Das Koalitionsgesetz: Verfassungsrechtliche Überlegungen zur Neuregelung des Rechts der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände [1 ed.] 9783428437771, 9783428037773

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Das Koalitionsgesetz: Verfassungsrechtliche Überlegungen zur Neuregelung des Rechts der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände [1 ed.]
 9783428437771, 9783428037773

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 313

Das Koalitionsgesetz Verfassungsrechtliche Überlegungen zur Neuregelung des Rechts der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände

Von

Michael Gerhardt

Duncker & Humblot · Berlin

Michael Gerhardt

/ Das Koalitionsgesetz

Schriften zum öffentlichen Band 313

Recht

Das Koalitionsgesetz Verfassungsrechtliche Ü b e r l e g u n g e n z u r N e u r e g e l u n g des Rechts der G e w e r k s c h a f t e n u n d d e r A r b e i t g e b e r v e r b ä n d e

Von Dr. Michael Gerhardt

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Gerhardt, Michael Das Koalitionsgesetz: verfassungsrechtl. Überlegungen zur Neuregelung d. Hechts d. Gewerkschaften u. d. Arbeitgeberverbände. — 1. Aufl. — Berlin: Duncker und Humblot, 1977. (Schriften zum öffentlichen Recht; Bd. 313) I S B N 3-428-03777-4

Alle Rechte vorbehalten (D 1977 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1977 bei Buchdruckerei Ricäiard Schröter, Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3 428 03777 4

Vorwort Die hier vorgelegte Untersuchung stellt die überarbeitete Fassung einer Dissertation dar, die dem juristischen Fachbereich der Universität München i m Wintersemester 1975/76 vorlag. Sie wurde von Herrn Prof. Dr. Peter Badura angeregt und betreut; ich bin i h m dafür zu herzlichem Dank verpflichtet. Mein Dank gilt ferner Herrn Prof. Dr. Wolfgang Fikentscher, an dessen Lehrstuhl von 1973 bis 1976 zu arbeiten ich das Privileg hatte. Das Manuskript wurde i m Juni 1976 abgeschlossen, Erscheinungen bis Ende September 1976 konnten i n den Anmerkungen berücksichtigt werden. Bewußt verzichtet wurde auf die Einarbeitung der Fülle tagespolitischer Äußerungen, wie sie der Wahlkampf zum 8. deutschen Bundestag hervorbrachte; der Interessierte findet i n Heft 4/1976 der Gewerkschaftlichen Monatshefte Beiträge von H. M. Schleyer, P. v. Oertzen, K. H. Biedenkopf und W. Mischnik zur Rolle der Gewerkschaften i n der Sicht der Arbeitgeber und der Parteien, die dafür vollwertigen Ersatz bieten. München, i m Oktober 1976 Michael Gerhardt

Inhaltsverzeichnis Einleitung I. Die Gewerkschaften

15 nach geltendem Recht

1. Stellung und Wirkungskreis der Gewerkschaften in Staat und Gesellschaft

20 20

a) Die Grundlagen der sozialen Selbstverwaltung

20

b) Die selbstgesetzten Aufgaben der Gewerkschaften

21

c) Institutionalisierte Zuständigkeiten und Rechte der Gewerkschaften

23

d) Bereiche und Bedeutung faktischer Einflußnahme der Gewerkschaften

29

2. Die Gewerkschaften als Vereine des bürgerlichen Rechts

32

a) Die Gewerkschaften i m Rechtsverkehr

33

b) Grundsatz und Schranken der Vereinsautonomie

35

c) Die innere Ordnung

36

d) Die Mitgliedschaft

40

3. Die Organisation der Gewerkschaften nach Satzungsrecht

48

a) Typen gewerkschaftlicher Verbandsorganisation

48

b) Aufbau, Organe und Willensbildung

50

c) Mitgliedschaft

62

d) Spitzenorganisationen der Gewerkschaften: der DGB

68

II. Die Gewerkschaften

in rechtspolitischer

Sicht

1. Die Ebenen rechtspolitischer Diskussion 2. Ordnungspolitische Vorstellungen zu Standort und Funktion der Gewerkschaften in Staat und Gesellschaft

72 72 74

a) Zur Legitimation der Gewerkschaften

75

b) Zur Integration der Gewerkschaften in die staatliche Ordnung

89

c) Zur Funktion der Gewerkschaften im Wandel des Wirtschaftssystems 105 3. Forderungen nach Sicherung und Ausbau der Individualrechte gegenüber gewerkschaftlicher Kollektivmacht 109 a) Erweiterung des Individualschutzes nach bürgerlichem Recht? 110 b) Elemente innergewerkschaftlicher Demokratie

116

c) Gewerkschaften und Außenseiter

131

8

nsverzeichnis

I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz: die verfassungsrechtlichen Bindungen des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Rechts der Koalitionen 135 1. Inhalt und Schranken der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 G G in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 137 a) Der Inhalt der Koalitionsfreiheit in ihren verschiedenen Gewährleistungen 137 aa) Das Individualgrundrecht

137

bb) Das Kollektivgrundrecht

138

cc) Die „Einrichtungsgarantie"

141

b) Die Schranken der Koalitionsfreiheit

143

aa) Die Kernbereichslehre

143

bb) Die Schranken der einzelnen Koalitionstätigkeiten

145

cc) Die allgemeine Kollisionsformel

149

2. Dogmatische Ansätze zur Bestimmung von Inhalt und Schranken der Koalitionsfreiheit 151 a) Art. 9 Abs. 3 G G i m Lichte der traditionellen systematik

Schranken-

b) Das liberale Verständnis der Koalitionsfreiheit

154

aa) Art. 9 Abs. 3 G G als Individualgrundrecht bb) Zur Reichweite Grundrechte

der Lehre

von der Drittwirkung

152

155 der

157

cc) Art. 9 Abs. 3 GG i m Spannungsfeld restaurativer Doktrinen zum Verhältnis Staat - Gesellschaft 159 c) Objektivierende Auffassungen der Koalitionsfreiheit aa) Koalitionsfreiheit als Einrichtungsgarantie

163 163

bb) Grundrechtsfunktionen i m staatlich-gesellschaftlichen Gesamtsystem 166 d) Die Koalitionsfreiheit im Legitimations- und Funktionszusammenhang zwischen staatlicher Ordnung und individueller Freiheit 170 3. Bindungen der Koalitionsautonomie kraft öffentlichen Interesses: Legitimation und Funktion im Verhältnis Staat - Gewerkschaften 177 a) Anforderungen an die Gewerkschaften als Tarifvertragsparteien 180 aa) Zur Differenzierung zwischen Berufsverbänden und tariffähigen Koalitionen 180 bb) Innere Funktionsbedingungen die Koalitionsmerkmale

des Tarif Vertragssystems:

183

cc) Äußere Funktionsbedingungen des Tarif Vertragssystems: der Koalitionspluralismus 203

nsverzeichnis b) Institutionelle und organisationsinterne Voraussetzungen für die Beiziehung der Gewerkschaften zur staatlichen Wirtschaftslenkung 206 aa) Das Legitimationsproblem im allgemeinen

208

bb) Staatliche Koalitionsaufsicht?

210

cc) Legitimitätssichernde Normativbestimmungen?

212

dd) Staatliche Wirtschaftslenkung und Gewerkschaftsloyalität 219 c) Befugnisse des Gesetzgebers zur Regelung des Verhältnisses der Gewerkschaften zu den politischen Parteien 222 aa) Gewerkschaften im vorstaatlichen Willensbildungsprozeß 222 bb) Gewerkschaften und Parteien

223

cc) Politischer Streik und Widerstandsrecht

227

dd) Publizität der politischen Betätigung der Gewerkschaften 229 ee) Minderheitenschutz in der Einheitsgewerkschaft

234

d) Allgemeine Bedingungen für die Beteiligung der Gewerkschaften an der öffentlichen Verwaltung 237 aa) Beteiligung durch Wahlvorschläge

238

bb) Benennung und Entsendung von Gewerkschaftsvertretern 239 cc) Anhörung der Gewerkschaften

243

e) Auswirkungen des Mitbestimmungsgesetzes auf die Organisation der Gewerkschaften 243 4. Bindungen der Koalitionsautonomie kraft Arbeitnehmerinteresses : Legitimation und Funktion im Verhältnis Gewerkschaften - A r beitnehmer 252 a) Die verfassungsrechtliche Stellung der Nichtorganisierten gegenüber den Gewerkschaften 253 aa) Negative und positive Koalitionsfreiheit des Außenseiters 253 bb) Zu Möglichkeiten, die Außenseiterinteressen zu berücksichtigen, insbesondere zum Aufnahmeanspruch 256 cc) Außenseitergruppen und Gewerkschaften

261

b) Anforderungen an die innere Struktur der Gewerkschaften .. 263 aa) Innerverbandliche Demokratie zwischen individueller und kollektiver Koalitionsfreiheit 263 bb) Mindesterfordernisse für die Ausgestaltung der inneren Ordnung durch Satzungsrecht 266 cc) Grundelemente repräsentativer Demokratie

269

dd) Demokratisierung durch Anreicherung der Elemente partizipatorischer Demokratie 280 5. Gesetzgeberische Befugnisse zur Regelung des Rechts der Spitzenorganisationen 288 6. Verfassungsauftrag zur Schaffung eines Koalitionsgesetzes?

293

10

nsverzeichnis

I V . Grundüberlegungen zur verfassungsrechtlichen Besonderheiten der Arbeitgeberverbände V. Regelung des Rechts der Koalitionen Schluß

durch Gesetz?

der 298 306 312

Zusammenstellung Verzeichnis

Berücksichtigung

der Thesen

der Rechtsprechung

Literaturverzeichnis

313 315 317

Abkürzungsverzeichnis (Abkürzungen juristischer Fachausdrücke und allgemeine Wortabkürzungen sind nicht aufgenommen; für diese sei auf das Abkürzungsverzeichnis I I des Beck'schen Kurzkommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch von O. Palandt, 35. Aufl. 1976, S. X X X I X , verwiesen.) ADAC AFG AÖR AP AR-Blattei ArbG ArbGG ArbNErfG ArbRdGegw ARSP AuR AVAVG B A G (GS) BÄK BayBB BayVBl. BayVerfGH (n. F.) BB BBG BDA BE BetrVG BGB BGBl. B G H (Z) BK BRD BSE BSG BT-Dr BV B Verf G (E) BVerfGG

Allgemeiner Deutscher Automobil-Club Arbeitsförderungsgesetz v. 25.6.69, BGBl. I 582 Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis — Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts Arbeitsrecht-Blattei Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz v. 3.9.53, BGBl. I 1267 Gesetz über Arbeitnehmererfindungen v. 25.7.57, BGBl. I 756 Arbeitsrecht der Gegenwart Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Arbeit und Recht Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung v. 16. 7. 27, RGBl. I 187, durch das A F G aufgehoben Bundesarbeitsgericht (Großer Senat) Bundesassistentenkonferenz Bayerischer Beamtenbund e.V. i m Deutschen Beamtenbund, auch: Satzung des BayBB, 1972 Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof (Sammlung von Entscheidungen des BayVerfGH, neue Folge) Der Betriebsberater Bundesbeamtengesetz i. d. F. v. 17.7.71, BGBl. I

1181

Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, auch: Satzung des BDA, 1972 Industriegewerkschaft Bergbau und Energie, auch: Satzung der BE, 1971 Betriebsverfassungsgesetz v. 15.1.72, BGBl. I 13 Bürgerliches Gesetzbuch v. 18.8.96, RGBl. 195 Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof (Entscheidungen in Zivilsachen) Bonner Kommentar Bundesrepublik Deutschland Industriegewerkschaft Bau — Steine — Erden, auch: Satzung der BSE, 1972 Bundessozialgericht Bundestagsdrucksache Bayerische Verfassung v. 2.12.46, Bereinigte Sammlung I 3 Bundesverfassungsgericht (Entscheidungen) Gesetz über das Bundesverfassungsgericht i. d. F. v. 3. 2. 71, BGBl. I 105

12 BVerwG (E) BWahlG CDU CGB CPK DAG DB DDR DFB DGB DHV DJT DÖV DP DPG DVB1. EuratomV EWGV FDP GDBA GdED GdP GenG GeschOBT GEW GEW-Bay GewO GG GGO GHK GLF GMH GüKG GWB HAG HBV HdSW IAO

Abkürzungsverzeichnis :

Bundesverwaltungsgericht (Entscheidungen) Bundeswahlgesetz v. 7.5. 56, BGBl. I 383 Christlich-Demokratische Union : Christlicher Gewerkschaftsbund : Industriegewerkschaft Chemie — Papier — Keramik, auch: Satzung der CPK, 1972 : Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, auch: Satzung der DAG, 1971 Der Betrieb Deutsche Demokratische Republik Deutscher Fußball-Bund Deutscher Gewerkschaftsbund, auch: Satzung des DGB, 1971 Deutscher Handels- und Industrieangestellten-Verband Deutscher Juristentag Die öffentliche Verwaltung Industriegewerkschaft Druck und Papier, auch: Satzung der DP, 1972 Deutsche Postgewerksdiaft, auch: Satzung der DPG, 1971 Deutsches Verwaltungsblatt Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft v. 25.3.57 Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft v. 25. 3. 57 Freie Demokratische Partei Gewerkschaft Deutscher Eisenbahnbeamten und A n wärter im Deutschen Beamtenbund, auch: Satzung der GDBA, 1970 Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands, auch: Satzung der GdED, 1972 Gewerkschaft der Polizei, auch: Satzung der GdP, 1972 Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften i. d. F. v. 20. 5. 98, RGBl. 810 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages i. d. F. v. 22. 5. 70, BGBl. I 628 Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, auch: Satzung der GEW, 1974 GEW-Bayern, auch: Satzung 1974 Gewerbeordnung i. d. F. v. 26.7.00, RGBl. 871 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v. 23. 5. 49, BGBl. I 1 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien Gewerkschaft Holz und Kunststoff, auch: Satzung der G H K , o. J. (8. Ord. Gewerkschaftstag) Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft, auch: Satzung der GLF, 1974 Gewerkschaftliche Monatshefte Güterkraftverkehrsgesetz i. d. F. v. 6.5.75, BGBl. I 2132 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen i. d. F. v. 4. 4. 74, BGBl. I 869 Heimarbeitsgesetz v. 14. 3. 51, BGBl. I 191 Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen, auch: Satzung der HBV, 1972 Handbuch der Sozialwissenschaften Internationale Arbeitsorganisation : :

Abkürzungsverzeichnis IBFG IGM JR JZ KPD KritJ KSchG Kunst LAG Leder L.M.R.D.A. MDR MitbestG NGG NJW NPD NPL OLG Ordo ÖTV PartG PVS RdA RFFU R G (Z) RGBl. SelbstVerwG SPD StabG TB TUC TVG VereinsG VerwArch VHW WDStRL WGB WuW WV ZfA ZfP ZPO ZRP

= Internationaler Bund Freier Gewerkschaften — Industriegewerkschaft Metall, auch: Satzung der I G M , 1972 = Juristische Rundschau = Juristenzeitung = Kommunistische Partei Deutschlands = Kritische Justiz = Kündigungsschutzgesetz v. 25. 8. 69, BGBl. I 1317 = Gewerkschaft Kunst = Landesarbeitsgericht = Gewerkschaft Leder, auch: Satzung Leder, 1972 = Labor-Management Relations and Disclosure Act 1959 = Monatsschrift für Deutsches Recht = Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer v. 4. 5. 76, BGBl. I 1153 = Gewerkschaft Nahrung — Genuß — Gaststätten, auch Satzung der NGG, 1974 = Neue Juristische Wochenschrift = Nationaldemokratisdie Partei Deutschlands = Neue politische Literatur = Oberlandesgericht = Ordo, Jahrbücher für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft = Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, auch: Satzung der ÖTV, 1972 = Gesetz über die politischen Parteien v. 24.7.67, BGBl. I 773 = Politische Vierteljahresschrift = Recht der Arbeit = Rundfunk-Fernseh-Film-Union, auch: Satzung der RFFU, 1971 = Reichsgericht (Entscheidungen in Zivilsachen) = Reichsgesetzblatt = Gesetz über die Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Sozialversicherung i. d. F. v. 23.8.67, BGBl. I 917 = Sozialdemokratische Partei Deutschlands = Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft v. 8. 6. 67, BGBl. I 582 = Gewerkschaft Textil — Bekleidung, auch: Satzung der TB, 1971 = Trade Union Congress = Tarifvertragsgesetz i. d. F. v. 25. 8. 69, BGBl. I 1323 = Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts v. 5. 8. 64, BGBl. I 593 = Verwaltungsarchiv = Verband Hochschule und Wissenschaft im BayBB, auch: Satzung des V H W , 1972 = Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer = Weltgewerkschaftsbund = Wirtschaft und Wettbewerb = Weimarer Verfassung v. 11. 8.19, RGBl. 1383 = Zeitschrift für Arbeitsrecht = Zeitschrift für Politik = Zivilprozeßordnung i. d. F. v. 12. 9. 50, BGBl. I 535 = Zeitschrift für Rechtspolitik

Einleitung D e r G e g e n s t a n d des k o l l e k t i v e n A r b e i t s r e c h t s l ä ß t sich u n t e r t e i l e n i n das Hecht d e r K o a l i t i o n e n , das Recht des T a r i f v e r t r a g s , des A r b e i t s k a m p f e s u n d d e r S c h l i c h t u n g u n d das Recht d e r B e t r i e b s v e r f a s s u n g u n t e r E i n s c h l u ß des Rechts d e r M i t b e s t i m m u n g u n d d e r V e r m ö g e n s b i l d u n g i n A r b e i t n e h m e r h a n d 1 . V o n diesen M a t e r i e n s i n d gesetzlich geregelt l e d i g l i c h das Recht des T a r i f v e r t r a g s u n d d e r B e t r i e b s v e r fassung. D i e B i l d u n g , O r g a n i s a t i o n u n d rechtliche S t e l l u n g d e r K o a l i t i o n e n r i c h t e t sich n a c h a l l g e m e i n e m b ü r g e r l i c h e n Recht, s o f e r n n i c h t d i e Rechtsprechung p u n k t u e l l M o d i i i k a t i o n e n a u f g r u n d d e r besonderen A u f g a b e u n d B e d e u t u n g d e r K o a l i t i o n e n e n t w i c k e l t h a t , w i e es besonders a u g e n f ä l l i g z u r S t e l l u n g d e r G e w e r k s c h a f t e n i m Z i v i l p r o z e ß geschehen ist. D i e h i e r v o r g e l e g t e A r b e i t g e h t d e r F r a g e nach, ob u n d i n w i e w e i t eine gesetzliche S o n d e r r e g e l u n g dieser M a t e r i e f ü r d i e K o a l i t i o n e n verfassungsrechtlich zulässig, i n w i e w e i t sie r e c h t s p o l i t i s c h n o t w e n d i g , i n w i e w e i t n u r w ü n s c h e n s w e r t u n d n ü t z l i c h ist. Der Vorschlag zu einem sog. „Koalitionsgesetz" wurde bereits i m Jahre 1951 von Brisch 2 unterbreitet. Brisch orientierte sich in erster Linie an der Frage der Rechtsfähigkeit der Gewerkschaften, einer Frage, deren Brisanz durch die höchstrichterliche Anerkennung der allgemeinen Parteifähigkeit der Gewerkschaften in den Jahren 1964 und 19683 gemindert wurde. Parallel zu dieser mehr zivilistisch ausgerichteten Diskussion artikulierte sich i m Rahmen der breiten staatsrechtlichen Erörterung des Verhältnisses des Staates zur Macht der Verbände, für die die Koalitionen besonders exponierte Beispiele sind, immer eindringlicher das Bedürfnis nach gesetzlicher Regelung des Verbandswesens i m allgemeinen sowie des Koalitionswesens i m besonderen 4. Es kulminiert diese Entwicklung in der energischen Forderung Galperins 19705, der Mutation der Gewerkschaften zu einer neuen Art sozialpolitischer Verbände, deren Integration in die Wirtschafts- und Verwaltungsordnung nicht mehr rückgängig gemacht werden könne, durch ein 1 Zum Zusammenhang der Vermögensbildung mit dem kollektiven Arbeitsrecht P. Badura, Arbeitsgesetzbuch, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie, RdA 1974, 129, 130. 2 17. Brisch , Die Rechtsstellung der deutschen Gewerkschaften, 1951. 3 B G H Z 42, 210; 50, 325, jeweils mit Literaturnachweisen. 4 Als jüngster Diskussionsbeitrag ist zu nennen K . M. Meessen, Erlaß eines Verbändegesetzes als rechtspolitische Aufgabe?, 1976; i m übrigen siehe unten I I 2 b. 6 H. Galperin, Die Stellung der Gewerkschaften im Staatsgefüge, 1970.

16

Einleitung

Gesetz Rechnung zu tragen, das Aufgaben und Rechte der Gewerkschaften klären und den rechtlichen Rahmen für die Ausgestaltung ihrer inneren Ordnung abstecken würde. Die seit 1975, nach der „Mannheimer Erklärung" der C D U wieder auflebende Diskussion um ein „Verbandsgesetz" wird von Gewerkschaftsseite als Versuch aufgefaßt, unter dem Deckmantel einer allgemeinen Regelung ein „Gewerkschaftsgesetz" politisch hoffähig zu machen 6 . Die Forderung nach einem Koalitionsgesetz beschränkte sich aber nicht auf Autoren, die die Verbandsmacht kanalisieren wollen, auch das Gegenteil, die Stärkung der Koalitionen, insbesondere der Gewerkschaften, erhoffen sich Stimmen in der Literatur? von einem derartigen Gesetz. Nachdem der Versuch der Gewerkschaften gescheitert war, tarifvertraglich Maßnahmen des äußeren Koalitionszwangs wie Differenzierungsklauseln oder Solidaritätsbeiträge durchzusetzen, wurde die Forderung erhoben, der Gesetzgeber sei durch die Verfassung verpflichtet, den Koalitionen die gesetzliche Grundlage für die Verwirklichung ihres „Koalitionswohls" zu schaffen, wobei als wichtiges Element gewerkschaftlicher Sekuritätspolitik der Solidaritätsbeitrag angesehen wird. Schließlich ist der Gedanke eines Koalitionsgesetzes eng verknüpft mit der allgemeinen Forderung nach der Kodifizierung des Arbeitsrechts 8 .

U n t e r „ K o a l i t i o n s g e s e t z " s o l l i n dieser A r b e i t e i n Gesetz v e r s t a n d e n w e r d e n , das d i e Rechtsbeziehungen d e r G e w e r k s c h a f t e n u n d A r b e i t g e b e r v e r b ä n d e n a c h i n n e n u n d außen regelt, s o w e i t diese n i c h t Gegens t a n d des T a r i f - , S c h l i c h t u n g s - oder A r b e i t s k a m p f r e c h t s o d e r des Rechts der B e t r i e b s v e r f a s s u n g sind. Das K o a l i t i o n s g e s e t z s o l l e i n e d e m Gesetz ü b e r d i e p o l i t i s c h e n P a r t e i e n 1967 ( P a r t G ) entsprechende S t a t u i e r u n g des Rechts der K o a l i t i o n e n i m engeren S i n n , d. h. d e r G e w e r k schaften u n d A r b e i t g e b e r v e r b ä n d e 9 , d a r s t e l l e n . Fragen der Kodifizierung des Arbeitskampf- oder Schlichtungsrechts werden also nicht behandelt, ebensowenig wie das Problem der Reichweite der Tarifautonomie, soweit sie sich nicht auf das Organisationsrecht der Koalitionen auswirken. Das Vorgehen sei am Beispiel des äußeren Koalitionszwangs erläutert: Ob tarifvertragliche Differenzierungsklauseln zulässig sind, bemißt sich nach den Grenzen der Tarifautonomie gegenüber der Freiheit der Nichtorganisierten; dieser umstrittenen Frage kann hier nicht nachgegangen werden. Dagegen wird erörtert werden, welche Folgen die gesetzliche Anerkennung von Differenzierungsklauseln oder eines Solidaritätsbeitrags für die interne Willensbildung und die Legitimation der Gewerkschaften hätte und wie dem der Gesetzgeber Rechnung tragen müßte, möglicherweise durch Stärkung der Rechte von Minderheiten in e Vgl. dazu die Hinweise in Heft 1, S. 12, Jahrgang 10 (1976) des Gewerkschaftsreportes. 7 So F.-J. Säcker , Grundprobleme des kollektiven Arbeitsrechts, 1969. 8 P. Badura, Arbeitsgesetzbuch, 130; ferner P. Römer, Für und wider ein Gesetzbuch der Arbeit, AuR 1970, 141; Th. Mayer-Maly, Probleme der Erstellung eines Arbeitsgesetzbuches, AuR 1975, 225, unter Hinweis auf die österreichischen Erfahrungen bei der Kodifikation des Arbeitsrechts. 9 Zu dieser Differenzierung unten I I I 3 a aa.

Einleitung den Gewerkschaften oder durch Normierung eines Aufnahmeanspruches des Außenseiters gegenüber der Koalition. Daß gesetzestechnisch Vorschriften über den äußeren Koalitionszwang dem Koalitionsgesetz angefügt werden sollten1«, ändert nichts daran, daß die verfassungsrechtliche Problematik ganz verschieden gelagert ist als die hier zu behandelnde.

I m M i t t e l p u n k t der A r b e i t steht die Untersuchung der verfassungsrechtlichen Grenzen gesetzgeberischen Ermessens bei der Schaffung eines Koalitionsgesetzes. Ob u n d i n w i e w e i t der Gesetzgeber i n die durch A r t . 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsautonomie eingreifen kann, läßt sich der Verfassungsvorschrift nicht ohne weiteres entnehmen, da sie keinen Schrankenvorbehalt kennt. Es gilt, I n h a l t u n d Schranken der Koalitionsfreiheit u n d damit der Koalitionsautonomie i m Wege der Verfassungsauslegung zu finden. I n der Koalitionsfreiheit verbinden sich individuelle u n d kollektive Gewährleistungen m i t einem sozialen Gestaltungsprinzip. V o n daher ist die Koalitionsfreiheit nicht begrifflich u n d aus sich selbst heraus erfaßbar, sondern n u r als ein gewachsenes u n d sich entwickelndes Strukturelement des Gemeinwesens, das i n Wechselwirkung zu anderen steht. Wenn Kaiser 11 i n der D i a l e k t i k v o n Staat u n d Gesellschaft die Grundlage staatsbürgerlicher Freiheit sieht u n d folgert: „Die Freiheit des Individuums und seine soziale Sicherheit sind unter den Bedingungen der industriellen Massengesellschaft nur unter zwei Voraussetzungen gewährleistet: erstens müssen staatsunabhängige Organisationen in der Lage sein, die Interessen der Einzelperson und der Gruppen gegenüber anderen Gruppen und gegenüber der Staatsgewalt wahrzunehmen, und zweitens muß der Staat stark genug sein, den einzelnen gegen die willkürliche Handhabung der Organisationsmacht und die nationale Gemeinschaft gegen den Machtmißbrauch einer Minorität zu schützen",

dann ist damit auch das Netz v o n Spannungsverhältnissen angedeutet, i n das die Koalitionsfreiheit eingefügt ist. Die Koalitionsautonomie als Gewährleistung der Unabhängigkeit der k o l l e k t i v e n Einheit erweist sich als i n jeder Beziehung ambivalent: Die kollektive Einheit dient dem Einzelnen u n d bedroht i h n zugleich i n seiner Unabhängigkeit, sie dient der staatlichen Ordnung u n d bedroht den Staat zugleich i n seiner Souveränität. Die Gefahren, die von den intermediären Mächten ausgehen, abzuwenden, ohne ihre Funktionen zu beschneiden, muß das gesetzgeberische Z i e l bei jeder Regelung des Rechts der Verbände, insbesondere der verfassungsrechtlich privilegierten Koalitionen, ausmachen. Auch w e n n dies unerreichbares Ideal ist, so verpflichtet es den Gesetzgeber doch 10 11

Dazu unten V. J. H. Kaiser , Die Repräsentation organisierter Interessen 1956, 338.

2 Gerhardt

18

Einleitung

a u f d e n schonendsten A u s g l e i c h . D i e s e r ist jedoch n i c h t f i x i e r b a r , d e r Gesetzgeber h a t e i n e n E n t s c h e i d u n g s s p i e l r a u m . U m dessen verfassungsrechtlichen R a h m e n z u b e s t i m m e n , b e d a r f es zunächst e i n e r B e s t a n d s a u f n a h m e , w i e K o a l i t i o n s a u t o n o m i e sich gegenw ä r t i g v e r w i r k l i c h t . I h r sind gegenüberzustellen n o r m a t i v e E r w ä g u n gen, d i e k r i t i s c h oder a f f i r m a t i v sein k ö n n e n . I n d e r A u s e i n a n d e r s e t z u n g u n d i m A u s g l e i c h z w i s c h e n diesen b e i d e n erschließen sich d e r gegenw ä r t i g e I n h a l t u n d die Grenzen der Koalitionsfreiheit 12. Demgemäß geht die Darstellung aus von der geltenden Rechtslage, kontrastiert mit ihr Kritik und rechtspolitische Zielvorstellungen, um beides i m Hauptteil I I I bei der Erfassung der verfassungsrechtlichen Aspekte eines Koalitionsgesetzes zu verwerten. Als Anschauungsobjekt wurden die Gewerkschaften gewählt, unter ihnen vornehmlich die DGB-Gewerkschaften 13 , die D A G und die GdP. Für diese Wahl waren folgende Vorüberlegungen maßgebend: Den Gewerkschaften scheint i m Verhältnis zu Staat und Gesellschaft eine eigenständigere und dominantere Stellung zuzukommen als den Arbeitgeberverbänden, die nur einen Teil der vielfältigen Einflußmöglichkeiten der Unternehmer darstellen; ferner steht zu vermuten, daß innerorganisatorische Probleme bei Massenorganisationen wie Gewerkschaften weniger überlagert sind durch informelle Beziehungen als in den ganz anders zusammengesetzten Arbeitgeberverbänden; auch steht zu erwarten, daß ein Abhängigkeitsverhältnis des einzelnen von seiner Koalition sich im Verhältnis Arbeitnehmer — Gewerkschaft deutlicher zeigen wird als auf Arbeitgeberseite; schließlich war auch von Gewicht, daß die Gewerkschaften sozialwissenschaftlich wesentlich ausführlicher untersucht sind als die Arbeitgeberverbände. Daher werden die Arbeitgeberverbände nur i m summarischen Vergleich behandelt. Die Auswahl unter den Gewerkschaften wurde getroffen, nachdem ein Überblick über die christlichen Gewerkschaften keine nennenswerten Abweichungen zum Organisationsrecht der DGB-Gewerkschaften ergeben hatte, zumal ihre Bedeutung gering ist 1 4 . Von den Verbänden im Deutschen Beamtenbund wurden zwei ergänzend betrachtet, nämlich die Gewerkschaft Deutscher Bundesbahnbeamten und Anwärter im Deutschen Beamtenbund und der Verband Hochschule und Wissenschaft i m Bayerischen Beamtenbund, dieser als ein erst jüngst gegründeter Verband. 12 Vgl. P. Häberle, Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, JZ 1975, 297, insbes. 303 f. 13 Von den in der Gewerkschaft Kunst zusammengefaßten Verbänden wird stellvertretend nur die R F F U betrachtet. 14 Cirka 7 Millionen Organisierten im DGB und ca. 500 000 in der D A G stehen nur ca. 200 000 im CGB gegenüber; einen Überblick über das Organisationsrecht der Gewerkschaften im CGB gibt P. Seiler, AR — Blattei (D), Berufs verbände I I B, hinsichtlich des größten Verbandes i m CGB, des D H V ; P. Schlosser, Vereins- und Verbandsgerichtsbarkeit, 1972, bezieht in seine Untersuchungen zwei weitere CGB-Gewerkschaften ein, nämlich die Christliche Gewerkschaft Bergbau und Energie und den Christlichen Metallarbeiterverband Deutschlands; zum aktuellen Stand der CGB-Gewerkschaften siehe Gewerkschaftsreport, Jg. 10 (1976), Heft 10.

Einleitung

19

Die Auffassung, daß Inhalt und Schranken der Koalitionsfreiheit sich nicht ein für alle M a l festlegen lassen, sondern sich stetig m i t der weiteren Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft wandeln, hat Auswirkungen nicht nur auf das Vorgehen, sondern auch auf die Methode der Arbeit. Sie lassen sich i n drei Punkte zusammenfassen. (1) Begriffe wie „Staat", „Demokratie", „Öffentlichkeit", „Repräsentation" etc. sind nicht definierbar, ohne ihre bewegende, ihre politische K r a f t für die jeweilige historische Situation, i n der sie verwendet werden, ausführlich zu erörtern; sie kurz zu paraphrasieren, bringt mehr Schaden als Nutzen 1 5 ; darauf soll, solange sich die Arbeit nicht m i t ihnen spezifisch beschäftigt, verzichtet werden — auch auf sog. Arbeitsdefinitionen 16 , die gegenüber den Grundvorstellungen, die für einen Juristen i n solchen Begriffen mitschwingen, ohne Gewinn sind. (2) Juristische Dogmatik als bestimmte A r t des Normverständnisses w i r d mehr auf ihre dogmatiktranszendierenden Zielsetzungen untersucht als daß i n ihren Kategorien argumentiert wird. (3) Rechtsvergleichende Hinweise auf das amerikanische und englische Recht, die das Koalitionsrecht statuiert haben, sind nur punktuell aufgenommen: Eine weitergehende Darstellung müßte so umfassend sein, daß sie den Rahmen der Arbeit sprengen würde, wenn sie dem V o r w u r f der cross-sectional fallacy entgehen w i l l .

Der hier entwickelte Standpunkt kann kein Gesamtsystem einer Staats- und Rechtsordnung geben, obwohl dies zur Ermittlung der Position der Koalitionen für erforderlich erscheinen könnte. Ein solcher Versuch würde an der Dynamik der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorgänge scheitern. Die Arbeit bemüht sich daher, einige Gesichtspunkte und Verbindungen aufzuzeigen, die als Abwägungskriterien verwendbar sind. Die Unterscheidbarkeit zwischen rechtspolitisch notwendigen und nur nützlichen Maßnahmen verliert damit an Schärfe. Ein nur kleiner Wechsel i m Betrachtungswinkel verändert die Entscheidung, ob ein Koalitionsgesetz notwendig oder nur nützlich ist, nicht unbeträchtlich. Die nachstehend entwickelten Postulate und Prioritäten mögen daher nicht als starre rechtspolitische Forderungen gesehen werden, sondern als Ergebnis der Abwägung angesichts des Eindrucks einer bestimmten Zeit und Situation. " Als Beispiel ist D. Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, 1973, zu nennen. 16 Vgl. die Diskussion zu G. Leibholz, Staat und Verbände, W D S t R L 24 (1966), 9 ff., auf Seiten 94, 98, obwohl G. Leibholz betont, er wolle in Anlehnung an den angelsächsischen Approach jede begriffliche Hypostasierung vermeiden. 2*

I . D i e Gewerkschaften nach geltendem Recht 1. Stellung und Wirkungskreis der Gewerkschaften in Staat und Gesellschaft a) Die Grundlagen der sozialen Selbstverwaltung M i t der Gewährleistung der Koalitionsfreiheit, der Berufsfreiheit und des Eigentums hat das Grundgesetz wesentliche Elemente der Arbeits- und Wirtschaftsverfassung zugrunde gelegt. So zweifelhaft es sein mag, ob damit eine bestimmte Wirtschaftsordnung garantiert ist (Problem der WirtschaftsVerfassung 1 ), die Entscheidung der Verfassung für ein grundsätzlich autonomes System der kollektiven Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch freie Verbände ist zu beachten. Der Ausgleich der Interessengegensätze zwischen Kapital und Arbeit ist den gesellschaftlichen Kräften überlassen, er w i r d nicht staatlicherseits entschieden, sondern es werden Kampf und Ausgleich lediglich bestimmten Formen und Regeln unterworfen. Die so institutionalisierte Auseinandersetzung u m Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen bezeichnet man als „soziale Selbstverwaltung" 2 . Die Repräsentanten von Kapital und Arbeit verfügen m i t den von ihnen erzielten Regelungen über einen wesentlichen Teil des Sozialprodukts, sie steuern i n ihren Verteilungskompromissen den Wohlstand der Arbeitnehmer, sie beeinflussen Gang und Gleichgewicht der W i r t schaft. Wie immer betont wird, ist das Funktionieren der sozialen Selbstverwaltung i n seiner Bedeutung für die Allgemeinheit nicht zu unterschätzen 3 . Der Staat ist unmittelbar betroffen. Der moderne Sozialstaat, dem nicht nur die Wahrung der sozialen Sicherheit und der Daseinsvorsorge obliegt, sondern auch die globale Steuerung der W i r t schaft mit dem Ziel des Wachstums i m Gleichgewicht, ist eng m i t dem 1 Übersicht bei P. Badura, Grundprobleme des Wirtschaftsverfassungsrechts, JuS 1976, 205 ff.; ders., Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, 1971, 18 ff.; M. Kriele, Wirtschaftsfreiheit und Grundgesetz, ZRP 1974, 105 ff.; H. H. Rupp, Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung", 1974, insbes. 11 ff. 2 Zu diesem Begriff A. Hueck, H. C. Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 2. Bd., 1. Hbd., 7. Aufl. 1967, 193. 3 Vgl. H. F. Zacher, Aktuelle Probleme der Repräsentationsstruktur der Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland, Festschrift für F. Berber, 1973, 549, 554, 558.

l.b) Die selbstgesetzten Aufgaben der Gewerkschaften

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wirtschaftlichen Geschehen verbunden. Der konjunkturpolitische Z u sammenhang von Einkommen und Steuern, von Investitionen und Staatsausgaben sei nur beispielhaft für die komplexen Abhängigkeiten erwähnt. Rückwirkungen auf die Gestaltung der Arbeits- und W i r t schaftsbedingungen durch die Partner der sozialen Selbstverwaltung sind unvermeidlich. Angesichts dieser Wechselwirkung erscheint es nur konsequent, wenn die gesellschaftlichen Kräfte sich bemühen, über ihr ursprüngliches Entscheidungsfeld hinausgreifend, unmittelbar auf die staatlichen Entscheidungen einzuwirken, wenn andererseits der Staat versucht, A r beitnehmerschaft und Unternehmen zu beeinflussen oder durch Beteiligung an der staatlichen Entscheidungsfindung zu verpflichten. Verfassungsrechtliche Institutionen bestehen dafür nicht. Das Phänomen von Gruppeninteressen und ihrer Repräsentation i n Verbänden prägt aber die Verfassungswirklichkeit nicht unerheblich 4 . Die Stellung der Koalitionen als der Verbände, die das alte Interessenpaar Arbeit und Kapital vertreten, läßt sich m i t h i n nicht aus der Verfassung allein begreifen, sondern zeigt sich erst i n einer Würdigung ihrer gesamten Einflußsphäre. Diese bestimmen sie als freie Verbände i n erster Linie selbst. Diese selbstgesetzten Aufgaben sind zum Teil staatlicherseits institutionalisiert worden, zum Teil sind den Koalitionen darüber hinausgehend Befugnisse eingeräumt worden. Schließlich gibt es Einflußbereiche informeller A r t , die rechtlich nicht qualifiziert sind. b) Die selbstgesetzten Aufgaben der Gewerkschaften I n den ersten Paragraphen ihrer Satzungen haben die Gewerkschaften allgemein ihre Grundsätze, den Zweck der Organisation und ihre Aufgaben niedergelegt 5 . Man findet i n diesen Bestimmungen allgemeine Grundsatzformulierungen und Bekenntnisse, konkretisierende Zielsetzungen und näher definierte M i t t e l zur Erreichung der Gewerkschaftsziele. Sie zusammen bestimmen erst das gesamte Tätigkeitsfeld der Gewerkschaften, zumal die Aktionsmittel nicht abschließend umschrieben sind. Der grundsätzliche Zweck der Gewerkschaften w i r d durch die Formel „Sie fördert die wirtschaftlichen, beruflichen, sozialen und kulturellen Interessen ihrer Mitglieder" 6 ausgedrückt. Die allgemeine Richtung der Gewerkschaftspolitik w i r d bestimmt durch das Bekenntnis zu den 4

Näher unten I I 2 b. « Sehr unterschiedlich ist aber die Ausführlichkeit der Festlegung: sehr knapp Ö T V 3; GdP 1 - 4 ; sehr umfangreich I G M 2. 6 D A G 4, 1; diese Formulierung findet sich durchgängig.

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I. Die Gewerkschaften nach geltendem Recht

Grundsätzen der Demokratie i n Staat, Wirtschaft und Gesellschaft 7 . Dazu ist näher festgelegt, daß die Gewerkschaften sich einsetzen für die Bekämpfung neofaschistischer, militaristischer und reaktionärer Elemente 8 . Gewichtigen Platz i n den Satzungen n i m m t das Ziel der „ M i t bestimmung i n allen wirtschaftlichen und sozialen Fragen m i t dem Ziel der Verwirklichung der Wirtschaftsdemokratie einschließlich der Vergesellschaftung der dafür i n Frage kommenden Industrien" ein 9 . Eher den allgemeinen Organisationszweck erläutern die allgemein verbreiteten Aussagen über die M i t w i r k u n g bei und Unterstützung der Verbesserung des gesamten Schul-, Bildungs- und Ausbildungswesens, der Sozialversicherung und des Gesundheitsschutzes, des Schutzes der Jugendlichen und Frauen 1 0 . Der Zusammenschluß aller Arbeitnehmer i m Organisationsbereich ist selbstverständlich Gewerkschaftsziel. Zur Erreichung dieser Ziele sehen die Gewerkschaften folgende M i t t e l und Wege vor: zum einen die Einflußnahme auf Staat und Öffentlichkeit durch Wahrnehmung des Widerstandsrechts nach A r t . 20 Abs. 4 GG, Ausübung der gesetzlich eingeräumten Befugnisse, Einflußnahme auf die Gesetzgebung, Publikationen und Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere Zusammenarbeit m i t Presse und Rundfunk, Förderung gemeinwirtschaftlicher Unternehmen 1 1 , zum anderen den Abschluß von Tarifverträgen, Wahrung der Rechte i m Betrieb, Ausbau der Vertrauensleutekörper 1 2 , ferner die innergewerkschaftliche Arbeit, insbesondere Schulungs- und Bildungsmaßnahmen, Presse und andere Information, Pflege statistischer Erhebungen, Rechtsschutzgewährung und finanzielle Leistungen i n Unterhaltsfällen 1 3 , schließlich die Mitarbeit i n der Gewerkschaftsbewegung, dem DGB sowie der Internationale, ohne nähere Festlegung, welche Organisationen damit gemeint sind 1 4 . 7 Ö T V 3, 1; D P 4; G H K 3; N G G 3, 2, 3; H B V 5, 1; TB 4, 1; G L F 4, 2 b; GdED 3, 1, 2; CPK 3; D P G 2, 2; I G M 2; GdP 4, 1; manchmal ist damit die Formel der Gleichberechtigung der Arbeitnehmer verbunden. 8 D P 4, 4; G H K 3 f; N G G 3, 4; TB 4, 2 c; I G M 2, 3; D A G 4, 2 c; GdP 4, 1; auch findet sich als Ziel Völkerverständigung und Frieden oder die Wahrung der Menschenrechte. 9 So wörtlich CPK 4, 2; alle anderen entsprechend. Zu aktuellen Ausprägungen in der Forderung nach Beteiligung an der Investitionslenkung über sog. Branchenausschüsse vgl. die Nachweise bei N. Reich, Markt und Lenkung, ZRP 1976, 67 ff., insbes. bei Anm. 13. 10 Die R F F U legt besonderes Gewicht auf die Schaffung von Altersversorgungen, ihren Mitgliederproblemen entsprechend, 2, 7. 11 Die Verfolgung der Ziele mit anderen Mitteln ist aber nicht ausgeschlossen, die Auswahl der Mittel obliegt dem Hauptvorstand. 12 Zu den Vertrauensleuten näher unten 13 b. 13 Zu den einzelnen Leistungen der Gewerkschaften unten I 3 c. 14 Nach der Spaltung des Weltgewerkschaftsbundes (WGB) im Zeichen des kalten Krieges blieb im wesentlichen der Internationale Bund Freier Gewerkschaften (IBFG), daneben der Weltverband der Arbeitnehmer, der aus der

l.c) Institutionalisierte Zuständigkeiten und Hechte

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D e r U m f a n g der A u f g a b e n , d e n sich die deutsche G e w e r k s c h a f t s b e w e g u n g gesetzt h a t , w i r d e i n d r u c k s v o l l i n § 3,3 d e r S a t z u n g des D G B wiedergegeben, w o die „ P o l i t i s c h e n A u f g a b e n des B u n d e s " — i m G e g e n satz zu d e n Organisationsaufgaben, d a r ü b e r u n t e n 3 d — a u f g e l i s t e t sind. Sie reichen v o m E i n t r e t e n f ü r eine a l l g e m e i n e u n d w e l t w e i t e k o n trollierte Abrüstung, von Bemühungen u m Fortschritte i n der europäischen E i n i g u n g ü b e r d e n gesamten B e r e i c h d e r S o z i a l - u n d W i r t s c h a f t s p o l i t i k bis z u r K u l t u r p o l i t i k i m n a t i o n a l e n w i e i n t e r n a t i o n a l e n R a h m e n , i m S c h u l - w i e Hochschulbereich. K a u m e i n G e g e n s t a n d s t a a t l i c h e r P o l i t i k i s t n i c h t angesprochen 1 5 . c) Institutionalisierte Zuständigkeiten und Rechte der Gewerkschaften Den Gewerkschaften sind staatlicherseits16 Zuständigkeiten u n d Rechte i n v i e l e n B e r e i c h e n e i n g e r ä u m t . Diese lassen sich s y s t e m a t i s i e ren, i n d e m m a n , ausgehend v o n d e n klassischen B e f u g n i s s e n d e r G e w e r k s c h a f t e n als e i n e m K e r n i h r e r A u f g a b e n , d i e w e i t e r e n Z u s t ä n d i g k e i t e n u n d Rechte n a c h d e m G r a d des i n n e r e n Z u s a m m e n h a n g s z u diesem K e r n o r d n e t . D a r a u s ergeben sich f ü n f unterscheidbare, w e n n auch n i c h t s t r i k t v o n e i n a n d e r abgesonderte A u f g a b e n b e r e i c h e . E i n e n sechsten A u f g a b e n k r e i s b i l d e n d i e Befugnisse der G e w e r k s c h a f t e n a u f europäischer u n d i n t e r n a t i o n a l e r Ebene. (1) D i e klassischen Domänen der Gewerkschaften sind ihre Rechte auf dem Gebiet der Tarifautonomie, des Arbeitskampfes u n d der Schlichinternationalen christlichen Gewerkschaftsbewegung hervorgegangen ist, für kommunistische Gewerkschaften nach wie vor der WGB. M i t der europäischen Einigungsbewegung entwickelte sich der Europäische Bund. der Freien Gewerkschaften. Von den internationalen Fachorganisationen ist a m bedeutendsten der Europäische Metallgewerkschaftsbund. Die Bedeutung internationaler Gewerkschaftsbünde dürfte wachsen, nachdem die Mächtigkeit der multinationalen Unternehmen erkannt worden ist; so werden übernatio15 Inhaltlich ausgestaltet nale Tarifverträge erörtert. werden die Ziele durch Programme (Grundsatzund Dringlichkeitsprogramme), Entschließungen, Stellungnahmen etc., die für die Gewerkschaften in einer Art authentischer Interpretation als bindend angesehen werden (vgl. H. O. Vetter, Die Bedeutung des DGB-Grundsatzprogramms für die Politik der deutschen Gewerkschaftsbewegung, G M H 1970, 330 ff.); Uberblicke über die gegenwärtigen politischen Ziele des DGB bei H. O. Vetter, Die Aufgaben der Gewerkschaften in dieser Gesellschaft, in: Sozialpolitik, Festgabe W. Arendt, 1974, 435 ff.; M. Löwisch, Der Einfluß der Gewerkschaften auf Wirtschaft, Gesellschaft und Staat, RdA 1975, 53; mit kritischer Tendenz A. Rauscher, Der Machtanspruch der Gewerkschaften, Festschrift J. Messner, 1976, 511, 513 ff. Zum Programm des CGB vgl. RdA 1969, 222 f. 16 Auf die Rechtsnatur der Zuständigkeitszuweisung kommt es hier, nicht an. : n genügt also ein sog. Organisationsakt, um eine gewerkschaftliche Aufgabe zu „institutionalisieren", d. h, die Gewerkschaften zu Trägern staatlich anerkannter oder verliehener Befugnisse zu machen.

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I. Die Gewerkschaften nach geltendem Recht

tung, der Betriebsverfassung und der Personalvertretung. Inhalt und Umfang dieser Rechte sind Gegenstand der Darstellungen des kollektiven Arbeitsrechts, auf die hier verwiesen sein soll 1 7 . Hervorzuheben ist die Tendenz der Rechtsentwicklung, diese Bereiche immer mehr zu erweitern. Dies war schon m i t der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes i m Jahre 1972 zu beobachten. M i t aller Deutlichkeit zeigt es sich i n der Erweiterung des Regelungsbereiches der Tarifverträge i n § 12 a TVG, der auch arbeitnehmerähnliche Personen i n den Geltungsbereich des Tarifrechts einbezieht 18 . Demgegenüber eröffnet das Vorhaben der erweiterten Mitbestimmung i n den Unternehmen insgesamt Neuland, das m i t der bisherigen Betriebsverfassung kaum etwas zu t u n hat 1 9 . (2) U m diesen Kern von Zuständigkeiten der Gewerkschaften herum ist eine Reihe von Befugnissen angesiedelt, die unmittelbar m i t der Anerkennung der primären Koalitionsaufgaben zusammenhängen und zu deren Absicherung und Effektuierung nötig sind. Dazu gehört das Recht der Koalitionen, ihr Koalitionswohl zu fördern, so z.B. durch die Werbung von Mitgliedern i m Betrieb. Eine wichtige Grenze findet dieses Recht darin, daß der Arbeitsfrieden i m Betrieb nicht gestört werden darf und daß i m Verhältnis rivalisierender Gewerkschaften untereinander nicht die Gebote der Fairness verletzt werden, die sich letztlich aus dem Existenzrecht einer jeden Koalition ableiten 2 0 . ** Insbesondere bei A. Hueck, H. C. Nipperdey, 190 ff.; A. Söllner, Arbeitsrecht, 5. Aufl. 1976, 65 f.; ferner die Monographien von G. Drewes, Die Gewerkschaften in der Verwaltungsordnung, 1958; K. Gröbing, Die Stellung der Gewerkschaften in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland, 1969, 16 ff.; J. Hirsch, Die öffentlichen Funktionen der Gewerkschaften, 1966; U. Scheuner, Die Rolle der Sozialpartner in Staat und Gesellschaft, 1973, 22 ff.; allgemeiner D. Völpel, Rechtlicher Einfluß von Wirtschaftsgruppen auf die Staatsgestaltung, 1972, 84 ff. 18 I. d. F. des Heimarbeitsänderungsgesetzes v. 29.10.1974 (BGBl. I 2879); dazu J. N. Stolterfoht, Tarifautonomie für arbeitnehmerähnliche Personen? DB 1973, 1068. Allgemein zur Tendenz der Ausweitung der gewerkschaftlichen Einflußsphäre M. Löwisch, 53 f. Nach der vielbeachteten Entscheidung des B A G (GS) v. 21.4.1971, A P Nr. 43 zu Art. 9 G G (Arbeitskampf), in der das B A G als ein Beispiel für die Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes i m Arbeitskampfrecht Urabstimmungsregelungen in den Gewerkschaftssatzungen erwähnt, muß man davon ausgehen, daß die Gewerkschaften auch an der Setzung des Arbeitskampfrechts beteiligt sind. Dazu W. Reuß, Autonome Arbeitskampfordnungen, AuR 1975, 1. 19

Die paritätische Unternehmensverfassung i m Montanbereich ist als Sonderfall anzusehen, so daß nicht gefolgert werden kann, zum hergebrachten Bereich der Betriebsverfassung gehöre auch Unternehmensmitbestimmung; über die Einordnung der Ein-Drittel-Vertretung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten zum Unternehmensverfassungsrecht herrscht weitgehende Einigkeit. 20 B G H Z 42, 210, 219; BVerfGE 28, 295 ff. zum Schutz der Mitgliederwerbung durch Art. 9 Abs. 3 GG; s. unten I I I 1 a.

l.c) Institutionalisierte Zuständigkeiten und

echte

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Hierher einzuordnen ist auch das Mitwirkungsrecht der Gewerkschaften beim Erlaß von Durchführungsverordnungen zum TVG, eine Regelung, die aus der Anerkennung der Tarifautonomie, der das T V G nur das Instrumentarium liefern soll, folgt 2 1 . Daß die Koalitionen als „Herren des Tarifvertrags" bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen nach § 5 T V G entscheidend mitwirken, ist nur konsequent. Einige weitere Rechtssätze erweitern zwar die Befugnisse der Koalitionen nicht unmittelbar, erstrecken aber die Wirkungen tariflicher Regelungen auch auf nichtorganisierte Arbeitnehmer. Damit w i r d der Einflußbereich der Gewerkschaften rechtlich vergrößert, so daß auch diese Regelungen der Sache nach hierher gehören. So ist durch eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens bedingt die Erstreckung der Geltung von sog. Betriebsnormen der Tarifverträge auf alle Betriebsmitglieder i n § 3 Abs. 2 TVG. Gleiches gilt für die tarifdispositiven Normen des Arbeitsschutzrechts. Daß der gewerkschaftliche Streik auch Rechtswirkungen für die nichtorganisierten Arbeitnehmer hat, dient ebenfalls dem Tarifsystem und seiner Absicherung und entspringt nicht einer wie immer gearteten tatsächlichen Solidarität 2 2 . (3) Ein weiterer Kreis von Befugnissen ist gekennzeichnet erstens dadurch, daß ausschließlich Arbeitnehmerinteressen betroffen sind, zweitens dadurch, daß Vertreter der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen als greifbare Repräsentanten der Arbeitnehmer oder Arbeitgeber an der mittelbaren oder unmittelbaren Staatsverwaltung des Arbeits- und Sozialsektors beteiligt werden. Diese Beteiligung kann bestehen aus Vorschlags- und Entsendungsrechten, Mitwirkungsrechten, schwächer Initiativ- und Verfahrensrechten, Ansprüchen auf Beratung, Anhörung, Information 2 3 . Von besonderem Interesse sind hier die Vorschlags- und Entsendungsrechte, während die prozessualen Rechte der Gewerkschaften i m arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren in den Hintergrund treten 2 4 .

Besonders eng m i t dem Tarifvertragsrecht verknüpft sind die Befugnisse nach dem ArbNErfG sowie dem H A G und dem Gesetz über die 2

* § 11 TVG. K. Ehmann, Das Lohnrisiko des an einem rechtmäßigen Arbeitskampf nicht beteiligten Arbeitnehmers, DB 1973, 1946, 1994; ebenfalls aus dem Arbeitskampfsystem heraus erklärt H. Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975, 37 ff., diese Wirkungen. Zur Frage der Bewertung des Solidaritätsgedankens H. Wiedemann, Die deutschen Gewerkschaften — M i t gliederverband oder Berufsorgan? RdA 1969, 321, 325. 23 A. Hueck, H. C. Nipperdey, 194; G. Drewes, 172 ff. 24 Insbes. nach § 11 ArbGG; dazu BVerfGE 31, 297 ff.; vgl. auch A. Söllner, 66; J. Hirsch, 176 f. 22

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I. Die Gewerkschaften nach geltendem Recht

Mindestarbeitsbedingungen. Nach § 11 ArbNErfG erläßt der Bundesminister für Arbeit Richtlinien über die Vergütungsbemessung nach Anhörung der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Nach §§ 5, 22 Abs. 3 H A G haben Gewerkschaften und Vereinigungen der Auftraggeber das Recht, Vorschläge für die Beisitzer i n den Heimarbeitsausschüssen zu machen, aufgrund deren die Arbeitsbehörde die Beisitzer beruft. Die Regelung der §§2, 5, 6 MindestArbBedG ist entsprechend. Die Beteiligung i n den Massenentlassungsausschüssen gem. §§ 20, 21 KSchG, die Möglichkeit der Einflußnahme i n den Aufsichtsgremien der Bundesanstalt für Arbeit, schließlich die verschiedenen Zuständigkeiten nach der Arbeits- und Sozialgerichtsverfassung sind dagegen die wichtigsten Ausprägungen des Gedankens, die Mitglieder eines Sonderrechtskreises, wo sie schon nicht autonom sind, wenigstens zu beteiligen. Dieser Zweig der sozialen Selbstverwaltung manifestiert sich besonders klar i n der Beteiligungsmöglichkeit der Koalitionen an der Verwaltung der Sozialversicherungsträger. Die Vertreter der Arbeitnehmer und Arbeitgeber i n den Massenentlassungsausschüssen werden vom Verwaltungsausschuß des Landesarbeitsamtes benannt. Die Arbeitnehmervertreter i n den Organen der Bundesanstalt für Arbeit und den Spruchkörpern der Gerichte werden aus Vorschlagslisten der Gewerkschaften von den Arbeitsbehörden gewählt* 5 . Die Vertreter der Sozialversicherten wählen diese selbst direkt (Sozialwahl) 26 . Eine echte Entsprechung zur Selbstverwaltung der Wirtschaft sind die Arbeitnehmerkammern des Saarlandes und Bremens als öffentlichrechtliche Körperschaften m i t der allgemeinen Aufgabensetzung, i m Einklang m i t dem Gemeinwohl die Interessen der Arbeitnehmer i n wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht wahrzunehmen und zu fördern. Die Gewerkschaften machen zur Vollversammlung dieser Körperschaften WahlVorschläge; i n Bremen erfolgt die Wahl durch die Arbeitnehmer, i m Saarland durch den Landtag 2 7 . (4) Beteiligung i n Wirtschaft und Wirtschaftspolitik ist der folgende Tätigkeitsbereich. Dazu zählen die Rechte der Gewerkschaften i n der erweiterten Mitbestimmung, deren Regelung i m Gesetz über die M i t bestimmung der Arbeitnehmer zum 1.7.1976 neben die weiterbestehende Mitbestimmungsordnung i m Montanbereich getreten ist 2 8 . 25 §§ 192, 195 A F G (Vereinigungen von „wesentlicher Bedeutung"). 26 Nach § 2 SelbstVerwG; dazu BVerfGE 30, 227 ff.; G. Drewes, 58 ff. 27 D. Mronz, 35 ff.; H. F. Zacher, Arbeitskammern im demokratischen Rechtsstaat, 1971, 13 ff.; BVerfGE 38, 281 ff. 28 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz — MitbestG) v. 4. 5.1976 BGBl. 11153.

l.c) Institutionalisierte Zuständigkeiten und Hechte

27

Ferner ist hier zu nennen die Vermittlung gesamtwirtschaftlicher Daten durch die Bundesregierung an die Sozialpartner i n der sog. konzertierten A k t i o n (§3 StabG) sowie die Beteiligung der Gewerkschaften i n einigen Sektoren der Wirtschaftspolitik durch Sitze i n Ausschüssen und ministeriellen Beiräten 2 0 . Gemeinsames Charakteristikum und Abgrenzungskriterium zu den früheren Gruppen von Befugnissen ist, daß nicht mehr Gewerkschaften und Arbeitgeber sich gegenüberstehen, wie i n der allgemeinen Betriebsverfassung und den schon erwähnten Ausschüssen, sondern Gewerkschaften und Unternehmer (vgl. § 3 Abs. 1 StabG): Die funktionale Beziehung der beiden Seiten weitet sich aus zu einer global gesehenen von Kapital und Arbeit, einmal unter dem Aspekt der gesamtwirtschaftlichen Steuerung, das andere M a l unter dem der Unternehmensverfassung. Damit ist den Gewerkschaften der unmittelbare Einfluß auf die Investitionen, ein von ihnen lang gehegter Wunsch, zum Teil erfüllbar nahe gerückt 30 . (5) Zuletzt haben die Gewerkschaften Aufgaben kraft ihrer Stellung als eine der „gesellschaftlich relevanten Kräfte". M i t diesem Begriff, den das BVerfG zum Recht der Rundfunkorganisation entwickelt hat 3 1 , sind diejenigen Gruppen und Interessen gemeint, die berücksichtigt werden müssen, wenn pluralistische Repräsentanz angestrebt wird. Typisch sind Beteiligungsrechte i n Ausschüssen oder Anhörungsrechte vor allem gegenüber Regierung und Verwaltung, die i n wechselndem Proporz den verschiedenen Interessenverbänden zukommen. Sie erstrecken sich auf so gut wie alle Gegenstände staatlicher Tätigkeit. Modellhaften Charakter, obwohl noch ständischem Denken entsprungen, hat auf Legislativebene der bayerische Senat als Vertretung der sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und gemeindlichen Körperschaften des Landes. Von seinen sechzig Mitgliedern sind elf von den Gewerkschaften entsandt. Die Kompetenzen des Senates beschränken sich auf das Recht der Gesetzesinitiative, auf gutachtliche Stellungnahmen und lediglich dilatorische Einwendungen gegen Gesetze, die der Landtag beschlossen hat 3 2 .

Grundlegend ist die Vorschrift über die Verbandsanhörung gem. § 23 GGO 3 3 . Sie w i r d ergänzt durch Anhörungsrechte i n bestimmten W i r t 2 » Übersicht bei G. Drewes, 76ff., z.T. aber überholt; J. Hirsch, 160ff.; D. Völpel, 84 ff., zum Einfluß in den einzelnen Ministerien. 30 Vgl. dazu Protokoll des DGB-Kongresses vom 28.5.1975, 138 ff.; zur Bedeutung unten I I 2 b. BVerfGE 12, 205, 262 f., wo dieser Begriff zur pluralen Repräsentanz in der Rundfunkorganisation verwendet wurde. 32 Art. 34 ff. BV. 33 Zu dieser Vorschrift des „verdrängten Verfassungsrechts" W. Hennis, Verfassungsordnung und Verbandseinfluß, PVS (1) 1960, I I S. 23, 27 ff. Durch Bekanntmachung v. 19.10.1972 (BGBl. I 2065) wurde die GOBT durch die Anlage 1 a ergänzt, in der die Registrierung der Verbände und ihrer Vertreter geregelt ist.

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I. Die Gewerkschaften nach geltendem

echt

schaftsverwaltungsgesetzen, die von den schon erwähnten sich dadurch unterscheiden, daß der Interessenkreis der Gewerkschaften und Unternehmerverbände nur mittelbar betroffen ist und i h r Einfluß durch die Beiziehung weiterer Verbände vergleichsweise gering ist. Das Spektrum aller Arten von Ausschüssen reicht vom Beirat für Vertriebenen- und Flüchtlingsfragen bis zum Sachverständigenausschuß für Kurzschrift der ständigen Konferenz der Kultusminister, von den Jugendwohlfahrtsausschüssen über die Verwaltungsräte von Bundesbahn, Bundespost, der Einfuhr- und Vorratsstelle bis zur Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften und die Rundfunkräte 3 4 . Schwerpunkte gewerkschaftlicher Beteiligung sind der Wirtschafts-, Sozial- und Kulturbereich. Nicht selten sollen die Gewerkschaften allein oder neben anderen Verbänden die Verbraucher vertreten 3 5 . (6) A u f europäischer Ebene sind die Gewerkschaften m i t Sitz und Stimme i m Wirtschafts- und Sozialausschuß der Gemeinschaften beteiligt 3 6 . I n den i n A r t . 198 Abs. 1 S. 1 EWGV vorgesehenen Fällen ist der Ausschuß zu hören, nach A r t . 198 Abs. 1 S. 2 EWGV kann er zur Beratung gehört werden. Tätigkeitsfeld des Ausschusses ist die Sozialpolitik 3 7 . I n den Organen der Internationalen Arbeitsorganisation sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch repräsentiert. I n der Allgemeinen Konferenz sind von den vier Vertretern jedes Mitgliedlandes zwei Regierungsdelegierte, die anderen beiden vertreten die Sozialpartner. Der Verwaltungsrat, dem die Lenkung des Internationalen Arbeitsamtes obliegt, setzt sich zusammen aus zwanzig Regierungsvertretern und je zehn Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern 3 8 .

I n Zusammenschau der unter (1) - (6) dargestellten Befugnisse w i r d häufig von den „öffentlichen Funktionen" oder einem „öffentlichen 84 J. Hirsch, 185 ff.; das System befindet sich in dauernder Veränderung; eine genaue Fixierung wäre auch nur dann sinnvoll, wenn auch Häufigkeit des Zusammentritts, Anzahl ausgearbeiteter Vorschläge etc., mithin die tatsächliche Bedeutung der Einflußnahme erfaßt würde. 35 Vgl. J. Hirsch, 162 (Ziff. 8), 169 (Ziff. 10: Verwaltungsrat der Mühlenstelle), 169 (Ziff. 9: Verwaltungsrat der Einfuhr- und Vorratsstellen). 30 Art. 193 ff. E W G V ; Art. 165 ff. EuratomV; näheres bei R. Steinberg, Zur Institutionalisierung des Verbandseinflusses in einem Bundeswirtschafts- und Sozialrat, D Ö V 1972, 837, 840 f. Auf europäischer Ebene wichtig auch der Beratende Ausschuß nach Art. 18, 19 EGKSV sowie der nach Art. 24 ff. der EWGVO Nr. 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft. Zu den sonstigen Ausschüssen im EG-Bereich vgl. ff. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, 376. 37 Vgl. ff. P. Ipsen, 380. 38 Art. 3, 7 IAO-Verfassung.

l.d) Der Umfang faktischer Einflußnahme der Gewerkschaften

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Status" der Gewerkschaften gesprochen 39 . Damit soll zum einen betont werden, daß die Gewerkschaften i n hohem Maße an für die Allgemeinheit bedeutsamen Entscheidungen zumindest mitwirken. Zum anderen schwingt i n solchen Formulierungen das Postulat einer Pflichtigkeit der Gewerkschaften m i t : Wenn die Gewerkschaften i n die Staatswillensbildung eingeschaltet sind, so sind sie auch i n ihrer Handlungsweise nicht frei, sondern an gewisse Grundsätze staatlicher Willensbildung gebunden, letztlich insbesondere auf das Gemeinwohl verpflichtet. Som i t trägt der Begriff „öffentliche Funktionen der Gewerkschaften" unterschwellig normative Wertungen i n sich. Es besteht die Gefahr begriffsjuristischer Ableitung von Pflichten und Bindungen der Gewerkschaften allein aus dem Öffentlichkeitsbezug ihrer Aufgaben. Eine derartige Argumentation verwischt die Komplexität der gewerkschaftlichen Tätigkeitsbereiche und unterschlägt, daß die „öffentlichen Funktionen" weder i n sich widerspruchsfrei noch i m Verhältnis zu den A u f gaben der Gewerkschaften als freigebildeten Verbänden problemlos sind. Es muß also betont werden: A l l e i n die Bezeichnung der gewerkschaftlichen Aktionsfelder als „öffentliche" kann nicht zu irgendwelchen rechtlichen Folgerungen führen 4 0 .

faktischer

d) Bereiche und Bedeutung Einflußnahme der Gewerkschaften

Der tatsächliche Einfluß der Gewerkschaften i n Staat und Gesellschaft entzieht sich genauer Messung. Das liegt zum Teil daran, daß die Tätigkeitsfelder so weitgespannt sind, daß man sie kaum überschauen kann, geschweige denn, gewichten 41 . Zum anderen liegt es an der Unübersichtlichkeit der Verbindung formeller und informeller Einflußbahnen. Dieser Umstand fördert die Spekulationen, die Befürchtung vor dem Heraufziehen des „Gewerkschaftsstaates" ebenso wie die Erwartung, i n den Gewerkschaften schlagkräftige Instrumente zum gesells» H. C. Nipperdey, F.-J. Säcker, AK-Blattei (D), Berufsverbände I, geben Literaturüberblick zu diesem Begriff; ferner J. Hirsch, passim; U. Scheuner, 24 ff.; P. Schneider, Die politische Funktion und Aufgabe der Verbände, Festschrift E. Fechner, 1973, 25, 32 f.; H. Leßmann, Die öffentlichen Aufgaben und Funktionen privatrechtlicher Wirtschaftsverbände, 1976, kommt in seiner Untersuchung, für die er die hier betrachteten Verbände ausklammert, zu dem Ergebnis, daß die Wirtschaftsverbände in einem politologisch-soziologischen Sinn öffentliche Aufgaben wahrnehmen, daß diesem Befund aber im Rechtssinne kein öffentlich-rechtlicher Status entsprechen kann, vielmehr nur ein verfassungsrechtliches Verständnis des privaten Vereinsrechts („materielle Öffentlichkeit") postuliert werden kann (ebd. 1, 45 ff., 178, 206, 220 ff.). 40 I n diesem Sinn auch K . Popp, öffentliche Aufgaben der Gewerkschaften und innerverbandliche Willensbildung, 1975, 42 ff., 46. 41 Handhabbare Kriterien für eine derartige Messung liegen auch gar nicht vor, K. Popp, 19 ff.

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I. Die Gewerkschaften nach geltendem Recht

schaftlichen Umsturz vorzufinden. Nachstehend sind einige Gesichtspunkte aufgezählt, die zu einer realistischen Einschätzung beitragen können 42 . Die machtpolitische Einschätzung der institutionalisierten Befugnisse der Gewerkschaften hat primär Tarifautonomie und Arbeitskampf ins Auge zu fassen. Diese werden allgemein ins Zentrum gewerkschaftlicher Machtpositionen gestellt. Die Verbindung der Tarif- und Lohnpolitik m i t der staatlichen Einflußnahme auf die Wirtschaft n i m m t der Tarifautonomie jedoch einen guten Teil ihrer Qualität als autonome Machtbasis 43 . Die damit einhergehende Ausrichtung der Arbeitskämpfe auch auf die Öffentlichkeit dürfte i n ähnlicher Weise die Gewerkschaftsmacht moderieren — zuverlässige Erfahrungen liegen allerdings noch nicht vor. Der Vorsprung der Gewerkschaften i m Einfluß auf die Exekutive zeichnet sich gegenüber anderen Verbänden, wohl auch gegenüber der Verwaltung selbst weniger durch einen geschulten Stab m i t qualifiziertem Wissen aus, als vielmehr durch die klar definierten Ziele und Strategien der Gewerkschaften sowie ihr großes Potential an einsatzbereiten Kräften. Der politische Einfluß der Gewerkschaften gründet sich vor allem auf Umstände, die nicht rechtlich erfaßt sind. Sie stellen ein Wählerpotential von ca. 7 Millionen Mitgliedern i m DGB, ca. 500 000 i n der D A G und ca. 200 000 i m CGB. Vor allem über die Vertrauensleute i m Betrieb dürfte die Beeinflußbarkeit dieser Mitgliedermasse gewährleistet sein. Daneben kann der Gewerkschaftsapparat wählerwirksam eingesetzt werden. Weiter wirken die Gewerkschaften unmittelbar auf die Parteien ein. Dies erfolgt nicht nur i m Wege des Parteilobbyismus 44 , sondern auch durch direktes Engagement. I m 7. Deutschen Bundestag waren von 518 Abgeordneten 279 Gewerkschaftsmitglieder, davon 250 DGB-Gewerkschafter, i n der SPD-Fraktion allein 227. Seit 1949 nimmt 42 H. F. Zacher, Gewerkschaften in der rechtsstaatlichen Demokratie einer Arbeitnehmergesellschaft, Festschrift f. F. Böhm, 1975, 707, 713 ff., zeichnet ein vielschichtiges Bild der durchaus dialektischen Situation der Gewerkschaften in Staat und Gesellschaft, worauf unten 112 zurückzukommen ist; vgl. auch A. Rauscher a.a.O. 43 H. F. Zacher, Aktuelle Probleme, 556; J. Bergmann, O. Jacobi, W. MüllerJentsch, Gewerkschaften in der Bundesrepublik. Gewerkschaftliche Lohnpolitik zwischen Mitgliederinteressen und ökonomischen Systemzwängen, 1975, 37 ff.; zu den praktischen Folgen 316 ff., sowie W. Müller-Jentsch, Wirtschaftskrise und Gewerkschaftspolitik, in: O. Jacobi, W. Müller-Jentsch, E. Schmidt, Gewerkschaften und Klassenkampf, Kritisches Jahrbuch 1975, 10 ff. 44 Zu den Arten gewerkschaftlicher Einflußnahme W. Böhm, Willensbildung i m parlamentarischen und vorparlamentarischen Raum — aus gewerkschaftlicher Sicht, G M H 1974, 249 ff.; allgemeiner: R. Steinberg, Die Interessenverbände in der Verfassungsordnung, PVS 1973, 27 ff.

l.d) Der Umfang faktischer Einflußnahme der Gewerkschaften

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die Zahl der Gewerkschaftsabgeordneten stetig zu 4 5 . Vorsicht ist allerdings geboten bei der Bewertung dieser Doppelmitgliedschaft. Bis jetzt scheint die Parteiloyalität die Gewerkschaftsloyalität i m Konfliktsfall zu überwiegen 46 . Immerhin ergibt sich eine solche Fülle von Informationskanälen und Verbindungen persönlicher und programmatischer A r t , daß der Außenstehende die Existenz eines sehr dichten Entscheidungsimperiums vermuten kann und wohl auch muß. Schließlich beruht die Gewerkschaftsmacht auf einer dritten Säule, die i h r nahezu unangreifbare Unabhängigkeit verleiht: I n den Händen der Gewerkschaften ist eine gewaltige Wirtschaftsmacht kumuliert, die vom maßgeblichen Anteil am Baumarkt über das Bank- und Versicherungswesen bis h i n zu Betrieben der Reisewirtschaft und Handelsketten reicht 4 7 .

Der Status der Gewerkschaften i n Staat und Gesellschaft ist erst i n der Zusammenschau ihrer Aufgaben und ihrer faktischen Positionen erfaßbar. Eine wertende Zusammenfassung i n einem Schlagwort ist trotzdem nicht möglich. Dafür ist zu wenig klar, wie sich die ebenfalls i n das gesamte Informations- und Einflußnetz eingeflochtenen Kapitalinteressen zu den gewerkschaftlichen Interessen und Positionen verhalten. Auch ist der Spielraum der sog. „relativen Autonomie des Politischen" gegenüber den ökonomischen Daten ungeklärt 4 8 . U n d da beides undeutlich bleibt, ist bereits die stark vergröbernde, globale Frage, inwieweit die Gewerkschaften systemunabhängig, d. h. tatsächlich als autonome Macht agieren können oder inwieweit sie Variable in einem umfassenderen Entscheidungssystem sind, nicht ohne weiteres zu beantworten. Damit zeigt sich schon die Notwendigkeit einer auf bestimmten normativen Grundpositionen aufbauenden, den Status der Gewerkschaften differenzierend analysierenden Betrachtungsweise.

46 Zahlen bei K. Hirche, Gewerkschafter i m Siebten Deutschen Bundestag, G M H 1974, 83 ff. 46 Vgl. den Literaturbericht von H.-H. Hartwich, Gewerkschaften und Parteien. Die aktuellen Probleme im Licht politikwissenschaftlicher Untersuchungen und Konzeptionen, G M H 1974, 225, 230. 47 G. Friedl, Die Gewerkschaften als Unternehmer, 1965; K. Hirche, Die Finanzen der Gewerkschaften, 1972, 361 ff., Übersichten 441 ff.; Wirtschaftsrat der C D U e.V., Gewerkschaften in Zahlen, 1973, 35 ff.; M. Rath, Die Gewerkschaften als Unternehmer und Koalition, Diss. Kiel, 1974, 9 ff. 48 H.-H. Hartwich, 231 f.

2. Die Gewerkschaften als Vereine des bürgerlichen Rechts D i e G e w e r k s c h a f t e n i m D G B , D A G u n d G d P s i n d als n i c h t r e c h t s f ä h i g e V e r e i n e des b ü r g e r l i c h e n Rechts o r g a n i s i e r t , d i e G e w e r k s c h a f t e n i m C G B u n d i m B e a m t e n b u n d z u m T e i l als eingetragene V e r e i n e . Die Gründe dafür, daß die Gewerkschaften nicht mit der Eintragung in das Vereinsregister Rechtsfähigkeit zu erlangen suchen, dürften mehr traditioneller und ideologischer Art sein als in praktischen Notwendigkeiten liegen. Nachdem das verkappte Konzessionssystem des § 61 Abs. 2 a. F. BGB für Vereine mit politischem, sozialpolitischem oder religiösem Zweck mit dem Aufruf des Rats der Volksbeauftragten vom 12.11.1918 außer Kraft gesetzt wurde 1 , stand einer Eintragung nach dem System der Normativbestimmungen des BGB nichts mehr i m Wege. Der Wunsch nach möglichst großer Elastizität der Rechtsform und weitgehender Flexibilität bei Satzungsänderungen oder Wechseln i m Vorstand kann angesichts der großen Stabilität gewerkschaftlicher Verhältnisse kaum entscheidend sein. Eher ist noch anzunehmen, daß zu dem traditionellen Mißtrauen der Gewerkschaften gegenüber jeder Art von staatlicher Abhängigkeit hinzutritt, daß die Gewerkschaften sich in einer Position fühlen, wo sie auf die Rechtsfähigkeit nicht angewiesen zu sein glauben. A u f d e n n i c h t r e c h t s f ä h i g e n V e r e i n s i n d gem. § 54 S. 1 B G B d i e V o r s c h r i f t e n ü b e r d i e Gesellschaft a n z u w e n d e n . Diese V o r s c h r i f t e n s t e l l e n j e d o c h a u f eine persönliche B e z i e h u n g d e r Gesellschafter u n t e r e i n a n d e r ab, w ä h r e n d d e r V e r e i n g e k e n n z e i c h n e t ist d u r c h seine S t r u k t u r als „ e i n e a u f die D a u e r berechnete V e r b i n d u n g e i n e r g r ö ß e r e n A n z a h l v o n Personen z u r E r r e i c h u n g eines g e m e i n s a m e n Zweckes, d i e n a c h i h r e r S a t z u n g k ö r p e r s c h a f t l i c h o r g a n i s i e r t ist, e i n e n G e s a m t n a m e n f ü h r t u n d auf einen wechselnden Mitgliederbestand angelegt i s t " 2 . M i t h i n passen d i e V o r s c h r i f t e n des Gesellschaftsrechts n i c h t a u f d e n n i c h t rechtsfähigen V e r e i n . Dies wird besonders deutlich im Haftungs- und Vermögensrecht. Das bürgerliche Recht kennt als Träger von Rechten und Pflichten nur natürliche oder juristische Personen. Das Gesellschaftsrecht des BGB knüpft Haftungsund Vermögenszuständigkeit an die einzelnen Gesellschafter und unterwirft sie lediglich einer gesamthänderischen Bindung. Eine solche Regelung ist jedoch für einen Groß verein wie eine Gewerkschaft verfehlt: I m Rechtsverkehr tritt die Gewerkschaft als potente Vermögens- und Haftungseinheit auf, während die einzelnen Mitglieder anonym bleiben; ferner unterliegt der Mitgliederbestand stetem Wechsel, das Vermögen des einzelnen ist im 1 Jedenfalls aber durch Art. 124 WV. 2 RGZ 143, 212, 213; vgl. auch B G H Z 43, 316, 319.

2.a) Die Gewerkschaften im Rechtsverkehr

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Vergleich zu dem des Vereins unerheblich; schließlich steht die vermögensmäßige Einlage des Mitglieds in keinem Verhältnis zum Risiko persönlicher Haftung für Gewerkschaftsschulden.

Die Rechtsprechung hat dieser Diskrepanz dadurch abgeholfen, daß sie die Vorschriften des Gesellschaftsrechts durch die Vereinssatzung 3 für ausdrücklich oder stillschweigend abbedungen ansieht und entstehende Lücken durch entsprechende Anwendung der Regeln über den rechtsfähigen Verein ausfüllt. Dadurch ist die Rechtslage der Gewerkschaften derjenigen der rechtsfähigen Vereine stark angenähert. I m einzelnen stellt sie sich wie folgt dar 4 : a) Die Gewerkschaften im Rechtsverkehr Das Recht auf Gebrauch des Namens, § 12 BGB, steht auch dem nichtrechtsfähigen Verein zu 5 . Ob sich daran ein allgemeiner Schutz des Bestandes und Wirkens der nichtrechtsfähigen Vereine gem. § 823 Abs. 1 BGB i n entsprechender Anwendung der Grundsätze des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anschließt, kann dahinstehen, da die Gewerkschaften jedenfalls über A r t . 9 Abs. 3 S. 2 GG, der der Koalitionsfreiheit auch i m bürgerlichen Recht unmittelbare Geltung verschafft, hinreichend geschützt sind. Immerhin hat der B G H i n der Entscheidung BGHZ 42, 210, 219 einen Schadensersatzanspruch wegen unfairer Werbung einer konkurrierenden Gewerkschaft auf § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. A r t . 9 Abs. 3 GG gestützt und einen Anspruch aus § 824 BGB für möglich gehalten 6 , w o r i n der Ansatz für einen umfassenden zivilrechtlichen Schutz der Gewerkschaften liegen könnte. Der nichtrechtsfähige Verein kann Mitglied eines anderen Vereins sein 7 . Das Vereinsvermögen ist bei den Gewerkschaften durchweg Treuhandgesellschaften übertragen 8 . Damit w i r d zwar das zivilrechtlich nur 3 Diese ist nicht „eigentlich" als Gesellschaftsvertrag anzusehen, da § 54 BGB das Bestehen eines Vereins voraussetzt und nur für die Rechtsfolgen auf das Gesellschaftsrecht verweist. 4 Vgl. K. Popp, 135 ff. 5 Unstr.; vgl. K. Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 2. Aufl. 1972, 140; B G H A P Nr. 1 zu § 12 BGB. 6 Der B G H billigt auf S. 220 die Ansicht des Berufungsgerichts, daß ein Abwehranspruch gegen unfaire Werbung einer konkurrierenden Gewerkschaft auf §§ 823 Abs. 1, 824, 1004 BGB zu stützen sei. Dagegen unterfallen die Gewerkschaften im Regelfall nicht dem UWG, R. Ellscheid, Verbände und Wettbewerbsrecht, GRUR 1972, 284; vgl. auch B G H Z 63, 282, 284 ff., wo die Anwendbarkeit der §§27, 35 GWB auf Spitzenorganisationen des Sports offengelassen wurde. 7 W. Erman, H. Westermann, BGB, 5. Aufl. 1972, § 54, 5. 8 Übersicht bei A. Hueck, H. C. Nipperdey, 187 (FN31); W. Scharnagl, Das Groschenimperium, 1970, 265 ff.; ferner CPK 44, 3; D P G 29; i m einzelnen die Geschäftsberichte der Gewerkschaften. 3 Gerhardt

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I. Die Gewerkschaften nach geltendem

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unzulänglich lösbare Problem einer praktikablen Vermögenszuständigk e i t 9 umgangen, zugleich ist aber auch der Einfluß der Verbandsmitglieder auf das Vermögen geschrumpft auf die Wahl der i n die Organe der Treuhandgesellschaften zu entsendenden Personen 10 . Ganz allgemein w i r d anerkannt, daß auch nichtrechtsfähige Vereine für Handlungen ihrer Organe gem. § 31 BGB haften 1 1 . Dagegen ist man sich zwar weitgehend einig, daß die Schuldenhaftung der Vereinsmitglieder entgegen § 54 S. 1 BGB auf ihren A n t e i l am Vereinsvermögen zu beschränken ist, wie sich das allgemein begründen läßt, ist aber nicht geklärt. Einen dahingehenden Versuch unternimmt die Satzung der DPG i n § 30, wonach die einzelnen Mitglieder nur i n Beitragshöhe haften. Die Wirksamkeit dieser Vorschrift ist i n doppelter Hinsicht anzuzweifeln: Erstens w i r k t sie ohne zumindest stillschweigende Aufnahme i n das Rechtsgeschäft m i t Dritten diesen gegenüber nicht 1 2 , zweitens bedürfte sie selbst dann einer ausdrücklichen A u f nahme i n das Rechtsgeschäft m i t dem Dritten, wenn man eine gewohnheitsrechtliche Haftungsbeschränkung der Mitglieder annehmen würde 1 3 , da eine solche den Haftungsrahmen i m A n t e i l am Vereinsvermögen sieht, nicht aber i n der Beitragshöhe. A m plausibelsten erscheint es, regelmäßig eine stillschweigende Begrenzung der Vertretungsmacht der Vereinsorgane anzunehmen. Die erwähnte Satzungsregelung ließe sich gerade noch i n dieser Richtung auslegen 14 . Die Haftung des für den Verein Handelnden nach § 54 S. 2 BGB bleibt von alledem unberührt, sie kann nur ausdrücklich abbedungen werden 1 5 , eine Bestimmung „Die persönliche Haftung des Vorstands i m Sinne des § 54 BGB ist ausgeschlossen"16 hat nur interne Wirkung. ® K. Larenz, 141, 142. io Dazu unten 13 b. u O. Palandt, B. Danckelmann, Bürgerliches Gesetzbuch, 35. Aufl. 1976, § 54, 2 A d, B b; L. Enneccerus, H. C. Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Teil I 1. Hb., 15. Aufl. 1959, 697 ff.; w. Nachw. bei K. Larenz, 144 (FN 3). 12 L. Enneccerus, H. C. Nipperdey, 706, 707 (FN56); woher eine Vermutung in dieser Richtung abzuleiten wäre, ist nicht ersichtlich. 13 K . Larenz, 144. 1 4 Diesen Weg geht auch das R G (Nachw. bei W. Erman, H. Westermann, §54, 12); hinzuweisen ist auch auf die Regelung des §37 PartG. Der in der Literatur zu findende Vorschlag, das Vereinsvermögen solle dem Vorstand treuhänderisch übertragen werden, so daß Vermögens- wie Haftungszuständigkeit geklärt wäre, findet kein Echo in den Satzungen; wenn es z.B. bei CPK 44, 7 heißt, daß bei Auflösung einer untergeordneten Gewerkschaftsgliederung das Recht an allen ihren Vermögenswerten dem Vorstand zufällt, dann soll damit nur die unselbständige Stellung der Gliederung betont werden (vgl. auch G H K 32; I G M 22, 10). 15 W. Erman, H. Westermann, § 54, 15. 16 V H W 13, 3.

2.b) Grundsatz und Schranken der Vereinsautonomie

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Während § 50 Abs. 2 ZPO nur die passive Parteifähigkeit des nichtrechtsfähigen Vereins vorsieht, kommt speziell den Gewerkschaften aufgrund ihrer faktisch wie kraft A r t . 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich hervorragenden Stellung allgemeine Parteifähigkeit zu 1 7 . Für das arbeitsgerichtliche Verfahren legt § 10 ArbGG die Parteifähigkeit der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände fest. b) Grundsatz und Schranken der Vereinsautonomie Die inneren Hechtsverhältnisse des Vereins werden bestimmt vom Grundsatz der Vereinsautonomie. M i t diesem Ausdruck bezeichnet man das Recht des Vereins zu eigener Rechtssetzung und Verwaltung 1 ®. Jeder Verein ist i n der Aufstellung objektiver Normen für das innere Verbandsleben frei, die Vereinsmitglieder unterwerfen sich ihnen m i t dem Beitritt zum Verein. Der Verein kann nicht nur Zweck und W i r kungsfeld frei für sich regeln, er hat auch weitestgehend die Befugnis, seine Organisation nach Gutdünken zu regeln (§ 25 BGB). So ist von der Vereinsautonomie gedeckt die Einrichtung einer dem BGB unbekannten Verbandsschiedsgerichtsbarkeit. Dieser umfassenden Rechtsetzungsbefugnis entspricht das Recht zur Selbstverwaltung der Vereinsangelegenheiten. I n freier Willensbildung entscheiden die zuständigen Vereinsorgane nicht nur über die satzungsmäßigen Verbandsaktivitäten, sondern auch über Organisationsakte, über Aufnahme und Ausschluß von Mitgliedern und die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen. Nach ständiger Auffassung der Rechtsprechung ist Inhalt der Vereinsautonomie aber nicht nur, daß der staatlichen Verwaltung außerhalb ihrer Befugnisse nach dem öffentlichen Vereinsrecht kein Einfluß auf das Vereinsleben zukommt 1 9 , sondern auch, daß den Gerichten verwehrt ist, innere Vereinsstreitigkeiten unbeschränkt zu judizieren. Vielmehr räumt die Rechtsprechung i n verschiedener Hinsicht den Vereinen eine abschließende Entscheidungskompetenz ein. I h r self-restraint führt i m Ergebnis zu einer beschränkten Sachprüfungskompetenz, die der der Verwaltungsgerichte gegenüber Ermessensentscheidungen der öffentlichen Verwaltung ähnlich ist 2 0 . Diese Zurückhaltung der Rechtsprechung hat unterschiedliche Ausprägungen erfahren, je nachdem, ob es sich u m Organstreitigkeiten 17 B G H Z 50, 325 ff. 18 J. v. Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 1957, bearbeitet von H. Coing, Vorbem. § 21, 5 g - i. i® Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts v. 5.8.1964 mit Änderungen. Den Koalitionen wird in § 16 ein Richterprivileg eingeräumt; dazu H. Reichel, AR-Blattei (D) Vereinigungsfreiheit I I . 20 Vgl. § 114 VwGO, § 102 FGO. 3*

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I. Die Gewerkschaften nach geltendem Recht

innerhalb eines Vereins oder um die Verfolgung von Mitgliedschaftsrechten einzelner Vereinsmitglieder handelt. Sie werden unten c) und d) dargestellt. Doch lassen sich zwei Grundregeln vor die Klammer ziehen. Zum einen hat die Anrufung der ordentlichen Gerichte die Erschöpfung des vereinsinternen Instanzenzuges zur Voraussetzung, sofern dies nicht zu einer unzumutbaren Verzögerung für den Rechtsuchenden führt 2 1 . Damit hat die Rechtsprechung eine Prozeßvoraussetzung eigener A r t geschaffen, die sich systematisch wohl am ehesten i m Bereich der Prozeßvoraussetzung des Rechtsschutzinteresses ansiedeln läßt 2 2 . Zum anderen läßt sich formelhaft zusammenfassen, daß die Gerichte Akte der Vereinsgewalt nur daraufhin überprüfen, ob sie Verstöße gegen die Gesetze, die guten Sitten, zwingende Satzungsvorschriften oder tragende Grundsätze des Vereinsrechts darstellen. Diese Formel bedarf jedoch der Konkretisierung. c) Die innere

Ordnung

I n den §§ 25 ff. entwickelt das BGB das Grundmodell einer Vereinsverfassung. Vereinsorgane sind die Mitgliederversammlung und der Vorstand. Die Mitgliederversammlung ist das Organ der vereinsinternen W i l lensbildung, i h r kommt grundsätzlich die Letztentscheidimg i n Angelegenheiten des Vereins zu (§ 32 Abs. 1 S. 1 BGB). Insbesondere w i r d von ihr der Vorstand bestellt und abberufen (§ 27 Abs. 1, 2), ist sie zuständig für Satzungsänderungen (§ 33) und die Auflösung des Vereins (§41). Die Mitgliederversammlung w i r d normalerweise vom Vorstand einberufen, ein Zehntel der Vereinsmitglieder kann die Berufung erzwingen; eine Berufung hat auch zu erfolgen, wenn das Interesse des Vereins es erfordert (§§ 36, 37) 23 . 21 Die grundsätzliche Subsidiarität staatlicher, d. h. gerichtlicher Entscheidung hat bereits B G H Z 13, 5, 15 f. betont; B G H Z 47, 172, 174 enthält den heftig angegriffenen Satz „denn es muß vermieden werden, daß die Gerichte unnötig angerufen werden . . . " ; diese Äußerung läßt sich ebenso wie eine ähnliche in B G H Z 29, 352, 362 zwanglos in den Gedanken einordnen, daß die überindividuelle Entscheidung eines sachnahen und legitimierten Kollektivs zu respektieren ist. Zur Unzumutbarkeitsgrenze W. Erman, ff. Westermann, § 39, 6. 22 Vgl. F. Nicklisch, Verbandsmacht und einstweiliger Rechtsschutz, 1974, 21 ff. 23 Eine Erzwingung der Einberufung aus Vereinsinteresse (§ 36) ist nicht im Klagewege möglich, sondern nur über § 37 Abs. 2 (Eingreifen des Amtsgerichts) sanktioniert. Daher scheidet eine Anwendung auf den nichtrechtsfähigen Verein aus. Jedoch bezeichnet gerade diese Vorschrift die Gewichtsverteilung im Verein, sie darf bei einer Beschreibung des Grundmodells eines Vereins nicht fehlen.

2.c) Die innere Ordnung nach Vereinsrecht

37

Die Mitgliederversammlung entscheidet mit Mehrheit der erschienenen Mitglieder, Satzungsänderungen und Vereinsauflösung bedürfen einer Dreiviertelmehrheit, Änderungen des Vereinszwecks der Einstimmigkeit aller Mitglieder. W i r d nicht i n Sitzungen entschieden, sondern i m Umlaufverfahren, ist für jede Angelegenheit die Zustimmung aller Mitglieder erforderlich (§ 32 Abs. 2). Sofern nicht Sonderrechte bestehen, hat jedes Mitglied eine Stimme. I n Fällen einer möglichen Interessenkollision ist das betroffene Mitglied nicht stimmberechtigt (§ 34). Zur Gültigkeit eines Beschlusses ist erforderlich, daß der Gegenstand bei der Berufung der Versammlung bezeichnet worden ist (§ 32 Abs. 1 S. 2). Der Vereinsvorstand ist konzipiert zur Vertretung des Vereins gegenüber Dritten und zur internen Geschäftsführung. Er w i r d von der M i t gliederversammlung bestellt. Er kann aus mehreren Personen bestehen; für diesen Fall unterliegt seine Willensbildung den gleichen Bestimmungen wie die Mitgliederversammlung (§ 28). Andere Organe sieht das BGB nicht vor, schließt sie aber auch nicht aus (§ 30). Dieses Grundmodell ist, obwohl an sich schon nicht sehr detailliert, weitgehend satzungsdispositiv. Nach § 40 BGB sind zwingend vorgeschriebene Organe die Mitgliederversammlung als oberstes Beschlußorgan (arg. §§ 36, 37 i. V. m. § 40) sowie der Vorstand zur Vertretung der Körperschaft nach außen (§§ 26, 28 Abs. 2). Aus dem Geschäftsordnungsrecht der Mitgliederversammlung sind zwingend lediglich die Vorschriften über die Berufung der Mitgliederversammlung, wobei aber das Minderheitenquorum abweichend geregelt werden kann (§ 37), und über den Ausschluß vom Stimmrecht bei Interessenkollision (§ 34). Das Recht des Vorstandes ist zwingend, soweit es die Vertretungsmacht betrifft, jedoch kann der Umfang der Vertretungsmacht durch Satzung mit Wirkung für Dritte beschränkt werden (§ 26 Abs. 2 S. 2). Bestellung und Abberufung des Vorstandes unterliegen der vereinsautonomen Regelung mit der Maßgabe, daß die Satzung die Unwiderruflichkeit der Bestellung des Vorstandes nicht auch für den Fall eines wichtigen Grundes, insbesondere grober Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung vorsehen kann (§ 27 Abs. 2 S. 2). Das Gesetz zwingt jedoch die Vereinsgründer in den §§ 57, 58, die Grundstruktur der Vereinsorganisation zu bedenken. Eine Eintragung in das Vereinsregister erfolgt nämlich nur, wenn die Satzung Bestimmungen enthält über den Eintritt und Austritt der Mitglieder, über die Beitragspflicht der Mitglieder und deren Höhe, die Bildung des Vorstandes und über die Voraussetzungen, unter denen die Mitgliederversammlung zu berufen ist, über die Form der Berufung und die Beurkundung der Beschlüsse.

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I. Die Gewerkschaften nach geltendem

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Dies gilt natürlich nur für den Verein, der Rechtsfähigkeit anstrebt. Nachdem aber die §§ 25 ff. wegen § 54 unmittelbar nur für derartige Vereine in Frage kommen, ist mit den Normativbestimmungen des Registerrechts ein begleitendes Korrektiv zur völligen Freiheit der Satzungsgestaltung gem. §§ 25, 40 immer gegeben. Zu erwägen wäre, ob man nicht auch einen nichtrechtsfähigen Verein nur dann als wirksam gegründet ansehen sollte, wenn er Satzungsbestimmungen mindestens i m genannten Umfang fixiert hat 2 4 .

Die BGB-Bestimmungen über die Vereinsverfassung sind nur i n geringem Umfang durch richterliche Rechtsfortbildung ergänzt. Hervorgehoben sei die Betonung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die Rechtsprechung. Dieser w i r k t sich z. B. i m Erfordernis einer ordnungsgemäßen Ladung aller Mitglieder zur Mitgliederversammlung aus. Ein trotz eines Ladungsmangels gefaßter Beschluß ist jedoch nur dann nichtig, wenn dem Verein der Nachweis nicht gelingt, daß auch bei ordnungsgemäßer Ladung sich das Abstimmungsergebnis nicht geändert hätte 2 5 . Rechtswidrige Beschlüsse der Mitgliederversammlung sind nicht entsprechend den §§ 241 ff. AktG, 51 GenG nur anfechtbar, sondern entweder gültig oder nichtig. Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschriften hat der B G H unterschiedslos für alle Arten von Vereinen, also auch für solche m i t besonderer Bedeutung abgelehnt2®. Nichtige Vereinsbeschlüsse können auch nicht dadurch geheilt werden, daß eine spätere Mitgliederversammlung sie als gültig behandelt, erneute Ladung und Abstimmung sind unumgänglich 2 7 . Für den nichtrechtsfähigen Verein können die gerade skizzierten Grundanforderungen an die Vereinsstruktur entsprechend angewendet werden. Sie sind als unmittelbare Konsequenz einer körperschaftlichen Verfassung anzusehen und haben keine Beziehung zur Frage der Rechtsfähigkeit. Dementsprechend wendet die Rechtsprechung die Organisationsvorschriften der §§ 21 ff. BGB durchweg auf den nichtrechtsfähigen Verein an 2 8 . Die Befugnisse des Amtsgerichts zum Eingreifen i n das Vereinsleben (§§ 29, 37 Abs. 2) knüpfen an die Eintragung ins Vereinsregister an und sind daher nicht auf den nichtrechtsfähigen Verein anwendbar.

24 Nach h. M. ist jede Vereinigung, die dem Vereinsbegriff genügt, nach § 54 BGB zu behandeln. Es erscheint aber bedenkenswert, solchen Vereinen einen Freiraum nichtjustiziabler Entscheidungen zu verweigern. 2 » B G H Z 59, 369, 374 (unter I I 4). 2 « B G H Z 59, 369, 371 f. (unter I I 1). 2 ? B G H Z 49, 209, 210 = A P Nr. 38 zu Art. 9 G G (Arbeitskampf). 2 8 Übersicht bei W. Erman, H. Westermann, §54, 6, 7; K. Popp, 141 ff.; zur entsprechenden Anwendung von § 32 Abs. 1 S. 2 BGB auf den nichtrechtsfähigen Verein B A G A P Nr. 4 zu § 54 BGB.

2.c) Die innere Ordnung nach Vereinsrecht

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Dem Grundmodell des Vereins kann aber noch weitere Bedeutung zukommen. Die Rechtsprechung bezieht sich bei der Beurteilung der Rechtsfolgen von Verfahrensverstößen für Beschlüsse der Mitgliederversammlung auf „tragende Grundsätze des Verbandsrechts". Woher diese genommen werden, w i r d nicht ganz klar. Der B G H zieht zwar immer wieder den Vergleich zu Regelungen des Aktien-, GmbH- und Genossenschaftsrechts, lehnt aber, wie schon gesagt, die entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Anfechtungsklage als für Vereine des bürgerlichen Rechts nicht passend ab. Es fehle ihnen insoweit die Vergleichbarkeit mit den Handelsgesellschaften. Offenbar schwebt dem B G H das allgemeine Bild eines idealen Verbandes vor, das im Wege der Abstraktion aus allen Vorschriften des Vereins- und Gesellschaftsrechts gewonnen wird. Er kann so die Verhältnisse der Handelsgesellschaften zum Vergleich heranziehen, ohne einzelne Ausprägungen bei speziellen Gesellschaftstypen entsprechend anwenden zu müssen. So ist es auch nicht überraschend, wenn der B G H die „sachliche Gebotenheit" einer Rechtsfolge mitanzieht oder auf die Notwendigkeit einer „ordnungsgemäßen Gesamtwillensbildung" verweist 2 ^

Die tragenden Grundsätze des Verbandsrechts können anhand des Grundmodells des Vereins gefunden und weiterentwickelt werden. Dabei könnte den dispositiven Regeln des Vereinsrechts ähnliche Bedeutung zukommen, wie den abdingbaren Regelungen des Schuldrechts für die Uberprüfung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf ihre Ausgewogenheit i n der Berücksichtigung der Interessen der Vertragspartner. Auszugleichen sind i m Vereinsrecht die Interessen der verschiedenen Mitgliedergruppen sowie die Zuständigkeitsbereiche von Vereinsvorstand und Mitgliedern 3 0 . Dies sei an der für diese Arbeit besonders wichtigen Fragestellung erläutert, welche demokratischen Mindesterfordernisse das bürgerliche Vereinsrecht an die Willensbildung des Vereins stellt, m. a. W. wie „mitgliedschaftlich" die körperschaftliche Struktur eines Vereins m i n destens sein muß. Geht man von den zwingenden Gesetzesvorschriften aus, so ist eine Satzungsregelung denkbar, daß ein Vorstand, einmal eingesetzt, unabsetzbar regiert, wenn er sich nicht schwerwiegende Verfehlungen zuschulden kommen läßt, und sich i m Wege der Kooptation ohne Zutun der Mitgliederversammlung verjüngt (§§ 40, 27 Abs. 1, 2, 25 BGB). A l l e Befugnisse m i t Ausnahme der Vereinsauflösung können dem Vorstand übertragen werden. Ist i n der Satzung für den Beschluß der Vereinsauflösung Einstimmigkeit vorgesehen, so ist das Schicksal des Vereins untrennbar m i t dem des Vorstands verknüpft. 2

» B G H Z 59, 369 ff. 30 Zur „Ordnungs- und Leitbildfunktion" des dispositiven Rechts O. Palandt, H. Heinrichs, Einf. v. § 145, 6 D d; s. auch unten I I 3 a F N 4.

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I. Die Gewerkschaften nach geltendem Recht

Trotzdem w i r d man zweifeln müssen, ob ein derartiger monarchischer Verein m i t den tragenden Grundsätzen des Verbandsrechts vereinbar wäre. I n einem solchen Verein ist das mitgliedschaftliche Element völlig vernachlässigt, obwohl doch gerade dieses das Normalbild des Vereins ausmacht. Den Mitgliedern bleibt nur der A u s t r i t t als Äußerungsmöglichkeit. Angenommen, dem Verein kommt auf einem bestimmten Sektor besondere Bedeutung zu, so nötigt der Wunsch, an den vom Verein gebotenen Vorteilen teilzuhaben, zur Unterwerfung unter den Willen einzelner, ohne die rechtliche Chance eigener Einflußnahme. Mißt man einen solchen Verein nicht ausschließlich an den zwingenden Vorschriften, sondern am Grundmodell des Vereins, so ergibt sich, daß das Verhältnis Mitgliederversammlung—Vorstand ins Gegenteil verkehrt ist. Eine derartige Organisationsstruktur ist nicht mehr als Verein anzusehen m i t der Rechtsfolge, daß sich ein solches Gebilde nicht mehr auf die Vereinsautonomie berufen kann, sondern anhand der allgemeinen Schranken der Privatautonomie, vor allem anhand § 138 BGB, zu überprüfen ist. Diese allgemeinen Schrankenvorschriften lassen dann auch eine grundrechtliche Beurteilung der i n Frage stehenden Abhängigkeitsverhältnisse zu 3 1 . Zwar ist das Vorkommen einer derartig einseitigen Vereinsorganisation aus praktischen Gründen sehr unwahrscheinlich, der fiktive Fall zeigt aber, daß das BGB keinen Schutz vor oligarchischen Strukturen bietet, es sei denn, dem Verein kommt eine besondere Stellung zu, auf die die einzelnen Privaten angewiesen sind. Selbst dann aber kann eine Restriktion der Vereinsautonomie nur anhand eines allgemeinen Typus des BGB-Vereins erfolgen, der aber nicht klar genug konturiert ist, u m direkte Normen für die Beurteilung eines Vereins zu bieten, so daß über diesen Vereinstypus lediglich der Weg frei gemacht werden kann zur Anwendung der allgemeinen Generalklauseln des Privatrechts 32 . d) Die Mitgliedschaft Die Mitgliedschaft i m Verein ist ein Rechtsverhältnis, aus dem sich Rechte und Pflichten zwischen dem Verein und dem einzelnen ergeben. Für die rechtliche Behandlung der Mitgliedschaft ist die Rechtsfähig3! Zur sog. mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte BVerfGE 7, 198 ff.; Übersicht bei O. Palandt, H. Heinrichs § 242, 1 d aa. Hier knüpft auch H. Föhr, Willensbildung in den Gewerkschaften und Grundgesetz, 1974, 115 ff., an, der sich jedoch der Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung bedienen muß, weil er von einer zivilrechtlich unbeschränkten Organisationsautonomie der Vereine ausgeht (ebd. 78 f.); allerdings geht H. Föhr im letzten doch über den Drittwirkungsansatz hinaus und nähert sich institutionellem Denken. Siehe auch F. Nicklisch, Der verbandsrechtliche Aufnahmezwang und die Inhaltskontrolle satzungsmäßiger Aufnahmevoraussetzungen, JZ 1976, 105, 107 ff. 32 Zum Wert dieser Abstraktheit unten I I 3 a.

2 . ) Die

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keit des Vereins ohne jeden Belang, so daß keine Differenzierungen zwischen rechtsfähigen und nichtrechtsfähigen Vereinen gegeben sind 3 3 . I m Gegensatz zum Recht der Vereinsorganisation wurde das Recht der Vereinsmitgliedschaft entscheidend von der Rechtsprechung geprägt, die gesetzlichen Vorschriften treten demgegenüber in den Hintergrund.

Die Mitgliedschaft w i r d durch Mitgründung oder Beitritt erworben. Der Beitritt erfolgt durch Vertrag. Ein subjektives Recht auf Aufnahme i n einen Verein besteht regelmäßig nicht. Nur i n seltenen Ausnahmefällen kann sich eine Aufnahmepflicht des Vereins über § 826 BGB herleiten lassen 34 . I n BGHZ 63, 282, 284 ff. werden die Voraussetzungen dafür i n Anlehnung an die Tatbestandselemente des § 27 GWB präzisiert. Der B G H führt aus: „Ein Monopol verband kann nach der Rechtsprechung des B G H zur Aufnahme von Bewerbern um die Mitgliedschaft verpflichtet sein. . . . Eine solche Verpflichtung besteht zwar im allgemeinen nur, wenn die satzungsmäßigen Aufnahmevoraussetzungen erfüllt sind (...). Solche stehen hier, . . . , der Aufnahme des Klägers entgegen. Ein Aufnahmezwang kann aber, . . . , trotz entgegenstehender Satzung bestehen, wenn die Rechtsordnung die Berufung auf die satzungsmäßige Aufnahmebeschränkung gerade wegen der Monopolstellung des Verbandes nicht hinnehmen kann und diese daher nichtig oder nur eingeschränkt anwendbar ist (...). Ob und inwieweit das der Fall ist, ist grundsätzlich nach der an die Vorschrift des §826 BGB und an die Tatbestandselemente des § 27 GWB angelehnten Formel zu bestimmen, daß die Ablehnung der Aufnahme, auch wenn das vom Text der Satzung gedeckt wird, nicht zu einer — im Verhältnis zu bereits aufgenommenen Mitgliedern — sachlich nicht gerechtfertigten ungleichen Behandlung und unbilligen Benachteiligung eines die Aufnahme beantragenden Bewerbers führen darf. Danach spielen einerseits die berechtigten Interessen des Bewerbers an der Mitgliedschaft und die Bedeutung der damit verbundenen Rechte und Vorteile, die ihm vorenthalten werden, eine wesentliche Rolle. Es kommt aber auch, . . . , auf eine Bewertung und Berücksichtigung des Interesses des Monopolverbandes an der Geltung der Aufnahmebeschränkung an. Ist deren sachliche Berechtigung zu verneinen und die Zurückweisung des Bewerbers unbillig, so ist ein Aufnahmezwang in der Regel anzunehmen. Allerdings wird im Einzelfall zu prüfen sein, ob der Bewerber ohne unverhältnismäßige Opfer in der Lage wäre, die vom Monopolverband aufgestellten Aufnahmevoraussetzungen zu erfüllen (...). Ähnliches gilt auch umgekehrt: Ist zwar das Verbandsinteresse an dem mit der Aufnahmebeschränkung verfolgten Zweck sachlich gerechtfertigt, wäre aber die Zurückweisung des Bewerbers für diesen eine unbillige Benachteiligung, so muß unter Umständen dem Monopolverband, soweit möglich 33 B G H Z 13, 5, 11; die vom R G getroffene Unterscheidung zwischen sozial bedeutsamen und unbedeutenden Vereinen ist spätestens seit B G H Z 47, 381, 384 f. aufgegeben. 34 B G H Z 21, 1 ff.; B G H NJW 69, 316, 317, wo die Möglichkeit eines Aufnahmeanspruchs aus § 826 BGB auch gegen Idealvereine für möglich gehalten wird; B G H NJW 1973, 35, 36 = A P Nr. 21 zu Art. 9 GG; B G H Z 63, 282, 284 ff.; dazu F. Nicklisch, Der verbandsrechtliche Aufnahmezwang, mit einer Darstellung der Rechtsprechungsentwicklung, 105 ff.; R. Birk, Der Aufnahmezwang bei Vereinen und Verbänden, JZ 1972, 343, insbes. 344, 348.

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I . Die Gewerkschaften nach geltendem Recht

und zumutbar, angesonnen werden, den mit der Aufnahmebeschränkung verfolgten Zweck durch eine andere, »mildere4 Ausgestaltung dieser Satzungsbestimmung zu erreichen und auf diese Weise dem Bewerber Zugang zu den Verbands vorteilen zu eröffnen."

Das umfangreiche Zitat soll zeigen, wie vorsichtig der B G H die Verbands- und die Bewerberinteressen abwägt. Immerhin nähert sich der B G H einer Inhaltskontrolle der Satzungsbestimmungen, wie sie für Allgemeine Geschäftsbedingungen üblich ist. Damit ist ein Weg beschritten, der von der bisherigen einseitigen Bevorzugung der Vereinsinteressen gegenüber denen des u m die Aufnahme Nachsuchenden wegführen kann. Offen ist aber, wie die Rechtsprechung i n Zukunft die abzuwägenden Interessen gewichten wird, ist doch zu vermerken, daß es bei dem hier diskutierten Fall u m die Aufnahme eines Spitzenverbandes des Sportes i n einen bundesweiten Dachverband, den Deutschen Sportbund, ging, also u m eine i n verschiedener Hinsicht besonders gelagerte Konstellation 3 5 . Das Mitgliedschaftsrecht ist, wenn nichts anderes geregelt ist, höchstpersönlicher Natur (§ 38 BGB). Soweit einem Mitglied Sonderrechte zustehen, kann sie der Verein nur m i t Zustimmung des Mitglieds kürzen (§ 35 BGB). Die aus der Mitgliedschaft erwachsenden Rechte und Pflichten treffen alle Mitglieder grundsätzlich gleich 36 . Sachgerechte, am Vereinszweck orientierte Differenzierungen widersprechen dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht 3 7 . Rechte und Pflichten unterliegen der Satzungsgewalt. Die daraus abgeleitete Vereinsdisziplinargewalt w i r d unten i m Zusammenhang m i t dem Ausschluß behandelt. Die Mitgliedschaft endet durch Tod, Austritt oder Ausschluß. § 39 BGB bestimmt, daß die Austrittsfreiheit durch die Satzung an bestimmte Fristen oder Termine geknüpft werden kann; die Kündigungsfrist darf höchstens zwei Jahre betragen, eine für Koalitionen unter verfassungsrechtlichen Aspekten problematisch lange Frist 3 8 . Der Ausschluß ist die einseitige Aufhebung der Mitgliedschaft durch den Verein. Er entspricht der gesellschaftsrechtlichen Kündigung, hat aber eigenständige Rechtsnatur 39 . Da m i t dem Ausschluß regelmäßig der V o r w u r f eines Verstoßes gegen Normen des Vereins verbunden ist 4 0 , also der Ausschluß disziplinarischen Charakter hat, w i r d er all35 Verallgemeinernd aber F. Nicklisch,

110 ff.

3ö Zur Gleichbehandlung im Zivilrecht K. Larenz, 130; L. Enneccerus, H. C. Nipperdey, 676 (FN 22). 37 B G H Z 55, 381 (unter I I 3). 38 R. Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Die Grundrechte, hrsg. von. K. A. Bettermann, H. C. Nipperdey, U. Scheuner, Bd. I I I 1, 1958, 417, 450; siehe auch unten I I I 4 b. 3» B G H Z 13, 5, 10 f. 40 17. Meyer-Cording, Die Vereinsstrafe, 1957, 10 ff.

2 . ) Die

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gemein als schwerste „Vereinsstrafe" behandelt. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze gelten unterschiedslos für Vereinsstrafen und Vereinsausschlüsse. Es ist die Auffassung der ständigen Rechtsprechung, daß den Vereinen eine selbständige „Strafgewalt" als Element der Vereinsautonomie zukommt, der sich die Mitglieder durch ihren Beitritt unterworfen haben 4 1 : Die staatliche Anerkennung dieser Strafgewalt bedeutet für die Gerichte eine Beschränkung ihrer Prüfungskompetenz. Die Rechtsprechung hat das i n folgende Formel gefaßt: „Der eine Vereinsstrafe enthaltende Beschluß ist nach sprechung des B G H mit Rücksicht auf die Vereinsgewalt überprüfen, ob er eine Grundlage in der Satzung findet, gesehene Verfahren eingehalten worden ist und ob der oder sittenwidrig oder offenbar unbillig ist 4 2 ."

ständiger Rechtnur daraufhin zu ob das dort vorBeschluß gesetz-

I m einzelnen hat sie folgende Fragen entschieden, wobei an dieser Stelle nicht über den Stellenwert von Entscheidungen geurteilt werden soll, bei denen zweifelhaft ist, ob sie allgemeine Gültigkeit i n ihren Aussagen beanspruchen oder nur für den Einzelfall konzipiert sind — es wäre dies eine Vorwegnahme einer Interpretation der Rechtsprechung als ganzer 43 . Soweit i n den Satzungen prozeßgestaltende Regelungen getroffen sind, gilt: Während ein Ausschluß des Rechtswegs unzulässig ist 4 4 , ist i m Rahmen der §§ 1025 ff. ZPO die Unterwerfung unter ein Schiedsgericht möglich, wobei eine besondere Unterwerfungsurkunde (§ 1027 Abs. 1 ZPO) nicht erforderlich ist 4 5 . Wie schon erwähnt, sind gewillkürte Prozeßvoraussetzungen, insbesondere die erschöpfende Anrufung eines innerverbandlichen Instanzenzuges, anerkannt, sofern die Satzung die an diese Prozeß Voraussetzungen geknüpften Rechtsfolgen jedem Mitglied klar erkennbar werden läßt 4 6 und sie i m Einzelfall zumutbar sind 4 7 . Ein vorläufiger Rechtsschutz durch die Justiz dürfte damit i m Regelfall nicht gegeben sein. Nur für einen Sonderfall hat das O L G Celle eine einstweilige Verfügung gegen die Anordnung des Ruhens der Mitgliedschaft 41 B G H Z 21, 370, 373. 42 B G H NJW 1973, 35. 43 Siehe unten I I 3 a; V. 44 Nachw. bei P. Schlosser, 113 (Anm. 511). 45 p. Schlosser, 116 ff.; U. Meyer-Cording, 121 ff.; umfassend L. Vollmer, Satzungsmäßige Schiedsklauseln, 1970; ferner H. P. Westermann, Die Verbandsstrafgewalt und das allgemeine Recht, 1972, 108 ff.; F. Nicklisch, Schiedsgerichtsklauseln und Gerichtsstandsvereinbarungen in Verbandssatzungen und allgemeinen Geschäftsbedingungen, BB 1972, 1285 ff. 46 B G H Z 47, 172, 175. 47 Siehe oben F N 22.

44

I. Die Gewerkschaften nach geltendem Recht

gebilligt, da ein Ruhen der Mitgliedschaft die Aktivlegitimation des M i t glieds in einem anhängigen Verfahren beseitigt hätte, es also in der Hand des Vereins gelegen wäre, sich einseitig klaglos zu stellen; für diesen Fall nahm das O L G offenbare Unbilligkeit des Vereinsbeschlusses an 4 8 .

Die Vereinsstrafe stützen.

muß sich auf eine gültige

Satzungsvorschrift

Wegen des Normcharakters der Satzung ist sie objektiv auszulegen, § 139 BGB kommt im Fall einer Teilnichtigkeit nicht zur Anwendung 4 ^.

Ob ein Ausschluß ohne Satzungsgrundlage möglich ist, hat die Rechtsprechung noch nicht entschieden 50 . Für die Vereinsstrafen i m engeren Sinn gilt jedenfalls der Grundsatz „nulla poena sine lege", dessen Inhalt jedoch nicht unumstritten ist. So hat das OLG F r a n k f u r t 5 1 angenommen, daß ein Mitglied auch auf Zeit ausgeschlossen werden kann, obwohl die Satzung nur den Ausschluß schlechthin vorsah, da i m temporären Ausschluß eine mildere Maßregel zu erblicken sei. W i l l man die Notwendigkeit einer vorhersehbaren und berechenbaren Strafregelung nicht zur Farce machen, dürfte man aber nicht von der Ausschlußmöglichkeit auf das Recht des Vereins zur Verhängung einer Geldstrafe schließen; dazu bedürfte es einer eigenen Ermächtigung i n der Satzung 52 . Die Frage, ob eine Sanktion nur i n der Satzung oder auch i n einer Geschäftsordnung eines Vereinsorgans geregelt sein kann, ist nicht nur für rechtsfähige Vereine relevant (vgl. § 71 Abs. 1 S. 1 BGB), sondern weist darauf hin, daß für eine Vereinsstrafe eine allgemeine und erkennbare Ermächtigung durch das Hauptwillensbildungsorgan förmlich beschlossen sein muß, u m für das Vereinsmitglied verbindlich sein zu können 5 3 . Ungültig ist eine Satzungsvorschrift, die nicht ordnungsgemäß zustandegekommen ist. Die Strafandrohung einer Satzung ist auch dann nichtig, wenn i n ihr ein Gesetzes- oder Sittenverstoß liegt 5 4 . Darunter fällt die rück48 BB 1973, 1190; weitere Nachweise bei F. Nicklisch, Verbandsmacht und einstweiliger Rechtsschutz, 1974, 29 ff. 4 » B G H Z 29, 352, 354; 47, 172, 174. 50 Zum Problem E. Bötticher, Wesen und Arten der Vertragsstrafe sowie deren Kontrolle, ZfA 1970, 3, 56 ff. 51 NJW 1974, 189. 52 p. Schlosser, 57. 53 B G H Z 47, 172, 177 f.; R. Lukes, Der Satzungsinhalt beim eingetragenen Verein und die Abgrenzung zu sonstigen Vereinsregeln, NJW 1972, 121, 126; E. Lohbeck, Die Vereinsordnungen, M D R 1972, 381. 54 Ein praktischer Anwendungsfall ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nach dem Krieg mit Ausnahme der beiden im Text folgenden nicht zu finden.

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wirkende Sanktionierung bestimmter Verhaltensweisen. Die Zweckrichtung des Ausschlusses oder der Strafe darf nicht über den privatrechtlichen Rahmen hinausgreifen, was der Fall ist, wenn „die angedrohte Strafe den Boden des Privatrechts verläßt, insbesondere wenn sie eine diskriminierende Strafe, ein Unwerturteil, und nicht bloß ein wirtschaftlicher Nachteil, eine privatrechtliche Sanktion, sein soll" 5 5 . Dieser Gesichtspunkt ist unmittelbar zwar nur auf Geldstrafen, Veröffentlichungsbefugnisse und ähnliche Sanktionen anwendbar, er gilt aber auch für den Vereinsausschluß, da er allgemein besagt, daß eine Vereinsstrafe nicht zu vereinsfremden, heterogenen Zielen eingesetzt werden darf. Als zulässigen Zweck einer Vereinsstrafe sieht die Rechtsprechung das Ziel des Vereins an, sich „gegen Störungen und Gefahren zu wehren, die der Zielsetzung und der inneren Ordnung des Verbandes aus den eigenen Reihen drohen" 5 6 . Dementsprechend dürften Satzungsbestimmungen, die einen willkürlichen Vereinsausschluß zuließen, unwirksam sein, sofern sie sich nicht restriktiv interpretieren lassen. Jedoch kommt dem Verein ein weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Die Rechtsprechung ist i n Fällen einer Kollision zwischen Vereinsinteresse und Mitgliedsinteressen durchweg der Auffassung des Vereines gefolgt. Davon w i l l sie auch nicht abweichen, wenn der Verein eine Monopolstellung innehat 5 7 . Soweit aber den Verein eine Aufnahmepflicht trifft, w i r d auch die Befugnis des Vereins, ein Mitglied auszuschließen, eingeschränkt sein müssen. Ob sich aus der faktischen Monopolstellung eines Vereins eine Pflicht zu besonderer Rücksichtnahme auf Minderheiten ergibt, w i r d von B G H 5 8 und B A G 5 9 verschieden beurteilt — allerdings bestehen hier gewichtige Zweifel, ob die zu § 19 Abs. 2 BetrVG 1952 entwickelten Ansichten eine Verallgemeinerung zulassen. Die Kernaussage des B G H ist: „Verbietet eine Gewerkschaft ihren M i t gliedern unter Ausschlußdrohung, auf anderen als den gewerkschaftlich unterstützten Listen zu kandidieren, so ist das jedenfalls dann eine gemäß § 19 Abs. 2 BetrVG unzulässige Wahlbeeinflussung, wenn zugleich einer Gruppe ihrer Mitglieder die Möglichkeit vorenthalten wird, ihre betriebsverfassungsrechtlichen Wahlinteressen auf den gewerkschaftlich unterstützten Listen in angemessener Weise wahrzunehmen." Demgegenüber stellt 55 B G H Z 29, 352, 356 ff. und schon B G H Z 21, 370ff.; auch zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Verbandsgerichtsbarkeit. 56 B G H Z 55, 381; B G H NJW 73, 35, 36. 57 Siehe F N 34. 58 B G H Z 45, 314; in B G H NJW 1974, 183 ff. nimmt das Gericht eine eher minderheitenfeindliche Haltung ein, wenn es ein innerparteiliches Wahlsystem, das die Durchsetzung sehr kleiner Minderheiten zugunsten des „Prinzips der vollen Stimmausnutzung" (Blockwahlsystem) hindert, für zulässig erachtete. Zur parteienrechtlichen Diskussion vgl. zuletzt R. Naujoks, Blockwahlquotient und innerparteiliche Demokratie, DVB1. 1975, 244. 50 B A G A P Nr. 2 zu § 19 BetrVG.

46

I. Die Gewerkschaften nach geltendem

echt

das BAG, ohne die Frage zu entscheiden, wesentlich mehr auf die Einheit der Gewerkschaft ab. Die Entscheidung des B G H ist auch deshalb bemerkenswert, weil er aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis in § 19 Abs. 2 BetrVG 1952 klare Beweisregeln zugunsten der Gewerkschaftsmitglieder ableitet. Diese Regeln kommen in abgeschwächter Form in späteren Entscheidungen ebenfalls zum Tragen 6**. D e m Bestreben der Vereine, die diskriminierende W i r k u n g der V e r einsstrafe ü b e r d e n K r e i s d e r M i t g l i e d e r h i n a u s auszudehnen, s t e h t d i e Rechtsprechung a b l e h n e n d gegenüber. So ist der Ausschluß eines Mitglieds nach dessen Austritt unwirksam. Satzungsbestimmungen, die denjenigen, der sich durch Austritt dem Ausschluß entzieht, als ausgeschlossen behandeln, sind nichtig, desgleichen Satzungsvorschriften mit dem Verbot des Austritts nach Einleitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens 61 . Die neuerdings problematisch gewordene Haftung des Vereinsmitglieds für vereinsschädigendes Verhalten Dritter dürfte sich allgemeiner Beantwortung entziehen 62 , da durchaus schützenswerte Interessen des Vereins hinter einer solchen Haftung stehen können. H a t e i n G e r i c h t i m V e r l a u f seiner P r ü f u n g e i n e r V e r e i n s s t r a f e das V o r l i e g e n e i n e r g ü l t i g e n S a t z u n g s v o r s c h r i f t b e j a h t , so p r ü f t es als nächstes n i c h t , ob das b e s t r a f t e M i t g l i e d die i h m v o r g e w o r f e n e T a t b e g a n g e n h a t u n d ob d i e V e r e i n s o r g a n e diese T a t z u Recht u n t e r d i e S a t z u n g s v o r s c h r i f t s u b s u m i e r t haben. N a c h A n s i c h t d e r Rechtsprechung schließt d e r G r u n d s a t z d e r V e r e i n s a u t o n o m i e d i e gerichtliche Nachprüfung d e r R i c h t i g k e i t d e r tatsächlichen F e s t s t e l l u n g e n u n d d e r S u b s u m t i o n u n t e r d i e S a t z u n g s n o r m d u r c h d i e V e r e i n s o r g a n e aus, es sei d e n n , es l ä g e e i n F a l l o f f e n b a r e r U n b i l l i g k e i t v o r . E i n solcher F a l l w ä r e gegeben, w e n n e i n i n d e r S a t z u n g k l a r b e s t i m m t e r S t r a f t a t b e s t a n d ohne B e u r t e i l u n g s s p i e l r a u m o f f e n s i c h t l i c h n i c h t e r f ü l l t ist. Hierher kann auch das Verbot eines Gruppenausschlusses gezählt werden 6 3 , da bei einem Gruppenausschluß offensichtlich nicht über das Verhalten des einzelnen Mitglieds befunden wurde und nicht befunden werden kann, Mitgliedschaft aber ein auf die einzelne Person zugeschnittenes Rechtsverhältnis ist. eo B G H Z 59, 369 ff., allerdings zur anders gelagerten Frage der Gültigkeit eines Vereinsbeschlusses. 61 Nachw. bei W. Erman, H. Westermann, §39, 6; B G H Z 29, 352, 359; P. Schlosser, 85 ff., weist darauf hin, daß in solchen Fällen die allgemeinen Regeln über den Boykott zu gelten hätten, differenziert aber für ausgetretene Mitglieder. — Die Frage der mittelbaren Verbandszugehörigkeit behandeln B G H Z 28, 131 ff.; OLG Karlsruhe M D R 1970, 324; die Mitgliedschaft im Dachverband wird nur erworben, wenn dies in der Satzung des Verbandes und in der des Dachverbandes vorgesehen ist. 62 B G H NJW 1972, 1892; dazu W. Kirberger, Die Vereinsstrafe gegenüber Mitgliedern aufgrund vereinswidrigen Verhaltens Dritter, NJW 1973, 1732. 63 O L G Köln N J W 1968, 992, mit rein begrifflicher Argumentation.

