominis suis colendissimis, honori, Heroico carmine Scripta [erschienen mit Zahn, Epithalamium (s. dort)] [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel] Ders.: TRAGOEDIA Lapidati Stephani. Wie der heilige Martirer S. Stephanus vmb der Warheit vnd Bekentnis reiner Lehre von den JÜden zu Todte gesteiniget worden. Allen getrewen Dienern des heiligen Euangelij zu Troste / vnd jedermenniglichen zu warhafftiger Busse vnd Christlicher warnung geschrieben. Durch ZACHARIAM ZAHN Northemensem. Gedruckt zu MÜlhausen durch Andream Hantzsch. 1589 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Li 10013.1 (1)] Ziegler, Hieronymus: Immolatio Isaac. Ein sonder schÖne Comedi / auß dem ersten bích Mosi gezogen / von der Historien Abraae / wie er seinen ainigen sun Jsaac / auß stercke seines glaubens gegen Gott / opfferen wolt. Zí trost aller hertzglaubigen menschen. Durch Hieronymum Zieglerum Rottenburgensem, Augsburg 1544 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Lo Sammelbd. 92 (5)]

846 Anhang

II. Andere Autoren 1. Reihen Bibliothek der Kirchenväter. Eine Auswahl patristischer Werke in deutscher Übersetzung, hrg. v. Otto Bardenhewer, Theodor Schermann und Karl Weyman. I. Reihe 61 Bände. II. Reihe 20 Bände, Kempten – München 1911–1938; zit.: BKV Corpus Christianorum. Series Latina, Turnhout 1953ff; zit.: CChr Corpus Reformatorum, Berlin u.a. 1834ff; zit.: CR Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, editum consilio et impensis Academiae Litterarum Caesareae Vindobonensis, Wien 1866; zit.: CSEL Patrologiae cursus completus. Series Graeca, accurante Jacques Paul Migne. 161 Bände, Paris 1857–1866; zit.: PG Patrologiae cursus completus. Series Latina, accurante Jacques Paul Migne. 218 Bände, Paris 1844– 1855. 4 Registerbände, Paris 1862–1865; zit.: PL Sources chrétiennes, Paris 1941ff; zit.: SC

2. Sammlungen Aymon, Jean, Tous les synodes nationaux des églises réformées de France. Tome premier, La Haye [Den Haag] 1710 Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, hrg. im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930 (Göttinger theologische Lehrbücher), Göttingen 198610; zit.: BSLK Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen der nach Gottes Wort reformierten Kirche, hrg. v. Wilhelm Niesel, Zürich 1985; zit.: BSKORK Die Bekenntnisschriften der reformierten Kirche. In authentischen Texten mit geschichtlicher Einleitung und Register, hrg. v. Ernst F. Karl Müller, Leipzig 1903, Nachdruck Zürich 1987 Denzinger, Heinrich, Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum. Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Verbessert, erweitert, ins Deutsche übertragen und unter Mitarbeit von Helmut Hoping hrg. von Peter Hünermann, Freiburg i.Br. – Basel – Rom – Wien 199137; zit.: DH Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, hrg. von Emil Sehling, Leipzig 1902ff, ab Bd. VI Tübingen 1955ff; zit.: EKO Evangelische Schulordnungen, hrg. v. Reinhold Vormbaum. Erster Band. Die evangelischen Schulordnungen des sechszehnten Jahrhunderts, Gütersloh 1860. Zweiter Band. Die evangelischen Schulordnungen des siebenzehnten Jahrhunderts, Gütersloh 1863; zit.: Vormbaum Bd.  1; Vormbaum Bd. 2 Mone, Franz Joseph, Hymni Latini Medii Aevi Bd. I, Freiburg i.Br. 1853 Neumann, Bernd, Geistliches Schauspiel im Zeugnis der Zeit. Zur Aufführung mittelalterlicher religiöser Dramen im deutschen Sprachgebiet. 2 Bände (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters Bd. 84–85), München 1987



Quellen und Literatur

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Ratio atque Institutio Studiorum Societatis Iesu (1586 – 1591 – 1599). Nova Editio penitus retractata, ed. Ladislaus Lukács S.I. (Monumenta Paedagogica Societatis Iesu Bd. 5), Rom 1986 Ratio Studiorum et Institutiones Scholasticae Societatis Jesu per Germaniam olim vigentes collectae concinnatae dilucidatae, hrg. v. Georg Michael Pachtler SJ. 4 Bände (Monumenta Germaniae Paedagogica Bd. II. V. IX. XVI), Berlin 1887–1894 Regulae Societatis Iesu, Rom 1582 [Exemplar Universitätsbibliothek Tübingen, Gc 166] van ’t Spijker, W., Acta Synode van Dordrecht 1578, in: De Nationale Synode van Dordrecht 1578. Gereformeerden uit de Noordelijke en de Zuidelijke Nederlanden bijeen, hrg. v. Doede Nauta u.a., Amsterdam 1978, S. 142–184 Wackernagel, Philipp, Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts. 5 Bände, Leipzig 1864–1877

3. Einzelne Autoren Althusius, Johannes, Politica Methodicè Digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata. 2. Neudruck der 3. Auflage Herborn 1614, Aalen 1981 Aristoteles: Aristotelis Opera, ed. Academia Regia Borussica. 5 Bände, Berlin 1831–1870 Augustinus: Sancti Aurelii Augustini De civitate Dei Libri XXII, ad fidem quartae editionis Teubnerianae quam A. 1928–1929 curaverunt Bernardus Dombart et Alphonsus Kalb, paucis emendatis mutatis additis (CChr XLVII–XLVIII), Turnhout 1955 Bernhard von Clairvaux: Sancti Bernardi Opera, ed. Jean Leclercq – C.H. Talbot – H.M. Rochais, 8 Bände, Rom 1957–1977 Blarer, Ambrosius und Thomas: Briefwechsel der Brüder Ambrosius und Thomas Blaurer 1509– 1548, hrg. v.d. Badischen Historischen Kommission, bearb. v. Traugott Schiess. Bd. I–II, Freiburg i.Br. 1908–1910. Bd. III 1549–1567, Freiburg i.Br. 1912 Breitinger, Johann Jakob, Bedencken von Comoedien oder Spilen: Gestelt Zí dienst vnd gefallen einer Jungen Burgerschafft von Edlen vnd Geschlechteren der vralten loblichen Statt Zürych (1624), in: Brunnschweiler, Thomas, Johann Jakob Breitingers ‚Bedencken von Comoedien oder Spilen‘. Die Theaterfeindlichkeit im Alten Zürich. Edition – Kommentar – Monographie (Zürcher Germanistische Studien Bd. 17), Bern – Frankfurt a.M. – New York – Paris 1989 Bruni, Leonardo, De studiis et litteris liber, in: Leonardo Bruni Aretino, Humanistisch-philosophische Schriften. Mit einer Chronologie seiner Werke und Briefe, hrg. und erläutert v. Hans Baron (Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters und der Renaissance Bd. 1), Leipzig – Berlin 1928, S. 5–19 Bucer, Martin, De Regno Christi Libri duo 1550, ed. François Wendel, in: Martini Buceri Opera latina. Vol. XV, Paris – Gütersloh 1955 Bullinger, Heinrich, Werke. Sonderband: Studiorum Ratio – Studienanleitung, hrg. v. Peter Stotz. 2 Bände, Zürich 1987 Calvin, Johannes: Joannis Calvini Opera quae supersunt omnia, hrg. v. Wilhelm Baum, Eduard Cunitz, Eduard Reuss. 59 Bände, in Corpus Reformatorum Bd. 29–87, Braunschweig 1863–1900. Reprint New York – London – Frankfurt a.M. 1964; zit.: CR 29–87

848 Anhang Ders.: Joannis Calvini Opera selecta, hrg. v. Peter Barth und Wilhelm Niesel. 5 Bände, München 1926–1952. Vol. III Institutionis Christianae religionis 1559 libros I et II continens, München 19572 Canisius, Petrus: Beati Petri Canisii Epistulae et Acta, collegit et adnotationibus illustravit Otto Braunsberger. 6 Bände, Freiburg 1896–1913 Chemnitz, Martin, Examen Concilii Tridentini, hrg. v. Eduard Preuss, Darmstadt 1972, Nachdruck der Ausgabe Berlin 1861 Cicero, De re publica De legibus, with an english translation by Clinton Walker Key (Loeb Classical Library 213), London – Cambridge 1961 Donatus: Aeli Donati quod fertur Commentum Terenti, accedunt Eugraphi Commentum et Scholia Bembina, recensuit Paulus Wessner. Vol. 1 (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), Leipzig 1902 Eusebius von Caesarea, Kirchengeschichte, hrg. und eingeleitet v. Heinrich Kraft, Darmstadt 19893 Flavius Josephus, Jüdische Altertümer, übers. und mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Dr. Heinrich Clementz. 2 Bände, Berlin – Wien 1923 Ders., De Bello Judaico – Der Jüdische Krieg. Zweisprachige Ausgabe der sieben Bücher. 3 Bände, hrg. und mit einer Einleitung versehen v. Otto Michel und Otto Bauernfeind, Darmstadt 1959–1969 Horaz: Quintus Horatius Flaccus, Ars Poetica. Die Dichtkunst. Lateinisch / Deutsch, übers. und mit einem Nachwort hrg. v. Eckart Schäfer, Stuttgart 1994 Hutter, Leonhard, Compendium Locorum Theologicorum, hrg. v. Wolfgang Trillhaas (Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen Bd. 183), Berlin 1961 [Nachdruck der Ausgabe Wittenberg 1610] Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen. Nach dem spanischen Urtext übers. von Peter Knauer SJ, Würzburg 20064 Jacobus a Voragine, Legenda Aurea. Vulgo Historia Lombardica dicta, recensuit Th. Graesse, phototypische Reproduktion der dritten Auflage 1890, Osnabrück 1965 Johannes Chrysostomos, Catecheses baptismales: griechisch, deutsch – Taufkatechesen, übers. und eingeleitet v. Reiner Kaczynski (FC 6), Freiburg i.Br. – Basel – Wien – Barcelona – Rom – New York 1992 Laktanz: Caeli Firmiani Lactanti Opera omnia. Pars I. Divinae Institutiones et Epitome Divinarum Institutionum, recensuit Samuel Brandt (CSEL XIX), Prag – Wien – Leipzig 1890 Lukrez: T. Lucreti Cari De rerum natura libri sex, recensuit Joseph Martin. Editio stereotypa ed. 5. (1969) (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), Stuttgart – Leipzig 1992 Luther, Martin: Dr. Martin Luthers Briefe, Sendschreiben und Bedenken, vollständig aus den verschiedenen Ausgaben seiner Werke und Briefe, aus andern Büchern und noch unbenutzten Handschriften gesammelt, kritisch und historisch bearbeitet von Wilhelm Martin Leberecht de Wette. 6 Teile, Berlin 1825–1856 Ders.: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883ff; zit.: WA 1–61, WA.DB 1–12 (Deutsche Bibel), WA.TR 1–6 (Tischreden), WA.Br 1–18 (Briefwechsel), bisher 11 Registerbände



Quellen und Literatur

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Mariana, Juan de: IOANNIS MARIANAE HISPANI, E SOCIETATE IESV, DE REGE ET REGIS INSTITUTIONE LIBRI III. Ad Philippum III. Hispaniae Regem Catholicum. Eiusdem de ponderibus et mensuris Liber. Editio secunda, [Mainz – Frankfurt a.M.] 1611 [Erstdruck Toledo 1599] [Exemplar Universitätsbibliothek Tübingen, Rara Ec 616a] Meisner, Balthasar: PHILOSOPHIA SOBRIA, Hoc est: PIA CONSIDERATIO QUAESTIONUM PHILOSOPHICARUM in Controversiis theologicis, quas Calviniani moverunt Orthodoxis, subinde occurentium, Auctore Balthasare Meisnero Dresdensi Approbante Venerando Theologorum Giessensium collegio, Gießen 1615 [Exemplar Universitätsbibliothek Tübingen, Rara Aa 69-1/2] Melanchthon, Philipp: Melanchthons Briefwechsel. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hrg. v. Heinz Scheible, bisher 9 Bände Texte und 12 Bände Regesten, Stuttgart – Bad Cannstatt 1977ff Ders.: Philippi Melanthonis Opera que supersunt omnia, hrg. v. Carl Gottlieb Bretschneider und Heinrich Ernst Bindseil. 28 Bände, in Corpus Reformatorum Bd. 1–28, Halle a.S. – Braunschweig 1834–1860; zit.: CR 1–28 Ders.: Melanchthons Werke in Auswahl. Studienausgabe, hrg. v. Robert Stupperich. 7 Bände, Gütersloh 1951–1975 Opitz, Martin, Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe, hrg. v. George Schulz-Behrend. 4 Bände (Bibliothek des Literarischen Vereins Stuttgart), Stuttgart 1968–1990 Origenes: Lettre d’Origène à Grégoire le Thaumaturge. Philokalie, Kap. XIII, in: Grégoire le Thaumaturge, Remerciement à Origène suivie de la Lettre d’Origène à Grégoire. Texte grec. Introduction, traduction et notes par Henri Crouzel SJ (SC 148, 186–195), Paris 1969 Petrus Mosellanus: Paedologia Petri Mosellani protegensis, in puerorum vsum conscripta, aucta, et pluribus in locis a mendis repurgata. Dialogi XXXVII, Leipzig 1533 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A: 462.43 Quod. (1)] Platon, Werke in acht Bänden. Griechisch und deutsch. Sonderausgabe, hrg. v. Gunther Eigler, Darmstadt 1990 Plautus: Plauti Comoediae. Recensuit et emendavit Fridericus Leo. 2 Bände, Berlin 1958 Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz. Vierter Band. Drei Taufgespräche, hrg. v. Martin Haas, Zürich 1974 Quintilian, Institutiones oratoriae: M. Fabi Quintiliani Institutionis oratoriae Libri duodecim, recognovit brevique adnotatione critica instruxit M. Winterbottom. Tomus I–II (Scriptorum Classicorum Bibliothecae Oxoniensis), Oxford 1970 Scaliger, Joseph, Lettres françaises inédites. Publiées et annotées par Philippe Tamizey de Larroque, Genf 1970 Spener, Philipp Jakob, Pia Desideria, hrg. v. Kurt Aland (Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen Bd. 170), Berlin 19643 Terenz: P. Terentii Afri Comoediae recognoverunt brevique adnotatione critica instruxerunt Robert Kauer Vindobonensis, Wallace M. Lindsay Sanctandreanus, supplementa apparatus curavit Otto Skutsch Londinensis, Oxford 1973 Ders.: Terence with an English translation by John Sargeaunt. In two volumes (The Loeb Classical Library), Cambridge MA – London 1979

