Das politische Leben eines Ritterspiels: Die Sinjska alka als Vehikel politischer Legitimation im 20. Jahrhundert 9783447195461, 3447195460

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Das politische Leben eines Ritterspiels: Die Sinjska alka als Vehikel politischer Legitimation im 20. Jahrhundert
 9783447195461, 3447195460

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BV 63

Die Sinjska alka ist ein kostümiertes Fest in der dalmatinischen Klein sen Hauptattraktion ein Turnier im Ringreiten darstellt. Seit Anfan hunderts bis in die Gegenwart nutzten Kaiser, Könige und Staatspr Aufführungen als Bühne ihrer Herrschaftsinszenierung. Ritualteilneh beteiligten sich in ihrer Kostümierung als Lanzenreiter an politischen K Wenngleich die Sinjska alka für Sinj eine große traditionelle und soz hat, so begründet dies noch nicht die weitreichende politische Dimensi Boris Stamenić untersucht, wie sich die Sinjska alka im 20. Jahrhu Herrschaftsdiskontinuitäten und ideologischen Umbrüche hinweg als Ve rungs­legitimation behaupten konnte. Dazu fokussiert er die umbruchs­b eignungen, Umdeutungen und Adaptionen des dalmatinischen Festes a Element der Regionalgeschichte. Die analytische und interpretatorische der Mikrohistorie und Makrostrukturen ermöglicht dabei einen interes in das politische Leben eines Ritterspiels, das die Geschichte Dalmatie hundert aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel beleuchtet.

BALKANOLOGISCHE VERÖFFENTLICHUNGEN 63

Boris Stamenić

Das politische Leben eines Ritterspiels Die Sinjska alka als Vehikel politischer Legitimation im 20. Jahrhundert

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Harrassowitz Verlag

09.02.17 11:18

Boris Stamenić Das politische Leben eines Ritterspiels

© 2017, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10725-9 — ISBN E-Book: 978-3-447-19546-1

Balkanologische Veröffentlichungen Geschichte, Gesellschaft und Kultur in Südosteuropa Herausgegeben von Hannes Grandits und Wolfgang Höpken

Band 63

2017

Harrassowitz Verlag · Wiesbaden

© 2017, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10725-9 — ISBN E-Book: 978-3-447-19546-1

Boris Stamenić

Das politische Leben eines Ritterspiels Die Sinjska alka als Vehikel politischer Legitimation im 20. Jahrhundert

2017

Harrassowitz Verlag · Wiesbaden

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Die Reihe Balkanologische Veröffentlichungen. Geschichte, Gesellschaft und Kultur in Südosteuropa setzt die Serie Balkanologische Veröffentlichungen. Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin fort. Umschlagbild: Der Straßenzug der Alkaren durch Sinj im August 1945. Quelle: Fotografie aus dem Archiv­ bestand des Ritterlichen Alkarenvereins, Sinj.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the Internet at http://dnb.dnb.de .

Informationen zum Verlagsprogramm finden Sie unter http://www.harrassowitz­verlag.de © Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden 2017 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen jeder Art, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung in elektronische Systeme. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck und Verarbeitung: Memminger MedienCentrum AG Printed in Germany ISSN 0170­1533 ISBN 978­3­447­10725­9 e­ISBN PDF 978­3­447­19546­1

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Inhalt Abbildungsverzeichnis ······························································· VII Abkürzungsverzeichnis ······························································ IX Einleitung ·················································································· Einführende Skizze der Sinjska Alka ·············································· Forschungsgegenstand ······························································· Forschungsstand ······································································ Methoden und Quellen ······························································· Teil I – Umbruch 1945 ··································································· Spuren der Vergangenheit ··························································· Im Lande des dreistämmigen Volkes ·············································· Auf dem Bollwerk faschistischer Ordnung ········································ Kommunistische Machtaneignung und die Sinjska Alka ························ Konsolidierung der kommunistischen Ordnung ·································· Alkaren und Knappen als Vertreter der sozialistischen Körperkultur·········· Lanzen und Streitkolben auf dem Bollwerk des Sozialismus ··················· Teil II – Umbruch 1990 ·································································· Im Lande der Brüderlichkeit und Einheit ·········································· Wind of Change······································································· Die 275. Sinjska Alka im Zeichen der Wende ···································· Trennung von Jugoslawien ·························································· Fest im Schatten des Unabhängigkeitskriegs······································ Konsolidierung der post-kommunistischen Ordnung ···························· Veränderungen im Alkarenverein ·················································· Franjo Tuđman – Ehrenanführer der Alkaren ····································· Schlussbetrachtungen····································································· Quellen- und Literaturverzeichnis ······················································ Archive und ausgewählte Quellensammlungen ··································· Dokumentarfilme und Videoausschnitte: ·········································· Periodika, Zeitungen und Online-Medien ········································· Literaturliste ···········································································

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Abbildungsverzeichnis Abb 1:

Postkarte aus Sinj aus der zweiten Hälfte der 1960er Jahre.................................. 2

Abb 2:

Alkaren und Knappen am 18. Mai 1875 in Sinj ................................................... 4

Abb 3:

Moreška 1946 in Zagreb, BM mit Tito 1973 in Budva ...................................... 16

Abb 4:

Alkaren im Kaiserhuldigungsfestzug 1908 in Wien ........................................... 22

Abb 5:

Die Delegation des Alkarenvereins 1922 in Belgrad.......................................... 30

Abb 6:

Alkaren 1922 in Belgrad..................................................................................... 32

Abb 7:

Die Urkunde der Belgrader Stadtverwaltung...................................................... 36

Abb 8:

Der Ustaša-Anführer Pavelić begrüßt die Alkaren............................................. 45

Abb 9:

Leibwache vor der Ehrentribüne 1942 in Zagreb ............................................... 49

Abb 10: Die Militärparade am Rande der 229. Sinjska Alka ............................................ 53 Abb 11: Vertreter des Sinjer Volkskomitees 1945 in Split............................................... 64 Abb 12: Der Straßenzug der Alkaren durch Sinj 1945 ..................................................... 75 Abb 13: Ritualteilnehmer auf dem Wettkampfplatz 1945 ................................................ 77 Abb 14: Alkaren und Knappen in Zagreb 1946................................................................ 90 Abb 15: Die Parade auf dem Platz der Republik 1946 in Zagreb..................................... 93 Abb 16: Marschall Tito auf der Parade 1946 in Zagreb ................................................... 99 Abb 17: Politische Symbole auf dem Wettkampfplatz................................................... 103 Abb 18: Titos Begegnungen mit dem Cetiner Land ....................................................... 114 Abb 19:

Canadian Club Werbe-Reportage; Holzplakette für Tito................................ 116

Abb 20: Tito auf der Jubiläumsfeier der BM 1959 in Kotor .......................................... 118 Abb 21: 250. Sinjska Alka in Sinj 1965.......................................................................... 121 Abb 22: Die Delegation des Alkarenvereins 1972 in Belgrad........................................ 127 Abb 23: Alkaren und Knappen mit Tito in Trilj ........................................................... 130 Abb 24: Alka als Symbol der Titoistischen Ordnung..................................................... 132 Abb 25: Stipe Šuvar nach der 274. Sinjska Alka ............................................................ 135 Abb 26:

Franjo Tuđman und Antun Vrdoljak 1990 in Sinj ............................................ 161

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VIII

Abbildungsverzeichnis

Abb 27: Alkaren und Knappen auf der Parade 1991 in Zagreb ......................................172 Abb 28: Einweihung der Alkarischen Fahne 1991 in Sinj..............................................177 Abb 29: Schilder als Geschenke des Schirmherrn 1992 .................................................197 Abb 30: General Bobetko und US-Botschafter Galbraith in Sinj. ..................................202 Abb 31: Anführer Norac und Verteidigungsminister Šušak in Sinj................................210 Abb 32: Šušak erhielt die Urkunde des Ehrenbürgers von Sinj ......................................217 Abb 33: Clinton und Tuđman 1996 am Flughafen von Zagreb ......................................218 Abb 34: Bruno Vuletić 1997 in seiner Belgrader Wohnung. ..........................................223 Abb 35: Franjo Tuđman als Ehrenanführer der Alkaren.................................................226 Abb 36: Delegitimierende Darstellungen des Ehrenanführers........................................228

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Abkürzungsverzeichnis AVNOJ BdK BiH BM ČSR FSK HDA (a) HDA (b) HDS HDZ HOS (a) HOS (b) HS HSLS HSP HSS HV HVO JNA KNS KPH KPJ MUP NO NOB NOP NOJ NOVJ OZN PB

Anti-fašističko vijeće narodnog oslobođenja Jugoslavije (Antifaschistischer Rat der Volksbefreiung Jugoslawiens) Bund der Kommunisten (Savez komunista) Bosna i Hercegovina (Bosnien-Herzegowina) Bokeljska Mornarica (Marine von Boka – Kulturverein) Československá republika (Tschechoslowakische Republik) Föderaler Staat Kroatien (Federalna Država Hrvatska) Hrvatska dojavna agencija (Kroatischer Nachrichtendienst) Hrvatski državni arhiv (Kroatisches Staatsarchiv) Hrvatska demokratska stranka (Kroatische Demokratische Partei) Hrvatska demokratska zajednica (Kroatische Demokratische Gemeinschaft) Hrvatske obrambene snage (Kroatische Verteidigungskräfte) Hrvatske oružane snage (Kroatische Streitkräfte) Hrvatska stranka (Kroatische Partei) Hrvatska socijalno-liberalna stranka (Kroatische sozial-liberale Partei) Hrvatska stranka prava (Kroatische Rechtspartei) Hrvatska seljačka stranka (Kroatische Bauernpartei) Hrvatska vojska (Kroatische Armee) Hrvatsko vijeće obrane (Kroatischer Verteidigungsrat) Jugoslavenska narodna armija (Jugoslawische Volksarmee) Koalicija narodnog sporazuma (Koalition des Volksabkommens) Komunistička partija Hrvatske (Kommunistische Partei Kroatiens) Komunistička partija Jugoslavije (Kommunistische Partei Jugoslawiens) Ministarstvo unutrašnjih poslova (Innenministerium) Narodni odbor (Volksfront-Komitee) Narodno-oslobodilačka borba (Volksbefreiungskampf) Narodno-oslobodilački pokret (Volksbefreiungsbewegung) Narodna omladina Jugoslavije (Volksbund der Jugend Jugoslawiens) Narodno-oslobodilačka vojska Jugoslavije (Volksbefreiungsarmee Jugoslawiens) Odeljenje za zaštitu naroda (Abteilung für den Schutz des Volkes – Geheimdienst / Geheimpolizei) Politbiro (Politbüro)

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X

Abkürzungsverzeichnis

RH RSK SAO

Republika Hrvatska (Republik Kroatien) Republika Srpska Krajina (Republik Serbisches Krajina) Srpska autonomna oblast (Serbisches Autonomes Gebiet)

SFRJ

Socijalistička Federativna Republika Jugoslavija (Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien) Savez komunista Hrvatske (Bund der Kommunisten Kroatiens) Savez komunista Jugoslavije (Bund der Kommunisten Jugoslawiens) Savez komunističke omladine Jugoslavije (Bund der kommunistischen Jugend Jugoslaviens) Stranka demokratskih promjena (Partei der demokratischen Veränderungen) Socijaldemokratska partija (Sozialdemokratische Partei) Srpska demokratska stranka (Serbische Demokratische Partei) Država Slovenaca, Hrvata i Srba (Staat der Slowenen, Kroaten und Serben) Kraljevina Srba, Hrvata i Slovenaca (Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen) Socijalistička Republika (Sozialistische Republik) Služba za zaštitu ustavnog poretka (Verfassungsschutzdienst) Ujedinjeni savez anti-fašističke omladine Hrvatske (Vereinigter Bund der antifaschistischen Jugend Kroatiens) Ujedinjeni savez anti-fašističke omladine Jugoslavije (Vereinigter Bund der antifaschistischen Jugend Jugoslawiens) Unabhängiger Staat Kroatien (Nezavisna Država Hrvatska) Vjesnikova arhiva (Archiv der Tageszeitung Vjesnik) Viteško alkarsko društvo (Ritterlicher Alkarenverein) Vjesnik Cetinske krajine (Zeitungsblatt des Cetiner Landes) Volksrepublik (Narodna Republika) Zemaljsko anti-fašističko vijeće narodnog oslobođenja Hrvatske (Antifaschistischer Landesrat der Volksbefreiung Kroatiens) Zentralni komitet (Zentralkomitee) Zbor narodne garde (Korps der Volksgarde)

SKH SKJ SKOJ SDP (a) SDP (b) SDS SHS (a) SHS (b) SR SZUP USAOH USAOJ USK VA VAD VCK VR ZAVNOH ZK ZNG

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Einleitung Einführende Skizze der Sinjska Alka Die Sinjska Alka ist ein jährlich stattfindendes Kostümfest in der dalmatinischen Kleinstadt Sinj, dessen Hauptattraktion ein Turnier im Ringreiten darstellt. In schriftlichen Quellen wurde die Sinjska Alka bis ins letzte Viertel des 19. Jahrhunderts meistens unter seinem venezianischen, später italienischen Namen la Giostra di Sign bzw. la Giostra Signana thematisiert, was sich, ebenso wie die kroatische Bezeichnung, als das Ringreiten von Sinj übersetzen lässt. Dabei wurde die kostümierte Inszenierung am häufigsten als Spiel beschrieben, dennoch mit unterschiedlichen Präfixen als Kampf-, Helden-, Volks-, Kriegs- oder Ritterspiel kodiert.1 Von den Trägern dieser Tradition, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formell organisierten, wurde die Sinjska Alka in den Statuten und Regelheften überwiegend als Ritterspiel eingeordnet.2 Da die Sinjska Alka nicht nur einen Wettbewerb, sondern auch eine Erinnerungszeremonie darstellt, ist die Bezeichnung Spiel beziehungsweise Ritterspiel sicherlich nicht allumfassend. Dennoch kommt der Begriff Ritterspiel dem Wesen der Sinjska Alka nahe, wobei er viel mehr impliziert als die bloße Absicht, dem lokalen Fest einen adeligen Glanz zu verleihen. Wie die Forschungen von Šime Jurić suggerieren, stellt die Teilnahme an der Sinjska Alka wahrscheinlich schon seit ihrer Entstehung im 18. Jahrhundert einen wichtigen Indikator des gesellschaftlichen Ansehens in Sinj und der Umgebung dar.3 Was die gegenwärtige soziale Relevanz der Sinjska Alka auf lokaler Ebene angeht, gibt es mehr als einige Menschen in Sinj, die sich in wenigen Sekunden durch die Jahrzehnte daran zurückerinnern können, welcher Wettkämpfer (Alkar) in welchem Jahr das Turnier im Ringreiten gewann, häufig mit weiteren Ergänzungen zum Fest im betreffenden Jahr. Die Legenden aus der langen Geschichte der Sinjska Alka werden intergenerationell tradiert oder auch 1 Zur bisherigen Veröffentlichungen über die Sinjska Alka siehe: Šime Jurić: Dokumenti i književna građa o Sinjskoj alki, Split, 1988; Ana-MarijaVukušić: Zapisi o Sinjskoj alki i njihova primjenjivost u etnološkome istraživanju. In: Studia Ethnologica Croatica, Nr. 19, 2007, S. 223-243. 2 Im ältesten bekannten Statut von la Giostra Signana (1833) wird noch keine Organisation der Traditionsträger ausdrücklich erwähnt. Die Teilnehmer werden an einigen Stellen als Ritter (Cavaliere) eingeordnet, aber das Spiel selbst wird nicht direkt als „ritterlich“ oder mit einem anderen Attribut bezeichnet. Laut Šime Jurić (1988) wurde der informell organisierte Zusammenschluss der Alkaren damals Korps der Ringreiter (Corpo dei goistranti bzw. Zbor alkara) genannt. In den Statuten bzw. Regelheften (Pravilnik) aus den Jahren 1902, 1921, 1955 (Entwurf), 1965, 1985, 1991 und 1997 wird der Zusammenschluss der Alkaren als „Ritterlicher Alkarenverein“ (Viteško alkarsko društvo) definiert und Sinjska alka als „Ritterspiel“ eingeordnet. Die einzige Ausnahme stellt der „Kodex des Sinjer Volksvereins der Alkaren“ (Pravilnik Sinjskog Narodnog Alkarskog Društva) von 1947 dar, in dem Sinjska Alka als „Heldenspiel“ (Junačka igra) bezeichnet wird. Vgl. Originaldokumente bei Šime Jurić: Dokumenti i književna građa o Sinjskoj alki, 1988, S. 71-254. 3 Vgl. Šime Jurić: Dokumenti i književna građa o Sinjskoj alki, 1988.

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Einleitung

einem interessierten Besucher gern weitererzählt. Die Relevanz des Ringreitens für die lokale Identifikation wird im Gespräch häufig durch die Aussage „Sinj ist Alka, Alka ist Sinj“ auf den Punkt gebracht.

Abb 1:

Seit der Erscheinung der Postkarten in Sinj am Ende des 19. Jahrhunderts stellte die Sinjska Alka das häufigste Motiv der visuellen Darstellung von Sinj dar. Diese Postkarte aus den späten 1960er Jahren zeigt einen Alkaren in dem Moment, in dem er den Ring von Alka mit der Lanze trifft, sowie einen Knappen mit Flinte. Rechts unten sieht man das Denkmal Alkar, das 1965 anlässlich des 250. Jubiläums der Sinjska Alka aufgestellt wurde. Der Schild links oben wurde dem Alkarenverein 1959 vom jugoslawischen Präsidenten Josip Broz Tito geschenkt. Der Schild wurde ins alkarische Ritual integriert und zwischen 1959 und 1990 dem Turniersieger (Slavodobitnik) als transitive Trophäe feierlich übergeben. „Das schönste von allen Kirchenweihfesten in Dalmatien“, wie man die Sinjska Alka in einer Publikation 1892 beschrieben hatte, wurde nach 1945 vollkommen entsakralisiert bzw. mit der Symbolik der jugoslawischen kommunistischen Ideologie aufgeladen. Quelle: Archivbestand des Ritterlichen Alkarenvereins, Sinj.

Die Symbole der Sinjska Alka sind in der Stadt in Denkmälern und Straßennamen sowie in Geschäftsnamen und auf Reklametafeln allgegenwärtig. Auch abgewanderte Unternehmer, die aus Sinj und dem umliegenden Cetiner Land (Cetinska krajina) stammen, machen ihre Gaststätten und Läden häufig durch die spezifischen sprachlichen oder visuellen Symbole der Sinjska Alka erkenntlich. Neben dem Motiv der Reiter in ihrer charakteristischen schwarzen Tracht sieht man häufig den Ring von Alka.

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Einführende Skizze der Sinjska Alka

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Der Begriff Alka kommt vom türkischen Wort halka und bezeichnet zwei eiserne konzentrische Kreise, die mit quer liegenden Eisenstäben verbunden sind. Die auf Pferden reitenden Spielteilnehmer namens Alkaren (Alkari), die im Galopp nacheinander antreten, zielen mit einer drei Meter langen Lanze in den mittleren, 3,5 cm breiten Ring oder in einen der drei Teile des größeren, etwa 13,5 cm breiten Ringes. Der Teilnehmer, der nach drei Rennen, ggf. nach den Verlängerungen, am meisten Punkte gesammelt hat, gewinnt und wird als „Ruhmgewinner“ (Slavodobitnik) vor tausenden Zuschauern feierlich ausgezeichnet. Die Geschenke an den Turniersieger werden traditionellerweise vom höchstrangigen anwesenden Vertreter der politischen Macht oder vom Befehlshaber der Truppen übergeben. Laut Šime Jurić existiert dieser Ritus wahrscheinlich schon seit den Zeiten der venezianischen Herrschaft in Sinj.4 Im Einklang mit dem Begriffsapparat der kulturwissenschaftlichen und historischen Erinnerungsforschung ließe sich die Sinjska Alka auch als Erinnerungsort begreifen, dessen historischen Referenzpunkt die Schlacht von Sinj aus dem Jahr 1715 bildet.5 Dieses Ereignis fand im zweiten Jahr des Achten Venezianischen Türkenkrieges (1714-1718) statt, in dem das Osmanische Reich versuchte, die territorialen Verluste aus dem Frieden von Karlowitz (1699) zu revidieren. Alle Deutungen der Schlacht gehen davon aus, dass die Sinjer Festung von einem überlegenen osmanischen Heer im August 1715 angegriffen und tagelang erfolglos belagert worden sei. Im Laufe der Zeit erwiesen sich die Interpretationen und Kontextualisierungen der Schlacht sowie des populären Jahresfestes jedoch als weitaus weniger persistent als die alten Waffen und pittoresken Uniformen, die jeden Sommer abertausende von Gästen nach Sinj ziehen. Als förmlich-feierlicher Akt mit festgelegtem Protokoll und ausgeprägter symbolischer Bedeutung umfasst das rituale Handeln in der Sinjska Alka sowohl den Wettbewerb im Ringreiten als auch die ihn begleitende Zeremonie. Einen Bestandteil von der Sinjska Alka stellt die Parade der Turnierteilnehmer dar, während derer die Kriegstrophäen aus der Schlacht von 1715 präsentiert werden. Dieses Defilee vor der Tribüne für Ehrengäste und vor dem zahlreichen Publikum wird sowohl am Anfang als auch am Ende sowie zwischen den einzelnen Turnierrunden wiederholt. Die Turnierteilnehmer verkörpern eine frühmoderne Truppe von Kavalleristen (Alkarska četa) sowie eine Truppe von Infanteristen, die aus den sogenannten Knappen der Alkaren (Alkarski momci) besteht. Die Defileen der beiden Heerscharen im Verlauf der Sinjska Alka stellen die Siegesparade von 1715 nach, wobei ihre zeitgenössische Symbolik jedoch weit über die sogenannten Türkenkriege hinausging und -geht.

4 Šime Jurić: Dokumenti i književna građa o Sinjskoj alki, Split, 1988. 5 Der Erinnerungsort (frz.: lieu de mémoire) als wissenschaftlicher Begriff geht auf Pierre Nora zurück. Laut diesem französischen Historiker ist das kollektive Gedächtnis einer sozialen Gruppe an bestimmten Orten sublimiert. Ein solcher Gedächtnisort ist der materielle oder immaterielle Bezugspunkt, der durch die Konstruktionsleistung oder die Wirkung der Zeit zu einem symbolischen Element des Gedächtnisses einer Gemeinschaft wurde. Vgl. Astrid Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart/ Weimar, 2005.

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Abb 2:

Einleitung

Am 18. Mai 1875 wurden die Alkaren und Knappen wahrscheinlich zum ersten Mal fotografiert. Den Anlass für das erste Fotografieren der kostümierten Traditionsträger sowie für die außerordentliche Vorführung der Sinjska Alka am gleichen Tag bot der Aufenthalt Seiner Kaiserlichen Majestät Kaiser Franz Joseph I. in Sinj während seiner mehrwöchigen Frühlingsreise durch das Kronland Dalmatien. Im Hintergrund der Abbildung sieht man die Reste der im Sommer 1715 belagerten Burg. Die heutzutage das Stadtpanorama prägende Kirche des Heiligen Franziskus sollte erst 1887 auf der Burg gebaut werden. Quelle: Archivbestand des Ritterlichen Alkarenvereins, Sinj.

Forschungsgegenstand Der Forschungsgegenstand dieser Arbeit ist die Geschichte des Politischen der Sinjska Alka. Die Kostüme der Alkaren und Knappen sowie die ganze Zeremonie wecken über Jahrhunderte hinweg das Interesse politischer Akteure. Dabei sind die Zäsuren übergreifende Beteiligung von Alkaren und Knappen an politischen Kundgebungen sowie der Besuch der Sinjska Alka von Vertretern politischer Macht ein interessantes und alles andere als selbstverständliches Phänomen. Die Arbeit geht davon aus, dass die bloße Popularität der Sinjska Alka allein keine ausreichende Grundlage dafür darstellt, die lange Kontinuität ihrer politischen Relevanz entscheidend zu determinieren. Wenngleich die Tradition eine erhebliche Bedeutung für die lokale Identifikation und die sozialen Dynamiken in Sinj aufweist, lassen sich die stetige Be-

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Forschungsgegenstand

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achtung seitens der Politik sowie die zahlreichen Auftritte der Alkaren und Knappen bei politischen Kundgebungen außerhalb von Sinj mit diesem Argument nur bedingt untermauern. Daher wird die Sinjska Alka in der vorliegenden Arbeit als ein Vehikel der Herrschaftslegitimation betrachtet. Das Politische bezieht sich demnach auf die Praxis der Herrschaftslegitimation durch die öffentlichen Auftritte der kostümierten Männer im lokalen Rahmen und darüber hinaus. Die Beteiligung der Alkaren und Knappen an den Herrschaftsinszenierungen außerhalb von Sinj datiert zurück in das 19. Jahrhundert. Die Ritualteilnehmer übernahmen nicht nur die zeremonielle Begleitung des Kaisers Franz Joseph I. während seiner Frühjahrsaufenthalte in Dalmatien 1875 und 1891, sondern beteiligten sich im Juli 1908 auch am Huldigungs-Festzug in Wien, der aus Anlass des 60. Krönungsjubiläums des Kaisers organisiert wurde.6 Die Praxis wurde auch nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie fortgesetzt. Im Juni 1922 erschienen die Alkaren und Knappen auf der Hochzeit des jugoslawischen Königs Aleksandar in Belgrad. Nichtsdestoweniger erschienen 1942 die gleichen Kostüme auch im Festzug zum ersten Jubiläum des Unabhängigen Staats Kroatien (Nezavisna Država Hrvatska) in Zagreb.7 Die erste öffentliche Begegnung zwischen der kommunistischen Regierung und Männer in alkarischenTrachten erfolgte jedoch schon im April 1945, bereits einige Wochen vor dem Kriegsende. Die Praxis der Herrschaftsinszenierung durch die altertümlichen Kostüme und Waffen wurde ebenfalls in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konsequent durchgeführt. Das Interessante in diesem Verhältnis ist nicht nur, dass die Sinjska Alka, beziehungsweise die Kostüme der Alkaren und Knappen die Funktion der Herrschaftsinszenierung in ideologisch unterschiedlichen Regimen erfüllen, sondern auch, dass sich diese Regime in der Regel bemühen, einen klaren ideellen und politischen Bruch mit ihren Vorgängern hervorzuheben. Hier stellt sich die Frage, auf die sich die vorliegende Arbeit hauptsächlich am Beispiel der Umbrüche 1945 und 1990 konzentriert: Wie kommt es zustande, dass die Sinjska Alka die ideologisch widersprüchlichen politischen Absichten der Machthaber Zäsuren übergreifend symbolisch verkörpert und vermittelt? Oder, abstrakter formuliert: Warum und wie erhält sich eine kulturelle Inszenierung als ein Vehikel der Herrschaftsrepräsentanz trotz aller Herrschaftsdiskontinuitäten und ideologischer Umbrüche? Diese zentrale Frage wird anhand der drei im Folgenden dargestellten Hypothesen analysiert. Die Sinjska Alka als principle-agent Arrangement Die erste Hypothese geht davon aus, dass jede Herrschaftsform, unabhängig von ihrer ideologischen Prägung auf einen Pakt mit den sozialen Eliten angewiesen ist. Dalmatien und Südosteuropa stellen dabei keine Ausnahme dar,8 die Herrschaftsverhältnisse standen hier oft in einer besonderes personalisierten Tradition, die eine Kombination von charismatischen Elementen und patrimonialen Komponenten darstellte.9 Trotz der gesellschaftlichen und 6 Ivo Dalbello: Festzug 1908. In: Sinj. Pogled u stvaranje jednog grada, Sinj, 2012, S. 36-43. 7 Veličanstveni mimohod pred poglavnikom. In: Hrvatski narod, 11. April 1942, S. 7. 8 Vgl. für Patron-Klientelverhältnisse in Südosteuropa im 19. Jahrhundert etwas: Hannes Grandits: Herrschaft und Loyalität in der spätosmanischen Gesellschaft, Wien/Köln/Weimar, 2008. 9 Živojinović, Marc: Die Sichtbarkeit der Macht. Visualisierung von Herrschaft im sozialistischen

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Einleitung

sozialen Umbrüche blieb Klientelismus laut Marc Živojinović „ein grundlegendes wenn auch nicht intendiertes Organisationsprinzip des jugoslawischen Staates auch nach 1945“.10 Der französische Anthropologe Marc Abélès erkennt Klientelismus im gesamten MittelmeerRaum als ein wichtiges und beständiges Element der politischen Kultur. Daraus schließt Abélès, dass Klientelismus nicht als Exzess, sondern als Bestandteil der Herrschaftspraxis betrachtet werden sollte.11 Dieser Ansatz lässt sich gut auf die sozialen und institutionellen Verknüpfungen zwischen den Machthabern und den führenden Ritualteilnehmern in Sinj anwenden. Im Einklang damit wird die kontinuierliche politische Relevanz der Sinjska Alka als Abbildung eines principle-agent Arrangements zwischen der jeweiligen Regierung und den Traditionsträgern der Sinjska Alka gedeutet.12 Die bisherige Forschung legt nahe, dass die Sinjska Alka im 18. Jahrhundert eine jährlich stattfindende Zeremonie der gegenseitigen Anerkennung zwischen der Venezianischen Verwaltung, Grenzfestungssoldaten und den Dorfschulzen (seoski glavari) aus der Umgebung war.13 Die feierliche Bündnisbestätigung wurde im Laufe der Zeit zunehmend um symbolische Ausdrücke der herrschenden Ideologie ergänzt und hierdurch als principle-agent Arrangement zwischen der Staatsmacht und der lokalen Elite über ihren ursprünglichen Militärzweck hinaus gefestigt. Die erhaltene Korrespondenz zwischen den Alkaren und der österreichischen bzw. französischen Verwaltung in Zara (Zadar) zeigt, dass die herrschaftslegitimatorische Funktion der Sinjska Alka sowohl den staatlichen als auch den lokalen Entscheidungsträgern schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts bewusst war.14 In einem Brief an den Generalgouverneur der Illyrischen Provinzen von 1811 bitten die Alkaren um finanzielle Unterstützung zur Abhaltung des Turniers, mit dem Hinweis darauf, dass die Fortführung auch für die Popularisierung der Herrschaft nützlich wäre.15 Dementsprechend lässt sich der Alkarenverein als eine langdauernde Interessengruppe und gleichzeitig als Agentur der Herrschaftsrepräsentanz einordnen. Ausgehend davon, dass das Konsolidierungspotential einer Zentralmacht in erheblichem Ausmaß von der Integration vorhergehender Strukturen und Institutionen abhängig ist, lässt sich ein nominelles Interesse jeder Herrschaft vermuten, ein vorhandenes Legitimationsvehikel zu erhalten und für die eigenen Ziele zu verwenden. Wie Marc Živojinović in seinem Beitrag über Visualisierung von Herrschaft im sozialistischen Jugoslawien bemerkt, erhofften sich die Regime in der Region, unabhängig von ihrer ideologischen Prägung „eine erfolgreiche Anbindung an präexistente Muster der Legitimität“.16 Aufgrund der lokalen Popularität des Fests erkannte und erkennt jede politische Macht eine Legitimations- und Repräsen-

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Jugoslawien. In: Grigore, Mihai-D; Dinu, Radu Harald; Živojinović, Marc (Hg.): Herrschaft in Südosteuropa. Kultur- und sozialwissenschaftliche Perspektiven, Göttingen, 2012, S.155-174, hier: S. 155-156. Ebd., S. 156-157. Marc Abélès: Antropologija države, Beograd, 2001. Die von der ökonomischen Analyse der Versicherung inspirierte politikwissenschaftliche Principal Agententheorie fokussiert die asymetrischen politischen und sozialen Verhältnisse, zumal die Interdependenz zwischen den Anreizen und Aktionen im Interesse des Auftraggebers. Vgl. Miller, GJ: The political evolution of principle-agent models. In: Annual Review of Political Science Vol. 8, Washington, 2005, S. 203-225. Vgl. Originaldokumente bei Jurić, 1988, S. 5-21. Ebd. Vgl. Originaldokumente bei Jurić, 1988, S. 5-21. Marc Živojinović: Die Sichtbarkeit der Macht. Visualisierung von Herrschaft im sozialistischen

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Forschungsgegenstand

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tationsbühne in der Sinjska Alka, begreift sie als ein passendes Vehikel für die eigenen politischen Botschaften und bemüht sich, das Arrangement herzustellen bzw. zu erhalten. Laut Klaus Roth sind Feste und Feiern in der Regel „[…] Ausdruck und Manifestation lokaler, religiöser und ethnischer Identitäten und [hatten und haben] damit hohe politische Bedeutsamkeit“.17 Gerade in der scheinbar unpolitischen Form eines Festes lassen sich, so Krijn Thijs, „[…] politische Werte, Muster und Aussagen von großer Relevanz vermitteln – emotionale Bindungen, Freund-Feind-Bilder, Gemeinschaftserfahrungen und die Verortung in der Geschichte“.18 Jede Herrschaft ist eine Kommunikationsform und wird in legitimierenden und symbolischen Kodierungen gefasst.19 Eine sich daraus ableitende symbolische Politik ist daher ein wichtiges Politikfeld, weil es zur Integration und zur Organisation von Gesellschaften beiträgt.20 Da Rituale unter anderem eine sinnstiftende und eine integrative Funktion erfüllen, werden sie häufig gezielt „[…] zur Legitimation real-existierender politischer Machtverhältnisse sowie der Akkumulation ökonomischen und symbolischen Kapitals eingesetzt“.21 Andererseits bemühen sich die lokalen Akteure ebenfalls darum, das Arrangement mit dem Staat nach den Zäsuren und Brüchen immer wieder herzustellen bzw. fortzusetzen. Dabei passen sie sich, aus persönlicher Überzeugung oder auch aus rein pragmatischen Gründen, den von den Machthabern vorgegebenen Rahmen kontinuierlich an und strukturieren die kulturelle Inszenierung im Einklang mit der proklamierten Ideologie. Durch die Anpassung an die Ideologie der Machthaber erhalten sie die Attraktivität einer sozialen Institution, deren Weiterbestehen stark von staatlicher Förderung abhängt. Die Projekte eines regionalen Pferdezucht-Zentrums, des Museums der Sinjska Alka oder der Restaurierung von Kostümen und alten Waffen hätte der Alkarenverein ohne staatliche Hilfe nur schwerlich umsetzen können. Für den Erhalt ihrer Tradition sind die Traditionsträger daher gleichzeitig als Individuen, Vereinsmitglieder und Einwohner der lokalen Gemeinde auf die Kooperation bzw. das Arrangement mit der Zentralmacht angewiesen. Die lang bestehende Verknüpfung zwischen der Staatsmacht und der Sinjska Alka lässt sich am besten am Beispiel der Funktion des alkarischen Anführers (Vodja oder Vojvoda) nachvollziehen. Laut Šime Jurić wurde die führende Position in der alkarischen Hierarchie während der venezianischen Verwaltung in Sinj in der Regel vom Garnisonskommandanten (Colonello) besetzt. In den späteren Phasen konnten auch Zivilisten den angesehenen Posten erhalten, dennoch hat sich die Vermittlungsaufgabe des Anführers gegenüber der Zentral-

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Jugoslawien. In: Grigore, Mihai-D; Dinu, Radu Harald; Živojinović, Marc (Hg.): Herrschaft in Südosteuropa. Kultur- und sozialwissenschaftliche Perspektiven, Göttingen, Jahreszahl? S.155-174, hier: S. 160. Klaus Roth: Vorwort. In: Klaus Roth (Hg.): Feste, Feiern, Rituale im östlichen Europa, Münster, 2009, S. 10. Krin Thijs: Party, Pomp und Propaganda. Die Berliner Stadtjubiläen 1937 und 1987, Berlin, 2012, S. 8. Grigore, Mihai-D; Dinu, Radu Harald; Živojinović, Marc: Herrschaft (nicht) beherrschen: Zentrale Begriffe und area studies. In: Grigore, Mihai-D; Dinu, Radu Harald; Živojinović, Marc (Hg): Herrschaft in Südosteuropa. Kultur- und sozialwissenschaftliche Perspektiven, Göttingen, 2012, S. 7-21, hier: S. 14-15. Heidi Hein: Historische Mythosforschung: http://epub.ub.uni-muenchen.de/639/1/hein-mythosforschung.pdf, 2005, S. 4, (Letzter Zugriff: 25. Juni 2013). Yves Bizeul: Theorien der politischen Mythen und Rituale. In: Yves Bizeul (Hg.): Politische Mythen und Rituale in Deutschland, Frankreich und Polen, Berlin, 2000, S. 15-39, hier: S. 25.

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macht damit nicht verändert. In der vorliegenden Arbeit wird daher den Einzelpersonen besondere Aufmerksamkeit gewidmet, die einen erkennbaren Beitrag zur Fortsetzung und weiteren Festigung der Verknüpfungen zwischen Sinjska Alka und der politischen Macht leisteten. Die Sinjska Alka als Privileg des lokalen Verwaltungsstabs Die zweite Hypothese geht davon aus, dass die Zusammensetzung der Traditionsträger politisch determiniert wird. Während die erste Hypothese eine von der politischen Herrschaft autonome soziale Dynamik innerhalb des Alkarenvereins vermutet, stellt die zweite Hypothese ihren Gegensatz dar. Die Sinjska Alka wird dabei als Begegnungsort zwischen der Zentralmacht und ihrem lokalen Verwaltungsstab betrachtet. Da die soziale Zusammensetzung der Traditionsträger veränderbar ist, behält die Sinjska Alka demnach ihre Zäsuren übergreifende Relevanz, weil sie immer ein Privileg der Individuen bleibt, die durch die anderen Wege mit dem Zentralstaat verbunden sind. Durch das Verleihen lokal prestigeträchtiger Position in der alkarischen Hierarchie belohnt die Zentralmacht ihre Verbündeten, sichert das Fortbestehen ihrer Loyalität und gleichzeitig arrangiert sie die Personen aus dem eigenen Verwaltungsstab als lokale soziale Elite. Das exklusive Teilnahmerecht an der Sinjska Alka haben ausschließlich jene Männer, die in Sinj oder in einigen Dörfern in der unmittelbaren Umgebung geboren wurden. Allerdings erhalten nach geltenden Regeln nur elf bis siebzehn von ihnen einmal im Jahr die Möglichkeit, als Teilnehmer des populären Turniers vor tausenden Zuschauern anzutreten.22 Die Auswahlkriterien waren dabei auch in der neueren Vergangenheit nicht immer ihr Reiterkönnen und ihre Handfertigkeit. Die endgültige Entscheidung über die Teilnahme am Wettbewerb wird eine Woche vor Beginn vom alkarischen Anführer (Vodja alkara bzw. Alkarski vojvoda) und vom Befehlshaber der Alkarentruppe (Alajčauš) getroffen. Die Konkurrenz unter den Bewerbern ist immer groß, denn ein Sieg bei diesem Turnier bringt um einiges mehr als „nur“ den Geldpreis im Gegenwert von einigen durchschnittlichen Monatslöhnen. Bereits die Teilnahme am Wettbewerb verleiht ein lokales Prestige, das bei einem Sieg noch einmal erheblich vergrößert wird. Ein Alkar, der beim Wettbewerb triumphiert, gilt danach sein Leben lang als „Ruhmgewinner“ (Slavodobitnik) und wird gelegentlich so angesprochen. Durch den Fokus auf die führenden Traditionsträger werden gleichzeitig die sozialen Verhältnisse und Dynamiken auf der Mikroebene unter die Lupe gestellt. Die bereits erwähnte Funktion des alkarischen Anführers verweist auf die Existenz von parallelen, zumeist schon früher hergestellten formellen und informellen Verknüpfungen zwischen den führenden Traditionsträgern und der Staatsmacht. Dabei stellt sich eine Reihe von Fragen: Erstens, ob und wie sich die Funktionen im traditionellen Ritual mit den gesellschaftlichen und politischen Rollen der einzelnen Akteure verflechten, bzw. was die Entscheidungsträger im Alkarenverein mit dem Staatsapparat über die Teilnahme am Ritual hinaus verbindet. Hinsichtlich der Umbrüche stellt sich die Frage, inwieweit die Sinjska Alka Zäsuren übergreifend von den gleichen Akteuren vorgeführt wird. Handelt es sich in der Sinjska Alka um eine den Umbruch begleitende Herstellung des Arrangements der neuen Zentralmacht mit den alten Traditionsträgern oder wird die Sinjska Alka nach jedem Umbruch vom Verwaltungsstab der neuen Regierung zusammen mit anderen sozialen Privilegien übernommen? Bezüglich der „alten“ 22 Der Auftritt in der Alkarentruppe verleiht auch heutzutage ein größeres Prestige als der Auftritt in der Knappentruppe.

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Traditionsträger stellt sich die Frage, wie sie ihre soziale Position im Umbruchskontext erhalten. Was die neuen Traditionsträger angeht, wird untersucht, aus welcher sozialen oder politischen Gruppe sie sich rekrutieren, bzw. wie ihr Teilnahmerecht gerechtfertigt wird. Die Sinjska Alka als symbolische Abbildung der herrschenden Ordnung Die dritte Hypothese geht davon aus, dass die ideologischen Umdeutungen der kulturellen Inszenierung eine conditio sine qua non der Zäsur übergreifenden politischen Relevanz der Sinjska Alka darstellen, wobei gerade die symbolische Tauglichkeit der kulturellen Inszenierung das wertwollste Verhandlungskapital der Traditionsträger gegenüber jeder Zentralmacht ist. Die politische Realität wird hauptsächlich durch Rituale definiert und infolgedessen werden menschliche Überzeugungen durch Rituale immer neu bestätigt.23 Dadurch erhält auch die Sinjska Alka ihre konstante Relevanz als realitätsstrukturierendes Orientierungsbild sowie Multiplikator der herrschenden Ideologie und Machtverhältnisse. Im Fokus der diskurszentrierten Analyse steht die Frage, wie die Sinjska Alka oder ihre Einzelelemente gedeutet und umgedeutet werden, um sie als Medium der Herrschaftsrepräsentanz erhalten zu können. Darüber hinaus wird untersucht, welche ideologischen und alltagspolitischen Botschaften durch das Ritual vermittelt und welche Vergangenheitsdeutungen und politischen Mythen dadurch inszeniert werden. Auch wird analysiert, wie die Schlacht von 1715 gedeutet wird, um die herrschaftslegitimatorische Funktion des Rituals zu gewährleisten. Die Sinjer Schlacht von 1715 ist ein historisches Ereignis, ihre öffentlichen Deutungen hingegen sind ein Mythos. Der Begriff „Politischer Mythos“ bezeichnet laut Herfried Münkler die Großerzählungen, „[…] die für politisch konkretisierende Ausdeutungen offen sind, zugleich aber auch die Perzeption politischer Konstellationen und Entwicklungen steuern".24 Ein Geschehen aus dem 18. Jahrhundert repräsentiert dabei das Kernelement der sinnstiftenden Erzählungen, die Unbekanntes – in diesem Fall den Grund des plötzlichen Rückzugs der osmanischen Truppen – mit Bekanntem erklären wollen. Als Wahrnehmungsfilter, Geschichtsinterpunktion und Sakralisierung kollektiver Erinnerung und Erwartung sind politische Mythen „wichtige Instanzen politischer Enkulturationen“.25 Durch seine sinnstiftende Erzählung erhält ein Mythos eine politisch-soziale Orientierungsfunktion und verkörpert daher ein zentrales Mittel zur Kommunikation sowie zur Mobilisierung von Massen.26 Die Interdependenz zwischen Vergangenheitsdeutung und politischer Macht stellt spätestens seit den 1980er Jahren eine der Hauptinteressen unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen dar. Die öffentliche Thematisierung der Vergangenheit wird dabei als Geschichtspolitik, Erinnerungskultur, Erfindung der Tradition, Politik mit Symbolen oder Mythosforschung verstanden, bezeichnet und analysiert. Trotz der unterschiedlichen begrifflichen Einordnungen sind 23 David I. Kertzer: Ritual, Politik, Macht. In: Andrea Belliger, David J. Krieger (Hg.): Ritualtheorien, Wiesbaden, 2006. S.361-386, hier: S 380ff. 24 Herfried Münkler: Politischer Mythos. In: Dieter Nohlen, Rainer Olaf Schultze (Hg.): Lexikon der Politikwissenschaft, München, 2005, S. 774-776. 25 Yves Bizeul: Vorwort. In: Yves Bizeul (Hg.): Politische Mythen und Rituale in Deutschland, Frankreich und Polen, Berlin, 2000, S. 15-39, hier: S.19. 26 Heidi Hein: Historische Mythosforschung. http://epub.ub.uni-muenchen.de/639/1/hein-mythosforschung.pdf; 2005, S. 6, (Letzter Zugriff: 25. Juni 2013).

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sich die Forscher darin einig, dass die Besetzung zentraler Begriffe und Schlagworte aus der Vergangenheit mit bestimmten Inhalten nicht nur bestimmte Geschichtsbilder schafft, sondern auch politische Macht verleiht. Die öffentliche Thematisierung der Vergangenheit spiegelt demnach politische Interessen wider, die mit Hilfe geschichtspolitischer (Um)Deutungen durchgesetzt werden sollten. Rituale und Mythen sind dabei meist eng miteinander verknüpft. Ernst Cassierer beschrieb den Mythos als episches und den Ritus als dramatisches Element, als „zwei Seiten einer Medaille“. 27 Laut Claude Rivière macht ein Mythos das Ritual glaubhaft und legitimiert es, da er ihm Signifikate zuweist. Gleichzeitig werde ein Mythos durch ein Ritual konkretisiert und vergegenwärtigt. Die Relevanz eines Mythos, der sich sowohl auf geschichtliche Erinnerungen als auch auf die Zukunftserwartungen richten kann, resultiere immer aus seiner Bedeutsamkeit für die Gegenwart. Ein politischer Mythos als Produkt bestimmter politischer Vorstellungen sei durch seine semantische Struktur wandelbar, so dass er immer neue Deutungsperspektiven in veränderten gesellschaftlichen Kontexten ermögliche.28 Politik wird unter anderem auch durch Symbolik gemacht. Daher ist es, um den politischen Prozess zu verstehen, notwendig zu sehen, „[…] wie das Symbolische in die Politik eindringt, wie politische Akteure bewusst und unbewusst Symbole manipulieren und wie diese symbolische Dimension mit materiellen Grundlagen politischer Macht im Zusammenhang steht“.29 Die kontinuierliche Präsenz von Vertretern politischer Macht bei dem jährlich stattfindenden Fest sowie die Zäsuren übergreifende staatliche Förderung dieser Veranstaltung verweisen auf die langdauernde politische Funktion der Sinjska Alka als (zumindest) lokal bedeutsame Bühne der Herrschaftslegitimation, die im Laufe der Zeit zunehmend translokalisiert wurde. Die drei hier kurz skizzierten Hypothesen bieten dabei einen Ausgangspunkt für die Analyse der Frage, aus welchem Grund und auf welche Weise sich eine kulturelle Inszenierung oder ihre Einzelelemente dauerhaft als Medium der Herrschaftsrepräsentanz erhalten.

Forschungsstand Die ideologisch motivierten Adaptionen der Sinjska Alka wurden von Forschern bis ins 21. Jahrhundert überwiegend ignoriert. Als wichtigste Ausnahme lassen sich die kalendarischen Verschiebungen des Rituals hervorheben, die bisher in mehreren Publikationen erwähnt wurden. Einige weitere Veränderungen wurden von Journalisten erkannt und für kurze Zeit in den Fokus der Öffentlichkeit gebracht, danach aber in der Regel schnell vergessen. Viele Autoren sowie die Traditionsträger selbst hielten bzw. halten diese Veränderungen zumeist für trivial und irrelevant, zumindest solange sie, ihrer Meinung nach, nicht zum Ansehen der Sinjska Alka beitragen. Unter den bisherigen Publikationen zur Geschichte des Politischen in der Sinjska Alka stellt die Dokumentensammlung „Dokumenti i književna građa o Sinjskoj alki“ von Šime 27 Yves Bizuel: Theorien der politischen Mythen und Rituale. In: Yves Bizeul (Hg.): Politische Mythen und Rituale in Deutschland, Frankreich und Polen, Berlin, 2000, S. 15-39, hier: S. 19. 28 Ebd. 29 David I. Kertzer: Ritual, Politik, Macht. In: Andrea Belliger, David J. Krieger (Hg.): Ritualtheorien, Wiesbaden, 2006. S. 361-386, hier: S. 364.

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Jurić einen wichtigen Ausgangspunkt für weitere Analysen und Interpretationen dar.30 In seinem Buch sammelte Jurić zahlreiche Briefe, Protokolle und Statuten des Alkaren-Vereins aus den Archivbeständen in Sinj und Zadar. Abgesehen von einigen Bemerkungen verzichtete er jedoch weitgehend auf die Analyse und Auswertung der Quellen, die auf die langjährige politische Bedeutung des Ringreitens in Sinj verweisen. Einen ebenfalls wichtigen Beitrag zur Erforschung der politischen Geschichte der Sinjska Alka stellt das Ende 2014 erschienene Werk von Ivan Kozlica namens „Alka u politici, politika u Alci“ dar.31 Der lokal angebundene Historiker, der auch langjähriges Mitglied des Alkarenvereins ist, lieferte ein in doppelter Hinsicht interessantes Buch. Zum einem präsentierte er zahlreiche unbekannte Fakten aus der Geschichte der Sinjska Alka, die er durch den unbegrenzten Zugang zum Alkarenarchiv sowie die Gespräche mit zahlreichen Zeitzeugen minutiös rekonstruierte. Zum anderen sorgte er durch die normative weltanschauliche Prägung seines Werkes für eine interessante Abbildung der zeitgenössischen Geschichts- und Erinnerungskultur in und um den Alkarenverein. Jedenfalls steht fest, dass das Werk von Kozlica eine unumgängliche Quelle für alle zukünftigen Erforschungen der Sinjska Alka darstellen wird. Ich habe mich allerdings gegen die nachträgliche Einbeziehung seiner Forschungsergebnisse in die vorliegende Arbeit entschieden. Entsprechend der integralen Form der Ende 2014 fertiggestellten Dissertation aus der das vorliegende Buch entstanden ist,32 wird Ivan Kozlica ausschließlich anhand seiner Angaben während unseres Gesprächs, das im Dezember 2013 in Zagreb stattfand, an einigen Stellen erwähnt. Was die anderen Autoren angeht, könnte man den Artikel des Historikers Nikica Barić über die Unruhen während der Sinjska Alka im Jahre 1935 als bisher einzigen historiographisch fundierten Beitrag mit explizitem Fokus auf der politischen Geschichte der Sinjska Alka erwähnen.33 Das konkrete Ereignis setzte der Autor in den innenpolitischen Kontext der jugoslawischen Monarchie, präsentierte aber gleichzeitig die politische Relevanz des lokalen Festes auf der Mikroebene. Dennoch sollte man die 2014 veröffentlichte Studie von Michaela Schäuble „Narrating Victimhood. Gender, Religion and the Making of Place in Post-War Croatia“ ebenfalls als ein wichtiges Werk zur politischen Geschichte der Sinjska Alka betrachten, wenngleich die Sinjska Alka nicht im Titel Erwähnung findet.34 Zwar stellt das Jahresfest nur eines der empirisch untersuchten Phänomene in der umfassenden politischanthropologischen Studie des Cetiner Landes dar, doch betrat die Autorin gerade durch die Kontextualisierung der Sinjska Alka wissenschaftliches Neuland. Schäuble analysierte die Erzählung und die Inszenierung des Opfertums in Kroatien seit den 1990er Jahren und betrachtete dabei auch die Rolle der Traditionsträger der Sinjska Alka in dem Prozess. Den zeitlichen Schwerpunkt legte die Autorin auf die öffentlichen Proteste gegen die „Kriminalisierung des Heimatländischen Kriegs“ in Kroatien zu Beginn des 21. Jahrhunderts, an dem sich auch die Alkaren und Knappen beteiligten. 30 Šime Jurić: Dokumenti i književna građa o Sinjskoj alki, Split, 1988. 31 Ivan Kozlica: Alka u politici, politika u Alki. Sinjska alka i ratovi dvadesetog stoljeća, Trilj, 2014. 32 Die Dissertation habe ich während des Promotionsstudiums am Lehrstuhl für Südosteuropäische Geschichte an der Humboldt Universität zu Berlin zwischen 2010 und 2015 geschrieben. 33 Nikica Barić: Neredi na Sinjskoj alci 1935. godine. In: Časopis za suvremenu povijest, Jg. 38, Nr. 3, 2007, S. 939-953. 34 Michaela Schäuble: Narrating Victimhood. Gender, Religion and the Making of Place in post-war Croatia. New York/Oxford, 2014.

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Der Rolle der Alkaren in den Protesten gegen die Gerichtsprozesse, während derer einzelne Offiziere der kroatischen Armee für Verbrechen im sog. Heimatländischen Krieg (19911995) angeklagt wurden, widmete die Ethnologin Ana-Marija Vukušić in ihrer Forschung zur Sinjska Alka ebenfalls viel Aufmerksamkeit. Im Unterschied zu Schäuble setzte sie den Schwerpunkt in ihren Texten auf die Resemantisierung des Begriffs „Rittertum“ und das soziale Gedächtnis der Teilnehmer der Sinjska Alka sowie ihrer Familienmitglieder.35 Außerdem thematisierte Vukušić in einem Artikel die bisherigen Publikationen über die Sinjska Alka und ihre Anwendbarkeit in der ethnologischen Forschung.36 In ihrer Monographie „U sridu: sjećanje, pamćenje i život Alke“ thematisiert sie am Rande die langjährige Verflechtung zwischen der Sinjska Alka und der politischen Macht, legte den Fokus jedoch insbesondere auf die Narrationen der Traditionsträger.37 In seiner Monographie über die politische Aneignung des Hajduken-Kults erwähnte Ivo Žanić die Alkaren aus Sinj im Kontext der kostümierten Inszenierungen der kroatischen Militärtradition zu Beginn der 1990er Jahre.38 Mit der zeitgenössischen politischen Funktion von frühmodernen Spielen einschließlich der Sinjska Alka beschäftigte sich ebenso die Ethnologin Dunja Rihtman-Auguštin in einem kürzeren Essay.39 In diesem sowie in einigen anderen Texten verwies sie auf die bis Ende des 20. Jahrhunderts in der kroatischen Ethnologie weitgehend ignorierten Verknüpfungen zwischen der traditionellen Kultur und der zeitgenössischen Politik. Seit der Jahrtausendwende entstanden mehrere politisch-anthropologische Studien, in denen am Rande zwar auch die Sinjska Alka erwähnt, der Fokus jedoch auf andere kulturelle Inszenierungen gesetzt wurde.40 Abgesehen von den erwähnten Arbeiten wurden die politischen Aspekte der Sinjska Alka meistens von anderen Schwerpunkten überschattet. Als klassisches Werk und häufig zitierte Quelle in Forschungen über die Sinjska Alka gilt die umfassende Studie des österreichischen Ethnologen Leopold Kretzenbacher „Ringreiten, Rolandspiel und Kufenstechen. Sportliches Reiterbrauchtum von heute als Erbe aus abendländischer Kulturgeschichte“ aus den 1960er Jahren, in der auch das Ringreiten von Sinj dargestellt wurde.41 Einige interessante Informationen hinsichtlich der Fortsetzung der Sinjska Alka nach 1945 erwähnte Marinko Perić am

35 Ana Marija Vukušić: Transformacija pojma viteštva u Sinjskoj aki. In: Etnološka tribina 25, Vol. 32, Zagreb, 2002, S. 9-26; Ana Marija Vukušić: Suvremenost, tradicija i sjećanje: Sinjska alka. In: Narodna umjetnost 42/2, Zagreb, 2005, S. 93-108; Ana Marija Vukušić: U sridu: sjećanje, pamćenje i život Alke, Zagreb, 2013. 36 Ana Marija Vukušić: Zapisi o Sinjskoj alki i njihova primjenjivost u etnološkom istraživanju. In: Studia ethnologica Croatica, Vol. 19, Zagreb, 2007, S. 223-243. 37 Ana Marija Vukušić: U sridu: sjećanje, pamćenje i život Alke, Zagreb, 2013. 38 Ivo Žanić: Flag on the Mountain. A Political Anthropology of the War in Croatia and Bosnia-Herzegovina 1990-1995, London, 2007, S. 470-475. 39 Dunja Rihtman-Auguštin: Igre ili postrojbe? In: Ulice moga grada, Beograd, 2001, S. 257-264. 40 Siehe beispielsweise: Jadran Kale: Procesi autentificiranja prošlosti na kostimiranim povijesnim inscenacijama, In: Acta Ladertina 5/2008, S. 67-91.; Zorica Vitez: Legenda o picokima u svijetlu globalne i nacionalne (kulturne) politike. In: Narodna umjetnost 44/2, 2007, S. 11-25. 41 Leopold Kretzenbacher: Ringreiten, Rolandspiel und Kufenstechen. Sportliches Reiterbrauchtum von heute als Erbe aus abendländischer Kulturgeschichte, Klagenfurt, 1966, S. 66-81.

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Methoden und Quellen

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Rande seiner Publikation über den Zweiten Weltkrieg im Cetiner Land sowie in der Monographie über die Geschichte des Sports in Sinj und Umgebung.42 Der Tierarzt und ehemalige Alkar Stipe Šimundža analysierte in seiner Magisterarbeit die Pferderassen im traditionellen Spiel und dadurch indirekt auch die politische Geschichte der Sinjska Alka.43 Ein durchaus politisches Ereignis – die Beteiligung der Alkaren am Kaiser-Huldigungsfestzug in Wien 1908 – unternahm das langjährige Mitglied des Alkarenvereins Ivo Dalbello in einem Artikel einer näheren Betrachtung, konzentrierte sich jedoch vor allem auf die damaligen Reisebedingungen.44 Unter den Publikationen über die Sinjska Alka haben die Bildbände, die auf einen breiten Publikumskreis zielen, die höchsten Auflagen.45 Wenngleich diese Publikationen zumeist bereits bekannte und sehr allgemeine Informationen über die Sinjska Alka beinhalten, stellen sie einen äußerst interessanten Forschungsgegenstand dar. Durch ihre normativ-ideologische Prägung verraten sie viel über den historischen Kontext ihrer Entstehung oder zumindest über die Weltanschauung ihrer Verfasser, die nicht selten versuchten, die Sinjska Alka ideologisch zu vereinnahmen.46 Aus den Texten und Fotografien ergeben sich einerseits die Kontinuitäten und Änderungen im ritualen Handeln. Andererseits manifestieren sie die unterschiedlichen Deutungen einer langdauernden, nahezu unveränderten kulturellen Inszenierung mit ausgeprägter Symbolik. Die politischen Ereignisse, die in einer Monographie mit Stolz hervorgehoben werden, werden demnach in der nächsten Publikation häufig vollkommen ausgeblendet und durch ganz andere Inhalte und Deutungen ersetzt. Die Monographien bieten somit einen äußerst wertvollen Ausgangspunkt für die Erforschung des Politischen in der Sinjska Alka und stellen ohnehin wichtige Primärquellen dar.

Methoden und Quellen Meine selbst durchgeführten Interviews mit den Ritualteilnehmern haben sich grundsätzlich als eine eher beschränkt geeignete Methode für die Rekonstruktion der politischen Geschichte von der Sinjska Alka und anderen Ritualen erwiesen. Obwohl sich manche der unmittelbaren Traditionsträger gerne dazu bereit erklärten, Auskunft zu geben, konnten nur wenige Fragen durch diese Zeitzeugeninterviews befriedigend beantwortet werden. Die Vergangenheit wurde in der Regel als eine Kombination des kollektiven Gedächtnisses und der individuellen Weltanschauung interpretiert, wobei die individuellen Erinnerungen an die ursprünglichen Ereignisse nicht von den späteren Nacherzählungen zu trennen waren. Als besonders kompliziert haben sich politisch umstrittene Fragen hinsichtlich der neusten Vergangenheit erwiesen, die von allen Gesprächspartnern diskret umgangen worden sind. Neben der verständlichen Hemmung, sich 42 Marinko Perić: Sinj i Cetinska krajina u borbi za slobodu, Sinj, 1974; Marinko Perić: Povijest sporta Cetinske krajine, Sinj, 1989. 43 Stipe Šimundža: Osobitosti konja za alkarsko konjičko natjecanje, Zagreb, 2012, unveröffentliche Magisterarbeit. 44 Ivo Dalbello: Festzug 1908. In: Sinj. Pogled u stvaranje jednog grada, Sinj, 2012, S. 36-43. 45 Šime Jurić: Sinjska alka. Informativni vodič po Cetinskoj krajini, Zagreb, 1965; Jurić, Dušan (Hg.): The Alka Tournament of Sinj. Beograd, 1987; Boris Ljubičić: Alka, Split, 2001. 46 Ivan Marković: Sinj i njegovo slavlje [1898], Sinj, 1998; Josip, Boko: Alkari na kraljevoj svadbi, Split, 1922; Petar Vučić: Hrvatski duh Alke, Zagreb, 1998.

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Einleitung

über strittige Themen in einem Interview zu äußern, waren manche Fragen sicherlich zu detailliert und vorher von den Gesprächspartnern nicht als relevant wahrgenommen worden. Und schließlich endeten viele Gespräche in Sinj bereits nach zwei bis drei Fragen mit dem Hinweis darauf, dass Herr Ivo Dalbello, alle Fragen in Bezug auf die Sinjska Alka sicherlich besser würde beantworten können. Ivo Dalbello ist bereits seit Beginn der 1950er Jahre Mitglied im Alkarenverein und beteiligte sich während der letzten 60 Jahre unter anderem als Moderator, Vereinssekretär oder Mitglied des Alkarischen Ehrengerichtes in der Sinjska Alka. Das Spannende ist, dass Ivo Dalbello nicht nur Zeitzeuge ist, sondern sich auch als Hobby-Historiker mit der Vergangenheit der Sinjska Alka beschäftigt. Die strukturierten und semistrukturierten Interviews mit Ivo Dalbello stellten eine äußerst wichtige Ausnahme von den insgesamt eher wenig ergiebigen Zeitzeugengesprächen dar und waren eine erhebliche Hilfe in der Recherche. Neben den Interviews mit Ivo Dalbello und den vorher genannten Publikationen über die Sinjska Alka haben sich insbesondere Zeitungsartikel als hilfreiche Quellen für die Rekonstruktion der Geschichte des Politischen in der Sinjska Alka erwiesen. Eine beachtliche Menge an Zeitungsartikeln aus dem ganzen 20. Jahrhundert ist Teil des unsortierten Archivbestands des Alkarenvereins in Sinj. Eine weitere wichtige Sammlung von Zeitungsartikeln mit thematischem Bezug zur Sinjska Alka stellt die Sammlung von Vjesnik (1962-2006) im Kroatischen Staatsarchiv in Zagreb dar. Darüber hinaus stammen viele Informationen aus den lokalen bzw. regionalen Zeitungen Alkar (1965-1981) und Vjesnik Cetinske Krajine (1980-1990), deren gesamte Auflage in der Nationalen Universitätsbibliothek in Zagreb erhältlich ist. Über die erwähnten Sammlungen hinaus wurden die wichtigsten Episoden der Geschichte der Sinjska Alka im 20. Jahrhundert anhand weiterer in den Bibliothek- und Online-Archiven vorhandenen Zeitungen rekonstruiert. Die Zeitungsartikel über die Sinjska Alka, die seit Anfang des 21. Jahrhunderts veröffentlicht wurden, sind meistens online zugänglich. Die Texte aus den in Kroatien meistgelesenen Zeitungen und Internet-Portalen wurden dabei mit lokalen Medienquellen kombiniert: dem Online-Portal Ferata und der Zeitung Sinjske novine. Eine weitere Quelle für die Rekonstruktion der politischen Geschichte der Sinjska Alka stellen Fotografien, Postkarten und Werbeplakate dar, die vor allem im Archiv des Alkarenvereins sowie des örtlichen Museums Muzej Cetinske Krajine in Sinj zugänglich sind. Darüber hinaus ist die große Sammlung AG FOTO im Kroatischen Staatsarchiv in Zagreb von Bedeutung, in der viele öffentliche Auftritte der Alkaren und Knappen zwischen 1945 und 1979 dokumentiert sind. Die Begegnungen zwischen dem jugoslawischen Präsidenten Tito und den Traditionsträgern während der 1960er und 1970er Jahre sind hingegen im onlineArchiv des Geschichtsmuseums Jugoslawiens in Belgrad einsehbar.47 Eine weitere Informationsquelle bieten die bereits erwähnten Publikationen über die Sinjska Alka, insbesondere diejenigen, die auf einen breiten Publikumskreis zielten.48 Darüber hinaus lassen sich auf der öffentlichen Video-Plattform YouTube zahlreiche Videoaufnahmen von der Sinjska Alka und anderen Fallbeispiele finden. Im Zusammenhang mit allen anderen Quellen stellten sie ein 47 Vgl. Online-Archiv des Muzej Istorije Jugoslavije: http://foto.mij.rs/site/ (Letzter Zugriff: 9. Mai 2014). 48 Šime Jurić: Sinjska alka. Informativni vodič po Cetinskoj krajini, Zagreb, 1965; Jurić, Dušan (Hg.): The Alka Tournament of Sinj. Beograd, 1987; Boris Ljubičić: Alka, Split, 2001.

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Methoden und Quellen

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hilfreiches Mittel für die Analyse der politischen Symbolik, die der Sinjska Alka beigemessen wurde, dar. Der Fokus auf die in vielerlei Hinsicht unterschiedlichen Umbrüche 1945 und 1990 resultierete unter anderem in einem ungleichen Quellenkorpus bezüglich der beiden Perioden. Während die Archivbestände und Zeitungsartikel aus den 1940er Jahren im Allgemeinen recht wenig über die Sinjska Alka verraten und unterschiedliche Meinungen darin keinen Ausdruck fanden, bieten sich wesentlich mehr Informationen hinsichtlich des zweiten hier analysierten Umbruchs. Diese Gegebenheit spiegelt sich auch im Text wider. Das Quellenmanko hinsichtlich der Sinjska Alka konnte teilweise durch die Informationen über Kundgebungen, an denen sich die Alkaren beteiligten, ausgeglichen werden. Darüber hinaus wird die Sinjska Alka mit zwei weiteren Ritualen aus dem östlichen Adria-Raum asymmetrisch verglichen, in denen die performative Anwendung vormoderner bzw. frühmoderner Waffenstücke ebenfalls im Vordergrund steht. Angesichts des ritualen Handelns unterscheiden sich die Bokeljska Mornarica aus Kotor und die Moreška aus Korčula zwar erheblich von der Sinjska Alka, die Chronologie der öffentlichen Auftritte der Traditionsträger aus drei Städte Dalmatiens weist dennoch auf eine dauerhafte und ausgeprägte Funktion dieser Waffenrituale als Vehikel von Herrschaftsrepräsentanz hin. Darüber hinaus hatten alle drei Rituale erkennbare soziale und politische Funktionen bereits während der venezianischen Herrschaft in Dalmatien kanalisiert, die nach dem Untergang der Löwenrepublik 1797 auch unter der österreichischen Herrschaft und darüber hinaus fortgesetzt wurden. Im Einklang damit erkannten die Forscher bereits Ende des 19. Jahrhunderts die symbolischen Parallelen zwischen den drei unterschiedlichen Traditionen. „Außer dem Alkaspiel zu Sinj gibt es noch ein anderes Kampfspiel, welches bei Nationalfesten auf Curzola aufgeführt wird und den Namen Moreška führt“, schrieb man 1892 in Wien „zur Volkskunde“ in Dalmatien.49 „Es ist eine Art Ballet, zwei miteinander streitende Heere darstellend, ein christliches und ein mohammedanisches“, setzte der Autor die Beschreibung des „Volkslebens“ fort. Dabei stellte er fest, dass der Schwerttanz wahrscheinlich der Kampf der spanischen und maurischen Heere symbolisiert. Sein Aufkommen auf Korčula erklärte er dadurch, dass diese Insel „am häufigsten von Piraten aus Algier heimgesucht wurde, welche denn auch daselbst einmal aufs Haupt geschlagen wurden“. Die Darstellung des Schwerttanzes wurde mit Hinblick darauf beendet, dass „in früheren Zeiten sowohl die Curzolaner Moreška als die Sinjer Alka auch in anderen dalmatinischen Städten [gelangten]“.50

49 Alfred Hödler (Hg.): Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild. [Das Buch] Dalmatien. Wien, 1892, S. 166. 50 Ebd., S. 168.

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Abb 3:

Einleitung

Der Schwerttanz Moreška auf dem Zagreber Hauptplatz im Mai 1946, anlässlich des III. Kongresses der staatlichen Jugendorganisation. Der inszenierte Kampf der Schwerttänzer in roten und schwarzen Kostümen wurde in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre häufig auf den politischen Kundgebungen vorgeführt. Der Schwerttanz stellte eine zutreffende farbliche Abbildung des antifaschistischen Kampfes der jugoslawischen Kommunisten dar, was zu seiner raschen Popularisierung in der Nachkriegszeit beitrug. Im Gegensatz zur Moreška erreichte die Bokeljska Mornarica den Höhepunkt ihrer symbolpolitischen Relevanz erst während der 1970er Jahre als informelle Ehrengarde des jugoslawischen Präsidenten Tito. Im Januar 1973 trafen die Vertreter der Bokeljska Mornarica das Präsidentenpaar Broz im neueröffneten Hotel Miločer in Budva und überreichten dem Staatschef die Tracht des Ehrenadmirals (Počasni admiral). Quelle: Fotografie links: AG – FOTO, Album 188, 94-20, Kroatisches Staatsarchiv in Zagreb; Fotografie rechts: Tito – admiral Bokeljske mornarice. Kotor, 1986, S. 11.

Ein weiterer Vorteil der vergleichenden Analyse ergibt sich aus der daraus abgeleiteten Kontextualisierung des zentralen Fallbeispiels. Die Tatsache, dass Josip Broz Tito 1979 zum alkarischen Ehrenanführer (Počasni alkarski vojvoda) ernannt wurde, stellt zwar schon allein eine spannende Abbildung der spätsozialistischen politischen Kultur in Jugoslawien dar, dass Tito jedoch schon 1973 als Ehrenadmiral der Marine von Boka (Počasni admiral Bokeljske mornarice) ausgezeichnet worden war, wirft dennoch ein erheblich anderes Licht auf seine später erworbene Ehrenfunktion. Die asymmetrische vergleichende Analyse der Sinjska Alka mit anderen Waffenritualen sollte demnach nicht nur zum besseren Verständnis der Herrschaftslegitimation mittels kultureller Inszenierungen beitragen, sondern auch dem Leser helfen, die „subjektiven“ Realitäten der Akteure zu verstehen und die Menschen in ihren Handlungsmöglichkeiten besser zu begreifen. Die vorliegende Arbeit lässt sich hauptsächlich zwischen der politikwissenschaftlichen Legitimationsforschung und der historischen Anthropologie mit dem regionalen Schwerpunkt in Südosteuropa einordnen. Als langjähriges Vehikel politischer Legitimation stellt die Sinjska Alka eine Metapher der politischen Geschichte Dalmatiens im 20. Jahrhundert dar.

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Methoden und Quellen

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Darüber hinaus soll der Fokus auf der Sinjska Alka einen Einblick in die Geschichte Südosteuropas ermöglichen, ohne dabei den Schwerpunkt auf die üblichen Ereignisse und Strukturen zu legen. Als Metapher der sozialen und politischen Prozesse soll die Sinjska Alka, zusammen mit anderen Beispielen der symbolpolitischen Herrschaftslegitimation, die Regionalgeschichte Dalmatiens aus einem neuen Blickwinkel beleuchten. Die analytische und interpretatorische Verknüpfung der Mikrohistorie und der Makrostrukturen stellt ein grundlegendes Ziel der historischen Anthropologie dar. Dabei ist es laut Hannes Grandits und Karl Kaser wichtig, die rahmengebenden, historisch ergründbaren und über den gesellschaftlichen Vergleich relativierbaren Strukturen nicht aus den Augen zu verlieren, gleichzeitig aber die Menschen „als handelnde, kulturell, sozial und politisch geprägte Subjekte nicht zwischen oder hinter den Strukturen verschwinden zu lassen“.51 Dementsprechend geht es in der Arbeit nicht um die kritische Hinterfragung der einen oder anderen theoretisch fundierten Definition, sondern vielmehr darum – wie es Grigore, Dinu und Živojinović begreifen – die Prozesse, Akteure, und Handlungen „[…] in ihrer spezifisch südosteuropäischen kulturellen Polyvalenz, Flexibilität und Entwicklungsfähigkeit zu betrachten“.52 Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die Umbrüche von 1945 und 1990. Durch die Rekonstruktion der Umdeutungen und Adaptionen einer kulturellen Inszenierung werden die umbruchsbegleitenden Anpassungsleistungen als Element der regionalen Geschichte begriffen. Über die Kontinuitäten und Diskontinuitäten der Herrschaftspraxis mittels kultureller Inszenierung hinaus veranschaulichen die öffentlichen Auftritte der Traditionsträger gleichzeitig die unterschiedlichen Modernisierungsprozesse, die weitgehend unabhängig von ideologischen Umbrüchen stattfinden. Das zunehmende Interesse der Adria-Urlauber für die Sinjska Alka oder die erste Fernsehübertragung der Sinjska Alka 1965 sind dabei nicht nur Ausdruck einer lokalen Modernisierungsgeschichte, sondern stellen auch die Entwicklungsprozesse dar, die fast zeitgleich in mehreren Ländern Süd- und Osteuropas stattfanden. Da Herrschaft, Legitimation und Geschichtspolitik ebenfalls globale Phänomene darstellen, kann ihre Veranschaulichung anhand des spezifischen zeitlichen und regionalen Kontexts letztendlich auch für solche Leserinnen und Leser von Interesse sein, die sich bisher mit der Zeitgeschichte Dalmatiens und Südosteuropas überhaupt nicht beschäftigt haben. Gerade solche Leser werden womöglich Ähnlichkeiten und Unterschiede Dalmatiens mit anderen Regionen im Text erkennen und dadurch neue Fragen und Perspektiven für sich entdecken.

51 Hannes Grandits und Karl Kaser: Historische Anthropologie im südöstlichen Europa – Aufgaben, Methoden, Theorien, Themen. In: Karl Kaser, Siegfried Gruber, Robert Pichler (Hg.): Historische Anthropologie im südöstlichen Europa, Wien/Köln/Weimar, 2003, S. 13-39. 52 Mihai-D Grigore, Radu Harald Dinu, Marc Živojinović: Herrschaft (nicht) beherrschen, In: Mihai-D Grigore, Radu Harald Dinu, Marc Živojinović (Hg.): Herrschaft in Südosteuropa, 2012, Göttingen, S. 8.

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Teil I – Umbruch 1945 Spuren der Vergangenheit Die Traditionsträger des Ringreitens in Sinj heben heutzutage mit großem Stolz die Liste der Staatsmänner hervor, die einer oder mehreren Vorführungen beiwohnten. Das kostümierte Ritual ist seit Anfang des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart zu Ehren von Kaisern, Königen und Staatspräsidenten präsentiert worden.1 Ob man zu dieser Liste noch den einen oder anderen Herrscher aus dem 18. Jahrhundert hinzufügen dürfte, ist nicht bekannt. Der Entwicklung und symbolischen Bedeutung des Sinjer Ringreitens während der venezianischen Herrschaft in Sinj (1686-1797) kann man sich nahezu ausschließlich anhand von Deutungen und Indizien in a posteriori entstandenen Quellen sowie durch Analogien mit vergleichbaren Beispielen annähern. Bei einem Teil der Forscher setzte sich die Ansicht durch, dass das Ringreiten zu Beginn des 18. Jahrhunderts als eine Art Militärübung beziehungsweise als eine zu der Zeit europaweit populäre Unterhaltungsform nach Sinj gebracht wurde, allerdings ohne jegliche geschichtspolitische Bedeutung. Demnach sei das Ringreiten erst nach der Schlacht von 1715 mit dem Motiv der „Türkenkriege“ symbolisch kodiert worden. Im Unterschied dazu weisen mehrere Forschungen daraufhin hin, dass die Praxis des Ringreitens anderswo schon im 16. und 17. Jahrhundert die Symbolik der „Türkenkriege“ vermittelte, sowie dass die Turniere schon lange vor 1715 als wichtige Schauplätze der Herrschaftsinszenierung dienten.2 Im Einklang damit lässt sich behaupten, dass das Ringreiten von Sinj nicht nur als populäre Unterhaltungsform oder Militärübung diente, sondern auch – oder sogar hauptsächlich – von den Venezianern bewusst als ein ihnen bereits bekanntes Ritual der Herrschaftsinszenierung eingesetzt wurde. Laut Leopold Kretzenbacher strebte jeder der Gouverneure in den vielen befestigten Seestädten von der nördlichen Adria bis nach Rhodos und Zypern danach, „[…] einen Schimmer des Glanzes der Seebeherrscherin Venezia in seine koloniale Stadt, in das ansonsten so grau eintönige Leben zwischen Festung, Garnison und Hafen zu bringen“.3 Das in der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts entdeckte und 2007 veröffentlichte Gedicht des Spliter Polyhistors Julije Bajamonti (1744-1800), das wahrscheinlich eine außerordentliche Vorführung des Ringreitens in Sinj im Jahr 1784 thematisiert, spricht ebenfalls für diese Interpretation.4

1 Vgl. Carevi, kraljevi i predsjednici na alci. www.alka.hr (Letzter Zugriff: 27. Mai 2013). 2 Vgl. Johannes Feichtinger, Johann Heiss (Hg.): Geschichtspolitik und „Türkenbelagerung“, Wien, 2013. 3 Leopold Kretzenbacher: Ringreiten, Rolandspiel und Kufenstechen. Sportliches Reiterbrauchtum von heute als Erbe aus abendländischer Kulturgeschichte, Klagenfurt, 1966, S. 71. 4 Vgl. Tonko Maroević (Hg.): Julije Bajamonti. U čast alke 1784., Sinj, 2007.

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Spuren der Vergangenheit

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In Hinblick auf die dem Untergang Veneziens (1797) folgende Epoche lässt sich la Giostra di Sign zweifellos als ein Ritual der Herrschaftsrepräsentanz einordnen.5 Die erste Vorführung des Ringreitens in Sinj nach der Einrichtung der habsburgischen Verwaltung in Dalmatien wurde – wie die ältesten bekannten Dokumente aus dem Jahr 1798 verraten – eigens für den Besuch des kaiserlichen Emissärs für neu erworbene Gebiete, Francesco Maria de Stefano, organisiert.6 Der anwesende Vertreter des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation übergab dem Turniersieger feierlich das Portrait des Kaisers Franz II.7 In seinem Bericht beschrieb de Stefano das Geschehen als „brillantes Spektakel“ und verglich es mit den „Hippodromen von Griechenland“. Im Anschluss an seinen Besuch erklärte sich das neu formierte Kommissariat in Zadar bereit, die Abhaltung von la Giostra Signana weiter zu finanzieren.8 Die Dokumente aus dem Archiv in Zadar beweisen, dass auch während der ersten zwei Jahre unter französischer Verwaltung in Dalmatien (1806-1814) finanzielle Überweisungen zugunsten des Ritterspiels stattfanden. In den folgenden Jahren indes wurde die weitere Unterstützung seitens der französischen Verwaltung in Dalmatien wahrscheinlich eingestellt. In der gegenwärtigen kroatischen Historiographie wird häufig behauptet, dass das Ringreiten in Sinj von der französischen Verwaltung aus ideologischen Gründen verboten worden sei. Es ist davon auszugehen, dass diese Behauptung aus dem Statut des Ritterlichen Alkarenvereins von 1902 unkritisch übernommen wurde. Im Gegensatz dazu lässt sich aus der Dokumentensammlung von Šime Jurić schließen, dass die Finanzierung eher wegen der allgemeinen Wirtschaftskrise sowie kontinuierlich verspätet eintreffender Finanzierungsanträge unterbrochen wurde.9 Die 1810er Jahre, während derer das Ringreiten in Sinj unregelmäßig oder überhaupt nicht abgehalten wurde, stellten eine Krisenzeit des Ringreitens im Allgemeinen dar. In allen anderen Städten Dalmatiens verschwand das Ringreiten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gänzlich, was laut Dunja Rihtman-Auguštin darauf zurückzuführen ist, dass die bürgerliche Schicht das Interesse an dieser Art von Unterhaltung verloren hatte.10 Die Entstehung des ältesten bekannten Mythos um die Sinjer Schlacht bzw. die Eingliederung des Ereignisses in ein bereits vorhandenes Interpretationsmuster erfolgte mit der Deutung, dass die Heilige Maria am Ergebnis der Schlacht von 1715 entscheidend beteiligt gewesen sei.11 Das Motiv der Heiligen Maria als Schutzpatronin einer Stadt oder einer Festung erschien, laut Johannes Feichtinger, wahrscheinlich zum ersten Mal während der awarischen Belagerung von Konstantinopel 626 und hat sich im Laufe der Zeit in weiten Teilen Europas 5 Die Darstellung der politischen Geschichte von Sinjska alka basiert sich auf dem Text: Boris Stamenić (2013): Sinjska alka. Das politische Leben eines Ritterspiels. In: Marcus Havel (Hg.): Work in Progress, Work on Progress. Doktorand_innen Jahrbuch der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Berlin, 2013, S. 119-131. 6 Šime Jurić: Dokumenti i književna građa o Sinjskoj alki, Split, 1988, S. 57-58. 7 Frano Grabovac: Slavodobitnici alke koji su nagradjeni dragocjenim darovima. In: Knjiga alkara i alkarskih zapisnika, Sinj, 1941. Unveröffentlichtes Dokument aus dem Archiv des Alkarenvereins in Sinj. 8 Šime Jurić: Dokumenti i književna građa o Sinjskoj alki, Split, 1988, S. 6. 9 Vgl. das Originaldokument bei Jurić, 1988, S. 92. 10 Dunja Rihtman-Auguštin: Ulice moga grada, Beograd, 2001, S. 257-264, hier: S. 260. 11 Dementsprechend figuriert die Kleinstadt heutzutage als der bekannteste Marienpilgerort in Dalmatien. Am 15. August jedes Jahres pilgern bis zu 100.000 Wallfahrer aus ganz Dalmatien und darüber hinaus zum Fest Maria Himmelfahrt nach Sinj.

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Teil I ‒ Umbruch 1945

verbreitet.12 „Marias Hilfe“ stellt dabei ein Deutungsmuster dar, das nach der Terminologie von Heidi Hein als „mythische Lesart der Wirklichkeit“ verstanden werden kann.13 Was die Sinjer Schlacht von 1715 angeht, wurde diese Deutung wahrscheinlich zum ersten Mal 1756 vom Franziskaner Andrija Kačić Miošić in seinem berühmten Werk Razgovor ugodni naroda slovinskog verschriftlicht, allerdings ohne jegliche Hinweise auf das Ringreiten. Wenngleich nicht nur der katholischen Kirche nahestehende Autoren die Verknüpfung zwischen der Marienehrung und dem Ringreiten in Sinj häufig auf das 18. Jahrhundert zurückdatieren, wurde das Ritual der Sinjska Alka wahrscheinlich erst 1863 vom Franziskaner Šimun Milinović in direkten Zusammenhang mit dem Mythos über Marias Hilfe in der Schlacht von 1715 gestellt.14 Der Termin, zu dem die Sinjska Alka vor der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wahrscheinlich vorgeführt wurde, untermauert die populäre Behauptung einer früheren symbolischen Verknüpfung des Ringreitens mit dem Marienkult in Sinj jedenfalls nicht. Im 18. Jahrhundert wurde la Giostra Signana während des Karnevals aufgeführt, ab 1820 wurde der Termin der Verehrung der weltlichen Herrschaft angepasst. Die 1818 erfolgte Reise des österreichischen Kaisers Franz I. durch das neu erworbene Kronland Dalmatien hat mutmaßlich einen entscheidenden Impuls zur Fortführung des Ringreitens in Sinj gegeben. Anknüpfend an die erfolgreiche Präsentation vor Seiner Kaiserlichen Majestät wurde die Finanzierung ab dem Jahr 1820 wieder regelmäßig aus staatlicher Kasse gewährleistet.15 Seitdem wurde la Giostra Signana zum Geburtstag des jeweiligen österreichischen Kaisers organisiert.16 Während der langjährigen Regentschaft von Kaiser Franz Joseph I. (1848-1916) wurde das Fest demgemäß immer am 18. August abgehalten. Inwieweit diese Gegebenheit zur Verflechtung des Ringreitens mit dem kirchlichen Feiertag Maria Himmelfahrt (15. August) beitrug, ist bis heute unklar. Es lässt sich jedoch vermuten, dass die kalendarische Verschiebung des Rituals einerseits und die ausgeprägte Popularisierung der Marienverehrung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts andererseits die wichtigen Voraussetzungen für die Verknüpfung des Ringreitens mit dem Marienkult darstellten. Ein starker Impuls der symbolischen Verflechtung zwischen der Marienverehrung und dem Ritual erfolgte jedenfalls 1887 mit der Einführung einer neuen Flagge in die Zeremonie der Sinjska Alka. Anlass dazu gab die zweihundert Jahre zuvor erfolgte Überführung des verehrten Marienbildes aus dem Rama-Kloster in Bosnien nach Sinj.17 Die Fahne mit dem Motiv der „Wundertätigen Mutter Gottes von Sinj“ (Čudotvorna Gospa Sinjska) kodierte die Sinjska Alka mit einer zusätzlichen symbolischen Bedeutung, die dennoch in keinem Gegensatz zur Legitimation des Habsburgerreiches stand. In der Identitätspolitik der ethnisch ausgesprochen heterogenen Donaumonarchie spielten gerade der Katholizismus sowie der

12 Johannes Feichtinger: Maria Hilf! ‚Türkengedächtnis‘ und Marienkult in Wien. In: Johannes Feichtinger, Johann Heiss (Hg.): Geschichtspolitik und „Türkenbelagerung“, Wien, 2013, S. 24-57. 13 Heidi Hein: Historische Mythosforschung. http://epub.ub.uni-muenchen.de/639/1/hein-mythosforschung.pdf, 2005, S. 6, (Letzter Zugriff: 25. Juni 2013). 14 Vgl. Ana-MarijaVukušić: Zapisi o Sinjskoj Alki i njihova primjenjivost u etnološkome istraživanju. In: Studia Ethnologica Croatica, Nr. 19, 2007, S. 223-243, hier: S. 229. 15 Vgl. Boris Ljubičić: Alka, Split, 2001, S.18. 16 Šime Jurić: Sinjska alka. Informativni vodič po Cetinskoj krajini, Zagreb, 1965, S. 59. 17 Vgl. Ivan Marković: Sinj i njegovo slavlje [1898], Sinj, 1998.

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Spuren der Vergangenheit

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Mythos vom Bollwerk Europas eine herausragende Rolle.18 Das wichtigste Motiv blieb jedoch nach wie vor die Figur des Kaisers selbst. „Dieses Spiel ward bereits vor 200 Jahren zur Erinnerung an den heldenmüthigen Widerstand eingeführt, welchen am 14. August 1715 eine kleine Schar von 500 wackeren Sinjanern einem von dem bosnischen Pascha Mehmed mit 60.000 Man auf Sinj unternommenen Angriff entgegensetzten“, erklärte man 1892 die historische Symbolik der Sinjska Alka in einer vom Kaiserlichen Hof in Wien geförderten Publikation über Dalmatien.19 „Man schrieb den so mit so geringen Streitkräften erfochtenen Sieg dem Beistand der Mutter Gottes zu“, setzte der Autor die Beschreibung fort. Dabei wurde „das nationale Ritterspiel Alka“ für „das schönste von allen Kirchenweihfesten in Dalmatien“ erklärt.20 Mit der Einbindung der Marienfahne in den zeremoniellen Ablauf repräsentierte die Sinjska Alka jeden einzelnen Aspekt der späthabsburgischen Legitimationstrinität. In der bereits erwähnten Beschreibung der Alka in der illustrierten Publikation „Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild“ aus den 1890er Jahren wurde es anscheinend falsch angegeben, dass das Ritterspiel zuvor am 15. August fortgeführt wurde, „[...] nun aber, seit dem Besuche seiner Majestät des Kaisers Franz Joseph zur Feier seines Geburtstags, erst am 18. August abgehalten wird“.21 Die symbolische Verknüpfung der Sinjska Alka mit den Habsburgern wurde nochmal ausdrücklich in der Beschreibung der Zeremonie erwähnt. „Der Spielleiter pflegte [die Gewohnheit] seine Rede mit dem Rufe zu schließen: hoch lebe unser ritterlicher König!, in welchen das gesammte Volk einstimmt“, untermauerte man die herrschaftslegitimierende Funktion der Sinjska Alka.22 Die Beachtung der kaiserlichen Autorität brachte man ebenfalls in der Beschreibung der Bokeljska Mornarica zum Ausdruck. Die kostümierte Tradition aus der südlichsten Stadt der Donaumonarchie wurde dabei jedoch, im Unterschied zur Sinjska Alka, unter ihrem italienischen Namen Marinerezza Bocchese der Leserschaft vorgestellt.23 Während der österreichischen Verwaltung in Dalmatien repräsentierten sowohl die Marinerezza als auch die Sinjer Giostranti die Staatsmacht ebenfalls über ihren lokalen Rahmen hinaus. Anschließend an ihre Begegnungen mit Seiner Kaiserlichen Majestät 1875 und 1891 in Dalmatien nahmen die Alkaren und Knappen im Juli 1908 am Huldigungs-Festzug zum Anlass des 60. Kaiser-Jubiläums von Franz Joseph I. in Wien teil. Die Teilnehmer der spektakulären Parade wurden in 22 thematische Gruppen aufgeteilt, wobei die ersten 19 Gruppen die unterschiedlichen (Kriegs)Episoden aus der jahrhundertelangen habsburgischen Geschichte inszenierten.24 Trotz der ausdrücklichen Thematisierung der Türkenkriege durch mehrere Gruppen traten die Alkaren in keiner der Geschichtsinszenierungen an, sondern als Vertreter Dalmatiens in der Gruppe XXI namens „Die Kronländer Österreichs“, vorgesehen 18 Vgl. Johannes Feichtinger; Johann Heiss (Hg.): Geschichtspolitik und „Türkenbelagerung“, Wien, 2013. 19 Vgl. Alfred Hödler (Hg.): Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild. [Das Buch] Dalmatien. Wien, 1892. S. 148. 20 Ebd., S. 148. 21 Vgl. Alfred Hödler (Hg.): Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild. [Das Buch] Dalmatien. Wien, 1892. S. 148. 22 Ebd., S. 151. 23 Ebd., S. 196. 24 Rudolf Junk; Emil Schiller: Der Huldigungsfestzug. Schilderung und Erklärung seiner Gruppen. Wien, 1908.

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Teil I ‒ Umbruch 1945

für die „Vertreter ihrer Völker in den nationalen Trachten und volkstümlichen Anzügen“.25 Die von der (lokalen) historischen Verortung entbundene Teilnahme der Alkaren im Festzug zusammen mit anderen „Künstlervereinigungen und Landesmuseen der Kronländer“26 symbolisierte den Anfang einer neuen Phase des Politischen in und um die Sinjska Alka, die sich durch das ganze 20. Jahrhundert fortsetzen sollte.

Abb 4:

„XXI – Nationalitäten-Gruppen. Dalmatien“. Die Alkaren im Kaiserhuldigungsfestzug in Wien 1908. Die nach unten ausgerichteten Lanzenspitzen und eine Kopfdrehung im Vorbeireiten stellen einen epochenübergreifenden Ausdruck des Respekts der Alkaren gegenüber den zu verehrenden Persönlichkeiten, Gegenständen und Symbolen dar. Quelle: R. Laghner, Wien, 1908, gefunden im Archivbestand des Ritterlichen Alkarenvereins in Sinj.

Während sich die politischen Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts entwickelten, wurde die Sinjer Schlacht von 1715 von mehreren gesellschaftlichen und politischen Akteuren aufgegriffen und in unterschiedlichste sinnstiftende Narrative eingegliedert. Dabei entstanden mehrere untereinander konkurrierende Schlachtdeutungen, deren Hauptfunktion auf die Legitimation der politischen Akteure, Institutionen und Strukturen zielt(e) und nicht auf die Rekonstruktion des Geschehens. Der primären geschichtspolitischen Funktion der Sinjska Alka wurden dabei weitere, daran anknüpfende Erinnerungscodes hinzugefügt (und später 25 Rudolf Junk; Emil Schiller: Der Huldigungsfestzug. Schilderung und Erklärung seiner Gruppen. Wien, 1908. 26 Ebd.

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Im Lande des dreistämmigen Volkes

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teilweise entnommen). Die teleologische Deutung der Sinjer Schlacht als eine Vorepisode der späteren Ereignisse sollte zwar erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in die staatliche Erinnerungskultur aufgenommen werden. Wie das nächste Subkapitel dennoch zeigen wird, lassen sich die teleologischen Projektionen zwischen der Schlacht von 1715 und den späteren Ereignissen bereits in der Zwischenkriegszeit als eine selbst-legitimierende Strategie der führenden Vertreter des Alkarenvereins klar erkennen.

Im Lande des dreistämmigen Volkes Nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie 1918 orientierte sich die Führung des Alkarenvereins in Richtung des serbischen und später jugoslawischen Königshauses Karađorđević. Indikativerweise wurde der Paragraph aus dem Statut des Ritterlichen Alkarenvereins von 1902 über „Liebe und Treue gegenüber dem Volk, dem König und der Heimat“ wortwörtlich in das überarbeitete Regelheft von 1921 übernommen.27 Die Annahme der neuen herrschenden Ideologie demonstrierte der Ritterliche Alkarenverein spätestens mit einer außerordentlichen Vorführung der Sinjska Alka am 12. Juli 1919 in Sinj, diesmal während der im ganzen Land begangenen Geburtstagsfeier Seiner Majestät, König Petar.28 Zusätzlich zur Vorführung am Peterstag (Petrovdan) wurde die Sinjska Alka 1919 ein zweites Mal zum mittlerweile gängigen Augusttermin abgehalten. Der Widerspruch zwischen der sakralen Ritualsymbolik, durch welche die auf den Feiertag Maria Himmelfahrt folgende Vorführung geprägt war, und den neuen politischen und ideologischen Umständen nach dem Zerfall der Donaumonarchie und der Gründung des SHS Königreichs wurde dadurch gelöst, dass man das Beibehalten des Augusttermins um ein regelmäßiges Vivat an das Könighaus von Karađorđević ergänzte. Die ideologische Umorientierung des Ritterlichen Alkarenvereins und seiner Mitglieder verlief jedoch nicht ohne Kritik und Kontroversen. Im Sommer 1920 veröffentlichte die Spliter Tageszeitung Novo Doba einen Brief des Vorsitzenden des Sinjer Gerichts Zvone Mrkušić unter dem Titel „Einige bittere Erinnerungen“.29 In diesem Schreiben wurden die Alkaren heftig dafür kritisiert, dass sie der Habsburger Monarchie bis zur letzten Stunde ihre Treue gehalten hatten. Der ehemalige Gerichtsverwalter in Sinj erinnerte die Öffentlichkeit daran, dass die Alkaren ihre Treue gegenüber dem „Henker-Kaiser“ (car-krvnik) in der letzten Dekade der Donaumonarchie mehrmals öffentlich zur Schau gestellt hatten. Seine Reihe von Beispielen eröffnete Mrkušić mit der Beschreibung der Protestdemonstration, mit der die Alkaren im Juni 1908 nach ihrer Rückkehr aus Wien in Split empfangen wurden, wobei er darauf hinwies, dass die Alkaren mit „österreichischen Bajonetten“ vor der Empörung der zahlreichen Demonstranten hätten geschützt werden müssen. Die Sinjska Alka, der er zum ersten Mal 1912 beigewohnt hatte, erlebte Mrkušić laut seinem Brief als „offizielle Feier mit dem Zweck, die mit dem Habsburger Haus verbundene österreichische Idee zu pflegen“.30

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Siehe: Šime Jurić: Dokumenti i književna građa o Sinjskoj alki, Split, 1988, S. 111-118. Kraljeva svečanost u Sinju. Prva Alka u slobodnoj domovini. In: Novo doba, 17. Juli 1919, S. 2. Zvono Mrkušić: Nekoliko gorkih uspomena. In: Novo doba, 9. August 1920, S. 2. Ebd.

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Besonders empört zeigte sich der Verfasser des Briefs über die feierliche Einweihung eines der „blutrünstigen Bestie“ (krvoločna zvijer) Kaiser Franz Joseph I. gewidmeten Denkmals, das in Sinj 1917 in der Straße, in der die Sinjska Alka bis heute ausgetragen wird, errichtet wurde. Mrkušić warf dem alkarischen Anführer Vice Grabovac vor, dass dieser „in seinem großen patriotischen Enthusiasmus“ dem österreichischen Verwalter Attems im Anschluss an den Wettbewerb sein Pferd angeboten hätte. „Und er [Attems] saß in seiner Gala-Uniform auf, nahm die Position an der Spitze der Alkaren ein und führte die ruhmreiche Truppe in den Ort“, fügte der Autor des Briefs bitterlich hinzu.31 Als letzte „Schande“ der Alkaren hob Mrkušić hervor, dass die Sinjska Alka 1918 nicht am 18., sondern bereits am 17. August zum Geburtstag des frisch gekrönten Kaisers Karl abgehalten wurde, um zu verhindern „[…] dass jemand auf die Idee kommt, dass man den Sieg über die Überreste der osmanischen Truppen eigentlich hier feiert“.32 Der Verfasser des Briefs unterstellte dem Alkarenverein, regelmäßig die Ziele seines Statuts zu missachten, und befürwortete daher seine Auflösung und eine längere Pause beziehungsweise eine neuerliche Aneignung der Tradition durch die Sinjer Jugend, die „Hoffnung seines Volkes“. Zu guter Letzt appellierte Mrkušić an die Vereinsmitglieder, mit solchen Traditionen zu brechen, „die nicht ehrenhaft sind“. Schließlich wies er darauf hin, dass unter den Zuschauern der Sinjska Alka auch manche Kriegsveteranen der Serbischen Armee seien, die „Helden von Kumanovo, Kajmakčalan und den arbanischen Gebirgen“.33 Der im Brief scharf kritisierte alkarische Anführer (Alkarski vodja) Vice Grabovac galt in Sinj und Umgebung als pragmatischer und einflussreicher Mann. Aufgrund seiner langjährigen Position als Sekretär der Sinjer Gemeinde entstand in Sinj im Zusammenhang mit seinem langen Bart der beliebte Ausspruch „ein langer Bart herrscht in der ganzen Stadt“.34 Dementsprechend trug Vice Grabovac den prestigeträchtigen Titel des alkarischen Anführers erheblich länger als alle seine Vorgänger, die in der Regel bereits nach zwei bis drei Jahren durch andere Kandidaten ersetzt worden waren. Seit seinem Debüt beim Kaiserhuldigungsfestzug in Wien 1908 konnte Grabovac seine Funktion kontinuierlich erhalten, trotz des 1918 erfolgten ideologischen und politischen Bruchs. Vice Grabovac verstand sich offenbar gut im Umgang mit der öffentlichen Meinung und zögerte nicht, allen Vorwürfen gegen ihn und den Alkarenverein umfassend zu entgegen. Seine raffinierte Antwort auf Mrkušić’ Brief, die 18 Tage später in der gleichen Zeitung Novo Doba veröffentlicht wurde, leitete Vice Grabovac mit der listigen Behauptung ein, dass Mrkušić den gegenwärtigen Vereinsmitgliedern die Verantwortung „für alle Auftritte des Vereins in den letzten 50 Jahren“ zuschreibe.35 Anschließend relativierte er die gute Beziehung zwischen den Habsburgern und dem Alkarenverein mit dem Hinweis darauf, dass die alten Sinjer ihre Entscheidungen „zu einer Zeit, als es das nationale Bewusstsein noch nicht 31 Zvono Mrkušić: Nekoliko gorkih uspomena. In: Novo doba, 9. August 1920, S. 2. 32 Ebd. 33 Es handelt sich um die symbolisch wichtigen Orte der Militärsiege oder der großen Tragödien der serbischen Armee in den Balkankriegen (1912-1913) beziehungsweise im I. Weltkrieg (1914-1918). Ebd., S. 2. 34 Freie Übersetzung. Im Original lautet der Spruch: „Jedna brada ispod grada cijelim Sinjem vlada“. Die Information stammt aus der Korrespondenz mit Ivo Dalbello, Dezember 2013. 35 Vice Grabovac: O Alki u Sinju. Zašto se slavilo carske rođendane? In: Novo doba, 27. August 1920, S. 2-3.

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gab“, getroffen hätten. „Wäre es für den Verein überhaupt möglich gewesen, das Spiel in dieser kriegerischen und terroristischen Zeit an einem anderen Tag zu veranstalten?“, fügte er rhetorisch hinzu.36 Die schwarz-gelben Lanzen der Alkaren rechtfertigte Grabovac mit den Regeln des Statuts von 1833. Die öffentlichen Auftritte während der österreichischen Herrschaft verteidigte er wiederum mit dem Argument, dass sie damals unumgänglich gewesen seien, noch dazu, weil sie „häufig auf Empfehlung und den Hinweis von Politikern, Abgeordneten und anderen exzellenten Volkszugehörigen, die auch heute in Jugoslawien hohes Ansehen genießen“, stattgefunden hätten.37 Nach dieser geschickten Relativierung der Rolle der Alkaren in der Inszenierung der österreichischen Herrschaft ging Grabovac zum Lob auf den Alkarenverein über. „Die Alkaren benutzten dies alles als Deckmantel, um ihr tatsächliches Tun zu verbergen, weil die Verwalter von der Alka eigentlich die Vorreiter jeder Volksbewegung und die größten Erzfeinde Österreichs waren“, begann Grabovac seine Deutung der Vergangenheit.38 „Daher wurden die Vereinsmitglieder während des Kriegs in jeder Hinsicht auf die schrecklichste Art und Weise verfolgt“, führte er die Argumentation fort, wobei er vermutlich auf die Anfang August 1914 erfolgte Festnahme von etwa einem Dutzend angesehener Bürger unter dem Verdacht von Verrat anspielte.39 „Der Alkarenverein bezifferte mehr Verräter als irgendein anderer Verein in Dalmatien!“, fuhr Grabovac im gleichen Ton fort, jedoch ohne dabei zu erwähnen, dass er selbst schon zwei Wochen nach den Verhaftungen die Teilnahme der Alkaren an den kaiserlichen Geburtstagsfeierlichkeiten in Sinj organisierte. „Das beweist am besten, dass die heutigen Alkaren echte und wahre Patrioten sind“, beendete der alkarische Anführer seine öffentliche Antwort an Zvone Mrkušić im August 1920.40 Im August 1921 erwies eine Delegation des Alkarenvereins dem ersten jugoslawischen König Peter I. bei seinem Begräbnis in Belgrad die letzte Ehre. Die Belgrader Tageszeitung Politika veröffentlichte aus diesem Anlass einen Artikel über die Alkaren und die Symbolik des jährlichen Kostümfests in Sinj.41 In dieser Rekapitulation „der Schlacht der Christen gegen die Türken“ wurde, entsprechend der jugoslawischen Idee, die Eintracht der Verteidiger über konfessionelle Grenzen hinweg betont. „In diesem Kampf standen die christlichen Brüder mit Stojan Janković und dem Franziskaner Vučković an ihrer Spitze einhellig nebeneinander, ungeachtet dessen, ob sie Orthodoxe oder Katholiken waren“, erklärte das Belgrader Blatt.42 Zwar bezog sich diese Deutung der Schlacht auf real existierende Persönlichkeiten der frühen Neuzeit, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass Kämpfer beider Konfessionen die Sinjer Festung verteidigten. Doch war Stojan Janković, dalmatinischer Hajduk und Serdar im Dienste Venedigs, schon 1687 gestorben, sodass er die Sinjer Festung drei Jahrzehnte später

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Vice Grabovac: O Alki u Sinju. Zašto se slavilo carske rođendane? In: Novo doba, 27. August 1920, S. 2-3. Ebd. Ebd. Vgl. Daria Brković: Od sloma Bachovog apsolutizma do I. svjetskog rata. In: Sinj. Pogled na stvaranje jednog grada, Sinj, 2012, S. 16-27. 40 Vice Grabovac: O Alki u Sinju. Zašto se slavilo carske rođendane? In: Novo doba, 27. August 1920, S. 2-3. 41 Sinjski alkari. In: Politika, 24. August 1921, S. 1-2. 42 Ebd.

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freilich nicht verteidigen konnte.43 Diese anachronistische und romantisierende Deutung der Vergangenheit stimmte jedoch mit der staatlichen Identitätspolitik überein, die eine Kontinuität des gemeinsamen Kampfes der slawischsprachigen Katholiken und Orthodoxen hervorheben wollte, um die Schaffung einer gemeinsamen Identität im 1918 entstandenen Königsreich der Serben, Kroaten und Slowenen zu begünstigen. Eine entsprechende Deutung der Schlacht von 1715 hatte sich dafür als wertvolles symbolisches Kapital der Traditionsträger erwiesen. An der Spitze der Delegation aus Sinj, die nach Belgrad kam, „um dem König [Petar. I.] die letzte Ehre zu erweisen und der Dynastie und Belgrad die Treue des Küstenlandes zu erklären“, stand einmal mehr der alkarische Anführer Vice Grabovac.44 Die Belgrader Tageszeitung Politika beschrieb Vice Grabovac als „einen Patrioten [...], der viele Verfolgungen und Festnahmen während des österreichischen Regimes erlitten hat und der heute im Cetiner Land einer der herausragenden Ideenträger der vollkommenen Volkseintracht ist“.45 Im Text über „die vier großen Männer in edlen Tuchuniformen“ (četiri stasita muškarca u čohavim uniformama) wurde außerdem Dušan Tripalo ausdrücklich erwähnt, „Mitglied der angesehenen Familie, die sich in den Zeiten der nationalen Wiedergeburt besonders hervorgetan hatte“.46 Tatsächlich wurde in Sinj die gesamte politische, soziale und wirtschaftliche Dynamik über Jahrzehnte maßgeblich von der Familie Tripalo bestimmt.47 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts besaß sie mehr als die Hälfte aller Wohnhäuser in Sinj, das damals circa 3000 Einwohner hatte.48 Der soziale Status der Familie reflektierte sich sowohl in den politischen Positionen – einschließlich der Abgeordnetenstellen im regionalen Parlament in Zara (Zadar), die ihre Mitglieder einnahmen, als auch in ihrer starken Präsenz auf führenden Positionen im Alkarenverein. Der Große Krieg, der Zerfall der Donaumonarchie sowie die Gründung des Königreiches SHS verursachten unter den Eliten in Sinj keine erheblichen Konstellationsveränderungen. Unter den vier Delegierten des Alkarenvereins auf dem königlichen Begräbnis in Belgrad 1921 befanden sich zwei Mitglieder der Familie Tripalo. Dabei repräsentierte der Alkar Petar Tripalo gleichzeitig auch die Spliter Organisation der projugoslawischen Turnbewegung Sokol (Sokolska župa Split).49 Neun Monate nach dem königlichen Begräbnis erschienen die Alkaren wieder in Belgrad, dieses Mal jedoch aus Anlass der königlichen Hochzeit von Thronfolger Aleksandar mit Prinzessin Maria. Die Einladung nach Belgrad sowie die außerordentliche Aufführung des kostümierten Rituals als eine der Hauptattraktionen der großen Feier hatten die Alkaren offenbar insbesondere dem Schriftsteller und Ethnologen Branislav Nušić zu verdanken. Laut Jozo Boko, einem der anwesenden Alkaren, hatte sich Nušić bemüht, „die Alka in den

43 Vgl. Dragan Roksandić: Janković, Stojan. In: Hrvatski biografski leksikon. Leksikografski zavod Miroslava Krleže. http://hbl.lzmk.hr/ (Letzter Zugriff: 13. März 2014). 44 Sinjski alkari. In: Politika, 24. August 1921, S. 1-2. 45 Ebd. 46 Sinjski alkari. In: Politika, 24. August 1921, S. 1-2. 47 Vgl. Daria Brković: Obitelj Tripalo, primjer veleposjednika. In: Sinj. Pogled u stvaranje jednog grada. Sinj, 2012, S. 52-57. 48 Jakov Žižić: Uvod. In: Sinj. Pogled u stvaranje jednog grada, Sinj, 2012, S. 4-9. 49 Gradska kronika. In: Novo doba, 24. August 1921, S. 3.

