Das Potential der Pflege-Robotik: Eine systemische Erkundungsforschung [1. Aufl.] 9783658319649, 9783658319656

Dieses Buch zeigt, wie ein Forschungsprozess mit der Methode der Erkundungsaufstellung erfolgreich gelingen kann. Unters

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German Pages XV, 247 [260] Year 2020

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Das Potential der Pflege-Robotik: Eine systemische Erkundungsforschung [1. Aufl.]
 9783658319649, 9783658319656

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XV
Einleitung (Denis Pijetlovic)....Pages 1-6
Forschungsdesign (Denis Pijetlovic)....Pages 7-29
Begriffliche und theoretische Grundlagen (Denis Pijetlovic)....Pages 31-52
Scoping Review der Pflege-Robotik (Denis Pijetlovic)....Pages 53-70
Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft (Denis Pijetlovic)....Pages 71-114
Erkundungsforschung im Bereich der Pflege-Robotik (Denis Pijetlovic)....Pages 115-138
Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik (Denis Pijetlovic)....Pages 139-186
Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen im Experten-Workshop (Denis Pijetlovic)....Pages 187-218
Zusammenfassung und Ausblick (Denis Pijetlovic)....Pages 219-230
Back Matter ....Pages 231-247

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Systemaufstellungen in Wissenschaft und Praxis

Denis Pijetlovic

Das Potential der Pflege-Robotik Eine systemische Erkundungsforschung

Systemaufstellungen in Wissenschaft und Praxis Reihe herausgegeben von Georg Müller-Christ, Forschungszentrum Nachhaltigkeit, Universität Bremen, Bremen, Deutschland

In dieser Schriftenreihe werden Beiträge veröffentlicht, die Systemaufstellungen entweder als neue Methode der qualitativen Sozialforschung oder als Instrument des komplexen Entscheidens in Organisationen erforschen und anwenden. Systemaufstellungen bieten in Wissenschaft und Praxis neue Herangehensweisen, um komplexe Systeme und Fragestellungen visualisieren und verstehen zu können. Prof. Dr. Georg Müller-Christ bildet Doktorand/innen und Praktiker/innen in der Anwendung dieser Methode an der Universität Bremen aus und ermuntert sie im Fachgebiet Nachhaltiges Management, Systemaufstellungen als Instrument der qualitativen Datenerhebung in ihren Forschungsarbeiten anzuwenden. In dieser Schriftenreihe werden diese Dissertationen und weitere Forschungsbände veröffentlicht.

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/16194

Denis Pijetlovic

Das Potential der Pflege-Robotik Eine systemische Erkundungsforschung

Denis Pijetlovic Fachbereich Wirtschaftswissenschaft Universität Bremen Bremen, Deutschland Dissertation für die Verleihung des Grades Dr. rer. pol. Kolloquium am 29. Oktober 2019 in der Universität Bremen Gutachter: Prof. Dr. Georg Müller-Christ (Universität Bremen) Prof. Dr. André Habisch (Universität Eichstätt-Ingolstadt) Prüfer*innen: Prof. Dr. Franz Jürgen Marx (Universität Bremen) Dr. Sylke Meyerhuber (Universität Bremen)

ISSN 2524-7085 ISSN 2524-7093 (electronic) Systemaufstellungen in Wissenschaft und Praxis ISBN 978-3-658-31964-9 ISBN 978-3-658-31965-6 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31965-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Carina Reibold Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Relevanz der Pflege-Robotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 1 3 5

2 Forschungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Forschungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Erkenntnisleitende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Kennzeichen von Erkenntnisleitenden Thesen . . . . . . . . . 2.1.2.1 Neuartigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.2 Kontraindikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.3 Originalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.4 Plausibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.5 Nachvollziehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.6 Prüfmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Forschungsmethodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Forschungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7 7 13 15 17 18 19 20 22 24 24 26 27

3 Begriffliche und theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Einführung in das Feld der Pflege-Robotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Entstehung des Begriffs Roboter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Industrieroboter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Humanoide Roboter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Cobots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.5 Serviceroboter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.6 Soziale Roboter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31 31 32 33 34 34 35 37

V

VI

Inhaltsverzeichnis

3.1.7 Definition der Pflege-Robotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die systemische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Erkundungsaufstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39 40 51

4 Scoping Review der Pflege-Robotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Intention für das Scoping Review . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Differenzierung der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Übersetzung der Fragestellung in Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Rechercheprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8 Was war bedeutend? Was sind die Erkenntnisse? . . . . . . . . . . . . . . 4.8.1 Drei Typen von Pflege-Robotern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.2 Einsatz der Pflege-Robotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.3 Häusliche Umgebung wird relevanter . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.4 Paro ist ein Schwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.5 Akutversorgung und Robotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.6 Auswirkung auf den Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.7 Neue Zeitressourcen durch Robotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.8 Pflegetechnik sammelt Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.9 Pflegeethische Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9 Diskussion des Scoping Reviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53 56 56 57 58 59 60 61 62 62 63 64 64 65 65 66 67 68 70

5 Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft . . . . . . . . . . 5.1 Festlegung der Betrachtungsebene und der Fragestellung . . . . . . . 5.2 Anspruchsgruppen und Erfolgsfaktoren identifizieren . . . . . . . . . . 5.2.1 Pflege-Klienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Pflegekräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Pflegedienstleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Pflegende Angehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.5 Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.6 Pflegepolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.7 Pflegeversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.8 Service-Robotik-Branche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Erfolgsfaktoren, Hemmnisse und Hebel der Pflege-Robotik . . . . . 5.3.1 Glossar der Erfolgsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Meta-Erfolgskreislaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Erweiterung des Kreislaufes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.1 Wissen über Funktionalität der Pflege-Robotik . . . . . . . .

71 73 74 76 79 84 85 87 89 90 92 94 96 97 99 99

Inhaltsverzeichnis

VII

5.5.2 Bereitschaft zur Anwendung in der Praxis . . . . . . . . . . . . 5.5.3 Arbeitserleichterung im Pflegeprozess . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.4 Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.5 Erfüllung der Pflegequalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.6 Akzeptanz der Pflege-Robotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.7 Angehörigenservice (Hebel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.8 Erfolgsstorys (Hebel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.9 Aufwertung der Pflegebranche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Zwischenfazit I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.1 Inhaltliche Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.2 Methodische Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

102 103 105 106 108 109 110 110 111 111 113

6 Erkundungsforschung im Bereich der Pflege-Robotik . . . . . . . . . . . . 6.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Was sind Erkundungsaufstellungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Systeme im Erkundungstrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Modell der Aufstellungstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Auswertung mit Aufstellungspartitur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Partiturschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Kalibrierung der Sequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Schlüsselsequenzen identifizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.4 Datenauswertung von Systemaufstellungen . . . . . . . . . . .

115 121 121 128 129 132 134 135 137 137

7 Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Erkundungsaufstellung I zur Pflege-Robotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Erkenntnisinteresse der Erkundungsaufstellung . . . . . . . . 7.1.2 Das System lesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Ablauf der Erkundungsaufstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.4 Reflexionen zur Erkundungsaufstellung I . . . . . . . . . . . . . 7.2 Erkundungsaufstellung II zur Pflege-Robotik . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Erkenntnisinteresse der Erkundungsaufstellung . . . . . . . . 7.2.2 Das System lesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Ablauf der Erkundungsaufstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Reflexionen zu der Erkundungsaufstellung II . . . . . . . . . . . . . . . . .

139 139 140 141 141 158 164 165 165 166 176

8 Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen im Experten-Workshop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Teilnehmende des Experten-Workshops . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Bewertungen der Experten zu den Erkenntnisleitenden Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

187 188 190

VIII

Inhaltsverzeichnis

8.2.1 Erkenntnisleitende These I (Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Erkenntnisleitende These II (Nr. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Erkenntnisleitende These III (Nr. 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.4 Erkenntnisleitende These IV (Nr. 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.5 Erkenntnisleitende These V (Nr. 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.6 Erkenntnisleitende These VI (Nr. 14) . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.7 Erkenntnisleitende These VII (Nr. 15) . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.8 Erkenntnisleitende These VIII (Nr. 16) . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.9 Erkenntnisleitende These IX (Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.10 Erkenntnisleitende These X (Nr. 18) . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Schlussbetrachtung des Experten-Workshops . . . . . . . . . . . . . . . . .

190 194 196 198 201 204 207 209 211 215 217

9 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Weitere Implikationen für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Implikationen für die Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Kritische Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

219 222 225 230

Anlagenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

231

Abkürzungsverzeichnis

APH DLR ET GPA KPH MDS PH SrH

Altenpflegerhelfer Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt Erkenntnisleitende Thesen Gesundheits- und Pflegeassistent Krankenpflegerhelfer Medizinischer Dienst des Spitzenverbände Pflegediensthelfer Schwesternhelfern

IX

Abbildungsverzeichnis

Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6

Abb. 2.7 Abb. 2.8 Abb. 3.1 Abb. Abb. Abb. Abb.

3.2 3.3 3.4 3.5

Abb. 3.6 Abb. 4.1 Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.

4.2 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5

Abgleich zwischen eigener und anderer Wirklichkeit . . . . . . . Verstehensumgebung der Dimension Neuartigkeit . . . . . . . . . Verstehensumgebung der Dimension Kontraindikation . . . . . . Verstehensumgebung der Dimension Originalität . . . . . . . . . . Verstehensumgebung der Dimension Plausibilität . . . . . . . . . . Verstehensumgebung der Dimension Nachvollziehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modell zur Prüfung von Erkenntnisleitenden Thesen . . . . . . . Forschungsrad – Entwicklungsweg von Erkenntnisleitenden Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sophia beim „AI for Good Global Summit“ der Internationalen Fernmeldeunion in Genf (2018) . . . . . . . . . . . Pepper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nao . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einsatzfelder für Robotersysteme in der Gesundheitswirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eisbergmodell der Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . CIMON mit dem deutschen ISS-Astronauten Alexander Gerst im Columbus Labor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Flowchart Rechercheprozess im Scoping Review . . . . . . . . . . Anspruchsgruppen Pflege-Robotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung Pflege-Klienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedarf an Pflegekräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Motivatoren für den Pflegeberuf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Metakreislauf der Pflege-Robotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14 18 19 20 22 24 25 28 35 38 38 39 41 47 55 61 75 77 82 83 97

XI

XII

Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.

Abbildungsverzeichnis

5.6 5.7 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 7.1

Abb. 7.2 Abb. 7.3 Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.

7.4 7.5 7.6 7.7 7.8 7.9

Abb. 7.10 Abb. 7.11 Abb. 7.12 Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.

7.13 7.14 7.15 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7 8.8 8.9 8.10 8.11

Erfolgslogik der Einführung von Pflege-Robotik . . . . . . . . . . Komponenten der Pflegequalität in der direkten Pflege . . . . . Systemische Erkundungsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Blick durch den Erkundungstrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . Schema der Aufstellungstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Muster des Aufbaus einer Aufstellungspartitur . . . . . . . . . . . . Aufstellungspartitur in Excel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel für eine Schlüsselsequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Screenshot der Erkundungsaufstellung aus der Videoaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Konstellation der Erkundungsaufstellung I als Videoausschnitt und als Grafik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konstellation in der zweiten Phase der Erkundungsaufstellung I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phase 3 der Erkundungsaufstellung I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phase 4 der Erkundungsaufstellung I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phase 5 der Erkundungsaufstellung I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hase-Ente-Kippbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versuchsaufbau SystemAHA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anbringen der EEG-Messkappe an einen Repräsentanten für eine Erkundungsaufstellung . . . . . . . . . . . Aufstellungssetting der Erkundungsaufstellung I . . . . . . . . . . Die Hauptakteure im Pflegeprozess positionieren sich . . . . . . Screenshot der Erkundungsaufstellung II aus der Videoaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflege-Robotik bei der Menschlichen Zuwendung . . . . . . . . . Pflege-Robotik bei der Materiellen Versorgung . . . . . . . . . . . . Google Duplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Muster für eine optimale Erkenntnisleitende These . . . . . . . . Bewertung der Erkenntnisleitende These I . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertung der Erkenntnisleitende These II . . . . . . . . . . . . . . . Bewertung der Erkenntnisleitende These III . . . . . . . . . . . . . . Bewertung der Erkenntnisleitende These IV . . . . . . . . . . . . . . Bewertung der Erkenntnisleitende These V . . . . . . . . . . . . . . . Bewertung der Erkenntnisleitende These IV . . . . . . . . . . . . . . Bewertung der Erkenntnisleitende These IIV . . . . . . . . . . . . . Bewertung der Erkenntnisleitende These VIII . . . . . . . . . . . . . Bewertung der Erkenntnisleitende These IX . . . . . . . . . . . . . . Bewertung der Erkenntnisleitende These X . . . . . . . . . . . . . . .

100 107 117 129 131 133 136 138 142 143 145 151 155 158 161 162 163 164 167 169 170 172 176 188 192 195 197 199 202 205 208 210 212 216

Abbildungsverzeichnis

Abb. 9.1 Abb. 9.2

Cross-Creational-Cooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hype-Cycle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIII

228 229

Tabellenverzeichnis

Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle

4.1 5.1 5.2 8.1

Suchbegriffe des Scoping-Reviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anspruchsgruppen und Erfolgsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . Glossar der Erfolgsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werte für die Darstellung im Spinnendiagramm . . . . . . . . . .

60 94 96 191

XV

1

Einleitung

„Wir verändern die Dinge nicht, indem wir gegen die bestehende Wirklichkeit kämpfen. Um etwas zu verändern, müssen wir ein neues Modell entwickeln, das das alte Modell überflüssig macht.“ Richard Buckminster Fuller

Wissenschaftliche Arbeiten sollten immer die Basis und den Blickwinkel der Untersuchung benennen. Dadurch wird den Leserinnen und Lesern ermöglicht, die Relevanz der Problemstellung sowie Denkweisen und Bedeutungsbeimessungen des Verfassers einschätzen zu können. Daher werden im folgenden Kapitel die Relevanz des Untersuchungsvorhaben aus der Perspektive der Forschung und der Praxis eingeordnet sowie die übergeordneten Forschungsfragen dargestellt. Anschließend wird das Forschungsdesign erarbeitet, welches die Methodiken, den Forschungsprozess und den Aufbau der Arbeit beinhaltet.

1.1

Vorgeschichte

Der ursprüngliche Plan des Verfassers dieser Dissertation als Pflege- und Gesundheitswissenschaftler war es, die Thematik des Pflegefachkräftemangels in Deutschland mithilfe systemischer Methoden näher zu untersuchen. Dieser Ansatz hängt einerseits mit den beruflichen Vorerfahrungen als Gesundheitswissenschaftler zusammen und darüber hinaus mit der Motivation, die herkömmlichen © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Pijetlovic, Das Potential der Pflege-Robotik, Systemaufstellungen in Wissenschaft und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31965-6_1

1

2

1

Einleitung

Narrative, Denkmuster und Lösungsstrategien hinsichtlich des Pflegenotstands zu verlassen, wie beispielsweise die Debatte um mehr Gehalt und Wertschätzung für Pflegekräfte, um weitere und vor allem neue Ideen und Bewältigungsformen mehr systemischer Art für das Pflegesystem zu entwickeln, die dann in erster Linie bei der Organisationsberatung und Organisationsentwicklung ansetzen sollten. Um dieses ursprüngliche Forschungsvorhaben stärker einzugrenzen und daraus eine konkrete Forschungsfrage abzuleiten, wurde an der Universität Bremen im Rahmen eines Doktoranden-Workshops am 09.–10. Juli 2016 eine Systemaufstellung1 mit Studierenden und Doktoranden des Fachgebiets Nachhaltiges Management doppelt-verdeckt2 durchgeführt. Grundsätzlich können Systemaufstellungen wirkungsvoll als Methode des forschungsorientierten Lernens eingesetzt werden, um neue erkenntnisleitende Thesen zu generieren und komplexe Zusammenhänge zu entdecken. Das Format der Systemaufstellung für den Pflegefachkräftemangel war so aufgebaut, dass sich zuerst drei Elemente: Pflegekräfte, Pflegebedürftige und Pflege-Ethos einen stimmigen Platz zueinander im System suchen sollten3 . Nachdem die Elemente in Interaktion und einem Aushandlungsprozess jeder für sich einen Platz in Relation zueinander gefunden haben, wurde anschließend ein Stellvertreter für das Geld (im Sinne einer herkömmlichen Lösungsstrategie für den Fachkräftemangel) als Element in das System geschickt. Folgendes ist daraufhin in dieser Systemaufstellung geschehen, was anschließend dazu beigetragen hat, den Blick des Verfassers weg vom Fachkräftemangel in der Pflege hinzu dem Potential der Pflege-Robotik zu lenken: Als der Stellvertreter für das Element Geld in das System eingetreten ist, hat dieser in einem roboterartigen Gang mit langsamen, mechanisch wirkenden Schritten das System an seinen Rändern einmal im Quadrat umwandert. Nachdem das Geld zum Stehen gekommen ist, wollte es anschließend den anderen drei Elementen Hilfe anbieten und hat eine Brotdose als Geschenk zu überreichen versucht, um Bindung aufzubauen, so wie es Kleinkinder oftmals tun, um Freundschaften zu schließen. Die angebotene Hilfe des Geldes wollte jedoch keiner der drei anderen Elemente annehmen. Im Gegenteil, sie waren alle sehr verblüfft über diese Aktion. Das Geld, das wie ein Roboter ins System eintrat und helfen wollte, stieß bei Pflegekräften, Pflegebedürftigen und Pflege-Ethos auf Ablehnung und Angst. Für den Verfasser dieser Dissertation löste diese Sequenz eine gravierende Irritation aus, die nachhaltig Wirkung 1 Systemaufstellungen

bzw. Erkundungsaufstellungen werden im Kapitel 7 auf S. 105 näher erläutert. 2 Doppelt-verdeckt bedeutet, dass die Mitwirkenden an der Systemaufstellung nicht wussten, welches Thema aufgestellt wird noch welches Element sie repräsentieren. 3 Die Systemaufstellung ist in der Transkription I der Erkundungsaufstellung zum Pflegesystem am 09.07.2016 in der Anlage auf S. 235 zu finden.

1.2 Die Relevanz der Pflege-Robotik

3

erzeugte. Diese Irritation war mit den Fragen gekoppelt, was geschehen muss, damit Geld bzw. Finanzmittel, welches dem Pflegesystem in Form von Robotik zur Verfügung steht, sinnvoll von den Akteuren angenommen und genutzt werden kann? Welche Beiträge könnten BWL und die Managementlehre für einen sinnvollen Einsatz leisten? Diese Gedanken waren die Initialzündung, sich dem Feld der Pflege-Robotik zuzuwenden und mit systemischen Methoden zu erkunden, wie es um das Potential dieser Technologie tatsächlich bestellt ist bzw. wie es sich in Zukunft darstellen könnte.

1.2

Die Relevanz der Pflege-Robotik

Der demografische Wandel der Bevölkerung resultiert in einem wachsenden Bedarf an Fachkräften im Bereich der Pflege und Gesundheit. Demgegenüber steht eine sinkende Zahl an Erwerbstätigen, so dass sehr wahrscheinlich davon auszugehen ist, dass dieser wachsende Bedarf an Pflege- und Gesundheitsleistungen zukünftig nicht durch das verfügbare Personalaufkommen gedeckt werden kann. Die Begegnung des immer stärker drohenden Fachkräftemangels in der Pflege wird so zu einer der aktuell bedeutendsten gesellschaftlichen Herausforderungen in Deutschland werden (Klein et al. 2018, S. 5). In Deutschland waren im Jahr 2010 bereits 2,4 Millionen Menschen pflegebedürftig und diese Gruppe soll bis 2020 schätzungsweise auf 2,9 Millionen, im Jahr 2030 auf 3,4 Millionen und im Jahr 2050 bis auf 4,4 Millionen Menschen anwachsen (BMBF 2011, S. 14; BMWi 2014, S. 9 zitiert nach Reinboth 2015; BMWi 2015, S. 36 ff.). Europaweit wird es bis 2060 fast 40 Millionen pflegebedürftige Menschen geben, also eine Verdoppelung von rund 20 Millionen Pflegebedürftigen im Jahr 2007 (BMWi 2017, S. 8 zitiert nach Reinboth 2015). Diese gigantische Lücke, die sich zwischen Nachfrage und Angebot an Pflegefachkräften gebildet hat, bietet ein herausforderndes Anwendungsfeld für die Betriebswirtschaftslehre und der Managementlehre in Zusammenhang mit innovativen Technologien (vgl. Klein et al. 2018). Es wird immer dringlicher zu untersuchen, inwiefern der Einsatz von Robotern eine sinnvolle Maßnahme sein kann, um Prozesse in der Pflegearbeit sicherzustellen und den knappen Personalressourcen zu begegnen (vgl. Klein et al. 2018). Dabei geht es zum einen um die Unterstützung und Entlastung des Pflegepersonals mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und eine gute Versorgungsqualität zu gewährleisten. Zum anderen sollen Roboter als Unterstützung älterer und pflegebedürftiger Personen dienen, so dass diese länger selbstständig im häuslichen Umfeld leben können (vgl. Klein et al. 2018).

4

1

Einleitung

Die personelle Not des Pflegesystems als auch die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung in allen gesellschaftlichen Bereichen haben dem Thema der Robotik in der Pflege- und Gesundheitswirtschaft in den letzten Jahren eine zunehmend hohe Aufmerksamkeit beschert (vgl. Klein et. 2018). Zwar häufen sich Schlagzeilen, die das Thema sachlich, aber auch in emotionaler Weise behandeln; von einer breiten Nutzung von Robotersystemen in der deutschen Gesundheitsbranche kann aktuell aber noch nicht die Rede sein (vgl. Krings et al. 2012; Becker et al. 2013; Meyer und Fricke 2016; Klein et al. 2018). Beschäftigt man sich jedoch mit anderen Anwendungsbereichen, wie beispielsweise der Autoindustrie, wird schnell festzustellen sein, dass sich unter bestimmten Voraussetzungen der Einsatz von Robotik überaus erfolgreich bewährt hat. Dementsprechend gilt es, hier ein differenziertes Bild vom Einsatz von Robotern zu schaffen. Ausgehend von der Prognose (vgl. World Robot Declaration 2004 zitiert nach Tzafestas 2018, S. 2), dass Robotik immer stärker im industriellen als auch in den sozialen Bereichen eingesetzt werden wird, stellt sich die Frage, wie Organisationen im Pflegewirtschaft den Einsatz erfolgreich koordinieren und bewerkstelligen können. Daher versteht sich das geplante Dissertationsprojekt als wissenschaftliche Untersuchung im Bereich der Betriebswirtschaftslehre (BWL), um einen Beitrag und Mehrwert im Anwendungsfeld der Managementlehre zu schaffen. Gründe hierfür sind die ausgewählten Erfahrungsobjekte4 : Akteure in der Pflegewirtschaft auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Erkenntnisobjekt5 : Die potentielle Veränderung des Wirtschaftens in der Gesundheit- und Pflegebranche mithilfe von Robotik und Künstlicher Intelligenz. In der Pflege- und Gesundheitswirtschaft interagieren verschiedene Akteure wie gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherungen, Pflegeunternehmen, Pflegebedürftige bzw. Pflege-Klienten, pflegende Angehörige, Pflegefachkräfte und pflegerische Institutionen miteinander. Jeder Akteur im Pflegesystem hat eine Rolle, interagiert mit anderen Akteuren und steht in Beziehungen zu ihnen. Wie ändern sich diese Verhältnisse, wenn in naher Zukunft immer mehr Robotik eingesetzt wird? „Roboter der nächsten Generation werden Partner sein, die mit menschlichen Lebewesen koexistieren. Sie werden 4 Erfahrungsobjekte bezeichnen in den Realwissenschaften das Erscheinungsbild einer Realität, welches untersucht wird. Erfahrungen, die in dieser Realität gemacht werden, sind Ausgangspunkt der Forschung. In der BWL gelten meist Betriebe/Unternehmen als Erfahrungsobjekte (Jung 2016, S. 21 f.) 5 Erkenntnisobjekte der Realwissenschaft stellen einen Ausschnitt des Erfahrungsobjektes dar. Jung schreibt hierzu: „Als Erkenntnisobjekt der Betriebswirtschaftslehre gelten die in den Betrieben auftretenden Ent-scheidungen über die Verwendung knapper Güter. Oder anders ausgedrückt: Das Wirtschaften.“ (Jung 2016, S. 22.)

1.3 Forschungsfragen

5

den Menschen physisch und psychologisch helfen. Sie werden zur Verwirklichung einer sicheren und friedlichen Gesellschaft beitragen“, lautet ein Zitat aus der „World Robot Declaration“ der International Robot Fair aus dem Jahr 2004. Das Ziel dieser Arbeit ist es, zu untersuchen wie Akteure und Organisationen auf die Veränderung im Pflege- und Gesundheitssystem durch den Einsatz der Robotik vorbereitet und bestmöglich aufgestellt werden können. Dabei spielen neben der technischen Machbarkeit insbesondere auch die Akzeptanz der Anwender sowie wirtschaftliche und arbeitsorganisatorische Fragen eine Rolle. Daraus abgeleitet sollen Handlungsempfehlungen für eine Systemveränderung gegeben werden. Denn nur wenn klar ist, welche Faktoren ein erfolgreiches Zusammenspiel unterstützen, hat nach Ansicht des Verfassers die Robotik für die Pflegebranche eine realistische Marktchance und einen nachhaltigen Nutzen für die Anwender und letztendlich für die Gesellschaft. Weiter wird die praxeologische Relevanz der Untersuchung dieser Arbeit dadurch unterstrichen, dass Führungskräfte und Mitarbeiter im Pflegebereich selbst ihre fehlenden Fähigkeiten für den digitalen Wandel und technische Assistenzsysteme als einer der größten Herausforderungen sehen (Merda et al. 2017, S. 36). Andererseits entstehen immer mehr Initiativen zu Fortbildungen in den Bereichen Digitalisierung, digitalen Wandel und Management (Merda et al. 2017, S. 44), wodurch ebenfalls die Relevanz der Thematik verdeutlicht wird. Neben der praxeologischen Relevanz besteht eine entscheidende Forschungslücke im Forschungsbereich des Customers Robotik Managements, die es zu schließen gilt: Diese besteht in der fundierten Analyse des Potenzials der Robotik für die Pflegewirtschaft, unter der Annahme, dass diese mehr Effizienz zum Ziel hat. Beide Forschungsobjekte, Pflege-Robotik und Akteure des Pflegesystems, wurden bisher noch nicht aufeinander bezogen und ihre Interdependenz ausgelotet. Dieser blinde Fleck gilt es in diesem Forschungsprojekt zu erkunden. Zudem wird der Anspruch erhoben, auf die differenzierte Betrachtung von Pflege-Robotik und Pflegesystem einzugehen, mit dem Ziel, der Praxis Gestaltungs- bzw. Handlungsempfehlungen für den Umgang mit Pflege-Robotik an die Hand geben zu können.

1.3

Forschungsfragen

Die geschilderte Ausgangslage mit ihren Unsicherheiten und Spannungsfeldern durch die Folge von Robotik und Digitalisierung im Pflegebereich macht deutlich, dass Bedarfe an Ansätze und Verfahren bestehen, um Orientierung für

6

1

Einleitung

anstehende Entwicklungen zu schaffen. Diesen Bereich systematisch zu ergründen ist Teil dieser Untersuchung und in diesen Rahmen sollen sich folgende Hauptfragestellungen näher gewidmet werden: 1. Inwiefern haben Wissenschaft und Forschung in Analysen und Studien das Feld der Pflege-Robotik untersucht? 2. Welche Maßnahmen der Organisationslehre begünstigen den Einsatz der Pflege-Robotik in Pflegeunternehmen? 3. In welchen Wechselwirkungen und Beziehungen stehen die Akteure des Pflegesystems zueinander und welche Auswirkung darauf hat die PflegeRobotik? Die Forschungsfragen sollen mit der Entwicklung von Erkenntnisleitenden Thesen6 für das Potenzial der Robotik in der Pflegewirtschaft beantwortet werden, indem dargestellt wird, welche Verhaltensweisen und Handlungen sowie Eigenschaften und Fähigkeiten von Akteuren im Pflegesystem notwendig sind, um eine erfolgreiche Anwendung der Robotik in Unternehmen der Pflegewirtschaft zu implementieren und zu unterstützen. Hierfür wird u. a. auf die qualitativsystemische Methode der Erkundungsaufstellung zurückgegriffen, die dazu dient, innovative Erkenntnisse hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes zu generieren. Wie genau diese Untersuchung erfolgen soll, wird in den nächsten Abschnitten näher vorgestellt.

6 Erkenntnisleitende

These wird in dieser Arbeit als eigenständiges Konstrukt verwendet, der dem Leser und der Leserin im Forschungskonzept (Abschnitt 2.1.1.) näher vorgestellt wird.

2

Forschungsdesign

„Die wahre Entdeckungsreise besteht nicht in der Suche nach neuen Ländern, sondern im Besitz neuer Augen.“ Marcel Proust

Anhand einer strukturierten Weise wird das Forschungskonzept dieser Arbeit festgelegt und auf diesem Wege wird bestimmt, wie die inhaltlichen Aussagen dieser Arbeit generiert werden. Aus dem Forschungskonzept ergibt sich eine zu wählende Forschungsmethodik, die den gewünschten Erkenntnisgewinn ermöglicht und die Erreichung der Ziele des Forschungsvorhabens auf wissenschaftlich fundierte Art und Weise unterstützt. Anschließend wird der Ablauf der Untersuchung in der Darstellung des Forschungsprozesses zusammengefasst.

2.1

Forschungskonzept

Wenn es darum geht herauszufinden, welches Potential die Pflege-Robotik für die Wirtschaft und Gesellschaft hat, wird sich einer realen Problem- und Fragestellung gewidmet, die weitgehend unbearbeitet und schwer erfassbar ist. Das Umstand hängt mit der Tatsache zusammen, dass der Bereich der Pflege-Robotik erst noch dabei ist, sich zu entfalten und wenig gesichertes Wissen und Daten vorliegen. Für solche noch zu erkundenden Phänomene, die es erstmals zu erfassen, zu präzisieren, zu strukturieren und zu klären gilt, werden in der empirischen Sozialforschung als methodologisches Instrument in der Regel explorative

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Pijetlovic, Das Potential der Pflege-Robotik, Systemaufstellungen in Wissenschaft und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31965-6_2

7

8

2

Forschungsdesign

Studien durchgeführt. Obwohl die explorative Forschung, speziell in ihrer qualitativen Variante innerhalb der Betriebswirtschaftslehre im Rahmen der qualitativen Wende der Sozialwissenschaften Einzug gefunden hat (vgl. Lau 1977; Mayring 1990, S. 3), besteht nach Ansicht des Autors weiterhin keine breite Akzeptanz dieser Forschungsmethodologie. Nach Ansicht des Autors bietet die Grounded Theory nach Strauss und Glaser die bislang größte Schnittmenge an, um regelgeleitet im Sinne des qualitativen Paradigmas neue Phänomene erkunden zu können. Insgesamt stellen die Möglichkeiten jedoch einen Mangelzustand an Forschungstechniken dar, die gerade in Hinblick auf die Erforschung und Erkundung von weitgehend unbekannten Systemen, Phänomenen und Zukünften sinnvoll sind und angewendet werden können. Aus der Perspektive des Verfassers steht somit die Methodologie des Entdeckungszusammenhangs immer noch in ihren Anfängen. Die größte Schnittmenge, wenn in dieser Arbeit von der Erkundung von Systemen und deren mögliche Zustände und Zukünfte gesprochen wird, ergibt sich mit den Bereichen der Qualitativen Forschung und der Zukunftsforschung (siehe dazu mehr in Kapitel 6). Beispielsweise werden in der Denkrichtung der Zukunftsforschung zwar vielfältige Techniken, Prozesse angewandt sowie methodische Verfahrensvorschläge gemacht, wie sich die potentielle Entwicklung von Systemen erforschen lassen. Ein fundierter wissenschaftstheoretischer Unterbau lässt sich jedoch auch hier nicht eindeutig ausfindig machen. Vor allem psychologische und systemische Komponenten werden in der Zukunftsforschung weitaus weniger berücksichtigt, als dies anzunehmen ist. Wie es sich hierzu in der qualitativen Forschung verhält, wird im Abschnitt 3.2 näher beschrieben. Grundsätzlich wird in der Wissenschaftstheorie der herkömmlichen Forschungsprozess in Entdeckungs-, Begründungs- und Verwertungszusammenhang (Reichenbach 1938, S. 6 und S. 382–384 zitiert in Pijetlovic und MüllerChrist 2017, S. 7) unterschieden. Im Entdeckungszusammenhang geht es um Fragen, wie Hypothesen gefunden bzw. entwickelt werden (Brühl 2006, S. 184). Im Vordergrund steht das Ideenspektrum für die Entdeckung neuer Erkenntnisse. Dieses Vorgehen ist dem qualitativen Paradigma zuzuschreiben (Müller-Christ und Pijetlovic 2018). In diesem Sinne hat Erkenntnis im Vergleich zum Kennen den Charakter des Neuen. Im Begründungszusammenhang werden die aufgestellten (bereits „entdeckten“) Hypothesen einer Prüfung unterzogen, indem durch wissenschaftlich-anerkannte Methoden überprüft wird, ob der in der Hypothese behauptete Zusammenhang tatsächlich existiert oder widerlegt werden kann (Brühl 2006 zitiert in Pijetlovic und Müller-Christ 2017, S. 8). Dieses Vorgehen wiederum ist dem quantitativen Paradigma zuzuordnen. Im Verwertungszusammenhang wird der Nutzen der Ergebnisse dargestellt. Es geht hierbei

2.1 Forschungskonzept

9

im Wesentlichen um die Verwendung der Untersuchungsergebnisse für die Praxis (vgl. Brühl 2006 zitiert in Pijetlovic und Müller-Christ 2017, S. 9). Es wird also scharf zwischen dem Zustandekommen eines Einfalls sowie den Methoden und Ergebnissen seiner logischen Diskussion unterschieden (Popper 1934, S. 7 zitiert nach Pijetlovic und Müller-Christ 2017, S. 9). Für den Begründungs- und Verwertungszusammenhang existieren viele bekannte Methoden und es gibt unzählige wissenschaftliche Bücher, Analysen und Hilfestellungen für diese beiden Forschungsbereiche (siehe hierzu in das Werk: Erfolgreich forschen (2008) von Armin Töpfer). Den Forschungsprozess jedoch aus der Perspektive des Entdeckungszusammenhangs zu betrachten, also wie Einfälle, Ideen, Arbeitshypothesen, wissenschaftliche Hypothesen und erkenntnisleitende Thesen (Woithe 2018) zustande kommen, wird in der Wissenschaftsliteratur weitaus weniger beachtet. Daher soll in dieser Arbeit auch der Versuch unternommen werden, neuartige Methoden ins Feld zu führen, die einen explorativen Beitrag leisten sollen, den Bereich der Pflege-Robotik noch breiter und tiefer zu erkunden. Bei der Erarbeitung dieses Forschungsvorhabens wird Subjektivität bzw. hermeneutisches Verständnis immer eine Rolle spielen (vgl. Stegmüller 1975). Dieses Vorgehen lässt sich im Entdeckungszusammenhang weder vermeiden, noch wäre ein Verzicht wünschenswert. Zwar werden qualitative Methoden in der Betriebswirtschaftslehre gern als sehr subjektiv angesehen, jedoch fließt die Subjektivität des Forschers bei objektiven Forschungsmethoden ebenso in die Formulierung des Forschungsprojekts, die Strukturierung der Fragestellung, Hypothesenbildung und der Untersuchung sowie die Auswahl der Methodik und deren Verwendung ein, ohne aber oft als solche gesehen zu werden. Demnach kann Objektivität allenfalls als Konstrukt, in Form von intersubjektiver Übereinstimmung von Forschern angesehen werden (vgl. Osterloh 1982). Auch wenn diese Diskussion nicht mehr so hart ausgefochten wird, wie vor einigen Jahrzehnten, besteht diese Diskrepanz aus Sicht des Autors weiterhin unterschwellig in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Auf welchem Wege kommen in dieser Arbeit Erkenntnisse zustande? Allgemein formuliert kommen Erkenntnisse durch Beobachtung von Tatsachen zustande. Dieser Weg der Erkenntnis kann durch unterschiedliche logische Schlussverfahren vollzogen werden (vgl. Chalmers 2007, S. 37 ff.). Beim induktiven Schluss wird vom Einzelfall auf das Allgemeine geschlossen, wohingegen bei deduktiven Schlüssen vom Allgemeinen zum Speziellen abgeleitet wird. Nach Auffassung des Erkenntnis- und Wissenschaftstheoretikers Karl popper (1934) hängt die Entdeckung des Neuen mit schöpferischer Intuition in einem von außen nicht sichtbar irrationalem Moment im Denkprozess des Menschen zusammen und ist der Psychologie zuzuschreiben (vgl. Popper 1934, S. 8 zitiert in

10

2

Forschungsdesign

Pijetlovic und Müller-Christ 2017, S. 9). Die Entdeckung des Neuen scheint nach seinem Verständnis rational nicht nachvollziehbar. Zudem ist es für die Wissenschaftlichkeit einer Aussage, seiner Ansicht nach, völlig irrelevant, auf welchem Wege eine Entdeckung zustande gekommen ist bzw. wie jemand auf die Idee kam, sie zu formulieren. Ausschlaggebend ist vielmehr, wie ihre Geltung, also die aufgeworfene Idee, begründet wird. Und für eine solche Begründung einer wissenschaftlichen Aussage gibt es gemäß der POPPER’schen Logik zufolge im Bereich der empirischen Wissenschaft nur einen einzigen Weg, nämlich die intersubjektive Überprüfung nach streng rationalen Kriterien. In Hinblick auf die Frage, wie Entdeckungen von neuen Erkenntnissen zustande kommen, ist damit allerdings nicht viel gewonnen (Pijetlovic und Müller-Christ 2017, S. 7). Der Denkansatz von POPPER lässt sich daher im Kern als den Versuch einer streng deduktiven Beweisführung begreifen, wo kein Platz für das Neue vorgesehen ist. Daher könnte ein anderes wissenschaftstheoretisches Konzept Abhilfe schaffen, das über Induktion1 und Deduktion2 hinausgeht, indem es eine dritte Form logischen Schließens einführt, nämlich die der Abduktion. Durch den Vorgang der Abduktion kann altes Wissen zu neuem Wissen führen. Nach dem hermeneutischen Wissenssoziologen und Professor JO Reichertz (2011) ist: „(…) die mit der Abduktion verknüpfte Haltung die Hoffnung, dass es auch ganz anders sein könnte als man es bisher dachte“ (Reichertz 2011, S. 34).

Mit einer abduktiven Haltung wird bei der Konstruktion einer neuen Überzeugung nicht auf das bisherige Wissen verzichtet, sondern es wird systematisch ausgeweitet und zur Disposition gestellt. Mit Hilfe des gesamten zur Disposition gestellten Wissens werden immer wieder neue Typen und Regeln konstruiert und in gedankenexperimenteller Art geprüft, ob das Ungewöhnliche dazu passt

1 Unter

Induktion versteht man die Ableitung einer allgemeinen Regel durch eine oder mehrere Bedingungen. Da aus Einzelfällen abgeleitet wird, ist die Schlussfolgerung möglicherweise nicht wahr, allerdings können neue Erkenntnisse gewonnen werden (Quelle: www.neuronation.com) 2 Die Deduktion wird als logisches Schließen bezeichnet. Diese Bezeichnung liegt darin begründet, weil beim deduktiven Denken durch das Erkennen einer logischen Regel und einer gegebenen Bedingung, eine Schlussfolgerung auf die logische Konsequenz (Wirkung) stattfindet. Aus mindestens zwei Aussagen ist es also möglich, eine neue Aussage abzuleiten. Wenn die zwei Prämissen korrekt angegeben sind, können wahre (oder auch zwingende) Schlüsse gezogen werden. Bei dieser Denkart werden keine neuen Erkenntnisse gewonnen. (Quelle: www.neuronation.com)

2.1 Forschungskonzept

11

(Reichertz 2013). Dieser Vorgang vollzieht sich in der Bereitschaft, alte Überzeugungen aufzugeben und neue zu erfinden. Diesen Akt beschreibt Reichertz folgendermaßen: „(…) dass diese Form des erkennenden Denkens vor allem in den Situationen nützlich ist, wenn man mit vorhandenem Wissen nicht weiterkommt, weil man für etwas Problematisches keine entsprechende Erklärung oder Regel findet.“ (Reichertz 2011, S. 35).

Aus diesem Grund muss etwas Neues „erfunden“ (vgl. Charles S. Peirce 1903 nach Reichertz 2013 zitiert in Pijetlovic und Müller-Christ 2017) werden, welches das Unverständliche verständlich macht. Die allgemeine Fähigkeit von Menschen zum Entdecken des Neuen wird in bestimmten Situationen leichter aktiviert als in anderen. Visuelle Darstellungen, die Beziehungen bzw. Verhältnisse aufdecken sowie kommunikative Handlungen, welche Gefühle und körperliche Vorgänge aufzeigen, werden als zentrale Mittel (vgl. Reichertz 2011) zur Auslösung von abduktiven Blitzen angesehen. Als ein weiteres Format in diesem Zusammenhang werden hier Erkundungsaufstellungen genutzt, die sowohl das Visuelle als auch das Kommunikative vereinen und sogar darüber hinausgehen, indem sie das Raumbild und die Beobachter mit einbeziehen. Daher werden Erkundungsaufstellungen in dieser Arbeit als weiteres Mittel gesehen, günstige Bedingungen für die Auslösung von abduktiven Blitzen beim Erkenntnissubjekt3 zu ermöglichen. Das Erkenntnissubjekt verlässt sich dabei auf seine Intuition, da das emergierende4 Neue in einer Erkundungsaufstellung nicht zwingend zu einem bestehenden, rationalen Muster passen muss oder als solches von einem Erkenntnissubjekt erkannt wird. Das heißt etwas Neues, das im Begriff ist, durch die Erkundungsaufstellung zu emergieren, muss in seinem Anfangsprozess (als auch im Nachhinein) rational nicht nachvollziehbar sein, da es aus dem bereits bestehenden (alten) Wissen nicht unbedingt ableitbar ist (vgl. Oevermann 1991). Vor diesem Hintergrund wird in Rahmen dieser Arbeit angenommen, dass etwas emergierendes Neues zuerst intuitiv vom Erkenntnissubjekt wahrgenommen und erst im Anschuss rational und kognitiv

3 Jemand

der Erkenntnis sucht. (lat. emergere Auftauchen, Herauskommen, Emporsteigen) ist die Herausbildung von neuen Eigenschaften oder Strukturen eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente. Dabei lassen sich die emergenten Eigenschaften des Systems nicht – oder jedenfalls nicht offensichtlich – auf Eigenschaften der Elemente zurückführen, die diese isoliert aufweisen. (Quelle: Wikipedia/Emergenz)

4 Emergenz

12

2

Forschungsdesign

verstanden und nachvollzogen wird. Dieser Ansatz passt dann auch wieder zum oben dargestellten Gedankengang von POPPER. Diese Beschreibung erinnert stark daran, wie auch Kunst oder Kunstwerke entstehen und Künstler arbeiten. Kunst wird gemeinhin als das Ergebnis eines Schöpfungsaktes bezeichnet, der der vorgefundenen Wirklichkeit etwas Neues hinzufügt (vgl. Singer 2014). Kann in diesem Sinne die Entdeckung einer neuen Erkenntnis als ein kreativer Akt des Geistes verstanden werden? In Systemaufstellungen (vgl. Müller-Christ und Pijetlovic 2018), die hier analog zu Erkundungsaufstellungen verstanden werden können, wird fortlaufend Neues entdeckt. Demnach sollten Erkundungsaufstellungen stark mit Kreativität oder kreativem Denken korrelieren. In diesem Zusammenhang sind die Arbeiten von RITTER und DIJSTERHUIS (vgl. Kast 2015) von der Universität Nijmegen auf den Gebieten der Sozialpsychologie und Neurowissenschaften erkenntnisreich, die in ihren Studien eine Kausalität zwischen (kreativ-) divergentem Denken und Irritationen (genauer durch Schemata-Verletzungen) nachweisen konnten. In mehreren Experimenten führten demnach Schemata-Verletzungen bei Testpersonen zu einer Begünstigung des divergenten Denkens, das wiederum als wesentlicher Baustein für Kreativität angesehen wird. Darüber hinaus ist auch in der Pädagogik das Prinzip der Irritation als Lernanlass bekannt (Schäffter 1997 zitiert in Pijetlovic und Müller-Christ 2017, S. 7). In Anlehnung an dieses Verständnis werden Irritationen folgend als entscheidende Impulse dafür angesehen, dass etwas Neues ins Bewusstsein eintreten kann. Die gesamte Logik der Methode der Erkundungsaufstellung basiert darauf, anschlussfähige5 Irritationen hinsichtlich eines bestimmten Gegenstands oder einer Thematik hervorzubringen, die dann den Raum der Entdeckungsmöglichkeiten für neue Erkenntnisse öffnen (Groth 2005, S. 86 ff.; zitiert in Pijetlovic und Müller-Christ 2017, S. 7). Zielführend ist daher ein regelgeleiteter Erkenntnisgewinn zur Generierung neuer Ideen, die den vorhandenen Theorierahmen zu erweitern vermögen. Insofern strebt die Forschungsarbeit das Hervorbringen von Erkenntnisleitenden Thesen durch Erkundungsaufstellungen an, die als intersubjektive Schlussforderung angesehen werden können (vgl. Woithe 2018).

5 Anschlussfähig

bedeutet, dass sich die Irritation auf einen bestimmten Sachverhalt beziehen muss. Einfach nur irgendwie irritieren, ohne auf den Inhalt bezogen, ist nicht anschlussfähig.

2.1 Forschungskonzept

2.1.1

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Erkenntnisleitende Thesen

Zur besseren Veranschaulichung des Fortschritts im Rahmen dieser Forschungsarbeit hinsichtlich Pflege-Robotik sollen von Beginn an alle entstandenen Erkenntnisse festgehalten und als solche erkenntlich gemacht werden. In diesem Zusammenhang ist vor allem das Gebot der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit und Plausibilität von Bedeutung (Chmielewicz 1984, S. 37). Erkenntnisse dieser Art können in jeder der Phasen des Forschungsprozesses auftreten und werden in dieser Arbeit als Erkenntnisleitende Thesen kenntlich gemacht. Idee und Verständnis hinsichtlich der Erkenntnisleitenden Thesen geht ursprünglich auf die Psychologin SYLKE MEYERHUBER von der Universität Bremen zurück, die als Prüferin in der Dissertation von ALEXANDRA WOITHE (2018) diesen Begriff als Alternativkonzept zur deduktiven (Prüf-)These eingebracht hat. WOITHE schreibt hierzu in ihrer Dissertation: „Erkenntnisleitende Thesen sind vorläufig und umfassen neue Erkenntnisse hinsichtlich einer gewählten Thematik“. (Woithe 2018, S. 51).

Um die intersubjektive Nachvollziehbarkeit sicherzustellen, werden in der Arbeit die Erkenntnisleitenden Thesen fortlaufend nummeriert und erhalten eine eigene typografische Gestaltung, die sich vom restlichen Text abhebt. Erkenntnisleitenden Thesen können Hypothesen sein, die sich aus dem Gang der Untersuchung ergeben und als Annahme und Vermutung formuliert sind. Sie können Interpretationen sein, die im Rahmen der Arbeit gewisse Befunde deuten und im Rahmen einer theoretischen Fundierung in einem größeren Kontext auslegen. Diese werden aber in erster Linie auch Konklusionen sein, also im Laufe der Arbeit entstandene Schlussfolgerungen. Dadurch soll den Leserinnen und Lesern eine stärkere Klarheit über die Entstehung von Erkenntnisleitenden Thesen gegeben werden, so dass eine kritische Reflexion erleichtert werden kann. Grundsätzlich sollen Erkenntnisleitende Thesen einen Unterschied zum bisherigen Kenntnisstand zum Thema erkennen lassen. Mit Unterschied ist gemeint, dass die Erkenntnisleitende These eine neue gehaltvolle Aussage über das Ursprungssystem macht und eine Differenz-Idee ausdrückt (siehe Abb. 2.1). Wird in der Erkenntnisleitenden These ein Unterschied ersichtlich oder gibt die These etwas wieder, was sowieso herrschende Meinung ist? Grundsätzlich wird in dieser Arbeit die Annahme vertreten, dass die Grundlage für jede Art von Erkenntnis auch immer das Erkennen von Unterschieden, von Neuem, von Differenten beinhaltet. Gemeint sind Unterschiede, die das Erkenntnissubjekt zwischen der erfassten und konstruierten Wirklichkeit des Systems (wie es bisher wahrgenommen wurde) und dem aufgestellten System (wie es sich in der Aufstellung

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2

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gezeigt hat und wie es eben auch sein könnte) identifiziert. Beispielsweise können in Erkundungsaufstellungen eine Vielzahl von Unterscheidungen zwischen dem aufgestellten und dem Realsystem getroffen werden, jedoch machen nur ganz spezifische Unterscheidungen auch einen sinnhaften und somit wirklichen Unterschied (vgl. Bateson 2014, S. 618). Dieser entdeckte Unterschied ist dann zuerst einmal eine Idee. Eine solche Idee beinhaltet einen neuen Gedanken, und dieses Neue wird in einem (unbewusst) kreativen Denkprozess zu einer Idee formuliert, das den Unterschied transportiert. Erkenntnisleitende Thesen können somit nicht nur zwei deskriptive Behauptungen (Kausalität6 ) miteinander verbinden, sondern darüber hinaus erfinden sie eine neue Idee auf Grundlage von Differenzerfahrungen, und sollten daher auch innovative, kreative, originelle als auch kontra-indikative7 Anteile in sich tragen. Diese Anteile werden im nächsten Abschnitt näher dargelegt.

Abb. 2.1 Abgleich zwischen eigener und anderer Wirklichkeit. (Quelle: Eigene Darstellung)

6 Kausalität

ist die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung, betrifft also die Abfolge aufeinander bezogener Ereignisse und Zustände. Zustand A ist die Ursache für Wirkung B, wenn B von A herbeigeführt wird. (Quelle: Wikipedia) 7 Kontra-Indikativ in diesem Sinne bedeutet, dass von etwas genau das Gegenteil anzeigt wird, was herkömmlich vermutet wird.

2.1 Forschungskonzept

2.1.2

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Kennzeichen von Erkenntnisleitenden Thesen

Wie bereits oben beschrieben, geht die herrschende Meinung in der zeitgenössischen Betriebswirtschaftslehre davon aus, dass im Forschungsprozess nach dem deduktivem Erklärungsmodell der Naturwissenschaften vorzugehen ist. Konkret bedeutet das, dass Forschung hauptsächlich darauf ausgerichtet ist, wissenschaftlich [d. h. von Forscher*innen theoriegeleitet] aufgestellte Hypothesen zu überprüfen. Es wurde bereits oben näher beschrieben, dass dieses (quantitativededuktive) Paradigma grundlegend durch den früheren Wissenschaftstheoretiker Karl popper geprägt worden ist. Für POPPER ist Forschung ohne die Prüfung von Hypothesen keine Wissenschaft (vgl. Popper 1934). Auch wie Hypothesen zustande gekommen sind, ist nach seinem Denkmodell nicht relevant. Für POPPER ist von Bedeutung, wie Hypothesen mit objektivistischen Mitteln überprüft werden können. ARMIN TÖPFER (2010, S. 9) argumentiert ganz ähnlich und bezeichnet das Arbeiten mit Hypothesen als „Königsniveau“ der Forschung. Grundsätzlich wird im quantitativen Forschungsparadigma sehr viel Aufwand betrieben, um Hypothesen statistisch zu testen. Hierfür existiert auch sehr viel (Fach-) Literatur, damit Forscherinnen und Forscher ihre Hypothesentestung erfolgreich bewältigen können. Ganz anders verhält es sich jedoch bei Erkenntnisleitenden Thesen, die einem qualitativen Forschungsparadigma zugeordnet werden können, weil es sich hier nicht um Beweise und Begründung, sondern um Entdeckung und Erkundung eines Gegenstandes handelt. Allerdings existieren bisher für die Entdeckung als auch für die Generierung von Erkenntnisleitenden Thesen keine festgelegten Standards, Vorgehensweisen oder Gütekriterien. In dieser Hinsicht ist der Möglichkeitsraum für den Forscher sehr weit geöffnet. Dieses offene Feld birgt auch eine Gefahr, dass die Generierung von Erkenntnisleitenden Thesen völlig beliebig geschehen kann. Um diese Beliebigkeit auszuschließen, sollen in diesem Abschnitt der Vorteil von Gütekriterien sowie Kennzeichen von Erkenntnisleitenden Thesen erarbeitet werden, um einen Qualitätsanspruch an Erkenntnisleitende Thesen herzustellen und eine Anschlussfähigkeit im Kanon der qualitativen Sozialforschung sichern. Daher stellt sich an dieser Stelle berechtigterweise die Frage, woran man erkennen kann, dass eine Erkenntnisleitende These von hinreichender Güte ist? Eine erste Überlegung in diesem Zusammenhang mag sein, die zentralen Gütekriterien der quantitativen Forschung: Objektivität, Reliabilität und Validität, auch auf Erkenntnisleitende Thesen zu übertragen. Allerdings müssten hierfür die quantitativen Kriterien erst einmal reformuliert und operationalisiert werden, so

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2

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dass sie für die hier gewählte qualitative Forschung anwendbar wären, beispielsweise so wie MAYRING (1983) dies für die Intercodierreliabilität8 vorschlagen hat. Dagegen spricht jedoch, dass die quantitativen Kriterien für ganz andere Methoden wie beispielsweise Tests und Experimente entwickelt worden sind, die wiederum auf bestimmte Wissenschafts- und Erkenntnistheorien beruhen. Die Wirtschaftspsychologin INES STEINKE (2000) argumentiert hier ganz ähnlich: „[…] Quantitative Kriterien können insbesondere aufgrund der vergleichsweise geringen Formalisierbarkeit und Standardisierbarkeit qualitativer Forschung nicht unmittelbar auf diese übertragen werden“ (Steinke 2000, S. 322).

Daher müssen für Erkenntnisleitende Thesen vielmehr qualitative Qualitätskriterien herangezogen oder angesichts der noch neuen Methode auch eigene Kriterien entwickelt werden, die den erkenntnistheoretischen Zielen der qualitativen Sozialforschung v. a. im Entdeckungszusammenhang gerecht werden können. Die Überlegung ist, ein System von Kriterien zu entwerfen, die Aspekte für eine sinnvolle Bewertung von Erkenntnisleitenden Thesen abdecken. Es soll vielmehr der Versuch unternommen werden, zentrale Überlegungen für Kriterien ins Feld zu führen, die ein Verständnis davon vermitteln, unter welchen Voraussetzungen eine Erkenntnisleitende These vorläufig als gehaltvoll bezeichnet werden kann. Diese Idee vollzieht sich in der Intention, einen Beitrag zur Klärung des Wesens von Erkenntnisleitenden Thesen zu leisten und darüber hinaus einen Beitrag zur Anschlussfähigkeit an die qualitative Sozialforschung und Betriebswirtschaftslehre herzustellen. Es geht also weniger um eine normative Setzung von Gütekriterien, sondern mehr um das Öffnen eines Diskurses, wie Erkenntnisleitende Thesen im Forschungsprozess zu verstehen sind. Dementsprechend erfolgt die Darstellung der folgenden Kriterien: Neuartigkeit, Kontraindikation, Originalität, Plausibilität und Nachvollziehbarkeit bildet diese subjektive Auswahl eine Basis, um eine Diskussion des Güteverständnisses von Erkenntnisleitenden Thesen im Kontext qualitativer Sozialforschung mittels Aufstellungsarbeit zu eröffnen.

8 Wenn

zwei Personen das gleiche Material getrennt voneinander codieren und dann verglichen wird, ob die jeweiligen Textstellen den gleichen Kategorien zugeordnet wurden (Quelle: www.sozmethode.hypotheses.org/47). Mayring (2010, S. 116) hat dies folgendermaßen beschrieben: „(…) dass die gesamte Analyse (oder relevante Ausschnitte) von mehreren Personen durchgeführt wird und die Ergebnisse verglichen werden.“

2.1 Forschungskonzept

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2.1.2.1 Neuartigkeit Das besondere Merkmal von Erkenntnisleitenden Thesen wird am ehesten sichtbar, wenn man sie mit anderen, heute geläufigen wissenschaftlichen Hypothesen vergleicht. Die typischen wissenschaftlichen Hypothesen sind UrsacheWirkungs-Beziehungen, auch als Wenn-dann-Aussagen bekannt. In der Regel werden zwei bekannte Faktoren in Beziehung zueinander gesetzt und dann wird überprüft, ob tatsächlich ein Zusammenhang besteht. Auf diese Weise lassen sich Erklärungen für Phänomene finden, die bereits als bekannt feststehen, und lässt sich testen, welche Annahmen darüber wirklich zutreffen. Es werden positive Hypothese, negativ Hypothese und Nullhypothese unterschieden. Dieser Vorgang ist ein reines überprüfen. Letztendlich liegt die Intention, die mit einer solchen Hypothesenarbeit bezweckt wird, darin, ein bestimmtes Phänomen zu belegen, es besser erklären oder vorhersagen zu können. Das Ziel hierfür ist immer die Falsifizierung. Dieser Hypothesenansatz ist allerdings nicht das Mittel der Wahl, um einen Gedanken oder eine Idee schöpferisch neu zu erschaffen und etwas Neuartiges in die Welt zu bringen. Diese deduktive Hypothesenarbeit bleibt auf einer Ebene haften, wo etwas Bekanntes noch bekannter, noch tiefgründiger, noch verständlicher oder vorhersagbarer wird. Etwas, das sowieso schon vorhanden war, wird auf diese Weise ans Tageslicht geführt und aufgedeckt. Daher gilt es, zwischen unentdeckt und neuartig zu unterschieden. Denn die Spielregeln, um etwas Neues in die Welt zu bringen, sind weniger analytischer Art. Das Neue entsteht in einem Rahmen, wo Kreativität sein darf. Um diese Neuartigkeit zu schöpfen, müssen alte, bekannte, standardisierte, auf Stabilität geprägte und gleichgeschaltete Annahmen und Perspektiven durchbrochen werden. Daher sollen Erkenntnisleitende Thesen im besten Falle etwas Kreatives, Innovatives und Neuartiges beinhalten. Natürlich hängt die wahrgenommene Neuartigkeit vom Hintergrund der beurteilenden Person wie auch vom sozialen Konsens ab, und selbstverständlich kann eine vorgenommene Entdeckung durchaus Neuartigkeitswert beanspruchen, auch wenn man im Nachhinein erfährt, dass es sich um eine längst gemachte Entdeckung handelte und die These verworfenen werden muss. Diese Form der Neuartigkeit bewegt sich im Spannungsfeld zwischen den Termini bekannt und fiktiv. Der Prozess ist laut MÜLLER-CHRIST und PIJETLOVIC (2018) so gedacht, dass etwas Neuartiges entstehen kann, wenn das Bekannte neu oder anders erkundet wird. Dieser Erkundungswille des Bekannten führt hin zur Neuartigkeit. Das Neuartige wird allerdings wiederum fiktiv, wenn es zu realitätsfern ist (Abb. 2.2).

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Abb. 2.2 Verstehensumgebung der Dimension Neuartigkeit. (Quelle: Eigene Darstellung)

2.1.2.2 Kontraindikation Erkenntnisleitende Thesen dürfen gerne einen kontraindikativen Anteil in sich tragen; das bedeutet, dass sie genau das Gegenteil von dem anzeigen können, was herkömmlicherweise in der herrschenden Meinung vermutet oder vertreten wird. Welche Kraft solche kontraindikativen Ansätze haben, erleben wir heutzutage sehr anschaulich in Form von Brüchen, Disruptionen und Revolutionen. Erst solche Ideen, die eine radikale, konträre Wechselansicht offenbaren, haben oft das Potential, neue Lösungen für Gesellschaft, Wirtschaft oder Technologie zu ermöglichen. Wenn beispielsweise die großen internationalen Technologiekonzerne wie Airbnb, Amazon oder Alibaba zu ihren Gründungszeiten keinen kontraindikativen Ansatz verfolgt hätten, dann würden sie heute nicht als die neuen Player auftreten. Das Ergebnis von kontraindikativen Ansätzen muss nicht besser oder schlechter sein als der bestehende Zustand; auf jeden Fall aber anders. Kontraindikation hebt die Pfadabhängigkeit des Denkens auf und schlägt einen Weg ein, der in die entgegengesetzte oder in eine andere Richtung verläuft. Buuzoorg ist beispielsweise ein niederländisches Pflegeunternehmen, das ein kontraindikatives Geschäftsmodell ins Leben gerufen hat. Anstatt, wie herkömmliche Pflegeunternehmen es tun, die Pflegearbeit zentral zu organisieren, hat Buuzoorg das Management in ihrer Organisation komplett aufgelöst und die Pflegearbeit wird stattdessen dezentral von Pflegekräften in Teams von zehn bis zwölf Mitarbeitern (insgesamt bis zu 7.000 Mitarbeitern) organisiert, wobei jedes Team ungefähr 50 Patienten in einer kleinen, klar definierten Nachbarschaft betreut (vgl. Laloux 2014, S. 63). Die These von Buuzoorg, dass gute Pflege kein zusätzliches Management benötigt und alle Aufgaben von den Pflegekräften selbstorganisiert erledigt werden, ist ein Paradebeispiel für eine Kontraindikation und hat sich überaus erfolgreich in den Niederlanden durchgesetzt. Kontraindikative Thesen lassen sich mit Musterwechselprozessen vergleichen, wie der Organisationspsychologe PETER KRUSE sie beschrieben hat:

2.1 Forschungskonzept

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„Prozessmusterwechsel sind risikoreich. Sie bewirken oftmals Abwehrreaktionen, da sie bestehende Verhaltensweisen infrage stellen. […] sie sind auch ein Angriff auf das Etablierte. Sie werden deshalb in der Regel misstrauisch beobachtet und nur höchst selten mit spontaner Begeisterung aufgenommen.“ (Kruse 2004, S. 22–23).

Die Kontraindikation bewegt sich im Spannungsfeld zwischen den Termini affirmativ und subversiv. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet Affirmation, dass eine Aussage, Situation oder Handlung grundsätzlich positiv bewertet wird. Sobald etwas Affirmatives nonkonform betrachtet wird, also in eine andere oder alternative Richtung geht, dann wird es kontraindikativ und das kontraindikative wirkt zerstörerisch, wenn es zu subversiv, also als zu umstürzlerisch wahrgenommen wird (Abb. 2.3).

Abb. 2.3 Verstehensumgebung der Dimension Kontraindikation. (Quelle: Eigene Darstellung)

2.1.2.3 Originalität Neben Neuartigkeit und Kontraindikation soll das an dritter Stelle genannte Kriterium der Originalität sicherstellen, dass nicht alles, was neuartig oder kontraindikativ ist, auch automatisch als nützlich angesehen wird. Vielmehr sollen bestimmte Einschränkungen, die ein bestimmtes Problem vorgibt (z. B. Fachkräftemangel in der Pflege), möglichst optimal getroffen werden. Großangelegte Umschulungsangebote wären im Regelfall dafür ungeeignet. Der Begriff der Originalität in diesem Sinne ist daran angelehnt, wie ROBERT GUILFORD (1967) ihn in seinem Werk „The Nature of Human Intelligence“ verwendet hat. Darin wird Originalität als Außergewöhnlichkeit von Ideen und Lösungen bezeichnet und stellt die Kernkomponente für Kreativität dar. Originalität wird als Fähigkeit verstanden, ausgefallene, besonders clevere Lösungen zu generieren. Die Operationalisierung von Originalität in Kreativitätstests kann durch statistische Seltenheit, Entferntheit und die Qualität von Antworten erfolgen (vgl. Guilford

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1967; Preiser & Buchholz 2004), wird jedoch aufgrund der anspruchsvollen Auswertung selten realisiert. Statistische Seltenheit befasst sich mit Häufigkeitsindexen und es kann eher ein Anhaltspunkt für Originalität sein, wenn Ideen oder Antworten außerhalb der Norm liegen. Interessanter hingegen ist da die Entferntheit, die betrachtet, wie ausgefallen, geistreich und clever generierte Ideen sind. GUILFORD spricht in diesem Zusammenhang auch von Schlagfertigkeit von Antworten (Guilford 1967, S. 160). Die Bezeichnung Originalität, in dem Sinne wie er hier verwendet wird, bewegt sich im Spannungsfeld zwischen den Termini gewöhnlich und einzigartig. Das Divergenzpotenzial einer Idee, also indem sie breit oder quer gedacht wird, führt zu Originalität. Wirkt die originelle Idee allerdings als zu kurios, also zu sonderbar, dann nimmt sie vielmehr ein Alleinstellungsmerkmal ein und gilt als einzigartig und dementsprechend ggf. auch als zu speziell (Abb. 2.4).

Abb. 2.4 Verstehensumgebung der Dimension Originalität. (Quelle: Eigene Darstellung)

2.1.2.4 Plausibilität Wann ist eine erkenntnisleitende These als plausibel zu bewerten? Dieser Aspekt ist nicht einfach zu beantworten, denn in der Literatur wird die Begrifflichkeit Plausibilität zwar häufig verwendet, aber selten in Hinblick auf kreative Prozesse diskutiert. Daher soll in diesem Abschnitt der Versuch unternommen werden, näher zu umschreiben, was plausibel bedeutet, um ein tieferes Verständnis davon zu erhalten und die Generierung und Bewertung von Erkenntnisleitenden Thesen in dieser Forschungsarbeit greifbarer werden zu lassen. Fangen wir in dieser Betrachtung bei dem deutschen Soziologen NIKLAS LUHMANN an, der beispielsweise wissenschaftliche Aussagen als plausibel charakterisiert, wenn sie: „[…] ohne weitere Begründung einleuchten und man erwarten kann, dass sie auch anderen einleuchten“ (Luhmann 1997, S. 49 zitiert nach Böhnert und Reszke 2014).

2.1 Forschungskonzept

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Demnach wäre nach der LUHMANN’schen Logik etwas plausibel, wenn es offenkundig und für andere spontan stimmig erscheint. BÖHNERT und RESZKE haben sich ebenfalls in einem wissenschaftlichen Artikel intensiv dem Begriff der Plausibilität gewidmet und argumentieren hierzu: „[…], dass plausibel gerade nicht das ist, was offenkundig ist, was von der Mehrheit bereits anerkannt ist und dementsprechend ohne Zweifel auch allen anderen einleuchtet.“ (Böhnert und Reszke 2014, S. 50).

Das etwas plausibel zu sein scheint, kann demnach nur die Bedeutung haben, dass es noch nicht offenkundig ist, aber sich auf dem Weg zur Offenkundigkeit befindet. Die beiden Autoren konstatieren, dass sich im Sprachgebrauch der Begriff Plausibilität im Spannungsfeld zwischen den Termini absurd und offenkundig bewegt. Plausibel entsteht demnach zwischen diesen Polen und kann daher nur etwas sein, das weder absurd noch offenkundig ist. Der Professor für Pädagogik LUTZ KOCH (2002) von der Universität Bayreuth bietet hier eine weitere hilfreiche Unterscheidung an: „Plausibel wird ein Urteil nicht dadurch, dass ich der Mehrheit applaudiere, sondern umgekehrt dadurch, dass meinem Urteil die Qualität eignet, den Applaus einer Mehrheit zu gewinnen.“ (Koch 2002, S. 200 zitiert nach Böhnert und Reszke 2014).

BÖHNERT UND RESKE konstatieren in ihrem Artikel, dass KOCH (2002) hervorhebt, dass eine Einzelperson ihre individuelle Gewissheit gegenüber dem angenommenen kollektiven Wissen abwägen muss. So könne beispielsweise laut KOCH (2002) eine Wissenschaftlerin, die ihre Überlegungen vor einem Laienpublikum vortragen muss, zur Vermittlung auf Analogien zu aktuellen Kinofilmen zurückgreifen, die ihr als Kinogängerin auch bekannt sind. KOCH führt hierfür den Terminus der „Mehrheitsfähigkeit“ ein, um seinen Gedanken abzubilden. Doch auch die Mehrheitsfähigkeit als Indikator scheint für die Charakterisierung der Plausibilität problematisch zu sein, denn das Urteil darüber, wann etwas plausibel ist, ist nach BÖHNERT UND RESZKE (2014) von den jeweiligen Verstehensumgebungen und Verstehenspersonen abhängig. Verstehenspersonen können beispielsweise unterschiedliche Gruppen von Menschen sein, die sich angesprochen fühlen, ein Urteil über die Plausibilität eines Inhalts zu fällen. Dies kann ein Laien- oder Fachpublikum sein. Demnach können verschiedene Ansichten von verschiedenen Gruppen jeweils als plausibel erachtet werden. Dementsprechend lässt sich auch das in der Skala von KIENPOINTER (1992 zitiert in Böhnert und Reszke 2014) verwendete „unter Umständen plausibel“

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verstehen. Die Umstände sind die jeweiligen Verstehensumgebungen und Verstehenspersonen, vor und von denen das Urteil gefällt wird. Aber auch, wenn eine Mehrheit etwas für plausibel erachtet, heißt es dann automatisch, dass somit zu einer offenkundigen Tatsache wird? Nein. Damit etwas Plausibles zu einer offenkundigen Tatsache werden kann, reicht eine Mehrheit alleine nicht aus. Um etwas plausibel erscheinen zu lassen, sollte es darüber hinaus von der etablierten Meinung abweichen. Eine These als plausibel zu klassifizieren, bedeutet somit notwendigerweise auch, dass es (ebenfalls plausible) Alternativen zu ihr geben muss (Böhnert und Reszke 2014). Sollten keine Alternativen zu einer These bestehen, dann liegt „mehr“ als nur Plausibilität vor, dann ist etwas evident. Der Soziologe NIKLAS LUHMANN macht in diesem Zusammenhang den Unterschied von Plausibilität und Evidenz deutlich: „Evidenz ist verstärkte Plausibilität. Sie ist gegeben, wenn auch der Ausschluss von Alternativen mit einleuchtet.“ (Luhmann 1980, S. 49).

Ein sehr hilfreiches Ordnungsangebot zur Fassung der Plausibilität haben BÖHNERT und RESZKE mit ihrem „Plausibilitätsmuster“ erstellt. Dieses erfasst das mögliche Spektrum kommunikativer Muster bei der Entstehung wissenschaftlicher Tatsachen, von absurd über plausibel bis offenkundig (Abb. 2.5).