2 . ) Die

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nach Vereinsrecht

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Dagegen unterliegt gerichtlicher Prüfung die Einhaltung des i n der Satzung vorgesehenen Disziplinarverfahrens. A n dieses vereinsinterne Verfahren werden folgende Mindesterfordernisse gestellt: Dem betreffenden Mitglied ist i n sachgerechter 64 Weise das rechtliche Gehör zu gewähren, aus Gründen der Waffengleichheit ist i h m grundsätzlich die Beiziehung eines Rechtsanwaltes zu gestatten, wenn i n den Vereinsorganen Juristen mitwirken. Ein Ausschließungsbeschluß ist zu begründen und dem Mitglied bekanntzugeben. W i r d das Verfahren vor den Vereinsorganen durch besondere Geschäftsordnungen geregelt, so gebietet der Grundsatz der Gleichbehandlung ihre allgemeine A n wendung6®. Abschließender Prüfungspunkt ist die Frage, ob der Ausschluß oder die verhängte Strafe offenbar unbillig ist. Der Satz ermöglicht die Abwägung der den Ausschluß tragenden Vereinsinteressen, gemessen am Vereinszweck, gegen die Folgen der Ausschließung für den Betroffenen, ist also ein Instrument der Einzelfallgerechtigkeit. Je wichtiger für den Betroffenen die Mitgliedschaft ist, desto eher ist der Ausschluß offenbar unbillig. Dabei sind auch mittelbare, nach allgemeiner Lebenserwartung aber zwangsläufige Folgen zu berücksichtigen 66 . Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung fordert einen sachlichen Grund für den Ausschluß nur eines oder bestimmter Mitglieder, wenn ein gleichartiger Verstoß auch anderen Mitgliedern unter denselben Umständen zur Last fällt 6 7 .

64 B G H Z 29, 352, 355; 59, 369 ff. (unter I I I ) ; B G H N J W 1975, 160; O L G München M D R 1973, 405; zum Ganzen D. Reinicke, Die Zulassung von Rechtsanwälten i m vereinsgerichtlichen Ausschlußverfahren, NJW 1975, 2048. 65 B G H Z 47,172,177; zur Auslegung einer solchen Vorschrift O L G Frankfurt N J W 1974, 189. 66 B G H Z 13, 5, 12; 47, 381, 385. 67 B G H Z 47, 381, 386.

3. Die Organisation der Gewerkschaften nach Satzungsrecht a) Typen gewerkschaftlicher

Verbandsorganisation

Es gibt keinen „Idealtypus" einer Gewerkschaft. Gewerkschaften sind Zweckverbände. Ihre Organisation ist das Resultat der Erfahrungen des Verbandes mit der Dienlichkeit der bisherigen Organisation für die optimale Erreichung der verschiedenen Verbandsziele. Gewerkschaftsorganisationen lassen sich daher nur i n ihrer Ambiance verstehen. Es könnte somit höchstens einen Idealtypus der Gewerkschaft bezogen auf den Idealtypus einer bestimmten Wirtschafts- und Gesellschaftsform geben. Dessen Erkenntniswert läge i n der Grundlegung abstrakter Systemvergleiche. Darauf kann es hier jedoch nicht ankommen. Jeder Versuch, „Autoritätsstrukturen" i n Gewerkschaften festzustellen 1 , bedarf vorgängiger Auswahl bestimmter Verbandszwecke oder der abstrakten Fixierung eines Modells einer „demokratischen Verbandsstruktur". Beides ist aber willkürlich. Nur unter diesem Vorbehalt gewinnen solche Analysen Wert als Darstellungen der Wirklichkeit unter bestimmtem Blickwinkel. Man kann auch ausgehen von Durchschnittstypen. Sie geben einen Hinweis dafür, ob die einzelne Gewerkschaft, gemessen an den anderen, mehr oder weniger zentralisiert ist, eine mehr oder weniger offene Kommunikationsstruktur hat, wie stark die Formalisierung ihrer Binnenbeziehungen ist, o. ä. Die Erarbeitung von Durchschnittstypen erlaubt die Extrapolierung auf bestimmte Grenzfälle — Typen —, i n denen verschiedentlich anzutreffende Merkmale zusammengefaßt werden 2 . Die Gewerkschaften sind unterscheidbar nach dem Grad ihrer Zentralisierung, d. h. danach, wie die Befugnisse zwischen Gewerkschaftszentrale und regionalen und lokalen Gliederungen verteilt sind 3 . Die deutschen Gewerkschaften sind i m allgemeinen zentralistisch organi1 H. Seeberg er, Zur Analyse von Autoritätsstrukturen in deutschen Gewerkschaften, Diss. Erlangen 1969. 2 So im Ergebnis P. Hanau, H. M. Stindt, Machtverteilung in deutschen Gewerkschaften — Eine Untersuchung zweier Satzungen, Der Staat, 1971, 539 ff. 3 Kriterien bei P. Schlosser, 29.

3.a) Typen gewerkschaftlicher Verbandsorganisation

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siert. Ihre Untergliederungen sind unselbständig, Mitgliedschaft ist nur i m Zentralverband möglich. I n einer dezentralisierten Organisation hätten die Gliederungen weitgehende Organisationsautonomie, ihnen stünde grundsätzlich Personal- und Finanzhoheit zu. Von den Gewerkschaften ist die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) am dezentralisiertesten, die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) 4 zeigen Elemente i n dieser Richtung. So haben die DAG-Landesverbandstage eine stärkere Stellung als üblich, bei der GdP obliegt den Landesbezirken die weitere Untergliederung. Die vorsichtig abschätzende Betrachtung der Gewerkschaftsentwicklung ergibt eine gewisse Tendenz zur Zentralisierung der Gewerkschaften. Einige Reformvorschläge scheinen nicht erfolgreich zu sein. Der letzte Gewerkschaftstag der GEW i m Juni 1974 brachte deutlich zentralisierende Satzungsänderungen 5 . Die Änderung der Arbeitskampfrichtlinien des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) am 5.6.1974® berücksichtigt den Wunsch der Einzelgewerkschaften, bei der Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen nicht unbedingt von Urabstimmungen abhängig zu sein.

Eine Unterscheidung der Gewerkschaften nach dem Grad demokratisch- g ew altenteilig er Organisation 7 hätte zum Maßstab, welche Befugnisse dem Gewerkschaftsvorstand zukommen, welche der Versammlung der Delegierten bzw. welchen Kontrollen der Gewerkschaftsvorstand untersteht. I n diesem Punkt sind die Differenzierungen zwischen den Gewerkschaften so fein verästelt, daß keine Gewerkschaft signifikant von den anderen abstechen würde. Allerdings besteht eine gewisse Korrelation zwischen dem Formalisierungsgrad der Gewerkschaftsverfassungen und dem Grad interner Gewaltenteilung. So spricht einiges dafür, die Deutsche Postgewerkschaft (DPG) für „demokratischer" anzusehen als die meisten anderen Gewerkschaften 8 . Die Untersuchung der Gewerkschaften daraufhin, wie offen ihr interner Willensbildungsprozeß ist, w i r d von der formellen Multiplizität der Informations- und Entscheidungskanäle ausgehen. Aufgrund berufstypischer Verhaltensmuster können die informellen Kommunikationsstränge i n den verschiedenen Gewerkschaften aber die Formalisierung überflüssig machen, so daß ein Schluß vom Formalisierungsgrad der Satzung auf die tatsächliche Struktur der Willensbildung allenfalls indiziell sein kann 9 . Selbst dann, wenn i n einer Satzung indi4 Zur D A G H. C. Nipperdey, F.-J. Säcker, AR-Blattei (D) Berufsverbände I I A (1967). ß Gewerkschaftsreport, 8. Jg. (1974), Heft 8, 6 ff. « Abgedruckt in RdA 1974, 306. 7 Hauptgesichtspunkt bei P. Hanau, H. M. Stindt, a.a.O. s P. Hanau, H. M. Stindt, 553. 9 H. Seeberger stellt, weitergehend, ein System von Kategorien auf, um

4 Gerhardt

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I. Die Gewerkschaften nach geltendem Recht

viduelle Kommunikationsrechte und ein formalisierter Minderheitenschutz vorgesehen sind, besagt das nichts über die tatsächliche Chance des Individuums oder einer Minderheit, Ansichten zu Gehör zu bringen. Die Offenheit verbandsinterner Willensbildung kann daher nur rechtlich-institutionell erfaßt werden. Die Divergenz zwischen rechtlicher Gestaltung und faktischer Relevanz dürfte insbesondere für die Personen- und Fachgruppen in den Gewerkschaften, deren Ausgestaltung verschieden intensiv ist, charakteristisch sein 10 . Bezeichnend ist auch, daß die Vertrauensleutekörper in den Betrieben, deren Einfluß wohl nicht zu unterschätzen ist, in den Satzungen eher marginal behandelt werden. Neuerdings bemühen sich allerdings einige Satzungen um eine Integrierung dieser Kräfte in den Gewerkschaftsaufbau 11 , bisher unterlagen sie der allgemeinen Organisationsgewalt des Gewerkschaftsvorstandes. Als Element, das die Gewerkschaftsarbeit an die Arbeitnehmer heranträgt, aber auch als Element, das die Selbständigkeit der „Basis" fördern kann, sind sie für die Gewerkschaftsorganisation durchaus ambivalent. Das drückt sich auch im Organisationsrecht aus.

Die folgende Betrachtung von Gewerkschaftssatzungen beschäftigt sich, soweit es u m Fragen der Willensbildung geht, i n erster Linie m i t Gewerkschaften des zentralisierten Typs. Sie w i r d das Problem der Formalisierung gewerkschaftlicher Willensbildung nicht i n einem Vergleich zwischen einzelnen Gewerkschaften behandeln, sondern Lösungsmöglichkeiten anhand verbreiteter Regelungen zeigen. b) Aufbau,

Organe und Willensbildung

Die Gewerkschaften sehen unter der Bundesebene mit den Hauptorganen Gewerkschaftstag und Hauptvorstand sowie ergänzenden Organen wie Gewerkschaftsrat und/oder Beirat, Kontrollkommission und Revisionskommission eine Bezirks- und eine Ortsebene vor 1 2 . Neben dieser territorialen Gliederung besteht i n allen Gewerkschaften eine Gliederung nach Personengruppen. Sie lassen sich aufteilen i n Jugend- und Frauengruppen einerseits und Berufsfachgruppen andererseits. Aufgabe dieser Gruppen ist, die spezifischen Belange ihrer Mitglieder i m Rahmen der allgemeinen Gewerkschaftsarbeit zu wahren und zu fördern. Organisatorisch geschieht das i n verschiedener Weise. Es gibt Gewerkschaften, die die Personengruppen entsprechend der regionalen Gliederung der Gewerkschaft v o l l durchorganisiert haben, also m i t Delegiertenversammlungen auf allen Ebenen, die eine den Schluß von der formellen Struktur auf die tatsächliche Offenheit der Willensbildung zu ermöglichen. 10 Vgl. unten b. 11 So CPK, ÖTV, BE, dazu sofort unten b. 12 Überblick und Literaturnachweise bei A. Söllner, 64 f. Darstellungen auch bei H. Föhr, 4 ff., und K. Popp, 200 ff.

3.b) Aufbau, Organe und Willensbildung

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A r t „Vorstand", den Berufsgruppenausschuß, kreieren. Dem Leiter des Berufsgruppenausschusses steht gewöhnlich ein Sitz i m Hauptvorstand oder Beirat zu. Die Personengruppen haben i n ihren Belangen Beratungs-, Vorschlags- und Antragsrechte an die allgemeinen Gewerkschaftsgremien. Andere Gewerkschaften regeln i n der Satzung nur die Personengruppen auf Bundesebene, zum Teil ausgehend vom Verwaltungsapparat des Hauptvorstands, bei dem sog. Personengruppensekretariate und Abteilungen errichtet werden. Deren Arbeit zielt vor allem auf die Tätigkeit der Vertrauensleute ab. I n solchen Fällen werden die Interessen der Personengruppen primär dadurch gewahrt, daß bei Delegiertenwahlen oder der Besetzung von Bezirksvorständen Vertreter der einzelnen Gruppen zu berücksichtigen sind.

A u f der Ortsebene bemühen sich die Gewerkschaften u m anpassungsfähige Verwaltungseinheiten. Daher kann auch ein Ortsverein 1 3 aufgegliedert sein, wie z. B. bei der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft (GLF) i n sog. Zahlstellen. Für die DPG ist charakteristisch die Bildung von Amtsgruppen. Die Organisation der anderen Gewerkschaften i m Betrieb ist locker. Eine typische Regelung findet sich bei der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), § 21 Ziff. 2: „In allen Betrieben und Dienststellen bilden die ÖTV-Mitglieder betriebliche Gewerkschaftsgruppen, die in Mitgliederversammlungen ihre Vertrauensleute wählen. Diese arbeiten i m Rahmen der »Leitsätze für Vertrauensleute der ÖTV' an der Gestaltung und Festigung der Organisation mit. Bei der Ausübung dieser Aufgaben stehen sie unter dem besonderen Schutz ihrer Gewerkschaft. Das Vertrauensleutesystem ist die Grundlage für die Abteilungsarbeit nach § 30 ÖTV-Satzung. Die Leitsätze für Vertrauensleute beschließt der Haupt vorstand."

Den Mitgliederversammlungen i n den Betrieben und den dort gebildeten Vertrauensleutekörpern räumt die Gewerkschaft ChemiePapier-Keramik (CPK) i n §29, Ziff. 2 und 7 das Antragsrecht zur Delegiertenversammlung der Verwaltungsstelle ein. Dagegen regelt die Gewerkschaft Bergbau und Energie (BE) zwar die Zusammensetzung des Gewerkschaftsausschusses i m Betrieb (§ 27), sieht aber keine weitere Einbeziehung i n die gewerkschaftliche Willensbildung vor. Nachdem die Richtlinien für Vertrauensleute durchweg vom Hauptvorstand erlassen werden, unterliegt dieses wichtige und vermutlich machtvolle Bindeglied zwischen Betriebsrat, den Mitgliedern am A r beitsplatz und der Gewerkschaftsorganisation ausschließlich der Ord13 Sie heißen auch Ortsgruppen, Verwaltungsstellen, Kreise, Geschäftsstellen u. ä.

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nungsgewalt des Hauptvorstandes 14 . Das ist sowohl verständlich als auch gefährlich: Der Betrieb ist der Ort, von wo aus tägliche Demokratie praktiziert werden kann. Die Kompetenz zur Einrichtung, Auflösung und Abgrenzung der lokalen Verwaltungseinheiten liegt durchweg beim Hauptvorstand, i n einigen Fällen sind die Bezirksvorstände zu hören oder haben ein M i t spracherecht. Satzungen der Ortsverwaltungen bedürfen der Genehmigung des Hauptvorstandes. Damit entfällt die Möglichkeit der Ortsvereine, selbständig eigene Gruppenarbeit zu betreiben, da Gruppen ohne organisatorische Verfestigung wohl nicht arbeitsfähig sein können. Die Ortsverwaltungen haben die Aufgabe, i m Rahmen der Satzung und der Beschlüsse übergeordneter Gewerkschaftsorgane die Mitglieder zu betreuen, die gewerkschaftliche Arbeit i n den Betrieben zu initiieren, dabei auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften i n den Unternehmen zu achten, eine planmäßige Werbung und gewerkschaftliche Bildungsmaßnahmen durchzuführen, Beiträge einzuziehen, Kassengeschäfte zu führen, usf. Die Satzung der I G Metall (IGM) regelt i n § 22 Ziff. 5: „Die Herausgabe von periodisch erscheinenden Druckwerken und M i t teilungen durch die Ortsverwaltungen ist nur mit vorheriger Genehmigung des Vorstandes möglich. Flugblätter, Plakate und andere Druckerzeugnisse können nur i m Einvernehmen mit der Bezirksleitung herausgegeben werden."

Tarifliche Befugnisse haben die Ortsverwaltungen i m allgemeinen nicht, eine der Ausnahmen bildet § 31, 8 CPK: „ I m Einvernehmen mit dem Hauptvorstand und dem Bezirksleiter im Einzelfall Tarifverträge abzuschließen, deren räumlicher Geltungsbereich nicht über den Bereich der Verwaltungsstelle hinausgeht" (sc. ist Aufgabe der Ortsverwaltung).

Die Aufgaben sind zwischen den zwei Hauptorganen der Ortsebene, der Mitglieder- bzw. Delegiertenversammlung und dem Ortsvorstand so verteilt, daß sie der Vorstand allein wahrnimmt, während der M i t gliederversammlung i m wesentlichen die Wahl des Ortsvorstandes, von Delegierten, evtl. von Wahlangestellten und die Beschlußfassung über Anträge an den Bezirk und über lokale Angelegenheiten verbleiben. Dies alles steht unter dem Vorbehalt, daß nicht ein höheres Gewerk14 Vgl. zum Beispiel die Richtlinien für Vertrauensleute der Industriegewerkschaft Druck und Papier, Gewerkschaftsreport, 10. Jg. (1976), Heft 4, S. 33 ff. — Zu den tarifvertraglichen Regelungen siehe O. Wlotzke, Zur Zulässigkeit von Tarifverträgen über den Schutz und die Erleichterung der Tätigkeit gewerkschaftlicher Vertrauensleute, RdA 1976, 80, sowie A. Kraft, Die Regelung der Rechtsstellung gewerkschaftlicher Vertrauensleute im Betrieb, ZfA (7) 1976, 243, mit Wiedergabe der rechtspolitischen Diskussion und weiteren Nachweisen. — Das bei den Vertrauensleuten liegende Einflußpotential wird deutlich bei J. Bergmann, O. Jacobi, W. Müller-Jentsch, 304 ff., 330 ff.

3.b) Aufbau, Organe und Willensbildung

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schaftsorgan i n der in Frage stehenden Materie bindend Beschluß gefaßt hat. Die Mitgliederversammlung ist mindestens jeweils vor einem Gewerkschaftstag einzuberufen, häufig mindestens einmal i m Jahr, i n der Gewerkschaft Druck und Papier (DP) vierteljährlich. Sie w i r d nicht selten durch eine Vertreterversammlung ersetzt, zum Teil ist eine solche fakultativ für den Fall, daß die Größe der Ortsverwaltung — die Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV) z. B. setzt als Schwellenwert für eine fakultative Delegiertenversammlung 1 000, für eine obligatorische 3 000 Mitglieder an — oder die Einrichtung von betrieblichen Mitgliederversammlungen dies erfordert. Der Ortsvorstand setzt sich gewöhnlich zusammen aus 1. und 2. Vorsitzendem, Kassierer, Schriftführer und Beisitzern. Er w i r d von der Mitgliederversammlung gewählt, meist für die Dauer einer Wahlperiode der Delegierten zum Gewerkschaftstag. Die Voraussetzung für die Wahrnehmung des passiven Wahlrechts entspricht der der Gewerkschaftstagsdelegierten. Der Ortsvorstand bedarf bei einer Reihe von Gewerkschaften der Bestätigung durch den Hauptvorstand. Konsequenterweise regelt die Gewerkschaft Bau-Steine-Erden (BSE) — neben anderen — i n § 23 Ziff. 4: „Verletzt der Verwaltungsstellenvorstand oder eines seiner Mitglieder seine Pflichten oder verhalten sie sich satzungswidrig, so kann der Hauptvorstand nach Verständigung mit dem Bezirksvorstand die Bestätigung zurücknehmen. Damit erlöschen die Funktionen des Verwaltungsstellenvorstandes bzw. des Vorstandsmitglieds. Nimmt der Hauptvorstand die Bestätigung des gesamten Verwaltungsstellenvorstandes oder der Mehrzahl seiner Mitglieder zurück, so kann er i m Einvernehmen mit dem Bezirksvorstand bis zur Neuwahl einen vorläufigen Vorstand einsetzen."

Neben diesem Eingriffsrecht des Hauptvorstandes und der A u f lösungsmöglichkeit der Ortsverwaltung hat der Hauptvorstand noch weitestgehenden Einfluß auf das Personal der Ortsverwaltungen. Sofern hauptamtliche Kräfte i n den Ortsverwaltungen beschäftigt sind (Geschäftsführer, Sekretäre o. ä.) werden diese gewählt, bedürfen aber bei einigen Gewerkschaften der Bestätigung durch den Hauptvorstand. Verschiedene Vorkehrungen bei anderen Gewerkschaften stärken den Einfluß des Hauptvorstandes ebenfalls, so z. B. gibt es ein Vorschlagsrecht oder einen Kündigungsvorbehalt. Ob sich die Vorschrift der DP i n § 18 Ziff. 3, nach der die Gesamtzahl der besoldeten Vorstandsmitglieder nicht mehr als ein D r i t t e l der Vorstandsmitglieder insgesamt betragen darf, gegen zu großen Einfluß des Hauptvorstandes wendet, ist offen, eher zielt sie auf die Zurückdrängung bürokratischer Tendenzen. Z u ihrer Finanzierung erhalten die Gewerkschaftseinheiten auf Ortsebene einen A n t e i l am Beitragsaufkommen, der meist i n den Satzungen festgelegt ist oder vom Hauptvorstand i m Einvernehmen m i t

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der Ortsverwaltung festgesetzt wird, wobei i m Streitfall eine Beitragsanteilskommission entscheidet. Der Anteil schwankt zwischen 15°/o und 2 5 % ; zum Teil bewegt er sich innerhalb bestimmter Bandbreiten und wird je nach Größe der Verwaltungsstellen und deren Aufgabenumfang ermittelt; Bandbreiten sind 1 5 - 2 0 % , 13 - 20 % bei Ö T V und 23 - 40 % bei I G M .

Eine selbständige Verfügung über finanzielle M i t t e l ist den lokalen Einheiten nur i n den Grenzen ihrer laufenden Verwaltung möglich. Eine Revisionskommission prüft die ordnungsgemäße Kassenführung. Die Exekutivorgane der Bezirks- und Bundesebene überwachen die Tätigkeit der Ortsebene, Einschränkungen der Aufsichtsbefugnisse sind nicht erkennbar.

Die Organisationsstruktur der Bezirksebene lehnt sich zwar grundsätzlich an das Modell der Ortsorganisation an, weist aber zum Teil erhebliche Modifikationen auf, die sich daraus ergeben, daß die Exekutivorgane dieser Ebene einerseits begriffen werden als verlängerter A r m des Hauptvorstandes, daß andererseits als primäre Funktion der Delegiertenversammlung 15 die Wahl der Abgeordneten zum Gewerkschaftstag und die Stellung von Anträgen eben dorthin angesehen werden. Den breitesten Raum bei der Regelung der Bezirke nehmen Stellung und Aufgaben des Bezirksleiters ein. Das sieht bei I G M (§ 24) so aus: „4. Die Bezirksleiter sind in den Bezirken die Beauftragten des Vorstandes, nach dessen Weisung sie ihre Tätigkeit ausüben. Sie haben folgende Aufgaben: a) Leitung des Bezirkes; b) Durchführung von Tarif-, Lohn- und Gehaltsbewegungen; Bildung von Tarifkommissionen für den jeweiligen Geltungsbereich der abzuschließenden Tarifverträge nach den Richtlinien des Vorstandes; Beabsichtigte Tarifkündigungen müssen von dem Bezirksleiter dem Vorstand gemeldet werden; Über Kündigungen entscheidet der Vorstand; Eingreifen bei Arbeitsdifferenzen nach den Bestimmungen der Satzung; Bei Streiks und Aussperrungen in seinem Bezirk hat sich der Bezirksleiter, oder ein von ihm Beauftragter, an Ort und Stelle zu informieren und dem Vorstand umgehend Bericht zu erstatten. c) Vornahmen von Revisionen in den Verwaltungsstellen; Über diese Revisionen ist ein Protokoll zu erstellen, von dem eine Durchschrift dem Vorstand unverzüglich einzusenden ist; d) Untersuchung und Schlichtung von Differenzen in den Verwaltungsstellen; 15 Sie heißen auch Landesbezirkstag, Landesbezirksversammlung, Landesdelegiertenkonferenz, u. ä.

3.b) Aufbau, Organe und Willensbildung

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e) Ausführung sonstiger, ihnen vom Vorstand i m Gewerkschaftsinteresse erteilten Aufträge und ihnen durch die Satzung zufallender Obliegenheiten; f) Bildung von Ausschüssen i m Bezirk nach den Richtlinien des Vorstandes."

Die Tarifkommissionen unterliegen allgemein, so oder ähnlich der Disposition der Gewerkschaftsexekutive 16 . Während die Bezirksleitung dem Hauptvorstand gegenüber verantwortlich ist, ist der Bezirksvorstand von der Bezirkskonferenz gewählt und ihr verantwortlich. Jedoch kommt dem Bezirksvorstand i m Verhältnis zur Bezirksleitung nur untergeordnete Bedeutung zu. I h m fallen vor allem beratende, koordinierende, unterstützende Aufgaben zu. Er w i r d gewählt „zur Unterstützung der Bezirksleitung" — so § 25 Ziff. 3 der Satzung der Gewerkschaft Textil-Bekleidung (TB). Die Aufgaben der Bezirkskonferenz umreißen sich, wenn auch i m allgemeinen weniger ausführlich umschrieben, wie von der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten (NGG) i n § 25 Ziff. 4 festgelegt: „Die Landesbezirkskonferenz nimmt den Geschäfts- und Tätigkeitsbericht des Landesbezirksvorstandes entgegen, nimmt Stellung zu den vorliegenden Anträgen und führt folgende Wahlen durch: a) die Wahl des Landesbezirksvorstandes b) die Wahl der ehrenamtlichen Hauptvorstandsmitglieder des Landesbezirks c) die Wahl der Gewerkschaftsbeiratsmitglieder des Landesbezirks und deren Stellvertreter d) die Wahl der Delegierten des Landesbezirks und deren Stellvertreter zu den Bundeskongressen des DGB e) die Wahl der NGG-Delegierten und deren Stellvertreter zu den Landesbezirkskonferenzen des DGB."

M i t Ausnahme von I G M t r i t t die Bezirkskonferenz i m Turnus der Gewerkschaftstage zusammen. I G M § 25 Ziff. 1: „Zur wirksamen Unterstützung der Bezirksleitung, zur Erörterung taktischer Fragen sowie zur Erleichterung der Durchführung der Beschlüsse der Gewerkschaftstage und der Gewerkschaftsaufgaben muß alljährlich eine Bezirkskonferenz abgehalten werden."

Außerordentliche Bezirkstage bedürfen der Zustimmimg des Hauptvorstandes. Finanziell sind die Bezirke völlig unselbständig. Es gilt der Grundsatz: „Die i m Bezirk entstehenden Kosten trägt der Hauptvorstand" (§ 43 der Satzung der Gewerkschaft Holz und Kunststoff — GHK). 16 Zum praktischen Arbeiten einer Tarifkommission G. Döding, Tarifpolitische Willensbildung in der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten, G M H 1973, 565; vgl. auch J. Bergmann, O. Jacobi, W. Müller-Jentsch, 298 ff.

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I. Die Gewerkschaften nach geltendem Recht

Der Gewerkschaftstag 17 ist die höchste Instanz der Gewerkschaft. Die Aufgaben des Gewerkschaftstages bestehen vor allem i n der Beschlußfassung über die vorgelegten Tätigkeitsberichte, der Wahl der anderen Gewerkschaftsorgane, soweit Wahlen vorgesehen sind, der Festlegung der Gewerkschaftspolitik und Entscheidung über Anträge, schließlich i n Satzungsänderungen. Er allein ist — m i t qualifizierten Mehrheiten — zur Auflösung der Gewerkschaft befugt. Die DPG nimmt als einzige Gewerkschaft zwei weitere Aufgaben m i t beachtlichem Einflußpotential hinzu: ,,e) Aufstellung einer Vorschlagsliste, nach der die Mitglieder für den Aufsichtsrat der Deutschen Bundespost in der Reihenfolge der jeweils auf sie entfallenden Stimmen zu benennen sind; f) Wahl der Gesellschafter und Mitglieder des Aufsichtsrates der Vermögens« und Treuhandverwaltung der D P G GmbH;" (§ 19 Ziff. 1).

Diese Aufgaben obliegen sonst dem Hauptvorstand. Der Gewerkschaftstag w i r d gebildet von gewählten Delegierten und Mitgliedern anderer Gewerkschaftsorgane, jedoch haben regelmäßig die Exekutivorgane nur beratende Stimme. Eine Regelung wie § 24 Ziff. 8 DP ist die Ausnahme, die entsprechend nur bei vier Gewerkschaften anzutreffen ist: „Die Mitglieder des Erweiterten Vorstandes, die Mitglieder des Hauptausschusses, der Vorsitzende der Revisionskommission, die Landesbezirkskassierer und die 2. Landesbezirksvorsitzenden nehmen am Gewerkschaftstag ohne Wahl mit allen Rechten teil. I h r Stimmrecht ruht, wenn ihre eigene Tätigkeit zur Aussprache steht."

Die Zahl der Delegierten ist zum Teil fix, so sehen G L F 95 oder BE 300 Delegierte vor, zum Teil entfällt auf je 700 (DP), 1 500 (NGG) oder z. B. 5 000 (IGM) Mitglieder ein Mandat, zum Teil ist die Festsetzung von Schlüsselzahlen dem Gewerkschaftsrat überlassen. Wählbar sind nur Mitglieder, die der Gewerkschaft schon längere Zeit kontinuierlich angehören, so verlangen drei Gewerkschaften eine fünfjährige Mitgliedschaft, fünf eine dreijährige. Die Innehabung eines anderen Amtes hindert die Übernahme eines Mandates nicht, bei der D A G ist lediglich vorgesehen, daß Angestellte bzw. hauptamtliche M i t arbeiter nicht Delegierte sein dürfen bzw. keine sonstigen Ehrenämter übernehmen. Allerdings muß man annehmen, daß die Mitglieder des Hauptvorstandes, soweit sie nur beratende Stimme beim Gewerkschaftstag haben, nicht zugleich Delegierte sein können. Besonders klar ist dies geregelt i n § 6.4 der Satzung der Rundfunk-Fernseh-Film-Union (RFFU). 17 Er heißt auch Bundeskongreß, Gewerkschaftskongreß, u. ä.

3.b) Aufbau, Organe und Willensbildung

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Der Gewerkschaftstag findet alle drei oder vier Jahre statt, ein zweijähriger Turnus findet sich nur bei zwei Gewerkschaften 18 . Er w i r d allgemein vom Hauptvorstand einberufen. Dies geschieht i n einer Ausschreibung, und zwar zwischen einem halben Jahr und sechs Wochen vor seinem Stattfinden. Die Einberufung außerordentlicher Gewerkschaftstage liegt meist i n der Hand von Hauptvorstand und Beirat. Sie hat zu erfolgen, wenn eine breite Mehrheit von Mitgliedern es fordert, z.B. auf Verlangen von mehr als einem D r i t t e l der Gewerkschaftsdelegierten. Bei I G M findet ein außerordentlicher Gewerkschaftstag nur auf Verlangen des Beirates oder von Zweidrittel der Mitglieder der Verwaltungsstellen statt. Der Gewerkschaftstag gibt sich seine Geschäftsordnung selbst. I n den Satzungen finden sich Regeln ähnlich der i n § 14 Ziff. 8 der Gewerkschaft Leder (Leder): „Der Gewerkschaftstag ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte der stimmberechtigten Delegierten anwesend ist. Die Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen gefaßt. Stimmenthaltungen gelten als nicht abgegebene Stimmen. Stimmengleichheit gilt als Ablehnung."

Satzungsänderungen bedürfen einer 2/3-Mehrheit. Uber die Verhandlungen des Gewerkschaftstages ist ein Protokoll aufzunehmen und zu veröffentlichen. Besondere Ausgestaltung haben die Anträge zum Gewerkschaftstag erfahren. Der Kreis der Antragsberechtigten ist weit, i n einigen Fällen können nachgeordnete Gliederungen Anträge nicht unmittelbar an den Gewerkschaftstag stellen, sondern nur über die Bezirksorganisation. Anträge müssen bestimmte Zeit — zwischen 8 und 15 Wochen — vor dem Gewerkschaftstag beim Hauptvorstand eingehen. Sie werden veröffentlicht oder den Delegierten zugestellt, ersteres ist häufiger anzutreffen. Unklar ist, wen die Verantwortung für die Veröffentlichung oder Zustellung trifft, wenn es — wie gewöhnlich — bei ÖTV i n § 25 Ziff. 7 heißt: „Anträge müssen spätestens zehn Wochen vor Beginn des Gewerkschaftstages beim Hauptvorstand eingereicht und vier Wochen vor Beginn den Delegierten zugestellt sein."

Bei der überwiegenden Anzahl der Gewerkschaften besteht eine Antragskommission, die die Anträge vorbereitend bearbeitet. Diese w i r d vom Hauptvorstand, bei CPK vom Beirat gebildet, zum Teil i m Benehmen m i t den Bezirksleitungen. DPG § 18 Ziff. 4 S. 2: 18 BE kennt einen jährlichen Gewerkschaftskongreß, der Gewerkschaftstag heißt und die Aufgaben des Beirats wahrnimmt. Darüber sogleich.

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I. Die Gewerkschaften nach geltendem

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„Zur Bearbeitung der eingereichten Anträge hat der Hauptvorstand aus den Ordentlichen Delegierten eine Antragskommission zu bilden, die spätestens sechs Wochen vor Beginn des Gewerkschaftskongresses zusammentritt. Jeder Bezirk muß durch einen von ihm zu benennenden Delegierten vertreten sein."

Zweites Hauptorgan ist neben dem Gewerkschaftstag der Hauptvorstand. „Dem Hauptvorstand obliegt die einheitliche zentrale Leitung der G H K . Er ist zuständig für alle Angelegenheiten der GHK, soweit sie nicht durch Satzung anderen Organen übertragen sind."

Diese Zuständigkeitsformel i n § 48 G H K ist stillschweigend jeder Satzung zugrundegelegt. Aus dem Aufgabenkreis des grundsätzlich allzuständigen Hauptvorstandes können daher nur Schwerpunkte herausgegriffen werden: — Vertretung der Gewerkschaft nach innen und außen; Wahrnehmung ihrer Interessen; Vertretung i m DGB; — Überwachung der Einhaltung der Satzung; Durchführung von Beschlüssen des Gewerkschaftstages mittels bindender Anweisungen und Richtlinien; — Organisation und Revision der nachgeordneten Gliederungen; Bestätigung von Funktionären und Einstellung von Angestellten; — Gewerkschaftsagitation und Bildungswesen; — Pressewesen; — Bildung zentraler Sekretariate und Abteilungen; — Wahrnehmung des Widerstandsrechts gemäß Art. 20 Abs. 4 GG.

Besonders hervorzuheben ist das Recht der Kassenpolitik und Vermögensverwaltung. Dazu gehören die Erstellung des Haushaltsplans, Erlaß von Kassenführungsrichtlinien, ferner die Berufung der Treuhänder der Vermögensgesellschaften, etc. Die Tarifbewegungen und die Führung von Arbeitskämpfen sind unterschiedlich stark i n der Hand des Hauptvorstandes konzentriert. Als Faustregel kann gelten, daß die Gesamtverantwortung für die Tarifpolitik beim Hauptvorstand angesiedelt ist, soweit nicht der Gewerkschaftsbeirat mitbeteiligt ist (darüber unten). Sie w i r d konkretisiert vor allem i m Erlaß von Richtlinien. Ferner führt der Hauptvorstand überbezirkliche Tarifbewegungen selbst. Sein Einfluß auf die Tarifbewegungen i m Bezirksbereich ist über das Weisungsrecht an die Bezirksleiter gesichert. CPK § 13 faßt zusammen: „Die Gesamtverantwortung für die Tarifpolitik obliegt dem Hauptvorstand. Der Hauptvorstand erläßt im Rahmen der Satzung Richtlinien, die der Bestätigung durch den Beirat bedürfen. Die Tarifkommissionsmitglieder

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werden in Vertrauensleute-Versammlungen gewählt und bedürfen der Bestätigung durch den Verwaltungsstellen vor stand." D a b e i s t e l l t diese A r t d e r B i l d u n g d e r T a r i f k o m m i s s i o n d e n A u s n a h m e f a l l d a r (vgl. oben z u d e n B e f u g n i s s e n der B e z i r k s l e i t u n g ) . D i e A u f g a b e d e r T a r i f k o m m i s s i o n u m s c h r e i b t Ö T V § 18 Z i f f . 2 w i e f o l g t : „Die zuständigen Stellen der Ö T V werden bei Tarifbewegungen von Tarifkommissionen unterstützt. Die Tarifkommissionen sollen in ihrer Zusammensetzung die Beschäftigtenstruktur ihres Tarifbereichs ausreichend repräsentieren." D e m g e g e n ü b e r l i e g t die Z u s t ä n d i g k e i t z u r E n t s c h e i d u n g ü b e r A r b e i t s k ä m p f e ausschließlich b e i m H a u p t v o r s t a n d . Z u m T e i l i s t e r b e i seinen A r b e i t s k a m p f m a ß n a h m e n a n d i e R i c h t l i n i e n des B e i r a t e s g e b u n den. I n d e n m e i s t e n F ä l l e n l i e g t es i n d e r H a n d des H a u p t v o r s t a n d e s , ob Urabstimmungen durchgeführt werden. Obligatorische U r a b s t i m m u n g e n sehen sieben G e w e r k s c h a f t e n v o r . D o c h s t e h t z u e r w a r t e n , daß d e r V e r z i c h t a u f d i e obligatorische U r a b s t i m m u n g i n d e n n e u e n D G B A r b e i t s k a m p f r i c h t l i n i e n sich a u f d i e G e w e r k s c h a f t s s a t z u n g e n a u s w i r k e n wird. Urabstimmungen in allgemeinen Gewerkschaftsangelegenheiten sind kaum vorgesehen. Zwei Gewerkschaften geben dem Gewerkschaftstag die Möglichkeit, eine Urabstimmung zu beschließen, bei G H K kann in besonders wichtigen Angelegenheiten eine Urabstimmung stattfinden, wenn der Hauptvorstand nach Beratung mit anderen Gremien es für nötig hält. D e r H a u p t v o r s t a n d setzt sich z u s a m m e n aus — den hauptamtlichen Vorstandsmitgliedern, meist einem Vorsitzenden, ein oder zwei Stellvertretern sowie verschieden vielen weiteren, darunter gewöhnlich einem Hauptkassierer; einen Sonderfall bildet die DAG, in der sich der Vorsitzende acht ressortgebundenen Vorstandsmitgliedern, also gewissermaßen Ministern, gegenübersieht; — den ehrenamtlichen Vorstandsmitgliedern, die häufig die Bezirke und/oder Berufsfachgruppen repräsentieren sollen; — in einigen Fällen Bezirksfunktionären. Ä h n l i c h w i e i n § 24 H B V „Die besoldeten Mitglieder des Hauptvorstandes bilden den Geschäftsführenden Hauptvorstand. Diesem obliegt es, i m Rahmen der vom Hauptvorstand zu beschließenden Geschäftsordnung und nach den Beschlüssen der Organe der Gewerkschaft die Geschäfte zu führen." w i r d i n d e n m e i s t e n G e w e r k s c h a f t e n aus d e m H a u p t v o r s t a n d h e r a u s ein aktionsfähiges E x e k u t i v o r g a n gebildet. D i e Vorstandsmitglieder werden auf den Gewerkschaftstagen i n geheimer A b s t i m m u n g gewählt. W ä h l b a r s i n d l a n g j ä h r i g e Gewerkschaftsangehörige, B S E v e r l a n g t sogar eine z e h n j ä h r i g e M i t g l i e d s c h a f t .

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I. Die Gewerkschaften nach geltendem Recht

Die ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder dürfen nach einigen wenigen Satzungen nicht hauptamtlich oder als Angestellte i n anderen Funktionen tätig sein. NGG und ÖTV verlangen, daß die ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder schon ehrenamtliche Funktionäre sein müssen. Beim Ausscheiden hauptamtlicher Vorstandsmitglieder n i m m t gewöhnlich der Beirat die Nachwahl vor. Aufgrund der Zusammensetzung des Beirates kommt das zum Teil einer Kooptation nahe, die die DPG i n § 21 Ziff. 3 ausdrücklich vorsieht. Nachrückende ehrenamtliche Vorstandsmitglieder werden zum Teil i n den Bezirken bestimmt, vereinzelt werden von vornherein Ersatzleute gewählt. Die Abberufung eines Vorstandsmitglieds ist, wenn überhaupt vorgesehen, äußerst schwierig. Man vergleiche § 27 Ziff. 5 TB: „Der Gewerkschaftsausschuß und der Beirat haben das Recht, mit Zweidrittelmehrheit jedes Mitglied des Hauptvorstandes zu beurlauben, wenn das Verhalten des Betreffenden den Interessen der Gewerkschaft zuwiderläuft."

Der Hauptvorstand gibt sich seine Geschäftsordnung selbst, Satzungsregeln bestehen dahingehend nur i n geringem Umfang. Sie betreffen die Häufigkeit der Tagungen, wer solche erzwingen kann, die Zuziehung weiterer Personen. Diese Regelungen zeigen, daß der Gesamtvorstand mehr eine Repräsentativverfassung hat, während die Exekutivfunktionen beim geschäftsführenden Vorstand konzentriert sind.

Den ergänzenden Gewerkschaftsorganen, fallen folgende Funktionen zu: — die ständige Vertretung der Mitglieder zwischen den Gewerkschaftstagen (Funktion 1) — die Erweiterung der Entscheidungsbasis des Hauptvorstandes (Funktion 2) — die Kontrolle des Hauptvorstandes und die Behandlung von Beschwerden (Funktion 3) — die Überwachung der Kassenführung (Funktion 4).

Eine der Funktion 1 entsprechende Institution kennt die D A G (§§ 24 Abs. 1, 25 Abs. 1 S. 1): „Der Gewerkschaftsrat ist die ständige Vertretung der Mitglieder zwischen den Bundeskongressen. Der Gewerkschaftsrat besteht aus Mitgliedern, die vom Bundeskongreß für vier Jahre gewählt werden."

BE löst das Problem einer kontinuierlichen Mitgliedervertretung dadurch, daß jährlich die Delegierten des Kongresses zu einem Gewerkschaftstag zusammentreten, der über aktuelle gewerkschaftspolitische Aufgaben beschließt und Nachwahlen vornimmt.

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Ein gemeinsames Gremium der Bezirksleiter, der Berufsgruppenleiter o. ä. einerseits, des Hauptvorstandes sowie einzelner Vertreter der übrigen Organe und der Hauptverwaltung würde der Funktion 2 gerecht werden. Beratung und Mitentscheidung i n grundsätzlichen Fragen wären seine Aufgaben. Ein solcher Beirat ist „rein" selten anzutreffen, der sog. „erweiterte Vorstand" bei BSE (§ 20) kommt ihm nahe. Üblich ist vielmehr ein Mischtyp aus beiden vorgenannten Organen. Dieser „Hauptausschuß" oder „Beirat" setzt sich zusammen, wie z.B. in § 19 Leder festgelegt: „Der Beirat besteht aus den Mitgliedern des Hauptvorstandes, dem Vorsitzenden des Hauptausschusses19, 13 Vertretern der Bezirke und den Bezirksleitern. Die Bezirksleiter nehmen an den Sitzungen des Beirates beratend teil."

Das Verhältnis zwischen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitgliedern schwankt; bei TB dürfen von 30 Mitgliedern nicht mehr als 8 hauptamtliche Angestellte der Gewerkschaft sein. Regelmäßig kommt jedoch dem Hauptvorstand i m Beirat ein großes Gewicht zu. Der Beirat w i r d vom Hauptvorstand einberufen, zwingend auf Verlangen eines Drittels, i n anderen Fällen der Hälfte seiner Mitglieder. Sehr bedeutsame Maßnahmen, wie z. B. vorläufige Satzungsänderungen, bedürfen häufig qualifizierter Mehrheiten. Die Aufgaben sind zum Teil sehr weitgespannt, zum Teil ziemlich eng. Bei der D A G gehen alle Befugnisse des Gewerkschaftstages auf den Rat über m i t Ausnahme von Satzungsänderungen, der Wahl und Entlastung von Gewerkschaftsorganen und der Auflösung der DAG. Detailliert BSE § 29 Ziff. 3: „Der Beratung und Beschlußfassung des Gewerkschaftsbeirates unterliegen eigene Anträge sowie Vorschläge des Hauptvorstandes über a) Vorbereitung besonderer agitatorischer Maßnahmen; b) Vorbereitung und Durchführung von allgemeinen Lohnbewegungen und Tarifverträgen; c) Änderung der Satzung an den Gewerkschaftstagen; d) Festlegung des Ortes und der Tagesordnung für den Gewerkschaftstag; e) Ergänzung des Hauptvorstandes, des Bezirksvorstandes, des Gewerkschaftsausschusses und der Revisoren bis zum nächsten Gewerkschaftstag; f) Erhebung von außerordentlichen Beiträgen; g) Notstandsmaßnahmen organisatorischer oder finanzieller Art, von deren Durchführung die Leistungsfähigkeit oder der Bestand der Gewerkschaft abhängt."

Dagegen obliegt bei Leder dem Beirat nur die Beratung des Hauptvorstandes und die Beschlußfassung über die Beiträge und Leistungen 10

Gemeint ist das Organ, das der Kontrollkommission entspricht.

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I. Die Gewerkschaften nach geltendem Recht

— letzteres allerdings ist ziemlich gewichtig. Das Gros der Satzungen bewegt sich zwischen diesen Typen. Die Ähnlichkeit der Funktionen 3 und 4 schlägt sich i n der organisatorischen Vergleichbarkeit von „Kontrollkommission" 2 0 und „Revisionskommission" nieder. Zum Teil werden diese Funktionen auch von einem einzigen Organ wahrgenommen, so bei I G M und BE; bei DPG fallen die Funktionen des Beirates m i t denen der Kontrollkommission zusammen. Sie bestehen i n der Regel aus vom Gewerkschaftstag gewählten Mitgliedern, die zumeist nicht Gewerkschaftsangestellte, häufig auch nicht Mitglieder des Hauptvorstandes sein dürfen. Bei der Bestellung der Mitglieder für diese Kommissionen finden sich erstaunlich vielfältige Regelungen, die einerseits auf Praktikabilitätsüberlegungen beruhen, andererseits die Unabhängigkeit der Organe sicherstellen sollen. So werden die Mitglieder der Revisionskommission bei CPK auf der Jahreshauptversammlung desjenigen Ortsvereins gewählt, wo sich der Sitz des Hauptvorstandes befindet. Bei ÖTV sind sieben Mitglieder aus Hamburg, dem Sitz der Kontrollkommission, zu wählen. Bei NGG w i r d für die Kontrollkommission nur der Vorsitzende vom Gewerkschaftstag gewählt, die anderen von dem für i h n zuständigen Landesbezirksvorstand. Die Revisionskommission hat das Recht jederzeitiger Kassenprüfung. Nach einigen Satzungen fallen Sitz der Kontrollkommission und der des Hauptvorstandes auseinander. Beide Gremien geben dem Gewerkschaftstag Rechenschaftsberichte. c) Mitgliedschaft Den Aufnahmeantrag kann jeder i m Organisationsbereich einer Gewerkschaft Tätige stellen. Der Mitgliederkreis erstreckt sich auch auf Personen, die sich i n Ausbildung befinden, GEW-Bayern 2 1 n i m m t Studenten nur als außerordentliche Mitglieder auf: §5 Ziff. 2 c: „Studierende, die sich auf die obengenannten Berufe vorbereiten, werden als außerordentliche Mitglieder aufgenommen. Die außerordentlichen Mitglieder haben nicht das Recht, in Abstimmungen, in denen über Fragen des Arbeitsrechts, einer Satzungsänderung oder eine Beitragsänderung entschieden wird, mitzubestimmen; diese Einschränkung gilt nicht für Mitglieder, die zu Delegierten gewählt worden sind."

Nicht aufgenommen werden Angehörige „gegnerischer tionen" oder „Gegner der Demokratie" 2 2 .

Organisa-

so Auch Hauptausschuß, Beschwerdeausschuß, u. ä. genannt. 21 Dies gilt seit dem GEW-Bundeskongreß vom Juni 1974 in Mainz jetzt bundesweit. 22 Dazu sofort näher.

3.c) Mitgliedschaft

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Uber den schriftlich zu stellenden Aufnahmeantrag entscheidet i m allgemeinen der Ortsstellenvorstand. Gegen dessen ablehnenden Bescheid ist Berufung zum Hauptvorstand möglich, der letztinstanzlich entscheidet. Bei einigen Gewerkschaften ist ein Beitrittsgeld i n Höhe von D M 1.— zu entrichten. Hauiptpflicht des Mitglieds ist die zur Beitragszahlung. Von der Erfüllung dieser Pflicht hängen die Ausübung aller Organschaftsrechte und die Inanspruchnahme der gewerkschaftlichen Leistungen ab. Beitragsrückstand ist zum Teil m i t „Streichung" aus den Gewerkschaftslisten, einer besonderen Form des Ausschlusses, bedroht. Die Höhe der monatlichen Beiträge ist Tabellen, die Teil der Satzung sind, zu entnehmen, zum Teil i n Prozenten des Bruttotariflohns ausgedrückt; sie bewegt sich von 1 °/o des Bruttotariflohns als unterer Grenze bis zu 2 °/o i n progressiv ansteigenden Staffeln als oberer Grenze. Sonderbeiträge werden nur auf Beschluß des Beirates oder Hauptvorstandes h i n erhoben. Beiträge zu Berufsfachgruppen sind, wenn vorgesehen, freiwillig. Weitere Grundpflicht des Mitglieds ist die Einhaltung der Satzung und die Beachtung der bindenden Regelungen und satzungsgemäßen Beschlüssen der Gewerkschaftsorgane. Damit ist — jedenfalls auf dem Papier — eine durchgängige Disziplinierung des Mitglieds auch i n den politischen Bereichen möglich, die i n der Satzung angesprochen sind. Da andererseits regelmäßig der Ausschluß die Mitgliedschaftspflichten sanktioniert, kann durch einfachen Beschluß eines Gewerkschaftsorgans die Position des einzelnen i n der Gewerkschaft akut gefährdet werden. Einige der gewerkschaftlichen „Radikalenerlasse" sind nur als bindende Beschlüsse, nicht als Satzungsänderungen ergangen. Man würde erwarten, daß eine authentische Interpretation der Satzung nur i m Wege der Satzungsänderung erfolgen könnte. Das ist aber nicht der Fall. Meist erläßt der Beirat die Verfügung, daß die NPD antidemokratisch sei und folglich eine Doppelmitgliedschaft unzulässig 23 . Einige Gewerkschaften fordern von ihren Mitgliedern ferner, sich für die Stärkung der Gewerkschaft einzusetzen und für sie zu werben, kollegial und solidarisch zu handeln oder an Versammlungen teilzunehmen. Die Pflicht, Streitigkeiten zwischen Mitgliedern nur intern durch Anrufung von Schiedsgerichten zu regeln, ist zwar vereinzelt, wegen der weiten Fassung aber auch nicht unbedenklich 24 . 23 Zur Abgrenzung zu linksextremen Gruppierungen vgl. Gewerkschaftsreport 8. Jg. (1974) Heft 1, S. 16 ff.; 10. Jg. (1976), Heft 4, S. 12 f., wo sich auch eine aufschlußreiche Statistik über die Zahl der gewerkschaftlich organisierten DKP-Mitglieder findet (die D K P fällt nicht unter die Abgrenzungsbeschlüsse). 24 I n doppelter Hinsicht: Fällt jeder privatrechtliche Streit darunter? Ist damit ein Prozeßhindernis verabredet?

64

I. Die Gewerkschaften nach geltendem Recht

A n Mitgliedschaftsrechten sind den Satzungen klar entnehmbar das aktive und passive Wahlrecht? 5 und das Recht zur Beschwerdeführung. Während jede Diskriminierung aus rassischen, weltanschaulichen oder politischen Gründen allgemein untersagt ist, sind Formulierungen der Meinungs- und Informationsfreiheit seltener. Der klare Satz i n § 8 Abs. 1 H B V : „Jedes Mitglied hat das Recht der freien Meinungsäußerung" findet sich so oder ähnlich bei sechs Gewerkschaften, die abwehrende Formulierung i n § 3 Abs. 1 S. 2 G H K „Sie achtet die politische und weltanschauliche Meinung ihrer Mitglieder, sofern sie nicht gegen den Bestand freier demokratischer Gewerkschaften gerichtet ist" ähnlich bei Leder (§2). BE §11 Ziff. 1 „Jedes Mitglied ist berechtigt und gehalten, durch die Teilnahme an Gewerkschaftsversammlungen und -wählen Einfluß auf die gewerkschaftspolitischen Richtlinien und die Zusammensetzung der Gewerkschaftsorgane zu nehmen" findet eine Entsprechung nur noch i n § 7 Ziff. 3 TB. Die Gewerkschaftszeitung, das offizielle Organ der Gewerkschaft, w i r d kostenlos verteilt. A u f die gewerkschaftlichen Leistungen finanzieller A r t besteht nur i n vier Gewerkschaften ein Anspruch, auf Rechtsschutz i n weiteren zwei, alle anderen lehnen eine Verpflichtung ausdrücklich ab. Die Berechtigimg, Gewerkschaftsleistungen zu beantragen, entsteht oft erst nach nicht unerheblicher Wartezeit. Die ÖTV z.B. gewährt Arbeitslosenunterstützung nach einjähriger Mitgliedschaft, I G M oder CPK Rechtsschutz nach drei Monaten, NGG nach einem halben Jahr Mitgliedschaft. Das Programm gewerkschaftlicher Leistungen ist weit gefächert: Rechtsschutz, Unterstützung bei Streik und Maßregelung, auch bei Haft wegen gewerkschaftlicher Tätigkeit, in außergewöhnlichen Notfällen, Arbeitslosenunterstützung, Sonderunterstützungen, Treuegelder, Sterbegelder, Altenund Hinterbliebenenunterstützung, Krankenunterstützung, Kranken- und Freizeitunfallversicherung, neuerdings auch für Familienmitglieder, Heiratsbeihilfen, u. ä.; dazu kommen die Betätigungen der Gewerkschaften auf dem kommerziellen Sektor, die den Mitgliedern angeblich exklusiv günstig angeboten werden: Vermittlung von Urlaubsreisen, Mitgliedschaft in Konsumvereinen, Großmärkten, u. ä.

Die Mitgliedschaft endet, abgesehen von Tod und Ubertritt i n eine andere DGB-Gewerkschaft, durch Austritt oder Ausschluß. Die schriftliche Kündigung ist meist an Fristen und Termine gebunden: Von sechs Wochen zum Monatsende bis zu einem halben Jahr zum Jahresschluß reichen die Kündigungsbedingungen 26 . 25 Zum passiven Wahlrecht siehe oben bei der Erörterung der einzelnen Organe (13 b). 26 Diese Regelung in G L F § 11 Ziff. 1 und BSE § 7 Ziff. 1 dürfte verfassungswidrig sein, vgl. dazu unten I I I 4 b cc.

3.c) Mitgliedschaft

65

Juristisch von besonderem Interesse ist das Disziplinarrecht. I n den Satzungen deckt es sich m i t dem Ausschlußverfahren, auch wenn i m Einzelfall die Entscheidung milder ausfällt. Faktisch sind Ausschlüsse aus Gewerkschaften selten, auch wenn in letzter Zeit i m Bann der Radikalenpsychose häufiger gemeldet. Sie häufen sich regelmäßig im Anschluß an Streiks 2?. Die Anzahl der Ausschlüsse pro Jahr, von den politisch bedingten einmal abgesehen, deren Gewichtung wegen des beabsichtigten Abschreckungseffekts unsicher ist, läßt sich nicht einmal in Promille der Mitgliederzahl ausdrücken — es sind Einzelfälle.

Das materielle Disziplinarrecht ist gekennzeichnet durch die Generalklausel des Ausschlusses „wegen gewerkschaftsschädigenden und satzungswidrigen Verhaltens". Es variiert jedoch stark i n bezug auf den Grad der Bestimmtheit: Vom Tatbestandsmerkmal des Verschuldens bis zu detaillierten „Insbesondere"-Aufzählungen findet sich eine Fülle von Möglichkeiten. Häufiger typisierte Ausschlußgründe sind Erschleichung der Mitgliedschaft durch falsche Angaben und E i n t r i t t aufnahmehindernder Umstände, Weigerung, rechtmäßige Anordnungen zu befolgen, Streikbruch, Veruntreuung oder Verbrechen, denen eine ehrenrührige Gesinnung zugrundeliegt. Als Beispiel einer Ausschlußklausel sei § 11 Ziff. 1 H B V zitiert, einer der i m übrigen seltenen Fälle, wo die Unterstützung einer gegnerischen Organisation i n der Satzung umschrieben w i r d : „Der Ausschluß eines Mitglieds kann erfolgen, wenn dasselbe a) sich Handlungen zuschulde kommen läßt, die eine grobe Schädigung der Gewerkschaft oder der Interessen der Mitglieder in sich schließen; b) die Mitgliedschaft durch unrichtige Angaben oder durch Verschweigen von wichtigen, der Aufnahme entgegenstehenden Tatsachen erlangt hat; c) antidemokratische oder antigewerkschaftliche Bestrebungen von Vereinigungen, Parteien oder anderen Gruppierungen durch seine Mitgliedschaft fördert oder in Wort und Schrift bzw. durch andere aktive M i t wirkung unterstützt."

Eine Gewichtung der beispielhaft aufgezählten Fälle ist schwierig; folgende Gruppenbildung könnte eine Orientierungshilfe geben, obwohl Überschneidungen unvermeidlich sind: — Binnenorientierte Ausschlußgründe, d. h. Verletzung der Solidarität insbes. durch Streikbruch, Weisungsverstöße, Schädigung des Gewerkschaf ts Vermögens ;

— Außenorientierte Ausschlußgründe, d.h. Ansehensverlust der Gewerkschaft durch Mitgliedshandeln; diese Gründe sind viel weniger 27 P. Schlosser, 22 f.; aus den Gewerkschaftsprotokollen ergibt sich nichts anderes, vgl. z. B. Protokoll zum 10. Gewerkschaftstag TB 1968, 107, zum 8. ord. Gewerkschaftstag BSE, 93 ff.; auch aus den Gewerkschaftszeitungen nicht, wo eine Veröffentlichungspflicht des Ausschlusses besteht, z. B. in Der Angestellte (DAG), wo 1971 ein Fall bekannt gemacht ist (S. 18 Heft 6).

5 Gerhardt

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I. Die Gewerkschaften nach geltendem Recht

konkretisiert; man muß davon ausgehen, daß hier vor allem kritische bis diffamierende Äußerungen gegenüber der Allgemeinheit gemeint sein sollen; — Gründe, die eine Gefährdung der Gewerkschaft erwarten lassen, d.h. allgemeine Verbrechen, Beitrittserschieichung, Zugehörigkeit zu gegnerischen Organisationen. Das Grundmuster des Aussdilußverfahrens findet sich i n § 6 ÖTV in lapidarer Kürze: „1. Ein Mitglied kann wegen gewerkschaftsschädigenden oder satzungswidrigen Verhaltens ausgeschlossen werden. 2. Antrag auf Ausschluß können stellen: die Delegiertenkonferenz oder die Delegiertenversammlung der Kreisverwaltung, der Kreisvorstand, der Bezirksvorstand, der geschäftsführende Hauptvorstand. 3. Dem betroffenen Mitglied ist während des Ausschlußverfahrens Gelegenheit zu geben, sich zu rechtfertigen. 4. Über Ausschlußanträge entscheidet der Hauptvorstand. Bei einem vom geschäftsführenden Hauptvorstand gestellten Ausschlußantrag haben dessen Mitglieder kein Stimmrecht. 5. Gegen die Entscheidung des Hauptvorstandes können das Mitglied und die Antragsberechtigten nach Ziffer 2 innerhalb von 4 Wochen Beschwerde beim Gewerkschaftsausschuß einlegen. 6. Gegen die Entscheidung des Gewerkschaftsausschusses ist Beschwerde an den nächsten Gewerkschaftstag zulässig. 7. Bis zur endgültigen Entscheidung über den Ausschluß ruhen die M i t gliedsrechte und -pflichten des betroffenen Mitglieds."

I m allgemeinen ist das Verfahren jedoch stärker verrechtlicht. Zunächst muß man unterscheiden zwischen dem regulären Ausschlußverfahren und drei Sonderverfahren, die i n den Satzungen nebeneinander auftreten können. Den ersten Sonderfall bildet der Ausschluß wegen Beitragsrückstands, der bei sieben Gewerkschaften zum automatischen Erlöschen der Mitgliedschaft oder zur Streichung nach einem Zeitraum von zwei bis zu zwölf Monaten Verzugs führt; eine Mahnung sieht nur die GEW vor; lediglich zum Ruhen der Mitgliedschaft führt der Beitragsrückstand bei zwei Gewerkschaften. Ein weiterer Sonderfall ist die Rückgängigmachxmg der Mitgliedschaft i n einem Zeitraum von zwei Monaten bis zu 26 Wochen nach der Aufnahme. Der Gedanke einer „Probezeit" w i r d bei I G M zu einer unbefristeten, i n den materiellen wie prozessualen Voraussetzungen unklaren Generalbefugnis.

3.c) Mitgliedschaft

67

Das dritte Sonderverfahren zeichnet sich durch eine Verkürzung des gewerkschaftlichen Verfahrens und eine Verlagerung der Zuständigkeiten in den Hauptvorstand aus. Es kommt bei besonders schweren Verfehlungen des Mitglieds i n Anwendung. Man vergleiche § 11 Ziff. 2 a HBV: „Mitglieder, welche nachweislich die Gewerkschaft durch Betrug, Unterschlagung von Gewerkschaftsgeldern oder durch Streikbruch schädigen, können vom Hauptvorstand in Übereinstimmung mit dem zuständigen Orts-/Bezirksverwaltungsvorstand ohne Ausschlußverfahren ausgeschlossen werden. Dieses Recht kann der Hauptvorstand an den geschäftsführenden Hauptvorstand delegieren."

Soweit Gewerkschaften ein vorbereitendes Verfahren kennen, entfällt dieses. Das reguläre Ausschlußverfahren w i r d meist durch Antrag der dazu Berechtigten eingeleitet, ein „Legalitätsprinzip" kennen nur D A G und BSE. I n einigen Satzungen ist eine A r t Ermittlungsverfahren vorgesehen, das bei GLF sogar m i t einem Eröffnungsbeschluß für das Hauptverfahren endet. Die Ausgestaltung dieses Ermittlungsverfahrens ist unterschiedlich. Während GLF immerhin verlangt, daß der „Antrag schriftlich zu begründen und mit genauen Angaben des Beweismaterials einzureichen" ist, kennen andere Gewerkschaften ein nahezu justizielles Vorverfahren. Die Einsetzung einer Untersuchungskommission, die ihr Ergebnis dem Hauptvorstand als Empfehlung vorlegt, ist ein erster Schritt i n dieser Richtung. Noch weiter geht BE (§ 9): Es findet ein Schiedsverfahren statt durch einen Schiedsausschuß, der sich zusammensetzt aus 3 von dem das Verfahren eröffnenden Organ bestimmten Mitgliedern und 2 vom Angeschuldigten bestimmten, dessen Ergebnis der Hauptvorstand bestätigen kann; w i l l er das nicht, muß er den Kontrollausschuß u m Entscheidung angehen. Das „Hauptverfahren" ist i n den Satzungen kaum geregelt, wenn überhaupt, i n Verfahrensordnungen. Das dürfte daran liegen, daß m i t Ausnahme der GEW, bei der eine Schiedskommission zuständig ist, regelmäßig der Hauptvorstand zur Entscheidung über den Ausschluß befugt ist, der das von i h m zu beachtende Verfahren grundsätzlich selbst bestimmt und nach Auffassung der Satzungen auch bestimmen können soll. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs jedenfalls ist i n allen Verfahren sichergestellt. Während des ganzen Verfahrens ruhen die Rechte des Mitglieds, besondere Anordnung ist nur bei drei Gewerkschaften vorgesehen. Die Entscheidung des Hauptvorstandes kann gemäß § 11 Ziff. 5 H B V bestehen in: ,,a) Ausschluß aus der Gewerkschaft; b) Ausschluß auf eine bestimmte Zeit (bis zu 3 Jahren) mit der Einräumung der Möglichkeit der Wiederaufnahme; 5*

68

I. Die Gewerkschaften nach geltendem

c) Aberkennung von Funktionen und befristeter tionen (bis zu 3 Jahren); d) e) f) g)

echt

Ausschluß von Funk-

Ausschluß von Versammlungen und Veranstaltungen; Erteilung einer Rüge; Anordnung einer neuen Untersuchung; Ablehnung des gestellten Ausschlußantrags."

Eine Differenzierung i n den Rechtsfolgen, so wie bei H B V § 11 Ziff. 5 oder wenigstens global formuliert, wie i n § 6 Ziff. 2 BSE: „In besonders gelagerten Fällen kann der Verstoß statt durch Ausschluß i m Einverständnis mit dem Haupt vorstand anders geahndet werden."

findet sich nur bei der Hälfte der Gewerkschaften. Nebenfolgen des Ausschlusses sind die Veröffentlichung i m Gewerkschaftsblatt und die Erschwerung des Wiedereintritts i n die Gewerkschaft — letzteres allgemein verbreitet, ersteres dagegen selten. Gegen die Entscheidung des Hauptvorstandes ist binnen eines Monats Beschwerde an die Kontrollkommission zulässig, bei sechs Gewerkschaften nochmals Berufung gegen die Beschwerdeentscheidung zum Gewerkschaftstag. d) Spitzenorganisationen

der Gewerkschaften:

der DGB

Spitzenorganisationen der Gewerkschaften sind Vereinigungen von Arbeitnehmerkoalitionen m i t dem Zweck der Einigung und Stärkung der Gewerkschaftsbewegung, einer gemeinsamen Interessenvertretung sowie der Koordinierung und Rationalisierung der Gewerkschaftstätigkeiten. Spitzenorganisationen sind denkbar als lockere Zusammenschlüsse mit primär koordinativen Aufgaben — ein solches Modell liegt der Kontrollratsdirektive Nr. 31 28 zugrunde — oder als integrative Körperschaften, basierend auf Arbeitsteilung zwischen Einzelgewerkschaften und der Spitzenorganisation m i t eigenem Apparat und verbandsmäßigem Unterbau. Dem zweitgenannten Integrationsmodell entspricht der Gewerkschaftsbund (DGB).

Deutsche

Die Aufgaben des Bundes zerfallen i n politische und Organisationsaufgaben 29 . Während die politischen Aufgaben schon oben 1 1 bei der allgemeinen Zielsetzung der Gewerkschaften dargestellt wurden, muß den Organisationsaufgaben hier Augenmerk gewidmet werden, w e i l ihr 28 Vom 3. 6.1946 (Amtsbl. 160), wo in I I Ziff. 2 von „Tagungen" die Rede ist. 2» Vgl. § 2 Ziff. 3 und 4 der DGB-Satzung 1971 (abgedruckt in RdA 71, 294 ff.); Übersicht über die DGB-Verfassung mit weiteren Quellen bei E. Bührig, W. Böhm, Der deutsche Gewerkschaftsbund, AR-Blattei (D), Berufsverbände I I I .

3.d) Der Deutsche Gewerkschaftsbund

69

Umfang und ihre Intensität die integrative K r a f t der Spitzenorganisation kennzeichnen. Zu betonen ist allerdings, daß i m Bereich der sog. politischen Aufgaben der DGB weitgehend allein für die Mitgliedsgewerkschaften auftritt; so werden die Beteiligungsrechte der Gewerkschaften im staatlichen Bereich im allgemeinen vom DGB wahrgenommen. Der in dieser Zuständigkeitsabgrenzung liegende Integrationseffekt darf nicht unterschätzt werden.

Aus dem Kreis der Organisationsaufgaben besonders hervorgehoben sei die Abgrenzung der Organisationsbereiche der Gewerkschaften: Ohne Zustimmung des DGB können die einzelnen Gewerkschaften ihren satzungsmäßigen Organisationsbereich nicht ändern, die Richtlinien für die Abgrenzung der Organisationsbereiche haben den Rang der DGBSatzung, sind also für die Mitgliedsgewerkschaften verpflichtend und können nur m i t 2/3-Mehrheit des Bundesausschusses geändert werden (§15 der Satzung des DGB). Ferner erfüllt der DGB Organisationsaufgaben, indem er gemeinsame Gewerkschaftsaktionen vorbereitet, Einrichtungen wie K u l t u r - , Bildungs- und Berufsbildungsstätten zur Verfügung stellt, allgemeine Grundsätze und Richtlinien erarbeitet und Gewerkschaftsleistungen und -Vermögen koordiniert (§ 2 Ziff. 4). Die Mitgliedschaft i m DGB können deutsche Gewerkschaften erwerben, die demokratisch aufgebaut sind und die Satzimg anerkennen. Die Anerkennung des Gedankens einer einheitlichen Gewerkschaftsbewegung sowie der i n der Satzung niedergelegten politischen Ziele ist also Aufnahmevoraussetzung. Über die Aufnahme entscheidet der Bundesausschuß mit 2/3-Mehrheit, wobei die DGB-Gewerkschaft, deren Organisationsbereich sich mit dem der beitrittswilligen Gewerkschaft überschneidet, zustimmen muß (§ 3 Ziff. 1, 2). Die finanziellen Pflichten der Mitgliedschaft bestehen i n der A b führung von 12 % des Beitragsaufkommens an den Bund, der Zahlung von Sonderbeiträgen, die vom Bundesausschuß m i t 2/3-Mehrheit beschlossen wurden, sowie der Entrichtung eines Beitrags zum Solidaritätsfonds i n Höhe von D M 0,15 je Mitglied und Quartal (§§ 4, 5). Daneben besteht die Pflicht zur Befolgung der Satzung und zur Durchführung der Beschlüsse der Bundesorgane (§ 3 Ziff. 3). Welche Rechte den Gewerkschaften neben ihren Organschaftsrechten zustehen, ist i n der Satzung des DGB nicht ausdrücklich geregelt. Vorausgesetzt w i r d jedoch ein Anspruch auf „Vermögensteile und Einrichtungen des Bundes" (§ 3 Ziff. 7). Streitigkeiten sind i n einem Schiedsverfahren auszutragen (§ 16). Die Mitgliedschaft endet durch Kündigung zum Jahresende sechsmonatiger Kündigungsfrist.

mit

70

I. Die Gewerkschaften nach geltendem

echt

Wie eng die Verknüpfung DGB — Einzelgewerkschaften gedacht ist, zeigt die Vorschrift des § 3 Ziff. 6 S. 2: A n den Sitzungen der Organe der Gewerkschaften, in denen über ihren Austritt beraten oder Beschluß gefaßt wird, nehmen Vertreter des Bundesvorstands mit beratender Stimme teil.

Ein Ausschluß kann durch den Bundesausschuß m i t 2/3-Mehrheit erfolgen, wenn eine Gewerkschaft der Satzung des DGB zuwiderhandelt oder gegen Beschlüsse von Bundesorganen verstößt oder sich einem Schiedsverfahren nicht stellt oder dessen rechtskräftigen Spruch nicht anerkennt. Innerhalb von drei Monaten ist Berufung zum nächsten Bundeskongreß zulässig. I n diesem F a l l r u h t die Mitgliedschaft bis dahin (§ 3 Ziff. 4 - 6). Für die Organe des DGB, ihre Bestellung und Zuständigkeitsabgrenzung eigentümlich ist die zweispurige Behandlung der Mitgliedsgewerkschaften: Zum Teil werden sie als Einheit angesehen, die eine bestimmte Anzahl von Mitgliedern i n die Bundesorgane entsendet, zum Teil werden die Delegierten direkt i n den Gewerkschaften nach demokratischen Grundsätzen gewählt. Der Bundeskongreß (§ 7) entspricht den Gewerkschaftstagen. Er ist das höchste Organ des Bundes und findet jedes dritte Jahr statt. Er setzt sich zusammen aus gewählten Gewerkschaftsvertretern. Antragsrechte und Antragskommission sind wie i n den Gewerkschaften ausgestaltet. I n den Bundesausschuß (§ 8) als ständiges Organ zwischen den Bundeskongressen entsenden die Gewerkschaften Mitglieder, mindestens je drei, weitere nach ihrer Mitgliederzahl. Insgesamt besteht der Bundesausschuß aus 100 Delegierten, dem Bundesvorstand und den Landesbezirksvorständen. Nach Zusammensetzung und Aufgaben kann der Bundesausschuß als das zentrale Organ der Einzelgewerkschaften gelten. Von den Aufgaben der Organisationsabgrenzung und der A u f nahme und dem Ausschluß von Mitgliedern war schon die Rede. Praktisch wesentlich bedeutsamer ist das Haushaltsbeschließungsrecht des Bundesausschusses, das personalpolitische Mitbestimmungsrecht gegenüber dem Bundesvorstand (Nachwahlen; Abberufung von Vorstandsmitgliedern; Bestätigung der Landesbezirksvorstände; Einspruchsentscheidung bei Abberufung von Landesbezirks- oder Kreisvorständen durch den Bundesvorstand), die Kompetenz zum Erlaß von Richtlinien und neben anderem Einberufung und Vorbereitung der Bundeskongresse. Die wichtigen Arbeitskampfrichtlinien 3 0 sind vom Bundesausschuß verabschiedet worden. Der Bundesvorstand (§ 9) besteht aus dem Vorsitzenden, zwei stellvertretenden Vorsitzenden, sechs weiteren hauptamtlichen Vorstandsso Neugefaßt am 5. 6.1974 (RdA 1974, 306).

3.d) Der Deutsche Gewerkschaftsbund

71

mitgliedern und aus den Vorsitzenden der Mitgliedsgewerkschaften. Er ist das Vertretungsorgan des DGB. I h m kommen vornehmlich Exekutivbefugnisse zu, die nicht so weit reichen wie die Befugnisse der Hauptvorstände i n den Einzelgewerkschaften. Dies ergibt sich notwendig aus der starken Stellung des Bundesausschusses. Immerhin stehen dem Bundesvorstand umfassende Vorschlagsrechte zu. Wegen der starken Präsenz der Einzelgewerkschaften auch i m Vorstand dürfte die A b grenzung zum Bundesausschuß faktisch weniger gewichtig sein. Besonders erwähnenswert ist die weitreichende Personalhoheit, die sich auf die DGB-Landesbezirks- und Kreisvorstände erstreckt (§ 9 Ziff. 5 i-k).

Die Revisionskommission (§ 10) entspricht der der Einzelgewerkschaften. Angestellte des Bundes dürfen nicht Revisoren sein. Der DGB gliedert sich unterhalb der Bundesebene i n Landesbezirke, Kreise und Ortskartelle. Während der Unterbau des DGB auf Landesund Kreisebene stark durchorganisiert ist, werden Ortskartelle nach Ermessen der Kreisvorstände i m Einvernehmen m i t dem Landesbezirk gebildet (§ 12 Ziff. 11). Organe der Landesbezirke (§ 11) und Kreise (§ 12) sind jeweils Delegiertenversammlung (Landesbezirkskonferenz bzw. Kreisdelegiertenversammlungen) und Vorstand. Die Delegiertenversammlungen, bestehend aus gewählten Mitgliedern der Gewerkschaften, tagen alle drei Jahre (§§ 11 Ziff. 4, 12 Ziff. 4), die Kreisdelegiertenversammlungen sollen ferner jährlich zwecks Informationsaustausches zusammentreten. Aufgabe der Delegiertenversammlungen ist die Entlastung und Wahl des Vorstandes, ferner die Erarbeitimg von Anträgen und Anregungen an die nächsthöhere DGB-Ebene. Die Vorstände setzen sich zusammen aus gewählten Mitgliedern (§§ 11 Ziff. 8, 12 Ziff. 8) und je einem Spitzenfunktionär der Gewerkschaften (Bezirksleiter bzw. Vorstandsmitglied) und Vertretern der Personengruppenausschüsse (Angestellte, Arbeiter, Beamte, Frauen, Jugend). Aus den Aufgaben der Landesbezirksvorstände ist eine Vorschrift erwähnenswert, die die Autonomie der Kreisebene stark m i n dert. Die Landesbezirksvorstände unterbreiten nämlich den Kreisdelegiertenversammlungen nicht nur Vorschläge für die Wahl des Kreisvorsitzenden, sondern bestätigen auch die Mitglieder des Kreisvorstands (§§ 11 Ziff. 9 h, i). A u f diese Weise w i r d eine hohe Zentralisierung des DGB erreicht bei gleichzeitiger Legitimation der verschiedenen Gliederungsstufen i n den Gewerkschaften.

I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht 1. Die Ebenen rechtspolitischer Diskussion Rechtspolitisch w i r d eine Betrachtungsweise des geltenden Rechts genannt, die ihre normativen Erwartungen i n diesem nicht erfüllt sieht und deshalb nach seiner Änderung strebt. I n einem Rechtsgebiet, das, wie das Recht der Koalitionen, nur wenig positiviert und formalisiert ist, lassen sich auf den ersten Blick zumindest zwei Typen rechtspolitischer Betrachtung unterscheiden: — Es w i r d ein höherer Formalisierungsgrad des Rechts, also eine gesetzgeberische Ausgestaltung an sich gefordert; — der gegenwärtige Norminhalt w i r d für verfehlt angesehen. Argumente, m i t denen die erstgenannte Forderung gestützt wird, sind entweder prinzipieller oder sachspezifischer Natur. Z u den prinzipiellen zählen die, die man „rechtsstaatlich-demokratische" nennen könnte, wonach Vorhersehbarkeit und Sicherheit des Rechts nur durch Kodifikationen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers gewährleistet sind. Die Problematik moderner Kodifikationsvorhaben ist hier nicht näher zu erörtern 1 . Sachspezifische Argumentationen zählen i n Wirklichkeit zur zweiten Kategorie: Sie behaupten, bestimmte materielle Normvorstellungen seien nur durch Gesetz zu verwirklichen 2 . Sie zeichnen sich lediglich durch eine Verabsolutierung des Regelungsmittels aus. Soweit damit nicht unbewußt auf die prinzipielle Ebene zurückgegriffen wird, ist die A r t , wie inhaltliche Forderungen durchzusetzen sind, i m Zusammenhang m i t diesen Forderungen zu erörtern. Die zweite A r t rechtspolitischer K r i t i k vergleicht den Istzustand des Rechts inhaltlich m i t einem, woher auch immer gewonnenen, Sollzustand. Derartige K r i t i k findet sich zu allen Rechtsebenen, zum bürgerlichen Vereinsrecht, zum Satzungsrecht bis h i n zur Verfassung, 1 Dazu unten V ; neben P. Badura, Arbeitsgesetzbuch, 129 ff., und P. Römer vgl. auch unter rechtsstaatlich-demokratischen Gesichtspunkten F. Kühler, Kodifikation und Demokratie, JZ 1969, 645 ff., unter Informationsgesichtspunkten E. Heinz, Der Beitrag der Rechtstheorie zur Kodifikation des A r beitsrechts, AuR 1972, 341 ff. 2 Z. B. ein verbesserter Minderheitenschutz sei nur durch gesetzliche M i n desterfordernisse für das vereinsinterne Disziplinarverfahren zu erreichen, nicht jedoch durch intensivierte richterliche Entscheidungsbefugnisse.

1. Die Ebenen rechtspolitischer Diskussion

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sie kann verfassungspolitische Vorstellungen einbeziehen. Die verschiedenen Ansätze unterscheiden sich i m Umfang ihrer innovatorischen Bestrebungen, also darin, wieweit sie am gegebenen Normsystem festhalten. Sie müssen nicht explizit rechtspolitisch orientiert sein: Auch solche rein politischen Forderungen, die von der gegenwärtigen Hechtslage abweichen, sind i n die Betrachtung einzubeziehen, soweit sie auf die Stellung der Gewerkschaften ausstrahlen. Für die Darstellung der verschiedenen rechtspolitischen Forderungen w i r d i m folgenden zurückgegriffen auf den Dualismus gewerkschaftlicher Beziehungen. Das Verhältnis zwischen Staat und Gewerkschaften einerseits und das zwischen Gewerkschaften und Arbeitnehmern als Einzelpersonen andererseits werden zwar getrennt erörtert, trotzdem ist zu beachten, daß sie nicht beziehungslos nebeneinander stehen. Sicherlich läßt sich nicht feststellen, daß die beiden Beziehungen i n den rechtspolitischen Ansätzen konsequent als zwei Seiten ein und derselben Sache angesehen werden, nachdrücklich zu betonen ist jedoch, daß die rechtspolitischen Forderungen an das Recht der Gewerkschaften eingebettet sind i n übergeordnete gesamtgesellschaftliche Konzepte, die hier nur angedeutet werden können 3 .

3 Vgl. Th. Ramm, Arbeitsgesetzbuch und politische Entscheidung, ZRP 1972, 13 ff. Eine Zusammenschau rechtspolitischer Forderungen bietet auch M. Löwisch, Der Einfluß der Gewerkschaften auf Wirtschaft, Gesellschaft und Staat, RdA 1975, 53, 54 ff. Zu betonen ist jedenfalls, daß alle Forderungen nicht von politischen Prämissen losgelöst werden können; insofern ist die Zielsetzung ff. Leßmanns, 6, nämlich die Reintegration der Wirtschaftsverbände in die Rechtsordnung, eher äußerlich, und tatsächlich verfolgt auch ff. Leßmann bestimmte inhaltliche Ziele.

2. Ordnungspolitische Vorstellungen zu Standort und Funktion der Gewerkschaften in Staat und Gesellschaft Die Beobachtung, daß die Gewerkschaften gegenüber ihrem klassischen Erscheinungsbild als Kampforganisation der Arbeiterklasse sich gewandelt haben zu, wie G.Briefs es formulierte 1 , „befestigten Gewerkschaften", zu bürokratisch organisierten Groß verbänden m i t beträchtlichem Eigenvermögen, die sich eines gesicherten Rechtsstatus und eines weit i n die öffentliche Sphäre hineinreichenden Aufgabenbereichs sicher sein können, gibt zu drei Fragestellungen Anlaß. (a) Inwieweit sind die Gewerkschaften legitimiert, für die Arbeitnehmerschaft als Ganze Aufgaben wahrzunehmen? Autoren, die eine Repräsentationsfunktion der Gewerkschaften annehmen, unterstellen, daß i n der staatlichen Ordnung eine solche Repräsentation staatsrechtlich möglich ist, sie fragen nach ihren inneren Bedingungen, m i t h i n nach der Vermittlung des realen Willens des Einzelnen zum gewerkschaftlich geäußerten Interesse. Diese Untersuchung ist primär rechtlich orientiert. (b) Wie sind die Gewerkschaften i n ihrer Aufgaben- und Machtfülle i n die staatliche Ordnung integrierbar? Diese Fragestellung zielt nicht nur auf die Richtigkeitskontrolle tarifautonomer Regelungen der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, sondern weitergehend auf die äußeren Bedingungen der Repräsentationsfunktion der Gewerkschaften. Die zentralen Probleme der Verbandstheorie — i n Stichworten: corps intermédiaires und Einheit der Staatswillensbildung einerseits, demokratisches Identitätsstreben andererseits; potentes Partikularinteresse und Gemeinwohl; Gewerkschaften als Ordnungsfaktor oder Gegenmacht 2 — sind anzusprechen. Die Überlegungen sind mehr staats- und gesellschaftstheoretisch als rechtlich ausgerichtet. 1 Z . B . im Handbuch der Sozialwissenschaften, 545ff., 556; einen Überblick dazu gibt E. Mayer, Theorien zum Funktionswandel der Gewerkschaften, 1973, 18 ff.; N. Eickhof, Eine Theorie der Gewerkschaftsentwicklung, 1973, insbes. 55 ff. 2 Kurzübersicht bei H. Grebing, Gewerkschaften als Ordnungsfaktor oder Gegenmacht?, G M H 1973, 393; ferner G. Briefs, 550 ff.; E. Benda, Industrielle Herrschaft und sozialer Staat, 1966, 204 ff.; J. Seifert, Gegenmacht in der Verfassungsordnung, Festschrift für O. Brenner, 1967, 75 ff., 87 ff., vor allem zur Doppelnatur der Gewerkschaften, während W. Müller-Jentsch den Übergang von kooperativen zu konfligierenden Gewerkschaften schildert (Be-

2.a) Zur Legitimation der Gewerkschaften

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(c) Wohin entwickeln sich Staat, Wirtschaft und Gesellschaft und welcher Stellenwert kommt den Gewerkschaften i n dieser Entwicklung zu? Überlegungen zu dieser Frage beziehen die Möglichkeit von Änderungen des politischen und wirtschaftlichen Systems m i t ein, die die Fragen (a) und (b) ausklammern. a) Zur Legitimation

der Gewerkschaften

Soweit die Gewerkschaften nur m i t Wirkung für ihre Mitglieder handeln, steht ein Legitimationsdefizit der Gewerkschaften nicht zur Debatte. Sobald den Gewerkschaften Aufgaben zukommen, die über ihren Mitgliederkreis hinaus die Arbeitnehmer berühren, w i r d zweifelhaft, inwieweit und warum die Gewerkschaften die Arbeitnehmerschaft repräsentieren können. Geht man davon aus, daß den Gewerkschaften eine Repräsentationsfunktion für alle Arbeitnehmer zukommt, dann könnte die rechtspolitische Konsequenz lauten: Soweit der Staat eine Repräsentationsfunktion der Gewerkschaften anerkennt, hat er den Gewerkschaften Pflichten aufzuerlegen, die den Freiheitsraum und die politischen Bestimmungsrechte des Individuums garantieren; soweit die Gewerkschaften noch weitergehende Vertretungsansprüche anmelden, darf der Staat sie allenfalls berücksichtigen, wenn die entsprechenden Garantien eingehalten sind. Als staatlich einsetzbare M i t t e l zur Erreichung dieses rechtspolitischen Ziels werden erwogen innerorganisatorische Grundanforderungen an die demokratische Willensbildung, eine Aufnahmeverpflichtung der Gewerkschaften und Garantien des Koalitionspluralismus. Zu klären ist zunächst, i n welchen Bereichen gewerkschaftlicher Tätigkeit die Repräsentation die Legitimation exzediert.

Oben 11 waren die Tätigkeiten der Gewerkschaften konzentrischen Kreisen zugeordnet worden. U m den Kernbereich der anerkannten Koalitionsfreiheit ringen sich die Aufgaben m i t arbeitsrechtlicher D r i t t wirkung, dann die der Vertretung der Arbeitnehmer, des Produktionsfaktors Arbeit, schließlich die des allgemeinen politischen Mandats. Kein Repräsentationsproblem taucht i m Kernbereich der Tarifautonomie auf. Gleiches gilt für die Betriebsverfassung und die Personalvertretung, die eigenständige Legitimationsmechanismen kennen 3 . dingungen kooperativer und konfliktorischer Gewerkschaftspolitik, Leviathan [1] 1973, 221, 235, 238); hinzuweisen ist auch auf das polemische Wort vom „Gewerkschaftsstaat", vgl. G. Triesch, Gewerkschaftsstaat oder sozialer Rechtsstaat, 1974; A. Rauscher, 511. 3 Eventuelle Probleme sind anhand der besonderen Rechtsstrukturen dieser

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

E i n R e p r ä s e n t a t i o n s p r o b l e m l i e g t aber auch n i c h t v o r , s o w e i t es R e c h t s v o r s c h r i f t e n e r m ö g l i c h e n , daß t a r i f v e r t r a g l i c h e oder A r b e i t s k a m p f m a ß n a h m e n sich a u f D r i t t e erstrecken. D e r a r t i g e D r i t t w i r k u n g e n w o l l e n i m wesentlichen die E f f e k t i v i t ä t v o n Tarifautonomie u n d A r b e i t s k a m p f sichern, d i e A u s w i r k u n g e n a u f D r i t t e w e r d e n l e d i g l i c h als u n v e r m e i d b a r i n K a u f g e n o m m e n 4 . Diese P r o b l e m e d e r K o a l i t i o n s a u s w i r k u n g e n h a b e n e b e n s o w e n i g w i e d i e des ä u ß e r e n K o a l i t i o n s z w a n g s zunächst e t w a s m i t d e m B e r u f s v e r b a n d s r e c h t z u t u n , s o n d e r n g e h ö r e n z u r I n h a l t s b e s t i m m i m g d e r T a r i f a u t o n o m i e 5 . E r s t w e n n sich ergeben sollte, daß d i e K o a l i t i o n s p a r t n e r a u f g r u n d d e r n o t w e n d i g e n A u s w i r k u n g e n a u f D r i t t e v e r p f l i c h t e t sind, auch d e r e n I n t e r e s s e n i n i h r e W i l l e n s b i l d u n g einzubeziehen, k ö n n e n sich F o l g e n f ü r das O r g a n i sationsrecht d e r K o a l i t i o n e n ergeben^, n ä m l i c h die, daß e i n e d e r a r t i g e Verpflichtung zu gewerkschaftsinternen Konflikten führen kann. Insow e i t l i e g t das P r o b l e m jedoch ganz ä h n l i c h d e m e i n e r G e m e i n w o h l b i n d u n g d e r G e w e r k s c h a f t e n , das u n t e n b) b e t r a c h t e t w i r d ; d o r t h i n sei verwiesen. Hier liegt einer der Schnittpunkte zwischen Koalitionsorganisations- und Tarifvertragsrecht, die in der Einleitung bereits angedeutet wurden. Die Verknüpfung sei hier an einem Beispiel gezeigt, das zugleich als Illustration für die folgenden Ausführungen dienen kann. Man nehme den besonders krassen Fall eines regional beschränkten Streiks einer Gewerkschaft des DGB an einer Schlüsselstelle zugunsten einer eng begrenzten Forderung und zugunsten eines kleinen Personenkreises, der aber eine große Zahl Nicht- (bzw. Anders-)Organisierter, die auch nicht willens sind, die Forderung anzuerkennen, unmittelbar betrifft. Welche Möglichkeiten hat dieser Arbeitnehmerkreis? Eine mächtige zentralistische Gewerkschaft mit bestimmtem taktischen Ziel hier, ein Kreis von Arbeitnehmern ohne Unterstützung, der Gefahr des Arbeitsplatzverlustes ausgesetzt, dort. Gewerkschaftsbeitritt ist nach gegenwärtiger Sachlage aussichtslos, da keine unmittelbare Beeinflussung der Gewerkschaftsspitze möglich. Druck auf die Betriebsräte hat schon eher Erfolgschancen, jedoch Bereiche zu lösen, was vor allem im Bereich der Betriebsverfassung in Betracht kommt, nachdem die Bedeutung der Verbandsrepräsentanz i m Betrieb stark zugenommen hat (vgl. G. Müller, Zur Stellung der Verbände i m neuen Betriebsverfassungsrecht, ZfA [3] 1972, 213 ff.). 4 Zum Gedanken eines Ausgleichs zugunsten des Außenseiters sofort; zum Begriff der „Solidarität" als Legitimationsnorm oben 1 1 F N 22. 6 Hier wiederum der Grenzen der Tarifautonomie, die eines der meistbehandelten kollektivarbeitsrechtlichen Themen der letzten Jahre bilden (Überblick bei A. Söllner, 59 ff., insbes. F N 51). • Fallgestaltungen, in denen diese Pflicht auf die Organisationsstruktur unmittelbar einwirkte, sind kaum denkbar; sollte etwa ein Anhörungsrecht der Nichtorganisierten (aller? nur bestimmter?) bei Gewerkschaftsentscheidungen normiert werden? Vgl. zum Problem der Beteiligung Nichtorganisierter an Streikurabstimmungen W. Reuß, Aktuelle Arbeitskampffragen, DB 1965, 817, 819 f., sowie im Licht der neueren Rechtsprechung des B A G zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Arbeitskampfrecht ders., Autonome A r beitskampfordnungen, AuR 1975, 1 ff.

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auch keine sicheren. Die Schaffung einer ad-hoc-Gegenkoalition hätte allenfalls Signalwirkung, insbesondere gegenüber der Öffentlichkeit — ob man deshalb solche Gruppierungen in den Koalitionsbegriff wird einschließen müssen, erweckt wegen ihrer sonstigen Gefahren Bedenken, es kann ja auch sein, daß eine derartige Minigewerkschaft („500 Italiener") zum Streik aufruft mit allen Konsequenzen für die anderen Arbeitnehmer. Beteiligung der Nichtorganisierten an der Urabstimmung? Zumindest unter bestimmten Umständen? Das führte zur Unwägbarkeit des Streikrisikos für die Koalitionsgegner, der Disziplinierungseffekt der Gewerkschaften würde entwertet. Sieht man von Lösungen auf dem Gebiet des Tarifrechts ab?, so bleibt einzig eine stärkere Föderalisierung der Gewerkschaften, die Betonung betriebsnaher Tarifpolitik unter direkter Beteiligung der Gewerkschaftsbasis — letztlich also die Demokratisierung der Gewerkschaften (dazu unten 3 c). Dies alles aber erweist sich nicht als Frage einer Repräsentationsfunktion der Gewerkschaften — sie prätendieren nicht einmal, für die betroffenen Außenseiter zu handeln —, sondern als die Frage, wie die durch den legalen Eingriff einer Koalition Betroffenen geschützt werden können. Sobald die Lösung in die Gewerkschaften hineinverlagert wird, wird sie Gegenstand des Koalitionsgesetzes, solange sie außerhalb bleibt, gilt es einen Ausgleich in Form eines „koalitionsrechtlichen Auf Opferungsanspruchs" zu finden — eine Frage des Tarifrechts.

Schließlich bedürfen die Gewerkschaften auch keiner Legitimation seitens der ganzen Arbeitnehmerschaft, soweit sie i m allgemeinen politischen Raum tätig sind, wenn sie sich nicht qualitativ unterscheiden von anderen Interessenverbänden 8 : Es ist jedem Verband gestattet, seine Partikularinteressen für allgemeine auszugeben9. Es t r i f f t hier jedoch den Staat die Verpflichtung, entweder die geäußerten Forderungen als nichtallgemeine Interessen zu sehen, also die gewerkschaftlichen Forderungen nur einem bestimmten Teil der Arbeitnehmerschaft zu7 Z. B. ff. Wiedemann, Die deutschen Gewerkschaften, 331 ff., der eine betont individualrechtliche Lösung sucht. 8 Daran ändert auch der Anspruch auf Gesamtvertretung nichts; der A D A C spricht auch nur von „dem deutschen Autofahrer"; zumindest aber sind die Organisationsanforderungen bei in bestimmter Richtung wirkenden Interessenverbänden kaum aus Gründen der Legitimation streng zu fassen. — Die von O. v. Nell-Breuning, Aktuelle Fragen der Gesellschaftspolitik, 1970, 170, und W. Hirsch-Weber, Gewerkschaften in der Politik, 1959, 51 ff., vorgetragenen Bedenken hinsichtlich der Einheitsgewerkschaften sind grundsätzlich berücksichtigenswert (vgl. unten I I I 3 c ee), dürften für die Vergangenheit sich aber nicht zum Nachteil gerade der christlichen Arbeitnehmer ausgewirkt haben. Der Beweis, daß die gesellschaftspolitischen Vorstellungen der christlichen Arbeitnehmer nicht zum Zuge kommen konnten, bleibt deshalb ungenügend, weil diese Interessen i m sog. CDU-Staat reichlich vertreten worden sind. Das Minderheitenproblem wird nur in solchen Bereichen akut, wo die Einheitsgewerkschaft Minderheitenrepräsentation aus der öffentlichen Meinung eliminieren kann. 9 Unbestreitbar ist dies eine Manipulationstechnik der Öffentlichkeit, die aber durch verbandsinterne „echte" Demokratie ebenso aufgefangen werden könnte wie durch Strukturmaßnahmen der öffentlichen Meinungsbildung (vgl. J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 5. Aufl. 1971, 217 ff., 292 ff.) — zu dieser Frage unten I I I 3 c.

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zurechnen und den übrigen Teilen anderweitig, z. B. über die Parteien, Gelegenheit zur Äußerung zu geben. W i l l er hingegen der gewerkschaftlichen Meinung größeres Gewicht beimessen, w i r d die Repräsentativität der Gewerkschaften problematisch. Dieser Fall ist wie die beiden nächsten zu behandeln.

Soweit die Gewerkschaften als Vertreter der Arbeitnehmer an der staatlichen Verwaltung beteiligt werden oder als Repräsentanten des Produktionsfaktors Arbeit angesehen werden, wie z.B. i n der Konzertierten Aktion, erscheint die Diskrepanz zwischen der Stellung der Gewerkschaften als Mitgliederverband und ihren Vertretungsrechten i n voller Schärfe. Hier ist der eigentliche und unmittelbare Anwendungsbereich der Modelle zur Repräsentationsfunktion der Gewerkschaften. Während der staatsrechtliche Begriff der Repräsentation, gesehen i m Zusammenhang m i t der modernen egalitären Demokratie, von einer Zustimmung des gesamten Volkes zur Begründung der staatlichen Herrschaft i m A k t der Bestimmung der Volksvertreter ausgeht 10 , soll für den vorstaatlichen Bereich der Vertretimg nur partikularer I n teressen faktische Repräsentation (représentation de fait) ausreichen, d. i. die „Wahrung objektiv erkannter Interessen" 11 . Damit kommt es entscheidend auf den Willen zur Repräsentation, die Ausrichtung an einem hypothetischen Interesse der Repräsentierten, an, nicht hingegen auf einen Auftrag 1 2 . Dieser Auffassung w i r d die These gegen10 U. Scheuner, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, in: Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, hrsg. von H. Rausch 1968, 386 ff., 391 f. u J. Hirsch, 125, 128 ff., 139 ff., wobei J. Hirsch durchaus von den Unzulänglichkeiten dieser faktischen Repräsentation überzeugt ist; letztlich greift er nur auf J. H. Kaiser, 354 f., zurück. — F. Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, 1966, 36, 43 - 46, gibt kein Modell der Repräsentation, sondern einen „Gedanken der lebendigen Repräsentation" in „vielfacher Wirklichkeit", der aus dem „Bild der Sozialpartnerschaft" folge. Dagegen kritisch W. Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, 1967, 23 ff., jedoch bleibt auch dessen Verzicht auf Deckungsgleichheit von Repräsentation und Legitimation (51) unbefriedigend. — Wenn H. F. Zacher vom „anstaltlichen" Charakter der Gewerkschaften bei der Wahrnehmung ihrer öffentlichen Funktionen spricht (Aktuelle Probleme, 550, u. ö), dann dient das mehr einer phänomenologischen Erfassung als der Lösung des Repräsentationsproblems. 12 Daß auch auf Gewerkschaftsseite hierzu theoretische Unsicherheit herrscht, zeigen die häufigen Versuche, die Untersuchungen über die Einstellung der Arbeiter zum Gewerkschaftswesen in Legitimationsbeweise umzumünzen, so z. B. G. Leminsky, Gewerkschaftsreform und gesellschaftlicher Wandel, G M H 1971, 200; auch W. Nickel, Zum Verhältnis von Arbeiterschaft und Gewerkschaft, 1972, 256 ff.; ders., Zum gegenwärtigen Verhältnis von Arbeiterschaft und Gewerkschaft, G M H 1973, 478, 482 ff.

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übergestellt, daß die Gewerkschaften Berufsorgane seien, m i t h i n nicht die einzelnen Arbeitnehmer repräsentieren, was mangels Auftrags nicht möglich sei, sondern den Beruf als „eigene Wesenheit" 13 . Inhaltlich dürfte darunter nichts anderes als unter den „objektiv erkannten I n teressen" zu verstehen sein. Hinter beiden Auffassungen steht die Vorstellung, daß der Staat gerechtfertigt ist, sich der Gewerkschaften als Repräsentanten der Arbeitnehmerschaft zu bedienen, aber auch das Bewußtsein, daß die Gewerkschaften nicht nur Interessenvertreter wie jeder andere Interessenverband sind 1 4 , sonst würde man sich nicht der Gefahr und Mühe unterziehen, den Repräsentationsbegriff neu aufzubereiten. Ob die Verwendung des Begriffes der Repräsentation hier der staatsrechtlichen Terminologie entsprechen kann, muß dahinstehen, jedenfalls frappiert bei den beiden genannten Ansätzen die Ähnlichkeit des Rekurses auf etwas, was i n keiner Person präsent ist, m i t qualitativen Repräsentationsideen, die sich am Gemeinwohl oder einem Substrat als eigener Wesenheit ausrichten 15 . Entscheidender Unterschied ist jedoch das Argumentationsziel: Die Vorstellung von der faktischen Repräsentation soll die Lücke i n einem Delegationszusammenhang füllen, nämlich die Existenz von Außenseitern überbrücken, während die vergleichbaren staatsrechtlichen Gedanken den zumindest äußerlich vorhandenen Delegationszusammenhang gerade nicht als Repräsentation begreifen. Erst wenn man die volonté générale als das K r i t e r i u m begreift, das auch die Minderheiten verpflichten kann, ergibt sich eine echte Verknüpfung, also das Partikularinteresse als kleines Gemeinwohl bestimmter Gruppen verstanden wird 1 ®. Eine solche Auffassung jedoch wäre ständestaatlich, entspräche nicht egalitärdemokratischen 13

H. Wiedemann, Die deutschen Gewerkschaften, 328, 329 f. 14 p. Dagtoglou, Partizipation Privater an Verwaltungsentscheidungen, DVB1. 1972, 712, 715 meint, es gebe keine Sonderinteressenrepräsentation, sondern nur eine Interessenvertretung, für die das imperative Mandat kennzeichnend sei, weshalb die einschlägigen Gesetze, die Verbandsvertretern Unabhängigkeit zusprächen, fehlerhaft seien. Diese Ansicht ist im Kern richtig, entspricht allerdings nicht der Weite der gewerkschaftlichen Repräsentationsmacht. Dieser würde eher ein ständisches imperatives Mandat (vgl. dazu P. Badura, Bonner Kommentar, Art. 38 [2. Bearb. 1966], R N 6) entsprechen. Auch entbehren die gesetzlichen Vorschriften zumindest nicht eines praktischen Sinns, vgl. unten I I I 3 d bb. 15 P. Badura, BK, Art. 38 R N 2 3 f f . ; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, 3. Aufl. 1966, insbes. 46 ff., 53. iß Zweifel herrschen, ob man die klassischen staatstheoretischen Begriffe überhaupt über den Strukturwandel der Demokratie hinwegretten soll: R. Altmann, Zur Rechtsstellung der öffentlichen Verbände, ZfP 1955, 211, 215; vgl. z. B. auch die Gegenüberstellung der volonté générale und der besonderen Interessen bei G. Leibholz, 182 ff.; zu einer strikten Scheidung staatlicher und gesellschaftlicher Repräsentation kommt J. H. Kaiser, 353, 356 ff.

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Grundsätzen. Tatsächlich gehen wohl die erwähnten Theorien von der empirischen Feststellbarkeit des „objektiverkannten" bzw. „hypothetischen" Berufsinteresses aus. Bei seiner Ermittlung wären die Außenseiter aber nur dann m i t berücksichtigt, wenn alle „Repräsentierten" wenigstens einigermaßen homogene Interessen hätten oder die Verteilung divergenter Interessen sich i n konkurrierenden Repräsentationsgruppen widerspiegeln würde. Die Existenz eines solidarischen Klasseninteresses wäre extrem hilfreiches Indiz für das objektive Berufsinteresse, wenn auch wohl nicht für Detailfragen, zu deren Beantwortung die Gewerkschaften, z.B. i n der Sozialversicherung, beigezogen werden. Wieweit heute die Solidarität der Arbeitnehmer geht, braucht nicht näher untersucht zu werden, da prima vista jedenfalls genügend unterschiedliche Interessenrichtungen erkennbar sind, u m die weitere Fragestellung zu verfolgen: Die Ziele von Schriftstellern und Papierschöpfern dürften allenfalls auf sehr abstrakter Ebene gleichlaufen 17 . Z u erwägen wäre jedoch, die von den Gewerkschaften verfolgten Interessen auf ihre Typizität für das Arbeitnehmerinteresse zu untersuchen und ihnen Repräsentationsfunktionen hinsichtlich typischer Arbeitnehmerbelange zuzugestehen 18 . Dies würde nicht zu tragbaren Ergebnissen führen. Denn offen ist doch, wer über die Typizität der Arbeitnehmerbelange entscheiden soll. Die Gewerkschaften? Die Beschränkung auf die Vertretung i n typischen Arbeitnehmersachen wäre dann überflüssig. Der Staat, an den die Belange fordernd herangetragen werden? Damit wäre die gewerkschaftliche Interessenvertretung äußerst stark gemindert, denn die staatliche Stelle dürfte und müßte, bevor sie eine Befugnis der Gewerkschaft zur Repräsentation annehmen könnte, die gewerkschaftlichen Äußerungen inhaltlich überprüfen, u m über ihre Typizität entscheiden zu können. Damit wäre niemandem gedient. Es bleibt, pragmatisch zu fragen, wie die Interessen des Außenseiters zur Geltung gebracht werden können, bzw. ob der Staat Kriterien für die Anerkennung als repräsentative Organisation setzen kann, wenn ja, welche. Geht man davon aus, daß die staatliche Willensbildung sich zu nicht unwesentlichen Teilen aus dem Gegeneinander artikulierter Interessen formt (zum Pluralismus siehe auch unten b), es m i t h i n legitim ist, wenn der Staat Interessen berücksichtigt, er aber nur organisierte berücksichtigen kann, w e i l die nichtorganisierten nicht faßbar sind, i? K. H. Biedenkopf, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Strukturelemente der modernen Demokratie, in: Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Probleme der modernen Demokratie, hrsg. von H. Duvernell. 1968,199,210; J. Hirsch, 131 f.; diese Aussage ist auch richtig, wenn man mit J. R. Galbraith, The New Industrial State, 1967, ed. Penguin 270, von der totalen Interessenidentität aller an der Wirtschaft Beteiligten ausgeht. 18 K. H. Biedenkopf, Koalitionsfreiheit, 210.

2.a) Zur Legitimation der Gewerkschaften

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ferner, daß die Gewerkschaften die sachnächsten Träger i n Arbeitnehmerfragen sind, dann liegt die innere Rechtfertigung der staatlichen Anerkennung gewerkschaftlicher Repräsentationsfunktionen i n den Mitbestimmungsrechten der Mitglieder und i n der Chance des Außenseiters, daran teilhaben zu können 1 9 . Repräsentationsfunktionen zugestehen heißt dann nichts anderes als eine Organisation als sachlich zuständig, demokratisch organisiert und generell zugänglich, damit als Interessenvertreter anzuerkennen 20 . Herauszuheben ist, daß die Gewerkschaften als Regelrepräsentanten anerkannt werden, nicht w e i l sie i m quantitativen Sinn des Begriffes repräsentativ sind, sondern w e i l sie aufgrund verfassungsrechtlicher Bewertung für sachkompetent angesehen werden müssen und zahlenmäßig repräsentativ sein können 21.

Die Chance, i n persona repräsentiert zu werden, erhält sich i m Verbändestaat zunächst i n der Gründungsfreiheit konkurrierender Verbände. Dies setzt allerdings voraus, daß einem solchen neuen Verband echte Durchsetzungsmöglichkeiten zukommen. Drei Gesichtspunkte lassen eine derartige Chance gering erscheinen 22 : — Das Gewerkschaftssystem i n der Bundesrepublik ist weitgehend organisatorisch verfestigt; der Kuchen ist verteilt, die beati possidentes 19 Zu dieser Legitimierung der Verbände R. Steinberg, Die Verbände, 48 ff.; spezifisch zu den Gewerkschaften M. Löwisch, Der Einfluß, 56. 20 Diese Ansicht deckt sich nicht mit der sog. Delegationstheorie des Tarifrechts, denn delegieren kann nur der etwas, der es auch selbst ausführen könnte; das aber ist bei der Angewiesenheit der Staatswillensbildung auf die vorstaatliche Meinungsfilterung und -fokussierung in den Interessengruppen nicht der Fall. Diesem Bild gegenseitiger Angewiesenheit kann man nicht mit dem Gegensatzpaar originäre — delegierte Zuständigkeit beikommen. — Viel enger ist auch der von U. Brisch verwendete Begriff der „anerkannten Gewerkschaft", der eine bestimmte Art qualifizierter Koalition meint. 21 Der Vergleich mit dem nicht wählenden Staatsbürger drängt sich auf, wobei die Pflicht zur Beitragszahlung — bei Arbeitskammern ohnehin gegeben — der zusätzlichen Einwirkungsmöglichkeit entspricht, auch Parteien erheben Beiträge. — Wohl zu eng versteht H. H. Rupp, Konzertierte Aktion und freiheitlich-rechtsstaatliche Demokratie, in: Konzertierte Aktion, hrsg. E. Hoppmann, 1971, 1 ff., 14, den Vertretungsanspruch der Gewerkschaften. I n ihm kommt lediglich der Wille zur Repräsentation i m geschilderten Sinn zum Ausdruck. 22 Man beachte in diesem Zusammenhang die, zur Zeit allerdings stagnierenden, Annäherungsversuche D A G — DGB; dsgl. die Diskussion einer Mediengewerkschaft; diese ist anläßlich des Wunsches der Schriftsteller nach gewerkschaftlicher Vertretung stark in den Vordergrund gerückt worden, jetzt, nachdem die Schriftsteller zu großem Teil sich der I G D P angeschlossen haben, wird sie von den Gewerkschaftsführungen gebremst. Kennzeichnend für die tatsächliche Repräsentationsstruktur ist auch das Bemühen der GdP um Aufnahme in den DGB, ohne von der Ö T V aufgesogen zu werden.

6 Gerhardt

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zu verdrängen, kaum denkbar; die Nichtberücksichtigung der christlichen Gewerkschaften i n öffentlichen Gremien ist deutlich genug 23 . — Rein rechtlich w i r d aufgrund der Koppelung von Interessenvertretung i m Tarifbereich m i t der sonstigen Interessenvertretung ein Mindestmaß an Effektivität verlangt, bevor ein Verband anerkannt wird24. — Beteiligungsrechte an öffentlichen Gremien sind der Zahl nach beschränkt, w i l l man ihre Funktionsfähigkeit nicht gefährden. Diese Faktoren w i r k e n so ineinander, daß ein Minderheitenverband zwar Chancen haben mag, Störenfried zu sein, jedoch kaum, positiv seine Vorstellungen durchzusetzen, so daß er bald Opfer des Ordnungsgedankens (unten b) werden dürfte. Trotzdem sind rechtspolitische Maßnahmen denkbar, die zur Unterstützung des Koalitionspluralismus eingesetzt werden können. Die einen richten sich an den Staat, nämlich i n Form eines Gleichbehandlungsgebotes, das sich i n erster Linie bei der Gewährung finanzieller Mittel, aber auch i n der Offenlegung der Auswahlkriterien zu öffentlichen Gremien 2 5 o. ä. niederschlagen könnte, sowie i n einem strikten Neutralitätsgebot, die anderen betreffen das Verhältnis der Koalitionen zueinander, insbesondere i m gegenseitigen Konkurrenzkampf 2 ®.

I n der Literatur t r i t t demgegenüber die Betrachtung der Beteiligungsfreiheit an den bestehenden Verbänden i n den Vordergrund 2 7 . Der freie Zugang zu den Gewerkschaften, möglicherweise sogar i n einen Aufnahmeanspruch verdichtet, ist erstes Element der Beteiligungsfreiheit. Wie gezeigt, gewähren die geltenden Satzungen weitgehende Aufnahmefreiheit, sogar m i t der Möglichkeit eines Rechtsmittels gegen die Ablehnung des Aufnahmeantrags. Problematisch erscheinen Unvereinbarkeitsklauseln, nach denen vorzüglich Mitglieder der NPD 23 Die Zementierung des Status quo befürchten P. Dagtoglou, 717; R. Steinberg, 51 f. 2 * Dazu unten I I I 3 a bb. 2 s Vgl. die Diskussion um den Zugang zur konzertierten Aktion, K. H. Biedenkopf, Rechtsfragen der konzertierten Aktion, DB 1968, 1005, 1008. 26 Allgemein K. Schiaich, Neutralität als verfassungrechtliches Prinzip, 1972, 120 ff., 236 ff.; H. F. Zacher, Gewerkschaften, 735; BSG N J W 1976, 689, 690 f.; skeptisch F. Tennstedt, Die Neutralität des Staates im Arbeitskampf, AuR 1973, 168; zum Fairnessgebot im Konkurrenzkampf der Koalitionen unten I I I 3 a cc. 27 Da jede Art von Zwangssolidarität Legitimitätsvorstellungen zuwiderläuft, bleibt sie ganz außer Betracht. Zur gegenseitigen Ergänzung von Gründungsfreiheit und verbandsinterner Demokratie W. Abendroth, Das Problem der innerparteilichen und innerverbandlichen Demokratie in: Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie, 1967, 272, 283.

2.a) Zur Legitimation der Gewerkschaften

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grundsätzlich nicht aufgenommen werden, und zwar deshalb, w e i l der Gegensatz zwischen Einheitsgewerkschaften und NPD auf allgemeiner politischer Ebene besteht, jedoch mit der Folge, daß das NPD-Mitglied bereits von seiner Chance, als Arbeitnehmer vertreten zu werden, ausgeschlossen wird. Nachdem aber die NPD die Gewerkschaften überhaupt, damit aber auch i n ihrer Repräsentationsfunktion ablehnt, ergibt sich aus den Unvereinbarkeitsklauseln keine Einschränkung der gewerkschaftlichen Legitimation 2 0 . Für die i n jüngster Zeit wichtig gewordenen linksextremen Gruppen gilt nichts anderes, lediglich i n der theoretischen Ableitung ihrer gewerkschaftsfeindlichen Haltung unterscheiden sie sich vom Rechtsextremismus. Ein Aufnahmeanspruch besteht, wie gezeigt, de lege lata nicht. De lege ferenda w i r d ein solcher aber erörtert, gerade auch i m Hinblick auf die Repräsentationsfunktion der Gewerkschaften 2 *. Er ließe sich verhältnismäßig zwanglos begründen, wenn die Gewerkschaften die Qualität staatlicher Organe hätten, wären sie m. a. W. notwendige Schaltstationen zwischen Bürger und Staatswillensbildung, so wären sie als Institutionen an das Gleichheitsgebot gebunden. Einen ähnlichen Begründungsversuch hat Knöpfte für die politischen Parteien unternommen: Da die Parteien den politischen Willen nicht nur vorformten, sondern so gut wie endgültig festlegten, sei das Verhältnis Bürger—Partei dem Verhältnis Bürger—Staat gleichzusetzen 30 . Ist diese Betonung der Qualität der Parteien als Staatsorgane schon übergroß — die parteiliche Willensbildung ist allenfalls mittelbar die des Staates —, so ist die institutionelle Einbindung der Gewerkschaften noch viel geringer, sie ist partiell, i m Unterschied zu den Parteien zumindest teilweise antagonistisch, noch mittelbarer. Trotzdem sprechen gewichtige Gründe für einen Aufnahmeanspruch. Das Prinzip der Einheitsgewerkschaft m i t dem Anspruch, alle Arbeitnehmer zu vertreten, verlangt auch Offenheit 28 Diese wäre nur bei allgemeiner Aufnahmesperre gefährdet. Die Anm. von K.-H. Seifert zu B G H NJW 1973, 35 = A P Nr. 21 zu Art. 9 G G (DÖV 1973, 461), die die Gewerkschaften darauf verpflichten will, die Zugehörigkeit eines M i t glieds zu einer nichtverfassungsfeindlichen Partei in keiner Weise zu berücksichtigen, kann nicht überzeugen, sie geht vielmehr einseitig vom Schutz der Parteien aus; zur Notwendigkeit einer „politischen Türkontrolle" auch P. Schneider, 35 f. 29 H. Galperin, Vereinsautonomie und Kontrahierungszwang im Koalitionsrecht, DB 1969, 704, 707; H. Henrici, Aufnahmepflicht für Koalitionen, Diss. Köln 1970; M. Löwisch, Die Voraussetzungen der Tariffähigkeit, ZfA (1) 1970, 295, 316 f.; A. v. Stechow, Die Frage des Rechts der Aufnahme in Koalitionen, Diss. Köln 1970; H. Föhr, 162 ff.; zum Konnex von Aufnahmezwang und Legitimation R. Birk, 346, unter Berufung auf H. C. Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920. so F. Knöpfte, Der Zugang zu den politischen Parteien, Der Staat (9) 1970, 321, 342; ähnlich S. Magiera, Der Rechtsanspruch auf Parteibeitritt, D Ö V 1973, 761, 765, 767; R. Wolfrum, Die innerparteiliche demokratische Ordnung nach dem Parteiengesetz, 1974, 156 ff., 160.



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für alle Arbeitnehmer, w i l l es nicht i n sich widersprüchlich sein. Die Beachtung dieser Offenheit ist nur solange i n das Belieben der Gewerkschaft gestellt, als sie nicht aufgrund ihres Anspruchs sich als Repräsentant anbietet und anerkannt wird. Der Staat muß darauf vertrauen können, daß diese Offenheit gewahrt w i r d 3 1 , insbesondere dann, wenn es i h m faktisch nicht möglich ist, andere konkurrierende Gewerkschaften anzuhören oder zu beteiligen. Rechtstechnisch könnte sich diese Offenheit durch einen justiziablen Aufnahmeanspruch durchsetzen lassen, der bei i n der Person des Bewerbers liegenden Gründen nicht gegeben sein dürfte, z.B. bei Querulantentum, begründetem Verdacht verbandsschädigender Absichten etc., der ferner m i t einem Begründungs- und Darlegungszwang der Gewerkschaft verbunden sein müßte 3 2 . Repräsentationschance und Vertretungsanspruch lassen sich angesichts der quasi-monopolartigen Stellung der Einheitsgewerkschaften nur i n einem Aufnahmeanspruch vereinen. Jedoch sind, soweit bekannt, bis jetzt keine ernsthaften Schwierigkeiten auf diesem Sektor aufgetreten 33 . Komplexer noch ist ein „Aufnahmeanspruch" von Gruppen, z. B. bestimmten spezialisierten Berufsgruppen, die für sich allein keine Chance effektiver Vertretung haben. Unter „Aufnahmeanspruch" ist zu verstehen das Recht, sei es kollektiv i n den Verband der Einheitsgewerkschaften, also den DGB, aufgenommen zu werden, was auf einen Anspruch auf Neuabgrenzung der Organisationszuständigkeiten hinausliefe, sei es individuell einer Einzelgewerkschaft beizutreten, i n dieser dann aber entsprechende organisatorische Berücksichtigung zu finden. Der Gedanke der Einheitsgewerkschaft und des Repräsentationsanspruchs sprechen zwar für eine Bejahung eines solchen Anspruchs, jedoch würden sich die Gewerkschaften wehren m i t Argumenten wie 31 ff. Henrici, 116. 32 Dazu im einzelnen ff. Föhr, 165 ff. Zum Unterschied zwischen einem Anspruch aus § 826 BGB und einem, eventuell § 1 Abs. 2 KSchG nachgebildeten, Aufnahmeanspruch unten I I I 4 a. 33 Das gilt heute. Es kann sich aber mit einer grundlegenden Änderung der Arbeitsmarktlage oder der Unternehmensstrukturen wandeln; darüber, was dann sein könnte, E. Mandel, Systemkonforme Gewerkschaften?, G M H 1970, 359 f., 364 ff., der ein Mindestwachstum als Existenzbedingung für die Gewerkschaften ansieht. Probleme können aber auch mit zunehmender Rationalisierung und Steigerung der Anforderungen an die Ausbildung der A r beitnehmer auftauchen, die die gesamte Sozialstruktur umschichten können. Es nimmt nicht wunder, wenn der Akademiker gewerkschaftsbewußt wird, die Gewerkschaften sich aber nur beschränkt auf die ihnen hier zuwachsende Aufgabe einstellen können: Der etablierte Facharbeiter und der alte Gewerkschafter müßten ihr Weltbild auf den Kopf stellen, um die Schutzbedürftigkeit höherer Berufe verstehen und würdigen zu wollen. Vgl. zu diesem Themenkreis auch O. Kahn-Feund, Rechtliche Garantien der innergewerkschaftlichen Demokratie, Festschrift für E. Fraenkel, 1963, 335, 349 f.; siehe auch unten I I I 4.

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drohender Überfremdung, aufoktroyierter Organisationsänderung, den Interessen der vorhandenen Mitglieder usw. 3 4 . Ob die Gewerkschaft ÖTV wohl glücklich wäre, die Fluglotsen en bloc übernehmen zu müssen? Die Abwehrargumente werden sicherlich geringer, wenn ein geregelter Minderheitenschutz i n den Gewerkschaften akzeptiert ist und nicht perhorresziert w i r d als Fraktionsbildung; darüber sogleich. Andererseits ist die Gruppenproblematik eine gewerkschaftsübergreifende, die i n erster Linie auf der Ebene der Spitzenorganisationen anzusiedeln ist. Hier gilt es, Organisationsformen zu finden, die den einzelnen Sachgebieten angemessen sind, man vergleiche die Unterspitzenorganisation der Gewerkschaft Kunst. Der Weg zwischen der Gefahr der Erstarrung der etablierten Gewerkschaften und der Möglichkeit der Weiterentwicklung ist jedoch rechtlicher Regelung kaum zugänglich 35 , auch erscheinen diese Maßnahmen eines vorverlagerten Minderheitenschutzes kaum praktikabel, i m übrigen sind sie ein zweischneidiges Schwert für den Koalitionspluralismus: Einerseits könnte so der schwache Verband stärkere Berücksichtigung erfahren, andererseits ist die Gefahr des Durchschlagens von Ordnungsgesichtspunkten auf Seiten des Staates als „Schlichter" zugunsten einer einheitlichen Bürokratie vermehrt, der er sich nach der Fusion dann gegenübersieht und m i t der er sich einfacher auseinandersetzen zu können erhofft.

Innerhalb der Gewerkschaft w i r d die Einflußmöglichkeit des Einzelnen durch demokratische Willensbildung von unten nach oben gewährleistet. Da alle Gewerkschaften formal demokratisch organisiert sind, ist insoweit der Repräsentation des einzelnen Mitglieds Genüge getan 36 . I n wieweit diese Demokratie den verschiedenen Demokratieauffassungen entspricht, w i r d unten 3 b erörtert. Dagegen hat hier ihren Platz die Frage des Minderheitenschutzes und seiner innergewerkschaftlichen Absicherung. Wenn nämlich der äußere Verbandspluralismus gestört ist, so muß wenigstens der innere funktionieren, u m die Aussagen der Gewerkschaften als repräsentative akzeptieren zu können; dabei kann innergewerkschaftlich nicht auf das 34 Allgemeine Abwägungsgesichtspunkte finden sich bei H. Galperin, Vereinsautonomie, 708. 35 Es gelingt kaum innerhalb des DGB, die Organisationsbereiche so abzustecken, daß Überschneidungen ausgeschlossen sind: Ö T V — H B V ; G H K — DP; D P — Kunst. 36 Siehe oben I 3 b . Die von W. Nitschke, Bemerkungen zur inneren Ordnung der Verbände, D Ö V 1976, 407, 410, aufgestellte Forderung nach einer Änderung des Art. 9 G G ist unter Legitimationsgesichtspunkten — und von solchen geht Nitschke aus — überzogen, da die von Nitschke dargelegten Demokratiedefizite schwerlich als interne Legitimationsdefizite qualifiziert werden können.