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bekannten Belgrader Kreisen so darzustellen, wie sie ist“.50 Wenngleich die führenden Vereinsmitglieder ihre Teilnahme am königlichen Begräbnis 1921 offensichtlich geschickt für die selektive Vermittlung der eigenen Vergangenheit und eine positive Selbstdarstellung hatten nutzen können, meldeten sich nun auch kritische Stimmen zu Wort. Die Ankündigung der Vorführung der Sinjska Alka zu Ehren des Königspaars zog im Frühjahr 1922 aus zwei verschiedenen Richtungen Angriffe auf den Alkarenverein nach sich. Der geplante Auftritt der Alkaren wurde sowohl von Regimegegnern (vor allem unter den Sinjer Franziskanern) als auch von jugoslawischen Nationalisten in ihren Zeitungen Jadran und Radikal heftig kritisiert. Einige Wochen vor der angekündigten Hochzeit wurde auf den Seiten von Radikal ein kritischer Text gegen den Alkarenverein veröffentlicht und mit dem Pseudonym Posmatrač – was auf Serbisch Beobachter heißt - unterzeichnet.51 Er warf den Alkaren vor, „die Säule des schwarz-gelben Österreichertums in Dalmatien (stup crno-žute Austrijanštine u Dalmaciji)“ zu sein, und bekräftigte dies, indem er die Argumente des schon erwähnten öffentlichen Briefs von Zvonko Mrkušić aus dem Jahr 1920 übernahm. Außerdem fügte er den Text der Traueranzeige hinzu, den die Alkaren nach dem Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand 1914 veröffentlicht hatten.52 Dieses Mal wurde der Alkarenverein vom angesehenen Sinjer Kaufmann Marko Buljan in Schutz genommen. Der älteste Sohn der zunehmend (einfluss)reichen Familie Buljan, der 1912 als Turnierteilnehmer debütiert hatte, antwortete den Kritikern, dass ihre Vorstöße „nichts anderes als langweilige Bemühungen sind, den politischen Gegner genauso unsauber darzustellen, wie es der Verfasser und seine Umgebung selbst sind“.53 Auf den Seiten der Spliter Zeitung Novo doba appellierte Marko Buljan an den „Herrn Beobachter“, dass er, „anstatt komisch und langweilig zu sein, seine Feder besser für nützlichere Sachen benutzen solle“. Schließlich fügte Buljan lakonisch hinzu, dass die „Alka auch dann noch existieren wird, wenn man nicht mehr wissen werde, dass es den [Herrn Beobachter] überhaupt gegeben hat“.54 An ihren Bemühungen, die öffentliche Kritik zu banalisieren, wird deutlich, dass die führenden Traditionsträger die Relevanz des medialen Bildes der Sinjska Alka sehr gut verstanden. Im Einklang damit reiste der alkarische Anführer Vice Grabovac einige Tagen vor den anderen Alkaren und ihren Knappen nach Belgrad. Bis zu ihrer Ankunft gelang es Vice Grabovac, wie es der Alkare Jozo Boko treffend formulierte, „die Geschichte der Alka und des Alkarenvereins bei den Verlegern der [Belgrader] Zeitungen zu skizzieren“.55 Die Gruppe aus Sinj mit mehr als 50 Teilnehmern kam schließlich am Sonntagmorgen, den 4. Juni 1922, im überfüllten Zug über Sarajevo und Brod in Belgrad an. Der warme Empfang seitens des Präsidenten des Sportverbands (Svešportski savez), Ingenieur Miloš Radojlović, und der Belgrader Bürger „löschte jeden Funken Zweifel“ bei den Alkaren, was ihnen nach der

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Josip Boko: Alkari na kraljevoj svadbi. Split, 1922, S. 43-44. Dolazak alkara iz Sinja u Beograd. In: Radikal, 10. Mai 1922, S. 3. Ebd. Marko Buljan: Na obranu alke! In: Novo doba, 25. Mai 1922, S. 3. Ebd. Josip Boko: Alkari na kraljevoj svadbi. Split, 1922, S. 44.

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medialen Kritik sehr willkommen war.56 Am nächsten Tag nahmen die Alkaren die Militärpferde für den Auftritt entgegen und bis Donnerstag hatten sie die Möglichkeit, sich schnell mit den neuen Pferden und der unbekannten Umgebung vertraut zu machen. Während die Alkaren und Knappen die Generalprobe für den am Tag darauf stattfindenden Auftritt vor dem Königspaar absolvierten, besuchte der Leiter der französischen Mission, Marschall Franchel d'Esperay, „das Grab seines Kriegskameraden“, des berühmten Befehlshabers der Serbischen Armee Vojvoda Mišić, berichtete die Spliter Tageszeitung Novo Doba aus der Hauptstadt.57 Im Laufe des Tages kamen viele weitere Gäste in die Hauptstadt, unter anderem zahlreiche Vertreter der rumänischen Presse. Die Ehe zwischen dem serbischen Thronfolger und der rumänischen Prinzessin stellte in politischer Hinsicht die Weiterführung des gerade entstehenden Militärbündnisses zwischen dem Königreich SHS, Rumänien und der Tschechoslowakei dar. Nichtsdestoweniger repräsentierte die königliche Hochzeit ebenfalls die Fortsetzung der im Laufe des Großen Kriegs verfestigten Allianz zwischen Serbien und Großbritannien. Am Dienstag, den 6. Juni 1922, wurde in der Englischen Mission in Belgrad ein Mittagessen zu Ehren des Herzogs von York organisiert, des Trauzeugen von König Aleksandar. Bei ihrer Ankunft mit dem Personenkraftwagen wurden König Aleksandar und sein Ehrengast „von der Marine aus Kotor feierlich begrüßt“.58 Die kostümierte Truppe aus der ehemals südlichsten Adriastadt im Kaiserland Dalmatien hatte sich ebenso wie die Alkaren 1908 an der kaiserlichen Jubiläumsfeier in Wien beteiligt. Doch wenngleich sich die Staatsgrenzen und die außenpolitische Konstellation in der Zwischenzeit wesentlich verändert hatten, war die Attraktivität der kostümierten Truppen mit historischem Glanz in den neuen Verhältnissen ebenso groß. Die Feierlichkeiten im Rahmen der königlichen Hochzeit begannen am 6. Juni 1922 mit dem Konzert der Belgrader Philharmoniker im Volkstheater.59 Durch das Stadtzentrum strömte am Abend ein großer Festzug mit zahlreichen Militärmusikanten und Chormitgliedern. Er wurde von beiden Seiten von Mitgliedern der Turnorganisation Sokol mit Lampions in Farben der jugoslawischen (blau-weiß-rot) beziehungsweise der rumänischen (blau-gelb-rot) Flagge flankiert. Der Umzug hielt vor dem königlichen Palast, wo die anwesenden Musiker und Sänger eine Komposition des Operndirektors Binički aufführten, die er persönlich für diesen besonderen Anlass komponiert hatte. „Der König, seine Verlobte und ihre Gäste erschienen zufrieden auf dem Balkon und verfolgten die prächtigen Grüße und das begeisterte Jubeln des Volkes“, übermittelte der Reporter von Novo Doba seine Erlebnisse aus Belgrad.60 Am folgenden Tag, den 7. Juni 1922, einen Tag vor der Hochzeitszeremonie, wurden in Belgrad zahlreiche Demonstrationen und öffentlich zugängliche Massenereignisse veranstaltet. In den Morgenstunden eröffnete der Vorsitzende der Belgrader Gemeinde Todor Kusovac

56 Beschreibung des Ankommens und des Aufenthaltes der Alkaren und Knappen in Belgrad nach: Josip Boko: Alkari na kraljevoj svadbi. Split, 1922. 57 Na grobu vojvode Mišića. In: Novo Doba, 7. Juni 1922, S. 6. 58 Ručak u počast vojvode od Yorka. In: Novo Doba, 7. Juni 1922, S. 6. 59 Veličanstvena bakljada. In: Novo Doba, 7. Juni 1922, S. 6. 60 Ebd.

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„mit einer schönen und für die Bosnier sehr erbauenden Rede […] die Ausstellung der Bosnischen Werke“.61 In den Räumlichkeiten des Belgrader V. Gymnasiums wurde um 11 Uhr mit mehr als 800 Werken die jugoslawische Ausstellung für Malerei und Skulptur eröffnet, „die den heutigen Zustand unserer Kunst repräsentiert“.62 An der feierlichen Sitzung der Belgrader Gemeinde in der Anwesenheit aller Gemeindevorsitzenden aus dem ganzen Land sowie der Bürgermeister von Paris und Bukarest wurde übereinstimmend der Vorschlag angenommen, zwei Belgrader Straßen nach „Königin Maria“ und „König Ferdinand“ zu benennen, zu Ehren der zukünftigen Königin und ihres Vaters. Gleichzeitig begann im Parlamentsgebäude „der feierliche Empfang der Deputationen in Volkskostümen aus dem ganzen Land“.63 Nach der Formierung einer Kette, an dessen Spitze der Parlamentsvorsitzende Dr. Ivan Ribar stand, gingen alle Deputationen zum Königspaar, um es zu begrüßen. Während das Brautpaar die zahlreichen Delegaten empfing, spielte das Orchester auf dem Balkon serbische, kroatische und slowenische Lieder. Unter den Abordnungen aus allen Landesteilen befand sich auch die fünfköpfige Delegation des Alkarenvereins, geleitet vom alkarischen Anführer Vice Grabovac. Als Mitglied des alkarischen Ehrengerichtes befand sich in der Delegation ebenso der ehemalige Alkar Mirko Tripalo, Vorsitzender der Sinjer Organisation der im Königreich stärksten Demokratischen Partei (Demokratska stranka). Bei den Parlamentswahlen 1920 hatte Mirko Tripalo in den Wahllokalen in der Stadt das beste Ergebnis erreicht. Er schaffte wegen der Überlegenheit der Kroatischen Volkspartei (Hrvatska pučka stranka) innerhalb der ruralen Bevölkerung in der Umgebung dennoch nicht den Einzug ins Parlament.64 Die anderen anwesenden Vereinsmitglieder waren der Adjutant Dušan Tripalo, der Befehlshaber der Knappentruppe (Harambaša) Antun Delić Firal und sein Stellvertreter Mile Breko. Abgesehen vom jungen Adjutanten hatten sich alle anderen anwesenden Vertreter des Alkarenvereins bereits am Kaiserhuldigungsfestzug zum 60. Thronjubiläum des Kaisers Franz Joseph I. in Wien 1908 beteiligt.65 „Man meldet aus Belgrad [...]. Heute erlebten die Alkaren eine echte Feier. Morgens um 11 Uhr wurden der alkarische Anführer Vice Grabovac, Marko Tripalo, Dušan Tripalo, Ante Delić und Mile Breko in einer Audienz seiner königlichen Majestät vom König und der Königin sowie vom rumänischen Königspaar empfangen“, übermittelte das Tagesblatt Novo Doba die Nachrichten aus der Hauptstadt.66 Die Leser wurden informiert, dass die Alkaren bei der Palastaudienz an der Spitze aller ritterlichen und sportlichen Vereine aus dem ganzen Land standen. Der große Erfolg der Alkaren wurde am gleichen Tag nochmal öffentlich bestätigt. Am 7. Juni 1922 wurde das „Volksspiel Alka“ als eine der Hauptattraktionen der königlichen Hochzeit aufgeführt. Die Tatsache, dass mehr als die Hälfte aller Ritualteilnehmer, einschließlich der kompletten Delegationsführung, bereits 1908 in Wien der Donaumonarchie zugejubelt hatten, erwähnten die Zeitungen allerdings nicht.

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Izložbe. In: Novo Doba, 7. Juni 1922, S. 6. Ebd. Primanje deputacija. In: Novo Doba, 7. Juni 1922, S. 6. Žarko Kodžoman: Sinjani i politika (I. dio). In. Sinjske novine, Nr. 02, März 2010, S. 24-25. Vgl. Ivo Dalbello: Festzug 1908. In: Sinj. Pogled u stvaranje jednog grada, Sinj, 2012, S. 36-43. Uspjeh Sinjske Alke. In: Novo Doba, 9. Juni 1922, S. 2.

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Abb 5:

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Die Delegation des Alkarenvereins in Belgrad 1922, gefolgt von einer unbekannten SokolEinheit. Im Unterschied zu den Alkaren waren die Mitglieder der Turnbewegung Sokol schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgesprochen starke Befürworter einer jugoslawischen Idee unter den Südslawen in der Donaumonarchie. Bis Juni 1922 änderte sich die Situation aber erheblich. Wenngleich sich die Sokol-Einheiten nach wie vor tonangebend an der Inszenierung der jugoslawischen Eintracht und Treue gegenüber der Monarchie beteiligten, bröckelte der Zusammenhalt der Sokol-Mitglieder. Der Austritt vieler lokaler Sokol-Organisationen aus dem Jugoslawischen Sokol-Verband und ihr Eintritt in den neu-gegründeten Kroatischen Sokol-Verband im Jahr 1922 waren Ausdruck für das allgemeine und weit verbreitete Nachlassen der Begeisterung für die neue politische und ideologische Ordnung in den dem Königreich SHS angeschlossenen ehemaligen Ländern der k. u. k. Monarchie. Die Medienberichte über die Feier in Belgrad hinterließen den Eindruck, dass sich die Sokol-Einheiten aus Kroatien überhaupt nicht an der Stadionparade anlässlich der königlichen Hochzeit beteiligt hätten. Immerhin war „das kroatische Volk“ durch einige andere Vereine und Gruppen bei der Hochzeit vertreten, unter anderem durch den Alkarenverein. Im Vordergrund des Bildes sind v.l.n.r. der Arambaša Ante Delić Firal, der Vojvoda Vice Grabovac, der Adjutant Dušan Tripalo und der stellvertretende Arambaša Mile Breko, wahrscheinlich auf ihrem Weg zum Empfang im Königlichen Palast am 7. Juni 1922, abgebildet. Quelle: Archivbestand des Ritterlichen Alkarenvereins, Sinj.

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Die Einwohner Belgrads und ihre zahlreichen Gäste konnten am Mittwoch, den 7. Juni 1922, den ganzen Tag den Vorführungen der bereits populären sowie völlig fremdartigen Spiele, Sportkämpfe und Stadionspektakeln beiwohnen. Am Vormittag sammelte sich das Publikum an der Festung Kalemegdan sowie entlang des Sava-Ufers, um „einem ungewöhnlichen Augenblick“ beizuwohnen.67 Mannschaften aus den Adriastädten, sowie aus Zagreb und Novi Sad nahmen am Ruder-Rennen teil und präsentierten dem Belgrader Publikum damit eine vorher weniger vertraute Sportdisziplin. Ab 17 Uhr begann die Parade der Turnorganisation Sokol (sokolske vježbe) am Stadion in Košutnjak. Im Anschluss an die Massenaufführung gymnastischer Übungen fand der Wettkampf der Leichtathletikmannschaften aus Belgrad, dem Banat, Slowenien und Sarajevo statt.68 Auf dem Sportplatz des Sportklubs Jugoslavija fing gleichzeitig das Fußballspiel zwischen den städtischen Mannschaften von Belgrad und Bukarest an. Zeitgleich mit den beiden Stadionspektakeln fanden im Hippodrom des Donau-Reitklubs (Dunavski konjički klub) das Pferderennen zu Ehren der königlichen Hochzeit und die Vorführung des „traditionellen Spiels der Sinjer Alkaren in pittoresken Volkstrachten“ statt, berichtete Novo Doba.69 Die Alkaren und Knappen nahmen nach Belgrad nicht nur ihre Kostüme mit, sondern auch ihre Waffen und Trophäen, um sich in voller Pracht zu präsentieren. Die Sorgen der Traditionsträger, dass das Publikum die Vorführung eines in Serbien nahezu unbekannten Spiels den anderen Angeboten unterordnen könnte, erwiesen sich als vollkommen unbegründet. Laut der Einschätzung von Jozo Boko wohnten dem Hippodrom-Spektakel zwischen dreißigund vierzigtausend Zuschauer bei.70 Wenngleich er in seiner Einschätzung übertrieben haben mag, sammelten sich auf dem Schauplatz höchstwahrscheinlich mehr als drei- bis viertausend Zuschauer, was zu Beginn der 1920er Jahre der üblichen Publikumsgröße beim jährlichen Spektakel in Sinj entsprach. In seinem Bericht erzählte Boko außerdem, dass das Publikum etwas Zeit gebraucht habe, um den Sinn des Ringreitens zu verstehen. Dennoch hätten die Kostüme und Waffen der Alkaren und Knappen sowie die Symbolik des „Kampfes gegen die Türken“ Begeisterung unter den Anwesenden und Assoziationen an die serbischen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Helden geweckt.71 Angesichts des beschränkten Zeitrahmens ließen die Alkaren die Paradenzüge zwischen den Einzelrunden ausfallen, um die ersten beiden Rennen (trke) bis zur geplanten Ankunft der Ehrengäste abschließen zu können. Allerdings verzögerte sich der Empfang im Königspalast, sodass vor dem dritten Rennen wahrscheinlich eine kürzere Pause erfolgte.

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Športske utrke. In: Novo doba, 8. Juni 1922, S. 2. Gimnastičke vježbe. In: Novo doba, 8. Juni 1922, S. 2. Ebd. Josip Boko: Alkari na kraljevoj svadbi. Split, 1922, S. 20. Ebd., S. 20.

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Abb 6:

Teil I ‒ Umbruch 1945

Die Alkarentruppe in Belgrad 1922 mit dem Befehlshaber (Alajčauš) Stipe Grabovac in der Mitte. Genauso wie sein Verwandter, der alkarische Anführer Vice Grabovac, hatte Stipe Grabovac nach dem Umbruch 1918 seine herausragende Funktion im alkarischen Ritual erhalten können. Neben der Zäsur übergreifenden Ausübung der beiden Prestigefunktionen in der alkarischen Hierarchie spiegelte sich der damals in Sinj äußerst starke Einfluss der Familie Grabovac ebenfalls in der Beteiligung von zwei weiteren Familienmitgliedern an der Alkarentruppe wider. Frane Grabovac (2. v. r.) sollte in den 1930er Jahren der Vereinssekretär werden und die Archivgegenstände des Alkarenvereins an die Vertreter der Ustaša-Herrschaft 1941 übergeben müssen. Quelle: Archivbestand des Ritterlichen Alkarenvreins, Sinj.

Aus den Zeitungsberichten, Bokos Beschreibung der Belgrader Vorführung sowie aus den Erinnerungen, die im Alkarenverein noch heutzutage nacherzählt werden, lässt sich nicht ablesen, ob die Alka sofort nach der Ankunft der Ehrengäste fortgesetzt wurde. Aus den zeitgenössischen Zeitungen ergibt sich, dass man wahrscheinlich dem Pferderennen um den königlichen Pokal den Vorzug geben musste. Jozo Boko erwähnte das Pferdrennen in seiner romantisierten Beschreibung der Teilnahme der Alkaren an den Hochzeitfestlichkeiten hingegen überhaupt nicht. Laut Bokos Beschreibung defilierte der Alkarenzug sofort nach der Ankunft der Ehrengäste entlang der Tribüne. Anschließend sei die letzte Runde des RingreitTurniers gespielt worden. Der ausgeglichene Punktestand von zwei Alkaren führte den Wettbewerb in den Zweikampf (pripetavanje). Nach zwei Verlängerungen triumphierte Josip Tomašević aus Brnaze, einer von wenigen Bauern unter den damaligen Alkaren, die sich zu der Zeit hauptsächlich aus der Sinjer Bürgerschaft rekrutierten. Der alkarische Anführer Vice

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Grabovac befestigte die Flagge auf der Lanze des Ruhmgewinners und hielt eine Rede im Einklang mit dem üblichen Protokoll. „Majestät!“, leitete der kontroverse Sekretär der Sinjer Gemeinde Vice Grabovac seine Rede vor dem König und dem riesigen Publikum ein. „Seitdem das Ritterspiel Alka gespielt wird, gibt es den Brauch, dass der Anführer vor der Alkarentruppe eine Ansprache an das Volk hält und die Geschichte dieser althergebrachten Institution kurz umreißt. Aber seit dem Jahr 1717, als das Heldenspiel zum ersten Mal aufgeführt wurde, hatte der alkarische Anführer noch nie eine so erhabene Gelegenheit, im Namen seiner Alkaren zu der Person seines dem Volk verbundenen und berühmten Königs zu sprechen!“72 Anschließend an die schmeichelhafte Einführung setzte der Anführer seiner Rede mit der historischen Kontextualisierung der Tradition fort. Laut der Beschreibung von Jozo Boko hob Vice Grabovac in seiner Rede die Bedeutung des Sieges im Jahre 1715 und der „Befreiung von der Istanbuler Macht“ (Izbavljenje ispod carigradske vlasti) hervor, sowie „die vor Langem entstandene Überzeugung, dass die wahre Befreiung erst dann eintreten wird, wenn das ganze Volk (rod) mit gleichem Blut und gleicher Sprache, trotz verschiedener Stämme und unterschiedlichen Glaubens unter einem Herrscher gleichen Bluts geeint wird“.73 Hinsichtlich der Vergangenheit erinnerte Vice Grabovac das Publikum an das Leben des einstigen serbischen Militäroffiziers und späteren Königs Petar Karađorđević, der „unter dem Namen des Volkshelden Petar Mrkonjić“ den anti-osmanischen Aufstand in Bosnien 1875/76 angeführt hatte. Mit seinen Lobreden auf „den größten und hellsten Sohn unseres ganzen Volkes“, informierte er die Anwesenden über die „vor langem entstandenen Verknüpfungen“ zwischen den Alkaren und dem gegenwärtigen Königshaus. „Seine aufrichtige, aber heldenhafte Truppe, zu der auch unsere Landesleute (naši krajišnici) gehörten, wurde mehrmals von unseren Älteren aus Sinj und dem Cetiner Land heimlich versorgt, von denen einige noch immer am Leben und angesehene Mitglieder unseres Vereins sind“, fügte Grabovac hinzu. Mit der Bitte an den König, „in der aufrichtigen Unterstützung der [...] Volksbefreiung ein Symbol und die Garantie ihrer [der Alkaren] Treue der Volksfreiheit, Eintracht und der Volksdynastie zu sehen“, beendete der langjährige Sekretär der Sinjer Gemeinde und einstiger großer Befürworter der Habsburger Herrschaft seine Rede mit der Huldigung des jugoslawischen Königspaars.74 Nach der Rede lud König Aleksandar den Anführer und den Ruhmgewinner auf die Tribüne für die Ehrengäste ein.75 Der Thronfolger äußerte seine Zufriedenheit mit dem Geschehen sowie Hoffnung, dass er die Alka sobald wie möglich in Sinj sehen werde. Dem Ruhmgewinner Tomašević stellte er einige persönliche Fragen, unter anderem, seit wann er am Wettbewerb teilnehme und ob er verheiratet sei. Die königliche Braut schenkte Tomašević eine goldene Zigarettendose, geschmückt mit einem aus Brillanten gefertigten königlichen Monogramm und schüttelte dem Anführer, seinem Adjutanten und den Ruhmgewinner die Hand. Im Anschluss überreichte der Präsident der Belgrader Gemeinde Mitrović dem alkarischen Anführer eine 72 73 74 75

Josip Boko: Alkari na kraljevoj svadbi. Split, 1922, S. 24-27. Ebd., S. 24-27. Ebd., S. 24-27. Uspjeh Sinjske Alke. In: Novo Doba, 9. Juni 1922, S. 2.

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besondere Urkunde. Während Anführer Grabovac die Gratulationen auf der Ehrentribüne entgegen nahm, umschwärmten die Journalisten und Fotografen die Alkaren und Knappen, „weil erst jetzt, nach der Vorführung, das wahre Interesse geweckt worden war“.76 Nach dem Programmende begaben sich das Königspaar und die Ehrengäste mit Limousinen auf einen Empfang in die rumänische Botschaft.77 Auch für die alkarischen Knappen war ein motorisierter Transport vom Stadtrand ins -zentrum organisiert worden.78 Die Alkaren kehrten hingegen auf ihren Pferden ins Zentrum zurück und bewunderten die feierlich geschmückte Hauptstadt. Die Kanonenschüsse der Donauflotte verflochten sich abends mit dem Lichtspektakel der unzähligen Glühbirnen in jugoslawischen und rumänischen Farben, „die in allen Himmelsrichtungen [...] die Initialen und Monogramme der Verlobten abbildeten“.79 Darüber hinaus wurde die Stadt am Mittwochabend durch ein Feuerwerk und Scheinwerfer an der Stadtfestung erhellt. Es formierte sich ein weiterer langer Festzug, der durch die überfüllten Straßen zog, wo Tausende das Volksfest genossen und sich die Attraktionen aller Art einsahen. „Den ganzen Abend waren die Alkaren und Knappen das Objekt der allgemeinen Bewunderung“ berichtete Novo Doba über die Erlebnisse der zunehmend prominenten Traditionsträger am Rande der königlichen Hochzeit.80 Auch von der Belgrader Tageszeitung Politika wurde der Aufenthalt der Alkaren in Belgrad mehrmals kurz erwähnt. Darüber hinaus veröffentlichte das Blatt am Tag der Vorführung einen längeren Text unter dem Titel „Sinjer Alkaren“ (Sinjski alkari), der fast die gesamte Seite 7 umfasste.81 Die Leserschaft wurde informiert, dass „die Alka schon seit 1715 einmal im Jahr stattfindet, immer am Tag des Sieges“. Ebenso falsch, aber politisch opportun wurde hervorgehoben, dass die Alka „nur zweimal“ außerordentlich abgehalten wurde und zwar „am Vidovdan 1919 nach der Befreiung und in diesem Jahr, anlässlich der Hochzeit Seiner Majestät König Aleksandar I.“.82 Die Chronologie des Alkarenvereins wurde mit der Behauptung fortgesetzt, dass die Sinjska Alka bis zu dem Tag nie an einem anderen Ort aufgeführt worden sei. „[…] Alle Versuche Wiens, die Alka dort aufführen zu lassen, blieben erfolglos. Belgrad ist die erste und einzige [Hauptstadt], die dieses alte Ritterspiel sehen wird“ wurde in dem Artikel versprochen.83 Besonders detailliert wurde das „Erlebnis eines Heers des XIII. Bataillons“ (jedna četa XIII. puka) während der Einnahme von Sinj durch die serbische Armee 1918 dargestellt. Die in der Nacht in Sinj angekommene Truppe suchte sich laut Zeitungsangaben eine entsprechende Stelle für ihr Lager und fand sie gerade dort, wo die Sinjska Alka einmal im Jahr vorgeführt wird, jedoch ohne dabei zu bemerken, dass sich der Alkarenzug gerade „hinter der Brücke“ sammelte. „Mit dem Klang der patriotischen Davorija-Lieder (davorije) im 76 77 78 79 80 81 82 83

Josip Boko: Alkari na kraljevoj svadbi. Split, 1922, S. 30-33. Gimnastičke vježbe. In: Novo doba, 8. Juni 1922, S. 2. Josip Boko: Alkari na kraljevoj svadbi. Split, 1922, S. 30-33. Veličanstveno vjenčanje NN. VV. Kralja ALEKSANDRA i kraljice MARIJE. In: Novo doba, 8. Juni 1922, S. 1-2. Uspjeh Sinjske Alke. In: Novo Doba, 9. Juni 1922, S. 2. Sinjski alkari. In: Politika, 7. Juni 1922, S. 7. Ebd. Ebd.

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Fackelschein und im Mondlicht fingen die stämmigen Knappen aus Cetina plötzlich an, mit den Gewehren auf den Schultern […] vor den unbesiegbaren Helden zu defilieren“, begann die Beschreibung der märchenhaften Szene.84 „Man bräuchte einen Künstler-Pinsel, um den großartigen Moment zu beschreiben“, fügte der unbekannte Autor hinzu.85 Er untermauerte die Authentizität dieser Geschichte, indem er Aussagen angeblicher Zeitzeugen hinzufügte. Ein Soldat habe demnach berichtet, dass er den längst verstorbenen serbischen Herrscher (Knjaz) Miloš zwischen den Alkaren und Knappen erblickt habe. Außerdem solle der Zugskommandant seine Fassungslosigkeit gegenüber seinen Vorgesetzten geäußert haben. „Wir sahen und erlebten in der weiten Welt alles, aber das, was wir in Sinj sahen, erlebten wir nirgendwo“, berichtete Politika im Juni 1922.86 Auch manche anderen Zeitungen veröffentlichten im Juni 1922 billigende Texte über die Sinjska Alka, allerdings ohne das fantastische Nachtspektakel zu erwähnen.87 Laut Jozo Boko „gab es in diesen Tagen in allen Zeitungen Spalten über die Alka, ihre Geschichte und ihre Bedeutung für das Volk“.88 Der alkarische Anführer Vice Grabovac, der bereits einige Tage vor dem Rest der Truppe nach Belgrad gefahren war, hatte sich im Voraus anscheinend nicht nur dafür eingesetzt, dass die Medien auf die Sinjska Alka aufmerksam wurden, sondern insbesondere dafür, ein lukratives finanzielles Arrangement mit dem jugoslawischen Staat herzustellen. Laut einer Anekdote, die unter den Traditionsträgern in Sinj heutzutage noch erzählt wird, hat der alkarische Anführer Vice Grabovac eine Urkunde über die Finanzierung des Vereins im Voraus vorbereitet und König Aleksandar während des Empfanges im Königspalast vorgelegt. Obschon diese Information mit Zurückhaltung rezipiert werden sollte, unterstützte der Staat den Alkarenverein in der Tat ununterbrochen von 1922 bis 1940.89 Auch auf indirektem Wege wurde der Verein vom jugoslawischen Staat finanziell gefördert. Unter anderem wurde dem Verein das Recht zugeteilt, frei über 500 m³ Holz aus staatlichem Wald zu verfügen.90 Weitere, von der Zentralmacht unabhängige Finanzierungsquellen in der Zwischenkriegszeit bestanden in einer Aktiendividende eines Kraftwerks bei Sinj sowie im Verkauf vom Heu einer Wiese, die dem Alkarenverein 1918 von der Sinjer Gemeinde überlassen worden war.91

84 85 86 87 88 89 90

Sinjski alkari. In: Politika, 7. Juni 1922, S. 7. Ebd. Ebd. Vgl. Sinjski alkari posetili su Beograd prilikom kraljeve svadbe. Ilustrovani list, Juni 1922, S.5. Josip Boko: Alkari na kraljevoj svadbi. Split, 1922, S. 44. Information aus der Korrespondenz mit Ivo Dalbello aus Sinj, Januar 2014. Vgl. Protokoll der 213. Vollversammlung des Alkarenvereins (30. Oktober 1927). In: Knjiga alkara i alkarskih zapisnika. Archivbestand des Ritterlichen Alkarenvereins, Sinj. 91 Information aus der Korrespondenz mit Ivo Dalbello aus Sinj, Januar 2014.

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Abb 7:

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„Belgrad, die Hauptstadt der Serben, Kroaten und Slowenen, schenkt diese Urkunde den ritterlichen Alkaren der stolzen Stadt Sinj als Zeichen der Ehre und des Dankes“. Außer der handgefertigten Urkunde hätte der Alkarenverein von der Belgrader Stadtverwaltung auch finanziell für die öffentlichen Auftritte in Belgrad während der königlichen Hochzeit im Juni 1922 belohnt werden sollen. Auf der Vollversammlung des Alkarenvereins am 30. Oktober 1927 beschwerte sich der Finanzreferent Ante Tripalo jedoch, dass der Verein die von der Stadtverwaltung zugesagten 25.000 Dinar bisher nicht bekommen hätte. Quelle: Archivbestand des Alkarenvereins, Sinj.

Die guten Beziehungen zwischen dem Alkarenverein und dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen wurden während der Sinjska Alka im August 1922 unverkennbar. Der Ruhmgewinner Frano Grabovac, der zum ersten Mal 1918 zum Geburtstag von Kaiser Karl triumphiert hatte, wurde mit der Uhr mit dem Monogramm seiner Königlichen Majestät Aleksandar belohnt. In seiner Rede am Ende der Veranstaltung erinnerte der Anführer Vice Grabovac die Anwesenden „an die fröhlichen und traurigen Ereignisse, die uns seit der letzten Alka ereilt haben.“92 Der alkarische Anführer erwähnte den verstorbenen König Petar I. 92 Alka u Sinju. In: Novo Doba, 17. August 1922, S. 5.

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und rief dreimal „Ehre!“ (slava!). In Hinblick auf den Auftritt der Alkaren in Belgrad betonte er „die Teilnahme des jungen Königs und die besondere Aufmerksamkeit des Königspaars sowie der ganzen Hauptstadt gegenüber den Alkaren“.93 Nach der kurzen Rekapitulation „der Geschichte des Ritterspiels“ und der Erinnerung an die Helden des Cetiner-Landes beendete er seine Rede mit einem Hoch auf König Aleksandar, was auch in den kommenden Jahren konsequent praktiziert wurde. Allerdings sollte König Aleksandar die Sinjska Alka nicht wiedersehen. Die Wiederbegegnung der Alkaren mit dem König erfolgte erst bei seinem Begräbnis im Oktober 1934. Die Alkaren und Knappen beteiligten sich sowohl am Trauerzug in Split, wohin der Sarg des Königs aus Marseille überführt worden war, als auch an der zentralen Zeremonie in Belgrad, wo der König begraben wurde. Die Verbundenheit der Alkaren mit dem jugoslawischen Königshaus wurde auch nach der Ermordung von König Aleksandar erhalten. Die ausgesprochene Loyalität der Alkaren gegenüber der jugoslawischen Monarchie trug sogar zum Ausbruch von Unruhen in Sinj im Jahre 1935 unmittelbar nach der Vorführung der Sinjska Alka bei, in deren Verlauf mindestens ein Demonstrant von der Gendarmerie getötet wurde.94 Die unmittelbar vor dem Spiel gestaltete Oppositionskundgebung lockte 15.000 Menschen aus dem Umland von Sinj an.95 Die Huldigungen des alkarischen Anführers Grabovac an den im Oktober 1934 ermordeten König Aleksandar resultierte in Krawallen vor dem Ende der Zeremonie, die erst mit der Intervention der Armee unter Kontrolle gebracht wurden.96 Mit der Herstellung der faschistischen Herrschaft in Dalmatien im Frühjahr 1941 wurde die Sinjska Alka dennoch vom Ustaša-Regime vereinnahmt – dessen Kern dieselbe Gruppe darstellte, die 1934 das Attentat auf König Alexandar organisiert hatte. Obwohl sich das Ustaša-Regime in erheblichem Ausmaß gerade durch das Hervorheben der Diskontinuität mit der jugoslawischen Monarchie legitimierte, wollten die neuen Machthaber auf keinem Fall auf die Sinjska Alka als Bühne der Herrschaftsrepräsentanz und Vehikel politischer Legitimation verzichten, wie im folgenden Abschnitt gezeigt werden wird.

Auf dem Bollwerk faschistischer Ordnung Der Unabhängige Staat Kroatien (Nezavisna Država Hrvatska) wurde am 10. April 1941, unmittelbar nach dem Einmarsch der Wehrmachttruppen in Zagreb, ausgerufen.97 Die Verwaltung des Marionetten-Staates wurde der radikal-nationalistischen Organisation Ustaša unter der Führung von Poglavnik Ante Pavelić überlassen. Unmittelbar nach der Machtübernahme begann die neue Regierung mit der Herstellung der faschistischen Ordnung in den von ihr kontrollierten Gebieten. Ivan Poljak, administrativer Vorsitzender des Kreises Sinj, 93 Alka u Sinju. In: Novo Doba, 17. August 1922, S. 5. 94 Nikica Barić: Neredi na Sinjskoj alci 1935. godine. In: Časopis za suvremenu povijest, Jg. 38, Nr. 3, 2007, S. 939-953. 95 Marinko Perić: Sinj i Cetinska krajina u borbi za slobodu, Sinj, 1974, S. 29. 96 Nikica Barić: Neredi na Sinjskoj alci 1935. godine. In: Časopis za suvremenu povijest, Jg. 38, Nr. 3, 2007, S. 939-953, hier: S. 941. 97 Vgl. Hrvoje Matković: Povijest Nezavisne Države Hrvatske, Zagreb, 2002.

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ordnete bereits im Mai 1941 an, dass der Alkarenverein den Behörden unverzüglich alle Kostüme, seine Ausrüstung und die Archivbestände auszuliefern habe.98 Aller Wahrscheinlichkeit nach weigerten sich die Traditionsträger, dieser Anordnung zu entsprechen, sodass im Juli 1941 alle Mitglieder des Alkarenvereins per Dekret ausgeschlossen wurden. Zum neuen Verwalter (Povjerenik) des Alkarenvereins wurde Ante Dadić ernannt, ein Referendar am lokalen Gericht. Dem jungen Mann, dem jeglicher Bezug zur Sinjska Alka fehlte, wurde aufgetragen, die Reorganisation des Vereins durchzuführen. Dadić wurde beauftragt, dem Verein „[...] im Geiste des unverändert bleibenden Regelwerks einen rein kroatischen Charakter zu geben“.99 Darüber hinaus wurde ihm die Aufgabe zugeteilt, die Verwaltung des gesamten materiellen Besitzes des Alkarenvereins einschließlich der Finanzmittel und Wertpapiere zu übernehmen. Mitte Juli 1941 wurde die Übernahme der Gegenstände verwirklicht.100 Innerhalb weniger Tage konfiszierte Dadić in Begleitung des Sinjer Verwalters Ivanko Poljak und des Militärkaplans Frater Ivan Hrstić das gesamte Eigentum des Ritterlichen Alkarenvereins. Die enteigneten Traditionsträger wurden durch den langjährigen Ritualteilnehmer und späteren Vereinssekretär Frano Grabovac vertreten. Mit 39 Auftritten war der dreifache Turniersieger zu seiner Zeit eine der prägendsten Persönlichkeiten des Ringreitens in Sinj. Nicht nur während seiner außergewöhnlich langen Beteiligung am jährlichen Kostümfest, sondern auch danach hat er als Vereinssekretär eine deutliche Spur in der Geschichte der Sinjska Alka hinterlassen. Kaum fünf Monate vor der Zwangsübergabe der alkarischen Gegenstände hatte er eine Reihe interessanter Befunde aus dem Vereinsarchiv kategorisiert und verschriftlicht. So hatte er im Februar 1941 einem Heft mit bereits 1927 entstandenen Sitzungsprotokollen des Alkarenvereins zwei systematische Listen hinzugefügt.101 In der ersten Tabelle hatte er alle bekannten Vorführungen der Sinjska Alka nach der Wiederaufnahme der Tradition 1818 bis ins Jahr 1940 aufgelistet, sämtliche bekannten Turniersieger eingetragen sowie ihre Geldpreise angegeben. Die Quellenlücken bezüglich der kalendarischen und finanziellen Umstände zur Zeit der Donaumonarchie wollte Grabovac offensichtlich durch die induktive Methode überwinden. Seine Angaben über die Sinjska alka vor 1918 sollte man daher ohnehin unter Vorbehalt betrachten, dennoch stellt sein Kategorisierungsversuch zumindest ein wertvolles Dokument über das Sinjer Ritterspiel in der Zwischenkriegszeit dar. Darüber hinaus hatte der Sekretär des Alkarenvereins in der zweiten Tabelle sieben Ruhmgewinner (slavodobitnici) erfasst, die mit besonders wertvollen Preisen ausgezeichnet wurden. Der letzte auf dieser Liste war Frano Grabovac selbst. Für seinen Triumph im August 1922 hatte er nichts Geringeres als eine goldene Uhr mit dem Monogramm seiner Majestät, König Aleksandar, erhalten. „Das Geschenk befindet sich noch immer beim angegebenen Ruhmgewinner“ fügte Grabovac im Februar 1941 zur Sonderliste hinzu, sicherlich nicht ohne Stolz auf seine wertvolle Trophäe. Kaum fünf Monate später sah er sich nun mit der 98 Toni Paštar: Nepoznata prošlost. Na dan savezničkog bombardiranja u Sinju održana ustaška Alka. In: Slobodna Dalmacija, 3. März 2010, S. 12-13. 99 Ebd. 100 Liste der konfiszierten Gegenstände siehe in: Šime Jurić: Dokumenti i književna građa o Sinjskoj alki, Split, 1988, S. 241-251. 101 Knjiga alkara i alkarskih zapisnika. (Das Buch der Alkaren und der Alkarenprotokolle). Archivbestand des Ritterlichen Alkarenvereins, Sinj.

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Situation konfrontiert, das komplette materielle Eigentum des Alkarenvereins an Menschen übergeben zu müssen, die bis dato kaum Berührungspunkte mit der berühmten Tradition gehabt hatten. Über die Aneignung der Kostüme und Waffen hinaus konfiszierten die Vertreter des neu entstandenen Ustaša-Regimes 1941 das gesamte Archiv des Ritterlichen Alkarenvereins.102 Die im Übernahmeprotokoll aufgelisteten Archivbestände reflektierten die äußerst spannende politische Geschichte des Ritterspiels, einschließlich vieler Gegenstände und Dokumente, die auf frühere, ideologisch motivierte Kodierungen der kulturellen Inszenierung mit damaligen politischen Symbolen hinwiesen. Die Zerschlagung Jugoslawiens durch die Achsenmächte und die daran anknüpfende Herstellung des kroatischen Marionetten-Staates im April 1941 resultierten im zweiten radikalen ideologischen Bruch in Dalmatien seit 1918. Im Einklang mit den Herrschaftsdiskontinuitäten einerseits und der langandauernden prägenden politischen Rolle der Sinjska Alka andererseits befanden sich im Vereinsarchiv die ideologisch konkurrierenden symbolischen Codes aus beiden letzten Herrschaftsperioden in Dalmatien. In Hinblick auf die in Dalmatien bis 1918 andauernde österreichische Herrschaft wurden den anwesenden Vertretern der kroatischen faschistischen Regierung mehrere Fotografien sowie „die Reste einer von den Habsburgern geschenkten gelben alkarischen Flagge“ übergeben.103 Demgegenüber zeigten einige der Fotografien aus der Zwischenkriegszeit die Alkaren in Belgrad, wo sie an der königlichen Hochzeit 1922 bzw. zwölf Jahre später am Begräbnis von König Aleksandar teilnahmen. In den Archivbeständen manifestierte sich die Phase der SHS bzw. jugoslawischen Monarchie außerdem durch den Orden des Heiligen Sawa (Orden Sv. Save III. stepena), der dem Alkarenverein 1923 verliehen worden war, sowie durch die bereits erwähnte Urkunde, mit der der Verein aus Sinj im Juni 1922 vom Vorsitzenden der Belgrader Gemeinde ausgezeichnet worden war. Anfang August 1941 verschickte der neue Verwalter (Povjerenik) Ante Dadić an die Adressen von 28 Personen, „ab heute Mitglieder des Alkarenvereins“, Einladungen zur Versammlung und Vorbereitung des Kostümfestes.104 Unter den 13 anwesenden Männern der Zusammenkunft am 10. August 1941 wurden die Funktionen des ritualen Handelns verteilt. Zum alkarischen Anführer (Alkarski vojvoda) wurde der Verwalter Ante Dadić selbst gewählt. Die zweithöchste Position des Alkaren-Kommandanten (Alajčauš) wurde Antun Ćiril Lovrić überlassen, der sich seit 1938 regelmäßig als Turnierteilnehmer an der Sinjska Alka beteiligt hatte. Als Fahnenträger (Barjaktar) wurde Mate Tomašević ausgewählt. Zwar hatten sich aus der Familie Tomašević aus Brnaze im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts mehrere Alkaren rekrutiert, der neue Flaggenträger hatte anscheinend jedoch bisher keine Erfahrung mit der Sinjska Alka gesammelt, zumindest was eine Position in der Alkarentruppe anbelangt.

102 Vgl. Šime Jurić: Dokumenti i književna građa o Sinjskoj alki, Split, 1988, S. 241-251. 103 Ebd. 104 Toni Paštar: Nepoznata prošlost. Na dan savezničkog bombardiranja u Sinju održana ustaška Alka. In: Slobodna Dalmacija, 3. März 2010, S. 12-13.

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Im Unterschied zu den führenden Positionen, die unter Personen mit nur wenig oder keiner Erfahrung verteilt wurden, wurde das dreiköpfige technische Gremium für die Vorbereitung des kommenden Jahresfestes mit erfahrenen Ritualteilnehmern besetzt. Eine gewisse Legitimität des angeeigneten Rituals unter den neuen Umständen durfte man sich aus der Beteiligung von Lucijan Lovrić erhoffen, der als 25-maliger Teilnehmer zu den Veteranen der Sinjska Alka zählte. Die beiden anderen hatten zwar etwas weniger Erfahrung als Lovrić, waren aber auch keine Unbekannten. Frano Žanko hatte sich bis 1941 insgesamt elfmal am Ringreiten beteiligt und Jozo Tomašević achtmal, seinen Triumph bei der außerordentlichen Vorführung zum Anlass der königlichen Hochzeit in Belgrad 1922 eingeschlossen. Trotz der Gründung des Gremiums und seinen Plänen, das berühmte Jahreskostümfest zum üblichen Augusttermin fortzusetzen, wurde die Sinjska Alka 1941 zum ersten Mal seit der Wiederaufnahme der Tradition 1818 nicht abgehalten.105 Dieser Kontinuitätsbruch stellte einen Präzedenzfall dar, wies allerdings auf die komplexen politischen Umstände in Dalmatien hin. Die Gründe für die Unterbrechung der langjährigen Tradition in der gesamten Periode der italienischen Verwaltung in Sinj (1941-43) lassen sich zum einem durch den Ausbruch des Militäraufstandes in der unmittelbaren Nähe von Sinj im August 1941 nachvollziehen, zum anderen als Ausdruck der steigenden Spannungen zwischen dem USK und Italien über die Jurisdiktion im östlichen Adriaraum einordnen. Als Folge der von der Kommunistischen Partei geleiteten Sabotageakte, Waffensammlungs-Aktionen und Mobilisierungsaufrufe kam es in der Umgebung von Sinj am 14. August 1941 zum ersten offenen Zusammenstoß zwischen den aufständischen Partisanen und den Einheiten der Achsenmächte in Dalmatien.106 Diesen Gewaltausbruch nahm die italienische Regierung zum Anlass, die eigene Einflusssphäre im östlichen Adriaraum weiter ins Festland auszuweiten, was von einem erheblichen Ingerenzverlust der Ustaša-Verwaltung in Dalmatien und weiteren Regionen begleitet wurde.107 Einen weiteren möglichen Grund für die Traditionsunterbrechung nannte der Sinjer Historiker Ivan Kozlica. Angeblich habe die italienische Verwaltung die Alkarenkostüme übernehmen wollen, um sie für eine Ausstellung nach Rom schicken zu können.108 Laut Kozlica könne die Weigerung des Alkarenvereins, die Kostüme zu überlassen und dadurch dauerhaft zu verlieren, ebenso einen Grund dafür darstellen, warum die Sinjska Alka zwischen 1941 und 1943 nicht in Sinj aufgeführt wurde. Wenn schon nicht in Sinj, dann eröffnete sich den Alkaren und Knappen immerhin ein öffentlicher Auftritt in Zagreb, und zwar als symbolische Vertreter des Ustaša-Regimes. Fast genau 20 Jahre nach ihrer Teilnahme an den königlichen Hochzeitsfeierlichkeiten in Belgrad nahmen die Alkaren und Knappen eine beträchtliche Rolle im Rahmen der zentralen Jubiläumsfeier des Unabhängigen Staates Kroatien ein. Das erste Jubiläum des USK im April 1942 stellte eine äußerst wichtige Gelegenheit für die innen- und außenpolitische Repräsentanz der neuen Herrschaft dar, die gerade auf dem 105 Wegen der Choleraepidemie wurde die Sinjska alka 1855 zwar verschoben, aber dann doch nachträglich im Oktober organisiert. 106 Vgl. Marinko Perić: Sinj i Cetinska krajina u borbi za slobodu, Sinj, 1974, S. 37-52. 107 Vgl. Hrvoje Matković: Povijest Nezavisne Države Hrvatske, Zagreb, 2002, S. 59ff. 108 Informationen aus dem Gespräch mit Ivan Kozlica in Zagreb, Dezember 2013.

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Höhepunkt ihrer Macht angelangt war. Die wochenlangen Vorbereitungen für die Jubiläumsfeierlichkeiten wurden durch begeisterte Medienberichte über die Militärerfolge der Achsenmächte an der Ostfront, am Mittelmeer, am Atlantik sowie in Südostasien begleitet. Hinsichtlich der innenpolitischen Situation berichteten die Zeitungen über die erfolgreiche gemeinsame Offensive der Ustaša-Truppen und der regulären Militäreinheiten (Domobranska vojska) gegen „die Banditen“ im östlichen Bosnien. Die begrenzten Erfolge der aufständischen Guerillatruppen konnte man höchstens zwischen den Zeilen lesen, beispielsweise in Nachrichten über die „heftigen Kämpfe im östlichen Bosnien“ oder über die „Wiederherstellung des Zugverkehrs zwischen Zagreb und Split“ nach einer dreimonatigen Pause. Die Kriegsrealität in Südosteuropa spiegelte sich in den Zagreber Zeitungen hauptsächlich in den täglich veröffentlichten Verdunkelungsregelungen sowie Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit wider. Der Öffentlichkeit wurde grundsätzlich suggeriert, dass der Sieg gegen die „uneinträchtige und prinzipienlose Koalition der Alliierten“, sowie die Herstellung der vollständigen inneren Souveränität der Ustaša-Macht fest in Aussicht stünden. In symbolischer Hinsicht wurde das faschistische Ustaša-Regime weitgehend im Führerkult um Poglavnik Ante Pavelić verkörpert, dessen Machtaneignung in der Propaganda als Ankunft eines modernen Propheten dargestellt wurde. Über den Führerkult hinaus bezog sich die chiliastische Projektion der Ustaša-Herrschaft auf ihren wichtigsten und omnipräsenten Legitimationstrumpf: Die Wiederherstellung Kroatiens nach einem „achthundertjährigen Kampf um die nationale Unabhängigkeit“. Am Wochenende vor der Jubiläumsfeier im April 1942 wurde Ostern gefeiert, das medial als „Ostern des Ustaša-Kroatiens“ (Uskrs ustaške Hrvatske) dargestellt wurde.109 Durch die symbolische Verknüpfung der Staatsgründung mit dem religiösen Kalender wurde die von Rom und Berlin orchestrierte Machtübernahme durch die Organisation Ustaša als Ausdruck von Gottes Willen gedeutet. Die weitgehende Sakralisierung der Politik spiegelte sich auch im zu dieser Gelegenheit veröffentlichten Text von Pavelić mit dem Titel „Die Feinde des Kroatentums“ wider.110 Als vier Feinde wurden – wie die vier Reiter der Apokalypse – „[...] die serbische Staatsmacht, das internationale Freimaurertum, das Judentum und der Kommunismus“ aufgelistet. Die Jubiläumsfeier in Zagreb begann am Morgen des 9. April, ein Donnerstag, mit den Vorträgen in Bildungs- und Arbeitsinstitutionen über die Bedeutung der Staatsgründung.111 Im Anschluss an die Aktionen in den Arbeits- und Bildungsinstitutionen läuteten zwischen 14 und 15 Uhr in allen Zagreber Kirchen die Glocken. Kurz danach begannen die letzten Vorbereitungen für die zentrale Kundgebung des Tages, den zweistündigen festlichen Aufmarsch vor dem Poglavnik auf dem Stjepan-Radić-Platz.112 Fast eine Stunde vor dem Beginn des Festzugs nahmen die lokalen Prominenten ihre Plätze auf der rechten Seite ein, auf einer mit den Staatsflaggen der Achsenmächte geschmückten Tribüne. Auf der linken Seite waren die Plätze für die angekündigten Vertreter der verbündeten Achsenstaaten reserviert. Den Sonderemissären aus dem Großdeutschen Reich, Italien, Bulgarien, Ungarn, Rumänien und der 109 110 111 112

Uskrs ustaške Hrvatske. In: Hrvatski narod, 4. April 1942, S. 1. Neprijatelji Hrvatstva. In: Hrvatski narod, 4. April 1942, S. 2. Raspored svečanosti u proslavu godišnjice. In: Hrvatski narod, 3. April 1942, S. 2. Veličanstveni mimohod pred poglavnikom. In: Hrvatski narod, 10. April 1942, S. 5.

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Slowakei schlossen sich die in Zagreb akkreditierten diplomatischen Vertreter aus den erwähnten Ländern, sowie aus Finnland und Spanien an. Kurz nach 16 Uhr nahm schließlich der Führer Ante Pavelić seinen Platz in der Mitte der Sondertribüne ein. Nach einer Darbietung der kroatischen Hymne sowie der Hymne der Ustaša-Bewegung von 500 Sängern aus unterschiedlichen Kulturvereinen folgte die zweistündige, vom Militärorchester akustisch begleitete Parade mit tausenden Teilnehmern. Trotz aller Ausführlichkeit der Medienberichterstattung über die Jubiläumsfeier wurden die Alkaren nicht einmal erwähnt. Die Möglichkeit, dass die kostümierten Ritter aus Sinj neben den zahlreichen anderen Gästen einfach unbemerkt geblieben sind, lässt sich nicht ausschließen. Angesichts ihrer medialen Präsenz in den darauffolgenden Tagen liegt die Vermutung jedoch nahe, dass sie den ersten Tag der Jubiläumsfeier schlicht verpassten. Von Sinj nach Zagreb und zurück sind die Alkaren und Knappen, laut Ivo Dalbello, mit dem Bus über Bosnien gefahren. Der Straßen- und Schienentransport durch die Lika und Norddalmatien wurde durch Sabotageakte der Aufständischen kontinuierlich gestört. Angesichts dessen lässt sich nicht ausschließen, dass sich die Alkaren und Knappen gerade durch die Verkehrsumstände und zahlreichen Kontrollen verspäteten. Der zweite und gleichzeitig zentrale Feiertag des ersten Jubiläums des Unabhängigen Staates Kroatiens begann am 10. April 1942 mit einem einstündigen Glockengeläut in allen Zagreber Kirchen. Ab 9 Uhr wurden sowohl in der katholischen als auch in der evangelischen Kirche Gottesdienste gefeiert, zu denen sich angesehene Vertreter des Ustaša-Regimes und ihre internationalen Gäste versammelten. Gleichzeitig liefen die letzten Vorbereitungen auf dem König-Tomislav-Platz für das zentrale Ereignis des Feiertages: „ein großer Festzug vor dem Führer (Poglavnik) und den ausländischen und einheimischen Spitzenpersonen (odličnici)“.113 Vor einem Pavillon im Sezessionsstil wurde der öffentliche Raum achtsam mit der Idee eingerichtet, die Führerfigur einmal mehr symbolisch zu inszenieren: Vor der großen Tribüne für Ehrengäste wurde eine kleine Sondertribüne für Pavelić eingerichtet. Bereits eine gute Stunde bevor das Staatsoberhaupt seine distinkte Position einnahm, herrschte rundherum dichtes Gedränge. „Als Ehrenwache vor der Führertribüne (Poglavnikova tribina) standen die Alkaren aus Sinj in ihren Uniformen und mit kurzen, altertümlichen Flinten“, berichtete die Zagreber Tageszeitung Hrvatski narod tags darauf.114 Die Tatsache, dass die Flinten jedoch nicht von Alkaren, sondern von Knappen getragen wurden, spielte in der Berichterstattung über die Jubiläumsfeierlichkeiten überhaupt keine Rolle. Auch in den anderen Nachrichten sprach man ausschließlich von „Alkaren“, ohne einmal die „Knappen“ zu erwähnen. Die Berichterstattung über die Teilnahme der Traditionsträger an der Jubiläumsfeier blieb auch in den nächsten Tagen konsequent knapp, oberflächlich und ausgeprägt funktionalistisch. Das grundsätzliche Ziel der Berichterstattung sowie der zahlreichen Massenkundgebungen während der mehrtägigen Jubiläumsfeier stellte die Schaffung des Führerkultes um Ante Pavelić dar. Nach Ankunft der ausländischen Delegationen aus den verbündeten Staaten nahmen die Vertreter der anerkannten kirchlichen Gemeinschaften ihre Plätze ein, einschließlich der eine 113 Veličanstveni mimohod pred poglavnikom. In: Hrvatski narod, 10. April 1942, S. 7. 114 Ebd.

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Woche zuvor durch Pavelićs Dekret gegründeten „Kroatischen Orthodoxen Kirche“.115 Die Bildung erfolgte, nachdem das Ustaša-Regime von seinen Protektoren in Berlin und Rom wegen der kontinuierlichen anti-serbischen Terrorkampagnen mit abertausenden Zivilopfern heftig kritisiert worden war. Mehr als ein Drittel der gesamten Bevölkerung im USK waren Serben. Ihre massenhafte und fanatische Verfolgung durch die Ustaša führten nicht nur bei darüber in Kenntnis gesetzten Personen zu Verachtung, sondern stärkten auch den bewaffneten Widerstand gegen die neue Ordnung. Die Gründung der „Kroatischen Orthodoxen Kirche“ und ihre starke öffentliche Promotion am Rande der Jubiläumsfeier im April 1942 stellten einen Versuch der Ustaša-Führung dar, ihr Regime sowohl innenpolitisch als auch außenpolitisch zu legitimieren, ohne dabei auf den Serbenhass als eines der wichtigsten Postulate ihrer eigenen Ideologie verzichten zu müssen. Mit der Ankunft der Vertreter der kirchlichen Gemeinschaften auf der großen Tribüne war die Liste der Ehrengäste fast abgeschlossen. Um 10:35 Uhr erschien der „Heerkommandant, stellvertretender Führer, Slavko Ritter Kvaternik“ auf dem König-Tomislav-Platz.116 Der kurze Zeit zuvor mit dem Großen Kreuz des Deutschen Adlers ausgezeichnete Kvaternik wurde mit einer synchronen Flugschau von Militärflugzeugen empfangen. „Der Heerkommandant nahm seinen Platz vor der Führertribüne ein. Auf dem Platz herrschte Ruhe, weil die Ankunft des Führers erwartet wurde“, beschrieb Hrvatski narod die Atmosphäre.117 Um 10:50 Uhr schließlich erschien Pavelić, nahm seinen Platz auf der Tribüne ein und den feierlichen Rapport vom legendären Heerkommandanten Kvaternik, der 1918 mit seinen Truppen Medjimurje für den sich in der Entstehung befindenden jugoslawischen Staat annektierte, entgegen. Nach der Machtübernahme im April 1941 hatte sich die Ustaša-Bewegung bemüht, ihre kleine soziale Basis durch die Unterstützung anderer Befürworter der kroatischen Unabhängigkeit zu erweitern, wobei gerade Slavko Kvaternik eine Schlüsselrolle dafür gespielt hatte, die alten Militäreliten für die Sache der Ustaša zu gewinnen.118 Dementsprechend wurde „die gemeinsame Truppenparade der kroatischen Armee mit den Ehrentruppen der befreundeten und alliierten Armeen Deutschlands und Italiens“ vom Hauptmann der Heimwehr (Domobranstvo) Matija Ćanić eröffnet, einem einstigen Offizier im Dienste der Donaumonarchie und des jugoslawischen Staates und dem jetzigen Befehlshaber des Militärkommandos in Sarajevo.119 Die vom Militärorchester akustisch begleitete Machtdemonstration setzten die Mitglieder der Deutschen Luftwaffe und Italienische Schwarzhemden (Camicie nere) fort. Danach folgte eine Gruppe von Offizieren mit Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg, „mit den berühmten Fahnen, unter denen die Kroaten über die Jahrhunderte hinweg heldenhaft gekämpft hatten“.120 Nach den Ehrentruppen erschienen die unterschiedlichen Armeeklassen, von der Kavallerie bis zur Flugabwehr mit den entsprechenden Waffenstücken, die Mitglieder des Arbeitsdiensts mit den Spaten auf den Schultern sowie Motorradfahrer aus der motorisierten Leibwache von Poglavnik Pavelić (Poglavnikova tjelesna bojna). An der Parade der kroatischen Armee „[...] die über 115 Siehe: Osnutak Hrvatske pravoslavne crkve. In: Hrvatski narod, 4. April 1942, S. 8. 116 Führer je podijelio visoko njemačko odlikovanje vojskovodji doglavniku Slavku Vitezu Kvaterniku. In: Hrvatski narod, 8. April 1942, S. 6. 117 Veličanstveni mimohod pred poglavnikom. In: Hrvatski narod, 11. April 1942, S. 7. 118 Zdravko Dizdar, Marko Grčić, Slaven Ravlić, Darko Stuparić (Hg.): Tko je tko u NDH, Zagreb, 1997, S. 226. 119 Ebd., S. 78. 120 Veličanstveni mimohod pred poglavnikom. In: Hrvatski narod, 11. April 1942, S. 7.

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Jahrhunderte hinweg auf dem Bollwerk des westeuropäischen Anstandes (uljudba) stand“, nahmen auch die Omnibusse und LKWs eine wichtige Rolle ein, als Indikatoren dafür, dass sie „mit den neuesten Waffen“ ausgestattet wurde.121 Nach dem Ende des ersten Teils und einer kurzen Zeremonie, in der der Führer Pavelić noch einmal die Hauptrolle spielte, begann „der Festzug des kroatischen Bauerntums“ (mimohod hrvatskog seljaštva). „Noch immer erklangen die stechenden und starken Schritte der kroatischen Soldaten und noch immer hatten die Zuschauer das Bild der aufgeregten, starken Brüste und Muskeln der kroatischen Soldaten vor Augen […], als die wunderschönen Farben, die Buntheit und der Reichtum der kroatischen Volkstrachten in der Sonne erstrahlten“.122 Dieser zweite Teil des Festzugs wurde von den Alkaren auf vom Zagreber Ordnungsamt (Redarstvena služba) geliehenen Pferden eröffnet, die „genau wie alle anderen Reihen der kroatischen Bauern bei den Anwesenden eine Welle der Begeisterung auslösten“. Dazu verursachte das Auftreten der kostümierten Reiter unter den ausländischen Zuschauern „eine angenehme Überraschung darüber, was das kroatische Volk zu bieten hat“.123 Im Anschluss an den Auftritt der Alkaren, die anscheinend den Übergang zwischen den modernen Truppen und den Vertretern volkstümlicher Traditionen repräsentieren sollten, folgte ein halbstündiger Festzug der „bäuerlichen Sängervereine“ und der Delegationen in den Volkstrachten aus nahezu allen Landesteilen. Die Exklusivität der Alkaren wurde auch dadurch hervorgehoben, dass sie die einzigen Reiter im zweiten Teil der Parade waren - mit Ausnahme der „Bosnischen Kavalleristen“ (Bosanski konjanici) - an deren Spitze „ein stämmiger Bosniake in wunderschöner, mit Gold geschmückter Bey-Uniform (Begovska dolama) ritt“.124 „Unsere Bosniaken, sowohl die Muslime als auch die Katholiken, kamen alle in bosnischer Volkstracht […]. Zu diesem Anlass erlebt Zagreb das vergnügliche Glück und die Freude, eine große Gruppe der Bosniaken und der Herzegowiner in der eigenen Umgebung zu sehen und zu begrüßen“, berichtete das Blatt der Ustaša-Bewegung in der erkennbaren Absicht, die ideologisch geforderte Eintracht der beiden Religionsgruppen klar zu betonen. Das Kernpostulat der Ustaša-Identitätspolitik – Einheit und Gleichheit der Katholiken und Muslime – kam auch im Anschluss des Festzugs zum Ausdruck, als die Alkaren und die Bosnischen Kavalleristen sich nebeneinander vor dem Denkmal des kroatischen Banus Josip Jelačić auf dem Zagreber Zentralplatz aufstellten.125 Die nächste in den Medien erwähnte Begegnung der Alkaren mit dem Staatsführer Pavelić folgte einen Tag später, am Samstag, den 11. April 1942, um 12 Uhr, während des „Empfangs für die Vertreter des ausländischen und einheimischen Sports“.126 Die zentrale Stelle im großen Raum nahmen die Vertreter der Sportverbände aus Deutschland, Italien, Ungarn, Bulgarien und der Slowakei sowie die Vertreter der Abteilung für körperliche Erziehung innerhalb der staatlichen Jugendorganisation Ustaška mladež ein. „Auf der linken Seite platzierten 121 122 123 124 125 126

Veličanstveni mimohod pred poglavnikom. In: Hrvatski narod, 10. April 1942, S. 7. Ebd. Ebd. Ebd. Dirljiv završetak divnog mimohoda pred poglavnikom. In: Hrvatski narod, 11. April 1942, S. 9. Poglavnik je primio predstavnike stranog i domaćeg sporta. In: Hrvatski narod, 12. April 1942, S. 1.

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sich die Alkaren in ihren altertümlichen Uniformen und auf der rechten Seite alle Sekretäre der kroatischen Sportverbände“, meldete Hrvatski narod am nächsten Tag in einer kürzeren Nachricht auf der Titelseite.127 Nach einer Rede, in der er seinem Glück Ausdruck verlieh, dass kroatische Sportler endlich unter der kroatischen Fahne antreten dürften, schüttelte der Poglavnik allen anwesenden Gästen die Hand. „Ein besonders fröhlicher Augenblick war, als der Staatsführer den grauhaarigen, alten, aber noch immer kräftigen Alkaren die Hand gab, und einer von den Alkaren mit Tränen in den Augen sagte: Ich bin froh, dass ich in meinen alten Tagen die Freiheit des kroatischen Volkes erlebe, sowie dass ich Sie, mein Führer, sehen kann“, berichtete die Tageszeitung.128 Im Anschluss an das Treffen mit dem Poglavnik wurde die Begegnung mit den Vertretern politischer Macht bei einem halbstündigen Empfang beim Bürgermeister von Zagreb, Ivan Werner, fortgesetzt. Anschließend begaben sich alle Anwesenden zum Mittagessen, das der Bürgermeister zu Ehren der ausländischen Sportler organisierte.

Abb 8:

„Der Ustaša-Anführer (Poglavnik) begrüßt die Alkaren während des Empfangs der Sportdelegationen“. Die Jubiläumsfeier des Ustaša-Staates 1942 in Zagreb war die erste und gleichzeitig die letzte dokumentierte Begegnung der Alkaren mit Ante Pavelić. Quelle: Hrvatski narod, 12. April 1942, S. 7.

127 Poglavnik je primio predstavnike stranog i domaćeg sporta. In: Hrvatski narod, 12. April 1942, S. 1. 128 Ebd.

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Im Einklang mit seiner allgemein wachsenden Popularität einerseits und seiner unaufdringlichen Tauglichkeit für die Vermittlung politischer Botschaften andererseits stellte Sport einen äußerst wichtigen Aspekt der Jubiläumsfeier 1942 in Zagreb dar. Am Samstagabend stand um 19 Uhr das Tischtennis-Duell zwischen dem USK und dem Großen Deutschen Reich auf dem Programm. Zwei Stunden später fand der Wettkampf von einheimischen Ringern mit dem ausgewählten italienischen Kader statt. Darüber hinaus bot das Jubiläum ebenfalls ein reiches, der Ustaša-Ideologie entsprechendes Kulturprogramm an. Die an Kultur Interessierten hatten die Gelegenheit, den zahlreichen Konzerten der Militärorchester bzw. der Sängervereine beizuwohnen oder eine der Premieren im Kroatischen Staatstheater anzuschauen.129 Überdies wurden am Samstagabend im großen, öffentlichen Kino auf dem zentralen Stadtplatz „propagandistische Dias und Filme sowie die Sendungen der Wochenschau aus Kroatien, Deutschland und Italien“ gezeigt.130 „Die Entfernung zwischen dem Gerät und der Leinwand beträgt 76 Meter, was die größte Entfernung dieser Art in Europa darstellt“ berichtete Hrvatski narod über diese neuste technische Akquisition aus Deutschland. Am Sonntag, den 12. April, wurde die Jubiläumsfeier mit zahlreichen festlichen Einweihungen von Bauwerken fortgesetzt. Entsprechend dem Führerkult im Ustaša-Staat hatte Poglavnik Ante Pavelić eine ausgeprägt dominante Rolle sowohl in den zahlreichen Inszenierungen als auch in den Medienberichten darüber. Nach der samstäglichen Eröffnung des Ersten Ustaša-Kinderinstituts „[...] für jene Kinder, deren Eltern im Kampf gegen die kommunistischen Četnik-Banden gefallen sind“, widmete der Poglavnik den Sonntagmorgen sorgfältig inszenierten Einweihungsfeierlichkeiten am östlichen Stadtrand.131 Bei der Eröffnung der neuen Straßenbahnlinie zwischen den Stadtteilen Maksimir und Dubrava fuhr Pavelić laut einem Medienbericht als „wahrer, ausgebildeter Fahrer“ persönlich die Tram nach Dubrava, was „Überraschung und Begeisterung bei allen Anwesenden verursachte“.132 In Dubrava angekommen, verteilte der Poglavnik die Schlüssel der neugebauten Wohnungen im Arbeiterviertel „Ante Starčević“. Die Schlüssel der ersten Wohnung wurden dem Arbeiter Ivan Šlat übergeben, einem „Vater von 21 Kindern, von denen heute noch immer 15 am Leben sind“.133 Im Anschluss an das Programm in Dubrava begab sich der Poglavnik zur feierlichen Einweihung des Krankenhauses „Rebro“. Obwohl das Krankenhaus noch ein Bauprojekt der jugoslawischen Monarchie gewesen war, wurde dieser Anlass für eine weitere Abrechnung mit den politischen Vorgängern benutzt, sowie für eine Lobrede auf den Poglavnik als den für ihren Aufbau Verantwortlichen.134 Die öffentliche Darstellung von Pavelić als einem charismatischen und beliebten Führer des kroatischen Volkes stellte ein äußerst wichtiges Instrument der Machtlegitimation im USK dar. Besonders große Relevanz für die Inszenierung seiner Popularität bekam sein Namenstag, der kirchliche Feiertag des Heiligen Anton am 13. Juni, an dem er schon 1941, knapp 129 130 131 132 133 134

Vgl. Snježana Banović: Država i njezino kazalište. Zagreb, 2012, S. 214-217. Zagreb ima najveći javni slikokaz svijeta. In: Hrvatski narod, 14. April 1942, S. 7. Poglavnik je otvorio prvi Ustaški dječji zavod. In: Hrvatski narod, 12. April 1942, S. 12. Poglavnik radnik – radniku. In: Hrvatski narod, 14. April 1942, S. 1. Poglavnik kao prvi radnik u hrvatskoj državi. Hrvatski narod, 14. April 1942, S. 2. Poglavnik je otvorio najveću i najljepšu bolnicu u Hrvatskoj. In: Hrvatski narod, 14. April 1942, S. 3.

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zwei Monate nach der Machtübernahme, „Glückwünsche von Kindern aus allen Ecken des USK empfing“.135 Neben der visuellen und medialen Darstellung von Pavelić in der Rolle des sorgenvollen Vaters wurde sein Namenstag für die Hervorhebung der ideellen und symbolischen Kontinuität von Ante Starčević zu Ante Pavelić benutzt. Ersterer galt als wichtigster Akteur für den Ausdruck der kroatischen Nationalidee im 19. Jahrhundert sowie als Gründer der Kroatischen Rechtspartei, der Pavelić vor dem Verbot der politischen Parteien in Jugoslawien 1929 selber angehört hatte. Darüber hinaus war Starčević ein Befürworter der ethnischen und nationalen Einheit der slawischsprachigen Katholiken und Muslime in Kroatien und Bosnien-Herzegowina gewesen, was als zentrales Postulat in die Ustaša-Ideologie aufgenommen wurde. Letztendlich galt Ante Starčević als „Vater der kroatischen Nation“, was für das ultra-nationalistische Ustaša-Regime einen durchaus wichtigen Grund darstellte, ihn symbolisch anzueignen und zu vergegenwärtigen.136 Dabei war die Benennung der Arbeitersiedlung in Dubrava nach Starčević nur eine von unzähligen mit ihm verbundenen Aktionen. Während der Staatsführer sich an den Sonntagsfeierlichkeiten am östlichen Stadtrand beteiligte, bereiteten sich die Alkaren aus Sinj für ihren öffentlichen Auftritt auf dem StjepanRadić-Platz im alten Stadtkern vor. „Die Infanteristen und Kavalleristen in den lebhaften altertümlichen Trachten“ standen gegenüber der Führertribüne zusammen mit den ausländischen und einheimischen Vertretern der Sportvereine, mit denen sie tags zuvor gemeinsam die Vertreter der politischen Macht besucht hatten.137 Der Rest des kleinen Platzes zwischen dem Parlamentsgebäude und dem Führerpalast (Poglavnikovi dvori) wurde von Bauern in Volkstrachten sowie Mitgliedern unterschiedlicher Militäreinheiten gefüllt. Auf den ursprünglich für 11:30 Uhr vorgesehenen Programmstart warteten in den naheliegenden Straßen auch die zahlreichen Sportler in ihren Wettkampftrikots, eingeteilt nach den einzelnen Sportarten. „Das kroatische Volk und vor allem das kroatische Bauernvolk eignet den ritterlichen Wettbewerb in seiner mündlichen Überlieferung, in seinen Traditionen“, sagte Pavelić den anwesenden Sportlern unmittelbar nach seiner Ankunft auf dem Radić-Platz.138 „Als wir noch nicht frei waren, als wir durch die letzten Jahrzehnte hindurch kein Staat waren, bemühten sich die Feinde, dass die Übung des kroatischen Volkes eingeht“, setzte der Führer seine Rede zwischen der Dämonisierung der jugoslawischen Epoche und der Abbildung der mythischen Vergangenheit fort. Am Ende begrüßte er „die Sportvertreter unserer freundlichen und alliierten Völker“ und versprach den kroatischen Sportlern, dass sie in der neuen Ordnung, dem neuen Europa, ihrer Pflicht als Kroaten und Sportler würden nachkommen können, weil sie für Kroatien und für die Heimat stünden. Mit Jubelrufen und Militärmusik wurde die Festzugskolonne formiert, an deren Spitze die Vertreter der sportlichen Organisationen und die Alkaren standen. Anschließend folgten die Sportlergruppen in Trikots und mit den jeweiligen Sportgeräten in Händen. Nach dem Defilee vor der Führertribüne schlugen die Teilnehmer den Weg zum Universitätsplatz und 135 Ivica Buljan: Život u NDH. Fotomonografija (1941-1945). Zagreb, 2010, S. 26. 136 Siehe zum Beispiel den Zeitungsartikel: Hrvati Herceg-Bosne na grobu Oca Domovine u Šestinama. In: Hrvatski narod, 12. April 1942, S. 2. 137 Svečani mimohod hrvatskih športaša pred poglavnikom. Hrvatski narod, 14. April 1942, S. 3. 138 Ebd.

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weiter in Richtung Stadion „Concordia“ ein, wo für den Nachmittag ein umfassendes Sportprogramm angesetzt war. Schon um 14:30 Uhr wurde das Fußballspiel zwischen den einheimischen Mannschaften „Mostar“ und „Zemun“ angepfiffen, auf das ein Leichtathletikwettbewerb folgte. Die Hauptattraktion des Tagesprogramms stellte um 16 Uhr das Fußballspiel des USK gegen Bulgarien dar. Die Premiere der Fußballnationalmannschaft vor dem eigenen Publikum wurde mit großer Aufregung erwartet. Eine Woche vorher hatte jedoch der erste internationale Auftritt der Fußballnationalmannschaft des USK im Spiel gegen Italien in Genova mit einem 6:0-Sieg der Gastgeber geendet. „Alle glauben, dass unsere hohe Niederlage, die Folge der in dem Moment nicht vorhandenen Form unserer Mannschaft war und nicht ihrer Unterlegenheit im Spiel mit den Europameistern“, argumentierte Hrvatski narod in seiner Ankündigung des Spiels gegen Bulgarien.139 Anschließend widmete sich der unbekannte Autor der kulturalistischen Dimension des anstehenden Spektakels. „Das kroatische und bulgarische Volk sind seit jeher in größter Freundschaft verbunden, die auf den nahezu identischen Rollen fundiert, die uns die Geschichte zugeteilt hat. Über die Jahrhunderte hinweg verteidigte das bulgarische Volk die europäische Kultur südlich und östlich von [dem Fluss] Marica gegen die Plage der fremdartigen, orientalischen Eroberer, genauso wie das kroatische Volk in seinem langandauernden Kampf als Todeswache für den Westen auf [dem Fluss] Drina, später Una und Sava stand“, erklärte man in der Ankündigung des Fußballspiels. Die Ustaša-Ideologie stellte eine eklektische Kombination von unterschiedlichen und zum Teil widersprüchlichen Diskursen dar. Einerseits legte man großen Wert auf die symbolische Integration der bosnischen Muslime in das rassen-ideologisch definierte kroatische Volkswesen. So war Ademaga Mešić, einer der stellvertretenden Führer im Ustaša-Staat, islamischen Glaubens.140 Andererseits bestand man auf der Zugehörigkeit der Kroaten zum westlichen Kulturkreis sowie auf ihrer Rolle als „Grenzschützer des Christlichen Abendlandes“. Anstelle der hinderlichen Gegenüberstellung von Christen und Muslimen wurde das vorhandene Deutungsmuster angepasst und insbesondere für die rassistische Abgrenzung von Serben, Juden und Roma benutzt. Schließlich musste man die weltanschaulichen Präferenzen dennoch der außenpolitischen Realität anpassen, was die Förderung der guten Beziehungen mit den Völkern der Achsenmächte, so auch den Bulgaren, vermuten lässt. Wenngleich seine Anwesenheit nicht angekündigt worden war, wurde die erste Halbzeit der Partie zwischen dem USK und Bulgarien auch vom Staatsführer Pavelić verfolgt, der direkt vom „Empfang für die Kroaten muslimischen und katholischen Glaubens aus den südlichen und östlichen Regionen“ gekommen war.141 Vor seiner Ehrentribüne standen auch hier seine Leibwache sowie mindestens ein Alkar und ein Knappe, wie zwei Tage später auf einem Foto in der Zeitung Hrvatski narod zu sehen war.142 Wahrscheinlich war das Fußballspiel die letzte

139 140 141 142

Prvi medjudržavni nogometni susret Hrvatska-Bugarska. In: Hrvatski narod, 12. April 1942, S. 6. Vgl. Nada Kisić Kolanović: Muslimani i hrvatski nacionalizam 1941-1945., Zagreb, 2009. Novi iskaz odanosti Hrvata južnih i istočnih krajeva poglavniku. In: Hrvatski narod, 12. April 1942, S. 4. Poglavnik je posjetio medjunarodnu nogometnu utakmicu Bugarske i Hrvatske. In: Hrvatski narod, 14. April 1942, S. 6.

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Begegnung zwischen den Traditionsträgern und dem Poglavnik Pavelić. Vor seinem Untergang im Mai 1945 sollte der Ustaša-Staat noch dreimal sein Jubiläum mit öffentlichen Kundgebungen in der Hauptstadt zelebrieren, diese Male allerdings ohne die Teilnahme der Alkaren und Knappen.

Abb 9:

Ein Alkar und ein Knappe vor der Ehrentribüne während des Fußballspiels des USK gegen Bulgarien in Zagreb 1942. Zwar war es den Alkaren auf mehreren Kundgebungen während der Jubiläumsfeier gelungen, die Position der Ehrenwache in der unmittelbaren Nähe von Pavelić einzunehmen, in diesem Fall war ihnen die Leibwache des Anführers (Poglavnikova tjelesna bojna) zuvorgekommen. Den medialen Berichten zufolge war das wichtigste Ereignis des Stadionspektakels jedenfalls die Anwsenheit von Pavelić auf der Tribüne. „Die Veranstaltung erlangte durch das unerwartete Ankommen des Anführeres die Bedeutung einer großen Manifestation des kroatischen Sports“, meldete Hrvatski narod zwei Tage später. Quelle: Hrvatski narod, 14. April 1942, S. 6.

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Das letzte bekannte öffentliche Auftretten der Alkaren unter dem Ustaša-Regime ereignete sich am 20. August 1944 in Sinj. Die Vorführung der 229. Sinjska Alka stellte den Höhepunkt der dreijährigen Bemühungen des Ustaša-Regimes dar, sich das traditionelle Ritual anzueignen. „Das kroatische Ritterspiel wurde am Sonntag zum ersten Mal in der befreiten Heimat veranstaltet“, meldete Hrvatski list aus Osijek vier Tage darauf.143 Am selben Tag veröffentlichte die Zagreber Tageszeitung Hrvatski narod einen Artikel über die Aufführung „der traditionellen Sinjska Alka, [...] zum ersten Mal seit der Gründung des Unabhängigen Staates Kroatien“.144 Beide Tageszeitungen übernahmen für ihre Artikel den entsprechenden Bericht der Kroatischen Informationsagentur (Hrvatska dojavna agencija): „Das Ritterspiel Alka wird in Sinj seit über zwei Jahrhunderten abgehalten. Nur während Napoleons Einmarsch im vergangenen Jahrhundert sowie im Laufe der Besatzung durch die italienische Armee in den letzten zwei Jahren wurde die Aufführung dieser heldenhaften kroatischen, Cetiner Tradition verhindert“.145 Der größte Teil des Berichtes aus Sinj wurde der Auflistung der anwesenden regionalen und lokalen Vertreter politischer Macht, bzw. der Offiziere der kroatischen und deutschen Truppen auf der Ehrentribüne gewidmet.146 „Während und nach der Rede [vom alkarischen Anführer] wurden der Führer und der Unabhängige Staat Kroatien begeistert bejubelt“, stand gleich darunter. Die Namen des Ruhmgewinners Jozo Tomašević und des alkarischen Anführers Mirko Bilobrk wurden hingegen nicht erwähnt. Ebenso unerwähnt blieb die Tatsache, dass die Stadt am gleichen Morgen bombardiert wurde. Stattdessen wurde der Bericht mit der Feststellung abgeschlossen, dass die „diesjährige Feier im Zeichen des schicksalhaften Kampfes des Kroatischen Volkes um den Erhalt und die Festigung der völkischen Freiheit und der kroatischen Staatsunabhängigkeit“ abgehalten worden sei.147 Im Sommer 1944 festigten die Truppen der antifaschistischen Allianz den Kreis um Deutschland und seine zahlenmäßig immer geringer werdenden Verbündeten, während die politischen Vertreter der Großmächte schon die Ordnung eines Nachkriegseuropas besprachen. Die staatlich kontrollierten Medien im USK vermittelten jedoch immerhin den Eindruck, dass die Achsenmächte den Krieg für sich entscheiden sollten. Über den kurzen Agenturbericht aus Sinj hinaus berichtete Hrvatski narod am Donnerstag, den 24. August 1944, vom Treffen von Vertretern der alliierten Regierungen in Dumbarton Oax bei Washington und ihren angeblichen Unstimmigkeiten. Auf der Titelseite der Zagreber Tageszeitung konnte man am selben Tag die Berichte über die „erfolgreiche Gegenoffensive der Deutschen Truppen bei Nantes“ und das „Aufhalten der sowjetischen Offensive in Bessarabien und Moldawien“ lesen. Auf der Titelseite der Osijeker Tageszeitung Hrvatski list wurde am gleichen Tag über „die feierliche Einweihung der Führer-Moschee (Poglavnikova džamija) in Zagreb“ 143 Hrvatska vitežka igra sinjska alka. In: Hrvatski list, 24. August 1944, S. 3. 144 U nedjelju je održana tradicionalna sinjska Alka po prvi put nakon uzpostave Nezavisne Države Hrvatske. In: Hrvatski narod, 24. August 1944, S. 2. 145 Zu den Medien und der Nachrichtenagentur im USK siehe: Upravljanje medijima, cenzura te položaj i uloga novinara u Nezavisnoj Državi Hrvatskoj. In: Studia Lexicographica, Nr. 1-2/2009, God. III, S. 99-126. 146 Der höchstrangige Machtvertreter im Publikum war Vladimir Jonić, Ausschussmitglied des UstašaHauptquartiers (Povjerenik u Glavnom ustaškom stanu) und Beauftrager des Bürgeramtes in der Küstenregion Lika (Povjerenik za građanske poslove s obalnog odsjeka Like). 147 Hrvatska vitežka igra sinjska alka. In: Hrvatski list, 24. August 1944, S. 3.

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Auf dem Bollwerk faschistischer Ordnung

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berichtet.148 Der kurze Artikel der Kroatischen Informationsagentur (Hrvatska dojavna agencija) über die Vorführung der Sinjska Alka wurde auf der dritten Seite veröffentlicht, gleich neben der Nachricht über „die vergeblichen Versuche“ der britischen Truppen, die deutsche Verteidigung im südlichen Adriaraum zu brechen. Einen erheblich ausführlicheren Bericht über die Vorführung der Sinjska Alka als in den beiden erwähnten Tageszeitungen sowie die Nachricht vom „terroristischen Angriff auf Sinj“ hatte zwei Tage zuvor bereits die Spliter Tageszeitung Novo Doba veröffentlicht.149 Die Unterbrechung der festlichen Tradition in der Zeitspanne von 1941 bis 1943 wurde darin als „die Bemühung der italienischen Armee [erklärt], alle unsere materiellen und kulturellen Güter zu zerstören“. „Das Ritterspiel Alka konnte man nicht durchführen, weil der Feind darin eine Veranstaltung erkannte, mittels derer das ritterliche und militärische Erbe des Cetiner Landes überliefert wird“, berichtete die Tageszeitung. In der scharfen Kritik an Italien, dem „Feind, der den kroatischen Staat heimtückisch zerstörte“, spiegelte sich die breitgefächerte mediale Diffamierung des ehemaligen Ustaša-Protektors wider, die von der kroatischen faschistischen Regierung seit der Kapitulation Italiens im September 1943 gefordert wurde. Einen zusätzlichen Grund für die Schärfe in Novo Doba stellte das Zeitungsverbot während der zweieinhalbjährigen italienischen Besatzung von Split und Dalmatien dar. Erst mit der Herstellung der Ustaša-Herrschaft in Split im Herbst 1943 war die populäre Tageszeitung wieder zugelassen, jedoch als Vehikel der Regimepropaganda instrumentalisiert worden. Wegen der geographischen Nähe berichtete Novo Doba traditionell ausführlicher über die Sinjska Alka als Tageszeitungen aus dem nördlichem Kroatien. Im Unterschied zu Artikeln aus der Vorkriegszeit erwähnte Novo Doba 1944 jedoch die Schlacht von 1715 nur am Rande und dabei sogar ohne Angaben darüber, wer die Gegner der „Sinjer Helden“ überhaupt gewesen waren. Im Einklang mit der ideologisch geforderten „Eintracht der Kroaten katholischen und muslimischen Glaubens“ wurde die Identität der Angreifer auf die Sinjer Festung 1715 zur Zeit der Ustaša-Herrschaft im Allgemeinen kaum thematisiert.150 Vielmehr wurde die Schlacht selbst als Beweis für „den hundertjährigen Kampf um die nationale Unabhängigkeit“ gedeutet, jedoch ohne weitere Erläuterungen des Geschehens. „Über die Jahrhunderte hinweg speicherte und überlieferte die Alka das Bewusstsein über unsere Stärke in den nebeligen Tagen der Vergangenheit“, stellte man in Novo Doba lakonisch fest.151 Vielmehr wurde die Aufmerksamkeit auf die Demonstrationen, die die Sinjska Alka 1935 begleiteten, gerichtet, sowie auf die Erinnerung an das „unschuldig vergossene kroatische Blut durch die berüchtigten serbischen Gendarmen“. Die pro-monarchistische

148 Siehe: Hrvatski list, 24. August 1944. 149 Ovogodišnje trčanje sinjske vitežke alke – dokaz je starog junaštva i sadašnje snage. In: Novo Doba, 22. August 1944. Abschrift des Artikels gefunden im Archivbestand des Ritterlichen Alkarenvereins in Sinj. 150 Vgl. Nikola Šabić: Sinjska alka. In: Za dom, 26. September 1941. Abschrift des Artikels gefunden im Archivbestand des Ritterlichen Alkarenvereins in Sinj. 151 Ovogodišnje trčanje sinjske vitežke alke – dokaz je starog junaštva i sadašnje snage. In: Novo Doba, 22. August 1944. Abschrift des Artikels gefunden im Archivbestand des Ritterlichen Alkarenvereins in Sinj.

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Rede vom alkarischen Anführer Vice Grabovac sowie die derzeit außerordentlich guten Beziehungen zwischen dem Alkarenverein und der jugoslawischen Monarchie erwähnte der Bericht allerdings nicht.152 In der Beschreibung der Zeremonie und des Wettbewerbs in der Tageszeitung Novo Doba wurden alle Turnierteilnehmer sowie der alkarische Anführer Mirko Bilobrk und der Fahnenträger Božo Vučković namentlich erwähnt. Der Ruhmgewinner wurde nach drei Runden Josip Tomašević, „ein Bauer in seinen Sechzigern, [...] dem es zu Zeiten Jugoslawiens untersagt worden war, an der Alka teilzunehmen“. Dabei erwähnte der Zeitungsbericht jedoch nicht, dass gerade Tomašević 1922 in Belgrad triumphiert hatte. Für seinen Sieg bei der außerordentlichen Vorführung in der Hauptstadt hatte Tomašević damals vom Königspaar eine mit Brillanten geschmückte goldene Zigarettendose erhalten, die er anscheinend einige Jahre später in Split verpfändet bzw. verkauft hatte.153 Ohne Erklärung, wann und warum ihm untersagt worden sei an der Alka teilzunehmen, verriet der Text lediglich, dass der Ruhmgewinner „einen Preis, den der Staatsführer Dr. Ante Pavelić aus seinen eigenen Mitteln schenkte, sowie einen Preis des Bürgeramtes der Küstenregion Lika (Ureda za gradjanske poslove obalnog odsjeka »Lika«) bekommen wird“.154 Mit Bezug auf die Rede des alkarischen Anführers, „die die Bedeutung und die Geschichte der Alka abbildete“, sowie die Beschreibung des „Bejubeln[s] des Poglavnik und des Unabhängigen Staats Kroatien“, wurde festgestellt, dass „diese große Manifestation unserer Heldentradition [...] in schönster Ordnung endete“.155 „Insbesondere sollte man betonen, dass die diesjährige Alka einige Stunden nach dem terroristischen Angriff auf Sinj abgehalten wurde“, endete der Bericht, einschließlich der Information, dass zwei Personen auf der Stelle ums Leben gekommen waren, während eine dritte Person ihren Verletzungen später im Krankenhaus in Split erlegen war. 156 Obwohl sie als Machtdemonstration des Regimes dienen sollte, stellte die Sinjska Alka im August 1944 de facto nicht viel mehr als den feierlichen Abschied der Ustaša-Herrschaft in Dalmatien dar. Der immer deutlicher bevorstehende Untergang der neuen Ordnung mit Hitlerdeutschland brachte 1944 einen Teil der Ustaša-Führung auf die Idee, dass der USK der antifaschistischen Koalition beitreten solle.157 Die Anerkennung der Volkswiderstandsbewegung (Narodno-oslobodilački pokret) seitens der Alliierten sowie die Festnahme der Putschisten Ende August 1944 beseitigten jedoch die letzte Möglichkeit, dass der USK eventuell dem rumänischen und bulgarischen Beispie folgen könnte, um dem Schicksal der 152 Nikica Barić: Nemiri na Sinjskoj alci 1935. godine. In: Časopis za suvremenu povijest, Jg. 38, Nr. 3, 2007, S. 939-953. 153 Als einen der Gründe für den schlechten finanziellen Zustand des Alkarenvereins wurde bei der jährlichen Vollversammlung im Oktober 1927 die Zahlung von 40.000 Dinaren für den Kauf der Zigrattendose von einem gewissen Perović in Split erwähnt. Vgl. Knjiga alkara i alkarskih zapisnika. Archivbestand des Ritterlichen Alkarenvereins in Sinj. 154 Ovogodišnje trčanje sinjske vitežke alke – dokaz je starog junaštva i sadašnje snage. In: Novo Doba, 22. August 1944. Abschrift des Artikels gefunden im Archivbestand des Ritterlichen Alkarenvereins in Sinj. 155 Ebd. 156 Ebd. 157 Vgl. Hrvoje Matković: Povijest Nezavisne Države Hrvatske. Zagreb, 2002, S. 87-89.

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Kriegsverlierer zu entgehen. Während die Minister Vokić und Lorković festgenommen wurden, entschied sich die Ustaša-Führung mit ihrem Poglavnik Ante Pavelić an der Spitze bis zum Ende den Kommandeuren aus Berlin die Treue zu halten.

Abb 10: Die Militärparade der Kroatischen Streitkräfte (Hrvatske oružane snage) am Rande der 229. Sinjska Alka im August 1944. Bei der Vorführung der wiederaufgenommenen Tradition legte man großen Wert auf die Inszenierung der Stabilität sowie Stärke der Ustaša-Herrschaft. Nichtsdestotrotz sollte die Stadt bereits neun Wochen darauf von der Partisanenarmee eingenommen werden. Quelle: Archivbestand des Ritterlichen Alkarenvereins, Sinj.

Entsprechend der Machtkonstellation in Europa und dem wachsenden Manko der hoffnungsvollen Nachrichten, konzentrierte sich die Propaganda in der USK zunehmend auf das Schüren von Ängsten vor der Partisanenarmee. Ende August 1944 informierte Hrvatski narod seine Leserschaft über „das neuste Verbrechen der Partisanen mit Unterstützung der Angloamerikaner“, womit der Transport von Kindern und Zivilisten aus Dalmatien in unter alliierter Kontrolle stehendes Gebiet im südlichen Mittelmeer gemeint war.158 „Zweifelsohne werden diese Kinder, die jetzt mit Gewalt aus Kroatien nach Sizilien verschleppt werden, den bolschewistischen Agenten für die weitere Auslieferung an die Sowjetunion übergeben werden“, wurde in dem medialen Entlegitimierungsversuch der Volkswiderstandsbewegung hervorgehoben, mit 158 Partizani odvlače hrvatsku djecu na Siciliju. In: Hrvatski narod, 24. August 1944, S. 1.

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dem Hinweis darauf, dass Ähnliches schon „einstmals mit spanischen Kindern gemacht worden ist“.159 Zwar gelang es dem Ustaša-Regime tausende Einwohner des USK durch die Diffamierung der Kriegsgegner zu überzeugen, immer weiter nach Westen vor der eindringenden Partisanenarmee zu flüchten, dennoch schafte er nicht den eigenen Untergang zu verhindern.

Kommunistische Machtaneignung und die Sinjska Alka Im Spätsommer 1944 begann die große Militäroperation der Volksbefreiungsarmee (Narodnooslobodilačka vojska Jugoslavije) mit dem Ziel der endgültigen Befreiung Dalmatiens. Die vom Meer ausgehende Offensive erstreckte sich von der bereits eingenommenen Adriainsel Vis bis nach Dubrovnik und Split. Gleichzeitig rückte die Volksbefreiungsarmee aus dem Hinterland immer näher an die Adriaküste. Die deutschen Truppen verließen Sinj im September 1944 und überließen damit die Verteidigung der Stadt ihren kroatischen Verbündeten. Am 25. Oktober 1944 eroberte die Partisanenarmee nach heftigen Kämpfen Sinj und setzte ihre Offensive unmittelbar fort. Bereits einen Tag später marschierte die Volksbefreiungsarmee in Split ein.160 Bis zum Jahresende befand sich schließlich die ganze südliche Adriaküste nahezu uneingeschränkt unter der Kontrolle der antifaschistischen Koalition. Dennoch war das Ende des Krieges in Dalmatien noch nicht absehbar. In der strategisch bedeutsamen nord-dalmatinischen Kleinstadt Knin festigten im September 1944 tausende deutsche Soldaten ihre Stellung, unterstützt von den USK-Regime treuen Truppen und der promonarchistischen Četnik-Miliz. Sie hatten die Aufgabe, den Rückzugskorridor der Achsenmächte aus Südosteuropa abzusichern. Unmittelbar nach der Niederlage der feindlichen Truppen wurde die Herrschaft über das angeeignete Territorium von den Vertretern der antifaschistischen Bewegung Volksfront (Narodni front) neu organisiert. Die Volksfront verkörperte eine breite und politisch heterogene Plattform, die zunehmend unter dem ideologischen und realpolitischen Einfluss der Kommunistischen Partei Jugoslawiens stand. Die Volksfront-Komitees (Narodni odbori) wurden als provisorische politische Institutionen auf dem befreiten Territorium (oslobođeni teritorij) eingesetzt. Obwohl die Überlegenheit der Partisanenarmee auf dem Schlachtfeld mittlerweile deutlich wurde und trotz der internationalen Unterstützung durch die antifaschistische Koalition, stellte die Herrschaftskonsolidierung in den bestehenden chaotischen Verhältnissen jedoch eine außerordentlich große Herausforderung für die neuen Machthaber dar. Der Zweite Weltkrieg forderte in Sinj und in der umliegenden Cetina-Region zahlreiche Todesopfer und brachte große materielle Verluste mit sich. Von etwa 65.000 Einwohnern vor dem Zweiten Weltkrieg kamen bis Ende 1945 mehr als 5000 Menschen ums Leben.161 Gleichzeitig wurden fast 3000 Gebäude schwer beschädigt oder zerstört.162 Im Hinblick auf 159 Partizani odvlače hrvatsku djecu na Siciliju. In: Hrvatski narod, 24. August 1944, S. 1. 160 Marinko Perić: Sinj i Cetinska krajina u borbi za slobodu, Sinj, 1974, S. 61-63. 161 Vgl. Ivan Kozlica: Krvava Cetina. Masovni pokolji u cetinskome kraju i Poljicima u Drugome svjetskom ratu, Zagreb, 2012. 162 Marinko Perić: Rastao je otpor i spoznaja u zajedničkoj borbi izrabljivanog i potlačenog naroda. In: Alkar, 7. August 1977., S. 4.

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Kommunistische Machtaneignung und die Sinjska Alka

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die Zahl der Todesopfer war das Jahr 1944 in Sinj und Umgebung am grausamsten. So kamen durch eine Rachekampagne der Achsentruppen Ende März 1944 in wenigen Tagen mehr als 1500 Dorfbewohner aus dem Umland von Sinj ums Leben.163 Hinsichtlich der gefallenen Soldaten der Alliiertentruppen gab es besonders viele Partisanenkämpfer aus der Cetina Region, die während der Operationen „Schwarz“ (1943) und „Weiß“ (1944) an den Flüssen Neretva und Sutjeska ums Leben gekommen waren. Einer von ihnen war der Sinjer Lehrer Jozo Boko, der in der Zwischenkriegszeit einer der prägendsten Teilnehmer der Sinjska Alka gewesen war. Im Laufe seiner langjährigen Beteiligung am berühmten Ritual hatte Jozo Boko es bis zum Kommandanten der Alkarentruppe (Alajčauš) gebracht und damit die zweithöchste Position in der alkarischen Hierarchie eingenommen.164 Darüber hinaus hatte er zahlreiche Zeitungsartikel über die kostümierte Tradition veröffentlicht sowie die schon erwähnte Monographie „Die Alkaren auf der königlichen Hochzeit“ herausgegeben.165 Im Hinblick auf die Verluste unter den Kämpfern der Achsentruppen stellt Ante Glavinović, einer der Turnier-Debütanten aus dem Jahr 1944, den einzigen bekannten Fall eines Alkaren unter den gefallenen Soldaten der Achsenmächte dar.166 Angesichts der gesamten Opferzahl im Cetiner Land sowie der nicht vorhandenen Daten über das Kriegsschicksal der alkarischen Knappen, lässt sich allerdings vermuten, dass die Liste von allen im Zweiten Weltkrieg gefallenen Ritualteilnehmer wesentlich länger sein könnte. Die Vergeltung an Unterstützern und Sympathisanten der Achsenmächte begann gleich nach der kommunistischen Machtübernahme. In den chaotischen Umständen der letzten Kriegsmonate schallten noch lange nach dem Einmarsch der Partisanenarmee Schüsse durch das Cetiner Land. Darüber hinaus organisierten die lokalen Verwaltungsausschüsse (Narodni odbori) bald nach der Machtübernahme Schauprozesse, die der Absicht dienten, Kriegsverbrecher zu bestrafen, die neue politische Ordnung zu legitimieren und gleichzeitig ein Gewaltmonopol herzustellen. Anfang November 1944 wurden vor dem Militärgericht in Sinj acht Ustaša-Offiziere im halbtägigen Prozess vor 1500 versammelten Zuschauern zum Tode verurteilt. Sieben der Angeklagten wurden erschossen, einer wurde wegen besonders grausamer Vergehen aufgehängt.167 Unter den verurteilten Mitgliedern der Militär- und Zivilstrukturen des Ustaša-Regimes befand sich auch Mirko Bilobrk, der der höchste Regierungsvertreter in Sinj und in der Region Cetina gewesen war.168 Zudem beteiligte sich Bilobrk noch im August 1944 als alkarischer Anführer in der Sinjska Alka. Im Prozess vor dem Militärgericht wurde ihm unter anderem vorgeworfen, dass er „[…] als Ustaša mit Pavelić in der Emigration war“, sowie dass 163 Unterschiedliche Deutungen des Massakers am Berg Kamešnica im März 1944 verursachen bis in die Gegenwart heftige Diskussionen und Kontroversen. Die Frage nach den Tätern ist dabei die umstrittenste. Unterschiedliche Quellen heben die Mitglieder der volksdeutschen SS-Division „Prinz Eugen“, die UstašaTruppen und ggf. die Četnik-Milizen als Haupttäter hervor. Ein Beispiel der zeitgenössischen Polemik stellt die öffentliche Streit-Korrespondenz zwischen dem Sinjer Historiker Stjepan Marković und der Sinjer Organisation der Partisanenveteranen in der lokalen Zeitung dar. Vgl. Sinjske novine, Nr. 21-23 (03-05/2012). 164 Ljubica Šego: Alajčauš predvodi alkare kopljanike na junački megdan. In: Alkar, 1. August 1975, S. 4. 165 Jozo Boko: Alkari na kraljevoj svadbi. Sinj/Split, 1922. 166 Information aus der Korrespondenz mit Ivo Dalbello aus Sinj, Oktober 2013. 167 Dogodilo se u Cetinskoj krajini. VCK, 1. November 1985, S. 2. 168 Blanka Matković, Ivan Pažanin: Zločin i teror u Dalmaciji 1943.-1948. počinjen od pripadnika NOV, JA, OZN-e i UDB-e. Dokumentni, Zagreb, 2011, S. 586.

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er nach seiner Rückkehr nach Sinj „[…] im Kreis der engsten Ustaša-Clique über die Festnahmen und Erschießungen von Regimegegnern entschieden hat“. Darüber hinaus wurde Bilobrk der eigenhändigen Exekution zweier Vorkämpfer (Prvoborci) und Aufstandsorganisatoren schuldig gesprochen.169 Die Frage der Angemessenheit und Gerechtigkeit der Bestrafungskampagne gegen die Mitglieder des Ustaša-Regimes sowie ihre tatsächlichen und vermutlichen Sympathisanten ist bis heute der Gegenstand unterschiedlicher Ansichten und Deutungen und zwar weit über die Grenzen des Cetiner Landes hinaus.170 Laut Ivo Dalbello wurden die meisten derjenigen, die 1944 an der Sinjska Alka teilgenommen hatten, gemeinsam mit einem Großteil der jüngeren männlichen Bevölkerung in der Partisanenarmee mobilisiert.171 Über den erschossenen Offizier und alkarischen Anführer Mirko Bilobrk hinaus ist nur bekannt, dass der Fahnenträger (Barjaktar) Božo Vučković „wegen Kollaboration“ zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.172 Vermutlich wurden nachträglich auch einige weitere Ritualteilnehmer von 1944 auf formelle oder informelle Weise sanktioniert. Jedoch stellte die bloße Beteiligung am Ritual unter dem Ustaša-Regime keinen entscheidenden Grund für eine Bestrafung der Teilnehmer dar, was daran deutlich wird, dass man gegen die Mitglieder des Ehrengerichts der 229. Sinjska Alka ganz unterschiedlich vorgegangen ist: So wurden zwei aus prominenten alkarischen Familien stammende Veteranen der Sinjska Alka, Lucijan Lovrić und Dušan Tripalo, zwar 1945 aus dem Ehrengericht des Alkarenvereins entlassen, darüber hinaus jedoch allem Anschein nach nicht sanktioniert. Demgegenüber wurde das dritte Mitglied des Ehrengerichtes 1944, Grgo Milanović-Litre, der als Amtsträger der Ustaša-Verwaltung aus politischen Gründen überhaupt delegiert worden war, verurteilt und hingerichtet.173 Nicht nur durch Schauprozesse, sondern auch durch zahlreiche Feierlichkeiten und Protestdemonstrationen wurde die durch die Kommunistische Partei stark beeinflusste Volksherrschaft (Narodna vlast) in Sinj schon ab Ende Oktober 1944 regelmäßig inszeniert.174 Unmittelbar nachdem die Stadt am 25. Oktober 1944 eingenommen wurde, wurde in Sinj eine große Kundgebung organisiert, auf der die Vertreter der neuen politischen und gesellschaftlichen Ordnung vorgestellt wurden. Unter ihnen befanden sich eminente Persönlichkeiten aus der Zwischenkriegszeit wie beispielsweise der ehemalige Vorsitzende der Sinjer Gemeinde Vice Buljan (1940) aus der prokommunistischen Arbeiterpartei (Stranka radnog naroda), sowie solche Personen, die ihr gesellschaftliches Ansehen grundsätzlich als maßgebende Vorkämpfer und Organisatoren des Widerstands im Cetiner Land und darüber hinaus aufgebaut hatten.

169 Blanka Matković, Ivan Pažanin: Zločin i teror u Dalmaciji 1943.-1948. počinjen od pripadnika NOV, JA, OZN-e i UDB-e. Dokumentni, Zagreb, 2011, S. 586. 170 Im Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg und die unmittelbare Nachkriegszeit in Sinj und im Cetiner Land kann man folgende, diskursiv sehr unterschiedliche Werke vergleichen: Marinko Perić: Sinj i Cetinska krajina u borbi za slobodu, Sinj, 1974; Ivan Kozlica: Krvava Cetina, Zagreb, 2012; Stjepan Marković: Stradanja podno Kamešnice, Zagreb, 2012; Blanka Matković i Ivan Pažanin: Zločini i teror u Dalmaciji 1943.-1948. počinjeni od pripadnika NOV, JA, OZN-e i UDB-e, Zagreb, 2011. 171 Information aus der Korrespondenz mit Ivo Dalbello aus Sinj, Oktober 2013. 172 Ebd. 173 Information aus der Korrespondenz mit Ivo Dalbello aus Sinj, Oktober 2013. 174 Dogodilo se u Cetinskoj krajini. In: VCK, 15. Oktober 1985, S. 2.

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Kommunistische Machtaneignung und die Sinjska Alka

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Von Anfang an widmete die neue Herrschaft dem symbolischen Aspekt der Politik viel Aufmerksamkeit. So organisierte man beispielsweise am 1. November 1944 zu Ehren der im August 1941 gefallenen Freiwilligen aus der I. Spliter Partisanentruppe eine Kundgebung in Ruduša bei Sinj.175 Eine Woche später feierte man in Sinj den 27. Jahrestag der Oktoberrevolution mit einer großen Versammlung und einer Aufführung des Spliter Amateurtheaters. Hinter den Kulissen der Feierlichkeiten und Kundgebungen sah sich die neue Regierung jedoch mit der immensen Herausforderung konfrontiert, die friedliche Ordnung herzustellen. Mit nur wenigen vorhandenen Maschinen und unter großen Anstrengungen wurden bis Ende 1944 der Schienenverkehr zwischen Sinj und Split wiederhergestellt sowie die Produktion in der Backsteinfabrik und im nahegelegenen Braunkohle-Bergwerk aufgenommen. Trotz dieser und einiger anderer Erfolge blieb der Alltag im Cetiner Land nach wie vor sowohl von der Nähe zur Front als auch von einem dramatischen Versorgungsmangel geprägt. Durch die Konzentration der Armeen und Milizen der Achsenmächte in Knin wurde die Partisanenoffensive in der unmittelbaren Nähe von Sinj bis Dezember 1944 aufgehalten. Der durch Kriegszerstörungen entstandene Mangel an Unterkünften wurde mit der massenweisen Ankunft der Verwundeten aus der Kampfzone noch verstärkt. Ein außerordentlich großes Problem bereitete die akute Lebensmittelknappheit. Anfang 1945 betrug der Viehbestand im Verwaltungskreis Sinj im Vergleich zur Vorkriegszeit nur noch 15 % und dies lediglich, weil die Ziegen- und Schafzucht einigermaßen aufrechterhalten werden konnte.176 Die Schweinehaltung war während des Krieges hingegen sehr stark zurückgegangen. Im Vergleich zu den circa 15.000 Schweinen, die es 1940 in dem Cetiner Land gegeben hatte, gelang es den Vertretern der regionalen Verwaltung im Winter 1945 nur noch 790 Tiere zu registrieren.177 Auch wurde Anfang 1945 der Mais trotz aller Regulierungsmaßnahmen und trotz des Konfiszierungs- und Festnahmerisikos für einen dreimal höheren Preis auf dem Sinjer Schwarzmarkt verkauft. Durch den kriegsbedingten Mangel an Saatgut und Arbeitskraft blieb gleichzeitig ein Viertel der Ackerflächen in der Region unbebaut.178 Mit Ausnahme eines aus Resten von Militärwagen zusammengezimmerten Gefährts wurden die ersten Traktoren auf den Sinjer Feldern erst im Jahr darauf eingesetzt.179 Parallel zu den Maßnahmen in der Landwirtschaft und der Industrie wurden die sozialen und kulturellen Institutionen und Praktiken revitalisiert. Noch im Herbst 1944 wurde ein Jugendheim (Omladinski dom) in Sinj eröffnet, im März 1945 wurde der Schulunterricht wiederaufgenommen. Gleichzeitig wurden das Schulinternat und der städtische Lesesaal wiedereröffnet. Der Samstag war und blieb in Sinj Markttag. Bis März 1945 konnte man die 175 Der Abzug der Spliter Freiwilligen in die Berge, in der Absicht, dort den Widerstand gegen die wesentlich besser ausgestatteten Einheiten der Achsenmächte fortzuführen, führte zu ihrer Festnahme am 14. August 1941 und endete zwölf Tage später in Ruduša mit der gnadenlosen Hinrichtung der Überlebenden. Nach Kriegsende wurde dem Heroismus und dem tragischen Tod der Spliter Jugendlichen jährlich am 14. August, nun der „Tag des Aufstands des Volkes Dalmatiens“ (Dan ustanka naroda Dalmacije), gedacht. Dieser Gedenktag brachte Sinj nach 1945 eine symbolisch bedeutsame Stellung ein: Als der Ort, wo der antifaschistische Widerstand in Dalmatien seinen Anfang nahm, sollten Sinj und das Cetiner Land weit über die Grenzen Dalmatiens hinaus Ruhm erlangen. 176 Dogodilo se u Cetinskoj krajini. In: VCK, 1. März 1986, S. 2. 177 Ebd. 178 Dogodilo se u Cetinskoj krajini. In: VCK, 1. März 1986, S. 2. 179 Ebd.