Abb. 2.5 Verstehensumgebung der Dimension Plausibilität. (Quelle: Böhnert und Reszke 2014, S. 52)

2.1.2.5 Nachvollziehbarkeit Für erkenntnisleitende Thesen kann nicht der Anspruch auf objektivistische Überprüfbarkeit, wie im quantitativen Sinne, erhoben werden. Eine Replikation der Generierung von Erkenntnisleitenden Thesen ist schon aufgrund der begrenzten Standardisierung des (qualitativen) Forschungsprozesses unmöglich. Daher wird hier als ein weiteres Kriterium die Nachvollziehbarkeit ins Feld geführt,

2.1 Forschungskonzept

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auf deren Basis eine Bewertung von Erkenntnisleitenden Thesen stattfinden kann. Die Bewertung der Nachvollziehbarkeit entsteht dann, wenn durch Dritte verfolgt werden kann, auf welcher (Daten-) Grundlage im Forschungsprozess eine erkenntnisleitende These abgeleitet wurde. Dieser Aspekt erinnert an die Dokumentation des Forschungsprozesses als ein Weg der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit, die als ein zentrales Gütekriterium qualitativer Forschung von INES STEINKE (2000) dargelegt wird: „[…] Die Dokumentation des Forschungsprozesses ist die zentrale Technik. Damit wird einem externen Publikum die Möglichkeit gegeben, die Untersuchung Schritt für Schritt zu verfolgen und den Forschungsprozess und die daraus hervorgegangenen Ergebnisse zu bewerten“ (Steinke 2000, S. 324).

Bei STEINKE (2000) ist die intersubjektive Nachvollziehbarkeit sehr weit gefasst und bezieht sich auf den gesamten Prozess der Forschung. In der Forschungsdokumentation soll vor allem auch das Vorverständnis des Forschers transparent gemacht werden, um sicherzustellen, ob im Forschungsprozess wirklich etwas Neues erkannt wurde und nicht nur nach Bestätigung, also Ex-ante-Hypothesen gesucht wurden, sondern auch versucht wurde, das Vorwissen zu irritieren (Steinke 2000, S. 325), um es zu modifizieren und zu erweitern. Grundsätzlich bewegt sich die Nachvollziehbarkeit von Erkenntnisleitenden Thesen demnach im Spannungsfeld zwischen den Termini unklar und transparent. Wenn sich aus dem Datenmaterial heraus nicht nachvollziehen lässt, wie eine Erkenntnisleitende These entstanden ist, dann ist sie unklar. Werden hingegen bezüglich einer Erkenntnisleitenden These sämtliche Gedankengänge, Ideen und Mutmaßungen in ihrer Entstehung dokumentiert und offengelegt, dann ist der Weg mehr als nur nachvollziehbar, er ist vollkommen transparent. Wichtig bei der Bewertung der Nachvollziehbarkeit von Erkenntnisleitenden Thesen ist also, dass die Datengrundlage für die Erkenntnis durch Dokumentation deutlich wird. Werden jedoch Dritte beispielsweise mithilfe einer Befragung über die Nachvollziehbarkeit von gewonnen Erkenntnisleitenden Thesen konfrontiert, dann ist es unmöglich, dass diese die gesamte dokumentierte Datenlage sichten und begutachten. Für diesen Fall wird vom Autor der Vorschlag unterbreitet, die Nachvollziehbarkeit aus organisatorischen Gründen darauf zu beschränken, insofern die Herleitung der Erkenntnisleitende These für die bewertende Person kognitiv verstehbar und sinnvoll ist (Abb. 2.6).

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Abb. 2.6 Verstehensumgebung der Dimension Nachvollziehbarkeit. (Quelle: Eigene Darstellung)

2.1.2.6 Prüfmodell Die folgende grafische Abbildung ist als ein Zwischenergebnis gedacht und soll die bisherigen Überlegungen aus diesem Abschnitt möglichst anschaulich und kompakt wiedergeben. Sie dient als Grundlage zur Bewertung von Erkenntnisleitenden Thesen, als ein abstrahierter Ordnungsrahmen zur Auseinandersetzung mit Erkenntnisleitenden Thesen. Das Modell erfasst die hier diskutierten Dimensionen für eine Bewertung von Erkenntnisleitenden Thesen. Es gilt aber selbstverständlich im Einzelfall zu erwägen, welche Aspekte für die Bewertung jeweils eine Rolle spielen. Neben den angesprochenen können sicherlich noch weitere oder andere Dimensionen ebenfalls von Bedeutung sein. Das Modell soll in der Phase 7 des Forschungsrades (siehe Abschnitt 2.3.) bei der Plausibilitätsprüfung (hier in der Arbeit in Kapitel 8 im Experten-Workshop) als Leitfaden dienen, um eine strukturelle Bewertung von Erkenntnisleitenden Thesen vornehmen zu können (Abb. 2.7). Es soll noch einmal betont werden, dass die vorgeschlagenen Gütekriterien einen subjektiven Charakter haben. Es könnten auch weitere und andere Dimensionen herangezogen werden. Beispielsweise könnte eine weitere Kategorie von Erkenntnisleitenden Thesen die Dimension Sinnhaftigkeit (sinnlos – sinnhaft – selbstredend) sein, die prüft, inwieweit eine entwickelte These im Kontext als sinnvoll angesehen werden kann.

2.2

Forschungsmethodik

Es werden in dieser Arbeit folgende methodische Ziele verfolgt:

2.2 Forschungsmethodik

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- neuarg

-

fikv

Neuargkeit

bekannt

KontraIndikaon

Nachvollziehbarkeit

Plausibilität

Originalität

Abb. 2.7 Modell zur Prüfung von Erkenntnisleitenden Thesen. (Quelle: Eigene Darstellung)

Zunächst einmal besteht eine deskriptive Zielsetzung dahingehend, dass alle relevanten Grundlagen, Begriffe, Theorien und Forschungsansätze in hinreichender Form definiert, abgegrenzt und erläutert werden, sodass dem Leser das notwendige Grundlagenwissen zur Einschätzung des Potentials der Pflege-Robotik vermittelt werden kann. Die analytische Zielsetzung besteht darin, die verschiedenen Untersuchungsschritte logisch aufeinander zu beziehen und durch diese Verbindung zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Diese Erkenntnisse müssen plausibel sein und auf einer nachvollziehbaren Argumentationskette beruhen. Diese Forschung gilt für alle Wissenschaften und ihre Methoden. Trotz der vorgeschlagenen Gütekriterien behalten die Erkenntnisleitenden Thesen für Forschung mit explorativen Systemaufstellungen einen hypothetisch-spekulativen Charakter. Das theoretische Ziel dieser Arbeit liegt darin, die identifizierte Forschungslücke zu schließen. Diese besteht darin, erstmalig das Potential der Pflege-Robotik mit Erkundungsaufstellungen forschend zu untersuchen.

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2

Forschungsdesign

Eine empirische Zielsetzung besteht darüber hinaus darin zu prüfen, inwiefern ein Experten-Workshop mit qualitativer Auswertung eine Aussage darüber treffen kann, ob die Erkenntnisleitenden Thesen gehaltvoll sind. Das praxeologische Ziel liegt darin, Gestaltungs- bzw. Handlungsempfehlungen für eine erfolgreiche Implikation der Pflege-Robotik zu geben.

2.3

Forschungsprozess

Die folgende Abbildung gibt ein Überblick über den Verlauf des Forschungsprozesses, so wie er für die Arbeit (auch Forschungsrad genannt) vorgesehen ist. Dieser Prozess ist angelehnt an „The Writer’s Journey“ von CHRISTOPH VOGLER, den NANCY DUARTE (2011) ihn in ihrem Buch Resonate beschrieben hat. Der Prozess im Forschungsrad beginnt oben und bewegt sich dann im Uhrzeigersinn von Schritt zu Schritt. Der grau hinterlegte Text führt durch die verschiedenen Phasen des Forschungsprozesses: In Phase 1 wird ein Problem erkannt oder ein Thema benannt. In diesem Dissertationsprojekt ist es die Robotik in der Pflegewirtschaft als ein Ansatz um dem deutschen Pflegenotstand zu begegnen. Das Ziel dieser Phase ist die Relevanz des Themas herauszustellen. Daraufhin wird in Phase 2 das Forschungsfeld umfassend erkundet. Der Stand der Forschung wird erfasst. Das Ziel ist die Nähe zum Forschungsfeld und Forschungsgegenstand herzustellen. In Phase 3 wird das Forschungsfeld eingeengt und durch eine Forschungsfrage konkretisiert. Das Ziel besteht darin, konkrete Forschungsfragen und Annahmen zum Forschungsgegenstand aufzustellen. Die ersten drei Phasen erfassen die gegenwärtige (Ist-) Situation des Forschungsgegenstandes. Mit der Erstellung eines Systemmodells in Phase 4 mithilfe des System Mappings wird die Schwelle in einen neuen Abschnitt, die der anschlussfähigen Irritation, betreten. Als Ergebnis liegt eine Erfolgslogik hinsichtlich des Forschungsgegenstandes vor. Auf dieser Basis werden in Phase 5 im Rahmen einer Erkundungsaufstellung die Systemperspektiven des Systemmodells der Pflegewirtschaft erweitert. Der Schlüssel zur Erweiterung der Systemperspektiven liegt in den anschlussfähigen Irritationen begründet, durch die das ‚Neue‘ emergieren kann. Anschließend wird in Phase 6 die Erkundungsaufstellung bzw. das Aufstellungsvideo in Form einer Partitur transkribiert und mithilfe einer Sequenzanalyse analysiert. Das Ergebnis dieser Phase ist die Erfassung von irritierenden Sequenzen, die zu Erkenntnisleitenden Thesen überführt werden. Diese Erkenntnisleitenden Thesen durchlaufen in Phase 7 einen Transformationsprozess indem sie in ihrem Gehalt weiterentwickelt

2.4 Aufbau der Arbeit

27

und auf Plausibilität geprüft werden. Diese Gehaltserweiterung und Plausibilitätsprüfung erfolgen durch eine Befragung im Rahmen eines Experten-Workshops. Nach der Plausibilitätsprüfung werden in Phase 8 auf Grundlage der Erkenntnisse praxisrelevante Handlungsempfehlungen abgeleitet. Im Forschungsrad ist jede der acht Phasen (innerer Ring) dadurch geprägt, dass Ergebnisse zu erzielen sind (äußerer Ring). Die Phasen werden durch den grauen, inneren Ring dargestellt und die Ergebnisse im grünen, äußeren Ring. Die kreisförmige Darstellung des Forschungsprozesses ermöglicht eine wichtige Erkenntnis: Eine neue Information entsteht, wenn die gegenwärtige Situation anschlussfähig irritiert worden ist. Der Kern steht für die theoretische Grundannahme (die dem Forschungsrad zugrunde liegt), dass in erster Linie durch anschlussfähige Irritation eine neue Information und somit zu Erkenntnis führt. Durch eine konstruktive Irritation wird dem Erkenntnissubjekt eine neue Information zugeführt. Eine neue Perspektive eröffnet sich. Nach der Grundlogik der Autopoiesis (Luhmann)9 muss das Erkenntnissubjekt die angebotene (neue) Information selbst aufgreifen und dadurch sein eigenes Denken verändern. Dies geschieht durch einen internen Vergleich von (zunächst unspezifizierten) Ereignissen, wie sie sich in Erkundungsaufstellungen ereignen, mit den eigenen etablierten Denk-Strukturen und Erwartungen (vgl. Luhmann 1997, S. 118). Voraussetzung für das Gelingen des Aufgreifens neuer Informationen ist allerdings eine offene Haltung des Erkenntnissubjekts (Abb. 2.8).

2.4

Aufbau der Arbeit

In Kapitel 1 wird die wissenschaftliche und praxeologische Relevanz des Forschungsgegenstandes bestimmt und eine Forschungslücke identifiziert. Daraus ergeben sich die übergeordneten Fragestellungen für die Untersuchung. In Kapitel 2 wird die wissenschaftstheoretische Perspektive der Arbeit bestimmt, indem Forschungskonzept, Forschungsmethodik und der Forschungsprozess fundiert dargestellt werden und der Leserin und dem Leser kenntlich gemacht wird, wie auf deren Basis die Erkenntnisse gewonnen werden sollen. Ziel ist es, die Erkundungsforschung im Entdeckungszusammenhang als plausible Metatheorie einzuführen, welche folgend Einfluss auf die Argumentationslogik 9 Autopoiesis ist der Prozess der Selbsterschaffung und -erhaltung eines Systems (Luhmann). Das Konzept der Autopoiesis charakterisiert lebende Systeme als den Prozess, d. h. konkret die Form der Organisation, der diese verwirklicht, anstatt sie über eine Aufzählung ihrer einzelnen Eigenschaften zu definieren.

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2

Forschungsdesign

Abb. 2.8 Forschungsrad – Entwicklungsweg von Erkenntnisleitenden Thesen. (Quelle: Müller-Christ und Pijetlovic 2018)

der Arbeit nehmen wird. Aus dieser Basis werden letztlich auch die Gütekriterien für Erkenntnisleitende Thesen entwickelt. In Kapitel 3 der Untersuchung werden die Begrifflichkeiten und theoretischen Grundlagen der Pflege-Robotik, Systemtheorie und Erkundungsaufstellungen beschrieben, um eine definitorische Basis über den Untersuchungsgegenstand zu entwerfen. Hierzu findet ein Einblick in das (Um-)Feld der Pflege-Robotik statt. Anschließend wird eine Arbeitsdefinition der Pflege-Robotik entwickelt. Neben den begrifflichen Abgrenzungen wird dieses Kapitel überwiegend deskriptiv ausgestaltet sein. In Kapitel 4 wird hinsichtlich der Pflege-Robotik eine systematische Untersuchung der Literaturlandschaft mithilfe des Scoping Reviews vorgenommen. Das Ziel ist zu bestimmen, inwieweit sich Wissenschaftler/innen und Forscher/innen

2.4 Aufbau der Arbeit

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in ihren Arbeiten und Studien mit der Thematik der Pflege-Robotik auseinandergesetzt haben, um ein tieferes Verständnis der wissenschaftlichen Debatte und ihrer Argumente zu gewinnen, indem die grundlegenden Konzepte und Ideen zur Pflege-Robotik aufgedeckt werden. In Kapitel 5 erfolgt die Durchführung der Methode des Netmappings in Form einer Erfolgslogik, um eine Implementierungsstrategie der Pflege-Robotik zu entwerfen. Es werden die dafür notwendigen Akteure der Pflegewirtschaft in die konzeptionelle Betrachtung einbezogen sowie Erfolgsfaktoren, Hemmnisse und Hebel definiert, untersucht und miteinander in Beziehung gesetzt. Als Ergebnis entsteht eine Erfolgslogik auf deren Basis die ersten Erkenntnisleitenden Thesen entwickelt werden. In Kapitel 6 wird die Relevanz der Erkundungsforschung für den Kontext der Pflege-Robotik dargestellt. Es wird die Erkundungsaufstellung als Erkenntnismethode beschrieben und argumentiert, weshalb die Methode der Erkundungsaufstellung dazu geeignet ist, das Pflegesystem mithilfe dieses Verfahrens zu betrachten, um auf diese Weise weitere Erkenntnisleitende Thesen zur Pflege-Robotik abzuleiten. In Kapitel 7 erfolgt die Präsentation der methodischen Durchführung von zwei Erkundungsaufstellungen zur Pflege-Robotik. Das Ziel ist, Wechselwirkungen und Beziehungen der Akteure im System der Pflegewirtschaft zu erkunden. Die Aufstellungspartitur dient als Tool zur Auswertung der Erkundungsaufstellungen, um relevante Schlüsselsequenzen zu identifizieren, auf deren Basis weitere Erkenntnisleitende Thesen entstehen. Es werden zwei Exkurse dargestellt, die im Zusammenhang mit den Erkundungsaufstellungen stattgefunden haben. Im ersten Exkurs SystemAHA werden die Untersuchungen zur Messung der Gehirnfrequenzen beschrieben, die im Rahmen der Aufstellung erfolgten und Erkenntnisse auf das Kreativitätspotenzial von Erkundungsaufstellungen liefern sollen. Im zweiten Exkurs wird das CARE.Y Projekt vorgestellt, das auf Basis der Erkundungsaufstellung mit dem Roboter Luna entstanden ist und auf die Entwicklung eines digitalen Assistenten für Menschen in Pflege ausgelegt ist. In Kapitel 8 erfolgt die Darstellung der Plausibilitätsprüfung mithilfe eines Workshops, der mit Experten/innen durchgeführt wird. Auf dieser Basis werden die Erkenntnisleitenden Thesen in den Dimensionen der Gütekriterien interpretiert und sollen in ihren Gehalt und Wert erweitert werden. Kapitel 9 fasst die Untersuchung in Hinblick auf das theoretische und praxeologische Forschungsziel dieser Arbeit zusammen und gibt einen Ausblick. Die erklärende Ebene der Arbeit wird hiermit zur empfehlenden, also präskriptiven Ebene verlassen. Die Empfehlungen haben mitunter einen normativen Charakter. Zuletzt wird der Gang der Untersuchung kritisch reflektiert.

3

Begriffliche und theoretische Grundlagen

„Roboter werden Menschen innerhalb der nächsten hundert Jahre mit künstlicher Intelligenz überholen. Wenn das passiert müssen wir sicher gehen, dass die Ziele der Roboter mit unseren übereinstimmen.“ Stephen Hawking

Im dritten Kapitel werden alle relevanten Grundlagen für die Entwicklung von Erkenntnisleitenden Thesen zum Potential der Pflege-Robotik erörtert: Roboter und Pflege-Robotik, Systemtheorie und Erkundungsaufstellungen.

3.1

Einführung in das Feld der Pflege-Robotik

Der Begriff Pflege-Robotik wird in der deutschsprachigen Fachliteratur nicht verwendet. Stattdessen sind in der Wissenschaft die Bezeichnungen des Serviceroboters oder Service-Robotik geläufig. Dennoch wird in dieser Arbeit der Begriff Pflege-Roboter oder Pflege-Robotik gewählt, um deutlich herauszustellen, dass es sich bei dem Untersuchungsgegenstand um Robotik handelt, die explizit in der (Alten-)Pflege Anwendung findet. In diesem Sinne soll in dieser Arbeit der Begriff Pflege-Robotik viel pragmatischer und weiter gefasst werden, als das Bild einer menschenähnlichen Maschine, die Pflegeaufgaben übernimmt. Pflege-Robotik kann beispielsweise in Alltagsgegenständen und Mobiliar integriert sein, die den Menschen unterstützen und ihm im Alltag helfen. Die Mehrzahl der Pflege-Robotik-Technologien befindet sich weitestgehend noch in © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Pijetlovic, Das Potential der Pflege-Robotik, Systemaufstellungen in Wissenschaft und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31965-6_3

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3

Begriffliche und theoretische Grundlagen

der Forschungs- und Entwicklungsphase und sind in der Praxis vereinzelt als Prototypen vorhanden. Die mittlerweile zahlreichen Pflege-Roboter-Prototypen von Forschungseinrichtungen, Universitäten und spezialisierten Roboterfirmen haben zwar teilweise ein marktfähiges Niveau erreicht, jedoch ist ein erfolgreiches Einsetzen von Pflege-Robotern in der breiten Praxis noch ausgeblieben (vgl. Decker et al. 2011, S. 37). Informationen, Forschungsergebnisse und Kenntnisse über den Einsatz im Alltag sind bislang nur rudimentär vorhanden. Am stärksten sind einfache Pflege-Assistenzroboter auf dem Markt präsent (vgl. Becker et al. 2013, S. 73). Um den weiteren Inhalt der Arbeit besser nachvollziehen zu können und Missverständnisse im Gebrauch von bestimmten Begriffen zu vermeiden, folgen begriffliche Bestimmungen, Definitionen und Anmerkungen. Fundamental ist die eindeutige Definition des Begriffes Pflege-Roboter. Ergänzend werden sinnvoller Weise auch die Begriffe Industrie- und Serviceroboter geklärt, die im Rahmen dieser Arbeit ebenfalls von Bedeutung sind. Die definierten Begriffe werden selbstverständlich in der Arbeit fortwährend gleichbedeutend angewandt (Esselborn-Krumbiegel 2008, S. 153). Um eine bessere Einsicht in die PflegeRobotik gewährleisten zu können, werden zunächst die grundlegenden Begriffe Roboter und Serviceroboter näher beleuchtet. Daraufhin folgt die Definition des Begriffes Pflege-Roboter. Und anschließend werden im Unterkapitel einige Arten bzw. eine Einteilung der Pflege-Roboter dargestellt, die in der Literatur auffindbar sind. In der vorliegenden Forschungsarbeit wird der allgemeine Begriff Serviceroboter ebenfalls stellenweise genannt, da grundlegende Informationen nicht nur für Pflege-Roboter gelten bzw. nicht nur auf diese umgelegt werden können. Außerdem wird grundsätzlich auf keinen speziellen Pflege-Roboter Bezug genommen.

3.1.1

Entstehung des Begriffs Roboter

Robotik ist die Wissenschaft über die Entwicklung von Robotern. Das Geburtsjahr des Begriffes Roboter war 1920 und wurde durch den Tschechen KAREL CAPEK mit seinem Theaterstück Rossum Universal Roboter (R.U.R.) geprägt. In CAPEKs Landessprache Tschechisch als auch in Russisch bedeutet Roboter „Arbeit“. Unter Roboter wird eine Maschine zumeist in menschenähnlicher Gestalt verstanden, die anstelle des Menschen seine Arbeit verrichtet (Becker et al. 2013, S. 17). Zu CAPEKs Zeit verband man mit Robotern nicht zuletzt durch sein Werk eine Bedrohung für den Menschen. Wenig später schuf ISAAC

3.1 Einführung in das Feld der Pflege-Robotik

33

ASIMOV die drei Robotergesetze und stellte den Roboter als „Freund und Helfer“ des Menschen dar (Stampfl 2011, S. 140; Lohse 2012, S. 3). Laut GATES (2007, S. 62) liegt der Robotergedanke bereits mehrere tausend Jahre zurück. Beispielsweise soll Leonardo da Vinci bereits einen Roboterarm konstruiert haben. Die Idee des Roboters entstand „im Reich der Utopie und in der Science-Fiction“ (Stampfl 2011, S. 140).

3.1.2

Industrieroboter

Es gibt eine Vielzahl an Robotik-Systemen, die weltweit im Einsatz sind, und oftmals werden in der Öffentlichkeit mit dem Begriff Robotik bestimmte Assoziationen ausgelöst, die sich an den klassischen Robotersystemen orientieren. Eine verbreitete Vorstellung in diesem Zusammenhang ist, dass Roboter in großen Produktionsanlagen, hochpräzise, auf einander abgestimmte und unveränderliche Aufgaben ausführen (vgl. Klein et al. 2018, S. 6). Beispielsweise werden in der Automobilindustrie häufig solche Roboter genutzt. Diese Roboter, die in der Produktion genutzt werden, werden als Industrieroboter bezeichnet. Eine allgemein anerkannte Definition für Industrieroboter, festgelegt durch den VDI lautet: „Industrieroboter sind universell einsetzbare Bewegungsautomaten mit mehreren Achsen, deren Bewegungen hinsichtlich Bewegungsfolge und Wegen bzw. Winkeln frei programmierbar und gegebenenfalls sensorgeführt sind. Sie sind mit Greifern, Werkzeugen oder anderen Fertigungsmitteln ausrüstbar und können Handhabungs- und/oder Fertigungsaufgaben ausführen“. (Naber 1991, S. 7)

Industrieroboter unterliegen aufgrund ihrer baulichen und technischen Eigenschaften strengen Sicherheitsmaßnahmen und agieren daher oft hinter Sicherheitszäunen. Allerdings rückt durch die Verwendung von immer mehr Sensoren und Leichtbaurobotern, die Arbeitsraum- und Aufgabenteilung von Menschen und Robotern immer dichter zusammen. In der Gesundheits- und Pflegebranche lässt sich das auch nicht vermeiden. Das Statistik-Portal Statista schätzt die Anzahl der Industrieroboter weltweit auf etwa 1,6 Millionen, wobei die Automobilbranche deutlich vor der Elektrobranche und Metallverarbeitung liegt (vgl. Breitkopf 2020).

34

3.1.3

3

Begriffliche und theoretische Grundlagen

Humanoide Roboter

Wenn in dieser Forschungsarbeit von Pflege-Roboter die Rede ist, dann sind damit hauptsächlich humanoide Roboter gemeint. Humanoide Robotik bedeutet, dass deren Konstruktion der menschlichen Gestalt nachempfunden ist. Häufig sind Positionen von Gelenken sowie Bewegungsabläufe eines humanoiden Roboters von den menschlichen Gelenkpositionen und Bewegungsabläufen inspiriert. Des Weiteren läuft ein humanoider Roboter meistens auf zwei Beinen. Unternehmen und Forschungsinstitute im Bereich der humanoiden Robotik sind vornehmlich in der Telepräsenz- und Assistenzrobotik beschäftigt (vgl. Becker u. a. 2013, S. 46). Der humanoide Robotertyp ist nicht nur der Vorlage des Menschen nachempfunden, er soll auch mit den Menschen eng zusammenarbeiten, um bestimmte Zwecke zu erfüllen. Im Pflegebereich findet in erster Linie eine gemeinsame Zusammenarbeit mit Pflegekräften statt, aber auch mit Pflegeklienten. Ein Beispiel für einen humanoiden Roboter ist der Roboter Sophia. Sophia ist ein humanoider Roboter, die von dem Unternehmen Hanson Robotics entwickelt wurde. Ansässig ist das Unternehmen in Hongkong. Berühmt und bekannt geworden ist Sophia durch ihr auffällig menschliches Aussehen, durch ihre Mimik, Gestik und ihr Verhalten. Hanson Robotics gibt an, dass Sophia über eine künstliche Intelligenz verfügt, die die Fähigkeit zur visuellen Datenverarbeitung und zur Gesichts- und Emotionserkennung hat (vgl. www.wikipedia.org/ wiki/Sophia_Roboter). Sie deutet und imitiert demnach menschliche Gestik und Mimik und ist dazu in der Lage, bestimmte Fragen zu beantworten und über vordefinierte Themen einfache Gespräche zu führen (vgl. CNBC Bericht über Sophia, abgerufen am 15. Oktober 2017) (Abb. 3.1).

3.1.4

Cobots

Somit können die hier angesprochenen humanoiden Roboter für den Pflegebereich dem Typus der kollaborativen Roboter zugeordnet werden. Kollaboration kommt aus dem lateinischen und setzt sich aus den beiden Begriffen co- ‚mit-‘ und laborare ‚arbeiten‘ zusammen. Damit sind die Mitarbeit bzw. Zusammenarbeit zwischen Personen oder Gruppen von Personen gemeint. Historisch ist der Begriff im europäischen Raum negativ besetzt und steht für die Zusammenarbeit mit dem Feind zu Zeiten eines Krieges oder der Besatzung. In diesem Sinne werden „kollaborierende“ Personen als Kollaborateure bezeichnet. Die vorliegende Arbeit behandelt diesen Begriff jedoch im Verständnis der Wirtschaftswissenschaften, wo der Ausdruck wertfrei verwendet wird. Kollaboration meint hier eine Form

3.1 Einführung in das Feld der Pflege-Robotik

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Abb. 3.1 Sophia beim „AI for Good Global Summit“ der Internationalen Fernmeldeunion in Genf (2018). (Quelle: https:// www.flickr.com/photos/itu pictures/27254369347/)

der Kooperation oder Zusammenarbeit. Die kollaborativen Roboter werden auch abgekürzt als „Cobots“ bezeichnet. „Co“ steht für den englischen Begriff „collaborativ“ und „bot“ für Roboter (vgl. Peshkin 2018; Silvermann 2000). Darüber hinaus sollen humanoide Roboter im Pflegebereich auch mit den Menschen interagieren und vor allem Dienstleistungen für Pflege-Klienten im Haushalt erbringen. Dieser Aspekt schneidet den Bereich der Servicerobotik an.

3.1.5

Serviceroboter

Als Serviceroboter bezeichnet man Roboter, die Dienstleistungen für den Menschen außerhalb der Produktion erbringen. Sie unterscheiden sich in Aufbau und Funktionen deutlich von Industrierobotern. Die Forschungsarbeit orientiert sich an der Definition der International Federation of Robotics (IFR), die seit 2012 in der ISO-Norm 8373 festgelegt ist (vgl. The Impact of Robots on Productivity, Employment and Jobs 2018, S. 1): „Ein Serviceroboter ist gemäß der aktuellen Definition der IFR ein Roboter, der teil- oder vollautonom Dienstleistungen zum Nutzen menschlichen Wohlbefindens und für Einrichtungen oder für Aufgaben außerhalb der industriellen Produktion ausführt. Serviceroboter werden unterschieden nach solchen für gewerbliche

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3

Begriffliche und theoretische Grundlagen

Anwendungen (üblicherweise bedient durch eine eingewiesene Person) und solchen für persönliche und domestische Anwendungen (bedient durch Laien, nicht eingewiesene Personen).“

Grundlegend für den Einsatz von Servicerobotern ist, dass sie für den jeweiligen Anwendungskontext mithilfe entsprechender Technologien sicher und konform zu den jeweils gültigen Normen der ISO gestaltet werden. Das gilt auch für Industrieroboter, nur ist der Anwendungskontext im direkten menschlichen Umfeld für Serviceroboter viel komplexer, denn schließlich soll eine direkte Interaktion zwischen Menschen, die nicht Experten sind, und Roboter erfolgen. Daher sind primäre Einsatzfelder von Servicerobotern in erster Linie private Haushalte, wo sie u. a. Dienstleistungen wie Staubsaugen, Rasenmähen oder Unterhaltung erbringen. Die Systeme sind meist mobil, können also frei navigieren und sind mit Sensorik und Aktorik ausgestattet, die sie zur Ausführung von bestimmten Aufgaben benötigen (Klein et al. 2018, S. 7). Des Weiteren unterscheidet die IFR zwischen personal und professional Servicerobotern. Die personal Serviceroboter werden normalerweise von Laien für nicht-kommerzielle Aufgaben angewandt. Die professional Serviceroboter werden hingegen für kommerzielle Zwecke verwendet und vorwiegend von ausgebildetem Personal bedient (International Federation of Robotics [IFR], 2014). Da Pflege-Roboter zunehmend von ungeschulten Personen im persönlichen Umfeld eingesetzt werden und intuitiv in einer sich immer verändernden Umgebung reagieren müssen, sind sie eher den personal Servicerobotern zuzuordnen. Darüber hinaus unterteilen SHARKEY & SHARKEY (2010, S. 2) Pflege-Roboter in assistive, überwachende und begleitende Roboter. Bezüglich Roboter im häuslichen Umfeld unterscheiden DAHL & BOULOS (2013, S. 4 ff.) eingehend: Telepresence and Companion Robots, Humanoid Robots for Entertaining, Robots as Motivational Coaches, Home Assistance Robots. Demzufolge können künftige Pflege-Roboter je nach Art der Anwendung unterteilt werden in: Telepräsenz- und Begleitroboter, humanoide Unterhaltungsroboter, motivierende Sozialroboter und häusliche Assistenzroboter. Pflege-Roboter könnten auch in zwei von BECKER et al. (2013, S. 21) definierten Gerätegruppen, Telepräsenz- und Assistenzroboter und sozial-interaktive Roboter, eingeteilt werden. Es wird jedoch erläutert, dass zwischen den einzelnen Gruppen Überschneidungen in der Zuordnung von Funktionsfähigkeiten bestehen. BECKER et al. (2013, S. 40) stellen weiter klar, dass bei Telepräsenz- und Assistenzroboter auch in Pflegeassistenzroboter, die das Pflege- und Betreuungspersonal entlasten, und persönliche Assistenzroboter, die Pflege- und Hilfsbedürftige im Alltag unterstützen, differenziert werden kann. Dennoch ist keine klar definierte Einteilung oder Abgrenzung von den unterschiedlichen bereits existierenden oder

3.1 Einführung in das Feld der Pflege-Robotik

37

zukünftigen Pflege-Robotern möglich. Die Ursache hierfür sind die verschiedenen Funktionen, Fähigkeiten, sowie das Erscheinungsbild. Ein Hauptmerkmal der Pflege-Robotik ist, dass es in der Lage sein sollte, mit den Menschen, v. a. mit Pflegeklienten und Pflegekräften, zu interagieren. Die Fähigkeit der Kommunikation von humanoiden Robotern mit Menschen erfüllt somit auch ein menschliches Bedürfnis nach (sozialer) Nähe und Gesellschaft. Auch dieser soziale Aspekt kann als Gegenentwurf zu Industrierobotern betrachtet werden und geht weiter als die Perspektive des personalen Serviceroboters, da eine praktische, nutzbare Funktion nicht klar funktionell definiert ist (vgl. Scholtz 2008, S. 139).

3.1.6

Soziale Roboter

Soziale Roboter sind darauf ausgelegt Beziehungen aufzubauen und passen sich an ihre Umwelt an. SCHOLTZ (2008) beschreibt die soziale Robotik folgendermaßen: „Während die herkömmliche Robotikforschung sich darauf konzentrierte, die Grundlagen dafür zu schaffen, dass Roboter schnell und effektiv arbeiten können, verfolgt der Ansatz der sozialen Robotik das Ziel, Maschinen mit sozialkommunikativen Fähigkeiten auszustatten, so dass sie mit Menschen interagieren können und sich nicht nur in der klar strukturierten Welt eines Labors oder einer Fabrikhalle zurechtfinden, sondern auch in privaten Wohnräumen“ (vgl. Scholtz 2008, S. 3).

In einigen Diskursen wird die Rolle von „social Robotics“ noch weiter gefasst. So werden Roboter wie Lebewesen betrachtet und es wird von Unterordnung in Form eines sozialen Gefälles gesprochen (vgl. Krähling 2006, S. 71). Demensprechend können Pflege-Roboter im Pflegebereich ein Hybrid sein, zwischen kollaborativen, humanoiden, serviceorientierten und sozialen Robotern. Beispiele für soziale Roboter sind die Roboter-Typen Pepper und Nao des Unternehmens Softbank, die weltweit schon im Markt im Einsatz sind (Abb. 3.2 und 3.3). Eine neue Innovation eines Roboters hat das recht junges Unternehmen aus Norwegen Halodi Robotics entwickelt. Halodi Robotics arbeitet ebenfalls an sozialen bzw. humanoiden Robotern und hat Anfang 2019 im Internet ihr neustes Roboter-Modell Eve bzw. EVEr3 (siehe Abbildung 3.4) vorgestellt. Das Besondere an Eve soll laut der Beschreibung der Web-Page des Unternehmens sein, dass sie einen Revo1-Antriebssystem mit selbst entwickelten Motoren von Halodi Robotics besitzt, die eine „nahezu reibungslose Getriebe-Funktion“ ermöglichen. Des Weiteren besitzt Eve motorische Hände, die in der Lage sind zu greifen sowie

38

3

Begriffliche und theoretische Grundlagen

Abb. 3.2 Pepper. (Bildquelle: Denis Pijetlovic)

Abb. 3.3 Nao. (Bildquelle: Softbank Robotics)

modular angebracht und ausgetauscht werden können. Mit ihren „motorischen Armen“ soll Eve in der Lage sein bis zu 10 kg schwere Gegenstände zu heben und zu transportieren. Aus technischer Perspektive scheint Eve aktuell der vielversprechendste Roboter zu sein, der in der Pflege und im häuslichen Bereich zum

3.1 Einführung in das Feld der Pflege-Robotik

39

Einsatz kommen kann. Allerdings gibt es Eve bislang lediglich als Prototyp und für einen flächendeckenden Einsatz im Markt muss Eve sich erst noch bewähren. Die Vision von Halodi Robotics ist jedoch einen Roboter herzustellen, der vom Preis her erschwinglich für alle Privathaushalte sein soll (vgl. https://www.halodi. com/about).

Abb. 3.4 Eve. (Bildquelle: Halodi Robotics)

3.1.7

Definition der Pflege-Robotik

Nach eingehender Literaturrecherche und laut VAN WYNSBERGHE (2013, S. 409) gibt es keine eindeutige Definition für Pflege-Roboter, da sich diese nach Art und Fähigkeit unterscheiden und dementsprechend auch ein verschiedenes Äußeres haben werden. Woraufhin VAN WYNSBERGHE (2013) erläutert, dass Pflege-Roboter flexibel nach Anwendungsgebiet oder Umfeld, seinen Benutzerinnen und Benutzern oder dem Anwendungszweck bzw. der Tätigkeit interpretiert werden können. Grundsätzlich bedeutet dies, dass Pflege-Roboter Roboter sind, die in einem Krankenhaus, einer Pflegeeinrichtung bzw. in der ambulanten Pflege

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3

Begriffliche und theoretische Grundlagen

eingesetzt werden oder von Pflegekräften bzw. Betreuungs- und Pflegebedürftigen verwandt werden oder lediglich Tätigkeiten ausüben, die die Betreuung und Pflege von Menschen erleichtert. Eine ähnliche Definition hat VALLOR (2011, S. 252): Nach ihm sind Pflege-Roboter Roboter, die zum Einsatz im häuslichem Umfeld, Krankenanstalten oder anderen Einrichtungen zur Hilfestellung, Unterstützung oder Betreuung von kranken, behinderten oder vulnerablen jungen bzw. älteren Menschen konzipiert wurden. Wobei hier nochmals darauf hingewiesen wird, dass in dieser Forschungsarbeit in erster Linie auf Pflege-Roboter im häuslichen Umfeld Bezug genommen wird. Eine sehr vereinfachende Weise, Pflege-Roboter zu definieren, ist die folgende: „A care robot is one that is used in the care of persons in general.“ (vgl. van Wynsberghe 2013, S. 409).

Eine sehr übersichtliche Klassifizierung von Pflege-Robotern liefern KLEIN et al. (2018, S. 11 ff.) in Robotik in der Gesundheitswirtschaft. Es wurden insgesamt 170 Robotersysteme näher betrachtet und verschiedenen Einsatzfeldern nach zugeordnet. Eine grobe Aufteilung der Einsatzfelder kann man der folgenden Abbildung 3.5 entnehmen. Die Autoren schreiben dazu: „Zu beachten ist, dass die Grenzen zwischen den Einsatzfeldern bzw. Anwendungen teilweise fließend und lediglich als Vorschlag und Strukturierungshilfe zu verstehen sind“ (Klein et al. 2018, S. 12).

Weiter machen die Autoren darauf aufmerksam, dass es durchaus möglich sein kann, dass die Robotersysteme mehreren Einsatzfelder zuzuordnen sind. Demnach gehören Robotersysteme, die diesen Einsatzfeldern zuzuordnen sind, im weitesten Sinne dem Bereich der Pflege-Robotik an.

3.2

Die systemische Perspektive

Die Erkundungsforschung mithilfe von Erkundungsaufstellung als Basis und Kernmethode des Dissertationsprojekts ist ein systemisches Verfahren, dessen konzeptionelle Grundlage in der systemischen Forschung liegt und ein Teil der Systemtheorie und der Systemwissenschaft ist (vgl. Scholz 2015, S. 131). In der Systemtheorie wird untersucht, wie Systeme funktionieren und was die Überlebensbedingungen sind. Untersuchung dieser Art sind abhängig von der jeweiligen systemischen Perspektive, die der Forscher einnimmt. Daher werden in

3.2 Die systemische Perspektive

41

Abb. 3.5 Einsatzfelder für Robotersysteme in der Gesundheitswirtschaft. (Quelle: Klein et al. 2018, Robotik in der Gesundheitswirtschaft, S. 12)

diesem Abschnitt die hier zugrunde liegenden Konzepte der systemischen Perspektive und die Systemtheorie näher beschrieben, um einen Bezugsrahmen zur Erkundungsforschung zu setzen. In der Fachliteratur lassen sich immer wieder Hinweise finden, dass die Erforschung von Systemen häufig mit einer systemischen Haltung des Forschenden erfolgt (vgl. Ochs und Schweitzer 2012). Eine systemische Haltung im Forschungsprozess beruht auf der Erkenntnis, dass Beobachter/in (Subjekt) und Beobachtetes (Objekt) aus verschiedenen Gründen nicht zu trennen sind: Das Beobachtete zeigt sich nicht so, wie es ist, sondern es zeigt sich gemäß der Fragestellung des Beobachtenden (vgl. Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 8). Aus diesem Grunde gewinnt das systemische Denken für die (Er-)Forschung und das Management von komplexen Systemen, wie auch für das System der Pflegewirtschaft, zunehmend an Bedeutung. Der Professor für Soziale Arbeit an der

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3

Begriffliche und theoretische Grundlagen

Fachhochschule Merseburg/Halle JOHANNES HERWIG-LEMPP (2010, aktualisiert im Januar 2014) hat in seinem Diskussions-Beitrag für die Internetplattform www.systemisch-forschen.de seine Vorstellungen über die Haltung des systemischen Forschens folgendermaßen ausgedrückt, die sich auch der Verfasser dieser Forschungsarbeit anschließen möchte: „Systemisch zu forschen bedeutet für mich unter anderem, dass ich mich immer mal wieder an folgende Voraussetzungen (Grundannahmen, Axiome, Definitionen, Ideen) erinnern kann: • Forschung erfindet und konstruiert Wissen (und „findet“ es nicht einfach nur), d. h. sie erfindet die Wirklichkeit, die sie erforschen will: „Die Umwelt, die wir wahrnehmen, ist unsere Erfindung“ (von Foerster 1997, S. 26). • Systeme sind keine Dinge, sondern eine Funktion unseres Geistes, ein Ergebnis unseres (Nach-) Denkens, Entscheidens, Handelns: „‚System‘ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht ein Ding, sondern eine Liste von Variablen. Diese Liste kann variiert werden, und die allgemeinste Aufgabe des Experimentators ist es, die Liste zu variieren (‚andere Variablen zu berücksichtigen‘), bis er schließlich eine Gruppe von Variablen ausfindig gemacht hat, die die gewünschte Eindeutigkeit ergibt“ (Ashby 1974, S. 68 f.). • Für die Zusammenstellung der zu erforschenden Systeme und damit für die Ergebnisse ihrer Forschung sind die ForscherInnen mit verantwortlich: „Objektivität ist die Selbsttäuschung eines Subjekts, dass es Beobachten ohne ein Subjekt geben könnte. Die Berufung auf Objektivität ist die Verweigerung der Verantwortung – daher auch ihre Beliebtheit“ (Glasersfeld 1998, S. 242) • „Es könnte auch anders sein,“ d. h. „es gibt immer mindestens sieben Möglichkeiten“ (Herwig-Lempp 2009, 2012) zu beschreiben, zu erklären und zu handeln (also auch zu erforschen) bzw. eine (unendliche) Vielzahl von Möglichkeiten, wie Wirklichkeit erforscht, d. h. beschrieben und erklärt werden (und damit als „wahr“ erscheinen) kann. • Zwischen „Wissen“ und dem „Glauben zu wissen“ besteht ein Unterschied, der vielleicht meistens vernachlässigt werden kann, manchmal aber doch einen Unterschied macht und von Bedeutung sein kann. Aus systemischer Perspektive ist objektives Wissen letztlich nicht möglich, aber zugleich ist erklärbar, wieso man immer wieder ganz fest davon überzeugt sein kann, die „wirkliche Wahrheit“ erkannt zu haben. • Forschung wird nach ihrer Nützlichkeit und Brauchbarkeit sowie nach Plausibilität beurteilt, nicht nach dem Kriterium der Wahrheit: Wer hat welchen Nutzen von der jeweiligen Forschung und deren Ergebnissen?“ (Herwig-Lempp 2014, S. 1–3)

In der Systemtheorie werden natürliche, technische und soziale Systeme behandelt und unterschieden. Somit handelt es sich um eine interdisziplinäre Wissenschaft, die in die Bereiche der Natur,- Geistes- und Sozialwissenschaften reicht

3.2 Die systemische Perspektive

43

und dort durch Erkenntnisse der Psychologie weiterentwickelt wurde (vgl. Gminder 2005, S. 207). Die Systemtheorie ist noch eine relativ junge Wissenschaft, die mit dem systemischen Denken in verschiedensten Bereichen der Wissenschaft Einzug genommen hat. Systemisches Denken bedeutet in diesem Sinne, Erklärungen zu verwenden, die sich aus der Systemtheorie ableiten lassen und es werden Formen, Modelle und Bilder verwendet, um Systeme darzustellen. Das bedeutet vor allem, dass Relationen zwischen Objekten betrachtet und zirkuläre Erklärungen verwendet werden. System Mapping, Konstellationsanalysen und System Dynamics sind bekannte Ansätze, die Funktionsweisen von Systemen durch Beobachtung von außen und durch Interpretation von Experten/innen abbilden (vgl. Senge 2011). Des Weiteren lassen sich die Anfänge der Systemtheorie in den 1950 Jahren, mit der General Systems Theory des Biologen LUDWIG VON BERTALANFFY (1949), finden. BERTALANFFY sah durch die allgemeine Systemtheorie die Möglichkeit einer Zusammenarbeit der Einzeldisziplinen sowie gemeinsame Regelmäßigkeiten zu entdecken (vgl. Matthies 2002, S. 5). Ebenfalls in den 1950 Jahren wurde der Begriff der Kybernetik von NORBERT WIENER populär. In der Kybernetik geht es um die Steuerung von Verhalten, unabhängig von der Materialität des untersuchten Gegenstandes (vgl. Simon 2013, S. 12). WIENER (1952/1965) zeigt auf, dass in verschiedenen Wissenschaften wie beispielsweise Technik, Biologie, Medizin und Sozialwissenschaften Regelungsund Steuerungsvorgänge vorkommen, die in ihrer Grundstruktur ähnlich sind (vgl. Wiener in Scholz 2015, S. 134). Sowohl die allgemeine Systemtheorie als auch die Kybernetik wurden von Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen aufgegriffen (vgl. Matthies 2002, S. 6). Besonders bedeutsam für die Sozialwissenschaften und auch fachübergreifend ist die soziologische Systemtheorie von NIKLAS LUHMANN. Bei LUHMANN geht es um die Differenz zwischen System und Umwelt. Es wird zwischen organischen, psychischen und sozialen Systemen unterschieden. Psychische Systeme denken, soziale Systeme kommunizieren und schaffen Gesellschaft und Kultur. HANS ULRICH versteht Unternehmen aus Sicht des systemorientieren Managements als ein komplexes, produktives und soziales System, das eingebettet ist in eine komplexe und dynamische Umwelt. Die Umwelt besteht aus anderen Systemen als Kunden und Mitarbeiter (vgl. Gminder 2005, S. 73). Es stellt sich die Frage, welchen Nutzen die Systemtheorie in der Betriebswirtschaftslehre entfaltet? Laut GITTA HUßMANN (2014) macht sich die BWL: „…insbesondere das Vokabular und die grundlegenden Aussagen systemtheoretischer Ansätze aus der Biologie, Physik und Soziologie zunutze, um Erkenntnisse

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3

Begriffliche und theoretische Grundlagen

über komplexe Unternehmen in komplexen Umwelten zu gewinnen“ (Hußmann 2014, S. 25).

Im Nachhaltigen Management werden Unternehmen beispielsweise als komplexe, dynamische und offene Systeme verstanden. Anders als natürliche Systeme, entstehen Unternehmen jedoch nur aufgrund von menschlichen Absichten und sind damit künstlich erschaffene Systeme, die ihre Handlungsfähigkeit trotz Offenheit durch Abgrenzung, das bedeutet durch Bildung einer Einheit, zur Umwelt erhalten. Unternehmen werden deshalb als komplexe Systeme verstanden, weil zwischen den einzelnen Elementen (Abteilungen, Mitarbeitern, Prozessen, Stakeholdern etc.) eine solche Menge an Beziehungen und Wechselwirkungen bestehen, dass diese unmöglich alle zu überschauen sind. Jede dieser Beziehungen unterliegt einer eigenen Dynamik (Eigenverhalten) und damit einhergehenden unvorhersehbaren Rückkopplungen und befindet sich in ständiger Entwicklung. Darüber hinaus können Ergebnisse selten auf eine Kausalursache zurückgeführt werden. Ergebnisse in Unternehmen sind eher emergent, d. h., sie sind nicht kausal verursacht, sondern gehen aus der Zusammenwirkung aller Systemelemente hervor und hängen insbesondere von mit der Zeit entwickelten Strukturen bzw. Mustern ab. Die Elemente und die bestehenden Beziehungen bestimmen die Zustände und Verhaltensweisen des Systems, letztlich stellt das Beziehungsgefüge die Struktur eines Systems dar. Für Professor JOHANNES RÜEGG-STÜRM (2005) von der Universität in St. Gallen weisen Unternehmen neben ihrer Künstlichkeit spezielle Charakteristika auf, die sie von anderen komplexen Systemen unterscheiden: • Unternehmen sind wirtschaftliche Systeme, d. h., die Gelderträge einer Unternehmung müssen langfristig die Aufwendungen abdecken (Rüegg-Stürm 2005, S. 10). • Unternehmen sind zweckorientiert und multifunktional, d. h., sie müssen durch die eigene spezifische Wertschöpfung Funktionen für andere Systeme ausüben und dabei die Anliegen mehrerer Anspruchsgruppen gleichzeitig zufrieden stellen (Rüegg-Stürm 2005, S. 10). • Unternehmen sind soziotechnische Systeme. Menschen erfüllen, unterstützt durch technische Hilfsmittel, in einem hoch komplizierten arbeitsteiligen Prozess bestimmte Aufgaben (Rüegg-Stürm 2005, S. 10). • Unternehmen stehen, wie andere Systeme, im Wettbewerb. In diesem speziellen ökonomischen Wettbewerb gilt es, Knappheit mit möglichst wenig Mitteleinsatz zu beseitigen und durch die kreative Entdeckung und Schaffung neuer Wünsche neue Knappheit zu schaffen. Im permanenten Wettbewerb

3.2 Die systemische Perspektive

45

haben vornehmlich diejenigen Unternehmen Erfolg, denen es immer wieder gelingt, nutzenstiftende Aufgaben zu entdecken und diese im Vergleich zu Konkurrenzunternehmen besser, d. h. mit einer überlegenen Nutzenstiftung für die verschiedenen Anspruchsgruppen, (Effektivitätsvorteil) und kostengünstiger (Effizienzvorteil) zu erfüllen (Rüegg-Stürm 2005, S. 11). DONELLA H. MEADOWS stellt eine zentrale Idee bereit, mithilfe derer in ein System eingegriffen werden kann. Sie spricht davon, dass Systeme für Veränderungen sogenannte Paradigmen1 überwinden müssen (vgl. Meadows 2010, S. 170–192). Die Erkenntnis, dass kein Paradigma das einzige wahre ist und die mit dieser Erkenntnis einhergehende Ungebundenheit und Flexibilität hinsichtlich Paradigmen sind laut MEADOWS der Eingriffspunkt mit der höchsten Wirkung (vgl. Meadows 2010, S. 189). Paradigmen zu verändern ist sicherlich eines der schwierigsten Aufgaben in Systemen, ist aber weder kostspielig, noch muss dies zwangsläufig ein langjähriger Prozess sein. Es kann ausreichend sein, dass sich die Sichtweise einer bedeutsamen Person (z. B. Gründer, Vorstandsvorsitzender oder Geschäftsführer) verändert, die diese dann vermittelt und durchsetzt (vgl. Hußmann 2015). Dabei können jedoch zahlreiche Widerstände entstehen, denn Menschen hängen an ihren Gewohnheiten. Zur Veränderung eines Paradigmas wird nach MEADOWS vorgeschlagen, die Aufmerksamkeit auf das Symptoms des Versagens des herkömmlichen Paradigmas zu lenken und gleichzeitig immer wieder das neue Paradigma anzuführen. Menschen, die vom neuen Paradigma bereits überzeugt sind, sollten einflussreiche Positionen innehaben, Energie sollte in die Befürworter investiert und keine Kraft an Gegner verschwendet werden. Um die Idee eines neuen Paradigmas aufzuwerfen, könnten Erkundungsaufstellungen ein geeignetes Verfahren sein (vgl. Meadows 2010, S. 190 in Bezugnahme auf Kuhn 1962). In Hinblick auf die systemische Perspektive, die in dieser Arbeit eingenommen wird, trifft MÜLLER-CHRIST (2016) eine wichtige Unterscheidung. Er trennt zwischen Gestaltungsempfehlungen, die aus der Systemtheorie kommen und denen, die aus der systemischen Forschung abgeleitet werden (MüllerChrist 2016, S. 252). Für MÜLLER-CHRIST (2016) kommt die Systemtheorie gedanklich aus der Ökosystemforschung und versucht zu erklären, was die Überlebensbedingungen von natürlichen Systemen sind. Diese werden dann lediglich auf soziale Systeme übertragen und angepasst. Als ein markantes Beispiel führt 1 Paradigmen beeinflussen alle Elemente, Beziehungen, Funktionen und Zwecke eines Systems. Sie sind geteilte Vorstellungen, soziale Übereinkünfte, unausgesprochene Annahmen, gemeinsame Ideen und Überzeugungen.

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3

Begriffliche und theoretische Grundlagen

er die Theorie von autopoietischen Systemen an. In diesem Sinne konstatiert MÜLLER-CHRIST (2016), dass alle Erkenntnisse der Systemtheorie hauptsächlich durch Beobachtung und Messung von Forschenden von außen entstanden sind (Müller-Christ 2016, S. 252/253). Damit jedoch ein komplexes System, wie ein Unternehmen, sein Handeln nachhaltig ändern kann, ist es unzureichend nur seine Struktur und Umgebung zu kennen, es muss in die Tiefe seiner selbst eindringen. D. h. ein System muss aus den tieferen Ebenen heraus sein Handeln und Geschehen verstehen. Um dieses Geschehen in Unternehmen und seinen unterschiedlichen Ebenen zu beschreiben hat GEORG MÜLLER-CHRIST (2016) ein Eisbergmodell als Bezugsrahmen für Systemerkundungen entworfen. Im Eisbergmodell dienen die Ebenen dazu, dem Nichtsichtbaren in der Tiefe eines Systems eine erste Struktur zu verleihen (vgl. Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 83). Durch dieses Modell (siehe dazu Abbildung 3.6) werden beispielsweise Führungskräfte und Mitarbeiter eines Unternehmens dazu befähigt, den Sinnzusammenhang und Ethos ihres Unternehmens nachvollziehen zu können. Es wird eine ganzheitliche und tiefgehende Sichtweise ermöglicht, die über die übliche Betrachtung der Sach- und Beziehungsebene hinausgeht. Oftmals sind Sinnzusammenhänge von Unternehmen implizit mit der Systemebene und der Ebene des Ethos eines Systems verknüpft. Visionen, Leitbilder oder Ethik-Kodizes können beispielsweise Sinn für eine Veränderung erzeugen, dieser wird aber immer durch die unteren Ebenen geprägt sein. Der Sinnzusammenhang eines Unternehmens bekommt insbesondere dann einen hohen Stellenwert, wenn Mitarbeiter permanent mit widersprüchlichen Entscheidungssituationen konfrontiert sind. Durch eine Betrachtung der Systemebenen eines Unternehmens kann dann eine Ordnung bzw. bessere Bewältigung dieser Widersprüche ermöglicht werden. Letztlich dient das Eisbergmodell als Ordnungsangebot dafür, wie Systeme mithilfe von Erkundungsaufstellungen analysiert werden können. Für die hier zu interessierende systemische Perspektive steht daher vor allem die Systemebene des Eisbergmodells im Fokus. Auf der Systemebene herrschen Gesetzmäßigkeiten, die unabhängig von Persönlichkeiten in ihren Beziehungen wirken. Beispielsweise führen Wechsel der Menschen in bestimmten Problemlagen nicht dazu, dass damit automatisch das Problem verschwindet. Vielmehr scheinen sich die Menschen in bestimmten Funktionen eher ähnlich zu verhalten, was zum einen mit den Systemgesetzmäßigkeiten und zum anderen mit den kontextspezifischen systemischen Spannungsfeldern und den Grundspannungen von Systemen zu tun hat (vgl. Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 88). Für die systemische Perspektive, die hier eingenommen werden soll, um die Akteure im Pflegesystem erkunden zu können, ist es daher relevant, sich diese Gesetzmäßigkeiten auf der Systemebene genauer anzuschauen.

3.2 Die systemische Perspektive

47

Abb. 3.6 Eisbergmodell der Organisation. (Quelle: Müller-Christ 2016)

Die Relevanz der Systemgesetze, die erstmals BISCHOP (2010) aufgestellt hat und die von MÜLLER-CHRIST (2016) erweitert wurden, beschreibt MÜLLERCHIRST (2018) folgendermaßen: „Organisationsaufstellungen haben seit zirka 25 Jahren die Möglichkeit gebracht, soziale Systeme nicht nur von außen zu beobachten, sondern diese von innen heraus aus der Perspektive der Systemelemente zu verstehen. Erst als Elemente eines Systems durch ihre Stellvertretung in einer Aufstellung ihre eigene Position beschreiben und als angemessen oder unangemessen bewerten konnten, war es möglich, Systemgesetze auf einer viel tieferliegenden Ebene zu erkennen. Diese Erkenntnis entstand vor allem durch die Aufstellungen von Organisationen, die nicht gut funktionierten und in denen es viele Konflikte gab“ (Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 87).

Die Systemgesetze werden, in Anlehnung an MÜLLER-CHRIST (2016) und BISCHOP (2010), im Folgenden Abschnitt näher dargestellt, da sie in dem

48

3

Begriffliche und theoretische Grundlagen

weiteren Verlauf der Forschungsarbeit immer wieder als Betrachtungsebenen herangezogen werden: 1. Recht auf Zugehörigkeit Alle Menschen, die zu einem System gehören und gehörten, müssen auch weiterhin dazugehören dürfen. Die Zugehörigkeit zu einem sozialen System ist für Menschen eine Voraussetzung für das Überleben (Müller-Christ 2016, S. 253). Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe wird immer wieder durch Worte und Gesten vermittelt, Ausschluss findet mit denselben Ritualen statt. Nicht nur Menschen gehören zu einem System, auch seine Geschichte, seine Prinzipien, seine Grundannahmen und andere immaterielle Elemente haben ein Recht auf Zugehörigkeit (ebd.). Werden diese ausgeschlossen, finden sich immer wieder Individuen, die mit diesen ausgeschlossenen immateriellen Elementen verbunden sind und gegen deren Ausschluss kämpfen. 2. Recht auf Anerkennung, Wertschätzung und Respekt Ohne Anerkennung kann ein System langfristig nicht funktionieren (Bischop 2010, S. 27). Jeder Beitrag für das System will gesehen und gewürdigt werden. Anerkennen kann man in einem sozialen System alle Beiträge zum Erfolg: Kompetenz, Verhalten, Führung, Verantwortung, Einsatz, Ideen u.v.m. (vgl. Müller-Christ 2016, S. 253). Anerkennung ist der Motor, der ein System zum Laufen bringt und am Laufen hält. Fehlt die Anerkennung, gerät der Motor ins Stottern und das System stagniert (Bischop 2010, S. 27). Auf der anderen Seite ist die Fähigkeit, Anerkennung annehmen zu können, ein Aspekt der Selbstwertschätzung (Müller-Christ 2016, S. 253). 3. Recht auf Gleichgewicht von Geben und Nehmen Ohne Zugehörigkeit und Anerkennung kann es keinen Ausgleich und kein Gleichgewicht geben, daher können soziale Systeme auf Dauer nicht effizient funktionieren, wenn entweder von den Beteiligten zu viel an Beiträgen genommen und nicht adäquat ausgeglichen werden; oder es wird zu viel gegeben, ohne dass ein adäquates Nehmen das System wieder ausgleicht (Müller-Christ 2016, S. 254). Das Gefühl von Ausgleich lässt sich quantitativ nicht messen, es wird von den Beteiligten sehr subjektiv empfunden (Bischop 2010, S. 32). Engagement in Organisationen wird herkömmlicherweise ausgeglichen durch Geld, Sachleistungen, Entfaltungsmöglichkeiten, Wertschätzung, Geborgenheit, Sicherheit und andere Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung. Geld kann nicht dauerhaft ausgleichen

3.2 Die systemische Perspektive

49

(Müller-Christ 2016, S. 254). Siehe dazu auch Erkenntnisse aus der Arbeitsforschung und Wirtschaftspsychologie, die das in der Wirtschaft weit verbreitete Menschenbild des „homo oeconomicus“ wiederlegt haben. 4. Recht auf Aufrechterhaltung von Polaritäten Jedes System ist durchzogen von Polaritäten, die teilweise als Kontinuum, teilweise als logische Dilemmata auftreten (ebd.). Diese Spannungsfelder sind die Energiequellen aller Systeme, weil sie nach einem Ausgleich drängen und das System damit weiterentwickeln. Polaritäten und Spannungsfelder können nicht gelöst, sondern nur bewältigt werden. Alle systemischen Lösungen müssen bei Aufrechterhaltung der Polaritäten entwickelt und umgesetzt werden. Konflikte sind nach ihrer Lösung entfernt, Polaritäten nach ihrer Bewältigung immer noch energiebringend vorhanden (Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 88). 5. Früher hat Vorrang vor später „Früher hat Vorrang vor später“ kennt man aus dem Warteschlangenprinzip aus dem Alltag: Menschen empfinden es als ungerecht, wenn diejenigen, die noch nicht lange in der Schlange warten, eher versorgt werden (Bischop 2010, S. 34). Daher haben diejenigen, die schon länger zum System gehören und schon länger Beitrage zum Systemüberleben geleistet haben, Vorrang vor denen, die danach kamen (Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 88). 6. Höhere Verantwortung und höherer Einsatz für das System haben Vorrang In Organisationen mit flachen Hierarchien gibt es Menschen, die sich verantwortlicher fühlen und mehr Einsatz für das System zeigen als andere (Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 89). Über kurz oder lang wird in den meisten Fällen eine Führungsrolle benötigt und eine gut gelebte Führung führt zu einem höheren Einsatz für das System, welcher wiederum besonders gewürdigt werden muss, um die Bereitwilligkeit der Beitragenden zu erhalten (ebd.). Der Vorrang zeigt sich im Moment der Verteilung von Geld, Zeit, Bedeutung und Wertschätzung, die das System dann in Ungleichgewicht bringt, wenn sie übertrieben wird (ebd.). 7. Mehr Kompetenz und mehr Wissen hat Vorrang In Systemen, in denen Elemente mehr Wissen oder Kompetenz besitzen, haben Vorrang vor denjenigen Elementen, die weniger aufweisen. Mehr Wissen und mehr Kompetenz führen zu besseren Problemlösungsbeiträgen zum Erhalt des Systems (Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 89). Wird diese Kompetenz und das Wissen nicht mit Vorrang behandelt, neigen Menschen dazu, es nicht mehr

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3

Begriffliche und theoretische Grundlagen

zum Systemüberleben in seiner vollen Wirkungskraft zur Verfügung zu stellen (ebd.). 8. Ein neues Teilsystem hat Vorrang vor dem alten System Werden Organisationen, Ableitungen oder Teams fusioniert und neu zusammengelegt, so entsteht ein neues System (Bishop 2010, S. 42). Die früheren Systeme und Untersysteme bleiben aber erhalten. Beispielsweise hat ein neugeborener Säugling eine Zeitlang Vorrang vor den bereits vorhandenen Familienmitgliedern aufgrund existenzieller Grundbedürfnisse, genauso haben neu gegründete Einheiten in Unternehmen oder neu aufgenommene Prinzipien oder Mitarbeiter/innen eine Zeit lang Vorrang, bis sie ihre vollen Beiträge für das System leisten können. Danach wirkt das Systemgesetz 5 wieder, welches den Früheren Vorrang vor den Späteren gibt (Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 89). 9. Das Gesamtsystem hat Vorrang vor der Einzelperson oder einem Teilsystem Im Mannschaftssport zeigt sich, dass das Gesamtsystem für den Erfolg wichtiger ist als die Leistung einzelnen Mannschaftsmitglieder (Bishop 2010, S. 44). Daher kann ein System immer nur eine kurze Zeit einem einzelnen Element eine Vorrangstellung geben (Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 89–90). Zuviel Rücksicht auf die Eigenwertigkeiten und Eigengesetzlichkeiten der Teilsysteme würde bedeuten, dass man in einem sozialen System den Mitteln mehr Bedeutung geben würde als den Zwecken. Damit würden weniger Zwecke erreicht als für das System möglich und vielleicht überlebensrelevant sind. Aus diesem Grund hat das Gesamtsystem Vorrang vor dem einzelnen Element (Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 89–90). 10. Aussprechen und anerkennen, was ist, ist die Grundlage jeder Lösung Wenn beispielsweise durch eine Handlung und Entscheidung eine Verletzung im System entstanden ist, dann ist der erste Schritt der Verantwortungsübernahme das Aussprechen und Anerkennen dessen. Dieser systemische Grundsatz verweist auf die Erfahrung, dass die systemeigenen Kräfte zu Ausbalancierung erst dann aktiviert werden können, wenn das Ungleichgewicht in seiner konkreten Erscheinungsform ausgesprochen und anerkannt wird. Auch nicht ausgesprochenes negatives Feedback belastet ein System sehr (Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 90).

3.3 Erkundungsaufstellung

51

11. Ausgleich schaffen ist der Inhalt jeder Gesundung Wenn in einem System mehr genommen wurde als gegeben, dann muss für diejenigen, die weniger bekommen haben oder eine größere Last tragen mussten, ein Ausgleich geleistet werden (Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 90). Andernfalls bleibt eine systemische Schuld im System bestehen. Systemische Schuld ist im Sinne von Schulden zu verstehen, als ein noch nicht geleisteter Ausgleich dafür, dass mehr genommen als gegeben wurde. Schulden drängen nach Rückzahlung und nicht zurückgezahlte Schulden belasten das System. Anders als im ökonomischen System muss eine Schuld nicht in gleicher Währung und in gleicher Höhe ausgeglichen werden. Für den Ausgleich einer systemischen Schuld gilt die Regel, dass der Schuldner die Ausgleichsleistung definiert (ebd.). 12. Ausgleiche müssen sich über einen längeren Zeitraum ausgleichen Polaritäten und Spannungsfelder sind allseits präsent. Daher müssen Trade-offs laufend ausgeglichen werden (ebd.). Damit dieser Ausgleich jedoch nicht immer dieselben belastet, muss ein System eine innere Buchführung des Ausgleichshandelns aktivieren, damit Ausgleiche über einen längeren Zeitraum ausgeglichen auf alle Systemelemente verteilt werden können (ebd.). Die Systemgesetze umspannen im Eisbergmodell sowohl einen Teil der Beziehungsebene als auch einen Teil der Systemebene. Auf der Beziehungsebene geht es um das psychologische Bedürfnis, als Mensch mit seinen geleisteten Beiträgen für fremde Zwecke gesehen und gewürdigt zu werden. Dieses Bedürfnis kann durch eine Art Wertschätzung befriedigt werden, die ihren Bezugspunkt in der systemischen Logik des Ausgleichs hat. Es scheint gerade in sozialen Systemen sehr wichtig zu sein, dass Nehmen und Geben ausgeglichen werden. Die Energie der Elemente des Systems fließt nur auf Dauer für das System, wenn das Ganze den Teilen auch etwas zurückgibt. Der hinreichende Ausgleich beinhaltet eine emotionale Komponente und kann auch völlig immateriell erfolgen (Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 90).

3.3

Erkundungsaufstellung

In der Psychotherapie, und hier insbesondere in der Familientherapie, wird seit den 1980 Jahren (Sparrer und Varga von Kibed 2000, S. 58) mit der Methode der „Familienaufstellungen“ gearbeitet. Die Zahl der Anwendungen der Methode ist in den 90er Jahren stark angestiegen (Weber 1998, S. 10). Diese Verbreitungserfolge wurden von einer kontroversen Debatte über Interpretation, Nutzen und

52

3

Begriffliche und theoretische Grundlagen

Seriosität der Methode begleitet. Doch weiterhin erfreut sich die Anwendung der Methode einer großen weltweiten Beliebtheit. Neben Familienthematiken sind auch Organisationen immer stärker in das Einsatzfeld von Systemaufstellungen gerückt geworden. Unternehmen setzen Systemaufstellungen für Personal- und Organisationsentwicklung, Coaching, Strategieentwicklung oder Marketing ein (Berreth 2009, S. 69). Es existieren dazu bereits auch eine Vielzahl an Monografien, Sammelbänden und Artikel in Fachzeitschriften über den Einsatz von Systemaufstellungen in der Praxis (vgl. Groth und Stey 2007; Horn 2006; Sparrer 2000). In mindestens sieben Dissertationen wurden Systemaufstellungen bislang als Forschungs- und Erkenntnismethode verwendet. Beispielsweise untersuchte CARL ULRICH GMINDER (2005), wie die Umsetzung von Nachhaltigkeit in Organisationen mithilfe von Organisationsaufstellungen gelingen kann, ANDREA BERRETH (2009) untersucht die Methode der Organisationsaufstellung als Entscheidungsinstrument für das Management, ALEXIA SCHOLZ (2015) hat Systemaufstellungen angewendet um Erkenntnisse zu einer nachhaltigen Entwicklung in der Nutztierwirtschaft zu erforschen. FREDERICKE BUHR (2016) hat die Methode der Systemaufstellung auf Fragestellungen der WorkFamily-Balance bezogen, um damit komplexe Beziehungskonstellationen näher untersuchen zu können. ALEXANDRA WOITHE (2018) hat in ihrer Dissertation mehrere Systemaufstellungen verwendet, um Transformationspotentiale der Textil- und Bekleidungsindustrie im Rahmen einer Ressourcenbetrachtung zu untersuchen. KAI BULLING (2018) hat in seiner (in englischer Sprache verfassten) Dissertation im Sinne der Aktionsforschung den Prozess einer Neugestaltung für ein Qualitätsaudit in einem internationalen Konzern mitgestaltetet und die jeweiligen Ableitungen mithilfe der Methode der Systemaufstellung begleitet und seine Erkenntnisse anschließend für das Change-Management aufgezeigt. JÜRGEN RIPPEL (2019) untersucht mit Systemaufstellungen wie das Neue in die Welt kommt und analysiert die Intuition in der Marktforschung mithilfe der Methode der Aufstellungsarbeit. RIPPEL (2019) bezieht sich in seiner Arbeit dabei auf die Inquiry-Methode von JOHN DEWEY (2008), der sich auch schon vor vielen Jahrzehnten mit der Frage beschäftigt hat, wie Forschung aussehen kann, die sich aufmacht, unbekanntes Gelände zu erkunden und bislang unsichtbares sichtbar werden zu lassen (vgl. Gminder, C. U., 2005; Berreth, A. 2009; Scholz, A., 2015; Buhr, F., 2016; Bulling, K., 2018; Rippel, R., 2019). Die in diesem vorliegenden Forschungsprojekt verwendete Form der Erkundungsaufstellung wird in Kapitel 6 näher vorgestellt.

