Das Gesetz – The Law – La Loi 9783110350081, 9783110350012

This volume examines how the notion of law was transformed and reformulated during the Middle Ages. It focuses on encoun

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German Pages 790 Year 2014

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Das Gesetz – The Law – La Loi
 9783110350081, 9783110350012

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Vor dem Gesetz – zur Einführung
I. Gesetzesbegriffe
Rechtswissenschaften, Rechtsgeschichte und der Gesetzesbegriff im Mittelalter
Terminologie und Etymologie des mittelalterlichen Gesetzesbegriffs
Deux formes de théocratie
Zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft: Verbindungen zwischen dem russischen ,zakon‘ und dem tatarisch-persischen Rechtsdenken
II. Gesetz, Recht und Politik
Die erste Leges-Reform Karls des Großen
Kirchenrecht und politische Kommunikation im Frankenreich des 9. Jahrhunderts
Lex und consuetudo. Zum politischen Hintergrund ihres Verhältnisses in den Lehren der Bologneser Legisten des 12. bis 14. Jahrhunderts
The Notion and the Practices of vindicta in the Italian City-States in the Light of the Various Juridical and Theological Traditions
Die Anfänge der Kodifikation des Landrechts in Böhmen
Rechtsprechung ohne Gesetz? Die Rechtsentscheidungen der Schöffen von Niedergerichten
III. Koran und Gesetz im islamischen Denken
Die ‚Entdeckung des Bösen‘ im Koran? Überlegungen zu den koranischen Versionen des Dekalogs
Šarī‘a: Determinanten des islamischen Gesetzesbegriffes im Spiegel der Spätantike
“… and the killing of someone who upholds these convictions is obligatory!” Religious Law and the Assumed Disappearance of Philosophy in Islam
IV. Jüdische Gesetzeshermeneutik
La table des préceptes dans le ‘Dux neutrorum’ de Moïse Maïmonide
Talmudisten versus Kabbalisten? Der Streit um die Hermeneutik der Gebote im mittelalterlichen Judentum
V. Scholastische Lex-Traktate und Gesetzesauffassungen
Littera et Lex: Scriptural Hermeneutics and the Old Law at the Twelfth-Century Parisian Abbey of St. Victor
Der Traktat ‚De legibus et praeceptis‘ der ‚Summa Halensis‘ und sein kulturgeschichtlicher Kontext
Lex divinitatis – Albertus Magnus kommentiert Dionysius Areopagita
Der Vergleich von Altem und Neuem Gesetz im Spiegel ausgewählter scholastischer Kommentierungen von 3 Sent., d. 40
Naturgesetz und Dekalog bei Thomas von Aquin
Olivis Ontologie des Rechts und des Sozialen
Henry of Ghent on Divine Law, Natural Law and Human Law
Lex libertatis und ius naturale. Freiheitsgesetz und Naturrechtslehre bei Wilhelm von Ockham
VI. Göttliches und natürliches Gesetz im byzantinischen Denken
Die göttliche Gesetzgebung und die Norm der Erkenntnis gemäß Gregorios Palamas
Gültigkeit und Anerkennung der natürlichen Grenzen. Gennadios Scholarios’ Konzept des natürlichen Gesetzes
VII. Gesetzesdiskurse zwischen erster und zweiter Scholastik
Duty to Self-Preservation or Right to Life? The Relation between Natural Law and Natural Rights (1200–1600)
The Relationship between Conscience and Law in Some Late Scholastic Commentators on Aquinas’s ‘Summa theologiae’
Facing the Ambiguities of Aquinas: The Sixteenth-Century Debate on the Origin of ius gentium
Der Begriff des Naturgesetzes zwischen Intellektualismus und Voluntarismus und die via media bei Francisco Suárez
VIII. Interreligiöse Polemik
Lex Mahometi. Die Erfolgsgeschichte eines vergleichenden Konzepts der christlichen Religionspolemik
Jüdisches Gesetz christlich interpretiert: Ramon Martís ‚Pugio fidei‘
Die Kritik des Ägidius von Rom am ‚falschen Gesetz‘ in ihrem philosophie- und theologiehistorischen Kontext
IX. Gesetz und Spiritualität
Législation de l’homme intérieur et extérieur chez Maître Eckhart
Lebensregeln für Laien: Dionysius der Kartäuser als Kommentator der franziskanischen Drittordensregel und Verfasser eines Regelwerkes für alle Christen (‚De doctrina et regulis vitae christianorum‘)
Die Konzeption des lebendigen Gesetzes (lex viva) bei Nicolaus Cusanus
X. Vergegenwärtigungen des Gesetzes
Gott ,vor dem Gesetz‘. Göttliches und menschliches Recht im ,Evangelium Nicodemi‘ Heinrichs von Hesler
Lex und iuramentum. Gott als Wahrheitszeuge und Rechtsgarant in spanischen Gesetzescodices
Seeing Justice: The Visual Culture of the Law and Lawyers
Verzeichnis der Handschriften
Verzeichnis der Frühdrucke
Namenregister
Abbildungen
Abbildungsnachweise

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Das Gesetz – The Law – La Loi

Miscellanea Mediaevalia Veröffentlichungen des Thomas-Instituts der Universität zu Köln Herausgegeben von Andreas Speer

Band 38

Das Gesetz – The Law – La Loi

De Gruyter

Das Gesetz – The Law – La Loi Herausgegeben von Andreas Speer und Guy Guldentops

De Gruyter

ISBN 978-3-11-035001-2 e-ISBN 978-3-11-035008-1 ISSN 0544-4128 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Datenkonvertierung/Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort

Der vorliegende 38. Band der Miscellanea Mediaevalia, der auf die 38. Kölner Mediaevistentagung zurückgeht, stellt einen Begriff in den Mittelpunkt, der nicht nur für das Verständnis sozialen und kulturellen Lebens von fundamentaler Bedeutung ist: das Gesetz. Dieser Begriff durchkreuzt alle Sprach- und Kulturräume jenes Millenniums, das man aus abendländischer Sicht als Mittelalter apostrophiert, und verbindet diese mit dem gemeinsamen antiken Erbe, auf das sich die Gesetzesvorstellungen der drei diesen Zeitraum prägenden abrahamitischen Religionen gleichermaßen beziehen. In gleicher Weise wirken die zu dieser Zeit erfolgten Transformationen und systematischen Neubestimmungen des Gesetzesbegriffs weiter – zum Teil bis in die Gegenwart. In diesem Sinne ist die historische Arbeit an einem Begriff und den durch ihn bezeichneten Sachverhalten Archäologie im doppelten Sinne des Wortes: in der Suche nach dem historischen Ursprung wird zugleich der Ursprung der Bedeutung aufgedeckt, findet doch eine systematische Entfaltung eines Begriffs und des von ihm bezeichneten Sachverhaltes immer in einem bestimmten Kontext statt, der zumeist nicht bloß akzidentell hinzutritt, sondern selbst in die epistemischen Bedingungen eingeht. Damit ist die Idee dieses Bandes wie auch die Idee der Kölner Mediaevistentagungen knapp umrissen, die seit dem Jahr 1950 zunächst jährlich, seit 1968 im Zweijahresrhythmus Mediävisten aus allen Disziplinen und aus allen Regionen der Welt zusammenbringen, um eine zentrale Themenstellung aus verschiedensten systematischen, historischen und methodischen Gesichtspunkten zu beleuchten und gemeinsam zu diskutieren. Hierbei gilt seit einigen Jahren die besondere Aufmerksamkeit den interkulturellen Beziehungen eines vielsprachigen, multikulturellen und auch religiös pluralen ‚Mittelalters‘, das nicht nur Lateinisch, sondern auch Griechisch, Arabisch und Hebräisch spricht und eine volkssprachliche Kultur hervorbringt. Wie fruchtbar und notwendig eine solche erweiterte Perspektive auf das ‚Mittelalter‘ genannte Millennium ist, zeigt gerade dieser Band, der die Diskussionen der 38. Kölner Mediaevistentagung dokumentiert und fortschreibt. Auch im September 2012 hat sich die Kölner Mediaevistentagung wieder in vielerlei Hinsicht als Ideenlabor erwiesen. Hierzu trägt nicht zuletzt der weitgespannte Freundeskreis bei, aus dem alle zwei Jahre mehr als zweihundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen Teilen Europas und der Welt nach Köln kommen. Dabei wird unsere Tagung selbst zur Plattform für zahllose Forschungsaktivitäten, wie etwa das inzwischen traditionelle Treffen der European Graduate School for Ancient and Medieval Philosophy (EGSAMP) im Anschluß an das Internationale Kolloquium am Vorabend der Tagung zeigt.

VI

Vorwort

Das Internationale Kolloquium ist inzwischen ebenso wie der öffentliche Abendvortrag eine gute Tradition, die dazu beiträgt, das Thema der Mediaevistentagung möglichst vielfältig zu diskutieren. Zusammen mit den Beiträgen ergibt sich so ein breites Spektrum an Themen und Fragestellungen, das in zehn Sektionen insgesamt 38 Beiträge umfaßt. Den Autorinnen und Autoren sei an dieser Stelle herzlich für Ihre Mitarbeit in allen Phasen der Drucklegung gedankt. Zu den unerläßlichen Voraussetzungen der Kölner Mediaevistentagung und somit auch für das Zustandekommen dieses Bandes der Miscellanea Mediaevalia zählt die großzügige Unterstützung der Tagung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und durch die Otto Wolff-Stiftung. Hierfür danken wir auch im Namen aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die Vorbereitung und die Durchführung der Tagung, unserer mediävistischen Biennale in Köln, lag wiederum in den ebenso engagierten wie bewährten Händen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Thomas-Instituts. In diesem Zusammenhang gilt unser Dank Jun.-Professor David Wirmer für seinen Beitrag zur Ausgestaltung des Themas und des Tagungsprogramms. Ferner sei an dieser Stelle besonders Frau Petra Abendt, die seit vielen Jahren das Tagungssekretariat leitet, und Herrn Dipl.-Bibliothekar Wolfram Klatt gedankt, der während der Tagung nicht nur die Bücherausstellung organisiert. Auch bei den redaktionellen Arbeiten für diesen Band konnten wir uns auf die Expertise und auf den Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Thomas-Instituts verlassen. Herzlich danken wir an dieser Stelle Lars Reuke und Kilian Thoben für die Registerarbeit, die bekanntlich immer unter Zeitdruck stattfindet. Auch dieses Mal gilt der abschließende Dank der Herausgeber dem Verlag Walter de Gruyter, namentlich Frau Dr. Gertrud Grünkorn sowie Frau Katja Brockmann für die stets ausgezeichnete Zusammenarbeit und für die schöne Ausstattung des Bandes.

Köln, im Juli 2014

Andreas Speer Guy Guldentops

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

A S (Köln) Vor dem Gesetz – zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

I. Gesetzesbegriffe H K (Linz) Rechtswissenschaften, Rechtsgeschichte und der Gesetzesbegriff im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

C K (Düsseldorf) Terminologie und Etymologie des mittelalterlichen Gesetzesbegriffs .

19

R B (Paris/München) Deux formes de théocratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

J K (Joensuu) Zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft: Verbindungen zwischen dem russischen ,zakon‘ und dem tatarisch-persischen Rechtsdenken . . . .

53

II. Gesetz, Recht und Politik K U (Köln) Die erste Leges-Reform Karls des Großen . . . . . . . . . . . . . . . .

75

D Z (Budapest) Kirchenrecht und politische Kommunikation im Frankenreich des 9. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

H G. W (Jena) Lex und consuetudo. Zum politischen Hintergrund ihres Verhältnisses in den Lehren der Bologneser Legisten des 12. bis 14. Jahrhunderts . . .

109

A Z (Firenze) The Notion and the Practices of vindicta in the Italian City-States in the Light of the Various Juridical and Theological Traditions . . . . . . . .

123

VIII

Inhaltsverzeichnis

M B (Prag) Die Anfänge der Kodifikation des Landrechts in Böhmen . . . . . . .

137

R S (Mainz) Rechtsprechung ohne Gesetz? Die Rechtsentscheidungen der Schöffen von Niedergerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

152

III. Koran und Gesetz im islamischen Denken A N (Berlin) Die ‚Entdeckung des Bösen‘ im Koran? Überlegungen zu den koranischen Versionen des Dekalogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179

B J (Berlin) Sˇarı¯ ‘a: Determinanten des islamischen Gesetzesbegriffes im Spiegel der Spätantike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201

F G (Yale) “… and the killing of someone who upholds these convictions is obligatory!” Religious Law and the Assumed Disappearance of Philosophy in Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

214

IV. Jüdische Gesetzeshermeneutik D D S (Lecce/Köln) La table des préceptes dans le ‘Dux neutrorum’ de Moïse Maïmonide .

229

S C (Paris) Talmudisten versus Kabbalisten? Der Streit um die Hermeneutik der Gebote im mittelalterlichen Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . .

263

V. Scholastische Lex-Traktate und Gesetzesauffassungen F T. H (Durham, UK) Littera et Lex: Scriptural Hermeneutics and the Old Law at the Twelfth-Century Parisian Abbey of St. Victor . . . . . . . . . . . . . .

281

M B (Dortmund) Der Traktat ‚De legibus et praeceptis‘ der ‚Summa Halensis‘ und sein kulturgeschichtlicher Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

298

M B (Bonn) Lex divinitatis – Albertus Magnus kommentiert Dionysius Areopagita .

316

Inhaltsverzeichnis

IX

T M (Augsburg) Der Vergleich von Altem und Neuem Gesetz im Spiegel ausgewählter scholastischer Kommentierungen von 3 Sent., d. 40 . . . . . . . . . .

334

A S (Köln) Naturgesetz und Dekalog bei Thomas von Aquin . . . . . . . . . . . .

350

C R (Bonn) Olivis Ontologie des Rechts und des Sozialen . . . . . . . . . . . . . .

371

M L (Rom/Köln) Henry of Ghent on Divine Law, Natural Law and Human Law . . . .

383

A E (Berlin) Lex libertatis und ius naturale. Freiheitsgesetz und Naturrechtslehre bei Wilhelm von Ockham . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

399

VI. Göttliches und natürliches Gesetz im byzantinischen Denken G K (Sofia) Die göttliche Gesetzgebung und die Norm der Erkenntnis gemäß Gregorios Palamas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

427

S M (Sofia/Lausanne) Gültigkeit und Anerkennung der natürlichen Grenzen. Gennadios Scholarios’ Konzept des natürlichen Gesetzes . . . . . . . . . . . . . .

437

VII. Gesetzesdiskurse zwischen erster und zweiter Scholastik V M (Helsinki) Duty to Self-Preservation or Right to Life? The Relation between Natural Law and Natural Rights (1200–1600) . . . . . . . . . . . . . .

457

L L (Porto) The Relationship between Conscience and Law in Some Late Scholastic Commentators on Aquinas’s ‘Summa theologiae’ . . . . . . . . . . . .

471

P O  S (Porto) Facing the Ambiguities of Aquinas: The Sixteenth-Century Debate on the Origin of ius gentium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

489

D R (Halle/Saale) Der Begriff des Naturgesetzes zwischen Intellektualismus und Voluntarismus und die via media bei Francisco Suárez . . . . . . . . . . . . .

509

X

Inhaltsverzeichnis

VIII. Interreligiöse Polemik M M. T (Barcelona) Lex Mahometi. Die Erfolgsgeschichte eines vergleichenden Konzepts der christlichen Religionspolemik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

527

G K. H (Ratingen-Lintorf) Jüdisches Gesetz christlich interpretiert: Ramon Martís ‚Pugio fidei‘ . .

574

G G (Köln) Die Kritik des Ägidius von Rom am ‚falschen Gesetz‘ in ihrem philosophie- und theologiehistorischen Kontext . . . . . . . . . . . .

