Das Ganze Systemische Feld: Verbandsentwicklung am Fallbeispiel der DGSF [1 ed.] 9783666407444, 9783525407448

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Das Ganze Systemische Feld: Verbandsentwicklung am Fallbeispiel der DGSF [1 ed.]
 9783666407444, 9783525407448

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Jochen Schweitzer / Wilhelm Rotthaus / Björn Enno Hermans

Das Ganze Systemische Feld  Verbandsentwicklung am Fallbeispiel der DGSF

Leben.Lieben.Arbeiten

SYSTEMISCH BERATEN Herausgegeben von Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe

Jochen Schweitzer/Wilhelm Rotthaus/Björn Enno Hermans

Das Ganze Systemische Feld Verbandsentwicklung am Fallbeispiel der DGSF

Mit einer Abbildung

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: StunningArt: Colorful louvers background/Shutterstock.com Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2625-6088 ISBN 978-3-666-40744-4

Inhalt

Vorwort von Arist von Schlippe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Geleitwort von Filip Caby und Anke Lingnau-Carduck . . . . . . . . . . . . 13 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1.1 Die DGSF als Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1.2 Unsere Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2 Gemeinnützige Verbände in der Zivilgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 19 3 Vorgeschichte (1971 bis 1998) und Fusionsprozess (1998 bis 2000) der DGSF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.1 Die Vorgeschichte der DGSF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.2 Die Fusionsverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 4 Drei Entwicklungsphasen in der DGSF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 4.1 Strukturen schaffen und konsolidieren (2000 bis 2007) . . . . . 30 4.2 Wachstum und Wirksamkeit fördern (2007 bis 2013) . . . . . . 44 4.3 Auf hohem Niveau funktionieren (2013 bis 2019) . . . . . . . . . . 55 5 Drei Dauerbrenner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 5.1 Wie viel Regulation solls sein? – Vom Zertifikatehändel . . . . 68 5.2 Wir wollen mitspielen … – der Kampf um Anerkennung . 72 5.3 Geschwisterliebe – das Verhältnis zweier Nachbarverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 6 Zentrale Fragen der Verbandssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 6.1 »Systemisch« als Kern der Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 6.2 Diversität: Wer soll dazugehören? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

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6.3 Wachstumsprozesse in einem Verband und wie sie aufeinander aufbauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 6.4 Komplexität: Welche Fülle von Prozessen kann ein Verband verdauen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 6.5 Steuerung: Mit welchen Mitteln lenkt sich ein Verband? . . . . 86 6.6 Storytelling: Was erzählt ein Verband über sich selbst? . . . . . 87 7 Ein Tag im Jahr 2038 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 6

7.1 20.000 Mitglieder, zwei Kammern, drei Berufsverbände – aber nur eine DSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 7.2 Vorstandsarbeit ohne Überlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 7.3 »Diversity-Koeffizient« und sozial gerechte Beiträge . . . . . . . 93 7.4 Sieben hauptamtliche Referentinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 7.5 Thinktank »Komplexe Politikberatung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 8 Einige Lernerfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 9 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 10 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 11 Verzeichnis weiterer Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 12 Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Die nachfolgend dargestellte Entwicklung der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) in den ersten 20 Jahren ist nur möglich gewesen, durch den engagierten Einsatz unserer Vorstandskolleginnen und -kollegen Friedebert Kröger, Anne Valler-Lichtenberg, Klaus Osthoff, Carmen Beilfuß, Heliane Schnelle, Michaela Herchenhan, Rainer Schwing, Susanne Altmeyer, Renate Zwicker-Pelzer, Liz Nicolai, Alexander Korittko, Filip Caby, Valeska Riedel und Tanja Kuhnert, – zu denen sich zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Buches Anke Lingnau-­Carduck, Matthias Ochs und Matthias Richter als neugewählte Vorstandsmitglieder im Herbst 2019 hinzugesellt haben. durch die stetige Unterstützung seitens der Geschäftsstelle mit dem Geschäftsführer Bernhard Schorn und der heutigen Co-Geschäftsführerin Miee Park sowie Caroline Keuser, Eva Hanowski, Ruth Wiede­meyer, Almut Ingelmann, Sandra Doß, Isabel Ben Chaabane und Jessica Schmid durch die speziellen Expertisen der Fachreferentinnen Anni Michelmann, Dominique Bialowons, Kerstin Dittrich und Birgit Averbeck und den bewundernswerten Einsatz vieler Kolleginnen und Kollegen – zu viele, um sie alle namentlich hier aufzuführen – in und außerhalb der unterschiedlichen Gremien und Arbeitsgruppen der DGSF.

Mehrere Expertinnen und Experten der DGSF-Geschichte halfen uns, unsere Erinnerungen eng an die historischen Fakten anzunähern. Für ein sorgfältiges Erstlektorat danken wir Marieke Born, für ein sorgfältiges Schlusslektorat Imke Heuer.

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Vorwort von Arist von Schlippe

Über die Einladung, dieses Vorwort zu schreiben, habe ich mich sehr gefreut, habe ich doch die Entwicklung der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) schon in der Gründungsphase und vor allem in ihren ersten Jahren intensiv verfolgt. Zwischen 1999 und 2005 habe ich als Vorsitzender des »Schwesterverbands«, der Systemischen Gesellschaft (SG), die Vorgänge aus der Außenperspektive erlebt, zugleich wurde ich als langjähriges Mitglied der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Familientherapie (DAF) automatisch auch Mitglied der DGSF und bekam die Verbandsentwicklung so auch aus der Innenperspektive mit. In den ersten Jahren standen beide systemische Fachgesellschaften, DGSF und SG, vor einer Reihe von berufspolitischen Herausforderungen. Es war Wilhelm Rotthaus und mir als den jeweiligen Verbandspräsidenten klar, dass diese Aufgaben nur gemeinsam zu erreichen sein würden. Vielleicht hat uns das davor bewahrt, uns im Klein-Klein der Konkurrenz um das richtige, das »wahre« Verständnis von systemischer Praxis aufzureiben. Wir waren uns einig, dass nach der Vereinigung von DFS (Dachverband für Familientherapie und Systemisches Arbeiten) und DAF (die ja, wie in diesem Buch beschrieben, alles andere als ein »Spaziergang« gewesen ist) eine schnelle Fusion von DGSF und SG nicht zur Debatte stand. Zugleich war uns bewusst, dass das Verbindende stärker war als das Trennende, so dass wir unter dem Motto: »Zwei Verbände, eine berufs-

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politische Stoßrichtung!« über die Jahre hin eine enge, auch persönlich freundschaftliche Zusammenarbeit pflegten, die sich zwischen unseren Nachfolgern bis heute fortsetzt. Aber ich will nicht der Versuchung erliegen, dieses Buch im Vorwort noch einmal neu zu schreiben. Womöglich würden dann an der einen oder anderen Stelle doch markante Unterschiede in der Erinnerung auftauchen – wir wissen ja, dass man die eigene Sicht immer gern so erzählt, dass sie als »Heldengeschichte« vor allem die 10

eigenen Vorzüge in den Vordergrund stellt. Vielmehr möchte ich einen Gedanken teilen, der sich mir beim Lesen des Manuskripts aufdrängte. Beruflich habe ich mich seit 2005 mit Familienunternehmen und Unternehmerfamilien beschäftigt. Eine wesentliche Erkenntnis bei dieser Familien- und Organisationsform ist, dass wachsende Größe und Komplexität zunächst auf Unternehmensseite Strukturentwicklungsschritte erfordern. Die Führung braucht Umbau- und Professionalisierungsschritte, die mit der veränderten Größe mithalten. Aber auch auf Familienseite sind Veränderungen angesagt: In der Anfangszeit sehen sich die Familiengesellschafter meist noch täglich, da ist es leicht, Entscheidungen auf Zuruf zu fällen, strategische Fragen beim Frühstück zu besprechen usw. Doch irgendwann kommt ein Moment, da wird klar: So kann es nicht weitergehen! Schon bei, sagen wir, acht bis zwölf Vertretern aus zwei Generationen sind Entscheidungen nicht mehr so leicht zu treffen. Was soll aber werden, wenn in zehn bis 15 Jahren die derzeitigen Kinder erwachsen sein werden, die Gruppe der Gesellschafter auf absehbar 25 bis 30 anwächst? Die Antwort kann hier nur sein, dass auch die Familie Strukturen bilden muss, um zu überleben! In dem Moment aber wird sie mit einer Paradoxie konfrontiert. Als »organisierte Familie« wird sie ein Stück Familienhaftigkeit aufgeben: Regelsysteme entstehen, Gremien werden gebildet, Wahlen abgehalten usw. So etwas passt doch nicht zur Familie! Entsprechend groß sind oft die Wider-

stände – »Es ging doch früher auch so!« Doch, so zeigt die Empirie, es sind gerade die Familien, die diese Herausforderung annehmen, deren Familienunternehmen langfristig überleben. Solche Familien sind ein Stück weit Organisation geworden, um eine lebendige und dynamische Unternehmerfamilie zu bleiben. Vielleicht, liebe Leserin, lieber Leser, ahnen Sie, worauf ich hinauswill. Der Prozess der Gründung der DGSF (sicher ähnlich auch der SG, aber um die geht es hier ja jetzt nicht) erinnert mich an die soeben skizzierten Prozesse. Eine Organisation zu werden heißt, oft mit Bedauern die chaotisch-lebendige Dynamik der Gründerzeit loszulassen. Vorstände werden gewählt, Gremien und Kommissionen eingerichtet, Zertifikate werden vergeben – paradoxerweise durch Personen, die selbst nie ein solches erworben haben. Alles wird ordentlicher. Wird es auch langweiliger? Es gibt ja eine andere Seite der Organisationsentwicklung. Es kann ein Zuviel an Bürokratie entstehen, das in »tote Zonen der Phantasie« führt, in denen »strukturelle Dummheit« regiert (Graeber, 2016, S. 57 f.)? Beispiele dafür gibt es viele. Denn übermäßige Bürokratisierung ist verwaltenden Organisationen inhärent. In den Familienunternehmen gewährleistet die nicht zu tilgende Familienhaftigkeit der Unternehmerfamilie, dass die Strukturen ausreichend unter Feuer genommen werden, um nicht zu erstarren. In anderen Organisationen braucht es umtriebige Mitglieder, die bereit sind, sich aktiv einzubringen, sich an Regeln zu halten, diese aber immer wieder möglichst elegant, spielerisch und freundlich zu umspielen. Es gibt einige Beispiele in diesem Buch, dass dies der DGSF gelingt – etwa, wenn ein Finanzbericht gesungen und nicht in trockenem Steuerberaterdeutsch verlesen wird, freuen Sie sich, liebe Leserin, lieber Leser, auf mehr! Offenbar ist hier eine beispielhafte Organisation entstanden, die ihren Mitgliedern einen Rahmen für »lebendige Zonen der Phantasie« bietet, in denen sich

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Aktivität, Kreativität und Kraft entfalten können. Ich habe, wie gesagt, diese erfreulich dynamische Entwicklung über die letzten zwanzig Jahre verfolgt, gratuliere herzlich zum Geburtstag und bin sicher: Von dieser strukturell klugen Fachgesellschaft wird auch in Zukunft noch viel zu erwarten sein.

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Geleitwort von Filip Caby und Anke Lingnau-Carduck

20 Jahre DGSF: 20 Jahre Verbandsarbeit, die in drei Epochen verantwortlich durch die drei ehemaligen Vorsitzenden, weitere vierzehn Vorstandskolleg*innen, vier Fachreferentinnen und neun Mitarbeiter*innen der Geschäftsstelle geprägt sind. Ein Mitgliederwachstum hin zu knapp 8000 Mitgliedern. Ein Verband mit hoher Komplexität, Diversität, mit hoher Fachlichkeit in verschiedenen Disziplinen. Ein Verband mit viel Lust an Diskussionen, an innovativen und manchmal (un)möglich scheinenden Ideen und Visionen. Ein Verband mit vielen Ambivalenzen und einem unermüdlich großen Engagement seiner Mitglieder, heute bereits gut vernetzt in den gesellschafts- und gesundheitspolitischen Raum bundesweit. Nun beginnt die vierte Epoche in der neuen Struktur mit einer paritätischen Doppelspitze im Vorstandsvorsitz ebenso wie in der Geschäftsführung. Für uns als Doppelspitze ist dieses Buch ein Geschenk zur rechten Zeit. Fasst es doch wunderbar zusammen, welche Wege und Windungen die Entwicklung des Verbandes bis heute nahm, an welchen Landschaften der Verband vorbeizog und an welchen er verweilte. Es lässt Ausblicke auf die zukünftigen Jahre zu und formuliert treffend die anstehenden Aufgaben und Herausforderungen. Trotzdem wissen wir, gerade von der systemischen Tradition ausgehend: Es darf auch ganz anders kommen! Mit den Stärken der Tradition wird dieser Verband in neuen Kontexten gute Lösungen finden. Gleich-

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zeitig ermutigen die folgenden Kapitel in Richtung Gelassenheit, hat es doch wohl schon zu allen Zeiten neben guter Atmosphäre und spannender Arbeit auch viele Kontroversen und Auseinandersetzungen der unschöneren Art gegeben. Dennoch hat die fraktale Organisation DGSF immer mehr an Konturen und Wachstum gewonnen. So begleiten uns gute Geschichten aus unserer Geschichte auf unserem weiteren Weg: Beeindruckt erinnern wir heute noch den EFTA-Kongress 2004 14

in Berlin. 3500 Teilnehmer*innen aus 41 Ländern in einer so nahbaren Atmosphäre von gemeinsamem Lernen und Wachsen mit den Vortragenden und Workshopleitern! Der Titel dieser Tagung ist zeitlos nützlich auch für das dritte Jahrzehnt DGSF: »Creating Futures – Systemische Dialoge in Europa«. 2020 heißt es in der DGSF: »Systemic for Future«, als Teil der Zivilgesellschaft übernehmen wir Systemiker in einem interkulturellen Deutschland Verantwortung für humanitäre Themen wie Klima, Humane Arbeit, Armut, Kinderschutz, Gesundheit, Gerechtigkeit – gern in Vernetzung mit anderen Fachgesellschaften. Innerverbandlich erinnern wir gern die vielfältigen musikalischen Umrahmungen durch die Vorstände bei diversen Tagungen oder die Begegnung mit den »kleinen Leuten von Swabedoo« auf der Jahrestagung in Neu-Ulm 2007, fast jeder hatte tagelang die beim Eingang verschenkten weichen Fellchen bei sich für freundliche Tauschgeschäfte, Kontaktangebote oder Liebesbekundungen… Mit unserem neuen Vorstandsteam haben wir durch unsere unterschiedlichen Erfahrungshintergründe fünf vernetzte, gute Chancen, die Diversität der Aufgaben fachlich und synergetisch erfolgreich zu bewältigen. Eine Herausforderung ist sicherlich, neben dem umfänglichen Alltagsgeschäft, auch weiterhin kreativ und gestaltend miteinander zu arbeiten. Wir werden uns etwas einfallen lassen, beständig vor oder nach dem Abarbeiten der TOPs auch Raum zu schaffen für

ein freies Gestalten miteinander, für systemisches Querdenken, für ein bisschen Verrücktsein. So gehen wir gemeinsam gut begleitet, neugierig und lustvoll in ein neues Jahrzehnt DGSF!

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1 Einleitung Mit diesem Buch verbinden wir drei Wünsche: 1. Menschen, die einem Verband und speziell einer Fachgesellschaft als ehrenamtliche oder hauptberufliche Mitarbeitende dienen, soll es Anregungen zu einer Gestaltung ihrer Organisation geben und zu einem Bewusstsein für die Wahlmöglichkeiten, die sie dabei haben. Nichts davon ist mit »copy and paste« übertragbar, 16

aber vieles per Analogie. 2. Organisationsentwicklerinnen, Coaches, Supervisorinnen soll es für Besonderheiten sowie die typischen Stärken und Schwächen der Beratung von vorwiegend ehrenamtlichen, gemeinnützigen, idealistisch motivierten Non-Profit-Institutionen sensibilisieren. 3. Der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) soll es zu ihrem 20. Verbandsgeburtstag als eine kurze Entwicklungsgeschichte des Verbandes dienen, auch als eine kleine »Geschichtensammlung«.

1.1 Die DGSF als Fallbeispiel Wodurch zeichnet sich die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (im Folgenden: DGSF) aus? Sie ist ein Fachverband, laut Satzung ein Zusammenschluss von natürlichen sowie juristischen Personen, Personengesellschaften und Institutionen, der es sich zum Ziel gesetzt hat, berufsgruppenund verfahrensübergreifend die Familientherapie und -beratung, die systemische Therapie und Beratung, das systemische Denken und Arbeiten und damit die öffentliche Gesundheit zu fördern. Charakteristisches Merkmal des Verbandes ist die Vielzahl der dort vertretenen Berufsgruppen.

Die DGSF ist kein klassischer Berufsverband. Der Schwerpunkt der Arbeitsfelder liegt im psychosozialen Bereich. Die größten in ihr vertretenen Berufsgruppen sind – etwa in dieser Reihenfolge – die Soziale Arbeit, die Pädagogik, die Psychologie, die Medizin, die Seelsorge, die Krankenpflege, in der Mediation auch die Rechtswissenschaft. Im Verlauf der Jahre hat sich die DGSF auch der arbeitsweltlichen Beratung geöffnet. Dadurch kommen Berufsgruppen der Betriebs- und Volkswirtschaft und des Ingenieurwesens hinzu, in der Personalentwicklung und im Coaching auch viele Geistes- und Sozialwissenschaftler. Zusammengehalten werden die Berufsgruppen und Arbeitsfelder durch das Zauberwort »systemisch« – ein zunächst abstrakt und technisch klingender, aber wie sich zeigen wird durchaus identitätsstiftender Begriff. Kurz zur Erläuterung: »Systemisch« ist ein Thera­ pie- und Beratungsansatz, der theoretisch vor allem auf der Systemtheorie und dem Sozialen Konstruktionismus fußt und in seiner methodisch reichhaltigen Praxis Heilung und Problemlösung als Gemeinschaftsleistung anstrebt (ausführlich dazu: von Schlippe u. Schweitzer, 2012; Levold u. Wirsching, 2016; von Sydow u. Borst, 2018). Die DGSF ist ein Mitgliederverband mit 7.782 Mitgliedern (Stand: 31.12.2019). Der Souverän ist das Einzelmitglied. Oberstes Entscheidungsgremium ist die Mitgliederversammlung. Institutionelle Mitglieder werden Einzelmitgliedern insofern gleichgestellt, als sie in der Mitgliederversammlung ebenfalls nur eine Stimme haben. Unter den 223 institutionellen Mitgliedern bieten 144 (auch) systemische Fortund Weiterbildungen an, davon sind 79 von der DGSF akkreditierte Weiterbildungsinstitute. Sie verbreiten das systemische Gedankengut und engagieren sich in der Mitgliederwerbung. Die Lehrenden leisten sehr viele ehrenamtliche Tätigkeiten in den Gremien der DGSF. Die Weiterbildungsinstitute stellen innerhalb der DGSF ein Sub­

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system mit besonderen Anliegen, Interessen und Zielvorstellungen dar. Die Instituteversammlung, der Zusammenschluss der akkreditierten Weiterbildungsinstitute, hat innerhalb des Verbandes satzungsgemäß einen Organstatus. Warum sehen wir die Geschichte der DGSF zwischen Herbst 2000 und Herbst 2019 als ein lehrreiches Fallbeispiel einer Verbandsentwicklung an? Zum einen: Weil die DGSF ein in sich hetero­gener Verband ist, der vorwiegend durch die Verbundenheit mit einer 18

gemeinsamen Idee zusammengehalten wird. Zum anderen: Weil die DGSF vor allem einen ideellen Zweck verfolgt und nur zum kleinen Teil durch eindeutige materielle Interessen getrieben ist. Zum dritten: Weil die DGSF ein schnell wachsender und sich intern ausdifferenzierender Verband ist, dessen Wachstumsthemen man in diesen fast 20 Jahren gut beobachten kann. Zum vierten: Weil »die Systemiker« Personen sind, die gern angemessen ungewöhnlich auf Herausforderungen reagieren. Wer also in einem Verband solches anstrebt, für den könnten in diesem Buch nützliche Anregungen zu finden sein.

1.2 Unsere Perspektiven Empirischer Hintergrund dieses Buchs sind unsere Erfahrungen als drei (nun ehemalige) aufeinander folgende Vorsitzende der DGSF über einen Zeitraum von ihrer Gründung im Jahr 2000 bis ins Jahr 2019. Diese werden bereichert durch Erfahrungen, die die übrigen Vorstandsmitglieder und die Mitarbeiter der Geschäftsstelle in diesen Jahren beigetragen haben. Verbände und Fachgesellschaften leben von Teamarbeit. Ohne die erwähnten und viele weitere Kolleginnen und Kollegen hätten all diese Erfahrungen und auch dieses Buch nicht zustande kommen können.

Unsere Perspektive wird zudem geprägt durch unsere Erfahrungen als systemische Berater, Therapeuten und Supervisoren, als Coaches und Team- sowie Organisationsberater vor allem im Gesundheitswesen und der Jugendhilfe. Zudem haben wir früher oder auch zeitgleich Erfahrungen als Funktionsträger in anderen Verbänden und Vereinen gesammelt. Dies half uns, auf »unseren« Verband immer wieder nicht nur mit Engagement und Herzblut, sondern auch aus einer gewissen Außenperspektive zu schauen, die entstehenden Kulturen und Strukturen mit denen anderer Verbände zu vergleichen und von dort Ideen zu importieren, von denen zumindest einige dann auch passten.

