Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis und § 906 BGB: Eine Untersuchung der Rechtsprechung unter Beachtung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs 9783111239545, 9783111239446

In this volume, the author examines the historical development of the neighborly community relationship and the implicat

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Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis und § 906 BGB: Eine Untersuchung der Rechtsprechung unter Beachtung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs
 9783111239545, 9783111239446

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
A. Einleitung
B. Entstehungsgeschichte und Rechtsprechungsentwicklung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs
C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis
D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB
E. Begründungsansätze zur analogen Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf faktische Duldungszwänge
F. Die Anwendungsmöglichkeiten des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB
G. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis

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Max Lennart Dürkop Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis und § 906 BGB

Max Lennart Dürkop Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis und § 906 BGB

Eine Untersuchung der Rechtsprechung unter Beachtung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs

Dr. iur. Max Lennart Dürkop, Dissertation EBS Universität für Wirtschaft und Recht EBS Law School, Wiesbaden, 2023

ISBN 978-3-11-123944-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-123954-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-124003-9 Library of Congress Control Number: 2023935759 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio­grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde 2021 von der EBS Law School in Wiesbaden als Dissertation angenommen. An erster Stelle gilt mein herzlicher Dank meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Daniel Klocke, LL.M. oec., der das Promotionsverfahren stets vertrauensvoll, wohlwollend und mit wertvollen Ratschlägen begleitet hat, insbesondere in der Phase der Corona-Pandemie in einer ansonsten leeren Universität oder über Zoom. PD Dr. Alexander Stör danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Christoph Hautkappe danke ich für die vielen gemeinsamen Stunden am Lehrstuhl während der Erstellung dieser Arbeit, den regen Austausch über juristische und weniger juristische Themen sowie kluges Biertrinken. Zudem gilt mein herzlicher Dank meinen Freunden Herrn Leonard Mülstroh, Herrn Max Flößer, Herrn Christopher Landmann und Herrn Nicolas Kalveram für ihre ausführlichen Korrekturen und Hinweise sowie hilfreichen Anregungen. Mein größter Dank gilt meinen Eltern Kerstin und Herbert und meiner Freundin Paula. Ohne ihre vorbehaltlose, liebevolle und unermüdliche positive Unterstützung in jeder Hinsicht wäre dieses Vorhaben nicht realisierbar gewesen. Euch ist daher diese Arbeit gewidmet. Hamburg 2023

https://doi.org/10.1515/9783111239545-001

Max Lennart Dürkop

Inhalt Abkürzungsverzeichnis

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A. Einleitung 1 I. Das Diskussionspotential von § 906 BGB 1 2 II. Dogmatische Einordnung von § 1004 BGB und § 906 BGB . Ausgangspunkt: Der Eigentumsbegriff (§ 903 BGB) 2 . Das Verhältnis von § 1004 BGB und § 906 BGB 3 III. Motivation und Gang der Darstellung 6 B. Entstehungsgeschichte und Rechtsprechungsentwicklung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs 8 8 I. Rechtslage bei Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs II. Rechtsprechungsentwicklung zu Zeiten des Reichsgerichts 12 III. Fortführung und Erweiterung der Rechtsprechungslinie durch den 18 Bundesgerichtshof IV. Ausgleich für praeter legem statuierte Duldungspflichten 22 V. Öffnung des Anwendungsbereichs für rechtswidrige Beeinträchtigungen 23 und faktische Duldungszwänge VI. Fazit 29 C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis 30 30 I. Begriffsentstehung II. Rechtsnatur und Begründung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses 32 . Bundesgerichtshof 32 . Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis als gesetzliches Schuldverhältnis 34 . Vollständige Ablehnung des nachbarlichen 35 Gemeinschaftsverhältnisses . Rein tatsächliches Näheverhältnis mit besonderen Rücksichtnahmepflichten 36 . Interessenausgleich (Denecke) 39 . Sonderverbindung eigener Art 40 . Zwischenergebnis 41 . Stellungnahme 41

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Inhalt

D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB 65 65 I. Die unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB . Dogmatische Einordnung 65 . Aktiv- und Passivlegitimation 74 . Tatbestandsvoraussetzungen 76 91 II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB . Exkurs: Rechtsfortbildung 91 . Die Voraussetzungen des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs 101 analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB im Einzelnen E.

Begründungsansätze zur analogen Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf faktische Duldungszwänge 133 I. Begründungsansatz des Bundesgerichtshofs 134 138 II. Begründungsansätze aus der Literatur . Erst-Recht-Schluss 139 . Gedanke der potenziellen Rechtsschutzverkürzung (Canaris) 140 . Begründung mittels teleologisch-systematischer Auslegung des § 906 144 Abs. 2 Satz 2 BGB . Die Lehre vom allgemeinen bürgerlichen Aufopferungsanspruch (Hubmann) 146 152 . § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB als Aufopferungsanspruch . Der Gedanke der Begünstigungshaftung 152 . Grundrechtlicher Eigentumsschutz 156 157 . Analoge Anwendung von § 14 Satz 2 BImSchG . Rückgriff auf Rechtsinstitute des Römischen Rechts 157 III. Stellungnahme 160 . Die analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB 161 . Verschuldensunabhängige Haftung unmittelbar aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis? 166 . Eigener Ansatz – Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB 167 . Fazit 183

F.

Die Anwendungsmöglichkeiten des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

G. Zusammenfassung Literaturverzeichnis

187 189

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Abkürzungsverzeichnis A.A. ABG ABGB AcP ALR AF. ArbGG Aufl. BB BeckOGK BeckOK Begr. BGB BGH BGHZ BImSchG Bspw. BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerwG Bzw. DNotI-Report DNotZ Ders. DÖV Einl. Einl.ALR ErbbauRG FamFG F. Ff. FG Fn. FS GewO Grdl. HaftpflG Halbbd. Hrsg. I.d.S. I.H.v.

Andere Ansicht Allgemeines Preußisches Berggesetz Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch Archiv für die civilistische Praxis Allgemeines Preußisches Landrecht Alte Fassung Arbeitsgerichtsgesetz Auflage Betriebs Berater Beck-online Grosskommentar zum Zivilrecht Beck’scher Online-Kommentar Begründer Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des BGHs in Zivilsachen Bundesimmissionsschutzgesetz Beispielsweise Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen der amtlichen Sammlung des BVerfG Bundesverwaltungsgericht Beziehungsweise Informationsdienst des Deutschen Notarinstituts Deutsche Notarzeitschrift Derselbe Die öffentliche Verwaltung Einleitung Einleitung des allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten Gesetz über das Erbbaurecht Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Folgend Folgend Festgabe Fußnote Festschrift Gewerbeordnung Grundlegend Haftpflichtgesetz Halbband Herausgeber In diesem Sinne In Höhe von

https://doi.org/10.1515/9783111239545-002

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Abkürzungsverzeichnis

I.S.v. I.S.d. I.V.m. JA JM JR Jura Juris-Pk JuS JW JZ LMK LuftVG MDR M. E. MwN. MüKo NJW NJW-RR NZM O.ä. O.g. Preuß.EisenbahnG Preuß.EnteignG RGZ Rn. S. SGG S. o. Sog. StRspr UTR U.a. Vgl. VuR VwGO WM WN. Z. B. ZMR ZPO ZRP ZVersWiss ZZP

Im Sinne von Im Sinne der/des In Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Juris – die Monatszeitschrift Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juris Praxiskommentar Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Lindenmaier-Möhring Kommentierte BGH-Rechtsprechung Luftverkehrsgesetz Monatszeitschrift des Deutschen Rechts Meines Erachtens Mit weiteren Nachweisen Münchener Kommentar Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Oder ähnliches Oben genannt Preußisches Eisenbahngesetz Preußisches Enteignungsgesetz Entscheidungen des Reichsgerichts für Zivilsachen Randnummer Seite Sozialgerichtsgesetz Siehe oben Sogenannt Ständige Rechtsprechung Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts Unter anderem Vergleiche Verbraucher und Recht (VuR) – Zeitschrift für Wirtschafts- und Verbraucherrecht Verwaltungsgerichtsordnung Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht Weitere Nachweise Zum Beispiel Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozessrecht

A. Einleitung I. Das Diskussionspotential von § 906 BGB Kaum eine Norm des BGB bietet so viel Diskussionspotenzial wie § 906 BGB. Die Norm ist Mittelpunkt des Nachbarrechts im BGB und des privaten Umweltrechts.¹ Ihr liegt die Erkenntnis über das mögliche Konfliktpotential zwischen den Eigentümern oder Benutzern benachbarter Grundstücke zugrunde, welches aus der räumlichen Nähe und den sich deswegen überschneidenden Interessenskreisen ergibt.² Zur Lösung dieser Konflikte normieren die §§ 906 – 924 BGB das notwendige System aus Duldungspflichten und konvergierenden Ausgleichsansprüchen, das den jeweils beteiligten Parteien eine angemessene und möglichst umfassende Grundstücksnutzung ermöglichen soll.³ Bereits im Laufe der juristischen Ausbildung entpuppen sich die §§ 906 ff. BGB ebenso wie § 1004 BGB als eher unbeliebte Abschnitte des BGB. Und dies nicht zu Unrecht: Die Anwendung der Normen setzt die vertiefte Auseinandersetzung mit der dazugehörigen Rechtsprechung und Literatur voraus, um die unterschiedlichen Auffassungen nachvollziehen zu können. Diese gelangen – jedenfalls in dogmatischer Hinsicht – nicht selten zu überraschenden Ergebnissen. Etwaige Unklarheiten beginnen schon bei der eigentlich simplen Frage nach Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen, denn deren Rechtsfolge bzw. deren Anspruchsumfang stellt seit jeher eines der umstrittensten Probleme des BGB dar. Diese Unklarheiten werden durch § 906 BGB noch weiter beflügelt, indem die Norm in Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 nicht nur Duldungspflichten vorsieht, die den negatorischen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB ausschließen, sondern in Abs. 2 Satz 2 einen Ausgleichsanspruch kodifiziert. Darüber hinaus bietet § 906 BGB eine Vielzahl von Analogiemöglichkeiten: Einerseits wegen Duldungspflichten für „ähnliche Einwirkungen“ i.S.d. § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB, bei denen die Interessenlage mit der der unmittelbaren Anwendung der Norm vergleichbar ist.⁴ Andererseits geht es um die Analogie des

 Vgl. BT-Drs. 12/7425, 87; „Generalnorm des zivilrechtlichen Nachbarschutzes“, vgl. BGHZ 198, 327 = NJW 2014, 458 (459).  Säcker, in: MüKo BGB (2004) spricht von „hartem Aufeinanderprallen“.  Vgl. Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 906 Rn. 2; Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 1.  Insoweit lässt sich diskutieren, ob wegen des unbestimmten Rechtsbegriffs der „ähnlichen Einwirkung“ überhaupt eine Analogiebildung notwendig ist; zweifellos muss aber eine Vergleichbarkeit bestehen. Darüber hinaus wird die Norm auch auf sonstige grenzüberschreitende Stoffe angewandt, die nicht zwingend unwägbar sind, vgl. die Beispiele aus der Rechtsprechung bei Palandt/ Herrler, BGB, § 906 Rn. 6 ff. https://doi.org/10.1515/9783111239545-003

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A. Einleitung

Ausgleichsanspruchs sowohl bei Duldungspflichten, die nicht § 906 BGB entstammen als auch bei faktischen Duldungszwängen.Vor allem die rechtliche Behandlung Letzterer bietet enormes Diskussionspotential und erweist sich als „grundlegendes haftungssystematisches Problem“.⁵ Nicht zuletzt die Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf faktische Duldungszwänge veranschaulicht deshalb die Flexibilität des § 906 BGB. Diesem Problem liegt die Frage nach dem Verhältnis zwischen § 1004 BGB und § 906 BGB und deren Rechtsnatur zugrunde.

II. Dogmatische Einordnung von § 1004 BGB und § 906 BGB Schon die dogmatische Einordnung der beiden Vorschriften § 1004 BGB und § 906 BGB bereitet Schwierigkeiten. Diese werden durch die Frage nach deren Zusammenspiel noch weiter verschärft.

1. Ausgangspunkt: Der Eigentumsbegriff (§ 903 BGB) Das Eigentum ist als dingliches Recht das umfassendste Sachherrschaftsrecht, das der Rechtsordnung bekannt ist.⁶ Dem Eigentümer wird grundsätzlich unbeschränkte Macht zu jeder möglichen rechtlichen und tatsächlichen Einwirkung auf seine Sache gewährt.⁷ Ausgangsnorm ist dabei § 903 BGB. Die Vorschrift enthält jedoch keine Legaldefinition, sondern normiert nur die wesentlichen Befugnisse des Eigentümers.⁸ Dazu gehört allen voran die Ausschließungsbefugnis, die dem Eigentümer ein exklusives, alle Personen ausschließendes Verfügungs- und Nutzungsrecht einräumt.⁹ Der Gesetzgeber verstand die Ausschließungsbefugnis als wichtigste Funktion des Eigentums: Die positive Seite dieser Feststellung ist von geringerer Wichtigkeit, als deren negative Seite, nämlich dass die ausschließliche Verfügungsbefugniß des Eigenthümers über die Sache soweit

 Bensching, Nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche, S. 1 äußert erhebliche Bedenken mit der Vereinbarkeit des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs mit den Grundstrukturen des geltenden zivilen Haftungsrechts; Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 21.  Säcker, in: MüKo BGB (2013), § 903 Rn. 6 kennzeichnet das Wesen des Eigentums „durch die Schlagworte Totalität (Ungeteiltheit) und Abstraktheit der Sachherrschaftsbefugnis sowie Absolutheit des Klageschutzes“.  Berger, in: Jauernig BGB, § 903 Rn. 1; Georgiades, FG Sontis 1977, 149 (151).  Vgl. Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, S. 145.  So Säcker, in: MüKo BGB (2013), § 903 Rn. 6.

II. Dogmatische Einordnung von § 1004 BGB und § 906 BGB

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reicht, als nicht eine Beschränkung nachgewiesen wird. Die einzelnen Befugnisse des Eigenthümers würden, auch wenn eine allgemeine Bestimmung fehlte, aus den Vorschriften über den Eigenthumsschutz und über die von dem Eigenthümer vorzunehmenden Veräußerungsgeschäfte entnommen werden können; sie lassen sich nicht vollständig aufzählen; das Bedürfniß einer solchen Aufzählung liegt auch nicht vor, da das Eigenthum nicht eine Summe einzelner Befugnisse ist. Deshalb lässt sich das Eigenthum auch nicht so theilen, dass dem Einen und dem Anderen eine Reihe bestimmter im Eigenthume liegender Befugnisse zugewiesen werden und dem beiderseitigen Rechte der Charakter des Eigenthumes [beigemessen] ¹⁰ wird. ¹¹

Dementsprechend ist das Eigentum als solches – dem klassischen römisch-rechtlichen Eigentumsbegriff entsprechend – nicht in zwei einander komplementär ergänzende Sphären teilbar, sondern ein unteilbares Vollrecht. Das gilt auch dann, wenn Verfügungs- und Nutzungsrecht auseinanderfallen. Ein solches Auseinanderfallen ist bei der Abspaltung einzelner Befugnisse mittels beschränkt dinglicher Rechten denkbar.¹² Durch das Eigentumsrecht wird der Rechtsinhaber einerseits vor Eingriffen in den rechtlichen Bestand des Eigentums und andererseits vor körperlicher Entziehung der Sache sowie vor Beeinträchtigung der Sachsubstanz geschützt.¹³ Der Eigentumsschutz des § 903 BGB ist demnach doppelseitig, er verfügt über eine positive und eine negative Seite: Die positive Seite zeichnet sich durch eine umfassende Verfügungsbefugnis aus, die nur dem Eigentümer selbst zusteht. Diese wird durch die negative Befugnis des Eigentümers ergänzt, Dritte von Einwirkungen auf die Sache auszuschließen. Diese Ausschließungsbefugnis aus dem Eigentum konkretisiert sich im BGB insbesondere in § 1004 BGB, § 823 BGB und § 985 BGB. Mithilfe dieser Normen kann der Eigentümer Einwirkungen auf die Sache abwehren, für Schäden an der Sache Ersatz fordern und von jedem besitzrechtslosen Dritten die Herausgabe der Sache verlangen.

2. Das Verhältnis von § 1004 BGB und § 906 BGB Die umfassenden Eigentümerbefugnisse werden jedoch nicht uferlos gewährleistet. Denn die jeweilige Verfügungsbefugnis des einen kann nur soweit reichen, wie einem anderen wegen seines eigenen Eigentumsrechts eine Ausschließungsbefugnis

 Einschub von Säcker, in: MüKo BGB (2013), § 903 Rn. 4.  Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, S. 145.  Georgiades, in: FG Sontis 1977, 149 (150 ff.); vgl. Herrler, in: Staudinger BGB, § 903 Rn. 10; dazu auch Reiser, in: FG Sontis 1977, 167 (169 f.); Sontis, in: FS Larenz 1973, 981 (998 ff.); historischer Überblick zur Teilbarkeit des Eigentums bei Eichler, Wandlungen des Eigentumsbegriffs, S. 40 ff.  Säcker, in: MüKo BGB (2013), § 903 Rn. 4.

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A. Einleitung

zusteht. Dies wird durch § 1004 Abs. 2 BGB konkretisiert, denn die Ausschließungsbefugnis des Eigentümers hat ihre Grenze dort, wo das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen und Duldungspflichten existieren. Diese können verschiedenen Tatbeständen des BGB entnommen werden.¹⁴ Je mehr das Verhältnis zweier Eigentümer durch ein ständiges Nebeneinander geprägt ist, umso häufiger kommt es zum Aufeinandertreffen der gegenseitigen Interessen. Dies ist insbesondere bei Eigentümern benachbarter Grundstücke der Fall, die sich wegen der Unbeweglichkeit ihrer Grundstücke im Raum dauerhaft und ohne Ausweichmöglichkeit ausgesetzt sind. Wegen der Menge an – potenziell abwehrbaren – Einwirkungen und wechselseitigen Störungen besteht vor allem dort ein besonderes Regelungsbedürfnis. Diesem Regelungsbedürfnis tragen die §§ 905 ff. BGB Rechnung. Insoweit stellt sich in dogmatischer Hinsicht die Frage nach dem Verhältnis der beiden Normen zueinander sowie nach ihrem jeweiligen Zweck. § 1004 BGB bezweckt den Eigentumsschutz an beweglichen und unbeweglichen Sachen, wobei ihr wesentlicher Anwendungsbereich im Grundstücksrecht liegt.¹⁵ Gem. § 1004 Abs. 1 BGB kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung einer Beeinträchtigung verlangen. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB erweitert den Eigentumsschutz für zukünftig zu befürchtende Beeinträchtigungen. Diese können durch eine Unterlassungsklage abgewehrt werden. Im System des Eigentumsschutzes ergänzt der negatorische Abwehranspruch also den Vindikationsanspruch aus § 985 BGB insoweit, als dass der Eigentümer auch solche Beeinträchtigungen abwehren kann, die nicht durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes begründet werden.¹⁶ Daneben ergänzt § 1004 Abs. 1 BGB auch die deliktsrechtlichen Schadensersatzansprüche aus § 823 BGB: Während diese verschuldensabhängig sind, besteht der Beseitigungsanspruchs schon bei Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung (vgl. § 1004 Abs. 2 BGB).¹⁷ Voraussetzung ist eine gegenwärtige Beeinträchtigung des Eigentums durch einen Störer, welche der Eigentümer der Sache nicht gem. § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden braucht. Welche dogmatische Bedeutung § 906 BGB im Verhältnis zu § 1004 Abs. 1 BGB zukommt, wird unterschiedlich beurteilt. Zum Teil¹⁸ wird zwischen § 906 Abs. 1 und

 Vgl. Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 1004 Rn. 105 – 117.  Vieweg/Werner, Sachenrecht, § 9 Rn. 1.  Palandt/Herrler, BGB, § 1004 Rn. 5.  Englert/Englert, in: Prütting/Wegen/Weinreich BGB, § 1004 Rn. 2.  BGH JZ 2010, 631 (633) spricht bei § 906 Abs. 1 BGB von einem fehlenden Ausschließungsinteresse des Eigentümers; Gursky, in: Staudinger BGB (2013), § 1004 Rn. 176; Jauernig, JZ 1986, 605 (608); ähnlich Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/299, S. 19 ff.; Picker, Der negatorische Abwehranspruch, S. 110 (Fn. 268); Olzen, Jura 1991, 281

II. Dogmatische Einordnung von § 1004 BGB und § 906 BGB

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Abs. 2 Satz 1 BGB differenziert. Insoweit wird angenommen, dass Einwirkungen i.S.d. § 906 Abs. 1 BGB bereits den Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB ausschließen, während § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB eine Duldungspflicht und damit eine rechtshindernde Einwendung normiert. § 906 Abs. 1 BGB sei demnach eine „echte Inhaltsbegrenzung“ des Eigentums, sodass schon die Ausschlussbefugnis des Eigentümers nicht ausreicht, die Beeinträchtigung abzuwehren.¹⁹ Es handelt sich danach bei solchen Einwirkungen schon tatbestandlich nicht um Eigentumsbeeinträchtigungen i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB. § 906 Abs. 1 BGB lege generell-abstrakt die „Soziabilitätsschranke“ des Eigentums im Nachbarschaftsverhältnis fest.²⁰ Dafür wird der Wortlaut des Gesetzes angeführt, welcher zwischen Einwirkung und Beeinträchtigung trenne und deshalb davon ausgehe, dass es Einwirkungen gibt, die Grundstücke nicht beeinträchtigen.²¹ Dies soll jedoch ohne Auswirkung auf die Beweislastverteilung des Abwehranspruchs bleiben, sodass der Anspruchsinhaber nur die Tatsache der Zuführung der Imponderabilien, nicht aber deren Intensität zu beweisen braucht.²² Andererseits²³ wird § 906 BGB insgesamt als rechtshindernde Einwendung gesehen, sodass sowohl § 906 Abs. 1 BGB als auch § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB rechtliche Duldungspflichten i.S.d. § 1004 Abs. 2 BGB normieren. Dies wird auf den Wertungsgleichlauf mit den für § 906 BGB allgemein anerkannten Behauptungs- und Beweislastgrundsätzen gestützt.²⁴ Letztere Ansicht verdient Zuspruch. § 906 BGB verfolgt als Generalnorm des Nachbarrechts den Zweck, die gegenüberstehenden Nachbarinteressen einer sachgerechten Grundstücksnutzung auszugleichen. Dazu beschränkt § 906 BGB die Eigentümerrechte aus § 903 BGB. Dass es sich dabei sowohl bei § 906 Abs. 1 BGB als (284); Sponheimer, in: BeckOGK BGB, § 1004 Rn. 204; wohl auch Thole, in: Staudinger BGB; § 1004 Rn. 482, 492.  Gursky, in: Staudinger BGB (2013), § 1004 Rn. 176; Jauernig, JZ 1986, 605 (608); ähnlich Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/299, S. 19 ff.; Picker, Der negatorische Abwehranspruch, S. 110 (Fn. 268); Olzen, Jura 1991, 281 (284); Sponheimer, in: BeckOGK BGB, § 1004 Rn. 204; wohl auch Thole, in: Staudinger BGB; § 1004 Rn. 482, 492.  Gursky, in: Staudinger BGB (2013), § 1004 Rn. 176; Säcker, in: MüKo BGB (2009), § 906 Rn. 30.  Olzen, Jura 1991, 281 (284) mwN.  Gursky, in: Staudinger BGB (2013), § 1004 Rn. 176 mwN.  BGH NZM 2020, 598 (604); Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 1 ff.; Palandt/Herrler, BGB, § 1004 Rn. 38; Jacoby/von Hinden/Kropholler, Studienkommentar BGB, § 906 Rn. 3; Klimke, in: BeckOGK BGB, § 906 Rn. 2; Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 3; Schmidt, Der nachbarliche Ausgleichsanspruch, S. 30; Schreiber, Jura 2011, 263 (263); Schuschke, in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast, § 906 Rn. 4; Vieweg/Werner, Sachenrecht, § 9 Rn. 34 ff.; Vieweg/Regenfus, in: jurisPK-BGB, § 906 Rn. 2; Wilhelmi, Risikoschutz durch Privatrecht, S. 81; Petersen, Duldungspflicht und Umwelthaftung, S. 11 f.; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 741.  Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 3.

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A. Einleitung

auch bei § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB um eine Duldungspflicht handelt, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Norm. Gem. § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB gilt bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen „gleiches“ wie bei § 906 Abs. 1 BGB. Insoweit ist schon eine Differenzierung innerhalb der Rechtsfolge beider Vorschriften mit dem Wortlaut kaum vereinbar. Hinzu kommt, dass § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB die Rechtsfolge ausdrücklich normiert: „Hat der Eigentümer hiernach eine Einwirkung zu dulden […]“. Das Gesetz spricht selbst von der „Duldung einer Einwirkung“, also von einer Duldungspflicht. Die Differenzierung zwischen Einwirkung und Beeinträchtigung ist insoweit nicht überzeugend, weil diese als solche keine Auskunft über etwaige Inhaltsbeschränkungen des Eigentums gibt. Diese Auslegung bestätigt auch die Systematik des Gesetzes im Hinblick auf §§ 1004, 903 BGB. Zweck des § 1004 BGB ist die Durchsetzung der negativen Befugnisse, die aus dem Eigentumsrecht entspringen. Dadurch, dass § 1004 Abs. 1 BGB selbst keinerlei Einschränkungen vorsieht, kann der Abwehranspruch grundsätzlich auf die Abwehr jeglicher Immissionen gerichtet sein.²⁵ Einschränkungen ergeben sich sodann aus § 1004 Abs. 2 BGB i.V.m. § 906 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB oder sonstigen Duldungspflichten. Zum Verhältnis von § 1004 BGB und § 906 BGB lässt sich daher folgendes feststellen: § 1004 BGB realisiert die Eigentümerbefugnisse aus § 903 BGB. § 906 BGB stellt dazu eine einheitliche Schranke in Form einer rechtshindernden Einwendung dar, um bei der Nutzung eines Grundstücks im Verhältnis zu den benachbarten Grundstücken möglicherweise auftretende Konflikte in einen vernünftigen Ausgleich zu bringen.²⁶ Dazu normiert § 906 BGB in Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 verschiedene Duldungspflichten, durch welche der Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB ausgeschlossen wird.

III. Motivation und Gang der Darstellung Schon die Frage nach dem Verhältnis der beiden Vorschriften deutet an, welches dogmatische Konfliktpotential in etwaigen Analogiemöglichkeiten steckt. Hinzu kommt, dass die Beantwortung dieser Fragestellungen in jüngster Vergangenheit vermehrt Eingang in die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gefunden hat. Insbesondere die Ausgleichsansprüche bei faktischen Duldungszwängen aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB waren im vergangenen Jahrzehnt Mittelpunkt mehrerer Entscheidungen. Dabei waren die Sachverhalte teilweise spektakulär und unterhalt-

 BGH NZM 2020, 598 (604).  BGH NZM 2020, 598 (604).

III. Motivation und Gang der Darstellung

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sam: Explodierte Weltkriegsbomben, abgedriftete Silvesterraketen, Hausbrände und Wasserrohrbrüche. Diesen Fällen liegen jedoch nicht nur dramatische Sachverhalte zugrunde, sondern auch die rechtlichen Haftungsfragen decken bestehende dogmatische Unklarheiten im Haftungssystem des BGB auf. Dabei handelt es sich um dogmatisch tiefgreifende Probleme des Zivilrechts, die seit Jahrzehnten höchst umstritten sind. Insbesondere geht es um die Frage nach einer verschuldensunabhängigen Haftung zwischen Nachbarn, die einer Gefährdungshaftung ähnelt. Die Aufarbeitung der dazu vertretenen Ansichten und die Entwicklung eines eigenen Lösungsvorschlags sollen dabei im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen. Die Untersuchung verfolgt daneben das Ziel, § 906 BGB historisch aufzuarbeiten und darauffolgend die Systematik der Norm und des dazugehörigen Nachbarrechts zu erschließen. Ausgangspunkt dafür ist die historische Entwicklung im letzten Jahrhundert. Das umfasst zum einen die gesetzgeberischen Rechtsgedanken beim Inkrafttreten des BGB sowie die Entwicklung der Rechtsprechung sowohl des Reichsgerichts als auch des Bundesgerichtshofs, die für § 906 BGB von prägender Bedeutung waren und es bis heute noch sind. Dabei steht vor allem das in diesem Zusammenhang immer wieder auftauchende Rechtsinstitut des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses im Mittelpunkt. Dessen Entstehung sowie der dazugehörige historische Kontext sollen ebenso dargestellt und analysiert werden wie die rechtliche Einordnung im System des Nachbarrechts und im Zusammenhang mit § 906 BGB. Darauf aufbauend soll der Schwerpunkt dieser Arbeit darin liegen, die unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten des Ausgleichsanspruchs aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB aufzuschlüsseln. Zum einen soll dazu dargestellt und kritisch bewertet werden, wie und in welchen Fallkonstellationen die Rechtsprechung und ein großer Teil der Literatur die Norm anwenden. Abschließend soll dann, insbesondere aufbauend auf die Kapitel zur Geschichte und der historischen Entwicklung sowie dem Rechtsinstitut des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses ein eigener Lösungsvorschlag zum Umgang mit Haftungsfragen im Nachbarrecht gemacht werden. Im Rahmen der Arbeit ist bewusst eine Art der Analyse gewählt, die darauf verzichtet, bereits vielfach diskutierte Probleme wiederzugeben, ohne dass durch eine Stellungnahme ein Mehrwert zur Diskussion beigetragen wird. Stattdessen soll der Fokus auf der Wiedergabe der eigenen Gedanken liegen, die – hoffentlich – den Diskurs voranbringen.

B. Entstehungsgeschichte und Rechtsprechungsentwicklung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs I. Rechtslage bei Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs¹ Unter Geltung des ALR und des gemeinen Rechts fehlte eine gesetzliche Normierung, die die Rechte und Pflichten zwischen Grundstückseigentümern regelte. Gleiches galt für sonstige Partikularrechte wie den Code Civil oder das österreichische ABGB.² Gerichtliche Entscheidungen fanden ihre Grundlage in der „Natur der Sache“ oder allgemeinen Prinzipien; eine immissionsrechtliche Bestimmung war einzig im sächsischen BGB in § 358³ zu finden.⁴ Ursprünglich sah der Immissionsschutz Duldungspflichten deshalb nur gegenüber unwesentlichen Beeinträchtigungen oder ortsüblicher Grundstücksnutzung vor, weil der Eigentumsschutz des einen Nachbars gleichzeitig durch den Eigentumsschutz des anderen begrenzt wurde. Aus der Nutzungsbefugnis des Eigentümers resultierende Einwirkungen hatte der Nachbar zu dulden.⁵ Dem lag der Gedanke zugrunde, dass einige Immissionen auch bei ordnungsgemäßer Grundstücksnutzung wegen des „bewegten Luftmeeres“⁶, auf dessen Grund wir leben und

 Vgl. zur Rechtslage im Nachbarrecht im Mittelalter und zur Beurteilung der Immissionen am Ende des 19. Jahrhunderts anhand der Berichte der Gewerbeaufsichtsbehörden Palmer, Die Entwicklung des deutschen privatrechtlichen Immissionsrechts im 19. Jahrhundert verglichen mit dem franzoesischen Recht, S. 3 ff., S. 20 ff. mwN.; zum Schutz gegen nachbarliche Einwirkungen im römischen Recht vgl. Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Absatz 2 Satz 2 BGB, S. 26 ff.  Johow, in: Schubert, die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Sachenrecht Teil 1, S. 706 f.; Palmer, Die Entwicklung des deutschen privatrechtlichen Immissionsrechts im 19. Jahrhundert verglichen mit dem franzoesischen Recht, S 28.  § 358 des sächsischen BGB lautete: „Dem Eigenthümer ist, sofern nicht besondere Gesetze aus Rücksichten auf das allgemeine Beste Ausnahmen bestimmen, nicht erlaubt, auf seinem Grundstücke Vorrichtungen anzubringen, durch welche dem benachbarten Grundstücke zu dessen Nachtheile Dampf, Dunst, Rauch, Ruß, Kalk- oder Kohlenstaub in ungewöhnlicher Weise zugeführt wird.“  Vgl. Palmer, Die Entwicklung des deutschen privatrechtlichen Immissionsrechts im 19. Jahrhundert verglichen mit dem franzoesischen Recht, S 55 ff.  Vgl. Johow, in: Schubert, die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Sachenrecht Teil 1, S. 706 f.; Westermann, in: FS Larenz 1973, 1003 (1016).  Johow, in: Schubert, die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Sachenrecht Teil 1, S. 705; auch Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, S. 145 f. https://doi.org/10.1515/9783111239545-004

I. Rechtslage bei Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs

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welches die leichteren Abfallsprodukte unserer wirtschaftlichen und industriellen Thätigkeit an sich zieht, mit sich führt und anderwärts wieder ablegt, ⁷

unvermeidbar sind.⁸ Dabei war umstritten, ob die Einwirkungen im Regelfall erlaubt oder verboten sein sollten.⁹ Diese Sichtweise hätte zu einer vollständigen Beschränkung des Individualeigentums zugunsten unternehmerischer Interessen geführt, um die Entwicklung von Gewerbebetrieben bestmöglich zu gewährleisten. Die zweite Kommission sprach sich zwar für ein Immissionsverbot aus und sah damit von einer vollständigen Privilegierung der Unternehmen ab, dennoch wurde die Duldung bestimmter Immissionen im Interesse der freien Entfaltung der Industrie und Wirtschaft als geboten angesehen.¹⁰ Diese „bilateral-privatrechtliche Sichtweise“¹¹ wurde durch ein wertendes Verständnis ergänzt, sodass die raumordnende Funktion des Eigentums im Rahmen des Nachbarrechts nach und nach in den Vordergrund rückte.¹² Daraus resultierte schließlich die Norm des § 906 BGB in alter Fassung.¹³ In dieser Form entsprach die Norm der Sache nach dem heutigen Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Hs. 1 und Abs. 3. Durch das Anknüpfen an die Kriterien der (un‐)wesentlichen Beeinträchtigung und der ortsüblichen Grundstücksbenutzung schuf der Gesetzgeber eine sehr flexible Norm für einen sensiblen Problembereich menschlichen Zusammenlebens.¹⁴ Die substanzsichernde Funktion des Eigentums trat erst mit fortschreitender Industrialisierung¹⁵ in den Vordergrund.¹⁶ Dies führte insbesondere durch das zuneh-

 Johow, in: Schubert, die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Sachenrecht Teil 1, S. 705.  Dazu auch ausführlich Bensching, Nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche, S. 12.  Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, S. 145 f., dies war vor allem für die Verteilung der Beweislast von Bedeutung: Muss der beeinträchtigte Grundstückseigentümer nur die Eigentumsverletzung oder auch deren Unzulässigkeit darlegen?  Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, S. 147; 580 f.; 581.  Brückner, in: MüKo BGB, §906 Rn. 6.  Vgl. zum Ganzen zusammenfassend Brückner, in: MüKo BGB, §906 Rn. 5 ff. mwN.  Ehemalige Fassung des § 906 BGB: „Der Eigenthümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt oder durch eine Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird, die nach den örtlichen Verhältnissen bei Grundstücken dieser Lage gewöhnlich ist. Die Zuführung durch eine besondere Leitung ist unzulässig.“.  Wilhelmi, in: Erman BGB, § 906 Rn. 1, 4.  Diese wurde insbesondere durch die Einführung der allgemeinen Gewerbefreiheit beschleunigt, weil die bis dahin bestehenden Beschränkungen für Gewerbe weitgehend aufgehoben wurden, vgl. Palmer, Die Entwicklung des deutschen privatrechtlichen Immissionsrechts im 19. Jahrhundert verglichen mit dem franzoesischen Recht, S. 17 ff.  Vgl. Westermann, in: FS Larenz 1973, 1003 (1016 f.).

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B. Entstehungsgeschichte und Rechtsprechungsentwicklung

mende Nebeneinander von Industrie und Landwirtschaft zu Rechtsstreitigkeiten, denn in der Zeit zwischen der Reichsgründung und dem ersten Weltkrieg erfuhr Deutschland einen Wandel von einem überwiegend agrarisch zu einem industriell und großstädtisch geprägten Land. Der Gesetzgeber reagierte darauf mit den gesetzlich statuierten Duldungspflichten. Er hielt es für geboten, dass das volkswirtschaftliche Interesse an der freien und ungehinderten Entfaltung neuer Schlüsselindustrien wie Maschinenbau, Großchemie und Elektroindustrie den Nachbarn zur Duldung der Immissionen verpflichtete und von der gesetzgeberischen Interessenlage vorrangig gegenüber dem Privateigentum war.¹⁷ Dieser Vorrang sollte jedoch dort enden, wo nach der Lage der Sache Immissionen unvermeidlich seien, wie etwa wegen der fehlenden Möglichkeit, geeignete Schutzmaßnahmen zu installieren.¹⁸ Zudem ging der Gesetzgeber davon aus, dass sich die Vor- und Nachteile von ortsüblichen Immissionen für die betroffenen Grundstückseigentümer von selbst ausgleichen, weshalb ein Ausgleich in Geld von § 906 BGB aF. zum damaligen Zeitpunkt gesetzlich nicht vorgesehen war.¹⁹ Der ursprünglich zu Diskussion stehende Passus, der die Ortsüblichkeit dadurch ergänzen sollte, dass nur solche Einwirkungen ortsüblich seien, die nicht durch angemessene Schutzmaßnahmen verhindert werden können, fand keinen Eingang in die endgültige Fassung des BGB, weil die Maßstäbe des öffentlichen Rechts als maßgeblich angesehen wurden und die Kodifikation des BGB nicht über die Voraussetzungen und Beschränkungen des öffentlichen Rechts hinausgehen sollten:²⁰ Durch die Gesetzgebung kann nicht jedes lokale Bedürfnis festgestellt und berücksichtigt werden, und ebenso wenig kann die Gesetzgebung einer jeden Veränderung des Bedürfnisses rasch folgen. […] Auf diese Weise wird auch ohne Mitwirkung der lokalen Gesetzgebung der Eingriff in gelebte Verhältnisse vermieden; auch ist die Üblichkeit ein einigermaßen beweglicher Regulator, der sich mit den veränderten Verhältnissen selbst verändert. ²¹

Ein Teil der Literatur sieht diese Grundannahme durch die stürmische Entwicklung der Industrie und des Verkehrs als widerlegt und spricht von einer „empfindlichen  In Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, Rn. 582; in RGZ 154, 161 (166) heißt es auch, dass bedacht darauf genommen werden muss, die Entwicklung der Industrie nicht unbillig zu hemmen; zum nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis als Lösung zu volkswirtschaftlich bedeutsamen Raumkonflikte: Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis S. 40.  Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, Rn. 8538.  Hagen, in: FS Lange 1992, 483 (484) m.w.N; Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 8 bezeichnet diese Nichteinführung im Hinblick auf andere korrespondierende Ausgleichsansprüche als inkonsequent.  Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, S. 581 f.  Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, S. 147.

I. Rechtslage bei Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs

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Rechtsschutzlücke“ der damaligen Zeit.²² Duldungspflichten sollten nur für unvermeidliche Immissionen gelten.²³ Für alle darüber hinausgehenden Immissionen sollte der Eigentümer geeignete Schutzmaßnahmen treffen.²⁴ In Folge dessen konnten einige Fallkonstellationen nicht auf befriedigende Art und Weise gelöst werden, wodurch im Ergebnis eine richterliche Rechtsfortbildung herausgefordert wurde.²⁵ Des Weiteren war auch der Gedanke des Umweltschutzes noch unterentwickelt.²⁶ Ein Ausgleichsanspruch war dennoch nicht vollständig ausgeschlossen. § 26 GewO aF.²⁷ sah weitergehende Duldungspflichten vor und schloss gegenüber privilegierten Betrieben, die einem Genehmigungsverfahren unterlagen, den Anspruch auf Betriebsschließung vollständig aus. Dem beeinträchtigten Nachbar würde dann ein Anspruch, gerichtet auf die Errichtung von Einrichtungen, die die Einwirkungen ausschließen oder – soweit solche Schutzvorkehrungen die Beeinträchtigungen nicht verhindern konnten – auf Schadensersatz gewährt. Dieser Schadensersatzanspruch entstand jedoch nach höchstrichterlicher Rechtsprechung²⁸ nur bei Vorliegen einer gesteigerten Duldungspflicht nach § 26 GewO, sodass jede Beeinträchtigung, die nach § 906 BGB aF. zu dulden war, entschädigungslos blieb.²⁹ Mit anderen Worten war Voraussetzung des § 26 GewO aF., dass die in § 906 BGB aF. für die Duldungspflicht³⁰ gesetzten Grenzen überschritten wurden. Dies hatte zunächst zur Folge, dass wesentliche, aber ortsübliche Emissionen nicht in-

 Hagen, in: FS Lange 1992, 483 (484); In Hagen, UTR 1993, 49 (49) erkennt er „Geburtsfehler“ in der Urfassung von § 906 BGB; Bälz, in: FS Kübler 1997, 355 (357) sieht eine „eklatante Rechtsschutzlücke“; Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 4 ff. spricht insoweit von „einem sich durch die praktische Anwendung herauskristallisierende Fehler des § 906 BGB“, zudem weist er kritisch auf die „Alternativenarmut der Norm“ hin, „die sich durch die nur zweispurigen, und nicht wie heute kodifiziert dreispurigen Lösungsmöglichkeiten manifiziere“.  Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, S. 582.  Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, Rn. 582.  Hagen, UTR 1993, 49 (50); Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 7 mwN.  Hagen, UTR 1993, 49 (50).  Ehemalige Fassung des § 26 GewO: „Soweit die bestehenden Rechte zur Abwehr benachtheiligender Einwirkungen, welche von einem Grundstück aus auf ein benachbartes Grundstück geübt werden, dem Eigenthümer oder Besitzer des letzteren eine Privatklage gewähren, kann diese Klage einer mit obrigkeitlicher Genehmigung errichteten gewerblichen Anlage gegenüber niemals auf Einstellung des Gewerbebetriebs, sondern nur auf Herstellung von Einrichtungen, welche die benachtheiligende Einwirkung ausschließen, oder, wo solche Einrichtungen unthunlich oder mit einem gehörigen Betriebe des Gewerbes unvereinbar sind, auf Schadloshaltung gerichtet werden.“.  RGZ 154, 161 (166); 159, 129 (139).  RGZ 139, 29 (33).  Damals für unwesentliche, oder wesentliche und ortsübliche Immissionen.

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B. Entstehungsgeschichte und Rechtsprechungsentwicklung

teressensgerecht ausgeglichen wurden, sondern stets zu Lasten des Benachteiligten gingen. Eine entsprechende Duldungspflicht sah auch § 58 ABG³¹ (Allgemeines Preußisches Berggesetz) vor; die § 26 GewO aF. entsprechende und verschuldensunabhängige Schadensersatzpflicht entsprang § 148 ABG³². Die Rechtslage zu Beginn des 20. Jahrhunderts war demnach die Folgende: Soweit keine Duldungspflicht bestand, konnten grundsätzlich jegliche Einwirkungen mit Hilfe der negatorischen Abwehransprüche abgewehrt werden. Entschädigungslos mussten die Grundstückseigentümer unwesentliche und ortsübliche Einwirkungen wegen § 906 BGB verschmerzen, während Schadensersatzansprüche nur verschuldensabhängig nach §§ 823 ff. BGB gewährt wurden. Daneben bestanden besondere Entschädigungsmöglichkeiten für auferlegte Duldungspflichten aus dem ABG und der GewO, welche losgelöst von sonstigen Ansprüchen waren.³³

II. Rechtsprechungsentwicklung zu Zeiten des Reichsgerichts Das Reichsgericht statuierte auch gegenüber privatwirtschaftlichen Betrieben, die nicht gem. § 26 GewO aF. genehmigungsbedürftig waren Duldungspflichten und schränkte dadurch den Eigentumsschutz ein.³⁴ Es ging dabei meist um Betriebe, die von gemeinwichtiger Bedeutung waren: So genossen zunächst die staatlich konzessionierten Eisenbahnen das Privileg, dass deren Immissionen – namentlich der entstehende Rauch, Ruß sowie der Funkenflug – für Dritte selbst dann zu dulden waren, wenn das nach § 906 aF. zulässige Maß überschritten worden war.³⁵ Des Weiteren kam die Privilegierung des Reichsgerichts weiteren Betrieben zugute, deren Existenz im öffentlichen Interesse lag oder dem Allgemeinwohl

 Ehemalige Fassung des § 58 ABG: „Dem Bergwerkseigenthümer steht die Befugnis zu, die zur Aufbereitung seiner Bergwerkserzeugnisse erforderlichen Anstalten zu errichten und zu betreiben.“.  Ehemalige Fassung des § 148 ABG: „Der Bergwerksbesitzer ist verpflichtet, für allen Schaden, welcher dem Grundstückseigenthume oder dessen Zubehörungen durch den unterirdisch oder mittels Tagebaues geführten Betrieb des Bergwerks zugeführt wird, vollständige Entschädigung zu leisten, ohne Unterschied, ob der Betrieb unter dem beschädigten Grundstücke stattgefunden hat oder nicht, ob die Beschädigung von dem Bergwerksbesitzer verschuldet ist, und ob sie vorausgesehen werden konnte oder nicht.“.  Vgl. zum Ganzen auch Bensching, Nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche, S. 14.  Hagen, in: FS Lange 1992, 483 (485).  Vgl. RGZ 70, 150; 97, 290; die beeinträchtigten Grundstückseigentümer waren nicht berechtigt, eine damals sog. Eigentumsfreiheitsklage zu erheben, dazu ausführlich Hemsen, Der allgemeine bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 12 ff.

II. Rechtsprechungsentwicklung zu Zeiten des Reichsgerichts

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diente.³⁶ Dabei ging es um Immissionen wie das Herüberfliegen von Kugeln von einem Militärstand, die Absenkung eines Hausgrundstücks infolge des Baus eines Eisenbahntunnels oder Grundwasserabsenkungen, die durch den Bau der Reichsbahn sowie der Reichsbank verursacht wurden.³⁷ Im Urteil des Reichsgerichts zum Reichspostbetrieb wurde ein Abwehranspruch des durch die pausenlose Lärmeinwirkung der aufgestellten Maschinen auf dem Nachbargrundstück beeinträchtigter Nachbarn als unzulässig angesehen und diesem dafür eine Aufopferungsentschädigung zugesprochen.³⁸ Die Begründung dafür war, dass eine dem Allgemeinwohl dienende Unternehmung nicht mittels Vorschriften des bürgerlichen Rechts „lahmgelegt“ oder erheblich beeinträchtigt werden dürfte.³⁹ Damit privilegierte das Reichsgericht neben der Industrie auch die fiskalisch betriebenen Unternehmen des Staates gegen negatorische Abwehransprüche.⁴⁰ Das Gemeinwohl für sich genommen reichte jedoch nicht zur Begründung einer Duldungspflicht aus. Erforderlich war jeweils ein ergangener Hoheitsakt qua Gesetz oder durch behördliche Anordnung.⁴¹ Zur Begründung verwies das Reichsgericht an die bis dahin „unbestrittene und unzweifelhafte“ Rechtsprechung, ohne weitere dogmatische Feststellungen zu deren Herleitung zu treffen.⁴² Diese Rechtsprechungslinie wurde vom Reichsgericht in weiteren Urteilen⁴³ fortgesetzt, sodass sich daraus ein allgemeingültiger Grundsatz entwickelte.⁴⁴ Anders zu beurteilen war die Konstellation, in der es ausschließlich um sich gegenüberstehende Privatinteressen ging. Insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen Landwirtschaft und Industrie stand dabei im Mittelpunkt. Im Hinblick auf die entstehenden Duldungspflichten ging es jeweils um die Auslegung des Begriffs der Ortsüblichkeit aus § 906 BGB. Dabei orientierte sich das Reichsgericht in einer

 Hagen, in: FS Lange 1992, 483 (485); RGZ 73, 270.  Hagen, in: FS Lange 1992, 483 (485 f.) jeweils mwN.; die Privilegierung wurde damit begründet, dass das Reichsgericht der Überzeugung war, die Anliegerrechte seien in den entsprechenden Genehmigungsverfahren bereits ausreichend berücksichtigt worden, vgl. Ringshandl, Der bürgerlichrechtliche Aufopferungsanspruch, S. 8 mwN.  RGZ 73, 270 ff.  Vgl. dazu (und auch zum Urteil „Gleisbau“ – RGZ 98, 347 ff.) Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 9 ff.  Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 9.  Bensching, Nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche, S. 16; Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 10.  RGZ 58, 130 (134); Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 10.  RGZ 98, 347 (348); 99, 96 (98).  Bensching, Nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche, S. 15 ff.; Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 33 ff.; Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 9 mwN.

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B. Entstehungsgeschichte und Rechtsprechungsentwicklung

Entscheidung vom 26. November 1932⁴⁵ noch streng am Wortlaut von § 906 BGB: Der Begriff der Ortsüblichkeit wurde extensiv ausgelegt, sodass der Charakter eines Bezugsraumes bereits durch einen Großbetrieb geprägt werden konnte.⁴⁶ Dass das jeweilige Gebiet auch von landwirtschaftlichen Betrieben besiedelt war, stand der Ortsüblichkeit nicht entgegen, weshalb ein Abwehranspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB versagt wurde und eine Kompensationsmöglichkeit ausschied.⁴⁷ Teilweise wird dahingehend vermutet, dass das Reichsgericht, trotz der teils existenzbedrohenden Auswirkungen für die landwirtschaftlichen Betriebe und des daraus resultierenden unbefriedigenden Ergebnisses aufgrund gesetzespositivistischer Grundüberlegungen davon absah, in das Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Industrie einzugreifen.⁴⁸ Diese Rechtsansicht wurde durch das Reichsgericht nach und nach weiterentwickelt: 1937 betonte es sodann, dass […] § 906 BGB keine starre Norm, sondern in seiner die Lebensverhältnisse regelnden Bedeutung wandelbar [ist], je nach Fortschritten des Verkehrs, der Technik und nicht zuletzt nach der Denkweise der Volkskreise. ⁴⁹

Daraus lässt sich ableiten, dass der Senat schon damals zum einen das Konfliktpotenzial der Norm erkannte und zum anderen zur Feststellung gelangte, dass Nachbarstreitigkeiten vielschichtige Rechtsfragen mit sich bringen, deren Lösung auf abstrakter Ebene kaum möglich ist, sodass eine Einzelfallentscheidung mit wertenden Elementen unumgänglich ist.⁵⁰ Im konkreten Urteil⁵¹ ging es darum, dass der Kläger, ein Landwirt, durch industrielle Anlagen aus der Umgebung und deren Rauch-, Ruß- und Staubemissionen beeinträchtigt wurde und deswegen Ersatz für die geminderten Erträge sowie für die Schädigungen seiner Viehbestände forderte.⁵²

 RGZ 139, 29.  Hagen, UTG 1993, 49 (50); vgl. dazu auch Westermann, in: FS Larenz 1973, 1003 (1003).  Vgl. Bensching, Nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche, S. 19.  Vgl. Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis S. 9 mwN.  RGZ 154, 161 (164).  Das Reichsgericht verwendet dabei sogar die Terminologie „gerechte Lösung“ und „gerechter Ausgleich“ und legt dementsprechend die Norm aus, RGZ 154, 161 (166); auch Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (413) spricht davon, dass es unvermeidlich sei, jeweils die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und jeweils Wertungsspielräume bestehen müssen; systemsprengend sei dies nicht.  Auch bezeichnet als Gutehoffnungshütte II-Entscheidung.  RGZ 154, 161 (161).

II. Rechtsprechungsentwicklung zu Zeiten des Reichsgerichts

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Im Unterschied zur bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung führte das Reichsgericht hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Industrie und Landwirtschaft aus, es würde […] dem Gedanken der Volksgemeinschaft […] widersprechen, wenn der Industrie gestattet sein sollte, durch zwar planvoll angelegte und in natürlicher Entwicklung entstandene, aber doch besonders stark gehäufte Werksanlagen ohne Entschädigungspflicht mit ihr zusammenliegende landwirtschaftliche Betriebe, die nicht fehl am Orte sind, sondern an jener Stelle ihre natürlichen Lebensbedingungen finden, in einer Weise zu beeinträchtigen, dass die Landwirtschaft dadurch schließlich zum Erliegen kommen muss. ⁵³

Insoweit bekräftigte das Rechtsgericht bereits die grundsätzliche Gleichwertigkeit von Industriegewerbe und daneben angesiedelter Landwirtschaft. Sowohl Industrie als auch Landwirtschaft sollten dazu die bestmöglichen technischen Einrichtungen zur Schonung des Nachbarn zu treffen haben, um diesem ein möglichst unbeschwertes Arbeiten zu ermöglichen.⁵⁴ Um die nachbarlichen Interessen im Ergebnis gerecht auszugleichen, verwendete das Reichsgericht bei der Auslegung des Tatbestandmerkmals „ortsüblich“ einen einschränkenden Maßstab:⁵⁵ Der Konflikt zwischen industrieller und landwirtschaftlicher Nutzung konnte dadurch bewältigt werden, dass eine Industrienutzung, die wegen ihrer intensiven Ruß- und Staubemissionen für die Landwirtschaft existenzbedrohend sein konnte und diese unmöglich machte, nicht ortsüblich war.⁵⁶ Dahinter stand der Gedanke, dass sich kein Betrieb auf die Ortsüblichkeit der eigenen Benutzung berufen durfte, wenn das gleiche Recht des Nachbarn damit ausgeschlossen würde.⁵⁷ Zur Begründung wurde dabei auf das Vorliegen eines „nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses“ und daraus resultierende Besonderheiten verwiesen, insbesondere auf die existierenden Rücksichtnahmepflichten.⁵⁸ Darauf wird noch zurückzukommen sein. Daraus folgte, dass das Reichsgericht von nun an auf die „allgemein bestehenden örtlichen Verhältnisse“ abstellte, anstatt die einzelne Benutzung des jeweiligen Grundstücks in den Vordergrund zu stellen.⁵⁹ Sowohl die Landwirtschaft

 RGZ 154, 161 (165).  Vgl. RGZ 154, 161 (167); das Reichsgericht bestätigt aber auch die Ausführungen aus RGZ 139, 29 (33).  Krämer, in: FS Wenzel 2005, 345 (346).  Krämer, in: FS Wenzel 2005, 345 (346); RGZ 154, 161 (166 f.).  Hubmann, AcP 155 (1956), 85 (125 f.); Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 21.  RGZ 154, 161 (165).  Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 22.

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B. Entstehungsgeschichte und Rechtsprechungsentwicklung

als auch die Industrie seien „gewöhnlich“ und hätten deshalb ihre Daseinsberechtigung. Dies müsse auch durch die Rechtsordnung gewährleistet werden: [Soweit] dort das eine und das andere „gewöhnlich“, d. h. ortsüblich [ist], so können mit Rücksicht auf beide besonderen Verhältnisse Einwirkungen des Industriewerks von solcher Art und solchem Maß, dass sie die Lebensbedingung der Landwirtschaft zerstören müssen, nicht als rechtmäßig im Sinne des § 906 BGB angesehen werden. ⁶⁰

Durch diese restriktive Auslegung des Begriffs der Ortsüblichkeit schied eine entschädigungslose Duldungspflicht aus § 906 BGB aus und der Anwendungsbereich des Anspruchs auf „Schadloshaltung“ aus § 26 GewO aF. wurde eröffnet.⁶¹ Gleichzeitig wurde die Duldungspflicht auf wesentliche Einwirkungen aus ortsüblichen Nutzungen beschränkt, die technisch und wirtschaftlich nicht in zumutbarer Weise verhindert werden konnten.⁶² Dadurch wurde die Zahl der Fälle, in denen der Nachbar Ausgleich in Geld erlangen konnte, beträchtlich erweitert.⁶³ Darüber hinaus legte das Reichsgericht ein gegenseitiges Mitverschuldensgebot über § 254 BGB fest, wenn der eigene Betrieb nicht den Ortsverhältnissen entsprechend eingerichtet ist und bspw. eine Art der Bewirtschaftung gewählt wird, die gegenüber den Zuführungen des anderen empfindlich ist.⁶⁴ Diese Vorgehensweise des Reichsgerichts wird zum Teil kritisch beurteilt: Es besteht der Vorwurf, dass eine „Rechtsfigur geschaffen“ wurde, die in systemfremder Weise eine individuelle Abwägung ermöglicht, um nach dem Gesetzeswortlaut eigentlich rechtmäßige Einwirkungen als rechtswidrig zu deklarieren.⁶⁵ Letztlich entwickelte das Reichsgericht in jenem Urteil aus dem Jahr 1937 einen Billigkeitsanspruch für den Fall, dass der Nachbar Immissionen zu dulden hatte, hierdurch aber in seiner Existenz gefährdet wurde, obwohl er sein Grundstück

 RGZ 154, 161 (166); vgl. dazu auch Hubmann, AcP 155 (1956), 85 (125 f.).  Zwar erscheint es widersprüchlich, dass eine Einwirkung durch das Gericht als rechtswidrig bezeichnet wird, die sodann durch eine Sondernorm zu dulden ist. Es handelt sich dabei jedoch nur um eine Ungenauigkeit in der Terminologie, die folgenlos blieb, denn das Reichsgericht meinte dabei nicht „rechtswidrige Einwirkungen“, sondern „durch § 906 BGB nicht gerechtfertigte Immissionen“, vgl. dazu Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/299, S. 33; auch Krämer, in: FS Wenzel 2005, 345 (346).  RGZ 154, 161 (167); vgl. Hagen, UTR 1993, 49 (52).  Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (411).  RGZ 154, 161 (167); Das Reichsgericht hat außerdem auch Belästigungen und Schäden geringen Ausmaßes aus dem Anwendungsbereich der Norm genommen.  Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 22 f. mwN.

II. Rechtsprechungsentwicklung zu Zeiten des Reichsgerichts

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gleichfalls ortsüblich nutzte.⁶⁶ Dem Landwirt wurde ein Schadensersatzanspruch wegen Schmälerung der Erträge durch die industriellen Immissionen gewährt:⁶⁷ Ein Abwehranspruch des Landwirts ist durch § 26 GewO […] ausgeschlossen, aber die Rechtswidrigkeit der Einwirkung muß ihren Ausdruck in einer Ersatzpflicht für die Schadensfolgen finden. ⁶⁸

Die Feststellung, dass ein Ausgleichsanspruch dem Grunde nach existieren muss, legte den Grundstein für die Normierung des in § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB geregelten nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs.⁶⁹ Diese Rechtsprechung wurde nach und nach ausgeweitet. Das Reichsgericht gewährte einen an § 26 GewO angelehnten Ausgleichsanspruch nur, wenn die beeinträchtigenden Immissionen zivilrechtlich unzulässig waren, der Abwehranspruch aber wegen öffentlich-rechtlicher Vorschriften oder wegen höherrangiger öffentlicher Interessen ausgeschlossen war. ⁷⁰ Eine dogmatische Betrachtungsweise zeigt, dass es sich dabei um eine Auslegung des § 906 BGB unter „Beachtung der Grundanschauung der Volksverbundenheit“⁷¹ sowie daraus resultierender Grundsätze des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses handelte; die Anspruchsgrundlage selbst blieb jedoch unklar.⁷² Teilweise wird angenommen, dass der Anspruch aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis selbst abgeleitet wurde;⁷³ ein Teil der Literatur geht jedoch zurecht davon aus, dass § 26 GewO aF. bzw. § 148 ABG die Anspruchsgrundlage bildeten.⁷⁴ Dafür spricht auch die Begründung der Entscheidung des Reichsgerichts, das die allgemeinen Rechtsgedanken, die in § 904 BGB, § 25 Preuß.EisenbahnG vom 3.11.1838, § 26 GewO, §§ 74, 75 Einl.ALR, § 148 ABG sowie § 1, 2 Preuß.EnteignG vom 11.6.1874 enthalten sind, in den Vordergrund stellte.⁷⁵ Fest steht jedenfalls, dass das Reichsgericht stets zielorientiert entschied und keinen gesteigerten Wert auf eine dogmatisch untermauerte Herleitung des An Westermann, in: FS Larenz 1973, 1003 (1004) bezeichnet es zurecht als richterliche Rechtsfortbildung.  Siehe dazu auch bestätigend: BGHZ 30, 273 = NJW 1959, 1867 (1868).  RGZ 154, 161 (166).  Schubert, JR 2002, 60 (63).  Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (411).  Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 7.  Vgl. auch Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis S. 10 f.  Vgl. BGHZ 30, 273 = NJW 1959, 1867 (1869).  Konzen, Aufopferung im Zivilrecht S. 56; Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis S. 11.  Hagen, in: FS Lange 1992, 483 (486) mwN; kritisch dazu, insbesondere im Hinblick auf die Bezugnahme zum vorhergehenden Recht Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 12 mwN.

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B. Entstehungsgeschichte und Rechtsprechungsentwicklung

spruchs legte.⁷⁶ Eine Berufung auf Billigkeitserwägungen reichte zur Begründung des Anspruchs insoweit aus. Schließlich bezeichnete das Reichsgericht den Ausgleich für den ausgeschlossenen negatorischen Anspruch als Aufopferungsanspruch.⁷⁷ Die abschließende Rechtslage zu Zeiten des Reichsgerichts war, dass Immissionen i.S.v. § 906 Abs. 1 BGB grundsätzlich entschädigungslos geduldet werden mussten. Immissionen, die entweder existenzbedrohend waren oder durch zumutbare Schutzmaßnahmen des Emittenten hätten verhindert werden können, konnten mit der Unterlassungsklage abgewehrt werden; gegenüber unvermeidbaren Immissionen privilegierter Betriebe wurde die Abwehrklage versagt. Dafür erhielten die Betroffenen dann einen Ausgleich aus § 26 GewO aF. oder, gegenüber gemeinwichtigen privatwirtschaftlichen Betrieben, aus dem bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch.⁷⁸

III. Fortführung und Erweiterung der Rechtsprechungslinie durch den Bundesgerichtshof Der Bundesgerichtshof bestätigte die Gedankenentwicklung hinsichtlich der aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis entspringenden Rücksichtnahmepflichten, die bei widerstreitenden nachbarlichen Interessen dazu führen können, dass die Ausübung einiger, sich aus dem Eigentum ergebenden Rechten eines Grundstückseigentümers unzulässig ist.⁷⁹ Hierbei wurde der Anwendungsbereich der vom Reichsgericht zu § 906 BGB, § 26 GewO entwickelten Rechtsgedanken ausgedehnt, sodass auch rein privatwirtschaftliche, nichtprivilegierte Betriebe den Schadensersatzansprüchen ausgesetzt waren.⁸⁰ Anspruchsgrundlage dafür war im Unterschied zur Rechtsprechung des Reichsgerichts allerdings das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis selbst.⁸¹ Im Unterschied zur Linie des Reichsgerichts folgte

 So auch Bensching, Nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche, S. 10 ff.; ebenso Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 11.  RGZ 159, 68 (72); vgl. auch Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis S. 11 f. als zutreffend bezeichnet durch Hagen, in: FS Lange 1992, 483 (486).  Bälz, in: Kübler 1997, 355 (356); Hagen, in: FS Lange 1992, 483 (489); Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 33 ff.  BGHZ 28, 225 = NJW 1959, 97 (99); auch Maier/Bornheim, JA 1995, 978 (979) mwN.  BGHZ 28, 225 = NJW 1959, 97 (99); Krämer, in: FS Wenzel 346 (347).  BGHZ 28, 225 = NJW 1959, 97 (99).

III. Fortführung und Erweiterung der Rechtsprechungslinie durch den Bundesgerichtshof

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der Bundesgerichtshof also nicht der Aufopferungskonzeption des § 26 GewO aF., sondern stützte den Anspruch auf Treu und Glauben.⁸² Die Erweiterung des Anwendungsbereichs durch den Bundesgerichtshof erfuhr einen neuen Höhepunkt in BGHZ 30, 273⁸³, dabei ging es um eine Auseinandersetzung zwischen einer Röstanlage für Eisenerze und einem Landwirtschaftsbetrieb. Der Bundesgerichtshof sprach dem Landwirt einen Ausgleichsanspruch zu, obwohl die Einwirkungen nach § 906 BGB a.F. eigentlich hätten geduldet gewesen müssen, da es sich um einen genehmigten Betrieb handelte und die Einwirkungen nicht existenzbedrohend waren.⁸⁴ Der Kläger erhielt dennoch einen Ausgleichsanspruch. Bemerkenswert daran war, dass der Bundesgerichtshof eine andere Anspruchsgrundlage als § 26 GewO a.F. verwendete.⁸⁵ Denn dieser Anspruch sollte nur bei nicht ortsüblichen – und damit nach § 906 BGB rechtswidrigen – Immissionen gewährt werden. Bei ortsüblichen, schweren Beeinträchtigungen hingegen sollte ein Billigungsanspruch auf Teilentschädigung in Betracht kommen, welcher dem Kläger auch im benannten Urteil zugesprochen wurde. Rechtsgrundlage war jedoch allein § 242 BGB und das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis. Sie entstammte folglich nicht dem positiven Recht oder entsprechender Rechtsmethodik.⁸⁶ An die die Rechtsprechung des Reichsgerichts durchziehenden schematischen Überlegungen⁸⁷ hielt sich der Bundesgerichtshof insoweit nicht und sprach Entschädigungen auch bei nicht genehmigten und nicht gemeinwichtigen Betrieben zu.⁸⁸ Diese Vorgehensweise wird zum Teil als Missdeutung der Reichsgerichtsrechtsprechung gesehen.⁸⁹ Im Jahr 1960 trat sodann § 906 Abs. 2 BGB in novellierter Fassung durch das Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung und Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuches vom 22.12.1959⁹⁰ in Kraft und normierte sowohl den Vorrang wirtschaftlich zumutbarer Schutzmaßnahmen als auch den durch die Rechtsprechung

 Hagen, in: FS Lange 1992, 483 (494) bezweifelt zudem, dass den Gesetzgebungsorganen diese Divergenz bewusst gewesen ist.  BGHZ 30, 273 = NJW 1959, 1867.  Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 26 spricht sogar von „unstrittig“.  BGHZ 30, 273 = NJW 1959, 1867 (1867 f.).  Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 26 sieht dies als „krassen Widerspruch“.  So Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis S. 12.  Hagen, in: FS Lange 1992, 483 (486); vgl. zum Ganzen Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 26.  Vgl. Hagen, in: FS Lange 1992, 483 (486 ff.); Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 56 f.; Krämer, in: FS Wenzel, 346 (347).  BGBl.I S. 781.

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B. Entstehungsgeschichte und Rechtsprechungsentwicklung

entwickelten Ausgleichsanspruch.⁹¹ Eine Weiterführung der zuvor analysierten Rechtsprechung wurde dadurch obsolet.⁹² Hintergrund der Novelle war die wiederum veränderte Situation durch den Wiederaufbau der technischen Anlagen und der verstärkten Ballung nach dem Zusammenbruch in Folge des zweiten Weltkriegs.⁹³ Zentrales Anliegen war eine wirksame Bekämpfung der zunehmenden Luftverschmutzung und der Lärmentwicklung seitens der Industrie, die durch die wirtschaftliche, technische und soziale Entwicklung der vorherigen Jahrzehnte Belästigungen für die Öffentlichkeit von großem Ausmaß mit sich brachte.⁹⁴ Die Luftverschmutzung galt dabei nicht nur als wirtschaftliche Beeinträchtigung anderer Betriebe, sondern auch als ernsthaftes Gesundheitsrisiko.⁹⁵ Deswegen wurde die Duldungspflicht durch § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB deutlich eingeschränkt: Im Unterschied zur alten Fassung, waren nicht mehr alle unwesentlichen oder ortsüblichen Beeinträchtigungen zu dulden. Stattdessen konnte der Beeinträchtigte auch im Fall der Ortsüblichkeit wirtschaftlich zumutbare Schutzvorkehrungen verlangen.⁹⁶ Außerdem stand jenem ein Ausgleichsanspruch⁹⁷ aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zu, soweit Immissionen zu dulden waren.⁹⁸ Mit anderen

 Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 7; Krämer, in: FS Wenzel 2005, 346 (348).  Zudem erklärte der BGH später, dass das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis keine selbstständigen Ansprüche begründe, Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 26.  Westermann, in: FS Larenz 1973, 1003 (1004).  BT-Drs. 3/301 S.3.  Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/ 299, S. 7.  Vgl. ausführlich befürwortend Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/299, S. 35 ff. mwN.  befürwortend Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/299, S. 41 bezeichnet die Gewährung des Ausgleichsanspruchs als „die wichtigste Neuerung“ der Novelle.  Fassung des novellierten § 906 BGB: (1) Der Eigenthümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. (2) Das gleiche gilt insoweit, als eine wesentliche Beeinträchtigung durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind. Hat der Eigenthümer hiernach eine Einwirkung zu dulden, so kann er von dem Benutzer des anderen Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt.

III. Fortführung und Erweiterung der Rechtsprechungslinie durch den Bundesgerichtshof

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Worten müssen wesentliche Beeinträchtigungen auch bei ortsüblicher Nutzung nur noch ausnahmsweise geduldet werden (§ 906 Abs. 2 Satz 1 BGB).⁹⁹ Soweit es um eine zu duldende, ortsübliche Beeinträchtigung geht, hat der Betroffene grundsätzlichen einen Anspruch auf Geldausgleich (§ 906 Abs. 2 Satz 2 BGB), sodass im Ergebnis nur solche Beeinträchtigungen entschädigungslos bleiben, die zwar die Messlatte der Wesentlichkeit, nicht aber die der Unzumutbarkeit übersteigen.¹⁰⁰ Diese Neuerung folgt daraus, dass ein Anknüpfen an den rein deskriptiven Maßstab der Ortsüblichkeit dazu geführt hätte, dass sich die Rechtsprechung auf die Prüfung beschränkt hätte, ob eine gleichartige Benutzung anderer Grundstücke mit ähnlicher gesetzlicher Lage bestand. Durch die vom Wiederaufbau ausgelösten Immissionen hätte dies zur Folge gehabt, dass diese meist ortsüblich gewesen und demnach ein Großteil der von duldungspflichtigen Immissionen Beeinträchtigten entschädigungslos verblieben wären.¹⁰¹ Der gesetzlich neu kodifizierte Anspruch trat neben den vom Reichsgericht gewährten Ausgleichsanspruch: Ein Geldausgleich für den Entzug negatorischer Ansprüche, die nach dem BGB bestünden, konnte nur aus § 26 GewO aF. hergeleitet werden, während der neu eingeführte § 906 Abs. 2 BGB Immissionen ausglich, gegen die Abwehransprüche vollständig ausgeschlossen waren.¹⁰² Die geltende Rechtslage wurde dennoch nicht verändert, denn der Gesetzgeber beschränkte sich darauf, das bereits geltende Richterrecht zu positivieren.¹⁰³ Damit zog der Gesetzgeber die Konsequenz aus der Einsicht, dass sich entgegen der Vorstellung der Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches die Vor- und Nachteile wechselseitiger ortsüblicher Immissionen gerade im Hinblick auf die zunehmende Industrialisierung sowie die verkehrs- und maschinentechnische Entwicklung nicht von selbst interessensgerecht ausgleichen, sondern dass jenseits der Schwelle der Zumutbarkeit ein angemessene Ausgleichsanspruch erforderlich ist.¹⁰⁴ Im Hinblick auf die Divergenz zwischen den verwendeten Rechtsgrundlagen von Reichsgericht und Bundesgerichtshof differenzierte die Neuregelung nicht zwischen privilegierten und anderen Betrieben. Deshalb ist anzunehmen, dass sie an die Rechtsprechungslinie des Bundesgerichtshofs anknüpfte und das dortige Verständnis eines im

 Die Norm erinnerte an den Rechtsgedanken aus § 26 GewO.  Krämer, in: FS Wenzel 2005, 346 (348).  Vgl. Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/299, S. 27, dieser spricht sogar von einer „praktischen Enteignung“ von Grundstücken in der Nähe von „Industriezusammenballungen“.  Befürwortend Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/299, S. 43.  Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 29 mwN.  Hagen, in: FS Lange 1992, 483 (494).