583

IX. Gesetz und Spiritualität M M (Köln) Législation de l’homme intérieur et extérieur chez Maître Eckhart . . .

609

M W-J (Zürich) Lebensregeln für Laien: Dionysius der Kartäuser als Kommentator der franziskanischen Drittordensregel und Verfasser eines Regelwerkes für alle Christen (‚De doctrina et regulis vitae christianorum‘) . . . . . . .

628

I M (München) Die Konzeption des lebendigen Gesetzes (lex viva) bei Nicolaus Cusanus

650

X. Vergegenwärtigungen des Gesetzes H M (Freiburg i.Br.) Gott ,vor dem Gesetz‘. Göttliches und menschliches Recht im ,Evangelium Nicodemi‘ Heinrichs von Hesler . . . . . . . . . . . . . .

663

S W (Köln) Lex und iuramentum. Gott als Wahrheitszeuge und Rechtsgarant in spanischen Gesetzescodices . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

691

A M (Exeter) Seeing Justice: The Visual Culture of the Law and Lawyers

. . . . . .

711

Verzeichnis der Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

723

Verzeichnis der Frühdrucke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

725

Namenregister

727

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Abbildungen Abbildungsnachweise

Vor dem Gesetz – zur Einleitung A S (Köln)

‚Vor dem Gesetz‘ – so lautet der Titel einer 1915 von Franz Kafka veröffentlichten Erzählung aus dem Romanfragment ‚Der Prozeß‘. Im Mittelpunkt steht ein Mann vom Lande, der vergebens um Eintritt in das Gesetz bittet, welcher ihm von einem Türhüter verwehrt wird. Vor dem Gesetz steht auch der Interpret, der sich dem Thema des Gesetzes aus philosophie- und theologiegeschichtlicher, aus geistes- und kulturgeschichtlicher, aus sozial- und rechtshistorischer, aus literaturwissenschaftlicher und kunsthistorischer Perspektive annähert. Die Frage ist nur, in welcher Rolle der Interpret vor dem Gesetz steht: als derjenige, der alle Mühe aufwendet, um Einlaß zu begehren zu einem Verständnis jenes Fundamentalbegriffes, der auf ein zentrales Phänomen kulturellen Lebens und humaner Existenz verweist, oder als derjenige, der das Gesetz durch seine Interpretationen hütet und zugleich verhindert, daß ein anderer einen Zugang erhält, den er selbst nicht besitzt. Historische Arbeit ist beides: Ausdruck des Begehrens um das Verständnis dessen, das alt zu sein scheint – nicht nur im Sinne zeitlicher Distanz, sondern auch im Sinne einer jeder historischen Faktizität vorgängigen Ursprungserfahrung –, und damit Ausdruck einer über Kultur-, Sprach- und Zeiträume hinweggehenden Suche nach dem Verständnis, was etwas der Sache nach ist. In diesem Sinne bemüht sich der vorliegende Band um eine Erweiterung der Perspektive der bisherigen Forschung sowohl in systematischer wie in historischer Hinsicht, vor allem mit Blick auf die Formierung des Gesetzesbegriffs in der Begegnung der unterschiedlichen Rechtsbegriffe der drei großen abrahamitischen Religionen mit dem gemeinsamen antiken Erbe und den verschiedenen regionalen Rechtstraditionen sowie im Hinblick auf mögliche Interaktionen zwischen diesen Bezugsgrößen. Aus philosophischer Perspektive etwa stellt die Rezeption antiker Ethik und Staatsphilosophie einen bedeutsamen Referenzrahmen für alle Nachfolgekulturen des römischen Reiches dar. Damit wird zugleich ein interdisziplinärer und interkultureller Blick auf die Rechtsdiskurse jenes Zeitraumes gelenkt, den wir gewöhnlich als ,Mittelalter‘ bezeichnen. Eine solche Epocheneinteilung kann jedoch legitimerweise nur aus der Perspektive einer abendländischen Historiographie erfolgen. Den gemeinsamen Ausgangspunkt für unsere Fragestellung bildet zunächst die Grundspannung von fúsiv und nómov. Sofern das Gesetz als Anordnung oder Regel der Vernunft begriffen wird, steht es in einem Spannungsverhältnis zur

XII

Andreas Speer

Natur. Doch auch die Natur kann auf ihre Gesetzmäßigkeit sowie im Hinblick auf ihre Normativität für die Vernunft befragt werden. ‚Gesetz‘ kann im Deutschen für beide Bereiche gebraucht werden. Im Lateinischen gilt dies allenfalls für den Begriff ‚ratio‘, der allerdings bereits darauf verweist, daß es vor allem um die Vernunft geht und um das von ihr Hervorgebrachte1, wenn vom ‚Gesetz‘ im eigentlichen Sinne die Rede ist, um ein Verständnis des Gesetzes als eines grundlegenden Merkmals menschlicher Gesellschaften, sowohl in seiner gewohnheitsmäßigen wie in seiner geltungstheoretisch reflektierten Gestalt als Ethos und als Ethik. Dies schließt die institutionellen Bedingungen des Gesetzes ein, etwa dessen Promulgation durch den, der die Sorge für die Gemeinschaft innehat, oder die vielgestaltigen Prozesse der Tradierung und Kodifizierung von Gesetzen2. Wie muß in diesem Zusammenhang überhaupt das Verhältnis von ‚gelehrten‘ und ‚ungelehrten‘ Rechts- und Gesetzestraditionen beurteilt werden? Hier stellt sich die Frage nach den Quellen, der Autorität und der Überlieferung von Gesetzen. Wie kommen Gesetze zustande, wer garantiert ihre Verbindlichkeit, und welchen Institutionen obliegt die Pflege und die Ausführung der Gesetze? Damit eröffnet sich der Raum des Historischen. Hier soll gegenüber der Standarderzählung ein neuer Akzent gesetzt werden. Denn üblicherweise wird die Frage des Gesetzes und der damit verbundenen historischen Entwicklungen und theoretischen Modelle teleologisch auf das Modell des neuzeitlichen, und das heißt zugleich des westlichen Verständnisses von rechtlicher und politischer Ordnung hin gelesen. Das sogenannte Mittelalter gilt bestenfalls als Durchgangszeit, an deren Ende sich im Gefolge etwa des Thomas von Aquin oder des Marsilius von Padua die ersten Umrisse eines modernen Rechts- und Staatsverständnisses abzeichnen3, die dann über die zweite Scholastik ihren Weg in die Neuzeit bilden. Diese in der Forschung durchaus prominente Perspektive ist in letzter Zeit durch eine ganze Reihe neuer Forschungsimpulse wieder verstärkt in das Blickfeld getreten4. Indem wir daher – in der Terminologie der traditionellen Historiographie – bewußt aus dem Mittelalter heraus und auf die Diskussionen der zweiten Scholastik am Beginn der Neuzeit schauen und nach den Verbindungen zwi1

2

3

4

Zur Parallelität von ‚lex‘ und ‚ratio‘ siehe exemplarisch Thomas von Aquin, Summa theol., I–II, q. 90, a. 1, c. Hierzu ausführlich mein Beitrag ‚Naturgesetz und Dekalog bei Thomas von Aquin‘ in diesem Band, 350–370, bes. 355–365. Zur Promulgation des Gesetzes siehe das Decretum Gratiani, p. I, dist. IV, append. Ad can. 3 In istis (RF I, 6); cf. die thomasische Gesetzesdefinition in Summa theol., I-II, q. 90, a. 4, c.: „… definitio legis, quae nihil est aliud quam quaedam rationis ordinatio ad bonum commune ab eo qui curam communitatis habet promulgata.“ Zu Marsilius’ Gesetzestheorie cf. V. Syros, Die Rezeption der aristotelischen politischen Philosophie bei Marsilius von Padua. Eine Untersuchung zur ersten Diktion des Defensor pacis, Leiden 2008, bes. 171–220. Cf. hierzu die Veröffentlichungen der Frankfurter Forschergruppe „Die Herausbildung normativer Ordnungen“, hier A. Fidora / M. Lutz-Bachmann / A. Wagner (eds.) Lex und Ius. Beiträge zur Begründung des Rechts in der Philosophie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (PPR II,1), Stuttgart-Bad Cannstatt 2010; siehe auch W. Decock, Theologians and Contract Law. The Moral Transformation of the Ius Commune (ca. 1500–1650), Leiden 2013, bes. 21–104.

Vor dem Gesetz – zur Einleitung

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schen erster Scholastik und zweiter Scholastik fragen, wird diese These einer kritischen Prüfung unterzogen. Dies gilt insbesondere für die genauere Bestimmung des Beitrages des Thomas von Aquin für die Formierung des Gesetzestraktats im 13. Jahrhundert und in der Thomas-Rezeption des 15. und 16. Jahrhunderts. Was genau ist der Beitrag des Thomas zu den Debatten seiner Zeit, der seiner Position einen derart prägenden Charakter verleiht? Sind dies systematische, interne Gründe oder spielen auch externe Gründe wie seine Kanonisierung in den spätmittelalterlichen Schuldiskursen eine Rolle? Es stellt sich zudem die Frage, welchen Einfluß die Umwendung der abendländischen Blickrichtung von ihren mittelmeerischen Bezugsfeldern hin auf die ‚Neue Welt‘ und die damit verbundene neue koloniale Perspektive für die Fortschreibung der Fragestellungen und Themenfelder haben, welche thematischen Impulse hierbei verlorengehen, welche neuen hinzukommen5. Ein Blick auf das sogenannte Mittelalter aus der Leitperspektive der Moderne läßt für gewöhnlich außer acht, daß in demselben Zeitraum vom Ende des globalen römischen Reiches für mehr als ein Millennium mehrere Kulturkreise nebeneinander und miteinander bestehen. Das lateinisch sprechende Abendland ist nur einer dieser Kulturkreise, die in die Nachfolge des Römischen Reiches eintreten und auf dessen hoch entwickelte Gesetzestraditionen sowie auf eine breite Tradition Politiktheorie und Moralphilosophie treffen. Das byzantinische Reich und die sich rasch ausbreitenden islamischen Herrschaftsbereiche unter der Führung zunächst der Umayyaden sind nicht weniger engagierte Mitspieler um das Erbe des römischen oder allgemeiner des hellenistischen Erbes. Dessen unterschiedliche Rezeption und Transformation im Zusammenspiel mit den verschiedenen Volksrechten in den jeweiligen Sprach- und Kulturkreisen wirft zugleich eine zentrale Frage für unser Verständnis des ‚Mittelalters‘ auf: Denn dieses Millennium erweist sich als ebenso vielgestaltig wie die anzutreffenden Gesetzeskonzeptionen in den jeweiligen diskursiven und gesellschaftlichen Kontexten. Es ist daher angezeigt, den abendländischen Blick auch auf die byzantinische, jüdische und nicht zuletzt auf die arabische Welt zu richten und nach den transkulturellen Perspektiven zu fragen, die sich in der Rezeption antiker Gesetzesvorstellungen, aber auch aus den religiösen Wurzeln im Schnittfeld gemeinsamer regionaler Traditionen ergeben. Ein wichtiges gemeinsames Merkmal muß in diesem Zusammentreffen darin gesehen werden, daß die die neuen Kulturen formenden Offenbarungsreligionen – Judentum, Christentum, Islam – das geschriebene Gotteswort gleichfalls als Gesetz begreifen6. Jedoch haben die nicht unerheblichen Unterschiede im Inspirationsverständnis Folgen für die zulässigen Gesetzeshermeneutiken und für das 5

6

Cf. hierzu K. Bunge / S. Schweighöfer / A. Spindler / A. Wagner (eds.), Kontroversen um das Recht. Beiträge zur Rechtsbegründung von Vitoria bis Suárez (PPR II,4), Stuttgart-Bad Cannstatt 2013. Cf. hierzu R. Brague, La loi de Dieu. Histoire philosophique d’une alliance, Paris 2005.

XIV

Andreas Speer

theologische Grundverständnis, das sich auf der Grundlage des jeweiligen Gesetzesbegriffs entfaltet. Andererseits erfordert die Begegnung mit dem gemeinsamen antiken Erbe die Auseinandersetzung mit der Auffassung, daß der göttliche nómov in Wahrheit der Natur inhäriert und somit von den geschriebenen – menschlichen – Gesetzen unterschieden werden muß. Auf diese Weise entstehen zum Teil sehr unterschiedlich gelagerte Problemkonstellationen, wie Begründung, Anspruch und Verhältnis des göttlichen, natürlichen und menschlichen Gesetzes zu bestimmen sind. Eine besondere Herausforderung stellt die Frage dar, wie man mit konkurrierenden Geltungsansprüchen umgeht, die sich aus den unterschiedlichen Gesetzestraditionen ergeben. Hier liegt ein wichtiger Ausgangspunkt für die spekulative Durchdringung des Gesezesbegriffes und für die Ausbildung entsprechender moralphilosophischer und -theologischer sowie politischer Gesetzestraktate, die über den mittelalterlichen Kulturraum hinaus die ‚Neue Welt‘ und die Gesetzeskonzeptionen bis in die Gegenwart hinein prägen. Während das Judentum etwa die Frage nach den rationalen Gründen der Gebote und der verschiedenen Kategorien von universellen und rituellen Gesetzen beschäftigt, setzt sich der Islam mit der Problematik der neben dem als Gottes Gesetz verstandenen Koran zulässigen Rechtsquellen auseinander. So stellt sich für die islamische Theologie die Frage, ob das geoffenbarte Gesetz einer arbiträren Entscheidung Gottes entspringt oder am Maßstab der Vernunft gemessen werden kann. Wie diese Spannung zwischen Scharia und Herrscherrecht thematisiert wird, bestimmt das Auseinandertreten der Umma in unterschiedliche Rechtsräume. Im Christentum muß demgegenüber das Verhältnis von religiösem und weltlichen, von kirchlichem und staatlichen Gesetz bedacht werden. Hierbei gilt es jedoch die Unterschiede der byzantinischen und der lateinischen Kultur- und Herrschaftskreise zu beachten. Während der byzantinische Herrscher sich in der ungebrochenen Tradition der römischen Kaiser sieht, ergibt sich im lateinischen Westen – ungeachtet der ‚renovatio imperii Romani‘ – ein komplexes Bild konkurrierender Volks- und Gewohnheitsrechte (‚consuetudines‘), die wiederum in der konkreten Gesetzgebung mit dem ‚Römischen Recht‘ und dem ‚Kanonischen Recht‘ in Konkurrenz treten. Kaiser und Papst beanspruchen gleichermaßen die Autorität von Gesetzgebern. Die systematische Erfassung der Gesetzgebung im Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit und die systematische Behandlung der ‚Digesten‘ und des ‚Decretum Gratiani‘ führen schließlich zur Entstehung eines gelehrten Juristenstandes und der Gründung der ersten juristischen Fakultät in Bologna. Grundsätzlich stellt sich hier die Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Recht. Bleibt das Gesetzesverständnis hinsichtlich seiner juristischen Dimension auf den jeweiligen kulturellen und politischen Raum bezogen, so bilden der spekulative und der religiöse Gesetzesbegriff einen Referenzrahmen anderer Art, dessen unterschiedliche, Theologie, Philosophie, Rechtslehre und Geschichte umspannende Problemzonen zumeist unterschätzt werden. Den daraus sich ergebenden Fragestellungen, die nicht zuletzt die unterschiedliche Stellung reflektieren, die