2 Gemeinnützige Verbände in der Zivilgesellschaft Verbände sind Zusammenschlüsse von Menschen oder Organisationen, um gemeinsame Interessen zu verfolgen. Die Gesamtheit des Engagements der Bürger eines Landes in Vereinen, Verbänden und vielfältigen Formen von Initiativen und sozialen Bewegungen fasst man unter dem Begriff der Zivilgesellschaft zusammen. Dazu gehören alle Aktivitäten, die nicht profitorientiert und nicht abhängig von parteipolitischen Interessen sind. Die Zivilgesellschaft bildet einen dritten intermediären Sektor neben den steuer- oder beitragsfinanzierten, staatlichen und halbstaatlichen Organisationen (Staat) und den marktwirtschaftlichen For-Profit-Organisationen (Markt). Zu dieser Zivilgesellschaft zählen auch die Fachgesellschaften. Sie sind Zusammenschlüsse von wissenschaftlich aktiven oder interessierten Personen in einem Fachgebiet. Ihre Ziele sind die Vertretung der standespolitischen Interessen des Fachs und der Fachvertreter (dann spricht man auch von Berufsverband), die Verbreitung

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des entsprechenden Fachwissens und seine Berücksichtigung bei politischen Entscheidungen. Eine wissenschaftliche Gesellschaft ist in der Regel der Zusammenschluss von Personen, die in einem wissenschaftlichen Fachgebiet tätig sind. Sie organisieren in diesem Fachgebiet wissenschaftliche Jahrestagungen und Kongresse, publizieren eigene Zeitschriften oder geben solche über einen Fachverlag heraus. Sie nehmen in ihrem Fachgebiet auch an der politischen Entscheidungsfindung teil, durch Stellungnahmen oder Mitwirkung 20

in Kommissionen. In diesen Fällen können Konfliktsituationen zwischen der notwendigen Berücksichtigung von Sachkompetenz und der Vertretung standespolitischer Interessen entstehen. Die DSGF versteht sich in diesem Sinn als wissenschaftliche Fachgesellschaft, auch wenn man in ihrer Praxis Elemente eines Berufsverbandes entdecken wird. Häufige Rechtsform von Fachgesellschaften ist der eingetragene Verein (e. V.). Er ist oft, aber nicht immer, im steuerrechtlichen Sinne gemeinnützig. Größter deutscher e. V. ist der ADAC mit ca. 20 Millionen Mitgliedern. Caritas und Diakonie und auch der Verband der Automobilindustrie sind eingetragene Vereine. Verbände sind also häufig auch Lobbyorganisationen. Es gibt machtvolle und weniger einflussreiche Organisationen. Auch einzelne Parteien wie die FDP und die CSU sind eingetragene Vereine. Verbände leben nicht immer, aber oft von ehrenamtlicher Tätigkeit. Die Mitglieder des Vorstands und der Ausschüsse des Verbandes arbeiten nicht zum Gelderwerb. Sie opfern Zeit und damit indirekt auch Geld, das sie in dieser Zeit verdienen könnten. Im Angestelltenverhältnis tätige Ehrenamtliche müssen gegebenenfalls Ferientage einsetzen, wenn ihnen eine Arbeit beispielsweise im Vorstand eines Verbandes zeitlich überhaupt möglich ist. Warum tun sie das? Theo Werner formuliert es so: »Eine wichtige Funktion der ehrenamtlichen Tätigkeit ist, dass sie Sinn generiert. Dieser Sinn liegt nicht nur

in ideellen Gründen und den Zielen der betreffenden Organisation, sondern auch in den Aufgaben, die jemand ausführt« (Werner, 2017, S. 2). Es geht um Arbeit, die zu ihr oder ihm passt und die mehr ist als Dinge, die schlicht erledigt werden müssen. Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach gibt es ein ganzes Bündel von Motiven, ehrenamtlich tätig zu werden. Unter ihnen sind es nach Haumann (2014, S. 17) »fünf Gründe, die häufiger als Hauptmotive erscheinen: die Freude am Engagement, der Wunsch, etwas für andere zu tun, die Ausrichtung auf eine besondere Gruppe oder ein besonderes Anliegen, die Möglichkeit, etwas mit dem Engagement zu bewegen, und der Wunsch, Dinge zu verändern«.1 Das heikle Dreieck von ehrenamtlichen Funktionsträgern, hauptamtlichen Mitarbeitern und normalen Mitgliedern prägt Verbände mit e. V.-Status. Ehrenamtliche mit Amt und fester Aufgabe erhalten nur in 17 % der Fälle eine finanzielle Entschädigung (S. 17). Sie dürfen grundsätzlich auch nur dann leistungsorientiert honoriert werden, wenn die Satzung dies ausdrücklich vorsieht. Ehrenamtliche Vorstandsmitglieder haben oft weniger verfügbare Zeit für den Verband als die an ihre Weisungen gebundenen Hauptberuflichen. Geschäftsführer, die faktisch die Politik des Verbandes bestimmen, sind daher nicht selten. Wichtige Aspekte, die die Organisationsentwicklung von Fachgesellschaften wesentlich beeinflussen, liegen unserer Erfahrung nach in den Antworten auf die folgenden Fragen: 1 Im Einzelnen: Für 73 % zählt die Freude am Ehrenamt zu den bestimmenden Gründen für ihre Mitarbeit, für weitere 23 % spielt sie zumindest eine Rolle. Es folgen altruistische Antriebe wie der allgemeine Wunsch, anderen zu helfen (86 %), etwas für bestimmte Gruppen oder Anliegen zu tun (82 %) oder das Erleben, sich gebraucht zu fühlen (82 %). Auch ichbezogene Motive spielen eine Rolle, beispielsweise der Wunsch nach Kontakten und sozialer Interaktion (82 %) sowie das Anliegen, eigenen Interessen und Neigungen nachzugehen (75 %) und dabei die persönlichen Stärken entfalten zu können (78 %) (Haumann, 2014, S. 13 f.).

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Ȥ Wie ist der Vereinszweck in der Satzung definiert? Ȥ Wer darf Mitglied sein? Will man einen großen Verein mit vielen Mitgliedern, dafür aber meist niedrigeren Zugangsvoraussetzungen, oder einen kleinen Verein mit wenigen, dafür exklusiven Mitgliedern? Ȥ Müssen bestimmte Mindestanforderungen in Bezug auf die fachliche Qualifikation erfüllt sein (z. B. Fachärzte oder approbierte Psychotherapeuten)? 22

Ȥ Werden Leistungen des Verbandes, beispielsweise die Ausstellung eines Zertifikats, mit einer obligatorischen Verbandsmitgliedschaft verbunden? Ȥ Bestehen laut Satzung juristisch selbstständige Untergruppierungen? Ȥ Unter welchen Bedingungen darf ein Mitglied ausgeschlossen werden, wenn es gegen die Interessen oder die ethischen Grundsätze des Verbandes verstößt? Organisationsberater werden sich oft für ähnliche Fragen interessieren: Was sind die Unique Selling Points, die Alleinstellungsmerkmale – das was nur dieser Verband besonders gut kann und kein anderer genauso gut? Wer sind die Mitbewerber um engagierte und einsatzbereite Personen, um eine möglichst hohe Zahl an (zahlenden) Mitgliedern und um möglichst hohe Spenden? Wie schneidet ein Verband im Benchmarking, im Vergleich zu anderen Verbänden, die als besonders erfolgreich gelten, ab? Diese wenigen Vorbemerkungen zur Bedeutung und Vielgestaltigkeit des Verbändewesens und speziell der Fachgesellschaften in einer funktionell hochdifferenzierten Zivilgesellschaft mögen genügen, um im Folgenden anhand der Entwicklung der DGSF zu untersuchen, wie und inwieweit bewusste Verbandsgestaltung nach innen und nach außen zu gewünschten Ergebnissen im Sinne der Fachverbände beitragen kann.

3 Vorgeschichte (1971 bis 1998) und Fusionsprozess (1998 bis 2000) der DGSF 3.1 Die Vorgeschichte der DGSF Die DGSF entstand im Jahr 2000 durch einen Zusammenschluss zweier Vorgängerverbände, der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Familientherapie (DAF) und dem Dachverband für Familientherapie und Systemisches Arbeiten (DFS). Dieser Fusion ging eine fast dreißigjährige Geschichte verschiedener Gruppierungen voraus. 1971 war von damals führenden Fachleuten (unter anderem Horst-Eberhard Richter, Jürg Willi, Eckehardt Sperling, Terje Neraal, Ludwig Reiter, ab 1974 auch Helm Stierlin) eine Arbeitsgemeinschaft für Familienforschung und Familientherapie (AGF) gebildet worden. Sie schuf die Basis für die Gründung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Familientherapie (DAF) im Jahr 1978 in Gießen. Mit ihren Jahrestagungen und der Fachzeitschrift »Kontext«, die bis heute besteht und Verbandsorgan der DGSF wurde, bildete die DAF für lange Zeit das verfahrens- und berufsübergreifende Forum der Familientherapie in Deutschland. Sie wurde bestimmt durch basisdemokratische Ideen, beispielsweise den Grundgedanken der Selbsthilfe in Fortbildung und Supervision, eine enge Kooperation aller psychosozialen Berufe, die Ausweitung des primär psychotherapeutischen Fokus auf das gesamte psychosoziale Arbeitsfeld und ein hohes Interesse und Engagement in der politischen Diskussion. »Die DAF war eher Bewegung als Organisation. Die Dominanz der Experten schien gebrochen; wir fühlten uns einander ziemlich gleich« (Matzat, 1998, S. 109). 1985 kam eine Gruppe von Familientherapeuten zu dem Schluss, dass der familientherapeutische Organismus inzwischen gut gewach-

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sen und kräftig geworden sei, die familientherapeutischen Gruppierungen nun aber in der BRD eine organisatorische Struktur benötigen würden. Auf der Mitgliederversammlung des »Weinheimer Instituts für Familientherapie« wurde deshalb eine »DachverbandsKommission« ins Leben gerufen. Als deren Ziele wurden formuliert: 1. Die Identität der Systemischen Therapie/Familientherapie in Abgrenzung zu anderen Formen der psycho- und soziotherapeutischen Arbeit sicherzustellen. 2. Mit partiell gleichgesinnten Therapie24

verbänden in Kontakt zu treten, um gemeinsame gesundheits- und berufspolitische Anliegen kraftvoller zu vertreten. 3. Einen Minimalkonsens über Ausbildungsanforderungen und Qualifikationskriterien für »Familientherapeuten« zu erarbeiten. Aus diesen Diskussionen entstand dann 1987 der Dachverband für Familientherapie und Systemisches Arbeiten (DFS). Mitglieder konnten Einzelpersonen und Institute werden. Institutsleiterinnen und -leiter spielten in dem Verband eine wichtige Rolle. In den späten 1980er und frühen 1990er Jahren entbrannte innerhalb der DAF eine Diskussion über den Identitätskern dieses Verbandes: Geht es primär um Familientherapie als ein besonderes Therapiesetting mit zwei oder drei Generationen im gemeinsamen Gespräch, das vor dem Hintergrund unterschiedlicher therapeutischer Orientierungen praktiziert werden konnte, etwa psychodynamisch, behavioral, humanistisch oder systemisch? Oder geht es vor allem um Systemische Therapie als ein eigenständiges Psychotherapieverfahren, das auf der Grundlage einer explizit konstruktivistischen Erkenntnistheorie in den unterschiedlichsten Settings von Einzel- über Paar- und Familien- bis zu Gruppentherapie durchgeführt werden kann? Die eher analytisch orientierten DAF-Mitglieder suchten das Verständnis von Familientherapie als Setting durchzusetzen. (Später gründeten sie den Bundesverband für psychoanalytische Paar- und Familientherapie – BvPPF.) Die eher konstruktivis-

tisch Orientierten vertraten die Vision der Systemischen Therapie als eigenständiges Therapieverfahren.2 1993 schlossen sich dann zunächst acht systemische Weiterbildungsinstitute3 zur Systemischen Gesellschaft (SG) zusammen. Diese Gründungsinstitute stimmten in ihrem spezifisch systemischen Profil überein und setzten sich gegen Institute mit einem familientherapeutischen Identitätskern ab. Oft waren damit Institute mit humanistischer oder psychodynamischer Orientierung gemeint. So wurde das damals größte Weiterbildungsinstitut, das Institut für Familientherapie Weinheim (IFW), erst nach langen Bedenken aufgenommen, weil es »zu Satir-orientiert« sei, also zu sehr an den Prinzipien humanistischer Psychologie ausgerichtet. Befeuert wurde diese Verbandsgründung durch die damalige Überzeugung dieser Gründungsinstitute der SG, die Speerspitze der explizit systemischen Orientierung zu sein. Um zwischen diesen nunmehr drei relativ kleinen Verbänden eine gewisse Einigkeit nach außen zu sichern und sich nicht gegenseitig in berufspolitischen Auseinandersetzungen aufzureiben, wurde 1995 die Arbeitsgemeinschaft Systemische Therapie (AGST) geschaffen. Dafür gab es viele eher äußerliche Anlässe. Die 1990 gegründete European Family Therapy Association (EFTA) wollte aus jedem Land nur einen Verband aufnehmen. Zudem bestand die Notwendigkeit, gemeinsame formale Standards für die Weiterbildung zu erarbeiten. Gesundheitspolitisch wurde in verstärktem Maß ein Nachweis der Effektivität von Systemischer Therapie gefordert. Und schließlich sollte ein Antrag auf

2 Dies ist der historische Hintergrund dafür, dass in den deutschsprachigen Ländern der Begriff »Systemische Therapie« benutzt wird, während in angelsächsischen Ländern dasselbe »family therapy« heißt. 3 APF Köln, BIF Berlin, IGST Heidelberg, ISS Hamburg, ISTUP Frankfurt, NIS Hannover, SGST Merzig und ViIST Marburg.

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Anerkennung der Systemischen Therapie an den Bundesausschuss Ärzte Krankenkassen gestellt und begründet werden. Die Vorsitzenden der drei Verbände beauftragten Günter Schiepek, in Ergänzung zu diesem Antrag einen den neuesten Stand von Praxis und Forschung zusammenfassenden wissenschaftlichen Text zu verfassen. Dieser wurde dann Grundlage der von allen vier Beteiligten ausgearbeiteten Stellungnahme zum Fragenkatalog Psychotherapieverfahren des Bundesausschusses. 26

Ich erinnere mich noch genau, wie Marie-Luise Conen (DAF), Kurt Ludewig (SG) und ich (DFS) als Vorsitzende der drei Verbände zusammen mit Günter Schiepek im Spätsommer mal wieder auf meinem Balkon sitzen, um die rund 300 Seiten des Antrags an den »Ausschuss Ärzte Krankenkassen« ein letztes Mal zu überarbeiten. Jeder hatte noch Änderungswünsche, die eingearbeitet werden mussten. Am 26. Juni 1998 habe ich schließlich die 30 geforderten Exemplare unserer Stellungnahme persönlich in die Ausschusssitzung getragen, was mir möglich war, da ich als erste und einzige Psychotherapeutin als ordentliches Mitglied in den »Bundesausschuss in seiner besonderen Zusammensetzung für Fragen der Psychotherapie« vom BMG berufen worden war. 

Anni Michelmann

Der 1998 im Bundesausschuss vorgelegte Antrag wurde nach der Verabschiedung des Psychotherapeutengesetzes am 16. Juni 1998 mit Verweis auf die neue Gesetzeslage jedoch nicht behandelt. Die AGST wurde auf den neu eingerichteten Wissenschaftlichen Beirat

Psychotherapie (WBP) verwiesen, der nun zuerst die wissenschaftliche Anerkennung eines Psychotherapieverfahrens zu prüfen hatte. Im Dezember 1998 reichte daraufhin die AGST das 361 Seiten starke Gesamtwerk ein (Schiepek, 1999).

Dieser Antrag wurde schließlich im Jahr 1999 durch den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie, besetzt mit führenden Vertretern konkurrierender Verfahren, abgelehnt. Nicht zuletzt die fadenscheinige und anspruchsarme, knapp dreiseitige Begründung verdeutlichte den drei Verbänden ihre eigene Einflusslosigkeit. Der Schock war groß, befeuerte aber die bereits auf der Mitgliederversammlung der Magdeburger DAF-Tagung 1996 erörterte Frage nach dem Sinn von drei systemischen Therapieverbänden. Durch einen Artikel von Marie-Luise Conen (1998) wurden dann die bereits seit 1998 im Rahmen der AGST geführten Fusionsverhandlungen der drei Verbände befördert, aus denen die SG allerdings nach einiger Zeit wieder ausstieg (s. Kasten). 1998 am Rand der ersten Systemischen Forschungstagung: Eine Besprechung von Vertretern der Vorstände aller drei systemischen Verbände findet im Dachgeschoss der Heidelberger Medizinpsychologie statt. Ich bin als stellvertretender DAF-Vorsitzender beteiligt. Gegen Ende wünschen Kurt Ludewig und Tom Levold, vom Vorstand der SG, der Fusion der beiden anderen Verbände »viel Glück« – für die SG sei dies aber »nicht das Richtige«. Über die Motive halten sie sich bedeckt, was bei den Anderen zahlreiche Hypothesen anregt. Ich formuliere, leicht verärgert, meinen Eindruck, die SG sehe anscheinend aus der Fusion von DAF und DFS einen Volkswagen entstehen (große Mengen, niedriger Preis) und wolle selbst ein Porsche sein (kleine Mengen, hoher Preis). Dem stimmen die beiden amüsiert zu. Der Kontext dieses Bonmots: Damals versuchte Porsche, Volkswagen aufzukaufen. Am Ende allerdings kaufte Volkswagen Porsche auf; das war aber im Frühjahr 1998 noch nicht vorauszusehen. 

Jochen Schweitzer

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3.2 Die Fusionsverhandlungen Zwei Jahre wurde nun zwischen DAF und DFS über die Fusion verhandelt. In sehr vielen, sorgfältigen Gesprächen wurden die kulturellen, konzeptionellen, satzungsmäßigen und ressourcenbezogenen Unterschiede beider Verbände erörtert. Der DFS brachte mehr Geld und mehr Regeln, die DAF eine renommierte Jahrestagung und ihre langjährige Zeitschrift »Kontext« in die Fusion ein. Dem DFS-Vor28

stand schwebten eineinhalbtägige Mitgliederversammlungen mit viel sozialem Beziehungsgeschehen vor, dem DAF-Vorstand ausführliche, anspruchsvolle Jahrestagungen und mögliche knappe Mitgliederversammlungen. Die Vorstandsmitglieder des DFS wollten das fein austarierte Regelwerk für Weiterbildungen einbringen, die der DAF dasselbe möglichst kurz und prägnant halten. In freundschaftlicher Atmosphäre gelang die Verständigung. Im Verhandlungsergebnis steckten gefühlte »50 % DFS und 50 % DAF« (J. S.). Schließlich wurde im September 2000 in Berlin als Fusionsergebnis von DAF und DFS die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF) gegründet. In der sprachlogisch umstrittenen (ziemlich unsinnigen) Aufzählung beider Begriffe im Titel spiegelt sich der Versuch, die Frage der Familientherapie als Setting oder der Systemischen Therapie als eigenständiges Verfahren als Identitätskern des Verbandes vorerst (noch etwas) offenzuhalten.4 4 Interessanterweise entwickelten sich nach 2000 beide Verbände sehr unterschiedlich. Die DGSF (der »Volkswagen«) wuchs rasch in ihren Mitgliederzahlen, die SG (der »Porsche«) drohte als reiner Instituteverband sich zum armen Verwandten der DGSF zu entwickeln. Um dem zu begegnen, öffnete sich die SG dann auch für Einzelmitglieder. Für ihre Entscheidungsprozesse gründete sie formal zwei Kammern: eine für Institute und eine für Einzelpersonen. Jede Entscheidung musste von beiden Kammern genehmigt werden. Anfangs wurden alle Lehrenden der Weiterbildungsinstitute zu »Zwangsmitgliedern« gemacht, später wurden auch sonstige Einzelmitglieder geworben.

Brautschau Bei der Gründungsversammlung der DGSF war es aus juristischen Gründen notwendig, dass wir uns aufteilten. Auf der einen Seite des Saales saßen die Mitglieder der DAF, geteilt durch einen Gang die des DFS. Das war schon eine putzige Situation, eben noch zusammen getagt und plötzlich getrennt. Als altes DAF-Mitglied seit Mitte der 1980er Jahre kannte ich ja die meisten DAF-Mitglieder und äugte ein bisschen misstrauisch auf die anderen. Braut und Bräutigam war die 29

seinerzeit genutzte Metapher. Alexander Korittko

4 Drei Entwicklungsphasen in der DGSF In den folgenden drei Kapiteln werden aus der Sicht der jeweiligen Vorstandsvorsitzenden (W. R. bis 2007, J. S. bis 2013, E. H. bis 2019) die besonderen Aufgaben und Herausforderungen der einzelnen Epochen dargestellt und die Lösungen geschildert, die für die unterschiedlichen Fragestellungen gefunden wurden. Das »Wir« in den drei folgenden Texten soll verdeutlichen, dass fast alle diese Ideen und Handlungen Gemeinschaftsprodukte der jeweiligen Vorstandsteams dieser Epochen waren.

Ab 2016 wurde die Zertifikatsvergabe an die Mitgliedschaft in der SG gebunden, die Trennung der Mitglieder in zwei Kammern mit getrennten Abstimmungen faktisch aufgehoben. So wuchs die Zahl der Einzelmitglieder auch in der SG.

4.1 Strukturen schaffen und konsolidieren (2000 bis 2007) Die Basis aufbauen

Frühjahr 2000 in einem Viersener Restaurant: Marie-Luise Conen und Gisal Wnuk-Gette als Vorsitzende von DAF und DFS sind angereist, um mich etwas näher kennenzulernen und zu fragen, ob ich 30

bereit sei, für die Position des ersten Vorsitzenden der neu zu gründenden Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie zu kandidieren. Bereits seit einem halben Jahr wusste ich von solchen Überlegungen. Ich hatte mir in der Zeit Gedanken darüber gemacht, ob ich das zeitlich neben meinen Aufgaben als ärztlicher Klinikleiter schaffen würde. Andererseits war uns in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Viersen in 20 Jahren eine konsequent systemtherapeutische Ausrichtung gut gelungen, und wir erlebten uns in dieser Arbeit als sehr erfolgreich. Mein da­ raus abgeleiteter »Missionsauftrag« hatte mich bereits zu vielen Publikationen, Vorträgen und Seminaren veranlasst. Jetzt sah ich die Chance, mich in größerem Rahmen für systemisches Denken und Handeln einzusetzen. 

Wilhelm Rotthaus

Nach unserer Einsetzung durch die Gründungsversammlung – die erste Wahl erfolgte 2001 – haben wir als Vorstand5 damit begonnen, eine schlagkräftige Organisation aufzubauen. Die Einzelmitglieder sollten oberster Souverän sein, der ehrenamtliche Vorstand die Verbandsführung übernehmen. Nicht der, vielleicht später mal langjäh5 Carmen Beilfuss, Friedebert Kröger, Klaus Osthoff, Wilhelm Rotthaus und Anne Valler-Lichtenberg.

rige Geschäftsführer – wie in manch anderen Therapieverbänden –, sondern die gewählten Vorstandsmitglieder sollten gemeinsam mit dem Geschäftsführer die Politik des Vereins prägen. Diese Idee scheint bis heute die Arbeit im Verband zu prägen. Wer wird Mitglied?

Als zentrales Merkmal des Verbandes sahen wir die berufsübergreifende Mitgliedschaft. Alle im psychosozialen Feld tätigen Berufsgruppen und Organisationen – später, nach einigem Zögern, auch die in der Wirtschaft systemisch Tätigen – sollten vom Verein vertreten werden. Die Aufnahmeschwelle wurde niedrig definiert: Interesse an systemischem Arbeiten und ein Minimum an systemischen Kenntnissen und Erfahrungen. Ziel war es, einen berufsgruppenübergreifenden Austausch bezüglich systemischer Haltungen und Vorgehensweisen zu fördern. Wir haben uns immer wieder bemüht, gerade auch die Interessen der größten Mitgliedergruppe, der Sozialarbeiter und Sozialpädagogen im Blick zu haben. Allerdings ließen unsere Bemühungen um das »harte« Ziel »Anerkennung der Systemischen Therapie«, die von der überwiegenden Mehrheit der Mitglieder unterstützt wurden, das Engagement für die Ziele in den eher sozialpädagogischen Arbeitsfeldern in den Augen vieler Mitglieder doch etwas in den Hintergrund treten. Die Zusammenführung der unterschiedlichen Kulturen

Eine große Herausforderung bestand darin, Personen und Institute aus zwei Verbänden mit sehr unterschiedlichen Kulturen zusammenzuführen. Die ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von DFS und DAF hatten bewusst auf einen Posten im neuen DGSF-Vorstand verzichtet. Dies und die Besetzung des Vorstandes mit je einer Person aus den beiden Vorgängerverbänden und drei in dieser Hinsicht neutralen Vorstandsmitgliedern spiegelte dieses Bemühen. Insbesondere am

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Anfang wurde die »Herkunft« aus den beiden Vorgängerverbänden bei der Besetzung der verschiedenen Gremien sorgfältig beachtet. Wir profitierten aber von der guten Vorarbeit im Fusionsprozess, so dass bald weitere Kriterien wie die Herkunft der Kolleginnen aus den neuen Bundesländern, die Berücksichtigung der verschiedenen Berufsgruppen wie Sozialarbeit, (Sozial-)Pädagogik, Supervision, Psychologie, Medizin und die Relation von Frauen zu Männern in den Vordergrund traten. Die spätere Entwicklung zeigt, dass dies 32

bezüglich der Berufsgruppen weitgehend gelang, dass aber Männer überrepräsentiert blieben (obwohl Männer im Verband nur ca. 25 % der Mitglieder stellen, waren sie mit ca. 60 % in den bisherigen Vorständen repräsentiert). Sie hatten bis 2019 jeweils auch das Amt des Vorsitzenden inne. Und nur in der Hälfte der Zeit waren die neuen Bundesländer mit einer Kollegin im Vorstand vertreten. Aufbau der Geschäftsstelle

Primäre Aufgabe war sodann der Aufbau einer gut funktionierenden und entsprechend der wachsenden Mitgliederzahl sich im Verlauf der Vorstandszeit vergrößernden Geschäftsstelle. Bernhard Schorn konnte als Geschäftsführer gewonnen werden, dem es gelang, mit anfangs zwei, ab 2006 dann vier Mitarbeiterinnen6 (rechnerisch zwei volle Stellen) ein gut harmonierendes Team zusammenzustellen. Zweimal mussten wir aufgrund des raschen Anwachsens der Mitgliederzahlen und der entsprechend notwendigen Erweiterung der Kölner Geschäftsstelle in neue Räume umziehen (2001: Pohlmannstraße; 2007: Christophstraße). Ein Corporate Design wurde entwickelt, Informationsmaterial über Systemische Therapie, Beratung und Supervision erstellt, erste Flyer und Broschüren zur Außendarstellung erarbeitet, ein Internetauftritt geschaffen. 6 Caroline Keuser, Eva Hanowski, Miee Park und Bernhard Schorn

Die Vorstandssitzungen waren gefüllt mit vielen Themen, der Lust an der Diskussion und dem Finden einer passenden Struktur. Es zeigte sich recht schnell, dass eine Tagesordnung mit TOP, festgelegter Zeitstruktur und einem Zeitwächter zu diesem Zeitpunkt und für das Miteinander nicht das Mittel der Wahl waren. Stattdessen gab es wenig Pausen, dafür extra von einem VS-Mitglied (Klaus Osthoff) immer wieder frisch zubereitete Apfel- und andere Obstschnitze, die leicht nebenher zu essen waren. Während sich am Ende der von Köln entfernter lebende Teil des Vorstandes in letzter Minute auf den Weg zum Zug machte, räumten die in oder um Köln wohnenden VS-Mitglieder mit dem Geschäftsführer Bernhard Schorn auf, spülten gemeinsam ab und tauschten weitere Gedanken aus. 