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Stimmrecht des einzelnen Mitglieds und die Legitimität der Mehrheitsentscheidungen abschließend verwiesen werden, nachdem die gleiche Gesetzmäßigkeit, die zur Bildung von Verbänden gegenüber dem Staat geführt hat, auch innerhalb von Entscheidungssystemen gelten muß, die bei einer bestimmten Größe mitgliedschaftlich-körperschaftlich organisiert sind 3 7 : Fraktionsbildung ist legitime Vorstufe der Willensbildung, dies u m so mehr, als einerseits die Einheitsgewerkschaft verschiedene Anschauungen, andererseits die Industriegewerkschaft verschiedene Berufsinteressen zusammenfaßt, folglich auch vertreten muß. „ Z u m notwendigen Bestandteil des Einheitsgedankens gehört es, daß die Einheitsgewerkschaft auch die Interessenvertretung der i n i h r vereinigten kleinen Sondergruppen in angemessener und sachgemäßer Weise wahrnimmt." So der Bundesgerichtshof 38 . Das Minderheitenproblem ist nicht aus der L u f t gegriffen, das zeigen nicht nur die an die Öffentlichkeit gedrungenen Auseinandersetzungen zwischen I G DP und der i h r angehörenden Journalistenunion sowie weitere Beispiele der letzten Zeit 3 9 , sondern erweist auch die Betrachtung der zahlenmäßigen Unterlegenheit von Sondergruppen, wie z. B. der Schriftsteller i n der I G DP oder ähnlicher 40 . Man kann sagen, daß m i t zunehmender Differenzierung und Spezialisierung der Arbeit das Problem deutlicher werden w i r d 4 1 . Unter dem Aspekt der Repräsentation, also bei bewußter Zurückstellung gegenläufiger Gesichtspunkte, zeigen sich folgende Ausgestaltungen als wünschenswert: (1) Die Gewerkschaften sehen schon heute Berufsfachgruppen vor 4 2 . Ihre Stellung sollte ausgebaut und gefestigt werden, einige Gewerkschaften zeigen dafür die Richtung 4 3 , detaillierte Vorschriften sind 37 Zu einigen organisationssoziologischen Aspekten unten I I 3 b, zur Verbandsbildung sogleich b. 38 B G H Z 45, 314, 319; aA B A G AP Nr. 2 zu §19 BetrVG, die Verbandsdisziplin betonend; ff. Ridder, Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften im Sozialstaat nach dem G G der Bundesrepublik Deutschland 1960, 19. 89 So z. B. der Übertritt von DAG-Jugendfunktionären zum DGB sowie die häufigen internen Auseinandersetzungen bei GEW; zu den christlichen Arbeitnehmern im DGB W. Hirsch-Weber, 53 ff. 49 1975 waren ca. 2000 Schriftsteller in D P organisiert, die ca. 160 000 M i t glieder hat. Das Problem wird sich verstärken, wenn die arbeitnehmerähnlichen Personen (§ 12 a TVG) sich organisieren wollen. 41 J. K. Galbraith, 270; E. Mandel, 366 f. 42 Oben 13 b; sie sind allerdings nicht sehr differenziert nach verschiedenen Interessenrichtungen, jedenfalls nach den Satzungsregelungen. 43 A. A. die Reformkommission der DPG, Selbstverständnis der Gewerkschaften, G M H 1971, 349, 359, m. E. inkonsequent: Warum soll die Demokratisierung an den Berufsgruppen haltmachen? I m übrigen stellt sich in anderen Organisationszweigen das Ganze wohl anders dar.

2.a) Zur Legitimation der Gewerkschaften

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wegen der verschiedenen Struktur der Gewerkschaften kaum möglich. Jedoch sollten sie zur Errichtung einer Fachgruppe verpflichtet sein, wobei das Quorum der Petenten nicht zu hoch angesetzt werden sollte. Die Fachgruppen sollten weitestgehendes Selbstorganisationsrecht haben 4 4 . Es sollten Koordinierungsausschüsse eingesetzt werden, falls die Mitspracherechte der Fachgruppen nicht mehr anders praktiziert werden können. Die Gruppen sollten einen bestimmten A n t e i l an den M i t gliedsbeiträgen zur selbständigen Verwaltung erhalten. (2) Die Bildung von Gruppen auf Ortsebene sollte unabhängig von Vorstandsentscheidungen möglich sein 45 . (3) Den vorhandenen Gruppen stehen Antragsrechte zu. Diese sollten abgesichert werden 4®. Das Quorum zur Einberufung außerordentlicher Parteitage ist zur Zeit sehr hoch, es sollte herabgesetzt und differenziert werden. Dagegen sind Vetorechte kaum erwägenswert 47 , da die Sperrminorität niedrig angesetzt werden müßte, u m effektiven Schutz zu gewähren, zu niedrig aber, u m die Entscheidungsfähigkeit der Gesamtorganisation zu erhalten. (4) Die Auflösung von gewerkschaftsinternen Gruppen müßte sehr erschwert werden. Die Notwendigkeit gewerkschaftlicher Legitimation w i r k t sich auch auf das Disziplinarrecht aus. Zunächst verschiebt sich der Abwägungsmaßstab der Ausschlußgründe zugunsten des Ausgeschlossenen: Dem Entzug seiner Beteiligungsmöglichkeit müssen gewichtige Gründe der Verbandsdisziplin gegenüberstehen, die nicht i n innergewerkschaftlichem Dissentieren bestehen dürfen. Ferner ist zu erwägen, ob nicht die Gewerkschaft die Darlegungs- und Beweislast für ihre Ausschlußgründe trifft, nachdem die Gewerkschaftsmitgliedschaft als der „Normalfall" angesehen w i r d 4 8 . Verbunden damit ist eine Begründungspflicht der Gewerkschaft selbstverständlich. Die Minderheiten sind nicht nur gegen Ubergriffe des Zentralverbandes unmittelbar zu schützen, wie gerade angedeutet, sondern es muß auch verhindert werden, daß über das Individualdisziplinarrecht 44

Insbes. auch die Möglichkeit eigener Presseveröffentlichungen. Darauf laufen wohl die Vorstellungen der DPG-Reformkommission hinaus, 357 ff. 4 6 Vgl. § 15 Abs. 3 PartG. 47 Höchstens für bestimmte, klar abgegrenzte Fragen in Angelegenheiten der Minderheiten; das könnten wohl nur organisatorische sein. 48 Dies hätte zur Folge, daß die Gewerkschaft die Beweislast trägt, nach dem allgemeinen Grundsatz, nach dem der den Beweis zu führen und zu erbringen hat, der einen Ausnahmetatbestand behauptet; zur Ausgestaltung unten I I I 4 a, b cc. 45

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

apokryph Minderheiten bestraft werden 4 9 , was durch ein möglichst transparentes Disziplinarverfahren geschehen kann, an dem, so könnte man sich denken, Vertreter der Fachgruppen, denen der Auszuschließende angehört, besonders beteiligt sind 5 0 . Daß nach alledem der Staat sich entscheidet, nur solche Verbände als repräsentativ anzuerkennen, die die gezeigten demokratischen Strukturen aufweisen, wäre eine rechtspolitische Konsequenz; ob eine zulässige oder notwendige, w i r d die verfassungsrechtliche Prüfung zeigen.

Einen grundsätzlich anderen Weg zur Lösimg des Legitimationsdefizites der Gewerkschaften wählt H. F. Zacher, einen Weg, der sich den i m folgenden Abschnitt dargestellten Gedankengängen weitestgehend annähert 51 . Zacher w i l l die diversen, von den Gewerkschaften repräsentierten Interessen entflechten und die Gewerkschaften zurückführen zu einer reinen Arbeitnehmerinteressenvertretung; die Gewerkschaften sollen zu reinen Gesellschaftskräften reintegriert werden. Diese „Diversifikation der Repräsentation der Interessen" soll durch eine Vermehrung der institutionalisierten Interessenwahrnehmung erfolgen. Zum einen sollen Arbeitnehmerkammern, die strikt rechtsstaatlich-demokratisch organisiert sind, die allgemeinen Interessen der Arbeitnehmer vertreten. Zum anderen sollen die Arbeitnehmervertreter i n staatlichen Gremien durch U r w a h l aller Arbeitnehmer bestellt werden. Die damit entlasteten Gewerkschaften können ihre Partikularinteressen frei und ohne staatlich auferlegte Bindungen oder Anforderungen an ihre Binnenstruktur geltend machen. Daneben ist es ihnen unbenommen, als Wahlparteien für die Arbeitnehmerkammern und die Wahlen zu den staatlichen Gremien zu fungieren. Die K r i t i k an diesen ausdrücklich als „verfassungspolitisch" bezeichneten Vorschlägen kann an verschiedenen Punkten ansetzen. I m Grundsätzlichen erfolgt sie i m folgenden Abschnitt. Daß diese „Diversifikation" historisch gewachsene Interessenzusammenhänge zu sprengen versucht, ist wohl beabsichtigt, ob sie realisierbar ist, erscheint zweifelhaft. I m übrigen liegt der Sprengstoff dieses Ansatzes i n der Anerkennung der Gewerkschaften als Wahlparteien. Warum sollen 49 So geschehen anscheinend im Streit zwischen D P und den Berliner Journalisten, die eine von der Gewerkschaft nicht gebilligte Sammlung durchführten; zum Zusammenhang von Demokratie, Oligarchisierungstendenzen und Disziplinarmaßnahmen vgl. H. Lenz, Ch. Sasse, Parteiausschluß und Demokratiegebot, JZ 1962, 233 ff., 241. 59 Vgl. das Vorverfahren bei BE, N G G (oben I 3 c ) ; zumindest erscheinen Schiedsgerichte wünschenswert. 5i H. F. Zacher, Gewerkschaften, 729 ff.

2 . ) Zur

egation der Gewerkschaften

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sich die vorgesehenen Wahlen nach anderen Gesetzmäßigkeiten vollziehen als die Wahlen zu den Parlamenten? M. a. W. w i r d auch hier das zunehmende Gewicht der „Parteien" zu den Forderungen führen, die heute an die politischen Parteien gestellt werden. Die Vorschläge verschieben also letztlich das Legitimationsproblem nur, obgleich zuzugeben ist, daß sie eine staatsrechtlich unangreifbare Klärung der Repräsentationsfrage geben. b) Zur Integration der Gewerkschaften in die staatliche Ordnung Die Gewerkschaften sind Interessenverbände, sogar besonders hervorgehobene. Die Schwierigkeiten, die Verbände i n das Staatsgefüge einzubauen, sind allgemein von vielen Autoren dargestellt worden 5 2 : M i t der Notwendigkeit, daß der Einzelne sich verbandsmäßig zusammenschließt, u m seine Interessen i n der sog. Massendemokratie durchzusetzen, strukturiert sich eben diese Massendemokratie und erleichtert den gubernalen Prozeß, w i r d aber auch der Einzelne mediatisiert. M i t ihren Partikularzielen und der Tendenz zur Obligarchisierung gefährden die Verbände die einheitliche Staatsgewalt, deren „Souveränität" 5 3 . Dieser Gefahr für die Gesamtintegration zu begegnen, ist Ziel diverser Pluralismustheorien, die entweder die Verbände an die Zügel legen wollen, u m den Staat i n seiner Ordnungs- und Einheitsfunktion zu erhalten 5 4 , oder aber den Staat als bloße Clearingstelle der Interessen betrachten 55 , möglicherweise ständestaatliche Vorstellungen nähren 5 6 .

52 Übersichten bei Rechtliche Ordnung des Parteiwesens (Bericht der Parteienrechtskommission), 1957, 79 ff.; H. U. Evers, Verbände — Verwaltung — Verfassung, Der Staat (3) 1964, 41 ff.; W. Martens, öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, 159 ff.; N. Diederich, Interessengruppen im politischen Prozeß, N P L 1971, 375; R. Altmann, 211 f.; P. Schneider, 31 ff.; zuletzt wohl von K. H. Biedenkopf, Das Verhältnis von Staat und gesellschaftlichen Gruppen, Festschrift K. Ballerstedt, 1975, 13, insb. 20 ff., 25, und H. heßmann, 120 ff. 63 E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, 11 ff., 129; H. F. Zacher, Gewerkschaften, 724 ff.; R. Steinberg, Die Verbände, 37 ff., und K. H. Biedenkopf, Das Verhältnis, 18 f., zu den positiven Aspekten der Verbandstätigkeit. 64 Zur Offenheit des Pluralismusbegriffs W. Hennis, 31; grundsätzliche Bedenken bei H. Galperin, 36. 65 Vgl. die Gegenüberstellung I. Fetschers, Konkrete Demokratie — heute, Festschrift Otto Brenner, 1967, 377, 381 ff., der Konzepte der formierten Gesellschaft und des freien Interessenmarktes. 56 So wohl das Modell H. J. Wallraffs, Funktionswandel der Gewerkschaften, G M H 1970, 349 ff., das eine Ablösung der übergreifenden Staatsgewalt im Wege zunehmender funktioneller Differenzierung durch verschiedene Arbeitnehmerrepräsentanten entwirft. Ansonsten wird hier gewöhnlich auf das englische Modell der engen Verschränkung von Labour Party und Gewerkschaften hingewiesen als eine Ausprägung syndikalistischer Gedanken Laskischer Prägung.

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

Aus diesen allgemeinen Erwägungen sind eine Reihe rechtspolitischer Vorschläge erwachsen, die auch für ein Koalitionsgesetz von Wichtigkeit sind, wenn sie auch hier nicht i m einzelnen erörtert werden. Es ist erstens der Vorschlag, daß ein allgemeines Verbandsgesetz geschaffen werden sollte, da sich die Verbände zur Zeit i n einem rechtlich ungeordneten Bereich bewegten, daß also die faktische Lage überschaubar rechtlich gefaßt werden sollte 57 . Ferner entspreche das herkömmliche Instrumentarium des Zivilrechts der Typik der Verbandsorganisation nicht, so sei z. B. der zivilrechtliche Begriff des Organs nicht der primär repräsentativen Aufgabe eines Verbandsvorstands angemessen 58 . Daß das BGB die innere Ordnung von Großverbänden nicht regeln kann und als allgemeines Gesetz auch nicht soll, w i r d unten 3 a näher beleuchtet. Davon abgesehen besteht eine Reihe von Bedenken gegen ein allgemein gehaltenes Gesetz. Empirische Anhaltspunkte für die Notwendigkeit gesetzlicher Regelung müßten offengelegt werden. Das Gesetz könnte kaum die notwendigen Differenzierungen zwischen den verschiedenen Arten von Verbänden berücksichtigen 59 , was letztlich gegenüber der jetzigen Rechtslage keinen Fortschritt bedeutete. I m plicite zielt der Vorschlag meist auf einen bestimmten Verbandstyp ab, die Allgemeinheit der Formulierung dient nur der Tarnung 6 0 . Als zweites zu nennen ist die Forderung nach Verbandspublizität, wobei unterschieden w i r d zwischen der Offenlegung der Verbandszugehörigkeit von Wahlbewerbern, der Transparenz der vorparlamentarischen Einflußnahme der Verbände i n Anhörungsverfahren oder i n Gremien und schließlich der Publizitätspflicht der Verbände hinsichtlich ihrer Finanzierung, Zusammensetzung o. ä. 61 . Die beiden erstgenannten 57

Das Verbandsgesetz ist neuerdings wieder zum tagespolitischen Gesprächsstoff geworden. Vgl. zum einen die „Mannheimer Erklärung" der CDU, die in ihren wesentlichen Teilen bei K. ff. Biedenkopf, Das Verhältnis, 15 ff., abgedruckt ist, zum anderen die Einsetzung einer FDP-Kommission zu dieser Frage (siehe F. Nicklisch, Der verbandsrechtliche Aufnahmezwang und die Inhaltskontrolle satzungsmäßiger Aufnahmevoraussetzungen, JZ 1976, 105, 112, Anm. 73), dritterseits den Bericht in ZRP 1975, 169 ff. über den 4. Rechtspolitischen Kongreß der SPD (6.-8.6.1975, Düsseldorf), auf dem nach heftigen Diskussionen ein Verbandsgesetz abgelehnt worden ist; zum Ganzen K. M. Meessen, a.a.O. 58 R. Altmann, 214; Nachweis bei W. Hennis, Demokratisierung, Festschrift Th. Eschenburg, 1971, 68, 71 (FN 7). 59 Abgesehen davon, daß der Verbandsbegriff bei weitem nicht abgeklärt ist, zeigt P. Schlosser passim die Vielfalt bedeutsamer Assoziationen; unten I V zu Unterscheidungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. 60 So jedenfalls argwöhnen die Gewerkschaften (J. Lehlbach, Staat, Parteien und Gewerkschaften, G M H 1972, 265, 271). R. Hensel, Mehr Transparenz für Verbandsabgeordnete, ZRP 1974, 177; ff. Lemke, Über die Verbände und ihre Sozialpflichtigkeit, D Ö V 1975, 253, 255; ff. Galperin, 40; Parteienrechtskommission, 86.

2 . ) Zur

egation der Gewerkschaften

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Komplexe interessieren hier nicht, sie gehören zum organisatorischen Teil des Staatsrechts. Der dritte Teilbereich ist weiter aufzugliedern, und zwar danach, wem die Publizität dienen soll. Sofern innerverbandliche Öffentlichkeit gefordert wird, ist dies Teil der Frage nach der demokratischen Struktur der Vereinigung, die für verschiedene Gruppen ganz verschieden beantwortet werden kann 6 2 ; soweit davon die Anerkennung als repräsentative Vertretung abhängt, bedarf es keiner generellen Regelung 63 ; soweit Transparenz zugunsten der „Öffentlichkeit" gefordert w i r d 6 4 , so könnte ihr — unterstellt, diese Kategorie besteht — ein Informationsrecht zukommen, wie es besteht gegenüber den politischen Parteien. Da jedoch die Verbände nicht primär u m ein allgemeines politisches Mandat ringen, sondern offen Partikularinteressen vertreten, wenn auch m i t allgemeinpolitischem Durchsetzungsanspruch, verfälscht eine verborgene finanzielle Abhängigkeit nicht das Erscheinungsbild 65 ; der Anspruch, über den Kreis der M i t glieder hinaus Interessen zu vertreten, ändert daran nichts, solange sich das Verbandshandeln an spezifischen Mitgliederinteressen orientiert 6 6 . Warum darüber hinaus Verbandsvermögen generell publikationspflichtig sein soll, ist nicht einsichtig: Soweit es geeignet ist, die Glaubwürdigkeit eines Verbandes zu beeinträchtigen, bleibt es dem konkurrierenden Verband unbenommen, darauf hinzuweisen 67 . Drittens ist hinzuweisen auf den Wunsch nach öffentlich-rechtlicher Institutionalisierung der Verbände, z. B. i n einem Bundeswirtschaftsrat. Dieser Wunsch kann bei näherer Betrachtung keinen anderen Fall 62 Differenzierend auch W. Martens, 167 f.; je homogener ein Verband, desto weniger gilt das Öffentlichkeitsgebot, dsgl. je klarer das Verbandsziel definiert ist (dazu unten I I I 3 c). 63 A. A. G. Drewes, 236, der eine punktuelle Uberprüfung nicht für ausreichend hält. 64 H. Galperin, 40; diese Forderung kann sich auch auf die Schaffung eines Wirtschafts- und Sozialrates erstrecken, R. Steinberg, Zur Institutionalisierung, 842. 65 Erst, wenn die Verbände öffentliche Mittel erhalten (vgl. G. Leminsky, 199), die nicht zweckgebunden für Betriebsräteschulung o. ä. sind, greift das rechtspolitische Ziel durch. 66 Trotz aller Entfremdung der Gewerkschaftsführung von der Basis hat sich nichts daran geändert, daß die Gewerkschaften unter dauerndem Erfolgszwang stehen, mehr noch als die Parteien (W. Müller-Jentsch, 231), im Gegenteil, das Verständnis der Gewerkschaften als anonymer Dienstleistungsbetrieb und der Mangel an Solidaritätsgefühl erleichtern den Entschluß, den Mitgliedsbeitrag zu sparen. Vgl. die Nachw. bei R. Steinberg, Koalitionsfreiheit und tarifliche Differenzierungsklauseln, RdA 1975, 99, 103 ff. — I m übrigen ist zu betonen, daß die Gewerkschaften keinesfalls die Absicht haben, sich formal zu Parteien aufzuschwingen. 67 Ebenfalls auf die Therapie durch die gesellschaftlichen Kräfte baut W. Martens, 167; heute ist trotz Gegnerfreiheit die personelle Verflechtung der Managementebene so groß, daß allenfalls taktische Geheimnisse gehütet werden können.

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

als den Bundeswirtschaftsrat benennen, er spiegelt lediglich das Bestreben nach einer bestimmten Methode der Integrierung der Koalitionen wider 6 8 .

Eine rechtspolitische Betrachtung der Gewerkschaften als Verbände hat an ihrer Entwicklung und Sonderstellung anzuknüpfen. I n der Literatur w i r d von einem „Funktionswandel der Gewerkschaften" gesprochen 69 . Man ist sich i m wesentlichen i n folgendem Ausgangspunkt einig 7 0 : Der jetzige Status der Gewerkschaften hängt m i t dem Wandel der Aufgaben des Staates zusammen, der gegenüber den i m 19. Jahrhundert herrschenden Vorstellungen eine umfassende Kompetenz und damit Verantwortung auf nahezu allen Gebieten der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik innehat. Folge ist eine Politisierung der Zuständigkeitsbereiche der Gewerkschaften 71 , die sich durch eine zunehmende Verschränkung der ursprünglich getrennten 72 Bereiche des Privaten und des öffentlichen auszeichnet. Die Gewerkschaften entstanden i n Konsequenz der Behandlung der menschlichen Arbeitskraft als Ware i n der Privatwirtschaftsordnung, um durch Kartellierung der Ware Arbeit sowie durch solidarische Hilfe den Kampf u m die Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen führen zu können, also durchweg dieser Wirtschaftsordnung verhaftet 68 R. Steinberg, Zur Institutionalisierung, passim; H. Leßmann, 302ff.; hingewiesen sei auch auf H.-D. Heidelmann, Zur Institutionalisierung eines zentralen Wirtschafts- und Sozialrates in der Bundesrepublik Deutschland, Diss. Göttingen, 1975; zur Kritik daran auch W. Hennis a.a.O.; E. Benda, 213; skeptisch auch H. Donner, Parlamentsreform durch einen Bundeswirtschaftsund Sozialrat?, DVB1. 1974, 183. 69 Eine Literaturstudie dazu gibt E. Mayer in ihrem so betitelten Buch; dieser Wandel geht nach H. Galperin so weit, daß er sich von einer Mutation zu sprechen genötigt sieht (ebd. 38). Die Summe der mit diesem Begriff verbundenen Assoziationen wird in dem diesem Thema gewidmeten Heft 5/1975 der G M H (266-283) deutlich, wo Beiträge von R. Augstein, I. Fetscher, U. Jaeggi, B. Lutz, O. v. Nell-Breuning, G. Picht das Spektrum aufzeigen. 70 Die folgende Skizze w i l l nicht historisch sein, sondern eine phänomenologische Zusammenfassung. Die resultierende Vergröberung muß in Kauf genommen werden. 71 H. P. Bahrdt, Gewerkschaften in einer Gesellschaft des Übergangs, Festschrift Otto Brenner, 1967, 33 ff., 42; vgl. auch F. Vilmar, Strategien der Demokratisierung, B a n d l , 1973, 323 ff., 327; W. Thiele, Politische Betätigung der Gewerkschaften, BB 1973, 1 ff., faßt den Begriff des Politischen viel enger als hier, kommt so zu einer Verneinung politischer Funktionen der Gewerkschaften. 72 Die marxistische Betrachtung des Staats als idealen Kapitalisten mit ihren Varianten kann hier ausgeklammert bleiben; unstreitig ist jedenfalls die allmähliche Osmose der zumindest als getrennt gedachten und behandelten Teile Staat — Gesellschaft, W. Weber, Die Sozialpartner in der Verfassungsordnung, Gött. Festschrift für das O L G Celle, 1961, 239 ff., 260.

2 . ) Zur

egation der Gewerkschaften

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und m i t i h r gemäßen Mitteln. I m Prozeß der Durchsetzung der bürgerlichen Egalitäts- und Demokratieideale und ihrer Erweiterung auf alle Volksschichten einerseits, i m Gefolge der Vermassung und Verelendung andererseits übernimmt der Staat 7 3 die Aufgaben des Arbeitnehmerschutzes und der sozialen Sicherung. Der entscheidende zweite Schritt ist der der Übernahme der Verantwortung für die Steuerung der Gesamtwirtschaft durch den Staat unter Benutzung makroökonomischer Betrachtungsweisen und der Instrumente der K o n j u n k t u r und Wachstumspolitik 74 , man kann ihn den zur vollentwickelten I n dustriegesellschaft nennen 7 5 oder vom organisierten Kapitalismus reden 7 6 . Die Folgen sind mannigfach: Das Ordnungsziel des Staates hat sich gewandelt, es ist nicht mehr die klar definierte, einzig abwehrende und sichernde Erhaltung der bürgerlichen Seinsbedingungen, sondern ein an sich offenes Abwägen wirtschaftlichen Gedeihens u n d sozialer Sicherung unter Vermehrung des Wohlstands 77 . Hier kann man richtig, sofern nicht pejorativ, von einem Autoritätsvakuum sprechen, i n das die Verbände hineinstoßen 78 , u m dieses labile Gleichgewicht der Zielsetzungen zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Dieser Einfluß w i r d damit aber zu einem notwendigen Integrationsfaktor. Ferner hat sich das staatliche Instrumentarium wandeln müssen h i n zur Leistungsverwaltung, zu flexiblen Maßnahmen einerseits, zu Leitlinien setzender Planung andererseits, weg vom generell-abstrakten Eingriffsgesetz, dem Charakteristikum der liberalen Wirtschaftsordnung. Diese Maßnahmen bedürfen der Information seitens und der M i t w i r k u n g der Wirtschaftssubjekte, welche nur i n ihren Organisationen artikulationsfähig sind. 73 Das Vorhandensein anderer Motive soll nicht bestritten sein, es kommt hier jedoch auf sie nicht wesentlich an. Für E. Forsthoff beginnt an diesem Punkt die Ablösung der sozialen Realisation durch die technische (30 ff.). 74 Zu den Komponenten H. H. Hollmann, Rechtsschranken der Globalsteuerung, DB 1973, 1633, 1685. 75 So E. Forsthoff passim; siehe auch den Literaturbericht von H. Grebing, Interdependenzen von Staat und Wirtschaft i m Kapitalismus als Problem reformstrategischer Überlegungen, G M H 1972, 789 ff. 76 E. Mayer, 111 ff.; W. Weber, 285, spricht von der Verwirtschaftlichung der Politik; zu den Schwierigkeiten mit dem Begriff des Spätkapitalismus J. Habermas, Legitimationsprobleme i m Spätkapitalismus, 1973, 9 ff. 77 E. Forsthoff, 159: „Damit hat der Staat an Evidenz verloren." Vgl. § 1 StabG, dessen Justiziabilität von allen Kritikern angezweifelt und der deshalb als Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit angesehen wird. Damit wird aber auch der Gemeinwohlbegriff seiner Fixierbarkeit entkleidet; das, was wohl schon immer mitgedacht war, nämlich ein bestimmtes politisches Programm, wird nun für ein Gemeinwohlverständnis schlechthin konstituierend, er steht, wird er nicht mit einer anderen, deutlich erkennbaren politischen Note versehen, für das konkrete Ordnungsdenken C. Schmittscher Provenienz oder die affirmative Verabsolutierung staatlicher Dezision im engen Sinn. 78 w. Weber, 258.

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

Daß diese unbesetzten Beteiligungskompetenzen den Gewerkschaften i m weiten Umfang zugeflossen sind, erscheint selbstverständlich, da sie seit jeher als Promoter des Wohlstands der breiten Masse und — anscheinend oder scheinbar — m i t ihnen zuzuschreibendem Erfolg aufgetreten sind sowie die erforderliche Organisation und Ideologie anbieten konnten 7 9 . I n dem Moment, i n dem der Staat es i n seine Verantwortung genommen hat, für die Bedingungen des Wohlstands zu sorgen, darunter auch für die Vollbeschäftigung der Arbeitnehmer, entstehen die Widersprüche, denen die Gewerkschaften heute ausgesetzt sind. Denn einerseits müßte aus der Anerkennung der privaten Natur der Arbeitsverhältnisse folgen, daß die Autonomie, sie festzulegen, umfassend ist, andererseits würde es dem Prinzip staatlicher Verantwortung für die Globalsteuerung der Wirtschaft widersprechen, einen volkswirtschaftlich so bedeutenden Posten wie die Kosten der Arbeitskraft bzw. die Arbeitseinkommen privater Beliebigkeit zu überlassen. Daraus resultieren die Forderungen nach einer Gemeinwohlbindung der Gewerkschaften, weitergehend nach ihrer anderweitigen, meist institutionellen Einbindung i n den staatlichen Entscheidungsapparat. Die Realisierung derartiger Forderungen stellte die Gewerkschaften zwischen zwei Fronten: das Gemeinwohl und die Wünsche ihrer Mitgliederbasis. Den Gewerkschaften käme dann eine Puffer- und Filterfunktion zu, wie sie heute schon angelegt ist i m Verbot der wilden Streiks, demzufolge es Aufgabe der Gewerkschaften ist, unverbandsmäßige, m i t h i n nicht kalkulierbare und steuerbare Arbeitskämpfe zu verhindern, oder i n der konzertierten Aktion. Man kann die erwähnte Autonomie aber auch unter umgekehrtem Aspekt betrachten, nämlich unter Akzeptierung einer A r t von gemeinwohlvordefinierender Prärogative der Koalitionen i m Wirtschaftsbereich: Danach sind zwar m i t der staatlichen Gesamtverantwortung für die Wirtschaft die Funktionen, die den Koalitionen zur autonomen Verwaltung überlassen sind, politisiert worden, also i m weitesten Sinn i n den Bereich des öffentlichen Interesses gehoben, dies führt aber nicht zu einer Kontrolle staatlicherseits, sondern zu einem Bereich eigenverantwortlicher Entscheidung der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, einem partiell politischen Mandat, nämlich dem, i n eigener Verantwortung mit dem Koalitionsgegner einen Aspekt des Gemeinwohls abschließend zu definieren 80 . Auch hier, die Realisie79

H. P. Bahr dt, 46 f., spricht von „Ankristallisation". Dieser Gedanke findet sich vor allem in weiten Mitbestimmungskonzepten, vgl. die Übersicht bei H. Limmer, Die deutsche Gewerkschaftsbewegung, 1971, 138 ff. Die These E. Mayers, daß auch dieser pluralistische Ansatz im Krisenfall staatliche Intervention akzeptieren müsse (49 f.), geht wohl fehl, weil E. Mayer — trotz Leugnung eines Gemeinwohls — davon ausgeht, daß im Krisenfall gerade das staatlicherseits behauptete Gemeinwohl 80

2 . ) Zur

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rung dieser Ordnungsvorstellung fingiert, tut sich ein Widerspruch auf, sind doch die wirtschaftlichen Entscheidungen engstens verknüpft m i t allen anderen Bereichen des Politischen: Soll sich das gewerkschaftliche Mandat dann auch auf diese Gebiete erstrecken, wenn sie letztlich wieder die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen beeinflussen? Oder anders gefragt: Unterstellt, den Gewerkschaften w i r d kraft ihres demokratischen Potentials ein beschränktes politisches Mandat eingeräumt, wie soll dann ihre Stellung gegenüber den klassischen Entscheidungsträgern abgegrenzt werden? Beide Versuche, den Widerspruch zwischen Gesamtinteresse und Arbeitnehmerinteresse aufzuheben, der erste pessimistisch hinsichtlich der gesamtwirtschaftlichen „Vernunft" nichtstaatlicher Entscheidungsträger, der zweite optimistischer, lösen i h n i n Wirklichkeit nicht, sondern verlagern ihn nur, könnte man fortfahren. Er ist auch gar nicht lösbar, da sich das sog. Gemeinwohl nie m i t den Arbeitnehmerinteressen deckt, wenn unter letzteren nicht nur die Erhaltung des sozialen Besitzstandes i m Verhältnis zur Wertschöpfung der Wirtschaft verstanden w i r d 8 1 , sondern eine Erweiterung des Arbeitnehmeranteils, da i n der Situation des dynamischen Gleichgewichts der Gesamtwirtschaft Gewinne der Arbeitnehmer — selbstverständlich mittelbar auch solcher i m öffentlichen Dienst — immer zu Lasten der Kapitalseite gehen würden, was i m nächsten Schritt sich gegen die Arbeitnehmer kehrte. Daraus folgt, daß das Gemeinwohl zunächst immer das Interesse der Unternehmens- und Kapitalseite begünstigt, die Gewerkschaften m i t hin immer gegen die ihnen vorgehaltene Grenze angehen müssen 82 . Da aber die beiden sozialen Gegenspieler daran interessiert sind, daß die Gewerkschaften ihre Befriedungs- und Kontrollfunktion 8 3 gegensich durchsetzen werde können, was zweifelhaft ist: Der Ausnahmefall ist doch gerade der der faktischen Macht; der mißverständliche Ausdruck E. Forsthoffs (125), wonach Loyalität eine Sache der normalen Zeit sei, weist richtig darauf hin, daß der Ausnahmezustand ein Fall der Dezision und der Fähigkeit, sie durchzusetzen, sei. 81 Vgl. E. Mayer, 119. 82 Zu den Grenzen der Lohnpolitik E. G. Vetter, Gewerkschaften und Wirtschaftsordnung, Ordo 1972, 330 ff., 337 ff.; A. Rauscher, 515 ff.; ganz ähnlich, jedoch mit der Folgerung, daß den Gewerkschaften bei nachlassendem Wirtschaftswachstum nur eine Konfliktstrategie übrigbleibt, W. Müller-Jentsch, 233, 236 ff. Es sind aber auch andere Folgen für die Gewerkschaftspolitik denkbar. So w i l l U. Steger, Gewerkschaften und Wirtschaftsplanung, G M H 1975, 230 f., die faktische Einschränkung der Tarifautonomie ersetzt sehen durch eine Beteiligung der Gewerkschaften an der Wirtschaftsplanung; in ähnlicher Richtung J. Münstermann, K. Schacht, L. Unterseher, Handlungsfelder der Gewerkschaften, G M H 1975, 329 ff. — Dem entspricht die Beobachtung, daß die Gewerkschaften immer als aggressiver Teil im Sozialgeschehen auftreten (sc. müssen). 83 Von deren Erfüllung hängt die Verwirklichung der Institutionalisierung des „Klassenkampfes" — einem sowohl von sog. Linken wie Rechten benützten Kürzel — ab.

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

über den Arbeitnehmern durchführen können, kann es leicht zu einer Einigung der Gewerkschaften und Unternehmer kommen, die inflatorische Scheingewinne verteilt, einer Einigung, die unbestreitbar zu Lasten des Staatsganzen wie der Konsumenten geht 8 4 . Von diesem Punkt aus läßt sich einerseits die Gemeinwohlbindung nochmals rechtfertigen 8 5 , andererseits auch trefflich für eine Aufhebung der Widersprüche des organisierten Kapitalismus plädieren, eine Betrachtung, die die Gewerkschaften möglichst bar jeder Bindung als „Opposition aus Prinzip" 8 6 installieren möchte.

Vor diesem Hintergrund sind die zwei grundsätzlichen Versuche zu sehen, m i t dem Problem der Integration der Gewerkschaften i n den Staat fertig zu werden. Der eine ließe sich überschreiben m i t „Gewerkschaftlicher Gemeinwohlbindung

Status und

Die Forderung der Gemeinwohlbindung der Gewerkschaften 87 bezieht sich primär auf eine inhaltliche Bindung der Tarifautonomie und der Streikberechtigung. Der ordnungspolitische Gehalt dieser Forderung könnte sich darüber hinaus niederschlagen i n einem Verbot an den Staat, den Gewerkschaften weitere Repräsentationsfunktionen zukommen zu lassen, bzw. sogar i n einem Gebot, den gegenwärtigen öffentlichen Status abzubauen 88 . Eigentümlicherweise w i r d diese Konsequenz zwar gesehen, jedoch — resignierend — für nicht gangbar gehalten. Zwar hält man den öffentlichen Status für gegeben und nicht zurück84 Besonders klar gezeigt von G. A. Bulla, Soziale Verantwortung der Sozialpartner als Rechtsprinzip, Festschrift H. C. Nipperdey I I , 1965, 79 ff., 84; vgl. auch H. Rasch, Die „Konzertierte Aktion", BB 1972, 1149, 1151; Ch. Watrin, Geldwertstabilität, Konzertierte Aktion und autonome Gruppen, in: Konzertierte Aktion, 1971, hrsg. v. E. Hoppmann, 201 ff.; E. Mayer, 127. 85 G. A. Bulla, ebd.; E. G. Vetter, 3431; die Versuche, die in der konzertierten Aktion verkündeten Daten als rechtsverbindlich zu begreifen, hat sich dem zum Trotz nicht durchgesetzt. 86 Übersicht bei E. Mayer, 104 ff. 87 E. Benda, passim, insb. 217-221, der die institutionelle Seite der Unterordnung betont; G. A. Bulla, 93; O. Nell-Breuning, 148; weitere Autoren bei H. C. Nipperdey, F.-J. Säcker, Berufsverbände I, unter I V 2; für Verbände allgemein H. Lemke, 255; zur Sicht der Gewerkschaften H.-J. Menzel, Zur Bindung gewerkschaftlicher Tarifpolitik an Gemeinwohl und gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht, G M H 1976, 134. 88 i n dieser Richtung W. Weber, 249 f., mit seiner einengenden Betrachtung des Schutzbereiches von Art. 9 Abs. 3 GG, H. H. Rupp, 18, mit seiner Warnung vor dem Modell der konzertierten Aktion, ferner H. F. Zacher, Gewerkschaften, 729 ff., sowie H. Rasch, Sind Streik und Streikandrohung noch zeitgemäß?, ZRP 1976, 181, der, gestützt auf das Jahresgutachten des Sachverständigenrates 1975 eine staatliche Schlichtung fordert.

2 . ) Zur

egation der Gewerkschaften

97

drängbar 8 9 , jedoch glaubt man durch eine Einbindung der Träger dieses Status dem Ziel der Einheit staatlicher Willensbildung wieder nahezukommen 90 . Denkbar bleibt die Kodifizierung einer allgemeinen Gemeinwohlklausel 9 1 . Soweit rechtspolitische Erwägungen die Stellung der gewerkschaftlichen Vertreter i n staatlichen Gremien betreffen 92 , so gehören diese nicht zum Bereich des Koalitionsgesetzes, sondern zu den jeweiligen Spezialregelungen wie den Selbstverwaltungsgesetzen, Rundfunkgesetzen etc. Konkrete rechtspolitische Ansätze sind entwickelt worden zum Schutz des Tarifvertragssystems. Der freie Ausgleich von Arbeitgeberund Arbeitnehmerinteressen bietet nur solange eine Gewähr für die Richtigkeit und Stabilität der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, solange sich die gegenläufigen Interessen frei zu einem Kompromiß einpendeln können. Dazu ist eine gewisse Parität der Sozialpartner erforderlich. Diese w i r d durch die vielfältige Einbeziehung der Gewerkschaften i n alle Bereiche der Wirtschaft gefährdet. Von daher erklären sich die Forderungen nach einem Verbot privatwirtschaftlicher Betätigung der Gewerkschaften, nach Inkompatibilitätsvorschriften bei Tarifverhandlungen i m öffentlichen Dienst, etc. 93 , sowie die Warnungen vor einer qualifizierten Mitbestimmung i n den Unternehmen, die die für ein funktionierendes Tarifwesen erforderliche Gegenpositionalität gefährde* 4 . Der Stellenwert dieser Forderungen i m Gesamtzusammenhang w i r d i m folgenden mitbehandelt. Spezifisch verbandsrechtliche Vorstellungen, die der Gemeinwohlverpflichtung der Gewerkschaften entsprächen, sind rar 9 5 . Meist begnügen sich deren Vertreter damit, i n letzter Konsequenz m i t dem Anders jetzt H. F. Zacher und H. Rasch, ebd. 90 H. Galperin, 38; skeptisch E. Benda, 221; nur im äußersten Notstand („akuten") wollen A. Hueck, H. C. Nipperdey, 47, eine Zwangsschlichtung akzeptieren, eine Meinung, die vor der Einführung von Art. 9 Abs. 3 S. 4 G G geäußert wurde. 91 Wohl ein zweifelhaftes Unternehmen; richtig im Ausgangspunkt H. H. Rupp (14): „Was berechtigt also den Staat — so stellt sich die verfassungsrechtliche Frage — dazu, den Gemeinwohlauftrag aus dem verfassungsrechtlichen Legitimations- und Bindungszusammenhang zu entlassen und einem außerhalb dieses Bindungssystems befindlichen und hinsichtlich seiner demokratischen Legitimation überaus bedenklichen Kondominium der Verbände zu überantworten?" »2 Ausführlich G. Drewes, 240 ff. 93 Neuerdings v. a. für Streiks im öffentlichen Dienst problematisiert, vgl. P. Hanau, Streiks i m öffentlichen Dienst, ZRP 1974, 114. 94 Zusammenfassung unten I I I 3 e. 95 Selbst H. Galperin, 38 ff., spricht mehr über das „daß" als das „wie"; vgl. G. Drewes, 231 ff.; deutlich nur H. F. Zacher, Gewerkschaften, 729 ff. 7 Gerhardt

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

Gewerkschaftsgesetz zu drohen 9 6 ; insbesondere die Befürworter der sog. „formierten Gesellschaft" gingen kaum über die Formulierung allgemeiner politischer Thesen hinaus 97 . K l a r ist jedoch das rechtspolitische Ziel einer staatlichen Beaufsichtigung der Gewerkschaften, die der wie immer ausgestalteten Überwachung des Tarifwesens an die Seite gestellt wird. Dazu bieten sich verschiedene Strategien an, die nur zum Teil miteinander kombinierbar sind: — Man formuliert ein Koalitionsgesetz m i t bestimmten Anforderungen an die Koalitionen und überwacht deren Einhaltung durch staatliche Aufsichtsbehörden; denkbar wären ein Registrierungszwang 98 , die Einstufung als öffentlich-rechtliche Körperschaft 99 , Anforderungen an die Willensbildung und Klarlegung der körperschaftlichen S t r u k t u r 1 0 0 , Fixierung der Mitgliederrechte 1 0 1 o. ä.; die Aufsicht könnte analog zu vorhandenen Selbstverwaltungskörperschaften konstruiert werden, evtl. auch den Gerichten zugewiesen werden. — Man n i m m t weiterhin die Gewerkschaften i n den staatlichen Entscheidungsprozeß herein, verpflichtet sie aber zur Einhaltung der dort gefundenen Ergebnisse 102 . — Man stärkt die Einflußmöglichkeit und Unabhängigkeit der Gewerkschaftsmitglieder unter gleichzeitiger Verstärkung der innerverbandlichen Demokratie und staatsbürgerlichen Ausbildung des Einzelnen i m Hinblick auf demokratische Tugenden und Staatsgefühl, andererseits durch die Schaffung quasi konkurrierender Arbeitnehmerkammern 1 0 3 . »6 E. Benda, 245; W. Weber, 249, 250. Nachweise bei P. v. Schubert, Antigewerkschaftliches Denken in der Bundesrepublik Deutschland, 1967, 85 ff. 08 G. Drewes, 234 ff. 99 Daß dies ein taugliches Mittel wäre, bezweifelt R. Altmann, 219, meist wird es aus verfassungsrechtlichen Gründen abgelehnt, H. Galperin, 35. i " H. Galperin, 39 - 41. 101 Vgl. F.-J. Säcker, Grundprobleme, 88 ff. (zu dessen rechtspolitischen Absichten schon in der Einleitung). 102. Dazu die Diskussion zum StabG, K. H. Biedenkopf, Rechtsfragen, 1006; H. H. Hollmann, 1685. los Zur geistigen Selbstdarstellung des Staates: E. Forsthoff, 51 ff. Zu den Arbeitnehmerkammern: H. Galperin, 33; H. F. Zacher, 13 ff. (kritisch besprochen von G.-W. Lindner, AuR 1975, 48); D. Mronz, 35 ff.; es erstaunt, mit welcher Leichtigkeit der Konflikt mit dem Tätigkeitsbereich der Gewerkschaften für verfassungsrechtlich irrelevant angesehen wird (H. F. Zacher, 30 ff.; P. Mronz, 282 ff.); darauf wird bei den Grenzen von Art. 9 Abs. 3 G G zurückzukommen sein, hier sei nur auf das politische Bewußtsein verwiesen, das gipfelt in den Worten von P. Mronz (284): „So bleibt zu wünschen übrig, daß sich in Gewerkschaftskreisen die Erkenntnis von der epochalen Chance durchsetzte, welche ein bundesweites System von Arbeitnehmerkammern eröffnet. Die Abwälzung belastender Annexfunktionen auf den Staat bietet den Koalitionen die Gewähr nicht nur präzisierter Selbstdarstellung als unersetzbare Interessen- und Kampfinstrumente der Arbeitnehmerschaft, sondern auch wirksamer Abwehr staatlicher Indienstnahmebestrebungen zu 97

2.b) Zur Integration der Gewerkschaften

99

D i e Neigung zu den beiden erstgenannten Strategien ist bei w e i t e m g r ö ß e r als z u r d r i t t e n . D a s z e n t r a l e P r o b l e m dieser S t r a t e g i e n ist, daß m a n d i e Q u a l i t ä t d e r G e w e r k s c h a f t e n als v o r s t a a t l i c h e r O r d n u n g s f a k t o r e n e r h a l t e n w i l l , andererseits aber das antagonistische E l e m e n t 1 0 4 , das d i e G e w e r k schaften z u dieser O r d n u n g s f u n k t i o n b e f ä h i g t , n ä m l i c h d e n Z w a n g z u r S o l i d a r i t ä t d e r A r b e i t n e h m e r , d e r sich e r g i b t aus d e m S e l b s t v e r s t ä n d n i s d e r A r b e i t n e h m e r als u n t e r p r i v i l e g i e r t u n d d a m i t — i d e o l o g i s c h 1 0 6 — als z u m K a m p f u m bessere A r b e i t s b e d i n g u n g e n i m w e i t e s t e n S i n n legitimiert, unterdrücken w i l l . I n anderen W o r t e n : E i n Z u v i e l an staatl i c h e r I n t e g r a t i o n d e r G e w e r k s c h a f t e n w i r d i h r e F ä h i g k e i t zerstören, z u r B e f r i e d u n g der A r b e i t s o r d n u n g b e i z u t r a g e n , es sei denn, es g e l i n g t , die Vorstellungen v o n der Ungleichheit der Verteilung der materiellen G ü t e r i n d e r A r b e i t n e h m e r s c h a f t z u b e s e i t i g e n 1 0 6 oder eine v ö l l i g e U m w e r t u n g der G e w e r k s c h a f t s f u n k t i o n e n i m B e w u ß t s e i n d e r A r b e i t n e h m e r s c h a f t 1 0 7 u n d der A l l g e m e i n h e i t z u e r z i e l e n 1 0 8 . A n d e n B e i s p i e l e n Zwecken der Daseinsvorsorge. Solche vorausschauende Konzentration wird Früchte im Mitgliederbestand der Gewerkschaften, in einer effizienten, weil klar abgegrenzten Doppelvertretung der Arbeitnehmer und in der Eröffnung gedeihlicher Zusammenarbeit zwischen beiden Exponenten der Arbeitnehmerrepräsentation tragen." 104 Hier setzt eine der interessantesten Begründungen für eine staatliche Steuerung der Gewerkschaften an: G. Briefs, 558, meint, weil das Element der Unsicherheit im Kampf geschwunden ist, indem die wesentlichen Gewerkschaftsverantwortungen dem Staat oder den Betrieben überlastet sind, kann die Gewerkschaft als von der Volkswirtschaft unabhängige Variable sich ideologischen Zielen widmen, was angesichts ihrer faktischen Macht ihre Gefährlichkeit begründet. M. a. W.: Ein Fehlschlagen gewerkschaftlicher Politik wird in den Augen der Arbeitnehmer dem Staat anzulasten sein, nicht aber den Gewerkschaften. — Warum soll dann aber bei Eintritt eines solchen Falles das Gewerkschaftsmitglied noch in der Gewerkschaft bleiben, den Arbeitsplatz kann sie ihm nicht gewährleisten? W. Müller-Jentsch, 236 f., sieht die Lösung des Dilemmas zwischen diesen beiden Entwicklungsmöglichkeiten in einer Strategie des kalkulierten Streiks, der aber natürlich Grenzen hat, es sei denn, er wirkt systemüberwindend. 105 „Ideologisch" hier im Sinn von klassenintegrativ durch Benützung von Istaussagen anstelle der gebotenen Sollaussagen. Die integrierende Wirkung von Kampfsituationen betont O. Kahn-Freund, 338 f.; R. Steinberg, Die Verbände, 38, weist auf die Angewiesenheit von Interessenverbänden auf ihren Forderungscharakter und die Anerkennung derselben durch den Staat hin. 106 vgl. E. Mayer, 51 ff., 111 ff., 128, 130; die hier angesprochenen Möglichkeiten sind bewußt stark vereinfacht, werden als Grenzfälle benützt. 107 So w i l l J. Seifert, 90, der entstehenden Entfremdung der Mitglieder dadurch begegnen, daß sich die Gewerkschaft durch Wohlverhalten bei der Regierung „Vetorechte" erkauft. 108 Schwer zu beurteilen ist die Stellung der Gewerkschaften in der Meinung der Allgemeinheit; die meisten Image-Analysen stellen auf die Arbeiter ab; vgl. aber S. G. Papcke, Proletarische Spontaneität oder gewerkschaftliche Disziplin, in: Anpassung oder Widerstand?, hrsg. S. G. Papcke, 1969,11 ff., 37 ff., auch zur Begriffswelt der „Partnerschaft"; vgl. H. J. Sperling, Einige neuere Forschungsansätze und -ergebnisse zum Arbeiterbewußtsein, G M H 1973, 468.

7*

100

I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

der wilden Streiks 1969 und 1973 wurde dieses Dilemma der Gewerkschaften von verschiedensten Seiten deutlich gemacht 100 . Angenommen, es gelänge der staatlichen Autorität, die Gewerkschaften für eine bestimmte Zeit auf bestimmte Lohnquoten zu verpflichten. Aufgabe der Gewerkschaften wäre dann nur noch, diese bei Tarifverhandlungen unter die Arbeitnehmer zu verteilen. Für diesen Fall w i r d offensichtlich, daß die vorhandenen Interessenkonflikte i n die Gewerkschaften hinein verlagert worden sind: Die Diskrepanz zwischen Arbeitnehmerinteresse und dem Ziel steten Wirtschaftswachstums, zwischen für die Arbeitnehmer ungünstiger Einkommenverteilung und Prosperitätsinflation muß innerhalb der Gewerkschaften zum Gleichklang gebracht werden. Das muß auch das Koalitionsgesetz berücksichtigen. Denn eine echte demokratische Willensbildung könnte die Durchsetzung der Lohnquoten gefährden, wenn die Gewerkschaftsspitze sich nicht mehr durchzusetzen vermag. Eine quasidemokratische Struktur der Gewerkschaften, die auf der einen Seite die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Funktionäre erhält, auf der anderen Seite den Mitgliedern das Gefühl gibt, ihre Interessen würden berücksichtigt, wäre eine erfolgversprechende Lösung 1 1 0 , die obendrein dem behaupteten organisationssoziologischen Gesetz von der Oligarchisierung größerer Mitgliederverbände entspricht 1 1 1 . Eine solche Gewerkschaftsstruktur gäbe folgender weiterer Entwicklung Raum, wobei nicht unterstellt wird, daß heute ernsthaft derartige Pläne verfolgt werden. A u f diese A r t und Weise könnte nämlich eine Umfunktionierung der Gewerkschaften eingeleitet werden. Die von ihren Mitgliedern n u r noch scheinbar abhängige, i n Wirklichkeit aber isolierte und eigenständige Gewerkschaftsspitze könnte sich an der Lohnfestsetzung durch eine staatliche Stelle beteiligen, deren Daten den Plandaten für die gesamte Volkswirtschaft entsprächen 112 . Die 109 s. Braun, Thesen zur Soziologie des Streiks, Hamburger Jahrbuch (18) 1973, 236 ff.; U. Jaeggi, Kapital und Arbeit in der Bundesrepublik, 1973, 105, 336 ff.; W. Müller-Jentsch, R. Keßler, Spontane Streiks in der Bundesrepublik, KritJ 1973, 361 ff., 373 ff., 383; K. Schacht, L. Unterseher, Spontane Arbeitsniederlegungen — Krise des Tarifverhandlungssystems?, G M H 1974, 143. HO H. J. Weitbrecht, Effektivität und Legitimität der Tarifautonomie, 1969, 64 ff., 86 ff., 93 ff., zur „symbolisch-normativen Kontrolle" über eine mitgliederstarke Tarifkommission, 99 f., zur Informationssteuerung; J. Bergmann, Organisationsinterne Prozesse in kooperativen Gewerkschaften, Leviathan (1) 1973, 242 ff. i n Siehe unten I I 3 b. Iis Vgl. J. Werner, Funktionswandel der Wirtschaftsverbände durch die konzertierte Aktion? in: Konzertierte Aktion, hrsg. E. Hoppmann, 1971, 179 ff., 192 ff., der anhand der Gesetzlichkeiten der Organisationen die Problematik der konzertierten Aktion aufzeigt und als Lösungen ein staatliches Diktat der Lohn- und Einkommenspolitik oder eine Rückkehr zum totalen Markt ansieht (197; dazu H. Rasch a.a.O).

2 . ) Zur

egation der Gewerkschaften

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Gewerkschaften würden als Legitimationsmaschinen dienen und i m übrigen ihren Aufgaben als Dienstleistungsbetrieben nachkommen. Die Dienstleistungen und eine beliebige Materie als mitgliederattraktives Kampfziel konditionieren die Mitglieder zum Verbleib i n der Gewerkschaft 113 , so daß kraft dieser selektiven Vorteile die Mitgliederzahl konstant bleibt. Vorstehende Andeutungen möglicher Aporien des Versuchs, die Gewerkschaften staatlicherseits zu binden, wollen und können nicht diesen ordnungspolitischen Ansatz an sich angreifen, sondern die Betrachtung darauf lenken, welche Implikationen zu bedenken wären, wenn dieser Ansatz einem Koalitionsgesetz zugrundegelegt würde 1 1 4 . Es sind dies i m einzelnen: — Wer unterstellt, daß das Gemeinwohl durch die von den Gewerkschaften mächtig vertretenen Partikularinteressen gefährdet sei, und deshalb eine Bindung der Gewerkschaften an das Gemeinwohl fordert, muß dafür Sorge tragen, daß auch der einzelne Arbeitnehmer nicht Forderungen, die sich gegen das Gemeinwohl richten, i m innergewerkschaftlichen Willensbildungsprozeß durchsetzen kann. Die gleichzeitige Forderung nach innergewerkschaftlicher Demokratie und Gemeinwohlbindung ist nur schlüssig, wenn von einer grundsätzlichen Harmonie der Interessen ausgegangen w i r d 1 1 5 . — Wer die erstgenannte Forderung nicht erfüllen w i l l , muß ein Konzept vorlegen, das die Funktionen der Gewerkschaften von ihrem Kernbereich, dem Kampf um bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen, wegverlagert; dies kann geschehen durch weitere AufgabenzuWeisung i m Bereich der sozialen Selbstverwaltung oder der Unternehmensmitbestimmung, welcher A r t auch immer 11 ®. — Es erscheint nur schwer denkbar, die Gewerkschaften i n ihrer jetzigen Struktur als freiwillige und nicht-öffentlich-rechtliche Vereinigungen zu bewahren, wenn ihnen durch weiter fortschreitende staat-

Dazu E. Mayer, 61 ff. Immerhin verblüfft, mit welcher Leichtigkeit Vertreter marktwirtschaftlicher Vorstellungen gegenüber den Gewerkschaften staatliche Zwangsmaßnahmen zulassen wollen. Erklärlich ist die Haltung aus dem Gefühl, einem übermächtigen Kartell gegenüberzustehen, ohne ein wirksames Antitrustrecht ausmachen zu können. 115 Auch O. v. Nell-Breuning, 169 f., sieht den Kern möglicher Auseinandersetzungen in den Gewerkschaften, er mißt ihm aber entsprechend seiner These, daß Partnerschaft Interessengegensätze voraussetze (151), diese jedoch grundsätzlich ausgleichbar seien, keine große Bedeutung zu. hö E. Mandel, 365; es ist klar, daß damit dann auch die Voraussetzungen des rechtlichen Gewerkschaftsbegriffs zu redefinieren sind. 114

102

I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

liehe Integration so gut wie alle Konfliktbereiche 1 1 7 entzogen werden; die dann angebrachte Assoziationsform ist tatsächlich die der öffentlichrechtlichen Körperschaft. — Es ist zu prüfen, ob die Gewerkschaften trotz Integration i n den Staat durch Gemeinwohlbindung und Aufsicht i n der Lage sein werden, ihren Funktionen als Partikularinteressenvertreter nachzukommen; wenn nein, ob dadurch der verbandspluralistische vorparlamentarische Willensbildungsraum nicht entscheidend gestört ist; wenn ja, wie diese Störung aufgefangen werden kann. Wenn einerseits der Staat sich der Verbände, wie sie jetzt sind, bedient, ist schwer einsehbar, wie ein Eingriff i n die gegebene und gewachsene Politökologie 1 1 8 ohne Schädigung des Netzes gegeneinander spielender Kräfte erfolgen kann. — Es wäre wünschenswert, wenn die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Entmachtung der Gewerkschaften auf das Gesamtkonzept abgestimmt würden. Konsequent wäre z. B. eine Überwachung der umfangreichen Mitgliederschulung. Dagegen leidet die Forderung nach Auflösung der gewerkschaftlichen Unternehmen an inneren Widersprüchen: W i r d gesagt „ E i n sozialer Verband, dem auch die Wahrnehmung öffentlicher Interessen übertragen ist, kann aber nicht gleichzeitig Arbeitnehmerinteressen und Unternehmerinteressen vertreten. Niemand kann auf zwei Hochzeiten tanzen!" 1 1 9 , so verwundert das, da doch gerade ein breitgestreutes Interesse der Gewerkschaft sie zur Akzeptierung des Gemeinwohls als Richtlinie bewegen wird. Es vermischen sich gerade bei der Frage des Gewerkschaftsvermögens die Forderungen nach Entmachtung durch Enteignung der Gewerkschaften 120 , nach ihrer Erhaltung als reinrassig antagonistischem Verband unter Bezugnahme auf die Gegnerfreiheit und der Uberwindung eben dieser Position über die höhere Ebene des Gemeinwohls 1 2 1 , ohne zueinander abgeklärt zu sein. 117 Art. 9 Abs. 3 G G würde i m Ende mangels Anwendungsbereichs obsolet werden müssen, es sei denn, er macht einen völligen Bedeutungswandel durch. I n der Richtung Ansätze bei H. F. Zacher, Gewerkschaften, 712, nach dessen Ansicht es nicht genügt, die Problematik „allein oder auch nur primär von Art. 9 Abs. 3 G G anzugehen". us Der Gedanke der Ökologie hat konservierenden Charakter, was ihm, sobald er im Mantel kybernetischer Systemtheorie auftaucht (K. W. Deutsch, N. Luhmann), als ideologisch angekreidet wird; in der Tat ist er doppelgesichtig insofern, als er sich gegen das technokratische Denken wendet, dessen rationalistischen Elementen durchaus auch Theoretiker der Emanzipation zum Opfer fallen, daß er sich aber seinerseits wertfrei gibt und einer hochabstrakten Sprache bedient und so unversehens viel stärker konservativ als konservierend wird, u® H. Galperin, 41. 120 w i e anders sollte man die Forderung nach Beseitigung gewerkschaftlicher Wirtschaftsmacht verstehen? 121 Zum Zusammenhang mit neoliberalen Denkvorstellungen schon FN114.

2 . ) Zur

egation der Gewerkschaften

103

Die zweite bedeutende rechtspolitische These begreift die Gewerkschaften als Integrationsfaktor von Staat und Gesellschaft. Thesen, die politische Funktionen der Gewerkschaften anzuerkennen gewillt sind, gehen i m wesentlichen von folgenden Grundannahmen aus: — Die Bedingungen der industriellen Massengesellschaft erlauben es nicht, den Einbruch der Verbände i n den Bürger-Staat-Dualismus als staatsdesintegrierend zu perhorreszieren; vielmehr ist eine Nutzbarmachung der gewachsenen Zentren der überindividuellen Willensbildung für die staatliche Willensbildung erwünscht 1 2 2 . — Falls es ein Gemeinwohl gibt, so erscheint die Diskussion der I n teressen der gangbarste Weg, es näherungsweise zu finden 1 2 3 ; sollten nämlich die gesellschaftlichen Interessen so divergieren, daß sie nicht trotz aller Bemühungen ausgleichbar sind, ist der Versuch, ein Interesse gegen ein widersprüchliches anderes durch die Titulierung als „Gemeinwohl" zu legitimieren, zum Scheitern verurteilt 1 2 4 . Somit läßt sich auch eine tendenzielle Gemeinwohlschädlichkeit gewerkschaftlicher Forderungen nicht nachweisen. Diese Annahmen münden i n ein ordnungspolitisches Leitbild, das die bloß formale Demokratie staatlicher Provenienz ergänzen w i l l durch die Erweiterung der individuellen Partizipationsmöglichkeiten einerseits, andererseits durch ein differenziertes vorverfassungsrechtliches, letztlich aber das ganze System beeinflussendes Werk von Checks and Balances 125 . Die Möglichkeit für den einzelnen, aus seinem Lebenskreis heraus sich unmittelbar an Entscheidungsprozessen zu beteiligen, wird, so hofft man, i m Aktionsbereich der Gewerkschaften besonders gefördert. A u f 122 R. Steinberg, Die Verbände, 37 ff., nennt hier vier Elemente, die die Verbände zur Integration des Gemeinwesens beitragen: Ausdruck des Vertrauens in das politische System, Integration durch Partizipation, Kommunikation, Steuerung des politischen Verhaltens der Mitglieder. 12 3 Nachweise bei H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, 765; vgl. auch U. Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1973, 58 f.; zum gewerkschaftlichen Kontext W. Hirsch-Weber, 101; zur Möglichkeit, daß durch Verbände auch überparteiliche Interessen gewahrt werden H.-U. Evers, 42; skeptisch E. Forsthoff, 121; R. Steinberg, Die Interessenverbände, 52; hier liegt die Funktion der Parteien, unten I I I 3 c bb. 124 U. Jaeggi, 31, 107f.; auch nichtmarxistische Ansätze z.B. W. HirschWeber, 101; in dem Fall, daß die „common values" in einem politischen System angezweifelt werden, ist das Gemeinwesen auf einen Stand zurückgeworfen, in dem keine Norm mehr Geltung hat, es sei denn die des Eigennutzes — die Hobbessche Ausgangssituation ist wieder erreicht (Die Verrechtlichung des Ausnahmezustands durch C. Schmitt als Ausgangspunkt für seine Souveränitätslehre in der „Politischen Theologie" kann darüber nicht hinweghelfen). 125 vgl. j # Seifert, 87 ff. Der Gedanke der Janusköpfigkeit, also der Doppelfunktion der Gewerkschaften (H. Grebing, Gewerkschaften, 396 ff.; H. Limmer, 149 ff.) entspricht der Vorstellung dieses Wirkgewebes; dazu W. Abendroth, Das Problem, 281; R. Steinberg, Die Interessenverbände, 43 ff.

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

grund dieses demokratischen Postulats wiederum sind die Gewerkschaften i n hohem Maße berufen, Meinungen i n die öffentliche Diskussion einzubringen und auf Einhaltung und Verbesserung des Prozesses der politischen Willensbildung zu dringen 1 2 6 . Insbesondere dann, wenn man die legitimierende Funktion der durch das Parlament vermittelten Öffentlichkeit staatlicher Entscheidungsfindung anzweifelt, kommt den Verbänden, unter ihnen besonders den demokratischen, eine gewichtige Kontrollfunktion bei 1 2 7 . Eine solche Auffassung staatlicher Ordnung w i r d konsequenterweise eine gesetzliche Kontrolle der Verbände ablehnen: Zunächst deshalb, weil sie die gesellschaftlichen und politischen Einflüsse und Wirkungen für hinreichend erachtet, zum anderen, w e i l sie die Festschreibung des status quo für gefährlich einschätzen muß, i m übrigen aber ein derartiges generell-abstraktes „Eingriffsgesetz" an sich für anachronistisch ansehen dürfte. Sie w i r d allein konstitutionelle Rahmenbedingungen für die öffentlichen Verbände akzeptieren 128 . Trotzdem lassen sich rechtspolitische Folgerungen aus den zu bewältigenden Problemen der skizzierten Theorien ziehen: — Grundvoraussetzung ist eine mehr als nur formale innergewerkschaftliche Demokratie. Die Herstellung derselben hat aber nach Auffassung der einschlägigen Stimmen durch die Gewerkschaften selbst zu erfolgen 1 2 9 . Woher die generative K r a f t zu solcher Reform i n den Gewerkschaften kommen soll, ist nicht präzise erklärt. Man hofft auf einen allgemeinen Lernprozeß. — Eine Verbandsöffentlichkeit kann nur dann als wechselseitig w i r k sames Kontrollsystem politischer Entscheidungen angesehen werden, wenn die Beteiligung und Information jedem Interesse zusteht. Wenn die Gewerkschaften aufgrund des Einheitsgedankens als monolithischer Block auftreten, müssen sie für effektiven Minderheitenschutz intern sorgen und sich Einblicke der „Öffentlichkeit" gefallen lassen 130 . 126 H. P. Bahrdt, 44 ff.; H. Grebing, Gewerkschaften, 399; J. Lehlbach, 266; H. Bilstein, Innergewerkschaftliche Demokratie als Bedingung für sozialen Wandel, G M H 1970, 341, 348 f.; I. Fetscher, 388; Stichwort ist „Weitertragen des Demokratisierungsprozesses". 127 j . Habermas, Strukturwandel, 287 ff.; W. Abendroth, Das Problem, 281, 282, zur notwendigen Ergänzung der allgemeinen Öffentlichkeit durch innerverbandliche Demokratie; vgl. auch J. Altmann, 226. 128 H. P. Bahrdt, 49: Keine juristische Fixierung! Ähnlich R. Steinberg, Die Interessenverbände, 51; inwieweit dies auch für die innere Demokratisierung gilt, wird unten 3 b erörtert. 129 H. P. Bahrdt, 45; I . Fetscher, 383, 388; J. Hirsch, 136ff.; hier liegt schon der Grundwiderspruch zwischen Demokratie als Autonomieprinzip und ihrer staatlichen Verordnung angelegt (ausführlich I I I 4 b aa). 130 w. Hirsch-Weber, 51 ff.; zur „Öffentlichkeit" J. Habermas, a.a.O.; H. Krüger, 437 ff.

2.c) Gewerkschaften im Wandel des Wirtschaftssystems

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— Geklärt werden muß das Verhältnis zu den Parteien, da sich i n ihnen der klassische Weg politischer Willensbildung überschneidet m i t dem, kurz gesagt, verbändestaatlichen 131 . — Letztere Frage führt zum K e r n des Verbändestaates: Solange man davon ausgeht, daß die staatliche Letztentscheidimg — man könnte sie „Souveränität" nennen — bei den i m klassischen Verfahren kreierten Organen liegt, ist deren Effektivität zu garantieren, die Einflußnahme der Verbände i m Streitfall ihnen zur Disposition zu überlassen. Sobald dieses Verhältnis umschlägt i n eine Dispositionsfähigkeit oder sogar -befugnis der Verbände über staatliche Organe 132 , muß man von einer A r t Ständestaat sprechen. Es muß sichergestellt sein, daß für diesen Fall die Verbandsdemokratie weiterwirkt, ohne daß die Rigidität ständischer Herrschaft e i n t r i t t 1 3 3 . — Entsprechend der Weise, wie die klassische Demokratie durch Grundrechte und Gerichtsschutz die Unterwerfung des Einzelnen unter die Mehrheitsentscheidung, sc. bei der Findung des Gemeinwohls, moderiert, muß die Stellung des Einzelnen i m Verhältnis Verband—Staat— persönlicher Freiheitsbereich 134 geklärt werden, was erst bei der K o l lektivierung i m Ständestaat grundsätzlicher Neubesinnung bedarf 1 3 5 . c) Zur Funktion der Gewerkschaften im Wandel des Wirtschaftssystems Die vorigen zwei Abschnitte gingen davon aus, daß der Rahmen, i n den die Gewerkschaften durch Gesetz eingewiesen werden sollen, i n den Grundzügen feststeht, also Wirtschaft, Gesellschaft, Staat der Bundesrepublik Deutschland zwar sich stetig wandeln 1 3 6 , jedoch nicht 131 Als Beispiel die Verbindung der Labour-Party mit dem T.U.C. in England, nach Laskisdaen Vorstellungen pluralistisch-syndikalistischer Prägung. 132 z . B. über die Gewerkschaftsmitglieder i m Parlament, ständischen Proporz, Abhängigkeit von Beamten von Verbänden, etc., wobei der Umschlag von faktischer Herrschaft in rechtliche der brisante Punkt ist.

iss ff. Krüger, 642 ff., insbes. 654; E. Benda, 216; J. Hirsch, 66, 67; ff. ff. Rupp, 12. 134 h . ff. Rupp, 8 ff., 15 ff. Die Grundrechtsbindung der Koalitionen ist inzwischen allgemein anerkannt, vgl. ff. Föhr, 115 ff. Zum Ganzen E.-W. Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft i m demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, Festschrift W. Hefermehl, 1972, 11 ff., 21, 22; E. Forsthoff, 21 ff. 135 Bzw. im Laufe der Entwicklung zu neuen Gestaltungen führt, J. ff. Kaiser, 320 ff. 136 Ein Umstand, der in keinem Beitrag zur Vierteljahrhundertfeier des Grundgesetzes unerwähnt blieb, der manchem Autor Anlaß gibt für Befürchtungen schlimmsten Ausmaßes — von der Angst vor einem Gewerkschaftsstaat bis hin zu Warnungen vor der totalen Verfügung über individuelle Freiheitsräume.

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

so einschneidend, daß nicht wenigstens mittelfristige Konzepte einer rechtspolitischen Würdigung zugrundegelegt werden könnten 1 3 7 . Sicherlich mag für den einen oder anderen sich bereits ein Wesenswandel des System 1 3 8 abzeichnen, wenn, sei es aufgrund forcierter Gemeinwohlbindung oder konsequent installierter und praktizierter paritätischer Mitbestimmung, die Verlagerung des Schwerpunkts gewerkschaftlicher Tätigkeit von Streik und Tarifverhandlungen zu allgemeiner Interessenvertretung, Erbringung von Dienstleistungen oder sogar staatsrechtlichen Funktionen als demokratische Willensvermittler oder ständestaatliche Entscheidungsträger diskutiert wird. Es wurde schon oben b) darauf hingewiesen, daß es sich bei den ventilierten Lösungsmöglichkeiten u m Folgerungen aus der Überbetonung bestimmter Aspekte zur Lösung der vorhandenen Widersprüche handelt: Wer auf ein liberalistisches Wirtschaftssystem pocht, kann nicht die Gewerkschaften knebeln wollen 1 3 9 , wenn er nicht das System ändern w i l l . Ansätze, die die Systemänderung i n Kauf nehmen oder anstreben, geben für eine rechtspolitische Betrachtung demnach wenig mehr als Grenzwerte. Jedoch können die Marginalbetrachtungen durchaus klärend wirken. Zu diesen Ansätzen zu zählen sind solche, die aufgrund der Wandlungen des Industriesystems, insbesondere der Erfordernisse der Technologie an die Steuerung und Berechenbarkeit des wirtschaftlichen Gesamtprozesses und den Bestrebungen des Managements, die die Interessen der Kapitalgeber an Gewinnmaximierung zu nicht geringem Teil ersetzen durch seine Bemühungen zur Erhaltung von Einflußpotential und Kontinuität, meinen, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer herrsche eine solche Interessenparallelität, daß die Gewerkschaften zum Absterben verurteilt seien 1 4 0 ; da sie nun aber einmal daseien 141 , solle man sich ihrer i m Prozeß der Planung und Standardisierung des A r beitslebens bedienen 142 . Die offene und totale Identifizierung 1 4 3 des Staates m i t rein ökonomischen Zielvorstellungen transzendiert sowohl 137 „Theorien mittlerer Reichweite" scheinen insbes. in der Soziologie gängig zu sein, vgl. z. B. N. Diederich, 382. 138 Dazu die Erörterung des Krisenbegriffs bei J. Habermas, Legitimationsprobleme, 9 ff. 13° Schon bei J. St. Mill, Principles of Political Economy, Book V, Ch. X , 5, waren sie Bestandteil der liberalen Wirtschaftsordnung; man kann sagen, die Beseitigung freier Gewerkschaften indiziert die Beseitigung der Marktwirtschaft. 140 j . k . Galbraith, Ch. 23, 24 (p. 278); dazu E. Mayer, 65 ff. 141 Auch gibt ihnen ihre befestigte Bürokratie einen Status, der sie vor Beseitigung schützt. 142 Vgl. G. Briefs, 561, und E. Mayer, 71. 143 Dazu E. Forsthoff, 33 ff., 57 ff.

2.c) Gewerkschaften im Wandel des Wirtschaftssystems

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das vorhandene System als auch jedes einigermaßen differenzierte Staatsverständnis. Daß sich aus solcher Betrachtung keine rechtspolitischen Konsequenzen, auch keine verfassungspolitischen, ziehen lassen, ist i n i h r selbst angelegt, da sie einzig m i t der Durchsetzungskraft der wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten auf dem Weg zur Planwirtschaft rechnet 144 . Immerhin darf man das B i l d einer Staats- und Wirtschaftsordnung, i n der die Gewerkschaften keine eigene Steuerungskraft mehr haben, sondern als fungible Variable technokratischer Gesamtsteuerung des Systems zur Verfügung stehen, als eine letzte Konsequenz gewisser rechtspolitischer Wünsche nicht aus den Augen verlieren. Thesen, die glauben, durch Änderung der Produktionsverhältnisse die Stellung der Arbeitnehmerschaft grundlegend verbessern zu können, sehen i n den Gewerkschaften allenfalls ein Medium des Ubergangs, dies allerdings i n differenzierter Weise 145 . Soweit sie Gemeineigentum und Planwirtschaft anstreben, laufen sie erstaunlich parallel zu obigem Modell der Technologiegesellschaft. Soweit sie sich gegen die Verfügbarkeit des arbeitenden Menschen i m kapitalistischen Verwertungsprozeß wenden und revolutionäre Strategien verfolgen, werden sie die Gewerkschaften n u r als zu bekämpfende Institutionen ansehen können. Nichtrevolutionäre Ansätze fordern eine „Resozialisierung" der Gewerkschaften 146 , die sich besonders i n intensiven, räteähnlichen Arbeitsgruppen i n den Betrieben zeigen muß, von wo aus dann weitere gesellschaftliche Ebenen i m Sinn der Arbeiterklasse aufgeschlossen werden können. Soweit diesen Thesen demokratietheoretische Elemente zu entnehmen sind, finden sie sich unten 3 b. Ansonsten können auch ihnen rechtspolitische Aussagen nicht untergeschoben werden. Ihre Bedeutung für eine Gewerkschaftsreform liegt darin, daß sie auf den Einzelnen i n seiner Entfremdung sowohl gegenüber seiner Arbeit als auch gegenüber den Gewerkschaften hinweisen; diese sozial-kommunikative Funktion der Arbeiterassoziationen ist auch für einen nichtsozialistischen Freiheitsbegriff durchaus von Gewicht.

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Eine solche Auffassung führt zur Sinnlosigkeit der Annahme verfassungsrechtlicher Normativität; die Verfassung kann allenfalls noch Vollzugsregeln der technisch-wirtschaftlichen (nach inzwischen gleichgestellter Terminologie: kapitalistischen) Erfordernissen bereitstellen. 145 Übersichten bei E. Mayer, 104 ff., sowie die Beiträge i m Sammelband, Hrsg. S. G. Papcke, Anpassung oder Widerstand?, 1967; U. Jaeggi, 97 f.; E. Mandel, 368.

14» E. Mayer, 126, unter Hinweis auf V. L. Allen, Militant Trade Unionism; U. Jaeggi, 105, mit erstaunlichem — decouvrierendem? — Romanzitat.

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

Ergebnis: Die Gewerkschaften stehen zwischen zwei Polen: Zum einen sind sie Vertreter der besonderen Interessen der i n ihnen organisierten Arbeitnehmer und haben nur insoweit ein Mandat, zum anderen w i r k e n sie weit i n den Bereich des Allgemeininteresses hinein und nehmen als Repräsentanten der Arbeitnehmerschaft konstruktiven A n t e i l an der Willensbildung des Staates. So ist der Status der Gewerkschaften geprägt vom Zusammenstoß des Privaten und Besonderen m i t dem Staatlichen und Allgemeinen. Diesen gilt es rechtspolitisch aufzufangen. Zwei i m theoretischen Ausgangspunkt gegeneinander gerichtete A n sätze bieten dafür Lösungen an: Ein etatistischer, der von einer festen Staatsvorstellung ausgeht und die Gewerkschaften autoritativ dieser Vorstellung unterordnen w i l l ; ein pluralistischer, der an eine Vermittelbarkeit der Interessendivergenzen i n Verfahren glaubt, die aus den besonderen Interessen das allgemeine permanent neu bilden. Gewerkschaftsregistrierung und Staatsaufsicht sind für die erste Ansicht erstrebenswerte Ziele, Demokratisierung und Offenheit der Beteiligung für die zweite.

3. Forderungen nach Sicherung und Ausbau der Individualrechte gegenüber gewerkschaftlicher Kollektivmacht Welche Bedeutung die Arbeitnehmer der Gewerkschaftsmitgliedschaft beimessen, läßt sich nur schwer abschätzen. Trotz einiger Untersuchungen zu dieser Frage 1 ist ein klares B i l d davon, was sich die Arbeitnehmer von der Gewerkschaft tatsächlich erwarten, nicht zu gewinnen. Die rechtspolitische K r i t i k am gegenwärtigen Status des Einzelnen gegenüber der Gewerkschaft vernachlässigt die tatsächlichen Wünsche der Arbeitnehmer ganz. Sie geht von normativen Vorstellungen aus, die durchaus auch Forderungen an die Gewerkschaftsmitglieder beinhalten, eine Änderung ihres Verhaltens und Bewußtseins verlangen. Es liegt auf der Hand, daß auf diese Weise rechtspolitische Forderungen an die Gewerkschaftsstruktur auf ziemlich vielen unrealistischen Annahmen beruhen können. W i l l man Hypostasierungen vermeiden, muß man festhalten, daß die Postulate, die die Wünsche und Bedürfnisse der Arbeitnehmer betreffen, erst Hand i n Hand m i t den entsprechenden Forderungen an die Gewerkschaften als Ganze sich i n Wirklichkeit umsetzen werden, daß sie, kurz gesagt, zur Zeit de facto nicht vorgefunden werden. Der Einzelne kann auf die Gewerkschaftsmitgliedschaft i n verschiedener Weise angewiesen sein. A n erster Stelle dürfte die Teilhabe an dem durch die Gewerkschaften vermittelten sozialen Besitzstand stehen. Dieser w i r d primär getragen von den Vorteilen der Tarifbindung. Dazu kommen finanzielle Unterstützungen i m Streikfall sowie die diversen Dienstleistungen der Gewerkschaften. Den zweiten Komplex bildet die Chance politischer Teilnahme am umfänglichen Einflußbereich der Gewerkschaften. Als drittes bietet die Gewerkschaftsmitgliedschaft Information, die Möglichkeit zur Kommunikation, ein Betätigungsfeld i n Form von Ehrenämtern usf., also einen gewissen sozialen Status. Eventuell ist die Mitgliedschaft erforderlich, u m einer Diskriminierung unter Arbeitskollegen aus dem Weg zu gehen, eventuell, u m am Arbeitsplatz gegenüber dem Arbeitgeber Gruppensolidarität zu gewinnen 2 . 1

Ubersicht bei J. Sperling, a.a.O. Nach dem gegenwärtigen Bewußtseinsstand, wie er sich in Umrissen abzeichnet, spielen der zweite und dritte Komplex gegenwärtig kaum eine 2

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

Die rechtspolitischen Forderungen gehen i n drei Richtungen. (a) Dem Einzelnen den Bestand seiner Mitgliedschaft ungeschmälert durch Vereinswillkür zu erhalten, ist Anliegen der bürgerlichrechtlichen K r i t i k am Vereinsrecht. (b) Die Chance des einzelnen Mitglieds, sich an der innergewerkschaftlichen Willensbildung effektiv zu beteiligen, ist Gegenstand von Forderungen nach „mehr" Demokratie i n den Gewerkschaften. (c) Dem Einzelnen den Zugang zu den von den Gewerkschaften beherrschten öffentlichen Aufgaben zu ermöglichen und die diskriminierende W i r k u n g der Nichtmitgliedschaft klein zu halten, ist als drittes Ziel zu nennen. I m einzelnen stellen sich diese Forderungen folgendermaßen dar. a) Erweiterung des Individualschutzes nach bürgerlichem Recht? Die bürgerlich-rechtliche K r i t i k am geltenden Gewerkschaftsrecht beschäftigt sich fast ausschließlich m i t der gerichtlichen Uberprüfbarkeit von Maßnahmen der Vereinsdisziplinargewalt und Vereinsausschlüssen3. Dagegen werden organisationsrechtliche Fragen, soweit sie nicht unmittelbar für das Ausschlußverfahren von Bedeutung sind, vernachlässigt 4 . Da sich hieraus erste Grenzen des bürgerlichen Vereinsrechts ableiten lassen, soll diesem Umstand etwas nachgegangen werden. Schließlich erscheint es erwägenswert, den Schutz der Gewerkschaftsmitglieder nicht nur bei den Gerichten, sondern vor allem i n der Ausgestaltung der innerverbandlichen Willensbildung anzusiedeln.

Rolle. Sie sind also spekulativ, erwachsen aus einer gewissen Anthropologie, auf die Prognosen oder Sozialmodelle angewiesen sind. * Ausdrücklich mit dem Ausschluß aus Berufsverbänden beschäftigen sich nur A. Hueck, ff. C. Nipperdey, 186 f., und E. Stahlhacke, Die Ausschließung von Mitgliedern aus Berufsverbänden, RdA 1953, 306, ansonsten bezieht sich die Literatur allgemein auf den bürgerlich-rechtlichen Verein. Von den schon genannten Autoren: R. Altmann; E. Bötticher; L. Enneccerus, H. C. Nipperdey; W. Erman, ff. Westermann; K . Larenz; U. Meyer-Cording; P.Schlosser; J. v. Staudinger, H. Coing; H. P. Westermann. Ferner: V. Beuthien, Die richterliche Kontrolle von Vereinsstrafen und Vertragsstrafen, BB-Beilage 12, 1968; K . Larenz, Zur Rechtmäßigkeit einer „Vereinsstrafe", Gedenkschrift R. Dietz, 1973, 45; H. Weitnauer, Vereinsstrafe, Vertragsstrafe und Betriebsstrafe, Festschrift R. Reinhardt, 1972, 179; ff. P. Westermann, Zur Legitimität der Verbandsgerichtsbarkeit, JZ 1972, 537; ff. Wiedemann, Richterliche Kontrolle privater Vereinsmacht, JZ 1968, 219. 4 Behandelt von P. Schlosser, 26ff.; R. Altmann, 212ff.; F. Kübler, Rechtsfähigkeit und Verbandsverfassung, 1971, insbes. 21, versucht, den sozialordnenden Gehalt des BGB im Sinn eines Registrierungszwangs der Gewerkschaften gem. §§ 55 ff. BGB fruchtbar zu machen.

3.a) Individualschutz nach bürgerlichem Recht?

Ill

Die Rechtsprechung hat sich nur selten m i t Fragen der Vereinsorganisation auseinandergesetzt 5 . Es könnte m i t h i n am Zündstoff für literarische K r i t i k gefehlt haben. Das dürfte jedoch nicht entscheidend sein. So könnte man z. B. aus der Entscheidung des BGH, nach der Nebenfolgen einer Vereinsstrafe bei einem eingetragenen Verein i n der Satzung und nicht bloß i n der Geschäftsordnung eines Vereinsorgans geregelt sein müssen, die Forderung ableiten, daß gewisse Grundentscheidungen immer von der Mitgliederversammlung getroffen werden müssen®. Man würde bei derartigen Überlegungen auf §40 BGB stoßen, der die Mindesterfordernisse an die Vereinsverfassung abschließend regelt. Dagegen könnte man einwenden, daß auf nichtrechtsfähige Vereine das BGB-Vereinsrecht ohnehin nur entsprechend anzuwenden ist, so daß die Wertungen, die eine Analogie rechtfertigen, möglicherweise auch die Grenzen derselben verschieben können. So könnte man postulieren, daß dem Gedanken der Vereinsautonomie eher dadurch Rechnung getragen wird, daß für gewichtige Disziplinarmaßnahmen ausschließlich die Mitgliederversammlung zuständig ist, als dadurch, daß man lückenlosen Gerichtsschutz fordert. Diesem Gedankengang könnte man aber nur schwerlich für alle Vereinstypen folgen. Das bürgerliche Vereinsrecht zeigt sich als sehr abstrakt, es gibt lediglich eine „Formalie der Organisation" 7 , ist somit anwendbar für alle Arten von Vereinen. Diesen Vorteil darf man nicht einschränken, indem man vom behaupteten Regelungsbedürfnis einzelner Vereinstypen aus allgemeine Grundsätze formuliert. Insoweit ist der Zurückhaltung der Rechtsprechung 8 zuzustimmen. Das wäre jedoch kein Hindernis, wenigstens für bestimmte Fallgruppen, wie z. B. die Gewerkschaften, Sonderregeln aufzustellen oder zu erörtern. Eben dieses ist geschehen bei der Anerkennung der aktiven Parteifähigkeit der Gewerkschaften 9 . Diese Sonderregeln ließen sich jedoch überhaupt nicht mehr aus dem BGB ableiten; dabei ist weniger von Gewicht, daß die Vereins- und Verbandssatzungen nur schwer m i t den §§ 21 ff. BGB i n Deckung gebracht werden können 1 0 , als viel5

Vgl. oben 12 c. 6 B G H Z 47, 172 ff.; in dieser Richtung auch B G H A P Nr. 2 zu § 25 BGB = B G H Z 49, 396, unter Rückgriff auf §§32 Abs. 1 S. 1 i . V . m . 40 BGB; B G H NJW 1974, 183, 185 (parteiliches Blockwahlsystem); E. Lohbeck, 384. 7 R. Altmann, 214. 8 B G H Z 59, 369 ff. 9 B G H Z 42, 210; 50, 325; daß andererseits die Rechtsprechung die pauschale Differenzierung zwischen gewöhnlichen und gesellschaftlich bedeutsamen Vereinen aufgegeben hat, erklärt sich aus dem allzu groben Raster dieser Einteilung, die ohne Erkenntniswert ist. 10 R. Altmann, 213 f.

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

mehr, daß die zivilrechtlichen Normkonstruktionen und Argumentationsebenen wesentlich am individuellen Rechtsschutz orientiert sind 1 1 , aber für sich genommen keine konsistenten Betrachtungsweisen für organisationsrechtliche Fragen anbieten 12 . W i l l man die weitere Rechtsentwicklung richterlicher Rechtsfortbildung überlassen, hat man dies als Moment geringer Vorhersehbarkeit der Entscheidungen zu berücksichtigen.

I n der Diskussion u m die Zulässigkeit der gerichtlichen Überprüfung von Vereinsdisziplinarmaßnahmen w i r d dem weiten Begriff der Vereinsautonomie der Rspr. ein enger der Literatur gegenübergestellt. Während die Rspr. unter „Vereinsgewalt" autonome Normsetzung und Verwaltung begreift und daraus eine gerichtliche Aufhebungsmöglichkeit allein mißbräuchlicher Maßnahmen ableitet, sieht die Literatur für eine derartige Beschränkung des allgemeinen Grundsatzes, daß alle Privatrechtsakte gerichtlicher Nachprüfung unterworfen sind, keinen rechtfertigenden Grund: Vereinsautonomie, als Unterfall der Privatautonomie, gebe i n bestimmten Grenzen das Recht, Rechtsverhältnisse einseitig inhaltlich zu bestimmen, nicht aber die Freiheit, diese Rechtsverhältnisse unkontrolliert abzuwickeln, da m i t der Eingehung einer Bindung i m Rechtsverhältnis für alle Beteiligten eine Durchsetzungsmöglichkeit vorhanden sein müsse 13 .

11 Die Feststellungsklage ist nur bedingt tauglich für Organstreitigkeiten. Hinzuweisen ist ferner darauf, daß die Problematik des nichtrechtsfähigen Vereins in erster Linie unter Haftungs- und Vertretungsfragen gesehen wird. 12 R. Altmann, 216 f.; insbes. für die nichtrechtsfähigen Vereine L. Enneccerus, H. C. Nipperdey, 695, 697. J. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1970, 123, zeigt, daß die Entscheidungen zur Parteifähigkeit der Gewerkschaften in völlig freier Teleologie getroffen sind, ohne argumentatorische Anbindung an das Zivilrecht. 13 V. Beuthien, 1 ff.; P. Schlosser, 99 ff.; E. Stahlhacke, 308; L. Enneccerus, H. C. Nipperdey, 679 (FN39) jedenfalls für Koalitionen; U. Meyer-Cording, 103 ff. hebt insbes. hervor, daß der Gesetzgeber keine Maßstäbe für eine Abwägung zur Verfügung gestellt hat; K. Larenz, Zur Rechtmäßigkeit, 55; H. P. Westermann, Zur Legitimität, 537, 543, artikuliert sogar eine „Gefahr der Aushöhlung des Rechts durch private Verbandsmacht" mit Blick auf die DFB-Skandale. — Die von W. Flume in der Festschrift für E. Bötticher eingeleitete Diskussion, ob die Verbandsgerichtsbarkeit überhaupt zulässig sei, die von P. Schlosser, 44 ff., H. P. Westermann, Die Verbandsstrafbarkeit, 49 ff., aufgenommen wurde, kann, soweit sie auf Verfassungsebene (Art. 92, 20, 12 GG) geführt wird, für die Koalitionen aufgrund Art. 9 Abs. 3 GG, der ihnen einen Bereich legitimer Machtausübung garantiert, nicht ohne weiteres Argumente liefern; soweit W. Flume die privatrechtliche Möglichkeit eines eigenständigen Instituts einer Vereinsstrafe leugnet, argumentiert er von der Unmöglichkeit der Unterwerfung der Ehre und des Vermögens des Einzelnen unter eine Vereinsgewalt aus und führt die Vereinsstrafe auf gesellschaftsrechtliche Aspekte zurück; darüber sogleich.

3.a) Individualschutz nach bürgerlichem Recht?

Für ihre These, es gebe keine „exemten Räume" 1 4 , stützt sich die Literatur zunächst auf eine vergleichende Betrachtung des Gesellschafts- und Vertragsrechts 15 . Eine pauschale Parallelwertung stößt jedoch auf Bedenken: I m Gesellschaftsrecht ist die Vereinbarung eines freien Ausschlußrechtes möglich 1 6 ; das Recht der Handelsgesellschaften kennt sehr wohl Beschränkungen der gerichtlichen Nachprüfung der Gesellschaftsbeschlüsse 17, wenn auch i n einer rechtstechnischen Form, die beim allgemeinen Vereinsrecht nicht ohne weiteres anwendbar wäre. Die Verweisung auf § 737 B G B 1 8 erscheint nicht recht schlüssig, da man berechtigterweise überlegen könnte, ob nicht eine Einschränkung der für § 737 entwickelten Grundsätze zu erwägen wäre, wenn die Gesellschaft körperschaftsähnlich strukturiert ist. Damit w i r d das Hauptbedenken angesprochen, nämlich daß „dem Verein, damit er seine inneren Angelegenheiten eigenverantwortlich regeln kann, bei Verstößen gegen ausfüllungsbedürftige Satzungsvorschriften ein nicht zu enger Beurteilungsraum zustehen muß" 1 9 , m. a. W., daß der Strukturunterschied zur typischen Gesellschaft, der i n der Anwendimg einer abstrakten Norm durch Organe für die Mitglieder und damit i n einer ersten Ebene „objektiver" Beschlußfassung besteht, der Anerkennung bedarf. Das BGB kann nicht einerseits die Schaffung einer autonomen Körperschaft gestatten, andererseits die so geschaffene überpersonelle Einheit den gleichen Maßstäben wie natürliche Personen und Personenvereinigungen unterwerfen 2 0 . Wenn allgemein von „Vereinsverwaltungsakten" gesprochen wird, so ist dieser Tatbestand i n die Terminologie übergegangen 21 . Von der Sorge u m den Rechtsschutz des ausgeschlossenen Mitglieds geprägt ist das zweite Hauptargument der Literatur: Nachdem die These der Rspr. nicht unwesentlich 22 auf der Freiwilligkeit des Beitritts des Mitglieds beruht, kann man folgern, daß die Schranken der Ver14 K. Larenz, Allgemeiner Teil, 136. 15 P. Schlosser, 41 ff., 100; V. Beuthien, 4 f.; E. Stahlhacke, 308, 309; K. Larenz, Zur Rechtmäßigkeit, 51 (in Auseinandersetzung mit W. Flume). 16 Vgl. E. Bötticher, 56. 17 §§241 ff., 275 ff. AktG; §§51, 94 ff. GenG. 18 V. Beuthien. 4 f.: P. Schlosser, 100; E. Bötticher, 56, zur These W. Flumes, daß ein Ausschlußrecht des Vereins nur als Kündigung gemäß § 737 BGB zulässig sei. 10 V. Beuthien, 5. so Die umstr. Formulierung des B G H in B G H Z 29, 352, 362; 47, 172, 174 (s. oben 12 F N 21) als Subsidiaritätsklausel interpretiert, entspricht dem. 21 Zu diesem Begriff P. Schlosser, 3 9 1 ; die Ähnlichkeit zu öffentlich-rechtlichen Erscheinungsformen z. B. im Begriff des Beurteilungs- und Ermessensspielraums (zuletzt H. P. Westermann, Die Verbandsstrafgewalt, 104 ff.) ist offensichtlich. 22 R. Fischer, Anm. L M Nr. 1 zu § 25 BGB. 8 Gerhardt

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

einsautonomie stärker werden, also auch die gerichtliche Kontrolle intensiver, je weniger freiwillig der Beitritt zum betreffenden Verein erfolgt. Diese Betrachtung ist einerseits bestimmt vom Grenzfall des Monopolmißbrauchs 23 , andererseits ähnlich gelagert den Zielen einer Überwachung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen: Zum Schutz des auf dem M a r k t Schwächeren sind Korrekturen des liberalistischen Vertragsmodells erforderlich, da die Richtigkeitsgewähr des „bargaining" entfällt 2 4 . Es soll erreicht werden, daß bei der Abwägung der Belange des ausschließenden Vereins und des ausgeschlossenen Mitglieds nicht das Vereinsinteresse als fester Wert aufgefaßt wird, der nur durch ganz überragende Mitgliedsinteressen überwogen werden kann, sondern eine möglichst gleichmäßige Berücksichtigung beider Sphären. Mehr kann dieser Kritikansatz nicht besagen, denn er müßte sonst ganz individuelle Fälle zu generellen Aussagen hochstilisieren, was unglaubwürdig wäre; m. a. W. ist die Behauptung, daß die Mitgliedschaft i n einer Gewerkschaft für einen Arbeitnehmer von unverzichtbarem Interesse sei 25 , nur für den einzelnen Fall plausibel zu machen; generell kann man nur angeben, welche Abwägungskriterien gelten 26 . So hat die Rspr. zurecht die generelle Differenzierung zwischen wirtschaftlich bedeutenden und sonstigen Vereinen fallenlassen 27 . Selbst eine gleichmäßige Behandlung aller Gewerkschaften erscheint nicht denkbar 2 8 . Weitere Argumente für eine durchgängige Überprüfung von Disziplinarmaßnahmen der Vereine sind solche wie die, daß Verdachtsstrafen den Vereinsfrieden stören, daß die Gruppenmentalität zur Inobjektivität neige, daß m i t dem Ausschluß ein gruppenethischer V o r w u r f verbunden sei, u. ä. 29 . Diese Gesichtspunkte sind zwar meist 23 Neben R. Fischer insbes. auch L. Enneccerus, H. C. Nipperdey, 679 (Anm. 39); R. Birk, 345; H. P. Westermann, Zur Legitimität, 540. 24 Die Parallelität zeigt vor allem H. Wiedemann, a.a.O.; H. P. Westermann, Zur Legitimität, 543; K. Larenz, Zur Rechtmäßigkeit, 46 f.; O L G Frankfurt NJW 1973, 2208 m. Anm. H. P. Westermann, behandelt die Statuten des DFB schlechthin als AGB, ohne überhaupt weiter auf die Frage der Vereinsautonomie einzugehen; vgl. auch B G H W M 1972, 1249; zu § 1025 Abs. 2 ZPO F. Nicklisch, Schiedsgerichtsklauseln, BB 1972, 1285 ff., 1290; ders., Der verbandsrechtliche Aufnahmezwang, 106, 110 ff. 2 ® Sehr zurückhaltend der B G H (BGHZ 13, 5, 9 f.; N J W 73, 35, 36 = A P Nr. 21 zu Art. 9 GG unter Hinweis auf erstere Entscheidung). 2 « Vgl. E. Stahlhacke, 309; bei R. Birk, 345, 348 zeigt sich, wie abstrakt eine Erörterung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bleibt, wenn nicht konkrete Lebensräume erfaßt werden; s. auch K. Larenz, Zur Rechtmäßigkeit, 56 f. 2 ? B G H Z 47, 381, 384 f.; schon oben F N 9. 28 Man vergleiche nur die hochorganisierte, entsprechend zentralisierte und annähernd ein Monopol innehabende I G M mit der GEW, die unter vielfältigem Konkurrenzdruck steht. 29 U. Meyer-Cording, 19 ff.; V. Beuthien, 2; H. Wiedemann, 220; derartige

3.a) Individualschutz nach bürgerlichem Hecht?

115

berechtigt, jedoch nur gültig für bestimmte Vereinstypen. Insbesondere sind sie zweifelhaft i n bezug auf hochbürokratisierte Organisationen wie die Gewerkschaften 30 . Immerhin sind derartige vereinssoziologische Gesichtspunkte berücksichtigenswert. So könnte man erwägen, ob nicht wegen der bürokratischen Struktur der Großverbände die individuellen Aspekte bei einer Vereinsstrafe nicht zu wenig berücksichtigt werden, so daß verstärkter Gerichtsschutz nötig wäre. Jedoch ergeben sich für derartige Bedenken jedenfalls hinsichtlich des Disziplinarrechts i n den Gewerkschaftssatzungen keine Hinweise 3 1 . Hinter alle diese mehr praktisch orientierten Kritikansätze läßt sich eine Auffassung von Adomeit stellen, die die erwähnten Einzelforderungen als Konsequenz einer strikt verstandenen Privatautonomie erscheinen läßt. Geht man davon aus, daß jede heteronome Gestaltung i m privatrechtlichen Bereich eines privatautonomen, wenn auch nur mittelbaren Rechtfertigungsaktes bedarf, daß diese Rechtfertigungsakte häufig aber nicht w i r k l i c h autonom sind, dann sind folgende Sätze nahezu unumgänglich: „Es läßt sich vielleicht folgender rechtspolitisch-dogmatischer Grundsatz aufstellen: daß es nicht genügt, wenn das Privatrecht reine Heteronomie verbietet; daß vielmehr auch die autonom vermittelte Heteronomie rechtlich beschränkt sein muß, nicht zu völliger Subordination führen darf; und daß der Subordinierte wie an der Entstehung der heteronomen Gewalt auch an ihrer Ausübung, mindestens durch Information und Mitsprache, zu beteiligen ist. Erst wenn dieser verallgemeinerte Mitbestimmungsgrundsatz i m Privatrecht realisiert ist, werden wir guten Gewissens von Privatautonomie sprechen dürfen."

A u f die Akte der Vereinsgewalt als heteronome A k t e angewendet, wären dann allerdings nicht nur die von der sonstigen bürgerlich-rechtlichen K r i t i k gezogenen Schlüsse geboten, sondern weitergehend auch Folgerungen für die innere Willensbildung i n Vereinen und Verbänden. Ins einzelne gehende Ausführungen macht Adomeit aber nicht 3 2 . Die Auffassungen i n der Literatur führen zu folgenden Ergebnissen, wobei fast durchweg auf die Prüfungskompetenzen der Gerichte abgestellt wird, wohingegen die Zulässigkeit bestimmter Satzungsvorschriften kaum Anknüpfungspunkt ist: Argumente sind auch sonst häufig anzutreffen, so bei W. Kirberger, a.a.O, der nicht zu geringem Teil auf Sozialpsychologie rekurriert. 30 Diese soziologischen Gedankengänge, in juristische eingekleidet, treffen regelmäßig nur auf bestimmte Vereinsstrukturen zu, wobei nur schwer zu ermessen ist, wie die statistische Verteilung sein mag. 31 Anders z. B. zum DFB-Sportgericht H. P. Westermann, Zur Legitimität, 541 ff. 82 K. Adomeit, Heteronome Gestaltungen im Zivilrecht?, Festschrift H. Kelsen, 1971, 9 ff. 8*

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

Grundsätzlich sind alle Vereinsmaßnahmen v o l l gerichtlich überprüfbar, soweit sie Disziplinarcharakter haben 33 . Der umstrittene Fall eines freien Ausschließungsrechts 34 liegt bei keiner Gewerkschaft vor. Sehen, wie im Gewerkschaftsrecht die Regel, Satzungen ausfüllungsbedürftige Disziplinarstraftatbestände vor, so ist die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen verbreitet 3 5 . Räumen die Satzungen bei der Festlegung der Sanktion dem Verein Ermessen ein, dann w i r d eine Uberprüfung auf Ermessensmißbrauch sowie die Befugnis des Gerichts, eine angemessene Strafe festzusetzen, anerkannt 3 6 . Die Überprüfungsmöglichkeit von Vereinsmaßnahmen durch die staatlichen Gerichte ist durch die Gewährung einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutzes zu effektivieren 3 7 . Ergebnis: Der bürgerlich-rechtliche Kritikansatz verfolgt das Ziel möglichst umfassenden Rechtsschutzes des Vereinsmitglieds durch die ordentlichen Gerichte. Er richtet sich gegen die einseitige Bevorzugung der Vereinsgewalt gegenüber den Interessen des Vereinsmitglieds durch Beschränkung der gerichtlichen Prüfungskompetenz. Als taugliches rechtspolitisches M i t t e l sieht dieser Ansatz eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung an 3 8 . b) Elemente innergewerkschaftlicher

Demokratie

Es gibt für Körperschaften verschiedene Arten, den körperschaftlichen Gesamtwillen zu bilden. Eine freie Körperschaft, deren Ziel es ist, die 33 Maßnahmen, die denen des Betriebsverhältnisses im öffentlich-rechtlichen Sinn entsprechen, unterfallen diesem Gebot nur beschränkt, P. Schlosser, 86 ff.; ff. P. Westermann, Die Verbandsstrafgewalt, 81, 104. 34 L. Enneccerus, ff. C. Nipperdey, 678; E. Bötticher, 56. 35 u. Meyer-Cording, 92 ff.; V. Beuthien, 12, ff. P. Westermann, Die Verbandsstrafgewalt, 104 ff. 36 K. Larenz, Allgemeiner Teil, 136; ff. Wiedemann, 210; ff. Weitnauer, 195 f., sowie die in F N 35 Genannten; die rechtsdogmatische Begründung (§ 343 oder §315 BGB?) interessiert hier nicht; jedenfalls ist man allgemein der Ansicht, das geltende Recht ermögliche eine befriedigende Lösung. 37 F. Nicklisch, Verbandsmacht, 37. 38 O. Kahn-Freund, 353, bestätigt am englischen Beispiel die Aussicht, durch gerichtlichen Rechtsschutz effektiven Mitgliederschutz zu betreiben, wobei allerdings berücksichtigt werden muß, daß im englischen Recht jeder A k t der Organisation unmittelbar das Vertragsverhältnis des Mitglieds berührt, so daß Klagemöglichkeiten viel eher eröffnet sind als im deutschen Zivilrecht, das aufgrund der Erfindung des Gesamtaktes einem Vereinsmitglied nicht die Stellung eines Vertragspartners einräumt. Siehe auch V. Trieb el, Der Ausschluß aus Gewerkschaften nach englischem Recht, Diss. München 1973. Der Trade Union and Labour Relations Act 1974 läßt diese Regeln des common law ausdrücklich unberührt.

3.b) Elemente innergewerkschaftlicher Demokratie

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Interessen der einzelnen Mitglieder kollektiv zu wahren, w i r d ihre Ziele und Entscheidungen i n einem Willensbildungsprozeß von unten nach oben finden. Wie dieser beschaffen ist, wie sehr er die Individualinteressen berücksichtigt, inwieweit er jedem Verbandsmitglied die Chance gibt, seine spezifischen Wünsche zu Gehör zu bringen, alles dies gehört i n den Problemkreis der sog. innerverbandlichen Demokratie. Oben I I 2 zeigte sich, daß gewisse ordnungspolitische Vorstellungen einmündeten in die Forderung nach innergewerkschaftlicher Demokratie: Z u nächst erforderte die Repräsentationsfunktion der Gewerkschaften als Korrelat für die Mediatisierung und potentielle Freiheitsbeschränkung des Einzelnen gewisse Elemente, die klassischerweise zum Demokratieverständnis zählen 39 . Aber auch die Auffassung der Gewerkschaften als politischer Integrationsfaktoren setzte innergewerkschaftliche Demokratie voraus, sogar eine, die den Maßstab staatlicher Demokratieentwicklung übersteigt.

Es fragt sich nun, wie demokratisch die Gewerkschaften sind, die ja von sich behaupten, es zu sein. Die Selbstbeschreibung als „demokratisch" i n den Satzungen besagt wenig, nachdem der alliierte Auftrag zur Bildung der Gewerkschaften ausdrücklich eine Organisation forderte, die demokratischen Grundsätzen entsprechen mußte 4 0 . Die A u f bereitung dieser Frage, die Gegenstand intensiver Diskussion innerhalb 4 1 und außerhalb 42 der Gewerkschaften ist, für rechtspolitische Zwecke stößt auf zwei Grenzen. Gesetzliche Vorschriften können nur einen institutionellen Rahmen schaffen, der Demokratisierungstendenzen Spielraum gibt und als antidemokratisch befundene Praktiken unterbindet, sie können nicht unmittelbar i n informelle Interaktionsprozesse eingreifen oder emanzipative Lernmechanismen erzwingen 43 . Damit entziehen sich wesentliche Gesichtspunkte der Demokratiediskussion, insbesondere die der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit, zunächst der weiteren Betrachtung 44 . Ebenfalls aus der Funktionalität normativer Bestimmungen erwächst die zweite Grenze. 39

Vgl. die Aufzählung BVerfGE 2, 1, 12, 13; möglicherweise gehören sie nicht zu einer totalitär-identitären Demokratie Rousseauscher Prägung, die auf der Homogenität der Bürgerschaft aufbaut. 40 Vgl. unten I I I 3 a b b . 41 Vgl. z. B. den neunten ordentlichen Gewerkschaftstag IGBSE (RdA 1972, 371); ferner die in F N 4 4 genannten Gewerkschaftsautoren. 42 Vgl. nur die Arbeiten von H. Föhr und K. Popp. 43 U. v. Alemann, Mehr Demokratie per Dekret?, PVS 1971, 181 ff., 186, 190: „Die Parteien sind dadurch (sc. das PartG) nicht demokratischer geworden, aber die Rechte der Mitglieder wurden gestärkt", ein Zitat von einem führenden Parteipolitiker. 44 Dazu H. O. Vetter, Rede auf dem dritten außerordentlichen Kongreß des DGB, G M H 1971, 327 ff., 332; F. Vilmar, Basisdemokratische Gewerkschaftsreform, G M H 1970, 219 ff., 225; G. Leminsky, 198, 199; Bericht der Reform-

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

Soweit demokratie- und organisationssoziologische Untersuchungen sich auf Umstände stützen, die nicht institutionelle Regelungen und Handhabungen beeinflussen, sind sie hier kaum verwertbar. So hat z. B. Lipset* 5 bei der amerikanischen Druckergewerkschaft eine A r t Zweiparteiensystem festgestellt, das einem bestimmten Demokratieverständnis entspricht. Dies ist eine institutionalisierbare Erkenntnis, die zu der Norm, daß innerverbandliche Fraktionsbildungen zuzulassen seien, führen könnte. Die Frage, warum dieses System bei der Druckergewerkschaft funktioniert, weist aber darüber hinaus auf Bildungsund Interessenhomogenität der Mitglieder, was sich i n einer sozialen Sonderstellung, gemeinsamen Clubs etc. äußert. Diese Demokratiebedingungen sind nicht normativ erfaßbar. Die soziologisch fundierte Begründung, warum Fraktionen zuzulassen seien, verschwimmt zur bloßen Aufforderung, Fraktionen nicht zu hindern, u m Demokratisierungspotentiale nicht abzuschneiden 46 . Die auf den ersten Blick sehr farblose Angabe, „die Regelung des Kräfteverhältnisses zwischen der Gewerkschaftsleitung, den übrigen Gewerkschaftsorganen und den M i t gliedern" als Maßstab innergewerkschaftlicher Demokratie benützen zu wollen 4 7 , erweist sich damit als für eine rechtspolitische Betrachtung ziemlich realistisch. Noch i n einer weiteren Perspektive ist die gerade erwähnte Formulierung angemessen, nämlich von der undoktrinären Festlegung des Prüfungsmaßstabes her, m. a. W. des zugrundegelegten Demokratieverständnisses. Korrekterweise müßte einer Analyse seine klare Festlegung vorausgehen, dann müßte erläutert werden, warum er auf die Gewerkschaften anwendbar ist 4 8 , dann seine Einzelausprägungen abgeleitet werden. Spätestens auf der letzten Stufe muß aber wieder zurückgegriffen werden auf eine Auseinandersetzung m i t dem kritisierten Objekt 4 9 . Es ist eben die Eigenart von ideologischen Begriffen wie dem der Demokratie 5 0 , solange nur Richtungen anzugeben, bis sie konkommission der DPG, 353 ff. Die angeschnittene Frage kann von Bedeutung werden, wenn die Loyalitätsgründe der Gewerkschafter untersucht werden. 45 s. M. Lipset, u. a., Union Democracy, 1962, passim. 46 Ein Gesichtspunkt, der bei der Diskussion um die Zulässigkeit des äußeren Koalitionszwangs viel zu kurz gekommen ist: union security bedeutet doch Nivellierung der Außenstehenden und Stärkung der Gewerkschaftsführung. 4 ? P. Hanau, H. M. Stindt 539, 540; ähnlich D. v.Schmädel, Führung im Interessenverband, 1968, 39 ff. 48 G. Hartfiel, Gewerkschaftsprobleme in der entwickelten Industriegesellschaft, Soziale Welt 1968, 290 ff., 292 geht von der Unüberbrückbarkeit staatsrechtlicher und gesellschaftsstruktureller Demokratiemodelle aus, ein Aspekt, den H. Föhr gänzlich außer Betracht läßt; siehe auch F N 50 und unten I I I 4 b. 49 Vgl. z. B. U. v. Alemann, dessen abstrakte Thesen 182,185, auch 190 ff., nur sehr locker mit der Auseinandersetzung klar abgegrenzter Einzelpunkte zusammenhängen; I. Fetscher, 377 ff.

3.b) Elemente innergewerkschaftlicher Demokratie

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k r e t i s i e r t sind, v o n w o aus der Prozeß w e i t e r e r D e m o k r a t i s i e r u n g stattfinden kann, u n d zwar a u f g r u n d der dialektischen Spannung einer Idee v o n D e m o k r a t i e u n d der jeweiligen Institutionalisierung der v o r m a l i g e n I d e e 5 1 . I m m e r h i n lassen sich z w e i G r u n d a u f f a s s u n g e n z u m D e m o k r a t i e b e g r i f f k l a r unterscheiden, die g e w i s s e r m a ß e n d i e P o l e i m w e i t e n F e l d v o n D e m o k r a t i e a n s ä t z e n b i l d e n . D i e eine, eine i n s t r u m e n t e l l - f u n k t i o n a l e Theorie m i t deskriptivem Anspruch, sieht D e m o k r a t i e ausschließlich als M e t h o d e z u r E i n s e t z u n g v o n R e g i e r u n g e n d u r c h M e h r h e i t s e n t s c h e i d a n 5 2 , d i e andere, e i n e n o r m a t i v e , findet i n d e r B e t e i l i g u n g des E i n z e l n e n a n k o l l e k t i v e n E n t s c h e i d u n g s v o r g ä n g e n e i n e n B e i t r a g zu seiner S e l b s t v e r w i r k l i c h u n g , e i n e n W e r t a n sich, e i n Menschenrecht s o g a r 5 3 . Je m e h r eine D e m o k r a t i e a u f f a s s u n g f ü r V e r m e h r u n g v o n K o n t r o l l e n der H e r r s c h a f t j e d e r A r t e i n t r i t t , desto eher ist z u v e r m u t e n , daß sie sich l e t z t e r e m M o d e l l a n n ä h e r t 5 4 . Es l i e g t a u f d e r H a n d , daß d i e M i n i m a l f o r d e r u n g e n des e r s t e n M o d e l l s v o n d e n deutschen G e w e r k s c h a f t e n ohne M ü h e e r f ü l l t w e r d e n ; a n i h r e r „ f o r m a l demokratischen" S t r u k t u r w i r d gemeinhin nicht gezweifelt 55. D i e K r i t i k a n d e r g e w e r k s c h a f t l i c h e n D e m o k r a t i e r i c h t e t sich i m w e s e n t l i c h e n gegen die U b e r m a c h t d e r F u n k t i o n ä r e u n d d i e E n t f r e m 50 Vgl. oben Einleitung; G. Leminsky, 214, 215; Demokratie als ausschließlich staatsrechtliche Größe betrachten zu wollen, kann nicht befriedigen; auch mit kulturhistorischen und entwicklungspsychologischen Argumenten („Adamsneid") ist eine Restriktion der Demokratie-„Bewegung" nicht begründbar, so aber W. Hennis, Demokratisierung, 68 ff. 51 Die Prozeßhaftigkeit, die im Begriff „Demokratie" impliziert ist, betonen P. Badura, B K Art. 38, 36; F. Vilmar, Strategien, passim, insbes. 23, 102 ff. Von daher ist auch die lediglich Elemente aufzählende Umschreibung des Demokratiebegriffes in BVerfGE 2, 1, 12 zu verstehen; auch H. Ryffel, Der demokratische Gedanke im politischen und sozialen Bereich, Festschrift 25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer „Demokratie und Verwaltung", 1972, 191 ff., 207. 52 J. A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 2. (dtsch.) Ausgabe 1950 (1944), 427 ff.; eine präzisere Formulierung ist nicht gefunden, mag diese Auffassung ziemlich pessimistisch bis zynisch-affirmativ sein, sie ist realitätsnah, damit aber als „bewegende Kraft" nicht zu gebrauchen. 53 W. Däubler, Das Grundrecht auf Mitbestimmung, 1973, 7, 44, 129 ff., 161; I. Fetscher, 377, 378; H. Ryffel, 196, 202, 203; U. v. Alemann, 182 (zur Zugehörigkeit zu den „basic human rights"). 54 G. Leminsky, 194; W. Abendroth, 272 ff.; F. Vilmar, Strategien, 99 f.; G. Schäfer, Demokratie und Totalitarismus, in: Politikwissenschaft, hrsg. von G. Kress und D. Senghaas, 1969, 105 ff., 109. Einen Mittelweg beschreitet H. Scheer, Innerorganisatorische und innerparteiliche Demokratie, in: Demokratisierung in Staat und Gesellschaft, hrsg. v. M. Greiffenhagen, 1973, 140, 141 ff. (148), der drei „initiale Demokratisierungsmotive" nennt: „Effektivierung des Output, Verhinderung von Mitgliederinteressenmißachtung, Normerfüllung." 55 So implizit K. H. Biedenkopf, Koalitionsfreiheit, 208, 209; O. v.NellBreuning, 200, 201; W. Abendroth hebt die demokratische Willensbildung affirmativ hervor, Innergewerkschaftliche Willensbildung, Urabstimmung und „Kampfmaßnahme", AuR 1959, 261, 265; siehe aber F N 6 2 !

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

dung der Mitglieder von der Gewerkschaft 56 , organisationssoziologisch gesprochen gegen „drei Faktoren, von denen starke Tendenzen zur organisationsinternen Oligarchienbildung ausgehen: die Auswirkungen komplexer Organisationen auf die Machtposition der führenden Organisationsvertreter, die Statusdiskrepanz zwischen Führungs- und M i t gliederposition sowie die Apathie der Mitglieder" 5 7 . Da diese drei Faktoren augenscheinlich zusammenhängen — Apathie der Mitglieder ist auch Funktion der Verhaltensweisen der Führungsgruppe 5 8 ; durch ihre Macht kann die Führungsgruppe auf den Wahlmechanismus Einfluß nehmen, der bei freiem Ablauf ihre Stellung gefährden, somit ihren Status zu dem eines ordentlichen Mitglieds zurückstufen könnte, was sie vermeiden w i l l — soll i m ersten Schritt eine Aufstellung undemokratischer Satzungsregeln und denkbarer Verbesserungen i n Stichworten erfolgen 59 . — Höherer Formalisierungsgrad der Satzungen. Er könnte informelle Autoritätsbeziehungen mildern und so die demokratischen Verfahren innewohnenden Verunsicherungen z. B. aufgrund des Wahlmechanismus verselbstverständlichen 60 . I n diesen Zusammenhang gehören die Aufnahme von Verfahrensordnungen i n die Satzung, was bis jetzt durchaus sporadisch nur geschehen ist 6 1 , die Regelung des Wahlkampfes u m Funktionärssitze, etwas, was i n den deutschen Gewerkschaften imbekannt ist, wenn man die Satzungen liest 6 2 , die K l ä r u n g des Status von 56 F. Naschold, Organisation und Demokratie, 2. Aufl. 1971, 7 ff.; H. Bilstein, 344 ff.; G. Hartfiel, 293 ff.; W. Nickel, a.a.O., relativiert die Apathie der Gewerkschaftsmitglieder, wobei ihm sein Erkenntnisziel, über das Mitgliederpotential Material zu erhalten, eine etwas andere Fragestellung nahelegt; zu Parteien W. Abendroth, 298 ff.; auf die Produktionsverhältnisse rückbezogen E. Mandel, 361; H. J. Sperling, a.a.O., resümiert i m Sinne W. Nickels. 57 F. Naschold, 14. 58 D. v.Schmädel, 63 ff.; F. Naschold, 14; F. Vilmar, 219, 220. 59 Zunächst wieder unter Ausklammerung gegenläufiger Gesichtspunkte; Übersichten bei D. v.Schmädel, 39 ff., 67 f., 59 ff.; H. Föhr, 153 ff., allerdings von einem an einer staatsrechtlich orientierten Demokratieauffassung ausgerichteten rigiden Standpunkt aus; K. Popp, 114 ff. Zur Sicht der Gewerkschaftsführung H. O. Vetter, Rede 334 ff.; „DPG", 352 ff., dazu J. Schneider, Deutsche Postgewerkschaft zwischen ständischer und gewerkschaftlicher I n teressenvertretung, in: „Gewerkschaften und Klassenkampf", Kritisches Jahrbuch, hrsg. O. Jacobi u. a., 1972, 91 ff., insbes. 99 ff. so „DPG", 352; D. v.Schmädel, 81 ff. 61 Vgl. oben I 3 b, c. 62 Eine abweichende Praxis scheint auch nicht bekannt geworden. Besonderes Gewicht wird auf den Wahlkampf in den USA gelegt, vgl. den LabourManagement Reporting and Disclosure Act von 1959 (L.M.R.D.A.), sec. 401; dazu K. H. Biedenkopf, Unternehmen und Gewerkschaft i m Recht der Vereinigten Staaten von Amerika, 1961, 223 ff.; Ch. W. Anrod, Das amerikanische Gesetz von 1959 über die Beziehungen zwischen Arbeitnehmerschaft und Arbeitgebern, RdA 1960, 312 ff., 314; im englischen Recht (Trade Union and Labour Relations Act 1974, sec. 6) wird von den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden die Aufstellung einer detaillierten Wahlordnung verlangt.

3.b) Elemente innergewerkschaftlicher Demokratie

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ehrenamtlichen Funktionären 6 3 , insbesondere aber eine Regelung über den Einfluß der gewerkschaftlichen Vertrauensleute und Betriebsräte auf die lokalen Gremien 6 4 . — Föderalisierung — Dezentralisierung. Einem verbandsmäßigen A u f bau von unten nach oben (vgl. § 7 PartG) können wesentliche Demokratisierungseffekte zukommen 65 , sofern das Prinzip konsequent bis zu den lokalen und betrieblichen Einheiten durchgeführt wird. — Autonomie der Aktivität der Basis. Dies betrifft den Aufbau der unteren und mittleren Organisationsebene: Mitspracherecht bei der Gliederung der Lokalebene, Regelungen über die Maximalgröße der lokalen Einheiten 6 6 ; eine i n einem bestimmten Rahmen weit gesteckte Selbständigkeit i n der Satzungsgestaltung; freie Bildung von Gruppen zu besonderen Zwecken und Anlässen 67 , Schutz gegen Auflösung durch den Hauptvorstand, Regeln über die Aufsichtsbefugnis der höheren Organe 68 ; selbständige Entscheidungsbefugnis über Aufnahme und Ausschluß von Mitgliedern m i t anschließendem Instanzenzug, Selbständigkeit i n der Bestellung der Funktionäre 6 9 ; Aufgabendifferenzierung und Erweiterung der Beteiligung von Ehrenfunktionären 7 0 ; ein gewisses Maß an Finanzmitteln zur freien Verfügung; Informationsrechte zur Sicherung des Informationsflusses i n beiden Richtungen der Vertikalen, das Recht, eigene Stellungnahmen zu publizieren; eine allgemeine Erweiterung der Kompetenzen, insbesondere Beteiligung an Tariffragen 7 1 . Der letzte Punkt weist auf die Notwendigkeit wesentlicher Demokratisierung der Bezirksebene hin, der gerade bei der diskutanten Vermittlung der konkreten Tarifvorstellungen der Lokalebene wichtige Funktionen zukommen können, die sie i n ihrer jetzigen Stellung als bloße Schalt- und Vollzugsstation nicht wahrnehmen können 7 2 . 63 Demokratisierung durch Rollenvermehrung kann, wenn überhaupt, nur durch klare Verantwortlichkeiten, Abwählbarkeit etc. erreicht werden, bloße Titularstellen sind sinnlos. 64 Zu diesen Machtverschränkungen einleuchtend F. Vilmar, 222 ff., auch „DPG", 359, 360. 65 ff. O. Vetter, Rede, 331; weniger wichtig angesehen von G. Leminsky, 199; vgl. auch Parteienrechtskommission, 165 f. 66 D. v. Schmädel, 92 ff. 67 G. Leminsky, 196; „DPG", 358; ff. Bilstein, 348. 68 A. Hueck, ff. C. Nipperdey, 552; §16 PartG; vgl. insbes. auch das Mißtrauen, das in den USA gegen die Treuhandschaft der Gewerkschaftszentrale über lokale Einheiten gehegt wird (K. ff. Biedenkopf, Unternehmer, 222). 69 P. Hanau, ff. Stindt, 544, 545; das Problem, daß sachkundige Bürokraten nicht durch Wahlen bestellt werden können, könnte durch entsprechende Dezentralisierung z. T. gemildert werden. 70 ff. Bilstein, 348. 71 F. Vilmar, 221; IGBSE-Gewerkschaftstag 1972, a.a.O. 72 G. Leminsky, 200.

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

— Stärkung der Entscheidungsbefugnisse der Mitglieder. Basisaktivierung heißt, auf das einzelne Mitglied bezogen, Verfahrensvorschriften, insbesondere auch über Aufstellung und Wahl von Kandidaten 7 3 , Direktwahl aller Funktionäre, d. h. Abschaffung des weitverbreiteten Kooptationsprinzips, Verminderung von Stimmrechten ex-officio 7 4 , Wahl der Antragskommission, Beschränkung der Amtsdauer m i t dem Ziel der Ämterrotation 7 5 , Erweiterung der Bereiche obligatorischer Urabstimmung 7 6 . — Stärkung des Gewerkschaftstages gegenüber dem Hawptvorstand. Die Gewerkschaftstage haben häufiger stattzufinden 77 , jeder Gewerkschaftstag bestimmt Zeit und Ort seiner nächsten Zusammenkunft selbst 78 ; A m t und Mandat sind nicht vereinbar; die Antragskommission wurde schon erwähnt; besonders wichtig erscheint eine Erweiterung der Befugnisse des Gewerkschaftstages gegenüber dem Hauptvorstand auf dem Gebiet des Pressewesens (Bestellung der Redakteure) 79 und der Vermögensverwaltung (Bestellung und Überwachung der Gesellschafter der Treuhandgesellschaften, Beschränkung der Zahl der Aufsichtsratsposten des Vorstands) 80 , da beides nicht zu unterschätzende Machtkomplexe des Vorstands sind; eine direkte Verantwortlichkeit des Sektors Bildungswesen gegenüber dem Gewerkschaftstag würde i n gleicher Richtung wirken. — Weitere Kontrollmöglichkeiten der Exekutivmacht sind die Schaffung vorstandsunabhängiger Schiedsgerichte 81 , Mitgliederöffentlichkeit des Gewerkschaftsrats als dauernde Vertretung der Mitglieder zwischen den Gewerkschaftstagen 82 . — Zum Minderheitenschutz siehe oben 3 a. Er umfaßt Antragsrechte, die Ausgestaltung von Quoren, Gruppenschutz, Wahlmodi 8 3 etc. 73 H. Bilstein, 348. 74 Vgl. E. v. Alemann, 196 ff.; H. Bilstein, 348; PartG §§ 9 I I , 11 I I 2, 12 I I 2. 75 F. Vilmar, 224; U. v. Alemann, 182; „DPG", 358, zur Abwählmöglichkeit. 76 F. Vilmar, 221, 225; H. Bilstein, 346; skeptisch O. Kahn-Freund, Labour and the Law, 1972, 216; näher unten I I I 4 b c c . 77 D. v. Schmädel, 42, 67 f.; H. Bilstein, 346, zu „Lenkungsmitteln" des Vorstandes; man beachte aber, daß nach amerikanischem Recht die Abstände zwischen 3 Jahren für „locals" und 5 Jahren für die Gesamtgewerkschaft angesetzt sind. 78 H. Bilstein, 346. 70 H. Bilstein, ebd. so F. Vilmar, 225; „DPG", 358. 81 „DPG", 359; vgl. § 14 PartG. 82 Eine Vorschrift, nach der der Vorstand seine Entscheidungen in Sitzungen und nicht im Umlauf verfahren trifft, könnte entsprechend wirken; „DPG", 359. 83 Siehe oben I I 2 a; ferner E. Mandel, 367, G. Leminsky, 196, A. Hueck, H. C. Nipperdey, 551 f.; auch § 15 I I I PartG.