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B. Entstehungsgeschichte und Rechtsprechungsentwicklung

nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis wurzelnden Billigkeitsanspruchs¹⁰⁵ übernahm.¹⁰⁶

IV. Ausgleich für praeter legem statuierte Duldungspflichten¹⁰⁷ Ein weiterer Entwicklungsschritt des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs war die Erweiterung des Anspruchs für praeter legem statuierte Duldungspflichten. Ausgangspunkt hierfür war ein Urteil aus dem Jahr 1967.¹⁰⁸ Es ging darin um Bauarbeiten an einer Bundesstraße, die die landwirtschaftliche Nutzung des Grundstücks des Klägers beeinträchtigte. Dieser verlangte dafür Ausgleich von der Bundesrepublik Deutschland. Nach damaliger Definition bestand ein nachbarrechtlicher Ausgleichanspruch, wenn: im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung desselben Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die – weil nicht nur unwesentlich und nicht auf ortsüblicher Benutzung des störenden Grundstücks beruhend – über das Maß dessen hinausgehen, was ein Grundstückseigentümer nach der Bestimmung des § 906 BGB (hier in der bis zum 31. 5. 1960 gültigen Fassung) entschädigungslos hinzunehmen hat, gegen die gemäß § 1004 BGB vorzugehen dem betroffenen Eigentümer jedoch aus besonderen Gründen versagt ist. ¹⁰⁹

Obwohl die von der Baustelle ausgehenden Einwirkungen nach Ansicht des III. Zivilsenats nicht als ortsüblich einzustufen waren, war dem Kläger ein Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB verwehrt, denn gegenüber sachgerecht durchgeführten Straßenbauarbeiten, die im öffentlichen Interesse erfolgten, waren Abwehransprüche ausgeschlossen. Dies galt selbst dann, wenn sie durch private Auftragnehmer ausgeführt werden.¹¹⁰ Folglich wurde eine weitere¹¹¹, gesetzlich nicht geregelte Duldungspflicht entwickelt. Diese sollte ebenfalls, in Anlehnung an den Rechtsge-

 BGHZ 30, 273 = NJW 1959, 1867.  Hagen, in: FS Lange 1992, 483 (494).  Dazu eingehend: Maultzsch, in Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 25.  BGHZ 48, 98 = NJW 1967, 1857; so Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 25.  BGHZ 48, 98 = NJW 1967, 1857 (1858).  Vgl. dazu eingehend: Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 25. mwN. im Hinblick auf weitere Duldungspflichten in ähnlichen Konstellationen; BGHZ 48, 98 = NJW 1967, 1857 (1858).  Dabei ist jedoch zu beachten, dass schon das Reichsgericht – wie oben bereits erörtert – Duldungspflichten auferlegte, die aus einem öffentlichen Interesse entstanden. Um eine gänzliche Neuerung handelte es sich insoweit nicht.

V. Öffnung des Anwendungsbereichs

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danken der §§ 74, 75 EinlPrALR und der Struktur des heutigen § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB entsprechend, einen Ausgleichsanspruch dafür zur Folge haben, dass negatorischer Rechtsschutz trotz Wesentlichkeit der Beeinträchtigung ausgeschlossen war.¹¹² Der Bundesgerichtshof diskutierte bei der Gelegenheit auch das Verhältnis der beiden in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen: einerseits der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch¹¹³ und andererseits der öffentlich-rechtliche Entschädigungsanspruch aus enteignendem Eingriff. Maßgeblich dafür war, ob die Einwirkung aus privatwirtschaftlicher Benutzung oder hoheitlich entstand.¹¹⁴ Einwirkungen aus privatwirtschaftlicher Nutzung sollten durch den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch ausgeglichen werden, während Einwirkungen durch hoheitliche Benutzung einen öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruch aus enteignendem Eingriff zur Folge haben sollten.¹¹⁵

V. Öffnung des Anwendungsbereichs für rechtswidrige Beeinträchtigungen und faktische Duldungszwänge Obwohl sich diese Rechtsprechung nach und nach weiterentwickelte und ausgeweitet wurde, ging es jedenfalls immer um das Problem von Beeinträchtigungen, die der Betroffene in rechtlicher Hinsicht dulden musste: entweder aufgrund gesetzlicher Regelungen, einer behördlichen Genehmigung der Störung oder auf Grund eines nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses und § 242 BGB.¹¹⁶ Die Entwicklung dieser Rechtsprechung ist letztlich in der eingeführten Regelung des § 906 BGB wiederzufinden.¹¹⁷ Maßgeblich war jedoch stets die Beantwortung der Frage, welche Beeinträchtigungen rechtlich zu dulden sind. Ein völlig neuer Ansatzpunkt war hingegen die Frage, ob die Ausgleichsansprüche auch bestehen, wenn die Duldungspflicht nicht rechtlicher Natur war. Es ging dabei darum, ob ein Eigentümer auch dann eine Kompensation erhalten sollte,

 BGHZ 48, 98 = NJW 1967, 1857 (1858); vgl. auch Maultzsch, in Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 25 f.  In BGHZ 48, 98 = NJW 1967, 1857 (1858) auch als bürgerlich-rechtlicher Aufopferungsanspruch bezeichnet.  BGHZ 48, 98 = NJW 1967, 1857 (1858); die Beantwortung der Frage, welcher Anspruch bestand, konnte vom III. Zivilsenat offengelassen werden, weil die Voraussetzungen im Übrigen, soweit es auf sie für die Entscheidung ankamen, für beide in Rede stehenden Ansprüche gegeben waren.  Kritisch Faber, NJW 1968, 47 (47 f.).  Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (413).  So auch: Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (413).

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B. Entstehungsgeschichte und Rechtsprechungsentwicklung

wenn ihm grundsätzlich ein Abwehranspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB zustand, dieser allerdings aus rein tatsächlichen Gründen nicht geltend gemacht konnte. Mögliche Gründe für den sog. faktischen Duldungszwang konnten dabei sein, dass ein Informationsdefizit über die Vorgänge auf dem Nachbargrundstück bestand, die Ansprüche in zeitlicher Hinsicht nicht geltend gemacht werden konnten und die Abwehr deshalb zu spät gekommen wäre, oder dass das Ausmaß der von den Immissionen ausgehenden Beeinträchtigungen zunächst nicht erkannt werden konnte.¹¹⁸ Im Mittelpunkt stand folglich der Übergang der Ausgleichspflicht von rechtmäßigen zu rechtswidrigen Beeinträchtigungen. Mit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1978¹¹⁹ wurde für diesen Übergang der Grundstein gelegt.¹²⁰ Darin ging es um die Verbreiterung einer Straße durch die Stadt. Im Rahmen der umfangreichen Straßenbaumaßnahmen wurden die im Straßenkörper befindlichen Versorgungsleitungen neu verlegt. Soweit die Stadtwerke diese Arbeiten nicht durch eigene Leute selbst ausführten, beauftragte die Stadt dazu verschiedene private Baufirmen. Der Kläger machte geltend, dass es im Verlauf der Arbeiten mehrfach zu starken Erschütterungen und Stößen gekommen sei, die zusammen mit der erheblichen Vertiefung vor seinem Hause zu beträchtlichen Schäden am Gebäude geführt hätten.¹²¹ Im Hinblick auf die einschlägige Rechtsgrundlage differenzierte der III. Zivilsenat zwischen dem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch und dem öffentlichrechtlichen Entschädigungsanspruch aus rechtswidrigem oder rechtmäßigem Eingriff.¹²² Ein öffentlich-rechtlicher Entschädigungsanspruch schied jedoch durch die Beauftragung verschiedener Privatvertriebe jedenfalls hinsichtlich deren Tätigkeit aus.¹²³ Dies galt jedoch nicht, soweit die Stadtwerke eigene Leute zu den Straßenbauarbeiten eingesetzt haben. Unabhängig davon stellte der Bundesgerichtshof erstmals fest, dass es unerheblich sei, ob der Abwehranspruch – unabhängig seiner öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Natur – wegen der Gemeinwichtigkeit der Straßenbauarbeiten nur beschränkt durchsetzbar gewesen wäre¹²⁴, weil der

 Vgl. Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (413).  BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164.  So Maultzsch, in Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 26.  Vgl. Sachverhalt aus BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164 (164).  Wie auch schon in BGHZ 48, 98 = NJW 1967, 1857 (1858).  Die Frage wurde jedoch vom BGH ausdrücklich offengelassen BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164 (165), da für beide Ansprüche dieselben Maßstäbe anzulegen sein.  Eingeschränkt, weil er nur auf Vornahme zumutbarer Schutzmaßnahmen gerichtet werden konnte, vgl. BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164 (165); dazu auch Papier, NJW 1974, 1797 (1798).

V. Öffnung des Anwendungsbereichs

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Kläger ohnehin gehindert war, von den rechtlichen Abwehrmöglichkeiten wirksam Gebrauch zu machen.¹²⁵ Dazu wurde ausgeführt, dass der Kläger nicht schon bei Beginn der Ausschachtungsarbeiten – losgelöst von der Frage nach der räumlichen Nähe zu seinem Grundstück – gehalten gewesen war, seinen Störungsabwehranspruch geltend zu machen. Er durfte vielmehr darauf vertrauen, dass die sachkundigen Beamten der Baubehörde alles Erforderliche veranlasst hatten, um Schäden zu vermeiden, die typischerweise bei Straßenbauarbeiten aufzutreten pflegen.¹²⁶ Hinzu kam, dass es für den Kläger nur schwer einzuschätzen war, welchen Rechtsweg er zu beschreiten gehabt hätte. Damit nahm der Bundesgerichtshof erstmals an, dass der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch auch im Fall einer rechtswidrigen Immission oder Einwirkung bestehen kann, soweit diese aus rein tatsächlichen Gründen nicht abwehrbar ist.¹²⁷ In Teilen der Literatur wird im Hinblick auf die möglichen Motive des Gerichts aufgrund der Feststellung, dass der Kläger auf ordnungsgemäße Durchführung von Bauarbeiten vertrauen durfte, vermutet, dass es dem Geschädigten nicht zugemutet werden sollte, die Baustelle permanent auf Ordnungsmäßigkeit zu überwachen oder bei fehlerhaften Arbeiten einen Ersatzanspruch zu missen, wenn Schäden schuldlos oder durch einen von § 831 Abs. 1 BGB nicht erfassten selbstständigen Bauunternehmer verursacht wurden.¹²⁸ Diese Entwicklung ist deshalb bemerkenswert, weil das Reichsgericht die Rechtslage, dass eine drohende Gefahr nicht erkannt werden konnte und deren Abwehr mithilfe eines Unterlassungsanspruchs aus diesem Grund unmöglich war, noch als ganz normal empfand:¹²⁹ Dass die Anstellung einer solchen Klage durch den Eintritt des Schadens überholt werden kann, ist ein Übelstandt, der in allen Verhältnissen möglich ist, jedenfalls mit den die Vorbeugung des Schadens erschwerenden Bestimmungen des § 26 GewO nicht zusammenhängt. ¹³⁰

 BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164 (165).  BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164 (165).  Vgl. zum Ganzen Maultzsch, in Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 27, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung des öffentlichen Aufopferungsanspruchs, der den §§ 74, 75 Einl-PrALR entstammt und seit BGHZ 6, 270 = NJW 1952, 972 auch auf rechtswidrige Einwirkungen angewendet wird (Gedanke des Sonderopfers).  So Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 27.  So Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz im System des Umweltrechts, S. 225 mwN. aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts.  RGZ 63, 374 (379); vgl. auch RG JW 1925, 2446 (2447), hier hatte das RG noch einen Ausgleichsanspruch ausgeschlossen, weil der Kläger zur Zeit, als sein Einschreiten zum Zwecke der Verhütung noch möglich war, nicht eingeschritten ist.

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B. Entstehungsgeschichte und Rechtsprechungsentwicklung

Zusätzlich bezog der Bundesgerichtshof erstmals zur Subsidiarität des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs Stellung. Der nachbarrechtliche Ausgleichanspruch käme nur dann in Betracht, wenn nicht eine andere gesetzliche Bestimmung den konkreten Fall abschließend regelt.¹³¹ Der Bundesgerichtshof stellte dazu jedoch nur knapp fest, dass nicht angenommen werden könnte, dass der Gesetzgeber die Haftung des privaten Störers, insbesondere mit Blick auf § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nur auf die Fälle des Verschuldens hatte beschränken wollen.¹³² Diese Entscheidung wurde zum Teil als ein „grundsätzlicher Richtungswechsel in der Dogmatik der zivilrechtlichen Eigentumsaufopferung“ empfunden.¹³³ Als weiteres Paradigma gilt nebenher auch eine Entscheidung aus dem Jahr 1982.¹³⁴ Auch hier ging es um Ausschachtungsarbeiten, die Schäden am Nachbargrundstück hervorriefen. Im Unterschied zur vorherigen Konstellation, handelte es sich jedoch um ein rein privatwirtschaftliches Verhältnis ohne hoheitliche Beteiligung. Zur Ausgleichspflicht des Eigentümers stellte der V. Zivilsenat knapp fest, dass der nachbarrechtliche Ausgleichanspruch alle von einem Grundstück auf ein benachbartes Grundstück ausgehenden Einwirkungen erfasst, welche das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen gem. § 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden.¹³⁵ Insoweit wurde das zumutbare Maß auch in diesem Fall überschritten.¹³⁶ Dazu führte der Bundesgerichtshof aus: Zwar wäre er befugt gewesen, gem. § 1004 Abs. 1 BGB von vornherein Unterlassung der widerrechtlichen Vertiefung zu verlangen; dazu hatte er jedoch zunächst keine Veranlassung, weil er darauf vertrauen durfte, daß die von der Baubehörde genehmigte Baumaßnahme unter Beachtung aller nötigen Sicherheitsvorkehrungen geplant worden sei und dementsprechend für sein Grundstück gefahrlos ausgeführt werden würde. Auch in einem solchen Fall eines nicht durch eine nachbarrechtliche Duldungspflicht (§ 1004 Abs. 2 BGB), sondern durch triftige tatsächliche Gründe ausgeschlossenen Abwehranspruches greift der Ausgleichsanspruch ein. ¹³⁷

 BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164 (165).  BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164 (165); in Betracht wäre ansonsten eine verschuldensabhängige Haftung aus § 823 II BGB i.V.m. § 909 BGB gekommen; Hagen, in: FS Lange 1992, 483 (499) bezeichnet diese Begründung als „lapidar“.  Maultzsch, in Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 30; Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 35 hingegen sieht den Übergang von der Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf sonstige Duldungspflichten auf faktische Duldungszwänge als „nicht mehr groß“.  BGHZ 85, 375 = NJW 1983, 872.  BGHZ 85, 375 = NJW 1983, 872 (874).  So auch schon in BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164 (165).  BGHZ 85, 375 = NJW 1983, 872 (874).

V. Öffnung des Anwendungsbereichs

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Hinzukam, dass der V. Zivilsenat in dieser Entscheidung die bisherige Rechtsprechung¹³⁸ dadurch bestätigte, dass bei entsprechender Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch auch für andere als durch Immissionen herbeigeführte Beeinträchtigungen in Betracht kommt.¹³⁹ Konkret bedeutete dies, dass auch Schäden aus einer unzulässigen Grundstücksvertiefung, die grundsätzlich nicht über § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB erfasst wurden, über den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch verschuldensunabhängig geltend gemacht werden konnten, sofern eine frühzeitige Abwehr aus tatsächlichen Gründen nicht möglich war.¹⁴⁰ In einer darauffolgenden Entscheidung¹⁴¹ aus dem Jahr 1984 setzte der V. Zivilsenat bereits unter Verweis auf die bisherigen Entscheidungen¹⁴² zum faktischen Duldungszwang als „allgemeinen Grundsatz“¹⁴³ voraus, dass ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch für erlittene Nachteile, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung überstiegen, analog § 906 Abs. 2 Satz 2BGB auch dann bestünde, wenn rechtswidrige Einwirkungen zwar nicht geduldet werden müssen, der Eigentümer aber aus besonderen Gründen gehindert ist, diese Einwirkung gem. §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB zu unterbinden.¹⁴⁴ Dem Ganzen lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem ein Bauer sein Maisfeld mit einem Unkrautvernichtungsmittel besprüht hatte, welches durch Niederschläge auf das benachbarte Grundstück eines Öko-Landwirts gespült worden war und dort erhebliche Schäden angerichtet hatte.¹⁴⁵ Den Ausgleichsanspruch konnte der ÖkoLandwirt aufgrund seiner Unkenntnis über den Geschehensablauf nicht geltend machen, sodass ihm der Anspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zugebilligt wurde. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit die konkreten Einwirkungen mit einer duldungspflichtigen Beeinträchtigung durch ortsübliche Immissionen i.S.d. § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB vergleichbar waren, fand hingegen überhaupt nicht

 BGHZ 58, 149 = NJW 1972, 724; BGHZ 62, 361 = NJW 1974, 1869; BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164.  BGHZ 85, 375 = NJW 1983, 872 (874).  BGHZ 85, 375 = NJW 1983, 872 (874); der BGH verwies dabei auch auf BGH NJW 1977, 763 (764), in dem der V. Zivilsenat von der Möglichkeit eines solchen Ausgleichsanspruchs ausging.  BGHZ 90, 255 = NJW 1984, 2207, hierbei ging es um die Haftung des Benutzers eines Unkrautvernichtungsmittels dafür, dass Rückstände des Mittels mit dem Regenwasser auf das Nachbargrundstück gelangten.  BGHZ 58, 149 = NJW 1972, 724; BGHZ 62, 361 = NJW 1974, 1869; BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164.  vgl. BGHZ 90, 255 = NJW 1984, 2207 (2208): „Dieser allgemein für das Nachbarrecht entwickelte Grundsatz“.  BGHZ 90, 255 = NJW 1984, 2207 (2208).  So zusammengefasst bei Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (414).

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B. Entstehungsgeschichte und Rechtsprechungsentwicklung

mehr statt.¹⁴⁶ Entscheidend war für den V. Zivilsenat lediglich, dass für den Kläger keine Möglichkeit bestand, die Beeinträchtigung rechtzeitig und wirksam zu unterbinden.¹⁴⁷ Damit stellte der Bundesgerichtshof fest, dass der hinter dem Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB stehende Gesichtspunkt nicht die Art der Einwirkung, sondern die tatsächlich fehlende Abwehrmöglichkeit einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Eigentums oder Besitzes war.¹⁴⁸ Erfasst waren daher nicht nur die in § 906 Abs. 1 BGB genannten Einwirkungen. Streng nach der beschriebenen Argumentation folgten vergleichbare Urteile. So stand der Klägerin ein Ausgleichsanspruch wegen erheblicher Bleiablagerungen gegenüber einem Schützenverein zu, welche aus dem Betrieb eines TontaubenSchießstandes entstanden und auf landwirtschaftlich genutzte Nachbargrundstücke gelangt waren.¹⁴⁹ Dabei stellte der Bundesgerichtshof die dogmatische Struktur hinter der analogen Anwendung dar: Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch trete an die Stelle des primären Abwehranspruchs aus § 1004 Abs. 1 BGB, der auf Beseitigung oder auf Unterlassung der Beeinträchtigungen gerichtet ist.¹⁵⁰ Der faktische Duldungszwang ergab sich im konkreten Fall¹⁵¹ daraus, dass die Klägerin die abzuwehrende Gefahr nicht rechtzeitig erkannt hat und auch nicht erkennen konnte.¹⁵² Dabei ging es vor allem um die schleichende Bodenvergiftung durch ständige Bleiablagerungen und die daraus folgende Erhöhung der zulässigen Grenzwerte des Bleigehalts im Boden, die eine landwirtschaftliche Nutzung der betroffenen Grundstücke stark beschränkt oder gar ausschließt.¹⁵³ Aufgrund des zur damaligen Zeit kaum ausgeprägten Umweltbewusstseins konnte die Klägerin die von den Ablagerungen verursachte Bodenverseuchung nicht erkennen, sodass es ihr an einem Anlass fehlte, gegen die Immissionen einzuschreiten.¹⁵⁴ Den finalen Schritt ging der III. Zivilsenat im Jahr 1990, als er nahezu beiläu¹⁵⁵ fig die rechtlichen und tatsächlichen Gründe unter Verweis auf die bisherige

 So auch Maultzsch, in Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 31.  BGHZ 90, 255 = NJW 1984, 2207 (2208): „Denn maßgeblicher Gesichtspunkt ist in diesen Fällen nicht die Art der Einwirkung, sondern der Umstand, daß eine unzumutbare Beeinträchtigung des Eigentums oder Besitzes eintritt“.  BGHZ 90, 255 = NJW 1984, 2207 (2208) unter Verweis auf die bisherige Rechtsprechung des Senats dazu: BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164; BGHZ 48, 98 = NJW 1967, 1857.  BGHZ 111, 158 = NJW 1990, 1910.  BGHZ 111, 158 = NJW 1990, 1910 (1911).  BGHZ 111, 158 = NJW 1990, 1910.  BGHZ 111, 158 = NJW 1990, 1910 (1911); vgl. auch Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (414).  BGHZ 111, 158 = NJW 1990, 1910 (1911).  Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (414).  So Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (415).

VI. Fazit

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Rechtsprechung¹⁵⁶ gleichstellte, die den Eigentümer daran hinderten, die jeweiligen Einwirkungen nach § 1004 Abs. 1 BGB zu unterbinden: Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch umfaßt alle im Rahmen der privatrechtlichen Nutzung von einem Grundstück ausgehenden Einwirkungen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen – rechtlich oder tatsächlich – gehindert war, diese Einwirkungen gem. § 1004 Abs. 1 BGB zu unterbinden. ¹⁵⁷

VI. Fazit Der Bundesgerichtshof hat den vom Reichsgericht gespannten Anwendungsbereich des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch nach und nach ausgedehnt. Während es zum Ende des 19. Jahrhunderts kaum Rechtsschutz für den Nachbarn gab, hat der Gesetzgeber den Konflikt zwischen Industrie und Landwirtschaft jedenfalls erkannt, maß aber dem volkswirtschaftlichen Interesse an der freien und ungehinderten Entfaltung neuer Schlüsselindustrien größere Bedeutung zu. Dass er dieses Konfliktpotenzial unterschätzt hat, zeigt sich darin, dass das Reichsgericht zu einer Rechtsfortbildung gezwungen war, um den beeinträchtigten Nachbarn, der meist der Landwirtschaft zugehörig war, zu schützen. Hauptproblem war, dass der Gesetzgeber mit § 26 GewO aF. zwar einen Anspruch auf Schutzvorkehrungen oder Schadloshaltung normiert hatte, dieser aber nur in Betracht kam, wenn es sich um Einwirkungen handelte, die nicht unter § 906 BGB fielen. Zur Lösung dieses Konflikts zog das Reichsgericht das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis heran, um die unbestimmten Rechtsbegriffe von § 906 BGB, insbesondere den der Ortsüblichkeit restriktiv zu verstehen, um so den Anwendungsbereich des § 26 GewO aF. zu eröffnen. Infolgedessen entwickelte das Reichsgericht zunächst den Anspruch auf Schadloshaltung bei existenzgefährdenden Beeinträchtigungen, bevor dieser durch den Bundesgerichtshof auch auf solche Einwirkungen ausgedehnt wurde, die die Existenz des Nachbarn nicht bedrohten. Nachdem 1960 § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB Eingang ins BGB fand, wendete der Bundesgerichtshof die Norm auch analog auf Duldungspflichten außerhalb von § 906 BGB und schließlich auch auf faktische Duldungszwänge an, soweit ein Ausgleich im konkreten Fall als gerecht erschien.

 BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164; BGHZ 48, 98 = NJW 1967, 1857; BGHZ 90, 255 = NJW 1984, 2207.  BGH NJW 1990, 3195 (3196).

C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis In der Entwicklungsgeschichte des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs taucht wiederholt der Begriff des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses auf. Dieses Rechtsinstitut ist für die Analyse des § 906 BGB unerlässlich und von herausragender Bedeutung. Im Folgenden sollen daher die Zusammenhänge und das dahinter existierende dogmatische Gerüst veranschaulicht werden.

I. Begriffsentstehung Der Begriff des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses entstammt der Rechtsprechung des Reichsgerichts¹ und lässt sich im Kern auf eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben zurückführen.² Er entstand zwar erst durch die Reichsgerichtsentscheidungen von 1937³, dennoch hatte sich das Reichsgericht bereits im Jahr 1883 dafür ausgesprochen,⁴ dass die Absolutheit der sich gegenüberstehenden Eigentumsrechte einer Konstituierung eines im Gesetz nicht unmittelbar geregelten Unterlassungsanspruchs eines Nachbarn gegenüber rechtswidrigen Immissionen grundsätzlich nicht entgegensteht.⁵ Dabei erkannte das Reichsgericht die bestehende Konfliktlage, die aus den kollidierenden Eigentumspositionen resultiert und erwog auch Duldungs- und Unterlassungspflichten als Konsequenz eines Rücksichtnahmegebots.⁶ Ursprünglich ging es dabei um die nachbarfreundliche Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe im Verhältnis von benachbarten Grundstückseigentümern

 BGHZ 28, 100 = NJW 1958, 1580 (1581) mit Verweis auf RGZ 132, 51 (56); 154, 161 (165 f.); 155, 154 (159); 159, 129 (139); 162, 209 (216); 167, 14 (23 f.); zum Ganzen auch Lüke, in: Praxishandbuch Nachbarrecht, A. VI. Rn. 56 f.  Das Reichsgericht begründete die Rücksichtnahmepflichten mit den „Gedanken der Volksgemeinschaft“ und der „Grundanschauung der Volksverbundenheit“, RGZ 159, 161 (165 f.); 167, 14 (24); Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 41 (insbesondere mit Nachweisen zur Rechtsprechung des BGH im Hinblick auf die Herleitung des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses aus dem Grundsatz von Treu und Glauben); auch Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 903 Rn. 36; vertiefend Mühl, NJW 1960, 1133 (1134) spricht von einer „festen Anerkennung“ des Rechtsinstituts durch die Rechtsprechung.  RGZ 159, 161; 167, 14.  RGZ 11, 341 (Urteil vom 13.12.1883).  Vgl. Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 6.  RGZ 11, 341 (343) verweist dabei insbesondere auf die Gleichheit der kollidierenden Eigentumsrechte und resümiert dazu, dass daraus eine gegenseitige Rücksichtnahme entsteht, die jeweils zur Duldung und Achtung anhält. https://doi.org/10.1515/9783111239545-005

I. Begriffsentstehung

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untereinander⁷ um den einzelnen Nachbarn besondere Rücksichtnahmepflichten aufzuerlegen. Insbesondere wenn die Anwendung der §§ 903, 906, 1004 BGB zu unbefriedigenden Ergebnissen führte, wurden zur Bestimmung der Ortsüblichkeit zusätzlich normative, an den wirtschaftlichen Bedürfnissen orientierte Kriterien entwickelt,⁸ sodass das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis vor allem dazu diente, eine restriktive Interpretation des in § 906 BGB enthaltenen Ortsüblichkeitskriteriums zu ermöglichen.⁹ Unter gewissen Voraussetzungen sollte die Ausübung eines an sich bestehenden Rechts dann als unzulässig anzusehen sein.¹⁰ Das Themenfeld um das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis ist weitgehend umstritten, zum Teil wird dem Rechtsinstitut sogar gänzlich die Notwendigkeit abgesprochen.¹¹ Der Bundesgerichtshof nahm im Jahr 1959 erstmals ausdrücklich zum Ausgleichsanspruch im Hinblick auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis und insbesondere zu der Frage Stellung, ob Anlass dazu bestünde, die mit der Reichsgerichtsentscheidung begonnene Rechtsprechung unter den gewandelten politischen Verhältnissen aufzugeben.¹² Dies wurde teilweise gefordert, weil die im Zusammenhang mit der Begründung des Verhältnisses verwendeten Begrifflichkeiten der „Volksgemeinschaft“ und „Volksverbundenheit“ nationalsozialistische Rechtsanschauungen verkörperten und die Umsetzung jenes Gedankenguts darstellten.¹³ Der Bundesgerichtshof befand, dass der Ausgleichsanspruch, den damals herrschenden Kräften entsprechend, zwar äußerlich auch mit nationalsozialistischen Gedankengängen¹⁴ begründet sei, aber nicht auf typisch nationalsozialisti-

 Z. B. in RGZ 132, 51 (ausführlich dazu Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 7); Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (407).  Baur/Stürner, Sachenrecht, § 25 Rn. 36; Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 6.  Vgl. Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 11 mwN.  Dies führte im Ergebnis dann zu der Entscheidung RGZ 154, 161; zu weiteren Entscheidungen des Reichsgerichts zum Nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis vgl. Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 13 ff.  Baur/Stürner, Sachenrecht, § 25 Rn. 38 befürwortet die Ergebnisse, spricht aber von einer „schwammigen Figur“; dazu ausführlich Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 57 ff. bezeichnetes als „weitgehend nichtssagend“.  BGHZ 30, 273 = NJW 1959, 1867 (1869); dafür argumentiert Süss, Die Verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 124.  Kübler, AcP 159 (1961), 236 (286) mwN.; Süss, Die Verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 123.  Zur Fragestellung, ob das Rechtsinstitut dem Nationalsozialismus angehört Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 37 ff. und S. 42 ff., ebenso Kübler, AcP 159 (1961), 236 (286) mwN.

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C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis

schem Denken, sondern auf allgemeinen Erwägungen beruhe.¹⁵ Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die Herleitung aus den dem Nachbarschaftsverhältnis entspringenden Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme.¹⁶ Dadurch, dass die konkrete Ausrichtung der Rechtsfigur an nationalsozialistischem Gedankengut nicht durch die einfache Verwendung zweier ohnehin altertümlicher Begrifflichkeiten festgemacht werden kann, sah sich der Bundesgerichtshof nicht dazu veranlasst, die Rechtsprechung aufzugeben und führte diese fort.¹⁷

II. Rechtsnatur und Begründung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses Aus dieser – methodisch abwechslungsreichen – Rechtsprechung des Reichsgerichts resultierte die Frage nach der Rechtsnatur des Verhältnisses. Insbesondere die Frage danach, ob das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis ein gesetzliches Schuldverhältnis sei, aus dem solche Pflichten entständen, die eine Ersatzpflicht für entstehende Einwirkungen und Schäden begründen könnten,¹⁸ hat dabei seit jeher zu Meinungsverschiedenheiten geführt. Dabei steht vor allem die Frage nach der Anwendbarkeit schuldrechtlicher Vorschriften im Vordergrund der Diskussion.

1. Bundesgerichtshof Der Bundesgerichtshof betrachtet das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis in Fortführung der Rechtsprechungslinie des Reichsgerichts¹⁹ als Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben aus § 242 BGB auf das nachbarliche Nebeneinander.²⁰ Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis wirke sich als eine sog. Schranke der Rechtsausübung aus, die zur restriktiven Interpretation des § 906 BGB herangezogen wird; Richter dürften die bestehenden gesetzlichen Regelungen da-

 Anderer Ansicht ist Neuner, JuS 2005, 385 (386).  BGHZ 30, 273 = NJW 1959, 1867 (1869); zustimmend Mühl, in: FS Raiser 1974, 159 (162 f.), der auf den Terminus „good neighboburhood“ verweist; ebenfalls Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 17 mwN.  Vgl. Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 17; a.A. Süss, Die Verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 124.  Etwa wie bei den geregelten gesetzlichen Schuldverhältnissen.  Vgl. RGZ 132, 51; 167, 14.  BGHZ 28, 110 = NJW 1958, 1580 (1581); vgl. Analyse von Süss, Die Verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 124 ff.

II. Rechtsnatur und Begründung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses

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durch jedoch nicht außer Acht lassen.²¹ An diesem Grundsatz, den der Bundesgerichtshof schon im Jahr 1958²² aufstellte, hält auch die heutige Rechtsprechung fest. Eine Verpflichtung zu positivem Handeln, wie typischerweise in einem Schuldverhältnis, soll deswegen die zwingende Ausnahme bleiben:²³ In der Regel begründet der Gedanke von Treu und Glauben aber im Rahmen eines nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses keine selbstständigen Ansprüche, sondern wirkt sich hauptsächlich als bloße Schranke der Rechtsausübung aus. Sie kann den Grundstückseigentümer im Einzelfall allerdings auch zu positivem Handeln verpflichten. Eine aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis folgende selbstständige Verpflichtung ist mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen Sonderregelungen jedoch eine eng begrenzte Ausnahme und kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen zwingend geboten erscheint. ²⁴

In einem weiteren Urteil aus dem Jahr 2011 heißt es zudem: Im Verhältnis von Grundstücksnachbarn fehlt das für ein gesetzliches Schuldverhältnis typische Geflecht wechselseitiger Duldungs-, Mitwirkungs- und Leistungspflichten. Zwischen ihnen gelten die besonderen, auf dem Grundsatz, dass jeder Eigentümer mit seiner Sache nach Belieben verfahren kann (§ 903 BGB), fußenden Vorschriften der §§ 905 ff. BGB. Ebenso wie die nachbarrechtlichen Vorschriften der Länder konkretisieren sie im Wesentlichen die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme und haben hauptsächlich eine einschränkende und ausgleichende Bedeutung. Sie bilden aber keine selbstständige Grundlage für Rechte und Pflichten, wie es für ein gesetzliches Schuldverhältnis kennzeichnend ist. ²⁵

Demnach ist die heutige Ansicht des Bundesgerichtshofs demjenigen Spektrum zuzuordnen, welche die Konstruktion einer Sonderverbindung in Form eines gesetzlichen Schuldverhältnisses ablehnt.²⁶ Vielmehr nimmt der Bundesgerichtshof, ohne sich auf eine rechtsdogmatische Konstruktion festzulegen, an, dass die Ausübung von aus dem Eigentumsrecht selbst begründeten Rechten durch § 242 BGB ganz oder teilweise unmöglich werden kann.²⁷ Die nachbarrechtliche Nähebezie-

 BGHZ 42, 63; OLG Hamm, RNotZ 2017, 665 (670; BGHZ 42, 374 = NJW 1965, 389 (390); Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/299, S. 25; Lieder, JuS 2011, 874 (878); vgl. auch Maier/Bornheim, JA 1995, 978 (980); Neuner, JuS 2005, 385 (386).  BGHZ 28, 110 = NJW 1958, 1580 (1581).  Dazu BGH NJW-RR 2013, 650 (651); BGH NJW-RR 2019, 78 (78 f.); Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 903 Rn. 39 sowie § 242 Rn. 40 mit Nachweisen zu Einzelkonstellationen.  BGH NJW-RR 2019, 78 (79) auch mwN.; vgl auch Brückner, in: MüKo BGB, § 903 Rn. 38 mwN. zur Rechtsprechung.  BGH NJW 2011, 3294 (3294).  Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht § 61 Rn. 42 sieht das anders, die Rechtsprechung stehe „der Annahme eines gesetzlichen Schuldverhältnisses näher als bisweilen gesagt wird“.  BGH NJW-RR 2019, 78 (78 f.) mwN.

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C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis

hung als solche kann aber nur ausnahmsweise und aus Billigkeitsgründen²⁸ einzelne Pflichten hervorrufen und eigene Ansprüche generieren.²⁹ Insoweit eröffnet sich der Bundesgerichtshof durch die Verwendung des Rechtsinstituts des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses die Möglichkeit, die zwischen benachbarten Grundstückseigentümern entstehenden Konflikte flexibel unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Einzelfalls zu lösen.³⁰

2. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis als gesetzliches Schuldverhältnis Zum Teil³¹ wird in der Literatur auch angenommen, es handle sich beim nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis um ein gesetzliches Schuldverhältnis. Dafür wird argumentiert, dass das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis eine Rechtsbeziehung darstellt, die aus einer Sphäre gesteigerten sozialen Kontakts hervorgeht, welche jedenfalls Pflichten zur Duldung und zur gegenseitigen Rücksichtnahme auslösen kann.³² Durch die dauerhafte Rechtskreisüberschneidung seien die Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechtsgüter der Eigentümer der anliegenden Grundstücke erhöht, worin der wesentliche Unterschied zum rein deliktischen Bereich liege.³³ Zudem sei das Nachbarschaftsverhältnis zunehmend spezialge-

 Schon in BGHZ 58, 149 = NJW 1972, 724 (727) heißt es: „[…] ist es ein Gebot der Gerechtigkeit, ihn hierfür schadlos zu halten. Er erleidet zugunsten des anderen, dessen Grundstück sich in einem ordnungswidrigen Zustand befindet, in seinen Nachbarrechten eine Rechtseinbuße. Wem aber zugunsten eines fremden Interesses ein Opfer abgenötigt wird, dem gebührt nach dem Grundgedanken des bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsrechts durch den Träger des begünstigten Interesses ein Ausgleich“.  So schon BGHZ 28, 110 = NJW 1580 (1581); im Ergebnis so auch Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/299, S. 24 mwN. mit Verweis auf Siebert, in: Soergel BGB § 242 Rn. 39; vgl. zu Beispielen aus der Rechtsprechung Ring, in: Ring/Grziwotz/ Keukenschrijver, Sachenrecht, § 903 Rn. 87.  Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 101 mwN.; Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 14 kritisiert, dass es an einer „griffigen Festlegung einer Rechtsfigur“ fehlt, stellt dann aber fest, dass gerade dadurch „die vielschichtige Heranziehung dieser Rechtsfigur in der Rechtsprechung“ ermöglicht wird.  Bälz, Zum Strukturwandel des Systems zivilrechtlicher Haftung, S. 41; Mühl, NJW 1960, 1133 (1134 ff.); Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht § 61 Rn. 42.  Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht § 61 Rn. 41 f. ordnet auch Äußerungen des BGH in der Nähe seiner Ansicht an; vgl. auch Mühl, NJW 1960, 1133 (1134 ff.), Analyse von Mühl bei Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/299, S. 20 (Fn. 23).  Vgl. Neuner, JuS 2005, 385 (386).

II. Rechtsnatur und Begründung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses

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setzlich ausgestaltet und insgesamt verdichtet worden.³⁴ Insbesondere die Einfügung der Anspruchsgrundlage des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB kodifiziere einen zentralen Teilbereich dessen, was bis dahin unter den Begriff des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses fiel, ohne dass deshalb eine abschließende Regelung vorliege.³⁵ In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder die Herleitung aus § 242 BGB mit dem Argument abgelehnt, dass der Grundsatz von Treu und Glauben zwar Schuldverhältnisse modifizieren und beschränken könne, indem er verschiedene Verhaltenspflichten oder -rechte auferlege; eine sonderrechtsbegründende Funktion komme § 242 BGB hingegen nicht zu.³⁶

3. Vollständige Ablehnung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses Ein anderer Teil in der Literatur lehnt schon die Begrifflichkeit und die Charakterisierung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses ab.³⁷ Im Fokus der Kritik steht dabei die dogmatische und terminologische Kennzeichnung der Nachbarschaft als „Gemeinschaftsverhältnis“. Der Begriff des „nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses“ hätte seine Wurzeln in den nationalsozialistischen Eigentumsdoktrin und verkennt die zentrale Funktion des Eigentums als individuelles Freiheitsrecht. Schon die Begrifflichkeit der „Gemeinschaft“ stelle die tatsächlichen Verhältnisse auf den Kopf.³⁸ Zum Teil wird auch dahingehend argumentiert, dass die §§ 905 ff. BGB abschließend seien, sodass über die Pflichten aus den §§ 905 ff. BGB hinaus keine weitergehenden Verhaltenspflichten erfolgen können.³⁹

 Vgl. Palandt/Herrler, BGB, § 903 Rn. 13; vgl. auch Lieder, JuS 2011, 874 (878) mwN.  Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht § 61 Rn. 43 mwN.  Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/ 299, S. 32; Kniestädt, JZ 1963, 407 (408); Kniestädt, DÖV 1962, 89 (90); so auch Riehm, in: BeckOGK, § 280 Rn. 82; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht § 61 Rn. 41 f. mwN.  Neuner, JuS 2005, 385 (386); auch Pfeiffer, Die Bedeutung des privatrechtlichen Immissionsschutzes, S. 211, der terminologisch bevorzugt, von einem aufgrund der besonderen nachbarlichen Situation erforderlichen Interessenausgleich zu sprechen.  Neuner, JuS 2005, 385 (386).  Horst, NJW 2010, 122 (124) konkret zur Frage von Wärmedämmmaßnahmen.

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C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis

4. Rein tatsächliches Näheverhältnis mit besonderen Rücksichtnahmepflichten Der Großteil der Literatur⁴⁰ nimmt an, dass sich die Nachbarn in einem rein tatsächlichen Näheverhältnis befinden, aus dem sich grundsätzlich nur aufgrund der genannten gesetzlichen Vorschriften gewisse Beschränkungen ergeben können.⁴¹ Dies entspricht im Grunde nach der Rechtsprechungslinie des Bundesgerichtshofs. Hauptargument dabei ist, dass die bloß aus der räumlichen Nähe folgende Risikoerhöhung nicht ausreichend sei, um allgemeine Pflichtverletzungen jenen aus einem Schuldverhältnis gleichzustellen und damit Schadensersatzpflichten zu kreieren.⁴² Mangels rechtsgeschäftlicher oder rechtsgeschäftsähnlicher Verbindung sei das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis deswegen ausschließlich dem Deliktsrecht zuzuordnen.⁴³ Die beiden Rechtskreise der Nachbarn seien jeweils als

 Althammer, in: Staudinger BGB, § 903 Rn. 15; Block, Die Bedeutung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses innerhalb der neueren nachbarrechtlichen Gesetzgebung, S. 67 ff.; Böhmer, MDR 1959, 261 (261 f.); Böhmer, JR 1959, 141 (141); zusammenfassend Brox, JA 1984, 182 (182 f.); Bruns, ZMR 2016, 344 (345); ausführlich Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 73; Palandt/Grüneberg, BGB, § 278 Rn. 3, § 903 Rn. 13; Heck, AcP 112 (1912), 1 (17); Heiseke, MDR 1961, 461 (464); Hennig/Honer, JuS 2016, 591 (592); Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 49 f.; Kübler, AcP 159 (1961), 236 (287 ff.); Lieder, JuS 2011, 874 (878); Lorenz, in BeckOK BGB, 1.11. 2020, § 280 Rn. 7; Lüke, in: Grziwotz/ Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, Kapitel 1 Rn. 60; Neuner, JuS 2005, 385 (386); Pikart, WM 1969, 82 (84); Riehm, in BeckOGK BGB, 15.10. 2020, § 280 Rn. 82; Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 14; Scherer, BB 1965, 253 (260); Schött, Grundlagen und Probleme des modernen Immissionsrechts, S. 104 ff.; Schubert, in: MüKo BGB, § 242 Rn. 216; Schultz, MDR 1995, 260 (261 f.); Süss, Die Verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 120 ff.  Kübler, AcP 159 (1961), 236 (288) hält die gesamte Konstruktion der nachbarlichen Gemeinschaft für fragwürdig, denn sie träfe lediglich auf das Verhältnis einer überschaubaren Gruppe von Hofbauern oder Villenbesitzern zu. Die nachbarrechtlich problematischen Fälle, in denen es etwa um industrielle Einwirkungen auf landwirtschaftliche Grundstücke geht, enthielten hingegen keine Elemente irgendeiner besonderen „Gemeinschaft“ oder „Interessenverbindung“, die Eigenart des Sachverhalts liege dort im offenen Widerstreit der Interessen; vgl. auch Lieder, JuS 2011, 874 (878); Lorenz, BeckOK BGB, § 280 Rn. 7; Lüke, in: Praxishandbuch Nachbarrecht, Kapitel 1 Rn. 60.  Brox, JA 1984, 182 (186 f.) mwN.; Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 87 f. mwN.; Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/299, S. 23 geht davon aus, dass ohne Rechtsnorm aus einer Tatsache kein Rechtsverhältnis hergeleitet werden kann; Hennig/Honer, JuS 2016, 591; Lorenz, in BeckOK BGB, 1.11. 2020, § 280 Rn. 7; Neuner, JuS 2005, 385 (386); Pikart, WM 1969, 82 (84); Riehm, in BeckOGK BGB, 15.10. 2020, § 280 Rn. 82; Ring, in: Ring/Grziwotz/Keukenschrijver, Sachenrecht, § 903 Rn. 85; Scherer, BB 1965, 253 (260); Schultz, MDR 1995, 260 (261 f.).  Heiseke, MDR 1961, 461 (464); Schultz, MDR 1995, 260 (261 f.).

II. Rechtsnatur und Begründung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses

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selbständig und unabhängig anzusehen. Dies gelte auch im Fall unmittelbar aneinander angrenzender Grundstücke.⁴⁴ Die Annahme einer konkreten sachenrechtlichen Beziehung sei im Übrigen auch unvereinbar mit dem Haftungssystem des BGB und fände deswegen keine Stütze im Gesetz.⁴⁵ Böhmer zieht sogar einen Vergleich zur zufälligen Beziehung zwischen Passagieren im Straßenbahnwagen oder gar aller Teilnehmer im Straßenverkehr, die mit der Argumentation zum nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ansonsten ebenso die Begründung einer Sonderbeziehung rechtfertigten, was jedoch zu „unerträglichen Konsequenzen“ führen würde.⁴⁶ Gegen die Einordnung als gesetzliches Schuldverhältnis wird anhand der Gesetzessystematik angeführt, dass es an einer gesetzlichen Grundlage fehle, denn die Normen des Nachbarrechts (§§ 906 ff. BGB) behandeln im Wesentlichen Einschränkungen oder Erweiterungen der Eigentümerbefugnisse aus § 903 BGB.⁴⁷ Die nachbarrechtlichen Regelungen fänden sich zudem im Titel „Inhalt des Eigentums“.⁴⁸ Motiv hinter den Normen sei daher, dem speziellen Bedürfnis nach spezifischen Sonderregelungen nachzukommen, die der Eigentumsinhalt bei Grundstücken wegen ihrer Unbeweglichkeit im Raum erfordern. Diese Konkretisierungen des Eigentumsrechts in den §§ 906 ff. BGB könne nicht die Funktion innehaben, eine Sonderbeziehung zu begründen.⁴⁹ Das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis könne daher nicht die Basis für die §§ 906 – 924 BGB und das daneben geltende Landesnachbarrecht bilden. Vielmehr sei es eine Folge dieser Bestimmungen und hilft in Fällen aus, in denen das Gesetz keine ausdrückliche oder sinnvolle Regelung vorsieht.⁵⁰ Dafür spreche letztlich auch der absolute Rechtscharakter des Eigen-

 Riesenhuber, Die Rechtsbeziehungen zwischen Nebenparteien, S. 132 f.  Böhmer, MDR 1959, 261 (261) und JR 1959, 141 (141) insb. im Hinblick auf BGH, VersR 1958, 834 mit Verweis auf § 831 BGB.  Böhmer, MDR 1959, 261 (262); Vgl. dazu auch die zutreffende Kritik von Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 88.  So auch Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 73 ff., diese beschreibt das Verhältnis als offenes Wertungssystem, das die nachbarlichen Konflikte mittels einer Güter- und Interessenabwägung de lege lata lösen soll; Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 49 f.  Heiseke, MDR 1961, 461 (463) erkennt in dieser gesetzlich angeordneten inhaltlichen Beschränkung des Eigentums den Gedanken der sozialen- oder Gemeinschaftsverbundenheit des Eigentums als Herrschaftsrecht und dem damit einen Ausfluss von § 242 BGB.  Vgl. Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 75 mit Verweis auch auf die gesetzgeberischen Gedanken aus Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, S. 258 ff.  Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, Kapitel 1 Rn. 60 ff.

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C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis

tums, der sich gerade dadurch von denen als relative Rechte aufzufassenden Schuldverhältnissen unterscheidet, dass er gegenüber jedermann wirkt.⁵¹ Insbesondere die diskutierte Möglichkeit, aus dem Grundsatz von Treu und Glauben aus § 242 BGB eine Sonderverbindung zu begründen, wird entscheidend mit dem Argument zurückgewiesen, dass § 242 BGB nicht rechtsbegründend wirken könne. Die Norm ziele vielmehr darauf ab, die Rechtsausübung im Einzelfall zu beschränken. Zur Schaffung einer eigenständigen schuldrechtlichen oder schuldrechtsähnlichen Sonderbeziehung sei der Grundsatz von Treu und Glauben indes nicht geeignet. Vielmehr setzt dieser eine bestehende rechtliche Sonderverbindung voraus, die aus der rein tatsächlichen Nähe allein nicht begründet werden könne.⁵² Im Übrigen sei eine Sonderbeziehung auch gar nicht notwendig, da Rücksichtnahmepflichten auch ohne Rückgriff auf jene aus § 242 BGB hergeleitet werden könnten.⁵³ Es werden zusätzlich auch dahingehend Bedenken geäußert, dass sich die Gemeinschaft räumlich nicht erfassen und abgrenzen lasse.⁵⁴ Der Gesamtzusammenhang der Grundstücke im Raum sei unüberschaubar, weil auch nicht unmittelbar aneinander angrenzende Grundstücke Teil der „Rechtsgemeinschaft“ wären. Eine Begrenzung auf jeweils unmittelbar angrenzende Grundstücke wäre hingegen sinnwidrig, weil gerade die objektiv sehr erheblichen Immissionen größerer Industrieanlagen auch die nicht unmittelbar benachbarten Grundstücke zu beeinträchtigen pflegen.⁵⁵ Des Weiteren wird vermehrt darauf hingewiesen, dass mit dem Institut des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses die Gefahr bestehe, dass die bestehenden gesetzlichen Regelungen außer Acht gelassen würden.⁵⁶ In diesem Zusammenhang wird nicht selten auf § 922 Satz 4 BGB verwiesen. Dieser ordne die Anwendung der Vorschriften über die Gemeinschaft aus den §§ 741 ff. BGB an. Eine Gemeinschaft entstehe dadurch jedoch nicht.⁵⁷

 Brückner, in: MüKo BGB, § 903 Rn. 2; Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 49 f. betont zudem, dass Schuldrechtliche oder schuldrechtsähnliche Position widerspräche den im Sachenrecht angelegten Grundvorstellungen.  Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 49 f.; Lieder, JuS 2011, 874 (878).  Süss, Die Verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 120 ff. mwN.  Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 49 f.; Kübler, AcP 159 (1961), 236 (288).  Kübler, AcP 159 (1961), 236 (287 ff.).  Scherer, BB 1965, 253 (260).  Vgl. Süss, Die Verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 120 ff.

II. Rechtsnatur und Begründung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses

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Im Ergebnis hat das Gesagte nach Ansicht dieser überwiegenden Meinung zur Folge, dass die Einwirkungen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses auf Rechtsverhältnisse zwischen Personen eine aus zwingenden Gründen gebotene Ausnahme bleiben muss, weil die Rechte und Pflichten von Grundstücksnachbarn in erster Linie durch die nachbarrechtlichen Gesetzesvorschriften⁵⁸ geregelt werden.⁵⁹ Die Vertreter dieser Ansicht folgen somit größtenteils der Ansicht des Bundesgerichtshofs. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis ist danach eine Ausprägung von § 242 BGB für den Bereich des notwendigen Zusammenlebens von Grundstücksnachbarn. Aufgabe des Instituts ist die Erzeugung lediglich allgemeiner Rechtspflichten. Die konkretisierten Rechtspflichten beruhen dann aber nicht ausschließlich auf dem „nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis“. Grundlage seien vielmehr diejenigen die §§ 985, 1004, 823 oder 906 ff. BGB.⁶⁰ Daneben diene es als Maßstab für konkrete Verhaltensweisen und die unverträgliche Benutzung verschiedener Grundstücke im nachbarlichen Raum.⁶¹

5. Interessenausgleich (Denecke) Einen anderen Ansatz vertritt Denecke. ⁶² Ihr Ziel ist die Sicherung des Rechtsfriedens zwischen den Nachbarn, indem die Konflikte durch eine umfassende Interessenabwägung bewältigt werden sollen. Denecke versteht das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis als „normatives Korrelat“ der wechselseitigen räumlichen Abhängigkeit, also als ein Prinzip, das den Zweck verfolgt, auf dem Weg der Interessenabwägung im nachbarlichen Raum ein möglichst hohes Maß an Gleichge-

 Vgl. insbes. §§ 905 ff. BGB.  BGHZ 28, 225 = NJW 1959, 97 (99); BGHZ 68, 350 = NJW 1977, 1147 (1148); Vgl. den fallgruppenartigen Überblick über die wichtigsten Entscheidungen bei Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis S.20 ff.  Schultz, MDR 1995, 260 (261 f.).  Palandt/Grüneberg, BGB, § 278 Rn. 3, § 903 Rn. 13; ähnlich auch Heiseke, MDR 1961, 461 (464), der betont, dass sich eine rechtsgeschäftliche Sonderverbindung nicht aus dem Gesichtspunkt des sozialen Kontakts rechtfertigen ließe. Die Sonderverbindung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses sei – mangels rechtsgeschäftlicher Elemente – allein dem Kreis des Deliktsrechts zuzuordnen; Schulz, MDR 1995, 260 (261 f.); auch Schött, Grundlagen und Probleme des modernen Immissionsrechts, S. 104.  Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 85 ff.; analysierend Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 51; kritisch Süss, Die Verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 120.

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C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis

wicht zu erreichen.⁶³ Es handele sich um ein dem Gesetz zugrunde liegendes normatives System des Interessenausgleichs, auf dessen Rechtsgedanken im Fall fehlender gesetzlicher Regelungen zurückgegriffen werden könne.⁶⁴ Dabei würden zwei Zwecke verfolgt: Auf der einen Seite die Fixierung des Inhalts der Eigentumsrechte und auf der anderen Seite die Bewältigung von atypischen Konstellationen. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis trage folglich der Situationsgebundenheit der beiderseitigen Eigentümerbedürfnisse Rechnung, sodass dadurch gegenseitige Rücksichtnahmepflichten begründet werden.⁶⁵ Grundlage sei deshalb das Eigentum selbst. Und um den Inhalt dessen zu ermitteln, soll § 242 BGB die Einführung eines Ausgleichsgedanken im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung ermöglichen.⁶⁶ Ein schuldrechtlicher oder schuldrechtsähnlicher Charakter komme der Beziehung der Grundstücksnachbarn jedoch nicht zu.⁶⁷ Für ihre Abwägungslösung spreche, dass durch rein schematische Lösungen – z. B. durch die Herausnahme bestimmter Einwirkungsarten aus dem Eigentumsschutz – von nachbarlichen Konflikten die Absolutheit des Rechts tangiert würde. Vorteil der Abwägung sei, dass die Interessen und Befugnisse der Parteien schonender und damit im Hinblick auf den Schutz des Eigentums wirkungsvoller abgrenzbar seien. Dies ermögliche eine größere Wirksamkeit des Privateigentums.⁶⁸

6. Sonderverbindung eigener Art Letztlich wird auch vertreten, dass zwischen den Parteien zwar kein gesetzliches Schuldverhältnis bestehe, es sich aber dennoch um eine – jedenfalls schuldrechtsähnliche – Sonderverbindung handle.⁶⁹ Die besondere räumliche Verbundenheit der benachbarten Grundstücke begründe die gegenseitige Pflicht zur Rücksichtnahme sowie bestimmte Duldungspflichten. Die zunächst im Tatsächlichen wurzelnden Beziehungen würden sich aufgrund der normativen Regelungen des

 Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 119.  Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 113.  Dabei beschränkt Denecke das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis nicht auf den sog. kleinnachbarlichen Raum, sondern geht dem Grundsatz nach von einer unbeschränkten Geltung aus.  Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 110.  Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 127.  Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 112.  Bälz, in FS Kübler 1997, 355 (370); Bälz, Zum Strukturwandel des Systems zivilrechtlicher Haftung, S. 41; Brox, JA 1984, 182 (182 f.); Prütting, Sachenrecht, Rn. 351 spricht von der „Generalklausel des Nachbarrechts“; Säcker, in: MüKo BGB (2004), § 912 Rn. 20; Westermann, JZ 1963, 407 (408), Westermann, Sachenrecht (1980), S. 305; Maier/Helmerich Bornheim, JA 1995, 978; Mühl, NJW 1960, 1133 (1136).

II. Rechtsnatur und Begründung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses

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Nachbarrechts als Rechtsverhältnis zwischen den Nachbarn darstellen und so die Anwendung des § 242 BGB rechtfertigen.⁷⁰ Säcker versteht das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis als schuldrechtsähnliche Verbindung. Ein echtes Schuldverhältnis scheint er dabei jedoch nicht anzunehmen, denn § 278 BGB kommt seiner Ansicht nach nicht unmittelbar, sondern nur dem Rechtsgedanken nach zur Anwendung. Die Norm sei nicht nur im Rahmen von Verträgen, sondern auch innerhalb von gesetzlichen bzw. richterrechtlichen Schuldverhältnissen anwendbar.⁷¹ Maier/Helmerich Bornheim befürworten eine Sonderbeziehung zwischen Nachbarn, die neben den gesetzlichen Nachbarsvorschriften bestehe und die über die Schutz- und Verkehrssicherungspflichten hinaus auch schuldrechtliche Sorgfaltspflichten hervorrufe.⁷²

7. Zwischenergebnis Trotz der Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Rechtsnatur des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses sind sich die gegenüberstehenden Ansichten im Wesentlichen darüber einig, dass es geboten ist, bei Nachbarschaftsstreitigkeiten über die bestehenden gesetzlichen Vorschriften hinauszugehen. Bislang ungeklärt sind jedoch die Rechtsgrundlage und die dogmatische Einordnung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses sowie die Anwendbarkeit bestimmter schuldrechtlicher Vorschriften.

8. Stellungnahme Im Raum steht die Frage nach der Rechtsnatur des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses. Dabei fragt sich insbesondere, ob und wenn ja, weshalb es möglich ist, dass jenes als Schuldverhältnis ausschließlich durch die räumliche Nähe begründet werden kann. Grundsätzlich reicht allein ein solches Näheverhältnis zweier Rechtssubjekte zueinander nicht dazu aus, ein Schuldverhältnis oder eine ähnliche Sonderverbindung zwischen zwei Personen zu begründen. Deshalb gilt es zu un-

 Westermann, JZ 1963, 407 (408); Westermann, Sachenrecht (1980), S. 305 betont, dass „das Zusammenliegen der Grundstücke im Raum“ mit der Notwendigkeit der Rücksichtnahme der Eigentümer als Folge einem Schuldverhältnis gleicht; vgl. auch Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 50 f.  Säcker, in: Münchener Kommentar (1986), § 909 Rn. 26; Säcker, in: MüKo (2004), § 912 Rn. 20 f.  Maier/Helmerich Bornheim, JA 1995, 978 (979 f.).

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C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis

tersuchen, ob dem Nachbarschaftsverhältnis Besonderheiten innwohnen, die eine Ausnahme von diesem Grundsatz rechtfertigen können.⁷³ Ausgangspunkt der Argumentation ist die Unbeweglichkeit der Grundstücke. Im Gegensatz zu beweglichen Sachen sind die Grundstücke in einen unwandelbaren Kontext eingebunden. Eine Abwehrmöglichkeit hat der Grundstückseigentümer nicht, denn vor den Einwirkungen der umliegenden Grundstücke kann er sich jedenfalls nicht dadurch schützen, dass er der Situation entflieht oder ausweicht. Insoweit ist der Vergleich von Böhmer unpassend, denn die Passagiere im Straßenbahnwagen können der Situation ebenso ausweichen wie die Teilnehmer am Straßenverkehr.⁷⁴ Dennoch ist fraglich, ob schon diese Form des gesteigerten sozialen Kontakts zwischen den Grundstücksnachbarn ausreichend ist, eine Sonderverbindung zu begründen. Dadurch, dass ein rechtsgeschäftlicher Kontakt zwischen den Nachbarn meist nicht besteht, stellt sich auch die geographische Reichweite dieser möglichen Sonderverbindung als problematisch heraus: Zwischen wem soll die Sonderverbindung überhaupt bestehen? Die Lösung der Sonderverbindung entpuppt sich dabei immer mehr als eine Beziehung kraft zufälligen Kontakts. Allein das Kriterium der gemeinschaftlichen Nutzung des Raums vermag dabei nicht zu helfen, denn entweder müsste man eine Sonderverbindung sämtlicher Grundstückseigentümer annehmen oder aber die Reichweite hinge von der Zufälligkeit ab, an welcher Stelle sich die Einwirkung des emittierenden Grundstücks auswirkt. Beides erscheint auf den ersten Blick gleichermaßen fragwürdig, denn soweit man eine Sonderverbindung mit schuldverhältnisgleicher oder jedenfalls -ähnlicher Wirkung zwischen sämtlichen Grundstückseigentümer anerkennt, mutet die Differenzierung zwischen Schuldrecht und Deliktsrecht an, ad absurdum geführt zu werden. Plötzlich entständen eine Vielzahl von Beziehungen, die nicht auf einem rechtsgeschäftlichen Kontakt beruhen würden und dessen Rechtsfolgen unüberschaubar wären. a) Vorab: Das gesetzliche Schuldverhältnis Um die Frage nach der Rechtsnatur und dem Zustandekommen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses beantworten zu können, ist zunächst zu beleuchten, was ein (gesetzliches) Schuldverhältnis der Sache nach charakterisiert.

 Die Frage nach der Legitimation stellt auch Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 86 f., die eine Sonderverbindung ablehnt (S. 91).  Böhmer, MDR 1959, 261 (262); Kritik auch von Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 88.

II. Rechtsnatur und Begründung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses

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aa) Begriffsherkunft und Bedeutung Der Gedanke des Schuldverhältnisses stammt aus dem Römischen Recht:⁷⁵ Das „Band“ (vinculum) fesselt den Schuldner an den Gläubiger und ist durch die Erfüllung der Schuld auflösbar.⁷⁶ Es handelt sich folglich um eine rechtliche Sonderbeziehung zwischen (mindestens) zwei Personen, in deren Mitte eine erzwingbare Verbindlichkeit steht.⁷⁷ Ausgangspunkt im BGB ist § 241 Abs. 1 BGB: Die Norm setzt den Begriff des Schuldverhältnisses voraus, ohne ihn näher zu definieren. Vorausgesetzt wird lediglich, dass ein Gläubiger berechtigt ist, von einem Schuldner eine Leistung zu fordern. Kennzeichnend sind daher drei Elemente: Der Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistung, die Leistungspflicht des Schuldners und der Anspruch des Gläubigers⁷⁸.⁷⁹ Letztere stehen in einem komplementären Verhältnis, was nicht zuletzt in § 362 Abs. 1 BGB zum Ausdruck gelangt: Das Schuldverhältnis erlischt mit der Erfüllung der Leistungspflicht, sodass die Leistungspflicht des Schuldners ebenso wenig fortbesteht wie der Erfüllungsanspruch des Gläubigers. Das Schuldverhältnis stellt gleichzeitig den Rechtsgrund der Leistung dar, indem es dem Gläubiger das jeweilige Leistungssubstrat zuweist.⁸⁰ Im Hinblick auf vertragliche und gesetzliche Schuldverhältnisse kann grob danach differenziert werden, ob der Anspruch rechtsgeschäftlich oder qua Gesetz durch das Vorliegen bestimmter Tatbestandsmerkmale begründet wurde. Das Entstehen gesetzlicher Schuldverhältnisse ist von bestimmten Umständen abhängig, die – ähnlich wie bei rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnissen – vom Willen der Beteiligten abhängen können, im Gegensatz zu jenen aber nicht abhängen müssen.⁸¹ Der Unterschied zwischen vertraglichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen ist also, dass die rechtlichen Konsequenzen auch unabhängig vom Willen der Parteien durch gesetzliche Anordnung eintreten.⁸² Die Rechtfertigung für die jeweilige unfreiwillige Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2

 Zur Dogmengeschichte des Begriffs „Schuldverhältnis“ Bucher, in: FS Wiegand 2005, 93; Jansen, AcP 216 (2016), 112 (117 ff.); zur Entstehungsgeschichte ausführlich Olzen, in: Staudinger BGB, § 241 Rn. 2 ff.  ausführlich Avenarius, JR 1996, 492 (492 f.); Bachmann, in: MüKo BGB, § 241 Rn. 4.  Staake, Gesetzliche Schuldverhältnisse, § 1 Rn. 2.  Zur Unterscheidung von Forderung und Anspruch vgl. Thomale, AcP 212 (2012), 920 (929).  Riehm, in: FS Canaris 2017, 345 (348).  Riehm, in: FS Canaris 2017, 345 (349); dies ergibt sich jedoch nicht unmittelbar aus § 241 Abs. 1 BGB. Dessen Regelungsgehalt erschöpft sich darin, die Wirkungen des Schuldverhältnisses aufzuführen: Die Klagbarkeit der Leistung und die Relativität des Schuldverhältnisses; vgl. Riehm, in: FS Coester-Waltjen 2015, 1069 (1071) mwN; Olzen, in: Staudinger BGB, § 241 Rn. 1.  Peifer, Schuldrecht, § 1 Rn. 7.  Ausführlich Olzen, in: Staudinger BGB, § 241 Rn. 61 ff.; Staake, Gesetzliche Schuldverhältnisse § 1 Rn. 5.

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C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis

Abs. 1 GG durch den entstehenden Pflichtenkreis findet sich bei gesetzlichen Schuldverhältnissen darin, dass das Gesetz entweder eine Vermögensverschiebung oder Schadenszufügung als nicht gerechtfertigt ansieht und daher eine Rückabwicklung oder Restitution anordnet.⁸³ Im Unterschied zu rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnissen, bei denen der Güteraustausch im Mittelpunkt steht, verfolgen gesetzliche Schuldverhältnisse also den Güterschutz.⁸⁴ Dazu hat der Gesetzgeber verschiedene Formen und Zielrichtungen des Ausgleichs normiert, die als individualrechtsschützender zweiter Grundpfeiler des Schuldrechts neben dem dynamischen, an der Privatautonomie ausgerichteten Vertragsrecht stehen.⁸⁵ Unter einem gesetzlichen Schuldverhältnis versteht man somit eine rechtliche Sonderbeziehung zwischen (mindestens) zwei Personen, wobei nicht der rechtsgeschäftliche Wille, sondern der Eintritt bestimmter Umstände für das Entstehen des jeweiligen Schuldverhältnisses, die hiervon umfassten Ansprüche und sonstigen Pflichten maßgeblich ist.⁸⁶ Ihnen kommt eine Ausgleichsfunktion zu: Ausgangspunkt ist typischerweise, dass eine Person bewusst oder unbewusst mit dem Rechtskreis einer anderen Person in Berührung kommt. Die dadurch veränderte Vermögenslage, die nicht durch einen übereinstimmenden Willen legitimiert ist, soll ausgeglichen werden.⁸⁷ Festzuhalten ist somit, dass ein gesetzliches Schuldverhältnis überall dort besteht, wo einem Gläubiger ein Leistungsanspruch gegen einen Schuldner zusteht, weil die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale vorliegen; jedenfalls, soweit das Schuldverhältnis seinen Geltungsgrund dem gesetzgeberischen Willen und nicht dem Willen der Parteien entnimmt.⁸⁸ Insoweit erzeugen verschiedenste gesetzliche Tatbestände Ansprüche, die ein Schuldverhältnis begründen. Die Gemeinsamkeit dieser gesetzlichen Haftungs- und Ausgleichsmechanismen besteht in der Beantwortung der Frage danach, wer das Risiko für die Verletzung fremder Interessen außerhalb von Verträgen zu tragen hat.⁸⁹ Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf den negatorischen Beseitigungsanspruch gem. § 1004 Abs. 1 BGB sowie den deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zu legen. Das Vorliegen beider Tatbestände begründet ein gesetzliches Schuldverhältnis i.S.d. § 241

 Olzen, in: Staudinger BGB, § 241 Rn. 62.  Olzen, in: Staudinger BGB, Einl. zum Schuldrecht Rn. 78.  Jansen, AcP 216 (2016), 112 (120).  Röthel, Jura 2012, 362 (362); Staake, Gesetzliche Schuldverhältnisse § 1 Rn. 7.  Staake, Gesetzliche Schuldverhältnisse § 1 Rn. 8.  Ein gesetzliches Schuldverhältnis entsteht daher nicht, soweit es seinen Geltungsbereich im Willen der Parteien wiederfindet (zB. bei der Erfüllung gesetzlicher Tatbestandsmerkmale im Vertragsrecht).  Peifer, Schuldrecht, § 1 Rn. 7; vgl. auch Röthel, Jura 2012, 362 (362).

II. Rechtsnatur und Begründung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses

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Abs. 1 BGB: Soweit ein Eigentümer gem. § 1004 Abs. 1 BGB von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen kann, sind Gläubiger und Schuldner ebenso definiert wie der Anspruchsinhalt.⁹⁰ Gleiches gilt für den Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB. bb) Das Schuldverhältnis im engeren und im weiteren Sinn Im Kern ist das Schuldverhältnis also nichts weiter als die Rechtsbeziehung zwischen Gläubiger und Schuldner eines Anspruchs. Im Rahmen der Terminologie zum Schuldverhältnis wird darüber hinaus jedoch zwischen dem Schuldverhältnis „im engeren“ und „im weiteren Sinn“ unterschieden.⁹¹ Diese Differenzierung deutet das Gesetz an einigen Stellen an. Als Schuldverhältnis im engeren Sinn wird allein die rechtliche Forderungsbeziehung bezeichnet, die den Gläubiger eines einzelnen Anspruchs mit dem korrespondierenden, zur Leistung verpflichteten Schuldner verbindet,⁹² also das einzelne Forderungsrecht selbst.⁹³ Das Gesetz verwendet diesen Ausdruck des Schuldverhältnisses etwa in den §§ 241 Abs. 1⁹⁴, 243 Abs. 2, 265 S. 1, 362 Abs. 1, 364 Abs. 1, 397, 405 BGB.⁹⁵ Der Begriff des Schuldverhältnisses im weiteren Sinn umschreibt hingegen das gesamte Rechtsverhältnis mitsamt seiner Rechtsfolgen.⁹⁶ Das Gesetz verwendet den Begriff dabei in einem komplexeren und zusammenfassenden Kontext (z. B. im Titel des 8. Abschnitts „Einzelne Schuldverhältnisse“). Larenz spricht insoweit von einem Komplex von Leistungspflichten und von weiteren Verhaltenspflichten sowie Forderungen, Gestaltungsrechten und rechtlichen Zuständigkeiten […] [;] ein Rechtsverhältnis […], für welches zwar das Bestehen einer Leistungspflicht oder mehrerer Leistungspflichten charakteristisch ist, das sich aber bei weitem nicht in ihnen erschöpft.⁹⁷

Auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verwendet die Terminologie des Schuldverhältnisses im engeren und im weiteren Sinn und unterscheidet diese:

 Vgl. Riehm, in: FS Coester-Waltjen 2015, 1069 (1071).  Bachmann, in: MüKo BGB, § 241 Rn. 4; grundlegend Bucher, FS Wiegand 2005, 93 (117 ff.); Ernst, in: MüKo BGB, Einl. Schuldrecht Rn. 10; Larenz, JZ 1962, 105 (107 f.).  Ernst, in: MüKo BGB, Einl. Schuldrecht Rn. 10.  Olzen, in: Staudinger BGB, § 241 Rn. 36.  Henke, JA 1989, 186 (186).  Olzen, in: Staudinger BGB, § 241 Rn. 36.  Ernst, in: MüKo BGB, Einl. Schuldrecht Rn. 10; Schwarze, in Staudinger BGB, § 280 B3.  Larenz, JZ 1962, 105 (108) bezeichnet es weiter als „ein Gefüge, eine objektive, sinnvolle Verknüpfung konkreter Rechtsbeziehungen“.