Vor dem Gesetz – zur Einleitung

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dem Gesetzescharakter des heiligen Textes jeweils zukommt, gilt daher die besondere Aufmerksamkeit dieses Bandes. Hier stehen sich Judentum und Islam einerseits und das Christentum andererseits in einer Weise gegenüber, die bis heute zu fundamentalen wechselseitigen Mißverständnissen Anlaß gibt. Zu untersuchen sind für den aus abendländischer Perspektive ‚Mittelalter‘ genannten Zeitraum etwa die theologischen Überlegungen zum Verhältnis zwischen Altem Gesetz und Neuem Gesetz, ferner die Fremd- und Eigenwahrnehmung an verschiedenen Berührungspunkten: zum Beispiel bezüglich der christlichen Rezeption rabbinischer Literatur, mit Blick auf die ‚Religionsgespräche‘ oder mit Bezug auf die islamische Deutung der Aufhebung der Vorgängerreligionen durch den Islam. Es lohnt sich nicht nur, über diese Fragen nachzudenken, wir sind angesichts der gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen sogar dazu aufgefordert, und dies in zweifacher Hinsicht: zum einen mit Blick auf ein besseres Verständnis der Genealogie aktueller Problemstellungen; in diesem Zusammenhang plädiere ich für eine Wissenschafts- und Kulturgeschichte, die nicht erst mit der Neuzeit beginnt, sondern sich der longue durée ihrer Fragestellungen bewußt ist. Zum anderen zeigt ein Rekurs auf die Geschichte einer Fragestellung mögliche Alternativen zu gegenwärtigen Problemkonstellationen auf, die auch in systematischer Hinsicht fruchtbar gemacht werden können. Mit Blick auf die gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen: etwa im konfliktreichen Aufeinandertreffen von religiösen Gesetzen mit den Erfordernissen einer pluralistischen Gesellschaft, erscheint gerade der Rückgang auf den gemeinsamen Ausgangspunkt der drei abrahamitischen Offenbarungsreligionen in ihrem Verhältnis zu dem gemeinsamen antiken Erbe besonders fruchtbar. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die leichtfertige Rede von einem ‚clash of civilizations‘ – so die eingängige These des amerikanischen Politikwissenschaftlers Samuel Huntington7. Doch führt eine solche These nicht im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung bestenfalls dazu, daß am Ende das Gesetz, das allen Menschen gleichermaßen gegeben worden ist, wieder zurückgenommen wird? Der niederländische Autor Harry Mulisch hat in seinem wohl bekanntesten Roman ‚Die Entdeckung des Himmels‘ eine solche Vision gezeichnet 8. Er beschreibt auf zwei Erzählebenen die intensive Freundschaft zweier Männer, deren biographische Verzahnungen durch zwei Engel mit dem Ziel beeinflußt werden, die beiden Tafeln der Zehn Gebote in den Himmel zurückzubringen und dadurch den biblischen Bund zwischen Gott und den Menschen aufzuheben. Mit der Beseitigung des Testimoniums der von Moses beschriebenen Gesetzestafeln in einem dramatischen Show-down auf dem Jerusalemer Tempelberg kündigt Gott zugleich den Bund mit der Menschheit.

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S. Huntington,The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order, New York 1996. H. Mulisch, De ontdekking van de hemel, Amsterdam 1992 (dt.: Die Entdeckung des Himmels. Aus dem Niederländischen von M. den Hertog-Vogt, München 1993).

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Andreas Speer

Der Vision des Schriftstellers stellen wir in diesem Band die Arbeit der Wissenschaftler gegenüber. Wissenschaft bedeutet im besten Sinne Aufklärungsarbeit. Sie ist die Suche nach Zusammenhängen, und dies mit Gründen, die jeder ohne Rekurs auf Autorität – es sei denn diejenige des besseren Arguments – nachvollziehen kann. Diese Aufklärungsarbeit kann – wie alle wissenschaftliche Arbeit – nicht vollständig sein. Auch dieser in zehn thematische Sektionen gegliederte Band wird nicht auf alles eine Antwort liefern, aber hoffentlich manche Fragen neu und anders stellen und so zum Nachdenken anregen. Zugleich ergeht die Einladung, die Fragen und Problemstellungen unserer Forschung als Philosophen und Theologen, als Historiker und Philologen, als Literaturwissenschaftler und als Kunsthistoriker aus der skizzierten Perspektive eines erweiterten Gesetzesbegriffes zu betrachten, der insbesondere den transkulturellen und transreligiösen Implikationen Beachtung schenkt. In nuce ist dies die systematische Idee hinter der Topologie des vorliegenden Bandes, der den Gesetzesbegriff (I.) in seiner historischen und systematischen Gestalt in zehn Sektionen durch die unterschiedlichen Sprach- und Kulturkreise hindurch verfolgt und dabei zentrale systematische Fragestellungen zu Gesetz, Recht und Politik (II.), zu Koran und Gesetz im islamischen Denken (III.), zur jüdischen Gesetzeshermeneutik (IV.), zu den scholastischen Lex-Traktaten und Gesetzesauffassungen (V.) und den Gesetzesdiskursen zwischen erster und zweiter Scholastik (VII.), zum Verhältnis von göttlichem und natürlichem Gesetz im byzantinischen Denken (VI.), zur interreligiösen Polemik (VIII.), zur Frage von Gesetz und Spiritualität (IX.) und schließlich zu den literarischen und medialen Vergegenwärtigungen des Gesetzes (X.) zu entfalten versucht. Denn eigentlich – so heißt es in Kafkas Parabel – steht das Tor zum Gesetz offen. Der Mann vom Lande könnte durch das Tor in das Innere hineinblicken, wenn der Türhüter beiseite träte. Was ihn hindert hineinzugehen, ist ein Verbot. Doch das gilt für den Wissenschaftler, der seiner Vernunft folgt, nicht.

I. Gesetzesbegriffe

Rechtswissenschaften, Rechtsgeschichte und der Gesetzesbegriff im Mittelalter H K (Linz) I. Einführ ung Im kontinental-europäischen Rechtskreis tritt Recht überwiegend in Form staatlicher Setzung als Gesetz auf. Um sich dem Begriff Gesetz zu nähern, ist es unabdingbar, sich grundsätzlich mit dem Verständnis von Recht auseinanderzusetzen. Steht nämlich der Rechtscharakter von Verhaltensanordnungen im Mittelalter zur Disposition, so hat dies Konsequenzen für die Annäherung an den „mittelalterlichen Gesetzesbegriff“. Den meisten Juristen ist der Kant’sche Satz geläufig, wonach die einfache Frage „Was ist Recht“ „den Rechtsgelehrten, wenn er nicht in Tautologie verfallen, oder statt einer allgemeinen Auflösung auf das, was in irgend einem Lande die Gesetze zu irgend einer Zeit wollen, verweisen will, ebenso in Verlegenheit setzen, als die berufene Aufforderung: Was ist Wahrheit? den Logiker“. Die „Verlegenheit“ sieht Kant in der Erfassung von Recht im Sinne von gerecht und ungerecht (iustum et iniustum), in der Tat ein Zentralthema der Rechtsphilosophie bis heute. Was aber „rechtens sei (quid sit iuris) d. i. was die Gesetze an einem gewissen Ort zu einer gewissen Zeit sagen oder gesagt haben“, könne der Rechtsgelehrte – so Kant – „noch wohl angeben“ 1. Hier war Kant allerdings zu optimistisch, da er noch nicht die Differenzierungsarbeit der deutschsprachigen Rechtshistoriker 2 ins Kalkül ziehen konnte, 1

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Metaphysik der Sitten, Erster Teil. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Einleitung § B: Was ist Recht?: „Diese Frage möchte wohl den Rechtsgelehrten, wenn er nicht in Tautologie verfallen, oder, statt einer allgemeinen Auflösung, auf das, was in irgend einem Lande die Gesetze zu irgend einer Zeit wollen, verweisen will, eben so in Verlegenheit setzen, als die berufene Aufforderung: Was ist Wahrheit? den Logiker. Was Rechtens sei (quid sit iuris), d.i. was die Gesetze an einem gewissen Ort und zu einer gewissen Zeit sagen oder gesagt haben, kann er noch wohl angeben; aber, ob das, was sie wollten, auch recht sei, und das allgemeine Kriterium, woran man überhaupt Recht sowohl als Unrecht (iustum et iniustum) erkennen könne, bleibt ihm wohl verborgen, wenn er nicht eine Zeitlang jene empirischen Prinzipien verläßt, die Quellen jener Urteile in der bloßen Vernunft sucht (wiewohl ihm dazu jene Gesetze vortrefflich zum Leitfaden dienen können), um zu einer möglichen positiven Gesetzgebung die Grundlage zu errichten. Eine bloß empirische Rechtslehre ist (wie der hölzerne Kopf in Phädrus’ Fabel) ein Kopf, der schön sein mag, nur Schade! daß er kein Gehirn hat.“ Vgl. D. Hairbaut, Rechtsgewohnheiten und semi-autonome Felder, in: Rechtsgeschichte. Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtgeschichte 17 (2010), 55–57; id., An un-

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denn der Rechtsbegriff als notwendige Voraussetzung für ein Beschreiben des quid sit iuris ist bis heute umstritten. Dieser Befund gilt aber keineswegs nur für das Verständnis von Recht im Mittelalter, denn auch über den Rechtsbegriff des geltenden Rechts herrscht keine Einigkeit. „Noch suchen die Juristen eine Definition zu ihrem Begriff von Recht“ – so schon Kant in der „Kritik der reinen Vernunft“ 3 – eine Suche, die aber bis heute nicht abgeschlossen ist. Man ist an die berühmte Passage aus den ‚Confessiones‘ von Augustinus über die Zeit erinnert. Wird dort der Begriff ‚Zeit‘ durch ‚Recht‘ ersetzt, lautet die Formulierung: „Wenn mich niemand fragt, weiß ich, was Recht ist. Wenn ich aber jemandem erklären muß, was Recht ist, weiß ich es nicht“ 4. Dessen ungeachtet: Das prägende Grundverständnis von „Recht“ ist für den Zugang zum Verständnis von historischen Normstrukturen essentiell – das bekannte Grundproblem historischen Verstehens und der damit verbundenen ‚Übersetzungsproblematik‘. So kann die rechtshistorische Forschung nur „von Denkmodellen und Erklärungsmustern ausgehen, die aufgrund eigener kultureller Erfahrung ihrer Vorstellungskraft zugänglich sind, und sie muss sich andererseits auf die Denkweisen des ganz anderen Kulturzusammenhangs soweit wie möglich einlassen“ 5. Eine „naive Rückprojektion“ derartigen „Verfügungswissens“ aus dem geltenden Recht führt zu Anachronismen, die eine adäquate Erfassung „mittelalterlichen Rechts“ erschweren, einschlägige Forschungskontroversen wie z. B. bezüglich des „guten, alten Rechts“ (Fritz Kern), der Geltungsproblematik, der Typologie des Rechtsquellenbestandes sind dadurch (mit)bedingt. Um einen rechtshistorischen Diskurs aber überhaupt sinnvoll führen zu können, ist eine Antizipation am juristisch-begrifflichen Verständnishorizont der Gegenwart unumgänglich. Eine derartige Orientierung an modernen Ordnungsbegriffen vermeidet bei dessen Bewußtmachung unreflektierte Anachronismen und „zeitgebundene Leitbilder“, sichert vielmehr in der distanzierten Verwendung, Offenlegung und kritischen Hinterfragung einen beachtlichen Erkenntniswert. II. Rechtsbeg riff und g eltendes Recht Juristen neigen zu einem positivistischen Rechtsbegriff. ‚Den positivistischen Normativismus‘ gibt es allerdings nicht, sondern nur Varianten, Spielarten, mittlerweile ergänzt um bisweilen beinahe hermetische Theorieangebote6, die – um

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known treasure for historians of early medieval Europe: the debate of German legal historians on the nature of medieval law, ibid., 87–90. Kritik der reinen Vernunft, 2. Auflage (1787) II, „Transzendentale Methodenlehre“, 1. Hauptstück, Abschnitt „Die Disziplin der reinen Vernunft“, 1a Fußnote. Confessiones, XI, 14; K.-L. Kunz/M. Mona, Rechtsphilosophie. Rechtstheorie. Rechtssoziologie, Bern–Stuttgart–Wien 2006, 2. R. Schulze, Das Recht fremder Kulturen. Vom Nutzen der Rechtsethnologie für die Rechtsgeschichte, in: Historisches Jahrbuch 110 (1990), 447–470, 457. S. Buckel/R. Christensen/A. Fischer-Lescano (eds.), Neue Theorien des Rechts, 2. Auflage, Stuttgart 2009.

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eine Wendung von Jürgen Habermas zu gebrauchen – sich als unvereinbare „Diskursuniversen“7 präsentieren. Ungeachtet der vielfältigen rechtstheoretischen Reflexionsangebote8 werden Juristen auf die Frage, was Recht sei, in der Regel folgende Antwort geben: Recht sei, was die maßgeblichen Instanzen als solches bestimmen, eine formale Beschreibung, deren tautologischer Charakter unübersehbar ist. Die zitierte Juristenantwort verweist aber auf Elemente eines positivistischen Rechtsbegriffs, Elemente, die – vorbehaltlich eines Verzichts auf intensives kritisches Hinterfragen – auf gewisse Akzeptanz stoßen. So handelt es sich um einen formalen Zugang, das iustum/iniustum wird nicht als Thema des Rechtsbegriffs erörtert. Abgestellt wird auf eine setzungsorientierte Beschreibung – Recht als Summe/System von geltenden, d. h. vom Gesetzgeber erlassenen Normen –, in der Regel ergänzt um eine wirksamkeitsorientierte Perspektive, der Effektivitätssicherung mittels Durchsetzung durch zuständige rechtliche Organe. Recht wird als ein System generell-abstrakter Sollensanordnungen für menschliches Verhalten beschrieben, zu differenzieren von Moral- und Sozialnormen. III. Recht in rechtshistorischer Perspektive Die Entwicklung der neuzeitlichen Programme von Rechtspositivismus ist der rechtswissenschaftlichen Arbeit seit dem 12. Jh. und der dazu korrelierenden Schriftlichkeit verpflichtet. Erst mit der (Wieder)Geburt der europäischen Rechtswissenschaften war rechtstheoretische Grundlagenarbeit möglich, denn bis zum 12. Jh. fehlten die methodischen Voraussetzungen, um Rechtswissenschaft zu betreiben. Dabei sollen die rudimentären Ansätze eines juristischen Differenzierens im Rahmen der sprachlich-formalen Exerzitien des trivium im Frühmittelalter oder die Bedeutung rubrizierender und systematisierender Technik in vorgratianischen Sammlungen – hierauf machte zuletzt Andreas Thiers aufmerksam9 – nicht ge-

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Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, 3. Auflage, Frankfurt a. Main 1993, 9. Aus der reichhaltigen Literatur sei verwiesen auf: M. Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 2. Auflage, Baden-Baden 2012; B. Rüthers/ Ch. Fischer/A. Birk, Rechtstheorie mit Juristischer Methodenlehre, 6. Auflage, München 2011; P. Koller, Theorie des Rechts, 2. Auflage, Wien–Köln–Weimar 1997. Eine umfassende rechtstheoretische Erörterung mit Blick auf die Diskussion des Rechts im Mittelalter bietet M. Pilch, Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten. Kritik des Normensystemdenkens entwickelt am Rechtsbegriff der mittelalterlichen Rechtsgeschichte, Wien–Köln–Weimar 2009. A. Thiers, Dynamische Schriftlichkeit: Zur Normbildung in den vorgratianischen Kanonessammlungen, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte – Kanonistische Abteilung 93 (2007), 1–33; zur Wertigkeit Burchards von Worms vgl. G. Austin, Shaping Church Law Around the Year 1000. The Decretum of Burchard of Worms, Aldershot – Hampshire 2009.