3.b) Elemente innergewerkschaftlicher Demokratie

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— Stellung des einzelnen Mitglieds. Ein Aufnahmeanspruch folgt nicht aus demokratischen Grundsätzen 84 . Mitgliedschaftsrechte müssen gleich sein, wobei die positive Verstärkung der Chancen des Wahlbewerbers problematisch ist 8 5 . Das Disziplinarrecht ist zu formalisieren (rechtsstaatliches Verfahren, Schiedsgericht, Fixierung der zulässigen Ordnungsmaßnahmen und ihrer Verwirklichungstatbestände), der Ausschluß dabei besonders zu berücksichtigen (vorläufiger Rechtsschutz, Schadensklausel als Ausschlußgrund wünschenswert, Verhinderung der Verfolgung von Minderheiten) 8 6 . Diese, nicht abschließende Aufzählung der Demokratisierungselemente, soll genügen. Forderungen nach einer Umschichtung der gewerkschaftlichen Struktur zu Räten auf Betriebsebene können, wie auch die entsprechenden gewerkschaftlichen Ansätze, außer Erwägung bleiben 8 7 .

Es gilt nun, nach den Grenzen gewerkschaftlicher Demokratisierung zu fragen. Sie setzen sich zusammen aus zwei Elementen, die nicht strikt voneinander trennbar sind: funktionellen und strukturellen. Unter erstere fallen solche, die sich bei der Erfüllung der Gewerkschaf tsauf gaben ergeben, unter letztere diejenigen, die sich daraus ergeben, daß die Gewerkschaften Teil eines politischen Obersystems sind. Es ist eine der klassischen Fragestellungen der Systemtheorie, ob und inwieweit ein demokratischer Informationsverarbeitungsprozeß die Effizienz eines zweckbestimmten Systems mindert. Schlagwortartig w i r d auf das „eherne Gesetz der Oligarchisierung" verwiesen oder gefragt, ob Demokratie trotz Organisation, lies Bürokratie, möglich sei 88 . Diese Betrachtungsweise w i r d zum Teil rundweg als ideologisches Kampfmittel gegen Demokratisierung angesehen 89 , zum Teil zwar übernommen, jedoch Demokratisierung nicht als hinderlich für die Reduzierung von Umweltkomplexität i n Systemen angesehen, son84 Diese sprechen eher dagegen (siehe unten I I I 4 a), aA O. Kahn-Freund, Rechtliche Garantien, 347, der aber hier Demokratie und Gleichbehandlung identifiziert, was zu vereinfacht ist. 85 Voraussetzungen der Wählbarkeit, Anspruch auf Veröffentlichungen in der Gewerkschaftspresse, auf finanzielle Unterstützung: Alles dies steht in engem Zusammenhang mit der inneren Fraktionsbildung. 86 Vgl. § 10 PartG; oben I I 3 a. 87 Insbes. die von A. Gorz (Übersicht dazu bei E. Mayer, 136 ff.). 88 Wenn beim Bundeskongreß des DGB 1969 von 430 Delegierten 236 hauptamtliche Gewerkschaftsfunktionäre waren (H. Limmer, 128), spricht das, trotz der besonderen Bedingungen, denen eine Spitzenorganisation unterliegt, doch eine deutliche Sprache. 8 » F. Vilmar, Strategien, 332 ff.

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

dern vielmehr als eine der Umwelt notwendig entsprechende Möglichkeit hoher Differenziertheit der Informationsverarbeitung 90 . Die Diskussion der Organisationssoziologie läßt sich rechtspolitisch jedoch nur begrenzt auswerten, und zwar so, daß der Gesetzgeber gewisse Entwicklungstendenzen von Verbänden für möglich ansieht und sich darauf einstellt. Es sind dies abstrakt: (1) Ein Verband, der darauf angelegt ist, gegenüber anderen Verbänden Ziele durchzusetzen, w i r d sich auf dessen Struktur einstellen einerseits und andererseits sein Machtpotential durch Bürokratisierung zu maximieren suchen 91 . (2) Eine Verbandsbürokratie strebt tendenziell danach, ein eigenes Subsystem i m Verband zu werden, d. h. nach Selbsterhaltung, Machtzuwachs, Behandlung der verbandsdemokratischen Impulse als Außenfaktoren 9 2 . (3) Es gibt sehr viele Möglichkeiten für einen Verband, Zweckerfüllung (Effizienz) und Entscheidungsfindung (Demokratie) einander zuzuordnen, solange der Verband autonom über die Prioritäten entscheiden kann 9 3 ; dabei ist zu beachten, daß er zu seiner Legitimierung gegenüber den Mitgliedern unter desto größerem Erfolgszwang steht, je weniger diese am Verbandshandeln beteiligt sind (Partizipationstheorem 9 4 ). (4) Organisationssoziologisch entscheidende Faktoren wie Selbstverständnis oder Fähigkeit zur Mitarbeit der Verbandsmitglieder entziehen sich normativer Regelung 95 . 90 F. Naschold, 61 ff., 70, passim; kritisch zu diesem Ansatz H. Scheer, 142 ff., nach dessen Ansicht F. Naschold die konkreten Besonderheiten und Unterschiede zwischen verschiedenen Organisationen zu sehr vernachlässigt. 91 Für den Gedanken der Gegenorganisation grundlegend Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (Ausg. 1956), 128 (Kap. I I I § 5); G. Leminsky, 199; G. Hartfiel, 299. 92 D. v. Schmädel, 59 ff., weist darauf hin, daß Verbandsführung immer funktionaler Autorität bedarf, die sich zusammensetzt aus Sachkunde, Kenntnis des Verbandsinstrumentariums und der Interaktionsmöglichkeiten; dieses Wissen ist in einem Großverband nicht dauernd und insgesamt allgemein verfügbar, woraus die Oligarchisierung folgt. 93 Das von F. Naschold propagierte „Optimierungsmodell" findet hier seine Grenzen: Wenn die Umwelt zwar komplex ist, sich jedoch so strukturiert, daß sie nur mit einem sehr massiven input für die Organisation relevant wird, muß die Organisation entsprechend reagieren; im übrigen betrachte man die Vielzahl möglicher Analyse- und Erklärungsmodelle; dazu die einleuchtenden Ausführungen J. Bergmanns, 245 ff., zur notwendig quasidemokratischen Struktur der Gewerkschaften, soweit es die Außenbeziehung im organisationssoziologischen Sinn betrifft. 94 H. J. Weitbrecht, 87 m. w. N. 95 Eine entscheidende Schwäche der Organisationssoziologie für die rechtspolitische Diskussion ist, daß sie sich in ihren Überlegungen immer auch auf eine bestimmte Anthropologie stützt oder stützen muß, die sie ihrerseits nicht fundieren kann.

3.b) Elemente innergewerkschaftlicher Demokratie

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(5) Die Punkte (1) und (2) beschränken (3) und damit dem Trend nach demokratische Entwicklungen; unterstellt (1) und (2) seien ganz invariabel, was höchst unwahrscheinlich ist, dann kann die gesetzliche Stärkung der Chancen demokratischer Willensbildung nur zu einem Effizienzverlust führen, wenn (4) invariabel ist9®. Für die Gewerkschaften ergibt sich folgendes Bild: Die gewerkschaftliche Zielsetzung ist i n verschiedener Hinsicht außenorientiert. Sie muß sich der Arbeitgeberseite auf der unteren Organisationsebene anpassen, aber auch auf der höheren, insbesondere dann, wenn die öffentliche Hand Arbeitgeber ist 9 7 . So erklärt sich die Dezentralisierung von GEW und GdP nicht zum geringsten Teil aus der Landeskompetenz für K u l t u r und Sicherheit. A n diesem Beispiel zeigt sich, daß allein die Tatsache, daß eine bestimmte demokratische Regelung bei der einen oder anderen Gewerkschaft vorzufinden ist, einen nicht berechtigt, diese Regelung ohne weiteres für verallgemeinbar zu halten 9 8 . Des weiteren erwächst die Notwendigkeit starker Zentralisierung der Gewerkschaften aus ihrer sonstigen Interessenvertretungsaufgabe, die m i t ihren Vertretern nicht nur bei den Ministerien, i n den Ausschüssen und der Lobby anwesend, sondern auch m i t verfügbarer Sachkenntnis schnell reagierend und entscheidungsfähig sein müssen, ferner an den Informationsquellen und den Eingangsstellen der Medien Präsenz zeigen müssen. Hier gehen die allgemeine antiföderale Entwicklung i n der Bundesrepublik und die zentralistische Politik der Verbände Hand i n Hand 9 9 . Dem richtigen Einwand, daß i m Grunde eine Spitzenorganisation wie der DGB für derartige Aufgaben zuständig sei, somit aus der Verknüpfung dezentralisierter, regionaler Arbeitgeberorientierung und allgemeiner, zentraler Interessenwahrnehmung keine Folgerungen für Struktur oder Bürokratisierung der einzelnen Gewerkschaften gezogen werden könnten, ist entgegenzusetzen, daß die Macht bei den Einzelgewerkschaften liegen muß, da sie letztlich nicht aus der gewerkschaft»6 H.-J. Wallraff, 349 ff., 352, 353 ff., zeigt, daß die Aktionsbereiche sich zunehmend differenzieren mit der Folge, daß eher von einer Verlagerung der Effizienz von einer Organisation zu einer anderen gesprochen werden kann als von einem Effizienzverlust — dies setze nämlich ein fixiertes Gewerkschaftsbild voraus. 97 So besonders „DPG", 350 f.; allgemein zu dieser Außenbeziehung J. Bergmann, 242 ff.; W. Müller-Jentsch, 227, unter Hinweis auf S. M. Lipset, daß die Gewerkschaften im Verhältnis zu den multinationalen Unternehmen kein Gegengewicht gebildet haben. 98 Man betrachte nur die Arbeitgeberstruktur, der sich I G M und N G G gegenübersehen, deren Basisarbeit folglich völlig unterschiedlich aufzufassen ist. Die Zentralisierung der GEW wurde u. a. ausdrücklich damit begründet, daß sich die Kompetenzen im Kultusbereich weitgehend unitarisiert hätten. 99 Zu dieser Unitarisierung zusammenfassend K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 8. Aufl. 1975, 90 ff.; W. Müller-Jentsch, 227.

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

liehen Wirtschaftsmacht und ihrem Wählerpotential sich ableitet, sondern aus der Wirksamkeit von Arbeitskampfmaßnahmen einer möglichst großen und geschlossenen Gewerkschaft — ein entscheidender Unterschied zur Herrschaftschance der Parteien, die als solche gar keine Macht ausüben können 1 0 0 und auch nicht müssen. Diese Außenbeziehung ist es, die de facto die größten Wirkungen auf die Binnenstruktur der Gewerkschaften zeitigt. Auch wenn sich die Streikmethoden gewandelt haben — nicht der allgemeine Streik ist heute wohl das übliche Arbeitskampfmittel, sondern der punktuelle, schaltstellenbezogene —, so ändert das nur wenig, da ohne Zentralmacht, die lenkt, unterstützt, verhandelt, arbeitnehmerische Ziele nicht verfolgt werden könnten 1 0 1 . Für das oligarchische Bestreben der Verbandsbürokratie bezeichnend ist, daß die Kampfkraft der Gewerkschaft auch zur Einschränkung von demokratischen Ansätzen dort, wo sie gar nicht berührt wird, als Argument herangezogen wird, so z. B. bei der Bekämpfung von innergewerkschaftlichen Fraktionen, die angeblich die Einheit der Gewerkschaft nach außen zerstören, obwohl ihre Subordination i m diskutanten Prozeß an Gewerkschaftstagen sich ergeben könnte, der jedoch gar nicht zugelassen w i r d 1 0 2 . I n der Tat sind unter dem Gesichtspunkt der Außeneffizienz nur einige der Demokratievorschläge überhaupt tangiert, so insbesondere die Entlassung der Untereinheiten i n größere Unabhängigkeit, die vom Verdacht, daß bald die Front gegenüber den Arbeitgebern aufgeweicht werde, begleitet w i r d 1 0 3 . Ferner w i r d ge100

Sondern nur über die „von ihnen besetzten Ämter". Deshalb ist — trotz aller gegenteiligen Beteuerung (H. Grebing, Gewerkschaften, 397) — das Spannungsverhältnis „Ordnungsfaktor" — „Gegenmacht" keineswegs theoretisch aufgelöst, geschweige denn dann, wenn man Gewerkschaftsdemokratie anstrebt. Ein anderer Aspekt, nämlich der, daß mit zunehmender Differenzierung der Arbeit die Macht von Spezialisten wächst, ändert nichts an der Notwendigkeit zentraler Lenkung (ein Fall wie der der Fluglotsen, wo nur ganz wenige Arbeitsplätze bestehen, dürfte die Ausnahme sein) und der Disziplinierung, die sogar größer wird, da die Gefahr des Ausbrechens Einzelner sich verstärkt; das Problem liegt vielmehr bei der Loyalitätssicherung dieser potenten Minderheiten! — Siehe auch J. Münstermann, K. Schacht, L. Unterseher, Handlungsfelder der Gewerkschaften, G M H 1975, 329 ff., die aus der Beobachtung der Zentralisierung des Tarifverhandlungssystems und seiner Isolierung von den Betrieben Strategien zur Erhaltung der zentralen Koordinierungsmacht der Gewerkschaften entwickeln. 102 Hier schwingt sicherlich noch etwas vom Kadergeist der traditionellen Arbeiterbewegung mit, die in diszipliniertem Kampf die äußeren Bedingungen für die Arbeiterschaft ändern wollte (vgl. H. Limmer, 152); dies dürfte vor allem für ehrenamtliche Altfunktionäre gelten, während die geheimen Wünsche der Gewerkschaftsmanager eher auf totale Beherrschung „ihrer" Organisation gerichtet sind, ohne ihnen damit irgendwelche Machenschaften wie die des amerikanischen Führers der Transportarbeitergewerkschaft Hoffa unterstellen zu wollen. los Dies gilt insbesondere für die finanzielle Selbständigkeit der Untergliederungen, die damit ein wesentliches Druckmittel in der Hand hätten. 101

3.b) Elemente innergewerkschaftlicher Demokratie

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glaubt, durch einen häufigeren Wechsel der Verbandsspitze werde die Verständigung der Manager mit anderen leiden. Schließlich werden perhorresziert die Beschränkung der ausschließlichen Zuständigkeiten des Hauptvorstands, die Stärkung der Artikulationschancen von M i n derheiten und endlich die Forderung nach Klärung der Sanktionen abweichenden Verhaltens von Mitgliedern — hier sind gewisse generalpräventive Effekte auf die Solidarität gerade in kritischen Momenten willkommen, mögen sie auch zu Lasten des Einzelnen gehen. Demnach kann nicht i n toto behauptet werden, daß organisationssoziologische Überlegungen notwendig zu antidemokratischen Lösungen führen müßten. Es besteht der angedeutete Optimierungsspielraum (Ziff. 3 oben). Die These, daß Kompromiß- und Verpflichtungsfähigkeit i n Tarifverhandlungen nur m i t einer quasidemokratischen Gewerkschaftsstruktur zu erzielen sei, sollte schon deshalb i m Partizipationsversuch getestet werden, w e i l diese A r t der Verpflichtung i n letzter Zeit einige Rückschläge erlitten hat 1 0 4 . Darüber hinaus ist nicht zu vergessen, daß es auch zu den Zielen der Gewerkschaften gehört, Demokratie zu verwirklichen und zu verbreiten, ebenso wie — jedenfalls nach einem gewissen Verständnis — den Arbeitsfrieden zu gewährleisten. Daraus können sich Zielkonflikte ergeben. Wenn man davon ausgeht, daß in einem Verband freiwilliger Mitglieder Souverän die M i t glieder sind, w i r d man dazu neigen müssen, einem demokratischen Entscheidungsprozeß die Lösung dieser Konflikte zu überlassen. Dazu zählt aber nicht nur die Zieldefinition, sondern auch die Wahl der Strategie, die wiederum wesentlich eine Entscheidung über Organisationsfragen ist. Insofern ist die gegenwärtige Organisationsgewalt der Gewerkschaftsexekutive viel zu unkontrolliert. Soweit der Gewerkschaft Zielkonflikte aufoktroyiert werden (vgl. oben I I 3 b), muß sich nichts anderes für den internen Prozeß der Reaktionsbildung ergeben als für einen gewöhnlichen Zielfindungsprozeß — der input ist zwar massiver als die sonstigen Eingangsinformationen, jedoch nicht qualitativ verschieden 105 ; es besteht jedoch die Gefahr, daß ein wirksamer Willensbildungsprozeß die aufoktroyierten Ziele nicht mehr wie erwartet verarbeitet, was zur Ablehnung der Verpflichtung oder zur Auflösung der Gewerkschaft führen kann 1 0 6 . 104 vgl. h . J. Weitbrecht, 70 ff.; zu den wilden Streiks oben I I 2 b F N 109, insbes. S. Braun, 246; K. Schacht, L. Unterseher, a.a.O. 105 F. Naschold, 62 ff., zur Bewältigung diverser Inputs, insbes. 80 f. 106 Oder zu einer Neuformierung und Verfestigung der Gewerkschaftsbewegung, die sich im Zweifel an das Verbot des politischen Streiks (ein solcher wäre es wohl nach jetziger Auffassung) nicht mehr gebunden fühlte; diese Spekulation gälte aber nur, wenn die Gewerkschaftsmanager das Steuer aus der Hand verlören.

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

Die funktionale Betrachtung der Grenzen innergewerkschaftlicher Demokratie brachte als Ergebnis, daß die Behauptung, die Demokratisierung gewerkschaftlicher Entscheidungen würde zur Disfunktionalität und letztlich einer Zerstörung des Systems „Gewerkschaft" führen, weder theoretisch zwingend ist, noch m i t einiger Wahrscheinlichkeit sich als richtig erweisen wird. Und trotzdem halten die Satzungen an potentiell undemokratischen Regelungen fest. Trotzdem bleibt, so die Behauptung gewerkschaftsinterner K r i t i k e r 1 0 7 , die Praxis hinter den Satzungen zurück. Dies ist Ansatzpunkt für die Erörterung der strukturellen Demokratiegrenzen, d. h. der Binnenbestimmungen der Organisation, dem Verhalten der Mitglieder, ihren Rollen und den Rollenerwartungen der Verbandsspitze i m Zusammenspiel dieser Elemente, die aber nicht isoliert werden können von ihren gesamtgesellschaftlichen Bedingtheiten. Die Demokratisierungsbestrebungen stützen sich auf die Annahme, daß Entscheidungsprozesse rational ablaufen können, d.h. i n einem öffentlichen Verfahren aufgrund hinreichender Faktenkenntnis i m diskursiven Meinungsaustausch, und daß diese Rationalität bei den M i t wirkenden i n Loyalität umschlägt. Der ganze Vorgang gestaltet sich so, daß die Chance, als fair und real empfunden, seine Interessen durchsetzen zu können, den Einzelnen motiviert, daran teilzunehmen 1 0 8 . Eine solche selbstverantwortliche Haltung ist bei den Gewerkschaftsmitgliedern nicht gegeben. Die Stichworte Konsumentenverhalten, Apathie, Loyalitätsschwund etc. 1 0 9 werden zur Kennzeichnung ihrer Einstellung gebraucht. Die Gewerkschaftsspitze rechnet m i t i h r und stellt sich darauf ein i n ihrer Publizität, ihren Informationen und ihrer Werbung, i n den Vorschlägen und der „Vorbereitung" ihrer Durchsetzung 110 . Die Hilflosigkeit der Gewerkschaftsführung angesichts der sog. wilden 107 G. Leminsky, 200; E. Schmidt, E. Weick, Arbeiteröffentlichkeit und Gewerkschaften, in: Gewerkschaften und Klassenkampf, Kritisches Jahrbuch '75, hrsg. v. O. Jacobi u.a., 1975, 182, 189ff.; aus den Berichten von Gewerkschaftstagen läßt sich kein klares Bild entnehmen; vgl. aber den Hinweis z.B. i m Protokoll des 9. ordentlichen Gewerkschaftstages 1971 der DP, 330 f. 108 Man vgl. den Diskussionsbeitrag von Stephan ( G M H 1971, 372), der besorgt um die Mitbestimmung, die im Meinungsbild der Arbeiterschaft auf Platz vier gerückt ist, diese „popularisieren" will; kennzeichnend auch die Begriffswahl von J. Münstermann, u.a., 329, 336f.: „Agitationsperspektive", „legitimationswirksame Politik der Verbandsspitze"; zum Ganzen J. Habermas, Legitimationsprobleme, 131 ff. Erst rationale Motivation verhindert einerseits Totalitarismus, andererseits Steuerung; ob sie in Urabstimmungen gegeben sein kann, muß daher zweifelhaft bleiben. 100 „Konsumorientiertes Massenverhalten" („DPG", 350); G. Hartfiel, 294 ff., baut diese Erscheinungen in den Gesamtzusammenhang des Wohlfahrtsstaates ein. uo Siehe oben F N 7 7 ; ergänzend hins. der „Strategie des kalkulierten Streiks" W. Müller-Jentsch, 237; W. Nickel, Zum gegenwärtigen, 487.

3.b) Elemente innergewerkschaftlicher Demokratie

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S t r e i k s w a r f r a p p a n t , d i e technokratische B e h a n d l u n g d e r A p a t h i e p r o b l e m s , n ä m l i c h a l l e i n u n t e r d e m G e s i c h t s p u n k t des M i t g l i e d e r schwundes als q u a n t i t a t i v e m U m s t a n d u n d des d a m i t v e r b u n d e n e n E f f i z i e n z v e r l u s t e s , e v i d e n t 1 1 1 . H a l t u n g u n d E r w a r t u n g ergeben e i n e n p e r f e k t e n Z i r k e l , d e r A n s p r u c h , V o r r e i t e r der D e m o k r a t i e z u sein, w i r d f r a g w ü r d i g . D a s P r o b l e m z e i g t sich j e d o c h i n seiner w a h r e n Größe, w e n n d u r c h R e f o r m u n d B i l d u n g s a r b e i t A b h i l f e gesucht w i r d : D e m o k r a t i e e r w e i s t sich n ä m l i c h sofort als gesamtgesellschaftliches D a t u m b z w . N o n d a t u m , d a es n u r schwer v o r s t e l l b a r ist, daß e i n A r b e i t n e h m e r als G e w e r k s c h a f t e r l e b e n d i g e r D e m o k r a t ist, z u g l e i c h a m A r b e i t s p l a t z passiver B e f e h l s e m p f ä n g e r , z u g l e i c h als S t a a t s b ü r g e r a k k l a m i e r e n d e r Wähler, zugleich w e r b u n g s m a n i p u l i e r t e r K o n s u m e n t v o n P r o d u k t e n u n d K u l t u r . Es w ä r e v e r w u n d e r l i c h , w e n n es n i c h t e t w a s w i e e i n Gesetz der gesellschaftlichen H o m o g e n i t ä t g ä b e 1 1 2 . Nicht zu übersehen ist, daß vielerorts die Neigung besteht, die gezeigten Grenzen gewerkschaftlicher Demokratisierungsmöglichkeit äußerst eng zu ziehen. So werden die strukturellen Schranken demokratischer Entscheidungsfindung nahezu unübersteigbar gemacht mit der Erklärung, daß der „liberale Glaube an die harmonisierende Wirkung rationaler Diskussion überholt ist" 1 1 3 . Auf der anderen Seite wird die Außenbestimmtheit der Gewerkschaften überbetont: „Der (gewerkschaftsinterne) Willensprozeß ist zirkulär und widersprüchlich. Zirkulär, weil das Resultat der in den Repräsentationsorganen geführten Diskussionen schon vorweg durch die technischen Regeln makro-ökonomischer Lohnfindung determiniert ist. Widersprüchlich, weil er Nichtlegitimierbares durch Konsens legitimieren soll: Forderungen, die sich durch die jeweils gegebene Konstellation makroökonomischer Zusammenhänge bestimmen und durch »technische Regeln 1 definieren lassen, können nur akzeptiert, nicht aber durch Normen der Verteilungsgerechtigkeit legitimiert werden. Gleichwohl muß aber im und durch den Willensbildungsprozeß der Schein erzeugt werden, es handele sich um eine offene Diskussion, in der allein die ungezwungene, demokratische Zustimmung der Beteiligten die Entscheidung bestimme 114 ." Eine Demokratisierung i m dargestellten Sinn wird damit aber sinnlos. Derartige Überbetonungen einzelner Aspekte der Bedingungen demokratischer Entscheidungen sollten in einer rechtspolitischen Diskussion relativiert gesehen werden, nämlich auch nur als Tendenzaussage mit bestimmtem Ziel. Dieses aber ist eindeutig faßbar nur als sehr allgemeines: Eine 111

So z. B. der Gesamteindruck der Untersuchungen W. Nickels, ebd. Vgl. W. Müller-Jentsch, 232 ff.; J. Habermas, Legitimationsprobleme, 66 ff.; H. Scheer, 147, 166. 113 U. Scheuner, Das Mehrheitsprinzip, 59; vgl. auch P. Kevenhörster, Demokratiekonzeptionen und Demokratisierungsbestrebungen, in: Grenzen der Demokratie? Probleme und Konsequenzen der Demokratisierung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, hrsg. v. L. Erhard, K. Brüß, B. Hagemeyer, 1973, 41 ff., der die Schwächen von Demokratisierungsbestrebungen in vier Komplexen erörtert (Dezentralisierung der Entscheidungen, Effektivität der Kontrolle, integrative Konfliktregelung, Innovationsfähigkeit). 114 J. Bergmann, O. Jacobi, W. Müller-Jentsch, 274, in Konsequenz ihrer Analyse auf S. 37 ff. 112

9 Gerhardt

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

normative Gestaltung eines Subsystems darf nicht Anforderungen stellen, die wegen des Bezugs zum Gesamtsystem unerfüllbar sind.

Daraus folgt für den Gesetzgeber: Demokratische Vorschriften für den Bereich der Gewerkschaften sind dann nicht ohne Chancen auf Erfolg, den Gewerkschaften einen Anstoß zu geben 115 , ihre Vorstellungen von Demokratisierung i n die Realität umzusetzen zu versuchen, wenn gleichzeitig i n Aussicht gestellt wird, daß Demokratisierung als gesamtgesellschaftlicher Prozeß begriffen wird. Letzteres schließt den Gedanken, daß Demokratisierung ein Vorgang autonomer Gestaltung sei, m i t ein , so daß — auf den Ausgangspunkt zurückweisend und auf i h n rückwirkend — die verordnete Demokratie zurückhaltend ausgestaltet sein muß11®. A n dieser Stelle schlägt die rechtspolitische Fragestellung i n die der politischen Durchsetzbarkeit um: Wer w i l l heute — i m Frühjahr 1976 — den Gewerkschaften weismachen, daß der Demokratiebefehl nicht eine autonomieverkürzende Zwangsmaßnahme einer u m das wirtschaftliche Gesamtwohl besorgten Staatsgewalt ist, die u m die Wahl geeigneter M i t t e l zur Wirtschaftslenkung verlegen ist?

Ergebnis: Zentralisierung, Verapparatisierung, Mitgliederentfremdung sind die beherrschenden Stichworte der Diskussion u m innergewerkschaftliche Demokratie. Inwieweit diese Erscheinungen notwendige Folge gewerkschaftlicher Aufgabenerfüllung insbesondere als „Kampfverband" sind, ist nicht klar zu beantworten: Es besteht eine starke Vermutung, daß tatsächlich Gewerkschaften bürokratisch-zentralistischer Effizienz bedürfen, genauso berechtigt scheint aber auch die Annahme, daß der gewerkschaftliche Funktionsärsapparat eine Tendenz zu oligarchischer Sekuritätspolitik i n sich nährt. Die rechtspolitischen Vorschläge variieren von weitgehenden Partizipationsmodellen bis h i n zu nüchternen Minimalgarantien Schumpeterscher Demokratieauffassung 117 . Hß O. Kahn-Freund, Labour, 210, 215, 217 meint, daß man die Gewerkschaften zwingen könne und solle, von den in ihnen liegenden Möglichkeiten der Selbstgestaltung Gebrauch zu machen. Das aber wäre nur über einen völligen Neubeginn möglich, der sich rechtlich nicht erreichen läßt. Vgl. immerhin die Anforderungen, die sec. 6 des Trade Union and Labour Relations Act 1974 an die Ausgestaltung der Satzungen stellt. H6 Dazu ausführlicher unten I I I 4 b bb, cc. ii7 Von letzterer gehen die amerikanischen und englischen Gesetze selbstverständlich aus, wobei der amerikanische L.M.R.D.A. 1959 so sehr eine Antwort auf Mißbräuche im Gewerkschaftswesen war („lex Hoffa"), daß sein

3.c) Gewerkschaften und Außenseiter

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c) Gewerkschaften und Außenseiter Die beharrlichen Versuche der Gewerkschaften, ihren Mitgliedern finanzielle Vorteile gegenüber Nichtkoalierten zu verschaffen, scheinen zur Zeit ohne Aussicht auf Erfolg zu sein, nachdem sich das B A G grundsätzlich gegen eine Differenzierung zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern i n Tarifverträgen ausgesprochen hat. Die hinter diesen Versuchen stehende Interessenlage ist für ein Koalitionsgesetz von Bedeutung nicht nur, weil die rechtspolitische Forderung nach einem Aufnahmeanspruch der Außenseiter als umgekehrter Koalitionszwang begriffen werden kann, sondern auch, w e i l sie die innergewerkschaftliche Interessenverteilung zwischen Funktionären und Mitgliedern nochmals beleuchtet. Die Gewerkschaften haben ein natürliches Interesse an einer hohen Mitgliederzahl, da die Befestigung und Durchsetzungskraft der Gewerkschaft desto höher sind, je höher der Organisationsgrad ist. Daneben herrscht bei den Funktionären, wie gerade oben gezeigt wurde, ein hohes Maß an Sorge u m die Erhaltung der Mitgliedschaftsdisziplin (Beitragszahlung, Unterordnung und Folgsamkeit), zu der auch die Verhinderung von Fraktionen gezählt wird, und demzufolge auch u m die Erhaltung der zentralen Leitungsmacht und der Statusdifferenz zwischen Mitgliedern und Funktionären. Das Interesse am Mitglied und das an seiner Disziplinierung können gegenläufig sein. Für die Gewerkschaftsführungen taucht nun folgendes Dilemma auf: Die Gewerkschaften erbringen Leistungen, die zum Teil rechtlich, zum Teil auch nur faktisch jedem Arbeitnehmer zugute kommen. Kommen aber auch die Nichtorganisierten i n den Genuß der von den Gewerkschaften erstrittenen Vorteile, besteht für sie keine Veranlassung zur Unterstützung der Gewerkschaften 118 . U m trotz der allgemeinen Zugänglichkeit zu den Leistungen der Gewerkschaften weitere Mitglieder zu gewinnen, bedarf es selektiver Anreize. Je stärker der Abstand zwischen den Leistungen, die den Mitgliedern vorbehalten sind, und rechtspolitischer Hintergrund hier nur beschränkt verwertet werden kann. — Zum tatsächlichen Hintergrund britischer und amerikanischer Gewerkschaften A. Villiger , Aufbau und Verfassung der britischen und amerikanischen Gewerkschaften, 1966, mit gewissen Differenzierungen zum gerade Gebrachten, die jedoch nicht ausschlaggebend sind (S. 135, 139 f., wichtig insbes. 166 ff., 175). 118 N. Eickhof, Mitgliedschaft bei Gewerkschaften, Hamburger Jahrbuch (18) 1973, 167 ff.; R. Steinberg, Koalitionsfreiheit, 103 f., m. w. A. R. Steinberg hält daher die Rechtsprechung des B A G zu den Differenzierungsklauseln für falsch, weil sie tendenziell die Gewerkschaften und damit das Tarifvertragssystem schwächt (105 f.). — Die von J. Münstermann, u. a. vorgeschlagene Gewerkschaftstheorie zielt darauf ab, „Nicht-Lohn-Forderungen" politikfähig und damit gegenüber den Gewerkschaftsmitgliedern legitimationswirksam zu machen (ebd. 334, 336 f.). 9*

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

denen, die allen zugute kommen, desto größer der Anreiz. Ein Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt liegt i n den Augen der Arbeitnehmer nur dann vor, wenn die Nutzen-Kosten-Relation der Gewerkschaftsmitgliedschaft einen überwiegenden Nutzen zeigt. I n diese Relation können materielle und nichtmaterielle Faktoren eingehen. Nichtmaterielle Faktoren wären z.B. die Chance echter Mitbestimmung i n den Gewerkschaften oder ein Statusgewinn durch die Mitgliedschaft. Da den Gewerkschaftsführern daran gelegen ist, nichtmaterielle Faktoren nicht ins Gewicht fallen zu lassen, w e i l sie die zentrale Leitungsmacht der Gewerkschaftsführer gefährden könnten, versuchen sie, die Außenseiter materiell zu distanzieren 119 . I n der Zulassung materieller Differenzierungen zwischen Koalierten und Nichtkoalierten liegt also — das ist für eine Betrachtung gewerkschaftsinterner Machtverteilung von Gewicht — potentiell eine Stärkung der Gewerkschaftsfunktionäre. Die gleiche Überlegung gilt, nebenbei bemerkt, auch für alle rechtspolitischen Vorschläge zu einer zentralen Verwaltung der Arbeitnehmervermögen, die im Wege der Vermögensbildung angesammelt werden.

Die tatsächlichen Interessen der Außenseiter lassen sich ebensowenig klar erfassen wie die der Gewerkschaftsmitglieder. Auch hier ist man auf Postulate angewiesen. Das Verhalten der Außenseiter kann positiv (Zustimmung zum gegenwärtigen Gewerkschaftssystem und zur Gesamtlage) wie negativ (Ablehnung der Gewerkschaften) gedeutet werden. I m übrigen kann man die Ablehnung jedes äußeren Koalitionszwangs als selbstverständlich unterstellen. M i t dieser Unterstellung arbeitet auch das BAG, wenn es Differenzierungsklauseln als undurchsichtig qualifiziert und folgert, deshalb müßten sie zwangsläufig gegen das Gerechtigkeitsempfinden der Außenseiter verstoßen 120 . Diese Interessenlage kann sich verschieben. Folgende Tendenzen würden rechtspolitisch den Anspruch der Außenseiter auf Teilhabe an den Gewerkschaften unterstützen: — Je stärker die Monopolstellung einer Gewerkschaft, desto geringer das Interesse der Gewerkschaft am einzelnen Mitglied, desto gewichtiger dessen Anspruch auf Berücksichtigung, desgleichen der Anspruch des Außenseiters auf Nichtdiskriminierung, d. h. jedem zusätzlichen Element des Koalitionszwangs entspricht ein Anwachsen des Teilhabeanspruchs des Einzelnen 1 2 1 . hö Zu den verfassungsrechtlichen Folgerungen unten I I I 4 a. 120 B A G A P Nr. 13 zu Art. 9 GG (Teü I V , V I I I 5 f.). 121 Vgl. unten I I I 4 a.

3.c) Gewerkschaften und Außenseiter

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— Je schärfer der soziale Konflikt 1 2 2 , desto abhängiger w i r d das M i t glied von der Gewerkschaft, die ihrerseits Kampfkraft und solidarisierende Ideologie betonen wird, was sich gegen partikularisierende Sonderinteressen richtet. — Je mehr die Gewerkschaften i m Staat wie Parteien als integrierende oder polarisierende Kräfte 1 2 3 , wirken, desto größer die Verschiebung der Interessenlage der Arbeitnehmer von der materiellen auf die politische Seite der Gewerkschaftszugehörigkeit, was bei Fortbestehen der Apathie zum Abstehen von der Gewerkschaft führen kann. Gewisse Anzeichen einer Repolitisierung der Arbeiterschaft sind m i t Vorsicht zu bewerten. Insgesamt ist die These spekulativ, da die Bewertung des Verhältnisses zwischen materiellen und nichtmateriellen Belangen i m Kreis des Mitgliederpotentials nicht klar ist 1 2 4 . Von den an diesen Interessenkonflikt anknüpfenden Überlegungen sind die, wie der Koalitionszwang sinnvoll und verfassungsrechtlich zulässig zu regeln ist, hier nicht zum Gegenstand weiterer Erörterungen zu machen. Zu beachten ist hingegen der Vorschlag 125 , den Interessen des Außenseiters durch die Schaffung öffentlich-rechtlicher Arbeitskammern entgegenzukommen, i n denen seine allgemeinen Interessen berücksichtigt werden, ohne daß er Tarifbindung und Gewerkschaftszugehörigkeit auf sich nehmen muß. Ob die Kammermitgliedschaft m i t ihrer Beitragspflicht dem einzelnen Außenseiter entgegenkommt, dürfte zweifelhaft sein, zumal nicht anzunehmen ist, daß der Einflußbereich der Gewerkschaften völlig auf die Arbeitskammer übergeführt werden kann. I m merhin würde den Gewerkschaften ein Konkurrent erwachsen, was den pluralistischen Bestrebungen i n den Gewerkschaften Auftrieb geben kann. Schließlich erwächst aus der geschilderten Konfliktslage die Forderung nach einem Aufnahmeanspruch der Außenseiter i n die Gewerkschaften 126 , Er korrespondiert als subjektives Recht der ordnungspoli122 Allgemeine Arbeitslosigkeit, sektorale Arbeitslosigkeit, z. B. durch Rationalisierung oder Monopolstellung des Arbeitgebers, auch durch mittelbare Folgen von Arbeitskämpfen, Störung der staatlichen Sozialleistungen u. v. a. 123 Das muß sich nicht gegenseitig ausschließen, es kommt auf die Art der Beziehungssetzung an, vgl. z. B. W. v. Simson, Das demokratische Prinzip i m Grundgesetz, W D S t R L 29 (1971), 3, 12 ff., 30, 37, der die verfassungstechnischen Mittel einer Vorabstimmung, Wertverteilung und Verschränkung erörtert und das Hineindrängen der sozialen Kräfte in die Wertverteilung als entwicklungsfähiges, aber noch nicht ausgereiftes Instrument ansieht; zum Ganzen unten I I I 3 c. 124 Vgl. oben I I 3 a; die Bewertung der wilden Streiks 1969 und 1973 als Anzeichen einer Politisierung der Arbeiterschaft scheint noch nicht hinreichend gesichert. 125 Vgl. oben I I 2 b F N 103. 126 Vgl. oben I I 2 a F N 29.

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I I . Die Gewerkschaften in rechtspolitischer Sicht

tischen Forderung nach Repräsentativität der Gewerkschaften einerseits, der Forderung nach Schutz der Gewerkschaftsmitglieder vor sachlich nicht gerechtfertigtem Ausschluß andererseits.

Ergebnis: Der Anspruch des Außenseiters auf Teilhabe an den den Koalitionen vorbehaltenen Tätigkeitsbereichen findet seine rechtspolitische Rechtfertigung i n der tendenziellen Ausweitung und Monopolisierung dieser Tätigkeiten i n Gewerkschaftshand. Zur Verhinderung einer Diskriminierung des Außenseiters sind öffentlich-rechtliche Arbeitskammern oder die Normierung eines Aufnahmeanspruchs denkbare Mittel.

I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz: die verfassungsrechtlichen Bindungen des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Rechts der Koalitionen D e r Gesetzgeber 1 i s t b e i d e r S c h a f f u n g eines Koalitionsgesetzes a n d i e V e r f a s s u n g g e b u n d e n . D a m i t A u s n a h m e d e r F o r d e r u n g nach e i n e m B u n d e s w i r t s c h a f t s - u n d S o z i a l r a t als echtem S t ä n d e p a r l a m e n t k e i n e rechtspolitischen F o r d e r u n g e n e r h o b e n w e r d e n , d i e eine V e r f a s s u n g s änderung anstreben2, bedürfen die Grenzen der verfassungsändernden Gewalt hier keiner Erörterung 3. D i e verfassungsrechtliche P r ü f u n g eines Koalitionsgesetzes h a t ausz u g e h e n v o n A r t . 9 A b s . 3 G G 4 , d e r speziellen G r u n d r e c h t s n o r m , d i e 1 Für eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung gilt Entsprechendes, da diese vom BVerfG nur in dem Umfang nachgeprüft wird wie ein Gesetz mit dem Inhalt der Rechtsprechung (vgl. Nachw. in BVerfGE 34, 269, 286 ff.). 2 Das DGB-Muster ist abgedruckt G M H 1971, 569 ff.; dazu R. Steinberg, Zur Institutionalisierung, 837; J. H. Kaiser, Die Repräsentation, 349 ff.; W. Geiger, Das Demokratieverständnis des Grundgesetzes, in: Demokratie und Verwaltung (25 Jahre Hochschule für VerwaltungsWissenschaften Speyer), 1972, 229 ff., 234; hinzuweisen ist auch auf H. D. Heidelmann, Zur Institutionalisierung eines zentralen Wirtschafts- und Sozialrates in der Bundesrepublik Deutschland, Diss. Göttingen 1975. 3 Auch ein Wirtschafts- und Sozialrat würde nicht in die Grundrechtsbereiche eingreifen, die auch der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht berühren kann (vgl. dazu Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 1971, Art. 79 R N 4 2 ; Art. 9 RN12); die These der Kettenreaktionstheorie (A. Hueck, H. C. Nipperdey, 75 f.) ist abzulehnen (Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Art. 79 R N 39); aber auch die Theorie vom Menschenrechtsgehalt ist nicht recht stichhaltig, da sie nichts anderes besagt, als daß Art. 1 G G Ausprägungen auf allen Lebensbereichen haben kann, die in einem allerletzten Kern (dies Erfordernis wegen Art. 19 Abs. 2 GG, der nicht durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützt ist) staatlichem Zugriff entzogen sind; um dies zu begründen, bedarf es aber nicht der Garantie der einzelnen Grundrechte, diese Bereiche sind unmittelbar durch die übergreifende Norm des Art. 1 G G geschützt, da Art. 1 GG nicht ein abstraktes Dasein erfassen will. Vgl. U. Scheuner, Probleme der staatlichen Entwicklung der Bundesrepublik, D Ö V 1971,1, 3. R. Dietz, 447, kommt über Art. 79 Abs. 3, 20 (sozialer Rechtsstaat) GG zur Festigkeit der Koalitionsfreiheit gegenüber Verfassungsänderungen; die zu Art. 1 GG geäußerten Bedenken gelten hier mutatis mutandis. 4 H. F. Zacher, Gewerkschaften in der rechtsstaatlichen Demokratie, 712, meint, die verfassungsrechtliche Würdigung könne kaum noch von Art. 9 Abs. 3 G G erfaßt werden. Das hindert aber nicht, die Analyse der verfassungsrechtlichen Ordnungsstrukturen bei dieser Verfassungsvorschrift einsetzen zu lassen. Vgl. auch H. H. Rupp, Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung", 1974, 14 ff.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

f ü r d e n i n F r a g e stehenden Sachbereich andere G r u n d r e c h t e v e r d r ä n g t 5 . I n h a l t u n d Schranken v o n A r t . 9 Abs. 3 G G sind i n einer Reihe v o n E n t s c h e i d u n g e n des B V e r f G k o n k r e t i s i e r t w o r d e n . Diese b i l d e n d e n A u s g a n g s p u n k t d e r U n t e r s u c h u n g . D a b e i w i r d sich zeigen, daß d i e J u d i k a t u r des B V e r f G i n A r t . 9 A b s . 3 G G e i n b e s t i m m t e s h i s t o r i s c h gewachsenes O r d n u n g s b i l d angelegt sieht. A u s diesem a l l e i n l ä ß t sich aber noch nichts ü b e r d i e Z u l ä s s i g k e i t einzelner k o a l i t i o n s g e s e t z l i c h e r R e g e l u n g e n h e r l e i t e n . D a z u m u ß die A n a l y s e der i n n e r e n Sachg e s e t z l i c h k e i t e n dieses L e i t b i l d e s k o m m e n , u m v o m verfassungsrechtl i c h e n S t a t u s q u o a u f d i e verfassungsrechtlichen I m p l i k a t i o n e n eines erst z u schaffenden Gesetzes e x t r a p o l i e r e n z u können®. D i e nachstehende D a r s t e l l u n g w i r d d e m e n t s p r e c h e n d v o n e i n e m k r i t i s c h e n B e r i c h t der B V e r f G - R e c h t s p r e c h u n g ( u n t e r 1) ü b e r eine V e r m i t t l u n g w i c h t i g e r P r o b l e m a u f r i s s e i n d e r D o g m a t i k ( u n t e r 2) z u e i n e r t h e s e n a r t i g e n E r ö r t e r u n g a b s t r a k t e r K r i t e r i e n ( u n t e r 2 d) gelangen, d i e schließlich u n t e r 3 u n d 4 a u f das K o a l i t i o n s g e s e t z z u dessen verfassungsrechtlicher U b e r p r ü f u n g angewandt werden.

5 Ständige Rspr., für Art. 9 Abs. 3 GG vgl. BVerGE 28, 295, 310. Aus der Tatsache, daß das Gericht seine Ansicht in BVerfGE 20, 56, 107, wo es auf Art. 9 GG insgesamt verweist, ohne weiteres auf Art. 9 Abs. 3 G G überträgt, läßt sich im übrigen schließen, daß es Art. 9 Abs. 3 G G in jeder Hinsicht gegenüber Art. 9 Abs. 1 G G als speziellere Regelung auffaßt. • Daß hier eine besondere Problematik dieser Arbeit steckt, ist nicht zu verheimlichen. Versteht man die Verfassung als eine Norm, die die Kontinuität der Integration des Gemeinwesens bewahrt, so ist es von der Verfassung her aufgegeben, in immer wieder erneuertem Zugang auf das Konkrete zu versuchen, die realen Kräfte und Konflikte an die vorgegebenen Ordnungsbilder anzuschließen einerseits, andererseits eben diese fortzuentwickeln. Das dauernde Fortschreiten der sozialen Wirklichkeit, sei es aufgrund eines Wandels der Produktivkräfte, sei es aufgrund der Veränderung des politischen Koordinatensystems durch die einzelnen nationalen oder übernationalen Entscheidungen, sei es im feed-back beider Elemente, zu der die Verfassung, um ihre Normativität nicht zu verlieren, prozeßhaft in beständigem Wechselspiel steht, ist von Bedeutung für die Grenzen des Gesetzgebers, so daß hier Entwicklungstendenzen zu berücksichtigen sind, die nur prognostische Aussagen zulassen. So verändert sich die politische und gesellschaftliche Realität in dem Moment, in dem die bisher nur rechtspolitischen Vorschläge sich zu einem ausformulierten Gesetzesvorhaben verdichtet haben und die allseitigen Reaktionen darauf bereits gewisse, auch rechtlich relevante „Vorwirkungen" zeigen. Diese Faktoren können hier nicht weiter berücksichtigt werden, obwohl sie, wie die Entwicklung des Mitbestimmungsgesetzes gezeigt hat, nicht außer Kalkül bleiben dürfen.

1. Inhalt und Schranken der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts a) Der Inhalt der Koalitionsfreiheit in ihren verschiedenen Gewährleistungen Die Koalitionsfreiheit des A r t . 9 Abs. 3 GG umfaßt drei Gewährleistungen 1 : Sie garantiert als Individualgrundrecht das Recht der Bürger, ohne Rücksicht auf die A r t des Berufes sich zu Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zusammenzuschließen und an der spezifischen Tätigkeit der Koalitionen teilzunehmen, als kollektives Grundrecht schützt sie diese Vereinigungen selbst i n ihrem Bestand und ihrer Betätigung und verbürgt als institutionelle Garantie den Kernbereich eines Tarif Vertragssystems. aa) Das Individualgrundrecht Das Individualgrundrecht der Koalitionsfreiheit gibt dem einzelnen Berufstätigen das Recht, sich an der Gründung einer Koalition zu beteiligen, einer Koalition seiner Wahl bei- und auch wieder auszutreten oder einer Koalition überhaupt fernzubleiben. Daß das Recht, sich einer Koalition nicht anzuschließen, durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt sei, wird zum Teil angezweifelt 2 . Diese sog. negative Koalitionsfreiheit genieße nicht den gleichen Rang wie die sog. positive Koalitionsfreiheit, weshalb sie nur über Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt sei. Der geringere Rang der negativen Koalitionsfreiheit wird damit begründet, daß das Individualgrundrecht des Art. 9 Abs. 3 G G auf die Verbesserung der Durchsetzungschancen des einzelnen Lohnabhängigen durch die Bildung von Kollektiven abziele; es widerstrebe der Entstehung und dem Zweck der Vorschrift, „bloßes Fernbleiben" genauso zu schützen wie die aktive Förderung der Koalitionen. 1 Allgemeine Übersichten geben R. Echterhölter , Verfassungsrecht und kollektives Arbeitsrecht, BB 1969, 237 ff.; W. D. Walloth, Das Koalitionsrecht im Lichte der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, ArdRdGegw 1974 (11), 73 ff.; F.-J. Säcker , Die Institutions- und Betätigungsgarantie der Koalitionen im Rahmen der Grundrechtsordnung, ArbRdGegw 1975 (12), 15 ff.; W. Zöllner , Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 9 Abs. 3 GG, AöR 98 (1973), 71 ff.; ferner G. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 2. Aufl. 1975, §188. 2 Übersicht bei A. Söllner, 59 f.; das BVerfG (E 20, 312, 321; 31, 297, 302) läßt die Frage offen, das B A G bejaht sie (AP Nr. 13 zu Art. 9 GG, Teil VI).

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Auch die negative Koalitionsfreiheit wird von Art. 9 Abs. 3 G G erfaßt. Das ergibt sich zum einen aus der Spezialität des Grundrechts der Koalitionsfreiheit gegenüber dem der allgemeinen Handlungsfreiheit, zum anderen bedarf der Grundsatz, daß die Koalitionen frei gebildete Vereinigungen sind, des Korrelats der negativen Koalitionsfreiheit, die damit notwendig zur Koalitionsfreiheit hinzugedacht sein muß, um dieser ihren Gehalt zu vermitteln 3 .

A r t . 9 Abs. 3 GG gewährleistet auch das Recht des Einzelnen, an der spezifischen Tätigkeit der Koalition i n dem Bereich teilzunehmen, der für die Koalition verfassungsrechtlich geschützt ist 4 . Fraglich erscheint, ob darin eine inhaltlich selbständige Individualgewährleistung zu sehen ist, oder ob dieses Betätigungsrecht nur beinhalten soll, daß dem einzelnen Koalitionsmitglied nicht verboten werden kann, was der Koalition als ganzer gestattet ist. Jedenfalls kann man nicht davon ausgehen, daß dieses Recht sich so, wie es formuliert wurde, auch auf das Innenverhältnis Koalition—Mitglied erstrecken soll 6 . Vom BVerfG nicht geklärt ist die Frage, inwieweit die positive Koalitionsfreiheit die Beteiligung des Einzelnen an der Willensbildung des Verbandes garantiert. Sicherlich wäre es nicht verfassungskonform, anzunehmen, m i t dem Beitritt i n die Koalition erschöpfe sich das I n dividualgrundrecht und gehe jetzt völlig i n der ebenfalls gewährleisteten Autonomie des Kollektivs auf, u m erst wieder beim A u s t r i t t aus der Koalition aufzuleben. Wenn es i n A r t . 9 Abs. 3 S. 1 GG heißt, Vereinigungen zu „bilden", so meint das mehr als eine bloße Gründungsoder Beitrittsfreiheit. Die Kontrollratsdirektive Nr. 31 vom 3.6.1946 6 ging davon aus, daß die innere Organisation der Gewerkschaften demokratischen Grundsätzen entsprechen müsse. Dieses Erfordernis hat das BVerfG bei der Bestimmung der notwendigen Eigenschaften von Koalitionen nicht berücksichtigt. I m übrigen ist zweifelhaft, ob mit dem Verlangen nach demokratischem Aufbau auch die individuelle Rechtsposition des Gewerkschaftsmitgliedes geschützt werden sollte.

bb) Das Kollektivgrundrecht Die kollektive Gewährleistung umfaßt den Bestand und die Betätigung der Koalition 7 . 8

Dazu einige Bemerkungen unten I I I 4 a aa. 4 E 19, 303, 312. 5 Letzteres bringt BVerfGE 38, 297, 303 deutlich zum Ausdruck („Recht der Mitglieder einer Koalition, an deren Arbeit teilzunehmen und Beeinträchtigungen ihrer Tätigkeit zugleich als Verstoß gegen das eigene Grundrecht anzufechten"). 6 Sie bezieht sich unmittelbar nur auf „Gewerkschaftsverbände", setzt aber damit auch eine demokratische Grundorganisation in den Gewerkschaften voraus. 7 R. Dietz, 459; P. Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, 1968, 25; Th. Maunz in: Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Art. 9

l.a) Die verschiedenen Gewährleistungen der Koalitionsfreiheit

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Daß Art. 9 Abs. 3 G G auch ein kollektives Grundrecht ist, stützt das BVerfG auf die historische Entwicklung, hinter deren Stand zurückzufallen es sich durch den Sozialstaatsgrundsatz gehindert sieht 8 . Neuerdings wird angezweifelt, daß die Koalitionsfreiheit je als kollektives Grundrecht aufgefaßt worden sei 9 . Verfassungsrechtliche Relevanz kommt diesen Überlegungen angesichts der eindeutigen Position des BVerfG letztlich nicht zu.

Nicht klar umrissen ist, was unter den Bestand, was unter den geschützten Tätigkeitsbereich der Koalition fällt. Dem „geschützten Bestand" zuzuordnen sind die Existenz der Koalition, ihre organisatorische Autonomie und das Recht, für die Erhaltung und Sicherung ihrer Existenz zu sorgen, u. a. durch Werbung neuer Mitglieder. Welchen Umfang der Schutz der Koalitionsexistenz haben soll, bleibt vor allem deshalb undeutlich, w e i l das BVerfG i n seiner Interpretation des A r t . 9 Abs. 3 GG m i t Selbstverständlichkeit von einem Koalitionspluralismus ausgeht, der einen Wettbewerb zwischen den Koalitionen und das damit verbundene Risiko für die einzelne Koalition mit sich bringt, jedoch an anderer Stelle, allerdings zu A r t . 9 Abs. 1 GG, den Schutz des sozialen Besitzstandes als Argument anklingen läßt 1 0 . Ob das Recht zur Mitgliederwerbung sowie das Recht zur freien Darstellung von Gruppeninteressen durch die Koalitionen gegenüber Staat und politischen Parteien zum geschützten Bestand oder zum geschützten Tätigkeitsbereich gehören, ist nicht völlig klärbar. So leitet das BVerfG das Recht zur Mitgliederwerbung einerseits direkt aus dem Bestandsrecht der Koalitionen ab, andererseits betrachtet es die Mitgliederwerbung unter dem Gesichtspunkt, daß sie „doch nur dem mittelbaren Zweck der Koalition (dient), die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern" 1 1 . Den geschützten Tätigkeitsbereich der Koalitionen bilden der A b schluß von Tarifverträgen, die Betätigung i n der Personalvertretung und die Darstellung der Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmerinteressen gegenüber Staat und politischen Parteien. Allgemein ist man der Ansicht, daß i n Entsprechung der Tätigkeit der Koalitionen i n der Personalvertretung auch die M i t w i r k u n g der Gewerkschaften i m Betrieb verRN123; Th. Ramm, Die Freiheit der Willensbildung, 1960, 30; R. Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, 1968, 71, 75, unter Betonung des individuellen Gehalts; F. J. Säcker, 37; U. Scheuner, Der Inhalt der Koalitionsfreiheit, in: Koalitionsfreiheit, Drei Rechtsgutachten, 1961, 29, 39; W. Zöllner, 77 ff. m. noch w. Nachw. 8 BVerfGE 4, 96, 101 f. ö R. Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, 145; W. Zöllner,

80.

io BVerfGE 30, 227, 241. u BVerfGE 28, 295, 305; F.-J. Säcker, Anm. dazu in JZ 1970, 774, 776 hebt den Bestandsschutz hervor und bezeichnet die Rückführung der Mitgliederwerbung auf den Koalitionszweck als „Eselsbrücke".

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fassungsrechtlich geschützt ist 1 2 . Man kann aber schon hier betonen, daß für das BVerfG das „eigentliche Betätigungsfeld" der Koalitionen der Abschluß, wenn nötig, kampfweise durchgesetzter, Tarifverträge ist 1 3 . Ob sich an diese Tätigkeitsbereiche 14 die Garantie eines allgemeinen Rechts zu freier Entwicklung und Aufgabensetzung sowie zur Verfolgung des Koalitionswohls anschließen läßt, ist nicht ohne Bezug auf die einzelnen Koalitionstätigkeiten zu beantworten 1 5 . Das BVerfG hat i n keiner seiner Entscheidungen versucht, die Stellung der Koalitionen aus dem Begriff „Wahrung und Förderung der Arbeits- und W i r t schaf tsbedingungen" abzuleiten. Uber die Formulierung des Gesamtzwecks der „aktiven Wahrnehmung der Arbeitgeber- (Arbeitnehmer-) Interessen" 1® oder „der Wahrung und Förderung der Dienstbedingungen" 1 7 , die letztlich dem Wohle der Bediensteten dienen 1 8 ist es nicht hinausgegangen. Es hat sich vielmehr auf die historische Entwicklung gestützt, welche, wie schon erwähnt, durch ein Verbot des sozialen Rückschritts abgesichert ist. Der historische Stand w i r d nicht statisch gesehen, so w i r d auf die Fixierung eines vorverfassungsrechtlichen Gesamtbildes verzichtet 19 . Vielmehr gehen i n die Überlegungen des Gerichts ein Gesichtspunkte des Selbstverständnisses der Koalitionen, des Funktionierens der modernen Marktwirtschaft sowie des sozialen Wandels i m Faktischen wie i n der rechtlichen Ausgestaltung. Daß das Gericht auch die weitere Entwicklung i n die Zukunft hinein als offen berücksichtigt, zeigt BVerfGE 4, 96, 108, 109 20 . Darüber sofort unten b. 12 A. Hueck, H. C. Nipperdey, 13 BVerfGE 38, 281, 305 f.

197; F.-J. Säcker, Grundprobleme, 59.

1 4 Die Literatur nimmt im allgemeinen einen weiter gespannten Schutzbereich für die koalitionsmäßigen Tätigkeiten an. Allerdings reichen die Ansichten von einer weiten Auffassung, derzufolge alle Tätigkeiten, die der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen, geschützt sind — so z. B. P. Badura, Arbeitsgesetzbuch, 131 —, bis hin zu sehr engen, die nur die Befugnisse der Sozialpartner i m Tarifvertragssystem für verfassungsrechtlich abgesichert ansehen — so W. Weber, 249 f. —. Ein besonderes Kapitel nimmt die Diskussion ein, ob das Recht zum Arbeitskampf durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist — vgl. dazu P. Lerche, Grundfragen, 42 ff.; A. Söllner, 5 9 1 ; tendenziell bejahend wohl BVerfGE 38, 281, 305 f., zur Frage einer Garantie der Mitbestimmung F.-J. Säcker, Die Institutions- und Betätigungsgarantie, 55 ff. 1 5 A. A. F.-J. Säcker, Grundprobleme, passim, insbes. 40 ff. iß BVerfGE 4, 96, 106. 17 BVerfGE 19, 303, 312 f. 18 Vgl. auch BVerfGE 28, 295, 306 ff. 19 Insbes. BVerfGE 18, 18, 24, 26, wo das Gericht nicht auf eine derartige angebotene Vorstellung eingeht, sowie BVerfGE 28, 295, 304, wo dem „Verbändestaat" ein gewisser Verfassungsrang zugebilligt wird; BVerfGE 2, 380, 403, wo das Gericht diesen Terminus benüjzt, bezieht sich auf ein Leitprinzip, nämlich das Rechtsstaatsprinzip.

l.a) Die verschiedenen Gewährleistungen der Koalitionsfreiheit

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I n w i e w e i t m a n deshalb v o n e i n e r G a r a n t i e d e r f r e i e n W e i t e r e n t w i c k l u n g d e r K o a l i t i o n e n i n A r t . 9 A b s . 3 G G i. V . m . d e m Sozialstaatsp r i n z i p sprechen k a n n , k a n n erst eine f u n k t i o n a l e B e t r a c h t u n g i m e i n z e l n e n ergeben, d e n n auch d i e i n d e r L i t e r a t u r so sehr b e t o n t e n G a r a n t i e n des K o a l i t i o n s w o h l s , der K o a l i t i o n s b e t ä t i g u n g u n d d e r Koalitionszweckverfolgung m i t frei gewählten M i t t e l n 2 1 sind lediglich sekundäre A b l e i t u n g e n . W e n n das G e r i c h t i n E 18, 18, 32 a u s f ü h r t : „Die Koalitionsfreiheit umfaßt die Bildung, die Betätigung und die Entwicklung der Koalitionen in ihrer Mannigfaltigkeit und überläßt ihnen grundsätzlich die Wahl der Mittel, die sie zur Erreichung ihres Zwecks für geeignet halten; dem freien Spiel der Kräfte bleibt es überlassen, ob sie mit den gewählten Mitteln den erstrebten Erfolg erreichen. — Wollte man die Tariffähigkeit von der Kampfwilligkeit abhängig machen, so würde man praktisch die von sich aus kampfunwilligen Koalitionen in der Freiheit der Wahl der Mittel zur Erreichung des Koalitionszwecks einengen . . . " u n d des ö f t e r e n v o n d e r „spezifisch k o a l i t i o n s m ä ß i g e n B e t ä t i g u n g " u n d der „ U n e r l ä ß l i c h k e i t " e i n z e l n e r Befugnisse f ü r d i e E r r e i c h u n g i h r e s Z w e c k s d i e Rede i s t 2 2 , d a n n e r w e i s t sich d e r i n n e r e Z u s a m m e n h a n g a l l e r A u s p r ä g u n g e n der K o a l i t i o n s f r e i h e i t als d e u t l i c h , w o b e i d e m K o a l i t i o n s zweck d i e ü b e r r a g e n d e L e i t f u n k t i o n z u k o m m t 2 3 . cc) D i e „ E i n r i c h t u n g s g a r a n t i e " D i e K o a l i t i o n s f r e i h e i t b e s t e h t n a c h d e r Rechtsprechung des B V e r f G aber n i c h t n u r aus s u b j e k t i v e n G r u n d r e c h t e n . I n B V e r f G E 4, 96, 106 w i r d ausgeführt: „Wenn also die in Art. 9 Abs. 3 G G garantierte Koalitionsfreiheit nicht ihres historisch gewordenen Sinnes beraubt werden soll, so muß im Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 G G ein verfassungsrechtlich geschützter Kernbereich auch in der Richtung liegen, daß ein Tarifvertragssystem i m Sinne des modernen Arbeitsrechts staatlicherseits überhaupt bereitzustellen ist und daß Partner dieser Tarifverträge notwendig frei gebildete Koalitionen sind." O b d a r i n e i n e E i n r i c h t u n g s g a r a n t i e z u sehen ist, h ä n g t d a v o n ab, als w a s d i e Rechtsfigur d e r „ E i n r i c h t u n g s g a r a n t i e " anzusehen ist. 20 Daran dürfte sich durch BVerfGE 38, 281 ff. nichts geändert haben; dazu unten bbb) am Ende; a. A. wohl M. Kittner, Bundesverfassungsgericht und Koalitionsfreiheit, G M H 1976, 154, 157 f.; eher wie hier im Ergebnis H. P. Bull, Arbeitnehmerkammern und Gewerkschaften — Konkurrenz oder Ergänzung, AuR 1975, 271, 273, 275. 21 Vgl. W. Zöllner, 99 f. 22 Z . B . BVerfGE 17, 319, 333; 19, 303, 312; 28, 295, 304. 23 Damit relativieren sich die Ausprägungen der Koalitionsfreiheit, so daß nur schwer gegen paritätische Mitbestimmung aufgrund der Garantie des Tarifwesens in Art. 9 Abs. 3 G G plädiert werden kann — siehe unten I I I 3 e.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Betrachtet man sie als Gewährleistung eines bestimmten Komplexes einfachgesetzlicher Normen 2 4 , so dürfte i n A r t . 9 Abs. 3 GG keine Einrichtungsgarantie zu sehen sein, da das Tarifvertragssystem nicht aus sich heraus zu einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens führen kann, sondern nur der freien Koalitionsbetätigung dienend zur Verfügimg gestellt ist. Unterstellt, es gäbe ein vom jetzigen abweichendes System kollektiver Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, das zu einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens führen würde, dann dürfte auch darin ein „Tarifvertragssystem" i m Sinn des (dann) modernen Arbeitsrechts zu sehen sein. Faßt man unter dem Begriff „Einrichtungsgarantie" diejenigen Elemente einer Grundrechtsnorm zusammen, die einen bestimmten Gesellschaftsbereich verfassungsrechtlich strukturieren, i h m eine bestimmte Ordnung geben, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des jeweiligen Gesellschaftsbereichs zu berücksichtigen hat, kann A r t . 9 Abs. 3 GG durchaus eine Einrichtungsgarantie beinhalten 2 5 . I n der Garantie des Tarifvertragssystems liegt dann die verfassungsrechtliche Anerkennung eines Bereichs gesellschaftlicher Selbstregelung, i n dem sich der Staat grundsätzlich jeder Einflußnahme enthält. Darüber hinaus vermittelt die Denkfigur der „Einrichtungsgarantie" einen Auslegungsbehelf, die geschützte Einrichtung kann also auch auf andere Sachgebiete ausstrahlend einwirken. Schließlich liegt die Erweiterung nahe, daß eine Einrichtungsgarantie auch eine Rahmenanweisung an den Gesetzgeber enthält, die objektiven Voraussetzungen für eine subjektiv-grundrechtliche Betätigung zu schaffen, ein Gedanke, der auch i n der Rechtsprechung zu A r t . 9 Abs. 3 GG vorhanden ist. Ist i n der Koalitionsfreiheit somit eine Einrichtungsgarantie des Tarifvertragssystems enthalten, so ist doch die Besonderheit zu beachten, daß nach Auffassimg des BVerfG dieses nur i n einem Kernbereich geschützt ist. Die den Gesetzgeber limitierende K r a f t der Einrichtungsgarantie w i r d also zumindest teilweise eingeschränkt. Unter „ K e r n bereich" ist nun nicht ein absolut geschützter Bereich, der dem Wesensgehalt eines Grundrechts i. S. d. A r t . 19 Abs. 2 GG entspräche — ein Fall, wo der unantastbare Essentialbereich, der wohl jedem Grundrecht zukommt, auch der Koalitionsfreiheit, berührt worden wäre, war noch nicht akut 2 6 — gemeint, sondern es soll mit der Verwendung dieses 24 G. Abel, Die Bedeutung der Lehre von den Einrichtungsgarantien für die Auslegung des Bonner Grundgesetzes, 1964, 58, 80 f. 25 Vgl. p. Badura, Arbeitsgesetzbuch, 132, zur Qualität der Einrichtungsgarantie als Auslegungsfigur; dazu näher unten 2 c a a ; kritisch zu einer weiten Fassung des Begriffes der „Einrichtungsgarantie" I . v. Münch, Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar), Art. 9 (2. Bearb. 1968) B N 18, auch R. Richardi, 72.

l.b) Die Schranken der Koalitionsfreiheit

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Begriffs angezeigt werden, daß A r t . 9 Abs. 3 GG den Gesetzgeber nicht hindert, nach seinem Ermessen i m von A r t . 9 Abs. 3 GG erfaßten Sachbereich ordnend tätig zu werden. Die Kernbereichslehre, deren Ableitung nachstehend dargestellt wird, erweist sich somit als zentrale Figur zur Begrenzung der Regelungszuständigkeit des Gesetzgebers i m Bereich der Koalitionen. b) Die Schranken der Koalitionsfreiheit aa) Die Kernbereichslehre I n seiner ersten Entscheidung zu A r t . 9 Abs. 3 G G 2 7 entwickelte das BVerfG den Gedanken, daß die Koalitionen den Grenzen unterliegen, die sich aus dem Ordnungsgehalt ihrer Befugnisse ergeben. Das BVerfG geht i n seiner Entscheidung davon aus, daß der Gesamtzweck der Koalitionen, nämlich die aktive Wahrung der Arbeitgeber- (Arbeitnehmer-) Interessen, sich aufgrund der historischen Entwicklung i m Abschluß von Tarifverträgen verwirklicht. Daraus leitet es die Garantie eines Kernbereichs des Tarifvertragssystems i n A r t . 9 Abs. 3 GG einerseits ab, andererseits als notwendige Voraussetzungen für das Vorhandensein echter arbeitsrechtlicher Vereinigungen die Elemente, die von Rechtsprechung und Literatur der Weimarer Zeit zur Tariffähigkeit entwickelt worden sind 2 8 . A u f den Gesamtzweck rückbezogen, verallgemeinert es dann: „Art. 9 Abs. 3 GG w i l l ebenso wie Art. 159 W V nach Sinn und Zweck nur solche frei gebildete Vereinigungen schützen, die nach ihrer Gesamtstruktur unabhängig genug sind, um die Interessen ihrer Mitglieder auf arbeits- und sozialrechtlichem Gebiet wirksam und nachhaltig zu vertreten."

Ist damit der Anwendungsbereich des A r t . 9 Abs. 3 GG i n einer wichtigen Hinsicht geklärt, so ergeben sich weitere Einschränkungen aus der Funktion des Tarif Vertragssystems: „Geht man nämlich davon aus, daß einer der Zwecke des Tarif Vertragssystems eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens, insbesondere der Lohngestaltung, unter Mitwirkung der Sozialpartner sein soll, so müssen die sich aus diesem Ordnungszweck ergebenden Grenzen der Tariffähigkeit auch im Rahmen der Koalitionsfreiheit wirksam werden. Diese Grenzen der Tariffähigkeit zu ziehen, ist an sich Aufgabe des gesetzgeberischen Ermessens." 26 I n der Literatur (A. Hueck, H. C. Nipper dey, 144; W. Zöllner, 84) werden hier genannt die Zwangsauflösung, der Staatskommissar u. ä. 27 BVerfGE 4, 96 ff., das Folgende auf S. 106 ff. 28 Nämlich: Satzungsmäßige Aufgabe die Wahrung der Interessen ihrer Mitglieder in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber (Arbeitnehmer), frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig, daher auf überbetrieblicher Grundlage organisiert, das geltende Tarif recht für sich als verbindlich anerkennend; näher dazu unten I I I 3 a bb.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Daß das BVerfG seinen Blickwinkel verändert hat, nämlich nicht mehr aus der Sicht der Arbeitgeber- (Arbeitnehmer-) Interessen, sondern von einem Ordnungsgesichtspunkt aus argumentiert, zeigt der nächste Satz: „Da der Tarifvertrag das Gebiet des privaten Vertragsrechts verläßt und als unabdingbarer Kollektivvertrag normative Wirkung äußert, kann es dem Gesetzgeber nicht gleichgültig sein, zu wessen Gunsten er sich durch Verleihung der Tariffähigkeit seines Normsetzungsrechts begibt."

Aus dieser Volte w i r d verständlich, warum — i m Gegensatz zum Ausgangspunkt — der Gesetzgeber i n seinem Ermessen bei der Gestaltung der Tariffähigkeit frei ist, eingeschränkt nur durch das Verbot, das Grundrecht der Koalitionsfreiheit auszuhöhlen. Das Gericht faßt zusammen: „Starre Grundsätze lassen sich nicht aufstellen. Das Ermessen des Gesetzgebers, der bei einer Normierung der Tariffähigkeit sowohl die historische Entwicklung des Tarifwesens als auch einen für die Ordnung des Soziallebens gedeihliche Fortbildung des Tarifrechts mit dem Blick auf die Betriebsgestaltung in den verschiedenen Wirtschaftsbezirken wird berücksichtigen müssen, findet seine Grenzen darin, daß die freie Entwicklung der Koalitionen und damit auch ihr Entscheidungsrecht über ihre Organisationsform nicht sachwidrig gehemmt oder in ihrem Kern angetastet werden darf."

Dieser Gedankengang ist nicht nur der einzige i n der Reihe der Entscheidungen zu A r t . 9 Abs. 3 GG, der sich m i t dem Organisationsrecht der Berufsverbände befaßt, sondern charakteristisch auch für die Deduktionen des BVerfG i n seinen weiteren Entscheidungen, bis i n E 28, 295 ff. diese Kernbereichslehre erweitert wird, u m auch Ordnungsgesichtspunkten, die nicht A r t . 9 Abs. 3 inhärent sind, Rechnung tragen zu können. Man könnte den Argumentationsgang des Gerichts verallgemeinernd so paraphrasieren: Den Koalitionen stehen Befugnisse zu, soweit sie ihrem Auftrag i m Innenverhältnis entsprechen, diese Befugnisse sind aber nicht beliebig verwirklichbar, soweit die Sozial- und Wirtschaftsordnung auf ihnen aufbaut. Die Kernbereichslehre des BVerfG ließe sich also bruchlos als Konsequenz der Stellung der Koalitionen i m Spannungsverhältnis Staat—Individuum erklären 2 9 . Zieht man vor, von A r t . 9 Abs. 3 GG als einem klassischen Freiheitsrecht zu sprechen, so kann man zusammenfassen, der subjektive Freiheitsgehalt von A r t . 9 Abs. 3 GG stehe unter dem Vorbehalt der Ordnungsbefugnis des Gesetzgebers für das Gemeinwesen. Dieser deckt sich nicht m i t einem Gemeinwohlvorbehalt. 29

Darüber unten 2 d.

l.b) Die Schranken der Koalitionsfreiheit

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Schrankensystematisch könnte man i n Anlehnung an die obigen Bemerkungen zur Einrichtungsgarantie 30 von einem institutionellen Gehalt des Grundrechts sprechen, wenn man i n der institutionellen Komponente eines Grundrechts sowohl gewährleistende wie auch einschränkende Elemente zu sehen bereit ist, m i t h i n die ganze Ambivalenz des Ordnungsdenkens i n den Grundrechtsbereich hineinzutragen gestattet 3 1 . Nachdem die Kernbereichslehre des BVerfG mehr ein grundrechtstheoretischer Ansatz ist als inhaltliche Aussagen bereitstellt, ist ein vollständiges Bild von der Tendenz der Rechtsprechung des BVerfG nur zu gewinnen, wenn man die Anwendungsfälle der Lehre kurz betrachtet.

bb) Die Schranken der einzelnen Koalitionstätigkeiten Was die Kompetenz der Koalitionen zum Abschluß von Tarifverträgen anlangt, so befassen sich die Entscheidungen 4, 96 ff., 18, 18 ff., 20, 313 ff. neben der grundsätzlichen Frage, ob die Tarifautonomie den Koalitionen auch als kollektives Recht zusteht, m i t der Tariffähigkeit gemischtfachlicher Unternehmerverbände, nichtkampfwilliger Organisationen sowie der Innungen und Innungsverbände, i m weiteren Sinn also m i t den organisationsrechtlichen Implikationen des Tarifwesens. Aus diesen Entscheidungen läßt sich als Hauptanliegen das herausschälen, der Regelung der Löhne und Arbeitsbedingungen durch Tarife möglichst weite Effektivität und breiten Anwendungsbereich zu eröffnen, sekundär sind die M i t t e l und Wege dazu. Das Gericht geht von einem grundsätzlichen Antagonismus der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen aus 32 . Der Ausgleich vollzieht sich i n einem von staatlicher Ingerenz freien Raum i m freien Spiel der Kräfte. Ziel ist dabei die Befriedung und gerechte Ordnung des Arbeitslebens. Diese w i r d durch Gesamtvereinbarungen erzielt. Wo es de facto schwierig ist, so Vgl. oben bei F N 24, 25 und unten I I I 2 c. 31 Auf weiten Strecken der Ausführungen des BVerfG herrscht eine Betrachtung vor, die nicht vom subjektiven (Abwehr-) Grundrecht ausgeht, sondern allein in ordnungspolitischen Kategorien sich bewegt, so daß von den „Schranken" der Koalitionsfreiheit zu sprechen, sich allenfalls aus dem Rechtsschutzcharakter des Verfahrens vor dem BVerfG heraus rechtfertigt. I n der Tat wird kaum in einer Entscheidung das Sozialmodell des BVerfG mit solcher Deutlichkeit dargelegt wie in BVerfGE 38, 281 ff., wo es auf die Ableitung eines Rechtsschutzes aus Art. 9 Abs. 3 GG nicht ankam. — Zur Richtlinienfunktion der Grundrechte im allgemeinen siehe 17. Scheuner, Die Funktion der Grundrechte im Sozialstaat (Die Grundrechte als Richtlinie und Rahmen der Staatstätigkeit) D Ö V 1971, 505, passim, insbes. 510 ff.; zur Komplexität des leistungsstaatlichen Grundrechtsinstrumentariums P. Häberle, Die Grundrechte, 73; ff. ff. Rupp, Vom Wandel der Grundrechte, AöR 101 (1976), 161, 164 ff., 173 ff. 32 BVerfGE 18, 18, 31. 10 Gerhardt

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

dafür Partner zu finden, kann der Gesetzgeber den Kreis der tariffähigen Vereinigungen erweitern 3 3 . Organisationsformen, die zu Tarifunklarheiten und T a r i f w i r r w a r r führen, also dem Ordnungsziel zuwiderlaufen, genießen nicht den Schutz des A r t . 9 Abs. 3 GG 3 4 . Sofern gewisse Mindestgarantien von den Vereinigungen dafür geboten werden, daß sie das Ziel i n ihrem Tätigkeitsbereich 35 erreichen können, sind sie i n der Wahl ihrer M i t t e l frei, i h r tatsächlicher Erfolg oder Mißerfolg w i r d sich i n der Konkurrenz zu anderen Koalitionen niederschlagen. Andererseits setzt „die Verwirklichung der von der Verfassung intendierten Ordnung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen . . . voraus, daß i n den Koalitionen eine ausreichende Zahl von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zusammengeschlossen ist", so daß auch die Werbung neuer Mitglieder i n den Schutz des A r t . 9 Abs. 3 GG einbezogen ist, mag die Mitgliederwerbung auch nur mittelbar dem Koalitionszweck dienen3®. Inwieweit diese Werbung den der Tarifautonomie inhärenten Schranken ausgesetzt ist, hatte das BVerfG noch nicht zu entscheiden, i n BVerfGE 28, 295 ff. ergaben sich Schranken aus dem W i r k e n der Koalitionen i m Bereich der Personalvertretung 37 . I n einer umfangreichen historischen wie auch vom Zweck der Personalvertretung, nämlich dem Wohl der Bediensteten, ausgehenden Begründung bestätigt BVerfGE 19, 303 ff. die Gewährleistung der Koalitionstätigkeiten i m Bereich der Personalvertretung, insbesondere der i n diesem Bereich spezifischen Tätigkeit, Wahlvorschläge zu den Personalratswahlen zu unterbreiten und — dafür wiederum unerläßlich — für diese werbend an die Wählerschaft heranzutreten da, wo sie präsent ist, nämlich i n der Dienststelle 38 . Allgemein definiert das BVerfG die Grenzen gesetzgeberischer Ausgestaltungsfreiheit des Personalvertretungsrechts so, daß der Gesetzgeber den Aufgaben des öffentlichen Dienstes und seiner Verschiedenheit von der Tätigkeit i n privaten Betrieben ebenso Rechnung tragen darf wie den Besonderheiten der einzelnen Zweige des öffentlichen Dienstes 39 , ohne sachwidrig zu handeln. Eine derartige Konkretisierung sachgebietsimmanenter Schranken

33 BVerfGE 20, 312, 318; besonders weit geht dieser Gedanke in BVerfGE 34, 307, 316 f. 34 BVerfGE 4, 96, 108 f. 35 BVerfGE 18, 18, 30, 32. 36 BVerfGE 28, 295, 305. 37 Derartige inhärente Schranken wären insbesondere Wettbewerbsregeln; aber auch die Wirkung von tariflich vereinbarten Effektivklauseln, die die Klarheit des allgemeinen Tarifniveaus beseitigen könnten, würden dem tariflichen Ordnungszweck zuwiderlaufen (vgl. unten I I I 3 a cc). 38 BVerfGE 19, 303, 321. 30 BVerfGE 17, 319, 334.

l.b) Die Schranken der Koalitionsfreiheit

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sieht das BVerfG i m Verbot, daß Personalratsmitglieder während der Dienstzeit für ihre Gewerkschaft Mitglieder werben 4 0 . Es sagt: „Diese Beteiligung des Personalrates an den personellen und sozialen Angelegenheiten kann aber nur dann sinnvoll zur Gestaltung des Arbeitslebens beitragen, wenn der Personalrat gleichmäßig die Interessen aller Bediensteten vertritt und wenn das Vertrauen der Bediensteten in die Objektivität und Neutralität der Mitglieder des Personalrats nicht erschüttert wird."

I n BVerfGE 28, 295, 305 stützt sich das Gericht zur Ableitung des Schutzes der Mitgliederwerbung nicht nur auf die damit erreichte Förderung der Tarifautonomie, sondern auch auf die „den Koalitionen durch A r t . 9 Abs. 3 GG gewährleistete freie Darstellung der i n ihnen organisierten Gruppeninteressen gegenüber dem Staat und den politischen Parteien (BVerfGE 20, 56, 107)". Dieser Beschluß des 2. Senates vom 26. 5.1970 ist i n doppelter H i n sicht bemerkenswert: Während die Ableitung der Tarifautonomie und der M i t w i r k u n g an der Personalvertretung und ihrer Schranken sich auf einen klar umgrenzten, eben „spezifisch koalitionsmäßigen" Sachzusammenhang beschränken konnte, ist die Darstellung von Gruppeninteressen ein allgemeines Problem des Legitimationszusammenhangs des modernen Staates: A r t und Weise dieser Interessendarstellung sind universell, spezielle verbandsorganisatorische Voraussetzungen sind nicht erforderlich. N u r das inhaltliche Interesse, nämlich das der Arbeitgeber und Arbeitnehmer führt zur Anwendung von A r t . 9 Abs. 3 GG 4 1 . I n der Tat postuliert das BVerfG das Recht zu freier Gruppendarstellung zuerst bei der Verortung der politischen Parteien i m vorstaatlichen bzw. staatlichen Meinungs- und Willensbildungsprozeß. Wenn die Koalitionen aber auch insoweit i n einem koalitionsspezifischen Funktionszusammenhang stehen sollen, müssen auch die Schranken sich aus diesem Bereich ergeben. Dem trägt das BVerfG Rechnung, indem es die i n BVerfGE 4, 96 ff. gefundene Klausel erweitert:

40 I m Unterschied zum Fall des Tarifvertragssystems stehen sich hier zwei an sich getrennte Sachgebiete gegenüber, die aber beide in Art. 9 Abs. 3 G G wurzeln, so daß man noch von inhärenter Begrenzung der Koalitionsbefugnisse sprechen kann. Die „Personalratsfälle" stehen insofern in der Mitte zwischen den „Tariffällen" und den „Eigenwerbungsfällen" — über diese sofort. 41 Die darin liegende Lockerung des Zusammenhangs von Koalitionsziel und Koalitionsmittel sowie die Einordnung in die politische Gesamtordnung läßt der Koalitionsfreiheit einerseits einen weiten und bedeutenden Stellenwert zukommen, entzieht ihr aber auch ihre klare Ausgrenzbarkeit und Position, so daß sie sich Art. 2 Abs. 1 GG annähert (dazu unten I I I 2 ebb); zweifelnd zu dieser Rspr. W. Zöllner, 87.

10*

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

„Die Tätigkeit der Koalitionen beschränkt sich nicht auf die Individualsphäre des einzelnen Bürgers; sie ist von großer Bedeutung für die Sozialund Wirtschaftsordnung des Gemeinwesens. Die Verfassung gewährleistet jedoch die Tätigkeit der Koalitionen nicht schrankenlos. Es ist Sache des Gesetzgebers und fällt in den Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit, die Tragweite der Koalitionsfreiheit dadurch zu bestimmen, daß er die Befugnis der Koalitionen im einzelnen ausgestaltet und regelt. Dabei kann er den besonderen Erfordernissen des jeweils zu regelnden Sachbereichs Rechnung tragen. Dem Betätigungsrecht der Koalitionen dürfen aber nur solche Schranken gezogen werden, die zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten sind (BVerfGE 19, 303, 322)42. Regelungen, die nicht in dieser Weise gerechtfertigt sind, tasten den durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Kernbereich der Koalitionsbetätigung an."

Die Kehrseite dieser erweiterten Eingriffsklausel zeigt sich i n folgendem: Während es i n den früheren Entscheidungen um die lineare Abgrenzung i n ein und demselben Sachzusammenhang (Tarifwesen; Personalvertretung) ging, w i r k t hier i n BVerfGE 28, 295 ff. ein aus mehreren Funktionen abgeleitetes, damit von dem einzelnen abgelöstes Prinzip in ein drittes Gebiet, einen neuen Sachbereich, ein, so daß jetzt Gesichtspunkte zur Abwägung kommen, die nur noch komplex miteinander i n Zusammenhang stehen, somit der Bewertungsspielraum weiter wird. Nachdem letztlich, wie das Gericht ausführt, Mitgliederwerbung für den Bestand der Koalition von entscheidender Bedeutung ist, stehen sich zwei Ordnungsbereiche gegenüber, hier der der Koalitionen bzw. der Koalitionsfreiheit, dort der andere, i m gegebenen F a l l der Bereich der öffentlichen Verwaltung bzw. das öffentliche Interesse am ungestörten Funktionieren derselben, die zu vermitteln Aufgabe des Gesetzgebers ist. Auch diese Vermittlung geschieht nach Ansicht des BVerfG unter funktionellen Aspekten, die jedoch, da sehr global, kaum noch als solche erkennbar sind. Einen Anwendungsfall dieser funktionellen Betrachtung des BVerfG bietet die Entscheidung BVerfGE 38, 281. I n ihr hielt es das Gericht für entscheidend, ob eine „echte Konkurrenz" zwischen öffentlich-rechtlich organisierten Arbeitskammern m i t Zwangsmitgliedschaft aller Arbeitnehmer und Gewerkschaften besteht. Ausgehend davon, daß den A r beitskammern i m „eigentlichen Betätigungsfeld" der Gewerkschaften, dem Tarifbereich, keine Befugnisse zustehen, kann eine Konkurrenz nur i m Bereich der Interessenvertretung gegenüber dem Staat und den Parteien i n Frage kommen. Hier aber sieht das BVerfG Funktionsunterschiede, die ein Nebeneinander von Gewerkschaften und Arbeitskammern rechtfertigen: Während die Gewerkschaften, ihrem Wesen nach auf den sozialen Gegenspieler orientierte, auf Kampf ausgerichtete, 42 Diese Verweisung ist ungenau, weil dort die Schranke der Wertung aus der Sache selbst, dem „Sinn und Zweck freier Personalratswahlen" gefolgert wurde, während hier ein anderes, sachfernes Bezugssystem vorliegt.

l.b) Die Schranken der Koalitionsfreiheit

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somit deutlich interessengerichtete Verbände seien, seien die Arbeitskammern darauf angelegt, die Interessen der Arbeitnehmerschaft als Ganzer und i n integrativer Zusammenarbeit m i t dem Staat zu repräsentieren. Von daher könne den Arbeitskammern die Daseinsberechtigung nicht abgesprochen werden. I m übrigen kann man wohl nicht davon ausgehen, daß das BVerfG in dieser Entscheidung einen Kurswechsel in seiner Auffassung von Koalitionsfreiheit vorgenommen hat. Das im Laufe der Erörterungen ans Licht gebrachte Sozialbild des BVerfG könnte man vielleicht als ordopluralistisch bezeichnen. Der Beschluß zur rechtlichen Zulässigkeit der Zwangsmitgliedschaft in den Arbeitskammern von Bremen und dem Saarland könnte insofern von einem stärker integrativ gefaßten Gesellschafts- und Staatsbild ausgehen, als ausdrücklich die Gemeinwohlbindung der Gewerkschaften angesprochen wird und eine öffentlich-rechtliche Gesamtrepräsentanz der Arbeitnehmerschaft in einen gewissen Gegensatz zu den Gewerkschaften gestellt wird. Letzteres schwächt das Gericht aber durch die Betonung des historischen Gewachsenseins der Arbeitskammern in den beiden Bundesländern ab 4 3 , ersteres entspricht den vom Gericht schon immer in den Vordergrund gestellten Zielen des Tarifvertragssystems.

cc) Die allgemeine Kollisionsformel Damit läßt sich die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers i m Bereich der Koalitionen wie folgt zusammenfassen: — Der Gesetzgeber ist befugt, das i n A r t . 9 Abs. 3 GG enthaltene Ordnungselement konkretisierend zu entfalten. Er ist dabei limitiert durch das Gebot der Verhältnismäßigkeit 4 4 . — Eine Kollision m i t anderen Rechtsgütern ist nach den allgemeinen Regeln der Güterabwägung zu lösen 45 . Zwar könnte man erstere Schrankenziehung — sie ist eine Formel zur Abwägung der Ordnungs- und der Freiheitselemente i n A r t . 9 Abs. 3 GG — i n die allgemeine Güterabwägungsformel einbeziehen, jedoch ist es gerechtfertigt, die vom BVerfG vorgezeichnete Zweistufigkeit beizubehalten: Erstere Regel dient nämlich primär der Festlegung des Schutzbereichs von A r t . 9 Abs. 3 GG, während letztere, die allgemeine Kollisionsregel, das Verhältnis des i n A r t . 9 Abs. 3 GG geschützten Bereichs zu anderen Rechtsgütern m i t Verfassungsrang be43

BVerfGE 38, 281, 308 f. Vgl. dazu BVerfGE 38, 281, 301 f. unter Hinweis auf BVerfGE 30, 292, 316 f. 45 Hier fällt die strukturelle Ähnlichkeit der Konflikte mit denen im Bereich der Meinungsfreiheit auf; grundlegend BVerfGE 7, 198, 203 ff., 208, zur allgemeinen Grundrechtskollisionsregel ausgebaut in BVerfGE 30, 173, 191, 195; Überblick bei M. Lepa, Grundrechtskonflikte, DVB1. 1972, 161 ff., 165 ff.; vgl. auch unten I I I 2 a zur Verwertbarkeit der Schranken der „allgemeinen Gesetze" für Art. 9 Abs. 3 GG. 44

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

trifft. Wenn man allerdings, wie es das BVerfG tut4®, den Begriff „Rechtsgut" nicht eng faßt, sondern auch verfassungsmäßige Ordnungsgesichtspunkte so bezeichnet, gelangen die Konturen der beiden A b grenzungsregeln mehr und mehr zur Deckung.

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Wenn das BVerfG das Funktionieren der Wirtschaft, Mittelstandspflege etc. als Gemeinschaftsgüter den verfassungsrechtlichen Rechtsgütern gleichsetzt, so verwundert es nicht, daß im Begriff „öffentliche Aufgabe" (BVerfGE 28, 295, 304) alle Gesichtspunkte amalgamiert werden.

2. Dogmatische Ansätze zur Bestimmung von Inhalt und Schranken der Koalitionsfreiheit Ziel einer dogmatischen Grundrechtsinterpretation ist es, Inhalt und Grenzen grundrechtlicher Gewährleistungen homogen und systematisch zu erfassen. Sie w i r d geleitet von einer bestimmten Grundrechtstheorie, die ihrerseits i n einer bestimmten Staatsauffassimg bzw. Verfassungstheorie wurzelt. Man unterscheidet heute zumindest Grundrechte als Abwehrrechte, als Teilhabeansprüche und als politische Gestaltungsrechte 1 , oder i n anderer Einteilung die Grundrechte als Wertsystem, die institutionelle und die funktionale Seite der Grundrechte 2 . E. W. Böckenförde sieht fünf Grundrechtstheorien i m Gespräch: Die liberale oder bürgerlich-rechtsstaatliche, die institutionelle, die Werttheorie der Grundrechte, die demokratisch-funktionale und die sozialstaatliche 3 . Es soll hier nicht diesen Grundrechtstheorien als solchen nachgegangen werden. Vielmehr geht es darum, sie i n ihren Auswirkungen auf die Bestimmung von Inhalt und Schranken der Koalitionsfreiheit zu erfassen, sie daraufhin zu überprüfen, ob sie ein Normprogramm für koalitionsgesetzliche Regelungen abgeben, und wenn, i n welche Richtung ihre Ergebnisse weisen werden. Vor dem Hintergrund dieser Ansätze können dann — zunächst abstrakte und bloß relationale — Regeln formuliert werden, die A r t . 9 Abs. 3 GG soweit operationalisieren, daß sich eine systematisierte, auf der Rechtsprechung des BVerfG basierende verfassungsrechtliche Behandlung der oben I I dargestellten rechtspolitischen Vorstellungen daran ausrichten kann. Es wird also versucht, in drei Schritten die normativen Aussagen der Verfassung zu einem Koalitionsgesetz zu erarbeiten. Die Referierung der verfassungsrechtlichen Perspektiven soll einen möglichst vielfältigen Problemaufriß aufzeigen und das Spektrum wertender Gewichtung erahnen lassen. Sie mündet ein in ein Kategoriensystem, das die verschiedenen Wertungen auf eine Ebene bringt und so gegeneinander abwägbar macht. Die sich daraus ergebenden Relationen werden in konkrete Abwägungen und Entscheidungen von Sachfragen umgesetzt, die aus der rechtspolitischen Würdigung als problematisch hervorgegangen sind. 1 So die Unterscheidung bei W. Leisner, Der Eigentümer als Organ der Wirtschaftsverfassung, D Ö V 1975, 73. 2 So H. Willke, Stand und Kritik der neueren Grundrechtstheorie, 1975, 20 ff. 3 E. W. Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, N J W 1974, 1529; vgl. auch E. Friesenhahn, Der Wandel des Grundrechtsverständnisses, Festvortrag zum 50. DJT 1974, Verhandlungen Bd. 2 G 1 ff .

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

a) Art 9 Abs. 3 GG im Lichte der traditionellen Schrankensystematik Die klassische Grundrechtsinterpretation unterscheidet zwischen dem Inhalt eines Grundrechts und seinen Schranken: M i t „ I n h a l t " ist ein bestimmter, gegenständlich umschriebener Freiheitsraum gemeint, m i t „Schranken" sind die Eingriffsvorbehalte des Gesetzgebers bezeichnet 4 . Die verschiedenen Arten der Schranken werden i n einem eigenen Lehrgebäude systematisiert 5 . Inwieweit dieses für A r t . 9 Abs. 3 GG fruchtbar gemacht werden kann, ist die Frage. Zunächst ist festzuhalten, daß der — zumindest unsystematischen — Anwendung von A r t . 9 Abs. 2 GG auf Abs. 3 hier kein weiteres Augenmerk zu schenken ist®. Ein Koalitionsgesetz hat andere Ziele als A r t . 9 Abs. 2 GG auszugestalten. Das ist bereits i n § 16 Vereinsgesetz geschehen, an dessen Verfassungsmäßigkeit gemeinhin nicht gezweifelt wird. Berichtenswert ist dagegen der Versuch, die Schranken der „allgemeinen Gesetze" (Art. 5 Abs. 2 GG) als für alle Kommunikationsgrundrechte (Art. 5, 8, 9 GG) gültig aufzufassen 7. Dieser Gedanke führt aber nicht recht weiter. Zum einen umschreiben die „allgemeinen Gesetze" treffend wohl nur die Grenzen der klassischen Meinungsfreiheit, also einen verhältnismäßig klar umrissenen Grundrechtsinhalt. So scheint die Formel der „allgemeinen Gesetze" bereits für die Fragen der inneren Presseorganisation kaum noch Erkenntniswert zu besitzen, und ganz Entsprechendes gilt auch für die Koalitionsfreiheit. Zum anderen führt der Schrankenvorbehalt der Meinungsfreiheit i m Konfliktsfall zu einer Güterabwägung m i t dem schützenswerten Gemeinschaftsgut, u m dessentwillen das konfligierende Gesetz erlassen wurde, wobei die Güterabwägung auf möglichste Entfaltung beider u m den Vorrang streitenden Rechtsgüter bedacht sein soll (WechselWirkungstheorie). Daß der Sache nach das BVerfG diese These auch für die Koalitionsfreiheit übernommen hat, wurde oben I I I 1 b gezeigt 8 . A u f diese Einheitsformel zurückzugreifen, wenn es u m Kollisionen m i t A r t . 12, 14, 33 Abs. 4 und Abs. 5 GG 9 geht, liegt nahe, doch hat man damit keine weiteren Gewichtungen gefunden, wenn man davon absieht, daß Gesetze, die gezielt die 4 K. Hesse, 129 ff, unterscheidet „Normbereich" und „Begrenzung", ß H. v. Mangoldt, F. Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl. 1966, Bd. I, 78 f., 120 ff.; kritisch H. H. Rupp, Vom Wandel, 173. 6 R. Dietz, 448; W. Abendroth, Innergew. Willensbildung, 263, 265; u . v . a . ; a. A. A. Hamann, H. Lenz, Art. 9 S. 242. 7 P. Lerche, Verfassungsr. Zentralfragen, 35; R. Scholz, 335 ff. mit weiteren Differenzierungen. 8 W. Nachw. bei M. Lepa, 165 ff.; vgl. auch A. Hamann, H. Lenz, 243. 0 Dazu ausführlich H. 17. Evers, 45 ff., 52; Art. 33 Abs. 2 - 5 GG stellen den Grenzfall aller Arten von Grundrechtsverständnis in der Verfassung dar.

2.a) Die traditionelle Schrankensystematik

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Koalitionsfreiheit einschränken, ohne einen rechtfertigenden Grund i n sich zu tragen, nicht mehr als „allgemeine Gesetze" verstanden werden können. Das aber ergibt sich bereits aus den Grundsätzen des allgemein geltenden Ubermaßverbotes 10 . Es bedarf dieser Theorie also auch i n praktischer Hinsicht nicht. Die Schrankensystematik könnte aber für A r t . 9 Abs. 3 GG aussagekräftig werden, wenn man innerhalb der Koalitionsfreiheit zwischen den einzelnen Verbürgungen unterscheidet. So entspräche es wohl der traditionellen Schrankensystematik, die Koalitionsfreiheit als Individualgrundrecht als vom Gesetzgeber nicht einschränkbar anzusehen, da ein Gesetzesvorbehalt fehlt, sofern nicht eine Kollision m i t einem anderen Grundrecht zur Annahme einer sog. „immanenten Grundrechtsschranke" führen muß, die Koalitionsfreiheit als Kollektivgrundrecht wegen der „Soweit"-Klausel des A r t . 19 Abs. 3 GG für stärker einschränkbar zu halten 1 1 und endlich i m Bereich der institutionellen Garantie dem Gesetzgeber einen weiten Regelungsspielraum zuzugestehen. I n der Tat gehen Stimmen i n der Literatur von einer Unbeschränkbarkeit der individuellen Koalitionsgründungsfreiheit aus, während sie beim Kollektivgrundrecht der Tariffreiheit und der Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen mehr oder weniger starke Gemeinwohlbindungen billigen 1 2 , die Verbandsautonomie wiederum für nicht einschränkbar halten 1 3 . Letzteres w i r d illustriert durch t y p i sierende Aufzählungen (Staatsaufsicht, Satzungsgenehmigungsvorbehalt, etc.). Der Ausschluß des Gesetzgebers von der Regelung der Verbandsautonomie ist jedoch nicht unbestritten 1 4 . Er dürfte vor allem auf mangelnder Problematisierung beruhen 15 . Denn während die Kriterien für das Vorliegen einer Koalition funktional nur aus dem Koalitionszweck abgeleitet werden, scheut die Überlegung meist vor der Frage der näheren Ausgestaltung der Koalitionen 1 6 zurück, obwohl sie die 10 Vgl. BVerfGE 30, 292, 316 f.; 38, 281, 301. 11 Dieser Umstand verbirgt sich allerdings meist hinter der Frage, ob bzw. inwieweit Grundrechte auf juristische Personen „anwendbar" sind; vgl. Nachw. bei R. Scholz, 128. 12 Nachw. bei F.-J. Säcker, 52; A. Hueck, ff. C. Nipperdey, 151 f.; W. Weber, 249 f. 13 A. Hueck, ff. C. Nipperdey, 143 f.; W. Weber, 249 f.; W. Abendroth, Innergew. Willensbildung, 265; zumindest letzteres I. v. Münch, BK, Art. 9 R N 148. 1 4 R. Dietz hält allgemeine Rechtsregeln für das Leben der Koalitionen für zulässig, z. B. durch Schaffung einer besonderen Verbandsform; U. Scheuner, Gutachten, 67; speziell gegen R. Dietz W. Reuß, Koalitionseigenschaft und Tariffähigkeit, Festschrift O. Kunze, 1969, 269, 276; vgl. auch Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Art. 9 R N 55 f. 1 5 Dies könnte der Fall sein bei A. Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Aufl. 1959, Bd. I I , 3; I. v. Münch, Art. 9 R N 148. iß W. D. Walloth, 80 (FN34), sieht die Frage der innergewerkschaftlichen Demokratie für zum Teil ausgetragen an.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

konsequente Weiterführung wäre. Wenn das Gebot demokratischer Organisation aus der Legitimierung der Tarif autonomie hergeleitet wird, so ist das ein erster Schritt 1 7 ; der zweite, wie beschaffen diese Ordnung zu sein habe, w i r d offensichtlich nicht für lohnend gehalten. Betrachtet man diesen Diskussionsstand näher, so fällt ein Mangel an systematischer Einheit auf. Das weist daraufhin, daß die Schrankensystematik i n erster Linie vom Verständnis der Grundrechte als A b wehrrechte getragen wird. Von diesem Hintergrund haben sich die erörterten Autoren zum Teil gelöst und damit systematischen Folgerungen den Grund entzogen. Wie schon angedeutet worden ist 1 8 , läßt sich die Koalitionsfreiheit i n ihren vielschichtigen gesellschaftlichen Bezügen nicht durch einen bestimmten Freiheitsraum definieren, den der Gesetzgeber nicht oder nur unter festgelegten Bedingungen betreten darf. Gerade auch die Koalitionsfreiheit erweist sich als effektiv i m wesentlichen i n ihrer Wirkung als Richtlinie oder Leitmaxime 1 9 . Die scheinbar exakte Bestimmung von Grundrechtsschranken muß der Erarbeitung von Kategorien einer verfaßten Ordnung weichen, i n der die Verwirklichungsbedingungen der Individualfreiheit als Grundrechtsbestandteil mitgedacht werden. b) Das liberale Verständnis der Koalitionsfreiheit Die Lehre von den Grundrechten als subjektiven Abwehrrechten gegenüber dem Staat, die als die klassische und ursprüngliche Grundrechtsdoktrin g i l t 2 0 , interessiert hier i n drei Ausprägungen. Z u m einen dient sie als Ausgangspunkt einer Auffassung, die i n A r t . 9 Abs. 3 GG keine kollektive Gewährleistung sieht, sondern nur individuelle Grundrechtsträger anerkennt. Z u m zweiten baut auf i h r die sogenannte D r i t t wirkungslehre auf, die die Abwehrfunktion der Grundrechte auch gegen gesellschaftliche Macht gerichtet sehen w i l l . Und schließlich bestimmt sie diejenigen Autoren, die die individuelle Freiheit durch die A u f lösung der Trennung von Staat und Gesellschaft bedroht sehen und dieser Gefahr entgegentreten wollen.

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M. Löwisch, 306 f.; K. H. Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, 1964, 51 ff.; seiner These, Repräsentation, die keine verbindlichen Normen sdiaffe, bedürfe keiner Legitimation, ist nicht zu folgen (57 ff.); dazu K. Popp, 53 ff. 18 Oben Einleitung. 10 U. Scheuner, Die Funktion, 511 ff.; H. H. Rupp, Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung", 1974, 13 ff. so w. Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 1960, 3 ff., insbes. 30 ff.; R. Scholz, 19 ff., 23 ff. für die Koalitionsfreiheit.

2.b) Das liberale Verständnis der Koalitionsfreiheit

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aa) A r t . 9 Abs. 3 GG als Individualgrundrecht Die herrschende Meinung i n der Literatur geht m i t dem BVerfG davon aus, daß A r t . 9 Abs. 3 GG auch die Koalition als solche schützt 21 . Demgegenüber w i r d neuerdings der rein individualrechtliche Charakter der Koalitionsfreiheit hervorgehoben, ein Schutz der Koalition sei nur als Schutz der gebündelten Mitgliederinteressen gegeben 22 . Dieser Ansatz w i l l erklärtermaßen die Antinomie individualer Freiheitsbereiche und kollektiver Zuständigkeiten, die aus der herrschenden These vom Doppelgrundrechtscharakter des A r t . 9 Abs. 3 GG resultiert, aufheben 23 . Dies gelingt glatt, soweit die Fragen des äußeren Koalitionszwangs zu lösen sind, dem Hauptthema koalitionsrechtlichen Schrifttums der letzten Jahre: Ein individualistisches Koalitionsverständnis verbietet den Koalitionszwang 2 4 . Andere Interessengegensätze sind wesentlich diffiziler aufzulösen. So erscheint eine Reihe von Problemen, die die herrschende Lehre bei A r t . 9 Abs. 3 GG unmittelbar ansiedelt, i m Gewand der Abgrenzung von Inhaltsgrundrechten und bloßen Ausübungsrechten wieder 2 5 . Z u ersteren soll A r t . 9 Abs. 3 GG gehören, zu letzteren seine Kollektivierung über A r t . 19 Abs. 3 GG 2 6 , wohin gehört die Garantie des Koalitionsbestandes? Daß das Individualgrundrecht Vorrang gegenüber der Bestandsgarantie hat, könnte zwar richtig i n der Abstraktheit der Aussage sein, i m problematischen Fall erweist sich die Aussage auch nur als eine Tendenzfeststellung, die eine differenzierte Abwägung nicht erspart. Ebenso leuchtet die Betonung des kommunikativen Gehalts von Art. 9 Abs. 3 GG ein 2 7 , nimmt man aber eine Konsequenz, die hier wich21 Siehe oben I I I 1 a F N 7. 22 R. Scholz, 145; W. Zöllner, 80; ff. Seiter, 87 ff.; ob eine historische Fundierung wirklich möglich ist, erscheint angesichts des sozialen Charakters der hinter dem Grundrecht stehende politischen Forderung, die gerade in der Kollektivierung die Grundlage eines ausgeglichenen Arbeitsmarktes sah, zweifelhaft (a. A. R. Scholz, 23 ff.). 23 R. Scholz, 62 ff., 150. 24 R. Scholz, 267 ff., 279 f. 25 R. Scholz, 38 ff., 141. 26 R. Scholz, 258 ff., klärt das allenfalls begrifflich; dabei ist zuzugestehen, daß das Verhältnis des Art. 19 Abs. 3 G G zur kollektiven Grundrechtsverbürgung unklar ist und durch BVerfGE 30, 237 ff., nicht klarer geworden ist (vgl. die Anm. von ff. ff. Rupp, NJW 1971, 1403), da diese Entscheidung zwar die Namensführung der Vereinigung durch Art. 9 Abs. 1 G G geschützt sieht, bei den Grenzen aber plötzlich auf den Vergleich mit Art. 2 Abs. 1 G G rekurriert, wonach dem Verein nicht mehr als dem Einzelnen erlaubt sein kann; zutreffend ist die Abgrenzung von Th. Ramm, Die Freiheit, 28 ff., der Art. 19 Abs. 3 GG als Schutznorm für nicht spezifische Grundrechtsbetätigungen der Kollektive ansieht (ob hierher auch der Zusammenschluß zu Spitzenverbänden gehört, dazu unten I I I 5); vgl. auch Th. Maunz in: Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Art. 9 R N 19. 27 R. Scholz, 283 ff., 295 ff.

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tig werden wird, heraus, nämlich die Anforderungen an die innere Struktur der Koalitionen, so stößt man auf eine erregend artifizielle Konstruktion. Gefordert wird, folgerichtig, die organisatorische Herstellung eines möglichst allgemeinen Sinnkonsenses unter Ausrichtung an der freiheitlichen Kommunikations Verfassung, an dem jeder Grundrechtsträger (Individuum) gleich teilhat 2 8 . Diese Gleichheit sei aber nicht arithmetisch zu verstehen — Mehrheitsentscheidung und Repräsentation paßten als politisch-demokratische Strukturelemente nicht für eine kommunikationsrechtliche Verbandsorganisation, jede Nähe zu den Parteien und damit zu A r t . 21 Abs. 1 S. 3 GG w i r d abgestritten 29 . Gleichheit i m Verband verwirkliche sich vielmehr i n Sachkompromissen m i t maximaler Allgemeinheit. Wie werden dann Entscheidungen gefunden? Durch das Mehrheitsprinzip als bloße Methode, aber eben nur als Kommunikationsform und ohne jeden repräsentationsrechtlichen Gehalt, w i r d versichert 30 . Diese Versicherung läßt sich nur verstehen vor dem Hintergrund eines qualitativen Repräsentationsverständnisses 31 , dieses wiederum ist doch aber Sinnkonsens! Andernfalls bestünde der behauptete Unterschied zwischen politischem und kommunikationsrechtlichem Mehrheitsprinzip gar nicht. Daß Minderheiten eines besonderen Schutzes bedürfen, w i r d vom allgemeinen Demokratiedenken auch umfaßt 3 2 . Das hervorragende Verdienst eines solchen Ansatzes liegt i n der Akzentuierung der Rechte der Verbandsmitglieder gegenüber denen des Kollektivs. Jedoch überzeugt die Verabsolutierung nicht, das engagierte Bestreben, der Kollektivierung möglichst Eigenwert abzusprechen 33 , löst das Problem des Verbandswesens nicht, verdrängt es lediglich. Die strikte Trennung von kommunikationsrechtlichem und politischem Bereich verfehlt die übergreifende Fähigkeit des Demokratieprinzips, grundrechtlich-individuale Lebensäußerung i n politische Entscheidung umzusetzen, und zwar gerade auf kommunikativem Weg vom Einzelnen zur Allgemeinheit, vom Besonderen zum Allgemeinen 3 4 . Demokratie ist i m Grundgesetz nicht nur i n A r t . 20, 28, 38, sondern auch i n den Grundrechten angelegt. Das bedeutet aber, daß i n 28 R. Scholz, insb. 319, 376. 2» R. Scholz, 176, 376. so R. Scholz, 377 ff. 31 Siehe oben I I 2 a. 32 Soweit es sich als Mehrheitsprinzip versteht, vgl. H. Krüger, 283 ff.; K. Hesse, 63 ff. m. Rspr. Nachw. 33 W. Zöllner, 79. 34 Nur eine sehr eng auf das politische Verfahren bezogene Auffassung von Demokratie (dazu näher unten cc und I I I 4 b) kann Kommunikationsverfassung und Demokratie antithetisch sehen; dann aber bleibt der Widerspruch zwischen Sinnkonsens und Demokratieauffassung.

2.b) Das liberale Verständnis der Koalitionsfreiheit

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A r t . 9 Abs. 3 GG nicht allein sich Individualfreiheit und Gruppengrundrecht freiheitsbeschränkend gegenüberstehen, sondern daß die demokratische Einbindung der Verbände nach innen und nach außen eine i m Grundgesetz angelegte Lösung dieses Konfliktes darstellt. Verfassungsauslegung ist zu nicht unerheblichem Teil politische Entscheidung. Den Gefahren kollektiver Überwältigung entgegenzutreten, ist des Applauses wert. Dabei eine historische Entwicklung moderner Kollektive wie der Parteien oder der Koalitionen, nämlich ihren Weg vom Kampf um Duldung über die Erreichung eines Freiheitsraums hin zur Integration als staatstragend 35 , umkehren zu wollen, dürfte der Normativität der Verfassung Abbruch tun. Vorzuziehen ist die präventive Einsetzung von Integrationsnormen, die i n der Verfassung i n nuce angelegt sind. Dazu zählt ein Demokratisierungsgebot, das aber nur auf solche Kollektive angewendet werden kann, die eigenständig sind: Demokratie setzt Divergenz voraus 36 , definiert man diese hinweg, indem man das Kollektiv nur als bloßes Derivat übereinstimmender Individuen ansieht, ist man auf andere Methoden der kollektiven Entscheidungsfindung angewiesen. A u f welche? A m eigenständigen Schutz der Koalitionen durch A r t . 9 Abs. 3 GG ist somit festzuhalten. Dies gilt für das Auftreten der Koalitionen nach außen vorbehaltlos. Für die Überlegung, was sich hinter dem Begriff der Verbandsautonomie verbirgt, gibt der individualistische Ansatz entscheidende Anstöße. bb) Zur Reichweite der Lehre von der D r i t t w i r k u n g der Grundrechte Die Beobachtung, daß die Freiheit des Einzelnen nicht nur durch den Staat, sondern auch durch private Machtausübung gefährdet ist, legt nahe, die grundrechtlichen Freiheitssicherungen auch gegen Private zu wenden. So formuliert z. B. F. Nicklisch: „ A u f Vereine und Verbände übertragen bedeutet dies, daß eine derartige Grundrechtsbindung immer dann eingreift, wenn der Einzelne durch die wirtschaftliche oder soziale Macht dieser privatrechtlichen Organisationen ähnlich gebunden w i r d 35 G. Leibholz, Verfassungsrecht und Arbeitsrecht, in: A. Hueck, G. Leibholz, Zwei Vorträge zum Arbeitsrecht, 1960, 21, 28 ff., betont die Gemeinsamkeit der Entwicklung des demokratischen Parteienstaates und des Arbeits- und Sozialrechts. 36 B. Rüthers, Arbeitsrecht und politisches System B R D : D D R , 1972, 26; vgl. auch W. Leisner, Parteien Vielfalt bei gleichem Parteiprogramm?, D Ö V 1971, 649, 654: pluralistische Rivalität als freiheitssicherndes Organisationsprinzip; jede Art von Prästabilisierung von Interessen („Gemeinwohl", „Sachzwang") verschleiert; damit ist nicht gesagt, daß die Konflikttheorie (R. Dahrendorf) wirklich einzige und umfassende Grundlegung der Demokratie ist.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

wie durch die Macht des Staates und sonstiger öffentlich-rechtlicher Körperschaften 37 ." Diese Auffassung einer sog. „Horizontalwirkung" der Grundrechte ist beschränkter als die allgemeine Lehre von der Grundlegung einer Grundrechtsdrittwirkung 3 8 , der nachzugehen für den hier behandelten Sachkomplex wegen A r t . 9 Abs. 3 S. 2 GG, einer Vorschrift, die eine D r i t t w i r k u n g des A r t . 9 Abs. 3 GG normiert, überflüssig ist. Die von F. Nicklisch vertretene Lehre 3 9 verläßt das liberale Grundrechtsdenken nicht, indem sie als Grundvoraussetzung ein Über-Unterordnungsverhältnis ansetzt, sie bringt nur eine Intensivierung liberaler Grundrechtsauf fassung, keine Extension 40 . Dieser Ausgangspunkt könnte auch für die Anwendung von A r t . 9 Abs. 3 S. 2 GG von Relevanz sein. Leitbild dieser Auffassung ist das Individuum, das mächtigen, anonymen Einheiten gegenübersteht, ohne auf sie effektiv Einfluß nehmen zu können, obwohl es auf ihre Leistungen angewiesen ist. M i t diesem B i l d gut zur Deckimg zu bringen ist z. B. der Außenseiter, der i n eine Gewerkschaft aufgenommen werden möchte. Blickt man aber auf das Individuum als Mitglied i n einem Verband, w i r d es bereits zweifelhaft, ob nicht die Polarität des Leitbildes f i k t i v ist. Es geht innerhalb des Verbandes nicht u m freiheitsgefährdende Fremdbestimmung i n einem Über-Unterordnungsverhältnis, sondern weit eher u m die Ausgestaltung von Mitwirkungsrechten oder den Schutz von Minderheiten. Dafür bietet die Grundrechtserstreckung aber wenig normatives Material. I n der Tat faßt F. Nicklisch sein Ergebnis i n die recht allgemein gehaltene Forderung, es müsse der Staat „als freiheitlicher sozialer Rechtsstaat darauf achten, daß ein gerechter, angemessener Ausgleich zwischen den Freiheitsrechten des Vereins einerseits und den Freiheitsrechten der Mitglieder bzw. der Bewerber u m Mitgliedschaft andererseits hergestellt w i r d " 4 1 . Das Defizit an Komplexität dieses Ansatzes w i r d noch größer, zieht man i n Betracht, daß Individuum und gesellschaftliche Macht nicht nur i n einem vorfindlichen Ordnungssystem durch subjektive Rechte ver37 F. Nicklisch, Der verbandsrechtliche Aufnahmezwang, 108. 88 W. Leisner, Grundrechte, 285 ff.; K . Hesse, 147 ff.; als Einschränkung der Verbandsautonomie näher untersucht von H. Föhr, 115 ff. 3» Weitere Nachw. bei F. Nicklisch, 108 Anm. 28. 40 Insoweit treffen die Bedenken ff. ff. Rupps, Grundgesetz, 9 ff., nicht zu. I h m ist allerdings darin beizupflichten, daß sich mit dieser Intensivierung noch nicht ein Denken in Ordnungen ergibt; so erscheint der Bezug bei F. Nicklisch auf die „Grundrechte als Ordnungselemente" bloß verbal, Konsequenzen werden nicht gezogen, obwohl sie die Bejahung eines Aufnahmeanspruchs durchaus in Frage stellen können; man vergleiche nur die neuere Diskussion zur ordnungspolitischen Notwendigkeit einer Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, z.B. R. Steinberg, Koalitionsfreiheit, a.a.O. « Ebd., 109.

2.b) Das liberale Verständnis der Koalitionsfreiheit

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bunden sind, sondern durch die Ausgestaltung derselben dieses Ordnungssystem m i t konstituieren. H. H. Rupp drückt das so aus 42 : „ A l l e i n aus der Sicht des Individuums und des einklagbaren Schutzes seiner personalen Freiheit läßt sich noch kein Ordnungssystem gewinnen, das nicht nur die Freiheit aller i n ein operationales Konzept bringt, sondern die Voraussetzungen dafür bietet, daß sich die Summe aller Freiheiten auch entfalten kann, und zwar zum Wohl des ganzen Gemeinwesens." Der i n der Lehre von der „Horizontalwirkung" der Grundrechte zum Ausdruck kommende Glaube daran, daß sich die Gesamtordnung wie von „unsichtbarer Hand" gesteuert aus den individuellen Freiheitspositionen forme, ist durch eben die Notwendigkeit der „ H o r i zontalwirkung" widerlegt: Gäbe es die „unsichtbare Hand", dürfte es keine freiheitsbedrohenden gesellschaftlichen Mächte geben. Damit weist diese Lehre über sich hinaus auf institutionelles Grundrechtsverständnis 43 . I h r Anliegen, den Einzelnen vor gesellschaftlicher Überwältigung zu schützen, darf dabei aber nicht verlorengehen. Es ist i m Gegenteil als Korrektiv eines Denkens i n Ordnungssystemen unverzichtbar. cc) A r t . 9 Abs. 3 GG i m Spannungsfeld restaurativer Doktrinen zum Verhältnis Staat—Gesellschaft Das oben geschilderte Hineinwachsen der Gewerkschaften i n den öffentlichen und sogar i n den staatlichen Bereich mag die Befürchtungen einiger Autoren illustrieren, die i n der Aufhebung der Trennung von Staat und Gesellschaft eine grundlegende Bedrohung der individuellen Freiheit sehen 44 . Sie erwarten i n einem Abbau der Souveränität des Staates gegenüber der Gesellschaft den Verlust des Garanten persönlicher Freiheit, eben des Staates. Eine Demokratisierung der gesellschaftlichen Sphäre bedrohe die „unabstimmbaren Individualbereiche". A m Horizont stehe die „totale Demokratie", denn bei der letztlich sich ergebenden Identität von Staat und Gesellschaft gebe es „ n u r noch eine (Mitwirkungs-) Freiheit i m demokratischen Prozeß, nicht mehr Freiheit gegenüber dem demokratischen Prozeß" 45 . Dementes Grundgesetz, 10. 43 Dazu unten c. 44 E. W. Böckenförde, 15 ff.; E. Forsthoff, 21 ff.; H. H. Klein, Die Grundrechte i m demokratischen Staat, 34f.; zu letzterem die gleichlautende Besprechung von P. Häberle, D Ö V 1974, 343; zum ganzen Komplex K. Hesse, Bemerkungen zur heutigen Problematik und Tragweite der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, D Ö V 1975, 437, sowie W. Schmidt, Die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen zwischen staatlicher Herrschaft und gesellschaftlicher Macht, AöR 101 (1976), 24. Eine rechtstheoretische Rechtfertigung der Unterscheidung aus hegelianischer Sicht bei K. Grimmer, Zur Dialektik von Staatsverfassimg und Gesellschaftsordnung, ARSP L X I I (1976), l f f . 4ß E. W. Böckenförde,

21.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

sprechend seien Theorien, die i n den Grundrechten mehr sähen als Individualpositionen gegenüber dem Staat, abzulehnen, weil sie „die Notwendigkeit der prinzipiellen Scheidimg von Staat und Gesellschaft und ihrer . . . Auswirkungen verkennen und damit bewußt oder unbewußt der Auflösung des Staates, der Preisgabe individueller Freiheit und totalitären Entwicklungen Vorschub leisten"4®. Die Grundrechte könnten sich nicht am demokratischen Prinzip orientieren, i h r Sinngehalt müsse sich aus den Zielen rechtsstaatlichen Verfassungsdenkens herleiten 4 7 . Es soll hier nicht versucht werden, diese „Staats"-Lehren i n ihren Grundpositionen anzugreifen. Das wäre aufgrund der vorstehenden groben Skizzierung unangemessen. Es sei daher eine Wertung Hesses48 wiedergegeben: „Jenseits der Entscheidung gegen eine Identität erweist sich also die Problematik von Staat und Gesellschaft als eine solche konkreter und differenzierter Zuordnung, die sich nicht auf eine einzige Alternative bringen läßt. Darüber, wie diese Zuordnung vorzunehmen ist, sagt die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft nichts, weshalb ihr insofern die Bedeutung eines fundamentalen Strukturelements der Staatlichkeit nicht zukommen kann; für die A n t w o r t auf die Frage nach dem Wie kann die Entscheidung über das Ob keine Hilfe sein." Es bleibt, einige Implikationen für die Koalitionsfreiheit zu erörtern. Wie bei jedem benannten Grundrecht, so könnte man vom rechtsstaatlichen Standpunkt aus erwägen, ist i n A r t . 9 Abs. 3 GG ein staatsfreier Raum umrissen, nämlich der der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. I n diesem Raum sind die Zielsetzung und Verfolgung, demgemäße Betätigung und Wahl der M i t t e l und Methoden, darunter auch der Organisationsform frei. Es g i l t nur noch festzulegen, was „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" sind. Decken sie sich m i t den Lohn- und Arbeitsbedingungen, die tarifvertraglich zu regeln, Aufgabe der Koalitionen ist 4 9 ? Würde dazu eine tarifliche Vermögenspolitik gehören? Konjunkturpolitik vermittels Investivlohn? Mitbestimmung i n den Unternehmen 50 ? Eine positive 46 K. Hesse, Bemerkungen, 438, in einem Resümee der hier wiedergegebenen Auffassungen. 47 E. W. Böckenförde, Grundrechtstheorie, 1537; H. H. Klein, Die Grundrechte, 70 f. 48 Bemerkungen, 440; ähnlich W. Schmidt, 45. 4» W. Weber, 249; A. Hamann, H. Lenz, Das Grundgesetz, 3. Aufl. 1970, Art. 9 B b aa (8, S. 234), nehmen ein Mandat der Gewerkschaften an, auf eine sozialegalitäre Vermögensumverteilung hinzuwirken. 50 Vgl. z. B. F.-J. Säcker, Die Institutions- und Betätigungsgarantie, 55 ff., 58, der in Art. 9 Abs. 3 GG die Gewährleistung der Möglichkeit der Arbeitnehmer zu gleichwertiger und gleichgewichtiger Mitbestimmung sieht, durch Art. 9 Abs. 3 G G aber keine bestimmte organisatorische Ausgestaltung dieser Mitbestimmung für verankert hält: „Verfassungsrechtlich gefordert ist allein,

2.b) Das liberale Verständnis der Koalitionsfreiheit

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F e s t l e g u n g des Sachbereichs „ A r b e i t s - u n d W i r t s c h a f t s b e d i n g u n g e n " erscheint u n m ö g l i c h , z u m a l d e r R ü c k g r i f f a u f h i s t o r i s c h Gewachsenes n u r t e i l w e i s e F r ü c h t e b r i n g t : D i e K o a l i t i o n s a u f g a b e d e r sozialen Sicher u n g d e r A r b e i t e r s c h a f t i s t fast v ö l l i g a u f d e n S t a a t ü b e r g e g a n g e n 6 1 , auch d i e n o c h a m ehesten f a ß b a r e T a r i f a u t o n o m i e s t e h t i m K o n k u r r e n z druck zwischen staatlicher Regelung u n d den Gesamtvereinbarungen a u f b e t r i e b l i c h e r Ebene, d i e m a n c h e n G e g e n s t a n d d e r T a r i f a u t o n o m i e aus größerer Sachnähe u n d i n f e i n e r e r D i f f e r e n z i e r t h e i t b e h a n d e l n k ö n n t e n 5 2 . I n dieser V e r l e g e n h e i t w e i c h t m a n a u f d i e F e s t l e g u n g d e r K o a l i t i o n s m i t t e l aus (sozialpartnerschaftliche G e s a m t v e r e i n b a r u n g e n , M i t w i r k u n g b e i Personalvertretung u n d Betriebsverfassung), g e w i n n t d a b e i aber w e n i g , es s t e l l t sich d i e F r a g e n a c h d e n G r e n z e n d e r T a r i f a u t o n o m i e 5 5 . Es b l e i b t d e r Versuch, K o a l i t i o n s f r e i h e i t als r e i n f o r m a l e K o m p e t e n z r e g e l z u sehen, i n d e m m a n sie m i t d e m S u b s i d i a r i t ä t s p r i n z i p i n V e r b i n d u n g b r i n g t , aber w a s „ A r b e i t s - u n d W i r t s c h a f t s b e d i n g u n g e n " seien, d e m S e l b s t v e r s t ä n d n i s d e r K o a l i t i o n e n ü b e r l ä ß t 5 4 . D a m i t h a t m a n a b e r d e n rechtsstaatlichen S t a n d p u n k t doch w o h l b e r e i t s verlassen. D a r ü b e r h i n a u s z e i g t dieses, zugegebenermaßen e t w a s überzeichnete B i l d , daß m i t d e m M o d e l l eines „ s t a a t s f r e i e n R a u m s " a l l e i n e i n V e r daß der Gesetzgeber den Koalitionen organisationsrechtliche Normenkomplexe zur Verfügung stellt, die ihnen, aufs ganze betrachtet, d. h. unter Berücksichtigung ihrer tarifrechtlichen, allgemeinen schuldvertragsrechtlichen, arbeitskampfrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Kompetenzen, eine die Machtungleichheit am Arbeitsmarkt kompensierende, gleichberechtigte und gleichgewichtige Position einräumen." 51 Zu sonstigen Funktionsabspaltungen der urspr. einheitlichen Gewerkschaftsbewegung ff.-J. Wallraff, 354; die Theoretiker der Arbeitskammern wollen ebenfalls die Gewerkschaften entlasten; N. Eickhof, Mitgliedschaft, 185, sieht in Arbeitskammern ebenfalls eine Chance für die Gewerkschaften. 62 K. Schacht, L. Unterseher, a.a.O., meinen, daß die Ausklammerung betriebsspezifischen Konfliktpotentials die Tarifautonomie gefährde; vgl. auch A. Rauscher, 516. Zur juristischen Problematik H. Heß, Rechtsfragen zum „betriebsnahen Tarifvertrag" unter Berücksichtigung von Tarifpluralitäten, Z f A (7) 1976, 45 m. w. A. 63 Neuerdings wieder hins. der Einführung der Mitbestimmung durch Tarifvertrag W. Däubler, Das Grundrecht auf Mitbestimmung, 1973, passim, insbes. 300 ff. m A. Hueck, H. C. Nipperdey, 43, 82; ferner K . H. Biedenkopf, Koalitionsfreiheit, 202; Übersicht bei R. Richardi, 52 ff.; BVerwGE 23, 304, 306 lehnt eine allgemeine Anerkennung des Subsidiaritätsprinzips ab. — Nähme man das Selbstverständnis der Koalitionen zum Ausgangspunkt der Bestimmung des Art. 9 Abs. 3 GG, so näherte sich diese Vorschrift in wesentlichen Teilen der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 G G an. Konsequent wäre es, auf einer Seite nach dem Prinzip der Grundrechtseffektivität (vgl. BVerfGE 6, 55, 72) den durch Art. 9 Abs. 3 G G geschützten Lebensraum so weit wie möglich zu fassen, auf der anderen Seite aber ebenso weiten Schranken zu unterwerfen (vgl. BVerfGE 6, 32, 34 ff.). Damit würde die von BVerfGE 6, 32 ff. eingeleitete Durchbrechung rein subjektiven Grundrechtsschutzes zugunsten einer Kontrolle objektiver Richtigkeit für Art. 9 Abs. 3 G G fortgeführt (Rspr.-Nachw. bei H. P. Bull, 272). 11 Gerhardt

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

ständnis der Koalitionsfreiheit nicht zu erzielen ist 5 5 . Während die anderen benannten Grundrechte entweder einen u m ein bestimmtes Subjekt konzentrierten Handlungsbereich (Art. 2 Abs. 2, 4, 5, 6, 7,12 - 14 GG) oder ein bestimmtes Handlungsmittel (Art. 8, 9 Abs. 1, 17 GG) voraussetzen, an dem die Betrachtung anknüpfen kann, fehlt ein solcher F i x punkt bei der Koalitionsfreiheit, zu verschiedenartig sind die Ausprägungen der möglicherweise durch A r t . 9 Abs. 3 GG geschützten Handlungsbereiche und Handlungsmittel, zu wenig umgrenzbar m i t h i n ein „staatsfreier Raum". A r t . 9 Abs. 3 GG zeigt so eine gewisse strukturelle Schwäche, ähnlich der des A r t . 2 Abs. 1 GG. Sie w i r d verschärft dadurch, daß sich i n A r t . 9 Abs. 3 GG die Bereiche des Privaten und öffentlichen schneiden. Freiheit als Selbstbestimmung 56 kann, wenn sie sich nicht anders verorten läßt, i n einem überindividuellen Raum nur als das Recht zu freier Willensbildung, Recht auf Teilnahme am allgemeinen Willensbildungsprozeß, der den einzelnen Herrschaftsakten vorgelagert ist, und Recht auf Chance, vorgefundene Strukturen zu eigenen Gunsten zu dynamisieren, aufgefaßt werden. Eben das aber ist mit „Demokratisierung" gemeint. Die Koalitionsfreiheit als Rahmenrecht m i t dynamischem Inhalt zwingt zu einer solchen Betrachtung, die relative Statik der restaurativen Grundrechtsdoktrin muß hier — entgegen ihren Zielen — zu einer Freiheitsbeschränkung des Einzelnen führen. Schließlich sei auf das „Homogenitätsproblem" hingewiesen 57 . Die formale staatsbürgerliche Gleichheit ist eine demokratietheoretische Fiktion. Das „Homogenitätsproblem" bezeichnet die Frage, ob auf die Dauer diese Fiktion durchgehalten werden kann, wenn die wirtschaftlich-gesellschaftliche Realität zu i h r i n möglicherweise krassem Widerspruch steht. Ist es nicht notwendig, die „Verfassungsgrundlagen" 58 i n die verfassungsrechtlichen Gewährungen gedanklich einzubeziehen? Die restaurative „Staats"-Lehre ist offensichtlich bereit, i m Grundsatz Friktionen hinzunehmen und nur Randkorrekturen zuzulassen 59 . 55 Zur notwendigen Erfassung der Koalitionsfreiheit in mehreren Dimensionen P. Badura, Arbeitsgesetzbuch, 131 ff.; I. v. Münch, BK, Art. 9 R N 112 ff. so H. H. Klein, Die Grundrechte, 66 f. 57 Vgl. p. Häberle, Besprechung H. H. Klein, 344; diese Fragestellung ist aber ambivalent, wie sich unten 4 b dd zeigen wird. 58 Damit sind der Verfassung vorgegebene wirtschaftliche und gesellschaftliche Daten gemeint, auf deren Vorhandensein das Funktionieren der verfassungsmäßigen Ordnung angewiesen ist. Vgl. L. Miksch, Die Wirtschaftspolitik des Als-Ob, ZGesStW 105 (1949), 305, 332; W. Fikentscher, Wirtschaftskontrolle — ein Verfassungsgrundlagenproblem, W u W 1971, 789, 794; in der Sache ähnlich G. Müller, Das Wort von der „Demokratisierung der Gesellschaft", Festschrift J. Messner, 1976, 247, 250. 6® E. W. Böckenförde, 1538.