Anne Valler-Lichtenberg

Nur keine dauerhaften Ausgaben!

In den ersten Jahren waren wir sehr unsicher im Hinblick auf die weitere Entwicklung des Verbandes. Zwar überraschten uns wachsende Mitgliederzahlen. Aber die Sache war uns zunächst nicht ganz geheuer. Deshalb haben wir eine sehr restriktive Finanzpolitik verfolgt: preiswerte Räume für die erste Geschäftsstelle und eine Aufwandsentschädigung von 25 Euro pro Tag für die Vorstandsmitglieder. So gelang es, eine solide finanzielle Grundlage der DGSF aufzubauen. Immer wieder das Eintauchen in die »Katakomben« der ersten Geschäftsstelle in Köln: enge, finstere, kalte Gänge in einem Altenheim, und ich war froh, wenn sich endlich die Tür zur »lebendigen« Geschäftsstelle öffnete. Für körperliche Ertüchtigung sorgten wir selbst, indem wir gern unsere Diskussion im Grünen weiterführ-

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ten, dabei uns allerdings zuweilen ausgeschlossen haben und durchs Fenster wieder einsteigen mussten. 

Klaus Osthoff

Zertifizierungen

Durch den Fort- und Weiterbildungsausschuss wurden in der Folgezeit im Benehmen mit dem Vorstand die Weiterbildungsrichtlinien 34

für systemische Beratung, systemische Therapie und Beratung und systemische Supervision – aufbauend auf denen des DFS – ausgearbeitet. In der jeweils nachfolgenden Mitgliederversammlung wurden sie diskutiert, in Einzelheiten korrigiert und beschlossen. Als Letztes folgte die Weiterbildungsrichtlinie für die Systemische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, erst nach heftigen Auseinandersetzungen zunächst nur »vorläufig« verabschiedet. Der Widerstand war gut begründet: Man wollte nicht wieder trennen, was in der Familientherapie zusammengeführt worden war. Die Befürworter argumentierten mit alarmierenden Befunden, wonach Familientherapie in der Praxis oft in Form von Elterngesprächen im Beisein gelangweilter Kinder praktiziert werde, nur weil die Therapeuten keinen eigenständigen Zugang zu den Kindern fänden. Die Anerkennung als DGSF-Weiterbildungsinstitut wurde anfangs an die Zertifizierung der Weiterbildungsgänge gebunden, die jeweils nach Ablauf von fünf Jahren erneuert werden musste. Auf diese Weise ist es uns in relativ kurzer Zeit gelungen, das DGSF-Zertifikat als wichtiges Qualitätsmerkmal zu etablieren. Gegen Ende unserer Vorstandszeit entwickelten wir gemeinsam mit dem Instituterat – unter dem Motto: so wenig erbsenzählerische Kontrolle wie möglich – Ideen für eher dialogische Akkreditierungsrichtlinien der Institute, die dann auch auf der Mitgliederversammlung 2009 beschlossen wurden. Durch die Veröffentlichung eines Selbstreports auf der Inter-

netseite der DGSF sollten die Kunden in die Lage versetzt werden, Unterschiede zwischen den Instituten zu erkennen und zu kontrollieren, ob das Versprochene auch eingehalten wird. Dieser Selbstreport galt zugleich als Grundlage für ein Audit mit mindestens drei weiteren Instituten unter dem Ziel einer Akkreditierungsempfehlung. Dass einzelne Institutsleiter die Regeln zunächst missachteten, konnte meist in einem eigens für solche und ähnliche Auseinandersetzungen eingerichteten Vermittlungsausschuss geklärt werden und führte nur ganz vereinzelt zu wenig schönen Auseinandersetzungen (Nichteinhalten der Regeln trotz Werbung mit angeblicher DGSFAnerkennung). Der Versuch des Vorstands, ein einheitliches Qualitätssicherungsverfahren für die Weiterbildungsangebote der Institute verbunden mit einem Benchmarking einzuführen, scheiterte am erbitterten Widerstand der Institute. Es wurde daraufhin seitens des Vorstands lediglich ein Fragebogenverfahren zur Qualitätssicherung entwickelt mit der Empfehlung, dies auf freiwilliger Basis in den einzelnen Instituten durchzuführen. Verbändepolitik

Eine besondere Herausforderung für uns Vorstandsmitglieder waren die Treffen mit der gesundheitspolitischen Sprecherin beider Verbände Anni Michelmann. Mit rührender Geduld übernahm Anni die Aufgabe, uns in die Verbändelandschaft mit ihren vielen Kürzeln wie AGR, GKII, DPA, DAGG, DGfP, DNK, AÄGP, DGPM, DGPT, DKPM etc. einzuführen. Zu erkennen und zu behalten, was sich hin-

ter den Buchstabenkollektiven verbarg, brauchte es dann doch einen längeren Lernprozess. Im Jahr 2004 wurde die Deutsche Gesellschaft für Beratung (DGfB) gegründet. Ihren historischen Kern bildeten die großen Bundesverbände der institutionellen Beratung (z. B. Caritas), die Therapieverbände und die Deutsche Gesellschaft für Supervision (DGSv).

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Sie alle hatten sich über die Jahre als lose Arbeitsgemeinschaft über Standards für Beratung verständigt und eine Satzung auf den Weg gebracht. Sie erarbeiteten ein eigenes Beratungsprofil, um die Unterschiedsbildung von Beratung und Therapie voranzubringen, was fachlich, aber auch strategisch notwendig schien. Als Vertreterin der DGSF in der DGfB konnten wir Renate Zwicker-Pelzer, die erste, explizit beratungswissenschaftliche Professorin, gewinnen. Sie kandidierte erfolgreich für den DGfB-Vorstand, dem 36

sie über zwei Perioden angehörte. Die unterschiedlichen Interessen der Mitgliedsverbände beförderten lebhafte Diskussionen um den politisch geforderten europäischen Qualifikationsrahmen. Immer wieder wollten sich politische Kräfte mit einem Gesetz der Beratung hervortun. Ein solches gibt es aber nach wie vor nicht. In Instituteversammlungen, Mitgliederversammlungen und den für Beratung zuständigen Fachgruppen schuf Renate Zwicker-Pelzer eine neue Offenheit für ein systemisches Beratungsprofil und leitete die ersten Prozesse der Kompetenzorientierung von systemischer Beratung ein. Beratung entwickelte sich nach und nach aus dem Schatten der Therapie heraus zu einer eigenen fachlichen Säule im Verband. Strukturelle Konfliktlösung

In den Fusionsverhandlungen war es nicht gelungen, die Stellung der Institute in dem neuen Verband zu klären. Vielmehr war ein Institut formal Mitglied wie jedes andere. In der Satzung wurde zwar eine Instituteversammlung (IV) benannt, diese hatte aber keinen Organstatus. Das entsprach nicht der Bedeutung der Institute und der Institutsleiterinnen innerhalb des Verbandes. Angestrebt wurde von vielen Institutsvertretern ein Zweikammersystem ähnlich dem der SG. Dem widersetzten wir uns als Vorstand nachhaltig, weil wir ein Übergewicht der Institutekammer und eine relative Bedeutungslosigkeit der Mitgliederkammer befürchteten.

Über diesen Punkt fand in den ersten Jahren eine heftige Auseinandersetzung statt. Am Ende des Diskussionsprozesses, nach vielen regelmäßigen Arbeitstreffen zwischen dem Instituterat und dem Vorstand, auch in einer Zukunftswerkstatt im Januar 2005 in Göttingen, stand die Entscheidung, der IV innerhalb der Satzung einen Organstatus zuzuordnen. Damit wurde anerkannt, dass die Weiterbildungsinstitute innerhalb der DGSF ein Subsystem mit besonderen Anliegen, Interessen und Zielvorstellungen darstellen. Zugleich blieb die Grundstruktur des Verbandes als Mitgliederverband erhalten. Die Institute zahlen einen zusätzlichen Mitgliedsbeitrag, dessen Höhe von der IV vorgeschlagen und von der Mitgliederversammlung beschlossen wird. Um die Kooperation innerhalb des Verbandes sicherzustellen, erhielt die IV das alleinige Vorschlagsrecht für die Position eines der beiden stellvertretenden Vorsitzenden im Vorstand der DGSF. Als Aufgaben der IV wurden in der Satzung unter anderem aufgeführt: Sicherung der Qualität der Aus-, Fort- und Weiterbildung, Erarbeiten von Vorschlägen für Standards, Richtlinien und Evaluationskriterien für die Fort- und Weiterbildung in Systemischer Therapie sowie die Weiterentwicklung von Regelungen/Richtlinien zur Akkreditierung von Weiterbildungsinstituten. Diese Satzungsänderung wurde auf der Mitgliederversammlung 2006 in Leipzig beschlossen. Sie hat sich als eine sehr gute Grundlage für eine wertschätzende Kooperation innerhalb des Verbandes bewährt. Geld kostete den Verband die Angabe in einem Editorial des »Kontext«, Bert Hellinger habe sich auf dem Obersalzberg eine Wohnung gekauft. Er hatte sie nur gemietet! Wir erhielten eine »Abmahnung mit der Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungserklärung« und mussten schweren Herzens die Kosten für den Rechtsanwalt von Bert Hellinger übernehmen. 

Wilhelm Rotthaus

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Die Jahrestagungen

In den Mitgliederversammlungen gab es aus zeitlichen Gründen meist zu wenig Gelegenheit, über die weitere Entwicklung des Verbandes zu diskutieren. Ganztägige oder zweitägige Mitgliederversammlungen erschienen uns wenig realitätsnah. Stattdessen installierten wir einen Verbandstag mit einer außerordentlichen Mitgliederversammlung im jeweiligen Frühjahr, um mehr Zeit für eine inhaltliche Diskussion der Politik des Verbandes zu haben. Diese 38

Frühjahrs-MV wurde mit einem Fachtag unter dem Leitthema »Qualität der systemischen Lehre« verbunden, der in Zusammenarbeit von Vorstand und Fort- und Weiterbildungsausschuss veranstaltetet wurde. Die Frühjahrsveranstaltung trug wesentlich zu der weiteren Entwicklung eines offenen und wertschätzenden Austausches innerhalb des Verbandes bei. Seitens mancher Mitglieder wurde die Forderung erhoben, dass die wissenschaftlichen Jahrestagungen der DGSF zur Sicherung eines qualitativ hochwertigen Programmes vom Vorstand des Verbandes durchgeführt werden müssten. Wir hatten zwar vereinzelt bei Jahrestagungen den Eindruck, dass das Wort »wissenschaftlich« von den Veranstaltern übersehen worden war, und waren im Stillen zuweilen froh, dass nur selten Vertreterinnen anderer Therapieverbände erschienen. Trotzdem hat sich der Vorstand damals entschieden, bei der bisherigen Praxis zu bleiben. Er erachtete die jeweilige regionale Vernetzung eines Institutes als vorteilhaft und sah darin die Chance, dass auf diese Weise die Breite der Mitgliederinteressen und die Vielfalt an Ideen und Perspektiven am besten ihren Ausdruck finden könnten. Wir haben dann Rahmenanforderungen für die Durchführung der jährlichen wissenschaftlichen Jahrestagung der DGSF durch ein Mitgliedsinstitut formuliert und ein Mitglied des Vorstandes als Kontaktperson zu diesem Institut benannt.

Zechpreller Immer wieder Diskussionen und Entscheidungen im Vorstand bis zur für das Erreichen unseres Zuges nach Heidelberg bzw. Freiburg letzten Minute. Friedebert Kröger war »der Drängler«, ich »der Gelassene«. Ziemlich schockiert waren wir, als wir uns eines Abends gerade noch in den Speisewagen gerettet hatten, wo wir demselben Kellner begegneten, der uns am Morgen bedient hatte. In dem Augenblick fiel es uns ein: Wir hatten morgens vergessen zu bezahlen! Aber unser Versuch, das nachzuholen, scheiterte. Die Zechprellerei war schon an die Versicherung gemeldet worden. 

Klaus Osthoff

Fachgruppen und Regionalgruppen

Neben den Regionalgruppen  – zuletzt in unserer Vorstandszeit sechs – bieten die Fachgruppen einen guten Rahmen dafür, möglichst viele Mitglieder in die Arbeit des Verbandes einzubeziehen. Sie geben dem Vorstand die Chance, den Sach- und Fachverstand der Mitglieder zu nutzen und rechtzeitig über neue positive oder negative Entwicklungen vor Ort informiert zu werden. Bereits im Januar 2001 wurde die Fachgruppe Supervision gegründet. Ab 2002 gab es schon fünf weitere Fachgruppen: Aufsuchende Familienarbeit, systemische Organisationsberatung, systemische Familienmedizin, Soziale Arbeit und die AG Systemische Kinder- und Jugendpsychotherapie und -psychiatrie e. V. (ASK). Bestärkt durch die Diskussion innerhalb der Zukunftswerkstatt im Jahr 2005 haben wir uns bemüht, einzelne Mitglieder zur Gründung einer Fachgruppe anzuregen. Ein gelungenes Beispiel waren die Impulse von Michaela Herchenhan, die zur Gründung der Fachgruppe systemische Kinder- und Jugendhilfe führten. Damit wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass ein Großteil der Mitglieder des Verbandes im Rahmen

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der Jugendhilfe tätig ist. Schließlich wurde eine Geschäftsordnung für Fachgruppen erarbeitet und beschlossen, sich regelmäßig einmal im Jahr mit den Fachgruppensprecherinnen zu treffen. D ­ arüber hinaus unterstützten wir die Durchführung von Fachtagungen durch die acht Fachgruppen. Mein persönliches Anliegen (W. R.) galt der Bildung einer Fachgruppe Hochschulen, die in einem sehr schönen Lokal in Ulm zum Ende unserer Amtsperiode an den Start gebracht werden konnte. 40

Vorausgegangen war sehr viel Widerstand einer Reihe von DGSFInstituten gegen unsere Entscheidung, Weiterbildungsinstitute in Trägerschaft von Hochschulen aufzunehmen und diese Mitgliedschaften auch ausdrücklich zu begrüßen. Es wurde eine unfaire Konkurrenzsituation befürchtet: Die Hochschulinstitute seien bevorteilt beispielsweise durch kostenlose Nutzung von Räumen der Hochschule und Weiterbildungstätigkeit innerhalb der normalen Lehrtätigkeit. Auch die Idee, Kooperationen mit Hochschulen einzugehen, fiel zunächst auf wenig fruchtbaren Boden. Wir haben daraufhin mehrere Treffen von Leitern außeruniversitärer Institute mit Vertreterinnen von Hochschulinstituten organisiert, in denen wechselseitige Vorannahmen und Vorurteile ausgetauscht und zumindest weitgehend ausgeräumt wurden. Systemische Supervision wurde damals noch von manchen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe abgelehnt zugunsten von DGSvzertifizierten Supervisorinnen. Deshalb wurden in Zusammenarbeit mit der Fachgruppe Supervision zahlreiche Initiativen gestartet, um diese Situation zu ändern – unter anderem durch regionale Fachtage mit dem Ziel, den Entscheidern in Institutionen die Besonderheiten der systemischen Supervision, ihre vielfältigen Möglichkeiten und die Qualität der DGSF-zertifizierten Supervisionsweiterbildungen nahezubringen.

Eines meiner Highlights war die Tagung des Verbändeforums Supervision 2004 in Montabaur. Die DGSF war durch Anni Michelmann und mich, die SG durch Tom Levold vertreten und maßgeblich mitverantwortlich. Zur Einstimmung gab es kleine soziometrische Aufstellungen, die zeigten, dass etliche Kolleginnen in mehr als einem der Supervisionsdachverbände vertreten sind und dass Kooperationen Sinn machen – bei durchaus vorhandenen fachlichen und berufspolitischen Unterschieden. 

Anne Valler-Lichtenberg

2006 haben wir ein Konzept zur Neuorganisation der Fachgruppen entwickelt. Es wurden drei Arbeitskontexte als »Dächer« für die unterschiedlichen Fachgruppen gebildet: Ȥ Systemische Soziale Arbeit (FG Altenhilfe, Behindertenhilfe, Kinder- und Jugendhilfe, offene Jugendarbeit und Gemeinwesenarbeit, Schulsozialarbeit, Aufsuchende Familientherapie), Ȥ Systemische Medizin/Psychotherapie (FG Familienmedizin, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Erwachsenenpsychiatrie) Ȥ und systemische Supervision/Organisationsberatung/Mediation (FG Supervision und Organisationsberatung, Mediation). Dieses Modell wurde entwickelt, um eine höhere Transparenz zu schaffen und die Kooperation der Fachgruppen untereinander sowie die berufsübergreifende Vernetzung zu fördern. Das große Highlight: Die EFTA-Tagung 2004

Die European Family Therapy Association (EFTA) hatte 2002 nachgefragt, ob die Deutsche Gesellschaft für systemische Therapie und Familientherapie/Systemische Gesellschaft bereit sei, den Internationalen EFTA-Kongress 2004 durchzuführen. Sie tat dies nicht zuletzt aus der Idee, die beiden deutschen Verbände im Kampf um die Durch-

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setzung der Systemischen Therapie/Familientherapie in Deutschland zu unterstützen. Bei negativer Beurteilung der Systemischen Therapie in Deutschland befürchtete man negative Auswirkungen auf die eigenen Länder im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses. Das Organisationskomitee7 schwankte längere Zeit zwischen den Ideen, einen kleinen feinen Kongress auszurichten oder die Vision eines großen Kongresses im CCT in Berlin zu wagen. Die große, vor allem von Kurt Ludewig leidenschaftlich vertretene Lösung setzte sich durch. 42

Der Erfolg gab ihm Recht. Der Kongress wurde nicht zuletzt mithilfe der Mitglieder beider Verbände mit knapp 3500 Teilnehmerinnen ein unglaublicher Erfolg und eine eindrucksvolle Demonstration der Bedeutung der systemischen Beratung und Therapie in Deutschland. Weitere Arbeitsbereiche der ersten Jahre

Weitere Arbeitsbereiche in den Jahren 2000 bis 2007 sollen aus Platzgründen nur benannt werden: Ȥ Eine enge Kooperation in berufspolitischen und fachlichen Fragen mit dem Vorstand der SG nach dem Motto: »zwei Verbände, eine Stoßrichtung« (siehe Kapitel 5.3) Ȥ Einrichtung eines Ethikbeirats und Erarbeitung von Ethikrichtlinien Ȥ Ausarbeitung einer Geschäftsordnung des Fort- und Weiterbildungsausschusses mit der Auseinandersetzung um die Frage, wie detailliert die Zertifizierungsanforderungen formuliert werden müssen (siehe Kapitel 5.1) Ȥ Berufung eines Wissenschaftlichen Beirats Ȥ Finanzierung der Mitgliederzeitschrift »Kontext« und Kooperation mit den Herausgebern (Wechsel des Herausgeberteams) 7 Friedebert Kröger, Kurt Ludewig, Tom Levold, Annie Michelmann, Wilhelm Rotthaus, Arist von Schlippe und Gisal Wnuk-Gette.

Ȥ Politische Stellungnahmen (beispielsweise zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz für ein Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls) Ȥ Fachliche Stellungnahmen (beispielsweise zu Familienaufstellungen nach Hellinger oder zur Fernsehsendung »Super-Nanny«) Ȥ Auslobung des DGSF-Förderpreises »Maria-Bosch-Preis« für die besten Abschlussarbeiten von Weiterbildungsabsolventen Ȥ Auslobung eines Forschungspreises im jährlichen Wechsel mit der SG Ȥ Gegen Ende unserer Vorstandszeit die Entwicklung von »DGSF Intern« mit der Erstausgabe vor der Mitgliederversammlung 2007 Versuch einer Zwischenbilanz

Nach anfänglich durchaus auch stürmischen Jahren ist es in der subjektiven Rückschau gut gelungen, zunehmend Wertschätzung und Kooperation im Verband zur Entfaltung zu bringen. Und die wurde uns auch 2007 zu unserem Abschied in Neu-Ulm mit einem fantastischen Feuerwerk, organisiert von Gisal Wnuk-Gette, in geradezu liebevoller Weise entgegengebracht. Die Chemie im Vorstand stimmte von Anfang an, was sich an der noch heute lebendigen Tradition einer jährlichen Altvorstandswanderung ablesen lässt. Anfangs dominierten viele kleine Schritte, gegen Ende konnten Visionen der weiteren Verbandsentwicklung ins Auge gefasst werden. Über die ganze Vorstandszeit zogen sich Erörterungen über die geeignete Strategie, zumindest die Anerkennung durch den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP) zu erreichen, ohne die eine gute Entwicklung des systemischen Ansatzes in allen Arbeitsfeldern kaum denkbar erschien (siehe Kapitel 5.2). Am Ende unserer Vorstandszeit haben wir einen fließenden Übergang zu der nachfolgenden Vorstandsmannschaft dadurch ermög-

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licht, dass Anne Valler-Lichtenberg und Klaus Osthoff vorzeitig zurücktraten, um für zwei neue Mitglieder, nämlich Michaela Herchenhan und Rainer Schwing Platz zu machen. In der letzten MV haben wir die Mitglieder auf eine notwendige Beitragserhöhung vorbereitet, um für die Aktiven in der DGSF endlich eine halbwegs angemessene Aufwandsentschädigung zu ermöglichen.