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ring geachtet werden, aber: die methodischen Voraussetzungen sind mit der scholastischen Denk- und Arbeitsweise verbunden10. Zu vermeiden sind aber eindimensionale, Linearität suggerierende Überinterpretationen. So führte die zuerst in der Kanonistik zu verzeichnende Begrifflichkeit von ius positivum auf der Folie der Aristotelesrezeption zu einer für die Zukunft wirkmächtigen systematischen Gesetzgebungslehre bei Thomas von Aquin, doch darf dies nicht mit dem Gesetzespositivismus neuzeitlicher Provenienz verwechselt werden. Zutreffend verweist Thomas Simon auf die Ambivalenz der sog. gesetzespositivistischen Umwälzung im Hochmittelalter. So wurden zwar – wie Sten Gagnér aufgezeigt hat – in Kanonistik und scholastischer Gesetzgebungstheorie Ansätze einer Positivierung des Rechtsdenkens sichtbar11, doch – so Simon – „solche Ansätze blieben doch vollkommen in den Kontext eines Rechtsdenkens integriert, das ersichtlich danach strebte, die Normerzeugung im Bereich des ius humanum in die lex naturalis einzubinden und bei dem im Übrigen die überkommene Normstruktur der consuetudo eine kaum zu durchbrechende normative Vorgabe bildete“ 12. Deutlich ist aber, daß auf der Folie der europäischen und seit dem 18./19. Jh. national segregierten Rechtswissenschaft der Diskurs über Normverständnis für die Zeit ab dem 12. Jh. gleichsam ‚systemimmanent‘ geführt werden kann, ein Befund, der für das Rechtsverständnis des Frühmittelalters, „un’età senza giuristi“13, in diesem Ausmaß nicht gilt. Wie soll Recht, der „normative Status“ von „Sollensanordnungen“ in der durch Oralität dominierten Welt des Frühmittelalters beschrieben werden, eine Welt, die überdies nicht nur auf Oralität reduziert werden kann (Kirchenrecht)14? 10

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C. H. F. Meyer, Die Distinktionstechnik in der Kanonistik des 12. Jh.s. Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte des Hochmittelalters, Leuven 2000; vgl. auch H. Kalb, Überlegungen zur Entstehung der Kanonistik als Rechtswissenschaft, in: Österreichisches Archiv für Kirchenrecht 41 (1992), 1–28; id., Non adversi sed diversi. Konfligierende Rechtsquellen und die Dekretistik am Beispiel Stephans von Tournai, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 105 (1997), 346–360; id., Die Autorität von Kirchenrechtsquellen im ‚theologischen‘ und ‚kanonistischen‘ Diskurs. Die Perspektive der frühen Kanonistik (Rufinus – Stephan von Tournai – Johannes Faventinus), in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte – Kanonistische Abteilung 84 (1998), 307–329. S. Gagnér, Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung, Uppsala 1960. T. Simon, Gab es im Hochmittelalter eine „gesetzespositivistische Umwälzung“? Zum Zusammenhang von Staatsbildung und Gesetzgebung, in: Th. Olechowski/Ch. Neschwara/A. Lengauer (eds.), Grundlagen der österreichischen Rechtskultur. FS Werner Ogris (75), Wien– Köln–Weimar 2010, 477–498, 491; id., Geltung. Der Weg von der Gewohnheit zur Positivität des Rechts, in: Rechtsgeschichte. Zeitschrift des Max Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte 7 (2005), 100–137. M. Bellomo, L’Europa del diritto commune, 6. Auflage, Roma 1989, 45. B. Kannowski, Rechtsbegriffe im Mittelalter. Stand der Diskussion, in: A. Cordes/B. Kannowski (eds.), Rechtsbegriffe im Mittelalter, Frankfurt am Main 2002, 141; P. Landau, Die Kirche als Vermittlerin des schriftlichen Rechts, in: G. Dilcher/E.-M. Dilcher, Leges–Gentes–Regna. Zur Rolle von germanischen Rechtsgewohnheiten und lateinischer Schrifttradition bei der Ausbildung der frühmittelalterlichen Rechtskultur, Berlin 2006, 219–229.

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Die Diskussion war lange Zeit durch die Auseinandersetzung um das „gute alte Recht“ Fritz Kerns bestimmt. Bereits 1912 in seiner Untersuchung über das „Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im frühen Mittelalter“15 und dann in einem wirkmächtigen Beitrag in der ‚Historischen Zeitschrift‘ 1919 vertrat er die folgenreiche These, im Gegensatz zum modernen vom Staat gesetzten Recht sei für das Verständnis „des Mittelalters“ kennzeichnend, daß es „alt und gut“ sei: „Für uns (heute) hat das Recht, damit es gelte, nur eine einzige Eigenschaft nötig: die unmittelbare oder mittelbare Einsetzung durch den Staat. Dem mittelalterlichen Recht dagegen sind zwei andere Eigenschaften anstatt dieser einen wesentlich: es ist ,altes‘ Recht und es ist es ist ,gutes‘ Recht. Dagegen kann es das Merkmal der Einsetzung durch den Staat entbehren. Ohne jene zwei Eigenschaften des Alters und des Gutseins […] ist das Recht kein Recht, selbst wenn es vom Machthaber in aller Form eingesetzt sein sollte“. Mittelalterliches Recht werde nicht gesetzt, sondern „im Gesamtwissen des Volkes, im Rechtsgefühl der Volksgemeinde oder ihrer Vertrauensmänner, der erlesenen Schöffen […] gefunden“. Rechtsänderung präsentiere sich als Wiederherstellung des „gekränkten guten alten Rechts“. Rechtsetzung im Sinne einer Schaffung neuen Rechts sei Unrecht gewesen, es gelte der Grundsatz, wonach älteres Recht das jüngere breche16. Diese These wurde von der rechtshistorischen Forschung mit Verweis auf philologische Befunde und zeitgebundenen Vorstellungen als „Wunschtraum eines von einer gesetzespositivistischen Gegenwart enttäuschten Historikers“ (G. Köbler) dekonstruiert 17. Aus diesen Diskussionen – teilweise durchaus mit Sympathien für das Grundanliegen Kerns18 – erwuchsen aber neue, weiterführende Beschreibungen. Die Forschung orientiert sich an den Charakteristika von Gesellschaften mit vornehmlich mündlicher Kommunikation und deren Problemen des Übergangs 15 16

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Leipzig 1914 (2. Auflage 1954). Recht und Verfassung im Mittelalter, Nachdruck Tübingen 1952; Darmstadt 1992, Zitate: 11, 25 (Kern arbeitete in diesen Beitrag seinen in der Historischen Zeitschrift 1916 erschienen Aufsatz ‚Über die mittelalterliche Anschauung vom Recht‘ ein). Das Programm Kerns wird bereits durch die Kapitelüberschriften entsprechend suggeriert: Das Recht ist alt; Das Recht ist gut; Das gute alte Recht ist ungesetzt und ungeschrieben; Altes Recht bricht jüngeres Recht; Rechtserneuerung ist Wiederherstellung guten alten Rechts. G. Köbler, Das Recht im frühen Mittelalter. Untersuchungen zu Herkunft und Inhalt frühmittelalterlicher Rechtsbegriffe im deutschen Sprachgebiet, Köln–Wien 1971; id., Recht, Gesetz und Ordnung im Mittelalter, in: A. Cordes/K. Kroeschell (eds.), Funktion und Form. Quellen- und Methodenprobleme der mittelalterlichen Rechtsgeschichte, Berlin 1996, 93–116; Köbler dokumentiert mit umfangreichen Quellenbelegen zu ius, lex, mos, consuetudo vom 8. bis zum 11. Jh., daß für den Ausdruck „gutes altes Recht“ kein Beleg zu finden sei. Wo einschlägig Begriffe für Gewohnheit gebraucht werden, werde der Sachinhalt des spätantiken Begriffsgutes fortgeführt. Vgl. z. B. H. Krause, Dauer und Vergänglichkeit im mittelalterlichen Recht, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte – Kanonistische Abteilung 75 (1958), 206–251; D. Willoweit, Vom guten alten Recht. Normensuche zwischen Erfahrungswissen und Ursprungslegenden, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 1997, München 1998, 23–52; A. Ignor, Über das allgemeine Rechtsdenken Eikes von Repgow, Paderborn etc. 1984, 112 ff; Simon, Gab es im Hochmittelalter eine „gesetzespositivistische Umwälzung“?, 496 ff.

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zur Schriftlichkeit, ein interdisziplinärer Zugang, der auch ethnologische, kulturanthropologische, linguistische und soziologische Erkenntnisse berücksichtigt 19. Danach ist es wesentlich für das ‚Verstehen‘ einer durch Oralität geprägten Kultur, daß diese Prägung nicht nur ‚akzidentiell‘, sondern ‚prinzipiell und konstitutiv‘ ist. Für einen der Schriftkultur verpflichteten retrospektiven Beobachter resultiert daraus, sich von dieser Schriftkultur gedanklich zu entfernen und zu versuchen, den ‚Eigengesetzlichkeiten‘ von Oralität gerecht zu werden. Daher verleitet der Begriff Gewohnheitsrecht zu Mißverständnissen, denn er impliziert eine wie immer geartete ‚Rechtstheorie‘ bezogen auf schriftlich fixiertes Recht. Diese gedankliche Alternative des Schriftrechts fehlt jedoch. Karl Kroeschell schlug daher bereits vor über 30 Jahren vor, den Begriff ‚Gewohnheitsrecht‘ durch ‚Rechtsgewohnheiten‘ zu ersetzen, um durch diesen Verfremdungseffekt die Andersartigkeit gegenüber der juristischen Fachterminologie deutlich zu machen, ein Vorschlag, der sich mittlerweile bis in die Lehrbücher durchgesetzt hat 20. Mit diesem Verfremdungseffekt verbindet Kroeschell auch die Auffassung, wonach im Mittelalter die Vorstellung – abseits von Verfahrensregeln – einer objektiven Rechtsordnung, einer ungeschriebenen Legalordnung fehlte 21. Diese Auffassung eines letztlich „nichtnormativen Rechts“ konnte sich aber nicht durchsetzen, vor allem Jürgen Weitzel hat dieser Sichtweise plausibel widersprochen. Dem Modell der „oral society“ verpflichtet wurden jedoch umfassende rechtstheoretische Zugänge entwickelt, wobei die Erörterungen von Jürgen Weitzel zu Recht große Beachtung gefunden haben22. Weitzel präsentiert einen überzeugenden Zugang, der verschiedenen Forschungsansätzen Rechnung trägt, aber der Jurisprudenz verpflichtet ist. Danach korrespondiert der oral geprägten Kultur des Frühmittelalters ein Rechtsfindungsmodell, das verfahrensförmlich auf der Gerichtsversammlung herbeigeführt wird. Im Konfliktfall wird im „dinggenossenschaftlichen Verfahren“ das Recht von den Rechtsgenossen „gefunden“ und vom Richter „geboten“ – „Gerichtsfähigkeit“ als wesentliches Element von Recht 23. 19

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Wichtig der Beitrag von H. Vollrath, Das Mittelalter in der Typik oraler Gesellschaften, in: Historische Zeitschrift 233 (1981), 571–594; ead., Rechtstexte in der oralen Rechtskultur des früheren Mittelalters, in: M. Borgolte (ed.), Mittelalterforschung nach der Wende 1989, Berlin 1995, 319–348. K. Kroeschell, „Rechtsgewohnheiten“ – und wie es dazu kam, in: Rechtsgeschichte. Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte 17 (2010), 58–61; eine Analyse der Position Kroeschells bei Pilch, Der Rahmen der Rechstgewohnheiten, 279 ff. K. Kroeschell, Recht und Rechtsbegriff im 12. Jh., in: Probleme des 12. Jh.s, Stuttgart 1968, 309–335; id., Der Rechtsbegriff der Rechtsgeschichte. Das Beispiel des Mittelalters, in: Zeitschrift der Savigny-Stitftung für Rechtsgeschichte – Germanistische Abteilung 111 (1994), 310–329, 313 f. Analyse der Position von Weitzel bei Pilch, Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten, 312 ff. Dinggenossenschaft und Recht. Untersuchungen zum Rechtsverständnis im fränkisch-deutschen Mittelalter, Köln–Wien 1985; id., Gewohnheitsrecht und fränkisch-deutsches Gerichtsverfahren, in: G. Dilcher (ed.), Gewohnheitsrecht und Rechtsgewohnheiten im Mittelalter, Berlin 1992, 67–86; id., Deutsches Recht, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 3, Sp. 777–781; id., Die Bedeutung der Dinggenossenschaft für die Herrschaftsordnung, in: Dilcher/Distler, Leges–Gentes–Regna, 351–366.

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Mittelalterliches Recht ist „Überzeugungsrecht“. Die im Konfliktfall „gebrochene Rechtsgewohnheit“ wird im Verfahren geschaffen. Sie kann bestanden haben oder nicht – entscheidend ist der gegenwärtige Konsens der Genossen vor Gericht. Dazu korrespondiert ein Recht in der „Ruhelage“. Diesem billigt Weitzel Normqualität zu, wenn auch im „schlicht konsentierten Vollzug der Lebensordnung“ der Gegensatz zwischen Norm und Faktum auf das Äußerste reduziert ist, „Recht und Sein nahezu in einem liegen“. Weitzel bietet die Übersetzung eines juristischen Rechtsverständnisses für das ungelehrte Recht. Er beharrt auf dem Erfordernis von Normativität und Rechtsgeltung. Selbstverständlich wird nicht von einem System von Normen in einem modernen Gesetzesverständnis ausgegangen, das Vorhandensein von Normen wird aber nicht in Abrede gestellt. Konsequenterweise muss auch der Rechtsgeltungsbegriff „übersetzt“ werden, jedoch wird aber auf Rechtsgeltung als Voraussetzung von Recht beharrt. Mit Verweis auf die fehlende Regelungsexklusivität als Folge einander widerstreitender Rechtsnormen – Weitzel spricht von „Normenkampf“ – prägt er die Begriffe „unvollkommene Rechtsgeltung“, „relatives Recht“, ohne aber den Geltungsbegriff grundsätzlich aufzugeben24. Dieser Ansatz Weitzels, der Recht, Normativität und Formen von Rechtsgeltung bejaht, lässt sich zumindest in den Grundzügen mit dem von Gerhard Dilcher stärker rechtssoziologischen Überlegungen (Ordnung und Konflikt) verpflichteten Ansatz verbinden. Dieser hält aber letztlich am verfahrensrechtlichen Charakter frühmittelalterlichen Rechts wie an den Begriffen Norm, Regel fest. Um den Rechtscharakter in einer umfassend gewohnheitsbestimmten Ordnung mit den Konsequenzen von Oralität zu bewahren – der Begriff Ordnung soll letztlich aber nicht den Begriff Recht ersetzen – greift er auf das Kriterium des Rechtszwanges in „Form des Rechtssetzungswillens ohne obrigkeitliche Monopolisierung legitimer Gewaltanwendung“ 25 und ortet fünf Durchsetzungsmechanismen, nämlich Fehde, Handhaftverfahren, Acht, Gerichtszwang und die geschworene Gemeinschaft 26.

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Ein Zweiter Paradigmenwechsel?, in: Rechtsgeschichte. Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechstgeschichte 17 (2010), 62–66; id., ‚Relatives Recht‘ und ‚unvollkommene Rechtsgeltung‘ im westlichen Mittelalter. Versuch einer vergleichenden Synthese zum mittelalterlichen Rechtsbegriff, in: Cordes/Kannowski, Rechtsbegriffe im Mittelalter, 43–62; id., Versuch über Normstrukturen und Rechtsbewusstsein im mittelalterlichen Okzident (450–1100), in: E. J. Lampe (ed.), Zur Entwicklung von Rechtsbewusstsein, Frankfurt 1997, 371–402. Pilch, Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten, 312 benennt 5 Charakteristika des Rechtsbegriffs von Weitzel: Enge Verknüpfung mit Gericht; Recht besteht aus Normen; Rechtsgewohnheiten sind schriftlos und herrschaftsfern; Recht ist ‚konkreter Konsens‘; Notwendigkeit der Modifikation der Begriffe Norm bzw. Geltung im Hinblick auf Vorstellung eines „relativen Rechts‘ bzw. einer ‚reduzierten Rechtsgeltung‘. So die gelungene Formulierung bei Pilch, Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten, 303 (eine Analyse der Position Dilchers und ein Überblick seiner Arbeiten ebda. 291 ff., 544 ff.). Die Zwangsgewalt und der Rechtsbegriff vorstaatlicher Ordnungen im Mittelalter, in: Cordes/ Kannowski, Rechtsbegriffe im Mittelalter, 111–153, 128–137.