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C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis

Der Begriff „Schuldverhältnis“ hat in dieser Bestimmung [§ 362 Abs. 1 BGB] dieselbe engere Bedeutung wie in § 241 BGB. Gemeint ist damit also nicht das Schuldverhältnis im weiteren Sinn, nämlich die Gesamtheit der schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner, sondern die aus solchen Beziehungen erwachsene einzelne Forderung des Gläubigers bzw. Schuld des Schuldners.⁹⁸

cc) Dogmatischer Hintergrund des Schuldverhältnisses im weiteren Sinn Mit Blick auf die Qualifikation des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses gilt es das Rechtsinstitut des „Schuldverhältnisses im weiteren Sinne“ genauer zu beleuchten. Dabei stellen sich in dogmatischer Hinsicht zwei Fragen: Zum einen, ob ein Schuldverhältnis zwischen zwei Personen auch bestehen kann, wenn keinem der Beteiligten ein Leistungsanspruch zusteht. Zum anderen, ob dem Schuldverhältnis im weiteren Sinn über den das Schuldverhältnis begründenden Anspruch hinaus selbst zusätzliche Rechtsbeziehungen und Ansprüche entspringen können. Also, ob dem Begriff des „Schuldverhältnisses“ insoweit eine Bedeutung zukommt, dass er nicht nur als „Oberbegriff“ für eine Vielzahl von Rechtsbeziehungen fungiert, sondern ihm selbst eine rechtsbegründende Wirkung zukommt. Vor allem der ersten Frage kommt im Hinblick auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis erhebliche Bedeutung zu. Denn soweit ein Schuldverhältnis nicht bestehen kann, wenn weder Leistungsberechtigung noch -verpflichtung besteht, impliziert das für die oben geführte Diskussion zur Rechtsnatur des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses, dass sich die Nachbarn jedenfalls nicht durchgehend – also unabhängig von den konkreten Situationen, in denen Unterlassungsansprüche bestehen – in einer schuldrechtlichen oder wenigstens schuldrechtsähnlichen Beziehung befinden könnten. Letztere Frage könnte für die Ausgleichsansprüche von Relevanz sein, denn wenn Schuldverhältnisse aus sich selbst heraus Ansprüche begründen können, könnte das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis unmittelbar Rechtsgrundlage für etwaige Ausgleichsansprüche sein und der umstrittene Rückgriff auf § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB wäre obsolet. (1) Schuldverhältnis nur mit Rücksichtnahmepflichten Der Gedankenschritt im Hinblick auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis ist dabei der Folgende: Es entsteht bei Vorliegen noch zu definierender Tatbestandsmerkmale und führt in seiner Rechtsfolge zu Rücksichtnahmepflichten zwischen den Beteiligten. Soweit ein Schuldverhältnis ausschließlich aus Rücksichtnahmepflichten bestehen kann, wäre das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis daher als Schuldverhältnis im engeren Sinn zu qualifizieren. Denn Leistungspflichten ent-

 BGHZ 10, 391 = NJW 1954, 231 (232).

II. Rechtsnatur und Begründung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses

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stehen in den Nachbarschaftsstreitigkeiten regelmäßig erst durch die Einwirkung selbst und die daraus resultierende actio negatoria aus § 1004 Abs. 1 BGB oder dem deliktischen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB.⁹⁹ Normative Ausgangspunkte sind dabei § 241 Abs. 2 BGB und § 311 Abs. 2 BGB. § 241 Abs. 2 BGB erkennt ausdrücklich an, dass ein Schuldverhältnis auch andere Pflichten als Leistungspflichten erzeugen kann. Namentlich solche, die nicht das Äquivalenz-, sondern das Integritätsinteresse betreffen.¹⁰⁰ Sie beziehen sich auf die Bewahrung der gegenwärtigen Güterlage der am Schuldverhältnis beteiligten Personen und verfolgen den Zweck, den ungestörten Leistungsvollzug zu ermöglichen.¹⁰¹ Im Folgenden werden diese Pflichten pauschal als Rücksichtnahmepflichten bezeichnet.¹⁰² Manche dieser Pflichten sind „echte Nebenleistungspflichten“.¹⁰³ Sie sind von vornherein inhaltlich bestimmt und so bedeutsam, dass ihre Erfüllung einklagbar ist. Andere sind rein situationsgebunden, also nicht klar eingrenzbar und können niemals Gegenstand einer Leistungsklage sein. Ihre Bedeutung liegt primär darin, dass ihre schuldhafte Verletzung Schadensersatzansprüche zur Folge hat.¹⁰⁴ Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal zwischen den Leistungs- und Rücksichtnahmepflichten ist deswegen die Zielrichtung: Die Rücksichtnahmepflichten schützen den status quo der Güterlage, während die Leistungspflichten auf deren Veränderung gerichtet sind.¹⁰⁵ Insoweit stehen sie den allgemeinen Verhaltenspflichten des Deliktsrechts nahe.¹⁰⁶ § 241 Abs. 1 BGB selbst setzt jedoch ein bestehendes Schuldverhältnis voraus.¹⁰⁷ Im Hinblick auf die Frage danach, ob ein Schuldverhältnis auch nur bei Vorliegen von Rücksichtnahmepflichten bestehen kann, hilft die Norm deshalb nicht weiter.  Vgl. Palandt/Sprau, BGB, Einf. v. § 823 Rn. 6, Überblick v. § 311 Rn. 5.; Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 90 f. ist dem Gedanken nachgegangen, ob durch die Einwirkung selbst das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis begründet werden kann. Sie störte sich dabei – zurecht – vor allem mit der Idee, dass die Begründung der Sonderverbindung und die Verletzung der aus der Sonderverbindung resultierenden Pflicht in zeitlicher Hinsicht zusammenfielen. Daher kommt Denecke letztlich zum Ergebnis, dass eine Sonderverbindung nur im kleinnachbarlichen Raum möglich erschiene, diese aber wegen der daraus entstehenden Abgrenzungsschwierigkeiten ebenfalls abzulehnen sei.  Olzen, in: Staudinger BGB, § 241 Rn. 153; Thiele, JZ 1967, 649 (650).  Olzen, in: Staudinger BGB, § 241 Rn. 156 mwN.  Zur unterschiedlichen Terminologie vor und nach der Schuldrechtsmodernisierung Olzen, in: Staudinger BGB, § 241 Rn. 154 f.  Larenz, JZ 1962, 105 (108).  Larenz, JZ 1962, 105 (108).  Olzen, in: Staudinger BGB, § 241 Rn. 161; Thiele, JZ 1967, 649 (650).  Thiele, JZ 1967, 649 (650).  Olzen, in: Staudinger BGB, § 241 Rn. 399.

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C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis

(a) § 311 Abs. 2 BGB Auf die Frage, ob ein Schuldverhältnis grundsätzlich auch bestehen kann, wenn es keine Leistungspflichten gibt, enthält § 311 Abs. 2 BGB eine eindeutige Antwort: Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 entsteht auch durch 1. die Aufnahme von Vertragsverhandlungen, 2. die Anbahnung eines Vertrags, bei welcher der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut, oder 3. ähnliche geschäftliche Kontakte.

Im Hinblick auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis bleibt dies zunächst noch von geringer Bedeutung, weil keine der Nummern 1– 3 tatbestandlich mit dem Sachverhalt des Nebeneinanders zweier Nachbarn übereinstimmt. Jedoch normiert § 311 Abs. 2 BGB den Rechtsgedanken, dass ein Forderungsrecht des einen Teils eine hinreichende, keinesfalls aber notwendige Voraussetzung eines Schuldverhältnisses ist.¹⁰⁸ § 311 Abs. 2 BGB zeigt vielmehr, dass ein Schuldverhältnis auch bestehen kann, soweit es ausschließlich um Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB gehen kann. Ob die Interessenlage dem Rechtsgedanken nach vergleichbar ist, soll an späterer Stelle beleuchtet werden. (b) Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Ein weiteres Beispiel für ein gesetzliches Schuldverhältnis, das ausschließlich durch die Nähe zu einer Person begründet wird, ist der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.¹⁰⁹ Auch in dessen Rahmen stehen dem Dritten keine Leistungsansprüche zu. Den Anspruch auf die Hauptleistung hat nur der Gläubiger. Der Dritte ist jedoch in die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten einbezogen, sodass er bei deren Verletzung vertragliche Schadensersatzansprüche geltend machen kann.¹¹⁰ Das hat für den einbezogenen Dritten den Vorteil, dass er neben den deliktischen auch eigene vertragliche Ansprüche geltend machen kann und er damit der defizitären Deliktshaftung entgeht.¹¹¹ Beziehungsbegründend ist beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter allen voran die „Leistungsnähe“. Maßgeblich zu dessen Bestimmung ist, dass der Dritte bestimmungsgemäß so mit der vom

 Kramme, in: Prütting/Wegen/Weinerich BGB, § 241 Rn. 5; vgl. auch Riehm, in: FS Canaris 2017, 345 (346 f.).  Der Begriff wurde von Larenz, NJW 1956, 1193 (1194) geprägt.  Vgl. BGHZ 193, 297 = BGH NJW 2012, 3165; BGH NJW 2004, 3420 = WM 2004, 1869 (1870); BGHZ 159, 1 = NJW 2004, 3035.  So. Klumpp, in: Staudinger BGB, § 328 Rn. 92.

II. Rechtsnatur und Begründung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses

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Schuldner zu erbringenden Leistung in Berührung kommt, dass die Person der Gefahr von Schutzpflichtverletzungen bei der Leistungserbringung nach dem Zweck des Vertrags ebenso ausgesetzt ist wie der Gläubiger selbst. Im Mittelpunkt steht das Risiko des Dritten in Bezug auf typische Begleiterscheinungen der Leistungspflicht des Schuldners, sodass ein Risikozusammenhang zwischen der vertraglich geschuldeten Leistung und den Interessen des Dritten erforderlich ist.¹¹² Ob dieser vorliegt, ist jeweils durch Auslegung zu ermitteln.¹¹³ Folglich scheiden diejenigen Fälle, in denen der Dritte lediglich zufällig mit der Leistung des Schuldners konfrontiert wird, aus dem Anwendungsbereich des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter aus.¹¹⁴ Auch im Rahmen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter entsteht demnach ein Schuldverhältnis, ohne dass es zu Leistungspflichten kommt. Auch ein vertraglicher Kontakt selbst ist nicht notwendig. Bereits die Leistungsnähe reicht zur Begründung der Pflichten aus. (2) Rechtsbegründende Wirkung Ob einem Schuldverhältnis im weiteren Sinn darüber hinaus auch eine rechtsbegründende Wirkung zukommt, ist seit jeher umstritten. Die sich gegenüberstehenden Ansätze liegen dabei auf der Hand:¹¹⁵ Einerseits wird vertreten, dass das Schuldverhältnis im weiteren Sinn dogmatisch nur eine Art Überbegriff oder Sammelbezeichnung für die Summe aller Einzelforderungen darstelle, die dem Gläubiger gegen den Schuldner zustehen. Das Schuldverhältnis füge insoweit nichts hinzu, was nicht schon in seinen einzelnen Elementen enthalten wäre.¹¹⁶ Es sei deshalb auch nicht die Quelle einzelner Elemente oder anspruchserzeugender Tatbestand im Sinne eines Ursprungsverhältnisses.¹¹⁷ Auf der anderen Seite wird umgekehrt argumentiert. Das Schuldverhältnis sei ein anspruchserzeugender Tatbestand, insbesondere mit Blick auf die leistungsbegleitenden Verhaltenspflichten.¹¹⁸ Dies folge daraus, dass ein Schuldverhältnis

 Klumpp, in: Staudinger BGB, § 328 Rn. 114, BGH MDR 2011, 1471.  BGH NJW 2001, 3115 (3116).  Looschelders, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, § 9 Rn. 9.  Übersichtlich Olzen, in: Staudinger BGB, § 241 Rn. 41 ff.  Gernhuber, Das Schuldverhältnis, S. 9; Ernst, in: MüKo BGB, Einl. Schuldrecht Rn. 9 ff.; schon Herholz, AcP 130, 257 (261 f.) spricht von einer Zusammenfassung der „einzelnen Obligationen der Parteien“.  Vgl. auch Gernhuber, Das Schuldverhältnis, S. 9; Herholz, AcP 129 (1929), 257 (263) geht davon aus, dass „das Schuldverhältnis im weiten Sinne [sei] nichts anderes als die Summe der stipulierten Obligationen“.  Schon Ernst, AcP 154 (1954), 97 (114 f.); Henke, JA 1989, 186 (186 f.); Schapp, JuS 1992, 537 (539 f.); Siber, in: Planck BGB, § 241 Vorbemerkungen I 1.

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C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis

ein einheitliches Grundverhältnis, ein Ursprungsverhältnis, ein sogenannter „Organismus“ [sei] […], der als Wurzel aller daraus entspringenden (Forderungsrechte, Verbindlichkeiten) deren Änderung und Wechsel überdauert. ¹¹⁹

Es wird davon ausgegangen, dass die Einzelheiten des Verhältnisses veränderungsfähig sind, dabei aber doch im Ganzen gleichbleiben können. Darüber hinaus kann es „aus sich selbst heraus“ Änderungen hervorbringen.¹²⁰ Teilweise wird dies so interpretiert, dass das Schuldverhältnis im engeren und weiteren Sinn in einem Fundierungsverhältnis stehen, was zur Folge hat, dass das Schuldverhältnis im weiteren Sinn das Schuldverhältnis im engeren Sinn, also den Anspruch selbst, begründet.¹²¹ Dies entspricht auch der hier vertretenen Ansicht: Der Begriff des Schuldverhältnisses ist nicht nur als Überbegriff für die Vielzahl an Rechtsbeziehungen zwischen zwei oder mehr Personen zu verstehen. Vielmehr ist das Schuldverhältnis als komplexes Konstrukt zu begreifen, welches aus sich heraus in der Lage ist, Ansprüche zu begründen, insbesondere wenn es um Rücksichtnahmepflichten geht. Dafür spricht schon der Wortlaut von § 241 Abs. 2 BGB, wonach das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt zur Rücksicht verpflichten kann. (3) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass ein Schuldverhältnis auch dann bestehen kann, wenn es keine Leistungs-, sondern ausschließlich Rücksichtnahmepflichten zwischen zwei oder mehr Personen gibt. Zudem ist das Schuldverhältnis selbst nicht nur als eine Art Zusammenfassung vieler schuldrechtlicher Rechte und Pflichten zu verstehen, sondern verkörpert die Beziehung zwischen den Beteiligten in einer Art und Weise, die aus sich selbst heraus Ansprüche erzeugen kann. dd) Die Vorschriften der §§ 921 ff. BGB Schließlich ist auch § 922 Satz 4 BGB Beachtung zu schenken. Die §§ 921 ff. BGB beinhalten ausdrückliche Vorschriften über die gemeinsame Nutzung einer bestehenden Grenzanlage. Gem. § 921 BGB wird, soweit zwei Grundstücke durch eine Einrichtung, die zum Vorteil beider Grundstücke dient, voneinander geschieden werden, vermutet, dass die Eigentümer der Grundstücke zur Benutzung der Einrichtung gemeinschaftlich berechtigt seien, sofern nicht äußere Merkmale darauf hinweisen, dass die Einrichtung einem der Nachbarn allein gehört. § 922 BGB normiert dabei die Art der Benutzung und verweist in § 922 Satz 4 BGB auf die

 Ernst, AcP 154 (1954), 97 (114 f.).  Ernst, AcP 154 (1954), 97 (115), insb. Fn. 82.  Schapp, JuS 1992, 537 (540).

II. Rechtsnatur und Begründung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses

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Vorschriften über die Gemeinschaft (§§ 741 ff. BGB), sodass die normierten Pflichten über eine reine Deliktshaftung wegen Eigentumsverletzungen hinausgehen. Diese Vorschrift wird teilweise als Argument für und gegen das Bestehen eines Schuldverhältnisses verwendet. Einerseits wird daraus gefolgert, dass eine schuldrechtliche Verbindung zwischen Nachbarn nur im Fall einer bestehenden gemeinsamen Grenzmauer bestände.¹²² Die Pflichten zwischen den Nachbarn reichen demnach nur so weit, wie aufgrund der gesetzlichen Regelungen zu den gemeinsamen Grenzeinrichtungen besondere Rechte und Pflichten bestehen.¹²³ In sonstigen Streitfragen zwischen den Nachbarn, die nicht die gemeinsame Grenzeinrichtung betreffen, z. B. bei der Verletzung einer jedermann obliegenden Pflicht, sei auf die allgemeinen Vorschriften zurückzugreifen. Letztlich gibt § 922 Satz 4 BGB jedoch keinerlei Auskunft darüber, ob generell ein Schuldverhältnis zwischen den Nachbarn besteht. Es handelt sich um eine Sondervorschrift, die den Umgang mit gemeinsamen Einrichtungen normiert. Insoweit ist auch der Verweis auf die Gemeinschaft konsequent, weil es gerade in der Natur der Gemeinschaft liegt, dass mehreren Rechtssubjekten gemeinschaftlich ein Recht zusteht. b) Stellungnahme Nach der hier vertretenen Auffassung handelt es sich beim nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis um ein gesetzliches Schuldverhältnis. aa) Rechtsgrundlage Eine unmittelbare gesetzliche Stütze ist dem BGB nicht zu entnehmen. Das Bestehen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses als übergeordnetes Rechtsinstitut und Schuldverhältnis ergibt sich erst aus einer systematischen Betrachtung:¹²⁴ Der Gesetzgeber hat durch das Erschaffen der nachbarrechtlichen Regelungen zu erkennen gegeben, dass er die Sondersituation der benachbarten Grundstücke erkannt hat und insoweit Normen ins BGB eingefügt, die Rechte und Pflichten vermitteln. In den §§ 905 ff. und in den Nachbargesetzen der Länder¹²⁵ bringt er die

 Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 74; Scherer, BB 1965, 253 (260) verneint dennoch das Bestehen einer Gemeinschaft, da nur die Vorschriften für anwendbar erklärt werden würden.  Baur, Sachenrecht, § 5 Rn. 16; auch Brox, JA 1984, 182 (187) mwN; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 799.  Vergleichbarer Gedankengang, allerdings mit anderer Schlussfolgerung bei Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 65.  Vgl. Art. 124 EGBGB.

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C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis

Rechtsgedanken zur gegenseitigen Rücksichtnahme und des Interessenausgleichs im Nachbarschaftsverhältnis zum Ausdruck.¹²⁶ Dieses Gebot der Rücksichtnahme ist Ausfluss des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses als übergeordnetes Prinzip, das den gemeinsamen Richtpunkt der in den §§ 905 ff. BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken darstellt. Mit anderen Worten: Die in den §§ 905 ff. BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken sind insoweit nicht nur Rechtsgrundlage des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses, sondern gestalten jenes auch als Schuldverhältnis aus. Nur mit dessen Hilfe können Rechtsfragen beantwortet werden, für die das Gesetz keine Antworten vorsieht, ohne dass es einer Analogiebildung oder sonstiger methodischer Kunstgriffe bedarf.¹²⁷ Dabei geht es zum einen um entstehende Duldungspflichten, die der Wortlaut des § 906 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 2 BGB nicht umfasst. Zum anderen betrifft es die Frage nach möglichen Ausgleichsansprüchen bei Einwirkungen, die nicht über § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ausgleichbar sind. Im Mittelpunkt dessen stehen die dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis zugrunde liegenden Gedanken. Zu einer Aushöhlung oder Umgehung der gesetzlichen Vorschriften darf es dabei keinesfalls kommen.¹²⁸ Insoweit kommen dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis zwei unterschiedliche Funktionen zu: Die rechtsbegründende und die rechtsbegrenzende Funktion. bb) Entstehungsvoraussetzungen Es fragt sich, welche Entstehungsvoraussetzungen das nachbarliche Gemeinschaftsvehältnis hat. (1) Gesetzlicher Ausgangspunkt Gesetzlicher Ausgangspunkt zur Entstehung von Schuldverhältnissen ohne primäre Leistungspflicht ist § 311 Abs. 2 BGB. Die Norm sieht dabei drei Tatbestände vor, bei dessen Vorliegen ein Schuldverhältnis entstehen soll. Gem. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen. Gem. § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB durch die Anbahnung eines Vertrags, bei welchem der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Ein-

 Darüber, dass das Gebot der Rücksichtnahme in diesen Normen verankert ist, herrscht weitgehend Einigkeit, vgl. BGHZ 42, 374 = NJW 1965, 389 (391); BGHZ 58, 149 = NJW 1972, 724 (726); BGHZ 88, 344 = NJW 1984, 729 (730); BGH NJW 1995, 2633; 1991, 2826 (2827); 2003, 1392 f.; BGHZ 157, 33 = NJW 2004, 1037 f.; Althammer, in: Staudinger BGB, § 903 Rn. 15 ff. mwN.  Auch der BGH hat diesen Zweck vor Augen, vlg. BGHZ 223, 115 = NJW 2020, 607 (609) Rn. 21.  So auch Lemke, in: FS Krüger 2017, 237 (244) mit Verweis auf BGH NJW-RR 2001, 1208 (1209); 2012, 1160 (1162) und 2013, 650 (651).

II. Rechtsnatur und Begründung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses

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wirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut. Gem. § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB durch ähnliche geschäftliche Kontakte. Das offensichtliche sei zunächst festgestellt: Die Kategorien des § 311 Abs. 2 BGB umfassen allesamt rechtsgeschäftliche Beziehungen, welche beim nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis typischerweise fehlen. Dennoch fragt sich, ob sich die Rechtsgedanken des § 311 Abs. 2 BGB abstrahieren und so auf die Regelungen der §§ 905 ff. BGB übertragen lassen, dass die Interessenlagen im Hinblick auf die Notwendigkeit einer derartigen Haftung vergleichbar sind. (2) Vergleichbarkeit der Interessenlagen Welcher Grundgedanke hinter der C.I.C. und damit hinter § 311 Abs. 2 BGB steht, wird unterschiedlich beurteilt. Heute wird überwiegend angenommen, dass es im Rahmen der C.I.C. um die Inanspruchnahme und die Gewährung eines besonderen Vertrauens geht.¹²⁹ Dieser Gedanke geht im Wesentlichen auf Ballerstedt¹³⁰ und Canaris¹³¹ zurück. Eine über das Deliktsrecht hinausgehende Haftung wird auch deshalb befürwortet, weil dieses durch die Entlastungsmöglichkeit aus § 831 Abs. 1 BGB und wegen des Fehlens einer Vorschrift für fahrlässig verursachte Vermögensschäden nicht ausreicht.¹³² Im Rahmen des vorvertraglichen Schuldverhältnisses bezieht sich die Inanspruchnahme besonderen Vertrauens auf den bevorstehenden Vertragsschluss. Die Parteien sollen auch im Vorfeld des Vertragsschlusses zur Rücksicht auf die Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet werden.¹³³ Im Gegensatz zur C.I.C. steht im Nachbarschaftsverhältnis kein Vertragsschluss bevor, in dessen Lichte die Interessen der Parteien unter Vertrauensgesichtspunkten zu schützen sind. Eine Orientierung an diesem Gedankengerüst zum Vertrauensschutz ist jedoch aus einem anderen Blickwinkel denkbar: Zwischen Nachbarn besteht ein Verhältnis gesteigerten sozialen Kontakts, welches die Rücksichtnahme auf die Rechtsgüter und Interessen des jeweils anderen erfordert. Grund für das Entstehen des Schuldverhältnisses ist daher nicht der Rechtsgeschäftswille der Parteien, sondern die sich dauerhaft gegenüberstehenden Nutzungsbefugnisse, die

 Vgl. Emmerich, in: MüKo BGB, § 311 Rn. 39.  Ballerstedt, AcP 151 (1951), 501 (505 f.).  Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht; Canaris, in: FS Larenz 1983, 27 (105 f.); Canaris, in: 50 Jahre BGH Band I. Bürgerliches Recht, 129 (176 ff., 191 ff.); Canaris, AcP 200 (2000), 273 (304 ff.); Canaris, in: FS Schimansky, 1999, 43 (49 ff.).  Feldmann, in: Staudinger BGB, § 311 Rn. 102.  Vgl. schon aus dem ALR von 1794 (I 5 § 284): „was wegen des bei Erfüllung des Vertrages zu vertretenden Grades an Schuld Rechtens ist, [gilt] auch für den Fall […], wenn einer der Kontrahenten bei Abschließung des Vertrages die ihm obliegenden Pflichten vernachlässigt hat“.

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C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis

sich aus den Eigentumspositionen (§ 903 BGB) an den Grundstücken ergeben.¹³⁴ Dabei geht es insbesondere um die positiven Befugnisse beider Nachbarn, deren Interessenskreise sich durchgängig überschneiden: Beiden Grundstückseigentümern stehen weitreichende Befugnisse über die Generalermächtigung aus § 903 Satz 1 BGB zu.¹³⁵ Die Eigentümer können mit der Sache nach Belieben verfahren. Ihnen stehen Herrschafts-, Nutzungs- und Verfügungsrechte zu, sodass sie umfassende Freiheit bezüglich tatsächlicher und rechtlicher Einwirkungen auf die Sache haben.¹³⁶ Eben diese Nutzungsbefugnis stellt sich jedoch gleichzeitig als Problem dar. Die beiden Interessenkreise der Nachbarn sind von einer dauerhaften Überschneidung geprägt, sodass sich die jeweiligen Grenzen der erlaubten Nutzung in der Freiheit des Eigentums des anderen finden.¹³⁷ Insoweit lässt sich auch der Vertrauensgedanke aus § 311 Abs. 2 BGB abstrahieren und auf die Situation zwischen den Nachbarn übertragen: Der Aspekt des situationsgebundenen gesteigerten sozialen Kontakts erfordert ebenso ein erhöhtes Ausmaß an Vertrauen wie das vorvertragliche Stadium. Der Gesetzgeber hat in den §§ 905 ff. BGB auf diese Situationsgebundenheit und Immobilität der Grundstücke reagiert, indem er etwa die §§ 909, 910, 912, 917 BGB eingefügt hat, die als Normenkomplex das Vertrauensverhältnis des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses als Schuldverhältnis positiv-rechtlich ausgestalten. Diese Normen spezifizieren die Rücksichtnahmepflichten, die das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis begründet. Gemeinsamer Grundgedanke ist, die kollidierenden, gleichwertigen Eigentumsrechte der situationsgebundenen Nachbarn interessengerecht auszugleichen.¹³⁸ Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis besteht somit zwischen den Eigentümern benachbarter Grundstücke. Rechtsgrundlage dafür sind die nebeneinanderliegenden Eigentumspositionen der Nachbarn und die sich daraus ergebenen Nutzungsbefugnisse, die im Rahmen eines Interessenausgleichs gegenseitige Rücksichtnahme erfordern. Rechtsgeschäftliche Handlungen sind, wie im Rahmen eines gesetzlichen Schuldverhältnisses üblich, nicht erforderlich.

 Ausdrücklich anders sieht dies Riesenhuber, Die Rechtsbeziehungen zwischen Nebenparteien, S. 132 f. jedenfalls im Hinblick auf das Bestehen einer Gemeinschaft, der das Eigentum als „Paradefall des individuellen, selbstständigen Rechts“ sieht. Die gemeinsame Grenze markiere nur die Schnittstelle der jeweiligen Grundstücke, aber begründe keinen gemeinsamen Bereich.  Vgl. Althammer, in: Staudinger BGB, § 903 Rn. 9 ff.  Vgl. BVerfGE 31, 229 (239); Althammer, in: Staudinger BGB, § 903 Rn. 10.  Vgl. Althammer, in: Staudinger BGB, § 903 Rn. 8.  Vgl. Riesenhuber, Die Rechtsbeziehungen zwischen Nebenparteien, S. 134.

II. Rechtsnatur und Begründung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses

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Die Rücksichtnahmepflichten als schuldrechtliche Pflichten stehen neben den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten¹³⁹ und der normierten Unterlassungshaftung (z. B. § 836 BGB) des Deliktsrechts und rechtfertigt sich dadurch, dass sie dem Schutz eines speziellen Adressatenkreises dienen. Der Nachbar ist durch seine dauerhafte „Ausgesetztheit“ schutzbedürftiger als der zufällig betroffene Dritte als Teil der Allgemeinheit. Insoweit stellt sich der schuldrechtliche Schutz des Nachbarn auch nicht als unbillige Privilegierung, sondern als logische Konsequenz dar. (3) Vergleich zum Wohnungseigentum Auch im Hinblick auf die Rechtsprechung zum Rechtsverhältnis zwischen Wohnungseigentümern überzeugt die Annahme eines Schuldverhältnisses zwischen Grundstückseigentümern: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht zwischen den Mitgliedern einer Wohnungseigentümergemeinschaft ein gesetzliches Schuldverhältnis, durch das die Verhaltenspflichten des § 14 WEG begründet werden, woraus aber auch darüberhinausgehende Treue- und Rücksichtnahmepflichten i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB folgen können.¹⁴⁰ Zwar sind die Wohnungen der Eigentümer räumlich noch enger miteinander verbunden als die Grundstücke benachbarter Eigentümer, dennoch ist eine unterschiedliche Qualifizierung der Rechtsverhältnisse fraglich, denn die Wahrscheinlich- und Gefährlichkeit der Einwirkung auf das benachbarte Eigentum ist nicht so verschieden, als dass eine andere rechtliche Behandlung zwingend erscheint. (4) Nachbarbegriff Fragen wirft das Tatbestandsmerkmal „benachbart“ im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses auf. Dabei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Zu dessen Konkretisierung kann an die Rechtsprechung zu § 907 Abs. 1 Satz 1 BGB angeknüpft werden. Die Norm enthält das Tatbestandsmerkmal des „Nachbargrundstücks“. Als Nachbargrundstücke sieht die Rechtsprechung dabei nicht nur unmittelbar angrenzende, sondern alle Grundstücke an, in deren Einwirkungsbereich das gefährdete Grundstück liegt.¹⁴¹ Für die Konkretisierung des Einwirkungsbereichs ist entscheidend, ob die Einwirkungen den Nachbarn als solchen treffen oder als Teil der Allgemeinheit.¹⁴²

 Vgl. zur Entwicklung der Verkehrssicherungspflichten v. Bar, JZ 1979, 322.  BGH NJW 2014, 1653 (1653).  Brückner, in: MüKo BGB, § 907 Rn. 10 mit Verweis auf RG JW 1923, 288.  Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 123 mwN; ähnlich Säcker, in: MüKo BGB (2009), § 906 Rn. 141 ff. mwN., der zur „sachgerechten Begrenzung“ des Kreises der Anspruchsberechtigten die Vorschriften des BImSchG heranzieht. Die dort vorgesehene Begrenzung

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C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis

Dazu ist eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Das Heranziehen dieses Rechtsgedankens rechtfertigt sich nicht zuletzt auch dadurch, dass § 907 BGB das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis zum Ausdruck bringt, indem die Norm einen positivierten Sonderfall des allgemeinen Abwehranspruchs darstellt, der neben § 1004 BGB anwendbar ist.¹⁴³ Zwar hat § 907 BGB durch die Vorverlagerung des allgemeinen negatorischen Rechtsschutzes auch auf drohende Erstgefahren an praktischer Bedeutung verloren,¹⁴⁴ dennoch ist schon dem Wortlaut der Norm der gesetzgeberische Gedanke zu entnehmen, die Nachbarn im Nachbarschaftsverhältnis neben den allgemeinen Regeln mit spezifischen Rechten auszustatten. Die räumliche Reichweite der Nachbarschaft stellt in diesem Zusammenhang kein Problem dar. Benachbart sind neben den unmittelbar angrenzenden auch sonstige Grundstücke, die von Einwirkungen betroffen werden können, die aus einer spezifischen Grundstücksnutzung resultieren. Die beiden infrage stehenden Grundstücke müssen also im gegenseitigen Einwirkungsbereich liegen. Soweit anzunehmen ist, dass eine Einwirkung vom einen auf das andere Grundstück nach allgemeiner Lebenserfahrung erwartet werden kann, sind die Grundstücke auch i.S.d. nachbarlichen Gemeinschaftsverhätlnisses benachbart. Einschränkendes Kriterium für die Nachbarschaftsqualifizierung ist deshalb die spezifische Grundstücksnutzung, also der Grundstücksbezug, auf den später noch zurückzukommen sein wird.¹⁴⁵ Dem Ansatz lässt sich entgegnen, dass dadurch Rechtsunsicherheit entstände, indem die Nachbarn wegen des unbestimmten Rechtsbegriffs nicht mit letzter Sicherheit wüssten, ob sie Partei im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis sind. Diese Rechtsunsicherheit besteht. Jedoch ist sie praktisch folgenlos, weil das Schuldverhältnis ausschließlich aus Rücksichtnahmepflichten ausgestaltet ist.¹⁴⁶ Durch das Erfordernis der spezifischen Grundstücksnutzung entstehen die Pflichten zudem nicht für jede beliebige auf dem Grundstück vorgenommene Handlung. Vielmehr sind die besonderen Rücksichtnahmepflichten für die Grundstückseigentümer bei spezifischer Grundstücksnutzung, die für Nachbarn eine Beeinträchtigung darstellen kann, zumutbar.

des Kreises der Geschützten i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 BImSchG auf die „Nachbarschaft“ stehe nicht im Widerspruch zur Rechtsnatur der Regelung des § 906, nachdem die Rechtsprechung zum BImSchG den Kreis der Nachbarschaft auf diejenigen erweitert hat, die in einer engeren räumlichen und zeitlichen Beziehung zum emittierenden Grundstück stehen.  Brückner, in: MüKo BGB, § 907 Rn. 2.  Brückner, in: MüKo BGB, § 907 Rn. 2.  E., III., 3., b), aa), (1).  Welche schuldrechtlichen Normen zur Anwendung gelangen wird an späterer Stelle noch ausführlich diskutiert (C., 8., c), cc), (3)).

II. Rechtsnatur und Begründung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses

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cc) Anwendbarkeit schuldrechtlicher Vorschriften¹⁴⁷ Der Auslöser der Meinungsverschiedenheiten zur Rechtsnatur des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses ist unter anderem die Frage nach der Anwendbarkeit der schuldrechtlichen Vorschriften. Im Mittelpunkt steht dabei § 278 BGB, also die Frage nach der Verschuldenszurechnung von Erfüllungsgehilfen im nachbarlichen Verhältnis.¹⁴⁸ Eine solche Anwendung hätte insbesondere zur Folge, dass dem jeweiligen „Schädiger“ die Exkulpationsmöglichkeit aus § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB genommen würde. Dieselbe Frage stellt sich zudem für § 280 BGB, dessen Anwendbarkeit nicht zuletzt wegen der Verschuldensvermutung aus § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB von erheblicher Bedeutung ist.¹⁴⁹ (1) Bundesgerichtshof Die Rechtsprechung lehnt eine Anwendung des § 278 BGB mit der Begründung ab, dass das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis wegen seines sachenrechtlichen Ursprungs keinen hinreichend klaren Inhalt habe und zudem nur die Rechtsausübung in gewissem Umfang beschränke, aber im Grundsatz schon keine Ansprüche begründe.¹⁵⁰ In einer Entscheidung aus dem Jahr 1964¹⁵¹ hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich zur Frage der Anwendbarkeit von § 278 BGB Stellung genommen. Dieser Linie ist die Rechtsprechung im Folgenden treu geblieben.¹⁵² Darin heißt es: Der Senat entscheidet nunmehr diese Frage in Übereinstimmung mit dem RG und der herrschenden Lehre dahin, daß das bloße nachbarliche Nebeneinander von Grundstücken verschiedener Eigentümer für sich allein nicht ausreicht, um zwischen den Beteiligten schuld-

 Lieder, JuS 2011, 874 (874); generell zur Anwendbarkeit von Vorschriften aus dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht außerhalb vertraglicher Schuldverhältnisse vgl. Riehm, in: FS CoesterWaltjen 2015, 1170 (1171).  In der Praxis hat sich diese Frage insbesondere in Vertiefungsfällen und im Zusammenhang mit der daraus resultierenden Haftung des Bauunternehmers bzw. Architekten gestellt.  Zur Anwendbarkeit von § 280 Abs. 1 BGB auf gesetzliche Schuldverhältnisse Lorenz, in: BeckOK BGB, § 280 Rn. 5 (Dieser verneint schließlich auch die Anwendbarkeit auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis in Rn. 7).  BGHZ 42, 374 = NJW 1965, 389 (390), daran ist besonders bemerkenswert, dass es in der Entscheidung sogar um zwei durch eine Giebelmauer verbundene Grundstücke geht, also eine gemeinsame Grenzeinrichtung bestand. In diesen Fällen ist das Vorliegen eines nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis wegen des Verweises in § 922 Satz 4 BGB auf die Vorschriften über die Gemeinschaft besonders umstritten; zuvor auch schon RGZ 132, 51. Dazu ausführlich Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 74 ff.; in einer neueren Entscheidung des OLG Hamm hingegen wird § 278 BGB angewendet, soweit eine gemeinsame Grenzeinrichtung zwischen den Grundstücken besteht, OLG Hamm BeckRS 2017, 126643.  BGHZ 42, 374 = NJW 1965, 389.  Vgl. BGH NJW 2006, 992 (993).

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C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis

rechtliche Beziehungen herzustellen. Die Rechte und Pflichten der Grundstücksnachbarn haben durch das Gesetz, insbesondere die Vorschriften der §§ 905 ff. BGB, eine ins einzelne gehende Sonderregelung erfahren […] Für eine Anwendung des § 278 BGB im Rahmen dieses Verhältnisses ist daher kein Raum. ¹⁵³

Stattdessen verschärfte der Bundesgerichtshof bislang die Sorgfaltspflichten der Hilfspersonen und wendet andere haftungsübertragende Normen an.¹⁵⁴ Dieser Ansatz hat in der Literatur für Kritik gesorgt.¹⁵⁵ Es wird eingewandt, dass die im Rahmen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses anerkannten Pflichten zum Schutz und zur Rücksichtnahme auch und gerade der Schadensabwendung dienten, sodass ihre Verletzung durch die Erfüllungsgehilfen zur Haftung nach § 278 BGB führte.¹⁵⁶ Für dieses Ergebnis wird auch angeführt, dass ansonsten auf zweifelhafte Zurechnungskonstruktionen zurückgegriffen werden müsse.¹⁵⁷ In einer Entscheidung von 1997 hat der Bundesgerichtshof im Hinblick auf die Unanwendbarkeit von § 278 BGB auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis Bedenken angemeldet. In BGHZ 135, 235 heißt es: Soweit bisher die Anwendung von § 278 BGB auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis verneint worden ist (BGHZ 42, 374, 377), mag zweifelhaft sein, ob sich dieser Standpunkt in Anbetracht der heutigen Bewertung dieses Verhältnisses aufrechterhalten ließe. ¹⁵⁸

In einer aktuellen Entscheidung von 2017 hat das OLG Hamm die Anwendbarkeit des § 278 BGB bejaht, soweit eine gemeinsame Grenzeinrichtung besteht.¹⁵⁹

 BGHZ 42, 374 = NJW 1965, 389 (390).  Vgl. dazu Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht § 61 Rn. 44 mwN.; zu weiteren Begründungsansätzen von unterschiedlichen Gerichten vgl. Brox, JA 1964, 182 (185).  Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht § 61 Rn. 44.  Zum Meinungsbild vgl. Maier/Bornheim, JA 1995, 978 (980). Maier/Bornheim, JA 1995, 978 (980) kritisiert die Argumentation des BGH bezüglich eines Urteils (BGHZ 95, 144 = DNotZ 1986, 25 (25)), welches Schonungspflichten aus § 1020 BGB zum Inhalt hatte. Darin heißt es, dass § 1020 BGB ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen den Eigentümern des herrschenden und des dienenden Grundstückes begründet, für das § 278 BGB gilt. Der BGH hielt es also für möglich, dass infolge der dinglichen Regelung im Recht der Grunddienstbarkeiten schuldrechtliche Verpflichtungen bestehen, die eine Anwendung des § 278 BGB ermöglichen. Dies vermag jedoch nicht zu überzeugen, denn der Unterschied zur Grunddienstbarkeit, die die Einräumung eines beschränkt dinglichen Rechts und folglich ein geschäftlicher Kontakt ist, soll das gesetzliche Schuldverhältnis unter Nachbarn allein aus der tatsächlichen Nähe entstehen; Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (409) mwN.  So Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 903 Rn. 42 mwN.; im Ergebnis so auch schon: Kniestadt, JZ 1963, 81 (83).  BGHZ 135, 235 = NJW 1997, 2234 (2236); vgl. OLG Hamm NJW 2017, BeckRS 126643.  OLG Hamm NJW 2017, BeckRS 126643.

II. Rechtsnatur und Begründung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses

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(2) Literatur In der Literatur gehen die Ansichten bei der Frage nach der Anwendbarkeit des § 278 BGB auseinander. Zwar wurde dies von der überwiegenden Ansicht jahrelang verneint, es finden sich jedoch vermehrt Stimmen, die eine Anwendbarkeit jedenfalls in bestimmten Situationen befürworten.¹⁶⁰ Gegen die Anwendung wird angeführt, dass es in den §§ 905 ff. BGB nicht um aufeinandertreffende Pflichten gehe, sondern der Interessensausgleich durch die Begrenzung von Befugnissen im Mittelpunkt stehe.¹⁶¹ Zum anderen sind die ablehnenden Stimmen ausschließlich dem Lager zuzuordnen, das überhaupt jegliche Sonderverbindung zwischen den Nachbarn ablehnt. Insoweit wird als Argument angeführt, dass die Anwendung des § 278 BGB daran scheitere, dass es sich nicht um ein Schuldverhältnis handle. (3) Stellungnahme Der Boden, auf dem sich der Streit um die Anwendbarkeit der schuldrechtlichen Normen abspielt, ist die Frage nach dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis als Schuldverhältnis. Soweit diese Frage – wie hier vertreten – jedoch zu bejahen ist, steht auch der Anwendung von schuldrechtlichen Normen nichts im Weg, denn das allgemeine Leistungsstörungsrecht findet grundsätzlich auf alle Ansprüche Anwendung, auch wenn sich diese außerhalb des Schuldrechts befinden.¹⁶² (a) § 278 BGB § 278 BGB regelt die Zurechnung des Verhaltens von Hilfspersonen in bestehenden Sonderrechtsverhältnissen. Der Schuldner hat das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen zu vertreten, ohne sich – wie im Rahmen von § 831 Abs. 1 BGB – durch den

 Brückner, in: MüKo BGB, § 903 Rn. 40; Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 128 ff.; Grundmann, in: MüKo BGB, § 178 Rn. 18; Palandt/Herrler, BGB, § 903 Rn. 13; Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/299, S. 23; Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, Kapitel 1 Rn. 60; Neuner, JuS 2005, 385 (386); Pikart, WM 1969, 82 (84); Scherer, BB 1965, 253 (261); befürwortend Bälz, Zum Strukturwandel des Systems zivilrechtlicher Haftung, S. 41, der das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis als gesetzliches Schuldverhältnis qualifiziert; Bälz, in FS Kübler 1997, 355 (376); Baur/Stürner, Sachenrecht, § 5 Rn. 16; Brox, JA 1984, 182 (187), der § 278 BGB nur im Fall von § 922 Satz 4 BGB für anwendbar hält; Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 903 Rn. 42; Kramme, in: Prütting/Wegen/Weinerich BGB, § 278 Rn. 3; Maier/Helmerich Bornheim, JA 1995, 978 (979 f.); Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 799; Mühl, NJW 1960, 1133 (1136); Mühl, in FS Raiser 1974, 159 (173); Prütting, Sachenrecht, Rn. 351; Säcker, in: Münchener Kommentar (1986), § 909 Rn. 26. und § 912 Rn. 20; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht § 61 Rn. 44; Westermann, JZ 1963, 407, Westermann, Sachenrecht (1980), S. 305.  Knopp, in Soergel/Siebert (1967), § 242 Rn. 20.  Riehm, in: FS Coester-Waltjen 2015, 1170 (1171) mwN.

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C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis

Nachweis sorgfältiger Auswahl und Überwachung entlasten zu können. Folglich handelt es sich um einen Fall von Garantiehaftung für Erfüllungsgehilfen.¹⁶³ Voraussetzung dazu ist lediglich das Bestehen eines Schuldverhältnisses.¹⁶⁴ Ausreichend ist jegliche rechtliche Sonderverbindung, gleichgültig welcher Rechtsgrundlage sie entstammt; sie können sowohl auf Rechtsgeschäft als auch auf Gesetz beruhen.¹⁶⁵ Insoweit ist die Anwendbarkeit der Norm nur die logische Konsequenz der vorherigen Argumentation. Dafür spricht zunächst auch das weite Verständnis des Begriffs der „Verbindlichkeit“. Erfasst sind zunächst alle Pflichten aus dem Sonderrechtsverhältnis; Haupt- ebenso wie Nebenpflichten, Leistungs- ebenso wie Schutz- und Obhutspflichten.¹⁶⁶ Im Rahmen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses geht es dabei um die Verletzung der Rücksichtnahmepflichten, die sich unter den Tatbestand der Verbindlichkeit aus § 278 BGB subsumieren lassen. Von Relevanz ist die Zurechnung vor allem im Rahmen des Anspruchs des beeinträchtigten Nachbarn nach rechtswidrigen Einwirkungen.¹⁶⁷ Dies erscheint auch interessensgerecht, denn die nicht nur der Grundstückseigentümer selbst hat Rücksicht auf die Nachbarn zu nehmen, sondern auch seine Erfüllungsgehilfen, sofern deren Tätigkeit Grundstücksbezug aufweist. Des Weiteren kann auch die Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des § 278 BGB im Verhältnis zwischen Wohnungseigentümern herangezogen werden. Der Wohnungseigentümer hat im Rahmen jener rechtlichen Sonderverbindung für das Verschulden von Hilfspersonen nach § 278 BGB einzustehen.¹⁶⁸ Dies beinhaltet auch eine Haftung für Fremdnutzer, denen er die Wohnung überlassen hat, namentlich Mieter und Untermieter.¹⁶⁹ Auch wenn sich die Wohnungseigentümergemeinschaft auf eine rechtliche Grundlage stützen kann, leuchtet nicht ein, weshalb dort das Bestehen eines gesetzlichen Schuldverhältnisses, welches auch die Anwendbarkeit von § 278 BGB begründet, nicht bezweifelt wird, obwohl im Hinblick auf Grundstücksnachbarn eine durchaus vergleichbare Interessenlage existiert.

 Palandt/Grüneberg, BGB, § 278 Rn. 1; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 804.  StRspr seit BGHZ 1, 248 = NJW 1951, 477.  Grundmann, in: MüKo BGB, § 278 Rn. 15; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 375.  Grundmann, in: MüKo BGB, § 278 Rn. 21.  Dazu ausführlich an späterer Stelle (D, II, 1, c), bb) und E., II., 10.).  BGH NJW 2014, 1653 (1653) mwN.; Armbrüster, ZMR 1997, 395 (397).  BGH NJW 2014, 1653 (1653) mit Verweis auf Instanzgerichtliche Rechtsprechung; Armbrüster, ZMR 1997, 395 (397); Klein, in Bärmann WEG, § 14 Rn. 45 ff.; ähnlich Schmid, MDR 2010, 1367 (1369).

II. Rechtsnatur und Begründung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses

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(b) § 280 Abs. 1 BGB § 280 ist auf alle Schuldverhältnisse anwendbar.¹⁷⁰ Neben § 278 BGB kommt deshalb auch § 280 BGB im Rahmen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zur Anwendung. Wie im Rahmen von § 278 BGB besprochen, kommt die Norm im Nachbarrecht vor allem bei rechtswidrigen Einwirkungen zum Zuge, die Verletzungen von Rücksichtnahmepflichten darstellen. Im Hinblick auf den Schutzzweck der §§ 905 ff. BGB sind die Tatbestandsvoraussetzungen zu modifizieren: Die Pflichtverletzung i.S.d. § 280 Abs. 1 BGB liegt in der Verletzung einer Rücksichtnahmepflicht mittels einer grundstücksbezogenen Einwirkung. Der Schaden muss ebenfalls Grundstücksbezug aufweisen.¹⁷¹ (c) § 922 Satz 4 BGB In diesem Zusammenhang ist auch § 922 Satz 4 BGB zu betrachten. Nach der Ansicht der Rechtsprechung ist § 278 BGB nicht auf die Gemeinschaft anwendbar, die durch die gemeinschaftliche Giebelmauer geschaffen wird.¹⁷² Der Bundesgerichtshof begründete dies folgendermaßen: Denn wenn dem streitigen Grenzgiebel während der Zeit, als das eine Gebäude zerstört war und er im Alleineigentum des anderen Grundstücksnachbarn stand […], gleichwohl die Eigenschaft einer Einrichtung gemäß §§ 921 f. BGB erhalten geblieben sein sollte, so wäre dadurch zwischen den Nachbarn, wie auch die Zugehörigkeit der genannten Vorschriften zum 3. Buch des BGB zeigt, weder ein gesetzliches Schuldverhältnis noch ein sonstiger, die Anwendbarkeit des § 278 BGB rechtfertigender vertragsähnlicher Zustand begründet worden. Das gemeinschaftliche Benutzungsrecht stellt sich nämlich als eine gesetzliche Eigentumsbeschränkung zugunsten des jeweiligen anderen Grundstücks dar. Es ist, wie die Unterhaltungspflicht, Inhalt des Grundeigentums und als dessen Bestandteil nicht für sich übertragbar […]. Die beiderseitigen Rechte und Pflichten sind demnach sachenrechtlicher Natur. Aus § 922 Satz 4 BGB läßt sich nichts Gegenteiliges herleiten. Dort wird lediglich gesagt, das Rechtsverhältnis zwischen den Nachbarn bestimme sich „im übrigen nach“ den Vorschriften über die Gemeinschaft. Daraus folgt, daß es sich um kein wirkliches Gemeinschaftsverhältnis nach Maßgabe der §§ 741 ff. BGB handelt; diese Vorschriften sollen darauf bloß in einem begrenzten Umfange entsprechend angewendet werden. Unter solchen Umständen kann dahingestellt bleiben, inwieweit die Gemeinschaft i.S. der §§ 741 ff. BGB unter den Begriff des „Schuldverhältnisses“ nach § 241 BGB fällt […]. Dem Grundeigentümer, der sich durch Baumaßnahmen des Nachbarn in seinen Rechten an der gemeinschaftlichen Grenzmauer benachteiligt fühlt, steht die Geltendmachung von Ansprüchen aus § 1004 BGB und, wenn ein Verschulden vorliegt, auch aus § 823 BGB zu Gebote […]. Eine Inanspruchnahme des Grundstücksnachbarn wegen schuldhaften Verhaltens seiner Hilfspersonen gemäß § 278 BGB kommt nicht in Betracht.

 Ernst, in: MüKo BGB, § 280 Rn. 6.  Die Tatbestandsvoraussetzungen werden an späterer Stelle ausführlich diskutiert (E., II., 10.).  BGHZ 42, 374 = NJW 1965, 389 (391).

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C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis

Diese Ansicht ist in der Literatur zurecht auf Widerstand gestoßen.¹⁷³ § 922 Satz 4 BGB verweist auf das Recht der Gemeinschaft in den §§ 741 ff. BGB, welches in das Recht der Sonderverbindungen einzugliedern ist. Deswegen muss auch § 278 BGB, jedenfalls entsprechend, zur Anwendung gelangen. Zudem ist der Schutz über das Deliktsrecht insoweit nicht ausreichend, sodass ein Bedürfnis für die Anwendung schuldrechtlicher Normen besteht, soweit es auch im Landesnachbarrecht keine geeignete Regelung gibt.¹⁷⁴ dd) Persönlicher Anwendungsbereich Parteien im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis sind grundsätzlich die Eigentümer und Kraft gesetzlicher Anordnung dinglich berechtigte Dritte (für den Nießbraucher § 1065 BGB, den Dienstbarkeitsberechtigten §§ 1027, 1090 Abs. 2 BGB und den Erbbauberechtigten § 11 ErbbauRG). Darüber hinaus hat die Rechtsprechung den Kreis der Berechtigten auf diejenigen Nutzer eines Grundstücks erweitert, die zur Geltendmachung possessorischen Besitzschutzes hinsichtlich des Grundstücks (§ 862 BGB) befugt sind.¹⁷⁵ Dahinter steht der Gedanke, dass es wertungswidersprüchlich wäre, wenn der Besitzer, der den gleichen Einwirkungen ausgesetzt ist wie der Eigentümer selbst, eine andere Behandlung erfahren würde.¹⁷⁶ Auch dem Besitzer gewährt das BGB über § 862 BGB Abwehransprüche gegen Einwirkungen.¹⁷⁷ Der Besitzer rückt deshalb in die Stellung des Grundstückseigentümers im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ein, um als näherer Beteiligter die widerstreitenden Nachbarinteressen zum Ausgleich zu bringen.¹⁷⁸ Er unterliegt somit denselben Duldungspflichten wie der Eigentümer und hat dementsprechend auch dieselben Nutzungen zu unterlassen. Allerdings kann nicht jeder Besitz dem Eigentum gleichgestellt werden. Maßgeblich ist, dass die Be Baur/Stürner, Sachenrecht, § 5 Rn. 16 kritisiert die Rechtsprechung im Hinblick auf Fälle, in denen das Gesetz in § 922 Satz 4 selbst auf die Vorschriften der Gemeinschaft verweist; Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 922 Rn. 6; Palandt/Herrler, BGB, § 922 Rn. 5; Lorenz, in: Erman BGB (2017), § 921 Rn. 12; Lorenz, in: BeckOK BGB, § 280 Rn. 7; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 799; Roth, in: Staudinger, BGB, § 922 Rn. 12 und § 921 Rn. 52; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht § 64 Rn. 16.  So auch Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 922 Rn. 6.  BGHZ 70, 212 = NJW 1978, 373 (375); BGHZ 147, 45 = NZM 2001, 523 (525); BGH NJW 2008, 992 (993) mwN. Dabei handelt es sich zum Großteil zwar um Entscheidungen zum nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch, die Rechtsgedanken bezüglich der Aktivlegitimation lassen sich jedoch auf die hier im Raum stehende Frage übertragen. Zur Frage des nichtberechtigten Besitzes Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 125; Lüneborg, NJW 2012, 3745 (3748).  So auch Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 124.  Vgl. BGHZ 147, 45 = NZM 2001, 523 (525).  BGHZ 198, 327 = NJW 2015, 458 (459); BGHZ 157, 188 = NJW 2004, 775 (776); Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 124.

II. Rechtsnatur und Begründung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses

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sitzposition mit der Eigentumsposition vergleichbar ist. An einer solchen Vergleichbarkeit fehlt es bei nur kurzzeitigem Besitz, wie etwa bei einer begrenzten Zahl an Übernachtungen in einem Hotel oder einer Ferienunterkunft. Hier kann nicht erwartet werden, dass die Nachbarn auf die spezifischen Belange des Besitzers besondere Rücksicht nehmen.¹⁷⁹ Die besitzrechtlichen Abwehrrechte aus den §§ 862 ff. BGB stehen ihm hingegen unbeschränkt zu.¹⁸⁰ Das BVerwG¹⁸¹ hat zum Begriff des Nachbarn festgehalten, dass jenen nicht die mehr oder weniger flüchtige Begegnung, sondern die Gebundenheit an einen Ort kennzeichnet, wie sie für das Wohnen charakteristisch ist. Ganz in diesem Sinne war in § 16 GewO der geschützte Personenkreis umschrieben als die „Besitzer oder Bewohner der benachbarten Grundstücke“. Zur Nachbarschaft gehören damit nur solche Personen, die nach ihren Lebensumständen den Einwirkungen der Anlage in einer vergleichbaren Weise, wie sie der Wohnort vermittelt, ausgesetzt sind. Bloß gelegentliche Aufenthalte, etwa aufgrund von Freizeitgewohnheiten oder sporadische Besuche aus Anlass der Berufsausübung, begründen dagegen kein Nachbarschaftsverhältnis i.S.v. § 5 Nr. 1 BImSchG. Dies ist auch vom Schutzzweck der Norm her gerechtfertigt. Immissionen, die von einer genehmigungsbedürftigen Anlage ausgehen, werden vor allem dadurch zu schädlichen Umwelteinwirkungen, dass sie fortlaufend abgegeben werden und damit auf Dauer die Umgebung belasten; entsprechendes gilt für die in § 5 Nr. 1 BImSchG weiterhin erwähnten sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteile und erheblichen Belästigungen. Nur wer solchen Auswirkungen über eine gewisse Dauer ausgesetzt ist, hat ein über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehendes Risiko zu tragen. § 5 Nr. 1 BImSchG will nur vor diesem Risiko schützen, es will dagegen nicht an sich zumutbare Lebensverhältnisse noch risikoloser machen.

 Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 124.  Zutreffend stellt Denecke dazu fest, dass man sich in diesem – kaum zu Rechtsstreitigkeiten nachbarlicher Art anlassgebenden – Bereich an den Duldung- und Rücksichtnahmepflichten desjenigen zu orientieren hat, der die kurzzeitige Grundstücksnutzung ermöglicht hat, vgl. Denecke, Das Nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 125.  BVerwG NJW 1983, 1507 (1508).

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C. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis

c) Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich folgendes feststellen: 1. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis ist ein gesetzliches Schuldverhältnis, dessen Grundlage die §§ 905 ff. BGB und die Nachbargesetze der Länder bilden. Beteiligte dieses Schuldverhältnisses sind nicht nur die Eigentümer der Grundstücke, sondern gegebenenfalls auch Besitzer, etc. 2. Grund für das Entstehen des Schuldverhältnisses ist nicht der Rechtsgeschäftswille der Parteien, sondern die sich dauerhaft gegenüberstehenden Nutzungsbefugnisse, die sich aus den Eigentumspositionen an den Grundstücken ergeben. Diese dauerhafte Überschneidung begründet das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis als Schuldverhältnis mit der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme. 3. Die Pflichten des Schuldverhältnisses sind die Rücksichtnahmepflichten zwischen den Nachbarn. Auf diese Pflichten sind sämtliche schuldrechtliche Normen, insbesondere §§ 278, 280 BGB anwendbar. Das allgemeine Leistungsstörungsrecht findet grundsätzlich auf alle Ansprüche Anwendung, auch wenn sich diese außerhalb des Schuldrechts befinden.

D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ist praktisch von überragender Bedeutung. Die Norm zeigt eine beinahe grenzenlose Anwendungsvielfalt. Dabei hat die Rechtsprechung, wie bereits im Rahmen der Darstellung des historischen Kontextes angedeutet, die Norm in Form verschiedenster Analogiemöglichkeiten weiterentwickelt. Im Folgenden sollen neben dem Aufopferungsanspruch selbst insbesondere jene Analogiemöglichkeiten untersucht werden. Diese lassen sich im Wesentlichen in zwei Abschnitte untergliedern. Zum einen die analoge Anwendung auf andere Duldungspflichten als §§ 906 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB, zum anderen die hoch umstrittene analoge Anwendung auf rechtswidrige Einwirkungen. Schließlich kommen auch Analogien im Hinblick auf die Aktivlegitimation oder andere Tatbestandsmerkmale in Betracht.

I. Die unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB Die Norm regelt einen eigenständigen Ausgleichsanspruch für die auferlegte Pflicht zur Duldung rechtmäßiger Immissionen.

1. Dogmatische Einordnung Hinsichtlich der dogmatischen Einordnung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB bestehen unterschiedliche Auffassungen. Ausgangspunkt dazu sind die unterschiedlichen Begründungsansätze des Reichsgerichts einerseits und des Bundesgerichtshof andererseits sowie die daran anknüpfenden Ansichten in der Literatur, weil der Gesetzgeber im Rahmen der Gesetzgebung explizit Bezug zur höchstrichterlichen Rechtsprechung nahm.¹ Während der Bundesgerichtshof das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis selbst in den Vordergrund stellte,² zog das Reichsgericht die § 26 GewO und § 148 ABG als Rechtsgrundlage heran.³ Infolgedessen wird § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zum einen mit dem Gedanken der Aufopferung begründet,⁴ zum  Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 37 mwN.  BGHZ 30, 273 = NJW 1959, 1867 (1869).  RGZ 154, 161 (164 ff.).  Augustin, in: RGRK BGB, § 906 Rn. 69; Bälz, in FS Kübler 1997, 355 (370); Baur/Stürner, Sachenrecht, § 25 Rn. 29; Baur, in: Soergel BGB, § 906 Rn. 151; Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 47 https://doi.org/10.1515/9783111239545-006

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

anderen wird er für einen Billigkeitsanspruch gehalten.⁵ Eine Entscheidung ist insoweit für die sich anschließenden Fragen der Möglichkeit einer analogen Anwendung von hoher Bedeutung. a) Aufopferungshaftung Zur dogmatischen Einordnung des Anspruchs ist zunächst zu beleuchten, wodurch sich die Aufopferungshaftung auszeichnet. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass Einwirkungen auf fremde Rechte und damit einhergehende Rechtsverletzungen im Zivilrecht wegen §§ 903, 1004 BGB nur in Ausnahmefällen erlaubt sind. Das ist namentlich der Fall, wenn sie durch besondere Rechtfertigungsgründe zugelassen werden.⁶ Einige dieser Rechtfertigungsgründe haben Ansprüche zur Folge, die verschuldensunabhängig einen Ausgleich für die zu duldende Eigentumsbeeinträchtigung bezwecken. Im Mittelpunkt dieser Tatbestände der Aufopferungshaftung steht ein spezifischer Bezug zum Verhältnismäßigkeitsprinzip:⁷ Im Rahmen einer Güterkollision muss ein Rechtsgut aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zu-

mwN S. 38; Bruns, ZMR 2016, 344 (345); Denecke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 157, 164; Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 906 Rn. 80; Hager, JZ 1990, 379 (400); Hager, NJW 1986, 1961 (1964); Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 176; Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/299, S. 44; Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 137 ff., 147 f.; Kreuzer, in: FS Lorenz 1991, 123 (134) spricht von „Abwehranspruchsurrogat“, zudem führt er § 906 BGB unter „C. Billigkeitshaftung“ nicht weiter auf; Petersen, Duldungspflicht und Umwelthaftung, S. 47 f.; Hemsen, Der allgemeine bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 110, 141 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 656; Larenz, JuS 1965, 373 (376); Petersen, Duldungspflicht und Umwelthaftung, S. 47 f.; Pleyer, JZ 1959, 305 (307); Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 120 f.; Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 65; Schmidt, Der nachbarliche Ausgleichsanspruch, S. 80, der in der Einordnung als Aufopferungsanspruch jedoch die strukturelle Ausgestaltung beschreibt, ohne dass daraus weitere inhaltliche Konsequenzen folgen, weil ein allgemeines Prinzip zivilrechtlicher Aufopferung abzulehnen sei; vgl. Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 91 mwN. in Fn. 431 Spyridakis, in FG Sontis 1977, 241 (242); Stoll, Haftungsfolgen im Bürgerlichen Recht, S. 29; Teichmann, in Soergel BGB (1986), § 242 Rn. 74.  Baumann, JuS 1989, 433 (435) spricht nur von „Entschädigungsanspruch“ und hält nur die analoge Anwendung für einen Aufopferungsanspruch; Baur, in: Soergel BGB, § 906 Rn. 8; Goebel, JR 2002, 485 (487); Hagen, in: FS Lange 1992, 483 (493); Hemsen, Der allgemeine bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 185 f; Jauernig, JZ 1986, 605 (611 f.); Mühl, NJW 1960, 1133 (1135 f.); Roth, in: Staudinger BGB (1996), § 906 Rn. 240; Spieß, JuS 1980, 100 (102); Vieweg, NJW 1993, 2570 (2574); Vieweg/ Werner, Sachenrecht, § 9 Rn. 44.  Vgl. Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 102.  Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 669 sehen darin nicht nur eine formale Strukturgleichheit, sondern eine materiale Gemeinsamkeit.

I. Die unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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rücktreten. Dieses Zurücktreten ist jedoch nur gerechtfertigt, soweit dem Träger des zurücktretenden Rechtsguts, der für die Kollision nicht verantwortlich ist, ein Ausgleichsanspruch in Geld zugebilligt wird, weil der Eingriff in seine Gütersphäre nicht unwesentlich ist.⁸ Der Ausschluss des Abwehranspruchs des Betroffenen wird also letztlich durch eine finanzielle Ersatzpflicht kompensiert.⁹ Ein gesetzlicher Aufopferungstatbestand charakterisiert sich somit in einer durch das Gesetz gerechtfertigten, also rechtmäßigen Beeinträchtigung, die einen Ersatzanspruch auslöst.¹⁰ Das BGB normiert¹¹ Aufopferungstatbestände in §§ 904 Satz 2, 867 Satz 2, 912 Abs. 2, 917 Abs. 2, 962 Satz 3, 1005 BGB.¹² Im Hinblick auf § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB wird angeführt, dass die Einführung der Norm auf der Rechtsprechung des Reichsgerichts beruhe, das den Ausgleichsanspruch in Anlehnung an den Aufopferungsanspruch gewährt hatte, der die Kompensation bei Versagung der Abwehrklage kodifiziert, also § 26 GewO aF.¹³ Im Rahmen der Interessenabwägung soll die ökonomisch sinnvollste Nutzung des Grundstücks zugunsten der möglichst produktiven Nutzung des Gesamtraums das Allgemeininteresse als höherstehendes Interesse darstellen.¹⁴ Maßgeblich für die Einstufung als Aufopferungshaftung wird angeführt, dass § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB als Kompensation an die Stelle des Abwehranspruchs aus § 1004 Abs. 1 BGB tritt, der wegen § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB ausgeschlossen wird.¹⁵ Hinzu komme, dass § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB dem Prinzip entspricht, dass stets der Begünstigte selbst im Rahmen des Ausgleichsanspruchs passivlegitimiert ist.¹⁶ Letztlich spreche aber auch der systematische Zusammenhang zwischen § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB und § 26 GewO aF. dafür, dass § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB einen  Canaris, JZ 1963, 655 (658) zu §§ 228 und 904 BGB; Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 669.  Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 39; vgl. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rz. 717, 719.  Deutsch, in: FS Steffen 1995, 101 (101 f., 106 f.); Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 102.  Zum Vorschlag eines allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruchs nach der Lehre von Hubmann, JZ 1958, 489 (491 ff.), vgl. E., II., 4.  Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 108 f. charakterisiert § 904 Satz 2 BGB als Aufopferungsanspruch; Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 661 ordnen nur §§ 912 Abs. 2, 917 Abs. 2 BGB sowie §§ 867 Satz 2, 962 Satz 3 und 1005 BGB in die Aufopferungshaftung ein.  Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 40; Dazu Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 148 f.  Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/ 299, S. 45; Lang, AcP 197 (1974), 381 (401); Westermann, in: FS Larenz 1973, 1003 (1013 ff.).  Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rz 717; Hager, NJW 1986, 1961 (1964); Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 656; Petersen, Duldungspflicht und Umwelthaftung, S. 47 f.  Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 41; Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 657.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

Aufopferungsanspruch normiert: Es sei willkürlich, einen Entschädigungsanspruch wegen nicht ortsüblicher Beeinträchtigungen eines privilegierten Unternehmens einerseits als Aufopferungshaftung zu bewerten und dies gleichzeitig bei ortsüblichen, nicht zumutbaren Einwirkungen abzustreiten.¹⁷ § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB als einen Fall der Billigkeitshaftung¹⁸ zu qualifizieren, sei deshalb methodisch unhaltbar.¹⁹ b) Billigkeitshaftung Die andere Ansicht ordnet den Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB als Billigkeitshaftung ein.²⁰ Dogmatische Grundlage des gesetzlichen Ausgleichsanspruchs sei insbesondere das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis sowie Treu und Glauben, wie es zum Teil vom Bundesgerichtshof begründet wurde. Ein Billigkeitsanspruch sei § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB vor allem deswegen, weil nicht ein höherstehendes öffentliches Interesse, sondern eine rein privatrechtliche Güterkollision im Mittelpunkt stehe. Im Gegensatz zu § 14 BImSchG werde ein rein privates Interesse begünstigt. Stattdessen begründe die Vorschrift für alle benachbarten Grundstückseigentümer die gleichen Nutzungsbefugnisse, sodass jeder gleichermaßen Beeinträchtigungen nach den §§ 903 ff. BGB hinnehmen müsse. Wenn die Gleichwertigkeit der zu duldenden Beeinträchtigungen gestört wird, indem Einwirkungen das zu duldende Maß erheblich übersteigen, diese aber dennoch geduldet werden müssen, löse die so entstandene Störung des materiellen Äquivalenzprinzips die Kompensationsmöglichkeit aus.²¹ c) Stellungnahme In ihrer unmittelbaren Anwendung dient die Norm dem Ausgleich für die wegen § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB zu duldende Einwirkung: Hat der Eigentümer gemäß § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB eine wesentliche Immission zu dulden, so kann er einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung die ortsübliche  Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 150.  So der Senat in BGHZ 30, 273 = NJW 1959, 1867.  Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/ 299, S. 44.  Baumann, JuS 1989, 433 (435); Baur, in: Soergel BGB, § 906 Rn. 8; Goebel, JR 2002, 485 (487); Jauernig, JZ 1986, 605 (611 f.); Hagen, in: FS Lange 1992, 483 (493); Hemsen, Der allgemeine bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 185 f.; Mühl, NJW 1960, 1133 (1135 f.); Roth, in: Staudinger BGB (1996), § 906 Rn. 240; Spieß, JuS 1980, 100 (102); Vieweg, NJW 1993, 2570 (2574); Vieweg/Werner, Sachenrecht, § 9 Rn. 44.  Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 42 mwN; Mühl, NJW 1960, 1133 (1135 f.); Mühl, NJW 1960, 2324 (2324).