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wenigen vorhandenen Waren mit der Währung des USK (Kuna) kaufen, bevor die in Moskau gedruckten Dinar des Föderalen Staates Jugoslawiens zum einzigen Kaufmittel wurden. Da die Musikanten der Stadt mitsamt ihren Instrumenten mobilisiert wurden, wurde in Sinj Anfang 1945 ein neues Stadtorchester gegründet. Dafür besorgte die Distriktverwaltung (Kotarski narodni odbor) im Tausch gegen Getreide „drei bis vier ältere Instrumente aus Split“.180 Der aus der Umgebung von Sinj stammende Oberstleutnant (Potpukovnik) Petar Peko Bogdan versorgte die Sinjer Musikanten mit einer von Četnik-Truppen in Knin beschlagnahmten Trommel.181 Im neu formierten Orchester sammelten sich ältere, nichtmobilisierte Musikanten aus Sinj, darüber hinaus wurde es mit der Genehmigung des Kommandanten des Militärgebietes Cetina Ivan Bračulj mit vier Ausländern aus den Reihen der Kriegsgefangenen verstärkt.182 Außerdem wurde die städtische Kulturszene insbesondere durch Gastspiele von Schauspielern und Musikanten aus den von der Partisanenarmee kontrollierten urbanen Zentren (Oslobođeni teritorij) wiederbelebt. Beispielsweise hielt sich Anfang Januar 1945 die Belgrader Sängergruppe Obilić im Cetiner Land auf, gab Konzerte, besuchte Volkskomitees und die Familien der gefallenen Soldaten der Partisanenarmee. Ende Januar 1945 wurde in Sinj ein Fußballspiel zwischen der lokalen Mannschaft Junak und Hajduk aus Split organisiert. Die Fußballer von Hajduk besuchten während ihres Aufenthalts die Grabstätte der im August 1941 in Ruduša erschossenen Spliter Partisanen. Über die politische und ideologische Relevanz hinaus, war der Besuch von Ruduša für manche Spieler von Hajduk wahrscheinlich auch von ganz persönlicher Bedeutung. Unter den 24 in Ruduša erschossenen Jugendlichen befanden sich 13 Mitglieder des Arbeitersportvereins Split, die manche anwesenden Spieler sicherlich gut kannten. Seit dem Sommer 1944 fungierte die von den Spielern aus verschiedenen Vereinen zusammengestellte Mannschaft von Hajduk als Repräsentant der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee (NOVJ) und trat mehrmals gegen die Militärmannschaften der Alliierten an. Nur wenige Wochen vor dem Auftritt in Sinj hatte Hajduk die britische Militärriege in Split mit 1:0 besiegt, wodurch der Auftritt der Mannschaft in Sinj über die alte sportliche Lokalrivalität hinaus zusätzliche Bedeutung erlangte. Die internationalen Erfolge der jugoslawischen Sportler trugen sowohl außen- als auch innenpolitisch zum Ansehen des erst kürzlich von den Alliierten anerkannten Demokratischen Föderativen Jugoslawiens bei. Im Einklang damit wurden bereits im Sommer 1944 die besten Wasserballspieler und Schwimmer Dalmatiens von der Front abgezogen und über Bari nach Rom geschickt, um den neuen jugoslawischen Staat auf dem Wettbewerb der alliierten Armeemannschaften zu repräsentieren.183 Der Fußball blieb jedoch mit Abstand die populärste Sportart, weswegen die mittlerweile international erfolgreiche Mannschaft Hajduk ein wichtiges symbolisches Kapital der neuen kommunistischen Regierung darstellte. Der Herrschaftspraxis ihrer Vorläufer entsprechend wurde der Sport auch für die jugoslawischen Kommunisten ein wichtiges Feld in der Schaffung neuer politischer Ordnung. Neben den Sportvereinen stellten auch die Kulturvereine sowie die Kultur im Allgemeinen ein äußerst wichtiges Vehikel der Herrschaftsrepräsentanz der neuen Machthaber dar. 180 181 182 183

M. Perić: Žitom kupili instrumente. In: VCK, 1. September 1982, S. 8. Ebd. M. Perić: 120 godina glazbe u Sinju. In: VCK, 1. Juli 1982, S. 6. Dean Bauer (Hg.): Stoljeće hrvatskog vaterpola, Zagreb, 2010, S. 83.

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Dementsprechend fand schon im Oktober 1944 in Hvar die regionale Konferenz der Volksfronten für Dalmatien statt, erst fünf Wochen nach der Befreiung der gleichnamigen Insel. Über ihre Relevanz für die Organisation und Durchsetzung der neuen politischen Macht hinaus galt die Hvarer Konferenz als die erste politische Massenkundgebung nach der Befreiung der mitteldalmatinischen Inseln. Zusammen mit den Delegationen der Volksfronten aus allen Ecken Dalmatiens versammelten sich in Hvar tausende Kinder und Jugendliche, die aus Anlass der zeitgleich stattfindenden regionalen Konferenz des bereits im Krieg entstandenen Vereinigten Bunds der antifaschistischen Jugend Jugoslawiens (Ujedinjeni savez antifašističke omladine Jugoslavije) angereist waren.184 Die Etablierung der neuen politischen und sozialen Ordnung wurde mit öffentlichen Aufführungen von zahlreichen lokalspezifischen, kulturellen Inszenierungen verknüpft, die eine breite öffentliche Unterstützung für die neue politische Macht in ganz Dalmatien veranschaulichen sollten. Am 15. Oktober 1944 wurde auf dem zentralen Platz in Hvar unter anderem der Schwerttanz Moreška von der Insel Korčula präsentiert.185 Am Tag darauf wiederholte man im Theatergebäude die Aufführung des lokalspezifischen Waffenrituals vor den Kongressdelegaten. Die Entscheidung, die Moreška auf Hvar aufzuführen, war erst drei Wochen zuvor auf einem Treffen der lokalen Vertreter der Kommunistischen Jugendorganisation (SKOJ) mit Genossen aus dem subregionalen Komitee für das südliche Dalmatien in Dubrovnik getroffen worden.186 Jedoch waren die ritualen Kostüme, Schwerter und Flaggen während des Krieges verloren gegangen, auch befanden sich die erfahrenen Moreška-Spieler entweder in den Militäreinheiten außerhalb der Insel oder im altersbedingten Ruhestand. Somit stellte der Plan eine riesige organisatorische Herausforderung dar. Es wurde entschieden, Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren in wenigen Tagen für die geplante Vorführung des traditionellen Rituals vorzubereiten. Die Jugendlichen konnten sich mithilfe ihrer Erinnerung einigermaßen gut vorstellen, wie der lokalspezifische Schwerttanz auszusehen hatte, allerdings verfügten sie nicht über eigene Erfahrung von dessen Auf184 Leksikon narodnooslobodilačkog rata i revolucije u Jugoslaviji 1941.-1945., Beograd, 1980, S. 1150-1154. 185 Zur Fortsetzung der Tradition nach dem Zweiten Weltkrieg und zur Aufführung der Moreška auf Hvar 1944 siehe: Zlatan Podbevšek: Trideset godina obnovljene moreške u povodu proslave jubileja. In: Vinko Foretić, Ivan Ivančanin, Zoran Palčok, Zlatan Podbevšek: Moreška – korčulanska viteška igra, Korčula, 1974, S. 71-92.; Zvonko Letica: Šest desetljeća Moreškinog kontinuiteta 1944-2004. In: Elsie Ivancich Dunin (Hg.): Korčulanska Moreška, Korčula, 2006, S. 173-252. 186 Bereits seit der Gründung im Jahr 1919 hatte die SKOJ eine zentrale Rolle in der Affirmation und Organisation der kommunistischen Ideen und Praktiken unter den Jugendlichen eingenommen. Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg gab es allein in Zagreb zwölf der Kommunistischen Partei nahestehende Sportvereine, die als Versammlungs- und Rekrutierungszentren dienten. Zusammen mit der KP wurde auch die SKOJ 1921 verboten, dennoch konnte sie ihre Tätigkeit illegal fortsetzen, parallel zu konkurrierenden legalen oder illegalen politischen Jugendorganisationen unterschiedlicher ideologischer Prägungen. Während des Zweiten Weltkrieges hatte die SKOJ eine äußert wichtige Rolle in der kommunistischen Widerstandsbewegung, in der die Organisation als „Kampfkern“ sowie „Vorreiter der patriotischen Jugend“ galt. Nach dem Kriegsende nahm die berühmt gewordene Organisation erneut eine sozialisierende und mobilisierende Funktion ein, dieses Mal aber mit der Absicht, die sich in der Entstehung befindende Herrschaft zu konsolidieren bzw. zu legitimieren. Vgl. Pozdravni govor Žarka Radoša sudionicima konferencije „Razvoj fizičke kulture u novoj Jugoslaviji u periodu od 1945. do 1948. godine“. In: Povijest Sporta Nr. 51, Jg. XII, April-Juni 1982, Zagreb, S. 91-92.

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führung. Da alle Hinweisnotizen über die Aufführung der Moreška im Krieg verloren gegangen waren bzw. durch die Kriegsumstände unzugänglich waren, wurden der Schwerttanz und die musikalische Begleitung nach dem Gedächtnis der älteren Traditionsträger rekonstruiert. Der Stoff für die Kostüme wurde im örtlichen Kloster des Heiligen Nikolaus gegen Lebensmittel eingetauscht, die Schwerter und Flaggenhalter von lokalen Schmieden gefertigt. Da die Blechbläser auch in Korčula mitsamt ihren Instrumenten mobilisiert wurden, wurden die zweimal täglich stattfindenden Übungen auf einem Klavier begleitet. Den unterernährten Jugendlichen wurden regelmäßige Mahlzeiten ermöglicht, außerdem erhielten sie britische Militärstiefel aus dem Hilfskontingent. Achtzehn Tage nach der Entscheidung über ihren Auftritt begaben sich die MoreškaTänzer gemeinsam mit den Kongressdelegaten und anderen Jugend- und Kindergruppen auf einem Dampfschiff nach Hvar. Die Reise zur benachbarten Insel war bei weitem kein sorgloser Ausflug: Es bestand durchgehend die Gefahr, im Meer auf Minen zu stoßen oder von feindlichen Flugzeugen erspäht zu werden. Trotz der feierlichen Atmosphäre auf Hvar und der Präsenz von tausenden jubelnden Gästen war der Krieg noch immer in vollem Gange. Unabhängig davon war es die Konferenz auf Hvar, die im Oktober 1944 den Grundstein für ein dynamisches und reges politisches Leben der Moreška in den ersten Jahren des sozialistischen Jugoslawiens legte. Nur wenige Tage nach ihrem erfolgreichen Debüt sollten die Jugendlichen von der Insel Korčula ihr traditionelles Ritual in Dubrovnik präsentieren. Darüber hinaus sollte der Schwerttanz, in dem die Tänzer in roten Kostümen ihre schwarz angezogenen Kontrahenten besiegen, noch im selben Winter das Publikum in Split begeistern. In den darauffolgenden Monaten folgten auf die Vorführung der Moreška auf der Konferenz auf Hvar weitere berühmte Waffenrituale, die unter der jugoslawischen kommunistischen Flagge präsentiert wurden. Am 3. Februar 1945 wurde in Kotor der Tag des Heiligen Tryphons (Tripundan) gefeiert. Neben Zivil- und Militärvertretern der neuen politischen Macht beteiligte sich auch die Marine von Boka (Bokeljski mornari) in ihren charakteristischen schwarzen Uniformen am Festtag des städtischen Schutzpatrons. Generalmajor Savo Čelebić betonte in seiner Festrede die Tugend der Menschen aus Boka, „[...] die wissen, wie man schöne Volkstraditionen erhält und die sich seit jeher durch Tapferkeit und Heimatliebe auszeichnen“.187 Das Lob an die Bevölkerung Bokas und ihre berühmte Tradition war zwar politisch opportun, jedoch auch nicht unbegründet. Etwa 150 Matrosen aus Boka hatten sich als Kämpfer in der Partisanenarmee, als aktive Mitglieder der Widerstandsbewegung in den von Italien besetzten Küstenstädten oder als Matrosen in den Schiffskonvois der Alliierten unmittelbar am antifaschistischen Widerstand beteiligt.188 So wurde Admiral Rudolf Giunio, der höchstpositionierte Funktionsträger im Kulturverein Bokeljska Mornarica, 1941 festgenommen und bis zur Kapitulation Italiens in unterschiedlichen Internierungslagern festgehalten worden.189 Etwa 70 Vereinsmitglieder sind während des Krieges inhaftiert worden, viele von ihnen 187 Miloš Milošević: Rudolf Giunio, admiral Bokeljske mornarice. In: Jedra Boke -Mjesečna publikacija Pomorskog muzeja Crne Gore, Kotor, 04/2012, S. 8-9. 188 Nicht bekannt ist jedoch die Zahl der Matrosen, die gleichzeitig Vereinsmitglieder waren. Vgl. Slavko Mijušković, Miloš Milošević, Milen Pasinović: Tito admiral Bokeljske mornarice, Kotor, 1986, S. 64. 189 Miloš Milošević: Rudolf Giunio, admiral Bokeljske mornarice. In: Jedra Boke - Mjesečna publikacija Pomorskog muzeja Crne Gore, Kotor, 04/2012, S. 8-9.

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kamen ums Leben. Insgesamt fielen circa 900 von den 35.000 Einwohnern der Gemeinde in der Bucht von Boka im Krieg gegen den Faschismus. Zwei Monate nach der Feier des Heiligen Tryphons in Kotor berichteten die Medien in Dalmatien über den ersten öffentlichen Auftritt der Alkaren im befreiten Land. Den Anlass für das Anlegen der alkarischen Uniformen am 14. April 1945 stellte die feierliche Tagung der im Krieg entstandenen kroatischen Landeskammer (Zemaljsko anti-fašističko vijeće narodnog oslobođenja Hrvatske) in Split dar, auf der die „Erste Volksregierung des Föderalen Staates Kroatiens“ (Prva Narodna vlada Federalne Države Hrvatske) plangemäß ausgerufen und bestätigt wurde. Laut der Interpretation von Šime Jurić (1987) seien „die Alkaren“ ausdrücklich von den Organisatoren der Feierlichkeiten nach Split eingeladen worden.190 Anhand weiterer Quellen lässt sich jedoch behaupten, dass nicht die Alkaren, sondern vielmehr die Vertreter des regionalen Volkskomitees (Kotarski narodni odbor) eingeladen worden waren, von denen drei in den Alkaren- und zwei in den Knappen-Uniformen nach Split kamen.191 Zur Sinjer Delegation gehörte ebenfalls die junge Partisanin Boja Bulović aus Bitelići und weitere bedeutende Persönlichkeiten der Partisanenbewegung aus dem Cetiner Land. Wie Boja Bulović 40 Jahre später den Journalisten erzählte, fuhr die Delegation mit einem LKW des Sinjer Mechanikers Bubo Vuletić nach Split. Der unbequeme Weg auf den schwerbeschädigten Straßen wurde laut der Erinnerung von Boja Bulović vom gemeinsamen Singen patriotischer Lieder begleitet.192 Als die größte befreite Stadt innerhalb des gerade entstehenden Föderalen Staates Kroatien diente Split in der ersten Hälfte 1945 vorübergehend als politisches Zentrum und damit als zentraler Raum für die Repräsentanz der neuen Ordnung. Um die militärische Überlegenheit der Partisanenarmee in die legitime Herrschaft der Volksfront zu verwandeln, musste man die Macht sichtbar machen.193 Nachdem Ende März in Split die Weltjugendwoche (Svjetska omladinska nedjelja) mit der Teilnahme der Moreška-Tänzer gefeiert wurde,194 versammelten sich hier drei Wochen später die Vertreter der Volkskomitees aus ganz Kroatien, um die Regierung einer der sechs föderalen Einheiten des neuen jugoslawischen Staates zu formieren. Die Ausrufung der „Ersten kroatischen Volksregierung“ in Split wurde genau vier Tage nach dem vierten Jubiläum des Unabhängigen Staates Kroatien gefeiert. Während das USKRegime seinem offensichtlichen Untergang vergeblich zu entgehen versuchte, befand sich Split schon seit fünf Monaten unter der Kontrolle der Volksbefreiungsarmee und schon seit zwei Monaten außerhalb der Reichweite der feindlichen Kräfte. Am Samstag, dem 14. April 1945, kamen aus ganz Dalmatien und aus anderen Regionen tausende Menschen in ihren Volkstrachten nach Split. Während Jugendliche patriotische Lieder sangen und Volkstänze aufführten, prägte die große, auf dem Stadthügel Marjan angebrachte und 190 191 192 193

Š. Jurić: History of the Alka Tournament. In: The Alka Tournament of Sinj. Beograd, 1987, S. 58-69. Nedjeljko Musulin: Bili su to dani radosti i ponosa. In: VCK, 1. Mai 1985, Jg. V, Nr. 105, S. 11. Ebd. Zur Visualisierung der politischen Macht in Jugoslawien siehe: Marc Živojinović: Die Sichtbarkeit der Macht. Visualisierung von Herrschaft im sozialistischen Jugoslawien. In: Grigore, Mihai-D; Dinu, Radu Harald; Živojinović, Marc (Hg.): Herrschaft in Südosteuropa. Kultur- und sozialwissenschaftliche Perspektiven, Göttingen, S. 155-174. 194 Zlatan Podbevšek: Trideset godina obnovljene moreške. In: Moreška – korčulanska viteška igra, Korčula, 1974, S. 71-92, hier: S. 77.

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aus roten Glühbirnen konstruierte Aufschrift „Tito“ das Stadtpanorama.195 Die Fortsetzung der Herrschaftsinszenierungspraxis mit den politischen Vorgängern reflektierte sich indes nicht nur in der Betonung der Herrscherfigur und folkloristischer Elemente, sondern auch in der Legitimation der politischen Ordnung durch die Geschichtsaneignung. Während seiner Eröffnungsrede apostrophierte Vladimir Nazor, der berühmte Dichter und Vorsitzende der provisorischen Volksvertretung, Dalmatien als „Wiege der kroatischen Staatsidee und der kroatischen Kultur“.196 Die symbolische Verknüpfung der Kommunistischen Partei mit Motiven aus der nationalen Vergangenheit, vor allem mit den Hajduken und den antifeudalen Aufständen, erwies sich noch während des Kriegs als erfolgreiches Mittel, um breite Massen politisch und militärisch zu mobilisieren.197 Für die Volksbefreiungsbewegung unter der kommunistischen Führung war es von entscheidender Relevanz, ihre Legitimationsbasis mit solchen Symbolen auszuweiten, die den Volksmassen verständlicher als die marxistisch-leninistische ideologische Abstraktion waren.198 Die politische Mobilisierung mit den Motiven des Nationalkampfes und die Konstruktion teleologischer Kontinuitäten stellte indes keine ideologische Entgleisung der jugoslawischen Kommunisten, sondern gerade die Domestizierung des sowjetischen Referenzmodells dar. Trotz der rhetorischen Hervorhebung der Diskontinuität mit dem zaristischen Russland stützte sich die sowjetische Herrschaftsrepräsentanz nach 1917 erheblich auf die Praxis derjenigen kulturellen Traditionen, die sie ersetzen wollte, einschließlich der Liturgien und der zaristischen Zeremonien.199 Die Anknüpfung an vorrevolutionäre nationalistische Narrative und die Hervorhebung der symbolischen Kontinuität des Kampfes kam zusätzlich während des Zweiten Weltkriegs zum Ausdruck. Während der Kampf gegen die Achsentruppen als Fortsetzung der erfolgreichen Kriegsgeschichte Russlands gedeutet wurde, stellte man den sowjetischen Anführer Stalin als Nachfolger der berühmtesten russischen Herrscher und Befehlshaber wie Aleksandr Nevskij oder Michail Kutuzov dar.200 Entsprechend dem sowjetischen Vorbild, ermöglichte die Anpassung der nationalen Werte, Mythen, Symbole und Traditionen der Kommunistischen Partei sich als Nachfolger aller „progressiven Kräfte in der Vergangenheit jugoslawischer Völker“ zu legitimieren.201 Ein politisches Plakat informierte beispielsweise 1945 die Slowenen, dass „Matija Gubec aus der dunklen Vergangenheit schreit“ und das Volk verpflichtet „keine Zeit zu verlieren, [sondern] mit dem letzten Anschlag den Feind aus unserem Land zu vertreiben und mit der Waffe in den Händen, die festen Grenzen der Heimat zu setzen“.202 Die zum Mythos gewordene Figur des antifeudalen 195 Reana Senjković: Politički rituali. In: Jasmina Bavoljak (Hg.): Refleksije vremena 1945.-1955., Zagreb, 2012, S. 202-227. 196 Ebd. 197 Ivo Žanić: Hajduci, kmetovi, askeri i vitezovi. In: Polemos, 1/1, Zagreb, 1998. http://www.hsd.hr/polemos/prvi/02.html (Letzter Zugriff: 11. Oktober 2013). 198 Reana Senjković: Politički rituali. In: Jasmina Bavoljak (Hg.): Refleksije vremena 1945.-1955., Zagreb, 2012, S. 202-227. 199 Ebd. 200 Vgl. Boris Stamenić: Od nacionalne klase do prvoklasne nacije. In: Ana Veselinović, Petar Atanacković, Željko Klarić (Hg.): Izgubljeno u tranziciji. Kritička analiza procesa društvene transformacije. Beograd, 2011, S. 238-247. 201 Snježana Koren: Politika povijesti u Jugoslaviji, Zagreb, 2012, S. 132. 202 Das Plakat von Nikolaj Pirnat befindet sich in der Plakatsammlung der Digitalen Bibliothek Sloweniens. www.dlib.si (Letzter Zugang: 24. Oktober 2013).

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Aufstandes 1573 war unter der Bevölkerung der nordwestlichen Regionen Jugoslawiens sehr gut bekannt. Über Volkslieder und die romantische Literatur des 19. Jahrhunderts hinaus kannte man Matija Gubec auch bereits aus den Legitimations-Narrativen der konkurrierenden Parteien aus der Zwischenkriegszeit, die ebenfalls alle beabsichtigt hatten, den Anführer der aufständischen Armee als symbolisches Kapital für die Vermittlung ihrer politischen Idee einzusetzen.203 Die Propaganda im USK hatte den legendären Anführer in eine projizierte Kontinuität der berühmten Kämpfer für ein unabhängiges Kroatien gesetzt, beispielsweise als Vorläufer von Eugen Kvaternik, der als Hauptorganisator des Attentats auf den jugoslawischen König Aleksandar ganz hoch in der Ustaša-Hierarchie figurierte.204 Während der bevorstehende Untergang der faschistischen Ordnung doch immer wahrscheinlicher wurde, kam der Mythos über den martialischen Tod von Matija Gubec zunehmend zum Ausdruck.205 Dabei wurde Gubec in eine Kontinuität mit dem „letzten kroatischen König“ Petar Svačić (†1102) und dem im Krieg gefallenen hochrangigen Ustaša-Offizier Jure Francetić (†1942) gestellt und als ein „Märtyrer für die freie Heimat“ kodiert.206 Doch nicht nur in den Ustaša- und Heimwehrtruppen trug der Mythos von Gubec zur Stärkung der Moral bei, sondern nahm gleichzeitig auch in der Partisanenarmee unter kommunistischer Führung eine prägende symbolische Rolle ein, bspw. wurden einige Brigaden nach ihm benannt. Aufgrund der überwiegend ländlichen Bevölkerung des Landes eignete sich der romantisierte Vorreiter des Bauernaufstandes für beide Parteien als Legitimationsfigur, trotz ihrer ideologischen Unterschiede. Während die Ustaša-Ideologie Gubec vor allem als einen der Mitkämpfer für ein unabhängiges Kroatien präsentierte, hoben die Kommunisten gerade die internationale Qualität des Aufstandes hervor. Im Kampf gegen den ungarischstämmigen Feudalherren Ferenz Tahy hätte Gubec die Volksmassen von beiden Flussufern der Sutla vereinigt, was der in der neuen politischen Ordnung geforderten Solidarität zwischen den Kroaten und Slowenen gut entsprach.207 Darüber hinaus wurden die Kontinuität symbolischer Relevanz des Aufstandsanführers und sein Spitzenstatus unter den vorsozialistischen historischen Figuren im sozialistischen Jugoslawien durch eine implizit präsente Parallele zwischen Matija Gubec und Josip Broz Tito, der 1892 in einer kroatisch-slowenischen Familie in Kumrovec an der Sutla geboren wurde, sicherlich begünstigt. In der Nachkriegszeit führte die Kommunistische Partei die Kodierung und die Resemantisierung von Symbolen, Mythen, und kulturellen Praxen fort und nutzte sie als Medien oder Elemente der Repräsentanz bzw. der Legitimation der eigenen Herrschaft. Traditionelle Waffenrituale wie die Sinjska Alka oder die Moreška stellten dabei populäre und erprobt nützliche Vehikel zur Propagierung politischer Absichten dar, eine Tatsache, die die kommunistische 203 Vgl.: Vjeran Pavlaković: Matija Gubec goes to Spain: Symbols and Ideology in Croatia, 1936-1939., u: The Journal of Slavic Military Studies, 2004, 17:4, S. 727-755. 204 Rory Yeomans: Visions of Annihilation: The Ustaša Regime and the Cultural Politics of Fascism (1941-1945), Pittsbough, 2013, S. 95. 205 Laut der Legende wurde der Bauernkönig Gubec 1573 nach seiner Festnahme nach Zagreb gebracht, mit einer heißen Eisenkrone öffentlich „gekrönt“ und danach gevierteilt. 206 Rory Yeomans: Visions of Annihilation: The Ustaša Regime and the Cultural Politics of Fascism (1941-1945) Pittsbough, 2013, S. 313. 207 Der Fluss Sutla stellt über die Jahrhunderte ein Teil der westlichen Grenze Kroatiens und insoweit die unumstrittene ethnographische Grenze zwischen Kroatien und Slowenien dar.

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Führung ganz bewusst einsetzte. „Es lebe die wunderschöne Tradition!“ (Slava toj prekrasnoj tradiciji!), rief Vladimir Nazor, der Vorsitzende der provisorischen Volksvertretung ZAVNOH, begeistert aus, als er die Alkaren bei der feierlichen Sitzung in Split erblickte.208

Abb 11: Die Vertreter des regionalen Volkskomitees des Cetiner Landes mit den höchstrangigen Machtträgern des Föderalen Staates Kroatien im April 1945 in Split. Der Großgrundbesitzer und Teilnehmer des Volksbefreiungskampfes Frano Tripalo Kekica (2. Reihe, mittig) erschien in Split zum ersten und zum letzten Mal in der Rolle des alkarischen Anführers. Die prestigeträchtige Funktion wurde schon im selben Sommer vom Oberstleutnant der Jugoslawischen Armee Petar Peko Bogdan (2. Reihe, 3.v.l.) übernommen, der zur Feierlichkeit in Split in der Uniform des Befehlshabers der Alkarentruppe (Alajčauš) erschien. Quelle: Archivbestand des Ritterlichen Alkarenvereins, Sinj.

Die Teilnahme der Alkaren an den Feierlichkeiten zur Ausrufung der „Ersten Volksregierung Kroatiens“ wurde mit einer gemeinsamen Fotografie der Delegation aus Sinj mit dem Vorsitzenden der Volksversammlung Vladimir Nazor, dem Regierungschef Vladimir Bakarić und dem Innenminister Vicko Krstulović dokumentiert. Bevor er sich den politischen Aufgaben als regionaler Sekretär der Volksbefreiungsfront für Dalmatien gewidmet hatte, war Krstulović ein hochrangiger Offizier der Partisanenarmee in Dalmatien und damit Mitkämpfer mancher Aufständischer aus dem Cetiner Land. Einen dieser Aufständischen, Ivan Bračulj, sieht man auf dem Foto direkt neben Krstulović in der Uniform des Befehlshabers 208 Š. Jurić: History of the Alka Tournament. In: The Alka Tournament of Sinj. Beograd, 1987, S. 58-69.

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der Knappen-Truppe. Der Arambaša Ivan Bračulj aus dem Bergdorf Bitelići bei Sinj war 1940 einer der Abgeordneten der prokommunistischen Arbeiterpartei in der lokalen Versammlung in Sinj sowie einer der Organisatoren des antifaschistischen Aufstandes im Cetiner Land 1941.209 Im Einklang mit seiner prägenden Kriegsrolle wurde er 1944 zum Kommandanten des Cetiner Militärkreises ernannt. Gerade Bračulj hatte genehmigt, dass das neu entstandene Sinjer Stadtorchester mit vier gefangenen Musikanten ergänzt werden durfte. Mit seinen Kriegskameraden Vice Buljan und Vicko Krstulović war Ivan Bračulj ein häufiger Redner bei den Kundgebungen in Sinj und Umgebung nach der Befreiung 1944. Die drei hochpositionierten Vertreter kommunistischer Herrschaft in Kroatien und Arambaša Bračulj saßen auf dem Foto in der vorderen Reihe zwischen zwei Frauen in Volkstrachten. Die Frau neben Bračulj ist anscheinend die junge Partisanin Boja Bulović aus der gleichen Bergsiedlung Bitelići. Das schwer zugängliche Dorf hatte eine herausragende Rolle in der Entstehung und dem Erhalt des antifaschistischen Aufstandes im Cetiner Land während seiner schwierigsten Phase 1941/42. Das Haus von Bojas Vater Bojan Bulović diente dabei den Aufständischen als Zufluchtsort, trotz des Risikos, das sich daraus für die ganze Siedlung ergab.210 Die Einladung, zu Boja Bulović nach Split zu kommen, stellte unter anderem eine symbolische Anerkennung der Kriegsverdienste der Familie von Bojan Bulović dar, deren drei Söhne alle als Partisanenkämpfer im Krieg ums Leben kamen. Die Bedeutung von Bitelići für den antifaschistischen Aufstand im Cetiner Land und der dementsprechende soziale Aufstieg mehrerer seiner Einwohner nach Kriegsende sollten sich auch in der Sinjska Alka nach 1945 manifestieren. Die isolierte Bergsiedlung, die wahrscheinlich nie davor einen Alkare hervorgebracht hatte, sollte die Sinjska Alka in den Nachkriegsjahren in erheblichem Ausmaß mitbestimmen. Neben der Tatsache, dass sich Einwohner des Bergdorfs Bitelići an einer politischen Delegation der Sinjer Gemeinde beteiligten, wurden die sozialen Veränderungen, die den Umbruch begleiteten, noch viel stärker durch die Präsenz der beiden Frauen widergespiegelt. Die deutliche soziale Emanzipation der Frauen ergab sich dabei nicht nur aus der kommunistischen Ideologie, sondern auch aus ihrer zahlreichen Beteiligung am Volksbefreiungskampf. In der Partisanenarmee kämpften etwa 100.000 Frauen mit Waffen, weitere zwei Millionen unterstützten die Volksbefreiungsbewegung mittels anderer Wege.211 Während des Kriegs bzw. der Machtkonsolidierung in der Nachkriegszeit sprach die Kommunistische Partei ganz gezielt die früher marginalisierten sozialen Gruppen an, denen neue Möglichkeiten und Rechte versprochen wurden.212 Neben den Jugendlichen richtete sich diese Politik hauptsächlich an Frauen, die den Männern gesetzlich gleichgestellt wurden und deren Integration in den Arbeitsmarkt mit konkreten Maßnahmen und der kommunistischen emanzipatorischen Rhetorik gefördert wurde. Das Ziel, die Rolle der Frau zu stärken, wurde auf der Kundgebung 209 Nedjeljko Musulin: Bili su to dani radosti i ponosa. In: VCK, 1. Mai 1985, S. 11. 210 Četiri Titova susreta s Cetinskom krajinom. In: Alkar, 1. August 1972, zentrales Beiblatt. 211 Renata Jambrešić Kirin: Žene u formativnom socijalizmu. In: Jasmina Bavoljak (Hg.): Refleksije vremena 1945.-1955., Zagreb, 2012, S. 182-201. 212 Ulf Brunnbauer: Staat und Gesellschaft im Realsozialismus. Legitimationsstrategien kommunistischer Herrschaft in Südosteuropa. In: Grigore, Mihai-D; Dinu, Radu Harald; Živojinović, Marc (Hg.): Herrschaft in Südosteuropa. Kultur- und sozialwissenschaftliche Perspektiven, Göttingen, S. 21-54, hier: S. 33.

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in Split unter anderem durch die Wahl von Anka Berus zur Finanzministerin in der Ersten Volksregierung Kroatiens deutlich zum Ausdruck gebracht. Unter den Delegierten des Sinjer Volkskomitees, die auf der erwähnten Fotografie aus Split in der zweiten Reihe stehen, befinden sich drei Männer in Uniformen der Alkaren. Als erster von rechts steht Stipe Milun, der bereits 1906 als Turnier-Teilnehmer debütiert und sich bis 1941 regelmäßig an der Sinjska Alka sowie an öffentlichen Auftritten der Alkarentruppe beteiligt hatte. Der bejahrte Veteran des Ringreitens war kein aktiver Kämpfer der Partisanenarmee, galt aber als Unterstützer der Volksbefreiungsbewegung in Sinj. Sein Neffe Ante Milun war bereits vor dem Krieg ein Mitglied der illegalen kommunistischen Jugendorganisation SKOJ und seit 1942 ein Partisanenkämpfer.213 Außerdem wurde Stipe Milun 1944 von Ordnungskräften der Ustaša-Verwaltung in Sinj festgenommen und mit einer größeren Gruppe von Bürgern über mehrere Tage im Arrest festgehalten.214 An der Begegnung mit den Vertretern der neuen politischen Macht in Split 1945 beteiligte sich auch der 63-jährige Frano Tripalo Kekica in der Uniform des alkarischen Anführers. Das Mitglied der berühmten Großgrundbesitzerfamilie hatte sich seit 1914 an der Sinjska Alka beteiligt und zwar zumeist als Fahnenträger. Als sein Bruder Kruno Tripalo den alkarischen Anführer Vice Grabovac vorübergehend 1933 ersetzte, trat Frano Tripalo Kekica als sein Adjutant an, danach kehrte er wieder zur Funktion des Flaggenträgers zurück. Als Turnierteilnehmer hatte sich Frano Tripalo Kekica wahrscheinlich nur einmal an der Sinjska Alka beteiligt. Nichtsdestoweniger stellte er eine herausragende Persönlichkeit der regionalen Sportgeschichte dar: Im Jahr 1912 hatte er den ersten Ball aus Prag nach Sinj mitgebracht und damit einen wichtigen Impuls für die Entwicklung des Fußballs im Cetiner Land gegeben.215 Darüber hinaus hatte er den Bau des ersten Tennisplatzes in Sinj finanziert.216 Den Zweiten Weltkrieg hatte Frano Tripalo Kekica zum Teil mit den Partisanen im Wald verbracht, was erheblich zur Popularisierung der Volksbefreiungsbewegung in Sinj beigetragen hatte.217 Im Herbst 1944 war er Mitglied des Distriktkomitees in Split, kurz danach im regionalen Komitee des Roten Kreuzes für Dalmatien eingesetzt.218 Als alkarischer Anführer trat Frano Tripalo im April 1945 in Split zum ersten und gleichzeitig zum letzten Mal auf. Links vom „ältesten Partisan des Cetiner Landes“, wie Frano Tripalo Kekica in der Sinjer Presse während des Spätsozialismus häufig bezeichnet werden sollte, befindet sich der dreißigjährige Oberstleutnant (Potpukovnik) der Volksbefreiungsarmee Petar Peko Bogdan aus Glavice bei Sinj in der Uniform vom Alajčauš. Nach dem Kriegsausbruch im April 1941 hatte Bogdan sein Jurastudium an der Belgrader Universität unterbrochen und war nach Sinj zurückgekehrt.219 Bis Ende 1941 hatte er sich an der Waffensammlung und der Formierung jener Truppe beteiligt, mit der er im Januar 1942 aus der eingesperrten Stadt geflohen war. 213 Alkarski portet obitelji Milun, Alkar, 1968, S. 5-6. 214 Vgl. M.P.: Taoci u „Luličinom“ zatvoru. In: VCK, 20. Juni 1985, S.2. 215 Petar Kliškinić: Junak stogodišnjak za samo pet godina. In: Sinjske novine, Nr. 10-11, März-April 2011, S. 40-41. 216 Daria Brković: Obitelj Tripalo, primjer veleposjednika. In: Sinj. Pogled na stvaranje jednog grada, Sinj, 2012, S. 52-57, hier: S. 54. 217 Mira Kocjančić: “Alka ‘77.” – priča s plakata. In: Alkar, 7. August 1977., S. 4. 218 Dogodilo se u Cetinskoj krajini. In: VCK, 1. Oktober 1985, S. 2. 219 Slavni barjak u slavna junaka. In: Alkar, 1972, zentrales Beiblatt.

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Kommunistische Machtaneignung und die Sinjska Alka

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Im gleichen Jahr war er der Kommunistischen Partei beigetreten und hatte sich weiterhin am bewaffneten Widerstand beteiligt. Im April 1944 war Bogdan zum stellvertretenden Kommandanten des Achten Dalmatinischen Armeekorps ernannt worden und im Oktober desselben Jahres hatte er an der Zweiten regionalen Konferenz der Volkskomitees für Dalmatien in Hvar teilgenommen. Während der letzten Kriegsmonate war er für die Lage auf dem Territorium der IV. Armee zuständig. Laut dem Sinjer Historiker Ivan Kozlica war gerade Bogdan der Ankläger im halbtägigen Schauprozess vor dem Militärgericht in Sinj 1944, in dem acht Funktionsträger der UstašaVerwaltung im Cetiner Land, darunter auch der alkarische Anführer Mirko Bilobrk, zur Todesstrafe verurteilt wurden.220 Was die Deutung der kommunistischen Machtübernahme in der lokalen Presse während des sozialistischen Jugoslawiens angeht, war Peko Bogdan hauptverantwortlich dafür, dass das Sinjer Orchester mit der beschlagnahmten Trommel aus Knin ausgestattet wurde. An der Sinjska Alka hatte sich Bogdan vor 1945 kein einziges Mal beteiligt. Das Privileg, bei der Feierlichkeit in Split in der Uniform des Befehlshabers der Alkarentruppe zu erscheinen, erlangte Bogdan ausschließlich als Offizier der Partisanenarmee. Laut der späteren Erzählung von Petar Peko Bogdan, kam „die Initiative für die Wiederbelebung der Sinjska Alka“ von Vice Buljan, dem Vorsitzenden des Regionalen Volkskomitees für Dalmatien.221 Als ehemaliger Alkar und Vorsitzender der Sinjer Gemeinde (1940) hatte Vice Buljan unmittelbare Vorkriegserfahrung sowohl mit der Alka als auch mit der Politik. Darüber hinaus hatte er während der Aufführung der Moreška im Hvarer Theater 1944 einen Eindruck davon erlangen können, dass die traditionellen Rituale auch in der neuen ideologischen Ordnung ein wertvolles symbolisches Kapital darstellen. Auf der bereits erwähnten Konferenz des Volkskomitees Dalmatiens in Hvar hatte Vice Buljan zusammen mit Petar Peko Bogdan und drei weiteren Delegaten den Sinjer Verwaltungskreis repräsentiert.222 Auf der Fotografie sieht man neben den drei erwähnten Männern in den schwarzen Uniformen der Alkaren-Kavalleristen einige weitere Männer in dalmatinischen Volkstrachten stehen, unter ihnen auch den jungen Andrija Barić in der Knappen-Uniform. In der Delegation des Volkskomitees des Sinjer Distrikts in Split befand sich auch Božo Bandalo als Vertreter des lokalen Komitees von Trilj, der vor dem Krieg ebenso wie Ivan Bračulj ein Abgeordneter der prokommunistischen Arbeiterpartei (Stranka radnog naroda) in der Sinjer Versammlung 1940 gewesen war.223 Die kurze Begegnung mit den höchsten Vertretern der neuen politischen Macht nutzten die Vertreter des Sinjer Volkskomitees, um ihre Pläne für die Abhaltung der Sinjska Alka im darauffolgenden August zu präsentieren.224 Vor den Organisatoren stand eine Herausforderung, die man ohne staatliche Unterstützung nicht würde bewältigen können. Zwar hatten die alkarischen Gegenstände und Uniformen den Krieg unversehrt überstanden, doch musste man die wichtigste Voraussetzung für die Aufführung der Sinjska Alka erfüllen: die Anschaffung von Reitpferden. 220 221 222 223 224

Information aus dem Gespräch mit Ivan Kozlica. Zagreb, Dezember 2013. Ebd. Dogodilo se u Cetinskoj krajini. In: VCK, 15. September 1985, S. 2. Nedjeljko Musulin: Bili su to dani radosti i ponosa. In: VCK, 1. Mai 1985, S. 11. Š. Jurić: History of the Alka Tournament. In: The Alka Tournament of Sinj. Beograd, 1987, S. 58-69.

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Teil I ‒ Umbruch 1945

Im Frühjahr 1945 gab es im Cetiner Land wesentlich weniger Pferde als noch ein Jahr zuvor. Unmittelbar nach der Befreiung im Oktober 1944 waren alle vorhandenen Pferde zusammen mit zahlreichen Einwohnern des Cetiner Landes mobilisiert und in aller Regel der Anfang 1945 formierten IV. Armee zugeteilt worden. Außer dem Sieg über die Achsenmächte auf dem Territorium des im Krieg zertrümmerten Königreiches Jugoslawien, kristallisierte sich im Frühjahr 1945 eine weitere Priorität für die IV. Armee heraus: die Einnahme der nordwestlichen „ethnographischen Grenze“ Jugoslawiens. Dieses Vorhaben umfasste die Eroberung der kompletten östlichen Adriaküste und nahezu aller Adriainseln sowie der einzelnen Grenzgebiete in Julisch Venetien, Kärnten und der Steiermark, die vor 1938 zwar zu Italien bzw. zu Österreich gehört hatten, in denen Südslawen und insbesondere Slowenen jedoch einen erheblichen Anteil der Bevölkerung ausmachten. Da die Niederlage der Achsenmächte im April 1945 schon absehbar war, beauftragte die jugoslawische Regierung einen Teil der Militärkräfte, sich die umstrittenen Gebiete anzueignen. Durch die Forcierung der Stoßrichtung nach Norden und das Umgehen der feindlichen Festungen in Fiume (Rijeka) und Pola (Pula), schaffte es die Volksbefreiungsarmee Jugoslawiens, die Hafenstadt Triest (Trst) am 1. Mai 1945 vor den britischen Truppen einzunehmen. Für einen Moment erschien die Übernahme des größten Adriahafens als Hauptgewinn im Laufe der territorialen Ausdehnung Jugoslawiens, jedoch zeigten sich die Regierungen in London und Washington nicht bereit, allen Bestrebungen der jugoslawischen Regierung nachzugeben. Innerhalb weniger Tage verursachte der umstrittene Status der nordwestlichen Adriaküste eine Krise unter den Alliierten, und das bereits bevor der Krieg gegen die Achsenmächte überhaupt zu Ende ging. Ohne von der Sowjetunion unterstützt zu werden, musste Jugoslawien dem starken britischen und US-amerikanischen Druck schließlich nachgeben und am 12. Mai 1945 ein „Abkommen über die zeitweilige Grenze“ mit Italien und die Formierung der „Zonen A und B“ in den umstrittenen Gebieten akzeptieren. Mit diesem Abkommen wurde das Bleiberecht für maximal 2000 Zivil- und Militärangestellte des jugoslawischen Staates vereinbart, alle anderen wurden verpflichtet, sich innerhalb von 30 Tagen aus der Zone A zurückzuziehen. Im Einklang mit dem Abkommen wurde am 10. Juni 1945 eine Sondertruppe der jugoslawischen Armee für „Istrien, das slowenische Küstenland und Triest“ formiert und beauftragt, „die slawische Bevölkerung vor dem faschistischen Terror in der Zone A zu schützen“.225 Unter den 2000 Verbliebenen waren etwa 150 bis 200 Soldaten und Amtsträger aus dem Cetiner Land.226

Konsolidierung der kommunistischen Ordnung Am Tag, an dem die Sondertruppe in Triest gebildet wurde, fand in Sinj die Vollversammlung des Alkarenvereins statt, der zum ersten Mal einen formellen Vorstand formierte. Zum Vorstandsvorsitzenden (Predsjednik uprave) wurde der Vorsitzende des regionalen Volkskomitees für Dalmatien und der ehemalige sozialistische Bürgermeister von Sinj (1940) Vice Buljan ernannt. Auch die anderen Posten in der Verwaltung wurden mit Alkaren aus der Vorkriegszeit besetzt, die der Volksbefreiungsbewegung nahestanden. Neben den an der 225 Mate Maleš: Poslije 40 godina ponovo u stroju. In: VCK, 15. Mai 1985, S.2. 226 Ebd.

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Spliter Feierlichkeit beteiligten Alkaren Stipe Milun und Frano Tripalo Kekica wurden Nikola Breko, Jerko Breko und Bogdan Ćatipović zu Verwaltungsmitgliedern ernannt. Ihre männlichen Vorfahren und gleichnamigen Verwandten hatten die Geschichte der Sinjska Alka vor dem Zweiten Weltkrieg in erheblichem Ausmaß geprägt.227 Im Einklang mit dem sozialen Status seiner Familie hatte Bogdan Ćatipović 1937 schon als 16-Jähriger in der alkarischen Zeremonie debütieren dürfen.228 Als Turnierteilnehmer hatte er sich zum ersten Mal im August 1940 an der Sinjska Alka beteiligt. Im selben Jahr hatte er sein Studium an der Technischen Fakultät in Zagreb aufgenommen, bald darauf jedoch wegen des Krieges abgebrochen und war nach Sinj zurückgekehrt.229 Während der italienischen Besatzung Dalmatiens hatte er sich im Verband der jungen Kommunisten (SKOJ) engagiert. Ende 1942 war er mit einer Gruppe von Studenten und Schülern in die Partisanenarmee geflohen, in deren Kommando-Hierarchie er im Lauf der Zeit vergleichsweise hohe Posten einnehmen konnte. Bei Kriegsende war er Truppenführer (Kapetan) in der Abteilung für Volksschutz (Odjeljenje zaštite naroda) der IX. Division der Jugoslawischen Armee, die für die Abrechnung mit den ideologischen Gegnern und Kriegsfeinden zuständig war. Im Cetiner Land hatte die Abteilung für Volksschutz Anfang 1945 laut ihrer Monatsberichte weniger Probleme mit politischen und ideologischen Gegnern als in den anderen Regionen Dalmatiens.230 „Mit der Ausgangsquote von 99,2 % bei den Wahlen für die Volkskomitees [sowie] der massenhaften Beteiligung an den verschiedenen Kundgebungen, insbesondere an den Demonstrationen gegen das faschistische Italien, zeigte das Volk ein hohes Bewusstsein“, hieß es im Bericht über die Sicherheitslage im Distrikt von Sinj im April 1945.231 „Die Tätigkeit der Kroatischen Bauernpartei ist überhaupt nicht wahrnehmbar, während sich die Jugo-Nationalisten zwar versammeln, es handelt sich bei ihnen aber um Menschen, die von Anfang an an der Volksbefreiungsbewegung teilnahmen und bei denen man bisher keine Negativität feststellen konnte“, wurde die Analyse fortgesetzt. Der Einzelfall einer feindlich gesinnten Lehrerin aus Sinj, deren Mann bei Četnik-Truppen war, wurde „unter die Überwachung durch die Infiltration einer Genossin [...]“ gestellt. Darüber hinaus hatte die Abteilung für Volksschutz zwar „die geringfügige Wirkung und das Zusammenkommen von meistens mit dem Klerus verbundenen reaktionären Elementen“ festgestellt, ergänzte den Bericht jedoch um den lakonischen Hinweis darauf, „dass sie nicht dazu in der Lage sind, auch nur irgendein Aktiönchen (akcijica) zu unternehmen“.232 Bereits einen Monat darauf reflektierte der Bericht allerdings erheblich größere Sorge über das Zusammenkommen der politischen Gegner rund um die katholische Kirche, wobei auch über die Kontakte einzelner Priester zu den antikommunistischen Guerilla-Kämpfern in der 227 228 229 230

Sinj u prvim danima slobode. In: VCK, 1. Mai 1985, S. 11. Blaž Perić: Bogdan Ćatipović Ćato. In: VCK, 1. April 1989, S. 3. Ebd. Die Monatsberichte siehe in: Blanka Matković, Ivan Pažanin: Zločin i teror u Dalmaciji 1943.-1948. počinjen od pripadnika NOV, JA, OZN-e i UDB-e. Dokumenti, Zagreb, 2011. 231 Izvještaj OZNA-e za srednju Dalmaciju za travanj 1945. godine. In: Blanka Matković, Ivan Pažanin: Zločin i teror u Dalmaciji 1943.-1948. počinjen od pripadnika NOV, JA, OZN-e i UDB-e. Dokumenti, Zagreb, 2011, S. 427-428. 232 Ebd, S. 427-428.

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Umgebung berichtet wurde. Darüber hinaus wurde dem Klerus die Verbreitung von Geschichten über die nächtlichen Erscheinungen des Franziskaners Stanko Milanović-Litre vorgeworfen, der als Offizier der Ustaša-Truppen gleich nach der kommunistischen Machtübernahme in Sinj vor dem Militärgericht der Partisanenarmee verurteilt und erschossen wurde.233 „Im Distrikt von Sinj lästern die Kleriker unter unseren Jugendlichen [...], [sie] erzählen ihnen, dass die Rote Armee nicht hierher kommen wird und setzten dabei ein höhnisches Lächeln auf“, warnte der Bericht vor der subversiven Haltung der Gegner. Der weitgehend vorprogrammierte Konflikt zwischen der politischen Macht, die eine umfassende soziale Revolution nach sowjetischem Vorbild durchsetzen wollte, und der kirchlichen Macht, die ihre Position grundsätzlich erhalten wollte, spitzte sich in den darauffolgenden Monaten zu.234 Trotz der anfangs zugesicherten gegenseitigen Anerkennung oder zumindest Duldung zwischen den beiden Konfliktparteien, sollten sich ihre Beziehungen bis zum Jahresende verschärfen und schließlich in einem langjährigen Konflikt zwischen dem jugoslawischen Staat und der katholischen Kirche resultieren. Im Sommer 1945 begann unter der kommunistischen Führung der weitgehende Umbau der kroatischen und jugoslawischen Gesellschaft, wobei die Intensität und Ausrichtung in erheblichem Ausmaß durch die Kriegsereignisse determiniert wurden.235 Die revolutionären gesellschaftlichen Veränderungen kooptierten alle sozialen Praktiken, einschließlich der Kultur.236 Die durch die intensive politische Dynamik entstandenen Veränderungen im kulturellen Feld spiegelten gleichzeitig das soziale Orientierungsbild wider. Als Repräsentationsbühne der neuen gesellschaftlichen Ordnung dienten die kulturellen Inszenierungen als wichtige Vehikel der weiteren politischen und sozialen Veränderungen im Land. Im Einklang mit der langjährigen Funktion der Sinjska Alka als eine lokal und regional relevante Bühne der Herrschaftsinszenierung stellte im Sommer 1945 die Einrichtung einer Vereinsverwaltung, die zudem mit regimetreuen Mitgliedern besetzt wurde, nur eine von zahlreichen politisch motivierten Innovationen im Alkarenverein dar. Im Geiste der politisch geforderten sozialistischen Revolution wurde der Ritterliche Alkarenverein (Viteško alkarsko društvo) in Volksalkarenverein (Narodno alkarsko društvo) umbenannt. Die Resemantisierung des populären frühmodernen Rituals wurde darüber hinaus durch die Veränderung der nonverbalen Symbole ergänzt. Die Vereinsfahne mit der Abbildung der Madonna von Sinj (Gospa Sinjska) aus dem Jahr 1887 wurde durch ein neues Banner ersetzt. Die Grundlage der neuen Vereinsfahne stellte die kroatische rot-weiß-blaue Trikolore dar, die mit weiteren lokal relevanten Symbolen kodiert wurde. Auf der einen Seite dominierte das zentrale Motiv eines stämmigen und entschlossenen Knappen mit einem Streitkolben (buzdovan) in der Hand. Die Abbildung des Mannes mit den kräftigen Armen wurde von einem Eichenbaum und einer Weizenähre eingerahmt. Auf dem roten Feld darüber stand die Aufschrift „Volksalkarenverein“, auf das 233 Izvještaj OZNA-e za srednju Dalmaciju za svibanj 1945. godine. In: Blanka Matković, Ivan Pažanin: Zločin i teror u Dalmaciji 1943.-1948. počinjen od pripadnika NOV, JA, OZN-e i UDB-e. Dokumenti, Zagreb, 2011, S. 467. 234 Vgl. Igor Duda: Uhodavanje socijalizma. In: Jasmina Bavoljak (Hg.): Refleksije vremena 1945.-1955., Zagreb, 2012, S. 10-37. 235 Hannes Grandits: Obitelj i socijalne promjene u hrvatskim selima, Zagreb, 2012, S. 185. 236 Maša Kolanović: Od kulture za mase do masovne kulture. In: Jasmina Bavoljak (Hg.): Refleksije vremena 1945.-1955., Zagreb, 2012. S. 166-179.

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blaue Feld darunter wurde zur Erinnerung an den berühmten Sieg gegen die Osmanen das Datum „16. VIII. 1715“ gesetzt. Demgegenüber bezog sich die andere Seite auf den Volksbefreiungskampf und hatte, genauso wie die Partisanenflagge, einen roten Stern in der Mitte. Im Einklang mit den Werten der neuen ideologischen Ordnung stand auf dem oberen Feld das bekannteste Motto des Partisanenkampfes „Tod dem Faschismus, Freiheit dem Volk!“ (Smrt fašizmu, sloboda narodu!). Auf dem unteren, blauen Feld befand sich außerdem das Datum „14. VIII. 1941“ zur Erinnerung an die erste Militäroperation der Partisanentruppen im Cetiner Land und Dalmatien. Mit der Umbenennung des Vereins und der Umgestaltung der Fahne wurden schon im Sommer 1945 die wichtigsten politischen Botschaften in die Sinjska Alka integriert. Die symbolische Umkodierung der Sinjska Alka erfolgte in Folge der sozialen und politischen Veränderungen, zu deren Reproduktion die populäre kulturelle Inszenierung ab diesem Zeitpunkt beitragen sollte. Im Sommer 1945 wurden nicht nur Name, Symbole und Verwaltungsstruktur des Alkarenvereins umgestaltet, sondern ebenso radikal der soziale Zusammenhang der Alkaren- und der Knappentruppe verändert. Auf der Versammlung des Alkarenvereins im Juni 1945 wurde all jenen der Auftritt im traditionellen Ritual untersagt, die sich als Mitglieder, Mitarbeiter oder Sympathisanten des Ustaša-Regimes kompromittiert hatten.237 Dementsprechend wurden die Alkaren- und die Knappentruppe laut der Auffassung des Sinjer Laien-Historikers Ivo Dalbello überwiegend mit den Personen besetzt, die bereits in der Vorkriegszeit an der Sinjska Alka teilgenommen und den Krieg weitgehend passiv und in der ständigen Balance zwischen den Konfliktparteien verbracht hatten. Dass eine solche Einordnung in aller Regel ambivalent zu bewerten ist, bestätigt die Tatsache, dass 1945 dennoch die langjährigen Ritualteilnehmer Mile Breko und Lucijan Lovrić auftreten sollten, obwohl sie sich auch im August 1944 an der Sinjska Alka beteiligt hatten. Für die höchste Funktion in der alkarischen Hierarchie wurde Marko Buljan, der letzte alkarische Anführer vor Beginn des Zweiten Weltkriegs ausgewählt. Der älteste Sohn aus der Kaufmannsfamilie von Stipan Buljan war in der Zwischenkriegszeit die hauptverantwortliche Person für eine Reihe von Projekten und Ideen gewesen, die das Prestige der Sinjska Alka in erheblichem Ausmaß vergrößert hatten. Marko Buljan, der einen Diplomabschluss der Triester Fachhochschule für Handel besaß, hatte bereits in den 1920er Jahren das touristische Potential des kostümierten Jahresfestes erkannt. Als neu gewählter Alajčauš setzte er durch, die Sinjska Alka ab 1927 sonntags stattfinden zu lassen, um mehr Besucher aus Split und anderen Städten anzulocken. Darüber hinaus engagierte er sich dafür, dass die Veranstaltung auch unter den Adriaurlaubern aus dem Ausland bekannt würde. So wurde die Vorführung der Sinjska Alka ab Ende der 1920er Jahre mit Plakaten und Zeitungswerbungen in mehreren europäischen Sprachen angekündigt. Im Jahr 1935 hatte Marko Buljan als Rahmenprogramm des traditionellen Festes eine Flugschau in der Nähe von Sinj organisiert. Bereits ein Jahr später hatte er die Zuschauer und die Presse mit der Ankündigung angelockt, dass der englische König, der sich gerade auf einer Reise durch Dalmatien befand, womöglich zur Alka nach Sinj kommen würde. Abgesehen von seinen Werbemaßnahmen sammelte Marko Buljan auch viele altertümliche 237 Informationen aus Gesprächen mit Ivo Dalbello im April und August 2012 in Sinj.

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Waffenstücke für den Alkarenverein, war Mitbegründer des alkarischen Museums und initiierte die Einrichtung der Vereinsräume, den sogenannten „Hof der Alkaren“ (Alkarski dvori) in Sinj, der allerdings erst Jahrzehnte später aufgebaut werden sollte.238 Das ambitionierteste Projekt von Marko Buljan stellte indes sein Versuch dar, für die Sinjska Alka eine Tour durch Nordamerika zu organisieren, um dadurch die nötigen Gelder für den „Alkarenhof“ einzuwerben.239 Während einer Versammlung im Oktober 1927 informierte Marko Buljan die anwesenden Alkaren, dass er bereits zwei Manager in den Vereinigten Staaten gefunden hätte.240 Seine Idee wurde jedoch nie in die Tat umgesetzt. Ein Auftritt von Marko Buljan in der Sinjska Alka kam nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch nicht mehr zustande. Auf der außerordentlichen Versammlung des Volksalkarenvereins (Narodno alkarsko društvo) im Juni 1945 wurde laut Ivo Dalbello beschlossen, dass den Offizieren und angesehenen Kämpfern der Volksbefreiungsarmee ein exklusives Teilnahmerecht eingeräumt werden sollte.241 Nicht nur wurde Marko Buljan seine prestigeträchtige Stellung streitig gemacht, ihm wurde darüber hinaus auch suggeriert, zu fliehen, bevor er festgenommen und als „Kriegsprofiteur“ verurteilt werden würde. Selbst die Tatsache, dass sein Bruder Vice Buljan zu dieser Zeit der höchstrangige Machtvertreter in Dalmatien war, konnte ihn anscheinend nicht vor der Verfolgung beschützen. Unmittelbar nach dieser Warnung floh Marko Buljan mit Frau und Tochter nach Italien und kehrte erst fünfzehn Jahre später kurz vor seinem Tod nach Sinj zurück.242 Die anderen, nicht-kompromittierten Ritualteilnehmer aus der Vorkriegszeit mussten im Gegensatz zu Marko Buljan 1945 zwar nicht das Land, wohl aber in der Regel die Alkarentruppe verlassen. Die einzige Ausnahme während dieser radikalen Umgestaltung der Alkarentruppe war Stipe Milun, der bereits im August 1906 in der Sinjska Alka debütiert hatte. Wenngleich Milun kein Offizier oder Kämpfer der Partisanenarmee gewesen war, wurde er zum Kommandanten der Alkarentruppe ernannt und damit beauftragt, die Alkaren so gut wie möglich auf ihren Auftritt vorzubereiten. Angesichts der beispiellosen Anzahl an Debütanten unter den Teilnehmern war die Erfahrung des langjährigen Alkaren umso wertvoller. Eine gewisse Kontinuität mit der Vorkriegszeit ergab sich außerdem daraus, dass die Fahne Frano Tripalo Kekica anvertraut wurde, der sich bereits seit 1914 als Fahnenträger (Barjaktar) am Kostümfest beteiligt hatte. Die Stelle von Marko Buljan wurde mit dem Oberstleutnant (Potpukovnik) Petar Peko Bogdan besetzt, der wie der Großteil der Alkaren im Jahr 1945 davor noch nie am Ritual mitgewirkt hatte. Die Qualifikation von Bogdan für 238 Information aus der Korrespondenz mit Ivo Dalbello aus Sinj, Januar 2014. 239 Vgl. Knjiga alkara i alkarskih zapisnika. (Das Buch der Alkaren und der Alkarenprotokolle). Archiv des Ritterlichen Alkarenvereins, Sinj. 240 Von der Tournee erhoffte sich Marko Buljan, 20.000 US-Dollar für den Alkarenverein einzuwerben, was heute in etwa dem Wert einer Million US-Dollar entspricht. Von den Organisatoren erwartete er, dass sie die Kosten für die Pferde sowie für die Reise, Unterkunft und Verpflegung der Alkaren übernehmen sollten. Vgl. Knjiga alkara i alkarskih zapisnika. (Das Buch der Alkaren und der Alkarenprotokolle). Archiv des Ritterlichen Alkarenvereins, Sinj. 241 Informationen aus den Gesprächen mit Ivo Dalbello im April und August 2012 in Sinj. 242 Laut einer Anekdote, die in den 1970er Jahren in der lokalen Presse veröffentlicht wurde, hatte Vice Buljan bereits zu Beginn der 1950er Jahre – er war zu der Zeit kroatischer Minister für Fischerei – versucht, seinen ältesten Bruder zur Rückkehr nach Jugoslawien zu überreden. „Arm ist das Land, in dem du ein Minister bist“, lehnte sein Bruder Marko Buljan das Angebot angeblich ab.

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die wichtigste Position ergab sich aus seinem Militärrang. Aus dem gleichem Grund wurde die führende Position in der Knappentruppe dem Kommandanten der Partisanentruppen auf dem Gebiet des Berges Dinara Ivan Bračulj überlassen, der seinen ersten öffentlichen Auftritt als Arambaša bereits im April 1945 in Split absolvierte. Die Veränderungen im Alkarenverein im Sommer 1945 korrelierten mit den sozialen und politischen Prozessen im Kontext der kommunistischen Machtergreifung in Jugoslawien. Anfang Juni 1945, kaum drei Wochen nach Kriegsende, wurden in ganz Kroatien die Verwaltungsstrukturen der Sportverbände sowie der einzelnen Sportvereine aufgelöst.243 Eine Ausnahme stellten nur solche Kollektive wie der Fußballklub Hajduk dar, die bereits vorher unter der Flagge der Volksbefreiungsbewegung aufgetreten waren. Die Dringlichkeit dieser Maßnahme war aus der Einschätzung hervorgegangen, dass „[...] die sportlichen und gymnastischen Organisationen meistens im Dienste des [Ustaša] Regimes standen, [...] sowie dass sie auch in den neuen Umständen ein Brennpunkt der oppositionellen, feindlichen Tätigkeiten gegen die neue Volksherrschaft werden könnten“.244 Die Veränderungen der Sinjska Alka scheinen jedoch nicht ausschließlich durch ideologische Beweggründe motiviert gewesen zu sein. Auch der Pferdemangel im Cetiner Land scheint zur Umgestaltung des sozialen Zusammenhangs der Alkarentruppe beigetragen zu haben. Angesichts des Pferdemangels im Cetiner Land schickte das Regionale Volkskomitee für Dalmatien zu Beginn des Sommers 1945 eine Bitte an das Kommando der IV. Armee, in deren Reihen sich weiterhin viele Einwohner des Cetiner Landes befanden. Das Kriegsende, das „vorübergehende Abkommen“ über den Status von Triest und schließlich die Position des Oberstleutnants Petar Peko Bogdan im Kommando der IV. Armee machten es möglich, dass dem Volkskomitee in Sinj 30 bis 40 Pferde zur Verfügung gestellt wurden. Manche Einwohner des Cetiner Landes meldeten sich freiwillig für die Mission und legten den 500 Kilometer langen Weg von der westlichen jugoslawischen Grenze nach Sinj auf den Pferden zurück.245 In welchem Ausmaß diese Gegebenheit die Transformation der Sinjska Alka in eine exklusive Zeremonie der Partisanenkämpfer bedingt hat, lässt sich nur vermuten. Dennoch bleibt festzuhalten, dass es gerade die zurückkehrenden Partisanen aus dem Cetiner Land waren, die die Pferde nach Sinj brachten und damit die wichtigste Voraussetzung für die Vorführung der ersten Sinjska Alka nach dem Zweiten Weltkrieg erfüllten. Während man sich im Cetiner Land und in ganz Europa mit der Schaffung der Nachkriegsordnung beschäftigte, war der Krieg im Pazifik noch immer im Gange. Am Sonntag, dem 19. August 1945, berichtete die Zagreber Tageszeitung Vjesnik auf dem Titelblatt vom „plötzlichen Anschlag der Roten Armee, […] der Japan in die Knie zwang“. Im Hinblick auf die Lage in Europa und Jugoslawien platzierte man auf die erste Seite außerdem einen scharfen Kommentar mit dem Titel „Griechische Regierung verbietet Makedoniern die Anwendung der Muttersprache“ sowie die Ankündigung der Wahlen für das „Demokratische Parlament des neuen

243 Miroslav Kreačić: Organiziranje sporta u novoj Jugoslaviji. In: Povijest Sporta Nr. 51, Jg. XII, AprilJuni 1982, Zagreb, S. 95-103. 244 Ebd. 245 Š. Jurić: History of the Alka Tournament. In: The Alka Tournament of Sinj. Beograd, 1987, S. 58-69.

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Jugoslawien“. Darüber hinaus berichtete Vjesnik über die neue polnisch-sowjetische Staatsgrenze, die „die feste Grundlage der Bruderschaft und Freundschaft zwischen den Völkern Polens und der Sowjetunion bildet“.246 Eine Ankündigung der Sinjska Alka oder einen Bericht über die traditionelle Feier zu Maria Himmelfahrt in Sinj, an der sich die Alkaren 1945 noch traditionsgemäß beteiligten, gab es in Vjesnik hingegen nicht. Drei Tage vor der ersten Vorführung der Sinjska Alka unter der sozialistischen Flagge traf sich das Politbüro des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kroatiens in Zagreb. Der Innenminister Vicko Krstulović informierte die anwesenden Vertreter der zentralen Macht über die Aufführung der Sinjska Alka sowie über die Notwendigkeit, „dass jemand aus Zagreb zur Feierlichkeit geht“.247 Am Sonntag, den 19. August 1945, erschien schließlich Vicko Krstulović persönlich in Sinj und war dort nur einer in einer Reihe von hohen Gästen, die dem Kostümfest beiwohnten. Neben dem kroatischen Innenminister nahmen auf der Sondertribüne der Generalleutnant Koča Popović als Gesandter des jugoslawischen Regierungschefs Josip Broz Tito, der Generalsekretär des Präsidiums der Bundesregierung Mitar Bakić, der Oberkommandierende der Jugoslawischen Kriegsmarine Generalmajor Josip Černi, der sowjetische General Ivanov in der Begleitung von zwei höheren Offizieren sowie Vertreter der amerikanischen Armee, des regionalen Volkskomitees für Dalmatien und der „antifaschistischen Organisationen“ ihre Plätze ein.248 Entlang der traditionellen Route durch das Zentrum formierte sich in der Zwischenzeit der Alkarenzug. In seinem Debüt-Auftritt führte der Anführer Petar Peko Bogdan die Parade an, begleitet vom Fahnenträger Frano Tripalo Kekica. Eine Aufnahme von August 1945 hält einen äußerst interessanten Übergangsmoment im Prozess der Entsakralisierung der Sinjska Alka nach dem Zweiten Weltkrieg fest. Trotz der neuen Flagge, aus der die sakrale Symbolik entfernt wurde, demonstrierten die beiden Ritualteilnehmer ihre Ehrerbietung gegenüber der „Mutter Gottes von Sinj“ vor dem Eingang zur Kirche. Der Fahnenträger Tripalo bedachte die Schutzpatronin mit der üblichen Kopfdrehung, mit der die Alkaren ihren Respekt gegenüber verehrten Persönlichkeiten und Symbolen zum Ausdruck bringen. Der neue alkarische Anführer Bogdan ergänzte die traditionelle Geste um den typischen Partisanengruß. Trotz der erheblichen sozialen und politischen Veränderungen blieben die Beziehungen zwischen der neuen kommunistischen Macht und der katholischen Kirche in den ersten Monaten nach Kriegsende relativ gut, was sich unter anderem darin reflektierte, dass die Alkaren sich einige Tage zuvor an den Feierlichkeiten zu Maria Himmelfahrt 1945 beteiligt hatten. Erst infolge der Eskalation des Konflikts zwischen der kommunistischen Regierung und der katholischen Kirche, der sich 1946 unter anderem in einer antiklerikalen Medienkampagne ausdrückte, wurde in der Zeitspanne von 1946 bis 1947 die sakrale Symbolik aus der Sinjska Alka und auch den anderen hier analyiserten Waffenritualen vollständig entfernt.

246 Ugovor o poljsko-sovjetskoj državnoj granici polaže čvrste temelje bratstva i prijateljstva medju narodima Poljske i SSSR-a. In: Vjesnik, 19. August 1945, S. 2. 247 Zapisnik sa sjednice CK KPH održane dana 16. VIII 1945. Godine u Zagrebu. In: Zapisnici Politbiroa Centralnog Komiteta Komunističke Partije Hrvatske 1945-1952. Bd. 1, Zagreb, 2005, S. 90-93., hier: S. 91. 248 Nakon četiri godine u Sinju je odigrana Alka. In: Vjesnik, 24. August 1945, S. 3.

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Abb 12: Der Straßenzug der Alkaren durch Sinj im August 1945. Auf dem Weg zum Wettkampfplatz erweisen der alkarische Anführer Petar Peko Bogdan und der Fahnenträger Frano Tripalo Kekica der Madonna von Sinj ihre Ehre. Quelle: Archivbestand des Ritterlichen Alkarenvereins, Sinj.

Für den ersten alkarischen Wettbewerb unter der sozialistischen Flagge wurden wahrscheinlich 15 Teilnehmer ausgewählt.249 Obwohl sie größtenteils keine Erfahrung aufwiesen, waren manche von ihnen in der Vergangenheit auf andere Weisen mit der Sinjska Alka verbunden gewesen. Vor allem diejenigen, die ihre Kindheit in Sinj verbracht hatten, hatten sicherlich die Vorbereitungen und Auftritte der damaligen Alkaren mit großem Interesse verfolgt und mit anderen Kindern das Ringstechen in der Hoffnung nachgespielt, dass sie eines Tages selbst Alkaren werden könnten. Darüber hinaus hatte beispielsweise der Debütant Bruno Vuletić vor dem Krieg die Reiterschule in Sinj besucht. Wenn man in Betracht zieht, dass auch manche seiner männlichen Vorfahren an der Sinjska Alka teilgenommen hatten, hätte 249 Der Sinjer Journalist Marinko Perić veröffentlichte 1974 eine Liste, in der lediglich 14 Teilnehmer an der Sinjska alka im August 1945 aufgeführt sind. (Vgl. Marinko Perić: Sinj i Cetinska krajina u borbi za slobodu, Sinj, 1974, S. 203). Ivo Dalbello ergänzte diese Liste um Božo Bandalo aus Udovičići, der sich als Vertreter des Gemeindekomitees von Trilj ebenfalls an den Feierlichkeiten in Split beteiligt hatte, allerdings ohne dabei die alkarische Uniform zu tragen.

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Bruno Vuletić aller Wahrscheinlichkeit nach auch im alten System ein Ritualteilnehmer werden können. Unter den neuen Umständen hatte er sich die Einladung hauptsächlich als Partisanenoffizier aus dem Cetiner Land verdient. Diesem wichtigsten Kriterium entsprechend beteiligte sich 1945 auch Oberst Ivan Guvo Garavi, ein berühmter Kommandant aus Čaporice bei Sinj, an der Sinjska Alka. Ivan Guvo hatte im Sommer 1944 auf der Insel Vis die Ehre erlangt, die Brigadeflagge zu tragen, als die I. Dalmatinische Brigade von Tito mit dem Elitestatus der Proletarischen Brigade (Proleterska brigada) ausgezeichnet wurde.250 Einige Männer unter den neuen Alkaren, wie zum Beispiel Nikola Milanović aus Glavice, waren der kommunistischen Bewegung noch weit vor Kriegsausbruch beigetreten. Laut der Vergangenheitsdeutung der lokalen Presse aus den 1970er Jahren hatte sich Milanović im August 1935 am Rande der Sinjska Alka an der Organisation der Proteste gegen die Regierung beteiligt.251 Während der Unruhen sei er angeblich für die Unterbrechung des Telefonkabels verantwortlich gewesen, um zu verhindern, dass die dislozierten Sicherheitskräfte gewarnt werden könnten. Andere unter den neuen Alkaren, wie Bernard Brne Panza, brachten sich wiederum aktiv in die neuen kommunistischen Herrschaftsstrukturen ein. Unmittelbar nach der Befreiung im Herbst 1944 arbeitete Panza als Vorsitzender des Komitees für Wirtschaft im Distrikt von Sinj. Im Frühjahr 1945 avancierte er zum Sekretär des Distriktkomitees. Die Teilnahme am Volksbefreiungskampf bestimmte letztendlich auch die Zusammensetzung des alkarischen Ehrengerichtes. Auf der ersten Versammlung im Juni 1945 war noch bestimmt worden, dass das Ehrengericht für die bevorstehende Vorführung mit drei ehemaligen Alkaren besetzt werden sollte: mit Jerko Tripalo, Ante Bareza-Anćona und Lucijan Lovrić.252 Bei der Versammlung im Juli 1945 mussten jedoch zwei der drei Veteranen, zusammen mit nahezu allen anderen Traditionsträgern aus der Vorkriegszeit, zurücktreten. Jerko Tripalo, der einstige Anführer der Alkaren, stellte dabei - abgesehen von Frano Tripalo Kekica - den einzigen Funktionsträger dar, der 1945 seine ursprünglich vorgesehene Position in der Vorführung der Sinjska Alka behalten durfte. Die anderen beiden Plätze im Ehrengericht wurden mit dem „Cetiner Volksdichter“ Nikola Sikirica und dem Vorsitzenden des lokalen Volkskomitees Ante-Kruno Vlajčević besetzt, obwohl auch sie sich nie an der Sinjska Alka beteiligt hatten. Ante Bareza-Anćona, der während des Kriegs zusammen mit dem neuen Alajačauš Stipe Milun Anfang 1944 vom Ustaša-Ordnungsamt festgesetzt worden war, sollte dennoch schon im Jahr darauf seinen Platz im Ehrengericht bekommen und über Jahrzehnte behalten dürfen. Dem anderen, ursprünglich vorgesehenen Mitglied des Ehrengerichtes sollte eine solche Ehre jedoch nicht ermöglicht werden. Die Tatsache, dass Lucijan Lovrić 1944 im Ehrengericht gesessen hatte, sprach eindeutig gegen seine Wiederwahl in die angesehene Funktion.253

250 251 252 253

Herojska simbolika Alke. In: Alkar, 1. August 1975, zentrales Beiblatt. Slavni barjak u slavna junaka. In: Alkar, 1. August 1972, zentrales Beiblatt. Information aus der Korrespondenz mit Ivo Dalbello aus Sinj, Oktober 2013. Ebd.

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Abb 13: Der alkarische Anführer Petar Peko Bogdan und der Fahnenträger Frano Tripalo Kekica auf dem Wettkampfplatz unmittelbar vor dem Beginn des Turniers im August 1945. Merkwürdigerweise übergab Tripalo die Fahne einem jüngeren Alkaren und setzte den Einlauf auf gleicher Höhe mit dem Anführer Bogdan fort. Obwohl Tripalo 1945 zugunsten des unerfahrenen und wesentlich jüngeren Bogdan auf die Position des alkarischen Anführers hatte verzichten müssen, war es ihm offenbar gelungen, sich eine wesentlich einflussreichere Position in der Sinjska Alka zu erhalten, als man sie einem Fahnenträger üblicherweise zugestanden hätte. Quelle: Archivbestand des Ritterlichen Alkarenvereins, Sinj.

Die erste Sinjska Alka nach dem Zweiten Weltkrieg gewann der jüngste unter den Turnierteilnehmern. Der einundzwanzigjährige Bruno Vuletić war laut den Medienberichten gleichzeitig der jüngste höhere Offizier in der gesamten Jugoslawischen Armee. Vuletić war der Partisanenarmee 1942 beigetreten und schon mit 18 Jahren Kommandant eines Bataillons innerhalb der II. Dalmatinischen Brigade geworden. Im Laufe des Kriegs hatte er sich an mehreren heftigen Zusammenstößen zwischen der Partisanenarmee und den Achsentruppen beteiligt, einschließlich der dramatischen Rettung vom Obersten Stab (Vrhovni štab) während der Wehrmachtsoperationen „Weiß“ und „Schwarz“. Trotz seines jungen Alters war Vuletić im August 1945 bereits ein erfahrener Kriegsveteran, was ihm nun den Weg zum Triumph im Wettbewerb der Alkaren eröffnete. Im Einklang mit den langjährigen Regeln wurde er nach der dritten Runde zum Ruhmgewinner erklärt und feierlich ausgezeichnet. Der Anführer Peko Bogdan befestigte ihm die „Volksflagge“ auf der Lanzenspitze und hielt im

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Anschluss eine Rede.254 Unter anderem betonte Bogdan „den riesigen Beitrag des Cetiner Landes für unseren Kampf“ und rief die Bevölkerung dazu auf, den neuen Staat, den er als „die Gemeinschaft der brüderlichen Völker und Nationalitäten“ definierte, zu verteidigen und aufzubauen.255 Einen konkreten Schritt im Einklang mit der proklamierten Politik der „Gleichheit, Brüderlichkeit und Einheit der Bevölkerung Jugoslawiens“ über ethnische und religiöse Grenzen hinweg unternahmen der Vojvoda Bogdan und der Alajčauš Milun, indem sie drei Serben in die neu formierte Alkarentruppe eingliederten.256 Einer dieser drei Männer – Stevo Đapić aus dem Dorf Bitelići – gewann die traditionelle samstägliche Generalprobe (Čoja). Sein kleiner Triumph stellte den ersten registrierten Auftritt einer Person mit dem Nachnamen Đapić bzw. überhaupt einer Person aus dem Dorf Bitelići in dem alkarischen Wettbewerb dar. Bruno Vuletić, der beim Sonntagsspektakel triumphierte, war hingegen ein ethnischer Kroate und ehemaliger Gymnasialschüler, der der städtischen Mittelklasse entstammte. Zusammen betrachtet verkörperten Đapić und Vuletić die Idee der Eintracht und Solidarität zwischen den Kroaten und Serben sowie der Land- und Stadtbevölkerung, die die neue kommunistische Macht mit allen Kräften förderte. Nach der Rede des Anführers Bogdan schlug der Vorsitzende der Volksalkarengesellschaft Vice Buljan vor, „ein Telegramm an die Genossen Tito und Bakarić zu schicken, was das Volk mit beispiellosen Ovationen akzeptierte“, hob Vjesnik im Bericht hervor.257 Im Telegramm an Tito stand folgender Text: „Genosse Marschall, nimm die kämpferischen Grüße des Cetiner Volkes entgegen, das heute, nach vier Jahren des schwierigen aber ruhmreichen Kampfes unter deiner Führung das traditionelle Spiel Alka feiert, das es seit jeher mit den Ideen der Freiheit und Volksehre bereichert“.258 Das Telegramm stellte eine gute Möglichkeit dar, Tito öffentlich dafür zu danken, dass er seinen Gesandten Generalleutnant Koča Popović nach Sinj geschickt hatte. In einem breiteren Kontext betrachtet reflektiert dieses Telegramm ebenfalls das sich im Entstehen befindende Massenphänomen der Versendung von Briefen, Telegrammen und Geschenken an das Staatsoberhaupt. Nicht nur der Alkarenverein, sondern auch andere soziale und politische Institutionen in Sinj sollten dies in den folgenden Jahren konsequent weiterführen.259 Im Anschluss an den Wettbewerb wurde die Feier auf den zentralen Straßen fortgesetzt. Den Höhepunkt des Kulturprogramms stellte laut einer Zeitungsnotiz aus den 1980er Jahren das Konzert der Sopranistin Zinka Kunc in der Begleitung ihres Bruders Božidar dar, die von

254 Nakon četiri godine u Sinju je odigrana Alka. In: Vjesnik, 24. August 1945, S. 3. 255 Ebd. 256 Es handelte sich um Ilija Sladoja aus Lučani, Stevo Đapić aus Bitelići und Đuro Šerbo aus Dicmo (Sušci). Information aus der Korrespondenz mit Ivo Dalbello, Oktober 2013. 257 Nakon četiri godine u Sinju je odigrana Alka. In: Vjesnik, 24. August 1945, S. 3. 258 „Druže Maršale, primi borbene pozdrave naroda Cetinske krajine koji danas poslije četiri godine teške, ali slavne borbe, pod tvojim rukovodstvom slavi tradicionalnu igru Alku, koja ga je uvijek napajala idejama slobode i narodne časti“. Zitiert nach: Priznanje za junačko držanje. In: VCK, 1. Juni 1985, S. 4. 259 Zur Versendung von Briefen und Geschenken an Tito siehe: Zvonimir Despot: Pisma Titu. Što je narod pisao jugoslavenskom vođi?, Zagreb, 2010; Nevena Škrbić Alempijević: S poštovanjem Titu. In: Jasmina Bavoljak (Hg.): Refleksije vremena 1945.-1955., Zagreb, 2012, S. 244-257.

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Vice Buljan nach Sinj eingeladen worden waren.260 Angeblich hatte sich die berühmte Sängerin, die bereits in so manchen Opernhäusern und Konzerthallen Europas aufgetreten war, zuerst geweigert, vor einem Publikum aufzutreten, das zum Großteil keine Erfahrung mit klassischer Musik hatte. Die regionalen Vertreter der politischen Macht Vice Buljan und Petar Kulić hätten jedoch Wege gefunden, sie von einem Auftritt zu überzeugen. Laut der Notiz, die man unter Vorbehalt betrachten sollte, wurde der berühmten Künstlerin nach ihrem Konzert feierlich ein ganzer Prosciutto (Pršut) übergeben, was angesichts der damaligen Versorgungsknappheit ein äußerst wertvolles und besonderes Geschenk dargestellt hätte.261 Ohne Zinka Kunc‘ Auftritt zu erwähnen, berichtete Vjesnik in einem kurzen Text mit dem Titel „Nach vier Jahren wurde in Sinj die Alka abgespielt” von den Ereignissen am Freitag, 24. August 1945.262 Die Vorführung im Jahr 1944 sollte auch in der Berichterstattung der kommenden Jahrzehnte konsequent ausgeblendet werden. In diesem knappen Bericht über die Vorführung der Sinjska Alka im August 1945 wurde auch nicht wie üblich angegeben, zum wievielten Mal die kulturelle Inszenierung abgehalten wurde. Es wurde lediglich mit Bezug auf die Schlacht von 1715 erwähnt, dass das Volk aus dem Cetiner Land „sich wieder versammelte, um den Tag zu feiern, an dem die Osmanische Eroberungsmacht auf der Cetina [Fluss] besiegt wurde“.263 Trotz der Knappheit dieses Kommentars, stellte die bloße Erwähnung der „Osmanischen Eroberungsmacht“ einen wesentlichen Unterschied im Vergleich zu der Berichterstattung unter den politischen Vorgängern dar, die entsprechend der Identitätspolitik des UstašaStaates die antiislamische Symbolik aus der Sinjska Alka hatten entfernen wollen. Die zweite wesentliche Veränderung bezog sich auf die symbolische Verknüpfung der Sinjska Alka mit dem Volksbefreiungskampf. Der Zeitungsbericht hob schon im Untertitel den „Sieg des jüngsten höheren Offiziers der Jugoslawischen Armee“ hervor. Darüber hinaus ließ es sich das Parteiblatt nicht nehmen zu erwähnen, dass „[…] im heldenhaften Wettbewerb die Vorkämpfer (Prvoborci) des Volksaufstandes und die Helden des Volksbefreiungskampfes auftraten, die das Volk des Cetiner Landes, Kroaten und Serben, in die Kämpfe um die Befreiung Jugoslawiens von den verachteten Besatzern führten“.264 Die Erzeugung einer symbolischen Verknüpfung zwischen dem Volksbefreiungskampf und der Sinjska Alka sowie den anderen kulturellen Inszenierungen sollte in der folgenden Zeitspanne noch deutlicher zum Ausdruck kommen. Die Aneignung sowie die Herstellung des Deutungsmonopols über populäre Symbole und Praktiken stellte unabhängig vom weitgehend hergestellten Gewaltmonopol einen wesentlichen Aspekt der Legitimation der neuen kommunistischen Herrschaft dar. Die Kommunistische Partei war auf einen Sieg bei den bevorstehenden Wahlen angewiesen, damit ihre Machtergreifung durch den Militärsieg der Partisanenarmee zusätzlich legitimiert werden würde.

260 261 262 263 264

Blaž Perić: Godina gladi i odricanja. In: VCK, 1. November 1982, S. 2. Ebd. Nakon četiri godine u Sinju je odigrana Alka. In: Vjesnik, 24. August 1945, S. 3. Ebd. Ebd.

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Obwohl die von der Partei gelenkten Medien etwas anderes suggerierten, war die politische Macht der Kommunisten im Sommer 1945 noch immer nicht konsolidiert. Ebenso wurden die kulturellen Inszenierungen noch nicht allumfassend von den neuen Machthabern kontroliert. Im Unterschied zum Alkarenverein wurde beispielsweise die Bokeljska Mornarica von alten Traditionsträgern reaktiviert – mit dem Admiral Rudolf Giunio an der Spitze, der sich weigerte, ideologisch motivierte Veränderungen einzuführen.265 Die Tatsache, dass Admiral Giunio den Krieg in italienischer Gefangenschaft verbracht hatte, machte aus der Ritualaneignung eine heikle Herausforderung für die neuen Machthaber, die erst zwei Jahre später vollständig verwirklicht werden konnte. Die Anwesenheit der Machtvertreter bei der Vorführung der Sinjska Alka im Sommer 1945 veranschaulicht, dass auch die neue kommunistische Regierung die Traditionskultur als Bühne der Herrschaftsrepräsentanz benutzen wollte. Die Zentralmacht artikulierte dabei meistens nur die Orientierungswerte der neuen Ordnung, während die Umkodierung des Ritualablaufs hauptsächlich von den lokalen Akteuren durchgeführt wurde. Wie das Beispiel von Vice Buljan illustriert, lässt sich dabei nicht immer ein klarer Trennstrich zwischen der zentralen und der lokalen Machtebene sowie zwischen den Machtvertretern und den Traditionsträgern ziehen. Der einstige Alkar, der zur einflussreichen Familie Buljan gehörte sowie kommunistischer Bürgermeister von Sinj (1940) gewesen war, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg Vorsitzender des regionalen Volkskomitees für Dalmatien und Vorsitzender des Alkarenvereins. Ob Vice Buljan dabei die Herrschaftskonsolidierung, die Position des Alkarenvereins oder die eigene politische Karriere in den Vordergrund stellte, lässt sich nicht ermitteln. Tatsache ist, dass die Sinjska Alka nach 1945 ihre politische Relevanz in den neuen politischen und sozialen Umständen erhalten konnte, sowie, dass Vice Buljan in der Fortführung eine wichtige Rolle spielte. Nach der großen Bedeutung, die seinem älteren Bruder Marko für die Entwicklung der Sinjska Alka in der Zwischenkriegszeit zugekommen war, sollte gerade Vice Buljan während der ersten zwei Nachkriegsdekaden zur prägendsten Persönlichkeit des Alkarenvereins werden. Gleichzeitig sollte Vice Buljan die wichtigste Verknüpfung zwischen der politischen Macht und der Sinjska Alka gerade in den Jahren darstellen, in denen der Einsatz von Waffenritualen oder ihrer Einzelelemente im Dienste der Repräsentanz ideologischer Ordnung zusätzlich an Bedeutung gewinnen würde. Der Frühherbst 1945 wurde in Jugoslawien erheblich durch die Wahlkampagne der Kommunistischen Partei für die am 11. November bevorstehenden Parlamentswahlen geprägt.266 Auf tausenden Kundgebungen im ganzen Land legten die Beteiligten, entsprechend den Vorgaben für kommunistische Agitation und Propaganda, ihre Wahlpräferenzen „für die Republik und die Demokratie und gegen den König und alle anderen Reaktionäre“ öffentlich dar.267 265 Miloš Milošević: Rudolf Giunio, admiral Bokeljske mornarice. In: Jedra Boke - Mjesečna publikacija Pomorskog muzeja Crne Gore, Kotor, 04/2012, S. 8-9. 266 Vgl. Igor Duda: Uhodavanje socijalizma. In: Jasmina Bavoljak (Hg.): Refleksije vremena 1945.-1955., Zagreb, 2012, S. 10-37. 267 Zahlreiche Exemplare von politischen Plakaten aus dem Jugoslawien der zweiten Hälfte der 1940er Jahre sind in der Sammlung der Digitalen Bibliothek Sloweniens zu finden. Darin enthalten sind unter anderem 17 Plakate aus der Kampagne zu den jugoslawischen Parlamentswahlen 1945. Siehe: http://www.dlib.si/browse/slike (Letzter Zugriff: 11. Oktober 2013).

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Über die Herstellung einer republikanischen Volksregierung hinaus versprach die Partei ein besseres Leben für die Mehrheit der Bevölkerung sowie die „Brüderlichkeit und Einheit der gleichberechtigten Völker Jugoslawiens“. Hinsichtlich der internationalen Beziehungen wurde die „Freundschaft mit allen freiheitsliebenden Völkern“ versprochen, wobei ein besonderer Akzent auf die „balkanische und slawische Solidarität“ gelegt wurde. Die Wahlen wurden dabei als die letzte und entscheidende Schlacht des Zweiten Weltkriegs dargestellt. Ihre Relevanz wurde mit Slogans wie „Geiseln fielen für unsere Freiheit, ihr Blut hat die freien Wahlen erkämpft!“ oder „Gestern das Gewehr, heute das Wahlbällchen“ hervorgehoben.268 Die alltägliche Diffamierung und starke Einschränkung der Wahlkampagne anderer Parteien und Listen resultierte einige Wochen vor dem Urnengang in deren demonstrativen Austritten aus dem Wahlprozess. Den Anhängern dieser Parteien blieb danach nur übrig, entweder die Wahlen zu boykottieren oder das Wahlbällchen in die „Schachtel ohne Liste“ (Kutija bez liste) einzuwerfen und auf diese Art zu versuchen, die Machtaneignung der Kommunistischen Partei abzuerkennen. Zwar stand der Wahltriumph der Volksfront nach dem Rücktritt der anderen Listen fest in Aussicht, dennoch setzte die KPJ die Wahlkampagne mit vollem Schwung fort. Über die Relevanz der Wahlen referierten in Sinj Anfang November 1945 die Präsidentschaftsmitglieder des Volkskomitees für den Sinjer Gebiet. Unter anderem trat der alkarische Fahnenträger Frane Tripalo Kekica auf.269 Eine Woche vor den Wahlen wurde die Unterstützung für die Volksfrontliste auch auf der Sinjer Konferenz der staatlichen Frauenorganisation Antifaschistische Front der Frauen (Antifašistički front žena) von den anwesenden 500 Frauen gefordert.270 Die Beteiligung an den Parlamentswahlen im Gebiet von Sinj betrug laut offizieller Angaben 99,8 % der registrierten Wähler, die mit 98,6 % nahezu einstimmig die Bundesliste der Volksfront Jugoslawiens gewählt haben sollen.271 Ähnliche Ergebnisse wurden aus den nahen Wahlkreisen in Trilj und Vrlika gemeldet, womit die Volksfront im Cetiner Land sowie in ganz Lika und Mitteldalmatien eine überdurchschnittlich hohe Unterstützung bekam. Von 8,4 Millionen registrierten Wählern in ganz Jugoslawien - das heißt von ungefähr vier Fünfteln der volljährigen Landesbevölkerung die wählen durften - gingen 88,7 % an die Urnen. Im gesamten Jugoslawien bekam die Volksfront 90,5 %, in Kroatien sogar 91,5 % der Stimmen. Die ausländischen Analytiker waren überrascht von den Wahlergebnissen, die trotz aller Regelverstöße eine relativ weit verbreitete Unterstützung der neuen politischen Ordnung manifestierten.272 Die Parteiführung war mit dem Wahlresultat vermutlich mehr als zufrieden. Nur zwei Tage vor den Wahlen hatten die Politbüromitglieder des Zentralen Komitees der KPK auf einem geschlossenen Treffen ihre Sorgen über den kirchlichen Einfluss auf die 268 Vgl. die politischen Plakate der Kampagne zu den Parlamentswahlen 1945 in der Sammlung der Digitalen Bibliothek Sloweniens. Siehe: http://www.dlib.si/browse/slike (Letzter Zugriff: 11. Oktober 2013). 269 Dogodilo se u Cetinskoj krajini. In: VCK, 1. Oktober 1986, S. 2. 270 Ebd. 271 Dogodilo se u Cetinskoj krajini. In: VCK, 1. November 1986, S. 2. 272 Zu den Parlamentswahlen 1945 in Jugoslawien siehe: Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Bd. 1, Split, 2011, S. 67ff.

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Wähler geäußert und dabei überwiegend zwischen 70 und 80 % der Stimmen für die Volksfront in Kroatien prognostiziert.273 Die konstituierende Sitzung des Bundesparlamentes fand 18 Tage nach den Wahlen, am 29. November 1945, in Belgrad statt. Das war genau zwei Jahre nach der symbolisch wichtigen Vollversammlung des AVNOJ in der bosnischen Kleinstadt Jajce.274 Ganz wie bei der symbolischen Gründung der Föderativen Republik Jugoslawien im November 1943 wurde das Cetiner Land im neuen Parlament von Vice Buljan und Pavao Krce vertreten.275 Pavao Krce aus dem Dorf Jabuka stellte einen äußerst wichtigen symbolischen Gewinn für die Kommunistische Partei im Cetiner Land dar. Er war im jugoslawischen Vorkriegsparlament Abgeordneter der Kroatischen Bauernpartei (Hrvatska seljačka stranka), der Widerstandsbewegung unmittelbar nach Kriegsausbruch beigetreten hatte und steigerte somit das Ansehen des Volksbefreiungskampfes im Cetiner Land erheblich. Die symbolische Aneignung des Erbes der im Krieg zersplitterten Bauernpartei und ihres 1928 ermordeten Anführers Stjepan Radić stellte aufgrund der Bevölkerungsstruktur im Lande sowie der Wahlpräferenzen der kroatischen Bevölkerung in der Zwischenkriegszeit ein vorrangiges Vorhaben sowohl für die Volksbefreiungsbewegung als auch für das UstašaRegime dar. Die beiden politischen Gruppen nutzten den Jahrestag des Todes von Radić für ihre Herrschaftsinszenierung. Die Volksfront organisierte am 8. August 1945 auf dem Zagreber Friedhof Mirogoj eine politische Kundgebung mit dem Ziel, den seit 17 Jahren verstorbenen Bauernpolitiker als einen „Vorkämpfer“ der Partisanenarmee darzustellen.276 Auf lokaler Ebene fand die symbolische Aneignung der Bauernpartei im Cetiner Land unter anderem dadurch statt, dass die Sinjer Zeitungen während der spätsozialistischen Periode ihre Leser bei unterschiedlichen Gelegenheiten daran erinnerten, dass sich Pavao Krce im Zweiten Weltkrieg am von der KP geleiteten Widerstand beteiligt hatte. Die Treue, die er der Volksbefreiungsbewegung entgegenbracht hatte, wurde durch eine Anekdote aus Jajce 1943 akzentuiert. Demnach endete Krce dort eine Rede mit dem banal-poetischen Versprechen an Tito, ihm unter allen Umständen treu zu folgen.277 Krces Beitritt zur Partisanenbewegung stellte für das Ustaša-Regime freilich eine klare Niederlage im Wettbewerb um das symbolische Erbe der Bauernpartei im Cetiner Land dar. Um die Schlappe zu neutralisieren und gleichzeitig den Kriegsgegner zu diffamieren, veröffentlichte das Ustaša-Blatt Hrvatski narod im August 1944 einen längeren Artikel mit der Absicht, „die

273 Protokoll des Politbüros des Zentralen Komitees der KP Kroatien vom 09. November 1945. In: Zapisnici Politbiroa CK KPH, Band I, S. 137-139. 274 Antifašističko Vijeće Narodnog Oslobođenja Jugoslavije war ein provisorischer Versammlungsrat der Volksfront während des Zweiten Weltkriegs. Obwohl er nur drei Sitzungen abhielt, hatte der AVNOJ während der Kriegswirren eine äußerst wichtige legitimatorische Funktion für die Volksbefreiungsbewegung. Dementsprechend nahmen der AVNOJ und insbesondere seine zweite Sitzung in Jajce 1943 eine besondere Stellung in der jugoslawischen Erinnerungskultur ein. 275 B. Perić: Povijesne odluke iz Titovog sita. In: VCK, 29. November 1982, S. 2. 276 Komemoracija na godišnjicu smrti Stjepana Radića. In: Vjesnik, 9. August 1945, S. 4. 277 Das Versprechen lautete "Kroz rešeto i sito, Tito, Tito, Tito!" Vgl. Slavodobitnici Sinjske alke i izaslanici druga Tita. In: Alkar, August 1980, S. 14.

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Todesumstände Pavao Krces zu erklären“.278 Darin stand, dass Pavao Krce von Partisanen umgebracht worden sei, „nachdem er erledigt hatte, wofür sie ihn brauchten“. Der unmittelbare Anlass für den von Hrvatski narod erdachten Mord an dem ehemaligen Abgeordneten war angeblich, dass „er sich weigerte, anstatt der dalmatinischen Kappe, die er immer trug, eine Šajkača auf den Kopf zu setzen.“279 Die Metapher suggerierte die Eintracht der Partisanen- und ČetnikTruppen sowie, dass die Partisanenarmee grundsätzlich serbisch und damit, nach der Auffassung der Ustaša-Ideologen, gleichzeitig antikroatisch sei. „Krce bekam den Preis, den ihm die Partisanen seit langem zugedacht hatten, genauso wie sie ihn für alle verlorenen und verführten Kroaten vorbereiten“, vermittelte Hrvatski narod seiner Leserschaft im August 1944, knapp zwei Monate vor dem Niedergang der Ustaša-Herrschaft im Cetiner Land.280 Aus Anlass der konstituierenden Sitzung des Bundesparlamentes und der Ausrufung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien am 29. November 1945 fand in Sinj eine große Kundgebung mit 6000 Teilnehmern statt.281 Die Feier, die vom Stadtorchester akustisch und von hunderten Lagerfeuern auf den die Stadt umgebenden Bergen visuell untermalt wurde, dauerte bis spät in die Nacht. Die Wahlen bestätigten die führende Rolle der Kommunistischen Partei im Lande und eröffneten den Weg für die Konsolidierung der neuen Herrschaft, deren Machtmonopol Ende 1945 noch lange nicht hergestellt war. Kleinere Gruppen von Guerilla-Kämpfern aus den Reihen der im Krieg geschlagenen Armeen und Milizen suchten, wie zuvor die Volksbefreiungsarmee, Zuflucht in den Bergen, um den kommunistischen Machthabern zu entgehen. Anfang 1946 berichtete die Spliter Zeitung Slobodna Dalmacija von der Festnahme von Mirko Kapulica, „dem Ustaša-Verbrecher, der in der Nachkriegszeit tötete und das Volk auf dem Gebiet des Cetiner Landes ausraubte“.282 Die letzten Gruppen der Aufständischen – die sogenannten Škripari oder Kamišari – hielten sich durch die Beschaffenheit des Geländes und Hilfeleistung von Gleichgesinnten bis zum Beginn der 1950er Jahre im Grenzgebiet zwischen Dalmatien und Herzegowina. Die Vernichtung der aufständischen Gruppen konnte nur durch ein bedeutendes Engagement der Polizei und Armee erfolgen und behinderte lange Zeit die Herstellung der Friedensordnung in einigen Landesecken. Jedoch stellte ein anderer Gegner eine viel größere Herausforderung für die kommunistische Macht in den westlichen Teilen Jugoslawiens dar: die katholische Kirche. Im September 1945 protestierte die Bischofskonferenz Jugoslawiens scharf gegen die zahlreichen Racheakte, die gegen die katholische Kirche – häufig unter dem Vorwurf einer kollektiven Kollaborationsschuld aller kirchlichen Vertreter – verübt wurden.283 Zwar befürworteten die führenden kommunistischen Machthaber zu dieser Zeit keine öffentliche Abrechnung mit der Kirche, doch wurden im Kontext des Kriegsendes verübte Racheakte äußerst selten 278 Kapa i šajkača. In: Hrvatski narod, 20. August 1944, S. 5. 279 Die Kappe Šajkača war eine in der männlichen Landbevölkerung Serbiens weitverbreitete Kopfbedeckung. In der Zwischenkriegszeit gehörte sie auch zur Uniform der jugoslawischen Armee und Gendarmerie. Während des Zweiten Weltkriegs wurde sie häufig von Četnik-Kämpfern getragen, die sich überwiegend aus der serbischstämmigen Bevölkerung rekrutierten. 280 Kapa i šajkača. In: Hrvatski narod, 20. August 1944, S. 5. 281 Narod je slavio slobodu i odluke AVNOJ-a. In: VCK, 1. Dezember 1986, S. 2. 282 Dogodilo se u Cetinskoj krajini. In: VCK, 1. März 1986, S. 2. 283 Kopie des Briefs sowie seine Interpretation siehe bei Ivo Banac: Hrvati i crkva, Zagreb, 2013.

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sanktioniert. Mit dem Schreiben (Poslanica) der höchsten Kirchenvertreter an die Gläubigen endete im Herbst 1945 die kurze Phase einer relativ konfliktfreien öffentlichen Kommunikation zwischen der katholischen Kirche und der neuen politischen Macht.284 Die Kommunistische Partei antwortete auf die Poslanica mit einer vorsichtig vorbereiteten und zeitlich geschickt gelegten Diffamierungskampagne gegen den katholischen Klerus, an dessen Spitze sich der Zagreber Erzbischof Alojzije Stepinac befand. Das katholische Weihnachtsfest 1945 wurde noch ohne starke Restriktionen und mit einer Weihnachtsbotschaft der Staatsvertreter an die Gläubigen auf den Titelseiten der Tageszeitungen gefeiert. Doch sobald die traditionellen Festlichkeiten vorüber waren, fand eine erste Pressekampagne gegen die katholische Kirche statt. Nahezu täglich wurden zahlreiche Texte und Fotografien über die Verbindungen der katholischen Kirche zu den besiegten faschistischen Regierungen veröffentlicht, die eine kollektive Kollaborationsschuld der katholischen Kirche suggerierten.285 Viel Aufmerksamkeit schenkte die neue Regierung dem Abschied vom alten und dem Anfang des neuen Jahres. „Wenn das Jahr 1945 ein Jahr des Sieges auf dem Militär- und Politikfeld war, dann ist jeder Bürger dieses Landes verpflichtet, alles zu tun, um aus dem neuen Jahr 1946 zumindest teilweise ein Jahr des Sieges auf dem Gebiet der Wirtschaft zu machen“, lautete Titos Neujahrsbotschaft an die Öffentlichkeit.286 Trotz des Kriegsendes begann die Bevölkerung Jugoslawiens das neue Jahr unter äußerst schwierigen materiellen Bedingungen. Aufwändige Maßnahmen, wie die Verdoppelung der Backsteinproduktion in Ruduša bei Sinj oder die Einführung eines Traktors im Cetiner Land, reichten nicht aus, um die Unterkunfts- und Ernährungsbedürfnisse der ganzen Bevölkerung zu befriedigen. Aufgrund der akuten Knappheit elementarer Lebensmittel im Cetiner Land entschieden sich zwischen 150 und 200 dort ansässige Familien, anderswo ein besseres Leben zu suchen. Ende 1945 nahmen etwa 1000 Einwohner des Cetiner Landes an der massenhaften Umsiedlung von 35.000 Kolonisten aus Lika, Dalmatien und Herzegowina in die Vojvodina und nach Slawonien teil. Die Mehrheit der Emigranten aus dem Cetiner Land besiedelte Bauernhöfe vertriebener Volksdeutscher im Dorf Stanišić (Stanischitsch/Donauwachenheim).287 Binnen der nächsten Jahre kehrte kaum einer der Auswanderer in das Cetiner Land zurück. Das Elend mancher Einwohner Jugoslawiens war indes nicht nur die Folge der fürchterlichen Kriegsverwüstungen, sondern auch der Strukturprobleme und schleppenden Modernisierungsprozesse. Das Königreich Jugoslawien war im Hinblick auf die üblichen Modernisierungsindikatoren mit einer Analphabetenquote von einem Drittel sowie einer Säuglingssterblichkeit von 13,2 % im Jahr 1939 eines der rückständigsten Länder Europas.288 Die Absicht der Kommunisten, das Land nach Kriegsende rasch zu modernisieren, wurde sowohl durch die Kriegszerstörungen als auch durch die Rückständigkeit der traditionellen Agrargesellschaft behindert. Beispielsweise blieben trotz umfassender staatlicher Maßnahmen, die alle 284 Vgl. Ivo Banac: Hrvati i crkva, Zagreb, 2013, S. 101-112. 285 Siehe: Ustaški lik zagrebačkog nadbiskupa Dra Alojzija Stepinca. In: Vjesnik, 4. Januar 1946, S. 4; Jezuiti su bili glavni agenti fašističke Italije u Albaniji, In: Vjesnik, 9. Januar 1946, S. 4. 286 Siehe in: Vjesnik, 03. Januar 1946, S. 1. 287 Blaž Perić: Osamnaest dana od Sinja do Stanišića. In: VCK, 1. Januar 1985, S. 2. 288 Tabela 102-4, Kretanje stanovništva. Statistički godišnjak Jugoslavije 1981. Beograd, 1981, S. 80.

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Kinder so schnell wie möglich in das Schulsystem integrieren sollten, im Schuljahr 1946/47 fast 15 % aller Schulpflichtigen im mittleren Dalmatien zu Hause.289 Nicht nur ein Mangel an Schulen und Lehrpersonal war dafür verantwortlich, sondern auch viele Eltern, die nicht bereit waren, auf die Arbeitskraft ihrer Kinder zu verzichten, besonders nachdem diese in der ersten Klasse grundlegende Lese- und Schreibfertigkeiten gelernt hatten. Über ihre Relevanz für die Überwindung der gesellschaftlichen Rückständigkeit hinaus spielten die Bildungsinstitutionen eine wichtige Rolle für die politische Sozialisierung der Jüngsten. Anfang 1946 schickte das Bildungsministerium der Volksrepublik Kroatien eine Depesche an alle Lokalverwaltungen, Gymnasien und pädagogischen Institute, die eine Liste mit 15 Daten enthielt, welche man im Unterricht besonders feierlich hervorheben sollte. Darunter waren der Todestag von Matija Gubec (16. Febraur 1573), „der Sturz der pro-faschistischen Regierung Cvetković-Maček” (27. März 1941), die Jahrestage der wichtigsten Sitzungen des AVNOJ und ZAVNOH sowie die Geburtstage von Tito und Stalin.290 Tatsächlich jedoch konnte die Regierung nur einen kleinen Teil der Jugendlichen durch die Bildungsinstitutionen erreichen, da die Fortsetzung der schulischen Ausbildung nach dem 14. Lebensjahr eher die Ausnahme, denn die Regel darstellte. Die niedrige Eingliederungsquote der Jugendlichen in die schulische Bildung verstärkte die Relevanz von Massenorganisationen als Träger der politischen Sozialisierung durch Arbeit, Kultur und Sport. Als eine passende Art der ideologischen Mobilisierung wurde vor allem Sport bzw. die Fiskultur-Bewegung (Fizkulturni pokret) angesehen. Ihr kam in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine sehr wichtige Rolle für die Visualisierung und Inszenierung des kommunistischen Regimes zu. Die kommunistische Regierung eignete sich die schon existierenden Organisationsnetzwerke und Praktiken der Turnbewegung Sokol an und gestaltete sich nach sowjetischem Vorbild, wo Massenparaden eine große Rolle für die Herrschaftsinszenierung spielten.291 Somit entwickelte sich die Fiskultur in der Volksrepublik Jugoslawien rasch zu einem wichtigen Vehikel politischer Mobilisierung. Im Dezember 1945 traf die Vollversammlung des Fiskultur-Verbandes Jugoslawiens die Entscheidung, dass man am 23. Juni 1946 den „Tag der Fiskulturträger“ (Dan fizkulturnika) in allen Orten Jugoslawiens mit einer Parade feiern sollte.292 Nachträglich wurde jedoch bestimmt, dass der „Tag der Fiskulturträger“ in Zagreb schon am 12. Mai abgehalten werden sollte, um mit dem III. Kongress der staatlichen Jugendorganisation USAOJ zeitlich zu korrelieren bzw. „[...] um mit der Kundgebung aller Zagreber Fiskulturträger dem Kongress der antifaschistischen Jugend Jugoslawiens auch auf sportlicher Ebene Bedeutung zu verleihen“.293 Die Delegierten des Jugendkongresses, die Fiskulturträger (Fizkulturnici) sowie die zahlreichen Zuschauer, die sich am Sonntagvormittag des 12. Mai 1946 auf dem Zagreber Hauptplatz aufhielten, konnten unter den tausenden Teilnehmern in Sporttrikots eine Gruppe Männer in altertümlichen schwarzen Uniformen bemerken. Einige der Zuschauer erinnerten sich 289 Dogodilo se u Cetinskoj krajini. In: VCK, 1. November 1986, S. 2. 290 Siehe die Kopie des Schreibens des Ministeriums für Bildung bei: Renate Senjković: Politički rituali. In: Jasmina Bavoljak (Hg.): Refleksije vremena 1945.-1955., Zagreb, 2012, S. 202-227, hier: S. 206. 291 Zur Machtinszenierung in der Sowjetunion siehe Malte Rolf: Das sowjetische Massenfest, Hamburg, 2006. 292 Javna vježba zagrebačkih fizkulturnika. In: Narodni Sport, 14. Mai 1946, S.3. 293 17.000 omladinaca i omladinki sudjelovat će na „Danu fizkulturnika Zagreba“. In: Vjesnik, 6. Mai 1946, S. 5.

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dabei vielleicht an die mehrtägige Jubiläumsfeier des Ustaša-Staates im April 1942, als eine Gruppe von Männern in den selben Uniformen auf dem selben Platz defilierte. Jedoch hatte sich anscheinend kein einziger von den 18 Alkaren und 25 Knappen, die in Zagreb 1946 auftraten, bereits an der Jubiläumsfeier des USK 1942 beteiligt. Wie viel die neuen Ritualteilnehmer über die Veranstaltung im Jahr 1942 überhaupt wussten, lässt sich nicht sagen. Ihre Medienauftritte sowie die mediale und historiographische Darstellung der Sinjska Alka während des sozialistischen Jugoslawiens erweckten den Anschein, dass sich dieAlkaren nie an der Jubiläumsfeier 1942 beteilgt hätten. Im Gegensatz dazu wurde während des sozialistischen Jugoslawiens der Auftritt der Alkaren zum Anlass des III. Jugendkongresses im Mai 1946 in den Vereinschroniken jahrzehntelang mit außerordentlichem Stolz hervorgehoben.