2.c) Objektivierende Auffassungen der Koalitionsfreiheit

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Festzuhalten und i m folgenden zu berücksichtigen ist das Bestreben der soeben angedeuteten Ansichten, die freiheitsbegründende Spannung Individuum—Staat nicht einer amorphen „Vergesellschaftung" zu opfern, die keinerlei Gewähr für die Kontrolle von Mehrheitsmacht bieten kann. Die dafür von der restaurativen „Staats"-Lehre angebotenen M i t t e l leiden unter der alternativischen Denkweise, Gesellschaft und Staat als einander ausschließende Kategorien zu begreifen. c) Objektivierende

Auffassungen der Koalitionsfreiheit

Die Koalitionsfreiheit läßt sich zutreffend nicht n u r als Gewährleistung eines staatsfreien Raums erfassen. Dies wurde i m vorigen A b schnitt konstatiert. Daß die D r i t t w i r k u n g der Grundrechte i n A r t . 9 Abs. 3 S. 2 GG ihren Eingang i n das Grundgesetz gefunden hat, ist bezeichnend dafür, daß hier etwas anderes, Weitergehendes anerkannt wurde, ein Bereich sowohl privater Teilhabe als auch privater Pflichtigkeit, ein gesellschaftlich-öffentlichkeitsbezogener 60 . A r t . 9 Abs. 3 GG w i r d damit Kristallisationspunkt eines objektivierenden, üblicherweise als „institutionell" bezeichneten Grundrechtsverständnisses 61 . I n diesem magisch-faszinierenden Zauberwort 6 2 steckt eine Reihe von Komponenten, deren eindeutige Abschichtung nicht gelungen ist, vielleicht gerade wegen der Prämissen, die zu einer transdualistischen Grundrechtsauffassung führen, nicht gelingen kann 63. aa) Koalitionsfreiheit als Einrichtungsgarantie Die von der Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit entwickelte Figur der Instituts- und institutionellen Garantien geht von einer klaren Trennungslinie zwischen Freiheitsrechten und objektiven Gewährleistungen aus. Sie faßt unter Instituts- und institutionellen Garantien i m wesentlichen Rechtskomplexe zusammen, die zwar nur unterver60 Vgl. A. Hueck, H. C. Nipperdey, 39 ff., 153; es liegt auf der Hand, daß die Abstimmung beider Elemente die Hauptschwierigkeit darstellt. 61 P. Haberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, 1962, 4ff., 23 ff.; weitere Nachweise bei E. W. Böckenförde, Grundrechtstheorie, 1532 f. — Bezeichnend der Hinweis Th. Ramms, Die Freiheit, 53, unter Verweisung auf E. R. Hub er, daß sich die Wirtschaftsfreiheit nur als Einheit begreifen läßt, die nicht in eine Privatsphäre und eine Staatssphäre aufteilbar ist. 62 R. Scholz, 223, m. w. Bezeichnungen dieser Art, insgesamt ablehnend gegenüber derartigen Vorstellungen. 63 Jeder juristische Überbau, der nicht a priori ideologisch ist, wird Basiskomplexität nicht durch Ausklammerung derselben sein normatives Ziel geben können, sondern im offenen Verfahren der Aufnahme der Komplexität der Wirklichkeit; Grundrechtstheorie ist somit Methode und politische Entscheidung, geprägt durch die Summe und Art der akzeptierten Fixpunkte; dazu H. H. Rupp, Vom Wandel, 161 ff., 174 ff. ll»

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fassungsrechtlichen Rang haben, aber als kontinuitätswahrendes Ganzes und nur i n ihrer Ganzheit i n die Verfassung aufgenommen sind 6 4 . Beispiele sind für eine Institutsgarantie A r t . 14 GG, für eine institutionelle Garantie die Gewährleistung des Berufsbeamtentums i n A r t . 33 Abs. 4 und 5 GG. Nach dieser Ansicht fällt A r t . 9 Abs. 3 GG nicht i n die Kategorie der institutionellen Gewährleistung, auch nicht das Tarifvertragssystem. I m übrigen stellt auch A r t . 21 GG nach dieser Auffassung keine institutionelle Garantie dar. Es wäre jedoch unbefriedigend, wollte man den institutionellen Aspekt der Grundrechte auf derartige formale Klassifikationsmöglichkeiten beschränken. Vielmehr ist dieser Aspekt i n der „Auslegungsfigur der Einrichtungsgarantie"® 5 fruchtbar zu machen. Sie „hebt ein die subjektiv berechtigende W i r k u n g des Grundrechts überschreitendes objektives Moment hervor, ein objektives Prinzip des öffentlichen I n teresses oder des Gemeinwohls i m Hinblick auf den betroffenen Sozialbereich. Dieses objektive Prinzip verkörpert die verfassungsrechtliche Funktion, den Zweck des Grundrechts, der den daraus ableitbaren Rechten und Freiheiten zugrundeliegt und der den Gesetzgeber direktiv bindet, wenn er die grundrechtliche Freiheit ausgestaltet und begrenzt. Die i n der Einrichtungsgarantie hervorgehobene Gewährleistungsfunktion des Grundrechts ist ein spezifisches Leitmaß der vom Gesetzgeber zu wahrenden willkürfreien Sachgerechtigkeit." Diese Auffassung vom Charakter der Grundrechte als Ordnungsprinzipien, die sich insbesondere i n A r t . 9 Abs. 3 GG verwirklicht 6 6 , bringt gewichtige Seitenaspekte m i t sich, die zum Teil gegen sie gewendet werden. Sie bedeute die Einbindung der subjektiven Freiheit des einzelnen Grundrechtsträgers i n institutionelle Rahmenordnungen und führe 64 G. Abel, 58, 80 f., 48 ff.; dazu R. Scholz, 233 ff., gegen G. Abel hins. der politischen Parteien, 246; Th. Maunz in: Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Art. 9 R N 21; I . v. Münch, BK, Art. 9, R N 18. es p. Badura, Arbeitsgesetzbuch, 132. 66 vgl. E. W. Böckenförde, Grundrechtstheorie, 1535. Das BVerfG hat die Frage nach Funktion und Bedeutung von Verbänden i m weitesten Sinn in der Gesamtordnung aber auch schon in anderen Bereichen ins Zentrum seiner Überlegungen gestellt. Hingewiesen sei auf die Ausführungen im Fernsehurteil zur Bedeutung der Meinungsfreiheit in einer pluralistischen Gesellschaft und zu den organisationsrechtlichen Konsequenzen daraus (BVerfGE 12, 205, 260; ferner 5, 85, 205; 7, 198, 208), auf die Ableitung der immanenten Schranken des Art. 13 G G (BVerfGE 32, 54, 75), nicht zuletzt auch auf die Abwägungskriterien im Hochschulurteil, insbesondere das der Funktionsunfähigkeit (BVerfGE 35, 79, 114 ff.). Die Gedankenlinie, die diese Entscheidungen verbindet, läßt sich so ziehen, daß das Gericht einen gemeinschaftsbezogenen Zweck auf seine Bedeutung für das Gemeinwesen prüft und dann entsprechend Schranken grundrechtlicher Beliebigkeitsverbürgung setzt. Besonders deutlich, wenn auch in anderem Sachzusammenhang, wird das beim Sozialbezug der Kunstfreiheit (BVerfGE 30, 173, 191, 195).

2.c) Objektivierende Auffassungen der Koalitionsfreiheit

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letzten Endes zu einer allgemeinen Pflichtigkeit der Freiheitsausübung 6 7 . I n der Tat w i r d von einigen Autoren eine derartige Inpflichtnahme befürwortet 6 8 , die einer instrumentellen oder funktionalen Freiheitsbindung das Wort reden. So z. B. der Ausgangspunkt K . Popps: „dem Recht auf Ausübung einer öffentlichen Aufgabe korrespondiert die Pflicht, die für ihre Erfüllung notwendigen Voraussetzungen zu erbringen 6 9 ." Diese Betrachtung dient arbeitsteiliger Machtverschränkung und Ausdifferenzierung staatlich-gesellschaftlicher Funktionen, sie droht aber den Freiheitsaspekt über den Kategorien der Systemerhaltung zu vernachlässigen. Sie w i r d also gefährlich, wenn sie ohne Blick auf die Gesamtheit der verfassungsrechtlichen Werte zu einer unmittelbaren Pflichtigkeit der Grundrechtsträger führt, sie käme, nachdem gesamtgesellschaftliche Relevanz mehr oder minder i n jeder A k t i o n oder Nichtaktion steckt, schließlich zu einer allgemeinen Sozialpflichtigkeit aller Bereiche, die grundrechtlich geschützt sind 7 0 . Macht man aber den notwendigen Schritt zu einer demokratietheoretisch orientierten Gesamtbetrachtung, so weist die Pflichtigkeit zunächst nur auf ein lockeres System sowohl von Freiheitskompetenzen als auch Ordnungsund Richtpunkten, die zu vermitteln Aufgabe des demokratischen Souveräns bleibt 7 1 . Die Austarierung von Freiheit und Gleichheit ist i h m überlassen. Anders ausgedrückt: Materiale Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatsprinzip stehen unter dem Vorbehalt demokratischer Realisierung, wobei allerdings der Sozialstaatsgedanke, ist eine gewisse Plattform der Rechtsstaatlichkeit erst erreicht, wegen seiner strukturellen Gemeinsamkeit m i t dem demokratischen Prinzip höhere Valenz hat 7 2 . 67 H. H. Klein, Die Grundrechte, 28; E. W. Böckenförde, Grundrechtstheorie, 1533; E. Denninger, Freiheitsordnung — Wertordnung — Pflichtordnung, JZ 1975, 545, 547. 68 W. Nitschke, Das Koalitionsrecht und der Funktionswandel der Grundrechte, D Ö V 1972, 41, 45; F. Gamillscheg, 27 ff., aufbauend auf einem Modell der Sozialpartnerschaft (30, 34, 36); A. Hueck, H. C. Nipperdey, 43, 154, allerdings „meist" an den Gesetzgeber gerichtet: „auf der Grundlage des in erster Linie freiwillig sozial verpflichteten Gebrauchs der Freiheit"; kritisch U. Scheuner, Die Funktion, 506. M i t stärkerer Betonung des funktionalen Aspekts F. J. Säcker, 20 f., 48; diesen methodischen Ansatz wählen auch W. Zöllner, H. Seiter, Paritätische Mitbestimmung und Art. 9 Abs. 3 GG, Zf A (1) 1970, 97, 145 ff.; entwickelt besonders zu Art. 5, 8, 9 und 7 GG, soweit es um deren Bedeutung als tragende Ordnungselemente der Gemeinschaft geht. 6» a.a.O., 60. Ganz ähnlich H. heßmann, 238 ff. 70 Praktischer Anwendungsfall ist die Duldungspflicht des Außenseiters gegenüber Maßnahmen des Koalitionszwangs; dazu näher unten 4 a. 71 H. Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, W D S t R L 20 (1963), 53 ff., 77, 89 ff.; P. Häberle, Das Bundesverfassungsgericht im Leistungsstaat, D Ö V 1972, 729, 735; K. Hesse, 27 ff., 124 ff.; Th. Ramm, Der Wandel der Grundrechte und der freiheitliche soziale Rechtsstaat, JZ 1972, 137, 145 f.; U. Scheuner, Die Funktion, 512. 72 p. Häberle, Grundrechte, 96; G. Leibholz, Verfassungsrecht, 31.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Fazit dieser Überlegung ist, daß Einrichtungsgarantien nicht ohne demokratische Verfahren gedacht werden können, sollen sie nicht ihren freiheitlichen Charakter verlieren. Der zweite Aspekt, der die Figur der Einrichtungsgarantie begleiten muß, ergibt sich aus der Tendenz institutioneller Freiheitsgewährleistung zur Verfestigung vorhandener Besitzstände und Regelungen 73 . Diese w i r d durch die Komplementärfunktion der Grundrechte als Teilhaberechte zu korrigieren sein. Sie besagt i n einem engeren Sinn, daß dort, wo die Grundrechtsverwirklichung die Inanspruchnahme von Einrichtungen voraussetzt, ein Leistungs-, allgemeiner ein Teilhabeanspruch des Grundrechtsträgers entstehen kann. E i n solcher wurde bejaht für den Ausbildungsbereich 74 , er wäre auch unumgänglich, wenn der Zugang zu einem Beruf durch ein „union-shop"-System nur über den Beitritt zu einer Gewerkschaft erlangt werden könnte 7 5 . Darüber hinausgehend impliziert das Vorliegen einer Einrichtungsgarantie nicht allgemein die Notwendigkeit von Teilhaberechten. Für die Koalitionsfreiheit als „soziales Grundrecht" 7 6 hingegen stellt sich das i m Grundsatz anders dar: Die Ansiedelung der Verfahren zum Ausgleich zwischen, i n Kürzeln ausgedrückt, Kapital und Arbeit auch und vor allem i n A r t . 9 Abs. 3 GG verbietet die Verweisung des Einzelnen auf isolierte Individualpositionen 7 7 . Das Verständnis der Koalitionsfreiheit als Einrichtungsgarantie weist so i n mehrfacher Hinsicht über sich selbst hinaus auf eine Interdependenz m i t der gesamten gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung. Es ist dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber aufgegeben, die Pflichten der Koalitionen gegenüber der Allgemeinheit wie gegenüber dem Einzelnen unter Beachtung der Freiheit der Koalition wie des Einzelnen zu regeln. Offen ist dabei, i n welchen Gewichtungen diese Ziele zueinander stehen. bb) Grundrechtsfunktionen i m staatlich-gesellschaftlichen Gesamtsystem Der Weg, den die Lehre von den Einrichtungsgarantien eingeschlagen hat, führt konsequenterweise zu einer i m engeren Sinn institutionellen, 73 E. W. Böckenförde, Grundrechtstheorie, 1533. 74 Vgl. BVerfGE 33, 303, 331 f.; L.-R. Reuter, Soziales Grundrecht auf Bildung?, DVB1.1974, 7,11 ff., 19; P. Häberle, öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970, 731, 734. 75 Siehe unten 4 a. 76 Zu diesem Begriff P. Badura, Das Prinzip der sozialen Grundrechte und seine Verwirklichung i m Recht der Bundesrepublik Deutschland, Der Staat Bd. 14 (1975), 17, insb. 45; D. Wiegand, Sozialstaatsklausel und soziale Teilhaberechte, DVB1. 1974, 657 ff. 77 p . Badura, Arbeitsgesetzbuch, 132.

2.c) Objektivierende Auffassungen der Koalitionsfreiheit

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ja zu einer organisationsrechtlichen Betrachtungsweise der Grundrechte. Die einzelnen Schritte darauf zu isolieren, fällt schwer, da alle Grundrechtstheorien, die hierher zu ordnen sind, sich durch hochgradige K o m plexität auszeichnen, die der des vorgefundenen staatlich-gesellschaftlichen Gesamtsystems bewußt parallel gelagert ist. Damit ist aber auch ein erstes Gemeinsames gefunden. W. Leisner sagt: „ A l l e neueren Grundrechtstheorien führen zu gleichen Konsequenzen — zu einer A b schwächung der Ansprüchlichkeit und zu einer organnahen Einbeziehung des grundrechtsausübenden Bürgers i n eine eigenartige Verbundorganisation von Staat und Gesellschaft 78 ." Charakteristisch ist eine Betrachtung, die eine Interdependenz aller Ordnungsfaktoren sieht: Grundrechte, politische Organisation und gesellschaftliche Strukturen werden zwar keinesfalls i n eins gesetzt, aber sie werden als einheitliches Wirksystem angesehen. Daraus folgt für die Grundrechtsinterpretation, daß das einzelne Grundrecht i n seiner Wechselbezüglichkeit zu allen anderen Freiheiten und zur Gesamtordnung verstanden werden muß 7 9 . Auch soweit über Grundrechte subjektive Rechte geltend gemacht werden, müssen die Reflexe subjektiver Rechtsmacht auf die subjektiven Rechte anderer und die Gewichtsverteilung i m Ganzen i n Rechnung gestellt werden 8 0 . Für A r t . 9 Abs. 3 GG dürfte dies ohne weiteres gültig sein. Einschneidendere Folgen für das Grundrechtsverständnis hat es, wenn man i n den Vordergrund die systemerhaltende Funktion der Grundrechte stellt 8 1 . Wenn die Grundrechtsinterpretation auch darauf abzustellen hat, daß die gegebene „Wirklichkeit" normativen Gehalt hat 8 2 , droht i m Endeffekt der Verlust der politisch bewegenden K r a f t der Grundrechte. Dabei w i r d weniger problematisch die Normativität der Grundrechte als solcher als vielmehr, wie ihnen normativer Vorsprung, übergreifende verpflichtende K r a f t zuwachsen soll. Zwar ist es von diesem Punkt der Entwicklung aus folgerichtig, die weitere Grundrechtstheorie i n eine verfahrensrechtliche Betrachtung der Grundrechte einmünden zu lassen8®, etwa derart, daß Grundrechtsinterpretation selbst als ein Ergebnis komplexer öffentlicher Meinungsbildung be78 W. Leisner , Der Eigentümer, 75. 7» ff. ff. Rupp, Grundgesetz, 15 ff.; P. Häberle fordert die Einbettung der Grundrechtsbetrachtung in ein „ganzheitliches Verfassungsverständnis", Besprechung ff. ff. Klein , 344; entsprechend ff. Föhr , 121 f., weshalb die Zuordnung der Ausführungen ff. Föhrs allein zu den Thesen der Drittwirkungslehre durch W. Reuß, DVB1. 1975, 155, nicht erschöpfend ist. 80 So besonders deutlich ff. ff. Rupp, Grundgesetz, 15. 81 Vgl. die Darstellung der Grundrechtstheorie N. Luhmanns bei ff. Willke, 157 ff., stichwortartig zusammengefaßt 181 f. S2 ff. ff. Rupp, Grundgesetz, 17 ff.; ders., Vom Wandel, 161 ff. sä P. Häberle, Grundrechte, 82 ff., 86 ff.; ders., Die offene Gesellschaft, insb. 304 f.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

griffen wird. Doch sind nach dem gegenwärtigen Stand der Entwicklung die Bedenken, daß damit eine wesentliche Schutzfunktion der Grundrechte verloren gehen wird, noch nicht ausgeräumt: Sind die Grundrechte nicht auch nicht zum geringsten Garanten der Freiheit der Minderheit i m demokratischen Mehrheitssystem? Diese Andeutung führt zu einer weiteren Grundrechtsauffassung, die vielleicht auch die Lösung der angesprochenen Aporien entwickeln kann. Man könnte sie als demokratietheoretische bezeichnen 84 . Sie sieht i n den Grundrechten konstituierende Prinzipien einer freiheitlichdemokratischen Ordnung. Diese aber, und das ist die Kernthese, „ist als politisch-staatliche allein nicht möglich" 8 5 . „Es geht u m eine Ausformung, die geeignet ist, i n einem offenen politischen Prozeß einen freiheitlichen, auch Minderheiten respektierenden und schützenden Staat hervorzubringen, ihn, nicht zuletzt i m Interesse der Freiheit, funktionsund leistungsfähig zu erhalten, zu verhindern, daß letzte und endgültige Entscheidungen getroffen werden, die jene Offenheit aufheben. Alles dies setzt gesellschaftlichen Konsens, gesellschaftliches Handeln und gesellschaftliche Unterstützung voraus, i n deren Gewinnung und Erhaltung Hauptprobleme heutiger Staatlichkeit liegen und die die Ausbildung demokratischer Verhaltensweisen und politischer Fähigkeiten der Mitglieder der Gesellschaft voraussetzen 86 ." Z u diesem Zweck sind die Grundrechte „multifunktional" aufzufassen, die Festlegung auf bloße Abwehrfunktionen oder bloße Ordnungselemente w i r d ihnen nicht gerecht 87 . Es ist offensichtlich, daß die so verstandenen Grundrechte wie ein Mosaik zerfallen werden, sobald sie nicht durch einen umfassenden Rahmen i n ihren Beziehungen zueinander und zu anderen Teilen der Ordnung gehalten werden; ohne den übergeordneten Leitgedanken sind sie wie ein Baukasten, aus dem beliebig verschiedene Steine für beliebige Zwecke genommen und i n ein beliebiges Gebäude eingesetzt werden können. Es n i m m t daher nicht wunder, wenn demokratisch orientierte Theoretiker den Gedanken der Gleichheit i m nichtstaatlichen Bereich i n das 84 H. Willke, 204 ff.; P. Häberle, Die offene Gesellschaft, 301 f. Verfahrensrechtliche Konsequenzen zieht K. A. Schachtschneider, Anspruch auf Demokratie. Überlegungen zum Demokratierechtsschutz des Bürgers, JR 1970, 401 ff.; kritisch dazu D. Wiegand, 659. 85 H. Willke, 213. 86 K . Hesse, Bemerkungen, 441. 87 Zu eng daher die Kritik E. W. Böckenfördes an dem von ihm so genannten „demokratisch-funktionalen" Ansatz, der eben nicht nur funktional ist, sondern die anderen Grundrechtsaspekte miteinbezieht und zu vereinen sucht. G. Müller, Das Wort, 252, ist beizupflichten, wenn er sich gegen Absolutismen wendet; doch ist es wohl ein Mißverständnis, wenn das demokratietheoretische Grundrechtsdenken als Verabsolutierung des Gleichheitspostulats angesehen wird. Darüber sogleich im Text.

2.c) Objektivierende Auffassungen der Koalitionsfreiheit

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Zentrum dieser Auffassung stellen. Sie sehen ein Minus an Gleichheitsverwirklichung („systematische Verharmlosung des Gleichheitssatzes" 88 ) gegenüber der Freiheit, die sie noch i n privilegialen Ausprägungen verwirklicht sehen. Von daher w i r d verständlich, wenn der Allerweltsbegriff „Demokratisierung" aufschreckend w i r k t , und sogar eine Gegenbewegung, die oben geschilderte „restaurative Staats-Lehre" auf den Plan gerufen hat. A u f ganz anderer Ebene versucht ein „organisationsrechtliches Grundrechtsverständnis" die notwendige Einheit zu gewinnen. W. Leisner 89 entwickelt diesen Begriff für das Eigentum und kommt so zu klareren Zuordnungen und griffigeren Wertrelationen. „Das Eigentumsrecht kann dann auch teilhaben an den Wandlungen des Organisationsrechts, die eben heute sichtbar und notwendig werden: Dezentralisierung, Automatisierung, Verteilung der Verantwortung, kooperative Führung, dies alles kann auch eigentumsrechtlich fruchtbar werden. — Vor allem aber können, geht man vom organisationsrechtlichen Denkansatz aus, die Prinzipien des Organisationsrechts i n die Grundrechts», vor allem i n die Eigentumsdogmatik eingeführt werden. Sie mögen heute i n vielem noch unterentwickelt sein, doch hier können sie sich entfalten und sogar justiziabel werden. Darin aber liegt die Zukunft des Rechtsstaates." Diese Lehre kann, weitergedacht, die Wertigkeiten verunklarende Vielfalt der Betrachtung ein und desselben Grundrechts, nicht zuletzt der Koalitionsfreiheit, als Individual- und Kollektivabwehrrecht, als soziales und/oder Teilhaberecht, als Ordnungs-, Wert- oder Funktionselement zurückführen auf verhältnismäßig klare Kategorien 9 0 . Daß dabei der Freiheitsaspekt nicht nur nicht verlorengeht, sondern eher gestärkt wird, ist der Optimismus dieses Ansatzes. Für seine Berechtigung spricht, daß ein allgemeiner Mitbestimmungsgrundsatz 91 , den letztlich auch die demokratietheore88 H. Willke, 228. Von daher erklärt sich auch, warum Vertreter eines demokratietheoretischen Grundrechtsverständnisses meist die Grundrechte auch als Teilhaberechte sehen: Die historische Frontstellung, die sozialen wie staatsbürgerlichen Gleichheitsforderungen gemeinsam ist, verbindet Demokratie- und Sozialstaatspostulate. Vor einer zu engen Zusammenschau ist aber zu warnen. Angesichts des Wandels der Staatsleitlinien (vgl. U. Scheuner, Die Funktionen, 509 ff.) und der Organisationsstrukturen können über das Sozialstaatsmodell politische Zielsetzungen, die ehemals als „fortschrittlich" damit verbunden worden sind, auch wenn sie schon überholt sind, störend in demokratisierende Programme einfließen. So wäre es durchaus denkbar, daß Reprivatisierungen demokratisierend wirken; eine Fixierung auf das überkommene Bild der Sozialisierung wäre hier nur hinderlich. 89 Der Eigentümer als Organ der Wirtschaftsverfassung, a.a.O.; das folgende Zitat ebd., 79. 90 W. Leisner, Der Eigentümer, 79; zu den Grundrechten als Organisationsmaximen H. H. Rupp, Vom Wandel, 187 ff., der insbesondere das Problem einer freiheitlichen Binnenverfassung von Organisationen angeht. oi K. Adomeit, 18 f.

170

I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

tische Grundrechtsauffassung anstrebt, über das Denken i n institutionalisierten Zuständigkeiten leichter eingeführt werden kann als über vergleichsweise wenig differenzierte Gleichheitsargumente. d) Die Koalitionsfreiheit im Legitimationsund Funktionszusammenhang zwischen staatlicher Ordnung und individueller Freiheit I n der Koalitionsfreiheit stoßen drei scheinbar von einander unabhängige Bereiche aufeinander, ein individueller, ein kollektiver und ein staatlicher. Diese Bereiche stehen jedoch i n einem inneren Zusammenhang, nicht nur formal, sondern auch material, w e i l erst i m Bezug aufeinander Sinn und Zweck der einzelnen Bereiche verständlich werden. Dieser gegenseitige Bezug könnte ganz verschieden ausgestaltet sein: Es könnten der individuelle und der kollektive Bereich allein Funktion des staatlichen sein, denkbar wäre auch, daß der individuelle und der staatliche Bereich ihre Finalität i n der Ausrichtung auf den kollektiven hätten. Aber die Bezugspunkte der Koalitionsfreiheit sind nicht beliebig, sondern von der Verfassung vorgegeben. Sie bilden eine Grundstruktur, anhand derer man Abwägungsgesichtspunkte für den Vorrang des einen oder anderen Bereichs gewinnen kann, wenn man die Wirklichkeit m i t heranzieht. Das ungelöste Problem der zuvor referierten Grundrechtsverständnisse war die Bestimmung der Stellenwerte der verschiedenen Qualitäten grundrechtlicher Verbürgungen. So zieht zwar eine objektivierende Grundrechtsbetrachtung daraus, daß das Gegenüber Staat— Individuum von einem vielfältigen Netz von Interessen und Interaktionen überlagert ist, das sich m i t einer negatorisch-antithetischen Auffassung der Grundrechte allein nicht mehr erfassen läßt, die Konsequenz, daß Grundrechte gewichtige Ordnungselemente und Leitlinien für eine Gesamtordnung darstellen, deren Verzahnung m i t den organisatorischen Normen des Grundgesetzes ein Geflecht von Abwägungskriterien ergibt 9 2 . Dieses ist aber an sich flach, ohne Aussagekraft. Gewichtungen sind zwar vorhanden — so stellen A r t und Intensität der Grundrechtsschranken bestimmte Wertentscheidungen dar 9 3 —, gerade »2 Eine Effektuierung der Grundrechte angesichts vielfältiger staatlicher Ingerenz in alle Lebensebenen scheint kaum anders möglich. Die Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit fordert ein Umdenken der Rechtsstaatselemente gegenüber Verwaltungsrationalisierung und -Effizienz, Zentralisierung und Bürokratisierung. Die Vorstellung der Verfassung als Strukturplan (P. Lerche, Stiller Verfassungswandel, 298 ff.) ist dem äquivalent. »3 P. Haberle, Die Wesensgehaltsgarantie, 126ff., 202 ff.; P. Lerche, Verfassungsr. Zentralfragen, 46 (unter Hinweis auf seine Stellungnahme zu P. Häberles Buch, D Ö V 1965, 213 ff.) gibt zu bedenken, daß eine holistische Behandlung der Grundrechte die gesamte Grundrechtsordnung ins Fließen

2.d) Das Denken im „Legitimations- und Funktionszusammenhang" die Multidimensionalität

der Betrachtung

s t e l l t sie a b e r w i e d e r

171 in

Frage. I m folgenden — i m zweiten Schritt zur Inhaltsbestimmung der Koalitionsfreiheit — soll dafür eine Lösungsmöglichkeit skizziert werden, die an die demokratietheoretische und organisationsrechtliche Grundrechtsauffassung anknüpft 9 4 . Es geht, das ist nochmals zu betonen, nicht um konkrete Wertentscheidungen — diese werden unten 3 und 4 erarbeitet —, sondern darum, einen in sich folgerichtigen Entwurf von Wertrelationen aus abstrakten Prämissen abzuleiten, der seinerseits den weiteren Ausführungen zugrundegelegt werden kann 9 5 . A n z u s e t z e n i s t b e i m P o s t u l a t e i n e r D e m o k r a t i e als offenem, d i a l o gischem V e r f a h r e n m e h r e r e r Personen oder k o l l e k t i v e r E i n h e i t e n , i n d e m das S e l b s t b e s t i m m u n g s r e c h t des E i n z e l n e n v e r w i r k l i c h t w i r d . V o r aussetzung d a f ü r i s t d i e G l e i c h h e i t d e r B e t e i l i g t e n s o w i e d i e B e s t i m m u n g d e r G r e n z e n z u r V e r f ü g u n g s m a c h t des ( M e h r h e i t s - ) K o l l e k t i v s ü b e r die S e l b s t b e s t i m m u n g s b e r e i c h e des E i n z e l n e n . D i e V e r f a s s u n g ist M i t t e l d e r S i c h e r u n g dieser V o r a u s s e t z u n g e n des D i a l o g s . Dieses P o s t u l a t d ü r f t e i n seiner A b s t r a k t h e i t w o h l n a c h a l l g e m e i n e r A n s i c h t d e m M e n s c h e n b i l d des Grundgesetzes (vgl. A r t . 1, 2, 20 G G ) e n t s p r e c h e n 9 6 , das d i e o r i g i n ä r e , a l l u m f a s s e n d e u n d gleiche F r e i h e i t eines j e d e n , sich selbst z u definieren, g a r a n t i e r t 9 7 . Dieses S e l b s t b e s t i m m u n g s „ r e c h t " s o l l i m f o l g e n d e n d u r c h d i e V o r s t e l l u n g ersetzt w e r d e n , bringen würde. Nach der hier vertretenen Ansicht weisen die Grundrechtsschranken auf den Grad der sozialen Interferenz eines Lebensbereichs; so ist die Schrankenlosigkeit der Gewissensfreiheit in gleicher Weise erklärbar wie die des Petitionsrechts als besonders ausgestaltete Möglichkeit der Meinungsfreiheit. Desgleichen wird plausibel, daß die Schranken des Art. 13 G G sich verschieben mit dem Grad des Öffentlichkeitsbezugs verschiedener Räumlichkeiten (BVerfGE 32, 54, 75). 94 Siehe oben ebb; für die Privatautonomie entwickelt K. Adomeit, a.a.O., dem folgenden entsprechende Ableitungen. 96 Damit sei zugleich ein Beitrag zur Offenlegung des Vorverständnisses dieser Arbeit geleistet. Vgl. J. Esser, Einleitung, 7 ff., 139 ff.; M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967, insbes. Leitsätze 21, 22 (315), ferner 177 ff., 186; G. Leibholz, Verfassungsrecht, 21 ff., 24 ff., 28; F.-J. Säcker, 104 ff., 112. 06 Siehe BVerfGE 5, 85, 204 f.; vielfältige Nachw. bei W. Däubler, 129 ff.; A. Hueck, H. C. Nipperdey, 39 ff. 97 Damit soll keineswegs der Gemeinschaftsbezug der Einzelperson geleugnet werden; vgl. dazu die Rspr.-Nachweise bei G. Leibholz, H. J. Rinck, Art. 1, Rdz 2. Dieser ergibt sich bereits aus der Notwendigkeit der Sozialisation zum £coov TtoXiTtxov, jedoch bestimmen sich Umfang und Grenzen dieses Gemeinschaftsbezugs aus dem individuellen Bedürfnis und nicht aus einer dem dialektischen Sozialisationsprozeß vorgegebenen Gemeinschaftsnotwendigkeit. — Es sei darauf hingewiesen, daß bereits die Annahme eines Selbstverwirklichungsbereichs des Einzelnen in Verbindung mit einer Gleichgewichtstheorie des Marktes zu Ansprüchen des Einzelnen an den Staat auf Bildung, auf soziale Unabhängikeit (Recht auf Arbeit, etc.) führen kann, man vergleiche nur das Gedankengut des aufgeklärten Liberalismus eines J. St. Mill, z. B. in Principles of Political Economy, 1871 ed., I V , Ch. V I I , V, Ch. I - X I ; dazu R. P. Wolff, Das Elend des Liberalismus, deutsch 1969, 7 ff.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

es handele sich u m eine Zuständigkeitsregelung; Bestimmungsrechte" werden m i t h i n als „Kompetenzen" bezeichnet. Diese Einführung soll nichts anderes bezwecken, als die Ausführungen von den Vorstellungen, die sich m i t dem Wort „Recht" verbinden, insbesondere die des „subjektiven Rechts" sowie die des Wertgehaltes von „Rechten", zu entlasten 98 . Gleiches gilt i n verstärktem Maße vom ideologischen Begriff der „Freiheit" 9 9 . Kompetenz ist also ein einem bestimmten Träger zukommender oder zugeordneter Bereich selbständiger Entscheidung. Unter Zugrundelegung dieser Betrachtimg läßt sich also sagen: Die Verfassung stellt eine konsistente Kompetenzordnung dar, d. h. ein System zur Verteilung von Entscheidungsbefugnissen. Grundrechte bezeichnen Kompetenzen des Individuums oder von Gruppen oder sie fassen i n Einrichtungsgarantien bestimmte, zusammengehörige Kompetenzen zu einem einheitlichen Kompetenzgefüge zusammen, i n das der Einzelne eintreten kann. Geht man, wie soeben geschehen, von der Idee aus, daß nur dem einzelnen eine originäre und allumfassende Kompetenz zukommt, gilt es — idealtypisch — zu bestimmen, unter welchen Bedingungen Kompetenzen auf andere Individuen oder kollektive Einheiten verlagert werden. Der Einzelne, seine volle Handlungsfähigkeit vorausgesetzt, realisiert seine Kompetenz, indem er über seine Individualsphäre hinausgreift und sie zur Herrschaftssphäre ausbaut, also eigentlich einen Konflikt mit der Kompetenz der anderen Individuen herbeiführt. Dieser Konflikt w i r d jedoch durch Verständigung gelöst. Verständigung ist eine Austauschbeziehung. Diese Austauschbeziehungen können wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher A r t sein, sie sind wechselseitig verpflichtend, selbst wenn die Verpflichtung nur i m Wege des Dialogs sich einstellt. Den Austauschbeziehungen sind zwei Elemente eigentümlich, ein funktionales und legitimatives. Eine konfliktlösende Austauschbeziehung liegt nur dann vor, wenn beide sich decken: Sie kommt zustande i n einem Interaktionsvorgang. Es bedeutet Legitimation die Einräumung einer Kompetenzerweiterung der Bereiche des anderen zu eigenen Lasten, Funktionalzusammenhang die Rückbe98 Keinesfalls soll die Möglichkeit „wertfreier" Begriffe postuliert werden, lediglich erscheint es vorteilhaft, festgefahrene Assoziationsketten aufzusprengen. Zu solchen wäre z.B. die tradierte Trennung des organisationsrechtlichen Teils des Grundgesetzes von den Grundrechtsvorschriften (vgl. W. Weber, 240 ff.) zu rechnen; sie verhindert weithin die Fruchtbarmachung z. B. der Strukturähnlichkeit des Art. 72 GG mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wie er im Grundrechtsbereich gilt (vgl. H. Ehmke, 77 ff., 89). 99 Dieser wird zum Teil schon als „negativer Kompetenzbegriff" aufgefaßt (vgl. R. Scholz, 66, 67 Anm. 1; H. Leßmann, 164 ff., 194ff); siehe auch P. Häberle, Die Grundrechte, 103 ff.; K. Hesse, 125; F.-J. Säcker, 92, sieht in der Kernbereichslehre des BVerfG zu Art. 9 Abs. 3 G G eine wandelbare, funktionale Kompetenzabgrenzung.

2.d) Das Denken im „Legitimations- und Funktionszusammenhang"

173

zogenheit der Legitimation auf eigene Kompetenzerweiterung, m. a. W. es müssen Fremdbestimmtheit und Eigenbestimmung sich decken 100 . Solange die Deckung des Interessenausgleichs besteht, hat diese Konfliktlösung verpflichtenden Charakter, es liegt ein valider wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Vorgang vor. Betrachtet man ein Kollektiv m i t Zwangsrechten, wie z.B. den Staat, zunächst nur unter dem Aspekt der Übertragung der Konfliktregelung — so ein Ausgangspunkt neuzeitlicher Staatstheorie —, so bleibt die Deckung von Legitimation und Funktion erhalten: Der eng umgrenzten Zuständigkeit zur Konfliktregelung entspricht i n erster Linie eine Schutzfunktion, d. h. die Garantie der Individualposition mit dem Ziel, den liberalen Konfliktausgleich zu ermöglichen, allenfalls subsidiär eine unmittelbare Ausgleichsfunktion. Das Verfahren, über das die Individualkompetenz m i t der Konfliktregelungsfunktion des Kollektivs idealiter verknüpft wird, ist der Parlamentarismus 101 . Demgegenüber ist der moderne Staat nicht nur generell legitimiert (Art. 20, 38 GG), sondern hat auch eine universelle Kompetenz. Damit stehen sich die Individualkompetenz und die Staatstotalität i n einem dialektischen Spannungsverhältnis polar gegenüber: Die Identität von Funktions- und Legitimationszusammenhang ist verloren. Sie w i r d wieder hergestellt — sieht man von der politischen Zuordnung durch die Notwendigkeit periodischer Erneuerung der Legitimation ab — einerseits über Grundrechte, andererseits durch die Mediatisierung des Polaritätsverhältnisses. Die Grundrechte konkretisieren den Bereich freier Selbstbestimmung und individualer Konfliktregelung. Daraus entspringt die Schutzfunktion des Staates bei Störung dieses grundlegenden Ausgleichungsverhältnisses. Diese ist aber nicht mehr nur negatorisch, sondern i n Konsequenz der allgemeinen Legitimation und Aufgaben des Staates und der Angewiesenheit sogar der Kernbereiche liberaler Austauschbeziehungen auf ordnende Eingriffe auch fürsorglich und leistend. I n Rückbeziehung auf die Egalität der Einzelnen (Art. 2, 3, 20, 38 GG) kann sie darüber hinaus zu einer Pflicht des Staates werden: Grundrechte werden zu Teilhaberechten 102 . 100 Damit ergibt sich für den hier verwendeten Begriff der „Funktion": die Bezogenheit einer Einheit auf eine oder mehrere andere, die sich niederschlagen kann als Verrichtung, Aufgabe, Leistung eines Teils i m Rahmen einer Beziehung zweier oder mehrerer Einheiten oder für das Ganze. 101 I n Abkehr vom absolutistischen Fürsorgestaat bedarf jeder Eingriff in Freiheit und Eigentum der Bürger eines formellen Gesetzes. Dieser Gedanke, der mehr idealtypisch als historisch anzusehen ist, setzt sich auf richterlicher Ebene fort i m due process (vgl. P. Häberle, Die Grundrechte, 128 ff., zu deren Verfahrensgehalt). 1 0 2 Überblick zur Entwicklung G. Leibholz, Verfassungsrecht, 31 ff.; ferner P. Häberle, Die Grundrechte, 69 ff., und schon oben I I I 2 c.

174

I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Zur Abgrenzung individueller und staatlicher Kompetenz gilt nach alledem: (1) Je allgemeiner und gemeinschaftsbezogener eine staatliche Maßnahme ist, desto eher genügt der allgemeine Legitimationszusammenhang ohne weitere funktionale Zuordnung, und vice versa (Grundsatz der Identität von Legitimation und Funktion) 1 0 3 . (2) Je weniger fremdbestimmend oder gemeinschaftsbezogen eine Individualkompetenz ist, desto weniger kann der Staat eingreifen, und vice versa (Grundsatz der Selbstbestimmung und der Subsidiarität staatlicher Regelung) 104 . (3) Je mehr sich das Fremdbestimmungspotential konfligierender Kompetenzen gleicht, desto weniger kann der Staat i n den Austauschmechanismus eingreifen, und vice versa (Grundsatz der Selbstregulation i m Gleichgewicht) 105 . (4) Je mehr nichtkonfliktregelnde Kompetenzen der Staat kraft seiner allgemeinen Legitimation an sich zieht, desto mehr verwirklicht sich die Forderung nach Identität von Legitimation und Funktion i n Teilhaberechten (Grundsatz der Komplementarität der Kompetenzen) 106 . Unter Mediatisierung des Polaritätsverhältnisses ist die Einschaltung jeder A r t überindividueller Einheit 1 0 7 , die nicht ausschließlich ihre Kompetenz von der höchsten Kompetenz, i m Fall der Bundesrepublik dem Bund, ableitet, zu verstehen. Dazu zählen Ehe, Familie, Schule, Glaubensgemeinschaften, Vereine m i t oder ohne wirtschaftlichen Zweck, Handelsgesellschaften, Presse und Rundfunk, Koalitionen, Parteien, Universitäten und Forschungseinrichtungen, Sozialversicherungsanstalten, die Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft, Gemeinden, Länder, usf. Gemeinsam ist diesen Einheiten ein doppelter Legitima103 Hierzu gehören die sog. überragend wichtigen Gemeinschaftsgüter, auf die das BVerfG des öfteren in seiner Rspr. zu Art. 12 GG zurückgreift; zu nennen sind auch Umweltschutz, Verteidigung, etc. 104 vgl. die Differenzierungen in BVerfGE 32, 54, 75 f. danach, wie weit der Inhaber der häuslichen Privatsphäre diese nach außen öffnet; Beispiel auch in Art. 4 GG; ferner hinsichtlich des Rechts des Gesetzgebers, Berufsbilder zu fixieren; auch i m Vereinswesen oder bei der Frage der Monopole. i° 5 K. Hesse, 147 ff.; allgemein zum Problem der Drittwirkung; praktisches Beispiel ist das der Allgemeinen Geschäftsbedingungen als Abweichung vom Gleichgewichtsprinzip. 106 So schon immer beim status activus (Art. 33 Abs. 2 GG), jetzt auch hins. des Zugangs zu Ausbildungsstätten. 107 Wenn dazu auch Ehe und Familie gerechnet werden, obwohl ihre Bedeutung i m Sozialisationsprozeß für den Einzelnen unvergleichbar größer ist als die anderer Institutionen, so geschieht das aus dem Grund, weil bereits hier Ordnungen vorliegen, die sowohl das Ganze strukturieren als auch für den Einzelnen notwendige Bedingungen seiner Existenz sind mit der Gefahr der Verobjektierung des Einzelnen. Jede dieser Einheiten ist j anusköpf ig.

2.d) Das Denken im „Legitimations- und Funktionszusammenhang"

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tions- und Funktionszusammenhang, nämlich ein interner und ein externer: Intern erfolgt eine begrenzte Kompetenzeinräumung durch die Einzelnen zur Wahrung ihrer Interessen, extern nimmt der Staat diese Einheiten i n Funktion, indem er sie als Ordnungselemente der Gemeinschaft benützt, sie dazu durch Anerkennung und Privilegierung an seiner allgemeinen Legitimation teilhaben läßt — und damit an ihrer spezielleren partizipiert! —, aber auch i n Pflicht nimmt, so daß sie i n der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen nicht i n gleichem Maße beliebig verfahren können wie die hinter ihnen stehenden Einzelnen. Dies führt zu folgenden Kompetenzabgrenzungen: (5) Einheiten, die ihre Existenz staatlichem Gründungsakt verdanken, unterliegen weitgehend staatlicher Definition, ihre durchsetzbare Eigenkompetenz nach außen ist gering 1 0 8 ; intern müssen sie, soweit spezielle Funktionen definiert sind, demokratisch aufgebaut sein 1 0 9 (Grundsatz der Homogenität). (6) Einheiten, die sich selbst definieren, unterliegen nach außen und nach innen desto mehr den oben angeführten Abgrenzungskriterien (1) - (4) ohne weitere Einschränkung, je weniger sie als Ordnungselemente der Gemeinschaft Bedeutung erlangen einerseits, je spezieller und unmittelbarer der interne Legitimations- und Funktionszusammenhang ist andererseits. Je stärker die Gefahr interner Fremdbestimmung des Individums ist, desto eher geht die Kompetenz auf den Staat über, der sie aber m i t Rücksicht auf die Grundkompetenz des Individuums ausüben muß, d. h. i m Zweifel die kollektive Kompetenz an den Einzelnen zurückgeben muß, z. B. i m Wege demokratischer Normativbestimmungen (Grundsatz der Autonomie und des Vorrangs demokratisierender vor sonstigen Eingriffen). (7) Für Einheiten, die sich selbst definieren, zugleich aber als Ordnungsfaktor i n Legitimations- und Funktionsverschränkung zum Staat stehen, gilt zusätzlich zu (6): — (7.1) Je strukturbestimmender die Funktionen der selbstdefinierten Einheit für das Gemeinwesen sind, desto eher t r i f f t den Staat eine Förderungsverpflichtung (Grundsatz der politökologischen Pflege). — (7.2) Jede Funktionszuweisung bzw. Funktionseingrenzung staatlicherseits muß beachten, daß ein interner Legitimationsentzug zur Disfunktionalität nach außen führen kann (Grundsatz des mittelbaren Identitätsgebots von Funktion und Legitimation). los Vgl. Art. 19 Abs. 3, 28, 79, 87 Abs. 2 GG; Zwangskörperschaften, Beliehene, etc.; zum demokratischen Aufbau nach innen BVerfGE 33, 125, 159 f. ioo Konkretisierung dieser, zum Teil auch der folgenden Thesen finden sich bei H. H. Rupp, Vom Wandel, 195, 199 ff.

176

I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

— (7.3) Je weiter eine Einheit staatsintegriert ist oder i n festgelegter Weise staatsintegrierend w i r k t , desto mehr verwirklicht sich der interne Legitimationszusammenhang i n demokratischer Willensbildung (Grundsatz der Konvergenz der Grundsätze (5) und (6)).

Diese relationalen Aussagen sollen jetzt das Gerüst für die wirklichkeitsbezogene Verfassungsinterpretation sein, die die Autonomie der Gewerkschaften gegenüber staatlicher Regelungskompetenz und individuellem Freiheitsrecht abzugrenzen hat.

3. Bindungen der Koalitionsautonomie kraft öffentlichen Interesses: Legitimation und Funktion im Verhältnis Staat—Gewerkschaften So komplex sein mag, was sich hinter der Notation „öffentliches Interesse" verbirgt 1 , so dürfte doch ein Kerngehalt feststellbar sein. Etwas, was nach allgemeiner Ansicht für das Gemeinwesen von Bedeutung ist, soll, entsprechend dieser seiner Bedeutung, i m Sinn der Allgemeinheit richtig geregelt werden. Was richtig ist, kann inhaltlich bestimmt sein 2 . Oder es w i r d i n einem Verfahren ermittelt, dessen Ergebnis als dem öffentlichen Interesse entsprechend angesehen wird, w e i l man an die Richtigkeitsgewähr des Verfahrens glaubt. E i n solches Verfahren ist die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie. Die Koalitionsfreiheit des A r t . 9 Abs. 3 GG ist nicht m i t einem Gesetzesvorbehalt versehen. Der Verfassungsgeber hat damit — sieht man von entstehungsgeschichtlichen Komplikationen ab 3 — zum Ausdruck gebracht, daß sich die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen bruchlos i n das Kompetenzgefüge des Grundgesetzes stellen läßt. Das dementsprechende verfassungsrechtliche Leitbild 4 läßt sich so beschreiben: Die Arbeits- und Lohnbedingungen werden i m freien Kräfteausgleich zwischen grundsätzlich gleichberechtigten und annähernd gleich mächtigen sozialen Gegenspielern festgelegt. Die so gewonnenen Ergebnisse sind ohne weiteres „richtig" i m Sinn des öffentlichen Interesses. Eine Zwangsschlichtung ist nicht vorgesehen, sie würde die Richtigkeitsgewähr des freien Ausgleichs nur verkürzen. Dieser Mechanismus stellt, u m funktionieren zu können, gewisse Anforderungen an die sozialen 1 M. Stolleis , öffentliches Interesse als Juristisches Problem, VerwArchiv 1974, 1 ff.; P. Haberle , öffentliches Interesse, 708 ff., 710. 2 P. Badura , BK, Art. 38 R N 1 6 ; A. Hamann, H. Lenz, Einf. E B , sprechen von einer „metarechtlichen Illusion"; P. Lerche, Verfassungsrechtl. Zentralfragen, 30 (Anm. 102). 3 Vgl. neben R. Scholz, 23 ff., H.-H. Hartwich, Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher Status quo, 1970, 21 ff., 34 ff., 37 ff. 4 Dieser Begriff wird vom BVerfG verhältnismäßig häufig verwendet, wohl meist zur Bezeichnung eines komplexen Sachverhaltes, den es unter einheitlichem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt zu würdigen gilt (vgl. z.B. BVerfGE 34, 293, 306); hier soll er verwendet werden als „Grundprinzip" einer Verfassungsnorm (vgl. J. H. Kaiser, Die Parität der Sozialpartner, 1973,

60).

12 Gerhardt

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Gegenspieler. Diese Funktionsbedingungen der Tarifautonomie erscheinen gewöhnlich als Koalitionsmerkmale und werden i m Begriff der „Tariffähigkeit" zusammengefaßt. Dieses verfassungsrechtliche Leitbild ist i n der Wirklichkeit aber nicht rein durchgeführt. Es bestehen vielerlei Abweichungen. Insbesondere könnte der freie Interessenausgleich der Sozialpartner mit der tatsächlichen und rechtlichen Expansion der Gewerkschaften einerseits, dem Wandel der staatlichen Zielsetzung andererseits gestört sein. Das hätte einen Legitimationsverlust der Tarifautonomie zur Folge, bzw. müßte es dazu führen, die Funktionsbedingungen der Tarifautonomie zu überdenken. Die Divergenz zwischen Leitbild und Realität ließe sich — und das ist das Ziel einer nicht zu unterschätzenden Strömung i n der Literatur — beheben, indem man die Expansion der Gewerkschaften für verfassungsrechtlich nicht gedeckt hält und daraus die Berechtigung des Gesetzgebers herleitet, zur Bewahrung der verfassungsmäßigen Ordnung und Gewaltenverteilung gegen die „Verfassungsstörer" vorzugehen 5 . Die Bindung der Tarifvertragsparteien an ein materiales Gemeinwohl kann so verfassungsrechtlich abgesichert werden, ebenso aber auch verbandsorganisatorische Maßnahmen, die von einer „Entflechtung" der Gewerkschaften 6 bis zu detaillierten Vorschriften über die innerverbandliche Willensbildung 7 reichen. Eine so angelegte verfassungsrechtliche Argumentation, die man mit einem viel strapazierten Wort „Uberparitäts"-Denken nennen könnte, sieht sich allgemeinen Bedenken ausgesetzt, die hier kurz skizizert werden sollen, weil sie den Weg der nachfolgenden Untersuchung aufzeigen. Z u m einen gilt, daß die Praxis einem Idealbild immer nur unvollkommen gerecht werden wird. Das Problem steckt also primär darin, zu erforschen, wann Abweichungen von der Spannbreite der V e r w i r k lichungsmöglichkeiten des Ideals nicht mehr gedeckt sind. Daher ist stets zu fragen, ob die vorgefundenen Abweichungen nur akzidentiell sind oder einer grundsätzlichen Tendenz entsprechen, die das Prinzip angreift. Es ist aber auch, falls letzteres der Fall ist, zu klären, wo die Entwicklung gerade steht und ob sie i m Verhältnis zu den noch verwirklichten Teilen des Prinzips einen gesetzlichen Eingriff rechtfertigen. Konkret gefragt: Angenommen, die Koalitionen würden den politischen ß Vgl. E. Benda, 227; M. Löwisch, 303; W. Weber, 255 ff.; W. Zöllner, ff. Seiter, 149 ff.; demgegenüber meint W. Herschel, Staatsentlastung und Entpolitisierung, Festschrift E. Fechner, 1973, 37 ff., daß durch das StabG sich am Selbstausgleich der Koalitionen nichts geändert habe (45). • ff. F. Zacher, Gewerkschaften, 730. 7 Z . B . ff. Föhr, 91 ff., 130ff.; ferner Nachweise bei K. Popp, 49ff.

3. Bindungen der Koalitionsautonomie kraft öffentlichen Interesses

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Parteien ähnlich, ist dieser Prozeß schon so weit gediehen, daß demgegenüber die Bedeutung der Koalitionen als antagonistische Kampfeinheiten zurücktritt? Es liegt auf der Hand, daß differenzierte A n t worten unvermeidlich sein werden. Als Beispiel für eine vorsichtig verortende verfassungsrechtliche Einstufung der Gewerkschaften lassen sich die Sätze des BVerfG in BVerfGE 38, 281, 306 f. verstehen, die die Gewerkschaften gewissermaßen auf der Kippe zwischen gesellschaftlicher Selbststeuerung und Gemeinwohlbindung sehen: „Die Gewerkschaften sind nach ihrem Ursprung Kampfverbände, entstanden aus dem Gegensatz zu den Arbeitgebern, denen gegenüber die Ansprüche der abhängigen Arbeitnehmer auf gerechten Lohn und angemessene Arbeitsbedingungen durchzusetzen waren. Ihrer ganzen Arbeit ist daher von Haus aus der Bezug auf den sozialen Gegenspieler eigen, mit dem sie verhandeln, dem sie fordernd entgegentreten, den sie gelegentlich offen bekämpfen. Ihre Tätigkeit ist deutlich interessengerichtet. Selbstverständlich müssen auch die Gewerkschaften angesichts der Bedeutung ihrer Tätigkeit für die gesamte Wirtschaft und ihres (auch geistigen) Einflusses auf weite Bereiche des öffentlichen Lebens bei allen ihren Aktivitäten das gemeine Wohl berücksichtigen. Trotzdem erhält ihre ganze Arbeit ihren besonderen Akzent von dem Gedanken des »Kampfes 4 für die Hebung der sozialen und w i r t schaftlichen Stellung der Arbeitnehmer."

Z u m anderen könnte der Schluß von der „Uberparität" auf verfassungsrechtliche Bindungen nur dann richtig sein, wenn die Expansion der Gewerkschaften einseitig zu Lasten anderer Kompetenzträger, insbesondere der Verfassungsorgane, ginge, ohne daß auch diese einen Funktionswandel durchgemacht hätten. Sollte sich die These als richtig erweisen, daß die Richtigkeitsgewähr i m Sinn des öffentlichen Interesses durch die Erweiterung des gewerkschaftlichen Aufgabenbereichs zwar gefährdet erscheint, wenn man sie isoliert vom Gesichtspunkt des Tarifvertragssystems aus betrachtet, daß sie tatsächlich aber dem Wandel des staatlichen Entscheidungsapparates nicht nur komplementär ist, sondern für dessen Funktionieren sogar notwendig, könnte A r t . 9 Abs. 3 GG auf diesem Weg ein neuer Gehalt zugewachsen sein, ohne daß dies ohne weiteres zu erweiterten Eingriffsmöglichkeiten des Gesetzgebers führen müßte. Beispielshalber könnte aus dem Umstand, daß das Parlament auf die Koalitionen als Interessenverbände angewiesen ist, folgen, daß Maßnahmen, die der Transparenz der Verbände dienen, verfassungsrechtlich gedeckt wären, daß aber eine materiale Gemeinwohlbindung oder eine wie immer geartete Staatsaufsicht nach wie vor unzulässig wären. U m diese Fragen aufzuschlüsseln, werden i m folgenden die Tarifautonomie, die Beziehung der Gewerkschaften zur staatlichen Wirtschaftslenkung, ihr Verhältnis zu den politischen Parteien, ihre Beteiligung an der öffentlichen Verwaltung und schließlich die Auswirkungen einer allgemeinen Arbeitnehmermitbestimmung in Großunternehmen daraufhin betrachtet, welche Funktionen den Gewerkschaften jeweils zuteil geworden sind, was gleichbedeutend mit der Frage ist, an wessen Funktion sie jeweils partizipieren, 12*

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

welches die Bedingungen für die Erfüllung dieser Funktionen sind, welches die Legitimationsvoraussetzungen, schließlich, welche Rückwirkungen auf die Tariffähigkeit zu besorgen sind.

a) Anforderungen an die Gewerkschaften als Tarif Vertragsparteien aa) Zur Differenzierung zwischen Berufsverbänden und tariffähigen Koalitionen Die Kernfunktion der Koalitionen ist die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen i n Tarifverträgen. Entsprechend den Anforderungen des Tarifvertragssystems an die Beteiligten wurden unter der Geltung von A r t . 159 W V nur solche Vereinigungen als tariffähige Koalitionen angesehen, deren „satzungsmäßige Aufgabe die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder gerade i n ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber (Arbeitnehmer) war, die sich frei gebildet hatten, gegnerfrei, unabhängig und daher auf überbetrieblicher Grundlage organisiert waren und die schließlich das geltende Tarif- und Schlichtungsrecht als für sich verbindlich anerkannten" 8 . Für A r t . 9 Abs. 3 GG gilt nichts anderes. Denkbar sind jedoch Vereinigungen, die zwar die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zum satzungsmäßigen Ziel haben, jedoch nicht t a r i f w i l l i g sind 9 . A n diese w i r d man kaum die gleichen Anforderungen stellen können wie an die sog. „echten arbeitsrechtlichen Vereinigungen", jedenfalls könnte man diese Anforderungen nicht aus dem Sinn des Tarif Vertragssystems ableiten: Sie können, da sie eine Ordnungsfunktion für sich gar nicht i n Anspruch nehmen, auch nicht den gesetzgeberischen Befugnissen zur Erhaltung dieser Ordnung unterliegen. Eine Differenzierung zwischen tariffähigen Koalitionen (Koalitionen i m engeren Sinn) und nichttariffähigen (Koalitionen i m weiteren Sinn, i m folgenden meist als Berufsverbände bezeichnet) ist verfassungsrechtlich geboten 10 . Die rechtspolitischen Überlegungen zum Koalitionsgesetz gehen durchweg davon aus, daß es nur für Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände anwendbar sein soll 1 1 . Die Beschränkung des Geltungsbereichs 8 BVerfGE 4, 96, 106 f. » Dazu H. Reichel, Rechtsfragen der Tariffähigkeit, RdA 1972, 143 ff., 147; M. Löwisch, Gewollte Tarifunfähigkeit im modernen Kollektivarbeitsrecht, ZfA (5) 1974, 29 ff., 40, zu den Konsequenzen, wenn die Tarifunfähigkeit nur auf einen Teil der Verbandsmitglieder erstreckt wird. io Für diese Unterscheidung auch W. Reuß, Koalitionseigenschaft, 270; W. Dütz, Soziale Mächtigkeit als Voraussetzung eines einheitlichen Koalitionsbegriffs?, AuR 1976, 65, 66 f. H. Galperin, 38.

3.a) Die Gewerkschaften als Tarifvertragsparteien

181

des Koalitionsgesetzes auf die Koalitionen ist auch von der Sache her unmittelbar geboten. Charakteristisch für sie ist die eigenverantwortliche Gestaltung eines Sozialbereichs, für die ihnen die legitime Ausübung von unfriedlichen, also Kampf maßnahmen eingeräumt ist. Dies unterscheidet sie von allen sonstigen Interessenverbänden, die lediglich kommunikative Einwirkungschancen haben. Erst die Kumulation beider Arten, auf das soziale und staatliche Gesamtgeschehen Einfluß nehmen zu können, macht die Koalitionen zum „Fall", erst aus ihr erwächst das Problem der Machteinschränkung. Zwar ist bedenkenswert, ob der Differenzierungsgesichtspunkt der Tarifmacht nicht i m Laufe der Entwicklung an Bedeutung verlieren könnte. So gewinnt die Einflußnahme auf den Staat und durch Mitbestimmung immer mehr an Bedeutung, die den Auseinandersetzungsprozeß um Löhne und Arbeitsbedingungen von zwei Seiten her eindämmt. Dieser Wandel des Schwerpunkts der Koalitionstätigkeit mag zwar allmählich spürbare Auswirkungen auf die notwendigen Eigenschaften einer Koalition bekommen, jedoch kann er nicht zu einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz führen: Denn in dem Moment, wo auch die Berufsverbände aufgrund des Bedeutungsschwundes der Tarifwilligkeit in den sich wandelnden Koalitionsbegriff hineinwachsen, werden die Bestimmungen, die an die Tarifmacht und ihre inhärenten Grenzen anknüpfen, obsolet oder gewinnen ebenfalls einen anderen Inhalt.

Jedoch ist die Differenzierung nicht ohne weiteres übertragbar auf die Beteiligung der Koalitionen i n der öffentlichen Verwaltung oder i m Gubernativbereich. Es kann aber Anliegen eines Koalitionsgesetzes sein, Bestimmungen über die Beteiligung der Koalitionen i n staatlichen Gremien etc. zu treffen. Für diesen Fall ist die Gleichbehandlung aller Koalitionen zu berücksichtigen. I n einem Exkurs sei darauf kurz eingegangen. Fraglich ist zunächst, ob die nichttariffähigen Koalitionen auch i n den Schutzbereich von A r t . 9 Abs. 3 GG fallen oder ob sie von vornherein nur einen geringeren Schutz als die echten Koalitionen genießen. Letzteres könnte der Fall sein, wenn sie nur über A r t . 9 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich abgesichert wären und wenn die gesetzgeberischen Befugnisse gegenüber reinen Interessenverbänden weiter oder anders gefaßt sein sollten als gegenüber Koalitionen, z.B. durch die Klausel des A r t . 9 Abs. 2 GG. Während nach weitaus überwiegender Meinung auch die Berufsverbände A r t . 9 Abs. 3 GG unterfallen 12 ', aber auch A r t . 9 Abs. 2 GG als Schrankenregelung für A r t . 9 Abs. 3 GG angesehen wird, sei es auch nur dem Inhalt nach 13 , könnte das BVerfG i n seinem Beschluß vom 24.2.1971 14 einen anderen Weg eingeschlagen haben. 12 A. A. A. Hueck, H. C. Nipperdey, fassung. Dazu oben I I I 2 a. 14 BVerfGE 30, 227, 241 ff.

105, m. Nachw. der gegenteüigen Auf-

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Dort behandelt es Vereinigungen von Arbeitnehmern m i t dem Ziel, Arbeitnehmerinteressen bei der Selbstverwaltung der Sozialversicherung, insbesondere durch Aufstellung von Kandidaten zu den Wahlen zu den Organen der Sozialversicherung wahrzunehmen, nicht nach A r t . 9 Abs. 3 GG 1 5 , sondern nach A r t . 9 Abs. 1 GG. Es betrachtet jedoch die Schranken des Art. 9 Abs. 2 GG nicht als abschließend, sondern greift, stets i n Anlehnung an A r t . 9 Abs. 3 GG argumentierend, auf die i n BVerfGE 28, 295 ff. gefundene allgemeine Kollisionsklausel zurück 16 . Als „andere schützenswerte Rechtsgüter" erscheinen die allgemeinen Wahlrechtsgrundsätze (Chancengleichheit; Gewähr der Ernsthaftigkeit von Wahlvorschlägen durch Unterschriftsquoren) 17 . Man kann also von einer homogenen Schrankenregelung für alle Arten der Koalitionen ausgehen. Koalitionen und Berufsverbände sind somit gleich i. S. d. A r t . 3 Abs. 1 GG zu behandeln. Soweit es für die Beteiligung von Koalitionen i n öffentlichen Institutionen nicht auf die Tariffähigkeit ankommt, bedarf eine Differenzierung zwischen Koalitionen und Berufsverbänden der sachlichen Rechtfertigung. Das bedeutet: Sofern i n speziellen Sachbereichen die Berufsverbände den jeweiligen Anforderungen genügen, gebietet es der Gleichheitssatz 18 , auch ihnen angemessene Beteiligungsmöglichkeiten einzuräumen. Eine solche ist i n § 91 BBG berücksichtigt, i m SelbstV e r w G fand das BVerfG einen Verstoß gegen diesen Grundsatz. Deshalb ist darauf zu achten, daß die Formulierung einer Vorschrift, die § 5 PartG nachgestaltet ist, auch Berufsverbände, die nicht Koalitionen i m Sinn des Gesetzes sind, angemessen, d. h. entsprechend ihrer Bedeutung für den jeweiligen Sachbereich, berücksichtigt. Soweit Auswahlkriterien festgelegt werden 1 9 , dürfen an Berufsverbände keine höheren Anforderungen gestellt werden als an die Koalitionen, die insoweit kein Privileg genießen. So hat das BVerfG in der eben erwähnten Entscheidung zum SelbstVerwG die Frage verneint, ob es sich rechtfertigen läßt, daß „nur von den sonstigen Arbeitnehmervereinigungen, nicht aber von den Gewerkschaften ein Unterschriftenquorum verlangt wird, wenn beide nicht in der letzten Vertreterversammlung vertreten waren". Es spricht keine Vermutung für die Ernsthaftigkeit gewerkschaftlicher Wahlvorschläge nur deshalb, weil sich die Gewerkschaften typischerweise mit Fragen der sozialen Selbstverwaltung 15 Die Beschwerdeführerinnen haben zwar Art. 9 Abs. 3 G G anscheinend nicht gerügt, jedoch kann das nicht Anlaß für das Gericht gewesen sein, Art. 9 Abs. 1 G G zum Prüfungsmaßstab zu machen, wenn es Art. 9 Abs. 3 GG für die einschlägige Sedes materiae hielt (vgl. z. B. BVerfGE 34, 369, 378). iß Vgl. ebd. unter C H , 4 ; zur Frage des Verhältnisses von Art. 19 Abs.3 und 9 Abs. 3 GG oben I I I 2 b aa F N 26. 17 BVerfGE 30, 227, 241 f. 18 Dieser ist den einzelnen Grundrechten immanent, vgl. die Nachweise aus der BVerfG-Rspr. bei G. Leibholz, H. J. Rinck, Art. 3 Rdz. 6, 19. 10 I m einzelnen BVerfGE 30, 227, 243 f.

183

3.a) Die Gewerkschaften als Tarifvertragsparteien

befassen. — Nebenbei bemerkt, verwirklicht sich in der explizierten Gleichbehandlung ein Stück Pluralismus. I m E r g e b n i s ist f e s t z u h a l t e n These 1: D e r G e l t u n g s b e r e i c h des Koalitionsgesetzes i s t a u f d i e t a r i f f ä h i g e n K o a l i t i o n e n z u beschränken. Das K o a l i t i o n s g e s e t z d a r f k e i n e R e g e l u n g e n e n t h a l t e n , die die G l e i c h b e h a n d l u n g der n i c h t t a r i f f ä h i g e n B e r u f s v e r b ä n d e auf G e b i e t e n a u ß e r h a l b der T a r i f a u t o n o m i e b e e i n t r ä c h t i g e n . bb) I n n e r e F u n k t i o n s b e d i n g u n g e n des T a r i f Vertragssystems: die K o a l i t i o n s m e r k m a l e Das K o a l i t i o n s g e s e t z s o l l n i c h t n u r a n die T a r i f f ä h i g k e i t s o n d e r n auch d e r e n V o r a u s s e t z u n g e n f i x i e r e n .

anknüpfen,

I n der rechtspolitischen Diskussion spielen die Koalitionsmerkmale eine doppelte Rolle: Zum einen wird ihre Festlegung in einem Koalitionsgesetz gefordert, zum anderen werden aus den überkommenen Elementen des Koalitionsbegriffs verfassungsrechtliche Wertungen abgeleitet 20 . Während die gesetzliche Fixierung der anerkannten Koalitionsmerkmale nicht in das Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 G G eingreift, sondern nur die bestehende Rechtslage klärt, wären gesetzliche Modifikationen des Koalitionsbegriffs nicht ohne weiteres zulässig. Oben I I I 1 b wurde gezeigt, daß das BVerfG die Grundanforderungen an eine Koalition aus dem historisch gewachsenen Modus der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens durch Tarifverträge entwickelt hat; dementsprechend hat es ausgeführt, daß der Ermessensraum des Gesetzgebers, den Koalitionsstatus von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen, auf den Ordnungszweck des Art. 9 Abs. 3 GG beschränkt sei. Daraus folgt, daß es auch auf Skepsis stoßen muß, in die Elemente des Koalitionsbegriffs eigenständige Normierungen hineinlesen zu wollen, ohne ihren Stellenwert aus dem Sinn und Zweck der Tarifordnung abzuleiten. Die Anforderungen an die Koalitionseigenschaft können sich mit der Ausgestaltung des Tarifsystems durchaus ändern. D i e V o r a u s s e t z u n g e n der T a r i f f ä h i g k e i t lassen sich i n d r e i G r u p p e n gliedern. (1) K o a l i t i o n e n s i n d V e r e i n i g u n g e n v o n A r b e i t n e h m e r n oder A r b e i t g e b e r n m i t der satzungsmäßigen A u f g a b e der W a h r n e h m u n g d e r spezifischen A r b e i t n e h m e r - oder A r b e i t g e b e r i n t e r e s s e n , die das g e l t e n d e T a r i f r e c h t als f ü r sich v e r b i n d l i c h a n e r k e n n e n . 20 Zum ersteren: H. Galperin, 39; F.-J. Säcker, 89; zum zweiten insbes. W. Zöllner, H. Seiter, 124 ff., aber auch diese mit einer funktionalen Begriffsbildung (131 ff.); Th. Ramm, Der Koalitionsbegriff, RdA 1968, 412 ff., meint nach historischer Analyse, daß die Arbeitsrechtswissenschaft der Gefahr unterliege, rechtsfortbildend in bestimmter Richtung über den Koalitionsbegriff gedrängt zu werden; er empfiehlt den Verzicht auf bloße Begrifflichkeit und Beschäftigung unmittelbar mit den Problemen.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Durch ihren spezifischen Tätigkeitsbereich unterscheiden sich die Koalitionen von anderen Interessengruppen, die die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber nur i m Rahmen allgemeiner Ziele vertreten, insbesondere von den Parteien, die „an der Bildung des politischen Willens des Volkes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens" m i t w i r k e n (§ 1 Abs. 2 S. 1 PartG). Man könnte nun folgern, daß den Koalitionen eine weitergehende Interessenvertretung untersagt werden könnte bzw. zum Verlust der Tariffähigkeit führen würde. Dies ließe sich m i t dem Argument unterstützen, jede Betätigung der Koalitionen über die engeren Bereiche der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen hinaus führe zu koalitionsinternen Konflikten weltanschaulicher oder ähnlicher A r t , würde sie aber auch extern i n Kompetenzbereiche der Parteien und anderer Interessengruppen einwirken lassen, was i n die tariflichen Auseinandersetzungen nur sachfremde Komponenten hineintragen würde. M. a. W. könnte man eine Zuständigkeit des Gesetzgebers zu abschließender Regelung des Aufgabenbereichs der Koalitionen erwägen 21 . Eine restriktive Umschreibung der Tätigkeitsbereiche der Koalitionen würde die Freiheit der Koalitionen, über die W a h l ihrer M i t t e l und ihre Entwicklung zu entscheiden, i n ihrem Kernbereich angreifen. Sie würde, gestützt auf eine isolierte Betrachtung der Ordnung des Arbeitslebens durch Tarife, zur Disfunktionalität des Tarifvertragssystems führen, da der tarifvertragliche Interessenausgleich und eventuell vorangehende Arbeitskampfmaßnahmen ohne Bezug auf die allgemeine wirtschaftliche und politische Lage nicht einmal idealtypisch denkbar sind. Wären die Tarifgegner darauf beschränkt, außerhalb des Handlungssystems „Tarifautonomie" nur die Tätigkeiten zu entfalten, die der Gesetzgeber den Koalitionen positiv eingeräumt hat, wäre die Grundbedingung der sozialen Selbstverwaltung, nämlich ein freies Spiel der Kräfte, i n dem sich jede Seite aktiv u m ihre Vorteile bemühen kann und die ihr geeignet erscheinenden M i t t e l dazu wählen, beseitigt, Verzerrungen wären unvermeidlich, die die Legitimation dieses freien Ausgleichs i n Frage stellen würden 2 2 . Eine Einschränkung der Tätigkeitsfelder der Koalitionen ließe sich auch aus anderen Gründen m i t der Verfassung nicht vereinbaren. Wenn die Koalitionen die klassischen Arbeitnehmer- oder Arbeitgeber21 H. Galperin, 42. M i t A. Hueck, H. C. Nipperdey, 102 ff., ist davon auszugehen, daß die Gesamtrichtung der Koalitionsbetätigung geschützt ist; vgl. auch P. Badura, Arbeitsgesetzbuch, 131 f.; F.-J. Säcker, 59; ders., Die Institutions- und Betätigungsgarantie, Zusammenfassung 65 ff.; das B A G (AP Nr. 14 zu Art. 9 GG) billigt im Rahmen der Gewerkschaftswerbung im Betrieb auch allgemeinpolitische Argumente, sofern sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Koalitionsbereich stehen. 22

3.a) Die Gewerkschaften als Tarifvertragsparteien

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interessen satzungsgemäß verfolgen, darüber hinaus aber deren Einbettung i n eine Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik weiteren Umfangs anstreben, dann entspricht das nicht nur ihrem Recht auf freie Wahl der koalitionsmäßigen M i t t e l und auf freie Interessendarstellung gegenüber Staat und Parteien, das diese Erweiterung voraussetzt, sondern auch der historischen Entwicklung, an der das BVerfG nicht vorbeigehen würde 2 3 . Man mag den Schutzbereich des A r t . 9 Abs. 3 GG nicht auf die erweiterte Interessenvertretung erstrecken, sie entzieht jedoch keinesfalls den Gewerkschaften ihre Koalitionseigenschaft 24 . These 2: Eine Regelung, die ähnlich wie § 1 PartG Bedeutung und Aufgaben der Koalitionen umreißt, kann nicht abschließend formuliert sein.

Nachdem Koalitionen als Vereinigungen von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern beschrieben sind, könnte ihr Mitgliederkreis auf Arbeitnehmer i m arbeitsrechtlichen Sinn beschränkt sein, was die Mitgliedschaft von Studenten oder Freiberuflichen i n tariffähigen Koalitionen ausschlösse, auch wenn ihre Ziele eng an Arbeitnehmerinteressen angelehnt wären 2 5 . Für die Personen, die als arbeitnehmerähnlich unter § 12 a T V G fallen, also auch der Tarifautonomie unterworfen sind, stellt sich das Problem nicht mehr, da mit der tarifrechtlichen Gleichstellung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerähnlichen die Möglichkeit zum Beitritt zu einer Gewerkschaft einhergehen muß 2 6 . Das BVerfG hat sich noch nicht dazu geäußert, ob es ein Gebot der „Koalitionsreinheit" gibt 2 7 . Allenfalls mittelbar kann der für eine 23 Vgl. BVerfGE 38, 281, 301 ff. 24 R. Dietz, 428; siehe auch K. Popp, 38 ff. 25 Zur Problematik H. Reichel, Rechtsfragen, 144 f.; H. Wiedemann, Tariffähigkeit und Unabhängigkeit, RdA 1976, 72, 73 f., zum sog. Homogenitätsgebot, insbesondere zum Recht einer Koalition, selbst darüber zu befinden, ob sie auch Beamte und leitende Angestellte aufnehmen will; akut könnte die Frage auch werden bei R F F U bzw. einer Mediengewerkschaft oder bei den Psychologenverbänden, die sowohl Selbständige wie Unselbständige erfassen. 26 J. A. Stolterfoht, 1075, hält eine Organisierung der arbeitnehmerähnlichen Personen ausschließlich in Wirtschaftsverbänden für zulässig. 27 BVerfGE 4, 96 ff., hält die Versagung der Tariffähigkeit für sog. gemischtfachliche Arbeitgeberverbände wegen der Gefahr eines völligen Tarifwirrwarrs für zulässig. Diese Organisationsform hat sich auf Arbeitgeberseite auch nicht durchgesetzt. Auf Arbeitnehmerseite droht die Gefahr undurchschaubarer Tarifkonkurrenzen nicht. Die Tragweite von BVerfGE 4, 96 ff. dürfte daher erschöpft sein. — Der Begriff „Koalitionsreinheit" wird im übrigen nicht eindeutig gebraucht. Nach der wohl überwiegenden Ansicht (R. Echterhölter, 237; H. Wiedemann, Tariffähigkeit, 73 f.) würde es in BVerfGE 4, 96 ff. an der Koalitionsreinheit auch nicht gefehlt haben, weil die

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Koalition charakteristische Gesamtzweck der Wahrung der spezifischen Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberbelange als Argument dafür herangezogen werden, daß das Gepräge der Vereinigung überwiegend von Arbeitnehmern bestimmt sein muß, wenn nicht sogar ausschließlich. Gerade w e i l aber vom „Gesamtzweck" die Rede ist, läßt sich für ein Erfordernis der „Koalitionsreinheit" kaum etwas gewinnen. Grundsätzlich bestehen keine Bedenken gegen eine Gewerkschaftsmitgliedschaft von Nichtarbeitnehmern. Da das BVerfG es als das Recht der Koalitionen ansieht, ihren Mitgliederkreis zur Steigerung ihrer Effektivität durch Werbung zu erweitern, was der Sache nach nur mittelbar dem Koalitionszweck dient, ist nicht einzusehen, warum die i n der Wahl ihrer M i t t e l freie Koalition nicht auch Mitglieder aufnehmen können sollen, die ihrerseits zwar nicht unmittelbar am Arbeitsrechtsleben beteiligt sind, aber, sei es, w e i l sie sich i m Vorstadium dazu befinden, sei es, w e i l ihre Interessenlage der von Arbeitnehmern weitgehend gleicht, sich auch vertretungsbedürftig fühlen und obendrein die Sache der Koalition zu unterstützen gewillt sind. Nachdem auch die Gewerkschaften seit je i n öffentlichen Gremien, die Jugend-, Ausbildungs-, Berufsförderungs-, soziale Fragen betreffen, engagiert sind, ferner auch Auszubildende oder zeitweilig Arbeitslose die Gewerkschaftszugehörigkeit erwerben können, würde es auch dem Sozialstaatsprinzip, wie es das BVerfG zu A r t . 9 Abs. 3 GG anwendet, widersprechen, i n einer Zeit, wo sich der Kreis der Arbeitnehmer permanent weitet, die Organisierbarkeit restriktiv zu fixieren 28. Dieser Grundsatz kann jedoch i n Grenzfällen problematische Ergebnisse zeitigen. Angenommen, eine Gewerkschaft nimmt Hausfrauen als Mitglieder auf 2 9 , um deren Wünsche nach angemessener Sozialversicherung mit dem nötigen Nachdruck verfolgen zu können. Die Folge kann sein, daß tarifliche Ziele nicht mehr mit dem nötigen Ernst wahrgenommen werden bzw. die Mittel des kollektiven Arbeitsrechts eingesetzt werden, um indirekt auch die Wünsche der Hausfrauen zu unterstützen 30 . Welche Reaktionen sind zu erwarten? I m Idealfall klärt sich i m Willensbildungsprozeß der GewerkVerbandsmitglieder alle Arbeitgeber, wenn auch aus verschiedenen Branchen waren, während „Koalitionsreinheit" das Erfordernis der Gleichartigkeit der Mitglieder in arbeitsrechtlichen Kategorien meint. A. Hueck, ff. C. Nipperdey, 90 ff.; A. Nikisch, 8, benutzen den Ausdruck im Zusammenhang mit der Gegnerfreiheit; nicht klar auch L A G Düsseldorf A P Nr. 2 zu Art. 9 GG. 28 Davon zeugt nicht nur § 12 a TVG, darauf deuten auch die vielfältigen Tendenzen der freien Berufe und der traditionell eher gewerkschaftsfremden Gruppen wie der Akademiker hin, auf selbständige Standesorganisationen zu verzichten. 29 Welche Gewerkschaft für sie zuständig wäre, ist eine Frage der Einigung der Gewerkschaften auf der Ebene der Spitzenorganisationen. Studenten werden zur Zeit wie Auszubildende nach der Fachrichtung ihres Studiums eingeordnet. so Der Text der GEW-Regelung ist oben I 3 c wiedergegeben.

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schaft, zu dem auch der Ein- und Austritt zu zählen ist, ob der Verband Koalition bleibt oder allgemeiner Interessenverband wird. Eine konkurrierende Gewerkschaft, der durch den Beitritt der Hausfrauen zunächst vielleicht ein Wettbewerbsnachteil entstanden war, wird i m zweiten Fall die „Hausfrauengewerkschaft" in solchem Maße überrunden, daß diese ihre Koalitionstätigkeit aufgibt. Diese Vorgänge sind vor allem dann zu erwarten, wenn den Hausfrauen auch ein Stimmrecht in Fragen von Arbeitskampf oder Tarifbedingungen eingeräumt ist. Ebenso ist aber denkbar, daß die spezifischen Arbeitnehmerinteressen und die Interessen der Nichtarbeitnehmer vom Gewerkschaftsvorstand so in der Schwebe gehalten werden, daß eine Entscheidung, ob ein Verband insgesamt noch Koalitionsziele verfolgt oder nicht, nicht ohne willkürlichen Eingriff in die Verbandsautonomie möglich ist. Dieser Fall kann in erster Linie dann eintreten, wenn den Nichtarbeitnehmern ein Sonderstatus gegeben wird, der ihre Einflußnahme auf das Tarifgeschehen und die Arbeitskampftätigkeit ausschließt oder ihnen das aktive Wahlrecht versagt, das passive aber beläßt, wie es z.B. die Satzung der GEW-Bayern für Studenten vorsieht. Derartige Konstellationen können sich dadurch auszeichnen, daß die Interessen der Nichtarbeitnehmer unkontrolliert und stillschweigend das Verbandshandeln bestimmen, wobei es unter Umständen auf den Anteil der Nichtarbeitnehmer an der Gesamtzahl der Mitglieder nicht ankommt.

Äußerst zweifelhaft ist jedoch, ob derartige Ausnahmefälle einen staatlichen Eingriff rechtfertigen. Es gehört zum Prinzip der Tarifautonomie, daß der Staat nicht kontrolliert, ob die Tarif Vertragsparteien auch m i t dem nötigen Nachdruck die Sache ihrer Mitglieder verfolgen und ob sie m i t Arbeitskampfmaßnahmen Nebenziele verfolgen. Ein Mißbrauch der Streikfreiheit ist auch bei Verbandsreinheit nicht auszuschließen. Insbesondere dann, wenn die innerverbandliche Willensbildung nicht gestört ist 3 1 , hat der Staat keinen Anlaß, i n die Organisationsautonomie der Verbände einzugreifen, deren Mitglieder sich die möglichen Folgen einer Erweiterung ihres Kreises selbst ausrechnen können, zumal die grundsätzliche Freiheit i n der Wahl der Koalitionsmittel auch ein Taktieren m i t dem Kreis möglicher Verbandsmitglieder gestattet. Selbst wenn der A n t e i l der Arbeitnehmer an der Mitgliedschaft so weit absinkt, daß sie ihre Wünsche nicht mehr durchsetzen können, ändert das nichts an der Tariffähigkeit des Gesamtverbandes, wenn er seinen erklärten Gesamtzweck nicht ändert. Die — möglicherweise absolut gesehen noch vielen — Mitglieder könnten für sich allein auch ohne Zweifel eine Koalition bilden; sind sie m i t ihrem Status zufrieden, ist das ihre Sache, die Arbeitgeber sind nicht gezwungen, m i t einer bestimmten Koalition zu verhandeln, eine Gefahr für das Funktionieren der Tarifautonomie erwächst daraus also ebensowenig 3 2 . Daran ändert sich auch nichts, wenn die Gewerkschaft ein 3 1 Dazu unten I I I 4 b. 32 Vgl. zu einem ähnlich gelagerten Problem M. Löwisch, Gewollte Tarifunfähigkeit, 37 ff., 40. Wann eine Koalition ihre arbeitsrechtliche Qualifikation im Sinn von Vorschriften wie z. B. § 11 ArbGG verliert, läßt sich nicht generell beantworten, es kommt auf die Natur der jeweiligen Materie an.

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Monopol oder Quasimonopol innehat. Haben die Mitglieder direkt oder über die Wahl ihrer Vertreter der Erweiterung des Mitgliederkreises zugestimmt, bleibt ihnen unbenommen, diese Maßnahme rückgängig zu machen oder en bloc aus der Gewerkschaft auszutreten, falls sie sich majorisiert fühlen. Die Ausweitung des Mitgliederkreises auf Arbeitnehmerseite könnte jedoch die Parität der sozialen Gegenspieler stören, indem sie die Kampfkraft der Arbeitnehmervereinigungen erhöht. Eine wesentliche Zunahme der, worauf es entscheidend ankäme, Finanzkraft der Gewerkschaften ist nicht zu erwarten. Woher sollten denn zusätzliche Einnahmen kommen? I n Arbeitnehmerkoalitionen können wegen des Gebots der Gegnerfreiheit (darüber sogleich unten (3)) immer nur unmittelbar oder mittelbar Lohnabhängige i m weitesten Sinn organisiert sein. Die Zahl und Wirtschaftskraft der Randgruppen, die nicht i m arbeitsrechtlichen Sinn Arbeitnehmer sind, ist aber eng begrenzt. Hält man sich darüber hinaus vor Augen, daß auf Seiten der Arbeitgeber durch die Koppelung von Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden deren Kampfkraft i n ähnlicher Weise gestärkt ist, so erscheint die Gefahr einer signifikanten Uberparität der Arbeitnehmer vernachlässigbar gering. Eine staatliche Beschränkung des funktionellen Organisationsbereichs der Gewerkschaften ließe sich, so könnte man entgegnen, m i t dem historischen B i l d der Gewerkschaft rechtfertigen: Die Koalitionsfreiheit komme von vornherein nur Arbeitnehmervereinigungen und nicht anderen gemischten Verbänden zu. Das Argument ist verfehlt. Wenn sich die Gewerkschaften als reine Arbeitnehmervereinigungen konstituiert haben, haben sie damit i n freier Entscheidung einer sachlichen Notwendigkeit i n einer bestimmten historischen Situation entsprochen; wenn sie es heute für gut halten, ihren Mitgliederkreis zu erweitern, werden sie Gründe haben, von dem von ihnen selbst gesetzten historischen B i l d abzurücken. Der Gesetzgeber würde diese freie Entwicklung sachwidrig behindern, wollte er ihnen dies versagen. Abgesehen von diesem tragenden Gesichtspunkt der Verbandsautonomie kann man nicht auf das geschichtliche Bild der Gewerkschaften verweisen, wenn historisch die Aufnahme von Nichtarbeitnehmern noch nie zur Debatte stand.

Als letztes bliebe zu bedenken, ob nicht die negative Vereinigungsfreiheit des Einzelnen verletzt wird, wenn er, u m i n den Genuß der Vorteile einer Koalition zu kommen, zugleich andere Interessen mit unterstützen muß. Die Problematik liegt ähnlich wie bei der Koppelung von Arbeitgeber- und Unternehmer-(Industrie-)Verband (darüber näher unten IV). Der hinter ihr stehende Konflikt zwischen kollektiver Autonomie und individueller Vereinigungsfreiheit ist zugunsten der Ver-

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bandsautonomie zu lösen, solange der Einzelne von dem Kollektiv nicht unzumutbar abhängig ist. Das ist aber nicht der Fall, wenn er an der Willensbildung m i t w i r k e n kann. Wollte man anders entscheiden, würde man die i n der autonomen Entscheidung des Kollektivs repräsentierte Willensbildung der Mehrheit der Koalitionsmitglieder, also deren positive Koalitionsfreiheit, einschränken. Entscheidend ist auch hier die Freiheit der internen Willensbildung von der Beherrschung bestimmter Gruppen i n den Gewerkschaften (darüber unten I I I 4 b). Daraus folgt, daß die Beurteilung der Koalitionseigenschaft allein nach dem Verbandszweck, wie er aus der Satzung ersichtlich ist, erfolgen darf, nicht aber aus den Satzungsbestimmungen über die Mitgliedschaft. Es ist das Risiko des Verbandes, Mitglieder einzubüßen oder keinen Koalitionspartner zu finden und so sich selbst aufs Spiel zu setzen. These 3: Eine Regelung, die den Mitgliederkreis von Gewerkschaften auf Arbeitnehmer beschränkt, ist nicht durch sachliche Erfordernisse des Tarifvertragssystems gerechtfertigt.

Zwingendes Koalitionsmerkmal ist ferner die Unterwerfung unter das geltende Tarifrecht Keinen verfassungsrechtlichen Schutz genießen Vereinigungen, die ihre Ziele illegal, i n „wildem" Klassenkampf durchsetzen wollen 3 3 . Das kann aber nicht heißen, daß über das Tarifrecht beliebige Anforderungen an die Koalitionen herangetragen werden könnten. Das würde den Schutz der Koalitionen unterlaufen. Änderungen des Tarifrechts, die zu Lasten der Koalitionen gehen, seien es Einschränkungen ihrer Autonomie oder ihrer Betätigung, bedürfen ihrerseits des rechtfertigenden Grundes 34 . Eine eigenständige Bedeutung kommt dem Erfordernis der Anerkennung des Tarifrechts i m hiesigen Zusammenhang also nicht zu. Bezeichnenderweise hat es auch i n der Rechtsprechung keine Rolle gespielt. Eines jedenfalls läßt sich aus der Unterwerfung unter das geltende Tarifrecht nicht herleiten: das Recht oder die Pflicht, sog. Radikale aus der Gewerkschaft auszuschließen. Auch die Gewerkschaft kann der Öffentlichkeit Vorschläge unterbreiten, die über das geltende Tarifrecht hinausgehen. Erst recht kann es das Tarifsystem nicht stören, wenn i n einer Gewerkschaft, die i n den 33 p. Lerche, Verfassungsr. Zentralfragen 59, passim, betont, daß Art. 9 Abs. 3 GG einen Auseinandersetzungsprozeß installiere. — Der Ausdruck „Klassenkampf in geordnetem Verfahren" mag zwar in manchen Ohren lächerlich klingen, zeigt aber deutlich die Verfassungsaufgabe. 34 BVerfGE 4, 96, 108 f.

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Formen des kollektiven Arbeitsrechts agiert, eine Diskussion über das System i m Ganzen sich entwickelt.

Das Tarifvertragssystem fordert auch nicht eine ausdrückliche Bereitschaft zum Arbeitskampf als Wesensmerkmal einer Koalition. Hinreichend ist die i n der Unterwerfung unter das geltende Tarifrecht liegende Anerkennung des Streiks als legale Möglichkeit, ultimativ Interessen der Arbeitnehmer 3 5 durchzusetzen. Man könnte von einer Vermutung für eine latente Arbeitskampfbereitschaft eines jeden Verbandes sprechen, der für sich das geltende kollektive Arbeitsrecht für bindend anerkennt. Vernachlässigt man die nur beschränkt tragfähige Argumentation, A r t . 9 Abs. 3 GG schütze nur die historische Form der kampfwilligen Gewerkschaft, so bleibt die These des B A G und einer Reihe von Autoren zu erörtern, es bestünde ein notwendiger Sinnzusammenhang zwischen Tarifautonomie und Arbeitskampfbereitschaft, w e i l erstere nur zu gerechten Ergebnissen führen könne, wenn hinter den Verhandlungen der Druck möglicher Arbeitskampfmaßnahmen stehe 36 . Global betrachtet ist ein Tarifvertragssystem ohne Arbeitskampf nicht denkbar, die Gegengewichtigkeit der sozialen Gegenspieler wäre gestört. Unterstellt nun den Fall, es gäbe für einen Organisationsbereich zwei große Arbeitnehmerorganisationen, die eine kampfbereit, die andere den Arbeitskampf ausdrücklich verwerfend. Der zuständige Arbeitgeberverband w i r d versuchen, Tarifverträge allein m i t dem kampfunwilligen Verband abzuschließen. Dieser w i r d m i t seinen Forderungen und Wünschen nur soweit durchdringen können, als die Verhandlungswilligkeit der Arbeitgeber reicht. Der anderen Arbeitnehmervereinigung ist es unbenommen, durch Streik den Arbeitgeberverband an den Verhandlungstisch zu bringen 3 7 . Der Satz, daß eine Koalition keinen Anspruch darauf habe, zu Tarifverhandlungen beigezogen zu werden, besagt nicht, daß sie dieses Ziel nicht 35 Für die Arbeitgeberseite dürfte von vornherein dieses Wesensmerkmal entfallen, da Streik und Aussperrung verschiedene rechtstatsächliche Bedeutung haben (vgl. H. Seiter, 278 ff.) und i m übrigen die Arbeitgeber nach h. M. sich zulässigerweise der Massenänderungskündigung bedienen dürfen (H. Seiter, 399 ff.). 36 So insbesondere der DGB in seiner Stellungnahme in BVerfGE 18, 18, 23 ff.; vgl. auch B A G A P Nr. 26 zu Art. 9 G G Arbeitskampf, ferner A. Hueck, H. C. Nipperdey, 108 ff., m. w. N., und Band II/2, Nachtrag S. 1632. 37 B A G A P Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Leitsatz 4, i m Text unter 113: „Ein Streik, der dazu dient, den tarifunwilligen Arbeitgeber an den Verhandlungstisch zu bringen, ist nicht schon um dieser Zielrichtung willen rechtswidrig". Der in dieser Entscheidung relevante Sachverhalt entsprach i m übrigen in weiten Teilen dem hier fingierten.

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aus eigener Kraft anstreben kann. Jede Arbeitskampfmaßnahme nach Ablauf eines Tarifvertrages hat das primäre Ziel, Verhandlungen (wieder) in Gang zu bringen.

M i t dieser Streikmöglichkeit kann der streikwillige Verband dem streikunwilligen Mitglieder abwerben, die m i t den Ergebnissen ihres Verbandes unzufrieden sind. Es w i r d also i m Wettbewerb der Koalitionen untereinander derjenige Verband die Oberhand gewinnen und damit zur bestimmenden K r a f t i m Verhältnis zur Arbeitgeberseite werden, der die Interessen der Arbeitnehmer besser durchzusetzen vermag 3 8 . Aus diesem Grunde kann man nicht annehmen, daß ein kampfunwilliger Verband keinerlei Druckmittel in der Hand hat. Er kann die Arbeitgeberseite darauf aufmerksam machen, daß bei Nichterfüllung seiner Wünsche seine Existenz gefährdet würde. Hat die Arbeitgeberseite ein Interesse an der Erhaltung des Verbandes, z.B. aus weltanschaulichen Gründen, wird sie dies berücksichtigen. Hier dient also dem friedlichen Verband das Recht der kampfwilligen Verbände mittelbar. Er gibt mit dem Bekenntnis zum geltenden Tarifrecht zu erkennen, daß er diese Druckmöglichkeit des Arbeitskampfes grundsätzlich als legal ansieht und sich den Folgen des Koalitionspluralismus unterwirft. Das genügt aber, um ihn vor tarifgefährdender Abhängigkeit von der Arbeitgeberseite zu bewahren.

Sollten irgendwann einmal die Arbeitnehmer überwiegend friedliche Verbände vorziehen, aus welchen Gründen auch immer das sein mag, und sich damit ihrer eigenen Macht begeben wollen, könnte nicht mehr von einem „natürlichen Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital" die Rede sein, so daß auch das Tarifvertragssystem ausgedient hätte. Da zur Zeit die kampfunwilligen Organisationen eine insgesamt völlig untergeordnete Rolle spielen, ist eine Beschränkung der Koalitionsautonomie durch das Erfordernis der Kampfwilligkeit nicht gerechtfertigt. Eine Gefahr für das Tarifvertragssystem kann auch nicht in einem „Dumping" seitens kampfunwilliger Organisationen gesehen werden. Es besteht keine koalitionsübergreifende Solidarität als rechtliche Verpflichtung für Minderheitenkoalitionen oder Außenseiter. Wenn ein Bedürfnis nach Solidarität auf Seiten der Arbeitnehmer besteht, wird es Aufgabe der Gewerkschaftsbewegung sein, dieses nutzbar zu machen, wenn nicht, kann es nicht rechtlich erzwungen werden.

These 4: Das Bekenntnis zu eigener Kampfwilligkeit ist nicht Voraussetzung für das Vorliegen einer Koalition. (2) Koalitionen sind frei gebildete Vereinigungen mit körperschaftlicher Struktur. 38 BVerfGE 18, 18, 32 f.

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A u f g r u n d d e r D i c h o t o m i e des deutschen K ö r p e r s c h a f t s r e c h t s m u ß f ü r die K o a l i t i o n e n e i n 'privatrechtlicher Status g e f o l g e r t w e r d e n 3 9 , w e n n das B V e r f G K o a l i t i o n e n n i c h t n u r als f r e i w i l l i g e , s o n d e r n auch als f r e i g e b i l d e t e V e r e i n i g u n g e n bezeichnet, d a K ö r p e r s c h a f t e n des ö f f e n t l i c h e n Rechts eines s t a a t l i c h e n G r ü n d u n g s a k t e s b e d ü r f e n 4 0 . Das P r i n z i p der T a r i f a u t o n o m i e b e r u h t aber gerade a u f d e r N i c h t i d e n t i t ä t v o n K o a l i t i o n u n d Staat. Die Z u e r k e n n u n g einer öffentlichen Aufgabe macht die K o a l i t i o n e n e b e n s o w e n i g w i e die P a r t e i e n z u S u b j e k t e n des ö f f e n t l i c h e n Rechts, da die A u f g a b e n ü b e r t r a g u n g a n P r i v a t e n i c h t a u t o m a t i s c h diese F o l g e h a t . Das B V e r f G s t e l l t das auch f ü r die K o a l i t i o n e n k l a r : „ D e n K o a l i t i o n e n i s t . . . g e w ä h r l e i s t e t , die A r b e i t s - u n d W i r t s c h a f t s b e d i n g u n g e n i n eigener V e r a n t w o r t u n g u n d i m w e s e n t l i c h e n ohne staatliche E i n f l u ß n a h m e z u g e s t a l t e n " , da eine ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e K ö r p e r s c h a f t z u m i n d e s t d e r Rechtsaufsicht u n t e r l i e g t . Selbst w e n n m a n d i e E i n r ä u m u n g der N o r m s e t z u n g s b e f u g n i s i n T a r i f v e r t r ä g e n als e i n e n A k t der S t a a t s e n t l a s t u n g ansähe, ergäbe sich nichts anderes, z u m a l d u r c h aus o f f e n ist, ob die R e g e l u n g der A r b e i t s - u n d L o h n b e d i n g u n g e n j e genuine Staatstätigkeit w a r 4 1 .

39 R. Altmann, 215 ff.; a. A. lediglich G. Scheffler, Zum öffentlichen Status der Gewerkschaften, NJW 1965, 848 ff., der die Gewerkschaften als öffentliche Gewalt i. S. d. Art. 19 Abs. 4 GG ansieht (851 f.: Umkehrschluß aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG), der dann auch konsequent zur Bejahung eines Solidaritätsbeitrags (im abgabenrl. Sinn) kommt. Vor allem H. Leßmann, 137 ff., 147, und öfter, versucht, für die Wirtschaftsverbände die adäquate Rechtsform zu finden, mit der dann bestimmte Rechtsfolgen impliziert wären. Diese statusrechtliche Untersuchung mündet aber auch bei H. Leßmann in die Frage, wie weit die Tätigkeit der Wirtschaftsverbände zum grundrechtlich geschützten Bereich gehört (164 ff., 168); letztlich ist also auch bei H. Leßmann gezeigt, daß vom Status „öffentlich-rechtlich" oder „Privatrechtlich" her keine Folgerungen möglich sind. Damit bestätigen sich auch hier die Ergebnisse M. Bullingers, öffentliches Recht und Privatrecht, 1968, 112 ff., daß die beiden Rechtsgebiete keine wertende Entgegensetzung ermöglichen. — Auch ein faktisches Monopol begründet keinen öffentlich-rechtlichen Status, BayVerfGH n. F. 16, 112, 117. 40 W. Reuß, Koalitionseigenschaft, 272 f.; U. Brisch, 54 ff., 58 f.; a. A. R. Dietz, 438 f., wohl aber in Widerspruch zu 435; eines staatlichen Beleihungsaktes bedürfte die Einräumung einer Stellung als beliehener Unternehmer; die von E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I I , 2. Aufl. 1959, 380, den Koalitionen zugeschriebene Eigenschaft als „beliehene Verbände" hat keinen großen Aussagewert: Danach verbleiben sie jedenfalls private Vereinigungen, inwieweit sie einer Aufsicht unterliegen, läßt sich aus diesem Begriff nicht ableiten. Zur Vielfältigkeit des Begriffs „Staatsentlastung" W. Herschel, 45 ff. — BVerfGE 31, 314, 326 ff., wo das Gericht die Tätigkeit der Rundfunkanstalten als „öffentlich-rechtlich" deklariert, besagt nichts Gegenteiliges, da Rundfunk „Sache der Allgemeinheit" ist und auch öffentlich-rechtlich organisiert ist; immerhin bleibt nicht recht einsichtig, wie eine „Aufgabe" öffentlich-rechtlich sein kann (vgl. dazu die abw. Meinung a.a.O.).

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M i t der Forderung nach „freier Bildung" ist auch festgelegt, daß Koalitionen keine Zwangskörperschaften sein können. Wenn eine Zwangskörperschaft die Tariffähigkeit verliehen erhält, w i r d sie dadurch nicht zur Koalition. Ein privater Verband w i r d nicht dadurch zur Zwangskörperschaft, daß er einem Aufnahmezwang unterliegt. Dieser Fall setzt eine freie Körperschaft voraus, die i n ihrer Freiheit zugunsten Außenstehender eingeschränkt werden soll. Da diese aber nicht verpflichtet sind, der Körperschaft beizutreten oder i n ihr zu bleiben, w i r d durch einen Aufnahmezwang die freie Bildung der Koalitionen nicht i n Frage gestellt.

Die freie Bildung der Koalitionen könnte betroffen sein, wenn eine Koalition erst dann m i t Wirkung nach außen gegründet wäre, wenn sie in ein Register eingetragen wäre (Registrierung mit konstitutiver Wirkung). Es sind drei Fälle zu unterscheiden. — Der Verband wird auf Antrag ohne irgendeine Prüfung in ein Koalitionsregister eingetragen. — Auf Antrag des Verbandes hin wird seine Koalitionseigenschaft überprüft, bevor die Eintragung erfolgt 42 . — Die Rechtsform des nichtrechtsfähigen Vereins wird abgeschafft, jede Körperschaft muß den Normativbestimmungen des BGB entsprechen und bedarf der Eintragung. Auf Gesellschaften wird das Gesellschaftsrecht strikt angewendet.

Der erste Fall ist verfassungswidrig, da das beabsichtigte Ziel, Klarheit über die vorhandenen Koalitionen zu verschaffen und so mittelbar zur Vereinfachung des Tarifwesens beizutragen, nicht erreicht werden kann, w e i l nicht auszuschließen ist, daß auch Nichtkoalitionen sich eintragen lassen. Dies würde eher zu einer Verschlechterung der Übersichtlichkeit führen 4 3 . Der zweite Fall stellt gegenüber der geltenden Rechtslage nur insofern eine Veränderung dar, als die Koalitionseigenschaft jeder Vereinigung geprüft w i r d und das Ergebnis der Prüfung registermäßig publiziert wird. Eine solche Regelung läßt sich zur Zeit nicht aus Gründen des Tarifvertragssystems rechtfertigen, sie stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff i n die Koalitionsautonomie dar. Es kann keine Rede davon sein, daß das Tarifsystem daran litte, unübersicht42

Dem entspräche ein Genehmigungsvorbehalt für die Satzung. « Ein Vergleich mit dem Tarifregister (§ 6 TVG, §§ 14 - 16 DVO) kann kaum gezogen werden, weil dieses Ergebnisse von Tarifverhandlungen ausweist, während beim Koalitionsregister die Voraussetzungen für Tarifverhandlungen geschaffen werden sollen. 13 Gerhardt

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lieh vielen unzuverlässigen Verbänden übergeben zu sein, die sich als Koalitionen gerierten, obwohl sie nicht i n der Lage sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen 44 . Nachdem solche Fälle i n der Bundesrepublik als Ausnahme gelten müssen, muß sich eine staatliche Kontrolle auf zweifelhafte Fälle beschränken, wie es i m arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren vorgesehen ist 4 5 . Verbänden generell bis zu einem positiven Bescheid über ihre Koalitionseigenschaft Koalitionstätigkeiten zu verbieten, widerspräche dem Grundsatz, daß präventive Kontrollen unzulässig sind, sofern m i t repressiven hinreichend das verfolgte Ordnungsziel garantiert werden kann 4 6 . Unberührt bleibt die freiwillige und sanktionslose Eintragung i n ein Register, dessen Wert sehr gering einzustufen wäre, so daß ein solches Register besser gar nicht geführt würde 4 7 . Der dritte Fall läßt sich nicht m i t den Kategorien des Tarifvertragsrechts erfassen. Es geht vielmehr u m die, Koalitionen wie Parteien gleichermaßen betreffende Frage, ob die von ihnen benützte bürgerliche Rechtsform i n den Schutzbereich der Koalitions- bzw. Parteifreiheit aufgenommen worden ist, so daß sie gegen Änderungen des allgemeinen bürgerlichen Rechts aus Gründen der Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs immun sind, m i t der Folge, daß solche Änderungen des bürgerlichen Rechts Ausnahmeregelungen für Koalitionen und Parteien vorsehen müßten, die jedenfalls den Status bestehender Koalitionen und Parteien wahrten. Wenn man solche Ausnahmeregelungen vom allgemeinen bürgerlichen Recht befürwortete, wäre dies der erste Schritt zu einem eigenständigen Verbandsrecht, das heißt, die Außenbeziehungen der genannten Verbände unterlägen einem Sonderrecht, insofern den Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts ähnlich. Die Frage kann abstrakt, ohne daß die Gründe für eine Änderung des BGB i m einzelnen vorliegen, nicht entschieden werden. Denn es gilt, den „organisatorischen Besitzstand" der Koalitionen und Parteien, also die Bedeutung der hergebrachten Organisationsform für die Verbände unter Zugrundelegung der vom BVerfG entwickelten K o l l i sionsformel abzuwägen m i t den Notwendigkeiten, die zur Änderung des allgemeinen Rechts führen. Zur Zeit w i r d eine solche Notwendigkeit 44 So ein wichtiges rechtspolitisches Argument bei der Schaffung des britischen Industrial Relations Act 1971. 45 §§ 2 Abs. 1 Ziff. 6, 97, 80 - 84, 87 - 96 ArbGG. 46 BVerfGE 20, 150, 154 ff. 47 Immerhin wäre ein gewisser Ubersichtlichkeitsgewinn denkbar, wenn man davon ausgeht, daß die Koalitionen, um sich bekannt zu machen, sich eintragen lassen würden. Aber den in das Arbeitsgeschehen Eingeweihten sind ihre möglichen Verhandlungspartner bekannt.

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nicht gegeben sein, da sich offensichtlich der allgemeine Rechtsverkehr auf die Probleme des nichtrechtsfähigen Vereins eingestellt hat. Eine Vorschrift i m Koalitionsgesetz, die die Haftung der Gewerkschaften klärt (vgl. § 37 PartG 4 8 ), würde dies noch erleichtern. Der dritte Fall kann somit aus der Betrachtung ausgeklammert werden. These 5: Ein konstitutives Register der tariffähigen

Koalitionen ist nicht

zulässig. Unter dem Aspekt des Tarifvertragssystems sind zwei Beschränkungen der inneren Organisationsautonomie der Koalitionen denkbar. Der Staat könnte befugt sein, nur solchen Koalitionen die Tariffähigkeit zuzusprechen, die eine bestimmte Organisationsform aufweisen. I n Frage käme die Forderung nach einheitlicher Durchführung des Industrieverbandsprinzips auf Gewerkschaftsseite. BVerfGE 4, 96, 107 ff. hat hierfür klare Maßstäbe entwickelt. Die Freiheit der Vereinigungen, ihre Organisation selbst zu bestimmen, muß der Gesetzgeber berücksichtigen. Er kann außergewöhnliche oder durch die tatsächliche Entwicklung für überholt anzusehende Organisationsformen bei der Regelung der Tariffähigkeit außer Betracht lassen, wenn eine erhebliche Störung der sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens aus dem Vorhandensein dieser Organisationsformen erwachsen kann. Das Berufsverbandsprinzip ist, kurz gesagt, weder überholt noch führt es zu Tarifunklarheit und Rechtsunsicherheit. Es kann nicht von der Liste zulässiger Koalitionsformen gestrichen werden. Insbesondere i m Lehrbuch von A. Hueck und H. C. Nipperdey ist das Erfordernis einer demokratischen Organisation der Koalitionen entwickelt worden, K . H. Biedenkopf knüpft an sie die Legitimität der Rechtsnormen des Tarifvertrages 49 . Ein Demokratiegebot läßt sich aus dem öffentlichen Interesse an einem funktionsfähigen Tarifvertragssystem nicht ableiten. Die Legitimität der sozialen Selbstbestimmung gegenüber dem Staat ergibt sich nicht aus der internen Willensbildung der Sozialpartner, sondern aus der Freiheit des Interessenausgleichs paritätischer Gegenspieler. Illegitim i n diesem Sinne wäre, wenn die Sozialpartner zu Lasten der Allgemeinheit kollusiv zusammenarbeiten würden. Dies 48 § 37 PartG: „§ 54 Satz 2, §§ 61 bis 63 des Bürgerlichen Gesetzbuches werden bei Parteien nicht angewandt." 49 A. Hueck, H. C. Nipperdey, 105 f. (dazu K . Popp, 57 ff.); K. H. Biedenkopf, Grenzen, 52 ff. (dazu K. Popp, 53 ff.). Das BVerfG äußert sich zur Frage nicht. 13*

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ist aber von organisationsinternen Strukturprinzipien weitgehend unabhängig 50 . Das öffentliche Interesse erstreckt sich hingegen auf die verpflichtende K r a f t der einzelnen Tarifkompromisse, also darauf, ob die interne Behandlung der Tarifverträge die Loyalität der Tarifgebundenen sichert, so daß wilde Streiks bzw. das Ausscheren einzelner Arbeitnehmer aus dem Verband vor Tarifabschluß verhindert wird. Ganz offen ist, ob eine demokratische Binnenstruktur die unerwünschten Durchbrechungen der Ordnung des Arbeitslebens verhindern kann. Das kann nur geklärt werden, wenn Einigkeit darüber herrscht, wie eine solche demokratische Willensbildung auszusehen hat. Begnügt man sich m i t der Forderung, daß die von den m i t gleichem Stimmrecht ausgestatteten Verbandsmitgliedern gewählten Verbandsorgane nur auf Zeit bestimmt sind, liegt darin nicht mehr, als was i m Regelfall, jedenfalls bei allen Gewerkschaften, aus der körperschaftlichen Strukt u r des Verbandes folgt 5 1 . Daß Koalitionen körperschaftlich organisiert sind, wird vom BVerfG offenbar als selbstverständlich vorausgesetzt. Es ist kaum denkbar, daß mit einer personenrechtlichen Struktur der Koalitionszweck verfolgt werden könnte, der eine gewisse Dauer und Einheit, die vom einzelnen Mitglied unabhängig ist, fordert.

Unter „demokratischem Aufbau" muß mehr gemeint sein als nur die demokratische Minimalgarantie, die die bürgerliche Vereinsverfassung bereits i n ihrem Leitbild i n sich trägt. Die Gefahr des Mandatsverlustes des Verbandsorgans garantiert nämlich nicht, daß i m Laufe einer Wahlperiode i n bestimmten Konstellationen die Interessen von einzelnen Berufs- oder lokalen Gruppen immer genügend berücksichtigt werden, wodurch ein Loyalitätsverlust eintreten kann. Jede weitergehende Forderung nach demokratischer Absicherung der Tarifverträge z. B. durch notwendige Urabstimmungen oder die demokratische Wahl der Tarifkommission 5 2 greift entscheidend i n die Koalitionsautonomie ein, ohne daß die gewünschte Loyalitätssicherung gewährleistet wäre. Man nimmt m i t solchen Forderungen das Risiko einer Erschwerung der Tarifverhandlungen auf sich. Die drohenden negativen Effekte könnten allerdings m i t der Steigerung der Loyalitätssicherung durch unmittelbare Beteiligung der Mitglieder am Tarifgeschehen aufgewogen werden. Daß dieser Effekt aber eintritt, ist 50

Auch eine strikte demokratische Kontrolle der Gewerkschaftsspitze kann sich nicht bis in die Verhandlungen der Unterhändler erstrecken, selbst ein imperatives Mandat läßt Freiräume der Beeinflußbarkeit des Mandatars in den Interaktionsprozessen (Verhandlungen), in die er gesteUt wird, ei Vgl. z. B. ArbG Düsseldorf DB 1973, 876. 52 Siehe K. Popp, 124 ff.; H. Föhr, 185 f.

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durch keine Erfahrung erhärtet und völlig offen. Nachdem also die Bewertung möglicher Effekte unkalkulierbar ist, andererseits die von den Gewerkschaften praktizierte Loyalitätssicherung i m Ganzen funktioniert, ist es den Gewerkschaften zu überlassen, ob sie insoweit Organisationsänderungen vornehmen wollen oder nicht. Zumal die Gewerkschaftsführer sich ihrerseits aus eigenem Antrieb heraus u m maximale Loyalität bemühen, wäre ein Eingriff i n die Organisationsfreiheit der Koalitionen unzulässig: Angesichts des Zweifels an einer Effektivitätssteigerung des Tarifsystems durch ein Demokratisierungsgebot kann der Gesetzgeber nicht i n die Koalitionsautonomie eingreifen. Zwischenergebnis: Die Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems ist kein Argument, das die Koalitionen auf eine demokratische Binnenstruktur verpflichten könnte, die über die Grundregeln einer körperschaftlichen Organisation hinausginge 53 . (3) Koalitionen sind gegnerfreie, unabhängige und auf überbetrieblicher Grundlage organisierte Vereinigungen. Gegnerfreiheit als personelle Reinheit von der Gegenseite, Unabhängigkeit als Freiheit von der Beinflussung der Willensbildung durch die Gegenseite oder ungewollte dritte Autoritäten und Uberbetrieblichkeit sind Ausdruck eines integrierten Begriffs der Unabhängigkeit, dem das BVerfG zuneigt; sie sind also ineinander überführbar 5 4 . Sie haben ihre gemeinsame Wurzel erstens i n einem Schutzzweck, der wohl entscheidend der Arbeitnehmerseite zugute kommen soll, w e i l nur so die Asymmetrie der Druckmittel auf einem freien Arbeitsmarkt beseitigt werden kann 5 5 , und zweitens i n einem Wettbewerbszweck, d. h. der Installierung eines Arbeitsmarktes, der aufgrund des Antagonismus klar geschiedener Interessen die Gewähr für die Richtigkeit 53 Nach Auffassung K. Popps, 52 f., 113, am deutlichsten 132, fordert der Grundsatz, daß eine verfassungsrechtlich zugewiesene Aufgabe auch zweckgerecht erfüllt werden muß, bereits nach geltendem Recht auch für das Tarifvertragssystem eine innerverbandliche Willensbildung von unten nach oben, die als „demokratisch" bezeichnet werden kann. Bei K. Popp bleibt im letzten aber offen, warum die Erreichung der sozialen Ordnung über Tarifverträge durch eine innergewerkschaftliche Demokratie bedingt sein soll. 54 BVerfGE 4, 96, 106 f.; vgl. insbes. auch H. Wiedemann, Tariffähigkeit und Unabhängigkeit, RdA 1976, 72, 76 f. zur Unabhängigkeit von Staat und gesellschaftlichen Kräften. 55 BVerfG ebd.; BVerfGE 18, 18, 31 f.; 34, 307, 316 f.

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des temporären Kompromisses bietet 5 *. Auch diese beiden Zwecke sind nicht voneinander isolierbar. Auf den Schutzzweck des Koalitionsmerkmals „Unabhängigkeit" stellt auch das B A G ab, wenn es feststellt: „Die Pflicht des Arbeitgebers, die Kosten für gewerkschaftliche Schulungsveranstaltungen zu tragen, verstößt nicht gegen die Grundsätze des Koalitionsrechts, nach denen insbesondere die finanzielle Unabhängigkeit der jeweiligen Sozialpartner auf der Gegenseite gewährleistet sein muß67." Es führt aus, daß mit derartigen Schulungsveranstaltungen weniger gewerkschaftliche Interessen verfolgt werden, sondern vielmehr ein Beitrag zum sachgerechten Zusammenwirken zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten geleistet wird. I n gewisser Weise sei das Gewerkschaftswesen insoweit in das Betriebsverfassungsrecht hineingebaut.

Primär dem Ziel, die Arbeitnehmer aus der Abhängigkeit vom Arbeitgeber zu lösen, diente 5 8 das Erfordernis der Überbetrieblichkeit. Zugleich soll es eine gewisse Mindestgröße der Gewerkschaften gewährleisten und eine zu starke Partikularisierung des Arbeitsmarktes verhindern. Der erstgenannte Zweck könnte auch erreicht werden durch die Einführung des Koalitionsmerkmals der „ M ä c h t i g k e i t d a s vom B A G i n die Diskussion eingebracht wurde. Es 5 9 faßt i n einem Leitsatz zusammen: „Die Gewerkschaftseigenschaft eines Arbeitnehmerverbandes verlangt, daß er entweder durch die Zahl seiner Mitglieder oder kraft deren Stellung im Arbeitsleben gegenüber der Arbeitgeberseite einen besonderen Einfluß im Sinne eines Drucks ausüben kann."

Dieser Leitsatz mag i n seiner Formulierung mit Skepsis zu beurteilen sein. Animiert er nicht geradezu Spezialisten an Schaltstellen zum Separatismus und Handeln i m Vertrauen auf ihre Macht? Können nicht auch sehr kleine Gruppen den Arbeitsrhythmus und -Ablauf empfindlich stören, so daß nur sozial ohnehin irrelevante Vereinigungen aus dem Gewerkschaftsbegriff herausfallen? Die hinter dem Mächtigkeitsgebot stehende Tendenz, nur i m weitesten Sinn gewichtigen Vereinigungen Koalitionseigenschaft zuzugestehen, wäre von A r t . 9 Abs. 3 GG und seinem Ordnungszweck gedeckt. Die einschlägigen Argumentationswege hat W.Dütz erschöpfend dargestellt. Danach ist anr Erfordernis der „sozialen Mächtigkeit" festzuhalten. Das Schrek66 BVerfGE 18, 18, 26, 28 („sinnvoll"!); M. Löwisch, 303, 312. 67 B A G A P Nr. 2 zu § 40 BetrVG 1972. 68 Stoßrichtung waren die sog. „gelben Werkvereine", die sich in Abhängigkeit von den Arbeitgebern befanden. 6» B A G A P Nr. 2 zu § 97 ArbGG 1953; B A G A P Nr. 25 zu § 2 T V G ; W. Reuß, Die Bedeutung der „Mächtigkeit" von Verbänden im kollektiven Arbeitsrecht, RdA 1972, 4 ff.; M. Löwisch, 309 f.; H. Reichel, 148; W. Dütz, 65 ff. W. Herschel, Leistungsfähigkeit — eine Voraussetzung arbeitsrechtlicher Koalitionen, AuR 1976, 225.