I. Die unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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Nutzung seines Grundstücks über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt. Ein Wahlrecht steht dem Betroffenen insoweit jedoch nicht zu.²² Wegen der offenen Tatbestandsmerkmale der „ortsüblichen Benutzung“ und der „Unzumutbarkeit“ deutet der Wortlaut in die Richtung einer Billigkeitshaftung. Diese sollen nach Maßgabe des Gesetzebers im Lichte des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses ausgelegt und bestimmt werden.²³ Jedoch sollte der Begriff des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses selbst wegen seiner fehlenden Eindeutigkeit keinen Eingang ins Gesetz finden, sodass sich der Wortlaut von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB letztlich ausschließlich an den Formulierungen der höchstrichterlichen Entscheidungen orientiert. Im Hinblick auf die Charakterisierung der Norm als Aufopferungs- oder Billigkeitshaftung lässt der Wortlaut deshalb keinerlei Schlüsse zu.²⁴ Dasselbe gilt für die Betrachtung historischer Gesichtspunkte, denn der Blick auf die Gesetzesmaterialien spricht weder für das eine noch für das andere: Das Reichsgericht hat den Ausgleichsanspruch in der Guthoffnungshütte Entscheidung²⁵ ausdrücklich aus den §§ 26 GewO aF. und § 148 ABG hergeleitet.²⁶ Nur der Begriff der Ortsüblichkeit wurde mit Verweis auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis restriktiv ausgelegt.²⁷ Den unmittelbaren Bezug des Ausgleichsanspruchs zum nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis stellte erst der Senat des Bundesgerichtshofs her.²⁸ Insoweit lässt sich nicht abschließend klären, ob sich der Gesetzgeber der Begründung des Reichsgerichts oder des Bundesgerichtshofs anschließen wollte, als er sich im Rahmen der Gesetzgebung auf die höchstrichterliche Rechtsprechung bezogen hat. Die Gesetzesmaterialien lassen hinsichtlich dieser Entscheidung eindeutige Hinweise vermissen,²⁹ sodass auch die historische Auslegung der Norm in keine Richtung deutet.

 Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 27; Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 265; Schreiber, Jura 2011, 263 (263 f.).  Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 43 mwN.  Ähnlich Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 44.  RGZ 154, 161.  BGHZ 30, 273 = NJW 1959, 1867 (1869): „Er beruht aber nicht auf typisch natsoz. Denken, sondern auf allgemeinen Erwägungen, insbes. insofern als er aus den dem Nachbarschaftsverhältnis entspringenden Pflichten zur Rücksichtnahme abgeleitet wird“; vgl. Hagen, UTR 1993, 49 (52); a.A. Mühl, in: FS Raiser 1974, 159 (162 f.).  Vgl. Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 43; Denecke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 11 f.; Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/299, S. 32; Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 54.  BGHZ 30, 273 = NJW 1959, 1867 (1869).  So auch Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 43 mwN.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

Zur finalen Einordnung sind letztlich Sinn und Zweck der Vorschrift ausschlaggebend: Einmal mehr ist § 903 BGB Ausgangspunkt der Untersuchung, denn die daraus folgende umfassende Befugnis des Eigentümers hat der Gesetzgeber mit den §§ 905 ff. BGB eingeschränkt. § 906 BGB trägt dabei dem Umstand Rechnung, dass Grundstücksgrenzen keinen Einfluss auf unwägbare Immissionen i.S.d. § 906 Abs. 1 BGB haben und es insbesondere im Nachbarrecht zur dauerhaften Auseinandersetzung benachbarter Grundstücke kommt.³⁰ Es geht demnach immer um die Abwägung zwischen kollidierenden Nachbarinteressen und damit um das Zurücktreten des einen Interesses zugunsten des anderen. Deswegen stellt sich die Frage, ob zur Charakterisierung einer Aufopferungssituation zwangsläufig ein höherrangiges Interesse als Bestandteil der Interessenkollision erforderlich ist oder ob insoweit schon die gesetzgeberische Entscheidung ausreicht, dass einem Rechtsgut beim Aufeinandertreffen mit einem anderen der Vorrang eingeräumt wird und dass dieser Vorrang durch einen Ausgleichsanspruch kompensiert wird. Nach dem traditionellen Begriff der Aufopferung aus § 75 Einl. ALR³¹ dient das dem Bürger abverlangte Verhalten dem „Wohle der Allgemeinheit“.³² Danach ist die rechtmäßig abgeforderte und kompensierte Aufopferung begriffsnotwendig an die Gemeinwohlausrichtung der hoheitlichen Maßnahme gebunden.³³ Allerdings ist entscheidend zwischen dem Öffentlichen Recht und dem Privatrecht zu differenzieren: In Aufopferungssituationen steht die Bindung der Eingriffe an das Gemeinwohl in eng verflochtenem Zusammenhang mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Dies zeigt sich schon dadurch, dass die Ausrichtung am Gemeinwohl keine tatbestandliche Voraussetzung der Aufopferung ist, sondern Bedingung für das Vorliegen einer rechtmäßigen Inanspruchnahme des Betroffenen. Fehlt es insoweit an einer Gemeinwohlbindung, ist schon der Eingriff nicht verhältnismäßig und daher rechtswidrig.³⁴ Eine Aufopferungshaftung scheidet dann regelmäßig aus. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip wird im Privatrecht insbesondere durch das Prinzip der Interessenabwägung verkörpert. Eine solche findet im Rahmen des § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB statt und wurde vom Gesetzgeber zugunsten des Emittenten entschieden, solange die Beeinträchtigungen ortsüblich sind und nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindert werden können. Ein höherrangiges Interesse besteht insoweit im Rahmen des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht.

    

Vgl. Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, S. 146. Auch § 40 Abs. 2 VwGO. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 140 f. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 141. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 141.

I. Die unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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Vielmehr kollidieren die gleichrangigen Nutzungsinteressen der benachbarten Grundstückseigentümer. Mit Bensching ³⁵ ist auch abzulehnen, ein höherrangiges Interesse in der produktiven Ausnutzung des Gesamtraums und in Allgemeinwohlaspekten zu erkennen, denn im Vordergrund von § 906 BGB steht die Auflösung von Konfliktsituationen im Nachbarraum. Dass die Regelung auch zur produktiven und wirtschaftlich sinnvollen Nutzung des Gesamtraums beiträgt, ist nur Nebenprodukt der Vorschrift, aber nicht deren eigentliches Regelungsziel. Im Übrigen ist ein überwiegendes Argument der Ansicht widerlegbar, die § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB der Billigkeitshaftung zuordnet, weil sich das Vorliegen eines höherrangigen Interesses auch im Rahmen des § 14 Satz 2 BImSchG bezweifeln lässt:³⁶ Die Präklusionswirkung der Norm sichert im Interesse des Investitionsschutzes den Bestand von genehmigungsbedürftigen Anlagen, denn der Gesetzgeber beabsichtigte, Investitionen zu sichern, sodass Bestands- bzw. Vertrauensschutz im Mittelpunkt stand.³⁷ Im Mittelpunkt der §§ 4 ff. BImSchG steht deshalb primär das Privatinteresse von Anlagenbetreibern. Das Wohl der Allgemeinheit wird durch Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen, durch Erhöhung des Steueraufkommens, durch die Verringerung staatlicher „Aufwendungen“³⁸ nur sekundär oder mittelbar gefördert:³⁹. Obwohl hier also auch die Privatinteressen der Anlagenbetreiber im Vordergrund stehen, ist die Vorschrift allgemein als privatrechtlicher Aufopferungsanspruch anerkannt.⁴⁰ Dass ein höherrangiges Interesse keine notwendige Voraussetzung eines Aufopferungsanspruchs ist, bestätigt auch ein Blick auf die sonstigen Aufopferungstatbestände des BGB: – § 904 Satz 2 BGB gewährt verschuldensunabhängig Ausgleich dafür, dass der Abwehranspruch wegen der Duldungspflicht aus § 904 Satz 1 BGB ausgeschlossen ist, um ein höherwertiges Rechtsgut zu erhalten.⁴¹ – § 867 Satz 2 BGB gewährt dem Grundstückseigentümer verschuldensunabhängig einen Anspruch auf Ersatz des durch die Aufsuchung und die Weg-

 Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 45.  A.A. Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 45.  Peine, NJW 1990, 2442 (2443) mwN.  Z. B. Reduktion von Sozialleistungen, Reduktion des Anteils kreditfinanzierter Ausgaben, vgl. Peine, NJW 1990, 2442 (2444).  Peine, NJW 1990, 2442 (2444); Wagner, Öffentlich-rechtliche Genehmigung und zivilrechtliche Rechtswidrigkeit, S. 171 mwN.  Rehbinder, in: Landmann/Rohmer Umweltrecht, § 14 BImSchG Rn. 54, 65; Spindler, in Feldhaus BImSchG, § 14 Rn. 112.  Palandt/Herrler, BGB, § 904 Rn. 5.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

schaffung der Sache entstehenden Schadens. §1005 BGB konstruiert parallel zu dem in § 867 BGB bestimmten Abholungsanspruch des Sachbesitzers eine vergleichbare Berechtigung für den Sacheigentümer.⁴² – § 912 Abs. 2 BGB gewährt dem duldungspflichtigen Grundstückseigentümer einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Ausgleich für das ihm fremdnützig auferlegte Sonderopfer in Form der Duldungspflicht wegen eines Überbaus.⁴³ – § 917 Satz 2 BGB gewährt dem vom Notwegerecht betroffenen Nachbarn eine verschuldensunabhängige Geldrente als Entschädigung. – § 962 Satz 3 BGB verpflichtet den verfolgenden Bienenschwarmeigentümer verschuldensunabhängig zum Ersatz des Schadens, der durch Maßnahmen nach § 962 Satz 1 oder Satz 2 BGB entstanden ist. Keine dieser Vorschriften enthält eine Interessenabwägung zugunsten eines höherrangigen Interesses. Stattdessen stehen sich auch hier regelmäßig zwei gleichrangige private Interessen gegenüber, wovon eines im Rahmen der Interessenabwägung durch den Gesetzgeber als höherwertig eingeschätzt wurde. Insoweit ist dazwischen zu differenzieren, ob ein Interesse als höherrangig oder höherwertig zu qualifizieren ist. Letztlich handelt es jeweils um eine Ausnahme davon, dass der Eigentümer grundsätzlich durch §§ 1004 Abs. 1, 903 BGB zur Abwehr jegliche Beeinträchtigung berechtigt ist. Im Mittelpunkt des Dogmas eines Aufopferungsanspruchs im Zivilrecht steht deswegen nicht, dass eines der kollidierenden Interessen als höherrangig anzusehen ist. Vielmehr ist entscheidend, dass der Beeinträchtigte ein Sonderopfer erleidet.⁴⁴ Ein solches Sonderopfer kann jeweils angenommen werden, wenn die Beeinträchtigung eines Rechtsguts nur ausnahmsweise geduldet werden muss. Im öffentlichen Recht manifestiert sich ein Sonderopfer in einem „den einzelnen ungleich belastenden Eingriff von hoher Hand“.⁴⁵ Dieses Verständnis lässt sich mangels hoheitlicher Beteiligung nicht auf das Zivilrecht übertragen. Ein Sonderopfer im zivilrechtlichen Sinn ist deshalb anzunehmen, soweit im Rahmen einer Interessenabwägung ein Recht aufgrund einer gesetzgeberischen Entschei-

 Palandt/Herrler, BGB, § 867 Rn. 3; Raff, in: MüKo BGB, § 1005 Rn. 1.  Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 904 Rn. 19.  Vgl. Denecke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 157; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht Rn. 718; Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz im System des Umweltrechts, S. 222 f; ähnlich Hemsen, Der allgemeine bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 185 f; Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 669.  BGHZ 45, 58 = NJW 1966, 1021 (1026); Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 142.

I. Die unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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dung zurücktreten muss, obwohl es grundsätzlich als gleichwertig anzusehen ist.⁴⁶ Das Sonderopfer ist insoweit die aufgezwungene Duldung nach § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB und infolgedessen die Versagung des Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB. Mithin lässt sich feststellen, dass ein entscheidendes Charakteristikum einer Aufopferungshaftung die verschuldensabhängige Ausgleichsmöglichkeit eines erlittenen Sonderopfers ist. Diese haben auch die zuvor aufgezählten Tatbestände des BGB gemein, deren gemeinsamer Nenner ist, dass sie Ersatz für Eingriffe in das Eigentum gewähren, die als Folge einer Interessenabwägung, die der Gesetzgeber vorgenommen hat, zu dulden sind. Das höherwertige Eingriffsinteresse rechtfertigt jeweils ein Sonderopfer des Sacheigentümers. Diese Rechtfertigung ist jedoch wegen des grundsätzlich umfassenden Eigentumsrechts aus § 903 BGB nur verhältnismäßig und interessengerecht, wenn dieser im Gegenzug einen Ausgleich erhält. Weiterhin ist für einen Aufopferungsanspruch die Passivlegitimation typisch. Die Ausgleichspflicht trifft nämlich nicht den Einwirkenden, sondern den durch die Einwirkung Begünstigten.⁴⁷ Hinzu kommt schließlich auch, dass der Ausgleichsanspruch als Kompensation für den wegen § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB ausgeschlossenen negatorischen Abwehranspruchs dient und an dessen Stelle tritt.⁴⁸ Insoweit ist die Vorschrift im Hinblick auf ihre Regelungssystematik mit § 14 Satz 2 BImSchG verwandt, wonach ebenso Ausgleich für zu duldende Einwirkungen gewährt wird, sodass eine unterschiedliche dogmatische Betrachtung und Behandlung willkürlich erscheint.⁴⁹ Dementsprechend scheint es sachgerecht, wenn die Ersatzpflicht wegen ortsüblicher Immissionen aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB folgt, während diejenige wegen ortsunüblicher Immissionen aus § 14 Satz 2 BImSchG folgt. Eine unterschiedliche Beurteilung kann auch nicht daraus folgen, dass § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB verglichen mit § 14 Satz 2 BImSchG durch seine Geltung sowohl für privilegierte als auch nicht privilegierte Betriebe einen weiteren Anwendungsbereich hat. Das zugrunde liegende Haftungsprinzip ist dasselbe.⁵⁰ Die unmittelbare Anwendung kodifiziert deshalb einen Aufopferungsanspruch. Der beeinträchtigte Nachbar erhält einen Ausgleich für ein erlittenes Sonderopfer. Dieses besteht in der aufgezwungenen Duldung nach § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB und der daraus folgenden Versagung des Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB.

    

Vgl. Petersen, Duldungspflicht und Umwelthaftung, S. 47 f. A.A. Baur, in: Soergel BGB, § 906 Rn. 151. Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, Kapitel 1 Rn. 45. So auch Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 46. So auch Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 47.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

2. Aktiv- und Passivlegitimation Anspruchsberechtigt sind sowohl der Eigentümer als auch der Besitzer⁵¹ des beeinträchtigten Grundstücks. Kraft gesetzlicher Anordnung gilt dies auch für den Nießbraucher (§ 1065 BGB), den Dienstbarkeitsberechtigten (§§ 1027, 1090 Abs. 2 BGB) und den Erbbauberechtigten (§ 11 ErbbauRG).⁵² Während hinsichtlich der Rechtsprechungslinie zu Eigentümer und Besitzer weitestgehend Einigkeit herrscht,⁵³ wird diskutiert, ob auch dem bloßen Benutzer – wie z. B. dem Arbeitnehmer oder Besucher des Grundstückseigentümers – eine Anspruchsberechtigung zukommt. Der Bundesgerichtshof hat diese Frage im sog. Kupolofen-Fall⁵⁴ offengelassen.⁵⁵ Dabei ging es um ein auf einem Betriebsparkplatz abgestelltes Fahrzeug eines Arbeitnehmers, dass durch Staubauswürfe einer benachbarten Schmelzanlage beschädigt worden war. In der Entscheidung ist jedoch ausdrücklich klargestellt, dass die Ableitung des Anspruchs aus dem Grundstückseigentum selbst für die Anspruchsberechtigung maßgeblich ist.⁵⁶ Dem bloßen Benutzer steht zwar auch hinsichtlich der Sache ein Unterlassungsanspruch zu, dieser folgt jedoch nicht aus dem Recht an dem betroffenen Grundstück, sondern erwächst aus dem Recht an der Sache selbst. Mangels Grundstücksbezug der Immission scheidet ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch deshalb aus.⁵⁷ Rechte an beweglichen Sachen können für sich genommen keinen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch begründen, weil dieser als Teil des Interessenausgleichs für eine sachgerechte Nutzung benachbarter Grundstücke stets eine Störung des Eigentums oder Besitzes an einem Grundstück voraussetzt.⁵⁸ Insoweit fehlt im Kupolofen-Fall am Grundstücksbezug der Einwirkung, denn die Lackschäden an den Fahrzeugen wurden unmittelbar durch die Immissionen herbeigeführt und hätten vom Arbeitnehmer selbst nicht mittels eines grundstücksspezifischen Abwehranspruchs abgewehrt werden können.⁵⁹

 BGHZ 30, 273 = NJW 1959, 1867 (1869).  Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 180; Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 107; Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 146.  Vgl. Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 180; Jacoby/von Hinden/Kropholler, Studienkommentar BGB, § 906 Rn. 3; Wilhelmi, Risikoschutz durch Privatrecht, S. 85 ff.  BGHZ 92, 143 = NJW 1985, 47.  Offenlassend auch in BAG NJW 2000, 3369 (3371); bestätigt in BGH NJW 2008, 992 (993).  BGHZ 92, 143 = NJW 1985, 47 (47); vgl. auch BGHZ 69, 105 = NJW 1977, 1917 (1918).  BGHZ 92, 143 = NJW 1985, 47 (47).  BGH NJW 2008, 992 (993) mwN.; Klimke, in: BeckOGK BGB, § 906 Rn. 307.  BGHZ 92, 143 = NJW 1985, 47 (47).

I. Die unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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Dieser Argumentation ist zuzustimmen. Schon aus dem Wortlaut des § 906 BGB ergibt sich, dass Anspruchsinhaber nur derjenige sein kann, dem der negatorische Abwehranspruch im Hinblick auf eine Einwirkung auf sein Grundstück aus rechtlichen Gründen versagt ist. Entscheidend ist also, dass demjenigen, der den Ausgleichsanspruch geltend macht, zuvor ein Abwehranspruch untersagt war, bei dem es nicht um die Einwirkung auf das Mobiliar, sondern auf das Grundstück selbst ging. Dieser grundstücksbezogene Abwehranspruch steht einem Benutzer aber in der Regel nicht zu, weshalb auch ein Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ausscheiden muss. Im Schrifttum wird die Linie des Bundesgerichtshofs teilweise befürwortet:⁶⁰ Der bloße Benutzer kann mangels Grundstücksbezug „nur“ auf Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 1 und 2 BGB und § 1 UmweltHG zurückgreifen.⁶¹ Andere stellen darauf ab, dass ein Benutzer nur dann anspruchsberechtigt sein soll, wenn er eine ähnlich enge Beziehung zu dem Immissionsgebiet hat wie ein Immobiliarberechtigter; insbesondere daher, wenn er sich dauerhaft auf dem Grundstück aufhält und der Immission deshalb ebenso wenig ausweichen kann wie jener.⁶² Die Rede ist von einer „dauerhaften räumlichen Nähe“ zur Störungsquelle.⁶³ Im Hinblick auf den Kupolofen-Fall würde den Arbeitnehmern dann wegen der ähnlich engen Beziehung zum Immissionsgebiet ein Anspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zustehen.⁶⁴ Dies ist jedoch abzulehnen. Denn im Gegensatz zum Grundstückseigentümer hat der Mobiliareigentümer ausreichend Ausweichmöglichkeiten. Der Schutzbereich der Norm des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB wäre insoweit erheblich überspannt.

 Baur, in: Soergel, § 906 Rn. 8 (Fn. 17); Marburger/Herrmann, JuS 1986, 354 (356); Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 27; Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 144 mwN.; Westermann, UTR Bd. 11, S. 103 (112).  Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 108.  Diederichsen, Ausbau des Individualschutzes gegen Umweltbelastungen als Aufgabe des bürgerlichen und des öffentlichen Rechts, Verh. des 56. DJT, Bd. II, Referat, 1986, L 54 f.; Gerlach, JZ 1988, 161 (169 f.) spricht von „Immobiliarfixierung“; Hager, Jura 1991, 303 (306 f.) spricht von einer asymmetrischen Anwendung des § 906 Abs. 2 BGB, soweit die Duldungspflicht auch auf Eigentümer beweglicher Sachen ausgedehnt wird, ihnen aber zugleich der angemessene Ausgleich nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB vorenthalten wird; Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 664; ausführlich Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz BGB, S. 145 mwN.  Diederichsen, Ausbau des Individualschutzes gegen Umweltbelastungen als Aufgabe des bürgerlichen und des öffentlichen Rechts, Verh. des 56. DJT, Bd. II, Referat, 1986, L 54 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 664.  So auch: Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 664.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

Vereinzelt wird schließlich eine analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf jegliche berechtigten Benutzer befürwortet.⁶⁵ Dafür spreche, dass der Ausgleichsanspruch erstens genauso weit reichen müsse wie die Duldungspflichten nach Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und zweitens auch die Benutzung des Grundstücks durch einen Nichtbesitzer einen Immobiliarbezug aufweist. Auch diese Ansicht ist jedoch mit dem Schutzzweck der Norm nicht vereinbar. Anspruchsgegner ist der Benutzer des anderen Grundstücks. Für dessen Bestimmung ist maßgeblich, wer die Nutzungsart des beeinträchtigenden Grundstücks bestimmt.⁶⁶ Entscheidend ist demnach, dass Anspruchsgegner derjenige ist, zu dessen Gunsten der Eingriff in das Nachbarseigentum erfolgt ist.⁶⁷ Der Benutzer kann nur in Anspruch genommen werden, soweit er Störer i.S.v. § 1004 Abs. 1 BGB ist.⁶⁸ Das folgt daraus, dass der Ausgleichsanspruch den ausgeschlossenen Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB kompensiert. Der Tatbestand des § 1004 Abs. 1 BGB ist folglich Voraussetzung für den Anspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Wenn dem beeinträchtigten Grundstückseigentümer mangels Zurechnung oder aus anderen Gründen kein Abwehranspruch zusteht, kann dieser auch nicht Inhaber des Ausgleichsanspruchs sein.⁶⁹ Aus Gründen der Übersicht wird der Problemkreis „Störereigenschaft“ im Rahmen der analogen Anwendung diskutiert, um dort die verwandten Probleme gebündelt zu behandeln.

3. Tatbestandsvoraussetzungen Die Tatbestandsvoraussetzungen lassen sich ausnahmslos aus dem Gesetz ableiten und sollen hier nur der Vollständigkeit halber genannt werden: Es muss eine Duldungspflicht aus § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB bestehen, diese hat folgende Voraussetzungen:

 Tendenziell Hager, Jura 1991, 303 (306 f.); Klimke, in: BeckOGK BGB, § 906 Rn. 310 ff.; Wilhelmi, in: Erman BGB, § 906 Rn. 39; Wilhelmi, Risikoschutz durch Privatrecht, S. 89 ff. schließt nur unberechtigte Grundstücksbesitzer aus dem Anwendungsbereich des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB aus (S. 91).  BGH NZM 2010, 758 (758) mwN.  Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 110 mwN.  BGHZ 155, 99 = NJW 2003, 2377 (2378); Fritzsche, in: BeckGK BGB, § 906 Rn. 98; Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 70; a.A. Lemke, in: Prütting/Wegen/Weinreich BGB, § 906 Rn. 39 verneint die Störereigenschaft wegen der Rechtsmäßigkeit der Einwirkung.  So auch Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 110.

I. Die unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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a) Einwirkung Die Einwirkungen nach § 906 Abs. 1 BGB müssen von einem Grundstück ausgehen und sich auf einem anderen Grundstück bemerkbar machen. Entscheidend ist folglich die Grenzüberschreitung.⁷⁰ Der Gesetzgeber definiert die Einwirkung dabei mithilfe einer ansonsten im BGB ungewohnten Beispielstechnik.⁷¹ Erstens, weil die Fälle kein gemeinsames Merkmal aufweisen und zweitens, um die Fortentwicklung der Auslegung des § 906 BGB der Praxis zu überlassen.⁷² Entgegen dem Wortlaut der Überschrift von § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB kommt es auf die Unwägbarkeit der Stoffe nicht zwingend an, ein einheitliches Merkmal für alle unter § 906 BGB fallenden Immissionen lässt sich daher nicht feststellen. Der Begriff der „Imponderabilien“⁷³, der im Gesetz nicht verwendet wird, kann nicht allein entscheidend sein, weil viele der vom Gesetz gewählten Beispiele selbst keine unwägbaren Einwirkungen sind.⁷⁴ Vielmehr ist maßgeblich, dass die Einwirkungen in ihrer Ausbreitung weitgehend unkontrollierbar und unbeherrschbar sind.⁷⁵ Dafür spricht auch der Gesetzeszweck⁷⁶: Das grundsätzliche Ausschließungsrecht des Eigentümers aus § 903 BGB soll mit den Bedürfnissen des praktischen Lebens in Einklang gebracht werden, um rechtswidrige von rechtmäßigen Einwirkungen abzugrenzen.⁷⁷ Diesen Bedürfnissen würde es widersprechen, wenn jede mit der Benutzung eines Grundstücks verbundene Hinüberwirkung auf ein anderes Grundstück von dessen Eigentümer untersagt werden könnte.⁷⁸ Insoweit stimmen die von § 906 BGB erfassten Einwirkungen darin überein, dass sie in ihrer Ausbreitung weitgehend unkontrollierbar und unbeherrschbar sind, in ihrer Intensität schwanken und damit andere Grundstücke überhaupt nicht, unwesentlich oder wesentlich beeinträchtigen können.⁷⁹ Die Rechtsprechung sieht infolgedessen Immissonen als „sinnlich wahrnehmbare, wenn auch unwägbare Einwirkung, die entweder auf das Grundstück und die dort befindlichen Sachen schädigend einwirken oder auf dem Grundstück sich aufhaltende Personen

 Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 4.  Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, S. 146.  BGHZ 117, 110 = NJW 1992, 1389 (1389) mit Verweis auf Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, S. 146.  Roth, in Staudinger BGB, § 906 Rn. 116 hält den Begriff für ungenau, weil etwa Ruß und Rauch wägbar sind.  BGHZ 117, 110 = NJW 1992, 1389 (1389).  Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 6; Einzelfallübersicht in Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 7 ff.; vgl. auch Roth, in Staudinger BGB, § 906 Rn. 116 mwN.  BGHZ 117, 110 = NJW 1992, 1389 (1389) mit Verweis auf BGHZ 90, 255 = NJW 1984, 2207 (2207 f.).  BGHZ 117, 110 = NJW 1992, 1389 (1389).  Jauernig, JZ 1986, 605 (608) mit Verweis auf RGZ 141, 406 (408 f.).  Jauernig, JZ 1986, 605 (608).

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

derart belästigen, dass ihr gesundheitliches Wohlbefinden gestört oder ein körperliches Unbehagen bei ihnen hervorgerufen wird.“⁸⁰ b) Grobimmissionen und Flüssigkeiten Einwirkungen durch feste Körper nicht unerheblichen Umfangs sind keine Einwirkungen, die sich unter § 906 Abs. 1 BGB und folglich auch nicht unter § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB subsumieren lassen.⁸¹ Dasselbe gilt für Tiere.⁸² Auch das Eindringen von Flüssigkeiten zählt zu den nicht nach § 906 Abs. 1 BGB zu duldenden Einwirkungen.⁸³ Grobimmissionen müssen demnach nicht geduldet werden und sind über § 1004 Abs. 1 BGB abwehrbar. c) Negative und ideelle Immissionen Das Reichsgericht entwickelte einen dreigeteilten Immissionsbegriff:⁸⁴ Hiernach folgt aus den ausdrücklich genannten Stoffen, dass Einwirkungen i.S.d. § 906 Abs. 1 BGB nur „positive“ Feinimmissionen sind. Negative und ideelle Immissionen müssen (mangels Einwirkung) stets, Grobimmissionen jedoch nie geduldet werden.⁸⁵ Die im Hinblick auf diese Art der Immission diskutierte analoge Anwendung der Norm lehnt der Bundesgerichtshof zurecht ab: Aus der Tatsache, dass das BGB keine Regelung zu sogenannten negativen Einwirkungen enthält, obwohl ein offensichtliches Bedürfnis zur Abgrenzung der Rechte beider Grundstückseigentümer besteht, ist zwingend zu folgern, dass es der Gesetzgeber bei der Eigentumsfreiheit (§ 903 Alt. 1) belassen wollte, wonach innerhalb der Grenzen seines Grundstücks jedermann grundsätzlich mit seinem Eigentum nach Belieben verfahren darf, solange die Grenze zum Nachbargrundstück nicht durch Zuführung von Imponderabilien (§ 906 BGB) überschritten wird.⁸⁶ Den negativen Immissionen fehlt es bereits an der erforderlichen sinnlichen Wahrnehmbarkeit. Im Übrigen fehlt es bei negativen und ideellen Immissionen bereits an einer Beeinträchtigung i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB.⁸⁷

 BGHZ 51, 396 = NJW 1969, 1208 (1209).  Roth, in Staudinger BGB, § 906 Rn. 117 mit Beispielen.  LG Bonn NJW-RR 2010, 310; Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 5.  Roth, in Staudinger BGB, § 906 Rn. 120.  Ausführlich dazu Stresemann, FS Wenzel, 2005, 425 (427 ff.).  Zu negativen Einwirkungen schon BGHZ 88, 344 = NJW 1984, 729 (729); Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 10; Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 5.  BGHZ 88, 344 = NJW 1984, 729 (729) mit Verweis auf die Motive zum Entwurf des BGB.  Raff, in MüKo BGB, § 1004 Rn. 135 ff. (zu negativen Einwirkungen) und Rn. 143 ff. (zu ideellen Einwirkungen).

I. Die unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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d) Wesentliche und ortsübliche Beeinträchtigung der Grundstücksbenutzung Die zu duldende Immission muss die ortsübliche Nutzung des Grundstücks oder den Grundstücksertrag über das objektiv zumutbare Maß hinaus beeinträchtigen, also wesentlich i.S.d. § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB sein.Wann diese Grenze überschritten wird, bestimmt sich nach dem Empfinden eines verständigen durchschnittlichen Benutzers des betroffenen Grundstücks in seiner konkreten örtlichen Beschaffenheit, Ausgestaltung und Zweckbestimmung.⁸⁸ Zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Unwesentlichkeit“ hat der Gesetzgeber in § 906 Abs. 1 BGB Regelbeispiele kodifiziert, sodass von der Unwesentlichkeit auszugehen ist, soweit die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte von den nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten Einwirkungen nicht überschritten werden.⁸⁹ Ausgangspunkt und Maßstab zur Bestimmung der Wesentlichkeit einer Einwirkung ist demnach § 906 Abs. 1 BGB.⁹⁰ Maßstab für diese Beurteilung ist ein differenziert-objektiver Maßstab, sodass entscheidend ist „was dem verständigen Durchschnittsmenschen unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist“.⁹¹ Bei Gesundheitsgefahren kommt es jedoch nicht auf die Konstitution des jeweiligen Nachbarn, sondern auf einen verständigen Durchschnittsmenschen an. Soweit ein Gesundheitsschaden eintritt, ist ein Ausgleichsanspruch auch gegeben, wenn einschlägige Richtwerte eingehalten werden.⁹² Desweiten muss es sich um eine ortsübliche Einwirkung handeln. Dazu ist die Benutzung des störenden Grundstücks mit anderen Grundstücken des Gebiets zu vergleichen.⁹³ Die Ortsüblichkeit i.S.d. § 906 BGB erfordert eine gleichartige Benutzung einer Mehrheit von Grundstücken in der gleichen örtlichen Lage.⁹⁴ Die Ortsüblichkeit der Einwirkung rechtfertigt allerdings nicht allein die Einschränkung des Abwehranspruchs aus § 1004 Abs. 1 BGB.

 So BGHZ 178, 90 = NJW 2009, 762 (765); Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 177 mwN.  BT-Drucks. 12/7425, S. 87 f.  BGHZ 178, 90 = NJW 2009, 762 (765); im Regelfall werden Beeinträchtigungen, deren Wesentlichkeit bejaht worden ist, auch über das zumutbare Maß i.S.d. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB hinausgehen, vgl. Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 254.  BGH NJW 1999, 1029 (1030); 2015, 2023 (2024); BT-Drucks. 12/7425, S. 87; durchgreifende Bedenken äußert Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 177, weil damit dem Gestörten unter Berufung auf schutzwürdige Interessen der Allgemeinheit nach einer Güter- und Interessenabwägung wesentliche Immissionen zugemutet werden.  Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 73 mit Verweis auf BGH NJW 1999, 1029 (1030); Schäfer, Nachbarrechtsgesetz Nordrhein-Westfalen, Vorbemerkungen §§ 40 – 48 Rn. 5.  Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 90.  BGHZ 15, 146 = NJW 1955, 19 (19); BGHZ 117, 110 = NJW 1992, 1389 (1390).

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

e) Unverhinderbarkeit der Einwirkung Nicht verhinderbar ist die Einwirkung, wenn sie nicht auf die Schwelle der Unwesentlichkeit herabgesetzt werden kann.⁹⁵ § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB spricht insofern von wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen. Darunter sind alle technischen Einrichtungen und betriebswirtschaftlichen Möglichkeiten zu verstehen, die die Beeinträchtigung unter die Schwelle der Wesentlichkeit herabsetzen. Der Maßstab ist differenziert-objektiv („Benutzer dieser Art“), also ohne Rücksicht auf die individuelle Leistungsfähigkeit des Benutzers.⁹⁶ Welche Maßnahmen ergriffen werden, ist grundsätzlich Sache des Benutzers. Es gelten die Prinzipien der Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit. Die Maßnahme muss somit technisch durchführbar, effizient und wirtschaftlich zumutbar sein. Soweit die Aufwendungen langfristig die Rentabilität des Betriebs gefährden, ist die Zumutbarkeit zu verneinen.⁹⁷ f ) Unzumutbarkeit Die Frage nach der Zumutbarkeit stellt eines der Hauptprobleme im Rahmen des Ausgleichsanspruchs nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB dar.⁹⁸ Der Eigentümer kann gem. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB einen angemessenen Ausgleich in Geld nur verlangen, soweit die schädigenden Einwirkungen nach § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB wesentlich, ortsüblich und nicht verhinderbar sind und der Grundstückseigentümer deswegen in der ortsüblichen Benutzung seines Grundstücks über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt ist. Pfeiffer spricht in diesem Zusammenhang davon, dass sich § 906 BGB mit seinen flexiblen Kriterien der Ortsüblichkeit, der Wesentlichkeit und Zumutbarkeit an die sich verändernden Verhältnissen und Anforderungen als bewegliches Regelungssystem selbst anpasst.⁹⁹ Der Zumutbarkeit kommt demnach eine entscheidende Funktion zu, denn die Beurteilung erfolgt anhand desselben Maßstabs, der auch für die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung in § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB gilt.¹⁰⁰ Dennoch sind die beiden Tatbestandsmerkmale strikt voneinander zu trennen, denn wesentliche Beeinträchtigungen sind nicht zwangsläufig unzumut-

 Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 25; allgemein zur Normkonkretisierung auch am Beispiel des § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB vgl. Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 155 f.  Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 102.  Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 103 mwN.  Vgl. die Darstellung anhand von Beispielen bei Pfeiffer, Die Bedeutung des privatrechtlichen Immissionsschutzes, S. 204 ff.  Pfeiffer, Die Bedeutung des privatrechtlichen Immissionsschutzes, S. 191.  Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 253; deshalb ist nicht die enteignungsgleiche Zumutbarkeitsschwelle maßgebend, vgl. BGH NJW-RR 2007, 168 (169).

I. Die unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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bar, während unzumutbare Beeinträchtigungen jedenfalls wesentlich sind:¹⁰¹ Wird die Wesentlichkeitsgrenze überschritten, steht dem duldungspflichtigen Grundstückseigentümer in der Regel ein Ausgleichsanspruch gem. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zu.¹⁰² Bei der Beurteilung ist zu beachten, dass das zumutbare Maß nicht erst dann überschritten ist, wenn die Daseinsgrundlage des auf dem Grundstück betriebenen Betriebs vernichtet oder in seiner Existenz bedroht ist.¹⁰³ Auch eine schwere Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Fortkommens ist nicht notwendig.¹⁰⁴ Derartig strenge Voraussetzungen sind mit dem Wortlaut der Norm nicht vereinbar.¹⁰⁵ Daher ist die Zumutbarkeit nach einem differenziert-objektiven Maßstab zu ermitteln, sodass es auf das Empfinden eines verständigen Durchschnittsbenutzers des jeweiligen Grundstücks in seiner örtlichen Beschaffenheit, Ausgestaltung und Zweckbestimmung ankommt.¹⁰⁶ Es handelt sich jedoch – ähnlich wie bei § 242 BGB – um einen Interessenausgleich unter Billigkeitsgesichtspunkten, bei dem alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind.¹⁰⁷ Dies umfasst insbesondere auch die Dauer, Art, Intensität und Auswirkungen der Beeinträchtigung auf das gestörte Grundstück.¹⁰⁸ Auch ein etwaiges Mitverschulden, bzw. die beidseitigen Verursachungsbeiträge der Beteiligten sind in der Interessenabwägung zu berücksichtigen.¹⁰⁹ Auf das persönliche Empfinden¹¹⁰ kommt es jedoch ebenso wenig an wie auf allgemeine öffentliche Interessen.¹¹¹ Letztlich verbirgt sich hinter dem Tatbestandsmerkmal der Zumutbarkeit eine umfassende Interessenabwägung, die es ermöglicht, sämtliche Aspekte und Wer-

 Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 107; vgl. Pfeiffer, Die Bedeutung des privatrechtlichen Immissionsschutzes, S. 203.  BGH NJW-RR 2007, 168 (169); BGHZ 122, 76 = NJW 1993, 1700 (1701 f.).  Dies wurde zuvor noch vorausgesetzt, vgl. RGZ 154, 161 (167); RGZ 159, 129 (141); nicht mehr seit BGHZ 30, 273 = NJW 1959, 1867 (1869).  Die Notwendigkeit einer schweren Beeinträchtigung wurde noch in BGHZ 30, 273 = NJW 1959, 1867 (1869) vorausgesetzt.  So auch Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 107.  BGHZ 178, 90 = NJW 2009, 762 (765); Augustin, in. RGRK BGB, § 906 Rn. 78; Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/299, S. 49; Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 254; Spieß, JuS 1980, 100 (102).  BGHZ 49, 148 = NJW 1968, 549 (450); Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 17.  BGHZ 62, 361 = NJW 1974, 1869 (1872); die Umweltschutzgesetze können insofern als Indizien herangezogen werden, vgl. Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 256.  Vgl. BGHZ 59, 378 = NJW 1973, 326 (327 f.); Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 234 ff. plädiert in diesem Zusammenhang für eine analoge Anwendung von § 254 BGB; Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 260 mwN.  BGHZ 178, 90 = NJW 2009, 762 (765).  Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 108.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

tungen zu berücksichtigen, die nach Sinn und Zweck der Norm für das Bestehen des Ausgleichsanspruchs von Relevanz sind. g) Anspruchsinhalt Die Ausgestaltung des Ausgleichsanspruchs aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Dabei stehen sich im Wesentlichen zwei Lager gegenüber: Diejenigen, die den Anspruchsumfang nach den Enteignungsgrundsätzen berechnen wollen und diejenigen, die dazu auf die §§ 249 ff. BGB zurückgreifen.¹¹² aa) Entschädigung nach Enteignungsgrundsätzen Ausgangspunkt der Argumentation ist, dass der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht für einen Schadensersatzanspruch gehalten wird. Der Anspruch richte sich nur auf eine angemessene Entschädigung in Geld für den unzumutbaren Teil der Beeinträchtigung.¹¹³ Einwirkungen müssten bis zur Zumutbarkeitsgrenze hingenommen werden,¹¹⁴ sodass die Enteignungsgrundsätze gelten.¹¹⁵ Der Unterschied zum Schadensersatz liege dabei darin, dass nicht der Grundsatz der Naturalrestitution i.S.d. §§ 249 ff. BGB zur Anwendung kommt, sondern der Anspruch auf die Beseitigung der durch die Störung eingetretenen Vermögenseinbuße beschränkt ist, deren Ersatz einer wertenden Entscheidung bedarf.¹¹⁶

 Abweichend von diesen Ansichten wird zum Teil auch noch für einen Ausgleich nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen plädiert, weil die Vorschrift den Ausgleich von korrespondierenden Vor- und Nachteilen bezwecke. Insoweit wird die erweiterte Nutzungsmöglichkeit vom Grundstück des Immittenten als erlangter Vorteil gesehen; Bälz, JZ 1992, 57 (71); Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (420 f.); zum Ganzen Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 116 mwN. Dagegen spricht jedoch, dass die Vermögensverschiebung nicht ungerechtfertigt ist, weil der Eingriff in den Zuweisungsgehalt des betroffenen Rechts nach § 906 BGB zu dulden ist. Es geht nicht um einen Vorteil des Schuldners, den § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ausgleichen soll, sondern den Nachteil des Gläubigers. Insoweit passt schon die Grundidee des Bereicherungsrechts nicht mit § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB überein.  BGH NJW 1974, 1869 (1872).  BGHZ 178, 90 = NJW 2009, 762 (764).  BGH NJW 1974, 1869 (1872); BGHZ 198, 327 = NJW 2014, 458 (461); Baur, in: Soergel, § 906 Rn. 8; Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 118, umfassende Literaturnachweise auf S.111, Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 906 Rn. 96; Kleindienst, NJW 1968, 1953 (1955); Lemke, in: Prütting/ Wegen/Weinreich, § 906 Rn. 36 f. mwN; Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, Kapitel 1 Rn. 46; Petersen, Duldungspflicht und Umwelthaftung, S. 47 f.; Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 76 ff.; Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 262; Wilhelmi, Risikoschutz durch Privatrecht, S. 83 f; Stoll, Haftungsfolgen im Bürgerlichen Recht, S. 29.  Vgl. BGH NJW 1974, 1869 (1872); Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 74 mwN.

I. Die unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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Hierfür werden der Wortlaut (der Nachbar schuldet „angemessenen Ausgleich in Geld“) und die Systematik der Norm angeführt, die auf eine Billigkeitsentschädigung hindeuten.¹¹⁷ Zudem müsse der beeinträchtigte Grundstückseigentümer wegen der Ortsüblichkeit der Benutzung und der durch die gewerbliche Entwicklung der Nachbarschaft gegebenenfalls entstehenden Vorteile Abstriche von der Forderung nach einem umfassenden Vermögensausgleich hinnehmen.¹¹⁸ Für die Bemessung der Entschädigungshöhe sei daher die Wertänderung des betroffenen Vermögens durch den Eingriff entscheidend; es gehe nicht darum, den Eingriff ungeschehen zu machen.¹¹⁹ Deshalb könne es zur Berechnung nur auf den Verkehrswert der entzogenen Substanz ankommen, während die hypothetische Vermögensentwicklung keine Rolle spiele.¹²⁰ Der Ausgleichanspruch bestehe zudem nur bei Überschreitung der Zumutbarkeitsgrenze der Immission, weil es nur um den Ausgleich von Einbußen ginge, die durch den unzumutbaren Teil der Einwirkungen erlitten werden. Als Faustregel gelte mithin, dass diejenigen Einbußen auszugleichen sind, die ein Durchschnittsbenutzer des betroffenen Grundstücks durch den unzumutbaren Teil der Immissionen typischerweise erleiden würde. Folglich müsse ein differenziert-objektiver Maßstab zur Ermittlung der Ausgleichshöhe gelten.¹²¹ Da es insoweit von vornherein auf die Abwägung aller Umstände ankommt, sei es nicht zu rechtfertigen, wenn der Anspruchsgegner dem Anspruchssteller ohne Verschulden Ersatz zu leisten hätte, der eigene Beitrag zu dem schädigenden Ereignis aber unberücksichtigt bliebe. § 254 BGB sei deswegen entsprechend anwendbar.¹²²

 Denecke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 177; Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 79; Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 657; Hagen, in: FS Lange 1992, 487 (502 f.); zum Teil wird der Anspruch von einigen nur als Billigkeitsanspruch angesehen, deshalb komme auch nur eine Billigkeitsentschädigung in Betracht, vgl. Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 263.  Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 112; Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 657.  Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 112.  BGH NJW 1974, 1869 (1872); Elshorst, NJW 2001, 3222, 3224; vergleiche zur Berechnung im Detail mit Nachweisen aus der Rechtsprechung Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 189 und Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 29.  BGHZ 62, 361 = NJW 1974, 1869 (1872); BGH NJW-RR 1988, 1291 (1292); Kleindienst, NJW 1968, 1953 (1955); Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 667; Roth, in: Staudinger, § 906 Rn. 264; Wilhelmi, in: Erman BGB, § 906 Rn. 40.  Dies ist innerhalb der Ansicht, welche die Grundsätze der Enteignungsentschädigung anwenden will, umstritten: BGH NJW-RR 1988, 136 (138); zuvor noch anders in BGHZ 49, 148 = NJW 1968, 549 (551); a.A. Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 119, danach fließt das Mitverschulden schon in die Erwägungen zur Unzumutbarkeitsprüfung einfließen; Kleindienst, NJW 1968, 1953

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

Darüber hinaus seien vermögenswerte Nachteile auszugleichen, die ihre Ursache in der Eigentums- und Besitzstörung haben. Bei Substanzschäden entspräche es zudem der Rechtsprechung des Senats, dass der Ausgleichsanspruch den vollen Schadensersatz umfassen kann.¹²³ Bei vorübergehenden Beeinträchtigungen der gewerblichen Nutzung soll der Ertragsverlust außerdem unmittelbar und ohne Berücksichtigung hypothetischer Wertverbesserungen zugrunde gelegt werden können.¹²⁴ Selbiges gelte für andauernde Beeinträchtigungen, wobei der Ausgleich den Wert der entzogenen Substanz, bzw. des entzogenen Subjekts nicht übersteigen dürfe.¹²⁵ Aus den §§ 912, 917 Abs. 2 Satz 1 BGB und aus der Tatsache, dass zu duldende Immissionen regelmäßig wiederkehrender Natur sind, sei zudem die Möglichkeit einer Rentenzahlung abzuleiten, soweit die konkrete Bestimmung der Entschädigung Schwierigkeiten bereitet.¹²⁶ bb) Schadensersatz nach §§ 249 ff. BGB Nach anderer Ansicht soll sich der Anspruchsinhalt nach den §§ 249 ff. BGB richten.¹²⁷ Ein angemessener Ausgleich sei bei einer von der Rechtsordnung auferlegten Pflicht zur Duldung wesentlicher Immissionen der Ersatz des vollen Schadens,

(1955); Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, Kapitel 1 Rn. 46; Roth, in: Staudinger, § 906 Rn. 264.  Dabei geht es um die Beseitigungskosten einschließlich der Planungskosten sowie der verbleibende Minderwert und der entstandene Mietausfall. Dasselbe gilt für die Anwaltskosten, die durch die einwirkungsbedingte rechtliche Auseinandersetzung mit Mietern des Geschädigten entstanden sind.Vgl. BGH NJW-RR 1997, 1374 (1374 f.); BGHZ 142, 66 = NJW 1999, 2896 (2897); BGH NJW-RR 2016, 588 (590); Augustin, in: BGB-RGRK, § 906 Rn. 80; Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 114; Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 906 Rn. 85; Hager, NJW 1991, 134 (135); Hagen, in: FS Lange 1992, 487 (502); Roth, in: Staudinger, § 906 Rn. 263.  Zukünftige Vermögensentwicklungen wie der entgangene Gewinn werden bei der Bemessung hingegen nicht beachtet; vgl. BGH NJW-RR 1988, 1291 (1292); Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 113 mwN.  BGHZ 144, 200 = NJW 2000, 2901 (2903).  Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 114; Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat, Heft 298/299, S. 51; Picker, AcP 176 (1976), 28 (68); Petersen, Duldungspflicht und Umwelthaftung, S. 53; Spieß, JuS 1980, 100 (103).  Clasen, NJW 1960, 2323 (2323); Hagen, in: FS Lange 1992, 487 (503); Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 29; Jauernig, JZ 1986, 605 (611 f.); zum Ganzen Meinungsstreit auch Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 240 ff.; Säcker, in: MüKo BGB (2013), § 906 Rn. 166; Spieß, JuS 19080, 100 (103); Spyridakis, in: FS Sontis 1977, 241 (243); Staudinger, in: Hk-BGB, § 906 Rn. 25; Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 140 nimmt jedoch nur für den unzumutbaren Teil der Einwirkung eine Schadensberechnung über die §§ 249 ff. BGB an.

I. Die unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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insbesondere, weil es um die privaten Interessen des Immittenten ginge.¹²⁸ Insoweit ginge es um den Ausgleich des gesamten Differenzbetrags zwischen dem infolge der Immission bestehenden tatsächlichen und hypothetischen Benutzungswert, den das Grundstück hätte, wenn die Immission die Duldungsgrenze des § 906 Abs. 2 Satz 1 nicht überschritten hätte.¹²⁹ Säcker argumentiert dazu mit einer teleologisch gebotenen Harmonisierung des Umfangs des Ausgleichsanspruchs mit den Schadensersatzansprüchen, die dem Eigentümer eines gestörten Grundstücks bei übermäßigen, nicht ortsüblichen, aber gemäß §§ 14 BImSchG, 11 LuftVG, 7 Abs. 6 AtG, 16 WHG, 23 GenTG hinzunehmenden Einwirkungen zustehen.¹³⁰ In diesen Fällen gehe der Schadensersatzanspruch auf Ersatz der vollen Vermögenseinbuße, den der Grundstückswert durch die den zulässigen Umfang nach § 906 überschreitenden Immissionen erlitten hat.¹³¹ Jauernig ist hingegen der Auffassung, dass nur ein voller Schadensersatzanspruch nach den §§ 249 ff. BGB sach- und systemgerecht sei, weil die rechtliche Gleich- oder ähnliche Behandlung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB und öffentlichrechtlichen Ansprüchen fehlerhaft wäre. Die Ansprüche seinen „…scharf […] zu [unter]scheiden…“. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB beruhe auf dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis und gewähre den Ausgleich dafür, dass der Betroffene sich gegen ortsübliche, aber wesentliche und unzumutbare Beeinträchtigungen nicht wehren kann, weil ihm keine erfolgsversprechenden Schutzmaßnahmen zur Verfügung ständen. Dabei handele es sich im Unterschied zu den öffentlich-rechtlichen Ansprüchen jedoch nicht um ein „höheres Interesse“.¹³² Insoweit sei auch die Anwendung der Entschädigungsgrundsätze unpassend. Der Grund, weshalb der Gesetzgeber keinen vollen Schadensersatz angeordnet habe, liege darin, dass dem Geschädigten unabhängig vom Vorliegen der Kausalität, die für die schadensrechtliche Vorteilsausgleichung notwendig ist, die Vorteile, die er aus der Störungsquelle ziehen könnte, angerechnet werden müssten.¹³³ Letztlich kritisiert er, dass der Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG, der im Rahmen der Enteignungsentschädigung die Anspruchshöhe bestimmt, auf § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht angewendet werden kann, weil die Norm nicht Allgemein-

 Säcker, in: MüKo BGB (2013), § 906 Rn. 166.  Säcker, in: MüKo BGB (2013), § 906 Rn. 166.  Säcker, in: MüKo BGB (2013), § 906 Rn. 166.  Säcker, in: MüKo BGB (2013), § 906 Rn. 166; ablehnend Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 140.  Jauernig, JZ 1986, 605 (611).  Jauernig, JZ 1986, 605 (611) verwendet das Beispiel des Nutzens eines Gastwirts vor den Toren eines störenden Betriebs durch den Besuch der Belegschaft.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

und Individualinteressen, sondern ausschließlich den Schutz und Ausgleich von Individualinteressen zum Regelungsinhalt habe.¹³⁴ cc) Stellungnahme Zur Beantwortung der Frage nach dem Anspruchsinhalt von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ist die Norm auszulegen. (1) Wortlaut Der Wortlaut der Norm spricht von einem „angemessenen Ausgleich“. Insoweit ist unterscheidet sich § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB von ähnlich strukturierten Normen wie § 904 Satz 2 BGB oder § 14 Satz 2 BImSchG, die von Schadensersatz sprechen.¹³⁵ Die grammatikalische Auslegung des Gesetzestextes deutet also auf den Willen des Gesetzgebers hin, zwischen „Ausgleich“ und „Ersatz“ zu differenzieren. (2) Historische Auslegung Der Eindruck des Wortlauts bestätigt sich bei einem Blick auf die Gesetzgebung: Die gesetzgebenden Ausschüsse haben die Kodifizierung einer Schadensersatzpflicht abgelehnt, um die Möglichkeit der Vorteilsanrechnung im Fall fehlender Kausalität aufrecht zu erhalten.¹³⁶ Auch das spricht gegen die Anwendung von §§ 249 ff. BGB, die insoweit als passendes Institut nur die Vorteilsausgleichung kennen. Die schadensrechtlichen Normen eignen sich deswegen nicht für die Konfliktlösung im nachbarlichen Raum und die erforderliche Interessenabwägung.¹³⁷ (3) Systematische Auslegung des Bundesgerichtshofs Bezüglich der systematischen Auslegung des Bundesgerichtshofs stellt sich die Frage, ob der angestellte Vergleich und die daraus folgende Gleichbehandlung von

 Jauernig, JZ 1986, 605 (611).  § 904 Satz 2 BGB: Der Eigentümer kann Ersatz des ihm entstehenden Schadens verlangen; § 14 Satz 2 BImSchG: Soweit solche Vorkehrungen nach dem Stand der Technik nicht durchführbar oder wirtschaftlich nicht vertretbar sind, kann lediglich Schadenersatz verlangt werden.  Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 117 mwN; Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 138 geht dagegen davon aus, dass diese Zielsetzung des Gesetzgebers nicht dazu zwingt, Ausgleichs- und Schadensersatzanspruch kategorisch zu trennen. Er hält es für verfehlt, den Ausgleichsanspruch auch dann anders als einen Schadensersatzanspruch zu behandeln, wenn der Beeinträchtigte tatsächlich keine Vorteile aus der Nachbarschaft erlangt. Vielmehr müssten die Voraussetzungen der Vorteilsausgleichung nicht vorliegen.  Auch das RG hat einen vollumfänglichen Schadensersatzanspruch bei Aufopferungsentschädigung verneint, vgl. RGZ 167, 14.

I. Die unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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§ 906 Abs. 2 Satz 2 BGB mit den öffentlich-rechtlichen Enteignungsansprüchen tauglich ist. Dagegen lässt sich zunächst mit Jauernig anführen, dass vor allem im Hinblick auf den Versagungsgrund des Abwehrrechts ein beträchtlicher Unterschied besteht: Höherrangige, regelmäßig öffentliche Interessen einerseits und die gleichrangigen privatrechtlichen Interessen benachbarter Grundstückseigentümer andererseits. Eine Vergleichbarkeit besteht jedoch aus anderem Grund: Wie die öffentlichrechtliche Enteignungsentschädigung regelt auch § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB den gerechten Interessenausgleich im Fall der Privilegierung einer eigentlich abwehrbaren Einwirkung. Das Ausgleichsinteresse ist nicht, wie üblicherweise beim Schadensersatz, vom Schaden geprägt, sondern dadurch, dass der negatorische Abwehranspruch wegen § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB versagt wird. Die systematische Auslegung des Bundesgerichtshofs führt letztlich aber nur bedingt weiter. Das Argument der fehlenden Vergleichbarkeit zwischen höherrangigen öffentlichen und gleichrangigen privaten Interessen kann der Bundesgerichtshof nicht überzeugend entkräften. Zwar liegt die entsprechende Anwendung der Rechtsfolgen der öffentlich-rechtlichen Enteignungsentschädigung nicht sonderlich nahe, dennoch führt sie zu (sach‐)gerechten Ergebnissen.¹³⁸ (4) Telos Zu einem nachvollziehbaren Ergebnis kommt die teleologische Auslegung der Norm:. Gegen die Anwendung der §§ 249 ff. BGB spricht der Rechtsgedanke, welcher der Norm zugrunde liegt. Dieser ist der gerechte Interessenausgleich im nachbarlichen Raum. Die Totalreparation des Schadensrechts der §§ 249 ff. BGB ist dazu jedoch nicht geeignet, weil es der Norm an der gebotenen Flexibilität fehlt. Insbesondere die Ortsüblichkeit der Einwirkungen bliebe dadurch unberücksichtigt, obwohl diese einen entscheidenden Gesichtspunkt im Hinblick darauf darstellt, dass die Beeinträchtigung nicht abwehrbar und deshalb rechtmäßig ist.¹³⁹ Insoweit ist auch eine Ungleichbehandlung zu § 14 Satz 2 BImSchG gerechtfertigt, denn die Norm hat Einwirkungen vor Augen, die gerade nicht ortsüblich sind; auf die Zumutbarkeit kommt es hingegen nicht an. Eine unterschiedliche Rechtsfolge der beiden Normen ist deshalb die logische Konsequenz der differierenden sachlichen Regelungsinhalte. Mit Bensching ¹⁴⁰ ist deswegen schließlich zu konstatieren, dass insbesondere die Rechtsnatur des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB als Aufopferungsanspruch mit der

 So auch Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 117 f.  Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 118.  So auch Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 117 f.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

Rechtsfolge der §§ 249 ff. BGB nur schwer vereinbar wäre. Der Ausgleichsanspruch rückt an die Stelle des Abwehranspruchs, der ebenfalls keinen Schadensersatz begründet, sondern lediglich die Abwehr und die Beseitigung der Einwirkung. Für den dazugehörigen Rechtsfortsetzungsanspruch kann nichts anderes gelten. Dieser darf nicht über das hinausgehen, was § 1004 Abs. 1 BGB als negatorischer Abwehranspruch gewährt hätte; ansonsten wäre der Inhalt des rechtsfortsetzenden Anspruchs höher als der des ursprünglichen Beseitigungsrechts, ohne dass dafür ein sachlicher Grund ersichtlich wäre.¹⁴¹ Zudem kommt es auch – verglichen mit einer Schadenshaftung nach den §§ 249 ff. BGB – nicht notwendigerweise zu einer Schlechterstellung des Geschädigten, weil nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auch Nichtvermögensschäden ausgleichsfähig sind und bei Substanzschäden eine vollständige Schadloshaltung möglich ist.¹⁴² Die konkrete Berechnung ist deshalb wie folgt vorzunehmen: Für die Bemessung des Ausgleichs kommt es maßgeblich auf den Verkehrswert¹⁴³ der entzogenen Substanz an. Eine Ausgleichspflicht kommt nur für den unzumutbaren Teil der Einwirkung in Betracht. Die Zumutbarkeit beinhaltet sämtliche Umstände, wie etwa auch ein etwaiges Mitverschulden gem. § 254 BGB des Betroffenen. dd) Geschütze Rechtsgüter Im Hinblick auf die geschützten Rechtsgüter werden zwei hervorzuhebende Fragen diskutiert: Das Mobiliareigentum des Beeinträchtigten und Gesundheitsschäden. (1) Mobiliareigentum Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist im Hinblick darauf, ob das Mobiliareigentum zum Anspruchsinhalt gehört, deutlich:¹⁴⁴ Es kommt nicht darauf an, ob die sich auf dem Grundstück befindlichen Betriebsmittel infolge einer Beeinträchtigung der Grundstücks- oder Gebäudesubstanz oder unmittelbar durch die auf das Grundstück einwirkenden Immissionen beschädigt werden.¹⁴⁵ Das folgt daraus, dass der primäre Abwehranspruch gem. § 1004 BGB, dessen faktischer

 Vgl. Petersen, Duldungspflicht und Umwelthaftung, S. 53.  BGHZ 178, 90 = NJW 2009, 762 (765); Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 262.  Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 75 orientiert den Verkehrswert wegen der von § 199 BauGB aufgestellten Wertermittlungsverordnung sowie der Legaldefinition aus § 194 BauGB.  Dies stößt in der Literatur größtenteils auf Zustimmung: Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 202 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S 662 f.; Ringshandl, Der bürgerlichrechtliche Aufopferungsanspruch, S. 188; Roth, in Staudinger BGB, § 906 Rn. 109.  BGH NJW 2008, 992 (993).

I. Die unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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Ausschluss durch die Entschädigung kompensiert werden soll, unabhängig davon besteht, welches Schadensbild infolge der drohenden unzulässigen Störung im Einzelnen zu erwarten ist. Entscheidend ist nur, dass der Schaden an den beweglichen Sachen nicht eingetreten wäre, wenn der Besitzer seinen Unterlassungsanspruch hätte durchsetzen können und sich damit als Teil der diesem durch die Störung abverlangten Vermögenseinbuße darstellt.¹⁴⁶ Ausreichend ist insoweit, dass sich die Beeinträchtigung an der Sache auf die auf das Grundstück einwirkende Immission zurückführen lässt.¹⁴⁷ Der Bundesgerichtshof fasst somit unterschiedliche Schadenspositionen – den Schaden an einzelnen beweglichen Gegenständen und den Schaden für die Rechtsstörung am Grundstück – als „Nachteil“ zusammen und prüft nicht die einzelnen Eigentumsverletzungen, wie dies etwa bei § 823 Abs. 1 BGB üblich wäre.¹⁴⁸ Betont wird dabei wiederholt, dass Rechte an beweglichen Sachen für sich genommen keinen verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch begründen können. Denn Grundlage des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs ist das Verhältnis zwischen Anspruchsinhaber und -gegner als Grundstücksnachbarn und dieses setzt als Teil des Interessenausgleichs für eine sachgerechte Nutzung benachbarter Grundstücke stets eine Störung des Eigentums oder Besitzes an einem Grundstück voraus.¹⁴⁹ Zwingende Voraussetzung ist daher ein Bezug der Schäden zu dem von den Immissionen betroffenen Grundstück als Haftungsgrundlage und ein aus dem Grundstück folgender Abwehranspruch.¹⁵⁰ Diese Argumentation ist auch in dogmatischer Hinsicht konsequent. Wenn der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB an die Stelle des Abwehranspruchs tritt, müssen logischerweise solche Vermögenseinbußen vom Ausgleich erfasst sein, die durch den Abwehranspruch hätten verhindert werden können. Insoweit ist auch das Mobiliareigentum¹⁵¹ des Grundstückseigentümers geschützt, sofern die Sache in regelmäßiger und dauernder Verbundenheit zum Grundstück steht.¹⁵²

 BGH NJW 2008, 992 (993); Vieweg/Regenfus, LMK 2018, 261371.  BGH NJW 2008, 992 (993); Schmidt, JuS 2008, 559.  BGH NJW 2008, 992 (993).  Klimke, in: BeckOGK BGB, § 906 Rn. 307; BGH NJW 2008, 992 (993) mwN.  BGH NJW 2008, 992 (993), so auch Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S 664; ausführlich Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz im System des Privatrechts, S. 236 ff.  Insbesondere Zubehör i.S.v. § 97 BGB.  BGHZ 147, 45 = NJW 2001, 1865 (1866); BGH NJW 2008, 992 (993); Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 906 Rn. 81b.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

(2) Gesundheitsschäden Teilweise wird vertreten, dass ein Aufopferungsschutz nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB für Gesundheitsschäden nicht in Betracht kommen könne, weil eine Rechtsordnung derartige Opfer nicht abverlangen könne und dürfe, bei denen keine gleichwertige nachträgliche Kompensation möglich sei.¹⁵³ Dagegen spricht jedoch zweierlei:¹⁵⁴ Zum einen zeigt die Realität, dass es bei technisch-industriellen Gefahrumständen unumgänglich zu Personenschäden kommt, sodass grundsätzlich eine solche Gefahr besteht. Insoweit müssen auch höherwertige Rechtsgüter jedenfalls entsprechend wie Immobiliarrechte und sonstige Vermögensrechte geschützt sein.¹⁵⁵ Zum anderen spricht die dogmatische Betrachtungsweise gegen diesen Ansatz. Der Ausgleichsanspruch erfasst solche Schäden, die dadurch entstanden sind, dass der Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB nicht durchgesetzt werden konnte. Soweit die Gesundheitsschädigung also unmittelbar aus der Störung erfolgt, müssen auch diese Schadenspositionen ausgleichbar sein, auch wenn es sich um Gesundheitsschäden handelt.¹⁵⁶ Allerdings kann dabei kein Schmerzensgeld gewährt werden, weil es sich nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt, wie von § 253 Abs. 2 BGB vorausgesetzt.¹⁵⁷ h) Konkurrenzen und Verjährung Der Ausgleichsanspruch kann neben anderen Ansprüchen stehen. Insbesondere Ansprüche aus Gefährdungshaftung oder dem Bergschadensrecht schließen ihn nicht aus. Verdrängt wird er nur durch abschließende Sonderregelungen, wie sie in § 89 Abs. 2 WHG und § 74 Abs. 2 VwVfG enthalten sind.¹⁵⁸ Zwischen dem Ausgleichsanspruch und der Geltendmachung des Abwehranspruchs aus §§ 1004, 906  Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 204 f.  Ausführlich zum Ganzen: Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz im System des Privatrechts, S. 240 ff.  Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz im System des Privatrechts, S. 240 spricht von einem „theoretischen Kurzschluss“.  offenlassend BGH NJW 2010, 3160 (3160): „Nach diesen Grundsätzen scheidet die Berücksichtigung von Gesundheitsstörungen bei der Prüfung, ob ein Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB besteht, nicht von vornherein aus“; Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz im System des Privatrechts, S. 240 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 662; Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 110; zur Diskussion über eine Ausgleichspflicht bei verletztem Anwohner oder Arbeitnehmer (die mE. Nach parallel zur Frage nach dem Ausgleichsanspruch bei Substanzschäden von Mobiliareigentum eines Benutzers zu beantworten ist (Stichtwort: Immobiliarbezug)) Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 147 ff.  BGH NJW 2010, 3160 (3160); Fritzsche, in: Bamberger/Roth BGB, § 906 Rn 83.  Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 192 mwN.

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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BGB besteht indessen keine Konkurrenz. Er verjährt in der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB).¹⁵⁹

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB 1. Exkurs: Rechtsfortbildung Bei der Interpretation von Rechtsnormen werden in Deutschland grundlegend zwei Ansätze unterschieden:¹⁶⁰ Die Auslegung¹⁶¹ des Gesetzes und die Rechtsfortbildung.¹⁶² Soweit eine durch Auslegung gefundene Lösung als unbefriedigend wahrgenommen wird, kommen zwei unterschiedliche Vorgehensweisen in Betracht:¹⁶³ Zum einen die Vorlage des unbefriedigenden Ergebnisses beim Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof.¹⁶⁴ Zum anderen besteht die Möglichkeit der richterlichen Rechtsfortbildung. Deren Zulässigkeit bestimmt sich teils aus der Auslegungslehre, teils aus dem Verfassungsrecht und ist unter anderem in § 132 Abs. 4 GVG¹⁶⁵ kodifiziert.¹⁶⁶ Bei Letzterem ergibt sich jedoch folgender Zwiespalt: Grundsätzlich fällt die Loslösung vom geltenden Recht in den Kompetenzbereich des Parlaments.¹⁶⁷ Die Ge-

 Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 120 f.; Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 191; Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 906 Rn. 101; Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 27; zum früher bestehenden Meinungsstreit um die Verjährung vgl. Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 152 ff.  Zur historischen Entwicklung anschaulich Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 822.  Von Auslegung wird gesprochen, wenn das Ergebnis sich noch in den Grenzen des möglichen Wortlauts hält, vgl. Canaris, in: FS Bydlinksi, 47 (81).  Wank, Juristische Methodenlehre, § 15 Rn. 1 mwN.; Wiedemann, NJW 2014, 2407 (2407); Rüthers/ Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 822; die Abgrenzung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung ist seit jeher umstritten. Teilweise wird schon bestritten, dass eine Unterscheidung zwischen den beiden Methoden vorgenommen werden kann, vgl. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, S. 174 ff.; vgl. Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, S. 52 ff.  Vgl. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 83 f.  Stichwörter sind dazu die Verfassungsbeschwerde gem. § 93 Abs. 1 Nr. 4a BVerfGG, die konkrete Normenkontrolle gem. Art. 100 GG sowie das Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267 AEUV.  § 132 Abs. 4 GVG lautet: Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist; weitere Kompetenznormen sind: §§ 511 Abs. 4, 543 Abs. 2 ZPO, § 70 Abs. 2 FamFG, § 11 Abs. 4 VwGO, § 45 Abs. 4 ArbGG, § 41 Abs. 4 SGG.  Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 83.  Wank, Juristische Methodenlehre, § 15 Rn. 2.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

richte hingegen sind durch Art. 20 Abs. 3 GG an bestehendes Recht und Gesetz gebunden. Die richterliche Rechtsfortbildung begründet deshalb ein Spannungsverhältnis zu dem Primat des Gesetzgebers¹⁶⁸, die Rechtsordnung inhaltlich zu gestalten.¹⁶⁹ Insoweit sieht sich jede Rechtsfortbildung dem Vorwurf ausgesetzt, einen kompetenzwidrigen Übergriff in die Legislative darzustellen.¹⁷⁰ Dies jedoch zu Unrecht, weil die Setzung von Rechtsnormen in Deutschland nicht auf die Gesetzgebung beschränkt ist, sondern die Gerichte im Fall einer lückenhaften Rechtsordnung von der Verfassung zur Normsetzung berufen sind.¹⁷¹ Im Unterschied zur früher in Deutschland herrschenden Kodifikationsidee,¹⁷² in der die vollständige Kodifikation die Regel und die Gesetzeslücke die Ausnahme war, ist dieses Verhältnis heutzutage auf den Kopf gestellt.¹⁷³ Dementsprechend enthält die Rechtsordnung zahlreiche Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe (sog. Delegationsnormen).¹⁷⁴ Hintergrund dieser Entwicklung ist die rasante Geschwindigkeit, mit der sich die Gesellschaft weiterentwickelt.¹⁷⁵ Durch diese Weiterentwicklung entstehen unvermeidbar bislang ungeklärte Rechtsfragen, auf die das Gesetz jedenfalls unmittelbar keine Antwort bereithält. Soweit derartige Rechtsfragen ungeklärt blieben, stände dies im Kontrast zum sog. Rechtsverweigerungsverbot,¹⁷⁶ welches die Gerichte verpflichtet, Fälle auch dann zu entscheiden, wenn eine einschlägige Norm nicht existiert. Es soll die verfahrenstheoretisch denkbare Möglichkeit ausschließen, dass es in einer Rechtsfrage zu einem „non liquet“ kommt.¹⁷⁷ Dadurch werden richterliche Entscheidungen ver-

 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 419 spricht im Hinblick auf Konkretisierung eines Verfassungsprinzips vom „Konkretisierungsprimat des Gesetzgebers“, den die Gerichte zu achten haben.  Vgl. Klocke, VuR 2013, 203 (203).  Wank, Juristische Methodenlehre, § 15 Rn. 2.  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 822 mwN. bezeichnet die Gerichte als „Ersatzgesetzgeber“.  Vgl. dazu Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat?, S. 39 ff.  BVerfGE 3, 255 = NJW 1954, 65 (65) spricht insoweit von einem „Rückfall in die Geisteshaltung eines wertungsfreien Gesetzespositivismus […], wie sie in der juristischen Wissenschaft und Praxis seit längerem überwunden ist“.  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 822.  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 822 spricht von einem „ständigen und rasanten Wandel der technisch-ökonomischen, sozialen und politischen Strukturen […]“.  Vgl. Schumann, ZZP 81 (1968), 79 ff. mwN. auch zum geschichtlichen Hintergrund des Rechtsverweigerungsverbot; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 55; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 823 mwN.; kritisch Wank, Juristische Methodenlehre, § 15 Rn. 28.  Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 279.