Alkaren und Knappen als Vertreter der sozialistischen Körperkultur Am Montag, den 6. Mai 1946, avisierte die Zagreber Tageszeitung Vjesnik die Teilnahme von 17.000 Jugendlichen an der Sonntagsfeierlichkeit zu Ehren der Fiskultur.294 Zwei Tage später, am ersten Jahrestag der Befreiung von Zagreb, befanden sich in der Hauptstadt der Volksrepublik Kroatien schon 60 Kongressdelegierte aus dem Ausland sowie 1550 Delegierte aus ganz Jugoslawien, einschließlich 180 Vertretern der Armee. Als einer der ArmeeDelegierten (Armijski delegat) reiste aus Ruma nach Zagreb der einundzwanzigjährige Major Bruno Vuletić, der Ruhmgewinner der ersten Nachkriegsvorführung der Sinjska Alka. Vier Jahrzehnte später würde Bruno Vuletić den Auftritt der Alkaren auf dem Zagreber Kongress als „Ausdruck großen Respekts gegenüber dem Genossen Tito“ erklären und dabei „die Aufmerksamkeit der Bevölkerung aus dem Cetiner Land gegenüber dem Genossen Tito und dem, was er in unserem Befreiungskrieg repräsentierte“, hervorheben.295 Die Gruppe von 18 Alkaren und 25 Knappen wurde von Vojvoda Petar Peko Bogdan angeführt und von Alajčauš Stipe Milun und Arambaša Ivan Bračulj begleitet. Die im Sommer davor eingeführte Vereinsflagge trug der vierundsechzigjährige Barjaktar Frano Tripalo Kekica. Damit wurde das Auftreten der Alkaren und Knappen in Zagreb 1946 von den gleichen Persönlichkeiten geprägt, die bereits im Jahr davor an den öffentlichen Auftritten mitgewirkt hatten. Die umfassende symbolische und soziale Veränderung war in der Sinjska Alka schon einige Monate nach der Machtübernahme der Kommunisten durchgesetzt worden. Dies war allerdings nicht mit allen kulturellen Inszenierungen der Fall. Anfang Februar 1946 beteiligte sich die Bokeljska Mornarica wie im vorangegangenen Jahr an der Feier zu Ehren des städtischen Schutzpatrons von Kotor, dem Heiligen Tryphon. Das Fest wurde mit staatlicher finanzieller Unterstützung und in Anwesenheit der Regierungsvertreter der Volksrepublik Montenegro abgehalten.296 Doch schon einige Wochen später wurde die Funktion der traditionellen Kostüme hinsichtlich der veränderten politischen und gesellschaftlichen Umstände in Frage gestellt. Anlass hierfür war die Anfrage der lokalen Vertretung 294 17.000 omladinaca i omladinki sudjelovat će na „Danu fizkulturnika Zagreba“. In: Vjesnik, 6. Mai 1946, S. 5. 295 Mišo Lučić: Tito i Sinjska alka. Dokumentarfilm, TV Zagreb, 1987. 296 Miloš Milošević: Rudolf Giunio, admiral Bokeljske mornarice. In: Jedra Boke - Mjesečna publikacija Pomorskog muzeja Crne Gore, Nr. 4/2012, Kotor, S. 8-9.

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der staatlichen Jugendorganisation USAOJ, 18 Kostüme der Bokeljska Mornarica für einen Auftritt auf dem Jugendkongress in Zagreb auszuleihen.297 Unter politischem Druck liehen die Traditionsträger die Uniformen den Jugendvertretern schließlich aus, wobei sich jedoch ein deutlicher Konflikt zwischen den Traditionsträgern und den Machtvertretern abzeichnete. Während die Delegierten in der Hauptstadt der Volksrepublik Kroatien ankamen, fand in Zagreb am 9. Mai 1946 eine Militärparade zum „Tag des Sieges“ (Dan Pobjede) statt. Die hitzigen Reden der führenden Machtvertreter thematisierten überwiegend die außenpolitische Situation. Eine vom Vize-Regierungschef Eduard Kardelj angeführte Delegation befand sich zu diesem Zeitpunkt auf einer Außenministerkonferenz in Paris, um die zukünftige jugoslawisch-italienische Grenze auszuhandeln. Schon die Monate vor der Konferenz waren von einer ständigen Mobilisierungskampagne der jugoslawischen Öffentlichkeit bezüglich der „Triester Frage“ geprägt gewesen. Der Anschluss von Triest und Julisch Venetien (Julijska krajina) an Jugoslawien wurde dabei als die einzig legitime Variante der Grenzziehung dargestellt. Wie Vize-Regierungschef Kardelj auf der Pressekonferenz in Paris erklärte, forderte Jugoslawien dabei „lediglich die Rückgabe des gewaltsam eroberten Territoriums, das unser Volk jahrhundertelang besiedelt hat“.298 Dieser Aussage fügte er hinzu, dass alle vorgeschlagenen Grenzlinien, abgesehen von der sowjetischen, „nicht nur eine starke Ungerechtigkeit für die Bevölkerung in Julisch Venetien, sondern auch eine Erniedrigung für Jugoslawien“ darstellen würden. Darüber hinaus erläuterte Kardelj, dass „niemand in Jugoslawien mit solchen erniedrigenden und unberechtigten Vorschlägen gerechnet hatte“. Die territorialen Ansprüche Jugoslawiens und die darauffolgenden internationalen Krisen hatten für die jugoslawische kommunistische Herrschaft in der ersten Nachkriegsdekade eine außerordentlich große Relevanz, und zwar weit über die Frage der territorialen Gewinne hinaus. Die Forderung nach der sogenannten „ethnografischen Grenze“ war nicht nur für die internationale Stellung Jugoslawiens von Bedeutung, sondern begünstigte zugleich die Prozesse der Machtkonsolidierung innerhalb des Landes. Konfrontiert mit dem Kriegserbe der inter-ethnischen Gewalt einerseits und den äußerst schwierigen Lebensbedingungen der Zivilbevölkerung andererseits, bemühte sich die jugoslawische kommunistische Regierung, ihre innenpolitische Legitimation mit außenpolitischen Themen zu untermauern. Die umstrittene Grenze trug zur Homogenisierung und Integration der jugoslawischen Nachkriegsgesellschaft bei, indem sie für politische Mobilisierung und damit für den Erhalt „revolutionärer Wachsamkeit“ genutzt werden konnte. Die KPJ konnte durch die Grenzfrage letztendlich auch diejenigen Bürger ansprechen, die die marxistisch-leninistische Rhetorik nicht verstehen konnten oder wollten. Ähnlich der medialen Weltdeutung ihrer politischen Vorgänger, stellte die kommunistische Propaganda eine übermäßige Diffamierung einer Gruppe von Ländern die maßlose Glorifizierung von „freundlichen Staaten“ gegenüber. Während seine führenden Mitarbeiter in Paris und Zagreb stürmische Reden gegen „Reaktionismus und Imperialismus“ hielten, unterschrieb der jugoslawische Ministerpräsident Josip 297 Miloš Milošević: Rudolf Giunio, admiral Bokeljske mornarice. In: Jedra Boke - Mjesečna publikacija Pomorskog muzeja Crne Gore, Nr. 5/2012, Kotor, S. 6-7. 298 Izjava Edvardad Kardelja na konferenciji štampe u Parizu. In: Vjesnik. 8. Mai 1946, S. 1.

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Broz Tito in Belgrad einen „Vertrag über die Freundschaft, Beihilfe und Kooperation zwischen Jugoslawien und der Tschechoslowakei“.299 Am darauffolgenden Tag traf die Fußballmannschaft der Volksrepublik Jugoslawien auf ihrem ersten internationalen Spiel in Prag vor 50.000 Zuschauern auf die ČSR.300 Die jugoslawischen Medien berichteten, dass die Prager Zeitung Svobodne Slovo das Spiel mit der Überschrift „Herzlich Willkommen, Brüder Jugoslawen“ auf dem Titelblatt ankündigte.301 Gleichzeitig berichtete man sehr wohlwollend über den mehrtägigen Besuch der tschechoslowakischen Delegation in Jugoslawien und betonte dabei die besondere Beziehung der Völker beider Länder. Nach der erfolgreich abgeschlossenen außenpolitischen Initiative und einer anschließenden feierlichen Einweihung des Armeehauses (Dom armije), reiste Josip Broz Tito am Samstagmorgen, den 11. Mai 1946, von Belgrad nach Zagreb. Nach mehreren kürzeren Kundgebungen entlang der Bahnstrecke verließ der jugoslawische Ministerpräsident und Hauptbefehlshaber der Jugoslawischen Armee kurz nach 13 Uhr am Zagreber Hauptbahnhof den Zug. Nach der Begrüßungsrede von Vladimir Nazor und dem zeremoniellen Gruß durch die Ehrentruppe setzte der jugoslawische Regierungschef in Marschalluniform die Route im Cabriolet fort und wurde unterwegs von tausenden jubelnden Bürgern empfangen, meldete Vjesnik am darauffolgenden Morgen.302 In der äußerst aufregenden Atmosphäre wurde in den Nachmittagsstunden desselben Tages der III. Kongress der staatlichen Jugendorganisation eröffnet. Während die Delegierten und Gäste ihre Plätze im großen Raum des Arbeiterhauses einnahmen, bejubelten die Anwesenden Tito, Jugoslawien, Stalin, den Komsomol, die Rote Armee und die Sowjetunion sowie den Präsidenten der Tschechoslowakei, Eduard Beneš, und den Parlamentsvorsitzenden der Republik Polen, Boleslav Bjerut.303 Eine riesige Freude und die Rufe „Istrien ist unser, Triest ist unser!“ leitete die Ankunft der Jugenddelegationen aus Triest, Julisch Venetien und Kärnten ein, die unter den letzten in den großen Saal eintraten. Kurz vor 17 Uhr erschien schließlich auch Tito, begleitet vom ganzen Regierungskabinett der Volksrepublik Kroatien, was laut dem Medienbericht zu einem Begeisterungssturm bei den anwesenden Delegierten führte. Nach einigen Minuten tobenden Beifalls für Tito konnte die Tagung eröffnet werden. Nach den Grußreden wählten die Delegierten ein „Arbeitspräsidium“ sowie ein „Ehrenpräsidium“. Das „Ehrenpräsidium“ bestand aus dem anwesenden Tito sowie unter anderem aus den regierenden Staatsoberhäuptern aller drei Großmächte (Iosif Vissarionovič Stalin, Harry Truman, Clement Attlee) und den führenden Politikern bzw. den KP-Vorsitzenden mehrerer europäischer Staaten (Eduard Beneš, Boleslav Bjerut, Enver Hoxha, Georgi Dimitrov, Dolores Ibaruri Passionaria und Moris Thorez). Darüber hinaus wurden mehrere jugoslawische und internationale Organisationen und Institutionen in das „Ehrenpräsidium“

299 U Beogradu je potpisan Ugovor o prijateljstvu, uzajamnoj pomoći i saradnji izmedju FNR Jugoslavije i Čehoslovačke Republike. In: Vjesnik, 11. Mai 1946, S. 1. 300 Jugoslavija je pobijedila Čehoslovačku sa 2:0. In: Narodni sport, 14. Mai 1946, S. 5. 301 Ebd. 302 U prisustvu maršala Tita počeo je s radom III. Kongres Narodne Omladine Jugoslavije. In: Vjesnik, 12. Mai 1946, S. 1. 303 III. Kongres potaknut će omladinu da produži sadašnji polet u izgradnji, na učenju i radu. In: Vjesnik, 12. Mai 1946, S.1.

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gewählt. „Jeden Vorschlag haben die Delegierten mit stürmischer Bejahung begrüßt“, schrieb Vjesnik. 304 Die Sonntagsausgabe von Vjesnik berichtete nicht nur von der Kongresseröffnung, sondern widmete zudem das komplette Titelblatt sowie vier weitere Seiten der Ankunft des jugoslawischen Regierungschefs in Zagreb und der Ankündigung des Tags der Fiskulturträger. Unter dem Titel „Tag der Zagreber Fiskulturträger [heißt] die Ehre für den Jugendkongress“ wurde die essentielle Verbundenheit zwischen der Jugend und der Fiskultur-Bewegung erklärt.305 Darüber hinaus wurde auf das Morgendefilee der Jugend und der Fiskulturträger hingewiesen, sowie das Nachmittagsprogramm im Stadion Akademičar erläutert. Im Unterschied zur Montagsausgabe wurde dieses Mal aber „das Darstellen des Volkspiels ‚Sinjska Alka‘“ als letzter Punkt des Stadionprogramms angekündigt, was gleichzeitig die erste Erwähnung der Teilnahme der Alkaren an der Kundgebung darstellte. Zusätzlich zur Ankündigung wurde ein Sondertext von Mladen Delić über die Sinjska Alka veröffentlicht, einem jungen, in Sinj geborenen Journalisten mit Zagreber Adresse. Der Titel lautete: „Das heldenhafte Volksspiel ‚Sinjska Alka‘ wird heute im Rahmen des Tages der Fiskulturträger zum ersten Mal in Zagreb gezeigt“.306 In seinem Lob an „das berühmteste und ausdrucksstärkste unserer authentischen Volksspiele“ widmete Delić seine Aufmerksamkeit vor allem der Beschreibung der alkarischen Zeremonie und des Wettbewerbs, wobei er die Symbolik der Sinjska Alka nur beiläufig erwähnte. Im Unterschied zum Bericht über die Aufführung im August 1945 wurde dieses Mal aber angegeben, dass „das heldenhafte Volksspiel Alka schon seit 231 Jahren als Erinnerung an den Sieg der Sinjer über die Türken im Jahre 1715 aufgeführt wird, [...] als sich 500 Verteidiger der Attacke des Bosnischen Paschas Mehmed, der Sinj mit 60.000 Soldaten angriff, entgegenstellten“. Im Einklang mit der laufenden Entsakralisierung der kulturellen Inszenierungen und des öffentlichen Raumes im Allgemeinen wurde der Mythos von „Mariahilf“ vollkommen ausgespart. Die soziale Zusammensetzung der Alkarentruppe blieb ebenso unerwähnt. Diesbezüglich wurde nur die langjährige Regelung im Statut erwähnt, die besagt, dass „nur die rechtschaffenen (neporočni) Einwohner von Sinj und seiner Umgebung an der Alka teilnehmen können“.Delić endete sein Lob auf die berühmte Tradition aus seiner Heimatstadt mit der Feststellung, dass „das Spiel bei jedem, der ihm zum ersten Mal zuschaut, einen unvergesslichen Eindruck hinterlässt“.307 In der selben Ausgabe, in der Delićs Bericht erschien, veröffentlichte Vjesnik ohne weitere Erläuterung ein Foto des Alkarenzugs mit dem Titel „Sinjer Alkaren“ (Sinjski Alkari).308 Der Entstehungskontext lässt sich aus der Fotografie nicht ablesen, dennoch kann man auf dem Bild die alte Marienfahne erkennen, die im Juli 1945 mit dem neuen Banner ersetzt wurde, in deren Mitte ein Knappe mit dem Streitkolben (Buzdovandžija) stand. Im Laufe der sozialistischen Revolution wurden die Knappen von zweitrangigen Assistenten zu gleichberechtigten Mitgliedern des Alkarenvereins, wobei die Veränderung der 304 III. Kongres potaknut će omladinu da produži sadašnji polet u izgradnji, na učenju i radu. In: Vjesnik, 12. Mai 1946, S.1. 305 Dan fizkulturnika Zagreba počast kongresu USAOJ. In: Vjesnik, 12. Mai 1946, S. 4. 306 Mladen Delić: Junačka narodna igra Sinjska alka prikazat će se danas po prvi put u Zagrebu u okviru Dana fizkulturnika. In: Vjesnik, 12. Mai 1946, S. 4. 307 Ebd. 4. 308 Sinjski alkari. In: Vjesnik, 12. Mai 1946, S. 6.

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Fahne einen symbolisch wichtigen Schritt darstellte. Die Tatsache, dass die Alkaren nun ein Banner mit der Abbildung eines Knappen trugen, minderte die omnipräsente Ungleichheit zwischen den Kavalleristen und Infanteristen im altertümlichen Ritual. Dennoch wurden die Alkaren in Medienberichten über den Tag der Fiskulturträger 1946 wesentlich häufiger als die Knappen erwähnt. „[...] Alle Alkaren, die in Zagreb so überragend die Alka vorgeführt haben, sind Partisanenkämpfer, die jedem Fiskulturträger ein Vorbild sein können“, resümierte man in einem Medienbericht, in dem auch alle Alkaren mit ihren militärischen Rängen aufgelistet wurden.309 Die Knappen wurden im Text hingegen kaum erwähnt. Selbst die Tatsache, dass Harambaša Ivan Bračulj der Hauptbefehlshaber für das Cetiner Land war, änderte daran nichts. Die Uniformen der Alkaren blieben nach wie vor exklusiver als die der Knappen, auch wenn die Ritualteilnehmer die traditionelle Hierarchie zwischen den beiden Gruppen offensichtlich mildern wollten.

Abb 14: Alkaren und Knappen in Zagreb 1946. Die Abschaffung oder zumindest die beabsichtigte Reduzierung der sozialen Abstufung zwischen Alkaren und Knappen spiegelte sich auch in der visuellen (Selbst)Darstellung der Ritualteilnehmer wider. Während man auf den Fotografien und Gemälden von vor 1945 eine klare soziale Differenz zwischen den Alkaren und Knappen feststellen kann, suggeriert die Fotografie aus dem Jahr 1946 die Eintracht der beiden Gruppen. Darüber hinaus weist die Fotografie auf das hohe Ansehen des Fahnenträgers Frane Tripalo Kekica hin. Während sich die Vereinsfahne bei den jüngeren Traditionsträgern in der letzten Reihe befindet, nimmt der Fahnenträger selbst einen zentralen Platz in der ersten Reihe zwischen dem alkarischen Anführer (Vojvoda) Petar Bogdan und dem Befehlshaber der Knappentruppe (Arambaša) Ivan Bračulj ein. Quelle: Archivbestand des Alkarenvereins, Sinj.

309 Tradicionalna Sinjska Alka pred Maršalom Titom u Zagrebu. In: Narodni sport, 14. Mai 1946, S. 2.

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Die erstrebte Gleichwertigkeit von Alkaren und Knappen sowie das soziale Prestige der führenden Traditionsträger beider Gruppen wurden im Rahmen der Fiskultur-Parade deutlich demonstriert. Während sich die Paradeteilnehmer seit dem frühen Morgen auf dem Marschall-Tito-Platz versammelten, nahmen der Anführer Peko Bogdan und der Kommandant der Knappentruppe Ivan Bračulj auf dem naheliegenden Platz der Republik Tribünenplätze in unmittelbarer Nähe von Tito ein.310 Auf der Holzkonstruktion hinter der Tribüne stand die Aufschrift „Wir müssen die Wissenschaft beherrschen, sonst kann das Land nicht wieder aufgebaut werden!“ (Savladajmo nauku jer bez nje nema izgradnje zemlje!). Hinter der Kulisse befand sich das verdeckte Denkmal des Banus (Ban) Josip Jelačić, dessen Name der Platz bis Anfang 1946 über Jahrzehnte getragen hatte. Auch wenn Josip Jelačić eine der zentralen Figuren der kroatischen Nationalgeschichte war und eine Rolle für die geschichtspolitische Legitimation verschiedener miteinander konkurrierender politischer Parteien gespielt hatte, konnten sich die neuen Machthaber das symbolische Erbe des berühmten Banus nicht aneignen.311 Die scharfe Kritik an seiner Rolle in der Revolution 1848/49 aus der Feder von Karl Marx und Friedrich Engels verhinderte jene legitimatorische Tauglichkeit, die ihm als „Kämpfer gegen den ungarischen Nationalismus“ oder „Modernisierungsträger der kroatischen Gesellschaft“ von den nichtkommunistischen Gruppen zugeschrieben worden war. Der ideologiestiftenden Autorität von Marx und Engels entsprechend wurde das Denkmal von Jelačić schon im Juli 1945 mit einer 14 Meter hohen Holzkonstruktion verdeckt und als Werbefläche für politische Botschaften benutzt. Die Dekoration der Holzkonstruktion sowie anderer öffentlicher Flächen war Aufgabe der „Organisation für visuelle Propaganda“ (Organizacija likovne propagande).312 Durch ihre Position auf dem Hauptplatz hatte die Holzkonstruktion eine große Relevanz im Rahmen der öffentlichen Kundgebungen zur politischen Mobilisierung der Bevölkerung. Sie adressierte abertausende Einwohner des Landes, die häufiger als je zuvor auf dem Platz demonstrierten oder ein Bild davon in den Zeitungen zu sehen bekamen. Indikativerweise wurde der Hauptplatz nach den großen Paraden zum Tag der Arbeit (1. Mai) und Tag des Sieges (9. Mai) am 12. Mai 1946 zum dritten bzw. vierten Mal innerhalb von zwei Wochen für eine politische Kundgebung benutzt. Der Tag der Fiskulturträger wurde schon am Vorabend mit einer spektakulären Zeremonie eröffnet. Nach einem Raketensignal pünktlich um 20 Uhr starteten sieben Staffeln aus allen sieben Stadtteilen ein Rennen, dessen Ziel der Platz der Republik war. Das Rennen symbolisiere „Enthusiasmus und Opferbereitschaft der Zagreber Jugend für den Aufbau und die Erneuerung unseres Landes“, erklärte die Tageszeitung Vjesnik und erinnerte im Anschluss an die wichtigsten Leistungen der jugendlichen Arbeiterbrigaden aus der kroatischen Hauptstadt.313 Der schnellste Läufer hatte die Ehre, ein großes Feuer auf einem Podest anzuzünden, womit die Feierlichkeiten eröffnet wurden. Am nächsten Morgen wurde der Tag der Fiskulturträger mit einer großen Parade fortgesetzt. Am Sonntag, den 12. Mai 1946, pünktlich um 9 Uhr 30, berichtete der 310 Siehe Fotosammlung AG FOTO, Kroatisches Staatsarchiv, Album 188, S. 89ff. 311 Vgl. Mihovil Dabo: Uklanjanje spomenika banu Jelačiću 1947. Godine. In: Epulon 3/2005, Pula. 312 Leonida Kovač: Jesmo li još uvijek moderni? In: Jasmina Bavoljak (Hg.): Refleksije vremena 1945.1955., Zagreb, 2012. S. 260-287, hier: 283. 313 Trčanjem štafeta otvara se danas 'Dan fizkulturnika Zagreba'. In: Vjesnik: 11. Mai 1946, S. 6.

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Kommandant der Parade, Zlatko Pintar, vor der Tribüne für Ehrengäste auf dem Platz der Republik: „Genosse Marschall, 20.000 Fiskulturträger und Fiskulturträgerinnen stehen in Kolonnen für das Defilee bereit. Wir bitten um Erlaubnis für den Anfang!“314 „Ihr könnt anfangen“, antwortete Tito und acht Trompeten kündigten den Start der Parade an, die in beiden Zagreber Radioprogrammen direkt übertragen wurde.315 An der Festzugspitze befanden sich, so die Sportzeitung Narodni sport in einem ausführlichen Bericht, „über zweihundert harmonisch geordnete Motorradfahrer aus unterschiedlichen Fiskulturvereinen“.316 Im Anschluss an die Krafträder folgten Pioniere auf Tretrollern und Rollschuhen, „die mit ihrem lebendigen, fröhlichen und mutigen Auftritt das Volk begeisterten“. Nach den Kindern und Flaggenträgern aller Fiskulturvereine folgten „[…] die Sinjer Alkaren in den bildreichen und lebendigen Volkstrachten der Heldensöhne des Cetiner Landes, die zum ersten Mal nach Zagreb kamen, um das Heldenspiel Alka zu präsentieren“.317 Des Weiteren betonte die Sportzeitung zwei Tage darauf in ihrem Bericht: „Der Auftritt der kräftigen Alkaren mit alten Flinten und anderen Waffen symbolisiert den Kampf unserer Völker für die Freiheit. [...] Und diese schneidigen, düsteren Söhne des armen, steinigen, aber stolzen und heldenhaften dalmatinischen Hinterlandes, die sich so geeint wie ihre Vorfahren am Kampf gegen die Eroberer beteiligten, sind gekommen, um den Vorkämpfer (Prvoborac) Marschall Tito zu grüßen“.318 Außerdem schrieb der Berichterstatter über die Gäste aus Sinj, dass „der Vorbeimarsch der Alkaren überall vom Bürgertum begrüßt wurde“. Nach dem Auftritt der Alkaren folgten noch etwa 15.000 Defileeteilnehmer, darunter eine Gruppe von Jugendlichen in Sporttrikots mit der Aufschrift „Alle Schüler des I. Gymnasiums sind Fiskulturträger“. Auf die Jugendlichen in Volkstrachten aus den nahe gelegenen Dörfern Vrapče und Brdovec folgten Vertreter der Sportvereine mit für ihre Disziplinen typischen Requisiten. Die Vertreter der Sportschützen trugen Modelle diverser Tiere und die Mitglieder der männlichen Volleyballmannschaft Akademičar präsentierten das Netz, die Bälle sowie ein Plakat mit der Aufschrift „Wir haben die jugoslawische Meisterschaft gewonnen“. Mit dem Vorbeifahren der sportlichen Pferdekutschen endete die Parade gegen 11 Uhr.319 Die Sportzeitung Narodni Sport sprach zwei Tage später ein großes Lob an die Teilnehmer und Organisatoren der Parade aus und bekundete die Hoffnung, dass „diese jährlich stattfindende Veranstaltung zukünftig schrittweise auch artistische repräsentative Formierungen beinhalten könnte, wie wir sie auf [Aufnahmen] der Fiskultur-Parade in Moskau gesehen haben“.320 Darüber hinaus wurde betont, dass „die Verbindung der Masse der Fiskulturträger zu einem festen und einträchtigen Zusammenhang, zu einem mächtigen Kollektiv, [...] umso

314 Maršal Tito prisustvovao smotri fizkulturnika održanoj u okviru III. kongresa Narodne Omladine Jugoslavije. In: Narodni Sport, 14. Mai 1946, S. 2. 315 Radio stanica Zagreb i Zagreb II, nedjelja, 12. svibnja. In: Vjesnik, 12. Mai 1946, S. 6. 316 Maršal Tito prisustvovao smotri fizkulturnika održanoj u okviru III. kongresa Narodne Omladine Jugoslavije. In: Narodni Sport, 14. Mai 1946, S. 2. 317 Ebd. 318 Ebd. 319 Maršal Tito prisustvovao smotri fizkulturnika održanoj u okviru III. kongresa Narodne Omladine Jugoslavije. In: Narodni Sport, 14. Mai 1946, S. 2. 320 Javna vježba zagrebačkih fizkulturnika. In: Narodni Sport, 14. Mai 1946, S. 3.

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früher und schneller der allgemeinen Anstrengung unserer Völker hilft, fortgeschrittene Kulturformen des Volkslebens zu schaffen“. „Damit werden wir“, so der Autor des Berichts, „die Jugend und das arbeitende Volk an gesunder Freizeit, aktiver Erholung, Körperkultur, sportlicher Ertüchtigung, Frische und Lebensfreude teilhaben lassen“.321

Abb 15: Die Alkaren und Knappen auf der Parade in Zagreb 1946. Das mit der Holzkonstruktion versteckte Denkmal des Banus Josip Jelačić, vor dem die Alkaren im April 1942 zusammen mit den „Bosnischen Reitern“ (Bosanski konjanici) Ehrenwache gehalten hatten, sollte im Juli 1947 zusammen mit dem Sockel abgetragen werden. Quelle: AG Foto, Band 188, 90/35, Kroatisches Staatsarchiv, Zagreb.

321 Javna vježba zagrebačkih fizkulturnika. In: Narodni Sport, 14. Mai 1946, S. 3.

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Der Tag der Fiskulturträger wurde am Nachmittag des 12. Mai 1946 mit einem fünfstündigen Stadionspektakel in Anwesenheit von Marschall Tito fortgesetzt. Nach der Eröffnungsrede des Zagreber Bürgermeisters Dragutin Saili wurde die neue jugoslawische Hymne „Hej Slaveni“ gespielt, wobei die kroatische, die serbische, die jugoslawische und die sowjetische Flagge gleichzeitig gehisst wurden.322 Der erste Auftritt war ein Tanzspektakel von 132 Marinesoldaten, die mit ihren Körpern verschiedene Botschaften und Symbole darstellten. Ein großer Stern und das Akronym „III K NOJ“ (Dritter Kongress der Volksjugend Jugoslawiens) verwandelten sich schließlich in das Wort „TITO“. „Der Höhepunkt der öffentlichen Kundgebung“ war dennoch, laut Narodni Sport, „der Auftritt von 400 Fiskulturträgern der Jugoslawischen Armee, die den Kampf der jugoslawischen Völker für Freiheit, Brüderlichkeit und Einheit in Szene setzten“. Darüber hinaus hieß es: „Die brüderlich vereinigten Völker Jugoslawiens sammelten sich in einem riesigen Kreis um eine große lebendige Pyramide, auf deren Spitze ein stolzer Fahnenträger das Banner der jugoslawischen Armee hochhielt“. Danach folgte eine Pause, „um die Vorführung des ritterlichen Volksspiels der Sinjer Alkaren [vorzubereiten], die mit ihrer Teilnahme die Feierlichkeit schöner und größer gemacht haben“, so meldete die Sportzeitung.323 Der Ruhmgewinner (Slavodobitnik) dieses Wettbewerbs wurde wieder Bruno Vuletić, obwohl dieser scheinbar gar nicht mit einem Auftritt in Zagreb gerechnet hatte. Vuletić war nach Zagreb gekommen, um als Delegierter der Armee am Jugendkongress teilzunehmen. Anscheinend wusste er nicht einmal, dass die Alka in Zagreb vorgeführt werden sollte. In einigen Interviews aus den 1980er Jahren behauptet Vuletić, dass „die Genossen ihn in der Mittagspause gefunden hatten“, und dass „er überrascht war, als ihm Anführer Peko Bogdan unmittelbar vor der Parade mitteilte, dass er auch teilnehmen sollte“.324 Vuletić erwies sich trotzdem als der beste Alkar bzw. als derjenige, der sich am besten an die besonderen Umstände anpasste, und konnte mit sechs Punkten gewinnen. „Er [der Wettbewerb] dauerte ungefähr zweieinhalb Stunden, entsprechend des Brauchs und der Regeln“, sagte er vier Jahrzehnte später im Dokumentarfilm „Tito und die Alkaren“. In Bezug auf das Staatsoberhaupt fügte er hinzu, dass „Genosse Tito die Alkaren im Rittertum (alkari u viteštvu) aufmerksam betrachtete und sich hochachtungsvoll gegenüber der gesamten alkarischen Zeremonie zeigte“.325 Von der Aufführung der Ringreiter im Rahmen der Fiskultur-Parade berichtete Narodni Sport am 14. Mai 1946 in einem Sonderartikel mit dem Titel „Die traditionelle Sinjska Alka vor Marschall Tito in Zagreb“:326 „Das ist die 231. Vorführung seit dem berühmten Sieg des Sinjer und Cetiner Volkes über den Osmanischen Vergewaltiger (osmanlijski sileđija) Mehmed-Pascha […] am 14. August 1715“. Aus der Rede des Anführers Peko Bogdan wurde für den Bericht ein Satz ausgewählt, der auf leicht poetische Art und Weise die symbolische Verknüpfung zwischen der Sinjer Schlacht und dem antifaschistischen Kampf betonte. „In seiner flammenden patriotischen Abschlussrede sagte Vojvoda Peko Bogdan, dass dieses volkstümliche ritterliche Spiel die freiheitlichen und kämpferischen Qualitäten unserer Urgroßväter mit den heldenhaften Vorzügen 322 Javna vježba zagrebačkih fizkulturnika. In: Narodni Sport, 14. Mai 1946, S. 3. 323 Ebd. 324 Siehe: Mišo Lučić: Tito i Sinjska alka. Dokumentarfilm, TV Zagreb, 1987; Interview mit Bruno Vuletić. In: VCK, 1. August 1985, S. 4-5. 325 Mišo Lučić: Tito i Sinjska alka. Dokumentarfilm, TV Zagreb, 1987. 326 Tradicionalna Sinjska Alka pred Maršalom Titom u Zagrebu. In: Narodni sport, 14. Mai 1946, S. 2.

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unserer zeitgenössischen Jugend verknüpft, welche im Geiste der furchtlosen Volkskämpfer von 1715 einen Aufstand gegen die Vergewaltiger und Blutsauger (sileđije i krvoloci) der modernen Zeit durchführte, um ihre Freiheit und eigene Rechte zu erlangen“.327 Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Volksbefreiungskampfs im neuen Jugoslawien widmete der Bericht dem sozialen Zusammenhang der Alkarentruppe, ihrer militärischen Ordnung und den Auszeichnungen der beteiligten Kämpfer viel Aufmerksamkeit. Schließlich wurde zufrieden festgestellt, dass „die Schau unserer reichen und heldenhaften Volkstradition den richtigen Eindruck bei den freundlichen und brüderlichen ausländischen Delegierten des Jugendkongresses erzeugt. Wenn sie in ihren Ländern ihre Eindrücke von Jugoslawien schildern und vom dritten Kongress in Zagreb erzählen, werden sie unter anderem über Ritterspiele reden können, die seit 231 Jahren kontinuierlich abgehalten werden.“328 Während die einheimischen und ausländischen Delegierten bei der Parade der Fiskulturträger ihre Eindrücke sammelten, bereiteten sich die Moreška-Tänzer auf Auftritte vor, die nahezu zeitgleich in Zagreb und Paris stattfinden sollten. Bereits Ende April 1946 hatte die Abteilung für Agitation und Propaganda (AGITPROP) des ZK KPJ einen Rundbrief an die lokalen Komitees der Volksfront geschickt, mit dem die Vorführung von „schon vorbereiteten Folkloreund Ritterspielen“ auf der Parade zum 1. Mai in Belgrad angestrebt wurde.329 Der Auftritt in Belgrad erfüllte neben der Feier des Arbeitertages den Zweck, als Selektionswettbewerb für den gemeinsamen Auftritt mehrerer Kulturvereine am 14. Mai in Paris zu dienen.330 In den Reihen der „Artistischen Gruppe der jugoslawischen Armee“, die am 3. Mai nach Frankreich reiste, befanden sich ausgewählte Mitglieder des Belgrader Balletts sowie der Kulturvereine aus Ljubljana (Srećko Kosovel), Belgrad (Ivo Lola Ribar), Kumanovo (Teškoto) und Korčula (Moreška). Der aus allen Ecken des Landes zusammengestellten Gruppe kam die große Ehre zu, Jugoslawien am Rande der Friedenskonferenz in Paris kulturell zu repräsentieren. Diejenigen Moreška-Tänzer, die für die Auslandsreise nicht ausgewählt wurden, konnten sich am Sonntagabend, den 12. Mai 1946, mit ihrem Auftritt auf dem Zagreber Hauptplatz trösten, der gleich im Anschluss an die Stadionparade stattfand.331 In der Ankündigung „des altertümlichen Volksspiels Moreška, vorgeführt von Jugendlichen aus der Stadt Korčula“ wurde in der Zagreber Tageszeitung Vjesnik erklärt, dass „das interessante Spiel jahrhundertelang an bestimmten Feiertagen gespielt wurde“.332 Im Text wurde weiterhin festgestellt, dass die Moreška „in alten Zeiten, und noch vor 50 bis 60 Jahren wie die Alten erzählen [...], vielmehr ein Tanz als bloß ein rhythmischer Schwertkampf (ritmičko mačevanje) war“. Dementsprechend bemühe man sich nun, so Vjesnik, „die Moreška wieder dazu zu machen, was sie früher einmal war und dabei den Charakter der kämpfenden, weißen und schwarzen Spieler stärker zu betonen.“ 333

327 Tradicionalna Sinjska Alka pred Maršalom Titom u Zagrebu. In: Narodni sport, 14. Mai 1946, S. 2. 328 Ebd. 329 Zlatan Podbevšek: Trideset godina obnovljene moreške. In: Moreška – korčulanska viteška igra, Korčula, 1974, S. 71-92, hier: S. 78. 330 Veliki uspjeh umjetničke grupe Jugoslovenske Armije u Parizu. In: Vjesnik, 16. Mai 1946, S. 3. 331 Siehe Fotosammlung AG FOTO im Kroatischen Staatsarchiv. HDA, AG FOTO, Album 188, S. 94-95. 332 Moreška. In: Vjesnik, 12. Mai 1946, S. 5. 333 Ebd.

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Am Montag, den 13. Mai 1946, wurde eine Delegation aus Alkaren und Knappen vom Vorsitzenden des kroatischen Landesparlaments, Vladimir Nazor, empfangen. Die Begegnung der Traditionsträger mit dem berühmten Dichter wird in Sinj auch heute noch gelegentlich als eine der witzigsten Anekdoten aus den alkarischen Chroniken weitererzählt. Angeblich habe Nazor die Vereinsvertreter gefragt, „ob sich unter ihnen auch derjenige befindet, der gestern eine Rede hielt“ und wollte sie noch einmal hören.334 Anführer Peko Bogdan antwortete, so die Anekdote, dass er seine Rede üblicherweise immer auf dem Pferd halte, weshalb er seinen Auftritt jetzt gerade nicht wiederholen könne. Daraufhin bot der Parlamentsvorsitzende Anführer Bogdan angeblich an, auf einen Stuhl zu klettern, um somit die erwünschte Perspektive zu bekommen. Laut der Anekdote stieg Anführer Bogdan tatsächlich auf den Stuhl und hielt eine Rede. Schließlich habe Nazor den Alkaren eine Finanzhilfe übergeben und sie mit den Worten: „Setzen Sie diese Tradition so wie Ihre Vorgänger fort“, verabschiedet.335 Die Begegnung der Alkaren und Knappen im Empfangsraum sowie im Garten der Residenz wurde fotografisch dokumentiert, jedoch zeigen die Fotos weder die legendäre Performance von Peko Bogdan noch die Übergabe der Finanzhilfe an die Alkaren.336 Vor ihrer Rückkehr nach Sinj wurden die Traditionsträger vom Vorsitzenden des Zagreber Volkskomitees und Politbüro-Mitglied Dragutin Saili am Dienstag, den 14. April, empfangen.337 Während des einstündigen Gespräches bedankten sich der Zagreber Bürgermeister und der Ehrenausschussvorsitzende des „Tags der Fiskulturträger“ bei den Alkaren dafür, dass sie mit ihrem Eintreffen und Auftritt die Feier des III. Jugendkongresses bereichert hätten. „Ein Turnierteilnehmer kann nur ein Vorkämpfer (prvoborac) von 1941 werden, während sich an der Sinjska Alka nur diejenigen beteiligen können, die dem Volksbefreiungskampf verbunden sind“, erklärten die Gäste ihrem Gastgeber den sozialen Hintergrund der Ritualteilnehmer.338 „Nun sind in der Alka alle vertreten: Bauern, Arbeiter, Intellektuelle. Jedes der 64 Dörfer im Cetiner Land hat nun seinen Vertreter“, betonten die Vereinsvertreter und erzählten von einigen weiteren Veränderungen. „Wir haben unseren Verein nach der Befreiung demokratisiert. Vorher war er ein Verein der Großherren (gospodsko društvo), aber seiner Tradition entsprechend wurde er wieder ein Volksverein“. Die Legitimität der durchgesetzten sozialen Veränderungen leiteten die neuen Traditionsträger von der Deutung der Schlacht von 1715 ab. „Als Serasker Mehmed-Pasha von Kupres in unser Land eingefallen ist [...], versteckten sich die Herren Adeligen (gospoda plemići) in den befestigten Küstenstädten und das Volk übernahm den Kampf. Gerade so wie im Jahr 1941, als das sich selbst und dem Besatzer überlassene Volk den Kampf anfing und den Sieg erkämpfte“, betonte Vjesnik in seiner Ausgabe des darauffolgenden Tages.339 Im Bericht des Vjesnik wurde unter anderem betont, dass die Sinjska Alka in der Regel in Sinj vorgeführt werde und „erst zum zweiten Mal in einer anderen Stadt organisiert“ wurde, was jedoch nicht näher erklärt wurde. Während des Gesprächs über den Volksbefreiungs334 335 336 337

Information aus dem Gespräch mit Ivo Dalbello im April 2012 in Sinj. Ebd. Vgl. Fotosammlung AG FOTO, Kroatisches Staatsarchiv, Album 188, S. 92. Predstavnici Sinjskih alkara kod predsjednika Izvršnog odbora GNO-a Salija. In: Vjesnik: 15. Mai 1946, S. 5. 338 Ebd. 339 Ebd.

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kampf hoben die Alkaren mit großem Stolz hervor, dass es im Cetiner Land keine Massenvernichtungen der Serben während des Krieges gab. „Die kroatischen Alkaren kurbelten den Aufstand in den serbischen Dörfern an, während das Volk, das kroatische und das serbische, zusammen in den Kampf ging“, erklärte man dem Gastgeber. Die Veränderungen in der Sinjska Alka, welche im Einklang mit der staatlichen Identitätspolitik standen, wurden durch den Hinweis unterstrichen, dass „heute auch die Serben an der Alka teilnehmen können“. In ihrem Gespräch mit dem Zagreber Bürgermeister beschwerten sich die Alkaren außerdem darüber, dass viele ihrer Gegenstände sowie die wertvollen Vereinsarchive „während der Okkupation und zum Teil auch davor“ geraubt worden waren.340 Bezüglich des Kriegsschicksals der alkarischen Kostüme und Gegenstände existieren mehrere, zum Teil widersprüchliche Deutungen. Laut Ivo Dalbello seien die Kostüme und Gegenstände kurz vor dem Kriegsausbruch in einem neu eingerichteten Ausstellungsraum in der Gewerbeschule (Zanatska škola) ausgestellt worden.341 Die italienischen Truppen, die im Frühjahr 1941 Sinj besetzten, hätten das Schulgebäude genutzt und kamen laut dem Sinjer Historiker Ivan Kozlica auf die Idee, die Uniformen nach Rom zu schicken.342 Stattdessen sind die Kostüme und Gegenstände jedoch rechtzeitig dem Franziskanerkloster in Sinj übergeben und dort aufbewahrt worden. Während des sozialistischen Jugoslawiens wurde indes in keiner schriftlichen Quelle die Rolle, die die Franziskanermönche beim Aufbewahren der alkarischen Gegenstände gespielt haben sollen, festgehalten. Vier Jahrzehnte nach seinem Aufenthalt in Zagreb und dem Gespräch mit Dragutin Saili erzählte Peko Bogdan dem Forscher Šime Jurić, dass „die Kostüme, Gegenstände und Waffen meistens bei einzelnen Personen weniger Familien aufbewahrt wurden, die sie für bessere Zeiten zurückhielten“.343 Die Publikation Alkar anlässlich der Sinjska Alka im Sommer 1968 erinnerte wiederum an den ehemaligen Ritualteilnehmer und Museumshausmeister (čuvar muzeja) Ivan Vasilj, „der während des Krieges zusammen mit anderen Bürgern die alkarischen Uniformen vor den gierigen Eroberern rettete“.344 Eine ähnliche Deutung äußerten die Alkaren auch gegenüber dem Zagreber Bürgermeister während des Gesprächs im Mai 1946, zumindest dem Bericht des Vjesnik zufolge. „Das, was wir haben, haben wir in den Bunkern aufbewahrt, sonst wäre es ebenfalls verschwunden“, beschwerten sich die Vereinsvertreter bei Dragutin Saili. 345 Am Ende der einstündigen Begegnung bedankte sich Saili bei den Alkaren nochmals für ihren Besuch und äußerste den Wunsch, dass „sich auch Zagreb zukünftig an den Spielen beteiligt“. Der Bürgermeister „[...] unterstrich den Wunsch, dem Verein zu helfen, um seine

340 Predstavnici Sinjskih alkara kod predsjednika Izvršnog odbora GNO-a Salija. In: Vjesnik: 15. Mai 1946, S. 5. 341 Informationen aus dem Gespräch mit Ivo Dalbello im April 2012 in Sinj. 342 Informationen aus dem Gespräch mit Ivan Kozlica im Dezember 2013 in Zagreb. 343 Šime Jurić: History of the Alka Tournament. In: The Alka Tournament of Sinj. Beograd, 1987, S. 5869, hier S. 68. 344 Alkarski vremeplov. Alkar, August 1968, S. 3. 345 Predstavnici Sinjskih alkara kod predsjednika Izvršnog odbora GNO-a Salija. In: Vjesnik: 15. Mai 1946, S. 5.

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ritterliche, von dem neuen Geist aus dem Volksbefreiungskampf, an dem die Alkaren so einträchtig teilgenommen haben, inspirierte Arbeit fortzusetzen“.346 Den Vereinsvertreten wurden 25.000 Dinar übergeben und es wurde ihnen dabei versprochen, dass das Verwaltungskomitee „eine Möglichkeit finden wird, um die Arbeit der Alka noch stärker zu unterstützen“.347 Der Anführer Peko Bogdan „bedankte sich bei Dragutin Saili, dem ganzen Zagreber Volkskomitee sowie dem Zagreber Bürgertum (građanstvo) für den warmen Empfang [und betonte dabei, dass] die Arbeit des Vereins vom Weg der Brüderlichkeit und Einheit nicht abkommen wird, jenem vom Schirmherr des Vereins Marschall Tito vorgegebene Weg“.348 Die Bezeichnung Titos als „Schirmherr des Vereins“ war allerdings übertrieben. Zwar hatte Tito schon im August 1945 den Generalleutnant Koča Popović als seinen persönlichen Gesandten nach Sinj zur Alka geschickt, aber eine formelle Schirmherrschaft von Tito über die Sinjska Alka kam erst dreizehn Jahre später zustande.

Lanzen und Streitkolben auf dem Bollwerk des Sozialismus Der III. Jugendkongress endete am 18. Mai mit der Übergabe der Siegerfahne an die erfolgreichsten Arbeitsbrigaden der Jugendlichen. Kurz danach wurden der Jugendkongress sowie der Tag der Fiskulturträger in den Medien von anderen Themen ersetzt. „Wir verlangen den Anschluss an Jugoslawien – jede andere Lösung bedeutet für uns den Tod“, übertrug Vjesnik am 17. Mai 1946 „die Forderung der Kroaten und Italiener Istriens“.349 Täglich wurde aufgrund der Position westlicher Regierungen gegenüber der zukünftigen jugoslawisch-italienischen Grenze mit zahlreichen Protestkundgebungen und der Veröffentlichung von Briefen und Telegrammen eine Empörungswelle in ganz Jugoslawien inszeniert. „Die in schwarz gekleideten Mütter des Cetiner Landes, die ihre Söhne für den heiligen Befreiungskrieg gaben, protestieren gegen den Vorschlag der Experten aus England, Amerika und Frankreich [...]“, stand in einem offenen Brief, den Vjesnik unter dem Titel „Im Namen des vergossenen Blutes ihrer Söhne fordern die Mütter der gefallenen Soldaten aus dem Sinjer Land, dass Triest an Jugoslawien angeschlossen wird“ am 23. Mai 1946 veröffentlichte.350 Die dramatische und sehr emotionale Berichterstattung über die Grenzfrage wurde mit der täglichen Veröffentlichung von Fotografien aus der Zagreber Ausstellung über die „Verbrechen der Besatzer und ihren Helfern“ zusätzlich verschärft.351 Einen Gegensatz zu den alarmierenden Medieninhalten stellten die Themen Wiederaufbau, Brüderlichkeit und Solidarität dar, sowie eine grenzenlose Verherrlichung des Marschalls Tito.

346 Predstavnici Sinjskih alkara kod predsjednika Izvršnog odbora GNO-a Salija. In: Vjesnik: 15. Mai 1946, S. 5. 347 Die Tageszeitung Vjesnik kostete zu der Zeit 2 Dinar. 348 Predstavnici Sinjskih alkara kod predsjednika Izvršnog odbora GNO-a Salija. In: Vjesnik: 15. Mai 1946, S. 5. 349 Tražimo priključenje Jugoslaviji – svako drugo riješenje za nas znači smrt. In: Vjesnik, 17. Mai 1946, S. 3. 350 U ime prolivene krvi svojih sinova, majke palih boraca Sinjske Krajine traže da se Trst pripoji Jugoslaviji. In: Vjesnik, 23. Mai 1946, S. 2. 351 Otvorena je izložba dokumenata i fotografija o zločinima okupatora i njihovih pomagača. In: Vjesnik, 20. Mai 1946, S. 2.

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Abb 16: „Marschall Tito auf der Parade der Fiskulturträger am 12. des Monats in Zagreb“. Aus Anlass des 54. Geburtstags von Tito veröffentlichte Vjesnik dessen Portrait auf der Seite Eins mit dem Titel „Held im Krieg, Erbauer im Frieden“. Zudem wurde auf der folgenden Seite eine Fotografie von Tito auf der Stadiontribüne während der Parade der Alkaren am Tag der Fiskulturträger gezeigt. Während des zeremoniellen Vorbeireitens vor dem jugoslawischen Staatschef nahm Frano Tripalo Kekica seine Funktion des Fahnenträgers offensichtlich ernst und trug die Vereinsfahne selbst. Quelle: Vjesnik, 25. Mai 1946, S. 2.

Die starke mediale und öffentliche Mobilisierung der jugoslawischen Bevölkerung einerseits und die sich zuspitzende Außenpolitik der jugoslawischen Führung andererseits wurden im Sommer 1946 konsequent verfolgt. Die Intensivierung des Bürgerkriegs in Griechenland sowie eine Reihe von Vorfällen an der albanisch-griechischen Grenze erfolgten zum Teil gerade durch die zunehmende Einmischung Belgrads in die Lage am südlichen Balkan. Zugleich intensivierten sich die Verletzungen des jugoslawischen Luftraumes durch USamerikanische Flugkräfte im Nordwesten des Landes. In einem Protestbrief der jugoslawischen Regierung an Washington vom 10. August 1946 wurden 172 Luftraumverletzungen durch US-amerikanische Flugzeuge seit Mitte Juli aufgelistet.352 Die Beziehungen der ehemaligen Kriegsalliierten verschlechterten sich zusätzlich, als ein US-amerikanisches Flugzeug am 9. August 1946 durch Schüsse jugoslawischer Luftkräfte gezwungen wurde, auf dem Flughafen in Ljubljana zu landen. Die Krise erreichte ihren Höhepunkt jedoch, als zehn 352 Protestna nota vlade FNRJ vladi SAD povodom prelijetanja američkih aviona nad jugoslavenskim teritorijem. In: Vjesnik, 11. August 1946, S. 1.

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Tage später ein zweites US-amerikanisches Militärflugzeug abstürzte, wobei fünf Menschen ums Leben kamen. Während sich die Beziehungen zwischen Belgrad und Washington dramatisch verschlechterten, wurde am 18. August 1946 das traditionelle Jahresfest in Sinj abgehalten. Im Unterschied zur im August 1945 stattgefundenen Vorführung erschienen dieses Mal keine Vertreter der US-Armee auf der Ehrentribüne. Am Donnerstag, dem 15. August, wurde „die Vorführung des volkstümlichen ritterlichen Spiels der Cetiner Bevölkerung [...] zum 231. Mal seit seiner Entstehung“ in der Spliter Tageszeitung Slobodna Dalmacija angekündigt.353 Wenngleich die kulturelle Inszenierung am „Tag der Fiskulturträger“ in Zagreb in einigen Berichten als „die 231. Sinjska Alka“ eingeordnet wurde, setzte man im August 1946 die traditionelle Nummerirung entsprechend fort. Der Artikel wurde mit einer Fotografie, auf der die Alkaren mit dem Vorsitzenden des kroatischen Landesparlamentes, Vladimir Nazor, zu sehen waren, illustriert. Das Bild wurde wahrscheinlich am 13. Mai 1946 während der legendären Begegnung in Zagreb aufgenommen. Wie auch auf den beiden anderen Vorführungen der Sinjska Alka seit dem Kriegsende wurde die Sinjer Schlacht von 1715 in der Ankündigung der Tageszeitung wieder als eine Vorepisode des antifaschistischen Aufstandes dargestellt, „als der verhasste Besatzer mithilfe einheimischer Verrätter in das Cetiner Land einmarschiert ist, um es zu erobern“. Doch nicht nur auf den Partisanenkampf wurde hingedeutet, der Artikel spiegelte bei seiner Interpretation der Schlacht auch die neusten politischen Dynamiken wider. Im Einklang mit der Lehre des historischen Materialismus einerseits und der aktuellen außenpolitischen Situation Jugoslawiens andererseits wurde die Sinjer Schlacht als „Zusammenstoß der imperialistischen Interessen der damaligen herrschenden Klasse, als die Cetiner [...] die Vertreter des Osmanischen Imperialismus niedergeschlagen hatten“, eingestuft.354 Abgesehen vom Motiv des „anti-imperialistischen Kampfes“ beinhaltete der Artikel ein weiteres Novum: er erwähnte die „Sinjer Jugend, die im Einklang mit berühmten Traditionen am Aufbau der Jugendbahnstrecke (Omladinska pruga) arbeitet“.355 Das Jahr 1946 war in Jugoslawien durch die Intensivierung einer politisch gesteuerten Gesellschaftstransformation nach sowjetischem Vorbild gekennzeichnet. Im April wurde die bereits existierende soziale Kategorie für die fleißigsten Arbeiter und Bauern (Udarnik) auch formell etabliert.356 Den Ehrentitel und die dazugehörenden Privilegien konnte man durch das kontinuierliche Übertreffen der Produktionsnorm um mindestens 20 % erlangen. Über das symbolische Prestige hinaus brachte die Anstrengung auch ganz konkrete Vorteile in der Knappheitsgesellschaft, einschließlich des besseren Zugangs zu Lebensmitteln, Gesundheitspflege, Fahrkarten oder Eintrittskarten für diverse Veranstaltungen. Darüber hinaus wurden die leistungsstärksten Jugendlichen als Sonderdelegierte für den Zagreber Jugendkongress im Mai 1946 nachnominiert und für ihre Arbeitsleistung gegebenenfalls mit einer prestigeträchtigen Reise belohnt. 353 354 355 356

U nedjelju se u Sinju igra „Alka“. In: Slobodna Dalmacija, 15. August 1946, S. 3. Ebd. Ebd. Tomislav Anić: Junakinje i junaci rada. In: Jasmina Bavoljak (Hg.): Refleksije vremena 1945.-1955., Zagreb, 2012. S. 40-57, hier S. 41.

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Für die kommunistische Regierung hatte der Arbeiterkult eine große Bedeutung und zwar nicht nur wegen seiner ideologischen, sondern auch wegen seiner praktischen Funktion für den Aufbau des Landes. Im Einklang damit wurden zu Beginn des Sommers 1946 im Cetiner Land sowie in ganz Jugoslawien die jugendlichen Arbeitsbrigaden für den Aufbau der Zugstrecke Brčko-Banovići im nördlichen Bosnien rekrutiert, wobei die Anzahl der Interessenten die vorhandenen Unterkunftskapazitäten mehrfach übertraf.357 Diejenigen Jugendlichen aus dem Cetiner Land, die keine Gelegenheit erhielten, den Sommer 1946 in der Volksrepublik Bosnien und Herzegowina zu verbringen, nahmen an Aktionen und Kampagnen in den umliegenden Dörfern teil. Während der „Woche der Sauberkeit“ wurden allein im Dorf Lučane etwa 150 Menschen von Läusen befreit. In der Umgebung von Vrlika hingegen wurden während des achttägigen Jugendwettbewerbs 430 Senkgruben geschaffen, 643 Häuser gestrichen und 29 Brunnen geputzt.358 Der Sanitätsdienst untersuchte im gleichen Zeitraum 245 Einwohner des Gebietes. Darüber hinaus beteiligten sich die Jugendbrigaden an der Organisation und der Durchführung von Alphabetisierungskursen, Veranstaltungen, Konzerten und Theaterstücken. Während sich die jungen Einwohner des Cetiner Landes an den staatlichen Aktionen und Kampagnen beteiligten, bereiteten sich die Alkaren auf das Jahresfest vor. Die angespannte Lage an der Grenze zu den kapitalistischen Nachbarländern zwang aber mehrere eingeladene Kandidaten, in ihren Truppen zu bleiben oder erst unmittelbar vor dem Wettbewerb nach Sinj zu fahren. Der junge Marinekapitän Predrag Grabovac, der zu jener Zeit im militärischen Nachrichtendienst (Kontraobavještajna služba) in Dubrovnik arbeitete, schaffte es erst zwei Tage vor der Sinjska Alka, nach Sinj zu kommen.359 Wie er einige Jahrzehnte später den lokalen Zeitungen erzählte, hatte Predrag Grabovac fast einen ganzen Tag in den umliegenden Dörfern mit der vergeblichen Suche nach einem Rennpferd verbracht.360 Ein geeignetes Tier fand er schließlich in der Sinjer Kaserne und konnte es nur einmal testen, bevor er sich am Samstag am Wettbewerb beteiligte. Erstaunlicherweise triumphierte der junge Marinekapitän bei seinem Debütauftritt – sowohl in der Generalprobe am Samstag (Čoja) als auch im Sonntagsfinale (Alka). Obwohl Predrag Grabovac sich im August 1946 zum ersten Mal am Ritual beteiligte, brachte er doch gewisse Vorkenntnisse mit. Als Sinjer Kind hatte er die älteren Alkaren mit großem Interesse beobachtet und seine Handfertigkeit im Ringstechen ohne Pferde, das in jedem Sommer von Kindern auf den Straßen von Sinj gespielt wurde, geübt. Darüber hinaus hatte Predrag Grabovac vor dem Krieg eine Reiterschule absolviert. Schließlich hatte er einiges über die Sinjska Alka von seinem mittlerweile verstorbenen Vater Vice Grabovac erlernen können, der sich jahrzehntelang als Turnierteilnehmer, Alajčauš und Vojvoda an der kostümierten Inszenierung beteiligt hatte. Der überraschende Triumph bei der Generalprobe am Samstag stellte Predrag Grabovac vor unerwartete Probleme. „Ich hatte gar kein Geld dabei und man musste als Gewinner Getränke 357 358 359 360

Dogodilo se u Cetinskoj krajini. In: VCK, 15. Juni 1986, S. 2. Dogodilo se u Cetinskoj krajini. In: VCK, 1. Juli 1986, S. 2. Toni Paštar: Ajme meni, što ću sad?! In: Alkar, August 1981, S. 7. Nediljko Musulin: Feljton: Slavodobitnici Sinjske alke od 1945. (2) – Grabovčeve i Vasine „sride“. In: VCK, 1. September 1983, S.7.

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ausgeben. Ich erinnere mich nicht daran, wer an dem Abend das Bier bezahlt hat“, erzählte er 35 Jahre später in einem Zeitungsinterview.361 Im Hinblick auf die möglichen Kosten eines zweiten Triumphes flehte ihn seine Schwester am Sonntagmorgen regelrecht an, den Wettweberb nicht noch einmal zu gewinnen.362 In der ersten Runde gewann Grabovac tatsächlich keine Punkte, aber durch die nächsten zwei schaffte er es zunächst in die Verlängerung und holte sich letztendlich den Sieg. Bei seinem zweiten Triumph hatte ihm möglicherweise der Ratschlag des ehemaligen Teilnehmers und mehrfachen Ruhmgewinners Nikola Jelinčić Bećo geholfen, der ihm vor dem Auftritt angeblich empfohlen hatte, knapp über den Außenring zu zielen.363 Der Sieg des Marinekapitäns freute seine Schwester zwar nicht, dafür aber die zahlreichen anwesenden Marinesoldaten und Wehrdienstleistenden aus Split, die ihren freien Sonntag für einen Ausflug nach Sinj genutzt hatten. Der mit großen Portraits von Tito und Stalin dekorierte Wettkampfplatz war voll von Schiffsmännern, die ihre weißen Kappen in die Luft warfen, um den Triumph „ihres Alkaren“ zu bejubeln. „Ruhmgewinner der Sinjska Alka, trage diese Flagge, unter der du im langen, blutigen Kampf für die Freiheit gegen den verhassten Feind gekämpft hast. Lass die Flagge, das Symbol unserer Demokratie und Unabhängigkeit, dir ein Licht in dem weiteren Einsatz für den Fortschritt unserer geliebten Heimat sein!“, sagte Vojvoda Bogdan während der rituellen Übergabe der Trophäe nach dem Wettbewerb.364 Die Zusammenstellung der Ehrengäste bei der Sinjska Alka im August 1946 war, hinsichtlich ihrer sozialen und politischen Positionen, etwas weniger prestigeträchtig als im Jahr zuvor. Nichtsdestoweniger trug die Anwesenheit bestimmter Gäste sicherlich zur Legitimation der herrschenden Ordnung bei. Auf der Ehrentribüne befanden sich Stanko Škare, Sekretär der Kroatischen Republikanischen Bauernpartei sowie Pavao Krce, der wichtigste Repräsentant der Kroatischen Bauernpartei im Cetiner Land.365 Die symbolische Aneignung eines Teils der Kroatischen Bauernpartei durch die kommunistische Regierung hatte im Sommer 1946 durch die Abrechnung mit zwei einflussreichen sozialen Akteuren erneut an Bedeutung gewonnen. Im August 1946 hatten die kommunistischen Machthaber erst Dragoljub Jovanović, den populären Bauernpolitiker aus der Narodna Seljačka Stranka inhaftiert.366 Einen Monat darauf erfolgte die Festnahme des Zagreber Erzbischofs Alojzije Stepinac.

361 362 363 364

Toni Paštar: Ajme meni, što ću sad?!, Alkar, August 1981, S. 7. Ebd. Ebd. Nediljko Musulin: Feljton: Slavodobitnici Sinjske alke od 1945. (2) – Grabovčeve i Vasine „sride“. In: VCK, 1. September 1983, S. 7. 365 U Sinju je trkana Alka. In: Slobodna Dalmacija, 20. August 1946, S. 2. 366 Siehe: Izdaja Dragoljuba Jovanovića doživjela je osudu naroda. In: Vjesnik, 16. August 1945, S. 1.

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Abb 17: Das traditionelle Augustfest im Zeichen der allgegenwärtigen politischen Symbole der ersten Nachkriegsjahre in Jugoslawien. Aufgrund der schrittweisen Verschlechterung der Beziehungen zwischen Belgrad und Moskau sollten die Portraits von Iosif Visarioniovič Stalin in Jugoslawien dennoch bis Ende der 1940er Jahre vollkommen aus der Öffentlichkeit verschwinden. Im Gegensatz dazu würde Josip Broz Tito noch über Jahrzehnte ein Bestandteil der vermittelten ideologischen Botschaft in der Sinjska Alka und darüber hinaus bleiben. Quelle: Archivbestand des Ritterlichen Alkarenvereins, Sinj.

Die antikirchliche Diffamierungskampagne war auch Teil der Rede des alkarischen Anführers im August 1946, einführend verleumdete er jedoch am stärksten die früheren Herrschaftsträger in Dalmatien. Oberleutnant Bogdan sagte: „Die venezianischen, die österreichisch-ungarischen, die italienischen Imperialisten sowie das großserbische, hegemoniale Belgrad wollten den volkstümlichen Charakter unserer Alka auslöschen, aber sie sind gescheitert“.367 Mit seiner heftigen Kritik an der jugoslawischen Monarchie erinnerte der einstige Jurastudent der Belgrader Universität die Anwesenden an die Unruhen im August 1935. Er wies darauf hin, dass „das Volk des Cetiner Landes eines Jahres, genau am Tag der Alka, den Waffenkampf auf den Sinjer Straßen anführte“. Bogdan erwähnte hingegen nicht, dass der unmittelbare Anlass für den Ausbruch der Unruhen gerade die Huldigung der Monarchie in der Abschlussrede des damaligen Anführers Vice Grabovac gewesen war, sowie dass er

367 U Sinju je trkana Alka. In: Slobodna Dalmacija, 20. August 1946, S. 2.

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selbst in diesem Moment eine Fahne an der Lanze des jüngsten Sohns des damaligen Anführers befestigt hatte. Stattdessen versprach Peko Bogdan, dass „die Sinjer Alkaren, zusammen mit unseren anderen Völkern ein Bollwerk (branik) unserer Freiheit und Demokratie bilden werden, schützend und befestigend, um auf diese Weise das große Erbe des Kampfes der freiheitsliebenden Völker zu erreichen: den Frieden“.368 Einen besonderen Akzent setzte der Anführer schließlich auf die Parallelen zwischen der Schlacht im Jahr 1715 und dem Volksbefreiungskampf, aber dieses Mal mit der klaren Absicht, die Kirche zu diskreditieren. „So wie im Jahr 1941 hatte auch damals ein großer Teil der kirchlichen Würdenträger das Volk im entscheidenden Existenzkampf verlassen und sich in den venezianischen Festungen versteckt, in den Städten an der Meeresküste“, hob man in dem Zeitungsbericht hervor.369 Interessanterweise nutzte Bogdan in seiner Rede das gleiche Argument der flüchtenden, das Volk im Stich lassenden „Feiglinge“, welches er einige Monate vorher im Gespräch mit dem Zagreber Bürgermeister verwendet hatte, damals allerdings in Bezug auf die Herren Adeligen (gospoda plemići).370 Der sich intensivierende Konflikt zwischen der kommunistischen Regierung und der katholischen Kirche manifestierte sich im Sommer 1946 unter anderem durch das Verbot und die Beschränkung zahlreicher lokaler Feste und religiöser Praktiken bzw. durch ihre Entsakralisierung oder Eingliederung in die neuen säkularen Feiertage und Zeremonien.371 Laut Miloš Milošević, dem Historiker, Archivisten und langjährigen Admiral der Bokeljska Mornarica (1991-2012) wurde die symbolische Trennung zwischen der Marine von Boka und dem Kirchenfeiertag des Heiligen Tryphons 1946 ausdrücklich von den lokalen Machtvertretern in Kotor gefordert.372 Den Entsakralisierungsprozess der Bokeljska Mornarica thematisierte Milošević zwar nur am Rande seines Artikels über den damaligen Admiral Rudolf Giunio, dennoch stellt sein Text einen interessanten Beitrag zur sonst kaum beachteten Thematik der Entsakralisierung kultureller Praxis dar, zumindest was die Waffenrituale im östlichen Adriaraum angeht. Der unmittelbare Entsakralisierungsimpuls ging laut Milošević von Tono Petrović aus, dem Kommandanten der Polizeikräfte in Kotor, der nach der kommunistischen Machtaneignung der Vereinsvorsitzende der Bokeljska Mornarica geworden war. Petrović schlug anscheinend während des Admiralitätstreffens im April 1946 vor, dass man „den Feiertag der Bokeljeska Mornarica auf ein anderes, günstigeres Datum im Sommer verschieben sollte, weil sie unabhängig sein sollte.“ Der Zweck der Bokeljska Mornarica sei laut Petrović, „den jungen Menschen die Folklore nahezubringen, sodass sie sich dadurch mit anderen jungen Menschen verbinden können“.373 368 U Sinju je trkana Alka. In: Slobodna Dalmacija, 20. August 1946, S. 2. 369 Ebd. 370 Predstavnici Sinjskih alkara kod predsjednika Izvršnog odbora GNO-a Salija. In: Vjesnik: 15. Mai 1946, S. 5. 371 Vgl. Dunja Rihtman-Auguštin: Metamorfoze socijalističkih praznika. In: Ulice moga grada, Beograd, 2000, S. 101-120. 372 Miloš Milošević: Rudolf Giunio, admiral Bokeljske mornarice. In: Jedra Boke - Mjesečna publikacija Pomorskog muzeja Crne Gore, Kotor, 05/2012, S. 6-7. 373 Ebd.

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Ähnlich wie im Fall der Sinjska Alka ein Jahr davor, sahen sich die alten Traditionsträger der Marine von Boka 1946 mit einer doppelten Herausforderung konfrontiert. Zum einen verlangte man von ihnen, die Kostüme an andere Akteure abzutreten. Zum anderen wurde die Verschiebung des jährlichen Auftrittstermins gefordert, um die Bokeljska Mornarica zu entsakralisieren. Anscheinend unterstützte Petrović nicht nur die Terminverschiebung, sondern auch die Jugendvertreter in ihrem Wunsch, sich Uniformen für den Auftritt auf dem Zagreber Kongress ausleihen zu können. Trotz der heftigen Weigerung des Admirals Rudolf Giunio wurden die beiden Vorschläge von Petrović schließlich akzeptiert. Laut Miloš Milošević wurde somit 1946 „die Teilnahme der Bokeljska Mornarica an der Feier des Heiligen Tryphons unterbrochen“.374 Jovica Martinović, ein Archäologe aus Kotor und Ehrenmajor (Počasni major) der Bokeljska Mornarica, beschreibt den Entsäkularisierungsprozess mit etwas anderen Worten.375 Laut Martinović beteiligte sich die Bokeljska Mornarica auch im Februar 1947 an der Prozession zu Ehren des Heiligen Tryphons, welche aber vorzeitig unterbrochen wurde. Angeblich habe die Stadtverwaltung gerade am Feiertag eine Übung der Feuerwehr organisiert, um die jährlich stattfindende Prozession mit Wasserwerfern auflösen zu können. Zwar handelt es sich hierbei möglicherweise nur um eine Legende, doch korreliert sie mit dem Beschluss des Politbüros des ZK der KPH vom 24.8.1946, dass man „die Feuerwehr für eine vormilitärische Ausbildung nutzen solle, um ihr eine stärkere volksdemokratische Bedeutung zu geben“.376 In jedem Fall wurden dem Ritual und den Uniformen der Bokeljska Mornarica spätestens im Frühjahr 1947 ihre explizit sakrale Symbolik genommen, was einen wesentlichen Aspekt ihrer symbolischen Umkodierung nach dem Zweiten Weltkrieg darstellte. Die Entsakralisierung der hier analysierten Waffenrituale und anderer kultureller Inszenierungen war ein wichtiger Schritt ihrer Anpassung an die Werte der neuen ideologischen Ordnung. Mit dem Statut des Sinjer Volksvereins der Alkaren aus dem Jahr 1947 wurden die symbolischen Umkodierungen aus der Nachkriegszeit bestätigt und ergänzt.377 Im Unterschied zur explizit geäußerten Loyalität der Alkaren gegenüber „dem Volk, dem König und der Heimat“ in den Statuten von 1902 und 1921, definierte der dritte Artikel des neuen Regelwerks „die Erinnerung an den Kampf, den Patriotismus sowie die Bruderschaft und Einheit aller slawischen Völker“ als Ziele des Alkarenvereins. Darüber hinaus wurde im neuen Statut die schon 1945 präsentierte Vereinsfahne detailliert beschrieben sowie angeordnet, das Attribut „venezianisch“ aus der Beschreibung der alkarischen Uniformen zu entfernen. Die Alkaren und Knappen wurden als vollberechtigte Vereinsmitglieder definiert, mit dem Hinweis darauf, dass letztere „auf den Vollversammlungen der Volksfront in Absprache mit den Volkskomitees ausgewählt werden sollten, und zwar zwei aus Sinj und jeweils einer aus jedem Dorf des Cetiner Landes“. Hinsichtlich der 374 Miloš Milošević: Rudolf Giunio, admiral Bokeljske mornarice. In: Jedra Boke - Mjesečna publikacija Pomorskog muzeja Crne Gore, Kotor, 05/2012, S. 6-7. 375 Informationen aus dem Gespräch mit Jovica Martinović im August 2012 in Kotor. 376 Protokoll der Plenarsitzung des Politbüros des ZK KPH am 24. August 1946. In: Zapisnici Politbiroa Centralnog Komiteta Komunističke Partije Hrvatske 1945-1952. Bd. 1, Zagreb, 2005, S. 246-256., hier: S. 253. 377 Vgl. Šime Jurić: Dokumenti i književna građa o Sinjskoj alki. Sinj/Split, 1988, S. 119ff.

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sozialen Zusammensetzung der Teilnehmer wurde in einem Sonderartikel zudem vorgeschrieben, dass „mindestens ein Serbe vollberechtigtes Mitglied im Alkarenverein sein sollte“.378 Drei Alkaren serbischer Volkszugehörigkeit beteiligten sich bereits an der ersten Vorführung der Sinjska Alka nach dem Zweiten Weltkrieg im August 1945, wobei Stevo Đapić aus Bitelić bei der Generalprobe am Vorabend triumphierte. Zwei Jahre später wurde Stevo Đapić von seinem Verwandten und einstigem Dorfnachbarn Vaso Đapić in der Alkarentruppe ersetzt, der sein Geschick und seine Reiterkunst sogleich bewies. Mit dem Triumph von Vaso Đapić bei der Sinjska Alka im August 1947 gelang es schon zum dritten Mal in Folge einem Debütanten, im Wettbewerb zu siegen. Doch im Unterschied zu den ersten beiden Ruhmgewinnern nach dem politischen Umbruch hatte Vaso Đapić als Junge weder die Reiterschule absolviert noch stammte er aus einer alkarischen Familie. Laut seiner Aussage in einem späteren Zeitungsinterview ist er als Kind nur selten nach Sinj gegangen, um die Vorbereitungen und den Wettbewerb der Alkaren zu verfolgen, da er weder das Geld noch die Zeit dafür gehabt hatte.379 Während die städtischen Kinder die Sommertage mit Spielen verbracht hatten, hatte Vaso Đapić Schafe und Ziegen auf den Bergwiesen gehütet. 1934 hatte er schließlich einen Arbeitsplatz im landwirtschaftlichen Kollektiv Bitelić-Vrdovo bekommen. Den Partisanen hatte er sich schon 1941 angeschlossen und bis zum Kriegsende stieg er zum Befehlshaber einer Brigade. Nach dem Krieg blieb er als Major aktives Mitglied der jugoslawischen Armee. Nach Sinj kam er schließlich im Sommer 1947 aus Slovengradec (Slovenj Gradec/Windischgrätz), einer Siedlung in unmittelbarer Nähe der jugoslawisch-österreichischen Grenze, wo er stationiert gewesen war. Wie er später den Zeitungen erzählte, hatte Vaso Đapić den 500 Kilometer langen Weg auf dem Rücken einer schwarzen, aus dem Cetiner Land stammenden Stute bewältigt.380 Am 14. August 1947 wurde der einstige Hirte und ethnische Serbe Vaso Đapić aus dem Bergdorf Bitelić der alkarische Ruhmgewinner.381 Sein Erfolg stellte den ersten registrierten Sieg eines ethnischen Serben sowie eines Einwohners der Cetiner Bergdörfer bei der Sinjska Alka dar. Sein Triumph war damit eine hervorragende Demonstration sowohl der jugoslawischen Identitätspolitik der Völkerverständigung als auch der angestrebten sozialen Veränderungen im Lande. Darüber hinaus brachte die Vorführung der Sinjska Alka im August 1947 auch eine terminliche Neuigkeit mit sich. Nachdem sie seit August 1927 ausschließlich sonntags vorgeführt worden war, wurde sie diesmal an einem Donnerstag organisiert. Während der venezianischen Herrschaft in Dalmatien wurde la Giostra Signana laut Šime Jurić am häufigsten am Faschingsdienstag vorgeführt.382 Wenn die Wetterumstände die Vorführung während des Karnevals verhinderten, wurde die Sinjska Alka in der Woche vor Ostern abgehalten. Die Vorführung an einem festgelegten Termin wurde anscheinend 1820,

378 Vgl. Šime Jurić: Dokumenti i književna građa o Sinjskoj alki. Sinj/Split, 1988, S. 119ff. 379 Nediljko Musulin: Feljton: Slavodobitnici Sinjske alke od 1945. (2) – Grabovčeve i Vasine „sride“. In: VCK, 1. September 1983, S. 7. 380 Ebd. 381 U Sinju je svečano proslavljen Dan ustanka naroda Dalmacije. In: Vjesnik, 17. August 1947, S. 3. 382 Šime Jurić: Sinjska alka. Informativni vodič po Cetinskoj krajini. Sinj, 1965, S. 59ff.

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nach der Herstellung des Arrangements mit der österreichischen Monarchie eingeführt. Entsprechend dem Geburtstag des jeweils herrschenden Kaisers wurde die Sinjska Alka am 12. Februar (1820-1835), am 19. April (1836-1848), am 18. August (1849-1916) oder am 17. August (1917-1918) aufgeführt. In der ersten Dekade nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie fand das jährliche Fest an unterschiedlichen Terminen, aber immer Mitte August statt, wobei jedoch eine Vorführung an Maria Himmelfahrt (15. August) grundsätzlich vermieden wurde. Im Einklang mit der steigenden Popularität des Festes bei den Einwohnern von Split und Zagreb stellte sich ab 1927 jedoch die Gewohnheit ein, das Ritterspiel immer sonntags abzuhalten. Die Vorführung unter der Ustaša-Verwaltung im August 1944 sowie die ersten beiden nach dem Kriegsende fanden ebenso am Sonntag statt. In diesem Kontext stellte die Verschiebung auf einen Donnerstag im Jahr 1947 zwar einen Traditionsbruch dar, hatte aber eine große Relevanz für die soziale Positionierung der Sinjska Alka und ihre führenden Traditionsträger im Rahmen der neuen ideologischen Ordnung. Am Donnerstag, den 14. August 1947, war der alkarische Wettkampfplatz in Sinj die zentrale Bühne für die Feierlichkeiten zum sechsten Jahrestag des antifaschistischen Aufstandes in Dalmatien (Dan ustanka naroda Dalmacije).383 Das Fest fing bereits morgens mit einer großen Kundgebung vor 20.000 Menschen an. Vice Buljan, Vorsitzender des Alkarenvereins, Vorsitzender des Volkskomitees für Dalmatien und Volksabgeordenter in der Bundesversammlung begrüßte die Anwesenden. Anschließend redete der politische Veteran, Dr. Ivan Ribar, Präsidiumsvorsitzender des Bundesparlaments. Ribar hatte bereits 25 Jahre zuvor in Belgrad eine andere, hinsichtlich der Herrschaftsinszenierung äußerst relevante Begegnung mit den Alkaren gehabt. Als Vorsitzender der Vollversammlung hatte er im Juni 1922 den Paradezug der Hochzeitsgäste während des großen Empfangs der Delegationen am Königshof angeführt. Ein Vierteljahrhundert später begegnete Ribar den Alkaren als höchster Vertreter der jugoslawischen Legislative wieder. In seiner Rede am Vormittag der 232. Sinjska Alka erinnerte er die Anwesenden an den Volksbefreiungskampf und brachte ihn mit der gerade begonnenen Umsetzung des ersten Fünfjahresplans (Petoljetka) in Zusammenhang. Er unterstrich, dass es „der ganzen Welt nicht gelingen wird, uns zu stoppen, [...] genauso, wie die mächtige Kriegstechnik des faschistischen Eroberers uns nicht stoppen konnte“.384 Eine vergleichbare Botschaft artikulierten auch die anderen Redner. Vicko Krstulović, ein wichtiger Akteur der Partisanenbewegung in Dalmatien, Mitglied des Politbüros des ZK der KPH und mittlerweile Arbeitsminister in der Bundesregierung, erinnerte die Anwesenden zunächst recht ausführlich an den Beitrag Dalmatiens zur Befreiung des Landes und thematisierte anschließend den fünfjährigen Wirtschaftsplan. Eine Kontinuität zwischen dem Volksbefreiungskampf und dem Fünfjahresplan akzentuierte auch Franjo Gaži, Vize-Ministerpräsident der kroatischen Regierung. Alle Völker Jugoslawiens seien mit Beginn des Fünfjahresplans „in den Kampf eingetreten, bereit ihn fortzusetzen, bis sie unser Land in einen Blumengarten verwandeln“, erklärte Gaži.385 Schließlich wurde die Kundgebung nach einem Grußwort des Befehlshabers der jugoslawischen Kriegsmarine, Konteradmiral Josip Černi, 383 U Sinju je svečano proslavljen Dan ustanka naroda Dalmacije. In: Vjesnik, 17. August 1947, S. 3. 384 Ebd. 385 Ebd.

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mit einer Rede von Andrija Hebrang, dem Vorsitzenden der Bundesplankommission (Savezna planska komisija) und Mitglied des Politbüros des ZK der KPH beendet. Hebrang bezog sich in seiner Rede auf „die Defätisten (kolebljivci) in unserem Volk, [...] die in den schwierigsten Zeiten dem Volk entsagt und es verraten haben“. Die Diffamierung der innenpolitischen Gegner ergänzte Hebrang mit einer Kritik an den „imperialistischen Kreisen Englands und Amerikas“, vor allem aufgrund ihrer Unterstützung der Četniks während der ersten Kriegsjahre. Den Regierungen in London und Washington warf Hebrang dabei vor, dass sie bis 1943 versucht hätten, den Partisanenaufstand zu verhindern und zu vernichten. Ihre Tätigkeiten in der Zeit danach qualifizierte Hebrang als den vergeblichen Versuch, die alte Ordnung zu restaurieren. „Aber auch heute [...] gibt es Defätisten, die nicht an den Erfolg unserer Sache glauben, die nicht an die Stärke unseres Volks glauben, die bezweifeln, dass wir den Fünfjahresplan erfüllen werden“, setzte Hebrang seine Rede fort.386 „Darüber hinaus gibt es in unserem Land zersplitterte Reste feindlicher Elemente, die hinter unserem Rücken lästern, dass sich unser Plan gegen die Bauern richtet, dass wir ihn nicht realisieren werden, dass er das Volk betrügt. [...] Und die Feinde genießen ausländlische Hilfe, sie werden von jenen düsteren Mächten aus den kapitalistischen Ländern unterstüzt, die kein wirtschaftliches Interesse daran haben, dass Jugoslawien ein fortschrittliches, reiches und freies Land wird [...]“, erklärte Hebrang den Anwesenden. Er fügte hinzu, dass solcherlei Versuche vergeblich seien. „Unsere Völker werden alle Schwierigkeiten und Hindernisse überwinden [und] unsere Feinde werden nochmals eine Niederlage und Enttäuschung erleiden“, sagte Andrija Hebrang am Rande der 232. Sinjska Alka.387 Nach dem Ende der Kundgebung führten Folkloregruppen und Sängervereine aus verschiedenen Ecken Dalmatiens ein vielfältiges Programm vor. Besondere Begeisterung löste „ein alter Gusle-Spieler (guslar), der Lieder über Marschall Tito und den Kampf unseres Volkes für Freiheit und Unabhängigkeit vorspielte“, aus.388 Herzlich wurde auch die Folkloregruppe von Frauen von der Insel Zlarin begrüßt, die in ihren Liedern unter anderem die Umsetzung des Fünfjahresplans thematisierte. Die Feierlichkeit wurde am Nachmittag mit der Vorführung der Sinjska Alka vor 12.000 Zuschauern fortgesetzt. „Der Gewinner des Spiels war Vaso Đapić aus Bitelić bei Sinj, Major der Jugoslawischen Armee und Träger der VorkämpferAuszeichnung, des Ordens der Brüderlichkeit und Einheit erster Klasse, des Partisanensterns zweiter Klasse sowie des Ordens für Courage“, resümierte man am Ende des Berichtes über die Feierlichkeit zum sechsten Jahrestag des antifaschistischen Aufstandes in Dalmatien.389 Die symbol-politische Kodierung durch eine zeitliche Verschiebung betraf im selben Jahr nicht nur die Sinjska Alka, sondern auch manch andere kulturelle Inszenierung. Auf der Admiralitätssitzung der Bokeljska Mornarica im Februar 1947 wurde beschlossen, dass das Ritual künftig am 10. September, dem Tag der jugoslawischen Kriegsmarine, durchgeführt 386 U Sinju je svečano proslavljen Dan ustanka naroda Dalmacije. In: Vjesnik, 17. August 1947, S. 3. 387 Im Mai 1948 wurde Andrija Hebrang verhaftet und angeklagt, ein sowjetischer Agent zu sein. Laut offizieller Angaben der jugoslawischen Behörden beging er in Untersuchungshaft Selbstmord. Sowohl die Gründe seiner Festnahme als auch die Umstände seines Todes sind bis heute umstritten. 388 U Sinju je svečano proslavljen Dan ustanka naroda Dalmacije. In: Vjesnik, 17. August 1947, S. 3. 389 Ebd.

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wird.390 Indem der Tag des Schutzpatrons Heiliger Tryphon, dessen Überreste laut einer Legende in einem Sarkophag am 3. Februar 809 nach Kotor gebracht wurden, durch den Tag, an dem sich 1942 die Partisanenmarine formiert hatte, ersetzt wurde, endete der Entsakralisierungsprozess der Bokeljska Mornarica. Neben der terminlichen Veränderung wurde die Verwendung der altertümlichen Kostüme in den Herrschaftsinszenierungen außerhalb von Kotor fortgesetzt. Nach der Beteiligung der Bokeljska Mornarica an den Fiskultur-Paraden in Zagreb und Cetinje im Jahr 1946 wurden die prächtigen Uniformen aus der Bucht von Kotor ein Jahr später wieder in der alten Hauptstadt Montenegros gezeigt.391 Anlass für den Auftritt der Bokeljska Mornarica in Cetinje 1947 war das hundertste Jubiläum des Epos „Bergkranz“ (Gorski vijenac), dessen Autor Petar Petrović Njegoš ist. Wenngleich der „Bergkranz“ als das zentrale Werk der montenegrinischen Literatur des 19. Jahrhunderts sehr anerkannt war, ging es bei der Jubiläumsfeier viel mehr um die symbolische Aneignung seines Autors. Die über Jahrzehnte gewachsene symbolische Relevanz Njegoš in Montenegro, Serbien und darüber hinaus entsprach der Popularität von Matija Gubec in Slowenien und dem nordwestlichen Kroatien. Die konkurrierenden Machtgruppen beanspruchten das Erbe Njegoš für sich und versuchten, sich sein Werk ideologisch anzueignen.392 Die Identitätspolitik der jugoslawischen Kommunisten unterstützte die Existenz einer partikulären montenegrinischen Identität und machte Petar Petrović Njegoš zu ihrem wichtigsten Symbol.393 Dabei wurde seine Position in der kirchlichen Hierarchie von seiner Rolle als Herrscher bzw. als Schriftsteller überschattet. Nicht nur Njegoš‘ Bedeutung für Montenegro wurde herausgestellt, er wurde darüber hinaus sowohl im ersten als auch im zweiten Jugoslawien als Vordenker der jugoslawischen Vereinigung bejubelt, auch wenn der Autor selbst eigentlich alle christlichen Nationen für die endgültige Vertreibung der Türken aus Europa gewinnen wollte.394 Nichtsdestoweniger wurde das hundertste Jubiläum seines Hauptwerkes in ganz Jugoslawien zelebriert, einschließlich einer Lesung in Sinj, bei der der Lehrer Stipe Alfirević die archaische Sprache des „Bergkranz“ deutete.395 Die zentrale Jubiläumsfeierlichkeit fand in Cetinje statt, an der sich die Traditionsträger der Bokeljska Mornarica beteiligten. Die Schwerttänzer der Moreška wiederum bereiteten sich im Sommer 1947 auf eine weitere Auslandsreise vor. Infolge des erfolgreichen Auftritts einiger ausgewählter Ritualteilnehmer innerhalb der „Artistischen Gruppe der jugoslawischen Armee“ im Mai 1946 in Paris beka-

390 Miloš Milošević: Rudolf Giunio, admiral Bokeljske mornarice. Mjesečna publikacija Pomorskog muzeja Crne Gore, Kotor, 05/2012, S. 6-7. 391 Vgl. Slavko Mijušković, Miloš Milošević, Milen Pasinović: Tito admiral Bokeljske mornarice, Kotor, 1986. 392 Vgl. Vladimir Dulović: Mount Lovćen and Njegoš between „Alexandar’s Chapel“ and „Meštrović’s Mausoleum“: Symbolic Orientation and Reorientation in Montenegro in the Socialist Era. In: Ulf Brunnbauer, Hannes Grandits (Hg.): The Ambiguous Nation. Case Studies from Southeastern Europe in the 20th Century. München, 2013, S. 233-260. 393 Vjekoslav Perica: Balkanski idoli, Beograd, 2006, Bd. 1, S. 135-138. 394 Ebd., S. 137. 395 Historijski vremeplov. In: VCK, Jg. VI, 1. Juni 1987, S. 2.

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men dieses Mal etwa zwei Dutzend Jugendliche aus Korčula die Gelegenheit, den Schwerttanz in der Tschechoslowakei zu präsentieren.396 Anlass für Reise einer großen jugoslawischen Jugenddelegation nach Prag im Juli 1947 war das Internationale Jugendfestival, mit ungefähr 100.000 Teilnehmern. Nach der Vorführung der Moreška im Rahmen der X. SokolParade 1938 bekam das Prager Publikum somit die Gelegenheit, nach neun Jahren die Moreška ein zweites Mal zu sehen. Neben den drei Vorführungen in der Hauptstadt wurde der Schwerttanz noch in Brno und Bratislava gezeigt. Doch nicht nur im Rahmen dieser tschechoslowakischen Tournee, sondern auch am Rande der II. regionalen Konferenz der Jugendorganisation für Dalmatien sowie auf Korčula am 27. Juli, dem Tag des antifaschistischen Aufstandes der Bevölkerung Kroatiens, konnte man die Moreška sehen. Durch die Verschiebung der Vorführung um zwei Tage nach vorne wurde die Moreška nicht nur an einem symbolisch kodierten Datum gezeigt, sondern zugleich auch vom Feiertag des Heiligen Tudor (29. Juli) abgekoppelt. Im Unterschied zur Moreška, die nach 1947 immer genau am Tag des antifaschistischen Aufstandes der Bevölkerung Kroatiens gezeigt wurde, wurde die Sinjska Alka nur ein einziges Mal am Donnerstag, den 14. August 1947, dem Tag des antifaschistischen Aufstandes der Bevölkerung Dalmatiens, vorgeführt. Wenngleich durch die Medienberichte und Auftritte der Traditionsträger symbolisch weiterhin stark mit dem regionalen Festtag verbunden, wurde die Sinjska Alka ab 1948 wieder ausschließlich an Sonntagen abgehalten. Bei der Vollversammlung im Sommer 1948 wurde beispielsweise entschieden, dass das Kostümfest dieses Mal am 22. August stattfinden sollte.397 Gleichzeitig wurden zwei relativ wichtige Veränderungen eingeführt: Im Einklang mit der ersten Entscheidung konnten sich ab 1948 wieder Mitglieder der zivilen Bevölkerung an der Sinjska Alka beteiligen, „vor allem die neuen Erbauer (novi graditelji) unserer Heimat, die sie sich bei den unterschiedlichen Aktionen der Volksfront hervorgetan haben“. Darüber hinaus wurde im August 1948 beschlossen, dass „auch diejenigen in Frage [kommen], die heute in den Arbeitskollektiven und anderen Kollektiven in den Dörfern und Orten des Sinjer Gebietes vorbildlich arbeiten“.398 Die Entscheidung, dass die Sinjska Alka „[...] in der Aufbauperiode des Sozialismus eine Parade der am Aufbau der Heimat beteiligen Volksmassen aus dem Sinjer Gebiet sein sollte“, hatte nicht nur eine ideologische, sondern auch eine praktische Funktion. Am alkarischen Wettbewerb 1948 beteiligten sich nur elf Teilnehmer. Der zweifache Ruhmgewinner Bruno Vuletić befand sich schon seit einigen Monaten als stellvertretender Militärattaché (Pomoćnik vojnog atašea) in Washington, während die anderen Alkaren durch den Militärdienst in alle Ecken Jugoslawiens verteilt worden waren. Die kontinuierlichen außenpolitischen Spannungen sowie der dauerhafte Ausnahmezustand an mehreren jugoslawischen Grenzen verhinderten die Teilnahme der Alkaren sowohl an den Vorbereitungen als auch am Fest selbst. 396 Zlatan Podbevšek: Trideset godina obnovljene moreške u povodu proslave jubileja. In: Vinko Foretić, Ivan Ivančanin, Zoran Palčok, Zlatan Podbevšek: Moreška – korčulanska viteška igra, Korčula, 1974, S. 71-92. 397 Ovogodišnja Sinjska alka održat će se 22. Kolovoza. In: Slobodna Dalmacija, 04. August 1948, S. 3. 398 Ebd.

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Darüber hinaus wurde auf der Vollversammlung 1948 der Vorschlag des regionalen Komitees der staatlichen Frauendachorganisation (Antifašistički front žena) gebilligt, die Teilnahme der Frauen am alkarischen Fest zu ermöglichen.399 Auch wurde bei der Versammlung der Wunsch geäußert, „[…] Genossinnen zu finden, die bereit wären, in Zukunft am Wettbewerb teilzunehmen“.400 Während die Präsenz von Frauen in Volkstrachten mit der Zeit ein Bestandteil des Rituals geworden ist, ist die Teilnahme einer Frau am Wettbewerb der Alkaren bis heute allerdings nicht dokumentiert. Obwohl die Initiative in späteren Jahren gelegentlich wieder aufgegriffen wurde, beschränkt sich die Beteiligung der Frauen am alkarischen Ritual bis heute auf eine Statistenrolle in Volkstrachten vor der Tribüne für Ehrengäste oder auf das Spielen eines Instruments im Stadtorchester. Die sozialen und symbolischen Veränderungen der Sinjska Alka sowie der beiden anderen thematisierten Waffenrituale aus der venezianischen Epoche wurden hauptsächlich in der Zeitspanne zwischen 1945 und 1947 durchgeführt. Vergleichsweise radikale Veränderungen sollten erst wieder zu Beginn der 1990er Jahre im Kontext der ideologischen und territorialen Veränderungen in Jugoslawien stattfinden. Über Jahrzehnte blieb die neu entstandene symbolische Verknüpfung der kulturellen Inszenierungen mit dem Volksbefreiungskampf grundsätzlich bestehen. Nichtsdestoweniger wurden die kulturellen Inszenierungen entsprechend der erheblichen innen- und außenpolitischen Umorientierungen des jugoslawischen Regimes zwar in kleinerem Ausmaß, doch beständig dem vorgegebenen Orientierungsrahmen angepasst. Hierdurch konnte die Sinjska Alka ihre langjährige Rolle der Herrschaftsrepräsentanz im Cetiner Land über die ganze Periode des Staatssozialismus erhalten. In den ersten Jahren nach Kriegsende basierte die ideologische Ordnung im sozialistischen Jugoslawien in erheblichem Ausmaß auf der symbolischen Dualität von Iosif Vissarionovič Stalin und Josip Broz Tito. Nachdem der Personenkult um Generalissimus Stalin Ende der 1940er Jahre aus der jugoslawischen Öffentlichkeit verbannt worden war, war der Weg für den Aufstieg von Marschall Tito zur Position des einzigen umjubelten Herrschers frei. Die Fusion des Kommunikationstalents von Josip Broz und der allgegenwärtigen Staatspropaganda machte aus Tito die zentrale Integrationsfigur der jugoslawischen Gesellschaft. Wenngleich Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg eine Volksrepublik geworden war, ähnelte sie, zumindest in Hinblick auf die Herrschaftsrepräsentanz, weiterhin einer Monarchie. Trotz der ausgeprägten ideologischen und sozialen Diskontinuitäten nach dem Umbruch 1945 hatte sich die Herrschaftspraxis nicht umfassend geändert. Die Inszenierung der herrschenden Ordnung durch die Figur des charismatischen Anführers wurde mit dem Klientelismus kombiniert, der sowohl vor als auch nach 1945 das dominante Organisationsprinzip des jugoslawischen Staates blieb.401 Dieser Zusammenhang bot gute Voraussetzungen für das Fortbestehen des Arrangements zwischen Traditionsträgern und Herrschaftsvertretern. Die kommunistische Regierung sollte ihr grundsätzliches Interesse für die Sinjska

399 Ovogodišnja Sinjska alka održat će se 22. Kolovoza. In: Slobodna Dalmacija, 04. August 1948, S. 3. 400 Ebd. 401 Živojinović, Marc: Die Sichtbarkeit der Macht. Visualisierung von Herrschaft im sozialistischen Jugoslawien. In: Grigore, Mihai-D; Dinu, Radu Harald; Živojinović, Marc (Hg.): Herrschaft in Südosteuropa. Kultur- und sozialwissenschaftliche Perspektiven, Göttingen, 2012, S. 155-174, hier: S. 156ff.

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Alka weiterhin aufrechterhalten. Die bloße Qualität des Arrangements sollte dennoch hauptsächlich von der Initiative der führenden Träditionsträger bestimmt bleiben sowie von ihrer Fähigkeit, die Aufmerksamkeit der Regierungsvertreter auf die Sinjska Alka zu lenken.

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Teil II – Umbruch 1990 Im Lande der Brüderlichkeit und Einheit Als Regierungsvertreter besuchte Tito das Cetiner Land zum ersten Mal im März 1950.1 Während des halbtägigen Aufenthalts in und bei Sinj begegnete der Ministerpräsident Josip Broz (1945-1953) mehreren Teilnehmern des alkarischen Rituals, unter anderem dem Präsidenten des Volksalkarenvereins (Narodno alkarsko društvo) Vice Buljan, der während der ersten beiden Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg als einflussreichster und höchstrangiger Cetiner in der politischen Hierarchie des jugoslawischen Staates figurierte. Neben Buljan beteiligte sich auch der Vorsitzende des Sinjer Distriktkomitees (Predsjednik kotarskog narodnog odbora Sinj) Brne Panza, der zwischen 1945 und 1949 als Alkar an der Sinjska Alka teilgenommen hatte, am Empfang des Ministerpräsidenten.2 Die Delegation der höchsten Regierungsvertreter wurde vor Ort auch vom Kriegskommandanten der Partisanenarmee im Cetiner Gebiet und Harambaša Ivan Bračulj begleitet, der seit 1949 den Sinjer Distrikt im Regionalen Komitee (Oblasni odbor) für Dalmatien repräsentierte. Im Unterschied zu seiner Begegnung mit den Vertretern politischer Macht in Split 1945 verzichtete Bračulj diesmal auf seine Tracht des Befehlshabers der Knappentruppe. Auch die anderen anwesenden Traditionsträger begegneten den Herrschaftsvertretern in ziviler Kleidung.3 Immerhin sollte die Begegnung ein äußerst wichtiges Ereignis in den spätsozialistischen Geschichtsdarstellungen des Alkarenvereins darstellen. Während der 1970er und 1980er Jahre erinnerte man die Leserinnen und Leser der lokalen Zeitungen Alkar (1965-1981) und Vjesnik Cetinske Krajine (1980-1990) immer häufiger an die „Begegnungen von Tito mit dem Cetiner Land“.4 Laut der Geschichtsinterpretation in Alkar 1972 war die „erste Begegnung zwischen Tito und dem Cetiner Land“ bereits unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg erfolgt, als die kommunistische Verwaltung in Sinj ihm einen gefälschten Ausweis mit dem Namen „Ingenieur Slavko Babić“ ausgegeben habe.5 Schlüsselfigur bei der Schaffung einer zusätzlichen Identität für den verfolgten Parteichef sei Vice Buljan gewesen, der damalige Vorstand der Sinjer Gemeinde, in der die prokommunistische Arbeiterpartei die Mehrheit gestellt hatte. Die „zweite Begegnung von Tito mit dem Cetiner Land“ war laut der Lokalzeitung während des Zweiten Weltkrieges erfolgt. Im Juli 1942 hätte Tito an einem Treffen in den nahegelegenen Bergen teilgenommen, auf dem die Besetzung Livnos entschieden worden sei.6

1 2 3 4 5 6

Maršal Tito posjetio Sinj, rudnik uljenih škriljaca „Ruda“ i seljačku radnu zadrugu „Budućnost“ u Hanu. In: Slobodna Dalmacija, 9. März 1950, S. 1. Titovo djelo živi u Cetinskoj krajini. In: Alkar, August 1980, S. 4. Vgl. Muzej istorije Jugoslavije: Fototeka [Online-Archiv]. URL: http://foto.mij.rs/site/ (Letzter Zugriff: 14. Mai 2014). Siehe zum Beispiel: Četiri Titova susreta sa Cetinskom krajinom. In: Alkar, 1. August 1972. Legitimacija za druga Tita. In: Alkar, 1. August 1972. Susret sa Titom na Cincaru. In: Alkar, 1. August 1972.

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Abb 18: Während der spätsozialistischen Periode figurierte der gefälschte Ausweis für Tito aus dem Frühjahr 1940 als eines der wichtigsten Symbole des kommunistischen Kampfes im Cetiner Land vor dem Zweiten Weltkrieg sowie als die „erste Begegnung von Tito mit dem Cetiner Land“. Die Fotografie rechts zeigt hingegen den jugoslawischen Ministerpräsidenten Josip Broz Tito vor der neugegründeten Genossenschaft Budućnost (Zukunft) in Han 1950, begleitet vom Befehlshaber der Knappentruppe Ivan Bračulj (2.v.l.). An die „dritte Begegnung von Tito mit dem Cetiner Land“ erinnerte man die Leserschaft nicht nur mit einer Fotografie, auf der er mit Harambaša und Vorkämpfer Ivan Bračulj abgebildet ist, sondern gelegentlich auch mit einer Fotografie, auf der Tito in einem Reigen (Kolo) vor der Genossenschaft Budućnost in Han tanzt. Quellen: Fotografie links: Četiri Titova susreta sa Cetinskom krajinom. In: Alkar, 1. August 1972; Fotografie rechts: Na njegov 80-rođendan. In: Alkar, 7. August 1977.

Anfang März 1950, drei Wochen vor den mono-parteiischen Parlamentswahlen, besuchte der jugoslawische Ministerpräsident Josip Broz Tito die Genossenschaft Budućnost in Han, um die umstrittene Kollektivierung der Landwirtschaft kraft eigener Autorität zu untermauern. Abgesehen von Han besuchten die Regierungsvertreter die Ölschiefer-Mine in Ruda. Mit der Ausbeutung der mergeligen Sedimentgesteine in Ruda hatte man Anfang der 1920er Jahre begonnen, jedoch die Mine aufgrund der Förderkosten schon nach einem Jahr stillgelegt.7 Die nahezu vollständige Unterbrechung der wirtschaftlichen Kooperation von Jugoslawien mit den anderen sozialistischen Ländern nach der Resolution des Informbüros über die Lage in der KPJ im Juni 1948 zwang die Regierung, eine weitgehend autarke Wirtschaft aufzubauen, um Industrialisierung und Aufbau in Schwung zu bringen. Im Zuge dessen wurde die Mine noch im selben Jahr wieder in Betrieb genommen. Gleichzeitig manifestierte sich die Umorientierung zur Eigenproduktion auch in der Cetiner Landwirtschaft: Man begann, einen Teil der Agrarflächen in der Umgebung von Sinj mit Reis, Rizinus, Baumwolle und Maulbeerbäumen zu kultivieren, hatte damit jedoch keinen Erfolg. Neben der dramatischen Versorgungsknappheit und den Spannungen an den Landesgrenzen zu den sozialistischen Nachbarstaaten wurde die jugoslawische Gesellschaft Ende der 1940er

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Šime Jurić: Sinjska alka. Informativni vodič po Cetinskoj krajini. Sinj, 1965, S. 16.

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Jahre mit einer weitumfassenden Repressionswelle gegenüber den tatsächlichen und vermeintlichen Stalinisten konfrontiert. Die Denunziationen und Anklagen von Einzelpersonen und Gruppen uferten dabei häufig ins Absurde aus. Der einstige Alkar Brne Panza wurde beispielsweise 1953 denunziert. Ihm wurde vorgeworfen, als Vorsitzender des Sinjer Distriktkomitees nichts gegen den Bezirksreferenten für Innere Angelegenheiten Marko Čabo unternommen zu haben, als dieser am 1. Januar 1949 auf der Vollversammlung der Genossenschaft im Dorf Jabuka die Sowjetunion und Stalin bejubelt hätte.8 Zwar konnte sich Panza dank dem Einspruch seiner Parteikollegen aus Sinj vor der Festnahme retten. Der Partisanenkämpfer Marko Čabo indes wurde 1953 aus der Alkarentruppe ausgeschlossen und erst nach Jahren rehabilitert und wieder zum Wettbewerb zugelassen. Die Festnahmen und Schikane der mutmaßlichen Stalinisten wurden bis Mitte der 1950er Jahre weitgehend eingestellt, blieben jedoch noch lange Zeit ein politisch sensibles Thema. In den Sinjer Zeitungen wurden über Jahrzehnte hinweg weder die Verfolgung und Internierung der Stalinisten, noch der Konflikt zwischen Tito und Stalin thematisiert. Erst im Dezember 1985 konnte man in Vjesnik Cetinske Krajine in Form einer beiläufigen Anekdote über den mittlerweile verstorbenen Politiker und Vorsitzenden des Alkarenvereins Vice Buljan eine Spur der Informbüro-Krise finden. „Die Russen wollen, dass wir die Grundschule besuchen, aber wir haben schon längst das Abitur gemacht“, so hat Vice Buljan in seinem eigenartigen Stil den Konflikt mit Moskau in einem Gespräch mit Tito angeblich kommentiert.9 Die Festnahmen und Internierungen während der Abrechnung mit den Stalinisten blieben in den Lokalzeitungen jedoch weiterhin ein Tabuthema. Aufgrund des Bruchs mit den sozialistischen Ländern sah sich die jugoslawische kommunistische Führung gezwungen, die vernachlässigte Allianz mit London und Washington Anfang der 1950er Jahre wiederzubeleben. Die globale Zuspitzung des Kalten Krieges begünstigte die Bereitschaft der westlichen Regierungen, Titos Regime ökonomisch und militärisch zu unterstützen und dadurch womöglich stärker an die NATO-Allianz zu binden. Mitte der 1950er Jahre etablierte sich die Konsumkultur nach westlichem Vorbild als wahrscheinlich sichtbarstes Merkmal der Wende in Jugoslawien. Trotz dieser wesentlichen Veränderungen blieben Tito und der Volksbefreiungskampf weiterhin zwei zentrale Legitimationssäulen der herrschenden Ordnung. Im Herbst 1954 bildete sich das jugoslawische Sondermodell metaphorisch in zwei zeitnah aufeinanderfolgenden Ereignissen ab, an denen sich die Traditionsträger der Sinjska Alka direkt beteiligten: Tito wurde zum Ehrenbürger von Sinj ernannt und die Sinjska Alka wurde Teil einer Werbekampagne für kanadischen Whiskey. Während der Kult um Tito bereits seit dem Kriegsende ein Bestandteil des öffentlichen Lebens war, wäre zweiteres einige Jahre zuvor kaum vorstellbar gewesen. „Ich zielte hoch, als ich gegen die Balkan Lancers ritt. Für die jugoslawischen Bauern, die einmal im Jahr in ihrem Sport Alka gegeneinander antreten, sollte es selbst mit verbun-

8 Prilog zapisniku sjednice Izvršnog komiteta CK SK Hrvatske održane 12. listopada 1953. u Zagrebu. In: Zapisnici Politbiroa Centralnog Komiteta Komunističke Partije Hrvatske 1945-1952. Band 3, Zagreb, 2008, S. 99-102., hier: S. 99. 9 Blaž Perić: Naš Vice. In: VCK, 1. Dezember 1985, S. 5.

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denen Augen einfach sein auf den Ring zu zielen“, berichtete Wendy Hilty, „ein amerikanischer Freund von Canadian Club [Whiskey]“ im Magazin Life über seinen Aufenthalt in Sinj.10 Seit Ende der 1930er Jahre machte sich der Spirituosenhersteller international durch seine kurzen Fotoreportagen über Fantasie anregende Natur- und Kulturphänomene einen Namen. Die Erscheinung der Alkaren in der Werbereportage für Canadian Club spiegelt die zu Anfang der 1950er Jahre beginnende Umorientierung Jugoslawiens Richtung Westen wider. „Wir modernisieren Jugoslawien“, sagte der Distrikt- und Alkarenvereinsvorsitzende Vice Buljan dem Autor der Reportage angeblich „und bewies dies mit dem Servieren von Canadian Club“.11

Abb 19: Links: Die Werbereportage für Canadian Club mit Alkaren und Knappen. Rechts: Die Urkunde aus Walnussholz, die Tito anlässlich seiner Ernennung zum Ehrenbürger von Sinj und dem Cetiner Land übergeben wurde. Quellen: links: Magazin Life, 18. Oktober 1954, S. 163; rechts: Alkar, 1. August 1972.