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4.2 Wachstum und Wirksamkeit fördern (2007 bis 2013) Eine angenehme Ausgangslage ermöglicht anspruchsvolle Zielsetzungen

Der neue Vorstand ab 20078 fand eine hervorragende Ausgangslage vor, so dass er sich relativ schnell einarbeiten und neue Ziele für die nächsten Jahre setzen konnte. Zu dieser Ausgangslage gehörten eine sehr professionell arbeitende Geschäftsstelle, eine klare und seit 2005 nicht mehr strittige Struktur von in der Satzung gut verankerten Suborganisationen, eine gegenüber der Gründung auf nunmehr 2.700 verdoppelte Mitgliederzahl und solide Finanzen, nicht zuletzt auch der große Respekt, den sich der Vorgängervorstand erarbeitet hatte und der wie eine Art Vertrauensvorschuss auch uns entgegengebracht wurde. Was hatten wir nun vor? Nach den vorangegangenen Konfliktschlichtungen wollten wir zu einer Beziehungskultur beitragen, in der es mehr Spaß machte, zu DGSF-Veranstaltungen zu fahren und in der selbst Mitglieder-

8 Zu Heliane Schnelle seit 2004 sowie Michaela Herchenhan und Rainer Schwing ab 2006 kamen ab 2007 Susanne Altmeyer und Jochen Schweitzer hinzu. An die Stelle von Heliane Schnelle trat dann 2010 Björn Enno Hermans. Rainer Schwing beendete aus persönlichen Gründen vorzeitig im Jahr 2011 seine Amtszeit, Michaela Herchenhan turnusgemäß 2012 die ihre. Für sie kamen Renate Zwicker Pelzer und Liz Nicolai 2012 neu in den Vorstand.

versammlungen von drögen Saalschlachten zu stil- und freudvollen Highlights würden. Durch viele aktive »Einladungen zum Mitmachen« wollten wir die Mitgliederzuwächse der ersten sieben Jahre fortführen und weiter steigern. Mit den resultierenden Finanzzuwächsen sollten anspruchsvolle innen- wie außenpolitische Aufgaben finanzierbar werden. Mit mehr Mitgliedern und mehr Geld sollte die DGSF im Konzert der großen psychosozialen Fachverbände mithalten und außenpolitisch wirksam werden können. Wie der vorige Vorstand wollten wir einen berufsgruppen- und arbeitsfeldübergreifenden Verband erhalten und pflegen, in dem »das ganze systemische Feld« (= DGSF) sich unter dem gemeinsamen Sammelbegriff »systemisch« als eine »Einheit in Diversität« erlebt. Gern wollten wir vermehrt Mitgliedergruppen gewinnen und im Verband sichtbar werden lassen, die es bislang nur wenig waren: Menschen aus den neuen Bundesländern, mit Migrationshintergrund, mit nicht-heterosexueller Orientierung, in bislang unterrepräsentierten Arbeitsfeldern wie Schulpädagogik, Kranken- und Altenpflege, Unternehmensberatung. Wir wollten viele im Verband aktive Mitglieder und möglichst wenige Karteileichen, viele mit wichtigen Aufgaben in der DGSF betrauen und dafür auch qualifizieren. Dazu musste die DGSF stärker als bislang zu einer fraktalen Organisation werden, mit viel Autonomie und Verantwortungsdelegation nach unten, mit »100 dezentralen DGSF-Vorständen« unterhalb des DGSF-Vorstandes.

All das sollte dem Verband wirksames Intervenieren auf fachpolitischen Bühnen ermöglichen, auch bei Ministerien und Spitzenverbänden, selbst in Berlin. Prominent strebten wir in der Gesundheitspolitik die Anerkennung systemischer Psychotherapie als evidenzbasiertes und kassenfinanziertes Verfahren an und in der Sozialen Arbeit, speziell

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in der Jugendhilfe, gute fachliche Arbeitsbedingungen für systemische Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagoginnen. In Supervision, Coaching und Organisationsentwicklung wollten wir die »Marke DGSF«9 konkurrenzfähig machen und systemische Prozessberatung

gegenüber neoliberalen und expertokratischen Beratungsansätzen à la McKinsey stärken. Am zweiten Weihnachtstag 2010 – während des Zusammenseins 46

im größeren Familienkreis – erreicht mich eine Nachricht: Im Haus unserer Geschäftsstelle hat es einen großen Wasserschaden gegeben. So fuhr ich dann – es war ein in Köln eher seltenes Weihnachten mit Schnee – in die Stadt und sah schon von weitem, wie die Feuerwehr mit Leiterwagen die Eiszapfen von den Wänden des Hauses abschlug. Im Flur lief Wasser die Treppe herunter. Tage später schilderte Frau Keuser beim Telefonat mit der Druckerei nebenbei die schwierige Situation und bekam neue Räume im Haus der Druckerei angeboten, preisgünstig und sehr zentral gelegen. Der Blick aus dem Fenster des Büros des Geschäftsführers auf die Domtürme ging dann leider verloren. Dafür waren Bahnhof und Kathedrale nach dem Umzug nur noch einen Steinwurf entfernt. 

Bernhard Schorn

9 Den Slogan und die Perspektive der DGSF als »Marke« verdanken wir Rainer Schwing.

»Ich möchte, dass der Vorstand den Finanzbericht singt« – Beziehungskultur und Inszenierungen in Vorstands- und Mitgliederversammlungen

Der neue Vorstand wollte zunächst ein gutes Team formen, in dem Zusammenarbeit Spaß machen würde. Wir informierten uns wechselseitig über unsere Hobbys, unsere Abneigungen und unsere Vorstellungen von unseren Beiträgen zur Vorstandsarbeit. Das Teamrollen-Modell von Belbin (2003) u. a. mit seinen sieben Teamrollen – Antreiber, Erfinder, Moderator, Ressourcenbeschaffer, Teamgeistförderer, Qualitätskontrolleur und Zuendebringer – half, uns gegenseitig mit unseren Lieblingsrollen in Arbeitsteams vertraut zu machen und auf mögliche Lücken aufmerksam zu werden. Wir beschlossen, uns siebenmal pro Jahr zu ganztägigen Sitzungen und einmal pro Jahr zu einer zweitägigen Klausur zu treffen, letztere gern an schönen Orten, und sowieso zu den Frühjahrs- und Herbsttagungen. Aktuelle Themen sollten über E-Mailaustausch und gelegentliche Telefonkonferenzen geklärt werden. Finanzberichte haben den Ruf, langweilig zu sein. Als neue Schatzmeisterin eines systemischen Verbandes hatte ich den Ehrgeiz, meinem ersten Finanzbericht 2008 mithilfe von etwas Unerwartetem eine andere Note zu geben – als musikbegeisterte Person dachte ich an einen gesungenen Finanz-Rap. Meine Vorstandskolleginnen waren von meinem Vorschlag nur so mittel-begeistert. Die Befürchtung, sich lächerlich zu machen, war sehr dominant, und es kostete mich einiges an Geduld, Spucke und Überredungskunst, bis wir uns auf eine – wenn auch andere Art – des musikalischen Vortrags einigten: mit verteilten Rollen (drei Frauen, zwei Männer) sangen wir als Finanzberichts-Intro das Lied »Ich wär’ so gerne Millionär« von den Prinzen. »Ich wär’ so gerne Millionär, dann wär mein Konto niemals leer, Ich wär’ so gerne Millionär – millionenschwer. Ich wär’ so gerne

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Millionär.« Die Mitgliederversammlung johlte. Meine Lieblingsstelle, von Jochen Schweitzer vorgetragen: »Es gibt so viele reiche Witwen, die begehren mich sehr, sie sind so scharf auf meinen Körper, doch den geb’ ich nicht her!« Und das Lied wirkte: Die weitere Entwicklung der Finanzen verlief sehr günstig. 

Susanne Altmeyer

Unser Vorstandsteam, ab 2010 mit Björn Enno Hermans, verband 48

eine Neigung zu Musik, zu theatralischen Inszenierungen und zu schönen Orten. Susanne Altmeyer wusste uns dabei ideenreich zu orchestrieren. Wir verabschiedeten Wilhelm Rotthaus und Friedebert Kröger 2007, Michaela Herchenhan 2012 mit Geige, Saxofon und Akkordeon. Heliane Schnelle organisierte 2009 für den Vorstand eine fantasievolle Jahrestagung »Perlen am Fluss« an den Potsdamer Havelseen. Susanne Altmeyer beauftragte zur 10-Jahresfeier 2010 einen DGSF-Rap. Wir experimentierten mit fünf inhaltlich und atmosphärisch entgegengesetzten, je einminütigen Begrüßungen auf dem Mitgliedertag Berlin-Prenzlauer Berg 2011. Wir wollten untersuchen, wie unterschiedliche Begrüßungen die kollektive Trance einer großen DGSF-Veranstaltung prägen können. Die je einminütigen Texte illustrierten wir mit entsprechenden Mimiken, Körperhaltungen, Tonfällen und Lautstärken. 1. »Depressiv zwanghaft« (Jochen Schweitzer): »Danke, dass Sie in dieser schweren Zeit zu dieser anstrengenden Versammlung kommen. Wir haben wenig Zeit, aber viele Tagesordnungspunkte, wegen der Zeitknappheit keine Zeit für Pausen und müssen den Pausenkaffee wegen der schlechten Finanzlage streichen.« 2. »American Style« (Rainer Schwing): »Wow! Gut, dass ihr alle da seid! Ihr seid genau die Richtigen! Auf genau euch kommt es an! Wir werden hier ein ganz großes Ding drehen.«

3. »Beziehungsbewegt« (Michaela Herchenhan): »Wie schön, dass ihr alle da seid! Schaut euch an, spürt euch, berührt euch, teilt euch mit, was euch bewegt!« 4. »Erkenntnistheoretisch anspruchsvoll« (Björn Enno Hermans): »Wir vertrauen im Sinne der Kybernetik 2. Ordnung auf unsere autopoietische Selbstorganisation und die soziale Ko-Konstruktion eines positiven kollektiven Selbst in unserem Netzwerk miteinander gekoppelter Akteure.« 5. »Singen verbindet« (Susanne Altmeyer, nach der Melodie eines Kindergeburtstagsliedes): »Wie schön, dass du gekommen bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst« 

Jochen Schweitzer

Wir luden zur musikalischen Umrahmung der Mitgliederversammlungen 2012 und 2013 ein Streichquartett ein. Mitgliederversammlungen fanden in schön dekorierten Räumen statt, bekamen einen früheren Anfang als zuvor und ein klares Ende sowie zwei halbstündige Pausen mit sehr guter Pausenverpflegung und Pausentalks an Stehtischen. Für die schriftliche Information der Mitglieder zwischen den Treffen im Frühjahr und im Herbst boten sich ein Neujahrsbrief sowie im Sommer »DGSF Intern« an, so dass die Mitglieder zu allen vier Jahreszeiten gut informiert waren. Immer wieder gab es nun eine Mailingliste für besonders Interessierte, ergänzt durch fotografisch illustrierte Nachrichten und Tagungsberichte auf der Homepage (Redaktion: Bernhard Schorn). All dies zusammen machte Mitgliedertage im Frühjahr und Mitgliederversammlungen im Herbst zu attraktiven Ereignissen. Entscheidungen wurden erst der MV vorgelegt, wenn sie ein bis zwei Jahre in mehreren Untergruppen intensiv konsentiert worden waren. Die Folge waren Abstimmungsergebnisse, die denen der Volkskammerwahlen

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in der früheren DDR ähnelten (99 % dafür, 1 % dagegen). Anfangs genossen dies alle Beteiligten, ab etwa 2011 kamen aber zuweilen Skepsis und auch Langeweile ob so viel innerverbandlicher Harmonie auf. Zum Vorstandsalltag gehörten aber auch zahlreiche Konflikte. Viele ließen sich als Generationskonflikte verstehen, beispielsweise ältere Lehrende gegen »junge wilde« Nachwuchslehrende oder »70erJahre-Gurus« vs. moderne Weiterbildungskunden. Andere betrafen die Fragen, mit welchen anderen Verbänden man sich verbünden 50

solle und mit welchen nicht. Oft ging es auch ums Geld, etwa ob und mit welchen Beträgen Vorstandsarbeit honoriert werden darf und ob Jahrestagungen vom Verband bezuschusst werden dürfen. Drei langjährige Konfliktfelder beschreiben wir beispielhaft in den Kapiteln 5.1 bis 5.3 (»Zertifikatehändel«, »Kampf um Anerkennung«, »Geschwisterliebe«). Zu den Highlights gehört für mich die Idee zur Potsdamer Jahrestagung 2009, die einzige, die bisher vom Vorstand selbst ausgedacht und gemeinsam mit der Geschäftsstelle organisiert wurde. Aus einer eher krisenhaften und niedergeschlagenen Stimmung bei der ersten Vorstandssitzung 2008 in Köln entstand, als das Wort »Fluss« fiel, ein sehr erbauliches Ideen-Feuerwerk. Ich habe die Tagung, »DGSF am Fluss«, noch schöner auch »Perlen am Fluss« genannt, auf einer Havelinsel in Potsdam in toller Erinnerung. Susanne Altmeyer

Mitgliederwachstum, Mitgliederaktivität, Mitgliederermächtigung

Allmählich entwickelten sich die ganztägigen Mitgliedertage, immer freitags auf den Frühjahrstagungen, zu einem Entwicklungslabor des Verbandes. Jedes ihrer Themen sollte, hypnotherapeutisch gespro-

chen, mit einer positiven Suggestion Handlungsimpulse im Verband stimulieren. »Aktiv in der DGSF« (2010) sollte Lust auf Mitmachen wecken, »Wirksam in der DGSF« (2011) ein Qualifizierungsangebot machen, »Querdenken in der DGSF« (2012) und »Gesellschaftspolitik in der DGSF« (2013) stromlinienförmigen Anpassungstendenzen des Verbandes auf dem Weg zu Reputation und Einfluss entgegenwirken. Ein Schlüsselerlebnis für mich (J. S.) war die Schlussszene von »Aktiv in der DGSF« 2010, als Mitglieder dem Vorstand symbolisch ihre zentrale Empfehlung überreichten: »Wir wollen persönlich von euch zur Mitwirkung eingeladen werden.« Ab da mochten wir Vorständler gar nicht mehr aufhören, Mitglieder und auch Noch-nichtMitglieder auf eine aktive Mitarbeit anzusprechen. Damit richteten wir uns dann auch an prominente Systemiker außerhalb des Verbandes, so an bekannte Pioniere der Multifamilientherapie, der systemischen Psychiatrie, der systemischen Pädagogik und der systemischen Forschung. Parallel dazu entwickelten sich die Zuwächse der Mitgliederzahlen, die in den Jahren 2011 bis 2015 überdurchschnittlich stark anstiegen. Die Initiative »Studierende in die DGSF« mit geringem Mitgliederbeitrag wurde 2010 gestartet, danach aber unsererseits vernachlässigt. Ihre Zahl liegt noch heute unter 30. Dafür begannen aber ab 2014 vermehrt Weiterbildungsinstitute, Grundkurse Systemische Beratung und Therapie für Studierende anzubieten, obgleich die DGSF-Richtlinien solche nicht vorsehen. Universitäten begannen,

vermehrt Systemiker als Lehrbeauftragte anzustellen. Auf diese Weise ist das systemische Denken heute unter Studierenden stärker verbreitet. In der DGSF aber sind Studierende eine Rarität geblieben. Als größtes Erfolgsmodell entwickelten sich die Regionalgruppen, deren Zahl sich von 2009 bis 2014 von acht auf 24 verdreifachte. Durch sie bekam die DGSF einen sehr lebendigen, vor Ort sichtbaren

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regionalen Unterbau. Neben ihren internen Treffen organisierten sie auch zahlreiche öffentliche Veranstaltungen, über die neue Mitglieder gewonnen wurden. Die meisten Fachgruppen, deren Zahl sich im selben Zeitraum ebenfalls von zehn auf 25 vergrößerte, hatten es wesentlich schwerer, bundesweit über oft große Distanzen ähnlich intensiv und kontinuierlich zu arbeiten, und blieben personell meist klein. Ihre hohe fachliche Kompetenz war aber immer wieder auf Bedarf schnell anfragbar. Alle Regional- und Fachgruppen52

sprecher beschrieben in »DGSF Intern« auf einer halben Seite ihre Arbeit, waren mit Foto abgelichtet und nahmen an einem fünfstündigen Treffen mit dem Vorstand auf jeder Frühjahrstagung teil. In diesen etwa fünfzig Menschen (Stand 2013) sahen wir ein großes Potenzial an Führungskräften für die künftigen »100 dezentralen DGSF-Vorsitzenden«. Vorstand und Geschäftsstelle unterstützten

deren Arbeit finanziell, publizistisch und organisatorisch so gut wie irgend möglich. Diese Menschen in ihren innerverbandlichen Führungskompetenzen zu fördern, besonders wenn sie die nicht schon aus früheren Erfahrungen mitbringen, ist eine bis heute noch ausbaufähige Aufgabe. In welche Umwelten hinein will der Verband wirken?

Meine (J. S.) Beschäftigung mit der systemischen Organisationstheorie motivierte mich, auf der Jahrestagung 2008 in Essen den Vortrag »Hirngespinste systemischer Organisationstheorie« zu halten (Schweitzer, 2009). Kernfragen waren: Wofür ist die DGSF da (Sinnsuche)? Mit welchen Umwelten will sie interagieren (Umweltlandkarte)? Was und wie will die DGSF über sich erzählen (Storytelling)? Welche Subsysteme sollen zehn Jahre später Teil des »neuronalen Netzwerkes« der DGSF sein? Diese mentalen Landkarten verhalfen zumindest mir zu größerer Bewusstheit, welche Entwicklungsoptionen im Umgang mit unseren relevanten Umwelten wir bereits ver-

wirklichten und welche noch nicht. Mit Beginn einer Lobbyarbeit in Berlin unter dem Ziel einer sozialrechtlichen Anerkennung Systemischer Therapie entstanden ab 2012 nochmals neue und differenziertere Landkarten und parallel dazu eine differenziertere Außenpolitik des Verbandes. Eine neue Umwelt, in die die DGSF ihre Fühler ausstreckte, war die Familienpolitik. Ein früher Schritt war 2010 der Beitritt zum Bundesforum Familie, gefolgt von dichter Zusammenarbeit mit deren Koordinatoren. Ein noch folgenreicherer Beitritt war der zum Nationalen Zentrum Frühe Hilfen (NZFH). Michaela Herchenhan wurde als Vertreterin der DGSF vom Familienministerium in den wissenschaftlichen Beirat des NZFHSs berufen. Ihr gelang es später, einen Großauftrag für die DGSF zu akquirieren: ein Curriculum für die Qualifizierung von Netzwerkkoordinatorinnen der seit 2012 per Gesetz eingeführten Netzwerke Frühe Hilfen (Mengel, Ochs, Orban, Crone, Lingnau-Carduck u. Herchenhan, 2016). Im Jahr 2019 wurden weitergehende Fort- und Weiterbildungskooperationen zwischen der DGSF und dem NZFH verhandelt.

Die empfohlenen Einrichtungen – Start in den Aufbau einer dritten Säule

Bis 2012 bestand die DGSF aus vielen Mitgliedern und einer stattlichen Reihe von Weiterbildungsinstituten. Andere Organisationen konnten zwar Mitglied werden, hatten aber keinerlei Rolle und Aufgabe in der DGSF. Wir fanden, dass zukünftig nicht mehr allein Weiterbildungs-

institute die institutionellen Trägerorganisationen des systemischen Arbeitens in Deutschland sein sollten, sondern dass zunehmend psychosoziale, medizinische und pädagogische Versorgungseinrichtungen als Organisationen ebenfalls Teil der DGSF werden sollten. Die Attraktivität dieser Idee erprobten wir am Beispiel von Jugendhilfeeinrichtungen und psychiatrischen Kliniken mit einem

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Gütesiegel »DGSF-empfohlene Einrichtungen«. Wer das Gütesiegel erlangen wollte, musste genügend Mitarbeiter systemisch weitergebildet haben, seine systemische Arbeitsphilosophie veröffentlicht und bei einer Besuchsrunde mit zwei oder drei anderen Bewerbereinrichtungen die eigene Praxis einer systemischen Fremdbeobachtung anhand einer »Reflexionsliste systemische Prozessgestaltung« ausgesetzt haben (Schweitzer u. Nicolai, 2009, S. 39–77). Ein Prüfkomitee des Verbandes, geleitet von Michaela Herchenhan und organi54

siert von Miee Park, sichtete alle Unterlagen und verlieh, bei positiver Bewertung, auf der nächsten Tagung – erstmals 2013 – in einem Ritual das Gütesiegel. Bis 2019 ist es an 30 Einrichtungen verliehen worden. Seit 2016 unterziehen sich diese 30 Einrichtungen einer systematischen, teilstandardisierten Evaluation, deren Kriterien und Prozeduren sie selbst gemeinsam mit einer professionellen Evaluatorin entwickelt haben. Gesellschaftspolitik der DGSF – erste Grundlegungen

Ein anspruchsvolles Lieblingsthema konnten wir in unserer Vorstandszeit nicht mehr intensiv bearbeiten, aber seine Bearbeitung immerhin initiieren – die Frage, ob, wann und wie die DGSF sich auch in allgemeinpolitische Prozesse jenseits von Fach- und Berufspolitik zu Worte melden könne und solle. Unstrittig ist, dass die Lebensumstände der Klienten, aber auch die ihrer Therapeutinnen und Beraterinnen – ihre Wohn- und Arbeitssituation, ihr Einkommen, ihr rechtlicher Status, ihre Gesundheitsversorgung, ihre Ausbildung – großen Einfluss darauf haben, wie erfolgreich oder erfolglos Beratungs- und Therapieprozesse sein können. Besonders klar ist dies den DGSF-Mitgliedern, die etwa in Jobcentern der Arbeitsagentur oder in der Sozialberatung für Flüchtlinge arbeiten, aber auch für Kolleginnen in der betrieblichen Mitarbeiterberatung. Sollte und darf die DGSF in solchen Fragen kritisch Standpunkt bezie-

hen? Nach einem vorbereitenden Workshop 2012 unter Leitung von Michaela Herchenhan und Matthias Ohler verabschiedete die Mitgliederversammlung 2013 einen Antrag, in dem diese Frage grundsätzlich bejaht wurde. Versuch einer Zwischenbilanz

Die Jahre 2007 bis 2013 waren geprägt von einem nochmals beschleunigten Mitglieder- und Subsystemwachstum sowie einer starken Aktivierung vieler Mitglieder und externer Fachleute, die sich insbesondere in der Lebendigkeit vieler neuer Regionalgruppen niederschlug. Die Beziehungskultur war aus meiner Sicht (J. S.) geprägt von einem musisch hohen Spaßfaktor und von langwierigen, aber meist erfolgreichen Konsensbildungen, die sich dann in vielen unstrittigen Abstimmungen auf Mitgliederversammlungen niederschlugen. Diese Wachstumsprozesse schufen die finanziellen und personellen Voraussetzungen zu einer professionelleren Außenpolitik des Verbandes. Deren Verwirklichung blieb aber der Phase nach 2013 vorbehalten.

4.3 Auf hohem Niveau funktionieren (2013 bis 2019) Jugendamt Essen im Februar 2010: Mein Handy klingelt, und ich kann den Anruf nicht gleich annehmen. Es gibt aber eine Mailboxnachricht, die ich kurze Zeit später etwas ungläubig abhöre. Ich höre die Stimme von Jochen Schweitzer, der mich fragt, ob ich mir vorstellen könne, für den Vorstand der DGSF zu kandidieren. Ich fühle mich geehrt und entscheide mich nach einigem Überlegen für eine Kandidatur. Die sehr bereichernde Vorstandszeit von 2010 bis 2013 hat dann zu dem nächsten Schritt motiviert: der Bewerbung für das Amt des Vorsitzenden. Das geschah mit durchaus gemischten Gefüh-

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len: Zweifel, ob ich dem gewachsen bin angesichts der vielen Themen und anstehenden Aufgaben und mit einem relativ neuen Vorstand, der sich als solcher erst einmal finden musste. 