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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hindert, die eine für den zu entscheidenden Fall maßgebliche Rechtsfrage unbeantwortet lassen.¹⁷⁸ Daraus resultiert die Pflicht des Richters […] rechtliche Zweifel bei der Gesetzesauslegung zu klären, das unklare Gesetz in seiner Bedeutung zu erhellen, rechtliche Gesetzesfehler zu berichtigen und die lückenhafte Norm zu ergänzen. ¹⁷⁹

Der Richter kann sich strittigen Rechtsfragen demnach auch im Fall einer Gesetzeslücke nicht entziehen. Infolgedessen sind die Gerichte für die Justiz und die Verwaltung zur dominanten Rechtsquelle geworden.¹⁸⁰ Entscheidend ist dabei, dass die Entscheidungen auf dem Weg judizieller Rechtsfindung gewonnen werden.¹⁸¹ Dazu können die Gerichte auf die Wertungen zurückgreifen, die jede Norm hinter ihrem Wortlaut trägt, die wesentlicher Bestandteil des bestehenden Rechts und von entscheidender Bedeutung für Auslegung und Fortbildung sind.¹⁸² Dies entspricht auch der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts aus der sog. Soraya-Entscheidung¹⁸³: Die traditionelle Bindung des Richters an das Gesetz, ein tragender Bestandteil des Gewaltentrennungsgrundsatzes und damit der Rechtsstaatlichkeit, ist im Grundgesetz jedenfalls der Formulierung nach dahin abgewandelt, daß die Rechtsprechung an „Gesetz und Recht“ gebunden ist (Art. 20 Abs. 3). Damit wird nach allgemeiner Meinung ein enger Gesetzespositivismus abgelehnt. Die Formel hält das Bewußtsein aufrecht, daß sich Gesetz und Recht zwar faktisch im allgemeinen, aber nicht notwendig und immer decken. Das Recht ist nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch. Gegenüber den positiven Satzungen der Staatsgewalt kann unter Umständen ein Mehr an Recht bestehen, das seine Quelle in der verfassungsmäßigen Rechtsordnung als einem Sinnganzen besitzt und dem geschriebenen Gesetz gegenüber als Korrektiv zu wirken vermag; es zu finden und in Entscheidungen zu verwirklichen, ist Aufgabe der Rechtsprechung. Der Richter ist nach dem Grundgesetz nicht darauf verwiesen, gesetzgeberische Weisungen in den Grenzen des möglichen Wortsinns auf den Einzelfall anzuwenden. Eine solche Auffassung würde die grundsätzliche Lückenlosigkeit der positiven staatlichen Rechtsordnung voraussetzen, ein Zustand, der als prinzipielles Postulat der Rechtssicherheit vertretbar, aber praktisch unerreichbar ist. Richterliche Tätigkeit besteht nicht nur im Erkennen und Aussprechen von Entscheidungen des Gesetzgebers. Die Aufgabe der Rechtsprechung kann

 Schumann, ZZP 81 (1968), 79 (80).  Schumann, ZZP 81 (1968), 79 (80).  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 822.  BVerfGE 34, 269 = NJW 1973, 1221 (1223): „Der Richter kann die Wertvorstellungen des Grundgesetzes nicht in beliebiger Weise in seinen Entscheidungen zur Geltung bringen. Er würde die Verfassung auch verletzen, wenn er zu einem Ergebnis, das den Wertvorstellungen der Verfassung entspräche, auf einem methodischen Wege gelangte, der die dem Richter bei der Rechtsfindung gezogenen verfassungsrechtlichen Grenzen mißachtete“.  Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 56.  BVerfGE 34, 269 = NJW 1973, 1221.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

es insbesondere erfordern, Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, in einem Akt des bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen, ans Licht zu bringen und in Entscheidungen zu realisieren. ¹⁸⁴

Die Rechtsfortbildung als solche ist folglich nach Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts nicht nur geduldet, sondern ausdrücklich durch die Verfassung geboten. Sie findet ihre Legitimation letztlich im Prinzip der Gewaltenteilung.¹⁸⁵ Klar ist deshalb auch, dass eine Bindung des Richters an die Kodifikation in einem kodifikatorischen System mit einer Unterscheidung von Gesetzgebung und Rechtsprechung alternativlos ist; Gesetzgebung generiert Gesetzesbindung.¹⁸⁶ Zur Bewerkstelligung dieser Differenzierung müssen Verfassung, Rechtsstaat und Gewaltenteilung durch die juristische Methodenlehre und richterliche Auslegungspraxis beachtet werden. Die Geltung der Gesetzesbindung hängt von der juristischen Methode ab, denn ohne Regeln der Gesetzesauslegung und der Normbefolgung durch die gesetzesauslegenden Institutionen kann eine Gesetzesbindung nicht hergestellt werden.¹⁸⁷ Spätestens seit der Soraya-Entscheidung sind Grundlagen und Einordnung der dritten Gewalt gefestigt. Im nächsten Schritt fragt sich deshalb, unter welchen Voraussetzungen eine Rechtsfortbildung möglich ist. Das Bundesverfassungsgericht spricht insoweit vom Vorliegen einer„Lücke“, die nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft durch die Gerichte ausgefüllt werden soll.¹⁸⁸ Es ist folglich zwischen Lückenfindung und Lückenausfüllung zu differenzieren. a) Lückenfindung Eine „Lücke“ stellt nach allgemeiner Ansicht die Grundvoraussetzung einer Rechtsfortbildung dar.¹⁸⁹ Sie lässt sich definieren als planwidrige Unvollständigkeit der Gesetzesordnung innerhalb des positiven Rechts gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung. Oder: Eine Lücke liegt vor, wenn das Gesetz

 BVerfGE 34, 269 = NJW 1973, 1221 (1225).  Wank, Juristische Methodenlehre, § 15 Rn. 32 mwN.  Hassemer, ZRP 2007, 213 (214).  Hassemer, ZRP 2007, 213 (214).  BVerfGE 34, 269 = NJW 1973, 1221 (1225 f.); vgl. Wank, Juristische Methodenlehre, § 15 Rn. 44; Hassemer, ZRP 2007, 213 (214) spricht von Unvollständigkeit der „Entscheidungsanweisungen“.  Wank, Juristische Methodenlehre, § 15 Rn. 44 mwN.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 822 f.

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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innerhalb der Grenzen seines möglichen Wortsinnes und das Gewohnheitsrecht eine Regelung nicht enthalten, obwohl die Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit eine solche fordert. ¹⁹⁰

Diese Definition der Lücke ist jedoch zu weit und unbestimmt, um im Einzelfall eine Lücke festzustellen.¹⁹¹ Insoweit fragt sich, welche Maßstäbe und Mittel zur Lückenfeststellung angelegt werden müssen. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass es unterschiedliche Arten von Gesetzeslücken gibt, die sich jeweils in eine kaum überblickbare Anzahl an Unterkategorien aufgliedern lassen.¹⁹² Grob ist zwischen primären und sekundären sowie ungeplanten und geplanten Lücken zu unterscheiden: Eine primäre Lücke ist anzunehmen, wenn der Gesetzgeber einen Fall übersehen hat und deshalb entgegen seines Regelungsplanes nicht geregelt hat.¹⁹³ Eine sekundäre Lücke hingegen entsteht erst durch die Fortentwicklung der Verhältnisse.¹⁹⁴ Im Fall einer geplanten Lücke hat der Gesetzgeber sich mit der zu prüfenden Konstellation befasst und entschieden, die Norm unangewendet zu lassen. In diesem Fall darf sich auch die richterliche Rechtsfortbildung nicht über die gesetzgeberische Entscheidung hinwegsetzen.¹⁹⁵ Teilweise verwendet der Gesetzgeber geplante Lücken auch dazu, um diese mittels einer expliziten Delegation an Wissenschaft und Rechtsprechung zu schließen. Daneben existieren Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum, Generalklauseln oder das sog. beredte Schweigen des Gesetzes.¹⁹⁶ In Fällen des beredten Schweigens kann zweierlei angedacht sein. Möglicherweise bringt das Gesetz durch das Schweigen zum Ausdruck, dass keine rechtlichen Folgen¹⁹⁷ gewünscht sind oder es zeigt durch Verknüpfung einer Rechtsfolge mit einem anderen Tatbestand, dass diese Rechtsfolgen für den nicht geregelten Tatbestand nicht gewollt sind (argumentum e contrario).¹⁹⁸ Im Gegensatz dazu zeichnet sich eine ungeplante Lücke

 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 39; übernommen durch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 832; ähnlich Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 402; das Bundesverfassungsgericht nimmt eine Lücke an, soweit „[…] das geschriebene Gesetz seine Funktion, ein Rechtsproblem gerecht zu lösen, nicht erfüllt“, BVerfGE 34, 269 = NJW 1973, 1221 (1225).  Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 55.  Zu den unterschiedlichen Arten von Lücken Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 835 ff.; auch Wank, Juristische Methodenlehre, § 15 Rn. 53.  Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, § 3 Rn. 144.  Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, § 3 Rn. 144.  Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, § 3 Rn. 144.  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 832 ff.; zum Beurteilungsspielraum des Richters bei unbestimmten Rechtsbegriffen Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 279.  Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 40 spricht von einem „rechtsfreien Raum“.  Vgl. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 40; Bewussten Gesetzeslücken fehlt es folglich am Merkmal der „Planwidrigkeit“, weil sich der Gesetzgeber über die Unvollständigkeit der

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

durch die Feststellung aus, dass der Gesetzgeber die unbeantwortete Frage eigentlich hätte regeln müssen. Der Interpret muss sich bei der Lückenfeststellung an der jeweiligen gesetzlichen Regelung und am Gleichheitssatz orientieren, um dem Plan des Gesetzgebers zu entsprechen.¹⁹⁹ Zur Feststellung der Planwidrigkeit einer Gesetzeslücke ist es also notwendig, sich mit den Kategorien auseinanderzusetzen, in denen der Gesetzgeber bewusst auf die Kodifizierung bestimmter Tatbestände verzichtet. Dabei geht es, wie schon angedeutet, um bewusst geschaffene rechtsfreie Räume und um Gesetzestechnik (argumentum e contrario). Eine Planwidrigkeit kann angenommen werden, soweit feststellbar ist, dass das Ergebnis, das sich unter Beachtung des geltenden Rechts einstellen würde, ungerecht ist.²⁰⁰ Zudem muss nachgewiesen werden, dass ein abweichendes Ergebnis dem gesetzlichen Regelungsprogramm besser entspricht.²⁰¹ Dazu ist das Gesetz teleologisch und historisch auszulegen.²⁰² An diese Stelle ist der Theorienstreit um die objektive und subjektive Auslegung zu verorten.²⁰³ Dabei geht es um die Frage, ob im Hinblick auf das Auslegungsziel der Wille des Gesetzgebers oder der normative Gesetzessinn maßgeblich ist.²⁰⁴ Larenz ist dabei zuzustimmen, soweit er feststellt, dass beiden Theorien eine Teilwahrheit zugrunde liegt, sodass keine der beiden Theorien ohne weitere Einschränkung akzeptiert werden kann: Die Wahrheit der subjektiven Theorie ist, daß das Rechtsgesetz, anders als ein Naturgesetz, von Menschen für Menschen gemacht, Ausdruck eines auf die Schaffung einer nach Möglichkeit gerechten und den Bedürfnissen der Gesellschaft entsprechenden Ordnung gerichteten Willens ist. Hinter dem Gesetz steht eine bestimmte Regelungsabsicht, stehen Wertungen, Bestrebungen und sachliche Überlegungen, den in ihm ein mehr oder minder deutlichen Niederschlag gefunden haben. […] Die Wahrheit der objektiven Theorie ist, daß ein Gesetz, sobald es angewandt wird, eine ihm eigenen Wirksamkeit entfaltet, die über das hinausgeht, was der Gesetzgeber beabsichtigt hatte. Das Gesetz greift in mannigfache und sich wandelnde Lebensverhältnisse ein, die der Gesetzgeber nicht alle zu übersehen vermochte; es gibt Antwort auf Fragen die der Gesetzgeber sich noch nicht gestellt hat. Es gewinnt so mit der Länge der Zeit mehr und mehr gleichsam ein eigenes Leben und entfernt sich damit von den Vorstellungen seiner Urheber. Insoweit verhält es sich mit einem Gesetz nicht anders als mit anderen Geisteswerken.²⁰⁵

Regelung bewusst ist. Zum Teil hat der Gesetzgeber auch entschieden, Tatbestände nicht zu kodifizieren (z. B. bei Aufzählungen).  Wank, Juristische Methodenlehre, § 15 Rn. 49.  Wank, Juristische Methodenlehre, § 15 Rn. 69.  Wank, Juristische Methodenlehre, § 15 Rn. 69.  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 358.  Vgl. dazu ausführlich Hassold, ZZP 94 (1981), 192 mwN.  Dazu ausführlich Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 302.  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 303.

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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Als problematisch erweist sich das Tatbestandsmerkmal der Planwidrigkeit vor allem dann, wenn sich der Wille des Gesetzgebers nicht aus den Gesetzesmaterialien ermitteln lässt. Daher kann entgegen der rein subjektiven Ansicht nicht auf eine Art hypothetischen Willen oder „den letzten erkennbaren Willen“ des Normgebers²⁰⁶ abgestellt werden.²⁰⁷ Ziel der Auslegung ist es deshalb, den heute rechtlich maßgeblichen, normativen Sinn des Gesetzes zu ermitteln. Dieser ist weder mit dem Willen und den konkreten Normvorstellungen des historischen Gesetzgebers noch völlig unabhängig von diesen festzustellen.²⁰⁸ Das Bundesverfassungsgericht fasst dies so zusammen: Während die – erst ex post zu bestimmenden – Wirkungen eines Gesetzes aus seinen Rechtsfolgen hervorgehen […] ergibt sich der Normzweck regelmäßig aus dem – durch Auslegung zu ermittelnden – objektivierten Willen des Gesetzgebers […]. Dieser ist mithilfe der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu ermitteln, dh anhand des Wortlauts der Norm, ihrer systematischen Stellung, nach Sinn und Zweck sowie anhand der Gesetzesmaterialien und ihrer Entstehungsgeschichte, wobei sich diese Methoden nicht gegenseitig ausschließen, sondern ergänzen. Keine unter ihnen hat einen unbedingten Vorrang vor der anderen. ²⁰⁹

Mangels entsprechender Regelungen ist eine solche Lücke im Hinblick auf die nachbarrechtlichen Ausgleichsansprüche anzunehmen. Wie sich im späteren Verlauf der Arbeit noch herausstellen wird, wird unterschiedlich beurteilt, ob diese auch als planwidrig anzusehen ist; insbesondere im Hinblick auf den Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB wegen faktischer Duldungszwänge. b) Lückenausfüllung Im Hinblick auf die richterlichen Gestaltungsmöglichkeiten ist zu differenzieren, um welche Art „Lücke“ es sich konkret handelt. Bei den nachbarrechtlichen Ausgleichsansprüchen handelt es sich um sog. teleologische Lücken²¹⁰, bei denen die Gesetzgebung eine spezielle Interessenlage nicht kodifiziert hat. Einziger gesetzlicher Anhaltspunkt ist § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, der einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch im Fall einer Duldungspflicht aus § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB normiert. Die Gerichte haben im Wege der Rechtsfortbildung die Möglichkeit, auf der Linie des Normzwecks die fehlende Sonderregelung durch Analogie oder teleolo-

    

Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 130. So auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 304. So auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 305. BVerfG NJW 2021, 1377 (1381) mwN. in Rn. 106. Zu den unterschiedlichen Arten von Lücken Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 835 ff.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

gische Reduktion „als Gehilfe des Gesetzgebers“²¹¹ in „denkendem Gehorsam“²¹² ersatzweise vorzunehmen.²¹³ Im Hinblick auf § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB wendet der Bundesgerichtshof regelmäßig und in unterschiedlichen Formen Analogien an. Im Folgenden sollen aus diesem Grund ausschließlich die Voraussetzungen eines Analogieschlusses abstrakt dargestellt werden. An diese Ausführungen wird dann im weiteren Verlauf der Arbeit angeknüpft, wenn es um die Frage geht, ob der Vorgehensweise des Bundesgerichtshofs gefolgt werden soll oder ob sich eine andere Lösungsmöglichkeit als vorzugswürdig erweist.²¹⁴ Ein Analogieschluss kommt in Betracht, soweit dem Gericht eine Rechtsnorm fehlt, welche die entscheidende Rechtsfrage regelt.²¹⁵ Eine Rechtsnorm mit eigenen Tatbestandsmerkmalen wird auf einen ähnlichen, ungeregelten Sachverhalt angewendet, weil der Rechtsgedanke der analog anzuwendenden Vorschrift nach Sinn und Zweck der Norm so auf den ungeregelten Sachverhalt zutrifft, dass die Gesetzgebung jenen ebenso geregelt hätte.²¹⁶ Die analoge Anwendung der Norm rechtfertigt sich deshalb aus dem zu engen Wortlaut der Norm.²¹⁷ Der Einzelfallgerechtigkeit wird insoweit ein Vorrang vor der Rechtssicherheit eingeräumt.²¹⁸ Neben dem Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke ist also eine vergleichbare Interessenlage zu ermitteln.²¹⁹ Dem liegen die Grundgedanken des juristischen Syllogismus und des Gleichbehandlungsgedanken aus Art. 3 Abs. 1 GG zugrunde, denn gleichgelagerte Interessenskonstellationen sollen nach gleichen Rechtsgrundsätzen beurteilt werden.²²⁰ Es handelt sich demnach um einen „wertenden Akt“ des Rechtsanwenders.²²¹ Der Bundesgerichtshof umschreibt dies folgendermaßen: Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist,

 Heck, AcP 112 (1914), 1 (19 f.).  Heck, AcP 112 (1914), 1 (19 f.).  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 886; Würdinger, AcP 206 (2006), 946 (947) bezeichnet die Analogie als „wichtigste[s] Instrument der Rechtsfortbildung“ im Zivilrecht.  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 889.  Zur Analogiefähigkeit von Normen Würdinger, AcP 206 (2006), 946.  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 366; Würdinger, AcP 206 (2006), 946 (949).  Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, § 3 Rn. 143.  Würdinger, AcP 206 (2006), 946 (950).  Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, § 3 Rn. 143; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 889; Würdinger, AcP 206 (2006), 946 (949).  Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 25, 183; Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, § 3 Rn. 145; Würdinger, AcP 206 (2006), 946 (942).  Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 56; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 366; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 889.

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. ²²²

Maßgeblich für die Frage nach der Vergleichbarkeit der Interessenslagen ist demnach eine Übereinstimmung der Tatbestände in der für die rechtliche Bewertung maßgeblichen Hinsicht.²²³ Also, ob die Interessenlage des geregelten Falles der des nicht geregelten Falles entspricht und ob der Zweck der Norm deren Anwendung erfordert.²²⁴ Dies erfordert eine Offenlegung der für die gesetzliche Regel zum Ausdruck kommende Wertung. Zur Bestimmung dieser Wertung des Tatbestandes ist der Zweck und der Grundgedanke der Regelung zu untersuchen,²²⁵ sodass eine Analogie neben einer formal-logischen Betrachtung²²⁶ auch einen wertenden Gedankenvorgang voraussetzt.²²⁷ c) Grenzen der Lückenausfüllung Ist eine richterliche Rechtsfortbildung grundsätzlich zulässig, unterliegt sie Grenzen²²⁸. Larenz verortet die Grenze der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung durch die Gerichte […] dort, wo eine Antwort vom Boden der geltenden Rechtsordnung insgesamt und daher mit spezifisch rechtlichen Erwägungen nicht möglich ist, insbesondere daher dort, wo es nur um Fragen der Zweckmäßigkeit geht oder eine politische Entscheidung des Gesetzgebers erforderlich ist, weil die Verfassung hierfür verschiedene Möglichkeiten offen lässt, von denen keine allein aus rechtlichen Gründen allen anderen vorzuziehen ist. ²²⁹

Die Grenzen konkretisieren sich in unterschiedlicher Art und Weise: Einerseits kann, wie vom Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 34, 269 festgestellt, die Verfassung selbst die Gerichte im Rahmen der Rechtsfortbildung einschränken. So kann der Richter die Wertvorstellungen des Grundgesetzes nicht in beliebiger Weise

 BGH NJW 2003, 1932 (1933).  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 366.  Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, § 3 Rn. 145.  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 367.  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 367 spricht von „formal-logischer Gedankenoperation“.  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 367.  Grenzen können auch aus dem Gewaltenteilungs-, Rechtsstaats- und Demokratieprinzip begründet sein, vgl. dazu Wank, Juristische Methodenlehre, § 15 Rn. 78 ff.  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 418.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

in seinen Entscheidungen zur Geltung bringen.²³⁰ Das Gericht hat die Entscheidung von Willkür freizuhalten und jene durch rationale Argumentation zu begründen. Die Grenze sind insoweit „die praktische Vernunft“ und die „fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft“.²³¹ Wertungen des Grundgesetzes können auch aus den Staatsprinzipien abgeleitet werden. So darf ein Gericht keine Rechtsfortbildung vornehmen, soweit die Regelungsaufgabe besser vom Gesetzgeber erfüllt werden kann, um die sachgemäße Aufgabenverteilung auf die drei Staatsgewalten zu wahren (Gewaltenteilungsprinzip).²³² Bei fehlender Rechtssicherheit durch die Rechtsfortbildung kann das Rechtsstaatsprinzip im Wege stehen; soweit eine wesentliche Frage durch Rechtsfortbildung geregelt wird, schränkt das Demokratieprinzip den richterlichen Gestaltungsspielraum ein.²³³ Andererseits bestehen gesetzliche Grenzen. Diese ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz (Analogieverbot im Strafrecht aus Art. 103 Abs. 2 GG)²³⁴ oder jedenfalls aus einem Umkehrschluss bei abschließenden Aufzählungen des Gesetzgebers (Enumeration), die eine darüberhinausgehende Anwendung verbieten (vgl. Wortlaut § 253 Abs. 1 BGB „nur“).²³⁵ In diesem Zusammenhang sei abschließend auch noch die Möglichkeit der Unzulässigkeit einer Analogie genannt. Teilweise wird Normen aus unterschiedlichen Gründen die Analogiefähigkeit abgesprochen. Dabei geht es zum einen um Ausnahmevorschriften und zum anderen um rechtstechnische Normen, die schon ihrer Natur nach analogiefeindlich seien.²³⁶ Diese Fragen können im Rahmen dieser Arbeit jedoch offenbleiben, weil § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB grundsätzlich eine analogiefähige Norm ist. Im Folgenden sollen die durch die Rechtsprechung determinierten Voraussetzung des „nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs“ untersucht und analysiert werden. Anschließend soll der Frage nachgegangen werden, ob die Analogievoraussetzungen – insbesondere im Hinblick auf die Anwendung der Norm auf sog. faktische Duldungszwänge – vorliegen.

 BVerfGE 34, 269 = NJW 1973, 1221 (1223) spricht von der Missachtung „verfassungsrechtlicher Grenzen“.  BVerfGE 34, 269 = NJW 1973, 1221 (1225) mit Verweis auf BVerfGE 9, 338 = NJW 59, 1579.  Wank, Juristische Methodenlehre, § 15 Rn. 80 f.; Würdinger, AcP 206 (2006), 946 (950).  Wank, Juristische Methodenlehre, § 15 Rn. 80 f.  Vgl. Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil I, § 5 Rn. 26 ff.; Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 4 Rn. 31 ff.  Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 83; Wank, Juristische Methodenlehre, § 15 Rn. 106.  Kritisch dazu Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 181, der diese Verallgemeinerung für überholt hält. Insgesamt stellt er fest, dass es keine. Vorschriften gibt, die ihrer Natur nach jeder Analogie unzugänglich sind; dazu auch Würdinger, JuS 2008, 949 (949 ff.); dazu auch Würdinger, AcP 206 (2006), 946.

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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2. Die Voraussetzungen des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB im Einzelnen Der Bundesgerichtshof verwendet zur Begründung des nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch in analoger Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB folgende Definition: Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die der Eigentümer oder Besitzer des betroffenen Grundstücks nicht dulden muss, jedoch aus rechtlichen oder […] tatsächlichen Gründen nicht gem. §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB unterbinden kann, sofern er hierdurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen.²³⁷

a) Einwirkung auf ein anderes Grundstück Die Analogie des Bundesgerichtshofs erstreckt sich darauf, dass neben den vom Wortlaut erfassten rechtmäßigen Einwirkungen auch solche erfasst werden, die rechtswidrig sind. Eine Beschränkung auf Imponderabilien oder ähnliche Einwirkungen nach § 906 Abs. 1 BGB besteht nicht,²³⁸ stattdessen sind sämtliche abwehrfähigen Einwirkungen i.S.d. § 903 Satz 1 BGB erfasst.²³⁹ Dies gilt insbesondere für Grobimmissionen²⁴⁰ sowie Schädigungen durch Naturkräfte.²⁴¹ Auf die Ortsüblichkeit der Nutzung kommt es dabei nicht an.²⁴² Die rechtswidrige Einwirkung muss darüber hinaus aus einer grundstücksbezogenen bzw. einer grundstücksspezifischen Tätigkeit entstammen.²⁴³ Das folgt daraus, dass sich der Anspruch aus dem Grundstückseigentum ableitet.²⁴⁴

 BGH NZM 2019, 893 (895) mwN. im Hinblick auf die St.Rspr.  Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 69, Überblick bei Wenzel, NJW 2005, 241 (246 f.); Palandt/ Herrler, BGB, § 906 Rn. 37a.  Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 201.  BGH NJW 2011, 3294 (3296).  Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 201; problematisch ist dort regelmäßig die Störereigenschaft.  Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 37.  Vgl. BGH NJW 2009, 3787 (3787) mwN.; Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 37a bezeichnet die Voraussetzung als „grenzüberschreitendes Element“; dazu auch Wandt, VersR 2017 m 1109 (1112 f ).  BGH NZM 2019, 893 (895).

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

Letztlich muss es sich um eine Einwirkung handeln, die eigentlich über § 1004 Abs. 1 BGB abwehrbar wäre, denn der Ausgleichsanspruch rückt an die Stelle dieses Abwehranspruchs.²⁴⁵ b) Tätigkeit privatwirtschaftlicher Art Der Ausgleichsanspruch besteht nur, soweit es sich um Beeinträchtigungen handelt, die im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung eines Grundstücks entstehen.²⁴⁶ Dabei geht es um die Abgrenzung zu Immissionen, die auf eine hoheitliche Betätigung zurückzuführen sind.²⁴⁷ Im Hinblick auf die nachbarrechtlichen Ausgleichsmöglichkeiten ist die unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Anspruch wegen enteignendem Eingriff und dessen analoge Anwendung mit dem Anspruch wegen enteignungsgleichem Eingriff vergleichbar.²⁴⁸ Auch deren Rechtsgrundlage ist der Gedanke der Aufopferung, der sich in Art. 74, 75 der Einleitung zum allgemeinen Landrecht für Preußische Staaten von 1794 findet.²⁴⁹ Im Unterschied zum öffentlichrechtlichen Entschädigungsrecht, welches die wertende Zurechnung der Schadensfolgen nach Verantwortungsbereichen und Risikosphären von der Unmittelbarkeit des Eingriffs abhängig macht, stellt das Haftungssystem des privaten Nachbarrechts auf die Störereigenschaft i.S. der §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB ab.²⁵⁰ In BGHZ 48, 98 hat der III. Zivilsenat das Verhältnis mehrerer in Betracht kommender Anspruchsgrundlagen diskutiert: Einerseits den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch²⁵¹ und andererseits den öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruch aus enteignendem Eingriff. Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch war demnach einschlägig, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung desselben Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die – weil  Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 123; Vgl. Roth, in: Roth/Lemke/ Krohn, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch als Problem der Systemgerechtigkeit im Schadensersatzrecht, S. 27; Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 127.  Vgl. BGH NZM 2019, 893 (895).  Vgl. Bruns, NJW 2020, 3493 (3495).  BGHZ 155, 99 = NJW 2003, 2377 (2378); Die beiden öffentlich-rechtlichen Ansprüche unterscheiden sich durch die Rechtmäßigkeit des Eigentumseingriffs. Der Anspruch aus enteignendem Eingriff setzt im Gegensatz zum enteignungsgleichen Eingriff maßgeblich einen rechtmäßigen Eigentumseingriff voraus, der dem betroffenen Eigentümer ein Sonderopfer auferlegt. Vgl. dazu Will/ Quarch, Staatshaftungsrecht, S. 224 ff. (zum Anspruch aus enteignendem Eingriff ) und S. 249 ff. (zum Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff ).  Will/Quarch, Staatshaftungsrecht, S. 225.  BGHZ 155, 99 = NJW 2003, 2377 (2378).  In BGHZ 48, 98 = NJW 1967, 1857 (1858) auch als bürgerlich-rechtlicher Aufopferungsanspruch bezeichnet.

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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nicht nur unwesentlich und nicht auf ortsüblicher Benutzung des störenden Grundstücks beruhend – über das Maß dessen hinausgehen,was ein Grundstückseigentümer nach der Bestimmung des § 906 BGB (hier in der bis zum 31.5.1960 gültigen Fassung) entschädigungslos hinzunehmen hat, gegen die gemäß § 1004 BGB vorzugehen dem betroffenen Eigentümer jedoch aus besonderen Gründen unmöglich war.²⁵² Ein Anspruch auf Enteignungsentschädigung kam dagegen dann in Betracht, wenn durch rechtmäßige oder rechtswidrige Eingriffe von hoher Hand Eigentum beeinträchtigt und dem Berechtigten dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit abverlangt wird.²⁵³ Voraussetzung war folglich, dass die Immissionen nach Art und Ausmaß über die Grenzen dessen hinausgehen, was dem Eigentümer gemäß § 906 BGB entschädigungslos zugemutet wird. Ein für eine Enteignungsentschädigung notwendiges Opfer des Berechtigten kann jedoch auch bei auf Eingriffen und Beeinträchtigungen von hoher Hand nicht erlitten worden sein, wenn der Betroffene die nach Art und Maß gleichen Beeinträchtigungen, gingen sie von einer Grundstücksbenutzung im privatwirtschaftlichen Rahmen aus, nach § 906 BGB entschädigungslos dulden müsste.²⁵⁴ Demnach setzen beide Ansprüche voraus, dass die Einwirkungen das nach § 906 BGB a.F. zu duldende Maß überschreiten, also die Einwirkungen die Benutzung des betroffenen Grundstücks nicht nur unwesentlich beeinträchtigen und nicht durch eine Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird, die nach den örtlichen Verhältnissen bei Grundstücken dieser Lage gewöhnlich ist.²⁵⁵ Der III. Zivilsenat hat zum Verhältnis der beiden Ansprüche festgestellt, dass jeweils nur der eine oder der andere Anspruch gegeben sein kann. Ein Nebeneinander der privatrechtlichen und der öffentlich-rechtlichen Entschädigungsansprüche ist somit nicht möglich.²⁵⁶ Maßgebliches Differenzierungskriterium ist die Rechtsnatur des Eingriffs:²⁵⁷ Geht es um Beeinträchtigungen, die auf eine privatwirtschaftliche Betätigung zurückzuführen sind, ist das Zivilrecht maßgeblich. Bei hoheitlicher Tätigkeit, also bei öffentlich-rechtlich organisiertem Störer, der unmittelbar öffentliche Zwecke verfolgt, richtet sich die Entschädigung nach öffentlichem Recht. Für solche Immissionen kommen die Ansprüche aus enteignendem oder enteignungsgleichem Eingriff in Betracht. Geht es hingegen um einen fiska-

 BGHZ 48, 98 = NJW 1967, 1857 (1858) verweist dabei auf die stRspr.  BGHZ 48, 98 = NJW 1967, 1857 (1858).  BGHZ 48, 98 = NJW 1967, 1857 (1858).  BGHZ 48, 98 = NJW 1967, 1857 (1858).  Vgl. schon BGHZ 48, 98 = NJW 1967, 1857 (1857).  Vgl auch Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 126 mwN; vgl. auch Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 51 ff.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

lisch handelnden Hoheitsträger oder um private Störer, die in Erfüllung hoheitlicher Aufgaben tätig werden, kommen die zivilrechtlichen Ansprüche in Betracht.²⁵⁸ Da wegen § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist, ist die Differenzierung im Rahmen der Begründetheit vorzunehmen.²⁵⁹ c) Bestehen einer Duldungspflicht Kernvoraussetzung des Ausgleichsanspruchs analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ist das Vorliegen einer Duldungspflicht. Der der unmittelbaren Anwendung der Norm zugrundeliegende rechtliche Hinderungsgrund ist die Duldungspflicht aus § 906 Abs. 2 Satz 1. Eine Analogie kommt deshalb nur in Betracht, soweit Duldungspflichten aus anderen Rechtsgrundlagen einen Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB ausschließen. Mit anderen Worten muss es sich daher um eine vergleichbare Aufopferungssituation handeln, damit die Analogievoraussetzung der vergleichbaren Interessenlage bejaht werden kann. Diskutiert werden dabei Duldungspflichten rechtlicher und Duldungszwänge tatsächlicher Natur. aa) Rechtliche Duldungspflicht Im Kern ist zwischen einem Ausgleich für rechtmäßige und rechtswidrige Einwirkungen zu differenzieren. Die Rechtmäßigkeit der Einwirkung ergibt sich daraus, dass der Beeinträchtigte wegen § 1004 Abs. 2 BGB keinen Abwehranspruch geltend machen kann. Die Duldungspflichten können auf unterschiedliche Gesichtspunkte zurückzuführen sein. Zum Teil geht es dabei um die Anwendung von Treu und Glauben, zum Teil um den Vorrang gewichtiger Gemeinwohlbelange oder auch die Wirkung öffentlich-rechtlicher Vorschriften. Auch aus anderen nachbarrechtlichen Vorschriften können Duldungspflichten entstehen (vgl. §§ 905 Satz 2, 910 Abs. 2 BGB). Letztlich soll dem Beeinträchtigten analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ein Ausgleich für Einwirkungen, die er zu dulden hat, gewährt werden. Maßgeblich für die hier vorgenommene Analyse sind unterschiedliche Fallkonstellationen, in denen die Rechtsprechung einen Abwehranspruch ausgeschlossen hat.

 BGHZ 48, 98 = NJW 1967, 1857 (1858) mit Verweis auf BGHZ 16, 366 = NJW 1955, 747; Dazu auch Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 126 mwN.; Hemsen, Der allgemeine bürgerlichrechtliche Aufopferungsanspruch, S. 12 ff.  Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 125.

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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(1) Duldungspflicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis Eine hohe Bedeutung kommt der Duldungspflicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis zu.²⁶⁰ Anknüpfend an die bereits geführte Diskussion über die Rechtsnatur teilen sich auch hier die Ansichten im Hinblick auf die Rechtsgrundlage der Duldungspflicht. Während der Bundesgerichtshof und die wohl herrschende Meinung Duldungspflichten aus § 242 BGB konstatieren, die den einzelnen Nachbarn ausnahmsweise besondere gegenseitige Rücksichtnahmepflichten auferlegen,²⁶¹ stellt der hier vertretene Ansatz allein auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis als gesetzliches Schuldverhältnis und die daraus resultierenden Schutzpflichten ab. Auf Rechtsfolgenseite stimmt die hier vertretene Ansicht mit der Rechtsprechungslinie des Bundesgerichtshofs überein. Im Folgenden soll jedoch zunächst die Argumentation der übrigen Ansicht beleuchtet werden. Der Bundesgerichtshof stellt die Rücksichtnahmepflichten des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses in den Vordergrund.²⁶² Diese Pflichten lassen die Ausübung gewisser, sich aus dem Eigentum ergebender Rechte eines Grundstückseigentümers im Fall widerstreitender nachbarlicher Interessen ausnahmsweise als unzulässig erscheinen. Dabei verwendet der Bundesgerichtshof folgende floskelartige Formulierung: Aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis entspringt nämlich die Pflicht zu gesteigerter gegenseitiger Rücksichtnahme, die in Ausnahmefällen dazu führen kann, dass die Ausübung gewisser aus dem Eigentum fließender Rechte ganz oder teilweise unzulässig wird. ²⁶³

Es wird jeweils eine umfassende Interessenabwägung am Einzelfall unternommen.²⁶⁴ Dabei wird dem Vertrauensgedanken besondere Bedeutung zugemessen, wodurch auch der Regelungsgehalt der §§ 905 ff. BGB unterstrichen wird:²⁶⁵ Die  Fallübersicht bei Münch, in: Soergel BGB, § 1004 Rn. 243 f.  BGHZ 101, 290 = NJW 1987, 2808 (2810) mwN; vgl. auch Vieweg/Werner, Sachenrecht, § 9 Rn. 50; Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 662.  Schon BGHZ 28, 225 = NJW 1959, 97 (99) mwN; a.A. jedenfalls bei der Frage nach einer Duldungspflicht im Zusammenhang mit Wärmedämmmaßnahmen Horst, NJW 2010, 122 (124).  BGHZ 28, 225 = NJW 1959, 97 (99) mit Verweis auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts: RGZ 154, 161; 159, 129 (140); 167, 14 (24), im weiteren stRspr. BGHZ 58, 149 = NJW 1972, 724 (726); BGHZ 68, 350 = NJW 1977, 1447 (1448); BGHZ 88, 344 = 1984, 729 (730); BGHZ 101, 290 = NJW 1987, 2080 (2810); BGHZ 113, 384 = NJW 1991, 1671 (1672); BGH NJW 1991, 2826 (2827); 1994, 739 (741); 1995, 2633 (2634); BGHZ 148, 261 = NJW 2001, 3119 (3120 f.); BGH NJW 2003, 1392 (1392); BGH NZM 2012, 735 (736); BGH NJW-RR 2012, 1160 (1162).  „[…] geboten erscheint […]“ in BGH NJW 2003, 1392 (1392); „Abwägung der Interessen beider Nachbarn“ in BGHZ 68, 350 = NJW 1977, 1447 (1448); „wobei die jeweiligen Interessen der Nachbarn zu ermitteln und gegeneinander abzuwägen sind“ in BGH NJW 1994, 739 (741).  BGH NJW 2003, 1392 (1392).

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

besondere Nähe zwischen den Grundstücksnachbarn erfordert in Streitfragen eine besonders Auseinandersetzung mit den sich gegenüberstehenden Nachbarinteressen. Bei der Abwägung spielen alle denkbaren Gesichtspunkte eine Rolle,²⁶⁶ Ausgangspunkt sind dabei die §§ 905 ff. BGB und die spezialgesetzlichen nachbarrechtlichen Normen der Länder. Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Urteilen unterschiedliche Kriterien hervorgehoben: Insbesondere der Wirtschaftlichkeitsgedanke des § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB sei als verallgemeinerungsfähiger Rechtsgedanke Teil der Interessenabwägung.²⁶⁷ Für die Bejahung der Duldungspflicht kann es zudem von Bedeutung sein, ob ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB realisierbar wäre. Insoweit kann es für den beeinträchtigten Nachbarn unzumutbar sein, Einwirkungen hinzunehmen, wenn ein zwar rechtlich bestehender Ausgleichsanspruch schließlich aus wirtschaftlichen Gründen nicht durchsetzbar wäre.²⁶⁸ Eine vergleichbare Interessenlage liegt vor: Die Duldungspflicht aus § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB und die aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis stehen jeweils im unmittelbaren Zusammenhang mit den Grundstücken der Nachbarn. Beide verfolgen den Zweck, die widerstreitenden Interessen in einen billigen Ausgleich zu bringen. Sowohl im Fall des § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB als auch bei einer Duldungspflicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis muss ein Nachbar ausnahmsweise und zugunsten des jeweils andern auf seinen Abwehranspruch verzichten. Deshalb ist die Annahme des Ausgleichsanspruchs aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB in analoger Anwendung zu befürworten. (2) Vorrang wichtiger Gemeinwohlbelange Als weiterer rechtlicher Hinderungsgrund kommen Duldungspflichten wegen Vorrangs wichtiger Gemeinwohlbelange in Betracht. Dazu hatte der Bundesgerichtshof im Jahr 2000²⁶⁹ folgende Konstellation zu entscheiden: Auf dem Grundstück von N im Bahnhofsviertel in Frankfurt am Main betreibt der Mieter M ein gewerbliches Drogenhilfezentrum, das die Tagesstätte „Café Fix“, einen Straßenschalter zum kostenlosen Spritzenaustausch, das Frauen-Café „Kassandra“ sowie eine ärztliche Ambulanz umfasste. Deshalb betreten immer wieder Drogensüchtige und Dealer das Grundstück des G und verschmutzen dieses mit Kot,

   

Schubert, in MüKo BGB, § 242 Rn. 220. BGHZ 113, 384 = NJW 1991, 1671 (1672). BGHZ 101, 290 = NJW 1987, 2080 (2810). BGHZ 144, 200 = NJW 2000, 2901.

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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Urin und gebrauchten Spritzen. Eine Unterbindung dieser Störung wäre nur durch eine dauerhafte Einstellung des Betriebs des Drogenhilfezentrums möglich. G verlangte von V und M in erster Linie die Einstellung des Betriebs des Drogenhilfezentrums. Hilfsweise beantragte er deren Verurteilung, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, damit Nutzer des Drogenhilfezentrums und Drogendealer (a) sein Grundstück nicht betreten und (b) nicht verunreinigen, (c) Bewohner und Besucher nicht am Betreten hindern sowie (d) vor dem Grundstück keine gebrauchten Spritzen zurücklassen und (e) keine Menschenansammlungen bilden.²⁷⁰ Der Bundesgerichtshof hat hierzu festgestellt, dass die Einwirkungen Beeinträchtigungen i.S.v. § 1004 Abs. 1 BGB seien und auch die übrigen Voraussetzungen des Abwehranspruchs gegeben sind.²⁷¹ Der Anspruch scheiterte aber an dem an der Drogenhilfeeinrichtung bestehenden Allgemeininteresse. Der Abwehranspruch ist nämlich nach ständiger Rechtsprechung²⁷² ausgeschlossen, wenn seine Durchsetzung die Einstellung eines Betriebs oder einer Anlage zur Folge hätte, dessen störende Einwirkungen der Erfüllung von Aufgaben dienen, die im Allgemeininteresse liegen und von öffentlich-rechtlichen Trägern oder von unmittelbar dem öffentlichen Interesse verpflichteten gemeinwichtigen Einrichtungen ausgehen.²⁷³ Der Abwehranspruch des Nachbarn aus § 1004 Abs. 1 BGB scheitert folglich an einer bestehenden Duldungspflicht aus § 1004 Abs. 2 BGB. Diese folgt allein und unmittelbar aus dem entgegenstehenden Allgemeininteresse.²⁷⁴ Diese Rechtsprechungslinie ist im Hinblick darauf kritisiert worden, dass es zu Eigentumseingriffen zugunsten des öffentlichen Wohls komme, obwohl es an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage fehle.²⁷⁵ Die Betriebe würden insoweit Bestandsschutz erlangen, was spezialgesetzliche Regelungen erfordert.²⁷⁶ Letztlich  BGHZ 144, 200 = NJW 2000, 2901.  Problematisch war hierbei noch die Qualifikation von N als mittelbarer Handlungsstörer, dazu ausführlich später D., II. 1, d); dazu auch Schimmel/Buhlmann, EWiR 2000, 1107 (1107 f.); kritisch Horst, MDR 2000, 1069 (1071).  BGHZ 29, 314 = NJW 1959, 936 (937), BGH NJW 1960, 2335 (2335); BGH NJW 1980, 770 (770); BGHZ 144, 200 = NJW 2000, 2901 (2902) mwN.  BGHZ 144, 200 = NJW 2000, 2901 (2902).  „Dies folgt aus der im Allgemeininteresse begründeten Duldungspflicht gem. § 1004 Abs. 2 BGB“, BGHZ 144, 200 = NJW 2000, 2901 (2903).  Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 155 ff. Die Kritik besteht nicht nur in der spezifischen Konstellation, sondern generell bei der analogen Anwendung der Norm auf allgemeine öffentliche Interessen, ausführliche Analyse bei (S. 134 ff.); Kleinlein, Das System des Nachbarrechts, S. 226 ff.; Martens, in: Festschrift Schack 1966, 85 (90); Papier, NJW 1974, 1797 (1798 f.); kritisch Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 30; Säcker, in: Müko (2004), § 906 Rdnr. 130 ff. bezeichnet den Hinweis auf das öffentliche Interesse als „lapidar“; Schapp, Das Verhältnis von privatem und öffentlichem Nachbarrecht, 115 ff.; Schimmel/Buhlmann, EWiR 2000, 1107 (1108 f.).  Vgl. Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 30.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

wird der Rechtsentzug des Abwehranspruchs als Eingriff in das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG qualifiziert.²⁷⁷ Im o.g. Urteil hat sich der Bundesgerichtshof mit eben dieser Kritik auseinandergesetzt und betont, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze unverzichtbar sind, solange eine umfassende gesetzliche Regelung fehlt. Zudem wird betont, dass es – jedenfalls im Hinblick auf den betrachteten Fall – eine durch das Betäubungsmittelgesetz getroffene gesetzliche Regelung findet, in der das Allgemeininteresse zum Ausdruck kommt. Schließlich würde durch die Ausgleichsleistung auch die Verhältnismäßigkeit gewahrt.²⁷⁸ Duldungspflichten aufgrund überwiegender öffentlicher Interessen folgen mithin aus dem allgemeinen öffentlichen Interesse an der Tätigkeit des Störers. Weitere Beispiele aus der Rechtsprechung, in denen ein solches Interesse wie im Fall des Drogenhilfezentrums besteht, sind das allgemeine Interesse des Pflanzenschutzes²⁷⁹, die Befriedigung des allgemeinen Verkehrsbedürfnisses²⁸⁰, sowie die allgemeine Energieversorgung²⁸¹.²⁸² Allerdings ist insoweit Vorsicht geboten, damit der durch die Verfassung geschützte Eigentümer nicht unter dem Vorwand des Allgemeininteresses seine Abwehrbefugnisse verliert. Eine Duldungspflicht aus überwiegendem öffentlichen Interesse kann einen Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB deshalb nur ausnahmsweise ausschließen, soweit eine entsprechende Rechtsnorm besteht, welche als Rechtsgrundlage fungieren kann. Dazu muss die jeweilige Vorschrift ein spezifisches Allgemeininteresse unzweifelhaft zum Ausdruck bringen, welches die Beschränkung der Ausschließungsbefugnis des Eigentümers nach § 903 BGB rechtfertigen kann. Soweit es um Handlungen geht, die primär ökonomischen Interessen Einzelner dienen, scheidet eine Duldungspflicht aus.²⁸³ Im Hinblick auf die Entscheidung zum Drogenhilfezentrum steht insoweit § 10a Abs. 2 Satz 2 BtMG²⁸⁴ im Fokus. Die Norm verfolgt zwar unmittelbar den Zweck, mit

 Kleinlein, Das System des Nachbarrechts, S. 227.  BGHZ 144, 200 = NJW 2000, 2901 (2902).  BGHZ 16, 366 = NJW 1955, 747 (748).  NJW 1984, 1242 (1243).  BGHZ 60, 119 = VerwRspr 1974, 38 (40).  Vgl. auch Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 127 f.  Raff, in: MüKo BGB, § 1004 Rn. 221.  § 10a Abs. 2 BtMG lautet: Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis nach Absatz 1 zu regeln. Die Regelungen müssen insbesondere folgende Mindeststandards für die Sicherheit und Kontrolle beim Verbrauch von Betäubungsmitteln in Drogenkonsumräumen festlegen: 1.Zweckdienliche sachliche Ausstattung der Räumlichkeiten, die als Drogenkonsumraum dienen sollen;

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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der Schaffung von gesetzlichen Voraussetzungen für die Einrichtung und den Betrieb von sog. Drogenkonsumräumen im Hinblick auf bereits illegal bestehende Einrichtungen Rechtssicherheit²⁸⁵ zu schaffen.²⁸⁶ Übergeordneter Zweck ist jedoch die Verringerung des Risikos von Drogentodesfällen und des HIV-Infektionsrisikos²⁸⁷ durch die Erforderlichkeit einer behördlichen Erlaubnis und bestimmte Sicherheits- und Kontrollmechanismen (§ 10a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1– 10 BtMG).²⁸⁸ Die damit verfolge Eindämmung der Sucht und die Hilfe von Dogenabhängigen stellt ein gemeinwichtiges Ziel dar, welches vor allem durch § 10a BtMG verfolgt wird. Insoweit bringt die Norm das Allgemeininteresse hinreichend zum Ausdruck, sodass die Norm dem Rechtsgedanken nach als Rechtsgrundlage für eine Duldungspflicht herangezogen werden kann.²⁸⁹ Als Ausgleich für das erbrachte Sonderopfer steht dem beeinträchtigten Nachbarn ein Anspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zu. Dieser Anspruch ist Teil 2.Gewährleistung einer sofort einsatzfähigen medizinischen Notfallversorgung; 3.medizinische Beratung und Hilfe zum Zwecke der Risikominderung beim Verbrauch der von Abhängigen mitgeführten Betäubungsmittel; 4.Vermittlung von weiterführenden und ausstiegsorientierten Angeboten der Beratung und Therapie; 5.Maßnahmen zur Verhinderung von Straftaten nach diesem Gesetz in Drogenkonsumräumen, abgesehen vom Besitz von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 zum Eigenverbrauch in geringer Menge; 6.erforderliche Formen der Zusammenarbeit mit den für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zuständigen örtlichen Behörden, um Straftaten im unmittelbaren Umfeld der Drogenkonsumräume soweit wie möglich zu verhindern; 7.genaue Festlegung des Kreises der berechtigten Benutzer von Drogenkonsumräumen, insbesondere im Hinblick auf deren Alter, die Art der mitgeführten Betäubungsmittel sowie die geduldeten Konsummuster; offenkundige Erst- oder Gelegenheitskonsumenten sind von der Benutzung auszuschließen; 8.eine Dokumentation und Evaluation der Arbeit in den Drogenkonsumräumen; 9.ständige Anwesenheit von persönlich zuverlässigem Personal in ausreichender Zahl, das für die Erfüllung der in den Nummern 1 bis 7 genannten Anforderungen fachlich ausgebildet ist; 10.Benennung einer sachkundigen Person, die für die Einhaltung der in den Nummern 1 bis 9 genannten Anforderungen, der Auflagen der Erlaubnisbehörde sowie der Anordnungen der Überwachungsbehörde verantwortlich ist (Verantwortlicher) und die ihm obliegenden Verpflichtungen ständig erfüllen kann.  Der Betreiber, der sich an die gesetzlichen Vorgaben hält, läuft damit nicht mehr Gefahr, sich wegen Verschaffens oder Gewährens einer Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch und der Beihilfe zum unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln strafbar zu machen; so Malek, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 10a BtMG Rn. 1.  Malek, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 10a BtMG Rn. 1.  Vgl. § 10a Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 BtMG.  Kotz/Oğlakcıoğlu, in: MüKo StGB, § 10a BtMG Rn. 1.  Es handelt sich um „nicht positivierte […] öffentliche […] Interessen oder Gesichtspunkten der Achtung der Menschenwürde“, vgl. Raff, in: MüKo BGB, § 1004 Rn. 221.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

des rechtlichen Gefüges, das sich aus der Versagung des vollen Abwehrrechts (Hauptantrag auf Stilllegung des Betriebs), den verbleibenden Abwehrbefugnissen²⁹⁰ und der Kompensation der Abwehrlücke durch Geldausgleich zusammensetzt.²⁹¹ Insoweit steht dem Nachbarn ein Ausgleich auch für die dauernde Beeinträchtigung zu. Die Analogievoraussetzungen liegen vor, weil der Nachbar ein Sonderopfer erleidet. Dieses folgt in Form einer Duldungspflicht, resultierend aus einer Interessensabwägung zugunsten des Allgemeinwohls. Die auf sein Grundstück einwirkenden Beeinträchtigungen sind deshalb wegen der Duldungspflicht i.S.v. § 1004 Abs. 2 BGB rechtmäßig, sodass eine Aufopferungssituation besteht, die es im Hinblick auf den nachbarlichen Interessenskonflikt billigerweise auszugleichen gilt. Dies begründet das Vorliegen der vergleichbaren Interessenlage.²⁹² Mangels bestehender passender Rechtsnorm liegt auch die Regelungslücke vor, die mit dem Rechtsgedanken von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB geschlossen werden kann. (3) Ausschluss wegen Fristablauf Einen weiteren rechtlichen Hinderungsgrund sieht die Rechtsprechung darin, dass ein Nachbar von dem Eigentümer von Bäumen, die den landesrechtlich vorgeschriebenen Grenzabstand nicht einhalten, deren Beseitigung oder Zurückschneiden wegen des Ablaufs der dafür in dem Landesnachbarrecht vorgesehenen Ausschlussfrist nicht mehr verlangen kann.²⁹³ In diesen Fällen soll dem Nachbar für den erhöhten Reinigungsaufwand infolge des Abfallens von Laub, Nadeln, etc. ein Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zustehen.²⁹⁴ Denn auch in dieser Konstellation ist der betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert, Einwirkungen zu unterbinden, die er grundsätzlich nicht dulden müsste, sondern zu deren Abwehr er nach § 1004 Abs. 1 BGB berechtigt wäre. Eine andere Möglichkeit zur Störungsbeseitigung als die, dass die Bäume entfernt oder so weit gekürzt werden, dass das Abfallen von Laub und ähnlichem auf das Grundstück des Nachbarn nahezu ausgeschlossen ist, besteht nicht. Entfernung oder Kürzung der

 Gemeint sind hier die Hilfsanträge (vgl. Sachverhaltswidergabe von BGHZ 144, 200 = NJW 2000, 2901 (2901)).  BGHZ 144, 200 = NJW 2000, 2901 (2903).  Im Hinblick auf die zuvor geführte Diskussion um die dogmatische Einordnung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB besteht in hier auch ein überwiegendes öffentliches Interesse, sodass die Bildung der Analogie wegen der Nähe zu den öffentlich-rechtlichen Aufopferungsansprüchen naheliegt.  BGH NJW 2018, 1010 (1011) mwN.  Vgl. BGHZ 157, 33 = NJW 2004, 1037 (1040 f.) mwN.

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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Bäume kann der Nachbar jedoch wegen des Ablaufs der Ausschlussfrist nicht mehr verlangen; er muss das Höhenwachstum der Bäume dulden.²⁹⁵ Dagegen wird angeführt, der Eigentümer habe es selbst in der Hand, den Baumwuchs als Ursache der Beeinträchtigungen zu verhindern.²⁹⁶ Der Bundesgerichtshof hält diese Überlegung zurecht für wenig überzeugend, denn durch den Ablauf der Frist wird nur der Anspruch auf Beseitigung oder Rückschnitt der Bäume ausgeschlossen. Die Frage danach, ob der Nachbar wegen wesentlicher und unzumutbarer Beeinträchtigungen (z. B. erhöhtem Reinigungsaufwand) eine Entschädigung verlangen kann, ist jedoch unabhängig von dieser Frist zu betrachten. Denn der Unterlassungsanspruch besteht – bevor er wegen Fristablaufs ausgeschlossen ist – wegen der Missachtung der Grenzabstände und nicht wegen einer konkreten Eigentumsbeeinträchtigung.²⁹⁷ Den Anspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nur deswegen zu versagen, wäre deshalb wertungswidersprüchlich:²⁹⁸ Der Nachbar, der durch Immissionen von Bäumen, die den Grenzabstand einhalten, beeinträchtigt wird, kann einen Ausgleich in Geld verlangen, auch wenn er keinen Anspruch auf die Beseitigung der Bäume hat. Dasselbe muss folglich Erst-Recht für denjenigen gelten, der Einwirkungen von Bäumen ausgesetzt ist, die den Grenzabstand verletzen. In beiden Konstellationen ist der Nachbar aus Rechtsgründen daran gehindert, die Eigentumsbeeinträchtigung über § 1004 Abs. 1 BGB abzuwehren, sodass eine unterschiedliche Behandlung wertungswidersprüchlich wäre. Auch insoweit liegt eine vergleichbare Interessenlage vor. Der beeinträchtigte Nachbar unterliegt einer rechtlichen Duldungspflicht, die die Durchsetzung des negatorischen Abwehranspruchs zugunsten des emittierenden Nachbarn verhindert. Das dadurch erlittene Sonderopfer ist analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auszugleichen. Voraussetzung dessen ist selbstverständlich, dass auch im Übrigen die Voraussetzungen des Ausgleichsanspruchs vorliegen, also insbesondere die Störereigenschaft. Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ist jedoch ausgeschlossen, soweit das Naturschutzrecht dem Störer verbietet, die Einwirkung auf das Grundstück des Gestörten zu unterlassen oder abzustellen. Ansonsten müsste der Störer eine Entschädigung für die Folgen einer gesetzlichen Regelung bezahlen, die der Gesetzgeber aus dem Gesichtspunkt des Allgemeininteresses für notwendig hält.²⁹⁹

    

BGH NJW 2018, 1010 (1011); BGHZ 157, 33 = NJW 2004, 1037 (1040 f.) mwN. Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 37b; Roth, LM 2004, 64 (65). BGH NJW-RR 2010, 807 (809); NJW-RR 2017, 1427 (1428). So auch BGH NJW 2018, 1010 (1011). BGH NJW 2018, 1010 (1013); a.A. Bruns, NJW 2020, 3493 (3497).

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

(4) Zwischenergebnis Im Hinblick auf die Duldungspflichten, die aus anderen Rechtsquellen als § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB kommen, liegt jeweils eine Regelungslücke vor, die durch die analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz BGB geschlossen werden kann, weil die Interessenslagen vergleichbar sind. Die Analogie ermöglicht die Auflösung der nachbarlichen Interessenskonflikte in Situationen, in denen einem der Beteiligten mittels einer rechtlichen Duldungspflicht ein Sonderopfer auferlegt wird.³⁰⁰ bb) Faktischer Duldungszwang § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB wird durch die Rechtsprechung³⁰¹ und auch nach verbreiteter Ansicht der Literatur³⁰² auf „Duldungspflichten tatsächlicher Art“ angewandt. Dabei wird von sog. „faktischen Duldungszwängen“ gesprochen.³⁰³ Eine rechtliche Pflicht zur Duldung der Einwirkung besteht nicht und dem Beeinträchtigten steht jedenfalls für eine juristische Sekunde ein Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB zu. Er ist somit zur Duldung der Einwirkung gezwungen.³⁰⁴ Der nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB soll dem Beeinträchtigten deshalb auch dann zustehen, wenn die von einem Grundstück auf das benachbarte Grundstück ausgehende Einwirkung zwar rechtswidrig ist und deshalb nicht geduldet zu werden braucht, der betroffene Eigentümer oder Besitzer aber aus besonderen Gründen gehindert ist, diese Einwirkung gem. §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB zu unterbinden, und wenn er dadurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen.³⁰⁵ Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch dient also auch für die Nichtdurchsetzbarkeit des Abwehranspruchs aus tatsächlichen Gründen als dessen Kompensation.³⁰⁶ Der Nichtdurchsetzbarkeit können mehrere Konstellationen zugrunde liegen. Erstens kann sich die Unmöglichkeit dadurch ergeben, dass die störende Einwirkung nicht rechtzeitig erkennbar war (Unmöglichkeit wegen Zeitmangel).³⁰⁷ Zwei-

 So auch Wellenhofer, in: Gedächtnisschrift Wolf, 2011, 323 (329).  Vgl. eine Fallübersicht bei Popescu/Majer, NZM 2009, 181 (182).  Zu den unterschiedlichen Ansichten vergleiche E., II.; a.A. Wilhelmi, Risikoschutz durch Privatrecht, S. 98 f.  BGH NJW 2009, 3787 (3787) mwN.; Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 19 f.; Pardey, in: Geigel/Haftpflichtprozess, 2. Teil, Kapitel 22, Rn. 25.  Vgl. BGHZ 155, 99 = NJW 2003, 2377 (2378 f.); BGHZ 111, 158 = NJW 1990, 1910 (1911) mwN.  St.Rspr, vgl.: BGH, NZM 2019, 893 (896); BGH NJW 2018, 1542 (1543) mwN.  BGH NJW 2009, 3787 (3788).  BGHZ 85, 375 = NJW 1983, 872 (874); BGH 90, 255 = NJW 1984, 2207 (2208); BGHZ 111, 158 = NJW 1990, 1910 (1911); BGH NJW 1999, 1029 (1030).

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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tens können deren Ursachen im Unklaren liegen und der Beeinträchtigte konnte deshalb keine primärrechtlichen Abwehrmaßnahmen treffen.³⁰⁸ Schließlich können auch das Vertrauen des Betroffenen auf eine sachkundige, ordnungsgemäße und für das benachbarte Grundstück gefahrlose Ausführung von Bauarbeiten einen tatsächlichen Hinderungsgrund darstellen.³⁰⁹ Auch das Vertrauen auf das Versprechen des Störers zur Abhilfe und auf Durchsetzung verwaltungsrechtlich angeordneter Abhilfemaßnahmen ist ein tatsächlicher Hinderungsgrund.³¹⁰ Gleiches gilt für Schwierigkeiten im Hinblick auf die Auswahl des zu beschreitenden Rechtswegs.³¹¹ Prinzipiell wird also ein faktischer Duldungszwang immer schon dann angenommen, wenn irgendein tatsächlicher, nachvollziehbarer und vernünftiger Grund die Geltendmachung des Abwehranspruchs aus § 1004 Abs. 1 BGB verhindert.³¹² Eine Duldungspflicht wird deshalb jedoch nicht begründet, sodass eine verschuldensunabhängige Haftung für rechtswidrige Einwirkungen entsteht. Daher erscheint auch das Vorliegen der Analogievoraussetzungen im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Interessenslagen besonders fraglich. Dies steht zum einen in engem Zusammenhang mit der Frage, ob derjenige, von dem die Beeinträchtigung ausgeht, überhaupt Störer ist (Stichwort: verschuldensunabhängige Haftung für Zufallsschäden/Gefährdungshaftung). Zum anderen stellt die Frage einen der Hauptaspekte dieser Arbeit dar, weshalb in einem eigenen Kapitel ein Beantwortungsversuch gewagt werden soll. An dieser Stelle sei zunächst festgehalten, dass der Bundesgerichtshof § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog auch auf solche rechtswidrigen Einwirkungen anwendet, die den beeinträchtigten faktisch zur Duldung zwingen. d) Störer (Zurechenbarkeit)³¹³ Der Anspruch richtet sich gegen den Benutzer des Grundstücks, von dem die Immissionen ausgehen. Indem der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch an die Stelle des negatorischen Abwehranspruchs tritt, setzt dieser voraus, dass der in Anspruch

 BGH NJW-RR 1997, 1374 (1374); BGHZ 142, 66, 68 = NJW 1999, 2896 (2896).  BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164 (164).  BGH NJW 1995, 714.  BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164 (165).  Konstatiert auch Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 212; vgl. die Übersicht bei Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 906 Rn. 92.  Wie bereits zuvor angekündigt, gelten die folgenden Ausführungen auch für die unmittelbare Anwendung der Norm. Die verwendete Terminologie ist insoweit die gleiche. Nur die einzelnen problematischen Fallgruppen lassen sich nicht ausnahmslos übertragen, insbesondere die Ausführungen zur Störereigenschaft bei rechtswidrigen Einwirkungen.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

genommene Grundstückseigentümer für die Eigentumsbeeinträchtigung verantwortlich und damit Störer i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB ist.³¹⁴ Bei der Bestimmung dessen geht es um die Zurechnung von Ursachen, aus denen Eigentumsbeeinträchtigungen resultieren und damit im Kern um den Zuschnitt von Verantwortungsbereichen.³¹⁵ Der gesetzlich nicht definierte Begriff des Störers ist seit jeher umstritten.³¹⁶ Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgt die Störereigenschaft nicht allein aus dem Eigentum oder Besitz an dem Grundstück, von dem die Einwirkung ausgeht; die Beeinträchtigung muss wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers zurückgehen.³¹⁷ Der Bundesgerichtshof und auch ein Großteil der Literatur³¹⁸ sprechen in diesem Zusammenhang vom unmittelbaren Handlungsstörer, vom mittelbaren Störer und vom Zustandsstörer.³¹⁹

 BGHZ 223, 155 = NJW 2020, 607 (607); BGH NJW 2006, 992 (992); BGHZ 122, 283 = NJW 1993, 1855 (1859); Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 206; der Anspruch kann nur gegen eine Person gerichtet sein, die Partei im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ist, sodass ein Anspruch gegen den fehlerhaft handelnden Bauunternehmer jedenfalls nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ausgeschlossen ist, vgl. BGH NJW 2010, 3158 (3159) und Wandt, VersR 2017, 1109 (1111) mwN.  Baldus, in: MüKo BGB, § 1004 Rn. 149; Gursky, in: Staudinger BGB (2013), § 1004 Rn. 254; vgl. zum Ganzen auch Wenzel, NJW 2005, 241 (242 f.).  Vgl. Palandt/Herrler, BGB, § 1004 Rn. 15 mwN.  BGH NJW 1995, 2633 (2634) mwN.; vgl. Vieweg/Werner, Sachenrecht, § 9 Rn. 22 mwN. aus Rechtsprechung und Literatur; a.A. Raff, in: Müko BGB, § 1004 Rn. 162, der dafür plädiert, dass Störer ist, wem eine Beeinträchtigung iSd § 1004 zuzurechnen und wer imstande ist, sie zu beseitigen (in Parallele zum Vindikationsschuldner).  Zusammenfassend zur Kausalhaftung auch Katzenstein, AcP 211 (2011), 58 (62); ausführlich Thole, in: Staudinger BGB, § 1004 Rn. 255 ff. mwN.  Ein weiterer Ansatz in der Literatur resultiert aus der Rechtsusurpationslehre (vgl. grundlegend Picker, Der negatorische Beseitigungsanspruch, S. 49 ff.; Picker, in: FS Gernhuber 1993, 331 (331 ff.); Katzenstein, AcP 211 (2011), 58 (75); ausführlich Spohnheimer, in: BeckOGK, § 1004, Rn. 37.6): Dieser sieht es als Aufgabe des negatorischen Anspruchs, die rechtliche Integrität des Eigentums wiederherzustellen. Der negatorischen Haftung wird eine eigene Ordnungsfunktion zugewiesen. Das habe zur Folge, dass Haftungsduplizitäten vermieden werden. Zentrale Aussage der Rechtsusurpationslehre ist die Differenzierung zwischen Schäden und Beeinträchtigung. Die Beeinträchtigung liegt darin, dass der Eigentümer einer Sache ein fremdes Recht zu respektieren hat, weil dieses seine eigenen Rechte überlagern. Eine Beeinträchtigung schränkt daher das rechtliche Können ein, ein Schaden das tatsächliche Können. Verlangt wird außerdem, dass die Beeinträchtigung zusätzlich zur Einbuße auf Seiten des Verletzten einen korrespondierenden Vorteil auf Seiten des Störers. Sie besteht in einer Verschiebung der tatsächlichen Rechtsausübung. Störer i.S.d. Rechtsusurpationslehre ist derjenige, der gegenwärtig das fremde Eigentum beeinträchtigt, indem er es mit seiner Rechtssphäre überlagert und dadurch der Verwirklichung des Eigentumsrechts durch den Eigentümer im Weg steht. Eine Unterscheidung zwischen Handlungs- und Zustandsstörer ist dabei entbehrlich, denn die einzige Voraussetzung ist eine Überlagerung der beiden Rechtssphären, sodass eine Zurechnung des Störerverhaltens nicht erforderlich ist.