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G. Dilcher faßte die Eckpunkte seiner Sichtweise unter Berücksichtigung der Einwände von Pilch folgender Maßen zusammen: „Ich sehe mich nämlich gezwungen, an den Worten Normativität und Regel festzuhalten, um den Sollenscharakter für eine Rechtsgemeinschaft, der auch mit dieser Form von Recht verbunden ist, zu betonen. Von Recht kann man wohl nur sprechen, wenn es normativ kontrafaktisch wirken soll, Unrecht ausschließt. Konfliktschlichtung durch ein offenes ‚Palaver‘ fiele also dabei heraus, auch gewisse ergebnisoffene rituelle Handlungen. Dagegen kommt für mich das Element des Zwanges hinzu, um Recht historisch von Brauch, Sitte, Moral und rein Religiösem abzugrenzen, weil ohne dies der Begriff Rechtsgewohnheit nicht sinnvoll ist“ 27.

Möglicherweise wird sich mancher Historiker fragen, wozu der rechtstheoretische Aufwand bezüglich Normstruktur, Geltung etc.? Genügt es nicht, von einer gelebten Ordnung und Regeln auszugehen, unbeachtlich der Normqualität eines „konfliktregulierenden Ordnungsgefüges“? Versuchen hier Juristen Probleme zu lösen, die ohne sie überhaupt nicht existierten? Die als Fragen formulierten Einwände sind durch die kulturalistische Wende in den Geschichtswissenschaften verstärkt worden28. Hier „symbolisch-rituelle Praktiken“, „Spielregeln der Politik“ 29, „Ordnungskonfigurationen“ 30, dort „Rechtsgewohnheiten“. Gerd Althoff empfiehlt Rechtshistorikern sich auf Quellenaussagen einzulassen, „auch wenn sie nicht normativer, sondern vorrangig deskriptiver Art sind“, nur so „stünde eine interessante neu Runde im interdisziplinären Bemühen um die adäquate Beschreibung mittelalterlicher Ordnung und ihrer Funktionsweisen bevor“ 31, Juristen unterstellen Historikern ein „naives Verhältnis“ zu Normen32. Diese Vorwürfe sind beside the point. Weder ignorieren Rechtshistoriker deskriptive Quellen, noch kann Historikern ein naives Normverständnis per se unterstellt werden. Aufgabe des Rechtshistorikers ist aber das quid sit iuris, was einen juristischen Rechtsbegriff voraussetzt. Deshalb suchen sie eben, wie Kant meint, „eine 27 28

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Noch einmal: Rechtsgewohnheit, Oralität, Normativität, Konflikt, Zwang, in: Rechtsgeschichte. Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte 17 (2010), 67–73. Vgl. die Beiträge in: M. Senn/D. Puskás (eds.), Rechtswissenschaft als Kulturwissenschaft?, Stuttgart 2007; B. Stollberg-Rilinger, Verfassungsgeschichte als Kulturgeschichte, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechstgeschichte – Germanistische Abteilung 127 (2010), 1–32; ead., Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches, München 2008. G. Althoff, Rechtsgewohnheiten und Spielregeln der Politik im Mittelalter, in: N. Jansen/P. Oestmann (Hrsg.), Gewohnheit. Gebot. Gesetz. Normativität in Geschichte und Gegenwart: Eine Einführung, Tübingen 2011, 27–52; id., Ungeschriebene Gesetze. Wie funktioniert Herrschaft ohne schriftlich fixierte Normen?, in: id. (ed.), Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997, 282–304. B. Schneidmüller/S. Weinfurter (eds.), Ordnungskonfigurationen im hohen Mittelalter, Ostfildern 2006. Althoff, Rechtsgewohnheiten und Spielregeln der Politik, 52. Stollberg-Rilinger, Verfassungsgeschichte als Kulturgeschichte, 3; Kannowski, Begriffe und Geltungsweisen, 23 ff. (Darlegung der Auseinandersetzung zwischen Weitzel und Althoff).

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Definition zu ihrem Begriff von Recht“. Deshalb ist es legitim und auch notwendig, auf der Folie des elaborierten, seit dem 12. Jh. entwickelten juristischen Sprachspiels, Recht auch in vormodernen Gesellschaften zu erfassen zu versuchen, rechtliches Sollen, Normativität und Geltung unter Berücksichtigung der Übersetzungsproblematik zu beschreiben. Mit Vorbehalten ist allerdings die Forderung nach ‚Interdisziplinarität‘ zu bewerten, wenn notwendige fachdisziplinäre Unterschiede gleichsam mittels ‚Verbalmagie‘ eingeebnet werden sollen. Interdisziplinarität ist nur möglich, wenn die unterschiedlichen Entdeckungszusammenhänge von Juristen (bzw. Rechtshistorikern) und (Allgemein)Historikern respektiert werden, nur so ist ein produktives Gespräch möglich33. Einen umfassenden Entwurf hat 2009 Martin Pilch vorgelegt 34. Ausgehend von rechtstheoretischen Kritik am Normensystemgedanken wie der produktiven Begrifflichkeit von Rechtsgewohnheiten versucht er durch „Überlegungen zur Gedächtnisbindung und zur rechtshistorischen Tiefenstruktur der Rechtsgewohnheiten“ diese zu einem eigenständigen Modell, einer eigenen Repräsentationsform von Recht weiterzuentwickeln. Unter Berücksichtigung des prozeduralen Rechtsbegriffs von Ronald Dworkin35, dem konkreten Ordnungsdenken von Carl Schmit36 und von Historikern beschworenen „Ordnungskonfigurationen“ präsentiert er ein Modell ohne Bezugnahme auf Norm, Normsystem und Geltung, einen Rechtsbegriff, dessen Kern die Neutralisierung illegitimer durch legitime Gewalt ist. Pilch lehnt die Kategorie Recht nicht ab, wohl aber einen „tragenden einheitlichen Rechtsbegriff aus der Tradition des Jus publicum europaeum“. Der spezifische Zusatznutzen dieser elaborierten rechtstheoretischen Reflexion für die rechtshistorische Alltagsarbeit muß sich erst erweisen, der Verdacht ist nicht unbegründet, daß sein Modell gleichsam wie ein erratischer Block zu einem klas-

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Ein Herausforderung in Ausführungen von Historikern ist verschiedentlich der nicht näher definierte Rechtsbegriff, eine Befindlichkeit, die Kannowski, Begriffe und Geltungsweisen, 24, zu folgender Feststellung veranlaßte: „Für eine fachlich ohne Schwierigkeiten verwertbare Konstruktion ist allerdings die korrekte und klare Verwendung einschlägiger Fachbegriffe vonnöten. Bei der Lektüre von Althoffs Werk regt sich in einem Rechtshistoriker gelegentlich der Wunsch, der Autor möge seine rechtliche Terminologie klarstellen, weil sie zu Unklarheiten und Missverständnissen Anlass gibt.“ Problematisch sind auch reduktionistische und verkürzende Widergabe von Forschungspositionen, wie beispielsweise die Schilderung des Begriffs Rechtsgewohnheiten durch Althoff (Rechtsgewohnheiten und Spielregeln der Politik im Mittelalter, 30): „Normen in modernem Verständnis stellen die Rechtsgewohnheiten nach neuerdings gut begründeter Ansicht gar nicht dar. Rechtsgewohnheiten haben nämlich nicht die Normen inhärente Tendenz zu abstrakt-generellen Systemen verdichtet, dargeboten und tradiert zu werden.“ Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten; id., Rechtsgewohnheiten aus rechtshistorischer und rechtstheoretischer Perspektive, in: Rechtsgeschichte. Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte 17 (2010), 17–39. Vgl. M. Pawlik, Ronald Dworkin und der Rechtsbegriff, in: Rechtstheorie 23 (1992), 289–310. In seinem Beitrag Rechtsgewohnheiten aus rechtshistorischer und rechtstheoretischer Perspektive wird Carl Schmitt nicht mehr angeführt; zu Schmitt vgl. M. Pilch, System des transcendentalen Etatismus. Staat und Verfassung bei Carl Schmitt, Wien–Leipzig 1994.

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sischen ‚Fußnotenreferenzprodukt‘ avanciert. So empfiehlt er der Rechtsgeschichte ein Forschungsprogramm, dessen Einlösung jedenfalls als fordernd zu bewerten ist. Auf dem Hintergrund von Transdisziplinarität, „vor allem zwischen Rechtstheorie (Rechtsphilosophie) und Rechtsgeschichte, aber auch Rechtssoziologie bzw. Rechtsethnologie“ sei eine relecture der Quellen durchzuführen, um „die kleinen und großen Ordnungen in concreto auszumachen und vor dem Hintergrund dieser die Argumentation mit und im Recht als in die Ordnungen eingebettete Formen des gesellschaftlichen Umgangs mit Gewalt zu rekonstruieren – ohne Bezug auf Norm, System und Funktion“37. Eine rechtshistorische Auseinandersetzung mit dem Entwurf von Pilch erfolgte auf Initiative von Gerhard Dilcher im Rahmen des von der Frankfurter GoetheUniversität und dem Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte gemeinsam getragenen Graduiertenkollegs38. Einmal mehr wurde der ‚Nutzen und Nachteil‘ anachronistischer Begriffsbildungen und dem damit einhergehenden Übersetzungsproblem bewußt. Die Befindlichkeit von Rechtshistorikern hat Gerhard Dilcher auf den Punkt gebracht, wenn er formuliert: „Ich werde, dazu nun geführt durch die grundsätzlichen Klärungen durch Martin Pilch, im Bereich der Rechtsgewohnheiten den Begriff der Norm eher vermeiden, um die Assoziationen eines systematisch geordneten Rechts und der Normanwendung nicht aufzurufen. Dagegen scheint es mir erlaubt und notwendig, in dem durch alle diese Reflexionen bedingten vorsichtigen Sinne von Normativität und Regeln zu sprechen und, sofern sie durchsetzungsstark sind, sie auch als Recht zu bezeichnen“39. IV. Der Gesetzesbeg riff Auf dem Hintergrund der Diskussionen um ‚das Recht im Mittelalter‘ ist auch die Frage nach dem Gesetz zu sehen. Obwohl es die abschließende Definition von Gesetz auch heute nicht gibt, kommt dem auf Paul Laband zurückgehenden dualistischen Gesetzesbegriff eine gewisse Verständigungsfunktion zu. Danach sind Gesetze im materiellen Sinn generell-abstrakte Rechtsnormen. Generell bezieht sich auf den nach generellen Merkmalen umschriebenen Adressatenkreis, abstrakt zielt auf die Regelung einer unbestimmten Anzahl von Sachverhalten. Der formelle Gesetzesbegriff stellt auf das Zustandekommen der Gesetze ab und erfaßt alle Normen, die von den zuständigen Gesetzgebungsorganen in den von der Verfassung dafür vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren („Spielregeln

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Pilch, Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten, 530. Abdruck der Beiträge in. Rechtsgeschichte. Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte 17, 2010, 15–90; vgl. auch die Rezension von B. Kannowski zu Pilch, Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte – Germanistische Abteilung 128 (2011), 621–623. Dilcher, Noch einmal: Rechtsgewohnheit, Oralität, Normativität, Konflikt und Zwang, 72.

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der Verfassung“) erlassen werden, die Äußerung des gesetzgeberischen Willens begründet die Verbindlichkeit der Gesetze40. Davon ausgehend ist ein retrospektives Gespräch über die Entwicklung von Gesetzgebung ab dem Moment systemimmanent möglich, ab dem eine verschriftlichte Rechtstheorie zur Verfügung stand, also ab der Entstehung der Rechtswissenschaften seit dem 12. Jh. Elemente eines Juristen über Jahrhunderte verbindenden, sich entwickelnden Methoden- und Argumentationsportfolios erleichtern das Verständnis und entschärfen das Übersetzungsproblem. Sucht man aber nach dem ‚Gesetzesbegriff im Mittelalter‘, so sind aber auch die Implikationen einer oral dominierten Rechtskultur mit zu berücksichtigen. Vergegenwärtigt man sich die Entwicklung der Gesetzgebungsgeschichte, so steht im Vordergrund die Entwicklung der potestas legislatoria, die Entwicklung zum voluntaristischen Gesetzgebungsverständnis auf dem Hintergrund der jeweiligen Rechts- und Verfassungstheorie der Neuzeit. Bezogen auf ‚das Mittelalter‘ sind hier zwei Elemente zu beachten, nämlich die Entwicklung eines Bewußtseins von der willkürlichen Setzbarkeit von Recht und damit einhergehend die Institutionalisierung von Rechtssetzungsinstanzen und Verfahren41. In der oral geprägten Kultur nördlich der Alpen mit seiner Dominanz mündlich tradierter (Rechts)Gewohnheiten, in der die Vergangenheit in einem unmittelbaren Funktionszusammenhang mit der Gegenwart steht, findet Rechtsveränderung mehr oder weniger unbewußt statt. Die Vorstellung bewußter Rechtsänderung setzt voraus, daß die „Vergangenheit als eine von der Gegenwart unterscheidbare Existenzweise“ erfaßt wird, eine Entwicklung, die von der Kirche mit ihrer Schriftlichkeit eingeleitet wird 42 und im 11. Jh. das Paradigma der dominierenden Oralität grundsätzlich zur Disposition stellt. Erst „als die Kirche wirklich die Vergangenheit als eigene Größe entdeckte“ – so Hannah Vollrath – „löste sie

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F. Ossenbühl, Gesetz und Recht – Die Rechtsquellen im demokratischen Rechtsstaat, in: J. Isensee/P. Kirchhof (eds.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 3. Auflage 2007, § 100 Rz 9f. Aus der umfangreichen Literatur vgl. H. M. Klinkenberg, Die Theorie der Veränderbarkeit des Rechts im frühen und hohen Mittelalter, in: P. Wilpert (ed.), Lex et Sacramentum im Frühmittelalter, Berlin 1969, 157–188; H. Mohnhaupt, Potestas legislatoria und Gesetzesbegriff im Ancien Régime, in: Ius Commune 4 (1972), 188–239 (Wiederabdruck in: id., Historische Vergleichung im Bereich von Staat und Recht. Gesammelte Aufsätze, Frankfurt am Main 2000, 221–273); D. Wyduckel, Princeps Legibus Solutus. Eine Untersuchung zur frühmodernen Rechts- und Staatslehre, Berlin 1979; H. Kalb, Studien zur Summa Stephans von Tournai. Ein Beitrag zur kanonistischen Wissenschaftsgeschichte des späten 12. Jh.s, Innsbruck 1983, 66 ff.; H. Quaritsch, Souveränität. Entstehung und Entwicklung des Begriffs in Frankreich und Deutschland vom 13. Jh. bis 1806, Berlin–München 1986; K. Pennington, The Prince and the Law, 1200–1600. Sovereignty and Rights in the Western Legal Tradition, Berkeley etc. 1993; lehrreich für die Rechtsfindung auf der Basis verschriftlichter Rechtsquellen im kirchlichen Bereich ohne gelehrte Juristen: H. Fuhrmann, Pseudoisidor, Otto von Ostia (Urban II.) und der Zitatenkampf von Gerstungen (1085), in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte – Kanonistische Abteilung 99 (1982), 52–69; P. Landau, Gefälschtes Recht in den Rechtssammlungen bis Gratian, in: Fälschungen im Mittelalter, Teil II, Gefälschte Rechtstexte, Hannover 1988, 11–49. L. Kéry, Canonical Collections of the Early Middle Ages (ca. 400–1140), Washington 1999.