850 Anhang [Theobaldus de Sexannia OP:] Pharetra fidei catholice siue ydonea disputatio inter Christianos et Judeos in qua perpulcra tanguntur media et rationes quibus quiuis christifidelis tam ex prophetis suis proprijs quam ex nostris eorumque erroribus faciliter poterit obuiare, Leipzig 1502 [Exemplar Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, H: D 109.4º Helmst. (5)] Thomas von Aquin: S. Thomae Aquinatis Doctoris Angelici In Aristotelis Libros De Sensu et Sensato De Memoria et Reminiscentia Commentarium, cura et studio Raymundi M. Spiazzi OP, Turin – Rom 19493 Wetter, David: Discursus, exhibens tres sermones de comoediis: quorum primus Comoedias laudat; alter vituperat et damnat; tertius distincte respondet. Auctore Davide Wettero, Gymnasii Sangallensis Rectore, Basel 1629 [Exemplar Öffentliche Bibliothek der Universität Basel, DB VI 6:36; Frey-Gryn RII 33:7] Whetstone, George, Promos and Cassandra (1578), ed. John S. Farmer, Reprint New York 1970 Zwingli, Ulrich: Huldreich Zwinglis Sämtliche Werke. Unter Mitwirkung des Zwingli-Vereins in Zürich hrg. v. Emil Egli und Georg Finsler, bislang 14 Bände in Corpus Reformatorum Bd. 88–101, Bd. 1 Berlin 1905. Bd. 2ff Zürich 1908ff. Bd 7ff Leipzig 1911ff. Bd. 14 Zürich 1956. Bd. 6.2–6.5 Zürich 1968–1991. Bd. 1–6.2. 7–14 Nachdruck München 1981. Zürich 1982; zit.: CR 88–101

B Hilfsmittel I. Lexika, Handbücher Allgemeine Deutsche Biographie, hrg. durch die historische Commission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften. 55 Bände und Registerband, Berlin 1891–1912. Neudruck der ersten Auflage, Berlin 1967–1971; zit.: ADB Benner, Dietrich – Oelkers, Jürgen (Hrgg.), Historisches Wörterbuch der Pädagogik, Darmstadt 2004 Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, bearb. und begründet von Friedrich Wilhelm Bautz, bisher 29 Bände, Bd. I Hamm 1975, ab Bd. II Herzberg 1990ff; zit.: BBKL Deutsche Biographische Enzyklopädie, hrg. v. Walther Killy und Rudolf Vierhaus, 10 Bände. Bd. 11–13 Register und Supplement, München 1995–2003; zit.: DBE Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Begründet von Wolfgang Stammler, fortgeführt v. Karl Langosch. Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter hrg. v. Kurt Ruh zusammen mit Gundolf Keil, Werner Schröder, Burghart Wachinger, Franz Josef Worstbrock. 10 Bände. Bd. 11–14 Nachträge und Register, Berlin – New York 1978–2008; zit.: VerLex2 Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-Bibliographisches Handbuch, begründet v. Wilhelm Kosch, dritte, völlig neu bearbeitete Auflage, hrg. v. Bruno Berger und Heinz Rupp, bisher 27 Bände und 6 Ergänzungsbände, Bern – München 1968ff; zit.: DL3 Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. 16 Bände, Leipzig 1854–1954



Quellen und Literatur

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852 Anhang Bibliothek in Wolfenbüttel. I. Abteilung: Verfasser – Körperschaften – Anonyma. II. Abteilung: Register der Herausgeber, Kommentatoren, Übersetzer und literarischen Beiträger. III. Abteilung: Register der Druckorte, Drucker, Verleger und Erscheinungsjahre. 25 Bände, Stuttgart 1983–2000; zit.: VD 16

II. Pfarrerbücher Die Evangelischen Geistlichen Pommerns von der Reformation bis zur Gegenwart. Auf Grund des Steinbrück’schen Manuskriptes bearb. v. Ernst Müller. 2 Teile, Stettin 1903–1912 Die Pastoren der Braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche seit Einführung der Reformation, bearb. v. Georg Seebass und Friedrich-Wilhelm Freist. 3 Bände, hrg. v. Landeskirchenamt Wolfenbüttel 1969–1980 Die Pastoren der Landeskirchen Hannovers und Schaumburg-Lippes seit der Reformation, im Auftrage des Landeskirchenamts Hannover namens der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte in Gemeinschaft mit zahlreichen Mitarbeitern hrg. v. Philipp Meyer. 3 Bände, Göttingen 1941–1953 Sächsisches Pfarrerbuch. Die Parochien und Pfarrer der Ev.-luth. Landeskirche Sachsens (1539– 1939), bearb. v. Reinhold Grünberg, I. Teil: Die Parochien der ev.-luth. Landeskirche Sachsens (1539–1939); II. Teil: Die Pfarrer der ev.-luth. Landeskirche Sachsens (1539–1939) Freiberg 1939–1940 Thüringer Pfarrerbuch, hrg. v. der Gesellschaft für Thüringische Kirchengeschichte. 4 Bände. Bd. 1–3 (Schriftenreihe Stiftung Stoye 26.29.35), Neustadt a.d. Aisch 1995–2000; Bd. 4, Leipzig 2004

C Forschungsliteratur Adam, Alfred, Lehrbuch der Dogmengeschichte. 2 Bände, Gütersloh 1985–19865 Albrecht, Christian – Weeber, Martin (Hrgg.), Klassiker der protestantischen Predigtlehre, Tübingen 2002 Alesch, Henri, Il gö da San Steivan. Ün fragmaint dal 16avel secul, Annalas da la Societad Retorumantscha 108 (1995), S. 71–94 Alewyn, Richard, Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste, München 19852 Alt, Heinrich, Theater und Kirche in ihrem gegenseitigen Verhältniß historisch dargestellt, Berlin 1846. Unveränderter fotomechanischer Nachdruck der Originalausgabe, Leipzig 1970 Appold, Kenneth, Art. ‚Meisner, Balthasar‘, RGG4 5, 2002, Sp. 996 Appuhn-Radtke, Sibylle, Visuelle Medien im Dienst der Gesellschaft Jesu. Johann Christoph Storer (1620–1671) als Maler der Katholischen Reform (Jesuitica. Quellen und Studien zu Geschichte, Kunst und Literatur der Gesellschaft Jesu im deutschsprachigen Raum Bd. 3), Regensburg 2000 Asendorf, Ulrich, Lectura in Biblia. Luthers Genesisvorlesung (1535–1545) (FSÖTh 87), Göttingen 1998



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858 Anhang Elsmann, Thomas, Reformierte Stadt und humanistische Schule. Nathan Chytraeus in Bremen (1593– 1598), in: Ders. – Lietz – Pettke (Hrgg.), Nathan Chytraeus 1543–1598 (s. dort), S. 71–93 Erdmann, Gustav Adolf, Die Lutherfestspiele. Geschichtliche Entwicklung, Zweck und Bedeutung derselben für die Bühne. Litterarhistorisch-kritische Studien, Wittenberg 1888 Evangelisches Predigerseminar (Hrg.), „Laßt uns aufs Neue wieder anfangen, schreiben, dichten, reimen, singen, malen.“ Die Reformation und die Künste. Wittenberger Sonntagsvorlesungen, Wittenberg 2003 Ev.-luth. Stadtkirchenverband Braunschweig und Propstei Braunschweig (Hrgg.), Der zweite Martin der lutherischen Kirche. Festschrift zum 400. Todestag von Martin Chemnitz, Redaktion Wolfgang A. Jünke, Braunschweig 1986 Falter, Gustav, Art. ‚Chryseus, Johann‘, NDB 3, 1957, S. 251f. Feld, Helmut, Der Ikonoklasmus des Westens (SHCT 41), Leiden – New York – Kopenhagen – Köln 1990 Filtzinger, Barbara, Ulm, eine Stadt zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg. Studien zur gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung. 2 Bände, Diss. München 1993 Fischer-Lichte, Erika, Geschichte des Dramas. Epochen der Identität auf dem Theater von der Antike bis zur Gegenwart. 2 Bände, Tübingen 19992 Dies., Kurze Geschichte des deutschen Theaters (UTB 1667), Tübingen – Basel 1993 Fisher, Kenneth Allen, Hans von Rüte. A Dramatist of the Swiss Reformation. Diss. University of Texas Austin 1975 Flemming, Wilhelm, Art. ‚Dedekind, Friedrich‘, NDB 3, 1957, S. 551f. Flemming, Willi, Geschichte des Jesuitentheaters in den Landen deutscher Zunge (Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte Bd. 32), Berlin 1923 Ders., Das Ordensdrama, Leipzig 1930 Frey, Winfried, Der ‚Juden Spiegel‘. Johannes Pfefferkorn und die Volksfrömmigkeit, in: Volksreligion im hohen und späten Mittelalter, hrg. v. Peter Dinzelbacher und Dieter R. Bauer (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte NF Heft 13), Paderborn – München – Wien – Zürich 1990, S. 177–193 Freybe, Albert, Art. ‚Rinckart, Martin‘, RE 17, 1906, S. 15 Fuchs, Thomas, David und Nathan Chytraeus. Eine biographische Annäherung, in: Glaser – Lietz – Rhein (Hrgg.), David und Nathan Chytraeus (s. dort), S. 33–46. 183–187 Füssel, Stephan (Hrg.), Deutsche Dichter der frühen Neuzeit (1450–1600). Ihr Leben und Werk, Berlin 1993 Gaebel, Ulrike – Kartschoke, Erika – Kruse, Britta, Gebrauchsliteratur der Frühen Neuzeit: Ehedialoge und Spiele über die Hochzeit zu Kana, in: Editionsdesiderate zur Frühen Neuzeit. Beiträge zur Tagung der Kommission für die Edition von Texten der Frühen Neuzeit. Erster Teil, hrg. v. HansGert Roloff (Chloe. Beihefte zum Daphnis Bd. 24), Amsterdam – Atlanta GA 1997, S. 73–89 Gaedertz, Karl Theodor: Archivalische Nachrichten über die Theaterzustände von Hildesheim, Lübeck, Lüneburg im 16. und 17. Jahrhundert. Beiträge zur deutschen Kultur- und Kirchengeschichte, gesammelt und mit Anmerkungen hrg. v. Karl Theodor Gaedertz, Bremen 1888



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Quellen und Literatur

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Wetzel, Richard, Christoph Pezel (1539–1604). Die Vorreden zu seinen Melanchthon-Editionen als Propagandatexte der ‚Zweiten Reformation‘, in: Melanchthon in seinen Schülern. Vorträge, gehalten anläßlich eines Arbeitsgespräches vom 21. bis 23. Juni 1995 in der Herzog August Bibliothek, hrg. v. Heinz Scheible (Wolfenbütteler Forschungen Bd. 73), Wiesbaden 1997, S. 465–566 Wex, Reinhold, Der frühneuzeitliche protestantische Kirchenraum in Deutschland im Spannungsfeld zwischen Policey und Zeremoniell, in: Geschichte des protestantischen Kirchenbaues. Festschrift für Peter Poscharsky zum 60. Geburtstag, hrg. v. Klaus Raschzok und Rainer Sörries, Erlangen 1994, S. 47–61 White, Paul Whitfield, Theater and Reformation. Protestantism, Patronage, and Playing in Tudor England, Cambridge 1992 Wick, August, Tobias in der dramatischen Literatur Deutschlands, Heidelberg 1899 Wiegand, Hermann, Nathan Chytraeus als neulateinischer Dichter, in: Elsmann – Lietz – Pettke (Hrgg.), Nathan Chytraeus 1543–1598 (s. dort), S. 41–47 Wilhelmi, Thomas – Seck, Friedrich, Nikodemus Frischlin (1547–1590). Bibliographie. Unter Mitwirkung von Matthias Irion (Tübinger Bausteine zur Landesgeschichte Bd. 4), LeinfeldenEchterdingen 2004 Wilpert, Gero von, Art. ‚Jesuitendrama‘, in: Ders., Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart 20018, S. 386f. Wimmer, Ruprecht, Die Bühne als Kanzel: Das Jesuitentheater des 16. Jahrhunderts, in: Das 16. Jahrhundert. Europäische Renaissance, hrg. v. Hildegard Kuester (Eichstätter Kolloqium Bd. 2), Regensburg 1995, S. 149–166 Ders., Neuere Forschungen zum Jesuitentheater des deutschen Sprachbereiches. Ein Bericht (1945–1982), Daphnis 12 (1983), S. 585–692 Ders., Jesuitentheater. Didaktik und Fest. Das Exemplum des ägyptischen Joseph auf den deutschen Bühnen der Gesellschaft Jesu (Das Abendland NF Bd. 13), Frankfurt a.M. 1982 Winzer, Johannes, Die ungleichen Kinder Evas in der Literatur des 16. Jahrhunderts, Diss. Greifswald 1908 Wittenbrink, Heinz, Art. ‚Greff, Joachim‘, Literatur Lexikon 4, 1989, S. 321 Wölfing, Günther, Wasungen. Eine Kleinstadt im Feudalismus vom 9. bis zum 19. Jahrhundert, Weimar 1980 Wolf, Christof, Jesuitentheater in Deutschland, in: Ignatius von Loyola und die Pädagogik der Jesuiten. Ein Modell für Schule und Persönlichkeitsbildung, hrg. v. Rüdiger Funiok und Harald Schöndorf, Donauwörth 2000, S. 172–199 Wolfes, Matthias, Art. ‚Goclenius, Rudolph‘, BBKL XVIII, 2001, Sp. 514–519 Wolff, Jens, Art. ‚Spangenberg, Cyriacus‘, RGG4 7, 2004, Sp. 1536f. Wolgast, Eike, Biographie als Autoritätsstiftung: Die ersten evangelischen Lutherbiographien, in: Biographie zwischen Renaissance und Barock. Zwölf Studien, hrg. v. Walter Berschin, Heidelberg 1993, S. 41–71 Wriedt, Markus, Georg Major als Pädagoge, in: Georg Major (1502–1574). Ein Theologe der Wittenberger Reformation, hrg. v. Irene Dingel und Günther Wartenberg (Leucoreastu-