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kensbild des Praktikers von der Gastarbeitergewerkschaft i m Betriebsrat, mit allen rechtlichen Möglichkeiten, einschließlich des Streikrechts, ausgestattet, verbunden m i t der Gefahr des Verlustes der Disziplinierungs- und Kartellfunktion der großen Gewerkschaften könnte wenigstens i n weniger grellen Farben erscheinen. Jedoch bliebe zu berücksichtigen, daß das Erfordernis der „Mächtigkeit" nicht gegen die Koalitionen gewendet werden darf dergestalt, daß es dem prohibitiven Schutz der bestehenden Gewerkschaften dient. Es gilt, Ordnungszweck und Freiheitselement i n A r t . 9 Abs. 3 GG abzuwägen. So können weder Finanzschwäche allein noch eine geringe Mitgliederzahl einem Verband die Tariffähigkeit nehmen. Insbesondere ist der Entwicklungschance neu gegründeter Koalitionen Augenmerk zu widmen 6 0 . Hält man also richtigerweise das Erfordernis der „Mächtigkeit" für notwendig, so muß es Eingang i n das Koalitionsgesetz finden. Dabei kann es weder i n das Element „Überbetrieblichkeit" hineingelesen werden noch dieses ersetzen. Beide sind nicht deckungsgleich. Gegen die Ersetzung 61 von „Überbetrieblichkeit" durch „Mächtigkeit" spricht, von Aspekten der Rechtsklarheit und des Aufbaus des Arbeitsrechts auf der Unterscheidung „betrieblich — überbetrieblich" abgesehen, daß man nicht annehmen kann, daß das BVerfG die Kartellfunktion des Tarifvertrags, also das Herausnehmen der Arbeitsbedingungen aus dem w i r t schaftlichen Wettbewerb, und die Gleichheitsfunktion, also die Überschaubarkeit und Standardisierung der Arbeitsbedingungen zugunsten größerer Unabhängigkeit und Mobilität der einzelnen Arbeitnehmer, als wesentliche Elemente einer „sinnvollen" Ordnung des Arbeitslebens außer Ansatz stellen würde. Allerdings erweist sich dieses „sinnvoll" als weiche Stelle in der Be- und Verwertung der Rechtsprechung angesichts des Wandels von Wirtschaft und Gesellschaft 62 .

Als angemessene Formulierung der „Mächtigkeit" könnte dienen: „Arbeitnehmerverbände sind nur dann tariffähig, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach der Zahl ihrer Mitglieder oder kraft deren Stellung i m Arbeitsleben eine ausreichende Gewähr für eine wirksame und nachhaltige Vertretung ihrer Mitglieder i m Arbeitsleben bieten 6 3 ." so W. Reuß, 287; H. Reichel, 148; beispielhaft die Abwägung zwischen Ordnungs- und Freiheitsgesichtspunkten in BVerfGE 18, 18 ff. für den Verband katholischer Hausgehilfinnen; zurückhaltend auch W. Zöllner, 92. 61 Ein Nebeneinander schwebt wohl auch dem B A G vor. 62 W. Däubler, 127, spricht ganz allgemein vom sybillischen Charakter der BVerfG-Äußerungen. Geht man, wie W. Berschel, Leistungsfähigkeit, 233, von einer instrumentalen Betrachtung der Koalitionsmerkmale aus, deren Ergebnis nur die Findung eines Typus sein kann, für dessen Vorliegen die einzelnen Merkmale nur Abwägungskriterien liefern können und der i m Wege richterlicher Rechtsfortbildung weiterentwickelt wird (241 ff.), wird dieser Charakter als methodisch bedingt erklärlich.

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These 6: Koalitionen i m Sinn des Koalitionsgesetzes sind nur Verbände.

„mächtige"

Nachdem Tariffähigkeit nur mächtigen Verbänden zuzuerkennen ist, w i r d i n der Literatur der Versuch gemacht, unmittelbar daraus eine Verpflichtung der Koalitionen, u m Mitgliedschaft Nachsuchende auch als Mitglieder aufzunehmen, abzuleiten 64 . Dies w i r d gestützt vor allem auf BVerfGE 28, 295, 304 f., wonach die Koalitionen ihren Aufgaben u m so nachhaltiger nachkommen können, je mehr Mitglieder sie haben. Der Versuch überzeugt nicht. Zwar ist es wohl richtig, daß eine frei gebildete Körperschaft m i t der Übernahme öffentlicher Aufgaben auch eine Bindung eingeht, das sagt aber noch nichts darüber aus, daß sie sich i n einem Zustand erhalten muß, der sie zum Aufgabenträger befähigt; i m Extremfall kann sie sich auch auflösen 65 . Würde etwa eine Koalition auch eine Pflicht zur Werbung für sich treffen? Betrachtet man BVerfGE 18, 18, 32, wo das Risiko des Scheiterns einer Koalition ausdrücklich i n Kauf genommen wird, so bestärkt das die Zweifel an der Tragfähigkeit dieser Begründung 6 6 .

Anhand der Koalitionsvoraussetzungen „Unabhängigkeit" und „Gegnerfreiheit" werden, unerachtet der Brisanz, die sie durch die unten b ) - e ) behandelten Entwicklungen erhalten, drei rechtspolitische Forderungen entwickelt. Deren erste richtet sich gegen die Beobachtung, daß bei Tarif Verhandlungen im öffentlichen Dienst häufig auf beiden Seiten des Verhandlungstisches Gewerkschaftsmitglieder sitzen. Hier für Inkompatibilitätsregeln zu sorgen, ist dringend notwendig. Solche Regeln sind aber nicht Gegenstand des Koalitionsgesetzes, sondern gehören zum Tarifrecht oder zum Recht des öffentlichen Dienstes.

Primär der Gefahr der Interessenkollision strebt der Vorschlag entgegen, die unternehmerische Betätigung der Gewerkschaften zu ver63 I n Anlehnung an BVerfGE 4, 96, 107. Das österreichische Arbeitsverfassungsgesetz v. 14.12.1973 (BGBl. v. 15.1.1974) formuliert in § 4 Abs. 2 Ziff. 3: „vermöge der Zahl der Mitglieder und des Umfangs der Tätigkeit eine maßgebende wirtschaftliche Bedeutung haben". 64 A. v. Stechow, 63 und ff. 65 Aus dem „zur" in Art. 9 Abs. 3 GG diese Verpflichtung ableiten zu wollen (A. v. Stechow, 59, 62), erscheint gewagt. Zuzugeben ist, daß das Recht zur Selbstauflösung sich nicht decken muß mit Verhaltenspflichten während des Bestehens, jedoch widerspricht ein Zwang zur Eigenförderung dem Gedanken eines Freiheitsrechts, das Art. 9 Abs. 3 GG auch ist, so daß auf diesen Gedanken allein wohl ein Aufnahmeanspruch nicht gestützt werden kann. 66 Ablehnend auch F.-J. Säcker, 65, 68 f.

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bieten 6 7 . Soweit diese Forderung eine allgemeine Eindämmung gewerkschaftlicher Einflußsphären anstrebt, entzieht er sich verfassungsrechtlicher Würdigung — ein unbestimmtes Mißbehagen kann sich nur i n einer Verfassungsänderung realisieren. Die i m Tarifvertragssystem vorausgesetzte Parität der sozialen Gegenspieler w i r d durch die Gewerkschaftsunternehmen nicht gestört, so daß der Vorschlag verfassungswidrig ist. Das Funktionieren des tariflichen Ausgleichs wäre allenfalls mittelbar gefährdet, wenn es gewerkschaftlichen Unternehmen gelänge, ihren Arbeitnehmern unter dem allgemeinen Lohnniveau liegende Löhne zu zahlen und diesen Wettbewerbsvorsprung auch zu realisieren, doch ist diese Vorstellung i n hohem Maße unrealistisch, selbst bei großer Arbeitslosigkeit, glaubt man an das Bestehen eines Arbeitsmarkts, d. h. die Fluktuationsmöglichkeit des Arbeitnehmers. Das koalitionsrechtliche Problem schlägt hier in ein kartellrechtliches um — ein Vorgang, dessen Entwicklung Unbehagen bereitet und zu Vorschlägen wie dem erörterten führt: Die Gewerkschaften als ein Unternehmen zu betrachten, das lediglich in hohem Grade diversifiziert ist, mag nahelegen, diese Macht zu unterbinden, ein Gedanke, der aber völlig systemfremd ist, jeder Privatmann dürfte diese Wirtschaftsmacht anhäufen.

Ferner erscheint es gut vertretbar, gerade i n der selbständigen Vermögensverwaltung eine Garantie gewerkschaftlicher Unabhängigkeit zu sehen. Wären nicht die Gewerkschaften viel unfreier, wenn sie ihr Vermögen nur über Investitionen als Minderheitenaktionäre oder Anleihegläubiger arbeiten lassen dürften oder gezwungen würden, Staatsanleihen zu kaufen? Zum dritten dürfte das gewerkschaftliche Verständnis für das Wohl der Gesamtwirtschaft und die Meriten der Marktwirtschaft, einschließlich des Gefühls, Monopolist zu werden 6 8 , das doch viele rechtspolitische Ansätze anstreben, durch wirtschaftliche Eigenbetätigung eher gestärkt werden und so zu einem sinnvollen Interessenausgleich i m Sinn marktwirtschaftlicher Ordnung beitragen 69 .

67 M. Rath, Die Gewerkschaften als Unternehmer und Koalition, Diss. Kiel 1974, 111 ff., 147 ff.; H. Galperin, 40 f.; dazu H. Reichel, 152. 68 Vgl. H. Galperin, 41; die hier angedeutete Überlegung besagt übrigens nichts hinsichtlich des Fragenkreises der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand via zentraler, gewerkschaftsbestimmter Vermögensverwaltung; auch kann eine paritätische Mitbestimmung zu einer Umwertung der Gesichtspunkte führen, doch sind Spekulationen darüber noch nicht fundiert möglich. 69 M. Rath, 60 ff., weist ferner zutreffend auf die Problematik der Vertretung von Arbeitnehmern in gewerkschaftseigenen Unternehmen hin. Da die Gründung einer „ I G Gewerkschaften" unrealistisch ist (M. Rath, 149), bleibt allein das Betriebsverfassungsrecht zur Lösung etwaiger Konflikte.

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These 7: Es ist verfassungswidrig, die privatwirtschaftliche Betätigung der Gewerkschaften zu verbieten. Die dritte Forderung richtet sich auf die Absicherung der Gegnerfreiheit und Unabhängigkeit durch Publizitätspflichten der Gewerkschaften, die sich erstrecken können auf die Minoritätsbeteiligungen an Wirtschaftsunternehmen, auf die Aufsichtsratsposten der Gewerkschaftsfunktionäre sowie deren persönliches Vermögen und eine Reihe anderer Angaben wie z. B. die Darlehensschuldner oder -gläubiger der Gewerkschaften, Sicherungsgeschäfte, etc. 70 . Vorauszuschicken ist, daß die Unternehmen zu korrespondierender Publizität verpflichtet sein müßten, u m eine gewisse Kontrolle der Richtigkeit der publizierten Daten zu haben. Diese Forderung w i l l die Öffentlichkeit auf die Möglichkeit illegitimer Störungen des freien Interessenausgleichs zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervereinigungen aufmerksam machen, u m Interessenverflechtungen durch Druck mit der öffentlichen Meinung aufzulösen und so zu klarer Frontenbildung zurückzuführen. A m rechtspolitischen Erfordernis solcher Absicherung der Gegnerfreiheit besteht an sich kein Zweifel. Fraglich ist jedoch, ob nicht auch insofern das Modell des Tarifvertragssystems i n Händen frei gebildeter Koalitionen die Legitimitätskontrolle ausschließlich i n die Hände der Koalitionsmitglieder gelegt hat, ob m. a. W. die Kontrolle der Gegnerfreiheit durch Publizität nicht allein als innerverbandliches Problem anzusehen ist. Wenn das der Fall wäre, wäre bei einer Störung der innerverbandlichen Kontrolle z. B. deshalb, weil die Mitgliederversammlungen keinen unmittelbaren Einfluß auf die Treuhandgesellschaften oder die Beteiligungspolitik der Gewerkschaftsunternehmen haben und daher nicht die personellen und interessenmäßigen Querverbindungen durchschauen können, eine systemkonforme Problemlösung allein i n Vorschriften über die Ausgestaltung der innerverbandlichen Vermögenskontrolle zu sehen. Nachdem die soziale Selbstverwaltung grundsätzlich den gesellschaftlichen Kräften überlassen ist, ist der Staat verfassungsrechtlich gehalten, Störungen i n diesem Bereich i n erster Linie von den Koalitionen selbst bereinigen zu lassen. Das heißt, bevor eine allgemeine Publizitätspflicht eingeführt wird, muß das mildere Mittel einer verbandsinternen Publizitätspflicht erwogen werden; bevor diese den Koalitionen detail70 Vor allem in den U.S.A. vorgesehen, vgl. K. H. Biedenkopf, Unternehmer, 219, zu sec. 202, 203 L.M.R.D.A. 1959; siehe auch Schedule 2 des britischen Trade Union and Labour Relations Act 1974 betreffend Umfang und Durchführung der Rechenschaftspflicht.

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liert vorgeschrieben wird, muß geprüft werden, ob nicht eine Rahmenvorschrift (Normativbestimmung), deren Ausgestaltung den Verbänden überlassen ist, hinreicht; vor der Einführung der Rahmenvorschrift muß geklärt werden, ob sich das Problem nicht mittels einer allgemeinen Reform der Binnenstruktur der Verbände lösen läßt. Da von keiner Seite vorgetragen wird, daß i n Deutschland das Tarifsystem unmittelbar und ernsthaft durch Korruption gefährdet ist, wären allgemeine Öffentlichkeitspflichten unangemessen. Über die dritte Forderung kann daher erst i m Zusammenhang m i t den Erfordernissen der internen Willensbildung entschieden werden 7 1 . These 8: Eine allgemeine Publizitätspflicht der Gewerkschaften stellt kein angemessenes M i t t e l zur Sicherung der Gegnerfreiheit dar. cc) Äußere Funktionsbedingungen des Tarif Vertragssystems: der Koalitionspluralismus I m Tarif Vertragssystem ist eine offene, Wettbewerbsgesetzen gehorchende Arbeitsmarktordnung geschaffen worden. Auf Arbeitnehmerwie auf Arbeitgeberseite können sich verschiedene Organisationen als Anbieter bzw. Nachfrager beteiligen. Das Wohl der einzelnen Organisation bemißt sich danach, wieviele Mitglieder sie i n sich vereinigen kann und welche Erfolge sie gegenüber dem sozialen Gegenspieler zu verbuchen hat 7 2 . Sie steht insoweit i m Wettbewerb m i t den anderen Organisationen m i t gleicher Zielsetzung, die, wie sie auch, eine grundrechtlich geschützte Tätigkeit ausüben. W i r d der Wettbewerb i n irgendeiner Weise unlauter beeinflußt, sinken die Chancen der einzelnen Koalition, damit aber auch die „Richtigkeit" der Tarifregelungen insgesamt, da die Gegenseite, wenn sie i n ihrer Entscheidung frei gewesen wäre, möglicherweise zu anderen Bedingungen m i t einer anderen Koalition einen Tarifvertrag abgeschlossen hätte. Auf diese Weise w i r k t sich mittelbar der unlautere Einfluß auf die Arbeitnehmer als Einzelne i m Konkurrenzkampf der Gewerkschaften auf die Tarifautonomie als Ganze aus 73 . Wettbewerbsverzerrung ist möglich durch Beseitigung des Wettbewerbs aufgrund der dominanten Stellung eines Einzelnen oder durch Absprachen zwischen Wettbewerbern zu Lasten Dritter. Die andere A r t der Wettbewerbsverzerrung erfolgt durch Maßnahmen eines Wett71 Unten I I I 4 b. 72 Vgl. BVerfGE 18, 18, 32 f. 73 Zum Wert eines wenigstens potentiellen Koalitionspluralismus allgemein M. Löwisch, Der Einfluß der Gewerkschaften, 56.

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bewerbers, die i h m zu Lasten anderer wettbewerbsfremde einbringen, z. B. durch Täuschung der Nachfrager.

Vorteile

Die Gewerkschaften bieten i n zwei Richtungen an: i n Richtung auf die Arbeitgeber und i n Richtung auf die Arbeitnehmer. A u f beiden Ebenen kann der Wettbewerb zwischen Gewerkschaften verzerrt werden. Jedoch beeinflußt nicht jede Wettbewerbsverzerrung eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens durch „falsche" Tarifabschlüsse. Gewerkschaftliche Arbeitsmarktmacht durch Konzentration ist gegenüber den Arbeitgebern solange unschädlich als diese über eine entsprechende Gegenmacht verfügen und die Arbeitsmarktmacht nicht zu einer Diskriminierung der anderen Gewerkschaften mißbraucht wird. Eines der schwerwiegendsten Probleme bei einer Regelung des Arbeitskampfrechts ist, wie schon oben bei der Frage nach dem möglichen M i t gliederkreis einer Koalition angedeutet, die Herstellung einer annähernden Gleichheit der einsetzbaren Mittel im Arbeitskampf. Auf das Problem kann hier nur hingewiesen werden. Zum einen tendieren die Gewerkschaften zum Schwerpunktstreik, der nur einzelne, eventuell Mittelstandsunternehmen trifft, deren Verluste über die Fonds der Arbeitgeberverbände kaum aufgefangen werden können. Zum anderen wird auch ein regional auf einen Arbeitgeberverband beschränkter Streik von der einzelnen Gewerkschaft als ganzer unterstützt, was sich aus der zentralistischen Struktur der Gewerkschaften ergibt. Die Lösung der sich hier anbahnenden Konflikte liegt aber wohl nicht in Eingriffen in die Gewerkschaftsautonomie, sondern im Arbeitskampfrecht (Bewertung der Solidaritätsaussperrung) und in der Initiative der Arbeitgeberverbände zu größerer Zentralisierung.

Die Diskriminierung einer Minderheitengewerkschaft könnte erfolgen vor allem durch Absperrverabredungen m i t Arbeitgebern. Sie ist als Verstoß gegen den Koalitionspluralismus verboten 7 4 einerseits wegen Verletzung des Ordnungsprinzips, wie gerade ausgeführt, andererseits wegen Beeinträchtigung der kollektiven Koalitionsfreiheit der Minderheitenkoalition. Die Garantie des Bestandes und der Betätigung einer jeden Koalition gilt nach A r t . 9 Abs. 3 S. 2 GG auch unmittelbar i m Verhältnis der Koalitionen zueinander. Zivilrechtliche Sanktionen (Unterlassungs- und Schadensersatzklage) folgen direkt aus einem Verstoß. Eine Regelung i m Koalitionsgesetz hätte wegen dieser unmittelbaren D r i t t w i r k u n g des Art. 9 Abs. 3 GG nur klarstellende Funktion. Die Monopolisierung der Arbeitnehmervertretung i n einer Gewerkschaft bringt dieser i m Verhältnis zu den einzelnen Arbeitnehmern natürliche Wettbewerbsvorteile gegenüber konkurrierenden Organisationen. Sie sind i m Interesse der Ordnung des Arbeitslebens nicht zu 74 Der Ansicht A. Söllners, 59, daß i m Verhältnis der Koalitionen untereinander Art. 9 Abs. 3 GG nicht gelte, ist nicht zu folgen. Vgl. A. Hueck, ff. C. Nipperdey, Grundriß des Arbeitsrechts, 5. Aufl. 1970, 188.

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beanstanden. Das unmittelbare Verhältnis zum einzelnen Arbeitnehmer wäre nur dann für das Funktionieren des Tarifvertragssystems relevant, wenn die Gewerkschaften Nichtorganisierten den Zugang zum Arbeitsplatz verwehren könnten: Die Monopolstellung der Gewerkschaft würde ihre Position gegenüber der Arbeitgeberseite wesentlich stärken. Aufgrund des Individualschutzes des einzelnen Arbeitnehmers durch die sog. negative Koalitionsfreiheit bedarf es hier weiterer kollektivrechtlicher Überlegungen nicht 7 5 . Wettbewerbsverzerrungen durch Täuschung, Drohung oder andere sachfremde M i t t e l dürften i m Verhältnis zu den Arbeitgebern nicht praktisch werden. Dagegen scheinen sie bei der Werbung von Mitgliedern eine Rolle zu spielen oder zumindest gespielt zu haben 76 , insbesondere bei der Abwerbung von anderweitig Organisierten 77 . Nachdem die Mitgliederwerbung auch zu den verfassungsrechtlich geschützten Tätigkeiten einer Koalition gehört, gilt auch hier A r t . 9 Abs. 3 GG als Verbot unfairer Werbung unmittelbar zwischen den Verbänden. Besonders hinzuweisen ist hier auf die Möglichkeit, gegen die Verwendung eines verwechslungsträchtigen Namens über §§ 12, 1004 BGB i. V. m. A r t . 9 Abs. 3 S. 2 GG vorzugehen 78 . Einer gesetzlichen Konkretisierung könnte allenfalls das Verbot einer Doppelmitgliedschaft i n konkurrierenden Koalitionen bedürfen, jedoch genügt es, den Koalitionen zu überlassen, ob und wie sie ihren Verband gegen solche Machenschaften schützen wollen; ein Vereinsdisziplinarverfahren bietet sich an 7 9 , an seiner Zulässigkeit wäre kaum zu rütteln. These Ö.Wegen A r t . 9 Abs. 3 S. 2 GG bedarf es keiner Verhaltensregeln für das Verhältnis konkurrierender Koalitionen zueinander.

76 Angesichts der allgemeinen Wertschätzung des Systems der Einheitsgewerkschaften dürften weitere kollektivrechtliche Überlegungen auch fruchtlos sein. ™ B G H Z 42, 210, 216; B A G A P Nr. 10, 11, 14 zu Art. 9 GG; vgl. R. Echterhölter, 239; ohne eigene Wertung sei hingewiesen auf die „Erweiterte Dokumentation über den Mißbrauch gewerkschaftlicher und politischer Macht durch SPD- und Gewerkschafts-Funktionäre" der CDU-Bundesgeschäftsstelle, 1976, S.24ff. 77 Vor allem bei der Durchsetzung der Einheitsgewerkschaften gegen die christlichen Gewerkschaften in der Mitte der 50er Jahre. 78 Vgl. auch § 4 PartG. Da eine detaillierte gesetzliche Regelung unmöglich sein dürfte, müßte es auch im Koalitionsgesetz bei einer Generalklausel bewenden. ™ Siehe oben I 3 c.

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b) Institutionelle und organisationsinterne Voraussetzungen für die Beiziehung der Gewerkschaften zur staatlichen Wirtschaftslenkung Während i m Idealbild der Koalitionsfreiheit die Regelungsbereiche der Tarifautonomie und des Staates sich ausschlossen bzw. i n einem Subsidiaritätsverhältnis standen 80 , muß heutiges Verfassungsverständnis davon ausgehen, daß Sozialpartner und Staat simultan auf die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einwirken. Die anerkannten Minimalgehalte der Sozialstaatlichkeit einerseits, A r t . 109 Abs. 2 - 4 GG andererseits lassen keinen Zweifel daran, daß Befugnis und Verpflichtung des Staates zur gesamtwirtschaftlichen Steuerung i m Verfassungsrecht niedergelegt sind 8 1 . Diese Verantwortung des Staates w i r f t für die Stellung der Koalitionsfreiheit i n der Verfassung und das Funktionieren ihres Hauptinstruments, die Aushandlung von Gesamtvereinbarungen, tendenziell zwei Grundprobleme auf. Das erste ist ein Legitimationsproblem. Wie oben I I I 3 einleitend gesagt, rechtfertigt es das liberale Grundmodell der Tarifautonomie als eines selbstregulativen Marktsystems, den eminent bedeutenden wirtschaftspolitischen Faktor der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen staatlicherseits zu vernachlässigen. Der Staat wäre auch dann grundsätzlich parlamentarisch legitimiert, wenn er direktiv die Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen steuerte, von dem Problem der Kompetenzverteilung zwischen Regierung und Parlament und der Planifikation hier einmal abgesehen. Stimmen der Staat und die Sozialpartner wechselseitig die Maßnahmen der globalen Wirtschaftslenkung und die Tarifziele ab, dann ist ein Weg beschritten, der keinem der beiden Legitimationsmechanismen entspricht. A u f Seiten des Staates bedeutet das: Die Regierung und damit letztlich auch das unmittelbar demokratisch legitimierte Parlament müssen sich eine Entscheidimg zurechnen lassen, die sie nicht allein getroffen haben, sondern unter institutioneller — manche sagen: kondominialer — M i t w i r k u n g gesellschaftlicher Verbände. Der i m W i r t schaftssystem angelegte Kompetenzkonflikt zwischen wirtschaftlicher Globalsteuerung und der nach privatrechtlichen Modellen organisierten Tarifautonomie („Tarifautonomie als kollektive Privatautonomie" 8 2 ) schlägt u m i n ein Legitimationsdefizit des Staates bei der Globalsteuerung der Wirtschaft 8 3 . so Auf das Problem, welche Sachgebiete dem einen, welche dem anderen Kompetenzbereich zufallen, braucht hier nicht eingegangen zu werden, wichtig ist nur, daß sie abschichtbar sind. 81 P. Badura t Wirtschaftsverfassung, 31 ff., 45 ff.; BVerfGE 36, 66. 82 BVerfGE 18, 18, 26; 34, 307, 316 f.; BayVerfGH BayVBl. 1971, 262; B A G A P Nr. 5 zu Art. 9 GG, wo die Nähe zur allgemeinen Vertragsfreiheit betont wird. 83 Besonders prägnant H. H. Rupp, Konzertierte Aktion, 13; W. Weber, 252.

3.b) Gewerkschaften und staatliche Wirtschaftslenkung

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A u f Seiten der Tarif Vertragsparteien stellt sich als zweites Problem: Durch die staatliche Gesamtverantwortung für K o n j u n k t u r und V o l l beschäftigung einerseits, für den Erhalt der internationalen Konkurrenzfähigkeit sowie ganzer Industriezweige z.B. durch Schaffung neuer Märkte andererseits 84 w i r d das freie Aushandeln der Tarifvereinbarungen stark eingeschränkt. Dies gilt sowohl für eine Wachstumswirtschaft m i t Vollbeschäftigung als auch für eine stagnierende Volkswirtschaft mit beachtlicher Arbeitslosenzahl. I m ersten Fall muß der Staat die M i t t e l des Stabilitätsgesetzes einsetzen, u m antizyklisch der Konjunkturüberhitzung zu steuern. Er w i r d zur Erfüllung dieses A u f trages alles daran setzen, die Gewerkschaften auf seine Eckdaten zu verpflichten. Das kann er erreichen, wenn sich die Tarifvertragsparteien i n der konzertierten A k t i o n faktisch selbst binden. Als ungewollter, aber schon beobachteter 85 Nebeneffekt kann eine Einigung der Tarifparteien auf einen Inflationssockelbetrag als gemeinsame, unvermeidbare Vorbelastung der Allgemeinheit eintreten, die erfolgt, bevor die Tarifparteien noch i n Kontakt zum Staat getreten sind. Jedenfalls werden der Mechanismus des Tarifvertragssystems und seine Richtigkeitsgewähr gestört. Das Ergebnis i m Fall der stagnierenden W i r t schaft ist nicht viel anders. Der Staat ist verantwortlich für die Beschäftigungspolitik. Zur Schaffung von Arbeitsplätzen muß er I n vestitionen fördern, d. h. Unternehmergewinne begünstigen. Die Gewerkschaften können, da sie bis heute keine Arbeitsmarktpolitik entwickelt haben, an der sie A n t e i l hätten — die so betrachtet einzig konsequente Forderung nach einer Investitionskontrolle unter Beteiligung der Gewerkschaften hat durchaus noch utopische Züge —, dabei nur durch Zurückhaltung i n ihrer Lohnpolitik mitwirken; und eben dazu werden sie de facto von Regierung und Öffentlichkeit gezwungen. Man w i r d fragen, welches Problem daraus den Gewerkschaften erwächst. Es ergibt sich daraus, daß der Selbstbestimmungsmechanismus der Tarifautonomie immer weniger ein annähernd geschlossenes Regelsystem sein kann, eigenständig genug, u m i n gedachter Weise zu funktionieren. Z u m einen sind die Tarifvertragsparteien genötigt, den Tarifkampf auf die öffentlichkeit h i n zu verlagern, anzusprechen sind doch die Daten vorgebende Regierung und die Öffentlichkeit 8 6 . Das 84 Vgl. die Zusammenfassung bei J. Habermas, Legitimationsprobleme, 77 ff.; J. K . Galbraith, Ch. 27 (pp. 311). es Vgl. B. Külp, Zur Problematik der Tarifautonomie, Hamburger Jahrbuch Bd. 17 (1972), 199 ff. 8 « Diese Gefahr sieht B. Külp erst bei der staatlichen Festlegung einer Gesamtlohnsumme (222), was nur einleuchtet, wenn man seiner These folgt, daß jeder nur etwas kompliziertere volkswirtschaftliche Zusammenhang den Arbeitnehmern unverständlich bleibt; eher ist J. H. Kaiser, Die Repräsentation, 211 ff., 225 ff. darin zu folgen, daß es zum Wesen der Interessenverbände gehöre, der öffentlichen Meinung als Adressaten zuzutendieren.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

bipolare Grundverhältnis des Tarifvertragssystems w i r d so aufgelöst. Zum anderen mögen die Gewerkschaften zwar nicht ihre Existenzberechtigung verlieren, jedenfalls aber verlieren sie ihre unmittelbare Erfolgslegitimation bei den Arbeitnehmern, denn obwohl sie durch die Verlagerung der entscheidenden Verantwortlichkeiten auf den Staat kein Existenzrisiko tragen, kann genau dieser Umstand für sie desintegrierend w i r k e n 8 7 : Die Interessen der Funktionäre an zentralisierter Gewerkschaftsführung i n ihrer Hand w i r d steigen 88 , die sog. Entfremdung zu den Mitgliedern kann zunehmen. Es können aber auch die Gewerkschaften ihre Verpflichtungsfähigkeit durch die Integration i n die staatliche Wirtschaftslenkung verlieren, indem ihre solidarisierende K r a f t durch Loyalitätsschwund ausgezehrt wird. Sind nicht die Gewerkschaften nur so lange Ordnungsfaktor, solange sie Gegenmacht sind? Streiks, die kein anderes Ziel haben, als Solidarität herzustellen und den — vorgeblichen — Wert der Gewerkschaften zu demonstrieren, sind nicht auszuschließen. Diese Probleme können für ein Gewerkschaftsgesetz verfassungsrechtliche Aspekte liefern. I n einem Wort: Gewerkschaftsloyalität w i r d zum Verfassungsproblem 89 . aa) Das Legitimationsproblem i m allgemeinen Ausgangspunkt für die Frage nach der Legitimität der Heranziehung gesellschaftlicher Kräfte zur gubernativen Staatsleitung und nach den Bedingungen, die sich daraus für die Koalitionen ergeben, ist die Verschränkung des politisch-staatlichen Bereichs m i t dem sozioökonomischen, der sich i m Ausdruck „öffentliche Aufgaben der Koalitionen" widerspiegelt: Wenn der Staat die Verantwortung und Kompetenz auf wirtschaftlichem Sektor an sich zieht, ohne die Tarifautonomie zu beseitigen, wächst den Tarifpartnern eine auf das gesamte Gemein87 Es läßt sich, soweit bisher übersehen, noch nicht allgemein formulieren, wann die Verknüpfung Staat — Gewerkschaften bei der Wirtschaftssteuerung diesen Effekt haben wird, wann den gegenläufigen der Stärkung der Gewerkschaften und Schwächung des Staates. Möglicherweise ergeben sich Verschiebungen, die insgesamt kaum gewertet werden können. Daher wird dieser Punkt eigenständig behandelt. 88 Vgl. oben I I 3 b; es gehört dies zu einem der Ergebnisse der BiedenkopfKommission zur Mitbestimmungsfrage; nachdem in einer Konjunkturdepression die Konzentration der Unternehmen auf Kosten der kleinen und mittleren zugenommen hat, andererseits eine gewisse Arbeitslosigkeit den Gewerkschaften zugute kommen kann (man vergleiche den Mitgliederzuwachs bei D P während des Druckerstreiks im April 1976), besteht jedenfalls nicht ein Interessengegensatz zwischen Unternehmens- und Gewerkschaftsmanagement. 8» U. Scheuner, Gutachten, 68, leitet hieraus die gewerkschaftliche Verpflichtung zur Demokratie ab, darüber sogleich unten cc. — Zu den Überlegungen, wie man Gewerkschaftsloyalität auf Zweck — Mittel — Rationalität zurückführt, unten I I I 4 b. — Den im Text angesprochenen Zusammenhang vernachlässigt H. Rasch, Sind Streik . . . , a.a.O.

3.b) Gewerkschaften und staatliche Wirtschaftslenkung

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wesen bezogene politische Verantwortung zu, w i r d i h r Handlungsspielraum kleiner. Der Verwirtschaftlichung der Politik entspricht die Politisierung der Koalitionsaufgaben, beide zusammen erst ergeben die staatlich-politische Zielsetzung, eines hemmt mitunter das andere 90 , sie werden aber nicht identisch. Die Verschränkung kann nicht dazu führen, daß alle Kompetenz auf Seiten des Staates angesammelt wird, das verhindert A r t . 9 Abs. 3 GG, dessen Mindestgehalt i n einem Verfahren zur Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens zu sehen ist, das die betroffenen gesellschaftlichen Kräfte als freie m i t Entscheidungsbefugnissen beteiligt. Sie kann auch nicht zur Folge haben, daß die Koalitionen den Staat als höchste Einheit überwölben und seine integrative K r a f t gefährden. Wenn man formuliert, daß der Staat als Hüter des Gemeinwohls gegenüber Gruppeninteressen aufzutreten habe, ist der Sache nach nichts anderes gemeint als eine Kompetenzumschreibung i n diesem Sinn 9 1 . Die skizzierte Verschränkung ist durchaus eine wechselseitige, wenn scheinbar auch der politische Staat allein und einseitig einen Souveränitätsverlust hinnehmen muß. Dieser Schein erklärt sich daraus, daß die private Wirtschaft i n ihrem Funktionieren als Ganzes auf die staatliche Wirtschaftspolitik angewiesen ist, so als empfangender Teil dasteht, während der Staat nicht nur die Wirtschaftspolitik gewährt, sondern auch auf Instrumente sich stützen muß, die i m gesellschaftlichen Bereich angesiedelt sind, eben die Verbände. Daß i n Wirklichkeit der Staat krisensteuernd seinen Unterbau, sein Wirtschaftssystem und seine Kontinuität, also sich selbst bewahrt, entspricht dem verfassungsrechtlichen Gebot der Selbstbewahrung des Staates ebenso wie sozialstaatlichen Grundsätzen und den Verbürgungen der A r t . 2 Abs. 1 GG und A r t . 14 GG. Wenn diese Staatstätigkeit aber legitim ist, muß auch ein Verfassungswandel i m Bereich des staatlichen Instrumentariums zulässig sein. So könnte gerade die Nichteinbeziehung der Koalitionen i n die staatliche Wirtschaftsbeeinflussung wie z. B. i n der konzertierten A k t i o n zur Disfunktionalität führen, was nicht Verfassungsziel sein kann 9 2 . Den damit verbundenen Verschiebungen des Ortes und der A r t und Weise der Machtausübung muß eine Änderung des LegitimationsVerständnisses folgen. Legitimation—Funktion—Kon90

Hier greift die Integrationsfunktion der Parteien ein, siehe unten c. * BVerfGE 33, 125, 159; das Gebot der Nichtidentifikation (ff. Krüger 763., 400, für Verbände) entspricht dem weitgehend. 92 Schließlich betont das BVerfG die „sinnvolle Ordnung" immer wieder; vgl. auch die Leitpunkte K. Hesses, 28 ff., von denen zumindest die ersten vier Ausprägungen dieses Gedankens sind (Integration, Einheit der Verfassung, praktische Konkordanz, funktionelle Richtigkeit; der fünfte ist: normative Kraft der Verfassung). 9

14 Gerhardt

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

tinuität: Sie sind wegen der staatlichen Souveränität als dynamisches Gleichgewicht aufgegeben 95 . Es ist Sache des Gesetzgebers, für die Ausgestaltung des Verfahrens, das seiner Ansicht nach dem Stand der Verschränkung von Staat und Gesellschaft entspricht, Sorge zu tragen und eine i h m notwendig erscheinende legitimatorische Anbindung der gesellschaftlichen Kräfte an seine eigene Legitimation durchzuführen. Seine Gestaltungsfreiheit ist allerdings nicht unbeschränkt. Als Gestaltungsmöglichkeiten stehen i m wesentlichen i n Frage die Legitimationsgewähr durch staatliche Aufsicht oder die Legitimationsgewähr durch Einschränkung der Koalitionsautonomie i n gesetzlichen Rahmenvorschriften (Normativbestimmungen). bb) Staatliche Koalitionsaufsicht? Dem Grundgesetz ist ein Gebot funktionaler und organisatorischer Differenzierung zu entnehmen, das soll i m folgenden unter Präzisierung des oben I I I 2 d Gesagten gezeigt werden. I m Ergebnis verbietet es, die Koalitionen unter Staatsaufsicht zu stellen, damit auch, sie zu öffentlich-rechtlichen Körperschaften zu machen oder sie m i t öffentlichrechtlichen Aufgaben zu beleihen. Von verschiedener Seite w i r d hervorgehoben, daß eine Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft notwendig ist, u m die Freiheit des Einzelnen gegenüber Majorisierung zu schützen 94 . Die „totale" Staatsgesellschaft läßt sich m i t der Verfassimg nicht vereinbaren. Wie A r t . 2 Abs. 1 und 14 GG den Individualbereich als abgegrenzten Freiheitsraum nehmen, A r t . 9 GG kollektive gesellschaftliche Sphären als nichtstaatliche, A r t . 21 GG die Parteien als für die politische Willensbildung notwendige, nicht aber i n die staatlichen Institutionen fest einbezogene gesellschaftliche Größen garantiert, so setzt sich diese Differenzierung auf der staatlichen Ebene m i t horizontaler und vertikaler Gewaltenteilung fort, bis h i n zu den Verästelungen der institutionellen Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) und zum Selbstentmachtungsverbot des A r t . 80 Abs. 1 GG für das Parlament 9 5 . Dieser Gesamtorganismus steht nicht unter einem Gemein03 R. Altmann, 218 ff.; U. Scheuner, Probleme, 5; auch oben 2 b cc. — Völlig zu Recht weist B. Zeuner, Verbandsforschung und Pluralismustheorie, Leviathan (4) 1976, 137 ff. (146 ff. zu den Gewerkschaften) auf „etatozentrische Fehlentwicklungen politologischer Empirie und Theorie" hin. 04 E. W. Böckenförde, 21; H. H. Klein, Die Grundrechte, 30 ff.; stark differenzierende Hinweise bei K. Hesse, Bemerkungen, 439 ff.; im übrigen oben I I I 2 b cc. 05 Zu Art. 80 G G BVerfGE 33, 125, 157 f., dort eine zusammenfassende Abgrenzung zwischen autonomer und an die Exekutive delegierter Aufgabenerfüllung; zu Art. 28 GG P. Häberle, Grundrechte, 88 f.; distanzierter M. Kriele, Das demokratische Prinzip, 77.

3.b) Gewerkschaften und staatliche Wirtschaftslenkung

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wohlvorbehalt des Inhalts, daß ein bestimmtes Verfassungsorgan oder ganz allgemein die Exekutive i m Fall der vermuteten Gefährdung des allgemeinen Wohls autoritativ eingreifen könnte. Eine Verschränkung von Staat und Gesellschaft ist dann nicht mehr gegeben, wenn beide identisch geworden sind, denn dann sind Initiative, Information, Interesse nicht mehr polar, sondern gleichgerichtet. Zwar gibt es öffentlich-rechtliche Körperschaften, die i n der Lage sind, eigene Interessenstandpunkte gegenüber dem Staat durchzusetzen, jedoch nur punktuell und nicht i n einem dauernden Planungs- und Gegensteuerungsprozeß, wie i h n die Wirtschaftspolitik erfordert 9 6 . Autonomie ist aber nicht nur wesentlich für die Richtigkeit staatlicher Entscheidung, sei es unmittelbar aufgrund gesellschaftlicher Interessendarstellung gegenüber Parlament und Regierung, sei es mittelbar bei der Findung der politischen Linien der Parteien, sondern auch für die Weiterbildung des Gesamten, nämlich durch die konfliktbringende Aggressivität von Sonderinteressen, auf die ein zieloffenes Staatswesen angewiesen ist 9 7 . Es entspräche nicht dem Grundsatz demokratischer Öffentlichkeit, der besonders i n A r t . 80 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommt, diese Interessen i n den Bereich der organisierten Staatlichkeit hineinzunehmen. Auch eine teilweise Verstaatlichung der Koalitionen z.B. durch Beleihung m i t bestimmten verwaltungsrechtlichen Eingriffsrechten strebt dem zuwider 9 8 . Soweit ihnen „gesetzgeberische Funktionen" zukommen, liegt keine Verstaatlichung, sondern ein Rückzug des Staates vor 9 9 . Hilfsweise ist hier zu prüfen, ob in dem Fall, daß aus anderen Gründen, wie z. B. der Sicherung der demokratischen Willensbildung™**, eine staatliche 96 Als Beispiel sind die Ärztekammern anzuführen. — Zugegebenermaßen ist die historische Entwicklung ausschlaggebend, so bestehen in Österreich die Gewerkschaften neben den gesetzlichen Interessenvertretungen der A r beitnehmer, deren Kollektivvertragsfähigkeit allerdings gegenüber der der freiwilligen Vereinigungen subsidiär ist (vgl. §§ 4, 6 Arbeitsverfassungsgesetz v. 14.12.1973, BGBl. v. 15.1.1974). Das BVerfG (E 38, 281, 305 ff.) nimmt einen gänzlich anders gearteten Status der Arbeitnehmerkammern gegenüber dem der Gewerkschaften an; kritisch dazu M. Kittner, insb. 162; H. P. Bull, 2741; zum Ganzen P. Lerche, 30 f.; wohl unzutreffend G. Drewes, 174, 233 ff. 97 Man könnte insoweit von Verbandsföderalismus sprechen; hins. Art. 9 Abs. 3 G G A. Hamann, H. Lenz, Art. 9 B d (8, S. 240); U. Scheuner, Gutachten, 52; K. Gröbing, 57, als Beispiel pluralistischer Grundhaltung. 98 So auch für privatrechtliche Wirtschaftsverbände H. Leßmann, 206; vgl. ferner W. Martens, 166; zum Komplex der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben durch Private ist auf Heft 29 der W D S t R L mit Referaten von F. Ossenbühl und H. U. Gallwas zu verweisen. 99 BVerfGE 34, 307, 317, spricht vom „Zurücktreten" des Staates. Siehe auch H. Leßmann, 137, 154 ff., der davon ausgeht, daß die von den öffentlich w i r kenden privaten Wirtschaftsverbänden wahrgenommenen Aufgaben aus dem staatlichen Bereich herausverlagert sind. 199 H. Galperin, 40.

14*

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Aufsicht über die Koalitionen für erforderlich gehalten würde, sei es eine allgemeine Rechtsaufsicht, sei es nur eine auf einzelne Punkte beschränkte, die Kontrolle nichtstaatlicher Einheiten grundsätzlich den Gerichten vorzubehalten wäre. Das wäre für die Kontrolle der Tariffähigkeit im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren vorgezeichnet, wäre aber auch § 16 VereinsG, wonach vereinspolizeiliche Maßnahmen gegen Koalitionen nur mit Zustimmung des Oberverwaltungsgerichts zulässig sind, zu entnehmen. Jedoch ließe sich, wenn Kontrolle von der Sache her zulässig wäre, kaum etwas gegen eine eigenständige Behörde sagen, die, dem Bundeskartellamt vergleichbar, nicht an Einzelanweisungen der Bundesregierung gebunden wäre. Wie schwierig es ist, Einflußmöglichkeiten bei einer Registrierung, bei Anerkennungsverfahren etc. nicht in Abhängigkeiten ausmünden zu lassen, zeigt ein Blick auf das komplizierte Behördengebäude, das der englische Gesetzgeber zu errichten sich genötigt sah und das sich letztlich nicht zu behaupten vermochte 101 . Der Rechtsweg wäre zu den ordentlichen oder den Arbeitsgerichten zu führen 1 0 2 . Eine Aufsicht direkt bei den obersten Arbeitsbehörden (Bundesminister für Arbeit, Landesminister) dürfte allenfalls dann möglich sein, wenn eine Interessenkoppelung seitens dieser Behörden ausgeschlossen ist. Dies könnte man nur annehmen, wenn die Eingriffstatbestände so eng gefaßt sind, daß ein Mißbrauch ausgeschlossen ist. Bedenklich wäre auch, die Aufsichtsbefugnisse unteren Verwaltungsbehörden zu übertragen. Dafür ist die Bedeutung der Koalitionen zu umfassend. These 10: E i n e a l l g e m e i n e staatliche A u f s i c h t ü b e r d i e K o a l i t i o n e n i s t n i c h t zulässig. cc) L e g i t i m i t ä t s s i c h e r n d e N o r m a t i v b e s t i m m u n g e n ? D i e L e g i t i m i t ä t d e r B e t e i l i g u n g gesellschaftlicher K r ä f t e a n d e r s t a a t l i c h e n W i r t s c h a f t s l e n k u n g ergebe sich, so k ö n n t e m a n a r g u m e n t i e r e n , aus der G e s t a l t u n g s m a c h t des Gesetzgebers. O b dies a l l e i n eine ausreichende B e g r ü n d u n g ist, m u ß a n g e z w e i f e l t w e r d e n . W o h e r n i m m t der Gesetzgeber die B e r e c h t i g u n g , eine seiner A u f g a b e n u n t e r M i t w i r k u n g gesellschaftlicher V e r b ä n d e auszuüben, also i n e i n e r v e r f a s sungsrechtlich n i c h t vorgesehenen A r t u n d Weise? V e r s t ö ß t e r d a m i t n i c h t gegen d e m o k r a t i s c h e u n d rechtsstaatliche G r u n d s ä t z e 1 0 3 ? D i e 101 Obwohl mittlerweile außer Kraft gesetzt, noch als gesetzgeberischer „Versuch" von Interesse; Übersicht bei N. M. Selwyn, Guide to the Industrial Relations Act 1971, 1971, Ch. 1, insbes. zur Commission und zum Registrar R N 6 2 f f . ; zu den verschiedenen Arten der Aufsichtsmittel M. Bullinger, Staatsaufsicht in der Wirtschaft, W D S t R L (22) 1965, 309 ff. 102 Dazu unten V. 10 3 H. H. Rupp t Konzertierte Aktion, 13 ff., K. H. Biedenkopf, Rechtsfragen, 1010; vor allem in der regionalen wie sektoralen Strukturpolitik könnten den Koalitionen wichtige Mitbestimmungsaufgaben zuwachsen, aber auch über die Vermögenspolitik können die Koalitionen für die staatliche Gesamtlenkung aktiviert werden; zu einer Investitionskontrolle sogleich im Text.

3.b) Gewerkschaften und staatliche Wirtschaftslenkung

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Fragen lassen sich ohne Rückgriff auf den Gesamtkomplex der Staatswillensbildung nicht befriedigend beantworten. Geht man von einem Legitimitätsmonopol des Parlaments aus, das dieses durch den Wählerauftrag erhalten hat, so erscheint die Beteiligung anderer als der verfassungsmäßigen Organe an staatlichen Entscheidungen nur über eine Delegation, an die aufsichtliche Kontrolle geknüpft ist, möglich. Dies gilt ohne Zweifel für Akte der öffentlichen Gewalt, die dem Vorbehalt des Gesetzes unterliegen, also für Eingriffe i n Freiheit und Eigentum des Bürgers. Darüber hinaus ist aber die These vom Legitimitätsmonopol des Parlamentes fraglich 1 0 4 . Die Gegenthese nimmt ihren Ausgang von der Überzeugung, daß die Legitimität der Entscheidungen der Parlamente nicht nur auf dem periodischen Mandat des Volkes beruht — dann wäre eine Direktwahl der Regierung vorgesehen —, sondern auch und gerade auf der durch das Parlament vermittelten Öffentlichkeit der Entscheidungsfindung. Wenn aber der Öffentlichkeit diese Bedeutung zukommt, müssen sich Wandlungen i n der Struktur dieser Öffentlichkeit auch i n Wandlungen der Legitimationsstruktur niedergeschlagen. Derartige Wandlungen haben aber i n mehrfachen Schritten stattgefunden. Durch die anerkannte Beteiligung der Parteien, die i n das Parlament als Fraktionen hineinwirken, wurde die politische Öffentlichkeit verlagert, die Willensbildung des Volkes erweitert. Diese erweiterte Öffentlichkeit wurde aber nochmals verlagert, als die Parteien ihre Eigenschaft als Gruppierungen besonderer Interessen verloren und das politische Allgemeininteresse integrativ vorzuformen sich anschickten — und konsequenterweise dem Demokratiegebot unterworfen wurden! —, und zwar, indem die Einwirkung von Interessengruppen unmittelbar oder mittelbar auf das Parlament von diesem rezipiert wurde. Diese Entwicklung führt aber zu einem partiellen Legitimationsübergang nicht nur deshalb, weil sich die Öffentlichkeit verlagert hat, sondern auch deshalb, weil das Parlament ohne die M i t w i r k u n g der organisierten gesellschaftlichen Kräfte gar nicht funktionsfähig gedacht werden kann. Die partielle Legitimationsverlagerung ist sohin sowohl eine aktive wie eine passive 105 ! Wenn nun die Regierung i m Bereich der Wirtschaftspolitik, i n dem sie, wie i n vielen anderen, wo sie die Planungskompetenz innehat, dem Parlament nur allgemein verantwortlich ist, ja, dieses zu binden vermag, mit den Interessengruppen Fühlung auf104 p . Haberle, Grundrechte, 86 ff., 125 ff., 128, mit direkter Ableitung aus den Grundrechten; J. H. Kaiser, 308 ff.; A. Hamann, H. Lenz, Einf. D 2 B 1 b, mit Grenzziehung Einf. D 4 b 3; Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Art. 9 R N 13, 14; G. Leibholz, Staat und Verbände, 19 ff., 32 f. 105 w. Hennis, 27, zum verdrängten Verfassungsrecht der Geschäftsordnungen; ebenso Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Art. 9 R N 1 4 ; R, Steinberg, Die Interessenverbände, 37 ff., 45 ff.; a. A. W. Weber, 261.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

nimmt zwecks gegenseitiger Information und Abstimmung, dann bedient sie sich lediglich eines Teils der Öffentlichkeit, auf der die Richtigkeit parlamentarischer Entscheidung beruht. Diese durch die Verbände garantierte Öffentlichkeit wiederum mildert das Spannungsverhältnis Regierung—Parlament bzw. öffnet den Z i r k e l Regierung— Regierungspartei bzw. -Koalition 1 0 6 . Speziell für den Bereich der Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen kommt Art. 9 Abs. 3 GG legitimierende Kraft für die staatliche Beiziehung der Sozialpartner zu. A r t . 9 Abs. 3 GG hat die Kompetenz zur Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Gesamtvereinbarungen i n die Hände der Koalitionen gelegt. Geht die Entwicklung dahin, daß diese Kompetenz gesamtwirtschaftlichen Bindungen zu unterliegen hat, dann entspricht es nicht nur dem Grundsatz des schonendsten Ausgleichs, sondern auch der Wahrung der Sachzuständigkeit, wenn die Koalitionen i n das Verfahren der Wirtschaftsplanung einbezogen werden. Es würde A r t . 9 Abs. 3 GG widersprechen, an einem numerus clausus koalitionsgemäßer Tätigkeit festzuhalten und i h n auf diese Weise auszuhöhlen. Vielmehr würde sich A r t . 9 Abs. 3 GG i n ein Beteiligungsrecht der Koalitionen umsetzen, wenn der Staat seine Lenkungsmaßnahmen auf dem W i r t schaftssektor wesentlich verstärkte. Das wäre insbesondere der Fall, wenn einem Wirtschafts- und Sozialrat wirtschaftslenkende Befugnisse zuerkannt würden, aber auch die Modelle echter Investitionslenkung, insbesondere über Branchenausschüsse, bedürften der Einbeziehung der Koalitionen, wenn man von ihrer sonstigen verfassungsrechtlichen Fragwürdigkeit hier absieht 1 0 7 .

Bedürfen somit die Koalitionen keiner parlamentarisch-demokratischen Legitimation, so ist nicht gesagt, daß sie gar keiner weiteren 106 w i e die Diskussion um die Partizipation an Verwaltungsentscheidungen zeigt, besteht hier ein gewaltiger Nachholbedarf, der offensichtlich von den Verbänden, soweit sie schon beteiligt sind, nicht geleistet wird; sie müssen also ihrerseits öffentlich werden. — Die Gefahren dieser Verbandsöffentlichkeit z.B. für das Beamtentum (vgl. H. U. Evers, 45ff.) sollen nicht negiert werden, jedoch können sie nicht entscheidend sein, nachdem die Entwicklung des Verbandseinflusses schon weit gediehen ist. 107 N. Reich, 72 ff.; zum Beteiligungsrecht der Koalitionen F. J. Säcker, 29; ders., Die Institutions- und Betätigungsgarantie, 46 ff. Eine Mitwirkungspflicht der Gewerkschaften (G. Drewes, 237 ff.) kommt solange nicht in Betracht als eine Zwangsschlichtung ausgeschlossen ist; ansonsten scheint das Problem ähnlich wie bei den politischen Parteien gelagert, die formal-rechtlich nicht zur Teilnahme an Wahlen gezwungen werden können; nimmt eine Koalition einen ihr eingeräumten Sitz in einem Gremium nicht war, so kann das dem Gremium seinen Zweck nehmen, ein Risiko, das in Art. 9 Abs. 3 G G auch angelegt ist, oder es führt zur Nichtberücksichtigung des durch die Koalition vertretenen Interesses; siehe unten d.

3.b) Gewerkschaften und staatliche Wirtschaftslenkung

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bedürfen als der des Nichtaustritts ihrer Mitglieder. Vielmehr ist der Staat gehalten, auf die Repräsentativität der Verbände zu achten, die er zur M i t w i r k u n g auswählt. Wenn alle i n der Gesellschaft auftretenden, gruppenmäßig zusammenfaßbaren Interessen berücksichtigt w ü r den, wäre der Staat der Pflicht, auf Repräsentativität zu achten, sicherlich nachgekommen. Nachdem ein Pluralismus auf Arbeitnehmerseite, wie schon oben I I 2 a gezeigt, keine Repräsentativität i n diesem Sinne vermitteln kann, müssen die Koalitionen, die i n staatlichen Institutionen i n die Wirtschaftspolitik einbezogen sind, sich durch innerverbandliche Demokratie und eine gewisse Verbandsöffentlichkeit legitimieren. U m diese Behauptung zu stützen, sei noch einmal auf den Ausgangspunkt zurückgegriffen. Nachdem die Wirtschaftspolitik i m modernen Industriestaat für die Masse der Bürger w o h l kaum weniger wichtig ist als die durch den Vorbehalt des Gesetzes verbürgte Sicherung vor der Möglichkeit des Staates, i n i h r Eigentum i m klassischen Sinn einzugreifen, ist für sie entscheidend, wie stark dabei ihre spezifischen Interessen berücksichtigt werden. Da jede Koalition global nur i n einer Richtung auf Regierungsebene sich äußern kann, müssen die Koalitionen repräsentativ sein 1 0 8 : Nachdem die Koalitionen zwar als Vertreter besonderer I n teressen, aber doch wieder recht allgemeiner, nämlich der der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, beteiligt werden, muß der Formulierung der von ihnen artikulierten Standpunkte ein demokratischer Willensbildungsprozeß, i n dem jedes Sonderinteresse die Chance der Berücksichtigung hat, vorangegangen sein, die Vorstellung apriorischer Interessengleichheit aller Verbandsmitglieder ist irreal 1 0 9 . Dieses Erfordernis innerverbandlicher Demokratie ist nichts anderes als eine Ausprägung des Homogenitätsgebotes, das i n A r t . 21 Abs. 1 S. 3 GG für die Parteien ausdrücklich festgelegt wurde, das i n A r t . 28 Abs. 1 GG für das Bund-Länder-Verhältnis seinen Niederschlag gefunden hat. Rechtssystematisch läßt es sich ableiten aus einer die Staatspraxis berücksichtigenden entsprechenden Anwendung von A r t . 21 Abs. 1 S. 3 GG, die eine Lücke i n der Linie A r t . 5, 9 GG und A r t . 21, 28, 38 GG f ü l l t 1 1 0 . Entscheidend ist jedoch nicht die Klassifizierung der A r g u 108

Das System der Tarifgebiete und der Industriegewerkschaften bietet auf dem Tarifsektor wohl hinreichende Differenzierung; obwohl auch bei der Interessenvertretung eine gewisse Vielfalt nicht ausgeschlossen erscheint, dürfte sie nicht effektiv realisiert werden schon deshalb, weil Interessenvertretung keiner speziellen Legitimation durch eine Vorbereitung von Kampfmaßnahmen etc. bedarf (zur Skepsis gegenüber dieser unten I I I 4 b bb) und nur von den zentralen Gewerkschaftsorganen oder sogar den Spitzenorganisationen durchgeführt wird. ioo M . Löwisch, 306; dazu schon oben I I 2 a. no I . v.Münch, BK, Art. 9 RN149; Th. Maunz, D. Dürig, R. Herzog, Art. 9 R N 1 4 f., 121; A. Hueck, H. C. Nipperdey, 101; Th. Ramm, Die Freiheit, 119;

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

mentation als Analogie, sondern die dahinter stehende Wertung, daß jede kollektive Willensbildung, die, wenn auch nur mittelbar oder partiell, auf die Bildung des Staatswillens Einfluß nehmen w i l l oder soll, der demokratischen Rückführung auf Willensäußerungen der I n dividuen bedarf. Demgemäß gilt diese Forderung nicht nur für die Koalitionen, sondern für alle jeweils beteiligten Verbände, ohne daß es eines Rückgriffs auf A r t . 3 GG bedürfte. Dies ist bei der Schaffung der jeweiligen M i t Wirkungsregelungen zu beachten. Da zur Zeit aber nur die M i t w i r k u n g der Koalitionen i m hier behandelten Sachbereich i n Frage kommt, läßt sich allgemein formulieren die These 11: Die Einwirkung der Gewerkschaften auf die Staatswillensbildung fordert, daß die gewerkschaftliche Willensbildung demokratischen Grundsätzen entspricht. Wie dieses Demokratiegebot auszugestalten ist, w i r d sich zeigen, wenn das Verhältnis individueller (positiver K o a l i t i o n s f r e i h e i t zur Verbandsautonomie betrachtet w i r d (unten I I I 4).

Z u berücksichtigen sind aber auch die Effekte eines zumindest potentiellen Koalitionspluralismus 111. Ausgehend von der oben angedeuteten Überlegung, daß die interne Verbandsorganisation i n den Grenzen der bürgerlichen Rechtsordnung beliebig sein kann, wenn zwischen den Koalitionen echter Konkurrenzkampf herrscht, dessen Alternativen dem einzelnen Koalitionsmitglied auch durchschaubar sind, w e i l unter diesen Bedingungen die Wahlmöglichkeit zwischen den Koalitionen die interne Interessenabstimmung wenigstens bis zu einem gewissen Grad ersetzen kann, erscheint es nützlich, zwei Implikationen der Richtigkeitsgewähr durch Pluralismus zu bedenken — schließlich sichert äußerer Pluralismus, selbst wenn er wenig entwickelt ist, die Freiheitlichkeit verbandsinterner Willensbildung 1 1 2 . M. Kriele, Das demokratische Prinzip i m Grundgesetz, W D S t R L 29 (1971), 46, 77; ff. ff. Klein, Demokratie und Selbstverwaltung, Festschrift E. Forsthoff, 1972, 165, 172 (FN38); K . Popp, 132; R. Richardi vergleicht Koalitionen mit Kirchen (63 ff.) und Gemeinden (69 ff.) und leugnet Parallelisierbarkeit — mit Hecht, was nichts gegen die These hier besagt; ff. Ridder, 18, 20 ff., mit der Besonderheit, daß er die Sozialstaatsklausel als demokratisierende Homogenitätsbestimmung für Staat und Gesellschaft ansieht, Art. 21 GG nur als eine besondere Ausprägung dieses Gedankens (dagegen ff. ff. Klein, 170 f.). 111 Hätte sich die Wirklichkeit so weit von diesem Konzept entfernt, daß eine gesetzliche Regelung sich in keiner Hinsicht mehr darauf stützen könnte, ließe sich wohl nur deren Verfassungswidrigkeit feststellen.

3.b) Gewerkschaften und staatliche Wirtschaftslenkung

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Zum einen beschränkt ein äußerer Koalitionszwang wie z.B. ein Solidaritätsbeitrag die Chance eines Wiederauflebens pluralistischer Tendenzen. Durch eine solche Maßnahme w i r d der Impetus zum Aust r i t t aus einer Gewerkschaft und zum Wagnis zur Neugründung einer Gewerkschaft vermutlich kleiner werden. Insbesondere aber profitieren die bestehenden Großorganisationen von solchen „Subventionen" erfahrungsgemäß überproportional. Entscheidend ist jedoch die m i t einer solchen Gewerkschaftsfinanzierung einhergehende Machtsteigerung der Verbandsspitze. Z u m anderen setzt eine pluralistische Struktur eine gewisse Öffentlichkeit der Verbände voraus. Andernfalls kann man nicht postulieren, daß sich der Einzelne unter mehreren Verbänden bewußt für den einen entschieden hat. Publizitätspflichten ließen sich somit nur aus dem Gesichtspunkt ableiten, daß die Kenntnismöglichkeit der Rechte und Pflichten der Mitgliedschaft, finanzieller Vor- und Nachteile, der besonderen Interessenstruktur, insbesondere der zahlenmäßigen Zusammensetzung nach Berufsgruppen, der A r t der Willensbildung und des Vermögensstands i m allgemeinen Wahlalternativen bieten kann. Eine Publizierung des Gewerkschaftsvermögens nach aktienrechtlichen Gesichtspunkten oder noch weitergehend, wie es das amerikanische Recht vorsieht 113 , ist aus Gründen der pluralistischen Verbandsöffentlichkeit dagegen nicht gerechtfertigt.

Diese Überlegungen sollten sich angesichts der tatsächlichen Situation pluralistischer Repräsentanz i n der Bundesrepublik nicht unmittelbar i n einer gesetzlichen Regelung niederschlagen. Sie würde nur den Blick auf die Probleme des gewerkschaftsinternen Pluralismus versperren. Das offensichtliche Manko äußeren Pluralismus 1 1 4 ergibt aber i n Verbindung m i t der These, daß die Staatswillensbildung auf die individuelle Willensäußerung zurückzuführen sein muß, das Gebot der Offenheit der Gewerkschaften. Das heißt, daß Gewerkschaften, die den Anspruch erheben, für alle Arbeitnehmer aufzutreten, auch für alle zugänglich sein müssen, andere i m Rahmen ihres jeweiligen Anspruchs entsprechend. A u f diese Weise w i r d jedem die Möglichkeit eröffnet, an der internen Willensbildung i n den Gewerkschaften zu partizipieren. Die rechtspolitische Ausprägung dieses Gebotes wäre das Verbot einer allgemeinen, auch befristeten Aufnahmesperre, ferner ein A u f nahmeanspruch des Außenseiters, der i m einzelnen unten I I I 4 a behandelt wird. 112

W. Abendroth, Das Problem, 283. Übersicht bei K. H. Biedenkopf, Unternehmen, I I I 4 b cc. H. F. Zacher, Aktuelle Probleme, 549, 565 ff.

216 ff.,

und unten

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

These 12: These 11 ist dahin zu erweitern, daß die Gewerkschaften i m Rahmen ihrer Satzung jedem Arbeitnehmer zugänglich sein müssen.

Die Einbeziehung der Koalitionen i n den staatlichen Funktionszusammenhang könnte sie über das Gebot der Offenheit und internen Verbandsdemokratie hinaus noch Verpflichtungen unterwerfen, die sich aus den Spielregeln des Legitimationsverfahrens „Öffentlichkeit" ergeben. Z u denken ist zunächst an eine allgemeine Publizitätspflicht, die die Einsicht i n die wirtschaftlichen Einflußmöglichkeiten und Querverbindungen sowie A r t und Zahl der von den Koalitionen unmittelbar Repräsentierten erlaubt. Sie ist jedoch nicht begründet, da die Koalitionen i m Bereich der Wirtschaftspolitik eine i m internen Willensbildungsprozeß herausgefilderte und kanalisierte Interessenrichtung i n die öffentliche Debatte einbringen, deren sachliche Hintergründe, Absichten und Rücksichten als intern abgeklärt gelten müssen und hinzunehmen sind: Sollten die Gewerkschaften mehr Wert auf ihre Aktivitäten i n den erwerbswirtschaftlichen Unternehmen legen als auf die Arbeitnehmerinteressen, so muß das als Ergebnis interner Öffentlichkeit und Willensbildung akzeptiert werden, wenn diese intakt sind 1 1 5 . Die „Verflechtung der Gewerkschaften i n den Monopolkapitalismus" aufzudecken, ist nicht Sinn der hier erörterten Öffentlichkeit. Aus ähnlichen Gründen kann dem Erfordernis der „Verbandsreinheit" auch für den hier behandelten Bereich nicht allzu großes Gewicht beigemessen werden. Da die Koalitionen in ihrem Agieren auf einen Dritten gerichtet sind, kommt es auf klare Gegengewichtigkeit nicht an. Wenn in den Unternehmen die Arbeitnehmer mitbestimmen, so ist das Ergebnis unternehmensinterner Entscheidung als Entscheidung des Unternehmens maßgeblich für die staatlichen Instanzen 1 1 6 .

us W. Martens, 167 f.; insofern geht die Ansicht, man müsse die Gewerkschaften der Öffentlichkeit erschließen, um die einzelnen Gewerkschaftsmitglieder zu schützen, vom falschen Ausgangspunkt aus, sie strebt in Wirklichkeit die Schwächung der Koalition an (H. Galperin, 40, ohne jede Begründung?!); ob Publizität als Überfremdungsschutz (W. Abendroth, Das Problem, 289 f.) sich vom Parteienrecht auf das Verbandsrecht übertragen läßt, ist entschieden anzuzweifeln. u« H. Ridder, 19, postuliert ein allgemeines Prinzip der Gegnerfreiheit aufgrund der „natürlichen Heterogenität" der Interessen. Es ist dies richtig. Nicht gesagt ist jedoch, wo die Interessen sich austragen; es kann durchaus in den Gewerkschaften oder anderen Einheiten im sozialen Gefüge (Unternehmen, Sozialverband) sein. Sicher scheint lediglich, daß eine Verschiebung der Interessengegensätze in die Koalitionen hinein deren interne Willensbildung antagonistischer Strukturierung zugänglich machen muß.

3.b) Gewerkschaften und staatliche Wirtschaftslenkung

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Als Ergebnis kann auf oben These 8 verwiesen werden: Auch die Beteiligung der Koalitionen an der staatlichen Wirtschaftslenkung rechtfertigt keine allgemeinen Publizitätspflichten. dd) Staatliche Wirtschaftslenkung und Gewerkschaftsloyalität Die gesetzliche Ausgestaltung der gemeinsamen Verantwortung von Staat und Koalitionen für die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist an das Ziel einer sinnvollen Ordnung und Befriedung der Arbeitswelt gebunden. Da Rückfall i n partikularistischen Klassenkampf nicht Verfassungsziel sein kann, vielmehr A r t . 9 Abs. 3 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip zumindest die Einbindung i n ein geordnetes Verfahren verlangt, läßt sich das vom BVerfG für die Tariffreiheit grundgelegte Verbot der Desintegration der Koalitionen durch den Staat für die Bedingungen des organisierten Kapitalismus konkretisieren. Es heißt nicht, die Koalitionen, insbesondere die Gewerkschaften vor jedem Risiko des Mitgliederverlustes zu bewahren oder einschränkungslos ihre Sekuritätspolitik zu unterstützen, sondern untersagt dem Staat, solche Maßnahmen zu ergreifen, die der Wirtschaftsordnung die Koalitionen als verpflichtungsfähige Partner entziehen, w e i l ihnen die Loyalität ihrer Mitglieder verlorengeht. Zu solchen Maßnahmen zählte der bereits erwähnte Entzug des Gewerkschaftsvermögens, da das Interesse vieler Mitglieder an den Dienstleistungen der Gewerkschaften hängt — vom Schutz durch Art. 14 G G abgesehen, dessen Verletzung hier nicht vertieft werden soll: Solange das Gewerkschaftsvermögen privatrechtskonform eingesetzt wird, wäre ein derartiger Eingriff eine enteignende Maßnahme rechtswidriger N a t u r 1 1 7 ; wenn das nicht mehr der Fall ist, wird der Schutz als „Eigentum" problematisch. I n gleicher Richtung ginge eine Verstaatlichung der gewerkschaftlichen Bildungseinrichtungen.

Problematisch ist die Verpflichtung der Gewerkschaften auf gesamtwirtschaftliche Richtdaten oder sonstige Ergebnisse staatlicher W i r t schaftslenkung 118 . Wie oben einleitend zu diesem Abschnitt gezeigt, hätte eine einseitige Festsetzung von Lohnleitlinien o. ä. durch den Staat für die Gewerkschaften desintegrierende Folgen, wenn sie sich diesen freiwillig unterwürfen. Etwas anders stellte sich die Situation bei hoheitlich verfügten Maßnahmen, insbesondere durch eine Zwangsschlichtung 117 Der Eingriff in das Eigentum der Gewerkschaften wäre wohl so gewichtig, daß es nicht durch Sozialbindung (!) des Eigentums gedeckt wäre; eine Enteignung aber wäre unzulässig, da sie nicht „zum Wohle der A l l gemeinheit" erfolgte, indem sie ein allgemeines sozialpolitisches Ziel verfolgt. 118 Dazu muß auch eine staatliche Zwangsschlichtung gezählt werden, wie sie z. B. in der Gedankenlinie von H. Rasch, Sind Streik . . . , a.a.O., liegt.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

dar; hier träfe der staatliche Zwang sowohl die Gewerkschaft i n ihrer Gesamtheit wie den einzelnen Arbeitnehmer, die Solidarität der Arbeitnehmerschaft könnte gewahrt bleiben. Es erwiese sich unter diesem Blickwinkel der schärfere Eingriff i n die Koalitionsfreiheit, die hoheitliche Maßnahme, als für die Bestandsgarantie der Gewerkschaften weniger gravierend als die scheinbar mildere, die autoritative Empfehlung bestimmter wirtschaftspolitischer Richtsätze. Allerdings dürften alle derartigen Maßnahmen nur i n Extremlagen gerechtfertigt sein. Dann aber widerspräche ihnen wohl auch A r t . 9 Abs. 3 GG nicht 1 1 9 . Der Vorschlag, das Gemeinwohl durch einen Sachverständigenrat verbindlich festlegen zu lassen 120 , verstieße gegen A r t . 9 Abs. 3 GG, wenn den Koalitionen keinerlei Einfluß gesichert wäre. Die behauptete Neutralität von Sachverständigen kann nicht ein Verfahren ersetzen, i n dem, wie immer es i m einzelnen aussehen mag, Kapital und Arbeit ihre gegensätzlichen Interessen abstimmen. M i t einer Beteiligung der Gewerkschaften an Verfahren zur Festlegung gesamtwirtschaftlicher Eckdaten, zur Bestimmung struktureller Förderungsmaßnahmen oder zur Einigung hinsichtlich eines geordneten Abbaus bestimmter Wirtschaftszweige etc. 1 2 1 , seien die Ergebnisse dieses Verfahrens de jure verpflichtend, seien sie de facto bindend, weil die Intensität des Verhandlungsmodus Vertrauenstatbestände schafft 122 , verbinden sich zwei Erfahrungen. Bei hohem Organisationsgrad, verstärkt möglicherweise durch äußeren Koalitionszwang, war es i n Amerika für ein Gewerkschaftsmanagement leichter, Richtdaten durchzusetzen als bei niedrigem Organisationsgrad — das Gewerkschaftsmanagement war mitgliederunabhängig 1 2 3 . Bei mittlerem Organisationsgrad und starker Gewerksschaftsspitze i n Deutschland führte ein annähernd lohnrichtlinienkonformer Tarifabschluß zu wilden Streiks, trotz einer Tarifkommission als loyalitätssichernden Instruments der Gewerkschaftsorganisation. Der Gesetzgeber w i r d bei seinen uo A. Hueck, H. C. Nipperdey, 45 (vor der Änderung des Art. 9 Abs. 3 G G durch die Notstandsgesetze); W. Weber, Koalitionsfreiheit und Tarif autonomie als Verfassungsproblem, 1965, 38 ff., 45 ff.; A. Nikisch, 57. 120 Exponent dieser Ansicht ist G. A. Bulla, 96 ff., 100; der Glaube an die Sachlegitimation als einzigen Legitimationsgrund überrascht, Sachverständigen die Endentscheidung zu geben, ist systemfremd. 121 Man fragt sich, ob z.B. die Umstrukturierung auf dem Sektor der Montanindustrie ohne gewerkschaftliche Beteiligung erfolgt wäre bzw. wie. 122 K. H. Biedenkopf, Rechtsfragen, 1008 f.; H. H. Hollmann, Rechtsschranken der Globalsteuerung, DB 1973, 1633, 1685; der Vertrauenstatbestand wird in gewisser Weise schon durch die Teilnahme an dem jeweiligen Verfahren begründet, so daß ein Vorbehalt, man stimme etwaigen Ergebnissen nicht zu, kaum Beachtung fände; nur Ergebnislosigkeit verpflichtete nach außen zu nichts. 123 B. Külp, 213 f., für Amerika, andererseits zum wilden Streik oben I I 2 a.

3.b) Gewerkschaften und staatliche Wirtschaftslenkung

221

Maßnahmen sich also klar für ein Konzept entscheiden müssen: entweder starke oligarchische Gewerkschaften oder Gewerkschaften, deren interne Öffentlichkeit soweit ausgebaut ist, daß sie verpflichtend w i r k t . Welche der beiden Richtungen er einschlagen darf, ergibt sich nicht aus dem Ordnungsziel der Koalitionsfreiheit, sondern hängt von der Einwirkung der individuellen Koalitionsfreiheit auf die kollektive Verbandsfreiheit ab. Es ist also auf unten I I I 4 zu verweisen. Neben der Gefahr der Desintegration der Gewerkschaften bliebe zu erörtern, inwieweit aufgrund der neuartigen Konstellation der Entscheidungsfaktoren Arbeitskampfmaßnahmen nicht so sehr i n die Nähe des politischen Streiks rücken, daß hier nach neuen Spielregeln gesucht werden muß. Der Streik i m öffentlichen Dienst zeigt die Problematik besonders klar: Wenn der Staat nämlich sowohl Arbeitgeber als auch Verantwortlicher für die Wirtschaftspolitik ist, wirkt sich ein Streik i m öffentlichen Dienst als unmittelbare und einseitige Beeinflussung der Setzung der Gesamtwirtschaftsdaten aus, nachdem der Staat nicht als Unternehmen mit eigenständigen Zuwachsraten anzusehen ist, deren Ergebnis zwischen Arbeit und Kapital zu verteilen wäre, es beim Staat aber auch nichts umzuverteilen gibt, er weder Bankrott machen noch in Gemeineigentum übergeführt werden kann, es sei denn, man betrachtet ihn konsequent als ideellen Gesamtkapitalisten. Daraus ein Streikverbot i m öffentlichen Dienst ableiten zu wollen, dürfte kurzschlüssig sein, da damit allenfalls Machtströme in andere, undurchsichtigere Kanäle geleitet werden: Ein Schwerpunktstreik in der Nahrungsmittelindustrie setzt auch baldigst den Staat unter Druck. Systemkonform ist daher der Einsatz der öffentlichen Meinung, die zu beeinflussen immer noch die Regierung die größten Chancen h a t 1 2 4 .

A n den Bedingungen der Durchsetzungsmöglichkeit der Arbeitgeberund Arbeitnehmerseite ändert sich jedoch durch die Politisierung nichts, vielmehr setzt die Integration der Koalitionen i n den staatlichen Entscheidungsprozeß ihre Machtposition i m vorgefundenen Verhältnis voraus, sonst könnten die Koalitionen nicht neben den Parteien i n dieser Funktion bestehen. Die Verbände werden einbezogen, weil sie mächtig sind. Werden sie durch bestimmte Reglementierungen entmachtet, ist der nächste Schritt zur Ausbalancierung der gesellschaftlichen Kräfte zu erwägen. Ein solcher könnte i n der paritätischen M i t bestimmung angesetzt sein. These 13:

Eine Beteiligung der Koalitionen an der staatlichen Wirtschaftslenkung setzt Macht und Verpflichtungsfähigkeit der Koalitionen voraus. Das ist bei Eingriffen i n die Koalitionsautonomie zu beachten. 124

Überblick P. Hanau, Streik, a.a.O.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

c) Befugnisse des Gesetzgebers zur Regelung des Verhältnisses der Gewerkschaften zu den politischen Parteien Die Politisierung und Konstitutionalisierung der Gewerkschaften hat nicht nur einen Kompetenzkonflikt m i t Regierung und Parlament zur Folge, sondern w i r f t auch die Frage nach der Funktionsabgrenzung zu den politischen Parteien auf, m i t h i n die nach der Struktur der vorparlamentarischen Öffentlichkeit i m allgemeinen und ihren Funktionsbedingungen i n der Organisation der Koalitionen i m besonderen 125 . aa) Gewerkschaften i m vorstaatlichen Willensbildungsprozeß I n seinen Ausführungen zur Parteienfinanzierung hat das B V e r f G 1 2 6 grundsätzliche Aussagen über die Vermittlung des politischen Willens des Volkes zum Staatswillen gemacht. Es sieht i n der Schaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung die Entscheidung für einen freien und offenen Prozeß der Meinungs- und Willensbildung des Volkes, der sich vom Volk zu den Staatsorganen vollziehen muß, nicht umgekehrt. Einwirkungen der Staatsorgane auf diesen Prozeß sind nur dann m i t dem Grundgesetz vereinbar, wenn sie durch einen besonderen, sie verfassungsrechtlich legitimierenden Grund gerechtfertigt werden können. Zu diesem Prozeß gehört auch die freie Darstellung organisierter Gruppeninteressen, die über A r t . 9 GG gewährleistet ist. Uber A r t . 9 Abs. 3 GG ist das Recht zu freier Interessendarstellung auch den Koalitionen gesichert. Die Frage ist nun, ob an die Verbände, die die politische Willensbildung mittragen, bestimmte Anforderungen zu stellen sind oder ob die Richtigkeit dieser Willensbildung bereits aus der Freiheit der Verbandsbildung und der Meinungsfreiheit der Verbände folgt. Für die Parteien hat A r t . 21 GG Grundanforderungen formuliert. Den Parteien kommen aber besondere Aufgaben als politischen „Kreationsorganen" zu, die die Einschränkung ihrer inneren Verbandsfreiheit rechtfertigen. Sollten sich die von den Koalitionen, insbesondere von den Gewerkschaften i m Prozeß der politischen Willensbildung ausgeübten Tätigkeiten als für das Funktionieren dieses Prozesses so bedeutend oder gefährlich herausstellen, daß sie bestimmte i2ß Überblick bei W. Abendroth, Das Problem, 281; E. W. Böckenförde, 18 ff., 26 ff.; H. U. Evers, 42 ff.; J. H. Kaiser, Die Repräsentation, 297 ff., 355 ff.; H. Lemke, 254; P. Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen, 27 f.; Parteienrechtskommission, 79 ff.; A. Rauscher, 521 ff., P. Schneider, a.a.O.; W. Thiele, a.a.O. 126 BVerfGE 20, 56, 96 ff.

3.c) Gewerkschaften und politische Parteien

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Vorkehrungen forderten, dann müßte i n entsprechender Weise die Koalitionsautonomie eingeschränkt werden können. A u f zwei Dinge kann vorab hingewiesen werden: Wie schon oben I I 2 b erklärt, wird organisatorisches Verfassungsrecht im engeren Sinn nicht Gegenstand der Betrachtung sein. Fragen eines Ständeparlaments oder einer Modifizierung der Verbandsanhörung, sei es kraft Parlamentsautonomie, sei es i m Wege einer Verfassungsänderung, bleiben ausgeklammert, nachdem man sicher davon ausgehen kann, daß derartige Regelungen nicht gegen Art. 9 Abs. 3 GG verstoßen, solange die Gewerkschaften nicht von einer angemessenen Teilnahme ausgeschlossen sind 1 2 7 .

Angenommen, die folgende Untersuchung würde eine Beschränkung der Koalitionsautonomie aus Gründen der allgemeinen Repräsentationsstruktur ergeben, dann würde dies bedeuten, daß eine Koalition, die sich m i t der strikten Wahrnehmung der Tarifautonomie begnügen würde, an sich nur geringeren Anforderungen unterliegen dürfte als andere Koalitionen. Da aber Tarifautonomie und Interessenvertretung sich praktisch nicht trennen lassen, unterliegen alle Koalitionen den strengen Anforderungen des Koalitionsgesetzes, auch wenn sie sich an der politischen Willensbildung nur wenig oder gar nicht beteiligen. Es wäre verfassungsrechtlich unbedenklich, hier keine Differenzierung einzuführen, da jede Koalition jederzeit die Möglichkeit hat, sich als Interessenverband zu betätigen. I m Hinblick auf das einzelne Koalitionsmitglied oder den Beitrittswilligen entsteht kein „Koppelungsproblem" 1 2 8 i m eigentlichen Sinn, soweit die allgemeine Interessenvertretung sich sachlich auf unmittelbare Arbeitnehmerangelegenheiten bezieht, soweit dies nicht der F a l l ist, bedarf es allerdings gesonderter Regelungen — darüber unten ee). bb) Gewerkschaften und Parteien Parteien und Gewerkschaften lassen sich verfassungstheoretisch eindeutig trennen 1 2 9 . Die Parteien integrieren i n sich Interessen zu einem allgemeinen politischen Programm, das sie i m Konkurrenzkampf u m Wählerstim127 Problematisch könnte nur sein, was „angemessen" bedeutet. Hier liegt eine der zentralen Zweifelsfragen, die eher gegen die Verfestigung des Verbandseinflusses in einem Bundeswirtschafts- und Sozialrat sprechen. Die gegenwärtige Regelung der Registrierung von Verbänden beim Präsidenten des Bundestages gemäß Anlage 1 a zur Geschäftsordnung des Bundestages vom 19.10.1972 (BGBl. I S. 2065) erstreckt sich auf alle Verbände, die Interessen gegenüber dem Bundestag oder der Bundesregierung vertreten. 128 Siehe schon oben I I I 3 a bb und auch unten V ; i m Ansatz anders K . Popp, 131 f., 49 ff., 82 ff. 129 H.-H. Hartwich, Gewerkschaften und Parteien, a.a.O.; notwendig vorausgesetzt auch von BVerfGE 28, 295, 305, unter Bezugnahme auf BVerfGE 20, 56, 107.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

men für die von ihnen vorgeschlagenen Wahlbewerber präsentieren und i n den Volksvertretungen durchsetzen wollen. Sie sind auf A l l gemeinheit und Kontinuität verpflichtet, wollen sie doch eine Regierung tragen. Sie haben die Chance und Aufgabe, Gemeinwohlziele zu politischen Themen zu machen 130 . Obwohl noch gesellschaftliche Kraft, sind sie doch schon so staatsnah, daß sie verfassungsrechtliche Organe, „Kreationsorgane", darstellen. Man kann von einer Zwitterstellung zwischen Staat und Gesellschaft sprechen. Für die Zwecke der weiteren Argumentation bedarf es keiner gründlichen Klärung dieser begrifflich schwachen Umschreibung der Position der Parteien. Gewerkschaften zielen nicht auf parlamentarische Vertretung ab, sie vertreten Sonderinteressen. Nach dem verfassungsrechtlichen Leitb i l d agieren sie nur vom gesellschaftlichen Bereich aus, und zwar i n erster Linie i m bilateralen Verhältnis zum Koalitionsgegner. Sie verlassen nach ihrem eigenen Selbstverständnis diesen Bereich auch nicht, wenn sie als „Arbeitnehmerpartei" eine i m weitesten Sinn ständische Vertretung aller Arbeitnehmer zu sein beanspruchen, die auf alle Parteien Einfluß zu nehmen sucht, ohne von einer Partei finanziell, personell oder weisungsmäßig abhängig zu sein. Soweit ersichtlich, bedürfen die Gewerkschaften keines Schutzes vor zu großem Außeneinfluß seitens des Staates. Ihre Unabhängigkeit ist unangetastet. Eine staatliche Förderung der Gewerkschaften allgemeiner A r t würde Anlaß geben, i n Anlehnung an die Grundsätze der Wahlkampfkostenerstattung an die politischen Parteien verfassungsrechtlichen Bedenken nachzugehen: So könnte ihre Unabhängigkeit und damit das Leitbild auch des Arbeitsmarktes gefährdet sein. Die punktuelle Unterstützung zu definierten Ausbildungsvorhaben und Entsprechendem ist, wenn sie nicht einen wesentlichen Betrag, auf den die Gewerkschaft angewiesen sein könnte 1 3 1 , erreicht, nicht zu beanstanden. 130 ff. Krüger, 375 f.; ein solches Engagement der Parteien setzt allerdings voraus, daß sie sich von den Verbänden abzusetzen vermögen, was zweifelhaft ist; immerhin ist hier die einzige Möglichkeit für den Eingang solcher politischen Ziele überhaupt zu sehen; die Gemeinwohltheoretiker nennen immer den Staat als den Träger desselben, wer aber soll das sein? Die Abhängigkeit könnte darin bestehen, daß i m Vertrauen auf die staatliche Unterstützung die Empfänger ihre sonstigen Einkünfte anderweit fest verplanen; i m Fall des Ausfalls der Staatsgelder finden sie sich in einem Dispositionsengpaß, den sie möglichst elegant durchlaufen müssen — was liegt näher, als dem Geldgeber Staat Zugeständnisse zu machen? — Diese Argumentation ist dem Fragenkreis „Einbehaltung von Gewerkschaftsbeiträgen durch den Arbeitgeber" entnommen. Vgl. dazu ff. Wiedemann, Tariffähigkeit, 75 m. w. N. — K. Gröbing, 57 f., leitet aus der Bedeutung der Gewerkschaften für den Staat eine allgemeine Förderungverpflichtung des Staates ab; in dieser Allgemeinheit scheint die Aussage dem gegenwärtigen Entwicklungsstand der Koalitionen unangemessen: Gerade weil die Parteien

3.c) Gewerkschaften und politische Parteien

225

Die Aufgabenverteilung zwischen Parteien und Gewerkschaften i m vorparlamentarischen Raum ist nicht strikt. Es gibt eine Reihe von Durchbrechungen, die sich aus der tatsächlichen Struktur der politischen Willensbildung ergeben. Betrachtet man zunächst das unmittelbare Verhältnis von Parteien und Gewerkschaften zueinander, so entsteht zuerst der Verdacht einer Abhängigkeit zumindest der traditionell mehr den Arbeitnehmerflügel der Gesellschaft ansprechenden Partei von den Gewerkschaften. Die hohe Zahl von Gewerkschaftern i n der SPD-Fraktion des 7. Deutschen Bundestags fällt auf. Nach Ansicht einiger Autoren spricht mehr dagegen als dafür, daß diese Abgeordneten i n einem Loyalitätskonflikt sich für die Parteiinteressen entscheiden 132 . Jedoch darf man nicht unterschätzen, daß die Gewerkschaften eine der Einstiegsmöglichkeiten für eine allgemeine politische Karriere darstellen. Auch muß man m i t Skepsis die Verknüpfung von Gewerkschaftsamt und Parteimandat betrachten: Die i m Modell der öffentlichen Meinungsbildung enthaltene „Gewaltenverschränkung" zwischen Parteien und Gewerkschaften geht verloren. Besonders gewichtig ist das Machtpotential der Gewerkschaften kraft unmittelbaren Einflusses auf die Wähler 1 3 3 . Daß den Gewerkschaften obendrein jederzeit offensteht, den Parteien finanzielle Zuwendungen zu machen, liegt auf der Hand. A l l e diese Möglichkeiten könnten die Gefahr i n sich tragen, daß die Aufgabe der Parteien, vor allem wenn sie die Funktion der Regierungspartei wahrnehmen, eine umfassende Politik für das ganze Volk und alle Sachbereiche zu entwickeln, gestört w i r d zugunsten gewisser Schwerpunktsetzungen. Diese Gefahr bestünde aber n u r dann, wenn die Gewerkschaften die Parteien zu einer unausgewogenen Verteilung der politischen Handlungsbereiche verleiten könnten. Nachdem aber die Gewerkschaften selbst ein umfassendes Programm für alle politischen Gegenstände verfolgen, ist diese Gefahr gering. Prioritäten sind natürlich. Daß die Gewerkschaften versuchen, alle Sachbereiche i n ihrem Sinn zu beeinflussen, ist zulässig. Gerade diese weite Streuung gewerkschaftlicher Anliegen stellt aber die größere Gefahr für die Aufgabenerfüllung der Parteien dar als die Wahlkampfkosten erstattet bekommen, muß die nächste Ebene öffentlicher Meinungsbildung ganz staatsfrei bleiben; erst wenn auch die Koalitionen soweit konstitutionalisiert sind, daß ihre antithetische Kraft völlig einer integrativen Aufgabe gewichen ist, wobei sich die Auseinandersetzung zwischen widerstrebenden Interessen weiterverlagert haben wird, kommt eine Finanzierung in Betracht. Ein Vergleich mit der Privatschulfinanzierung geht fehl, weil i m Koalitionsrecht das Ziel der Freiheitsgewährung und Pluralitätssicherung mit anderen Mitteln zu erreichen ist. 132 Siehe oben 1 1 d F N 46 zu einem Literaturbericht H.-H. Hartwichs. 133 Z u den Zahlen oben Einleitung F N 14. 15 Gerhardt

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

unmittelbare Beeinträchtigung parteilicher Unabhängigkeit durch die Gewerkschaften. Für diese These ist von drei sich andeutenden, sich für die weitere Entwicklung abzeichnenden Erscheinungen auszugehen, die alle Ausfluß dessen sind, daß die Gewerkschaften einen nicht unbeträchtlichen Teil „Allgemeinheit" repräsentieren, der eigentlich den Parteien vorbehalten ist. Das Machtinstrument des Arbeitskampfes erschöpft sich nicht i n seinen Wirkungen auf den sozialen Gegenspieler, sondern betrifft Staat und Öffentlichkeit. Davon ausgehend, hat sich die Strategie des Arbeitskampfes gewandelt. Einwirkungsziel sind jedenfalls auch die öffentliche Meinung und der Staat geworden. Das bedeutet, daß der Antagonismus des Arbeitskampfes wenigstens zum Teil sich nicht i n einem direkten Gegeneinander der Koalitionen realisiert, sondern i n parallel gerichteter Beeinflussung Dritter, eben des Staates und der Öffentlichkeit. Wer aber sind Staat und Öffentlichkeit? Regierung bzw. Regierungspartei und Opposition auf der einen Seite, die Medien andererseits. Erstere interessieren hier. Sie werden zur Stellungnahme gedrängt, sie unterliegen einem Zugzwang, wollen sie nicht i m Wettkampf unter den Parteien Nachteile i n Kauf nehmen. Insgesamt heißt das, daß den Parteien von den Sozialpartnern Themen aufgezwungen werden können, zwar unmittelbar nur solche, die die A r beits» und Wirtschaftsbedingungen betreffen, angesichts ihrer Bedeutung mittelbar aber viele. Möglicherweise war auch die Mitbestimmungsfrage ein solcher Fall. Man denke sie sich aus der Politik der 70er Jahre hinweg — welche politischen Energien wären frei gewesen! Die Kehrseite dieser Erscheinung machen die Angewiesenheit und Orientierung des Parlaments und der i n i h m vertretenen Parteien auf die Öffentlichkeit aus. Die Öffentlichkeit w i r d zu wesentlichen Teilen von den Gewerkschaften bestimmt, die zu jeder Frage eine Stellungnahme parat haben. Diese Stellungnahme kann opponierend sein oder verstärkend wirken. A u f beides werden die Parteien sich einstellen. Forderungen, die i m Parlament nicht durchsetzbar sind, bleiben durch die Gewerkschaften i n der Öffentlichkeit präsent und werden kontinuiert. Eine Opposition der Gewerkschaften w i r k t entweder mäßigend auf das Parlament oder untergräbt die Erfolgsaussichten eines Projektes ganz. Schließlich kann gewerkschaftlicher Einfluß parteiüberbrückend wirken, so daß die Frontbildung i m Parlament qua Fraktionen gesprengt wird. Er kann auch zu einer Einigung der Parteien führen, die so ein Thema aus dem Parteienwettbewerb ausklammern wollen. Das gelingt aber nur, wenn die Gewerkschaften m i t dem Kompromiß einverstanden sind. Der „Besetzung der Öffentlichkeit durch die Gewerkschaften" kommt somit eine allgemeine Kontinuitäts- und Kontrollfunktion zu, die sich aus der Erweiterung der politischen Öffentlichkeit

3.c) Gewerkschaften und politische Parteien

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vom Parlament i n die gesellschaftliche Sphäre des vorparlamentarischen Raums ergibt 1 3 4 . Es läßt sich zusammenfassen: Die Gewerkschaften partizipieren an der allgemeinen Öffentlichkeit, sei es, diese strukturierend, Informationskanäle multiplizierend und so Manipulationsansätze potentiell einschränkend, sei es als Gegenmacht, insbesondere als Beauftragte für sozialen Fortschritt 1 3 5 . Die Gewerkschaften tragen also nicht unwesentlich die allgemeine politische Willensbildung i m Gemeinwesen mit. Diese Mitbestimmung überwiegt die anderer Interessenverbände weit. Dies liegt nicht nur an der Bedeutung der von den Gewerkschaften artikulierten Interessen eines großen Teils der Gesellschaft, sondern vor allem an der Ausrichtung der staatlichen Tätigkeit auf den politökonomischen Raum. Traditionell mächtige Interessenverbände, zu denen hier auch die Kirchen gezählt werden sollen, prägen heute die Öffentlichkeit weit weniger als Gewerkschaften und Unternehmer oder Bauernverbände. Weiter zu fragen ist sohin, ob diese Mitbestimmung nicht als Mitverantwortung ausgestaltet werden muß, ob m. a. W. nicht m i t der tatsächlichen Mitgestaltungsmacht der Gewerkschaften rechtliche Pflichten einhergehen müssen, die die vorstaatliche Willensbildung sichern, dann aber auch unumgänglich dazu führen, daß die Freiheit der Gewerkschaften eingeschränkt wird. cc) Politischer Streik und Widerstandsrecht Die rechtliche Integration der Gewerkschaften i n den Prozeß öffentlicher Meinungsbildung hat angesetzt bei einer Begrenzung der Betätigungsfreiheit der Koalitionen, nämlich i m generellen Verbot des politischen Streiks 1 3 0 . Wegen des inneren Zusammenhangs m i t dem Funktionieren einer öffentlichen Meinungsbildung sei der Problemkreis kurz gestreift. A n dem Verbot des politischen Streiks ist weiterhin festzuhalten, mag es in Grenzfällen auch schwierig sein, den politischen und den nichtpolitischen Streik nach Inhalt und Stoßrichtung auseinanderzuhalten. 134 h. U. Evers, 41 ff.; H. Krüger, 388 ff.; R. Steinberg, Die Interessenverbände, 37 ff. iss A. Hamann, H. Lenz, Art. 9 B a aa. 136 Zum folgenden vgl. die Kontroverse zwischen W. Däubler, Das Grundrecht auf Streik, eine Skizze, ZfA (4) 1973, 201, und W. Zöllner, Über einige extreme Thesen zum Arbeitsrecht, ZfA (4) 1973, 227; ferner Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Art. 9, RN106; A. Hamann, H. Lenz, Art. 9 B b b b (8, S. 238); F.-J. Säcker, 88, sieht den entscheidenden Unterschied zum arbeitsrechtlichen Kampf im Adressaten; diese Unterscheidung müßte ergänzt werden durch eine Differenzierung nach den „unmittelbaren und mittelbaren Adressaten", da in irgendeiner Weise der Staat immer Adressat des Arbeitskampfes ist; vgl. auch W. Thiele, 3. 15*

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Die behauptete Rechtfertigung des politischen Streiks, daß der Gesetzgeber tendenziell keine weitergehenden Entscheidungen, als sie ihm von der kapitalistischen Wettbewerbswirtschaft gestattet würden, fällen würde, weshalb die Arbeitnehmer legitimiert seien, diese Ungleichgewichtigkeit zu ihren Lasten durch Streik zurechtzurücken, findet i m Grundgesetz keine Stütze: Es hat keine bestimmte Wirtschaftsordnung fixiert, es geht, was gewichtiger ist, darüber hinaus auch von völliger Offenheit der Parlamentsentscheidungen aus, sonst wäre nämlich eine echte zweite, ständisch aufgebaute Kammer vorgesehen 137 . M a n könnte entgegnen, das anfänglich offene politische System der Bundesrepublik habe sich gewandelt, die Offenheit sei verlorengegangen zugunsten einer individualrechtlich orientierten Eigentums- und Marktordnung, in deren Schranken der Gesetzgeber sich bewege 1 3 8 . Dem müsse aus Paritätsgründen eine Änderung der Einstellung zum politischen Streik folgen, was man mit den großen Normen der Art. 1 und 20 G G zu belegen versucht sein könnte. Diese Entgegnung wäre nur dann stichhaltig, wenn der Arbeitnehmerseite, also den Gewerkschaften keine Chance gegeben gewesen wäre, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Dies ist aber nicht der Fall, wie gerade ausgeführt wurde. Wenn die Gewerkschaften ihre Positionen nicht konsequent wahrgenommen haben und damit die Interessen der Arbeitnehmerschaft vernachlässigt haben sollten, hat eine Reform an diesem gewerkschaftsinternen Widerspruch anzusetzen 139 . Der politische Streik ist nichts anderes als eine Machtkundgebung unter Hintansetzung der eingespielten und differenzierten Spielregeln des parlamentarischen Systems. Für eine Durchbrechung des institutionalisierten Interessenausgleichs bedarf es eines rechtfertigenden Grundes. I n den Grundrechten der Art. 5, 8 und 9 GG liegt ein solcher nicht, da die Ausübung dieser Grundfreiheiten im Rahmen freiheitlich-demokratischer Willensbildung möglich ist, ohne die Balance der Staatswillensbildung außer Kraft zu setzen, indem der Bereich legitimer Machtentfaltung durch die Koalitionen nach ihrem Gutdünken aufgesprengt wird. Nur im Fall des Notstandes der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wenn also die verfassungsmäßige Willensbildung gestört oder gefährdet ist, mithin in einer von der Verfassung nicht mehr erfaßbaren Ausnahmesituation kann der politische Streik gerechtfertigt sein. Dies wird in Art. 20 Abs. 4 GG anerkannt, wenn ein Widerstandsrecht gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, gewährleistet ist1***. Nur auf den ersten Blick erscheint ein Gesetz sinnvoll, das das Widerstandsrecht des Art. 20 Abs. 4 GG, dessen Ausübung sich die Gewerkschaftsvorstände vorbehalten, näher erläutert, unter anderem dahingehend, daß für die Ausübung des Widerstandsrechts von Vereinigungen demokratische Regeln vorgeschrieben werden, entweder dergestalt, daß dafür besondere 137

Dazu J. H. Kaiser, Die Repräsentation, 320, 324 ff. 8 So im wesentlichen H.-H. Hartwichs Zusammenfassung, 259 ff., vgl. auch M. Kriele, Wirtschaftsfreiheit, 107 f. 13 » Ein syndikalistischer Ständestaat ist doch wohl nicht Ziel der Autoren, die für die Zulässigkeit des politischen Streiks eintreten. Jedenfalls besteht kein Anlaß, ihm mehr emanzipative Kraft zuzutrauen als einer Demokratie, wie sie in der BRD verwirklicht ist. !40 Grundlegend BVerfGE 5, 85, 377; K . Hesse, 298 ff. m . w . N . ; A. Hamann, H. Lenz, Art. 20, 10 (S. 348 f.); die Literatur ist sich in der Notwendigkeit einer restriktiven Interpretation des Art. 20 Abs. 4 G G einig. 13

3.c) Gewerkschaften und politische Parteien

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Organe vorgesehen sein müssen, oder so, daß besondere Richtlinien den Tatbestand des Widerstandsfalls näher umschreiben müssen. Art. 9 Abs. 3 G G würde einer derartigen Regelung wohl nicht entgegenstehen, da eine Vorschrift, die wie Art. 20 Abs. 4 GG Rechtsstaat und Demokratie sichern soll, auch eine demokratische Einbindung der Ausübung des Widerstandsrechts gewährleisten dürfte, selbstverständlich nur i m Rahmen der Nichtbehinderung der erforderlichen Durchsetzungskraft zur Ausübung des Widerstands. Diese Überlegungen gingen jedoch am Wesen des Widerstandsrechts vorbei: Es ist i m Grunde eine bestimmte Variante des Ausnahmezustands. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, daß er nicht mehr regelbar ist, definitionsgemäß eine Lage jenseits rechtlicher Erfaßbarkeit. M a n kann zwar versuchen, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Ausnahmefalls zu verringern, man kann ihn selbst aber nicht regeln. Somit hätten die genannten Vorschriften keinen weiteren Wert als den, darauf hinzuweisen, daß der Gewerkschaftsvorstand i m Widerstandsfall alle Macht in den Händen hat. Dies kann den Gewerkschaftsmitgliedern aber auch im regulären Prozeß der internen Willensbildung klarwerden, so daß die Hinweisfunktion allein den Eingriff in die Koalitionsautonomie nicht rechtfertigen kann.

dd) Publizität der politischen Betätigung der Gewerkschaften Einschränkungen der inneren Verbandsfreiheit der Koalitionen bedürfen eines rechtfertigenden Grundes. Daher ist eine pauschale Analogie zu A r t . 21 Abs. 1 S. 3 GG unzulässig, da der Begriff „demokratische Grundsätze" i n Satz 3 näherer Bestimmung bedarf, die nur bezogen auf die i n Frage stehenden Verbände getroffen werden kann. Vielmehr gilt es, den Umkehrschluß aus A r t . 21 GG, demzufolge Einschränkungen der Verbandsfreiheit ausschließlich für Parteien vorgesehen sind, zu entkräften 1 4 1 . Ansatzpunkte für eine Einschränkung der Koalitionsautonomie können sein die dominierende Stellung der Gewerkschaften bei der Bildung der öffentlichen Meinung außerhalb der Parteien, der Einfluß der öffentlichen Meinung auf die i m Parlament vertretenen Parteien und ihr Anspruch, die Arbeitnehmer insgesamt und sachlich allgemein zu vertreten. I m Zentrum dieser Punkte steht die „öffentliche Meinung" 1 4 2 . Die öffentliche Meinung ist wohl das wichtigste Medium, i n dem sich die Willensbildung des Volkes von unten nach oben vollziehen soll. Der Einzelne hat keine Chance, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, weder ist er dazu mächtig genug, noch kennt er die Techniken und das Instrumentarium publikumswirksamer Vertretung von Ansichten. Infolgedessen ist er auf die Vermittlung seiner Meinung durch Gruppen angewiesen. Umgekehrt vermitteln i h m die Gruppen auch die 141 142

Anders im Ansatz ff. Föhr, 123 ff. insbes. 127. Vgl. schon oben I I 2 a.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Meinungen der anderen. Der Einzelne muß darauf vertrauen können, daß sein Interesse möglichst unverfälscht i n die öffentliche Meinimg einfließt und daß er ebenso unverfälscht über die anderen Interessen informiert wird. Dieses Element des Vertrauens i n die Korrektheit der öffentlichen Meinungsbildung durch die Verbände folgt als notwendige Ergänzung der Mediatisierung des Einzelnen i n der sog. Massengesellschaft. Wenn gegen die Manipulation der öffentlichen Meinung zu Felde gezogen wird, ist i m K e r n nichts anderes gemeint, mutatis mutandis läßt sich der Gesichtspunkt auch auf die Medien anwenden. Beide Aspekte der öffentlichen Meinung, die aktive wie die passive Vertrauenserwartung des Einzelnen, kommen in Art. 21 Abs. 1 G G zum Ausdruck. Die Erwartung, seine Meinung wirksam in die Verbandswillensbildung einbringen zu können, spricht S. 3 an, die Gefahr einer Verfälschung des Parteiwillens, der als autonom gebildet dem Publikum gegenübertritt, durch verborgene heteronome Einflüsse w i l l S. 4 bekämpfen.

Das Funktionieren der öffentlichen Meinung beruht somit auf der Offenlegung der realen Bestrebungen und Einflußsphären. A n diese A r t der „Öffentlichkeit" müssen sich auch die Koalitionen halten. Der Gesetzgeber ist befugt, diese immanente Schranke der Koalitionsbetätigung „politische Interessenvertretung" zu konkretisieren.

I m einzelnen lassen sich Grundsituationen unterscheiden, i n denen die „Öffentlichkeit" eines Verbandes unmittelbar relevant wird. E i n Arbeitnehmer w i l l einer Gewerkschaft beitreten. Sein B e i t r i t t w i r d die Gewerkschaft stärken, ihr Gewicht i n der öffentlichen Meinung erhöhen. Verfolgt die Gewerkschaft eine politische Richtung, so ist es notwendig, daß der Beitretende dies bei seiner Aufnahme i n die Gewerkschaft weiß oder wissen kann. Erforderlich ist also, daß die politische Grundkonzeption einer Gewerkschaft i n deren Satzung niedergelegt ist 1 4 3 . M i t der Aufnahme der politischen Ziele i n die Satzung werden sie zugleich als Verbandsziel nach innen festgelegt, so daß Minoritäten i m Verband zwar versuchen können, dieses Ziel zur Diskussion zu bringen, aber sich auch i n politischen Angelegenheiten der Majorität beugen müssen, also sich nur Verbands w i d r i g an die allgemeine Öffentlichkeit wenden dürfen. Eine politisch i n bestimmter Richtung orientierte Gewerkschaft kann nach außen und innen homogen auftreten. Eine allgemeine Umschreibung der politischen — und dam i t untrennbar verbunden der weltanschaulichen — Affinitäten einer 143 Diese Pflicht kann nicht durch eine Ermächtigung zur authentischen Interpretation umgangen werden: Die Satzung selbst soll das Programm erkennen lassen (vgl. Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG); das besagt nicht, daß von den Gewerkschaften überhaupt ein „Programm" verlangt werden kann (siehe auch § 6 Abs. 1 S. 1 PartG). Zum Ganzen auch H. Leßmann, 247 f.

3.c) Gewerkschaften und politische Parteien

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Gewerkschaft ist also nicht nur notwendig i m Sinn der öffentlichen Meinung, sondern dient zugleich dem Verband. These 14:

Eine Gewerkschaft muß eine von ihr verfolgte politische und weltanschauliche Richtung i n der Satzung allgemein umschreiben.

Die gerade geschilderte Konstellation w i r d komplizierter, wenn eine Richtungsgewerkschaft auf einem Arbeitssektor nahezu ein Vertretungsmonopol innehat. I n diesem Fall kann nach außen der Anschein entstehen, alle i n der Gewerkschaft organisierten Arbeitnehmer stünden hinter ihrem politischen Ziel, obwohl i n Wirklichkeit ein Teil die Mitgliedschaft nur erworben hat, u m nicht die Vorteile der Tarifbindung entbehren zu müssen. U m eine solche Irreführung zu vermeiden, ist es verfassungsrechtlich zulässig, der Gewerkschaft die Publizierung ihrer Maßnahmen zur Unterstützung der von ihr geförderten Partei oder sonstigen Organisationen m i t politischem Charakter zur Pflicht zu machen. Diese Publizitätspflicht, gerechtfertigt durch die Bedingungen der öffentlichen Meinungsbildung, t r i f f t die Gewerkschaften i n ihrer Verbandsautonomie nicht hart, da von Seiten der Parteien eine, wenn auch unvollkommene Publizierung zu erfolgen hat, es aber auch die erklärte und offene Absicht der Gewerkschaft ist, eine bestimmte Polit i k zu unterstützen. Eine Beschwer der Koalition liegt demnach nur noch darin, daß sie auch A r t und Umfang der Unterstützung aufzudecken hat. Dieser Eingriff i n die Koalitionsfreiheit wiegt aber nicht so schwer, daß bei einer Abwägung der Schutz der Koalitionsfreiheit den Vorrang hätte. Eine gesetzliche Vorschrift ist rechtspolitisch nur deshalb nicht notwendig, w e i l eine Dominanz der Richtungsgewerkschaften nicht gegeben ist 1 4 4 . Der zweite, angesichts der übermächtigen Stellung der DGB-Gewerkschaften praktisch wichtige Fall ist der Beitritt zu einer Einheitsgewerkschaft, die parteipolitische Neutralität verheißt. Dieser Neutralitätsanspruch kann nicht bedeuten, daß sich die Gewerkschaft politischer Einflußnahme enthält, auch nicht, daß sie sich gegenüber poli144 Eine gesetzliche Regelung könnte so lauten: „Sind in einer Gewerkschaft, die nach Maßgabe der Satzung eine politische oder weltanschauliche Richtung verfolgt, mehr als 80 von Hundert der Arbeitnehmer ihres Organisationsbereichs vereinigt, ist die Gewerkschaft verpflichtet, die von ihr verfolgte Richtung in einer ihr geeignet erscheinenden Weise der Allgemeinheit zur Kenntnis zu bringen." Als Sanktion könnte die Androhung einer Geldbuße nach dem OWiG oder bloßer Verwaltungszwang (vgl. §38 PartG) normiert werden.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

tischen Parteien neutral verhält. Neutralität bedeutet vielmehr, daß i m freien gewerkschaftlichen Willensbildungsprozeß ein politisches Ziel primär gesucht und gefunden w i r d und erst sekundär daraus die Konsequenz erwächst, einer Partei, die eben dieses Ziel auch verfolgt, Unterstützung teilwerden zu lassen. Verkürzt gesprochen: Parteipolitische Neutralität heißt parteiunabhängige Willensbildung i n den Gewerkschaften 146 . Für die Allgemeinheit erweckt das selbst gesetzte Gebot der Neutralität den Eindruck, die gewerkschaftliche Äußerung fuße ausschließlich auf der Willensbildung der Arbeitnehmerschaft. Die Öffentlichkeit w i r d die Äußerung entsprechend gewichtig einstufen, zumal der Anspruch der DGB-Gewerkschaften, für alle Arbeitnehmer zu sprechen, nur i n einzelnen Sektoren, wie z. B. dem der Pädagogen und Philologen, wirksam entkräftet wird. M i t dem Neutralitäts- und allgemeinen Vertretungsanspruch unvereinbar ist eine permanente finanzielle Förderung einer Partei aus allgemeinen Gewerkschaftsmitteln. M i t der Parteifinanzierung werden nicht spezifische Arbeitnehmerinteressen verfolgt, sondern es w i r d Parteipolitik gemacht. Wenn die Gewerkschaft ordnungsgemäß beschlossen hat, eine Partei zu fördern, gibt sie ihren Neutralitätsanspruch auf und w i r d Richtungsgewerkschaft. Gegenteiliges läßt sich auch nicht aus der traditionellen Verknüpfung von Gewerkschaften und Sozialdemokratie herleiten. Die organisatorische Differenzierung zwischen beiden ist seit langem vollzogen. Die Gründung der Einheitsgewerkschaften sollte diese aus ideologischen Fesseln lösen, sie sollen jedem offenstehen. Schließlich vertreten auch andere Parteien Arbeitnehmerinteressen, so daß auch sachlich keine Koppelung besteht.

Rechtlich läßt es sich vereinbaren, sowohl jedem den Z u t r i t t zur Einheitsgewerkschaft zu ermöglichen als auch bestimmte, allgemein als arbeitnehmerfreundlich erkannte politische Gruppen finanziell zu fördern, indem diese Finanzierung nur aus einem separaten Fonds erfolgt, der nicht aus den Mitgliedsbeiträgen gespeist wird, sondern aus freiw i l l i g gezahlten Sonderbeiträgen sowie vom Gewerkschaftstag beschlossenen Sonderzuweisungen und dessen Existenz bekanntzumachen ist 1 4 6 . Ergänzend zu gewährleisten ist, daß Einzahlungen i n den Fonds nicht mittelbar erzwungen werden, was i n den Zusammenhang des Verbandsdisziplinarrechts gehört. Die Bekanntgabe des Fonds soll gegenüber der Öffentlichkeit die behauptete parteipolitische Neutralität ins rechte Licht rücken. Die Pflicht zu parteipolitischer Neutralität gegenüber den Mitgliedern durch Schaffung des politischen Fonds sowie die anschließende i « H. Wiedemann, Tariffähigkeit, 76 f. « Zum „political fund" in England O. Kahn-Freund, 365 f. 14

Rechtliche Garantien,

3.c) Gewerkschaften und politische Parteien

233

Publizität sind somit Korrelat zur Vorschrift des A r t . 21 Abs. 1 S. 4 GG. Ebenso wie man von einer Partei, die sich den Wählern als Vertreter des ganzen Volkes empfiehlt, wissen w i l l , wer materiell auf sie Einfluß nimmt, w i l l man von einer Gewerkschaft m i t Gesamtvertretungsanspruch wissen, wer i h r politischer Favorit ist. Insgesamt erschiene folgende Regelung angemessen: „Eine Gewerkschaft, die sich in ihrer Satzung zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet oder diese in ihren Verlautbarungen für sich beansprucht, darf Zuwendungen an politische Parteien nur aus einem eigens zu diesem Zweck gebildeten Sondervermögen (politischer Fonds) schöpfen. Kein M i t glied darf zu Einzahlungen in den politischen Fonds gezwungen werden. Zuweisungen aus dem allgemeinen Gewerkschaftsvermögen bedürfen der Zustimmung des Gewerkschaftstags. Über finanzielle Zuwendungen und sonstige Leistungen an Parteien ist in geeigneter Weise dem Gewerkschaftstag Rechenschaft abzulegen 147 . Die Bildung oder Aufstockimg des politischen Fonds hat die Gewerkschaft in einer ihr geeignet erscheinenden Weise der Allgemeinheit bekanntzugeben. Kommt eine Gewerkschaft dieser Verpflichtung nicht nach, handelt sie ordnungswidrig 148 ."

These 1 S.Einheitsgewerkschaften unterliegen Beschränkungen i n der Unterstützung politischer Parteien. Durch Gründung und Bekanntgabe eines politischen Fonds kann die parteipolitische Neutralität gewahrt bleiben.

Eine Gefährdung der parteipolitischen Neutralität ist auch i n einer Personalunion von Partei- und Gewerkschaftsmandat zu sehen. Eine derartige Interessenverflechtung kann die Autonomie gewerkschaftlicher Willensbildung erheblich i n Frage stellen. Nachdem keineswegs sicher ist, sondern eher das Gegenteil wahrscheinlich ist, daß Gewerkschafter i n allen Parteien gleichmäßig zu Ä m t e r n kommen 1 4 9 , ist eine Regelung der Inkompatibilität von Partei- und Gewerkschaftsmandat erforderlich. Man könnte zwar als weniger starken Eingriff erwägen, derartige Verbindungen durch Publizitätspflichten transparent zu machen, doch kommt es hier mindestens ebenso auf die Verhütung von Interessenkonflikten oder -synkrasien an wie auf die bloße Aufdeckung, 147 Ob diese Regelung i m Sinn des öffentlichen Interesses notwendig ist, sei zur Diskussion gestellt; sie ist wohl primär aus demokratischen Gründen zu rechtfertigen, gehört aber in den hiesigen Sachzusammenhang. 148 Vgl. U. Brisch, 100 f.; Parteienrechtskommission, 172 f., auch §38 PartG; insgesamt sollten Sanktionen sehr zurückhaltend gesetzt werden (siehe weiter unten I I I 4 b b b ) . 149 Von den 279 Gewerkschaftsmitgliedern im 7. dtsch. Bundestag gehörten 250 dem DGB an, der SPD 227, der C D U 44, der F D P 6.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

beides aber ist i m Interesse einer funktionsfähigen öffentlichen Meinung zu verlangen. Es ist der Vereinsautonomie überlassen, sich zur Richtungsgewerkschaft zu mausern, wenn eine personelle Verflechtung mit einer Partei für unverzichtbar erscheint. M i t h i n w i r d auch hier die Koalitionsfreiheit nicht wesentlich eingeschränkt 150 . Die Zweistufigkeit der Anforderungen an Richtungs- und Einheitsgewerkschaften ermöglicht jeder einzelnen Koalition die Wahlmöglichkeit zwischen den ihr genehmeren Anforderungen. Darin ist allgemein ein zusätzliches Element zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu sehen. Daß in dieser Wahlmöglichkeit auch ein Zwang zu einer Entscheidung steckt, ist nicht nur das mildeste Mittel, die Funktionen vorstaatlicher Willensbildung zu sichern, sondern kann auch gewerkschaftsinterne Willensbildungsprozesse in Gang setzen — ein, wie noch zu zeigen ist, förderungswürdiger Nebeneffekt der Demokratisierung. These 16:

Parteiamt und Gewerkschaftsamt schließen sich aus. ee) Minderheitenschutz i n der Einheitsgewerkschaft Gesonderter Betrachtung bedarf das Verhältnis von Minderheiten i n den Einheitsgewerkschaften zur öffentlichen Meinung. Problematisch ist die Fallsituation einer Gruppe von Arbeitnehmern i n einer Einheitsgewerkschaft, die zu bestimmten allgemeinpolitischen Fragen von der Verbandsmeinung abweichen, ohne aber grundsätzlich die Einheitsgewerkschaft i n Frage zu stellen oder sie verlassen zu wollen oder i n der Lage zu sein, als eigener Interessenverband zu existieren. Es erscheint zweifelhaft, ob derartige Sonderinteressen der öffentlichen Meinung durch die Bildung einer einheitlichen Verbandsmeinung durch Mehrheitsbeschluß völlig entzogen werden dürfen, indem diese Sonderinteressen nach außen nur i n der Meinungsäußerimg einzelner Arbeitnehmer erscheinen dürfen, eine kollektive Äußerung aber als verbandsschädigend angesehen wird. Es ist das Ziel eines jeden Verbandes, nach außen möglichst monolithisch aufzutreten und so den von i h m vertretenen Interessen Druck zu verleihen. Dies gilt vor allem für Verbände i m Wettbewerb wie Parteien oder i n antagonistischen Handlungssystemen wie die Koalitionen i m Tarifkampf. Die innerverbandliche Willensbildung filtert und kanalisiert die Einzelansichten zur Gesamtlinie des Verbandes, auf der Strategie und Taktik politischer Einflußnahme aufgebaut werden können. Dieser Filterungseffekt dient auch der öffentlichen Meinung 150 Für eine Publizierung der Gewerkschaftseinkünfte besteht kein Anlaß. Vgl. oben I I I 3 a bb.

3.c) Gewerkschaften und politische Parteien

235

insofern, als sie übersichtlicher w i r d und die einzelnen Stellungnahmen pointierter und akzentuierter abgegeben werden können. Während es nicht schwerfällt, einer Richtungsgewerkschaft das Recht zur Verbandsdisziplin auch i n Dingen der allgemeinen Interessenvertretung zuzugestehen, w e i l durch die vorgegebene Leitlinie des Verbandslebens das Spektrum der abweichenden Meinungen u n d Wünsche nur verhältnismäßig schmal sein kann, scheint es bedenklich, gleiches der Einheitsgewerkschaft zuzugestehen. I n einer Richtungsgewerkschaft, so die Vermutung, ist eine gewisse politische Homogenität vorgegeben. A n einer solchen fehlt es i n der Einheitsgewerkschaft, sie beansprucht gerade das Gegenteil, nämlich politische Offenheit für jedermann. I n der Willensbildung der Einheitsgewerkschaft müssen also viel weiter auseinanderklaffende Einstellungen zu einer gemeinsamen Linie gebracht werden. Würde dies notwendig i n einen Kompromiß einmünden, wäre gegen eine verbandsdisziplinarische Durchsetzung dieser Linie kaum etwas einzuwenden. Nachdem die Entscheidungen aber i m Wege der Mehrheitsbildung Zustandekommen, werden aus der Vielzahl politischer Ansichten und Interessen einige total ausgesiebt, sie können nicht i n die öffentliche Diskussion eingebracht werden. Der scheinbar weite Rahmen politischer Offenheit der Einheitsgewerkschaften droht zu einer Falle für abweichende Gruppenmeinungen zu werden, der Sinn des politischen Neutralitätsanspruchs der Gewerkschaften verkehrt sich i n sein Gegenteil: Je mehr politische Richtungen eine Einheitsgewerkschaft beherbergt, desto verödeter und einschichtiger w i r d die öffentliche Meinung. Die Aufgabe der politischen Willensbildung durch Öffentlichkeit ist, die Willensbildung des Volkes von unten nach oben zu vermitteln, nicht aber, bestimmte Mindermeinungen vom Einfluß auf die Staatswillensbildung fernzuhalten. Deshalb w i r d durch Verbandsdisziplin der Einheitsgewerkschaft i n politischen Dingen das Funktionieren der öffentlichen Meinungsbildung erheblich gefährdet. Sobald die Vielfalt politischer Interessen angesichts der Machtstruktur des Verbandssystems sich i n die Einheitsgewerkschaften hineinverlagert, muß garantiert werden, daß sie i n irgendeiner Weise zum Tragen kommen. Man kann zusammenfassen, daß die Hineinverlagerung des politischen Pluralismus i n die Verbände nicht zur Unterdrückung der Vielfalt von Ideen und Anliegen führen darf, auf die ein Staat als kritisches und befruchtendes Element nicht verzichten kann 1 5 1 . Daraus folgt zwingend ein Minderheitenschutz als rechtspolitische Forderung. 151 Zur „pluralistischen" Infrastruktur von Verbänden Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Art. 9 R N 56; auch die Mitgliedschaft in anderen politischen Vereinigungen muß den Gewerkschaftsmitgliedern gestattet sein, so daß das in den Satzungen anzutreffende Verbot, Mitglied einer „gegnerischen" Organi-

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Gegen jede A r t von Minderheitenschutz w i r d vorgebracht, damit würde der Zersplitterung der Gewerkschaft und ihrer Schwächung i n der Durchsetzung ihrer Ziele Vorschub geleistet. Das würde gegen die Koalitionsautonomie des A r t . 9 Abs. 3 GG verstoßen, derzufolge die Koalitionen selbst darüber entscheiden, m i t welchen M i t t e l n sie das Koalitionsziel verfolgen wollen, denn diese Freiheit werde eingeschränkt, wenn die Koalitionen nicht das ihrer Ansicht nach effektivste M i t t e l wählen dürfen. Die Tragweite dieses Arguments ist nicht zu verkennen. Es ist jedoch primär orientiert an Konstellationen, wo es auf die homogene Stoßkraft des Verbandes entscheidend ankommt. Für die Interessendurchsetzung i n der öffentlichen Meinung gilt es nur eingeschränkt, nachdem Minderheitenschutz nicht zur Folge hat, daß die Verbandsspitze nicht die „offizielle" Verbandsstellung unter Hinweis auf die ihr zugrundeliegende Mehrheit durchsetzen kann, die immer noch so groß ist, daß die Effektivität des VerbandseinfLusses gesichert ist. I m übrigen könnte i m Fall einer harten Konfrontation die interne Willensbildung sich auf die Steigerung der Verbandseinheit richten. Wenn die Institution „öffentliche Meinung" angewiesen ist auf einen irgendwo vorhandenen Pluralismus, bildet dieser einer funktionelle Schranke der Verbandsautonomie für die Verbände, die sich nicht i n das äußere pluralistische System einfügen, sondern kraft ihres Allgemeinheitsanspruchs und ihrer Macht wesentliche Teile pluraler Interessenvertretung i n sich aufgenommen haben. So wie der Tarifkampf starke, gegnerfreie Verbände voraussetzt, u m sein Ordnungsziel zu erreichen, so bedarf die öffentliche Meinung einer gewissen Transparenz der Verbände. Der verfassungsrechtlich zulässige Minderheitenschutz kann verschieden ausgestaltet sein. Er könnte Minderheiten i n allgemeinpolitischen Angelegenheiten das Recht einräumen, ihre Meinung nach außen zu publizieren, ohne Disziplinarmaßnahmen als Sanktion für solches Gruppenverhalten zu dulden. Eine allgemeine Öffentlichkeit der Gewerkschaftstage, soweit sie sich m i t allgemeinpolitischen Aussagen beschäftigen, käme zum gleichen Ergebnis, wozu allerdings flankierend die Demokratisierung der Antragskommission treten müßte. Das wäre jedoch ein stärkerer Eingriff i n die Verbandsautonomie und obendrein weniger begrüßenswert, da es zuzugebendermaßen diffizil ist, das Gewebe von bloßer Meinungsbildung und gezielter Einflußnahme aufzulösen nach Wirtschafts- und Sozialpolitik i n einem engeren Sinn und sation zu sein, restriktiv auszulegen ist; gerechtfertigt ist dagegen das Verbot, in einer gewerkschaftsfeindlichen Organisation Mitglied zu sein: Der Einzelne muß sich entscheiden! Näher dazu unten I I I 4 b a a gegen die Ansicht von Th. Mayer-Maly, Anm. A P Nr. 21 zu Art. 9 GG = B G H NJW 1973, 35 und K. H. Seifert, a.a.O.