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eine Revolution in Europa aus, die als Investiturstreit und Scholastik das politische wie das religiöse und geistige Leben von Grund auf erschütterte“43. Die Vorstellung der Änderbarkeit von Recht war auch dem Frühmittelalter geläufig. Soweit römisches und/oder kirchliches Recht auf einheimische Rechtsvorstellungen einwirkte, wurde auch die Veränderbarkeit von Recht ausdrücklich bewußt. So folgt im Prolog der ‚Lex Baiuvariorum‘ auf die Angaben zum ‚Codex Theodosianus‘ die Gesetzgebung der Merowingerkönige.44 Was resultiert aber daraus. Harald Siems machte aufmerksam, daß die leges kaum durchgängig als königliche Selbstdarstellung von Gesetzgebung zu interpretieren sind. Die Rolle etwa des fränkischen Königs ist in der ‚Lex Salica‘ „nicht spektakulär besetzt, nach dem kurzen Prolog war er an der Aufzeichnung nicht einmal beteiligt“ 45. Intensiv blieb die Idee der Rechtsänderung in der Kirche wach. Die necessitas temporis ermöglichte eine kritische Prüfung der Vergangenheit durch die Gegenwart 46 und verdichtete sich bei Papst Gregor VII. (gest. 1085) zu einer Rechtsetzungsgewalt (Dictatus papae VII: „Quod illi soli licet pro temporis necessitate novas leges condere“). Dieser Anspruch auf Setzung neuen Rechts wurde von der Kanonistik zum umfassenden Gesetzgebungsanspruch des Papstes ausgebaut. Parallel dazu wurde, ausgehend von den wiederentdeckten Texten des römischen Rechts im Kaiser der rechtmäßigen Nachfolger der antiken Imperatoren gesehen, der das Recht als lex animata sichtbar darstellte und als conditor et interpres legum die Einheit von Reich und Recht gewährleistete. Gratian entwickelte unter Berücksichtigung der ‚Etymologiae‘ des Isidor von Sevilla (gest. 636) eine an der consuetudo ausgerichtete Rechtslehre, wobei unter Rückgriff auf die Kirchenväter ratio und veritas Maßstab und Geltungsgrund der consuetudo sind 47. Die Differenzierung von lex und consuetudo erfolgt über das Erfordernis der Schriftlichkeit: „lex est consuetudo in scriptis redacta“ 48. Damit ist eine Abgrenzung „mittelalterlicher Gesetze“ von anderen Normtexten kaum möglich, „der Begriff der lex wird in den dominierenden gewohnheitsrechtlichen Kontext der mittelalterlichen Rechtskultur eingepasst“ 49. In der 43 44 45 46

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Das Mittelalter in der Typik oraler Gesellschaften, 589. E. v. Schwind (ed.), Lex Baiuwariorum, Prologus, MGH LL nat. Germ V, 2, Hannover 1926, 197 ff. Zum Weiterwirken römischen Rechts in der kulturellen Vielfalt des Frühmittelalters, in: Dilcher/Distler, Leges–Gentes–Regna, 231–255, 245. H.-N. Kortüm, Necessitas temporis. Zur historischen Bedingtheit des Rechts im frühen Mittelalter, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte – Kanonistische Abteilung 79 (1993), 34–55. C. G. Fürst, Zur Rechtslehre Gratians, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte – Kanonistische Abteilung 57 (1971), 276–284; U. Wolter, Die ‚consuetudo‘ im kanonischen Recht bis zum Ende des 13. Jh.s, in: G. Dilcher et al. (eds.), Gewohnheitsrecht und Rechtsgewohnheiten im Mittelalter, Berlin 1993, 87–116; Gratian. The Treatise on Laws (Decretum DD.1–20), translated by A. Thompson, with the Ordinary Gloss, translated by J. Gordley and an Introduction by K. Christensen, Washington D.C.1993. Vgl. D.1 c. 2–5 und DGp.D.1 c.5. Simon, Gab es im Hochmittelalter eine ‚gesetzespositivistische‘ Umwälzung, 482.

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Kanonistik in Auseinandersetzung mit Gratians Rechts(quellen)lehre sowie dem ius novum der Dekretalen sowie der von Sten Gagnér für die Entstehung des neuzeitlichen Gesetzespositivismus so stark (über)betonten scholastischen Aristotelesrezeption50 verbreitet sich der Begriff ius positivum mit dem für die weitere Entwicklung essentiellen voluntativen Gesetzeselement. Allerdings ist – worauf Thomas Simon aufmerksam macht – der Weg zum modernen Gesetzesverständnis komplex. Ius positivum impliziert vorerst noch keine systematische Unterscheidung zwischen Gesetz- und Gewohnheitsrecht in modernem Verständnis, vielmehr sind lex und consuetudo „bis zur Identität aneinander angeglichen, indem sie unter dem Oberbegriff des ius positivum zusammengefasst werden“51. Die Vorstellung der lex als consuetudo in scriptis redacta ist noch dem Gewohnheitsrecht als Deutungsschema für das Gesetz verpflichtet. Mit der zunehmenden rechtswissenschaftlichen Absicherung einer päpstlichen Omnipotenz auf der Folie einer zunehmenden Legalisierungstendenz werden aber gesetzliche Bestimmungen über die Zulassung und Geltung von consuetudines erlassen52. Mit dem damit einhergehenden Begriff der consuetudo approbata erfolgt ein entscheidender Schritt zur Entwicklung eines gesetzeszentrierten Deutungsschemas 53. Auf diesem angedeuteten Hintergrund wird verständlich, daß in der rechtshistorischen Diskussion schwer Einigkeit zu erzielen ist, welche Rechtsquellen dem Gesetzesbegriff zu subsumieren sind. Hermann Krause geht z. B. in seiner Darlegung des Gesetzes in der ersten Auflage des HRG von „abstrakten Rechtsnormen mit dem Willen zur Geltung aus“, eine heuristische Annäherung, die erst seit dem Aufkommen des modernen Staates im späten Mittelalter einige Richtigkeit beanspruchen könne54. Welche Rechtsquellen sind dann aber bis zum späten Mittelalter als Gesetze zu qualifizieren? Karl Kroeschell bezweifelte beispielsweise, ob dem fränkischen Stammesrecht überhaupt „normative Geltung“ zukomme 55. Demgegenüber reklamiert Wolfgang Sellert den Gesetzesbegriff pauschal für alle Stammesrechte. Sie seien „eine schriftlich verkörperte und staatsautoritative Fassung von Rechtsregeln“, mit Geltungsanspruch gegenüber Dritten, die „nach wie vor mit gutem Gewissen als Gesetzgebungen bezeichnet werden können“ 56. Derartige kontroverse Deutun-

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Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung, 180 ff. (Aristotelisches, Thomistisches und Gesetzespositivismus de necessitate salutis). Simon, Gab es im Hochmittelalter eine ‚gesetzespositivistische‘ Umwälzung, 487. Wolter, Die ‚consuetudo‘ im kanonischen Recht bis zum Ende des 13. Jh.s, 103 ff. S. Meder, Ius non scriptum – Traditionen privater Rechtsetzung, 2. Auflage, Tübingen 2009, 123 f.; Simon, Geltung, 104; id., Gab es im Hochmittelalter eine „gesetzespositivistische Umwälzung“?, 488 ff. Gesetzgebung, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Berlin 1971, 1606–1620. Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, 510–513. Aufzeichnung des Rechts und Gesetz, in: id. (ed.), Das Gesetz in Spätantike und im frühen Mittelalter, 4. Symposion der Kommission ‚Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart‘, Göttingen 1992, 67–102, 102.

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gen lassen sich fortsetzen. Wie ist die Gesetzesqualität von Kapitularien57 zu beurteilen, wie jene von Privilegien, Landfrieden etc.? Wie ist die terminologische Vielfalt im Spätmittelalter – Mandat, Ordnung, General, Generalmandat, Verbotsbrief, Circular, Edikt, Dekret, Reskript, Patent, Verordnung, Resolution, Satzung, Gesetz – ‚auf den Begriff zu bringen‘? In der Suche nach einem möglichst viel umfassenden Gesetzesbegriff wurde die Typologie von Wilhelm Ebel wirkmächtig. Er entwickelte 1956 in seiner kleinen ‚Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland‘ eine einflußreiche Differenzierung mittelalterlichen Rechts. Weisung, Satzung und Rechtsgebot seien die „Grundformen“ (Denkformen), die „begrifflichen Bauelemente der deutschen Gesetzgebungsgeschichte“, die „schließlich zum Gesetzesbegriff unserer Zeit führen“. „Überblicken wir die Geschichte der deutschen Gesetzgebung, so treten drei Grundformen des Gesetzes in unser Begriffsfeld: das ungesetzte Recht in Gestalt des Weistums (modifiziert durch den Begriff der Rechtsbesserung) – dann die von den Rechtsgenossen vereinbarte Satzung – und schließlich das vom Herrscher oder der sonstigen Obrigkeit befohlene Recht, das Rechtsgebot“ 58. Diese Bauelemente treten vielfach in Misch- und Tarnformen auf und führten schließlich „zum Gesetzesbegriff unserer Zeit“. Der Entwurf Ebels – ungeachtet aller unübersehbaren Anachronismen und Zeitgebundenheit – fand große Beachtung, allerdings müssen die Schattenseiten“ mitreflektiert werden. Marie Theres Fögen beschriebt diese Vorgehen mit einer Metapher: „Mit diese drei Grundformen gleich Schmetterlingsnetzen bewaffnet zieht Ebel durch die Geschichte und fängt Rechtstexte ein“59. Rechtstexte, die sie nicht zuordnen lassen, werden als Misch oder Tarnformen des Gesetzes erklärt oder wie etwa die Privilegien überhaupt ausgeschieden. Ohne dies weiter zu vertiefen müßte deutlich sein, daß die jeweilige Bewertung vom gewählten Gesetzesbegriff abhängt. Um ‚Gesetz‘ von anderen normativen Emanationen zu unterscheiden, sind Merkmale zu formulieren. Dies bedingt einen „hausgemachten Gesetzesbegriff“, der es ermöglicht, exakt so viele und exakt diejenigen Texte (zu) erfassen, die der Betrachter mit der Festlegung dieses Begriffes als Gesetz zu erfassen wünscht 60. 57

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Vgl. G. Schmitz, Kapitularien, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, 2. Auflage, Berlin 2012, 1604–1612, der zum Rechts- und Gesetzescharakter formuliert (Sp. 1606): „Es führt auch am richtigen Verständnis vorbei, wenn man die Kapitularien allzu strikt den Rechtsquellen zuordnen will. Dazu gehören sie zwar primär, aber nicht ausschließlich.“ Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, 11. Morsche Wurzeln und frische Früchte. Notizen zum Gesetzesbegriff der deutschen Rechtsgeschichte, in: Rechtshistorisches Journal 6 (1987), 349–360, 349. Fögen, Morsche Wurzeln, 357, sieht im Suchen nach einem historisch verwendbaren Gesetzesbegriff ein sinnloses Unterfangen, dem – selbst wenn der Begriff gefunden werden könnte – kein Nutzen zukäme: „Einen Rechtssatz guten Gewissens, weil im Einklang mit dem soeben gebastelten Begriff ‚Gesetz‘ nennen zu dürfen, kann doch gegenüber der Erforschung der Rechtssätze selbst, ob wir sie nun Weistum, Privileg, Landesordnung, Novelle, Konstitution oder Rumpelstilzchen nennen, eigentlich kein anderes Interesse haben als das – magere – der Einübung eines Sprachgebrauchs.“ Sie plädiert für „individuelle Forscheranarchie“.

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Dieses Dilemma ist nicht auflösbar, kann aber produktiv genutzt werden. Keinen ‚Ausweg‘ bietet jedenfalls die Begriffsgeschichte der lex, denn sie beantwortet nicht, ob die jeweilige lex auch nach ‚unserem Verständnis‘ als Gesetz bezeichnet wird bzw. ob Rechtsphänomene existieren, die nicht als lex bezeichnet werden, die wir aber unserem gewählten Gesetzesbegriff subsumieren. Auch keinen Ausweg bietet ein derart abstrahierender Gesetzesbegriff, der es ermöglicht, alle „historisch-juristischen Eventualitäten und damit letzthin keine“ zu beschreiben. Einen überzeugenden Weg einer angemessenen Komplexitätsreduktion hat m. E. Bernhard Diestelkamp vorgeschlagen: Ausgehend von der Notwendigkeit eines umfassenden historischen Gesetzes- und Gesetzgebungsbegriffes plädiert er für einen Gesetzesbegriff mit einem festen Begriffskern, etwa – in Anlehnung an Rainer Schulze – Gesetz als „Ergebnis autoritativer Setzung bzw. Darstellung von Recht“ 61. Damit ist sowohl Rechtsetzung im Sinne einer Schaffung neuer Normen, wie auch im Sinne der Fixierung und Ordnung bestehenden Rechts umfaßt. Dieser Begriffskern ist dann jeweils um periodenspezifische Kriterien zu ergänzen, Diestelkamp führt als variable Kriterienkombinationen beispielhaft die Urkundenfassung oder die Allgemeinheit der Norm an62. Es wird damit im Ergebnis nicht nur einer deduktiven, sondern auch einer induktiven Herangehensweise Rechnung getragen. Diese flexible Handhabung korreliert mit Definitionsansätzen der Forschung der letzten Jahre, die Kriterien wie autoritative Satzung, Allgemeingültigkeit und Schriftlichkeit in den Mittelpunkt stellt 63. So definiert etwa Armin Wolf in seiner umfassenden Darstellung der Gesetzgebung des Mittelalters Gesetz im Sinne einer heuristischen Annäherung als „allgemeine Rechtsnorm in Urkundenform“, wobei zu beachten ist, „dass nicht immer alle Merkmale einer Urkundenform vorhanden sind“ 64. Aus dem Blickwinkel des Zustandekommens und damit zusammenhängend des Geltungsanspruchs unterscheidet Wolf drei Formen: Neben Befehlen eines Herrschers allein, vor allem im Kontext der Beanspruchung des Gesetzgebungsrechts der römischen Kaiser (z. B. ‚Liber Augustalis‘ Friedrichs II. 1231), und Beschlüssen von Ständen allein (vor allem während Thronvakanzen oder Abwesenheit des Königs, z. B. Wormser Statuten des Rheinischen Bundes

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R. Schulze, Geschichte der neueren vorkonstitutionellen Gesetzgebung. Zu Forschungsstand und Methodenfragen eines rechtshistorischen Arbeitsgebietes, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte – Germanistische Abteilung 98 (1981), 157–235, 165. B. Diestelkamp, Einige Beobachtungen zur Geschichte des Gesetzes in vorkonstitutioneller Zeit, in: Zeitschrift für historische Forschung 10 (1983), 385–420 (Wiederabdruck in: id., Recht und Gericht im Heiligen Römischen Reich, Frankfurt am Main 1999, 503–543); vgl. hiezu J. Pauser, Landesfürstliche Gesetzgebung (Policey-, Malefiz- und Landesordnungen), in: J. Pauser/ M. Scheutz/T. Winkelbauer (eds.), Quellenkunde der Habsburgermonarchie. Ein exemplarisches Handbuch, München 2004, 216–256, 256 f. M. Schennach, Gesetz und Herrschaft. Die Entstehung des Gesetzgebungsstaates am Beispiel Tirols, Köln–Weimar–Wien 2010. Pauser, Landesfürstliche Gesetzgebung (Policey-, Malefiz- und Landesordnungen), 217. Gesetzgebung in Europa, 1100–1500. Zur Entstehung der Territorialstaaten, 2. Auflage, München 1996, 5.