876 Anhang dien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie Bd. 7), Leipzig 2005, S. 159–188 Zabel, Amalie, Lutherdramen des beginnenden 17. Jahrhunderts, Diss. phil. München 1911 Zeeden, Ernst Walter, Martin Luther im Urteil des deutschen Luthertums. Studien zum Selbstverständnis des lutherischen Protestantismus von Luthers Tode bis zum Beginn der Goethezeit. I. Band: Darstellung. II. Band: Dokumente zur inneren Entwicklung des deutschen Protestantismus von Luthers Tode bis zum Beginn der Goethezeit, Freiburg 1950–1952 Ziegler, Theobald, Geschichte der Pädagogik mit besonderer Rücksicht auf das höhere Unterrichtswesen, München 1895 Zschoch, Hellmut, Art. ‚Sleidanus, Johannes‘, RGG4 7, 2004, Sp. 1398 zur Mühlen, Karl-Heinz, Art. ‚Luther III. Wirkung‘, RGG4 5, 2002, Sp. 588–600

Ohne Verfasserangabe: Art. ‚Bertesius, Johannes‘, DL3 I, 1968, Sp. 454 Art. ‚Brunner, Thomas‘, DL3 II, 1969, Sp. 181 Art. ‚Chytraeus, Nathan‘, DL3 II, 1969, Sp. 631f. Art. ‚Cramer, Daniel‘, DL3 II, 1969, Sp. 801–803

Personenregister A Aal, Johannes 34, 37, 527, 757, 809 Ackermann, Hans 27, 42, 66, 78, 104, 108f., 147, 193 Agricola, Johannes 25, 31, 43, 104f., 110, 119, 122, 527 Albertus Magnus 675 (Johann) Albrecht I., Herzog v. Mecklenburg 40 Albrecht V., Herzog v. Bayern 774 Alexander von Hales 675, 724 Alt, Heinrich 16, 19, 61f. Althusius, Johannes 93, 314 Ambrosius von Mailand 332 Ameaux, Pierre 280 Andreä, Jakob 646 Anton, Graf zu Oldenburg 573 Anselm von Canterbury 594 Antoine de Bourbon 245 Aristophanes 126, 128, 260, 262, 451 Aristoteles 49, 98, 141, 151, 197, 215, 248, 250, 259, 451, 469, 484, 766f. Arndt, Johann 182, 549, 796 Arnold, Gottfried 500, 827 August v. Pfalz-Neuburg, Pfalzgraf v. Sulzbach 41 Augustin 16, 137, 144f., 174, 191, 199, 203, 332, 826 Aurifaber, Johannes 674 Avancini, Nicolaus 756 Ayrer, Jakob 65 B Babot (Hugenotte) 247 Bach, Johann Sebastian 828 Bacmeister, Lucas 470, 643 Badius, Conrad 241f., 273f., 309, 474

Balticus, Martin 27f., 75, 164ff, 745 Barnim IX. (XI.), Herzog v. Pommern 449 Barran, Henri de 239ff, 308, 720 Baumgart, Johann 36, 39, 162f., 185f., 212 Baumgartner, Lampert 166 Behm, Martin 32, 186f., 194, 201, 203 Bellarmin, Robert 661, 767 Bencius, Franciscus 34 Berg, Konrad 450 Bergius, Matthias 183 Bernhard von Clairvaux 24, 150, 463 Bernardt, Georg 756 Bertesius, Johannes 27, 42, 73, 144, 170, 185, 188, 194–198, 202, 209f., 643f., 650, 716, 724f., 731ff, 743, 819 Beza, Theodor 33, 39, 223, 226, 233, 238, 244ff, 248f., 253ff, 273f., 282–284, 289, 308f., 312f., 317, 407, 454, 461, 468, 474ff, 478, 481f., 484–501, 521ff, 526, 644, 648, 712, 717, 719, 722, 727, 731, 746, 777, 807, 819 Bidermann, Jakob 47, 55, 755f., 767, 770, 772f., 778, 783f. Bienvenu, Jacques 242, 273f. Binder, Georg 231f., 262 Birck, Sixt 32, 70, 87, 111, 165, 206, 232f. Bischoff, Johann 23, 44 Blarer, Ambrosius 22, 234 Blarer, Thomas 22 Blocius, Johannes 662 Boccaccio, Giovanni 17, 691 Bodin, Jean 291 Bömiche, Georg 119, 123, 729 Boetius, Sebastian 450 Boltz, Valentin 165, 234 Borromeo, Carlo 758f. Brecht, Bertolt 30f.

878 Personenregister Brechtus, Livinus 27, 34, 315, 756f., 762, 776 Breitinger, Johann Jakob 29, 144, 225, 233, 257, 286, 289–299, 300, 302, 306f., 310ff, 788, 811 Brenz, Johannes 467, 473, 640ff, 645f., 648f., 704 Brinon, Pierre de 255 Brisset, Roland 255 Browne, Robert 826 Brulovius, Caspar 34 Bruni, Leonardo 125 Brunner, Thomas 37, 66, 105, 178, 207, 217, 422 Bucer, Martin 93, 257–261, 292, 299, 301f., 308, 653, 678, 681, 686 Buchanan, George 28, 209, 254, 273f., 299, 472, 528, 566f. Büren, Daniel van 471 Bugenhagen, Johannes 117, 352, 633, 654, 658ff, 704 Bullinger, Heinrich 33, 93, 225, 232, 264f., 266f., 276, 291f., 299, 301f., 308, 402f. Butovius, Johannes 503, 510f. C Calagius, Andreas 169, 185 Calixt, Georg 827 Calvin, Johannes 62, 117, 222, 224ff, 250, 266–281, 287, 292, 295–299, 307, 310f., 419, 472ff, 482, 491, 493, 495–500, 523, 644, 692, 695, 699, 701, 717, 731, 777 Camerarius, Joachim 127 Campson, Pierre 315, 430 Canisius, Petrus 120f., 565, 767f., 775, 786 Carpzov, Johann Benedikt 200, 751, 753 Casa, Giovanni della 469 Castellio, Sebastian 274 Caussin, Nicolas 34, 769 Cellarius, Johannes 125 Chapponeau, Jean 267 Chelidonius, Benedictus 34

Chemnitz, Martin 32, 183, 386, 602, 623, 825 Chrestien, Florent 255, 273 Chryseus, Johann 87, 112f., 116, 123, 168, 206, 722, 728f. Chytraeus, David 468 Chytraeus, Nathan 32, 284, 317, 407, 454, 468–502, 522f., 526, 712, 721, 727, 746, 824 Christian I., Kurfürst v. Sachsen 41, 175, 648, 672, 732 Christian v. Liegnitz-Brieg, Herzog v. Brieg (Piastenherzog) 313 Christoph, Herzog v. Württemberg 117 Cicero 264, 272, 291, 456, 469 Clemens von Alexandrien 826 Clemens (non Papa), Jacobus 573 Cochläus, Johannes 110, 679, 723, 728 Coignac, Joachim de 245, 249, 254f., 273 Colm, Jans 289 Coloander, Johann 601 Comenius, Johann Amos 313f. Cop, Michel 269f., 272, 281 Cotta, Andreas 41, 73 Cousin, Gilbert 242 Cramer, Daniel 183f., 658 Crespin, Jean 273 Crocus, Cornelius 33f., 64, 206, 229, 287, 757 Croix, Antoine de la 245, 254f. Cruciger, Caspar 421 Crusius, Martin 799 D D’Alembert, Jean 62, 293 Danaeus, Lambert 648 Dedekind, Friedrich 26, 32, 143, 175f., 184f., 187, 195f. 639, 650, 662–673, 691, 703f., 706, 708, 712f., 718ff, 724, 726f., 730, 732f., 747, 786, 818 Delrio, Martin 765 Demokrit 349 Demosthenes 272

Personenregister 879

Denck, Hans 324 Desmasures, Louis 245–247, 249, 253ff, 273, 309, 312 Deutschmann, Johann 827f. Devrient, Otto 828 Diether, Andreas 206 Diomedes 141 Disthemius, Petrus 757 Donati, Alessandro 765 Donatus (Grammatiker, Terenzkommentator) 124, 128, 141f., 376, 421, 533, 578, 640 Dorothea (Heilige) 25, 41, 133, 181, 196, 527, 615, 722, 724f. Dorothea Maria v. Anhalt, Herzogin v. Sachsen-Weimar 41, 181 Duchesne, Joseph 243 E Eber, Paul 152, 421 Eckstein, Utz 232, 262 Eckstorm, Heinrich 25, 43, 184ff, 790 Eduard VI., König v. England 245 Erasmus von Rotterdam 24, 158, 242, 692 Euanthius 141f. Euripides 126f., 129, 260 Eusebius von Caesarea 649 F Fabricius, Andreas 776 Farel, Wilhelm 230, 267ff, 272, 278, 280, 294, 296f., 300, 310f. Farnese, Alexander 251 Fiefmelin, Mage de 255 Flacius, Matthias 32 Flavius Josephus 558, 567, 604, 608, 628f. Förster, Johann 32, 183f., 187f. Four, Loys du 267 Foxe, John 273, 309 Francke, August Hermann 827 Franz I., König v. Frankreich 237 Franz von Guise 248

Fraß, Georg 37 Frey, Jakob 317, 390–401, 424, 426–430, 432ff, 440, 442ff, 446, 507, 509, 516, 522, 746f. Friedrich III., Kurfürst von der Pfalz 117 Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz 98 Friedrich der Freidige, Markgraf v. Meißen 300 Frischlin, Nicodemus 25ff, 31, 34, 42, 47, 59, 87, 105, 144, 162, 169, 206, 209, 299, 451, 637, 639–649, 650, 653, 692, 704ff, 708, 711, 716, 722, 725, 727, 731ff, 813, 821 Funkelin, Jakob 65, 232, 234 G Garlebe, Vitus 72, 200, 451, 739, 752 Gart, Thiebold 32, 37, 66, 391 Garthe, Helwig 16, 171, 181, 191ff, 744 Gasmann, Andreas 172 Gassitzius, Georg 828 Gebhard Truchseß v. Waldburg, Erzbischof und Kurfürst v. Köln 407 Gengenbach, Pamphilus 21, 66, 228, 644, 741, 757 Gennep, Jasper van 34, 167, 407, 757, 762 Georg III., Fürst v. Anhalt-Dessau 152 Georg II., Graf v. Gleichen-Tonna 530 George, Jean 255 Gerengel, Simon 87, 528f., 609, 629, 631 Gerhard, Johann 47, 182, 602, 635, 796 Gerson, Johannes 17 Gesner, Salomo 32, 183f. Glaser, Arnold 643f. Gnapheus, Wilhelm 22, 27, 64, 109, 168, 231f., 262, 287, 451, 757, 762, 807 Goclenius, Rudolph 187 Gödeken, Heinrich 730, 787 Golding, Arthur 312, 475 Gomarus, Franz 289 Gottsched, Johann Christoph 53, 827 Goulart, Simon 243

880 Personenregister Greff, Joachim 22, 24, 29, 31, 34, 54f., 76f., 79, 104, 105f., 110, 114f., 132, 146f., 149, 152–155, 187, 206, 317, 350–373, 377, 391, 449, 522f., 722, 725, 727, 740, 746, 752 Gregor VII., Papst 646 Gregor von Nazianz 184, 283, 289, 456 Gregor von Nyssa 521f. Gregor Thaumaturg 141 Gretser, Jakob 756, 770, 772, 776, 778 Grevin, Jacques 251, 254 Grimald, Nicholas 552 Grotius, Hugo 289 Grübel, Sebastian 235, 318 Gruet, Jacques 500 Gryphius, Andreas 57, 59, 97, 313, 527, 789, 825 Gundelfinger, Mathias 231 Guyet, Lézin 239 Guyet, Martial 239 H Haberer, Herman 231, 263, 309f., 317, 401–420, 496, 522, 526, 722, 727, 733, 740, 746, 789 Hamelmann, Hermann 316 Händel, Georg Friedrich 828 Harder, Michael 47 Hartmann, Andreas 25, 636, 639, 651, 658, 661, 673–688, 690ff, 704ff, 713, 728, 732 Hase, Karl 39, 62f., 228, 283, 293, 827f. Hausmann, Nikolaus 115, 136f., 148f., 352 Havemann, Johann 471 Hayneccius, Martin 47, 66 Hebenstreit, Johann Baptist 165 Hederich, Bernhard 40 Heerbrand, Jakob 646 Heermann, Johann 58 Heinrich II., König v. Frankreich 248, 312

Heinrich IV., König v. Frankreich 243, 247, 249 Heinrich II., Herzog zu BraunschweigLüneburg 121 Heinrich Julius, Herzog v. BraunschweigWolfenbüttel 41, 66 Heinsius, Daniel 289 Helciopoeus, Christian 408 Held, Georg 152 Helwig, Christoph 180 Herman, Nikolaus 112 Hermogenes 469 Herodian 272 Heros, Johannes 27f., 32, 170 Herrig, Hans 828 Heyns, Pierre 251 Hieronymus 826 Hilten, Johann 686 Hiltprandus, Michael 34 Hirtzwig, Heinrich 34, 177, 199, 650–657, 705ff, 709, 733f., 746, 787 Hoë v. Hoënegg, Matthias 43, 172, 184, 635 Hollonius, Ludwig 185 Holonius, Gregor 34 Holtzman, Daniel 757 Holzwart, Mathias 234 Homer 272 Hondorff, Andreas 674 Hoogstraten, Jakob 652 Hoppe, Liborius 637 Hoppenrodt, Andreas 28, 183, 714f. Horaz 27, 122, 129, 149, 151, 199, 215, 469, 560, 695 Hunnius, Ägidius 16, 27, 31, 34, 43, 47, 104, 171–175, 181, 183ff, 191, 711, 733, 743, 826 Hunnius, Nikolaus 826 Hus, Johann 25, 43, 110, 119, 527, 592, 633, 656, 686, 728 Hutter, Leonhard 598, 625, 706