3.d) Die Gewerkschaften in der öffentlichen Verwaltung

237

allgemeiner Politik; immerhin lassen sich Wahl- und parteipolitische Stellungnahmen w o h l klar heraussondieren. Dem Gedanken der Koalitionsautonomie würde es aber am nächsten kommen, die Ausgestaltung des Minderheitenschutzes, soweit er hier diskutiert wurde, den Verbänden selbst zu überlassen, sie jedoch über Normativbestimmungen dazu zu verpflichten, i n der Satzung eine Regelung zu treffen, etwa dergestalt, wie i n These 17 formuliert. These 17: Die Satzung muß Vorkehrungen treffen, daß Minderheiten ihre Sonderinteressen i n weltanschaulichen oder politischen Angelegenheiten gegenüber der Allgemeinheit verfolgen können 1 5 2 . d) Allgemeine Bedingungen für die Beteiligung der Gewerkschaften an der öffentlichen Verwaltung Zu den öffentlichen Funktionen der Gewerkschaften gehört neben ihrer Tätigkeit i n der Sphäre der Gubernative und ihrer Interferenz m i t den politischen Parteien i m Raum der öffentlichen Meinung auch die Beteiligung an der öffentlichen Verwaltung. Unter diesem Begriff werden hier alle Einrichtungen der unmittelbaren oder mittelbaren Staatsverwaltung einschließlich der Gerichtsverfassung verstanden 153 . Die Legitimations- und Funktionsprobleme i n diesem Bereich sind zwar ähnlich gelagert wie die bei der Koalitionsbeteiligung an der staatlichen Wirtschaftslenkung, jedoch ergeben sich möglicherweise Besonderheiten aus den vorgegebenen Zwecken der öffentlichen Verwaltung sowie aus ihrer verfestigten Organisationsstruktur 1 5 4 . Die Beteiligung der gesellschaftlichen Kräfte an der Verwaltung dient der Effizienz der Verwaltung zum einen, entspricht zum anderen dem Grundgedanken der Selbstverwaltung. Größere Sachnähe und Loyalitätssteigerung sind zwei wesentliche Gesichtspunkte für diese A r t von Selbst-Mit-Verwaltung, beides Elemente auch einer „Demokratisierung" der öffentlichen Verwaltung. 152 Zur Sanktionierung unten I I I 4 b bb. 153 Keiner Behandlung bedürfen die prozessualen Rechte der Gewerkschaften wie z. B. nach § 11 ArbGG, hier treten keine Legitimations- oder Funktionsprobleme auf. Daß diese Rechte regelmäßig mit der Tariffähigkeit verbunden sind, woraus insbesondere die Frage entsteht, ob diese Rechte wirklich nur von mächtigen und unabhängigen Verbänden wahrgenommen werden können, gehört nicht hierher. 1 5 4 Auf die umfangreiche Literatur hierzu kann nicht im einzelnen eingegangen werden. Neben P. Dagtoglou, a.a.O., vgl. überblicksweise die Beiträge in: „Demokratisierung" und Funktionsfähigkeit der Verwaltung, hrsg. v. H.-J. v. Oertzen, 1974.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Ob und inwieweit die Koalitionsaufgaben in der Verwaltung verfassungsrechtlich geschützt sind, bedarf keiner grundsätzlichen Klärungiss. Es erscheint durchaus denkbar, daß dieser Zweig sozialer Selbstverwaltung als Institution geschützt ist, d.h. daß nicht jede einzelne Ausprägung Verfassungsrang genießt, sondern nur garantiert ist, daß eine solche Beteiligung überhaupt i m Verwaltungsaufbau vorgesehen sein muß. M a n kann jedoch als sicher unterstellen, daß der Gesetzgeber, wenn er eine Beteiligung der sozialen Kräfte in Verwaltungsgremien vorsieht, nicht an den Vereinigungen, die zur Vertretung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen von der Verfassung anerkannt sind, vorübergehen dürfte, indem er z.B. eine Organisationsform zur Voraussetzung der Beteiligung machte, die dem hergebrachten Typ der Koalitionen in keiner Weise entspräche 15 *. B e i der A u s w a h l der V e r b ä n d e h a t der S t a a t a u f p l u r a l i s t i s c h e R e p r ä s e n t a t i v i t ä t zu achten. D a b e i h a b e n die E r f o r d e r n i s s e des j e w e i l i gen Sachgebiets i m V o r d e r g r u n d z u stehen. S o w e i t n ö t i g oder m ö g l i c h , s i n d auch die B e r u f s v e r b ä n d e zu berücksichtigen. Seine Grenze f i n d e t dieses G e b o t i n p r a k t i s c h e n Ü b e r l e g u n g e n , v o r a l l e m i n der z a h l e n m ä ß i g e n B e g r e n z u n g v o n Ausschüssen, B e i r ä t e n etc., der Ü b e r s i c h t l i c h k e i t u n d Handhabbarkeit der Verbandsbeteiligung. I m e i n z e l n e n m u ß m a n die A r t e n d e r V e r b a n d s b e t e i l i g u n g scheiden:

unter-

aa) B e t e i l i g u n g d u r c h W a h l v o r s c h l ä g e S o w e i t d e n G e w e r k s c h a f t e n Vorschlagsrechte z u W a h l e n f ü r Selbstv e r w a l t u n g s k ö r p e r s c h a f t e n zustehen, i s t die L a g e ganz ä h n l i c h der bei allgemeinen politischen Wahlen. U m die Durchführung der Wahl zu sichern, sind formelle Regelungen erforderlich, die nicht in die Koalitionsfreiheit eingreifen. Quoren als Garanten der Ernsthaftigkeit von Wahl Vorschlägen sind wie bei jeder Wahl zulässig, sofern sie die Chancengleichheit nicht beeinträchtigen, also nicht zu hohe Anforderungen stellen. Dies alles kann jedoch nicht Gegenstand des Koalitionsgesetzes sein, sondern fällt in den Regelungsbereich der einschlägigen Spezialgesetze 157 . D i e K a n d i d a t e n a u f s t e l l u n g i n d e n G e w e r k s c h a f t e n i s t n i c h t geregelt, insbesondere geben die S a t z u n g e n k e i n e A n h a l t s p u n k t e f ü r die B e Ablehnend F.-J. Säcker, 60 (stark verkürzend); W. Weber, 246; bejahend A. Hueck, H. C. Nipperdey, 102 ff. Möglicherweise könnte die Nähe zur Tarifautonomie entscheiden; jedenfalls dürften die Kompetenzen, die sich als Annex der Tarifautonomie darstellen, garantiert sein, da hier die vielbeschworene Divergenz zwischen Verantwortung und Macht (P. Dagtoglou, 717) nicht hindernd i m Weg steht. iß® Das entspräche dem Rechtsgedanken in BVerfGE 4, 96, 108. Von praktischer Wichtigkeit kann dies werden, falls die heute von DGB und D A G wahrgenommenen Rechte weg von den Spitzenorganisationen zurück zu den Einzelgewerkschaften des DGB verlagert werden sollten. 157 BVerfGE 30, 227, 241 ff. behandelt ein solches, das SelbstverwG; vgl. auch BVerfGE 34, 307 zum H A G .

3.d) Die Gewerkschaften in der öffentlichen Verwaltung

239

handlung dieser Frage i n den Verbänden. Denkbar sind vier Grundtypen der Kandidatenauswahl. — „Ex-officio-Kandidatur": Die Inhaber bestimmter Gewerkschaftsämter sind zugleich Kandidaten zu Wahlen für bestimmte Selbstverwaltungskörperschaften. — „Benennung durch den Hauptvorstand": Die Benennung der Kandidaten erfolgt kraft der allgemeinen Ermächtigung des Hauptvorstands zur Geschäftsführung. — „Abgeordnetenliste": Der Hauptvorstand wählt die Kandidaten aus einer vom Gewerkschaftstag bestimmten Zahl von Delegierten. — „Parteienrechtslösung": Gewerkschaftstag, evtl. auch Gewerkschaftsausschuß oder die Bezirkstage wählen geheim die Kandidaten für die anstehende Wahl.

Das öffentliche Interesse an hinreichender Legitimation der sozialen Selbstverwaltungskörper Schäften rechtfertigt jedoch nicht eine verbindliche Regelung der Frage der Kandidatenaufstellung. Solange die Wähler nicht gezwungen sind, über eine gewerkschaftliche Einheitsliste abzustimmen, sie also echte Entscheidungsmöglichkeiten zwischen Kandidaten verschiedener Couleur haben, bedarf es keiner Garantie für ein innergewerkschaftliches Auswahlverfahren, das i n den Kandidaten eine gewisse Repräsentanz aller Arbeitnehmer herstellt. Die Problematik von Sozialwahlen oder Wahlen zu Arbeitskammern 1 0 8 liegt i m wesentlichen auf anderer Ebene, nämlich in der Anonymität der Wahlbewerber und dem Fehlen praktikabler Methoden eines Wahlkampfes. Daher ist sehr anzuzweifeln, ob das Ergebnis der Sozialwahlen 1974, das zu Lasten der Gewerkschaften anderen Vereinigungen von Sozialversicherten einen großen Stimmenzuwachs brachte, als Argument für eine „Gewerkschaftsverdrossenheit" oder ein neu erwachendes pluralistisches Bewußtsein herhalten kann.

Daß der Wahlkampf den Regeln des fairen Wettbewerbs zwischen Koalitionen unterliegt, ergibt sich aus der gleichen Existenzberechtigung aller Koalitionen, wie oben I I I 3 a cc dargestellt wurde. bb) Benennung und Entsendung von Gewerkschaftsvertretern Soweit die Verbände Benennungs- und Entsendungsrechte haben, bedarf es einer Festlegung seitens des Gesetzgebers, meist aber seitens der Verwaltung, welche Verbände zur Benennung und Entsendung von Vertretern eingeladen werden sollen. Der notwendigen Repräsentativität droht hier Gefahr vor allem durch eine Erstarrung des Verbandswesens: Sind gewisse Verbände herkömmlicherweise an einem Gremium beteiligt, besteht die Neigung, es bei dieser Sitzverteilung zu Neben den bestehenden sind weitere denkbar, so könnte i m Bereich der gewerblichen Ausbildung eine paritätische Aufsicht eingerichtet werden.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

belassen, ohne zu klären, ob nicht ein Wechsel i n der Mitgliederzahl oder die Gründung neuer Verbände eine andere Zusammensetzung des Gremiums verlangen. U m dem vorzubeugen, w i r d eine Registrierung m i t laufenden Meldepflichten seitens der Koalitionen gefordert 1 5 9 . Eine derartige Vorschrift wäre ein übermäßiger Eingriff i n die Koalitionsautonomie. » Es ist Sache der Verwaltung, für die repräsentative Besetzung ihrer Gremien zu sorgen. Dafür stehen ihr Möglichkeiten zur Verfügung, die eine Registrierung entbehrlich machen. Sie laufen darauf hinaus, daß die Verwaltung berechtigt ist, ohnehin bestehende Obliegenheiten der Interessenverbände für die einzelnen Verwaltungsgremien näher auszugestalten. Da die Initiative für die Verbandsbeteiligung bei der Verwaltung liegt, kann und muß sie i n regelmäßigen Abständen die Angemessenheit der Beteiligung überprüfen. Dazu kann sie Angaben von den Verbänden erbitten. Falls diese sich i m Rahmen des Erforderlichen halten, von einem Verband aber verweigert werden, ist zu vermuten, daß der Verband keine Interessen i n dem Gremium zu vertreten hat. Er braucht demnach nicht beigezogen zu werden. Entsprechend ist der Fall eines neugegründeten Verbandes zu behandeln. Dieser Verband w i r d von sich aus an die Behörde herantreten und u m künftige Berücksichtigung nachsuchen. Gibt der Verband eine genügende Gewähr für die Ernsthaftigkeit eines Beteiligungswillens, hat die Behörde von sich aus den Proporz i m Gremium festzusetzen. Die Erfüllung der Auskunftspflicht als Voraussetzung der Beiziehung einer Koalition hält sich dann i m Rahmen des Erforderlichen, wenn das Auskunftsverlangen aus Geschäftsordnungsgründen des Gremiums veranlaßt ist; es darf nicht nur die Überwachung der Koalition zum Ziel haben. Inhaltlich w i r d die Koalition nur verpflichtet werden können, ihren Mitgliederstand mitzuteilen. Allerdings können sich hier Unterschiede i n den einzelnen Sachgebieten ergeben, zu denen Gremien gebildet sind, so könnte z.B. die Anzahl von Mitgliedern bestimmter Berufsgruppen i n den einzelnen Verbänden von Wichtigkeit sein. Daher wäre eine gesetzliche Regelung auch hier den Spezialgesetzen iß» G. Drewes, 233 ff.; ein ganzes System abgestufter Anerkennung von Gewerkschaften bietet U. Brisch, 66 ff., in Anlehnung an ein australisches Gesetz an; zur Registrierung nach dem ehemaligen britischen I.R.A. 1971, N. M. Selwyn, Rdz. 112 ff. Eine konstitutive Lizenzierung verstieße i m übrigen nicht nur gegen Art. 9 GG, sondern auch gegen Grundsätze der Internationalen Arbeitsabkommen, K. Gröbing, 13 ff. s. auch oben I I I 3 a bb, unten V. — H. F. Zacher, Gewerkschaften, 730 f., sieht eine Lösung darin, alle Entsendungsrechte zugunsten von Urwahlen durch die Arbeitnehmerschaft abzulösen, für die die Gewerkschaften sich dann als Wahlparteien zur Verfügung stellen mögen.

3.d) Die Gewerkschaften in der öffentlichen Verwaltung

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vorzubehalten. Eine Regelung erscheint dann verzichtbar, wenn es i n die Organisationsgewalt der Exekutive fällt, Gremien zu gründen oder aufzulösen. Dann hat sie auch das Recht, die Geschäftsordnung des Gremiums festzulegen. Sie muß dann auch zu den erforderlichen Vorarbeiten befugt sein. Einer gesetzlichen Ermächtigung für das Auskunftsverlangen bedarf es dann nicht.

Eine innergewerkschaftliche Absicherung der Repräsentanz der Interessen durch Regeln für die Benennung und Entsendung von Gewerkschaftsvertretern wäre erwägenswert für solche Gremien, i n denen nur Arbeitgeber- und Arbeitnehmerdelegierte sich gegenübersitzen und Gewerkschaften außerhalb des DGB nicht berücksichtigt werden können. Selbst wenn man daraus die rechtspolitische Forderung ableiten wollte, die Auswahl der Vertreter müsse i n einem demokratischen Verfahren erfolgen 1 6 0 , sie wäre mit der Koalitionsautonomie nicht vereinbar. Die Entsendung oder Benennung von Gewerkschaftsvertretern hat den Zweck, die Gewerkschaftspolitik i n konkrete Entscheidungen der Verwaltung einfließen zu lassen. Die Verwirklichung der Gewerkschaftspolitik ist Aufgabe des Vorstandes und/oder des Gewerkschaftsausschusses. Daher w i r d der Entsandte der Gewerkschaft i n engem Kontakt mit dem zuständigen Gewerkschaftsorgan handeln müssen. Wie dieser Kontakt herzustellen ist, hängt von der Organisation der jeweiligen Gewerkschaft ab. Wollte man an diesem Punkt eine bestimmte A r t der Kreation der gewerkschaftlichen Gremiumsvertreter fixieren, hätte dies Folgen für die ganze Zuständigkeitsverteilung unter den Gewerkschaftsorganen. Dies schießt aber weit über das angestrebte Ziel hinaus. Ernstlich i n Betracht käme nur eine Vorschrift, die es der Satzung gebietet, über die Stellung der Gewerkschaftsvertreter i n öffentlichen Gremien Regelungen zu enthalten, die über eine pauschale Ermächtigung des Hauptvorstandes i n diesen Fragen hinausgehen 161 . N u r dann, wenn man für das „freie Mandat" der Verbandsvertreter eintritt, könnte man die innere Verbindung von gewerkschaftlichem Exekutivorgan und Verbandsvertretern vernachlässigen 162 . Das Postulat 160 K . Popp, 100 ff. m. w. Nachw. 161 Hier liegt ein wichtiger Ansatzpunkt für die Einschränkung der Organisationsgewalt der Gewerkschaftsexekutive, den bewußt zu machen, Aufgabe gesetzlicher Anforderungen an den Inhalt der Satzungen wäre. 162 H. U. Evers, 50 f., meint, daß die gegenwärtigen Regelungen diese Abhängigkeit nur scheinbar negieren würden, insofern sie regelmäßig paritätische Besetzungen vorsehen. Vgl. P. Dagtoglou, 715, dessen Zuordnung der Verbandsvertretung zum imperativen Mandat aber wohl nicht dem Sachverhalt genügend gerecht wird, darüber sogleich i m Text. 16 Gerhardt

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

des „freien Mandats" hat aber ohnehin die Konsequenz, daß der Verbandsvertreter nicht an Aufträge gebunden sein darf. Folglich muß die A r t seiner Legitimation unerheblich sein, es kann nicht darauf ankommen, ob er ex officio oder durch Wahl Verbandsvertreter geworden ist. Die These vom „freien Mandat" der Verbandsvertreter dürfte jedoch kaum haltbar sein 1 6 3 . Ein Verbandsvertreter soll die Meinung des Verbands i n den Entscheidungsprozeß der Verwaltung einbringen, nicht die eigene Privatmeinung, er ist nicht gewissermaßen nur durch Zufall über seine Verbandsangehörigkeit i n das Gremium gekommen. Wenn es allein auf den Sachverstand ankäme, nicht aber auf die Verbandsmeinung, warum werden die Gremium dann nicht mit Fachleuten besetzt, die ausgewählt sind aus dem Kreis aller Fachleute? Warum entsenden möglichst viele und verschiedene Verbände dann Vertreter? Die Legitimation eines völlig unabhängigen Mandatsträgers kann doch wohl kaum i n seiner Verbandszugehörigkeit begründet sein. Unter „freiem Mandat" kann i n diesem Sachzusammenhang einzig verstanden werden die Unabhängigkeit des Verbandsvertreters von Einzelanweisungen des Verbandes, die unmittelbar auf den Willensbildungsprozeß des Gremiums störend einwirken könnten. Gemeint sein kann realistischerweise nur die Verpönung einer reinen Botenstellung des Vertreters, die Forderung nach einem Mindestmaß an Verhandlungsfreiheit, die je größer ist, desto allgemeiner und weniger fachspezifisch der Verhandlungsgegenstand ist. Das Verhalten der Verbandsvertreter i n den Gremien, ihre möglichen Interessenkonflikte und die Sicherung des Funktionierens wichtiger Verwaltungseinrichtungen gegen Obstruktionsversuche durch die Verbände, z. B. durch Fernbleiben ist eines der Hauptanliegen der Literatur zum hier behandelten Fragenkreis. Wenn man die Möglichkeit eines „freien Mandats" i m klassischen Sinn verneint, schrumpft das Problem zu einer Frage der Geschäftsordnung des jeweiligen Gremiums, für die i m allgemeinen Koalitionsgesetz keine Regelung getroffen werden kann, w e i l die Arten der Benennungs- und Entsendungsrechte viel zu verschieden, Gewicht und Gegenstand der Gremien zu differenziert sind. I m übrigen läßt sich durch Verrechtlichung des Bereichs kaum eine Gewähr dafür erreichen, daß einzelne Gremien nicht doch einmal boykottiert werden. Eine Gefahr ist hierin jedoch nicht zu sehen, solange irgendein Anreiz zur Teilnahme an den Gremien besteht. Die Parteien werden schließlich auch nicht gesetzlich verpflichtet, zu jeder Landtagswahl Kandidaten aufzustellen.

Fordert man eine „freie Verbandsvertretung", ist i n der Tat eine generelle Abschirmung der Verbandsvertreter von dem Verband zu erwäBesonders prägnant G. Drewes, 240 ff.; H. Föhr, 195 ff.

3.e) Auswirkungen des Mitbestimmungsgesetzes

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gen. Jedoch entbehrt, wie gesagt, dieses Postulat der inneren Stimmigkeit. cc) Anhörung der Gewerkschaften Anhörungs- und ähnliche Mitwirkungsrechte der Gewerkschaften fallen verbandsintern i n die Kompetenz des geschäftsführenden Organs. Es ist nicht ersichtlich, daß i n diesem Bereich Unregelmäßigkeiten aufgetaucht sind oder sich abzeichnen. Was die Gefahr einer Erstarrung des Verbandswesens anlangt, gelten die Grundsätze, wie sie soeben bb) entwickelt wurden, entsprechend. These 18: Aus der Funktionsfähigkeit der Verwaltungsordnung ergeben sich keine spezifischen Anforderungen an die innere Struktur der Koalitionen 1 6 4 . e) Auswirkungen des Mitbestimmungsgesetzes auf die Organisation der Gewerkschaften Das i m Frühjahr 1976 verabschiedete Mitbestimmungsgesetz stellt einen politischen Kompromiß dar, der aber auch von der ausführlichen verfassungsrechtlichen Diskussion des vorhergegangenen Regierungsentwurfs entscheidend beeinflußt worden ist. So wurden die Arbeitnehmergruppen i n ihren Rechten voneinander verselbständigt (§§ 7, 15 MitbestG) und der Anteilseignerseite ein Ubergewicht bei Letztentscheidungen i m Aufsichtsrat gesichert (§§27 Abs. 2, 29 Abs. 2, 31 Abs. 4 MitbestG). Es ist hier nicht der Ort, die erschöpfende verfassungsrechtliche Diskussion 165 der paritätischen Mitbestimmung aufzugreifen. Es kann nur darum gehen, Implikationen dieser Mitbestimmungsregelung auf die Anforderungen an die Organisation der Gewerkschaften nachzugehen. Solche Anforderungen könnten aus dem m i t der Mitbestimmung i n Großunternehmen einhergehenden Wandel des Gesamtsystems der „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" resultieren. Daß ein solcher Wandel zu konstatieren ist, läßt sich nicht leugnen, auch wenn die Letztentscheidung nach dem MitbestG insgesamt bei den Anteilseignern verblieben ist. Ändert sich aber das arbeitsund wirtschaftsrechtliche Funktionensystem, sind Folgen für den Funktions- und Legitimationszusammenhang, i n dem die Gewerkschaften stehen, nicht auszuschließen. 164

Z u den Modifikationen für Spitzenorganisationen unten I I I 5. Zusammenfassung bei G. Grasmann, Die paritätische Mitbestimmung, DB Beilage Nr. 21 zu Heft 50, 1975; zur jetzt getroffenen Regelung Th. Raiser, Der neue Koalitionskompromiß zur Mitbestimmung, BB 1976, 145. 165

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

U m dies zu erläutern, muß auf eine der gängigen Thesen gegen eine paritätische Mitbestimmung zurückgegriffen werden. Es ist die einer drohenden „Uberparität" der Gewerkschaften, die den freien Kräfteausgleich zwischen Kapital- und Arbeitnehmerinteressen i n Arbeitskampf und Tarifregelung fundamental störe. Das Argument der „Überparität" orientiert sich am Grundmodell des Tarifvertrags als des frei ausgehandelten Kompromisses antagonistischer Interessenvertretungen, das durch die Beteiligung der Gewerkschaften auch auf der Kapitalseite aus dem Gleichgewicht gerät, weshalb die Richtigkeitsgewähr freien Interessenausgleichs einer einseitigen, möglicherweise zu Lasten der Wirtschaftlichkeit der Unternehmen und damit auch der gesunden Volkswirtschaft gehenden Ausrichtung auf die Gewerkschaftswünsche weicht. Indem, so w i r d gefolgert, i n A r t . 9 Abs. 3 GG auch das Tarifvertragssystem institutionell gewährleistet sei, dieses aber Parität und Gegnerfreiheit voraussetze, verstoße eine paritätische Mitbestimmung gegen A r t . 9 Abs. 3 GG 1 6 6 . Die kruziale Frage ist, welchen Spielraum für einen Wandel der Arbeitsverfassung A r t . 9 Abs. 3 GG läßt. Schließt er historische Veränderungen aus, verbietet er dem Gesetzgeber die Schaffung neuer Regelungsmechanismen, wenn sich die alten als untauglich herausstellen sollten? Spricht nicht schon die Notwendigkeit eines „abgestimmten Verhaltens", also die lockere Einbindung der Tarifautonomie i n die Ziele der Globalsteuerung gegen das Funktionieren des Grundmodells der Tarifautonomie? Hat das klassische B i l d der Tarifautonomie so viele Einbußen hinnehmen müssen, daß, gemessen am aktuellen Zustand, ein weiterer Verlust der Gegnerfreiheit nicht wesentlich ins Gewicht fällt? Die Ausführungen des BVerfG sind wesentlich offener, als es die Bezeichnung „Garantie des Tarif Vertragssystems" besagt. Das Gericht betont wiederholt, daß eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens durch freie Koalitionen der eigentliche Zweck (neben anderen) der Koalitionsfreiheit sei. So betrachtet, stellt das Tarifvertragssystem nur ein M i t t e l zum Zweck dar — sicherlich ein so historisch fundiertes und wesentliches, daß es nicht ersatzlos gestrichen werden kann, aber kein sakrosanktes 167 : Es könnte i n ein System der Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen überführt werden, das nicht auf dem markti®6 H. Rasch, „Parität" von Kapital und Arbeit in verfassungsrechtlicher Sicht, DB 1973, 2243; B. Rüthers, Arbeitgeber und Gewerkschaften — Gleichgewicht oder Dominanz — DB 1973, 1649; W. Zöllner, H. Seiter, 131 ff., 142, 149 ff., 157 ff.; Überblick über weitere Literatur gibt R. Scholz, Qualifizierte Mitbestimmung unter dem Grundgesetz, Der Staat (13) 1974, 91; eine kritische Literaturübersicht bei W. Däubler, 250 ff., 405 ff., in Thesen 504 ff. 167 vgl. BVerfGE 4, 96, 106.

3.e) Auswirkungen des Mitbestimmungsgesetzes

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w i r t s c h a f t l i c h e n K o n z e p t des A n t a g o n i s m u s b e r u h t 1 6 8 , s o n d e r n a u f e i n e m K o o p e r a t i o n s - b z w . I n t e g r a t i o n s m o d e l l . Es w ü r d e s o w o h l d e m historischen V e r s t ä n d n i s des B V e r f G 1 6 9 als auch d e n I n t e n t i o n e n der K e r n b e r e i c h s l e h r e z u A r t . 9 A b s . 3 G G w i d e r s p r e c h e n , eine S o z i a l g e s t a l t u n g des Gesetzgebers f ü r v e r f a s s u n g s w i d r i g anzusehen, die die B e d i n g u n g e n f ü r eine a l l m ä h l i c h e A u s w e c h s l u n g des Systems d e r O r d n u n g u n d B e f r i e d u n g der A r b e i t s w e l t gegen e i n anderes setzt. U n a b d i n g b a r i s t jedoch, daß z u j e d e r Z e i t i r g e n d e i n f u n k t i o n i e r e n d e s S y s t e m b e r e i t s t e h t 1 7 0 . D a z u k a n n e r f o r d e r l i c h sein, I n h a l t u n d U m f a n g der K o a l i t i o n s a u t o n o m i e anders z u b e s t i m m e n als es b i s h e r g e b o t e n war. E i n System der Regelung der Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen m u ß folgende P o s t u l a t e e r f ü l l e n : — Die Schutzfunktionen des Tarifvertrags zugunsten der Arbeitnehmer als Einzelner müssen erhalten bleiben: jedenfalls müssen die Regelungen zwingend sein und dem Günstigkeitsprinzip folgen 1™. — Das System muß das Arbeitsleben befrieden können, d. h. es muß für gewisse Mindestzeiträume Arbeitskonflikte ausschalten; dazu muß es so konstruiert sein, daß es verpflichtende Kraft für alle Arbeitnehmer hat, „wilde" Arbeitskonflikte also ausgeschieden sind. — Es muß i m Prinzip überbetrieblich wirken, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen soll die Kartellfunktion des Tarifvertrags erhalten bleiben, d.h. i m Wirtschaftswettbewerb soll den Arbeitsbedingungen kein unmittelbares Gewicht zukommen, zum anderen soll die Durchsichtigkeit und annähernde Gleichheit des Arbeitsmarktes erhalten bleiben, die allein dem einzelnen Arbeitnehmer Mobilität und Unabhängigkeit ermöglichen. — Schließlich muß es „gerecht" sein. D.h., es müssen sowohl die Kapitalwie die Arbeitsinteressen in die jeweilige Einzelregelung Eingang finden können, was auch bedeutet, daß beide Seiten die Möglichkeit haben müssen, unabhängig und für sich auf eine Änderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu dringen. Nach diesen Kriterien wäre eine Ersetzung der Tarifverträge durch Betriebsvereinbarungen unzulässig, es sei denn, eine zentrale Stelle könnte Koordination und Information der Bewegungen auf dem Arbeitsmarkt bewerkstelligen. Daß diese Aufgaben vollständig von den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden erfüllt werden könnten, ist nur schwer vorstell168 BVerfGE 18, 18, 26. 169 BVerfGE 20, 312, 318 betont die Möglichkeit des Gesetzgebers, bei der Festlegung der Tariffähigkeit auf die jeweilige gesellschaftliche Wirklichkeit einzugehen; a. A. W. Zöllner, 89 ff.; für den Zusammenhang mit der institutionellen Grundrechtsbetrachtung E. W. Böckenförde, Grundrechtstheorie, 1533. i™ F.-J. Säcker, Die Institutions- und Betätigungsgarantie, 46 ff., 55 ff., zusammenfassend 66 f. i7i Höchstarbeitsbedingungen dürften weder mit der Funktion der Koalitionsfreiheit noch mit der Vertragsfreiheit des Einzelnen wie der Arbeitgeber in Einklang zu bringen sein.

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bar. Jedenfalls bedürfte es eines komplexen Regelungssystems, das ein Surrogat für das Tarifsystem böte — dieses stellt sich in nahezu archaischer Einfachheit dar.

Versucht man, die Wirkungen des MitbestG an diesen Postulaten zu messen, so ergibt sich bei Betrachtung der Gesetzeslage allein keine Störung des tradierten Systems. Denn wenn man unterstellt, die Arbeitnehmervertreter i n den Aufsichtsräten verfolgten eine rigide Konfliktstrategie, so fielen i m Ergebnis den Vertretern der Anteilseigner die Entscheidungen zu, die Gegenpositionalität wäre nicht gefährdet. Eine derartige Unterstellung ist aber hochgradig unrealistisch. Viel überzeugender ist die Prognose, daß sich die Arbeitnehmervertreter gegenüber ihrer Wählerschaft und den Gewerkschaften durch erfolgreiche Tätigkeit ausweisen müssen, reine Obstruktion dürfte nicht zählen. Die Arbeitnehmervertreter müssen, u m eigene Ziele durchzusetzen, Ziele der Anteilseignerseite zumindest i n Kompromissen akzeptieren. Und Mitarbeit als solche w i r k t bereits verpflichtend, nicht zuletzt wegen der anfallenden Information. Dazu kommt ein weiterer Aspekt. Die Mitglieder des Vertretungsorgans (Vorstand) des Unternehmens werden für ihre Tätigkeit eine möglichst breite Zustimmung i m Aufsichtsr at anstreben. Wer w i r d schon gerne nach § 31 Abs. 4 MitbestG wiedergewählt werden wollen? Ähnliche Verpflichtungszusammenhänge über die gesellschaftsrechtlichen Regelungen 172 hinaus bestehen vermutlich i n weitem Umfang. Wenn damit aber ein B i l d gezeichnet ist, daß auch nur annähernd der künftigen Wirklichkeit nahekommt, dann muß man Rollenkonflikte für die Arbeitnehmervertreter ins Auge fassen. Zur Illustration möge eine Tarifaktion dienen: Eine Gewerkschaft kündige einen Tarifvertrag und trete m i t Forderungen an den Arbeitgeberverband heran. Dieser möge die (Groß-)Unternehmen zur Stellungnahme auffordern. Die Geschäftsführung des Unternehmens wende sich informell an den Vorsitzenden des Aufsichtsrats. Dieser wende sich an die Arbeitnehmervertreter. Dabei darf man diese A k t i o n nicht losgelöst von der Gesamtverantwortung des Aufsichtsrates sehen, sondern eingebettet i n eine Vielzahl von Interaktionsvorgängen. Wie werden sich die Arbeitnehmervertreter verhalten? Sie werden sich an den Interessen derjenigen orientieren, von denen ihre Wiederwahl abhängt. Das bedeutet für die Vertreter der Gewerkschaften (§§7 Abs. 2, 16 MitbestG), daß sie sowohl auf ihre Wiederaufstellung durch die Gewerkschaft als auch auf ihre Wählerschaft i m Betrieb achten müssen. Für die unternehmensangehörigen Arbeitnehmervertreter w i r d aber de facto nichts anderes gelten. Erstens ist A n diesen ändert das MitbestG nichts, vgl. §§ 25, 30, 35 MitbestG.

3.e) Auswirkungen des Mitbestimmungsgesetzes

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kaum denkbar, daß die umfangreichen Wahlmännervorschläge (§§12 Abs. 2, 11 MitbestG) ohne gewerkschaftliche „Hilfe" zustande kommen. Zweitens w i r d die Gewerkschaft bei der Erstellung der Wahlvorschläge nach § 15 Abs. 4 MitbestG mehr oder minder Einfluß zu nehmen verstehen. Drittens w i r d sich die Gewerkschaft der Leistung von Wahlhilfe wohl nicht enthalten. Daher unterliegen also beide Arten der Arbeitnehmervertreter ähnlichen Loyalitätskonflikten 1 7 3 . Sie können daher zusammen behandelt werden. I m Fall einer Divergenz zwischen Betriebswohl, Belegschafts- und Gewerkschaftswünschen können sich die Arbeitnehmervertreter den Kapitalvertretern anschließen. Sie laufen damit Gefahr, nicht wieder aufgestellt bzw. unterstützt und gewählt zu werden. Stellen sie die Betriebsinteressen i n den Vordergrund, die denen der Belegschaft nahekommen können, w i r d dies i m Konfliktsfall der Gewerkschaftsführung Anlaß geben, für die nächste Wahl einen linientreueren Funktionär aufzustellen bzw. ein genehmeres Mitglied zu unterstützen. Angenommen schließlich, die Arbeitnehmervertreter würden primär die Gewerkschaftsziele adoptieren, dann w i r d die gleiche Forderung, die auf Verbandsebene an die Arbeitgeber herangetragen wird, nochmals i m Unternehmen präsentiert. Es w i r d nun davon abhängen, wie sehr die Arbeitnehmervertreter von den Gewerkschaften am „langen Zügel" geführt werden, wann der erforderliche Kompromiß zustande kommt und wieweit er alle Interessen berücksichtigt: Je stärker die Bindung des Arbeitnehmervertreters an diejenigen Kräfte i n den Gewerkschaften, die auch das Tarifgeschehen bestimmen, desto schwieriger w i r d die Unternehmensentscheidung gefunden werden. Aus der Fülle der Effekte seien nur zwei angedeutet: Unterstellt, die Unternehmensführung einigt sich. Jetzt bedarf es weiterer A b stimmung m i t den anderen Unternehmern, was dadurch wesentlich erschwert wird, daß jedes Unternehmen seinen Kompromiß schon erhandelt hat, also kaum bereit sein wird, von i h m abzuweichen. Die Überbetrieblichkeit der Tarifregelung gerät i n Gefahr. W i l l jetzt die Gewerkschaft mit Streiks den Arbeitgeberverband unter Druck setzen, desavouiert sie jedenfalls Teile ihrer Arbeitnehmervertreterschaft. Gleiches t u t sie, wenn sie noch weiter verhandelt, bis sie einen neuen Kompromiß erreicht hat. Ergibt sich aber ein Kompromiß auf Verbandsebene, dann drohen Arbeitskampfmaßnahmen der Belegschaften i n den Betrieben, deren Kompromiß zuungunsten der Belegschaft nachteilig abgeändert wurde. Damit ist weder eine Befriedung 173 Allerdings dürfte der Einfluß der Gewerkschaften durch die Aufgliederung der Arbeitnehmerschaft in einem Unternehmen in die Gruppen der Arbeiter, Angestellten und leitenden Angestellten (§§3, 12, 15 MitbestG) eingeschränkt worden sein.

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des Arbeitslebens erreicht noch ist der Ausgleich gerecht, da die Gewerkschaften sowohl auf kollektiver wie auf Unternehmensebene die Gegenseite zum Einlenken gezwungen haben. Es kann aber auch sein, daß der Konflikt auf Unternehmensebene steckenbleibt. Da i n der Regel die Gewerkschaften der fordernde Teil sind, bedeutet jede Verzögerung der Entscheidung einen Nachteil für die Arbeitnehmer. Folglich drohen Arbeitskämpfe auf Betriebsebene. Wenn die Gewerkschaft auf kollektiver Ebene noch nicht „zu Ende" verhandelt hat, kann sie wegen des ultima-ratio-Prinzips nicht streiken. Die Streiks werden also rechtswidrig sein 1 7 4 . M i t diesen Streiks werden aber die Forderungen der Belegschaft verfestigt und verselbständigt, vor allem, wenn sie von der offiziellen Gewerkschaftslinie abweichen. Die Arbeitnehmervertreter geraten i n einen nahezu unlösbaren Konflikt, da sie kaum die Loyalität aller Beteiligten sichern können. Ein überbetrieblicher Kompromiß w i r d weiter erschwert. Wie immer die Tarifbewegung abläuft, der Loyalitätskonflikt der Arbeitnehmervertreter führt entweder zu einer einseitigen Lösung zugunsten der Arbeitnehmer oder sie gefährdet die verpflichtende K r a f t der Tarifverträge für alle Arbeitnehmer des Tarifkreises oder sie partikularisiert die Tarifregelung, wenn überbetriebliche Kompromisse verhindert werden. Gegen diese Überlegungen kann eingewendet werden, es handele sich um Spekulationen, die verfassungsrechtlichen Konsequenzen nicht zugänglich seien. Dem ist insofern zuzustimmen, als sie angesichts der getroffenen abgemilderten Mitbestimmungsregelung nicht unmittelbar an das Inkrafttreten der Mitbestimmung anknüpfen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß in wenigen Jahren die Frage der Funktionsfähigkeit des Systems der Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen erneut zur Debatte steht. Dafür soll hier vorgearbeitet werden. I m übrigen ist das Problem der Zuverlässigkeit der Prognose das methodische Problem der ganzen Mitbestimmungsdiskussion.

Die angedeuteten Rollenkonflikte, die bei jeder A r t von Mitbestimmung mehr oder minder großen Stellenwert haben, können also die Erfüllung obiger Postulate an die Regelung der Arbeits- und W i r t schaftsbedingungen gefährden. Für diesen Fall ist der Gesetzgeber zum Einschreiten aufgerufen, da die Funktionsfähigkeit der sozialen Selbstverwaltung bedroht ist 1 7 5 . 174 Entweder sind sie nicht von einer streikberechtigten Arbeitnehmervereinigung geführt oder sie verstoßen gegen das ultima-ratio-Prinzip. Denkbar wäre, daß bei dieser Sachlage die Gewerkschaft bevorzugt Einzelarbeitgeber als Tarifpartner sucht, was zur unerwünschten Partikularisierung des A r beitsmarktes führte — wenn die Gewerkschaften mit dieser Taktik Erfolg haben sollten. Diesen Problemkreis hatte eine Podiumsdiskussion zum Abschluß des 51. DJT, Stuttgart 1976, zum Gegenstand (vgl. Süddeutsche Zeitung, Nr. 217 v. 18./19. 9.1976, S. 10). i7ß Siehe unten I I I 6.

3.e) Auswirkungen des Mitbestimmungsgesetzes

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Denkt man den Mitbestimmungsgedanken in jeder Richtung weiter, so bietet sich eine Lösung an, die für die künftige Entwicklung der Gewerkschaften von erheblicher Bedeutung wäre, insbesondere einen Wandel des Selbstverständnisses und der Ziele der Gewerkschaften i m Gefolge der Mitbestimmung herbeiführen könnte 1 7 6 . Es ist zu unterstreichen, daß dieser Vorschlag nichts anderes als eine erweiterte Mitbestimmungsregelung darstellt. Die These ist, daß i m Wege einer innergewerkschaftlichen Trennung und Verschränkung unabhängig voneinander legitimierter Gewalten die Ziele der Arbeitsordnung eingehalten werden könnten. Sie realisiert sich darin, daß die Kandidaten 1 7 7 für die Wahl i n die Aufsichtsräte i n einer gesonderten Wahl auf der Regionalebene der Gewerkschaften ermittelt werden und daß sie i n ihrem Wirken von den Organen, die für die Tarifbewegungen zuständig sind, i n jeder Hinsicht unabhängig sein sollen. Gesetzliche Vorschriften über die Kandidatenaufstellung und die Stellung der gewählten Arbeitnehmervertreter i n der Gewerkschaft wären dazu unumgänglich. Wenn, so ist die Grundüberlegung, die grobe Antithese Arbeit — Kapital zugunsten eines verfeinerten Netzes des Ausgleichs der komplexen Interessenlage — mit Recht — ersetzt wird, muß auch das institutionelle System diese Verfeinerung durchmachen. So wie das einfache Verhältnis Geldgeber—Unternehmer i m komplizierten Kontroll- und Aufgabensystem des Gesellschaftsrechts aufgegangen ist, so wie das Verhältnis Souverän—Unterworfene in einer Vielzahl von Beschränkungen und Kontrollen der Machtausübung sich moderiert hat, so bedarf auch das Verhältnis Arbeitnehmer—Gewerkschaft und dessen Beziehungen zu den Unternehmen und Arbeitgebern angemessener Regelungen und I n stitutionen. Es ist doch erstaunlich, daß privatautonome Beliebigkeit nahezu überall kanalisiert ist — vom Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht über das Gesellschaftsrecht bis hin zum Schutz des Endverbrauchers, Mieters, usw. —, daß nur der Bereich des Arbeitsmarktes völlig offen geblieben ist. Er wurde beherrscht durch kollektive Parität und Gegenpositionalität. Sobald dies durchbrochen ist, bedarf es der Verrechtlichung zwecks Differenzierung und Transparenz.

W i r d eine dritte K r a f t zwischen die Kollektivvertretungen von Arbeit und Kapital geschoben, nämlich die Arbeitnehmerschaft i m Unternehmen, bedarf diese einer selbständigen Position. Soll sie nur Appendix einer der beiden Kollektivmächte sein, i n praxi also zur Gewerkschaft, ist der V o r w u r f der „Uberparität" nicht zu vermeiden 176 Es könnte sich ein ähnlicher Wandlungsprozeß anbahnen, wie ihn die Parteien auf ihrem Weg von der rein gesellschaftlichen Kraft hin zur integrativen Volkspartei durchgemacht haben — er liegt ganz auf der Linie der „Befestigung" der Gewerkschaften. 177 Dies gilt entsprechend für die Kandidaten des Wahlmännergremiums, die im folgenden zwecks Übersichtlichkeit nicht gesondert behandelt werden.

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und die Disfunktionalität der Tarifautonomie droht. Die „dritte K r a f t " kann daher nur als selbständige Interessenvertretung verstanden werden. Das bedeutet, daß sie diese Funktion dadurch wahrnimmt, daß sie die Wünsche der Gewerkschaften, der Belegschaft und des Unternehmens für sich abklärt und unabhängig in den Entscheidungsprozeß des Unternehmens einbringt, und zwar nicht nur hinsichtlich tarifpolitisch relevanter Fragen, sondern gerade hinsichtlich aller Fragen des Unternehmens 178 . „Selbständigkeit" aber meint nicht nur Weisungsungebundenheit, sondern auch eigene Legitimation und Verantwortlichkeit. Erfolg oder Mißerfolg des Arbeitnehmervertreters hängen allein davon ab, inwieweit er sich der Loyalität seiner Wähler versichern kann. Der Arbeitnehmervertreter nimmt nicht am Stand der Gunst der Arbeitnehmer für die Gewerkschaften unmittelbar teil, sondern er muß allein die Kompromisse treffen, die i h m eine Wiederwahl denkbar erscheinen lassen. Hinge die Arbeitnehmervertretung einseitig nur von der Gewerkschaftsführung ab, müßte sie deren Ziele durchzusetzen versuchen, hinge sie nur von der Belegschaft ab, würde ihr Interesse am globalen Fortgang des Industriezweiges verlorengehen. Unabhängig, w i r d sie bei Gefahren für das Unternehmen dessen Sachzwänge stärker berücksichtigen, i n Zeiten der Prosperität andere Ziele mehr verfolgen und insgesamt einen ausgeglichenen Kurs zu steuern suchen. Diese Unabhängigkeit ist nicht allein durch den Gesetzesbefehl einer Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse zu erreichen. Sie bedarf der Absicherung. I n den Gewerkschaften kann Unabhängigkeit nur dadurch erreicht werden, daß die Arbeitnehmervertreter ein gewisses Gegengewicht zum Hauptvorstand bilden. Dazu brauchen sie eigenständige Legitimation. Sie erhalten diese durch Wahl, der ein Wahlkampf vorausgeht, der sich neben allgemeinen Gewerkschaftsfragen auch m i t den besonderen Problemen der Arbeitnehmervertretung i n den einzelnen Unternehmen beschäftigt. Letzteres kann nur gelingen, wenn die Distanz zu den Betriebsproblemen nicht zu groß ist. Daher hat die Auswahl der Kandidaten auf Orts- oder Bezirksebene stattzufinden 1 7 9 . Je mehr die Mitbestimmung i m Bewußtsein der Arbeitnehmerschaft verankert sein wird, desto mehr w i r d die Zweigleisigkeit der gewerkschaftlichen Einflußsphären i n eine echte Gewaltenverschränkung überführt. Wenn aber die Arbeitnehmerver178 Die gesellschaftsrechtliche Verpflichtung der Organe auf das „Wohl der Gesellschaft" berührt den hier behandelten Fragenkomplex wohl nicht, sie bedarf vielmehr erst noch der Auffüllung mit mitbestimmungsrechtlichen Vorstellungen. 179 Bereits ein Vorschlagsrecht der Bundesebene dürfte von zu großer Distanz sein und ist daher abzulehnen.

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treter eine spezielle Legitimation haben, kann ihnen auch größere Loyalität seitens der Gewerkschaftsmitglieder wie auch seitens der Arbeitnehmer i m Betrieb entgegengebracht werden, seitens der letzteren deshalb, weil ihre relative Unabhängigkeit von der Gewerkschaft ihnen nicht deren Forderungen, Erfolge und Mißerfolge zurechnet. Die Arbeitnehmervertreter haben sowohl größere Flexibilität i n ihren Verhandlungen als auch können sie zur Erklärung und Rechtfertigung ihrer Ergebnisse auf alle sie bestimmt habenden Faktoren zurückgreifen. Daß sie nicht i n die „Fänge" der Kapitalseite geraten, ist hinreichend gesichert durch den Wunsch, sich zur Wiederwahl stellen zu können. Es ist zusammenzufassen: Arbeitnehmervertretung i m Unternehmen und Arbeitnehmervertretung i n der kollektiven Aushandlung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen können verfassungsrechtlich nicht identisch sein, da sonst der kollektive Ausgleich nicht die an ihn gestellten Forderungen leisten kann. Diese Nichtidentität bedarf institutioneller Sicherung, wenn sich ein disfunktionalisierender Effekt der gegenwärtigen, an sich das Regelungssystem der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht unmittelbar i n Frage stellenden Mitbestimmungsregelung nach dem M i t bestG erweisen sollte. Dazu dienen Maßnahmen, die die Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter gegenüber der allgemeinen Gewerkschaftsführung herstellen. Als solche Maßnahme ist insbesondere ein demokratisches Auswahlverfahren der Kandidaten für die Wahl der Arbeitnehmervertreter anzusehen. Die Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter läßt eine Steigerung loyalen Verhaltens der Arbeitnehmer ihnen gegenüber erwarten. These 19: Eine Gefährdung der Tarifautonomie durch das MitbestG läßt sich zwar nicht unmittelbar feststellen, sie kann sich aber i n dem durch das MitbestG eingeleiteten Wandel des Gesamtsystems der Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen verdichten. Einen Weg, ein funktionsfähiges Gesamtsystem zu erhalten, stellen Eingriffe i n die Koalitionsautonomie dar, die die Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter sichern. Dazu gehört i n erster Linie eine demokratische Kandidatenauswahl.

4. Bindungen der Koalitionsautonomie kraft Arbeitnehmerinteresses: Legitimation und Funktion im Verhältnis Gewerkschaften—Arbeitnehmer Dem Grundmodell der kollektiven Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen entspricht das verfassungsrechtliche Leitbild zum Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Gewerkschaft. Es läßt sich m i t den Stichworten Identität und Pluralität erfassen: — Identität i m Verhältnis Mitglied und Gewerkschaft, einem freiwilligen Zusammenschluß, dessen nach außen vertretenes Interesse und nach innen ausgeübte Disziplin bruchlos aus dem Ziel der M i t glieder erwachsen, wo sich die Koalitionsfreiheit des Einzelnen und die des Kollektivs decken. Von diesem B i l d geht die Zivilrechtsprechung aus, aber auch die Literatur, soweit sie das Konsensprinzip als für Vereinigungen kennzeichnend ansieht. — Pluralität i m Verhältnis zwischen den Gewerkschaften untereinander und zu den Außenseitern, deren Organisationsabstinenz angesichts vielfältiger Interessenvertretung und damit Wahlmöglichkeit eine durchaus freiwillige, arbeitsmarktkonforme Entscheidung sein kann. Bei dieser Ausgangslage sind für einen Konflikt zwischen der positiven Koalitionsfreiheit des Einzelnen und der kollektiven Koalitionsfreiheit die Lösungen des Leitbildes vor gezeichnet. Der Wettbewerb zwischen den Koalitionen schützt das Koalitionsmitglied vor ungerechtfertigter Diskriminierung, gewährleistet zugleich aber auch, daß ein Außenseiter i n Koalitionen ohne weiteres aufgenommen wird, womit er seine positive Koalitionsfreiheit realisieren kann. Die rechtspolitische Betrachtung hat wesentliche Abweichungen i n der Realität gegenüber diesem Leitbild aufgezeigt: Nicht nur haben die Gewerkschaften aufgrund ihrer Expansion für den Arbeitnehmer an Bedeutung gewonnen, damit aber auch an Legitimation durch den Einzelnen verloren, dessen konkretes Interesse nicht mehr m i t denen der anderen von sich aus zu einem Gesamtinteresse zusammenwächst, vielmehr nur über ein ausgebautes Funktionärswesen m i t profunden Eigenzielen, sondern sie haben auch weitgehend sich i n der Einheitsgewerkschaft monopolisiert, so daß der Außenseiter kaum noch Wahlfreiheiten vorfindet, ein Umstand, der durch die aggressive Politik gegen den Außenseiter, der aufgrund der Wirtschaftslage der letzten Jahre keine finanziellen Nachteile hatte, verdeckt wurde.

4.a) Die verfassungsrechtliche Stellung der Nichtorganisierten

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M i t dieser E n t w i c k l u n g i s t z w e i f e l h a f t g e w o r d e n , ob der K o n f l i k t zwischen I n d i v i d u a l f r e i h e i t u n d k o l l e k t i v e r A u t o n o m i e i m f r e i e n S p i e l der K r ä f t e ausgeglichen w e r d e n k a n n . Es i s t d a h e r der F r a g e nachzugehen, ob oder i n w i e w e i t die S c h u t z b e d ü r f t i g k e i t des e i n z e l n e n A r b e i t n e h m e r s , sei es als G e w e r k s c h a f t s m i t g l i e d , sei es als A u ß e n seiter, e i n e n gesetzgeberischen E i n g r i f f i n die K o a l i t i o n s a u t o n o m i e rechtfertigt. I m vorangegangenen Abschnitt war festgestellt worden, daß den Außenbeziehungen der Gewerkschaften Forderungen an ihre Binnenstruktur folgen. Sie wurden aber nur allgemein umschrieben. Inwieweit sie gesetzlich ausgestaltet werden können, diese Frage wurde verschoben, da es zu ihrer Beantwortung darauf ankommt, welche Machtverteilung innerhalb der Gewerkschaften sich aus ihrer Funktion als Instrument der Mitglieder ergeben muß und inwieweit das Auftreten der Gewerkschaften nach außen vom Mitgliederinteresse legitimiert zu sein hat. Denn es wäre nicht gerechtfertigt, aus Gründen des öffentlichen Wohls den Verbänden z.B. bestimmte Ausgestaltungen interner Demokratie aufzuoktroyieren, wenn die tendenzielle Konzentrierung der Verbandsautonomie auf eine oligarchische Verbandsspitze einen verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Interessenausgleich zwischen Individuen und Kollektiv darstellte 1 . a) Die verfassungsrechtliche Stellung der Nichtorganisierten gegenüber den Gewerkschaften aa) N e g a t i v e u n d p o s i t i v e K o a l i t i o n s f r e i h e i t des A u ß e n s e i t e r s Das V e r h ä l t n i s z w i s c h e n A u ß e n s e i t e r u n d G e w e r k s c h a f t i s t e i n doppeltes: Einerseits i s t es b e s t i m m t d u r c h die A b w e h r g e w e r k s c h a f t l i c h e n Einflusses a u f die E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t des Außenseiters, a n dererseits k a n n es auch d u r c h F o r d e r u n g e n des A u ß e n s e i t e r s a n die G e w e r k s c h a f t e n g e p r ä g t sein. Der erstgenannte Aspekt wird dem Problem der negativen Koalitionsfreiheit zugeordnet. Es hat Bedeutung für die Fragen des freien Zugangs zum Beruf, tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln und gesetzlicher Privilegierungen Koalierter z. B. durch einen Solidaritätsbeitrag. Ihnen kann, wie schon betont, hier nicht i m einzelnen nachgegangen werden. Allerdings erscheint es verfassungsrechtlich nicht ohne weiteres einleuchtend, den 1 Für die ärztlichen Standesorganisationen geht das BVerfG (E 33, 125, 159) von der tatsächlichen Vermutung eines inneren Ungleichgewichts in diesen Verbänden aus, eine Vermutung, die auf Koalitionen nicht ohne weiteres übertragbar ist, wenn auch eine Tendenz in dieser Richtung zu spüren ist: „Zum Nachteil der Berufsanfänger und Außenseiter kann sie (sc. die Satzungsgewalt bzw. Rechtsetzung der Berufsverbände) ein Übergewicht von Verbandsorganen oder ein verengtes Standesdenken begünstigen, das notwendigen Veränderungen und Auflockerungen festgefügter Berufsbilder hinderlich ist. Solchen Gefahren, die der Freiheit des Einzelnen durch die Macht gesellschaftlicher Gruppen drohen, vorzubeugen und die Interessen von Minderheiten und zugleich der Allgemeinheit zu wahren, gehört mit zu den Funktionen des Gesetzesvorbehalts."

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Konflikt zwischen Kollektivgarantie und individuellem Abwehrrecht generell in dem Sinn zu lösen, daß die Koalitionszugehörigkeit in keinem Fall eine unterschiedliche rechtliche Behandlung zulassen würde 2 . Die Ordnungsfunktion, die der kollektiven Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen innewohnt, könnte sich in einer gewissen Privilegierung der Koalitionen auch gegenüber den Außenseitern auswirken. Gegen eine Privilegierung spricht immerhin nicht ungewichtig, daß die Ordnungsfunktion gerade auf der Freiheit der gesellschaftlichen Kräfte aufbaut, woraus man folgern kann, daß dieses Ordnungssystem als Ganzes nicht mehr funktionsgerecht arbeitet und daher an Legitimation verliert, wenn die Koalitionen nicht mehr von sich aus genügend Anreize aufbringen, um eine genügende Zahl von Arbeitnehmern in sich zu vereinen 3 . Daß ihnen diese Anreize von ihrem sozialen Gegenspieler, den Arbeitgebern, aus der Hand geschlagen werden, stimmt nur für die rein materiellen Anreize und in bestimmten Arbeitsmarktsituationen. Die Gefahr der Privilegierung ist in der Unterstützung eines Funktionärsapparates zu sehen, der auf Kosten der Arbeitnehmer eigene Ziele verfolgt. Dieser Aspekt wirkt sich unmittelbar auf die Gestaltung der inneren Verbandsautonomie aus.

Forderungen der Außenseiter an die Gewerkschaften können sein Forderungen nach Berücksichtigung der Außenseiterbelange bei der Koalitionstätigkeit oder Ansprüche auf Teilhabe an den Koalitionsfunktionen. Eine materielle Bindung der Koalitionen i n ihrem Handeln an die Interessen der Außenseiter ähnelte einer Bindung an das allgemeine Wohl. Da kein Weg ersichtlich ist, wie das Außenseiterinteresse positiv festgestellt werden könnte, bleiben Erwägungen i n dieser Richtung so theoretisch, daß es keiner näheren Würdigung dieses i m übrigen systemwidrigen Vorschlags bedarf. Die Grundrechtsbetätigung realisiert sich für den Einzelnen i n der Gründung einer Koalition oder dem Beitritt zu einer bestehenden Koalition. Es kann, wie oben I I 2 a gezeigt wurde, für ausgeschlossen gelten, daß der Einzelne m i t der Neugründung einer Koalition Erfolg hat, wenn er einen Berufskreis bzw. Organisationsbereich erfassen w i l l , für den schon Gewerkschaften bestehen, was aber für nahezu alle Sparten der Fall ist 4 . Abgesehen von dieser tatsächlichen Lage, erscheint es nicht i m Interesse der sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens, wenn eine starke Vermehrung der Koalitionen eintritt. Die Tariflandschaft w i r d unübersichtlich, das Problem der Tarifkonkurrenzen verstärkt, die Zeiträume ohne Arbeitskämpfe drohen kleiner zu werden. Rechtspolitisch sind daher Maßnahmen zur Stärkung des äußeren Koalitionspluralismus wie z.B. steuerliche Begünstigungen von Koalitionsgrün2 So B A G A P Nr. 13 zu Art. 9 GG. 3 Vgl. oben I I 3 c zu den Determinanten für das Verhältnis Gewerkschaften — Außenseiter. 4 Einen Ausnahmefall stellt die GEW dar, der in den diversen Philologenverbänden mächtige Konkurrenz gegenübersteht.

4.a) Die verfassungsrechtliche Stellung der Nichtorganisierten

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düngen o. ä. abzulehnen. Da durch sie der Ordnungszweck des Koalitionswesens gefährdet sein kann, können die Koalitionen nicht auf solche Maßnahmen verweisen, wenn sie Eingriffe i n ihre Autonomie abwehren wollen: Vor die Alternative gestellt, zum Schutz der Außenseiter maßvoll i n die Koalitionsautonomie einzugreifen oder die eingespielten Ordnungsmechanismen des Arbeitslebens zu gefährden, hat der Gesetzgeber die Wahlfreiheit, ohne daß seine Entscheidung ermessensfehlerhaft sein könnte. Die Chance des Einzelnen, an Tarifbindung und Interessenvertretung teilzuhaben, ist über Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich geschützt, und zwar nicht nur als Abwehrrecht gegenüber dem Staat — dieses würde dem Einzelnen nichts nützen —, sondern als Recht zur Teilhabe an den von A r t . 9 Abs. 3 GG geschützten Bereichen sozialer Selbstverwaltung. Kann sich der Einzelne nicht durch Bildung einer eigenen Koalition die Aktivlegitimation zur Teilnahme am kollektiven Arbeitsrecht verschaffen, so sind andere Wege zu erörtern. Der Anspruch auf Teilhabe an den Koalitionsfunktionen ist somit als Ausprägung der positiven Koalitionsfreiheit zu verstehen. A r t . 9 Abs. 3 GG gewährleistet „jedermann und für alle Berufe" die Freiheit zur Bildung von Koalitionen. Diese Koalitionsbildung ist aber nicht Selbstzweck, sondern erfüllt sich erst i n der Beteiligung an den Ergebnissen kollektiver Interessenvertretung, also am tarifvertraglichen Schutz i n der Tarifbindung u. ä. wie der Beeinflussung von Parteien und Staat. Der positiven Koalitionsfreiheit des Einzelnen haftet somit a priori ein partizipatorisches Element an, ohne daß es insoweit auf die allgemeine Natur der Grundrechte als bloße Abwehr- oder auch anspruchsvermittelnde Normen ankäme. Es handelt sich bei dieser Substitution des Rechts auf Koalitionsbildung durch einen Teilhabeanspruch an den Koalitionsrechten und -Funktionen nicht u m die A n erkennung eines echten grundrechtlichen Partizipationsanspruchs gegenüber dem Staat, wie er i n A r t . 7 GG hinsichtlich der Subvention von Privatschulen oder A r t . 12 GG für die Teilnahmemöglichkeit an staatlichen Berufsbildungsangeboten zu erörtern ist 5 , sondern um die Erfassung des historisch bedingten Wandels der typischen Anwendungsbereiche eines Grundrechts, das sich i n seinem Charakter nicht ändert. Die Koalitionsfreiheit als sog. soziales Grundrecht kehrt sich nicht i n einen Anspruch gegen den Staat, vielmehr bedingt die Verschiebung der Stärkeverhältnisse zwischen den verschiedenen Komponenten der Koalitionsfreiheit ein anderes Verständnis der individuellen Koalitionsfreiheit 6 . 5 Übersicht bei E. W. Böckenförde, Grundrechtstheorie, 1536. 6 Man könnte den Teilhabeanspruch als Surrogat des Freiheitsanspruchs ansehen.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

bb) Z u Möglichkeiten, die Außenseiterinteressen zu berücksichtigen, insbesondere zum Aufnahmeanspruch Den Einzelnen unabhängig von der freien Entscheidung der Koalitionen i n den Genuß der Koalitionsvorteile kommen zu lassen, ermöglichen drei Maßnahmen: — Eine Reorganisation des Tarifwesens dergestalt, daß die Tarifwirkungen alle Arbeitnehmer i m Tarifbezirk erfassen 7, oder daß die Allgemeinverbindlicherklärung unabhängig von den Tarifparteien und unter erleichterten Bedingungen erfolgen kann. — Die Schaffung von Arbeitskammern als Repräsentativkörperschaften aller Arbeitnehmer, die die öffentlichen Repräsentationsaufgaben der Gewerkschaften i m wesentlichen übernehmen. — Die gesetzliche Regelung eines Aufnahmeanspruches der Arbeitnehmer gegenüber den Gewerkschaften.

Die Struktur des Tarifvertragssystems sowie der Arbeitnehmerrepräsentation werden nur durch einen Aufnahmeanspruch nicht angetastet. Trotzdem könnten die anderen zwei Maßnahmen vorzuziehen sein, w e i l sie i m Vergleich zu einem Aufnahmeanspruch einen geringeren Eingriff i n die Koalitionsautonomie ausmachen. Diese Regelungen können jedoch weder einzeln noch zusammen den Schutz der Außenseiter befriedigend lösen, geschweige denn unter Aufrechterhaltung der Entscheidungsfreiheit des Außenseiters oder ohne Beeinträchtigung der kollektiven Koalitionsfreiheit. Ist die Entscheidung über eine AllgemeinverbincUicherklärung bei den obersten Arbeitsbehörden angesiedelt, so bliebe, auch wenn das formelle Einvernehmen m i t den Tarifvertragsparteien abgeschafft würde, die faktische Einflußnahme der Gewerkschaften so groß, daß die nichtorganisierten Außenseiter nicht gezielt auf die Allgemeinverbindlichkeitserklärung hinarbeiten könnten — sie sind eben nicht organisiert. Daneben wäre es dem Staat i n die Hand gegeben, die Vorteile der Gewerkschaftszugehörigkeit ihrer selektiven Wirkung zu berauben. Diese Gefahr besteht auch bei einer Umstellung der Tarifordnung auf Tarifbezirke, so daß aufgrund der sekuritätspolitischen Mindestgarantie der Existenz der Koalitionen i n A r t . 9 Abs. 3 GG ein Solidaritätsbeitrag gesetzlich fixiert werden müßte 8 . Eine solche Umstellung 7 Konsequent wäre dann nur die amerikanische Lösung, nach der nicht die Gewerkschaften Tarifpartner sind, sondern eine Tarifeinheit, die die Gewerkschaft lediglich vertritt. 8 Sowohl das amerikanische wie das englische Recht lassen gewisse Arten des Koalitionszwangs zu (Kurzübersicht bei O. Kahn-Freund, Labour, 195 ff.), vor allem die „agency shop clause", beide verbieten aber auch, daß ein A r beitnehmer „by way of any arbitrary or unreasonable discrimination, be excluded from membership" (Trade Union and Labour Relations Act 1974, sec. 5), vgl. auch O. Kahn-Freund, Labour, 182 ff.

4.a) Die verfassungsrechtliche Stellung der Nichtorganisierten

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veränderte den Status der Gewerkschaften grundlegend. Die sog. „anstaltliche" Struktur der Gewerkschaften würde gegenüber der körperschaftlichen überwiegen, es sei denn, man würde den Tarifbezirk als eine A r t Zwangskörperschaft betrachten. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Lösung die negative Koalitionsfreiheit stark einschränken muß, selbst wenn Vorkehrungen zur Befreiung des Einzelnen von der Tarifbindung gefunden werden. Nachdem obendrein ein solches Tarifsystem i n Deutschland keinen historischen Boden hat, kann der Gesetzgeber nicht auf Modelle dieser A r t zurückgreifen. Die Repräsentation der Arbeitnehmer i n Arbeitskammern würde zwar nicht gegen die negative Koalitionsfreiheit verstoßen, die von einer öffentlich-rechtlichen Zwangskörperschaft nicht tangiert wird, jedoch verstieße es gegen die kollektive Betätigungsfreiheit des A r t . 9 Abs. 3 GG, alle Repräsentationsaufgaben der Gewerkschaften auf die Arbeitskammern zu übertragen 9 . Selbst eine wesentliche Einschränkung gewerkschaftlicher Repräsentationsfunktionen wäre verfassungsrechtlich bedenklich. Würden aber diese Aufgaben nicht i n weiten Teilen den Arbeitskammern allein vorbehalten sein, wäre dem einzelnen Arbeitnehmer nur wenig geholfen. Abgesehen davon, erscheint es nicht unbedenklich unter dem Aspekt des Verhältnismäßigkeitsprinzips, jeden Arbeitnehmer m i t dem Zwangsbeitrag für die Arbeitskammer zu belasten, wenn und solange die Repräsentation der Arbeitnehmerinteressen durch die Gewerkschaften funktioniert und durch die nötige Offenheit und Willensbildungsstruktur legitimatorisch abgesichert werden kann. Diese Auffassung läßt auch das BVerfG erkennen, was die Neugründung von Arbeitskammern angeht 10 .

Als rechtspolitisch einzig befriedigende Maßnahme zur Wahrung der Interessen der Außenseiter ist ein Aufnahmeanspruch anzusehen. Wie gezeigt, läßt er sich positiv ableiten aus der individuellen Koalitionsfreiheit, die erst nach ihrer Umsetzung i n eine Beteiligung an den kollektiven Koalitionsbefugnissen verwirklicht werden kann 1 1 . E i n Aufnahmeanspruch könnte aber ein so schwerwiegender Eingriff i n die Koalitionsautonomie sein, daß bei der gebotenen Abwägung zwischen individueller und kollektiver Gewährleistung letztere überwöge, » H. F. Zacher, Arbeitskammern, 29. 10 BVerGE 38, 281, 308 ff. 11 Sehr zweifelhaft ist, ob sich ein Aufnahmeanspruch in die Gewerkschaften aus einem Art. 9 Abs. 3 GG unmittelbar innewohnenden Isolierungsverbot oder Solidaritätsgebot herleiten läßt (vgl. Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Art. 9 R N 12, Art. 8 R N 5). Das Wort „jedermann" in Art. 9 Abs. 3 G G dürfte es jedenfalls nicht tragen. Da ein solcher Grundrechtsinhalt nicht allgemein konsentiert ist, würde eine Ableitung, ähnlich der hier erfolgenden, nötig; die Frage kann daher dahingesteUt bleiben. 17 Gerhardt

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

der Gesetzgeber also an der Regelung eines Aufnahmeanspruchs gehindert wäre. Z u diskutieren ist ein Aufnahmerecht des Außenseiters, das i m Gegensatz zur jetzigen Rechtslage die Aufnahme zur Regel macht m i t der Folge, daß Gründe, die gegen eine Aufnahme sprechen, von der Koalition bewiesen werden müssen, das sich ferner nicht auf Fälle eines Monopolmißbrauchs beschränkt und das allein an objektive Kriterien anknüpft. Eine solche Vorschrift könnte lauten: „Jeder Arbeitnehmer hat das Recht, einer Gewerkschaft seiner Wahl beizutreten, soweit er in den satzungsmäßigen Organisationsbereich der Gewerkschaft fällt. Die Gewerkschaft kann die Mitgliedschaft verweigern, wenn die Erreichung ihrer satzungsmäßigen Ziele durch Umstände, die in der Person des Arbeitnehmers liegen, erheblich gefährdet würde. Das Vorliegen solcher Umstände hat die Gewerkschaft zu beweisen 12 ." Nach dieser Vorschrift bräuchten nicht aufgenommen zu werden z.B. Streikbrecher anderer Gewerkschaften, Arbeitnehmer, deren politisches Ziel es ist, die Gewerkschaften abzuschaffen^, während i m Regelfall auch Vorbestrafte, Querulanten u. ä. ein Recht auf Mitgliedschaft haben. Jedenfalls genügen nicht die bloße Gefährdung des Ansehens der Gewerkschaft oder eine abweichende Meinung zur Ablehnung des Aufnahmeantrags. Insbesondere bedarf es triftiger Gründe, um Arbeitnehmer wegen Gefährdung der Kampfkraft und Einheit der Gewerkschaft zurückzuweisen.

Der aus der Koalitionsautonomie als kollektivem Grundrecht abzuleitende Haupteinwand gegen den Aufnahmeanspruch ist, daß der Gewerkschaft die Disposition über ihren Verbandszweck und den Umfang ihres politischen Engagements aus der Hand genommen zu werden droht. Diese Gefahr dürfte kaum bei Richtungsgewerkschaften eintreten, spielt hingegen für die Einheitsgewerkschaft eine bedeutende Rolle. Gerade die Einheitsgewerkschaft, so der Ausgangspunkt der Überlegungen, ist verpflichtet, Arbeitnehmer jeder Provenienz aufzunehmen, sie entspricht damit ihrem Anspruch 1 4 . Man kann folgern, die Koalitionsautonomie als das Recht, über die Mitgliedschaft frei zu entscheiden, stehe unter dem selbstgesetzten Vorbehalt der Offenheit für alle, so daß ein Aufnahmeanspruch diese Offenheit nur rechtlich verfestige. Dies gelte u m so mehr, als die Einheitsgewerkschaften über verschiedene Arten des äußeren Koalitionszwangs auf die Außenseiter einzuwirken versuchten. I n der Tat dürfte an der Zulässigkeit des Aufnahmeanspruchs kein Zweifel mehr bestehen, wenn es den Gewerkschaften gelingen sollte, den Gesetzgeber zur Einführung eines 12

Hinzuweisen ist darauf, daß erzwungene Mitgliedschaft Vollmitgliedschaft ist. Dies mag, wie angedeutet, für die lokale Einheit der Gewerkschaft störend sein (vgl. aber unten I I I 4 b cc), für die Gewerkschaft als Massenorganisation ist es unerheblich, i« Siehe oben I I I 3 c FN151. 14 F. Gamillscheg, 64.

4.a) Die verfassungsrechtliche Stellung der Nichtorganisierten

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Solidaritätsbeitrags zu bewegen. Z u betonen ist aber, daß die Einstufung einer Gewerkschaft als Einheitsgewerkschaft ausschließlich kraft ihrer Satzung erfolgt. I n dem Moment, wo der Aufnahmeanspruch von Arbeitnehmern aller politischen Schattierungen benützt wird, schränkt sich die Möglichkeit der Gewerkschaft, vom Gedanken der Einheitsgewerkschaft wieder abzurücken, immer mehr ein. Nur solange ein Flügel i n der Gewerkschaft Satzungsänderungen durchsetzen kann, kann sich die Gewerkschaft umorientieren. Sie kann dagegen nicht mehr i m Wege eines „stillen Verfassungswandels" durch Aufnahmesperren für gewisse Gruppen oder durch gewerkschaftspolitisch orientierte Ausschlüsse ihre Gesamtrichtimg steuern. Dagegen, daß i n solcher Weise apokryph gegen Angehörige bestimmter Meinungsgruppen vorgegangen wird, ist eine gesetzliche Vorkehrung aber möglich: Die Transparenz der Gewerkschaft durch den Zwang zur Satzungsänderung dient dem Gewerkschaftsmitglied wie der öffentlichen Meinung. Jedoch, so kann man weiter folgern, drohen der Gewerkschaft, die den Zugang an Mitgliedern nicht mehr beliebig steuern kann, die Bildung von Fraktionen und gewerkschaftsinterne Richtungskämpfe, die die Kampfkraft der Gewerkschaft untergraben. M i t ihrer Aufgabe als Kampforganisation sei nicht vereinbar, daß sie ihre Mitglieder nicht frei auswählen könne, sie sei kein Debattierklub, könnte man zusammenfassen. Trotzdem müssen die Einheitsgewerkschaften diese Einschränkung ihrer Koalitionsautonomie hinnehmen. Je weiter die Einheitsgewerkschaften sich ausgedehnt haben und monopolisieren, desto mehr müssen sie damit rechnen, daß sie die Pluralität der Gesellschaft i n sich aufnehmen. I m Grenzfall der Monopolgewerkschaft haben sie m i t allen Anschauungen und Meinungen fertig zu werden, ohne einzelne Arbeitnehmer deswegen diskriminieren zu können. Der Prozeß, i n den die Gewerkschaften m i t dem Postulat der Einheitsbewegung getreten sind, hat faktisch schon zu weit gewirkt, u m reversibel sein zu können. Eine Repolitisierung der Gewerkschaften unter Verzicht auf ihre weltanschauliche und politische Neutralität ist nur auf innergewerkschaftlichem Weg bei bestehender Offenheit für alle Arbeitnehmer möglich. Das beinhaltet zweifelsohne auch die Gefahr der Spaltung. Diesem Risiko können die Gewerkschaftsführungen nicht durch Ausschluß Andersdenkender begegnen, soweit diese nicht die Grundlagen der Koalitionsfreiheit, damit das Wirtschaftssystem, i n das die Gewerkschaften eingebettet sind, i n Frage stellen. Nachdem der liberale Interessenausgleich i n einem pluralistischen Gewerkschaftssystem durch die Konzentrierung der Arbeitnehmer auf die Einheitsgewerkschaften gestört ist, können diese nicht zur Abwehr der Ansprüche der Außenseiter auf eben dieses liberale Modell zur 17*

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Verteidigung ihrer Autonomie verweisen, ohne sich dem Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens auszusetzen. Das Verständnis der Koalitionen und der Koalitionsfreiheit muß an der heutigen Situation ansetzen. U n d nach dieser ist ein Aufnahmeanspruch gerechtfertigt, durch geringe wirtschaftliche Verschiebungen w i r d er zur Notwendigkeit. Es ist der Gewerkschaft unbenommen, für Kampfsituationen die innergewerkschaftliche Auseinandersetzung zu beschränken (vgl. unten b cc). Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß die Parteien nach geltendem Recht keiner Aufnahmepilicht unterfallen^. Während nämlich den Parteien als solchen keine Repräsentationsfunktionen zukommen, somit ein Aufnahmeanspruch aus dem Recht auf Mitwirkung am politischen Willensbildungsprozeß abgeleitet werden muß, haben die Gewerkschaften solche unmittelbar: Die Mitwirkung an der politischen Wülensbildung ist für jedermann durch seine staatsbürgerlichen Rechte gesichert, während ein entsprechender Status i m Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nur über die Gewerkschaften erzielt werden kann.

Ein Aufnahmeanspruch kann aber noch weitere Folgen haben für die innere Koalitionsfreiheit, die bei einer gesetzlichen Regelung beachtet werden müssen. Anzusprechen ist zunächst das Fluktuationsproblem der Gewerkschaften. Zu verhindern, daß die Arbeitnehmer nur für bestimmte Zeit anläßlich einer kritischen Arbeitsmarktsituation der Gewerkschaft beitreten, w i r d Anliegen der Gewerkschaftsführungen noch mehr als bisher sein. Nachdem sich die Austrittsfreiheit der Arbeitnehmer aus der Gewerkschaft kaum beschränken läßt, ohne gegen die negative Koalitionsfreiheit zu verstoßen — eine Mindestdauer der Mitgliedschaft als Korrelat für den Aufnahmezwang einzuführen, würde bewirken, daß die Gewerkschaft i n ihrer aktiven Mitgliederwerbung Erfolgseinbußen zu befürchten hätte, so daß allenfalls bei erzwungener Mitgliedschaft eine Mindestdauer zu erwägen wäre; dies würde aber zu einer gewerkschaftsinternen Differenzierung zwischen „Freiwilligen" und „Zwangsmitgliedern" führen, womit keine echte Durchsetzungschance der „Zwangsmitglieder" mehr gegeben wäre —, werden die Gewerkschaften versuchen, die Erdienungsvoraussetzungen für Gewerkschaftsleistungen heraufzuschrauben 16 . I n extremen Fällen können solche Maßnahmen zu einem Koalitionszwang ausarten. So wäre z.B. eine Regelung, daß Streikgelder überhaupt nur unter dem Vorbehalt einer Mindestmitgliedschaft von drei Jahren gezahlt werden, deshalb verfassungsrechtlich zweifelhaft, w e i l ein Arbeitnehmer zur Mitglied15 A. A. F. Knöpfte, S. Magiera und R. Wolfrum oben I I 2 a F N 30. Es dürfte den Gewerkschaftsführungen leicht fallen, den Aufnahmezwang in den Gewerkschaften zu diskreditieren und entsprechende Maßnahmen durchzusetzen; hier dürften sich auch Anlauf Schwierigkeiten für eine gesetzliche Regelung ergeben; sie können jedoch justiziell überwunden werden, da der interne Gleichbehandlungsgrundsatz gerichtlich durchsetzbar ist; unter dieser Drohung kann der Aufnahmezwang zur Selbstverständlichkeit werden.

4.a) Die verfassungsrechtliche Stellung der Nichtorganisierten

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schaft durch das Angebot sofortiger Auszahlung von Streikgeld animiert würde, der es dann, wenn er sich seine Mitgliedschaft näher überlegt hat, zurückzahlen müßte, was er i n der Regel wohl nicht kann. Sicherlich besteht gerade i n diesem Bereich gewerkschaftlicher Leistungen eine besonders starke Interventionsschranke gegenüber dem Gesetzgeber, doch dürfen die Leistungsvoraussetzungen nicht zu einer U m gehung des Aufnahmezwangs führen. Eine gesetzliche Vorschrift „ A l l e Mitglieder der Gewerkschaft haben gleiche Rechte und Pflichten" würde dies zulässigerweise klarstellen. Das Fluktuationsproblem bezieht sich auch auf die für demokratische Strukturen unerläßliche Kontinuität i n den lokalen Gewerkschaftsverbänden. Zum einen bedarf es einer „Wählergemeinde" (constituency), u m einmal gewählte Delegierte wirksam i n Verantwortung nehmen zu können. Zum anderen kann sich eine Ortsgruppe plötzlich i n ihrer Zusammensetzung völlig verändern, etwa durch den Zustrom Gewerkschaftswilliger, möglicherweise einer homogenen Gruppe, die durch Maßnahmen eines Arbeitgebers zum Gewerkschaftsbeitritt veranlaßt werden, m i t der Folge, daß die auf der bisherigen Mehrheitsstruktur beruhende Ämterverteilung nicht mehr i n gültiger Weise repräsentativ wirken kann. Es drohen Spannungen, die Arbeit der Ortsgruppe w i r d empfindlich beeinträchtigt. Diese Problemstellungen sind aber nicht spezifisch aus dem Aufnahmeanspruch herzuleiten, sie werden durch i h n allenfalls verstärkt. Sie gehören daher zur Frage der innerverbandlichen Legitimation. Nachdem nicht erwartet werden kann, daß der Aufnahmeanspruch die interne Willensbildung i n den Gewerkschaften aus dem Gleichgewicht bringen kann, hält auch von daher der Eingriff i n die Koalitionsautonomie sich i n einem tolerablen Rahmen. These 20: Die positive Koalitionsfreiheit des Einzelnen beinhaltet ein Recht auf Teilhabe an den Koalitionsfunktionen. Aufgrund der historischen Entwicklung des Gewerkschaftswesens i n Deutschland überwiegt dieses Individualrecht die Freiheit der Gewerkschaften auf Auswahl ihrer Mitglieder. Aus i h m folgt ein Aufnahmeanspruch i n Koalitionen, dessen nähere Ausgestaltung durch Gesetz oder Richterrecht erfolgen muß 1 7 . cc) Außenseitergruppen und Gewerkschaften Einer gesonderten Betrachtung bedarf das Aufnahmebegehren einer abgegrenzten und homogenen Gruppe von Arbeitnehmern 1 8 . Es lassen sich vier Fallgestaltungen unterscheiden. 17 i m Ergebnis ebenso: A. Hueck, H. C. Nipperdey, 102; H. Föhr, 162 ff.; H. Galperin, Vereinsautonomie, 707; sowie die Diss. von H. Henrici und A. v. Stechow.

262

I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Eine Koalition w i l l m i t einer anderen fusionieren. Dieser Fall kann sich nur i m Wege privater Einigung der beiden Koalitionen lösen, eine Zwangsverschmelzung verbietet die Existenzgarantie des A r t . 9 Abs. 3 GG. W i l l eine Gruppe von Arbeitnehmern oder Arbeitnehmerähnlichen einer Gewerkschaft sich zuordnen, ohne daß der Organisationsbereich der Gewerkschaft sie bisher erfaßte, ist eine Satzungsänderung der aufnehmenden Gewerkschaft erforderlich. Dabei sind deren Bindungen an die Organisationsabgrenzung zu den anderen Gewerkschaften der gleichen Spitzenorganisation zu beachten. Ein Anspruch auf Satzungsänderung kann den Außenseitern nicht zugebilligt werden, da er i n den K e r n der Selbstverwaltung eingriffe: Die Festlegung des Organisationsbereichs muß i m Ermessen des Verbandes stehen, da nur der Verband den inneren Zusammenhang von Organisationsbereich und Organisationszweck abschätzen kann. Die Zwangsänderung des Organisationsbereichs wäre zugleich ein Eingriff i n den Verbandszweck und die Verbandspolitik insgesamt. Deren freie Festlegung kennzeichnet aber die Freiheit eines Verbandes schlechthin. Ein direkter Anspruch gegenüber den Spitzenorganisationen auf Neueinteilung der Zuständigkeiten scheitert an den gleichen Überlegungen. Ein derartiger Anspruch würde auch gegen die Einzelgewerkschaften als solche gerichtet sein müssen, sonst würde von der Spitzenorganisation Unmögliches verlangt, falls sich die Einzelgewerkschaften nicht freiwillig in die Änderung der Zuständigkeiten fügen.

Das zum zweiten Fall Gesagte gilt auch dann, wenn ein Verband sich auflöst, u m i n eine Gewerkschaft übergeführt zu werden, i n deren Zuständigkeit seine Mitglieder fallen, zugleich aber Sonderleistungen für seine Mitglieder i n der aufnehmenden Gewerkschaft w i l l . Diese Sonderbedingungen können nur frei ausgehandelt werden. Staatliche „Unterstützung" der einen oder anderen Seite widerspräche der Verfassung. Schließlich bleibt der Aufnahmeanspruch der Mitglieder eines Verbandes, der sich m i t der Empfehlung auflöst, seine Mitglieder sollten sich einer bestimmten Gewerkschaft anschließen. Äußerlich betrachtet, scheint kein rechtlicher Unterschied zum Aufnahmebegehren einzelner Arbeitnehmer zu bestehen. Nicht zu verkennen ist jedoch, daß die Richtung der bisherigen Interessenwahrnehmung der Koalition durch die Aufnahme dieser Arbeitnehmer unmittelbar und wesentlich ver18 Diese klar zu umreißen, fällt schwer; die Kriterien des B A G zur Abgrenzung von kollektiv ausgeübtem Zurückbehaltungsrecht und betriebsbezogenem wilden Streik (BAG A P Nr. 41 zu Art. 9 G G Arbeitskampf) sind zu sehr auf die Streiksituation bezogen, um hier verwendbar zu sein. Erforderlich neben objektiven Kriterien dürfte auch ein abgestimmtes Verhalten mit gemeinsamem Zweck sein.

4.b) Anforderungen an die innere Struktur der Gewerkschaften

263

ändert werden kann. Andererseits mußte die aufnehmende Gewerkschaft schon immer m i t einer solchen Entwicklung rechnen, wenn sie ihren Organisationsbereich entsprechend weit gefaßt hat. Daher kann es bei der oben genannten Formulierung eines Aufnahmeanspruchs bewenden. Denn sollte der sich auflösende Verband dies nur zum Zweck der Unterwanderung der aufnehmenden Gewerkschaft t u n und zugleich so mitgliederstark sein, daß er dieses Ziel auch erreichen kann, w i r d der Ausnahmetatbestand der „erheblichen Gefährdung der Erreichung der satzungsmäßigen Ziele" vorliegen. Davon abgesehen, w i r d ein so mächtiger Verband kaum sich selbst auflösen, dagegen spricht schon die Beobachtung, daß eine Verbandsbürokratie ihr Eigenleben zu erhalten sucht. Als Ergebnis ist festzuhalten These 21: Die gesetzliche Normierung eines Aufnahmezwangs nehmergruppen ist unzulässig. b) Anforderungen

an die innere Struktur

von Arbeit-

der Gewerkschaften

aa) Innerverbandliche Demokratie zwischen individueller und kollektiver Koalitionsfreiheit Das eingangs dieses Abschnittes schon angedeutete Problem des Inhalts der Verbandsautonomie läßt sich für die Binnenstruktur der Koalitionen wie folgt präzisieren. A r t . 9 Abs. 3 GG umfaßt sowohl ein individuelles wie ein kollektives Grundrecht der Koalitionsfreiheit. Z u letzterer w i r d die Gewährleistung der inneren Verbandsautonomie gerechnet, deren Inhalt m i t dem Recht der Koalition, sich i m Rahmen des Koalitionszwecks beliebig zu organisieren, umschrieben wird. Diese Auffassung führt zu einer Verkürzung dessen, was m i t Verbandsautonomie gemeint ist. Die wiedergegebene Formulierung gibt der Koalitionsfreiheit nämlich primär den Gehalt, daß es dem Staat verwehrt ist, dem Verband eine bestimmte Organisationsform ohne rechtfertigenden Grund aufzuoktroyieren. Dieses Verbot besagt aber doch nichts anderes als, daß es der Auseinandersetzung der Mitglieder eines Verbandes überlassen bleiben muß, den ihnen liegenden und den von ihnen verfolgten Zwecken gemäßen Verbandsaufbau zu finden. Damit aber verbindet sich m i t „Verbandsautonomie" ein stark liberalistisches Element: Die Freiheit, einen Verband zu gründen, schlägt bei Bestehen des Verbandes u m einerseits i n die Freiheit des Verbandes von staatlicher Intervention, andererseits i n ein Recht des Einzelnen, i n den satzungs-

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

gemäßen Verfahren an der Aufgabensetzung, der Organisation und Weiterentwicklung des Verbandes weiter mitzubauen. Die Gewährleistung der Verbandsautonomie ist die notwendige Klammer zwischen Individualrecht und Kollektivrecht. Die positive Koalitionsfreiheit der Organisierten ist i h r Teilhabeanspruch am Koalitionsleben, das als Ganzes gegenüber dem Staat autonom ist: ein Bereich individueller Freiheits- und Einflußgestaltung, die i n den Formen, die der Machtverteilung i m Verband entsprechen, das gemeinsame Beste findet, das allerdings durch das Verbandsziel vorgezeichnet ist. Daraus folgt, daß ein staatlicher Eingriff i n die Verbandsautonomie, der, wie hier von Beachtlichkeit, demokratisierend und verrechtlichend wirken soll, dem einen Teil der Verbandsmitglieder Durchsetzungschancen, eventuell sogar Privilegien, beschneiden wird, einem anderen Teil Chancengleichheit möglich machen wird, m i t h i n die freie Machtbildung kanalisiert — i m Prinzip nicht anders als bei staatlichen Maßnahmen zur Regelung des Marktgeschehens i m Wirtschaftsbereich. I n anderen Worten: „Verbandsautonomie" heißt „freie Machtentfaltung i m Verband" 1 9 . Ein mächtiges Funktionärskader w i r d sich auf „Verbandsautonomie" berufen, u m jeden Eingriff i n die verbandsinterne Machtverteilung durch den Staat zu verhindern. Die Frage ist aber, ob das Grundrecht der Koalitionsfreiheit die Machtansammlung i n den Händen nur weniger Angehöriger der Verbandsspitze schützen w i l l oder einen freien Prozeß der Verbandswillensbildung, an dem jeder sich prinzipiell beteiligen kann. Die Frage ist nicht auf die Koalitionsfreiheit beschränkt, sondern kennzeichnet allgemein ein Defizit liberaler Grundrechtsauffassung, nämlich „ihre relative Blindheit* gegenüber den sozialen Voraussetzungen der Realisierung grundrechtlicher Freiheit" 2 0 . Die Hoffnung, daß bei genügend Staatsfreiheit sich die einzelnen Individuen als autarke Persönlichkeiten beliebig entfalten können, ist jedenfalls heute sehr vage. Sie mündet ein in die Grundfrage: „Und wie steht es mit der staatlichen Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht und Machtbildung, die sich gerade als Folge der ausgrenzenden Freiheitsgarantie liberaler Grundrechte herausbildet, nämlich aus der unterschiedlichen Realisierung der Freiheit durch die einzelnen Grundrechtsträger, und die dann die Realisierungsmöglichkeit der grundrechtlichen Freiheit für viele andere einzelne in Frage stellen kann?" 19 Wie oben 12 c gezeigt, sind monarchische oder machiavellistische Strukturen in Vereinen denkbar, die sich mit dem BGB durchaus vereinbaren lassen. Vgl. Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Art. 9 R N 5 5 ; O. Kahn-Freund, Labour, 211: "To speak about a collective unit — a business enterprise, a government department, a municipal authority, a trade union — as a bearer of power is misleading, because it is always individuals who make rule and decisions, and influence other peoples's thoughts and actions; and we must know who inside the collective unit can and w i l l do that." 2 ° E. W. Böckenförde, Grundrechtstheorie, 1531 (das i m Text folgende Zitat 1532); Th. Ramm, Der Wandel, 145 f.; H. Ryffel, 203 ff.

4.b) Anforderungen an die innere Struktur der Gewerkschaften

265

Man sieht sich vor die Aufgabe gestellt, die faktische Koalitionsoligarchie als Ergebnis freier Machtentwicklung i m Verband zu vereinbaren m i t einer Mindestgewähr an „Chancengleichheit" für das einzelne Koalitionsmitglied, das aus eigener K r a f t sich keine Einflußbasis schaffen kann. Abstrakt formuliert, gilt es abzuwägen die Freiheit des gesellschaftlichen laissez-faire, d. h. die Chance der Selbststeuerung und Selbstkontrolle, damit einer richtigen und automatischen Anpassung an die Außenanforderungen an die Gewerkschaften und eines aus sich selbst heraus gefundenen Ausgleichs der Interessen, auf dessen Stimmigkeit man hofft, gegen die andere Seite dieser Freiheit, nämlich die Gegebenheiten, die das Ausgeliefertsein des Einzelnen an vorgefundene Positionen und an gesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten, die i h m die Wahrnehmung seiner eigenen Interessen und Möglichkeiten verwehren, bedeuten. Unter Zugrundelegung der oben I I I 2 d gefundenen Kriterien bedarf die kollektive Macht der Rückbindung an das Individualinteresse, sie genießt eigenständigen Schutz nur, soweit sie aus der Willensbildung ihrer Mitglieder heraus legitimiert ist. Eine Störung dieses Legitimationsflusses z. B. durch manipulative Techniken der Verwalter der Kollektivmacht genießt keinen Schutz. Wenn die K r a f t zur Selbstbehauptung i n der Koalition den Individuen nicht zukommen kann, ist grundsätzlich einer Unterstützung des individuellen Rechts der Vorrang gegenüber der kollektiven Autonomie einzuräumen. Die positive Koalitionsfreiheit des Einzelnen hat grundsätzlich die Zweckrichtung der kollektiven Freiheit zu bestimmen, nicht umgekehrt. Geht man für den Bereich der Gewerkschaften von dem begründeten Verdacht der Oligarchisierung aus, bewirkt durch einen tendenziell sich selbst genügenden Funktionärsapparat, dann gilt es die Durchsetzungschancen des Einzelnen m i t den Gesetzlichkeiten des Verbandswesens i m Rahmen des Koalitionszwecks des A r t . 9 Abs. 3 GG abzuwägen. Diese Abwägimg kann zu folgenden, abgestuften Ergebnissen führen: — Der Gesetzgeber ist berechtigt, die satzungsmäßige Festlegung wichtiger Fragen der Verbandsorganisation zu verlangen, ohne aber inhaltliche Ausgestaltungen vorschreiben zu dürfen. Dieses System liegt den §§ 57, 58 BGB sowie im wesentlichen dem britischen Trade Union and Labour Relations Act 1974 zugrunde, dem PartG zum Teil, nämlich in § 6. — Der Gesetzgeber ist berechtigt, die Koalitionen auf demokratische Grundsätze zu verpflichten und diese i m Sinn einer formalen (Wahl-)Demokratie auszugestalten. So geschehen i m PartG und i m amerikanischen L.M.R.D.A. 1959. — Der Gesetzgeber ist berechtigt, den Koalitionsaufbau basisdemokratischen Vorstellungen anzunähern. Dies kann insbesondere geschehen durch I n -

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz formations- und Beteiligungsrechte der Mitglieder — man vergleiche den „Grundrechtskatalog" des L.M.R.D.A. 1959 —, durch Dezentralisierung und Statusnivellierung.

J e w e i l s als Ganzes b e t r a c h t e t — f ü r einzelne M a ß n a h m e n k a n n a n deres g e l t e n — b a u e n diese d r e i M ö g l i c h k e i t e n a u f e i n a n d e r a u f u n d n e h m e n a n I n t e n s i t ä t des E i n g r i f f s i n d i e V e r b a n d s a u t o n o m i e zu. Jede E i n g r i f f s s t u f e b e d a r f gesonderter R e c h t f e r t i g u n g , d a d i e e i n z e l n e n S t u f e n sich n i c h t n u r q u a n t i t a t i v i n d e r E i n g r i f f s i n t e n s i t ä t u n t e r s c h e i d e n 2 1 , s o n d e r n auch i m gesetzgeberischen Z i e l . Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich immer auf die Gesamtheit einer Hegelungsstufe. Es ist denkbar, daß Kombinationen aus verschiedenen Gruppen die Bewertung der angesprochenen Topoi ändern. So ist vor allem denkbar, daß die eine oder andere Maßnahme der dritten Kategorie zur zweiten hinzugenommen wird, ohne daß sich die verfassungsrechtliche Zulässigkeit wesentlich ändert. Für Grenzfälle muß auf das Kriterium der „Zumutbarkeit" rekurriert werden, das quantitative Verschiebungen i m Zwischenraum zwischen Polen klarer verfassungsrechtlicher Bewertbarkeit mit Hoffnung auf Evidenz und Plausibilität zu lösen suchte. bb) M i n d e s t e r f o r d e r n i s s e f ü r d i e A u s g e s t a l t u n g d e r i n n e r e n O r d n u n g d u r c h Satzungsrecht N o r m a t i v b e s t i m m u n g e n , d i e M i n d e s t e r f o r d e r n i s s e a n d i e rechtliche Durchstrukturierung

der Gewerkschaften

fixieren,

k ö n n t e n als

not-

wendigen I n h a l t einer Gewerkschaftssatzung Regelungen fordern, betreffend: Namen, Sitz und Zweck der Gewerkschaft, — Organisationsbereich, — allgemeine politische Zielsetzung; Verbandsaufbau. — Rechte der unteren Gewerkschaftsgliederungen, — Fachgruppen; Organe, — Kompetenzverteilung, — Bestellung und Abberufung der Organe, — Vermögensverwaltung und Rechenschaftslegung; Satzungsänderungen, — Auflösung der Gewerkschaft; Beginn und Ende der Mitgliedschaft, — Rechte und Pflichten der Mitglieder, insbesondere Festsetzung der Beiträge und Leistungen, — Disziplinartatbestände, — Disziplinarverfahren. 21 Grundlegend BVerfGE 7, 377, 408. 22 Nachw. bei BVerfGE 30, 392, 313 ff. (unter C I I 2 cc), wo nach Feststellung der äußeren Eingriffsgrenzen auf die Gewichtigkeit der Beeinträchtigung in Relation zur Gewichtigkeit der Gemeinwohlinteressen abgestellt wird; die nähere Abwägung muß dann dem Einzelfall überlassen bleiben, dessen Umstände insgesamt auszuschöpfen sind.

4.b) Anforderungen an die innere Struktur der Gewerkschaften

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Eine Liste von Normativbestimmungen dieser A r t 2 3 verstößt nicht gegen A r t . 9 Abs. 3 GG. Sie ist das M i n i m u m dessen, was zur Verwirklichung des soeben dargestellten Beteiligungsrechtes des einzelnen Koalitionsmitgliedes erforderlich ist. Für das einzelne Koalitionsmitglied ist unabdingbare Voraussetzung seiner Beteiligung am Verbandsleben eine gewisse Transparenz des Verbandsaufbaus und der Entscheidungswege i n der Gewerkschaft. Erst die Kenntnis der Instanzen, Funktionen und Kontrollmechanismen kann es i n die Lage versetzen, eigenständig zu agieren. Diese Durchsicht kann i n größeren Massenorganisationen nur durch einen generellabstrakten Rechtssatz, die Verbandssatzung, erreicht werden. M i t der Verrechtlichung der Machtbeziehungen i n den Gewerkschaften treten weitere Effekte ein, ohne die die freie Betätigung des Gewerkschaftsmitglieds wesentlich beschränkt ist. Je stärker die Machtbeziehungen formalisiert sind, desto rationaler muß eine faktische Autoritätsposition ausgeübt werden. Die Einbettung i n ein System von organisatorischen Abgrenzungen und definierten Befugnissen beschränkt die Möglichkeit willkürlicher Entscheidung. Die A k t e demokratischer Kontrolle von Mandatsträgern, sei es durch einen Instanzenzug, sei es durch A b w a h l oder Verweigerung der Wiederwahl gewinnen durch einen rechtlichen Rahmen an Selbstverständlichkeit, es braucht nicht mehr „peinlich" zu sein, einem höheren Gewerkschaftsfunktionär Fehler anzukreiden. Die Kenntnis seiner Rechte und Pflichten schützt den Einzelnen davor, sich informell binden oder verpflichten zu lassen durch Drohungen oder Versprechungen. Die Garantie eines Mindestmaßes an Unabhängigkeit steckt schon i n der bloßen Normierimg auch noch so beschränkter Rechte. I n die Koalitionsautonomie greifen selbst weitgehende Normativbestimmungen nur wenig ein. Sie stellen i m Grunde nur eine A u f forderung an den Verband dar, seine inneren Angelegenheiten ausreichend zu regeln. Das „Wie" der Ausgestaltung bleibt der Gewerkschaft überlassen 24 . So betrachtet, erscheinen Normativbestimmungen der Koalitionsautonomie eher nützlich als sie beschränkend 25 . Immerhin könnten Normativbestimmungen die Flexibilität der Verbandsgestaltung behindern. Das wäre aber nur der Fall, wenn die Gewerkschaften einem Registrierungsverfahren unterworfen würden. Ein 23 Vgl. den ausführlichen Katalog des britischen Trade Union and Labour Relations Act 1974, sec. 6. 24 O. Kahn-Freund, Labour, 217 ff. 25 Damit wird auch — als Nebenprodukt — in Form des Legalitätsglaubens ein Beitrag zur Legitimität geleistet (Max Weber).

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

sachlicher Grund für eine Registrierung ist jedoch nicht ersichtlich, nachdem die Einhaltung der Normativbestimmungen auf andere Weise sanktioniert werden kann; darüber sogleich. Es bleibt somit gegen die Normativbestimmungen nur der grundsätzliche Hinweis auf die Freiheit der Koalitionen vor jeder staatlichen Intervention. Dieser Hinweis wurde schon entkräftet dadurch, daß i n praxi die Freiheit der Koalition i n zu geringem Maße auf der Freiheit der Koalitionsmitglieder beruht. Es bleibt aber noch i n Zweifel zu ziehen, ob die bloße Formalisierung historisch frei gewachsener Verbandstypen überhaupt einen Eingriff i n die Koalitionsfreiheit darstellt. Ebensowenig, wie die privat-, handels- oder gesellschaftsrechtlichen Form- bzw. Organisationserfordernisse die Privatautonomie beeinträchtigen, häufig sogar deren Betätigungsbedingungen bilden, garantiert A r t . 9 Abs. 3 GG den Koalitionen die Freiheit der Nichtorganisation, und zwar bereits deshalb nicht, weil eine Koalition der Zusammenschluß mehrerer Einzelner ist, unter denen mindestens vorrechtliche Regelungsbeziehungen bestehen müssen; w e i l aber die Gewerkschaften Massenorganisationen sind, muß ihre Organisation den Bedingungen der großen Zahl gerecht werden. Dafür, daß die Normativbestimmungen die freie Entwicklung der Gewerkschaften sachwidrig hemmen könnten, besteht nicht der geringste Hinweis: Jeder körperschaftlich verfaßte Verband kann die Normativbestimmungen erfüllen.

Die Durchsetzung der Normativbestimmungen muß letztlich m i t staatlicher Autorität erfolgen 26 . I n Betracht käme eine Registerpflicht, bei der die Anerkennung als Koalition an die Registrierung geknüpft ist. Aus Gründen des öffentlichen Interesses ist, wie oben I I I 3 a gezeigt, eine solche nicht angezeigt. Ein Eingriff i n die Gründungsfreiheit der Koalitionen ist aber auch aus den hier erörterten Gründen unzulässig, nachdem das einzelne Koalitionsmitglied jedenfalls i m Streitfall vor Gericht die Nichteinhaltung der Normativbestimmungen inzident rügen kann. Eine deklaratorische Registrierung kommt der Hinterlegung der Satzung bei einer oberen Arbeitsbehörde gleich. Beides könnte strafrechtlich bzw. als Verwaltungsunrecht sanktioniert sein oder als Obliegenheit ausgestaltet werden, d. h. die Nichtbefolgung der Pflicht zieht Nachteile für die Gewerkschaft nach sich, z. B. dergestalt, daß sie von der Beteiligung an öffentlichen Gremien ausgeschlossen bleibt. A l l e i n 26 U. Brisch, 100, 107 (Anm. 4), zur näheren Ausgestaltung von Sanktionen; vgl. auch M. Bullinger, Staatsaufsicht, 309 ff.

4.b) Anforderungen an die innere Struktur der Gewerkschaften

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unter dem Aspekt des Individualschutzes wären alle diese Zwangsmaßnahmen sicherlich unzulässig, da auch hier die subjektive Rechtsverfolgung genügende Gewähr für die Einhaltung des Satzungsrahmens böte. Anderes könnte sich jedoch wegen der oben für notwenig erachteten Publizität der Gewerkschaften rechtfertigen. Da aber die Publizität i n erster Linie der freiwilligen Durchführung seitens der Gewerkschaften anvertraut wurde, bedarf sie gesonderter Behandlung. Insgesamt ist also jede A r t von Registrierung abzulehnen. Die Obliegenheitslösung stößt zudem auf verfassungsrechtliche Hindernisse, weil die Koalitionen ihrerseits gegen einen derartigen Ausschluß vorgehen müßten. Eine solche Abwehrlast ist nicht, wie z.B. beim Handeln der öffentlichen Verwaltung durch Verwaltungsakt, durch Funktionserfordernisse zu rechtfertigen und widerspricht den Grundsätzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Eine Registrierung, um den Gewerkschaften Rechtsfähigkeit zu verleihen, ist nicht erforderlich, eine Regelung, wie in §§ 3, 37 PartG vorgesehen, genügt. Dem Verkehrsschutz derer, die mit kleinen Gewerkschaften kontrahieren, kommt nicht solches Gewicht zu, daß deshalb eine Registrierung erforderlich wäre. Die abweichenden Regelungen im angloamerikanischen Recht haben andere Hintergründe, in den USA den, daß die Gewerkschaften die Sozialkassen verwalten, eine Aufgabe, die in der Bundesrepublik staatlich ist, in England war Anlaß der Wunsch nach Konsolidierung des zerrissenen Gewerkschaftssystems, ein mit dem I.R.A. 1971 gescheiterter Wunsch.

Einzig angemessen ist eine gerichtliche Überprüfung der Satzung. Eine Sonderregelung dergestalt, daß i n einem eigenen Verfahren auf Antrag eines Mitglieds m i t Wirkung für alle Mitglieder u n d die Gewerkschaft die Konformität der Satzung m i t den Normativbestimmungen festgestellt werden könnte, wäre verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Für das Verfahren gäbe das Verfahren zur Feststellung der Tariffähigkeit ein gewisses Modell ab 2 T . These 22: Der Gesetzgeber kann und soll an den Formalisierungsgrad gewerkschaftlicher Binnenstruktur Mindestanforderungen stellen. Die Einhaltung dieser Mindestanforderungen kann nur i n einem gerichtlichen Verfahren überprüft werden. cc) Grundelemente repräsentativer Demokratie Die Verrechtlichung der Gewerkschaften allein garantiert dem M i t glied noch keinen „Status activus" i n der Gewerkschaft. E i n solcher verbandsbürgerlicher Status könnte aber die weitere notwendige Voraussetzung für eine effektive Ausübung der positiven Koalitionsfreiheit des Einzelnen sein. 27 Siehe oben I I I 3 a F N 45.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Der aus der Koalitionsfreiheit des Einzelnen abgeleitete Teilhabeanspruch am Koalitionsleben macht die Koalitionsmitglieder i n ihrer Gesamtheit zum „Souverän" der Koalition. Es ist die These eines repräsentativen Demokratieverständnisses, daß er sich i n Wahlen und A b stimmungen durchsetzt. Wahlen und Abstimmungen können aber nur als freie für gültige Legitimationsakte angesehen werden. Frei sind sie nur, wenn ihnen Informationsmöglichkeit und Meinungsaustausch vorausgehen und kein Zwang ausgeübt wird. Diese Bedingungen müßten demnach die Gewerkschaften erfüllen, u m den i n ihnen Koalierten ihre Koalitionsfreiheit nicht zu beschneiden, wenn die Umsetzung des Individualwillens i n den kollektiven Gesamtwillen dem Repräsentationsmodell entsprechen soll. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß ein Repräsentationsmodell auf freie Verbände wie die Gewerkschaften übertragen werden kann, darf und muß. Insbesondere zwei Arbeiten aus der letzten Zeit versuchen diese Übertragbarkeit zu rechtfertigen, ja, sie gehen sogar de lege lata von einem verfassungsrechtlichen Demokratiegebot für Gewerkschaften aus 28 . H. Föhr leitet es primär aus der Funktion der Interessenverbände für die Demokratie ab 2 9 . Er sieht die Verbände als Element plebiszitärer Demokratie, als Teile eines Systems differenzierter Gruppenfilter i n einem gesellschaftlich-staatlichen Kontinuum an. Daraus folgert er i n einer gewissen Entsprechung zur Lehre von der unmittelbaren D r i t t w i r k u n g der Grundrechte 30 die Übertragbarkeit der verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien staatlicher Demokratie auf die Verbände. Denn, so H. Föhr, A r t . 20 GG w i r k e i n den gesellschaftlichen Raum hinein, er gehe von einer Homogenität Staat-Gesellschaft aus. A r t . 21 Abs. 1 S. 3 GG sei nur eine besondere Ausprägung eines schon i n A r t . 20 GG angelegten Rechtssatzes. Nachdem sich die Verbände allenfalls graduell von den Parteien i n ihrer Bedeutung für die politische W i l lensbildung unterschieden, unterlägen beide Anforderungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. H. Föhr sieht zwar Grenzen für das Demokratiegebot, insgesamt aber stellt er äußerst strenge A n 28 Das führt zu der Frage, wie möglicherweise verfassungswidrige Satzungsvorschriften zu behandeln sind: Nichtigkeit ex tunc, ex nunc, Rechtswidrigkeitserklärung mit Aufforderung, neue Vorschriften in angemessener Frist zu erlassen? Vgl. K. Popp, 134. 2® Das folgende bei H. Föhr, 104 ff. so Vgl. ebd. 121 f., wo H. Föhr „Drittwirkung der Grundrechte" und „demokratische Aufbauprinzipien" in einen, allerdings nicht näher erläuterten Kontext bringt, der die Stellung der Verbände als staatstragende Organisationselemente umschreiben soll.

4.b) Anforderungen an die innere Struktur der Gewerkschaften

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forderungen an die verbandsinterne Demokratie 3 1 . Diese werden i m einzelnen erläutert. ff. Föhr argumentiert fast ausschließlich von der Funktion der Verbände i m politischen Willensbildungsprozeß und kann so gravierende Unterschiede zwischen Gewerkschaften und Parteien leicht überspielen 3 2 . Daß Demokratie i m Staat ein wertungsoffenes Verfahren ist, als solches aber auf einen Verband m i t vorgegebenen Zielen nicht ohne weiteres übertragbar sein kann, entgeht so der Problematisierung. Dementsprechend vernachlässigt H. Föhr das Grundrecht der Koalitionsfreiheit recht weitgehend, Strukturgesetzlichkeiten des eigentlichen und nach wie vor wesentlichen Tätigkeitsbereichs der Koalitionen kommen nicht ins Blickfeld. Wenn man m i t ff. Föhr davon ausgeht, daß A r t . 20 GG eine demokratische Willensbildung i n den gesellschaftlichen Organisationen fordert, die bei der öffentlichen Willensbildung m i t wirken, so besagt das doch noch nichts darüber, wie diese demokratische Willensbildung beschaffen sein muß. Zwar sagt ff. Föhr, man könne die demokratischen Grundsätze, die für den Staat gelten, nicht ohne weiteres auf die Verbände übertragen, doch t u t er es, ohne deren Existenz- und Handlungsbedingungen näher zu beleuchten. Insgesamt sind so ff. Föhrs Ausführungen nur ein Teilaspekt, nämlich zum Thema der Koalitionen als „politische Quasi-Parteien". A u f eine individualrechtliche Betrachtung vom Koalitionsmitglied her legt ff. Föhr kein Gewicht 3 3 , er bewegt sich also i m Rahmen dessen, was hier oben I I I 3 c ausgeführt wurde. Komplexer ist der Ansatz K> Popps. Er versucht, ausgehend von vorhandenen, hier i m wesentlichen oben I I behandelten Begründungen gewerkschaftlicher Demokratie 3 4 , das Demokratiegebot für die Koalitions- und die Interessenverbandsfunktion getrennt zu erarbeiten, dann aber ein gemeinsames Begründungsmerkmal zu finden. K . Popp sieht es i m Grundsatz, „daß die verfassungsrechtliche Zuweisung einer öffentlichen Aufgabe eine ihrem Zweck entsprechende Erfüllung verlangt, was zu vermehrten Rechten wie Pflichten führen kann" 3 5 . Diesen Grundsatz sieht K . Popp unmittelbar i n A r t . 9 Abs. 1 GG, der für i h n sedes materiae der Interessenverbandsfunktion ist, bzw. A r t . 9 Abs. 3 GG positiviert. Dann leitet K . Popp spezifisch verbandsrechtliche Demokratiepostulate ab. 31 So auch W. Reuß in einer Besprechung des Buches von ff. Föhr, DVB1. 1975, 155. 32 Kontrastierend dazu sei noch einmal auf die Ausführungen in BVerfGE 38, 281, 305 ff. hingewiesen. 33 Vgl. ebd., 118 ff. 34 Ebd., 49 ff. 35 Ebd., 132.

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Auch für K.Popp steht, was hier „Funktionszusammenhang" genannt wird, i m Vordergrund der Überlegungen. Der Legitimationszusammenhang 36 , das Teilhaberecht des Einzelnen als Element der Koalitionsautonomie, ist aber unbedingt m i t zu betrachten, denn vom Funktionszusammenhang her allein sind keine Maßstäbe für die Ausgestaltung der innerverbandlichen Willensbildung zu gewinnen. Wenn i n These 11 eine demokratische Willensbildung gefordert wurde, besagt das nicht mehr, als daß der gewerkschaftliche Gesamtwillen irgendwie auf die freien Entscheidungen der Gewerkschaftsmitglieder zurückzuführen sein muß. Die Oktroyierung einer demokratischen Ordnung durch den Staat aus Gründen der Funktionssicherung, die K . Popp postuliert, findet ihre Grenze also nicht nur i n der kollektiven Verbandsautonomie, sondern muß sich auch und vorrangig an der individuellen Koalitionsfreiheit und ihren Verwirklichungsbedingungen ausrichten. Darüber ist i m folgenden zu reden. Auszugehen ist mithin von der verfassungsrechtlich garantierten Verbandsautonomie. Es gilt zu untersuchen, inwieweit das individuelle Teilhaberecht des Koalierten einer sog. demokratischen Organisation 37 bedarf, um wirksam werden zu können. Es geht also um die Abgleichung einer kollektiven Gewährleistung mit einem Individualanspruch, um die Suche nach einer Ordnung, die beides so weitgehend und schonend wie möglich effektuiert und dabei den in den Thesen 2 - 1 9 geforderten Rahmenbedingungen genügt.

Ein Gesetz ist rechtsstaatswidrig und nichtig, wenn es etwas tatsächlich Unmögliches verlangt 3 8 . Wäre die Forderung nach repräsentativ-demokratischer Binnenstruktur i n den Gewerkschaften schlechth i n unerfüllbar, wäre sie unwirksam. Führte sie notwendig zu einer Existenzvernichtung der Koalition, verstieße sie unzweifelhaft gegen A r t . 9 Abs. 3 GG (Bestandsgarantie). Eine solchermaßen evidente Verfassungswidrigkeit kann man jedoch nicht annehmen. Dies zeigt das Beispiel der Parteien, die als freie Verbände durch den Verfassungsgeber demokratischen Grundsätzen unterworfen wurden. Daraus lassen sich folgende Verallgemeinerungen herleiten, von denen die dritte besonders wichtig ist. 3« Bei K. Popp auf S. 70 ff. und 104 ff. eher marginal und ohne weiterführenden Stellenwert behandelt. 37 K. Popp, 132, ist darin zu folgen, daß der Begriff „demokratisch" in der Diskussion um inner verbandliche Willensbildung mehr zur Abkürzung zu verwenden ist, jedenfalls nicht, um bestimmte tradierte Ideale, die sich mit ihm verbinden, zu verfolgen und so zu entwerten. Vgl. schon oben in der Einleitung! 38 Vgl. BVerfGE 30, 250 ff.: „Das Rechtsstaatsprinzip verbietet belastende Gesetze, die zur Erreichung der Gesetzeszwecke schlechthin untauglich sind" (Satz 1 des Leitsatzes). Das bezieht sich zwar auf ein wirtschaftslenkendes Gesetz, soll hier aber als allgemeingültig unterstellt werden.

4.b) Anforderungen an die innere Struktur der Gewerkschaften

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— Ein Gesetz, das einem Verband der gesellschaftlichen Sphäre Demokratie gebietet, ist möglich. Es läßt sich dem Grundgesetz nicht entnehmen, vielmehr spricht A r t . 21 GG dagegen, daß allein die Freiheit eines Verbandes zur Demokratie i m Verband führt, auch wenn dieses Argument angesichts des historischen Kontrastes und angesichts der unmittelbaren Bedeutung der Parteien für den Staat an K r a f t verliert. — Die Parteien als frei gebildete Verbände verlieren durch ein Parteiengesetz nicht den Status als freie gesellschaftliche Vereinigungen. — Da auch die Parteien nach außen als Einheit und, wenn auch nicht wie die Koalitionen gegen einen direkten Gegenspieler, so doch als Kampforganisationen auftreten müssen, läßt sich A r t . 21 Abs. 1 S. 3, Abs. 3 GG entnehmen, daß das Grundgesetz entweder eine Effizienzminderung der Parteien durch Demokratie nicht sieht oder eine solche i n Kauf nimmt, daß jedenfalls Demokratie und Verbandswesen nicht unvereinbar sind. Die Feststellung, daß ein freier Verband demokratisiert werden kann, h i l f t jedoch nicht weiter bei der Entscheidung, inwieweit die aus Gründen des öffentlichen Interesses geforderte demokratische Gewerkschaftsstruktur vom Gesetzgeber konkretisiert werden darf. Die Vielzahl der Möglichkeiten erscheint nahezu beliebig. I m Gegensatz zum Parteienrecht, wo die Zulässigkeit gesetzlicher Regelung feststeht, gilt für den Bereich der Koalitionen lediglich, daß sie aus Gründen des öffentlichen Interesses demokratisch organisiert sein müssen, es gibt also nur eine allgemeine Rahmenbestimmung. Eine nähere Ausgestaltung dieses Rahmens bedarf, wie gerade i n einer K r i t i k an K . Popp angedeutet, ihrerseits weiterer Rechtfertigung, sie kann also nur zum Schutz des Koalitionsmitglieds erfolgen. Der Gesetzgeber ist, wie oben aa) gezeigt, befugt, die Voraussetzungen für die Freiheit der Mitglieder, sich für die eine oder andere Ausgestaltungsmöglichkeit selbst zu entscheiden, sicherzustellen. Das aber heißt: Solange sich nicht Verfassungsnormen finden, die A r t . 9 Abs. 3 GG einem Vorbehalt der partizipatorischen Demokratie unterstellen (darüber unten dd), kann ein Gesetz nicht mehr Garantien für einen demokratischen Entscheidimgsvorgang fordern als unstrittigen M i n i malforderungen des Demokratieprinzipis entspricht 39 , i m Grunde eben nur diejenigen formalen Sicherungen, die eine SchumpeterscSae Wettbewerbsdemokratie braucht, also Garantien freier und gleicher Wahl von Repräsentanten auf Zeit, gestützt auf Informations- und Meinungsfreiheit, korrigiert eventuell durch den Schutz von Minderheiten 4 0 . 39 O. Kahn-Freund, Labour, 213; M. Kriele, Das demokratische Prinzip, 76; Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Art. 9 R N 5 6 ; weitergehend bereits Parteienrechtskommission, 156 ff. 18 Gerhardt

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Stellt man kurz die gewerkschaftsspezifische Funktions- und Legitimationsproblematik zurück, so bestünden keine Einwände, daß der Staat folgendes regeln könnte: — den Grundsatz der periodischen Wahl der Verbandsführung; — den Berechnungsmodus von Vertreterversammlungen i m allgemeinen, die Höchstzahlen von ex-officio-Stimmrechten und Kooptationsmöglichkeiten und den Schutz des Wahlgeheimnisses; — die Gleichberechtigung der Mitglieder, darunter u. a. die Gewährleistung der Chancengleichheit von Kandidaten, die nicht „Regierungskandidaten" sind, sowie Gewährleistungen einer angemessenen Repräsentanz von Minderheiten, ferner die Ausgestaltung der Antragsberechtigung im allgemeinen, z. B. der Zusammensetzung einer Antragskommission; — das Recht der Mitglieder auf Information im allgemeinen, auf Freiheit der Meinungsäußerung und Versammlung, darunter eine Absicherung vor dagegen gerichteten Verbandsstrafen, z. B. durch obligatorische Schiedsgerichte, schließlich das allgemeine Recht von Minderheiten, als solche im Verband aufzutreten.

Andere Grundsätze der Staatsorganisation oder des Parteienrechts greifen über diese Basisanforderungen von Demokratie bereits hinaus, so z. B. die Institutionalisierung eines ständigen Gewerkschaftsparlaments oder die Vorschrift der Unmittelbarkeit der Wahl. Es würde jedoch der Tradition der Gewerkschaftsorganisation entsprechen, einen Gewerkschaftstag vorzusehen. Das Eingehen auf diese Form demokratischer Kontrolle wäre zulässig, ja sogar geboten, da der Gesetzgeber sich an den herkömmlichen Verbandsformen orientieren soll 4 1 . Jedenfalls könnte aber eine Gewerkschaft, die einen Gewerkschaftskongreß als Organ vorsieht, auf die Idee seines Funktionierens verpflichtet werden, z.B. hinsichtlich der Grundsätze der Rechenschaftslegung oder der Möglichkeiten der Fraktionsbildung. I m folgenden w i r d davon ausgegangen, daß ein Gewerkschaftskongreß als höchstes Gewerkschaftsorgan i n jeder Gewerkschaft besteht. Blendet man zurück auf die Gewerkschaftssatzungen zur Zeit, so ergibt sich zum Teil ein Defizit, insbesondere in bezug auf die Chancengleichheit von Wahlkandidaten, die Abstimmungsfreiheit (Antragskommission) und die Absicherung der Informations- und Meinungsfreiheit der Mitglieder, vor allem gegen Disziplinarmaßnahmen.

Die zunächst zurückgestellten Einwände gegen dieses Konzept zerfallen i n zwei Gruppen. Der erste betrifft die Befürchtung einer Effizienzminderung und damit Störung gewerkschaftlicher Funktionswahrnehmung. Denn, so 40 Häufig wird dieser bereits in Meinungs- und Versammlungsfreiheit gesichert angesehen; er bedarf jedoch institutioneller Absicherung, H. Ridder, 12 f.; vgl. §15 Abs. 3 PartG. « BVerfGE 4, 96, 108.

4.b) Anforderungen an die innere Struktur der Gewerkschaften

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dieser Einwand, Demokratie sei notwendig ein wertungsoffenes Verfahren, die Gewerkschaften seien aber von vornherein auf bestimmte Ziele verpflichtet. Dieser Einwand begegnet einem i n verschiedenen Varianten. Gegen die Stärkung der Individualposition des Mitglieds i n der Gewerkschaft w i r d der Gedanke der Solidarität vorgebracht, der sich der Einzelne unterworfen habe und die i h n zwingt, auch Disziplin zu wahren — schließlich sei eine Gewerkschaft eine Kampforganisation. Dieser Gedankengang zäumt das Pferd von hinten auf. Wann die Gewerkschaft Kampforganisation zu sein hat, bestimmen i m Grundsatz die Mitglieder als „Souverän" des Verbandes. Folglich ist die Verbandsführung, die m i t der Umsetzung des Willens der Mitglieder i n Aktionen betraut ist, verpflichtet, Informationen zu geben und dissentierende Stimmen zumindest zu dulden, wenn ihnen schon nicht die Freiheit, sich über die offiziellen Informationskanäle zu Wort zu melden, eingeräumt wird. Die Vorstellung, einmal gewählt, frei schalten und walten zu können, widerspricht gerade dem Gedanken der Solidarität i n eklatanter Weise 42 . Aus diesem Grund ist auch nicht einzusehen, warum der Ausschluß eines Mitglieds auch ohne förmliches Verfahren vor einem Schiedsgericht durchführbar sein soll: Präventivstrafen, die der Vorstand schnell und exemplarisch und ohne vorläufigen Rechtsschutz für den Betroffenen i n krassen Fällen verhängen kann, widersprechen dem Mitgliedsstatus. Wenn anders Loyalität „ i m V o l k " nicht hergestellt werden kann, ist das eher Indiz für die mangelnde Legitimität der Verbandsführung als Beweis der Fürsorge der Verbandsführung für das Gewerkschaftswohl. Zwar ist sicher richtig, daß für einen Verband i m Stadium des Kampfes eine gewisse Ideologisierung zur Mobilisierung der Kräfte erforderlich ist, auch ist zuzugeben, daß schon wenige Stimmen, die querschießen, diesen Fronteffekt i n Frage stellen können, doch ist das keine Rechtfertigung für die dauernde Unterdrückung interner Dissense. E i n Verband muß interne Opposition vor dem akuten Konfliktsfall berücksichtigen, er muß seine Kampagne vorher i n Diskussion und Abstimmungen absichern, dann mag er ein gesondertes „Kriegsrecht" einführen, keinesfalls ist er gerechtfertigt, dieses i m Normalzustand aufrechtzuerhalten. Der für das Tarifwesen kennzeichnende Wechsel von Friedensphasen 43 und Kampfphasen erfährt so auch seine verbandsintere Berechtigung. 42 „Solidarität" hier begriffen als Umschreibung für „Gemeinschaftlichkeit", die aber nicht herausgelöst ist aus dem Prinzip der Selbstverantwortlichkeit des Einzelnen. Die Spannbreite von „Solidarität" ist außerordentlich groß: Von „fraternité" bis „Klassendisziplin" erstreckt sich der Appell, der sich mit dem Wort verbindet. 4 3 Der These W. Abendroths, Innergew. Willensbildung, 264 ff., es gebe nie eine Friedensphase, ist nicht zu folgen, soweit sie sich nicht nur auf den

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Wenn die Gewerkschaften um die Loyalität ihrer Mitglieder bangen müssen, so möglicherweise auch deshalb — neben anderen Gründen wie materiellen Interessen, schlichter Gleichgültigkeit etc. —, weil ihre A r t der Meinungsbildung und damit Loyalitätssicherung über die Tarifkommissionen und Urabstimmungen, von Wahlen ganz zu schweigen, nicht effektiv ist, sofern nicht evidente „Erfolge" von der Verbandsspitze angeboten werden 4 4 .