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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aa) Unmittelbarer und mittelbarer Handlungsstörer Der Bundesgerichtshof definiert den unmittelbaren Handlungsstörer als denjenigen, der die Beeinträchtigung des Nachbarn adäquat kausal durch eine eigene Handlung verursacht.³²⁰ Ein adäquater Ursachenzusammenhang soll bestehen, wenn eine Tatsache im Allgemeinen geeignet ist, den jeweiligen Erfolg herbeizuführen. Unbeachtlich hingegen sind atypische Kausalverläufe, also eigenartige, unwahrscheinliche und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassende Umstände.³²¹ Wer die Beeinträchtigung seines Nachbarn durch eine eigene Handlung verursacht, ist deswegen Störer i.S.v. § 1004 Abs. 1 BGB. Zwar findet eine Zurechnung entsprechender qualifizierender Sachgründe, die dem Anspruchsgegner eine Verantwortung auferlegen, nicht statt,³²² dennoch folgt auch aus § 1004 Abs. 1 BGB, dass ein Unterlassen nur von demjenigen verlangt werden kann, der das Geschehen beherrscht, sodass dieser jedenfalls die Möglichkeit hat, die Störung noch zu verhindern.³²³ Als mittelbarer Handlungsstörer kommt daneben in Betracht, wer die Beeinträchtigung durch einen anderen in adäquater Weise durch seine Willensbetätigung verursacht und in der Lage ist, die unmittelbar auftretende Störung zu verhindern.³²⁴ Es ist jeweils die Feststellung erforderlich, dass es Sachgründe gibt, dem Grundstückseigentümer oder -besitzer die Verantwortung für das Geschehen aufzuerlegen.³²⁵ Der Bundesgerichtshof stellt dazu seit einiger Zeit³²⁶ auf das Vorliegen einer sog. „Sicherungspflicht“ ab, die sich aus der Art der Nutzung des Grundstücks ergibt und zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen verpflichtet.³²⁷ Dabei soll es sich allerdings nicht um Sorgfaltspflichten schuldrechtlicher Natur (wie z. B. in § 241 Abs. 2 BGB normiert) handeln, vielmehr gehe es darum, die Verantwortlichkeit des Grundstückseigentümers oder -besitzers für den gefahrenträchtigen Zustand seines Grundstücks durch eine wertende Betrachtung zu ermitteln.³²⁸ Mit anderen Worten geht es darum, ob er den störenden Zustand in zurechenbarer Weise herbeigeführt hat. Zurechnungskriterien können eine Veranlassung, die

 Vgl. BGH NZM 2019, 893 (896).  BGHZ 223, 155 = NJW 2020, 607 (607) mwN.  BGH NJW 1995, 2633 (2634); BGH NZM 2019, 893 (896) mwN.  So auch Schwab, JuS 2020, 272 (275).  Vgl. nur BGH NJW 2015, 2027 (2028); Vieweg/Werner, Sachenrecht, § 9 Rn. 23.  BGHZ 142, 66 = NJW 1999, 2896 (2897) mwN.  In BGHZ 144, 200 = NJW 2000, 2901 (2902) war noch die Rede von einem adäquaten Zusammenhang. Allerdings spricht der Senat bereits in BGH NJW 1995, 2533 (2634) von einem „pflichtwidrigen Unterlassen“, ebenso NJW-RR 2001, 1208 (1208).  BGHZ 223, 155 = NJW 2020, 607 (607); BGH NJW-RR 2011, 739 (740) mwN.  BGHZ 223, 155 = NJW 2020, 607 (607) mwN.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

Gefahrenbeherrschung oder die Vorteilsziehung sein.³²⁹ Maßgebend sind in diesem Zusammenhang auch die Konfliktlösungsregeln des öffentlichen und privaten Nachbarrechts, die Art der Nutzung der benachbarten Grundstücke sowie die vorbeugende Beherrschbarkeit der Störung.³³⁰ Bei natürlichen Immissionen ist entscheidend, ob das störende Grundstück im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung genutzt wird.³³¹ bb) Zustandsstörer Zustandsstörer i.S.v. § 1004 Abs. 1 BGB ist, wer die Beeinträchtigung zwar nicht verursacht hat, durch dessen maßgebenden Willen aber ein eigentumsbeeinträchtigender Zustand aufrechterhalten wird.³³² Entscheidend ist folglich, dass die Beseitigung des Zustands vom Willen des Zustandsstörers abhängt, dieser selbst jedoch nicht aktiv gehandelt hat.³³³ Dafür formuliert der Bundesgerichtshof zwei Voraussetzungen: Erstens muss der in Anspruch Genommene die Störungsquelle beherrschen, sodass ihm die Beseitigung möglich ist.³³⁴ Zweitens muss ihm die Beeinträchtigung zurechenbar sein.³³⁵ Es wird daher eine wertende Betrachtung vorgenommen, ob der Störer zur Störungsbeseitigung oder jedenfalls zu dessen Duldung verpflichtet ist.³³⁶ Dies ist – wie auch beim unmittelbaren Handlungsstörer – nicht schon dann der Fall, wenn der in Anspruch genommene Eigentümer der Sache ist. Maßgeblich ist auch hier das Vorliegen bestimmter, von Konstellation zu Konstellation divergierender Sachgründe, die es begründen, ihm die Verantwortung für das Geschehen aufzuerlegen.³³⁷ Insbesondere, wenn es um eine Eigentumsbeeinträchtigung geht, die vom Zustand einer Sache ausgeht, sind die Übergänge von Zustandsstörer zum mittelbaren Handlungsstörer und umgekehrt fließend.³³⁸ Eine klare Abgrenzung ist in vielen Fällen nicht möglich. Daher hält es der Bundesgerichtshof für sachgerecht, sich von einer abstrakten Qualifizierung des Störers zu lösen und die wertende Gesamtbe-

 Vgl. schon BGHZ 155, 99 = NJW 2003, 2377 (2379); BGH NJW 2018, 1542 (1543); kritisch zum Urteil OLG Naumburg VersR 2017, 1151 (vorgehend zu BGH NJW 2018, 1542 (1543)) vgl. Wandt,VersR 2017, 1109 (1110 f.).  BGH NJW 2004, 1037 (103).  Grundlegend BGHZ 157, 33 = NJW 2004, 739 (739); BGH NJW 2018, 1542 (1543) mwN.  BGH NJW 2007, 432 (432) mwN.  Merle, in: Bärmann WEG, § 22 Rn. 328.  Vgl. dazu auch: BGHZ 95, 307 = NJW 1985, 2823 (2824).  BGH NJW 2007, 432 (432).  Merle, in: Bärmann WEG, § 22 Rn. 328.  BGH NJW 2007, 432 (432) mwN.  Stellt der Senat selbst in BGH NJW 2015, 2027 (2028) fest.

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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trachtung in den Vordergrund zu stellen.³³⁹ Teilweise nimmt der Bundesgerichtshof überhaupt keine Qualifikation vor, sondern bezeichnet den Anspruchsgegner als Störer und nimmt sofort nach der Feststellung, dass die Störereigenschaft nicht allein aus dem Eigentum oder Besitz folgt, die umfassende wertende Betrachtung vor.³⁴⁰ cc) Bewertung Letztlich lässt sich zur Linie der Rechtsprechung feststellen, dass die Urteile zu wünschenswerten Ergebnissen führen. Jedoch fehlt es an einer klaren Struktur hinsichtlich der Bestimmung des Anspruchsgegners. Eine abstrakte Formel, die auf einen Großteil der problematischen Konstellationen anwendbar ist, ist nicht ersichtlich, sodass die Entscheidungen die Kausalhaftung mit subjektiven Wertungen ausschmücken und jeweils nur floskelartig allgemeine Feststellungen getroffen werden. So z. B., dass die Störereigenschaft nicht allein aus dem Eigentum oder Besitz resultieren kann. Dazu anschaulich aus BGH NJW 2018, 1542 (1543): Die Störereigenschaft folgt nicht allein aus dem Eigentum oder Besitz an dem Grundstück, von dem die Einwirkung ausgeht. Erforderlich ist vielmehr, dass die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers oder Besitzers zurückgeht. Ob dies der Fall ist, kann nicht begrifflich, sondern nur in wertender Betrachtung von Fall zu Fall festgestellt werden. Entscheidend ist, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem Grundstückseigentümer oder -besitzer die Verantwortung für ein Geschehen aufzuerlegen.

Hier wird eine genaue Differenzierung zwischen unmittelbaren Handlungsstörer und anderen Typen nicht vorgenommen. Das unterstreicht die jedenfalls auf abstrakter Betrachtungsebene bestehende Unklarheit. Stattdessen scheint es neben dem unmittelbaren Störer den „Störer nach wertender Betrachtung“ zu geben. Auffällig ist, dass den Kriterien der Zurechnung und Verantwortungsauferlegung erhöhte Bedeutung zukommt so eine reine Kausalität als ehemals dominantes Qualifikationsmerkmal des Störers in den Hintergrund gerückt ist. Frühere Entscheidungen stellten schwerpunktmäßig darauf ab, dass der bloße Umstand des Eigentums an dem störenden Grundstück für eine Zurechnung nicht ausreiche und die Beeinträchtigung vielmehr wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers zurückgehen müsse, sodass die Kausalität zur Willensbetätigung von größerer Bedeutung war.³⁴¹ Dagegen steht in neueren Entscheidungen³⁴² im Mittelpunkt, ob

   

BGH NJW 2015, 2027 (2028); Merle, in: Bärmann WEG, § 22 Rn. 328 f. BGH NJW 2018, 1542 (1543). BGH, NJW 1995, 2633 (2634) mwN. Z. B. BGHZ 223, 155 = NJW 2020, 607 (608); BGH NJW 2018, 1542 (1543) mwN.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

es Sachgründe dafür gibt, die Verantwortung dem Eigentümer des Grundstücks aufzuerlegen, von dem die Beeinträchtigungen ausgehen. Zur Bestimmung erlegt der Senat den Grundstückseigentümern die „Sicherungspflichten“ auf: Von den Fällen des unmittelbaren Handlungsstörers abgesehen, ist vielmehr die Feststellung erforderlich, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem Grundstückseigentümer oder -besitzer die Verantwortung für das Geschehen aufzuerlegen. Dies ist dann zu bejahen, wenn sich aus der Art der Nutzung des Grundstücks, von dem die Einwirkung ausgeht, eine „Sicherungspflicht“, also eine Pflicht zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen, ergibt. Mit der Sicherungspflicht ist keine Sorgfaltspflicht im schuldrechtlichen Sinn gemeint, die von dem Grundstückseigentümer oder -besitzer verletzt worden sein muss. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Grundstückseigentümer oder -besitzer nach wertender Betrachtung für den gefahrenträchtigen Zustand seines Grundstücks verantwortlich ist, er also zurechenbar den störenden Zustand herbeigeführt hat. ³⁴³

Ein Grund für die Entwicklung von reiner Kausalbetrachtung zur wertenden Zurechnung ist der Streit³⁴⁴ um die Einzelheiten der Rechtsfolge von § 1004 Abs. 1 BGB. Dabei geht es primär um die Abgrenzung von Beseitigungs- und Schadensersatzanspruch. Für weiterführende Ausführung zu den divergierenden Ansichten ist an dieser Stelle kein Raum.³⁴⁵ Die Tendenz der Rechtsprechung ist als solche jedoch zu begrüßen. Die klassische überwiegend kausale Betrachtungsweise und die damit verbundene Inflexibilität im Hinblick auf die Begriffe Handlungs- und Zustandsstörer ist veraltet und zu starr. dd) Problemfälle im Rahmen der Störerqualifikation Im Themenkomplex der Störereigenschaft existieren einige umstrittene Problemfelder: (1) Naturgewalten (höhere Gewalt) Die oben genannten Kriterien und Grundsätze zur Qualifikation des Störers zieht der Bundesgerichtshof auch bei durch Naturereignisse ausgelöste Störungen heran.³⁴⁶ Soweit die Beeinträchtigung ausschließlich auf Naturkräfte zurückgeht, kann  BGHZ 223, 155 = NJW 2020, 607 (608).  vgl. schon Baur, AcP 160 (1961), 465 (487 ff.); ausführlich zur Abgrenzung zwischen Störungsbeseitigung und Schadensersatz als Rechtsfolge des § 1004 BGB, Lennartz, Störungsbeseitigung und Schadensersatz. übersichtlich Müller/Gruber, Sachenrecht, Rn. 1212 ff.; Picker, Der negatorische Beseitigungsanspruch, 1972, 18 ff. mit zahlreichen Beispielen; Raff, in: MüKo BGB, § 1004 Rn. 229 bezeichnet es als das am wenigsten gelöste Problem des § 1004.  Übersichtlich dazu Raff, in: MüKo BGB, § 1004 Rn. 229 ff.  BGHZ 223, 115 = NJW 2020, 607 (607) mwN.

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derjenige, von dessen Grundstück jene ausgehen, nicht Störer i.S.v. § 1004 Abs. 1 BGB sein, weil die Störereigenschaft nicht allein aus dem Grundstückseigentum folgt.³⁴⁷ Eine solche Verpflichtung würde den Eigentümer mit einer unüberschaubaren Vielzahl an Risiken belasten. Dies entspricht auch der allgemeinen Auffassung im Schrifttum.³⁴⁸ Derartige Beeinträchtigungen sind dem Eigentümer eines Grundstücks nur dann zuzurechnen, wenn er sie durch eigene Handlungen ermöglicht hat oder wenn die Beeinträchtigung durch ein pflichtwidriges Unterlassen herbeigeführt worden ist.³⁴⁹ Ansonsten handelt es sich um die Realisierung eines allgemeinen Lebensrisikos. Im Rahmen der Natureinwirkungen treten – insbesondere auch wegen der fehlenden gesetzlichen Definition des Störerbegriffs – schwierige Abgrenzungsprobleme auf. Diese löst der Senat nicht begrifflich, sondern mittels einer wertenden Einzelfallbetrachtung:³⁵⁰ Würde man der Qualifikation als Störer einen rein naturwissenschaftlichen Kausalitätsbegriff zu Grunde legen, so würden dem Grundstückseigentümer auch solche Einwirkungen zugerechnet, die ein allgemeines Risiko darstellen und für die er nach Sinn und Zweck der nachbarrechtlichen Regelung des Nutzungskonflikts (§§ 903 ff. BGB) nicht mehr verantwortlich gemacht werden kann.³⁵¹ Eine so weitgehende Haftung ist jedoch abzulehnen.³⁵² Insoweit ist die seit jeher bestimmungsgemäß betriebene normale landwirtschaftliche Nutzung und die natürliche Eigenart des Grundstücks entscheidend.³⁵³ Des Weiteren wird darauf abgestellt, dass der vom Eigentümer geschaffene Zustand keine konkrete Gefahrenquelle für das Nachbargrundstück war.³⁵⁴ Der Bundesgerichtshof fasst dies mittlerweile formelmäßig zusammen:

 BGHZ 223, 115 = NJW 2020, 607 (607); Früher wurde noch davon ausgegangen, dass schon keine Beeinträchtigung vorliegt, wenn die Beeinträchtigung nicht auf menschliches Verhalten zurückgeführt werden konnte, vgl. Medicus, in: MüKo BGB (1986), § 1004 Rn. 20 ff.  Denecke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 71; schon Pleyer, AcP 156 (156), 291 (297 f.); Thole, in: Staudinger BGB, § 1004 Rn. 262 mwN.; Wenzel, NJW 2005, 241 (242 f.).  Vgl. BGH NJW-RR 2014, 792 (792 f.); BGH NJW 1995, 2633 (2634); BGHZ 90, 255 = NJW 1984, 2207; BGHZ 114, 183 = NJW 1991, 2770; BGHZ 122, 283 = NJW 1993, 1855 (1856); Palandt/Herrler, BGB, § 1004 Rn. 19.  Vgl. BGH NJW-RR 2014, 792 (793).  So auch Denecke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 71.  Vgl. BGH NJW-RR 2014, 792 (793).  BGHZ 114, 183 = NJW 1991, 2770 (2771); vgl. auch BGHZ 90, 255 = NJW 1984, 2207 (2209).  Vgl. BGH NJW-RR 2014, 792 (793).

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Dabei ist entscheidend, ob sich die Nutzung des Grundstücks, von dem die Beeinträchtigungen ausgehen, im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hält. ³⁵⁵

Infolgedessen hat der Senat die Störereigenschaft beim Umstürzen nicht erkennbar kranker Bäume infolge von Naturgewalten verneint.³⁵⁶ Dies ist konsequent, denn allein das Anpflanzen und Aufziehen von widerstandsfähigen Bäumen begründet die von § 1004 Abs. 1 BGB vorausgesetzte Gefahrenlage regelmäßig noch nicht. Ungewöhnliche, von außen hinzutretende Ereignisse, wie Naturkatastrophen sind nicht zu erwarten, sodass vor ihrem Eintritt von den auf dem Grundstück angepflanzten Bäumen, die gegenüber normalen Einwirkungen der Naturkräfte hinreichend widerstandsfähig sind, keine ernsthafte Gefahr für das Nachbargrundstück ausgeht. Eine Verantwortlichkeit im Rahmen des § 1004 Abs. 1 BGB kann den Grundstückseigentümer deshalb erst dann treffen, wenn von ihm unterhaltene Bäume infolge Krankheit oder Überalterung diese Widerstandskraft eingebüßt haben. Den Eigentümer trifft dann die Pflicht, die von dem Baum ausgehende Gefahrenlage zu beseitigen. Nur soweit er dies unterlässt, ist ihm die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks als Störer i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB zuzurechnen.³⁵⁷ Vergleichbares gilt für das Übergreifen von Insekten auf das Nachbargrundstück. In BGH NJW 1995, 2633 war die Lärche des Beklagten in erheblichem Umfang mit Wolläusen befallen. Diese verbreiteten sich auf dem Grundstück des Klägers und befielen und beschädigten dort stehende Kiefern. Auch hier verneinte der Senat die Störereigenschaft des Beklagten. Denn mit dem Pflanzen der Lärche hat der Beklagte insoweit keine konkrete Gefahrenquelle geschaffen, die sich später verwirklicht hat. Die vom Kläger beanstandeten Einwirkungen gehen auf ein zufälliges und zusätzliches Naturereignis zurück, das alle Grundstückseigentümer als allgemeines Risiko trifft und zur natürlichen Eigenart jeder Art von Anpflanzung gehört, sodass die Beeinträchtigung bei wertender Betrachtung weder mittelbar noch unmittelbar auf den Willen des Grundstückseigentümers zurückgeführt werden kann.³⁵⁸ Bleibt festzuhalten, dass Beeinträchtigungen, die ausschließlich auf Natureinwirkungen und höhere Gewalt zurückzuführen sind, die Störereigenschaft nicht

 BGHZ 223, 115 = NJW 2020, 607 (608) mit Verweis auf die stRspr. aus BGHZ 157, 33 = NJW 2004, 1037; NJW 2004, 603; BGH NJW 2018, 1542.  BGHZ 122, 282 = NJW 1993, 1855 (1855).  Vgl. Herrmann, NJW 1997, 153 (154); BGHZ 122, 283 = NJW 1993, 1855 (1856); BGH NJW 1995 2633 (2634) mwN; BGH NJW 1997, 153.  BGH NJW 1995, 2633 (2634).

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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begründen können. Dies gilt auch dann, soweit die Einwirkung der Naturkräfte mit einer ordnungsgemäßen Nutzung des Grundstücks vorhersehbar einhergeht.³⁵⁹ (2) Landesrechtliche Grenzabstände Im Hinblick auf die ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Grundstücks ist auch die Einhaltung der jeweils in den Landesnachbarrechtsgesetzen vorgeschriebenen Grenzabstände für Anpflanzungen relevant. Insoweit fehlt es an der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung eines Grundstücks, wenn die in dem jeweils einschlägigen Landesnachbarrechtsgesetz vorgeschriebenen Grenzabstände für Anpflanzungen nicht eingehalten sind.³⁶⁰ Störer ist daher, wer einen Baum unter Verletzung des landesrechtlich vorgeschriebenen Abstands gepflanzt hat und dessen Immissionen das Nachbargrundstück beeinträchtigen. Der Anspruch wird dabei schon durch das bloße Unterschreiten des Grenzabstandes ausgelöst; eine konkrete Beeinträchtigung muss nicht vorliegen.³⁶¹ Dies gilt auch dann, wenn die landesrechtliche Ausschlussfrist für den Beseitigungsanspruch verstrichen ist.³⁶² Es ist zwischen den landesrechtlichen Ansprüchen und § 1004 Abs. 1 BGB zu differenzieren: Diese sind mit Blick auf die Verjährung unabhängig voneinander, sodass der Rückschnitts- oder Beseitigungsanspruch bestehen bleibt, wenn die Ansprüche aus Landesrecht verjährt sind. Der Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB setzt dann jedoch eine konkrete Eigentumsbeeinträchtigung voraus.³⁶³ Soweit der Beeinträchtigte – etwa wegen Fristablauf – keinerlei Ansprüche mehr geltend machen kann, steht ihm analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ein Ausgleichsanspruch für das Mehr an Reinigungsaufwand von Immissionen der Anpflanzungen zu.³⁶⁴ Dies entspricht auch der ganz überwiegenden Auffassung in der Literatur.³⁶⁵

 Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 209.  BGHZ 223, 115 = NJW 2020, 607 (608) mit Verweis auf BGHZ 157, 33 = NJW 2004, 1037; BGH NJW 2018, 1010.  Albrecht, in: Staudinger EGBGB, Art. 124 Rn. 36; vgl. Roth, JZ 2020, 44 (45); Thole, in: Staudinger BGB, § 1004 Rn. 128; der Beseitigungsanspruch entfällt aber, soweit Naturschutzvorschriften oder kommunale Baumschutzsatzungen die Entfernung der Bäume verbieten, vgl. OLG Düsseldorf MDR 1988, 776 (776).  Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 209; Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 1004 Rn. 24. Mit der Ausschlussfrist soll innerhalb eines Zeitraums, der die Interessen des Nachbarn und des Eigentümers der Bäume gleichermaßen berücksichtigt, grundsätzlich eine abschließende Klärung der nachbarlichen Verhältnisse in Bezug auf das Höhenwachstum herbeigeführt werden, vgl. BGHZ 157, 33 = NJW 2004, 1037 (1038); dazu auch Wenzel, NJW 2005, 241 (243).  Albrecht, in: Staudinger EGBGB, Art. 124 Rn. 35.  Vgl. Roth, JZ 2020, 44 (45).

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

Aktuell hat der Bundesgerichtshof zu der umstrittenen Frage Stellung genommen, ob der Grundstücksnachbar auch dann Störer sein kann, wenn die vorgeschriebenen Abstandsgrenzen³⁶⁶ eingehalten sind.³⁶⁷ Einerseits wird dazu vertreten, dass allein die Einhaltung dessen den Abwehranspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB nicht ausschließt.³⁶⁸ Dafür spreche, dass trotz Einhaltung der Grenzabstände Einwirkungen – insbesondere hinsichtlich deren Diversität – auf das Nachbargrundstück nicht ausgeschlossen seien. Der Bundesgerichtshof hat dazu entschieden, dass ein Nachbar, der die landesrechtlichen Grenzabstände einhält, nicht Störer i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB ist.³⁶⁹ Ein Anspruch aus unmittelbarer oder analoger Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB stehe ihm deswegen nicht zu. Der Bundesgerichtshof begründet dies damit, dass die Einhaltung der Grenzabstände der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Grundstücks entspräche. Dies folge aus einer Gesamtbetrachtung aller gesetzlichen Regelungen des Nachbarrechts,³⁷⁰ welche durch einen Ausgleich der gegenseitigen Interessen der Nachbarn gekennzeichnet und daher nicht nur in den §§ 906 ff. BGB, sondern auch in den jeweiligen Landesgesetzen (Art. 1 Abs. 2, Art. 124 Satz 1 EGBGB) zu finden seien.³⁷¹ Nur in dem hiernach gegebenen Rahmen könne der Eigentümer

 Albrecht, in: Staudinger EGBGB, Art. 124 Rn. 36; Jacoby/von Hinden/Kropholler, Studienkommentar BGB, § 906 Rn. 7; ähnlich vgl. z. B. Hafermehl, in: Erman BGB (1993), § 1004 Rn. 44; Palandt/ Herrler, BGB, § 1004 Rdnr. 19; Ring, in: NK-BGB, § 906 Rn. 246; Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 170; Saller, in: Grziwotz/Saller, Bayerisches Nachbarrecht, S. 80; Thole, in: Staudinger BGB, § 1004 Rn 128.  Im konkreten Fall § 16 Abs. 1 Nr. 4 a iVm Abs. 2 Satz 1 BWNRG aF.  BGHZ 223, 155 = NJW 2020, 607 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke, die mit Wohnhäusern bebaut sind. Auf dem Grundstück des A stehen in einem Abstand von mindestens zwei Metern zu der Grenze drei ca. 18 m hohe, gesunde Birken. Wegen der von den Birken auf sein Grundstück ausgehenden Immissionen hat N mit dem Hauptantrag die Entfernung sämtlicher, hilfsweise der seinem Grundstück am nächsten stehenden Birken verlangt. Hilfsweise zudem eine monatliche Zahlung i.H.v. 230,– € zwischen Juni und November.  Albrecht, in: Staudinger EGBGB, Art. 124 Rn. 36; Endres, Eigentumsfreiheitsklage contra Naturschutz, S. 50; Horst, NZM 2018, 217 (218); Ring, in: NK-BGB, § 906 Rn. 246; Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 170; Thole, in: Staudinger BGB, § 1004 Rn. 129; Schäfer, Nachbarrechtsgesetz NordrheinWestfalen,Vorbemerkungen §§ 40 – 48 Rn. 16; Wenzel, NJW 2005, 241 (242); a.A. Gursky, in: Staudinger BGB (2013), § 1004 Rn. 58, jedenfalls hinsichtlich natürlicher Immissionen, soweit es zu einer Grenzüberschreitung durch Wurzeln oder Äste kommt, sei ein Beseitigungsanspruch nicht ausgeschlossen (Rn. 59).  Nach a.A. wurden die Beeinträchtigungen als unwesentlich eingestuft, vgl. OLG Düsseldorf NZM 2001, 717.  BGHZ 223, 155 = NJW 2020, 607 (608).  BGHZ 223, 155 = NJW 2020, 607 (608); auch in den die allgemeinen nachbarrechtlichen Bestimmungen ändernden und ergänzenden Vorschriften des Bundesrechts (zB § 37 WHG), sind entsprechende Normen zu finden, vgl. BGH NJW-RR 2016, 24 (24).

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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Beeinträchtigungen abwehren.³⁷² Entscheidend sei deshalb, dass Anpflanzungen, die die Grenzabstände einhalten, als eine vom Gesetzgeber zulässige Grundstücksnutzung angesehen werden. Damit wäre es nicht vereinbar, wenn der Grundstückseigentümer wegen der – abgesehen von der als solchen rechtmäßigen Anpflanzung – nur auf natürlichen Vorgängen beruhenden Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks als Störer zu qualifizieren wäre.³⁷³ Der Bundesgerichtshof führt zudem §§ 907, 910 BGB an. Zwar sei § 907 Abs. 2 BGB eine nicht verallgemeinerungsfähige Spezialvorschrift, dennoch gehe aus den Gesetzesmaterialien hervor, dass der Grundstückseigentümer gegenüber Einwirkungen, die von Bäumen ausgehen, über § 910 BGB, Art. 124 EGBGB hinlänglich geschützt seien.³⁷⁴ Dies spreche dafür, dass der Grundstückseigentümer für natürliche Einwirkungen auf das Nachbargrundstück, die von § 910 BGB (Überhang) nicht erfasst werden, regelmäßig nicht verantwortlich sein könne, wenn die Anpflanzungen mit dem Landesnachbarrecht in Einklang stehen und den Abstandsvorschriften genügen.³⁷⁵ Diese Rechtsprechung ist auf Kritik gestoßen. Sinn und Zweck der Bestimmungen über den Grenzabstand von Anpflanzungen sei, eine übermäßige Beschattung des Nachbargrundstücks durch hohe Bäume zu vermeiden.³⁷⁶ Es gehe dabei also ausschließlich um die Abwehr negativer Immissionen und nicht um die Abwehr von Einwirkungen in den räumlichen Bereich des Grundstücks, welche § 906 BGB unterfallen.³⁷⁷ Der Normzweck der Landesgesetze sei demnach ein anderer als der von §§ 1004 Abs. 1, 906 BGB.³⁷⁸ Diesem Argument ist entgegenzuhalten, dass der Zweck allein die vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung nicht beeinflussen kann. Bei der Qualifikation als Störer muss darüber hinaus beachtet werden, ob dem Nachbarn die Beeinträchtigung auch zugerechnet werden kann, also, ob eine Verantwortlichkeit besteht. Insoweit ist das Kriterium der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Bundesgerichtshofs passend, weil es im Hinblick auf Einwirkungen von Bäumen einen trennscharfen Anhaltspunkt bietet, der durch die Grenzabstände gesetzlich vom

 BGHZ 223, 155 = NJW 2020, 607 (608); vgl. auch BGH NJW-RR 2016, 24 (24) mwN.  BGHZ 223, 155 = NJW 2020, 607 (608).  BGHZ 223, 155 = NJW 2020, 607 (608) mit Verweis auf Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs III, 1899, 158 f.  BGHZ 223, 155 = NJW 2020, 607 (608).  Vgl. BGHZ 223, 155 = NJW 2020, 607 (608); so die Vorinstanz unter Hinweis auf Hinz, JR 1997, 137 (138), vgl. LG Kahrlsruhe BeckRS 2018, 48257; auch Roth, JZ 2020, 44 (46).  LG Kahrlsruhe BeckRS 2018, 48257 mwN.; Roth, JZ 2020, 44 (46).  Roth, JZ 2020, 44 (46) zieht einem Vergleich zum Bauordnungsrecht: Wird der Eigentümer eines Grundstücks durch einen rauchenden Kamin seines Nachbarn gestört, kann sich dieser ebenfalls nicht darauf berufen, er habe doch beim Hausbau die bauordnungsrechtlich vorgeschriebenen Abstandsregelungen eingehalten.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

Landesgesetzgeber normiert ist.³⁷⁹ Allein die Tatsache, dass die Einwirkungen vom Grundstück des Nachbarn kommen, reicht daher nicht aus, weil es sich um Natureinwirkungen handelt, die der Eigentümer nicht beeinflussen kann. Unter diesem Gesichtspunkt kann der Grundstückseigentümer, der die Abstandsregelungen einhält, nicht Störer i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB sein. Vielmehr ist die von einem unter Einhaltung der Grenzabstände gepflanzten Baum ausgehende Belästigung der Preis, den jeder Eigentümer dafür zahlen muss, dass sein Grundstück nicht von der Umwelt losgelöst, sondern in die Natur eingebunden und deren Wirken ausgesetzt ist.³⁸⁰ Denn soweit der Gesetzgeber keine Regelungen im Interesse des Nachbarn oder zum Wohle der Allgemeinheit (Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG) getroffen hat, steht auch die natürliche Nutzung des Eigentums nach § 903 BGB im Belieben des Eigentümers.³⁸¹ Damit bleibt festzuhalten, dass der Grundstückseigentümer nicht Störer ist, soweit er die landesrechtlichen Grenzabstände und sonstige Vorgaben des öffentlichen Rechts einhält. (3) Störerhaftung des Vermieters für Mieter Eine weitere problematische Fallgruppe hinsichtlich der Störereigenschaft ist die Haftung des Eigentümers für seinen Mieter.³⁸² Der Bundesgerichtshof hat dazu festgestellt, dass der Eigentümer für Störungshandlungen seines Mieters nach § 1004 BGB nur in zwei Situationen verantwortlich gemacht werden kann. Zum einen, wenn er dem Mieter den Gebrauch seiner Sache mit der Erlaubnis zu den störenden Handlungen überlassen hat oder wenn zum anderen, wenn er es unterlässt, den Mieter von dem nach dem Mietvertrag unerlaubten, fremdes Eigentum beeinträchtigenden Gebrauch der Mietsache abzuhalten.³⁸³ Für die Anwendung des § 278 BGB bestehe insoweit kein Raum.³⁸⁴ Vielmehr geht der Senat davon aus, dass eine Zurechnung über die Konstruktion eines mittelbaren Handlungsstörers nur stattfinden könne, wenn eine Tatsache im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg dieser Art herbeizuführen.³⁸⁵ Dahinter steht der Gedanke, dass derjenige ausgleichspflichtig sein müsse, der die Nutzungsart des Grundstücks bestimmt. Dies sei bei einem       

Vgl. BGHZ 223, 155 = NJW 2020, 607 (608). So OLG Düsseldorf NJW-RR 1990, 144 (145 f.). OLG Düsseldorf NJW-RR 1990, 144 (145 f.). Vgl. dazu Wandt, VersR 2017, 1109 (1113) mwN. BGH NJW 2006, 992 (993). BGH NJW 2006, 992 (993). BGHZ 144, 200 = NJW 2000, 2901 (2902).

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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vermieteten Grundstück grundsätzlich der Mieter.³⁸⁶ Bei einer Überlassung zum störenden Gebrauch bleibt eine vertragliche Bindung des Störers für dessen Qualifikation als Störer unbeachtlich.³⁸⁷ Der Lösung des Bundesgerichtshofs ist zuzustimmen.³⁸⁸ Soweit man – entgegen der hier vertretenen Ansicht – kein Schuldverhältnis zwischen den Nachbarn annimmt, kann § 278 BGB nicht zur Anwendung kommen. Einziger Bezugspunkt für eine Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ist die Qualifikation des Anspruchsgegners als Störer. Zwar ist möglich, dass mehrere Beteiligte für eine Beeinträchtigung verantwortlich sind und diese analog § 840 BGB haften,³⁸⁹ jedoch ist dies im Verhältnis Mieter/Vermieter nicht vorstellbar. Denn die Störerqualifikation folgt aus der Bestimmung der Nutzungsart des Grundstücks, die unabhängig von der Eigentumssituation zu betrachten ist. Soweit sich die explizite Nutzungsart nicht auf den Willen des Vermieters zurückführen lässt, ist dieser auch nicht Störer und folglich auch nicht Anspruchsgegner. Der Anspruch des beeinträchtigten Nachbarn besteht dann nur gegenüber dem verantwortlichen Mieter. (4) Störereigenschaft bei Handlung eines weisungsgebundenen Arbeitnehmers Im sog. Weltkriegsbombenfall³⁹⁰ betreibt B auf einem von E gemieteten Grundstück ein Recyclingunternehmen für Bauschutt. Dieser wird nach Anlieferung zunächst sortiert. Größere Betonteile, die nicht in die bei B vorhandene Schreddermaschine passen, werden vorher mit einem Zangenbagger zerkleinert. 2014 wurde ein großes Betonteil angeliefert, das vom Mitarbeiter M, der den Zangenbagger führte, zerkleinert wurde. Innerhalb dieses Betonteils befand sich eine von außen nicht erkennbare Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg, die seinerzeit nicht detoniert war. Diese Bombe explodierte, als M das Betonteil zerkleinerte. Dadurch entstanden auf dem Grundstück des Nachbarn Schäden.³⁹¹ Die Konstellation wirft die Frage auf, ob B selbst Störer ist. Das OLG Köln hat es zuvor noch für ausreichend erachtet, dass die Beeinträchtigung wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers oder Besitzers zurückzuführen und dies durch wertende Betrachtung zu ermitteln ist. Wegen der Unvorhersehbarkeit des

 BGH NJW 2018, 1542 (1544) mit Verweis auf NJW-RR 2011, 739 (739).  Vgl. BGHZ 144, 200 = NJW 2000, 2901 (2902); kritisch Schimmel/Buhlmann, EWiR 2000, 1107 (1107 f.), die vom „mittelbaren Störer zweiten Grades“ sprechen, auf die sich die Praxis einstellen müsse.  Kritisch zur Bestimmung des Störers in BGH NJW 2018, 1542 und BGHZ 144, 200 = NJW 2000, 2901 äußern sich Klöpfer/Meier, JuS 2018, 1516 (1518 f.).  Vgl. Fritzsche, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 98; BGH NJW-RR 1997, 1374.  BGH NZM 2019, 893.  In etwa so zusammengefasst auch in Schwab, JuS 2020, 272 (272).

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

Geschehens wurde B jedoch keine Verantwortung auferlegt und dieser nicht als Störer qualifiziert.³⁹² Eine Sicherungspflicht hinsichtlich des Explodierens von eventuell im Bauschutt vorhandenen Bomben, lehnte das OLG ab, weil die zur Explosion führenden Umstände von B nicht beherrschbar waren. Vielmehr sei das Geschehen vergleichbar mit einem unabwendbaren Naturereignis, sodass eine Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ausscheide.³⁹³ Der Bundesgerichtshof hingegen bejaht die Qualifikation als unmittelbarer (!) Handlungsstörer. Es mache keinen Unterschied, ob die letztlich entscheidende Handlung vom Inhaber eines Gewerbebetriebs selbst oder von einem weisungsabhängigen Beschäftigten vorgenommen wird. Der Bundesgerichtshof stellt dabei nicht auf eine Verantwortung, sondern auf einen adäquaten Kausalzusammenhang ab; maßgeblich sei dazu wieder ein nicht völlig ungewöhnlicher Verlauf der Dinge.³⁹⁴ Dieser Kausalzusammenhang bestehe, weil dem Arbeitnehmer wegen der Weisungsabhängigkeit kein eigener Entschließungsspielraum mit entsprechendem Verantwortungsbereich zustand. Deshalb seien die Handlungen des Arbeitnehmers rechtlich als solche des Betriebsinhabers zu behandeln. Der Arbeitnehmer selbst könne dann nie unmittelbarer Handlungsstörer sein.³⁹⁵ Diese Konstruktion des Bundesgerichtshofs verdient nur im Ergebnis – der Störereigenschaft des Betriebsinhabers – Beifall. Die Zurechnung der Handlung ohne Benennung einer Zurechnungsnorm wirkt jedoch gekünstelt.³⁹⁶ Naheliegender wäre es gewesen, A die Verantwortung für das Verhalten des M unter Wertungsgesichtspunkten als mittelbarer Handlungsstörer zu übertragen.³⁹⁷ Kritisiert wird zudem, dass es mit Blick auf Kausalitätserwägungen an einer eigenen Verletzungshandlung von B und einer entsprechender Verrichtungsgehilfenhaftung wie § 831 BGB im Feld der negatorischen Ansprüche fehle.³⁹⁸ (5) Störereigenschaft in Unfallsituationen Besonders problematisch ist die Bestimmung der Störereigenschaft in Unfallsituationen, deren Ursache sich nicht aufklären lässt. In BGHZ 142, 66 brach in der Diele

 OLG Köln NJOZ 2016, 681 (683).  OLG Köln NJOZ 2016, 681 (683)  Der BGH verwendet hier wie auch in BGH NJW 2006, 992 (993) die Floskel: „wenn eine Tatsache im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg dieser Art herbeizuführen“, vgl. BGH NZM 2019, 893 (896).  BGH NZM 2019, 893 (896).  Auf § 278 BGB wird nicht weiter eingegangen; kritisch dazu Schwab, JuS 2020, 272 (273).  So argumentiert der BGH auch in BGHZ 144, 200 = WM 2000, 1957 (1959).  Schwab, JuS 2020, 272 (273).

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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des Wohnhauses von A ein Brand aus, dessen Ursache ungeklärt blieb. Naturgewalten sowie eine vorsätzliche oder fahrlässige Brandstiftung Dritter schieden aus. Das Haus brannte bis auf die Grundmauern nieder und führte zu Schäden am Nachbarhaus von B. ³⁹⁹ Der Senat sprach B einen Anspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zu. Hauptproblem war erneut die Störereigenschaft. Diese sei nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil sich A im Rahmen bestimmungsgemäßer Nutzung seines Grundstücks gehalten habe. Denn das allein schließe eine Haftung generell nicht aus.⁴⁰⁰ Vielmehr könne auch bei nicht gefahrgeneigter, bestimmungsgemäßer Nutzung des eigenen Grundstücks eine Haftung nach § 1004 Abs. 1 BGB in Betracht kommen, wenn Beeinträchtigungen des Nachbargrundstücks zu besorgen oder eingetreten sind. Entscheidend sei dazu der Gesichtspunkt der Verantwortung. In BGHZ 142, 66 sei eine solche Verantwortung zu bejahen, weil der Brand nicht Folge eines von niemandem zu beherrschenden Naturereignisses war.⁴⁰¹ Er stellte damit kein allgemeines Risiko dar, das sich ebenso gut im Haus des Nachbarn hätte verwirklichen können. Der Brand beruhe vielmehr auf Umständen, die ausschließlich A selbst beeinflussen konnte. Auf die Tatsache, dass kein Anlass für ein vorbeugendes Tätigwerden bestand, komme es nicht an. Bricht also ein derartiger Brand aus, sei es Sache des Grundstückseigentümers, auch zur Verhinderung einer Ausweitung, für eine Eindämmung und Behebung zu sorgen. Soweit es zum Übergreifen des Brandes kommt, könne der betroffene Nachbar Maßnahmen zur Abwehr, selbst unter Inkaufnahme der Beschädigung des Hauses, von dem der Brand ausgeht, treffen (vgl. § 228 BGB). Deshalb sei A Störer i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB.⁴⁰² Zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf Unfallsituationen wird an späterer Stelle Stellung bezogen.⁴⁰³ e) Unzumutbarkeit der Beeinträchtigung Die Beeinträchtigung muss das zumutbare Maß übersteigen. Das zusätzliche Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit war früher nicht Bestandteil der Recht-

 BGHZ 142, 66 = NJW 1999, 2896.  Der Senat verweist an dieser Stelle auf BGHZ 114, 183 = NJW 1991, 2770; BGHZ 122, 283 = NJW 1993, 1855.  Beim Eindringen von Wasser oder Übergreifen von Baumwurzeln hat der Senat dies aus dem normierten Recht des Nachbarn abgeleitet, die Beeinträchtigung seines Grundstücks abzuwehren (§§ 836, 907 ff. BGB), vgl. BGHZ 142, 66 = NJW 1999, 2896 (2897).  Ähnlich entschied der BGH auch in BGH 106, 142 = NJW 1989, 1032 (1032); zustimmend Wandt, VersR 2017, 1109 (1114) mwN.  Ausführlich unter E., II., 10., b), cc), (3).

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

sprechung des Bundesgerichtshofs.⁴⁰⁴ Erst in neueren Entscheidungen wird darauf abgestellt, dass die Einwirkung über das Maß dessen hinausgeht, was ein Eigentümer nach den Bestimmungen der §§ 905 ff. BGB entschädigungslos hinzunehmen hat.⁴⁰⁵ Letztlich handelt es sich in dogmatischer Hinsicht um die Vornahme einer Interessenabwägung.⁴⁰⁶ Das Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit entspricht in etwa dem Zuweisungsgehalt und den Grenzen des Rechts, in das ohne Rechtfertigung eingegriffen wird: Soweit der Eingriff zumutbar sein mag, wird der ausschließlich zugewiesene Gehalt des jeweiligen Rechts nicht tangiert.⁴⁰⁷ Da es sich im Rahmen der rechtswidrigen Einwirkungen aber regelmäßig um solche handelt, die abwehrbar und deshalb auch nicht zu dulden sind, kann von Zumutbarkeit nicht die Rede sein. Die §§ 905 ff. BGB können deshalb als Indiz herangezogen werden, sodass in Einzelfällen eine Einwirkung als zumutbar einzustufen ist. Jedoch wird dies bei Beeinträchtigungen, die etwa in Form von Grobimmissionen auftreten, nicht der Fall sein. Der Bundesgerichtshof hat keine Zumutbarkeitsgrenze bestimmt, sondern jeweils konstatiert, dass es nicht darauf ankäme, wo die Zumutbarkeitsgrenze unter Abwägung aller Umstände des Falles festzulegen ist, wenn sich feststellen ließe, dass die Grenze jedenfalls überschritten ist.⁴⁰⁸ Für den Feststellungsantrag kommt es im übrigen [SIC!] nicht mehr darauf an, wo die Zumutbarkeitsgrenze unter Abwägung aller Umstände des Falles festzulegen ist, wenn sich, wie hier, feststellen läßt, daß diese Grenze jedenfalls überschritten ist. ⁴⁰⁹

Regelmäßig werden aber keine weiteren Ausführungen zur Zumutbarkeit gemacht. Stattdessen wird diese festgestellt. f ) Subsidiarität Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch dient der Ausfüllung von Lücken in den bestehenden Abwehrrechten und ist deshalb nach Ansicht des Bundesgerichtshofs  Vgl. beispielhaft BGHZ 48, 98 = NJW 1967, 1857.  Vgl. BGH NJW 2011, 3294 (3296); Zum Ganzen Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 73 mwN.; auch Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (421).  Dies zeigt auch BGH NJW 2018, 1010 (1012): „Zwar kommt es nach der Rechtsprechung des Senats bei der gebotenen Abwägung auch darauf an, in welchem Verhältnis der von dem beeinträchtigten Grundstückseigentümer behauptete zusätzliche Reinigungsaufwand zu dem Aufwand steht, den er für die Reinigung seines Grundstücks von Laub und Ähnliches sowieso hat“, zur Frage der Zumutbarkeit von Laubabwurf.  Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (421).  BGHZ 111, 158 = NJW 1990, 1910 (1912).  Vgl. auch BGH NJW 2018, 1542 (1543).

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subsidiärer Natur.⁴¹⁰ Die Subsidiarität besteht insbesondere gegenüber geschlossenen Haftungssystemen⁴¹¹, soweit diese durch kodifizierte Bestimmungen für den konkreten Fall eine abschließende Regelung findet.⁴¹² Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch auch mit deliktischen Ansprüchen konkurrieren.⁴¹³ Dazu hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich in BGHZ 185, 371 Stellung bezogen und die eigenständige Bedeutung des Anspruchs betont: [Es] sind zwei selbstständige, auf unterschiedlichen Rechtsgründen beruhende Ansprüche. Grundlage eines Schadensersatzanspruchs ist stets eine schuldhafte Pflichtverletzung, entweder der Wohnungseigentümer selbst […] oder eines ihnen oder dem Verband nach § 31 BGB oder § 278 BGB zurechenbaren Verschuldens Dritter bei der Umsetzung eines Beschlusses. Rechtsgrund des Ausgleichsanspruchs nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ist dagegen eine Kompensation für einen normalerweise gegebenen Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB […], wenn von einem Grundstück im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Nutzung Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung überschreiten […]. Auch die Rechtsfolgen der Ansprüche sind verschieden. Bei einer Verpflichtung zum Schadensersatz bestimmt sich die Ersatzpflicht nach den §§ 249 ff. BGB, während § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB einen Ausgleich in Geld in Anlehnung an die Grundsätze der Enteignungsentschädigung gewährt […]. ⁴¹⁴

Diese Entwicklung führt zu einer Erweiterung des ursprünglichen Anspruchs, weil die Subsidiaritätseinschränkung dadurch erheblich an Bedeutung verloren hat.⁴¹⁵ Das folgt nicht zuletzt daraus, dass die Subsidiarität gegenüber anderen Haftungsansprüchen meist ohne nähere Konkretisierung der genauen Voraussetzungen  BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164 (165); BGHZ 120, 239 = NJW 1993, 925 (927); BGHZ 178, 90 = NJW 2009, 762 (764) mwN.; übersichtlich zur Subsidiarität auch Bruns, NJW 2020, 3493 (3497); a.A. Fritzsche, in: Bamberger/Roth BGB, § 906 Rn 88 f.; Vieweg, NJW 2993, 2570 (2574); Wenzel, NJW 2005, 241 (243 f.).  Ein solches Haftungssystem hat der Bundesgerichtshof allerdings bislang nur für § 22 Abs. 2 WHG aF, § 74 Abs. 2 VwVfG (BGHZ 142, 277 = NJW 1999, 3633 (3635)); vgl. dazu kritisch im Hinblick auf § 89 Abs. 2 WHG Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 71 sowie teilweise für § 114 Abs. 1 BBergG (BGHZ 148, 39 = NJW 2001, 3049 (3052)) angenommen. Auch die Bestimmungen der §§ 74 Abs. 2 Satz 3, 75 Abs. 2 Satz 4 VwVfG sind abschließende Sonderbestimmungen, vgl. BGHZ 161, 323 = NZM 2005, 226 (227).  Der Anspruch wird nicht durch die Anlagenhaftung gem. § 2 ABs. 1 Satz 1 HaftPflG ausgeschlossen, vgl. BGHZ 155, 99 = NJW 2003, 2377 (2379); zum Ganzen Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 906 Rn. 88 ff.; Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 37.  Ebenso soll keine abschließende Sonderregelung vorliegen, wenn das Deliktsrecht des §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB an landesrechtliche Nachbarvorschriften anknüpft, vgl. BGH NJW 2011, 3294 (3296).  BGHZ 185, 371 = NJW 2010, 2347 (2348).  Vgl. Klöpfer/Meier, JuS 2018, 1516 (1518); ähnlich Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 88.

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

verneint wird.⁴¹⁶ In diesem Zusammenhang wird kritisiert, dass durch die analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB sowohl das Verschuldensprinzip also auch das gefährdungsrechtliche Enumerationsprinzip ausgehebelt werden.⁴¹⁷ g) Aktiv- und Passivlegitimation Anspruchsberechtigt sind sowohl der Eigentümer als auch der Besitzer⁴¹⁸ des beeinträchtigten Grundstücks. Kraft gesetzlicher Anordnung gilt dies auch für den Nießbraucher (§ 1065), den Dienstbarkeitsberechtigten (§§ 1027, 1090 Abs. 2) und den Erbbauberechtigten (§ 11 ErbbauRG).⁴¹⁹ Das für den Benutzer zuvor diskutierte gilt auch im Rahmen des Anspruchs analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB: Dem Arbeitnehmer⁴²⁰ steht kein grundstücksbezogener Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB zu, den er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht geltend machen kann. Sein Abwehranspruch bezieht sich nur unmittelbar auf das ihm gehörige Mobiliar. Insoweit fehlt es am Grundstücksbezug, weil im konkreten Fall die Lackschäden an den Fahrzeugen unmittelbar durch die Immissionen herbeigeführt wurden.⁴²¹ Anspruchsgegner ist der Benutzer des störenden Grundstücks, also derjenige der die Nutzungsart des beeinträchtigenden Grundstücks bestimmt.⁴²² h) Anspruchsinhalt Der Bundesgerichtshof wendet für den Umfang und die Höhe des Ausgleichsanspruchs analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB – wie auch im Rahmen der unmittelbaren Anwendung der Norm – die Grundsätze der Enteignungsentschädigung an.⁴²³  So Majer, NZM 2020, 584 (587).  Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 173; Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 665; Roth, in: Roth/Lemke/Krohn, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch als Problem der Systemgerechtigkeit im Schadensersatzrecht, S. 13 f.; Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (418); ausführlich unter E.  BGHZ 30, 273 = NJW 1959, 1867 (1869); Baur, in: Soergel BGB, § 906 Rn. 151.  Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 180; Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 107; Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 146.  Bezug zum Kupolofenfall BGHZ 92, 143 = NJW 1985, 47.  BGHZ 92, 143 = NJW 1985, 47 (47); vgl. auch Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 146.  BGH NJW 2010, 3158 Rn. (3159); BGH NJW-RR 2011, 739 (739); Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 200.  BGHZ 198, 327 = NJW 2014, 458 (461); Baur, in: Soergel, § 906 Rn. 153; a.A. Brückner, in: MüKo BGB, § 906 Rn. 214, dieser hält eine derartige Beschränkung für nicht geboten, soweit es um rechtswidrige Einwirkungen geht.

II. Die Analogien von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

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Demnach ist nur der unzumutbare Teil der Beeinträchtigung auszugleichen. Jedoch betont der Bundesgerichtshof immer wieder, dass insbesondere in Fällen der Substanzverletzung der Anspruch mit einem Schadensersatzanspruch deckungsgleich sein könne.⁴²⁴ Teil des Anspruchs sollen auch die ersatzfähigen Folgekosten der Einwirkung sein.⁴²⁵ Der Wert des betroffenen Grundstücks bildet jedoch die Obergrenze der Enteignungsentschädigung.⁴²⁶ Insbesondere der Anspruchsinhalt bei rechtswidrigen Einwirkungen wird jedoch zum Teil auch abweichend beurteilt.⁴²⁷ Denn die Entschädigungsgrundsätze eignen sich prinzipiell nur für den Ausgleich von Störungslagen. Liegt hingegen ein Schaden vor, zeige bereits eine Gegenüberstellung der §§ 912 Abs. 2 Satz 1 BGB, 917 Abs. 2 Satz 1 BGB einerseits und §§ 904 Satz 2 BGB, 962 Satz 3 BGB, 867 Satz 2 BGB andererseits, dass auch der Gesetzgeber jene für unpassend empfunden hat. Stattdessen sollen die §§ 249 ff. BGB zur Anwendung kommen.⁴²⁸ Mit dem Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB strebe der Bundesgerichtshof den Ausgleich der widerstreitenden nachbarlichen Interessen an. Dieser lasse sich in Schadensfällen am ehesten mit dem schadensrechtlichen Prinzip der Totalrestitution aus § 249 Abs. 1 BGB verwirklichen, weil der Geschädigte vollumfänglichen Schadensersatz bekäme. Zudem gehe es in Parallele zum Deliktsrecht um die Sanktionierung eines rechtswidrigen Verhaltens.⁴²⁹ Roth führt als Grund für die Anwendung bei der §§ 249 ff. BGB außerdem die Eigenschaft des Anspruchs als Rechtsfortsetzungsanspruch an.⁴³⁰ Im Ergebnis weichen die beiden Ansichten jedoch nicht wesentlich voneinander ab, da auch der Bundesgerichtshof „je nach Art und Weise der Einwirkung“⁴³¹ volle Schadloshaltung gewährt.⁴³² Dennoch vermag die Argumentation des Bundesgerichtshofs nicht vollständig zu überzeugen, wenn davon gesprochen wird, dass der Anspruch auf Schadloshaltung gewährt wird, weil der Unterlassungsanspruch,

 BGHZ 142, 66 = NJW 1999, 2896 (2897); Klöpfer/Meier, NJW 2018, 1516 (1518).  BGH NJW-RR, 1997, 1374 (1375), also etwa die Anwaltskosten, die durch die einwirkungsbedingte rechtliche Auseinandersetzung mit Mietern des Geschädigten entstanden sind.  Klöpfer/Meier, NJW 2018, 1516 (1518).  Baumann, JuS 1989, 433 (436); Bruns, NJW 2020, 3493 (3497 f.); Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 29; Jauernig, JZ 1986, 605 (611 f.); Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 74.  Bruns, NJW 2020, 3493 (3498).  Bruns, NJW 2020, 3493 (3498) hält es für notwendig, dass der Rechtsanwender der haftungsbegründenden Kausalität nachgehen und die ausgleichspflichtigen Beeinträchtigungen in das richtige Sanktionssystem einordnen kann.  Nur teilweise zustimmend Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 193.  BGH NJW 1990, 3195 (3197), BGHZ 28, 225 = NJW 1959, 97 (99); BGHZ 58, 149 = NJW 1972, 724 (727).  BGH NJW 1990, 3195 (3197); BGHZ 142, 66 = NJW 1999, 2896 (2897); Wellenhofer, in: Gedächtnisschrift Wolf, 2011, 323 (328 f.).

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D. Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

der ansonsten nach § 1004 BGB in vollem Umfang bestände, für Sprengungen unter Einhaltung bestimmter Bedingungen versagt wird.⁴³³ Hinsichtlich der geschützten Rechtsgüter kann auf die vorherigen Ausführungen verwiesen werden. Bei bestehendem Grundstücksbezug sind sowohl das Mobiliar des Beeinträchtigten als auch seine Gesundheit geschützt. Schmerzensgeld ist für Gesundheitsschäden jedoch mangels Schadensersatzanspruch und der daraus folgenden Anwendbarkeit des § 253 Abs. 2 BGB ausgeschlossen.

 BGHZ 28, 225 = NJW 1959, 97 (99) wird jeweils auch in neueren Entscheidungen mitzitiert, wenn es um die Gewährung voller Schadloshaltung geht.

E. Begründungsansätze zur analogen Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf faktische Duldungszwänge Im Verlauf der Jahre haben sowohl die Rechtsprechung als auch ein größerer Teil der Literatur versucht, den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch zu begründen. Einigkeit besteht im Großen und Ganzen über die Rechtsfolgen und die grundsätzliche Schutzbedürftigkeit des Nachbarn; auch bei rechtswidrigen Einwirkungen. Allerdings führt schon das Bestehen bzw. die Ausweitung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB als verschuldensunabhängiger Anspruch zu Kontroversen.¹ Gegen die Anwendung der Norm auf faktische Duldungszwänge besteht seit jeher Kritik. Hauptsächlich wird dem Bundesgerichtshof entgegengehalten, dass die analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Haftungssystem des BGB, bestehend aus Verschuldens- und Gefährdungshaftung nicht vereinbar sei. Insbesondere dürfe das Verschuldenserfordernis aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den nachbarrechtlichen Normen nicht unter Rückgriff auf einen im Gesetz nicht geregelten Ausgleichsanspruch umgangen werden.² Zudem besteht der Einwand, dass der Bun-

 Von Bar, Abwehr und Ausgleich von Umweltbelastungen, Karlsruher Forum 1987, 4 (9 f.); Bensching, Nachbarliche Ausgleichsansprüche, S. 226 ff.; Brox, JA 1984, 182 (188); Bruns, ZMR 2016, 344 (347 f., 355); Dötsch, NZM 2004, 177 (179 f.); Goebel, JR 2002, 485 (490); Hager, JZ 1990, 397 (400 f.); Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 176; Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 665 f.; Lüneborg, NJW 2012, 3745 (3748); Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 249 ff., 257; Neuner, JuS 2005, 487 (491); Roth, in Staudinger BGB, § 906 Rn. 69. Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (416 ff.); Schmidt, Der nachbarliche Ausgleichsanspruch, 151 ff., 172.; Wandt, VersR 2017, 1109 (1110); Wellenhofer, in: Gedächtnisschrift Wolf, 2011, 323 (323 ff.); Wieling, LMK 2005, 26; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 755, 781 ff.; Wilhelmi, Risikoschutz durch Privatrecht, 98 ff.; Wilhelmi, Risikoschutz durch Privatrecht, S. 85 ff.  Brox, JA 1984, 182 (188) hat dabei vor allem die Haftung bei Grundstücksvertiefungen vor Augen, die in der Regel aufgrund behördlicher Genehmigung erfolgen. Der Nachbar sei normalerweise kein Fachmann im Tiefbau, sodass er in der Regel keinen Unterlassungsanspruch geltend macht; Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 176; Neuner, JuS 2005, 487 (491) ist der Auffassung, die Analogie kollidiere mit dem gefährdungsrechtlichen Enumerationsprinzip, indem bereits die privatwirtschaftliche Benutzung des Grundeigentums zu einem Gefährdungshaftungstatbestand mutiert; Schmidt, Der nachbarliche Ausgleichsanspruch, S. 172; Wieling, LMK 2005, 26 beanstandet, dass, soweit man das Urteil insoweit „ernst nimmt“, als dass jeder auf Schadenersatz haftet, der eine Gefahrenlage schafft, die sich später verwirklicht, sich unabschätzbare Anwendungsmöglichkeiten ergeben. „Das gesamte Straßenverkehrsrecht etwa könnte abgeschafft und in § 906 Abs.2 Satz 2 BGB angesiedelt werden, ja https://doi.org/10.1515/9783111239545-007

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E. Begründungsansätze

desgerichtshof eine unzulässige Gefährdungshaftung für Grundstückseigentümer eingeführt hätte, der es an einer Gesetzesgrundlage fehle.³ Im Folgenden sollen die unterschiedlichen Begründungsansätze durch Rechtsprechung und Literatur beleuchtet und analysiert werden. Es geht bei den folgenden unterschiedlichen Begründungsansätzen um die Frage, ob und wenn ja, wie sich die Analogie des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB hinsichtlich faktischer Duldungszwänge begründen lässt. Hierbei ist zwischen den unterschiedlichen Fallkonstellationen zu differenzieren. Besonders umstritten ist, ob § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auch in Unfallsituationen analog zur Anwendung kommen soll.

I. Begründungsansatz des Bundesgerichtshofs Zu Zeiten des Reichsgerichts konnte ein faktischer Duldungszwang den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch noch nicht rechtfertigen.⁴ Allein die Tatsache, dass ein negatorischer Unterlassungsanspruch rechtlich hätte geltend gemacht werden können, schloss einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch aus.⁵ Dass die Geltendmachung eines Anspruchs vom eintretenden Schaden „überholt“ wird, sei insoweit ein „Übelstand“, der in allen Verhältnissen möglich ist.⁶ Diese Rechtsprechung bestätigte das Reichsgericht auch in späteren Urteilen. Dort stellte es fest, dass es rechtlich ohne Belang sei, dass der Kläger zu einer Zeit, als sein Einschreiten rechtlich zum Zweck der Verhinderung möglich war, nicht eingeschritten ist.⁷ die ganze Rechtsordnung könnte auf den Kopf gestellt werden; der Anfang ist gemacht.“; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 783 spricht davon, dass „unser gesamtes Haftungsrecht aus den Angeln gehoben wird“; Wilhelmi, Risikoschutz durch Privatrecht, S. 85 ff. spricht von einem „Systembruch innerhalb des geltenden Schadensersatzrechts“, weil dieses im Regelfall von einer deliktischen Haftung ausgeht und eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung nur in gesetzlich festgelegten Ausnahmefällen zulässt, zu denen eine Gesamtanalogie nicht und auch eine Einzelanalogie allenfalls eingeschränkt möglich ist.  Bruns, ZMR 2016, 344 (347 f.); Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 176; Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 45 spricht im Hinblick auf die Argumentation der ablehnenden Stimmen von einem „methodisch unzulässigen und sachlich nicht gerechtfertigten Sonderrechtsregime“; Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (416 ff.); 63, 374 (378 f.); Roth, JZ 2004, 918 (919); Schmidt, Der nachbarliche Ausgleichsanspruch, S. 173; Wellenhofer, in: Gedächtnisschrift Wolf 2011, 323 (323 ff.) befürchtet eine „kaum noch abgrenzbare Wunderwaffe“.  RGZ 63, 374.  RGZ 63, 374 (378 f.).  RGZ 63, 374 (378 f.).  RG JW 1925, 2446 (2447).

I. Begründungsansatz des Bundesgerichtshofs

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Als der Bundesgerichtshof erstmals⁸ auch eine faktische Duldungspflicht unter den Tatbestand der Hinderungsgründe der Analogie des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB subsumierte, geschah dies ohne nähere Begründung⁹ und unter Verweis auf ein Urteil des III. Senats.¹⁰ Inhalt dessen war ein bürgerlich rechtlicher Aufopferungsanspruch.¹¹ Zur Begründung wurde ausgeführt: Zwar haftet der Störer für einen schuldhaften Verstoß gegen § 909 BGB nach § 823 Abs. 2 BGB auf Schadensersatz […]. Es kann aber nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber die Haftung des privaten Störers nur auf die Fälle des Verschuldens hat beschränken wollen (vgl. dazu auch § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB). ¹²

Diese Begründung überzeugen nicht:¹³ Wenn der III. Senat davon spricht, dass der Störer wegen rechtswidriger Beeinträchtigung auch ohne Verschulden haften könne, kann nicht allein auf den Wortlaut von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB verwiesen werden, weil dieser einen Ausgleich für zu duldende Eigentumsbeeinträchtigungen normiert. Diese Eigentumsbeeinträchtigungen sind immer rechtmäßig, sodass ein Verschulden ausgeschlossen ist.¹⁴ Es handelt sich um eine Art Haftung trotz rechtmäßigem Tun.¹⁵ Unbeantwortet lässt die Argumentation des Bundesgerichtshofs zudem, inwieweit das deliktsrechtliche Verschuldenserfordernis sowie die Rechtsfolge des Beseitigungsanspruchs aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB mit einer verschuldensunabhängigen Haftung in Einklang stehen, wenn eine Eigentumsverletzung präventiv nicht zumutbar verhindert werden kann.¹⁶ Insoweit ist Maultzsch ¹⁷ zuzustimmen,

 In BGHZ 85, 375 = NJW 1983, 872.  Der BGH stellte insoweit lediglich fest, dass auch in einem solchen Fall eines nicht durch eine nachbarrechtliche Duldungspflicht (§ 1004 Abs. 2 BGB), sondern durch triftige tatsächliche Gründe ausgeschlossenen Abwehranspruches der Ausgleichsanspruch eingreift.  BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164 (165).  Dem lag der Sachverhalt zugrunde, in dem die beklagte Gemeinde Straßenbauarbeiten ausgeführt hatte und es dabei zu einer Grundstücksvertiefung kam, welche für den Kläger aus tatsächlichen Gründen nicht abwendbar war.  BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164 (165).  So auch Hagen, Karlsruher Forum 1987, 22 (23) und Hagen, in FS Lange 1992, 483 (499), der die Begründung des III. Senats in der Leitentscheidung als „lapidar“ bezeichnet; Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 21.  Vgl. Hagen, Karlsruher Forum 1987, 22 (23); Hagen, in FS Lange 1992, 483 (499); Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 21.  Gerlach, JZ 1990, 978 (981); Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz im System des Umweltrechts, S. 222 mwN.  Vgl. Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 62.  Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 62 f.

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E. Begründungsansätze

der feststellt, dass das Verschuldenserfordernis dadurch sachlich als eine Art Rechtsnachteil für den Geschädigten zu deuten wäre, der erst dann Sperrwirkung gegenüber verschuldensunabhängigen Ersatzansprüchen entfaltet, wenn ihn aufgrund des Unterlassens zumutbarer Abwehrmaßnahmen eine Mitverantwortung für den entstandenen Schaden trifft. Auf den verschuldensabhängigen Deliktsanspruch wäre der Geschädigte nur angewiesen, soweit er keinem faktischen Duldungszwang ausgesetzt war. Dadurch würde der Zweck Verschuldenserfordernis auf den Kopf gestellt, denn im Vordergrund steht die Sicherstellung der Handlungsfreiheit auf Schädigerseite und nicht Verschlechterung der Rechtsposition auf Geschädigtenseite.¹⁸ Ein erneuter Begründungsversuch des V. Senats folgte in BGHZ 90, 255: Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auch dann, wenn die von einem Grundstück auf das benachbarte Grundstück ausgehende Einwirkung zwar rechtswidrig ist und deshalb nicht geduldet zu werden braucht, der betroffene Eigentümer oder Besitzer aber aus besonderen Gründen gehindert ist, diese Einwirkung gem. §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB zu unterbinden, und wenn er dadurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen. Dieser allgemein für das Nachbarrecht entwickelte Grundsatz ist nicht etwa nur auf andere als die von § 906 Abs. 1 BGB erfaßten Einwirkungen beschränkt, wie z. B. auf Grobimmissionen, Vertiefungsschäden oder Behinderungen des Kontakts nach außen; er muß genauso für Einwirkungen im Sinne dieser Vorschrift gelten, wenn der beeinträchtigte Eigentümer eine solche Einwirkung trotz ihrer Rechtswidrigkeit nicht verhindern kann. Denn maßgeblicher Gesichtspunkt ist in diesen Fällen nicht die Art der Einwirkung, sondern der Umstand, daß eine unzumutbare Beeinträchtigung des Eigentums oder Besitzes eintritt. Demgemäß ist auch der III. Zivilsenat des BGH in BGHZ 72, 289 (292) = NJW 1979, 164 und der erkennende Senat in BGHZ 85, 375 (385) = NJW 1983, 872 schon davon ausgegangen, daß auch Immissionseinwirkungen der in § 906 Abs. 1 BGB vorausgesetzten Art einen Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB rechtfertigen, wenn der Eigentümer von der an sich nach § 1004 Abs. 1 BGB […] gegebenen Abwehrmöglichkeit aus besonderen Gründen keinen Gebrauch machen kann und dadurch unzumutbare Nachteile erleidet. ¹⁹

Der Bundesgerichtshof stellte folglich in den Vordergrund, dass es maßgeblich auf den Umstand der unzumutbaren Beeinträchtigung ankomme: Dieser rechtfertige, dass auch rechtswidrige Einwirkungen erfasst werden, soweit diese aus tatsächlichen Gründen nicht verhindert werden können.²⁰ Dies reiche zur Vergleichbarkeit rechtswidriger Schädigungen mit dem in § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB geregelten Sachverhalt aus, während es auf die Art der Einwirkung oder auf ihre Zulässigkeit nicht

 Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 62 f.  BGHZ 90, 255 = NJW 1984, 2207 (2208).  Schirmer, ZVersWiss 1990, 137 (146 f.) erkennt darin einen Erst-Recht-Schluss.

I. Begründungsansatz des Bundesgerichtshofs

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ankäme.²¹ Dabei übersieht der Bundesgerichtshof jedoch, dass neben der unzumutbaren Beeinträchtigung auch weitere Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen müssen.²² Insoweit wird aus der Literatur zutreffend darauf hingewiesen, dass zwingend aus der Vorschrift lediglich folgt, dass ein Geldausgleich für zumutbare Beeinträchtigungen ausgeschlossen ist.²³ An einer Begründung, weshalb § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog gerade auch auf unzumutbare, tatsächlich zu duldende Beeinträchtigungen angewendet werden kann, fehlt es hingegen.²⁴ In einem Urteil aus dem Jahr 1985 ging der Bundesgerichtshof einen Schritt weiter und verweigerte eine Begründung mit dem Hinweis darauf, dass es gar keiner näheren Begründung bedürfe, warum ein Grundstücksnachbar nicht verpflichtet ist, die auf seinem Grundstück auftretenden Folgen eines Wasserrohrbruchs beim Nachbargrundstück entschädigungslos zu tragen.²⁵ Hierbei droht sich der Senat in einen Widerspruch zu verlaufen. Im Rahmen der Störereigenschaft galt zuvor, dass das Eigentum am Grundstück für sich genommen nicht genügt, um Störer zu sein. In BGH WM 1986, 1041 scheint dies zur Nebensache zu werden, indem dem Grundstückseigentümer mittels einer Verantwortungszuweisung Sicherungspflichten auferlegt werden. Die Sicherungspflichten führen dazu, dass die Haftung des Grundstückseigentümers allein dadurch begründet wird, dass diesen als Rechtsinhaber des Grundstücks mit dem Wasserrohrbruch entsprechende Sicherungspflichten treffen. Eine Begründung für die analoge Anwendung der Norm auf faktische Duldungszwänge gab der Senat jedoch nicht. Ein dritter Begründungsversuch des Bundesgerichtshofs in BGHZ 111, 158 konnte ebenfalls nicht überzeugen: Darin stellte der V. Zivilsenat fest, dass das Schutzbedürfnis des Eigentümers demjenigen der Fälle des § 906 BGB entspricht, wenn der Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert ist, die Einwirkungen gem. §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden, etwa weil der Betroffene die abzuwehrende Gefahr nicht rechtzeitig erkannt hat und auch nicht

 Dazu auch Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 71.  So auch Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 22.  Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 21.  So auch Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 21; Gerlach, JZ 1990, 978 (982) erkennt ein „verdecktes Wertungsproblem“ darin, dass das Urteil durch die fehlende Begründung „unbemerkt“ an die Tradition der Rechtsauffassung zum Schadensersatzanspruch bei öffentlich-rechtlicher Duldungspflicht anknüpft, indem es den „entsprechenden Ausgleichsanspruch“ erstmals ausdrücklich als „subsidiär“ gegenüber dem Unterlassungsanspruch deklariert, obwohl dieser Vorbehalt im Ergebnis nicht zum Tragen kommt.  BGH WM 1985, 1041 (1041).

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E. Begründungsansätze

erkennen konnte.²⁶ Im Kern bedient sich der Bundesgerichtshof somit eines ErstRecht-Schlusses: Der rechtswidrig Verletzte darf nicht schlechter stehen als der rechtmäßig Verletzte.²⁷ Diese Argumentation verwendet der Bundesgerichtshof auch bei technischen Unfallschäden.²⁸ Eine Begründung, weshalb der Eigentümer gerade auch bei unabwendbaren unerlaubten Beeinträchtigungen schutzwürdig ist, weshalb folglich eine vergleichbare Interessenlage vorliegt, liefert der Bundesgerichtshof jedoch auch hier nicht.²⁹ Letztlich ist festzuhalten, dass der Bundesgerichtshof bis zum heutigen Tag keine tiefgreifende Begründung geliefert hat, die eine Analogie von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf faktische Duldungszwänge rechtfertigt. In aktuelleren Entscheidungen setzt der Bundesgerichtshof seine bisherige Rechtsprechung ohne weitere Begründung voraus und subsumiert unter diese Voraussetzungen.³⁰ Es handelt sich deswegen um eine Weiterentwicklung der Rechtsfortbildung, die das Reichsgericht begonnen und die ihren zwischenzeitlichen Höhepunkt in der Normierung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB gefunden hat. Im Hinblick auf faktische Duldungszwänge geht es dem Bundesgerichtshof offensichtlich um das Schließen von Rechtslücken, die zum einen zu unbilligen Ergebnissen führen und gleichzeitig einer Überdehnung von deliktsrechtlichen Sorgfaltspflichten entgegenwirken sollen.³¹ Eine dogmatisch überzeugende Begründung fehlt jedoch bis heute.

II. Begründungsansätze aus der Literatur In der Literatur gibt es eine Vielzahl an Begründungsansätzen für die Analogie zu § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Unter den Befürwortern eines durch faktische Duldungszwänge begründeten Ausgleichsanspruch besteht überwiegend Einigkeit über die analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB.³² Differenzen bestehen besonders im Hinblick auf die Lösung von Unfallsituationen.