Personenregister 881

I Ignatius von Loyola 79f., 768f., 771 Innozenz III., Papst 324, 573 Isidor von Pelusium 826 Isidor von Sevilla 332 Isokrates 272 J Jacobus de Voragine (Legenda aurea) 25 Jacquemot, Jean 255, 274, 283, 461, 475 Janssen, Johannes 64f. Jenisch, Paul 184 Jezeler, Johannes 235 Joachim Friedrich, Kurfürst v. Brandenburg 24 Johann v. Lothringen, Kardinal 245 Johann III., Herzog v. Sachsen-Weimar 41 Johann XVI. (VII.), Graf zu Oldenburg und Delmenhorst 573 Johann, Graf v. Wied 111 Johann VIII. der Jüngere, Graf v. NassauSiegen 778 Johann Friedrich der Großmütige, Kurfürst v. Sachsen 121, 356f., 364 Johann Friedrich, Herzog v. Pommern-Stettin 450 Johann Georg I., Kurfürst v. Sachsen 653f. Johann Georg, Kurfürst v. Brandenburg 456 Johann Sigismund, Kurfürst v. Brandenburg 702 Johanna d’Albret, Königin v. Navarra 244, 247 Johannes Chrysostomos 16, 826 Johannes Duns Scotus 675, 724 Justin der Märtyrer 141 K Karl V., Kaiser 122, 599, 636, Karl IX., König v. Frankreich 245, 248 Karlstadt, Andreas 226, 324, 641f., 644, 646, 652, 654, 656, 696, 699, 731

Katharina v. Mecklenburg, Herzogin v. Sachsen 373, 377 Katharina v. Henneberg-Schleusingen, Gräfin zu Schwarzburg-Blankenburg 531f., 536 Keller, Jakob 790 Keßler, Johannes 299, 302, 306 Keßler, Josua 302, 306 Kiel, Tobias 43, 185 Kielmann, Heinrich 25, 117, 123, 657–661, 676, 690, 704, 706, 708, 727f., 739 Kirchhoff, Hans Wilhelm 41 Knaust, Heinrich 24, 32, 86, 110f. Kolroß, Johannes 233 Koninck, Abraham de 289 Krüger, Bartholomäus 28, 42, 65f., 72, 76, 637, 723, 725f., 741, 746, 789 Krüginger, Johann 78, 105, 112, 199ff, 218, 528 L Lainez, Diego 120 Lancel, Antoine 243 Laktanz 191, 826 Lasius, Christoph 40, 113f., 168, 728 Lauban, Melchior 42 Lenicerus, Albert 36, 39, 179f. Leseberg, Friedrich 182 Leseberg, Joachim 187ff Lessing, Gotthold Ephraim 62, 691f., 827 Leyser, Polykarp d.Ä. 104, 175–178, 183f., 215, 217, 602, 648, 691, 716, 786, 822, 827 Linck, Melchior 550 Linck, Wenzeslaus 148, 156, 177 Livius 272 Lobwasser, Ambrosius 528 Lohenstein, Daniel Casper v. 59, 97, 825 Lonemann, Joachim 422 Lopadius, Ludwig d.Ä. 22 Lorichius, Johannes 34

882 Personenregister Lotzer, Sebastian 325 Lucas, Andreas 197, 203f., 205, 327, 373–390, 391, 496, 522f., 711, 719, 725, 727, 739f., 746, 781 Lukrez 176 Ludwig V., Landgraf v. Hessen-Darmstadt 41 Lullus, Raimundus 563 Luther, Martin 18, 24, 25f., 56, 59f., 62ff, 76ff, 79, 81, 85, 87, 103, 105f., 107f., 110, 112, 114f., 116ff, 119, 121, 123–126, 127, 130, 131–151, 152, 155ff, 159, 179, 184f., 187f., 190f., 192f., 199, 201, 203, 204ff, 216f., 218, 221, 226, 230, 235, 277, 319, 320ff, 324f., 326f., 332, 335f., 337f., 353, 355, 357, 360, 369f., 376f., 381ff, 385, 387f., 402, 407, 412, 426, 441, 448, 454, 457, 458ff, 463f., 465, 473f., 476f., 493, 496, 498, 506, 514f., 518f., 521, 523, 529, 534, 539, 542f., 546, 559, 561, 565, 575, 587f., 591, 596, 599f., (603–709), 612, 616f., 626ff, 629f., 633f., 643, 649, 647ff, 694, 704f., 707ff, 712, 715, 717, 722, 731ff, 740f., 745, 747–749, 751f., 793, 811, 815, 819, 825, 828 M Macropedius, Georg 22, 27, 33f., 38, 64, 167f., 287, 391, 422, 451, 757, 762, 807 Magdalena v. Brandenburg, Landgräfin v. Hessen-Darmstadt 41 Mai, Lucas 40, 105 Major, Georg 22, 106, 109, 147, 152ff, 156, 351, 384, 421, 653 Major, Johann 421 Malingré, Matthieu 238, 267 Manareus, Oliverius 765 Manuel, Niklaus 21, 32, 60, 62, 65f., 70, 82, 87, 228, 230, 262, 644f., 714, 723, 736, 741, 822

A Marca, Luminaeus 34 Margarete v. Angoulême, Königin v. Navarra 237f. Mariana, Juan de 759–761 Masen, Jacob 765f. Mastropasqua, Ignazio 828 Mathesius, Johannes 112, 633f., 635f., 674, 684, 686f., 692, 697, 705 Meckel, Petrus 65f., 75 Meisner, Balthasar 93, 104, 212–216, 651, 767, 827 Melanchthon, Philipp 26, 32, 56, 63f., 68, 93, 105f., 110f., 117, 122, 124, 126–131, 139, 143, 152, 154f., 157, 178, 199, 207, 210, 258, 351, 420, 440, 449f., 467, 474, 559, 635, 649, 650, 653, 656f., 663ff, 671f., 674, 686, 695, 698, 706, 712, 718, 724, 734, 811, 825 Menander 640 Menius, Justus 66, 116, 119 Merk, Johann Konrad 165 Meyenbrunn, Andreas 37f., 188, 809 Michael von Posen 694 Mithoff, Burkhard 663 Mörlin, Joachim 825 Montchrestien, Antoine de 252 Monteverdi, Claudio 574 Moritz v. Oranien 288 Moritz, Kurfürst v. Sachsen 122 Moritz der Gelehrte, Landgraf v. Hessen-Kassel 41, 224, 313 Müntzer, Georg 170f., 196f., 201f. Murer, Jos 70, 87, 232 Murner, Thomas 228 Myconius, Oswald 233 N Nanini, Giovanni Maria 574 Naogeorg, Thomas 22, 25ff, 32, 41, 47, 64, 66, 69f., 80, 87, 103, 104f., 106ff, 111, 112f., 193, 206, 233f., 242, 244, 273, 637,

Personenregister 883

645, 659, 692, 720, 726–729, 738, 775, 786, 821f., 829 Narhamer, Johann 78, 87, 156, 186 Nendorf, Johann 187–190, 196, 199, 731, 752 Nestorius 642, 648 Netthesheim, Heinrich 402, 407f. Neukirch, Friedrich 601 Neukirch, Johann 601 Neukirch geb. Coloander, Lucia 601 Neukirch, Melchior 28, 32, 144, 179, 181, 183, 184f., 186, 190f., 195, 198, 202f., 209f., 475, 566f., 601–629, 630ff, 711f., 713, 718, 725, 727, 747, 752f., 790, 821 Nicephorus, Hermann 28, 209 Nicolai, Philipp 182, 796 Nigrinus, Georg 26, 47, 67, 731f., 822 Nopus, Hieronymus 152f. O Oertel, Veit 126, 129f. Olevian, Caspar 474 Olivetan, Pierre Robert 252 Omichius, Franz 40 Opitz, Martin 96f. Oppermann, Joachim 45, 179, 181, 730 Origenes 141, 300 Osiander, Andreas 440, 450, 740 Osiander, Lucas 646, 648 Ottheinrich, Herzog, Pfalzgraf bei Rhein, Kurfürst der Pfalz 740 Ovid 272, 469, 504, 507 P Paleotti, Gabriele 759 Palestrina, Giovanni Pierluigi 574 Pantaleon, Heinrich 233f. Pape, Ambrosius 27, 163, 188, 193f., 195, 198f., 201f. Parthenay, Catherine de 249 Paul III., Papst 119 Pauli, Simon 470

Perkins, William 292, 297, 302 Perrin, Ami 280 Petersen, Johann Wilhelm 827 Petrus Mosellanus 155 Peucer, Caspar 421 Pezel, Christoph 32, 220, 470f., 474 Pfeilschmidt, Andreas 87, 167 Pfefferkorn, Johannes 563 Pfund, Georg 41, 175 Philicinus, Petrus s. Campson, Pierre Philipp III., König v. Spanien 759 Philipp Ludwig, Pfalzgraf, Herzog v. PfalzNeuburg 41, 121 Picetet, Benoit 307 Pighius, Albert 279 Pirckheimer, Willibald 21 Platon 298, 310, 451, 760f. Plautus 34, 53f., 126f., 157–160, 162, 201, 260, 272, 352, 355, 645, 762 Plutarch 301 Polanco, Juan de 768 Poleus, Zacharias 190, 202 Polybios 272 Pontanus, Jakobus 316, 461, 524f., 755, 764f. Poupin, Abel 267f. Probst, Peter 75 Probus, Anton 634 Puschmann, Adam 39, 169 Q Quintilian 176 R Rabus, Ludwig 527, 633, Rader, Matthäus 772 Ranke, Leopold v. 65 Rebhun, Paul 32, 38, 47, 59, 65f., 77f., 79, 87, 105, 106–108, 109, 111, 143, 166, 193, 206, 728, 744, 822 Reinhard, Johannes 26, 243 Rettenbacher, Simon 757

884 Personenregister Reuchlin, Johannes 299, 302 Rhode, Theodor 26, 34, 97f. Richeome, Louis 769 Rinckart, Martin 25f., 32, 66, 123, 183f., 639, 650, 661f., 688–703, 704ff, 713, 728, 731f., 734, 746 Rivander, Zacharias 26f., 98, 194, 198f., 649f., 731f., 822 Rivaudeau, André de 237, 247f., 312 Roll, Georg 41 Rollenhagen, Georg 32, 35, 39, 42, 59, 105, 162ff, 171, 185f., 188, 194, 197, 202, 207, 217f., 401, 407, 454, 497f., 502ff, 506–511, 515f., 519–521, 522, 526, 616, 717, 722, 727, 734f., 739, 746, 799, 813, 822 Römoldt, Johannes 201 Rotbletz, Mattheus 231 Rothe, Richard 62 Rousseau, Jean Jacques 62, 293 Rüte, Hans von 82, 87, 229f., 714, 723, 725, 740 Rulich, Jakob 41, 121 Ruoff, Jakob 59, 231f., 477, 722f. S Sabinus, Georg 351 Saccus, Siegfried 162 Sachs, Hans 17, 29f., 31ff, 40, 42, 60, 62, 64, 74f., 85f., 111, 142, 151, 169, 242, 317f., 320–350, 376, 454, 484, 486, 522, 528, 551, 571, 718, 748 Salat, Hans 757 Sanders, Johann 33, 43, 170, 188, 201, 218f., 528, 628, 716f., 723 Sapidus, Johannes 34, 47, 64, 106, 234, 352 Saur(ius), Abraham 34, 167 Saurius, Andreas 165 Saxo (Sachse), Michael 200, 449, 566f., 608, 630ff, 711, 713, 725, 727, 747, 813f. Scaliger, Joseph 284, 475

Scaliger, Julius Caesar 98, 151, 284, 376 Schacht, Johannes 469 Schlayß, Johann 194f., 739 Schlue, Anna 502 Schlue, Hans 502 Schlue, Jo(a)chim 27, 31, 317, 377, 431, 498, 502–521, 522, 526, 732, 746f. Schmeltztl, Wolfgang 34, 757 Schmid, Rudolff 231 Schmuck, Vincentius 376 Schnepf, Theodor 646 Schoen, Christian 186, 211 Schöpper, Jakob 33f., 168, 315f., 391, 408, 523f., 525, 757 Schonaeus, Cornelius 34, 299 Schorch, Heinrich 828 Schröder, Joachim 184 Schroer, Hans 740 Schuler, Gervasius 402f., 420 Schwenckfeld, Kaspar v. 467, 640, 642, 649, 656, 733 Seckerwitz, Johann 168 Seger, Johann 651 Seitz, Alexander 32 Selnecker, Nikolaus 31f., 111, 531, 634, 671f. Seneca 53, 127, 260 Skriver, Sören 431 Sleidanus, Johannes 243, 636, 674 Sophie v. Brandenburg, Kurfürstin v. Sachsen 41, 73 Sophokles 126, 130, 260 Spangenberg, Cyriakus 31f., 33, 132f., 143, 178, 182f., 184f., 195f., 198, 200, 205–207, 211, 217, 634, 672, 692, 711, 716, 741, 802, 829 Spangenberg, Wolfhart 15, 122 Spener, Philipp Jakob 62, 823f., 827 Speratus, Paul 596 Spiera, Francesco 26, 243, 527 Staphylus, Friedrich 722 Stedelin, Elisabeth 550

Personenregister 885

Stengel, Georg 785 Stiefel, Michael 633 Stricker, Johannes 87 Strigel, Viktorin 220 Sturm, Johannes 33, 125, 139, 212, 261, 272, 468f., 811 Stymmelius, Christophorus 32, 47, 184, 407, 449–467, 496, 498, 522, 526, 711, 718, 731, 746, 819 Sulzer, Simon 233 Sylvius, Johannes 318 T Taille, Jean de la 237, 248, 249–251 Teckler, Johannes 23 Terenz 22, 34f., 42, 53, 57, 74, 107, 123f., 126f., 142, 151, 157–160, 162, 171, 178f., 260, 272, 351f., 376, 422, 469, 640, 762 Tertullian 16, 826 Textor, Caspar 318 Textor, Ravisius 255 Thamme, Balthasar 25, 41, 181, 195f., 527, 615f., 722, 724, 725 Theobaldus von Sexannia 564 Thomas von Aquin 675, 724, 767 Tiemann, Harm 502 Tirolf, Hans 27, 105, 106f., 108, 111f., 116, 193, 354, 728, 829 Trotzendorf, Valentin 160 Trümpelmann, August 690, 828 Turretini, Jean-Alphonse 827 U Ulrich von Hutten 21 Ursinus, Zacharias 220, 474 V Vadian, Joachim 299, 811, 824 Vallin, Jean 313 Velthen, Johann 827