Nahezu zeitgleich mit dem Erscheinen der Werbereportage für Canadian Club aus Sinj erklärte die Sinjer Gemeinde im Oktober 1954 anlässlich des 10. Befreiungsjubiläums den jugoslawischen Präsidenten Tito zum Ehrenbürger von Sinj und dem Cetiner Land. Die Urkunde unterschrieb der Vorsitzende des Volkskomitees der Sinjer Gemeinde und neue alkarische Fahnenträger Petar Pavić.12 Außer der Urkunde wurde dem Staatspräsidenten eine 10 Balkan Lancers. In: Magazin Life, 18. Oktober 1954, S. 163. 11 Ebd. 12 Das langjährige Mitglied der Kommunistischen Partei Kroatiens und der Vorkämpfer der

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Holzplakette mit dem gleichen Text übergeben, die der Sinjer Künstler Ante Delaš gefertigt hatte. Darüber hinaus stellte Delaš in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre prächtige und detailreiche Unikat-Möbel mit alkarischen Motiven her. Diese wollte man ursprünglich laut Ivo Dalbello ebenfalls dem Staatspräsidenten Tito schenken. Dennoch stehen die Möbel heutzutage im Ritterlichen Alkarenverein und werden für alltägliche Angelegenheiten verwendet. Der Ritterliche Alkarenverein (Viteško alkarsko društvo) war bereits 1945 in den Volksalkarenverein (Narodno alkarsko društvo) umbenannt worden, doch zeigte sich bald, dass die Traditionsträger auch weiterhin gern „das Ritterliche“ als altertümliches Merkmal der Sinjska Alka apostrophieren wollten. Mitte der 1950er Jahre wurde ein Entwurf für ein neues Statut der Sinjska Alka geschrieben, der unter anderem die Rückkehr zum alten Namen vorsah.13 Zwar sollte ein neues Statut bzw. ein neuer Name des Alkarenvereins erst im Frühjahr 1965 eingeführt werden, doch weist diese Initiative auf breitere Prozesse in der jugoslawischen Erinnerungskultur hin. Die Umbenennungsinitiative korrespondierte mit der immer bemerkbareren Suche der sozialistischen Regimes in Südosteuropa nach einer umfassenden historischen Legitimation.14 In diesem Prozess stellte Jugoslawien keine Ausnahme dar, trotz einer Reihe von Faktoren, die die multiethnische Föderation von anderen Volksrepubliken auf der Balkanhalbinsel unterschieden. Im Meta-Narrativ des jahrhundertelangen gemeinsamen Kampfes der Völker bzw. der Bevölkerung Jugoslawiens (vjekovna zajednička borba naroda Jugoslavije) wurde der Zweite Weltkrieg als der letzte und wichtigste Kampf für die Schaffung einer sozialistischen Föderation der gleichberechtigten Völker gedeutet. Die durch die Verwendung des Genitivs entstandene ambivalente Bedeutung des Begriffs naroda Jugoslavije, der sowohl „die Völker“ als auch „die Bevölkerung“ Jugoslawiens bezeichnen könnte, korrespondierte mit der zweigleisigen Identitätspolitik des multiethnischen Staates. Zu einem hatte die KPJ die Idee des ethno-nationalen Jugoslawismus bereits vor dem Zweiten Weltkrieg abgelehnt und stattdessen das Konzept einer Föderation der gleichberechtigten jugoslawischen Völker gefördert. Zum anderen versuchte man mit der teleologischen Projektion einer gemeinsamen jugoslawischen Geschichte die gesellschaftliche Integration über ethnische Trennlinien hinweg zu fördern.15 Analog zur zunehmenden Umorientierung der sozialistischen Regimes von utopistischen Zukunftsvisionen zu national-romantischen Geschichtsbildern trennte sich die jugoslawische Partisanenarmee hatte sich nie am Turnier beteiligt, wurde aber 1952 dennoch ins alkarische Ehrengericht berufen. Die alkarische Fahne hatte er zwei Jahre später, nach dem Tod von Frano Tripalo Kekica übernommen. Vgl.: Alkar, 1. August 1975, S. 3. 13 Siehe den Statutentwurf des Alkarenvereins aus 1955 in: Šime Jurić: Dokumenti i književna građa o Sinjskoj alki, Split/Sinj, 1988, S. 129-140. 14 Vgl. Ulf Brunnbauer: Staat und Gesellschaft im Realsozialismus. Legitmitätsstrategien kommunistischer Herrschaft in Südosteuropa. In: Grigore, Mihai-D; Dinu, Radu Harald; Živojinović, Marc (Hg): Herrschaft in Südosteuropa. Kultur- und sozialwissenschaftliche Perspektiven, Göttingen, S. 21-54. 15 Die Monographie des Belgrader Militärmuseums „14 Jahrhunderte der Freiheitskämpfe“ aus dem Jahr 1968 stellt ein Kapitalwerk über den „jahrhundertelangen gemeinsamen Kampf“ dar. Vgl. Idris Čeivan (Hg.): 14 vekova borbe za slobodu, Beograd, 1968.

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Führung vom Kanon des sowjetischen Realsozialismus und suchte nach vermeintlich authentischen, jugoslawischen Traditionen. In diesem Zusammenhang sollte die Sinjska Alka in den 1960er und 1970er Jahren nicht nur als Erinnerungszeremonie an die Schlacht von 1715, sondern auch als Paradetruppe in historischen Trachten noch größere politische Relevanz erlangen können, eine Tatsache, die bereits 1959 mit einem formellen Arrangement zwischen der Staatsmacht und den Traditionsträgern eingeleitet wurde. Im Frühjahr 1959 übernahm Tito die Schirmherrschaft über die Sinjska Alka. Der vom jugoslawischen Präsidenten zu diesem Anlass geschenkte silberne Schild wurde in die Zeremonie eingegliedert und zwischen 1959 und 1990 dem jeweiligen Gewinner von den politischen oder militärischen Ehrengästen höchsten Ranges feierlich als Siegeszeichen übergeben.

Abb 20: Das Jahr 1959 erlangte auch in der Chronologie der Bokeljska Mornarica einen besonderen Stellenwert. Am 17. September 1959 wohnte der jugoslawische Präsident Tito der zentralen Feierlichkeit des 1150. Jubiläums der Bokeljska Mornarica in Kotor bei. Zwar war die Vorführung der kostümierten Inszenierung am Tag des Heiligen Tryphon nach dem Zweiten Weltkrieg eingestellt worden, doch wollte man auf die vermeintliche Kontinuität der Institution vom 9. Jahrhundert bis in die Gegenwart nicht verzichten. Im sozialistischen Jugoslawien wurde das Jahr 809 – das ursprünglich als Jahr der Ankunft des Sarkophags mit den Überresten des Heiligen Tryphon in Kotor verstanden worden war – zum Symbol des „jugoslawischen tausendjährigen Seewesens“ umgedeutet. Quelle: Fotoarchiv der Bokeljska mornarica, Kotor.

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Im August 1965 wurde das 250. Jubiläum der Sinjska Alka gefeiert. Höhepunkt der achttägigen Feier war die Vorführung des traditionellen Wettbewerbs in der Anwesenheit des jugoslawischen Präsidenten Tito. Entsprechend der Besonderheit des großen Jubiläums wurden die Einwohner von Sinj und dem Umland am Sonntag, den 8. August 1965, schon um 4 Uhr morgens mit Kanonenschüssen geweckt.16 Wie in jedem Jahr kündigte das Geschützfeuer von der Sinjer Festung die Sinjska Alka an, diesmal allerdings zwei Stunden früher als üblich. Ebenso im Einklang mit der traditionellen, „feierlichen Verordnung des alkarischen Anführers“ (Svečana naredba alkarskog vojvode) begann das Stadtorchester schon um 6 Uhr zu spielen. Die Wecklieder luden die Bürger Sinjs und ihre zahlreichen Gäste zur „Geschichtsstunde“ in die alte Burg ein. Diejenigen, die den steilen, halbstündigen Aufstieg bewältigten, konnten sich dort einen Vortrag von Stjepan Gunjača über die Schlacht von 1715 anhören. Der junge Archäologe aus Sinj hatte sich intensiv mit den Türkenkriegen im Kontext der frühmodernen Geschichte Dalmatiens beschäftigt. Seine profane Erklärung der Kriege zwischen dem Osmanischen Reich und Venedig am Übergang vom 17. ins 18. Jahrhundert konnte man außerdem in einer Sonderausgabe der Zeitschrift Alkar zum Anlass des großen Jubiläums nachlesen.17 Von der alten Bergfestung konnte man ab dem frühen Morgen die Ankunft zahlreicher Spaziergänger, Autos und Busse in Sinj beobachten. Die Kleinstadt mit 5000 Einwohnern erwartete circa 20.000 Gäste, darunter zahlreiche internationale Urlauber aus touristischen Zentren entlang der Adriaküste. Das große Jubiläum transformierte Sinj für einen Tag zum Zentrum Jugoslawiens. Das spiegelte sich auch im Fernsehprogramm wider. Am 8. August 1965 konnten die Zuschauer des einzigen Kanals in Jugoslawien über acht Stunden lang der Live-Übertragung aus Sinj folgen. Während am Vormittag die feierliche Einweihung des Alkarendenkmals (Spomenik alkaru) gezeigt wurde, fand am Nachmittag die erste Fernsehübertragung der Sinjska Alka statt. Zwar hatten die Filmkameras ihren Fokus auf das Ritterspiel bereits in den 1920er Jahren gerichtet und die Sinjska Alka dem Kinopublikum präsentiert. Dennoch stellte gerade die Jubiläumsfeier im August 1965 den symbolischen Auftakt der Fernseh-Ära in Sinj dar. Abgesehen von dem Signalempfang entlang der italienischen Grenze und den Präsentationen des Technikwunders auf großen Messen, wurde das Medium erst ab Ende der 1950er Jahre in Jugoslawien populär. Die rasche Expansion des Fernsehens im Nachkriegseuropa erreichte das Land zeitgleich mit Spanien, Portugal und Rumänien. Die Ausstrahlung des Programms fing Mitte 1956 in Zagreb an, zwei Jahre später wurde ein Studio in Belgrad in Betrieb genommen. Im Jahr 1960 gab es unter 18 Millionen Einwohnern Jugoslawiens 30.000 Fernseher- und 1,6 Millionen Radiobesitzer.18 Zum Massenphänomen wurde das Fernsehen in der ersten Hälfte der 1960er Jahre mit einer jährlichen Wachstumsrate zwischen 80 und 100 %. Im Jahr des großen Jubiläums der Sinjska Alka registrierte das Amt für Statistik bereits 577.000 Besitzer. Im Verlauf nur einer Dekade hatte das Fernsehen den Weg von einer unzugänglichen Messeattraktion bis zum unumgänglichen Alltagsgegenstand zurückgelegt, zumindest in den Augen mancher Einwohner Jugoslawiens, die dem einzigen 16 Potomstvu na sjećanje. In: Vjesnik, 9. August 1965, S. 2. 17 Stjepan Gunjača: Stari sinjski grad- krvavo poprište. In: Alkar, Juli 1965. 18 Tabela 102-40, Osnovni pokazatelji razvoja: kultura i umetnost. Statistički godišnjak Jugoslavije 1981. Beograd, 1981, S. 100.

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Programm zu jeder Gelegenheit folgten. Dementsprechend führte die Ausstrahlung des großen Jubiläums zur wachsenden Beliebtheit der kostümierten Tradition, und zwar weit über die Grenzen des Cetiner Lands hinaus. Über das Fernsehen hinaus berichteten auch andere Medien über die Ereignisse in Sinj. Am Sonntag, den 8. August 1965, wurde „der große Feiertag des Cetiner Lands“ auf der Titelseite der Zagreber Tageszeitung Vjesnik groß angekündigt. Den Rest der ersten Seite nahmen Nachrichten von der politischen Krise in Griechenland und der Überflutung durch die Drau im Norden des Landes sowie von der Liste der neusten Maßnahmen gegen die rasche Preiserhöhung ein.19 Die Erwähnung des Jubiläums auf dem Titelblatt der Sonntagsausgabe von Vjesnik sowie anderen Zeitungen stellte den Höhepunkt der mehrtägigen medialen Ankündigung des großen Ereignisses in Sinj dar. Doch obwohl die Zeitungen alle Details zum Programm der Jubiläumsfeierlichkeiten veröffentlichten, erwähnten sie in keiner Ausgabe die Reise des Staatspräsidenten Tito nach Sinj. Nach der zeremoniellen Verabschiedung des Präsidenten der Republik Guinea, Ahmed Sékou Touré, auf dem Flughafen von Pula am 3. August hatte sich der jugoslawische Präsident für einige Tage aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, um im engsten Kreis seiner Mitarbeiter auf der Insel Brijuni zu bleiben, eine Tatsache, die man erst im Nachhinein aus den Zeitungen erfuhr. In der Sommerresidenz wurde ihm von Miroslav Krleža, dem berühmten Schriftsteller und Direktor des Jugoslawischen Lexikographischen Instituts, und seiner Frau Bela Gesellschaft geleistet.20 Im Anschluss an den Urlaub begleitete das prominente Ehepaar Krleža den Staatspräsidenten auf seiner Dalmatien-Tour auf der 117 m langen Yacht Galeb.21 Am Sonntagmorgen kam Tito mitsamt Begleitung in Split an und begegnete dort der politischen Spitze Kroatiens und Dalmatiens. Der Nachmittag war für die Vorführung der 250. Sinjska Alka reserviert. Zwar war Tito nicht das erste Staatsoberhaupt, in dessen Anwesenheit die Sinjska Alka vorgeführt wurde, doch war er der erste Herrscher, der seine Teilnahme dem alkarischen Kalender anpasste. Gleichzeitig glichen die Traditionsträger den Ritualablauf an, um ihrer 19 Vgl. Vjesnik, 9. August 1965, S. 1. 20 Miroslav Krleža (1893-1981) war in der Zwischenkriegszeit einer der wichtigsten linken Akteure der jugoslawischen Kulturszene sowie seit ihrer Gründung 1919 ein prominentes Mitglied der Kommunistischen Partei Jugoslawiens. Wegen seiner unorthodoxen Position in Hinblick auf die gesellschaftliche Rolle der Kunst sowie seiner Kritik an den stalinistischen Säuberungen in der Sowjetunion wurde Krleža 1939 aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Den Zweiten Weltkrieg verbrachte er in freiwilligem Hausarrest in Zagreb, trotz der Versuche seitens der Ustaša-Regierung, den berühmten Schriftsteller mit der einen oder anderen attraktiven Stelle für sich zu gewinnen. Im Unterschied zu manchen anderen Künstlern folgte Krleža aber ebenso wenig den Aufforderungen, zu den Partisanen überzulaufen. Dennoch konnte er seine gesellschaftliche Position relativ schnell nach Kriegsende wiederaufbauen und wurde schon 1946 der Vizepräsident der Jugoslawischen Akademie der Wissenschaften und Künste (Jugoslavenska akademija znanosti i umjetnosti). Eine vollständige Rehabilitierung von Krleža erfolgte nach der Abspaltung Jugoslawiens vom kommunistischen Block Ende der 1940er Jahre, als seine kritische Position gegenüber dem Stalinismus schlussendlich auf Anerkennung stieß. 21 Nach der 1948 erfolgten Bergung und Sanierung des in der Adria versenkten Schiffs, wurde die Yacht Galeb ab 1952 zu einem der beliebtesten Übernachtungsorte für Tito. Unter anderem besuchte er mit dem Schiff 1953 London, 1956 Korčula sowie 1959 Kotor aus Anlass der Jubiläumsfeierlichkeiten zum 1150. Jubiläum der Bokeljska mornarica.

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Ehrerweisung gegenüber dem Staatsoberhaupt Ausdruck zu verleihen. Im Gegensatz zur üblichen Praxis ging der alkarische Anführer Bruno Vuletić vor dem Beginn der Eröffnungszeremonie zur Ehrentribüne und bot den Sondergast um Erlaubnis, mit dem Wettbewerb anfangen zu dürfen.22

Abb 21: Links: Der alkarische Anführer, Generalmajor Bruno Vuletić rapportiert dem jugoslawischen Präsidenten vor der Tribüne für Ehrengäste. Das Ehepaar Krleža folgte dem Spektakel aus der dritten Reihe der Ehrentribüne. Rechts: Das Präsidentenpaar in der Gesellschaft von Savka Dabčević Kučar (1.v.l.) und Miko Tripalo (2.v.l.) während der 250. Sinjska Alka. Der 38-jährige aus Sinj stammende politische Sekretär des Zagreber Stadtkomitees des Bundes des Kommunisten war 1964 zum Vorsitzenden des Ausschusses für die Feier der 250. Sinjska Alka gewählt worden. Zusammen mit der 41-jährigen Savka Dabčević-Kučar galt Miko Tripalo als der höchstrangige Politiker der jüngeren Generation im Staats- und Parteiapparat in der SR Kroatien. Mitte der 1960er Jahre stand den beiden eine lange politische Karriere in Aussicht. Nach dem Zusammenbruch des Kroatischen Frühlings 1971 sollten sie dennoch unter dem Vorwurf der nationalistischen Einstellungen ihrer öffentlichen Ämter enthoben und 1972 aus dem Bund der Kommunisten ausgeschlossen werden. Gleichzeitig sollte der Generalleutnant Bruno Vuletić zum einflussreichsten Cetiner im Staatsapparat avancieren. Quelle: Fotografien aus der Broschüre: 250. Sinjska Alka, Sinj, 1965.

Nach der 231. Sinjska Alka im August 1946 musste Bruno Vuletić wegen seiner diplomatischen Karriere auf längere Zeit auf die Sommeraktivitäten im Cetiner Land verzichten. Am Turnier hat er sich danach nicht wieder beteiligt, doch wurde er 1964, einige Jahre nach seiner Rückkehr aus Peking, für die prestigeträchtige Position des alkarischen Anführers auserkoren.23 Dem Generalmajor Vuletić wurde somit die traditionelle Rolle zugetraut, die Beziehungen des Alkarenvereins zu Herrschaftsvertretern zu pflegen und zugunsten des Alkarenvereins und der Sinjska Alka einzusetzen. Zwar war die politische Relevanz von Bruno Vuletić nicht mit der seines zurückgetretenen Vorgängers Vice Buljan zu vergleichen, doch war auch er keine unbekannte Person. Sein symbolisches Gewicht wurde durch mehrere 22 Vgl. die Fotobroschüre 250. Sinjska alka, Sinj, 1965. 23 Nisam se nikad mirio s okupacijom, ropstvom i nepravdom. Interview mit Bruno Vuletić in: VCK, 1. August 1986, S. 4-5.

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Begegnungen mit dem jugoslawischen Präsidenten gestärkt, als Militärdelegationen aus dem Vereinigten Königreich und der Volksrepublik China Jugoslawien besuchten. Als stellvertretender Militärattaché in London wohnte er den Begegnungen zwischen dem jugoslawischen Marschall Tito und dem britischen Feldmarschall Montgomery in Zagreb und Karađorđevo bei.24 Darüber hinaus beteiligte er sich an der Begegnung einer Armeedelegation der Volksrepublik China mit dem jugoslawischen Präsidenten im Oktober 1956 in Belgrad.25 Letztendlich durfte man aufgrund von Generalmajor Vuletić‘ Stellung auf die Unterstützung der mächtigen Armeestrukturen hoffen. Wie manche seiner Vorgänger verband Bruno Vuletić seine Karriere im Staatsapparat tatsächlich mit seiner Rolle in der alkarischen Hierarchie. Ohne eine klare Grenze zwischen den beiden Posten zu ziehen, arbeitete er gleichzeitig zugunsten des jugoslawischen Staats, des Alkarenvereins und seiner eigenen Karriere. Dank seiner Position als alkarischer Anführer sollte Vuletić 1970 Vorsitzender des Militärkabinetts und persönlicher Adjutant des Präsidenten Tito werden. Und mithilfe seines politischen Einflusses sollte er wiederum in den 1970er Jahren die staatliche Unterstützung für mehrere finanziell aufwändige Projekte des Alkarenvereins sicherstellen. Gleichzeitig sollten ihm gerade die erfolgreich durchgesetzten Großprojekte seine langjährige herausgehobene Stellung unter den Tradititionsträgern absichern. Während seiner einundzwanzigjährigen Präsenz an der Spitze der alkarischen Hierarchie, erlangten sowohl das finanziell-logistische Arrangement zwischen dem Alkarenverein und dem Staat als auch die symbol-politische Kodierung der Sinjska Alka eine neue Qualität. Die Änderung der alkarischen Zeremonie im Sommer 1965, um einmal mehr Respekt und Treue gegenüber dem Staatsoberhaupt zu betonen, ist dabei nur eines von vielen Beispielen. Auf der Jubiläumsfeier in Sinj bemühten sich die anwesenden Machtvertreter ebenso wie die Traditionsträger darum, die ideologische Ordnung mit Worten und Taten zu bekräftigen. Am Rande der Sinjska Alka registrierten die Medien eine herzliche Kurzbegegnung zwischen Tito und Stipe Romac-Basko, zwei Parteiveteranen und Teilnehmer der V. Landeskonferenz der KPJ in Zagreb 1940.26 Darüber hinaus erwies man Bojan Bulović aus Bitelići besondere Ehre, dem Vorkämpfer aus 1941, der alle drei Söhne im Krieg verloren hatte.27 Die Relevanz des Volksbefreiungskampfes apostrophierte das Staatsoberhaupt ebenfalls in seiner kurzen Gratulationsrede nach der Übergabe des „alkarischen Schildes“ (alkarski štit) an Ante Milun, den Ruhmgewinner der 250. Sinjska Alka. Nach der Zeremonie machte sich der Präsident auf den Weg zur Spinnstube und Fadenfabrik Dalmatinka, dem bekanntesten Symbol der Nachkriegsindustrialisierung im Cetiner Land. „Genau um 17 Uhr 30, nach dem Ende des alkarischen Wettbewerbs, stieg der gut gelaunte Genosse Tito vor dem Fabrikeingang aus dem Auto und schüttelte uns allen, die wir ihn im Namen des Arbeitskollektivs empfingen und begrüßten, herzlich die Hand“, erzählte Brne 24 Vgl. das Online-Fotoarchiv des Geschichtsmuseums Jugoslawiens. http://foto.mij.rs; Fotografien: 1954_033_041; 1956_054_037. (Letzter Zugriff am 15. November 2014). 25 Vgl. das Online-Fotoarchiv des Geschichtsmuseums Jugoslawiens. http://foto.mij.rs. (Letzter Zugriff am 15. November 2014). Fotografie: 1956_069_046. (Letzter Zugriff am 15. November 2014). 26 Četiri Titova susreta s Cetinskom krajinom. In: Alkar, 1. August 1972, zentrales Beiblatt. 27 Ebd.

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Panza, der damalige Direktor des Sinjer Textilgiganten fünfzehn Jahre später in einem Interview.28 Der ehemalige Partisanenkämpfer und Alkar Brne Panza war Tito bereits im März 1950 in Sinj begegnet, damals noch als Vorsitzender der Sinjer Distriktverwaltung. Drei Jahre später wurde er zwar mit den gefährlichen Vorwürfen konfrontiert, dass er ein Stalinist (gewesen) wäre, doch rettete ihn der Einspruch der solidarischen Parteigenossen.29 Ende der 1950er Jahre wurde der Vorkämpfer aus Brnaze der Direktor des größten Arbeitskollektivs im Cetiner Land. Im August 1965 erlangte er dadurch die Ehre, den jugoslawischen Staatschef zum zweiten Mal im Cetiner Land willkommen zu heißen. Den „Lieblingsgast“ (najdraži gost) informierte Panza, dass das Arbeitskollektiv 1700 Beschäftigten habe, sowie dass 40 % der Produktion auf fünf Kontinente exportiert würden.30 „Deswegen solltet ihr mit neuen wirtschaftlichen Maßnahmen gut zurechtkommen“, kommentierte der jugoslawische Präsident mit dem Hinweis auf die Ende Juli eingeführte Wirtschaftsreform. „Mit dem, was wir bisher erreicht haben, geben wir uns, Genosse Tito, nicht zufrieden“, punktete Panza mit revolutionärer Rhetorik und setzte den Gedanken fort: „Solange sich die Technik entwickelt, haben wir nicht vor nachzulassen“. Anschließend informierte Panza die Gäste über bereits realisierte sowie geplante Maßnahmen zur weiteren Modernisierung der Produktion.31 Die sozialistische Modernisierung der kroatischen und jugoslawischen Gesellschaft nach 1945 führte zu einer präzedenzlosen Steigerung der Lebensqualität. Noch Anfang der 1950er Jahre galten Kroatien und Jugoslawien mit einer Säuglingssterblichkeit von knapp über zehn Prozent als rückständigste Ecke Europas.32 Bis 1960 wurde die Säuglingssterblichkeit in Kroatien auf sieben Prozent reduziert, bis 1970 sank sie noch einmal deutlich auf 3,5 %.33 Die Tendenz wurde auch in der darauffolgenden Dekade fortgesetzt. 1980 lag die Säuglingssterblichkeit im gesamt-jugoslawischen Durchschnitt bei 3,3 %, obwohl die Hälfte aller Kinder im Kosovo noch immer außerhalb der Entbindungsstationen und ohne medizinische Assistenz geboren wurde.34 In der SR Kroatien, wo 1980 bereits 99 % aller Geburten medizinisch begleitet wurden, betrug die durchschnittliche Säuglingssterblichkeit 2,1 %. In Sinj konnte man mittlerweile noch wesentlich bessere Ergebnisse registrieren. Mit einer Quote von 1,1 % der verstorbenen Säuglinge im Jahr 1979 näherte sich das Cetiner Land den statistischen Werten der Länder Europas an, die im Bereich der perinatalen Medizin am weitesten entwickelt waren.35 Die rasche Modernisierung des Landes betraf nicht nur den Gesundheitssektor, sondern resultierte in erheblichen Veränderungen in allen Lebenssphären. In den 1950er Jahren er-

28 Toni Paštar, Blaž Perić: Titovo dijelo živi u Cetinskoj krajini. Alkar, August 1980, S. 4-5. 29 Prilog zapisniku sjednice Izvršnog komiteta CK SK Hrvatske održane 12. listopada 1953 u Zagrebu. In: Zapisnici Politbiroa Centralnog Komiteta Komunističke Partije Hrvatske 1945-1952. Bd. 3, Zagreb, 2008, S. 99-102., hier: S. 99. 30 Alkari su se natjecali pred Titom. In: Vjesnik, 9. August 1965, S.2. 31 Ebd. 32 Statistički godišnjak Jugoslavije 1981. Beograd, 1981, S. 80. 33 Ebd., S. 409. 34 Ebd., S. 413. 35 Statistički godišnjak Jugoslavije 1981. Beograd, 1981, S. 594ff.

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setzte die Jugoslawische Volksarmee ihre Pferde weitgehend durch Maschinen und Kraftwagen. Analog dazu ging die Pferdezucht auf den Bauernhöfen im Cetiner Land stark zurück. Somit versiegten binnen weniger Jahren zwei wichtige Quellen der Rennpferde für die Sinjska Alka. Die Suche nach geeigneten Pferden wurde damit in den 1960er Jahren zu einer zentralen Herausforderung für die Traditionsträger. Die prächtige Jubiläumsfeier mit Tito als Gast konnte zwar ermöglicht werden, indem man sich Pferde vom Zagreber Filmstudio Jadran auslieh, doch stellte dies noch lange keine dauerhafte Lösung dar.36 Nach dem Besuch der Spinnerei und Fadenfabrik Dalmatinka, von wo er mit einem Kulturprogramm des Arbeitskollektivs verabschiedet wurde, machte sich Tito auf den Weg zum Treffen mit den politischen Vertretern des Cetiner Landes. Der Vorsitzende der Sinjer Gemeinde (Predsjednik Skupštine općine Sinj) Blaž Perić „[...] informierte den hohen Gast über die Bemühungen um die Verstärkung der materiellen Basis der Region“, berichtete Vjesnik am nächsten Tag.37 Der Staatspräsident interessierte sich für die wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinde, besonders für den Agrar-Sektor.38 Nach dem Gespräch wurde Tito ein „Geschenk der Bevölkerung des Cetiner Landes“ überreicht – eine Miniaturkopie des AlkarenDenkmals von Stipe Sikirica, das in den Vormittagsstunden vor den Fernsehkameras feierlich eingeweiht worden war. Die Präsidentengattin Jovanka hatte ihr dunkles Kostüm mittlerweile in ein weißes Sommerkleid getauscht und stimmte sich dadurch farblich und stilistisch auf ihren Ehemann ab.39 Im Unterschied zu seinem ersten Besuch im Cetiner Land, bei dem er seine MarschallsUniform getragen hatte, erschien Tito dieses Mal im weißen Anzug, weißem Hemd, mit weißem Hut und weißen Schuhen. Der veränderte Stil des Staatsoberhauptes wurde zusätzlich durch sein sonnengebräuntes Gesicht und dem privaten Fotoapparat betont. Dabei reflektierte das Erscheinungsbild des höchsten Staatsvertreters nicht nur den Abstand von dem revolutionären Image der Nachkriegsjahre, sondern auch die Sehnsucht vieler Jugoslawen nach dem attraktiven Lebensstil, den man in Hollywood-Filmen sehen konnte. Nichtsdestoweniger bestand die jugoslawische politische Elite auch weiterhin auf die strikte Beachtung zentraler Herrschaftspostulate, einschließlich dem Regierungsmonopol des Bündnisses der Kommunisten. Diese ideologische Ambivalenz im Staat an der östlichen Adriaküste manifestierte sich seit Mitte der 1950er Jahre zunehmend in der Idee des „jugoslawischen Sonderwegs zwischen den beiden Blöcken“. Bereits vor der internationalen Anerkennung der Blockfreien Bewegung kombinierte man in Jugoslawien die kommunistische Diktatur mit der Ästhetik des dolce vita. Diese eklektische Kombination zeigte sich zuvorderst an Tito selbst. Trotz seines Images als Luxus und Vergnügung liebender Lebemann, pflegte der jugoslawische Präsident weiterhin das Bild eines hilfsbereiten, der Bevölkerung nahestehenden Herrschers.

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Alkarski portet obitelji Milun. In: Alkar, 1968, S.6. Alkari su se natjecali pred Titom. In: Vjesnik, 9. August 1965, S.2. 250. Sinjska alka. Spomen na veliki jubilej. Sinj, 1965. Vgl. das Online-Fotoarchiv des Geschichtsmuseums Jugoslawiens. http://foto.mij.rs (Letzter Zugriff am 15. November 2014).

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Auf dem feierlichen Empfang der Alkaren am Sonntagabend überreichte Tito den drei meist exponierten Teilnehmern des Jubiläumsspektakels persönliche Geschenke.40 Der Anführer Bruno Vuletić bekam ein goldenes Zigarettenetui, und dem Ruhmgewinner Ante Milun überreichte Tito eine goldene Armbanduhr, während sein Knappe Gojko Kolak eine silberne Uhr bekam. Außerdem erwies die Präsidentengattin Jovanka dem Ruhmgewinner eine zusätzliche Ehre, indem sie ihn spontan zu sich und Tito an den Tisch einlud.41 Rechts vom Präsidenten saßen Miko Tripalo und Blaž Perić, der Vorsitzende der Sinjer Gemeinde sowie des Alkarenvereins. Gegenüber dem Präsidenten saß der alkarische Anführer Bruno Vuletić. Nach der zweistündigen Begegnung auf der Terrasse der einstigen venezianischen Festung machte sich das Präsidentenpaar auf den Weg zurück nach Split. Da das dreiundsiebzigjährige Staatsoberhaupt seine Yacht-Rundreise gleich am folgenden Morgen in Šibenik fortsetzen sollte, musste der Abend unter den Alkaren früher als gewünscht beendet werden. Laut den Erzählungen der anwesenden Vereinsmitglieder, wäre Tito gern noch länger geblieben, doch haben die Vertreter des Staatsprotokolls sowie sein Arzt auf dem vorher vereinbarten Stundenplan und Diätprogramm bestanden. Aber dennoch konnten die Traditionsträger mit ihrer Jubiläumsfeier sehr zufrieden sein. Auf symbolischer Ebene bestätigte die 250. Sinjska Alka die exzellenten Beziehungen zwischen der Zentralmacht und den Traditionsträgern. Die Vereinsvertreter hatten den Schirmherren über den Mangel an Rennpferden und die Probleme, die sich daraus ergaben, informieren können.42 Das gut gelaunte Staatsoberhaupt versprach dem Verein spontan Unterstützung, allerdings sollte es länger als erwartet dauern, bis sich eine praktikable Lösung für das Problem fand. Die Anwesenheit des Staatspräsidenten auf der Jubiläumsfeier und die daraus gewonnene mediale Publizität für die Sinjska Alka haben sicherlich zur Lösung des Pferdeproblems beigetragen. Dennoch mussten die Traditionsträger selbst ein nachhaltiges Versorgungsmodell entwerfen. Am Rande der 255. Sinjska Alka im August 1970 fand in Sinj ein Symposium über Pferdezucht in Jugoslawien statt, auf dem der Alkarenverein eine Kooperation mit dem Pferdezuchtzentrum Ljubičevo aus Požarevac vereinbarte. Gleichzeitig setzte man die Kooperation mit dem Pferdezuchtzentrum Vučjak aus der bosnischen Stadt Prnjavor fort, dessen Pferde bereits 1970 in der Sinjska Alka benutzt wurden. Es war jedoch das Pferdezuchtzentrum Ljubičevo, das sich in der spätsozialistischen Periode zum wichtigsten Partner der Alkaren entwickelte. Während der Alkarenverein die Reitpferde für die Sinjska Alka benötigte, erhofften sich die Partner aus dem östlichen Serbien ihre seit 1964 bestehende Tradition der jährlich stattfindenden Pferdespiele (Ljubičevske konjičke igre) durch die Zusammenarbeit mit dem Alkarenverein besser entwickeln zu können. Im Einklang damit entstand Anfang der 1970er Jahre die Sitte, dass der aktuelle Ruhmgewinner des Alka-Turniers dem Spektakel in Požarevac beiwohnte und sich an der Auszeichnung der Sieger der einzelnen Disziplinen der Pferdespiele beteiligte.43 Die Sieger der Pferdespiele wurden wiederum als Ehrengäste zur nächsten Vorführung der Sinjska Alka nach Sinj eingeladen. Die durch das Problem der 40 41 42 43

250. Sinjska alka. Spomen na veliki jubilej. Sinj, 1965. Alkarski portet obitelji Milun, Alkar, 1968, S.6. Ebd. Požarevac u znaku priprema X. ljubičevskih konjičkih igara. In: Alkar, 5. August 1973.

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Pferdeversorgung begonnene Kooperation wurde während der 1970er Jahre erweitert und auf andere Felder übertragen.44 Die Kooperation mit den Partnern aus Prnjavor und Požarevac sollte zumal nach dem Niederschlagen des Kroatischen Frühlings 1971 ein wichtiges Element der jugoslawischen Intergrationspolitik werden. Der Ausschluss populärer Personen wie Miko Tripalo und Savka Dabčević-Kučar aus dem Bund der Kommunisten führte in großen Bevölkerungsschichten Kroatiens zum Popularitätsverlust der jugoslawischen kommunistischen Führung. Die Konflikte zwischen den Befürwortern des Zentralismus und des Föderalismus forderten die mühsam erlangte soziale und politische Ordnung in Jugoslawien heraus und zeigten gleichzeitig die Schwachstellen der multiethnischen Föderation auf. Die Vertreter der herrschenden Ordnung sahen sich gezwungen, die Idee der „Jugoslawischen Brüderlichkeit und Einheit“ umso mehr mit legitimierenden Diskursen und Praktiken zu untermauern. Unter diesen Umständen erlangte die praktische Zusammenarbeit von Gemeinden aus unterschiedlichen Teilrepubliken eine zusätzliche ideologische Qualität. Dementsprechend wurde im Sommer 1972 angekündigt, im Oktober eine offizielle Städtepartnerschaft zwischen den Gemeinden von Sinj, Prnjavor, Požarevac und Bitola zu gründen.45 Wenn auch mit Verzögerungen und letztendlich ohne Partner aus der SR Mazedonien, wurde die Verknüpfung von Sinj, Prnjavor und Požarevac 1973 durch ihre „Verbrüderung“ (bratimljenje) formalisiert. Gleichzeitig begann das Sinjer Reisebüro Alkar, dreitägige Reisen zu den Pferdespielen in Požarevac regelmäßig im September zu organisieren.46 Der stärkste Trumpf der jugoslawischen Staatsideologie blieb nach wie vor der charismatische Präsident Josip Broz Tito, der im Mai 1972 seinen 80. Geburtstag feierte. Das runde Jubiläum des lebenslangen Staatspräsidenten Jugoslawiens stellte eine wichtige Gelegenheit dar, das Land wieder auf gemeinsamen Kurs zu bringen und die ideologische Maxime der „Brüderlichkeit und Einheit der Völker und Nationalitäten Jugoslawiens“ öffentlich zu demonstrieren. Gleichzeitig bot sich für die lokalen Akteure die Gelegenheit, ihre Beziehungen zur Staatsmacht aufzufrischen. Unter den zahlreichen Delegationen, die nach Belgrad kamen, um dem Staatspräsidenten zu gratulieren, befanden sich auch Vertreter der Sinjer Gemeinde, von denen einige Männer in alkarischen Trachten kamen. Als Geburtstagsgeschenk aus Sinj bekam Tito das Saiteninstrument Gusle, das wieder Ante Delaš hergestellt hatte, sowie einen auf Pergament geschriebenen Geburtstagsgruß. Auf der Karte wurden „[…] der Kampf, das Leiden und der Beitrag des Volkes der Region Cetina für den Volksbefreiungskampf sowie die Dankbarkeit gegenüber dem Genossen Tito für sein großes Werk des Revolutionärs und des Führers aller Völker Jugoslawiens“ zum Ausdruck gebracht.47

44 Ljubičevci i Alkari su našli dodirne tačke saradnje. In: Alkar, 1 August 1972, S. 8. 45 Traženje zajedničkih putova suradnje i razmjene na privrednom, kulturnom i sportskom planu. In: Alkar, 1. August 1972, S. 8-9. 46 Svi u Požarevac na Ljubičevske konjske igre. In: Alkar, 1. August 1972, S. 17. 47 Siehe: Alkar, 1. August 1972, S.1.

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Abb 22: „Am 25. Mai 1972 empfing Genosse Tito die Sinjer Alkaren, die ihm im Namen des Volkes des Cetiner Landes zum Geburtstag gratulierten […]“, berichtete das Jahresblatt Alkar auf der Titelseite im August 1972. In der bunten Delegation aus Sinj wurde der Alkarenverein von Alajčauš Frano Bareza-Šore (1. v. r.), Arambaša Gojko Kolak (1. v. l.) und dem dreifachen Ruhmgewinner Janko Kelava (2. v. l.) vertreten. Zentral im Hintergrund steht der Vorsitzende des Militärkabinetts und Adjutant des Präsidenten Tito, Generalleutnant Bruno Vuletić. Nach dem Rückzug von Miko Tripalo und Vice Buljan aus der Politik war Vuletić in den 1970er Jahren der einflussreichste Cetiner im Staatsapparat geworden. Quelle: Alkar, 1. August 1972, S.1.

Auf den Vorschlag der Sinjer Jugendorganisation (Omladinska aktiva Općine Sinj) wurden auch einige Jugendvertreter für die Reise nach Belgrad ausgewählt, darunter Ana Ćorić aus Vrlika. Die Medizinstudentin von der Zagreber Universität erfuhr die Ehre, dem Staatspräsidenten eine Anstecknadel mit der Aufschrift „Dan Mladosti 1972“ (Tag der Jugend 1972) an der Uniform zu befestigen.48 Eine andere Kollegin aus der Sinjer Gruppe namens Milica Perić erhielt die Aufgabe, das Abzeichen gleichzeitig an das Kleid der Präsidentengattin Jovanka zu stecken. Diese Ehre, die sich die jungen Damen vorher kaum hätten vorstellen können,

48 Dojmovi nezaboravnog susreta. In: Alkar, 1. August 1972, S.9.

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wurde ihnen vielleicht durch Zufall, vielleicht aber auch durch Bruno Vuletić' Einfluss auf das Protokoll zuteil. „Meine Beine zitterten vor Aufregung und Erwartung dieses wunderschönen Traums, der gerade angefangen hatte, sich in seiner Größe und seiner Unnachahmbarkeit zu realisieren“, so erinnerte sich Ana Ćorić mit ausgewählten Worten im Sommer 1972 in der Sinjer Zeitung Alkar daran, wie sie dem Staatschef als Vertreterin der Sinjer Jugend als erste zum 80. Geburtstag gratulieren durfte.49 Die Fotografie der feierlichen Begegnung der Sinjer Delegation mit Tito in Belgrad erschien im August desselben Jahres auf dem Titelblatt der Jahreszeitung Alkar. Gleich daneben wurde der Text der Geburtstagskarte veröffentlicht.50 Der schmeichelhafte Brief an den Machtvertreter war vom „Volk des Cetiner Lands und de[m] Ritterliche[n] Alkarenverein“ unterzeichnet worden. Das zentrale Beiblatt in der gleichen Ausgabe des Alkar erinnerte an die „vier Begegnungen zwischen Tito und dem Cetiner Land“.51 Neben dem Lob an die jugoslawische kommunistische Föderation und ihr Oberhaupt wurden auch die lokalen Machtträger positiv hervorgehoben. Dabei bewertete man das Interesse der Zentralmacht an lokalen Themen als besondere Qualität, während der Verdienst der örtlichen Machtvertreter wiederum darin bestünde, dass sie an historischen Momenten teilgenommen hätten, deren Relevanz den lokalen Rahmen deutlich überstiegen hätte. Im Sommer 1972 widmete Alkar dem Partisanenkampf sowie den verstorbenen und noch lebenden Beteiligten mehr Raum als gewöhnlich. In der zentralen Beilage wurde die Geschichte der Sinjska Alka als eine Tradition herausragender Partisanenkämpfer dargestellt, deren Kriegsverdienste herauszustellen waren.52 Dass sich die Redaktion von Alkar durch die Thematisierung des Zweiten Weltkriegs der breiteren, ideologischen Offensive gegen den Kroatischen Frühling anschloss, ergab sich aus dem großen, einführenden Artikel „Cetiner Land im Volksbefreiungskampf“.53 Dieser Artikel stellte einen Abdruck der Rede dar, die der Generalmajor und ehemalige Fahnenträger im Alkarenzug Filip Jadrijević Brajko im August 1971 in Glavice bei Sinj zum 30. Jubiläum des Volksaufstandes im Cetiner Land gehalten hatte. In der beigefügten Erklärung stellte man empört fest, dass das Fernsehen sowie die nationalen Medien das Ereignis weder kommentiert noch gefilmt hätten. Diese Gegebenheit wurde als der „damals stärkste Versuch der Eskalation des Nationalismus“ bezeichnet. Auf die Legitimitätskrise des jugoslawischen Regimes reagierte das Blatt mit einer ideologischen Kampagne. „Das Cetiner Land gab 7171 Partisanenkämpfer“, wurde ein Text betitelt, der das katastrophale Ausmaß des Kriegs in der Region sowie die Heldentaten der Einwohner mit einer kurzen Rekapitulation der wichtigsten Ereignisse sowie durch die Angaben der Zahl der Opfer und zerstörten Objekte untermauerte.54 Der Partisanen-Mythos prägte auch in den darauffolgenden Jahren die Ausgaben der Zeitschrift. Auch sparten die Autoren und Redakteure keinen Platz, wenn es darum ging, die Verbundenheit und Liebe der Alkaren sowie des ganzen Cetiner Volkes gegenüber Tito zu 49 50 51 52 53 54

Dojmovi nezaboravnog susreta. In: Alkar, 1. August 1972, S.9. Dragi druže Tito... In: Alkar, 1. August 1972, S.1. Četiri Titova susreta s Cetinskom krajinom. In: Alkar, 1. August 1972, zentrales Beiblatt. 6 komandanata, 6 alkara. In: Alkar, 1. August 1972, zentrales Beiblatt. Cetinska krajina u Narodnooslobodilačkoj borbi. In: Alkar, 1. August 1972, S. 2-3. Krajina je u NOB-i dala 7171 partizanskih boraca. Alkar, 1. August 1972, S. 3.

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demonstrieren. Neben dem Lob auf Tito und den Volksbefreiungskampf widmete die Zeitung dem alkarischen Anführer Bruno Vuletić äußerst viel Raum, indem seine Fotografien oder zumindest Einführungstexte regelmäßig auf der Titelseite veröffentlicht wurden. Anfang der 1980er Jahre wurde die Herausgabe der Jahreszeitung Alkar durch die unregelmäßig publizierte Monatszeitung Vjesnik Cetinske krajine (1980-1990) ersetzt. Auch in der neuen Zeitung desselben Herausgebers spielten Tito und Vuletić weiterhin die zentralen Rollen. Weder Titos Tod (1980) noch der Rücktritt von Vuletić von der Position des Anführers (1985) konnten daran etwas ändern. So wurde die Vorführung der 273. Sinjska Alka im August 1988 mit der Parole „Sinjska Alka – das ist Symbol und Hymne der Freiheit“ angekündigt und mit einer großen Titelblattfotografie von Tito und Vuletić aus Bugojno 1979 illustriert, als dem Staatsoberhaupt feierlich die Tracht des alkarischen Ehrenanführers (Počasni alkarski vojvoda) überreicht worden war. Ein weiteres Ereignis, das in Sinj auch noch Jahre nach Titos Tod im Mai 1980 hervorgehoben wurde, stellte die Begegnung der Alkaren mit dem Staatspräsidenten in Trilj dar. Auf seiner Reise aus Herzegowina nach Split hatte Tito am 23. April 1978 die Alkaren- und Knappentruppe am östlichen Rand des Cetiner Landes besichtigt. Die Idee, das Staatsoberhaupt mit der Alkaren- und Knappentruppe in voller Ausstattung zu begrüßen, war wahrscheinlich nach dem Vorbild der Marine von Boka entstanden. Bereits seit den 1950er Jahren hatte sich die Bokeljska Mornarica gelegentlich als Ehrengarde an Empfängen und Abschieden des Präsidenten Tito und seiner Gäste in der Bucht von Boka beteiligt.55 Dabei hatten sich die Begegnungen zwischen dem Staatsoberhaupt und der Bokeljska Mornarica nach der inoffiziellen Trennung von Josip Broz und seiner Ehefrau Jovanka in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre deutlich intensiviert. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Tito zu einem erheblichen Teil in der Bucht von Boka. Tito war seit 1973 ebenfalls der Ehrenadmiral der Bokeljska Mornarica, die seine öffentlichen Auftritte als Ehrengarde begleitete. Einen ähnlichen Status hatte die Sinjska Alka erlangt, als der Alkarenverein im November 1979 an Josip Broz Tito den Titel des Ehrenanführers der Sinjska Alka verlieh. Die Besichtigung in Trilj 1978 blieb indes der letzte exklusive Auftritt der Alkaren- und Knappentruppe vor dem Präsidenten Tito. Im September 1979 beteiligten sich zwar die kostümierten Cetiner an der Eröffnungszeremonie der VIII. Mittelmeerspiele in Split, die Tito ebenfalls besuchte, doch wurde ihr Auftritt in Split von anderen Zeremonieteilnehmern überschattet, unter denen sich auch die Moreška-Tänzer befanden. Der von ihnen aufgeführte Schwerttanz symbolisierte ursprünglich den Kampf und Sieg gegen die Mauren. Dieses Mal jedoch wurden sowohl die Choreographie als auch die Ritualsymbolik auf eine merkwürdige Weise geändert. Anstatt die „Schwarzen“ zu besiegen, liefen die Moreška-Tänzer im großen Finale zur Mitte des Fußballfelds zusammen und übernahmen die Fahne der Mittelmeerspiele von Vertretern Algeriens, wo das Sportereignis vier Jahre davor stattgefunden hatte.

55 Vgl. Tito – admiral Bokeljske mornarice. Kotor, 1986.

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Abb 23: „Genosse Tito, lebenslanger Schirmherr der Sinjska Alka, besichtigt die Alkaren und alkarischen Knappen in Trilj“. Die Fotografie sollte eine besondere Stelle in den Vereinschroniken und öffentlichen Thematisierungen der Sinjska Alka erhalten, insbesondere in der Dekade nach Titos Tod. Anfang Januar 1980 wurde der 87-jährige Tito ins Krankenhaus eingeliefert. Vier Monate später erreichte die Öffentlichkeit die Nachricht über den Tod des langjährigen Staatsoberhauptes. Ausgewählte Alkaren und Knappen hielten in Belgrad die Totenwache für den Staatspräsidenten. Quelle: Alkar, Nr. 12, August 1978, S. 1.

Nach Titos Tod änderten sich die Konditionen des Arrangements zwischen dem Staat und dem Alkarenverein nicht. Die kollektive Präsidentschaft übernahm die Schirmherrschaft über die Sinjska Alka und schickte am ersten Augustsonntag regelmäßig Gesandte nach Sinj. Auch blieb die Alkarentruppe weiterhin eine Paradeeinheit der Jugoslawischen Volksarmee. Anlässlich des „300. Gründungsjubiläums des ersten (regulären) Husarenregiments“ fuhr im September 1988 daher eine 19-köpfige Delegation des Alkarenvereins in die Volksrepublik Ungarn.56 Abgesehen von den Alkaren und Knappen als Vertreter Jugoslawiens beteiligten sich am „Ersten Internationalen Husarentreffen“ historisch kostümierte Truppen aus Österreich, Frankreich, Großbritannien, Portugal und dem Gastgeberland. Die ungewöhnliche Zusammenstellung der Teilnehmer wies dabei nicht nur auf die leeren Kassen anderer sozialistischer Länder hin, sondern auch – und zwar hauptsächlich – auf die sich bereits anbahnenden politischen Veränderungen in Budapest und darüber hinaus. Zwar gehörte die Volksrepublik Ungarn im September 1988 formell betrachtet immer noch der sowjetischen Einflusssphäre an, doch befand sich das Land gerade auf dem Weg in

56 M. Kocjančić: Alkari – ambasadori Jugoslavije. In: VCK, 1. Dezember 1988.

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die Unabhängigkeit.57 Seit Januar 1988 durften die ungarischen Bürger ohne Einschränkungen das Land verlassen, was den Grenzverkehr zwischen Österreich und Ungarn erheblich intensivierte. Trotz der spürbaren Änderungen in dem Ostblockstaat konnte jedoch anscheinend niemand den Umfang und das Tempo des bevorstehenden Umbruchs antizipieren. Bereits im Mai 1989 sollte die reformistische Regierung von Miklos Nemeth den Stacheldrahtzaun an der Grenze zu Österreich teilweise abbauen lassen. Die straffreie symbolische Demonstration der außenpolitischen Neutralität Ungarns trug bis Ende 1989 zum Zusammenbruch der politischen Ordnung in mehreren Staaten Mitteleuropas bei. Wenngleich ein Machtwechsel in Jugoslawien im Sommer 1989 noch nicht medial thematisiert wurde, wurden die politischen und sozialen Veränderungen im Lande jedoch immer deutlicher.

Wind of Change Am Sonntag, den 6. August 1989, wurde die 274. Sinjska Alka abgehalten. Am Rande der Vorführung präsentierte die Splitska banka (Spliter Bank) Gold- und Silbermünzen mit dem Motiv eines Alkarenzugs, die zum Anlass der bevorstehenden Gipfelkonferenz der Blockfreien Staaten in Belgrad herausgegeben wurden.58 Neben den traditionellerweise anwesenden Delegationen aus den Sinjer Partnerstädten Prnjavor und Požarevac befanden sich auch Vertreter der Bokeljska Mornarica im Publikum. Die Alkaren und Knappen waren den Traditionsträgern aus Kotor schon einige Wochen vorher bei einem Aufenthalt in der Sozialistischen Republik Montenegro begegnet. Der zweitägige Ausflug zur Bucht von Kotor im Laufe der Vorbereitungen für die 274. Sinjska Alka wurde, laut dem Bericht der Sinjer Zeitung Vjesnik Cetinske krajine, „zur Erholung und Kenntniserweiterung, [...] sowie mit dem Ziel der Pflege von Brüderlichkeit und Einheit unternommen“.59 Einer der Höhepunkte der Reise war die Besichtigung des Marineinstituts Sava Kovačević in Tivat, „welches ein relevanter Faktor für den Erhalt der Kampfbereitschaft unserer Kriegsmarine ist“, schilderte die Zeitung im August 1989. Den bevorstehenden Umbruch antizipierte der Zeitungsbericht jedoch so gut wie nicht. Dementsprechend stellte man im Artikel fest, dass „eine feste Verbundenheit der Sinjer Alkaren mit den Mitgliedern der Jugoslawischen Volksarmee, unter anderem während des Treffens mit dem Kommandanten des Küstensektors, Konteradmiral Miodrag Jokić, zum Ausdruck gebracht wurde“.60 Für die Alkaren wurden nicht nur Begegnungen mit Vertretern der militärischen, wirtschaftlichen und politischen Institutionen in Herceg-Novi, Tivat und Kotor organisiert, sondern auch ein gemeinsamer öffentlicher Auftritt der Traditionsträger aus Kotor und Sinj. Wie mit Ehrengästen üblich, begrüßte die historisch kostümierte Marine von Boka die Alkaren und Knappen im Hafen von Kotor. Im Anschluss an die Zeremonie präsentierten die Gastgeber ihren Gästen die nach dem Erdbeben (1979) rekonstruierte Altstadt Kotors und besuchten zusammen Vertreter der lokalen Verwaltung. Die Begegnung der Alkaren und Knappen mit der Marine von Boka erklärte man im Informationsblatt des Sozialistischen Vereins des 57 58 59 60

Vgl. György Dalos: Der Vorhang geht auf: Das Ende der Diktaturen in Osteuropa. Bonn, 2009. M. Sigetić: Čije ime na štitu? In: Vjesnik, 6. August 1989. A. Sabić: Alkari posjetili SR Crnu Goru. In: VCK, 1. August 1989, S. 8. Ebd.

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arbeitenden Volkes der Sinjer Gemeinde (Glasilo Socijalističkog Saveza Radnog Naroda Općine Sinj) als Beginn einer Kooperation zwischen den beiden Vereinen.61 Von den Ähnlichkeiten und gemeinsamen Qualitäten wurden im Text zwei hervorgehoben, die die beiden Gruppen von allen anderen, lokal gebundenen historisch-kostümierten Truppen in Jugoslawien unterschieden. Sowohl der Alkarenverein (1966) als auch der Marineverein (1972) seien von Tito mit dem „Orden der Brüderlichkeit und Einheit mit goldenem Kranz“ (Orden bratstva i jedinstva sa zlatnim vijencem) ausgezeichnet worden. Trotz seiner Bedeutung in den ersten Nachkriegsjahren wurde der Kulturverein Moreška beispielsweise nur mit dem weniger exklusiven „Orden der Brüderlichkeit und Einheit mit silbernem Kranz“ (Orden bratstva i jedinstva sa srebrnim vijencem) ausgezeichnet.62 Eine zweite Besonderheit der Sinjska Alka und der Bokeljska Mornarica war die symbolische Funktion, die der zwar längst verstorbene, aber nach wie vor realitätsbestimmende Präsident Tito in den beiden Gruppen einnahm. Als ihr Ehrenadmiral (ab 1973) bzw. Ehrenanführer (ab 1979) verlieh er beiden kostümierten Truppen einen besonderen Status.

Abb 24: Links: Die 273. Sinjska Alka wurde in Vjesnik Cetinske Krajine 1988 mit dem Titel „Sinjska Alka – das ist Symbol und Hymne der Freiheit“ und der Fotografie von Tito und Vuletić aus Bugojno 1979 angekündigt. Rechts: „Die Alkaren auf Titos Weg“, betitelte die Zagreber Tageszeitung Vjesnik ihren Artikel über die 274. Sinjska Alka. Die spätsozialistische Berichterstatung über die Sinjska Alka suggerierte die Stabilität der politischen und ideologischen Ordnung. Quellen: Links: Titelblatt von Vjesnik Cetinske Krajine, Nr. 171/172, 21. August 1988; Rechts: Edo Pivčević/Milan Sigetić: Alkari na Titovom putu. In: Vjesnik, 07. August 1989.

61 A. Sabić: Alkari posjetili SR Crnu Goru. In: VCK, 1. August 1989, S. 8. 62 Vgl. Zlatan Podbevšek: Trideset godina obnovljene moreške u povodu proslave jubileja. In: Vinko Foretić, Ivan Ivančanin, Zoran Palčok, Zlatan Podbevšek: Moreška – korčulanska viteška igra, Korčula, 1974, S. 71-92.

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Was der Artikel über den Aufenthlat der Alkaren in Montenegro allerdings nicht erwähnte, war der Unterschied in der historischen Symbolik der beiden Traditionen. Im Gegensatz zur Sinjska Alka, die trotz allen Änderungen und Umdeutungen epochenübergreifend als eine zeremonielle Abbildung der Sinjer Schlacht von 1715 gedeutet wurde, hat die Bokeljska Mornarica spätestens im Laufe der Entsakralisierung nach 1945 eine feste historische Symbolik verloren. Dementsprechend galt sie im sozialistischen Jugoslawien als allgemeingültiger Nachweis der „heldenhaften Geschichte der jugoslawischen Bevölkerung in der Bucht von Boka“ und wurde gelegentlich mit der einen oder anderen Symbolik aufgeladen. In den 1950er Jahren wurde die Bokeljska Mornarica aus einer etwas vernachlässigten und entmythologisierten Tradition in ein unumgängliches Element der Geschichtsinszenierungen in der Bucht von Boka transformiert. Über die Jubiläumsfeierlichkeiten hinaus wurde die Bokeljska Mornarica seit den späten fünfiziger Jahren ebenfalls immer stärker in das Staatsprotokoll integriert. Während man den Traditionsträgern 1951 während des ersten Besuchs von Tito in Kotor anscheinend eine eher bescheidene Rolle beschied, standen die kostümierten Männer dem Präsidenten 1959 schon wesentlich näher. Seine Bewunderung gegenüber der „elfeinhalb Jahrhunderte langen Tradition unserer Seemänner“ brachte Tito während und nach der Feier mehrmals zum Ausdruck.63 Dass es sich dabei nicht um eine bloße Floskel handelte, sollte sich in den kommenden Jahren deutlich zeigen. Vier Jahre nach der spektakulären Jubiläumsfeier wurde der Bokeljska Mornarica wieder die Ehre zuteil, Tito begrüßen zu dürfen. Im August 1963 empfing Tito in Kotor den sowjetischen Partei- und Regierungschef Nikita Sergejevič Hruščov mit dem zeremoniellen Empfang der Marine von Boka.64 Das Auftreten der Bokeljska Mornarica als Ehrengarde im Staatsprotokoll wurde in den folgenden Jahren intensiviert und ebenfalls nach Titos Tod fortgesetzt. Unter den zahlreichen Machtvertretern, die die Bokeljska Mornarica feierlich empfangen hat, befinden sich der Vorsitzende des Staatsrates der Volksrepublik Rumänien Nicolae Causescu, der japanische Thronfolger Prinz Akihitu sowie der Bundeskanzler Helmut Schmidt.65 Trotz der prestigeträchtigen Rolle in der Inszenierung der ideologischen Ordnung erhofften sich anscheinend die Traditionsträger, die Bokeljska Mornarica mit einer nachhaltigen historischen Symbolik ausstatten zu können. Im Mai 1969 wurde die Jahrestradition Gađanje kokota in Perast bei Kotor wieder aufgenommen.66 Zur Erinnerung an die heldenhafte Verteidigung der Kleinstadt gegen die zahlenmäßig überlegenen osmanischen Truppen in der Schlacht 1654 nahmen zwei Heerscharen der Bokeljska Mornarica am kostümierten Wettbewerb teil. Der zeremonielle Wettbewerb bestand im Schießen mit alten und unpräzisen Flinten auf ein lebendes Huhn auf einer kleinen und wackeligen Plattform im Meer. Derjenige Teilnehmer, der den Vogel traf, galt als Sieger. Laut einem Medienbericht wurde dem Tur-

63 Vgl. Milošević, Miloš; Mijušković, Slavko; Pasinović, Milen: Tito admiral Bokeljske mornarice. Kotor, 1986, S. 9-12. 64 Ebd., S. 29. 65 Ebd., S. 28-29. 66 S.L.: Atraktivan običaj skup za pobjednika. In: Vjesnik, 9. Juni 1969.

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niersieger das Schwert des kroatischen Banus Petar Zrinski feierlich als Wanderpokal übergeben.67 Das Schwert habe man den Einwohnern von Perast als Auszeichnung für den Sieg über Mehmed pasha Rizvanbegović übergeben, meldete Vjesnik, allerdings ohne weitere Angaben über die Herkunft des Schwertes oder der Tradition. Der Wettbewerb wurde zwar auch in den folgenden Jahrzehnten weitergeführt, jedoch stieß er außerhalb der Bucht von Kotor kaum auf Aufmerksamkeit. Wenngleich die Bokeljska Mornarica eine Sonderposition als zeremonielle Ehrengarde im Dienste des jugoslawischen Staates erlangte, konnte sich die revitalisierte Tradition in Hinblick auf ihre Popularität nicht mit der Sinjska Alka messen. Dass sich die politische Situation in Kroatien und Jugoslawien, trotz der scheinbaren Stabilität der ideologischen Ordnung, erheblich geändert hatte, konnte man der Reportage der Zagreber Wochenzeitung Studio über die 274. Sinjska Alka entnehmen, deren Autor sich, laut einer einführenden Bemerkung, auf die „Vielschichtigkeit des sozialen Ereignisses“ konzentrierte.68 „Die Wochenzeitung für Film, Musik, Radio und Theater“ stellte die Ereignisse in der Regel etwas informeller dar und vermittelte so Informationen, die in Vjesnik nicht erwähnt wurden. Während ihrer 25-jährigen Präsenz in der Medienszene hatte sich die Zeitung Studio als relativ liberales Medium profiliert, dessen Diskurs sich oft von den Vorstellungen der Dogmatiker unterschied.69 Bereits im August 1982 veröffentlichte Studio einen Text des Literaturkritikers und Philosophen Marko Grčić, in dem die symbolische Verknüpfung zwischen der Sinjer Schlacht 1715, der Sinjska Alka und dem Fest zu Maria Himmelfahrt indirekt thematisiert wurde.70 Zwar erwähnte Grčić weder die Tatsache, dass der im Text mehrmals genannte Ivan Marković ein Franziskaner war, noch verwies er auf die Behauptung der Kirche, dass die Sinjer Schlacht durch eine „Intervention des Himmels“ gewonnen worden sei, aber allein die Erwähnung von Maria Himmelfahrt im Zusammenhang mit der Sinjska Alka und ohne höhnischen Unterton war zu dieser Zeit noch immer in gewissem Maße avantgardistisch. Die bis zum Ende der 1980er Jahre schon weit fortgeschrittene Liberalisierung spiegelte sich in der gesammten Studio-Reportage über die 274. Sinjska Alka wider. Die mediale Präsentation der Herrschaftsvertreter wurde nur noch eingeschränkt reglementiert. Noch deutlicher manifestierte sich die Entkräftung der Ideologie der „Brüderlichkeit und Einheit“ durch die ausführliche Diskussion der Frage, warum der Fernsehbericht über die 274. Sinjska Alka in einer gekürzten Fassung während der gesamtjugoslawischen Sonntagsnachrichten um 22:30 Uhr gezeigt wurde.71 Der Beitrag des Zagreber Fernsehstudios über den berühmten Wettkampf wurde laut Studio ursprünglich von Auszügen aus der Rede von Dr. Stipe Šuvar ergänzt. Das Fernsehteam in Novi Sad, das an diesem Sonntagabend für die Nachrichten für ganz Jugoslawien zuständig war, zeigte jedoch die Reportage ohne diese Auszüge aus der Rede von Stipe 67 S.L.: Atraktivan običaj skup za pobjednika. In: Vjesnik, 9. Juni 1969. 68 Ivica Blaić: Slavljem U Sridu. In: Studio, 11. August 1989, S. 56-57. 69 Vgl. Ivan Dukić: „Studio“ i „Plavi vjesnik“ – pogled na istraživanja prodora i utjecaja zapadne popularne kulture u Hrvatsku (1963.-1965.). In: Radovi. Zavod za hrvatsku povijest, Vol. 29, 1996, S. 331-348. 70 Marko Grčić: Magični pogodak u sridu. In: Studio, 7. August 1982. 71 Smetnje na trasama?. In: Studio, 11. August 1989, S. 57.

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Šuvar.72 Dem gewöhnlichen Standard der Berichterstattung nicht entsprechend, hatte die Kürzung des Fernsehberichts einen ausgeprägten politischen Beigeschmack. Als eines der führenden kroatischen Parteimitglieder befand sich Šuvar im August 1989 im Mittelpunkt der innerparteilichen Fraktionskämpfe, die monatelang ganz Jugoslawien aufhorchen ließen.

Abb 25: „Dr. Stipe Šuvar suchte nach der Anspannung auf dem Turnierplatz Erholung bei einem guten heimischen Tröpfchen in der Gesellschaft des alkarischen Anführers Aleksandar Sablić“. Die visuelle Darstellung des Spitzenpolitikers sowie der leicht sarkastische Kommentar unter der Titelfotografie der Reportage über die 274. Sinjska Alka des Magazins Studio spiegelten die Liberalisierung des öffentlichen Raumes in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre in Jugoslawien wider. Quelle: Ivica Blaić: Slavljem U Sridu. In: Studio, 11. August 1989, S. 56-57.

Stipe Šuvar galt Ende der 1980er Jahre als ideeller Gegner des ethnozentrischen Nationalismus, der in den einzelnen Republiken und Autonomiegebieten als Ergänzung bzw. ideologischer Ersatz des schwindenden Titoismus immer stärker zum Ausdruck kam. Immer mehr Einwohner Kroatiens wünschten sich jedoch eine entschlossenere Position des kroatischen Spitzenpolitikers gegenüber der 1988 aus Belgrad gesteuerten Rezentralisierungspolitik. Wegen seiner passiven Haltung gegenüber der politischen Führung Serbiens wird Stipe Šuvar von der Zeithistorikerin Sabrina Ramet im Nachhinein sogar als Alliierter und Unterstützer von Slobodan Milošević eingeordnet.73 Zwar nahm Šuvar die Ernennung Slobodan Miloševićs zum Vorsitzenden des Bündnisses der Kommunisten Serbiens im September 1987 als einen „Sieg der Kräfte, die eine kommunistische Aktion und Abrechnung mit dem

72 Smetnje na trasama?. In: Studio, 11. August 1989, S. 57. 73 Sabrina P. Ramet: Balkan Babel, Boulder/Oxford, 2002, S. 12.

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proviniziellen Nationalismus versprachen“ wahr.74 Dennoch manifestierte sich seit Anfang 1989 ein stiller Konflikt zwischen den beiden Politikern auch immer deutlicher in der Öffentlichkeit.75 Als albanische Minenarbeiter im Februar 1989 im Kosovo gegen den von Belgrad unterstützten Sturz der kosovarischen Parteiführung demonstrierten, erschienen die beiden Politiker zusammen in Priština, wo sie eine Lösung mit der regionalen Parteiorganisation vereinbaren wollten.76 Nach dem Treffen in Priština gingen die beiden Politiker jedoch grundsätzlich verschiedene Wege: Während Stipe Šuvar in der Begleitung von Fernsehkameras die Streikenden in der Mine besuchte, besichtigte Milošević ein naheliegendes Kraftwerk und begab sich danach gleich zurück nach Belgrad, um sich die Unterstützung von Partei und Öffentlichkeit für die Zerschlagung der Proteste in der südlichen Provinz zu sichern.77 Einige Tage später versammelten sich hunderttausende Demonstranten in Belgrad und forderten von Milošević die Festnahme des kosovarischen Spitzenpolitikers Azem Vllasi, der schließlich auch am 1. März 1989 verhaftet wurde. Was kurzfristig als Stärkung des politischen Zentrums erschien, erwies sich aber schnell als Meilenstein für den Zusammenbruch Jugoslawiens. Wenngleich Medienberichte sowie öffentliche Meinungsumfragen bzw. Aussagen der Mitglieder des Ritterlichen Alkarenvereins im Sommer 1989 suggerierten, dass Jugoslawien weiterhin „Titos Weg“ folge, mehrten sich Ereignisse mit vermutlich nationalistischen Hintergründen. Am frühen Morgen des 10. Aprils 1989, das heißt, am 48. Jahrestag der USKGründung, beschädigten unbekannte Täter das Denkmal der Faschismusopfer in Hrvace bei Sinj mit Sprengstoff.78 Die heftige Kritik, die Vertreter zahlreicher Organisationen und angesehene Einzelpersonen aus dem Cetiner Land an dem Vorfall übten, sowie die Ankündigung einer schnellen Restauration des Erinnerungsortes konnten den Eindruck nur mildern, dass hier ein schwerwiegender Angriff auf die Idee der „Brüderlichkeit und Einheit“ erfolgt war. Ein weiterer öffentlicher Anschlag auf die Idee der interethnischen Gemeinschaft erfolgte in Norddalmatien im Juli 1989. Eine als religiös angekündigte Feier in Kosovo Polje bei Knin wurde zu einer nationalistischen Demonstration für eine „Kulturautonomie der Serben in Kroatien“.79 Die empörte Reaktion der kroatischen Parteiführung bewirkte die nachträgliche Festnahme von 24 Demonstranten. Die Festnahmen kurbelten wiederum eine Kampagne eines Teils der Medien in Serbien an, welche behaupteten, dass die Serben in Kroatien diskriminiert und unterdrückt würden. Einen Monat nach der nationalistischen Kundgebung in Kosovo Polje bei Knin erschien Stipe Šuvar als Gesandter der jugoslawischen Präsidentschaft bei der 274. Sinjska Alka in Sinj. 74 Dejan Jović: Jugoslavija, država koja je odumrla. Zagreb, 2003, S. 348-349. 75 Vgl. Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 2, S. 131. 76 Mathias Vetter: Vom Kosovo zum Kosovo: Chronik von Krise und Krieg 1986-1999, In: Dunja Melčić (Hg.): Der Jugoslawien-Krieg, Wiesbaden, 1999, S. 543. 77 Vgl. Videointerview mit Stipe Šuvar aus dem Jahr 2004 für Radio Slobodna Europa/ TV Libery. http://www.slobodnaevropa.org/content/article/1045346.html (Letzter Zugriff: 25. Juni 2014). 78 Rušenjem spomenika, ne može se srušiti temelj revolucije. In: VCK, 1. Mai 1989, S. 2. 79 Vgl. Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 2, S. 150-151.

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Anlässlich der Übergabe von „Titos Schild“ an den Ruhmgewinner Ivan Zorica äußerte Šuvar unter anderem die Hoffnung, dass „der Volksbefreiungskampf […] alle unsere Kämpfe und Kriegsführungen […] ein für allemal beendete“.80 In seinen Worten erkannten manche eine implizite Kritik an Slobodan Milošević. In seiner Rede am 28. Juni 1989 in Kosovo Polje bei Priština anlässlich der „600. Jubiläumsfeier zur Schlacht auf dem Amselfeld“ kündigte Milošević vor hunderttausenden Zuschauern die neuen Schlachten an, „[…] die zwar keine bewaffneten Schlachten sind, wenngleich solche auch nicht auszuschließen sind“.81 Darüber hinaus kritisierte Šuvar in seiner Rede diejenigen, die „die Wandportraits von Tito [...] mit den Portraits der neu-komponierten nationalen Führer (slike novokomponiranih nacionalnih vođa) ersetzen“, was man als nicht nur metaphorische Anspielung an den immer stärker ausgeprägten Milošević-Kult in Serbien verstehen konnte. Ob die indirekte Kritik des führenden Nationalkommunisten Serbiens tatsächlich der Grund für die Streichung der Rede aus dem Fernsehbeitrag war, lässt sich nur vermuten. Viel wichtiger für das Verständnis der damaligen politischen Situation in Jugoslawien ist, dass sich die Angelegenheit zu einer Frage entwickelte, die noch monatelang in der Öffentlichkeit gelegentlich thematisiert wurde.82 Außer diesen politischen Querelen zeichnete die 274. Sinjska Alka vor allem die große Feier des ersten Triumphes von Ivan Zorica in Hrvace aus, an der sich ungefähr eintausend Gäste beteiligten.83 „Während die Medien über die Rede von Dr. Stipe Šuvar diskutierten […], feierten bei Zorica Serben und Kroaten, Arbeiter und Regierungsträger, brave Bauern und passionierte Glücksspieler... Bei der Sinjska Alka und bei all unseren Ruhmgewinnern sind alle Gäste aus ganz Jugoslawien sowie aus der ganzen Welt willkommen“, subsumierte man im Bericht der Lokalzeitung Vjesnik Cetinske Krajine im Spätsommer 1989.84 Den Herbst im Cetiner Land kennzeichneten ähnliche mediale Botschaften der Lokalzeitung sowie die umfangreichen Vorbereitungen für das 45. Befreiungsjubiläum von Sinj und Umgebung. Nahezu nichts wies im Lokalblatt auf einen umfassenden politischen und ideologischen Umbruch hin, der das Cetiner Land sowie ganz Jugoslawien innerhalb der nächsten zwölf Monate erheblich verändern würde. Hinweise auf die radikalen und umfassenden Veränderungen konnte man jedoch den außenpolitischen Nachrichten entnehmen. Im Kaukasus eskalierte im Sommer 1989 gewaltsam ein ethnisch-religiöser Konflikt zwischen Armeniern und Azeris bezüglich der Statusfrage des Autonomen Gebietes Nagornyj-Karabach. Zugleich fanden in allen drei baltischen Sowjetrepubliken Protestkundgebungen statt, an denen sich bis zu einem Drittel der Bevölkerung des jeweiligen Landes beteiligten.85 Auch auf den Straßen zahlreicher anderer Städte sowohl in der Sowjetunion als auch in anderen sozialistischen Staaten protestierten immer mehr Bürger. Die Nachkriegsordnung in Mittel- und Osteuropa befand sich offensichtlich in einer weitreichenden Legitimitätskrise. Im Unterschied zu früheren Protesten zeigte sich der Kreml dieses Mal jedoch kaum dazu bereit, seine Einflusssphäre durch eine Militärintervention aufrechtzuerhalten, zumindest, was die Gebiete 80 81 82 83 84 85

Ivica Blaić: Slavljem U Sridu. In: Studio, 11. August 1989, S. 56-57. Vgl. Ivka Lekić (Hg.): Slobodan Milošević. Govori i javni nastupi. Beograd, 2006, S. 17-25. Sie zum Beispiel den Artikel von Divna Zečević: Ljubav i sarma. In: Vjesnik, 1. November 1989. Diana Šetka: Gozba na alkarski način. In: Arena, 19. August 1989, S. 16-17. Bosiljka Vučković: Čestitamo Ti na junačkom megdanu. In: VCK, 1. September 1989. Vgl. György Dalos: Lebt wohl Genossen! Der Untergang des sowjetischen Imperiums. Bonn, 2012.

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außerhalb der Sowjetunion betraf. Im Einklang damit endete die langjährige politische Krise in Polen mit der Durchführung von Wahlen im Juni 1989, an denen den Oppositionskandidaten eine begrenzte Teilnahme gestattet wurde, was in einer bitteren Niederlage der Kommunistischen Partei resultierte.86 Gleichzeitig signalisierte die reformorientierte ungarische Regierung ihre Absicht, den Ostblock so schnell wie möglich zu verlassen.87 Die Nachrichten aus Polen und Ungarn sowie die zunehmend spürbare Bereitschaft Moskaus, ihre Satellitenstaaten in die Unabhängigkeit zu entlassen, stärkten die Oppositionsbewegungen auch in anderen sozialistischen Ländern Mittel- und Südosteuropas, einschließlich Jugoslawiens.88 Im Frühjahr und Sommer 1989 wurden in Kroatien und anderen jugoslawischen Republiken die Vorreiter der späteren Oppositionsparteien gegründet, ihre formelle Registrierung war jedoch noch nicht möglich.89 Erst im Dezember 1989, einige Wochen nach dem Mauerfall in Berlin und dem Sturz der kommunistischen Regierung in Prag, änderte sich die Machtkonstellation der kroatischen Parteispitze, was den Weg für Veränderungen im Rahmen des politischen Systems öffnete. Der Wahlsieg der Reformisten beim XI. Kongress des Bundes der Kommunisten Kroatiens ermöglichte die Legalisierung der politischen Parteien und Durchführung der ersten Mehrparteienwahl im Frühjahr 1990.90 Die Forderung nach sozialen und politischen Veränderungen erklang massenhaft in den sozialistischen Staaten Europas, deren Einwohner sich durch die demokratischen Wahlen eine bessere Zukunft erhofften. Dabei manifestierte sich im enttabuisierten öffentlichen Raum immer klarer, dass die verschiedenen politischen und sozialen Akteure ganz unterschiedliche Vorstellungen davon hatten, wie eine „bessere Zukunft“ eigentlich gestaltet werden sollte. Das Einzige, was man bis zum Frühjahr 1990 im Cetiner Land und darüber hinaus mit gewisser Sicherheit feststellen konnte, war die Tatsache, dass sich die politischen Umstände erheblich schneller als in den vorherigen Jahrzehnten veränderten. Anfang April 1990 fand die jährliche Vollversammlung des Ritterlichen Alkarenvereins in Sinj statt. Entsprechend seiner früheren Ankündigung trat der Höhere Offizier der Jugoslawischen Kriegsmarine, Aleksandar Sablić, von der Position des alkarischen Anführers zurück, die er 1986 von Bruno Vuletić übernommen hatte. Als sein Nachfolger wurde am gleichen Tag der 38-jährige Jurist Nikola Tomašević aus Sinj ernannt, der schon vorher ein Mitglied des neunköpfigen Präsidiums des Alkarenvereins gewesen war.91 Somit übernahm Tomašević die traditionelle Brückenfunktion zwischen dem Alkarenverein und den politischen Machthabern am Vorabend des politischen und ideologischen Umbruchs: Zwei Wochen nach seiner Ernennung fand der erste Durchgang der Lokal- und Parlamentswahlen statt, woraufhin der Bund der Kommunisten die Herrschaft in Kroatien abgeben musste. Zwar waren die ersten Mehrparteienwahlen seit 50 Jahren lange vor der Ernennung des neuen alkarischen Anführers angekündigt worden, jedoch wusste man Anfang April 1990 noch 86 Vgl. György Dalos: Der Vorhang geht auf: Das Ende der Diktaturen in Osteuropa. Bonn, 2009. 87 Ebd. 88 Über den sog. Domino-Effekt in den sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas 1989-1991 siehe: Sammuel Huntington: The Third Wave: Democratization in the Late Twentieth Century. Norman, 1991. 89 Vgl. Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 2, S. 137ff. 90 Vgl. Mirjana Kasapović: Izborni i stranački sustav Republike Hrvatske. Zagreb, 1993, S. 32ff. 91 N. Musulin: Izabran novi alkarski vojvoda. In: Vjesnik, 08. April 1990.

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nicht, welche Machtkonstellation sich aus den Wahlen ergeben würde. Die Parteispitze in Kroatien entschied sich Anfang 1990 für das reine Mehrheitswahlsystem, welches den BdK bzw. seine Nachfolgepartei (Stranka demokratskih promjena) gegenüber den Oppositionslisten hätte begünstigen sollen.92 Mit der raschen Popularitätssteigerung des pensionierten Historikers und ehemaligen Generals Franjo Tuđman und seiner nationalistischen Partei Kroatische Demokratische Gemeinschaft (Hrvatska demokratska zajednica) bzw. mit der starken Konzentration der Oppositionsstimmen zugunsten einer oppositionellen Koalition hatte man anscheinend nicht gerechnet. Anstatt eines guten Wahlergebnisses des BdK bzw. der SDP resultierte das Mehrheitswahlsystem letztendlich in der klaren politischen Niederlage der Reformkommunisten in Kroatien. Der Wahltriumph der HDZ wurde nicht nur durch die Unterstützung eines großen Teils der katholischen Kirche sowie der politischen Organisationen der Exil-Kroaten, sondern auch durch die Eskalation der Krise während des Wahlkampfes ermöglicht. Die große Kundgebung der serbischen Nationalisten Anfang März 1990 in Petrova Gora begünstigte vor allem die Wahlergebnisse der Parteien, die ihre Strategie auf ethnozentrische Diskurse und Symbole aufbauten. Die nationalistische Ikonographie sowie die aggressive Rhetorik einschließlich der Rufe „Verhaftet Tuđman!“ (uhapsite Tuđmana!) erinnerten manche Fernsehzuschauer in Kroatien an die Forderung, Azem Vllasi zu verhaften, die ein Jahr zuvor in Belgrad laut geworden war. Darüber hinaus weckte die nationalistische Kundgebung die Angst vor der Wiederholung der Straßenproteste, mit denen die zentralistischen Kräfte um Milošević zwischen Oktober 1988 und März 1989 die politischen Eliten in den Sozialistischen Autonomen Provinzen Vojvodina und Kosovo sowie in der Sozialistischen Republik Montenegro stürzten und sie daraufhin mit ihnen treuen Kandidaten ersetzten. Das zweite Ereignis, das die Aversion eines Teiles der kroatischen Öffentlichkeit sowohl gegen die politische Führung Serbiens als auch gegen die Serben im Allgemeinen verstärkte, fand im Rahmen einer Wahlveranstaltung der HDZ am 17. März 1990 in Benkovac statt.93 Die politische Zusammenkunft in dem norddalmatinischen Städtchen, in dem eine ethnisch gemischte Bevölkerung lebte, wurde von einer Protestkundgebung der lokalen Serben begleitet. Sie machten großen Lärm und warfen mehrere Steine und Flaschen auf die Bühne.94 Die aufgeheizte Atmosphäre kulminierte während der Rede des 68-jährigen Parteivorsitzenden Franjo Tuđman, als der 62-jährige Demonstrant Boško Prelević eine Pistole aus der Tasche zog. Da die anwesenden Sicherheitskräfte Prelević sofort überwältigten, blieb seine Absicht unklar. Die anwesenden Vertreter der HDZ bezeichneten das Geschehen allerdings sofort als „Attentat“ und zeigten den Anwesenden „die Pistole, mit der Franjo Tuđman hätte ermordet werden sollen“.95 Wenngleich Prelević nachträglich des Mordversuchs freigesprochen wurde, wurde die Episode aus Benkovac zu einem erheblichen symbolischen Kapital für Franjo Tuđman. Durch das „Attentat“ erlangte er die Aura eines wahren Nachfolgers des 1928 im Jugoslawischen Parlament ermordeten Bauernpolitikers Stjepan Radić, was Tuđman auch selber gerne akzentuierte. 92 Mirjana Kasapović: Izborni i stranački sustav Republike Hrvatske. Zagreb, 1993, S. 35. 93 Vgl. Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 2, S. 137. 94 Siehe die Videoaufnahme des Vorfalls: Benkovac-Franjo Tuđman-Atentat. In: http://www.youtube.com/watch?v=-fkCDS51J8I (Letzter Zugriff: 28. Juli 2014). 95 Ebd.

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Youtube,

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Eine Woche nach dem Auftritt in Benkovac besuchte Franjo Tuđman anlässlich der feierlichen Gründung der lokalen Parteiorganisation der HDZ Sinj. Während der von starken Sicherheitsmaßnahmen begleiteten Kundgebung im Stadtpark wurden die kroatischen Nationalsymbole aus der vorsozialistischen Periode, deren öffentliche Präsentation seit einigen Monaten nicht mehr sanktioniert wurde, gezeigt. Die Bühne wurde mit einer großen kroatischen Flagge mit dem weiß-roten Schachbrettwappen geschmückt.96 Darüber hinaus dekorierten regional-spezifische Gegenstände die Bühne. Das Folkloreerbe des Cetiner Landes wurde durch das auf dem zentralen Tisch platzierte Streichinstrument Gusle sowie einige Statisten in Volkstrachten repräsentiert.97 Einer der anwesenden Statisten erinnerte dabei stark an einen alkarischen Knappen. Die Details auf der Tracht wiesen zwar darauf hin, dass es sich nicht um ein Kostüm aus dem alkarischen Fundus handelte. Dessen ungeachtet wurde der Junge mit Säbel und verziertem Messer (jatagan) auf einer gut sichtbaren Stelle auf der Bühne platziert, zwei Meter von dem Rednerpult entfernt. Nach den Grußworten der lokalen Parteivertreter heizte sich die Atmosphäre mit dem Auftritt des Volksmusikers (guslar) Marko Kunac aus dem naheliegenden Dorf Potravlje auf. „Hör mal, Tuđman, Du kroatischer Sohn, Du bist der Weg unserer Heimat, ein nie ermüdender Reisender und Bruder, Gott schützt dich wie alle Kroaten“, begann Kunac seinen Auftritt und erzeugte sofort eine euphorische Reaktion der Anwesenden.98 Die Aktualität des Kulturprogramms spiegelte sich unter anderem darin wider, das Kunac den Vorfall, der sich eine Woche zuvor in Benkovac ereignet hatte, erwähnte und vorahnend in einen breiteren politischen Kontext einordnete: „Während sie Dir überall Fangnetze nähen, zieht man die Waffe gegen Dich, während nun zum Ende des 20. Jahrhunderts auf die Waffe der Freiheit gewartet wird“.99 Nach Kunac hielt der junge Parteiaktivist Josip Matić eine Rede über die Geschichte des Cetiner Landes und kündigte dann den zentralen Gast der Kundgebung an. Von den Anwesenden bejubelt erschien der Parteivorsitzende mit entschlossenem und nahezu düsterem Gesichtsausdruck auf der Bühne und hielt eine Rede mit den für ihn charakteristischen äußerst ambivalenten politischen Botschaften. „Liebe Sinjer, liebe kroatische Bevölkerung des Cetiner Landes, liebe kroatische Brüder und Schwestern aus den anderen Ecken Kroatiens, liebe andere Bürger Kroatiens, ich bin außerordentlich froh, dass ich Sie auf so einer prächtigen Zusammenkunft in der Stadt der Madonna von Sinj und der Sinjer Alkaren begrüßen kann“, begann Tuđman seine von Applaus und Jubelrufen mehrmals unterbrochene Rede.100 Die einführende Adressierung kündigte weitere ambivalente Botschaften an, die mehr als genug Raum für kontroverse und unterschiedliche Deutungen offen ließen. Einerseits erwähnte Tuđman mehrmals, dass er 96 Siehe: Video von Petar Malbaša: 24. III 1990 – Osnivanje HDZ-a u Sinju. In: Youtube, http://www.youtube.com/watch?v=WLkE8CmOnOE (Letzter Zugriff: 27. Juli 2014). 97 Die Gusle ist ein traditionelles Volksinstrument aus dem ostadriatischen Hinterland, mit dem epische Lieder begleitet werden. Über den politischen Gebrauch des Instruments während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien siehe: Ivo Žanić: Flag on the Mountain, London, 2007; Ivan Čolović: Balkan – teror kulture. Beograd, 2008, S. 133-183. 98 Siehe: Video von Petar Malbaša: 24. ožujka 1990 – Osnivanje HDZ-a u Sinju. In: Youtube, http://www.youtube.com/watch?v=WLkE8CmOnOE (Letzter Zugriff: 27. Juli 2014). 99 Ebd. 100 Ebd.

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„alle bürgerlichen und nationalen Rechte der serbischen Bevölkerung in Kroatien sowie aller anderen Minderheiten in Kroatien anerkenn[t], solange sie ihre kroatische Heimat respektieren“ und distanzierte sich ausdrücklich vom USK und der Ustaša-Bewegung. Andererseits stellte der pensionierte Historiker eine Reihe ethnozentrischer, teleologischer Überlegungen über die Ausbeutung des kroatischen Volkes in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft an und akzentuierte dabei beständig die Eintracht seiner Partei und des ganzen kroatischen Volkes im gemeinsamen Leiden. „Warum gibt es in Jugoslawien und sogar in Kroatien Menschen, die diese Kroatische Demokratische Gemeinschaft […] hemmungslos mit der Behauptung angreifen, dass sie pro Ustaša (ustaška) oder totalitaristisch sei? Sind die dreißig- oder fünzigtausend hier versammelten Menschen auch Ustaša, sind sie Bolschewiken oder sind sie [einfach nur] kroatische Menschen?“, fragte Tuđman.101 Die bevorstehenden Wahlen verglich Tuđman mit den Parlamentswahlen 1935 und versuchte dabei seine Partei als die Nachfolgerin der Kroatischen Bauernpartei darzustellen. Dementsprechend ordnete er seine aktuellen politischen Gegner als Nachfolger des „großserbischen Hegemonialismus“ der Zwischenkriegszeit ein. Dabei spannte er einen Bogen zwischen den damaligen Unruhen, bei denen 96 Menschen ums Leben gekommen waren, und dem „Blutvergießen, das sie in Benkovac auslösen wollten“. Im Anschluss an seine Distanzierung vom USK, „der Verbrechen beging und dem kroatischen Volk keine Freiheit brachte“, verwies der Parteiführer auf die Bedeutung der Partisanenbewegung, an der er sich auch beteiligt hatte. Tuđman stellte fest, dass „das kroatische Volk in größerem Ausmaß als das serbische Volk bzw. als die Bevölkerung Serbiens sich für die Partisanenbewegung einsetzte“, und zwar mit dem Ziel, „[…] mit der kroatischen Bewegung einen kroatischen Staat, nämlich den Föderalen Staat Kroatien zu gründen“. Die Ethnisierung und Aneignung der Partisanenbewegung stand in direktem Gegensatz zur jahrzehntelang ideologisch geforderten Vorstellung des „gemeinsamen Kampfes aller Völker und Nationalitäten Jugoslawiens“. Sie war allerdings eine zu der Zeit gängige Praxis, auch unter manchen serbischen Nationalisten, die die Partisanenbewegung als eine in erster Linie serbische Bewegung beschrieben. Tuđman erinnerte die Anwesenden an „die Rückeroberung von Istrien, Rijeka und Dalmatien“ durch den Partisanenkampf und betonte nochmals die klare normative Abgrenzung zwischen den Konfliktparteien im Zweiten Weltkrieg. Einen besonders starken Applaus bekam Tuđman, als er eine berühmte Aussage des Gründers der Kroatischen Rechtspartei, Ante Starčević, paraphrasierte bzw. ergänzte: „Kroatische Politik muss den eigenen Interessen [Kroatiens] entsprechend gemacht werden und sich dabei, wie Starčević gesagt hat, weder den Vorgaben und Forderungen aus Wien noch denen aus Budapest folgen. Und heute können wir hinzufügen: noch den Bedingungen und Forderungen aus Belgrad.“102 Anscheinend inspiriert von der Rhetorik der Kroatischen Bauernpartei aus der Zwischenkriegszeit setzte Tuđman seine dialektische Rede, die zahlreiche Verbindungen zwischen der politischen Geschichte und Gegenwart herstellte, fort. „Die Kroaten im gemeinsamen jugoslawischen Staat wollen ihre kroatische Republik; wenn

101 Siehe: Film von Petar Malbaša: 24. III 1990 – Osnivanje HDZ-a u Sinju. In: Youtube, http://www.youtube.com/watch?v=WLkE8CmOnOE (Letzter Zugriff: 27. Juli 2014). 102 Ebd.

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die Serben eine Monarchie wollen, sollen sie sie dort in Serbien haben, wir werden sie respektieren“.103 Die Rede reflektierte das „ideologische Amalgam“, in dem drei wichtige politische Traditionen des 19. und 20. Jahrhunderts zusammenkamen, welche die Kroatische Demokratische Gemeinschaft als ihren Ausgangspunkt erklärte: der Nationalismus der Kroatischen Rechtspartei, die Bauernideologie der Zwischenkriegszeit sowie Teile der sozialistischen Tradition aus der Kriegs- und Nachkriegsperiode.104 Zwar ergänzte die HDZ diesen ideologischen Synkretismus während der 1990er Jahre unter anderem mit mehreren, der UstašaBewegung inhärenten Symbolen und Diskursen, allerdings gab es auf der Kundgebung in Sinj im März 1990 keine pro-Ustaša Rhetorik. Abgesehen von Tuđmans nebensächlicher Bemerkung, dass „die kroatische Flagge das letzte Mal vor einem halben Jahrhundert oder vor genau 45 Jahren öffentlich gehisst werden durfte“, waren alle Erwähnungen des USK negativ konnotiert. In seiner Rede in Sinj wies Tuđman den Vorwurf des führenden kroatischen Reformkommunisten Ivica Račan zurück, dass die HDZ „eine Partei mit gefährlichen Absichten“ sei, und ergänzte die geschichtspolitische Parteilegitimation durch eine Bezugnahme auf bekannte internationale Regierungen. „Wenn die Regierung Kohls in Deutschland oder Thatchers Regierung in Großbritannien rechts sind, wenn de Gaulle und Giscard d'Estaing in Frankreich die Rechte repräsentiert haben, wenn heute Bush und ehemals Reagan in Amerika rechts sind, dann sind auch wir rechts!“.105 Schließlich betonte Tuđman, dass „die kroatischen Menschen offensichtlich ihre Lehre aus der Geschichte sowie aus den aktuellen Ereignissen in Europa und in der Welt gezogen haben und daher wissen, dass sie diesen historischen Moment nicht verpassen sollten“. Die Anwesenden lud er dazu ein, bei den bevorstehenden Wahlen für diejenigen Vertreter zu stimmen, „die keine Kompromisse bezüglich der Lebensinteressen des kroatischen Volkes akzeptieren werden“.106 Die erhebliche Präsenz geschichtlicher Themen in seiner Rede sind sicherlich zum Großteil auf Tuđmans Beruf zurückzuführen, waren jedoch im damaligen internationalen Kontext nicht ungewöhnlich. Viele Dissidenten in Osteuropa hatten die Geschichte bereits vor 1989 als Vehikel politischer Mobilisierung entdeckt und sie als „Waffe im Kampf gegen das kommunistische System“ genutzt.107 Außer dem Parteipräsidenten Tuđman gebrauchten auch die anderen HDZ-Mitglieder ambivalente geschichtspolitische Botschaften, um die Wähler zu erreichen. Dadurch trugen sie im erheblichen Ausmaß zum Triumph der Partei bei den ersten Mehrparteienwahlen in Kroatien nach 1945 bei.108 In seiner Rede zwischen den zwei Wahlrunden im Frühjahr 1990 versprach das hochpositionierte Parteimitglied Šime Đodan, dass 103 Siehe: Film von Petar Malbaša: 24. III 1990 – Osnivanje HDZ-a u Sinju. In: Youtube, http://www.youtube.com/watch?v=WLkE8CmOnOE (Letzter Zugriff: 27. Juli 2014). 104 Mirjana Kasapović: Demokratska tranzicija i političke stranke, Zagreb, 1996, S. 156-159. 105 Siehe: Video von Petar Malbaša: 24. III 1990 – Osnivanje HDZ-a u Sinju. In: Youtube, http://www.youtube.com/watch?v=WLkE8CmOnOE (Letzter Zugriff: 27. Juli 2014). 106 Ebd. 107 Rüdiger Ritter: Das Erbe der Republik beider Nationen. Geschichte eines Gründungsmythos in Ostmitteleuropa. In: Zdzisław Krasnodebski, Stefan Garsztecki, Rüdiger Ritter (Hg.): Last der Geschichte? Kollektive Identität und Geschichte in Ostmitteleuropa. Hamburg, 2008, S. 10. 108 Vgl. Marius Søberg: Hrvatska nakon 1989. godine: HDZ i politika tranzicije. In: Sabrina P. Ramet,

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„die [kroatische] Flagge in maximal fünf Jahren auf dem Gipfel der Romanija wehen wird“.109 Zwar sollte Đodan seine Aussage nachträglich relativieren, aber die Anspielung auf das Toponym im östlichen Bosnien konnte man ebenfalls als die Befürwortung der territorialen Ausdehnung Kroatiens bis zur einstigen östlichen Grenze des USK interpretieren. Das reine Mehrheitswahlsystem, von dem sich der Bund der Kommunisten Kroatiens bzw. seine Nachfolgepartei SDP noch zu Anfang des Jahres 1990 die Fortführung ihrer Herrschaft erhofft hatten, resultierte in einem überragenden Triumph der HDZ. Die HDZ gewann knapp über 40 % aller Stimmen, und das Umrechnungsmodell belohnte den Wahlsieger sogar mit annähernd 60 % der Parlamentsmandate.110 Die Koalition des Volksabkommens (Koalicija narodnog sporazuma), die noch zu Beginn des Jahres in den Umfragen als aussichtsreicher Kandidat für ein gutes Wahlergebnis gegolten hatte, gewann hingegen nur vier Prozent der Parlamentsmandate, obwohl sie 15 % der Stimmen verzeichnen konnte.111 Im Wettstreit mit der regierenden Partei einerseits und der durch die ausländischen Organisationen der ExilKroaten finanziell und technisch unterstützten HDZ andererseits, erlitt die Koalition des Volksabkommens eine bittere Niederlage, obwohl sie zahlreiche renommierte Personen als Kandidaten vorweisen konnte. Drei der Spitzenkandidaten der Koalition stammten aus Sinj. Marko Veselica, ein langjähriger politischer Häftling, hatte zu Anfang des Sommers 1989 sogar noch als aussichtsreicher Kandidat für die Spitzenposition in der gerade gegründeten HDZ gegolten, musste die Stelle aber – unter bis heute umstrittenen Umständen – Franjo Tuđman überlassen. Nach dieser Niederlage innerhalb der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) trat Marko Veselica der Kroatischen Demokratischen Partei (HDS) bei, schaffte aber im Unterschied zu seinem Bruder Vladimir nicht den Einzug in das Landesparlament der Sozialistischen Republik Kroatien. Neben den Brüdern Veselica befand sich Miko Tripalo unter den Spitzenkandidaten der Koalition des Volksabkommens (KNS). Tripalo galt während der 1960er Jahre als einer der wichtigsten Politiker der jüngeren Generation in ganz Jugoslawien, dennoch wurde er während der Zerschlagung des Kroatischen Frühlings (Hrvatsko proljeće) Ende 1971 unter dem Vorwurf des Nationalismus gezwungen, von all seinen Posten zurückzutreten und letztendlich aus dem Bündnis der Kommunisten ausgeschlossen. Zwar wurde Miko Tripalo im Unterschied zu Marko Veselica zu keiner Gefängnisstrafe verurteilt, musste aber bis Ende der 1980er Jahre auf eine einstmals sehr vielversprechende politische Karriere verzichten. Bei den Wahlen 1990 schaffte allerdings auch er nicht den Einzug in das Landesparlament der Sozialistischen Republik Kroatien. Am 30. Mai 1990 fand in Zagreb die konstituierende Parlamentssitzung statt, bei der Franjo Tuđman zum Präsidentschaftsvorsitzenden der Sozialistischen Republik Kroatien gewählt

Davorka Matić (Hg.): Demokratska tranzicija u Hrvatskoj, Zagreb, 2006, S. 35-64. 109 Ivo Žanić: Flag on the Mountain, London, 2007, S. 215-216. 110 Mirjana Kasapović: Izborni i stranački sustav Republike Hrvatske. Zagreb, 1993, S. 45-53. 111 Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 2, S. 138-139.

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wurde. Die anschließende Zeremonie auf dem Zagreber Hauptplatz demonstrierte die politische Richtung der neuen kroatischen Führung.112 Unter den unzähligen Flaggen auf der Bühne sowie im Publikum dominierten die kroatischen Flaggen mit dem SchachbrettWappen (šahovnica). Das offizielle Symbol der Sozialistischen Republik Kroatien war hingegen nicht zu sehen. Der Präsidentschaftsvorsitzende erschien in Begleitung des Zagreber Kardinals Franjo Kuharić und eines Vertreters der islamischen Gemeinschaft auf der Bühne. In unmittelbarer Nähe der drei befand sich ein schnurrbärtiger Mann in einem Kostüm aus dem Cetiner Land, der eine große altertümliche Flagge des „Dreieinigen Königreichs Kroatiens, Slawoniens und Dalmatiens“ (Trojedna kraljevina Hrvatske, Slavonije i Dalmacije) an einer riesigen goldenen Lanze trug.113 Der Cetiner Gusle-Spieler (guslar) Mile Krajina erinnerte zwar stark an einen alkarischen Knappen, hatte jedoch mit dem Ritterlichen Alkarenverein nichts zu tun. Die Aneignung des symbolischen Kapitals der Sinjska Alka würde die neue politische Macht mit den Traditionsträgern erst aushandeln müssen. Auf den Sieg der HDZ bei den Parlaments- und Lokalwahlen folgte ihre Aneignung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Institutionen, die jahrzehntelang von der Kommunistischen Partei bzw. dem Bündnis der Kommunisten beeinflusst und mitgesteuert wurden. Im Einklang mit den politischen Veränderungen „erwartete die Öffentlichkeit in Sinj zweifellos, dass auch die Sinjska Alka zumindest teilweise von den sozialen Prozessen erwischt würde“.114 Dabei waren die Mitglieder der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft nicht die einzigen, die sich das populäre Ritual zunutze machen wollten. Eine der beiden großen Herausforderungen der neuen Machthaber stellte der Widerstand der alten Traditionsträger und ihrer Unterstützer außerhalb des Alkarenvereins dar. In den Monaten nach den Wahlen protestierten diese entweder offen gegen die politische Neukodierung der Sinjska Alka oder forderten, dass die Veränderungen langsamer bzw. weniger auffällig stattfinden sollten. Die zweite Herausforderung war für die HDZ der Versuch der Kroatischen Demokratischen Partei (HDS), eigene Mitglieder und Sympathisanten in die Verwaltung des Alkarenvereins einzuschleusen. Trotz des schlechten Wahlergebnisses der Partei brachte ihr die Sinjer Herkunft der Gebrüder Veselica relativ viele Unterstützer im Cetiner Land. Im Sommer 1990 schloss sich die HDS dem Wettbewerb um das symbolische Kapital der Sinjska Alka an, wobei ihre Forderungen im symbolischen Feld jedoch zum großen Teil den Vorstellungen der herrschenden HDZ entsprachen. Die neuen Herrschaftsträger stellten erstmals Mitte Juni 1990, nach dem Treffen der lokalen Vertretung der HDZ mit den neu ausgewählten Vetretern der Sinjer Gemeinde, konkrete Forderungen gegenüber dem Ritterlichen Alkarenverein.115 Die Verhandlungen fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, aber den Medienberichten zufolge wurde dabei die Durchführung einer außerordentlichen Vollversammlung des Alkarenvereins gefordert, auf der man das Statut sowie die Verwaltung ändern wollte.116 112 Siehe den Videoausschnitt aus der Fernsehübertragung der Zeremonie am TV Zagreb:Croatia-ZagrebHrvatska 30.05.1990. In: Youtube, http://www.youtube.com/watch?v=eutXEBAYBCg (Letzter Zugriff: 25. Juni 2014). 113 Ebd. 114 Toni Paštar: Alka ostaje “na konju”? In: Slobodna Dalmacija, 24. Juni 1990. 115 P. Kovačević: Neviteške igre sa viteškom tradicijom. In: Politika, 7. Juli 1990, S. 14. 116 Ebd.

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Einige Tage nach dem Treffen besuchte eine politische Delegation der Sinjer Lokalverwaltung den Präsidentschaftsvorsitzenden der Sozialistischen Republik Kroatien, Franjo Tuđman, in Zagreb.117 An der Delegation beteiligten sich lokale Vertreter der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft und der Kroatischen Demokratischen Partei. Vertreter der BdK-Nachfolgepartei, der Partei für Demokratische Veränderungen (SDP), waren jedoch nicht dabei. Laut der Aussage des Vorsitzenden der Vollversammlung der Sinjer Gemeinde, Jerko Vukas (HDZ), der die Delegation anführte, wurde beim Treffen mit Tuđman beschlossen, dass man „die demokratischen Veränderungen in der Gesellschaft auf eine passende Weise auch in die Alka trägt“.118 Das Gespräch fokussierte vier symbolisch wichtige Fragen: die alkarische Fahne, das Schild Titos, das alkarische Ehrengericht und die Hymne. Eine fünfte Frage, welche Vukas nicht ausdrücklich erwähnte, bezog sich auf die Übertragung der Schirmherrschaft von der jugoslawischen auf die kroatische Präsidentschaft, und die Anwesenheit Tuđmans auf der 275. Sinjska Alka im kommenden August. „Da das bisherige Banner im Alkarenzug unangemessen war“, wurde im Gespräch mit Tuđman beschlossen, dass man zukünftig drei Fahnen in die Sinjska Alka einführen würde, erzählte Vukas einige Tage später einem Journalisten der Slobodna Dalmacija in Sinj.119 Das 1945 eingeführte Banner, das stark an die Symbolik des Volksbefreiungskampfes und der sozialistischen Revolution anknüpfte, sollten demnach „die kroatische Flagge mit ihrem historischen Wappen, die alte alkarische Fahne und eine neue Fahne des Ritterlichen Alkarenvereins“ ersetzen. Diese Entscheidung bedeutete, dass die sozialistischen Symbole sowohl mit nationalen als auch mit religiösen Zeichen ersetzt werden sollten. Darüber hinaus wurde vereinbart, dass auf der bevorstehenden Sinjska Alka nur die kroatische Hymne „Lijepa naša“ und nicht die jugoslawische Hymne „Hej Slaveni“ gespielt werden sollte. Trotz der vereinbarten Entfernung der politischen Symbole des sozialistischen Jugoslawiens, verpflichtete sich Tuđman dennoch, Titos Schild an den Ruhmgewinner zu übergeben. In Hinblick auf das Ehrengericht, in dem die pensionierten Hochoffiziere der Jugoslawischen Volksarmee Petar Peko Bogdan, Bruno Vuletić und Uroš Dalbello saßen, wurde entschieden, dass „es unverändert bleibt, wenn seine Mitglieder die sozialen Veränderungen (društvene promjene) akzeptieren“, erzählte Vukas.120 Am 20. Juni 1990, vier Tage bevor Slobodna Dalmacija die Erwartungen der neuen Herrschaftsträger hinsichtlich der Sinjska Alka veröffentlichte, fand in Sinj ein Treffen der Traditionsträger mit den Vertretern der lokalen politischen Macht statt. Die Präsidentschaft des Alkarenvereins nahm die Ergebnisse der Zagreber Beratung zur Kenntnis und traf einstimmig den Entschluss, binnen der nächsten zehn Tage eine außerordentliche Vollversammlung einzuberufen.121 Die Vorbereitung der Vollversammlung wurde einer neunköpfigen Arbeitsgruppe überlassen, in die jeweils drei Vertreter des Alkarenvereins und der HDZ, zwei Vertreter der HDS und ein Vertreter der SKH/SDP entsandt wurden.122 Unmittelbar darauf 117 118 119 120 121 122

Nedjeljko Musulin: Posljednji prijelazni štit. In: Vjesnik, 20. Juni 1990. Toni Paštar: Alka ostaje “na konju”? In: Slobodna Dalmacija, 24. Juni 1990. Ebd. Ebd. Nedjeljko Musulin: Posljednji prijelazni štit. In: Vjesnik, 20. Juni 1990. Ebd.

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verzichtete der Vorsitzende des Alkarenvereins Slaven Poljak unwiderruflich auf alle seine Funktionen im Verein. Gegenüber den Medien betonte Poljak, dass ihm die sozialen Veränderungen bewusst seien. Er fügte hinzu, dass die Wahlergebnisse einerseits und seine große Liebe zur Alka andererseits ihn dazu brächten, die Forderungen nicht anzufechten, sondern auf ehrenhafte und würdige Weise zurückzutreten.123 Am Tag darauf traten Alajčauš Stipe Batarelo und Harambaša Ivo Filipović zurück.124 Diesem Vorbild der Befehlshaber der Alkaren- und Knappentruppe folgte der Alkar Milan Borković, der am selben Abend seinen Rücktritt ankündigte. Am Donnerstag, den 21. Juni, folgte der Rücktritt aller drei Mitglieder des Ehrengerichtes.125 Die Rücktrittswelle verursachte unterschiedliche Reaktionen in Sinj und weckte sowohl in Kroatien als auch in den anderen jugoslawischen Republiken das Interesse der Medien.126 Als Grund für ihren Rücktritt aus dem Ehrengericht und dem Alkarenverein nannten Generalleutnant Bruno Vuletić, Oberst Uroš Dalbello und der mit dem „Orden des Volkshelden“ (Orden narodnog heroja) ausgezeichnete Oberst Petar Peko Bogdan „ihre Überraschung über den präzedenzlosen politischen Druck und die nicht tolerierbare Einmischung der lokalen Vertreter von HDZ und HDS in die Arbeit der legal gewählten Vertretung des Ritterlichen Alkarenvereins“.127 Der ehemalige Anführer Bruno Vuletić fügte hinzu, dass er „an dieser Schändung alter freiheitlicher Traditionen nicht teilnehmen will, […] sowie dass die Alka keine Sache des ParteiWettbewerbs sein darf“.128 Am Freitag, den 22. Juni 1990, wurde ein Treffen der Vereinsvertreter mit den politischen Vertretern der lokalen Verwaltung organisiert, auf dem man eine Lösung für die Krise finden wollte, die die Vorführung der 275. Sinjska Alka infrage stellte. Nachdem der stellvertretende Alajčauš Damir Vukasović es abgelehnt hatte, die Funktion des zurückgetretenen Befehlshabers der Alkarentruppe Stipe Batarelo zu übernehmen, stimmte man darin überein, dass der langjährige Teilnehmer und dreifache Ruhmgewinner Anđelko Vučković diesen Posten einnehmen würde.129 Zur Fortsetzung der Vorbereitungen für die 275. Sinjska Alka wurden alle Alkaren, mit Ausnahme der zurückgetretenen Alkaren Batarelo und Borković, eingeladen. Darüber hinaus wurde auf dem Treffen der Rücktritt der drei Mitglieder des Ehrengerichtes abgelehnt. Ihre Rückkehr in das Ehrengericht unterstützen der alkarische Anführer Nikola Tomašević, der Vorsitzende der Sinjer Gemeindevertretung (Predsjednik Skupštine općine Sinj) Jerko Vukas, ein weiterer anwesender Vertreter der HDZ sowie sämtliche Alkaren.130 Mit dem Hinweis darauf, dass er erst mit der Parteizentrale Rücksprache halten müsse, enthielt sich der Vertreter der Kroatischen Demokratischen Partei (HDS) bei der Abstimmung.131 Der Anführer Tomašević blieb zwar weiterhin bei seiner Rücktrittsankündigung,

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Toni Paštar: Alka ostaje “na konju”? In: Slobodna Dalmacija, 24. Juni 1990. Nedjeljko Musulin: Ostavke u Sinjskoj alkci. In: Vjesnik, 22. Juni 1990. M.Č.: Ostavka časnog suda. In: Politika, 23. Juni 1990. Vgl. D. Kozar: Nova vlast, novi protokol. In: Oslobođenje, 30. Juni 1990. N. Musulin: Nove ostavke alkara. In: Vjesnik, 23. Juni. 1990. Toni Paštar: Alka ostaje “na konju”? In: Slobodna Dalmacija, 24. Juni 1990. N. Musulin: Sinjska alka unatoč ostavkama. In: Nedjeljni vjesnik, 24. Juni 1990. Ebd. Ebd.