 BGHZ 111, 158 = NJW 1990, 1910 (1910); der BGH begründet damit auch die Tatbestandsvoraussetzung der Subsidiarität.  Vgl. Roth, in: Roth/Lemke/Krohn, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch als Problem der Systemgerechtigkeit im Schadensersatzrecht, S. 41; Wenzel, NJW 2005, 241 (246).  BGH NJW 2011, 3294 (3295); Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 69; Kritik am Erst-Recht-Schluss unter E., II., 1.  Konstatiert so auch Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 21.  Vgl. BGH NJW 2009, 3787 (3788).  Vgl. dazu BGH NJW 1979, 2515.  Gerlach, JZ 1988, 161 (173 f.) nennt die Anwendung „völlig norm- und systemgerecht“; Larenz/ Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 664 f. mwN; Befürworter sind auch Roth, in: Staudinger

II. Begründungsansätze aus der Literatur

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1. Erst-Recht-Schluss Ein Teil der Literatur begründet die analoge Anwendung ähnlich wie der Bundesgerichtshof mit einem Erst-Recht-Schluss: § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB verpflichte den rechtmäßig Einwirkenden zum Ausgleich. Dies müsse erst recht für den Störer gelten, der das fremde Eigentum rechtswidrig in Anspruch nehme und deswegen noch weniger schutzwürdig sei.³³ Der Gedanke des Erst-Recht-Schlusses könne auch die analoge Anwendung der Norm auf Unfallsituationen erklären. Der Gedanke dieses scheinbar aufgedeckten Wertungswiderspruchs überzeugt jedenfalls im Hinblick auf die Unfallsituationen nur auf den ersten Blick. Denn allein dieser Erst-Recht-Schluss kann die Vereinbarkeit des verschuldensunabhängigen Ausgleichs mit der Systematik der §§ 1004, 906 BGB nicht begründen. Das alleinige Abstellen auf die unzumutbare Beeinträchtigung kann auch deshalb nicht ausreichen, weil der schuldlos handelnde Benutzer dadurch dem Deliktstäter gleichgestellt würde, was dem Verschuldenserfordernis für Eigentumsverletzungen der § 823 ff. BGB zuwiderlaufen würde.³⁴ Der Erst-Recht-Schluss entspringt allein aus einer Wertung, welche die Überwindung des normierten Verschuldenskriteriums nicht rechtfertigen kann.³⁵ Besonders treffend ist dabei die Kritik von Maultzsch: Ob das für einen solchen Erst-Recht-Schluss erforderliche Stufenverhältnis gegeben ist, stellt aber keine Frage der formalen Logik dar, sondern des normativen Sinns, den das Tatbestandsmerkmal, von dem der Größenschluss aus erfolgen soll (hier: die Duldungspflicht der Einwirkung), als Voraussetzung der fraglichen Rechtsfolge (hier: eines verschuldensunabhängigen Ersatzanspruchs) hat. ³⁶

BGB, § 906 Rn. 69, dieser sieht allerdings die Anwendung des Anspruchs auf Unfallsituationen kritisch (vgl. Roth, LMK 355577), Zustimmung auch in Roth, JuS 2001, 1161 (1164); Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 21.  Baumann, JuS 1989, 433 (435); Bruns, NJW 2020, 3493 (3493); Gerlach, JZ 1990, 978 (981), der jedoch nur hilfsweise mit einem Erst-Recht-Schluss argumentiert; Pfeiffer, Die Bedeutung des privatrechtlichen Immissionsschutzes, S. 28; Schirmer, ZVersWiss 1990, 137 (146 f.) erkennt diesen Erst-RechtSchluss direkt in der Rechtsprechung des BGH aus BGHZ 90, 255 und scheint dieser Argumentation zuzustimmen; Schirmer, ZVersWiss 1990, 137 (146) spricht von einer Fortsetzung der Ausbildung des enteignungs- und aufopferungsgleichen Eingriffs im öffentlichen Recht für das Privatrecht; Stoll, Haftungsfolgen im Bürgerlichen Recht, S. 30.  So auch Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 84 f.  Nach Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 85 wäre hingegen eine Feststellung erforderlich, die es begründet, dass der Gesetzgeber sein Ziel, die Verbesserung des Rechtsschutzes des vorbeugenden Unterlassungsansprüche nach §§ 907, 909 BGB, bei der Neuregelung der Norm verfehlt hat.  Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 255.

140

E. Begründungsansätze

Im Endeffekt handelt es sich bei dem Erst-Recht-Schluss also um einen Zirkelschluss, denn die im Raum stehende Frage, ob die Analogie mit den §§ 823 ff. BGB vereinbar ist, lässt sich nur normativ und nicht mithilfe des „schematischen Verweises auf das Begriffspaar rechtmäßige Beeinträchtigung/rechtswidrige Beeinträchtigung“ begründen.³⁷ Eine darüber hinausgehende Begründung wird indes nicht geliefert. Auch der gezogene Vergleich zu den öffentlich-rechtlichen-Ansprüchen vermag nicht zu überzeugen: Durch das privatrechtliche Haftungssystem der rechtswidrigen Beeinträchtigungen kann nicht einfach von rechtmäßig auf rechtswidrig geschlossen werden. Wo der Staat Erst-Recht für Rechtswidrigkeit haftet, hängt die Haftung des Privaten von zusätzlichen Faktoren, wie dem Verschulden, ab. Letztlich kann gegen die Idee des Erst-Recht-Schlusses angeführt werden, dass sich die Duldungspflichten und die korrespondierende Ausgleichspflicht jeweils auf die zukunftsbezogenen Abwehransprüche aus § 1004 Abs. 1 BGB beziehen. Daher stehen auch dem rechtmäßig Betroffenen nur deliktische Ansprüche zu, soweit er seinen Ausgleichsanspruch nicht geltend gemacht hat.³⁸

2. Gedanke der potenziellen Rechtsschutzverkürzung (Canaris) Auch auf einem Erst-Recht-Schluss beruht dem Grunde nach der Ansatz des Gedankens der potentiellen Rechtsschutzverkürzung von Canaris. ³⁹ Die Analogie diene ebenso wie die unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB dem Ausgleich gleichrangiger Nachbarinteressen als Ausdruck der Situationsgebundenheit der Grundstücke.⁴⁰ Sie beruhe auf dem Gedanken, dass im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis der betroffene Eigentümer oder Nutzer bei einer nicht abwehrbaren, vom Nachbargrundstück ausgehenden rechtswidrigen Einwirkung auf sein Grundstück nicht schlechter stehen dürfe als bei einer rechtmäßigen Einwirkung.⁴¹ Mit anderen Worten besteht – verglichen mit einem nach § 906 Abs. 2

 So ähnlich auch Denecke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 168; Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 255.  Vgl. Wilhelmi, Risikoschutz durch Privatrecht, S. 99.  Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 664 f.  Klimke, BeckOGK BGB, § 906 Rn. 369.  Baumann, JuS 1989, 433 (435), der im Hinblick auf die Voraussetzungen auf den öffentlichrechtlichen Anspruch aus enteignendem Eingriff verweist; Gerlach, JZ 1988, 161 (173 f.); nach Larenz/ Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 664 f. entstammt dieser Gedanke aus der Lehre des enteignungsgleichen Eingriffs; zum Ganzen auch Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 46 f. Roth, in: Staudinger (2002), § 906 Rn. 69 ff.; Stoll, Haftungsfolgen im Bürgerlichen Recht, S. 30.

II. Begründungsansätze aus der Literatur

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Satz 1 BGB Duldungspflichtigen – für den rechtswidrig Betroffenen eine noch höhere Schutzwürdigkeit.⁴² Canaris stellt dabei auf den Gedanken der potentiellen Rechtsschutzverkürzung ab: Bereits die Möglichkeit des Bestehens einer Aufopferungslage wegen einer möglicherweise bestehenden Duldungspflicht verkürze – jedenfalls potenziell – den Rechtsschutz des Verletzten.⁴³ Im Vordergrund stehe daher, dass bereits die Möglichkeit einer Duldungspflicht zulasten des Eigentümers diesen davon abhalten könnte, seine negatorischen Ansprüche geltend zu machen, weil er irrig glaubt, ihm stehe im konkreten Fall ein derartiger Anspruch nicht zu.⁴⁴ Eine erhöhte Unsicherheit bestehe auch und insbesondere durch die Vielzahl an unbestimmten Rechtsbegriffen innerhalb von § 906 BGB.⁴⁵ Zusätzlich bestehe die Gefahr, dass der Beeinträchtigte seinen Deliktsanspruch verliert, wenn derjenige, auf den die Einwirkungen zurückzuführen sind bspw. wegen eines unverschuldeten Irrtums von einer Duldungspflicht ausgehen durfte (etwa wegen einer behördlichen Auskunft o. ä.).⁴⁶ Insoweit erkennt Canaris einen Wertungswiderspruch darin, dass dem Beeinträchtigten ein Anspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB versagt würde, weil sich nachträglich herausstellt, dass die schädliche Einwirkung durch wirtschaftlich zumutbare Schutzmaßnahmen hätte verhindert werden können und eine Duldungspflicht deswegen nie bestanden hat. In den Fällen, in denen sich die Gefahr realisiere, ohne das oder bevor hinreichender Anlass zum Einschreiten bestand, soll das Fehlen der Duldungspflicht durch die faktische Unmöglichkeit von Abwehrmaßnahmen kompensiert werden, sodass sich die Unsicherheit über die Duldungspflicht zulasten des Schädigers und nicht des Betroffenen auswirkt.⁴⁷ Mithin gehe es um eine angemessene Verteilung der Risikoverantwortung: Das Schadensrisiko solle der Störer tragen, weil dieser eher abschätzen könne, ob sein Verhalten abwehrbar oder zu dulden ist. Dadurch könne auch folgende Situation mithilfe einer analogen Anwendung des § 906 Abs. 2

 Der Argumentation von Canaris geht auch von dem Argument des BGH aus, dass die faktische Unmöglichkeit von Abwehrmaßnahmen das Fehlen einer Duldungspflicht als Anspruchsvoraussetzung wegen der vergleichbaren Opfersituation des Betroffenen ausgleiche. Dieser Ausgangspunkt wird jedoch nicht weiter vertieft, sondern auf den Gedanken der potentiellen Rechtsschutzverkürzung abgestellt; vgl. Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 73.  Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 665.  Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 665.  Vgl. den Wortlaut von § 906: „[un‐]wesentlich“, „ortsüblich“, „wirtschaftlich zumutbar“.  Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 665.  Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 665; auch Roth, in: Roth/Lemke/Krohn, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch als Problem der Systemgerechtigkeit im Schadensersatzrecht, S. 17 stimmt dem zu, da der Verursacher „näher dran“ sei.

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E. Begründungsansätze

Satz 2 BGB sachgerecht aufgelöst werden: Soweit ein Emittent unverschuldet nicht erkannt hat, dass die Beeinträchtigung mit wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen abwendbar war, bestehe mangels Duldungspflicht weder ein Ausgleichsanspruch gem. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB noch ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB.⁴⁸ Unfallsituationen sollen hingegen ausdrücklich nicht in den Anwendungsbereich der Analogie fallen, da dies zu einem Systembruch im Hinblick auf eine Gefährdungshaftung contra legem führen könnte.⁴⁹ Eine analoge Anwendung sei deswegen nur geboten, soweit sich der Anspruch auf die Folgen unzulässiger Handlungen bezieht, also nur, wenn der faktische Duldungszwang auf einer handlungsbezogenen Nutzung des Störergrundstücks beruht.⁵⁰ Eine Haftung für die Folgen gefährlicher Zustände soll hingegen nicht bestehen, da die Gefährdungshaftung typischerweise eine Zustands- und keine Handlungshaftung sei.⁵¹ Dafür wird auch angeführt, dass in den Unfallsituationen von vornherein kein Abwehranspruch bestehe, sodass es auch keine potentiell den Rechtsschutz verkürzende Duldungspflicht gebe.⁵² Gegen den Gedanken der potenziellen Rechtsschutzverkürzung wird folgender Fall angeführt: Ein Grundstückseigentümer kann wegen der Kürze der Zeit erkennbar unzulässige Immissionen nicht unterbinden und erleidet dadurch Schäden. ⁵³

Nach der oben angeführten Argumentation wäre ein Ausgleichsanspruch hier zu verneinen. Sobald der Geschädigte erkennt, dass er die Immission nicht zu dulden braucht, kann er sich nachträglich nicht darauf berufen, dass ihn die Möglichkeit einer Duldungspflicht, mit der bei Immissionen immer zu rechnen sei, von der Erhebung einer vorbeugenden Unterlassungsklage abgehalten habe.⁵⁴ Dies wäre wertungswidersprüchlich, denn der Geschädigte, den Zeitnot an der Erhebung der

 Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 665; vgl. auch Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 74.  Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 665 f.; vgl. auch Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 46, 74.  Vor allem bei unzulässigen Immissionen oder schädigenden vertiefungen, vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 665 f.; Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 46.  Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 665 f.; vgl. auch Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 46.  Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 665 f.; vgl. auch Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 47.  Vgl. Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 85 f.  So Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 85.

II. Begründungsansätze aus der Literatur

143

Abwehrklage hindert, kann nicht schlechter zu behandeln sein als derjenige, der irrtümlich eine Beeinträchtigung für zulässig hält.⁵⁵ Letztlich spricht aber noch etwas anderes gegen den Gedanken der potenziellen Rechtsschutzverkürzung. Wie Maultzsch zutreffend feststellt, werden nicht alle Fallgruppen erfasst, auf die die Argumentation abzielt: Denn die Rechtsstellung des Betroffenen ist nur dann potenziell wegen einer möglicherweise bestehenden Duldungspflicht verkürzt, soweit eine Duldungspflicht überhaupt denkbar ist. Bei Beeinträchtigungen, die stets unzulässig sind, kann der Betroffene keiner Unsicherheit unterliegen.⁵⁶ Dazu lassen sich Ausgleichsansprüche wegen Vertiefung⁵⁷ oder der Zuführung von wägbaren Stoffen (Grobimmissionen) anführen. Hier besteht von Grund auf nicht die Möglichkeit einer Duldungspflicht nach § 906 Abs. 1 BGB oder § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB, sodass entsprechende Schäden mit dem Gedanken der potenziellen Rechtsschutzverkürzung nicht verschuldensunabhängig ausgeglichen können.⁵⁸ Insoweit kann nur auf die Argumentation zurückgegriffen werden, dass eine faktisch nicht abwehrbare Schädigung einer duldungspflichtigen Einwirkung unter Ausgleichsgesichtspunkten gleichstehen muss.⁵⁹ Die Gegenargumente überzeugen. Vor allem die Gegenüberstellung desjenigen, den Zeitnot an der Erhebung der Abwehrklage hindert gegenüber demjenigen, der irrtümlich von einer Duldungspflicht ausgeht, deckt den Wertungswiderspruch innerhalb des Gedankens der potenziellen Rechtsschutzverkürzung auf. Zudem greift das Argument der potenziellen Rechtsschutzverkürzung nicht, soweit es um Grobimmissionen geht, weil diese grundsätzlich rechtswidrig und nur in wenigen Ausnahmefällen zu dulden sind. Trotz der Nachvollziehbarkeit der Argumente kann allein damit nicht die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf faktische Duldungszwänge begründet werden.

 Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 85 begründet diesen Wertungswiderspruch mit Rechtsgedanken aus dem römischen Recht.  Vgl. Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 75.  Dazu ausführlich Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 75 f.  Vgl. Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 85.  Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 665; Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 76.

144

E. Begründungsansätze

3. Begründung mittels teleologisch-systematischer Auslegung⁶⁰ des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB Gerlach begründet die Ausdehnung auf tatsächlich unabwendbare Beeinträchtigungen nicht mit einer Analogie. Stattdessen soll zur Begründung der Anwendung der Norm auf unzulässige Immissionen eine systematische Gesetzesinterpretation genügen.⁶¹ Im Fall wesentlicher Immissionen bestehe grundsätzlich ein Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, der den Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB ergänze und unter den Voraussetzungen des § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB ersetze.⁶² Einzige Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs sei eine unzumutbare Eigentumsbeeinträchtigung. Eine Duldungspflicht in Form eines rechtlichen Ausschlusses des Abwehranspruchs sei hingegen nicht erforderlich.⁶³ Dabei geht es insbesondere um die Subsidiarität des Ausgleichsanspruchs gegenüber einem Abwehranspruch, welche Gerlach verneint.⁶⁴ Zur Begründung werden zwei Argumente angeführt: Zunächst gehe aus den Beratungen des deutschen Bundestages zu § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB hervor,⁶⁵ dass über die Voraussetzung einer rechtlichen Duldungspflicht keine Diskussion stattgefunden hat, sodass dies auch kein Tatbestandsmerkmal des Ausgleichsanspruchs sein könne.⁶⁶ Infolgedessen sei anzunehmen, dass der Ausgleichsanspruch gegenüber dem Abwehranspruch nicht subsidiär sei.⁶⁷ Schon dieser Begründungsansatz vermag nicht zu überzeugen. Der Wortlaut des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ist eindeutig, wenn er von Einwirkung spricht, die

 Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 86 spricht von einer systematischen Auslegung. Allerdings geht es Gerlach um eine unmittelbar im Gesetzeszweck selbst begründete Anwendung der Norm. Ein systematisches Argument folgt sodann im Hinblick auf § 14 Satz 2 BImSchG und § 26 GewO a.F.  Gerlach, Privatrecht und Umweltschuld im System des Umweltrechts, S. 228 spricht von einer nicht nur entsprechenden, sondern unmittelbar im Gesetzeszweck selbst begründete Rechtsanwendung“; Gerlach, JZ 1990, 980 (981).  Grundsätzlich befürwortend Hagen, in FS Lange 1992, 483 (501 f.).  Gerlach, Privatrecht und Umweltschuld im System des Umweltrechts, S. 228; Gerlach, JZ 1990, 980 (981); vgl. auch Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 86.  Gerlach, Privatrecht und Umweltschuld im System des Umweltrechts, S. 225 ff.; Gerlach, JZ 1990, 980 (981); vgl. auch zusammenfassend Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 44, der in Gerlachs Argumentation jedoch auch einen Erst-Recht-Schluss erkennen will.  Gerlach, Privatrecht und Umweltschuld im System des Umweltrechts, S. 228 verweist auf die stenographischen Berichte der Verhandlungen des deutschen Bundestags, 3. Wahlperiode, S. 4855 ff.  Gerlach, JZ 1990, 980 (981).  Gerlach, Privatrecht und Umweltschuld im System des Umweltrechts, S. 228.; Gerlach, JZ 1990, 980 (981).

II. Begründungsansätze aus der Literatur

145

„hiernach“ zu dulden ist. Dabei bezieht er sich damit unzweifelhaft auf die normierte Duldungspflicht aus§ 906 Abs. 2 Satz 1 BGB.⁶⁸ Einer Erläuterung des Gesetzgebers im Gesetzgebungsverfahren hat es daher nicht bedurft.⁶⁹ Aus dem Wortlaut der Norm ist zwingend zu schließen, dass ein Abwehranspruch gerade aufgrund der Duldungspflicht aus § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB ausgeschlossen sein muss, damit ein Ausgleichsanspruch in Betracht kommt. Das Subsidiaritätsprinzip entspringt der Norm also unmittelbar. Weiterhin wird mit einem „größeren Erklärungszusammenhang“ aus § 14 BImSchG und § 26 GewO a.F. argumentiert: Der Ersatzanspruch nach Satz 2 bestehe bei allen Beeinträchtigungen, also sowohl bei regelmäßigen als auch bei regelwidrigen Einwirkungen sowie Unfallsituationen, die für den Emittenten nicht konkret vorherzusehen und zumutbar zu verhindern und deshalb so für den Betroffenen „tatsächlich unabwendbar“ waren.⁷⁰ § 14 BImSchG und § 26 GewO a.F. seien daher normierte Gefährdungshaftungstatbestände für wesentliche Immissionen genehmigter Anlagen, denen immer auch eine latente Grundgefahr anhafte, deren tatsächliche Unabwendbarkeit gleichermaßen zugemutet wird.⁷¹ Der Anspruch auf Vorkehrungen sei deshalb entgegen des bisherigen Verständnisses der Norm⁷² neben dem Anspruch auf Schadensersatz möglich.⁷³ Wegen des gleichen Entschädigungszwecks seien diese Wertungen auch auf § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB übertragbar.⁷⁴ Ein direkter Vergleich der beiden Vorschriften und eine dementsprechende Auslegung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ist jedoch untauglich. Unabhängig von der Frage, ob § 14 Satz 2 BImSchG ein normierter Gefährdungstatbestand ist, hat § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB jegliche Art von Immissionen im nachbarlichen Raum vor Augen, während § 14 BImSchG ausschließlich für besonders schädliche Anlagen i.S.d. BImSchG gilt. Vor allem sieht § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB als Haftungsgrund nicht die besondere Gefährlichkeit verschiedener Immissionen, sondern die grundsätzliche

 So auch Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 86 f.; vgl. zur Lesart auch Fritzsche, in BeckOK BGB, § 906 Rn. 81 mwN.  Vgl. zum Verständnis des BGH im Hinblick auf den Wortlaut von § 906 Abs. Satz 2 BGB auch BGHZ 90, 255 (262) = NJW 1984, 2207.  Gerlach, JZ 1988, 161 (173) stellt auf den Wortlaut ab, der durch die Formulierung, dass „lediglich Schadensersatz verlangt werden kann […], soweit“ solche Maßnahmen nicht in Betracht kommen, ein Nebeneinander von Ersatz- und Schadensersatzanspruch zulässt.  Gerlach, Privatrecht und Umweltschuld im System des Umweltrechts, S. 229.  Vgl. Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 87 mwN.  Gerlach, Privatrecht und Umweltschuld im System des Umweltrechts, S. 228.  Gerlach, JZ 1988, 161 (173); vgl. zum Ganzen auch Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 87.

146

E. Begründungsansätze

Beeinträchtigung des Grundstücks.⁷⁵ Im Gegensatz zu § 14 BImSchG gewährt § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB folglich keinen Ausgleich für alle Einwirkungen, denen sich der Grundstückseigentümer nicht entziehen kann. Die Vorschrift kommt vielmehr dann zur Geltung, wenn es zu Beeinträchtigungen kommt, die ihm von seinem Nachbarn notwendig durch dessen Nutzung zugefügt worden sind.⁷⁶ An einen gefährlichen Zustand o. ä. knüpft die Norm hingegen nicht an, sodass § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB keine normierte Gefährdungshaftung darstellt. Unabhängig von der Richtigkeit jenes Gedankens zu § 14 Satz 2 BImSchG verbietet sich jedenfalls dessen Übertragung auf § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB.⁷⁷

4. Die Lehre vom allgemeinen bürgerlichen Aufopferungsanspruch (Hubmann) Hubmann nimmt die Existenz eines allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruchs an, welcher auch die analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf faktische Duldungszwänge begründen könne.⁷⁸ Danach gebe es neben dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen auch einen allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch als Äquivalent des Privatrechts in Form eines universellen und generalklauselartigen Abwägungsgrundsatzes.⁷⁹ Zur Begründung des Ausgleichsanspruchs in direkter Anwendung wird nicht die Versagung eines Abwehranspruchs, sondern der Gedanke der Vorteilsausgleichung angeführt.⁸⁰ Es wird davon ausgegangen, dass dem Gesetz der allgemeine Grundsatz zu entnehmen ist,

 So auch Hager, JZ 1990, 397 (400); Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 87 mwN. betont, dass es für § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht darauf ankäme, ob die Immission von einem Industriebetrieb oder landwirtschaftlichen Nutzung ausgeht.  So auch Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 178.  Davon ist die Frage zu unterscheiden, ob eine Gefährdungshaftung durch die analoge Anwendung der Norm entsteht.  Hubmann, JZ 1958, 489 (491); Hubmann, AcP 155 (1955), 85 (129 f.); Hubmann, JZ 1968, 64 (66); zustimmend Pleyer, JZ 1959, 305 (307); ausführlich dazu auch Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 97 ff., der die Auffassung von Hubmann methodisch als „induktive Rechtsbzw. Gesamtanalogie“ einstuft (S. 101 mwN.). Dabei äußert er sich kritisch gegenüber Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 81 ff. mwN, der rechtsmethodisch von einer Induktion spricht.  Diese Idee wurde in mehrfacher Hinsicht in der Literatur modifiziert, u. a. durch Horst, Querverbindungen zwischen Aufopferungsanspruch und Gefährdungshaftung einerseits und Aufopferungsanspruch und Eingriffserwerb andererseits, S. 59 ff.; vgl. Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 103 ff. Hemsen, Der allgemeine bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 152.; Spyridakis, in FG Sontis 1977, 241 (241 ff.).  Hubmann, JZ 1958, 489 (491); Hubmann, AcP 155 (1955), 85 (129 f.); Hubmann, JZ 1968, 64 (66).

II. Begründungsansätze aus der Literatur

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dass Eingriffe in fremde Rechte zugunsten eines übergeordneten Interesses nur gegen Entschädigung erfolgen dürften, soweit ein solcher Ausgleich nicht durch gesetzliche Regelungen ausgeschlossen ist.⁸¹ Fällt die Interessenabwägung zugunsten des einen Interesses aus, ist der Eingriff in das andere Interesse rechtmäßig.⁸² Dieser Grundsatz soll die Grundlage für die analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB darstellen. Hubmann entnimmt ihn verschiedenen gesetzlichen Regelungen, die Rechtsfolgen für Interessens- und Rechtskollisionen anordnen: §§ 867, 904, 917, 961 BGB, § 14 BIschG, § 25 LuftVG.⁸³ Sie seien zwar Ausfluss eines allgemeinen Rechtsprinzips, könnten aber unmöglich alle denkbaren Fälle privater Interessenkollisionen regeln, sodass ein allgemeiner Grundsatz der Interessenabwägung existieren müsse.⁸⁴ Dadurch, dass der Entschädigungsanspruch nicht an die Stelle des Abwehranspruchs trete, sei auch der Ausgleich faktischer Duldungszwänge erklärbar. Denn wenn nicht die Versagung des Abwehranspruchs, sondern die Verfolgung eigener Interessen (und damit der Gedanke der Vorteilsausgleichung) im Vordergrund stehe, könne einem Anderen eine unzumutbare Beeinträchtigung als Sonderopfer auferlegt werden.⁸⁵ Dies ermögliche auch eine Ausdehnung des Anspruchs auf rechtswidrige und schuldhafte Beeinträchtigungen, welche ebenfalls zur Herbeiführung eines Sonderopfers geeignet sind,⁸⁶ denn der Betroffene befinde sich in derselben Opferlage und der Einwirkende sei weniger schutzwürdig als bei einem

 Hubmann, JZ 1958, 489 (491); Hubmann, AcP 155 (1955), 85 (129 f.); Hubmann, JZ 1968, 64 (66); vgl. auch Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 165; zum Ganzen auch Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 60 ff.; auch Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 79 ff.  Hubmann, JZ 1958, 489 (491); Hubmann, AcP 155 (1955), 85 (129 f.); Hubmann, JZ 1968, 64 (66); vgl. auch Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 97 ff. und Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 79 f.  § 14 BISchG als Nachfolger von § 26 GewO aF. und § 25 LuftVG als Nachfolger von § 12 LuftVG.  Hubmann, JZ 1958, 489 (491 f.); Hubmann, AcP 155 (1955), 85 (129 f.); Hubmann, JZ 1968, 64 (66); Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 80 f.  Hubmann, JZ 1958, 489, 491 argumentiert dabei auch damit, dass Geschädigte bei bestehenden Unterlassungsanspruch, der nicht geltend gemacht werden kann, nicht schlechter stehen darf als bei Entziehung des Abwehranspruchs durch ein Sondergesetz; Hubmann, AcP 155 (1955), 85 (129 f.); Hubmann, JZ 1968, 64 (66); vlg. auch Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 165.  Hubmann, JZ 1958, 489 (493); dazu auch Roth, in: Roth/Lemke/Krohn, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch als Problem der Systemgerechtigkeit im Schadensersatzrecht, S. 5 f.

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E. Begründungsansätze

bestehenden Eingriffsrecht.⁸⁷ Umgekehrt müsse derjenige, der seine eigenen Interessen durch eine aktive Willensbetätigung auf Kosten geschützter Interessen durchsetzt, unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Eingriffs Schadensersatz leisten.⁸⁸ Letztlich gehe es auch um einen Gleichlauf im Hinblick auf die Regelungen des öffentlichen Rechts.⁸⁹ Abgestellt wird daher allein auf die Eingriffswirkung⁹⁰ und insbesondere auf die Frage danach, ob es sich bei der Beeinträchtigung um ein erlittenes Sonderopfer handelt, ob also der Eingriff noch durch die allgemeine inhaltliche Beschränkung des verletzten Rechts gedeckt ist oder ob er darüber hinausgeht.⁹¹ Der Eingriff wird dabei als die Verfolgung eigener Interessen unter bewusster oder wenigstens in Kauf genommener Verletzung eines fremden Interesses

definiert.⁹² Somit wird die Definition des Eingriffs um ein Zurechnungs- bzw. Verschuldenselement erweitert um den Anwendungsbereichs so einzuschränken, dass einer ansonsten entstehenden Gefährdungshaftung⁹³ vorgebeugt wird.⁹⁴ Aus der Definition des Eingriffs folgt letztlich auch, dass Unfallsituationen nicht erfasst

 Hubmann, JZ 1958, 489 (491); Hubmann, AcP 155 (1955), 85 (129 f.); Hubmann, JZ 1968, 64 (66); vgl. auch Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 97 ff. und Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 79 f.  Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 80.  Hubmann, JZ 1958, 489 (493).  Im Hinblick auf einen systematischen Vergleich zur Eingriffskondiktion stellt Hubmann, JZ 1958, 489, (492) klar, dass der Aufopferungsanspruch von den bereicherungsrechtlichen Ansprüchen abzugrenzen ist, indem es an einer Vermögensverschiebung fehlt.  Hubmann, JZ 1958, 489 (491); Hubmann, AcP 155 (1955), 85 (129 f.); Hubmann, JZ 1968, 64 (66); Unfallsituationen sind daher aus dem Anwendungsbereich ausgenommen.  Hubmann, JZ 1958, 489 (492); Innerhalb der Ansicht (Hemsen, Der allgemeine bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 144 ff. und Horst, Querverbindungen zwischen Aufopferungsanspruch und Gefährdungshaftung einerseits und Eingriffserwerb andererseits, S. 59 ff.) wird diese Einschränkung teilweise aufgegeben, sodass auch nicht voraussehbare Unglücksfälle ausgleichspflichtig sind.  Hubmann, JZ 1958, 489 (492) sieht eine Abgrenzungsmöglichkeit zwischen der Aufopferungs- und Gefährdungshaftung darin, dass die Aufopferung ein gewolltes Handeln voraussetzt, während die Gefährdungshaftung die Schaffung einer Gefahrlage erfordert, aus der erfahrungsgemäß immer wieder Schädigungen entstehen.  Vgl. Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 165; Hubmann, JZ 1958, 489 (491); Hubmann, AcP 155 (1955), 85 (129 f.); Hubmann, JZ 1968, 64 (66).

II. Begründungsansätze aus der Literatur

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werden, weil es dazu an einer Verfolgung eigener Interessen fehlt.⁹⁵ Die Voraussetzungen des bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruchs sollen demnach sein: Bei bestehender Interessenkollision darf das überwiegende Interesse durch Eingriff in das geringere verfolgt werden, soweit dies unbedingt erforderlich ist. Der Verletzte kann jedoch Entschädigung für das ihm dadurch auferlegte Sonderopfer verlangen. ⁹⁶

Im Hinblick auf die Rechtsfolgen sieht die Auffassung nur eine Entschädigungspflicht vor, nicht hingegen einen Anspruch auf vollen Schadensersatz.⁹⁷ Hubmanns Argumentation ist in der Literatur vielfach auf Kritik gestoßen.⁹⁸ Jedoch ist festzustellen, dass sich die Stimmen im Hinblick auf Hubmanns Argumentation und die daraus folgende Frage nach der analogen Anwendbarkeit von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB vor allem dem Vorliegen der Analogievoraussetzungen widmen.⁹⁹ Dabei wird jedoch meistens ein Schritt übersprungen, denn die eigentlich zu stellende Frage lautet, ob das Konzept der allgemeinen Aufopferungshaftung, wie Hubmann sie beschreibt, dogmatisch haltbar ist. Erst nachdem darüber Einigkeit besteht, kann gefragt werden, ob jener Gedanke auch eine Analogie des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB begründen kann. Soweit man Hubmann im Grundsatz zustimmt, steht jener Analogie der hier vertretenen Auffassung nach nichts im Weg: Sollte das Gesetz tatsächlich eine derartige generelle Aufopferungshaftung vorsehen, könnte die Analogie eine entsprechende Haftungslücke schließen und entsprechende Sonderopfer – in dann systemgerechter Weise – ausgleichen. Dennoch kann Hubmanns Konzept nicht überzeugen, denn bereits der Wortlaut von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB spricht von einer Duldungspflicht „hiernach“, also nach § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB. Insofern kommt es maßgeblich darauf an, dass der Beein-

 Ein Teil der Literatur folgt dem Gesagten von Hubmann, verneint aber das Merkmal des Eingriffs: Ziegler, Der öffentlich-rechtliche und der arbeitsrechtliche Aufopferungsanspruch – Ein Vergleich, S. 81 ff.; Tondorf, Der Aufopferungsanspruch im Zivilrecht, S. 95 f.; Meyer, Der Aufopferungsentschädigungsgedanke und seine Anwendbarkeit im Arbeitsrecht, S. 68.  Hubmann, JZ 1958 (492).  Hubmann, JZ 1958, 489 (491 f.); vgl. auch Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 153.  U. a. von Canaris, NJW 1964, 1987 (1992 f.); Denecke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 156 f.; Deutsch, in: FS Steffen 1995, 101 (108); Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 166 f.; Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 61; Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 81 ff.; Mühl, NJW 1960, 1133 (1135); Roth, in: Roth/Lemke/Krohn, Der bürgerlichrechtliche Aufopferungsanspruch als Problem der Systemgerechtigkeit im Schadensersatzrecht, S. 6 f.; ausführlich zur Kritik auch Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 107 ff. mwN., der den allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch ebenfalls ablehnt.  Vgl. z. B. Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 115 ff.

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E. Begründungsansätze

trächtigte seinen Abwehranspruch aufgrund der Duldungspflicht aus § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht durchsetzen kann und deshalb zu entschädigen ist. Der Gedanke der Vorteilsausgleichung rückt dadurch in den Hintergrund. Zudem wird übersehen, dass eine Aufopferungshaftung gerade keine bewusst verursachte Rechtsverletzung voraussetzt.¹⁰⁰ Die scheinbare Notwendigkeit eines solchen künstlich und rechtsgrundlos¹⁰¹ herangezogenen Restriktionskriteriums¹⁰² zur Vermeidung einer entstehenden Gefährdungshaftung zeigt, dass grundsätzliche Erwägungen gegen diese Begründung der Rechtsfortbildung sprechen.¹⁰³ Auch taugt das Kriterium nicht, die Bedenken zu beseitigen, dass der allgemeine bürgerlichrechtliche Aufopferungsanspruch das Schadensersatzrecht aus den Angeln heben würde: § 826 BGB veranschaulicht ausdrücklich, dass die vorsätzliche Verletzung eines beliebigen Rechtsguts nur dann einen Anspruch begründen kann, wenn das zusätzliche Kriterium der Sittenwidrigkeit erfüllt ist.¹⁰⁴ Des Weiteren kann ein Eingriff in ein fremdes Recht nach der gesetzgeberischen Konzeption nur rechtmäßig sein, soweit entweder einem höherrangigen Recht eine Gefahr droht oder es um eine Interessenkollision aus dem Nachbarrecht geht. Bei Letzterem gehören die Ortsüblichkeit und Zumutbarkeit zu den tragenden und normierten Voraussetzungen; diese fehlen im Konzept von Hubmann. Folge dessen wäre eine erhebliche Ausweitung des engen Anwendungsbereichs zivilrechtlich normierter Aufopferungstatbestände. Eine solche Ausweitung ist zwar grundsätzlich möglich, allerdings fehlt es der Idee des allgemeinen bürgerlichrechtlichen Aufopferungsanspruchs dazu an hinreichend konturierten Anspruchsvoraussetzungen.¹⁰⁵ Zudem ist zu beachten, dass die gesetzlich geregelten Aufopferungstatbestände den Ersatz des gesamten Schadens vorsehen.¹⁰⁶ Zwar wird im Ergebnis für die Beeinträchtigung nur Teilersatz geleistet, weil einige

 Denecke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 168 führt dagegen an, dass auch ohnehin nicht unterstellt werden könne, dass sich der Eigentümer in Vertiefungsfällen oder etwa im Pflanzenschutzmittelfall über die Auswirkungen seines Handelns bewusst gewesen ist; ähnlich Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 61.  Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 167 kann die Voraussetzung ebenfalls keiner gesetzlichen Regelung zuordnen; Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 154 spricht dabei von Willkür.  Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 102 hält das so ausgeformte Merkmal des Eingriffs für „nebulös“.  So auch Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 154.  Ähnlich Canaris, NJW 1964, 1987 (1993), der zusätzlich meint, dass Geschäfts- und Verschuldensfähigkeit für die Aufopferungshaftung generell bedeutungslos sind.  So auch Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 167.  Etwa bei Vorliegen eines Aggressivnotstands.

II. Begründungsansätze aus der Literatur

151

Einwirkungen zu dulden sind, jedoch kann von einem Sonderopfer erst gesprochen werden, wenn die Zumutbarkeit oder Ortsüblichkeit überschritten ist. Dieses wird vollständig ausgeglichen, sodass von einer Entschädigung nicht die Rede sein kann.¹⁰⁷ Schließlich kann die Idee eines allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruchs als eine Art Generalklausel aber schon der Grundidee nach nicht überzeugen: Der Gesetzgeber hat die zivilrechtlichen Aufopferungsansprüche ausdrücklich auf die Notstandshaftung und das Nachbarrecht begrenzt.¹⁰⁸ Es handelt sich um spezifische Ausnahmekonstellationen, in denen das Prinzip der Interessenabwägung zu billigen Ergebnissen führt, weil es auf ein Verschulden nicht ankommen soll. Dabei sind die Duldungspflichten auch von zusätzlichen tatbestandlichen Voraussetzungen abhängig, die nicht durch eine einfache Interessenabwägung pauschalisiert werden können. Das von Hubmann erkannte allgemeine Prinzip der Interessenabwägung ist folglich in keinem positivrechtlich geregelten Tatbestand der Eigentumsaufopferung wiederzuerkennen.¹⁰⁹ Im Hinblick auf § 823 BGB und das System der deliktsrechtlichen Haftung ist zu bedenken, dass ein allgemeiner bürgerlich-rechtlicher Aufopferungsanspruch zum einen zu einer erheblichen Haftungserweiterung hinsichtlich der geschützten Rechtsgüter aus dem Katalog des § 823 Abs. 1 BGB führen würde, obwohl sich eine Ausdehnung der geschützten Rechte auf einen umfänglichen Schutz sämtlicher Interessenspositionen verbietet. Zum anderen kollidiert er mit dem Merkmal der Widerrechtlichkeit, wenn die Beurteilung der Rechtmäßigkeit anhand einer gesetzlich nicht geregelte Interessenabwägung erfolge. Dadurch würde das System der anerkannten Rechtfertigungsgründe relativiert und auch das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Widerrechtlichkeit und Rechtmäßigkeit des Eingriffs verschoben.¹¹⁰ Ein weiterer unauflösbarer Widerspruch findet das Konzept von Hubmann im Hinblick auf das das Wesen des privatrechtlichen Eigentums.¹¹¹ Denn die Funktion

 Vgl. auch Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 154.  So auch Canaris, NJW 1964, 1987 (1993) und Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 85.  Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 82 f. mit Beispielen.  Ähnlich auch Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 154 f. spricht zudem von einem Induktionsverbot, das die Analogie verbietet (S. 159); auch Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 166 f; auch Roth, in: Roth/Lemke/Krohn, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch als Problem der Systemgerechtigkeit im Schadensersatzrecht, S. 6 f.  Dazu ausführlich und mwN. Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 83 ff.

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E. Begründungsansätze

des Eigentums, dem Eigentümer zuzugestehen, nach seinem Belieben mit der Sache verfahren zu können, würde auf den Kopf gestellt, wenn die Nutzungsbefugnis unter dem Vorbehalt stände, möglicherweise zugunsten wesentlicher überwiegender Interessen ausgeschlossen zu sein. Für diesen Ausschluss sieht das BGB spezielle Tatbestände vor. Letztlich ist das Konzept von Hubmann nicht mit dem BGB vereinbar, weil es an einer dogmatischen Stütze im Gesetz fehlt. Folglich kann dadurch auch nicht die Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf faktische Duldungszwänge begründet werden.

5. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB als Aufopferungsanspruch Vielfach¹¹² wird ein Ausgleichsanspruch wegen faktischen Duldungszwangs damit begründet, dass § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB als Aufopferungsanspruch zu verstehen sei und dieser sich einer Anwendung auf faktische Duldungszwänge nicht verschließe. Dieser Gedanke kann nicht überzeugen. Richtig ist, dass § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB einen Aufopferungscharakter aufweist. Allein daraus kann nicht auf die Anwendung der Norm auf faktische Duldungszwänge (also rechtswidrige Einwirkungen) geschlossen werden, denn offensichtlich fehlt es an einer vergleichbaren Interessenlage. Allein die Tatsache, dass es dem beeinträchtigten Nachbarn tatsächlich unmöglich ist die Gefahr abzuwehren, verwandelt sich die rechtswidrige Einwirkung nicht in eine rechtmäßige. Der Abwehranspruch wird nicht im Interesse des Nachbarn geopfert und eine rechtliche Einwirkungsbefugnis wird ebenfalls nicht begründet.¹¹³

6. Der Gedanke der Begünstigungshaftung Ein weiterer Ansatz ist der Gedanke der Begünstigungshaftung. Dabei steht die Person, deren Interessen durch den Eingriff verfolgt werden, im Vordergrund. Im

 Bälz, Zum Strukturwandel des Systems zivilrechtlicher Haftung, S. 41 f.; Bälz, JZ 1992, 57 (58, 71); Bayer/Lindner/Grziwotz, Bayerisches Nachbarrecht, S. 86 f.; Baumann, JuS 1989, 433 (435 f.) differenziert und versteht die unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz BGB als Entschädigungsanspruch, die Analogie auf tatsächlich nicht abwehrbare Einwirkungen als Aufopferungsanspruch. Er begründet die Anwendung jedoch mit einem Erst-Recht-Schluss; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 25 Rn. 29; Deutsch, in: FS Steffen 1995, 101 (111); Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 1711; Kreuzer, in: FS Lorenz 1991, 123 (135); Rehbinder, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 14 BImschG Rn. 70.  Ähnlich Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 95.

II. Begründungsansätze aus der Literatur

153

Hinblick auf faktische Duldungszwänge sei Haftungsgrund, dass auf Kosten des beeinträchtigten Eigentümers Vorteile erlangt werden. Dabei sind unterschiedliche Ströme zu differenzieren: Denecke hält die Inanspruchnahme des störenden Nachbarn im Hinblick auf den Gedanken des Vorteilsausgleichs für billig.¹¹⁴ Soweit dieser die schadensstiftende Handlung veranlasse, kommen ihm auch die Vorteile aus der Maßnahme zugute.¹¹⁵ Hinsichtlich der Analogievoraussetzungen geht Denecke davon aus, dass der Gesetzgeber das praktische Regelungsbedürfnis einer Ausdehnung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs auf rechtswidrige Einwirkungen deshalb übersehen habe, weil dieser davon ausgegangen ist, dass solche Einwirkungen durch die Geltendmachung des Abwehranspruchs verhindert werden könnten.¹¹⁶ Die Unvollständigkeit der Vorschrift folge aus der Rechtsnatur des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB als Kodifizierung des allgemeinen Aufopferungsprinzips im Nachbarrecht.¹¹⁷ Als ein entscheidendes Differenzierungskriterium sieht Denecke die Rechtsfolgenseite des Aufopferungsanspruchs im Vergleich zum deliktischen Haftungssystem. Denn während es bei Letzterem um den Ersatz von Schäden gehe (Naturalrestitution i.S.d. §§ 249 ff. BGB), soll § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB Nachteile ausgleichen, die dem Beeinträchtigten dadurch entstehen, dass der Nachbar seine Interessen auf fremde Kosten wahrnimmt.¹¹⁸ Folglich geht es um eine Begünstigtenhaftung. Denecke statuiert als zusätzliche Voraussetzung – ähnlich wie beim öffentlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch – ein Unmittelbarkeitskriterium:¹¹⁹ Unmittelbarkeit des Eingriffs bedeutet danach, dass der auf Entschädigung in Anspruch genommene Eigentümer bei wertender Betrachtung und unter Berücksichtigung des Zwecks des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs die entscheidende Ursache selbst gesetzt hat ¹²⁰

Dadurch würden auch Schäden erfasst werden, die durch einen vom Nachbar beauftragten Dritten fahrlässig verursacht werden (z. B. ein Bauunternehmer oder Architekt), weil dieser ebenfalls seine Interessen verfolgt. Denecke spricht dem Beeinträchtigten sogar bei „extrem grober Fahrlässigkeit“ einen Anspruch zu, weil letztlich im Interesse des Nachbarn gehandelt wird.¹²¹

 Denecke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 168 f.; auch Hagen, in: FS Lange 1992, 487 (501).  Denecke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 168.  Denecke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 169.  Denecke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 169.  Denecke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 169.  Denecke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 170.  Denecke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 171.  Denecke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 171.

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E. Begründungsansätze

Ein weiterer Ansatz, der ebenfalls der Begünstigungshaftung zuzuordnen ist, greift im Hinblick auf die Verantwortlichkeit für die eigene Vorteilsziehung auf den Gedanken der ungerechtfertigten Bereicherung zurück.¹²² Zwar sei eine direkte Übernahme der Wertungen einer Eingriffskondiktion wegen der fehlenden Übertragung eines von der Rechtsordnung geschützten Vermögensgegenstandes nicht möglich. Dennoch gelte die Eingriffsorientierung als wesentliches Merkmal des Haftungsgrundes, denn letztlich werde das dem Eigentümer zustehende Nutzungsrecht auf den Benutzer eines anderen Grundstücks verschoben, wenn dieser einen Ausschnitt des Eigentumsrechts durch sein eingriffsorientiertes Verhalten in Anspruch nimmt. Die jeweilige Beeinträchtigung wird somit als Eingriff in das Recht am Nachbargrundstück verstanden.¹²³ Diese Kollision der Eigentumsrechte werde jedoch nicht durch eine gleich- und verhältnismäßige Beschränkung beider betroffenen Rechte gelöst, sondern durch die Zurückdrängung des einen zulasten des anderen Interesses.¹²⁴ Als Ausgleich im Sinne des Bereicherungsrechts sei die Abschöpfung des von dem Störer auf Kosten des Betroffenen erlangten Vorteils anzusehen, sodass das bestehende Ungleichgewicht eingeebnet werde.¹²⁵ Der Anspruch sei insoweit auch als Geldzahlungsanspruch für ein durch das Gesetz gestattetes Mitbenutzungsrecht zu verstehen.¹²⁶

 Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 72, 163 f., 176 ff. vergleicht § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB in direkter Anwendung mit den Wertungen einer Eingriffskondiktion aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB. Die Wertungen aus der direkten Anwendung des § 906 Abs. 2 BGB seien mit denen aus §§ 951 Abs. 1 Satz1, 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, 818, 816 Abs. 1 Satz 1 BGB vergleichbar: Die besondere Anordnung des Ausgleichs aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB sei erforderlich, weil die Beschränkung des Eigentumsrechts keine Vermögensverschiebung ist und daher nicht unter die Eingriffskondiktion subsumiert werden könne. Im Hinblick auf § 951 BGB sei die Wertung vergleichbar, denn auch dort kommt es mittels gesetzlicher Anordnung zu einer Vermögensverschiebung, die grundsätzlich nicht rückabgewickelt werden soll, sondern eine Geldentschädigung vorsieht. Letztlich seien der Vindikationsanspruch aus § 985 BGB und der negatorische Beseitigungsanspruch als „verselbstständigte entwicklungsgeschichtliche Urfälle der Kondiktionshaftung“ zu verstehen; vgl. Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (420) sieht einige Parallelen zwischen Aufopferungs- und Bereicherungsansprüchen.  Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 63 ff., 163 ff., 176 ff.  Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 176.  Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 176 ff., 182 f.; zum Ausgleich auch Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (420 f.).  Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 73.

II. Begründungsansätze aus der Literatur

155

Soweit der Nachbar seine Abwehransprüche aus tatsächlichen Gründen nicht geltend machen kann, soll § 906 Abs.2 Satz 2 BGB deshalb analog anwendbar sein, wenn es sich bei der Beeinträchtigung um die mit der Nutzungshandlung notwendig verbundenen Immissionen handelt.¹²⁷ Denn auch dabei komme es zu einer rechtswidrigen Verschiebung¹²⁸ eines Teils des Nutzungsrechts des Beeinträchtigten zugunsten des Emittenten, die der rechtlichen Zuordnung nicht entspreche und deshalb auszugleichen sei.¹²⁹ Als Äquivalent zum Kriterium der Ortsüblichkeit bei der direkten Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB soll im Fall einer analogen Anwendung eine spezifische Eingriffshandlung erforderlich sein, sodass die Norm nur für solche Beeinträchtigungen eingreife, die dem Beeinträchtigten von seinem Nachbarn notwendig durch dessen Nutzungserweiterungen zugefügt worden sind.¹³⁰ Ansonsten fehle es an einer erforderlichen Rechtsähnlichkeit, die eine Analogie voraussetze.¹³¹ Beeinträchtigungen, die hingegen nicht notwendig mit einer Nutzungshandlung des Nachbarn verbunden sind, soll auch in analoger Anwendung nicht ausgeglichen werden.¹³² In diesen Konstellationen fehle die für die Analogie erforderliche Ähnlichkeit, sodass Unglücks- oder Schadensfälle nach dieser Ansicht dem Deliktsrecht unterfallen.¹³³ Die daraus entstehenden Rechtsfolgen sind jedoch fragwürdig. Denn in der Sache geht es weniger um Vorteilsabschöpfung beim Nachbarn, sondern um

 Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 178 spricht dabei von einer Nutzung in Form eines „faktischen Servituts“.  Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 178 sieht durch die rechtswidrige Beeinträchtigung zudem das der „Nutzungskonfliktregelung zugrunde liegende nachbarrechtliche Rücksichtnahmegebot“ als verletzt an.  Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 178.  Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 177 f.; Insoweit steht diese Ansicht, im Hinblick auf dessen subjektive Eingriffsdefinition, dem Begründungsansatz von Hubmann, JZ 1958, 489 (491) nahe. Allerdings dürfe nicht auf eine Art Verschuldenserfordernis i.S.d. § 823 BGB zurückgegriffen werden, da es sich gerade um keinen Schadensersatzanspruch handelt.  Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 178.  Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 179.  Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 179.

156

E. Begründungsansätze

Schadensausgleich.¹³⁴ Insoweit kann von einem Gebrauchsvorteil i.S.d. § 818 Abs. 2 BGB nicht die Rede sein. Hinzukommt, dass gem. § 818 Abs. 3 BGB keine Herausgabepflicht besteht, soweit der Begünstigte nicht weiter bereichert ist. Dies würde im Übrigen auch entgegen der Wertung aus § 819 Abs. 1 BGB zu einer „bereicherungsunabhängigen Haftung“ des gutgläubigen und unverklagten Bereicherungsschuldners führt.¹³⁵ Bei Betrachtung dieser gesetzlich normierten Parameter kann eine Wertersatzpflicht nicht allein durch das Vorliegen eines Eingriffs in das Eigentum bestehen, ohne dass in irgendeiner Weise Rücksicht auf eine etwaige Vermögensmehrung auf Seiten des Störers genommen wird. Dazu würde die Aufopferungshaftung unter Berücksichtigung des Begünstigungsgedankens jedoch führen.¹³⁶ Letztlich darf die Eingriffskondiktion auch nicht zur Umgehung des deliktsrechtlichen Verschuldenserfordernisses missbraucht werden. Nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt, dass durch einen derartigen Anspruch die Abgrenzung zwischen Aufopferung, Bereicherungsrecht und Deliktsrecht unmöglich würde.

7. Grundrechtlicher Eigentumsschutz Vieweg sieht den Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB als eine wegen Art. 14 Abs. 1 GG erforderliche „Ergänzung und Substitution“ der durch den Gesetzgeber aus Gründen der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit von Verhinderungsmaßnahmen auferlegten Duldungspflichten.¹³⁷ Der Anspruch substituiere den ausgeschlossenen Abwehranspruch und ermögliche, Grundrechtskollisionen im Wege der Güterabwägung nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu lösen.¹³⁸ Art. 14 Abs. 1 GG gebiete daher als Garantie des grundrechtlichen Eigentumsschutzes, dass ein Ausgleichsanspruch auch besteht, soweit der Abwehranspruch aus faktischen Gründen nicht durchsetzbar ist. Insoweit bestehe auch eine vergleichbare Interessenlage, die eine Analogie begründen könne.¹³⁹  Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 119; Roth, in: Roth/Lemke/ Krohn, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch als Problem der Systemgerechtigkeit im Schadensersatzrecht, S. 42.  So auch Roth, in: Roth/Lemke/Krohn, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch als Problem der Systemgerechtigkeit im Schadensersatzrecht, S. 42.  Dazu ausführlich und einhellig Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 93 ff.  Vieweg, NJW 1993, 2570 (2574); vgl. dazu auch Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 88 f.  Vieweg, NJW 1993, 2570 (2574).  Vieweg, NJW 1993, 2570 (2574).

II. Begründungsansätze aus der Literatur

157

Dabei ist aber zumindest fraglich, ob unter dem Gesichtspunkt der verfassungsrechtlichen Erforderlichkeit überhaupt eine vergleichbare Interessenlage besteht. Denn die Sachverhalte bei faktischer und rechtlicher Duldungspflicht unterscheiden sich erheblich: Eine Eigentumsbeschränkung liegt nur im Fall einer rechtlichen Duldungspflicht nach § 906 Abs. 1 oder Abs. 2 Satz 1 BGB vor. Wer infolge von Zeitmangel oder Unkenntnis eine Einwirkung nicht abwenden kann, ist nicht qua Gesetz in seinem Eigentum beschränkt. Der Abwehranspruch ist dann nicht entzogen und auch eine Interessensabwägung findet nicht statt.¹⁴⁰ Zudem lässt sich bezweifeln, dass Art. 14 GG eine derartige Ergänzung des unmöglichen Abwehranspruchs verlangt, denn im Hinblick auf die grundrechtliche Eigentumsschutzpflicht des Staates steht dem Gesetzgeber weites Ermessen zu, sodass eine konkrete Ausgestaltungspflicht nicht besteht.¹⁴¹

8. Analoge Anwendung von § 14 Satz 2 BImSchG Der Vollständigkeit halber ist auch die scheinbar aufgegebene Ansicht von Roth zu nennen.¹⁴² Dieser hatte einen Schadensersatzanspruch wegen faktischen Duldungszwangs ursprünglich noch aus einer Analogie zu § 14 Satz 2 BImSchG herleiten wollen, weil die Norm einen „Rechtsfortsetzungsanspruch“ enthalte.¹⁴³

9. Rückgriff auf Rechtsinstitute des Römischen Rechts Süss begründet die analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB unter Rückgriff auf Rechtsinstitute des Römischen Rechts.¹⁴⁴ Ausgangspunkt sei dabei die sogenannte cautio damni infecti. Dieses Rechtsinstitut sollte dem Nachbarn helfen, der von einem Einsturz eines Nachbargebäudes bedroht war. Dabei handelte es sich um eine Kautionsleistung in der Form eines Versprechens künftiger Schadloshaltung,  So auch Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 88 f.  BGHZ 102, 350 = NJW 1988, 478 (479 f.); Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 134 ff.; Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 89 mwN. zur Rechtsprechung des BVerfG.  Weder in Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 64 ff. noch in Roth, in: Roth/Lemke/Krohn, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch als Problem der Systemgerechtigkeit im Schadensersatzrecht wird auf die Idee einer Analogie zu § 14 Satz 2 BImSchG eingegangen.  Dazu noch Roth, in: Staudinger BGB (1996), § 906 Rn. 240; ausführlich und kritisch gegenüber dieser Ansicht Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 91 mwN.  Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 26 f. mwN.

158

E. Begründungsansätze

durch welche der Leistende versprach, denjenigen Schaden zu ersetzen, den der Nachbar durch den Einsturz seines Gebäudes erlitt.¹⁴⁵ Soweit tatsächlich ein Schaden eintrat, konnte sich der Geschädigte aus der Kaution befriedigen;¹⁴⁶ eine Unterbindung der gefährlichen Tätigkeit mit negatorischen Rechtsbehelfen war hingegen nicht möglich.¹⁴⁷ Der Sache nach ging es also um einen Ausgleich für die unerlaubte Inanspruchnahme eines benachbarten Grundstücks.¹⁴⁸ Das Rechtsinstitut wurde durch die cautio de praeterito demno ergänzt: Diese stand dem geschädigten Eigentümer eines Nachbargrundstücks zu, der die cautio damni infecti aus Gründen der Abwesenheit oder Zeitmangel (sog. impedimentum) nicht durchsetzen konnte. Dieser nachträgliche Kautionsantrag diente zur verschuldensunabhängigen Befriedigung des Geschädigten im Schadensfall. Das Hindernis, das den Eigentümer von der rechtzeitigen Geltendmachung der cautio damni infecti abgehalten hatte, rechtfertigte insoweit einen Ausgleich für bereits eingetretene Schäden. Soweit der geschädigte Eigentümer jedoch aufgrund eigener Nachlässigkeit versäumte den Kautionsantrag zu stellen, konnte er keinen Ausgleich fordern.¹⁴⁹ Die Ähnlichkeit der beiden Rechtsinstitute, der cautio damni infecti einerseits und dem Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB andererseits ist nicht von der Hand zu weisen. Den Eigentümer, der durch die erlaubte Grundstücksnutzung das Grundstück seines Nachbarn beschädigt, trifft eine Ausgleichspflicht. Die cautio de praeterito demno hingegen war kein Ausgleich für eine erlaubte Grundstücksnutzung, vielmehr stellte sie unabwendbare unerlaubte Einwirkungen mit rechtlich zulässigen Einwirkungen gleich und ordnete ebenso eine Ausgleichspflicht an. Die cautio damni infecti wurde bei Einführung des BGB jedoch nicht übernommen. Das BGB sieht im Hinblick auf den vorbeugenden Rechtsschutz gegen nachbarliche Einwirkungen eine andere Regelungstechnik vor. Der gravierendste Unterschied des BGB zum Römischen Recht ist die Einführung einer präventiven und dauerhaften Abwehrmöglichkeit von drohenden Beeinträchtigungen über §§ 907 Abs. 1, 909, 1004 Abs. 1 BGB, die insbesondere das Halten und Herstellen gefahrdrohender Anlagen sowie Vertiefungen verbieten bzw. sichernder Vorkehrun-

 Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 26 f. mwN.  Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 26 f. mwN.  Dazu auch Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 125 mwN.  Vgl. Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 125 mwN.  Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 26 f. mwN.

II. Begründungsansätze aus der Literatur

159

gen gebieten.¹⁵⁰ Letztlich wurden die Abwehrmöglichkeiten im Vergleich zum Römischen Recht dadurch verbessert.¹⁵¹ Süss schlussfolgert daraus, dass der eigentliche Regelungszweck in den Fällen des faktischen Duldungszwangs verfehlt worden sei, weil der negatorische Schutz versage und es an einem Institut fehlt, das mit der cautio de praeterito demno vergleichbar ist und für einen verschuldensunabhängigen Ersatzanspruch sorge. Das Ziel der Verbesserung der Rechtsschutzmöglichkeiten für den beeinträchtigten Grundstückseigentümer sei nicht erreicht worden und kann nur mit einer analogen Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB erzielt werden.¹⁵² Eine Schlechterstellung des Betroffenen dürfe jedenfalls in keiner denkbaren Konstellation eintreten. Die Argumentation kann in mehrfacher Hinsicht nicht überzeugen. Süss übersieht einige wesentliche Unterschiede zwischen der cautio damni infecti und der Regelung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Im Unterschied zur Systematik des BGB legalisiert die cautio damni infecti lediglich die gefährliche Tätigkeit des Nachbarn, sodass neben der Kaution auch eine deliktische Haftung in Betracht kam, soweit die Beeinträchtigung verschuldet war. Darüber hinaus war ein Anspruch auf die Stellung einer Kaution ausgeschlossen, soweit eine deliktische Klage aufgrund vorhersehbaren Verschuldens mit Sicherheit begründet sein würde.¹⁵³ Gem. § 906 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BGB sind hingegen auch die Beeinträchtigungen gerechtfertigt.¹⁵⁴ § 906 BGB fungiert auch als Rechtfertigungsgrund für deliktische Ansprüche.¹⁵⁵ Einen weiteren erheblichen Unterschied stellt zudem die Art der Einwirkung dar, die das jeweilige Rechtsinstitut vor Augen hat. Während § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB für das Dulden von Immissionen nach § 906 Abs. 1 BGB einen Ausgleich vorsieht, betraf die cautio damni infecti die Gefährdung durch einsturzbedrohte Gebäude. Und auch wenn der Anwendungsbereich des § 906 BGB im Hinblick auf die bestehenden Duldungspflichten erheblich erweitert wurde, erfüllt die Norm dennoch nicht die Funktion der cautio damni infecti, denn diese passt schon ihrem Grundgedanken nach nicht zum im BGB vorherrschenden System des präventiven Rechtsschutzes.¹⁵⁶ Als Folge dieses Grundgedanken fehlt auch ein der cautio de praeterito damno entsprechendes Institut, denn der Geschädigte sollte auch in Fällen rechtswidriger Beeinträchtigung auf das Deliktsrecht verwiesen sein, soweit

      

Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 65 ff. mwN. Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 65 ff. mwN. Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 70 ff. mwN. Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 127 mwN. Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 127 mwN. Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 823 Rn. 27. Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 127 mwN.

160

E. Begründungsansätze

er seine Abwehrrechte nicht geltend machen konnte.¹⁵⁷ Maultzsch ist daher in seiner Feststellung zuzustimmen, dass durch die Ausdehnung des Primärrechtsschutzes kein „Haftungsvakuum“ entstanden ist, sondern die nachbarlichen Rechtsbeziehungen gänzlich neu geordnet wurden und sich daher ein isolierter Rückgriff auf Teilelemente des Römischen Rechts verbietet.¹⁵⁸ Eine Neustrukturierung des Rechtsschutzsystems schließt jedoch nicht in jedem Fall aus, dass es auch zu einer Schlechterstellung Einzelner kommen kann. Der Gesetzgeber hatte dabei vielmehr das Gesamtbild der Gefährdeten im Blick, deren Abwehrmöglichkeiten sich mit der Möglichkeit präventiven negatorischen Rechtsschutzes im Großen und Ganzen verbessert haben.¹⁵⁹ Die von Süss unterstellte auszufüllende Gesetzeslücke zwischen den präventiven Rechten der §§ 907, 909 BGB und der Deliktshaftung ist deshalb im Hinblick auf die Neuorientierung des BGB konsequent.¹⁶⁰ Das übriggebliebene Argument der vergleichbaren Schutzbedürftigkeit in Fällen rechtlichen und faktischen Duldungszwangs ist letztlich dasselbe, das bereits im Rahmen eines Möglichen „ErstRecht-Schlusses“ entkräftet wurde.¹⁶¹ Allein aus der vergleichbaren Schutzbedürftigkeit kann nicht auf eine reine Rechtswidrigkeitshaftung für faktisch unabwendbare Einwirkungen geschlossen werden.¹⁶² Die Ausdehnung auf faktische Duldungszwänge kann folglich nicht durch die Rechtsinstitute des Römischen Rechts begründet werden.

III. Stellungnahme Die Vielzahl der Ansätze in der Literatur ist Ausdruck der Komplexität, die hinter einer allumfänglichen Begründung der analogen Anwendung für eine unbestimmte Anzahl von Einzelfällen steht. Es lässt sich so weit gehen, dass aufgrund der Vielfältigkeit der Fallkonstellationen und der Flexibilität der Norm eine abstrakte Lösung des Problems, welche jeder Konstellation gerecht wird, kaum ersichtlich erscheint. Im Kern geht es um das Schließen einer potenziellen Rechtsschutzlücke

 Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 128.  So Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 128 mwN.  Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 128 mwN.  So auch Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 128.  Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 76 ff.  Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 128.

III. Stellungnahme

161

mithilfe von Rechtsfortbildung in Form einer Analogie. Es ist deshalb erforderlich, sich die Analogievoraussetzungen vor Augen zu führen: Es muss dafür zunächst festgestellt werden, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht mit dem gesetzlich geregelten Tatbestand vergleichbar ist. Weiter muss angenommen werden können, dass der Gesetzgeber bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen wäre. Die Lücke muss sich daher aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem – dem konkreten Gesetzgebungsvorhaben zu Grunde liegenden – Regelungsplan ergeben.¹⁶³

1. Die analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB Zunächst fragt sich dabei, ob sich die analoge Anwendung durch den Haftungsgrund des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB in direkter Anwendung begründen lässt. Fraglich ist dabei schon die erste der beiden Analogievoraussetzungen, die planwidrige Regelungslücke. Zwar lässt sich wegen des Fehlens einer Rechtsnorm, die Sachverhalte regelt, in denen ein Nachbar die negatorischen Abwehransprüche aus rein tatsächlichen Gründen nicht geltend machen kann, eine Lücke im Gesetz problemlos bejahen. Die Planwidrigkeit jener Lücke ist dagegen zweifelhaft. Dazu ist der dem Gesetz zugrunde liegende Regelungsplan im Wege der historischen und teleologischen Auslegung aus sich selbst heraus zu ermitteln.¹⁶⁴ Eine historische Betrachtung führt dabei nicht weiter, denn im Hinblick auf verschuldensunabhängige Ansprüche wegen faktischer Duldungszwänge enthalten die Gesetzgebungsmaterialien keinerlei Ausführungen. Hinsichtlich der teleologischen Auslegung stehen zwei Grundtendenzen entgegen, die als solche von den jeweiligen Vertretern argumentativ nicht weiter begründet werden: Zum einen die Annahme des Bundesgerichtshofs, daß der Gesetzgeber die Haftung des privaten Störers [nicht] nur auf die Fälle des Verschuldens hat beschränken wollen. ¹⁶⁵

Zum anderen die auch hier vertretene Gegenannahme, dass der Gesetzgeber genau diese Beschränkung vorgesehen hat, sodass derartige Konstellationen ausschließ-

 BGH NJW 2003, 1932 (1933).  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 358.  BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164 (165).

162

E. Begründungsansätze

lich über die § 823 ff. BGB zu lösen sind.¹⁶⁶ Mit diesem Gedanken würde schon eine Lücke nicht vorliegen, vielmehr gäbe es für den beeinträchtigten Nachbarn aus Risikogesichtspunkten keinen Anspruch auf eine Entschädigung. Der oben geführte Theorienstreit¹⁶⁷ ist hier obsolet, weil der Wille des Gesetzgebers nicht ermittelbar ist. Deshalb ist der Normzweck von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB und die dahinterstehende Wertung zu bestimmen. Die Wertung des Gesetzes ist jedoch schon mittels Wortlautauslegung erkennbar: Ein Ausgleichsanspruch gem. §906 Abs. 2 Satz 2 BGB soll dem Betroffenen nur zugesprochen werden, wenn er zur Duldung der Einwirkung verpflichtet war. Soweit diese Verpflichtung nicht besteht, ist der Sachverhalt deliktsrechtlich zu lösen. Unter diesem Gesichtspunkt ist schon die Planwidrigkeit der Lücke zu verneinen. Soweit man entgegen der hier vertretenen Ansicht¹⁶⁸ über den Wortlaut hinaus die eigentliche Wertung der Norm im interessensgerechten Ausgleich zwischen Nachbarn sieht und infolgedessen die Planwidrigkeit der Lücke bejaht, müsste daneben auch die zweite Voraussetzung für eine Analogie vorliegen: Die Vergleichbarkeit der Interessenslagen. Erforderlich sind insoweit zwei wertungsmäßig vergleichbare Sachverhalte.¹⁶⁹ Im Ausgangspunkt steht dem Beeinträchtigten der Aufopferungsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zu, weil er zur Duldung von Einwirkungen zugunsten des Emittenten verpflichtet ist, also ein Sonderopfer erleidet.¹⁷⁰ Diese Aufopferungshaftung ist die Kehrseite der eigentumsbezogenen Duldungspflichten und gleicht das Zurücktreten eines grundsätzlich geschützten Interesses (Ausschlussfunktion des Eigentums aus § 903 BGB) zu Gunsten eines anderen aus.¹⁷¹ Dieser Haftungsgrund lässt sich nicht zur Analogiebegründung übertragen, denn eine Aufopferungssituation in Form eines rechtmäßigen Eingriffs liegt nicht vor, wenn der Abwehranspruch aus Zeitnot oder Unkenntnis nicht geltend gemacht werden kann. Es fehlt an der erforderlichen Güterkollision; vielmehr bleibt der Eingriff mangels rechtlicher Befugnis rechtswidrig, sodass der Beeinträchtigte nicht zur Duldung

 Diejenigen Autoren, welche die Analogie als Gefährdungshaftung contra legem einordnen, dürften sich hier ebenfalls einordnen lassen.  Vgl. D. II. 1.  Jedenfalls im Hinblick auf die daraus resultierende Planwidrigkeit.  Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 359.  So auch die wohl herrschende Ansicht der Literatur: Baur/Stürner, Sachenrecht, § 25 Rn. 29; ähnlich auch Baur, in: Soergel BGB, § 906 Rn. 151; Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 906 Rn. 80; ähnlich Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 665; Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 65; Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 120 f.; Spyridakis, in FG Sontis 1977, 241 (242); vgl. Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 91 mwN. in Fn. 431.  Canaris, NJW 1965, 1987 (1993); Rachlitz/Ringshandl, JuS 2011, 970 (971).