Vergil 42 Vermigli, Petrus Martyr 292 Vesel, Claude de 255 Vincent, Philippe 239, 307 Vincentius, Petrus 160, 169 Viret, Pierre 255, 270, 281f., 287, 299, 310, 644, 731 Voetius, Gisbert 223, 289 Voidius, Balthasar 661, 722 Voith, Valentin 32, 55, 66, 71, 81, 104, 106, 109f., 114, 147, 154, 166, 317f., 354f., 368f., 377, 394, 407, 428, 435, 453f., 486, 507, 737 Vondel, Joost van den 288f. W Waldis, Burkard 21, 31f., 34, 59f., 66, 156, 168, 637, 712, 717f., 722–724, 726, 729, 737f., 745f., 747 Walther, Daniel 170, 528f., 746 Weise, Christian 57, 97, 825 Werenfels, Samuel 827 Werner, Zacharias 828 Wetter, David 177, 257, 299–306, 312, 313 Wetter, Josua 312f. Whetstone, George 15, 800f., 809 Wickram, Jörg 407f., 757 Wild, Sebastian 65, 75, 547, 608, 620, 630ff, 711, 725, 727, 730, 733, 747, 819 Wilhelm I., Fürst v. Oranien 284, 287, 289 Wilhelm IV., Landgraf v. Hessen-Kassel 41 Winckelmann, Johann Justus 787f. Wolfgang, Pfalzgraf, Herzog v. Zweibrücken 740 Wolfgang Wilhelm, Pfalzgraf, Herzog v. Pfalz-Neuburg 41 Wunst, Andreas 34 X Xenophon 272

886 Personenregister Z Zahn, Zacharias 349, 449, 608, 619, 630, 632, 713, 718, 725, 727, 733, 746, 748, 790 Zepper, Wilhelm 221 Ziegler, Hieronymus 27, 34, 165f., 206, 231, 235, 315, 391, 407, 423–429, 486, 524, 525, 654, 757

Zwingli, Ulrich 61, 221, 225f., 231, 233, 261–264, 267, 271, 276, 292, 402, 416, 418ff, 473, 491, 496, 523, 640, 641f., 644, 645f., 648f., 653, 656, 693f., 696, 699, 701, 731, 733, 759

Sachregister A Abendmahlslehre, Abendmahlsstreit, Abendmahlsstreitigkeiten 26, 117, 194, 226, 231, 276, 421, 450, 460, 466f., 469f., 473f., 501, 548, 640f., 645, 649f., 652, 653, 654, 671, 700f., 731ff Aberglaube 118, 287, 661, 727, 813 Ablass 25, 228f., 652, 654, 657ff, 660, 675, 676f., 681, 683, 685, 699f., 723, 728 actio-Charakter 49, 197, 211, 311, 378 Adiaphoron, Adiaphora / Mittelding/e 154f., 213, 216, 290, 450 aemulatio 779 Affekt 129, 136–138, 148, 155, 189, 199, 216, 237, 259f., 330, 377f., 419, 437f., 452–455, 457, 461f., 464, 482, 487, 491f., 522, 741, 781 Akkomodation 210 Alchemie 813 Allegorien, allegorische Figuren 22, 37, 64, 83, 118, 120, 190, 210, 237, 239, 243, 251, 318, 332, 374, 376, 383, 413, 496, 524, 572, 658, 691f., 695f., 697, 706, 719, 730f., 767, 770, 772, 774, 782, 803, 818, 820 Allgemeines Priestertum 325 Alte Kirche 16, 118, 141, 190, 271, 283, 300, 314, 324, 527, 570, 642, 654, 706, 774, 776, 789 Amt – Lehre vom 407, 547f., 597f., 603, 617, 625 – Luthers 635, 659, 666, 685 Andachtsliteratur 182, 797 Anfechtung 79, 146ff, 161, 165, 246, 266, 357, 365, 368, 371, 415, 419, 436, 461, 494, 537f., 546, 660, 664, 670, 673, 704

Anspiel/e 828 Antichrist 25, 113f., 118, 239, 380, 470, 522, 527, 635, 637, 652, 657, 677, 723, 728, 812 Antijudaismus 529, 563–565, 576, 590f., 632, 656, 717, 721, 731, 733f. apokalyptisch 118f., 267, 565, 586, 588, 619, 631, 634, 646, 660, 697, 702, 706f. Apologie der Confessio Augustana 203, 596, 686 articulus stantis et cadentis 381, 444, 466 Astrologie 813 Aufklärung 17, 808, 827 Autonomie 534 B Barock 72, 96f., 279 Bauern, Bauernstand 27, 42, 170, 218f., 228f., 321, 330, 391, 508, 510f., 515, 587, 640, 642, 644, 647f., 656, 693ff, 708, 716f., 728f., 785, 812 Bettelmönche, Bettelorden 417, 664f., 722, 727 Bibeldrama 20, 22, 70, 79f., 84, 86, 117, 121, 123, 130, 162, 228, 261, 267, 314, 326, 328, 330, 561, 721, 732, 736, 738, 820f. – französisches, existentiell motiviertes 236f., 244, 249, 253f., 309, 725ff, 807, 809 – sächsisches / des Wittenberger Kreises 78, 105, 135, 203, 232, 235 – Zürcher 232, 262, 264 biblia pauperum 211, 743 Bibliodrama 828 Bild 18f., 43, 48, 56, 58, 62, 71, 81, 120, 133, 138, 142f., 150, 153f., 190, 192f., 202, 210f., 226f., 245, 254, 262f., 271,

888 Sachregister 275f., 287, 294, 477, 488, 652, 722, 732, 739–741, 744f., 759, 767f., 783 – Bilderfreundlichkeit 226, 759, 768, 783 – Bilderfeindschaft, Bilderkritik, Bilderstürmer 61, 226f., 694, 757, 759, 768, 783 – Bilderverbot 222, 290f., 294, 306, 308, 474, 501 Bürgerspiel, Bürgeraufführungen, Bürgertheater 27, 37f., 53f., 59f., 232, 234f., 296f., 308, 713, 803, 824

Erinnerungskultur 108, 217, 637 Erlauthaler Bekenntnis 313f. Exempel 86, 106, 108, 114f., 124f., 127, 139, 142f., 144, 148f., 159, 196ff, 202, 211, 304, 343, 345, 356, 361, 364, 380, 385, 429, 432, 436, 440, 443, 479, 481, 485, 488, 504f., 511, 513, 516, 520, 522f., 536, 551, 559, 578, 588, 591, 646, 650, 674, 727, 743, 751f., 772 extra nos 413

C concertatio 779 Confessio Augustana (CA) 194, 205, 473f., 548, 598, 625, 637, 639, 653, 656, 698, 700, 744 Confessio Belgica 222 Confessio Scotica 222

F facere quod in se est 446 Fastnachtspiel 17, 19, 21, 53f., 59f., 62, 66, 82, 228ff, 326, 329, 352, 391, 507, 513, 714, 723, 726, 736, 738, 761, 820, 822 Feier, geistliche Feier (officium) 131, 133, 149 Flacianer / Gnesiolutheraner 178, 205ff, 473, 672, 716 flectere 781 Flugblatt / Flugschrift 18, 46, 48f., 58, 82, 273, 325, 589, 635f., 651, 658, 707, 726, 736–738, 739, 745 Fronleichnamsspiel 757 Fürstenhöfe, Aufführungen 40f., 73, 110, 313, 351, 475, 765

D declamatio 272, 299 delectare 27, 49, 129, 214, 309f., 378, 531, 560, 760, 781, 785, 799, 820 deus absconditus / deus revelatus 370, 436, 518f. Devianz – konfessionelle 646, 698 – deviantes Verhalten 280, 580 Differenzerfahrung 528, 538, 586, 614, 630, 713 docere (122), 378, (748), 781 Donatisten / Donatismus 654 E eloquentia / eloquens 70, 212, 261 englische Theatertruppen 15, 17, 59, 98, 789, 826 epikureisch 348f., 596, 618, 628, 696 episches Theater 30f., 70, 98 Erbauungsliteratur 795f. Erbsündenlehre 75, 189, 459f., 463, 465, 494, 542, 594, 653

G Gebet, Gebetbuch 48, 84f., 253, 256, 258, 300, (315–709), 719, 730, 745–750, 783, 795f., 797f., 820 Gedächtnis (memoria) 136f., 148, 155, 159, 173, 176, 197ff, 207, 210, 214, 379, 559, 674, 741, 743, 749, 759, 763f., 785 Gedicht (geticht) 96, 105, 107, 117, 139f., 143, 150, 170, 202, 257, 320, 326, 329, 348f., 468f., 512, 531, 572, 602, 661, 736, 826 Geistliches Spiel 17, 19, 24, 53–55, 62–64, 69, 71, 76f., 81, 109, 114f., 131ff, 135–139,

Sachregister 889

149, 175, 235, 253, 300, 317, 523, 736, 757f., 816 genus – grande 199, 378 – humile 378 Gesetz und Evangelium 71, 154, 209, 320, 414, 438, 440, 542–544, 548, 571, 623 Gesetzespredigt 18, 130, 200f., 338, 349, 534, 536, 543, 549, 580–582, 617, 667, 669, 751 Gleichnis, Parabel – als Begründung geistlichen Theaters 143f., 150, 185, 191, 209f., 215f., 742, 751 – Handlung als Gleichnis / Parabolisierung 113, 329f. – Gleichnisse als Stoffreservoir 23, 69, 771, 818 Gottesdienst 16, 18, 39f., 62, 63, 82, 84–86, 90f., 122f., 131, 138f., 151, 152, 167, 192, 217, 256, 265, 321, 323, 513, 601, 662, 724, 745–750, 752, 795, 797, 820, 823, 826 gratia gratis data / gratia specialis 366 H Hamburger Opernstreit 827 Hausspiel 205–208, 716 Heiligenverehrung 26, 121, 229, 238, 241, 300, 547, 570, 635, 664, 667, 709, 723f., 727, 729, 798 Heilsgeschichte 24, 97, 110, 114, 115, 118, 145, 204, 263, 318, 634, 685f., 790, 818, 820 Humanismus 17, 20, 28f., 33, 34, 42, 44, 53f., 63, 68f., 70f., 73, 75, 80, 89, 116, 122, 123ff, 126, 130f., 135, 142f., 149, 150f., 162, 164f., 171, 180, 187, 192, 200, 209, 212, 216ff, 224f., 231, 237, 238, 254, 260f., 264, 266, 273, 287, 305, 308, 310ff, 314, 422, 463, 487, 525, 645–648, 695, 736ff, 742, 758,

762f., 764f., 776, 781, 785, 789, 811, 822, 824, 827 I Idololatrie / Götzendienst / Abgötterei 166, 229, 233f., 235, 270, 272, 291, 301, 419, 424, 478, 490, 497, 681, 699, 715, 723f., 727 ignorantia 647, 776, 781 illiterati 49, 100, 211, 218f., 431f., 513, 716, 743, 782, 796, 821f. imitatio – universitäre Übung 146, 642f., 645 – imitatio Christi 146, 210, 571 – Drama als imitatio vitae 124f., 260 Indifferenz, Indifferentismus 98, 448, 601, 644, 743, 812 Inquisition (26), (243), 617, 652, 725 interludi 27, 354, 392, 404, 503, 505ff, 510f., 761, 780, 802, 812, 820, 822 Irenik 33, 321, 467, 567 iustitia – aliena 542, 544, 548, 594 – civilis 439 J Jedermann (Hecastus, Homulus, Everyman, Elkerlijk) 22f., 38, 54, 64, 69, 120, 167, 407, 676, 757, 762, 789 Jesuitendrama, Jesuitentheater 20, 27, 30f., 47f., 53–60, 64, 79f., 81f., 88, 93f., 116, 121, 169, 176ff, 210, 216, 217f., 291, 316, 525, 527, 529, 593, 614f., 630, 646, 712, 716, 730, 754–790, 800f., 807f., 809f., 815f., 817–819, 820, 825, 827 K Katechese 23, 72f., 85, 89, 103, 138f., 151, 174f., 178, 187, 193f., 207, 216f., 420, 445, 508, 516, 664, 672, 738, 743f., 789, 822

890 Sachregister – Ehekatechese 23, 77f., 107, 111, 115, 125f., 140–142, 258, 346, 348, 359f., 510f., 572, 663, 715, 822 – Kinderkatechese 134–136, 143f., 149, 205–207, 218, 409f., 664, 671f. – Ständekatechese 23, 77f., 107, 109, 111, 115, 124, 126, 142, 146f., 188, 212, 382, 396, 445, 715, 789, 792, 811, 822 Katechismus 17f., 78, 85, 139, 151, 207, 217, 240, 504, 512, 547, 666, 795 – Brenz’ 473 – Canisius’ 768 – Genfer 222 – Großer 139, 207, 412, 514, 515 – Heidelberger 222, 418f., 471, 473f., 501 – Kleiner 138f., 473f., 543, 647, 708 Kindertaufe 108, 185, 418, 733 Kirchenlied / Lied / Gesang 18, 28, 32, 48, 58, 84, 134, 150f., 153ff, 156, 170, 177, 190, 192f., 207, 212, 245, 247, 253, 256f., 326, 375, 403, 405, 424, 450f., 471f., 474, 477ff, 485, 490, 492ff, 495f., 500f., 504, 506, 513, 531, 565, 573f., 596, 633, 639, 653, 658, 688, 698, 719, 726, 736, 744f., 746, 747, 749, 750, 797, 820 Kirchenväter 214, 285, 290f., 301, 660, 678, 684, 826 Kirchenzucht 220, 222, 229, 280, 301, 420, 526, 536, 581 Kleidertausch, Verbot 192, 215 Kometen 589f., 632, 650 Konfessionalisierung 15f., 31, 44, 58, 84, 91f., 94, 100f., 710, 758, 791–813, 816, 817, 822 Konfessionskultur, konfessionelle Kultur 51, 91, 94, 792, 800, 808–813, 816, 817 Konkordienbuch 634, 708 Konkordienformel (FC) 175, 466f., 470, 473, 549, 573, 594, 596, 636, 689, 706, 708, 811, 827