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appellierte aber „an alle Cetiner Ritter“, dass sie sich so weit wie möglich für die Abhaltung der bevorstehenden Sinjska Alka engagieren sollten.132 Im Unterschied zu so vielen anderen Traditionsträgern sah der Anführer Tomašević kein Problem in der geforderten symbol-politischen Umkodierung der Sinjska Alka und unterstützte in seinen öffentlichen Auftritten mehrmals die mit Tuđman in Zagreb vereinbarte Lösung. Dennoch wollte der erst vor zehn Wochen in sein Amt gewählte Anführer aufgrund der außerordentlichen Vollversammlung, die Anfang Juli stattfinden sollte, zurücktreten.133 Trotz der Unterstützung aller relevanten Akteure und der Versuche, ihn zum Bleiben zu bewegen, sah sich Tomašević verpflichtet, seine Position aufzugeben und sich daraufhin gegebenenfalls auf der Vollversammlung in seinem Amt bestätigen zu lassen. Als grundsätzliche Vorbedingung für die weitere Erfüllung seiner prestigeträchtigen aber verantwortungsvollen Aufgabe nannte Tomašević die Entscheidungsfreiheit bei der Zusammensetzung der Teilnehmerliste, die im Einklang mit dem Statut jeder Anführer besitzen sollte. Laut Medienberichten stand der Anführer Tomašević unter erheblichem Druck der politischen Parteien, die versucht hätten, sich das Ritual auch auf diese Weise anzueignen.134 In den Medien kritisierten die zurückgetretenen Traditionsträger die symbolischen Veränderungen in der Sinjska Alka zumeist nur indirekt. Eine Ausnahme stellte dabei nur Bruno Vuletić dar. Der Sarajevoer Tageszeitung Oslobođenje teilte er Ende Juni 1990 zwar mit, dass „gewisse Veränderungen stattfinden sollten“, kritisierte jedoch, dass sie „rasch und nach dem Diktat der HDZ“ geschähen.135 Die Belgrader Tageszeitung Politika zitierte den langjährigen Anführer Anfang Juli mit der Aussage, dass „die Fahrt zu Tuđman nach Zagreb ein Fehler war“.136 Die anderen zurückgetretenen Traditionsträger vermieden derart dezidierte Aussagen in den Medien. Ihren Rücktritt erklärten sie meistens mit der Formulierung, dass sie die Einmischung der Politik in die Tätigkeit des Alkarenvereins nicht akzeptieren könnten.137 Darüber hinaus behaupteten die unzufriedenen Traditionsträger, dass man die Veränderungen angesichts des Zeitmangels erst nach der 275. Sinjska Alka hätte schrittweise umsetzen sollen. Ihre Argumente stellten sie als Versuch, die Sinjska Alka zu „entpolitisieren“, dar. Auch die lokalen Vertreter von HDZ und HDS äußerten in ihren medialen Auftritten versöhnliche Botschaften sowie das Bedürfnis, die Sinjska Alka zu „entpolitisieren“. Gleichzeitig insistierte man aber auf dem Recht aller interessierten Menschen, dem Alkarenverein beitreten zu können. Die „Demokratisierung des Alkarenvereins“ wurde dabei vor allem von den Vertretern der Kroatischen Demokratischen Partei (HDS) gefordert, deren Vorsitzender Dr. Vladimir Veselica das Cetiner Land im kroatischen Parlament vertrat.138 „Man sollte einen Kodex für die Mitgliedschaft sowie eine vollkommene Entpolitisierung der Alka her-

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N. Musulin: Sinjska alka unatoč ostavkama. In: Nedjeljni vjesnik, 24. Juni 1990. Nedjeljko Musulin: Samo časno ponašanje. In: Vjesnik, 29. Juni 1990. Nedjeljko Musulin: Političke magle. In: Vjesnik, 27. Juni 1990. D. Kozar: Nova vlast, novi protokol. In: Oslobođenje, 30. Juni 1990. P. Kovačević: Neviteške igre sa viteškom tradicijom. In: Politika, 7. Juli 1990, S. 14. Toni Paštar: Alka ostaje “na konju”? In: Slobodna Dalmacija, 24. Juni 1990. P. Kovačević: Neviteške igre sa viteškom tradicijom. In: Politika, 7. Juli 1990, S. 14.

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beiführen“ subsumierte Vladimir Veselica im Juni 1990 den Anspruch seiner Partei gegenüber dem Alkarenverein.139 Dabei forderte er „die prompte Abschaffung [des Kriteriums] der moralisch-politischen Geeignetheit für die Mitglieder des Alkarenvereins“ mit dem Hinweis darauf, dass man ebenfalls „die Madonna von Sinj nicht umgehen kann, die eng mit der Entstehung der Alka verbunden ist“.140 Die Ankündigung der außerordentlichen Vollversammlung zog bei den Einwohnern des Cetiner Landes ein immenses Interesse nach sich, dem Alkarenverein beizutreten. In der Periode des Spätsozialismus hatte die Zahl der Mitglieder kontinuierlich etwa 150 aktive und ehemalige Ritualteilnehmer umfasst.141 Demgegenüber gingen im Frühjahr 1990 innerhalb weniger Wochen über 300 Mitgliedschaftsanträge beim Alkarenverein ein, darunter auch der Antrag des Parteichefs der Kroatischen Demokratischen Partei (HDS), Dr. Vladimir Veselica. Das plötzliche Interesse mancher Cetiner für die Mitgliedschaft im Alkarenverein stieß auf den Widerstand der alten Traditionsträger.142 Dabei stellten die Anträge angesehener Personen, zu denen der Parlamentsabgeordnete Vladimir Veselica sicherlich zählte, nicht grundsätzlich ein Problem dar. Für Entrüstung sorgte vielmehr der Eindruck, dass die Parteimitglieder massenhaft mobilisiert wurden, um durch die Vollversammlung parteipolitischen Einfluss auf die Gestaltung der Sinjska Alka zu nehmen. Laut Medienberichten brachte Ende Juni 1990 ein Parteimitglied sogar 130 auf Durchschlagpapier verfasste Mitgliedschaftsanträge im Alkarenverein vorbei.143 Während die politischen Parteien versuchten, sich die Sinjska Alka anzueignen, bereiteten sich die Traditionsträger auf die Jubiläumsvorführung der 275. Sinjska Alka vor. Nach dem Rücktritt von Stipe Batarelo war Anđelko Vučković einstimmig zum vorübergehenden Befehlshaber der Alkarentruppe ernannt worden.144 Außerdem wurde unter den Ritualteilnehmern beschlossen, dass einige Vertreter der Alkarentruppe die ausgetretenen Mitglieder des Ehrengerichtes besuchen sollten, um sie dazu zu überreden, ihre Rücktrittsgesuche zurückzuziehen. Die Loyalität gegenüber den alkarischen Veteranen im Ehrengericht sowie den Glauben, dass ein Kompromiss aller Beteiligten möglich sein würde, drückten die Alkaren in einer weiteren Initiative aus: Ende Juni 1990 entschieden sie laut Medienberichten, dass weder das außerordentliche Treffen der Vereinspräsidentschaft noch die außerordentliche Vollversammlung ohne die Präsenz der zurückgetretenen Funktionsträger stattfinden solle.145 Die Ereignisse im Alkarenverein weckten erhebliches Medieninteresse. In zahlreichen Artikeln vertraten die Journalisten nahezu übereinstimmend die Meinung, dass eine „Entpolitisierung der Sinjska Alka“ (depolitizacija Alke) den Ausweg aus der Sackgasse darstellen würde. Dabei hatten sie jedoch unterschiedliche Vorstellungen davon, worin diese Entpolitisierung genau bestehen sollte. Die Spliter Tageszeitung Slobodna Dalmacija beleuchtete das Thema am 30. Juni 1990 in der Rubrik „Thema der Woche“ und stellte es aus drei unterschiedlichen Perspektiven vor. 139 140 141 142 143 144 145

Toni Paštar: Alka ostaje “na konju”? In: Slobodna Dalmacija, 24. Juni 1990. Ebd. Toni Paštar: Svi smo mi prolazni – jedino Alka ostaje. In: Slobodna Dalmacija, 11. August 1990, S. 40. Nedjeljko Musulin: Ostavke u Sinjskoj alkci. In: Vjesnik, 22. Juni1990. Toni Paštar: Svi smo mi prolazni – jedino Alka ostaje. In: Slobodna Dalmacija, 11. August 1990, S. 40. Nedjeljko Musulin: Političke magle. In: Vjesnik, 27. Juni 1990. Ebd.

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Anscheinend inspiriert von Gramscis Theorie der kulturellen Hegemonie behauptete der Journalist Bože V. Žigo, dass die Einzelpersonen „aus den beiden sich gegenüberstehenden Lagern […] das traditionelle Volksspiel als […] ideologisches und politisches Marketing sowie bloßes Mittel der Macht- und Hegemonieherstellung betrachten“.146 Auch die anderen beiden Journalisten deuteten die Ereignisse um die Sinjska Alka als Versuch ihrer politischen Instrumentalisierung, wobei die politischen Präferenzen der Autoren jedoch klar ersichtlich wurden. Mladen Krnić befürwortete wiederum die Idee der moderaten Veränderungen unter der Berücksichtigung der Verdienste des alten Vereinsvorstandes. „Die von HDZ und HDS befürwortete Entpolitisierung lässt nicht auf eine Reinigung der Alka von der Politik schließen, sondern [auf die Reinigung] von einer gewissen Politik“, stellte Krnić zutreffend fest.147 Er fügte hinzu, dass die Methoden und Ambitionen der neuen Macht gegenüber der Sinjska Alka „so angemessen sind wie das Ziehen eines Zahns mit einem französischen Schraubenschlüssel“. Nicht weniger treffend beschrieb schließlich Josip Jović „die Absurdität der Situation“.148 Bei den Menschen, die auf der Entpolitisierung der Sinjska Alka bestünden, handele es sich um dieselben, die sich bis dato darum bemüht hätten, sie zu politisieren. „Es ist lächerlich, überhaupt von der Entpolitisierung einer Volkssitte, eines Volksspiels oder eines Volksfestes zu reden, wenn das bloße Volk bereits eine politische Kategorie ist“, führte Jović seine Argumentation fort. Gleichzeitig unterstützte er ausdrücklich die bereits in der Woche zuvor öffentlich angekündigte Kodierung der Sinjska Alka mit kroatischen Nationalsymbolen. Die Nation definierte er dabei als „eine relativ stabile Kategorie bzw. den Rahmen, in dem wir alle leben“ und fügte hinzu, dass „die staatliche Symbolik für jeden akzeptabel sein kann“. Jović pointierte seinen Kommentar mit der Frage: „Welcher Franzose respektiert Frankreich nicht?“. Durch die Erwähnung des Landes, das als Symbol des Verfassungspatriotismus apostrophiert wird, wies der Autor offensichtlich auf einen anderen, wesentlich wichtigeren Prozess der symbol-politischen Umkodierung hin. Die Veränderungen in der Sinjska Alka korrelierten mit den öffentlichen Diskussionen über die bereits angekündigten Änderungen des Namens sowie der politischen Symbole der Sozialistischen Republik Kroatien. Dabei sorgte die Entfernung des sozialistischen Attributes aus dem Namen nicht für Kontroversen, schließlich war das Gleiche bereits in Serbien, Slowenien sowie in mehreren mittelosteuropäischen Staaten durchgesetzt worden. Im Gegensatz dazu wurde die Einführung neuer visueller Symbole von heftigen geschichtspolitischen Debatten über den Zweiten Weltkrieg begleitet.149 Die Befürworter der These, dass die Serben im post-titoistischen Kroatien und darüber hinaus wieder unter Diskriminierung und Bedrohung durch Chauvinisten leiden würden, bewerteten die Kodierung des öffentlichen Raumes mit kroatischen ethno-nationalen und politischen Symbolen als Bestätigung ihres Paradigmas.

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Bože. V. Žigo: Kulturni spomenik, prije i iznad svega. In: Slobodna Dalmacija, 30. Juni 1990, S. 15. Mladen Krnić: Sa štitom ili na njemu. In: Slobodna Dalmacija, 30. Juni 1990, S. 15. Josip Jović: Vraćanje otjeranoga na velika zvona. In: Slobodna Dalmacija, 30. Juni 1990, S. 15. Vgl. Maja Brkljačić, Holm Sundhaussen: Symbolwandel und symbolischer Wandel. In: Osteuropa 7/2003, Jg. 53, S. 933-948.

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Während der 1980er Jahre waren Werke über die Verfolgung und Leiden der Serben im USK während des Zweiten Weltkriegs in der serbischen Öffentlichkeit auf erhebliche Resonanz gestoßen.150 Darin war die erschreckend hohe Zahl der Opfer, die in den Konzentrationslagern der Ustaša umgekommen waren, von den serbischen Nationalisten leichtfertig multipliziert und als Beweis für den nahezu kollektiven Hass der Kroaten gegenüber den Serben dargestellt worden. Im Einklang damit deuteten die serbischen Nationalisten ab 1990, dass die erneute Präsenz kroatischer nationalistischer Symbole im öffentlichen Raum nichts anderes sei als die Restaurierung des Ustaša-Staats und ein Hinweis darauf, dass die damalige Hasspolitik gegenüber den Serben wieder aufgenommen werden würde. Während es sich bei diesen Aussagen um manipulative Konstruktionen mit starkem tagespolitischen Beigeschmack handelte, trugen auch die nationalistische Rhetorik und die konkreten Maßnahmen der neuen kroatischen Regierung nicht zur Überwindung des Misstrauens bei. Die ideologische Polarisierung der Befürworter und der Gegner des alten Regimes, die die kroatische Gesellschaft Anfang 1990 charakterisierte, wurde schon im Sommer 1990 weitgehend von Ethnisierungsprozessen überschattet. Analog zur zunehmenden Sichtbarkeit von auf ethnischer Zugehörigkeit gründenden politischen Symbolen im öffentlichen Raum wuchs auch die soziale Relevanz der ethnischen Zugehörigkeit im Alltag. Mit dem Argument, dass die Serben im öffentlichen Dienst und im Machtapparat überrepräsentiert seien, wurden zahlreiche serbisch-stämmige Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit aus dem Staatsdienst sowie aus schrumpfenden Unternehmen entlassen.151 Die politische Führung Serbiens versuchte gleichzeitig, die kroatischen Serben als Druckmittel gegen die Regierung in Zagreb zu mobilisieren und beteiligte sich mit den schrecklichsten Zukunftsprognosen aktiv an der Einschüchterung der serbischen Bevölkerung im Lande. Die Ethnisierung des Alltags begünstigte im Sommer 1990 den raschen Aufstieg der ethnozentrierten Serbischen Demokratischen Partei (SDS), die sich als die politische Vertretung der kroatischen Serben darstellte.152 „Ich habe nichts gegen die Abschaffung des Sterns, jedoch habe ich eine reservierte Einstellung in Bezug auf das Schachbrettwappen (šahovnica)“, sagte einer der SDS-Parteichefs Jovan Rašković Ende Juni 1990 gegenüber der Slobodna Dalmacija.153 Rašković weigerte sich inzwischen, so wie auch andere Abgeordnete seiner Partei, seine Funktionen im kroatischen Parlament wahrzunehmen. Er lehnte außerdem die von den Regierungen in Ljubljana und Zagreb befürwortete Idee einer jugoslawischen Konföderation entschlossen ab. Die zunehmende Polarisierung des politischen und öffentlichen Lebens entlang ethnischer Identitäten überschattete im Sommer 1990 die Trennungslinie zwischen den Befürwortern und Gegnern der kommunistischen Macht. Wenngleich sich die Regierungspartei (HDZ) als der ideologische Gegner des alten Systems darstellte, waren ihre wichtigsten Posten im erheblichen Anteil von früheren Mitgliedern des BdK besetzt worden. Der Parteichef Franjo Tuđman, der selbst über Jahrzehnte dem kommunistischen Establishment angehört hatte, 150 Vgl. Holm Sundhaussen: Istorija Srbije od 19. do 21. veka, Novi Sad, 2008, S. 422-438. 151 Vgl. Maja Brkljačić, Holm Sundhaussen: Symbolwandel und symbolischer Wandel. In: Osteuropa 7/2003, Jg. 53, S. 933-948. 152 Bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 1990 wählten die Serben in Kroatien, die in etwa zwölf Prozent der Bevölkerung ausmachten, überwiegend die Liste der SKH/SDP. Die ethnozentrierte Serbische Demokratische Partei (SDS) bekam lediglich 1,5 % der gesamten Stimmen. 153 Rezerve prema šahovnici. In: Slobodna Dalmacija, 30. Juni 1991, S. 16.

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sprach sich nun als Präsidentschaftsvorsitzender der SR Kroatien für eine ideologische Versöhnung der Kroaten (pomirba) und eine Einigung über die als nationales Interesse eingestuften Fragen aus. Im Einklang damit befürwortete Tuđman die Eingliederung der alten kommunistischen Kader in die Partei, solange sie dazu bereit wären, seine Obrigkeit sowie seine Ideen anzuerkennen. Darüber hinaus bemühte sich die neue kroatische Regierung um die Herstellung von Allianzen mit den relevanten sozialen Institutionen und Gruppen sowie um die symbolische Legitimation ihrer Macht. Die Fortsetzung bzw. die Herstellung eines neuen Arrangements mit den alten Traditionsträgern der Sinjska Alka verlief für die neue kroatische Regierung indes alles andere als optimal, woran deutlich wurde, dass keine allumfassende soziale Unterstützung für ihre Maßnahmen bestand. Die Belgrader Medien, die größtenteils außerordentlich kritisch über Tuđman und die Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) berichteten, nutzten die Ereignisse im Alkarenverein, um noch einmal ihre Position in Hinblick auf die politischen Veränderungen in Kroatien zu akzentuieren. Die Tageszeitung Večernje novosti analysierte im Juli 1990 die laufenden Prozesse der symbolischen Umkodierung der Sinjska Alka und des Spliter Fußballvereins Hajduk und veröffentlichte ihre Ergebnisse in einer heftigen Schmähschrift gegen Tuđman und die HDZ. Zwar warf die Belgrader Zeitung der neuen kroatischen Regierung zutreffend vor, dass sie „die zwei Symbole Dalmatiens“ in den Dienst ihrer Partei stellen wolle.154 Doch behauptete der Autor darüber hinaus, dass der Alkarenverein „mit einem Anschlag von außen [...], das Schikanieren von Mitgliedern auf ihren Arbeitsplätzen und das Bedrohen ihrer Familien eingeschlossen, [...] ins Chaos geworfen wurde“. Er führte fort: „Im HDZ-Verständnis der Demokratie ist allein für eine Partei und eine Meinung Platz“, und spielte damit auf die in Serbien populäre Vorstellung von der HDZ als einer faschistischen Partei an. Er warnte außerdem davor, dass es „die laute Minderheit letztendlich schaffen wird, ihre Pläne durchzusetzen“.155 Die Krise im Alkarenverein führte schließlich dazu, dass eine Delegation hochrangiger kroatischer Regierungsvertreter Anfang Juli 1990 nach Sinj reiste. Neben dem Vizevorsitzenden der Präsidentschaft Kroatiens Antun Vrdoljak nahmen das HDZ-Vorstandsmitglied Zvonimir Marković sowie die Bürgermeister von Split und Zagreb Onesin Cvitan und Boris Buzančić am Treffen mit dem Vorstand des Alkarenvereins teil. Die Macht- und Traditionsträger handelten aus, dass die außerordentliche Vollversammlung erst nach der 275. Sinjska Alka stattfinden würde.156 Darüber hinaus bestätigten sie die Vereinbarung zwischen der Sinjer Verwaltung und dem Präsidenten Tuđman, laut der alle Funktionsträger und Mitglieder des Ehrengerichtes ihre Rollen trotz der Rücktrittsgesuche würden behalten können. Vrdoljak versprach dem Vereinsvorstand, dass die Alka überparteilich bleiben würde, „weil das Ritterspiel eine der wenigen traditionellen Volkskundgebungen darstellt“. Er fügte hinzu, dass die neue Macht die Alka weiterhin unterstützen werde, ohne dabei die Autonomie des Alkarenvereins zu untergraben.157 In Einklang mit dieser Aussage vereinbarte man, dass der

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S. Petrić: “U sridu” – bez petokrake. In: Večernje novosti, 02. Juli 1990, S. 6. Ebd. Nedjeljko Musulin: Alka iznad stranaka. In: Vjesnik, 4. Juli 1990. Ebd.

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Vorstand des Alkarenvereins eigenständig über eventuelle Ersatzkandidaten für die zurückgetretenen Funktionsträger würde entscheiden dürfen, sofern diese ihre Rücktrittsgesuche nicht zurückziehen würden. Mit diesen Vereinbarungen war die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die Vorführung der 275. Sinjska Alka am ursprünglich geplanten Termin und in der Anwesenheit des Schirmherren Tuđman würde stattfinden können. Darüber hinaus vermied man die sofortige Einberufung der außerordentlichen Vollversammlung, die weder im Interesse des Vereinsvorstands noch der regierenden Partei war. In den Reihen der Kroatischen Demokratischen Partei (HDS) führte die Verschiebung der außerordentlichen Vollversammlung hingegen wie erwartet zu Unzufriedenheit und dem Eindruck, hintergangen worden zu sein. Der Sekretär des lokalen Zweigs der HDS Ivo Župić reagierte am 3. Juli 1990 mit einem offenen Brief auf die Vereinbarung und kündigte an, wie seine Partei daraufhin vorzugehen gedenke. Sollte die außerordentliche Vollversammlung des Alkarenvereins verschoben werden, schrieb Župić, so werde die HDS „ihre Mitglieder einladen, sich von der diesjährigen Alka zu distanzieren“.158 Über diese Drohung hinaus war der Handlungsraum der Kroatischen Demokratischen Partei jedoch äußerst begrenzt. Die von Župić geforderte Änderung der alkarischen Fahne oder das Streichen der jugoslawischen Hymne aus der Eröffnungszeremonie waren schließlich schon längst zwischen dem Alkarenverein und den Regierungsvertretern vereinbart worden. Bezüglich der Vorwürfe der HDZ gegenüber der HDS, dass sie mit ihren Forderungen die bloße Abhaltung der Sinjska Alka in Frage stellen würde,159 betonte Župić, dass die HDS „weder auf den Sturz der Sinjska Alka hinarbeite, noch Unruhe in der Öffentlichkeit stiften wolle“.160 Die Schuld an den Problemen im Alkarenverein gab er „einigen Vorstandsmitgliedern, die zurückgetreten sind“. Schließlich schmückte Župić den Brief mit ein wenig antikommunistischer Rhetorik aus, beispielsweise der Bemerkung, dass „die Alka von 1715 und nicht von 1945 vorgeführt wurde“.161 Die Anschuldigungen der Kroatischen Demokratischen Partei und die Rücktrittswelle kommentierten Alajčauš Stipe Batarelo, Harambaša Ivo Filipović und die Mitglieder des Ehrengerichtes auf ihrem Treffen mit den Alkaren und Knappen am 4. Juli.162 Die Vorwürfe, dass die Alka im Sozialismus politisiert worden sei, wiesen alle zurückgetretenen Funktionsträger zurück und betonten, dass sie gerade heutzutage politisiert werde. Vojvoda Tomašević dankte ihnen für ihren großen Beitrag zur Sinjska Alka und versicherte, dass eine Zeit kommen würde, in der man ihre Leistung anerkennen würde. „Man konnte doch wahrnehmen, dass die Alkaren bei der Rückkehr der hoch angesehenen und verdienten Mitglieder des Alkarenvereins unzufrieden den Raum verließen“, berichtete die Zagreber Tageszeitung Večernji list Anfang Juli 1990 vom Treffen.163

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Nedjeljko Musulin: Igre oko Alke. In: Vjesnik, 4. Juli 1990. Vgl. D. Kozar: Nova vlast, novi protokol. In: Oslobođenje, 30. Juni 1990. Nedjeljko Musulin: Igre oko Alke. In: Vjesnik, 4. Juli 1990. Ebd. J. Blaić: Igre – ali ne viteške. In: Večernji list, 05. Juli 1990. Ebd.

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Nach dem endgültigen Rücktritt der Funktionsträger traten im Sommer 1990 auch fünf Alkaren aus der Alkarentruppe aus. Damit war der Weg für vier Alkaren aus der Begleittruppe (pratnja) frei, um zum ersten Mal als Turnierteilnehmer zur Sinjska Alka beitragen zu können.164 Zum neuen Alajčauš wurde der langjährige Teilnehmer und aktuelle Ruhmgewinner Ivan Zorica ernannt, der sich seit 1971 am Turnier beteiligt hatte.165 Für den Vorsitz des Ehrengerichtes wählte man den pensionierten, 74-jährigen Apotheker Dražen Tripalo aus, der in der Zwischenkriegszeit mehrmals am Turnier teilgenommen hatte.166 Zwar hatte er im sonntäglichen Finale nie triumphiert, doch war er in die lokalen Chroniken eingegangen, als er 1932 in der fünften Verlängerungsrunde des Wettkampfs knapp verloren hatte. Dražen Tripalo wurde von seinem Vorgänger Petar Peko Bogdan besucht, der ihm zur Wahl zum Vorsitzenden des Ehrengerichts gratulierte.167 Bezüglich der symbolischen Veränderungen im alkarischen Ritual konstatierte Bogdan dabei versöhnlich, dass „man verstehen sollte, dass die alkarischen Fahnen auch schon früher verändert wurden“.168 Und trotzdem setzte sich der ehemalige Anführer für das Erhalten des „silbernen Schildes“ ein, und zwar mit dem kuriosen Argument, dass „er weder von Josip Broz noch von den Kommunisten erfunden wurde”.169 Während die Neuverteilung der Rollen im Ritual in vollem Gange war, setzte die HDS ihre Protestkampagne gegen die Verschiebung der Vollversammlung fort und forderte weiterhin eine „Entpolitisierung der Sinjska Alka“. Boris Grčić Rako, einer der zwei HDS-Vertreter im mittlerweile schon in Vergessenheit geratenen überparteilichen Ausschuss zur Vorbereitung der Vollversammlung, kommentierte Mitte Juli 1990, dass die „HDS es nicht erlauben wird, dass man außerhalb von Sinj über die Alka entscheidet“.170 Das Mitglied des Parteivorstandes für das Cetiner Land kritisierte dabei die Gespräche der HDZ-Spitze mit dem Alkarenverein und erklärte, dass er nicht verstehe, „was sie mit der Alka zu tun haben“. Den Vorwurf gegen die Regierungspartei, ihr Wort nicht zu halten, bekräftigte er mit einem Hinweis darauf, was diese während der Wahlkampagne in Bezug auf die Alka versprochen hätte: „In ihren Wahlversprechungen trat die HDZ ganz konkret und erheblich für Veränderungen innerhalb der Alka ein und [positionierte sich] damit erheblich rechter als die HDS“, beschwerte sich Grčić und fügte noch einen ironischen Hinweis auf einen bekannten Grundsatz des alkarischen Statuts hinzu. „Der Schluss ist klar: Die Kroatische Demokratische Gemeinschaft stand so rechts, dass die Kroatische Demokratische Partei von der linken Seite kam. Und man weiß ja, dass Linkshänder nicht an der Sinjska Alka teilnehmen dürfen.“171 Über die Beschwerden der Kroatischen Demokratischen Partei und kurze Berichte bezüglich der Turniervorbereitungen hinaus thematisierten die Medienberichte aus Sinj im Sommer 1990 immer häufiger die legendäre Hilfe der Heiligen Maria während der Sinjer Schlacht 1715. Die Resakralisierung der Schlachtdeutung im Mediendiskurs hielt zeitgleich mit der 164 165 166 167 168 169 170 171

N. Musulin: Mladi čekaju šansu i pogotke. In: Vjesnik, 14. Juli 1990. Bože Šimleša: Zora Ivana Zorice. In: Večernji list, 4. August 1990, S. 12. N. Musulin: Novi Časni sud. In: Vjesnik, 18. Juli 1990. Božo Šimleša: Tripalova najuzvišenija trka. In: Večernji list, 4. August 1990, S. 12. P. Kovačević: Neviteške igre sa viteškom tradicijom. In: Politika, 7. Juli 1990, S. 14. Ebd. N. Musulin: Ljevaci ne mogu trčati Alku. In: Vjesnik, 15. Juli 1990. Ebd.

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öffentlichen Forderung der katholischen Kirche Einzug, nach 45 Jahren den Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen wieder einzuführen.172 Im Einklang mit den breiteren gesellschaftlichen Tendenzen bewerteten die Journalisten die Wiederverknüpfung der Sinjska Alka mit der „Wundertätigen Mutter Gottes von Sinj“ (Čudotvorna Gospa Sinjska) als „Entpolitisierung des Spiels [und als] Rückkehr zu seiner authentischen Form“. Ende Juni 1990 schrieb man in einem Artikel in der Zagreber Tageszeitung Večernji list: „Für das Sinjer und Cetiner Volk stellte die Verschiebung des Vorführungstermins die größte Beleidigung dar“.173 Zwar erinnerte der Autor die Öffentlichkeit zutreffend daran, dass man mit der Verschiebung des Termins auf das erste Augustwochenende unter anderem ihre symbolische Verknüpfung mit dem Feiertag Maria Himmelfahrt hatte lösen wollen. Gleichzeitig platzierte er aber die wahrscheinlich falsche Information, dass die Sinjska Alka „immer am 15. August, […] zum großen katholischen Festtag abgehalten wurde“.174 Die Resakralisierung der Sinjska Alka erfolgte bald auch in den anderen Medien. In einem Artikel in der Slobodna Dalmacija Mitte Juli 1990 behauptete man, dass die „Alka keine Mode oder das Spiel der Faulen (igra dokonih) ist, sondern eine Ode an die Helden und Opfer für die Freiheit und das Heilige Kreuz“.175 Der Autor fügte hinzu, dass „der Verteidiger von Sinj mit Gott befreundet ist”.176 Am Tag der Veröffentlichung dieses Artikels in Slobodna Dalmacija besuchte der Vizevorsitzende der Präsidentschaft der Sozialistischen Republik Kroatien Antun Vrdoljak ein weiteres Mal Sinj, genau 20 Tage vor der geplanten Vorführung der 275. Sinjska Alka.177 Nach der Feststellung, dass „die alkarischen Vorbereitungen entsprechend dem vereinbarten Plan und Programm und im Einklang mit den demokratischen Veränderungen verlaufen“, bestätigte er den geplanten Besuch des Präsidenten Tuđman in Sinj und definierte das Protokoll mit den Gastgebern. „Der Präsident wird […] den silbernen Schild Titos feierlich übergeben, dem Gewinner gratulieren und eine angemessene Rede halten, die sich höchstwahrscheinlich auf die erfolgreichen Mehrparteienwahlen und die demokratischen Veränderungen in Kroatien sowie auf die aktuelle soziopolitische Situation in unserer Republik und der Welt beziehen wird“, kündigte man im Vjesnik an.178 Im Einklang mit den bevorstehenden Verfassungsänderungen tauchte das Attribut „sozialistisch“ im Bericht nicht mehr auf, obwohl das Land formell betrachtet noch immer als „sozialistische Republik“ galt. Das Paket der symbolisch wichtigen Verfassungsänderungen bestätigte das kroatische Parlament am 25. Juli 1990.179 Außer der Entfernung des Attributs „sozialistisch“ aus dem Landesnamen wurden das neue Wappen sowie die neue Flagge eingeführt. Der rote Stern auf der kroatischen Flagge wurde durch das „historische kroatische Wappen“ ersetzt. Dabei verpasste man allerdings zu definieren, wie „das historische kroatische Wappen“ genau aussehen 172 173 174 175 176 177 178 179

Ivo Banac: Crkva i Hrvati, Zagreb/Sarajevo, 2013, S. 145. Ante Ivković: Viteštvo i politika. In: Večernji list, 27. Juni 1990. Ebd. S. Ljubičić: Alka nije moda ni igra dokonih. In: Slobodna Dalmacija, 16. Juli 1990. Ebd. N.M.: Dr. Franjo Tuđman na Alki. In: Vjesnik, 17. Juli 1990. Ebd. Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 2, S. 161.

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sollte, bzw. mit welcher Farbe das rot-weiße Schachbrettmuster links oben anfangen sollte.180 In der Vergangenheit hatte man zwar beide Farbvarianten als territoriales und politisches Symbol Kroatiens benutzt, doch ergab sich aus dem symbol-politischen Gebrauch der Šahovnica im 20. Jahrhundert und insbesondere seit dem Kriegsausbruch in Jugoslawien 1941, ein wichtiger Unterschied:181 Das Wappen mit dem weißen Feld links oben befand sich auf der Flagge des USK (1941-1945), die umgekehrte Variante charakterisierte hingegen das Wappen der Sozialistischen Republik Kroatien (1945-1990).182 Dementsprechend konnte man aus beiden Varianten „des historischen kroatischen Wappens“ auch eine gewisse ideelle bzw. ideologische Bedeutung ablesen. Wenngleich nicht auszuschließen ist, dass die ambivalente Beschreibung einen Zufall darstellte, korrelierte die Abwesenheit einer eindeutigen symbolischen Zuordnung des Staatswappens mit der generellen, ideologisch eklektischen Geschichtspolitik der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ). Diese Art der Vergangenheitsdarstellung ermöglichte es der Partei bzw. der Regierung, die einstigen Träger und Unterstützer beider Ideologien an sich zu binden. Laut dem norwegischen Historiker Knut Vesterdal befürworteten Tuđman und die HDZ „eine Art der Nationalversöhnung, die die allkroatische Solidarität stärkte [...] und die Brücken zwischen den Kommunisten und Faschisten baute“.183 Wenngleich die HDZ-Regierung dadurch die Abschaffung der ideologischen Polarisierungen innerhalb der dominanten ethnischen Gruppe tatsächlich begünstigen konnte, hatte eine solche Identitätspolitik auch andere Konsequenzen. Die Ethnisierung des Alltags sowie der immer stärkere Unwille der Herrschaftsträger, sich von der entfesselten Wiederaufwertung der Ustaša-Ideologie zu distanzieren, ängstigten auch diejenigen Mitglieder der serbischen ethnischen Gruppe, die sich mit der Rhetorik und dem Vorgehen der politischen Führung Serbiens oder der SDS nicht identifizieren wollten. Die serbischen Nationalisten nahmen jedoch die Verfassungsänderungen als Anlass für die öffentliche Aberkennung der kroatischen politischen Institutionen. An dem Tag, an dem die angekündigten Verfassungsänderungen im Landesparlament der Republik Kroatien bestätigt wurden, erschienen Abgeordnete der SDS nicht in Zagreb, sondern im symbolträchtigen Dorf Srb in der Region Lika, wo 1941 der Aufstand der serbischen Bevölkerung gegen den Ustaša-Terror im USK ausgebrochen war. In der Anwesenheit von über 100.000 Leuten wurde „die Deklaration über die Souveränität und Autonomie des serbischen Volkes“ verabschiedet. Darüber hinaus wurde aus politischen Vertretern der mehrheitlich serbischen Gemeinden der Serbische Nationalrat (Srpsko nacionalno vijeće) gebildet.184 Diese Ereignisse bedeuteten den Auftakt zur dramatischen Eskalation der Krise in Kroatien, die ihren ersten Höhepunkt drei Wochen darauf mit dem Aufbau von Barrikaden und Kontrollpunkten im kontinentalen Dalmatien erreichen sollte. In der Zwischenzeit wurde die 275. Sinjska Alka abgehalten. 180 Mario Jareb: Hrvatski nacionalni simboli, Zagreb, 2010, S. 164. 181 Vgl. Marie-Jeanine Calic: Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert, Bonn, 2010, S. 305. 182 Vgl. Maja Brkljačić, Holm Sundhaussen: Symbolwandel und symbolischer Wandel. In: Osteuropa 7/2003, Jg. 53, S. 933-948. 183 Knut Vesterdal: Izgradnja liberalne demokracije u Hrvatskoj. In: Sabrina P. Ramet, Davorka Matić (Hg.): Demokratska tranzicija u Hrvatskoj, Zagreb, 2006, S. 35-64. 184 Vgl. Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 2, S. 161ff.

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Die 275. Sinjska Alka im Zeichen der Wende Die zunehmende politische Spannung im Land sowie die Ereignisse um die Sinjska Alka im Frühjahr und Frühsommer 1990 beunruhigten die Ritualteilnehmer und determinierten die sozialen Polarisierungen in Sinj.185 Die offensichtlichen Absichten der Parteivertreter, die lokale Tradition symbolisch anzueignen, stieß dabei bei vielen Bewohnern des Cetiner Landes auf stille Missbilligung. Das zutreffende Schlagwort der „Entpolitisierungs-kampagne“ kam Ende Juli 1990 aus der Feder des Sinjer Journalisten Toni Paštar.186 Seinen Text über die Restaurierung der alkarischen Kostüme und Waffen beendete er mit einer metaphorischen, aber klar verständlichen Botschaft an die politischen Akteure. „An der Alka ‚kratzten‘ sich sowohl die ‚Agas‘ als auch die ‚Beys‘, meistens ohne dabei zu verstehen, dass sie im Vergleich mit der Alka nur auf der Durchreise sind [...]. Gegründet nach dem Sieg gegen die [osmanischen] Ausbeuter, konnte sich [die Alka] bisher allen Ausbeutungen entgegensetzen“, stellte Paštar einige Tage vor der 275. Sinjska Alka in der Slobodna Dalmacija fest.187 Damit war Toni Paštar anscheinend der erste, der öffentlich eine auf die Alka zentrierte Perspektive artikulierte, die die ideologisch inopportunen Episoden aus der Chronologie des Ritterspiels nicht ausblendete, sondern als zeitlich begrenzte und auf Dauer erfolglose Aneignungsbemühungen der politischen Mächte erklärte. Mit dieser Sichtweise wurden die Inszenierungen unterschiedlicher ideologischer Ordnungen durch die Sinjska Alka nicht mehr als unangenehme Last verheimlicht oder durch angeblich zwingende Umstände erklärt, sondern gerade als Beweis für die epochenübergreifende Bedeutung der Sinjska Alka hervorgehoben. Diese auf die Zäsuren übergreifende Relevanz der Sinjska Alka fokussierte Deutung wurde somit schon 1990 artikuliert, blieb jedoch weiterhin im Schatten des spätestens seit 1918 existierenden Befreiungsnarratives. Demnach wurde die Sinjska Alka mit jedem Umbruch „endlich befreit“ / „entpolitisiert“ / „entideologisiert“ bzw. „zum Ursprung zurückgebracht“. Am Mittwoch, den 1. August 1990, wurde der „feierliche alkarische Befehl“ (Svečana alkarska zapovid) veröffentlicht, in dem der Anführer Tomašević das mehrtägige alkarische Fest ankündigte. Tomašević verwies darauf, dass die Alka in diesem Jahr „zu einer Zeit stattfindet, in der ein neues geistiges Klima der Demokratie und der nationalen Souveränität in Kroatien [...] geschaffen wird“, und appellierte an die Mitbürger, Frieden und gegenseitigen Respekt zu wahren.188 Zwei Tage später fand die erste offizielle Wettbewerbsprobe (Bara) für das große Sonntagsfinale statt. Der lang erwartete Beginn des Fests und die gute Leistung der Alkaren wurden jedoch durch einen Unfall mit den Kanonen (mačkule) auf der Festung überschattet, bei dem die für die Lärmkulisse zuständigen Ritualteilnehmer (pucači mačkula)

185 186 187 188

Milan Sigetić: Pucanjava riječima prije prangija. In: Studio, 3. August 1990, S. 6-7. Toni Paštar: Zlato, srebro i bjelokost iz Tanzanije. In: Slobodna Dalmacija, 31. Juli 1990, S. 19. Ebd. Nedjeljko Musulin: Objavljena “Alkarska zapovid”. In: Vjesnik, 2. August 1990, S. 8.

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Die 275. Sinjska Alka im Zeichen der Wende

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Ivica Gaurina und Milan Vrca verletzt wurden.189 Während die verletzten Männer ins Krankenhaus in Split abtransportiert wurden, engagierte man ihren pensionierten Vorgänger Tino Alčić mit zwei Helfern als stellvertretende Zuständige für das Abfeuern der Kanonen.190 Die Turnierteilnehmer präsentierten sich auch auf der Generalprobe am Sonnabend (Čoja) in guter Form. Neben dem Veteranen Ivo Milun und dem Gewinner des Vortags Tonči Bešlić gelang es auch dem Debütanten Darko Jadrijević mit sieben Punkten in die Verlängerungsrunde zu kommen.191 Am selben Tag wurde im Sinjer Kino Sloboda das Projekt des Alkarischen Hofs (Alkarski dvori) des Spliter Architekten Ante Milas vorgestellt, der die baldige Ausschreibung des Architekturwettbewerbs ankündigte.192 Während man sich in Sinj auf das große Sonntagsfinale vorbereitete, kam Franjo Tuđman am Samstag das erste Mal in seiner Funktion als kroatischer Präsident in Split an. Der nächste geplante Halt auf der Präsidententournee durch Dalmatien war Sinj. Die erste Vorführung der Sinjska Alka nach der Wende stellte sowohl für die Regierung als auch für den Alkarenverein ein äußerst wichtiges Ereignis dar. Die Besonderheit der 275. Sinjska Alka und insbesondere der symbolische Bruch mit der Zeit davor wurde unter anderem dadurch ersichtlich, dass man den pensionierten Berichterstatter Mladen Delić engagiert hatte, zum ersten Mal seit 1971 die Fernsehübertragung des Spiels zu kommentieren.193 Der gebürtige Sinjer, der bereits 1946 aus Anlass der Parade der Fiskulturträger in der Tageszeitung Vjesnik über „das heldenhafte Volksspiel“ (junačka narodna igra) geschrieben hatte, war Ende der 1960er Jahre mit seinen passionierten Kommentaren der Fernsehübertragungen der Sinjska Alka berühmt geworden.194 Während der Repressionswelle nach dem Zusammenbruch des Kroatischen Frühlings Ende 1971 wurde Delić als „Nationalist“ abgesetzt und danach in die Sportredaktion verschoben, wo er bis zu seiner Pensionierung 1984 gearbeitet hatte. Über die Fernsehübertragungen der Sinjska Alka hinaus war er der breiten Öffentlichkeit vor allem durch seinen lebhaften Kommentar des Fußballspiels gegen Bulgarien im Gedächtnis geblieben, als sich Jugoslawien im letzten Qualifikationsspiel mit einem Tor in der letzten Minute für die Europameisterschaft 1984 qualifizierte. Am Sonntag, den 5. August 1990, weckten die traditionellen Kanonenschüsse um 6 Uhr morgens das Cetiner Land und kündigten den feierlichen Tag der 275. Sinjska Alka an. Kurz danach drehte das Stadtorchester eine Runde durch das Zentrum und lud die interessierten Bürger und ihre Gäste ein, auf die Bergfestung zu steigen. Den steilen halbstündigen Weg bewältigten an diesem Sonntagmorgen wesentlich mehr Menschen als im Jahr davor.195 Das öffentliche Interesse am traditionellen Morgenprogramm wurde durch eine Modifikation geweckt, die der Anführer Tomašević bereits in seinem feierlichen Befehl angekündigt hatte.

189 190 191 192 193 194

J. Blaić: Na čije koplje trobojnica? In: Večernji list, 5. August 1990. Ebd. J.B.: Bara i čoja u pripetavanju. In: Večernji list, 5. August 1990. J. Blaić: Na čije koplje trobojnica? In: Večernji list, 5. August 1990. Zvonko Kovačić: Stoljeća spojena Alkom. In: Studio, 10. August 1990, S. 52-53. Siehe: Mladen Delić: Junačka narodna igra 'Sinjska alka' prikazat će se danas po prvi put u Zagrebu u okviru 'Dana fizkulturnika'. In: Vjesnik, 12. Mai 1946, S. 4. 195 Toni Paštar: Alkarski dan. In: Slobodna Dalmacija, 6. August 1990, S. 15.

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Im Unterschied zum Vorjahr begann das Morgenprogramm in der alten Burg mit einem Gottesdienst in der Anwesenheit der Alkaren und Knappen.196 In der kleinen Kirche des Heiligen Franziskus (Sveti Frane) aus dem Jahr 1887 konnten nur wenige der tausenden Interessierten einen Platz finden. Fra Josip Soldo widmete die Messe „der Erinnerung an die heldenhaften Ereignisse“ und sagte, dass die Alka, „ein Faktor des geistlichen Wertes ist“.197 Die radikalen politischen und sozialen Veränderungen spiegelten sich auch in der an den Gottesdienst anschließenden „Geschichtsstunde auf der Sinjer Festung“ (Sat povijesti na sinjskoj tvrđavi) wider. In seinem Vortrag über die Belagerung von Sinj 1715 betonte der Gymnasiallehrer Velimir Borković die Bedeutung der „Wundertätigen Mutter Gottes von Sinj“ (Čudotovorna Gospa Sinjska) für die Verteidigung der Stadt. Zwar stellte die Erwähnung der Sinjer Madonna bereits einen großen Unterschied zu den „Geschichtsstunden“ während der sozialistischen Periode dar, doch erwähnte Borković anscheinend keinen direkten Eingriff der Schutzpatronin, sondern lediglich die um Hilfe flehenden Gebete der Verteidiger.198 Das Narrativ über den Sieg bzw. die Verteidigung von Sinj mit der Hilfe Marias sollte in den 1990er Jahren zu einem grundlegenden Bestandteil der vorherrschenden Deutung der Sinjer Schlacht 1715 werden, wobei ein Teil der sozialen Akteure den Rückzug der Osmanischen Truppen mit ihrer direkten Einmischung erklären würde, während der andere Teil Glauben und Gebete als den entscheidenden psychologischen Faktor hervorheben würde. Die Wende 1990 verdeutlichte sich nicht nur anhand der Resakralisierung des Narrativs und der Praxis, sondern wurde auch von den Medienberichten über die 275. Sinjska Alka widergespiegelt. „Der Geist der neuen kroatischen Souveränität und der demokratischen Veränderungen, der das ganze Cetiner Land erfüllte, gab der Alka ein neues Authentizitätsmerkmal, nachdem sie jahrelang in andersartigen politischen Umständen mehr oder weniger bloß ‚folkloristischer‘ Schmuck auf der ideologisierten und nicht ganz nationalbewussten Grundlage gewesen war“, berichtete Vjesnik.199 Die anderen kroatischen Tageszeitungen beschrieben die 275. Sinjska Alka auf ähnliche Weise.200 Sogar die Journalisten, die erst einige Wochen zuvor die politischen Spiele um die Alka gnadenlos demaskiert hatten, verzichteten in ihren Berichten nun weitestgehend auf kritische Bemerkungen und fokussierten sich auf die feierliche Stimmung in der Stadt. Viel Aufmerksamkeit widmeten die Medien dem Aufenthalt des Präsidenten Tuđman in Sinj, der der Sinjska Alka genauso wie Tito ein Vierteljahrhundert zuvor in einem weißen Sommeranzug beiwohnte. Der Präsident kam schon am Vormittag in Sinj an und besuchte in der Begleitung der Gastgeber erst den nahegelegenen Ausflugsort Kosinac, bevor er sich ab 12 Uhr 30 die Präsentation des Alkarenvereins im Sinjer Hotel Alkar anhörte. In der starken politischen Delegation befanden sich auch zwei Vizepräsidenten Kroatiens: der Historiker Dušan Bilandžić und der Filmregisseur Antun Vrdoljak. An den Feierlichkeiten nahmen auch die Bürgermeister von Zagreb und Split, einige Minister sowie Vertreter der katholischen Kirche teil. 196 197 198 199 200

Nedjeljko Musulin, Milan Sigetić: Alka s povijesnom patinom. In: Vjesnik, 8. August 1990. Toni Paštar: Alkarski dan. In: Slobodna Dalmacija, 6. August 1990, S. 15. Ebd. Nedjeljko Musulin, Milan Sigetić: Alka s povijesnom patinom. In: Vjesnik, 8. August 1990. Vgl. Povijest vraćena Alki. In: Večernji list, 7. August 1990.

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Die 275. Sinjska Alka im Zeichen der Wende

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Die Gäste wurden von den hochrangigsten politischen Gemeindevertretern Jerko Vukas und Ante Turudić sowie zahlreichen Mitgliedern des Alkarenvereins begrüßt. Der neue Vorstandsvorsitzende des Alkarenvereins Ivo Šimundža übergab dem Präsidenten Tuđman die „Goldene Plakette der Sinjska Alka“ als „Zeichen der Anerkennung und Dankbarkeit für seine Annahme der Schirmherrschaft über die 275. Sinjska Alka“.201 Im Anschluss daran wurden den Herrschaftsvertretern zwei Großprojekte des Alkarenvereins vorgestellt, deren Realisierung ohne staatliche Förderung nur schwierig umzusetzen (gewesen) wäre. Vlatko Štrkalj, stellvertretender Direktor des Restaurierungsinstituts Kroatiens, sprach über die mittlerweile seit dreizehn Jahren andauernden Bemühungen, die alkarischen Kostüme, Waffen und Gegenstände zu konservieren und zu restaurieren. Im Anschluss stellte der Architekt Ante Milas das Projekt des Alkarischen Hofs (Alkarski dvori) vor. „Die Präsentation der alkarischen Tätigkeiten“ endete mit einem kurzen Auftritt des Männerchors Klapa Sinj und des Frauenensembles Djevojke s Cetine aus Trilj.202 Die verbleibende Zeit vor Beginn des Wettbewerbs nutzte Präsident Tuđman für einen Spaziergang durch das Stadtzentrum, auf dem er – begleitet von Fotoreportern – dem Ehepaar Vllasi begegnete.203 Der kurz zuvor aus dem Gefängnis entlassene kosovarische Politiker Azem Vllasi genoss während seines Aufenthaltes in Sinj große Aufmerksamkeit, die die übliche Gastfreundschaft weit überstieg.204 Die informelle, aber klar demonstrierte Unterstützung eines der Anführer der Protestbewegung ethnischer Albaner gegen die Belgrader Kosovopolitik stellte eine medial vermittelte Botschaft an die politische Führung Serbiens dar. Diese empfing ihrerseits wiederum mit außerordentlich viel Aufmerksamkeit die Vertreter der kroatischen Serben vor den Kameras in Belgrad. Die Begegnung zwischen Franjo Tuđman und dem Ehepaar Vllasi stellte allerdings nur eines unter den symbolisch interessanten Ereignissen am Rande der 275. Sinjska Alka dar, die den Umbruch nicht nur widerspiegelten, sondern auch vorantrieben. Ein weiterer Gast, dessen Ankunft mitsamt einer Fotografie in Slobodna Dalmacija unterstrichen worden war, war der Franziskaner Dominik Šušnjara.205 Für den langjährigen Seelsorger der kroatischen Katholiken in Deutschland war es der erste Heimatbesuch seit 1942, als er zum Studium nach Freiburg gegangen war. Die Abschaffung der jugoslawischen kommunistischen Ordnung ermöglichte es Šušnjara sowie manchen anderen Gegnern, Dissidenten bzw. Kritikern des jugoslawischen sozialistischen Staates, Kroatien zu besuchen, ohne dabei eine Festnahme befürchten zu müssen. Nach seinem Spaziergang durch das Stadtzentrum wurde dem Präsidenten Tuđman auf dem Empfang des Anführers (Vojvodin prijem), zu dem die Alkaren traditionellerweise einen exklusiven Kreis aus angesehenen Einwohnern des Cetiner Landes sowie ihre Gäste einluden, eine Erfrischung gereicht.206 Um 16 Uhr 30 begann schließlich die Parade der Ritualteilnehmer vor dem provisorischen Alkarischen Hof, der einstigen venezianischen Kaserne, 201 202 203 204 205 206

Toni Paštar: Alkarski dan. In: Slobodna Dalmacija, 6. August 1990, S. 15. Ebd. Toni Paštar: Alkarski dan. In: Slobodna Dalmacija, 6. August 1990, S. 15. D.V.: Pucanje Alke. In: Borba, 07. August 1990. 275. Sinjska alka. In: Slobodna Dalmacija, 6. August 1990, S. 18. Jerko Blajić: Slavodobitnik Joško Marić. In: Večernji list, 6. August 1990, S. 5.

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die sich nach wie vor im Besitz der Jugoslawischen Volksarmee befand. Auf ihrem Weg zur Wettkampfstätte erwiesen die Alkaren der Madonna von Sinj vor dem Eingang zur Kirche am Marschall-Tito-Platz zum ersten Mal seit 45 Jahren ihre Ehre.207 Die zeremonielle Geste mit der Kopfdrehung und Schwenkung der Lanzenspitzen gen Boden stellte indes nicht die einzige Veränderung des Rituals seit der letzten Vorführung dar. Der neuen alkarischen Fahne wurde in den Medienberichten ebenso viel Aufmerksamkeit geschenkt.208 Auf der Vorderseite der dunkelroten Fahne war die Sinjer Festung mit der Aufschrift „1715 – 1941“ abgebildet.209 Auf der Rückseite befand sich die Abbildung eines Alkaren mit seiner Lanze. Diese Fahne war bereits in den Statuten des Ritterlichen Alkarenvereins aus den Jahren 1965 und 1983 als die offizielle Vereinsfahne festgelegt worden, kam verwunderlicherweise jedoch erst bei der 275. Sinjska Alka zum ersten Mal in der Öffentlichkeit zum Einsatz.210 Aus welchem Grund der Alkarenverein 25 Jahre lang eine dem Statut nicht entsprechende Fahne genutzt hatte, ist nicht bekannt, allerdings bot diese Tatsache im Sommer 1990 die Möglichkeit, die sozialistische Symbolik aus der Sinjska Alka zu beseitigen, indem man die dunkelrote Fahne aus dem Jahr 1965 einführte, die weder vorher benutzt worden war, noch mit dem Sozialismus assoziierte Symbole beinhaltete. Somit konnte sie gut als Ersatz für die alte Flagge mit dem Motiv des Streitkolben-Trägers (Buzdovandžija) dienen. Während die kroatische Trikolore und das Schachbrettwappen im Sommer 1990 zu den bedeutendsten Merkmalen der Anerkennung der neuen kroatischen Regierung gehörten, stellte die alkarische Fahne wahrscheinlich den einzigen Fall dar, in dem man für die Anerkennung der neuen Ordnung zugunsten einer andersfarbigen Flagge auf die kroatische Trikolore verzichtete. Der Verzicht auf die Trikolore wurde indes dadurch aufgewogen, dass man andere Symbole, darunter auch die mit den Machtvertretern vereinbarten Fahnen, in den Vordergrund stellte.

207 Siehe Foto im Artikel: Joško Marić – vitez godine. In: Slobodna Dalmacija, 6. August 1990, S. 16-17. 208 Vgl. Jerko Blajić: Slavodobitnik Joško Marić. In: Večernji list, 6. August 1990, S. 5. 209 Vgl. Božena Romac: Alkarski barjak i Gospa Sinjska. In: Sinjske novine Nr. 26, August 2012, S. 2425. 210 Vgl. Šime Jurić: Dokumenti i književna građa o Sinjskoj alki, Split, 1988, S. 159ff.

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Die 275. Sinjska Alka im Zeichen der Wende

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Abb 26: „Der Präsident der Republik Kroatien Dr. Franjo Tuđman und der Vizepräsident Antun Vrdoljak grüßen das Publikum, das sie mit stürmischen Ovationen empfing“. Der Prozess der ideologischen Wende spiegelt sich klar in den Symbolen auf der Ehrentribüne am Wettkampfplatz wider. Wie in den drei Jahrzehnten zuvor blieb die zentrale Stelle an der Außenwand für „Titos Silbernen Schild“ reserviert. Links vom Schild hatte man die Marienfahne mit der Abbildung der mit Gold geschmückten Ikone und der Aufschrift „Wundertätige Mutter Gottes von Sinj, schütze uns“ befestigt. Im Hintergrund hing das neue kroatische Wappen mit dem ersten Feld in weißer Farbe. Trotz der ambivalenten Verfassungsdefinition des Wappenmusters konnte man die umgekehrte Variante mit dem ersten Feld in roter Farbe im Sommer 1990 relativ selten sehen. Dennoch sollte gerade diese zweite als Grundlage für das neue, in der Verfassung vom Dezember 1990 definierte Wappen der Republik Kroatien gewählt werden. Quelle: Zvonko Kovačić: Stoljeća spojena Alkom. In: Studio, 10. August 1990, S. 52-53.

Nicht nur in politischen Symbolen, sondern auch in der Zusammenstellung der Gäste auf der Ehrentribüne am Wettkampfplatz spiegelte sich die Wende wider. Neben den höchsten Vertretern der neuen politischen Macht saßen dort zum ersten Mal nach mehreren Jahrzehnten wieder kirchliche Würdenträger. Die Kontinuität mit der letzten Vorführung manifestierte sich hingegen in der Präsenz der Garnisonsvertreter der Jugoslawischen Volksarmee und der Partnerstadt Prnjavor. Insoweit führte die 275. Sinjska Alka zu einer einzigartigen Zusammensetzung der Akteure auf der Ehrentribüne, die ein Jahr davor kaum vorstellbar gewesen wäre. Im Gegensatz zu den Vertretern der bosnischen Gemeinde Prnjavor kamen die Gäste aus der serbischen Stadt Požarevac dieses Mal jedoch nicht, obwohl sie über zwei Jahrzehnte eine hervorragende Kooperation mit der Sinjer Gemeinde und dem Alkarenverein gehabt hatten. Zwar wurde die Abwesenheit der Vertreter der „Pferdespiele von Ljubičevo“

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(Ljubičevske konjičke igre) sowie der Gemeinde Požarevac in Medienberichten nicht thematisiert, dennoch kann man vermuten, dass sie im Zusammenhang mit den politischen Umständen stand. Besondere Gäste kamen dieses Mal aus Istrien: die Traditionsträger des Ringreitens aus Barban, die ihre der Sinjska Alka ähnliche Tradition 1976 erfunden bzw. wiederentdeckt hatten. Abseits der Ehrentribüne war sicherlich Azem Vllasi der wichtigste Gast der 275. Sinjska Alka. Er wurde vom Publikum erkannt und zur Konsternation der anwesenden Belgrader Journalisten mit den Rufen „Azem, gib Kosovo nicht auf!“ (Azeme, ne daj Kosovo!) begrüßt.211 Bevor der alkarische Wettbewerb seinen Lauf nahm, hielt Nikola Tomašević seine erste Rede als Anführer der Alkaren. Nach einer relativ ausführlichen Auflistung der Gäste auf der Ehrentribüne erinnerte er an die Entstehung der Sinjska Alka „zu Ehren des berühmten Siegs 1715“.212 In diesem Zusammenhang erwähnte er allerdings lediglich, dass die Angreifer sich in der Nacht vom 14. auf den 15. August aus dem Cetiner Land zurückgezogen hatten, wobei er nicht von der seit Jahrzehnten dominierenden Schlachtendeutung abwich und auch auf eine Erwähnung der Sinjer Madonna verzichtete. Nichtsdestoweniger spiegelte sich die Wende in seiner Rede wider, insbesondere hinsichtlich der ethnozentrischen Geschichte, die im klaren Gegensatz zur Idee und Ideologie des „gemeinsamen Kampfes aller Völker Jugoslawiens“ stand. Besonders deutlich manifestierte sich die Ethnisierung gerade bei der Einordnung des antifaschistischen Aufstandes im August 1941, als die Sinjer und Cetiner laut Tomašević „zusammen mit dem Rest des kroatischen Volkes in den Kampf für die nationale und soziale Befreiung gezogen sind. [...] Mit dem siegreichen Kriegsende erlangte das kroatische Volk das Recht, die eigene Zukunft nach den eigenen Bedürfnissen aufzubauen und zu bestimmen“, sagte Tomašević.213 „Das Selbstbestimmungsrecht des Volkes“, das der Vojvoda in seiner Rede erwähnte, stellte nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch eher eine rhetorische Figur als eine real-existierende Option der Herrschaftspraxis dar. Die Regierungsvertreter behaupteten in diesem Zusammenhang, dass das Volk seine Treue und Unterstützung für die jugoslawische Einheit bereits durch seine massenhafte Beteiligung an der Volksbefreiungsbewegung im Zweiten Weltkrieg demonstriert habe. Während ein Referendum über den möglichen Austritt aus der Föderation zu Zeiten des Sozialismus in der Praxis nicht denkbar gewesen wäre, hatten sich die Umstände nun offensichtlich geändert. „Das vergessene Recht wurde auf den freien Mehrparteienwahlen im Frühling dieses Jahres wieder erobert“, erinnerte Tomašević die Anwesenden an „den Sieg der demokratischen Kräfte“ und erklärte den 275. Alkarischen Wettbewerb für eröffnet.214

211 D.V.: Pucanje Alke. In: Borba, 07. August 1990. 212 Govori alkarskih vojvoda (1990-2013). In: Onlineportal Ferata. http://www.ferata.hr/govori-alkarskih vojvoda-1990-2013/ (Letzter Zugriff: 04. Juni 2014). 213 Die im Onlineportal Ferata (siehe vorherige Fußnote) veröffentlichte Version der Rede beinhaltet keine Referenz zu AVNOJ und ZAVNOH. Diese ist lediglich in dem Auszug der Rede enthalten, der im August 1990 in der Tageszeitung Slobodna Dalmacija veröffentlicht wurde. Siehe: Toni Paštar: Svi smo mi prolazni, jedino Alka ostaje. In: Slobodna Dalmacija, 11. August 1990, S. 40. 214 Govori alkarskih vojvoda (1990-2013). In: Online-Portal Ferata. http://www.ferata.hr/govorialkarskih-vojvoda-1990-2013/ (Letzter Zugriff: 04. Juni 2014).

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Trotz der guten Ergebnisse während der Proben am Freitag und Samstag stellte das Sonntagsfinale in Bezug auf die erreichte Punktzahl eine leicht unterdurchschnittliche Vorführung dar. Nach drei Wettrennen (trke) triumphierte Joško Marić mit sechs Punkten, was nach dem Gewinn von Dušan Dinarina mit fünf Punkten im Jahr 1979 eine der Vorführungen mit der niedrigsten Punktzahl überhaupt darstellte. Für den 32-jährigen Marić, der zu der Zeit als Fahrer im Reiterverein Alkar arbeitete, war es der zweite Sieg, nachdem er bereits 1978 Ruhmgewinner geworden war.215 Präsident Tuđman gratulierte und überreichte ihm wie angekündigt den silbernen Schild, der nach der 275. Sinjska Alka im Archiv eingelagert werden sollte, wie bereits einige Wochen vorher bekanntgegeben worden war. In seiner Rede sagte Tuđman unter anderem, dass „der ritterliche alkarische Wettbewerb […] über 275 Jahre hindurch das Selbstbewusstsein der Cetiner Bevölkerung und des ganzen kroatischen Volkes sowie ihren Glauben an den siegreichen Ausgang des mühsamen und langwierigen Kampfes um das nationale Überleben kontinuierlich vor äußeren Bedrohungen geschützt hatte“.216 Die durch Applaus mehrmals unterbrochene Rede des kroatischen Präsidenten sorgte für sehr unterschiedliche Medienreaktionen in Kroatien und Serbien. Das Zagreber Wochenmagazin Start lobte seine „angemessene politische Rede über die Alka sowie die aktuellen politischen Umstände in Kroatien“.217 Der Autor versuchte, aus der Rede des Präsidenten abzulesen, welche Rolle die berühmte Sinjer Tradition zukünftig spielen würde. „Tuđmans glückliche Formulierung, dass die Alka eine allkroatische Ode an die Freiheit sei, kann man vielleicht sogar als ihre langfristige zukünftige Formel [und] als einen lebendigen Ersatz für den toten Partei-Monolithismus betrachten“, betonte man in Start.218 Im Unterschied zum Wochenmagazin bezogen sich die Berichte in den wichtigsten kroatischen Tageszeitungen weder auf die mögliche Bedeutung von Tuđmans Rede im Speziellen, noch auf die politische Krise im Allgemeinen. Lediglich in der Reportage des Zagreber Wochenmagazins Studio wurde nebenbei die zunehmende Eskalation der Spannungen im kontinentalen Dalmatien erwähnt. Unter den Dingen, an die man sich nach der 275. Sinjska Alka erinnern würde, nannte man die spürbaren Sorgen derjenigen Zuschauer, „die jeden Tag hören und sehen, wie Dalmatien brennt und wie gewisse Menschen, [...] mit einer unverständlichen Beziehung zur Heimat Steine auf die eigenen Züge werfen“.219 Zwischen den Zeilen wies der Text auf die zugespitzte Lage in der Umgebung von Knin hin, die schon wenige Tage später mit der Herstellung des sogenannten „Serbischen Autonomen Gebietes Krajina“ (Srpska Autonomna Oblast Krajina) der Kontrolle der Zagreber Regierung entgleiten würde. Eine erheblich kritischere Deutung der 275. Sinjska Alka bot die Belgrader Tageszeitung Borba ihren Lesern. Völlig entgeistert darüber, dass „eine schöne, langjährige, traditionsreiche Manifestation nach 275 Jahren [nun ihre heftige Politisierung] erlebt“, bezog sich der Autor insbesondere auf die Rede Tuđmans.220 „Indem er von ‚allen Drehbuchautoren [...] der

215 216 217 218 219 220

J. Blajić: Slavodobitnik Joško Marić. In: Večernji list, 06. August 1990, S. 5. Zvonko Kovačić: Stoljeća spojena Alkom. In: Studio, 10. August 1990, S. 52-53. I.R.: (ohne Titel). In: Start, 18. August 1990, S. 36. Ebd. Zvonko Kovačić: Stoljeća spojena Alkom. In: Studio, 10. August 1990, S. 52-53. D.B.: Pucanje alke. In: Borba, 07. August 1990.

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serbischen Aufstandsbewegung in Kroatien‘ erzählte, charakterisierte [Tuđman] die Versammlungen der Serben in Kroatien als ‚Großserbische Četnik-Kundgebungen mit frechen Sezessions- und sogar Aufstandsdrohungen‘“, setzte der Autor seine Kritik fort. Tuđmans Einordnung der politischen und sozialen Dynamiken in Lika und Norddalmatien sollte sich jedoch schon innerhalb weniger Tage als zutreffend zeigen. Dabei bleibt bis heute umstritten, inwieweit die Regierung in Zagreb durch ihren Diskurs bzw. konkrete politische Maßnahmen selbst zur Eskalation der Krise beitrug. Unter der HDZ-Regierung wurde durch die Fortsetzung der Ethnifizierungspolitik sowie die Zuspitzung der Krise jedenfalls die Homogenisierung der ethnisch kroatischen Bevölkerung weiter begünstigt. Laut der britischen Historikerin Catherine Baker forderte die nationalistische Politik der neuen kroatischen Regierung Anfang der 1990er Jahre „die Betrachtung der ethno-nationalen Zugehörigkeit als das wichtigste Segment der persönlichen und kulturellen Identität“.221 Die Essenzialisierung der ethnischen Qualität stellte, laut Baker, eine von drei fundamentalen Vorbedingungen für die symbolische Legitimation der angestrebten kroatischen Unabhängigkeit dar. Die anderen beiden Vorbedingungen waren „der Ersatz des Sozialismus mit der Demokratie und die Reduktion der territorialen Grenzen ‚unseres Landes‘“.222 Dementsprechend wurde die Alterifizierung der ethnisch Anderen immer stärker mit der ideologischen Abgrenzung verknüpft. Über die Kampagne der antikommunistischen Akteure und Gruppen hinaus trug die Belgrader Führung Anfang der 1990er Jahre mit ihrer projugoslawischen und prosozialistischen Rhetorik in erheblichem Ausmaß selbst zur Abwertung des Sozialismus und des Jugoslawismus in Kroatien bei. Unter diesen Umständen musste sich die kroatische Regierungspartei keine Gedanken über die Oppositionsgruppen im linken Spektrum machen. Eine gewisse Konkurrenz zur Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) konnten allein Parteien mit einer ausgeprägten antikommunistischen und ethno-nationalistischen Rhetorik darstellen. Die Kroatische Demokratische Partei (HDS), die im Frühjahr 1990 sowohl bei den Parlamentswahlen als auch im Kampf um das symbolische Kapital der Sinjska Alka im Schatten der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) stand, setzte ihre zweigleisige Politik im Sommer 1990 fort. Einerseits bemühten sich die Parteimitglieder weiterhin darum, die Sympathie der Öffentlichkeit als die selbstproklamierten wahren Vertreter der christlichdemokratischen Politik zu gewinnen und die HDZ gleichzeitig als die Partei der zum Nationalismus konvertierten ehemaligen Kommunisten abzuwerten. Andererseits vertraten die beiden Parteien in Hinblick auf innerjugoslawische Angelegenheiten nahezu die gleiche Position. Die Zuspitzung der Krise im Lande begünstigte letztendlich die Überwindung der Rivalitäten zwischen den beiden Parteien. Am Rande der 275. Sinjska Alka organisierte die Sinjer Außenstelle der HDS am Sonntagabend einen Empfang im Restaurant Malo misto in Grab.223 Zur gleichen Zeit fand im Sinjer Hotel Alkar das alkarische Abendessen (Alkarska večera) statt. Dies könnte einer der Gründe dafür sein, dass der Empfang im Restaurant Malo misto in nahezu keinem der Medienberichte 221 Catherine Baker: Zvuci granice. Popularna muzika, rat i nacionalizam u Hrvatskoj posle 1991. Beograd, 2011, S. 17. 222 Ebd. 223 Nedjeljko Musulin, Milan Sigetić: Alka s povijesnom patinom. In: Vjesnik, 8. August 1990.

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erwähnt wurde. Die einzige Ausnahme unter den berücksichtigten Zeitungen stellte die Zagreber Tageszeitung Vjesnik dar, die im Sommer 1990 den Tätigkeiten der HDS in Sinj insgesamt mehr Aufmerksamkeit als die anderen Tageszeitungen schenkte. Wie die Zagreber Tageszeitung drei Tage später berichtete, wurden die Anwesenden auf dem Empfang im Restaurant Malo misto vom Präsidenten der Kroatischen Demokratischen Partei, Vladimir Veselica, begrüßt. Im Anschluss an seine Grußworte präsentierte der Parlamentsabgeordnete seinen „Blick auf die aktuelle politische Realität Kroatiens und Jugoslawiens“.224 Nicht nur der gesamte Parteivorstand, sondern auch der Vizepräsident der Republik Kroatien Dušan Bilandžić sowie der ehemalige Vorsitzende des BdK Kosovos Azem Vllasi und seine Ehefrau erschienen auf dem Empfang. Mit den Gastgebern habe sich der kroatische Vizepräsident Bilandžić über die Notwendigkeit der demokratischen Veränderungen im ganzen Land sowie über die Gefahr, die von der serbischen unitaristischen Politik ausginge und die ihren Ausgangspunkt im „Memorandum SANU“ habe, verständigt, meldete Vjesnik über die informelle Begegnung der Parteivertreter. Auch Azem Vllasi kommentierte die Ereignisse in Kroatien und bedankte sich darüber hinaus bei „den guten Menschen“ dafür, wie sie sich während seiner Gefangenschaft und des Prozesses für ihn eingesetzt hätten.225 Tatsächlich setzten sich im Frühjahr und Sommer 1990 mehrere Akteure in Kroatien für Vllasis Freilassung sowie für die Milderung der staatlichen Repressionen gegenüber den Kosovo-Albanern ein, wobei ihr Engagement in der ethnisch gespaltenen Provinz häufig lediglich ein Mittel dafür war, die politische Spitze Serbiens unter Druck zu setzen. Auf ähnliche Weise bemühten sich manche Akteure in Serbien, die kroatische politische Führung durch die Mobilisierung der kroatischen Serben unter Druck zu setzen und sie für die eigene Lösung der jugoslawischen Krise zu gewinnen. Wenngleich sich die Beziehungen zwischen Kroatien und Serbien in formeller Hinsicht noch nicht geändert hatten, unterschied sich die Herrschaftspraxis immer deutlicher von der Maxime der „Brüderlichkeit und Einheit“. „Es geht nicht nur um die Frage, was Dr. Franjo Tuđman in gewisser Weise als Drohung in seiner Rede erwähnte, […] vielleicht handelt es sich auch nicht nur um das Bejubeln von Azem Vllasi […]“, stand zwei Tage nach der 275. Sinjska Alka im bereits erwähnten Artikel der Belgrader Tageszeitung Borba.226 „[…] Es geht um den ganzen politisierten Kontext, in dem Geschichte und Tradition den tagespolitischen Bedürfnissen und Zielen äußerst funktionalistisch unterstellt werden“. Der Kommentar endete mit der rhetorischen Frage, „ob das nicht doch ein reines Zusammenbrechen der Alka oder zumindest ihre Ausdehnung bis zum Bruch war?“.227 Zwar schätzte der Kommentator die politischen Absichten der neuen kroatischen Führung richtig ein, doch drohte die Gefahr des Zusammenbruchs nicht der Sinjska Alka, sondern der politischen und ideologischen Ordnung, die sie 45 Jahre repräsentiert hatte. Mit der symbolischen Umkodierung einerseits und dem mehr oder weniger freiwilligen Rücktritt eines Teils der ehemaligen Traditionsträger andererseits hatte die Sinjska Alka ihre langjährige Funktion der Ordnungsrepräsentanz im Sommer 1990 lediglich fortgesetzt. Unter

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Nedjeljko Musulin, Milan Sigetić: Alka s povijesnom patinom. In: Vjesnik, 8. August 1990. Ebd. D.B.: Pucanje alke. In: Borba, 07. August 1990. Ebd.

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den Umständen der neuen, gerade entstehenden Realität würden die Alkaren und Knappen sogar eine aktivere Rolle in der Herrschaftsrepräsentanz einnehmen als je zuvor.

Trennung von Jugoslawien Im August 1990 beteiligten sich die Alkaren und Knappen nicht nur an der 275. Sinjska Alka, sondern auch an zwei weiteren öffentlichen Ereignissen. Am kirchlichen Feiertag Maria Himmelfahrt beteiligten sich die Alkaren zum ersten Mal seit 1945 an der Prozession, auf der man die gesegnete Ikone der Sinjer Madonna durch die Straßen trug.228 Zwölf Tage später traten die kostümierten Traditionsträger im Spliter Stadion Poljud anlässlich der Eröffnungszeremonie der XV. Europameisterschaft in Leichtathletik auf.229 Seit den Mittelmeerspielen 1979 richtete Split im August 1990 erstmals wieder ein großes internationales sportliches Ereignis aus, für dessen Austragung die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien ausgewählt worden war. Zwar hatten sich die Alkaren auch an der Eröffnungszeremonie der Spiele 1979 beteiligt, doch war Jugoslawien in der Zwischenzeit ein ganz anderes Land geworden. Zwei Tage nach Maria Himmelfahrt eskalierte die bereits seit mehreren Wochen andauernde Krise im dalmatinischen Hinterland in einem bewaffneten Aufstand der radikalen Serben gegen die kroatische Regierung mit ihren Institutionen und Symbolen.230 Die koordinierten Angriffe auf die Polizeistationen in der Umgebung von Knin, die Plünderung der Waffen aus den Polizeimagazinen sowie der Aufbau von Barrikaden und die Präsenz von bewaffneten Milizen auf den Landstraßen beunruhigten die Einwohner des Cetiner Landes. Der südliche Rand der Krisenzone war kaum 50 Kilometer von Sinj entfernt, zu manchen Orten im Cetiner Land war die Distanz noch geringer. In den späteren Interpretationen sollte der Aufbau der Barrikaden am 17. August 1990 häufig als symbolischer Kriegsanfang in Kroatien bewertet werden.231 Zwar handelt es sich hierbei um eine nachträgliche Ausblendung der Zwischenereignisse, doch befand sich das Land jedenfalls bereits in einer tiefen politischen Krise. Am lautesten manifestierte sich die Legitimitätskrise der existierenden Ordnung auf den Stadiontribünen. Schon ein Jahr vor der dramatischen Gewalteskalation im Frühjahr 1991 herrschte in Jugoslawien ein heftiger Konflikt zwischen den kroatischen und serbischen Fußballfans. Als Anfang Juni 1990 ein Großteil der Zuschauer im Zagreber Stadion Maksimir vor dem Testspiel gegen die Niederlande die jugoslawische Staatshymne auspfiff, wurde deutlich, dass sich der Grund für die Gewalt im Stadion nicht allein auf die Rivalität zwischen den Hooligans reduzieren ließ. Die Barrikaden auf den Straßen und Bahnstrecken hatten weiter zu einer Eskalation der Spannung entlang der ethnischen Linien und zur abnehmenden Identifikation der Bevölkerung mit Jugoslawien beigetragen. 228 I.R.: (ohne Titel). In: Start, 18. August 1990, S. 36. 229 Ivo Dalbello: Kronologija Sinjske alke u Republici Hrvatskoj. In: Boris Ljubičić (Hg.): Alka, Sinj, 2001, S. 235-239. 230 Vgl. Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 2, S. 162. 231 Siehe zum Beispiel den Artikel von Žarko Kodžoman: Je li važno gdje je tko bio 1991. godine? In: Sinjske novine Nr. 20, 2011, S. 17-21.

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Trennung von Jugoslawien

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Unter diesen Umständen wurde das internationale Sportspektakel in Split am 27. August 1990 mit den Grußworten des kroatischen Präsidenten Tuđman eröffnet. Die Vertreter der jugoslawischen Idee und Institutionen konnten nur protestieren, dass das internationale Sportereignis von der neuen kroatischen Regierung angeeignet wurde und für die eigene Repräsentation benutzt würde. Sie bedauerten öffentlich, dass Split als Austragungsort ausgewählt worden war. Währenddessen änderte sich die Situation in Jugoslawien mit einer dramatischen Geschwindigkeit. Nur ein Jahr vorher hätte sich kaum jemand vorstellen können, dass die Eröffnungszeremonie der XV. Leichtathletik-Europameisterschaft den Rahmen für den letzten Auftritt der Alkaren und Knappen zu Ehren Jugoslawiens darstellen würde. Anfang Oktober 1990 sendeten die kroatische und slowenische Regierung einen gemeinsamen Vorschlag für die Gestaltung der zukünftigen Konföderation der jugoslawischen Republiken an die kollektive Präsidentschaft.232 Analog zu den Verhandlungen über eine institutionelle Lösung der Krise unternahm die kroatische Regierung diverse Schritte, um sich symbolisch und praktisch von Jugoslawien zu trennen. Dabei richtete man viel Aufmerksamkeit darauf, die kroatische Souveränität und Selbstständigkeit auf internationaler Ebene zu demonstrieren. Entsprechend einer zwar vorhandenen, aber nahezu nie angewandten Regel des Fußballverbandes Jugoslawiens kam man Ende Sommer 1990 auf die Idee, einen internationalen Auftritt der Republik Kroatien zu organisieren.233 Angesichts der Tatsache, dass die einstige Volksrepublik Serbien 1954 ein internationales Match gegen Indonesien gespielt hatte, gab es keine Grundlage, auf der man den symbolträchtigen Auftritt der kroatischen Mannschaft hätte verhindern können. Am 17. Oktober 1990 debütierte die Mannschaft in karierten Trikots mit einem 2:1 Heimsieg gegen die Vereinigten Staaten von Amerika. Die kroatische politische Führung widmete dem Freundschaftsspiel viel Aufmerksamkeit. Es fand unter der Schirmherrschaft des persönlich anwesenden Präsidenten Tuđman statt. Am Rande des Spiels wurde ein umfangreiches Programm organisiert, an dem sich unter anderem auch die Alkaren beteiligten. Darüber hinaus wurden die Schwerttänze Moreška und Kumpanija auf dem Stadionrasen aufgeführt. Vor den 25.000 Zuschauern traten außerdem die populären Sänger Tomislav Ivčić und Krunoslav Cigoj bzw. die Rock-Gruppe Prljavo Kazalište auf, die die Idee der kroatischen Unabhängigkeit in ihren öffentlichen Auftritten zunehmend klar unterstützten.234 Das Fußballspiel gegen die Vereinigten Staaten wurde während der mehrtägigen Feierlichkeiten anlässlich der Wiederaufstellung des Jelačić-Denkmals organisiert. Im Laufe der Liberalisierung des öffentlichen Raumes in Kroatien 1989 war die Rekonstruktion des Denkmals, laut dem kroatischen Historiker Ivo Goldstein, von den beiden wichtigsten oppositionellen Protoparteien gefordert worden, wobei ihre Vertreter jedoch unterschiedliche Argumente ins Feld führten.235 Während die Kroatische sozial-liberale Partei (HSLS) die Wiederaufstellung des Denkmals eher als eine symbolische Abgrenzung von der totalitären 232 Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 2, S. 164. 233 Dražen Krušelj: Vedriš: Iskoristili smo „rupu“ u statutu FSJ i organizirali susret s Amerikancima. In: Jutarnji list, 17. Oktober 2010. 234 Mladen Bariša: Proročanstvo Zlatka Kranjčara. In: Slobodna Dalmacija, 17. Oktober 2005. 235 Siehe Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 2, S. 127-128.

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Ideologie forderte, integrierte die HDZ den Banus in eine ethno-nationalistische Vergangenheitsdeutung. Im Nachkriegsschicksal des Denkmals, das 1947 als störendes Element für die auf dem Marxismus basierende ideologische Ordnung vom Hauptplatz entfernt worden war, erkannte die Kroatische Demokratische Gemeinschaft 1989 „ein Symbol für die Ausrottung der kroatischen Nationalgefühle, ein Symbol für die Politik eines seelenlosen Hasses gegen das eigene Volk, seine Geschichte, seine Kultur und sein Erbe“.236 Der umfassende Prozess der symbolpolitischen Umbenennung der Zagreber Straßen nach der Wende begann mit dem Lenin-Platz, der Anfang August 1990 nach dem kroatischen König aus dem 11. Jahrhundert Petar Krešimir IV. benannt wurde.237 Obschon die Umbenennung der öffentlichen Flächen meistens ohne großes Aufsehen vonstattenging, wurde die Wiederaufstellung des Jelačić-Denkmals von mehrtägigen öffentlichen Feierlichkeiten begleitet, in die sich auch die Alkaren einbrachten.238 Das zentrale Ereignis der Jelačić-Woche (12.-19. Oktober 1990) stellte eine kostümierte, vom philharmonischen Orchester musikalisch begleitete Inszenierung der kroatischen Geschichte über sechs Epochen dar.239 Hierbei versuchte man, die „europäische Identität“ Kroatiens, die gleichzeitig den Gegensatz zum „Balkan“, zu „Jugoslawien“ und zum „Sozialismus“ verkörpern sollte, auf dem Hauptplatz zum Ausdruck zu bringen. Dabei erinnerte die Aufführung jedoch stark an die Geschichtsinszenierungen und Jubiläumsfeiern, die in den Achtzigerjahren viel eher in den sozialistischen als in den kapitalistischen Ländern Europas stattfanden.240 Die öffentlichen Diskussionen um die Wiedererrichtung des Denkmals bezogen sich jedoch hauptsächlich auf die Tatsache, dass es um 180 Grad gedreht worden war. Während Jelačićs Säbel ursprünglich gen Ungarn gezeigt hatte, blickte der Banus nun in Richtung Lika und Norddalmatien. Wenngleich die mittlerweile entstandenen Veränderungen der architektonischen Komposition des Platzes eine nachvollziehbare Begründung für diese Drehung darstellten, erkannten manche darin eine symbol-politische Botschaft der neuen kroatischen Regierung. Gleichzeitig zog der neue Standort des Denkmals etwa 20 Meter nord-westlich der Stelle, auf der es zwischen 1866 und 1947 gestanden hatte, so gut wie keine Reaktion der Öffentlichkeit nach sich. Während der Eröffnungszeremonie hielt Präsident Tuđman eine weitere Rede voller ambivalenter politischer Botschaften. Einerseits stellte er Jelačić als „Serbenfreund“ dar, andererseits betonte er die epochenübergreifende Kontinuität der „Ausbeutung des kroatischen Volkes“ seit der Habsburger Monarchie bis zum sozialistischen Jugoslawien.241 Die Rede reflektierte die Absichten der kroatischen Regierung, die föderalen Bindungen zwischen den Einzelrepubliken weiter zu schwächen, während die laufende Abspaltung der serbischen Ge-

236 Zitiert nach Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 2, S. 127-128. 237 Dunja Rihtman Auguštin: Ulice moga grada, Beograd, 2000, S. 45. 238 Ivo Dalbello: Kronologija Sinjske alke u Republici Hrvatskoj. In: Boris Ljubičić(ur.): Alka, Sinj, 2001, S. 235-239. 239 Dunja Rihtman Auguštin: Ulice moga grada, Beograd, 2000, S. 89. 240 Siehe die vergleichende Analyse der Feierlichkeiten in Ost- und West-Berlin anlässlich des 750. Stadtjubiläums im Sommer 1987: Krijn Thijs: Party, Pomp und Propaganda. Die Berliner Stadtjubiläen 1937 und 1987. Berlin, 2012. 241 Dunja Rihtman Auguštin: Ulice moga grada, Beograd, 2000, S. 91-92.

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meinden in Lika und Norddalmatien jedoch gestoppt werden sollte. Einen Versuch der kroatischen Regierung, mit einer Polizeioperation die Aneignung des staatlichen Gewaltapparates durch die Führer der lokalen Milizen in Lika und Norddalmatien zu stoppen, hatte die Jugoslawische Volksarmee im August 1990 verhindert. Die Krise konnte jedoch nicht durch die intensiven politischen Verhandlungen der politischen Vertreter aus Zagreb, Belgrad und Knin gelöst werden. Ermutigt durch die Unterstützung der Armeeführung und der politischen Spitze in Belgrad setzten die serbischen Aufständischen die Bildung einer territorialen Einheit außerhalb der Kontrolle der kroatischen Regierung fort. Nach einem angespannten Herbst und Winter verschärfte sich die Krise im März 1991 und resultierte in einer raschen Eskalation der Gewalt.242 Am Ostersonntag, den 31. März 1991, kam der kroatische Polizist Josip Jović während einer Schießerei mit der serbischen Miliz in Lika ums Leben. Die Nachrichten erschütterten das ganze Land und kündigten ein dramatisches Frühjahr an. Während sich die institutionelle Krise auf Bundesebene und die Gewalteskalation in Kroatien weiter verschärften, setzte man die Vorbereitungen für die 276. Sinjska Alka fort. Das Arrangement der neuen kroatischen Regierung mit den Alkaren wurde während eines Treffens in Zagreb am 9. April 1991 einmal mehr zum Ausdruck gebracht. Der Präsident des Alkarenvereins Ivo Šimundža und der alkarische Anführer Nikola Tomašević informierten den Präsidenten Tuđman über die „Tätigkeiten und Probleme des Vereins“ und schenkten ihm Goldmünzen mit alkarischen Motiven.243 Der Bitte, auch die Schirmherrschaft über die 276. Sinjska Alka anzunehmen, kam Tuđman nach. Dabei betonte der Präsident, dass „die Sinjska Alka von nationaler Bedeutung ist, sowie dass sie das einzige kroatische kriegerische Symbol des Fortbestehens darstellt“.244 Der Vorsitzende der Sinjer Gemeinde Ante Turudić betonte „die Eintracht der Bevölkerung des Cetiner Landes in der Verteidigung der Souveränität Kroatiens“. Anschließend übergab Ante Vučić, der Vorsitzende des Vereins Sinj, dem Präsidenten einen Brief im Namen der aus dem Cetiner Land stämmigen Auswanderer, die darin ihre „Unterstützung für die Verteidigung der Heimat“ zum Ausdruck brachten.245 Neben Tuđman wohnten dem Treffen mehrere weitere hochrangige Akteure der Zentralmacht bei, u.a. der Außenminister Frane Vinko Golem, der Berater des Präsidenten Mišo Munivrana sowie Antun Vrdoljak und Jerko Vukas. Abgesehen vom Präsidenten waren die Anwesenden nicht nur durch ihre Parteizugehörigkeit, sondern auch durch ihre Herkunft mit dem Cetiner Land verbunden. Allein der ehemalige Vizepräsident der Republik Kroatien und neue Direktor der kroatischen Fernsehanstalt Antun Vrdoljak war nicht im Cetiner Land, sondern in der nahegelegenen Gemeinde Imotski geboren worden. Allerdings hatte gerade Vrdoljak im Sommer 1990 erheblich zur Überwindung der Krise im Alkarenverein beigetragen. Insofern gebührten ihm große Verdienste für die Integration der populären Tradition in die neue ideologische Ordnung. Ein zweiter relevanter Akteur, der am Treffen mit dem Präsidenten teilnahm und der für die Neuorientierung der Traditionsträger im Wendekontext 1990 von großer Relevanz war, 242 Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 2, S. 161ff. 243 Vjesnik, 10. April 1991. Angaben zum Zeitungsausschnitt nach der Klassifizierung im Kroatischen Staatsarchiv in Zagreb (Siehe: Vjesnikova arhiva, Sinjska alka). 244 Ebd. 245 Ebd.

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war Jerko Vukas. Der HDZ-Politiker, der bis kurz zuvor an der Spitze der lokalen Verwaltung in Sinj stand, hatte unter anderem die Delegation angeleitet, die im Juni 1990 Tuđman besucht und mit ihm die symbolträchtigen Veränderungen in der Sinjska Alka vereinbart hatte. Anfang März 1991 gab Vukas seine Stelle in Sinj auf, um in Zagreb das Amt des stellvertretenden Innenministers anzunehmen. Damit übernahm Vukas gleichzeitig den Posten des Direktors des neugegründeten Amts für Verfassungsschutz (Služba za zaštitu ustavnog poretka). Mit der Berufung von Jerko Vukas an die Spitze des Nachrichtendienstes und der erneuten Bestätigung des Arrangements mit der Staatsführung wurde die Position des Vorstandes des Alkarenvereins Anfang April 1991 gerade im rechten Moment konsolidiert. Das Treffen mit Tuđman ereignete sich nicht einmal zwei Wochen vor der Auseinandersetzung mit den unzufriedenen Anwärtern auf das symbolische Kapital der Sinjska Alka, die über Monate vermieden worden war. Die Tatsache, dass die angekündigte außerordentliche Vollversammlung nicht stattgefunden hatte und eine große Mehrheit der Mitgliedschaftsanträge ignoriert und nicht bearbeitet worden war, versprach zu einer hitzigen Jahresversammlung des Alkarenvereins zu führen.246 Die Jahresversammlung fand am 20. April 1991 in den Räumlichkeiten des Franziskanerklosters in Sinj statt. Als Ehrengäste des Alkarenvereins nahmen der kroatische Außenminister Frane Vinko Golem und der Direktor der kroatischen öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt (Hrvatska televizija) Antun Vrdoljak an der Vollversammlung teil. Gleich nach der Begrüßungsrede von Minister Golem meldete sich Ivica Župić, der Vizepräsident des Sinjer Zweigs der Kroatischen Demokratischen Partei (HDS), zu Wort. Er stellte fest, dass die Versammlung illegitim sei, da rund 90 % der Mitgliedschaftsanträge nicht bearbeitet worden seien.247 Župić wurde von Frano Čačija unterstützt, der der außerparlamentarischen und in der breiteren Öffentlichkeit eher unbekannten Kroatischen Partei (Hrvatska stranka) angehörte, und der eine sofortige Auflösung des Alkarenvereins forderte. Darüber hinaus verlangte Čačija den „Austritt der Bolschewiken“ aus dem Verein sowie eine „Entschuldigung gegenüber dem kroatischen Volk“.248 Antun Vrdoljak setzte sich einer solchen „Störung der Versammlungsarbeit“ entgegen und warf den beiden Beschwerdeführern vor, dass sie „die Alka unterminieren und [...] die Eintracht der Bevölkerung verhindern wollen“. Er fuhr fort: „Jetzt, wenn das ganze Volk endlich am gleichen Strang zieht, wollen Sie ihn zerreißen“. Schließlich schlug Vrdoljak vor, dass man „alle politischen Organisationen aus der Alka ausschließen sollte, weil sie ihr viel Übel gebracht haben“.249 Nach der einstimmigen Ablehnung der Vorschläge von Župić und Čačija wurde die Versammlung fortgesetzt. Für eine beträchtliche Geräuschkulisse sorgten laute Proteste von etwa 30 Demonstranten vor dem Franziskanerkloster, „die dem [Geschrei] gleichen, das man auf den Tribünen der Fußballstadien hört“.250 Laut Medienberichten führte „der Druck von HDS

246 247 248 249 250

J. Blajić: Stranačko gađanje alke. In: Večernji list, 21. April 1991, S. 5. Jerko Blajić: Napad »u ništa«. In: Večernji list, 22. April 1991, S. 2. Ebd. J. Blajić: Stranačko gađanje alke. In: Večernji list, 21. April 1991, S. 5. Jerko Blajić: Napad »u ništa«. In: Večernji list, 22. April 1991, S. 2.

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und HS im letzten Jahr und vor allem in den letzten Tagen“ zum Rücktritt von drei Mitgliedern des neunköpfigen Vereinsvorstandes.251 Den Vorschlag von Antun Vrdoljak, dass man sie ihrem Rücktritt zum Trotz für ein neues Mandat kandidieren lassen solle, wurde von den Versammlungsmitgliedern übereinstimmend angenommen. Darüber hinaus wurde die Verwaltungsinstanz des Alkarenvereins aus der „Präsidentschaft“ (Predsjedništvo) in den „Verwaltungsvorstand“ (Upravni odbor) umbenannt. Nicht nur im Verzicht auf die mit dem Sozialismus assoziierten Begriffe zeigte sich die Umorientierung der Traditionsträger, sondern ebenfalls im neuen Vereinsstatut, das „an die neuen Bedürfnisse angepasst wurde“.252 Im Frühjahr 1991 wandelte sich die politische Krise in Jugoslawien immer mehr in einen doppelten Sezessionskrieg. Auf dem Gebiet, das von der kroatischen Regierung kontrolliert wurde, führte man am 19. Mai ein Referendum durch, im Zuge dessen 93,2 % der Beteiligten für die Souverenität der Republik Kroatien abstimmten.253 In den umstrittenen Gebieten Kroatiens wurde fast zeitgleich ein Sonderreferendum organisiert, in dem sich angeblich sogar 99 % der Wähler für die Sezession des Serbischen Autonomiegebietes (SAO Krajina) von Kroatien aussprachen.254 Die öffentliche Befürwortung der faktisch unversöhnlichen politischen Konzepte, die Entscheidungskrise der jugoslawischen Bundesorgane sowie das entfesselte Marodieren der semi-autonomen Milizen und kriminellen Gruppen drohten immer stärker, das gesamte Land in den Kriegszustand reißend zu versetzen. Ende Mai 1991 entschied sich die kroatische Regierung, die Kampfbereitschaft ihrer Streitkräfte öffentlich zu demonstrieren. Die erste Schau der Volksgarde (Prva smotra Zbora narodne garde) im Stadion des Fußballvereins Zagreb fand genau eine Woche nach der Parade der slowenischen Streitkräfte in Ljubljana statt und stellte eine wichtige Machtdemonstration im Kontext der jugoslawischen politischen Krise dar. „Formell [betrachtet] ist die Volksgarde keine Armee, wir möchten den Gesprächsablauf zwischen den Republiken nicht vorherbestimmen. [Die Volksgarde] hat einen defensiven Charakter, dennoch leugne ich nicht, dass sie einen Vorläufer, bzw. einen Embryo der Streitkräfte der Republik Kroatien darstellt“, sagte der kroatische Verteidigungsminister Martin Špegelj anlässlich der Parade.255 „Wenn die Blockade der jugoslawischen Präsidentschaft zu lange dauern sollte, dann könnte uns jemand in diesen Konflikt ziehen, dessen Grundlage ideologisch ist, auch wenn man behauptet, dass sie interethnisch ist“, betonte der Minister. Er fuhr mit einer Kritik der Jugoslawischen Volksarmee fort, „die die Macht usurpiert und die Einheiten unter dem Deckmantel von Manövern und Übungen bewegt“.256 Eine „Übung“ hatten die jugoslawischen Luftkräfte auch für die Parade der kroatischen Streitkräfte in Zagreb organisiert, während derer ein Flugzeug im Tiefflug das Stadion mehrmals überflog, behauptete man in einem der Medienberichte.257 Auf dem Rasen standen sechs

251 J. Blajić: Stranačko gađanje alke. In: Večernji list, 21. April 1991, S. 5. 252 Ivo Dalbello: Kronologija Sinjske alke u Republici Hrvatskoj. In: Boris Ljubičić(Hg.): Alka, Sinj, 2001, S. 235-239. 253 Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 2, S. 177. 254 Ebd. 255 D. Marić: Narodna garda – najelitniji odred. In: Slobodna Dalmacija, 30. Mai 1991, S. 3. 256 Ebd. 257 Renato Baretić: Vojnički gard narodne garde. In: Nedjeljna Dalmacija, 2. Juni 1991.

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Brigaden der Volksgarde, eine integrierte Polizeieinheit, die Marine, Reservisten sowie mehrere historisch kostümierte Gruppen, darunter die Alkaren.258 Die Beteiligung der Alkaren und Knappen an der „Ersten Schau der Volksgarde“ kommentierten die Medien zwar äußerst kurz, aber zum Teil mit dem Hinweis darauf, dass man den Traditionsträgern aus Sinj eine symbolträchtige Position vor der zentralen Bühne zugeteilt hatte.259 „Eine noch nie gesehene Zeremonie, der die Sinjer Alkaren eine zusätzliche festliche Note verliehen“, meldete beispielsweise die Zeitung Vjesnik.260 Die Tatsache, dass sich die Alkaren im Frühjahr 1942 im gleichen Stadion beim Fußballspiel zwischen dem USK und Bulgarien als Ehrenwache vor der Tribüne Pavelićs aufgestellt hatten, wurde in keinem Bericht erwähnt. Die jahrzehntelange Praxis des Vergessens hatte dazu geführt, dass nun anscheinend weder den Traditionsträgern selbst noch den Berichterstattern bewusst war, dass die Alkaren im Rahmen der ersten Jubiläumsfeier des Ustaša-Staates im gleichen Stadion aufgetreten waren.

Abb 27: „Die Volksgarde für den Frieden aller Bürger der Republik“. Auf der Parade widmeten die Medien vor allem der neuformierten Volksgarde (Narodna garda) und der Präsidentengarde (Predsjednička garda) ihre Aufmerksamkeit. Obwohl im Schatten der beiden Truppen deren Uniformen dem Publikum zum ersten Mal präsentiert wurden, blieben die Alkaren und Knappen jedoch nicht unbemerkt. Quelle: Večernji list, 30. Mai 1991, S. 18-23.

Nach der zeremoniellen Übergabe der Fahnen an die Militärtruppen hielt Präsident Tuđman erneut eine Rede, die viel Raum für unterschiedliche Deutungen ließ. „Wir sind ein friedliebendes Volk, aber wir müssen die Macht formieren, weil es auch solche gibt, die gegen die kroatische Freiheit und Souveränität walten“, erklärte Tuđman.261 Die Feststellung, dass „wir 258 259 260 261

Igor Vukić: Hrastovo lišće iz legende. In: Zapad, 30. Mai 1991, S. 16-17. Za mir svih građana Republike. In: Večernji list, 30. Mai 1991, S. 18-23. Gordana Grgas: Začetak hrvatske vojske. In: Vjesnik, 29. Mai 1991. B. Tuđen: Začetak hrvatske vojske. In: Večernji list, 29. Mai 1991, S. 5.

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uns nicht bewaffnen, um fremde Territorien zu erobern“, relativierte er indes gleich darauf mit nationalistischer Rhetorik. Auf seine unbestimmte Aussage, dass „wir so viel haben werden, wie wir für die Freiheit Kroatiens und des gesamten kroatischen Volkes benötigen“, reagierte ein Teil des Publikums mit den Rufen: „Nur bis zur Drina!“, und wies seinerseits auf die einstige östliche Grenze des USK hin.262 Dennoch fügte Tuđman hinzu, dass „die Volksgarde die Aufgabe hat, den Frieden aller Bürger Kroatiens zu sichern“ [...]. Deswegen sollte sie vor allem das Vertrauen aller Bürger gewinnen“.263 Während die Medien in Kroatien und Serbien mit unterschiedlichen Wörtern das Ereignis im Stadion analysierten, sanken immer mehr Dörfer und Städte ins Kriegschaos. Die semiautonomen Milizen und marodierenden Banden eigneten sich auf immer hemmungslosere Weise fremdes Eigentum ausgegrenzter ethnischer und sozialer Gruppen an und setzten dadurch eine Gewaltspirale in Gang. Währenddessen wurde in Sinj die Auseinandersetzung um die Sinjska Alka fortgesetzt. Ende Juni 1991 wendeten sich die Sinjer Zweigstellen der Kroatischen Partei (Hrvatska stranka) und der Kroatischen Heimwehr (Hrvatski domobran) an die Öffentlichkeit. Frano Čačija und Dušan Jukić, die lokalen Anführer dieser marginalen außerparlamentarischen Parteien der Rechten, kündigten in dem Kommuniqué ihre Bereitschaft an, die Vorführung der bevorstehenden Sinjska Alka zu verhindern, bzw. einen neuen Alkarenverein gründen zu wollen, „wenn man die geforderten demokratischen Fortschritte im Alkarenverein nicht umgehend realisiert“.264 Ihre bereits bestehenden Forderungen nach einer öffentlichen Gesprächsrunde und der Bewilligung aller eingegangenen Mitgliedschaftsanträge ergänzten sie um eine weitere Forderung. Demnach solle man all jene aus dem Verein ausschließen, „die für die in der Nachkriegszeit verübten Verbrechen und Massenmorde im Hippodrom und an anderen Orten im Gemeindegebiet verantwortlich sind“.265 Die Anklage zielte auf die Partisanenkämpfer des Alkarenvereins. Diese hatten die Entwicklung der Sinjska Alka nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich geprägt, doch war aus ihren Reihen nach den Rücktritten von Bruno Vuletić und Petar Peko Bogdan keiner mehr unter den Ritualteilnehmern oder im Vereinsvorstand geblieben. Nichtsdestoweniger versuchte man, die Öffentlichkeit mit der These zu mobilisieren, dass der Alkarenverein eine Festung der „roten Mafia“ sei, die man unbedingt „demokratisieren“ müsse.266 Dieser weitere Aneignungsversuch der Rechtsradikalen scheiterte aufs Neue. Nicht nur hatten beide Parteien eine schwache soziale Basis, sondern stieß ihre Initiative auch in der Kroatischen Demokratischen Partei auf Desinteresse, da sie angesichts der sich verschärfenden Krise grundsätzlich auf innenpolitische Konflikte mit der Regierungspartei verzichtete. Die Traditionsträger profitierten nicht nur von der Schwäche der protestierenden Gruppe, sondern verfügten auch selbst über zwei starke Vorteile, die es der Konkurrenz schwer machten, sich die Sinjska Alka anzueignen. Zum einen konnten die Traditionsträger grundsätzlich 262 263 264 265 266

Renato Baretić: Vojnički gard narodne garde. In: Nedjeljna Dalmacija, 2. Juni 1991. B. Tuđen: Začetak hrvatske vojske. In: Večernji list, 29. Mai 1991, S. 5. Obrana Alke – obrana časti. In: Slobodna Dalmacija, 25. Juni 1991. Ebd. Obrana Alke – obrana časti. In: Slobodna Dalmacija, 25. Juni 1991.

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mit der Unterstützung der Herrschaftsträger rechnen, da diese unter keinen Umständen auf die attraktive Repräsentationsbühne verzichten wollten. Zum anderen hatten die Traditionsträger stets die Möglichkeit, die geforderten symbolischen Veränderungen selbst in ihre kulturelle Inszenierung einzugliedern und auf diese Weise nicht nur ihre Konkurrenten zu entwaffnen, sondern auch ihre Anerkennung der sozialen und politischen Ordnung zu signalisieren. Gerade die Möglichkeit der dauerhaften symbolischen Umkodierung des alkarischen Rituals garantierte dem Verein immer wieder die Unterstützung mächtiger Alliierter, die sich ihrerseits auch um die Entstehung bzw. die Erhaltung der Kooperation bemühten. Die Allianz des Alkarenvereins mit den Vertretern der politischen Macht konnte auch um Arrangements mit anderen Gruppen ergänzt werden, solange diese sich nicht selbst im Konflikt oder im Konkurrenzkampf mit der Regierung befanden. Im Sommer 1991 wurde die Annäherung zwischen dem Alkarenverein und der katholischen Kirche fortgesetzt, die sich unter anderem in der Beteiligung der Alkaren und Knappen an der Straßenprozession in Sinj zum kirchlichen Feiertag Fronleichnam manifestierte.267 Wie anhand der Medienberichterstattung deutlich wird, verliefen die inzwischen begonnenen Vorbereitungen für die 276. Sinjska Alka im Licht der dramatischen innenpolitischen Entwicklungen, die die Atmosphäre im Cetiner Land stark beeinflussten. „Unter den Bedingungen, unter denen wir leben, wenn in einigen Regionen Kroatiens Bürger und Mitglieder der Garde und der Polizei fallen, wollen wir demonstrieren, dass sich das kroatische Volk in der Geschichte niemals hat unterordnen lassen. Es ist an der Zeit, die Gewalt zu stoppen, um Vernunft und Frieden gewinnen zu lassen“, appellierte Mitte Juli der alkarische Anführer Nikola Tomašević an die Öffentlichkeit.268 Die dramatische Gewalteskalation in mehreren Regionen Kroatiens führte zu Überlegungen darüber, ob die traditionelle Veranstaltung überhaupt stattfinden sollte. Mitte Juli kommentierte daraufhin der Alajčauš Ivan Zorica, dass die Abhaltung der 276. Sinjska Alka nicht infrage gestellt sei, trotz der Gerüchte in der Öffentlichkeit und der „hohen Temperatur, die im Cetiner Land herrscht“.269 Im Juli 1991 widmeten die Medienberichte aus Sinj nicht nur der Sinjska Alka, sondern auch einem weiteren bevorstehenden Ereignis viel Aufmerksamkeit. Für den 28. Juli wurde die feierliche Einweihung der neuen alkarischen Fahne in der Anwesenheit des Zagreber Kardinals Franjo Kuharić angekündigt, die von katholischen Ordensschwestern aus der Kongregation der Töchter der Göttlichen Liebe in Split in Handarbeit gefertigt worden war.270 Die neue Fahne in der Farbe der Sauerkirsche, die der studierte Maler Petar Jakelić entworfen hatte, wirkte wie eine Synthese aus zwei wichtigen alkarischen Symbolen. Eine Seite der Fahne zeigte die stilisierte Abbildung der gekrönten Jungfrau von Sinj (Čudotvorna Gospa Sinjska) und erinnerte im Wesentlichen an die Flagge des Alkarenvereins in der Zeitspanne zwischen 1887 und 1945. Auf der anderen Seite befand sich das Motiv eines Alkaren auf dem Pferd, das der Alkarenverein über die Zäsuren des 20. Jahrhunderts hinweg als graphisches Element

267 Ivo Dalbello: Kronologija Sinjske alke u Republici Hrvatskoj. In: Boris Ljubičić(Hg.): Alka, Sinj, 2001, S. 235-239. 268 Milan Sigetić: Alkarski pečat protiv nasilja. In: Vjesnik, 18. Juli 1990. 269 Sinjani ne daju Alku. In: Studio, 19. Juli 1991, S. 36. 270 Kardinal blagoslivlje novi alkarski barjak. In: Slobodna Dalmacija, 28. Juli 1991.

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auf dem Vereinsstempel benutzt hatte.271 Darüber hinaus befand sich dieses Motiv gleichfalls auf der 1990 präsentierten Vereinsfahne. Im Unterschied zu dieser hatte man auf der neuen Fahne jedoch auf den Zusatz der Jahreszahl „1941“ verzichtet, die über Jahrzehnte einen symbolträchtigen Referenzpunkt des Vereins dargestellt hatte. Anstelle dessen wurde das Motiv von der Aufschrift „Ritterlicher Alkarenverein Sinj A. D. 1715“ (Viteško alkarsko društvo Sinj A.D. 1715) umrandet. Das Auslassen von „1941“ sowie die Sakralisierung von „1715“ zog in den Medien weder Kontroversen noch Kritik nach sich. Die führenden kroatischen Tageszeitungen stellten die neue Fahne meistens als die Wiedergutmachung einer Ungerechtigkeit bzw. als die „Rückkehr zum Ursprung“ dar.272 Dabei fokussierte man sich hauptsächlich auf die Rückkehr der Heiligen Maria, bzw. ihrer Abbildung auf der alkarischen Fahne, wobei die zweite Seite mit dem Motiv des Alkaren kaum erwähnt wurde.273 Nicht nur im Cetiner Land weckte der angekündigte Besuch des Zagreber Kardinals Franjo Kuharić zur Einweihung der neuen alkarischen Fahne großes Interesse. Die Ereignisse rund um die Festlichkeiten gaben indes keinen Anlass zum Feiern. Vier Tage vor der Einweihung der Fahne wurden das Rahmenprogramm der Sinjska Alka und das Fest zu Maria Himmelfahrt abgesagt. Die Vertreter der lokalen Regierung erklärten auf einer Pressekonferenz, dass es gänzlich unangemessen wäre, Feiern abzuhalten „während Kroatien blutet und die Jugend für die Freiheit Kroatiens ums Leben kommt“.274 Am Tag darauf beschloss der Vorstand des Alkarenvereins unter anderem, die abendlichen Festessen nach den drei alkarischen Wettbewerben am bevorstehenden Wochenende abzusagen.275 Eine Hälfte der dadurch gesparten Summe wurde für die finanzielle Konsolidierung des Alkarenvereins zurückgelegt. Der im Frühjahr 1991 vereinbarte Kauf von 28 Pferden von der Jugoslawischen Volksarmee, deren Stationierung in Sinj der Generalleutnant und alkarische Anführer Bruno Vuletić ausgehandelt hatte, stellte eine große finanzielle Investition für den Verein dar, die man nicht ohne Kredite realisieren konnte. Die andere Hälfte der Finanzmittel wurde für den Geldpreis des bevorstehenden alkarischen Wettbewerbs vorgesehen.276 Wenngleich es in Medienberichten nicht erwähnt worden war, hatte man zu diesem Zeitpunkt bereits entschieden, dass die Gewinner aller drei Wettbewerbe (Bara, Čoja und Alka) zugunsten des Fonds für die Verteidigung Kroatiens (Fond za obranu Hrvatske) unmittelbar nach dem Gewinn öffentlich auf ihre Geldpreise verzichten würden. Auf dem gleichen Treffen des Vereinsvorstandes ernannte Vojvoda Tomašević den neuen Fahnenträger (Barjaktar) für die 276. Sinjska Alka. Die prestigeträchtige Funktion wurde – für manch einen überraschend – dem 65-jährigen Josip Bilandžić aus Krušvare bei Sinj anvertraut, einem wohlhabenden Unternehmer, der in Deutschland und den USA Betriebe besaß.277 Der zurückgekehrte Gastarbeiter, der wie zahlreiche andere Cetiner in den 1960er Jahren in die Bundesrepublik Deutschland ausgewandert 271 272 273 274 275 276 277

Vgl. Šime Jurić: Dokumenti i književna građa o Sinjskoj alki, Split, 1988, S. 257-261. Toni Paštar: Dvije legende, jedan barjak. In: Slobodna Dalmacija, 2. August 1991. Vgl. Milan Sigetić: Alkarski pečat protiv nasilja. In: Vjesnik, 18. Juli 1990. T.P.: Otkazane veselice. In: Slobodna Dalmacija, 25. Juli 1991. Toni Paštar: Slavodobitniku 173.000 dinara. In: Slobodna Dalmacija, 26. Juli 1991. Ebd. Toni Paštar: Tvorničar u sedlu barjaktara. In: Slobodna Dalmacija, 3. August 1991.