4

Scoping Review der Pflege-Robotik

„Es ist toll ein Roboter zu sein. Aber wir haben keine Gefühle. Manchmal macht mich das traurig.“ Bender aus Futurama

Obwohl es immer mehr Literatur über den Einsatz von Robotik und technologischen Assistenzsystemen in der Pflege gibt, fehlt ein umfassendes Bild über die übergreifende Bedeutung in der Forschung für diesen Bereich. Daher wird im weiteren Verlauf der Forschungsarbeit der Versuch unternommen, den Stand der Forschung zum Untersuchungsgegenstand darzustellen. In diesen Zusammenhang darf vorab festgehalten werden, dass bereits vielfältige Studien existieren, die untersucht haben, wie Pflege-Roboter in der Altenpflege eingesetzt werden können. Dies wären beispielsweise: Merda et al. 2017; Bedaf et al. 2015; Kachouie et al. 2014; Robinson, MacDonald & Broadbent 2014. Es gibt weitere Studien, die sich mit der Wirksamkeit auseinandersetzt haben, wie beispielsweise: Bemelmans 2015; Mordoch, Osterreicher, Guse, Roger & Thompson, 2013. Darüber hinaus gibt es auch interessante Studien, die sich damit befasst haben, welche Faktoren die Akzeptanz oder Ablehnung von Pflege-Robotern bei älteren Menschen beeinflussen, die da wären: De Graaf & Allouch 2013; Flandorfer 2012. Auch die Einstellungen älterer Menschen zu sozial assistierenden Robotern wurden in den Studien von Vandemeulebroucke, Diercks de Casterle & Gastmans 2018 näher untersucht. Ebenfalls aufschlussreich sind die Studien über Pflege-Roboter, die in Arztpraxen zum Einsatz kommen: Lin, Abney & Bekey 2014 sowie Tzafestas 2016. Obwohl alle diese Studien sehr © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Pijetlovic, Das Potential der Pflege-Robotik, Systemaufstellungen in Wissenschaft und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31965-6_4

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Scoping Review der Pflege-Robotik

wertvoll sind, wird die Pflege-Robotik mit zunehmender technologischer Weiterentwicklung immer unabhängiger und entwickeln sich rasant weiter. Und mit der zunehmenden Überzeugung, dass sie in der Altenpflege zukünftig immer häufiger zum Einsatz kommen werden, wächst die Notwendigkeit, über diese Anwendung wirtschaftspsychologisch nachzudenken. Hierfür wird im vorliegenden Kapitel eine systematische Untersuchung der Literaturlandschaft vorgenommen, die von der folgenden, übergeordneten Fragestellung angeleitet wurde: Welche Auswirkungen haben humanoide Robotik und technische Assistenzsysteme auf die Altenpflege im Allgemeinen und auf die Teamarbeit im Pflegebereich im Speziellen? Diese Fragestellung zielt darauf ab, ein tieferes Verständnis der wirtschaftspsychologischen Debatte und ihrer Argumente zu gewinnen, indem die grundlegenden Konzepte und Ideen zur Pflege-Robotik aufgedeckt werden. Als solche war die Frage im Wesentlichen auf die Auswirkung der Pflege-Robotik auf das PflegeSystem bzw. die Pflege-Organisation oder Institution im Allgemeinen bezogen. Etwas konkreter wird die Perspektive, wenn sie sich speziell auf die Teamarbeit im Pflegebereich richtet. Der Einfluss von Robotik auf die Zusammenarbeit in Teams wurde als Untersuchungsgegenstand gewählt, da in einer ersten oberflächigen Sichtung der wissenschaftlichen Literatur kaum etwas darüber zu finden war und Erkenntnisse zu diesem Bereich für diese Forschungsarbeit als ein wesentlicher Faktor für einen erfolgreichen Umgang angesehen wird. Hinsichtlich der Zusammenarbeit von Menschen und Maschinen wirft der Professor der Wirtschaftsethik ANDRÉ HABISCH von der Universität Eichstätt einen interessanten Gedankengang auf, der auch auf Pflege-Robotik zutrifft, wenn er schreibt: „How can computers, robots, deep learing, artficial intelligence etc. help us to generate ideas. These ideas are necessary for pursuing the Sustainable Development Goals (SDGs) redefined by the United Nations in 2015? (…) which will be formed into teams in beneficial ways“ (Habisch 2019, S. 68).

HABISCH (2019) geht vom Standpunkt des Diversity Managements perspektivisch davon aus, dass in Zukunft die Arbeit in Teams nicht nur geschlechts- oder kulturübergreifend, sondern auch immer mehr cross-creational geschehen wird; also Menschen immer mehr mit intelligenten Maschinen und Roboter zusammenarbeiten (Habisch 2015, S. 68). Daher ist die Frage nach Teamarbeit und Robotik nicht nur für den Pflegebereich, sondern grundsätzlich auch für das Diversity Management und die Wirtschaftspsychologie relevant. Ein Beispiel für diese Art der Zusammenarbeit, wie sie von Relevanz ist und HABISCH (2019) sie für die

4

Scoping Review der Pflege-Robotik

55

Zukunft beschreibt, lässt sich bereits heute auf der Raumstation ISS beobachten. Roboter CIMON (Crew Interactive Mobile companion) unterstützt, als Assistent mit künstlicher Intelligenz, die Astronauten bei ihrer alltäglichen Arbeit (Abb. 4.1).

Abb. 4.1 CIMON mit dem deutschen ISS-Astronauten Alexander Gerst im Columbus Labor. (Quelle: www.nasa.gov)

Ebenso ist in der o. g. Fragestellung eine Unterscheidung in humanoide Robotik und technische Assistenzsysteme getroffen worden. Dieses geschieht hier aus einer rein pragmatischen Motivation heraus, da es immer noch viele Studien gibt, die die Robotik oder Roboter unter dem großen Bereich der technischen Assistenzsysteme zusammenfassen. Diese Unterscheidung bezieht sich auf die Idee der interpretativen Flexibilität (vgl. Pinch & Bijker 1984; Van Wynsberghe 2013) in Zusammenhang mit Robotik, die noch einmal deutlich macht, dass die Definition von Robotik nicht vorbestimmt oder inhärent ist, sondern vom Kontext, in dem sie eingesetzt wird, von ihren Benutzern und von den ihnen zugewiesenen Aufgaben abhängt. Da diese Forschungsarbeit sich auf Robotik konzentriert, die in institutionalisierten Pflegeeinrichtungen und von älteren Menschen und/oder ihren Betreuern eingesetzt wird, werden diese als Pflege-Roboter bezeichnet. Jedoch im Scoping Review-Verfahren danach zu suchen, wäre zu speziell gewesen und daher wurden beide Begriffe in der Fragestellung aufgenommen.

56

4.1

4

Scoping Review der Pflege-Robotik

Intention für das Scoping Review

Dieses Vorgehen basiert nicht auf der Intention ein Review, im Sinne einer Metaanalyse, anzufertigen, sondern auf die Anfertigung einer übersichtsgebenden Landkarte aller relevanten Forschungsarbeiten hinsichtlich der o.g. Fragestellung. Innerhalb der Weiten der Literaturlandschaft liegen auch bereits mehrere Metaanalysen vor (vgl. Broekens, Heerink & Rosendal, 2009; Bemelmans, Gelderblom, Jonker & de Witte 2012; Kachoui, Sedighadeli, Khosla & Chu, 2014). Auch wenn diese nur ausschnittartig die übergeordnete Fragestellung abdecken, wurde ergänzend dazu die Literaturlandschaft weitläufig gesichtet und in einer neuen thematischen Ordnung dargestellt, die sich mehr auf die Forschungsfrage bezieht. Grundsätzlich geht es dabei darum, die Fragestellung der vorliegenden Arbeit, in eben diesen Literaturhintergrund einzuordnen. Die dahinterliegenden Fragstellungen könnte also lauten: Wie widmet sich die wissenschaftliche Gemeinde dem Untersuchungsgegenstand der Pflege-Robotik? Welche Anspruchsgruppen befinden sich bei der Betrachtung im Fokus? Auf welche weiterführende Forschung wird verwiesen? Zusammenfassend besteht die Intention der hier verwendeten Methodik aus zwei zentralen Aspekten. Das Verfahren dient (1) der Anfertigung einer übersichtlichen Darstellung der Literaturlandschaft bezüglich der übergeordneten Fragestellung und (2) der Ableitung von Kernhinweisen für die weiterführende Forschungsarbeit.

4.2

Gliederung

Das Scoping Review beginnt mit der Beschreibung der Fragestellung und der Vorstellung des Verfahrens. Anschließend werden die einzelnen Verfahrensschritte dargestellt (siehe Abschnitt 4.3). Im nachfolgenden Abschnitt wird eine Übersicht des Recherche-Outputs gegeben und die Prozessschritte zusammengefasst (siehe Abschnitt 4.4). Danach werden die Kernerkenntnisse der zwei Fragestellungen (primär/periphere) beschrieben (s. Abschnitt 4.8). Der letzte Abschnitt behandelt die weiterführende Verwendung der gewonnenen Erkenntnisse für die vorliegende Arbeit (s. Abschnitt 4.9).

4.3 Differenzierung der Fragestellung

4.3

57

Differenzierung der Fragestellung

Der verdichte Fragenkomplex der übergeordneten Fragestellung verweist auf unterscheidbare Aspekte. Im Folgenden wird eine detaillierte Ordnung angeboten, aus der sich methodische Konsequenzen ergeben. Die Fragestellung beinhaltet als beständiges Element die Untersuchung der Auswirkung. In diesem Zusammenhang gliedert sich die Untersuchung von Auswirkung in ein von-auf Verhältnis. Etwas wirkt von etwas, auf etwas. So unterteilt sich die Fragestellung in die Folgenden Aspekte, zweier von-auf Beziehungen. (1) (2) (3) (4)

Die Die Die Die

Wirkung Wirkung Wirkung Wirkung

von von von von

humanoider Robotik, auf die Altenpflege. humanoider Robotik, auf die Teamarbeit. technischen Assistenzsystemen, auf die Altenpflege. technischen Assistenzsystemen, auf die Teamarbeit.

Diese Unterteilung verschiedener von-auf Beziehungen verweist auf Implikationen für angewandte Recherchemethodik (siehe dazu Kapitel 2). Neben der beständigen von-auf Beziehung, ist die übergeordnete Fragestellung durch die Untersuchung der Mensch-Maschine-Interaktion geprägt. In diesem Zusammenhang beschreibt HARRY BRAVERMAN (1977) eine relevante Unterscheidung. Der fundamentale Unterschied bei der Analyse einer Maschine ist die Denkrichtung, die zur Analyse verfolgt wird. BRAVERMAN formuliert diesen Umstand folgendermaßen: „Doch ist man gezwungen, sich zu Beginn zwischen zwei grundlegend verschiedenen Denkweisen zu entscheiden. Die erste ist der technische Ansatz, der die Technologie hauptsächlich in ihren inneren Zusammenhängen betrachtet und die Maschine gewöhnlich zu sich selbst, d. h. als eine technische Sache, definiert. Die andere ist die gesellschaftliche Methode, die die Technologie in ihren Beziehungen zur Menschheit sieht und die Maschine im Verhältnis zur Arbeit des Menschen als ein gesellschaftliches Werkzeug definiert (Braverman 1977, S. 144).“

Das Vorgehen bei der systematischen Literaturrecherche knüpft an diese Unterscheidung an. So ist es das Ziel, die Auswirkungen von Robotik, bzw. technischen Assistenzsystemen, nicht aus technologischer Perspektive des Ingenieurs zu betrachten, sondern die menschliche Bedeutung zu erkunden. Dies schlägt sich in den verwendeten Ausschlusskriterien der Recherche nieder (siehe dazu Abschnitt 4.5).

58

4

Scoping Review der Pflege-Robotik

Innerhalb der vorliegenden Fragestellung ist die Mensch-MaschinenInteraktion im Kontext des Pflegesektors bzw. der Teamarbeit angesiedelt. Sie bezieht sich also auf den allgemeinen bzw. spezifischen (Pflege) gemeinschaftlichen Arbeitsprozess. Neben der Unterscheidung zwischen spezifischen und allgemeinen Kontext ist die Betrachtungsebene entscheidend. Zum einen kann man bei der Untersuchung des gemeinschaftlichen Arbeitsprozesses, die konkreten Handlungen und Interkationen ihrer Mitglieder erfassen. Zum anderen kann man sich die Auswirkung der Technologie auf einer abstrakteren Ebene anschauen, des Arbeitsprozesses. Hier wird die Auswirkung auf den Pflegesektor selbst oder als gesellschaftliche Thematik untersucht. Diese beiden Betrachtungsebenen sollen im Folgenden begrifflich in die mikroskopische Ebene und die makroskopische Ebene geordnet werden. Die mikroskopisch Ebene untersucht die Auswirkung von humanoider Robotik bzw. technischen Assistenzsystemen auf die konkrete Interaktion im Arbeitsprozess. Die makroskopische Ebene untersucht die Auswirkung von humanoider Robotik bzw. technischen Assistenzsystemen, auf abstraktere Gegenstände wie den Pflegesektor oder gesellschaftliche Gebilde. Diese Unterscheidung ist nicht als trennscharfe Isolation zu verstehen, sondern als hilfreiche Unterteilung zweier Betrachtungsperspektiven, für die Ordnung der Literaturlandschaft. Zusammenfassend sind die differenzierten Aspekte der übergeordneten Fragestellung beschrieben. (1) Verschiedener Kombination der Elemente in vonauf-Beziehungen. (2) Die Ausrichtung der Denkweise auf die soziale Ebene – was bedeutet es für den Menschen? (3) Unterteilung in MikroskopischeMakroskopische Ebene. Diese Differenzierungen führen zu methodischen Implikationen. Der Prozess der systematischen Literaturrecherche wird im Folgenden weiter beschrieben.

4.4

Verfahren

Aus dieser skizzierten Grundlage erhebt sich das konkrete Verfahren. Dabei ist das Vorgehen des Scoping-Reviews angelehnt, wie es bei Peters et al. (2015) und Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2014), beschrieben worden ist. Die Anlehnungsart an die beschriebenen Vorgehensweisen der Autoren entsteht aus dem Hintergrund der Intention und der Fragestellungdifferenzierung.

4.5 Übersetzung der Fragestellung in Variablen

4.5

59

Übersetzung der Fragestellung in Variablen

Wie es die standardisierte Prozessbeschreibung des Scoping-Reviews vorsieht, ist die Fragestellung zunächst in mehrere Variablen zu isolieren. Aus diesen Variablen werden dann die Suchbegriffe abgeleitet und gezielt verwendet. Die Qualität der Suchbergriffe ist somit ein wesentlicher Faktor für die Qualität des Verfahrens. Dafür ist zunächst eine gewisse Auswahl an möglichen Suchbegriffen anzuführen. Die möglichen Suchbegriffe sind in der Unterteilung zwischen abhängiger Variable (AV) und unabhängiger Variable (UV) abgetragen. Dabei seien Lesende an die in Kapitel 1. erwähnten Differenzierungen erinnert. Die Abhängigen Variablen gliedern sich in: AV1: Altenpflege und AV2: Teamarbeit. AV1: Altenpflege: (English: care for the elderly, Nursing, nursing care for the elderly, elderly care, Old-Age Care, Nursing Care, Care, palliative care, ambulatory care, elder care, geriatric nursing, geriatric care, tending, nurture, tendance, nursing sector, Caregiver, care personnel, nurse, hospital nurse, medical field, medicine, healthcare, public health, health sector. Deutsch: Pfleger, Krankenschwester, Pflegekraft, Pflegesektor, Gesundheitssystem, Gesundheitssektor) AV2: Teamarbeit: (English: teamwork, Team effort, collaborative work, Team performance. Deutsch: Gruppenarbeit, Mitarbeiter Motivation, Mitarbeiter Leistung, Team Leistung, Arbeitszufriedenheit) Die unabhängigen Variablen gliedern sich in: UV1: Humanoide Robotik und UV2: Technische Assistenzsysteme. UV1: Humanodie Robotik (English: humanoid robots, technical assistance systems) UV2: Technische Assistenzsysteme (English: technical assistance systems, technical assistance, technical nursing, technical caring, technical service. Deutsch: Technische Unterstützung, Pflege-Roboter, technische Pflege, KI-Pflege) Aus den hier gezeigten, möglichen Suchbegriffen, wurden nach stichprobenartigen Testungen, gehaltvolle Suchbegriffe ausgewählt. Letztlich wurden die in Tabelle 4.1. Aufgeführten Suchbegriffe verwendet. Kriterien und Suchmaschinen Über alle Suchmaschinen und Suchbegriffe hinweg wurden zusätzlich Kriterien verwendet. Die selektiv wirkende Einschlusskriterien sind:

60

4

Tabelle 4.1 Suchbegriffe des Scoping-Reviews. (Quelle: Eigene Darstellung)

• • • •

Scoping Review der Pflege-Robotik

AV1

nursing, care

AV2

teamwork, team performance

UV1

robot

UV2

technical assistance

Sprache: Nur deutsche und englische Manuskripte Manuskripte ab 1980 Offene Methodologie Nur wissenschaftliche Manuskripte

Peters et al. (2015, S. 13) und Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2014, S. 3) verweisen bei der Auswahl der Suchmaschinen auf verschiedene Kriterien hin. Zum einen ist darauf verwiesen bekannte Datenbanken mit umfangreichem Index zu verwenden und zum anderen ist ein Vorgehen zu wählen, das für die Intention und die Fragestellung als sinnvoll erscheint. An diesen Ausführungen orientiert, wurden für die vorliegende Recherche die Suchmaschinen, PsycINFO, Medline, PsycARTICLES, Web of Sciene, WISO und Science Direct verwendet. Anhand vordefinierter Ein- und Ausschlusskriterien wurden Titel, Abstracts und Volltexte von Publikationen geprüft. Die in Tabelle 4.1. aufgeführten Suchbegriffe sind über alle Suchmaschinen hinweg verwendet worden.

4.6

Rechercheprozess

In dem Zeitraum vom 12.06.2018 bis zum 10.07.2018 wurden die aus den Variablen der Fragestellung abgeleiteten Suchbegriffe (s. Abschnitt 4.5) über die verwendeten Suchmaschinen ausgeführt. Insgesamt wurden 1543 Suchergebnisse (Hits) über alle Suchbegriffe und über alle Suchmaschinen hinweg, gefunden. Nach der ersten Sichtung der Titel und Entfernung von Duplikaten, wurden 287 Manuskripte für den weiteren Bearbeitungsverlauf aufgenommen. In einem zweiten Schritt wurden die Abstracts systematisch in Hinblick auf die Fragestellung gesichtet und letztlich 49 Manuskripte eingeschlossen. Anschließend erfolgte eine weitere Zuteilung zu den beschriebenen Differenzierungen. Grundsätzlich wurden nur Studien eingeschlossen, die sich mit der Denkrichtung der Fragestellung vereinbaren lassen. Das bedeutet jene Studien, die den

4.7 Ergebnisse

61

Arbeitsprozess, die Interaktion und die gesellschaftliche Bedeutung zum Gegenstand haben und nicht primär die Maschine selbst im Vordergrund steht. Die eingeschlossenen Studien wurden anschließend in zwei Gruppen eingeordnet. Diese Gruppen ergeben sich aus der Differenzierung zwischen der Mikro- und Makroebene. Der makroskopischen Ebene der Fragestellung wurden N = 23 Studien/Schriften zugeordnet. Der mikroskopischen Ebene der Fragestellung N = 26 Studien/Schriften. Die folgende Abbildung zeigt diese Verteilung im Rahmen eines Flowchart (Abb. 4.2).

Abb. 4.2 Flowchart Rechercheprozess im Scoping Review. (Quelle: Eigene Darstellung)

4.7

Ergebnisse

Die Ergebnisdarstellung erhält die Unterteilung zwischen mikroskopischer und makroskopischer Betrachtung bei. Beide Bereiche werden separat aufgeführt.

62

4

Scoping Review der Pflege-Robotik

In jedem Bereich wird zunächst eine kurze deskriptive Darstellung der eingeschlossenen Studien durchgeführt (vgl. Peters et al. 2015; Baua 2014). Der im Abschnitt 4.1 beschriebenen Intention, eine thematische Landkarte der Literatur zu erstellen, wird anschließend gefolgt. D. h. es werden die Untersuchungsschwerpunkte und Kernerfassungsdimensionen gesichtet. Daran anknüpfend folgt eine rein beschreibende Darstellung der Ergebnisse. Dieses Vorgehen wird für beide Bereiche durchgeführt. Anschließend werden aus den Ergebnissen die Kernhinweise für die vorliegende Arbeit extrahiert. Anhand dieser Extraktion wird die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit diskutiert.

4.8

Was war bedeutend? Was sind die Erkenntnisse?

Grundsätzlich kann sowohl auf der makro- als auch mikroskopischen Perspektive konstatiert werden, dass die Möglichkeiten der technologischen Integration und das exponentielle Wachstum der Technologie derzeit in der Pflegepraxis als auch in der Pflegewissenschaft unterrepräsentiert sind. Dennoch konnten makroskopisch zahlreiche Möglichkeiten von integrierbaren Technologien ermittelt werden, die die Pflege zukünftig prägen werden. Die meisten Studien in diesem Zusammenhang betrachten exponentielle Technologien wie Cloud Computing, hochauflösende Bildgebung und schnelle Rechenmodelle. Das Internet der Dinge entwickelt sich beispielsweise zu einem nützlichen, aber wenig genutzten Netzwerk von physischen und virtuellen Gegenständen, die zur Sammlung und zum Austausch von Gesundheitsdaten von Patienten verwendet werden (z. B. Sturzpräventionssysteme zur Bewegungsüberwachung) kann (vgl. Mieronkoski et al. 2017). Gerade dieser Bereich ist in Hinblick auf die Pflege-Robotik von besonderem Interesse, da er die Beziehung zwischen Technologie und menschlicher Reziprozität offen zeigt und in der Literatur wegen ihrer möglichen Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung große Beachtung gefunden hat.

4.8.1

Drei Typen von Pflege-Robotern

Tatsachen werden vor allem von der Robotik-Industrie selbst geschaffen, die schleichend zunehmend mehr Roboter in das Gesundheitswesen integrieren und bis zum Jahr 2025 einen Wert von 50 Milliarden US-Dollar erreicht haben sollen. Diese Einschätzung basiert auf den Entwicklungen im Bereich der KörperpflegeRoboter unter der Führung von Korea und Japan (vgl. Sharts-Hopko 2014).

4.8 Was war bedeutend? Was sind die Erkenntnisse?

63

Darüber hinaus hat die Literaturanalyse ergeben, dass Pflege-Roboter grob in drei Typen eingeteilt werden können: (1) Roboter für die medizinische Versorgung, (2) Roboter für die Krankenpflege und (3) Roboter für die Heimpflege (vgl. Alaiad und Zhou 2014). Andere klassifizierende Begriffe wie human-interaktive Roboter und sozial assistierende Roboter (SAR) werden in der Literatur zwar auch erwähnt (vgl. Pino, Boulay, Jouen und Rigaud 2015; Shibata & Wada 2011), aber deutlich weniger berücksichtigt. Obwohl jede Klassifikation einen eindeutigen Einfluss auf die Versorgung hat, liegt der Fokus in der Literatur auf Typ 2 (Krankenpflege-Roboter) und in geringerem Maße auf Typ 3 (Heimpflege-Roboter).

4.8.2

Einsatz der Pflege-Robotik

In sechs Publikationen waren sich die Autoren darüber einig, dass Roboter in Pflegekontexten grundsätzlich unter der Leitung von jemandem (möglicherweise von einer Pflegekraft) stehen werden, sie werden zwar ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Handlungsspielraum im Gesundheitswesen haben, bleiben aber immer kontrolliert. Der Einsatz von Robotik in verschiedenen Pflegekontexten nimmt aktuell bereits spürbar zu und oft wird die Robotik mit einer Grundversorgung in Verbindung gebracht, womit wir zu der mikroskopischen Betrachtung kommen. Beispielsweise gibt es den Roboter-Hund AIBO, dessen Anwendung mit einem lebenden Hund im Pflegekontext näher untersucht wurde. Des Weiteren bietet der MY SPOON Roboter Fütterungshilfe (vgl. Banks, Willoughby und Banks 2008; Broadbent et al. 2014; Gerling, Hebesberger, Dondrup, Kortner, & Hanheide 2016; Joranson, Pedersen, Rokstad, & Ihlebaek 2015; Joranson et al. 2016; Robinson, Broadbent & MacDonald 2014; Ross 2016). Roboterbadewannen bieten automatisches Einseifen und Duschen für ältere Erwachsene in der Altenpflege (vgl. Beedholm, Frederiksen & Lomborg 2016; Beedholm, Frederiksen, Skovsgaard Frederiksen, & Lomborg 2015). Es gibt Begleitroboter wie JustoCat und PARO das therapeutische Siegel, Roboter wie HelpMate, die Ressourcen wie Medikamente transportieren, Care-O-Bot- und RI-MAN-Roboter, die Menschen aufnehmen und ins Bett bringen und Roboter wie Nurse-Bot, die Aufklärung, verbale Anleitungen und Ermutigungen bieten. Die Roboteranwendungen zielen auf die typische Unterstützung bei alltäglichen Aktivitäten, wie z. B. Fütterung von

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4

Scoping Review der Pflege-Robotik

Patienten, Nahrungszubereitung, Notfallbetreuung, Baden, emotionale Unterstützung, Verabreichung von Medikamenten, Gehen von Patienten, Autofahren und Unterstützung bei der Ambulanz (vgl. Sharts-Hopko 2014). Die Autoren sind sich ebenfalls darin einig, dass die pflegerischen Tätigkeiten durch die Beteiligung von Robotern sich direkt auf die Pflegepraxis auswirken werden.

4.8.3

Häusliche Umgebung wird relevanter

Es gibt sogenannte Home Healthcare-Roboter oder SARs, die entwickelt wurden, um in einem relationalen und professionellen Sinn Pflegeklienten wieder an mehr ins Leben zu integrieren. Sie werden derzeit erprobt, um die Fähigkeiten der Pflegeklienten sozial interaktiv zu unterstützen (z. B. durch Erinnerungen an Medikamente), soziales und psychologisches Wohlbefinden zu fördern (z. B. Begleitung), den Gesundheitszustand zu überwachen (z. B. Stürze) und Gesundheitscoaching durchzuführen (z. B. zur Erreichung von Trainingszielen) (vgl. Pino et al. 2015). SARs sind vielversprechend in der häuslichen Pflege und in der psychischen Gesundheitsfürsorge. Diese Anwendungen der Roboterpflege (d. h. Typ 2) verlagern den Ort der kontinuierlichen Versorgung aus dem institutionellen Umfeld in die häusliche Umgebung (vgl. Domenech & Schillmeier 2010).

4.8.4

Paro ist ein Schwerpunkt

Während die Literatur zur Pflege-Robotik zwar wächst, konzentrieren sich die meisten Autoren auf die technologische Entwicklung, die klinische Anwendung (vgl. Alaiad & Zhou 2014) und die Usability der Robotertechnologie (vgl. Boman & Bartfai 2015). Beispielsweise ist PARO, der therapeutische tierähnliche Roboter, ein häufiger Schwerpunkt in der Literatur der älteren Erwachsenen-Demenzpflege (vgl. Pino et al. 2015; Shibata & Wada, 2011). Trotz des zunehmenden Einsatzes und der unvermeidlichen Erweiterung von Robotern in der Grundversorgung hat der Einfluss von Robotern auf die Pflegepraxis und die Erfahrung in der Patientenversorgung jedoch an Bedeutung verloren (vgl. Sharts-Hopko 2014). Es gibt nur wenige Studien, die eine Reihe von Nutzerwahrnehmungen untersuchen (vgl. Beedholm et al. 2015). Keine einzige Studie wurde entdeckt, die die Auswirkung der Pflege-Robotik auf Pflegeteams widerspiegelt und untersucht.

4.8 Was war bedeutend? Was sind die Erkenntnisse?

4.8.5

65

Akutversorgung und Robotik

Die Pflegeforschung hat sich in Hinblick auf den Einsatz von Technik vor allem auf die Akutversorgung konzentriert, was ihre Übertragbarkeit auf weitere Bereiche beschränkt. Pflegekräfte und Pflegeklienten werden an der Seite von Robotern arbeiten und auch außerhalb der Akutversorgung Unterstützung und Betreuung durch Roboter erhalten. Möglichkeiten der Robotik in der Grundversorgung ergeben sich durch die direkte Patientenversorgung, nämlich durch die Unterstützung der Hygiene und anderer Aktivitäten des täglichen Lebens, oder durch die Beteiligung von Robotern an nicht-direkten Pflegeaktivitäten (z. B. Medikamentenzubereitung und -verabreichung), so dass die Pflegekräfte mehr Zeit für die Leitung der Patientenversorgung haben (vgl. Mieronkoski et al. 2017). Dieses Szenario wird oft als das Potenzial dargestellt, inwiefern Technologien zur Verbesserung der Grundversorgung beitragen können.

4.8.6

Auswirkung auf den Menschen

Alle Technologien erfordern eine frühzeitige und kontinuierliche Bewertung der wahrscheinlichen Auswirkungen auf Menschen, Pflegekräften und das Gesundheitswesen, da Unvorhersehbarkeit als ein zentrales Merkmal des technologischen Fortschritts identifiziert wurde (vgl. Ellul 1990; Schon 1967). Die automatisierte Robotik wird den Handlungsspielraum, die Steuerung der Pflege, die Pflegepolitik, die Organisationssysteme und die Praxiskulturen der Pflegeberufe verändern. Vorhersagen über das Ausmaß des Wandels sind nicht nur eine Frage der Angst vor drohender Redundanz (d. h. der Ablösung durch Roboter), sondern spiegeln die Notwendigkeit wider, klar und nüchtern zu überlegen, was Robotik in der Pflege und im Gesundheitswesen bewirken kann. Kein Wunder, dass die kürzlich von der International Organisation for Standardization (ISO) entwickelte ISO 13482 sich darauf konzentriert, die Sicherheit von physischen Assistenzrobotern, mobilen Servicerobotern und Personenträgerrobotern zu gewährleisten (vgl. Muoio 2015). Auch andere Aspekte und Auswirkungen auf die menschenwürdige und personenzentrierte Pflege müssen berücksichtigt werden. Das vorherrschende Verständnis ist, dass Technologie ein passives Werkzeug ist, um menschliche Absichten zu verwirklichen (vgl. Beedholm et al. 2015), dennoch ist der Einfluss von Technologien auf das Verhalten und die Berufe unklar. Wir leben in einer Zeit, wo das Internet, Big-Data, künstliche Intelligenz und Algorithmen einen entscheidenden Einfluss auf das menschliche Verhalten darstellten und der weltweite Austausch von Informationen, sozialen und

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4

Scoping Review der Pflege-Robotik

wirtschaftlichen Währungen die Menschheit tief geprägt hat (vgl. Lissitsa & Chachashvili-Bolotin 2016). Der US-amerikanische Technikphilosoph LANGDON WINNER betonte bereits vor 40 Jahren, dass technologische Innovation jeden Aspekt einer Gesellschaft und einer Berufsgruppe beeinflusst (vgl. Winner 1977). Gruppengewohnheiten, Werte, Ideen, Sprache, Verhalten, Einstellungen und dergleichen werden in gegenseitiger Reaktion (und Anpassung) auf Veränderungen verändert. Aktionen, Sitten und Gebräuche müssen sich ändern, um neuen Ideen Platz zu machen, und manchmal werden lang gehegte Werte unbewusst abgelehnt und neuen Perspektiven vorgezogen. Obwohl einige Veränderungen in der Pflegepraxis Verbesserungen bringen werden, stellt die Ignoranz und der Einfluss der technologischen Entwicklung (z. B. durch die Robotik) eine große Herausforderung dar. Es ist bedauerlich, dass wir uns einer Zeit nähern, in der Beweise benötigt werden, um Krankenschwestern über unbeantwortete Fragen zur Robotik und Pflege zu informieren, und dass es wenig Diskussionen oder kritische Literatur gibt, um Verständnis und Entscheidungen zu vermitteln (vgl. Sharts-Hopko 2014).

4.8.7

Neue Zeitressourcen durch Robotik

Ein interessantes Forschungsfeld ist die Wahrnehmung von Technologien in der Pflegearbeit, einschließlich Robotertechnologien seitens der Pflegekräfte, da es derzeit noch kaum gesichertes Wissen gibt. Vom Standpunkt der Praxis aus könnten Pflegekräfte neue Zeitressourcen nutzen, die sich beispielsweise durch die Verabreichung von Medikamenten durch Roboter ergeben, um sich stärker um die emotionalen und kognitiven Bedürfnisse von Pflegeklienten zu kümmern. Wie auch immer, die tatsächlichen Potenziale der Pflege-Robotik können nicht ohne Anwendung im Kontext realisiert werden, um ein relationales Verständnis der Mensch-Technik-Interaktion zu erlauben (vgl. Beedholm et al. 2015). Um dieses Konzept zu demonstrieren, diskutierten Barnard und Sandelowski (2001) das Stethoskop als Instrument der Diagnose und Bewertung und nicht als rein physikalische Konstruktion. Der instrumentelle Wert der Pflege-Robotik kann nur durch ihre Anwendung bestimmt werden; die Frage ist dann, auf welche Grundlage diese Bewertung stattfindet. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, pflegerische Grundlagen als Referenzprämisse für die Bewertung der Wirksamkeit zu verankern, so wie es im Leistungskatalog der Krankenkassen verankert ist. Klar definierbare Aufgaben sind besser an die Pflege-Robotik anpassbar, was darauf hindeutet, dass nur bestimmte Pflegeaufgaben (z. B. Baden, Medikamentenverabreichung) auf die Robotik umgestellt werden können. Dieser Kompetenztransfer

4.8 Was war bedeutend? Was sind die Erkenntnisse?

67

wirkt sich zweifellos auf den Pflegeberuf aus, kann aber auch symbiotisch betrachtet werden. Beispielsweise stellt die Fragmentierung von Pflegeaufgaben ein Hindernis für die Grundversorgung dar (vgl. Feo & Kitson 2016). Obwohl die Verabreichung von Medikamenten durch Pflege-Roboter die heutige Fragmentierung der Pflege verstärken könnte, könnte sie gleichzeitig den Schwerpunkt der Pflege auf die mechanistische Pflege (die von der Zeit dominiert wird, die benötigt wird, um die Aufgabe der Verabreichung von Medikamenten zu erfüllen) reduzieren und dadurch Zeit für die Bereitstellung von Beziehungspflege freisetzen.

4.8.8

Pflegetechnik sammelt Daten

Die Informationen, die durch die Technologie zur Verfügung gestellt werden, verdeutlichen auch die Gegenseitigkeit der Technologie in der Pflegetechnik. Sie hat die Kraft, das zu gestalten, was wir für wichtig halten: Ein digitaler Monitor kann einen Alarm auslösen, wenn die Herzfrequenz eines Patienten sinkt, wodurch eine Umweltmeldung über seinen Zustand ausgelöst wird. Dennoch gibt es keinen Alarm für das Gefühl der Isolation eines Patienten, aber das schmälert nicht die Bedeutung dieser Gefühle. Ein Roboter zur Überwachung des Wohlbefindens kann womöglich keine Stürze erkennen, aber das bedeutet nicht, dass es dem Patienten gut geht. Diese erkenntnistheoretische Reziprozität ist eine zentrale Überlegung für einen Beruf, der gefordert ist, eine qualitativ hochwertige, grundlegende und technologisch versierte Versorgung zu bieten. Die genannten Aspekte machen es sehr wahrscheinlich, dass sich private Nutzerinnen und Nutzer erst dann für Anwendungen der Pflege-Robotik entscheiden, wenn sie eine echte Alternative zu der institutionalisierten Pflegelösung darstellt. Die Integration entsprechender Technologien in die häusliche Umgebung spiegelt jedoch eine intensive Tendenz zur Medizinalisierung von Aspekten des täglichen Lebens wider. Die Medizinalisierung des Alltags wird im digitalen Gesundheitshaus, in den Gesundheitstechnologien wie beispielsweise ein Badezimmerspiegel, der Messungen vornimmt. Während das Beispiel das Zuhause als Ort der Integration von Technologie und Pflege betonen, bleibt sie auch für den stationären Pflegebereich interessant, in dem Auswirkungen der Medikalisierung des Alltagslebens und die Auswirkungen der medizinisierten häuslichen Umgebung auf den gesamten Menschen zu antizipieren.

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4

Scoping Review der Pflege-Robotik

Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik Nr. 1:

Durch den Einsatz von Pflege-Robotik können personenbezogene Daten in einem Umfang gesammelt werden, wie es zuvor noch nie möglich war. Daher müssen rechtliche Reglungen und der Datenschutz geklärt sein, bevor Pflege-Robotik mit künstlicher Intelligenz im häuslichen Bereich eingesetzt wird. Künstliche Intelligenz wird immer autonomer. Rollstühle können selbstständig fahren, Roboter können Personen aus dem Bett heben und Medikamente verteilen. Robotik handelt eigenständig und trifft Entscheidungen ohne das Zutun des zu pflegenden Menschen. Wer haftet, wenn etwas passiert oder es zu einer Fehlentscheidung kommt? Es müssen Regeln und Richtlinien entwickelt werden, damit die Entwicklung in der Pflege-Robotik nicht gehemmt wird.

4.8.9

Pflegeethische Argumente

In fünf untersuchten Publikationen wurden ethische Fragestellungen und Ansätzen in Zusammenhang mit Pflege-Robotik aufgeworfen (vgl. Coeckelbergh 2010a, 2015; Parks 2010; Vallor 2011). Die pflegeethischen Ansätze heben vor allem die besondere Pflegebeziehung zwischen Pflegekraft und Pflegeklienten hervor und erweitern ihren Anwendungsbereich schrittweise auf eine kontextuelle und dann auch auf eine politische Ebene. Sie betonen in der Regel, dass eine erfolgreiche Pflegebeziehung auf den beiden Grundlagen der Versorgung und der Fürsorge fußt. Diese beiden Merkmale beziehen sich auf zwei grundlegende, miteinander verknüpfte Dimensionen der Pflege, eine wechselseitige und eine technisch-instrumentelle. Von der wechselseitigen Dimension der Pflege sprechen sich alle Autoren gegen die Idee aus, dass die Pflege-Robotik einen Ersatz für Pflegekräfte darstellen könne (Coeckelbergh 2010a, 2015; Parks 2010; Vallor 2011). Es wird argumentiert, dass Pflege-Roboter nicht in der Lage sind, sich um jemanden emotional zu kümmern. Daher können keine sinnvollen Beziehungen zu PflegeKlienten aufgebaut werden. Sollten Pflege-Roboter auf dieser wechselseitigen Ebene das Pflegepersonal ersetzen, würde das Pflegeverhältnis gestört, warnen die Autoren. Diese Annahme klingt erst einmal einleuchtend, ist aber mit Vorsicht zu betrachten, denn die Schlussfolgerungen beruhen auf ethischen Annahmen,

4.8 Was war bedeutend? Was sind die Erkenntnisse?

69

die bislang nicht empirisch belegt werden konnten. Es könnte durchaus möglich sein, dass Maschinen und Roboter zukünftig in der Lage sein werden, auch eine emotionale Beziehung zum Pflege-Klienten herstellen zu können. Diese, zugegeben sehr kontroverse, Möglichkeit einfach nicht zu beachten und von vornherein ganz auszuschließen, wird hier als nicht der richtige Umgang empfunden. In den Studien wird weiter argumentiert, dass sich durch die Pflege-Robotik der Schwerpunkt der Pflege auf eine rein technisch-instrumentelle Dimension verlagert (Coeckelbergh 2015; Parks 2010; Vallor 2011). Dieser Schwerpunkt auf die technisch-instrumentelle Dimension der Pflege führt zu drei negativen Konsequenzen. Erstens würde sich die Pflege lediglich auf die materielle/körperliche Dimension von Pflege-Klienten konzentrieren und sie objektivieren (Parks 2010). Die Objektivierung führt uns zu der zweiten negativen Konsequenz, nämlich dem Aspekt der Täuschung. Laut SPARROW und SPARROW (2006) führt die Objektivierung dazu, dass Pflege-Klienten eine Pflegebeziehung vorgetäuscht wird. Die Pflege-Roboter werden in dieser Hinsicht mit Simulanten verglichen, die vorgeben etwas zu sein, was sie nicht sind. Wenn sich Pflege-Klienten von Pflege-Robotern betreut fühlen, muss dieses Gefühl auf eine bewusste oder unbewusste Illusion zurückgeführt werden (vgl. Sparrow & Sparrow 2006). Zwar kann diese Illusionsart auch Vorteile beinhalten, wie beispielsweise gesundheitliche Vorzüge, aber die Autoren argumentieren weiter, dass die Illusion der Pflegebeziehung das allgemeine Wohlbefinden von Pflege-Klienten nicht verbessert, weil es sie von der Realität löst. Die Täuschung stecke vor allem darin, dass die Pflege-Roboter vorgeben, empathisch zu agieren, was sie in Wirklichkeit nicht können. Und als dritte Konsequenz sehen die Autoren, dass die Gefahr bestehe, dass Pflege-Klienten durch den Einsatz der Pflege-Robotik sozial isoliert werden. Die Autoren warnen davor, dass Pflege-Robotik zu einem Rückgang der Besuche führen könnte. Es könnten sich Angehörige und Freunde nicht mehr verpflichtet fühlen, den PflegeKlienten zu besuchen. Diese Kritikpunkte sind zwar nachvollziehbar, allerdings bieten die Autoren auch keine Ideen und Vorschläge an, um dem Pflegenotstand alterativ begebenen zu können. Es wäre doch ein Kompromiss, wenn die Gefahren und Täuschungen der Robotik transparent offengelegt werden, um jeden Pflege-Klienten selbst entscheiden zu lassen, ob es sich täuschen lassen will oder nicht. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich die Autoren in der Diskussion über den Einsatz von Pflege-Robotik auf ethischer Ebene sehr stark auf weiche Faktoren beziehen, die sich auf den zwischenmenschlichen Pflegeprozess beziehen und für die Pflegequalität von Bedeutung sind. Gemeint sind hier Werte wie Fürsorglichkeit, Wertschätzung, Empathie und Aufmerksamkeit, die im Mittelpunkt stehen und durch das menschliche Pflegepersonal verkörpert und

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4

Scoping Review der Pflege-Robotik

vermittelt werden. Da die Autoren die Vorstellung ablehnen, dass Pflege-Roboter diese wechselseitigen und zwischenmenschlichen Aspekte leisten könnte, außer durch eine Art von Täuschung, stellt sich die Frage, welchen Stellenwert diese Werte im Pflegeprozess einnehmen, wenn Pflege-Roboter eingesetzt werden (vgl. Parks 2010; Vallor 2011).

4.9

Diskussion des Scoping Reviews

Das übergeordnete Ziel dieser Überprüfung mithilfe des Scoping Reviews war es, ein besseres Verständnis für die Bandbreite der wissenschaftlichen Ansichten und Studien zu Auswirkungen der humanoiden Robotik bzw. technischen Assistenzsysteme auf die Altenpflege zu gewinnen. Die Vielfalt und Breite der Ansichten, die durch das Scoping Review zusammengetragen werden konnten, zeigt, dass die Wissenschaft weit davon entfernt ist, die Auswirkungskraft der Pflege-Robotik abzuschätzen. Nichtsdestotrotz hat die systematische Analyse dazu beigetragen, den Änderungen im Pflegebereich, die sich durch die Robotik ergeben könnten, ein gutes Stück näherzukommen. Mögliche Auswirkungen auf die Teamarbeit durch Robotik, konnten allerdings mithilfe des Scoping Reviews nicht zufriedenstellend erfasst werden. Eine Erklärung hierfür kann sein, dass viele Projekte in der Pflege-Robotik noch in Experimentier- und Versuchsstadien sind, so dass keinerlei Erfahrungen und gesicherte Erkenntnisse existieren, die sich speziell auf die Schnittstelle zur Teamarbeit im Pflegebereich beziehen. Durch das Scoping Review konnte lediglich eine Studie VAN BRENK (2009) ausfindig gemacht werden, die die Perspektive von Krankenschwestern beleuchtet, die einen Chirurgie-Roboter in einem Operationssaal koordinieren und diese Art der „Zusammenarbeit“ thematisiert. Eine Erkenntnis der Studie lautet: „Der Schlüssel zu einem effektiven Robotik-PflegeOperations-Team ist die Etablierung der Position eines ‚Robotik Koordinators‘. Diese Position kreuzt alle Aufgaben, die sich auf den Roboter beziehen, wobei der Schwerpunkt auf der Versorgung des Patienten in der Roboter-Chirurgie liegt. Roboter-Koordinatoren sind erforderlich, um sicherzustellen, dass ein konsistentes Team abgestimmt zusammenarbeiten kann. Sie koordinieren u. a., dass die Teammitglieder die erforderlichen Schulungen absolviert haben“(van Brenk 2009, S. 164).

5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

„Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“ Albert Einstein

Die Fragestellung, welchen Einfluss die Robotik im Gesundheits- und Pflegebereich haben könnte, bezieht sich in der wissenschaftlichen Literatur in erster Hinsicht auf Pflege-Klienten (vgl. Sparrow & Sparrow 2006), die häufig in Zusammenhang mit Fragen der Akzeptanz seitens des Klientels behandelt wird. Es lässt sich auch viel Diskussion zu technischen und ethischen Aspekten finden, die von wissenschaftlicher Seite betrachtet worden sind, wie das Scoping Review ergeben hat. Es sind vor allem spezielle Teilaspekte eines Experten- und Fachpublikums aus den Fachdisziplinen Informatik, Technik, Künstliche Intelligenz und Philosophie, die in diesen Arbeiten zu Wort kommen. Sämtliche dieser Forschungsarbeiten behandeln Fachaspekte und sind wertvolle Beiträge, die zwar nützliche Erkenntnisse zur Pflege-Robotik liefern, die jedoch immer nur einen speziellen Ausschnitt des Themenfeldes behandeln. In diesem Kapitel soll die Perspektive des Forschungsgegenstandes weiter gefasst werden, als dies bislang in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung geschehen ist. Es geht darum, die Komplexität, die mit der Robotik im Bereich der Pflegewirtschaft einhergeht, ganzheitlich und systemischer darzustellen. Dieses Kapitel will einen Beitrag zu der Debatte leisten, wie Unternehmen im Pflegebereich die technologischen Entwicklungen der Pflege-Robotik besser lenken, nutzen und kontrollieren können. Daher wird sich die folgende Analyse nicht

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Pijetlovic, Das Potential der Pflege-Robotik, Systemaufstellungen in Wissenschaft und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31965-6_5

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5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

auf einzelne Details beschränken, stattdessen wird es vornehmlich darum gehen, die Details zu verbinden, um ein systemtypisches Muster zu erkennen bzw. zu entwerfen. Zu dieser Art von Mustererkennung gehören zwei zentrale Dinge: Datenreduktion auf die wesentlichen Schlüsselkomponenten und die Vernetzung dieser Komponenten (vgl. Vester 2002). Dieses analytische Vorgehen wird von der kybernetischen Annahme getragen, dass jedes System, so wie auch die Pflegewirtschaft in Hinblick auf die Robotik als System betrachtet werden kann, ihr eigenes, spezifisches „Gesicht“ hat. Das Ziel ist, dieses Gesicht ohne Verfälschung zu entschlüsseln, indem eine unübersehbare Anzahl von beteiligten Komponenten durch wenige Schlüsselvariable, gewissermaßen durch die Knotenpunkte des Systems, repräsentiert wird. Aus diesen Beziehungen zwischen den Knotenpunkten soll es dann möglich werden, das Systemverhalten zu interpretieren und ggf. auch beeinflussen zu können (Vester 2002, S. 55). Um ein solches Vorhaben regelgeleitet durchzuführen, wird die Methode des Netmappings von Jürg HONEGGER (2013) angewendet. Das Netmapping wird hauptsächlich als systemisches Managementtool genutzt und das methodische Vorgehen basiert auf dem Ansatz des Vernetzen Denkens nach Peter GOMEZ und Gilbert PROBST und bietet die Möglichkeit, die Wirkungszusammenhänge der Robotik bezogen auf die Pflegewirtschaft in einer sogenannten Erfolgslogik zu visualisieren. Die Erfolgslogik bildet den Fokus des Netmappings. Durch sie werden die Verbindungen der Erfolgsfaktoren, die auf einer zuvor gewählten Betrachtungsebene bestehen, verbildlicht. Erfolgsfaktoren lassen sich in Ziele, Hebel und externe Einflüsse differenzieren. Das Ziel ist, dass sich aus den Erkenntnissen des Netmappings ebenfalls erkenntnisleitende Thesen für die Pflege-Robotik ableiten lassen. Der Prozess des Netmappings (vgl. Honegger 2013) wird herkömmlicherweise in Zusammenarbeit mit inter- und transdisziplinären Teams und Gruppen durchgeführt. Für die vorliegende Arbeit wurde das Verfahren angepasst und die Erarbeitung der Erfolgslogik erfolgte durch den Forscher in engen Absprachen, Interviews und Rückkoppelungsprozessen mit jeweils einem Experten aus der Robotik und einer Expertin aus der Pflege-Branche. Diese Prozesse verliefen interaktiv und die Erfolgslogik, die in diesen Gesprächen als Visualisierungs- und Gesprächsgrundlage diente, hat sich im Laufe der Zeit immer weiterentwickelt, weil beispielsweise neue Zusammenhänge zwischen den relevanten Erfolgsfaktoren entdeckt oder auch vermutete Beziehungen wieder neu überdacht oder verworfen wurden. Darüber hinaus konnten in den Interviewgesprächen auch weitere externe Einflüsse, Erfolgsindikatoren und Hebel identifiziert und sichtbar gemacht werden. Auf Basis dieser kommunikativen Schritte erfolgen Ableitungen von Thesen, Erkenntnissen und Handlungsempfehlungen.

5.1 Festlegung der Betrachtungsebene und der Fragestellung

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Die systemorientierte Managementlehre zielt auf Modelle und Verfahren zur Bewältigung von Komplexität in operativ geschlossenen Systemen ab. Komplexität wird hierfür jedoch nicht ausgeblendet, vielmehr wird eine ganzheitliche Denkweise forciert, die es ermöglichen soll, Untersuchungsausschnitte im gesamten Systemzusammenhang zu betrachten. Das Netmapping schließt hier an. So können z. B. Ursachen und Wirkungen auf verschiedenen Systemebenen (z. B. ökonomisch, technisch, sozial, ökologisch oder rechtlich) untersucht werden, um Anforderungen an eine ganzheitliche Betrachtung gerecht zu werden. Das Netmapping ist auch deshalb ein systemisches Managementtool, weil es Unternehmen bei der Ausübung von Selbstreferenz unterstützen kann, da durch sie das Unternehmen in Relation zu seinen Umwelten reflektiert wird. Die Betrachtung solcher Differenzbeziehungen, durch die sich ein System definiert, kann ebenfalls nach innen gerichtet stattfinden, da ein Unternehmen als Übersystem mit vielen Teilsystemen betrachtet werden kann, die dann gegenseitig Umwelten bzw. Überoder Untersysteme darstellen. Im Zuge solcher Betrachtungen kann das Netmapping innerbetriebliche Ziele, Erfolgslogiken und Hemmnisse sowie natürlich auch Hebel bezüglich einer bestimmten Fragestellung zu identifizieren helfen.

5.1

Festlegung der Betrachtungsebene und der Fragestellung

Systeme lassen sich in verschiedene Subsysteme unterteilen, wodurch einzelne Betrachtungsebenen entstehen. Beispielsweise können Systeme aus der Ebene der Branche, darunter der Ebene des Konzerns und unterhalb dieser Ebene die einzelnen Unternehmen des Konzerns bezeichnet werden. Jede Ebene ließe sich als einzelnes System beschreiben. Zur Differenzierung verschiedener Betrachtungsebenen können ebenfalls Regionen oder andere Einheiten gewählt werden. Wichtig ist jedoch die Einhaltung des Prinzips, dass für jede Betrachtungsebene lediglich eine Erfolgslogik vorherrschend ist und somit jede der beschriebenen Ebenen einer anderen Erfolgslogik unterliegt. Demzufolge müssen bei der Analyse anderer Ebenen auch andere Erfolgsindikatoren und Hebel herausgestellt werden. Die Schwerpunktsetzung auf eine Betrachtungsebene erfüllt den Zweck, eine Ebene kognitiv und visuell zu begreifen und dadurch den Grundstein für ein gelungenes Komplexitätsmanagement zu setzen (Honegger 2013). Hauptaugenmerk bei der Festlegung der geeigneten Betrachtungsebene ist die Fragestellung. Die Fragstellung in unserem Fall für die angestrebte Erfolgslogik lautet:

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5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

Welche Maßnahmen begünstigen einen Einsatz von Pflege-Robotik in Pflegeunternehmen? Bei der Betrachtung der Fragestellung kommen mehrere Ebenen in Betracht. Da es sich hier um eine Dissertationsschrift im Bereich der Betriebswirtschaftslehre handelt, soll die Perspektive eines erwerbwirtschaftlich geführten Pflegeunternehmens eingenommen werden. Dies ist wichtig, um die Komplexität zu begreifen, und deutlich zu machen, dass das System „Pflegeunternehmen“ lediglich ein Subsystem in einem weitaus größeren System darstellt. Eine Ebene darüber lassen sich unter anderem die Branche und ihre Verbände lokalisieren. Es gilt herauszufinden, welche Erfolgsfaktoren und Hebel jedes einzelne Pflegeunternehmen aktivieren kann, damit der Einsatz der Robotik im Pflegesystem zukünftig erfolgreich gelingen kann. Zu diesem Zweck müssen im nächsten Schritt die Anspruchsgruppen identifiziert und Erfolgsfaktoren hergeleitet werden.

5.2

Anspruchsgruppen und Erfolgsfaktoren identifizieren

Nach Festlegung der Betrachtungsebene werden im nächsten Schritt die bedeutenden Anspruchsgruppen und deren positives oder negatives Interesse als auch die hemmenden und fördernden Einflüsse herausgearbeitet. Die zentralen methodischen Fragestellungen, die dabei unterstützen sollen alle relevanten Anspruchsgruppen zu identifizieren, lauten nach HONEGGER (2013): • Wer hat an der gewählten Fragestellung ein positives oder negatives Interesse? • Welche Sichtweisen kann man auf die komplexe Fragestellung einnehmen? • Wer übt einen hemmenden oder einen fördernden Einfluss aus? Darüber hinaus lässt sich die Identifikation der Anspruchsgruppen nach HONEGGER noch erweitern, indem nach den bereits bestehenden Verbindungen eines identifizierten Akteurs gefragt wird. Somit ermittelt man neben den Anspruchsgruppen erster Ordnung auch Anspruchsgruppen zweiter Ordnung, die einen indirekten Einfluss auf das System ausüben. Mit HONEGGER (2013) wird gesagt: • Wer ist wichtigster Partner des Akteurs hinsichtlich der Fragestellung? • Von wem oder was ist der Akteur im System abhängig?

5.2 Anspruchsgruppen und Erfolgsfaktoren identifizieren

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Das Netmapping für den Einsatz von Pflege-Robotik in Pflegeorganisationen ist mithilfe von zwei Experten des Bremer IT-Unternehmens Blackout Technologies (Marc Fiedler und Lisa Fischer) in einem Workshop am 07.06.2018 erarbeitet worden. Bei der Durchführung wurden folgende zentrale Anspruchsgruppen als relevant ermittelt: Als wichtigste Anspruchsgruppe sind die Pflege-Klienten zu nennen. Der Einsatz der Pflege-Robotik muss in erster Linie auf Pflegeklienten abgestimmt sein. Sie werden auch diejenigen sein, die die meiste Zeit mit dieser Technologie in Verbindung stehen und den engsten Kontakt haben. Als weitere zentrale Anspruchsgruppe ist die der Pflegefachkräfte zu nennen. Die Pflegefachkräfte werden die Pflege-Robotik anwenden müssen. Des Weiteren lassen sich Pflegemanagement, pflegende Angehörige, ehrenamtliche Helfer/Innen, Pflege- und Krankenversicherungen, Politik/Parteien und die Robotik-Industrie als Anspruchsgruppen identifizieren. Mithilfe der Sonnen-Darstellung, in deren Mitte die Fragestellung gerückt ist, finden sich die Anspruchsgruppen grafisch wieder (Abb. 5.1):

Abb. 5.1 Anspruchsgruppen Pflege-Robotik. (Quelle: Eigene Darstellung angelehnt an Honegger 2013, S. 93)

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5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

Bevor weiter auf Erfolgsfaktoren und Hebel der einzelnen Anspruchsgruppen eingegangen und ihre Bedeutung in Bezug zur Pflegerobotik begründet wird, sollen in vereinfachter Form die jeweiligen Anspruchsgruppen vorgestellt werden. Erläuterungen zu den Anspruchsgruppen sollen ein inhaltlicher Einstieg und tieferes Verständnis ermöglichen, um dann vertieft die Erfolgsfaktoren und Hebel zu diskutieren.

5.2.1

Pflege-Klienten

In dieser Arbeit wird sehr viel Wert darauf gelegt, den Begriff Pflege-Klient im Sinne des Pflegewissenschaftlers REINHARD LAY als Oberbegriff für eine Person zu verwenden, die pflegebedürftig ist (Lay 2012, S. 174). Das können Krankenhauspatienten, Bewohner*innen von Einrichtungen in der Altenpflege, behinderte Menschen oder Kunden von ambulanten Pflegediensten sein. Laut dem Bundesministerium für Gesundheit (Online-Ratgeber 2018) „…kann Pflegebedürftigkeit im Sinne des Gesetzes (SGB XI) grundsätzlich in allen Lebensabschnitten auftreten. Nach der Definition des Gesetzes sind damit Personen erfasst, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder von bestimmten Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Das sind Personen, die körperliche, geistige oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbstständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer – voraussichtlich für mindestens sechs Monate – und mit mindestens der in § 15 SGB XI festgelegte Schwere bestehen.“ Die Anspruchsgruppe der Pflege-Klienten wird in den nächsten Jahren immer weiter ansteigen. Die folgende Statistik zeigt beispielsweise die Anzahl der Pflege-Klienten (in der Abbildung Pflegebedürftige genannt) und über 80-Jährigen in Deutschland in den Jahren von 2013 bis 2060. Laut dieser Prognose des Statistischen Bundesamtes (2017) könnte sich die Zahl der Pflege-Klienten in Deutschland von aktuell zirka 2,8 Millionen bis zum Jahr 2030 auf rund 3,31 Millionen erhöhen1 (Abb. 5.2). Diese Statistik zeigt eindringlich die Wahrscheinlichkeit, wie stark die Anspruchsgruppe der Pflege-Klienten anwachsen wird und demensprechend auch die gesellschaftliche Frage der pflegerischen Versorgung immer mehr an Bedeutung gewinnt. An dieser Stelle soll noch einmal betont werden, dass nicht alle 1 BMG.

Anzahl der Pflegebedürftigen und über 80-Jährigen in Deutschland in den Jahren von 2013 bis 2060 (in Millionen). https://de.statista.com/statistik/daten/studie/168254/umf rage/pflegebeduerftige-in-deutschland-seit-2007/ (zugegriffen am 10.06.18 11:35).

5.2 Anspruchsgruppen und Erfolgsfaktoren identifizieren

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Abb. 5.2 Entwicklung Pflege-Klienten. (Quelle: Statistische Bundesamt 2018)

wissenschaftlichen Arbeiten und Statistiken die Begrifflichkeit des Pflegeklienten verwenden. Der Begriff Klient stammt ursprünglich aus dem Lateinischen. Im römischen Klientenwesen waren Patrone (Adelige) für den Schutz, das Wohlergehen und die Fürsorge einzelner Klienten (Bürger, Plebejer) zuständig. Das Verhältnis zwischen Patron (Fürsorgepflichtigem) und Klient (Schutzbefohlenem) war vertrauensvoll und familiär, obwohl ein Patron gleichzeitig viele Klienten haben konnte. Seine Aufgabe gegenüber den Klienten war: Schutz, Fürsorge und Anwaltschaft. So half er den Klienten beispielsweise bei Rechtsstreitigkeiten. Als Gegenleistung wurde von den Klienten erwartet, dass sie den Patron bei Wahlen unterstützten (Lay 2008). Heute findet sich die Bezeichnung Klient*in in vielen sozialen und therapeutischen Berufen, (Kreft und Mielenz 1996, S. 367) in der Beratung und teilweise in der Psychotherapie. Besondere Verbreitung fand der Ausdruck durch die von CARL ROGERS entwickelte klientenzentrierte Gesprächsführung (vgl. Weinberger 2004).

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5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

Mit Klienten sind in der Regel die Auftraggeber von eigenständig tätigen Berufsgruppen oder Einrichtungen gemeint, z. B. werden auch die Mandanten von Rechtsanwälten häufig als Klienten bezeichnet. Für die Professionalisierung der Pflege hat dieser Aspekt eine wichtige Bedeutung. In vielen modernen Pflegemodellen wird daher der universelle Begriff Klient verwendet, der sich in der pflegewissenschaftlichen Literatur gegenüber dem krankheits- und medizinlastigen Ausdruck Patient immer mehr durchsetzt. Ein Patient ist nach KÄPPELI (2008) ein aus gesundheitlichen Gründen leidender Mensch mit eingeschränkter Lebensqualität. Zwar hebt die Pflegewissenschaftlerin hervor, der Begriff „impliziere weder a priori ein passives, untergeordnetes oder unmündiges Dasein des Kranken noch eine paternalistische Haltung der Betreuten“, doch ist die ethymologische Wurzel des Begriffs eindeutig: „Patient“ leitet sich aus dem lateinischen patiens (geduldig, erduldend, Leiden ertragend) ab und lässt eher an die (aktive oder passive) Annahme eines Leidenszustandes als an ein entschiedenes Engagement zur Sicherung oder Verbesserung des eigenen Gesundheitsniveaus denken. Klienten hingegen beauftragen professionelle Unterstützung, die für sie ihre Interessen wahrnehmen und in deren Obhut sie sich begeben. Dabei kann ihre Fähigkeit zur Selbstbestimmung unterschiedlich ausgeprägt sein. Der Begriff Klient sollte nicht mit dem für den Pflegebereich überwiegend unpassenden Ausdruck Kunde verwechselt werden. RABE (2009, S. 254) argumentiert bezüglich der Begriffsbestimmung: „Die Pflegebeziehung ist keine Beziehung zu einem Kunden, der frei ein Angebot auswählt, sondern eine Beziehung zu einem oft existenziell erschütterten, jedenfalls aber verunsicherten Menschen. Diese Asymmetrie besteht auch im Hinblick auf Wissen um die Krankheit und geeignete Diagnose- und Therapieoptionen sowie bezüglich der Möglichkeit, Abläufe zu gestalten.“ Die Pflegeforscherin IRMGARD HOFMANN schließt sich dieser Kritik an: „Allerdings ist der Kunde ein problematischer Begriff. Als Kunde gelte ich so viel, wie ich zu zahlen in der Lage oder bereit bin. Möchte ich als Pflegebedürftiger wirklich Kunde sein? Wenn ich reich bin, dann gefällt mir das vielleicht, weil ich mir jede Pflege leisten kann. Aber wenn ich arm bin? Muss ich dann auf notwendige Pflege verzichten? Der Kundenbegriff im Pflegesektor scheint mir einer der schlimmeren Auswüchse der sog. „Ökonomisierung aller Werte“ zu sein. Er rückt nämlich eine Käufer-Verkäufer-Beziehung in den Vordergrund – diese ist abhängig davon, wie viel jemand zahlen kann und verdrängt die Leidenszustände, die in den Begriffen „Patient“ oder „Pflegebedürftiger“ sehr wohl enthalten sind. Es wird eine gleichberechtigte Beziehung zwischen Helfenden und Pflegebedürftigen suggeriert, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat. Umgekehrt verführt

5.2 Anspruchsgruppen und Erfolgsfaktoren identifizieren

79

dieser Begriff manche Menschen, die auf Pflege angewiesen sind dazu, von Pflegenden eine Art Hotelservice (=jeden Wunsch erfüllen) zu erwarten, der aber im Pflegeberuf keinesfalls enthalten ist“ (Hofmann 2007, S. 31).

Auch wenn sich bisweilen der Begriff des Pflege-Klienten in der Praxis nicht durchsetzen konnte, stellt dies nicht die Richtigkeit seiner Bedeutung und Verwendung in Frage. Im Gegenteil, diese Arbeit möchte das Bewusstsein für den Gebrauch des Begriffs Pflege-Klienten weiter fördern.

5.2.2

Pflegekräfte

Mit Pflegekräfte ist die Personengruppe gemeint, die die Pflege-Klienten im Rahmen des sozialpflegerischen Berufs in der ambulanten und stationären Altenpflege betreuen. Diese Dienstleistung erfolgt beispielsweise durch Sozialstationen in den Wohnungen (ambulant) der Pflegeklienten oder stationär in Alten- und Pflegeheimen. Auch in Rehakliniken, Tagesstätten und in geriatrischen Krankenhäusern kommen Pflegefachkräfte zum Einsatz. Freiberuflich sind nur wenige Pflegekräfte tätig, in Deutschland sind das zirka 8000 Personen (Bundesagentur für Arbeit- Statistik 2018). Pflegekräfte erbringen Tätigkeiten in der von Erwachsenen üblicherweise vorgenommenen Selbstpflege und zum Teil in hauswirtschaftlichen Bereichen. Die Aufgaben von Pflegekräften, die vom Gesetzgeber genauer als examinierte Altenpflegekräfte bezeichnet werden, sind aktuell noch im Altenpflegegesetz im Paragraf 3 AltPflG2 verankert. Die Pflegewissenschaftlerin KERSTIN FREUND (2006, S. 15) beschreibt, Pflegekräfte führten „…selbstständig und eigenverantwortlich eine fach- und sachgerechte, geplante Pflege nach den allgemein anerkannten pflegewissenschaftlichen und medizinischpflegerischen Erkenntnissen durch. Dies beinhaltet zum einen das Erhalten und Aktivieren von individuellen Fähigkeiten unter zu Hilfenahme geriatrischer und gerontopsychiatrischer Konzepte. Zum anderen soll den Pflegeklienten die Unterstützung zu kommen, die ihnen eine eigenständige Lebensführung ermöglicht. Zu der Umsetzung dieser Aufgaben beraten und betreuen die Pflegefachkräfte ihre Pflegeklienten in persönlichen und sozialen Angelegenheiten. Darüber hinaus fördern sie soziale Kontakte und leiten beratend 2 Ab

1. Januar 2020 startet die neue Ausbildung nach dem Pflegeberufereformgesetz. Durch die Reform werden die Ausbildungen in der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege sowie der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege zu einer neuen generalistischen Pflegeausbildung mit einheitlichem Berufsabschluss als “Pflegefachfrau” oder “Pflegefachmann” zusammengeführt.

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5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

und unterstützend Pflegepersonen an, die keine Pflegefachkräfte sind. Weitere Aufgaben sind die Beratung pflegender Angehöriger, die Anregung und Begleitung von Familien- und Nachbarschaftshilfen sowie Gesundheitsvorsorge und Ernährung von Pflegeklienten. In der Wahrnehmung ihrer Aufgaben wirken Pflegefachkräfte an qualitätssichernden Maßnahmen in der pflegerischen Betreuung und Behandlung mit. Explizit ist hier auch die umfassende Begleitung Sterbender aufgeführt, die den Pflegeklienten ein würdevolles Sterben gewähren soll.“ Weitere Aufgaben beinhalten die Wahrnehmung des Pflegeklienten in seiner Individualität. Die aus verschiedenen Lebensstilen, Religionen und Kulturen erwachsenen Bedürfnisse sollen durch eine entsprechende Unterstützung und Pflege umgesetzt und gesichert werden. Das erfolgt durch eine Unterstützung in der Lebensgestaltung (Larsen and Schmid 2005). Insgesamt waren im Jahr 2012 in Deutschland in der Altenpflege ungefähr 586.000 Pflegekräfte tätig. Mit einem Frauenanteil von 87 Prozent ist die große Mehrheit der Pflegefachkräfte weiblich. Laut JANINA NANNINGA (2014, S. 13) zählen zu den Pflegekräften auch die Pflege(hilfs)kräfte und die pflegerischen Hilfskräfte. NANNINGA (2014, S. 14) hält eine Differenzierung der verschiedenen Hilfskräfte für explizit notwendig, „…da sie auf unterschiedlichen Qualifikationen beruhen. Pflegehilfskräfte sind Krankenpflegehelfer (KPH) und Altenpflegehelfer (APH). Sie weisen eine einjährige Ausbildung mit Staatsexamen vor. Pflegerische Hilfskräfte hingegen haben einen 6-wöchigen Kurs mit einer Abschlussprüfung absolviert. Zu ihnen zählen der Schwesternhelfer (SrH) und der Pflege(dienst)helfer (PH). Da die Kompetenz zur Regelung der Ausbildung der Pflegehilfe bei den Bundesländern liegt, variiert die Ausbildungslänge und Berufsbezeichnung. Daher wird in den Bundesländern Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein der Beruf der Gesundheitsund Pflegeassistenz (GPA) nicht angeboten, sondern beschränkt sich auf die SrH.“ In der öffentlichen Wahrnehmung wird die Berufsgruppe der Pflegefachkräfte in erster Linie mit dem Fachkräftemangel in der Pflege in Zusammenhang gebracht. Laut dem BUNDESMINISTERIUM FÜR GESUNDHEIT (2018)3 fehlen bereits heute in allen Pflegeberufen Fachkräfte. Amtliche Angaben zur Anzahl nicht besetzter Stellen in den Pflegeberufen liegen allerdings nicht vor. Indizien für bestehende Engpässe können aus der Fachkräfteengpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit (Stand: Dezember 2017) entnommen werden. Stellenangebote

3 vgl.