Konversion 239, 289, 313, 473, 476, 500, 560, 568, 615f., 622, 642, 671, 702, 714, 722, 773, 783 Konzil 119, 677ff, 681f., 684 Konzil, von – Konstanz 110, 677, 679, 682 – Trient 385f., 528, 636, 640ff, 759, 811 Kreuz (s. auch Präfiguration) Kreuz als Erlösung, satisfactio 132, 144, 331, 348, 397, 478, 490, 493, 624, 731, 752 Kreuz als Vorbild, exemplum 571, 576, 581, 623 Kreuz der Christen / theologia crucis 78, 381, 534, 581, 586, 604, 612, 616, 624, 629f., 664f., 668, 670, 704 Kreuz als pädagogisches Mittel, Prüfung 331, 343f., 435f., 537f., 615, 715 Kryptocalvinismus 450, 467, 469, 500, 634, 648f., 674, 704 L Latinität 44, 115, 754, 763, 767, 771, 780–782, 785, 789, 818 lebende Bilder 262, 287f., 739 lebendige Worte s. verbum vivum Lesedrama, Lesedramen 43, 230, 273, 281, 301, 309, 312 Libertins spirituels 236, 238 ludi (scenici) 136, 187, 189, 213, 257, 281, 284, 314, 749 M Magie 813 majoristisch 384 Märtyrerdrama 75, 293, 527f., 588, 615f., 630 Marburger Religionsgespräch 640–642, 645, 652–655 Martyrium 293, 527–530, 532, 561, 611f., 615, 621f., 714, 770, 773 Meditation 58, 174, 182, 192f., 212, 304, 471, 711, 767–769

Sachregister 891

Medium, Massenmedium 17–19, 43–46, 48f., 58f., 64, 77, 82f., 89–91, 102f., 109, 112, 121, 123, 139, 142, 151, 166, 173–176, 178, 192, 196f., 199, 203, 208, 210f., 217, 226, 266, 278, 290, 297, 306, 308, 330, 378, 380, 432, 499, 609, 638, 675, 681, 704–707, 712, 713, 716, 718f., 736–739, 743, 759, 766–768, 779f., 783–788, 791–793, 795–800, 802, 807, 810, 822f., 829 Messe, altgläubig-katholische 238f., 683, 723f., 749, 781 Modernisierung 30f., 98, 802–808 Mönchtum 26, 231, 246, 372, 447f., 477, 637, 640, 675, 718, 722–730 Montanismus 324 Moraldidaxe 20, 99, 129f., 142, 159, 165, 171, 255, 330, 349, 361, 382, 390, 394, 396, 401, 409, 432, 436, 461, 466, 516, 522, 715 Moralität 22, 54, 62, 64, 236–239, 273, 714, 720, 723, 725f., 729, 736, 738, 803, 807, 820 movere 378, 781 Musical 828 Musik 56, 152, 154, 262, 769, 782, 789, 795, 798 N Nikodemiten 498f. O oboedientia – activa 594 – passiva 459, 594, 624 Obrigkeitskritik 79, 200f., 218f., 321, 348ff, 715, 717, 821 oeconomia 77, 126, 128, 130, 141 Ökonomisierung / Rationalisierung 180ff, 218, 277, 286f., 310, 742, 804, 824 Oratorium 63, 828

Orthodoxie – altprotestantische 72, 90, 95, 217, 219, 648, 805, 823, 827 – lutherische 365, 432f., 446, 623f., 646, 706 – reformierte 289, 827 – Rechtgläubigkeit des Verfassers 73, 365, 521, 541, 544, 547f., 623, 711, 721, 726, 734, 809 Osterspiel 24, 54f., 76f., 105f., 110, 114f., 146f., 152, 229, 232, 234f., 262, 351f., 746, 758 P Papsttum 21, 25f., 108, 118f., 154, 236, 242, 245, 247, 280, 309, 542f., 547, 575, 600, 635, 659, 678, 681, 684, 687, 699f., 703, 706, 723, 727f. Passionsspiel 24, 59, 64, 69, 71, 110, 115, 131–133, 144, 146f., 149, 155, 216, 231, 235, 263, 352, 552f. Perioche 55, 169, 529, 756, 781f., 784 Pfaffen 151, 325, 372, 496, 534, 547, 577, 583, 604, 722f., 727 Pfarrerstand 631, 660, 713f., 715, 812, 823 Pharetra 564 pia fraus / salutaris fraus 177f., 265, 300, 305f. pietas 69, 70, 120, 122, 173, 182, 185, 192, 212, 258, 260f., 304, 444, 453f., 462, 464, 525 Pietismus 182, 218, 823f., 826f. Platonismus, platonisch 298, 310, 760f. Polemik, konfessionelle 19f., 23, 25ff, 45, 64, 70, 79–82, 90–94, 108, 110f., 113, 115, 117f., 121ff, 166, 172, 216, 222, 230ff, 235ff, 242ff, 246ff, 251, 254f., 273f., 281, 290f., 309, 323, 325, 339, 371f., 380f., 385, 400, 417, 420, 430, 447ff, 466, 495f., 522, 529, 541, 547, 563, 570f., 580, 599f., 627ff, 631f., 635f., 646, 648, 658, 692,

892 Sachregister 694, 710, 714, 719, 720–736, 754, 757, 774–777, 780, 792, 807, 820ff, 827 politia 77, 126, 128, 130, 141 Prädestination / Prädestinationslehre 117, 233, 279, 295ff, 311f., 500f., 624, 731f. Präfiguration 317, 332, 350, 360, 389, 397, 434, 457, 459 Präzisismus 289, 297, 310, 314 Predigt (s. auch Gesetzespredigt) – als Gnadenmittel, als Medium / Verhältnis zum Drama 17f., 46f., 50, 58, 62, 64, 72f., 78, 84f., 89, 91, 103, 109f., 115, 130, 139, 142, 144, 146, 148, 150f., 153, 154, 172–175, 177f., 186, 193–206, 209, 211, 216f., 219, 222, 237, 240, 248, 249, 256, 266f., 273, 278, 285, 287, 294, 297, 301, 306f., 323, 329, 337f., 349, 374, 376, 378ff, 431, 543, 549, 578, 609, 617, 633ff, 670, 681, 707, 711f., 715f., 718, 734, 736–739, 743ff, 747ff, 751–753, 780, 783, 795–798, 820, 822f., 829 – in der Handlung von Dramen 48, 171, 239, 532f., 537, 540f., 544f., 547, 555, 558, 568f., 573ff, 586, 592ff, 604ff, 608, 619, 621, 623, 628, 654, 664, 666, 667, 669, 683, 685, 717, 718 – Wechselwirkung Predigt – Drama 353, 355, 370, 383, 477, 496, 499, 523, 674, 681, 686, 700, 706, 722 – als Thema im Drama 371, 375, 432, 445f., 534, 537, 552, 580ff, 601, 610f., 625, 631, 673, 713, 733, 812 Prosadialog, Spruchdialog, Spruchgedicht 242, 320, 322, 326, 348f., 736 Prosopopoiie 303 Prozessdrama / Prozessmotiv / Satansprozess / Paradiesprozess 24, 71f., 318, 552, 739, 804, 814, 819 Prozession 19f., 62, 134, 798 Puritanismus 15, 179, 182, 223, 227, 289, 297, 302, 310–312, 314, 788, 824

R Rechtfertigungslehre 72, 78, 89, 108f., 115, 120, 147, 233, 240, 317, 319, 324, 335, 337f., 386, 399ff, 429, 436f., 439f., 442, 444, 446, 450, 463, 465, 491, 494, 509, 516, 519, 521f., 523, 525f., 548f., 595, 624, 632, 642, 660, 668–672, 706, 717, 771, 776 Rederijker 288f. reformatio – doctrinae 221, 716 – vitae 221, 713, 716, 743, 822f. Reformationsjubiläum 46, 633ff, 639, 650, 651, 658, 662, 676, 702, 715, 723, 727, 729, 734f., 828 Reichstag – Worms 575, 599, 633, 652, 654f., 675, 677f., 680ff, 689, 692f., 697f., 700, 707 Renaissance 17, 60, 69, 73, 75, 141, 628, 646 Rhetorik / Rhetorikunterricht 60, 68, 116, 158, 161, 199, 265, 272, 288, 299, 303, 377, 469, 642, 753, 764, 779, 781 S Schaulust 19, 62, 77, 103, 736 Schmalkaldische Artikel 119, 365, 381 Schrift, heilige / Bibel 18, 23, 62, 64, 68f., 79f., 125, 136, 138, 139, 143, 154, 156, 161, 172ff, 185ff, 189, 192f., 202, 205, 207f., 210f., 224, 230, 238, 240ff, 245, 250, 251, 258f., 269, 273, 278, 280, 285f., 288, 290f., 294, 297, 299ff, 303f., 306, 308, 311, 320–328, 330, 353, 365f., 370f., 373, 378, 380f., 420, 436, 439, 447, 474, 495, 512f., 520, 531, 533, 543, 550f., 555, 563f., 568, 570, 575, 578, 598, 599, 625f., 634f., 652, 654, 659ff, 664, 667ff, 670, 675–685, 687f., 694, 700f., 706f., 711, 718f., 723, 725, 730, 737, 743, 765, 796, 799, 819, 822, 823, 824, 828f.

Sachregister 893

Schulordnung 35f., 39f., 57, 93, 103f., 125f., 157–162, 162f., 166, 169, 171, 208, 264, 272f., 299, 423, 742, 746, 825 Schultheater 15, 23, 33, 34, 37, 41, 56f., 59f., 68, 70, 97ff, 157, 166, 170, 182, 216, 218, 224, 255, 262, 272, 280f., 285, 287, 290f., 299, 303, 305f., 313, 377, 421, 431, 734, 742, 745, 757, 758, 762, 777f., 787, 789, 803, 816, 824f., 827 Schulträger 36, 50, 54, 742, 793f., 803 simul iustus et peccator 324, 440, 463 Skeptizismus 97, 500, 577, 584, 589, 601, 618, 628f., 640, 642 sola fide 69, 233f., 320, 336, 337f., 350, 365f., 380f., 383ff, 388, 400, 412, 414f., 417, 433, 440, 443, 465, 509, 516, 545, 548, 571, 574, 582, 591, 593, 596f., 600, 623, 664, 669, 684f., 717, 744 sola gratia 221, 335, 338, 350, 366, 388f., 400, 433, 440, 443, 465, 509, 521, 548, 571, 597, 623, 664, 684, 717, 744 sola scriptura 221, 323, 570, 626, 717, 719, 818 solus Christus 113, 234, 239, 320, 366, 389, 464, 545, 547, 570, 575, 591, 593, 597, 600, 624, 717, 744 Sozialdisziplinierung 758, 793, 801 Spiegel (speculum) 44, 70, 72, 107, 111f., 124f., 127, 142, 171, 182, 187ff, 194, 200ff, 216, 264, 283, 294, 300, 356, 363, 378, 431, 487, 511, 544, 551, 558f., 610, 616f., 739, 751 Spielwut 20, 81, 741 Spieler-Zuschauer 593, 615, 622f., 630f., 655, 748, 790, 820f. Spiritualismus 263, 322ff, 466f., 706, 714, 721, 733, 795 spoliatio Aegyptiorum 104, 190, 300 Stände – drei Stände (s. auch Katechese, Ständekatechese) 23, 77, 109ff, 126, 130, 218, 349, 352, 445f., 789, 821

– Reichsstände, Landstände 473, 617, 680, 682 Stoizismus 53, 251, 334 Streit der Töchter Gottes 24, 40, 71, 463, 574, 790, 804, 814, 816, 818 superbia 201, 343, 641, 646 Synode/n 102, 179, 222, 223ff, 227, 240f., 254, 277, 283, 288f., 295, 297, 314, 824 T Täufer 27, 32, 108, 229, 289, 322, 418–420, 526, 547, 628, 635, 640, 642, 646, 648f., 650, 656, 714, 721 Talmud 556, 563, 570 Tendenzdrama 64, 79, 229 Teufel, Teufelshierarchie 24f., 55, 77, 108, 111ff, 168, 181, 275, 292, 312, 327, 348, 357f., 364, 376, 381, 400, 412, 414, 416, 425, 427, 447, 477, 496, 503, 505ff, 510, 516, 530, 531–533, 538ff, 546f., 552, 554, 557ff, 562, 603ff, 608f., 610, 616, 619, 624, 629, 631, 640, 646, 652f., 658, 660, 661, 668, 694, 696ff, 701f., 722, 727f., 731, 732, 741, 772, 799, 804, 816 Theaterfeindschaft, Theaterkritik 121, 144, 182, 219, 225ff, 266f., 269f., 272, 280f., 284, 286, 289–299, 301f., 305f., 307, 310f., 314, 742, 754, 758–761, 765, 768, 811, 817, 824ff Theaterfreundlichkeit 216, 223f., 226, 266, 268, 282, 291, 759, 768 Theaterverbot 224, 761 Tora 559, 607 Traktat – als Medium im Verhältnis zum Drama 548, 736, 819 – über das Theater 92, 218, 227, 293, 296, 299f., 305f., 310, 313 Transkonfessionalität / konfessionelle Durchlässigkeit 27, 88, 206, 717

894 Sachregister Trinität, Trinitätslehre 542, 549, 554, 555, 559, 563, 570, 776 Trost, Tröstung 78, 96, 108f., 113, 115, 140, 146, 156, 165, 196, 200ff, 204, 205, 236f., 239, 242, 244f., 248f., 253, 258, 309, 331f., 344f., 351, 356–359, 362, 365–368, 370, 372, 373, 380f., 384, 387, 414, 416, 419, 425, 434, 453, 456–459, 461, 463, 466, 471f., 483, 490, 493, 522f., 537–540, 549, 557f., 560ff, 571, 577, 579–583, 585–588, 594, 595, 606, 609–616, 619, 622f., 629–632, 634, 660, 668, 670, 673, 675, 682–685, 694, 702, 713ff, 720, 728, 744, 752, 796, 822 U Ubiquität 467, 470, 473, 501, 671, 701, 706 Universalismus, lutherischer 456, 466, 589, 594, 600, 617, 731 usus legis – politicus 350 – elenchticus 541, 544, 594 – tertius usus legis 544, 547 V verba testamenti 276, 467, 701, 731 verbum – visibile / sichtbare Predigt 194f., 203, 737 – vivum / lebendige Worte, Predigten 195, 197, 204, (222), 379, 737, 740, 744 Verfolgung 112, 218, 237, 244ff, 248, 253, 255, 293, 309, 312, 371f., 489f., 498,

527ff, 532, 534–541, 547, 552, 557–562, 566ff, 571, 583–586, 591, 600, 603ff, 609–619, 623, 626ff, 630, 665f., 670, 702, 714, 725, 727, 733, 773 Visualität 19, 28, 49, 62, 135, 148f., 173f., 197, 211, 300f., 715, 720, 737, 739, 741, 743, 766, 819 viva vox evangelii 204f. Volkskultur 100, 225, 589, 758, 762, 822 Volksreligion 813 Vorsehung (providentia: conservatio, gubernatio) 129f., 359, 453, 460, 498f. W Wallfahrt 26, 238, 550, 723f., 728, 798 Weihnachtsspiel 24, 40, 41, 42, 69, 111, 113f., 115, 147, 164f., 168, 234, 550f., 559, 650, 651, 728 Weltgerichtsspiel 799 Welttheater 150, 279, 293, 295, 646 Wittenberger Konkordie 233, 652–654, 656, 707 Wittenberger Kreis 22, 34, (104–115), 104f., 115f., 123, 146f., 150f., 201, 203, 206, 352, 363, 715, 728, 734 Z Zehn Alter 407, 757 Zehnjungfrauenspiel 300 Zwei-Naturen-Lehre 459, 463, 507, 648 Zweite Reformation 220f.