Björn Enno Hermans

Balance zwischen Diversität und Einheitlichkeit: Lösungssuche für geordnete Wachstumsprozesse 56

Mittlerweile hatte die DGSF mit rund 5300 Mitgliedern eine beachtliche Größe erreicht. Durch die Vielzahl der in den vergangenen Jahren bereits angestoßenen Entwicklungen und Projekte gab es einerseits den Auftrag, vieles weiterzuführen und zu konsolidieren, und andererseits genug Freiraum, um eigene neue Ideen als Vorstand anstoßen und umsetzen zu können. Der Umgang mit Komplexität hat die gesamte Zeit unserer Vorstandstätigkeit geprägt und begleitet. Es war nicht die Zahl der Mitglieder allein, sondern auch der Differenzierungsgrad der innerverbandlichen Struktur (zum Beispiel die wachsende Zahl von Fach- und Regionalgruppen), die es letztlich immer herausfordernder erscheinen ließen, den Verband nah genug bei den Handelnden und mit ausreichendem Überblick über das Gesamtgeschehen zu führen. Entscheidungen mussten getroffen werden. Einerseits lag es nahe, das Wachstum zu begrenzen, indem beispielsweise keine Neugründungen von Fach- und Regionalgruppen mehr genehmigt wurden. Andererseits widerstrebte das der Grundidee, Engagement und Partizipation im Verband wo immer möglich zu fördern und zu unterstützen. Die Einführung von Fachbereichen

Insofern konnte eine Begrenzung des Wachstums keine Lösung sein. Vielmehr stellte sich die Frage, wie eine passende Struktur für

die Wachstumsprozesse aussehen könnte. Dazu passte es, dass in der Mitgliederversammlung 2014 bereits Anträge eingebracht worden waren, die einerseits analog zum Bereich Gesundheitswesen eine hauptberufliche Mitarbeiterin für den Bereich der Jugendhilfe forderten und andererseits die Schaffung eines verbandlichen Entwicklungsgremiums zwischen Vorstand und Mitgliederversammlung zum Inhalt hatten. Bereits auf dem Mitgliedertag in Eisenach hatten wir als Vorstand neue Strukturideen auf ein Flipchart gemalt und in den folgenden Tagen mit vielen Kolleginnen und Kollegen daran weiter diskutiert. Schon in der ersten Vorstandsperiode waren 2006 drei Arbeitskontexte als sogenannte Dächer für die unterschiedlichen Fachgruppen gebildet worden. Diese Idee wurde aufgegriffen und präzisiert, indem drei Fachbereiche innerhalb der DGSF geschaffen wurden: Ȥ Fachbereich I: Jugendhilfe, Soziale Arbeit, lebensweltliche Beratung Ȥ Fachbereich II: Psychotherapie, Psychiatrie/Gesundheitswesen Ȥ Fachbereich III: Supervision, Coaching, Organisationsentwicklung, arbeitsweltliche Beratung Jedem dieser Fachbereiche sind entweder eine hauptberufliche Referentin oder andere personelle Ressourcen zuzuordnen. Diese Personen sollen eigene fachliche und fachpolitische Impulse einbringen, den Fachgruppen beratend und begleitend zur Seite stehen und an der wechselseitigen Vernetzung arbeiten. Einmal jährlich werden von den hauptberuflichen Referentinnen sogenannte Fachbereichskonferenzen einberufen, in denen dann ein Austausch zwischen den Fachgruppen zu relevanten Themen stattfindet und sowohl ein Bottom-up- als auch ein Top-down-Informationstransfer erfolgt. Bei der Mitgliederversammlung in Magdeburg im Herbst des Folgejahres 2015 wurde dieses Konzept bestätigt.

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Ich erinnere den Mitgliedertag 2015 im Haus Elisabeth in Eisenach. Es ging um die drei Fachbereiche. Mirko Zwack und Frauke Ehlers als Moderatoren teilten mit zwei Seilen den Raum in drei Bereiche (Gesundheit, Soziale Arbeit, arbeitsweltliche Beratung). Jeder von uns sollte sich dorthin stellen, wo er hingehörte. Das Ergebnis: Eine knappe Mehrzahl der etwa 60 Teilnehmenden stellte sich breitbeinig rechts und links von einem Seil zugleich in zwei Fachbereiche hinein, manche liefen sogar zwischen allen drei Segmenten hin und her. Es 58

wurde deutlich: DGSF-Mitglieder sind oft »multikontextual« orientiert und entziehen sich damit einer einfachen Einteilung in diese drei »Fachabteilungen«. 

Jochen Schweitzer

Partizipation fördern

Auch das Thema einer stärkeren Partizipation der Mitgliedschaft im Sinne einer gelebten innerverbandlichen Demokratie spielte eine große Rolle. Das starke Mitgliederwachstum brachte es mit sich, dass immer mehr Menschen von immer weniger Personen (in Gremien) vertreten wurden. Daher ging es darum, eine mittlere Ebene im Verband zu schaffen, die zwischen der einmal im Jahr stattfinden Mitgliederversammlung und dem Vorstand und gegebenenfalls auch anderen Gremien eine Verbindung schafft, Anliegen von Mitgliedern direkt in den Vorstand transportiert und ebenso Informationen an die Mitgliedschaft weiterleiten kann. Außerdem sollte im Sinne der demokratischen Partizipationsmöglichkeit jedes Mitglied die gleiche Chance haben, solche Vertreterinnen und Vertreter zu wählen. Die regionalen Bezüge innerhalb der DGSF sollten Beachtung finden. Aus diesen Überlegungen resultierte der Vorschlag, basierend auf der Struktur der Regionalgruppen, einen sogenannten Regionenrat einzurichten. Die Regionalgruppen hatten sich als Basis angeboten,

weil sie flächendeckend existieren und jedem Mitglied unabhängig von seiner Profession und Tätigkeit die Möglichkeit zur Beteiligung eröffnen. Heute werden alle drei Jahre Sprecherinnen der Regionalgruppen gewählt, die wiederum für ihre Region zwei Vertreterinnen in den Regionenrat entsenden. Dazu wurde Deutschland in vier, etwa gleich mitgliederstarke Regionen aufgeteilt, deren zentralen Ort die allermeisten Mitglieder innerhalb von maximal drei Stunden Bahnfahrt erreichen können, um so auch dezentrale DGSF-Veranstaltungen, -Mitgliedertage und vielleicht sogar -versammlungen möglich zu machen. Ein solcher aus acht Personen bestehender Regionenrat trifft sich regelmäßig zweimal im Jahr mit dem Vorstand. Auch dieser Strukturvorschlag wurde mit großer Mehrheit beschlossen und im folgenden Jahr umgesetzt. Vereinbart wurde eine Erprobung über einen Zeitraum von drei Jahren, nach dem dann erneut ein Beschluss über mögliche Veränderungen oder die Fortführung gefasst werden soll. Beide Entwicklungen brauchten Zeit – der Regionenrat war immer wieder einmal mit der Identitätsund Rollenfrage beschäftigt, hat aber intensiv daran gearbeitet und sich mittlerweile auch gegen einzelne kritische Stimmen im Verband etabliert, so dass eine Fortführung beschlossen wurde. Beziehungen benötigen Strukturen, Strukturen ermöglichen ­Beziehungen – und man kommt rum Meine Vorstandszeit war geprägt durch ein Unterwegssein in den Regionen. Zuständig für die Region »Mitte« reiste ich zur Regionalgruppe Trier/Saarland/Luxemburg, zu den Thüringern sowie zur Gruppe Rhein-Main. Mit den anderen Gruppen und Mitgliedern, die eine neue Regionalgruppe gründen wollten, hielt ich Kontakt. In Trier beispielsweise versammelten sich Menschen aus verschiedenen Weiterbildungsinstituten und Luxemburgerinnen, denen ihr Land zu eng erschien für einen vertraulichen Umgang in der kolle-

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gialen Beratung. In Thüringen wurde das fünfjährige Bestehen der Regionalgruppe gefeiert. Dort erlebte ich eine quirlige und anregende Mischung aus besonders vielen klinischen Arbeitskontexten. Lange Anfahrtswege hielten sie alle nicht davon ab, sich regelmäßig zu treffen und auszutauschen. 

Renate Zwicker-Pelzer

Nachdem der Fachbereich II (Gesundheitswesen) bereits über eine 60

hauptberufliche Referentin (Kerstin Dittrich) verfügte, erfolgte für den Fachbereich I (Sozialwesen) ebenfalls die Einstellung einer Referentin (Birgit Averbeck), die dem Themenfeld innerverbandlich einen großen Schub gegeben hat. Der Fachbereich III hat sich zunächst gegen die Einstellung einer hauptberuflichen Vertreterin dieses Bereichs entschieden, um die Möglichkeit zu haben, das entsprechende Budget auch für andere Projekte zu verwenden. Der Geschäftsführer (Bernhard Schorn) übernimmt inzwischen diese Funktion, so dass auch die Fachbereichskonferenzen wie geplant eingeführt werden konnten. Digital partizipativ?

Immer wieder fragten wir uns, wie wir mit der im Vergleich zur Gesamtzahl der Mitglieder doch überschaubaren Teilnehmerzahl der Mitgliederversammlungen umgehen sollten. Es hatte bereits Anträge und Vorschläge gegeben, die Mitgliederversammlungen online abzuhalten oder zumindest die Beschlüsse auf diesem Weg zu fassen. Dies wurde aber aus juristischen Gründen und aufgrund der Überzeugung verworfen, dass für einige Themen der persönliche Diskurs kreativ und gestaltend wichtig ist. So entstand die Idee, jeweils im Vorfeld der Mitgliederversammlung eine Online-Befragung aller Mitglieder zu den Anträgen und Beschlussvorlagen durchzuführen. Es hat überraschend hohe Beteiligungen gegeben, so 2017 von

6.306 Stimmberechtigten 1.540, 2018 von 1.266 mit gültiger E-MailAdresse 490 und 2019 von 2.939 mit gültiger E-Mail-Adresse 812 Personen10. Die Ergebnisse wurden in den Mitgliederversammlungen vor den Beschlussfassungen veröffentlicht. Die Anwesenden treffen also weiterhin die Entscheidungen, dies aber auf der Grundlage eines breiten verbandlichen Meinungsbildes. Forschungsförderung

Aus der Satzung der DGSF ergibt sich der explizite Auftrag zur Förderung von Forschungsaktivitäten im Bereich der Systemischen Therapie und Beratung. Neben der Auslobung eines Forschungspreises gemeinsam mit der Systemischen Gesellschaft erfolgen seit 2013 auf Antrag jährlich Anschub- oder Ko-Finanzierungen von thematisch breit gestreuten Forschungsprojekten. In größeren Abständen hat die DGSF umfangreichere Forschungsvorhaben initiiert, insbesondere Wirksamkeitsforschung in Psychotherapie und Jugendhilfe. Forschung ist unerlässlich, um die Qualität und Wirksamkeit des systemischen Arbeitens zu dokumentieren und darüber eine Finanzierung der Leistungen durch die unterschiedlichen Kostenträger zu gewährleisten oder neu zu erreichen. Ressourcenfragen

Die wachsende Zahl der Aufgaben und Themen ließ verstärkt die Frage aufkommen, wie dies alles auch zukünftig gut leistbar sein könnte. Die Notwendigkeit eines möglicherweise (teil)hauptamtlichen Vorstands wurde diskutiert und die Finanzierbarkeit dieser Idee geprüft. Zum anderen fand eine Diskussion statt, wie die Arbeitsteiligkeit im Vorstand verbessert und Verantwortung stärker verteilt 10 Ab 2018 konnten nur diejenigen Mitglieder bei der Onlinebefragung einbezogen werden, die der DGSF nach neuer EU-Datenschutz-Grundverordnung ihr Einverständnis erteilt hatten.

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werden kann. In einem extern moderierten Organisationsentwicklungsprozess entstand dann unter anderem die Idee, zukünftig zwei Vorsitzende als paritätisch besetzte Doppelspitze zu wählen. Dieser Beschluss des Jahres 2018 wurde in der Mitgliederversammlung 2019 in Hamburg dann mit Filip Caby und Anke Lingnau-Carduck als neu gewählte Vorsitzende erstmals umgesetzt. Analog wurde im September 2019 auch mit Bernhard Schorn und Miee Park eine gleichberechtigte Doppelspitze in der Geschäftsführung installiert. Darüber hin62

aus wurden die Aufwandsentschädigungen für Ehrenamtler auf pro Tag 300 Euro (Vorstand) und 150 Euro (sonstige Gremien) erhöht. Die Differenz ist damit begründet, dass Vorstandstätigkeit mit sehr hohem Arbeitsaufwand jenseits von Gremientagen verbunden ist. Qual der Wahl

Die Frage der Kandidatenfindung für Vorstandsämter hat die DGSF wiederkehrend beschäftigt, ging es doch darum, den Verband in fachlicher, regionaler und biografischer Hinsicht möglichst heterogen repräsentiert zu wissen. Um den Prozess transparenter und erfolgversprechender zu gestalten, wurde in der Mitgliederversammlung 2017 die Einrichtung einer Wahlkommission11 beschlossen. Diese Kommission nimmt Vorschläge entgegen, spricht selbst Kandidatinnen an, bereitet die Wahlen vor und führt sie auch durch. Nach einer Erprobungsphase wurde die Wahlkommission von der Mitgliederversammlung 2019 als dauerhafte Einrichtung installiert. Raum für Neues

Neben den oben beschriebenen neuen Strukturen, die sich innerhalb des Verbandes herausgebildet haben, gibt es aus der Mitgliedschaft immer wieder Ideen, die sich nicht in den bestehenden Formaten 11 Mit Renate Weihe-Scheidt, Joseph Rieforth und Rainer Schwing.

umsetzen lassen. Das betrifft vor allem Aufgaben, die sich mit dem gut eingeführten Format der Fachgruppe nicht bearbeiten lassen. Ein Beispiel sind die Zukunftsforen, die ein Thema fokussieren, das für die weitere Entwicklung der DGSF und des systemischen Arbeitens als relevant angesehen wird. Ein weiteres Beispiel ist die Gründung des Netzwerks der Freiberuflerinnen in der DGSF, durch das Know-how-Transfer sowie wechselseitige Unterstützung ermöglicht werden. Ende 2019 formierte sich unter dem Eindruck der »Fridays for Future«-­Bewegung ein Netzwerk Klimawandel, das Klimaschutzmaßnahmen unterstützen will. Bei aller Sinnhaftigkeit von Ordnungen und Strukturen muss es einem Verband gelingen, für neue Ideen und Formate offenzubleiben. Die DGSF und die Familien- und Gesellschaftspolitik

Einige Fragen blieben in der DGSF wichtig, aber nach wie vor ungelöst – offensichtlich vor allem dann, wenn es um Grenzen, Einschlussund Ausschlusskriterien geht. Welchen Initiativen wollen wir uns anschließen, welche Themen aufgreifen, welchen Interessengruppen und Verbänden beitreten? Wozu sollen wir eine Stellungnahme abgeben und wozu nicht? Bei welchen Themen verfügen wir als Systemiker über eine besondere Kompetenz und bei welchen nicht? Besonders beim Thema Gesellschaftspolitik in der DGSF ist diese Diskussion bedeutsam. Die Trennlinie ist unscharf und schwer zu ziehen. Hier besteht weiterer Klärungsbedarf, der den Verband in den nächsten Jahren sicher noch beschäftigen wird. Dass mit Michaela Herchenhan als familienpolitischer Sprecherin und mit Jochen Schweitzer als gesellschaftspolitischem Sprecher gleich zwei ehemalige Vorstandsmitglieder unmittelbar andere Funktionen im Verband übernahmen und somit weiterhin (auch bei Diskussionen im Vorstand) thematisch sehr präsent blieben, haben wir im Nachfolgevorstand ambivalent erlebt. Zudem erwies sich eine

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2014 begonnene AG Gesellschaftspolitik als gruppendynamisch kompliziert, so dass sie 2016 zu einem zweimal jährlich tagenden, für alle Mitglieder offenen »Forum Gesellschaftspolitik« umgestaltet wurde, für das es aber im Organigramm der DGSF keine Kategorie gibt. Die Entwicklungen aus diesem Forum sind beeindruckend. Am Beginn steht, Wort für Wort über zwei Jahre hinweg intensiv diskutiert und 2015 von der Mitgliederversammlung beschlossen, ein Grundwertepapier der DGSF, das die sieben Grundwerte »Frieden/ 64

Gewaltfreiheit«, »Freiheit«, »Gleichheit/Gerechtigkeit«, »Geschwisterlichkeit/Solidarität«, »Balance/ökosozialer Ausgleich«, »Teilhabe/ Partizipation« und »informationelle Selbstbestimmung« in ihrem Zusammenklang als Maßstab benennt, an dem die DGSF gesellschaftspolitische Situationen und Prozesse bewertet und für die sie eintreten will. Es folgten bald darauf Stellungnahmen besonders zur Flüchtlingspolitik und zu den Sanktionen in den Hartz-IV-Bestimmungen. Es entstand ein gemeinsam mit der Familienpolitik gestalteter Supervisorenpool für Ehrenamtsbetreuer in der Arbeit mit Geflüchteten. Zahlreiche Veranstaltungen auf Frühjahrs- und Jahrestagungen (besonders prominent in den Jahren 2016 in Frankfurt, 2017 in München und 2019 in Karlsruhe) setzten sich analytisch und praktisch mit Gesellschaftspolitik auseinander. Ende 2018 erschien ein gesellschaftstheoretisch ausgerichtetes Sonderheft der Mitgliederzeitschrift »Kontext«, 2019 fanden Veranstaltungen zu Interkulturalität und zu Rechtsradikalismus gemeinsam mit den sächsischen Regionalgruppen in Chemnitz und Leipzig statt. Schließlich formierte sich im Herbst 2019, inspiriert von »Fridays for Future«, eine klimapolitische Initiative in der DGSF, kraftvoll symbolisiert von ca. 300 DGSF-Mitgliedern, die sich

unter Mitnahme selbstbemalter DGSF-Plakate in einer Mittagspause der Jahrestagung in Hamburg 25.000 weiteren Teilnehmern zur dortigen »Fridays for Future«-Demonstration anschlossen.

Auch zunehmende Diskussionen über Entscheidungseliten und über interne Partizipationschancen für Wenigverdiener in der DGSF nahmen hier ihren Ausgang. Inzwischen schreibt die DGSF pro Jahrestagung 30 Kongressreise-Beihilfen für Geringverdiener aus, die Veranstalter ähnlich viele reduzierte Kongressgebühren – noch nicht viel mehr als Symbolik, aber ein erster Schritt. Anders als bei der Gesellschaftspolitik – im Ansatz expertenzentrierter, personenbezogener und ohne umfangreiche und ritualisierte Gruppenbeteiligung, im Ergebnis gradliniger und ergebnisorientierter – verlief die Entwicklung der Familienpolitik. Konkrete systemische Kooperationen in familienpolitischen Gremien auf Bundesebene wurden schon ab 2010 von Michaela Herchenhan und ab 2017 vermehrt von Birgit Averbeck gestaltet. Im Nationalen Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) geschah dies durch die Leitung von Arbeitsgruppen und die Erstellung eines Handbuchs zur Profilbeschreibung von Netzwerkkordinatorinnen für Frühe Hilfen (Mengel, Ochs, Orban, Crone, Lingnau-Carduck u. Herchenhan, 2016). Im Bundesforum Familie wurde eine Broschüre über »Inklusion für die Vielfalt von Familien« mitgeschrieben. Im Bündnis Grundsicherung wurde die Kampagne für ein elternunabhängiges Grundeinkommen für jedes Kind unterstützt. Es wurden und werden weiterhin sehr konkrete thematische Arbeitsaufträge in die DGSF geholt, etwa für Handbücher und Methodensammlungen. Und es erfolgt beratende Mitwirkung durch DGSF-Experten bei wichtigen Gesetzesvorhaben wie z. B. der Reform des Kinderund Jugendhilfe­rechts, dies in weiterhin zunehmender Häufigkeit. Hier hat die DGSF also die Rolle, »beratende Fachexpertinnen« in regierungsnahe Gremien und Grassroots-Bündnisse zu entsenden, eingenommen, und dafür zunehmend Anerkennung und Nachfrage erfahren.

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»Flussauenkommission«

2012 hatte sich die Weiterbildungslandschaft in der DGSF stark erweitert. Neben den bisherigen Curricula gab es nun auch systemische Weiterbildungsrichtlinien für Coaching, Organisationsentwicklung und Mediation als Grund- oder Aufbauweiterbildungen, als besonderen Tupfer auch eine Richtlinie für Multifamilientherapie. Das führte zu Inkonsistenzen, so dass die Zertifizierungstätigkeiten im Fort- und Weiterbildungsausschuss der DGSF (FWA) 66

sehr schwierig geworden waren. Es gab viele Klagen von Mitgliedern, Instituten und dem FWA. Der Vorstand beauftragte deshalb Jochen Leucht, eine Idee zur Neuordnung der Weiterbildungsordnung zu entwickeln. Dies führte 2013 zur Einberufung einer eigenen Kommission aus Abgesandten von FWA, Instituterat, Vorstand, Geschäftsstelle und der FG Supervision und Organisationsentwicklung12. Die Mitglieder wählten den Namen »Flussauenkommission«, der eine organische Anpassung suggerierte und ihnen ansprechender erschien als zum Beispiel »Richtlinienbegradigungskommission«. Die Kommission arbeitete daran, die Richtlinienarchitektur logischer und in sich konsistenter umzubauen, und schlug einzelne Richtlinienveränderungen vor. Dies reduzierte die bis dahin häufigen Anträge auf Ausnahmeregelungen. Nach fünf Jahren stellte die Kommission ihre Arbeit ein und überließ die Richtlinienlandschaft erst einmal wieder sich selbst. Dorothea Hanswille sagte in ihrem Abschlussbericht: »Nun ist die Richtlinienlandschaft der DGSF wieder schöner und ruhiger geworden. Wir sind auf die neuen Blüten gespannt.«

12 Die Kommission bestand aus Susanne Altmeyer, Silva Bickl-Renn, Tobias Günther, Dorothea Hanswille, Almut Ingelmann, Jochen Leucht, Miee Park und Renate Zwicker-Pelzer.

Weitere Themen

Neben diesen subjektiv als besonders bedeutsam empfundenen Entwicklungssträngen gab es weitere Themen, die wir als Vorstand gemeinsam mit vielen engagierten Mitgliedern und der Geschäftsstelle bearbeitet, fortgeführt oder weiterentwickelt haben. Auszugsweise zu nennen sind: Ȥ Weiterentwicklung des Erfolgsmodells der DGSF-empfohlenen Einrichtungen durch Vermehrung ihrer Zahl und durch die Entwicklung eines Selbstevaluationsprojekts, Ȥ Kooperation mit der SG und Diskussion einer gemeinsamen Perspektive beider Verbände, Ȥ Mitarbeit in der Deutschen Gesellschaft für Beratung und beim Runden Tisch Coaching beim Versuch, Weiterbildungen nach den Prinzipien des europäischen Qualifikationsrahmens neu zu gestalten und zu ordnen, Ȥ Etablierung des Fachtages »Systemische Praxis in der Kinderund Jugendhilfe«, Ȥ Unterstützung der Internationalen Systemischen Forschungstagungen in Heidelberg 2014 und 2017, Ȥ Ethik-Diskussion um das kirchliche Arbeitsrecht und Neukonstituierung des Ethik-Beirates, Ȥ Umgestaltung der Mitgliederversammlung (»Marktplatz« anstelle ausführlicher Berichte) und vergünstigte Teilnahmemöglichkeiten für Geringverdiener. Versuch einer Zwischenbilanz

Unsere Vorstandszeit war geprägt von der Überzeugung, dass ein Verband wie die DGSF seine Lebendigkeit und Vielfältigkeit nur erhalten kann, wenn er Prozesse in Richtung Demokratie und breiter Partizipation ermöglicht. Nur so kann sich auch eine große Mitgliedschaft als aktiver Bestandteil zeigen. Als Vorstand haben wir

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uns wiederholt die Frage gestellt: Sind wir ausreichend mandatiert? Der Souverän eines Vereins oder Verbandes bleibt die Mitgliederversammlung. Diese muss nicht nur über bestimmte Grundsätze befinden, sondern auch manche Vorstandsposition mit einem expliziten Mandat unterstützen, so dass sie vom Vorstand entsprechend entschieden vertreten werden kann. Darüber hinaus war die Zeit geprägt durch unsere Bestrebungen, Wachstum nicht zu begrenzen, sondern zu organisieren und 68

zu ordnen. Steigende Komplexität erfordert Komplexitätsreduktion durch Ordnung. Aber neue Strukturen brauchen auch Zeit. Sie müssen wachsen und lassen sich nicht am Reißbrett erfinden, sondern nur in Beteiligungsprozessen entwickeln und müssen kontinuierlich angepasst werden.