III. Stellungnahme

163

eines Sonderopfers verpflichtet wird, sondern „einfach nur“ Opfer einer rechtswidrigen Beeinträchtigung ist.¹⁷² Die alleinige Begründung, § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB sei in seiner Grundanwendung ein Aufopferungsanspruch, taugt daher nicht als Grundlage einer analogen Anwendung der Norm auf faktische Duldungszwänge und auch die Bezeichnung des Anspruchs als bürgerlich-rechtlicher Aufopferungsanspruch spiegelt die Interessenlage folglich nicht wider. Die Argumentation des Bundesgerichtshofs zur Vergleichbarkeit der Interessenlagen sieht das anders: Die analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf rechtswidrige Grobimmissionen, die aus tatsächlichen Gründen nicht rechtzeitig abgewehrt werden können, dient wie die unmittelbare Anwendung der Vorschrift dem Ausgleich gleichrangiger Nachbarinteressen als Ausdruck der Situationsgebundenheit der Grundstücke und beruht auf dem Gedanken, dass im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis der betroffene Eigentümer oder Nutzer bei einer nicht abwehrbaren, vom Nachbargrundstück ausgehenden rechtswidrigen Einwirkung auf sein Grundstück nicht schlechter stehen darf als bei einer rechtmäßigen Einwirkung. ¹⁷³

Diese Argumentation überzeugt aber aus mehreren Gründen nur im Ergebnis: Der Bundesgerichtshof versteht den Ausgleich gleichrangiger Nachbarinteressen als Ausdruck der Situationsgebundenheit der Grundstücke als Zweck der Norm. Dies mag im Grundsatz zutreffen. Dennoch besteht im Vergleich zum unmittelbaren Anwendungsbereich des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ein gravierender Unterschied: § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB normiert Duldungspflichten für Beeinträchtigungen, denen typischerweise ein entsprechender Vorteil des emittierenden Nachbarn gegenübersteht, der sein Grundstück gewinnbringender nutzen kann oder jedenfalls ideell von der Erweiterung seiner Handlungsmöglichkeiten profitiert. Insbesondere in Unfallsituationen gestaltet sich dies jedoch grundsätzlich anders, denn hier ist der betroffene Grundeigentümer meist selbst das erste Opfer der Schädigung.¹⁷⁴ Zudem ist zu betonen, dass weder der faktische Ausschluss des Abwehranspruchs aus tatsächlichen Gründen noch die fehlende Ausweichmöglichkeit des Betroffenen exklusive Kennzeichen von Schädigungen unter Grundstücksnachbarn sind.¹⁷⁵ Dass ein Geschädigter wegen Unkenntnis oder Zeitmangel keine Möglichkeit hatte einen Abwehranspruch geltend zu machen, kann ebenso gut dem allgemeinen Lebensrisiko zugeordnet werden. Für rechtswidrige Eingriffe sieht das BGB zudem in den §§ 823 ff. und auch in §§ 836 ff. BGB spezielle Haftungstatbestände vor. Insbesondere letztere dürfen nicht durch einen verschuldensunabhängigen Aus   

Ähnlich Süss, Die verschuldensunabhängige Haftung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, S. 95. BGHZ 155, 99 = NJW 2003, 2377 (2378). Vgl. auch Klimke, BeckOGK BGB, § 906 Rn. 372. Vgl. z. B. Wilhelmi, Risikoschutz durch Privatrecht, S. 100.

164

E. Begründungsansätze

gleichsanspruch umgangen werden, indem ein von §§ 836 ff. BGB nicht erfasster Sachverhalt analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB liquidiert wird. Denn Unfälle wegen mangelhaften Gebäuden führen meistens zu Beschädigungen an den umliegenden Grundstücken. Dem Rechtsinstitut wird dadurch ein Hauptanwendungsfall entzogen, sodass es nur noch im Verhältnis zu zufälligen Dritten wie Besuchern, Passanten, etc. zum Zuge käme. Dies wiederrum würde dem Normzweck zuwiderlaufen.¹⁷⁶ Auch die Frage danach, weshalb eine Ausnahme des Verschuldensprinzips hier möglich ist, beantwortet der Bundesgerichtshof nicht. Er führt dahingehend lediglich aus, dass es bei „technischen Unfallschadensfällen“ von der Interessenlage her nicht um die Einführung einer Gefährdungshaftung für eine gefährliche Einrichtung im Verhältnis zwischen Nachbarn gehe. Also nicht um das Einstehen für Schäden, die allein auf das rechtmäßige Vorhandensein einer Anlage oder eine erlaubte Tätigkeit zurückzuführen sind, sondern um die Haftung für rechtswidrige Störungen aus einer bestimmungsgemäßen Grundstücksnutzung, die von dem beeinträchtigten Nachbarn aus tatsächlichen Gründen nicht abgewehrt werden können. Dieser typisch nachbarrechtliche Nutzungskonflikt ist in § 906 Abs. 2 BGB nicht geregelt, hätte aber, so der Bundesgerichtshof, vom Regelungsplan des Gesetzgebers her zu dem gleichen Abwägungsergebnis geführt.¹⁷⁷ Ausgeschlossen sei der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nur, soweit der Grundstückseigentümer oder -nutzer nicht Störer i. S. v. § 1004 Abs. 1 BGB ist. Soweit er jedoch als solcher in Anspruch genommen wird, überschreite das nicht die Grenze zur Gefährdungshaftung.¹⁷⁸ Auch dem ist nur im Ergebnis zuzustimmen, denn dass zwei nebeneinanderliegende Grund-stücke den gegenseitigen Immissionen wegen ihrer Immobilität im Raum unausweichlich ausgesetzt sind, ist unbestritten. Ebenso erscheint es billig, dem geschädigten Eigentümer einen Anspruch zuzugestehen, denn dieser ist schließlich noch weniger für das Schadensereignis verantwortlich als der Nachbar, dessen Grundstück das Schadensereignis ausgelöst hat. Dass insoweit ein großes praktisches Bedürfnis besteht, lässt sich kaum bestreiten.¹⁷⁹ Richtig ist auch, dass der Anspruchsgegner im Rahmen des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB Störer sein muss. Dies ist jedoch an anderer Stelle zu untersuchen und kann keinen Aufschluss darüber geben, weshalb ein Verschulden ausnahmsweise entbehrlich ist.

 So auch Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 666.  BGHZ 155, 99 = NJW 2003, 2377 (2378).  Vgl. dazu BGH NJW-RR 2011, 739 (739).  Vgl. Baur/Stürner, Sachenrecht, § 25 Rn. 29; Berger, in: Jauernig BGB, § 906 Rn.15; Hagen, in: in FS Lange 1992, 483 (501); Vieweg, NJW 1993, 2570 (2574 f.).

III. Stellungnahme

165

Trotz allem kann nicht bezweifelt werden, dass dem BGB eine generelle Zustandshaftung im nachbarlichen Verhältnis fremd ist und der Gesetzgeber nur bestimmte Duldungspflichten ausdrücklich normiert hat.¹⁸⁰ Allein die Feststellung, dass dieser Nutzungskonflikt vom Regelungsplan zum gleichen Abwägungsergebnis geführt hätte, überzeugt nicht. Es ist zwar nicht zu bestreiten, dass ein Unfall auf einem Grundstück, der sich auf umliegende Grundstücke von Nachbarn ausdehnt, ein „typischer nachbarrechtlicher Nutzungskonflikt“ ist. Dieses Argument kann aber zur Erklärung nicht ausreichen. Denn genauso gut kann es in die andere Richtung verwendet werden: Die Situation erscheint so alltäglich, dass der Gesetzgeber bewusst keine Regelung getroffen hat, gerade weil er die deliktsrechtlichen Haftungsmaßstäbe auch in diesen Situationen für maßgeblich hielt. Im Hinblick auf das Entstehen eines Tatbestands der Gefährdungshaftung im nachbarlichen Raum kann es sodann auch nicht genügen ohne weiteres zu behaupten, dass die Haftung „auf Nachbarn beschränkt“ ist. Denn die Gefährdungshaftung bedarf zu ihrer Legitimation einer „besonderen Gefahrlage“.¹⁸¹ Der Haftende wird gewissermaßen berechtigt, eine gefährliche Sache (z. B. eine Anlage, von der eine Gefahr ausgeht (§ 14 BImSchG)) zu verwenden, muss aber im Gegenzug verschuldensunabhängig für die Verwirklichung dieser Gefahr einstehen.¹⁸² Bei einer gewöhnlichen Grundstücksnutzung besteht eine derartige erhöhte Gefahrlage jedoch gerade nicht. Zudem ließe dies offen, wer überhaupt als Nachbar in diesem Sinn gilt. Insoweit kann festgestellt werden, dass die einfache Behauptung, es handele sich nicht um eine Gefährdungshaftung, argumentativ nicht überzeugt, wenn es praktisch im Ergebnis doch darauf hinausläuft. Es bleibt festzuhalten, dass der Bundesgerichtshof im Hinblick auf die vergleichbare Interessenlage zwar teilweise wünschenswerte Ergebnisse erzielt, eine dogmatische Begründungsstruktur jedoch vermissen lässt. Ein Großteil der Argumente wird als Behauptung ohne weitergehende Konkretisierung in den Raum gestellt. Nach der hier vertretenen Ansicht kann § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB daher nicht auf faktische Duldungszwänge angewendet werden, weil die Analogievoraussetzungen nicht vorliegen. Weder eine planwidrige Regelungslücke noch eine vergleichbare Interessenlage. Keine der beschriebenen Ansichten kann überzeugend erklären, weshalb im Nachbarschaftsverhältnis verschuldensunabhängige Ansprüche gerechtfertigt sind. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB normiert in unmittelbarer Anwendung  Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 665; Rachlitz/Ringshandl, JuS 2011, 970 (971).  Dazu BGHZ 67, 129 = NJW 1976, 2130 (2130): „Zweck der Regelung ist daher der Schutz vor einer besonderen Gefahr“.  Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht Bd. 2 Halbbd. 2 (1994), S. 666 f.

166

E. Begründungsansätze

einen Aufopferungsanspruch wegen bestehender Duldungspflichten. Dieser Grundgedanke ist auf rechtswidrige Einwirkungen nicht übertragbar. Grundsätzlich handelt es sich um einen Sachverhalt, der mit den Vorschriften des Deliktsrechts zu lösen ist. Soweit man mit der hier vertretenen Ansicht annimmt, dass es sich beim nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis um ein gesetzliches Schuldverhältnis handelt, kommt auch ein Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB in Betracht. Eine verschuldensunabhängige Haftung für rechtswidrige Einwirkungen ist jedoch ausdrücklich abzulehnen.¹⁸³ Trotzdem gibt es zwei weitere Möglichkeiten, die Haftung für faktische Duldungszwänge zu begründen.

2. Verschuldensunabhängige Haftung unmittelbar aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis? Soweit das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis – wie zuvor bereits festgestellt – als Schuldverhältnis nicht nur als eine Art Zusammenfassung vieler schuldrechtlicher Rechte und Pflichten zu verstehen ist, sondern eine Beziehung zwischen den Beteiligten in einer Art und Weise verkörpert, die aus sich selbst heraus Ansprüche erzeugen kann, könnte der Anspruch, losgelöst von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, unmittelbar dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis entspringen.¹⁸⁴ Möglicherweise kann so auf dem Fundament der Regelungen und Grundgedanken des BGBs zum Nachbarrecht ein Anspruch entwickelt werden, der eine Haftung unter Nachbarn nicht nur interessengerecht, sondern auch dogmatisch nachvollziehbar vorsieht. Dabei ist zunächst die Hürde zu überwinden, dass das Rechtsinstitut mitsamt seinen Einschränkungen wegen der nachbarrechtlichen Sonderregelungen eine aus zwingenden Gründen gebotene Ausnahme bleiben muss und nur dann zur Anwendung kommen darf, soweit ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint. Das Rechtsinstitut darf insbesondere nicht dazu dienen, die nachbarrechtlichen Rege-

 Darüber hinaus ist in (vgl. BT-Drs. 19/18791 S. 53 t.), obwohl der Aufopferungsgedanke hier in der Gesetzesbegründung zu § 14 WEG und auch in der Rechtsprechung Anklang gefunden hat, keine gesetzgeberische Anerkennung der Rechtsprechungslinie erkenntlich. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber dabei nur auf das positive Recht gestützt und sich nicht am allgemeinen Aufopferungsanspruch orientiert.  Dogmatisch hätte dies den Vorteil, dass der Ausgleichsanspruch nicht an die Voraussetzungen des Aufopferungsanspruchs aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zu knüpfen wäre.

III. Stellungnahme

167

lungen in ihr Gegenteil zu verkehren,¹⁸⁵ sodass sich das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis in aller Regel nur als Schranke der Rechtsausübung, hingegen nicht als Anspruchsgrundlage auswirkt.¹⁸⁶ Dies hat so auch schon der Bundesgerichtshof festgestellt. Insoweit könnte ein unmittelbar aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis entspringender Anspruch ein über die gesetzlichen Regelungen des Nachbarrechts hinausgehender Ausgleich der widerstreitenden Interessen sein, der die Grundlage der richterlichen Rechtsfortbildung zu § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB darstellt. Wegen der ansonsten bestehenden Regelungslücke ist ein entsprechender Interessenausgleich nicht nur geboten, sondern letztlich auch erforderlich. Und dass diese Regelungslücke zu schließen ist, hat der Bundesgerichtshof erkannt und infolgedessen die analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB etabliert. Problematisch daran ist jedoch, dass die Gegenargumente, denen sich auch der Bundesgerichtshof ausgesetzt sieht, nicht ausgeräumt werden können. Insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb ein nicht normiertes Rechtsinstitut sich über grundlegende Prinzipien hinwegsetzen können soll. Eine Haftung unmittelbar aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ist zwar auch historisch ein wesentlicher Ausgangspunkt der Rechtsfortbildung,¹⁸⁷ dennoch fehlt es dahingehend an einer Legitimation des Gesetzgebers. Eine Art Gefährdungshaftung in Unfallsituationen darf ohne entsprechende gesetzliche Grundlage – Stichwort Enumerationsprinzip der Gefährdungshaftung – nicht entstehen. Deswegen taugt die unmittelbar aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis entspringende Haftung nicht als hinreichende Begründung für die verschuldensunabhängige Haftung für faktische Duldungszwänge im Nachbarrecht.

3. Eigener Ansatz – Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB Eine verschuldensunabhängige Haftung für faktische Duldungszwänge im Nachbarrecht ist grundsätzlich abzulehnen. Dadurch, dass das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis jedoch nach dem hier vertretenen Ansatz ein gesetzliches Schuldverhältnis ist, vervollständigt § 280 Abs. 1 BGB die zweigliedrige Haftung im Nachbarrecht. Rechtmäßige Einwirkungen sind (ggf. analog) über § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auszugleichen, während rechtswidrige Einwirkungen eine verschuldensabhängige

 Statt vieler BGH NJW-RR 2012, 1160 (1162) mwN.  BGHZ 88, 344 = NJW 1984, 729 (730) mwN.  BGHZ 28, 225 = NJW 1959, 97 (99).

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E. Begründungsansätze

Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB oder § 823 Abs. 1 BGB begründen. Das Bestehen des Schuldverhältnisses eröffnet den Anwendungsbereich von § 280 Abs. 1 BGB und ermöglicht es insoweit, die zuvor diskutierten Probleme zu lösen. Wie sich im Folgenden herausstellen wird, liegt diese Sichtweise auch von der Rechtsprechungslinie des Bundesgerichtshofs nicht allzu weit entfernt. Zwar betont der Bundesgerichtshof wiederholt, dass der Ausgleichsanspruch verschuldensunabhängig ist, jedoch nähert der Senat die Störereigenschaft in Fällen rechtswidriger Einwirkungen erheblich an den Tatbestand einer Verschuldensprüfung an. Auch die Anwendbarkeit des § 278 BGB kann ohne erhebliche Haftungsausweitung begründet werden. § 280 Abs. 1 BGB kommt deswegen unmittelbar zu Anwendung. Anspruchsvoraussetzung ist die schuldhafte Verletzung einer Pflicht aus einem Schuldverhältnis. a) Schuldverhältnis Das Schuldverhältnis besteht in Form des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zwischen den Eigentümern benachbarter Grundstücke.¹⁸⁸ b) Pflichtverletzung Der Begriff der Pflichtverletzung i.S.d. § 280 Abs. 1 BGB ist weit zu verstehen. Er umfasst sowohl Verstöße gegen Leistungs- (§ 241 Abs. 1 BGB) als auch solche gegen Schutzpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB).¹⁸⁹ Es geht dabei um ein Zurückbleiben der Wirklichkeit hinter dem Pflichtenprogramm des Schuldverhältnisses.¹⁹⁰ Er bezieht auch Pflichten aufgrund gesetzlicher Schuldverhältnisse ein, sodass er nicht mit dem Begriff der Vertragsverletzung identisch ist.¹⁹¹ Leistungspflichten sind dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis fremd. Stattdessen konkretisieren sich die Schutzpflichten in den Rücksichtnahmepflichten der benachbarten Grundstückseigentümer. Zu deren Pflichtenkreis gehört es, die umliegenden Grundstücke vor Einwirkungen zu schützen, die von dem eigenen Grundstück ausgehen. Insoweit handelt es sich nicht um klassische Rücksichtnahmepflichten i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB zur gegenseitigen Achtung und Wahrung des Integritätsinteresses im Allgemeinen. Vielmehr wird das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis durch spezifische Rücksichtnahmepflichten ausgestaltet: Die Nachbarn sind dazu verpflichtet, grundstücksbezogene Einwirkungen auf die

   

Vgl. oben C., II, 8., b). BT-Drs. 14/6040, 136. Vgl. RegE BT-Drucks 14/6040, 133 (135); Schwarze, in: Staudinger BGB, § 280 Rn. C1. Lorenz, in: BeckOK BGB, § 280 Rn. 11 mwN.

III. Stellungnahme

169

Nachbargrundstücke zu unterlassen,¹⁹² die über das Maß des § 906 Abs. 1 BGB hinausgehen. In der Rechtsprechung wird dies unter dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme zusammengefasst.¹⁹³ Infolgedessen fragt sich, welches der entscheidende Bezugspunkt der Pflichtverletzung ist. Geht es um das Verhalten des Nachbarn oder um die beeinträchtigende Einwirkung selbst? Grundsätzlich gilt bei Pflichtverletzungen gem. § 280 Abs. 1 BGB eine erfolgsbezogene Betrachtungsweise, sodass der Maßstab objektiv ist und grundsätzlich jede Abweichung von dem Geschuldeten erfasst wird.¹⁹⁴ Der Inhalt des Geschuldeten ergibt sich wegen § 241 Abs. 1 BGB aus dem Schuldverhältnis; bei Verträgen also aus den jeweiligen Parteivereinbarungen, bei gesetzlichen Schuldverhältnissen aus deren Natur.¹⁹⁵ Bei erfolgsbezogenen Leistungspflichten (z. B. die Leistungspflichten des Verkäufers zur Übergabe und Übereignung der Kaufsache aus § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB) kann eine Pflichtverletzung angenommen werden, soweit der vertraglich vereinbarte Erfolg nicht eintritt. Bei Rücksichtnahmepflichten hingegen gilt hinsichtlich ihrer Verletzung eine verhaltensbezogene Betrachtungsweise.¹⁹⁶ Problematisch ist das insbesondere im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen den Tatbestandsmerkmalen der Pflichtverletzung und des Vertretenmüssens. Hintergrund des Abgrenzungsproblems ist, dass die Schutz- und Rücksichtnahmepflichten bei Schaffung des BGB keine allgemein anerkannte Kategorie darstellten. Das hatte zur Folge, dass auch deren Verhältnis zu § 276 Abs. 2 BGB ungeregelt blieb.¹⁹⁷ Danach läge die „Pflichtverletzung“ i.S.d. § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB stets und notwendig in einem Verhalten des Schuldners, und zwar in einem solchen Verhalten, das von dem durch das Schuldverhältnis vorgegebenen Pflichtenprogramm abweicht.¹⁹⁸ Zur Feststellung der Pflichtwidrigkeit hat dann grundsätzlich der Gläubiger das nicht der verkehrsüblichen Sorgfalt entsprechende Verhalten als Pflichtverletzung darzulegen und zu beweisen.¹⁹⁹ Insoweit kommen grundsätzlich sowohl die verhaltens- als auch die erfolgsbezogene Betrachtungsweise für die Bestimmung der Pflichtverletzung im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis in Betracht. Durch den spezifischen Bezugs In BGHZ 144, 200 = NJW 2000, 2901 (2902) war noch die Rede von einem adäquaten Zusammenhang. Allerdings spricht der Senat bereits in BGH NJW 1995, 2533 (2634) von einem „pflichtwidrigen Unterlassen“, ebenso NJW-RR 2001, 1208 (1208); BGHZ 223, 155 = NJW 2020, 607 (607); BGH NJW-RR 2011, 739 (740) mwN.  Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, Kapitel 1 Rn. 57 mwN.  Lorenz, in: BeckOK BGB, § 280 Rn. 11 mwN.  Looschelders, in: FS Canaris 2017, 403 (406).  Looschelders, in: FS Canaris 2017, 403 (409) mwN.  Statt vieler vgl. Looschelders, in: FS Canaris 2017, 403 (409) mwN.  Ernst, in MüKo BGB, § 280 Rn. 16.  Vgl. Lorenz, JuS 2007, 213 (215).

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E. Begründungsansätze

punkt der Pflichten, die Vermeidung von grundstücksbezogenen Einwirkungen auf das Nachbargrundstück, bietet sich die erfolgsbezogene Betrachtungsweise an, denn im Mittelpunkt steht nicht das Fehlverhalten des Nachbarn, sondern die Beeinträchtigung des Grundstücks. Dafür spricht auch, dass die verhaltensbezogene Betrachtungsweise bei Verletzung des Integritätsinteresses gewählt wird, um zu beurteilen, ob sich diese innerhalb oder außerhalb des Schuldverhältnisses abgespielt hat.²⁰⁰ Da es – wie diskutiert – im Rahmen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses qualifizierte Rücksichtnahmepflichten gibt, charakterisieren diese durch den erforderlichen Grundstücksbezug der zu unterlassenen Einwirkungen das Schuldverhältnis als solches erst. Die Pflichtverletzungen spielen sich also immer innerhalb des Schuldverhältnisses ab, soweit die qualifizierenden Voraussetzungen vorliegen. Deshalb ist eine Pflichtverletzung anzunehmen, soweit das Nachbargrundstück durch eine grundstücksbezogene Einwirkung beeinträchtigt wird, die nicht geduldet zu werden braucht. Die Beurteilung des Verhaltens eines Nachbarn als sorgfaltswidrig i.S.d. § 276 Abs. 1 BGB erfolgt im Rahmen der Prüfung des Vertretenmüssens. Eine Pflichtverletzung scheidet jedoch aus, soweit die Einwirkung duldungspflichtig ist. aa) Haftungsbegründende Kausalität Eine zentrale Rolle im Anspruch des Nachbarn nach § 280 Abs. 1 BGB im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis spielt die haftungsbegründende Kausalität der Pflichtverletzung. Im Mittelpunkt steht dabei der Schutzzweck der verletzten Sorgfaltsnorm, also der Rücksichtnahmepflichten der Nachbarn aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis und damit jener aus §§ 905 ff. BGB.²⁰¹ Hintergrund ist die Begrenzung des Anspruchs auf solche Pflichtverletzungen, die die Situationsgebundenheit der Grundstücke, die dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis zugrunde liegt, widerspiegeln. Die Ersatzpflicht besteht deshalb nur, soweit die geltend gemachte Beeinträchtigung aus dem Bereich der Gefahren stammt, deren Abwendung dem Zweck des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses entspricht. Sie hängt einerseits davon ab, ob die verletzte Bestimmung den Schutz einzelner Nachbarn bezweckt und der Verletzte gegebenenfalls zu dem geschützten Personenkreis gehört. Andererseits muss das nachbarliche Gemeinschafts-verhältnis den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken. Die geltend gemachte

 Vgl. Ernst, in MüKo BGB, § 280 Rn. 14.  Soweit im Folgenden von „Norm“ gesprochen wird, ist jeweils das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis gemeint.

III. Stellungnahme

171

Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden muss also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck des Verhältnisses fallen. Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist, wie dies etwa in Fällen höherer Gewalt der Fall ist. Der Schädiger kann nicht für Verletzungen oder Schäden haften, die der Betroffene in seinem Leben auch sonst zu bewältigen hat.²⁰² (1) Grundstücksbezug Im Rahmen des Schutzzwecks des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses und der §§ 905 ff. BGB ist der vernünftige Interessenausgleich der bei der Nutzung eines Grundstücks im Verhältnis zu den benachbarten Grundstücken möglicherweise auftretende Konflikt zu berücksichtigen, weil die Situationsgebundenheit des Grundeigentums in den Regelungen zum Ausdruck kommt.²⁰³ Die Pflichtverletzung kann infolgedessen nur dann haftungsbegründend sein, soweit die Einwirkung, die die Pflichtverletzung ausgestaltet, einen beiderseitigen Grundstücksbezug aufweist und auch im Übrigen dem Schutzzweck der Normen der §§ 905 ff. BGB entspricht. Die Berücksichtigung des Schutzzwecks ermöglicht es auch, die entstehende Rechtsunsicherheit, die im Hinblick auf die wertungsbedingte Frage, wer Nachbar und damit Partei im Schuldverhältnis ist, zu minimieren, indem nur solche Einwirkungen als Pflichtverletzung qualifiziert werden können, die dem Schutzzweck des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses und der §§ 905 ff. BGB entsprechen. Die Haftung für eine Pflichtverletzung entspricht nur dann dem Schutzzweck der §§ 905 ff. BGB und ist damit haftungsbegründend, soweit die Einwirkung grundstücksbezogen ist. Dieser Grundstücksbezug gilt sowohl für das beeinträchtigte als auch für das beeinträchtigende Grundstück. Maßgeblich ist insoweit die Nutzung durch den Eigentümer oder durch die die Nutzung bestimmende Person.²⁰⁴ Im Hinblick auf das Vorliegen des Grundstücksbezugs ist dem Bundesgerichtshof ²⁰⁵ beizupflichten: Ob sich ein bestimmtes Verhalten letztlich als nutzungsbedingt darstellt, lässt sich nicht allgemein, sondern nur für den jeweiligen Einzelfall und durch teleologische Auslegung der §§ 905 ff. BGB bestimmen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob das beeinträchtigende Verhalten dem Bereich der konkreten

 Vgl. BGHZ 201, 263 = NJW 2014, 2190 (2191).  BGH NJW 2009, 3787 (3788).  So auch BGH NJW 2009, 3787 (3788), allerdings im Hinblick auf den Ausgleichsanspruch, der jedoch nach der hier vertretenen Auffassung unmittelbar aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis hergeleitet werden soll. Die Argumentation lässt sich jedoch vollständig übertragen.  BGH NJW 2009, 3787 (3788).

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E. Begründungsansätze

Nutzung des Grundstücks zuzuordnen ist und zu diesem einen sachlichen Bezug aufweist. Der Grundstücksbezug fehlt daher bei solchen Einwirkungen, die den spezifischen Bezug der Grundstückseigentümer oder -nutzer zueinander nicht berührt. Allein das Stattfinden störender Verhaltensweisen auf dem Grundstück reicht für sich genommen nicht aus. Daher scheiden alle Handlungen aus, die nur gelegentlich bei Aufenthalt auf dem Grundstück wahrgenommen werden, genauso gut aber an anderer Stelle vorgenommen werden könnten.²⁰⁶ (a) Grundstücksbezug in BGH NJW 2009, 3787 Als aktueller Fall aus der Rechtsprechung im Hinblick auf die Frage nach dem Grundstücks-bezug kann der sog. Silvesterraketenfall des Bundesgerichtshofs²⁰⁷ dienen. Dort explodierte eine Silvesterrakete und setzte den Gebäudekomplex (Scheune, Getreidelager, Schweinestall, Wohnhaus und Garagen) des Nachbargrundstücks in Brand. Den Grundstücksbezug hat der Bundesgerichtshof dabei anschaulich mit folgender Begründung verneint: Zwar mag sich das Abschießen einer Feuerwerksrakete am Neujahrstag (noch) im Rahmen der hier maßgeblichen Nutzung des Grundstücks zu Wohnzwecken bewegen. Ein darüberhinausgehender sachlicher Bezug zu diesem ist jedoch nicht erkennbar. Allerdings lässt sich dieser Bezug nicht schon mit der Begründung verneinen, dass ein Feuerwerk üblicherweise, wenn überhaupt, nur einmal im Jahr abgebrannt wird. Denn auch Maßnahmen, die, wie etwa im Bereich der Pflege des vorhandenen Pflanzen- und Baumbestandes, der Eigentümer oder Nutzer nur in größeren zeitlichen Abständen durchzuführen pflegt, können sich als grundstücksbezogen erweisen. Maßgeblich ist vielmehr, dass das Abschießen einer Silvesterrakete, sei es in der Silvesternacht, sei es – rechtlich erlaubt […] – am Abend des Neujahrstags, ausschließlich der Befolgung eines gesellschaftlichen Brauchs aus Anlass des Jahreswechsels dient. Diese Handlung steht zu dem Grundstück, auf dem sie vorgenommen wird, in keinem sachlichen Zusammenhang. Das wird schon daraus deutlich, dass Silvesterfeuerwerkskörper vielfach nicht auf dem eigenen Grund und Boden, sondern im öffentlichen Raum – etwa auf Bürgersteigen, Straßen oder Plätzen – entzündet werden. Dabei wird die Wahl der Abschussstelle oftmals nicht das Ergebnis eines Überlegungsprozesses darstellen, sondern mehr oder weniger einer weit verbreiteten Übung entsprechend erfolgen. Durch das Abschießen einer Feuerwerksrakete auf dem eigengenutzten Grundstück ist somit nicht der nachbarschaftliche Nutzungskonflikt betroffen, der durch § 906 BGB einer sinnvollen Lösung zugeführt werden soll. Für dieses Ergebnis sprechen im Übrigen auch Wertungsgesichtspunkte. Es kann für die Verpflichtung zum Geldausgleich grundsätzlich keinen Unterschied machen, ob eine beeinträchtigende Handlung, die nach ihrem Wesen und der ihr zu Grunde liegenden Motivation an einem beliebigen Ort vollzogen werden kann[…], innerhalb der Grenzen des Grundeigentums oder – mit der Folge einer lediglich verschuldensabhängigen Haftung nach § 823 BGB – an einer außerhalb dieses Bereichs gelegenen Stelle oder aber auf dem Grundstück durch eine Person, die weder Eigentümer noch Nutzer ist, vorge-

 BGH NJW 2009, 3787 (3788).  BGH NJW 2009, 3787.

III. Stellungnahme

173

nommen wird. Auch führte die Zuerkennung eines von einem sachlichen Grundstücksbezug losgelösten nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs zu einer nicht gerechtfertigten Besserstellung des beeinträchtigten Grundstückseigentümers ²⁰⁸

Dieser Argumentation ist vollumfänglich zuzustimmen. Besondere Beachtung verdient dabei das letzte Argument: Der Grundstücksbezug ist das Merkmal, dass die Sonderbehandlung einer Einwirkung rechtfertigt, die ansonsten über § 823 Abs. 1 BGB abzuwickeln wäre. Dies unterstreicht auch, weshalb bei der Frage nach dem Vorliegen des Grundstücksbezugs ein restriktiver Maßstab anzulegen ist. Zu einer zufälligen Besserstellung einer unerlaubten Handlung darf es nicht kommen. Vielmehr dient das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis dazu, die sich gegenüberstehenden Interessen zwischen den Nachbarn so auszugleichen, wie es die §§ 905 ff. BGB ihrem Zweck nach vorschreiben. Nach der hier vorgeschlagenen Lösung wäre der Fall deshalb folgendermaßen zu lösen: In Betracht käme ein Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis. Ein entsprechendes Schuldverhältnis liegt zwischen den beiden unmittelbar angrenzenden Grundstücken unzweifelhaft in Form des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses vor. Mit dem Abschießen der Silvesterrakete, die schließlich zum Brand auf dem Nachbargrundstück geführt hat, hat der Nachbar auch eine Rücksichtnahmepflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt. Unabhängig von der Frage, ob er diese Pflichtverletzung auch zu vertreten hat, ist die Verletzung der Rücksichtnahmepflicht jedoch nicht haftungsbegründend, weil nach Sinn und Zweck des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis eine Haftung nur für solche Pflichtverletzungen in Betracht kommt, die in unmittelbarem Zusammenhang zum Grundstück stehen. Dies ist beim Abschließen von Silvesterraketen jedoch nicht der Fall. Im Übrigen fehlt es für Haftung des Nachbarn auch am Vertretenmüssen.²⁰⁹ Eine Haftung kommt deshalb nur nach deliktsrechtlichen Normen in Betracht. (b) Grundstücksbezug bei BGH NZM 2019, 893 Als weiteres aktuelles Beispiel für einen fehlenden Grundstücksbezug und damit für eine außerhalb des Schutzzwecks des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses liegende Pflichtverletzung kann der sog. Weltkriegsbombenfall²¹⁰ dienen. Durch das Herbeiführen der Explosion und die daraus entstandenen Schäden am Nachbargrundstück hat A eine Rücksichtnahmepflicht aus dem nachbarlichen

 BGH NJW 2009, 3787.  Wobei dahingehend noch weitere Sachverhaltsdetails erforderlich wären.  BGH NZM 2019, 893, vgl. Sachverhaltbeschreibung unter D., II., 1., d), dd), (4).

174

E. Begründungsansätze

Gemeinschaftsverhältnis verletzt. Unabhängig von der Frage, ob A die Verletzung der Rücksichtnahmepflicht zu verschulden hat, kommt ein Anspruch schon deswegen nicht in Betracht, weil die Pflichtverletzung außerhalb des Schutzzwecks der §§ 905 ff. BGB liegt, weil es am erforderlichen Grundstücksbezug fehlt. Der V. Zivilsenat, der hier – in konsequenter Fortführung der bisherigen Rechtsprechung – einen Anspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB prüft, bejaht zwar den Grundstücksbezug, verneint den Anspruch jedoch unter Verweis auf den Zweck der Norm: Die entsprechende Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf Beeinträchtigungen, die das Grundstück des Nachbarn durch eine rechtswidrige Einwirkung des Eigentümers oder – hier – Besitzers eines Grundstücks, die der Nachbar aus rechtlichen oder – hier – tatsächlichen Gründen nicht abwehren kann, beruht auf dem Zweck der Vorschrift. […] Zu diesen mit dem Instrument des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs sachgerecht zu bewältigenden Konfliktlagen gehören Beeinträchtigungen nicht, die durch die – unverschuldete – Explosion eines Blindgängers aus dem Zweiten Weltkrieg an den Nachbargrundstücken verursacht werden. […] Ist die Explosion eines Blindgängers aus dem Zweiten Weltkrieg aber nicht in der Nutzung des Grundstücks angelegt, stehen der Eigentümer oder Besitzer des Grundstücks, auf dem ein Blindgänger explodiert, dem verwirklichten Risiko nicht näher oder ferner als die übrigen Beteiligten. Eine solche Explosion ist dann nämlich nicht mehr Ausdruck der Situationsbezogenheit des Grundstückseigentums oder Folge der in dem Zustand oder in der Nutzung des Grundstücks angelegten Risiken. Die unverschuldete Explosion eines Blindgängers auf einem Grundstück ist für dessen Eigentümer oder Besitzer ein zufälliges, schicksalhaftes Ereignis, das jeden anderen Grundstückseigentümer oder -besitzer genauso hätte treffen können.

Die Argumentation und das Ergebnis des Bundesgerichtshofs verdienen dabei Zustimmung. Lediglich die dogmatische Verortung des Problems bietet Raum zur Diskussion, denn im Grunde nimmt der Bundesgerichtshof eine teleologische Reduktion einer Analogie des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB vor. Stattdessen ließen sich dieselben Argumente auch schon im Rahmen des Grundstücksbezugs unterbringen:²¹¹ Die Explosion der Weltkriegsbombe ist letztlich als höhere Gewalt anzusehen, denn sie liegt nicht im typischen Risikospektrum des Unternehmens von A und damit außerhalb der betriebstypischen Grundstücksnutzung. Letztlich handelt es sich also nicht um eine spezifische Grundstücksnutzung. Die Folgelasten des 2. Weltkriegs beziehen sich nicht auf das Grundstück von A, sondern stellen sich als gesamtgesellschaftliches Problem dar, welches von der gesamten Bundesrepublik Deutschland und allen Bürgern, die sich auf diesem Territorium aufhalten, zu tragen ist.²¹²

 So auch Schwab, JuS 2020, 272 (274).  Ähnlich Schwab, JuS 2020, 272 (274).

III. Stellungnahme

175

(2) Pflichtverletzung bei Naturgewalten Auch bei Naturgewalten, die zu Einwirkungen auf das Nachbargrundstück und schließlich zu Schäden führen, kann an die Argumentation des Bundesgerichtshofs angeknüpft werden: Soweit die Beeinträchtigung ausschließlich auf Naturkräfte zurückgeht, kann derjenige, von dessen Grundstück sie ausgeht, nicht Störer i.S.v. § 1004 Abs. 1 BGB sein, weil die Störereigenschaft nicht allein aus dem Grundstückseigentum folgt. Dementsprechend liegt auch keine Pflichtverletzung vor, denn eine solche Verpflichtung würde den Eigentümer mit einer unüberschaubaren Vielzahl an Risiken belasten.²¹³ Dem Grundstückseigentümer können jedoch die sog. „Sicherungspflichten“²¹⁴ auferlegt werden, die sich aus der Art der Nutzung des Grundstücks ergeben und zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen verpflichten, um die Verantwortlichkeit des Grundstückseigentümers oder -besitzers für den gefahrenträchtigen Zustand seines Grundstücks mittels wertender Betrachtung zu ermitteln.²¹⁵ Entgegen der Ansicht des Bundesgerichtshofs handelt es sich dabei um Pflichten, die aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis als Schuldverhältnis entspringen und eine Unterkategorie der grundstücksbezogenen Rücksichtnahmepflichten darstellen. Eine Verletzung dieser Pflichten kann zur Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis führen. Sie können sowohl in einem Tun als auch in einem Unterlassen bestehen; entscheidend ist das Vorliegen eines Anknüpfungspunktes. Geht es um Naturgewalten, liegt im Hinblick auf die daraus folgenden Beeinträchtigungen eine Pflichtverletzung nur vor, wenn der Grundstückseigentümer diese durch eigene Handlungen ermöglicht hat oder wenn die Beeinträchtigung durch ein pflichtwidriges Unterlassen herbeigeführt worden ist.²¹⁶ Bezugspunkt und Maßstab sind insoweit die ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Grundstücks. Liegt diese vor, wird keine Pflicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis verletzt; vielmehr realisiert sich das nicht haftungsbegründende allgemeinen Lebensrisikos.  Dies entspricht auch der allgemeinen Auffassung im Schrifttum: Denecke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 71; schon Pleyer, AcP 156 (1956), 291 (297 f.); Wenzel, NJW 2005, 241 (242 f.); Thole, in: Staudinger BGB, § 1004 Rn. 262 mwN.  In BGHZ 144, 200 = NJW 2000, 2901 (2902) war noch die Rede von einem adäquaten Zusammenhang. Allerdings spricht der Senat bereits in BGH NJW 1995, 2533 (2634) von einem „pflichtwidrigen Unterlassen“, ebenso NJW-RR 2001, 1208 (1208); BGHZ 223, 155 = NJW 2020, 607 (607); BGH NJW-RR 2011, 739 (740) mwN.  BGHZ 223, 155 = NJW 2020, 607 (607); BGH NJW-RR 2011, 739 (740) mwN.  Vgl. BGH NJW-RR 2014, 792 (792 f.); BGH NJW 1995, 2633 (2634); BGHZ 90, 255 = NJW 1984, 2207; BGHZ 114, 183 = NJW 1991, 2770; BGHZ 122, 283 = NJW 1993, 1855 (1856); Palandt/Herrler, BGB, § 1004 Rn. 19.

176

E. Begründungsansätze

Die Argumentation des Bundesgerichtshofs ist in sachlicher Hinsicht zu begrüßen. Dogmatisch ist dabei jedoch nicht zu übersehen, dass die Zurechnung und das Bestehen von „Sicherungspflichten“ im Rahmen der Frage nach der Störereigenschaft des § 1004 Abs. 1 BGB – obwohl es inzwischen ständiger Rechtsprechung entspricht – ungewohnt erscheint. Dies ist bei § 280 Abs. 1 BGB nicht der Fall, weil es hier regelmäßig um die Verletzung von Rücksichtnahmepflichten geht. Deshalb liegt die Anwendung der Norm nach der hier vertretenen Ansicht nahe. Die Sicherungspflichten sind deshalb entgegen der Ansicht des Bundesgerichtshofs als schuldrechtliche Pflichten zu qualifizieren, deren Verletzung eine Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB begründen kann. (3) Pflichtverletzung bei Unfallschäden Problematisch ist das Vorliegen einer Pflichtverletzung insbesondere bei Unfallschäden wie in BGHZ 142, 66, wo ein Brand in der Diele des Wohnhauses von A ausbrach, dessen Ursache ungeklärt blieb. Naturgewalten sowie eine vorsätzliche oder fahrlässige Brandstiftung Dritter schieden aus. Das Haus brannte bis auf die Grundmauern nieder und führte zu Schäden am Nachbarhaus von B.²¹⁷ Der Senat sprach dem Nachbarn einen Anspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zu. Die Verantwortung bestehe, weil der Brand nicht Folge eines von niemandem zu beherrschenden Naturereignisses war und deshalb kein allgemeines Risiko darstelle, das sich ebenso gut im Haus des Nachbarn hätte verwirklichen können.²¹⁸ Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Zum einen fehlt es für einen Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB bereits an einer Pflichtverletzung, weil an eine Handlung des A – soweit ersichtlich – ebenso wenig angeknüpft werden kann wie an ein Unterlassen. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn der Grundstückseigentümer, auf dessen Grundstück der „Unfall“ passiert ist, eine Sicherungspflicht verletzt hat, die in unmittelbarem kausalen Zusammenhang zum Unfall steht. Dann kann – ähnlich wie in den Fällen von Natureinwirkungen – eine Verantwortlichkeit und, bei Vertretenmüssen auch eine entsprechende Haftung begründet werden. Mit Hilfe dieser Sicherungspflichten lassen sich ein Teil der Unfallschäden dogmatisch stringent lösen. Soweit jedoch auch die Verletzung einer Sicherungspflicht nicht ersichtlich ist, ist die Lösung analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB abzulehnen, weil es sich letztlich um eine Art Haftung für Zufall handelt, welche weder in den §§ 905 ff. BGB abstrakt

 BGHZ 142, 66 = NJW 1999, 2896.  Beim Eindringen von Wasser oder Übergreifen von Baumwurzeln hat der Senat dies aus dem normierten Recht des Nachbarn abgeleitet, die Beeinträchtigung seines Grundstücks abzuwehren (§§ 836, 907 ff. BGB), vgl. BGHZ 142, 66 = NJW 1999, 2896 (2897).

III. Stellungnahme

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noch in § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB konkret zum Ausdruck kommt.²¹⁹ Eine solche Haftung bedarf eines spezifischen Gefährdungshaftungstatbestand.²²⁰ Denn der rechtspolitische Grund der Haftung ist keine unerlaubte Handlung, sondern die Verursachung und Beherrschung einer Gefahr oder technischer Risiken. Derjenige, der aus erlaubtem, aber riskantem Handeln Vorteile zieht, hat auch die entsprechenden Haftungsrisiken zu tragen. Deshalb kommt es auch auf eine Rechtswidrigkeit nicht an.²²¹ Der Standpunkt des Bundesgerichtshofs, dass es sich nicht um die Einführung einer Gefährdungshaftung handle, ist an dieser Stelle nochmals zu kritisieren: Es geht in diesen „technischen Unfallschadensfällen“ von der Interessenlage her nicht um die Einführung einer Gefährdungshaftung für eine gefährliche Einrichtung im Verhältnis zwischen Nachbarn […], sondern um die Haftung für rechtswidrige Störungen aus einer bestimmungsgemäßen Grundstücksnutzung, die von dem beeinträchtigten Nachbarn aus tatsächlichen Gründen nicht abgewehrt werden können. ²²²

Die Begründung vermag nicht darüber hinwegzuhelfen, dass sich faktisch um eine Gefährdungshaftung handelt.²²³ Im Hinblick auf die angewendete Analogie von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB fehlt es dafür an einer vergleichbaren Interessenlage. Auch wenn der Bundesgerichtshof diese Vergleichbarkeit bei einer Haftung für rechtswidrige Störungen aus einer bestimmungsgemäßen Grundstücksnutzung annimmt, besteht eine Aufopferungssituation, wie es die unmittelbare Anwendung der Norm voraussetzt, nicht. Die rechtswidrige Einwirkung wird durch die fehlende Durchsetzbarkeit des Abwehranspruchs nicht rechtmäßig. Eine analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf derartige Unfallsituationen umgeht vielmehr die Normen des Deliktsrechts und spezifische Gefährdungshaftungstatbestände, denen das Enumerationsprinzip zugrunde liegt.²²⁴ Letztere enthalten

 Dass es sich um eine Zufallshaftung/Gefährdungshaftung handelt zeigt folgender systematischer Vergleich: Auch die gesetzlich normierten Gefährdungshaftungstatbestände sind bei höherer Gewalt ausgeschlossen (Vgl. § 7 Abs. 2 StVG, §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 3 Nr. 3 HPflG, § 4 UmweltHG). So auch Lüneborg, NJW 2012, 3745 (3748); Wellenhofer, in: Gedächtnisschrift Wolf, 2011, 323 (330).  Ähnlich Roth, in: Staudinger BGB, § 906 Rn. 69; Roth, in: Roth/Lemke/Krohn, Der bürgerlichrechtliche Aufopferungsanspruch als Problem der Systemgerechtigkeit im Schadensersatzrechts, S. 23 ff.  Vgl. zur Gefährdungshaftung Lorenz, JuS 2021, 307 (307).  BGHZ 155, 99 = NJW 2003, 2377 (2378).  Ähnlich Bruns, ZMR 2016, 344 (347 f.).  Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog im System der Ausgleichsansprüche, S. 176; Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, S. 45 spricht im Hinblick auf die Argumentation der ablehnenden Stimmen von einem „methodisch unzulässigen und sachlich nicht gerechtfertigten Sonderrechtsre-

178

E. Begründungsansätze

für die einzelnen Haftungsbereiche im Hinblick auf die Besonderheiten der jeweiligen Materie und ihrer Entstehungsgeschichte je eigenständige und in sich abgeschlossene Regelungen, die nur aus ihrem jeweiligen Zusammenhang heraus verstanden und angewendet werden können und demgemäß einer entsprechenden Anwendung auf andere Gefährdungshaftungen nicht zugänglich sind. ²²⁵

Einen vergleichbaren Tatbestand gibt es im Rahmen der Haftung für bestimmungsgemäße Grundstücksnutzung nicht und auch § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ist dies nicht zu entnehmen. Eine entsprechende Analogie ist deswegen abzulehnen.²²⁶ Dennoch soll an dieser Stelle festgehalten sein, dass das Ergebnis des Bundesgerichtshofs wünschenswert ist. Eine derartige Haftung entspricht der hier vertretenen Ansicht, lässt sich jedoch mit den bestehenden Normen nicht begründen, weil es sich um eine Gefährdungshaftung handelt, für die es an einer Rechtsgrundlage fehlt. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB taugt dazu weder in unmittelbarer noch analoger Anwendung. Schlussendlich ist an dieser Stelle der Gesetzgeber gefragt, die bestehende Unsicherheit und die Meinungsverschiedenheiten zur rechtlichen Behandlung solcher Unfallkonstellationen zu lösen. (4) Pflichtverletzung in Vertiefungsfällen Im Rahmen der analogen Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB stellen die sog. Vertiefungsfälle ein Sonderproblem dar. Der Bundesgerichtshof gewährt den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch aufgrund faktischen Duldungszwangs auch in diesen Fällen.²²⁷ Es geht dabei regelmäßig darum, dass Erdbewegungen auf einem Grundstück zu Schäden an den auf dem Nachbargrundstück stehenden Gebäuden führen. Deren rechtliche Behandlung ist umstritten.²²⁸ Nach der hier vertretenen Ansicht ist die unzulässige Grundstücksvertiefung nach § 909 BGB eine schuldrechtliche Pflichtverletzung, die nach § 280 Abs. 1 BGB haftungsbegründend ist. Soweit sie auf die Arbeiten eines Dritten zurückzuführen sind, werden diese dem Grundstückseigentümer über § 278 BGB zugerechnet. Der Grundstücksbezug der Pflichtverletzung ist im Einzelfall zu untersuchen, wird in der Regel jedoch vorliegen.

gime“; Neuner, JuS 2005, 487 (491); Roth, JZ 2004, 918 (919); ähnlich Schlechtriem, in: FS Gernhuber 1993, 407 (416 ff.); 63, 374 (378 f.).  BGHZ 187, 86 = NJW 2011, 139 (142).  Lorenz, JuS 2021, 307 (307).  Vgl. BGHZ 147, 45 = DNotI-Report 2001, 84 (85); BGHZ 85, 375 = NJW 1983, 872 (874); BGHZ 72, 289 = NJW 1979, 164 (164).  Vergleiche zu den unterschiedlichen Ansichten und Ansätzen ausführlich Ringshandl, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch, S. 170 ff.

III. Stellungnahme

179

bb) Verantwortlichkeit für Dritte Die Verletzung der Rücksichtnahmepflicht kann auch durch einen Dritten geschehen. Maßgeblich dafür ist ebenfalls § 278 BGB. Die Norm rechnet dem Schuldner das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen zu, ohne sich durch den Nachweis sorgfältiger Auswahl und Überwachung entlasten zu können.²²⁹ Entgegen dem Wortlaut der Norm geht es nicht lediglich um eine Zurechnung des Verschuldens im engen Sinne, sondern darüber hinaus auch um eine Zurechnung des Verhaltens selbst. Insoweit ist entscheidend, ob das Verhalten des Dritten, gedacht als Verhalten des Schuldners, eine schuldhafte Pflichtverletzung darstellen würde.²³⁰ Dritter kann insoweit jede Hilfsperson sein.²³¹ Entscheidendes Kriterium ist, dass der Gehilfe zur Erfüllung einer Verbindlichkeit des Schuldners eingesetzt ist.²³² Auf eine etwaige Weisungsgebundenheit kommt es nicht an, sodass auch ein selbstständiger Unternehmer Erfüllungsgehilfe sein kann.²³³ „Verbindlichkeit“ ist dabei weit zu verstehen: Vom Pflichtenkreis erfasst sind deshalb auch Schutzpflichten i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB hinsichtlich anderer Rechtsgüter und Sachen des Vertragspartners.²³⁴ Dass es keine Hauptleistungspflichten im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis gibt, steht der Anwendbarkeit des § 278 BGB – ähnlich wie im Rahmen der culpa in contrahendo – nicht entgegen.²³⁵ Um einer uferlosen Haftung entgegenzuwirken, ist auch im Rahmen der Zurechnung des Verhaltens Dritter über § 278 BGB der Schutzzweck des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zu berücksichtigen und folglich das Merkmal des Grundstücksbezugs einzubeziehen. Dadurch kann vermieden werden, dass der Grundstückseigentümer für jegliches Fehlverhalten seiner Erfüllungsgehilfen einzustehen hat und dadurch sein Haftungsrisiko unsachgemäß erweitert wird. Dies findet seine Berechtigung auch darin, dass das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis gerade die Rücksichtnahmepflichten nur insoweit beinhaltet, als dass diese die gegenüberliegenden Nutzungsbefugnisse aus dem Eigentumsrecht betreffen. Folglich reicht die Verletzung irgendeiner Rücksichtnahmepflicht durch den Dritten nicht aus. Vielmehr muss diese Grundstücksbezug aufweisen. Der Grundstücksbezug kann ebenso wie beim Tatbestandsmerkmal der Einwirkung angenommen

 Grundmann, in: MüKo BGB, § 278 Rn. 2.  Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 383.  Z. B. ein Arbeitnehmer, der seiner konkreten betrieblichen Tätigkeit nach geht (Vgl. BGH NZM 2019, 893 (896)).  Kramme, in: Prütting/Wegen/Weinbach BGB, § 278 Rn. 13.  Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 376.  Kramme, in: Prütting/Wegen/Weinbach BGB, § 278 Rn. 19.  Vgl. Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 375 mit Verweis auf BGH NJW 2013, 1002 (1003 f.) und BGH NJW 2012, 1083 (1084).

180

E. Begründungsansätze

werden, soweit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls das beeinträchtigende Verhalten des Dritten einen sachlichen Bezug zum Grundstück aufweist und dessen konkreter Nutzung zuzuordnen ist. Der Sache nach ist deswegen eine zweistufige Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Pflichtverletzung vorzunehmen. Zunächst ist danach zu fragen, ob tatsächlich eine Rücksichtnahmepflicht durch ein zurechenbares Verhalten des Dritten vorliegt, indem er auf das Nachbargrundstück eingewirkt hat. In einem zweiten Schritt stellt sich dann die Frage, ob die Handlung, die die Einwirkung verursacht hat, einen spezifischen Bezug zum Grundstück hat und die Pflichtverletzung somit im Hinblick auf den Schutzzweck des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses haftungsbegründend wirkt. Es ist auch in Anbetracht der Risikosphären sach- und interessengerecht, dem Geschädigten eine Inanspruchnahme des Grundstücksnachbarn wegen eines schuldhaften Verhaltens seiner Hilfspersonen gem. § 278 BGB zu ermöglichen und ihn nicht auf die Schadloshaltung bei der Hilfsperson zu verweisen.²³⁶ Auch wenn den Grundstückseigentümer kein eigenes Verschulden trifft, hat er regelmäßig selbst die Ursache für den später eingetretenen Schaden gesetzt. Deshalb liegt die Verhinderung von Einwirkungen auf das Nachbargrundstück in der Sphäre bzw. im Verantwortungsbereich des Grundstückseigentümers, sodass es gerechtfertigt erscheint, ihn auf einen Regress bei der Hilfsperson (z. B. einem Bauunternehmen) zu verweisen und dessen Insolvenzrisiko zu tragen, während es dem geschädigten Kläger ermöglicht wird, sich wahlweise an den Grundstücksnachbarn oder den Schädiger selbst zu wenden.²³⁷ Auch wenn der Bundesgerichtshof eine Anwendung der Norm im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis grundsätzlich ablehnt, nähert der Senat sich dem weiter an: In BGH NJW 2018, 1542 führte ein Handwerker Reparaturarbeiten am Flachdach des Hauses der Eheleute R in deren Auftrag durch. Im Verlauf der von ihm mithilfe eines Brenners durchgeführten Heißklebearbeiten verursachte er schuldhaft die Entstehung eines Glutnestes unter den aufgeschweißten Bahnen. Durch den Brand und die Löscharbeiten wurde das an das brennende Haus unmittelbar angebaute Haus der Nachbarin erheblich beschädigt. Das Haus der Nachbarin ist bei V versichert, die ihr eine Entschädigung geleistet hat. V verlangt nun aus übergegangenem Recht gem. § 86 Abs. 1 VVG Ersatz.²³⁸

 So auch OLG Hamm BeckRS 2017, 126643 Rn. 34.  Vgl. OLG Hamm BeckRS 2017, 126643 Rn. 34.  Sachverhalt von BGH NJW 2018, 154 leicht abgeändert und verkürzt.

III. Stellungnahme

181

Der Bundesgerichtshof sprach der V hier in konsequenter Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung einen Anspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB i.V.m. § 86 Abs. 1 VVG zu, indem der Senat das Ehepaar R als mittelbare Handlungsstörer qualifiziert hat. Der Annahme einer Verantwortlichkeit stehe nicht entgegen, dass der Brand auf die Handlung eines Dritten, nämlich auf die Arbeiten des mit der Vornahme einer Dachreparatur beauftragten Werkunternehmers zurückzuführen ist. Mittelbarer Handlungsstörer sei auch derjenige, der die Beeinträchtigung des Nachbarn durch einen Anderen in adäquater Weise durch seine Willensbetätigung verursacht. Für die Zurechnung des durch den Handwerker herbeigeführten gefahrträchtigen Zustands des Grundstücks komme es nicht darauf an, ob bei der Auswahl des Handwerkers Sorgfaltspflichten verletzt wurden. Maßgeblich sei vielmehr, ob Sachgründe ersichtlich sind, die aufgetretene Störung ihrem Verantwortungsbereich zuzurechnen. Solche Sachgründe fänden sich darin, dass die Vornahme von Dacharbeiten veranlasst wurde und das Ehepaar R aus den beauftragten Arbeiten Nutzen ziehen wollten. Das sorgfältige Aussuchen des Handwerkers ändere an der Zurechnung nichts.²³⁹ Ähnlich wie bei der Frage nach dem Schutzzweck in BGH NZM 2019, 893 ist dem Senat im Ergebnis zuzustimmen. Dogmatisch erscheint die Lösung des Sachverhalts über einen Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 278 BGB jedoch näherliegender. Es geht um die Zurechnung der schuldhaften Pflichtverletzung eines Dritten. Der Rückgriff auf das unklare²⁴⁰ und undurchsichtige Konzept des mittelbaren Handlungsstörers kann jedoch durch die Zurechnung über § 278 BGB vermieden werden. Denn wie bereits festgestellt, ist dessen Anwendungsbereich eröffnet, soweit man das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis als Schuldverhältnis anerkennt. Der Dritte hat dann die Rücksichtnahmepflichten des Eigentümers gegenüber seinen Nachbarn ebenso zu wahren wie der Eigentümer selbst. Die Einwirkung ist im konkreten Fall zudem auch grundstücksbezogen, weil der Handwerker Bauarbeiten am Dach des Ehepaars R vornimmt. Dabei handelt es sich um eine typische Grundstücksnutzung, deren Gefahrvermeidung dem Schutzzweck des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zweifellos entspricht. Die vom Bundesgerichtshof zur Begründung der Haftung des Ehepaars verwendeten Kategorien und Formulierungen sind im Rahmen der Frage nach der Störereigenschaft des § 1004 BGB unüblich. Die diskutierten Sorgfaltsanforderungen entstammen vielmehr der Qualifikation von Dritten als Erfüllungs- oder Ver-

 BGH NJW 2018, 1542 (1543).  Raff, in: MüKo BGB, § 1004 Rn. 167 spricht von „zusätzliche[r] Unklarheit“, und zweifelt am Sinn der Unterscheidung zum Zustandsstörer.

182

E. Begründungsansätze

richtungsgehilfe gem. § 278 BGB und § 831 BGB.²⁴¹ Diese Tendenz fügt sich in die neueren Entscheidungen ein, in denen der Senat terminologisch von „Sicherungspflichten“ gesprochen hat.²⁴² Auch dieser Terminus ist im Rahmen der Frage nach der Verantwortlichkeit für Störungen eigentlich ungewohnt. Daran ändert auch nichts, dass der Bundesgerichtshof klarstellt, dass es sich jedenfalls nicht um Pflichten schuldrechtlicher Natur handelt. Ein weiterer Vorteil dieses Ansatzes ist eine interessengerechte Lösung in Fällen der Haftung von Mieter und Vermieter. In BGH NJW 2006, 992 kann der beeinträchtigte Nachbar nur den Mieter in Anspruch nehmen, weil der Vermieter die Grundstücksnutzung – wie üblich – nicht bestimmt. Nach der hier vertretenen Lösung hingegen ist § 278 BGB anwendbar, sodass sowohl der Vermieter über §§ 280 Abs. 1, 278 BGB als auch der Mieter über § 280 Abs. 1 BGB haften. Das folgt daraus, dass beide jeweils in einer schuldrechtlichen Verbindung zum Nachbarn stehen. Vermieter und Mieter sind dabei Gesamtschuldner und können das jeweilige Verschulden im Innenverhältnis ausgleichen. c) Vertretenmüssen Der Schuldner muss die Pflichtverletzung gem. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zu vertreten haben, sie muss ihm also zugerechnet werden können.²⁴³ Mit Blick auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis geht es also darum, dem Nachbarn die Pflichtverletzung, also die Einwirkung auf das Nachbargrundstück zuzurechnen. Maßgeblich sind insoweit die §§ 276 – 278 BGB: Der Schuldner hat dabei regelmäßig Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten,²⁴⁴ sodass das Verhalten des Nachbarn zu untersuchen ist. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB ist dabei eine widerlegbare Vermutungsregel.²⁴⁵ Der Gläubiger trägt daher die Beweislast für die Pflichtverletzung, die Schadensentstehung und den Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden, während der Schuldner für das Nichtvertretenmüssen beweispflichtig ist.²⁴⁶

 Klöpfer/Meier, JuS 2018, 1516 (1518) sprechen insoweit von „Vermischung“.  Vgl. BGHZ 157, 33 = NJW 2004, 1037 (1039).  Ernst, in: MüKo BGB; § 280 Rn. 21.  Lorenz, in: BeckOK BGB, § 280 Rn. 31.  Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, Rn. 346; Looschelders, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 5. Teil Rn. 9 ff.  BGH NJW 2009, 2298 (2298); Palandt/Grüneberg, BGB, § 280 Rn. 34; das Vertretenmüssen ist demnach keine Haftungsvoraussetzung, vielmehr ist dem Schuldner lediglich die Verteidigung durch Entlastungsbeweis gestattet; für die Schlüssigkeit bedarf es daher keines gesonderten Vortrags, vgl. Kramme, in: Prütting/Wegen/Weinreich, § 280 Rn. 19; Zieglmeier, JuS 2007, 701 (701 f.).

III. Stellungnahme

183

Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Haftung für faktische Duldungszwänge stellt die Voraussetzung des Vertretenmüssens den gravierendsten Unterschied der hier vertretenen Auffassung dar. Eine verschuldensunabhängige Haftung ist allerdings – wie bereits diskutiert – mit den Normen des BGB nur vereinbar, soweit die Analogievoraussetzungen vorliegen. Handelt es sich nicht um eine Aufopferungssituation, sondern um einen Fall faktischen Duldungszwangs, fehlt es an einer vergleichbaren Interessenlage. Dann ist ein Verschulden eine unumgängliche Haftungsvoraussetzung. Dennoch bietet eine Haftung aus vermutetem Verschulden einen interessensgerechten Mittelweg zwischen Verschuldens- und Gefährdungshaftung, zumal es sich um ein Rechtsinstitut handelt, dass dem BGB bekannt und innerhalb von Schuldverhältnissen wegen § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB üblich ist. d) Rechtsfolge Hat ein Grundstücksnachbar eine Pflicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis verletzt und hat er diese Pflichtverletzung auch zu vertreten, hat er den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Der Anspruchsumfang richtet sich nach den §§ 249 ff. BGB und umfasst alle unmittelbaren und mittelbaren Nachteile, die auf das schädigende Verhalten zurückzuführen sind. Grundsätzlich ist der Gläubiger so zu stellen, wie er stünde, wenn die verletzte Rücksichtnahmepflicht ordnungsgemäß erfüllt worden wäre.²⁴⁷ Haftungsbegrenzend ist in diesem Zusammenhang einzig der Schutzzweck des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses, sodass einzelne Schadenspositionen, die dem Zweck nicht entsprechen, möglicherweise nicht ersatzfähig sind.²⁴⁸

4. Fazit Der „nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch“, wie ihn die Rechtsprechung und auch ein Großteil der Literatur analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB annimmt, ist abzulehnen. Keine der aufgezeigten Begründungsansätze kann das Bestehen der Analogievoraussetzungen hinreichend begründen. Eine vergleichbare Interessenlage liegt nur

 Vgl. Lorenz, in: BeckOK BGB, § 280 Rn. 41.  Vgl. allgemein zum Schutzzweck der Norm BGHZ 201, 263 = NJW 2014, 2190 (2191); Beim Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB im Rahmen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses kommt dem Schutzzweck der Norm insbesondere beim Tatbestandsmerkmale der Pflichtverletzung besondere Bedeutung zu. Soweit der Grundstücksbezug dort vorliegt, entspricht auch der Schaden regelmäßig dem Schutzzweck der Norm.

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E. Begründungsansätze

vor, soweit es sich um eine Aufopferungssituation handelt. Besteht mangels bestehender rechtlicher Duldungspflicht eine solche Situation nicht, haftet der Schädiger für die rechtswidrige Einwirkungen nur verschuldensabhängig. Neben dem Deliktsrecht ist auch eine Haftung gem. § 280 Abs. 1 BGB denkbar.

F. Die Anwendungsmöglichkeiten des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB Die vorgenommene Untersuchung zeigt die Vielfalt, die § 906 BGB verbirgt. Schon hinsichtlich der Duldungspflicht aus § 906 Abs. 1 BGB bestehen unterschiedliche Analogiemöglichkeiten. Bei den diskutierten Analogien des § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB entstehen jeweils Duldungspflichten, die den Beeinträchtigten nicht zum Ausgleich berechtigen.¹ Im Hinblick auf die Einwirkungen auf ein Grundstück und die daraus resultierenden Ausgleichsansprüche aus § 906 Abs. 2 Satz BGB ergibt sich letztlich folgendes Bild: Einwirkung auf das Nachbargrundstück

Rechtmäßig (wegen § 1004 Abs. 2 BGB nicht abwehrbar)

Rechtswidrig (grds. nach § 1004 Abs. 1 BGB anwendbar)

Duldungspflicht aus § 242 BGB

Keine Duldungspflicht, sondern nur faktischer Duldungszwang

Duldungspflicht aus § 9 Duldungspflicht aus Abs. 1 BGB (analog) § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB

Kein Ausgleich

§ 906 Abs. 2 S atz 2 BGB

Analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

Duldungspflicht wegen überwiegendem öff. Interesse

Duldungspflicht aus nachbarl. Gemeinschaftsverhältnis

Analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

Analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

§ 280 Abs. 1 BGB, Deliksrecht

Fig. 1: *

§ 906 Abs. 2 Satz 2 BGB kommt nur zur Anwendung, soweit der Nachbar eine Einwirkung wegen einer Duldungspflicht nach § 1004 Abs. 2 BGB nicht abwehren kann. Die Duldungspflicht kann dabei aus mehreren Gesichtspunkten in Betracht kommen.

 Gemeint sind hier insbesondere die „ähnlichen von einem anderen Grundstück ausgehenden Einwirkungen“, vgl. Palandt/Herrler, BGB, § 906 Rn. 4 ff. https://doi.org/10.1515/9783111239545-008

186

F. Die Anwendungsmöglichkeiten des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

Zunächst besteht ein Ausgleichsanspruch in unmittelbarer Anwendung bei einer Duldungspflicht aus § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB wegen wesentlichen und ortsüblichen unzumutbaren Beeinträchtigungen, die nicht durch Maßnahmen verhindert werden können, die dem Nachbarn wirtschaftlich zumutbar sind und die eine ortsübliche Grundstücksbenutzung beeinträchtigen. Eine analoge Anwendung der Norm kommt bei Duldungspflichten aus § 242 BGB, Duldungspflichten wegen überwiegendem öffentlichen Interesse oder dem Gebot der Rücksichtnahme aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis in Betracht. Wegen der vorliegenden privatrechtlichen Aufopferungssituation ist die Interessenlage vergleichbar. Soweit es um rechtswidrige Einwirkungen geht, die nicht nach § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden sind, besteht diese vergleichbare Interessenlage mangels Aufopferungssituation nicht. Deshalb kann § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB weder direkt noch analog zur Anwendung gelangen, wenn es um faktische Duldungszwänge geht. Eine Haftung des Grundstücksnachbarn kann sich dann verschuldensabhängig aus § 280 Abs. 1 BGB im Lichte des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses sowie aus den allgemeinen deliktsrechtlichen Vorschriften ergeben.

G. Zusammenfassung 1.

2.

3.

4.

Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis ist ein gesetzliches Schuldverhältnis, dessen Grundlage die §§ 905 ff. BGB und die Nachbargesetze der Länder bilden. Beteiligte dieses Schuldverhältnisses sind nicht nur die Eigentümer der Grundstücke, sondern gegebenenfalls auch Besitzer und vergleichbare Personen. Das Schuldverhältnisses entsteht wegen der sich dauerhaft gegenüberstehenden Nutzungsbefugnisse aus § 903 BGB, die aus den Eigentumspositionen an den Grundstücken resultieren. Diese dauerhafte Überschneidung erfordert die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme und rechtfertigt ein Schuldverhältnis bestehend aus darauf bezogenen Pflichten. Diese Pflichten des Schuldverhältnisses sind die Rücksichtnahmepflichten zwischen den Nachbarn, auf die sämtliche schuldrechtliche Normen, insbesondere §§ 278, 280 BGB anwendbar sind. § 1004 BGB realisiert die Eigentümerbefugnisse aus § 903 BGB. § 906 BGB stellt dazu eine einheitliche Schranke in Form einer rechtshindernden Einwendung dar, um bei der Nutzung eines Grundstücks im Verhältnis zu den benachbarten Grundstücken möglicherweise auftretende Konflikt in einen vernünftigen Ausgleich zu bringen. Dazu normiert § 906 BGB in Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 verschiedene Duldungspflichten, durch welche der Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist, § 1004 Abs. 2 BGB. Der Rechtsgedanke von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB entspringt der Rechtsprechung des Reichsgerichts. Die Norm selbst trat erst 1960 in Kraft. Die unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB kodifiziert einen Aufopferungsanspruch, der dem beeinträchtigten Nachbarn einen Ausgleich für ein erlittenes Sonderopfer zuspricht. Dieses besteht in der aufgezwungenen Duldung nach § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB und der daraus folgenden Versagung des Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB. Der Bundesgerichtshof hat den vom Reichsgericht gespannten Anwendungsbereich des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch nach und nach ausgedehnt und neben den ursprünglich erfassten Konstellationen einen solchen Anspruch auch demjenigen zugesprochen, der aus anderen Gründen zur Duldung einer Einwirkung gezwungen ist. Insoweit kann eine Duldungspflicht insbesondere aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis, überwiegendem öffentlichen Interesse oder wegen faktischer Duldungszwänge begründet werden. Eine Duldungspflicht aus überwiegendem öffentlichem Interesse kann einen Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB nur ausschließen, soweit eine entsprechende Rechtsnorm besteht, welche als Rechtsgrundlage fungieren kann. Dazu muss die jeweilige Vorschrift das spezifische Allgemeininteresse un-

https://doi.org/10.1515/9783111239545-009

188

5.

6.

7.

G. Zusammenfassung

zweifelhaft zum Ausdruck bringen, da ansonsten die Beschränkung der Ausschließungsbefugnis des Eigentümers nach § 903 BGB nicht gerechtfertigt sein kann. Der Bundesgerichtshof und ein großer Teil der Literatur wenden die Norm außerdem analog auf faktische Duldungszwänge an. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB soll also auch demjenigen zugutekommen, dem die Durchsetzung seines Unterlassungsanspruchs faktisch, bspw. wegen Zeitmangels, unmöglich ist. Dieser, von der Rechtsprechung als „nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch“ bezeichnete Anspruch, wie ihn die Rechtsprechung und auch ein Großteil der Literatur analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB annimmt, ist abzulehnen. Keiner der aufgezeigten Begründungsansätze kann das Bestehen der Analogievoraussetzungen hinreichend begründen. Eine vergleichbare Interessenlage liegt nur vor, soweit es sich um eine Aufopferungssituation handelt. Besteht mangels bestehender rechtlicher Duldungspflicht eine solche Situation nicht, haftet der Schädiger für die rechtswidrige Einwirkungen nur verschuldensabhängig. Neben dem Deliktsrecht ist auch eine Haftung gem. § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis denkbar. § 278 BGB kommt im Rahmen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zur Anwendung. Die Pflichtverletzungen von Dritten können dem Grundstückseigentümer jedoch nur zugerechnet werden, soweit die Pflichtverletzung dem Schutzzweck des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses entspricht. Zugerechnet werden deswegen nicht jegliche Handlungen, sondern nur solche, die einen spezifischen Grundstücksbezug aufweisen. Insgesamt ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Ergebnis zu befürworten, jedoch lässt sich die Haftung für faktische Duldungszwänge aus der aktuell bestehenden Gesetzeslage heraus dogmatisch nicht begründen.

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