Bibelstellenregister Aus den in den Abraham- und Stephanus-Dramen zugrunde gelegten Kapiteln Gen 12-22 und Act 2-7 sind nur die bedeutsameren Verse aufgeführt Gen 1,26 555 205, 442, 462, 3,15 731 9,6 557 403 12,1-8 13,14-17 403 15,6 338, 356, 364, 380, 388, 439, 443, 491, 494, 520 418, 419 17,10f. 17,23f. 407 18 327f., 339, 403f., 555 18,27 439 19,27f. 340 21,4 407 22 99, 146f., 205, 315-526, 575, 599, 717, 741 22,12 360, 367 22,13 496 22,15-17 416 22,17 348 367 22,18 258, 352, 354, 24 650 28 258 28,15 204 49,10 555 Ex 12,35f.

300

Dtn 4,2 6 6,8f. 18 22,5 27,26

556, 563 555 154 622 192 556

Jos 24

702

2 Sam 7 21

205, 575, 599 251

Ps 1 478 8 443, 478, 509 556 16,10 22,11 573 332 31,6 34 547 37 478 37,5 388 478 40,4 51 28 73 613 79 252 102,25-27 478 135 478 136 478 150,4 154

Pr 8,30f. 16,4

209 279

Koh 1,2-7

478

Jes 1,2 53 55 55,1 60

556 556, 564 667 414 555

Jer 31,26

556

Ez 33,11

536

Dan 9 556 12,3 539 Mi 5,1

696

Sach 9,9

204

Sir 7,40

304

896 Bibelstellenregister Mt 10,16 655 10,28 655 10,32f. 621, 626 11,28 414 18 196, 536 21,5 204 23,23f. 213 609 27,19 Lk 2,41ff 18,9-14 23,46

514 724 332, 457

Joh 139, 143 3 3,16 204, 731 5,24 413 6 196, 653 8,51 204 10 576 10,4 336 323 14,26 19,17 332 Act 1,23 3,6 4,13 4,19 5,29 5,30 5,34(-39) 6-7

613 545 627 540 381, 540 332, 360 557, 558 99, 282, 527-632

6,8 569, 573, 591, 605 6,15 557, 592 7,55 557, 592, 612 7,55f. 539 7,56 606 7,59f. 539, 607 7,60 573 9,15 696 332, 360 10,39 12 255, 408, 663, 665 613 18,7 Röm 3 438 4 315, 383, 400, 439 4,3 380 4,17 406, 412, 465 8,35-39 406 14,8 406 15,4 380, 381 1 Kor 2,9 4,9 5 7,20 10,13

406 293 536 444 457

Gal 3 3,13 4

400 332, 360 576

4,22-31 5,6

413 385

Eph 6

24, 663

Kol 3,16 184, 190, 195, 211, 217, 716, 823 4,11 613 1 Tim 2,4

731

1 Petr 2,24 3,15

332, 360 323

Hebr 11 11,6 11,33ff

413 415 413

Jak 2 2,23

416, 418 443, 520

Apk 1,6 606 5,12f. 606 14 633 14,6 697

Register der biblischen Personen und Geschichten sowie der historischen Personen, die nur innerhalb der Lutherdramen und anderen Dramen auftreten oder erwähnt werden (Auswahl) A Aaron 552, 635, 672, 715 Abimelech (Gen) 340, 345, 347, 352, 354f., 362, 374, 391f., 397, 403, 424–427, 451f., 503–506, 513f. Abraham 23, 27, 29, 31, 33, 35, 39, 85, 105, 115, 147, 153, 163, 167f., 184, 186f., 197, 204f., 223, 231, 234f., 244f., 249, 255, 258, 263, 274, 282f., 289, 310, 312f., 315–526, 556, 599, 658, 711f., 717f., 722, 727, 731ff, 735, 739f., 752, 757, 771, 781, 789, 807 Absalom (2 Sam) 232 Adam und Eva / Erste Eltern: Fall und Heilsgeschichte 24, 39, 40f., 71, 109f., 114f., 147, 166, 169f., 200, 231, 289, 317f., 451, 739, 752, 790, 818, 820 Adonia (1 Kön) 249, 253 Afra, Heilige 552 Agrippa (Act 12) 255, 274 Albrecht, Erzbischof und Kurfürst v. Mainz 121, 652, 677f., 680, 682, 684ff, 693 Amsdorf, Nikolaus 680 Ananias und Saphira (Act 5) 531f., 536, 603, 608, 610, 611, 616–618, 620 Andreas, Apostel 602, 604, 612 Auer(bach), Johann 677 Auferweckung des Lazarus (Joh 11) 47, 106, 234, 351f., (553) B Balsasar (Belsazar; Dan 5) 615, 740 Barmherziger Samariter (Lk 10) 109, 147, 234, 407

Barnabas 554, 602 Bathseba (Betseba; Ehebruch Davids; 2 Sam 11–12) 188f., 196, 199, 252 Becket, Thomas 770 Beel / Bel und Draco 107, 140, 165, 170, 233 Belagerung der Stadt Babylon 232 Belagerung der Stadt Samaria (2 Kön 6–7) 166, 190, 202 Belisar 756, 770 Bembo, Pietro 661 Bethuel (Gen) 352, 354 Bheuß, badischer Kanzler 679 Boethius 770, 776 Brotvermehrung / Speisung der 5.000 (Joh 6) 196 Bruno von Köln 772f., 784 C Cajetan 633, 652, 675, 676f., 681, 683, 685, 692f. Campeggio, Tomasso 640 Cenodoxus 47, 770, 772f., 783f. Christlicher Ritter (Miles christianus; Eph 6) 24, 143, 175, 184f., 187, 195f., 572, 634, 663, 675, 691f., 697, 718f., 720, 724, 726, 730, 786, 818f. Coligny, Gaspard de 26, 98 D Daniel, Drei Männer im Feuerofen (Dan 3), Hofteufel / Löwengrube (Dan 6) 23, 40, 112f., 116, 123, 140, 164f., 168, 206, 233, 244, 245, 275, 611, 722, 725, 728f., 789, 818

898

Register der biblischen Personen und Geschichten

David, Ölung Davids (2 Sam 16) / David – Goliath (2 Sam 17) 23, 27, 40, 43, 111, 163, 185, 188, 193f., 196, 198, 201, 205, 234, 245–247, 249, 252f., 255, 273, 287f., 314, 318, 725, 740, 818 Dina (Gen 24) 650 E Eck, Johannes 21, 652, 675, 678f., 684, 693 Ehud (Ri 3) 255, 274 Elia (1–2 Kön) 23, 611 – dritter Elia (Luther) 634f., 636, 656, 661, 667, 707 Elieser (Eleazar; Gen) 391ff, 396, 403f., 411, 451, 453f., 460, 466f., 503ff Elisa, arme Witwe (2 Kön 4) / Bestrafung der spottenden Knaben (2 Kön 2) 23, 166, 235, 834 Esther (Est) 23, 41, 43, 67, 73, 109, 113, 117, 121, 140, 167f., 170, 185, 229, 232, 234f., 247, 253, 289, 313, 326, 740, 789, 818 F Fleck, Prior des Klosters Steinlausitz 676, 686 Franz v. Sickingen 677f., 681, 686 Friedrich der Weise, Kurfürst v. Sachsen 652, 657, 675, 677–680, 686, 693 G Gamaliel (Act 5) 531, 533, 547, 554, 556f., 558, 561, 566–568, 603, 605, 628, 679, 682 Georg, Heiliger 696 Georg der Bärtige, Herzog v. Sachsen 679 Gibeoniten, Hungersnot (famine; 2 Sam 21) 251 Gideon (Ri 6–8) 167, 229, 725 Glapion, kaiserlicher Beichtvater 678, 686 Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner (Lk 18) 724 Gleichnis vom Schalksknecht (Mt 18) 23, 42, 44, 144, 170, 196, 209, 716

Gleichnis vom verlorenen Sohn (Acolastus, Asotus; Lk 15) 21f., 23, 27, 31, 41f., 59, 66f., 69, 109, 147, 156, 167f., 170, 187, 189, 193, 199, 209, 231f., 234f., 262, 326, 451, 637, 712, 717f., 722, 726, 729, 731, 738, 745f., 752, 757, 762, 770, 789, 818 Gleichnis vom Weinberg (Vinea; Mt 20 / Weingarten; Mt 21, Mk 12, Lk 20) 23, 195, 209, 231, 477, 650, 722f., 724, 731–734 Goldenes Kalb (Ex 32ff) 28, 183, 252, 549, 550, 552, 556, 714f., 819 H Hagar (Agar; Gen) 255, 328, 339f., 342f., 344ff, 352, 354f., 374, 390ff, 396, 398f., 403ff, 406, 410f., 413, 417, 424f., 427, 430, 433, 435, 442, 451f., 454f., 460ff, 510 Haman (Aman; Est) 113, 116, 121, 233f., 247f., 252 Hannas 531, 544, 553, 603f., 606, 624, 626f. Heilung des Besessenen und Taubstummen (Lk 11) 133, 184f., 196, 206 Heilung des Sohnes des königlichen Beamten (Regulus; Joh 4) 185, 188, 194, 202, 650, 724f., 743 Heinrich VIII., König v. England 652 Hermenegildus, Westgotenprinz 770, 774, 776 Herodes, Kindermord / unschuldige Kinder (Mt 2) 113f., 167, 289, 313, 555, 604, 728 Herodes Antipas 112, 603f., 607f., 627, 629 Herodias 603f. Hiob (Hi) 73, 156, 186, 191, 231, 297, 472, 650 Hiskia (Ezechias; 2 Kön 18ff) 233 Hochzeit zu Kana (Joh 2) 23, 78, 106f., 108, 166, 168, 663, 757, 819 Hohelied 143, 150 Holofernes (Jdt) 313 Hosius, Stanislaus 640, 646, 661, 725



Register der biblischen Personen und Geschichten

I Isaak / Isaaks Brautwerbung (Gen 24) 23, 37, 111, 167f., 186, 207, 233f., 258, 275, (315–526), 352, 354, 359f., 503, 650, 658, 663, 740, 818f. Ismael (Gen) 328, 340ff, 345f., 352, 354, 363, 391f., 398f., 403, 405, 408, 411, 424f., 429, 437, 442, 451f., 454ff, 461, 464 J Jakob 22f., 37, 66, 105, 153, 168, 188, 207, 258, 351f., 658, 733, 789 Jacobus / Jakobus, Apostel 554, 602f., 625f. Jeftah / Jephta (Jephthes; Ri 11) 28, 209, 231, 254, 273, 402, 818 Jeremia (Hieremias) 23, 117, 121f., 729 Joachim I., Kurfürst v. Brandenburg 679 Johannes, Apostel 214, 531ff, 536, 538, 541, 545, 549, 554, 602f., 615, 625, 649 Johannes der Täufer 24, 37, 43, 79, 112, 168, 170, 188, 201, 231, 254f., 273, 527f., 529, 566, 572, 604, 609, 623, 632, 723, 746, 757, 767, 789, 809 Johannes von Damaskus 783 Jokebed (Jochebed; Ex) 251 Jona 23, 166, 188, 199, 202, 573 Jonas, Justus 652 Joseph (Gen 37–50) 23, 28, 37, 39, 42f., 65, 164f., 167, 168f., 171f., 185, 195, 229, 231, 233, 235, 274, 289, 326, 541, 611, 661, 733, 739f., 746, 757, 770f., 786, 789, 818 Josia (2 Kön 22f.) 248, 273 Josua (Jos) 231 Judas Galiläus 628f. Judas Ischarioth 117, 122, 541, 729 Judith (Jdt) 23, 87, 105, 107, 110, 139f., 141f., 143, 146, 150, 165f., 184, 190f., 192, 201, 233, 235, 249, 251, 286, 326, 351f., 643, 715, 741, 818 Julian Apostata, Kaiser 118, 770

899

K Kain und Abel 111, 168, 318, 482, 486, 557, 572 Kaiphas (Caiphas, Cayphas) 531, 537, 547, 553, 554, 556f., 561, 567, 569, 603ff, 618, 624f. Karl V., Kaiser 652f., 654, 664, 685, 693 Katharina von Alexandrien, Heilige 773 Kilian, Heiliger 758 Konrad von Konstanz, Bischof 758 Konstantin d.Gr., Kaiser 273, 774 Korah, Rotte Korah (Num 16–17) 252 L Laban (Gen) 258, 352 Langenmantel, Christoph 677 Latomus, Jacobus 652 Leo V. der Armenier, Kaiser 97 Leo X., Papst (177), 652, 658, (787) Lot 168, 234, 258, 328, 339f., 342, 344f., 347ff, 352ff, 361f., 391f., 394ff, 399f., 403, 405, 407, 424f., 427, 430, 442, 451f., 459, 463, 510, 718 Ludwig V., Pfalzgraf bei Rhein, Kurfürst der Pfalz 677 Luther, Hans 651, 675, 680 M Maria, Gottesmutter 300, 551f., 658, 664, 768, 772, 783 Martin, Heiliger (675), (691), (696), 758 Mauritius, Kaiser 25, 43, 186, 770, 796 Maximilian I., Kaiser 677 Mellerstadt, Martin Pollich von 676, 684 Melchizedek (Gen) 403, 405, 412 Michal (1–2 Sam) 23 Morus, Thomas 770 Mose 23, 141, 154, 251, 287f., 292, 432, 451, 520, 550, 552, 556, 576, 622, 634f., 658, 672, 700, 703, 819 Müntzer, Thomas (119), ( 324), 652, 689f., 693