5 Drei Dauerbrenner 5.1 Wie viel Regulation solls sein? – Vom Zertifikatehändel Jüngeren Leserinnen mag das schwer vorstellbar erscheinen: Vor 1987 gab es in Deutschland keine Verbandszertifikate für den erfolgreichen Abschluss systemischer Weiterbildungen, allenfalls Teilnahmebescheinigungen. Man lernte bei erfahrenen Familientherapeutinnen oder voneinander in kollegialen, meist leiterlosen und gebührenfreien Fortbildungsgruppen. Von Prüfungen hielt man nichts, weil – so ein Bonmot von Jürgen Hargens um 1985 – Prüfungen es erschweren, dass ein Prüfling klüger wird als sein Prüfer, weil der Prüfer nur das loben kann, was er selbst auch zu verstehen vermag. Im Vorgängerverband Deutsche Arbeitsgemeinschaft Familientherapie (DAF) war man darauf stolz. Die frühen, oft selbstorga-

nisierten Weiterbildungsgruppen vermissten keine Zertifikate und brauchten keinen Verband, der sie ausgibt und ihre Voraussetzungen kontrolliert. Auf der Marburger DAF-Tagung 1982 wurde jedoch erstmals der Ruf nach geregelten, professionell strukturierten, bezahlungspflichtigen und zertifizierten Weiterbildungen laut. 1987 und 1993 wurden dann inmitten eines Institute-Gründungsbooms mit dem Dachverband für Familientherapie und systemisches Arbeiten (DFS) und mit der Systemischen Gesellschaft (SG) zwei neue Verbände gegründet, die dies zu verwirklichen begannen. Das passte gut in den Zeitgeist. Qualitätsmanagement war zum neuen Trend geworden. Es passte auch zu den Wünschen von ambitionierten Systemikern der Geburtsjahrgänge 1940 bis 1955, frei von den Zwängen eines Angestelltenverhältnisses ein selbstbestimmtes, gutbezahltes, angesehenes und risikoarmes Freiberuflerleben als Dozentin oder Institutsleiterin zu führen. In die Fusionsverhandlungen (1998–2000) brachte der DFS sein beachtliches Regelwerk für zertifizierte Weiterbildungen ein. Die Gegenseite DAF akzeptierte diese Mitgift ohne Begeisterung, aber auch ohne Widerstand. Die Weiterbildungsinstitute wurden dann zwar nicht zum sprichwörtlichen Goldesel, aber doch zu einer wichtigen materiellen Basis der DGSF. Zwar deckten die Zertifizierungsgebühren für deren Weiterbildungen lediglich die Zertifizierungsaufwände des Verbandes. Aber viele Mitgliedsinstitute empfahlen ihren Absolventen eine Verbandsmitgliedschaft, was wiederum Mitgliedsbeiträge generierte. Insofern waren und sind die Weiterbildungsinstitute in der DGSF ökonomisch mächtige Akteure. Die Zahl der Institute mit DGSFanerkannten Weiterbildungsgängen stieg kontinuierlich an, von 37 im Jahr 2003 auf 77 im Jahr 2019. Die Gründungssatzung sah ausdrücklich einen reinen Mitglieder­ verein vor. Institute konnten nur einfache institutionelle Mitglieder sein, mit nur einer Stimme in der Mitgliederversammlung, so

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wie jede einzelne Person als Mitglied. Dies ärgerte die Institute und führte zu ausgedehnten Konflikten mit dem Vorstand. Diese konnten erst 2005 mit der Gründung einer als Organ in der Satzung verankerten Instituteversammlung mit gewähltem dreiköpfigem Instituterat gelöst werden. Diese bekam zudem das alleinige Vorschlagsrecht für die Wahl einer der beiden zweiten Vorsitzenden. Bei Entscheidungen in der Mitgliederversammlung aber haben die Institute bis heute nur eine Stimme. Die DGSF ist ein Mitglieder70

verein geblieben. Interessante Konfliktlinien taten und tun sich regelmäßig zwischen der Instituteversammlung und einem anderen wichtigen Gremium auf, dem Fort- und Weiterbildungsausschuss (FWA). Dieser hat alle schwierigen Zertifizierungsanträge zu prüfen. Seine Aufgabe ist satzungsgemäß die einer kritischen Qualitätsprüferin. Kompetentes Herummäkeln an eingegangenen, aber noch unzureichenden Anträgen ist Teil der Professionalität. Deshalb werden der FWA oder einzelne seiner Mitglieder aus Institutsleiterkreisen gern als »kleinliche Korinthenkacker« kritisiert, auch wenn sie Korinthenkacker, Erbsenzähler – wie gut, dass es sie gibt! 2013 stieg ich ein in mein Ehrenamt im FWA und blieb fünf Jahre. Ich staunte nicht schlecht über Unmengen und Vielfalt der vorliegenden Anträge, über Stolperstellen und Zwickmühlen der Richtlinien. Das hatte ich vorher nie so gesehen! Ich hatte ja im Vorfeld so einiges über den FWA gehört, was ich aber nicht gehört hatte und was mir fünf Jahre lang die Freude an der Prüftätigkeit ausnahmslos erhalten hat: die Menschen dort und die Art, wie sie scheinbar miteinander Unvereinbares diskutieren. Das war ein bisschen wie eine fünfjährige Aufbauweiterbildung in Paarberatung, »Richtlinien und systemische Haltung – die Höhen und Tiefen einer gereiften Liebe«. 

Valeska Riedel

persönlich meist sehr großzügige Menschen sind – andernfalls würden sie diese zuweilen trockene und unpopuläre Arbeit auch nicht freiwillig machen. Spiegelbildlich dazu kritisieren FWA-Mitarbeiter zuweilen den allzu lässigen Umgang der Institute mit dem Thema. Während gemeinsamer Treffen und Abendessen beider Gremien mit dem Vorstand – erstmalig ab 2019, nun gleich mehrmals pro Jahr – sind diese Konflikte inzwischen gut zu besprechen und zu bewältigen, was auch förderlich für die Lösung wichtiger Detailthemen der 71

systemischen Weiterbildung ist. Persönliche Erfahrungen Beseelt von der systemischen Idee und schönen menschlichen Erfahrungen, die ich ab 2000 in der DGSF machen konnte, begann ich 2004 in den Gremien der DGSF mitzuarbeiten, im FWA über neun Jahre. Zu meiner großen Überraschung musste ich feststellen, dass es dort nicht nur wahnsinnig kompliziert war, sondern auch, dass die Mitglieder des FWA teilweise überhaupt nicht so respektvoll, nett und konstruktneutral miteinander umgingen, wie ich es von uns Systemikern erwartete. Auch ich entwickelte Gefühle, die nicht immer nur wertschätzend waren. Keine gelebte Theorie!! Zum Glück machte ich mit den Jahren auch die Erfahrung, dass wir das miteinander kommunizieren und auch beeinflussen konnten. Mir wurde sehr bewusst, dass ein gutes Miteinander gestaltet sein will. 

Susanne Altmeyer

2009/2010 meldeten jüngere Kolleginnen, die »jungen Wilden«, ihr Begehren an, als Lehrtherapeutinnen auch ohne die traditionelle sogenannte Ochsentour innerhalb eines bestehenden Instituts anerkannt zu werden. Sie stießen auf ältere Kolleginnen, zuweilen ihre eigenen früheren Lehrtherapeutinnen, die dies für undankbar, unangemessen und empörend hielten. Der Vorstand stellte sich auf

die Seite der jungen Wilden, auch aus demografiepolitischen Gründen. Damals war noch zu befürchten, der Verband könne überaltern und für junge Leute nicht mehr attraktiv sein. Der Vorstand entwickelte im Diskurs mit den jungen Wilden, der Instituteversammlung und dem Fort- und Weiterbildungsausschuss die »Drei Wege zum Lehrenden«: Weg A war die Ochsentour als oft unbezahlte KoTrainerin innerhalb eines Instituts. Weg B konnte in einem eigenen Start-up-Institut zurückgelegt werden, mit intensivem und kosten72

pflichtigem Mentoring durch ältere Lehrende, die die jungen Wilden dadurch noch weiter unter einer Qualitätskontrolle hielten. Als Nebenprodukt entstand Weg C: Ältere renommierte Kolleginnen, deren Qualifikationszeit vor der Gründung der DGSF lag (Motto: »Auch Helm Stierlin oder Eia Asen sollten in der DGSF als Lehrtherapeuten anerkannt werden können«). Sie konnten – wie es der DFS bereits praktiziert hatte – in Anerkennung ihrer bisherigen Lebensleistung als DGSF-Lehrende zertifiziert werden. Dies betraf viele Universitäts- und Fachhochschullehrer, auch solche mit Ausbildungen im Ausland. Der Prominentenfaktor in Lehrenden-Kreisen erhöhte sich damit erheblich.

5.2 Wir wollen mitspielen … – der Kampf um Anerkennung Der steinige Weg bis zur sozialrechtlichen Anerkennung

Der Schock über die Ablehnung der Systemischen Therapie als evidenzbasiertes Verfahren durch den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP) im Jahr 1998 bestimmte zu Beginn der ersten Vorstandsperiode das Denken und Erleben. Nach wie vor wollten wir mitspielen im Konzert der großen Verfahren, waren aber eher ratlos und frustriert ob der Chancen, Zugang zum Sandkasten zu

finden. Frischen Wind brachte dann 2004 die durch Jochen Schweitzer veranstaltete 2. Forschungstagung in Heidelberg. Auf dieser wiesen einige Kolleginnen13 gleichzeitig und unabhängig voneinander auf das Vorliegen zahlreicher guter, randomisiert-kontrollierter Studien zur Wirksamkeit der Systemischen Therapie hin. Wir schöpften neuen Mut. Und so trafen sich im Dezember 2004 in Köln Kolleginnen aus Wissenschaft und Praxis, die zum Teil auch schon beim ersten Antrag mitgewirkt hatten, sowie die Vorstände und je eine Vertreterin der Institute der Systemischen Gesellschaft und der DGSF. Sollte ein Antrag auf wissenschaftliche Anerkennung der Systemischen Therapie beim Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP) gestellt werden? Wie würde die systemische Szene eine erneute Ablehnung verdauen? Wäre das dann sozusagen der selbst herbeigeführte Todesstoß? Was würde andererseits geschehen, wenn weiterhin nichts geschehen würde? Nach langer und kontroverser Diskussion plädierte die Mehrheit der Anwesenden dafür, noch einmal ein neues Gutachten und einen neuen Antrag auf den Weg zu bringen, damit die Systemische Therapie als wissenschaftlich anerkanntes Verfahren auf Augenhöhe in der Versorgung psychischer Erkrankungen mitspielen kann. Es wurde die Expertise »Die Wirksamkeit der Systemischen Therapie/ Familientherapie« mit Unterstützung der Geschäftsstelle der DGSF erarbeitet und dem WBP im Jahr 2006 vorgelegt (von Sydow, Beher, Retzlaff u. Schweitzer, 2007). Die DGSF hat dabei eine Doppelstrategie verfolgt. Einerseits haben wir uns um die wissenschaftliche Anerkennung durch den WBP und die daran gekoppelte Zulassung von systemischen Psychotherapieaus13 Zum einen Kirsten von Sydow, zum anderen Stefan Beher, Rüdiger Retzlaff und Jochen Schweitzer.

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bildungen bemüht. Zum anderen haben wir auf dem Klageweg – die SG hatte sich in diesem Punkt nicht angeschlossen – nachzuweisen versucht, dass der Anspruch des WBP, über die Anerkennung von systemischen Psychotherapieausbildungen zu entscheiden, rechtlich nicht gedeckt sei. Bei diesem Vorgehen wurden wir durch den Geschäftsführer der Gesellschaft für Personenzentrierte Psychotherapie und Beratung (GwG), Karl-Otto Hentze, sehr unterstützt. Das Gericht gab der DGSF Recht und entschied, das beklagte Land NRW 74

müsse diese Entscheidung aus eigener Kompetenz treffen. Der dadurch aufgebaute Druck auf den WBP beförderte dann sicherlich den Ende 2008 erfolgten Bescheid der Wissen­schaft­lichen Anerkennung der Systemischen Therapie, für den sich nicht zuletzt Jürgen Kriz als stimmberechtigtes Mitglied und Kirsten von Sydow als stellvertretendes Mitglied des WBP sehr eingesetzt haben. Den Mitgliedern der DGSF war vor dem Antrag beim WBP zugesagt worden, erst nach ihrer Zustimmung den logisch nächsten Schritt, den Antrag auf die sozialrechtliche Anerkennung der Systemischen Therapie in Angriff zu nehmen. Das wurde mit großer Mehrheit befürwortet. Uns war aber klar, dass das kein Selbstläufer werden würde. In einem teuren, aber sehr wirkungsvollen Workshop wurden wir Laien im Herbst 2012 staunend von erfahrenen Kennern des Berliner Gesundheitspolitiksystems in die Grundlagen eigenständiger Lobbyarbeit eingeführt. Ein Jahr später öffneten sich die Türen in die sozialrechtliche Begutachtung der Systemischen Therapie. Das unparteiische Mitglied des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) Harald Deisler hatte entgegen aller Usancen den dazu notwendigen Antrag gestellt. Zur gleichen Zeit begann mit Kerstin Dittrich erstmals eine hauptamtliche Mitarbeiterin ihre Arbeit als gesundheitspolitische Referentin der DGSF, die auf die bald zwanzigjährige hoch engagierte, in weiten Teilen ehrenamtliche Arbeit ihrer Vorgängerin Anni Michelmann aufbauen konnte.

Schon dieser erste kleine Erfolg war nur möglich geworden durch die Arbeit einer gemeinsam mit der SG gebildeten sogenannten Steuerungsgruppe14. Mit viel fröhlichem Engagement, großer Zuversicht und der festen Überzeugung auf das Recht, mitspielen zu dürfen, verfolgten die Mitglieder dieser Gruppe ihr Ziel. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beauftragte das Institut für Qualitätsentwicklung und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) mit der Überprüfung der Systemischen Therapie hinsichtlich Wirksamkeit und Nutzen. Eine Expertengruppe15 beschäftigte sich fortan unter der Koordination der beiden gesundheitspolitischen Referentinnen von DGSF und SG mit der erneuten Recherche von Studien, der Erarbeitung von Stellungnahmen und der Teilnahme an Anhörungen des IQWIG. Politisch galt es, zeitgleich die anderen psychotherapeutischen und medizinischen Berufsverbände und Fachgesellschaften für eigene positive Stellungnahmen zu gewinnen, was durch die vor allem von Sebastian Baumann geleistete Lobbyarbeit in Berlin auch gelang – so gut, dass sich am Ende nahezu alle Verbände für den Antrag eingesetzt haben, auch die, von denen wir es nur wenige Jahre zuvor für absolut unmöglich gehalten hatten. So war es im November 2018 ein historischer Tag, als der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Systemische Therapie bei Erwachsenen als viertes Richtlinienverfahren in Deutschland zur Finanzierung durch die Gesetzliche Krankenversicherung beschlossen hat – mit der dann im Oktober 2019 folgenden Aufnahme in die Psycho­therapierichtlinien ein wirklicher Meilenstein.

14 Mit Sebastian Baumann, Reinert Hanswille, Matthias Ochs, Kerstin Dittrich, Hartmut Epple bzw. Ulrike Borst und Björn Enno Hermans. 15 Mit Stefan Beher, Markus Haun, Matthias Ochs, Rüdiger Retzlaff, Jochen Schweitzer und Kirsten von Sydow.

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22. November 2018: Mit mulmigem Gefühl bin ich morgens von Essen nach Berlin gefahren, ging es doch an diesem Tag um alles oder nichts. Zwar hatten wir zuvor Signale erhalten, dass es gut gehen könnte, sicher waren wir aber nicht. Und so schien die Zeit der vorherigen TOPs im ehrwürdigen G-BA elend lang. Dann schon bei der Einleitung zu »unserem« TOP wurde alles klar. »Mich überzeugen Sie heute nicht mehr,« sagte der Vorsitzende in Richtung des GKV-Spitzenverbandes, der gegen die Anerkennung stimmen würde. Minu76

ten später die Entscheidung. Der ganze Tag war dann gefolgt von Mailkommunikationen, Anrufen, dem Lesen der vielen Pressemitteilungen und unglaublich vielen Nachrichten in sozialen Medien. Und von Sekt ab 13 Uhr. 

Björn Enno Hermans

Verliert der andere, wenn einer gewinnt, oder gewinnen alle?

Die DGSF hat sich jahrelang intensiv mit den möglichen Folgen einer sozialrechtlichen Anerkennung für die vielen nicht approbierten Mitglieder beschäftigt. In zahllosen Diskussionen, Veranstaltungen und Papieren ist versucht worden, alle Facetten zu beleuchten und Sorge zu tragen, dass die negativen Auswirkungen so gering wie möglich bleiben. Aber natürlich wurde und wird es als ungerecht empfunden, dass langjährig praktizierende und gut ausgebildete systemische Therapeutinnen in den meisten Fällen keine oder keine realistische Chance haben, eine Approbation zu erlangen. Für diese Mitglieder ist kein direkt wahrnehmbarer Profit der sozialrechtlichen Anerkennung erkennbar. Von vielen wird eher ein persönlicher Nachteil befürchtet. Es gibt aber positive Nebenwirkungen und Sekundärgewinne. Die Anerkennung der Systemischen Psychotherapie stärkt auch das Ansehen systemtherapeutischer Ansätze außerhalb des Gesund-

heitswesens, insbesondere in der Jugendhilfe. Parallel zu diesem langen Anerkennungsprozess ist es zudem gelungen, das Profil der drei Fachbereiche Gesundheit, Soziale Arbeit und arbeitsweltliche Beratung innerhalb der DGFS so zu schärfen und sie so auszustatten, dass sich alle auch politisch positionieren und ausreichend vertreten fühlen können. Auf der Bundesebene ist die DGSF nicht nur im Gesundheitswesen, sondern auch in anderen Politikbereichen inzwischen bekannt und anerkannt (so in der Arbeitsgemeinschaft Jugendhilfe – AGF, beim Deutschen Sozialgerichtstag, im Familienministerium etc.). Junge Menschen werden im Psychotherapiestudium systemische Inhalte kennenlernen und sich danach als approbierte Therapeutinnen systemisch weiterbilden können. Die Systemische Therapie wird als hoch wirksames Verfahren einer viel größeren Gruppe von Menschen im Gesundheitswesen zugänglich werden. Die systemischen Verbände werden – so unsere Hoffnung und Erwartung – die Risiken und Nebenwirkungen gut im Blick halten und ihnen rechtzeitig und entschlossen entgegensteuern. Eine neue Verbandsstruktur – möglichst nach einer Verschmelzung der beiden systemischen Verbände – wird dafür notwendig werden (siehe Kapitel 8). Was kann man von diesem langwierigen und so bedeutsamen Prozess lernen?

Der zähe, sich fast über ein Vierteljahrhundert hinziehende Kampf um die Anerkennung der Systemischen Psychotherapie hat gelehrt: Ȥ Beharrlichkeit lohnt sich. Der stete Tropfen hat schließlich zum Erfolg geführt. Ȥ Vernetzung sowohl mit in ähnlicher Weise betroffenen Verbänden, mit Personen und Verbänden, die eher aus der Distanz das Geschehen betrachten, mit Politikern und politischen Institutionen sowie mit Entscheidern aus anderen Verbänden ist unerlässlich.

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Ȥ Resigniertes oder aggressives Klagen ist angesichts der Dauer des Prozesses naheliegend, führt aber eher zu Abwehr und Widerstand. Ȥ Beiträge getragen von einem fröhlichen Engagement, von Zuversicht trotz aller Rückschläge und von der festen Überzeugung, die guten Argumente auf seiner Seite zu haben, haben gute Chancen, gehört zu werden und kleine Schritte in die gewünschte Richtung anzustoßen. 78

Ȥ Die Unterstützung seitens der Mehrheit der Mitglieder des Verbandes ist eine entscheidende Basis dafür, einen derartig langen Kampf beharrlich und zuversichtlich zu führen.

5.3 Geschwisterliebe – über das Verhältnis zweier Nachbarverbände Was sich liebt, das neckt sich! März 2018, Berlin-Gendarmenmarkt: In edler Kulisse hat die Systemische Gesellschaft (SG) zu einem parlamentarischen Abend anlässlich ihres 25. Geburtstags geladen, an dem es darum geht, mit den Stakeholdern des gesundheitspolitischen Berlins ins Gespräch zu kommen und zu feiern. Auch der DGSF-Vorsitzende ist eingeladen, ein kurzes Grußwort zu sprechen, und gratuliert von Herzen »der älteren, aber etwas klein geratenen Schwester«. Der Saal reagiert mit Heiterkeit, die aber auch etwas Verletztheit überspielt. Die Replik und Gegenrede: »Aber wir sind der am schnellsten wachsende systemische Verband« – »Ja, aber das doch nur aufgrund der von euch eingeführten ›Zwangsmitgliedschaft‹« (aus formalen Gründen können nur Mitglieder ein SG-Zertifikat erhalten). 

Björn Enno Hermans

Warum gibt es eigentlich zwei systemische Verbände? Diese Frage wurde intern oft gestellt, noch häufiger von außen an uns herangetragen. Und über die gesamten knapp zwanzig Jahre stellte sich die Frage der Fusion immer wieder. Während der ersten Vorstands­ periode entwickelten die Vorsitzenden der SG und der DGSF, Arist von Schlippe und Wilhelm Rotthaus, die Devise: gut zusammenarbeiten und getrennt die gemeinsamen Interessen durchsetzen! Ihre Idee: Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren. Möglicherweise sind wir sogar stärker, wenn die Stellungnahme des einen Verbandes durch den anderen gestützt wird. Es waren aber auch die anspruchsvollen gemeinsamen Projekte der EFTA-Tagung 2004 und der wissenschaftlichen Anerkennung, die den damaligen Vorständen keinen Raum geboten haben, sich konkret mit Fusionsideen zu befassen. In den Jahren zwischen 2008 und 2011 wurden Gesprächsange­ bote zur Frage einer Fusion von der SG mit einem freundlichen, aber bestimmenden Zurückweichen beantwortet. Das wiederum (der Wechselwirkung sei Dank) führte aufseiten der DGSF zu einem Auf-Eis-Legen der Bemühungen, was SG-seitig wieder vorsichtige Annäherung zur Folge hatte. Schließlich wurde die Fusion in der dritten Vorstandsperiode ein von Anfang an explizites Thema zwischen den Vorsitzenden, das aber etwas Zeit zum Reifen brauchte. Nach drei Abendessen anlässlich der jährlichen gemeinsamen Vorstandstreffen wurde beschlossen, eine mögliche Fusion explizit zum Thema zu machen. Aber warum ist dieses Thema so schwierig? Es könnte um subjektive Empfindungen gehen, nicht geschluckt werden zu wollen, keine individuelle Macht als amtierender Vorstand einzubüßen oder nicht den Arbeitsplatz in eine andere Stadt verlegen zu müssen. Es könnte darum gehen, den besonderen Status und Einfluss der Institute im Verband zu sichern. Auch der Wunsch, Wirklichkeitskon­struktionen von »den systemisch Guten« auf der einen Seite und »den Vielen«

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auf der anderen Seite aufrechtzuerhalten, könnte eine Rolle spielen. Und natürlich ist der Aufwand, den eine intensive Beschäftigung mit möglichen Szenarien von Zusammengehen bedeutet, nicht sonderlich verlockend. Dennoch entsteht neue Bewegung. So beschäftigte sich eine gemeinsame Vorstandssitzung 2018 in Köln explizit und konstruktiv, teilweise in gemischten Kleingruppen, mit einer gemeinsamen Zukunftsperspektive. Das führte zu dem Entschluss, in beiden Mitgliederversammlungen einen expliziten Auf80

trag für einen Prozess einzuholen, der alle möglichen Szenarien einer Kooperation bis hin zu einer Fusion aufgreift. Ein externer Organisationsentwickler16 wurde ausgewählt, der nicht aus der deutschen systemischen Szene stammen sollte (was gar nicht so einfach war). Im Juli 2019 startete eine paritätisch besetzte zwölfköpfige Arbeitsgruppe mit der Diskussion und Erarbeitung möglicher Szenarien. Seitens der DGSF nehmen je eine Vertreterin des Vorstandes, des Instituterates, des FWA, der Geschäftsführung, des Regionenrates sowie ein per Zufallsgenerator ermitteltes Einzelmitglied daran teil. Innerhalb eines Jahres sollen mögliche Szenarien sowie deren Chancen und Risiken in vier Workshops von der Arbeitsgruppe erstellt werden. Im September 2020 werden diese ersten Ergebnisse beiden Mitgliederversammlungen vorgestellt, die über das weitere Vorgehen entscheiden sollen. Es ist und bleibt also spannend, wie es mit den Geschwistern weitergeht. Vielleicht gibt es in ein paar Jahren die DGSF im heutigen Sinne gar nicht mehr, sondern etwas Neues, Vereintes. Es wäre dann sicher ein langer Tanz gewesen – aber die langen Feten sind ja oft nicht die schlechtesten.