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/pflege/pflegekraefte/beschaeft igte.html

5.2 Anspruchsgruppen und Erfolgsfaktoren identifizieren

81

für examinierte Altenpflegefachkräfte und -spezialisten sind demnach im Bundesdurchschnitt 171 Tage unbesetzt. Das Bundesministerium für Gesundheit führt weiter aus, dass auf 100 gemeldete Stellen (außerhalb der Zeitarbeit) rechnerisch lediglich 29 Arbeitslose kommen. Die Engpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit (2017) spiegelt die gegenwärtige Situation wider. Eine Prognose für die zukünftige Entwicklung scheint sich daraus nicht ableiten zu lassen. So geht das Bundesministerium für Gesundheit davon aus, dass die ergriffenen Maßnahmen zur Fachkräftesicherung aus der Vergangenheit und Gegenwart erst in den nächsten Jahren ihre Wirkung zeigen werden. Allerdings ist die Not aktuell schon so groß, dass eher davon auszugehen ist, dass sich die Situation weiter verschärfen wird. Erkenntnisreich ist, dass gemäß dem Bundesministerium für Gesundheit (2018) der künftige Personalbedarf in den Pflegeberufen von unterschiedlichen Faktoren ab wie der Bevölkerungsentwicklung und der tatsächlichen Pflegefallhäufigkeit, dem zukünftigen Anteil von ambulanter und stationärer Versorgung in der Pflege, dem Verhältnis von Fachkräften zu Hilfskräften, Ersatzbedarf durch Ausscheiden aus Altersgründen, Unterbrechungszeiten bzw. Verweildauer im Beruf, Entwicklung der Arbeitszeit, aber auch von der Existenz alternativer Unterstützungsangebote sowie möglicher Entlastungen durch den medizinischen und technischen Fortschritt oder durch die Digitalisierung abhängt. So findet man auf der Homepage des Bundesministeriums für Gesundheit verschiedene Studien (Studie des Statischen Bundesamtes und des Bundesinstitutes für Berufsbildung 2010, Afentakis und Maier 2010, Studie der Bertelsmann-Stiftung 2012, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) 2012, Prognos-Studie 2012), die darauf schließen lassen, dass die genannten Faktoren eine große Auswirkung auf die tatsächlich zu erwartende Personallücke besitzen können. Beispielsweise wird in der folgenden Abbildung des Statistischen Bundesamtes, die auf der Studie von AFENTAKIS und MAIER (2010) basiert, ein prognostizierter Bedarf an Pflegefachkräften in Deutschland für das Jahr 2025 ersichtlich. Der Bedarf wird dabei voraussichtlich insgesamt bei 940.000 Pflegefachkräften liegen und davon werden zirka 112.000 Stellen nicht besetzt werden können, weil nicht ausreichend Pflegekräfte vorhanden sind (Abb. 5.3)4 . Ob der prognostizierte Bedarf tatsächlich so hoch oder niedriger ausfällt, spielt hier nicht die entscheidende Rolle, es soll vielmehr anschaulich gemacht werden, unter welchem Druck heutige Pflegekräfte insgesamt stehen. Der Druck wird auf 4 SZ. Prognostizierter Bedarf an Pflegekräften in Deutschland im Jahr 2025. https://de.sta tista.com/statistik/daten/studie/172651/umfrage/bedarf-an-pflegekraeften-2025/ (zugegriffen am 10.06.18 15:22).

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5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

Abb. 5.3 Bedarf an Pflegekräften. (Quelle: Statistisches Bundesamt 2018)

doppelte Weise im Pflegebereich spürbar. Auf der einen Seite wird es immer mehr Pflegeklienten geben, auf der anderen Seite werden die Pflegefachkräfte immer älter. In diesem Abschnitt soll die Anspruchsgruppe der Pflegefachkräfte eingeschränkter greifbarer werden. Eine zentrale Gemeinsamkeit von Pflegefachkräften ist eine hohe Werteorientierung (vgl. Rose-Ackermann 1997; Simsa und Patak 2008). Damit sind moralische Überzeugungen, Werte und ideologische Orientierungen wichtige Kriterien für zu treffende Entscheidungen und für die strategische Ausrichtung von Pflegeeinrichtungen. Eine große Schnittmenge an gemeinsamen ideellen Überzeugungen und Werten der Mitarbeiter einer Pflegeeinrichtung kann sich positiv auf die intrinsische Motivation (Gabler 2013) und auf das Engagement auswirken, was wiederum zu einem positiven Einfluss auf die Zufriedenheit der Bewohner beziehungsweise deren Angehörigen führt. Dass Pflegekräfte generell zu einer Berufsgruppe gehören, die stark intrinsisch motiviert ist, belegen diverse einschlägige Studien, u. a. die europäischen NEXT-Studien (Hasselhorn 2007). Als wichtigste Gründe für die Wahl einer Pflegearbeit gelten demnach bei der

5.2 Anspruchsgruppen und Erfolgsfaktoren identifizieren

83

überwiegenden Mehrheit der Pflegekräfte werteorientierte, intrinsische Motivatoren wie der Wunsch, anderen Menschen zu helfen (Janas and Mayerhofer 2014) (Abb. 5.4).

Abb. 5.4 Motivatoren für den Pflegeberuf. (Quelle: Hasselhorn 2007)

Die Autorinnen DANA JANAS und BARABRA MEYERHOFER (2014) beschreiben in ihrem Buch Führen in der Pflege, dass die täglichen Arbeit von Pflegekräften in ein institutionelles, hierarchisch aufgebautes Arbeitsfeld eingebunden ist (vgl. Dibelius und Arndt 2003, zitiert in Janas und Meyerhofer 2014, S. 38) und sie mit ihren individuellen, persönlichen Werten, mit der sie in der Pflegearbeit verbunden sind, auch den institutionellen Anforderungen im Hinblick auf Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit gegenüber stehen (vgl. Van der Arend 1992, zitiert in Janas und Meyerhofer 2014, S. 35). Eine effektive und effiziente Pflege muss dabei so realisiert werden, dass bei allen wirtschaftlichen Aspekten das Wohlbefinden des Pflege-Klienten an erster Stelle steht, auch damit die Pflegekraft ihrem Anspruch gerecht werden kann, „gut zu pflegen“ (vgl. Diercks de Casterlé 1997). JANAS und MEYERHOFER (2014) konstatieren, dass Pflegekräfte sich in diesem Zusammenhang zuweilen in einem Konflikt wieder finden: Personalmangel, Schichtarbeit sowie die mit der Pflegearbeit verbundenen enormen physischen und psychischen Belastungen können im Widerspruch

84

5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

zum Werteverständnis und zur Motivation einer „guten Pflege“ der Pflegekraft stehen und damit zu einem „chronischen Gefühl der Unzulänglichkeit“ (vgl. Van der Arend und Gastmans 1996) führen. Die Pflegedienstleitung trägt einen entscheidenden Anteil dazu bei, wie sich die Grundeinstellungen und Werte der Pflegekraft in diesem Spannungsfeld entwickeln und gelebt werden können.

5.2.3

Pflegedienstleitung

Mit Pflegedienstleitung ist die Anspruchsgruppe gemeint, die Leitungs-, Führungs- und Personalverantwortung im Pflegebereich, insbesondere auf Pflegefachkräfte, ausüben. Also grob gesagt handelt es sich um Führungskräfte in der Pflege. In der Regel kann die Pflegedienstleitung aus einer fachlich qualifizierten Person, die den Pflegedienst leitet, bestehen. Es ist aber auch möglich, dass ein Leistungsteam aus mehreren Personen die Pflegedienstleitung übernehmen. Die Pflegedienstleitung übernimmt verwaltende und organisatorische Aufgaben wie beispielsweise die Auswahl- und Personalplanung, Organisation der Dienstpläne sowie Kontrolle und Einhaltung von Qualitätsstandards (www. pflegedienstleitung.de). Zum Einsatz im Leitungsbereich, z. B. einer Stationsleitung oder einer Wohnbereichsleitung, gibt es laut SGB V und SGB XI keine eindeutige Verpflichtung, eine zusätzliche Weiterbildung zu absolvieren oder ein Studium abzuschließen. Eine Weiterqualifizierung für Managementaufgaben wird jedoch von diversen Bildungseinrichtungen angeboten. Darüber hinaus gibt es im Pflegeberuf Fachweiterbildungen, welche in besonderem Maße für spezielle Aufgaben qualifizieren. Hierzu zählen beispielsweise die staatlich anerkannten, jeweils zweijährigen Fachweiterbildungen für Intensivpflege und Anästhesie, für den Funktionsdienst, Geriatrie, Hygiene, Pflegedienstleitung etc. Darüber hinaus besteht mit entsprechenden Zugangsvoraussetzungen für Pflegeberufe die Möglichkeit, an Fachhochschulen und Universitäten zu studieren. Abschlüsse auf der Ebene des Bachelor- und Masterstudiengangs bis hin zur Promotion und Habilitation sind möglich. Im Ambulanten Pflegedienst und im Pflegeheim ist neben der fachlichen Qualifikation eine Weiterbildung zur Pflegedienstleitung zwingend erforderlich. In diesem Zusammenhang ist im § 71, Abs. 3 SGB XI festgelegt: „… Für die Anerkennung als verantwortliche Pflegefachkraft ist ferner Voraussetzung, dass eine Weiterbildungsmaßnahme für leitende Funktionen mit einer Mindeststundenzahl, die 460 Stunden nicht unterschreiten soll, erfolgreich durchgeführt wurde.“

5.2 Anspruchsgruppen und Erfolgsfaktoren identifizieren

85

TEGTMEIER und SCHRAN (2015, S. 591) teilen die Aufgaben von Pflegedienstleitungen und Führungskräfte in der Pflege in die Bereiche des allgemeinen Managements ein. Dazu zählen unter anderem: • • • • •

Organisationslehre Personalführung (inkl. Auswahl und Entwicklung) Finanzierung und Controlling Qualitäts- und Dienstleistungsmanagement Change-Management

Die Unterteilung zeigt die Vielfalt der unterschiedlichen Einsatzgebiete und der hiermit verbundenen speziellen Aufgabenbereiche, in der sich Pflegedienstleitungen bewegen. Führung und Management in der Pflege heißt somit im Rahmen der unterschiedlichen Aufgabengebiete, planvoll und zielorientiert zu arbeiten. Dazu müssen Pflegedienstleitungen eine Verbindung zu anderen Berufsgruppen herstellen, und damit einhergehend die Koordination und Kooperation in vernetzten Bezugsrahmen organisieren und durchführen. Somit befasst sich die Pflegedienstleitung zum einen mit verschiedenen Formen der Zusammenarbeit innerhalb der unterschiedlichen Professionen im Gesundheitswesen und zum anderen mit dem Anspruch der Führung der Pflegedienstmitarbeiter in den verschiedenen Pflegeinstitutionen (vgl. Tegtmeier and Schran 2015). Laut WIKIPEDIA (2018)5 wird die Pflegedienstleitung funktional in vielen betrieblichen Organisationen dem mittleren Management zugeordnet. Sie dient einerseits als Bindeglied zwischen pflegerischer Stationsleitung und Geschäftsführung und andererseits als Bindeglied zwischen pflegerischer Stationsleitung und ärztlichem Direktor. Gegenüber ihren unterstellten Mitarbeitern sind Pflegedienstleitungen weisungsbefugt. Hierzu zählen die Pflegefach- und Pflegehilfskräfte, Ergotherapeuten, Krankengymnasten, Praktikanten, Bufdis (Bundesfreiwilligendienstleistende) und alle anderen Mitarbeiter*innen die pflegerisch mitwirken.

5.2.4

Pflegende Angehörige

Eine weitere Anspruchsgruppe, die in Bezug zur Pflege-Robotik in Betracht gezogen werden muss, sind die pflegenden Angehörigen. Das deutsche Pflegesystem wäre ohne den Beitrag pflegender Angehöriger nicht denkbar (vgl. Nowossadeck et al. 2016, S. 21). Der Begriff der pflegenden Angehörigen folgt in 5 https://de.wikipedia.org/wiki/Pflegedienstleitung

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5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

dieser Arbeit einer breit angelegten Definition wie ihn SONJA NOWOSSADECK, HERIBERT ENGSTLER UND DANIELA KLAUS (2016, S. 4) im Report Altersdaten verwenden: „Er umfasst sowohl Personen, die im Haushalt als auch außerhalb des Haushalts der gepflegten Person wohnen. Neben den Familienmitgliedern schließt der Begriff der Angehörigen auch Bekannte, Freunde, Nachbarn oder andere Personen ein. Das Kriterium ist, dass die Unterstützung informell erbracht wird, also nicht professionell oder gegen Bezahlung.“ Die Autoren führen weiter aus, dass die Anzahl der pflegenden Angehörigen nicht in einer amtlichen Statistik erfasst ist, wie beispielsweise die Anzahl der PflegeKlienten, die Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten. Daher wird laut den Autoren hilfsweise die Anzahl der pflegenden Angehörigen auf Grundlage von Stichprobendaten geschätzt erfasst. Gemäß einer solchen Schätzung werden drei Viertel aller Pflege-Klienten (also zirka 2,1 Millionen) mit einer anerkannten Pflegestufe zu Hause von Angehörigen versorgt (Nowossadeck et al. 2016, S. 4). Weiter heißt es im Report Altersdaten, dass viele gesundheitlich eingeschränkte Menschen noch zusätzlich berücksichtigt werden müssten, die im Alltag zwar Unterstützung und Hilfe von Angehörigen erhalten, aber dabei keine Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen. Grundsätzlich scheint jedoch die Bereitschaft in der Familie Verantwortung füreinander zu übernehmen, groß zu sein. Laut dem Report für Altersdaten (2016, S. 4) unterstützt jede sechste Person zwischen 40 und 85 Jahren ihre Angehörigen in Deutschland. Regelmäßige Unterstützung wird vor allem von Personen im jungen Seniorenalter geleistet. Die Autoren des Reports Altersdaten resümieren in ihren Kernaussagen hierzu: „Ein Viertel aller Frauen zwischen 60 und 64 Jahren und ein knappes Fünftel der gleichaltrigen Männer unterstützen andere aus Gesundheitsgründen.“ (Nowossadeck et al. 2016, S. 3).

Das bedeutet, dass die pflegebedürftigen Alten überwiegend von den jungen und noch gesunden Alten unterstützt werden. Ein anderer Großteil sind Frauen im Alter zwischen 40–60 Jahre, die in der häuslichen Pflege unterstützen. Wie problematisch bzw. unproblematisch diese Entwicklung sein mag, kann hier nicht beantwortet werden. Jedoch nimmt insgesamt das Potenzial an pflegenden Angehörigen aufgrund von Veränderungen in der demografischen Struktur der Bevölkerung ab. Hinzu kommen noch andere Einflüsse wie veränderte Familienstrukturen, größere Wohnentfernungen zwischen den Generationen und steigende Erwerbsquoten von Frauen im mittleren und höheren Erwerbsalter, die dazu führen, dass immer weniger Angehörige pflegerisch tätig werden können (vgl. Wetzstein et al. 2015; Bestmann et al. 2014). Dementsprechend wird eine große

5.2 Anspruchsgruppen und Erfolgsfaktoren identifizieren

87

gesellschaftliche Kraftanstrengung darin bestehen, in Zukunft noch weitaus mehr als bisher vorgenommen, geeignete Bedingungen für diejenigen zu schaffen, die Pflege und Unterstützung leisten wollen (Nowassadeck et al. 2016, S. 4). In der Berichterstattung Pflegende Angehörige – Deutschlands größter Pflegedienst vom Roboter Koch Institut konstatieren die Autoren hierzu, dass ein Schwerpunkt der Maßnahmen für pflegende Angehörige bislang auf Beratung und Schulung der Betroffenen lag (Wetzstein et al. 2015, S. 9). Ein weiterer Lösungsansatz wird darin gesehen, dass durch „…das Konzept der Familienpflegezeit, die Betreuung Angehöriger künftig besser mit der eigenen Erwerbstätigkeit zu vereinbaren“ (ebd.) ist. Mit der vorliegenden Arbeit nehme ich darüber hinaus die technologischen Möglichkeiten der Pflege-Robotik als Ansatz zur Stärkung der sozialen Integration, Gesundheitsförderung und Entlastung von pflegenden Angehörigen als eine wegweisende Option stärker in den Blick.

5.2.5

Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer

Im Abschlussbericht zum Modellprojekt Ehrenamt in der Pflege (FreiwilligenAgentur Halle-Saalkreis e. V. 2006, S. 14) wird erläutert, dass der Bereich der Altenpflege sich im Allgemeinen als das klassische Feld für ehrenamtliches Engagement darstellt und auf eine lange Tradition ehrenamtlicher Fürsorge gerade auf Basis der Kirchengemeinden oder Wohlfahrtsverbände zurückschauen kann. Im Abschlussbericht (2006, S. 14) heißt es weiter: „Gleichzeitig hat sich das Feld der Altenpflegearbeit in den letzten Jahrzehnten stark aufgefächert und bietet je nach Bedarf ein abgestuftes Hilfesystem mit einem unterschiedlichen Formalisierungs- und Professionalisierungsgrad. Neben Bürgerläden, Seniorenbüros, Selbsthilfegruppen, Interessenvertretungen und unterschiedlichen Gruppierungen, die fast ausschließlich auf ehrenamtlicher Arbeit basieren, gehört der Bereich der Altenpflege zu dem Bereich mit den stärksten Professionalisierungsbestrebungen bei einer gleichzeitig geringen Integration ehrenamtlichen Engagements.“ Für die deutsche Sozialarbeitswissenschaftlicher TERESA BOCK (2002) hängt der geringe Anteil an Freiwilligen mit dem besonders hohen Grad der Professionalisierung im Sozial- und Gesundheitssektor zusammen. Die Angebote von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern gelten als niedrigschwellig, weil zu ihrer Durchführung keine professionelle Ausbildung vorausgesetzt wird (Reggentin and Dettbarn-Reggentin 2012, S. 87). Anders als in der Betreuung durch pflegende Angehörige sind sie wöchentlich nur stundenweise verfügbar. Die Kombination von pflegenden Angehörigen und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern stellt eine zunehmende Verbindung dar. Die Leistungen

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5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

ehrenamtlicher Kräfte umfassen Unterstützung in der Erhaltung sozialer Kompetenzen durch regelmäßige Gespräche, Begleitung bei Freizeitaktivitäten und Begegnungen mit anderen Personen, Aufsuchen von Behörden, Institutionen und Ärzten oder notwendige Besorgungen, Vorlesen oder Spiele spielen. Sind pflegende Angehörige vorhanden, dann erfolgt die Unterstützung zumeist während deren Abwesenheit. In erster Linie sollen die ehrenamtlichen Kräfte die Neugier und das Interesse an den schönen Dingen wecken. Mit Hilfe von Musik, Malen oder Handarbeit werden die Sinne angesprochen. Auch der Einsatz von Tieren (Hunden, Katzen, Kaninchen etc.) fördert die Wahrnehmung der Umwelt und erfolgt oft durch Ehrenamtliche. Des Weiteren ist die Stärkung der Orientierung an Tageszeiten, Jahreszeiten oder anderen Zeitmarken ein wichtiger Aspekt, der von ehrenamtlichen Kräften übernommen wird. Die Erinnerung an Personen und Ereignissen wird ebenfalls durch Ehrenamtliche gefördert. Hierin liegt ein Stück Biographiearbeit, die das Alltagsleben und die Orientierung zumindest zeitweise deutlich verbessern kann (Reggentin und Dettbarn-Reggentin 2012, S. 87). Ein Teil dieser Aufgaben wie Orientierung und Biographiearbeit können Roboter, die in der Pflege eingesetzt sind, schon heute übernehmen. In Zukunft werden mit großer Wahrscheinlichkeit sich die Fähigkeiten der eingestezten Robotik noch weiter verfeinern und ausbauen. Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik Nr. 2:

Der Einsatz von Pflege-Robotik kann die Koordination und Organisation von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern in der Pflege unterstützen. Ehrenamtliche Kräfte sollten in der Handhabung und dem Umgang mit der Pflege-Robotik geschult werden. Die Einführung der Pflege-Robotik wird umso erfolgreicher gelingen, je eher ehrenamtliche Kräfte die Robotik nicht als Konkurrenten auffassen, sondern als zusätzliches, unterstützendes Element in der Betreuung von Pflege-Klienten. Daher sollten auch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer an Entwicklungen von Pflege-Robotik beteiligt werden. Hier besteht eine Ressource, die sich als nützlich erweisen kann. Um die Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements für den Bereich der Altenpflege herausstellen zu können, ist es darüber hinaus wichtig, die Verbreitung des Engagements zu kennen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege beziffert die Zahl ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer in ihren Verbänden zwischen 2,5 bis 3 Millionen (Timm 2015). Allerdings ist die

5.2 Anspruchsgruppen und Erfolgsfaktoren identifizieren

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Schätzung fraglich, weil die Zahl bereits seit mehreren Jahren zwischen 2003 bis 2015 unverändert genannt wird. In der Studie Freiwilliges Engagement in Deutschland vom Bundesministerium für Familien, Frauen, Senioren und Jugend aus dem Jahr 2014 wurde festgestellt, dass 3,4 Prozent der Wohnbevölkerung in Deutschland über 14 Jahren, Pflege oder Betreuung von Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen im außerfamiliären sozialen Nahraum, leisten. Frauen übernehmen dabei deutlich häufiger die Betreuung oder Pflege von Menschen außerhalb des eigenen Haushaltes als Männer. Zudem ist diese Unterstützungsleistung bei Menschen im Alter von 65 Jahren und älter wesentlich weiter verbreitet als bei den unter 65-Jährigen (Simonson und Vogel 2016, S. 268). Diese Anzahl ist beachtlich und daher werden die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer in dieser Arbeit als Akteur in der weiteren Analyse berücksichtigt, denn sie könnten sich als wichtige und bislang unterrepräsentierte Ressource in Bezug zur Pflegerobotik erweisen.

5.2.6

Pflegepolitik

Den größten Gestaltungseinfluss auf die Pflegepolitik in Deutschland hat der Bundestag; insbesondere durch den Ausschuss für Gesundheit in Zusammenarbeit und Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium, wo die Altenpflege thematisch angesiedelt ist. Wenn in dieser Arbeit von Pflegepolitik gesprochen wird, dann sind als Akteure die oben genannten Institutionen „Bundestag, Ausschuss und Ministerium“ gemeint. Kernaufgabe der Pflegepolitik, die im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit, steht, sind die Fragen: Wie soll die Pflege gewährleistet werden? Und: Wie soll sie finanziert werden? (vgl. Gerlinger und Reiter 2017, S. 275). Das wesentlichste Instrument zur Gestaltung der Altenpflege durch die Pflegepolitik ist die Pflegeversicherung. Die Pflegeversicherung ist das Rückgrat der Pflegepolitik, die im April 1994 mit dem „Gesetzt zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz – PflegeVG) erstmals beschlossen wurde. Das Gesetz trat am 01.01.1995 in Kraft und wurde in das elfte Sozialgesetzbuch integriert (SGB XI). Die Pflegeversicherung gilt seitdem als fünfte Säule der gesetzlichen Sozialversicherung, neben Kranken-, Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung. Damit steht die Pflegeversicherung im Zentrum des pflegepolitischen Feldes. Um sie wird es im nächsten Abschnitt gehen. Der Staat in Form der Pflegepolitik steuert die Pflegeversicherung über gesetzliche Rahmenvorgaben und delegiert Kompetenzen zu deren Konkretisierung an eine gemeinsame Selbstverwaltung. Hier sind die

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5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

Pflegekassen, die Kommunen und die Leistungsbringer sowie deren jeweilige Verbände von besonderer Bedeutung. Im SGB XI legt die Pflegepolitik die Rechte und Pflichte der beteiligten Akteure fest. Beispielsweise verhandeln sie über die Bedingungen der Leistungserbringung und der Leistungsvergütung. Die Pflegepolitik übt nicht nur die Rechtsaufsicht über das Handeln dieser gemeinsamen Selbstverwaltung von Leistungserbringern, Finanzierungsträgern (Pflegekassen) und ihren Verbänden aus, sondern behält sich auch die Genehmigung ihrer Vereinbarungen und Entscheidungen vor. Zudem ist die Pflegepolitik mit dem Recht zur Ersatzvornahme ausgestattet. Das bedeutet, dass der Bundesminister für Gesundheit in vielen Fällen gesetzlich ermächtigt ist, im Wege der Ersatzvornahme Beschlüsse herbeizuführen, wenn die zuständigen Gremien wie zum Beispiel der Bewertungsausschuss, der Gemeinsame Bundesausschuss oder die Selbstverwaltungspartner Entscheidungen nicht innerhalb einer gesetzten Frist treffen. Hierdurch wird gewährleistet, dass notwendige Systementscheidungen realisiert werden. So wurde zum Beispiel im Gesundheitsbereich der erste Fallpauschalenkatalog6 im Jahr 2002 per Ersatzvornahme festgelegt, weil sich die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Verbände der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen nicht rechtzeitig einigten (vgl. AOK Bundesverband). Doch solche Maßnahmen stellen eher die Ausnahme dar. Grundsätzlich wird das Pflegesystem von sehr vielen Akteuren in enger Zusammenarbeit organisiert.

5.2.7

Pflegeversicherung

Die Pflegeversicherung wurde am 1. Januar 1995 als eigenständiger Zweig der Sozialversicherung eingeführt. Für sie gilt eine umfassende Versicherungspflicht von allen gesetzlich und privat Versicherten. Das bedeutet, dass jede/r gesetzlich Krankenversicherte automatisch auch in der sozialen Pflegeversicherung versichert ist. Allerdings müssen privat Krankenversicherte eine private Pflegeversicherung abschließen (vgl. Bundes Gesundheitsministerium o. J.). Durch die Einführung der Pflegeversicherung wurde in erster Linie ein Pflegemarkt geschaffen, die eine tragfähige Pflegeinfrastruktur zum Ziel hat, mit Hilfe derer

6 Die

Fallpauschale (DRG) ist Teil des G-DRG Systems und bildet die Grundlage der Vergütung von Leistungen pro stationärem Behandlungsfall im deutschen Gesundheitssystem. Das pauschalierte Abrechnungssystem wurde 2004 verpflichtend eingeführt und im Zuge dessen die DRG als grundlegende Form der Berechnung und Vergütung von medizinischen innerklinischen Fällen implementiert. (Quelle: www.reimbursement.institute/glossar/fallpauschale/)

5.2 Anspruchsgruppen und Erfolgsfaktoren identifizieren

91

die pflegerische Versorgung der Bevölkerung flächendeckend sichergestellt werden soll. Dazu wurden Möglichkeiten geschaffen, zum Betrieb von ambulanten Pflegediensten und stationären Pflegeeinrichtungen Versorgungsverträge mit den Pflegekassen abzuschließen. Anders als in der Krankenhausplanung oder auch im Bereich der primärärztlichen Versorgung wurde auf eine spezifische Bedarfsplanung verzichtet und auf die Regulierung durch den Markt vertraut. Die Zahlen belegen einen enormen Zuwachs auf dem Pflegemarkt. So ist die Zahl der Pflegedienste von ca. 4.000 im Jahr 1992 auf rd. 11.700 im Jahr 1996 angestiegen. Im vollstationären Bereich standen rd. 8.000 zugelassene Pflegeheime im Jahr 1996 rd. 4.000 aus dem Jahr 1992 gegenüber. Bis 2015 sind diese Zahlen noch einmal auf 13.300 ambulante Pflegedienste und 13.600 Pflegeheime angestiegen (vgl. Statistisches Bundesamt 2017). Grundsätzlich lässt sich das deutsche Pflegesystem nicht mehr ohne die Pflegeversicherung denken. Sie ist die Instanz, die die Leistungen im Pflegebereich finanziert und dadurch einen hohen Gestaltungseinfluss geltend machen kann, um den Pflegebereich durch den Einsatz von Pflege-Robotik technologisch und pflegerisch weiterzuentwickeln. Allerdings kann die Pflegeversicherung ihren Handlungsspielraum nur sehr begrenzt frei gestalten, denn sie hat ihre Entscheidungen auf der Grundlage von geltenden Gesetzen und Rechtsverordnungen zu treffen. D. h. die Pflegeversicherung setzt vor allem politische Beschlüsse der Legislative, als Körperschaft des öffentlichen Rechts, um. Beispielsweise haben die Pflegeversicherungen nach § 5 SGB XI darauf hinzuwirken, dass Pflegebedürftigkeit durch Prävention, medizinische Behandlung und Rehabilitation vermieden wird. Um diese Aufgabe zu erfüllen, können bestimmte Leistungen abgerechnet werden. Genau an dieser Stelle könnte es sehr interessant für die Pflege-Robotik werden, denn ohne einen finanziellen Beitrag und die Unterstützung seitens der Pflegeversicherungen für den Einsatz und die Anschaffung von Pflege-Robotik, bleibt eine erfolgreiche und flächendeckende Einführung sehr fraglich, fast schon utopisch. Die Pflegeversicherung kann also den Einsatz der Robotik maßgeblich fördern, indem sie die Anschaffung der Robotik als Pflegehilfsmittel finanziell fördert. Doch das ist nicht so einfach. Pflegehilfsmittel und technische Hilfen werden unabhängig von der jeweiligen Pflegestufe zur Verfügung gestellt, und zwar regelmäßig leihweise gemäß § 40 SGB XI. Für technische Hilfsmittel besteht eine Zuzahlungspflicht von 10 %, höchstens jedoch 25 Euro je Hilfsmittel. Alle Pflegehilfsmittel sind im Hilfsmittelverzeichnis der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgelistet. Derzeit befinden sich 54 Artikel in diesem Verzeichnis. Voraussetzung ist, dass die Notwendigkeit für Pflegehilfsmittel von

92

5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

einem Pflegedienst bestätigt werden muss. In der stationären Pflege sind Pflegehilfsmittel von der Pflegeeinrichtung bereitzustellen. Grundsätzlich soll durch das Hilfsmittelverzeichnis eine umfassende Produkttransparenz für Versicherte, Leistungserbringer, Vertragsärzte und Krankenkassen geschaffen werden. Es umfasst alle Hilfsmittel (Technische Hilfen), die aufgrund ihrer Funktionstauglichkeit und ihres medizinischen Nutzens verordnungsfähig sind, einschließlich ihrer Qualitätsstandards, Beschreibungen und Indikationen, bei denen sie, im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung, eingesetzt werden können. Erstellt wird das Hilfsmittelverzeichnis vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen und wird kontinuierlich dem medizinisch-technischen Fortschritt angepasst. Neue Produkte werden aufgenommen, nachdem der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (MDS) die Voraussetzungen geprüft hat. Rechtliche Grundlage des Hilfsmittelverzeichnisses ist der § 139 des SGB V, der mit der Erstellung des Verzeichnisses umgesetzt wird. Damit die Pflege-Robotik demnach eine Chance hat, muss perspektivisch geprüft werden, ob sie in das Hilfemittelverzeichnis aufgenommen werden kann.

Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik Nr. 3:

Die Aufnahme von Pflege-Robotik in den Pflegehilfsmittel-Katalog kann sich als entscheidender Erfolgsfaktor für einen flächendeckenden Markteintritt erweisen. Ein Hebel zum Erfolg der Pflege-Robotik könnte die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis darstellen. Eine erleichterte Aufnahme von neuen Technologien in das Hilfsmittelverzeichnis wird dazu beitragen, dass sich Pflege-Robotik stärker im Markt durchsetzen und weiterentwickeln kann, um letztendlich ihren flächendeckenden Mehrwert für die Gesellschaft zu entfalten.

5.2.8

Service-Robotik-Branche

Insgesamt gibt es weltweit um die 700 registrierten Unternehmen, die sich mit Service-Robotern beschäftigen. Europäische Service-Roboter-Hersteller spielen dabei eine wichtige Rolle auf dem Weltmarkt, denn rund 300 Unternehmen kommen aus Europa. Nordamerika steht mit rund 250 Herstellern an zweiter Stelle

5.2 Anspruchsgruppen und Erfolgsfaktoren identifizieren

93

und Asien mit rund 130 an dritter Stelle. Darüber hinaus sind etwa 30 Prozent der Service-Roboter-Lieferanten Start-ups mit einem Alter von maximal fünf Jahren, was die Dynamik dieses aufstrebenden und fortschrittlichen Segments in der Robotik verdeutlicht. Im Bericht vom IFR (International Federation of Robotics) vom 18. Oktober 2018 wird deutlich, dass sich vor allem MedizinRoboter als Service-Roboter mit großem Wachstumspotenzial etabliert haben. Der Umsatzgesamtwert in diesem Segment stieg auf 1,9 Milliarden US-Dollar und machte 29 Prozent des Gesamtverkaufswertes professioneller Serviceroboter im Jahre 2017 aus (vgl. IFR Pressemitteilung, 18.10.2018). Wichtigste Anwendungen waren hierbei robotergestützte Chirurgie oder Therapie- und Rehabilitationsroboter, die Menschen mit einer Behinderung unterstützen oder Menschen mit dem Ziel therapieren, ihre körperlichen oder kognitiven Funktionen zu verbessern. Gleichzeitig entwickelt sich der Markt für Service-Roboter für den privaten Einsatz rasant weiter, die Menschen in ihrem Alltag unterstützen oder für Unterhaltung zuständig sind. Der Gesamtwert stieg um 27 Prozent auf 2,1 Milliarden US-Dollar. Die Gesamtzahl kletterte um 25 Prozent auf rund 8,5 Millionen Einheiten (2017). Schätzungen des IFR zufolge wurden fast 6,1 Millionen Roboter für Aufgaben im Haushalt wie beispielsweise Staubsaugen, Rasenmähen oder Fensterputzen verkauft. Die tatsächliche Zahl könnte jedoch deutlich größer sein, da die IFR-Umfrage diesen Bereich noch nicht vollständig erfasst. Martin HÄGELE von der IFR Service Robot Group sagt: „Robotik in Privat- und Haushaltsanwendungen hat weltweit ein starkes Wachstum zu verzeichnen. […] Zukünftige Produktvisionen weisen auf Haushaltsroboter von höherer Komplexität, Leistungsfähigkeit und Wert hin, wie beispielsweise Assistenz-Roboter zur Unterstützung älterer Menschen, als Helfer bei der Hausarbeit und zur Unterhaltung“ (vgl. IFR Pressemitteilung, 18.10.2018).

Die oben aufgeführten Anspruchsgruppen haben verschiedene Erwartungen an eine Pflege-Robotik. Im nächsten Schritt werden daher spezifische Ansichten der Anspruchsgruppen zugeordnet. Durch die Zuweisung der verschiedenen Sichtweisen, Interessen und Motive der Anspruchsgruppen lassen sich Erfolgsfaktoren ableiten, die sich in der Tabelle (s. u.) wiederfinden.

94

5.3

5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

Erfolgsfaktoren, Hemmnisse und Hebel der Pflege-Robotik

Die weitere Ausarbeitung in diesem Abschnitt hat zum Ziel, spezifische Erfolgsfaktoren der vorangestellten Akteure abzuleiten, die in Zusammenhang mit Pflegerobotik auftreten. Erfolgsfaktoren in diesem Sinne sind Beiträge, Maßnahmen und Chancen, die mit der Pflegerobotik bei dem jeweiligen Akteur auftreten oder durch ihnen verstärkt werden. Beispielsweise kann Arbeitserleichterung als Erfolgsfaktor der Pflegerobotik von Pflegekräften angesehen werden. Je mehr Arbeitserleichterung im Pflegeprozess durch die Pflegerobotik ermöglicht wird, desto stärker oder bedeutender ist dieser Erfolgsfaktor für Pflegekräfte. Dass dadurch dann wiederum Nebenwirkungen und Verschiebungen, aufgrund von neugewonnenen Ressourcen auftreten und sich damit andere Herausforderungen für Pflegekräfte ergeben, ist nach systemischen Gesichtspunkten vorprogrammiert, wird jedoch an dieser Stelle nicht weiter behandelt, weil es das primäre Ziel ist, die Gelingensbedingungen für Pflegerobotik zu untersuchen. Gestärkt und unterstützt werden die Erfolgsfaktoren wiederum durch Hebel, die sich auf einen Erfolgsfaktor positiv auswirken. Es kann aber auch sein, dass ein Akteur kein Interesse daran hat, dass die Pflegerobotik eingesetzt wird. Es kann bspw. sein, dass die Systemlogik in Form von Geschäftsbereichen, Kundeninteressen, Aufgaben und externen Einflüssen des jeweiligen Akteurs dazu führen sich dementsprechend zu verhalten. Als externer Einfluss wirkt sich beispielsweise die aktuelle Vergütung von Pflegekräften als Hemmnis für die Pflegerobotik aus. Sollte die Vergütung weiterhin auf diesem geringen Niveau bestehen bleiben oder sich gar verschlechtern, dann ist das ein Hemmnis, dass sich sehr negativ auf das Gesamtsystem Pflege auswirken wird. Geringe Vergütung wäre in diesem Fall ein Hemmnis für die Pflegerobotik (Tabelle 5.1).

Tabelle 5.1 Anspruchsgruppen und Erfolgsfaktoren. (Eigene Darstellung) Anspruchsgruppen

Erfolgsfaktoren

Pflegeklienten

     

Gute Pflegequalität Gesunde Lebensbedingungen Zufriedenheit und Wohlbefinden Erhaltung der Selbstständigkeit Sichere Versorgung der Grundbedürfnisse Spaß an technisch ausgereiftem Gegenüber (Fortsetzung)

5.3 Erfolgsfaktoren, Hemmnisse und Hebel der Pflege-Robotik

95

Tabelle 5.1 (Fortsetzung) Anspruchsgruppen

Erfolgsfaktoren

(pflegende) Angehörige

     

Kosten Sicherheit Gute Pflegequalität Vertrauen in die Pflegeorganisation Einblick in den Pflegeprozess Spaß an der Robotik

Pflegefachkräfte

       

Arbeitserleichterung im Pflegeprozess Gesellschaftliche Aufwertung des Pflegeberufes Attraktive Vergütung der Arbeitsleistung Personalentwicklung (Robotik lernen) Arbeitsklima Gesundheitsfördernder Arbeitsplatz Arbeitsmotivation Wissen über die Funktionalität von Technologie in der Pflege

Pflegemanagement

       

Gewinn Umsatz Anzahl der zu betreuenden Personen Mitarbeitszufriedenheit Dienstleitungsproduktivität Innovation Image Aufwertung des Pflegeberufes

Pflegeversicherung

   

Kosten Pflegequalität Akzeptanz der Technologie Effizienz

Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer

 Unterstützung  Wertschätzung und Exklusivität Ihrer Arbeit

Pflegepolitik

 Kosten  Versorgungssicherung  Qualität

Robotik-Hersteller

Anwendungsbereitschaft der Nutzer Umsatz Verkaufszahlen Erfolgsstorys Akzeptanz von Robotern

96

5.3.1

5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

Glossar der Erfolgsfaktoren

Siehe Tabelle 5.2. Tabelle 5.2 Glossar der Erfolgsfaktoren. (Eigene Darstellung) Erfolgsfaktoren

Bedeutung für die Pflege-Robotik

Wissen über Funktionalität der Pflegerobotik

Unter Wissen der Funktionalität der Pflegerobotik wird verstanden, dass Pflegefachkräfte, Pflegemanagement, zu pflegende Angehörige und die zu Pflegenden selbst, ein theoretisches Verständnis von den Möglichkeiten der Pflegerobotik haben.

Bereitschaft zur Anwendung in der Praxis

Offenheit und Motivation die technologischen Möglichkeiten der Pflege-Robotik in der Praxis zu testen, anzuwenden und auch Fehler machen zu dürfen.

Arbeitserleichterung im Pflegeprozess

Wenn die Pflege-Robotik bei Pflegekräften zu einer Arbeitserleichterung beiträgt, wird sie im Pflegeprozess als nützlich eingestuft werden.

Erfüllung der Pflegequalität

Wenn sich die Pflegequalität durch den Einsatz von Pflege-Robotik erhöht, dann hat der Einsatz eine Legitimation.

Kundenzufriedenheit Kundenzufriedenheit bezeichnet die Differenz von Kundenerwartung und Bedürfnisbefriedigung. Kundenzufriedenheit meint hier das Resultat eines Vergleichsprozesses bei welchem der Pflege-Klient und die pflegenden Angehörigen, die Pflege-Dienstleistung (Ist-Leistung) einem Vergleichswert (Soll-Leistung) gegenüberstellt. Übertrifft die Leistung die Erwartungen, sind beide Akteure sehr oder sogar außerordentlich zufrieden (begeistert). Entsprechen sich beide, sind sie zufrieden. Werden ihre Erwartungen nicht erfüllt, sind sie etwas oder sehr unzufrieden (verärgert). Akzeptanz der Pflege-Robotik

Akzeptanz der Pflege-Robotik beruht auf Freiwilligkeit. Sie wird hier als eine aktive Komponente verstanden und drückt ein zustimmendes Werturteil für die Pflege-Robotik aus.

Aufwertung des Pflegeberufes

Die Aufwertung des Pflegeberufes wird hier als ein innerbetrieblicher Klimawandel verstanden, so dass die Pflegekräfte ein Gefühl der Zugehörigkeit und Wertschätzung im Alltag erfahren, in dem die Pflegekräfte ihre beruflichen und persönlichen Fähigkeiten stärker einbringen können und wollen und in wichtigen Entscheidungen einbezogen werden sowie Weiterentwicklungsmöglichkeiten erhalten.

5.4 Meta-Erfolgskreislaufs

5.4

97

Meta-Erfolgskreislaufs

Im Folgenden (Abb. 5.5) erscheint eine lineare Ursache-Wirkungs-Kette als MetaErfolgskreislauf:

Abb. 5.5 Metakreislauf der Pflege-Robotik. (Quelle: Eigene Darstellung)

Die Grundidee hinter der Logik der Ursache-Wirkungs-Kette ist, dass sobald ein Pflegeunternehmen den Entschluss gefasst hat, im Pflegeprozess die Möglichkeiten der Robotik zu verwenden, für dieses Vorhaben als Kristallisationspunkt zuerst Wissen über die Funktionalität der Pflege-Robotik benötigt wird. Das Wissen über die Funktionalität stellt die Grundvoraussetzung dar, damit alles Weitere erfolgen kann. Sofern also Wissen beim Management und bei Pflegefachkräften über die Funktionalität vorhanden ist, erfüllt dies die Voraussetzung, dass daraus eine Bereitschaft zur Anwendung der Pflege-Robotik in der Praxis erfolgen kann. Dieser Erfolgsfaktor ist wichtig, weil die technologischen Innovationen im Pflegebereich nur dann voll ausgeschöpft werden können, wenn

98

5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

die Menschen, die damit arbeiten, bereit sind die technologischen Möglichkeiten anzuwenden und in ihrer praktischen Arbeit nutzbar zu machen. Wenn also kein Wissen und keine Bereitschaft vorhanden sind, findet auch keine Anwendung der Technologie in der Praxis statt. Die erfolgreiche Anwendung der PflegeRobotik in der Praxis hat einen positiven Einfluss auf die Arbeitserleichterung im Pflegeprozess für Pflegekräfte. Dieser Erfolgsfaktor wird von der Annahme getragen, dass je häufiger die technologischen Innovationen der Pflegerobotik in der Praxis angewandt werden, desto mehr werden die Mitarbeiter/innen entlastet und können sich anderen Kernaufgaben, wie beispielsweise der emotionalen Zuwendung gegenüber den zu Pflegenden widmen. Dieser Faktor trägt zu einer Förderung der Gesundheit bei Mitarbeiter/innen und zu Pflegenden bei und je gesünder die Pflegemitarbeiter sind, desto erfolgreicher kann die Erfüllung der Pflegequalität gelingen. Eine bessere Erfüllung der Pflegequalität führt in dieser Logik zu einer höheren Akzeptanz der Pflege-Robotik. Diese Akzeptanz entsteht in erster Linie bei Pflegekräften, die die Pflege-Robotik direkt im Pflegeprozess anwenden. Aber auch auf anderen gesellschaftlichen Ebenen wie Politik, Ausbildungseinrichtungen und Familien kann von einer höheren Akzeptanz bei erfolgreicher Anwendung ausgegangen werden. Gemäß dieser Logik führt eine höhere Akzeptanz der Pflege-Robotik zu einer Aufwertung des Pflegeberufes, da die Interaktion zwischen Mensch und Maschine im Pflegebereich zum allersten Mal einen positiv besetzten und gesellschaftsrelevanten Nutzen für alle Anspruchsgruppen bewirkt. Dadurch, dass der Pflegeberuf durch die Anwendung der Pflegerobotik eine Aufwertung erfährt, steigert dies wiederum die Bereitschaft von mehr Menschen und nachkommenden Generationen einen Beruf im Pflegebereich zu ergreifen. Der Pflegebereich wird somit attraktiver als Berufsfeld und damit steigt auch die Bereitschaft mehr Wissen über die Funktionalität der Pflege-Robotik zu erlangen. Zu beachten ist, dass dieser Meta-Kreislauf aus gleichläufigen Beiziehungen besteht und ein in sich geschlossener Kreislauf ist, der wie eine Spirale hochgeschraubt werden kann. Wenn es allerdings nicht gelingt, ihn positiv zu beeinflussen, so kann dieser Kreislauf sich auch ins Negative wandeln. Sinkt beispielsweise das Wissen über die Funktionalität, ist auch weniger Bereitschaft vorhanden, die technologischen Möglichkeiten der Pflege-Robotik anzuwenden. Dieser Faktor hat dann auch keinen Einfluss, der zu einer Arbeitserleichterung bei Pflegekräften führt. In der Folge findet keine Entlastung der Gesundheit statt und es bleibt schwierig, die Pflegequalität zu erfüllen. Dies wiederum führt zu weniger Akzeptanz der Pflege-Robotik und dadurch wird der Pflegeberuf insgesamt noch unattraktiver.

5.5 Erweiterung des Kreislaufes

5.5

99

Erweiterung des Kreislaufes

Im weiteren Verlauf wird der Erfolgskreislauf verfeinert und ergänzt, indem nach und nach die weiteren Erfolgsfaktoren und Hebel in die Ursache-WirkungsBeziehungskette eingebaut werden. Hierfür werden die weiteren erfassten Erfolgsfaktoren unter der Maßgabe betrachtet, wo sie sich sinnvoll andocken lassen. Dadurch wird sich der Kreislauf immer mehr zu einer Erfolgslogik erweitern (Abb. 5.6).

5.5.1

Wissen über Funktionalität der Pflege-Robotik

Der Erfolgsfaktor des Wissens über die Funktionalität der Pflege-Robotik kann durch den Bildungsgrad, den Schulabschluss und des Studiums der Pflegekraft extern beeinflusst werden. Wenn beispielsweise in der schulischen oder akademischen Laufbahn bereits erste Lehrveranstaltungen zur Pflegerobotik belegt wurden, so besteht durchaus eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass dieser Einfluss einen positiven Effekt auf das Wissen hat. Des Weiteren dienen als Hebel, um das Wissen über die Funktionalität der Pflegerobotik positiv zu beeinflussen, interne oder externe Schulungen und Weiterbildungen für Pflegekräfte. Welche Inhalte sollten in solchen Schulungsangebote vermittelt werden? In solchen Schulungen und Weiterbildungen können theoretische Grundkenntnisse vermittelt werden als auch die praktische Handhabung erprobt und den Nutzen sowie die Grenzen der Robotik für den Pflegeprozess dargestellt werden. Beispielhaft in diesem Bereich ist das Projekt SMiLE2gether des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und dem Caritasverband in Garmisch-Partenkirchen (vgl. Wießmeyer 2018). Die enge Zusammenarbeit zwischen dem DLR, als Experten für Robotik und der Caritas bzw. den pflegenden Fachpersonal, als Experten im Bereich Pflege sollen zu Erkenntnissen führen, was ein Pflege-Roboter alles können muss. Darüber hinaus wird ein Bildungszentrum bei der Caritas geplant, indem neue Berufe wie die des Pflegetechnikers und des Telepflegeassistenten erlernt werden sollen, um dadurch auf die neuen Anforderungen durch den Einsatz von Robotern im Bereich der Pflege vorbereitet zu sein. Somit befindet sich die Transformation des Pflegeberufes bereits im vollen Gange und künftig wird im Pflegebereich, neben dem Pflege- auch technisches Wissen, stärker gefragt sein (vgl. Wießmeyer 2018). Darüber hinaus ist es sehr wahrscheinlich, dass das größere Wissen über die Funktionalität der Pflege-Robotik einen Einfluss auf das Image bzw. Selbstbild der Pflegekräfte ausüben wird. Diese Schlussfolgerung hängt damit zusammen,

100

5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

Abb. 5.6 Erfolgslogik der Einführung von Pflege-Robotik. (Quelle: Eigene Darstellung)

5.5 Erweiterung des Kreislaufes

101

dass das Wissen über die Funktionalität der Pflege-Robotik eine stärkere Integration von Digitalisierung und technologischen Innovationen in den Pflegeprozess ermöglicht und somit zwei Bereiche miteinander verbindet, die sich sehr fruchtbar ergänzen. Dieser Einfluss bewirkt, dass sich der Berufsstand der Pflegekräfte sich stärker als bisher emanzipieren kann, was wiederum zu einer Entwicklung eines positiveren Selbstbildes der Berufsgruppe beiträgt. Doch Wissen über die Funktionalität der Pflege-Robotik alleine reicht gemäß dieser Logik nicht aus. Es braucht auch Raum, um Erfahrungen im Umgang mit der Technologie zu sammeln und den Nutzen einkalkulieren zu können. Jedoch kann davon ausgegangen werden, das Wissen über die Funktionalität der Pflege-Robotik auch zu einer Bereitschaft, die Pflege-Robotik in der täglichen Praxis anzuwenden, führt.

Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik Nr. 4:

Der Einsatz der Pflege-Robotik wird neue Berufsfelder wie z. B. die des Pflege-Technikers schaffen. Die Weiterentwicklung der Einsatzmöglichkeiten der Pflege-Robotik wird immer stärker dazu beitragen, dass technisches Wissen in der Ausund Weiterbildung für den Pflegebereich eine notwendige Voraussetzung werden wird. Dies führt zu der Entstehung eines neuen Teilbereiches in der Pflege, die der Pflegetechnologie. Im Bereich der Pflegetechnologie werden Berufe wie die des Pflegetechnikers und des Telepflegeassistenten ausgebildet, die in der Lage sein werden, Pflege-Robotik funktional und erfolgreich in Betreuungseinrichtungen oder in Privathaushalte einsetzen zu können.

Diese neuen Berufsfelder, die durch die Pflege-Robotik entstehen, die einen starken Bezug zur Technik aufweisen, werden typischerweise mehr Männer zugesprochen. Daher kann die Pflege-Robotik ebenso einen Beitrag leisten, dass Männer dadurch einen leichteren Einstieg in den Pflegebereich ermöglichen.

Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik Nr. 5:

Der Einsatz von Pflege-Robotik kann ein attraktiver Aspekt für männliche Kandidaten sein, in den Pflegeberuf einzusteigen. Die familiäre Pflege ist zwischen Frauen und Männern sehr unterschiedlich verteilt: In Deutschland tragen Frauen nach wie vor die Hauptlast der unbezahlten Pflegetätigkeiten. Im Jahr 2015 sind fast 4,6 Millionen Menschen an der privaten (nicht erwerbsmäßigen) Pflege von pflegebedürftigen

102

5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

Personen beteiligt. Frauen stellen mit fast 2,8 Millionen die Mehrheit an allen Pflegenden, allerdings sind auch 1,8 Millionen Männer an der privaten Pflege beteiligt. Damit beträgt der Frauenanteil an allen privat Pflegenden 60 Prozent. (vgl. WSI GenderDatenPortal:Pflege für 2011–2015). Durch den Einsatz von Pflege-Robotik wird der Pflegebereich für Männer ggf. interessanter und könnte die Pflege „männlicher“ machen.

5.5.2

Bereitschaft zur Anwendung in der Praxis

Die Bereitschaft zur praktischen Anwendung der Pflege-Robotik wird vor allem extern durch die Art und Weise der Handhabung und Bedienung der PflegeRobotik beeinflusst. Dieser externe Einfluss ist davon abhängig, wie benutzerfreundlich die produzierenden Unternehmen diesen Faktor in der Entwicklung der Pflege-Robotik berücksichtigen. Dieser Einfluss kann sich beispielsweise auch als Falle herausstellen, wenn die Handhabung und Bedienung zu umständlich oder kompliziert verarbeitet ist. Ein solcher Umstand würde dazu führen, dass Pflegekräfte die Pflege-Robotik in der praktischen Anwendung nicht nutzen oder sich evtl. nicht trauen diese zu verwenden, aus Angst zu versagen oder dass es nicht auf Anhieb funktionieren könnte. Daher sollten die Unternehmen, die Pflege-Robotik entwickeln, darauf achten die Handhabung und Bedienung intuitiv und nicht zu kompliziert zu gestalten. In dieser Zusammenstellung hat auch wieder der Hebel Schulungen und Weiterbildung einen Einfluss auf die Bereitschaft zur Anwendung in der Praxis. Durch diesen Hebel könnten Pflegekräfte die Möglichkeit erhalten, den Umgang und die Handhabung der Pflege-Robotik in geschützten Räumen und Situationen zu üben und sie in der Anwendung auszuprobieren, bevor es in der alltäglichen Arbeit angewendet wird, damit sie dann zur Arbeitserleichterung für Mitarbeiter/innen im Pflegeprozess dienlich wird. Handhabung und Bedingung der Pflege-Robotik stellt jedoch auch einen externen Faktor dar, den die Pflegeorganisationen nur indirekt beeinflussen können, indem sie mit den produzierenden Robotik-Hersteller in Verbindung stehen. Es liegt in der Hoheit des Herstellers Pflege-Roboter zu produzieren, die eine benutzerfreundliche Bedingung ermöglicht. Dieser externe Faktor spielt eine entscheidende Rolle bei der Weiterentwicklung der Technologien. Bislang bewegt sich die Pflegewirtschaft zu zaghaft auf die Robotik-Produzenten zu, um stärken Einfluss auszuüben.

5.5 Erweiterung des Kreislaufes

103

Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik Nr. 6:

Pflegekräfte und pflegende Angehörige werden die Anwendung der Pflege-Robotik nur in geschützten Erlebnis- und Erfahrungsräume erlernen. Solche Erfahrungsräume für Pflege-Robotik ermöglichen zu können, wird Aufgabe des Pflege-Managements werden. Damit eine Akzeptanz der Pflege-Robotik erfolgen kann, darf sie weder neue noch zusätzliche Probleme schaffen noch zu erhöhtem Bedienungsaufwand führen oder durch umständliche Gerätebedienung die für die Pflege-Klienten wertvolle Zeit reduzieren. Daher bedarf die Anwendung in der Praxis im Vorfeld eine gute Vorbereitung. Die Pflegekräfte werden einen geschützten Rahmen benötigen, in dem sie die Möglichkeiten der Pflege-Robotik selbst erfahren und die Handhabung ausprobieren können. Fortbildungen und Schulungen stellen eine wichtige Übergangsphase zur Akzeptanz dar.

5.5.3

Arbeitserleichterung im Pflegeprozess

Das Hauptargument für den Einsatz der Pflege-Robotik ist, dass es die Arbeit im Pflegeprozess für Pflegekräfte erleichtern soll. Pflege-Robotik kann etwa beim Heben und Bewegen von zu Pflegenden unterstützen oder Transportaufgaben übernehmen, damit den Pflegekräften mehr Zeit für die tatsächliche Pflege bleibt, wie die Interaktion und Zuwendung zu den zu Pflegenden. Die Pflege-Robotik kann bereits heute schon in stationären Pflegeheimen an die zu Pflegenden Getränke anbieten und kontrollieren, wie viel ein Bewohner getrunken hat (vgl. Doll und Lodden 2018). Die Trinkkontrolle ist besonders wichtig, um eine Dehydration zu vermeiden. Diese Tätigkeit ist für die Pflegekräfte sehr zeitaufwändig und kann durch die Pflege-Robotik übernommen werden. Insgesamt stellt die Pflegedokumentation einen hohen Aufwand dar. Die Dokumentation der Leistungen ist in der Altenpflege eine wichtige und gesetzlich definierte Anforderung. Sie gewinnt zudem wachsende Relevanz durch die zunehmenden Qualitätsanforderungen im Gesundheitswesen sowie zur Leistungserfassung und Absicherung von Haftungsrisiken (vgl. Zieme 2010). Dokumentation ist mithin ein prägender Teil des Arbeitsalltages in der Pflege (vgl. Hielscher et al. 2013). Mit der Einführung systematischer Pflegemodelle und Prozessbeschreibungen der Pflegebehandlungen ist die Komplexität der erforderlichen Dokumentation erheblich gewachsen.

104

5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

Vor allem die lückenlose Abbildung des Pflegeprozesses von der Pflegediagnose, der Pflegeplanung, der Interventionen bis hin zur Evaluation der Pflegemaßnahmen ist eine in den vergangenen 15 Jahren neu entstandene und komplexe Anforderung an die Einrichtungen und Dienste, die von den Prüfbehörden besonders nachgehalten wird. Hinzu kommt, dass pflegewissenschaftliche Erkenntnisse in Expertenstandards gebündelt werden, die in der Pflegepraxis verbindlich zu berücksichtigen sind und regelmäßig aktualisiert werden7 . Es sind also über die Dokumentationssysteme nicht nur die konkreten Leistungen und Aktivitäten der Pflegearbeit zu erfassen, sondern ebenso soll die Qualität der Pflegepraxis über fein differenzierte Abfragen sichergestellt werden. Ein Einsatz der Pflege-Robotik kann so abgestimmt werden, dass es eine zeitnahe, umfassende und präzise Dokumentation ermöglicht wird. Die Pflege-Robotik gibt dabei für jeden einzelnen Pflegeschritt die entsprechenden Datenabfragen vor, welche zwingend auszufüllen sind. Darüber hinaus kann die Pflege-Robotik so programmiert werden, dass sie zum Teil auch schon selbstständig Daten ausfüllt, um den Pflegekräften noch mehr Zeitersparnis zu erbringen. Die Robotik kann die digitale Pflegedokumentation durch eine zeitnahe Aufnahme der Daten erheblich unterstützen und geplante Pflegeinterventionen wären verknüpft mit dem Abgleich größerer Fallzahlen. Insofern kann die verbesserte Dokumentation durch die Robotik nicht nur den Arbeitsalltag der Pflegekräfte erleichtern, sondern auch die Pflegequalität steigern. Ein weiterer Vorteil im Pflegeunternehmen ist jedoch entschieden von dem externen Faktor der technischen Qualität der Pflege-Robotik abhängig. Jedoch besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich die technische Entwicklung auf diesem Gebiet weiter fortsetzen wird. Die Ressourcen, die durch die Arbeitserleichterung frei werden, können beispielsweise auf den Kernbereich der Personalentwicklung, investiert werden, um das Personal noch weiter zu qualifizieren und zu fördern. Die Arbeitserleichterung im Pflegeprozess trägt in erster Linie dazu bei, dass die Gesundheit und die Arbeitsmotivation der Pflegekräfte unterstützt werden.

Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik Nr. 7:

Der Einsatz von Pflege-Robotik wird die Pflegedokumentation und ähnliche administrative Aufgaben für Pflegekräfte und pflegende Angehörige erleichtern. Die Pflege-Robotik wird die Steuerung des Pflegeprozesses noch einmal übersichtlicher und sicherer gestalten. Spielräume bei Abwägungs- und

7 Die

Expertenstandards werden vom Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege veröffentlicht https://www.dnqp.de/ (Stand: 03.06.2018)

5.5 Erweiterung des Kreislaufes

105

Aushandlungsprozesse über die Richtigkeit oder über Ausführungsvarianten der einzelnen Pflegeschritte werden geringer. Situative Abweichungen werden zwar nicht unmöglich, aber begründungspflichtig und unmittelbar für die Leistungskräfte transparent. Die Pflege-Robotik wird somit immer mehr zu einer sicheren Unterstützung der Protokollierung und Dokumentation des Pflegeprozesses.

5.5.4

Gesundheitsförderung

Der Pflegebereich ist davon geplagt, dass es einen hohen Krankenstand sowie eine hohe Personalfluktuation bei Pflegefachkräften gibt. Ein Grund dafür sind die schwierigen gesundheitlichen Arbeitsbedingungen in der Pflege. Daher nimmt die Gesundheitsförderung einen besonderen Stellenwert ein. Die Gesundheitsförderung betrifft alle Maßnahmen, die dazu beitragen, dass Pflegefachkräfte in ihrer Gesundheit unterstützt werden. Üblicherweise sind das direkte und aktive Maßnahmen die ein Unternehmen anbietet und Mitarbeiter/innen während oder nach der Arbeitszeit nutzen können, wie beispielweise sportliche Aktivitäten, die den körperlichen und musklären Aufbau und Erhalt dienen. Ebenso können Aufklärungskurse zur Ernährung und Ergonomie, die den Wissensstand zur gesunden Lebens- und Arbeitsweise erhöhen, einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsförderung leisten. Sämtliche dieser Angebote haben üblicherweise einen präventiven Charakter. Bei der Pflege-Robotik ist es allerdings so, dass deren Einsatz den Pflegeprozess erleichtert, indem die körperlichen Belastungen für Pflegefachkräfte geringer werden. Aufgaben, die in der Pflege dazu geführt haben, dass Pflegefachkräfte lange stehen und schwer heben müssen, können zukünftig durch die Pflege-Robotik übernommen werden. Daher trägt der Einsatz der Pflegerobotik zu einer indirekten Gesundheitsförderung im Pflegeprozess bei. Die dadurch neue und gesundheitsförderlichere Arbeitssituation von Pflegefachkräften schafft somit bessere Voraussetzungen die Pflegequalität, die in der Gesellschaft einen enormen Stellenwert hat, dauerhaft zu erfüllen.

106

5.5.5

5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

Erfüllung der Pflegequalität

In der Pflege wird die besondere Qualität der Dienstleistung in erster Linie von den zu Pflegenden wahrgenommen und bewertet. Dabei werden fachliche Qualität der Pflege, Zufriedenheit und Lebensqualität der zu Pflegenden als zentrale Faktoren des breit aufgestellten Begriffs der Pflegequalität wahrgenommen. Auch die Angehörigen, Pflegefachkräfte, beteiligte Ärzte und anderen Therapeuten, das Betriebsmanagement oder der Träger einer Einrichtung sowie Kranken- und Pflegekassen setzen bestimmte Erwartungen in die Qualität der vertraglich vereinbarten und erbrachten Dienstleistungen in Pflegeeinrichtungen. Reinhard LAY definiert die Pflegequalität als „…den Grad der Verwirklichung von pflegerischen Zielen, die sich auf die Förderung bzw. Erhaltung von Selbständigkeit und Wohlbefinden der Klienten beziehen und mit verantwortlichem zwischenmenschlichem Umgang und vertretbarem Einsatz von Mitteln angestrebt werden.“ (Lay 2012, S. 155).

Die Art der Pflegequalität setzt sich nach LAY aus verschiedenen Komponenten zusammen, die Komponenten die er in einem Modell zusammengefasst hat. Die folgende Abbildung (Lay 2008, S. 86) stellt dies grafisch dar (Abb. 5.7): Innerhalb eines Interaktionsfeldes sind in Form eines Dreiecks um den zentralen Baustein Pflegeethik die drei Hauptkomponenten Wirksamkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit angeordnet. Unter Wirksamkeit versteht LAY (2008) die erfolgreiche Gesundheitsförderung, d. h. Selbstständigkeit und Wohlbefinden der Pflegebedürftigen bleiben erhalten bzw. werden auf ein zufriedenstellendes Maß gesteigert. Sicherheit für Pflegebedürftige, Pflegekräfte und Umgebung wird durch Hygiene (z. B. Infektionsprävention, Psychohygiene) und das Beachten der anerkannten Sicherheitsbestimmungen gewährleistet. Wirtschaftlichkeit wird durch bewusstes Aufwenden von Arbeitszeit und –material erreicht. Hierzu zählen u. a. der gezielte Personaleinsatz, die Arbeitsplanung und der zweckmäßige Gebrauch bzw. Verbrauch von notwendigen Sachbedarf. Die Komponente Interaktion weist auf die Qualität des zwischenmenschlichen Handelns hin wie beispielsweise kommunikative Kompetenz, Beziehungsgestaltung, Kooperations- und Koordinationsvermögen und Reaktion auf Schwierigkeiten. Sie hat eine umfassende Bedeutung für alle pflegerischen Phänomene und ermöglicht, dass die anderen Komponenten verwirklicht werden können. Sowohl die Interaktion, welche die anderen Komponenten möglich macht, als auch die drei Hauptkomponenten Wirksamkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit werden im Wesentlichen durch ethische Überlegungen legitimiert (Lay 2012, S. 175).

5.5 Erweiterung des Kreislaufes

107

Abb. 5.7 Komponenten der Pflegequalität in der direkten Pflege. (Quelle: Lay 2008, S. 86)

Gemäß der Erfolgslogik erhalten Pflegefachkräfte durch die besseren gesundheitlichen Arbeitsbedingungen, die mit der Pflege-Robotik einhergehen, die Gelegenheit, sich mehr auf das Wohlbefinden und den zwischenmenschlichen Umgang mit den zu Pflegenden zu widmen. Dass den Pflegefachkräften neben pflegerischen Maßnahmen zu wenig Zeit für zwischenmenschlichen Kontakt und Austausch bleibt, wird von durchweg allen Akteuren im Pflegesystem kritisiert. Als Grund für diesen Zustand wird bspw. der hohe Aufwand der Dokumentierung von pflegerischen Maßnahmen genannt, die zu Lasten der Zuwendung erfolgt. Durch die freiwerdenden Ressourcen, kann der Fokus der Pflegearbeit wieder mehr in die Bereiche der Interaktion und Zuwendung fließen, die das Wohlbefinden der Pflegebedürftigen fördern. Somit werden Pflegefachkräfte perspektivisch mehr zu emotionalen und pflegerischen Lebensbegleitern in der Pflegearbeit, statt nur Erbringer einer Dienstleistung zu sein. Die Pflegefachkräfte der Zukunft könnten somit das gesellschaftliche Problem der soziale Isolation und Vereinsamung

108

5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

von vielen Pflegebedürftigen, die aufgrund der räumlichen Distanz zu Angehörigen und den autonomiegeprägten Familienverhältnissen immer mehr zunehmen, menschlich und fachlich abfedern, was zum Wohlbefinden der zu Pflegenden beiträgt. Letztendlich dürfte die verbesserte Erfüllung der Pflegequalität dazu, dass eine höhere Akzeptanz der Pflege-Robotik bei Pflegefachkräften und in der Gesellschaft gleichermaßen entsteht.

5.5.6

Akzeptanz der Pflege-Robotik

Damit sich die Pflege-Robotik verbreiten kann und somit ihre Vorteile voll ausgeschöpft werden können, müssen die technologischen Innovationen in diesem Bereich v. a. von Pflegefachkräften und den zu Pflegenden als Anwender/innen akzeptiert werden. Es ist jedoch festzustellen, dass die Akzeptanz der PflegeRobotik in der deutschen Gesellschaft bislang noch bescheidener ausfällt, als dies beispielsweise in Japan und Südkorea der Fall ist, wo Roboter im Alltag viel häufiger anzutreffen sind. Welche Ursachen dahinterstehen, wird Gegenstand dieses Kapitels sein. Gemäß der Erfolgslogik ist jedoch erst einmal festzuhalten, dass die Akzeptanz erfolgreich erhöht werden kann, wenn deutlich wird, dass sich dadurch die Pflegequalität besser realisieren lässt. Was bedeutet nun Akzeptanz bezogen auf Pflege-Robotik? Akzeptanz ist ein Begriff, der in vielen Forschungsfeldern verwendet wird. Generell steht bei der Akzeptanzforschung die Annahme von Innovationen durch das Individuum im Mittelpunkt. Die Akzeptanzforschung arbeitet dabei mit drei zentralen Elementen: dem Akzeptanzbegriff, den Anwender/der Anwenderin sowie der Innovation (Simon 2001, S. 86). Im Zuge dieser Arbeit sind dementsprechend die Pflegefachkräfte als auch die zu Pflegenden die Anwender/innen und die Innovation sind Technologien wie die Robotik, die in der Pflege situativ eingesetzt werden. Somit bezeichnet die Akzeptanz die positive Annahmeentscheidung der Pflege-Robotik durch Pflegefachkräfte und zu Pflegende. Die Annahme durch die zu Pflegenden ist jedoch nicht gegeben, wenn sie nur bereit sind, Pflege-Robotik einmal zu testen, sondern erst dann, wenn zu Pflegende und Pflegefachkräfte regelmäßig die Pflege-Robotik in den Pflegeprozess integrieren. Es kann angenommen werden, dass die Akzeptanz von technologischen Innovationen nicht nur von rationalen Faktoren, wie Nützlichkeit und umweltbezogenen Vorteilen abhängt, sondern auch emotionale und kulturelle Faktoren eine Rolle spielen. In Bezug auf innovative Technologien wie die Pflege-Robotik können mindestens drei generelle Faktoren identifiziert werden, die bei der Akzeptanz

5.5 Erweiterung des Kreislaufes

109

oder Ablehnung wirksam sind: produktbezogene Faktoren, individuelle psychologische Faktoren sowie kulturelle Faktoren und Normen. Generell scheint sich die Akzeptanzforschung eher auf die individuellen psychologischen Faktoren zu konzentrieren. Im Folgenden werden einige Einflussfaktoren identifiziert und eingehend betrachtet. Als externer Faktor der Pflege-Robotik haben sicherlich die Anschaffungskosten eine hohe Relevanz. Zu hohe Kosten für die Anschaffung der Pflege-Robotik kann sich negativ auf die Akzeptanz auswirken.

5.5.7

Angehörigenservice (Hebel)

Angehörige erhalten indirekt über die zu pflegenden Verwandten eine Verbindung zu der Pflege-Robotik, da sowohl die zu Pflegenden als auch die Pflegefachkräfte mit den Angehörigen in Austausch über den Pflegeprozess stehen. An dieser Stelle können Angehörige sich als sehr starker und positiver Hebel für die Pflege-Robotik erweisen, sofern pflegende Angehörige über die technologischen Innovationen und Machbarkeiten für den Pflegeprozess strategisch informiert und einbezogen werden. Das könnte ein Angehörigenservice bewerkstelligen, der Wissen, Erfahrungen und Berichte über die Pflege-Robotik fundiert aufbereitet zur Verfügung stellt. Dass pflegende Angehörige ein wichtiger Hebel für den Einsatz von Pflege-Robotik darstellen, hat auch das Forschungsprojekt „Future Care Lab“ der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg erkannt. Das Projekt versucht u. a. einen Beitrag dazu zu leisten, wie professionelle und technische Lösungen zur Unterstützung von pflegendem Angehörigen gestaltet werden können, um die Pflegesituation zu stabilisieren. Laut ersten Recherchen im Rahmen der Studie sind aktuell: „…nur unzureichend fundierte Angebote zum Wissens- und Kompetenzaufbau bzgl. technischer Assistenzsysteme für pflegende Angehörige vorzufinden.“ (Paulicke et al. 2018).

Daher wurde für die Studie das Ziel gesetzt, eine „wissenschaftlich fundierte Weiterbildung für pflegende Angehörige zu gestalten“, die sich auf die Anwendung von technologiebasierte Assistenzsysteme bezieht, um eine nachhaltige Pflegeversorgung sicherstellen zu können (ebd.). Zudem soll eine Kommunikationsplattform geschaffen werden, auf der sich pflegende Angehörige austauschen können (Zöller 2016).