Der These, eine Verbandsregierung könne, Informationspflichten ausgesetzt und i n ständigem Kampf gegen Abweichler, nicht m i t der nötigen Effektivität arbeiten, ist nur eine Variante des schon Vorgebrachten. Ebenso die Entgegnung: Die laufenden Geschäfte werden nicht behindert, es ist auch und vornehmlich Aufgabe der Verbandsspitze, den Meinungsaustausch unter den Mitgliedern zu fördern, die Verbandsspitze hat kein Recht zur Manipulation, geschweige denn auf Manipulation, die Aufdeckung taktischer Überlegungen w i r d nicht verlangt. Der zweite Einwand weist auf die spezifische Struktur gewerkschaftlicher Legitimationsmechanismen hin. Die vorgesehenen Demokratisierungsmaßnahmen, so der Einwand, strebten trotz allgemeiner Formulierung einem Ideal staatlicher Demokratie nach, das für den Staat gut sei, weil er nicht zerfallen könne. Dieses Demokratiemodell bedürfe nämlich eines geregelten Wettbewerbs, der sich nur über Parteien und Fraktionen herstellen lasse. Diese innergewerkschaftlich zuzulassen, gefährde jedoch die Existenz des Verbandes als Einheit i n selbstmörderischer Weise, Fraktionen seien der Ruin einer Gewerkschaft. Daher seien die Gewerkschaften, die sich doch immer u m Demokratie bemühten, zu einem anderen System der Demokratie gekommen, das, gewachsen, wie es sei, nicht durch gesetzlichen Kahlschlag vernichtet werden dürfe. Es bestünde aus einer strikten Persönlichkeitswahl, m i t einem Netz von Machtverschränkungen durch eine A r t Rumpfparlament, durch Urabstimmungen, Erfolgskontrolle durch Mitgliederbewegung einerseits, durch die Rückkoppelung über Vertrauensleute und Betriebsräte andererseits. Die Berücksichtigung von Sachprogrammen sei durch die weitgehenden Antragsrechte zum Gewerkschaftstag garantiert. Dieses System durch ein gesetzliches, das obendrein disfunktionalisierend wirke, zu ersetzen, sei verfassungswidrig. abstrakten Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit beziehen soll. Es entspricht nicht nur dem Ordnungsziel der Tarife, sondern jeder Art von Vereinbarung, daß man seine weiterreichenden Ziele für gewisse Zeit nicht streitend weiterverfolgt. Die Tendenz zu äußerst kurzen Laufzeiten von Tarifverträgen (z.B. weniger als neun Monaten) gibt zu Bedenken Anlaß, weil durch sie die Befriedung der Arbeitswelt in Gefahr gerät. Dies könnte in absehbarer Zeit dazu führen, daß man Mindestlaufzeiten für Tarifverträge ernsthaft erwägen müßte. 44 Vgl. oben I I 3 c.

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Erinnert man sich, daß hier Minimalprinzipien der Eigenentscheidung der Mitglieder zur Debatte stehen, ferner, daß die Gewerkschaften i n ihren Satzungen eine parlamentarisch-repräsentative Demokratie übernehmen wollen, dann t r i f f t der Einwand auf weite Strecken nicht. Die angeführten bloß informellen Rückkoppelungsmechanismen schließen die Mitglieder ja gerade aus. Daß Urabstimmungen erfahrungsgemäß zu gut „vorbereitet" sind, als daß sie als Meinungsäußerungen des einzelnen Mitglieds gelten können, w i r d kaum bestritten, überhaupt ist Skepsis geboten gegenüber allen plebiszitären, d. h. an die Masse i n ihrer Unstrukturiertheit appellierende Verfahren 4 5 . Entscheidend jedoch ist, daß eine gewisse Stabilisierung der Meinungen i n Flügeln, Fraktionen usw. für die Wahlentscheidung des Einzelnen unerläßlich ist, und zwar aus folgenden Gründen: — Mobilität und Fluktuation der Arbeitnehmer verhindern weitgehend die Bildung einer constituency, der der Delegierte gegenüber verantwortlich wäre; eine gewisse „Parteidisziplin" ersetzt diese. — Aus den gleichen Gründen sieht sich das Gewerkschaftsmitglied häufig neuen Gesichtern gegenüber, denen Vertrauen auszusprechen er keine Grundlage hat; die Zuordnung zu bestimmten Richtungen, Fraktionen, o. ä. erleichtert seine Entscheidung. — Die Wahl einer Person soll auch einen K e r n von Programmwahl haben; dazu ist die Kenntnis erforderlich, welche Delegierten zusammengehen und wofür sie stimmen werden. Z u diesen Gesichtspunkten treten weitere, die nicht unmittelbar die Wahlchance des Mitglieds berühren, sich aber mittelbar auf sie auswirken, da sie die Vorbedingungen gewerkschaftsinterner Öffentlichkeit, Meinungsbildung und Opposition betreffen. — Nur dann, wenn der Gewerkschaftstag bzw. die anderen Versammlungen i n sich strukturiert sind, können sie ein Gegengewicht zum Hauptvorstand und den Altfunktionären i n den anderen Leitungsgremien bilden, das nicht dessen Führung hilflos ausgeliefert ist. — Es ist ein Minderheitenschutz nur dann möglich, wenn Minderheiten Kommunikationsformen entwickeln und bis zu einem gewissen Grad verfestigen können. — Es wäre höchst verwunderlich, wenn derartige polare Strömungen i n den Gewerkschaften nicht bestünden. Es kann der Öffentlichkeit in den Gewerkschaften nur zuträglich sein, wenn diese aus ihrem Kryptodasein hervorgeholt werden. 45 A . A . W. Reuß, DVB1. 1975, 155, der die Urabstimmung für die ideale demokratische Form hält. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zurückhaltend K. Popp, 124 ff.; H. Föhr, 185 f.

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— Wiederum ist darauf hinzuweisen, daß die Idee der Einheitsgewerkschaft das Risiko einer Opposition i n Kauf nehmen muß. Damit erweist sich auch der zweite Einwand gegen eine repräsentativ-demokratische Struktur der Gewerkschaften als nicht durchschlagend. Zugleich hat sich gezeigt, daß die Forderung nach Gleichheit der Koalitionsmitglieder diese Struktur zwingend fordert. Würden dem Einzelnen Alternativen durch Beschränkung abweichender Ansichten, Benachteiligung von Kandidaten oder einseitige Informationspolitik vorenthalten, kann er nicht wirklich entscheiden. Er kann nur dann zu einer Kontrolle der Verbandsführung und damit zur Berücksichtigung seiner Interessen beitragen, wenn eine interne Gewerkschaftsopposition m i t einem gewissen Status bestehen kann, die die Alternativen propagiert. Aus diesen Gründen sind gesetzliche Maßnahmen, die die Chancen einer innergewerkschaftlichen, strukturierten Meinungsbildung fördern, zulässig und notwendig. Inwieweit sie dann zu einer berufsständischen oder politischen Opposition führen, ist wiederum den Kräften i n den Gewerkschaften überlassen. Jedenfalls ist eine Kontrolle der Verbandsführung ohne Fraktionsbildung ein hoffnungsloses Unterfangen. These 23: Die Absicherung der „verbandsbürgerlichen" Gleichheit durch gesetzliche Maßnahmen, die eine repräsentativ-demokratische Willensbildung i m Verband anstreben, stellt keinen verfassungswidrigen Eingriff i n die Autonomie der Koalitionen dar; sie ist i m Interesse einer effektiven Kontrolle der Verbandsspitze zu fordern.

I m einzelnen ergibt sich daraus folgender Katalog notwendiger nahmen zur Demokratisierung der Gewerkschaften:

Maß-

Erstens, betreffend die Mitgliedschaft: Das Mitglied ist vor willkürlichem Ausschluß zu sichern. Es darf demnach nur ausgeschlossen werden, wenn ein Grund vorliegt, der seine Aufnahme in die Gewerkschaft verhinderte, und wenn durch die weitere Mitgliedschaft der Gewerkschaft ein schwerer Schaden droht 4 6 . Die Einrichtung eines Schiedsgerichts ist nicht unbedingt nötig, wenn auch wünschenswert, allerdings stimmen die Erfahrungen mit den Parteischiedsgerichten etwas nachdenklich. 46 Anders § 10 Abs. 4 PartG; der Eintritt eines „Schadens" dürfte sich nie manifest machen lassen, ein weiter Begriff des „Schadens" wird unumgänglich, damit geht aber die rechtsstaatliche Funktion klarer Tatbestandsfassung verloren.

4.b) Anforderungen an die innere Struktur der Gewerkschaften

279

Andererseits darf ein Mitglied nicht gegen seinen Willen zum Verbleib in einer Gewerkschaft gezwungen werden 4 7 . Folglich darf die Kündigungsfrist des Mitglieds nicht länger sein, als für die verwaltungsmäßige Abwicklung nötig. Der Zeitraum von einem Vierteljahr erscheint reichlich. Dem Interesse der Gewerkschaft nach möglichst geringer Fluktuation ist dadurch entgegenzukommen, daß keine Regelung über die Anwartschaft auf gewerkschaftliche Leistungen getroffen wird. Hier werden sich die internen Interessen gegeneinander von selbst auf eine vernünftige Lösung einpendeln. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist zu gewährleisten. Das Recht, abweichende Meinungen zu publizieren, ist in seiner Ausgestaltung der Koalitionsautonomie zu überlassen. Die Bildung von Initiativgruppen oder Gruppen zur Unterstützung bestimmter Kandidaten darf nicht einer Genehmigungspflicht des Vorstandes oder eines sonstigen Gewerkschaftsorgans unterliegen. Der Regelung in der Satzung ist aufzugeben, derartigen Gruppen ein angemessenes Publikationsrecht einzuräumen. Zweitens, betreffend die Willensbildung: Vertreter- bzw. Mitgliederversammlungen haben auf Ortsebene jährlich, auf Bezirks- und Bundesebene mindestens alle drei Jahre stattzufinden. Sie sind das oberste Organ der jeweiligen Organisationsebene. Die Grundsätze der Zusammensetzung der Vertreterversammlungen sind in der Satzung niederzulegen, die Anzahl der Mitglieder in den Vertreterversammlungen kraft Satzung (ex-officio) muß zahlenmäßig in der Satzung niedergelegt sein, sie darf die Willensbildung nicht bestimmen können 48 . Die Delegierten sind in geheimer, gleicher und freier Wahl für die Dauer bis zum nächsten Gewerkschaftstag zu bestimmen. Delegiertenwahlen sind angemessene Zeit vor der Versammlung der Ortsgruppe, in der die Wahl stattfinden soll, bekanntzumachen mit der Aufforderung, Wahlvorschläge einzureichen. Die Satzungen müssen regeln, wie Wahlbewerbern, deren Ernsthaftigkeit durch ein nicht zu hohes Quorum nachgewiesen ist, zumindest auf Bezirks- und Bundesebene das Recht einer Vorstellung in der Gewerkschaftspresse eingeräumt wird. Über Anträge zu den Vertreterversammlungen können nur diese selbst oder von ihnen gewählte Kommissionen entscheiden. Die Satzungen haben detaillierte Vorschriften über die Rechnungslegung an die Vertreterversammlung vorzusehen, insbesondere sind alle Treuhandgesellschaften zu Publizität im aktienrechtlichen Sinn gegenüber der obersten Vertreterversammlung (Gewerkschaftskongreß) zu verpflichten. Die Geschäftsberichte müssen rechtzeitig vor der jeweiligen Vertreterversammlung vorliegen. Sie sind vorher von Rechnungsprüfern zu prüfen, die von der Vertreterversammlung gewählt worden sind. Gewerkschaftsvertreter in öffentlichen Gremien und den Unternehmen der Wirtschaft sind wie Delegierte zu wählen.

47

Vgl. § 10 Abs. 2 S. 3 PartG; R. Dietz, 450. Vgl. § 9 Abs. 2 PartG, wonach nicht mehr als ein Fünftel der Sitze in einer Vertreterversammlung an Vertreter kraft Satzung fallen dürfen. 48

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dd) Demokratisierung durch Anreicherung der Elemente partizipatorischer Demokratie Angesichts der stark polarisierten Diskussion 49 u m die Reichweite des demokratischen Prinzips i n Staat und Gesellschaft sowie seiner rationalhumanistisch-individualrechtlichen Komponente erscheinen die bislang erörterten und bejahten Demokratisierungsmöglichkeiten des Gesetzgebers i m Bereich der Koalitionen recht dürftig, nicht zukunftsweisend, geschweige denn i n irgendeiner Weise „emanzipatorisch", sie verrechtlichen lediglich, allenfalls beseitigen sie Machtmißbräuche der Gewerkschaftsexekutive, ohne die Mitglieder aus ihrer apathischen Nichtbeteiligung aufzurütteln. Wenn i n den Gewerkschaften die Möglichkeiten des Einzelnen, seine eigenen Interessen einem offenen Diskussionsund Entscheidungsprozeß zu überantworten, wesentlich behindert sind, er aber, wie festgestellt, auf die Gewerkschaften i n hohem Maße angewiesen ist, dann, so könnte man schließen, eröffnet sich ein Zuständigkeitsbereich des Gesetzgebers, regelnd i n die Koalitionsautonomie einzugreifen. Die Rechtfertigung dafür könnte i n einem verfassungsrechtlichen Gesamtbild des Menschen liegen, das zu v e r w i r k lichen der Gesetzgeber befugt ist, soweit gesetzliche Regelungen überhaupt eine solche Änderung bewirken können und die Verfolgung der Koalitionszwecke nicht sachwidrig gehemmt wird. Es liegt auf der Hand, daß die Einschätzung dieser These sich beziehen muß auf i h r zentrales Element, das Verständnis des verfassungsrechtlichen Menschenbildes: Erst i n dessen Licht kann die Entwicklung der Gewerkschaften zu bürokratischen Verwaltungseinheiten, die sich durchaus i n Wahlakten legitimieren, als Beschneidung der Interessen der Gewerkschaftsmitglieder erscheinen. Erst die Vorstellung gesellschaftlicher und politischer Lebens- und Aktionsbereiche des Einzelnen hilft, die Gewerkschaften als ein politisches Forum zu verstehen, an dem m i t w i r k e n d teilzunehmen, ein Anspruch bestehen kann über die bloß materielle Nutznießung hinaus, die ebenfalls gegeben ist. Schon oben I I 3 b wurde darauf hingewiesen, daß die Voraussetzungen demokratischer Teilhabe, die i m Prägungs- und Bildungsbereich des Einzelnen liegen, nicht Gegenstand koalitionsgesetzlicher Regelung sein können. I n Frage stehen daher Maßnahmen, die die Verbandsentscheidung an den Einzelnen heranrücken, i h m eine Mitwirkungschance eröffnen, die nicht nur der staats- und verbandsbürgerlichen Gleichheitsfiktion für Wahlen und Abstimmungen entspricht, sondern darüber 49 E. W. Böckenförde, 20 ff.; W. Däubler, 44 f.; W. Hennis, Demokratisierung, a.a.O.; H. H. Klein, Demokratie, 170 ff.; H. Ridder, 14 ff.; H. H. Kupp, Freiheit und Partizipation, NJW 1972, 1537 ff.; für einen offenen Demokratiebegriff i m Grundgesetz M. Kriele, Das demokratische Prinzip, 74 ff.; W. Geiger, 241 ff.

4.b) Anforderungen an die innere Struktur der Gewerkschaften

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hinaus situationsbezogene und motivierungsfähige Öffentlichkeit bedeuten. Folgende gesetzliche Vorschriften sind zu diskutieren: — Föderalisierung des Aufbaus der Gewerkschaften, möglicherweise entsprechend §7 PartG; — Maßnahmen zum Abbau der Statusdifferenzen, insbesondere Abbau von Ämterhäufung, Begrenzung der Wiederwahlmöglichkeit, Ersetzung des Vorstandsprinzips durch ein weiterausgreifendes Kollegialprinzip oder Dezentralisierung der Kompetenzen, Mitgliederöffentlichkeit der Gewerkschaftsorgane; — Eingriffe in die Freiheit der Kompetenzverteilung, insbesondere in bezug auf die unterste Gewerkschaftsebene, aber auch hinsichtlich der Verantwortlichkeiten für Presse- und Bildungswesen und die Finanzen.

A l l e diese Maßnahmen stellen gravierende Beschränkungen der inneren Organisationsfreiheit der Gewerkschaften dar. Davon ausgenommen scheint lediglich die Vorschrift eines verbandsmäßigen (föderalen) Aufbaus der Gewerkschaften, die dem tradierten Verständnis horizontaler und vertikaler Gewaltenteilung und somit freiheitlichdemokratischer Ordnung entspricht. Jedoch erweisen der Blick auf das Verhältnis Bund—Länder sowie die zwiespältigen Erfahrungen des Parteienrechts 50 , daß ein verbandsmäßiger Aufbau allein ohne echte Kompetenzverlagerung nach unten seine Ziele, nämlich die „Mehrung demokratischer Kontrollen", größere Lebensnähe und größere Entscheidungsrichtigkeit durch Sachnähe, schließlich die Steigerung des politischen Interesses, nicht erreicht. Die erforderliche Kompetenzverschiebung aber stellt einen erheblichen Eingriff i n die Verbandsfreiheit dar, da die Außendeterminanten zu vielfältig und variabel sind, als daß es nicht den Gewerkschaften überlassen bleiben müßte, ob sie den Akzent mehr auf eine regionale oder mehr auf eine berufsverbandliche Struktur legen, wie sie der Konzentration der Industrie, des Handels, etc. Rechnung tragen wollen. Die Berechtigung des Gesetzgebers, dennoch die Beliebigkeit koalitionsautonomer Gestaltung so weit zurückzudrängen, setzt voraus, daß der Freiheitsraum des A r t . 9 Abs. 3 GG mitbestimmt w i r d von anderen Vorschriften des Grundgesetzes, die es dem Gesetzgeber ermöglichen, die Partizipation des Einzelnen sowohl i m staatlichen wie i m gesellschaftlichen Bereich positiv zu verstärken. M. a. W.: Menschenbild und Demokratieverständnis des Grundgesetzes müssen nicht nur so offen sein, daß sie partizipatorische Elemente decken, sondern sie müssen auch dem Staat das Recht geben, als Staat durch seine Gesetzgebungsorgane diese Elemente i n der gesellschaftlichen Sphäre durchzusetzen, 50

Vgl. B. Zeuner, Innerparteiliche Demokratie, 1969, 44, 48 f.

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notfalls auch m i t Zwang — so müßte wohl die letzte Konsequenz lauten. U m das Ergebnis vorwegzunehmen: Die i n A r t . 9 Abs. 3 GG geschützte gewerkschaftliche Autonomie ist nicht aufgrund A r t . 1, 20 GG einschränkbar. 50 verblüffend bis abwegig die Vorstellung einer Einschränkung der Koalitionsfreiheit durch „Menschenwürde" und „Sozialstaatspostulat" sein mag, es lohnt sich dennoch, den Gedanken hypothetisch zu verfolgen, da einige Aspekte auf das Verständnis repräsentativer Demokratie zurückwirken können und so das oben cc) entworfene Bild abrunden.

Wie immer man den Partizipationsgedanken als verfassungsrechtlich geboten oder nur möglich ableitet — es handelt sich immer u m den Rekurs auf sehr allgemeine, Leitlinien suchende Ausfüllungen der „Generalklauseln" des Grundgesetzes 51 mit human- und sozialpolitischen Vorstellungen, die eine subjektive Seite (Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit 52 ) und eine institutionelle (Gleichheit, Öffentlichkeit, Demokratie 5 3 ) haben —, das Ergebnis dieser Überlegungen als richtig unterstellt, kann man sich des Gefühls innerer Widersprüchlichkeit nicht erwehren, wenn durch Gesetz emanzipiert werden soll 6 4 . I n der Tat dürften die Befürworter eines Grundrechts auf Mitbestimmung, einer weiten Auslegung der Sozialstaatsklausel und des Demokratiepostulates, was bisher Demokratisierung der Verwaltungsentscheidungen 05 und der Bildungseinrichtungen 5 6 sowie der Gesellschaft = Wirtschaft bedeutete, höchst erstaunt sein, wenn sich diese Postulate nunmehr gegen die Gewerkschaften kehren sollten, zu deren Gunsten sie zum Teil geradezu naiv, jedenfalls affirmativ 5 7 sich ge51 D. h. als Einbruchstelle für normative Vorstellungen eines anderen Systems (z.B. i m Verhältnis Zivilrecht — Verfassungsrecht) benützte Formeln, hier offen für alle Arten metajuristischer Wertungen. 52 Nur als Beispiel: W. Däubler, 129 ff., der sich gegen die „klassischen" Anwendungsfälle des Art. 1 G G als historisch und für heute verkürzt wendet und Art. 1 G G sich als Grundrecht auf Mitbestimmung allgemeiner Art zu Diensten macht. 53 Nur als Beispiel: H. ff. Klein trennt strikt das Verfahren Demokratie zur Einsetzung politischer Herrschaft, aufbauend auf der Fiktion staatsbürgerlicher Gleichheit (Demokratie, 169, 171), von der Möglichkeit gesellschaftlicher Gleichheit. 54 Konsequent will W. Däubler die Mitbestimmung von unten her, aus der Tarifautonomie und der betrieblichen Sphäre entwickeln. 55 Vor allem im Planungsbereich; Übersicht bei P. Dagtoglou, 713 f.; ff. ff. Klein, Demokratie, 173 f., zu den Grenzen der Selbstverwaltung. 56 Vgl. z.B. die abw. Meinung zu BVerfGE 35, 79, 148ff.; Hauptzielrichtung von W. Hennis, Demokratisierung, a.a.O.; auch die Umstrukturierung der Presseunternehmen könnte hierher zählen. 57 Erklärlich ohne weiteres aus der Argumentationsrichtung gegen diejenigen Kräfte, die den Gewerkschaften möglichst jeden Spielraum beschneiden wollen: Wer will schon Gefahr laufen, durch offene Kritik am eigenen Vertreter dem Gegner Blößen aufzudecken?

4.b) Anforderungen an die innere Struktur der Gewerkschaften

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äußert haben. Sie würden auf das sozialstaatliche Rückschrittsverbot verweisen und so die staatliche Einmischung i n die Gewerkschaften zum allermindesten als ahistorisch ablehnen. Darauf hingewiesen, daß Emanzipation und Mitbestimmung doch prinzipielle Wert- und Zielvorstellungen seien, die nicht vor den Toren der Gewerkschaften halt machen könnten, würden sie darauf hinweisen, daß die Zuhilfenahme des Staates bei den anderen Demokratisierungsvorhaben nötig sei, weil und soweit die gesellschaftlichen Kräfte selbst nicht die fremden, festgefügten Herrschaftskomplexe (Verwaltung, Hochschule, Kapital) aufsprengen könnten, daß bei den Gewerkschaften aber ein Feld demokratischer Selbstorganisation vorliege. Der Widerspruch liegt — so wie das Argument hier ausgebreitet wurde — offen zutage: Wer i m gesellschaftlichen Bereich „Wirtschaft" nicht an die Gleichheit der Selbstverwirklichungsmöglichkeiten i m Wettbewerb glaubt und daher mitbestimmen w i l l , hat es schwer darzutun, warum i m gesellschaftlichen Bereich „Gewerkschaft" plötzlich der Einzelne das freie Spiel der Kräfte zu seinen Gunsten wenden können soll, zumal das A n griffsziel emanzipatorischer Forderungen nicht das „ K a p i t a l " ist, sondern die angebliche Tatsache der „Entfremdung" und „Objektstellung des Arbeitnehmers i m Verwertungsprozeß", beides auch Elemente der Gewerkschaftsstruktur! Daß dem Sozialstaatspostulat ein Freigehege uneingeschränkten Wettbewerbsdenkens immanent sein soll, nämlich das des Gewerkschaftsapparates, mag für eine historische Epoche der Erzielung gewisser Grundbedingungen sozialer Lebensgestaltung richtig gewesen sein 58 , überholt sich aber m i t dem Abzielen auf neue und weitere „Sozialisierung". Sozialstaatlichkeit als dynamische Forderung nach Wohlfahrt der Gesellschaftsglieder, ist ambivalent: Sie garantiert den sozialen Besitzstand des Einzelnen, nicht den Besitzstand oligarchischer Herrschaftsbeziehungen 59 , diesen gefährdet sie möglicherweise sogar. Eine andere Facette desselben Gesamtkomplexes besteht darin, daß Autoren, die den Gesetzgeber für auf Gleichheit i m emanzipatorischen Sprachgebrauch verpflichtet halten, die Folgerung ziehen müßten, daß der Gesetzgeber berechtigt ist, die Freiheit gesellschaftlicher Formie58 Sie dürfte mit der Periode der „unbefestigten Gewerkschaft" zusammenfallen. 59 Dem steht BVerfGE 4, 96, 102 nicht entgegen, da diese Entscheidung nichts über die Weiterentwicklung des sozialen Rechtsstaates aussagt, sondern sich nur gegen eine Ansicht wendet, die einen gewissen Status des sozialen Prozesses wiederherstellen wollte, der dem Sozialstaatsgedanken von vornherein eine wesentliche Basis (vgl. G. Olbersdorf, Sozialer Rechtsstaat und Arbeitsrecht, AuR 1955, 129, 130) entzogen hätte, vgl. auch E. W. Böckenförde, 24 ff. Dagegen, daß das Sozialstaatsprinzip im Grundgesetz bereits konkretisierte Sozialbereiche noch ausdehnt, wendet sich BVerfGE 32, 273, 279; das kann aber für Art. 9 Abs. 3 GG nur bedingt gültig sein.

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rung zu beseitigen, eben weil letztere i m Verdacht der Ungleichheit steht und eine reale Chance der „Selbst"-Verwirklichung nicht für gegeben erachtet wird. Daraus folgt konsequenterweise die totale Verstaatlichung aller Bereiche 60 , die Identität von Staat und Gesellschaft, die wiederum von allen liberalen Theoretikern als das Erzübel schlechth i n angesehen w i r d 6 1 . I m Laufe der Zurückdrängung der Räume privat gesetzter Ungleichheit und der folgentreuen Ersetzung von hierarchischen Herrschaftsstrukturen würden die Gewerkschaften zu einem Strang von Diskussions- und Entscheidungsbahnen unter anderen werden, der sich homogen i n das gleichgeartete demokratische Gesamtsystem einfügt und i m Ende als überflüssig erweist, sie wären aber nicht mehr einem staatsfreien Raum zuweisbar. Wenn das aber das Ziel von Demokratisierung wäre, dürfte es dem Gesetzgeber heute nicht verwehrt sein, einen Anfang i n dieser Richtung durch Vergesellschaftung = Verstaatlichung der Gewerkschaften zu machen. Das Gegenargument, der heutige Gesetzgeber habe seinerseits nicht die dazu nötige demokratische Legitimation, wäre von einer solchen Auffassung konsequent widerlegt, wenn sie eine revolutionäre Strategie verfolgte, denn nach ihr gäbe es nämlich zur Zeit i n der Bundesrepublik überhaupt keine legitime Macht. Es würde der Grundtendenz dieser Arbeit widersprechen, den emanzipatorischen Prozeß als Leitgesichtspunkt dadurch abtöten zu wollen, daß er als unmittelbar verpflichtende oder berechtigende Norm festgeschrieben wird. Ebenso wie die Furcht vor der Totalisierung der Demokratie außer Acht läßt, daß dieses Modell auf der Hoffnung einer Herrschaftsmilderung durch rationale Auseinandersetzung beruht, som i t die klassischen M i t t e l der Machtbeschränkung i n dem Maße, wie sie sich als ungeeignet erweisen, allmählich ergänzt oder ersetzt werden sollen, ebenso läßt eine einseitige Fixierung auf Durchsetzung der Gleichheit aller außer Acht, daß die freiheitlichen Elemente der Emanzipation auf einem Gegenpol der Nichtfreiheit aufbauen, der die Prozeßhaftigkeit dieses Bestrebens i n Gang hält. Irrtümlich ist i n jedem Fall die Statik der Betrachtung: Weder das berühmt-berüchtigte „principiis obsta" noch das Fixiertsein auf Totalforderungen ist für eine Weiterentwicklung fruchtbar. Wenn nach dem Grundgesetz eine Annäherung an emanzipatorische Vorstellungen und ein partizipatorisches Demokratiebild möglich sind 60 E. W. Böckenförde, 22 ff., mit der Konsequenz, daß nur noch dezisionistisch bestimmt werden kann, was öffentlich-rechtlich behandelt werden soll und was nicht. Eine Unterscheidung zwischen Vergesellschaftung und Verstaatlichung ist demzufolge nur sinnvoll, wenn unter Vergesellschaftung Umverteilung an Private verstanden wird, ei H. H. Klein, 168 ff.; H. H. Rupp, Freiheit, 1539 ff.; E. Forsthoff, 21 f.

4.b) Anforderungen an die innere Struktur der Gewerkschaften

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— dies sei nochmals als Arbeitshypothese unterstellt, obwohl soviel für die Richtigkeit dieser These spricht, daß man fast versucht sein könnte, Evidenz dafür zu beanspruchen —, dann w i r d es zur Frage der Beurteilung und des Ermessens, welche Ausprägungen dieses Gedankens nach, dem Entwicklungsstand von Staat und Gesellschaft verwirklichbar sind und verwirklicht werden sollen, wo m i t ihnen anzusetzen ist. Entscheidend ist, wer zur Entscheidung dieser Fragen zuständig sein soll, der staatliche Gesetzgeber, an dem die gesellschaftlichen Kräfte nur partiell mitwirken, oder letztere allein, also die Gewerkschaften. Indem A r t . 9 Abs. 3 GG das Recht zur Selbstgestaltung der Koalitionen normiert, spricht eine Vermutung für die Fähigkeit dieser gesellschaftlichen Kraft, über sich selbst zu befinden dadurch, daß sie Außenanforderungen und Mitgliederwünsche optimiert. Wenn sie das i n einer Weise tut, die nicht emanzipatorischen Vorstellungen entspricht, kann das bedeuten, daß sie von ihrer Umwelt so determiniert w i r d oder daß es Störungen i n i h r gibt, die es verhindern, aus welchen Gründen auch immer. Nachdem aber die Gewerkschaften m i t den erwähnten Einschränkungen durch Mitgliedervotum i n ähnlicher Weise wie das staatliche Gesetzgebungsorgan legitimiert sind, kann ihnen der Umstand, daß sie nicht demokratische Ideale verwirklichen, nicht dahingehend angelastet werden, daß sie insgesamt unmündig und deshalb gesetzlich reglementierbar seien. Jedenfalls kann der Beweis nicht erbracht werden, daß die Gewerkschaften bei anderer Umwelt nicht auch mehr interne Mitbestimmung vorgesehen hätten. Dazu kommt, daß es innerhalb der Gewerkschaften sowohl eine theoretische wie auch strategische Demokratiediskussion gibt, so daß man von Strömungen zur Förderung der hier erörterten Ansichten ausgehen muß. Ist den Gewerkschaften somit nicht die Möglichkeit abzusprechen, Fähigkeiten zur Wahrnehmung ihres Demokratieauftrags zu entwickeln, so bliebe doch die Alternative, daß ihre Kompetenz zur Selbstorganisation aus anderen Gründen auf den Staat übergegangen ist. I n Betracht kommt vor allem ein Gebot staatlich-gesellschaftlicher Homogenisierung 62 . Es könnte sich rechtfertigen aus der Annahme, daß « 2 Herausragender Vertreter ist H. Ridder, a.a.O., auf dessen Gedanken alle weiteren Autoren zurückgreifen. Gegner dieser Forderung führen meist ins Feld, es gebe Bereiche der „Unabstimmbarkeit" (vgl. W. Geiger, 241), was ohne sachbezogene Differenzierungen nur dann hinzunehmen ist, wenn unter „Abstimmung" ausschließlich Mehrheitsentscheid verstanden wird; das Bild könnte sich ändern, wenn unter „Abstimmung" der Kommunikationsprozeß als solcher verstanden wird, in den man die Hoffnung setzt, daß er notwendig zur Annäherung auf dem Weg zu rationaler Übereinstimmung oder Abwägung beiträgt; zu diesem „liberalen Glauben" U. Scheuner, Das Mehrheitsprinzip, 59.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Demokratisierung nur als Prozeß des gesamten Systems Erfolgschancen habe, d. h. daß eine Demokratisierung i m hier behandelten Sinn sich nicht auf Teilsysteme beschränken kann, ohne dem Individuum so verschiedene Verhaltensmuster zuzumuten, daß das eigentliche Ziel der Demokratisierung, die Humanisierimg und Selbstverwirklichung des Menschen, ernsthaft gefährdet würde. Ferner kann ein Homogenisierungsgebot ausgehen von der Erkenntnis, daß die Vermittlung der Demokratisierung bei den gesellschaftlichen Kräften anzusetzen habe, die einerseits staatstragend, andererseits noch m i t genügend Bezügen zu demokratisierbaren konkreten Lebensräumen ausgestattet sind. Dieser Gedankengang trägt zur Zeit einen weitreichenden Eingriff i n die Gewerkschaftsautonomie nicht, da der Staat nicht darauf verweisen kann, daß die allgemeinen Lebensbedingungen als Determinanten gewerkschaftlicher Strukturen sich so geändert haben, daß eine weitere Demokratisierung i n den Gewerkschaften autonom erfolgen könnte. M. a. W. ist es unzulässig, einem Verband Demokratisierung zu gebieten, ohne die Bedingungen geschaffen zu haben, von denen die Lebensfähigkeit und Entwicklung eines demokratischen Teilsystems abhängig ist. Der Staat könnte allenfalls dann, wenn die seiner Regelung unmittelbar zugänglichen Bereiche i m Ansatz demokratisiert wären, auf weitere Förderung staatlich-gesellschaftlicher Homogenität durch Eingriff i n die Verbandsautonomie hinwirken. Die Palette unmittelbarer Staatszuständigkeiten — vom Ausbildungswesen über die öffentlichrechtlichen Selbstverwaltungskörperschaften bis h i n zu den sozialgestaltenden Normen des Strafrechts und des Zivilrechts — ist i m Sinn einer Demokratisierung jedoch so wenig ausgeschöpft, daß der punktuelle Versuch, eine gesellschaftliche Formation von oben zu revolutionieren, an den i n diese hineinwirkenden Umweltkräften scheitern muß. Homogenität i m nichtformalen Sinn ist nicht dekretierbar — i m Gegensatz zur formalen Homogenität 6 3 . Es h i l f t nichts, entsprechende Vorkehrungen treffen zu wollen, die „Demokratie ohne Demokraten" kann nur zu einer Störung gewerkschaftlicher Entwicklungen führen — es gibt keine Formvorschrift, die nicht unterminiert werden könnte. Die gewerkschaftliche Autonomie, i n A r t . 9 Abs. 3 GG gesichert, ist insoweit nicht durch A r t . 1, 20 GG einschränkbar. Dieses Ergebnis spiegelt den Gedanken des venire contra factum proprium wider, der auch die Gewerkschaften zu Konsequenzen z.B. i m Bereich des Aufnahmezwangs verpflichtet hat. Diese Art Folgerichtigkeit als Teil rechtsstaatlicher Denkart könnte über die in ihr liegende Begrenzungsfunktion auch einmal Emanzipationsforderungen unterstützen, wenn sich die Ausgangssituation gewandelt hat, da sie ihrerseits Ausprägung eines allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist. 63

Diese wurde oben cc behandelt.

4.b) Anforderungen an die innere Struktur der Gewerkschaften

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Dieses Ergebnis ist ferner Ausdruck eines zweiten allgemeinen Prinzips i n seiner doppelten Bedeutung, der Autonomie. Das Autonomieprinzip sichert einerseits die Funktionalität der gesellschaftlichen Organisation, indem es das sachnahe Ausgewichten von Einflüssen i n angemessenen Feinstrukturen gewährleistet, andererseits sichert es die Abstimmung dieser Funktionalität m i t der erforderlichen Verbandslegitimation i m vorgegebenen demokratischen Rahmen. Man könnte die Autonomie als Gewährung einer negativen Demokratiefreiheit verstehen, die direkte Interventionen demokratisierender A r t i m gegenw ä r t i g gebrauchten Sinn verbietet, nicht hingegen die mittelbare und reflexive staatliche Veränderung der Determinanten der Mitglieder, der Konkurrenzbedingungen etc. aufgrund eines umfassenden Sozialmodells. Es besteht kein Zweifel, daß der Gesetzgeber — nicht zuletzt aufbauend auf seiner sozialstaatlichen Allkompetenz — das Recht zur Bestimmung des gesamtgesellschaftlichen Strukturmodells hat; jedoch, solange er nicht verfassungsändernd taktiert, kann sein erster Zugriff nicht den Koalitionen gelten, erst m i t der Änderung der weiteren Bedingungen kann dieser Zugriff neu bedacht werden. Ob der Gesetzgeber verfassungsmäßig gehalten ist, partizipatorischen A n sätzen kein Hindernis in den Weg zu stellen, braucht hier nicht entschieden zu werden, da die für verfassungsmäßig befundenen Maßnahmen diese Gefahr nicht mit sich bringen.

These 24: Maßnahmen, die i n die interne Kompetenzverteilung und Kompetenzabstimmung der Koalitionen eingreifen m i t dem Ziel der Stärkung partizipatorischer Demokratie sind zur Zeit verfassungsrechtlich nicht zulässig.

5. Gesetzgeberische Befugnisse zur Regelung des Rechts der Spitzenorganisationen Die Spitzenorganisationen wären unter dem Aspekt eines Koalitionsgesetzes nicht zu erörtern, wenn es sich bei ihnen nur u m Arbeitsgemeinschaften von Gewerkschaften koordinativer Natur handelte: Eine derartige Zusammenarbeit von Gewerkschaften stünde i m Interesse der Gewerkschaftsmitglieder; wenn die Gewerkschaftsspitzen zur beabsichtigten Koordination befugt sind, wäre ein organisationsrechtliches Problem nicht ersichtlich. Wie oben 13 d gezeigt, stellt der DGB aber eine verselbständigte festgefügte Organisation dar, die, ähnlich wie die Europäischen Gemeinschaften i m Verhältnis zu den Mitgliedsstaaten, nicht allein als Allianz begriffen werden kann, sondern die Souveränität der Mitglieder einschränkt. Es ist daher zu prüfen, ob ein Koalitionsgesetz nicht Vorkehrungen gegen eine Aushöhlimg der i n nerverbandlichen Erfordernisse an die Gewerkschaften über die Spitzenorganisationen treffen muß. Der DGB nimmt weitgehend die Aufgaben der Gewerkschaften i n den Bereichen der staatlichen Verwaltung, der staatlichen Globalsteuerung der Wirtschaft und der Beeinflussung von Parteien und Staat über die öffentliche Meinung wahr. Die Spitzenorganisation hat damit auch durch A r t . 9 Abs. 3 GG geschützte Tätigkeiten der Koalitionen übertragen erhalten. Die für die einzelnen Gewerkschaften ermittelten Grenzen der Koalitionsautonomie scheinen damit auch auf die Spitzenorganisationen anwendbar. Jedoch unterliegt eine Spitzenorganisation anderen internen Gesetzmäßigkeiten, so daß i m einzelnen nachgewiesen werden muß, welche gesetzlichen Maßnahmen zulässig und funktionsgerecht sind. Zweifel bestehen sogar, ob Spitzenorganisationen als Vereinigungen von Koalitionen und nicht von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern als Koalitionen anzusehen sind. Eine verbreitete Meinung lehnt es ab 1 . Danach würden Spitzenorganisationen nicht immittelbar den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG genießen. A n dieser Auffassung könnte man m i t gutem Grund rütteln. Wenn die Spitzenverbände Koalitionszwecke verfolgen, die für die Koalitionen unerläßlich sind, was angesichts der i A. Nikisch, 7, m. w. N., insbes. aus der Rspr. des R A G (Anm. 12); bei den meisten Autoren läßt sich die Frage nur mittelbar erschließen, so bei A. Hueck, H. C. Nipperdey , 437 (vgl. dort Anm. 3); siehe auch § 2 Abs. 2, 3 TVG.

5. Zur Regelung des Rechts der Spitzenorganisationen

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Wahrnehmung der meisten staatsbezogenen Koalitionsaufgaben durch die Spitzenorganisationen der Fall ist, läge es auf der Linie der Anerkennung eines Doppelgrundrechts i n A r t . 9 Abs. 3 GG, auch der zweiten Ebene der Kollektivierung Eigenschutz durch A r t . 9 Abs. 3 GG zukommen zu lassen 2 . Ob hier ein „individualisierender" Ansatz, der die Spitzenorganisationen nur als nach außen verlagerten Teil der Koalitionsautonomie ansieht, d.h. als Ergebnis der Koalitionsentscheidung, einen Teil der Aufgabenerfüllung auszusondern und der Spitzenorganisation als verlängertem A r m der Koalition zu übertragen, den Realitäten gerecht wird, ist kaum anzunehmen, da die Spitzenorganisationen ein Eigenleben auf der Basis des Mehrheitsprinzips führen, die einzelnen Koalitionen echte Mitgliedschaftsstellung haben. Immerhin ist zu betonen, daß die Bildung von Spitzenorganisationen eine durch Art. 9 Abs. 3 GG unmittelbar, ohne Rekurs auf Art. 19 Abs. 3 G G gewährleistete koalitionsspezifische Tätigkeit ist.

Eine differenzierende Betrachtungsweise dürfte der verfassungsrechtlichen Einordnung der Spitzenorganisationen am ehesten entsprechen. Wenn eine Spitzenorganisation ein unselbständiger Zusammenschluß von Koalitionen ohne Souveränitätsverlust auf deren Seite ist, erscheint es konsequent, die Spitzenorganisation selbst i n ihrem Bestand und koalitionsunspezifischen Wirken über A r t . 9 Abs. 1 GG zu schützen, ihre koalitionsspezifische Tätigkeit A r t . 9 Abs. 3 GG i. V. m. A r t . 19 Abs. 3 GG als unselbständiger Gewährleistung zu unterstellen 3 . Wenn dagegen eine Spitzenorganisation als Einheit auftritt, die die Koalitionsautonomie der Mitgliedsgewerkschaften einschränkt und zum großen Teil ihre Legitimation direkt von den Mitgliedern der Einzelgewerkschaften erhält, liegt eine Koalition i m Sinne des A r t . 9 Abs. 3 GG vor. Es wäre angesichts der engen Verflechtung von DGB und Einzelgewerkschaften als dem Hauptproblemfall befremdlich, wenn man sie unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Betrachtimg unterwerfen wollte. Das Element des unmittelbaren Einflusses der Arbeitnehmer auf den Dachverband spricht weiter entschieden gegen eine Zuordnung zu A r t . 19 Abs. 3 GG, das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Spitzenorganisation ist so stark dem von Koalition und Koalitionsmitglied angenähert, daß es ohne größere Umgewichtung denkbar wäre, daß der einzelne Arbeitnehmer Mitglied i m DGB wäre und die Einzelgewerkschaften nur starke föderale Unterverbände. Schließlich sei noch hingewiesen darauf, daß das BVerfG i n der Anerkennung der Interessenverbandsfunktion als Koalitionstätigkeit i m Sinn von A r t . 9 Abs. 3 etwas als Koalitionstätigkeit bezeichnet hat, was primär und 2 So E. R. Huber, 374. Letzteres wollen allgemein für Spitzenorganisationen gelten lassen Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Art. 9 R N 95; I. v. Münch, BK, Art. 9 RN104 - 106. — Zur schwierigen Abgrenzung von Art. 9 und Art. 19 Abs. 3 G G BVerfGE 30, 227, 242, dazu oben I I I 3 a aa. 3

19 Gerhardt

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typischerweise von den Spitzenorganisationen durchgeführt wird. Daher kann man vermuten, daß es die Spitzenorganisationen auch als Koalitionen ansehen würde. Die Koalitionsautonomie der Spitzenorganisationen unterliegt einerseits den Ordnungsschranken ihrer Betätigungsfelder, andererseits bezieht sie ihre Legitimation i n zweifacher Weise, von den Mitgliedsgewerkschaften und deren Mitgliedern. Dieser doppelte Legitimationszusammenhang nach innen könnte dann gestört sein, wenn eine Spitzenorganisation Öffentlichkeitsaufgaben der Gewerkschaften allein erfüllt, ihrerseits aber nur von den Funktionären der Einzelgewerkschaften verwaltet wird. Anders ausgedrückt: Durch die Übertragung gewerkschaftlicher Öffentlichkeitsaufgaben auf eine Spitzenorganisation w i r d der Einfluß der einzelnen Gewerkschaftsmitglieder auf die gewerkschaftlich vertretene Meinung noch geringer, da noch mittelbarer, als es bereits i n der Gewerkschaft selbst der Fall ist, eine effektive Kontrolle der Gewerkschaftsführung durch die Gewerkschaftsbasis w i r d wesentlich erschwert, die Spitzen der Einzelgewerkschaften könnten zur Rechtfertigung ihrer Entscheidungen immer auf den Kompromißzwang i n der Spitzenorganisation zurückgreifen. Entsprechend relativieren sich die Chancen von Minderheiten. Die Pluralität i n der öffentlichen Meinung verringert sich, die Richtigkeit der Abstimmung der staatlichen Wirtschaftsmaßnahmen w i r d zweifelhaft. Daher ist sowohl aus funktionalen wie aus Legitimationsgründen zu fordern, daß die Spitzenorganisationen, die Gewerkschaftsaufgaben zu selbständiger Erfüllung übertragen bekommen haben, unmittelbar durch die Gewerkschaftsmitglieder legitimiert sind 4 . Man könnte dies das Prinzip des „demokratischen Durchgriffs" nennen. I m DGB ist das Prinzip erfüllt, da die Delegierten des Bundeskongresses in den Gewerkschaften gewählt werden. Zweifel könnten nur dahingehend bestehen, daß der Gewerkschaftsausschuß, der diese Legitimation nicht hat, eine überaus dominierende Rolle einnimmt. Jedoch kann der Gesetzgeber nicht in die Kompetenzabgrenzung innerhalb der Spitzenorganisation eingreifen, ohne deren Verfassung als Ganze zu regeln. Ein solcher Eingriff wäre aber unverhältnismäßig.

These 25: Eine Spitzenorganisation kann Koalitionsaufgaben nur dann selbständig wahrnehmen, wenn sie von den Mitgliedern der Einzelgewerkschaften unmittelbar legitimiert ist. 4 Dies könnte ganz verschieden ausgestaltet sein. Wegen der Notwendigkeit einer Abstimmung der Politik der Einzelgewerkschaften und der der Spitzenorganisation auch in Details muß immer für eine Einbeziehung der Spitzen der Einzelgewerkschaften gesorgt sein — eine Doppellegitimation ist damit unumgänglich.

5. Zur Regelung des Rechts der Spitzenorganisationen

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Der „demokratische Durchgriff" könnte dadurch gefährdet sein, daß i n die Organe der Spitzenorganisation überwiegend hauptamtliche Gewerkschaftsfunktionäre gewählt werden 5 . Eine Beschränkung der Zahl hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionäre oder eine Inkompatibilitätsregelung ist jedoch nicht am Platze. Wenn die interne Willensbildung i n den Gewerkschaften funktioniert, wozu das Koalitionsgesetz beitragen soll, muß man das Ergebnis von Wahlen als freien Wunsch der Gewerkschaftsmitglieder akzeptieren, zumal unter gewissen Umständen es sinnvoll sein kann, wenn DGB und Gewerkschaften möglichst i n Personalunion geführt werden. Von den Anforderungen an die Gewerkschaften für i h r Verhältnis zu den einzelnen Mitgliedern (Publizität der Verbandsgrundlagen, Neutralität i m Rahmen der Satzung, etc.) braucht keine auf die Spitzenorganisationen übertragen werden, da diese keinen unmittelbaren Einfluß auf die einzelnen Mitglieder nehmen können. Erwägenswert erscheint aber ein Minderheitenschutz zugunsten kleiner Gewerkschaften. Man könnte i h n m i t der Begründung ablehnen, daß i n einer Spitzenorganisation trotz des erheblichen Machtgefälles aufgrund unterschiedlicher Mitgliederzahlen und daher Beitragsleistungen® die Mitgliedsverbände wegen ihrer geringen Zahl, der Gleichstufigkeit der Verbandsfunktionäre als Vertreter ihrer Verbände und ihres Sachverstandes annähernd gleich mächtig seien, da i m Prinzip die Voraussetzungen für ein nichthierarchisches Kommunikationsplateau herrschen müßten. Immerhin könnte aber nötig sein, kleinere Verbände davor zu schützen, daß ihnen Kompromisse aufgezwungen werden, die ihre Vertreter gegenüber den Mitgliedern nicht ohne manipulative Verschleierungstechniken durchsetzen können. Eben dieser Gesichtspunkt läßt aber einen Minderheitenschutz i n der Spitzenorganisation überflüssig erscheinen. Nachdem die Spitzenorganisation kaum Sanktionen gegen eine Gewerkschaft verhängen w i r d 7 , sich andererseits die Vertreter der zum Kompromiß gezwungenen Gewerkschaft nicht sehr für die Sicherung der Loyalität i n ihrer Gewerkschaft einsetzen werden, muß die Spitzenorganisation Illoyalität i n den Einzelgewerkschaften gewärtigen, was der Vertretung ihrer Sache nur schaden kann; daher w i r d sie sich u m maximalen Konsens i n ihren s Dazu oben I I 3 b F N 88. « Man vgl. I G M mit mehr als 2 Millionen Mitgliedern, Ö T V mit ca. 1 Million gegenüber Kunst mit ca. 30 000 oder G L F mit ca. 50 000. 7 Dafür stehen die Gewerkschaften zu sehr i m Blickpunkt der Öffentlichkeit, an die sich zu wenden, jede einzelne Gewerkschaft mächtig genug ist. Daher werden Auseinandersetzungen nicht durch „Strafen" manifestiert werden. Die noch schwebende Auseinandersetzung der GEW mit ihrem Berliner Landesverband kann angesichts der Fülle zusammentreffender Umstände wohl als exzeptionell angesehen werden. 19*

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

Reihen bemühen. Das faktische Ubergewicht der großen Gewerkschaften läßt sich auch durch gesetzlichen Minderheitenschutz nicht beheben. I m übrigen sieht die DGB-Satzung für eine Reihe wichtiger Entscheidungen des Bundesausschusses 2/3-Mehrheiten vor 8 . A n die rechtliche Ausgestaltung der Satzung einer Spitzenorganisation sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an Einzelgewerkschaften. Das ergibt sich aus dem Legitimationsmechanismus: Ohne rechtlich garantierte Durchschaubarkeit der Verbandsorganisation hat der Einzelne keine Möglichkeit, seine Organschaftsrechte gegenüber der Spitzenorganisation geltend zu machen. These 26: Die Durchnormierung der Verfassung der Spitzenorganisationen hat der der Einzelgewerkschaften zu entsprechen.

E i n Aufnahmezwang einer Koalition i n eine Spitzenorganisation läßt sich nicht begründen. Ist eine Berufsgruppe mächtig genug, als Koalition zu bestehen, wäre es für sie vielleicht nützlich, keinesfalls aber notwendig, sich einer bestimmten Spitzenorganisation anzuschließen: Sie kann ihre Befugnisse als Koalition durchweg selbständig realisieren 9 .

s Siehe oben 13 d. • Zum Fall einer Gruppe, die nicht Koalition ist, siehe oben I I I 4 a cc.

6. Verfassungsauftrag zur Schaffung eines Koalitionsgesetzes? Da i n Art. 9 Abs. 3 GG eine Vorschrift wie i n A r t . 21 GG fehlt, die den Gesetzgeber zur Schaffung koalitionsrechtlicher Regelungen verpflichtet, bedarf ein Verfassungsauftrag gesonderter Erörterung. Ein allgemeiner Satz, wann ein Verfassungsauftrag anzunehmen ist, besteht nicht 1 . Er läßt sich auch nicht der Vielfalt verfassungsgerichtlicher Entscheidungen zu diesem Komplex entnehmen. So kann die gesetzgeberische Verpflichtung zur Herstellung gleichgewichtiger Wahlkreise nicht zu dem Satz verallgemeinert werden, daß eine verfassungswidrige Regelung nicht nur nichtig ist, sondern auch den Gesetzgeber zum Tätigwerden zwingt, da das Wahlrecht auf formaler Gleichheit aufgebaut ist, die mangels gesellschaftlicher Realität gesetzgeberisch ausgestaltet sein muß. Insbesondere die Rechtsprechung zu A r t . 3 Abs. 1 GG gibt zur Vorsicht Anlaß: Der Gesetzgeber ist kraft seiner demokratischen Legitimation derjenige, dem Initiative und Ausgestaltung der Rechtsordnung zustehen 2 . Daher soll i m folgenden an die Frage des Verfassungsauftrags von den verschiedenen Arten seiner Rechtfertigung aus herangegangen werden. (1) Koalitionsgesetz als notwendige Voraussetzung kollektiver Grundrechtsbetätigung? Eine der Konsequenzen einer institutionellen Betrachtimg der Grundrechte ist, daß der Gesetzgeber für verpflichtet angesehen wird, die gesetzlichen Voraussetzungen für eine faktische Realisierbarkeit der in den Grundrechten enthaltenen Ordnungsprinzipien zu schaffen 3. Wie eine Reihe anderer Grundrechte 4 bedarf die Koalitionsfreiheit zu ihrer Effektuierung der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des von 1 Die Kommentarliteratur behandelt die Frage meist nur punktuell; A. Hamann, H. Lenz, Einf. EB 3 (S. 114), plädieren für enge Auslegung von Verfassungsaufträgen; zu den erforderlichen Differenzierungen P. Lerche, Das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsdirektiven, AöR 90 (1965), 341 ff., 346 ff., 354 ff., 364 ff. 2 Rspr.-Übersicht bei G. Leibholz, H. J. Rinck, Art. 3, Rdz. 16. 3 F.-J. Säcker, 95 ff.; K . Hesse, 84 m. w.Nachw.; E. Denninger, JZ 1975, 548. 4 K. Hesse, 129 f.; P. Häberle, Die Grundrechte, 80 ff.; ders., Die Wesensgehaltsgarantie, 193 f.; vgl. auch die abweichende Meinung in BVerfGE 35, 79, 148 ff.

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I I I . Koalitionsfreiheit und Koalitionsgesetz

ihr geschützten Tätigkeitsbereichs. Dies hat das BVerfG für das Tarifwesen ausdrücklich anerkannt, für das Personalvertretungsrecht ergibt sich selbstverständlich, daß der Gesetzgeber erst Befugnisse zugunsten der Koalitionen schaffen muß. Die Funktionen als Interessenverband werden i n der Bundesrepublik effektiv wahrgenommen, ohne daß ein klares rechtliches Statut vorläge. Man könnte folgern: Wenn die Koalitionen nicht eines Koalitionsgesetzes zur Wahrnehmung ihrer Tätigkeit bedürfen, so doch zur Förderung des Koalitionswohls und zur Klarstellung ihrer rechtlichen Verhältnisse i m eigenen Interesse 5 . Abgesehen davon, daß es zweifelhaft ist, ob dem sog. „Koalitionswohl" ein eigenständiger Schutz durch A r t . 9 Abs. 3 GG zukommt oder ob es nicht nur in Abhängigkeit von der ordnungsgemäßen Erfüllung der Koalitionszwecke durch die Koalitionen zu verstehen ist 6 , bedürfen die Koalitionen keiner weiteren gesetzlichen Vorschriften, u m sich so zu verwirklichen, wie es ihr Wunsch sein mag. Die Forderung nach einem Koalitionsgesetz zugunsten der Koalitionen ist verwirrend, wenn einerseits darauf abgestellt wird, daß die Verwirklichung des Koalitionswohls Sache der Koalitionen selbst sei, andererseits der Gesetzgeber verpflichtet wird, einen Normenkomplex dafür zur Verfügung zu stellen, obwohl sich die Koalitionen m i t dem vorhandenen Normenkomplex, insbesondere dem Vereinsrecht des BGB i n seiner durch Art. 9 Abs. 3 GG geprägten Anwendung durch die Gerichte doch offensichtlich sehr w o h l fühlen. Ein Interesse der Koalitionen läßt sich somit nur an Maßnahmen des äußeren Koalitionszwangs feststellen. Nachdem aber die Koalitionen sowohl ihre selbstgesetzten Aufgaben wie auch die ihnen verfassungsrechtlich zugedachten m i t dem vorhandenen Instrumentarium erfüllen können, somit ein Leerlaufen des Grundrechts der Koalitionsfreiheit nicht i m entferntesten zu sehen ist, scheidet eine Verpflichtung des Gesetzgebers aus dem Gesichtspunkt der Grundrechtseffektuierung aus. (2) Fordert das öffentliche Interesse ein Koalitionsgesetz? Drei Gesichtspunkte des öffentlichen Interesses könnten für einen Verfassungsauftrag sprechen, nämlich der einer Funktionsgewähr, der einer Homogenitätsgewähr und der einer Pluralitätsgewähr. (2.1) Eine Funktionsgewähr kann nur zu einem Verfassungsauftrag führen, wenn ohne ein Gesetz der Koalitionszweck nicht i n einer dem Allgemeininteresse entsprechenden Weise erreicht werden kann. Werden lediglich vereinzelt Störungen wie z. B. wilde Streiks beobachtet, s So insbes. F.-J. Säcker, 88 f. • Skeptisch zur Koalitionswohldogmatik auch W. Zöllner, 99 f. (bezogen auf F.-J. Säcker, 88 f.).

6. Verfassungsauftrag zur Schaffung eines Koalitionsgesetzes?

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ist dieser Tatbestand keinesfalls schon erfüllt; jeder rechtspolitisch irgend jemandem mißliebige Zustand könnte sonst i n einen Gesetzgebungsauftrag umgesetzt werden, der i m Verfahren vor dem BVerfG zu einer Verpflichtung des Gesetzgebers zum Tätigwerden führen könnte, was ganz abwegig ist 7 . Erst dann, wenn ein Zustand einen m i t Verfassungsrang ausgestatteten Wert unerträglich verletzt, w i r d man dem Gedanken an einen Verfassungsauftrag nahetreten können. Diese Grundregel ist m i t guten Gründen wohl aus Äußerungen des BVerfG ableitbar: „Diese Auffassung ist rückblickend nur damit zu erklären, daß die traditionelle Ausgestaltung des Strafvollzugs als eines ,besonderen Gewaltverhältnisses' es zuließ, die Grundrechte des Strafgefangenen i n einer unerträglichen Unbestimmtheit zu relativieren" (BVerfGE 33, 1, 10) und „Das BVerfG verkennt nicht, daß m i t diesem Ergebnis ein höchst unbefriedigender Rechtszustand aufgedeckt worden ist, dessen Aufrechterhaltung sich m i t dem Interesse an einer geordneten Strafrechtspflege i n keiner Weise vereinbaren läßt. Der Gesetzgeber w i r d daher die Voraussetzungen des Verteidigerausschlusses in naher Zukunft zu regeln haben" (BVerfGE 34, 293, 306). Eine solche Situation liegt hinsichtlich der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens zur Zeit evident nicht vor. (2.2) A m gerade aufgestellten Obersatz gemessen, entfällt auch eine gesetzgeberische Pflicht aus Gründen der Gewähr von Homogenität i n Staat und rechtssetzenden und an der staatlichen Entwicklung beteiligten Verbänden, da die Gewerkschaften eine, wenn auch nicht umfassende demokratische Binnenstruktur aufweisen; sie leiden grundsätzlich nicht an einem Legitimationsdefizit, wenn man von der Garantie pluralistischer Offenheit zunächst absieht. (2.3) Schwieriger ist die Gewähr von Minderheitenschutz und A u f nahmeanspruch. Beides ist bislang nicht zum brennenden Problem geworden. Doch werden Streitigkeiten m i t Minderheiten immer häufiger publik, von den Fällen anläßlich der sog. Abgrenzungsbeschlüsse nach rechts und links ganz abgesehen8. Auch hier ist m i t h i n wieder darauf abzustellen, ob ein Gesetz zur Erreichung eines verfassungsmäßigen Zustands notwendig ist. Rein rechtlich ist dies gegeben, da die Zivilrechtsprechung selbst bei Monopolvereinen der Verbandsautonomie ein Ubergewicht gegenüber den I n 7 Zweite Sanktionsmöglichkeit könnte die Amtshaftung aus legislativem Unrecht sein, B G H NJW 1971, 1173; O L G Hamburg D Ö V 1971, 239; W. R. Schenke, Die Haftung des Staates bei normativem Unrecht, DVB1. 1975, 121, 124 ff. 8 Erinnert sei an die Auseinandersetzungen in DP um die Journalistenunion, in der GEW besonders hinsichtlich ihres Berliner Landesverbandes. S. schon oben I 3 c F N 27.

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dividualinteressen einräumt. Die Wahrscheinlichkeit ist auch gering, daß sie die Argumente der Literatur, die bereits für das geltende Recht einen Aufnahmeanspruch stützen, adoptieren w i r d 9 . Trotzdem ist es dem Gesetzgeber überlassen, erst bei gegebenem Anlaß und nach Einschätzung der Bedeutung desselben tätig zu werden. Die bereits mehrfach angeklungene gebotene Zurückhaltung i n der Bejahung von Verfassungsaufträgen — schon aus dem Grund, dieses Druckmittel i n seiner Schärfe nicht durch zu häufigen Gebrauch abstumpfen zu lassen, aber auch wegen der Zurückhaltung des Grundgesetzes selbst bei der Normierung von Verfassungsaufträgen, schließlich aus der schon erwähnten Achtung des Verfassungsrechts vor der politischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers heraus — verbietet weitergehende Forderungen. Dies gilt u m so mehr i m hier behandelten Fragenkomplex der Repräsentativität der Koalitionen, da hier ein dezentralisiertes System der Beurteilung der Repräsentativität der Koalitionen durch die einzelnen Staatsorgane faktisch möglich ist 1 0 . Schließlich ermöglicht die hier vorgenommene Entwicklung des Aufnahmeanspruchs aus A r t . 9 Abs. 3 GG die Verfassungsbeschwerde gegen ihn verneinende letztinstanzliche Urteile der Zivilgerichte. (3) Schutz individueller Koalitionsfreiheit nur durch Koalitionsgesetz? I m Gegensatz zum Fernsehurteil des BVerfG, wo das Gericht von einer naturgesetzlichen Beschränktheit der verfügbaren Ausstrahlungsmöglichkeiten ausging m i t der Konsequenz, daß diese staatlicher Obhut anvertraut werden müssen 11 , damit sich die Meinungsfreiheit durchsetzen kann, handelt es sich bei der Beschränkung koalitionsmäßiger Betätigung des Einzelnen lediglich um ein faktisches Oligopol, allerdings fundiert auf einem in soziologische Wahrscheinlichkeitsaussagen gebrachten Erfahrungssatz. Es fällt daher auch hier schwer, den Gesetzgeber zu verpflichten, den Gewerkschaftsmitgliedern insbesondere durch Verrechtlichung ihrer Position und Absicherimg ihrer „Grundrechte" einen Rechtsstatus zu geben. Zwar spricht auch hier die 9 Der gegenteilige Optimismus F. Nicklischs, Der verbandsrechtliche Aufnahmezwang, a.a.O., kann nicht geteilt werden. 10 Z. B. könnte in den Deutschen Pappelausschuß ein Vertreter der G L F anstelle des DGB berufen werden. Allerdings ist zu konzedieren, daß die Auswahl der Verbandsvertreter justiziabel sein müßte, um Eigenmächtigkeiten der Exekutive auszuschließen. 11 BVerfGE 12, 205, 259 ff., 263, wo auf das Gesetz als abstrakt-generelle Regelungsmethode Bezug genommen wird; Th. Maunz (Th. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, Art. 9 R N 57) nimmt für extreme Situationen der Verbandskonzentration auf die entsprechende Lage bei der Pressekonzentration Bezug, aus der eine gesetzgeberische Handlungspflicht folgen könne; vgl. auch BVerfGE 35, 79, 148 ff. zur Korrelation von Partizipationsanspruch und gesetzlichem Regelungsauftrag.

6. Verfassungsauftrag zur Schaffung eines Koalitionsgesetzes?

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überkommene Scheu der Zivilrechtsprechung vor Eingriffen i n die Verbandsautonomie für eine gesetzliche Regelung, jedoch scheinen die Abhängigkeit des Einzelnen und die Begrenzung seiner Entfaltungsmöglichkeit i n den Koalitionen nicht so schlechthin unzumutbar oder existentiell, daß für einen Verfassungsauftrag plädiert werden könnte. Das gilt auch für einen Verfassungsauftrag zur Normierung eines Aufnahmezwangs, obwohl die Angewiesenheit des Außenseiters auf staatliche Hilfe gegenüber Aufnahmesperren der Koalitionen sich i n kurzer Zeit aus einem Wandel der sozialen und wirtschaftlichen Situation entwickeln kann. Wie soeben erwähnt, besteht die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde. Wann aber und i n welchem Umfang die Beteiligungschancen des Außenseiters generell so aussichtslos sind, daß eine gesetzliche Regelung unumgänglich ist, bedarf der Entscheidung. Dazu ist kraft Verfassung der Gesetzgeber berufen. Insgesamt widerspräche ein Gesetzgebungsauftrag i m Koalitionsbereich dem sozialstaatlichen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, der durch eine Verpflichtung aus Gründen der rechtsstaatlichen A b sicherung der Individualposition einseitig beschnitten würde. Dies gilt um so mehr, als die Rechtsprechung kraft ihrer Bindung an die Verfassung und als Garant der Rechtsstaatlichkeit den Schutz des Einzelnen übernehmen kann und muß. I n die Verfassimg politische Forderungen hineinzulesen und diese qua Verfassungsauftrag dem Gesetzgeber aufzuoktroyieren, ist weder demokratisch noch der Verfassung als Rechtsnorm dienlich 1 2 . I m Rahmen der grundgesetzlichen Kompetenzordnung gilt ferner der Grundsatz der geschriebenen Kompetenz; ein Verfassungsauftrag ist aber nichts anderes als eine teilweise Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz, da Initiativrecht und inhaltliche Ausgestaltung präformiert werden. Daher ist für diesen Verfassungssektor an dem häufig angezweifelten Kürzel „singularia non sunt extendenda" festzuhalten. These 27: Ein Verfassungsauftrag zur Schaffung eines Koalitionsgesetzes besteht nicht.

12 Dazu P. Häberle, Die Grundrechte, 109 ff.

I V . Grundüberlegungen zur verfassungsrechtlichen Berücksichtigung der Besonderheiten der Arbeitgeberverbände A r t . 9 Abs. 3 GG unterscheidet nicht zwischen Arbeitgeberverbänden und Arbeitnehmerorganisationen. Nach dem Leitbild der Verfassung wäre das auch nicht möglich, Gleichgewicht und Parität als beherrschende Grundprinzipien der Arbeitsordnung 1 gebieten, daß beide an der Ausgestaltung des Arbeitslebens Beteiligten auch gleich behandelt werden. Überlegungen, die den Arbeitgebern nur einen gegenüber den Gewerkschaften verminderten Schutz durch Art. 9 Abs. 3 GG zugestehen wollen, weil nur erstere Träger des sozialen Fortschritts seien2, kann nicht gefolgt werden, da A r t . 9 Abs. 3 GG nicht inhaltlich die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen festlegen w i l l , sondern das Verfahren dazu und die Mitwirkenden. Zwar hat sich das B i l d der Verfahren i m entwickelten Industriestaat verändert, jedoch nicht einseitig zugunsten der Gewerkschaften, sondern nur allgemein zugunsten der gesellschaftlichen Kräfte, an deren pluraler Parität i m Prinzip festgehalten werden muß 3 . „Parität" heißt aber nicht schematische Gleichbehandlung, i m Gegenteil. Erst die Berücksichtigung sachimmanenter Unterschiede entsprechend dem Verbot, Ungleiches gleich zu behandeln 4 , kann den Paritätsgedanken effektuieren. Bevor daher die anhand der bei der Analyse der gewerkschaftlichen Situation gefundenen Ergebnisse für die Koalitionen i m allgemeinen übernommen werden können, müssen die Unterschiede zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden daraufhin untersucht werden, ob sie so gravierend sind, daß auch gesetzgeberisches Ermessen an ihnen nicht vorbeigehen kann, ohne sich einen Verfassungsverstoß zuschulde kommen zu lassen. Falls sich gewichtige Differenzierungen zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften zeigen, erlaubt der Gleichheitssatz nicht nur eine unterschiedliche Regelung i m Koalitionsgesetz, sondern fordert sie geradezu. 1 Vgl. Angaben oben I I I 3 e F N 166; J. H. Kaiser, Die Parität, 60. 2 A. Hamann, H. Lenz, Art. 9 B 8 e (S. 241); dagegen F.-J. Säcker, 29 - 31. 3 Vgl. J. H. Kaiser, Die Parität, 4 ff., 58, 62. 4 Nachweise bei G. Leibholz, H. J. Rinck, Art. 3 Rdz. 9; Rdz. 6 ff. dazu, daß Art. 3 GG jedem Grundrecht immanent ist; speziell für das Verbandswesen R. Steinberg, Die Interessenverbände, 51.

I V . Besonderheiten der Arbeitgeberverbände

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(1) Grundsätzliche Unterschiede zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden Während die Gewerkschaften einen umfangreichen Katalog von Zielsetzungen an den Anfang ihrer Satzungen stellen, begnügen sich die Arbeitgeber mit der Formel „ Z u r Wahrung ihrer gemeinschaftlichen sozialpolitischen Belange" 5 . Zwar entspricht der Umfang der Aufgaben weitgehend dem der Gewerkschaften 6 , doch kommt der grundlegende Unterschied zu den Gewerkschaften schon i n dieser Formel zum Ausdruck: Die Arbeitgeberverbände sind seit ihrer Entstehung bestimmt durch Reaktionen auf gewerkschaftliche Entwicklung und Forderungen 7 . Die Gewerkschaften sind für den einzelnen Arbeitnehmer existenznotwendiges Kartell, jedenfalls als solches entstanden, das m i t dem sowohl jeweils konkreten wie auch zur ideologischen Bewegkraft ausgestalteten Ziel der Umverteilung der materiellen Güter antrat. Auf Arbeitgeberseite war sich zunächst jeder selbst genug. Die Abwehr der Steigerung der Kosten für die Ware Arbeitskraft und die Erhaltung der eigenen Gewinnmaximierungschance, verbunden mit der Vorstellung, Marktabsicherung allenfalls durch Kartellierung auf der A n gebotsseite über Preise und nicht auf der Kostenseite zu erzielen, dürften, grob gezeichnet, die Leitlinien gewesen sein, entlang derer die Machtposition der Arbeitgeber sich i n die Defensive manövriert hat. Diese Grundposition w i r k t auch heute noch nach und prägt die Struktur der Arbeitgeberverbände 8 . Auffallend ist das die Eigenständigkeit lichkeit darzulegen 9 . Arbeitgeberverbände,

Bemühen der Arbeitgeberverbände in jüngster Zeit, ihres sozialpolitischen Konzepts einer breiten ÖffentDementsprechend wandelt sich auch die Struktur der vor allem ihrer Spitzenorganisation. Konnte man sich

s B D A §§ 1 Abs. 1, 2 S. 1. G. Erdmann , Die deutschen Arbeitgeberverbände im sozialgeschichtlichen Wandel der Zeit, 1966, 257 ff.; ff. Zigan, Die Rolle der Arbeitgeberverbände in der modernen Wirtschaft, ArbRdGegw 7 (1969), 43, 50ff.; ff.-M. Schleyer , Die Aufgaben der Arbeitgeber in dieser Gesellschaft, Festgabe W. Arendt, 1974, 455. 7 R. Leckebusch, Entstehung und Wandlungen der Zielsetzungen, der Struktur und der Wirkungen von Arbeitgeberverbänden, 1966, 128 ff.; G. Erdmann, Geschichte der Arbeitgeberverbände und deren Verhältnis zu den Gewerkschaften, in: Aufgaben und Stellung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland, Veröff. der WalterRaymond-Stiftung 1966, 104; dies gilt auch für die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften 1918 (R. Leckebusch , 134 ff.); zu dieser Zeit galt es, den staatlichen Rahmen der Wirtschafts- und Sozialordnung zu verteidigen. 8 Überblicke bei ff. Franke , Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, AR-Blattei (D) Berufsverbände I V (1969); A. Hueck, ff. C. Nipperdey, 187 ff.; A. Nikisch, 63 ff.; zu den Mitgliedern des B D A im einzelnen im Jahresbericht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände „Arbeitgeber" 1974, 177 ff. 9 Vgl. G. Erdmann, Geschichte, 105 ff.; ff. Zigan, 50 ff. 6

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I V . Besonderheiten der Arbeitgeberverbände

früher des Eindrucks nicht erwehren, daß von der Industrie, den Banken etc. nicht gerade Topmanager in die Verbände geschickt wurden, sind nachgerade die Arbeitgeberverbände mit einem eigenen Stab von Funktionären ausgestattet, ihre Verbandsspitze wird von gewichtigen Unternehmerpersönlichkeiten gebildet. Die Gefahr der Eigenständigkeit der Organisation und der Funktionärsinteressen wird zum Teil bereits beklagt 1 0 .

Wenn man pauschalierend davon ausgeht, daß die Arbeitgeberseite für die Erhaltung weitestgehender Marktwirtschaft einschließlich gewisser Möglichkeiten freier Oligopolisierung und der überkommenen Methoden der Kapitalverwaltung einschließlich der Verteilung ihrer Ergebnisse eintritt, so ist diese gemeinsame Ideologie gegenüber den Kräften, die Staat und Gesellschaft demokratisieren, sozialstaatlicher machen wollen, weithin abwehrend, reaktiv. Daraus folgt, daß ein Unterfangen, Arbeitgeberverbände emanzipatorischer Demokratie zu unterwerfen, schlicht deplaziert wäre. Gleiches gilt für die Forderung nach politisch-pluralistischer Offenheit 11 . Ferner ist die Annahme berechtigt, daß die Zielsetzungen der Arbeitgeberverbände als solche nie m i t dem „Gemeinwohl" i n Konflikt kommen können, da ihre Vorstellungen sich immer m i t dem, was als praktikabel und brauchbar sich erwiesen hat 1 2 , decken, so daß dieser Rechtfertigungsgrund, i n ihre Autonomie einzugreifen, entfällt. Schließlich kann man postulieren, daß kraft der natürlichen Homogenität 1 3 konservierender Ideologie Loyalitätskonflikte kaum auftreten dürften bzw. wenn doch, systemkonform, d. h. dem Wettbewerb entsprechend gelöst werden können. Hier melden sich erste Bedenken: Sollte es keine Spannungen und Konflikte auf Arbeitgeberseite geben, wo doch die einzelnen Arbeitgeber ganz verschiedenartige Strukturen aufweisen, deren Mitglieder zum Teil voneinander abhängig sind, wo es „große" und „kleine" gibt? Doch sei die Frage zurückgestellt.

Für die Verbandsstruktur ist aber nicht nur die lockere Ideologie, aufbauend auf weitgehender Interessengleichheit, von Bedeutung, sondern i n erster Linie das Verhältnis zwischen Verband und Verbandsmitglied. U m ein biblisches B i l d zu benützen: Den Gewerkschaften, nur als Bündel zerbrechlicher Zweige stark, stehen die Arbeitgeber als Ansammlung mehr oder weniger starker Äste und Stämme gegenüber, die Macht der Gewerkschaften beruht auf hoher Mitgliederzahl und 10 Vgl. B. Rüthers, Arbeitgeber, 1655; zur personellen Besetzung den Geschäftsbericht (soeben FN8). 11 BVerfGE 20, 312, 321; zur Kritik F N 3 0 unten. 12 H.-ff. Hartwich, 259 ff.; der Aufruf G. Erdmanns, Geschichte, 113, gemeinsam mit den Gewerkschaften die Tarifautonomie zu verteidigen, spricht für sich; zu den Konsequenzen schon oben I I 2 b. Der Appell an die Evidenz praktischer Erfahrung als Kennzeichen des Konservativen ist der Typenlehre Mannheims entlehnt. 13 ff. Franke, a.a.O.

I V . Besonderheiten der Arbeitgeberverbände

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Eigenvermögen, die der Arbeitgeberverbände wesentlich auf der Macht der einzelnen Unternehmen 1 4 . Die Arbeitgeberverbände haben kaum eigenes Vermögen 15 . Sie sind locker verbandsmäßig organisiert 16 . Ihre Zentralisierung ist nur soweit fortgeschritten, wie sozialstaatlicher Zentralismus es gebietet 17 . Ihre Druckmittel gegenüber Mitgliedern sind unterschiedlich stark, i m Ganzen wohl schwächer als bei den Gewerkschaften 18 . Die Statusdifferenzen sind klein und führen nicht zu einer Verfälschung der Verbandswillensbildung; daraus folgt eine weitgehende Realisierung des Demokratieprinzips auf der Basis Gleichgesinnter, die sich allerdings i n eher informeller Kontakt- und Ausschußarbeit zeigt 19 — getrübt möglicherweise, aber wettbewerbskonform durch das Ubergewicht großer Einzelarbeitgeber, obwohl diese formal auch nur eine Stimme haben 20 . Ein sehr hoher Organisationsgrad einerseits 21 , die Vielfältigkeit individueller wie verbandsmäßiger Einflußwege läßt ein Repräsentationsproblem auf den ersten Blick nicht für gewichtig erscheinen. Eine heile Welt der Verbandsautonomie i n der bürgerlich-rechtlichen Idealform des „e.V."? Richtiger ist wohl anzunehmen, daß die Hauptprobleme der Gewerkschaften bei den Arbeitgebern abgeschwächt und zum Teil noch nicht voll entwickelt auftauchen. Das gilt einerseits für die Politisierung der Wirtschaft, die immer mehr einer ideologischen Absicherung i n Form von Strategien und Programmen bedarf, anderer14 j . H. Kaiser , Die Repräsentation, 96 ff.; das von W. Reuß, RdA 1972, 7, geäußerte Unverständnis darüber, daß das B A G das Koalitionsmerkmal der Druckfähigkeit auch auf Arbeitgeberverbände anwenden will, fußt auf dieser Tatsache. Vgl. auch § 2 Abs. 1 T V G ! — Nicht zu verkennen ist jedoch, daß es heute Situationen geben kann, wo die gesammelte Gewerkschaftsmacht im Konflikt längeres Durchhaltevermögen zeigen kann als die betroffenen Unternehmen. Man denke nur an gezielte Schwerpunktstreiks. Die Unterstützungsfonds der Arbeitgeberverbände dürften sich sehr schnell als zu schwach erweisen, um die Verluste auszugleichen. Nachdem aber die Arbeitgeberseite immer die Möglichkeit der Aussperrung hat, ohne dadurch sofort in ihrer physischen Existenz bedroht zu werden wie der Arbeitnehmer als Einzelner, ist trotz dieser Entwicklung die Druckfähigkeit eines jeden Arbeitgebers rechtlich gegeben. iß H. Franke, a.a.O. i« A. Hueck, H. C. Nipperdey, 178 f. 17 Vgl. §§ 2, 3 B D A ; H. Franke, a.a.O. 18 Zur Art der Handhabung des Ausschlußverfahrens P. Schlosser, 23. i® H. Franke, a.a.O.; skeptisch zur Demokratie der Arbeitgeberorganisationen K . H. Biedenkopf, Rechtsfragen, 1010. Darauf gründet sich auch ein wichtiger Vorwurf gegen die Entscheidung des B A G im schleswig-holsteinischen Metallarbeiterstreik, daß nämlich die Arbeitgeber „in der Stille" operieren könnten, während bei den Gewerkschaften notwendig öffentliche Meinungsbildung herrsche (W. Abendroth, Innergew. Willensbildung, 266). 20 W. Huppert, Industrieverbände, 1973, 61, zwar allgemein für Industrieverbände, wohl aber insoweit auf Arbeitgeberverbände übertragbar. 21 H. Franke, a.a.O.

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I V . Besonderheiten der Arbeitgeberverbände

seits für das Erfordernis der Effizienz, das m i t wachsendem Anspruch an den Verband zunimmt, schließlich für die Fragen des Minderheitenschutzes, der Verbandspublizität, etc. Jedoch erfahren sie alle eine gewisse Schwerpunktverlagerung durch das traditionelle Nebeneinander von Arbeitgeberverbänden, Unternehmerverbänden und öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft sowie durch die Strukturunterschiede zwischen den Beteiligten. (2) Fordern Sonderprobleme der Arbeitgeberverbände Regelungen?

eigenständige

Wesentlich gravierender als bei den Gewerkschaften ist die Ungleichgewichtigkeit des Einflußpotentials der einzelnen Arbeitgeber, die über die Verbandsstruktur (Fach- und Regionalverbände) kaum aufgefangen werden kann 2 2 . Auch die Regelung des § 25 BDA, wonach die von der Verbandsmeinung abweichende Meinung eines Wirtschaftszweiges von diesem publiziert und vertreten werden kann, wenn er geschlossen auftritt, h i l f t über das Dilemma nicht hinweg. Da gerade die „Kleinen" auf den Verband angewiesen sind — sie sind, allein gestellt, besonders angreifbar und auf Solidarität und die Streikfonds der Arbeitgeber angewiesen —, deren Ziele womöglich von denen der „Großen" erheblich divergieren, müssen zu deren Gunsten und, u m die Repräsentativ s t des Verbandes zu sichern, Regeln vorhanden sein. Nachdem aber die Arbeitgeberverbände vom gedanklichen Modell des Wettbewerbs getragen sind, hätte eine gesetzliche Regelung zugunsten der „Kleinen" zu berücksichtigen, daß deren minderer Einfluß dem System entspricht. Ein Eingriff rechtfertigt sich andererseits unter dem Gesichtspunkt des Mittelstandsschutzes, den das BVerfG als Güterabwägungsgesichtspunkt akzeptiert hat 2 3 . Es hängt hier entscheidend von der Einstellung des Gesetzgebers ab, ob er die besonders i n Rezessionszeiten fortschreitende Kapital- bzw. Unternehmenskonzentration auch als Bedrohung der Interessenwahrnehmung der kleinen und mittleren Arbeitgeber ansieht und zu deren Schutz, mittelbar damit auch zum Schutz der Wettbewerbswirtschaft allgemein, intervenieren w i l l . Verfassungsrechtlich steht ihm ein Abwägungsspielraum zwischen individueller und kollektiver Verbandsautonomie zu. 22

Die Machtunterschiede zwischen den einzelnen Arbeitnehmern kraft ihrer beruflichen Stellung dürften neben anderen Faktoren nur wenig ins Gewicht fallen. 23 Der Gesetzgeber ist grundsätzlich berechtigt, bestimmte gesellschaftspolitische Vorstellungen in den Rang wichtiger Gemeinschaftsgüter zu erheben (BVerfGE 13, 97, 107); dazu hat das Gericht ebd., 108, auch den Mittelstand gezählt, allerdings mehr obiter; die wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes unterstellt (BVerfGE 4, 7, 17; 7, 377, 400) und ernstgenommen, müßte auch heute eine dahingehende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bestehen.

I V . Besonderheiten der Arbeitgeberverbände

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Die Ansicht, daß dementsprechend ein Aufnahmeanspruch zu bejahen wäre, wird durch die hohe Organisationsquote und den Gedanken des §27 G W B — mittelbar ist der Wettbewerb immer berührt 2 4 — noch verstärkt^ 5 . Insofern liegt die Problematik nicht wesentlich anders als bei den Gewerkschaften.

Obwohl man auf den ersten Blick annehmen möchte, die Arbeitgeberverbände müßten einer weiterreichenden Transparenz, vor allem i n ihren politischen Aktivitäten, unterworfen werden als die Gewerkschaften, weil die Kanäle unternehmerischen Einflusses vielfältiger und verborgener als die der Gewerkschaften sind, sind beide i m Ergebnis gleich zu behandeln. Weder läßt sich m i t Sicherheit der Einfluß beider Sozialpartner i n seinem Gewicht abschätzen, noch lassen sich Kriterien finden, an denen die Transparenz der Arbeitgeberverbände zu messen wäre: Die Unsicherheit, ob das einzelne Unternehmen oder der Verband als Ganzer gehandelt hat, läßt sich durch gesetzliche Vorschriften nicht beseitigen, ebensowenig wie ein Gesetz die unternehmerische A r t der Vorabstimmung, die Kampfabstimmungen beseitigen soll, sinnvollerweise verbieten könnte. Die Arbeitgeberverbände strengeren Publizitätsvorschriften als die Gewerkschaften zu unterstellen m i t der Begründung, daß gewerkschaftliche Willensbildung immer Öffentlichkeitscharakter habe 26 , die der Arbeitgeber nie, läßt sich m i t den oben dargelegten Kriterien nicht vereinbaren: Publizität als Selbstzweck widerspricht dem Grundsatz der Koalitionsautonomie, es fehlt ein Rechtfertigungsgrund 27 . Auf Arbeitnehmerseite ist eine Differenzierung zwischen Sozial- und Wirtschaftsverband nur sehr beschränkt möglich 2 8 , dagegen auf Arbeitgeberseite sehr wohl und auch üblich 2 9 . Daraus entsteht das Sonderproblem der Koppelung beider Funktionen i n einem Verband und deren Auswirkungen auf die Koalitionseigenschaft des Verbandes sowie die Stellung des einzelnen Unternehmens, das, u m den Vorteil einer Funktion zu erlangen, an der anderen teilzuhaben gezwungen ist, ein Umstand, der zu Zwecken äußeren Koalitionszwangs verwendet werden 24 z u r Verknüpfung i m einzelnen F. Nicklisch, Die Koppelung von Wirtschaftsverbänden und Arbeitgeberverbänden, 1972, näher unten F N 3 0 f f . 2ß H. Henrici, 156 ff. 26 Siehe oben F N 19. 27 Es kann hier nichts anderes gelten als für das Problem der Einflechtung der Gewerkschaften in das Kapitalsystem der BRD (vgl. oben I I I 3 b). 28 Siehe aber oben I I I 3 a bb zur Frage der Reinheit der Koalitionen. 2® Die Stellung der öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft muß hier außer Betracht bleiben. Zwar müßte man eigentlich eine Interessenabwägung in einem Dreiecksverhältnis wählen, jedoch sind die Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Körperschaften weitgehend historisch so verfestigt, daß sie als fixes Datum für jeden Unternehmer gelten dürfen; nur da, wo wie z. B. im Handwerk Arbeitgeberverbände unüblich sind, treten diese Körperschaften aus ihrer Subsidiarität und können Aufgaben der freien, d. h. nichtstaatlichen Selbstverwaltung übernehmen.

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I V . Besonderheiten der Arbeitgeberverbände

kann. Sollte eine Koppelung von Wirtschaftsverband und Arbeitgeberverband verfassungswidrig sein, wäre das notwendiger Inhalt des Koalitionsgesetzes. Die Argumente für die Verfassungswidrigkeit einer solchen Koppelung wurden ausführlich von F. Nicklisch dargestellt. Diese Meinung wendet sich insbesondere gegen die Aussagen des BVerfG im Innungsbeschluß 30 . Eine Auseinandersetzung mit dieser Auffassung kann ebensowenig wie die Frage des äußeren Koalitionszwangs bei den Gewerkschaften Gegenstand dieser Arbeit sein. Daher soll nur darauf hingewiesen werden, daß eine Entflechtung von Arbeitgeber- und Unternehmensverbänden den Realitäten widersprechen dürfte 3 1 . Sie ist aber auch verfassungsrechtlich kaum überzeugend: Da die Arbeitgeber- und Unternehmensfunktionen immer mehr nur als Einheit für die Gesamtwirtschaft relevant sind — §3 StabG z.B. differenziert nicht, sondern spricht nur von „Unternehmensverbänden" —, und auch für die Tarifautonomie ein einheitliches Auftreten der Unternehmensinteressen wünschenswert erscheint, gibt es gewichtige Gründe, die die Differenzierungsinteressen des einzelnen Unternehmens 32 überwiegen können, zumal letztere eher beschränkt sind, denn, gesetzt den Fall, die Mitgliedschaft im Wirtschaftsverband ist für ein Unternehmen so wichtig, daß es als Außenseiter einen Anspruch auf Aufnahme gem. §27 GWB hätte 3 3 , dann erschiene es auch konsequent, daß es sich — wie alle anderen auch — der kartellierenden Wirkung der Tarifgebundenheit beugen muß. Der Widerspruch zwischen negativer und positiver Koalitionsfreiheit ist hier überlagert von der Notwendigkeit, Koalitionsfreiheit und Wettbewerbsfreiheit abzustimmen. Ein Abwägungsergebnis zugunsten gleicher Behandlung der Wettbewerber mit gleichzeitiger Ordnung des Arbeitslebens, wie sie eine Koppelung von Arbeitgeber- und Unternehmerfunktion herbeiführt, ist daher verfassungsgemäß.

Das Koalitionsgesetz müßte aber nicht nur die Bedingung der Freiwilligkeit der Koalition, wie gerade besprochen, berücksichtigen, sondern auch ihre Gegnerfreiheit, die durch paritätische Mitbestimmung gefährdet sein könnte 3 4 . So bestimmt § 10 Abs. 2 B D A : „In die Organe der Bundes Vereinigung können nur Personen entsandt oder berufen werden, die von Arbeitnehmerorganisationen unabhängig sind." 30 BVerfGE 20, 312, 321 f.; Kritik bei F. Nicklisch , 42, 59 ff., 61 (FN 138), der die Aussagen des BVerfG zu sehr auf ihren faktischen Hintergrund überprüft und zu wenig auf das Selbstverständnis und Ziel der Unternehmerseite achtet. Letzteres scheint das BVerfG typisierend (vgl. auch soeben FN29) ins Auge gefaßt zu haben, wenn es auch seine Überlegungen in einen Erfahrungssatz kleidet; vgl. auch die Kritik M. Löwischs, JZ 1975, 37, 38. 31 Während der I.R.A. 1971 auch „trade associations" in seinen Geltungsbereich einbezog, erstreckt sich der Trade Union and Labour Relations Act 1974 nur auf „employers' associations", die in sec. 28 (2 a) dadurch definiert sind „whose principal purposes include the regulation of relations between employers . . . and workers". Ob damit der Geltungsbereich eingeschränkt worden ist, kann hier nicht beurteilt werden. 32 Ob diese überhaupt auf den Unternehmer einen Druck für seine Entscheidung ausüben, der gewichtbar oder gar „erheblich" (M. Löwisch , Die Voraussetzungen, 304 f.) ist, mag zweifelhaft sein. 33 So der Hauptgedankengang bei F. Nicklisch , 22 ff., 30, passim. 34 Vgl. oben I I I 3 e.

I V . Besonderheiten der Arbeitgeberverbände

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Sucht man die Lösung zur Erhaltung von Parität und Gegenpositionalität i n der Abschirmung der Arbeitgeberverbände von Arbeitnehmereinfluß, wäre es konsequent, diese Vorschrift gesetzlich zu verankern 3 5 . Das erscheint aber zur Zeit als unverhältnismäßiger Eingriff i n die Koalitionsautonomie. Zum einen gibt es die Vorschrift des § 10 Abs. 2 BDA. Z u m anderen liefe es der oben I I I 3 e intendierten Lösung, Gefahren für die Tarifautonomie durch Rollenkonflikte über die verbandsinterne demokratische Kandidatenauswahl abzuwenden, zuwider, für die Arbeitgeberseite eine restriktivere Konstruktion zu befürworten. Gilt es doch zu bedenken, daß ein Arbeitnehmervertreter, wenn er von einem Unternehmen, das dem MitbestG unterliegt, i n einen Arbeitgeberverband entsandt wird, i n ein Vertrauens- und Erwartungsnetz eingespannt sein wird, das i h m kaum irgendwelche Freiheiten lassen dürfte. Es muß also den Unternehmen überlassen bleiben, wie sie das Übergewicht der Anteilseigner i n den Einzelunternehmen auf Verbandsebene verwirklichen wollen. Sollten sie ihrerseits, was allerdings wenig wahrscheinlich ist, ein Kooperationsmodell für die Regelung der Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen anstreben, so sind sie, wie oben I I I 3 e gezeigt, nicht durch übergeordnete Ordnungsgesichtspunkte gehindert, die durch die Mitbestimmung eingeleitete Modifizierung des Gesamtsystems aufzugreifen und weiterzuentwickeln. So betrachtet, wäre eine gesetzliche Vorschrift entsprechend § 10 Abs. 2 B D A eine nicht zu rechtfertigende Präjudizierung der weiteren Entwicklung der Arbeitgeberverbände. Es muß offenbleiben, wie i m einzelnen sich der Interessenausgleich zwischen Kapital und Arbeit einspielen wird. Aus diesen Komplexen ergeben sich also keine so starken Abweichungen gegenüber den Gewerkschaften, daß sie nicht durch gemeinsame Regelungen — zuvörderst beim Minderheitenschutz — gelöst werden könnten 3 6 . These 28: Nachdem kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß die anhand der Gewerkschaftsprobleme entwickelten Grundsätze nicht auf die Arbeitgeberverbände übertragbar wären, können die Ergebnisse oben I I I allgemein einem Koalitionsgesetz zugrundegelegt werden 3 7 . 3« Vgl. R. Dietz , 431 f.; G. Grasmann, 25 f. m. w. Nachw.; kritisch dazu W. Zöllner, H. Seiter , 122 ff.; 135 ff. 36 Das britische Hecht (Trade Union and Labour Relations Act 1974, sec. 6) erstreckt die Vorschriften über die innere Organisation der Koalitionen ohne Unterschied auch auf die Arbeitgeberverbände. 37 Daran würde sich auch nichts ändern, wenn Arbeitgeber- und Unternehmensverbände zu einheitlichen Verbänden verschmelzen würden. Wie oben I I I 3 a aa schon angedeutet, muß ein Verband mit einem vielfältigen Aufgabenkreis die funktionellen Einschränkungen eines jeden seiner Tätigkeitsfelder in Kauf nehmen. 20 Gerhardt

V. Regelung des Rechts der Koalitionen durch Gesetz? Das Ergebnis der Überlegungen bis hierher war, daß Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände aus Gründen des öffentlichen Wohls und, u m ein ausgewogenes Verhältnis der Mitglieder zum Verband herzustellen, Einschränkungen ihrer Autonomie hinnehmen müssen. Ob und wie diese Einschränkungen i n die Rechtsordnung sinnvoll eingeführt werden, bedarf noch der Prüfung. Wenn bislang die verfassungsrechtlich zulässigen und zum Teil notwendigen Anforderungen an die Koalitionen immer als Regelungen eines Koalitionsgesetzes apostrophiert wurden, war das eine Vereinfachung, die ausschließlich i m Hinblick auf die verfassungsrechtliche Gleichbewertung aller Arten öffentlicher Gewalt, sowohl also gesetzgeberischer wie judikativer, angängig ist.

Dem vorwegzuschicken ist i n einem Exkurs ein Blick auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik. Angesichts der Fülle verschiedener internationaler Abkommen, die die Rechte der Lohnabhängigen betreffen, könnte ein Koalitionsgesetz Völkerrechts- oder gemeinschaftsrechtswidrig sein, eine richterliche Anwendung der Grundsätze, die einem Koalitionsgesetz zugrundeliegen könnten, gesetzwidrig, soweit die internationalen Abkommen innerstaatliche Rechtswirkungen haben. Das Koalitionsrecht ist angesprochen i n der Erklärung von Philadelphia vom 10. 5.1944 der Internationalen Arbeitsorganisation (unter I I I c), die sich konkretisiert hat i n der Konvention Nr. 87 der I A O (Art. 7), ferner i n A r t . 11 Abs. 1 und 2 der Menschenrechtskonvention, schließlich mittelbar i n A r t . 118 Abs. 1 des EWG-Vertrags. Alle diese Normen bleiben jedoch hinter A r t . 9 Abs. 3 GG zurück, ein verfassungskonformes Gesetz kann insoweit auch nicht völkerrechtswidrig sein 1 . Die bei weitem klarste Formulierung der Koalitionsfreiheit findet sich i n der Europäischen Sozialcharta (BGBl. 1964 I I 1262 m i t Gesetz dazu vom 19. 8. 64 BGBl. 64 I I 1261). Neben der politischen Absichtserklärung i n Teil I Ziff. 5, 6, geeignete Voraussetzungen für die Ausi K. Gröbing, 8 ff.; A. Hueck, H. C. Nipperdey, 78 ff.; U. Brisch, 62 ff., insbes. zur Konvention Nr. 87 der IAO, Art. 7, der jedoch nicht verletzt wird, da die Freiheit der Koalitionsgründung durch das Koalitionsgesetz nicht berührt wird; O. Kahn-Freund, Labour, 165 ff.

V. Regelung des Rechts der Koalitionen durch Gesetz?

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Übung der i n der Sozialcharta niedergelegten Rechte und Grundsätze zu schaffen, findet sich i n Teil I I A r t . 5, der für jeden Signatarstaat unabdingbar ist (Art. 20), das Koalitionsrecht, i n A r t . 6 das Recht auf Kollektivverhandlungen. A r t . 5 lautet: „Um die Freiheit der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu gewährleisten oder zu fördern, örtliche, nationale oder übernationale Organisationen zum Schutz ihrer wirtschaftlichen oder sozialen Interessen zu bilden und diesen Organisationen beizutreten, verpflichten sich die Vertragsparteien, diese Freiheit weder durch das innerstaatliche Recht noch durch dessen Anwendung zu beeinträchtigen. Inwieweit die in diesem Artikel vorgesehenen Garantien auf die Polizei Anwendung finden, bestimmt sich nach innerstaatlichem Recht. Das Prinzip und gegebenenfalls der Umfang der Anwendung dieser Garantien auf die Mitglieder der Streitkräfte bestimmen sich gleichfalls nach innerstaatlichem Recht."

K e r n des verschachtelten Satzes 1 ist ein Freiheitsrecht der Koalitionsbildung und des Koalitionsbeitritts. Selbst wenn man annimmt, daß der Schutz des A r t . 5 der Sozialcharta sachlich weitergeht als A r t . 9 Abs. 3 GG (Reine Wirtschaftsverbände? Internationale Koalitionen?), so besagt er doch nichts über eine Kollision von kollektiver Autonomie und individuellem Schutzanspruch. Wegen der Trennung des Rechts auf Kollektivverhandlungen vom Koalitionsrecht könnte sogar zweifelhaft sein, inwieweit A r t . 5 überhaupt die Koalitionen als solche schützt. Zwar muß auch hier der Gedanke, daß für die Verwirklichung individueller Freiheit die Autonomie des Kollektivs unverzichtbar ist, gelten, jedoch ergibt er sich erst aus einer Interpretation, die der des A r t . 9 Abs. 3 GG parallel gelagert ist. Für den hier behandelten Fragenkreis läßt sich jedenfalls nicht erkennen, daß A r t . 5 der Europäischen Sozialcharta etwas verbietet, was A r t . 9 GG gestattet.

Soweit Regelungen des Rechts der Koalitionen notwendig sind, stellt sich die Frage, ob sie durch richterliche Rechtsfortbildung erreicht werden können oder ob es eines Gesetzes bedarf. E i n Gesetz könnte deshalb erforderlich sein, w e i l Eingriffe i n die Koalitionsautonomie nur aufgrund Gesetzes erfolgen dürfen (Vorbehalt des Gesetzes). Bei den meisten der erarbeiteten Thesen handelt es sich jedoch nicht u m hoheitliche, belastende Eingriffe i n ein Grundrecht zum Schutz allgemeiner Rechtsgüter, sondern u m Abwägungsergebnisse und Konkretisierungen von Funktionsbedingungen i m Rahmen der Koalitionsfreiheit, also u m den Interessenausgleich i n der gesellschaftlichen Sphäre 2 . Diese könnten auch die Gerichte ihren Entscheidungen 2 B A G und BVerfG machen sich bei der Erörterung des Geltungsbereichs der Koalitionsfreiheit gar keine Gedanken, ob eine Einschränkung etwa nur durch Gesetz erfolgen könnte, obwohl doch z. B. das Koalitionsmerkmal der Mächtigkeit die Beschränkung eines Grundrechts darstellen könnte.

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V. Regelung des Rechts der Koalitionen durch Gesetz?

unmittelbar zugrundelegen, sei es i m arbeitsgerichtlichen Verfahren zur Feststellung der Tariffähigkeit, i m zivilrechtlichen Streit zwischen Koalitionen bzw. zwischen Koalition und Mitglied oder i m Verwaltungsrechtsstreit einer Koalition zwecks Beteiligung an einem ministeriellen Gremium o. ä. Äußere Entscheidungsgrundlage könnten in diesen Fällen die Vorschriften des TVG, des BGB oder des allgemeinen Verwaltungsrechts sein, schließlich auch Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG. I m weiteren Sinn fände sich also für die möglichen Streitfälle immer eine gesetzliche Norm, die gerichtliche Entscheidungen zuungunsten der kollektiven Koalitionsfreiheit tragen könnte.

Es wäre jedoch eine Scheinlösung, aufbauend auf der allgemeinen Konfliktlösungszuständigkeit und -pflicht der Gerichte ihnen auch eine unumschränkte Kompetenz zur Rechtsfortbildung für den Sachbereich „Koalitionsrecht" deshalb zuzubilligen, weil i n A r t . 9 Abs. 3 GG eine Norm vorliegt, die die Gerichte über Satz 2 unmittelbar „anwenden" können. Eine derartige Reduktion eines Kompetenzproblems auf ein hermeneutisches würde verschleiern, daß die Ausfüllung der i n A r t . 9 Abs. 3 GG angelegten Kollisionen politischer Dezisionen bedarf, die nicht mit dem Gegensatzpaar „richtig oder falsch" bewertet werden können. Erst allmählich setzt sich in der allgemeinen Diskussion zum sog. „gesetzesvertretenden Richterrecht" eine Abkehr von der hermeneutischen hin zu einer kompetenziellen Betrachtungsweise durch. Es handelt sich primär um die Frage der demokratischen Legitimation, der die nach der politischen Verantwortlichkeit der Gerichte und nach den Wandlungen des Modells der Gewaltenbeschränkung untergeordnet sind. Den Fragen kann hier nicht nachgegangen werden. Es sei unterstellt, aus allgemeinen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten bestünden keine Bedenken zur richterlichen Rechtsfortbildungsmacht 3.

Daß die Gerichte das Koalitionsrecht i m Sinn der hier entwickelten Notwendigkeiten fruchtbar weiterentwickeln können, erscheint zweifelhaft. Selbst wenn man annähme, daß den Gerichten ein homogenes politisches Ordnungskonzept bewußt vorschwebte, so mangelte es doch dem Richterspruch an der Allgemeinheit, die zur wirksamen Strukturierung der gesellschaftlichen Sphäre des Koalitionsrechts erforderlich ist. Zum einen behindert die Zuständigkeitsverteilung auf Zivilgerichte und Arbeitsgerichte die Vereinheitlichung und Abstimmung der anstehenden Fragen — von den Sonderfällen verwaltungsgerichtlicher Zuständigkeit hier einmal abgesehen4. Die Ausrichtung des Z i v i l prozesses auf den subjektiven Rechtsschutz verzerrt darüber hinaus den Blickwinkel gegenüber organisationspolitischen Problemen. 3

Vgl. BVerfGE 34, 269, 286 ff. 4 Die Rechtsvereinheitlichungsvorschriften (Gesetz v. 19. 6.1968 BGBl. 1661) könnten gewisse Verbesserungen bringen.

V. Regelung des Rechts der Koalitionen durch Gesetz?

Zum anderen ist Richterrecht per originem reaktiv. K r a f t seiner Anbindung an die selbstgesetzten historischen Entwicklungslinien, aus denen es seine Legitimation schöpft, w i r k t es eher retardierend als ordnungspolitisch oder sozialgestaltend 5 . Die Scheu vor unvorhergesehener Fehlentwicklung eines eingeschlagenen Kurses läßt die Gerichte, mehr die ordentlichen als die Arbeitsgerichte 6 , vor grundsätzlichen Aussagen zurückschrecken, was zu einer unvorhersehbaren Einzelfalljudikatur oder zu apokryphen Wertungen unter hergebrachtem Etikett führen kann, beides aber ist unerwünscht 7 . Soweit entwicklungsfähige Ansätze der Rechtsprechung vorhanden sind, wie zum Vereinsrecht i n Fragen der Beweislast, des Minderheitenschutzes oder der Würdigung der Sonderstellung der Gewerkschaften, ist nicht absehbar, wann und auf welchen Wegen diese Ansätze hinreichend verallgemeinert werden, so daß i m genannten Beispiel die Gerichte nicht mehr von einer Vermutung des Vorrangs der Vereinsinteressen gegenüber denen des Verbandsunterworfenen ausgehen. Man könnte einwenden, das Richterrecht habe den Vorteil größerer Flexibilität und Unauffälligkeit, seine konservierende K r a f t gewährleiste, daß nur wirklich dringende Fallgestaltungen rechtlich neu geregelt würden 8 . Derjenige, der den Status quo wahren möchte, w i r d so argumentieren. Wer die übergeordneten Ziele des Koalitionsrechts, Funktionsgewähr und individuelle Koalitionsaktivität, i m Auge hat, müßte m i t h i n auf s Daher ist auch zweifelhaft, ob BVerfGE 34, 269, 286 ff. einen Anstoß für ein weitergehendes Umdenken im Bereich der Gewaltenteilung bewirkt. — Allgemein zum Problem F.-J. Säcker, Grundfragen, § 13. 6 Vgl. die LM-Anmerkung von R. Fischer. 7 Gerade i m Recht des Vereinsausschlusses besteht ein Verdacht dahingehend. Deshalb ist auch den „tragenden Grundsätzen" des Verbandsrechts großes Mißtrauen entgegenzubringen, da im allgemeinen nicht aufgedeckt wird, aus welchen Bereichen die Grundüberlegung stammt; so scheint die Versuchung nicht fernzuliegen, verbandsinterne Konflikte zuungunsten von Minderheiten zu lösen, wenn es nicht durch Gesetz gelingt klarzumachen, daß weder ein wirtschaftlicher Erfolg für die innerverbandliche Willensbildung letztes Ziel ist noch ein harmonisches Verhältnis zwischen Kopf und Gliedern. Gegenüber solchen Wertungen ist auch der Verweis auf die Drittwirkung von Art. 5 G G machtlos. — Ein zweites Moment liegt darin, daß die Vorsicht gerichtlicher Formulierungen keinen Druck auf die Kräfte i m Verband ausübt. Wenn es in sec. 101 a (4) L.M.R.D.A. 1959 heißt, eine Klage sei nach Ablauf von vier Monaten seit der Verbandsmaßnahme zulässig, auch wenn das Verbandsverfahren noch nicht abgeschlossen sei, dann ist das viel w i r kungsvoller als die deutsche Formel von der „Unzumutbarkeit" weiteren Zuwartens. Daher pflegt das B A G in sozialstaatlich klarer Weise Quantitäten und Fristen zahlenmäßig zu fixieren, so v. a. beim Gratifikationsrecht (Sozialstaatliche Tendenz zu „Fristenlösungen"!). 8 BVerfGE 33, 125, 159, weist auf die präventive Regelungsbefugnis des Gesetzgebers hin für Fälle, in denen die „Evidenz" der Regelungsnotwendigkeit von der Verbandsmehrheit gerade verhindert wird.

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V. Regelung des Rechts der Koalitionen durch Gesetz?

eine gesetzliche Regelung setzen9. Vom Gesetzgeber kann die Einbettung des Koalitionsgesetzes i n ein umfassendes, zukunftweisendes soziales Ordnungsmodell geleistet werden, dessen politische Grundvorstellungen richtunggebend das Sozialstaatsprinzip und den Stellenwert der Koalitionen i n der Gesamtordnung ausgestalten. Der Gesetzgeber ist zur Dezision über die Gesamtordnung berufen 10 . Es ist jedoch irreführend, von „dem Gesetzgeber" zu sprechen. Gemeint ist ein Verfahren der Staatswillensbildung, an dem auch die Gewerkschaften Anteil haben. Heißt das aber nicht, daß ein Koalitionsgesetz von vornherein zum Scheitern verurteilt ist? Die Überlegungen, die die Berechtigung des Wunsches nach gesetzlicher Regelung unterstrichen, würden an den Grenzen gesetzgeberischer Freiheit i m tatsächlichen Verhältnis zu den gesellschaftlichen Kräften ihr Ende nehmen, man wäre doch auf die Rechtsprechung angewiesen 11 . Es wäre verfassungspolitisch und i m Interesse des Koalitionsrechts verfehlt, die Ziele einer Reform des Rechts der Koalitionen allein und ausschließlich den Gerichten als Entscheidungsgesichtspunkte anzuempfehlen. Gerade w e i l die Gesetzgebung ein Verfahren ist, das, i n die öffentliche Diskussion eingebettet, von ihr Anregungen empfängt, wie auch an sie zurückgibt, ist das Ziel einer gesetzlichen Regelung zu verfolgen. Z u m einen können sich die Erwartungen, die an den Parlamentarismus gestellt werden, bewähren, insbesondere können die Parteien und die anderen Kräfte des politischen Prozesses die innere Rechtfertigung parlamentarischer Gesetzgebung heute, nämlich die Fähigkeit zu übergreifender Gesellschaftsgestaltung, als lebendig erweisen 12 . Es könnte aber auch der Gesetzgebungsprozeß an sich Auswirkungen auf die Koalitionen haben und so seinen Nutzen zeigen. Den Koalitionen, insbesondere den Gewerkschaften, fehlt eine klare o Nach Art. 74 Ziff. 12 GG ist der Bund für den Erlaß eines Koalitionsgesetzes zuständig. — Die Schlußfolgerung aus Art. 72 Abs. 1 GG, daß zur Zeit die Länder die Gesetzgebungskompetenz hätten, dürfte kaum haltbar sein, da das Arbeitsrecht auf einem bundeseinheitlichen Koalitionsbegriff aufbaut, so daß mittelbar eine Sperrwirkung für die Landesgesetzgebung besteht. 10 Th. Ramm, Arbeitsgesetzbuch, 19; skeptisch wohl Th. Mayer-Maly, Probleme, 226; zum Beitrag des Gesetzgebers in der demokratisch verfaßten Industriegesellschaft F. Kubier, Kodifikation, 650 f.; ferner P. Römer, 146 f.; E. Heinz, a.a.O., meint sogar, Richterrecht und Gesetzesrecht stünden mit verschiedenen Geltungsgründen nebeneinander. 11 Der Eintritt eines exzeptionellen Ereignisses, wie es in Amerika die Aufdeckung der Machenschaften des Gewerkschaftsführers Hoffa war, könnte einen Anstoß für den Gesetzgeber bedeuten. 12 Auch die Parteien sind nicht unwesentlich verbandsdurchsetzt, der gleiche Gedankengang gilt also hier. Es ist evident, daß am Ende nur die Hoffnung auf den verantwortungsbewußten Einzelnen bleibt, der mehr als nur taktische Vorteile für sich selbst anstrebt; vgl. oben I I I 4 b dd.

V. Regelung des Rechts der Koalitionen durch Gesetz?

Vorstellung vom anzustrebenden Sozialmodell und von ihrer Rolle i n Staat und Gesellschaft 13 . Zur Zeit streben sie eine A r t omnipotenter Wirtschaftsmacht an, indem sie neben Tarifautonomie Mitbestimmung i n den Unternehmen und i n der Gesamtwirtschaft, Einfluß über eine zweite Kammer und die Verwaltung der Arbeitnehmervermögen anstreben. Es mangelt am Selbstverständnis und an einer Theorie der gesellschaftlichen Balance. Der Gesetzgebungsprozeß könnte zu einer Klärung der gewerkschaftlichen Zielsetzungen führen und damit, auch wenn er nicht zu einem Gesetz führt, Ziele der angestrebten Reform als innergewerkschaftliche Aufgabe deutlich machen 14 . Die Ausgangsfrage dieses Abschnitts läßt sich somit nicht eindeutig beantworten: Der theoretischen Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung entspricht bei realistischer Betrachtung die Nützlichkeit einer Gesetzesinitiative und die Notwendigkeit einer Besinnung der Rechtsprechung auf eine ausgeglichene Machtverteilung i n und außerhalb der Koalitionen. Es ist daher nicht ohne weiteres möglich, einen ausgestalteten Vorschlag für ein Koalitionsgesetz zu machen. Es soll daher bei den Thesen, die unten noch einmal zusammengestellt sind, sein Bewenden haben. Diese Thesen gälte es, systemgerecht in die Rechtsordnung einzubauen. Das könnte durch Schaffung eines „intermediären" Verbandsrechts nur m i t Schwierigkeiten erreicht werden. Dagegen bietet das PartG ein gutes Vorbild privater Verfassung m i t öffentlichrechtlichem Einschlag. Ferner bedürften die Anforderungen an die Koalitionen verfahrensrechtlicher Absicherung. Dazu gehörte ein einheitlicher Rechtsweg 15 . Der prozessuale Rechtsschutz des Einzelnen müßte klarer gefaßt werden, wobei der Verbandsautonomie durch ein Vorverfahren entsprechend dem der VwGO entgegengekommen werden könnte, insgesamt müßte der Weg zu den Gerichten aber für den Einzelnen erleichtert werden. Organstreitverfahren sowie deren prozessuale Voraussetzungen wären zu klären. Aus Gründen der Gesetzestechnik müßten i n ein Koalitionsgesetz eventuell vorgesehene Regelungen über einen äußeren Koalitionszwang aufgenommen werden. Die puristisch Wettbewerbs wirtschaftliche Haltung amerikanischer Gewerkschafter, die hier gerne kolportiert wird, dürfte zwar mehr verbal sein als der Realität entsprechen (Mitwirkung an gesamtwirtschaftlichen Eckdaten!), jedenfalls aber für den Mitbestimmungskomplex gelten. Beim DGB erstaunt die kühne Mischung romantischer Mitbestimmungsideale und technokratischen Herrschaftsanspruchs. 14 Die Frage, ob der Gesetzgeber wegen Art. 9 Abs. 3 G G verpflichtet ist, im vorbereitenden Gesetzgebungsverfahren die Koalitionen über das übliche Maß hinaus zu hören und zu beteiligen, um eine ihrem Selbstverständnis angemessene Regelung zu finden, kann hier nur aufgeworfen werden. Angesichts der Staatspraxis dürfte eine derartige „legislatorische Aufwertung der Grundrechte" überflüssig sein. " L. Wenzel , Neue Zuständigkeiten der Arbeitsgerichte, ZRP 1973, 290 ff.

Schluß Die politischen Realitäten lassen nicht erwarten, daß ein Koalitionsgesetz i n absehbarer Zeit geschaffen wird. Gegen den Widerstand der Gewerkschaften dürfte es unmöglich sein — der britische Gesetzgeber ist m i t dem Versuch, die Autonomie der Arbeitnehmervereinigungen gesetzlicher Regelung zu unterwerfen, am Boykott der Gewerkschaften gescheitert. Ob den Gewerkschaften hierzulande die gesetzliche Ermächtigung zu Maßnahmen des Koalitionszwangs soviel wert wäre, daß sie i m Gegenzug die Verrechtlichung ihrer Autonomie i n Kauf nähmen — möge sie sie als Einschränkung treffen oder nicht —, ist anzuzweifeln. Die Koalitionen sind aufgefordert, von sich aus auf die erörterte Verfassungsrechtslage einzugehen. Wollen sie glaubwürdig sein, sich vor Vertrauensschwund aus dem Kreis ihrer Mitglieder, von Seiten der Öffentlichkeit und der Institutionen staatlicher Gesamtleitung schützen, obliegt es ihnen, ihre Autonomie zu benützen, u m sich konsequent als offene und demokratische Träger gesellschaftspolitischer Diskussion und Verantwortung zu erweisen. Es schiene dies ein entwicklungsfähiger Beitrag der Koalitionen i m steten Prozeß der Ausbalancierung des Gemeinwesens.

Zusammenstellung der Thesen 1. Der Geltungsbereich des Koalitionsgesetzes ist auf die tariffähigen Koalitionen zu beschränken. Das Koalitionsgesetz darf keine Hegelungen enthalten, die die Gleichbehandlung der nichttariffähigen Berufsverbände auf Gebieten außerhalb der Tarifautonomie beeinträchtigen. 2. Eine Regelung, die ähnlich wie § 1 PartG Bedeutung und Aufgaben der Koalitionen umreißt, kann nicht abschließend formuliert sein. 3. Eine Regelung, die den Mitgliederkreis von Gewerkschaften auf Arbeitnehmer beschränkt, ist nicht durch sachliche Erfordernisse des Tarifvertragssystems gerechtfertigt. 4. Das Bekenntnis zu eigener Kampfwilligkeit ist nicht Voraussetzung für das Vorliegen einer Koalition. 5. Ein konstitutives Register der tariffähigen Koalitionen ist nicht zulässig. 6. Koalitionen im Sinn des Koalitionsgesetzes sind nur „mächtige" Verbände. 7. Es ist verfassungswidrig, die privatwirtschaftliche Betätigung der Gewerkschaften zu verbieten. 8. Eine allgemeine Publizitätspflicht der Gewerkschaften stellt kein angemessenes Mittel zur Sicherung der Gegnerfreiheit dar. 9. Wegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 G G bedarf es keiner Verhaltensregeln für das Verhältnis konkurrierender Koalitionen zueinander. 10. Eine allgemeine staatliche Aufsicht über die Koalitionen ist nicht zulässig. 11. Die Einwirkung der Gewerkschaften auf die Staats Willensbildung fordert, daß die gewerkschaftliche Willensbildung demokratischen Grundsätzen entspricht. 12. These 11 ist dahin zu erweitern, daß die Gewerkschaften i m Rahmen ihrer Satzung jedem Arbeitnehmer zugänglich sein müssen. 13. Eine Beteiligung der Koalitionen an der staatlichen Wirtschaftslenkung setzt Macht und Verpflichtungsfähigkeit der Koalitionen voraus. Das ist bei Eingriffen in die Koalitionsautonomie zu beachten. 14. Eine Gewerkschaft muß eine von ihr verfolgte politische oder weltanschauliche Richtung in der Satzung allgemein umschreiben. 15. Einheitsgewerkschaften unterliegen Beschränkungen in der Unterstützung politischer Parteien. Durch Gründung und Bekanntgabe eines politischen Fonds kann die parteipolitische Neutralität gewahrt bleiben. 16. Parteiamt und Gewerkschaftsamt schließen sich aus. 17. Die Satzung muß Vorkehrungen treffen, daß Minderheiten ihre Sonderinteressen in weltanschaulichen oder politischen Angelegenheiten gegenüber der Allgemeinheit verfolgen können. 18. Aus der Funktionsfähigkeit der Verwaltungsordnung ergeben sich keine spezifischen Anforderungen an die innere Struktur der Koalitionen.

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Zusammenstellung der Thesen

19. Eine Gefährdung der Tarifautonomie durch das MitbestG läßt sich zwar nicht unmittelbar feststellen, sie kann sich aber in dem durch das MitbestG eingeleiteten Wandel des Gesamtsystems der Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen verdichten. Einen Weg, ein funktionsfähiges Gesamtsystem zu erhalten, stellen Eingriffe in die Koalitionsautonomie dar, die die Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter sichern. Dazu gehört in erster Linie eine demokratische Kandidatenauswahl. 20. Die positive Koalitionsfreiheit des Einzelnen beinhaltet ein Recht auf Teilhabe an den Koalitionsfunktionen. Aufgrund der historischen Entwicklung des Gewerkschaftswesens in Deutschland überwiegt dieses Individualrecht die Freiheit der Gewerkschaften auf Auswahl ihrer Mitglieder. Aus ihm folgt ein Aufnahmeanspruch in Koalitionen, dessen nähere Ausgestaltung durch Gesetz oder Richterrecht erfolgen muß. 21. Die gesetzliche Normierung eines Aufnahmezwangs von Arbeitnehmergruppen ist unzulässig. 22. Der Gesetzgeber kann und soll an den Formalisierungsgrad gewerkschaftlicher Binnenstruktur Mindestanforderungen stellen. Die Einhaltung dieser Mindestanforderungen kann nur in einem gerichtlichen Verfahren überprüft werden. 23. Die Absicherung der „verbandsbürgerlichen" Gleichheit durch gesetzliche Maßnahmen, die eine repräsentativ-demokratische Willensbildung im Verband anstreben, stellt keinen verfassungswidrigen Eingriff in die Autonomie der Koalitionen dar; sie ist i m Interesse einer effektiven Kontrolle der Verbandsspitze zu fordern. 24. Maßnahmen, die in die interne Kompetenzverteilung und Kompetenzabstimmung der Koalitionen eingreifen mit dem Ziel der Stärkung partizipatorischer Demokratie sind zur Zeit verfassungsrechtlich nicht zulässig. 25. Eine Spitzenorganisation kann Koalitionsaufgaben nur dann selbständig wahrnehmen, wenn sie von den Mitgliedern der Einzelgewerkschaften unmittelbar legitimiert ist. 26. Die Durchnormierung der Verfassung der Spitzenorganisationen hat der der Einzelgewerkschaften zu entsprechen. 27. Ein Verfassungsauftrag zur Schaffung eines Koalitionsgesetzes besteht nicht. 28. Nachdem kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß die anhand der Gewerkschaftsprobleme entwickelten Grundsätze nicht auf die Arbeitgeberverbände übertragbar wären, können die Ergebnisse oben I I I und die Thesen allgemein einem Koalitionsgesetz zugrundegelegt werden.

Verzeichnis der Rechtsprechung 1. Bundesverfassungsgericht Datum

Fundstelle

Datum

Fundstelle

23.10.52 1. 7.53 20. 7.54 18.11.54 17. 8.56 16. 1.57 17. 1.57 15. 1.58 11. 6.58 28. 2.61 17. 7.61 22. 5.63 11. 3.64 14. 4.64 6. 5.64 30.11. 65 19. 7.66 5. 8.66 19.10. 66

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26. 5.70 24. 2.71 24. 2.71 9. 3.71 16. 3.71 20. 7.71 27. 7.71 13.10. 71 25. 1.72 14. 3.72 9. 5.72 18. 7.72 14. 2.73 14. 2.73 27. 2.73 14. 3.73 29. 5.73 2.10. 73 18.12. 74

E E E E E E E E E E E E E E E E E E E

2, 2, 4, 4, 5, 6, 6, 7, 7, 12, 13, 16, 17, 17, 18, 19, 20, 20, 20,

1 380 7 96 85 32 55 198 377 205 97 130 280 319 18 303 56 150 312

28, 30, 30, 30, 30, 31, 31, 32, 32, 33, 33, 33, 34, 34, 34, 34, 35, 36, 38,

2. Bundesverwaltungsgericht 25. 2. 66

E 23, 304 3. Bayerischer Verfassungsgerichtshof

23.10. 63 6. 5. 71

E n. F. 16, 112 BayVBl. 71, 262 4. Ordentliche Gerichte a) Reichsgericht

18. 1. 34

RGZ 143, 212

27. 2. 54 25. 5. 56 4.10. 56 18. 9. 58 25. 2. 59 26. 2. 59 6.10. 64 24. 2. 65

Z 13, 5 Z 21, 1 Z 21, 370 Z 28, 131 Z 29, 344 Z 29, 352 Z 42, 210 A P Nr. 1 zu § 12 BGB

b) Bundesgerichtshof

295 173 227 250 292 297 314 54 273 1 125 303 269 293 307 369 79 66 281

316

Verzeichnis der Rechtsprechung

Datum

Fundstelle

26. 4.65 13. 6.66 6. 3.67 20. 4.67 18.12.67 14. 3.68 11. 7.68 14.11.68 3. 3.71 29. 3.71 13. 7.72 28. 9.72 9.11. 72 17.12. 73 24.10. 74 2.12. 74

Z 43, 316 Z 45, 314 Z 47, 172 Z 47, 381 A P Nr. 38 zu Art. 9 G G (Arbeitskampf) Z 49, 396 = A P Nr. 2 zu § 25 BGB Z 50, 325 N J W 69, 316 Z 55, 381 Z 56, 40 N J W 72, 1892 N J W 73, 35 = A P Nr. 21 zu Art. 9 G G Z 59, 369 NJW 74, 183 NJW 75, 160 Z 63, 282 c) Oberlandesgerichte

Celle Frankfurt Frankfurt Hamburg Karlsruhe Köln München

6. 7. 73 25. 4. 73 3. 10. 73 13. 11.70 28. 1. 69 16. 1.68 25. 9. 72

BB NJW NJW DÖV MDR NJW MDR

73, 73, 74, 71, 70, 68, 73,

1190 2208 189 238 324 992 405

5. Arbeitsgerichte a) Bundesarbeitsgericht 17. 3.60 2.12. 60 2. 8.63 14. 2.67 14. 2.67 29.11. 67 9. 7.68 11.11. 68 21.10. 69 23. 4.71 26.10. 71 31.10. 72

AP AP AP AP AP AP AP AP AP AP AP AP

Nr. 4 Nr. 2 Nr. 5 Nr. 10 Nr. 11 Nr. 13 Nr. 25 Nr. 14 Nr. 41 Nr. 2 Nr. 44 Nr. 2

zu zu zu zu zu zu zu zu zu zu zu zu

§ 54 BGB § 19 BetrVG Art. 9 G G Art. 9 G G Art. 9 G G Art. 9 G G §2 T V G Art. 9 G G Art. 9 G G (Arbeitskampf) § 97 ArbGG 1953 Art. 9 GG (Arbeitskampf) § 40 BetrVG 1972

b) Landesarbeitsgericht Düsseldorf 14.12. 57

A P Nr. 2 zu Art. 9 GG c) Arbeitsgericht

Düsseldorf 21. 8. 72

DB 73, 876 6. Bundessozialgericht

9. 9. 75

N J W 76, 689

Literaturverzeichnis (Autoren, auf die nur allgemein, um eine gedankliche Richtimg zu illustrieren, hingewiesen wurde, sind hier nicht aufgenommen. — Nach Nennung des vollen Titels ist in den Anmerkungen regelmäßig nur noch der Name des Autors angegeben, bei mehreren Schriften desselben Autors auch der Anfang des Titels; abweichende Zitierweisen sind im folgenden gekennzeichnet.)

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