16 Der Schweizer Bruno Christen.

6 Zentrale Fragen der Verbandssteuerung Der Bericht über die Entwicklung der DGSF von 2000 bis 2019 kann vielleicht dahingehend missverstanden werden, diese Entwicklung sei ein geradliniger, systematisch geplanter, folgerichtiger Prozess gewesen. Das war sie auch, zumindest von heute aus gesehen. Sie war aber zugleich ein chaotischer, zuweilen chronifizierender Hin- und Her-Prozess, geprägt vom Widerstreit innerverbandlicher Gegenpositionen und Interessen und von sehr ambivalenten Haltungen gegenüber den Verbandsumwelten im Sozial- und Gesundheits­wesen. Welche Prinzipien haben uns geleitet bei unseren Navigationsprozessen in diesen Gemengelagen?

6.1 »Systemisch« als Kern der Identität Der Identitätskern des Verbandes wird durch das Wort »systemisch« beschrieben (siehe Kapitel 2). Aber was genau ist »systemisch« – und was ist »nicht (richtig) systemisch«? An der genaueren Exegese des Begriffs entzündeten sich mancherlei Konflikte. Zum einen im theoretischen Diskurs: Begann Systemische Therapie erst um 1980 mit der konstruktivistischen und autopoietischen Wende zur sogenannten Kybernetik zweiter Ordnung, repräsentiert durch Theoretiker wie von Glasersfeld, von Foerster, Maturana und Luhmann? Oder sollen auch ältere, stärker humanistisch, behavioral oder gar psychodynamisch mitgeprägte Ansätze ebenfalls als »systemisch« gelten? Daran entzündete sich auch ein praktisch-fachlicher Streit: Sind psychiatrische oder pädagogische Diagnosen immer entwicklungseinschränkend und daher zu dekonstruieren, oder können Syste­ mikerinnen diese manchmal auch als sinnvoll wertschätzen? Auch innerverbandliche Umgangsformen wurden kontrovers bewertet:

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Können Verbandsmitglieder, die andere oft und heftig kritisieren, ohne zugleich Wertschätzung für diese erkennen zu lassen, als wirklich »systemische« Kollegen anerkannt werden? Zur Struktur des Verbandes erlaubte der Begriff ebenfalls unterschiedliche Auffassungen: Muss ein systemischer Verband sehr flache Hierarchien mit unbegrenzten Partizipationsmöglichkeiten aufweisen, oder dürfen kleine Entscheidungseliten wegweisende Richtungsvorgaben machen? In der Verbandspraxis sind diese Konflikte meist befriedigend 82

bewältigt worden durch ein sehr weites, etwas diffuses und inklusives, viele Spielarten einbeziehendes »Sowohl-als-auch«-Verständnis von »systemisch«. Die gelebte Unschärfe des Begriffs ermöglicht viel Inklusion von unterschiedlichsten Meinungen und Charakteren – die aber auch ausgehalten werden müssen (»Ach Gott, jetzt kommen die schon wieder damit an!«). Die positive Konnotation des Begriffs erlaubt eine kollektive Selbstbelobigung und ein gemeinsames stolzes Gefühl: »Wir Systemiker« sind irgendwie die Guten, feiern die schönsten Kongresspartys und haben die inspirierendsten Meetings. Da wird jeder wahrgenommen und gut »gejoint«, auf Augenhöhe, und Frau darf sagen, was sie denkt. Allerdings haben zwischenzeitlich heftige Konflikte getobt. Bei der Verbandsgründung verließen manche Psychodynamiker aus der alten DAF wegen des Wortes »systemisch« die DGSF. Manche radikalen Konversations- und Autopoiesetheoretiker traten wegen des allzu breiten Verständnisses von systemisch erst gar nicht ein. Manche Diagnosegegner kritisierten die intensivierten Bemühungen ab 2009, Systemische Therapie von Krankenkassen finanzieren zu lassen. Einzelne Kollegen, deren heftige Kritik an den Entscheidungseliten im Verband als allzu abwertend und zu wenig wertschätzend bewertet wurden, zogen sich angesichts ihrerseits erlebter mangelhafter Wertschätzung aus dem Verband zurück. Implizit war und ist klar: Niemand wird aus der Kommunikation im Verband ausgeschlossen,

weder juristisch noch praktisch, verhalte er sich noch so »nervig« für die anderen. Das hat Abspaltungen großer Minderheitsfraktionen bis heute verhindert und ermöglichte es, auch bei heiklen außenpolitischen Missionen wie der sozialrechtlichen Anerkennung zumindest nach außen mit einer Stimme zu sprechen. Verbandsintern bedurfte es allerdings vieler intensiver und oft anstrengender Konsentierungen, die oft zwar keinen Konsens brachten, aber ein Tolerieren von Mehrheitsentscheidungen, die man selbst anders getroffen hätte. 83

6.2 Diversität: Wer soll dazugehören? Die DGSF präsentiert sich heute als breit aufgestellter, intern diverser Verband, der viele Professionen, Arbeitsfelder und Institutionstypen in sich aufgenommen hat. Wer und was ausgeschlossen bleiben soll, wurde aber mehrfach kontrovers diskutiert. Klar war von vornherein: kein Elitarismus, d. h. keine Beschränkung auf Mitglieder mit abgeschlossener Weiterbildung. Seit 2010 wird auch Studierenden die Mitgliedschaft im Verband angeboten. Das jüngste Mitglied im Jahr 2019 war 22, das älteste 93 Jahre alt. Bis etwa 2008 galt die DGSF als ein rein psychosozialer Verband, verankert im psychosozialen Feld. Unternehmensberater wie Coaches, Personal- und Organisationsentwickler, in Banken und Großkonzernen Tätige passten da nicht hinein und fühlten sich nicht angesprochen. Damals entwickelten jedoch viele Therapeutinnen und psychosoziale Berater ein zweites Standbein in der arbeitsweltlichen Beratung. Sie wollten sich darin weiterbilden oder eigene Erfahrungen in Weiterbildungen an andere weitergeben – warum sollte das nicht ein Teil der DGSF werden? Da auch Krankenhäuser und Sozialdienste zunehmend zu Profitcentern wurden, passte die alte Unterscheidung zwischen den »Guten« (Non-Profit-) und den

»Bösen« (Profit-)Beratern nicht mehr recht. So gelang es mit überschaubarem Diskussionsbedarf, Weiterbildungsrichtlinien auch für systemisches Coaching (2009), systemische Mediation (2011) und systemische Organisationsentwicklung (2013) zu etablieren.

6.3 Wachstumsprozesse in einem Verband und wie sie aufeinander aufbauen 84

Ende 2019 haben wir für die Jahre 2001 bis 2019 eine Reihe von Indikatoren des Wachstumsgeschehens in der DGSF tabellarisch zusammengestellt. (Die Tabelle ist wegen ihrer Komplexität hier nicht abgedruckt, kann aber von den Autoren angefragt werden.) Indikatoren sind die Zahlen der Mitglieder, der zertifizierten Curricula, der Fachund Regionalgruppen, der empfohlenen Versorgungseinrichtungen, der DGSF-Fachtage und schließlich der bundesweiten Gremien, in denen die DGSF vertreten ist. Diese Tabelle zeigt, dass der Wachstumsprozess insgesamt kontinuierlich und ausgewogen verlaufen ist, ohne allzu dramatische Umbrüche, Zuwächse oder Stagnationen. Allerdings beobachten wir interessante kleine Unterschiede und eine gewisse Reihenfolge der Wachstumsprozesse. Anfangs (2003– 2006) wuchs die Zahl der Weiterbildungsinstitute und ihrer Curricula überdurchschnittlich stark. Diese schufen (nicht allein, aber auch) eine Basis für die verstärkte Zunahme von Personen-Mitgliedern, oft Absolventen dieser Weiterbildungen. Es gelang von vornherein, diesen in Fachgruppen und Regionalgruppen eine Heimat in einem überschaubaren Subsystem zu bieten. Diese kontinuierlichen Entwicklungen, zusammen mit einer forcierten Mitgliederwerbung, mündeten zwischen 2010 und 2015 in ein überdurchschnittliches Mitgliederwachstum und eine besonders starke Zunahme der Regionalgruppen. Ab 2013 startete mit den DGSF-empfohlenen Praxisein-

richtungen in Jugendhilfe und Psychiatrie ein neues Subsystem, das vor allem zwischen 2013 und 2017 stark wuchs. Weniger Wachstum der Akteurszahlen, aber eine Erhöhung der Schlagzahl zeigt sich in der starken Zunahme von DGSF-Fachtagen (meist eintägige, regionale Veranstaltungen, bei denen die DGSF als Mitveranstalter auftritt) in den Jahren 2015 bis 2018. Nochmal geringfügig später kam es infolge zunehmender außenpolitischer Professionalisierung, insbesondere mit der Einstellung zweier hauptamtlicher Referentinnen für Gesundheits- und für Jugendhilfepolitik, vor allem seit 2016 zu einer Zunahme von Mitgliedschaften in bundespolitischen Gremien, Kommissionen und Verbänden.

6.4 Komplexität: Welche Fülle von Prozessen kann ein Verband verdauen? Kann ein Verband zu groß werden? Wird er dann zu unpersönlich? Kann er dann noch zusammengehalten werden? Wird er mit zu vielen Erwartungen überfrachtet und kann diesen nicht mehr gerecht werden? Wie viele verschiedene Kulturen (zum Beispiel Unternehmensberater mit Schlips und Anzug vs. Streetworker in Jesuslatschen) kann er miteinander in Kontakt bringen und halten? Solche Sorgen sind immer wieder geäußert worden. In der Fusionsphase dominierte die Angst vor dem Verlust einer gewissen Vertrautheit untereinander, ab 2014 dann eher die Furcht vor einer Überlastung des weiterhin ehrenamtlichen fünfköpfigen Vorstandes gegenüber einer vierfach vergrößerten Mitgliedschaft. Systemtheoretisch bedeutet hohe Komplexität, dass viele Systemmitglieder in ihren Aktionen eng miteinander verkoppelt sind und ihre Entscheidungen relativ schnell auch Folgen für die anderen Systemmitglieder haben. Bei großer Mitgliederzahl kann man solche

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Komplexität reduzieren, indem man die Mitglieder in relativ autonomen Subsystemen organisiert, in denen aber ähnliche Spielregeln wie in der Gesamtorganisation gelten, nur eben für eine kleinere Gemeinschaft – systemtheoretisch gesprochen eine »fraktale Organisation«. Auf Basis dieser Idee initiierten alle drei Vorstände, beginnend schon bald nach der Gründungsphase, am ausgeprägtesten in der stärksten Wachstumsphase 2009 bis 2015, die Gründung zahlreicher, eher mitgliederarmer und thematisch spezialisierter Fachgruppen 86

sowie generalistischer, aber häufig mitgliederstarker Regionalgruppen. In diesen können Mitglieder eine Heimat (in den Regionalgruppen) und eine Aufgabe (in den Fachgruppen) finden.

6.5 Steuerung: Mit welchen Mitteln lenkt sich ein Verband? In der DGSF kann bislang wenig oder gar kein Geld verdient werden, und die DGSF bewirkt auch nur selten ein Fließen großer Geldströme. Sie funktioniert aber auch nicht ohne Geld. Daher war im Laufe der Zeit eine Vergrößerung der beiden Einnahmequellen notwendig: vorranging der Mitgliedsbeiträge (Prinzip: angemessen niedrige Beiträge, aber von vielen Mitgliedern), in zweiter Linie der Weiterbildungszertifikate. Auch formelle Macht als Steuerungsmittel ist innerverbandlich zwar vorhanden (qua Posten, in die man von den Mitgliedern gewählt oder vom Vorstand beauftragt wird), sichert aber noch keineswegs Gestaltungsmacht – allenfalls Verhinderungsmacht: Man kann auf einem Posten Dinge nicht tun, die man tun sollte, und dadurch Entwicklungen bremsen. Umso wichtiger ist – um mit Begriffsunterscheidungen des französischen Soziologen Bourdieu (1982) zu sprechen – mangels ökonomischen Kapitals (Geld) und mangels Macht das kulturelle und das

soziale Kapital. Systemiker müssen zwangsläufig recht kontaktfreudige Menschen mit Vernetzungskompetenz sein. Wenn sie zudem über kulturelles Kapital verfügen (Bildung, gutes Benehmen, pfiffige Bonmots …), dann umso besser. Praktisch haben DGSF-Vertreter außenpolitisch ihre Erfolge in Gesundheitspolitik, Jugendhilfepolitik und Wissenschaftspolitik vor allem durch den Aufbau optimistischer, freundlich-wertschätzender Beziehungen und einer dichten Vernetzung erreicht. 87

6.6 Storytelling: Was erzählt ein Verband über sich selbst? Unter Systemikern, auch in der DGSF, konkurrieren miteinander zwei Erzählungen darüber, wie wir sind. Die eine lautet: »Wir sind ganz anders – und damit auch irgendwie besser.« Wir machen die kürzeren Beratungen, wir laden ungewöhnliche Kombinationen von Menschen zu gemeinsamen Gesprächen ein, wir kümmern uns nicht um Diagnosen oder stellen diese infrage, wir formulieren mit großer Freundlichkeit sehr verstörende Fragen. Diese Geschichte tritt – oder trat? – oft eng verbunden mit einer ergänzenden Geschichte auf: »Und deshalb stehen wir außerhalb des Mainstreams, sind stolze Outsider und Underdogs – viel Feind, viel Ehr!« Garniert wird diese Geschichte oft mit erlebten Episoden von Benachteiligung und Unterdrückung. Bis zur wissenschaftlichen Anerkennung 2008 dürfte dies die herrschende Geschichte gewesen sein. Sie führte verbandspolitisch dazu, dass die DGSF sich hauptsächlich mit solchen Verbänden verbündete, die sich

ebenfalls den diskriminierten Underdogs zurechneten. Ab der sozialrechtlichen Anerkennung 2018 wird diese Geschichte möglicherweise Minoritätenstatus erlangen. Es wird spannend sein, zu sehen, wo dann der rebellische Anteil der systemischen Bewegungsgeschichte bleibt.

Die andere Geschichte, und die haben alle Vorstände dieser Jahre vertreten, lautet: »Ja, wir sind anders – wir können aber auch all das, was alle anderen können, und wir tun es auch oft.« Wir können auch Menschen in ihren schon vorhandenen Meinungen bestärken und validieren, wir können auch diagnostizieren, auch störungsspezifisch behandeln, wir können auch Einzeltherapie, mit manchen Patienten arbeiten wir auch in vielen Sitzungen. Und die ergänzende Geschichte dazu lautet: »Und die anderen sind oft auch freundlich zu uns, wenn 88

wir es zu ihnen sind.« Garniert wird diese Geschichte gern mit verbandspolitischen Erfolgserlebnissen. Mit großer Überraschung wurde zum Beispiel registriert, wie viele Fachverbände mit vielfach kontroversen Orientierungen 2018 am Ende die sozialrechtliche Anerkennung der Systemischen Therapie durch den G-BA öffentlich unterstützten.

7 Ein Tag im Jahr 2038 Dresden, 22. September 2038, 15 Uhr: Die beiden Vorsitzenden der Deutschen Systemischen Gesellschaft (DSG), die inzwischen über 20.000 Mitglieder zählt, begrüßen im Namen eines sehr diversen Vorstandes die Anwesenden und die etwa 5000 Personen am Live­ stream und der Voting-App. Anlass ist das 15-jährige Jubiläum der DSG, das heute Abend noch gefeiert werden soll. Zum 30-Jährigen

der damaligen Systemischen Gesellschaft hatten im Jahr 2023 die systemischen Verbände DGSF und SG nach einem langen Prozess endlich zur DSG fusioniert und sich strukturell neu aufgestellt17. 17 Ein Drittel des Autorenteams glaubt nicht, dass eine solche Fusion kommen wird. Denn warum sollten zwei einmal gegründete Organisationen, an die sich ihre Mitglieder gewöhnt haben und die nicht nur einer, sondern gleich zwei Gruppen von Funktionären einen Daseinszweck bieten, sich ohne allzu große Not von selbst zugunsten einer dritten Organisation auflösen?

7.1 20.000 Mitglieder, zwei Kammern, drei Berufsverbände – aber nur eine DSG Die Vorsitzende des Berufsverbandes der systemischen Sozialarbeiter und Sozialpädagogen in der Jugendhilfe e. V., einem Organ der DSG18, kommt etwas verspätet hinzu, weil sie am Vormittag noch einen Termin beim Vorstand des Verbandes der systemischen Jugendämter wahrgenommen hatte. In ihrer Funktion ist sie kooptiertes Mitglied im Vorstand der DSG. Diesem gehört auch die Vorsitzende des Berufsverbandes der systemischen Psychotherapeutinnen und Ärztinnen an, zu dem sich die damals im Fachbereich 2 der DGSF vertretenen Kolleginnen und Kollegen zusammengeschlossen hatten. Um die Funktion eines Daches für Das Gesamte Systemische Feld weiterhin zu gewährleisten, hatte zunächst neben der etwas später (erst 2028) fusionierten Instituteversammlung19 auch die Versammlung der Empfohlenen Einrichtungen Organstatus bekommen und entsendet ihren Vorsitzenden ebenfalls als nicht stimmberechtigtes Mitglied in den Vorstand der DSG. Das gemeinsame Interesse dieser Empfohlenen Einrichtungen liegt neben der Weiterentwicklung der Qualitätssicherung vor allem darin, gut weitergebildete systemische Fachkräfte zu gewinnen. Dem Dachverband war dies wichtig bei der Verfolgung seines Satzungszwecks, der Banalisierung des Begriffs »systemisch« entgegenzuwirken und dafür Sorge zu tragen, dass da, wo systemisch draufsteht, auch systemisch drin ist. Das war auch vor dem Hintergrund der weiter stark wachsenden Popularität des systemischen Ansatzes und 18 DSG war früher das Kürzel für Deutsche Schlafwagen-Gesellschaft, eine Tochter der Deutschen Bahn, die aber im Jahr 1994 mit der in der DDR weiter existierenden MITROPA AG unter deren Namen zusammengelegt wurde. Insofern wurde das Kürzel frei für den neuen Verband. 19 Wo die Konkurrenzbefürchtungen am stärksten aufschienen, wurde ein langsameres Fusionstempo gewählt.

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der ebenfalls weiter anwachsenden Zahl von systemisch weitergebildeten Menschen bedeutsam. Um den lange diskutierten Sorgen bezüglich einer Aufspaltung des Verbandes zu begegnen, war bei Gründung der DSG den drei bis dahin in der DGSF bestehenden Fachbereichen eine hohe Autonomie zugesprochen worden. Sie bildeten in der Folgezeit eigene Organisationen mit von den jeweiligen Mitgliedern gewählten Vorständen, deren Vorsitzende jeweils kooptiertes Mitglied des Vorstands der 90

DSG sind. Zudem war ihnen die Möglichkeit gegeben worden, als

Subsystem auch den rechtlich eigenständigen Status eines Berufsverbandes für sich zu wählen, was der Fachbereich 2 (Psychotherapie, Psychiatrie und Gesundheitswesen) auch unmittelbar 2023 – etwas später auch der Fachbereich 1 (Jugendhilfe, Sozialarbeit und lebensweltliche Beratung) – umgesetzt hatte und seither als Berufsverband der systemischen Psychotherapeutinnen und Ärztinnen agiert. Neben dieser Entwicklung sind inzwischen auch die Regionalverbände Nordost20, West, Mitte und Süd mit jeweils rund 5.000 Mitgliedern und eigenen Vorständen tätig, die für regionale Tagungen, Mitgliedertage und damit Begegnungen in der DGS sorgen und die Interessen der Mitglieder im Vorstand des Dachverbandes mit ihren Delegierten vertreten. Weiterhin spielen die Institute mit ihrer »reichlich spät« fusionierten Instituteversammlung eine wichtige Rolle im Verband. Auf der einen Seite treten sie als Weiterbildungsstätten auf, die nach Einführung des neuen Psychotherapeutengesetzes nun im Vertiefungsgebiet Systemische Psychotherapie an 25 Orten in Deutschland Psychotherapeutinnen weiterbilden. Sie haben sich im Verbund »system-app« 20 Dank höherer Durchschnittstemperaturen ist der frühere innerdeutsche »Braindrain« von Nordost nach Südwest inzwischen gestoppt. Immer mehr Menschen ziehen aufgrund besser erträglicher Temperaturen aus Bayern und Baden-Württemberg in das Norddeutsche Tiefland.

zusammengeschlossen. Die traditionellen berufsbegleitenden Zertifikatsweiterbildungen in Systemischer Beratung und Systemischer Therapie werden weiterhin intensiv nachgefragt. Im Jahr 2025 hatte der Dachverband DSG im Benehmen mit der Instituteversammlung und dem Berufsverband der systemischen Sozialpädagogen und Sozialarbeiter in der Jugendhilfe entschieden, in den Zertifikaten in Abgrenzung zur Psychotherapeutin den Begriff »Beziehungstherapeutin«21 zu verwenden. Viele Institute praktizieren inzwischen Kooperationsformen auf Augenhöhe mit Hochschulen, damit ihre Absolventinnen zugleich ihre systemische Weiterbildung im Institut und ihren Bachelor oder Masterabschluss in der Hochschule machen können. Die bundesweite Begrenzung der Psychotherapiestudienplätze auf nur 2700 pro Jahr hatte nämlich schon Ende der 2020er Jahre dazu geführt, dass viele Hochschulen neue Masterstudiengänge in Psychosozialer Beratung aufgelegt hatten, deren häufigstes Hauptverfahren Systemische Beratung war und die deshalb auch an einer Zertifizierung durch die DSG in hohem Maße interessiert waren. Einige Hochschulen hatten daraufhin eigene Weiterbildungsinstitute gegründet und waren mit diesen DSG-Mitglied geworden. Eine Mehrzahl war aber Kooperationen mit bestehenden außeruniversitären DSG-Instituten eingegangen, was mittlerweile als Goldstandard und als sehr befruchtend bewertet wird.