110

5.5.8

5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

Erfolgsstorys (Hebel)

Ein Unternehmen kann Einfluss auf die Akzeptanz der Pflege-Robotik ausüben, indem es das Narrativ seines Handelns als Hebel erkennt und zu verändern versucht. Narrative in diesem Sinne sind Erzählungen von Mitgliedern einer Organisation über die Sinnhaftigkeit ihres Tuns und die Zweckmäßigkeit des Systems, in dem sie handeln. Diese Narrative liegen im verborgenen des erkennbar Nichtgesagten einer Erzählung und müssen interpretiert und visualisiert werden, um sie verändern zu können (Müller-Christ 2017). Die Pflege-Robotik bietet die Möglichkeit und Freiheit, die herkömmlichen Narrativen über den Pflegebereich zu erweitern und bislang schwer Vorstellbarem dadurch Ausdruck zu verleihen, dass es in den Möglichkeitsraum der Erzählung aufgenommen wird. Ein unterstützendes Narrativ für den Pflegebereich bezüglich der Robotik könnte bspw. lauten: Roboter können Pflegefachkräften helfen, die Pflegequalität zu steigern. Ein solches Narrativ kann Einfluss darauf ausüben, wie Mitarbeiter/innen über etwas denken. Der Aspekt des positiven Narrativs bekommt für die Pflege eine besondere Bedeutung, da das Arbeitsfeld oftmals durch einer skandalösen und negativen Berichterstattung in den Medien ausgesetzt sieht. Pflegeskandal ist ein Schlagwort, das in den Medienberichten für die Vernachlässigung, Misshandlung oder die wiederholte Verletzung der Berufspflichten von Pflegepersonal und deren administrativer Leitung gegenüber zu Pflegenden benutzt wird. Als Hauptursache werden strukturelle Defizite wie chronischer Personalmangel im Pflegebereich genannt. Das hängt mit zu wenig ausgebildeten Pflegefachkräften und zu geringen Personalzuweisungen, den sogenannten Personalschlüssel, zusammen. Positive und erfolgreiche Erzählungen über den Einsatz der Pflege-Robotik von Pflegefachkräften in der Praxis lässt das Arbeitsfeld in einem ganz anderen Bild erscheinen. Daher sollten Unternehmen sich gezielt damit auseinandersetzen, wie Narrative über Pflege-Robotik verwenden werden können, da diese einen Einfluss auf die Akzeptanz der Pflege-Robotik haben und zu einer Aufwertung der Pflegebranche beitragen können. Theoretisch also eine Win-Win-Situation.

5.5.9

Aufwertung der Pflegebranche

Die bislang skizzierten Erfolgsfaktoren für den Einsatz von Pflege-Robotik verweisen auf weitreichende Veränderungen der Pflegearbeit. Gemäß der hier dargestellten (Erfolgs-)Logik gewinnt eine technisierte Pflegedienstleistung an Bedeutung und erfährt somit gesellschaftliche Aufwertung. Mit der Aufwertung des Pflegebereiches durch Technik liegt es nahe, dass damit eine höhere

5.6 Zwischenfazit I

111

Attraktivität für die Berufswahl in der Pflegebranche einhergeht. Auch wenn diese Annahme keineswegs neu ist und bereits seit den frühen 1970er Jahren diskutiert wird, dass der technische Fortschritt zu einer gesellschaftlichen Aufwertung der Pflegearbeit führen werde (vgl. Windsor 2007). Es gibt zu dieser These auch kritische Stimmen, die keine automatische Aufwertung des Pflegebereiches durch zunehmenden Technikeinsatz verzeichnen, sondern eher eine verschärfte Arbeitsteilung mit der Folge von parallelen Spezialisierungs- und De-Qualifizierungsprozessen registrieren (vgl. Hielscher et al., 2015). Diese Einschätzung mag zwar zutreffend sein, allerdings ist diese Entwicklung vielmehr eine weltweite Erscheinung, die auf viele weiteren (Arbeits-)Bereiche bezogen werden kann und auf die technische und soziale Beschleunigung in der Gesellschaften zurück zu führen (vgl. Rosa 2005) ist, somit also nicht allein für den Pflegebereich konstatiert werden kann. Ein besonderer Aspekt, der mit dem Einsatz der Robotik speziell im Pflegebereich entsteht, ist, dass sich die Einstellung zum Image der Robotik insgesamt (…nimmt uns Arbeitsplätze weg, ersetzt den Menschen, usw.…) dadurch verändert. Ein Einsatz im Pflegebereich zeichnet das Bild der Robotik differenzierter und ist stärker positiv besetzt, da es einen spürbar nützlichen (Entlastungs-)Effekt auf Pflegebedürftige, Pflegekräfte und Familien bietet. Durch den spürbaren Nutzen und das positive Image im Pflegbereich entsteht eine Interaktion zwischen Robotik und Menschen, den es so vorher für diese Technologie nicht gegeben hat. Je stärker dieser Erfolgsfaktor ausgeprägt ist, desto eher führt er dazu, dass das Wissen über faktische Funktionalität der Pflege-Robotik zunimmt. Sollte sich allerdings die Vergütung der Pflegekräfte nicht zugleich verbessern, dann wirkt sich das m. E. negativ auf die Bewertung des Pflegeberufes aus. Damit eine dauerhafte Aufwertung erfolgen kann, sollte die Pflegewirtschaft sich stärker bemühen, die Vergütung von Pflegekräften zu steigern und entsprechende Forderung an Sozialkassen und Politik zu adressieren.

5.6

Zwischenfazit I

5.6.1

Inhaltliche Reflexion

Die ganze Arbeit des Netmappings, die in diesem Kapitel mit der Erfassung von Erfolgsfaktoren und der Entwicklung einer Erfolgslogik vorgenommen wurde, läuft darauf hinaus, prototypisch für Pflegeeinrichtungen die richtigen, d. h. zielführende Aktionen und Maßnahmen herzuleiten, damit diese die Pflege-Robotik

112

5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

bestmöglich in die Pflege-Organisation implementieren können. Aus Managementperspektive ist dieses Wissen durchaus wertvoll, denn in Unternehmen geht es grundsätzlich immer darum, mit geeigneten Aktionen gesteckte Ziele zu erreichen. Vor allem die Differenzierung von Erfolgsfaktoren, externen Einflüssen und Hebel schafft dabei eine solide Grundlage zur Unterscheidung von Zielen und Maßnahmen, die letztendlich zur Implementierung beitragen. Dieses Vorgehen im Forschungsprozess erbrachte den Vorteil, dass dadurch eine Visualisierung von Zusammenhängen systematisch stattfinden und damit eine Orientierung hergestellt werden konnte. Dies führte zu Einschätzungen darüber, welche Hebel und relevante Einflüsse eine Ressource zur Implementierung der Pflege-Robotik darstellen könnten. Die inhaltlichen Erkenntnisse, die sich aufgrund der Vorgehensweise des Netmappings erschließen ließen, spielen sich systemisch betrachtet im Eisbergmodell (siehe Abschnitt 3.2.) hauptsächlich auf der sichtbaren Sachebene ab. Das bedeutet, die Erstellung einer Erfolgslogik ist nicht darauf ausgelegt, in tiefere Ebenen der Organisation vorzudringen. Im Gegenteil, es besteht vielmehr die Absicht, einen geplanten Output unter den gegebenen Umständen bestmöglich ohne Umwege zu erreichen. Somit passt die Erfolgslogik gut mit der sichtbaren Sachebene zusammen, denn: „(…) das gesetzte Ziel, die Zwecke der Einrichtung, soll mit den gegebenen Mittel erreicht werden, so dass entweder die Kosten gedeckt oder Gewinne erzielt werden und dies im Rahmen der Gesetze“ (Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 84).

Daher sind auch die Ergebnisse, die Erkenntnisleitende Thesen, kritisch zu betrachten. Denn das Netmapping Verfahren, so wie es hier angewandt wurde, hat nicht die Tür zu neuem Wissen geöffnet, es hat vielmehr das bestehende Wissen sortiert und abstrakt in einen logischen Kreislauf eingefügt. Dieses Verfahren hat nicht irritiert, es hat optimiert und diente somit insbesondere der Funktionalität und Effizienz. Jedoch soll die Besonderheit dieser Arbeit darin liegen, dass neben der klassischen Analyse zum Themenfeld der Pflege-Robotik vor allem Neues erkundet werden soll. Uwe FLICK, Professor für qualitative Forschung, gibt für die Erkundung das Ziel vor: „Ziel der Forschung ist dabei weniger, Bekanntes (…) zu überprüfen, als Neues zu entdecken“ (Flick 2006, S. 18).

5.6 Zwischenfazit I

5.6.2

113

Methodische Reflexion

Beim Netmapping wurden zwar neben Fachinformationen (Branchendaten, Marktwissen etc.) auch implizites Wissen aus den Gesprächen mit Experten genutzt, jedoch lediglich als Verifikation-Check der Erfolgslogik. Das Verfahren des Netmappings hat es sehr anschaulich erlaubt, die vielfältigen Zusammenhänge eines Systems in Bezug zur Implementierung der Pflege-Robotik darzustellen. Es geht damit auch ein Stück über die herkömmliche Betrachtungsebene von Kausalzusammenhängen gemäß geläufiger Managementtools hinaus. Letztlich werden mit systemischen Tools Relationen betrachtet und somit bietet das Netmapping eine fundierte und grundlegende Orientierung. HONEGGER (2013) betont, dass das Netmapping in allen Phasen eines Erkenntnis- und Managementprozesses eingesetzt werden kann. In der Planungsphase kann die Methode helfen, beispielsweise zunächst eine Metaebene zu visualisieren, Beziehungen innerhalb dieser Ebene oder auch der Beteiligten zu beleuchten, und letztlich kann sie auch zur Aufgabenverteilung eingesetzt werden. In strategischen Entscheidungsphasen liegt es nahe, den Untersuchungsblick enger zu fassen. Treten Probleme in der Durchsetzungs- bzw. Umsetzungsphase auf, können diese analysiert werden. In der Kontrollphase können die ursprünglich geplanten Ergebnisse oder Wirkungen der Hebel und Erfolgsfaktoren mit tatsächlich eingetroffenen Wirkungen abgeglichen werden. Eine Prozessevaluierung kann sich anschließen. Insofern scheint das Verfahren des Netmappings im Managementkontext durchaus nützlich zu sein, um komplexe Systeme zu visualisieren und damit beispielsweise auch Chancen für die Implementierung von neuen Technologien wie die der Pflege-Robotik zu ermitteln. Als Erkenntnismethode für die Forschung bleibt sie allerdings hinter den Erwartungen zurück, denn neue Erkenntnisse haben sich für den Autoren erst erschlossen, als weitere Menschen im Prozess involviert waren. Durch die Betrachtung von Relationen können, wie bereits angemerkt, Erfolgsfaktoren und Hebel, die eine Veränderung vorantreiben, aufgedeckt werden. So können beispielweise auch unterschiedliche Szenarien und Simulationen, die sich auf die Implementierung von Pflege-Robotik beziehen, miteinander verglichen werden. Führungskräfte, Manager aber auch Forschende können das Netmapping in diesem Zusammenhang als Hilfestellung für die Kommunikation mit bzw. für die Beteiligung von Mitarbeiter, Stakeholder und Kunden nutzen. Mithilfe des Netmappings können Kommunikationsanschlüsse zwischen Beteiligten gebildet werden, die geeignet sind das Verständnis untereinander und damit auch Kooperationsbeziehungen fördern. Um Systeme zu verändern, hat MEADOWS (2010, S. 189), wie bereits in Abschnitt 2.3 Systemtheorie geschildert,

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5

Erfolgslogik der Pflege-Robotik für die Pflegewirtschaft

das Überwinden oder das Verändern von Paradigmen benannt. Das aktuelle Pflegesystem (ohne Robotik-Strategie) als maßgebende Rationalität zu betrachten, stellt im Kontext dieser Arbeit ein Paradigma dar, das es zu verändern gilt. Zur Veränderung eines Paradigmas schlägt die Autorin vor, die Aufmerksamkeit auf das Versagen des herkömmlichen Paradigmas zu lenken und gleichzeitig immer wieder das neue Paradigma (Pflegesystem mit Robotik) anzuführen. Hierfür kann das Netmapping genutzt werden, da die Erfolgslogik die Nachteile des bisherigen Paradigmas anschaulich werden lässt. Insgesamt konnte in diesem Kapitel aufgezeigt werden, wie das Verfahren des Netmappings mit Erstellung einer Erfolgslogik dem Weg zu einer erfolgreichen Implementierung von PflegeRobotik antizipierbar machen. Netmapping als Managementtool zu nutzen und zu untersuchen, ist keine innovative Idee, es ist vielmehr die übliche Praxis. Im folgenden Kapitel werden die bis hierher gewonnen inhaltlichen Erkenntnisse in die Arbeit mit Erkundungsaufstellungen übertragen.

6

Erkundungsforschung im Bereich der Pflege-Robotik

„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Albert Einstein

Sobald es um die Frage der Potenzialität der Pflege-Robotik geht, bewegt man sich in einen Bereich hinein, wo sich ein breiter Möglichkeitsraum öffnet, der sich auf eine Zukunft bezieht, die explorativ erkundet werden bzw. sich erst noch entwickeln muss. Voraussagen über diese Art von Fragestellungen, werden vor allem durch hohe Komplexitäten, die ihnen innewohnt, massiv erschwert, da Entwicklungen, Interessen und Veränderungen in vielschichtigen Wechselwirkungen zueinanderstehen und nur teils kontinuierlich ablaufen. Insofern ist das Potenzial der Pflege-Robotik als soziale Realität grundsätzlich noch durch Ungewissheit und Unsicherheit gekennzeichnet. Potentiell sind aber mehrere, unterschiedliche Möglichkeitsszenarien und Zukünfte der Pflege-Robotik denkbar. Deshalb ist es hier sinnvoll, von unterschiedlichen Möglichkeitsszenarien und Zukünften der Pflege-Robotik zu sprechen. Wenn in dieser Arbeit potentielle Möglichkeiten und Zukünfte erforscht bzw. erkundet werden sollen, dann handelt es sich in wissenschaftstheoretischer Hinsicht um Bereiche, die man den Möglichkeitswissenschaften und der Zukunftsforschung zuordnen kann. Der Soziologe, Physiker und Zukunftsforscher ROLF DIETER KREIBICH (2007, S. 181) beschreibt die Zukunftsforschung folgendermaßen:

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Pijetlovic, Das Potential der Pflege-Robotik, Systemaufstellungen in Wissenschaft und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31965-6_6

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116

6

Erkundungsforschung im Bereich der Pflege-Robotik

„…als die wissenschaftliche Befassung mit möglichen, wahrscheinlichen und wünschenswerten Zukunftsentwicklungen und Gestaltungsoptionen sowie deren Voraussetzung in Vergangenheit und Gegenwart.“

Für KREIBICH geht es im Allgemeinen um Erkenntnisse und Wissen über Zukünfte und Möglichkeiten zur Zukunftsgestaltung (Kreibich 2007, S. 185). Als besondere Aufgabe der Zukunftsforschung postuliert KREIBICH die Ermittlung von Chancen und Risiken von Zukunftspfaden. Das Konzept der Zukunftsforschung lässt sich in diesem Sinne gut mit dem noch jungen Konzept der Möglichkeitswissenschaften vermitteln, das der Wirtschaftswissenschaftler REINHARD PFRIEM (2011, S. 176) geprägt hat und in seinem Beitrag Lebensklugheit auf den Weg bringen. Ökonomik als Möglichkeitswissenschaften konkretisiert: „Der Begriff Möglichkeitswissenschaft, […], steht für das keineswegs triviale Bemühen, scheinbar Differentes zu vereinbaren.“ (Pfriem 2017, S. 238).

PRIEM bezieht sich bei seinem Begriff der Möglichkeitswissenschaften auf die Aussage aus MUSILS Roman: „Wenn es Wirklichkeitssinn gibt, muss es auch Möglichkeitssinn geben.“ (Musil 1978, S. 16; in Pfriem 2017, S. 17). Diese Denkrichtung lässt zu, dass sich Möglichkeitsräume öffnen können, wenn tiefsitzende und immer wieder erzählende Grundannahmen losgelassen werden und sich nicht mehr auf einen bestimmten wünschenswerten Zustand festgelegt wird (Pfriem 2011; in Müller-Christ und Giesenbauer 2019, S. 308). Darüber hinaus beschreibt PFRIEM (2011), dass die soziale Realität, in der wir uns befinden, und damit insbesondere auch die Wirtschaftswissenschaften, durchzogen von Antagonismen sind, die es zusammenzuführen gilt. Demnach kann erst durch die Beschäftigung und Bewältigung von Widersprüchen eine transformative Zukunftsgestaltung erfolgen und somit neue Möglichkeiten in die Welt kommen. Auf Grundlage dieser beiden Konzepte der Möglichkeitswissenschaften und Zukunftsforschung können für die Erkundungsforschung folgende Grundannahmen abgleitet werden: 1. Systeme sind aufgrund von Antagonismen nicht vollständig bestimmbar. 2. Unterschiedliche Systemzustände sind grundsätzlich immer möglich. 3. Systementwicklungen sind gestaltbar (Pfadenhauer 2004, S. 5 in Bezug auf Zukünfte).

6

Erkundungsforschung im Bereich der Pflege-Robotik

117

Eine Erkundungsforschung mithilfe von Systemaufstellungen lässt darüber hinaus eine ganzheitliche Systembetrachtung zu, indem sie Multi-Kontextualität ermöglicht. Multi-Kontextualität bedeutet in diesem Zusammenhang, dass mehrere Kontexte mithilfe einer Systemaufstellung zeitgleich beobachtet werden können. In erster Linie dienen Systemaufstellungen in der Erkundungsforschung demnach als Methode zur Datengenerierung. Wie der Prozess der Erkundungsforschung zu verstehen ist, lässt sich anhand der folgenden Abbildung leichter nachvollziehen. Die grundsätzliche Annahme für eine Erkundungsforschung ist, dass eine soziale Realität vorherrscht, ähnlich wie beim Konstruktivismus. D. h. es herrscht Einigkeit darüber, dass es grundsätzlich ein soziales und wirtschaftliches Geschehen in der Welt gibt, in dem Menschen sich miteinander koordinieren, um Ziele zu erreichen (Abb. 6.1).

Abb. 6.1 Systemische Erkundungsforschung. (Eigene Darstellung in Anlehnung an Müller-Christ’s Darstellung im Rahmen des Doktoranden-Workshops im Februar 2019)

Auf der anderen Seite der Abbildung stehen neue, nützliche Handlungen als Ziel des Forschungsprozesses. All das, was zwischen Soziale Realität und Nützlichen Handlungen ist, befindet sich im Wissenschaftsraum. Der Prozess der Erkundung im Wissenschaftsraum kann so verstanden werden, das Wissen geschaffen werden soll, welches anschlussfähiges und neues (systemisches, institutionelles, funktionelles und persönliches) Handeln ermöglicht, das vorher in der sozialen Realität so (noch) nicht möglich war. Das Ziel ist demnach, Probleme zu lösen und Komplexität zu bewältigen, die in der sozialen Realität ohne den Erkundungsprozess nicht bewältigt werden können. Daher

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6

Erkundungsforschung im Bereich der Pflege-Robotik

stehen am Ende des Forschungsprozesses hauptsächlich Handlungsempfehlungen als Ergebnis. Vor allem die nützliche Verwertung der Forschung für die Praxis ist ein besonderer Aspekt der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, weil es ihr nicht nur darum geht, deskriptiv zu erklären und zu beschreiben, wie die Welt bzw. soziale Realität ist, sondern es geht auch darum, etwas mitzugestalten. Dieser Anspruch ist zwar sehr normativer Art, aber gerade für die Betriebswirtschaftslehre ist diese Form der Praxeologie relevant, bei der zu einer betriebswirtschaftlichen Fragestellung mithilfe von wissenschaftlichen Methoden am Ende neue, nützliche Antworten gefunden werden sollen, die handlungsorientiert sind. Der wissenschaftliche Prozess der Erkundungsforschung hat also den Anspruch, eine Brücke von der sozialen Realität zu neuen, nützlichen Handlungen zu schlagen. Die Krux bei der sozialen Realität ist allerdings, dass wir uns vornehmlich auf eine materielle sichtbare und greifbare soziale Realität beziehen. Das wissenschaftliche Dogma dieser materialistischen Denkweise schränkt die Möglichkeiten der Sichtweisen sehr ein. Zu Veranschaulichung kann folgendes Beispiel dienen: Jeden Tag können wir beobachten, dass sich auf den Straßen eine große Anzahl von Autos bewegen. All diese Autos zu zählen und zu kategorisieren ist eine relativ einfache Erhebung mithilfe statisch-mathematischer Verfahren. Eine Künstliche Intelligenz (KI) könnte sowas sehr gut. Jedoch zu ermitteln, weshalb diese Autos unterwegs sind, macht die soziale Realität um ein Vielfaches komplexer und ist kaum feststellbar. Jedoch ist diese nicht messbare Realität vorhanden, die Autos fahren auf den Straßen, sie kommen irgendwoher, sollen irgendwo hin, und das Ganze geschieht mit einer bestimmten Haltung der Fahrenden, mit einem Erfahrungshintergrund, einige plagen sich mit Sorgen und Problemen, einige nehmen aufeinander Rücksicht, andere wollen schnell zum Ziel. All diese unterschiedlichen Aspekte und damit auch ein Großteil der sozialen Realität sind somit von außen nicht beobachtbar. Deswegen ist es grundsätzlich die große Herausforderung, soziale Realität so abbilden zu können, dass sie erforschbar wird und am Ende neue Handlungsoptionen eröffnet. Als ersten Schritt wird hierfür der Forschungsgegenstand konkretisiert: Welcher Bereich oder welches Thema soll näher untersucht werden. Bereits dieser Akt der Festlegung ist eine starke Reduzierung der Komplexität der sozialen Realität. Anschließend wird aus dem Forschungsgegenstand eine Fragestellung abgeleitet. Welches Wissen soll hinzufügt werden? Im Wesentlichen ist die abgeleitete Fragestellung eng verbunden mit dem Fragendem selbst. Es ist immer die Frage eines Forschers oder einer Forscherin, welche an den Gegenstand gerichtet wird und mit der forschenden Person selbst zu tun. Das Kriterium, ob diese Fragestellung wissenschaftlich beantwortet werden darf, erschließt sich über das Thema der

6

Erkundungsforschung im Bereich der Pflege-Robotik

119

Relevanz. Ist das eine Frage, die viele interessieren könnte und die ein Problem behandelt? Das heißt aber auch, dass diese Frage bislang noch nicht beantwortet ist, ansonsten wäre sie nicht (mehr) relevant. Der nächste Schritt besteht darin, das vorhandene Wissen mit der Frage abzugleichen. Auch an dieser Stelle erfolgt eine massive Reduzierung der Komplexität, denn von der ungeheuren Menge an vorhandenem Wissen, sortiert man einiges für die weitere Betrachtung aus. Für wissenschaftliche Untersuchungen ist den Stand der Forschung darzustellen eine notwendige Kernarbeit. Auf dieser Basis werden das Defizit bzw. die Forschungslücke näher bestimmt. Anschließend erfolgt die gedankliche Ausarbeitung einer genaueren Idee und Vorstellung davon, welche Daten geniert werden sollen, um die zu erforschende, soziale Realität ausdrücken zu können. Hierfür werden ein passendes Datenformat bzw. Methoden gewählt. Das können Interviews, Befragungen, Beobachtungen, Messungen, Zählungen, Experimente usw. sein. Die generierten Daten drücken letztendlich aus, wie der Forscher oder die Forscherin die soziale Realität wahrnimmt. In der Regel zerlegen Forscher ihren Gegenstand in immer kleinere Aspekte, um auf analytische Weise mehr Daten zu erzeugen. Im quantitativen Paradigma muss man den Gegenstand in kleinere messbare Einheiten zerlegen und im qualitativen Paradigma kann man ihn etwas größer lassen, aber dann hat man beim nächsten Schritt die Herausforderung, wie die Daten ausgewertet werden sollen. Die Herausforderung besteht darin, erhobene Daten in eine Form zu bringen bzw. zu einer Information werden zu lassen. Das können beispielsweise Transkriptionen, Aufstellungspartituren, Zählungen usw. sein. Diese neuen Informationen werden im Forschungsprozess systematisiert und so in ein Ergebnis überführt. Und das Spannende hierbei ist, dass es sehr den Anscheint hat, als ob es zwischen Datenformat und Ergebnis eine Lücke gibt. Gemeint ist damit der gedankliche Akt, der nicht klar einsehbar ist, wie beispielsweise aus einem Transkript ein Ergebnis bzw. eine Schlussfolgerung wird. Immer noch weit verbreitet ist die Vorstellung davon, dass man ausschließlich den Datensatz betrachten muss und dann weiß man einfach automatisch, um was es geht, wie man es interpretieren kann und zu einem Ergebnis führt. Tatsächlich verhält es sich m. E. jedoch anders. Die Daten an sich sind keine Ergebnisse. Dazwischen befindet sich eine Lücke, da auch die Wissenschaftstheorie nicht genau erklären kann, wie ein Forscher von den Daten zum Ergebnis kommt. Um sich diesem Phänomen zu nähern, gibt es wissenschaftstheoretisch drei Schlussverfahren: Deduktion, Induktion und Abduktion. Abduktion bedeutet, dass ein Geistesblitz für die Erkenntnis ursächlich ist. Plötzlich ist bei der Betrachtung der Daten eine Idee entstanden. Die herkömmlichen Verfahren, die in der Wissenschaft angewendet

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6

Erkundungsforschung im Bereich der Pflege-Robotik

werden, sind jedoch induktive und deduktive Schlussverfahren. Doch durch induktive und deduktive Schlussverfahren kommt man nie zu etwas Neuem, weil es im Kern bei diesen Schlussfolgerungen um die Bestätigung des vorhandenen Wissens (der Hypothese, der Annahme) geht. Um etwas ganz Neues zu (er)finden, müssen Bedingungen vorliegen, die abduktive Schlüsse zulassen. Im Kern bedeutet daher Erkundungsforschung, sich immer der (abduktiven) Lücke zwischen Daten und Ergebnis bewusst zu sein und damit offen umzugehen. Für diese Arbeit werden Erkundungsaufstellungen ins Feld geführt, um als Methode der Datengenerierung noch in der Zukunft liegende Möglichkeitsszenarien der Pflege-Robotik erschließen zu können. Die Methode der Erkundungsaufstellung wird von der Denkstruktur der systemischen Forschung (siehe Abschnitt 3.2) zugeordnet. Sie stellt einen sehr umfassenden Ansatz dar und integriert verschiedene methodische Herangehensweisen wie Wissensverfahren, Interviewverfahren, Partizipationsverfahren und Hermeneutik. Mit Erkundungsaufstellungen können Ahnungen und Vermutungen überprüft werden, wie weit die vorhandene Theorie bei der Beobachtung, Erklärung und Gestaltung von Systemen zutrifft, welche Elemente die Gestalt eines Systems prägen und was sich unter der Oberfläche eines Systems an nicht sichtbaren Wirkungsgefügen befinden (Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 11). Grundsätzlich gehören Erkundungsaufstellungen zu der Familie der Systemaufstellungen und mit Bezug auf CARL ROGERS (2003, S. 12) sind Systemaufstellungen als Methode keineswegs objektiv neu oder unbekannt. Historisch gesehen (vgl. Weber, Schmidt & Simon 2005, S. 10 und Scholz 2015, S. 64) wurden Systemaufstellungen seit den 1990 zuerst im Kontext der Familientherapie (Erfunden von Virginia Satir) und Selbsterfahrung und später in der Organisationsberatung, Management, Trainings und Coaching eingesetzt. Relativ neuartig ist allerdings, dass Systemaufstellungen in Form von Erkundungsaufstellungen in Hochschulen und Universitäten (Bremen, Oldenburg, Witten-Herdecke, Ansbach, Reutlingen) als Forschungs- und Lehrmethode eingesetzt werden, um Daten zu generieren. Ermutigt durch die Arbeit an und mit Systemaufstellungen an der Universität Bremen haben ab dem Jahr 2015 immer mehr Unternehmen wie die Beiersdorf AG, Kellog GmbH&Co.KG, AOK und vor allem viele mittelständische Familienunternehmen sowie Start-Ups damit begonnen, Erkundungsaufstellungen für ihre Zwecke einzusetzen. Mit dem Buch Komplexe Systeme lesen (2018) gelangten Erkundungsaufstellungen auf Basis von Systembildern in den Blick einer breiteren Öffentlichkeit. Heute werden Erkundungsaufstellungen in den unterschiedlichsten Kontexten eingesetzt. Wichtige Anwendungsfelder sind unter

6.1 Grundlagen

121

anderem Lehre- und Forschungsthematiken, strategische Planungen in Unternehmen und Organisationsberatung. Für diese Anwendungsfelder sind mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlicher Erkundungsaufstellungen durchgeführt worden. In den folgenden Abschnitten wird eine Überblicksdarstellung über das Feld der Erkundungsaufstellung entwickelt. Ausgangspunkt ist die Klärung von Begriffen, Grundannahmen sowie Zielen und Grenzen der Erkundungsaufstellung. Anschließend werden Erkundungsaufstellungen zur Pflege-Robotik in Form eines Steckbriefs präsentiert, ausgewertet und daraus erkenntnisleitende Thesen abgeleitet. In einem Exkurs wird auch eine Idee, die aus einer Erkenntnisleitenden These entstanden ist, näher vorgestellt.

6.1

Grundlagen

6.1.1

Was sind Erkundungsaufstellungen?

„Erkunden beinhaltet die Haltung eines unbewerteten Findenwollens vom Unerwartetem. Ziel einer Erkundungsaufstellung ist es, erkenntnisleitende Thesen über die Soheit des Systems zu formulieren, die idealerweise überraschende Inhalte haben“ (Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 24). Sowohl der Begriff als auch das Verfahren von Erkundungsaufstellung sind maßgeblich durch die Arbeiten von Professor GEORG MÜLLER-CHRIST geprägt und in die Aufstellungsszene eingeführt worden. Durch die Arbeit und das Experimentieren mit Systemaufstellungen in der Universität Bremen in der Lehre und Forschung haben sich seit dem Jahr 2015 spezifische Charakteristika von Erkundungsaufstellungen herausgebildet und somit auch angefangen, sich von herkömmlichen Aufstellungsarbeiten und -typen immer stärker zu unterscheiden. Grundsätzlich erlauben Aufstellungen die räumliche Darstellung eines (sozialen) Systems mithilfe von Repräsentanten. Dies sind reale Personen, welche stellvertretend für verschiedenste Aspekte des zu untersuchenden Systems aufgestellt werden können (vgl. Groth 2005). Die Methode bietet somit die Möglichkeit, das innere Bild einer Person oder Gruppe von seinem und/oder ihrem System mithilfe von Stellvertretern zu externalisieren, zu betrachten und zu bearbeiten (Berreth 2009, S. 71). Dieses mithilfe der Stellvertreter externalisierte Bild im Raum, stellt für den Betrachter eine Projektionsfläche dar, die es ermöglicht, neue Erkenntnisse, Perspektiven und Einsichten über das System zu gewinnen. Zu den weiteren Grundsätzen gehört es, dass Aufstellungen von Aufstellungsleitern angeleitet werden und dass sie herkömmlicherweise in einer Gruppengröße von etwa sechs bis

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6

Erkundungsforschung im Bereich der Pflege-Robotik

12 Personen stattfinden. In der Regel werden bei klassischen Aufstellungen Anliegen, d. h. eine Fragestellung oder ein Problem, von einer Person bearbeitet. Es werden Stellvertreter/innen für alle relevanten Aspekte des Systems ausgewählt. Die Stellvertreter*innen nutzen ihre repräsentierende Wahrnehmung1 , um als Sprachrohr für das Element, welches sie repräsentieren, zu fungieren (Scholtz 2015, S. 65) Dieser Aspekt ist es auch, der Aufstellungen so sehr von anderen Formen der Visualisierung systemischer Bilder unterscheidet: „[…] …die Rückmeldungen der Stellvertreter geben häufig valide und als hilfreich erlebte Hinweise auf den Zustand des aufgestellten Systems“ (von Ameln und Kramer 2015, S. 294).

Die Wahrnehmungen und Aussagen der Stellvertreter sind zum Teil so verblüffend, dass es so scheint, als ob die Stellvertreter in einer Aufstellung mit den zu repräsentierenden Elementen des (realen) Systems über räumliche und zeitliche Entfernung hinweg in Korrespondenz stünden. Hierfür existieren unterschiedliche Ansätze von Beschreibungsversuchen, um dieses Phänomen fassen zu können. FALKO VON AMELN und JOSEF KRAMER (2015) haben in ihrem Buch Organisationen in Bewegung bringen beispielsweise sieben Beschreibungen aus der Literatur aufgelistet, die die Wahrnehmung der Repräsentanten für das Erleben in einer Aufstellung wiedergeben: – – – – – – –

fremde Gefühle (Hellinger) repräsentierende Wahrnehmung (Varga von Kibéd 2005) wissendes Feld (Mahr 2000) morphogenetische Felder (Sheldrake 1993) synergetische Felder (Weber und Gross 1998) „der systemische 7. Sinn“ (Holitzka und Remmert 2000, S. 70) „die große Seele“ (Hellinger in verschiedenen Publikationen)

Die beiden Autoren merken an, dass die aufgezählten Begriffe zwar eine Umschreibung des Phänomens dieser außergewöhnlichen Wahrnehmung darstellen, allerdings wenig bis kaum zu ihrer Erklärung beitragen. Es bleibt aktuell

1 Repräsentierende

Wahrnehmung kann als ein Wahrnehmungsprozess beschrieben werden, bei dem Menschen als Stellvertreter/innen für Elemente eines Systems in Aufstellungen, plötzlich Zugang zu Wissen über das Element haben, das sie repräsentieren (vgl. Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 161).

6.1 Grundlagen

123

immer noch ein blinder Fleck der Aufstellungsarbeit, wie es sein kann, dass Stellvertreter in Aufstellungen etwas wissen, was sie nicht wissen können (Baecker 2007, S. 23). Doch auch daran wird gearbeitet, wissenschaftliche Erklärungen für dieses Phänomen zu finden. Beispielsweise bedient sich THOMAS GEHLERT (2019 in Druck) in seiner Dissertation an Theorien und Erkenntnissen Quantenphysik, um das Phänomen der repräsentierenden Wahrnehmung zu erklären. Auch wenn weiterhin unklar ist, wo genau die Information der Stellvertreter bei verdeckten Aufstellungen herkommt, ist die hohe Nützlichkeit dieser unerklärlichen Wahrnehmungen unumstritten. Die Nützlichkeit gilt für alle Aufstellungstypen gleichermaßen, einschließlich für Erkundungsaufstellungen. Erkundungsaufstellungen (vgl. Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 24) unterscheiden sich zu klassischen Aufstellungen jedoch dadurch, dass: 1. die Erkundenden das Format für den Erkundungsprozess festlegen. Der Unterschied zu klassischen Aufstellungen ist hierbei, dass der/die Erkundende als Anliegengeber*in mehr auf Augenhöhe partizipativ im Prozess eingebunden ist. Das setzt jedoch auch voraus, dass die Aufstellungsleitung umfassend darüber informiert und im Bilde ist, welche Formate angewendet werden können. Auf der anderen Seite werden Erkundungsaufstellungen häufig für eigene Vorhaben angewendet, so dass es nicht ungewöhnlich ist, dass Anliegengeber und Aufstellungsleitung zusammenfallen und in einer Erkundungsaufstellung in Personalunion auftreten, wenn die nötigen Qualifikationen vorliegen. 2. es im Format selten einen Fokus gibt, da sich das System selbst mit allen gewählten Elementen in gleicher Bedeutung aufbaut. In klassischen Aufstellungen werden die Stellvertreter der Elemente in der Regel vom Anliegengeber im Raum auf einen Platz geführt, der sich stimmig anfühlt. Bei Erkundungsaufstellungen fällt diese Zuweisung durch den Anliegengeber weg und die Stellvertreter suchen sich selber im System einen stimmigen Platz im Raum und zueinander. Dieser Aspekt fordert, dass der/die Anliegengeber*in die eigene Kontrolle über das den Verlauf zurückstellt und sich mehr auf das Unbekannte einlässt. Darüber hinaus führt die freie Platzwahl der Elemente dazu, dass sich das Potenzial der Irritation bei Anliegengeber erhöht. 3. die Erkundungsaufstellung immer verdeckt (einfach oder doppelt) durchgeführt wird. Auch das ist ein wesentlicher Unterschied zu klassischen Aufstellungen. Die verdeckten Erkundungsaufstellungen haben den Vorteil, dass die Stellvertreter

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Erkundungsforschung im Bereich der Pflege-Robotik

nicht anfangen ihre mentalen Muster über das jeweilige Element oder System abzurufen. Das kontrolliert ein Stückweit mehr Störvariable, da Stellvertreter*innen nicht zu eine Art Rollenspiel verleitet werden sollen. Sie müssen nicht schlussfolgern oder nachdenken, sondern können sich ganz auf ihre Wahrnehmung konzentrieren. 4. das System befragt wird, ohne es von außen verändern zu wollen. Bei klassischen Aufstellungen finden immer wieder Interventionen statt, um entweder ein gewünschtes Lösungsbild oder eine Heilung des Systems für den Anliegengeber herbeizuführen. Das ist bei Erkundungsaufstellungen nicht nötig, da es in erster Linie um die Informationen und Dynamiken der Stellvertreter geht, die nach Möglichkeit nicht von außen beeinflusst oder herbeiführt wird. 5. mit folgenden Prinzipien gearbeitet wird: hypothesenarm, prototypisch, spannungsfeldorientiert, kontextarm, gestaltungsorientiert und ko-kreativ. Hypothesenarm bedeutet, dass keine potenziell beweisbaren Kausalbeziehungen in Erkundungsaufstellungen untersucht werden. Hypothesen dienen lediglich im Vorfeld dafür, um dem System ein passendes Format anzubieten, in dem es sich zeigen kann (Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 16). In der Erkundungsaufstellung kommen Hypothesen erst dann zum Einsatz, wenn Veränderungen simuliert oder Interventionen durchgeführt werden. An dieser Stelle benötigt die Aufstellungsleitung eine hypothetische Idee, was im Aufstellungsprozess geprüft oder getestet werden soll. Dieser Aspekt ist ein maßgeblicher Unterschied zu den Familien- und Organisationsaufstellungen, wo Hypothesen das A und O der Therapeut/innen in einem Behandlungsprozess sind (Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 17). Mit prototypisch ist gemeint, dass Inhalte und Kontexte, die in Erkundungsaufstellungen stattfinden, meistens abstrakt sind. GEORG MÜLLER-CHRIST (2018) schreibt hierzu sehr passend: „Abstrahieren bedeutet, aus konkreten Sachverhalten immer mehr Gegenständliches wegzulassen, bis das übergreifende und verbindende Allgemeine übriggeblieben ist“ (Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 16).

Gestaltorientiert soll ausdrücken, dass in der Erkundungsaufstellung nicht nur Teile eines Systems in ihrer Positionierung zueinander erfasst werden, sondern auch eine Idee entwickelt wird, wie das Ganze aussehen könnte. In MÜLLER-CHRIST und PIJETLOVIC (2018, S. 18) wird dieser Aspekt folgendermaßen beschrieben: „Um das Ganze ahnen und erkunden zu wollen, ist es wichtig, dass Fragende und Aufstellungsleitung die ganze Aufstellung

6.1 Grundlagen

125

lang zwischen der Beobachtung der Einzelelemente und der Wahrnehmung des Ganzen oszillieren.“ Das bedeutet, man wechselt mit seiner Aufmerksamkeit beim Beobachten zwischen Teilen der Aufstellung und dem Ganzen hin und her. Die Ko-Kreativität entsteht dadurch, dass nach der Aufstellung eine Gruppendiskussion mit den Beobachteten und den Stellvertreter/innen über das betrachtete System stattfindet. Der diskursive Austausch und die Zusammenarbeit, die über das Systembild und das Aufstellungsgeschehen entsteht, stellt eine Basis für weitere Lernprozesse dar. 6. der Prozess des Systemlesens zu Ende geht, wenn alle Elemente die zurzeit vorhandenen Informationen und Wahrnehmungen ausgedrückt haben. Das Lesen eines Systems ist ein Zuhören und Zusehen, was die Elemente zu sagen und zu zeigen haben. Erst wenn dieser Prozess abgeschlossen ist und die Aufstellungsleitung beginnt, wie es üblicherweise bei anderen Aufstellungen vorkommt, eine Intervention in das System vorzunehmen, ist das Systemlesen unterbrochen oder beendet. 7. sich in einem Aufstellungsbild deutlicher Interventionsbedarf zeigt, dann wird dieser in klarer Trennung zur ersten Phase des Systemlesen durchgeführt. Es wird immer deutlich gemacht, wenn eine Intervention erfolgt. 8. am Ende eine Offenlegung des Systems und eine Gruppendiskussion über den Erkundungsprozess erfolgen. Die Gruppendiskussion ist eines der stärksten Mittel, um unterschiedliche Sichtweisen auf den Erkundungsprozess offenzulegen und sich über die entstandenen Ideen auszutauschen. Dieser Aspekt unterscheidet die Erkundungsaufstellung auch von anderen Aufstellungstypen, denn ein solcher Austausch von Ideen in einer Gruppe ist kognitiv sehr stimulierend (Nijstad und Stroebe 2006; Paulus und Brown 2007) und die Ideengenerierung sowie Interpretationen verstärken assoziative Prozesse (Dugosh, Paulus, Roland und Yang 2000), die die Auseinandersetzung mit verschiedenen Ideenkategorien fördert, was förderlich für den Erkundungsprozess ist. Darüber hinaus können alle Gruppendiskussionsmitglieder vom Ideenaustausch profitieren, da er es ermöglicht, auf die Ideen anderer aufzubauen. Obwohl der Ideen- und Interpretationsaustausch in der Gruppendiskussion stimulierend sein kann, kann er auch vom eigenen „Gedankengang“ ablenken. Ein solcher Prozess wird als kognitive Störung bezeichnet. RITTER und RIETZSCHEL (2017, S. 112) schreiben hierzu: „Wenn man in einer Gruppe Ideen generiert, muss man abwechselnd seine Ideen ausdrücken. Wenn wir darauf warten müssen, dass jemand anderes

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Erkundungsforschung im Bereich der Pflege-Robotik

aufhört zu sprechen, können wir nicht nur leicht eine Idee vergessen, die wir gerade entwickelt haben, sondern es ist auch schwierig, weiter über das Problem (oder hier die Aufstellungsdynamik) nachzudenken, um neue Ideen zu entwickeln, da unsere kognitiven Ressourcen darauf bedacht sind, dem anderen zuzuhören.“

Eine mögliche Lösung für dieses Problem könnte darin bestehen, Einzelpersonen zukünftig nach Erkundungsaufstellungen sowohl in Einzel- als auch in Gruppendiskussionsrunden teilnehmen zu lassen, da dies eine uneingeschränkte Ideen- und Interpretationsfindung bei der individuellen Ideengenerierung und die Stimulation zusätzlicher Ideen und Interpretationen durch den Austausch mit Ideen und Interpretationen der anderen Gruppenmitglieder ermöglicht. Eine Erkundungsaufstellung kann daher als eine Methode bezeichnet werden, die es ermöglichet, dass • ein System aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden kann • und Dynamiken und Entwicklungspfade des Systems sichtbar werden. Im Unterschied zu anderen Aufstellungstypen (siehe dazu 7.2.1), die sehr hypothesengeleitet durchgeführt werden und Systeme verändern wollen, beschreibt die Erkundungsaufstellung mehr die Entwicklungen, Dynamiken und treibenden Kräfte, aus denen ein bestimmtes Systembild resultiert, ohne es mithilfe von Hypothesen und Interventionen verändern zu wollen. Mit Erkundungsaufstellungen wird angestrebt, über die Betrachtung bestimmter Schlüsselelemente Orientierung hinsichtlich eines Systemzustandes zu generieren. Dabei sind drei Punkte zu beachten: Kontingenz2 1. Ordnung Erstens stellen Erkundungsaufstellungen kein umfassendes Bild von Systemzuständen dar, denn ihre Funktion besteht darin, die Wahrnehmung gezielt auf einen oder mehrere bestimmte, abgegrenzte Ausschnitte der Wirklichkeit zu richten. Es werden bewusst verschiedene Polaritäten und Elemente eingeschlossen (und 2 Die

Bezeichnung Kontingenz beschreibt lau Luhmann etwas, was weder notwendig noch unmöglich ist. Demnach also etwas, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist. Der Begriff bezeichnet mithin Gegebenes (zu Erfahrendes, Erwartetes, Gedachtes, Phantasiertes) im Hinblick auf mögliches Anderssein; er bezeichnet Gegenstände im Horizont möglicher Abwandlungen (Luhmann 1984, S. 152).

6.1 Grundlagen

127

andere ausgeschlossen) und in bestimmte Konstellationen zueinander gesetzt. Der Sinn dieser Aufstellungsarbeit besteht nicht in der Darstellung des Zustandes eines Systems als Ganzes, sondern die Funktion einer Erkundungsaufstellung liegt darin, durch die Beschäftigung mit einem bestimmten Untersuchungsraum, der durchaus abstrakt sein darf, den Fokus auf bestimmte zu interessierende Aspekte zu lenken. Kontingenz 2. Ordnung Zweitens ist zu beachten, dass das Aufstellungssetting, also die Auswahl und Kombination der Polaritäten und Elemente in Hinblick auf die Erkundung Konstruktionsarbeit ist. Dabei werden bewusst bestimmte Stakeholder, Kontexte und Systemkräfte als relevant erachtet bzw. vernachlässigt und diese dann wiederum unter bestimmten Annahmen und mit Erfahrungswissen in Wechselwirkung und Zusammenhang miteinander gesetzt. Ein Aufstellungssetting kann jedoch auch immer anders konstruiert werden. Annahmen über die Relevanz von Elementen, Polaritäten und Kontexte für den Untersuchungsrahmen einer Erkundungsaufstellung werden dabei mehr oder weniger durch Daten, Theorien oder Aussagen eines Experten bzw. Anliegengebers nahegelegt, erfordern jedoch zum einen fundiertes Wissen, insbesondere auch Erfahrungswissen, und sind zum anderen meist auch auf subjektiven Einschätzungen begründet. Dies kann anders sein, wenn das Aufstellungssetting für Erkundungsaufstellungen in einem gemeinschaftlichen Prozess im Vorgespräch mit einer Gruppe erstellt wird. Dann verschiebt sich die Grundlage des Aufstellungssettings mehr in Richtung einer gruppengestützten Objektivität im Sinne einer geteilten Wirklichkeit. Explikation Damit ist drittens verbunden, dass jeder Erkundungsaufstellung implizite Annahmen (zumindest des/der Anliegengeber*in) zugrunde liegen, wie der Systemzustand aussehen könnte, wie bestimmte Elemente sich verhalten, welche Dynamiken vorherrschen, welche Entwicklungen konstant bleiben und welche sich ändern. Diese impliziten Annahmen verweisen auf umfassende mentale Modelle und Landkarten, die in der Regel auf Erfahrungen beruhen. Mithilfe von Erkundungsaufstellungen werden diese impliziten mentalen Landkarten explizit gemacht und hinreichend irritiert, so dass sich neue Betrachtungsweisen und Perspektiven ergeben (für die Anliegengebende Person). Es ist dabei zu beachten, dass Erkundungsaufstellungen keinen Wahrheitsanspruch haben und somit kein objektives Wissen über die aufgestellten Systeme bereitstellen, sondern allein die hypothetische Konstruktion von möglichen Systemzuständen aufgrund von gegenwärtigem und vergangenem Wissen gepaart

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Erkundungsforschung im Bereich der Pflege-Robotik

mit dem Einfluss von kontrollierten Irritationen einen hinreichenden Beitrag leisten, die dazu führen, dass mentalen Landkarten konstruktiv erweitert werden, so dass neue Ideen, Gedanken, Einstellungen und Lösungen bezüglich des Untersuchungsgegenstandes entstehen können.

6.2

Systeme im Erkundungstrichter

Durch die Konstruktion und Simulierung von Systemen mithilfe von Erkundungsaufstellungen sollen grundsätzlich neue Erkenntnisse, Assoziationen und Impulse generiert werden, um in der Praxis das bestehende Orientierungswissen anzureichern und den Handlungsspielraum für Entscheidungssituationen zu erweitern. Das zugrundeliegende Prinzip der Erkundungsaufstellung, wie sie in dieser Forschungsarbeit verstanden wird, ist vor allem dadurch geprägt, dass nicht von einem einzigen möglichen Systemzustand, sondern von mehreren möglichen, parallel verlaufenden Systemzuständen ausgegangen wird. Das Konzept der Erkundungsaufstellung steht für die Idee eines möglichen (noch nicht entdeckten) Systemzustands und verweist somit implizit immer auf die Möglichkeit weiterer, alternativen Systemzustände und -dynamiken. Als Veranschaulichung dieser Offenheit und Pluralität von Systemzuständen und -dynamiken wurde die folgende Abb. 6.2 angefertigt. Diese Darstellung ist angelehnt an der Szenariotechnik, wie sie in der Zukunftsforschung verwendet wird (vgl. Kosow und Gaßner 2008). Die Grundidee des Erkundungstrichters ist, dass wir Menschen in der Regel eine singuläre Sichtweise auf ein System haben, unabhängig davon, ob sich unsere Blickrichtung auf das jeweilige System in die Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft richtet. Je weiter man dieser Anschauung zufolge von seinem Standpunkt in die jeweilige Richtung (Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft) des zu untersuchenden Systems blickt, desto größer wird die (trichterförmige) Öffnung des jeweiligen Möglichkeitsraumes. Somit entsteht ein Raum möglicher Systemzustände und nicht nur ein einziger Systemzustand. All diese möglichen Systemzustände zusammengenommen bilden den gesamten Raum gemeinsamer möglicher Systemzustände. Diese Perspektive auf einen sich weiter öffnenden Möglichkeitsraum ist ein besonders Charakteristikum der Erkundungsaufstellung und grenzt sie von deren Aufstellungstypen ab. Welche weiteren Aufstellungstypen es gibt und welche Unterscheidungen zu den Erkundungsaufstellung getroffen werden können, wird Gegenstand des nächsten Abschnitts sein.

6.2 Systeme im Erkundungstrichter

129

Abb. 6.2 Der Blick durch den Erkundungstrichter. (Eigene Darstellung in Anlehnung an Kreibich 2008)

6.2.1

Modell der Aufstellungstypen

Die Unterschiedsmerkmale der Erkundungsaufstellung zu anderen Aufstellungstypen werden in der unten stehenden Grafik noch einmal deutlicher, indem sie Merkmale der drei wesentlichen Aufstellungstypen in ihren unterschiedlichen Ausprägungen vergleichend darstellt. Die linke Seite der Grafik zeigt dabei die Rolle der Aufstellungsleitung, die rechte Seite die des Anliegergebers/der Anliegengeberin. Beide Seiten müssen nach diesem Modell zusammenpassen, sonst bremsen sie einander aus. Ganz unten befinden sich die Therapieaufstellungen als älteste und bekannteste Aufstellungsform. Therapieaufstellung ist ein Sammelbegriff für Aufstellungen, die in der Regel auf sehr persönliche Familien- oder Beziehungsdynamiken angewendet werden. Es stehen dabei Kontexte von Menschen im Privat- und Familienzusammenhang im Mittelpunkt, die u. a. aufgrund der biographischen

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Erkundungsforschung im Bereich der Pflege-Robotik

Genese zu Blockaden und Verstrickung führen, die gelöst werden wollen, um wieder ein Energie- und ressourcenvollen Zustand zu erlangen. Die Aufstellungsleitung agiert hier vergleichbar in der Rolle des Therapeuten, der unterstützend agiert und Interventionen einleitet, basierende auf der Annahme darüber, was in der Aufstellung zu tun ist, um eine Heilung für seinen/r Klienten*in herbeizuführen. Grundsätzlich werden in Therapieaufstellungen versucht Ordnungen von Familien mithilfe der Aufstellung simuliert herzustellen, damit sich ein besserer Umgang in der Realität damit finden lässt. Die problem- und lösungsorientierten Aufstellungen sind in der Regel Aufstellungen, die im Organisationskontext eingesetzt werden. Die Kontexte beziehen sich auch auf der Beziehungseben in Organisationen und Institutionen. In der Regel werden mittels Problem- und Lösungsaufstellungen eine Reflexion und Intervention bei Führungs- und Teamdynamiken angeboten, die das Ziel verfolgen, die Funktionalität der Organisation zu verbessern. Die Aufstellungsleitung agiert hier vergleichbar mit der Rolle eines/r Beraters*in, der/die eine zielorientierte Haltung einnimmt, um eine Lösung mit seinem/r Klienten*in zu entwickeln bzw. aufzuzeigen. Grundsätzlich wird in Problem- und Lösungsaufstellungen versucht, Lösungsbilder zu erstellen, damit der/die Anliegengeber*in (Manager*in, Funktionsträger*in) eine Idee zur Lösung bekommt. INSA SPARRER (2009, S. 99) schreibt hierzu in ihrem Buch Wunder, Lösung und System: „Das aufgestellte Bild ist […] eine Externalisierung eines inneren Bildes. Das externalisierte Bild hat gegenüber dem inneren Bild den Vorteil, dass dieses externalisierte Bild verändert werden kann, sodass sich die einzelnen Systemteile danach meist wohler fühlen. Dieses neue Lösungsbild kann dann wieder positiv auf die Problemsituation zurückwirken.“

Die Intervention und Veränderung des aufgestellten Systems spielt hier, ebenso wie in der Therapieaufstellung, eine besondere Rolle. Anders verhält es sich jedoch bei Erkundungsaufstellungen (Abb. 6.3). Die Erkundungsaufstellung steht in der Grafik oben und kann für unterschiedliche Ziele eingesetzt werden. Hauptsächlich jedoch kann man die Funktion von Erkundungsaufstellungen idealtypisch als explorative Wissens- und Erkenntniserweiterung bezeichnen, die einen positiven Effekt auf Kommunikation, Zielkonkretisierung und Zielbildung sowie Entscheidungsfindung und Strategiebildung haben. Die explorative Wissens- und Erkenntniserweiterung erfolgt vor allem durch eine Vertiefung des bestehenden Verständnisses über das aufgestellte System. Die Kontexte sind in diesem Zusammenhang zumeist theoretische oder prototypische Konzepte und Ideen, die aufgestellt werden. Es können aber auch

6.2 Systeme im Erkundungstrichter

131

Abb. 6.3 Schema der Aufstellungstypen. (Eigene Darstellung)

Kontexte von Organisationen und Menschen auf diese Art erkundet werden. Die Rolle und Intention ist dann aber eine andere: Sie hat in erster Linie mit einer Erkenntnissuche zu tun und ist weniger emotional aufgeladen als bei bspw. Therapieaufstellungen und unterliegt nicht dem Lösungsdilemma der Problem- und Lösungsaufstellungen. Und da Erkundungsaufstellungen auf der Einschätzung von relevanten Elementen und logischen Polaritäten aufbauen, zwingen sie dazu, bestehende implizite oder auch unbewusste Grundannahmen über Systemzustände zu explizieren. Daher geht es immer darum, ein bestimmtes System besser zu verstehen. Die Aufstellungsleitung nimmt hier mehr die Rolle eines/r Forschers*in ein, der beobachtet und möglichst viel an Daten und Informationen aus der Aufstellung herausholt, ohne zu intervenieren, um für sich und andere große Erkenntnisvielfalt zu ermöglichen. Das Mittel hierfür ist, dass der Anliegengeber*in oder der Betrachter*in sich hinreichend irritieren lässt, so dass etwas Neues entstehen kann. Dabei dient die Erkundungsaufstellung aber nicht alleine dazu, Wissen und Erkenntnis zu produzieren, sondern auch dazu, die Grenzen des Wissens wie Unsicherheiten, Lücken, Dilemmata, Unklarheiten und Komplexität, aufzudecken. Demnach haben Erkundungsaufstellungen ein transformatives Potenzial. Ein zunächst unbekannter Systemraum innerhalb einer Erkundungsaufstellung wird in einen Möglichkeits- und Zukunftsraum transformiert.

132

6.3

6

Erkundungsforschung im Bereich der Pflege-Robotik

Auswertung mit Aufstellungspartitur

Der nächste Schritt, nachdem die Erkundungsaufstellungen durchgeführt worden sind, ist eine systematische Auswertung des „Materials“ im Sinne der qualitativen Sozialforschung. Die dahinterliegende Idee und der Prozess der Auswertung werden in diesem Kapitel näher behandelt. Das methodische Vorgehen der Auswertung von Erkundungsaufstellungen orientiert sich an der Aufstellungspartitur, die eigens von Müller-Christ und Pijetlovic (2018) entwickelt wurde. Eine herkömmliche Transkription für eine Aufstellung reicht nicht aus, um alle Aspekte, die sich während einer Erkundungsaufstellungen zutragen, zu erfassen. Das Ziel der Aufstellungspartitur ist es daher, alle Kontexte, die in der Aufstellung stattgefunden haben, gleichzeitig zu erfassen und die Synchronizität von Wahrnehmungen und Bewegungen festzuhalten (Müller-Christ 2016, S. 16). Darüber hinaus werden alle interessanten, überraschenden oder irritierenden Sinnzusammenhänge aus der Aufstellung in sogenannten Schlüsselsequenzen herauskristallisiert, um daraus die Erkenntnisleitenden Thesen ableiten zu können. Für diesen Zweck dient das Aufstellungsvideo als Datengrundlage der Aufstellungspartitur. Schriftliche Aufzeichnungen reichen nicht aus, um eine umfassende Partitur zu erstellen. In der qualitativen Sozialforschung gibt es nützliche Hinweise, wie ähnliche Methoden beispielsweise Feldpartituren oder Videoanalysen (vgl. Moritz 2011) durchzuführen sind. Die Grundlogik der Aufstellungspartitur orientiert sich sehr stark an diesen Arbeiten. Sie soll eine angemessene Protokollierung des im Rahmen der Aufstellung gewonnenen Datenmaterials ermöglichen sowie die Nachvollziehbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse sicherstellen. Der größte Anteil der Arbeit bei der Aufstellungspartitur besteht darin, dass Aufstellungsvideo in die Partitur zu transkribieren. Dieser Arbeitsschritt ist mit einem hohen zeitlichen Aufwand verbunden, da Systemaufstellungen wesentlich mehr Informationen als Interviews produzieren und auch Bewegungen, Positionierungen im Raum, Emotionen, Gestik und Mimik der Stellvertreter/innen berücksichtigt werden können, die Anhaltspunkte für gehaltvolle Interpretationen und Deutungen sind. Um eine Aufstellungspartitur wirklich nachlesen und prüfen zu können, bedarf es dabei immer des Ausgangmaterials, also eines Aufstellungsvideos. Stehen nur Standbilder zur Verfügung, dann weiß der Leser/in zum einen nicht, was sich nun wirklich in der Aufstellung ereignet hat und zum anderen kann die Güte der Interpretation nicht beurteilt werden. Deshalb sollte die Aufstellungspartitur stets zusammen mit dem Aufstellungsvideo betrachtet werden, um im Video an besonderen Stellen anzuhalten und einzelne Sequenzen genauer

6.3 Auswertung mit Aufstellungspartitur

133

zu analysieren. Die folgende Abbildung ist ein Ordnungsangebot für die Aufstellungspartitur und folgendermaßen aufgebaut (die Beschreibung des Musters beginnt oben und setzt sich nach unten fort):

Abb. 6.4 Muster des Aufbaus einer Aufstellungspartitur. (Quelle: Müller-Christ, 2016)

Damit die dargestellte Abb. 6.4 nachvollzogen werden kann, werden Aufbau und dahinterliegenden Ideen von oben nach unten nun im Detail erläutert: Gesamte Aufstellungsdauer Die erste Zeile gesamte Aufstellungsdauer kann auch mit der Zeitangabe im Aufstellungsvideo gleichgesetzt werden. In dieser Zeile werden zeitliche Angaben der Sequenzen des Aufstellungsvideos eingetragen, um nachvollziehen zu können, welche Sequenz im Aufstellungsvideo sich zeitlich an welcher Stelle wiederfindet. Abschnitte Das Aufstellungsvideo lässt sich in grobe Abschnitte einteilen. Der erste Abschnitt beispielsweise beginnt mit der Übertragung, dann folgt die Platzierung, es kann sein, dass ein neues Element in das System eintritt oder -austritt. Diese offensichtlichen Geschehnisse der Aufstellung werden in Abschnitte eingeteilt.

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6

Erkundungsforschung im Bereich der Pflege-Robotik

Phasen In den jeweiligen Abschnitten der Aufstellung kommt es zu verschiedenen (Aus-) Handlungen, Schwerpunkten sowie Thematiken unter den Systemelementen, die nicht offenkundig sichtbar sind oder ausgesprochen werden. Diese Begebenheiten werden als Phasen bezeichnet und es wird versucht zu verstehen oder sprichwörtlich zwischen den Zeilen zu lesen, was gerade in der jeweiligen Phase inhaltlich passiert. Diese Phase erhält dann einen passenden Titel oder Stichworte als Überschrift. Aufstellungsleitung und Elemente In diesen Zielen werden die Handlungen, Aussagen, Positionen, ggf. Gestik und Mimik der jeweiligen Akteure der Aufstellung eingetragen. Anschlussfähige Aussagen, also Aussagen, die einen Anschluss der Kommunikation auslösen, werden zur besseren Nachvollziehbarkeit in der Partitur mit einer anderen (Hintergrund) Farbe im Feld hinterlegt. Überraschungsfeld In diesem Feld werden alle irritierenden und überraschenden Handlungen, Aussagen, Positionen usw. eingetragen. Das Überraschungsfeld liefert ein Indiz dahingehend, dass es sich um eine Schlüsselsequenz handeln kann. Intuitionsfeld Ist durch die Überraschung oder Irritation vielleicht ein neuer Gedanke oder Geistesblitz entstanden, wird in diesem Feld eine erste intuitive Ahnung, Erkenntnis, Behauptung oder Schlussfolgerung hinsichtlich dieser Überraschung oder Irritation eingetragen. Gruppenfeld Im Gruppenfeld können Interpretationen von Dritten hinsichtlich der Überraschung vermerkt werden.

6.3.1

Partiturschreiben

Das im vorherigen Abschnitt vorgestellte Muster der Aufstellungspartitur wird in eine Excel-Tabelle übertragen. Die Daten aus dem Aufstellungsvideo werden dann dort Schritt für Schritt eingetragen. Der Prozess des Partiturschreibens kann

6.3 Auswertung mit Aufstellungspartitur

135

kategoriengeleitet oder explorativ durchgeführt werden. Doch um aus der Aufstellungspartitur gewonnene Erkenntnisse nachvollziehbar darstellen zu können, muss das Aufstellungsvideo in fortlaufende Sequenzen eingeteilt werden. Die Sequenzen eines Aufstellungsvideos kann man sich wie Noten einer musikalischen Partitur vorstellen. Sowohl Noten als auch Sequenzen eines Aufstellungsvideos entsprechen einer Einteilung in (Sinn-) Einheiten einer Partitur. Diese Herangehensweise der Sequenzierung entspricht der Idee, wie Reichertz (2011) sie in der Anleitung zur qualitativen Videoanalyse in Form der Sequenzanalyse beschreibt. Die Festlegung, was genau eine Sequenz darstellt, orientiert sich an deren Kalibrierung. Wie genau die Sequenzen zu kalibrieren sind, wird im nächsten Abschnitt behandelt. Grundsätzlich geht es im Partiturschreiben darum, sogenannte Schlüsselsequenzen zu identifizieren, aus denen dann neue Erkenntnisleitenden Thesen hinsichtlich der Forschungsfrage(n) entwickelt werden können. Die folgende Abbildung ist ein Beispiel dafür, wie eine Partitur in Excel aussehen kann (Abb. 6.5).

6.3.2

Kalibrierung der Sequenzen

In Feldpartituren für Videoanalysen erfolgt die Kalibrierung beispielsweise in Zeitintervallen. Dort können Sequenzen mal in ganz kleinen Zeitintervallen von bis zu 2 Sekunden oder als längere Intervalle kalibriert werden. Eine Kalibrierung in vorgegebenen Zeiteinheiten wäre hingegen für Aufstellungen weniger praktisch. Für Aufstellungsvideos ist eine dynamische Kalibrierung der Sequenzen sinnvoller. Das bedeutet eine Kalibrierung nach Gestik, Mimik, Bewegungen und Sprache bzw. Kommunikation der Elemente in der jeweiligen Aufstellung. Die Kalibrierung sollte je nach Forschungsfrage und Interesse erfolgen. Geht es beispielsweise um die Frage der grundsätzlichen Beziehung zweier Elemente im System, dann sind gewiss die kleinsten Kommunikations- und Interaktionseinheiten (wie Mimik, Gestik und Ausdruck) von Bedeutung für die Analyse. Geht es in der Frage jedoch um eine allgemeine Betrachtung einer bestimmten Interaktion im System, dann muss die Feinanalyse nicht so detaillierte sein, dann arbeitet die Aufstellungspartitur mit größeren Einheiten, beispielsweise mit Positionswechseln und gesprochenen Sätzen. Bevor also bestimmt werden kann, wie fein die Einteilung der Sequenzen erfolgen sollte, muss eine Kalibrierung erfolgen. Ohne Kalibrierung gibt es keine Orientierung. Die Kalibrierung der Sequenzen in unserer o. g. Beispielaufstellung erfolgte in Bewegung und Kommunikation. Somit beginnt jede neue Sequenz immer dann, wenn ein Element sich bewegt bzw. einen Positionswechsel vorgenommen hat, oder auch durch eine

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6

Erkundungsforschung im Bereich der Pflege-Robotik

Abb. 6.5 Aufstellungspartitur in Excel. (Quelle: Müller-Christ & Pijetlovic 2018)

neue kommunikative Aussage. Um dem Lauf kommunikativer Aussagen verfolgen zu können, hat es sich bewährt zu prüfen, ob die Aussagen oder Bewegungen zu anschlussfähigen Reaktionen bei den anderen Elementen geführt haben. Diese anschlussfähigen bzw. nicht anschlussfähigen Reaktionen können zur besseren Nachvollziehbarkeit in der Aufstellungspartitur mit einer anderen Schrift- oder Hintergrundfarbe hinterlegt werden.

6.3 Auswertung mit Aufstellungspartitur

6.3.3

137

Schlüsselsequenzen identifizieren

Eine Aufstellung kann schon mal bis zu 90 Minuten andauern. Dies hat zur Folge, dass sich daraus mehr als 100 Sequenzen in der Aufstellungspartitur ergeben können. Diese Fülle an Sequenzen können nicht alle inhaltsanalytisch interpretiert werden. Zum einen wäre das eine unglaublich aufwändige Arbeit, zum anderen ist nicht jede Sequenz gehaltvoll und aussagekräftig bezüglich des Forschungsthemas oder der Fragestellung. Daher werden, auch mithilfe der ersten Erkenntnisse aus der Live-Beobachtung der Aufstellung, bei der Durchsicht des Videomaterials sogenannte Schlüsselsequenzen herausgefiltert. Schlüsselsequenzen sind solche, in denen in der Aufstellung für den Erkenntnissuchenden etwas „Überraschendes“ oder „Irritierendes“ aufgetreten ist. Spätestens beim Transkribieren der Aussagen, Bewegungen oder Positionierungen der Stellvertreter zueinander werden alle überraschenden Informationen im „Überraschungsfeld“ der Partitur festgehalten. Dabei sind die Deutungen, die der Gruppe oder dem Transkribierenden intuitiv deutlich werden, besonders zu beachten. Diese Intuitionen werden im Intuitionsfeld der Partitur festgehalten. Beide Felder „Überraschung“ und „Intuition“ bieten somit Potential, um neue Erkenntnisse abzuleiten, aus denen sich neue Hypothesen, Ideen oder Lösungen generieren lassen (Abb. 6.6).

6.3.4

Datenauswertung von Systemaufstellungen

Die Darstellung der Datenaufbereitung hat gezeigt, dass als Ergebnis selektive und subjektive Schlüsselsequenzen am Ende dieses Prozesses stehen. Diese Schlüsselsequenzen sind in sich gehaltvoll, da sie einen ersten Interpretations- und Innovationskern beinhalten und eine Grundlage für tiefere und weitergehende Interpretationen darstellen. In der Sozialforschung ist es so, dass alle qualitativen Ergebnisse der Interpretation bedürfen, damit sie zu Erkenntnissen führen. Wie gelangt man nun zu Erkenntnisleitenden Thesen durch Schlüsselsequenzen? Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese weiter zu analysieren und auszuwerten. Die hier gewählte und nützliche Variante war es, die Daten auf Basis der Hermeneutik und der qualitativen Inhaltsanalyse zu interpretieren. Aber auch die Grounded Theory bietet für eine qualitative Datenanalyse mithilfe der zirkulären Handhabung des Kodierens, dem theoretischem Sampling und der theoretischen Sättigung zur Verdichtung von Konzepten und der Generierung von Thesen ein hohes Potenzial für die Datenauswertung. Welchen Weg man auch einschlägt, das Ziel ist ein regelgeleiteter Erkenntnisgewinn zur Generierung neuer, Erkenntnisleitender

138

6

Erkundungsforschung im Bereich der Pflege-Robotik

Abb. 6.6 Beispiel für eine Schlüsselsequenz. (Quelle: Müller-Christ & Pijetlovic 2018)

Thesen (vgl. Woithe 2018), die den vorhandenen Theorierahmen zu erweitern vermögen. Eine erkenntnisleitende These in der systemischen Anwendung beinhaltet eine qualitative Aussage in Bezug auf ein System, weil die etwas Neues, Unerwartetes und Kontra-Indikatives beschreibt (siehe dazu Abschnitt 3.4) Sie vermag insofern ein systemspezifisches Beziehungsgefüge und/oder Systemwissen aufzuzeigen, das eine neue Qualität beinhaltet. Dieses neue Wissen über ein System ermöglicht in der Praxis eine veränderte Handlungsfähigkeit. Darüber hinaus sollten erkenntnisleitende Thesen eine Anschlussfähigkeit für weitergehende Forschungen ermöglichen, nicht nur im eigenen Forschungsgebiet.

7

Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

„Nur das Unbekannte ängstigt die Menschen; Wenn sie erst in die Ereignisse involviert sind, fürchten sie sich nicht mehr.“ Antoine de Saint-Exupéry

In dem hier folgenden Kapitel werden zwei Erkundungsaufstellungen vorgestellt, die im Rahmen dieser Forschungsarbeit den Versuch darstellen, sich der Thematik der Pflege-Robotik aus der eingeführten Erkenntnisperspektive zu nähern. Das Erkenntnisziel der Erkundungsaufstellungen besteht darin, versteckte Annahmen und bestehendes Wissen hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes hinreichend konstruktiv zu irritieren, um daraus für die Zukunftsweisende Pflegesituation Erkenntnisleitende Thesen ableiten zu können.