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war, war erst 1990 Vereinsmitglied geworden.278 Am Sonntag, den 28. Juli 1991 und somit drei Tage nach dem Vorstandstreffen, wurden sowohl die neue alkarische Fahne als auch ihr Träger öffentlich vorgestellt. Die Zeremonie, die ursprünglich auf dem Marschall-Tito-Platz hätte stattfinden sollen, wurde wegen des schlechten Wetters in die restlos gefüllte Kirche der Wundertätigen Mutter Gottes von Sinj verlegt.279 Der Zagreber Erzbischof, Kardinal Franjo Kuharić betonte, dass „die Alka untrennbar von der Mutter Gottes von Sinj ist“ und äußerte den Wunsch, dass sie „heute, genauso wie damals ein Siegessymbol werden würde“.280 Als „Nachfahrin einer der ältesten alkarischen Familien“, wurde der aus Sinj stammenden Chemikerin Tonka Madunić, geborene Lovrić, die Ehre zuteil, Patin der neuen alkarischen Fahne (Kuma alkarskog barjaka) zu werden. Aus diesem Anlass schenkte Tonka Madunić dem Alkarenverein zwei altertümliche Waffenstücke aus der Familienkollektion.281 Der neue Fahnenträger Josip Bilandžić hingegen übergab dem Verein eine vergoldete Pferdeplastik.282 Vlado Gotovac, verfolgter Kritiker des kommunistischen Regimes und aktuelles Vorstandsmitglied der Kroatischen Sozialliberalen Partei (HSLS), rief in seiner auf die Einweihung der Fahne folgenden Rede zu Einheit und Eintracht der Bevölkerung im Widerstand gegen den „Jugo-Unitarismus und großserbischen Chauvinismus“ auf.283 Eine ähnliche Botschaft vermittelte Vladimir Veselica, ein weiterer ehemaliger politischer Häftling und jetziger Chef der Kroatischen Demokratischen Partei (HDS): „Man braucht Frieden unter uns, man sollte alle Missverständnisse unter uns beseitigen und alle Konflikte aussetzen. Wir sind stärker als unsere Feinde, weil wir unsere Heimat und unser Heimatland verteidigen“, sagte Veselica unter anderem in seiner Rede nach der Einweihung der neuen alkarischen Fahne.284 Der Kampf gegen den militärisch überlegenen Feind benötigte und begünstigte gleichzeitig die Unterbrechung der innenpolitischen Auseinandersetzungen sowie die Überwindung der ideologischen Konflikte innerhalb der kroatischen Gesellschaft.

278 279 280 281 282 283 284

Toni Paštar: Tvorničar u sedlu barjaktara. In: Slobodna Dalmacija, 3. August 1991. Ivica Milivončić: Barjak pobjede i mira. In: Slobodna Dalmacija, 30. Juli 1991, S. 15. Ebd. J. Blajić: Blagoslovljen alkarski barjak. In: Večernji list, 29. Juli 1991, S. 3. Ebd. Ivica Milivončić: Barjak pobjede i mira. In: Slobodna Dalmacija, 30. Juli 1991, S. 15. Ebd.

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Abb 28: „Der Zagreber Erzbischof Kardinal Franjo Kuharić und der alkarische Anführer Nikola Tomašević mit der Monographie der Sinjska Alka“. Die 1987 vom Militärinstitut in Belgrad herausgegebene Monographie reflektierte genau jene ideologische Ordnung, die man mit der neuen alkarischen Fahne sowie anderen symbolträchtigen Veränderungen beseitigen wollte. Diese Diskrepanz fand in den Medienberichten über die Einweihung der alkarischen Fahne jedoch keine Erwähnung. Nachdem die Medien die symbolträchtigen Veränderungen im Sommer 1990 noch sehr gern und oft humorvoll in den Fokus genommen hatten, wurde die Belustigung über die den Umbruch begleitenden Phänomene danach immer seltener. Quelle: Milan Sigetić: Pogodak u sridu. In: Vikend, 30. August 1991, S. 14-15)

Der Konsens im politischen und ideologischen Feld, der Ende Juli 1991 unter anderem durch die Integration aller Parlamentsparteien in die Regierungskoalition (Vlada nacionalnog jedinstva) demonstriert wurde, führte in der Praxis jedoch nicht zu einer friedlichen Koexistenz der Ansichten oder zum „Einfrieren“ der ideologischen Konflikte im Feld der öffentlichen Erinnerungskultur. Der gegen die jugoslawische kommunistische Ideologie und ihre Diskurse ausgerichtete Revisionismus manifestierte sich am stärksten in der Deutung des

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Zweiten Weltkriegs. Die Umdeutung der Vergangenheit bezog sich dabei sowohl auf die Abwertung und Diffamierung des Volksbefreiungskampfes als auch auf die Revalorisierung der Ustaša-Herrschaft. Ende Juli 1991 veröffentlichte die Zagreber Tageszeitung Vjesnik einen längeren Artikel ihres Sinjer Korrespondenten Nedjeljko Musulin über die „vergessene Alka“ aus dem Jahr 1944.285 Durch Gespräche mit Stipe Vučković und Antun Podrug, die sich an der 229. Sinjska Alka zum ersten und letzten Mal als Alkaren beteiligt hatten, rekonstruierte Musulin die Einzelteile des jahrzehntelang verschwiegenen Ereignisses und setzte es in einen breiteren Kontext. Durch die Thematisierung der Ustaša-Herrschaft ohne sie dabei in Zusammenhang mit Massenverbrechen und Kollaboration zu setzen, bot Musulin der Öffentlichkeit ein Geschichtsbild, das sich wesentlich von der jahrzehntelangen Medienpraxis unterschied. Indem er die Repression und Verfolgung, der die Franziskaner sowie die Soldaten der Heimwehrund Ustaša-Truppen nach Kriegsende ausgesetzt worden waren, thematisierte, setzte er sich mit der über Jahrzehnte nicht kritisierbaren Rolle von Titos Partisanen auseinander. Darüber hinaus betonte er die wichtige Rolle der Sinjer Franziskaner für die Erhaltung der alkarischen Uniformen während des Zweiten Weltkriegs. Die 229. Sinjska Alka stellte in der Region einen bedeutenden „weißen Flecken“ sowohl in Hinblick auf die sozialistische Historiographie als auch auf die öffentliche Erinnerungskultur dar. „Über die bis dahin einzige kroatische Alka flüsterte man nur im Familienkreis“, betonte Musulin in der Einführung seines Artikels.286 „Vielen Sinjern und Cetinern fiel es schwer, im Buch von Professor Šime Jurić […] zu lesen, [dass] die Sinjska Alka während des Zweiten Weltkriegs nicht abgehalten wurde“, fügte er hinzu.287 Allerdings müsste es den Einwohnern des Cetiner Landes in den 1980ern Jahren ähnlich schwer gefallen sein, in der Lokalzeitung Vjesnik Cetinske Krajine die Artikel und Kolumnen von Nedjeljko Musulin über die Geschichte der Sinjska Alka zu lesen, in denen er die Vorführung von 1944 genauso wenig erwähnte. In jedem Fall ist festzustellen, dass der politische und ideologische Umbruch den öffentlichen Raum für Themen öffnete, über die man jahrzehntelang geschwiegen hatte. Diejenigen, die mit ihren öffentlichen Botschaften die kulturelle Hegemonie der jugoslawischen kommunistischen Herrschaft bis dato reproduziert hatten, mussten sich nun, sei es aus persönlicher Überzeugung oder aus rein pragmatischen Gründen, dem neuen Orientierungsrahmen anpassen, wenn sie nicht das Risiko von Sanktionen oder Verlust der sozialen Position eingehen wollten. Durch ihr Handeln signalisierten sie ihre Anerkennung der neuen Ordnung, und kreierten gleichzeitig ein Orientierungsbild für andere soziale Akteure, wodurch sie selbst zur Ordnungslegitimation beitrugen.

285 Nedjeljko Musulin: Priča o zaboravljenoj Alci. In: Vjesnik u srijedu, 31. Juli 1991, S. 8. 286 Ebd. 287 Ebd.

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Fest im Schatten des Unabhängigkeitskriegs Am ersten Augustsonntag 1991 wurden die Einwohner von Sinj wie in jedem Jahr schon früh am Morgen von Kanonenschüssen geweckt. Eine Neuheit bei der akustischen Ankündigung des Festtags war das elektronische Zündsystem der Kanonen. Nach dem Unfall am Vorabend der 275. Sinjska Alka hatte der Alkarenverein entschieden, bis zum nächsten Sommer eine sicherere Methode zu finden, um die traditionelle Lärmkulisse zu schaffen. Die Lösung brachte der 44-jährige Freizeitbastler und Hobby-Kanonenhersteller Dubravko Poletti Kopešić aus Zagreb.288 Das neue Zündsystem war schon am Freitag während der vorletzten Probe (Bara) der Alkaren und Knappen erfolgreich getestet worden. Der junge Alkar Ognjen Preost stellte sich auf der Probe mit sieben gewonnen Punkten am geschicktesten an. Am Samstag bei der Generalprobe (Čoja) sammelte jedoch der Ruhmgewinner aus dem Vorjahr Joško Marić die maximale Punktzahl von neun Punkten und kündigte damit ein spannendes Sonntagsfinale (Alka) an. Am Sonntag, den 4. August 1991, wurde die 276. Sinjska Alka in Sinj abgehalten. Im Anschluss an die frühmorgendlichen Kanonenschüsse und an die Parade der Stadtmusikanten fand die traditionelle Versammlung in der alten Festung statt, die von den Ritualteilnehmern selbst sowie von tausenden Zuschauern besucht wurde.289 Die Messe vor der Kirche des Heiligen Franziskus las Ignacije Vugdelija, ein Priester aus der kroatischen katholischen Mission in Frankfurt. Der Sinjer Franziskaner und Historiker Josip Soldo las danach „die Namen aller Alkaren [vor], die ohne alkarische Zeremonie begraben wurden”, meldete Slobodna Dalmacija tags darauf, allerdings ohne weiter zu erläutern, was er damit gemeint haben könnte.290 Nach der Messe wurde das Morgenprogramm wie im Jahr zuvor mit der „Geschichtsstunde auf der Sinjer Festung“ von Velimir Borković fortgesetzt. Der Gymnasiallehrer erinnerte die Anwesenden an die Schlacht von 1715 und zog eine Parallele zur aktuellen Kriegsgefahr. „Die Geschichte wiederholt sich“, sagte Borković. „Die Truppen sammeln sich wieder auf dem Kupreser Feld. Es ist nahezu alles wie damals, nur Fra Pavle [Franziskaner Pavao Vučković] ist noch nicht da”.291 Nach der morgendlichen Veranstaltung in der Festung begaben sich der Adjutant des alkarischen Anführers und sein Knappe mit einer feierlich dekorierten Pferdekutsche auf eine Fahrt durch die Stadt. Entsprechend der Tradition waren sie mit der feierlichen Übergabe der Einladungen an die höchsten Vertreter der Sinjer Regierung und der katholischen Kirche betraut. Es war dieses Mal jedoch nicht vorgesehen, der langjährigen Praxis entsprechend auch Einladungen an den Kommandanten der Sinjer Garnison zu übergeben.292 Obwohl der Alkarenverein kaum drei Monate zuvor mit der Armee den Kauf der Pferde vereinbart hatte, waren die jahrzehntelangen guten Beziehungen zwischen den beiden Institutionen nun definitiv vorbei.

288 289 290 291 292

B. Sterle: Elektronika za sridu. In: Večernji list, 3. August 1991. T. Paštar: Alkarski uranak. In: Slobodna Dalmacija, 5. August 1991, S. 2. Ebd. Ebd. Toni Paštar: Svečana zapovid. In: Slobodna Dalmacija, 4. August 1991, S. 10.

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Mitte 1991 stellte die Jugoslawische Volksarmee immer weniger ein Symbol der Eintracht aller Bürger oder zumindest aller Männer Jugoslawiens dar. Zwar befand sich die Kontrolle über die Militärmacht formell noch immer in den Händen der kollektiven Präsidentschaft Jugoslawiens, de facto wurde sie jedoch zunehmend von der politischen Führung Serbiens gesteuert. Während sich die Jugoslawische Volksarmee im Frühjahr und Sommer 1991 immer offensichtlicher auf der Seite der aus Belgrad unterstützten serbischen Aufständischen in den Konflikt einbrachte, wuchs die Abneigung der kroatischen Öffentlichkeit ihr gegenüber.293 Immer mehr Rekruten, Soldaten und Offiziere, vor allem kroatischer und slowenischer Herkunft, missachteten die Wehrpflicht bzw. desertierten aus den Reihen der Armee, während die kroatische Regierung ihren Rückzug aus Kroatien forderte. Im Einklang damit hatte man im August 1991 für die Vertreter der Jugoslawischen Volksarmee keine Plätze mehr auf der alkarischen Ehrentribüne reserviert. Abgesehen davon entsprach der weitere Verlauf der 276. Sinjska Alka dem üblichen Programm. Um 14 Uhr kündigten die Kanonenschüsse (pucanje mučkula) die traditionelle Versammlung der Alkaren und Knappen beim Befehlshaber der Alkarentruppe (Alajčauš) an. Anschließend begaben sich die Ritualteilnehmer „auf den Weg zum Hof des Anführers (Vojvodini dvori) [...], um den Hauptgast der diesjährigen Alka zu begrüßen“.294 Laut den Ankündigungen der Tageszeitungen erwartete man die Ankunft des Parlamentsvorsitzenden (Predsjednik Sabora) Žarko Domljan.295 Als Sondergesandter des Präsidenten Tuđman erschien jedoch stattdessen der Parlamentsabgeordnete Šime Đodan in Sinj. Über seine Rolle im Kroatischen Frühling hinaus war Đodan vor allem aufgrund seines Wahlversprechens aus dem Frühjahr 1990 bekannt, laut dem man in spätestens fünf Jahren auf dem Berg Romanija im östlichen Bosnien die kroatische Flagge hissen würde. Nach dem traditionellen Empfang vor Beginn der Alka begab sich der Paradezug auf den Weg zum Wettkampfplatz (alkarsko trkalište). Vor der Kirche der Wundertätigen Mutter Gottes von Sinj auf dem Marschall-Tito-Platz erwiesen die Alkaren der Schutzpatronin ihre Ehre, indem sie ihre Lanzenspitzen nach unten drehten. Pünktlich um 17 Uhr erschien der Paradezug auf dem Wettkampfplatz. Neben den Regierungsvertretern und kirchlichen Würdenträgern fanden auf der Ehrentribüne zwei Gäste aus anderen Republiken der zerfallenden jugoslawischen Föderation Platz.296 Einer der beiden war Stjepan Kljuić, ein Journalist aus Sarajevo, der seinen Platz auf der Ehrentribüne vor allem als Vorsitzender der HDZ BIH zugesprochen bekommen hatte. Über seine Spitzenposition in der wichtigsten Auslandsvertretung der kroatischen Regierungspartei hinaus war Kljuić ein Mitglied der Präsidentschaft der Republik Bosnien-Herzegowina und insoweit einer der führenden Politiker in der Regierung der benachbarten Republik. Der zweite der beiden Ehrengäste von außerhalb Kroatiens war der Vize-Präsident des montenegrinischen PEN-Zentrums Jevrem Brković. Die öffentliche Befürwortung der Unabhängigkeit Montenegros sowie die heftige Kritik an der Milošević-treuen Haltung der Regierung in Titograd (ab Ende 1991 Podgorica) hatten ihm Anfang der 1990er Jahre zahlreiche Gegner 293 294 295 296

Vgl. Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011. Zagreb/Split, 2011, Bd. 3, S. 18ff. Toni Paštar: 'Svečana zapovid'. In: Slobodna Dalmacija, 4. August 1991, S. 10. Ebd. Toni Paštar: Alkar godine Anđelko Vučković. In: Slobodna Dalmacija, 5. August 1991.

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in Montenegro und Serbien, aber gleichzeitig auch viele Sympathisanten in Kroatien eingebracht. Knapp zehn Wochen nach der 276. Sinjska Alka würde Jevrem Brković aus Angst vor einer Verhaftung oder Lynchjustiz illegal aus Montenegro über die Grenze nach Albanien fliehen.297 Den unmittelbaren Anlass für die Medien- und Straßenkampagne gegen Brković gab sein offener Brief an die Kroaten und Muslime im September 1991. In diesem Schreiben mit dem Titel „Das sind keine Montenegriner“ kritisierte er das als Heimatliebe maskierte Marodieren der montenegrinischen Milizen und Banden, die mit der offensichtlichen Unterstützung der Politik in Belgrad und Titograd die Grenzgebiete in Dalmatien und Herzegowina auf immer skrupellosere Weise plünderten.298 Nach kurzem Halt in Tirana sollte Brković Ende Oktober 1991 über Budapest und Ljubljana in Zagreb ankommen.299 Die symbolische und finanzielle Unterstützung der kroatischen Regierung sollte ihm eine vergleichsweise bequeme siebenjährige Zuflucht in Zagreb ermöglichen, während derer er mehrere Bücher veröffentlichte. Indem er an die Werke von Savić Marković Štedimlija (1906-1971) anknüpfte, etablierte sich Brković in den 1990er Jahren als der führende intellektuelle Vertreter einer Geschichtspolitik, die die Unabhängigkeit Montenegros legitimierte und die ihren Verbündeten viel eher in Kroatien als in Serbien erkannte. Den Ursprung der montenegrinischen Staatlichkeit erkannte Brković im mittelalterlichen Fürstentum Duklja, womit er in den geschichtspolitischen Konflikt der kroatischen und serbischen Mediävisten eintrat. Seine ideologischen Gegner warfen ihm vor, dass er ein kroato-zentrischer Extremist sei, „der literarische [antiserbische] Fantasien schreibt und die Realität der historischen Tatsachen dabei ignoriert“.300 Jedenfalls fügte sich die Romantisierung der historischen Bindungen zwischen Kroatien und Duklja sehr gut in den historischen Metadiskurs ein, der in Kroatien während der 1990er Jahre gefordert bzw. gefördert wurde. Bevor der alkarische Wettbewerb begann, wandte sich Vojvoda Nikola Tomašević mit einer kurzen Rede an die Anwesenden auf dem Wettkampfplatz.301 Die Rede spiegelte die Ethnisierung der Sinjska Alka wider, die seit dem Sommer 1990 ihren Lauf genommen hatte. So stellte Tomašević die zeitgenössischen Ritualteilnehmer als „Nachfahren der berühmten kroatischen Serdaren vor“.302 Im Unterschied zu seiner Rede im Vorjahr, in der er eine Kontinuitätslinie zwischen der Schlacht von 1715 und dem ethnozentrisch dargestellten Zweiten Weltkrieg gezogen hatte, ließ er das Jahr 1941 dieses Mal jedoch aus. An die Stelle der jahrzehntelang unumgänglichen Referenz auf den Volksbefreiungskampf lag nun der Akzent auf der aktuellen Gewalteskalation:

297 298 299 300

Siehe Jevrem Brković: Pjesnik s potjernice, Zagreb, 1997, S. 230ff. Vgl. Kenneth Morrison: Montenegro: A Modern History. Oxford, 2009, S. 110ff. Siehe: Jevrem Brković: Pjesnik s potjernice, Zagreb, 1997, S. 291-319. Vgl. Dušan Kovačev: Istorijat dukljanizacije Crne Gore. In: Web-portal Vidovdan, 28. Januar 2006, http://www.vidovdan.org/arhiva/article430.html (Letzter Zugriff: 12. August 2014). 301 Vgl. Toni Paštar: Alkar godine Anđelko Vučković. In: Slobodna Dalmacija, 5. August 1991. 302 Govori alkarskih vojvoda (1990-2013). In: Online-Portal Ferata. http://www.ferata.hr/govorialkarskih-vojvoda-1990-2013/ (Letzter Zugriff: 04. Juni 2014).

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Die Zeit, in der wir den diesjährigen Wettbewerb durchführen, erinnert in Vielem an das Jahr 1715. Indem sie beispiellose Freveltaten mit der Unterstützung der sogenannten Jugoslawischen Volksarmee ausüben, bieten uns die feindlichen großserbischen und Četnik-Horden wieder Feuer, Schwert und Sklaverei. Wir teilen ihnen mit, dass der souveräne Wille des kroatischen Volkes [...] unabhängig von unschuldigen Opfern, Müttern ohne Söhne, Frauen ohne Männer, Kindern ohne Väter [...] verwirklicht werden wird.303 Im Einklang mit den breiteren sozialen und politischen Prozessen wurde die Sinjska Alka im August 1991 hauptsächlich als Demonstrationsbühne für die symbolische Trennung Kroatiens von Jugoslawien und Serbien benutzt. Durch den Vergleich des zeitgenössischen Militärbündnisses der serbischen Milizen und der jugoslawischen Armee mit den osmanischen Truppen deutete Tomašević in seiner Rede an, dass das Land wieder vom Erzfeind angegriffen würde. Obwohl diese Aussage im direkten Gegensatz zur Idee der „Brüderlichkeit und Einheit der Völker Jugoslawiens“ stand, stellte sie eine Kontinuität mit der Erinnerungspraxis aus der sozialistischen Zeit dar. Im Grunde genommen handelte es sich um eine Modifizierung der Kontinuitätsprojektion, in der man die Schlacht von 1715 als eine Vorgeschichte des Volksbefreiungskampfes gedeutet hatte. Ab 1991 wurde die Kontinuitätslinie aber grundsätzlich auf den gerade entfesselten Unabhängigkeitskrieg projiziert, währenddessen die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg aus der Sinjska Alka nahezu komplett beseitigt werden sollte. Der seit Sommer 1990 laufende Prozess der sichtbaren Veränderungen in der erinnerungskulturellen Landschaft Kroatiens wurde mit der Gewalteskalation 1991 wesentlich intensiviert. Die vorherige Bedeutung des antifaschistischen Aufstandes bzw. des Volksbefreiungskampfes wurde dabei durch den Unabhängigkeitskrieg bzw. durch den Heimatländischen Krieg (Domovinski rat) als wichtigster symbolischer Bezugspunkt des neuen kroatischen Staates ersetzt. Analog zur Einrichtung der neuen materiellen und immateriellen Erinnerungsorte wurde in Kroatien in den 1990er Jahren mehr als die Hälfte aller dem Volksbefreiungskampf gewidmeten Denkmäler beschädigt, entfernt oder zerstört. An diesem Prozess beteiligten sich neben den wenigen Personen, die bereits vor der Wende als Gegner des sozialistischen Jugoslawien aufgetreten waren, auch diejenigen Akteure, die erst seit Kurzem eine Feindschaft gegenüber dem kommunistischen Regime empfanden. Über den wachsenden gesellschaftlichen Einfluss der nationalistischen Gruppen hinaus trug die pro-sozialistische und pro-jugoslawische Rhetorik der politischen Führung in Belgrad zur Diffamierung des Volksbefreiungskampfes sowie der gesamten sozialistischen Epoche in Kroatien erheblich bei. Während die jugoslawische Idee öffentlich verleumdet wurde, akzeptierte ein Teil der Öffentlichkeit die völlig unkritischen Darstellungen des Ustaša-Staates. Im Einklang damit erlangte „1941“ im politischen und öffentlichen Diskurs eine neue Bedeutung als das Jahr, in dem die historischen Bestrebungen des kroatischen Volkes einen eigenen Staat zu gründen, verwirklicht wurden. Einzelpersonen und kleinere Gruppen protestierten immer wieder gegen die revisionistischen Tendenzen und die Verharmlosung der Ustaša-Herrschaft, stellten dabei jedoch eine Minderheit dar. Im gegebenen Kontext entschieden sich viele Sympathisanten des 303 Govori alkarskih vojvoda (1990-2013). In: Online-Portal Ferata. http://www.ferata.hr/govorialkarskih-vojvoda-1990-2013/ (Letzter Zugriff: 04. Juni 2014).

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Partisanenkampfes, ihre ideologischen Präferenzen bzw. die Erinnerung an den Volksbefreiungskampf nicht öffentlich zu demonstrieren oder sie sogar mit der gerade entstehenden symbol-politischen Referenz an den Heimatländischen Krieg vollkommen zu ersetzen. Außer der Tatsache, dass das Jahr „1941“ nicht weiter erwähnt wurde, stellte die explizite Erwähnung der Madonna von Sinj in der Rede des Anführers einen symbolisch wichtigen Unterschied zum Vorjahr dar.304 Mit einer Beschreibung der Belagerung der Festung durch die Osmanen und der unmittelbar darauf folgenden Ereignisse erinnerte Tomašević die Anwesenden zum ersten Mal an die „Krönung der Madonna“ nach der Schlacht. Der alkarische Anführer erwähnte dabei jedoch weder die legendäre Beteiligung der Schutzpatronin an der Schlacht, noch die Gebete, die die Verteidiger in der Nacht vor dem Rückzug der Osmanen an sie gerichtet haben sollen. Anstelle dessen setzte er den Akzent auf die Danksagung der Verteidiger. Nichtsdestoweniger datierte er dadurch die Verknüpfung der Sinjska Alka mit der Marienehrung und dem kroatischen Patriotismus auf das 18. Jahrhundert zurück. „Zu Ehren des großartigen Sieges sammelten die Sinjer Offiziere das Gold, krönten ihre Madonna, die seitdem als unsere Beschützerin, die wundertätige Mutter Gottes von Sinj, bekannt ist und gründeten die Sinjska Alka, die in den Herzen der Sinjer und Cetiner ein adliges Zugehörigkeitsgefühl zur gebürtigen Heimat und dem Heimatland Kroatien weckt“, sagte Tomašević.305 Daraufhin erwähnte er den berühmten Banus Ivan Mažuranić und seine Begeisterung für die Sinjska Alka, die dieser 1838 in einem seiner Werke zum Ausdruck gebracht habe und erklärte schließlich den alkarischen Wettbewerb für eröffnet.306 Ähnlich wie im Vorjahr erbrachten die Teilnehmer der 276. Sinjska Alka im Sonntagsfinale eine leicht unterdurchschnittliche Leistung. Mit sechs Punkten in drei Runden triumphierte Anđelko Vučković, der 44-jährige Geschäftsführer der Sinjer Niederlassung des staatlichen Unternehmens Auto Hrvatska.307 Nach der ritualen Befestigung der kleinen Trikolore (plamenac) auf der Lanze des Turniersiegers wurde die Siegerehrung durch die Übergabe der Geschenke des Schirmherrn fortgesetzt. So wie es im Vorjahr angekündigt worden war, war der Silberne Schild in der Zwischenzeit ins Archiv gebracht und durch die persönlichen Geschenke des Schirmherrn ersetzt worden. Der Gesandte des Präsidenten Šime Đodan überreichte dem Ruhmgewinner Anđelko Vučković eine „Goldmünze mit dem Motiv des kroatischen Banus Josip Jelačić“.308 Sein Knappe Milan Jagnjić aus Brnaze erhielt hingegen „eine Silbermünze mit dem historischen kroatischen Wappen [...]“.309 Seitens des Alkarenvereins erhielt der Ruhmgewinner das angekündigte Preisgeld von 173.000 jugoslawischen Dinar und eine goldene Alka-Plakette. Sein Knappe erhielt wiederum entsprechend der üblichen Praxis eine silberne Plakette. Unmittelbar nach der Überreichung der Geschenke kündigte der Ruhm-gewinner Anđelko Vučković an, dass er zugunsten des „Fonds für Verteidigung 304 Govori alkarskih vojvoda (1990-2013). In: Online-Portal Ferata. http://www.ferata.hr/govorialkarskih-vojvoda-1990-2013/ (Letzter Zugriff: 04. Juni 2014). 305 Ebd. 306 Vgl. Ivan Mažuranić: Putovanje kralja Saksonskog iz Trsta u Dalmaciju. In: Sabrana djela Ivana Mažuranića, Bd. 3, Zagreb, 1979. 307 Toni Paštar: Alkar godine Anđelko Vučković. In: Slobodna Dalmacija, 5. August 1991. 308 Ebd. 309 Ebd.

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Kroatiens“ auf die komplette Geldsumme verzichte und schuf damit einen Präzedenzfall für die alkarischen Chroniken. Die politische Qualität der 276. Sinjska Alka stieß auf eine außerordentlich große öffentliche Resonanz und wurde auch nach Jahren noch gelegentlich thematisiert. Den Grund dafür stellten jedoch weniger die symbol-politischen Veränderungen oder die großzügige Geste von Anđelko Vučković dar, sondern vor allem die Rede des Gesandten des Präsidenten Šime Đodan. Im Unterschied zu manch anderen hochrangigen Herrschaftsträgern stammte Đodan zwar nicht aus dem Cetiner Land, hatte aber eine langjährige Beziehung zu Sinj, die von symbolischer Relevanz sein sollte. Als Sekretär der Abteilung für Wirtschaft und als Vorstandsmitglied des Kulturinstituts Matica Hrvatska hatte sich Đodan im Frühjahr 1971 in die Gründung der Sinjer Vertretung dieser Institution eingebracht.310 Sowohl in Sinj als auch in ganz Kroatien stellte Matica Hrvatska das wichtigste Symbol der anti-zentralistischen Bewegung Kroatischer Frühling (Hrvatsko proljeće) dar, die sich Ende der 1960er Jahre formiert hatte. Die breite und ideologisch heterogene Koalition aus unterschiedlichen sozialen und politischen Akteuren hatte sich für eine stärkere finanzielle und kulturelle Autonomie Kroatiens vom jugoslawischen Staat eingesetzt. Zusammen mit Marko und Vladimir Veselica hatte Đodan dabei die These vertreten, dass Kroatien wirtschaftlich ausgebeutet und zugunsten anderer Landesteile benachteiligt würde. Nach der Zerschlagung des Kroatischen Frühlings 1972 wurde Đodan zu einer fünfjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Erst in den 1980er Jahren hatte er wieder sozial aufsteigen und im Finanzinstitut der Zagreber Universität eine Arbeitsstelle finden können. Der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) war er bereits in der Gründungsphase der Protopartei im Frühjahr 1989 beigetreten und eines ihrer bekanntesten Mitglieder geworden. Anfang August 1991 hielt Šime Đodan als Gesandter des Präsidenten in Sinj eine Rede, die eine Reihe von Reaktionen nach sich zog. Laut der Erzählung der anwesenden Ritualteilnehmer hatte er an dem besagten Nachmittag etwas zu tief ins Glas geschaut. Er redete nicht nur über die dramatische Situation, in der sich das Land befand, sondern traute sich, noch einiges mehr zu sagen. Die kroatischen Tageszeitungen jedoch, die im Sommer 1991 selten mit Schärfe über die Regierungsvertreter berichteten, versuchten das Vorkommnis in ihren Berichten herunterzuspielen. Die üblicherweise der Regierung gegenüber kritikfreie Tageszeitung Večernji list erwähnte beispielsweise nur, dass Đodan „den historischen Wert der Sinjska Alka in einer langen Rede betonte und über die aktuelle politische Lage in Kroatien sprach“.311 Einen etwas konkreteren Einblick in den Inhalt der „langen Rede“ bot die Spliter Tageszeitung Slobodna Dalmacija. Laut ihrem Bericht sagte der Gesandte des Präsidenten in Sinj unter anderem, dass „die Kroaten im Ausland bereit sind [...], Milliarden Dollar für die Verteidigung Kroatiens zu sammeln, was Milošević nur von den Albanern ausleihen kann“.312 Er fügte hinzu: „Serbien hat so viel Freunde – angefangen bei den Albanern, Bulgaren, Rumänen und Ungarn, [...] sodass, wenn sich jeder seinen Teil nimmt, nichts [von

310 Marko Duvnjak: Dani ponosa i nade... In: Online-Portal Ferata, 27. Janaur http://www.ferata.hr/arhiva/teme/950-dani-ponosa-i-nade (Letzter Zugriff: 3. Juni 2013). 311 J. Blajić: Slavodobitnik Anđelko Vučković. In: Večernji list, 5. August 1991. 312 Toni Paštar: Alkar godine Anđelko Vučković. In: Slobodna Dalmacija, 5. August 1991.

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Serbien] übrig bleiben wird“.313 Die stärkste Reaktion rief jedoch der Teil der Rede hervor, auf dessen Veröffentlichung Slobodna Dalmacija verzichtete: [...] Der Traum von [Ilija] Garašanins ‚Načrtanje‘, das eigentlich kein besonders schlaues Programm war, der Traum von Vuk Karadžić, der ein Primitiver war, sowie das Gefasel von Dobrica Ćosić. Und hier ist auch der Freund von mir, [Jevrem] Brković, der geschrieben hat, dass sie in Montenegro den Dobricas ‚die Sachen‘ machen. Also, diejenigen, die im Durchschnitt 15 Zentimeter kleiner sind als wir und die spitze Köpfe – wahrscheinlich auch ein kleineres Hirn – haben, die sollen uns aus den Dinariden in Ruhe lassen, weil wir stärker sind als sie und weil wir zwar keine Dinar haben, [...] aber einfach deshalb, weil wir [Deutsche] Mark und Dollar haben.314 Über seine geopolitischen Abschätzungen hinaus rechnete Đodan in seiner Rede mit einigen öffentlich bekannten Trägern der serbischen Nationalidee in Geschichte und Gegenwart ab, bevor er in die Rassenkunde entgleiste. Besonders befremdlich war Đodans biologistische Berufung auf die Überlegenheit der Menschen aus den Dinariden. Seine positive Einstufung der "Dinara-Menschen" übernahmn Đodan, der selbst im dalmatinischen Hinterland geboren wurde, wahrscheinlich aus den anthropogeografischen Studien von Jovan Cvijić (1865-1927). Der berühmte serbische Geograph betrachtete zwar die Menschen aus dem Dinarischen Gebirge als „den wertvollsten Teil der jugoslawischen Bevölkerung“, jedoch ohne dabei zwischen Kroaten und Serben zu unterscheiden.315 Mutmaßlich wollte Đodan mit seiner Bemerkung die jugoslawische Hauptstadt Belgrad als Problemquelle darstellen und gleichzeitig eine Identifikation zwischen dem anwesenden Publikum, dem wichtigen Gast aus Montenegro und ihm selbst schaffen. Einige Tage nach der 276. Sinjska Alka wurde eine Vorstandssitzung des Alkarenvereins in der Anwesenheit des alkarischen Ehrengerichtes und der politischen Vertreter der Sinjer Gemeinde organisiert. In einer Pressemitteilung veröffentlichten sie eine kurze Stellungnahme zum Geschehen, wobei sie ihre Worte mit Bedacht wählten.316 Einführend wurde festgestellt, dass die 276. Sinjska Alka „[...] während des offenen Krieges in unserer Republik organisiert wurde, was einen direkten Einfluss auf die Zahl und Haltung der Besucher, das Medieninteresse sowie die begleitenden Feierlichkeiten und Manifestationen hatte“. Sie bewerteten die Alka, die aufgrund der Umstände zur „Anregung des Patriotismus“ organisiert worden sei, als erfolgreich durchgeführte Veranstaltung. In der Pressemitteilung wurde aber auch festgestellt, dass man „die beobachteten Protokollmängel in Zukunft beseitigen soll [...]. Die politischen Beifügungen, die man während des alkarischen Wettbewerbs anzubringen versuchte, sollten noch besser vermieden werden“, konstatierte der Vereinsvorstand. Auch den Präsidenten Tuđman kritisierte der Vereinsvorstand recht deutlich. „Ausgehend vom Erwähnten, vertritt der Vorstand des Alkarenvereins die Position, dass der Schirmherr der alkarischen Feierlichkeiten, dem es unmöglich war, selbst anwesend zu sein, die Botschaft in der Rede 313 Toni Paštar: Alkar godine Anđelko Vučković. In: Slobodna Dalmacija, 5. August 1991. 314 Vgl.: Ana-Marija Vukušić: U sridu: sjećanje, pamćenje i život Alke. Zagreb, 2013, S. 99. 315 Vgl.: Karl Kaser: Planinski ljudi, ravničarski ljudi. Prostor i etnografska reprezentacija. In: Tihomir Cipek, Josip Vrandečić: Nacija i nacionalizam u hrvatskoj povijesnoj tradiciji. Zagreb, 2007, S. 229-244. 316 Nedjeljko Musulin: Odvojiti politiku od Alke, In: Vjesnik, 11. August 1991.

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seines Gesandten gutheißen sollte“. Es wurde hinzugefügt, dass man die Rede „in Hinblick auf Dauer und Inhalt an das alkarische Protokoll anpassen soll, wobei ein Gesandter auch aus den Kreisen der anerkannten Kulturarbeiter stammen kann“.317 Im Nachhinein versuchte Đodan, seinen Auftritt in Sinj mit der Haltung des Publikums zu rechtfertigen. „Ich habe mich auf die Literatur berufen und dabei die Dichter zitiert, aber die Menschen aus der Region haben mehr Sensibilität für die Heimatsliebe“, erklärte Đodan in seinem charakteristischen Stil.318 Seine Rede verstimmte nicht nur den Alkarenverein, sondern half der kroatischen Regierung auch nicht bei ihren Bemühungen, das Land vor der internationalen Gemeinschaft als Heimat für alle seine Bürger zu präsentieren. Die zahlreichen Gegner der internationalen Anerkennung Kroatiens führten im Sommer 1991 insbesondere die Diskriminierung der serbischen Bevölkerung als eines ihrer wichtigsten Argumente an und setzten sich für den Erhalt der jugoslawischen Föderation ein. Während Šime Đodans Rede sicherlich keinen Beitrag zur internationalen Legitimation Kroatiens leistete, entsprach sie jedoch der innenpolitischen Maxime, die kroatische Öffentlichkeit für den Kampf gegen den militärisch überlegenen Feind zu mobilisieren. Im August 1991 eröffneten die Jugoslawische Volksarmee und serbische Milizen eine Offensive, deren Ziel die Gründung eines serbischen Staates auf dem Territorium der Republik Kroatien bzw. seine Eingliederung in die Republik Serbien war. Zeitgleich mit dem Angriff in Ostslawonien begann die Besetzung Dalmatiens mit den Angriffen auf Kijevo und Vrlika.319 Die Nachrichten von Zerstörung, Morden und Vertreibung der Bevölkerung aus den naheliegenden Gemeinden avisierten die unmittelbare Gewalteskalation in Sinj. Am Sonntag, den 25. August 1991, kreisten die Streitkräfte der kroatischen Polizei, der Volksgarde (ZNG) und der freiwilligen Milizen die Kasernen der Jugoslawischen Armee in Sinj ein. Bevor es gelang, einen Waffenstillstand zu vereinbaren, waren bereits mindestens zwei Menschen in einer Schießerei ums Leben gekommen.320 Während die Lage in der Garnisonsstadt in den darauffolgenden Tagen zwar angespannt aber meistens ruhig blieb, nahm der Krieg in der unmittelbaren Umgebung und darüber hinaus seinen Lauf. Mitte September besetzten serbische Milizen mit der Hilfe der Jugoslawischen Volksarmee mehrere Siedlungen an der westlichen Grenze des Cetiner Landes sowie das Wasserkraftwerk Peruča.321 Einige Tage später wurde Sinj angegriffen. Ende September 1991 wurden Verhandlungen über den Austausch der Gefangenen und Gefallenen sowie über den Rückzug der Armeeeinheiten aus Sinj geführt. Die Bedingungen diktierte Oberst (Pukovnik) Ratko Mladić, der Kommandant des Kniner Korpus, der einige Jahre darauf als Kommandant der serbischen Truppen im Bosnienkrieg (1992-1995) international berüchtigt würde.322 Oberst Mladić teilte Vertretern der Gemeinde Sinj vor laufenden Kameras mit, dass er „wie ein Soldat denkt“.323 317 318 319 320 321 322

Nedjeljko Musulin: Odvojiti politiku od Alke, In: Vjesnik, 11. August 1991. Milan Sigetić: Želim da sin bude bolji od oca. In: Vikend, 16. August 1991., S. 17. Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011. Zagreb/Split, 2011, Bd. 3, S. 24. Vito Perić: Sjećanje na 25. kolovoza 1991.g. In: Sinjske novine Nr. 7., 9/2010, S.4. Vgl. Martin Vrgoč. Sinj - pregled povijesti, Sinj, 2009, S. 125-131. Zu Ratko Mladić als Garnisonskommandant in Ohrid Mitte der 1980er Jahre siehe: Jurica Pavičić: Nove vijesti iz Liliputa, Zagreb, 2011, S. 21-26. 323 Siehe den Film von Petar Malbaša: „Pregovori između delegacije iz Sinja i generala Ratka Mladića 26. IX 1991“. In: Youtube, http://www.youtube.com/watch?v=YdC7xEsg7e8 (Letzter Zugriff: 14. August 2014).

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Für den Fall, dass seine Befehle missachtet werden sollten, drohte er damit, die Zerstörung des Wasserkraftwerks Peruča zu befehlen. Alle verhandelnden Parteien waren sich darüber im Klaren, dass die nicht-gesteuerte Freisetzung von Millionen Litern von Wasser aus dem Stausee eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes nach sich ziehen würde. Anfang Oktober 1991 zog sich die jugoslawische Armee aus Sinj zurück. Zwar verspürten die Einwohner eine gewisse Erleichterung, doch war die Kriegsgefahr damit keinesfalls gebannt. Das Stadtzentrum war nur einige Kilometer von der Front entfernt. Gelegentliche Attacken der feindlichen Kräfte sowie Probleme mit der Energie- und Lebensmittelversorgung brachten den Einwohnern von Sinj im Herbst 1991 außerordentlich schwierige Monate.324 Während der ersten Hälfte der 1990er Jahre würde die schrittweise Verschiebung der Frontlinie die unmittelbare Kriegsgefahr für Sinj immer weiter mindern, gleichzeitig jedoch viele in Sinj ansässige Familien Trauer tragen lassen. Bis zum Kriegsende im Sommer 1995 würden allein in den Reihen der kroatischen Streitkräfte mehr als einhundert Einwohner des Cetiner Landes fallen.325 Der Krieg sollte das Cetiner Land erheblich verändern und gleichzeitig eine starke Spur in der Sinjska Alka hinterlassen. Über den bereits im Sommer 1991 angestoßenen Prozess der symbolischen Verknüpfung der Sinjska Alka mit dem Heimatländischen Krieg hinaus würde die Kriegsdynamik zu einer Veränderung der sozialen Struktur der Ritualteilnehmer führen. Auch würde der Krieg kleinere kalendarische Veränderungen mit sich bringen. Dabei sollte die Sinjska Alka auch im Kriegszustand ihren langjährigen Status als wichtige Bühne der Herrschaftsrepräsentanz erhalten.

Konsolidierung der post-kommunistischen Ordnung Am Sonntag, den 30. August 1992, wurde die Sinjska Alka zum ersten Mal in der international anerkannten Republik Kroatien abgehalten. Auf die Anerkennung der Unabhängigkeit durch Slowenien und Litauen im Sommer 1991, die Šime Đodan bereits in seiner Rede zur 276. Sinjska Alka erwähnt hatte, folgten im Dezember 1991 und Januar 1992 die Anerkennungen von nahezu allen europäischen Staaten. Daraufhin wurde die Staatsunabhängigkeit im Februar von Russland, und im April von den Vereinigten Staaten von Amerika sowie der Volksrepublik China anerkannt. Am 22. Mai 1992 wurde Kroatien zusammen mit BosnienHerzegowina und Slowenien als Mitglied in die Vereinten Nationen aufgenommen. Mit diesem Schritt erreichte die kroatische Regierung schließlich das strategisch wichtige Ziel der Anerkennung der eigenen Souveränität auf dem gesamten Gebiet der ehemaligen Sozialistischen Republik Kroatien, wobei die umstrittenen Gebiete, die sich zu dieser Zeit außerhalb ihrer Kontrolle befanden, eingeschlossen waren. Im Unterschied zu den nennenswerten außenpolitischen Erfolgen gestaltete sich die Situation im Land selbst als außerordentlich schwierig.326 Bevor Ende 1991 ein unter internationaler Kontrolle einigermaßen konsequent eingehaltener Waffenstillstand vereinbart werden konnte, waren bereits mehrere tausend Menschen ums Leben gekommen. Der Krieg zwang

324 Vgl. Martin Vrgoč. Sinj - pregled povijesti, Sinj, 2009, S. 125-131. 325 Filip Ratković: Na vječnu slavu i hvalu. In: Sinjske novine Nr. 21, 3/2012, S. 22. 326 Vgl. Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 3., S. 24-41.

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Hunderttausende dazu, ihre Wohnorte zu verlassen, hinterließ psychologische und emotionale Traumata und führte bei nahezu allen Einwohnern des Landes zu einer radikalen Verschlechterung ihres Lebensstandards. Die Stationierung der UN-Truppen in den umstrittenen Landesgebieten im Januar 1992 bedeutete den Anfang einer jahrelangen Periode zwischen Krieg und Frieden. Mehr als ein Viertel des Territoriums der Republik Kroatien blieb unter der Kontrolle der aus Belgrad unterstützten serbischen Milizen, deren mächtigste politische Vertreter konsequent alle Vorschläge der schrittweisen Integration in den kroatischen Staat ablehnten. Gleichzeitig betonte die kroatische Regierung beständig die Zeitweiligkeit der hergestellten Trennung und bemühte sich dabei, ihren dauerhaften Bestand mit allen Mitteln zu verhindern. Die gelegentlichen Gewalteskalationen entlang der Grenzlinie verhinderten die Herstellung eines friedlichen Alltags auf beiden Seiten der Front und hielt die Bevölkerung im permanenten Ausnahmezustand gefangen.327 In einem Artillerieangriff im Mai 1992 fielen mehr als 600 Projektile auf Sinj, wobei die Grundschule Marko Marulić sowie zahlreiche andere Wohn- und Arbeitsgebäude in Sinj zerstört oder beschädigt wurden.328 Trotz aller Schwierigkeiten und der ständigen Lebensgefahr boten sich zwischendurch auch Gründe, um zu feiern. Die internationale Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens sowie die erfolgreichen Auftritte der kroatischen Sportler – vor allem die gewonnenen Europapokale der Landesmeister im Handball (RK Zagreb) und Wasserball (VK Jadran Split) sowie die Silbermedaille der Basketballmannschaft bei den Olympischen Spielen in Barcelona – erfüllten die Menschen mit Glück und Stolz und halfen ihnen, die Kriegsthemen zeitweilig zu verdrängen. In dieser Atmosphäre intensiver und vermischter Emotionen wurde am 30. August 1992 die 277. Sinjska Alka in Sinj vorgeführt. Obwohl sie an einem etwas späteren Termin als gewöhnlich stattfand, war allein die Tatsache, dass das jährliche Fest im Sommer 1992 überhaupt ausgerichtet wurde, ein großer Erfolg. Die Organisation einer öffentlichen Veranstaltung, die nur sechs Kilometer von den feindlichen Truppen entfernt und im Beisein der Regierungsspitze stattfand, brachte ein beachtliches Sicherheitsrisiko mit sich. Nach Verhandlungen mit Vertretern der UNPROFOR (United Nations Protection Force) wurde der Waffenstillstand während der Sinjska Alka entlang der Frontlinie durch die Stationierung zusätzlicher Friedenstruppen sowie von Beobachtern der Europäischen Gemeinschaft gesichert.329 Die Kommandostelle der UNFriedensmission versuchte die Vertreter der kroatischen Regierung und des Alkarenvereins zu überreden, die traditionellen Kanonenschüsse (pucanje mučkula) besser auszulassen.330 Nach zusätzlichen Verhandlungen wurde schließlich doch beschlossen, dass man die 277. Sinjska Alka mit der traditionellen Lärmkulisse einläuten dürfe. Der Tag des zentralen alkarischen Wettbewerbs begann wie üblich mit den Kanonenschüssen und der Parade des Stadtorchesters, die wie in jedem Jahr das Morgenprogramm auf der Bergfestung ankündigten. Den Gottesdienst in der Anwesenheit der Alkaren und Knappen las der Guardian des Franziskanerkonvents der Wundertätigen Mutter Gottes von Sinj, Fra Frano Bilokapić, der seit kurzem durch ein formelles Arrangement mit dem 327 328 329 330

Siehe:. S. Bašić: A četnici beru grožđe! In: Slobodna Dalmacija, 31. August 1992, S. 15. Martin Vrgoč: Sinj – pregled povijesti. Sinj, 2009, S. 129. Nedjeljko Musulin: UNPROFOR osigurava Alku. In: Vjesnik, 30. August 1992. Žarko Kodžoman: Alka i Domovinski rat. In: Sinjske novine, Nr. 25, 07/2012, S. 19-21.

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Alkarenverein verbunden war. Einige Wochen vor der 277. Sinjska Alka hatte Fra Bilokapić den dienstlich eingespannten Direktor des Nachrichtendiensts SZUP Jerko Vukas im Vereinsvorstand ersetzt.331 Anlässlich seiner Ernennung sagte Bilokapić, dass er die Wahl als Zeichen der Anerkennung für alle Sinjer Franziskaner verstehe. Dabei erinnerte er die Öffentlichkeit „an die Tatsache, dass auch im Jahr 1715 sieben Franziskaner gekämpft hatten“.332 Mit der Aufnahme von Bilokapić in den Vereinsvorstand sowie mit der Restaurierung der vorsozialistischen Ordnung auf der Ehrentribüne, wo man der Gemeinde der Franziskaner wieder einen dauerhaften Platz zugewiesen hatte, formalisierte sich die nach der Wende wiederhergestellte Kooperation zwischen dem Alkarenverein und der katholischen Kirche. Seit dem Sommer 1990 hatten sich die Alkaren- und Knappentruppen an mehreren kirchlichen Feierlichkeiten beteiligt und auf diese Art und Weise zum schnellen Aufschwung des Ansehens der katholischen Kirche und der religiösen Praktiken im öffentlichen Raum beigetragen. Gleichzeitig verstärkte die Wiederherstellung des alten Arrangements die soziale Position des Alkarenvereins, der weiterhin durch die unzufriedenen Mitgliedschaftsanwärter unter Druck gesetzt wurde. Die verspätete Überweisung der Finanzmittel, auf die der Ruhmgewinner Anđelko Vučković im August 1991 zugunsten des „Fonds für die Verteidigung Kroatiens“ verzichtet hatte, gab den Konkurrenten ein Argument an die Hand, mit dem sie versuchen konnten, den Verein zu diffamieren. Auf dem Höhepunkt der Kriegspsychose, mit der die kroatische Gesellschaft im Herbst 1991 konfrontiert wurde, warfen sie dem Vereinsvorstand nicht nur vor, von der Inflation profitieren zu wollen, sondern auch „eine suspekte Haltung in Hinblick auf die Verteidigung“ einzunehmen.333 Als „Sondergrund“ dafür, die Loyalität des Alkarenvereins zu hinterfragen, wies man auf die Tatsache hin, dass „einige seiner Mitglieder eng mit der alten Macht [verbunden] waren“. Obwohl er sich bereits mehrmals für die neue Ordnung engagiert und ein stabiles Arrangement mit den Herrschaftsträgern gesichert hatte, bemühte sich der Vorstand Anfang Dezember 1991, diese Vorwürfe in den Medien zurückzuweisen und zu betonen, dass man sich sehr wohl für die Verteidigung einsetze und sich unter anderem um die Vertriebenen und ihr Vieh kümmere.334 Angesichts der Tatsache, dass ein erheblicher Teil der neuen politischen Elite aus dem Bund der Kommunisten stammte, war der Vorwurf an die Alkaren paradox, aber nicht ungefährlich. Die von der Regierung geforderte und angestoßene Abtrennung von Serbien, Jugoslawien und dem Kommunismus erlangte mit der Zeit eine unkontrollierbare Dynamik und richtete sich unter anderem auch gegen den einstigen General der Jugoslawischen Volksarmee Franjo Tuđman. Trotz aller Bemühungen, den Präsidenten Kroatiens in den von der Regierung gesteuerten Medien als einen verfolgten Dissidenten und Vater der zeitgenössischen kroatischen Staatlichkeit darzustellen, gelangten immer wieder auch Einzelheiten aus seiner KP-treuen Lebensphase an die Öffentlichkeit. Die rechtsradikale Opposition warf ihm neben seiner kommunistischen Vergangenheit auch vor, im Heimatländischen Krieg mehrere katastrophale, sogar als Landesverrat einzustufende Fehlentscheidungen getroffen zu haben. 331 Ivo Dalbello: Kronologija Sinjske alke u Republici Hrvatskoj. In: Boris Ljubičić(Hg.): Alka, Sinj, 2001, S. 235-239. 332 Nedjelko Musulin: Opet među alkarima. In: Novi Vjesnik, 12. August 1992, S. 24. 333 Toni Paštar: Alkarski „slučaj“ iz kompjutera?!. In: Slobodna Dalmacija, 3. Dezember 1991. 334 Ebd.

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Abgesehen von serbischen Milizen und Jugoslawischer Volksarmee stellte HOS, die Parteimiliz der radikal-nationalistischen Kroatischen Rechtspartei (Hrvatska stranka prava), die gefährlichste Herausforderung für das Gewaltmonopol der kroatischen Regierung dar. Die Integration der Parteimiliz in die Kroatische Armee (Hrvatska vojska) geschah erst Ende 1991 nach mehrmonatigen Spannungen, deren Höhepunkt das Attentat auf ihren Befehlshaber Ante Paradžik im September 1991 darstellte. Der Präsident der Kroatischen Rechtspartei Dobroslav Paraga beschuldigte die kroatische Regierung nicht nur, für den Mord an Paradžik, sondern auch für den Tod dutzender HOS-Kämpfer verantwortlich zu sein. Darüber hinaus beschuldigte Dobroslav Paraga die Regierung auch, ihn umbringen zu wollen, um so die Kroatische Rechtspartei zu zerstören. Abgesehen von der Neutralisierung der konkurrierenden bewaffneten Gruppen basierte die Herrschaftskonsolidierung grundsätzlich auf den üblichen, jedem Regime immanenten Strategien und Praktiken. Einerseits wurde die Regierung durch die Herstellung bzw. die Fortsetzung des Arrangements mit einflussreichen sozialen Institutionen und Akteuren gesichert, andererseits durch die ideologische Legitimation der politischen und sozialen Ordnung erhalten und durchgesetzt. Einen wichtigen Verbündeten fand die neue Regierung in der katholischen Kirche, die bereits während der Wahlkampagne 1990 relativ offen für die nichtkommunistischen Parteien eingetreten war.335 Besonderes profitierte die Regierung vom Ansehen und Charisma, das die Kirche sich zu Zeiten des Sozialismus aufgebaut hatte. Mittels der schrittweisen Restaurierung ihrer einstigen Rechte sowie der Rückgabe des Eigentums, über das die Kirche bis Mitte der 1940er Jahre verfügt hatte, hatten die Regierungsvertreter bereits 1990 ein äußerst wichtiges Interessenbündnis mit der einflussreichsten sozialen Institution geschlossen. Das Arrangement stellten die Regierungsvertreter immer wieder gerne öffentlich zur Schau und benutzten es so zur Legitimation der Regierung bzw. der regierenden Partei, was der Kirche wiederum eine gute Möglichkeit bot, sowohl ihre soziale Relevanz hervorzuheben als auch ihre materiellen Interessen aus der Staatskasse befriedigen zu lassen. Nach den Kontroversen, die der Auftritt des Gesandten Šime Đodan im Vorjahr ausgelöst hatte, erschien Tuđman im August 1992 persönlich in Sinj. Er wurde von mehreren hochrangigen Vertretern aus Regierung und Armee, allerdings nicht von Antun Vrdoljak begleitet.336 Die Boulevard-Zeitung Slobodni tjednik erklärte die Abwesenheit des Direktors der staatlichen Fernsehanstalt damit, dass der Staatspräsident sein Erscheinen persönlich verboten habe.337 Laut Slobodni tjednik befürchtete Tuđman, dass er in der Begleitung von Antun Vrdoljak ausgepfiffen werden könnte. Den Grund für die angebliche Unzufriedenheit des Präsidenten mit Vrdoljak stellte die im Rahmen der „Puritanisierung Kroatiens“ (puritanizacija Hrvatske) erfolgte Streichung beliebter Musiksendungen aus dem staatlichen Fernsehprogramm dar.338

335 Vgl. Marius Søberg: Hrvatska nakon 1989. godine: HDZ i politika tranzicije. In: Sabrina P. Ramet, Davorka Matić (Hg.): Demokratska tranzicija u Hrvatskoj, Zagreb, 2006, S. 35-64, hier S. 43-44. 336 Toni Paštar: Sinj: Alkarski dan. In: Slobodna Dalmacija, 31. August 1992, zentrales Beiblatt. 337 Tuđman zabranio Vrdoljaku dolazak na Alku!!! In: Slobodni tjednik, 25. September 1992, S. 3. 338 Zur Kulturpolitik der kroatischen Regierung in den 1990er Jahren siehe: Catherine Baker: Zvuci granice. Popularna muzika, rat i nacionalizam u Hrvatskoj posle 1991. Beograd, 2011.

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Wenngleich das wertkonservative und regierungstreue Programmkonzept des staatlichen Fernsehens unter der Führung von Antun Vrdoljak regelmäßig von liberalen und regierungskritischen Gruppen kritisiert wurde, war der Artikel in dem populären Boulevard-Blatt wahrscheinlich nur eine von vielen Sensationsmeldungen. Letztendlich hätte man anhand der bloßen Anwesenheit des Präsidenten auf der 277. Sinjska Alka ohne Antun Vrdoljak sicherlich nicht schlussfolgern können, dass er die konservativen und nationalistischen Tendenzen im staatlichen Fernsehen und darüber hinaus nicht gutheißen würde. Ganz im Gegenteil war Franjo Tuđman selbst ihr Träger. Entsprechend ihrer langjährigen Funktion als Repräsentationsbühne der ideologischen Ordnung spiegelte die 277. Sinjska Alka die weitere Annährung der Beziehungen zwischen der Regierung und der katholischen Kirche wider. „Nach seiner Ankunft in Sinj verbeugte sich Dr. Franjo Tuđman erst vor dem Altar der Wundertätigen Mutter Gottes von Sinj [...]“, berichtete die Zagreber Tageszeitung Večernji list.339 Der Präsident hatte sich zu einem besonderen Anlass in die Kirche begeben. Der zweite Besuch des ersten kroatischen Präsidenten der Sinjska Alka begann mit einer Feier zur Eröffnung des renovierten und erweiterten Franziskaner-Seminarraums.340 Der Provinzial der Ordensprovinz Fra Pavao Žmire überreichte dem Präsidenten Tuđman feierlich ein symbolträchtiges Geschenk. „Wir schenken Ihnen den vergoldeten Schlüssel, den Sie aufbewahren und mit dem Sie jederzeit zu uns kommen können, weil wir Vertrauen in Sie haben“, erklärte Fra Pavao Žmire dem Präsidenten.341 Im Rahmen der Zeremonie im Franziskanerkloster schenkte der Vorsitzende des Alkarenvereins Ante Boko dem kroatischen Präsidenten ein von Petar Jakelić gemaltes Bild mit dem Titel „Mädchen und Alkar“.342 Die Kooperation des studierten Künstlers mit dem Alkarenverein war bereits im Sommer 1991 bekannt geworden, als Jakelić als Autor der neuen alkarischen Fahne vorgestellt worden war. Nach der Einweihungszeremonie im Franziskanerkloster wurde das Programm vor der Kirche der Wundertätigen Mutter Gottes von Sinj auf dem Hauptplatz fortgesetzt. Präsident Tuđman enthüllte eine neue Gedenktafel an der Kirchenmauer, die dem „ersten kroatischen König Tomislav“ gewidmet war.343 Wenngleich viele Mittelalter-Historiker auf den äußerst begrenzten Quellenstand über Tomislav hinweisen und dementsprechend die These von seiner Krönung im Jahr 925 für fragwürdig halten, nahm der mittelalterliche Feudalherrscher in der kroatischen und jugoslawischen Erinnerungskultur das gesamte 20. Jahrhundert hindurch eine ausgeprägte Rolle ein.344 Wie auch in manchen anderen Städten Dalmatiens war die Gedenktafel ursprünglich 1925 aus Anlass des „tausendjährigen Krönungsjubiläums“ angebracht worden. In Sinj war die bei einem Luftangriff 1944 schwer beschädigte Gedenktafel nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch nicht restauriert worden, obschon die jugoslawische kommunistische Regierung viele der mittelalterlichen Herrscher als „Urkämpfer des Jugoslawismus“ dargestellt hatte und 339 340 341 342 343 344

Jerko Blajić, Stanko Ferić: Slavodobitnik Ognjen Preost. In: Večernji list, 31. August 1992, S. 3. Toni Paštar: Sinj: Alkarski dan. In: Slobodna Dalmacija, 31. August 1992, zentrales Beiblatt. Miroslav Ivić, Nedjeljko Musulin: Pucale su »mačkule«. In: Vjesnik, 31. August 1992. Ebd. Jerko Blajić, Stanko Ferić: Slavodobitnik Ognjen Preost. In: Večernji list, 31. August 1992, S. 3. Vgl. Zlatko Matijević: Kralj Tomislav – prvoborac jugoslavenstva. In: Hrvatska Revija 3/2005, Zagreb.

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Tomislav 1947 in Zagreb sogar ein Denkmal errichtet hatte.345 Nichtsdestoweniger war der Tomislav-Platz in Sinj nach dem Zweiten Weltkrieg in den Marschall-Tito-Platz umbenannt worden. Nun wurde ihm im August 1992 anlässlich der Einweihung der rekonstruierten Gedenktafel wiederum der Name des Königs Tomislav verliehen. Laut der kroatischen Anthropologin Dunja Rihtman-Auguštin erzwang Tuđmans autoritäres Regime durch die gesamten 1990er Jahre die Durchsetzung eines neuen und allein „kroatischen“ Bildes der kroatischen Geschichte, ihrer Würdenträger und ihres Territoriums.346 Die Identität des neuen kroatischen Staates versuchte man aus einer Interpretation der Nationalgeschichte abzuleiten, die auf normativem und politischem Reduktionismus basierte.347 In den 1990er Jahren war die Politik des Vergessens allerdings nicht nur in Kroatien Bestandteil der kollektiven Gedächtnisbildung; vielmehr waren die Beseitigung sozialistischer Symbole und die Revision der historischen Narrative im Allgemeinen charakteristisch für die post-sozialistischen Staaten, wobei dieser Prozess unterschiedlich stark ausgeprägt war. Laut dem deutschen Historiker Stephan Troebst spiegelte die öffentliche Erinnerungskultur in den Staaten Mittel- und Osteuropas in den 1990er Jahren, allen Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern zum Trotz, vor allem das Ergebnis staatlicher Symbolvorgaben wider. Damit habe sie eine direkte Fortsetzung der Geschichtspolitik der Kommunistischen Parteien im Staatssozialismus dargestellt, und zwar sowohl im Hinblick auf ihre Formierungsmechanismen als auch auf die Regierungskontrolle.348 In seiner Kategorisierung der postkommunistischen Staaten hinsichtlich ihrer Einstellung gegenüber der sozialistischen Periode ordnete Troebst Kroatien in die Ländergruppe ein, in der „ein Grundkonsens über den als (v.a. ethnisch) fremden und aufoktroyierten Kommunismus besteht“.349 Eine gemeinsame Charakteristik der Erinnerungskulturen in Kroatien, auf dem Kosovo, in Estland, Lettland und Litauen sowie teils auch in Polen erkannte Troebst in der öffentlichen Thematisierung der gesamten sozialistischen Periode als „Okkupation“ bzw. als eine kollektive Tragödie der dominanten ethnischen Gruppe.350 Im Unterschied zur grundsätzlichen Diffamierung der sozialistischen Ordnung in Estland, Lettland und Litauen, wo der Sozialismus mit dem stalinistischen Terror gleichgesetzt wurde, war für die Geschichtspolitik der kroatischen Regierung jedoch eine wesentlich ambivalentere bzw. komplexere Deutung der sozialistischen Epoche charakteristisch.351 So betonte die kroatische Führung die Trennung vom jugoslawischen Sozialismus durch die Betonung seiner „anti-kroatischen“ Qualität (protuhrvatski poredak), während sie gleichzeitig die verfassungsrechtliche Konti-

345 346 347 348

Ebd. Dunja Rihtman Auguštin: Ulice moga grada. Beograd, 2000, S. 35. Vgl. Mirjana Kasapović: Demokratska tranzicija i političke stranke, Zagreb, 1996, S. 162-163. Stefan Troebst: Postkommunistische Erinnerungskulturen im östlichen Europa. Bestandaufnahme, Kategorisierung, Periodisierung. Wroclaw, 2005. 349 Dietmar Müller über Troebst, Stefan: Kulturstudien Ostmitteleuropas. Aufsätze und Essays. Frankfurt am Main 2006, In: H-Soz-u-Kult 05.09.2007. HistLit 2007-3-17. 350 Stefan Troebst: Postkommunistische Erinnerungskulturen im östlichen Europa. Bestandaufnahme, Kategorisierung, Periodisierung. Wroclaw, 2005. 351 Siehe: Boris Stamenić: Od nacionalne klase do prvoklasne nacije. In: Ana Veselinović, Petar Atanacković, Željko Klarić (Hg.): Izgubljeno u tranziciji. Kritička analiza procesa društvene transformacije. Beograd, 2011, S. 238-247.

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nuität des kroatischen Staates mit der Sozialistischen Republik Kroatien akzentuierte. Darüber hinaus bemühte sich Präsident Tuđman, die einzelnen Akteure und Ereignisse aus dem Volksbefreiungskampf in seinen Meta-Diskurs über den „tausendjährigen Traum der Kroaten von der Wiederherstellung des kroatischen Staates“ zu integrieren und dadurch Kroatien als Teil der Anti-Hitler Koalition im Zweiten Weltkrieg international darzustellen. Abgesehen von den Vorstellungen des ersten kroatischen Präsidenten, stelle die Erinnerung an den Volksbefreieungskampf, nach wie vor einen wichtigen Bezugspunkt für manche sozialen Akteure und Gruppen im Lande dar. Am Rande der 277. Sinjska Alka erinnerte der Alkarenverein die Öffentlichkeit mit einer kleinen Geste an einen berühmten Partisanenkämpfer aus dem Cetiner Land. Nach dem Niederlegen von Kränzen auf dem städtischen Friedhof im Gedenken „an alle gestorbenen Vereinsmitglieder und alle [im Heimatländischen Krieg gefallenen] kroatischen Patrioten“, legten der Adjutant des Anführers und sein Knappe auch einen Kranz beim Haus des „einstigen Alajčauš Jozo Boko“ nieder.352 Zwar wurde die politische und weltanschauliche Position des „einstigen Alajčauš“ im Medienbericht der Tageszeitung Slobodna Dalmacija nicht angegeben, doch wussten viele Leserinnen und Leser sicherlich, dass der berühmte Lehrer aus Brnaze 1943 in der Schlacht an der Neretva als Partisanenkämpfer gefallen war. Als einer der wichtigsten Traditionsträger der Sinjska Alka in der Zwischenkriegszeit hatte er eine ausgeprägte Stelle in den medialen Rekapitulationen ihrer Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg eingenommen.353 Anfang der 1990er Jahre wiesen die Kranzniederlegung sowie der kurze Bericht darüber in der Slobodna Dalmacija auf die zwar selten gewordene, aber immerhin noch präsente öffentliche Erinnerung an den Volksbefreiungskampf in Kroatien hin. Während seiner Eröffnungsrede auf der 277. Sinjska Alka erwähnte der alkarische Anführer Nikola Tomašević den Zweiten Weltkrieg allerdings nicht.354 Anstelle dessen zog er wie bereits im Vorjahr eine Parallele zwischen der Schlacht von 1715 und dem andauernden Krieg in Kroatien und hob dabei das jahrhundertelange „Heldentum“ und die „Opfer“ der Cetiner Bevölkerung hervor. Indem er die Ereignisse aus dem Jahr 1715 rekapitulierte, stellte er fest, dass „die verteidigte Ehre und Würde weitere Angriffe auf das Gebiet nicht verhinderten, was auch die neueste Geschichte beweist. [...] Am meisten Böses haben uns diejenigen angetan, die wir, entsprechend der Lehre, 70 Jahre lang Brüder nannten“.355 Der Anführer erinnerte die Anwesenden an die Opfer der Cetiner Bevölkerung an den Fronten im ganzen Land sowie an die Umstände, durch die „der blutigste Krieg in der neueren Geschichte der Menschheit“ ausgebrochen war. „In dem Bewusstsein, dass sie ihre mit nichts verdienten Privilegien verlieren, begannen die marodierenden Horden mit der Zerstörung unserer Heiligtümer – der Bibliotheken, der Krankenhäuser, der Kirchen. Vor unseren Augen brannte unsere Geschichte“. Anschließend rekapitulierte Tomašević den konkreten Beitrag der Sinjer und Cetiner Bevölkerung zur Verteidigung des Landes und erwähnte einige dramatische Ereignisse aus dem Herbst 1991. 352 Toni Paštar: Sinj: Alkarski dan. In: Slobodna Dalmacija, 31. August 1992, zentrales Beiblatt. 353 Vgl. Ljubica Šego: Alajčauš – predvodi alkare kopljanike na junački megdan. In: Alkar, 1. August 1975, S. 4. 354 Govori alkarskih vojvoda (1990-2013). In: Online-Portal Ferata. http://www.ferata.hr/govorialkarskih-vojvoda-1990-2013/ (Letzter Zugriff: 04. Juni 2014). 355 Ebd.

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Abgesehen vom Rückblick auf die Kriegsereignisse im Cetiner Land ergab sich der größte Unterschied im Vergleich zu seiner letzten Eröffnungsrede aus der Präsenz des Präsidenten Tuđman in Sinj. Den Schirmherren auf der Ehrentribüne erwähnte Tomašević zweimal und betonte dabei die mit den letzten Wahlen bestätigte demokratische Legitimität der neuen kroatischen Regierung. Er begrüßte Tuđman als „das erste Staatsoberhaupt, das unmittelbar durch den Volkswillen gewählt wurde“, und wies am Ende seiner Rede nochmal auf den „Sieg der staatlichen Liste mit dem Präsidenten Tuđman an der Spitze“ hin.356 Anfang August 1992 hatten in Kroatien gleichzeitig Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stattgefunden. Bei den vorzeitigen Wahlen für die legislative Instanz hatte die Kroatische Demokratische Gemeinschaft mit 44,7 % der Stimmen triumphiert, die der Regierungspartei nach dem angewandten Wahlsystem etwa 63 % der Mandate sicherten.357 Auf das zweitbeste Ergebnis kam die zentristische Kroatische Sozialliberale Partei (HSLS), während die Nachfolgepartei des Bunds der Kommunisten, die Sozialdemokratische Partei (SDP), kaum den Einzug ins Parlament schaffte. Trotz der deutlichen Niederlage der vormals stärksten Oppositionspartei bedeutete das allgemein schlechte Wahlergebnis der rechten Parteien vor allem einen großen Gewinn für die HDZ. Die Kroatische Rechtspartei (HSP), die dank der rasch erworbenen Popularität und der Parteimiliz neun Monate zuvor eine nicht irrelevante Bedrohung für die Regierung dargestellt hatte, hatte nun lediglich fünf von 138 Parlamentsplätzen gewonnen. Das größte Fiasko hatte indes die Kroatische Demokratische Partei (HDS) erlebt, die den Einzug ins Parlament nicht geschafft hatte. Eine bittere Niederlage hatte die HDS ebenfalls auf den zeitgleich abgehaltenen Präsidentschaftswahlen erlitten, bei denen ihr Kandidat Dr. Marko Veselica nur 1,7 % der abgegebenen Stimmen gewonnen hatte. Sein einstiger Konkurrent um die Führungsposition in der HDZ, Dr. Franjo Tuđman, hatte schon in der ersten Wahlrunde mit 56,7 % der Stimmen triumphiert und damit unabhängig von den Parteipräferenzen der Wähler seine Popularität bestätigt.358 Tuđman hatte fast dreimal so viele Stimmen wie der zweitplatzierte Dražen Budiša (HSLS), der einst bedeutsame Akteur der Studentenproteste während des Kroatischen Frühlings, bekommen. Die damals führende kroatische Politikerin Savka Dabčević Kučar, die nach dem Zusammenbruch der Bewegung zum Austritt aus der Partei gezwungen war, hatte mit sechs Prozent der Stimmen den dritten Platz als Kandidatin der links-zentristischen Kroatischen Volkspartei (HNS) gewonnen. Der Parteichef der Kroatischen Rechtspartei (HSP) Dobroslav Paraga hatte dank der Unterstützung von 144.695 Wählern mit 5,4 % der Stimmen den vierten Platz erreicht. Präsident Tuđman konnte nicht nur mit den Wahlergebnissen und mit dem Inhalt der Rede des alkarischen Anführers, sondern auch mit dem Ausgang des Turniers zufrieden sein: Nach einem spannenden Wettbewerb triumphierte mit acht Punkten Ognjen Preost, ein 25-jähriger MinenExperte aus der 126. Brigade der Kroatischen Armee.359 Nachdem die Trikolore auf der Lanze

356 Govori alkarskih vojvoda (1990-2013). In: Online-Portal Ferata. http://www.ferata.hr/govorialkarskih-vojvoda-1990-2013/ (Letzter Zugriff: 04. Juni 2014). 357 Vgl. Mirjana Kasapović: Demokratska tranzicija i političke stranke, Zagreb, 1996, S. 173-174. 358 Vgl. Mirjana Kasapović: Izborni i stranački sustav Republike Hrvatske. Zagreb, 1993, S. 100-102. 359 Jerko Blajić, Stanko Ferić: Slavodobitnik Ognjen Preost. In: Večernji list, 31. August 1992, S. 3.

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des Ruhmgewinners befestigt worden war, erfolgte die Übergabe der Geschenke des Schirmherrn. Während sein Gesandter Šime Đodan im Vorjahr Gold- und Silbermünzen überreicht hatte, erschien Präsident Tuđman auf der 277. Sinjska Alka mit zwei unikalen Mitbringseln für den Ruhmgewinner und seinen Knappen: zwei Schilde aus gegossener Metallmischung. Die Fertigung der Präsidentengeschenke war dem jungen Sinjer Künstler Marko Gugić anvertraut worden, der der Öffentlichkeit vor allem durch die künstlerische Darstellung der Leiden Christi auf vierzehn Steintafeln in der Kirche der Stadt Solin bekannt geworden war.360 Das Hauptmotiv auf den beiden Schilden war die stilisierte Darstellung eines Alkaren beziehungsweise eines Knappen auf dem Schachbrettwappen. Laut den Angaben des Künstlers stellte der abgebildete Knappe „die Personifizierung von Luka Bijader“ dar, den langjährigen Schildträger (Štitonoša), der ihn bereits als Kind beeindruckt hatte. In der linken oberen Ecke befand sich das Staatswappen der Republik Kroatien, rechts oben war der AlkaRing abgebildet. Zwischen den beiden Symbolen stand die Aufschrift: „Dem Ruhmgewinner der Sinjska Alka [vom] Präsident[en] der Republik Kroatien 1715-1992“.361 Wenngleich die neuen Schilde bzw. ihre feierliche Übergabe durch den kroatischen Präsidenten Tuđman eine politische und ideologische Diskontinuität mit der sozialistischen Epoche hervorhoben, reflektierten sie gleichzeitig gewisse soziale und kulturelle Kontinuitäten mit der näheren Vergangenheit. Der Schildträger Luka Bijader war ein langjähriger Ritualteilhemer, der sich bereits seit den 1930er Jahren an der Sinjska Alka beteiligt hatte. Nach 1945 konnte er seine Vorkriegsrolle im alkarischen Wettbewerb insbesondere aufgrund seiner Beteiligung am Volksbefreiungskampf wieder aufnehmen. Der dünne Mann mit langem Schnurrbart war während der sozialistischen Epoche eines der bekanntesten Gesichter der Sinjska Alka geworden. Seine Fantasie anregende Erscheinung setzte ihn häufig in den Fokus der Medienreportagen sowie der Filmaufnahmen des kostümierten Festes. Gugić war nicht der erste Künstler, der in der Person von Luka Bijader Inspiration fand. Beispielsweise hatte man bereits 1977 Luka Bijader zusammen mit dem legendären Fahnenträger Frane Tripalo Kekica als Hauptmotiv auf das Werbeplakat für die 262. Sinjska Alka gesetzt. Es ist wahrscheinlich, dass Gugić mit der Abbildung von Luka Bijader auf dem Schild keine ideologische Aussage machen wollte. Dennoch erinnerte er die Öffentlichkeit mit seinem Werk nicht nur an eine prägende Figur seiner Kindheit, sondern ebenfalls an einen Partisanenkämpfer und Ritualteilnehmer aus der sozialistischen Epoche. Darüber hinaus stellte die bloße Übergabe des Schildes bzw. der Schilde an den Ruhmgewinner und seinen Knappen symbol-politisch eine noch wesentlich bedeutsamere Kontinuität mit der sozialistischen Epoche dar. Zwar hatten die Herrschaftsvertreter spätestens seit 1798 nicht nur finanzielle und materielle, sondern auch mit der politischen Symbolik aufgeladene Geschenke an die Ruhmgewinner überreicht. Ein Geschenk in Form eines Schildes wurde jedoch allem Anschein nach zum ersten Mal 1959 übergeben. Die zeremonielle Übergabe des Schildes an den Ruhmgewinner war eine Neuerung, die man anlässlich des 40. Jubiläums der Kommunistischen Partei Jugoslawiens als dauerhaftes Element in das alkarische Ritual eingeführt hatte. Im Unterschied zu „Titos Schild“ (Titov štit) waren die 1992 übergebenen Schilde zwar einmalige Geschenke an den Ruhmgewinner und den Knappen, dennoch wollte man anscheinend auch im Postsozialismus die Tradition einer Wandertrophäe 360 Lola Vukašinović: Štitovi za alkara i momka. In: Slobodna Dalmacija, 29. August 1992, S. 9. 361 Ebd.

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fortsetzen. Vor der 277. Sinjska Alka schickte der Vorsitzende des Präsidentenamts Hrvoje Šarinić „eine schriftliche Empfehlung an den Alkarenverein, den Auftrag zur Fertigung des zukünftigen, stets weiterzureichenden Schilds öffentlich auszuschreiben“.362 Trotz der im gleichen Artikel geäußerten Behauptung, dass sich der Alkarenverein bereit erklärt hätte, diese Idee aufzunehmen, wurde sie später kaum mehr erwähnt und letztendlich nicht umgesetzt. Mit dem Triumpf am Sonntag vollendete Alkar Ognjen Preost ein exzellentes Wochenende. Dank seiner guten Auftritte an allen drei Tagen des alkarischen Fests gewann er ebenfalls die Trophäe Rašica, die die Spliter Tageszeitung Slobodna Dalmacija demjenigen Alkaren, der in allen drei Wettbewerben kumulativ die höchste Punktezahl erreicht hatte, zum achten Mal übergab. Neben den zusätzlichen 100.000 kroatischen Dinar erhielten Ognjen Preost und sein Knappe Ante Labrović Paškin von der Alka inspirierte Skulpturen des Künstlers Ivica Pavić.363 Heutzutage behaupten in Sinj manche, dass Preost auf der 277. Sinjska Alka auch die Sympathie des anwesenden Verteidigungsministers Gojko Šušak gewann. In den Medienberichten aus Sinj kündigte man an, dass Preost an der Militärhochschule Zagreb bald eine neue Arbeitsstelle als Instruktor für Munition und explosive Mittel antreten werde, wobei man allerdings nicht erläuterte, ob dieser Wechsel im Zusammenhang mit seinem Triumph stand.364 „Es ist mir eine große Freude, Ognjen Preost, dass ich dir zu diesem großartigen Sieg gratulieren und dir diesen Schild des Oberhaupts Kroatiens (Poglavar Hrvatske) dauerhaft in deinen Eigentum übergeben kann!“, sagte Präsident Tuđman zum Auftakt seiner Rede.365 Seine Rolle als kroatischer Präsident ergänzte Tuđman dabei mit dem Begriff „Poglavar“, den man sonst, wenn überhaupt, nur für transterritoriale Oberhäupter, wie beispielsweise Päpste oder Patriarchen nutzte. Vielleicht wurde der zur Nationalromantik neigende Historiker Franjo Tuđman durch die Atmosphäre auf der historisch kostümierten Veranstaltung zu dieser Wortwahl inspiriert, doch kann man vermuten, dass ihre Ambivalenz nicht zufällig war. Die Abwesenheit der Unterscheidung zwischen dem primordial-ethnischen Konzept einer transterritorialen Gemeinschaft und dem territorialen Konzept einer bürgerlichen Verfassungsnation stellte eine dauerhafte Qualität seiner öffentlichen Aussagen, zumindest im Hinblick auf die erste Hälfte der 1990er Jahre, dar. Im Anschluss an die Übergabe der Schilde hielt Tuđman eine Rede, in der er mehrere tagespolitische Themen kommentierte. Er richtete sie an „die Teilnehmer des ritterlichen alkarischen Spiels, die Kroatinnen und Kroaten, die Bevölkerung des Sinjer und Cetiner Lands“ und gratulierte ihnen zu „dieser majestätischen Kundgebung sowie zur Erhaltung der Sinjska Alka als Trotz des kroatischen nationalen Bewusstseins, der uns im Lauf der Geschichte trotz aller Angriffe auf das Heimatland erhalten hat“.366 Die Unzufriedenheit eines Teils der Öffentlichkeit mit der Präsenz der internationalen Friedenstruppen im Lande kommentierte Tuđman, indem er den Grund dafür erläuterte, dass die kroatische Regierung auf eine militärische Lösung der Okkupation verzichte. Er führte den Wunsch an, zusätzliche Opfer neben denen, „die wir dem Altar der Freiheit darbieten mussten“, zu vermeiden. Darüber hinaus betonte er, dass Kroatien die Friedensbedingungen akzeptiere, um internationale Anerkennung zu erlangen, bzw. „weil wir der Welt 362 363 364 365 366

Lola Vukašinović: Štitovi za alkara i momka. In: Slobodna Dalmacija, 29. August 1992, S. 9. T. Paštar: »Slobodna«: Alkarski trofej »Rašica«. In: Slobodna Dalmacija, 30. August 1992, S. 3. Toni Paštar: Pobijedio sam na ludom konju koga nitko nije htio! In: Slobodna Dalmacija, 1. September 1992. Jerko Blajić, Stanko Ferić: Slavodobitnik Ognjen Preost. In: Večernji list, 31. August 1992, S. 3. Narod u sridu. In: Večernji list, 31. August 1992, S. 3.

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beweisen mussten, dass wir uns an die menschlichen und göttlichen Gesetze halten wollen [...]“. Im Rückblick auf die kurz zuvor abgeschlossene Friedenskonferenz in London stellte Tuđman fest, dass „Kroatien dort triumphierte und auch für seinen Anteil an der Verteidigung des kroatischen Volkes in Bosnien-Herzegowina Anerkennung erhielt“. Im Gegensatz dazu „erlebte der serbische Aggressor eine vollkommene Verurteilung von der ganzen demokratischen Welt“.367

Abb 29: Der Ruhmgewinner Ognjen Preost und sein Knappe Ante Labrović Paškin mit den Geschenken des Schirmherrn der 277. Sinjska Alka. Im Unterschied zur Zeit des Sozialismus, als der Knappe des Ruhmgewinners den weitergereichten Schild gehalten hatte, musste nun ein zweiter Knappe den Schild für den Ruhmgewinner halten, weil Labrović (1.v.r.) einen eigenen erhalten hatte. Dem Pferd Saboter – der Name erinnerte an seine Abstammung aus der Sinjer Pferdezucht der Jugoslawischen Volksarmee – hatte man 1992 den weniger kontroversen Spitznamen Đipsi (Gypsy) gegeben. Quelle: Fotografie links: Tomislav Bekavac. In: Večernji list, 31. August 1992, S.3; Fotografie rechts: Božo Vukičević. In: Slobodna Dalmacija, 1. September 1992.

Schließlich kommentierte der Präsident die gerade abgehaltenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen und kündigte „ein neues Rechtssystem des demokratischen Kroatien [an], mit dem wir mit allen Resten des kommunistischen Sozialismus abrechnen werden“.368 Von der Ehrentribüne in Sinj unterstützte Tuđman den Beschluss der kroatischen Regierung, „eine Wahl in der Beamtenschaft durchzuführen“. Dabei wies er die öffentliche Kritik an der an-

367 Narod u sridu. In: Večernji list, 31. August 1992, S. 3. 368 Ebd.

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gekündigten Maßnahme zurück, die unter anderem auch vom amtierenden Justiz- und Verwaltungsminister Ivica Crnić geäußert worden war.369 „[...] Indem wir alle kroatischen Stände unabhängig von der Parteimitgliedschaft vereinigten, luden wir alle Kroaten zum Aufbau der Heimat ein. Wir gaben allen eine Chance, aber für diejenigen, die die Chance nicht genutzt haben, die weiterhin so tun, als würden sie sich nicht in ihrem eigenen Staat befinden [...], für die gibt es keinen Platz in unserer Staatsverwaltung“, erklärte Tuđman.370 Als Antwort auf die Vorwürfe, dass die Regierung einen monoparteilichen Staatsapparat formieren wolle, bekräftigte der gewählte Präsident und selbstproklamierte Poglavar Kroatiens seine Position mit einer ausgeprägt nationalistischen Aussage: „Wir wollen eine kroatische Staatsverwaltung mit kroatischem demokratischem Geist, wir wollen eine Verwaltung, die im Dienst des kroatischen Menschen und des kroatischen Volks stehen wird“.371 Wenngleich Tuđman in seiner Rede auf der 277. Sinjska Alka wieder nicht präzisierte, was für ihn „kroatisch“ bedeutete, ließ die bloße Zusammensetzung der ihn begleitenden politischen Delegation auf das hauptsächlich primordiale ethnische Konzept der Nationalidentität schließen.372 Auf der Ehrentribüne befand sich unter den hohen Regierungs- und Armeevertretern der Republik Kroatien unter anderem auch Mate Boban, Präsident der Kroatischen Gemeinschaft Herceg-Bosna (Hrvatska zajednica Herceg-Bosna). Seine Anwesenheit auf der 277. Sinjska Alka reflektierte die neue Politik der kroatischen Regierung gegenüber Bosnien-Herzegowina, die immer weniger Wert auf eine Allianz mit Sarajevo legte. Der diese Allianz unterstützende Politiker Stjepan Kljuić, der auf der 276. Sinjska Alka im August 1991 als Präsident der HDZ BiH noch Gast gewesen war, war im Februar 1992 nach einer Anweisung aus Zagreb abgesetzt und politisch marginalisiert worden.373 Die kroatische Regierung legte ab dem Frühjahr 1992 anstatt auf die Allianz mit Sarajevo immer mehr Wert auf das irredentistische Bestreben der kroatischen Nationalisten in Herzegowina. Die Zerschlagung von Bosnien-Herzegowina durch die aus Belgrad unterstützte Gründung des serbischen Parastaates erkannte Tuđman als Gelegenheit, um ein Kroatien mit „historischen und natürlichen Grenzen“ zu schaffen. Diese Idee, die Tuđman bereits 1990 in der Wahlkampagne befürwortet hatte, spielte auf die Herrschaft über das einstige teilautonome Verwaltungsgebiet Banschaft Kroatien (Banovina Hrvatska) (1939-1941) an.374 Zwar wurde diese Idee von einem erheblichen Teil der Herzegowina-Kroaten unterstützt, doch entsprach sie nicht den Vorstellungen der Regierung in Sarajevo und der internationalen Gemeinschaft, die prinzipiell keine Grenzverschiebungen gestatten wollte. Im Einklang damit blieb die Bosnien-Politik der kroatischen Regierung bis zum Sommer 1994 in einer absichtlich beibehaltenen Grauzone zwischen der formellen Unterstützung einer umfassenden Verwaltungs-

369 Siehe das Interview mit Ivica Crnić: Pozivam sve šefove da se ne igraju otkazima. In: Slobodna Dalmacija, 30. August 1992, S. 4-5. 370 Narod u sridu. In: Večernji list, 31. August 1992, S. 3. 371 Ebd. 372 Über die Ideologie in Kroatien in den 1990er Jahren siehe: Knut Versterdal: Izgradnja liberalne demokracije u Hrvatskoj. In: Sabrina P. Ramet, Davorka Matić (Hg.): Demokratska tranzicija u Hrvatskoj, Zagreb, 2006, S. 315-336. 373 Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 3, S. 47. 374 Ebd., S. 55-60.

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autonomie der Herzegowina-Kroaten im Rahmen von Bosnien-Herzegowina und der informellen Integration der umstrittenen Gebiete in den kroatischen Staat. Dabei handelte es sich um keine Annexion des Gebietes, sondern vielmehr um den Aufbau der politischen, sozialen, wirtschaftlichen und militärischen Institutionen, Strukturen und Subsysteme des semi-autonomen Parastaats Kroatische Gemeinschaft Herceg-Bosna, der später in Kroatische Republik Herceg-Bosna umbenannt wurde und aus Zagreb finanziell und logistisch unterstützt wurde. Darüber hinaus spielte die symbolische Integration des Gebiets in Kroatien eine wichtige Rolle, unter anderem durch die ausdrücklich betonte Anwesenheit der politischen Führung von HercegBosna in der kroatischen Öffentlichkeit. Zagreb verzichtete dabei zwar nicht vollkommen auf die Allianz mit Sarajevo. Dennoch trug die Herstellung von Herceg-Bosna wesentlich zur Verschlechterung der bilateralen Beziehungen und letztendlich zur Gewalteskalation zwischen den bosnisch-kroatischen und bosnisch-muslimischen Truppen im Frühjahr 1993 bei. Die dramatischen Veränderungen im Nachbarland spiegelten sich unter anderem auch in der Sinjska Alka wider. In seiner Eröffnungsrede auf der 278. Sinjska Alka im August 1993 erwähnte der Anführer der Alkaren Nikola Tomašević auch die bosnischen Muslime unter denjenigen, „die sich dem Bestreben des kroatischen Volks nach Freiheit und Demokratie in den Weg stellen“.375 Die Hinzufügung der „Muslime“ auf die Feindesliste, auf der sich in diesem Jahr außerdem noch „die Jugo-Armee, Serbien, Montenegro und die einheimischen Verräter“ befanden, erklärte Tomašević damit, dass die Muslime seit Neuestem „die Kroaten wieder von ihren jahrhundertealten Feuerstellen vertreiben, genauso wie vor 300 Jahren, als sie sich auf diesen Gebieten angesiedelt hatten“. Die Rede reflektierte die Veränderung der Regierungspolitik gegenüber Sarajevo, die auch in den medialen Diskurs aufgenommen wurde.376 Insoweit stellte die Bemerkung von Tomašević nichts anderes dar, als die Verschiebung des Täter-Opfer Narratives vom kroatischen auf den Bosnienkrieg. Dennoch unterschieden sich diese beiden Kriege sowie ihre öffentliche Wahrnehmung in einem wesentlichen Punkt. Denn obwohl sich die kroatische Regierung und die von ihr gelenkten Medien darum bemühten, der Regierung in Sarajevo die Schuld an der Konflikteskalation zuzuschreiben und auf die Gefahr aufmerksam zu machen, die sich aus der Präsenz der freiwilligen islamistischen Kämpfer ergeben würde, wurde dieses medial vermittelte Opferbild in diesem Fall nicht nahezu übereinstimmend von der kroatischen Öffentlichkeit unterstützt.377 Darüber hinaus sorgte der Konflikt für eine erhebliche Verschlechterung der außenpolitischen Position Kroatiens. Zur 278. Sinjska Alka im August 1993 kam Präsident Tuđman nicht persönlich, sondern schickte als Gesandten den General Janko Bobetko. Eine Woche darauf reiste der Präsident jedoch in die Region, da er im nahegelegenen Ort Proložac an der Zeremonie zur Einweihung einer Marienfahne teilnahm.378 In seiner Rede nach dem Gottesdienst reagierte er unter anderem auf die Kritik in Bezug auf die kroatische Politik gegenüber dem Nachbarland. „Ohne 375 Govori alkarskih vojvoda (1990-2013). In: Online-Portal Ferata. http://www.ferata.hr/govorialkarskih-vojvoda-1990-2013/ (Letzter Zugriff: 04. Juni 2014). 376 Siehe: Ante Gugo: Ne vjeruj Aliji ni kada darove nosi. In: Slobodna Dalmacija 9. August 1993, S. 3. 377 Vgl. Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 3, S. 63-68. 378 Puna demokracija kad zavlada mir, kaže Tuđman. In: Vjesnik, 16. August 1993.

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die Hilfe Kroatiens für das kroatische Volk in Herceg-Bosna würde ganz Bosnien-Herzegowina in die Hände Großserbiens fallen“, sagte Tuđman. Den Vorschlag des bosnischen Präsidenten Alija Izatbegović, ein gemeinsames muslimisch-kroatisches Verwaltungsgebiet zu gründen, bewertete Tuđman als „das Aufzwingen des islamischen Staates auf die Kroaten in Bosnien-Herzegowina“. Er fügte hinzu, dass man das Nachbarland reorganisieren solle, und zwar „so, wie es ihm auch von der Welt vorgeschlagen wird und wie es nur erhalten werden könnte, sprich als eine Union oder ein Bündnis der Republiken“. Kritiker an der eigenen Politik bezeichnete Tuđman als „diejenigen, die sich 1990 nicht zugetraut haben, über einen selbstständigen und souveränen kroatischen Staat überhaupt nachzudenken; diejenigen, die in allen Umbruchsmomenten bewiesen haben, dass sie kein Vertrauen in das kroatische Volk haben“. Daraufhin betonte Tuđman, dass „die Situation in Kroatien, trotz der Auswirkungen des Krieges besser als in den anderen [post-sozialistischen] Ländern ist. Die demokratische Ordnung ist stabiler und in ganz Kroatien werden neue Objekte gebaut“.379 In den Medien ging man nicht weiter auf die Abwesenheit des Staatspräsidenten bei der 277. und den drei darauffolgenden Vorführungen der Sinjska Alka ein. Erst im Sommer 1997 setzte sich die regierungskritische Wochenzeitung Nacional mit der mehrjährigen Abwesenheit des Schirmherren auseinander. Laut Nacional mied Tuđman die Sinjska Alka, weil er in Sinj im Frühjahr 1993 öffentlich ausgepfiffen worden war.380 Damals sei seine Rede angeblich von Mitgliedern der HOS sabotiert worden, „die wegen der Diskreditierung ihrer Kriegsverdienste unzufrieden waren“.381 Über die Mitglieder und Sympathisanten von HOS hinaus sah sich die kroatische Führung 1993 tatsächlich auch mit der wachsenden Unzufriedenheit anderer sozialer Gruppen konfrontiert, die die Regierung aus äußerst unterschiedlichen Gründen kritisierten. Die liberalen Parteien und Gesellschaftsgruppen beanstandeten den autoritären Herrschaftsstil des kroatischen Präsidenten und insbesondere die zunehmende Einmischung Kroatiens in den Bosnien-Krieg.382 Auch stieß das Privatisierungsmodell des einstigen gesellschaftlichen Vermögens aufgrund der intransparenten Aneignungsprozesse durch privilegierte Akteure und Gruppen auf Kritik in der Öffentlichkeit. Infolge der schlechten wirtschaftlichen Lage und der abnehmenden Intensität der Kriegsgewalt in Kroatien wuchsen die regionalen Antagonismen im Land. Die zentralistische Staatspolitik irritierte vor allem in den Küstenregionen erhebliche Bevölkerungsteile, was gelegentlich auf den Punkt gebracht wurde, indem man Zagreb symbolisch mit Belgrad gleichsetzte. Der wachsende Einfluss der sogenannten „Herzegowina-Fraktion“ in der Regierungspartei, dem Staat und der Gesellschaft weckte in Teilen der Öffentlichkeit Antipathie sowohl gegenüber der HDZ als auch gegenüber den Herzegowina-Kroaten im Allgemeinen.383 Das größte Problem bestand indes für viele Bürger und vor allem für die Vertriebenen (prognanici) in der mittlerweile zweijährigen Besatzung eines Viertels des Landes durch serbische Truppen bzw. in der Gefahr, dass diese Situation von dauerhaftem Bestand sein könnte. Infolgedessen warf man der Regierung vor, die Befreiung des Landes nicht entschlossen genug anzugehen und forderte die baldige Durchsetzung der Herrschaft auf dem gesamten Gebiet Kroatiens. 379 380 381 382 383

Puna demokracija kad zavlada mir, kaže Tuđman. In: Vjesnik, 16. August 1993. Višnja Gotal: Sinjska Alka u čast vojvode Tuđmana. In: Nacional, 6. August 1997, S. 46-48. Ebd. Vgl. Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 3, S. 67ff. Vgl. Dunja Rihtman-Auguštin: Ulice moga grada, Beograd, 2000, S. 190.

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Anfang 1993, etwa einen Monat vor den Wahlen für die neugegründete zweite Parlamentskammer (Županijski dom), führte die Kroatische Armee dennoch die Militäroperation Maslenica durch. Die Operation ermöglichte die Wiederaufnahme des Straßenverkehrs zwischen Dalmatien und dem Rest des Landes und vertrieb die serbischen Truppen aus der unmittelbaren Umgebung von Zadar. Zeitgleich mit dieser Aktion im nördlichen Dalmatien setzten die kroatischen Einheiten eine ungeplante Militäraktion im Wasserkraftwerk Peruča bei Sinj um. Unter äußerst dramatischen Umständen verhinderte man dadurch den Einbruch des Staudamms, den die serbischen Truppen als Racheakt für die Operation Maslenica mit Sprengkörpern schwer beschädigt hatten.384 Mit der Reparatur des Damms sowie durch die Herstellung der Militärkontrolle über den Stausee Peruča und seine Umgebung wurde die unmittelbare Kriegsgefahr für Sinj im Januar 1993 beseitigt. Über diese konkreten territorialen und strategischen Gewinne in Dalmatien hinaus offenbarte die Operation Maslenica die zunehmende Bereitschaft der kroatischen Armee und der kroatischen politischen Führung, die staatliche Souveränität auf dem besetzten Gebiet mit Militärgewalt herzustellen. Die Operation hatte eine ausgeprägte Wirkung auf die Parlamentswahlen im Februar 1993, die mit einem Sieg der Regierungspartei endeten. Die Herrschaftslegitimation mit der Operation Maslenica wurde auch nach den Wahlen fortgesetzt, unter anderem auch auf der 278. Sinjska Alka im August 1993. Als Gesandter des Präsidenten Tuđman wohnte der Sonntagsvorführung General Janko Bobetko, Hauptbefehlshaber der Operation Maslenica, bei. Die Militäroperation Maslenica spiegelte sich ebenfalls in Veränderungen unter den Ritualteilnehmern und vor allem in der von Anführer Tomašević getroffenen Wahl des neuen alkarischen Fahnenträgers wider. Anstelle des wohlhabenden Fabrikanten Josip Bilandžić wurde die prächtige Rolle dem Befehlshaber der 126. Brigade der Kroatischen Armee, Ante Kotromanović zugeteilt.385 Zwar hatte der junge Offizier aus Potravlje in der Sinjska Alka schon im Sommer 1992 als Streitkolben-Träger (Buzdovandžija) erste Erfahrungen gesammelt, doch stand er nun vor einer wesentlich größeren Herausforderung. Obwohl seine neue Funktion gute Reitkenntnisse erforderte, hatte er so gut wie keine Erfahrung mit Pferden. Dennoch schaffte es der neue Fahnenträger, innerhalb von zwei Wochen die Grundlagen des Reitens zu erlernen und seinen Auftritt schließlich erfolgreich über die Bühne zu bringen.386 Wie herausfordernd und risikoreich die Teilnahme an der Sinjska Alka tatsächlich ist, wurde während der Vorführung im Sommer 1993 einmal mehr deutlich. Während der Begrüßungsrede von Anführer Tomašević, scheute das Pferd von Denis Gugić, einem Alkaren aus der Begleitung und eigentlich einem ausgezeichneten Turnierreiter, und schlug in eine Zuschauerreihe auf der Tribüne aus, glücklicherweise ohne Folgen für die Anwesenden.387 Der Wettbewerb an sich verzeichnete ansonsten eine überdurchschnittlich hohe Trefferquote. Mit der maximalen Punktzahl von neun Punkten siegte der 27-jährige Tierarzt Stipe Šimundža. Merkwürdigerweise gelang Šimundža seine herausragende Leistung, obwohl er sich seinen großen Zeh gebrochen und somit Probleme beim Reiten hatte. Entsprechend der schwierigen Wirtschaftslage im Land erhielt der Ruhmgewinner das relativ bescheidene 384 385 386 387

Martin Vrgoč: Sinj – pregled povijesti. Sinj, 2009, S. 129. Toni Paštar: Plemić među alkarima. In: Slobodna Dalmacija, 5. August 1993, S. 6. Stanko Ferić: Sinj, Alka, Hrvatska..., In: Večernji list, 10. August 1993, S. 16-17. Vgl. Nedjeljko Musulin: Pogoci u sridu za pamćenje. In: Vjesnik, 9. August 1993, S. 3.

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Preisgeld von 1000 DM.388 Wie üblich wurde er außerdem mit der Goldenen Plakette ausgezeichnet, während seinem Knappen die Silberne Plakette der Alka übergeben wurde. Im Namen des Schirmherren, Präsidenten Tuđman, überreichte General Bobetko dem Ruhmgewinner einen Säbel und seinem Knappen eine Steinschlosspistole.

Abb 30: „General Janko Bobetko und der amerikanische Botschafter Peter Galbraith unter den Alkaren“. Die Präsenz des höchsten diplomatischen Vertreters der Vereinigten Staaten auf der 278. Sinjska Alka wird heutzutage unter den Traditionsträgern als Ausdruck der informellen politischen Unterstützung von Washington zur territorialen Reintegration Kroatiens interpretiert. Die Anwesenheit der Botschafter der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreiches wurde in mehreren Medienberichten über die 278. Sinjska Alka relativ stark hervorgehoben, allerdings ohne Bemerkungen zu ihrer politischen Bedeutung. Quelle: Fotografie von Vicko Vidan. In: Vjesnik, 9. August 1993, S. 3.

In seiner Rede betonte General Bobetko, dass die Kroatische Armee bereit sei, „die Eroberer aus jedem Winkel unseres Landes zu vertreiben“.389 Gleichzeitig stellte der Gesandte des Präsidenten aber fest, „[...] dass jegliches voreiliges Losstürmen sowie eigenmächtiges Engagement negative Folgen nach sich ziehen“. Wahrscheinlich spielte General Bobetko damit auf den politischen Druck an, mit dem die internationale Gemeinschaft die Offensive der kroatischen Armee während der Operation Maslenica unterbrochen hatte. Die Medienberichte lassen darauf schließen, dass 388 Wegen der hohen Inflation etablierte sich die Deutsche Mark in Kroatien und Jugoslawien noch während des Sozialismus als informelle Zahlungsart. Die Kurspolitik der kroatischen Regierung sollte ab 1994 für die Stabilität der neuen Währung (Kuna) sorgen. Daraufhin ging der Gebrauch der Deutschen Mark als Zahlungsmittel, insbesondere in Hinblick auf öffentliche Angelegenheiten stark zurück. 389 Nedjeljko Musulin: Hrvatska vojska je spremna, oprezna i odlučna. In: Vjesnik, 9. August 1993, S. 3.

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Bobetko in Sinj eine ausbalancierte und gut vorbereitete Rede hielt. Einerseits forderte der höchste Vertreter des Militärs eine politische Lösung der Krise, andererseits betonte er, dass die Verhandlungen nicht ewig würden dauern dürfen. Schließlich schrieb er der internationalen Gemeinschaft die Verantwortung für die aktuelle Lage zu. „Der Welt sind unsere Ziele bekannt und es gibt keine europäische Institution, die dem kroatischen Volk das Recht aberkennen kann, in den Grenzen des eigenen Landes zu leben [...]“, sagte er schließlich in seiner Rede auf der 278. Sinjska Alka. Auf der Ehrentribüne befanden sich zwei äußerst wichtige Adressaten seiner Rede: Der Botschafter der Vereinigten Staaten in Kroatien, Peter Galbraith, sowie sein britischer Kollege Bryan Sparrow, der in einer stilisierten Safari-Uniform erschienen war.390 Während die internationale Gemeinschaft die Souveränitätsherstellung der kroatischen Regierung auf dem gesamten Staatsterritorium zumindest nominell unterstützte, stieß das kroatische Engagement in Bosnien-Herzegowina auf wesentlich weniger Verständnis. Konfrontiert mit dem wachsenden Druck der international relevanten Akteure, musste die kroatische Führung im Frühling 1994 letztendlich ihre Bosnien-Politik verändern und auf die Sezession der überwiegend von ethnischen Kroaten besiedelten Gebiete im Nachbarland verzichten.391 Das Ende des Konflikts zwischen Kroaten und Muslimen in Bosnien-Herzegowina sowie die politische Demonstration der Allianz mit Sarajevo verbesserten wiederum die außenpolitische Position der kroatischen Regierung im Sommer 1994 und brachten ihr die erneute Unterstützung in Hinblick auf die Integration der besetzten Gebiete ein. Die 279. Sinjska Alka im Sommer 1994 zeichnete sich durch eine außerordentlich starke Präsenz der diplomatischen Vertreter sowie durch das Versprechen des Verteidigungsministers Gojko Šušak aus, dass „die feindlichen Kanonen bis zur nächsten Sinjska Alka nicht mehr nach Sinj ausgerichtet sein werden“.392 Über solche verbalen und non-verbalen Botschaften hinaus wurde die 279. Sinjska Alka durch den ersten Auftritt eines neuen alkarischen Anführers markiert. Nach dem vierjährigen Mandat von Nikola Tomašević wurde das prestigeträchtige Amt dem jungen Brigadier Mirko Norac zugetraut, dem Befehlshaber der 9. Brigade der Kroatischen Armee.

Veränderungen im Alkarenverein Die Periode zwischen der 278. und 279. Sinjska Alka war von erheblichen Veränderungen sowohl im Vorstand des Alkarenvereins als auch in den Reihen der Ritualteilnehmer geprägt. Die neu eingegliederten bzw. auf eine höhere Position aufgestiegenen Personen rekrutierten sich aus zwei unterschiedlichen, dennoch stark verbundenen Institutionen. Während die Veränderungen im Vereinsvorstand hauptsächlich einen Aufstieg der lokalen Spitzenpolitiker aus dem Kreis der regierenden Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) bedeuteten, wurde die soziale Zusammensetzung der Traditionsträger durch die Eingliederung von mehreren Offizieren und Soldaten der in Sinj stationierten 126. Brigade der Kroatischen Armee in die Alkaren- und Knappentruppe verändert. Dabei wuchs der Anteil der Soldaten unter den Alkaren und Knappen nicht nur durch ihren Beitritt im Verein, sondern auch 390 Nedjeljko Musulin: Pogoci u sridu za pamćenje. In: Vjesnik, 9. August 1993, S. 3. 391 Vgl. Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 3, S. 60-68. 392 J. Blajić, M. Šarić: Slavodobitnik Stipe Šimundža. In: Večernji list, 8. August 1994, S. 3.

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dadurch, dass immer mehr Traditionsträger in die Armeereihen eingegliedert wurden. Bis zum Kriegsende im Sommer 1995 war dementsprechend ein erheblicher Teil der Alkaren und Knappen durch eine unmittelbare Kriegserfahrung geprägt. Die Veränderungswelle begann Ende November 1993, als der Vorstandsvorsitzende des Alkarenvereins Ante Boko zurücktrat.393 Der als Finanzberater in der Spliter Bank beschäftigte Ante Boko galt als äußerst wichtige Person für die Ausarbeitung der Gold- und Silbermünzen mit den Motiven der Sinjska Alka in den 1980er Jahren und insofern als der Mensch, der sich um den erheblichen Kapitalgewinn des Alkarenvereins verdient gemacht hatte. Ante Boko erklärte die Gründe für seinen plötzlichen Rücktritt nicht öffentlich, was viel Raum für Spekulationen ließ. Laut dem Wochenmagazin Globus trat Ante Boko wegen eines angeblichen Vorfalls auf der 278. Sinjska Alka zurück. Dort hätte er den Gesandten Tuđmans, General Bobetko, mit den Worten „Genosse General, Gesandter des Präsidenten Tito“ angesprochen.394 In der gleichen Reportage wurde dem alten Vereinsvorstand von Mato Jukić, dem neuen Vorstandsvorsitzenden des Alkarenvereins und Mitglied der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft, ein weiterer Vorstoß gegen die ideologische Ordnung vorgeworfen: „Das Chaos im Verein erreichte seinen Höhepunkt, als Weihnachts- und Silvesterkarten versandt wurden, auf denen sich neben der Grafik der Alka auch der [rote] Stern und die Symbole des ehemaligen Systems befanden. [...] Solche Karten wurden an den Präsidenten Tuđman und an zahlreiche Botschafter geschickt“.395 Es bleibt unklar, inwieweit diese Anekdoten der Wahrheit entsprechen, jedoch wog die Anklage in einem Land, in dem der rote Stern als Symbol des Kriegsgegners gedeutet wurde, besonders schwer. Ende April 1994 fand die ordentliche Jahresversammlung des Alkarenvereins in einer äußerst aufgeheizten Atmosphäre statt. Die Ernennung des Vereinssekretärs Neven Strukan zum vorläufigen Nachfolger von Ante Boko, über die der Vorstand Ende 1993 entschieden hatte, „polarisierte die Beziehungen zwischen den Menschen, die auf irgendeine Weise mit dem alkarischen Milieu verbunden waren“.396 Anhand der vorsichtigen Analysen in den Medien konnte man den Rückschluss ziehen, dass die Rochade innerhalb des Vorstandes die Wut der Rechtsradikalen provozierte, die über Jahre vergeblich versucht hatten, die alten Eliten und unter anderem auch Neven Strukan aus dem Vorstand zu beseitigen. „Einzelne Gruppen begehrten offen gegen ihn auf, wobei man nicht nur Dr. Strukan, sondern auch einigen seiner engsten Mitarbeiter allerhand vorwarf. [D]abei verzichtete man nicht auf Unterstellungen und niederste Anschuldigungen“, fasste Slobodna Dalmacija anderthalb Monate nach der Vollversammlung zusammen, ohne die Namen der Unzufriedenen einzugehen.397 Trotz der Anwesenheit der lauten Protestgruppe, „die die Jahresversammlung in einen Ort, an dem man Andersgesinnte lyncht, verwandeln wollte“, wurde Neven Strukan

393 Ivo Dalbello: Kronologija Sinjske alke u Republici Hrvatskoj. In: Boris Ljubičić(ur.): Alka, Sinj, 2001, S. 235-239. 394 Željko Rogošić: Drže li se sinjski alkari viteškog kodeksa ili pak zavjeta šutnje? In: Globus, 8. Juli 1994, S. 46-48. 395 Ebd. 396 Prijetnje čelnicima Alke! In: Slobodna Dalmacija, 14. Juni 1994, S. 3. 397 Ebd.