900

Register der biblischen Personen und Geschichten

N Nabal und Abigail (2 Sam 25) 33, 74, 232, 234, 265, 310, 318 Naboth (1 Kön 21) 232, 550 Nebukadnezar 235, 245, 275, 313, 725 Nicanor, Diakon (Niconor) 532, 554, 557, 568–570, 602 Nicephorus und Sapritius 770 Nikolaus, Diakon (Nicolaus) 554, 602 Noah, Flut (diluvium) 165f., 229, 231, 413, 445 Nostradamus 242 O Ökolampad, Johannes 641, 644, 693 P Pammachius 25, 27, 47, 66, 106, 111f., 116f., 118f., 121, 123, 193, 273, 637, 645, 659, 692, 727ff, 822, 829 Paulus, Apostel, Bekehrung 24f., 118, 120, 153, 166, 228, 234, 239, 315, 366, 380, 384ff, 400, 414, 432, 436, 438, 457, 465, 520, 529, 557, 573, 577, 590, 595, 603–607, 609, 613, 615, 618, 622, 624ff, 627, 634, 696, 718, 720, 819 Petrus, Apostel 118, 228, 282, 408, 531, 532f., 536, 538, 540f., 545ff, 549, 554, 558, 560, 562, 565f., 569, 571, 602ff, 607, 611, 614, 616f., 623ff, 627, 665 Philipp I. der Großmütige, Landgraf v. Hessen 678 Philippus, Apostel 602, 612, 629 Philippus, Diakon 532f., 554, 556, 568f., 692 Phokas (Phocas; Kaiser) 25 Pichol (Gen 21; 26) 424, 451 Pilatus 603f., 607–609 Pius IV., Papst 640, 725 Prierias, Sylvester 652 Prochorus, Diakon (Procorus) 554, 602

R Rebekka (Rebecca; Gen 24) 43, 165, 168f., 185, 207, 258, 316, 352, 354, 360, 391, 511, 640, 663, 819 Reicher Mann und armer Lazarus (Lk 16) 23, 41f., 112, 163, 165f., 170f., 183, 194, 196f., 201f., 209, 232, 234f., 262, 326, 390f., 394, 422, 616, 717, 818 Richard v. Greiffenklau, Erzbischof und Kurfürst v. Trier 654, 679, 682 Ruth (Rt) 23, 171 S Salomo, Sapientia, Urteil (1 Kön 3) 36, 39, 162, 175, 185f., 212, 232f., 249, 691, 740 Samson (Ri 13–16) 231, 776 Samuel (1 Sam) 834 Sanherib (2 Kön 18f.) 164f., 233 Sara 244, 315–526, 718 Saul 234, 249–251, 313, 837 Serubbabel (Zorobabel; Esr) 232f., 313 Sigismund, Kaiser 677 Simon Zelotes, Apostel 602, 612 Staupitz, Johann 675f., 680, 684ff Stephanus, Diakon 24, 28, 32, 144, 179, 181, 183, 186, 190, 198, 200, 202, 209, 349, 449, 475, 527–632, 711, 713f., 716, 718f., 725, 727, 732f., 748, 752f., 790, 812f., 818ff Susanna (Sus) 23, 43, 59, 66, 77, 87, 106, 107f., 140, 143, 150, 165f., 168f., 185, 191, 232–235, 255, 286, 326, 640, 643, 650, 741, 818f. Sylvester I., Papst 774 Syrophönizische Frau (Kanaanäisches Weib; Mt 15) 23, 205f. T Tetzel, Johann 652, 654, 657f., 660, 676, 685, 693, 723, 728 Theoderich, König 770



Register der biblischen Personen und Geschichten

Thomas, Apostel 602, 604, 611 Tobias (Tob) 23, 37, 43, 107, 109, 139–142, 150, 163, 165, 167, 171, 184f., 188, 190ff, 194, 202, 205, 207, 235, 326, 408, 422, 643, 715, 741, 770, 789, 818f. U Udo von Magdeburg 756, 770, 772 Ulrich, Heiliger 552 Urbanus v. Serralonga 677 V Vergerio, Pietro Paulo 654f.

901

Verordnung der Stände (Ungleiche Kinder Evas) 23, 110f. W Watzdorff, Vollrad v. 679 Willibald, Heiliger 758 Wimpina, Konrad 652 Z Zachäus (Lk 19) 106, 234, 351 Zerstörung Sodoms (conflagratio Sodomae; Gen 19) 165, 234 Zwölfjähriger Jesus im Tempel (Lk 2) 24, 187, 514, 551, 559, 819

Ortsregister A Aarau 231, 402 Adenstedt / Peine 33, 170, 188, 717 Allendorf / Hessen 112 Altdorf 125 Altenburg 25, 41, 181, 373, 690 Altenstettin 503 Amsterdam 251, 288 Angers 239 Annaberg 184, 316 Antwerpen 247, 251 Arras 315 Aschersleben 35, 125 Augsburg 33, 40f., 47, 117, 121f., 133, 137, 166, 233, 315, 429, 524, 530, 549f., 552f., 565, 568, 570, 630, 633, 636, 652, 675, 677, 679, 685, 689, 692f., 695, 697, 698, 699, 700, 707, 730, 757f., 771, 786, 787 Avendshausen / Einbeck 572 B Bamberg 783 Barem (Salzgitter-Barum) 601 Basel 33, 117, 121, 233f., 235, 264, 299, 327, 401 Beaulmes 238 Beeskow 449 Bergen / Norwegen 502ff, 512 Berlin 41, 110 Bern 33, 82, 228–231, 232, 242f., 274, 281, 401f., 418, 420 Bernau / Berlin 420 Besançon 242 Beuthen 38, 125 Biel 234 Bischofswerda 649 Bologna 759

Bopfingen 37 Bordeaux 254, 567 Borna 649 Bourges 267 Brandenburg 36, 123, 125, 159, 161 Braunschweig 28, 175, 179, 183ff, 209, 422, 530, 601f., 616–618, 623, 648, 711 Bremen 32, 470f., 474ff, 500f. Breslau 39, 125, 160f., 168f., 185, 787 Brieg 125, 160 Brugg 401f. Burgsteinfurt 571 C Chomutov (Komotau) 316 Clairac / Agen 241 Cölln 110 Colditz 41, 73 Colmar 37f., 757, 809 Crossen 449 D Darmstadt 41 Den Haag 243 Dessau 105, 130, (151–157), 151f., 179, 351, 714 Dettingen 194 Dillingen / Donau 316, 758, 762, 789 Dôle 242 Donauwörth 702 Dordrecht 224, 288f., 295, 297 Dortmund 168, 170, 315f. Dresden 43, 172, 175, 184, 531, 673, 788 Drübeck 661 E Eilenburg 184, 688f., 690

Ortsregister 903

Eisenach 300, 675, 686 Eisleben 110, 634, 652, 661, 688, 690 Erdeborn 688 Erfurt 38, 43, 170, 185, 373, 675, 828 Erl 553 Erlauthal 313f. Esslingen / Neckar 117 F Figeac 223, 254, 286 Forst 649 Frankenberg 167 Frankenstein / Schlesien 190 Frankfurt a.M. 47, 125, 159, 167, 172, 199, 309, 450, 472, 602, 651, 654, 826f. Frankfurt / Oder 44, 175, 190, 318, 449, 450 Freiberg / Sachsen 133 Freiburg i. Br. 390 Freiburg / Schweiz (Fribourg) 316 Freienhagen 168 Fürth 39 Fulda 316, 525 G Genf 58, 221f., 222, 224, 230, 238f., 241ff, 245f., 247f., 255, 267–274, 280f., 282f., 284, 309f., 313, 468, 474, 475, 494, 499f. Geußen 113 Gießen 213, 650f. Görlitz 113, 169 Goldberg 34, 42 Goslar 187ff, 196 Gotha 35f., 125 Gräfentonna 530 Graz 316 Greifswald 168, 643, 658 Grenoble 238, 245 Grimma 690 Großsalza / Magdeburg 649 Güstrow 40

H Hagenau 316 Hainault 313 Halberstadt 43, 185, 421f., 423, 602 Halle a.S. 125, 172, 351, 420, 450, 657f., 689, 824f. Hallwil 401 Hamburg 110, 158, 184, 531, 662, 827 Harlem 251 Hartha 73 Heidelberg 96 Helmstedt 170, 187 Herborn 314, 468, 471f., 477 Herzberg 673 Hildesheim 45, 163, 179, 181, 420, 431, 730, 758, 787 Hof / Saale 156 Husum 601 I Ingolstadt 524, 758, 765, 772 Isny 47 J Jena 73, 657, 827f. Joachimsthal 112 K Kahla 106, 111, 116f. Kammerforst 185, 650 Kaufbeuren 117 Kempten 117 Klein-Ammensleben / Magdeburg 188 Koblenz 316 Königsberg 26, 41, 56, 180, 243 Konstanz 22, 234, 677, 686, 758 Korbach 167, 746 Krems 37 L La Rochelle 239, 244, 249, 307, 714

904 Ortsregister Langenhain / Bad Nauheim 650 Lauban 194 Lausanne 39, 244f., 249, 255, 283, 468, 474, 485 Leiden 284, 475 Leipzig 111f., 155, 172, 185, 188, 195, 197f., 209, 373, 420, 531, 564, 649f., 657, 661, 688ff, 788 Leisnig 649 Lenzburg / Aargau 231, 401f., 418, 420 Libourne 241 Lignerolles / Schweiz 244 London 254, 567 Luckenwalde 649 Lübbenau 449 Lübeck 160, 169, 502, 663, 825, 826 Lüneburg 32, 36, 39, 179f., 182, 617, 663 Luzern 316 M Magdeburg 22, 27f., 32, 35, 36f., 39, 42f., 105, 109f., 123, 125, 153, 158f., 162–164, 170f., 181, 188, 194, 202, 212, 317, 351, 420, 421f., 423, 428, 456, 475, 601f., 616, 662, 673, 675, 756 Mansfeld 38, 66, 184, 420, 661, 668, 696 Marburg 167, 171, 187, 640ff, 645, 650, 652ff, 662 Marienberg / Erzgebirge 112 Maursmünster / Elsass 390f. Mehringen / Anhalt 530 Mengeringhausen 167 Menzingen / Kraichgau 468 Merseburg 450, 673 Metz 245 Middelburg 287 Montbéliard / Mömpelgard 255 Montpellier 277, 286 Mouveaux 252 Mühlhausen / Thüringen 571f., 634 Mühltroff / Plauen 116

München 722, 756, 758, 762, 773, 783, 784 N Naumburg 450 Neuburg / Donau 41, 121, 740, 768 Neuchâtel 238, 267, 313 Neustadt / Pirna 203, 373 Neustadt am Rübenberge 32, 662f., 671 Nîmes 223, 225, 240, 242, 284f., 314 Nördlingen 37 Nordhausen 35f., 39f., 125, 160 Northeim 571 Nürnberg 28, 33, 40. 75, 85f., 156, 170, 317, 320f., 324, 327, 330, 348–350, 633 O Oberammergau 552f. Oberschlema 649 Oelsnitz 106 Ohlau 313 Ohrdruf 530f. Olomouc (Olmütz) 316 Orléans 468 Osterode 571f. P Paderborn 316 Paris 241f., 247, 254f., 267, 313, 498, 500, 636 Pirna 196 Plauen 106 Poitiers 247, 284 Prenzlau 420 Pulsnitz / Dresden 156, 186 R Regensburg 43, 758 Remda / Rudolstadt 530 Ripen / Dänemark 431 Rochlitz 172

Ortsregister 905

Romamostier 244 Roßlau 351 Rostock 40, 184f., 468–470, 473f., 475–477, 485, 500f., 502f., 526, 601, 643, 807, 825 Roth 27 Rothenburg ob der Tauber (Rottenburg) 315, 524 S Sachsenhausen 167 Sainte Foi 254, 283, 286 Salzwedel 662 Santiago de Compostela 650, 723f. Saumur 313 Schaffhausen 234f., 318 Schleusingen 40, 532 Schmalkalden 24, 133, 183f., 195f., 198, 200, 205f., 224 Schwerin 39f. Sedan 313 Seifersdorf 156 Siegen 778f. Soest 169f. Sontheim 550 Spandau 40, 113f., 168 Speyer 650f. St. Gallen 299, 302, 306, 312 St. Nicolas-du-Port 245 Stargard 658 Stettin 200, 449f., 657f. Steyr 37, 207 Stralsund 39 Straßburg 26, 28, 33f., 37, 44, 47, 59, 64, 75, 106, 113, 120, 121f., 125, 139, 165, 172, 180, 183, 188, 212, 224, 232, 257, 260f., 272, 390f., 402, 407, 468f., 527, 643, 715, 757, 775, 788f., 807, 811, 817f. Straubing 115 Stuttgart 117, 640 Sulza / Ilm 116

T Thamsbrück 650 Thonon 245 Torgau 110, 351, 747 Trier 316, 525, 762 Tübingen 112, 165, 172, 469, 639f., 643 U Ulm 27f., 46, 164–166, 170, 527, 745, 789, 807 Utrecht 288 V Vacha 170 Venedig 318 Verden / Aller 663 Vézelay 468 W Wasserleben 661 Wasungen 33 Wechmar / Gotha 530 Weimar 39f., 125, 828 Wernigerode 661 Wien 316, 657, 757, 762 Wiesloch 117 Wildungen 167 Wittenberg 22, 24, 32, 34, 38, 66, 75, 78f., 82, 86, 102f., 104f., 106f., 109, 110f., 112f., 116, 150ff, 155f., 158, 168, 171, 175, 181, 184, 186f., 191, 194, 199, 201, 203, 207, 211, 212, 221f., 257, 308, 318, 320f., 351, 420f., 449f., 469, 531, 552, 598, 601, 625, 633, 648f., 651, 653, 655f., 657f., 662f., 673, 675–677, 685, 706f., 757, 827f. Wolfenbüttel 218 Wunstorf / Hannover 187 Z Zeitz 188

906 Ortsregister Zofingen 402 Zürich 23, 32f., 59, 74, 98, 144, 177, 221f., 231–233, 235, 261–266, 267, 271, 284, 289f., 306, 310, 312f., 402f., 418, 475, 640, 731, 759, 768, 816

Zwickau 105, 106, 108f., 111, 112, 136, 158, 351