7.1

Erkundungsaufstellung I zur Pflege-Robotik

Die erste Erkundungsaufstellung zur Pflege-Robotik fand am 26. Februar 2018 mit Doktoranden und Mitarbeitern des Lehrstuhls für Nachhaltiges Management in den Räumen der Universität Bremen statt. Das Setting der Aufstellung wurde in Zusammenarbeit mit dem Forscher dieses Dissertationsprojekts Denis Pijetlovic als Anliegengeber bzw. Erkenntnissuchenden und der Aufstellungsleitung Georg Müller-Christ im Vorfeld erarbeitet. Das genaue Erkenntnisinteresse der Erkundungsaufstellung ist im nächsten Abschnitt 7.1.1 näher erläutert. Neben

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Pijetlovic, Das Potential der Pflege-Robotik, Systemaufstellungen in Wissenschaft und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31965-6_7

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7

Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

dem inhaltlichen Schwerpunkt wurden auch Messungen mit einem mobilen EEGSystem durchgeführt, um zugleich Aha-Erlebnisse und Veränderungszustände im Gehirn während einer Erkundungsaufstellung näher zu untersuchen. Die gesamte Aufstellungs-Veranstaltung wurde per Videoaufnahme von Dirk Vaihinger vom ZMML (Zentrum für multimediales Lernen an der Universität Bremen) dokumentiert. Die Videoaufnahmen der Erkundungsaufstellungen mit der EEG-Messung befinden sich auf der Uni-Cloud und sind unter dem Link: https://seafile.zfn.uni-bremen.de/d/fb991e90d7a04e5e9213/ einsehbar. Die Bezeichnung der Aufnahmen lautet: Video Pflege-Robotik I. Die Transkription der Erkundungsaufstellung befindet sich im Anlageverzeichnis auf S. 252.

7.1.1

Erkenntnisinteresse der Erkundungsaufstellung

Das Erkenntnisinteresse der Erkundungsaufstellung war schwerpunktmäßig darauf ausgerichtet zu beobachten, wie sich die Hauptakteure im Pflegeprozess (definiert als: Pflegeklienten, pflegende Angehörige, Pflegefachkräfte und Pflegeunternehmen im Spannungsfeld zwischen Menschliche Zuwendung und Materielle Versorgung) auf das Hinzukommen der Pflege-Robotik als neuer Akteur reagieren. Was zeigt sich insgesamt im System und was lässt sich daraus lernen? Was lässt sich über das Wesen der Pflege-Robotik herausfinden? Da die Erkundungsaufstellung für das hier vorliegende Forschungsprojekt stattfand, waren vor allem Reaktionen und Wahrnehmungen der Elemente und Polaritäten auf das Element Pflege-Robotik von Interesse. Dieser Aspekt war allerdings nur ein Teil, den es in der Erkundungsaufstellung zu untersuchen galt. Ein anderer Teilaspekt, neben der inhaltlichen Untersuchung, bestand darin, mithilfe eines mobilen EEG-Systems, dass beim Verfasser dieser Arbeit angeschlossen wurde, die Gehirnwellenaktivität während der Erkundungsaufstellung zu messen und Veränderungen zu beobachten. Dieses Erkenntnisinteresse galt mehr der Validität hinsichtlich der Methode der Erkundungsaufstellung als Trigger für Aha-Erlebnisse, denn wenn Veränderungen im Denken mithilfe von Aufstellungen stattfinden, dann sollte dieser Veränderungsprozess im Gehirn zu messen bzw. zu sehen sein. Da diese Untersuchung jedoch nicht originär zu dem inhaltlichen Thema der Pflege-Robotik gehört, aber dennoch erkenntnisreich und im Zusammenhang mit der Methode der Erkundungsaufstellung interessant ist, werden Hintergründe zu dieser Untersuchung im Exkurs I näher beschrieben.

7.1 Erkundungsaufstellung I zur Pflege-Robotik

7.1.2

141

Das System lesen

Die Erkundungsaufstellung erfolgt doppelt-verdeckt. Das heißt, die Stellvertreter*innen kennen weder das Thema noch die Elemente, die sie repräsentierten. Die Teilnehmer wussten lediglich, dass sich die Aufstellung inhaltlich auf ein Forschungsanliegen bezog. Das Format der Erkundungsaufstellung wird als Spannungsraum zwischen menschlicher Zuwendung und materieller Versorgung angelegt. Diese beiden Ausprägungen werden als grundlegendes Spannungsfeld des Pflegesystems modelliert. Zuerst suchen sich die Kernelemente einen geeigneten Platz im Feld. Anschließend kommt die Pflege-Robotik als das zu fokussierende Element hinzu. Polaritäten

Menschliche Zuwendung: Ein Prinzip des positiven sozialen Handelns in der Pflege von Mensch zu Mensch. Relevante Prämissen sind Zeit, Kommunikation, Aufmerksamkeit, Fürsorge und menschliche Nähe. Materielle Versorgung: Ein Prinzip, dass durch materielle Hilfsmittel und technischen Möglichkeiten eine hohe Qualität der Pflege gewährleistet. Systemelemente Pflege-Unternehmen: Eine wirtschaftliche Organisationseinheit, die zur Aufgabe hat, Pflege-Klienten zu versorgen. Pflegekraft: Mitarbeiter*innen im Pflege-Unternehmen, die PflegeKlienten versorgen und betreuen. Pflege-Klient: Eine Person, die im Alltag auf Hilfen angewiesen ist. Pflegende Angehörige: Personen, die ihre Angehörige familiär bedingt betreuen und versorgen. Pflege-Robotik: Eine Maschine, die in der Pflege zur sozialen Interaktion und Versorgung eingesetzt wird.

7.1.3

Ablauf der Erkundungsaufstellung

Phase 1: Die Kernelemente suchen sich ihren Platz Nachdem das Spannungsfeld aufgestellt werden die Stellvertreter*innen für Pflegeunternehmen, Pflegekräfte, Pflege-Klient und pflegende Angehörige eingeladen,

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Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

sich im Feld eine stimmige Position zu suchen (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:25:20). Es ergab sich folgendes Bild (Abb. 7.1):

Abb. 7.1 Screenshot der Erkundungsaufstellung aus der Videoaufnahme. (Eigene Quelle)

Zur besseren Veranschaulichung und Nachvollziehbarkeit der hier beschriebenen Sequenzen aus der Erkundungsaufstellung wurden die Video-Screenshots in folgende grafische Darstellungen übertragen (Abb. 7.2): Die Elemente Pflegekräfte und Pflegende Angehörige stehen im Spannungsraum deutlich auf der Seite des Pols Menschliche Zuwendung und bilden dort eine enge Dreiecks-Beziehung im System, die von den anderen, wie sie aussagen, als sehr stark wahrgenommen wird. Hierbei stehen die Pflegenden Angehörigen in dieser Anfangsphase eher in einem angespannten Verhältnis zu den Pflegekräften, wie sie sagen, da sie den Eindruck haben, von den Pflegekräfte unter Druck setzt zu werden, die mit einer bestimmten Erwartungshaltung einhergeht. Zitat: „Der Blick von D (Pflegekräften)ist schon fast übergriffig.“ (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:28:23). Dieser Aspekt ist von außen betrachtet zuerst einmal irritierend, da die herkömmliche Meinung ist, dass Pflegende Angehörige eine positive Bindung zu den Pflegekräften haben sollten. Immerhin unterstützen sich beide im Pflegeprozess im gesundheitlichen Sinne für den Pflege-Klienten. Allerdings kann diese unreflektierte Annahme durchaus ein Zeichen dafür sein, dass diese Erwartungshaltung sich als „Wunschdenken“ des Forschers entpuppt. Um also zu verstehen,

7.1 Erkundungsaufstellung I zur Pflege-Robotik

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Abb. 7.2 Erste Konstellation der Erkundungsaufstellung I als Videoausschnitt und als Grafik. (Eigene Darstellung)

wieso Pflegende Angehörige die Wahrnehmung beschreiben, dass Pflegekräfte etwas von ihnen erwarten, sollte das Verhältnis dieser beiden Akteure genauer betrachten werden. An welchen Stellen begegnen sich die beiden Akteure im Pflegeprozess? Gibt es Hinweise und gesichertes Wissen darüber, wie die beiden Akteure übereinander denken? An welchen Stellen gibt es Berührungspunkte im Pflegeprozess? Wie verläuft die Zusammenarbeit? Wo können Spannungen auftreten? All diese Fragen entstehen, wenn in der Erkundungsaufstellung das auf den ersten Blick unstimmige Verhältnis dieser beiden Akteure betrachtet wird. Ein Gedankengang in diesem Zusammenhang ist, dass die pflegenden Angehörigen durchaus wissen, dass die (Arbeits-) Situation von den Pflegekräften aktuell sehr herausfordernd ist und Pflegekräfte generell mehr Unterstützung, vor allem von pflegenden Angehörigen, benötigen. Die Art der Unterstützung kann eine politische sein, indem sich pflegende Angehörige als Wähler- bzw. Interessengruppe für bessere Arbeitsbedingungen, mehr Wertschätzung und bessere Entlohnung in der Pflege generell einsetzen. Laut der Pflegestatistik 2017 werden aktuell die meisten

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Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

Pflege-Klienten mit 51,7 % immer noch von den pflegenden Angehörigen unterstützt. Im Vergleich werden 24,3 % ambulant durch einen Pflegedienst versorgt und 24 % sind in stationären Einrichtungen in der Pflege. Demensprechend sollten beide Akteure ein immenses Interesse haben, dass sich die Pflegesituation in deren Sinne verbessert. Sie sitzen beide im selben (Pflege-)Boot. Vielleicht kann damit die wahrgenommene Erwartungshaltung nachvollziehbar werden. Die Pflege-Klienten nehmen sich insgesamt als sehr starkes Element wahr, die, wie sie sagen, gern unabhängig agieren möchten. Die Pflege-Klienten stehen mittig zwischen den beiden Polaritäten, weil, wie sie erklären, ausreichend Platz benötigen. Die Blickrichtung richtet sich auf die Pflegeunternehmen. Darüber hinaus spüren sie eine starke Verbindung zu den pflegenden Angehörigen, aus der nach bekunden der Akteure etwas Konstruktives entstehen kann (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:29:35). Das Element Pflegekräfte verspürt, wie es ausdrückt, eine große Nervosität, als sie ins System eintreten. Das Element hat das Gefühl, dass etwas auf ihnen lastet, sie empfinden demnach das System als „…erdrückend, so eine Last und das macht mich nachdenklich…und ich kann den anderen nicht so gut zuhören“ und sie erhoffen sich irgendetwas von den pflegenden Angehörigen. Darüber hinaus äußeren sich sind die Pflegekräfte erleichtert, dass die Pflege-Klienten sie nicht so stark wahrnehmen (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:30:22). Das Element Pflegeunternehmen steht etwas außerhalb des Spannungsfeldes. Nach eigenem Bekunden sind sie sehr darin bemüht unabhängig zu sein und diese Unabhängigkeit kann nur gewährleistet werden, wenn die Pflegeunternehmen neutral bleiben, sich nicht zuordnen und sich nicht einer der beiden Polaritäten stellen (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:30:50). Aus der Perspektive der Polarität Materiellen Versorgung sieht das ganze System irgendwie anstrengend aus. Für die Materielle Versorgung sind es, wie gesagt wird, vor allem die Elemente Pflegeunternehmen und die Pflege-Klienten, die die ganze Zeit Resonanz einfordern, obwohl sie unabhängig sein wollen. Die Materielle Versorgung empfindet, dass das in keinem Zusammenhang steht „…und was die beiden tun und sagen, ist gegensätzlich“ (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:31:40). Die Polarität Menschliche Zuwendung nimmt das System und die Elemente als sehr anstrengend wahr. Dass das Element Pflegende Angehörige bei der Menschlichen Zuwendung steht, fühlt sich für die Menschliche Zuwendung unstimmig an (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:32:20). Von allen Elementen wird der Zustand des Systems auf einer Skala von 1 = sehr krank bis 10 = sehr gesund, mit 3–4 als eher krank bewertet (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:33:30).

7.1 Erkundungsaufstellung I zur Pflege-Robotik

145

Phase 2: Die Pflege-Robotik betritt die Systembühne Der Erkundungsprozess in der geschilderten Aufstellung geht durch das Hinzukommen der Pflege-Robotik in die zweite Phase (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:35:50). Das Element Pflege-Robotik hat in einem Suchprozess nach einer guten Positionierung im System exakt den Platz eingenommen, wo zuvor in der ersten Phase die Pflege-Klienten gestanden hatten. Anfangs ist die Beziehung der PflegeRobotik zu den anderen Elementen problematisch, sie fühlt sich von den anderen Elementen nicht willkommen und spürt eine ablehnende Haltung, wie sie sagt. Sie nimmt sich selbst als fremd und unbestimmt wahr und ihr fehlen Informationen über das System, damit sie sich besser fühlen kann, so die Äußerung des Elements (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:37:50). In der 2. Phase hat sich folgendes Systembild ergeben (Abb. 7.3):

Abb. 7.3 Konstellation in der zweiten Phase der Erkundungsaufstellung I

Für die Polarität Materielle Zuwendung ist es grundsätzlich positiv und schön, wie ausgedrückt, dass die Pflege-Robotik da ist und möchte gerne mit ihr kuscheln (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:38:25).

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Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

Die Menschliche Zuwendung findet das Hinzukommen der Pflege-Robotik ebenfalls erst einmal gut, vor allem weil es dazu geführt hat, dass die pflegenden Angehörigen sich von der Menschlichen Zuwendung fortbewegt haben. Dadurch fühlt sich die Menschliche Zuwendung, wie sie bekundet, deutlich leichter und kann besser im System sein (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:38:51). Andererseits empfindet die Menschliche Zuwendung, dass die Pflege-Robotik unglaublich viel Macht hat und es für sie den Anschein macht, als ob die Pflege-Robotik mit den anderen Elementen des Systems spielt. Die Menschliche Zuwendung stört sich daran, dass die Pflege-Robotik überall und mit jedem im System kokettiert. Dieses Kokettieren ist der Menschlichen Zuwendung zu spielerisch, weil es ihr im System grundsätzlich um etwas Ernsthaftes geht und eine Belastung des gesamten Systems ausgehalten werden muss, die durch die Art, wie sich die Pflege-Robotik verhält, nicht ausreichend gewürdigt und mit Ernsthaftigkeit behandelt wird (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:39:31).

Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik Nr. 8:

Der Einsatz von Pflege-Robotik in der pflegerischen Betreuung muss anhand verbindlicher ethischer Richtlinien situationsspezifisch beurteilt werden. Der Einsatz von Pflege-Robotik hängt nicht allein von technischen und wirtschaftlichen Aspekten ab, sondern berührt das Zusammenleben der Menschen und die Werte der Gesellschaft. Die Beachtung von ethischen Prinzipien wie Autonomie, Schutz vor Schaden, Fürsorge und Gerechtigkeit sind zentrale Bedingungen für den Einsatz von Pflege-Robotik. Mit dem Grad der Autonomie der Pflege-Robotik steigen die ethischen Bedenken, weshalb diesen Geräten besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Für das Element Pflegende Angehörige kommt durch die Pflege-Robotik zum ersten Mal Bewegung ins System. Das zeigt sich auch, indem die pflegenden Angehörigen sich in Richtung der Pflege-Robotik bewegt haben. Die Bewegung kam jedoch nur zustande, weil sich zuerst die Pflege-Klienten bewegt haben. Dieser Bewegungsimpuls der pflegenden Angehörigen lässt in dem Element einen inneren Dialog über die Frage aufkeimen, was die Pflege-Robotik in Wirklichkeit ist. Dieses Nicht-Wissen führt dazu, dass die pflegenden Angehörigen das gesamte

7.1 Erkundungsaufstellung I zur Pflege-Robotik

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System nicht mehr verstehen und es komplett Infrage stellen. Dieser innere Prozess führt dazu, dass die pflegenden Angehörigen zum ersten Mal über ihre eigene Funktion nachdenken. Sie fragen sich, wer sie selber in diesem System wirklich sind. Ein weiterer Effekt, der durch das Hinzukommen der Pflege-Robotik ausgelöst worden ist, ist, dass die pflegenden Angehörigen dadurch die Gelegenheit erhielten, sich von der einseitigen Verbindung zu den Pflegekräften zu lösen, die sie als anstrengend wahrgenommen haben. Des Weiteren haben die pflegenden Angehörigen den Eindruck, dass durch die Pflege-Robotik zum ersten Mal die Materielle Versorgung stärker in den Fokus rückt und eine sinnvolle Option darstellen könnte (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:40:48). Die Pflege-Klienten haben ein „richtig gutes Gefühl“ hinsichtlich der PflegeRobotik. Sie nehmen die Pflege-Robotik als jung und dynamisch war, die eine Veränderung im System bewirken kann. Für die Pflege-Klienten stellen besonders die Pflege-Robotik gemeinsam mit den pflegenden Angehörigen ein gutes Paar dar. Die Pflege-Klienten unterstreichen ihren Eindruck mit der folgenden Aussage: „Die stehen irgendwie für sich, aber zusammen sind sie eine gute Mischung“ (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:41:25). Der wesentliche Unterschied für die Pflegekräfte durch das Hinzukommen der Pflege-Robotik ist, dass es ihnen deutlich schlechter geht als vorher. Die Pflegekräfte haben das Gefühl zusammenzubrechen und würden sich gerne an die Menschliche Zuwendung anlehnen. Als die Pflege-Robotik auf ihren Suchprozess nach einer stimmigen Position im System kurz bei den Pflegekräften standen, hatten diese zwar das Gefühl, unterstützt zu werden, aber dieses Gefühl war dann nur von kurzer Dauer (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:41:54).

Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik Nr. 9:

Wie der Pflegeprozess im häuslichen Bereich gestalten wird, ist flächendeckend schwer zu analysieren. Durch den Einsatz von Pflege-Robotik kann dieser Bereich transparenter werden. Allerdings wird die Verantwortung dadurch zunehmend mehr auf die Pflege-Klienten und deren pflegenden Angehörigen übertragen. Eine grundsätzliche Tendenz in der Pflege ist, die Aufenthaltsdauer in Kliniken auf ein Minimum zu reduzieren und die Versorgung im ambulanten und häuslichen Bereich zu verlagern. Dort kann Pflege-Robotik die Pflege-Klienten und pflegende Angehörige im Pflegemanagement unterstützen. Einerseits ist das wirtschaftlich sinnvoll, andererseits kann es

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Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

Betroffene auch überfordern und erfordert spezielle Unterstützungsangebote, damit sie mit der Anwendung nicht allein gelassen werden durch bspw. Schulungen, Beratung, Servicehotline (vgl. Butter et al. 2008; Johnson et al. 2007; Rupp et al. 2011 zitiert in Becker et al. 2013, S. 151). Es bleibt die Frage, wie der Datenschutz beim Einsatz von Pflege-Robotik im häuslichen Bereich gewährleistet werden kann. Hier geben die PflegeKlienten viel von sich preis und damit die Verantwortung für ihre persönlichen Daten ab. Die Klärung der Verantwortung für die Daten ist enorm wichtig. Nachdem alle Elemente sich in dieser Phase geäußert haben, fragt die Aufstellungsleitung bei der Pflege-Robotik nach, wie sie sich nach den Aussagen fühlt und ob sie einen Impuls hat, darauf reagieren (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:42:11). Phase 2a: Pflege-Robotik setzt Dynamik im System frei Die Pflege-Robotik hat nach eigener Aussage die ganze Zeit wahrgenommen, dass die Pflegekräften im System sich in keinem guten Zustand befinden. Die PflegeRobotik wäre auch gerne bei den Pflegekräften als Unterstützung stehen geblieben, aber sie fühlt sich dort nicht willkommen. Der Pflege-Robotik ist es grundsätzlich wichtig, dass es allen gut geht, aber sie fühlt sich außerstande, dieses Ziel für alle zu gewährleisten (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:42:32). Die Pflegekräfte finden die Pflege-Robotik zwar sympathisch, aber sie stören sich an der Leichtigkeit, die von der Pflege-Robotik ausgeht. Die Pflegekräfte haben das Gefühl, dass die Situation im System nur mit ausreichend Ernsthaftigkeit begegnet werden kann. Und als beispielsweise die Pflege-Robotik neben der Menschlichen Zuwendung stand und mit ihr „geschäkert“ hat, hat dies die Pflegekräfte massiv gestört, da es der ersthaften Lage nicht gerecht worden ist (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:43:00). Die pflegenden Angehörigen wiederum finden die Aussagen der Pflegekräfte unerträglich. Sie sagen: „Die Pflegekräfte kosten mehr als dass sie was nützen“ (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:43:35). Weitere interessante Aussagen wurden von den Pflegeunternehmen getätigt, die der Pflege-Robotik grundsätzlich positiv gegenüber eingestellt sind. Sie sagen: „Ich mag die Pflege-Robotik. Sie bringt so ein bisschen Licht und Hoffnung in das sonst eher graue und triste System.“ Die Pflegeunternehmen sind jedoch

7.1 Erkundungsaufstellung I zur Pflege-Robotik

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der Meinung, dass die Pflege-Robotik auf ihrer aktuellen Position nichts bewirken kann. In diesem Zusammenhang sagen die Pflegeunternehmen weiter: „Es ist zwar schön, dass die Pflege-Robotik da ist und es ist das Licht am Horizont, aber es hilft uns nichts. Das System wird dadurch nicht gesünder, noch werden irgendwelche Entwicklungen eingeleitet.“ Für die Pflegeunternehmen beruht der Zustand des Systems auf einem einzigen großen Missverständnis zwischen den beiden Polaritäten Menschliche Zuwendung und Materielle Versorgung. Nach Ansicht der Pflegeunternehmen muss erst einmal die Kommunikation unter den Akteuren bezüglich der beiden Polaritäten verstärkt in Gang kommen, um die Streitigkeiten zu beseitigen. Dabei kann die Pflege-Robotik noch nicht helfen. Für die Pflegeunternehmen kommt die Pflege-Robotik erst dann ins Spiel, wenn dieser Zustand zuvor geklärt worden ist (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:44:18). Nach Ansicht der Materiellen Versorgung stellt nicht das Spannungsfeld zwischen ihr und der Menschlichen Zuwendung ein Problem dar. Ihrer Meinung nach provozieren die Pflegekräfte durch ihre Position im System die Materielle Versorgung. Sie finden, dass die Pflegekräfte eigentlich an eine andere Position im System gehören (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:45:13). Die Pflegekräfte reagieren auf die Aussagen der Materiellen Versorgung mit folgender Äußerung: „Ich will nicht provozieren. Ich will nur überleben“ (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:45:19). Für die Pflege-Klienten hat es den Anschein, als wenn die Pflegekräfte das System „nach unten ziehen“ und „energiesaugend“ sind. Sie können nicht die Probleme sehen, die die Pflegekräfte anscheinend haben und möchten gerne von den Pflegekräften wissen, worin sie das Problem sehen (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:45:44). Die Menschliche Zuwendung sagte in diesen Zusammenhang: „Für mich ist es so, als wenn alle ein Feindbild gesucht haben und es bei den Pflegekräften gefunden haben“ (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:45:53). Auch für die pflegenden Angehörigen befinden sich die Pflegekräfte nicht an der richtigen Position und sie würden sie gerne „umpflanzen“, um einen besseren Platz für sie im System zu finden. Dieser neue, umgepflanzte Platz der Pflegekräfte sollte nach Ansicht der pflegenden Angehörigen vielmehr auf der Seite des Pols der Materiellen Versorgung angesiedelt sein, anstatt dass sich die Pflegekräfte so sehr auf die Menschliche Zuwendung fixieren. Diese Position der Pflegekräfte bei der Menschlichen Zuwendung geht nach Ansicht der pflegenden Angehörigen von falschen Voraussetzungen aus, denn man denkt, etwas bekommen, was man dort jedoch letztendlich nie erhalten wird. Daher werden die Positionierung und Fokussierung der Pflegekräfte auf die Menschlichen Zuwendung nach

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Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

Meinung der pflegenden Angehörigen systemisch nie funktionieren (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:46:50). Die Pflegekräfte haben Verständnis für die Ansichten und Aussagen der anderen Akteure. Insgesamt empfinden es die Pflegekräfte als lindernd, dass die anderen Akteure sie überhaupt beachten und um sie sorgen. Dass sich andere Akteure durch ihre Position „runtergezogen“ fühlen, können die Pflegekräfte nachvollziehen, aber sie selber sehen sich nicht in der Lage, diese Situation systemisch beeinflussen zu können, da die Bindung zu der Menschlichen Zuwendung zu stark ist. Sie geben zu, dass ein Verhältnis der Abhängigkeit besteht (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:47:20).

Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik Nr. 10:

Es ist fraglich, ob der Einsatz von Pflege-Robotik tatsächlich dazu führen wird, dass Pflegekräfte mehr Zeit haben werden, sich der Menschlichen Zuwendungim Pflegeprozess widmen zu können, weil neu gewonnene Zeiteinheiten im kapitalistischen Wirtschaftssystem in der Regel für Produktivitätssteigerungen eingesetzt werden. Die Pflege-Robotik könnte dazu führen, dass bei den Pflegekräften zwei innere Anteile immer stärker miteinander in Konflikt geraten. Das wäre auf der einen Seite der Anteil, was die Pflegekräfte „wollen“; was dem Ethos zu zuschreiben ist und sich an der Menschlichen Zuwendung orientiert. Auf der anderen Seite besitzen die Pflegekräfte den Anteil des „professionellen Könnens“, der sich in deren fachlichen Kompetenz in der Versorgung von Pflege-Klienten widerspiegelt. Durch das Hinzukommen der Pflege-Robotik könnte den Pflegekräften ungewollt suggeriert werden, dass ihr Wunsch und die Forderung nach mehr Zeit für Menschliche Zuwendung endlich Berücksichtigung finden. Jedoch kann sich diese mögliche Annahme der Pflegekräfte nach mehr Menschlicher Zuwendung letztendlich als Trugschluss erweisen. Daher sollte idealerweise, bevor die Pflege-Robotik in das Pflegesystem Einzug hält, das innere Spannungsverhältnis von Ethos und Fachkompetenz der Pflegekräfte in Balance gebracht werden.

Die Pflege-Robotik wiederrum zeigt eine erhöhte Freude daran, sich bewegen zu wollen: „Ich habe das Gefühl, wenn ich stehen bleibe, dann versinke ich in einen Morast.“ Daraufhin leitet die Aufstellungsleitung die nächste Phase ein und fordert die Pflege-Robotik auf, jedes andere Element im System unter dem

7.1 Erkundungsaufstellung I zur Pflege-Robotik

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Motto: „Lernt mich kennen!“ einmal zu besuchen (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:48:55). Phase 3: Die Pflege-Robotik lernt jeden Akteur kennen Die Pflege-Robotik nimmt auf der Reise in dieser weiteren Phase viel Wohlwollen der anderen Akteure ihr gegenüber wahr und scheint ihr so vorzukommen, als wenn das System etwas von ihr benötigen würde, sie aber nicht in der Lage ist, dies zu geben. Dieses Gefühl, die Ansprüche der anderen Elemente nicht erfüllen zu können, lässt bei der Pflege-Robotik den Eindruck entstehen, dass sie nicht Teil des Systems werden kann. Und wenn sie ein Teil wäre, dann besteht ihrer Meinung nach die Gefahr, von dem System „aufgefressen“ zu werden (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:50:30). Zu Beginn dieser neuen Phase 3 hat sich folgendes Systembild ergeben (Abb. 7.4):

Abb. 7.4 Phase 3 der Erkundungsaufstellung I

Die Materielle Versorgung hat das Gefühl, dass die Pflegeunternehmen mit ihrer Vermutung aus der vorherigen Phase recht hatten und dass das gesamte System noch nicht bereit ist für die Pflege-Robotik. Die spielerische Lockerheit

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Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

der Pflege-Robotik wird aus der Perspektive der Materiellen Versorgung im System gebraucht, damit sich etwas bewegen kann (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:51:12). Die Menschliche Zuwendung findet die Lockerheit und das Verspielte der Pflege-Robotik fehl am Platz für die Last, die das System zu tragen hat. Anderseits hat sie sich mittlerweile an die Art der Pflege-Robotik gewöhnt und sagt: „Steter Tropfen höhlt den Stein“. Ihrer Ansicht nach führt die Gewohnheit dazu, dass man diese Art akzeptiert und eine Veränderung im System anscheint mit dieser Irritation einhergehen muss, die erst einmal Chaos und Hektik auslöst (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:51:59). Die Pflege-Klienten machen sich Sorgen, weil die pflegenden Angehörigen in dieser neuen Konstellation alleine im System dastehen und sich eine Ungewissheit bei den Pflege-Klienten einstellt, ob die pflegenden Angehörigen diese Situation alleine stemmen können (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:52:48). Immer wenn die Pflege-Robotik hinter den Pflegekräfte gestanden hat, geht es den Pflegekräften besser und auch genau da bleibt die Pflege-Robotik stehen (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:53:18). Die pflegenden Angehörigen haben im Laufe dieser Phase ein Gefühl von Wut bei sich festgestellt, die auf die Pflege-Robotik als Auslöser zurückzuführen ist. Die pflegenden Angehörigen empfinden sich immer mehr als unbeweglich, starr und selbstbezogen sowie dass sie Rechte und Ansprüche haben. Die pflegenden Angehörigen äußern ihre Unzufriedenheit mit der Entwicklung der Pflege-Robotik und sie haben sich mehr durch ihren Einsatz im System erhofft. Auch die Position der Pflege-Robotik hinter den Pflegekräften stört die pflegenden Angehörigen massiv und sie sehen darin eine Gefahr: „Die Pflege-Robotik ist wie ein Bindemittel, dass die Pflegekräfte wegwaschen sollen, wie so ein Spülmittel.“ Insgesamt haben die pflegenden Angehörigen den Eindruck, dass der Pflege-Robotik viel zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wird und sie selber aus ihrer Sicht viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Dieses Gefühl alleine gelassen zu sein, macht die pflegenden Angehörigen „richtig sauer“ (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:55:45). Dadurch, dass die Pflege-Robotik sich im Laufe dieser Phase fest hinter den Pflegekräften in einer Art Janusköpfigkeit positioniert hat, entsteht der Anschein, als ob die beiden Elemente, Rücken an Rücken, miteinander verschmelzen. Diese Dualität, also vorwärts und rückwärts blickend als zwei Elemente, lässt die Pflegekräfte sich im System wieder stärker fühlen. Es ist bislang die stärkste Verbindung von zwei Elementen in der gesamten Erkundungsaufstellung und es scheint so zu sein, als ob diese Verbindung der Ursprung für etwas Neues sein könnte. Das Bild des Januskopfs könnte auch die Möglichkeit einer engeren bzw. direkteren Schnittstelle zwischen Mensch (Pflegekraft) und (Pflege-)Roboter über BCI

7.1 Erkundungsaufstellung I zur Pflege-Robotik

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(Brain-Computer-Interaction) darstellen (dazu mehr in der 8. Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik). Des Weiteren führt der Zustand der Janusköpfigkeit zu einer Öffnung und Neuausrichtung der Pflegekräfte mehr auf die Mitte und den anderen Elementen zugewandt. Allerdings sind die Pflegekräfte sehr enttäuscht darüber, dass ihre Entwicklung nicht von den anderen Elementen wahrgenommen worden ist. Die Pflegekräfte hätten durch ihre Neuausrichtung erwartet, dass dies bei den anderen Akteuren dazu führen würde zu sagen: „Jetzt geht’s voran!“, jedoch ist dies nicht geschehen und aus Sicht der Pflegekräfte ein Indiz dafür, dass alle Elemente letztlich nur auf sich selbst ausgerichtet sind (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:56:15).

Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik Nr. 11:

Eine direkte Verschaltung durch z. B. Gehirn-Computer-Schnittstellen (BCI) von Pflegekräften mit technischen Assistenzsystemen und Robotik, könnte die körperintensiven Arbeitsbedingungen in der (Alten-)Pflege erleichtern. Dieser Aspekt würde dazu beitragen, dass die Berufsgruppe der Pflegekräfte deutlich an Innovation gewinnt. Maschinen, Computer und Roboter können heutzutage bereits mithilfe von Gehirn-Computer-Schnittstellen kurz BCI (Brain-Computer-Interface) durch eigene Gedankenkraft gesteuert werden. Die Technologie der GehirnComputer-Schnittstelle basiert auf der Beobachtung, dass allein die Vorstellung eines Verhaltens ausreicht, eine messbare Veränderung der elektrischen Gehirnaktivität auszulösen. Beispielsweise führt die Vorstellung, eine Hand oder einen Fuß zu bewegen, zur Aktivierung des motorischen Kortex. In einem Trainingsprozess lernt das Brain-Computer-Interface (also sowohl der Rechner als auch der Mensch), welche Veränderungen der Hirnaktivität mit bestimmten Vorstellungen korreliert sind. Diese Information kann dann in Steuersignale für diverse Anwendungen umgewandelt werden. Die Financial Times veröffentlichte ein Video (https://www.altran.com/nl/en/ insight/ft-industrial-tech-videos-factory-4-0/), das ein futuristisches BrainComputer-Interface zeigt, das von dem Unternehmen Altran entwickelt wurde und auf einem mobilen EEG-System basiert. Die neuronalen Inputs werden in einer Fertigungsumgebung angewendet, um Fabrikroboter zu steuern, mit dem Ziel, Unternehmen und die Arbeitsweise der Menschen letztendlich zu optimieren. Die Einführung von Neurotechnologie in der Arbeitswelt stellt eine neue Möglichkeit dar, wie Bediener mit Maschinen

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Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

interagieren und mithilfe ihres Verstandes bewegen. Dies soll dazu beitragen, die Sicherheit zu erhöhen, die Fähigkeit zur Überwachung und Führung von Robotern zu verbessern und die Gesamtproduktivität zu steigern. Eine solche technologische Innovation wäre auch im Pflegebereich für Pflegekräfte denkbar, die technische Assistenzsysteme wie Betten, Rollstühle, Wagen, Türen u.v.m. via Gedankenkraft steuern könnten.

Phase 4: Neue Pflege-Robotik mit medizinischem Fachwissen Im Übergang zu dieser Phase hat die Aufstellungsleitung in der Erkundungsaufstellung eine experimentelle Intervention durchgeführt und das Element Pflege-Robotik umgepolt. Umpolung bedeutet, dass das Element von der Aufstellungsleitung eine neue, erweiterte oder eine andere Information und Qualität erhält als es zuvor hatte und eingeladen ist, auf die sich neu einzustellende Selbstwahrnehmung zu achten (Varga von Kibed und Sparrer 2011, S. 233). In diesem Fall hat die Aufstellungsleitung die Pflege-Robotik in eine sehr gut informierte und diagnostische Pflege-Robotik mit medizinischem Fachwissen umgepolt. Die anderen Elemente wurden daraufhin ebenfalls eingeladen, auf diese Umpolung zu reagieren und ihre Wahrnehmungen auszudrücken (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:58:45). In dieser Phase hat sich folgende Systemkonstellation gebildet (Abb. 7.5): Für die Materielle Versorgung wurde nach der Umpolung immer deutlicher, dass die Pflegekräfte lediglich die Unterstützung der Pflege-Robotik benötigt haben, um sich weiterentwickeln zu können. Darüber hinaus verstetigt sich bei der Materiellen Versorgung der Eindruck, dass die Pflege-Robotik nicht zu diesem System gehört, sie allerdings eine positive Wirkung auf die Pflegekräfte ausübt, die grundsätzlich zu begrüßen ist (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 00:58:58). Ein wesentlicher Unterschied für die pflegenden Angehörigen in dieser Phase ist, dass die Pflegekräfte sich zu ihnen an die Seite bewegt haben. Diese Bewegung, ausgelöst durch die neue Pflege-Robotik mit medizinischem Fachwissen, wird von den pflegenden Angehörigen extrem begrüßt. Weiter ist es so, dass nach Ansicht der pflegenden Angehörigen die beide Elemente, also pflegenden Angehörigen und Pflegekräfte, dennoch in die falsche Richtung schauen. Die pflegenden Angehörigen möchten die Pflegekräfte gerne einladen, ihren Blick in Richtung der Materiellen Versorgung zu richten. Des Weiteren betonen die pflegenden Angehörigen, dass für sie die Pflege-Robotik vorher eine falsche Pflege-Robotik war, die aber einen positiven Effekt hatte und gute Arbeit geleistet hat. Sie hätten sich

7.1 Erkundungsaufstellung I zur Pflege-Robotik

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Abb. 7.5 Phase 4 der Erkundungsaufstellung I

aber lieber eine Pflege-Robotik mit Herz gewünscht. Die pflegenden Angehörigen führen diesen Zusammenhang weiter aus, dass sie nämlich erst durch die Pflege-Robotik erkannt haben, dass den Pflegekräften das „(..) innere Herz, die Kraft und der Enthusiasmus“ fehlen. Die pflegenden Angehörigen haben den Eindruck, dass mit den Pflegekräften funktionell alles in Ordnung zu sein scheint, sie sehnen sich aber mehr nach „diesem Herzen“ für die Pflegekräfte (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 01:01:35). Die Pflege-Klienten schließen sich der Meinung der pflegenden Angehörigen an, dass auf der Seite der Materiellen Versorgung für das gesamte System die Zukunft liegt. Diese neue Phase mit der Umpolung der Pflege-Robotik nehmen die Pflege-Klienten insgesamt als Verschlechterung wahr, denn die Pflegekräfte und pflegenden Angehörigen schauen nach deren Ansicht in die falsche Richtung. Die Pflege-Klienten betonen, dass für sie die Pflege-Robotik sich künstlich anfühlt und als würde man von außen die Pflege-Robotik zwanghaft ins System hineinbefördern wollen. Die zuvor lustige und freudige Art der Pflege-Robotik passte nach Ansicht der Pflege-Klienten überhaupt nicht in dieses System. Die neue PflegeRobotik mit medizinischem Fachwissen passt den Pflege-Klienten dann schon eher rein (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 01:02:33).

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Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

Die Pflegekräfte finden die neue Pflege-Robotik mit medizinischem Fachwissen sehr praktisch, bei der man alles abladen kann. Die Pflegekräfte sagen dazu weiter: „Die neue Pflege-Robotik ist wie ein Mittel zum Zweck, die verwendet wird und wenn sie abgenutzt ist, wird sie weggeschmissen“ (vgl. Video PflegeRobotik I ab 01:03:27). Die Pflegekräfte empfinden zwar etwas Demut, wenn sie zu der Materiellen Versorgung blicken, aber zum ersten Mal fühlen sie sich stabil und kann ihre Last bei der neuen Pflege-Robotik mit medizinischem Fachwissen lassen. Dennoch haben die Pflegekräfte den Eindruck, dass das alles eine große Inszenierung mit der Pflege-Robotik ist, weil man dort gut hingucken und gut darüber reden kann. Die Pflege-Robotik ist demnach nicht der Kern des Systems, es wird jedoch als gut befunden, dass es inszeniert wird und alle so tun, als wenn es das wäre (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 01:03:35). Die Pflegeunterhemen haben einen ganz anderen Eindruck von der neuen Situation und sagen hierzu: „Ich sehe das komplett anders. Für mich ist die neue Pflege-Robotik mit medizinischem Fachwissen etwas Bloßstellendes, wie ein Röntgenstrahl oder Röntgenblick. Sie kann alles durchleuchten, wenn sie will und auf jedes einzelne Defizit und jeden Makel zeigen. Und den Finger direkt in die Wunde legen, und deswegen habe ich auch ein bisschen Angst vor der neuen Pflege-Robotik, dass sie sagt, dass die Pflegeunternehmen schuld sind und einen Fehler gemacht haben“ (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 01:03:59) Die Pflege-Robotik fühlt sich in dieser Phase nach der Umpolung und den Aussagen der anderen Elemente, ein bisschen wie ein Qualitätsmanagement-Standard nach ISO 9001, so wie es in Arztpraxen installiert wird, um dort den Ablauf zu verbessern. So eine Standardisierung wiederrum hat keinen Einfluss auf die Qualität der medizinischen Behandlung. Die neue Pflege-Robotik mit medizinischem Fachwissen unterstreicht ihre Meinung weiter: „Das ist ein BWLer Kontext in einem Kontext der Medizin, was überhaupt gar keinen Sinn macht. Oder nur Arbeit, weil es das System beschäftigt und es kümmert sich nicht um seinen eigentlichen Kern, nämlich die medizinische Versorgung.“ (vgl. Video PflegeRobotik I ab 01:05:20). Die Pflege-Robotik nimmt sich als eine willkommene Ablenkung wahr, so dass die anderen Elemente sich nicht mit dem Kernproblem des Systems beschäftigen müssen. Die Pflege-Robotik sagt dazu: „Das System muss sich mit sich selbst beschäftigen und anschauen und nicht auf die Pflege-Robotik schauen. Das ist nur eine Ausflucht, die gar keinen Sinn macht. Die anderen Elemente werden nie vorankommen, wenn sie sich mit der Pflege-Robotik beschäftigen“ (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 01:06:02).

7.1 Erkundungsaufstellung I zur Pflege-Robotik

157

Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik Nr. 12:

Eine gelungene Inszenierung der Pflege-Robotik im Pflegesystem kann einen positiven Beitrag dazu leisten, dass die Relevanz der Pflege insgesamt stärker in den gesellschaftlichen Vordergrund rückt und somit die Attraktivität der Berufsgruppe der Pflegekräfte steigen lässt. Auch wenn es noch nicht klar ist, inwieweit die Pflege-Robotik für das Pflegesystem einen Nutzen erbringen wird, kann es unter Umständen sinnvoll sein, die Pflege-Robotik als zukünftiges Erfolgsmodell schon jetzt zu inszenieren. Der Begriff der Inszenierung kommt aus dem Theater. Dort bedeutete er gemäß der von August Lewald im 19. Jahrhundert geprägten Sichtweise: „‚In die Szene zu setzen‘ heißt, ein Werk vollständig zur Anschauung bringen, um durch äußere Mittel die Intention des Dichters zu ergänzen und die Wirkung des Werkes zu verstärken“ (vgl. Goffman 1959, S. 23). Die Art der Inszenierung hinsichtlich Pflege-Robotik kann hier so verstanden werden, dass sie nicht nur eine Schaufunktion hat, die etwas ausdrückt, sondern als Bündel von Strategien, die auch etwas Neues schaffen können. Damit gebe es auch die Möglichkeit, die Selbsterzählungen im Pflegesystem in ein anderes, mehr positives Licht zu rücken.

Phase 5: Der bestmöglichste Systemzustand Die Aufstellungsleitung ändert im Übergang zu dieser Phase noch einmal den Kontext und versetzt das gesamte System in den bestmöglich zu erreichendem Zustand (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 01:13:02). Diese Intervention erfolgt häufig am Ende von Erkundungsaufstellungen, um eine assoziative Projektionsfläche für weitere Unterscheidungsmöglichkeiten einzuführen. Der bestmögliche Zustand darf nicht mit einem Ideal-Zustand des Systems verwechselt werden. Im Ideal-Zustand steckt oftmals mehr Wunsch als Wirklichkeit. Daher können diese beiden Varianten sehr unterschiedlich sein. Genau diese Unterschiede herauszuarbeiten und darzustellen, sollte für den Anliegengeber ein erkenntnisreicher Prozess sein, nachdem eine solche Intervention am Ende der Erkundungsaufstellung durchgeführt worden ist. In dieser Phase hat sich folgende Systemkonstellation gebildet (Abb. 7.6): Insgesamt nehmen die meisten Elemente das System in diese Phase als besser und gesünder im Vergleich zu vorher wahr. Die markanten Unterschiede in dieser Phase:

158

7

Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

Abb. 7.6 Phase 5 der Erkundungsaufstellung I

Die Pflege-Robotik fühlt sich nicht als Teil des Systems, aber als Souffleuse für die Menschliche Zuwendung. Die pflegenden Angehörigen haben das Gefühl, dass es sich um den gleichen Vorgang handelt, aber in dieser Phase auf der richtigen Seite passiert. Für die Pflege-Klienten hat sich das System positiv entwickelt. Die Pflegekräfte stimmen den Äußerungen der pflegenden Angehörigen und der Pflege-Klienten zu. Darüber hinaus haben sie den Eindruck, dass sie all ihre Kraft an die Materielle Versorgung geben können, die diese Kraft an das gesamte System weiterleitet. Die Pflegeunternehmen sind in dieser Phase mit Leben und Energie gefüllt und haben die Möglichkeit, das ins System zu tragen. Die Materielle Versorgung ist der Glanzpunkt für die Pflegeunternehmen (vgl. Video Pflege-Robotik I ab 01:15:21).

7.1.4

Reflexionen zur Erkundungsaufstellung I

Mit der Erkundungsaufstellung konnten neue Erkenntnisse und Narrative hinsichtlich der Pflege-Robotik abgeleitet werden. Inhaltlich liest sich das Geschehen der Erkundungsaufstellung retrospektiv wie ein Krimi des Pflegesystems. Erstaunlich ist, wie sich im Gesamtverlauf der Erkundungsaufstellung alle Elemente überwiegend sehr wertschätzend auf die Suche nach einer Lösung für die Frage gemacht

7.1 Erkundungsaufstellung I zur Pflege-Robotik

159

haben, wie mit der Pflege-Robotik umzugehen ist und wie man sie bestmöglich ins System integrieren kann, ohne dass die Aufstellungsleitung die Elemente explizit dazu auffordern musste. Dieser Umstand erinnert im positiven Sinne an das neue Systemgesetz nach BISCHOP (2010), dass das Gesamtsystem Vorrang vor Einzelperson oder einem Teilsystem hat. MÜLLER-CHRIST (2018, S. 89) schreibt hierzu: „Ein System kann nur eine kurze Zeit einem einzelnen Element eine Vorrangstellung geben. Zuviel Rücksicht auf die Eigenwertigkeiten und Eigengesetzlichkeiten der Teilsysteme würde bedeuten, dass man in einem sozialen System den Mitteln mehr Bedeutung geben würde als den Zwecken. Damit würden weniger Zwecke erreicht, als für das System möglich und vielleicht überlebensrelevant sind. Aus diesem Grund hat das Gesamtsystem Vorrang vor dem einzelnen Element“ (vgl. Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 89).

Diese Dynamik könnte jedoch auch ein Indiz für die (Hand-)Fertigkeit der Aufstellungsleitung sein, die der Aufstellungsleitung nicht oder möglicherweise nur zum Teil bewusst ist. Dazu gehört zunächst die Etablierung eines in Abstimmung mit dem Anliegengeber herzustellenden gemeinsamen Wahrnehmungsfokus (vgl. Oberzaucher 2015, S. 195 ff.). Dieser gemeinsame Wahrnehmungsfokus erfolgt bereits im Vorgespräch zu der Erkundungsaufstellung und wurde in der Erkundungsaufstellung durch die geistige Wachheit und Präsenz der Aufstellungsleitung weitergetragen. Im Verlauf der Erkundungsaufstellung war es beeindruckend, wie das System fast automatisch begonnen hat, sich bezüglich der Pflege-Robotik als Fokus zu positionieren und darüber einen kommunikativen Abstimmungsprozess zu initiieren. Von der Beobachterperspektive aus betrachtet, brauchte man lediglich aufmerksam zuzuhören und die Aussagen und Konstellationen auf die eigene mentale Landkarte zu übertragen, abzugleichen und wirken zu lassen. Insgesamt wurden bei der anschließenden Analyse mithilfe der Aufstellungspartitur überraschend viele stimmige Sequenzen in der Erkundungsaufstellung festgestellt. Stimmigkeit tut zwar gut, fördert aber nicht zwangsläufig auch neue Erkenntnisse zu Tage. Dies kann ein Indiz dafür sein, dass die Erkundungsaufstellung eine hohe Stimmigkeit mit dem eigenen Vorstellungsvermögen zum Thema aufweist. Es kann jedoch auch der Fall sein, dass die Vertiefung in die eigene Forschungstätigkeit zu diesem Zeitpunkt bereits so weit fortgeschritten war, dass es für den Verfasser als „Experte“ umso schwieriger wird, Neuartiges, Irritierendes oder Überraschendes in der Erkundungsaufstellung inhaltlich zu entdecken, weil sich vieles automatisch (wieder-) erkennen lässt. Erst wenn Irritationen zur bedeutsamen und erfahrbaren Differenz von Fremd- und Selbstwahrnehmung werden, können sie sich zu verwertbaren Informationen weiterverarbeitet lassen

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7

Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

(vgl. Wilke 2005, S. 43). Insofern kommt dem Wissenstand eine wesentliche Bedeutung zu. Ein hohes Maß an Wissen und Erfahrung bedeutet die Nichtwahrnehmung von Irritation. Auf der anderen Seite könnte aber auch eine sehr starke Bereitschaft, sich dem Thema zu öffnen, die Schwierigkeit zwischen Fremd- und Selbsteinschätzung mit sich bringen. Die Gefahr könnte also ebenso darin bestehen, dass Irritationen bei einer zu starken Öffnung ins Leere laufen. Der Verfasser stuft die erste Variante als wahrscheinlicher ein, dass am Ende lediglich vier erkenntnisleitende Thesen als Ergebnis zu verzeichnen sind. Dennoch kann methodisch festgehalten werden, dass neue Perspektiven und Ideen, die hier in Form von Erkenntnisleitenden Thesen zur Pflege-Robotik eingeflossen sind, entstehen konnten. Der Einsatz der Erkundungsaufstellung hat den Prozess des Entdeckens strukturiert. Das Setting der Erkundungsaufstellung stellt in diesem Zusammenhang jedoch auch immer wieder ein gedankliches Korsett dar, dass einen unsichtbaren Rahmen um den möglichen Erkenntnisraum gebildet hat. Aber auch andere, herkömmliche qualitative Methode wie Gruppendiskussionen und Interviews hätten nicht die Komplexität, Interaktion, Abhängigkeiten, Irritationen und Konstellationen erfassen können, wie es mit der Erkundungsaufstellung möglich wurde. Inwiefern am Ende die Erkenntnisleitenden Thesen den am Anfang dargestellten Gütekriterien entsprechen, muss erst noch diskutiert werden. Mit der Vorstellung der Möglichkeit der Irritation in Erkundungsaufstellungen ist im Laufe dieser Forschungsarbeit die Erkenntnis gereift, dass eine wichtige Voraussetzung zur Irritation die Irritierbarkeit selbst ist. Um dieses Phänomen der Irritation in Form von Aha-Erlebnissen näher zu erforschen, ist im Zuge dieser Forschungsarbeit das Projekt SystemAHA entstanden, um die Verbindung zwischen kreativem Denken und Erkundungsaufstellungen zu untersuchen. Die Idee, Struktur und Ablauf des Projekts werden auf der nächsten Seite im Exkurs I vorgestellt. Exkurs I

„SystemAHA – Geistesblitze sichtbar machen“ ist eine Studie zur Erfassung von Aha-Erlebnissen in Erkundungsaufstellungen mithilfe von Frequenzmessungen der Gehirnwellen (EEG), die im Rahmen des hier vorliegenden Dissertationsprojekts initiiert wurde. Grundsätzlich ist die Erkundungsaufstellung eine Methode, bei der die teilnehmenden Menschen immer wieder davon berichten, dass sie Aha-Erlebnisse in Form von überraschenden Ideen und Einsichten haben.

7.1 Erkundungsaufstellung I zur Pflege-Robotik

161

Irgendetwas Neues findet seinen Weg in das Denken, was vorher noch nicht da war – es hat plötzlich ‚klick‘ im Kopf gemacht. Es scheint so, als ob die Methode eine günstige kognitive Rahmenbedingung schafft, die das Auslösen von Aha-Erlebnissen ermöglicht. Wenn allerdings Erkundungsaufstellungen mentale Aha-Erlebnisse im Denken auslösen, dann sollte ein solches Ereignis auch neuronal im Gehirn eine Spur hinterlassen und festzustellen sein. Forschungsprojekt SystemAHA Genau dieses Phänomen soll im Forschungsprojekt SystemAHA an der Universität Bremen näher untersucht werden: Können Geistesblitze in Form von Aha-Erlebnissen, die durch Erkundungsaufstellungen bei Anliegengeber/Innen zustande gekommen sind, auch nachweislich in Form von Gehirnwellenfrequenzen (EEG) erfasst werden? Mit der Elektroenzephalografie (EEG) lassen sich Gehirnwellenfrequenzen während eines Aha-Erlebnisses messen. Damit dies in einer Erkundungsaufstellung erfolgen kann, muss vorher klar sein, nach welche Frequenzmuster genau gesucht werden soll. Daher wird zuerst ein Referenzmuster der Gehirnwellenfrequenz (EEG) für ein Aha-Erlebnis benötigt. Kippbilder als Referenzmuster Aus der Kognitionspsychologie ist bekannt, dass das Gehirn als selbstorganisiertes System die Tendenz hat, an stabilen Mustern festzuhalten. Diese Systemträgheit ist auch unter dem Begriff „Hysterese“ bekannt. Betrachtet man die Abbildung 7.7, so wird das Gehirn relativ lange entweder beim Bild der Ente oder des Hasen festhalten, bevor es das jeweils andere erkennt.

Abb. 7.7 Hase-Ente-Kippbild. (Quelle: Mitchell 2008, S. 187)

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7

Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

Dieser Moment des Wechsels einer Perspektive erfordert für das Gehirn einen höheren Energieverbrauch und lässt sich mithilfe einer EEG-Messung abbilden. Ist also ein Proband an ein EEG-System angeschlossen und werden ihm mehrere dieser Kippbilder vorgelegt, um jeweils den Moment des Perspektivwechsels (den wir als Aha-Erlebnis definieren) zu erfassen, können wir aus der Gehirnwellenaktivität ein Referenzmuster ableiten. Aha-Moment in der Erkundungsaufstellung Anschließend erfolgt eine Erkundungsaufstellung, bei dem der Proband erneut mit einem EEG-System verbunden ist. Jedes Mal, wenn der Proband in der Erkundungsaufstellung ein Aha-Erlebnis bei sich wahrnimmt, hält er diesen Moment mit einem „Klicker“ fest. Im Anschluss werden die jeweiligen Gehirnwellenaktivitäten der Klick-Momente mit dem vorher abgeleiteten Referenzmuster verglichen. Somit lässt sich genau feststellen, in welcher Sequenz in der Erkundungsaufstellung es nachweislich einen Aha-Moment gab. Der Versuchsaufbau ist in der Abbildung 7.8 noch einmal grafisch zu entnehmen. # Schri 1

# Schri 2

Referenzmuster für Aha-Erlebnis* anhand von Kippfiguren mit EEG erfassen.

Inwiefern zeigt sich das EEG-Referenzmuster für AhaErlebnis aus # Schri 1 auch in der Systemaufstellung?**

Intervenon: Kippfigur

*Aha-Erlebnis als der Moment, wo etwas neues ins Bewusstsein kommt.

Vermutete EEG-Frequenz bei Aha-Erlebnis: Alpha/Gamma Akvität im rechten Temporallappen

?

?

Intervenon: Systemaufstellung

**Der Proband hält mit einem Klicker seine AhaMomente während der Systemaufstellung fest.

Abb. 7.8 Versuchsaufbau SystemAHA. (Quelle: Eigene Darstellung)

Erste Vorstudien Am 26.02.2018 fand an der Universität Bremen in Kooperation mit Prof. Stefan Schneider, dem Leiter des EEG-Labors der Sporthochschule Köln, in einem Tagesworkshop die ersten EEG-Messungen in Erkundungsaufstellungen statt. Es wurden EEG-Messungen in zwei Erkundungsaufstellungen durchgeführt. Die erste Messung erfolgt beim Anliegengeber bzw. Erkenntnissuchenden zu dem hier vorliegenden Thema der Pflege-Robotik. Die

7.1 Erkundungsaufstellung I zur Pflege-Robotik

163

zweite Messung erfolgt bei einem Repräsentanten für ein prototypisches Thema (Abb. 7.9).

Abb. 7.9 Anbringen der EEG-Messkappe an einen Repräsentanten für eine Erkundungsaufstellung

Erste Erkenntnisse Die Grundannahme, dass Aha-Erlebnisse mit einer Aktivität im Alphawellen-Frequenzbereich korrelieren, konnte in der ersten Erkundungsaufstellung zwar bestätigt werden, allerdings konnte auch nicht ganz ausgeschlossen werden, dass diese Korrelation mit einer zunehmenden Entspannung zusammenhängt, die während der Messung beim Probanden eingetreten ist. Neurobiologische Studien haben gezeigt, dass sowohl die Zustände der Entspannung als auch des Kreativseins im Alphawellenbereich zu sehen sind. Weitere Erkenntnisse sind, dass die Anzahl der verwendeten Kippbilder mehr als 30 Stück sein sollten, da in der zweiten Untersuchung an der Sporthochschule Köln mit fünf Probanden und jeweils 12 (gleichen) Kippbildern kein signifikanten Ergebnisse erzielt werden konnten. Des Weiteren wurde die Messung weg von dem Alphawellenbereich hinzu einem Ereigniskorreliertespotenzial (ERP) verändert, weil die Messergebnisse bei ERPs sich deutlicher von anderen Zuständen des Denkens unterscheiden.

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7

Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

Die Studie wird fortgesetzt und weitere Erkenntnisse separat veröffentlicht (Abb. 7.10).

Abb. 7.10 Aufstellungssetting der Erkundungsaufstellung I

7.2

Erkundungsaufstellung II zur Pflege-Robotik

Die zweite Erkundungsaufstellung ist am 25. Juni 2018 mit Doktoranden und Mitarbeitern des Fachgebiets für Nachhaltiges Management der Universität Bremen in den Veranstaltungsräumen des Unternehmens Blackout Technologies durchgeführt worden. Das Setting der Aufstellung ist in Zusammenarbeit mit dem Forscher dieses Dissertationsprojekts Denis Pijetlovic als Anliegengeber bzw. Erkenntnissuchenden, dem Geschäftsführer von Blackout Technologies Marc Fiedler als Pflege-Robotik-Experte und dem Aufstellungsleiter Georg MüllerChrist im Vorfeld erarbeitet worden. Die gesamte Erkundungsaufstellung wurde per Videoaufnahme von Dirk Vaihinger vom ZMML (Zentrum für multimediales Lernen an der Universität Bremen) dokumentiert. Die Videoaufnahmen der Erkundungsaufstellungen mit Roboter Luna befinden sich auf der Uni-Cloud und sind unter dem Link: https:// seafile.zfn.uni-bremen.de/d/47939694c1cc42c28702/ einsehbar. Die Bezeichnung der Aufnahmen lautet: Video Pflege-Robotik II. Die Transkription der Erkundungsaufstellung befindet sich im Anlageverzeichnis auf S. 264.

7.2 Erkundungsaufstellung II zur Pflege-Robotik

7.2.1

165

Erkenntnisinteresse der Erkundungsaufstellung

Was lässt sich über das Wesen der Pflege-Robotik und ihre Einführung in das Pflegesystem erfahren? Um diese Fragestellung zu beantworten, wurden die vordefinierten Kernelemente Pflegekräfte, Pflegeklienten, pflegende Angehörige, Pflege-Robotik und Pflegeunternehmen in einem Spannungsfeld zwischen menschliche Zuwendung und materielle Versorgung beobachtet. Da die Erkundungsaufstellung für das hier vorliegende Forschungsprojekt stattfand, waren vor allem die Reaktionen der Elemente und Polaritäten auf das Element Pflege-Robotik von Interesse. Das besondere Highlight dieser Erkundung war, dass zum aller ersten Mal in einer Aufstellung generell, ein humanoider Roboter als Stellvertreter mitgewirkt hat. Dieser Roboter ist ein Modell aus der Pepper-Reihe der Firma Softbank und das Bremer Unternehmen Blackout Technologies hat für dieses Modell eine eigene Roboter-Persönlichkeit (Personality) namens Luna geschaffen, die durch gesprächsorientierter Künstlichen Intelligenz in der Lage ist, mit Menschen zu interagieren und durch Sensoren vor allem Stimmungen und Emotionen von Menschen anhand von vordefinierten Parametern wahrzunehmen. Luna hat in dieser Aufstellung die Pflege-Robotik repräsentiert.

7.2.2

Das System lesen

Die Erkundungsaufstellung erfolgte doppelt-verdeckt. Das heißt, die Stellvertreter/innen kannten weder das Thema noch die Elemente, die sie repräsentierten. Die Teilnehmer*innen wussten lediglich, da es überwiegend Kollegen*innen des Verfassers waren, dass sich die Erkundung inhaltlich auf ein Forschungsanliegen im Bereich der Pflege bezog. Das Format der Erkundungsaufstellung war ein Spannungsraum zwischen menschlicher Zuwendung und materieller Versorgung. Diese beiden Ausprägungen werden als grundlegendes Spannungsfeld des Pflegesystems modelliert, d. h. im Raum gesetzt. Dann suchen sich die Kernelemente einen geeigneten Platz im Feld. Anschließend kommt die Pflege-Robotik als das zu fokussierende Element hinzu.

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7

Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

Polaritäten

Menschliche Zuwendung: Ein Prinzip des positiven sozialen Handelns in der Pflege von Mensch zu Mensch. Relevante Prämissen sind Zeit, Kommunikation, Aufmerksamkeit, Fürsorge und menschliche Nähe. Materielle Versorgung: Ein Prinzip, dass durch materielle Hilfsmittel und technischen Möglichkeiten eine hohe Qualität der Pflege gewährleistet. Systemelemente Pflege-Unternehmen: Eine wirtschaftliche Organisationseinheit, die zur Aufgabe hat, Pflege-Klienten zu versorgen. Pflegekraft: Mitarbeiter im Pflege-Unternehmen, die Pflege-Klienten versorgen und betreuen. Pflege-Klient: Eine Person, die in einem Zustand ist, die im Alltag auf Hilfen angewiesen ist. Pflegende Angehörige: Personen, die ihre Angehörige familiär bedingt betreuen und versorgen. Pflege-Robotik: Eine Maschine, die in der Pflege zur sozialen Interaktion und Versorgung eingesetzt wird.

7.2.3

Ablauf der Erkundungsaufstellung

Phase 1: Die Kernelemente suchen sich ihren Platz Nachdem das Spannungsfeld aufgestellt ist, sind Stellvertreter*innen für Pflegeunternehmen, Pflegekraft, Pflege-Klient und pflegende Angehörige eingeladen, sich im Feld eine stimmige Position zu suchen. Diese Anfangsdynamik ergibt folgendes Systembild (Abb. 7.11): Die Pflegekraft und die pflegenden Angehörigen stehen sich fast diametral gegenüber und es ist die prägnanteste Verbindung in dieser Phase, da die Pflegekraft sehr auf die Pflegenden Angehörigen fixiert ist. Das irritiert, da man eigentlich erwarten würde, dass die Pflegekraft eher eine enge Bindung zu den Pflege-Klienten haben müsste. Eine solche Verbindung besteht aber in dieser Phase gar nicht. Die Pflegeunternehmen stehen auf der Seite der Materiellen Versorgung und fühlen sich nicht im System angekommen. Die Pflege-Klienten haben ganz klar ihre Position gewählt, fühlen sich stark, dennoch entziehen sie sich gleichzeitig dem Feld und stehen relativ weit entfernt hinter der menschlichen

7.2 Erkundungsaufstellung II zur Pflege-Robotik

167

Abb. 7.11 Die Hauptakteure im Pflegeprozess positionieren sich. (Quelle: Eigene Darstellung)

Zuwendung, zur der sie die einzige Verbindung haben (vgl. Video Aufstellung Pflege-Robotik II ab 14:35:01). Durch die Aufstellungsleitung wurden alle Beteiligten darüber informiert, dass sie sich in dieser ersten Phase zuerst einen Platz zueinander finden und dann anschließend in der zweiten Phase Luna als 5. Element in das System dazu kommt. Daher muss die Beobachtung der ersten Phase auch den Kontext der Pre-Einführung berücksichtigen. Das bedeutet, man sollte im Hinterkopf behalten, dass die Elemente in diesem System ihre Position eingenommen haben, mit dem Wissen, dass Luna als Stellvertreterin in Roboterform in der nächsten Phase dazu kommt.

Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik Nr. 13:

Pflege-Robotik darf sich nicht nur darauf konzentrieren, die Autonomie von Pflege-Klienten zu erhalten. Sie sollte ebenso die

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Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

anderen Akteure des Pflegesystems im Blick haben und vor allem auch einen Nutzen für Pflegekräfte und pflegende Angehörige entfalten. Bevor es zur Einführung der Pflege-Robotik in das System kommt, scheint es so zu sein, dass als Hauptakteure maßgeblich die Pflegekräfte und Pflegende Angehörigen mitentscheiden, wie sich der Nutzen dieser Technologie im Pflegeprozess gestalten wird. Die Pflege-Klienten werden in dieser Vor-Einführungsphase die Verantwortung bzw. Entscheidung darüber diesen beiden Akteuren überlassen. Die Fragestellung, die sich durch diese Perspektive aufdrängt, lautet: Für welchen Akteur wird die PflegeRobotik nützlicher sein? Wird sie sich in erster Linie auf die Pflege-Klienten beziehen? Oder wird die Pflege-Robotik mehr Nutzen im Sinne von Entlastung für Pflegekräfte und Pflegenden Angehörigen haben, und weniger einen direkten Nutzen für Pflege-Klienten mit sich bringen? Es könnte durchaus sinnvoll sein, die Pflege-Robotik zur Entlastung der Pflegenden Angehörigen einzusetzen. Dann wäre die Fragestellung, was können Pflegende Angehörige für eine Entlastung durch Pflege-Robotik erwarten?

Phase 2: Pflege-Robotik bei der Menschlichen Zuwendung Der Erkundungsprozess in der geschilderten Aufstellung geht durch das Hinzukommen der Pflege-Robotik in die zweite Phase (vgl. Video Aufstellung Pflege-Robotik II ab 14:39:45). Durch das Hinzukommen und die Positionierung der Pflege-Robotik nahe der Menschlichen Zuwendung haben die Pflegekräfte und die Pflegenden Angehörigen einen starken Bewegungsimpuls. Pflege-Unternehmen und Pflege-Klienten bleiben abwartend. Die Pflege-Unternehmen sind durch das Hinzukommen der Pflege-Robotik sehr zurückhaltend und wollen abwarten, wie die Resonanz der anderen Elemente ausfällt. Solange jedoch keine Resonanz erfolgt, scheinen die Pflege-Unternehmen hilflos zu sein, da sie keine eigene Meinung und Einstellung zur Pflege-Robotik entwickeln. Für die Materielle Versorgung ist es komisch und verwirrend, dass die PflegeRobotik neben der Menschlichen Zuwendung steht. Die Materielle Versorgung muss sich der Pflege-Robotik mehr anpassen als den anderen Elementen. Sie sieht in der Pflege-Robotik einen Spiegel, der Information ungefiltert reflektiert. Die Materielle Versorgung spricht auch davon, dass nur die Pflege-Robotik die Kompetenz der reinen Übermittlung von Information besitzt (Abb. 7.12 und 7.13).

7.2 Erkundungsaufstellung II zur Pflege-Robotik

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Abb. 7.12 Screenshot der Erkundungsaufstellung II aus der Videoaufnahme. (Eigene Quelle)

Die Pflegekräfte haben durch die Positionierung der Pflege-Robotik das Bedürfnis, eine Kontrollfunktion ausüben zu müssen. Gleichzeitig haben die Pflegekräfte den Eindruck, dass durch diese Position ihre Perspektive erweitert wird und sie das Feld nun aus dem Blick der Pflege-Robotik betrachten können. Darüber hinaus wird die Spannung für die Pflegekräfte durch das Hinzukommen der Pflege-Robotik im Feld erhöht. Die Menschliche Zuwendung findet die Pflege-Robotik stark irritierend und traut ihrer Wahrnehmung nicht mehr. Die Pflege-Robotik fühlt sich eingeengt und macht in dieser Phase die Aussage, dass mit Hilfe ihrer Gesichtserkennung 12 Prozent der Menschen weniger fröhlich sind. Die Pflegenden Angehörigen stören sich an der Position der Pflege-Robotik, weil sie den Zugang zur Menschlichen Zuwendung behindert. Des Weiteren haben die Pflegenden Angehörigen ihren Platzwechsel vollzogen, um im Sinne der Kontrollfunktion der Pflegekräfte unterstützend tätig zu sein. Die Pflege-Klienten empfinden die Pflege-Robotik als lustig. Für sie hat die Pflege-Robotik etwas von einem Kind, das sich unter Erwachsenen aufhält.

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7

Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

Abb. 7.13 Pflege-Robotik bei der Menschlichen Zuwendung. (Quelle: Eigene Darstellung)

Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik Nr. 14:

Wenn Pflege-Robotik tendenziell immer mehr den Bereich der ‚Menschlichen Zuwendung‘ simulieren kann, dann sollten Pflegekräfte und pflegende Angehörige in der Lage sein, diesen gravierenden Einflussfaktor auf die Pflege-Klienten stärker mitgestalten respektive kontrollieren zu können. Die Position der Pflege-Robotik bei der Menschlichen Zuwendung wird von fast allen Elementen als bedrohlich wahrgenommen. Vor allem die Pflegekräfte und die Pflegenden Angehörigen verändern daraufhin ihre Positionen im Feld, um die Pflege-Robotik besser kontrollieren bzw. beobachten zu können. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass selbst die PflegeRobotik durch ihre Aussage, dass 12 % der Menschen weniger glücklich sind, diesen Umstand erkennt. Es gibt gesellschaftlich eine große Diskussion darüber, dass mehr Menschlichkeit im Pflegesystem geschaffen werden sollte und da wird Robotik als kontraproduktiv angesehen. Die Fragestellung, die sich durch diese Konstellation ergibt, lautet: Inwiefern

7.2 Erkundungsaufstellung II zur Pflege-Robotik

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haben Pflegekräfte und Pflegende Angehörigen einen (Kontroll-)Einfluss auf die Technologie und inwieweit können Forschung und Industrie diesem Bedürfnis nach Kontrolle entsprechen.