7.2 Vorstandsarbeit ohne Überlastung Dem Vorstand der DSG war 2023 die Zuständigkeit für die innerorganisatorischen Entwicklungen innerhalb dieses sehr komplexen Verbandes übertragen worden. Als seine zentrale Aufgabe war defi21 Leider scheiterte aber ein Schutzantrag beim Deutschen Patentamt.

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niert worden, das Gesamte Systemische Feld berufsgruppen- und arbeitsfeldübergreifend zusammenzuhalten. Er hat dazu inzwischen die verschiedensten Formate entwickelt, in denen ein regelmäßiger Austausch zwischen den einzelnen Unterorganisationen stattfindet. Der Vorstand der DSG ist zudem zuständig für die Durchführung der wissenschaftlichen Jahrestagungen, aber auch von Fachtagungen und Workshops. Nach vielen, auch heftig kritisierten Versuchen gelingt es inzwischen recht gut, das Thema der Standards systemischen Arbei92

tens immer wieder ins Blickfeld zu rücken. Diskurse über die Weiterentwicklung systemischer Theorie und ihre Umsetzung in die Praxis finden seit einiger Zeit nicht mehr nur in kleinen elitären Kreisen statt. Nach nicht unerheblichen anfänglichen Empfindlichkeiten gelingt es zudem zunehmend besser, kritische Beobachtungen und Wertungen der eigenen Arbeit durch in anderen Berufskontexten arbeitende Kolleginnen anzuhören. Immer mehr Kolleginnen berichten, dass sie durch diesen kritischen Blick von der jeweils anderen professionellen Seite profitieren. Für diesen Austausch immer wieder gute und hinreichend interessante Formate zu finden, erleben die Mitglieder des Vorstandes der DSG allerdings als eine große Herausforderung. Das leidige Problem der zeitlichen Überlastung der Vorstandsmitglieder war 2026 nach Aufnahme des 12.000 Mitglieds angesichts von Jahreseinnahmen von 2 Millionen Euro endlich gelöst worden. Vorstandsmitglieder können heute nach Satzungsänderung hauptamtlich honoriert werden, wenngleich nur in Teilzeit von maximal 20 Stunden pro Woche. Dies erlaubt insbesondere Freiberuflern und Mitgliedern mit geringerem Einkommen, für die Vorstandstätigkeit ebenfalls genügend Zeit aufzubringen. Ihre Tätigkeit ist weiterhin auf sechs, in Ausnahmefällen neun Jahre begrenzt. DSG-Vorstandsmitglied zu sein ist also keine eigenständige Karriere geworden, der beständige Wechsel im Vorstand begrenzt die Herausbildung einer in sich geschlossenen Entscheidungselite.

7.3 »Diversity-Koeffizient« und sozial gerechte Beiträge Ferner ist in der Satzung festgelegt worden, dass dem mittlerweile siebenköpfigen Vorstand nach einem Diversity-Koeffizienten genügend Menschen angehören, die nicht die Merkmale »männlich, über 50, deutsche Eltern, weiß, heterosexuell, frei von starken Behinderungen, Bruttoeinkommen über 4.500 Euro monatlich« aufweisen. Dies hat den Anteil von jüngeren sowie von Mitgliedern mit Migrationshintergrund im Vorstand langsam, aber signifikant erhöht. Verbandsprozesse werden ab 2026 auf ihre interne soziale Gerechtigkeit geprüft. 2028 wurde beschlossen, die Teilnehmergebühren von Jahrestagungen einkommensabhängig mit Beträgen zwischen 80 und 500 Euro zu staffeln und für Mitglieder mit sehr niedrigem Einkommen vollständig kostendeckende Reisekostenstipendien auszuloben. Seither kommen mehr Studierende und Berufstätige mit geringem Einkommen zu den Tagungen, die sich in den letzten Jahren bei einer Teilnehmerzahl von 1.500 bis 2.000 einpendeln. Durch verbesserte Videoübertragungstechniken können solche Tagungen dennoch weiterhin in kostengünstigen mittelgroßen Tagungshäusern abgehalten werden. Das schon 2018 in der DGSF eingeführte Verfahren elektronischer Vorabstimmungen wurde in der DSG fortgeführt.

7.4 Sieben hauptamtliche Referentinnen Der Verband unterhält eine große administrative Geschäftsstelle mit mittlerweile 18 Mitarbeiterinnen in Köln, also da, wo im TagesreiseAbstand bislang immer noch die meisten Mitglieder leben. Dort ist auch der Sitz der Geschäftsführung. Daneben gibt es eine kleinere

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politische Geschäftsstelle in Berlin mit jenen Hauptamtlichen, deren Tätigkeitsschwerpunkt die Interaktion mit Verbänden, Ministerien und Presse in der Hauptstadt ist. Dort arbeiten jetzt sieben hauptamtliche Referentinnen mit den Schwerpunkten: Ȥ Soziale Arbeit/Jugendhilfe, Ȥ Psychotherapie und Gesundheitswesen, Ȥ Arbeitswelt, arbeitsweltliche Beratung, Unternehmensberatung, Ȥ Justiz, Mediation, Konfliktschlichtung, Gewaltfreiheit, 94

Ȥ Aus-, Fort- und Weiterbildung, Schulen, Ȥ Wissenschaft und Forschung und Ȥ Gesellschaftliches Engagement, Kampagnen und Bündnisse. Vorstandstreffen und andere Gremiensitzungen finden abwechselnd in Köln und Berlin statt. Durch die sieben Referentenstellen ist zunehmend klar geworden, zu welchen Themen jenseits engerer Fach- und Berufspolitik sich der Verband äußern und engagieren will und soll. Sie entsprechen den sieben Grundwerten eines vor vielen Jahren (2016) verabschiedeten Grundwertepapiers des Vorgängerverbandes DGSF. Dazu gehören beispielsweise Stellungnahmen zu einer menschenwürdigen Grundsicherung im Alter, zum Psychopharmakagebrauch und -missbrauch, für ein Ende von Ketten-Zeitverträgen des wissenschaftlichen Nachwuchses an Hochschulen, für einen 50 %-Anteil des Verteidigungshaushaltes für gewaltfreie Konfliktschlichtungstruppen und für die erleichterte Anerkennung ausländischer Bildungsleistungen von Migranten. Die spezielle Rolle des früheren Forums Gesellschaftspolitik, das solche Aktivitäten ab 2013 angeregt und initiiert hatte, ist inzwischen überflüssig geworden.

7.5 Thinktank »Komplexe Politikberatung« Besondere Bedeutsamkeit hat seit 2028 ein Thinktank »Komplexe Politikberatung« mit vielen DSG-Mitgliedern gewonnen. Dieser berät Kommunal- und Landesverwaltungen, zuweilen auch Bundesministerien, bei der Simulation und Vorabdiskussion politischer Beschlüsse unter Einbezug einer Zufallsauswahl davon betroffener Bürger. Dies hilft, die Neben- und Langzeitwirkungen politischer Entscheidungen zumindest hypothetisch abzuschätzen und mehr längerfristige Gesetzespakete mit weniger negativen Nebenwirkungen anstatt kurzfristiger Einzelgesetze mit nicht vorbedachten Folgeschäden zu erlassen. In Zusammenarbeit mit Politikwissenschaftlern hat dieser Thinktank neue, hochqualifizierte Formen der Bürgerbeteiligung entwickelt, die von zunehmend mehr politischen Gremien genutzt werden.

8 Einige Lernerfahrungen Vieles, was wir in diesem Buch beschrieben haben, ist historisch zufällig so passiert, an bestimmten Orten, zu bestimmten Zeitpunkten. Die für uns wichtigsten Lernerfahrungen, die uns bewahrenswert erscheinen (vielleicht auch für andere Verbände zu anderen Zeitpunkten), fassen wir im Folgenden zusammen. 1. Der Identitätskern eines Verbandes: Möchte man einen mitgliederstarken Verband aufbauen, dann sollte dessen identitätsstiftender Kern (im Fall der DGSF: »systemisch«) einerseits klar abgegrenzt, andererseits breit und inklusiv genug sein, d. h. möglichst viele Menschen ansprechen und einschließen. Dieser Identitätskern sollte auch praktische Relevanz aufweisen, und er sollte mehrheitlich positiv konnotiert werden. Auch sehr heterogene

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Mitgliedschaften hinsichtlich ihrer Berufsgruppen, Arbeitsfelder, Einkommensklassen oder Generationen können sich in einem gemeinsamen Verband integrieren, solange sie einen zumindest sie selbst überzeugenden Identitätskern wachhalten, pflegen und immer wieder neu aktualisieren. 2. Wachstum fraktal: Verbände können sehr hohe Mitgliederzahlen verkraften und trotz hoher Mitgliederzahl partizipativ und beziehungsorientiert gestaltet werden, wenn sie sich nach dem Modell 96

einer fraktalen Organisation angemessen dezentralisieren, d. h. wenn sie mit steigender Mitgliederzahl immer mehr teilautonome Einheiten bilden, die im Kleinen die Struktur des Gesamtverbandes abbilden. Diese Einheiten regeln einen sehr großen Teil ihrer Anliegen selbstständig, auch mit eigenem Budget, aber in einem hinreichend dichten und idealerweise freundschaftlichen Kontakt mit der Verbandszentrale. 3. Steuerung durch Geld, durch Sinn und durch Spaß: Sofern Verbände ihre Aktiven nicht durch Geld motivieren können, sollten sie dies stattdessen durch überzeugende Ideen, anerkennende Beziehungen und Spaß an der gemeinsamen Tätigkeit erreichen. Es lohnt sich, zentrale Verbandstreffen als ästhetisch, kulturell und sozial attraktive Ereignisse zu gestalten. 4. Entwicklungsphasen: Verbände durchleben, ähnlich wie Personen, Entwicklungsphasen, in denen unterschiedliche Herausforderungen vordringlich zu bewältigen sind. Jede Phase wird von den Ergebnissen der vorausgehenden Phase begünstigt oder behindert. Insofern trägt jeder Verbandsvorstand viel Verantwortung für den ihm nachfolgenden Vorstand. Eine Achtsamkeit gegenüber demografischen Entwicklungen und den Bedürfnissen der nachwachsenden Generation kann verhindern helfen, dass ein Verband als Projekt einer einzelnen Generation entsteht und mit ihr auch wieder in Rente geht.

5. Außenpolitik und relevante Umwelten: Die relevanten Umwelten eines Verbandes sind nicht vorgegeben, sondern Entscheidungssache. Jeder Verband bestimmt darüber, welche Umwelten (im Falle der DGSF: welche anderen Verbände und Verbandsnetzwerke, Universitäten, Ministerien) er kennenlernen oder negieren und mit welchen er kooperieren möchte, sei dies freundlich oder konfrontativ. 6. Ausdauer: Verbände können scheinbar zunächst aussichtslose Anliegen zum Erfolg bringen. Dabei helfen eine positive Grundhaltung, Wertschätzung von anderen Akteuren im Feld, Kooperation und Begeisterung. Klagen und Jammern, Sich-Beschweren über Ungerechtigkeiten und deren Kultivierung helfen dabei eher nicht. 7. Atmosphärische Intelligenz: Sie ist ein wichtiges Mittel, um zu verhindern, dass in großen Systemen durch die manchmal erschlagend wirkende Komplexität, durch Konkurrenzen oder inhaltliche Kontroversen persönliche Beziehungen vergiftet werden. Damit ist gemeint, dass es in solchen Verbänden immer Menschen geben sollte, die darauf achten, dass Begegnungsräume geschaffen werden, die ein freudvolles Miteinander ermöglichen.

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9 Literatur

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Belbin, R. M. (2003). Managementteams: Why they succeed or fail (2nd ed.). Oxford: Butterworth Heinemann. Bourdieu, P. (1982). Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Conen, M.-C. (1998). Ein Verband? Oder wie viele Verbände brauchen wir? Kontext – Zeitschrift für Familientherapie, 29 (2), 114–124. Graeber, D. (2016). Bürokratie. Die Utopie der Regeln. Stuttgart: KlettCotta. Haumann, W. (2014). Motive des bürgerschaftlichen Engagements. Kernergebnisse einer Bevölkerungsrepräsentativen Befragung durch das Institut für Demoskopie Allensbach im August 2013. Berlin: Bundes­ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zugriff am 20.03.2020 unter https://www.bmfsfj.de/blob/94388/623395a6b3c03445ed1b1615927 a3200/motive-des-buergerschaftlichen-engagements-data.pdf Levold, T., Wirsching, M. (Hrsg.) (2016). Systemische Therapie und Beratung. Das große Lehrbuch (2. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer. Matzat, J. (1998). Als Beobachter von Anfang an. Kontext – Zeitschrift für Familientherapie, 29 (2), 107–110. Mengel, M., Ochs, M., Orban, R., Crone, I., Lingnau-Carduck, A., Herchen­ han, M. (2016). Netzwerke Frühe Hilfen systemisch verstehen und ko­­ ordi­nieren. Qualifizierungsmodul. Köln: Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Schiepek, G. (1999). Die Grundlagen der Systemischen Therapie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schlippe, A. von, Schweitzer, J. (2012). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I: Das Grundlagenwissen. Göttingen: Vanden­hoeck & Ruprecht. Schweitzer, J. (2009). Hirngespinste systemischer Organisationstheorie. In R. Hanswille (Hrsg.), Systemische Hirngespinste. Neurobiologische Impulse für die systemische Theorie und Praxis (S. 245–260). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schweitzer, J., Nicolai, E., Hirschenberger, N. (2005). Wenn Krankenhäuser Stimmen hören. Lernprozesse in psychiatrischen Einrichtungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schwing, R., Fryszer, A. (2018). Systemisches Handwerk. Werkzeug für die Praxis (9. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Sydow, K. von, Beher, S., Retzlaff, R., Schweitzer, J. (2007). Die Wirksamkeit der systemischen Therapie/Familientherapie. Göttingen et al.: Hogrefe. Sydow, K. von, Borst, U. (Hrsg.) (2018). Systemische Therapie in der Praxis. Weinheim: Beltz. Werner, T. (2017). 5 Fragen an … Prof. Dr. Theo Werner. Interview. www. report-psychologie.de, 05.09.2017. Zugriff am 20.03.2020 unter http:// www.report-psychologie.de/fileadmin/user_upload/Thema_des_ Monats/2017–09_Wehner.pdf

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10 Glossar AGF  – Arbeitsgemeinschaft für Familientherapie: Die Arbeits­

gemeinschaft war eine Vereinigung einer kleinen Zahl familien­ therapeutisch aktiver und prominenter Hochschullehrer in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie wurde unter anderem durch Host Eberhardt Richter, Jürg Willi, Hans Strotzka initiiert und war seit Anfang der 1970er Jahre aktiv. 100

DAF  – Deutsche Arbeitsgemeinschaft Familientherapie: Die

Arbeits­gemeinschaft wurde 1977 gegründet. In ihrem anfänglichen Selbstverständnis war sie basisdemokratisch und unbürokratisch und wurde im Jahr 2000 mit dem DFS zur DGSF zusammengeschlossen. DFS – Dachverband für Familientherapie und Systemisches Arbei-

ten: Der Dachverband wurde 1987 mit dem Ziel gegründet, Qualitätskriterien für systemisch-familientherapeutische Weiterbildungen zu schaffen und zum Leben zu bringen. Er wurde im Jahr 2000 mit der DAF zur DGSF zusammengeschlossen. DSGT – Deutscher Sozialgerichtstag: Der DSGT ist ein Verein mit

Sitz in Potsdam, der im Januar 2006 gegründet worden ist und der sich aus der Sicht von Praktikern kritisch mit sozialrechtlichen Fragen befasst. Er veranstaltet alle zwei Jahre eine Tagung, die ebenfalls den Namen »Deutscher Sozialgerichtstag« führt. Evidenzbasierung: Der Begriff »Evidenzbasierung« bezeichnet den Gedanken, dass im Gesundheitswesen nur Behandlungsverfahren praktiziert werden sollen, deren Wirksamkeit in mehreren methodisch hochwertigen und voneinander unabhängigen wissenschaftlichen Studien nachgewiesen wurde. Der Gegenbegriff lau-

tet »Eminenzbasierung« (»Einige berühmte Professoren halten eine Behandlung für wirksam«). Seit ca. 1995 ist die Evidenzbasierung in Deutschland zunehmend handlungsleitend. EFTA – European Family Therapy Association: EFTA ist die im

Jahr 1990 gegründete Vereinigung aller europäischen Familientherapeuten. Sie verfügt seit 2001 über drei Kammern, in denen sich Nationale Organisationen (NFTO), Weiterbildungsinstitute (TIC) und Einzelmitglieder (CIM) zusammenschließen. FWA – Fort- und Weiterbildungsausschuss der DGSF: Der FWA

prüft Zertifizierungsanträge der Weiterbildungsinstitute und ihrer Weiterbildungsteilnehmerinnen. G-BA – Gemeinsamer Bundesausschuss: Der G-BA ist das höchste Be­­schlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen. Er bestimmt in Form von Richtlinien, welche medizinischen Leistungen die Versicherten beanspruchen können. Das Beschlussgremium des G-BA, das Plenum, setzt sich aus 13 stimmberechtigten Mitgliedern zusammen: einem unparteiischen Vorsitzenden, zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern, fünf Vertretern der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-​Spitzenverband) sowie fünf Vertretern der Leistungserbringer (KBV, KZBV und DKG). Patientenvertreterinnen besitzen ein Mitberatungs-​und Antragsrecht, jedoch kein Stimmrecht. GwG – Gesellschaft für Personzentrierte Psychotherapie und Beratung e. V.: Der Verband wurde 1970 gegründet, hat derzeit über 2.000 Mitglieder und seinen Sitz in Köln. Er ist die Vereinigung aller am personenzentrierten Ansatz von Carl Rogers und seinen Nachfolgern orientierten Psychotherapeutinnen und Beraterinnen und häufig ein enger Kooperationspartner der DGSF.

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Institutekammer und Mitgliederkammer: Sie sind die beiden Beschlussgremien der Systemischen Gesellschaft (SG.) IV – Instituteversammlung: Die IV ist die Versammlung aller DGSFWeiterbildungsinstitute, die zweimal jährlich tagt. Sie wird von einem Instituterat aus drei Sprecherinnen koordiniert und hat das alleinige Vorschlagsrecht für die Wahl eines der beiden stellvertretenden Vorsitzenden der DGSF. 102

IQWIG – Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesund-

heitswesen: Das Institut wurde 2004 im Zuge der Umsetzung des  GKV-Modernisierungsgesetzes als Zweckbetrieb der Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen gegründet, um die Patientenversorgung zu verbessern.  Radikaler Konstruktivismus – Sozialer Konstruktionismus: Die Begriffe bezeichnen zwei verwandte, aber nicht identische Erkenntnistheorien, die in der Systemischen Therapie und Beratung eine große Rollen spielen. Sehr verkürzt gesagt betont der Konstruktivimus: Die Welt, die wir vorzufinden meinen, ist zu großen Teilen unsere eigene Erfindung. Und der soziale Konstruktionismus betont: Wir sind (unser Selbst ist) das Ergebnis sprachlicher Aushandlungsprozesse zwischen uns und den uns wichtigen Menschen und Institutionen. Rct-Studien  – randomisiert kontrollierte Studien: Solche Studien testen die Wirksamkeit eines Behandlungsverfahrens gegen eine Placebobehandlung, gegen die »derzeit übliche Behandlung« (»Treatment as usual«, TAU) oder gegen ein alternatives wirksames Behandlungsverfahren. Die Zuteilung der Studienteilnehmer zu den Behandlungsgruppen erfolgt bei solchen Studien nach Zufall (ran-

domisiert). Seit ca. 1995 sind diese Studien dominierender, aber vor allem im Bereich von Psychotherapie stets umstrittener Qualitätsstandard für Wirksamkeitsbeurteilungen. SG – Systemische Gesellschaft: Der SG wurde 1993 als Zusammenschluss von damals nur sechs sich als dezidiert »systemisch« verstehenden Weiterbildungsinstituten gegründet. Seit 2000 ist sie die langjährige, in ihrer Mitgliederzahl kleinere Schwesterorganisation der DGSF, mit der sie insbesondere ihre gesundheitspolitischen Aktivi-

täten und ihre Präsenz in der EFTA eng koordiniert. WBP – Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie: Der WBP ist ein

1998 mit dem damaligen Psychotherapiegesetz gegründetes, gemeinsam von der Bundespsychotherapeutenkammer und der Vertretung der ärztlichen Psychotherapeuten in der Bundesärztekammer (BÄK) gebildetes Gremium aus 12 stimmberechtigten und 12 nicht stimmberechtigten Mitgliedern, überwiegend Hochschullehrern. Sein Auftrag ist die Prüfung der wissenschaftlichen Evidenz von Psychotherapieverfahren und Psychotherapiemethoden.

103

11 Verzeichnis weiterer Abkürzungen AGST Arbeitsgemeinschaft Systemische Therapie ASK

Arbeitsgemeinschaft Systemische Kinder- und Jugendpsychotherapie und -psychiatrie e. V.

BKJPP Berufsverband Kinder- und Jugendpsychiatrie BvPPF Bundesverband für psychoanalytische Paar- und

Familientherapie 104

DGfB Deutsche Gesellschaft für Beratung DGSv Deutsche Gesellschaft für Supervision DSG

Deutsche Systemische Gesellschaft (Anmerkung: existiert noch nicht)

FG Fachgruppe IFW

Institut für Familientherapie Weinheim

VS Vorstand

12 Die Autoren

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Prof. Dr. rer. soc. Jochen Schweitzer (rechts im Bild), Diplom-Psychologe, leitet die Sektion Medizinische Organisationspsychologie im Institut für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Heidelberg. Er ist freiberuflich als systemischer Therapeut, Coach und Organisations­berater tätig und lehrt am Heidelberger Helm-StierlinInstitut. Er hat neben dem Helm Stierlin Institut auch die Heidelberger Tagungen für Systemische Forschung, die SYMPA-Projekte einer systemisch-familienorientierten Psychiatrie und eine interne Führungs- und Teamberatung im Uniklinikum Heidelberg mit-initiiert und viele Jahre geleitet. Jochen Schweitzer war von 1997 bis 2000 zweiter Vorsitzender der DAF, von 2007 bis 2013 erster Vorsitzender der DGSF und ist seither deren gesellschaftspolitischer Sprecher. Dr. med. Wilhelm Rotthaus (links im Bild), Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, war von 1981 bis 2004 Fachbereichsarzt der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters Viersen. Er veranstaltete zwanzig Jahre lang von 1982 bis 2002 die Viersener Therapietage. Wilhelm Rotthaus ist in Personenzentrierter Therapie, Personenzentrierter Spieltherapie und Systemischer Therapie, Beratung und Supervision (DGSF) und

als Systemischer Lehr­therapeut (DGSF) weitergebildet. Von 1998 bis 2006 war er Gründungs- und Vorstandsvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Systemische Kinder- und Jugendpsychiatrie (ASK), von 2000 bis 2007 erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF). Er ist Ehrenmitglied des Berufsverbandes Kinder- und Jugendpsychiatrie (BKJPP), der DGSF und der SG. 106

Prof. Dr. rer. medic. Björn Enno Hermans (Bildmitte), Diplom-Psychologe, ist hauptberuflich an der MSH Medicalschool Hamburg und beim Caritas­verband Essen tätig und freiberuflich als systemischer Therapeut, Coach und Dozent. Am ifs – Institut für Systemische Therapie und Supervision in Essen und am HISA – Hafencity Institut für Systemische Ausbildung in Hamburg arbeitet er zudem als Lehr­ therapeut. Björn Enno Hermans war von 2013 bis 2019 erster Vorsitzender der DGSF, zuvor Vorstandsmitglied und ist seit 2019 weiterhin berufspolitisch im Auftrag der DGSF tätig. Aktuell ist er Mitglied der Kammerversammlung der Psychotherapeutenkammer NRW und auf Bundesebene u. a. in Gremien zur Entwicklung einer neuen Muster­ weiterbildungsordnung Psychotherapie.