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1254) ist der Normalfall der Gesetzgebung die Übereinkunft zwischen Herrschern und Optimaten (Ständen). Consilium im Sinne von consensus oder assensus der meliores et maiores charakterisiert die Gesetzgebungstätigkeit des Spätmittelalters. Für diese notwendige Konsensbildung von Herrscher und bevorrechteten Adelspersonen wurde von den Kanonisten durch Neuinterpretation eines Satzes aus dem römischen Vormundschaftsrecht eine Rechtsgrundlage geschaffen, die seit dem 13. Jh. im weltlichen Recht nachzuweisen ist: „Quod omnes [similter] tangit, ab omnes comprobetur“ 65. Dabei konnten auch Mischformen auftreten. So ist der Reichslandfriede Kaiser Friedrichs I. von Aachen und Köln (1152) als reiner Herrscherbefehl, sein Nürnberger Reichslandriede von 1186 de coniventia et consilio principum erhalten. Die Produktivität dieser Verbindung von festen und variablen Kriterien präsentiert beispielsweise Martin P. Schennach überzeugend anhand tiroler Quellen66. Er geht für den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesetzesbegriff von vier konstitutiven Elementen aus: Allgemeinheit des Gesetzes (generell-abstrakter Charakter), autoritative Setzung (Darstellung) durch eine zuständige Obrigkeit, Schriftlichkeit und Publikation des Gesetzes an die Normadressaten. Das Schriftlichkeitserfordernis wird jedenfalls für die landesfürstlichen Gesetze in Tirol um das Erfordernis der Urkundenform ergänzt, wobei Schennach auch einen wesentlichen Beitrag zur Diplomatik der Gesetze leistet.

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C 5.59.5.2. Gesetz und Herrschaft. Die Entstehung des Gesetzgebungsstaates am Beispiel Tirols, 149.

Terminologie und Etymologie des mittelalterlichen Gesetzesbegriffs C K (Düsseldorf) I. Einleitung Was ist ein Gesetz? Eine allzu einfache Antwort sollte man nicht erwarten. Am ehesten fallen uns Beispiele ein, aber wenn wir nur Beispiele geben, verfehlen wir eine eigentliche Antwort, so wie die Gesprächspartner des Sokrates eine Antwort verfehlen, wenn sie mit einer „Was ist“-Frage zu einer Definition aufgefordert werden und lediglich Beispielfälle für das Definiendum aufzählen. Die Frage nach dem Gesetz bzw. nach der Bedeutung des Gesetzesbegriffs ist kaum einfacher zu beantworten als etwa die nach der Zeit bzw. nach dem Zeitbegriff, die ebenfalls zunächst einfacher wirkt als sie ist. Bei Augustinus lesen wir: „Was ist also ‚Zeit‘? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich einem Fragenden es erklären, weiß ich es nicht.“1 Hier kommt die allgemeine Einsicht zur Sprache, daß für den vorphilosophischen Alltagsverstand und Sprachgebrauch noch klar sein kann, was der philosophischen Reflexion und Definition Mühe macht. Die zitierte Augustinus-Stelle trägt Ludwig Wittgenstein in seinen ‚Philosophischen Untersuchungen‘ vor, um dann zu konstatieren, daß man Analoges von einer genuin naturwissenschaftlichen Frage, etwa „der nach dem spezifischen Gewicht des Wasserstoffs“, nicht sagen könnte2. Warum nicht? Hier existiert, anders als bei Wörtern wie ‚Zeit‘ und ‚Gesetz‘, eben nicht das latente sprachliche Vorwissen, das vorreflexive Verständnis, dessen Verhältnis zu dem korrespondierenden Fachterminus ein eigenes Problem darstellen kann. Entsprechend geht Wolfgang Wieland der Frage nach, „[w]elche Art von vorreflexivem Vorverständnis“ des Terminus ‚Zeit‘ in der griechischen Philosophie und ihren einschlägigen Theoriebildungen vorliegt 3. Bei zahlreichen gängigen Termini ist uns die komplexe Gesamtheit philosophischer und vorphilosophischer Intentionen, Voraussetzungen und Bedeutungskomponenten oft kaum noch bewußt. Wörter wie 1 2 3

Augustinus, Confessiones, XI, 14 (übers. J. Bernhart, München 21960). L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen § 89, in: Werkausgabe, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1984, 291. W. Wieland, Bemerkungen zum Problem der philosophischen Begriffsbildung, in: S. M. Stern/ A. Hourani/V. Brown (eds.), Islamic Philosophy and the Classical Tradition: Essays Presented by his Friends and Pupils to Richard Walzer on his Seventieth Birthday, Columbia (South Carolina) 1972, 503–515 (506).

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‚Form‘, ‚Idee‘, ‚Intuition‘, ‚Kategorie‘, ‚Materie‘, ‚Psyche‘, ‚Subjekt‘, ‚Substanz‘, ‚Wesen‘, ‚Wille‘ etc. können wie auch einige ihrer griechischen oder lateinischen Vorläuferbegriffe als Beispiele für den fast unermesslichen Überschneidungsbereich normalsprachlicher und philosophisch-fachsprachlicher Termini dienen. Zu diesem Überschneidungsbereich gehört zweifellos auch der Gesetzesbegriff, der, abgesehen von seinen normalsprachlichen Verwendungen, in gleich mehreren geistes- und naturwissenschaftlichen Einzeldisziplinen an zentraler Stelle vorkommt. Dem Gesetzesbegriff der mittelalterlichen Philosophie und Theologie soll hier unter dem Gesichtspunkt seiner terminologischen Fixierung, exemplarisch bei Thomas von Aquin, nachgegangen werden, wobei die im Mittelalter beliebte Methode etymologischer Zurückführung besondere Aufmerksamkeit verdient. II. Philosophie zwischen Fachter minologie und Nor malsprache Fachterminologien sind von der Normalsprache kaum trennscharf abzugrenzen. Sie bilden keine distinkten Sprachbereiche und führen kein Eigenleben. Vielmehr zeigen sie sich in vielfältiger Weise mit der Normalsprache, mit ihren Vagheiten und Fluktuationen, verbunden. Ausdrücke können gleichzeitig fachsprachliche und normalsprachliche Bedeutungen aufweisen. Manchmal kommen sie zunächst in der Normalsprache vor und nehmen später fachsprachliche Bedeutungen an. Umgekehrt können Fachtermini inflationieren, indem sie in immer weiteren und schließlich in außerfachlichen Kontexten gebräuchlich werden. Aber auch abgesehen von solchen Fluktuationen sind Fachterminologien mit der Normalsprache verbunden und ihr verpflichtet, was besonders für die philosophische Fachsprache gilt. Diese mag in ihrem Kernbereich über ein mehr oder weniger exklusives terminologisches Repertoire verfügen, überschneidet sich aber zugleich mit anderen Fachterminologien und nutzt normalsprachliche Ausdrucksmittel. Terminologien lassen sich nur unter Rekurs auf normalsprachliche Elemente und Strukturen, die stets in ihnen durchscheinen, einführen, erklärend vermitteln und zugänglich machen. In diesem Sinne stellt Carl Friedrich von Weizsäcker aus naturwissenschaftlicher Sicht fest: „Die sog. exakte Wissenschaft kann niemals und unter keinen Umständen die Anknüpfung an das, was man die natürliche Sprache oder die Umgangssprache nennt, entbehren. Es handelt sich stets nur um einen Prozeß der vielleicht sehr weit getriebenen Umgestaltung derjenigen Sprache, die wir immer schon sprechen und verstehen.“ 4 So gilt auch und erst recht für die philosophische Fachsprache, daß sie ihrer normalsprachlichen Basis verbunden bleibt. Zumindest hinsichtlich ihrer sprachlichen Darstellungsmittel ist zu betonen, daß die Philosophie niemals im strengen Sinn voraussetzungsfrei arbeiten kann. Die Philosophie ist selbst da, wo sie unab4

C. F. von Weizsäcker, Die Einheit der Natur, München 1971, 65.

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hängig von vorgängigen Theoriebildungen betrieben werden soll, auf eine bereits vorgefundene, oft genug theoretisch vorbelastete Sprache angewiesen. In diesem Sinne bleibt auch für Hans-Georg Gadamer „der Gebrauch einer Terminologie […] in das Sprechen einer Sprache eingeschmolzen“, so daß sich konstatieren läßt: „Es gibt kein rein terminologisches Sprechen, und noch der künstlich und sprachwidrig geschaffene Kunstausdruck […] kehrt in das Leben der Sprache zurück.“ 5 Ein immunisierendes Abdichten von Fachsprache und Normalsprache bleibt demnach aussichtslos. Die eigentümliche Doppelrolle halbphilosophischer Ausdrücke, die im Fachjargon ihrem normalsprachlichen Gebrauch entfremdet werden, kann allerdings aus Sicht der ordinary language philosophy revisionsbedürftig erscheinen. Mit Ludwig Wittgensteins bekanntem Satz „Wir führen die Wörter von ihrer metaphysischen, wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurück“6 wird die Rückkehr philosophischer Termini wie ‚Wissen‘, ‚Sein‘, ‚Gegenstand‘, ‚Ich‘, ‚Satz‘ und ‚Name‘ in den normalsprachlichen Gebrauch, in das „Leben der Sprache“, wie es bei Gadamer heißt, programmatisch anvisiert. Diese Rückkehr bedeutet für Wittgenstein nichts anderes als die Korrektur eines Irrwegs: Ein normalsprachliches Wort, das fachterminologisch verfremdet wird, provoziert die Frage, ob es „in der Sprache, in der es seine Heimat hat, je tatsächlich so gebraucht“ wird7. Was für Wittgensteins Beispiele ‚Wissen‘, ‚Sein‘, ‚Gegenstand‘, ‚Ich‘, etc. ebenso wie für unsere Beispiele ‚Gesetz‘ und ‚Zeit‘ gilt, verliert freilich seinen Sinn bei Termini wie ‚Hylemorphismus‘, ‚Typovergenz‘ oder ‚Entelechie‘, die sich einer Rückkehr in das „Leben der Sprache“ entziehen, weil sie als Kunstwörter, wie man im 19. Jahrhundert sagte, keine eigentliche Heimat haben und in der Alltagssprache kaum lebensfähig wären. Besondere Schwierigkeiten bergen insofern weniger die ausschließlich fachterminologischen Ausdrücke wie ‚Hylemorphismus‘, ‚Typovergenz‘ oder ‚Entelechie‘ als vielmehr die zahlreichen Grenzfälle, die sowohl normalsprachliche als auch fachsprachliche Bedeutungen aufweisen, etwa ‚Wissen‘, ‚Sein‘ oder eben ‚Gesetz‘. ‚Hylemorphismus‘ und ‚Entelechie‘ als künstliche, der Alltagssprache entrückte Vokabeln irritieren das Publikum weniger, weil ihnen jener unmittelbare Bezug zur Alltagswelt fehlt, wie ‚Wissen‘, ‚Sein‘ und ‚Gesetz‘ ihn haben. Es sind also die hybriden Ausdrücke des Grenzbereichs von Wissenschaftssprache und Normalsprache, die den Philosophenjargon in besonderer Weise prägen, belasten und zugleich bereichern. Die Besonderheit und Schwierigkeit fachterminologischen Jargons provoziert Kritik speziell im Falle der Philosophie. „Bei jeder anderen Wissenschaft“, so Herbert Schnädelbach, „wird akzeptiert, daß sie ihren eigenen Kernbereich, ihre Fachterminologie, ihre spezifische Unzugänglichkeit besitzt; die Philosophie hingegen scheint mit der Psychologie oder den Erziehungswissenschaften das 5 6 7

H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 41972, 392. L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen § 116, in: Werkausgabe, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1984, 300. Ibid.

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Schicksal zu teilen, daß jeder unmittelbare Verständlichkeit von ihr erwartet […]“ 8. Verständlichkeitserwartungen richten sich eben auf jene Disziplinen, mit denen das Publikum von vornherein eine deutlichere Nähe zur Lebenspraxis verbindet als dies bei spezialistischen Naturwissenschaften wie etwa der Molekularbiologie und der Astrophysik der Fall sein mag. Eine Enttäuschung jener Verständlichkeitserwartungen erzeugt Widerstände. Immerhin kann die philosophische Fachterminologie zu einer Subtilität getrieben werden, die aufgrund der Enttäuschung der Schnädelbachschen Verständlichkeitserwartung geradezu affektive Ablehnung hervorruft, was Theodor W. Adorno in Anlehnung an Walter Benjamin zugleich anschaulich und drastisch von philosophischer „Zuhältersprache“ und „Verbrecherjargon von abgefeimten Eingeweihten“ sprechen läßt 9. Normalsprachliche Ausdrücke erhalten ihre fachsprachliche Bedeutung dann, wenn sie einer fachspezifischen Frage zugeordnet und in einem besonderen fachwissenschaftlichen Zusammenhang verwendet werden. Die damit oft verbundene Bedeutungsänderung mag durch eine explizite oder schulmäßige Definition fixierbar sein; oft genug werden normalsprachliche Ausdrücke aber auch implizit für fachphilosophische Fragestellungen in Anspruch genommen und erhalten so ihre terminologische Funktion, wobei der Bedeutungswandel des neuen Fachterminus verschiedene Stufungen oder Phasen aufweisen kann. Gerade das eigenartige Spannungsverhältnis, in dem ein Wort als fachsprachlicher Terminus zu demselben Wort als normalsprachlichem Ausdruck steht, und die Tatsache, daß der Terminus auch bei expliziter Grenzziehung immer noch auf seinen normalsprachlichen Herkunftsbegriff und dessen oft amorphe Kontexte zurückverweist, machen eine besondere Qualität der philosophischen Fachsprache aus. In der Normalsprache, die als unhintergehbarer Ausgangspunkt der philosophischen Bezugnahme auf die Welt wirksam bleibt, drückt sich üblicherweise ein bestimmter vorreflexiver Modus der Welterfahrung bzw. des Weltbezugs aus, der – wenigstens latent – in die philosophische Fachsprache eingeht und in der Philosophie die Grundlage von Kommunikation bzw. Verständigung bildet. Was sich überhaupt sprachlich manifestiert, ist ein Gebilde von Vormeinungen, Einstellungen und Intentionen, die geeignet sind, einen je eigenen „Sinnhorizont“ zu eröffnen, wie Wieland in offensichtlicher Affinität zu Gadamer sagt 10. Philosophisches Nachdenken und Fragen setzt üblicherweise bei einem solchen Sinnhorizont an, zu dem eine Gesamtheit unterschwellig wirksamer Vormeinungen gehört, die sich in der Regel normalsprachlich konstituiert und dann in die philosophische Fachsprache Eingang findet.

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H. Schnädelbach, Philosophie der Gegenwart – Gegenwart der Philosophie, in: H. Schnädelbach/G. Keil (eds.), Philosophie der Gegenwart – Gegenwart der Philosophie, Hamburg 1993, 11–19 (13). Th. W. Adorno, Philosophische Terminologie, Band 1, Frankfurt a. M. 1973, 33. Wieland, Bemerkungen (nt. 3), 506.