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in geheimer Abstimmung wieder in den Vorstand gewählt, wobei er eines der Mitglieder war, die die meisten Stimmen erhielten.398 Im Vergleich zum Vorstand, der aus der letzten regelmäßigen Wahl im April 1990 hervorgegangen war, waren insgesamt drei Vereinsmitglieder erneut im neunköpfigen Gremium vertreten. Neben Neven Strukan waren zwei langjährige Traditionsträger wiedergewählt worden.399 Einer war Tonči Bešlić, ein 34-jähriger Inspektor der Grenzpolizei in Trilj bei Sinj, der 1981 als Alkar debütiert hatte. Der zweite war Ivan Zorica, ein 48-jähriger Fahrer im Wasserkraftwerk Peruča, der sich seit 1971 an den Turnieren beteiligt und 1990 die Funktion des Befehlshabers der Alkarentruppe (Alajčauš) übernommen hatte. Auf der Vollversammlung im April 1994 wurde Zorica in diesem Amt bestätigt. Mit dem Ablauf der Jahresversammlung konnte vor allem die Regierungspartei HDZ zufrieden sein. Die Plätze im Vorstand wurden überwiegend von HDZ-Politikern aus dem Cetiner Land eingenommen, während Bešlić und Zorica formell zu keiner Partei gehörten. Entsprechend der Machtkonstellation lehnte der Vorstand die Kandidatur von Neven Strukan für die Position des Vereinsvorsitzenden ab und setzte den HDZ-Kandidaten durch. Zum neuen Präsidenten des Verwaltungsrates (Predsjednik Upravnog odbora) wurde der 32-jährige Jurist Mate Jukić gewählt, Vorsitzender der HDZ in Sinj und als Abteilungsleiter (Pročelnik) in der Stadtverwaltung zuständig für die „gesellschaftlichen Tätigkeiten“.400 Zum Vizepräsidenten des Verwaltungsrates wurde Dinko Bošnjak gewählt, HDZ-Vorsitzender der Gemeinde Hrvace bei Sinj. Dadurch wurde die Aneignung der Sinjska Alka durch die Kroatische Demokratische Gemeinschaft im Frühjahr 1994 abgeschlossen. Während die kroatische Regierung schon seit dem Sommer 1990 mit der Unterstützung der Traditionsträger bei der Herrschaftsinszenierung hatte rechnen können, wurde die Weiterführung des Arrangements zwischen Parteivertretern und der Vereinsspitze nun noch sicherer. Vier Jahre nach der Machtübernahme in Sinj und Kroatien war es der regierenden Partei gelungen, sich die Verwaltungsstruktur der Sinjska Alka vollkommen anzueignen. Den letzten Schritt zur Herstellung der politischen Kontrolle über die kulturelle Inszenierung hatte man dabei allem Anschein nach mit der Eingliederung der eigenen Wähler in den Verein durchgesetzt. Laut der Behauptung der wöchentlich erscheinenden Zeitschrift Globus war die Zahl der Vereinsmitglieder unmittelbar vor der Jahresversammlung in April 1994 plötzlich angestiegen und zwar „hauptsächlich durch Offiziere und Unteroffiziere der Kroatischen Armee, die der HDZ angeblich als Wahlmaschine bei der Wahl der neuen Menschen dienten“.401 Die Veränderung der Eingliederungspolitik des Alkarenvereins bezeichnete der neugewählte Vorstandsvorsitzende Mate Jukić im Juli 1994 als „Türöffner für alle, die einen Antrag gestellt haben, unabhängig von ihrer Partei- oder einer anderen Zugehörigkeit“.402 Im Grunde genommen handelte es sich bei diesem Vorgehen mutmaßlich um die gleiche Aneignungstaktik, die die Kroatische Demokratische Partei (HDS) in der Zeitspanne von 398 Prijetnje čelnicima Alke! In: Slobodna Dalmacija, 14. Juni 1994, S. 3. 399 Vgl. Ivo Dalbello: Kronologija Sinjske alke u Republici Hrvatskoj. In: Boris Ljubičić (Hg.): Alka, Sinj, 2001, S. 235-239. 400 Željko Rogošić: Drže li se sinjski alkari viteškog kodeksa ili pak zavjeta šutnje? In: Globus, 8. Juli 1994, S. 46-48. 401 Ebd. 402 Ebd.

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1990 bis 1991 verfolgt hatte und die die HDZ durch ihren Pakt mit einem Teil der alten Elite im Alkarenverein erfolgreich zu verhindern wusste. Spätestens seit dem Fiasko bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im August 1992 stellte die HDS indes keine nennenswerte politische Herausforderung für die HDZ-Regierung mehr dar. Mittlerweile fand der erfolglose Kandidat bei der Präsidentenwahl 1992 Marko Veselica einen Weg, um dem Alkarenverein auf eine konfliktfreie Weise beizutreten. Im Sommer 1993 schenkte Marko Veselica, der mittlerweile die neue Partei Kroatische christlich-demokratische Union (Hrvatska kršćansko-demokratska unija) gegründet hatte, dem Alkarenverein ein junges Vollblutpferd.403 Daraufhin wurde Veselica im April 1994 zusammen mit dem Frater Frano Bilokapić zu einem der beiden neuen Mitglieder des alkarischen Ehrengerichts gewählt.404 Vorsitzender des Ehrengerichtes wurde wieder Dražen Tripalo, Alkar aus den 1930er Jahren, der 1990 das prestigeträchtige Amt vom pensionierten Oberst und zum „Volksheld Jugoslawiens“ ernannten ehemaligen Anführer Petar Peko Bogdan übernommen hatte. Die mit Abstand größte öffentliche Aufmerksamkeit erregte die Wahl des 26-jährigen Brigadiers (Brigadir) Mirko Norac aus Otok in die Funktion des alkarischen Anführers. Der vorherige Vojvoda Nikola Tomašević hatte seine Kandidatur auf der Wahlversammlung zugunsten des jungen Befehlshabers zurückgezogen. Wie man heutzutage in Sinj erzählt, war Präsident Tuđman mit Nikola Tomašević auf dem Posten des alkarischen Anführers vollkommen zufrieden gewesen und hätte sein Verbleiben gern gesehen. Mirko Norac war wiederum die Präferenz von Gojko Šušak sowie der lokalen HDZ-Filiale in Sinj gewesen. Laut einer späteren Medieninterpretation war dem Anführer Tomašević angeblich vor der Jahresversammlung versprochen worden, dass Norac‘ Ernennung auf ein Jahr begrenzt würde, damit man dem hochrangigen Offizier auf der 279. Sinjska Alka Ehre erweisen könne.405 Feststellen lässt sich nur, dass die Spitzenposition in der alkarischen Hierarchie durch die Wahl von Mirko Norac – genauso wie in den Fällen des ersten (Peko Bogdan) und des letzten (Aleksandar Sablić) alkarischen Anführers während der sozialistischen Periode – wieder mit einem hochrangigen Militär aus dem Cetiner Land besetzt wurde, der bis zu diesem Zeitpunkt keine direkte Verbindung zur Sinjska Alka gehabt hatte. Die Neuzusammensetzung des Vorstands des Alkarenvereins im April 1994 bekam sechs Wochen später einen dramatischen Epilog. Das Vorstandsmitglied Neven Strukan und der Vorsitzende des Ehrengerichtes Dražen Tripalo erhielten Mitte Juni 1994 handgeschriebene, nicht unterzeichnete Drohbriefe.406 Von Strukan verlangte der unbekannte Absender den Rücktritt aus dem Vorstand, wenn er verhindern wolle, dass „seine Familie wie die Familie Zec endet“.407 Der Brief spielte auf den relativ bekannten Mordfall an der serbisch-stämmigen Familie Zec an, die im Dezember 1991 in Zagreb von einer berüchtigten Eskadron für Sonderoperationen (sog. Merčepovci) umgebracht worden war. Die Medien berichteten, dass man im 403 T.P.: Veselica i Bilandžić darovali rasne konje. In: Slobodna Dalmacija, 8. August 1993, S. 2. 404 Ivo Dalbello: Kronologija Sinjske alke u Republici Hrvatskoj. In: Boris Ljubičić (Hg.): Alka, Sinj, 2001, S. 235-239. 405 Zoran Krželj: Ognjen Preost izvisio jer se nije obukao za Norca. In: Novi list, 2. August 2001. 406 T.P.: Zgražanje u Sinju. In: Slobodna Dalmacija, 15. Juni 1994. 407 J.B.: Prijeteća pisma. In: Večerenji list, 14. Juni 1994.

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gleichen Brief den Alajčauš Ivan Zorica sowie „zwei ehemalige Vorstandsmitglieder“ erwähnte, allerdings ohne dabei weitere Einzelheiten zu nennen.408 Die Wochenzeitung Globus behauptete wiederum, dass die Briefe an die Adressen von Neven Strukan, vom zurückgetretenen Anführer Nikola Tomašević und vom Vorsitzenden des Ehrengerichtes Dražen Tripalo geschickt wurden. Welche Drohungen an wen geschickt wurden, blieb schließlich unklar. Neven Strukan nahm die Morddrohung jedenfalls ernst und kündigte unverzüglich seine Mitgliedschaft im Vereinsvorstand, während Zorica und Tripalo ihre Funktionen weiterhin wahrnahmen. Die Briefe wurden der Polizei übergeben, der Verfasser jedoch nie ermittelt.409 Wenngleich der Fall in Sinj eine weitgehende Konsternation und Ablehnung verursachte, verloren die Briefe bereits nach einigen Tagen ihre Medienwirkung. Anstelle dessen orientierte sich die Berichterstattung auf die bevorstehende 279. Sinjska Alka und fokussierte sich dabei vor allem auf das Debüt des neuen alkarischen Anführers Mirko Norac. Mit großem Respekt gegenüber Mirko Norac akzentuierten die Zeitungsartikel, dass er sich den kroatischen Streitkräften, die im Rahmen der Polizei organisiert wurden, schon im August 1990 angeschlossen hatte.410 Einige Wochen später wurde der damals 23-jährige Norac bereits Mitglied der anti-terroristischen Spezialeinheit Lučko. „Kampferfahrung bekam er in Lika, [...] er hat sich in den Kämpfen in Gospić und der Umgebung hervorgehoben“, schrieb das liberale und verhältnismäßig kritische Wochenmagazin Globus im Juli 1994.411 Über die Beteiligung von Mirko Norac an Festnahme, Folter und Mord dutzender, meist serbischer Zivilisten in der Kleinstadt Gospić Ende 1991 schrieb Globus allerdings nicht. Zwar lässt sich nicht ausschließen, dass die Mordfälle, für die Norac erst 2001 angeklagt wurde, vielen Journalisten 1994 noch unbekannt waren. Dennoch lässt sich feststellen, dass der Artikel lediglich keine Ausnahme von der damals in nahezu allen kroatischen Medien weit verbreiteten Schweigepraxis über die Rechtswidrigkeiten der kroatischen Truppen darstellte. Im Einklang mit dem dominanten Mediendiskurs präsentierte Slobodna Dalmacija den neuen alkarischen Anführer als mehrfach ausgezeichneten „Held des Heimatländischen Krieges und Ehrenbürger von Gospić“.412 In seinen Medienauftritten präsentierte sich Norac selbst ebenfalls innerhalb dieses dominanten Diskurses, indem er gleichzeitig seine Liebe und seinen Respekt gegenüber der kroatischen Heimat, der Sinjer Madonna und der Sinjska Alka betonte. Entsprechend dem erlangten Entscheidungsrecht änderte Norac die Zusammensetzung der Ritualteilnehmer schon vor seinem ersten Auftritt im prächtigen Kostüm. Die Alkaren aus der Begleitung (Alkari iz pratnje) Mario Panza und Dušan Ivandić, zwei Soldaten der 126. Brigade, bekamen dadurch die Chance, erstmals am alkarischen Turnier teilzunehmen. Aus der Gruppe der Wettbewerber aus dem Vorjahr wurden gleichzeitig zwei Alkaren in die Begleitung herabgestuft: Ivica Perić, das arbeitslose ehemalige Mitglied der Kroatischen Armee 408 T.P.: Zgražanje u Sinju. In: Slobodna Dalmacija, 15. Juni 1994. 409 Željko Rogošić: Drže li se sinjski alkari viteškog kodeksa ili pak zavjeta šutnje? In: Globus, 8. Juni 1994, S. 46-48. 410 Toni Paštar: Junak na čelu vitezova. In: Slobodna Dalmacija, 6. August 1993, S. 12. 411 Željko Rogošić: Drže li se sinjski alkari viteškog kodeksa ili pak zavjeta šutnje? In: Globus, 8. Juni 1994, S. 46-48. 412 Toni Paštar: Junak na čelu vitezova. In: Slobodna Dalmacija, 6. August 1994, S. 12.

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sowie Jakov Jerkan, ein nie ausgezeichneter alkarischer Veteran, der im städtischen Busverkehrsunternehmen Autoprijevoz arbeitete.413 Trotz der Erwartungen, dass Brigadier Ante Kotromanović wieder als Fahnenträger auftreten würde, vertraute Norac die alkarische Fahne dem Oberst (Pukovnik) der Kroatischen Armee Ante Vučić an. Davor hatte Ante Vučić schon im April 1991 eine symbolisch wichtige Aufgabe wahrgenommen. Auf dem bereits erwähnten Treffen der Sinjer Delegation mit Tuđman hatte er dem Präsidenten im Namen der Cetiner Auswanderer ein Unterstützungsschreiben übergeben. Die zahlenmäßig größte Veränderung betraf im Sommer 1994 die Knappentruppe, in der der Befehlshaber (Arambaša) Branko Ezgeta durch den Knappen Dušan Dotur ersetzt wurde. Darüber hinaus debütierten im Sommer 1994 neun Alkarenknappen auf einmal, was ungefähr einem Drittel der gesamten Knappentruppe entsprach. „Wir haben Frische in die Alkarentruppe gebracht“, sagte Vojvoda Norac in einem großen Zeitungsinterview vor der 279. Sinjska Alka.414 „Damit habe ich persönlich und zusammen mit meinen Mitarbeitern versucht, das Rittertum unserer Vorfahren von 1715 mit dem Rittertum unserer Zeit zu verknüpfen, [das] durch die Leistung im Heimatländischen Krieg im Kampf für den selbstständigen und unabhängigen Staat Kroatien bewertet wird“, fügte er hinzu. In seiner Eröffnungsrede auf der 279. Sinjska Alka setzte Norac, genauso wie sein Vorgänger Tomašević, den symbolischen Schwerpunkt auf den Heimatländischen Krieg (Domovinski rat).415 Wenngleich die Grundidee einer Kontinuität zwischen der Schlacht von 1715 und dem zeitgenössischen Kroatienkrieg identisch blieb, beinhaltete sein erster Auftritt einige interessante Neuerungen. Während der Anführer Tomašević im August 1993 die bosnischen Muslime unter denjenigen genannt hatte, „die sich dem Bestreben des kroatischen Volks nach Freiheit und Demokratie in den Weg stellen“, erwähnte Norac das Nachbarland nur am Rande, als er „die [anwesenden] Vertreter der Föderation Bosnien-Herzegowina“ ausdrücklich begrüßte. Die inhaltliche Veränderung sowie die Präsenz einer Delegation aus der Föderation Bosnien-Herzegowina anstelle der Kroatischen Republik Herceg-Bosna reflektierte die aktuelle Veränderung der Bosnienpolitik in Zagreb. Nach einem Jahr grausamer Gewalt galten die bosnischen Muslime nun wieder als die Alliierten Kroatiens. Darüber hinaus griff Mirko Norac viel stärker als sein Vorgänger auf die Sakralisierung des Narratives zurück. Dementsprechend stellte er fest, dass „der Sieg [in der Schlacht von 1715] mit der Himmelshilfe der Madonna von Sinj“ erkämpft worden war. Die Legende betrachtete er in keinerlei Hinsicht aus kritischer Distanz. Er betonte: „Im freien und unabhängigen Kroatien wurde die Alka den alten Traditionen zurückgegeben: dem Glauben, der Heimat, dem Geburtsland und dem kroatischen Volk“. 416 Die Legitimation der zeitgenössischen Ordnung durch das Motiv der „lang erwarteten und endlich erlangten Befreiung“ war sicherlich keine Erfindung von Mirko Norac. Eine Neuerung war indes die Thematisierung der Ustaša-Ordnung im positiven Kontext. Norac 413 Vgl. Željko Rogošić: Drže li se sinjski alkari viteškog kodeksa ili pak zavjeta šutnje? In: Globus, 8. Juli 1994, S. 46-48. 414 Toni Paštar: Junak na čelu vitezova. In: Slobodna Dalmacija, 6. August 1994, S. 12. 415 Vgl. Govori alkarskih vojvoda (1990-2013). In: Online-Portal Ferata. http://www.ferata.hr/govorialkarskih-vojvoda-1990-2013/ (Letzter Zugriff: 28. November 2014). 416 Ebd.

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erinnerte die Anwesenden an die Vorführung der Sinjska Alka im August 1944: „Der gleiche heldenhafte Stolz, die gleiche Liebe gegenüber dem mit Blut geborenen kroatischen Staat symbolisierte den alkarischen Wettbewerb, [den sie durch das Bombardement verhindern wollten], auch 1944, also vor fünfzig Jahren. Gott sei Dank ist es ihnen aber nicht gelungen“. Er betonte weiterhin: „Daran erinnert heute der einzige noch lebende Alkar Dražen Marković, der unter der Leitung des Anführers Mirko Bilobrk bewiesen hat, dass die Alka ein Spiel der Kroaten und des kroatischen Volkes ist“.417 Dražen Marković aus Radošići hatte sich tatsächlich an der 229. Sinjska Alka beteiligt, wenn auch nicht am Wettbewerb, sondern als Alkar in der Begleitung (Alkar u pratnji). Ihr 50jähriges Jubiläum stellte zwar einen Anlass für die Erinnerung an die einzige Vorführung der Sinjska Alka im USK dar, doch wurde an ihr insbesondere die allgemeine Tendenz zum Revisionismus deutlich, die sich unter anderem in der öffentlichen Erinnerungskultur manifestierte. Während der ersten Hälfte der 1990er Jahre wurden zahlreiche Denkmäler des Volksbefreiungskampfes in der Stadt und der Umgebung von Sinj beschädigt oder zerstört. Außerdem manifestierten sich die revisonistischen Tendenzen in der Konstruktion neuer Erinnerungsorte. Am 10. April 1993, zum 52. Jubiläum des Ustaša-Staats, ließ die Sinjer Zweigstelle der Kroatischen Rechtspartei im Zentrum von Sinj eine Gedenktafel zu Ehren der „im Kampf für den USK gefallenen Ustaša“ anbringen. Mit den lokalen HDZ-Politikern an der Spitze des alkarischen Vorstands erfuhr die Sinjska Alka im Sommer 1994 einen eindeutigen Rechtsruck. Dementsprechend änderte der Verein 1994 auch den Umgang mit der eigenen Vergangenheit. Im Unterschied zum alten Vorstand unter Ante Boko, der die Öffentlichkeit im Rahmen der Sinjska Alka an den Alajčauš und Partisanenkämpfer Jozo Boko erinnert hatte, legte der neue Vorstand offensichtlich mehr Wert auf die Erinnerung an den Ustaša-Staat. Im Einklang damit sollte „der einzige lebende Alkar von 1944“ Dražen Marković während der Sinjska Alka im Sommer 1997 noch einmal als Mitglied des Ehrengerichts auftreten dürfen.418 Von den ideologischen Präferenzen der Vorstandsmitglieder abgesehen hatte der Rechtsruck des Alkarenvereins in doppelter Hinsicht eine pragmatische Funktion. Zum einen verringerte sie den Handlungsspielraum der außerparlamentarischen rechtsradikalen Gruppen, die seit Jahren versuchten, den Vereinsvorstand mit ideologischen Vorwürfen zu delegitimieren. Zum anderen brachte die ideologische Umorientierung dem Alkarenverein die Sympathie des zunehmend mächtigen Verteidigungsministers Gojko Šušak ein. Somit bedeutete die Wahl von Mirko Norac zum alkarischen Anführer nicht nur den Auftakt einer stärker nach rechts orientierten Ausrichtung des Vereins, sondern auch den Anfang einer stärkeren institutionellen Bindung des Alkarenvereins an den Staat. Obgleich mit wesentlich anderen ideologischen Vorzeichen, glich die Vereinbarung in inhaltlicher Hinsicht stark dem Arrangement, das der Alkarenverein in den 1970er und 1980er Jahren durch den politischen Einfluss des alkarischen Anführers Bruno Vuletić (1964-1985) mit dem jugoslawischen Staat 417 Vgl. Govori alkarskih vojvoda (1990-2013). In: Online-Portal Ferata. http://www.ferata.hr/govorialkarskih-vojvoda-1990-2013/ (Letzter Zugriff: 28. November 2014). 418 Ivo Dalbello: Kronologija Sinjske alke u Republici Hrvatskoj. In: Boris Ljubičić (Hg.): Alka, Sinj, 2001, S. 235-239.

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erhalten hatte. Zusätzlich unterhielt der Alkarenverein weiterhin gute Beziehungen zur katholischen Kirche. Im Einklang damit beteiligten sich die Alkaren- und die Knappentruppe Mitte der 1990er Jahre an zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen, auf denen die Zivilmacht, die Kroatische Armee oder die katholische Kirche im Vordergrund standen.419

Abb 31: Brigadier Mirko Norac und Verteidigungsminister Gojko Šušak auf der 279. Sinjska Alka. Mitte der 1990er Jahre galten Norac und Šušak als prominente Mitglieder der rechten Fraktion im Staatsapparat. Die ideologische Grundlage der Fraktion bestand in Ethno-Nationalismus, katholischem Klerikalismus und ausgeprägtem Antikommunismus. Von den ideologischen Zielen abgesehen, strebte die Fraktion danach, den Einfluss der ehemaligen sozialistischen Eliten in den staatlichen Strukturen zu mindern bzw. die Arbeitsplätze im Staatsapparat aus dem eigenen Personenkreis zu besetzen. Nach der Niederlage der linken HDZ-Fraktion um Josip Manolić und Stipe Mesić auf der zweiten Vollversammlung der HDZ Ende 1993 wurde Šušak der zweit-einflussreichste Mann in der Regierungspartei. Dementsprechend wuchs der Einfluss der rechten HDZ-Fraktion im ganzen Land. Quelle: Mladenka Šarić: Ajde sinko, idi i pobijedi! In: Večernji list, 9. August 1994.

Die zunehmende öffentliche Präsenz der Alkaren und Knappen trug zur weiteren PrestigeSteigerung der Sinjska Alka bei, die sich 1994 durch die Anwesenheit zahlreicher Botschafter als ein zunehmend relevanter Ort der Begegnung von einheimischen Politikern mit ausländischen diplomatischen Vertretern präsentierte. Mit der Zeit wurde deutlich, dass der von Vertretern der Regierungspartei dominierte Vereinsvorstand zwar wenig unmittelbare Erfahrung mit dem Ritterspiel mitbrachte, jedoch offensichtlich sehr genau wusste, welche Position der Alkarenverein sowohl gegenüber der Regierung als auch gegenüber der Öffentlichkeit einnehmen sollte. 419 Vgl. Ivo Dalbello: Kronologija Sinjske alke u Republici Hrvatskoj. In: Boris Ljubičić (ur.): Alka, Sinj, 2001, S. 235-239.

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Die erste Entscheidung des neuen Vereinsvorstandes stellte die posthum erfolgte Ernennung der 1991 in Vukovar gefallenen Cetiner Ivica Poljak und Andrija Alčić zu Ehrenmitgliedern des Alkarenvereins dar.420 Anfang Mai 1994 beteiligten sich die Alkaren und Knappen in Split an der Prozession anlässlich des Feiertages des Schutzpatrons, des Heiligen Domnius von Split (Sv. Duje). Zwei Wochen darauf wohnte die Delegation des Alkarenvereins der Einweihung des don Mihovil Pavlinović gewidmeten Denkmals in seiner Geburtsstadt Podgora bei Makarska bei.421 Anlässlich des vierten Jahrestages der kroatischen Staatlichkeit (Dan državnosti), die an die konstituierende Parlamentssitzung am 30. Mai 1990 erinnerte, nahmen die Alkaren ebenfalls an der Zeremonie zur Einweihung des „Heimat-Altars“ (Oltar domovine) in der mittelalterlichen Burg Medvedgrad bei Zagreb teil. Den Sommer 1994 verbrachten die Traditionsträger allerdings wie üblich mit den Vorbereitungen für das jährliche Fest. Über die Erinnerung an das 50. Jubiläum der Sinjska Alka von 1944 hinaus, war für die 279. Sinjska Alka vor allem das Versprechen von Gojko Šušak bedeutend, dass die feindlichen Kanonen bis zur nächsten Vorführung der Sinjska Alka nicht mehr nach Sinj ausgerichtet sein würden. „Es ist kein Zufall, dass der diesjährige Sinjer Anführer der Kommandant von Lika und Krbava ist“, fügte Šušak hinzu.422 In den nachträglichen Interpretationen der 279. Sinjska Alka sollte sich die Behauptung durchsetzen, dass Gojko Šušak auf der Sinjska Alka im August 1994 den römischen Gruß demonstrierte. Diese Behauptung wurde im Lauf der Zeit zum häufig genannten Beispiel für die rechtsextremistische Einstellung des HDZ-Vizepräsidenten, der als Ustaša-Nostalgiker galt. Der angebliche Vorfall ist indes weder auf den Fotografien noch in den zeitgenössischen Zeitungsberichten über die Sinjska Alka 1994 dokumentiert worden. Ob der Grund hierfür in der Unkenntnis bzw. Selbstzensur der Journalisten lag, oder ob das Gerücht über den umstrittenen Verteidigungsminister nachträglich frei erfunden war, bleibt unklar. Feststellen lässt sich jedenfalls, dass die 279. Sinjska Alka einen Wendepunkt in der sekundären historischen Symbolik des Ritterspiels bedeutete. Während der Heimatländische Krieg nach wie vor der primäre historische Referenzpunkt neben der Schlacht von 1715 blieb, setzte sich nun, wenn auch implizit, ein völlig anderes Verständnis des Zweiten Weltkriegs durch. Über die symbolpolitischen Botschaften hinaus bot die 279. Sinjska Alka einen äußerst spannenden Turnierverlauf, an dessen Ende wieder der junge Tierarzt Stipe Šimundža triumphierte, der seine Handfertigkeit schon im Sommer davor mit neun Punkten demonstriert hatte.423 Als Ruhmgewinner bekam er die goldene Plakette der Sinjska Alka, den Geldpreis sowie einen goldenen Ring mit dem kroatischen Staatswappen, den ihn der Verteidigungsminister Šušak im Namen des Präsidenten Tuđman überreichte. Darüber hinaus erfuhr 420 Vgl. Ivo Dalbello: Kronologija Sinjske alke u Republici Hrvatskoj. In: Boris Ljubičić (ur.): Alka, Sinj, 2001, S. 235-239. 421 Mihovil Pavlinović (1831-1887) war im 19. Jahrhundert einer der wichtigsten Befürwörter der kroatischen Nationalidee in Dalmatien. Im Unterschied zu manchen seiner Zeitgenossen in Dalmatien und Kroatien betrachtete er die Idee einer illyrischen oder jugoslawischen Gemeinschaft mit Skepsis und sprach sich für die Selbstständigkeit Kroatiens aus. Dementsprechend wurde Pavlinović eine wichtige Rolle in der kroatischen Nationalgeschichte sowie in der kroatischen Erinnerungskultur zugeschrieben. 422 J. Blajić, M. Šarić: Slavodobitnik Stipe Šimundža. In: Večernji list, 8. August 1994, S. 3. 423 Vgl. Nedjeljko Musulin: Slavio je Stipe Šimundža, a s njim i cijeli Sinj. In: Vjesnik, 9. August 1994.

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Šimundža die zusätzliche Ehre, nach der 279. Sinjska Alka auf mehreren öffentlichen Veranstaltungen als Repräsentant der Alkarentruppe aufzutreten. Im September 1994 besuchte Papst Johannes Paul II. Kroatien und las auf der Wiese des Zagreber Hippodroms die Messe. Der großen Veranstaltung vor mehreren hunderttausend Besuchern wohnte auch die Alkarentruppe bei. Dem Ruhmgewinner Stipe Šimundža wurde die Ehre zuteil, dem Papst ein Geschenk im Namen der Gespanschaft Split-Dalmatien (Splitsko-dalmatinska županija) zu überreichen.424 Fünf Wochen später reiste eine Delegation der Alkaren und Knappen zur Grundsteinlegung des neuen Krankenhauses in Nova Bila. Das 1992 eröffnete, improvisierte Krankenhaus, das in der örtlichen katholischen Kirche untergebracht war, stellte für die kroatische Öffentlichkeit das bekannteste Symbol für die Kriegsleiden der Kroaten im zentralen Bosnien dar. Der von Zagreb mitverursachte Ausbruch des kroatisch-muslimischen Krieges 1993 führte für die Bevölkerung der kroatischen Enklave im Tal von Lašva (Lašvanska dolina) zu dramatischen Folgen. Wenngleich das in Kroatien stark rezipierte Drama der im zentralen Bosnien eingekesselten Kroaten einen wichtigen Beitrag zur Diffamierung des Kriegsfeindes leistete, hatte es auch die öffentliche Artikulation der Kritik an der Regierung begünstigt und letztendlich zusätzlich zum wachsenden internationalen Druck zum Kurswechsel in Zagreb beigetragen. Nach der Einstellung der Kämpfe und der Wiederherstellung der kroatisch-muslimischen Kriegsallianz hatte Präsident Tuđman im Juni 1994 Nova Bila besucht und sich verpflichtet, ein neues Krankenhaus zu bauen. Diese Geste hatte einen Versuch Tuđmans dargestellt, das Vertrauen der bosnischen Kroaten wiederzugewinnen und gleichzeitig die neue Bosnienpolitik der kroatischen Regierung zu demonstrieren. Vier Monate darauf begann man in Nova Bila tatsächlich mit dem Bau des Krankenhauses. Den Grundstein legte Stipe Šimundža, der Ruhmgewinner der 279. Sinjska Alka. Die zunehmend intensive Kooperation des Alkarenvereins mit dem Staat erlangte im Jahr 1995 eine neue Qualität. Ende Januar 1995 informierte der Vereinsvorsitzende Mato Jukić die Presse darüber, dass die Alkaren infolge einer Vereinbarung mit dem Verteidigungsministerium in Zukunft zur „Ehrenkavalleriegarde (Počasna konjička garda) des kroatischen Präsidenten“ werden sollten.425 Jukić fügte hinzu, dass „die englische Königin und der spanische König ebenfalls eine Ehrenkavalleriegarde haben“ und versicherte, dass die Sinjska Alka „nichts an Autonomie und Tradition verlieren wird“. Die (Wieder)Herstellung eines formellen Arrangements mit dem Staat führte zu einer schnellen Lösung einer der langjährigen Probleme des Alkarenvereins. Jukić informierte die Journalisten, dass die Räumlichkeiten des früheren Armeehauses (Dom armije) in Sinj dem Alkarenverein auf längere Zeit kostenlos zur Verfügung gestellt würden. „Damit wurden die materiellen Vorbedingungen für den Aufbau des Alkarenhofs geschaffen, eines Raumes, in dem sich die Alkaren und ihre Gäste vor dem alkarischen Wettbewerb sammeln“, meldete man ohne weitere Ergänzungen in einem kurzen Medienbericht.426 424 Ivo Dalbello: Kronologija Sinjske alke u Republici Hrvatskoj. In: Boris Ljubičić (Hg.): Alka, Sinj, 2001, S. 235-239. 425 J.B.: Alkari – počasna Predsjednikova garda. In: Večernji list, 25. Januar 1995. 426 Ebd.

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Zwar hatten sich die Alkaren und ihre Gäste traditionellerweise im sogenannten Hof des Anführers (Vojvodini dvori) versammelt, tatsächlich handelte es sich dabei aber entweder um das Privathaus des jeweiligen Anführers oder um für einige Tage zur Verfügung gestellte Räumlichkeiten im Besitz staatlicher oder örtlicher politischer Institutionen. Die Einrichtung des Alkarenhofs (Alkarski dvori) stellte daher ein seit langem geplantes Projekt des Alkarenvereins dar, das spätestens mit einer Initiative des damaligen Alajčauš und späteren Vojvoda Marko Buljan in den 1920er Jahren konkret formuliert worden war. Das Armeehaus (Dom armije) befand sich in der von den Venezianern eingerichteten Festung und eignete sich daher sehr gut für die Unterbringung des zukünftigen alkarischen Hofs. Wenngleich man sich noch um Mittel für die Renovierung und den Umbau des Objektes bemühen musste, stellte die Nutzungsvereinbarung einen großen Gewinn für die Traditionsträger dar. „Das alles zusammen bedeutet viel für uns alle in Sinj und im Cetiner Land, insbesondere für die Alkaren und alle Teilnehmer der Sinjska Alka“, erklärte der Vereinsvorsitzende Mato Jukić in einem Zeitungsinterview im April 1995.427 Außerdem erklärte Jukić, welche Rolle die Alkaren und Knappen zukünftig im Staatsprotokoll einnehmen sollten. „Bei jeder Gelegenheit, bei der unserer Staatspräsident erscheint, erhalten auch die Sinjer Alkaren den Aufruf zur Teilnahme am Programm“, sagte der Präsident des Alkarenvereins.428 Im gleichen Interview präsentierte Jukić eine Reihe von Projekten und Plänen des Alkarenvereins anlässlich der bevorstehenden 280. Sinjska Alka, die stark an einige vom Alkarenverein in den 1970er und 1980er Jahren durchgeführte Öffentlichkeitsmaßnahmen erinnerten. Unter anderem kündigte er die Herstellung von Gold- und Silbermünzen sowie die Veröffentlichung einer neuen Monographie über die Sinjska Alka an. Dabei ging er jedoch nicht darauf ein, dass der Alkarenverein zwar noch viele Exemplare einer Monographie auf Lager hatte, die 1987 vom Belgrader Militärinstitut herausgegeben worden war, jedoch nun nicht weiter verschenkt werden konnte.429 Der Bildband enthielt ein Kapitel zum Thema „Tito und die Alkaren“, das ausgerechnet von Bruno Vuletić verfasst worden war und in deutlichem Widerspruch zu den ideologischen Werten stand, die die Sinjska Alka in den 1990er Jahren repräsentierte. Das Gleiche galt für die noch vorhandenen Münzen, auf denen sich ungünstigerweise der Aufschrift „Jugoslavija“ sowie das jugoslawische Staatswappen befanden. Darüber hinaus kündigte Mato Jukić im April 1995 an, dass die Frage der Finanzierung der Sinjer Pferdezucht und des Hippodroms bald durch einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium gelöst werden sollte. In Hinblick auf den zukünftigen alkarischen Hof fügte er hinzu, dass der Alkarenverein in Kürze über das gesamte Objekt des einstigen venezianischen Quartiers im Stadtzentrum verfügen sollte. Der strategische Plan von mehreren Generationen der Traditionsträger schien seiner Erfüllung näher denn je zu sein. „Alles in Bezug [auf die Einrichtung] des zukünftigen Alkarenhofs […], ist sowohl dem Präsidenten Tuđman als auch natürlich dem Verteidigungsminister Gojko Šušak bekannt“, betonte der Vorsitzende des Alkarenvereins.430

427 428 429 430

Nedjeljko Musulin: I alka može biti čisti biznis. In: Vjesnik, 12. April 1995. Ebd. Jurić, Dušan (Hg.): The Alka Tournament of Sinj. Beograd, 1987. Nedjeljko Musulin: I alka može biti čisti biznis. In: Vjesnik, 12. April 1995.

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Entsprechend ihrer formellen Eingliederung in die Kroatische Armee standen die Alkaren und Knappen am 30. Mai 1995 an der Spitze der Militärparade in Zagreb.431 Präsident Tuđman erschien in seiner weißen Militäruniform und wurde vom Verteidigungsminister Gojko Šušak sekundiert. Eine besondere Note wurde dem Spektakel am Tag der kroatischen Staatlichkeit (Dan državnosti) von der nur vier Wochen davor abgeschlossenen BlitzkriegOperation Bljesak verliehen, mit der die Kroatische Armee das besetzte Gebiet im westlichen Slawonien unter die Kontrolle der kroatischen Regierung gebracht hatte. Die konsequente Weigerung der herrschenden Eliten der beiden serbischen Parastaaten auf dem Gebiet Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas, den Friedensplan der internationalen Gemeinschaft zu akzeptierten, schaffte im Frühjahr 1995 die außenpolitischen Vorbedingungen für die Operation Bljesak sowie für die darauffolgende Operation Oluja: eine wesentlich umfangreichere Militäroffensive der Kroatischen Armee im August desselben Jahres. Der jahrzehntelangen Praxis folgend plante man die Vorführung der 280. Sinjska Alka für den ersten Augustsonntag.432 Am Mittwoch, den 2. August 1995, kündigten die führenden Traditionsträger in Sinj die Ankunft zahlreicher Würdenträger, einschließlich des Präsidenten Tuđman und zehn in Kroatien akkreditierten Botschaftern an.433 In den Nachrichten wies kein einziges Detail auf die Tatsache hin, dass bereits zwei Tage darauf die bis dahin mit Abstand größte Militäroperation der Kroatischen Armee ihren Anfang nehmen sollte. Dennoch bereiteten sich zu diesem Zeitpunkt 150.000 kroatische Soldaten, darunter auch viele Mitglieder des Alkarenvereins, auf den Blitzkrieg vor. Die mediale Ankündigung der Vorführung der Sinjska Alka zum geplanten Termin diente wahrscheinlich nur dazu, die Militäroperation – oder zumindest den Auftaktzeitpunkt – so lange wie möglich geheim zu halten. Offiziell wurde die 280. Sinjska Alka erst am Freitag abgesagt, mehrere Stunden, nachdem die Militäroperation ihren Lauf genommen hatte. Schon am darauffolgenden Tag erreichten die kroatischen Truppen Knin und hissten auf der Bergfestung die kroatische Fahne, was nicht nur symbolisch, sondern auch tatsächlich den Untergang der Republika Srpska Krajina bedeutete.434 In der kroatischen Öffentlichkeit verbreitete sich eine massenhafte Euphorie, begleitet von zahlreichen öffentlichen Demonstrationen, auf denen die Unterstützung der Militäraktion bekundet wurde. Am gleichen Tag, an dem die kroatischen Truppen Knin eingenommen hatten, hängte man eine circa 20 Meter lange Fahne auf dem Glockenturm der Marien-Kirche in Sinj auf.435 Anstelle von Sinj besuchte Präsident Tuđman am ersten Augustsonntag die über vier Jahre okkupierten Städte Drniš und Knin. Die 280. Sinjska Alka wurde drei Wochen später durchgeführt, jedoch ohne die Anwesenheit des Präsidenten. Nichtsdestoweniger wurde das traditionelle Fest in der äußerst feierlichen Atmosphäre des gewonnenen Kriegs abgehalten. In seiner Eröffnungsrede erinnerte der alkarische Anführer Mirko Norac die Anwesenden an 431 Ivo Dalbello: Kronologija Sinjske alke u Republici Hrvatskoj. In: Boris Ljubičić(ur.): Alka, Sinj, 2001, S. 235-239. 432 Nedjeljko Musulin: Gradit će se alkarski dvori. In: Vjesnik, 9. Juli 1995. 433 Toni Paštar: Odabrani alkari. In: Slobodna Dalmacija, 3. August 1995. 434 Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 3, S. 82. 435 Martin Vrgoč: Sinj – Pregled povijesti. Sinj, 2009, S. 132.

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die Entstehung der Sinjska Alka und bezeichnete sie als „das Symbol des siegreichen Widerstandes des kroatischen Volkes gegen die Eroberer, das Symbol des Sieges des Guten über das Böse, das Symbol des Sieges und des Heldentums“.[...] So war es 1715 [und] 1941, so war es 1990 nach dem Sieg der Demokratie und so ist es heute, nach 280 Jahren“ 436. Ob er die Anwesenden mit der Erwähnung des Jahres 1941 an die Gründung des Ustaša-Staates oder an den Anfang des antifaschistischen Widerstandes erinnern wollte, lässt sich nur vermuten. Die weitaus größere Aufmerksamkeit widmete Norac jedenfalls den aktuellen Ereignissen. „Die Umstände, in denen der Wettbewerb in diesem Jahr stattfindet, zeigen, dass der historische Kampf nicht vergeblich ist. Gleichzeitig warnen sie, dass der Kampf nie [aufhört]“, sagte der alkarische Anführer. „Nach 900 Jahren der Unterdrückung und Sklaverei, geführt von der göttlichen Vorsehung und der weisen Politik der [seit 1990 herrschenden] Hoheit, schufen wir den kroatischen Staat“, akzentuierte Norac und fügte hinzu, dass „die meistentschlossenen Söhne der stolzen kroatischen Mütter ihre Leben auf dem Altar der Heimat opferten“.437 Laut den Medienberichten wurde Kata Šoljić auf der 280. Sinjska Alka besonders warm begrüßt, „die Mutter, die vier Sohne für die Freiheit Kroatiens gab“.438 Ebenso warm wurden die Generäle Ante Gotovina, Kommandant der Militäroperation Oluja, und Damir Krstičević, Befehlshaber der 4. Garde-Brigade, empfangen. An der Spitze einer starken politischen Delegation auf der 280. Sinjska Alka befand sich, zumindest formell betrachtet, der Regierungschef Nikica Valentić als persönlicher Gesandter des Präsidenten Tuđman. Nach der Übergabe des Säbels und des goldenen Ringes an den Ruhmgewinner Ognjen Preost kommentierte Valentić in seiner Rede einige aktuelle politische Themen. Hinsichtlich der Integration des Gebietes rund um die Stadt Vukovar im östlichen Slawonien, das weiterhin von serbischen Truppen kontrolliert wurde, sagte er, dass „Kroatien sowohl die Kraft als auch das legitime Recht“ hätte, diese Frage mit den Mitteln des Kampfes zu lösen, falls die Verhandlungen nicht zu einem Ergebnis kommen sollten.439 „Die [Landeswährung] Kuna ist auch eine tödliche Kugel im Arsenal der kroatischen Waffen“, ergänzte Valentić seine Rede und versprach die Fortsetzung der Finanzpolitik des stabilen Währungskurses als „programmatische Basis unserer Entwicklung“. Als strategisches Ziel der kroatischen Regierung bis zum Jahr 2000 nannte er ein „jährliches Wirtschaftswachstum von zehn bis zwölf Prozent“. Damit solle Kroatien in die Gruppe der „durchschnittlich entwickelten europäischen Länder“ aufrücken, zusicherte der Regierungschef.440 Der Verteidigungsminister Gojko Šušak trat zwar nicht in der Funktion des Präsidentengesandten auf, war bei der 280. Sinjska Alka aber dennoch wieder der wichtigste Gast. Das Anfang 1995 vereinbarte Arrangement des Alkarenvereins mit dem kroatischen Staat wäre ohne Unterstützung des einflussreichen Verteidigungsministers nicht möglich gewesen. Darüber hinaus hatten die Militärerfolge der Kroatischen Armee beträchtlich zu seinem Ansehen in der Öffentlichkeit beigetragen. Sein Versprechen während der 279. Sinjska Alka, dass „die 436 437 438 439 440

Gabrijela Galić, Sergej Drechsler: Simbol pobjede dobra nad zlom. In: Novi list, 28. August 1995, S. 3. Ebd. M. Šarić: Alka u ozračju slobode. In: Večernji list, 28. August 1995, S. 3. Milan Sigetić, Nedjeljko Musulin: Slavodobitnik Ognjen Preost. In: Vjesnik, 28. August 1995, S. 2. Ebd.

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feindlichen Kanonen bis zu ihrer nächsten Vorführung nicht mehr nach Sinj gerichtet“ sein würden, hatte sich mit der Militäroperation Oluja kurz vor der 280. Sinjska Alka erfüllt und dem Verteidigungsminister den Status eines Propheten verliehen. Dementsprechend traf der Stadtrat von Sinj am 14. August 1995 die Entscheidung, Šušak eine Auszeichnung „für seinen Beitrag zur Befreiung Kroatiens [sowie] zur Bewahrung der freiheitlichen Tradition und der dauerhaften Werte der Stadt Sinj“, zu verleihen.441 Die Urkunde wurde dem Verteidigungsminister zwei Wochen darauf vor dem alkarischen Wettbewerb auf dem Empfang des Anführers (Vojvodin prijem) feierlich übergeben. In seiner Dankesrede kündigte Šušak optimistisch an, dass „noch vor Weihnachten ein ähnliches Fest in Vukovar organisiert werden sollte“.442 Nachdem sich seine letzte Prognose als richtig erwiesen hatte und da die Öffentlichkeit eine schnelle Integration Ostslawoniens erwartete, maß man den Worten des Verteidigungsministers in den Medienberichten große Bedeutung bei. Allerdings sollte sich seine Prognose dieses Mal als etwas zu optimistisch erweisen. In seiner Dankesrede betonte Šušak ebenfalls, dass er im Vorjahr im Namen des Präsidenten Tuđman gesprochen hatte. „Die Urkunde gehört auch dem Vrhovnik sowie uns allen“, sagte Šušak und betonte damit die Obrigkeit des Präsidenten Tuđman.443 Darüber hinaus zog Šušak eine Parallele zwischen dem aktuellen Krieg und der Schlacht auf dem Krbava-Feld in Lika 1493 und untermauerte damit die Wahl von Mirko Norac zum alkarischen Anführer.444 „Als Historiker wusste Dr. Tuđman, dass das kroatische Blut vor vier Jahrhunderten [sic] auf der Krbava vergossen wurde. Gleichzeitig wusste er aber auch, dass der Anführer von Sinj der jetzige Befehlshaber von Lika und Krbava ist“.445 Durch die Anspielung in seiner Danksrede wollte Šušak allem Anschein nach das Verhältnis zwischen Tuđman und Norac wieder normalisieren. Mit dem jungen Befehlshaber war Tuđman angeblich schon seit Ende 1991 unzufrieden und versuchte vergeblich, ihn von seiner Kommandantenstelle in Gospić abzuziehen.446 „Präsident Tuđman hatte den Befehl über seine Ablösung geschrieben, [...] aber Gojko Šušak verhinderte dies zweimal“, würde der hochrangige Offizier der Kroatischen Armee Rudolf Brlečić 2007 während des Gerichtsverfahrens gegen Mirko Norac aussagen.447 „Norac war der Liebling von Gojko Šušak, der Verteidigungsminister schützte ihn, während er sein Unwesen getrieben hat“, sagte Brlečić außerdem. Er fügte hinzu, dass die Macht von Norac auch die Tatsache verstärkte, dass man ihn in der Öffentlichkeit, im Unterschied zu anderen Offizieren, besonders stark bejubelte.

441 442 443 444

M. Šarić: Alka u ozračju slobode. In: Večernji list, 28. August 1995, S. 3. Ebd. Milan Sigetić, Nedjelko Musulin: Pobjednik tek nakon pripetavanja. In: Vjesnik, 28. August 1995, S. 3. In der Schlacht auf dem Krbava-Feld standen sich am 9. September 1493 kroatische und osmanische Truppen gegenüber. In der kroatischen Nationalgeschichte wird die Niederlage der kroatischen Truppen als eines der wichtigesten Ereignisse im 15. Jahrhundert akzentuiert, zumindest in Hinblick auf die Türkenkriege. 445 Milan Sigetić, Nedjelko Musulin: Pobjednik tek nakon pripetavanja. In: Vjesnik, 28. August 1995, S. 3. 446 Vgl. Časnici protiv Norca: Samovoljan i moćan, on je vedrio i oblačio Gospićem. In: Jutarnji list, 5. September 2007. 447 Vgl. Ebd.

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Abb 32: „Der Verteidigungsminister Gojko Šušak erhielt die Urkunde des Ehrenbürgers von Sinj“. Neben dem Anführer Mirko Norac (1.v.l.) steht als zweiter von links der Fahnenträger Ante Vučić, der 1994 den Brigadier Ante Kotromanović in seiner Funktion im alkarischen Ritual ersetzt hatte. Wenngleich sie sich - ebenfalls wie Mirko Norac - nie am alkarischen Wettbewerb beteiligt hatten, sollten sowohl Kotromanović (2001-2002) als auch Vučić (ab 2010) auf die prestigeträchtige Stelle des alkarischen Anführers gewählt werden. Die beiden Männer waren hohe Offiziere der kroatischen Armee, was auch noch lange nach Kriegsende eine zwar informelle, aber wichtige Qualifikation für die Position des Anführers darstellen sollte. Quelle: Fotografie von Jakov Prkić. In: Vjesnik, 29. August 1995, S. 16-17.

Im Unterschied zu den Vorführungen der Sinjska Alka in den vorigen zwei Jahren erschien der ursprünglich angekündigte Botschafter der Vereinigten Staaten Peter Galbraith nicht auf der 280. Sinjska Alka. Das Vorgehen der kroatischen Regierung sowie der kroatischen Streitkräfte während und nach der Militäroperation Oluja resultierten in der öffentlich sichtbaren Verschlechterung der diplomatischen Beziehungen zwischen Zagreb und Washington. Wenngleich die von den Vereinigten Staaten stillschweigend unterstützte Militäroperation nach drei Tagen für beendet erklärt wurde, hatte die Gewalt zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht geendet.448 Die territoriale Reintegration des befreiten Gebiets wurde von wochenlanger Plünderung, Brandschatzung sowie von ethnisch motivierten Hinrichtungen begleitet. Am Wochenende der alkarischen Feierlichkeiten besuchte eine Delegation des US-Senats mit den Senatoren Robert Kerry und John Warner an der Spitze Dalmatien.449 Sie reiste jedoch nicht nach Sinj, sondern ins 70 Kilometer entfernte Knin, um dort den Status der Serben 448 Vgl. Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 3, S. 82-88. 449 Američki senatori u Kninu. In: Vjesnik, 27. August 1995, S. 15.

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zu klären, die Zuflucht in der lokalen Kaserne der internationalen Friedenstruppen UNCRO gefunden hatten. Die Vertreibung der serbischen Bevölkerung sowie das Desinteresse der kroatischen Regierung daran, das Marodieren auf dem befreiten Gebiet zu stoppen, zogen in der internationalen Öffentlichkeit eine Welle der Kritik gegenüber Zagreb nach sich. Dennoch konnte die kroatische Regierung weiterhin mit dem Status eines regionalen Alliierten der USA im Bosnien-Krieg rechnen, was den Staat vor härteren Sanktionen der internationalen Gemeinschaft schützte.

Abb 33: Die Präsidenten Clinton und Tuđman am 12. Januar 1996 am Flughafen von Zagreb. Die Qualität der politischen Beziehungen zwischen Zagreb und Washington offenbarte sich im Januar 1996 während des kurzen Aufenthalts von US-Präsident Bill Clinton am Rande seines Besuchs bei US-Truppen in Bosnien-Herzegowina. Den informellen Charakter des Besuchs betonte Clinton durch die Wahl seiner Garderobe. Nichtsdestoweniger bemühte sich die kroatische Regierung, den angesehenen Gast mit vollem Protokoll zu empfangen. Der Salonraum des Flughafens wurde mit ausgewählten Kunstwerken aus den Zagreber Museen dekoriert. An einer exponierten Stelle hatte man als Zeichen der Aufmerksamkeit gegenüber dem Gast sogar ein Saxofon platziert jedoch zeigte Clinton kein Interesse daran, sein Lieblingsinstrument zu spielen. Den Alkaren wurde nicht nur die Ehre zuteil, den besonderen Gast auf der Landebahn zu empfangen. Der zweimalige Ruhmgewinner Stipe Šimundža war auch. dazu bestimmt worden, dem US-Präsidenten das Geschenk des Präsidenten Tuđman zu übergeben. Quelle: Archivbestand des Alkarenvereins, Sinj.

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Franjo Tuđman – Ehrenanführer der Alkaren

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Die gute Zusammenarbeit des Alkarenvereins und der kroatischen Regierung weckte im Sommer 1996 die Hoffnung unter den Traditionsträgern, dass Präsident Tuđman der 281. Sinjska Alka beiwohnen würde. Dennoch erschien der Schirmherr wieder nicht persönlich in Sinj, sondern schickte einmal mehr den Verteidigungsminister Šušak als seinen Vertreter. Auf die Ankunft des Präsidenten musste der Alkarenverein noch ein weiteres Jahr warten. Erst im August 1997 erschien Franjo Tuđman wieder in Sinj und zwar aus einem sehr besonderen Anlass.

Franjo Tuđman – Ehrenanführer der Alkaren Die Aufmerksamkeit des PräsidentenTuđman erregte der Alkarenverein 1997 mit dem Prestigetitel des Ehrenanführers der Alkaren (Počasni alkarski vojvoda). In der langen Geschichte der Sinjska Alka war dieser Titel nur ein einziges Mal verliehen worden, und zwar 1979 an den jugoslawischen Präsidenten Josip Broz Tito. Den Anlass für die Verleihung des Ehrentitels an Franjo Tuđman stellte sein überzeugender Triumph bei den Präsidentschaftswahlen dar, die im Juni 1997 stattgefunden hatten. Seine Gegenkandidaten Vlado Gotovac und Zdravko Tomac hatte Tuđman schon in der ersten Wahlrunde bezwungen und damit sein zweites Mandat als direkt gewählter Präsident Kroatiens gewonnen. Ende Juli 1997 besuchte eine Delegation des Alkarenvereins den Präsidenten Tuđman in Zagreb. Die Delegation wurde vom Anführer Mirko Norac und dem Vorsitzenden des Alkarenvereins Mato Jukić, der mittlerweile auch Bürgermeistes von Sinj geworden war, geleitet. Jukić bat den Präsidenten Tuđman, „den Titel des Ehrenanführers der Alkaren als Gründer des zeitgenössischen, selbstständigen kroatischen Staates auf die Initiative des Alkarenvereins, der Organisationen der Invaliden des Heimatländischen Krieges und der Bürger von Sinj anzunehmen“.450 Darüber hinaus wurde mit dem Präsidenten vereinbart, dass die Sinjska Alka ausnahmsweise in Vukovar durchgeführt werden sollte.451 Laut dem Erduter Abkommen aus dem Herbst 1995 sollten die letzten 2500 Quadratkilometer des besetzten Gebiets im östlichen Slawonien schrittweise in die Republik Kroatien eingegliedert werden. Eine Vorführung der Sinjska Alka in Vukovar sollte die Reintegration des okkupierten Gebietes symbolisch demonstrieren und gleichzeitig an die Opfer des kroatischen Volkes im Heimatländischen Krieg erinnern, dessen zentrales Symbol gerade die zerstörte Stadt an der Donau war.452 Die Möglichkeit einer Vorführung außerhalb des im Statut definierten Rahmens hatte der Verteidigungsminister Šušak bereits im August 1996 angekündigt.453 Als Gesandter des kroatischen Präsidenten auf der 281. Sinjska Alka hatte er versprochen, dass „die Alka im nächsten Jahr nicht nur in Sinj, sondern auch woanders vorgeführt werden sollte“. Da die Zuschauer darauf mit den Rufen „Vukovar, Vukovar!“

450 Predsjednik Tuđman počasni alkarski vojvoda. In: Večernji list, 29. Juli 1997. 451 Ebd. 452 Vgl. Kruno Kadrov: „Zapamtite Vukovar“: Sjećanje, mjesto i nacionalna tradicija u Hrvatskoj. In: Sabrina P. Ramet, Davorka Matić (Hg.): Demokratska tranzicija u Hrvatskoj, Zagreb, 2006, S. 65-85. 453 I. Kustura, J. Blajić, M. Piškor: Anđelko Vučković – Peti put slavodobitnik. In: Večernji list, 12. August 1996.

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geantwortet hatten, muss die Idee der Öffentlichkeit in Sinj bereits vorher bekannt gewesen sein.454 In einem Zeitungsinterview vor der 282. Sinjska Alka im August 1997 sagte der Sinjer Bürgermeister und Vorsitzende des Alkarenvereins Mato Jukić, dass die Sinjska Alka in Vukovar im Frühling des Jahres 1998 vorgeführt werden würde.455 „Die Alka hätte nur einen feierlichen Charakter und wäre ein Geschenk und Dank an das ganze kroatische Volk“, fügte er hinzu. Dabei betonte Jukić, dass die Vorführung in Vukovar keine Veränderung für den traditionellen Wettbewerb in Sinj mit sich bringen würde. Anschließend präsentierte er einige ambitionierte Pläne für Sinj. Wegen der massenhaften Entlassungen in der Fadenfabrik Dalmatinka hatte die Stadt mittlerweile eine Arbeitslosenquote von 34 % erreicht. Der Bürgermeister versprach eine bessere Zukunft, indem er die Eröffnung der Textilfabrik Sinjski vez mit zweihundert Arbeitsplätzen ankündigte. Außerdem erwähnte Jukić die Pläne für die Einrichtung eines Golfplatzes sowie eines Reitzentrums. Wenngleich die Mehrzahl der Versprechungen in absehbarer Zeit nicht realisiert werden sollten, konnte man Mato Jukić als jungem Trumpf der HDZ im Cetiner Land kein mangelndes Engagement vorwerfen. Dem Muster seiner berühmten Vorgänger Vice Grabovac, Vice Buljan und Bruno Vuletić folgend, kombinierte Jukić seine Stellung in der Regierungspartei bzw. im Verwaltungsapparat mit einem Posten im Alkarenverein. Durch die Formalisierung des Arrangements mit dem Alkarenverein eignete sich die Regierung den prächtigen Glanz der alkarischen Tradition noch stärker an. Gleichzeitig konnte der Vereinsvorstand nun mit der staatlichen Unterstützung für die kostspieligen Projekte des Alkarenvereins rechnen. Schließlich profitierte auch Mato Jukić und erlangte 1997 den Posten des Bürgermeisters von Sinj. Mit der Ausrufung des Präsidenten Tuđman zum Ehrenanführer der Alkaren wollte sich Mato Jukić möglicherweise beim Parteichef für die ihm zugetraute Position in der Stadtverwaltung bedanken bzw. für weitere Kooperation bereit erklären.. Jedenfalls gelang es dem Vorstandsvorsitzenden des Alkarenvereins mit der Ankündigung des Ehrentitels, den Schirmherren davon zu überzeugen, nach nunmehr fünf Jahren wieder an den Feierlichkeiten der Sinjska Alka teilzunehmen. Zwar musste die Initiative noch von der Vollversammlung des Alkarenvereins bestätigt werden, doch konnte Jukić hier generell mit Unterstützung rechnen. Einige Tage nachdem Tuđman die Einladung akzeptiert hatte, wurde die feierliche Vollversammlung des Ritterlichen Alkarenvereins im Kino-Saal in Sinj organisiert. Die Begrüßungsrede vor den festlich gekleideten Alkaren und Knappen sowie zahlreichen Gästen hielt der Vorsitzende des Alkarenvereins Mato Jukić. „Dreihundert Jahre der heutzutage schwer denkbaren Kämpfe gegen die Osmanen bestimmten die Zivilisation und das Schicksal der Kroaten und Kroatiens und verortete sie für immer im Kreis der westlichen christlichen Welt“, hob Jukić in seiner Rede hervor.456 Er fügte hinzu, 454 I. Kustura, J. Blajić, M. Piškor: Anđelko Vučković – Peti put slavodobitnik. In: Večernji list, 12. August 1996. 455 Bože V. Žigo: Neka otpočnu dani Alke i Velike gospe, a onda svi na – golf. In: Nedjeljnja Dalmacija, 8. August 1997, S. 9-11. 456 J. Blaić: Dr. Tuđman proglašen počasnim alkarskim vojvodom. In: Večernji list, 3. August 1997.

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dass „die Kroaten sich mit ihrem Opfer ein dauerhaftes Recht auf das poussierende, indes immer selbstehrende, päpstliche Attribut des Bollwerks des Christentums (laskav, no ipak uvijek samopočasni papinski pridjevak predziđa kršćanstva) verdient hatten“. Im Einklang damit sagte Jukić noch, dass „die Sinjer ihre Alka jahrhundertlang vorgeführten, dabei die Wege in die Zukunft wiesen und auf den demokratischen, freien, selbstständigen und international anerkennten Staat warteten“.457 Durch die teleologische Projektion des Kampfes um die Staatsunabhängigkeit und indem er sich auf Antemurale Christianitatis berief, präsentierte Jukić eine Vergangenheitsdeutung im Einklang mit dem Diskurs des kroatischen Präsidenten. Außerdem bereicherte Jukić seine Rede um selten gebrauchte Archaismen und Neologismen, die das Vokabular des Präsidenten Tuđman merkwürdig stark widerspiegelten. Im Alltag stellte nicht nur eine angepasste Vergangenheitsdeutung, sondern insbesondere auch die Verwendung der Sprache einen wichtigen Aspekt der Zustimmungsbekundung gegenüber dem Regime Tuđmans dar. Nach dieser Prämisse formulierte man auch den Text der Urkunde des Ritterlichen Alkarenvereins, in der Tuđman als „Schöpfer des jahrhundertealten Traums des kroatischen Volkes und Ritter unserer schönen Heimat“ bezeichnet wurde.458 Der nationalistische Diskurs und die teleologischen Projektionen des Kampfes für die nationale Unabhängigkeit stellten während der 1990er Jahre eine grundsätzliche Charakteristik von Tuđmans öffentlichen Auftritten dar. Zwar stellte die ethnozentrierte Thematisierung der Nationalgeschichte zu dieser Zeit in nahezu allen post-sozialistischen Staaten Osteuropas eine wichtige Quelle für die politische Legitimation dar, doch war der kroatische Präsident sicherlich einer der regionalen Spitzenreiter auf diesem Feld. Ethnozentrische Geschichtsinterpretationen, die in Einklang mit dem Präsidentendiskurs standen, fanden durch die aktive Unterstützung des Staates ihren Weg in die Öffentlichkeit. Dies geschah mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der noch vor der Wende der Volksbefreiungskampf in den Fokus der Publikationen gestellt worden war. Ende Juli 1997 begann die Zagreber Tageszeitung Vjesnik täglich Textauszüge aus der Studie „Kroatischer Geist der Alka“ des Rechts- und Politikwissenschaftlers Petar Vučić zu veröffentlichen. Die Arbeit, die im gleichen Jahr auch als Buch veröffentlicht wurde, vereinte inhaltlich Thesen des primordialen kroatischen Nationalismus mit diversen Überlegungen. Ausgehend von der These des Schriftstellers Elias Canetti, dass viele Völker ihre kollektiven Symbole hätten, mit denen sich die Volkszugehörigen massenhaft identifizieren würden, stellte Vučić die Frage, ob die Alka als Spiel bzw. als Kettenring nicht ein kollektives Symbol des kroatischen Volkes darstellen könnte.459 „Da die Mehrheit der Autoren den kroatischen Archetyp als phylogenetisches Nationalerbe in der Alka nicht verstanden hatte, fanden sie auch in der Alka nichts zu übersetzen oder zu dekodieren“, erklärte Vučić die Forschungsrelevanz seiner Studie.460 Auf der Spur der Völkercharakterologie widmete Vučić „den Unterschieden im mentalen Wesen [...] zwischen den Kroaten und Serben“ viel Aufmerksamkeit. „Für die Serben ist bei Gefahr eine kollektive 457 458 459 460

J. Blaić: Dr. Tuđman proglašen počasnim alkarskim vojvodom. In: Večernji list, 3. August 1997. Ebd. Petar Vučić: Je li Alka postala masovni simbol Hrvata? In: Vjesnik, 31. Juli 1997. Petar Vučić: Alka nije sinjski nego hrvatski simbol. In: Vjesnik, 6. August 1997.

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Reaktion charakteristisch [...], die von einer kollektiven Psychose, von der Flucht in die Wälder und Berge begleitet wird“, konstatierte Vučić.461 „Wie uns auch die Alka zeigt, ist der kroatische Archetyp kriegerisch, dazu noch sesshaft und an der Landwirtschaft orientiert, was auch für die These von der iranisch-slawischen Abstammung der Kroaten sprechen würde“, schloss der Autor. In Hinblick auf die Ereignisse der Gegenwart schlug Vučić vor, dass die Alkarentruppe, „[...] als nationaler Repräsentant vom obersten Militär- und Politikanführer gewählt werden sollte, und das ist der Präsident der Republik Kroatien“.462 Weiterhin erläuterte er den breiteren Kontext dieses Vorschlags: „Sich über die Alka als ein gemeinsames kroatisches Nationalsymbol zu verständigen, würde eine abschließende mentale Homogenisierung des kroatischen Volks bedeuten. [...] Die Alka sollte der kroatische Geist des Siegreichen im Allgemeinen werden, ein Geist des Sieges des Westens über den Osten, ein Geist des Sieges des Kroatentums nicht nur über das Türkentum, sondern auch über das Serbentum, das Italientum und das Ungartum, das Deutschtum, [ein Geist des Sieges] des Katholizismus über den Islam“. Zum Schluss untermauerte Vučić einmal mehr seine zentrale These, dass die Alka „ein historisches Drama mit vielen Symbolen ist, dessen Sinn ebenfalls symbolisch ist: Sieg und nur Sieg. Die Alka ist die Geschichte des politischen Schicksals des kroatischen Volks sowie die Antizipation seiner Zukunft durch den Sieg, die [Alka] ist eine endgültige Symbollösung des kroatischen politischen Schicksals“.463 Die Veröffentlichung der kuriosen Studie im Regierungsblatt Vjesnik 1997 stellte keine Ausnahme, sondern stellte während des Regimes von Tuđman vielmehr ein gängiges Beispiel für die öffentliche Vergangenheitsdeutung in den staatlichen Medien dar. Dennoch unterstützte ein Teil der Privatmedien weder die HDZ-Regierung noch ihre kulturalistische und nationalistische Geschichtspolitik. Die Nachricht, dass Präsident Tuđman nach fünf Jahren wieder der Sinjska Alka beiwohnen sollte, weckte auch das Interesse der regimekritischen Medien an der bevorstehenden Vorführung. Am Vorabend der 282. Sinjska Alka veröffentlichte die Wochenzeitung Nacional eine Reportage aus Sinj, in der sie die Gründe für die lange Abwesenheit des Präsidenten beleuchten wollte.464 Nachdem Tuđman angeblich bei einer Rede in Sinj 1993 von Mitgliedern und Sympathisanten der Kroatischen Rechtspartei bzw. der HOSMiliz ausgepfiffen worden war, sei diese Erniedrigung durch die Verleihung des Titels des Ehrenanführers der Alka wieder gut gemacht worden.465 Die regimekritische Zeitung Nacional hob außerdem hervor, dass Gerüchte in Sinj besagten, dass die Tracht für den Ehrenanführer ganze 70.000 Deutsche Mark gekostet habe. Des Weiteren erinnerte Nacional die Öffentlichkeit daran, dass der gleiche Titel im Jahr 1979 auch an Josip Broz Tito verliehen worden war, und dass man 1922 in Belgrad und 1946 in Zagreb Vorführungen der Sinjska Alka organisiert hatte. Erinnerungen an diverse Episoden der alkarischen Vergangenheit, die nach Meinung der neuen Traditionsträger am besten in

461 462 463 464 465

Petar Vučić: Razlika u mentalnom biću Srba i Hrvata. In: Vjesnik, 8. August 1997. Petar Vučić: Alkare treba birati predsjednik Republike. In: Vjesnik, 13. August 1997. Petar Vučić: Alka je simbol hrvatske političke sudbine. In: Vjesnik, 21. August 1997. Višnja Gotal: Sinjska Alka u čast vojvode Tuđmana. In: Nacional, 6. August 1997, S. 46-48. Ebd.

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Vergessenheit geraten sollten, waren im Sommer 1997 zwar nicht nur in der Nacional, sondern auch in einigen anderen Medien zu finden. Im Vergleich zu den Mitstreitern entschied sich jedoch Nacional dafür, einen Schritt weiter zu gehen, indem sie den ehemaligen alkarischen Anführer Bruno Vuletić zu Wort kommen ließ, über den seit dem Sommer 1990 kaum mehr etwas zu lesen gewesen war.

Abb 34: „Der Journalist [der WochenzeitungNacional] Pero Zlatar sprach mit Bruno Vuletić in seiner Belgrader Wohnung über die Geschichte der Sinjska Alka“. Vuletićs öffentlicher Protest gegen die Aneignung der Sinjska Alka durch die neue kroatische Regierung im Sommer 1990 sowie seine Entscheidung, den Krieg in Belgrad zu verbringen, sorgten auch nach seinem Tod im Jahr 1999 noch für Kontroversen. Ende 2004 veröffentlichte der Alkarenverein einen zwölfseitigen Wandkalender für 2005, der in chronologischer Reihenfolge die alkarischen Anführer zwischen 1945 und 2004 abbildete. Wenngleich es in dieser Zeitspanne nur acht Anführer gegeben hatte, fand man im Kalender keinen Platz für Vuletić. Quelle: Fotografie von Nenad Stojanović. In: Pero Zlatar: Alkarski veteran u beogradskom azilu. In: Nacional, 6. August 1997, S. 48-49.

Der dreiundsiebzigjährige Vuletić empfing den Journalisten in seiner Belgrader Wohnung mit Reserviertheit und Distanz.466 Als Grund dafür führte er an, dass man ihn „vor drei Jahren in einer Spliter Zeitung ohne Argumente verleumdet und seine Antwort auf das Geläster nie 466 Pero Zlatar: Alkarski veteran u beogradskom azilu. In: Nacional, 6. August 1997, S. 48-49.

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veröffentlicht“ habe. „Während ich der Anführer war, wurden die Tribünen eingerichtet und die prächtigen Uniformen genäht. [...] Es ist mein Verdienst, dass 90 kg Gold und 150 kg Silber sowie Elfenbein aus Afrika und Büffelhörner aus Mazedonien [für die Schmuckelemente] besorgt wurden. Und heutzutage schreiben sich manche das zu, obwohl sie nichts für die Alka gemacht haben“, fügte er resigniert hinzu.467 Vuletić sagte, dass er gelegentlich noch nach Sinj reise, um das Grab seiner Eltern zu besuchen, jedoch nie, um der Sinjska Alka beizuwohnen. „Weder gehe ich hin, noch lädt mich jemand ein“, sagte Vuletić und gab die Schuld daran dem Vereinsvorstand. „Der Ruhmgewinner, Anführer und das Mitglied des Ehrengerichts Bruno Vuletić existiert für die nicht“, resümierte der einstmals mächtigste Politiker des Cetiner Landes empört. „Ich blieb bis 1991 in der Sinjska Alka, dann bin ich zurückgetreten, um die Menschen von der neuen Macht nicht zu stören“, erklärte Vuletić in Hinblick auf seine Trennung vom Alkarenverein im Sommer 1990.468 Im Anschluss erinnerte er sich an einzelne berühmte Episoden der Sinjska Alka, an denen er sich beteiligt hatte. Vier Tage nach der Veröffentlichung des Interviews mit Bruno Vuletić in Nacional begann der feierlichste Tag im Cetiner Land einmal mehr mit der traditionellen, morgendlichen Kanonade, dem Straßenzug der Musikanten und dem Programm in der alten Burg. Einen Unterschied im Vergleich zum üblichen Verlauf stellte jedoch das Vormittagspicknick für die Ehrengäste dar, das neben der Quelle Kosinac bei Sinj veranstaltet wurde.469 Das umfangreiche Kulturprogramm und gut ausgestattete Buffet stießen auf positive Resonanz bei den Anwesenden.470 Dennoch brachen viele Gäste ihr Picknick vorzeitig ab und beeilten sich zurück nach Sinj zu kommen, als bekannt geworden war, dass Präsident Tuđman nicht nach Kosinac kommen würde.471 Tuđman landete gegen Mittag mit dem Präsidentenhubschrauber in Sinj und begab sich gleich zur Besichtigung der Ehrentruppe der 4. Garde-Brigade, die ihn in der Sinjer Kaserne Petar Berislavić feierlich empfing.472 Außerdem begrüßten der Sinjer Bürgermeister und Vorsitzende des Alkarenvereins Mate Jukić, der alkarische Anführer Mirko Norac und der Gespan (Župan) der Gespanschaft Split-Dalmatien Branimir Lukšić den Präsidenten. Nach dem Rapport des Befehlshabers der Ehrentruppen begab sich der Präsident zusammen mit seinen Gastgebern auf den Weg zum Restaurant Hrvatska ruža. Auf der Restaurantterrasse war dem Präsidenten der Ehrenplatz direkt unter der großen Abbildung des kroatischen Wappens vorbehalten.473 In der exklusiven Gesellschaft der höchsten politischen, militärischen und kirchlichen Würdenträger wurden dem Präsidenten ein Streitkolben (buzdovan) sowie ein Kunstwerk von Miljenko Romić übergeben.474

467 Pero Zlatar: Alkarski veteran u beogradskom azilu. In: Nacional, 6. August 1997, S. 48-49. 468 Ebd. 469 Andrija Kačić-Karlin, Nedjeljko Musulin: Ognjen Preost slavodobitnik 282. Sinjske alke. In: Vjesnik, 11. August 1997, S. 1-2. 470 Rene Bakalović: Sinjska alka: Mala društvena kronika. In: Globus, 15. August 1997, S. 73-77. 471 Ebd. 472 Ivica Luetić: Povelja i odora počasnog vojvode predsjedniku Tuđmanu. In: Novi list, 11. August 1997. 473 Rene Bakalović: Sinjska alka: Mala društvena kronika. In: Globus, 15. August 1997, S. 73-77. 474 Ivica Luetić: Povelja i odora počasnog vojvode predsjedniku Tuđmanu. In: Novi list, 11. August 1997.

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Der Künstler Romić hatte den Präsidenten als Ehrenanführer der Alkaren auf einem weißen Pferd dargestellt.475 Laut seinem Wunsch sollte sein Werk zusammen mit der Uniform des Ehrenanführers übergeben werden. Dem Alkarenverein, der in Kunstfragen jedoch den Realismus bevorzugte, habe angeblich „das weiße Pferd zu stark einem Pfaue geglichen“, berichtete Nacional einige Tage vor dem Fest.476 In der Folge wurden die Geschenke getrennt und das Bild bereits nach dem Mittagessen überreicht, während die Uniform erst unmittelbar vor dem Wettbewerb auf dem Empfang des Anführers übergeben wurde. Die Wochenzeitung Globus berichtete auch von einem kleinen Kunstskandal. Die vom Sinjer Designer Boris Ljubičić gefertigte Ehrenplakette wurde dem Präsidenten demnach gar nicht übergeben.477 In der Öffentlichkeit war Ljubičić vor allem dadurch bekannt, dass sein Vorschlag für die neue visuelle Identität Kroatiens Anfang der 1990er Jahre nicht angenommen worden war. Ganz wie sein eigenartiger Entwurf der kroatischen Nationalflagge mit dem karierten Muster wurde laut Globus nun auch seine Plakette vom Alkarenverein für „zu modern“ befunden.478 Nach dem Mittagessen begab sich der Präsident mit seinen Mitarbeitern und Gastgebern auf einen Spaziergang durch das Zentrum, besuchte die Kirche der Wundertätigen Mutter Gottes von Sinj und begab sich schließlich zum Empfang des Anführers.479 In der Anwesenheit der gesamten Alkaren- und Knappentruppe sowie der Ehrengäste wurden dem Präsidenten die Urkunde des Ehrenanführers der Sinjska Alka, die Uniform und der Säbel überreicht. Der Präsident dankte für „die größte Ehre, die die Sinjer Alkaren und das Volk des Cetiner Landes einem kroatischen Menschen erweisen können“. Daraufhin erklärte er seine Gründe dafür, diese Ehre anzunehmen: Die Sinjska Alka ist das Symbol des kroatischen Fortbestehens, [...] von den Zeiten Domagojs und Trpimirs bis zu den Zeiten von Tomislav, Krešimir und Zvonimir, über alle kroatischen Großherren Zrinski, Frankopan und Šubić sowie alle weiteren kroatischen Männer und Töchter, die dafür lebten und starben, dass wir ein freies und selbstständiges, ein unabhängiges, souveränes und international anerkanntes Kroatien aufrechterhalten und schaffen würden. Wenn es die Sinjska Alka sowie die Tradition, die sie symbolisierte, nicht gegeben hätte, gäbe es heute auch den freien, unabhängigen Staat Kroatien nicht. 480 Franjo Tuđman betrachtete die Geschichte, so der kroatische Historiker Ivo Goldstein, als „die Entwicklung im Bewusstsein darüber, dass der Nationalstaat geschaffen werden muss“.481 Laut Goldstein imaginierte der Präsident das zeitgenössische Kroatien gleichzeitig als eine konfliktfreie Gesellschaft, an deren Spitze die HDZ als Regierungspartei stehen sollte. In seiner Rede in Sinj 1997 setzte Tuđman die Sinjska Alka in das Pantheon der Nationalhelden, zusammen mit den mittelalterlichen Fürsten und Königen, die man im Nachhinein als die Vorkämpfer der Nationalidee entdeckt hatte. In Hinblick auf die zeitgenössischen Umstände sagte Tuđman, dass 475 476 477 478 479

Višnja Gotal: Sinjska Alka u čast vojvode Tuđmana. In: Nacional, 6. August 1997, S. 46-48. Ebd. Rene Bakalović: Sinjska alka: mala društvena kronika. In: Globus, 15. August 1997, S. 73-77. Ebd. Andrija Kačić-Karlin, Nedjeljko Musulin: Ognjen Preost slavodobitnik 282. Sinjske alke. In: Vjesnik, 11. August 1997, S. 1-2. 480 R. Valdec, J. Blajić: Simbol hrvatske opstojnosti. In: Večernji list, 11. August 1997, S. 2. 481 Ivo Goldstein: Povijest Hrvatske 1945-2011, Zagreb/Split, 2011, Bd. 3, S. 134.

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er, „als kroatischer Staatsanführer (Hrvatski državni poglavar) die Ehre als die eigene Pflicht angenommen [habe], solch patriotische, kämpferische und siegreiche Traditionen zu unterstützen“.482 Gleichzeitig verpflichtete Tuđman seine zukünftigen Nachfolger im Präsidentenamt, „die Tradition des Fortbestehens des Kroatentums zu pflegen“.

Abb 35: „Mit der Urkunde des alkarischen Ehrenanführers übergab der alkarische Anführer GeneralMajor Mirko Norac Kevo dem Präsidenten Tuđman auch die alkarische Tracht und den Säbel“. Zwar akzentuierte man den Anführer Mirko Norac in den Medienberichten am stärksten, dennoch war das Spektakel vor allem dem politisch begabten Bürgermeister und Vorsitzenden des Alkarenvereins Mato Jukić zu verdanken (auf dem Foto links). Auch nach dem Tod Tuđmans (1999), der deutlichen Niederlage der HDZ bei den Parlamentswahlen (2000) sowie der Anklage und Festnahme von Mirko Norac aufgrund von Kriegsverbrechen (2001) sollte Mato Jukić seinen erheblichen Einfluss im Alkarenverein noch über Jahre erhalten können. Quelle: Fotografie von Vladimir Car. In: Andrija Kačić-Karlin, Nedjeljko Musulin: Ognjen Preost slavodobitnik 282. Sinjske alke. In: Vjesnik, 11. August 1997, S. 1-2.

Tuđman wies auf die Bedeutung der Sinjska Alka als „allkroatisches Symbol“ hin und gratulierte „den Sinjern und der gesamten heldenhaften Bevölkerung des Cetiner Lands [...]“ ausdrücklich zu vier Errungenschaften: Er bedankte sich bei ihnen für das, was sie „vor mehr als zweieinhalb Jahrhunderten erkämpften, für das Erhalten der Tradition der Sinjska Alka sowie für den geistigen Beitrag zum Fortbestand des Kroatentums“. Darüber hinaus gratulierte Tuđman ihnen zu ihrem Beitrag zum Heimatländischen Krieg, „der sich auch im General der Kroatischen Armee Mirko Norac widerspiegelt, einem der Helden und der Ritter 482 R. Valdec, J. Blajić: Simbol hrvatske opstojnosti. In: Večernji list, 11. August 1997, S. 2.

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des Heimatländischen Krieges, ohne den es kein unabhängiges Kroatien gäbe“.483 Die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Präsidenten und dem populären Befehlshaber waren allem Anschein nach in der Zwischenzeit beseitigt worden. Wenngleich Tuđmans Auftritt in Sinj gleich seinem überzeugenden Wahlsieg bei den Präsidentschaftswahlen ein stabiles Regime suggerierten, wurden die regierungskritischen Stimmen in der Öffentlichkeit immer lauter. Ohne die realexistierende Kriegsgefahr konnte die nationalistische Rhetorik zunehmend große Teile der Öffentlichkeit nicht mehr überzeugen. Eine wachsende ideologische Polarisierung der kroatischen Gesellschaft und der Medienlandschaft manifestierte sich auch in den Presseberichten über die 282. Sinjska Alka. Zwar druckte die Mehrzahl der Tageszeitungen neutrale Reportagen aus Sinj, wobei sie trocken berichteten, dass man dem Präsidenten Tuđman die Urkunde als dem „Schöpfer des jahrhundertelangen Traums des kroatischen Volks und Ritter unserer schönen Heimat“ übergeben hatte.484 Die Zagreber Tageszeitung Večernji list betitelte ihre Reportage aus Sinj mit den Worten „Das Cetiner Land bekam ein neues Idol“, die über der Fotografie des Präsidenten Tuđman prangten, auf der er über seinem Anzug den altertümlichen Umhang und die alkarische Pelzmütze trug.485 Im Text wurde jedoch geklärt, dass das neue Idol der Sinjer nicht der Präsident, sondern der Ruhmgewinner Ognjen Preost sei, der allerdings bereits zum dritten Mal den alkarischen Wettbewerb gewonnen hatte. Im Unterschied zur vergleichsweise harmlosen Anspielung in der Večernji list kritisierten die Wochenzeitungen Globus und Nacional den politischen Aspekt der 282. Sinjska Alka ohne Zurückhaltung. Der Kolumnist von Nacional Srećko Jurdana schrieb, dass es dem Präsidenten Tuđman gelungen sei, die Sinjska Alka „ideologisch maximal zu radikalisieren“.486 Laut Jurdana transformierte Tuđman die 282. Sinjska Alka „in ein anti-ottomanisches Festival, gewürzt mit kroatischem Neomilitarismus“. Er führte weiter aus: „Man konnte den Eindruck gewinnen, dass die diesjährige Alka eher eine Vorbereitung für die neue bittere Schlacht gegen Suleiman II. und Sokollu Mehmed Pascha (Mehmed-paša Sokolović) war als die traditionelle Manifestation einer relativ gutartigen Volkssitte, die den verschiedenen Machthabern immer im zeremoniellen Dienst stand“. 487

483 R. Valdec, J. Blajić: Simbol hrvatske opstojnosti. In: Večernji list, 11. August 1997, S. 2. 484 „Unsere schöne Heimat“ (Lijepa naša domovinu) lautet die erste Strophe der kroatischen Nationalhymne. Demnach wird Kroatien manchmal metaphorisch als „Unsere Schöne“ (Lijepa naša) bezeichnet. 485 Jerko Blajić, Robert Valdec: Cetinska krajina dobila novog idola. In: Večernji list, 11. August 1997, S. 14-15. 486 Srećko Jurdana: Vojvoda od Lašvanske špilje. In: Nacional, 13. August 1997. 487 Ebd.

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Abb 36: Für die liberalen Medien, die in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre immer seltener Sympathie für das kroatische semi-autoritäre Regime zeigten, stellte die Auszeichnung von Franjo Tuđman mit dem Ehrentitel einen dankbaren Stoff für Kritik und Belustigung auf das Konto des Präsidenten dar. Während die Regierung durch die von ihr kontrollierten Medien versuchte, die Sinjska Alka weiter als Mittel ihrer Legitimation in den eigenen Dienst zu stellen, verbreiteten die kritischen Medien anhand der Sinjska Alka gleichzeitig ein delegitimierendes Bild der Regierung. Die Illustration im Nacional zeigte Tuđman als Alkar und seinen Berater Hrvoje Šarinić als einen Knappen, der jedoch Titos Schild hielt, der zwischen 1959-1990 den Ruhmgewinnern der Sinjska Alka übergeben worden war. Die Regimekritiker hoben in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre dennoch nicht nur die Ähnlichkeiten der beiden Regime hervor oder stellten Tuđmans Regierung als Operetten-Diktatur dar, sie wiesen auch immer häufiger darauf hin – wie im Fall der Fotografie aus der Wochenzeitung Globus - dass die Regierungsfähigkeit des Präsidenten aufgrund seines sich verschlechternden Gesundheitszustands immer fragwürdiger würde. Quellen: Illustration von Mario Jurjević im Text von Višnja Gotal: Sinjska Alka u čast vojvode Tuđmana. In: Nacional, 6. August 1997, S. 46; Fotografie von Darko Tomaš in der Reportage von Rene Bakalović: Sinjska Alka: Mala društvena kronika. In: Globus, 15. August 1997, S. 73-77.

Für den Alkarenverein und die Sinjska Alka stellte die Verleihung des Ehrentitels einen symbolischen Höhepunkt des Arrangements mit dem kroatischen Staat in den 1990er Jahren dar. Zwar sollte der Präsident bis zu seinem Tod im Dezember 1999 an keiner weiteren Vorführung der Sinjska Alka teilnehmen, doch würden die Alkaren weiterhin eine ausgeprägte Rolle bei den Inszenierungen der herrschenden Ordnung spielen. Das Arrangement mit dem Staat brachte dem Alkarenverein 1999 einen weiteren messbaren Fortschritt bei der Realisierung eines langjährigen Ziels. Der Vorsitzende des Alkarenvereins Mato Jukić, der Gesandte des

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Franjo Tuđman – Ehrenanführer der Alkaren

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Präsidenten Tuđman Generalleutnant Ante Gotovina und der Direktor der Abteilung für Restauration im Kulturministerium in Split Joško Belamarić enthüllten am Rande der 284. Sinjska Alka eine Gedenktafel, die den Beginn der Bauarbeiten für den zukünftigen alkarischen Hof festhielt.488 Die symbolische Tat stellte möglicherweise einen Versuch der Regierungspartei dar, einige Monate vor den bevorstehenden Parlamentswahlen mittels der Sinjska Alka zumindest im lokalen Rahmen einige Sympathiepunkte zu gewinnen. Die regierungskritische Tageszeitung Jutarnji list betitelte ihre Reportage aus Sinj jedoch im gegenteiligen Sinne: „Nach General Gotovinas Rede über die weise Führung von Franjo Tuđman fiel der Applaus aus“.489 Weder der Anfang der Bauarbeiten noch die Tatsache, dass die Sinjska Alka schon am 1. August stattgefunden hatte, wurden dabei erwähnt. Dafür, dass die 284. Sinjska Alka vor dem üblichen Termin stattfand, gab es einen konkreten Grund: Am 8. August, genau eine Woche, nachdem Ognjen Preost den alkarischen Wettbewerb zum fünften Mal gewonnen hatte, beteiligten sich die Alkaren- und die Knappentruppe an der Eröffnungszeremonie der II. Militärweltspiele in Zagreb. Der internationale Wettkampf mit etwa 7.000 Sportlerinnen und Sportlern aus 78 Staaten stellte das größte sportliche Ereignis in Kroatien seit der Unabhängigkeitserklärung dar. Dem Befehlshaber der alkarischen Truppe Ivan Zorica wurde dabei die besondere Ehre zugetraut, die Fackel zum Stadion zu tragen. Zwar hatte man ursprünglich den aktuellen Ruhmgewinner Ognjen Preost für diese Rolle vorgesehen, doch wurde die Entscheidung im Nachhinein revidiert.490 Die Zeitungen berichteten über ein dramatisches Liebesdreieck zwischen dem Ruhmgewinner, seiner Frau und seiner Geliebten.491 Später sollten einige Medien jedoch von langjährigen Machtkämpfen zwischen Preost, Zorica und einigen anderen Alkaren berichten, die möglicherweise auch zum plötzlichen Rollenwechsel während der Eröffnungszeremonie führten. Die Eröffnungszeremonie der II. Militärweltspiele stellt die letzte dokumentierte Begegnung der Alkaren mit dem Präsidenten Tuđman dar. Anfang November 1999 verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Präsidenten. Nach einem mehrwöchigen Aufenthalt im Krankenhaus starb Franjo Tuđman am 10. Dezember 1999 im Alter von 77 Jahren in Zagreb. Die Totenwache für den Präsidenten wurde im Präsidentenpalast abgehalten. Nachdem man in Sinj die Nachricht vom Tod des Staatsoberhaupts erhalten hatte, schloss sich eine zwölfköpfige Delegation von Alkaren und Knappen zusammen und begab sich auf den Weg nach Zagreb. Am 11. Dezember 1999 hielt sie die Ehrenwache an der Totenbahre des Präsidenten.492 Franjo Tuđman wurde am 13. Dezember 1999 auf dem Zagreber Friedhof Mirogoj bestattet.

488 Ivo Dalbello: Kronologija Sinjske alke u Republici Hrvatskoj. In: Boris Ljubičić (ur.): Alka, Sinj, 2001, S. 235-239. 489 Branimir Pofuk: Nakon govora generala Gotovine o mudrom vodstvu Franje Tuđmana izostao je pljesak. In: Jutarnji list. 03. August 1999. 490 Vgl. S.D.: Je li Preost alkar okaljanog viteštva? In: Slobodna Dalmacija, 7. August 1999, S.16. 491 Damir Karakaš i Tino Jurić: Cijeli Sinj priča da je slavodobitnik Alke kažnjen zbog ljubavnice. In: Večernji list, 7. August 1999, S. 20. 492 Ivo Dalbello: Kronologija Sinjske alke u Republici Hrvatskoj. In: Boris Ljubičić(ur.): Alka, Sinj, 2001, S. 235-239.

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Teil II ‒ Umbruch 1990

Das Begräbnis von Franjo Tuđman markierte das symbolische Ende einer Dekade in Kroatien, die in erheblichem Ausmaß von der Regierung des ersten Staatspräsidenten geprägt worden war. Sein Herrschaftsstil, der seine in der Verfassung verankerten Ingerenzen willkürlich überstieg, stieß in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre in Kroatien und darüber hinaus auf zunehmend starke Kritik. In der politikwissenschaftlichen Transformationsforschung wurde die junge Republik aufgrund der erheblichen demokratischen Defizite während Tuđmans Amtszeit als „Democradura“ und „verparteilichter Staat“ sowie als eine „zwar elektorale, jedoch stark illiberale [bzw.] defekte Demokratie“ kategorisiert.493 Die Parlamentswahlen von 1995 sowie die Präsidentenwahlen von 1997 wiesen auf die Stagnation der Demokratisierungsprozesse sowie auf die mögliche Konsolidierung einer autoritären Herrschaft hin. Während die Entwicklungstendenzen in den post-sowjetischen Staaten eine Krise der post-sozialistischen Demokratisierung am Rande Europas signalisierten, zeigte dennoch das Beispiel der Wahlbeteiligungskampagne in der Slowakei 1998, wie die erfolgreiche Mobilisierung ausgewählter Bevölkerungsgruppen die Wende bewirken kann. Ein Jahr nach der Abwahl der semi-autoritären Koalitionsregierung in der Slowakei, erhofften die Regimegegner in Kroatien dem slowakischen Vorbild folgen zu können. Die von den westlichen Regierungen initiierte und geförderte Wahlbeteiligungskampagne Novo vrijeme (Neue Zeit) wendete sich im Herbst 1999 an die jungen Wähler. Sie versprach einen Machtwechsel, der mit einer demokratischen und korruptionsfreien politischen Kultur einhergehen sollte. Der Triumph der Oppositionskoalition bei den Parlamentswahlen im Januar 2000 sowie der Sieg von Stjepan Mesić bei den darauffolgenden Präsidentschaftswahlen hätten einen raschen Reformprozess im Lande ankurbeln sollen. Hierdurch sollte ein schneller Anschluss Kroatiens an die EU-Integration der postsozialistischen Staaten in Mittelosteuropa ermöglicht werden. Dabei schaffte es die Opposition zwar, beide Wahlen für sich zu entscheiden, doch zeigten sich erhebliche Bevölkerungsteile nicht bedingungslos mit der Wende einverstanden. Insbesondere die kritische Aufarbeitung des Heimatländischen Kriegs und die strafrechtliche Verfolgung einzelner kroatischer Offiziere und Politiker stieß bei vielen auf eine empörte Reaktion. Dementsprechend verschlechterte die Anklage gegen den Generalmajor und alkarischen Anführer Mirko Norac im Frühjahr 2001 die bereits abgekühlten Beziehungen zwischen der neuen kroatischen Regierung und dem Alkarenverein. Die Abschaffung des Arrangements zwischen den Traditionsträgern und der neuen Regierung wurde von den Parteien, Organisationen und Individuen aus dem rechten politischen Spektrum initiiert und für die eigene politische Affirmation benutzt. Somit transformierte sich die Sinjska Alka binnen anderthalb Jahren nach dem Tod Franjo Tuđmans von der langjährigen Bühne der Herrschaftsrepräsentanz in das Kultursymbol einer Protestbewegung, deren prominenteste Akteure den Regierungssturz öffentlich forderten.494

493 Vgl. Wolfgang Merkel, Hans-Jürgen Puhle, Aurel Croissant, Claudia Eicher, Peter Thiery: Defekte Demokratie, Band 1: Theorie. Wiesbaden, 2003, S. 156-157. 494 Vgl. Michaela Schäuble: Narrating Victimhood. Gender, Religion and the Making of Place in post-war Croatia. New York/Oxford, 2014; Ana Marija Vukušić: U sridu: sjećanje, pamćenje i život Alke. Zagreb, 2013.

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Franjo Tuđman – Ehrenanführer der Alkaren

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Den Bruch des Arrangements mit dem Staat demonstrierte der Alkarenverein während der Sinjska Alka 2001, indem er die Präsidentengeschenke öffentlich ablehnte. In der medialen Berichterstattung erlangte diese Geste außerordentliche Aufmerksamkeit und verdeutlichte einmal mehr die Relevanz der Symbolpolitik im Allgemeinen sowie die Bedeutung der Sinjska Alka als eine langjährige Bühne ideologischer Repräsentation im Besonderen. Die Krise des Arrangements des Alkarenvereins mit der kroatischen Regierung in der ersten Hälfte der 2000er Jahre sowie die Versöhnung und Fortführung des Arrangements nach 2005 verdeutlichen, dass seine Zäsuren übergreifende Kontinuität alles andere als selbstverständlich war. Umso relevanter war es in diesem Buch der Frage nachzugehen, wie das Arrangement zwischen einer sozialen Institution mit diversen Herrschaftsträgern durch das ganze 20. Jahrhundert immer wieder ausgehandelt werden konnte bzw. wie eine kulturellere Inszenierung immer wieder zum Legitimationsvehikel grundsätzlich unterschiedlicher Ideologien werden konnte.

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Schlussbetrachtungen Für die politische Anthropologie und andere geistes- und sozialwissenschaftliche Disziplinen sind die Adaptionen einer kulturellen Inszenierung ein äußerst spannender Forschungsgegenstand. Um den politischen Prozess zu verstehen, so der US-amerikanischer Anthropologe David Kertzer, ist es notwendig zu betrachten, „[…] wie das Symbolische in die Politik eindringt, wie politische Akteure bewusst und unbewusst Symbole manipulieren und wie diese symbolische Dimension mit materiellen Grundlagen politischer Macht im Zusammenhang steht“.1 Die Umbrüche des 20. Jahrhunderts in Dalmatien sowie in weiten Teilen Südosteuropas resultierten in erheblichen ideologischen und oftmals dramatischen sozialen Veränderungen. Nichtsdestoweniger konnte die Sinjska Alka Zäsuren übergreifend ihre legitimatorische Funktion der Herrschaftsrepräsentanz erhalten und dabei eine weit größere Bedeutung als die eines bloßen lokalen Festes einnehmen. Dementsprechend lautete die zentrale Frage dieser Arbeit, aus welchem Grund und auf welche Weise sich eine kulturelle Inszenierung trotz aller Herrschaftsdiskontinuitäten und ideologischer Umbrüche als ein Vehikel der Herrschaftsrepräsentanz erhält. Dabei wurde die Sinjska Alka synchron als Arrangement der lokalen Eliten mit der Zentralmacht, als Verwaltungsstab der jeweils herrschenden politischen Gruppe und als Abbildung der herrschenden ideologischen Ordnung analysiert. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Frage, ob bzw. inwieweit die Sinjska Alka Zäsuren übergreifend von den gleichen Akteuren gestaltet und aufgeführt wurde. Handelt es sich bei der Sinjska Alka um eine den Umbruch begleitende Herstellung des Arrangements der neuen Zentralmacht mit den alten Traditionsträgern oder wurde die Sinjska Alka nach jedem Umbruch vom Verwaltungsstab der neuen Regierung zusammen mit anderen sozialen Privilegien übernommen? Einführend lässt sich feststellen, dass die vier großen Umbrüche in Dalmatien im 20. Jahrhundert (1918 – 1941 – 1945 – 1990) zu unterschiedlich stark ausgeprägten (Dis)Kontinuitäten in Hinblick auf die Teilnehmer des Rituals führten. Im Unterschied zur starken Veränderung der sozialen Zusammensetzung in der Sinjska Alka 1941 und insbesondere 1945, als das Ritual vom Verwaltungsstab der neuen Macht abrupt angeeignet wurde, hatte der Umbruch 1918 keinen erheblichen sozialen Wandel unter den Teilnehmern nach sich gezogen. Es waren die gleichen Personen, die die Vereinsspitze während der Auftritte der Alkaren 1908 in Wien und 1922 in Belgrad repräsentierten. Somit spiegelte die Sinjska Alka nach dem Ersten Weltkrieg die weitgehende Kontinuität der sozialen Eliten in Sinj wider, die sich vor allem aus den Familien Tripalo und Grabovac rekrutierten. Folglich entspricht die Herstellung des Arrangements des Alkarenvereins mit dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen nach 1918 der ersten eingangs aufgestellten Hypothese: Die alten Traditionsträger 1 David I. Kertzer: Ritual, Politik, Macht. In: Andrea Belliger, David J. Krieger (Hg.): Ritualtheorien, Wiesbaden, 2006. S.361-386, hier: S. 364.

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Schlussbetrachtungen

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handelten mit der neuen Zentralmacht ein Arrangement aus und behielten ihre prestigeträchtigen Positionen unabhängig vom ideologischen Umbruch. Im Gegensatz zur Zäsuren übergreifenden Kontinuität der Teilnehmer nach 1918 beteiligte sich während der gesamten Periode des sozialistischen Jugoslawiens nicht eine einzige Person an der Sinjska Alka, die auch während des Zweiten Weltkriegs schon auf einer der dokumentierten öffentlichen Erscheinungen der Alkaren aufgetreten wäre. Auch gab es nach 1945 nur wenige Männer, die sowohl in der Vorkriegszeit als auch nach dem Zweiten Weltkrieg am Ritual teilgenommen hatten. Vielmehr fand die Sinjska Alka nach 1945 mit einer radikal veränderten sozialen Zusammensetzung der Alkaren und Knappen statt, die sich vor allem darin zeigte, dass sich vorher marginalisierte Bevölkerungsgruppen wie beispielswiese die Einwohner der Bergdörfer in der Umgebung von Sinj als Turnierteilnehmer am Ritual beteiligten. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zu betonen, dass in den ersten Nachkriegsjahren sämtliche Turnierteilnehmer einen persönlichen Bezug zum Volksbefreiungskampf aufweisen konnten, und zwar überwiegend als. „Vorkämpfer“ (Prvoborci) und Offiziere der Volksbefreiungsarmee. Demgemäß entspricht die soziale Zusammensetzung der Ritualteilnehmer nach dem Zweiten Weltkrieg der Vorstellung der Sinjska Alka als einem Begegnungsort von Vertretern der Zentralmacht und ihrem Verwaltungsstab. Anstatt ein Arrangement mit den alten sozialen Eliten aushandeln zu müssen, konnte sich die kommunistische Regierung nach 1945 auf die Kooperation der Partisanenkämpfer verlassen, die nach 1945 zum großen Teil Positionen in den politischen oder militärischen Strukturen eingenommen hatten. In Hinblick auf den Umbruch 1990 und die vier darauffolgenden Jahre handelte es sich hingegen um eine Übergangsphase vom Arrangement der alten Traditionsträger mit der neuen politischen Macht hin zu einer Aneignung des Rituals durch die Regierungspartei. Im Frühjahr 1990 erklärte sich die Zentralregierung öffentlich bereit, das Arrangement mit den alten Traditionsträgern fortzusetzen, sofern diese die ideologische Umkodierung der kulturellen Inszenierung akzeptieren und durchsetzen würden. Zwar traten daraufhin mehrere Träger führender Posten im Alkarenverein zurück, doch geschah dies zum Teil aus ihrer persönlichen Überzeugung. Inwiefern die zurückgetretenen Traditionsträger unter informellem Druck standen, bleibt umstritten. Wie bereits nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auch ihr Rücktritt offensichtlich weniger von der Zentralregierung, als vielmehr von den Rivalen und konkurrierenden Gruppen auf lokaler Ebene gefordert. Analog zur schrittweisen Traditionsaneignung durch die Kroatische Demokratische Gemeinschaft wuchs in der ersten Hälfte der 1990er Jahre in der Sinjska Alka der Anteil von Militärmitgliedern bzw. Beschäftigten des Sicherheitsapparats. Dieser Zuwachs vollzog sich auf zwei unterschiedlichen Wegen: Einerseits beteiligten sich immer mehr „alte“ Traditionsträger am Krieg, andererseits wurden immer mehr Offiziere und Soldaten der Kroatischen Armee für ihre Kriegsverdienste mit Positionen in der Sinjska Alka belohnt. Die „alten“ Traditionsträger, die durch eine aktive Beteiligung am Heimatländischen Krieg eine Verbindung zur neuen Zentralmacht aufbauten, konnten ihre Position im Ritual in der Regel erhalten. Im Gegensatz dazu mussten die restlichen Teilnehmer ihre Positionen meist neuen Akteuren überlassen, die als Mitglieder der Regierungspartei oder als Offiziere der Kroatischen Armee über ein symbolisches Kapital verfügten, das ihnen die Aufnahme in das prestigeträchtige Ritual ermöglichte.

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Schlussbetrachtungen

Als ein gemeinsames Merkmal der umbruchsbegleitenden sozialen Veränderungen unter den Teilnehmern lässt sich hervorheben, dass sie grundsätzlich aus lokalen Konkurrenzkämpfen um prestigeträchtige soziale Positionen hervorgingen. Es lässt sich festhalten, dass auf der Makroebene vollzogene Veränderungen bei Statuskämpfen auf lokaler Ebene vor allem als symbolisches Kapital eingesetzt wurden, mit dem die Kontrahenten delegitimiert bzw. der eigene Anspruch auf die Ritualteilnahme untermauert werden sollte. Die anscheinend ideologischen Konflikte dienten dabei häufig als legitimatorischer Deckmantel für die Animositäten und Rivalitäten jenseits des politischen Feldes. Bei der Deutung des sozialen Zusammenhangs unter den Traditionsträgern sollte man daher die politischen und ideologischen Erklärungsfaktoren nicht überschätzen und zur einzigen Determinante hochstilisieren. Die Geschichte der Sinjska Alka weist ebenfalls auf die Relevanz anderer Identitäten und Polarisierungslinien für die sozialen Dynamiken im Cetiner Land hin. Den sozialen Zusammenhang der Teilnehmer könnte man dementsprechend auch als Konflikt zwischen der Stadt und ihrer Umgebung, zwischen den diversen sozialen Gruppen oder zwischen den diversen Kohorten beschreiben. In Hinblick auf den zweiten Schwerpunkt der Arbeit – die ideologische Umkodierung der kulturellen Inszenierung – zeigt die Analyse auf, dass die Herrschaftslegitimation durch die Sinjska Alka trotz der ausgesprochenen ideologischen Diskontinuitäten Zäsuren übergreifend auf den gleichen Elementen und Praktiken basiert. Hinsichtlich der Vergangenheitsdeutung in der Sinjska Alka handelt es sich dabei um zwei grundlegende Themen, die dem vorgegebenen ideologischen Orientierungsrahmen kontinuierlich angepasst werden: die Sinjer Schlacht von 1715 und die politische Geschichte der Sinjska Alka. Die Sinjer Schlacht von 1715 stellt den zentralen Mythos dar, der die Anpassungen der kulturellen Inszenierung an die jeweilige ideologische Ordnung ermöglicht. Dabei stellen die umbruchbegleitenden Umdeutungen der Sinjer Schlacht aus der Perspektive der Mythosforschung keine Ausnahme dar. Wie Heidi Hein betont, ist ein Mythos in der Regel ein Produkt bestimmter politischer Vorstellungen und kann als ideologisch markiertes Narrativ angesehen werden.2 Die Wandelbarkeit des Mythos durch seine semantische Struktur, die eine ständige Aktualisierung der Deutungsperspektive ermögliche, sei insbesondere für veränderte gesellschaftliche Kontexte von Bedeutung, in denen der Mythos „einem erheblichen Funktionswandel unterliegt“.3 Parallel zu den geschichtspolitischen (Um)Deutungen der Sinjer Schlacht von 1715 wurde auch die politische Geschichte der Sinjska Alka kontinuierlich dem vorgegebenen ideologischen Rahmen angepasst, wie beispielsweise im Fall der Oppositionskundgebung am Rande der 220. Sinjska alka im Sommer 1935, der in diversen ideologischen Ordnungen nach dem Zusammenbruch der jugoslawischen Monarchie immer wieder eine gegenwartsbezogene Begründung beigemessen wurde. Die Herrschaftsträger und die breitere Öffentlichkeit wurden Zäsuren übergreifend an ausgewählte Episoden aus der Geschichte des Vereins erinnert, die die Tradition und ihre Träger legitimieren sollten. Gleichzeitig wurden andere Episoden ausgeblendet und vergessen.

2 Heidi Hein (2005): Historische Mythosforschung. S. 4. 3 Ebd, S. 4.

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Schlussbetrachtungen

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Um die Diskrepanz zwischen dem Bedürfnis, die Kontinuität der politischen Beachtung, die der kostümierten Tradition beigemessen wurde, zu betonen und gleichzeitig ihre zeitgenössische ideologische Bedeutung hochzuhalten, beriefen sich die jeweils aktuellen Traditionsträger ebenfalls auf das Motiv der „Befreiung der Sinjska Alka“. Demnach sei die Sinjska Alka in vorherigen politischen Systemen missbraucht worden, wohingegen der jeweils letzte Umbruch ihr die lange ersehnte „Freiheit“ gebracht und „die Rückkehr zur authentischen Form“ ermöglicht hätte. Die Umkodierung der Sinjska Alka beinhaltete in der Regel die gleichzeitige Veränderung mehrerer ihrer Einzelelemente. Die synchrone Anpassung des Mythos von 1715 und des alkarischen Rituals verdeutlichte sich bereits nach dem Umbruch 1918 anhand der öffentlichen Auftritte der Traditionsträger und zog sich durch das ganze 20. Jahrhundert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine teleologische Verknüpfung der Schlacht von 1715 mit dem Volksbefreiungskampf hergestellt, der 1991 schließlich durch die Symbolik des Heimatländischen Kriegs ersetzt wurde. Dabei handelte es sich jedoch nicht allein um die bloße Anpassung des Rituals an den vorgegebenen ideologischen Rahmen. Vielmehr wurde nach den Umbrüchen 1945 und 1990 im Einklang mit den sozialen Veränderungen in der Sinjska Alka die symbolische Verknüpfung zwischen dem Volksbefreiungskampf bzw. dem Heimatländischen Krieg und der Sinjska Alka von Akteuren betrieben, die zum großen Teil selbst in die Kriegshandlungen eingebunden (gewesen) waren. Somit stellte die Akzentuierung des einen oder anderen zeitgenössischen Kriegs für viele Traditionsträger nicht nur die Anpassung der kulturellen Inszenierung an die herrschende ideologische Ordnung dar, sondern folgte ebenfalls aus ihren persönlichen Geschichten, die sicherlich nicht nur auf Legitimationszwecke und Interessenkalkül reduziert werden sollten. Wenngleich die Sinjska Alka im Cetiner Land das gesamte 20. Jahrhundert hindurch als relevante soziale Institution der Herrschaftslegitimation figurierte, war sie für viele Ritualnehmer und Zuschauer vor allem eine Tradition, mit der sie sich identifizieren konnten. „Alles vergeht, nur die Alka bleibt“, lautet einer der wenigen Aussprüche, über den sich auch heutzutage viele Sinjer einig sind.

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Die Sinjska alka ist ein kostümiertes Fest in der dalmatinischen Kleinstadt Sinj, des­ sen Hauptattraktion ein Turnier im Ringreiten darstellt. Seit Anfang des 19. Jahr­ hunderts bis in die Gegenwart nutzten Kaiser, Könige und Staatspräsidenten diese Aufführungen als Bühne ihrer Herrschaftsinszenierung. Ritualteilnehmer wiederum beteiligten sich in ihrer Kostümierung als Lanzenreiter an politischen Kundgebungen. Wenngleich die Sinjska alka für Sinj eine große traditionelle und soziale Bedeutung hat, so begründet dies noch nicht die weitreichende politische Dimension des Festes. Boris Stamenić untersucht, wie sich die Sinjska alka im 20. Jahrhundert über alle Herrschaftsdiskontinuitäten und ideologischen Umbrüche hinweg als Vehikel der Regie­ rungs­legitimation behaupten konnte. Dazu fokussiert er die umbruchs­begleitenden An­ eignungen, Umdeutungen und Adaptionen des dalmatinischen Festes als ein wichtiges Element der Regionalgeschichte. Die analytische und interpretatorische Verknüpfung der Mikrohistorie und Makrostrukturen ermöglicht dabei einen interessanten Einblick in das politische Leben eines Ritterspiels, das die Geschichte Dalmatiens im 20. Jahr­ hundert aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel beleuchtet.

Das politische Leben eines Ritterspiels

BV 63

Stamenić

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BALKANOLOGISCHE VERÖFFENTLICHUNGEN 63

Boris Stamenić

Das politische Leben eines Ritterspiels

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Harrassowitz

Die Sinjska alka als Vehikel politischer Legitimation im 20. Jahrhundert

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