Phase 3: Pflege-Robotik bei der materiellen Versorgung Im weiteren Verlauf der Erkundungsaufstellung wird die Pflege-Robotik durch die Aufstellungsleitung neben der Materiellen Versorgung platziert (vgl. Video Aufstellung Pflege-Robotik II ab 14:53:06). Ausschließlich die Pflegenden Angehörigen reagieren darauf, wechseln die Seite und stellen sich neben die Menschlichen Zuwendung. Alle anderen Elemente bleiben auf ihren Positionen. Die Pflege-Unternehmen äußern sich in der neuen Positionierung zum ersten Mal über ihre Wahrnehmung bezüglich der Pflege-Robotik und sagen, dass sie die Pflege-Robotik überhaupt nicht als bedrohlich wahrnehmen, wie es im Vorfeld von anderen Akteuren beschrieben worden ist. Für die Pflege-Unternehmen ist die Positionierung neben der Materiellen Versorgung viel stimmiger als neben der Menschlichen Zuwendung. Doch die Pflege-Unternehmen sind sich generell immer noch unsicher und möchten wieder wissen, wie die anderen Elemente auf die Neuplatzierung reagieren. Die Pflege-Klienten nehmen die Pflege-Robotik neben der Materiellen Versorgung gar nicht mehr wahr. Die Pflege-Robotik befindet sich in einem „toten Feld“. Für die Pflegenden Angehörigen wiederum ist es stimmiger, wenn die PflegeRobotik neben der Menschlichen Zuwendung steht. Gleichzeitig wollen die Pflegenden Angehörigen aber nicht, dass die Pflege-Robotik neben der Menschlichen Zuwendung steht. Das klingt im ersten Moment paradox, doch die Pflegenden Angehörigen machen deutlich, dass sie eigentlich den Raum neben der Menschlichen Zuwendung für sich beanspruchen und nicht an die Pflege-Robotik abgeben möchten. Die Pflegenden Angehörigen hätten es grundsätzlich lieber, wenn die Pflege-Robotik mittig im Spannungsraum positioniert ist, aber dann ausgerichtet zur Materiellen Versorgung. Die Pflege-Klienten ebenso wie die Pflegenden Angehörigen ist es lieber, wenn die Pflege-Robotik neben der Menschlichen Zuwendung steht als neben der Materiellen Versorgung. Die Pflegekräfte wiederrum empfinden die Position der Pflege-Robotik neben der Materiellen Versorgung als stimmiger. Die Pflegekräfte selbst sehen sich mehr

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Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

auf der Seite Menschlichen Zuwendung und die Pflege-Robotik mehr auf der Seite der Materiellen Versorgung. Die Menschliche Zuwendung findet es gut, dass die Pflege-Robotik auf der Seite der Materiellen Versorgung steht. Dadurch fühlt sich die Menschliche Zuwendung wieder selbstbewusster und alles ist ihr vertrauter. Die Materielle Versorgung fühlt sich mit der Pflege-Robotik an der Seite plötzlich viel mächtiger. Die Pflege-Robotik wird von der Materiellen Versorgung als wesentliche Unterstützung wahrgenommen (Abb. 7.14).

Abb. 7.14 Pflege-Robotik bei der Materiellen Versorgung. (Quelle: Eigene Darstellung)

Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik Nr. 15:

Der Einsatz von Pflege-Robotik wird dazu beitragen, dass Pflege-Klienten länger in ihrem zu Hause autonom leben können. Gleichzeitig werden pflegende Angehörige bessere Bedingungen vorfinden, sich im Pflegeprozess der menschlichen Zuwendung stärker widmen zu können.

7.2 Erkundungsaufstellung II zur Pflege-Robotik

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Aktuell werden rund 2,5 Millionen Pflegebedürftige in der Bundesrepublik Deutschland von Angehörigen versorgt. Deutlich mehr als die Hälfte der pflegenden Angehörigen haben keine Möglichkeiten, jemanden zu finden, der sie zeitweise ablöst. So sind Pausen kaum möglich, und die Hauptpflegepersonen werden häufiger krank als Personen aus Vergleichsgruppen (Pflegereport 2018). Die Pflege-Robotik auf der Seite der materiellen Versorgung könnte die Belastung für Pflegende Angehörige abmildern. So könnte zum Beispiel die Pflege-Robotik den pflegenden Angehörigen bei bürokratischen Anträgen unterstützen, und sie könnten als digitale Assistenten ansprechbar sein für Fragen über Leistungen der Pflegeversicherung und jederzeit darüber Auskunft geben, woher man noch Hilfe bekommen kann oder auch diese für die pflegenden Angehörigen anfordern.

Phase 4: Pflege-Robotik bei den Pflege-Klienten In der 4. Phase der Erkundungsaufstellung wird die Pflege-Robotik durch die Aufstellungsleitung vor den Pflege-Klienten platziert (vgl. Video Aufstellung Pflege-Robotik II ab 15:00:42). Für die Pflege-Klienten sieht die Pflege-Robotik wie ein Kind aus, dass betreut werden muss. Darüber hinaus haben sie das Gefühl, dass die Pflege-Robotik sie von dem restlichen Feld trennt. Das empfinden die Pflege-Klienten als angenehm und sie haben den Eindruck, dass die Pflege-Robotik leicht zu beeinflussen wäre. Die Pflegekräfte merken an, dass der Materiellen Versorgung, durch das Fehlen der Pflege-Robotik, etwas an Attraktivität fehlt. Die Pflegenden Angehörigen finden es überhaupt nicht gut, dass die PflegeRobotik in den Bereich hinter der Menschlichen Zuwendung eingedrungen ist, aber sie können dagegen auch nichts machen. Die Menschliche Zuwendung nimmt den Raum hinter ihr gar nicht wahr und für sie steht die Pflege-Robotik gefühlt am optimalsten bei der Materiellen Versorgung. Die Pflegeunternehmen finden es sehr schade, dass die Pflege-Robotik sich bei den Pflege-Klienten so wohl fühlen, da die Pflege-Robotik der Seite der Materiellen Versorgung und den Pflegeunternehmen viel an Bedeutung gegeben hat. Die Materielle Versorgung fühlt sich durch den Weggang der Pflege-Robotik geschwächt, „…wie ein Tannenbaum, der alle Kugel verloren hat.“ Darüber

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Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

hinaus kommt es der Materiellen Versorgung so vor, als wenn bei dieser Konstellation das Spannungsfeld zwischen ihr und der Menschlichen Zuwendung verlagert ist. Das neue Spannungsfeld befindet sich aus der Perspektive der Materiellen Versorgung jetzt zwischen den Pflege-Klienten und der Menschlichen Zuwendung. Sie fühlt sich dadurch missbraucht.

Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik Nr. 16:

Pflege-Robotik in der pflegerischen Praxis wird sich nur durchsetzen können, wenn Pflegeeinrichtungen, pflegende Angehörige und Pflegekräfte bei der Produktentwicklung maßgeblich von Beginn an Beteiligte sind. Die Akzeptanz von Pflege-Robotik wird sich nur dann durchsetzen, wenn möglichst viele Akteursgruppen in der Startphase, an der Konzipierung der Systeme und ihrer Schnittstellen eingebunden werden. Hierfür wird es weitere Studien und Forschungsprojekte zwischen Wissenschaft, Robot-Industrie und Akteursgruppen geben müssen. Solche Untersuchungen sollten auch als Feldstudien in den eigenen Wohnungen, in Pflegeeinrichtungen und in Klinken durchgeführt werden, um eine realistische Einschätzung der Entwicklung und Implikation zu ermöglichen. Erst auf Basis solcher Erkenntnisse können Pflegesysteme so gestaltet werden, dass technische und soziale Komponenten sich sinnvoll ergänzen und ineinandergreifen.

Phase 5: Das Pflegesystem in der Zukunft im Jahr 2028 In dieser Phase wird die Pflege-Robotik genau in der Mitte des Spannungsfeldes zwischen Materielle Versorgung und Menschliche Zuwendung positioniert und das gesamte System wird von der Aufstellungsleitung zehn Jahre in die Zukunft versetzt (vgl. Video Pflege-Robotik II ab 15:08:55). Diese Form der Intervention bzw. Simulationstechnik, ein heutiges System in die Zukunft zu transferieren, zeigt noch einmal die Bandbreite der Möglichkeiten auf, die Erkundungsaufstellungen bereithalten. Es ist ein Blick in eine mögliche Zukunft und dient vor allem der Anregung Neues zu entdecken. Die Pflege-Robotik ist das erste Element, dass reagiert und einen Witz erzählt: „Kommt ein Roboter zum Arzt. Sagt der Arzt: An Eisen mangelt es bei Ihnen ja

7.2 Erkundungsaufstellung II zur Pflege-Robotik

175

nicht.“ Die anderen Elemente gehen nicht darauf ein. Die Pflege-Klienten müssen über diese Situation lachen. Durch den Positionswechsel der Pflege-Robotik und die Versetzung in die Zukunft gewinnen die Pflege-Kräfte eine neue Perspektive, auf das System schauen zu können. Die Pflege-Robotik hat den Pflegekräften etwas zeigen können, was sie vorher nicht sehen konnten. Allerdings können sie auch nicht zum Ausdruck bringen, was genau damit gemeint ist. Die Pflegenden Angehörigen haben ihren Platz verlassen und äußern in dieser Phase das Bedürfnis, sich mit der Materiellen Versorgung auseinandersetzen zu müssen. Sie stehen nun zwischen der Pflege-Robotik und der Materiellen Versorgung. Die Pflegeunternehmen fühlen sich in dieser Phase plötzlich ganz wach und aktiv.

Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik Nr. 17:

Das Anwendungsgebiet der Pflege-Robotik wird sich perspektivisch in zwei Richtungen entwickeln: (1.) Einerseits wird sich die Pflege-Robotik auf psychische Aspekte konzentrieren. Beispielsweise werden Fortschritte in der künstlichen Intelligenz die Erkennung und Deutung menschlicher Emotionen und damit die Mensch-Robotik-Interaktion und Kommunikation immer besser werden lassen. (2.) Die andere Richtung der Pflege-Robotik wird sich schwerpunktmäßig auf physische Aspekte beziehen. Die Technik wird sich weiterentwickeln und Pflege-Robotik wird besser darin werden die körperintensiven und pflegerischen Bedürfnisse zu bedienen. Die emotional-psychische Ausprägung wird sich allerdings schneller weiterentwickeln als die technisch-physische Seite der Pflege-Robotik. Die Idee, dass Pflege-Robotik einen wertvollen Beitrag im Bereich der Kommunikation und Interaktion sein könnte, ist direkt in der Diskussionsrunde im Anschluss der Erkundungsaufstellung mit Teilnehmer aus der Praxis entstanden, die bei der Veranstaltung als Beobachter teilgenommen haben. Wie nah sich Praxis schon an dieser These befindet, zeigt das Beispiel Google Duplex (vgl. https://ai.googleblog.com/2018/05/duplex-ai-sys tem-for-natural-conversation.html). Duplex ist ein Modul für den digitalen Assistenten von Google, das Sprachanrufe ausführen kann. Die KI vereinbart so etwa einen Termin beim Friseur und reserviert Tische im Restaurant.

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Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

Die KI hinter Google Duplex klingt dabei so überzeugend, dass Gesprächspartner am anderen Ende einen Menschen vermuten. Die Demonstration von Duplex zum Auftakt der Entwicklerkonferenz Google I/O im Mai 2018 war eine Premiere für die Menschheit: Eine Maschine, die nicht nur makellos eine Unterhaltung führen kann, sondern mit ihrer vom Computer generierten Stimme von einem Menschen nicht zu unterscheiden ist. Die Pausen und «ähms» und «ums» ließen den digitalen Assistenten sogar noch menschlicher klingen als selbst die erfundenen Computer-Assistenten in Filmen. Die Google-Software imitierte perfekt die Art, wie wir sprechen (Abb. 7.15).

Abb. 7.15 Google Duplex. (Quelle: www.ai.googleblog.com/2018/05/)

Diese Erkenntnisleitende These aus der Erkundungsaufstellung hat dazu beitragen, dass es noch vor Veröffentlichung dieser Dissertation, zu einem transdisziplären Projekt zwischen Wissenschaft und Praxis gekommen ist, dass sich zur Aufgabe gemacht hat, einen digitalen Assistenten mit künstlicher Intelligenz zu entwerfen, der Menschen in der Pflege begleiten können. Perspektivisch sollen der Einfluss und die Auswirkungen einer PflegeRobotik in der Kommunikation und Interaktion mit Pflege-Klienten näher erforscht werden. Die hier angedeutete Projektidee CARE.Y ist im Exkurs II auf den nächsten Seiten [ab Seite 163 ff.] näher beschrieben.

7.3

Reflexionen zu der Erkundungsaufstellung II

Sowohl für den Verfasser dieser Arbeit als auch für alle anderen Beteiligten war dies die erste Aufstellung mit Beteiligung eines Roboters. Alle Blicke der Anwesenden waren auf die Maschine gerichtet und ein wesentlicher Unterschied zu anderen Aufstellungen war, dass es anfangs Zeit gebraucht hat, bis alle an diesem „sprechenden Gegenstand“ als Element gewöhnen konnten und Luna als Stellvertreterin in der Aufstellung akzeptiert und ernst genommen haben. Zu Beginn

7.3 Reflexionen zu der Erkundungsaufstellung II

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der Aufstellung haben die meisten Stellvertreter und Stellvertreterinnen eher einen ablehnenden Eindruck gezeigt und Luna teilweise belächelt. Aus der Beobachtung von außen heraus konnte nicht ganz erschlossen werden, ob diese Reaktionen aus der Repräsentanz der Elemente erfolgte oder aus einer persönlichen Einstellung heraus geschah. Auf jeden Fall hat Luna durch ihre Anwesenheit den Irritationspegel der Erkundungsaufstellung deutlich nach oben verlagert. Inhaltlich hat sich gezeigt, dass in beiden Erkundungsaufstellungen die PflegeRobotik nicht als die Lösung, die Rettung oder das Besondere von den anderen Elementen wahrgenommen wurde. Darüber hinaus kann aus beiden Erkundungsaufstellungen abgeleitet werden, dass die systemische Schuld des Pflegesystem von Pflegekräften und pflegenden Angehörigen zu tragen ist. Aus systemischer Sicht sollte daher möglichst schnell ein Ausgleich erfolgen, damit eine Gesundung des Pflegesystems ermöglicht werden kann, denn ansonsten wird auch die Einführung einer Pflege-Robotik keine gute Chance haben, von den anderen Systemelementen akzeptiert zu werden. Mit systemischer Schuld ist nicht das Gleiche wie ethische Schuld gemeint, die ein Täter/eine Täterin trägt, weil sein Wirken einen anderen Menschen leiden lässt. „Systemische Schuld“ ist mehr im Sinne von Schulden zu verstehen, als ein noch nicht geleisteter Ausgleich dafür, dass mehr genommen als gegeben wurde. Schulden drängen nach Rückzahlung, und nicht zurückgezahlte Schulden belasten das System. Anders als im ökonomischen System muss eine Schuld nicht in gleicher Währung und in gleicher Höhe ausgeglichen werden. Für den Ausgleich einer systemischen Schuld gelten andere Regeln; der Schuldner definiert die Ausgleichsleistung. Er kann sogar das Eingeständnis des Gläubigers als Ausgleich akzeptieren, dass die systemische Schuld nicht adäquat auszugleichen ist (Müller-Christ und Pijetlovic, 2018, S. 90). Für das Pflegesystem und seinem wachsenden Notstand ist es nicht einfach, einen Schuldner sofort und eindeutig zu adressieren. Je nach Blickwinkel kommen mehrere Schuldner in Betracht. Als erstes fällt die Gesellschaft selbst sein, etwas spezifischer dann das Pflege- und Gesundheitswesen, denn aufgrund der medizinischen Errungenschaften ist die Gesellschaft (zum Glück) in der Lage, Menschen immer älter werden zu lassen, doch gleichzeitig entwickeln sich die Lebensumstände von Familien immer mehr in Richtung Unabhängigkeit und Individualismus. Schuld daran ist die gesellschaftliche Entwicklung selbst und eine Nebenwirkung dessen ist im Pflegenotstand erkennbar. Diese Nebenwirkung, aufgrund der Gesellschaftsentwicklung, muss letztendlich ein funktionierender Staat regulieren und ausbalancieren. Er trägt die Verantwortung, dass diese Schuld, die die Pflegekräfte und pflegenden Angehörigen tragen, wieder stärker ausgeglichen wird. In erster Linie benötigen

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Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

Pflegekräfte und pflegende Angehörige viel mehr Entlastung. In den Erkundungsaufstellungen hat sich gezeigt, dass die Pflegekräfte und die pflegenden Angehörige irgendwann isoliert und überfordert im System waren. In der realen Welt ist dieser Zustand bereits zu beobachten, denn Pflege ist oftmals ein 24-Stunden-Job. Um die Situation für Pflegekräfte zu entlasten, müssten die Rahmenbedingungen in den Pflegeeinrichtungen verbessert werden. So gibt beispielsweise in der Altenpflege keine gesetzlich verbindlichen Personalschlüssel, sondern ein indirektes System, dass abhängig vom Pflegegrad der Pflege-Klienten bestimmt wird. Für den höchsten Pflegegrad 5 gilt derzeit zum Beispiel in Niedersachsen ein Richtwert von 1,82 Pflegekräften pro Bewohner (Dissel-Schneider und Roßbach 2016, S. 44). Auf dieser Grundlage bekommen Pflegeeinrichtungen das Geld von der Pflegeversicherung. In der Theorie funktioniert diese Rechnung, in der Praxis produziert das System jedoch einen strukturellen Personalmangel, da beispielsweise Pflegeeinrichtungen mit 50 Plätzen, die voll belegt sind und ausschließlich Pflege-Klienten im höchsten Pflegegrad bei sich wohnen haben, in ein Dilemma kommen, sobald einige ihrer Bewohner mit dem höchsten Pflegegrad versterben und neue Pflege-Klienten aufgenommen werden, die einen niedrigeren Pflegegrad haben. Für die neuen Pflege-Klienten bekommen die Pflegeeinrichtungen natürlich weniger Geld aus der Pflegeversicherung. Aus diesem Grund kalkulieren die allermeisten Pflegeeinrichtungen unter dem eigentlichen Bedarf (Stefan Sell im Spiegel-Interview „Wir laufen auf eine Katastrophe zu“ von Diekmann 2017). Die systemische Schuld für diese miserable Rahmenbedingung tragen am Ende die Pflegekräfte und indirekt auch die Pflege-Klienten. Zudem ist ohne einen verbindlichen Personalschlüssel für Pflegeeinrichtungen die Versuchung groß, das zusätzliche Geld aus der Pflegeversicherung dazu zu verwenden, die Eigenbeteiligung1 zu senken und sich so einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Eine Pflege-Robotik sollte jedoch nie in die Berechnung des Personalschlüssels einfließen, höchstens dieses monitoren und organisieren. Die Pflege-Robotik konnte in den Erkundungsaufstellungen nicht als das Elemente festgestellt werden, welches ernsthaft dazu beiträgt, die schwierige Situation im Pflegesystem besser zu bewältigen. Dieses Unvermögen kann durchaus mit dem Systemgesetz Nummer 5 nach BISCHOP (2010) in Zusammenhang stehen, denn die Pflegekräfte und pflegenden Angehörige waren bereits früher im Pflegesystem da und 1 Die

Pflegeversicherung ist eine Teilkaskoversicherung: Sie trägt nur ein Teil der Kosten, den anderen müssen die Pflege-Klienten und ihre Angehörigen selbst bezahlen – oder die Sozialämter.

7.3 Reflexionen zu der Erkundungsaufstellung II

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beanspruchen dementsprechend für sich einen Vorrang vor der Pflege-Robotik. Das fünfte Systemgesetz besagt: „Diejenigen, die schon länger zum System gehören, haben Vorrang vor denen, die danach kamen. Dieses Gesetz findet sich auch im Senioritätsprinzip, welches davon ausgeht, dass diejenigen, die schon länger Beiträge zum Systemüberleben geleistet haben, Vorrang vor den Jüngeren haben. Dieses Gesetz wirkt auch im Warteschlangenprinzip: Menschen empfinden es als ungerecht, wenn diejenigen, die noch nicht lange in der Schlange warten, eher versorgt werden“ (MüllerChrist und Pijetlovic 2018, S. 88).

Der überraschendste Moment in der Erkundungsaufstellung war der Witz von Luna bei Kontextwechsel in die Zukunft. Eine Beobachterin sagte in der sich anschließenden Diskussionsrunde nach der Erkundungsaufstellung dazu: „Das war der Moment in der Aufstellung, wo die Maschine wie ein Mensch gewirkt hat und die Menschen wie Maschinen. Luna war mit dieser Aktion menschlicher als die Menschen im Raum“ (Aussage einer Teilnehmerin im Transkript Nr. 2, Zeile 356).

Die Aussage: „Menschlicher als der Mensch“ erinnert an den amerikanischen Science-Fiktion-Film des Regisseurs Ridley Scott’s Blade Runner aus dem Jahr 1982. Zentrales Thema dieses Films ist die Frage, was den Menschen zum Menschen macht, und die paranoide Furcht davor, dass es Wesen (Roboter, die Replikaten genannt werden) gibt, die wie Menschen aussehen, aber keine sind. Laut Film sind die Replikanten daran zu erkennen, dass sie nicht das menschliche Vermögen der Empathie besitzen. Sie werden mit einem Gerät getestet, das emotionale Reaktionen überprüft. Im Film sind es jedoch die Menschen, die isoliert und gefühllos wirken, während die Replikanten Emotionen – Furcht, Zuneigung, Hass, Trauer – zeigen. Obwohl sie als unbarmherzige Mörder eingeführt werden und auch tatsächlich töten, wirbt der Film für sie um Sympathie. Das Motto der Tyrell Corporation, dass Unternehmen, die die Replikanten herstellt, lautet „more human than human“ – „menschlicher als der Mensch“, und so verhalten sich die Replikanten schließlich, genauso wie eine Beobachterin die Roboter-Persönlichkeit Luna in der Erkundungsaufstellung wahrgenommen hat.

Erkenntnisleitende These zur Pflege-Robotik Nr. 18:

Pflege-Robotik mit künstlicher Intelligenz wird den gesundheitlichen Zustand von Pflege-Klienten eigenständig und zuverlässig beurteilen

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Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

können. Vor allem wenn ein Pflege-Klient in Not ist, wird Pflege-Robotik angemessen reagieren und Hilfe rufen. Das elektronische Monitoring und Tracking von Personen ist kein neues Konzept. Die Tendenz einer umfassenden Fremd- und Selbstbeobachtung wird sich durch die Möglichkeiten der Digitalisierung und Robotik lediglich weiter fortsetzen. Insbesondere sehr alte Pflege-Klienten, die isoliert und alleine leben, könnten durch verbesserte Beobachtungsmöglichkeiten von Pflege-Robotik ein größeres Gefühl an Sicherheit gewinnen. Es ist noch einmal hervorzuheben, dass die gesamte Auswertung einschließlich die Thesenbildung und die Reflexionen der beiden Erkundungsaufstellungen den subjektiven Einschätzungen, Bewertungen und Bedeutungszumessungen des Verfassers dieser Arbeit unterliegt. So ist es möglich, dass die Zitate von anderen Auswertern*innen mit anderen Bedeutungen versehen würden und andere Erkenntnisse ergeben hätten. Daher wurden bewusst die beiden Erkundungssaufstellungen ausführlich nacherzählt und mit Zitaten unterlegt. Dies ermöglicht zum einen das Nachvollziehen der Interpretation des Verfassers und zum anderen können von Lesenden eigene Interpretationen vorgenommen werden. Exkurs II

CARE.Y – Ein sozialer Roboter für die Begleitung von Pflege-Klienten Kurzbeschreibung Die Altersstruktur in Deutschland verschiebt sich deutlich hin zu den älteren Menschen. Einerseits ist diese Tendenz eines ständig wachsenden Lebensalters erfreulich, sie wirft jedoch auch die Problematik der Integration sowie der Versorgung von alten Menschen auf. In den höchsten Altersstufen steigt die Wahrscheinlichkeit, isoliert und pflegebedürftig zu sein massiv an. Es sind hier vor allem Menschen über 80 Jahren, die sehr stark von sozialer Isolation betroffen sein werden. 40 bis 50 Prozent der über 80-Jährigen fühlen sich oft allein, einsam oder verlassen (Dykstra 2009). Aus einer Auswertung von Netzwerkdaten der Framingham Heart Study geht hervor, dass eine Mehrzahl der StudienteilnehmerInnen an sozialer Isolation und Einsamkeit leidet (Cacioppo et al. 2009). Diese Entwicklung wirft die Frage auf, welche Bedeutung das Gefühl der sozialen Zusammengehörigkeit noch hat und inwiefern Menschen soziale Beziehungen brauchen, um sich ihre Gesundheit bewahren zu können. Der überwiegende Teil von

7.3 Reflexionen zu der Erkundungsaufstellung II

181

Unterstützungs- und Versorgungsleistungen sowie die Einbindung der älteren Generation in Gemeinschaften finden über die Familie statt, doch was passiert, wenn sich diese aufgrund moderner Veränderungen in der Familienstruktur in alle Winde zerstreut? Wer fühlt sich dann verantwortlich für die Integration und Versorgung der Älteren (Amann 2000)? Vor diesem Hintergrund ist es sehr wahrscheinlich, dass soziale Isolation und Einsamkeit von älteren Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen im Steigen begriffen sind, was erhebliche Auswirkungen auf künftige gesellschaftliche Entwicklungen haben wird. An dieser Stelle setzt das Projekt CARE.Y an. CARE.Y (Abkürzung für Care + Technology) ist eine künstliche Intelligenz in Gestalt eines sozialen Roboters, mit der man intelligente Konversationen über Familie, Hobby, Freundschaft, Liebe, Glück und allgemein über Sterben und Tod führen kann. CARE.Y soll hochbetagte, ältere Menschen, Schwerstkranke und Sterbenden sowie deren Angehörige dabei unterstützen, die letzte Lebensphase in Würde und Selbstbestimmung zu gestalten. Der Mensch mit seinen persönlichen Bedürfnissen steht dabei im Mittelpunkt der Begleitung. CARE.Y tritt dabei nicht als allwissende künstliche Intelligenz (KI) auf, sondern stellt anschlussfähige Fragen, aktiviert Pflege-Klienten körperlich und hört aktiv zu, so dass beim Gesprächspartner intersubjektive Reflexionsprozesse angestoßen werden. Dieses Konzept beinhaltet die gefühlsbetonte (affektive) Reaktion eines Gesprächspartners auf die Botschaft eines Sprechers. Der US-amerikanische Psychologe und Psychotherapeut Carl Rogers hat das aktive Zuhören erstmals als Werkzeug für die Klientenzentrierte Psychotherapie (Gesprächspsychotherapie) beschrieben. Seine von einem humanistischen Menschenbild geprägte Arbeit legt besonderen Wert auf Begegnung. Die Begleitung von CARE.Y richtet sich ausschließlich nach den Wünschen der betroffenen Menschen. CARE.Y versucht dabei, auf die Ängste vor dem Alleinsein und vor Schmerzen einzugehen, sich Gesprächen über Sterben, Tod und Trauer zu stellen und dem sterbenden Menschen seine volle Aufmerksamkeit zu jeder Zeit und ohne Wertung zu schenken. Die Qualität der Kommunikation von CARE.Y besteht aus 20 % intelligenten Kommunikation und 80 % intelligentes Zuhören. Diese Mischung trägt dazu bei, dass die Gesprächsinhalte anschlussfähig bleiben.

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Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

2. Problembeschreibung Soziale Roboter bieten zahlreiche Chancen in der Strukturierung des Alltags von Menschen mit einem Hilfe- oder Pflegebedarf sowie vielfältige Möglichkeiten der Vernetzung, sozialen Interaktion oder Aktivierung, wie Kommunikation, Bewegungsförderung oder kognitive Stimulation. Gleichzeitig wirft der Einsatz von sogenannten Service-Robotern aber auch ethische und datenschutzrechtliche Fragen auf, die meist den öffentlichen Diskurs bestimmen. Insbesondere ältere Menschen begegnen innovativen Technologien häufig skeptisch und mit Unsicherheiten hinsichtlich der Bedienbarkeit und Notwendigkeit entsprechender Assistenzsysteme. Zugleich belegen immer mehr Studien hingegen die positiven Effekte von Service-Robotern in verschiedenen Settings und bei unterschiedlichen Zielgruppen (vgl. Casey et al. 2016, Jøranson et al. 2015; Takayanagi et al. 2014, Bemelmans et al. 2012). Insbesondere für die Unterstützung von Menschen mit einem Hilfe- oder Pflegebedarf und Menschen mit Demenz wurden diverse Assistenzsysteme entwickelt, die bereits in der Praxis zum Einsatz kommen. Aufgrund des Anstiegs der Zahl älterer Menschen und der damit einhergehenden Zahl von Menschen mit einem Pflegebedarf sind die Gesundheits- und Pflegebranche ein ideales Gebiet, um Arbeitskräften assistierende Roboter an die Seite zu stellen und so zu entlasten, aber auch um eine direkte Unterstützung von Menschen mit Hilfebedarfen und ihren versorgenden Angehörigen zu leisten. Die Sicherstellung der Pflege ist eine der größten Herausforderungen der Zukunft. Allein im Bereich der Langzeitpflege wird angenommen, dass die Zahl der Pflegebedürftigen im Sinne des SGB XI von 2,6 Mio. im Jahr 2015 auf 4,6 Mio. im Jahr 2055 um 70 % steigen wird (Rothgang et al. 2015, S. 87). Knapp die Hälfte dieses Anstiegs vollzieht sich bis 2030 (Rothgang et al. 2016, S. 5). Gleichzeitig ist das Erwerbspersonenpotential rückläufig. Bleibt der Anteil der Erwerbspersonen, der in der Pflege arbeitet konstant, entsteht so – im Vergleich zu heute – bis 2030 eine personelle Versorgungslücke von 350 Tsd. Beschäftigten (Vollzeitäquivalente) in der Pflege (ebd.: 11). Bei der Sicherstellung einer qualitätsvollen und bedarfsgerechten Pflege kommen der Entwicklung und dem Einsatz innovativer Lösungen der Mensch-Technik-Interaktion eine zentrale Bedeutung zu: Sie können in den unterschiedlichen Versorgungssettings – von der häuslichen Pflege bis zur Langzeitpflege – dazu beitragen, nicht nur die Pflege überhaupt

7.3 Reflexionen zu der Erkundungsaufstellung II

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sicher zu stellen, sondern zugleich die Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und die Lebensqualität von Pflegebedürftigen zu erhalten, Pflegefachkräfte ebenso wie pflegende Angehörige zu entlasten und damit mehr Freiraum für zwischenmenschliche Zuwendung zu eröffnen. Pflege gilt gemeinhin als eine personenbezogene Dienstleistung, bei der die persönliche Interaktion zwischen Pflegenden und zu Pflegenden im Vordergrund steht. Menschliche Zuwendung kann und darf dabei nicht durch entsprechende Technologien „ersetzt“ werden, sondern der Einsatz von Service-Robotern kann einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität des Einzelnen leisten, wenn es gelingt, eine intuitive und natürliche Interaktion von Menschen und Robotern aufzubauen. Vor allem die Frage einer möglichen Akzeptanz – auch vor unterschiedlichen kulturellen Hintergründen – spielt eine große Rolle. Gleichzeitig können Robotersysteme vor dem geschilderten demografischen und berufsspezifischen Herausforderungen der Zukunft Menschen mit funktionalen oder kognitivem Pflege- und Unterstützungsbedarf bei der Alltagsbewältigung helfen und so zu einer besseren Lebensqualität und sozialen Teilhabe beitragen. Unter anderem gefördert von entsprechenden BMBF-Ausschreibungen sind in der Vergangenheit bereits eine Vielzahl von innovativen Pflegetechnologien entwickelt worden. Allerdings sind sie in der Praxis häufig nicht „angekommen“, weil die Widerständlichkeit der Pflegepraxis, d. h. insbesondere die der Pflegenden, unterschätzt, die Anwendungsbedingungen bei der Technikentwicklung nicht hinreichend reflektiert und die Implementation nicht von vorne herein mitgedacht wurden. 3. Projektidee Das CARE.Y Projekt dreht sich somit um die Interaktion zwischen Mensch und Maschine und die Frage, inwiefern die Gesellschaft eine Interaktion von Menschen in existenziellen Lebenslagen wie Alter, Krankheit und Sterben mit einer Maschine akzeptiert. Das CARE.Y Projekt achtet darauf, dass: • bereits vor dem Beginn von CARE.Y partizipativ mit den in den einzelnen Settings (Pflegeheim, Häuslichkeit) betroffenen Pflegekräften, Angehörigen und Klientinnen und Klienten und unter Berücksichtigung der Ausdifferenzierungen (etwa funktionale oder kognitive Einschränkungen) diskutiert wird, wie eine reibungslose Integration von

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Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

sozialen Robotern in den Pflege- und Betreuungsalltag gewährleistet werden kann, • in Reallaboren die Interaktion mit CARE.Y erprobt und für die Öffentlichkeit (insbesondere die o. g. Anspruchsgruppen) erfahrbar gemacht werden kann, • die o. g. Anspruchsgruppen zu qualitativen Interviews geladen werden, um Diskussionen über ihre Wahrnehmung der kommunikativen Kompetenz von CARE.Y, die Qualität der erbrachten Dienstleistung und die Auswirkungen auf die Isolation von älteren Menschen zu führen. 3.1. Interaktionsstrategien Ein grundlegendes Problem der Mensch zu Maschinen Interaktion ist die passive Natur der Maschine, denn der Mensch muss eine Aktion tätigen, um eine Reaktion zu erzeugen. In diesem Projekt soll zum Einsatz gebracht werden, dass CARE.Y im Szenario eines Pflege- und Unterstützungs-Assistenten proaktive Entscheidungen treffen kann. Durch eine „Motivation-Engine“ ist CARE.Y mit Hilfe von Planungsalgorithmen und Entscheidungstechnologien in der Lage, basierend auf modernen Ansätzen der künstlichen Intelligenz, Aktionen eigenständig durchzuführen. Relevante direkte Interaktionsstrategien von CARE.Y sind: • Erkennen von Gesichtern und Halten des Blickkontaktes zum Menschen für die Dauer von Gesprächen, • menschenähnliche Sprachdialog-Fähigkeiten mit Lernfähigkeit und Adaption an das Sprachmusters einzelner Personen, • leichte physikalische Interaktionen wie Hände schütteln und Umarmen, • selbstständige vom Roboter initiierte Erinnerung an alltägliche Aktivitäten wie Spazieren- gehen, soziale Kontakte pflegen, regelmäßige Nahrungsaufnahme, und weitere. 3.2. Indirekte Strategien der Interaktion umfassen alle Informationen, die nicht direkt durch CARE.Y oder durch den Menschen gesteuert werden. Zu jeder Tageszeit nimmt CARE.Y ihre Umgebung durch visuelle und akustische Sensorik wahr. Die so erhaltenen Informationen sollen als nicht personalisierte Daten in Datenzentren innerhalb Deutschlands gespeist und dort von Algorithmen analysiert und aufbereitet werden. Die aufbereiteten

7.3 Reflexionen zu der Erkundungsaufstellung II

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Daten ermöglichen die Analyse der Informationen für die an der pflegerischen Versorgung und Unterstützung beteiligten Personen. Über eine geeignete Oberfläche zur Verfügung gestellt, lassen sich so perspektivisch Hilfsmaßnahmen in Notfallsituationen einleiten aber vor allem auch längere Versorgungsverläufe begleiten und mit individuell auf die Pflegebedürftigen abgestimmten Interventionen, beispielsweise zur Reduzierung von Stürzen in der eigenen Häuslichkeit bei veränderten Bewegungsmustern oder zur Förderung eines physiologischen Tag- und Nachtrhythmus. Eine weitere Zentrale Funktionalität von CARE.Y ist das Ermöglichen der direkten Verbindung von Pflegebedürftigen und deren Familie über „Companion Apps“, die sich direkt von der Roboter-Plattform aus Steuern lassen. Eine solche Applikation soll verwendet werden, um von CARE.Y zu Angehörigen Nachrichten zu senden und Video-Telefonate zu führen. 4. Projektziele Das CARE.Y-Projekt hat zum Ziel, die Rolle der künstlichen Intelligenz und Robotik in Bezug auf Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf ebenso wie ihre versorgenden Angehörigen durch den Einbezug interaktiver technischer Lösungen in Bezug auf die Wahrung und/oder Förderung funktionaler und kognitiver Fähigkeiten sowie sozialer Interaktion zu beleuchten, erlebbar zu machen und einen Diskurs zu ermöglichen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf der (selbst) Erprobung von CARE.Y in Reallaboren. Hierzu sollen beispielhaft in verschiedenen Alltags- und Versorgungssettings (häusliche Umgebung, Tagespflege, Pflegeheim) verschiedene Systeme zur Mensch-Roboter-Interaktion partizipativ entwickelt und erlebt werden. Themenfelder der konkreten Entwicklungs- und Anwendungsschwerpunkte: • • • •

kognitive Stimulation Erhalt funktionaler Fähigkeiten Kommunikation und soziale Interaktion Unterstützung einfacher alltagspraktischer Handlungen

5. Einbindung der Bürger durch partizipative Reallabore Der demografische Wandel ist eine der größten aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen. Dieser Transformationsprozess spiegelt sich auch in

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Erkundungsaufstellungen zu Pflege-Robotik

vielen Lebensbereichen der Bürgerinnen und Bürger wider: Ob Pflegeklient, Angehöriger oder Pflege(fach)kraft und politische Akteure. Entsprechend kann eine grundlegende Nutzung der KI im Gesundheit- und Pflegebereich nur gelingen, wenn die Zivilgesellschaft ihn mitgestaltet, mitbeschreitet und mitträgt. Partizipationsverfahren bilden deshalb wichtige Bausteine bei der Nutzung von KI-Systemen im Pflegebereich. Das partizipative Reallabor ist ein spezifisches Beteiligungsformat, das gleichermaßen zur Bürgerbeteiligung und zur Herausbildung von sozial robustem Wissen für eine sozial kohärente KI- Anwendung im Pflegbereich geeignet ist. Die Einbindung möglichst vieler Bevölkerungsgruppen, ein intensiver Austauschdialog, und verschiedene Unterstützungsleistungen und Sachinformation (Empowerment) bilden wesentliche Bausteine. 6. Ausblick und Marktentwicklung Die Entwicklung im Bereich der Digitalen Assistenten wird von Gartner als fortgeschritten eingeschätzt (vgl. Gartner 2018). Gartner liefert seit 2012 mit dem Hype Cycle für neue Technologien jährlich eine aktualisierte Orientierungshilfe für Unternehmen. Der Hype Cycle zeigt, welche Phasen branchenübergreifend relevante Technologien hinsichtlich der in sie gesetzten Erwartungen in ihrem technologischen Lebenszyklus bereits erreicht haben (Kreutzer 2015, S. 3). Der Übergang von programmierten Assistenten zu lernfähigen, proaktiven Anwendungen wird in den nächsten fünf Jahren erwartet. Viele große Anbieter wie beispielsweise IBM Watson, Microsoft Cortana, Next-IT oder Creative Virtual sind in diesem Bereich unterwegs. Bei der Einschätzung des möglichen Markvolumens werden digitalen Assistenten, nach Einschätzungen von Meisel (2017) ein weltweites Volumen von 9,2 Mrd. US Dollar und 2020 von 80,7 Mrd. US Dollar erreichen können. Dabei sollen die meisten Umsätze in den Asien-Pazifik Regionen erzielt werden, gefolgt von China, Europa und Südamerika (vgl. Meisel 2016, zitiert in Fraunhofer-Allianz Big Data 2017).

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Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen im Experten-Workshop

„Wenn jemand sucht (…), dann geschieht es leicht, dass sein Auge nur noch das Ding sieht, das er sucht, dass er nichts zu finden, nichts in sich einzulassen vermag, weil er nur immer an das Gesuchte denkt, weil er sein Ziel hat, weil er vom Ziel besessen ist. Suchen heißt: ein Ziel haben. Finden aber heißt: frei sein, offen stehen, kein Ziel haben.“ Hermann Hesse

In diesem Kapitel der Forschungsarbeit sollen die Erkenntnisleitenden Thesen als Ergebnisse mit Hilfe der konzeptionell erarbeiteten Prüfkriterien aus Kapitel 2 in Form einer kommunikativen Validierung behandelt werden. Unter kommunikativer Validierung ist nach JÜRGEN KLÜVER (1979, S. 2–9) ein methodisches Verfahren zu verstehen, um sich der Gültigkeit einer Interpretation dadurch zu vergewissern, dass eine Einigung respektive Übereinstimmung über die Interpretation zwischen Interviewten und Interpreten hergestellt wird. Dieser Schritt erfolgt im Sinne der Aktionsforschung (vgl. Horn 1979), die die erforschten und betroffenen Akteure, die hier mit der Pflege-Robotik in Berührung stehen, in diesem Forschungsprozess zu Beteiligten macht, indem ihre Interpretationen in die Ergebnisdiskussion einbezogen werden. Dies soll eine Maßnahme darstellen, den Gehalt der Erkenntnisleitenden Thesen durch Einbeziehung der Bezugsgruppen sicherzustellen und bestenfalls zu erweitern. Mit diesem Vorgehen sollen vor allem die Stimmigkeit und Gültigkeit der Erkenntnisleitenden Thesen auf ihren kreativ-innovativen Charakter überprüft werden. Als Bezugsrahmen sollen die Dimensionen der Prüfkriterien dienen, die in einem Expertenworkshop als Grundlage verwendet werden, um eine analytische Reflektion

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Pijetlovic, Das Potential der Pflege-Robotik, Systemaufstellungen in Wissenschaft und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31965-6_8

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8

Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen …

und Bewertung der Ergebnisse vorzunehmen. Zur Orientierung ist hier ein Beispiel für die optimale Einschätzung (die rote Linie zeigt die optimalste Bewertung bzw. Einordnung) als Erkenntnisleitende These nach den vorgegebenen Dimensionen im Modell dargestellt (Abb. 8.1):

fikv

Neuargkeit

bekannt

KontraIndikaon

Nachvollziehbarkeit

Plausibilität

Originalität

Abb. 8.1 Muster für eine optimale Erkenntnisleitende These. (Quelle: Eigene Darstellung)

Zur Einschätzung wurden alle Erkenntnisleitenden Thesen vorab an die teilnehmenden Experten des Workshops postalisch verschickt. Die Meinungen und Informationen der Experten zu den Erkenntnisleitenden Thesen bilden eine wesentliche Grundlage für die Empfehlungen im nächsten Kapitel 9 Zusammenfassung und Ausblick.

8.1

Teilnehmende des Experten-Workshops

In Orientierung an die Akteure des Pflegesystems, die auch als Elemente in den Erkundungsaufstellungen aufgetaucht sind, wurden jeweils Experten für die

8.1 Teilnehmende des Experten-Workshops

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Bereiche Pflegeunternehmen, Pflege-Robotik, pflegenden Angehörige und Pflegekräfte eingeladen. Jede/r Experte*in war dazu eingeladen, ihre Ansichten, Meinungen und Vorstellungen aus der jeweiligen Akteursgruppe einzubringen. Folgende Personengruppen warenvertreten wurden eingeladen: • zwei Vertreter des Unternehmens Blackout Technologies, die (Pflege-)Roboter entwickeln, • eine Pflegemanagerin des Kompetenzzentrum für Demenz in SchleswigHolstein, • drei pflegende Angehörige, die im Öffentlichen Dienst (Land Bremen) beschäftigt sind, • ein Vertreter der Hospizhilfe Bremen e. V., • eine Pflegefachkräfte aus dem Hospiz Lilge-Simon-Stift in Bremen und • eine Inhaberin einer ambulanten Pflegeeinrichtung (privat) im Landkreis Cuxhaven. Der Expertenworkshop fand am 24.01.2019 von 16–20 Uhr statt an der Universität Bremen statt. Der Workshop gliederte sich in drei Teile. Im ersten Teil wurde entschieden, welche zehn Erkenntnisleitenden Thesen behandelt werden sollen. Der Auswahlprozess erfolgte demokratisch per Mehrheitsbeschluss durch ein Punktevergabesystem. Anschließend wurden im zweiten Teil die ausgewählten Thesen in zwei Kleingruppen diskutiert. Gruppe A diskutierte die fünf Erkenntnisleitenden Thesen 1, 2, 3, 4 und 5 und Gruppe B die fünf Erkenntnisleitenden Thesen 6, 7, 8, 9 und 10. Um sicherzustellen, dass jede Erkenntnisleitende These bearbeitet wird, wurden sogenannte „Thesen-Hüte“ vergeben, indem jedem Experten mindestens eine erkenntnisleitende These zugeordnet wurde. Aufgabe des ThesenHüters war es, die Verantwortung zur Sammlung der Pro- und Kontra-Argumente für diese Erkenntnisleitende These zu übernehmen. Im zweiten Teil stellte der verantwortliche Thesen-Hüter die Argumentation seiner/ihrer Kleingruppe zur These dem Plenum vor. Die andere Gruppe hatte an dieser Stelle die Gelegenheit, ihre Argumente in die Diskussion einzubringen. Das Plenum besprach zuerst jene Erkenntnisleitenden Thesen, die in den Kleingruppen am kontroversesten diskutiert wurden. Die Transkription der Gruppendiskussion befindet sich im Anlageverzeichnis auf S. 277. Der Ablauf und Aufbau des hier vorgestellten Workshops orientiert sich maßgeblich an einem Vorgehen, wie es Becker et al. (2013, S. 135 ff.) in Robotik in Betreuung und Gesundheitsversorgung beschrieben haben. Auch dort wurden Experten im Rahmen eines Workshops zu Thesen hinsichtlich der Pflege-Robotik befragt und Verantwortliche für Thesen ernannt.

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8.2

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Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen …

Bewertungen der Experten zu den Erkenntnisleitenden Thesen

Im Folgenden werden die Bewertungen der Experten zu den erkenntnisleitenden beschrieben, ihre Pro- und Kontra-Argumente, welche sich im Expertenworkshop herauskristallisiert haben. Die Erkenntnisleitenden These wurden zwei Wochen vor dem Workshop den Experten*innen via Post zu gestellt, um ausreichend Zeit für Einordnungen auf den Prüfkriterien-Skalen zu den einzelnen Erkenntnisleitenden Thesen einräumen zu können. Der versendete Fragebogen befindet sich im Anlageverzeichnis auf Seite 303. Die Experten hatten bis nach dem Workshop die Gelegenheit, ihre Bewertungen zu ändern. Alle zehn Fragenbögen, auch die von den nicht am Workshop anwesenden Experten, sind am 28.01.2019 dem Verfasser zugegangen und in die Auswertung eingeflossen. Die eingetragenen Experten-Einschätzungen der jeweiligen Kategorie im Fragebogen wurden mit Werten (siehe unten Tabelle 8.1, obere Spalte) hinterlegt. Alle Werte wurden addiert und durch die Gesamtmenge der Befragten Personen dividiert. Der daraus errechnete Mittelwert ergab die Zuteilung in den jeweiligen Spinnendiagrammen. Grundsätzlich muss an dieser Stelle noch einmal betont werden, dass der Einsatz von Pflege-Robotik für die meisten Experten eher einen hypothetischen Charakter hat, da sich in Deutschland der Großteil der Produkte noch im Stadium der Forschung und Entwicklung befindet, also noch nicht in der Fläche eingesetzt wird (Daum 2017). Ausnahmen sind zum Beispiel robotische Therapiegeräte, Nao- und Pepper-Roboter, die als soziale Roboter in der häuslichen Pflege eingesetzt werden, die Therapierobbe Paro, oder Transportroboter, die überwiegend in der stationären Pflege zum Einsatz kommen.

8.2.1

Erkenntnisleitende These I (Nr. 3)

Der Einsatz der Pflege-Robotik wird neue Berufsfelder wie z. B. die des PflegeTechnikers schaffen

Die Weiterentwicklung der Einsatzmöglichkeiten der Pflegerobotik wird immer stärker dazu beitragen, dass technisches Wissen in der Aus- und Weiterbildung für den Pflegebereich eine notwendige Voraussetzung werden wird. Dies führt zu der Entstehung eines neuen Teilbereiches in der Pflege, die der Pflegetechnologie. Im Bereich der Pflegetechnologie werden Berufe wie der, des Pflegetechnikers und des Telepflegeassistenten ausgebildet, die in der Lage sein werden, Pflege-Robotik

8.2 Bewertungen der Experten zu den Erkenntnisleitenden Thesen

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Tabelle 8.1 Werte für die Darstellung im Spinnendiagramm. (Eigene Darstellung)

funktional und erfolgreich in Betreuungseinrichtungen oder in Privathaushalte einsetzen zu können. Bewertung der Erkenntnisleitende These durch die Experten im Fragebogen Die Erkenntnisleitende These I zeigt im Abgleich der Gütekriterien ein fast ausgeglichenes Muster. Die Mehrheit der Befragten bewertet die These als neuartig. In der Kontra-Indikation geht es in Richtung subversiv, in der Nachvollziehbarkeit in Richtung transparent und in der Dimension Plausibilität scheint die These ein

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8

Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen …

Stück offenkundig zu sein. Allerdings haben die Befragten die These als nicht so originell eingestuft und tendieren mehr in Richtung gewöhnlich (Abb. 8.2).

fikv

Neuargkeit

bekannt

KontraIndikaon

Nachvollziehbarkeit

Plausibilität

Originalität

Abb. 8.2 Bewertung der Erkenntnisleitende These I. (Quelle: Eigene Darstellung)

Meinungsbild im Expertenworkshop Die Mehrheit der Experten, vor allem die Vertreter der Wirtschaft, lehnt die These eher ab. Vertreter aus der Wissenschaft und pflegende Angehörige stimmen der These ansatzweise zu. Zudem wird kritisiert, dass die These keine Definition für den Begriff Techniker liefert und damit nicht klar wird, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen man als Pflege-Techniker bezeichnet werden kann. Hauptdiskussionspunkte Die Vertreter der pflegenden Angehörigen äußern die Sorge, dass sie die PflegeRobotik im häuslichen Gebrauch nicht gänzlich werden verstehen, anwenden oder benutzen können. Aus dieser Sorge heraus, können sie sich dem Bekunden nach

8.2 Bewertungen der Experten zu den Erkenntnisleitenden Thesen

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gut vorstellen und fordern teilweise sogar, dass es geschultes Personal wie PflegeTechniker geben soll, die unterstützend bei der Bedienung der Technologien tätig werden können. Die Experten aus der Wirtschaft gehen, wie sie äußern, davon aus, dass es bei der Einführung von Pflege-Robotik zu Beginn in einem Zeitfenster von 2–3 Jahren eine Hybrid-Lösung geben wird und argumentieren, dass aus ihrer Sicht lediglich in einer Übergangszeit sogenannte Pflege-Techniker nötig sein werden, bis die Anwender/innen wie pflegende Angehörige und Pflegekräfte selber in der Lage sind, die Technologien im Pflegebereich sicher bedienen und nutzen zu können. Des Weiteren gehen die Vertreter aus der Wirtschaft davon aus, dass Technologien in der Pflege zukünftig, wie auch in anderen Bereichen mit künstlicher Intelligenz, überwiegend autonom funktionieren werden. Eine Ausnahme wird es aus ihrer Sicht sein, wenn an der Maschine technische Defekte oder Fehlfunktionen auftreten. In solchen (Not-)Fällen werden ihrer Voraussicht nach Robotik-Techniker gerufen, die sich dann mit der Reparatur der Maschine beschäftigen. Ansonsten schlagen die Experten vor, dass das bestehende Pflegepersonal oder pflegende Angehörige im Rahmen einer Fortbildung oder Schulung in die Lage versetzt werden sollten, Pflege-Robotik professionell bedienen zu können, genauso wie die meisten Menschen heutzutage eigenständig ihr Smartphone bedienen können und keinen Support anrufen müssen, wenn ihr Smartphone mal abgestürzt ist. Ein Diskussionsteilnehmer aus der Perspektive der pflegenden Angehörigen gibt bei der Fortbildungs- und Schulungsidee für Pflegekräfte zu bedenken, dass die zusätzliche Bedienung und Handhabung von Pflege-Robotik auch zu einer weiteren Überforderung des Personals führen könnte. Ein weiteres Thema der These war der Begriff des Pflege-Technikers, der bei den meisten Teilnehmenden umstritten zu sein schein. Eine genaue Definition von Pflege-Technik (Begriffsklärung) und ihrer Zielgruppen wurde von den Teilnehmenden gewünscht. Der Arbeitsbereich eines Technikers sei sehr breit aufgestellt und ein unklares Begriffsverständnis erschwere es, stimmige und zukunftsgerichtete Aussagen zu der These finden zu können. Einig sind sich die Experten darin, dass es verständlicher wäre, wenn anstatt von einem Pflege-Techniker von einem Pflegetechnik-Berater gesprochen wird, der Wissen über Robotik und Technologien im Pflegebereich mitbringt. Eine Vertreterin merkt an, dass es im Pflegebereich grundsätzlich einen Bedarf gibt, Mitarbeiter*innen darin zu schulen, welche technologischen Möglichkeiten es gibt und wie man sie im jeweiligen Pflegekontext anwenden könnte, um die Pflegearbeit zu unterstützen. Informationen zu diesen technologischen Möglichkeiten sollten bereits in der Ausbildung behandelt werden.

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8.2.2

8

Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen …

Erkenntnisleitende These II (Nr. 5)

Pflegekräfte und pflegende Angehörige werden die Anwendung der PflegeRobotik nur in geschützten Erlebnis- und Erfahrungsräume erlernen. Solche Erfahrungsräume für Pflege-Robotik ermöglichen zu können, wird Aufgabe des Pflege-Managements werden.

Damit eine Akzeptanz der Pflege-Robotik erfolgen kann, darf sie weder neue noch zusätzliche Probleme schaffen noch zu erhöhtem Bedienungsaufwand führen oder durch umständliche Gerätebedienung die für die Pflege-Klienten wertvolle Zeit reduzieren. Daher bedarf die Anwendung in der Praxis im Vorfeld einer guten Vorbereitung. Die Pflegekräfte werden einen geschützten Rahmen benötigen, in dem sie die Möglichkeiten der Pflege-Robotik selbst erfahren und die Handhabung ausprobieren können. Fortbildungen und Schulungen stellen eine wichtige Übergangsphase zur Akzeptanz dar. Bewertung der Erkenntnisleitende These durch die Experten im Fragebogen Die Erkenntnisleitende These II zeigt ein überwiegendes ausgeglichenes Muster im Qualitätskriterien-Abgleich auf. Erst in der Diskussion werden weitere Aspekte beleuchtet, die vor allem die Originalität der These mehr in Richtung Einzigartigkeit verschiebt (Abb. 8.3). Meinungsbild im Expertenworkshop Die meisten Aussagen der Experten gehen in die Richtung, dass es Erfahrungsräume geben sollte, sie aber diese These unter den aktuellen Gegebenheiten kaum für umsetzbar halten. Eine Ausnahme wäre allerdings, wenn sie politisch gewollt und entsprechend finanziert würden, so dass solche Erfahrungsräume von Pflegeeinrichtungen zu Schulungszwecken flachendecken und dauerhaft in Deutschland angefragt werden können. Hauptdiskussionspunkte Obwohl sich die Experten bei der Bewertung der These überwiegend einig waren, wurde sie intensiv diskutiert. Die anwesenden Experten finden die These grundsätzlich richtig und sie finden auch, dass es solche Erfahrungsräume geben sollte. Allerdings halten sie diese Idee für schwer realisierbar, wenn nicht vorab geklärt wird, wer die Kosten dafür trägt. Darüber hinaus wäre auch eine politische Diskussion darüber zu führen, in welchen Städten, Landkreise und Bundesländer solche Erfahrungsräume organisiert werden sollten.

8.2 Bewertungen der Experten zu den Erkenntnisleitenden Thesen

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fikv

Neuargkeit

bekannt

KontraIndikaon

Nachvollziehbarkeit

Plausibilität

Originalität

Abb. 8.3 Bewertung der Erkenntnisleitende These II. (Quelle: Eigene Darstellung)

Ein Vertreter aus der Wirtschaft schlägt vor, anstatt von Erfahrungsräumen lieber von einem „Show-Room“ zu sprechen, den man gemeinsam mit der Industrie, Pflegebranche und Wissenschaft organisiert. In diesem Show-Room sollen dann Pflegekräfte und pflegende Angehörige für einen halben bis ganzen Tag die Möglichkeit erhalten, sich intensiver mit dem Einsatz von Technik und Robotik in der Pflege beschäftigen zu können, um stärker mit der Technologie „intouch“ gehen zu können. Dieser Show-Room für Pflege-Robotik sollte dann quer durch Deutschland wandern und immer nur für eine gewisse Zeit in einer Stadt verbleiben. Eine andere Vertreterin aus der Wirtschaft gibt bei dieser Idee zu bedenken, dass es grundsätzlich kaum freie Zeit für Pflegekräfte gibt, um solche Veranstaltungen während der Arbeitszeit besuchen zu können. Es wäre utopisch zu glauben, dass Arbeitgeber in der Pflege Zeit zur Verfügung stellen, damit ihr Personal solche Show-Rooms besuchen. Daher sollten zu allererst die Arbeitgeber und das Management im Pflegebereich in die Show-Rooms gebracht werden. Also kämen

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8

Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen …

als erste Zielgruppe eher Unternehmer*innen, Manager*innen und eventuell ausgewählte Mitarbeiter*innen aus den Pflegeeinrichtungen als Multiplikatoren in Frage. Die Experten sind sich einig, dass diese These nur durch ausreichend Unterstützung von Seite der Politik mit entsprechender finanzieller Ausstattung realisiert werden kann. Ein weiterer Vertreter schlägt in diesem Zusammenhang vor, dass Unternehmen und Pflegeeinrichtungen, die die Anwendung von Pflege-Robotik beabsichtigen, durch den Staat oder von Pflege- bzw. Krankenkassen einen finanziellen Zuschuss erhalten sollten, damit eine stärkere Nachfrage angekurbelt werden kann. Ein Experte gibt zudem zu bedenken, dass alle Demonstrationen in ShowRooms für Pflege-Robotik nicht gegen die Menschlichkeit oder ethische Richtlinien verstoßen dürfen. Es sollte kein Mensch auf irgendeine Art und Weise bloßgestellt werden.

8.2.3

Erkenntnisleitende These III (Nr. 6)

Der Einsatz von Pflege-Robotik wird die Pflegedokumentation und ähnliche administrative Aufgaben für Pflegekräfte und pflegende Angehörige erleichtern.

Die Pflege-Robotik wird die Steuerung des Pflegeprozesses noch einmal übersichtlicher und sicherer gestalten. Spielräume bei Abwägungs- und Aushandlungsprozessen über die Richtigkeit oder über Ausführungsvarianten der einzelnen Pflegeschritte werden geringer. Situative Abweichungen werden zwar nicht unmöglich, aber begründungspflichtig und unmittelbar für die Leistungskräfte transparent. Die Pflege-Robotik wird somit immer mehr zu einer sicheren Unterstützung der Protokollierung und Dokumentation des Pflegeprozesses. Bewertung der Erkenntnisleitende These durch die Experten im Fragebogen Diese Erkenntnisleitende These ist, bis auf eine stärkere Abweichung im Bereich der Originalität, überwiegend ausgeglichen in den QualitätskriterienDimensionen. Die Abweichung der Originalitäts-Dimension ist darauf zurückzuführen, dass die Befragten diese These eher als gewöhnlich und nicht so originell einstufen (Abb. 8.4).

8.2 Bewertungen der Experten zu den Erkenntnisleitenden Thesen

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fikv

Neuargkeit

bekannt

KontraIndikaon

Nachvollziehbarkeit

Plausibilität

Originalität

Abb. 8.4 Bewertung der Erkenntnisleitende These III. (Quelle: Eigene Darstellung)

Meinungsbild im Expertenworkshop Es wird eine kontroverse Diskussion über die Themen: Überwachung, Monitoring und Handlungsspielräume geführt. Einigkeit besteht darin, dass alle Experten es durchaus für sinnvoll erachteten, dass Pflege-Robotik zukünftig für die Dokumentation grundsätzlich stärker eingesetzt wird. Hauptdiskussionspunkte Zwei Experten (pflegende Angehörige und Hospiz-Vertreter) geben zu bedenken, dass diese These auch so weitergedacht werden könne, dass Pflege-Robotik die Arbeitsschritte von Pflegekräften durch Monitoring noch lückenloser kontrolliert. Dieses würde Pflegekräfte in ihrer Arbeit eher hemmen und den Handlungsspielraum weiter einschränken, beispielsweise bei der Frage, ob zuerst die Stützstrümpfe angezogen und dann das fünfminütige Gespräch führt wird oder umgekehrt. Alle Experten sind sich in dieser Sache allerdings einig, dass sie weitere Einschränkung nicht für sinnvoll erachten, sehen aber die Gefahr, dass ein verbessertes Monitoring durch Pflege-Robotik durchaus dazu eingesetzt werden könnte, Pflegekräfte stärker zu kontrollieren.

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8

Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen …

Der Experte aus der Wirtschaft (Blackout Technologies) argumentiert dagegen, dass die These nicht besagt, die Arbeit der Pflegekräfte zu dokumentieren, sondern dass es um die Dokumentation der Pflege-Klienten geht, wenn niemand anwesend ist. Also wenn jemand nicht im Raum des Pflege-Klienten ist, dann dokumentiert die Pflege-Robotik, welche körperliche und geistige Veränderungen bzw. ungewöhnliche Aktivitäten stellvertretend feststellen kann. Die Expertin aus dem Pflegeunternehmen führt an, dass im Pflegeprozess nicht alle Arbeitsschritte jeden Tag die gleichen sind, weil dies in erster Linie auch vom jeweiligen gesundheitlichen Zustand des Pflege-Klienten abhängt. Daher sollte ihrer Meinung nach eine gute Pflege-Robotik in der Lage sein, solche Abweichungen bei der Dokumentierung zu berücksichtigen, so dass keine Nachteile für Pflegekräfte oder Pflege-Klienten daraus entstehen. Die Expertin berichtet weiter, dass es heutzutage bereits einen Standard gibt, der die Abläufe im Pflegeprozess festhält. Das kann man sich als ein Korridor von Handlungsentscheidungen vorstellen, indem sich die Pflegekräfte bewegen dürfen. Sie schlägt vor, dass sämtliche Tätigkeiten, die außerhalb des Standards bzw. dieses Korridors liegen, von einer Pflege-Robotik erfasst werden sollten. Die Digitalisierung hat ihrer Meinung bereits einiges geleistet. Die Einführung von I-Pads und Tablets hat beispielsweise dazu geführt, dass kurz und präzise dokumentiert wird, so dass keine Geschichten mehr geschrieben werden müssen. Es wird nicht mehr jeden Tag ein Satz zum Zustand des Pflege-Klienten geschrieben, sondern Abweichungen vom Standard können, Dank technischer Hilfsmittel, schnell erfasst werden.

8.2.4

Erkenntnisleitende These IV (Nr. 7)

Der Einsatz von Pflege-Robotik in der pflegerischen Betreuung muss anhand verbindlicher ethischer Richtlinien situationsspezifisch beurteilt werden.

Der Einsatz von Pflege-Robotik hängt nicht alleine von technischen und wirtschaftlichen Aspekten ab, sondern berührt das Zusammenleben der Menschen und die Werte der Gesellschaft. Die Beachtung der ethischen Prinzipien wie Autonomie, Schutz vor Schaden, Fürsorge und Gerechtigkeit sind zentrale Bedingungen für den Einsatz von Pflege-Robotik. Mit dem Grad der Autonomie der PflegeRobotik steigen die ethischen Bedenken, weshalb diesen Aspekten besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss.

8.2 Bewertungen der Experten zu den Erkenntnisleitenden Thesen

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Bewertung der Erkenntnisleitende These durch die Experten im Fragebogen Diese Erkenntnisleitende These ist, bis auf die sehr starke Abweichung im Bereich der Kontra-Indikation, überwiegend ausgeglichen in allen anderen Dimensionen. In der Dimension Kontra-Indikation bewerten die Befragten die These als affirmativ, also sehr angepasst, sehr bejahend und messen ihr keinerlei zerstörerische Kraft bei, die den aktuellen System einen Musterwechsel einbringen könnte (Abb. 8.5).

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Neuargkeit

bekannt

KontraIndikaon

Nachvollziehbarkeit

Plausibilität

Originalität

Abb. 8.5 Bewertung der Erkenntnisleitende These IV. (Quelle: Eigene Darstellung)

Meinungsbild im Expertenworkshop In der Diskussion über die Erkenntnisleitende These IV wird ersichtlich, dass sich die Experten mehrheitlich einig darüber sind, dass es eine stärkere gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung mit ethischen Gesichtspunkten der Pflege-Robotik bedarf. Die Mehrheit der Experten favorisiert die Idee, dass es Expertengremien für KI und Robotik in den jeweiligen Bundes-, Landes-, und Kommunalebenen eingerichtet werden sollten, die sich mit ethischen Richtlinien

200

8

Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen …

beschäftigen und den Einsatz von Pflege-Robotik beurteilen und gegebenenfalls untersagen können. Hauptdiskussionspunkte Die Experten wünschen sich einen ethischen Grundkodex für die Anwendung von KI und Robotik im Pflegebereich. Die konkrete Ausgestaltung sollte ein gesamtgesellschaftliches Thema sein und von der Politik mit mehr Nachdruck auf die Tagesordnung gehoben werden. Alle Experten sehen ethische Richtlinien im Spannungsfeld zwischen Markt und Staat. Es ergeben sich unterschiedliche Sichtweisen, ob eine staatliche Gesetzgebung ethische Regel festlegen oder Unternehmen ihre eigenen ethischen Richtlinien gestalten und in die Entscheidungsfindung zum Einsatz der KI einfließen lassen. Ein Experte aus der Pflege-Robotik befürchtet, dass einfache Bürgerinnen und Bürger mit ethischen Fragen überfordert sein könnten. Daher sollten seiner Meinung nach für solchen ethischen Fragenkomplexe ausgewählte Menschen in Expertengremien zusammensitzen, die einen Fachkompetenz in Fragen von Entscheidungs-Engines1 bei Maschinen-Anwendungen verfügen. Dies ist ähnlich wie ein Regierungs- oder Parlamentsausschuss, welches in einem solchen Fall die Entscheidungen der KI überwacht und standardisierte Regeln festlegt. Weiter gibt der Pflege-Robotik-Experte zu bedenken, dass beispielsweise das berühmte ethische Dilemma mit selbstfahrenden Autos2 aus seiner Sicht ein unlösbares Problem darstellt und der Mensch eher dazu neigen wird, unlösbare Entscheidungen der Maschine zu überlassen. Wenn wir unsere Entscheidungsgewalt allerdings an eine Maschine abgeben, weil wir Menschen bequem geworden sind, dann wird diese Maschine seiner Meinung nach immer ethisch problematische Entscheidungen treffen, ohne Moral oder Bedauern. Diese Entwicklung, dass Maschinen zukünftig immer mehr Entscheidungen für Menschen treffen, hält er für überaus bedenklich. Bedenklich, weil seiner Meinung nach als hauptsächlicher Einflussfaktor für Entscheidungswege von künstlichen Intelligenzen am Ende hauptsächlich das Geld stehen wird. Die Ethik wird an dieser Stelle durch das 1 Eine

Engine ist für komplexe Berechnungen oder Simulationen zuständig. Oft läuft eine Engine selbsttätig im Hintergrund, ohne unmittelbar von einer Steuerung durch den Benutzer abhängig zu sein. 2 Autonome Fahrzeuge sollen zukünftig Verkehrsunfälle reduzieren, aber sie müssen manchmal zwischen zwei Übeln wählen, wie z. B. Fußgänger überfahren oder sich und ihren Fahrgast opfern, um die Fußgänger zu retten. Die Definition der Algorithmen, die autonome Fahrzeuge helfen, diese moralischen Entscheidungen zu treffen, ist eine gewaltige Herausforderung und ist unter dem ethischen Dilemma von selbstfahrenden Autos bekannt. (vgl. https://science.sciencemag.org/content/352/6293/1573)

8.2 Bewertungen der Experten zu den Erkenntnisleitenden Thesen

201

Geld ausgehebelt und er sieht die Gefahr, dass eine Maschine im kapitalistischen System so programmiert wird, dass sie ihre Entscheidung nicht danach treffen wird, was moralisch besser, sondern was finanziell günstiger ist. Der Experte sagt hierzu etwas sarkastisch: „Das Erstellen von Künstlicher Intelligenz ist getrieben von Bequemlichkeit und Profit. Man will Geld verdienen mit Künstlicher Intelligenz. Das heißt, wenn man einer Künstlichen Intelligenz Entscheidungen autonom überlässt, dann werden Entscheidungen getroffen, die für das Unternehmen, die die KI erstellt hat, am profitabelsten sind. Und das wird in den meisten Fällen zum Nachteil von Menschen sein. Wenn man beispielsweise komatös im Krankenhaus liegt und man lässt einen Roboter entscheiden, ob er den Stecker zieht oder nicht, dann wird er den Stecker ziehen, weil es weniger Geld kostet. Aber so dramatisch muss es gar nicht erst werden. Die Problematik im Pflegebereich wäre schon vorhanden, wenn eine Maschine entscheidet, wie lange im Pflegeprozess jemand gewaschen werden darf. Ob drei Minuten oder 30 Sekunden. Wieviel Masse, wieviel Zeit, wieviel Energie wird verbraucht, dass alles wird von der Maschine berechnet. Daher muss es ein Gremium geben, dass entscheidet, wieviel einem Menschen etwas zugestanden werden darf.“ Ein weiterer Punkt, den die Experten in diesem Zusammenhang diskutiert haben, bezog sich auf ethische Richtlinien, die das Thema Datensicherheit betreffen. Wo werden die Daten, die mit einer Pflege-Robotik erfasst werden, gespeichert? Wer hat Zugriff auf diese Daten? Darin sehen die Experten großen Klärungsbedarf.

8.2.5

Erkenntnisleitende These V (Nr. 9)

Es ist fraglich, ob der Einsatz von Pflege-Robotik dazu führen wird, dass Pflegekräfte mehr Zeit für Fürsorge in der Pflege haben werden, weil neu gewonne Zeiteinheiten im kapitalistischen Wirtschaftssystem in der Regel für Produktivitätssteigerungen eingesetzt werden.

Digitalisierung und neue Technologien führen nicht per se zu mehr Zeit für Fürsorge und Menschliche Zuwendung in der Pflege. Oft ist es sogar so, dass das Arbeitstempo durch Digitalisierung zusätzlich beschleunigt wird (Bspw. MediFox als IT-Lösung für die Ambulante Pflege). Deswegen sollte Pflege-Robotik darauf ausgerichtet sein, die Arbeitsbedingungen in der Pflege spürbar zu entschleunigen, damit neu gewonnen Zeiteinheiten zu einer verbesserten Qualität, anstatt Quantität, in der Pflege eingesetzt werden können.

202

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Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen …

Bewertung der Erkenntnisleitende These durch die Experten im Fragebogen Die Erkenntnisleitende These weist in Abgleich mit den Qualitätskriterien gemäß den Experten*innen einen starken Ausschlag in der Dimension Plausibilität auf. Die Befragten halten es offenbar für offenkundig, dass mehr Zeit im Pflegeprozess, die durch Pflege-Robotik gewonnen wird, nicht automatisch zu mehr Fürsorge im Pflegeprozess führen wird. In allen anderen Dimensionen wird die These in den erkenntnisleitenden Dimensionen positiv bzw. übereinstimmend mit den Gütekriterien bewertet (Abb. 8.6).

fikv

Neuargkeit

bekannt

KontraIndikaon

Nachvollziehbarkeit

Plausibilität

Originalität

Abb. 8.6 Bewertung der Erkenntnisleitende These V. (Quelle: Eigene Darstellung)

Meinungsbild im Expertenworkshop Das Meinungsbild zeigt, dass alle Experten der Erkenntnisleitenden These inhaltlich zustimmen, d. h. die meisten Experten gehen davon aus, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass gewonnene Zeiteinheiten zur Steigerung der Produktivität eingesetzt werden.

8.2 Bewertungen der Experten zu den Erkenntnisleitenden Thesen

203

Hauptdiskussionspunkte Grundsätzlich finden die Experten, dass es nicht fraglich ist, dass die These zutrifft. Im Gegenteil, sie sind sich sehr sicher, dass die These zutreffen wird, denn die verbesserte Skalierbarkeit und Messgenauigkeit der pflegerischen Tätigkeiten durch Pflege-Robotik werden den tayloristischen Gedanken stärker in die Pflege tragen. Das Hauptproblem, das die Experten darin sehen, ist, dass die neugewonnen Zeit wirtschaftlich nicht anerkannt wird. Es gibt keinen Leistungskomplex „Gespräch“ in der Pflege. Wenn man heutzutage als Pflegekraft mit dem PflegeKlienten eine Tasse Kaffee trinken möchte, dann muss man morgen dafür zehn Minuten länger arbeiten. Ein Experte aus der Wirtschaft berichtet, dass aus seiner Erfahrung heraus Maschinen bzw. Roboter in der Pflege genau dafür eingesetzt werden: Die Entlastung der Pflegekräfte wird dafür genutzt, mehr Pflege-Klienten zu betreuen und nicht um mehr Zeit für die Pflege-Klienten aufbringen zu können. Auch aufgrund des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels in der Pflege gehen die meisten Experten davon aus, dass der Einsatz von Pflege-Robotik den Pflegekräften mehr Zeit für Fürsorge bescheren wird. Heutzutage ist es schon so, dass Pflegedienste potentielle Klienten ablehnen müssen, weil sie keine Kapazitäten mehr frei haben. Der zeitliche Druck ist einfach zu groß. Die Experten sind sich darin einig, dass Pflegeeinrichtungen durch ihre Betreuungsarbeit in erster Linie versuchen, mehr Geld zu erwirtschaften. Wenn durch Pflege-Robotik täglich acht statt sieben Pflege-Klienten pro Pflegekraft versorgt werden können, dann werden auch acht Personen betreut, anstatt mehr Zeit für die sieben Pflege-Klienten aufzuwenden. Allerdings gibt ein pflegender Angehöriger als Experte zu bedenken, dass man die These auch umdeuten könne, indem Pflegedienste, die Pflege-Robotik einsetzen, dadurch ermöglicht werde, eine Art Premium-Pflege anzubieten. Also dadurch, dass Pflege-Robotik genutzt wird, sind das „Standardprogramm“ schneller durchlaufen und in der anschließenden Zeit kann dem Pflege-Klienten mehr menschliche Zuwendung zuteil werden. Der Pflege-Robotik Experte berichtet, dass in seinen Projekten genau so etwas passiert ist. Es wurden Roboter eingeführt und durch die Entlastung der Mitarbeiter wurden mehr Patienten betreut.

204

8.2.6

8

Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen …

Erkenntnisleitende These VI (Nr. 14)

Der Einsatz von Pflege-Robotik wird dazu beitragen, dass Pflege-Klienten länger in ihrem zuhause autonom leben können. Gleichzeitig werden pflegende Angehörige bessere Bedingungen vorfinden, sich im Pflegeprozess der ‚Menschlichen Zuwendung‘ stärker widmen zu können.

Zurzeit werden rund 2,5 Millionen Pflegebedürftige in der Bundesrepublik Deutschland von Angehörigen versorgt. Deutlich mehr als die Hälfte der pflegenden Angehörigen haben keine Möglichkeiten, jemanden zu finden, der sie zeitweise ablöst. So sind Pausen kaum möglich, und die Hauptpflegepersonen werden häufiger krank als Personen aus Vergleichsgruppen (Pflegereport 2018). Die Pflege-Robotik auf der Seite der materiellen Versorgung könnte die Belastung für pflegende Angehörige abmildern. So könnte zum Beispiel die Pflege-Robotik den pflegenden Angehörigen bei bürokratischen Anträgen unterstützen, und sie könnten als digitale Assistenten ansprechbar für Fragen über Leistungen der Pflegeversicherung sein und jederzeit darüber Auskunft geben, woher man noch Hilfe bekommen kann und diese für die pflegenden Angehörigen anfordern. Bewertung der Erkenntnisleitende These durch die Experten im Fragebogen Die Erkenntnisleitende These weist eine starke Abweichung in der Dimension Nachvollziehbarkeit auf. Die Befragten halten es offenbar für absolut transparent und damit einleuchtend, dass durch Pflege-Robotik mehr häusliche Autonomie von Pflege-Klienten erlangt werden kann und damit mehr Zeit für menschliche Zuwendung zur Verfügung stehen sollte. In allen anderen Dimensionen wird die These in den erkenntnisleitenden Dimensionen positiv bzw. übereinstimmend mit den Gütekriterien bewertet (Abb. 8.7). Meinungsbild im Expertenworkshop Die Meinungen der Experten sind bei dieser These stark deckungsgleich. Alle Experten sind sich einig, dass Pflege-Robotik einen sinnvollen Beitrag zur Autonomie des Pflege-Klienten leisten kann. Kontrovers diskutiert wird allerdings, ob sie ebenso dazu führen wird, dass pflegende Angehörige sich mehr der menschlichen Zuwendung widmen werden. Hauptdiskussionspunkte Die Experten sehen den Gewinn von Autonomie durch Pflege-Robotik als einen sehr positiven Effekt an. Vor allem die autonome Anwendung von Pflege-Robotik

8.2 Bewertungen der Experten zu den Erkenntnisleitenden Thesen

205

fikv

Neuargkeit

bekannt

KontraIndikaon

Nachvollziehbarkeit

Plausibilität

Originalität

Abb. 8.7 Bewertung der Erkenntnisleitende These IV. (Quelle: Eigene Darstellung)

im häuslichen Bereich wird von den pflegenden Angehörigen als konstruktive Unterstützung wahrgenommen. Einige Experten berichten in diesem Zusammenhang von den schwierigen Situationen mit pflegebedürftigen Angehörigen, wenn sie in ihrem zu Hause alleine leben. Oftmals ist es dann so, dass bei häuslichen Besuchen zuerst alltägliche Dinge wie putzen und aufräumen gemacht werden müssen, teilweise müssen auch wichtige Dokumente wiedergefunden werden, die verlegt worden sind. Man verbringt viel Zeit damit, die Dinge im Haushalt wieder zu richten. Erst anschließend bleibt Raum und Zeit sich der menschlichen Zuwendung widmen zu können. Eine Pflege-Robotik, die im Haushalt unterstützend tätig ist, die die Handlungen nachvollziehen kann und sich diese merkt, wird als wichtiger Beitrag gesehen, um Pflege-Klienten länger zu Hause verbleiben lassen zu könnte. Als die größten Sorgen von pflegenden Angehörigen wurden der gesundheitliche Zustand des Pflege-Klienten und die Situation im Haushalt genannt. Sie stellen sich oftmals die Frage, ob im Haus oder der Wohnung alles in Ordnung ist, ob der Herd in der Küche ausgeschaltet ist oder die Wasserhähne zugedreht wurden. Es wurde auch das Beispiel des Notfall-Knopfes erwähnt, der an einer Kette um den Hals hängt. Die Anwendung wurde als nicht zuverlässig eingestuft,

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8

Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen …

da dieser Kopf nicht autonom mitdenken kann, wenn tatsächlich etwas passiert ist, wie zum Beispiel bei einem Sturz. Ein pflegender Angehöriger als Experte hält es für sinnvoll, Pflege-Robotik als Strukturierungsmaßnahme für den Alltag des Pflege-Klienten einzusetzen. Oftmals vergessen Pflege-Klienten in Einrichtungen oder auch zu Hause, dass sie ausreichend und regelmäßig essen und trinken sollten. Oftmals werden Gegenstände gekauft und anschließend wird vergessen, wofür sie diese benötigen. Pflege-Robotik kann in solchen Fällen als Impulsgeber dienen. Es wird berichtet, dass es bereits Versuche mit Weckern gab, die zu bestimmten Zeiten anrufen, aber das habe nicht so gut funktioniert. Es werden Fälle geschildert, wo PflegeKlienten umgekippt sind und weder der Wecker noch der Notall-Knopf um den Hals aktiviert wurden. Eine Pflege-Robotik, die autonom agiert, ohne dass man vorher etwas betätigen muss, kann in Notfällen zu viel mehr Sicherheit beitragen als die herkömmlichen Lösungen. Es darf angenommen werden, dass sich dies auch autonomiefördernd auswirkt. Der Experte aus der Wirtschaft stimmt der These grundsätzlich zu, bezeichnet aber den zweiten Abschnitt mit der menschlichen Zuwendung als „Wunschdenken“. Aus seiner Erfahrung mit Robotern führt deren Einsatz nicht dazu, dass mehr menschlichen Zuwendung erfolgt. Aus Sicht des Experten ist der Einsatz von Pflege-Robotik eine Art der Gewissensberuhigung für die pflegenden Angehörigen. Er berichtet, dass die meisten Angehörigen keine Lust haben, sich freiwillig um Pflege-Klienten zu kümmern und wenn es dann eine Technologie gibt, die sie unterstützt, dann sind sie erleichtert. Sie können dann besser schlafen, weil eine Maschine da ist, die aufpasst und sich kümmert. Die Experten tauschen sich in diesem Zusammenhang weiter darüber aus, dass es in den Haushalten, in denen es bislang gut mit Pflege-Robotern funktioniert, die Maschine eher als eine Art intelligentes Haustier verkauft wird. Grundlage ist allerdings, dass ausreichend Akzeptanz vorhanden sein muss. Der Experte aus der Wirtschaft berichtet, dass es oftmals so ist, dass es beim erstmaligen Einsatz von Robotern eine Aufwärmphase gibt. Zu Beginn verstehen die Pflege-Klienten nicht, wieso jetzt eine Maschine da ist, aber nach einer Zeit entsteht Akzeptanz und die Maschine wird im Laufe der Zeit immer mehr in ihrem Wert geschätzt. Es wird von einem Fall berichtet, als ein Roboter kaputt gegangen ist und dann beim Pflege-Klienten und seinen Angehörigen ein Drama daraus entstanden ist, als wäre ein Haustier gestorben. Überwiegend ist es so, dass sich Akzeptanz mit der Zeit aufbaut und eine emotionale und kognitive Verbindung von dem Menschen zur Maschine entsteht.

8.2 Bewertungen der Experten zu den Erkenntnisleitenden Thesen

8.2.7

207

Erkenntnisleitende These VII (Nr. 15)

Pflege-Robotik in der pflegerischen Praxis wird sich nur durchsetzen können, wenn Pflegeeinrichtungen, pflegende Angehörige und Pflegekräfte bei der Produktentwicklung maßgeblich von Beginn an Beteiligte sind.

Die Akzeptanz von Pflege-Robotik wird sich dieser These zufolge nur dann durchsetzen, wenn möglichst viele Akteursgruppen von Beginn an an der Konzipierung der Systeme und ihrer Schnittstellen eingebunden werden. Hierfür wird es weitere Studien und Forschungsprojekte zwischen Wissenschaft, Robot-Industrie und Akteursgruppen geben müssen. Solche Untersuchungen sollten auch als Feldstudien in privaten Wohnungen, in Pflegeeinrichtungen und in Klinken durchgeführt werden, um eine realistische Einschätzung der Entwicklung und ihrer Implikationen zu ermöglichen. Erst auf Basis solcher Erkenntnisse können Pflegesysteme so gestaltet werden, dass technische und soziale Komponenten sich sinnvoll ergänzen und ineinandergreifen. Bewertung der Erkenntnisleitende These durch die Experten im Fragebogen Diese Erkenntnisleitende These IIV zeigt sich in der Erhebung, bis auf eine stärkere Abweichung im Bereich der Kontra-Indikation, überwiegend ausgeglichen in den Dimensionen. Die Abweichung der Kontra-Indikation-Dimension könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Befragten diese These als notwenige Maßnahme ansehen, damit sich Pflege-Robotik durchsetzen kann. Die Forderung, dass Akteursgruppen in die Produktentwicklung stärker einbezogen werden sollten, ist auch keine Neuheit und gehört in einigen politischen Bereichen immer mehr zu den Standardmaßnahmen (Abb. 8.8). Meinungsbild im Expertenworkshop Das Meinungsbild der Experten zur Erkenntnisleitende These 7 zeigt eine breite Streuung: Vertreter der Bereiche Pflegekräfte, pflegende Angehörige und Pflegeunternehmen stimmen der These zu, während Vertreter der Wirtschaft sie eher ablehnen. Hauptdiskussionspunkte Aus Sicht der Experten aus den Bereichen pflegende Angehörige und Pflegkräfte wird eine stärkere Einbeziehung als sehr sinn- und wertvoll erachtet. Gerade vor dem Hintergrund, dass Robotik im häuslichen Bereich eingesetzt werden soll, damit Pflege grundsätzlich effizienter erfolgen kann, darf sie nicht

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8

Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen …

Abb. 8.8 Bewertung der Erkenntnisleitende These IIV. (Quelle: Eigene Darstellung)

der Menschlichkeit entgegenstehen. Dieser Aspekt kann ihrer Meinung nach nur gewährleistet werden, wenn von vorherein die relevanten Akteure einbezogen sind. Für sie sind die politischen Gremien und vor allem die Bundesregierung die ausschlaggebenden Akteure, die durch gezielte Fördergelder die Leitlinien einer Produktentwicklung von Pflege-Robotik maßgeblich mitgestalten können. Der Experte aus der Wirtschaft gibt hierbei zu bedenken, dass Partizipation eine gute Theorie ist, aber sich aus seinen Erfahrungen heraus nicht als praxistauglich erwiesen hat. Er hält es unnötig, alle Anspruchsgruppen „zwanghaft“ einzubeziehen, weil unterschiedliche Akteursgruppen bislang noch nie freiwillig Teil der Produktentwicklung sein wollten. Dies sei aus seiner Sicht auch noch nie vorgekommen. Er sieht die Gefahr, dass durch Fördermaßnahmen der Staat zunehmend in die Pflege eingreift und damit die Pflegeautonomie schwächt. Eine Befürchtung des Experten ist es auch, dass eine zu starke staatliche Regulierung Wettbewerb und Innovationsfähigkeit beeinträchtigt. Als problematisch wird in diesem Zusammenhang der Thesendiskussion auch die Individualität von Pflege-Klienten andiskutiert. Jeder Mensch, und damit auch jeder Pflege-Klient, hat unterschiedliche Bedürfnisse. Daher ist es schwierig, auf jeden Einzelnen zufriedenstellend eingehen zu können. Daher sollte der

8.2 Bewertungen der Experten zu den Erkenntnisleitenden Thesen

209

Markt selber durch Angebote prüfen, welche technologischen Möglichkeiten sich flächendeckend auf die Masse am besten realisieren lassen. Die Expertin für die Pflegeunternehmen hält es für wünschenswert, wenn im Vorfeld eine Einbeziehung aller relevanten Akteure erfolgt, aber dafür müsste nach ihrer Meinung die Industrie auf die Pflege zu gehen. Wenn der Staat darauf durch Fördergelder hinwirken kann, dann wird das begrüßt.

8.2.8

Erkenntnisleitende These VIII (Nr. 16)

Das Anwendungsgebiet der Pflege-Robotik wird sich generell in zwei Richtungen entwickeln: (1.) Einerseits wird sich die Pflege-Robotik auf psychische Aspekte konzentrieren. Beispielsweise werden Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz die Erkennung und Deutung menschlicher Emotionen und damit die MenschRobotik-Interaktion und Kommunikation immer besser werden lassen. (2.) Die andere Richtung der Pflege-Robotik wird sich schwerpunktmäßig auf physische Aspekte beziehen. Die Technik wird sich weiterentwickeln und Pflege-Robotik wird besser darin werden die körperintensiven und pflegerischen Bedürfnisse zu bedienen. Die emotional-psychische Ausprägung wird sich allerdings schneller weiterentwickeln als die technisch-physische Seite der Pflege-Robotik.

Bewertung der Erkenntnisleitende These durch die Experten im Fragebogen Die Erkenntnisleitende These VIII weist in den Dimensionen Originalität und Neuartigkeit große Abweichungen aus. In diesen Dimensionen wird sie mehr in Richtung einzigartig eingestuft. Eine Idee, weshalb die These als einzigartig wahrgenommen wird, könnte sein, weil eventuell sämtliche technische Entwicklung der Künstliche Intelligenz sehr als spezifisch wahrgenommen werden. Es fehlt den Menschen an Vorstellungskraft. In den weiteren Dimension trifft die Erkenntnisleitende These genau die Güte und wird als originell, plausibel, kontra-indikativ und etwas fiktiv wahrgenommen (Abb. 8.9). Meinungsbild im Expertenworkshop Unter den Experten mit beruflicher Erfahrung mit Pflege-Robotik fällt die Einschätzung der These, dass sich der emotional-psychische Bereich der Robotik schneller und besser entwickeln wird als der technischer, in der Tendenz deutlich positiver aus als bei den Experten, die wenig bis gar keine Berührungspunkte mit Pflege-Robotik hatten.

210

8

Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen …

fikv

Neuargkeit

bekannt

KontraIndikaon

Nachvollziehbarkeit

Plausibilität

Originalität

Abb. 8.9 Bewertung der Erkenntnisleitende These VIII. (Quelle: Eigene Darstellung)

Hauptdiskussionspunkte Grundsätzlich bestätigen alle Experten, dass die in der These beschriebenen zwei Entwicklungsbereiche in der Pflege-Robotik als stimmig wahrgenommen werden, dies aber auch auf andere Bereiche in der Robotik zutrifft. Sie schlagen vor, diese Bereiche besser als Technik- und Kommunikationsbereich zu bezeichnen. Die Experten, die beruflich mit Pflege-Robotik zu tun haben und sie auch nutzen, haben eine durchgehend positivere Einstellung gegenüber der emotionalpsychischen Entwicklung der Pflege-Robotik als die Nicht-Nutzer. Die Experten mit der Erfahrung kritisieren hierzu, dass in der Öffentlichkeit häufig der falsche Eindruck vermittelt wird, dass die Pflege-Robotik eine „eierlegende Wollmilchsau“ für die Pflege sei. Dies ist ihrer Meinung nach ganz klar nicht der Fall. Sie kritisieren vor allem, dass in der öffentlichen Debatte die Pflege-Robotik dargestellt wird, als ob sie die körperlichen Belange der Menschen bedient und dadurch die Pflegekräfte perspektivisch ersetzt werden könne. Die Menschen würden teilweise denken, dass sie irgendwann einmal von Pflege-Robotern gepflegt würden. Mit solchen Fehleinschätzungen werden den Experten zufolge Erwartungen, aber auch Ängste geschürt. Dass Pflege-Roboter irgendwann einmal

8.2 Bewertungen der Experten zu den Erkenntnisleitenden Thesen

211

Menschen alleine pflegen, da ist die Gesellschaft nach Meinung der Experten noch mehrere Jahrzehnte weit entfernt. Dieses schiefe Bild der Pflege-Robotik muss nach Meinung der Experten unbedingt gerade gerückt werden. Dies gelte vor allem, weil die kommunikativen und sozialen Aspekte bei dieser Betrachtung meistens vernachlässigt würden. Einige Experten (Pflege Angehörige) befürchten, dass gerade durch eine immer besser werdende Pflege-Robotik die zwischenmenschliche Zuwendung leiden wird und dieser Entwicklung den Menschen entwürdigt. Die Expertin aus dem Pflegeunternehmen berichtet aus ihrem Berufsalltag, dass sie beispielsweise den Einsatz der Pflege-Roboter-Robbe PARO bei ihrem Pflege-Klienten mit Demenz nicht als entwürdigend wahrnimmt. Im Gegenteil: PARO würde den PflegeKlienten ihre Würde wieder zurückgeben, indem er für rundum betreute, hilflose Menschen ein kleines Fenster aufmacht, in dem sie selbst wieder Zuwendung geben können. Eine Expertin und pflegende Angehörige fügt hinzu, dass sie dies gut nachvollziehen könne, da sie sich mit ihrer demenziell erkranken Oma oftmals überfordert fühle. Allerdings problematisierte sie auch, dass Demenz erkrankte Menschen das künstliche Wesen PARO oftmals als echtes Tier wahrnehmen, in der Wirklichkeit aber dadurch getäuscht und somit in ihrer Würde verletzt würden. Die Gefahr ist groß, dass am Ende die menschliche Zuwendung eben doch durch die Künstliche Intelligenz ersetzt wird, was Experten mehrheitlich ablehnen. Von der Perspektive des Pflege-Klieten jedoch, ist PARO eine willkommene Abwechselung, die mit Klappaugen auf Streicheln reagiert und so neben „touchfeeling-quality“ auch eine Resonanz und Interaktion anbietet. Beides zaubert dem Klienten ein Lächeln ins Gesicht. Und das ist psychologisch ein Hinweis auf Wohlbefinden. Dieser Kontakt stellt eine Chance für ein „kleines Glück“ dar, die den Pflege-Klienten nicht abgesprochen werden sollte. Hier bedarf es der Aufklärung, auch gegenüber den Angehörigen.

8.2.9

Erkenntnisleitende These IX (Nr. 1)

Durch den Einsatz von Pflege-Robotik könnten personenbezogene Daten in einem Umfang gesammelt werden, wie es zuvor noch nie möglich war. Daher müssen rechtliche Reglungen und der Datenschutz vorab geklärt sein, bevor die PflegeRobotik mit Künstlicher Intelligenz im häuslichen Bereich eingesetzt werden kann.

212

8

Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen …

Künstliche Intelligenz wird immer autonomer. Rollstühle können selbstständig fahren, Roboter können Personen aus dem Bett heben und Medikamente verteilen. Robotik handelt eigenständig und trifft situative Entscheidungen ohne das Zutun des Menschen. Wer haftet, wenn etwas passiert oder es zu einer Fehlentscheidung kommt? Es müssen Regeln und Richtlinien entwickelt werden, damit die Entwicklung in der Pflege-Robotik nicht gehemmt wird, sondern gut eingebettet stattfindet. Bewertung der Erkenntnisleitende These durch die Experten im Fragebogen Die Erkenntnisleitende These IX weist in den einzelnen Dimensionen weite Abweichungen zu den forschungsbezogenen Gütekriterien aus. Die These wird von den Befragten als sehr transparent, affirmativ, bekannt, eher gewöhnlich und offenkundig eingestuft. Sämtliche Einschätzungen sind Indizien dafür, dass diese These nicht den festgelegten Gütekriterien für Erkenntnisleitende Thesen entsprechen; eher ist die These erweiterbar (Abb. 8.10).

fikv

Neuargkeit

bekannt

KontraIndikaon

Nachvollziehbarkeit

Plausibilität

Originalität

Abb. 8.10 Bewertung der Erkenntnisleitende These IX. (Quelle: Eigene Darstellung)

8.2 Bewertungen der Experten zu den Erkenntnisleitenden Thesen

213

Meinungsbild im Experten-Workshop In der Diskussion wird ersichtlich, dass alle Experten sich darin einig sind, dass es rechtliche Regelungen für den Umgang mit Daten, die mittels Pflege-Robotik generiert werden, geben muss. Des Weiteren vermuten die meisten Experten, dass vor allem Krankenkassen zukünftig die Institutionen sein werden, die solche personenbezogenen Daten für ökonomische Zwecke und Auswertungen verwenden wollen. Hauptdiskussionspunkte Nach Meinung der Experten spielen finanzielle Investitionen bei der Sammlung von Daten eine relevante Rolle, denn für deren Speicherung werden großen Server benötigt. Die Experten bezweifeln, dass kleine Pflegeeinrichtungen perspektivisch in der Lage sein werden, ausreichend Serverkapazitäten aufzubauen, um die anfallenden Daten speichern und verarbeiten zu können. Daher sind sich die Experten einig darin, dass diejenigen Institutionen, die diese Technologie bezahlt, auch diejenige sein werden, die die Macht über die Daten beanspruchen. Nach Meinung der Experten werden es am ehesten die Krankenkassen sein, die hierfür in Frage kommen. Daher sollten rechtzeitig Richtlinien geschaffen werden, damit Krankenkassen mithilfe von Pflege-Robotik kein Geld verdienen, indem Patienten und Pflege-Klienten so wenig Kosten wie möglich verursachen. Daten, die mit Hilfe von Pflege-Robotik erhoben werden, sollten nicht zum Nachteil von PflegeKlienten und pflegenden Angehörigen genutzt werden dürfen. Sobald Künstliche Intelligenz den Pflegeprozess monitoren kann, sehen die Experten die Gefahr, dass Entscheidungen getroffen werden, die zum Nachteil für Pflege-Klienten und pflegende Angehörigen ausgelegt werden könnten. Idealerweise sollte es so ein, dass die Daten ausschließlich dem Pflege-Klienten gehören und keinerlei Zugriff von irgendwem anderen auf diese Daten möglich ist. Sicherlich können statistische Analysen anonymisiert, nicht direkt auf eine Person zurückzuführen, durchgeführt und dem Pflegepersonal zur Verfügung gestellt werden, um deren Arbeit zu unterstützen. Doch alles andere darüber hinaus, alles was persönlich ist, sollte bei dem Menschen bzw. beim Pflege-Klienten bleiben. Die Experten befürchten, dass es ansonsten „keine Grenze mehr gibt“. Ein Experte (Pflegender Angehöriger) betont in diesem Zusammenhang, dass es für pflegende Angehörige durchaus sehr hilfreich sein kann, wenn bestimmte Informationen über den Zustand des Pflege-Klienten an familiäre Personen weiter gereicht werden. Eine Künstliche Intelligenz könnte stellvertretend rund um die Uhr den Zustand des Pflege-Klienten monitoren und somit können pflegende Angehörige sofort reagieren, wenn etwas nicht stimmt.

214

8

Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen …

Der Experte aus der Wirtschaft erzählt hierzu aus seiner Praxiserfahrung, dass Künstliche Intelligenz bzw. die Pflege-Roboter im häuslichen Gebrauch nicht dazu genutzt werden, um den kompletten Zustand von Pflege-Klienten rund um die Uhr zu monitoren. Im Gegenteil, es werden von Beginn an Regeln festgelegt, die Abweichungen oder Notstände an das Pflegepersonal oder pflegende Angehörige kommunizieren. Wenn beispielsweise ein Pflege-Klient über eine gewisse Zeitspanne sehr wenig gegessen und getrunken hat und die festgelegte Regel für tägliche Mahlzeiten und Flüssigkeitseinnahme eine auffällige Abweichung von der Norm aufzeigt, sendet die Pflege-Robotik eine Warnung an das Pflegepersonal. In diesem Fall entscheidet die Maschine anhand der Prämissen, die das Pflegepersonal als Regel bzw. Notfall vorab definiert hat. Die Expertin aus dem Bereich der Pflegeunternehmen klärt auf, dass es diese Debatte um den Datenschutz im Pflegebereich schon lange gibt und das Monitoring heutzutage vom Pflegepersonal durch Abfrage des Pflege-Klienten über dessen Tagesstruktur, im sogenannten Pflegeassessment3 , erfolgt. Im Pflegeassessment werden Standards und Problematiken festgelegt. Das Pflegeassessment erfasst den Ist-Zustand und ist in allen Abschnitten des Pflegeprozesses wiederholt möglich. Es ist in den Pflegeprozess integriert. Das ist hilfreich für entsprechende Pflegeprobleme, Funktionen und Risikoabwägungen. Üblicherweise werden innerhalb der Pflege die Assessmentinstrumente bestimmten Pflegephänomenen zugeordnet. So gibt es beispielsweise verschiedene Risikoskalen zur Einschätzung des Dekubitusrisikos4 , deren Ergebnisse zur Konkretisierung der Pflegediagnose und der Handlungsinitiierung präventiver, therapeutischpflegerischer Maßnahmen dienen. Andere Instrumente kommen zur Messung der subjektiven Wahrnehmung von Schmerz, des Pflegebedarfs und der Pflegeabhängigkeit zum Einsatz. Dies wären Bereiche, in denen Pflege-Robotik durchaus nützlich im Sinne der Prävention sein kann.

3 Der

Begriff Pflegeassessment beschreibt die Anwendung verschiedener Methoden innerhalb der professionellen Pflege um pflegerelevante Variablen und Phänomene hinsichtlich ihrer Qualität, ihres Erfolges oder anderer Schwerpunkte zu beurteilen und die nachfolgende Handlung zu initiieren und dem aktuellen Pflegebedarf anzupassen. Die Auswahl geeigneter Instrumente des Pflegeassessments und die Einordnung einzelner Zustände in die Bewertung können sowohl objektiven Kriterien folgen, beispielsweise festgelegten Bewertungsskalen, aber auch auf der subjektiven Expertise der Pflegekraft beruhen. 4 Begriff: Risiko des Wundliegens

8.2 Bewertungen der Experten zu den Erkenntnisleitenden Thesen

215

8.2.10 Erkenntnisleitende These X (Nr. 18) Pflege-Robotik mit Künstlicher Intelligenz kann den gesundheitlichen Zustand von Pflege-Klienten eigenständig und zuverlässig beurteilen. Vor allem wenn Pflege-Klienten in Not geraten, wird Pflege-Robotik angemessen reagieren und Hilfe rufen können.

Die elektronische Beobachtung und Tracking5 von Personen ist kein neues Konzept. Die Tendenz des Trackings wird sich durch die Möglichkeiten der Digitalisierung und Robotik lediglich weiter fortsetzen. Insbesondere sehr alte PflegeKlienten, die isoliert und alleine leben, könnten durch verbesserte Beobachtungsund Kommunikationsmöglichkeiten mithilfe von Pflege-Robotik ein größeres Gefühl an Sicherheit im Alltag gewinnen. Bewertung der Erkenntnisleitende These durch die Experten im Fragebogen Die Erkenntnisleitende These X weist in den Dimensionen Kontra-Indikation und Nachvollziehbarkeit eine breite Streuung aus. In diesen Dimensionen wird sie als subversiv und mehr transparent eingestuft. Eine Idee, weshalb die These subversiv wahrgenommen wird, könnte sein, weil die Verantwortung, die vorher bei den Menschen lagen, nun damit öffentlich und sukzessive immer mehr auf die Maschine übertragen wird und transparent, weil die generelle gesellschaftliche Tendenz immer mehr in Richtung in Richtung datengesteuertes Handeln, dem eines Dataismus6 , übergeht. In der anderen Dimension trifft die Erkenntnisleitende These genau die Güte und wird als originell, plausibel und neuartig wahrgenommen (Abb. 8.11). Meinungsbild im Experten-Workshop Die Mehrheit der Experten empfindet es grundsätzlich als sinnvoll, dass PflegeRobotik mit Künstlicher Intelligenz mehr Aufgaben in der Pflege übernimmt. Sie fordern aber auch, dass ethische und rechtliche Rahmenbedingungen in diesem Zusammenhang gesellschaftlich intensiver diskutiert werden sollten. 5 Tracking

dient der gleichzeitigen Verfolgung von (bewegten) Objekten und Subjekten. Ziel dieser Verfolgung ist meist das Abbilden der beobachteten tatsächlichen Bewegung zur technischen Verwendung. Solche Verwendung kann das Zusammenführen des getrackten Objektes mit einem nachfolgenden Objekt sein. Solche Verwendung kann aber auch nur die jeweilige Kenntnis des momentanen Ortes des getrackten Objektes sein. 6 Dataismus ist ein Begriff, der verwendet wird, um die Denkweise oder Philosophie zu beschreiben, die durch die aufkommende Bedeutung von Big Data geschaffen wird. Der Begriff taucht erstmals bei David Brooks in der New York Times im Jahr 2013 auf.

216

8

Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen …

fikv

Neuargkeit

bekannt

KontraIndikaon

Nachvollziehbarkeit

Plausibilität

Originalität

Abb. 8.11 Bewertung der Erkenntnisleitende These X. (Quelle: Eigene Darstellung)

Hauptdiskussionspunkte Inhaltliche Diskussionspunkte dieser Erkenntnisleitenden These hinsichtlich der Thematik Datensicherheit überschneiden sich zu großen Teilen mit der Erkenntnisleitenden These IIV. Laut den Experten sollte ein fortlaufendes ErwartungshaltungsManagement durchgeführt werden, weil eine Maschinen nie ganz perfekt sein werden. Das heißt, dass Fehler bei einer Pflege-Robotik nur dann identifiziert werden können, wenn die Parameter eine korrekte Einstellung vorweisen und die Maschine richtig kalibriert ist. Wenn beispielsweise die Gefahr besteht, dass der Pflege-Klient im häuslichen Bereich unkontrolliert umfällt, dann muss man die Maschine mit der technologischen Fähigkeit ausstatten, wahrnehmen zu können, ob der Mensch wacklig wird oder gar umgefallen ist. Das gilt ebenfalls für die potentielle Gefahr, dass ein Pflege-Klient zu wenig isst und trinkt, denn auch dann muss die Maschine so programmiert werden, dass diese Gefahr bestehen könnte. In der weiteren Diskussion darüber, äußern sich die Experten dahingehend, dass sie nicht davon ausgehen, dass es eine standardisierte KI geben wird, die alles und jeden ständig misst, sondern eher, dass man die

8.3 Schlussbetrachtung des Experten-Workshops

217

Messvorgänge für die KI parametrisieren muss. Diese Parametrisierung wird heutzutage komplett individuell gestaltet, weil jeder Pflege-Klient seine eigenen Präferenzen bzw. Probleme hat. Für die Expertin aus dem Pflegeunternehmen stellt sich die Frage, wer wirklich die Zielgruppe ist, die mit dieser These angesprochen wird. Ist es der Pflege-Klient oder sind es seine pflegenden Angehörigen, die ihre Sorgen beruhigen wollen? In diesem Zusammenhang werden immer wieder Bezüge und Querverweise zu den bereits ethischen Aspekten der Diskussion gezogen. Für eine andere Expertin und pflegende Angehörige ist es schwer zu beurteilen, was die Künstliche Intelligenz alles kann oder zukünftig können wird. Sie sieht es grundsätzlich als einen Vorteil an, dass pflegende Angehörige ihre Verantwortung an die Maschine abgeben können und die Möglichkeit eines LiveFeedbacks über den Zustand von Pflege-Klienten erhalten. Sie betrachtet die Pflege-Robotik in dieser Hinsicht als zuverlässiges Bezugsobjekt, wenn man als pflegender Angehöriger selber nicht vor Ort sein kann. Dass es technische und intelligente Systeme gibt, die um Hilfe rufen können, wenn Pflege-Klienten in Not sind, finden grundsätzlich alle Experten sinnvoll. Jedoch stellt eine andere Diskussionsteilnehmerin in diesem Zusammenhang die philosophische Frage, weshalb wir gesellschaftlich ständig das Bedürfnis haben, jeden Aspekt des Lebens kontrollieren zu müssen? Wo ist die Grenze des Kontrollierens? Ihrer Meinung nach sind diese Aspekte ein gesamtgesellschaftliches Thema und es gilt zu klären, ob wir wirklich wollen, dass Maschinen und PflegeRoboter um jeden Preis versuchen sollen uns am Leben zu halten. Weshalb darf man heutzutage als Pflege-Klient nicht mehr sterben dürfen, ohne dass jemand sofort darüber alarmiert wird, um das Leben zu verlängern. Sie plädiert dafür, die Pflege-Klienten direkt dazu zu befragen, ob sie das wirklich wollen.

8.3

Schlussbetrachtung des Experten-Workshops

Insgesamt kann festgehalten werden, dass durch den Experten-Workshop die Erkenntnisleitenden Thesen überwiegend bestätigend und gehaltvoll erweitert werden konnten. Es konnte allerdings kein klares Stimmungsbild herausgefiltert werden, dass durch Pflege-Robotik die Akteure im Pflegesystem vollumfänglich unterstützt und entlastet werden. In dieser Frage gingen die Meinungen der Experten teilweise weit auseinander. Einig waren sich die Experten jedoch darin, dass Pflege-Robotik die Arbeit von Pflegekräfte nicht ersetzen kann.

218

8

Plausibilitäts-Check der Erkenntnisleitenden Thesen …

Grundsätzlich sind aus Sicht der Experten eine ganze Reihe von Chancen und Risiken sowie Bedingungen mit der Einführung der Pflege-Robotik verknüpft, die hier in dieser Forschungsarbeit nicht weiter untersucht werden konnten. Das unterstreicht jedoch noch einmal, wie komplex die Einführung und der Einsatz von Pflege-Robotik sind. Vor allem ethische Aspekte sind in den Diskussionen aufgetaucht, die es zukünftig stärker transdisziplinär aus geisteswissenschaftlicher, philosophischer und technischer Sicht zu beleuchten gilt. Ein zentraler Aspekt in den Diskussionen war immer wieder das Thema der Datensicherheit. Da gesundheitsbezogene Daten nach den Bestimmungen der EUDatenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu den besonderen personenbezogenen Daten gehören, unterliegen sie einem verschärften Schutz (Europäisches Parlament und Rat 2016). Die von Mai 2018 neue Verordnung sieht unter anderem vor, dass der Schutz der Daten bereits bei der Entwicklung digitaler Anwendungen berücksichtigt werden muss („privacy by design“) und die Voreinstellungen von vornherein datenschutzfreundlich sein müssen („privacy by default“). Zu den Datenschutzfunktionen gehört insbesondere eine transparente Darstellung, für welche Zwecke die Gesundheitsdaten gespeichert und an wen sie übermittelt werden. Der Datenschutz ist im Zusammenhang mit der Pflege-Robotik bei den Experten im Workshop von großer Bedeutung gewesen. Es steht die Befürchtung im Raum, dass durch die zunehmende Digitalisierung und Pflege-Robotik die Gesundheitsdaten besser geschützt werden müssen als es bislang der Fall ist. Bezüglich der Organisation des Workshops wurde kritisiert, dass aus der Akteursgruppe der Pflege-Klienten keine Vertreter*innen an der Diskussion teilgenommen haben bzw. eingeladen worden sind. Die Experten resümieren hierzu, dass es generell eine gesellschaftliche Problematik darstellt, mit älteren Menschen ausreichend zu reden, sie mehr einzubeziehen, sie abzuholen bei dem, was sie denken und wollen, anstatt sie als das zu behandelnde Problem zu betrachten. Diese Problematik kommt laut den Experten auch zum Vorschein, wenn in den Medien das Thema der Pflege-Robotik aufgegriffen wird. Die Experten formulieren einen Eindruck, wonach die Berichterstattungen mehr von der Begeisterung über die Roboter als von einer echten Sorge um die Bedürfnisse und Wünsche älterer Menschen angetrieben ist. Gegen Ende der Diskussion im Workshop appellieren die Experten an Politik, Medien und Wissenschaft, die Bedürfnisse älterer Menschen und zukünftigen Pflege-Klienten in Bezug zur Pflege-Robotik mehr einzubeziehen und zu befragen, um sicherstellen zu können, welche Lösungen wirklich sinnvoll sind. Nach Meinung der Experten sollte noch bevor wir Digitalisierung und Pflege-Robotik in die (Alten-) Pflege einführen, sicher sein, welche Tätigkeiten aus Sicht der Pflege-Klienten auch wirklich nützlich sind.

9

Zusammenfassung und Ausblick

„Es kommt nicht darauf an, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, sondern mit den Augen die Tür zu finden.“ Ernst Werner von Siemens

Im Folgenden wird die Arbeit zusammengefasst, die übergeordneten Forschungsfragen beantwortet, Implikationen für Praxis sowie Forschung aufgezeigt und der Erkenntnisweg kritisch reflektiert. Da die empirischen Untersuchungen, respektive die Erkundungsaufstellungen, bereits separat reflektiert wurden und ebenfalls für das Erkenntnisinteresse der Untersuchung Implikationen und weiterführender Forschungsbedarf aufgezeigt wurden, findet im Folgenden eine Betrachtung des sachlich-analytischen Forschungsstranges der Arbeit statt. In der Einleitung des Kapitel 1 wurde die Relevanz des Themas der PflegeRobotik aus der Perspektive der BWL Forschung und der Praxis dargelegt und die übergeordneten Forschungsfragen: 1. Inwiefern haben Wissenschaft und Forschung in Analysen und Studien das Feld der Pflege-Robotik untersucht? 2. Welche Maßnahmen der Organisationslehre begünstigen den Einsatz der Pflege-Robotik in Pflegeunternehmen? 3. In welchen Wechselwirkungen und Beziehungen stehen die Akteure des Pflegesystems zueinander und welche Auswirkung hat die Pflege-Robotik darauf?

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Pijetlovic, Das Potential der Pflege-Robotik, Systemaufstellungen in Wissenschaft und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31965-6_9

219

220

9

Zusammenfassung und Ausblick

dieser Arbeit hergeleitet als auch weitere inhaltliche Erkenntnisziele, die zur Beantwortung der Forschungsfragen als notwendig erachtet wurden. In Kapitel 2 wurden Forschungskonzept, angewandte Methoden sowie das Forschungsdesign der Arbeit entfaltet. Das inhaltliche Ziel dieses Kapitels war es, einen Bezugsrahmen zu entwerfen, in dessen Sphäre die Forschungsfragen mit geeigneten Mitteln beantwortet werden können. Die Idee einer Erkundungsforschung wurde als Meta-Theorie erarbeitet und zunächst erläutert, weshalb sie für den Gang der Untersuchung geeignet scheint. Anschließend wurde das Konzepte der Erkundungsforschung um die Erkenntnisleitenden Thesen erweitert. Das Erkenntnisziel des zweiten Kapitels der Forschungsarbeit war die Bestimmung, Beschreibung und Abgrenzung der Forschungsgrundlagen und des Forschungsprozesses. Zunächst wurde hierfür die Thematik des methodischen Zugangs zur Erkundungsforschung und von Erkenntnisleitenden Thesen aufgegriffen. Anschließend wurden Kriterien erarbeitet, die ein Verständnis davon vermittelten, unter welchen Voraussetzungen eine Erkenntnisleitende These nach dem Verständnis des Verfassers als „gehaltvoll“ zu bewerten ist. Diese Kriterien leisten einen Beitrag zur Klärung des Wesens von Erkenntnisleitenden Thesen und sollten eine Anschlussfähigkeit an die qualitative Sozialforschung und Betriebswirtschaftslehre herstellen. Das Ziel war also, keine normative Gesetzgebung von Gütekriterien zu errichten, sondern mehr den Diskurs zu eröffnen, wie Erkenntnisleitende Thesen zu verstehen sind. Dementsprechend erfolgte die Darstellung der folgenden qualitativen Kriterien Neuartigkeit, Kontraindikation, Originalität, Plausibilität und Nachvollziehbarkeit auf Basis für die subjektive Einschätzung von Experten*innen auf einer konzeptionellen Grundlage. Nach einer definitorischen Erläuterung wurde die Bedeutung dieser Konzepte für das Erfahrungsobjekt dieser Arbeit, Pflege-Robotik in Unternehmen, dargestellt. Das inhaltliche Erkenntnisziel des Kapitel 3 bestand darin, das Feld der PflegeRobotik zu erarbeiten, also letztlich die definitorischen Grundlagen zu erstellen. Dafür wurde zunächst in Abschnitt 3.1 die grundlegenden Begriffe Roboter und Serviceroboter näher beleuchtet. Daraufhin erfolgte die Definition des Begriffs Pflege-Roboter. Anschließend wurden in den Unterkapiteln einige Arten bzw. Einteilungen der Pflege-Robotik dargestellt, die in der Literatur auffindbar waren. Das 3. Kapitel diente in erster Linie als sukzessive Hinführung zum Untersuchungsgegenstand, also der Pflege-Robotik, und hat letztendlich den Weg für eine systematische Untersuchung mithilfe des Scoping Reviews geebnet. In Kapitel 4 wird hinsichtlich der Pflege-Robotik eine systematische Untersuchung der Literaturlandschaft mithilfe eines Scoping Review Verfahrens vorgenommen, die von der übergeordneten Fragestellung angeleitet wurde:

9

Zusammenfassung und Ausblick

221

Welche Auswirkungen hat die humanoide Robotik bzw. technische Assistenzsysteme, auf der Altenpflege im Allgemeinen; und speziell auf die Teamarbeit im Pflegebereich?

Diese Fragestellung zielte darauf ab, einerseits zu ergründen, inwieweit sich Wissenschaft und Forschung mit der Thematik der Pflege-Robotik beschäftigt (1. Übergeordnete Forschungsfrage) und andererseits ein tieferes Verständnis der wissenschaftlichen Debatte und ihrer Argumente zu gewinnen, indem die grundlegenden Konzepte und Ideen zur Pflege-Robotik aufgedeckt werden. Als solche war die Fragestellung grundlegend auf die Auswirkung der Pflege-Robotik auf das Pflege-System bzw. die Pflege-Organisation oder Institution bezogen. Das Scoping Review stellt in dieser Arbeit die theoretische Basis dar, hier wurde ein tieferes Verständnis des Potentials der Pflege-Robotik konzeptionell entwickelt. Aus dem Scoping Review heraus wurden die Erkenntnisse in Wissensfelder zur Pflege-Robotik geclustert, mit denen sich Wissenschaft und Forschung auseinandergesetzt haben. Die detaillierte Auseinandersetzung mit den Wissensfeldern der Pflege-Robotik und die Analyse ihrer Auswirkungen auf Pflege-Unternehmen stellen einen zusätzlichen Mehrwert dieser Arbeit dar, auch wenn die Schließung dieser Forschungslücke nicht direkt im Erkenntnisfokus der Arbeit lag. Aus den Wissensfeldern des Scoping Reviews heraus leitete sich das nächste Erkenntnisinteresse ab: Welche Maßnahmen unterstützen eine Implantierung der Pflege-Robotik in Pflege-Unternehmen. Es sollte überprüft werden, ob es eine systemische Methode gibt, die Unternehmen bei der Implikation der Pflege-Robotik unterstützen kann. So wurde in Kapitel 5 in die Methode des Netmappings eingeführt und im Verlauf des Kapitels dargestellt, wie diese als Management- und Erkenntnistool einsetzbar ist, um eine Erfolgslogik mit Erfolgsfaktoren und Hebeln auf dem Weg zu einer erfolgreichen Implementierung der Pflege-Robotik zu erarbeiten. Hierzu wurden ansatzweise Abgrenzungen zu herkömmlichen Managementtools vorgenommen. Das inhaltliche Erkenntnisziel des 5. Kapitels war es, zu untersuchen, welche Maßnahmen den Einsatz der Pflege-Robotik begünstigen könnten. Damit wurde ein Bereich des Change-Managements tangiert und auf Grundlage des Netmappings konnten als Ergebnis sechs Erkenntnisleitende Thesen entwickelt werden. Die Grundlagen der Erkundungsforschung in Kapitel 6 stellen das Herzstück der Arbeit dar. Hier wurde die Erkundungsaufstellung als Erkenntnismethode hergeleitet. So wurde zunächst dargestellt, weshalb angenommen wird, dass die Methode der Erkundungsaufstellung dazu geeignet ist, das Pflegesystem zu betrachten, um somit das Neue und Andere in Form von Erkenntnisleitenden Thesen abzuleiten. Es wurde darüber hinaus der Erkundungstrichter (Abschnitt 6.2)

222

9

Zusammenfassung und Ausblick

dargestellt, der anschaulich machen soll, dass sich je nach Untersuchungsrichtung (Vergangenheit, Gegenwart und Zukünfte) der Raum möglicher Systemzustände öffnet. Diese Perspektive auf einen sich öffnenden Möglichkeitsraum ist ein besonders Charakteristikum der Erkundungsaufstellung und grenzt sie von deren Aufstellungstypen ab. Inwiefern die Erkundungsaufstellung sich von anderen Aufstellungstypen unterscheidet, wurde ebenfalls anschaulich in dem Schema der Aufstellungstypen behandelt. Das tabellenartige Schema ist hierbei lediglich als Systematisierungsversuch zu verstehen und es hätten durchaus auch andere Unterscheidungsfaktoren berücksichtigt werden können. In Kapitel 7 wurden dann die beiden Erkundungsaufstellungen zur PflegeRobotik hinsichtlich der Fragestellung, welche Wechselwirkungen und Beziehungen zwischen den Akteuren des Pflegesystems bestehen und wie sich die Pflege-Robotik darauf auswirken könnte, durchgeführt. Hierfür wurde zu Beginn des Prozesses in einem Vorgespräch das Aufstellungssetting definiert, d. h., dass für die Untersuchung gewählte Spannungsfeld mit den dazugehörigen Elementen festgelegt. Die beiden Erkundungsaufstellungen wurden mithilfe der Aufstellungspartitur transkribiert und aufbereitet. Beim Prozess des Partiturschreibens wurden Schlüsselsequenzen identifiziert. In einem weiteren Verfahren der Verdichtung wurden die Schlüsselsequenzen zu Erkenntnisleitenden Thesen weiterentwickelt. Das Erkenntnisziel der Erkundungsaufstellungen bestand darin, die (versteckten) Annahmen und das bestehende Wissen hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes hinreichend konstruktiv zu irritieren, um daraus Erkenntnisleitende Thesen ableiten zu können. Am Ende dieses Prozesses konnten als Ergebnis insgesamt 18 Erkenntnisleitende Thesen abgleitet werden. In Kapitel 8 wurden die entwickelten Erkenntnisleitenden Thesen in einem Experten-Workshop weiter diskutiert, interpretiert und zusammenfassend dargestellt. Das Ziel des Workshops war es, die Thesen einer Art Plausibilitätsprüfung zu unterziehen, indem die Sichtweisen von Experten einfließen und die Thesen somit in Gehalt und Güte noch einmal erweitert werden. Auf dieser Grundlage erfolgen dann in Kapitel 9 Gestaltungsempfehlungen für die Praxis und ein weiterer Ausblick für die Forschung.

9.1

Weitere Implikationen für die Praxis

Im Untersuchungsprozess zur Beantwortung der Forschungsfragen sind weitere Ansätze für Handlungsempfehlungen entstanden, die folgend dargestellt werden. Die Einführung, inwieweit die Untersuchung dieser Arbeit relevant

9.1 Weitere Implikationen für die Praxis

223

ist (Abschnitt 1.2), zeigte auf, dass es für die Implementierung von PflegeRobotik in Pflegeunternehmen einer neuen Handlungslogik bedarf. Der bewussten Umstrukturierung der unternehmerischen Entscheidungsprämissen zugunsten von Pflege-Robotik (neue Handlungslogik) auf der Managementebene muss jedoch ein Paradigmenwechsel (Meadows zu Systemtheorie) vorgelagert sein. Findet dieser nicht statt, fehlt es an einen Legitimationsrahmen für die Implementierung. Zur Unterstützung in der strategischen Ausrichtung auf dem Weg zur Pflege-Robotik und Digitalisierung sollten Unternehmensberatungen jeweilige Pflegeeinrichtungen stärker in dieser Maßnahme begleiten. Die Identifizierung von Erfolgsfaktoren zur Implementierung mithilfe einer Erfolgslogik (Netmapping) kann für PflegeRobotik hilfreich sein. Die hier entwickelte Erfolgslogik bietet Pflegeunternehmen konkrete Ansatzpunkte dafür, wie eine erfolgreiche Implementierung erreicht werden könnte. Die Inhalte der Erfolgslogik können dabei als Grundlage zur Strategie- und Zielformulierung dienen. Strategie- und Zielformulierungen stellen nach MEADOWS einen bedeutsamen Hebelpunkt für den Eingriff in Systeme dar. Ohne Legitimation werden keine Ziele formuliert, weshalb Zielformulierungen auch als Kommunikation der Legitimation verstanden werden können. In einem Implementierungsprozess gilt es, die jeweiligen Pflegeeinrichtungen hinsichtlich der definierten Erfolgsfaktoren der Erfolgslogik zu überprüfen. Die Hebel hinsichtlich der Umsetzung der Erfolgsfaktoren sollten insbesondere fokussiert werden. Auch von der Seite der Hersteller und Industrie gibt es bislang wenige Dienstleistungen und Schulungen für einen bedarfsgerechten Einsatz von KI-Technologien in der Pflege. Es mangelt oft am Kundensupport, bei der Gerätewartung oder bei der Beratung im Regelbetrieb (vgl. Elsbernd 2001, S. 252–258 in: Lücke 2016). Entsprechend lautet die erste Handlungsempfehlung: Unterstützungsangebote in der (Unternehmens-)Beratung und Begleitung für Pflegeeinrichtungen schaffen, die sich der Digitalisierung, Künstlichen Intelligenz und Pflege-Robotik hinwenden und öffnen wollen.

Inwiefern die Erkundungsaufstellung als Erkenntnis-Tool für die Auswirkung der Pflege-Robotik dienen kann, wurde in Kapitel 7 thematisiert. Die Botschaft dieser Arbeit an Pflegeunternehmen, die Pflege-Robotik implementieren wollen, lautet neben den inhaltlichen Ausführungen auch, das Potenzial der Erkundungsaufstellungen zu erodieren und für die eigene Pflegeeinrichtung zu nutzen, um ihr eigenes System besser zu durchdringen und entsprechende Szenarien zu simulieren. Dafür empfiehlt es sich, auf systemische Berater zurückzugreifen, die über eine Ausbildung zum Aufstellungsleiter verfügen. Damit Pflegeunternehmen

224

9

Zusammenfassung und Ausblick

von Erkundungsaufstellungen zweifach profitieren können (über Erkundungsaufstellungen als Managementtool und als Erkenntnisinstrument), gilt es, Berater auszuwählen, welche die Methode in ganzheitliche Konzepte einbetten können. Denn wie in Kapitel 7 festgestellt, braucht es für die systemische Erkundung eine Betreuung und reflexive Auseinandersetzung. Erkundungsaufstellungen als Managementtool werden in der Regel von Beratern, Führungskräften, Managern, Abteilungen etc. nachgefragt, und ganze Prozesse können von Beginn bis zum Ende begleitet werden. Vorstellbar wäre auch, dass es Workshops gibt, in denen sowohl berufliche als auch persönliche Anliegen der Teilnehmer hinsichtlich der Einstellung, Nutzung und Implementierung der Pflege-Robotik und Digitalisierung mithilfe von Erkundungsaufstellungen näher untersucht werden können. Solche Workshops können für Abteilungen eines Pflegeunternehmens oder unternehmensweit stattfinden, aber auch losgelöst vom Unternehmen, so dass in einem Workshop Teilnehmer und Teilnehmerinnen verschiedener Bereiche zusammenkommen, die sich für das Thema interessieren. Die Teilnehmer*innen hätten so die Möglichkeit, mehr Wissen über die Funktionsweise ihrer Systeme in Bezug zur Pflege-Robotik zu erlangen, das Neue zu erkunden, eine stärkere Empathie und Reflexionsfähigkeit zu entwickeln und an Verhaltensänderungen zu arbeiten. Neben den Anliegen der Teilnehmer, die aufgestellt werden und im Zuge dessen lernen können, könnte es auch sinnvoll sein, sogenannte Prototypische Aufstellungen (Müller-Christ und Pijetlovic 2018, S. 16) durchzuführen, in denen logische Spannungsfelder identifiziert werden sowie ausgewählte Elemente ihren Platz suchen und so die Spannung spüren, welche dann gemeinsam reflektiert und abstrahiert werden kann. Darüber hinaus können Teilnehmer in Eigenregie Systeme aufstellen und auf diese Weise das systemische Visualisieren üben, welches für den beruflichen Alltag hilfreich ist. Anhand von verdeckten Erkundungsaufstellungen, in denen die Stellvertreter/innen nicht wissen, welches Element sie repräsentieren und so ihre eigenen mentalen Landkarten nicht abrufen können, können insbesondere die körperliche Wahrnehmung für Beziehungen zwischen Systemelementen und die Intuition trainiert werden. Beides ist hilfreich, um implizites Systemwissen im Berufsalltag zu erfahren. Die Methode der Erkundungsaufstellung birgt auch Risiken, die im Zuge dieser Handlungsempfehlungen für die Praxis nicht unerwähnt bleiben sollten. Die Methode reduziert die Komplexität eines Systems, weshalb die Erkenntnisse einer Aufstellung nicht unreflektiert in konkrete Handlungsschritte übersetzt werden sollten. Dies gilt nicht nur aufgrund der Komplexitätsreduzierung, sondern auch aufgrund der Beeinflussung des Systems durch den Anliegengeber, dessen

9.2 Implikationen für die Forschung

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Perspektive bzw. Wahrnehmung die Aufstellung prägt. Die zweite Handlungsempfehlung fasst daher folgenden Vorschlag zusammen: Workshops mit Erkundungsaufstellungen zur Pflege-Robotik schaffen eine erlebbare Simulation, erhöhen das Orientierungswissen des Pflegemanagements für anstehende Entscheidungen und können den transdisziplinären Dialog zwischen Technik, Forschung und Pflege konstruktiv stärken.

Immer wieder im Verlauf der Arbeit (vor allem beim Scoping Review) ist es auffällig gewesen, dass dezentral und punktuell zwar Wissen über PflegeRobotik vorhanden ist, aber es kaum zentrale und übergeordnete Anlaufstellen gibt, wo sich inter- und transdisziplinär über die spezifischen Herausforderungen der Pflege-Robotik ausgetauscht werden kann und Erfahrungswissen gesammelt wird. Daher soll an dieser Stelle ebenfalls eine Handlungsempfehlungen in diese Richtung gehen, in der Politik und Verbandsvertreter der Pflege flächendecke Anreize entstehen lassen, die eine nachhaltige und systematische Vernetzung aller Akteursgruppen ermöglicht. In einer verbesserten Vernetzung aller Akteursgruppen können Positionen und Interessen ausgetauscht, gemeinsame Zielformulierungen erarbeitet und schließlich Impulse für die Umsetzung gegeben werden. Im Moment besteht noch die Chance die Pflege-Robotik positiv zu besetzen. Vielleicht gilt dies nicht mehr lange, denn ein Weg an modernen Technologien vorbei ist keine Option. Deshalb richtet sich die dritte Handlungsempfehlung an Politik und Pflegebranche: Vernetzungsplattformen erhöhen den Austausch über das Wissen der PflegeRobotik unter den Akteursgruppen und verbessern somit die Chance zu einer erfolgreichen Implementierung in Pflegeeinrichtungen sowie im häuslichen Umfeld.

9.2

Implikationen für die Forschung

In dieser Arbeit wurde erstmalig aus einem systemtheoretischen Verständnis heraus und auf Basis der Erkundungsforschung das mögliche Potential der PflegeRobotik untersucht. So wurden zwei verschiedene Disziplinen, Robotik und Systemische Forschung, miteinander verbunden, die gewöhnlich eher getrennt voneinander betrachtet werden. Die Entwicklung der Erfolgslogik mit der Netmapping Methode hat aufgezeigt, dass die Implementierung der Pflege-Robotik maßgeblich von Erfolgsfaktoren und Hebel eines Systems abhängig ist. Weiterführender Forschungsbedarf wird daher darin gesehen, mehr Erkenntnisse zu einer

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Zusammenfassung und Ausblick

transdisziplinären Entwicklung von Erfolgslogiken für die Implementierung von Pflege-Robotik zu sammeln. Wie schätzen verschiedene Akteursgruppen wie Führungskräfte, Unternehmer und Mitarbeiter*innen in der Pflege sowie Politik und Krankenkassen die Einführung von neuen Technologien ein und was verhindert die Entwicklung und Einführung? Da zugunsten einer Auslotung und tiefergehenden Betrachtungen die Erkundungsaufstellungen eingesetzt wurden, besteht weiterführender Forschungsbedarf hinsichtlich der Erkundungsforschung allgemein. Inwiefern kann dieses Konzept beispielsweise wirklich für zukünftige Forschungsvorhaben nützlich sein. Wie lassen sich Standards einführen und eine noch stärkere Anschlussfähigkeit an die qualitative Sozialforschung herstellen? Darüber hinaus wurden in dieser Arbeit die persönlichen Widerstände hinsichtlich Pflege-Robotik und Digitalisierung ausgeklammert, für die in weiterführender Forschung Überwindungsansätze entwickelt werden sollten. Dazu zählen vor allem Untersuchungen aus der Perspektive des Individuums und des individuellen Erlebens mit Pflege-Robotik. Des Weiteren wird grundsätzlich angenommen, dass die Erkundungsaufstellung in Form von konstruktiven Irritationen günstige Rahmenbedingungen schafft, um neue Erkenntnisse zu erzeugen. Wenn dem so ist und Erkundungsaufstellungen neue Erkenntnisse hervorbringen, dann müsste ein solcher mentaler Prozess auch im Gehirn festzustellen sein. D. h. der sogenannte Geistesblitz oder Aha-Effekt sollte neurologisch sichtbar sein. Daher könnten weiterführende, neurologische Studien einen Beitrag dazu leisten, die Frage zu klären, inwieweit die Anwendung der Erkundungsaufstellung wirklich einen kreativen Einfluss auf unser Denken hat. Ein weiterer Aspekt, der in Zusammenhang mit Pflege-Robotik stärker zu untersuchen wäre, ist die Kommunikation bzw. Interaktion zwischen Mensch und Maschine. Welche Art von Kommunikation sollte wie mit welcher Akteursgruppe erfolgen? Inwiefern sollte die Kommunikation der Pflege-Robotik bei Pflege-Klienten und Pflegekräften unterschiedlich sein? Welche Auswirkung hat die Kommunikation mit Pflege-Robotik? Der Einfluss von Robotik auf den Menschen, wie zum Beispiel in der Kommunikation und Interaktion, sind Forschungsbereiche, die sich in den nächsten Jahren immer stärker entwickeln werden. Dieser Forschungsbereich wird als Human-Computer-Interaction (HCI) bezeichnet. Perspektivisch kann davon ausgegangen werden, dass sich die Zusammenarbeit von Menschen und Robotern in Zukunft in den unterschiedlichsten Bereichen ausbreiten und insgesamt zunehmen wird. Damit stellt sich auch immer dringender

9.2 Implikationen für die Forschung

227

die Frage, wie die Teamarbeit und Teamentwicklung von Mensch-RoboterTeams bestmöglich für den Unternehmenserfolg nutzbar gemacht werden können. Dass Roboter und Menschen zukünftig in Teams zusammenarbeiten werden, steht dabei aus Sicht der Industrie außer Frage: „Es wird davon ausgegangen, dass die unterschiedlichen Arbeitsbereiche von Mensch und Roboter gänzlich zusammengeführt werden“ (Kirisci et al. 2015, S. 43 zitiert in Freitag et al. 2016, S. 10–15). „Die Zusammenarbeit von Mensch und Roboter verspricht, so die Annahme, mehr Flexibilität und Produktivität durch Echtzeitplanung und -steuerung der Arbeitsprozesse“(Freitag et al. 2016, S. 10–15). Bisher jedoch lag das Forschungsinteresse vor allem auf die Beziehung bzw. Interaktion und Kollaboration von Menschen und Robotern in geschlossenen und experimentellen Räumen. Je weiter allerdings die technologischen Innovationen voranschreiten, desto wahrscheinlich wird es, dass durch einen verstärkten Einsatz von Teams aus Menschen und Robotern in der Praxis ganz neue Möglichkeiten, aber damit auch ganz neue Herausforderungen und Risiken für Unternehmen entstehen. Daher wird es zukünftig die Aufgabe sein, die einzelnen wissenschaftlichen Teilbereiche, die nicht zur Technik und Informatik gehören, jedoch Aspekte der Mensch-Robotik-Thematik behandeln wie beispielsweise die Roboterpsychologie, Customer-Robotics-Management, Human-Computer-Interaktion (HCI) und Mensch-Robotik-Kollaboration (MRK) mit dem wissenschaftlichen Bereichen der Organisationsentwicklung und des Personalmanagements stärker zu vernetzen, um Strategien zu entwickeln und zu erforschen, wie Robotik konstruktiv in Unternehmen und in menschlichen Teams eingesetzt und genutzt werden können. Dieser übergeordnete Bereich ließe sich mit dem Begriff Robotversity Management1 beschreiben, der perspektivisch eine wachsende Relevanz für Unternehmen und Organisationen darstellen wird. Das Ziel eines erfolgreichen Robotversity Managements sollte in erster Linie darin liegen, die in der Robotik bestehenden Potentiale ganzheitlich für das Unternehmen zu realisieren. Eine solche Implementierung kann dann für Unternehmen sowohl strategisch als auch operationale Vorteile haben (Abb. 9.1).

1 Robotversity Management ist eine Wortneuschöpfung des Verfassers, um die aufstrebende Relevanz der Robotik für Unternehmen, Management und Teams aus der Logik der Organisationsentwicklung stärker zu verdeutlichen. Der Begriff ist angelehnt an das Diversity Management, das vor allem für das Personalwesen von Bedeutung ist und eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Menschen in Organisationen mit ganz unterschiedlichen (körperlichen, ethischen, kulturellen, geschlechtlichen usw.) Hintergründen zum Ziel hat. Neu hinzukommende Roboter in der Arbeitswelt, ausgestattet mit eigenen Persönlichkeiten, die in menschlichen Team- und Organisationsstrukturen agieren, werden sich für die

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9

Zusammenfassung und Ausblick

Abb. 9.1 Cross-Creational-Cooperation. (Bildquelle: Jonas Trezl/TU Chemnitz)

Ein anderes Forschungsthema ist, dass es nicht klar ist, wie es um die Erwartungen der Akteursgruppen hinsichtlich der Pflege-Robotik aktuell genau steht. Auf der folgenden Abbildung Hype-Cycle kann entnommen werden, dass sich Roboter (Smart Roboter) im Jahr 2018 gerade an der Schwelle zum Scheitelpunkt des Gartner Hype Cycle befanden. Der Gartner Hype Cycle bietet Managern und Technologieberatern die Möglichkeit, den Reifegrad von neuen Technologien besser einzuschätzen und zu bewerten. Laut den Analysten verzeichnen Roboter insbesondere durch das Deep Learning in mehrschichtigen Künstlichen Neuronalen Netze, beeindruckende Erfolge im Bild- und Sprachverstehen. In der Vergangenheit haben Technologien auf der Spitze der Hype-Kurve primär medienbedingt inflationäre Erwartungen hergerufen und treten in der darauffolgenden Phase in eine wissenschaftlich fundierte Ernüchterungsphase ein. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, wie gelegentlich angenommen, dass Technologie, wie hier die Pflege-Robotik, an Bedeutung verlieren wird. Das Gegenteil ist der Fall. In der Phase nach der inflationären Erwartung stellt sich heraus, welche Ideen und Anwendung wirklich realisierbar sind und welchen Nutzen sie für Gesellschaft, Wirtschaft und Technologielandschaft haben können. Gemäß dem Hype-Cycle

Wissenschaft perspektivisch als ein Forschungsfeld etablieren, wo es noch viele Fragen zu untersuchen geben wird.

9.2 Implikationen für die Forschung

229

von 2018 werden Roboter (Smart Robots), in der auch die Pflege-Robotik inkludiert ist, erst in den nächsten 5–10 Jahren die Realisierungsphase erreichen. Also ist nach diesem Modell jetzt der richtige Zeitpunkt, sich mit der Frage zu beschäftigen, was Robotik im Pflegebereich alles können soll und damit auch die Frage, welche Erwartungen hinsichtlich von Pflege-Robotik bei den Akteursgruppen wirklich zu verzeichnen sind (Abb. 9.2).

Abb. 9.2 Hype-Cycle. (Quelle: Gartner 2018)

Ein problematisches Thema in diesem Zusammenhang sind die Befürchtungen, dass Jobs im Pflegesystem durch Roboter ersetzt werden könnten. Im Bericht „Intelligent Systems in Action: The Rise of the Maschines has already begun“ des US-amerikanischen Softwarekonzerns Ipswitch, erwarten vor allem IT-Experten mehr Automatisierungen durch Roboter. Dieser beinhaltet, dass 76 Prozent der befragten IT-Experten erwarten, dass intelligente Lösungen wie Bots die ITAbläufe vereinfachen werden. 32 Prozent befürchten jedoch, irgendwann durch intelligente Systeme ersetzt zu werden (vgl. Schonschek und Haas 2018). Daher sollten Forschung und Wissenschaft diesen Bereich weiter analysieren, inwieweit durch Robotik und künstliche Intelligenz neue Jobs im Pflegesystem entstehen könnten.

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9.3

9

Zusammenfassung und Ausblick

Kritische Reflexion

Diese Arbeit hat ihre Grenzen zum einen in den gewählten Methoden und in der Erkenntnisgenerierung. Der Fokus lag sehr stark auf Abbildungen, Texte und Sprache, was notwendigerweise zu Einschränkungen führt. Des Weiteren können die Erkenntnisse dieser Arbeit nicht als wertfrei eingestuft werden, die trotz Plausibilitätsprüfung immer den subjektiven Filter des Verfassers durchliefen. Darüber hinaus wurden für die Bearbeitung eines komplexen Praxisproblems gewaltige Komplexitätsreduzierungen im Sinne von Vereinfachungen, Pauschalisierungen und Ausblendungen vorgenommen, die ebenso durch den Wahrnehmungsfilter des Verfassers bestimmt wurden. Die Übertragbarkeit der erarbeiteten Erkenntnisse auf die Praxis wird durch die vorab vorgenommenen Komplexitätsreduzierungen und die Subjektivität erschwert. Doch wie bereits im Forschungskonzept angemerkt, kann ein dynamisches System nicht gänzlich korrekt abgebildet werden, daher dienen die Erfolgslogik und Erkenntnisleitenden Thesen zur Pflege-Robotik vielmehr als ein Orientierungs- und Deutungsangebot, an dem sich bedient werden kann. Anpassungen der Erfolgslogik an die jeweilige Unternehmensrealität müssen auf Unternehmensebene vorgenommen werden. Abschließend bleibt auch festzuhalten, dass die in dieser Arbeit entwickelten Erkenntnisse nur einen Teilausschnitt in Hinblick des Potentials der Pflege-Robotik berücksichtigt. Die eingenommene Perspektive der BWL als Unternehmungsführungslehre führte von Anfang an zu einer Ausblendung gesamtwirtschaftlicher, politischer, psychologischer und gesellschaftlicher Faktoren, die in ihren globalen Dimensionen in Bezug auf Pflege-Robotik einen enormen Einfluss ausüben. So können Pflegeunternehmen nicht im Alleingang beginnen, Pflege-Robotik zu implementieren, ohne dass eine gesamtgesellschaftliche und politische Diskussion darüber geführt wird. Auch wenn aktuell aus der Perspektive des Verfassers Roboter nicht die Pflege, Begleitung und Zuneigung erbringen können, die ältere Menschen benötigen, ist es unerlässlich, in einen gesellschaftlichen Diskurs über das mögliche Potential der Pflege-Robotik zu treten, die immer noch in den Kinderschuhen steckt. Jeder Einzelne ist aufgefordert, sich mit seiner jeweiligen Expertise in die Gestaltung der zukünftigen Pflege mehr einzubringen.

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