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Als zentrales Beispiel für diesen Effekt kann wiederum der Gesetzesbegriff dienen. Seine fachsprachlichen Verwendungen konnotieren in der Regel einen bestimmten vorreflexiven Modus der Welterfahrung, einen vorwissenschaftlichen Sinnhorizont, und stets ist mit der Verschränkung seines terminologischen und seines freieren Gebrauchs zu rechnen. Das bestätigt sich bei einem kurzen Blick auf den mittelalterlichen Gesetzesbegriff mit seinen historischen Prämissen. III. ‚Lex‘ als Fachter minus der mittelalter lichen Philosophie Der Begriff des Gesetzes steht ursprünglich, d. h. seit den Anfängen der Philosophie, für eine Gebotsnorm, die aufgrund ihres göttlichen Ursprungs und ihrer frommen Überlieferung allgemein für verbindlich gehalten wird. Zugleich wird dieser ursprünglichen Gebotsnorm ein Prinzipienstatus für konventionelle menschliche Gebotsnormen zuerkannt, was bereits Heraklit bestätigt: „Nähren sich doch alle menschlichen Gesetze von dem einen, göttlichen.“11 Was wir heute als Recht, Sitte und religiösen Brauch unterscheiden, bildet damals noch einen weitgehend undifferenzierten, einheitlichen, oft unter das Wort ,nómov‘ gefaßten Komplex12. Erst allmählich konzentriert sich der Gesetzesbegriff auf das mit staatlicher Autorität verfügte bzw. erlassene und innerhalb des Gemeinwesens geltende Gebot. Für Platon, der zwischen einer weiten, unspezifischen Bedeutung des Wortes ,nómov‘ und seiner engen, terminologischen Verwendung im Sinne eines bürgerlichen Gesetzes unterscheidet, enthalten die Gesetze die vernünftige Überlegung über dasjenige, was zu tun und was zu unterlassen ist, soweit sich diese vernünftige Überlegung in einem Staat allgemeine Anerkennung erworben hat13. In der antiken Philosophie erfahren die Bedeutungskomponenten des Willensgebots, der Satzung oder Verordnung, einerseits und der vernünftigen Regelung andererseits teils deutliche Artikulation. Bei den Stoikern, zunächst bei Chrysipp, erscheint die vernunfthaft-rationale Bedeutungskomponente besonders dominierend: Gesetz ist vor allem die unveränderliche Ordnung des Universums, die lex aeterna, die als göttliches Weltgesetz auch das menschliche Tun reguliert. Der für das Mittelalter richtungsweisende Topos von Gottes ewigem Willen und Plan findet sich in prägnanter Formulierung bei Augustinus: „Das ewige Gesetz aber ist die göttliche Vernunft oder Gottes Wille, das Bewahren der natürlichen Ordnung verlangend und ihre Störung verbietend“14. Im scholastischen Gesetzesverständ11 12

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Cf. H. Diels/W. Kranz (eds.), Die Fragmente der Vorsokratiker 22 B 114, Berlin 101961, Band 1, 176. Bedeutungsähnliche, ebenfalls das Spektrum von ‚Gesetz‘, ‚Satzung‘, ‚Anordnung‘, ‚Brauch‘ etc. umfassende, aber fachterminologisch kaum prägnant gewordene altgriechische Ausdrücke sind ‚jesmóv‘ (etwa bei Solon) und ‚jémiv‘ (etwa bei Homer und Hesiod, primär für göttliche Anordnung). Cf. Plato, Nomoi 722 d sq., 644 d. Augustinus, Contra Faustum Manichaeum XXII, 27 (Migne Patrologia Latina 42, 418) (übers. Ch. K.). Cf. hierzu E.-W. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie. Antike und Mittelalter, Tübingen 2002, 197 sq.

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nis gehen die Bedeutungskomponenten der antiken Philosophie, der biblischpatristischen Tradition und des griechisch-römischen Rechtswesens eine enge, teils auch spannungsvolle Verbindung ein15. Für Thomas von Aquin werden jene Bedeutungskomponenten im Zentrum seiner Ethik in der ‚Summa theologiae‘ Ia-IIae, q. 90–108, relevant, wo sich für ihn unsere Eingangsfrage nach dem Gesetz stellt, das im Sinne eines äußeren Prinzips menschlichen Handelns thematisiert wird16. Die terminologische Prägnanz des dabei verwendeten Gesetzesbegriffs wird beeinträchtigt durch das unter den Interpreten seit jeher strittige Verhältnis zwischen ‚lex‘ und ‚ius‘, welches nicht zuletzt auf „eine weitgehende Gleichstellung von Recht und Gesetz“ bei Isidor von Sevilla zurückgehe17. Der Gesetzesbegriff des Thomas wird meist, wenngleich nicht unumstritten18, als rationalistisch oder intellektualistisch typisiert – im Gegensatz zu dem als voluntaristisch, d. h. den gesetzgeberischen Willen betonend, angesehenen Gesetzesbegriff des Johannes Duns Scotus. Die bekannte, aus den erörterten Bedeutungskomponenten gewonnene Gesetzesdefinition des Thomas lautet: „Das Gesetz ist nichts anderes als (1) eine Anordnung der Vernunft (2) im Hinblick auf das Gemeingut, (3) erlassen und (4) öffentlich bekanntgegeben von dem, der die Sorge für die Gemeinschaft innehat.“ 19 Die vier (in gegenständliche und formale Aspekte unterscheidbaren)

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Ideengeschichtliche Darstellungen zum Gesetzesbegriff bieten diverse Artikel (zu ‚Gesetz‘, ‚moralischem Gesetz‘, ‚natürlichem Gesetz‘ etc.) in J. Ritter (ed.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 3, Basel 1974, 480 sqq.; cf. auch P. Stekeler-Weithofer, Gesetz: I. allgemein, in: P. Kolmer/A. G. Wildfeuer (eds.), Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Band 2, Freiburg i. Br. 2011, 992–1008; M. Hampe, Gesetz: II. naturphilosophisch – kosmologisch, op. cit., 1008–1020. Zu den tradierten Bedeutungskomponenten des lex-Begriffs und ihrer Relevanz für Thomas cf. A.-H. Chroust, The Philosophy of Law of St. Thomas Aquinas: His Fundamental Ideas and Some of his Historical Precursors, in: The American Journal of Jurisprudence 19 (1974), 1–38; S. Gagnér, Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung, Stockholm–Uppsala–Göteborg 1960, bes. 186–207, 256–284; St. Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin. Eine rationale Rekonstruktion im Kontext der Summa Theologiae (Marburger Theologische Studien 65), Marburg 2000, 27–73; F. Reimer, Lex und ihre Äquivalente im Gesetzestraktat der Summa Theologica Thomas von Aquins, in: M. Walther/N. Brieskorn/K. Waechter (eds.), Transformation des Gesetzesbegriffs im Übergang zur Moderne? Von Thomas von Aquin zu Francisco Suárez, Stuttgart 2008, 37–50 (38 sqq.). Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin (nt. 16), 101. Lippert bezieht sich auf Isidor, Etymologiae V, 3. Cf. nt. 19. Thomas von Aquin, Summa theologiae, I–II, q. 90, 4, in: Die Deutsche Thomas-Ausgabe, Band 13: Das Gesetz, ed. u. komm. O. H. Pesch, Heidelberg–Graz–Wien–Köln 1977, 15: „[…] definitio legis, quae nihil est aliud quam quaedam rationis ordinatio ad bonum commune, ab eo qui curam communitatis habet, promulgata.“ Zu den Bestimmungen (1) bis (4) (die Nummerierung wurde hier eingefügt) cf. U. Kühn, Via caritatis. Theologie des Gesetzes bei Thomas von Aquin, Göttingen 1965, 131–139; Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin (nt. 16), 104–111; Metz, Lex und Ius bei Thomas von Aquin, in: Walther/Brieskorn/Waechter (eds.), Transformation des Gesetzesbegriffs (nt. 16), 17–36 (22 sq.); cf. auch den ausführlichen Kommentar von Arthur F. Utz in: Thomas von Aquin, Naturgesetz und Naturrecht, Theologische Summe, Fragen 90–97, Bonn 1996, 174–186. Zum Begriff der rationis ordinatio bzw. einer Kritik der Wiedergabe von ‚ordinatio‘

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Bestimmungen – Vernunftanordnung, Gemeingutbezug, Erlassen- und Veröffentlichtsein – erörtert Thomas sukzessive in den Artikeln 1 bis 4 von q. 90. Er betrachtet also das Gesetz als ein Instrument der praktisch orientierten, handlungsleitenden Vernunft in Hinordnung auf das Gemeinwohl bzw. seine Ausrichtung auf das bonum commune. Die öffentliche Bekanntmachung durch den, der das Gesetz erläßt und damit als rechtmäßiger Repräsentant stellvertretend für die Gemeinschaft handelt, begründet die allgemeine Einsehbarkeit und damit die Verbindlichkeit des Gesetzes. Das Gesetz muß öffentlich bekannt gemacht sein, damit seine bindende Kraft wirksam werden kann. So deutlich sich dieser Gesetzesbegriff am politisch-rechtlichen Bereich orientiert zeigt, so sehr ist er zugleich integraler Bestandteil der philosophisch-theologischen Gesamtperspektive20: Nicht ein Staatslenker, sondern Gott selbst ist der eigentliche Gesetzgeber, und das Gemeinwohl ist das Wohl der gesamten Schöpfung; für den Menschen erfüllt es sich in der Glückseligkeit der übernatürlichen Gottesschau. Thomas läßt seiner definitio gemäß der bekannten scholastischen Methode in den Artikeln 1 bis 5 von q. 91 eine divisio in vier leges folgen21: (1) Das ewige Gesetz im Sinne der antiken lógov-Lehre und der lex-aeterna-Lehre des Augustinus gewährleistet die durchgehende Sinn- und Ordnungsstruktur der gesamten Schöpfung; insofern die übrigen Gesetze an der lex aeterna partizipieren, bildet sie „die metaphysische Klammer, die alle Gesetzesarten umfasst“ 22. (2) Das natürliche Gesetz (in noch weitgehend moral- und sozialphilosophischer Bedeutung) als derjenige Teil des ewigen Gesetzes, welcher in den Vernunftwesen, speziell im Menschen, wirksam wird, sorgt als naturalis inclinatio der Vernunft für die Ausrichtung des

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mit ‚Anordnung‘ cf. Reimer, Lex und ihre Äquivalente (nt. 16), 41–44, wo zudem betont wird, daß der Gesetzesbegriff des Thomas entgegen verbreiteter Auffassung keinesfalls intellektualistisch aufzufassen sei (ibid., 42 sq., 46). Diese kommt auch deutlich zum Ausdruck in Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, III, 111 sqq., insbesondere in den Kapiteln zum göttlichen Gesetz (ibid., III, 114–118). Dem Gesetzestraktat der Summa contra gentiles wie auch dem Gesetzestraktat in Thomas’ Sentenzenkommentar widmet Kühn, Via caritatis (nt. 19), 82–119 bzw. 49–79, eigene Untersuchungen. Cf. hierzu die frühe Arbeit von M. Wittmann, Die Ethik des Hl. Thomas von Aquin, in ihrem systematischen Aufbau dargestellt und in ihren geschichtlichen, besonders in den antiken Quellen erforscht, München 1933 (repr. Frankfurt a. M. 1962), 323–368, eine deutlich auf das natürliche Gesetz zentrierte Untersuchung; zu diesem als Prinzip der praktischen Vernunft cf. auch M. Rhonheimer, Praktische Vernunft und Vernünftigkeit der Praxis. Handlungstheorie bei Thomas von Aquin in ihrer Entstehung aus dem Problemkontext der aristotelischen Ethik, Berlin 1994, 530–558. Das menschliche (oder positive) Gesetz steht dagegen im Vordergrund bei R. Linhardt, Die Sozialprinzipien des heiligen Thomas von Aquin. Versuch einer Grundlegung der speziellen Soziallehren des Aquinaten, Freiburg i. Br. 1932, 96–106 und 116–131, während bei Kühn, Via caritatis (nt. 19), 140–218, das Gesetz des alten und des neuen Bundes ausführlicher behandelt wird. Als neuere Beiträge zu den einzelnen Gesetzesarten sind Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin (nt. 16), 117–159, sowie Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie (nt. 14), 226–234, und Metz, Lex und Ius bei Thomas von Aquin (nt. 19), 23–30, zu nennen; cf. auch A.J. Lisska, Aquinas’s Theory of Natural Law. An Analytic Reconstruction, Oxford 1996, 89–115. Metz, Lex und Ius bei Thomas von Aquin (nt. 19), 19.

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Menschen auf das bonum und läßt ihn erkennen, wie er diesem bonum näher kommt, u. a. durch Gottesverehrung. (3) Das menschliche Gesetz leitet sich her aus dem natürlichen Gesetz – die vernünftige Kreatur hat teil an der lex aeterna – und formt bzw. transformiert es zu gesellschaftlichen Ordnungsstrukturen. (4) Das göttliche Gesetz – für Thomas eine gegenüber dem natürlichen Gesetz höhere Gesetzesform – ermöglicht die Lenkung des Menschen im Hinblick auf die Erlangung des ewigen Lebens bzw. die ewige Seligkeit; es unterteilt sich in (4a) altes und (4b) neues Gesetz bzw., heilsgeschichtlich konnotiert, in alten und neuen Bund. Das alte Gesetz dient der ursprünglichen Hinordnung des Menschen auf Gott, das neue Gesetz bzw. das ,Gesetz des Evangeliums‘ gibt vor, wie Gott, den alten Bund erfüllend und erneuernd, den Menschen zu seinem Ziel hinführt. Andere Bedeutungskomponenten, auf die hier nur stichwortartig hinzuweisen ist, treten in der Neuzeit in den Vordergrund, etwa in Immanuel Kants Rede von einem moralisch-praktischen Gesetz oder Sittengesetz, das ein unbedingt zu befolgendes Gebot der sittlichen Vernunft ausdrückt (kategorischer Imperativ). Inbegriff der sog. äußeren Gesetze oder Rechtsgesetze, i. e. verbindlicher Gesetze, für die eine äußere Gesetzgebung möglich ist, ist nach Kant die Rechtslehre. Im neueren juristischen Sprachgebrauch bezeichnet der Gesetzesbegriff im weiten Sinne jegliche Rechtsnorm, im engen Sinn das staatliche Zwangsgebot, das von einer (gemäß der Gewaltenteilung) verfassungsmäßig legitimierten Gewaltinstanz ausgeht. Jenseits der Sphäre des Rechts bzw. der Anordnung für das menschliche Verhalten dient der Gesetzesbegriff zur Bezeichnung jeder notwendigen Beziehung in der Abfolge von Geschehnissen im Bereich des Natürlichen, wobei er neben physischen auch metaphysische Sachverhalte erfaßt. In diesem Sinn definiert etwa Kant in seinen ‚Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft‘ (Vorrede) Gesetze als Regeln notwendigen Daseins bzw. als Prinzipien der Notwendigkeit dessen, was zum Dasein eines Dinges gehört. Unter einem Naturgesetz (im Sinne der neuzeitlichen Physik) – bereits seit Lukrez ist die Rede von leges naturae etabliert – wird die Notwendigkeit konstanter Tatbestände und Abläufe unter konstanten Bedingungen verstanden. Die philosophische Tradition hat Spezifikationen u. a. in logische, metaphysische und transzendentale Gesetze vorgenommen. In natur- und geisteswissenschaftlichen Zusammenhängen haben sich in separaten Entwicklungen teils weit verzweigte Gesetzesterminologien ergeben, die Wissenschaftstheorie des 20. Jahrhunderts unterscheidet zwischen empirischen und theoretischen Gesetzen. Wenn wir, etwa in unserem Rekurs auf Heraklit, bis zu vorsokratischen Frühversionen des Gesetzesbegriffs zurückgehen, sind wir kaum schon mit Verwendungen konfrontiert, die wir als terminologisch bezeichnen würden. Eine eigentliche Terminologisierung der Philosophie ist wohl erst bei Aristoteles festzumachen, wovon rein äußerlich seine glossarähnliche Konzeption von ‚Metaphysik‘ V Zeugnis gibt. Anstatt aber nun eine zwangsläufig strittig bleibende Demarkationslinie zwischen nicht-terminologischem und terminologischem Gebrauch zu ziehen, sei hier der Befund des fließenden Übergangs von nicht-terminologi-

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schen zu terminologischen Versionen des Gesetzesbegriffs betont. Wenn, wie oben ausgeführt, von Weizsäcker den Fachtermini eine latente Anknüpfung an die natürliche Sprache oder Umgangssprache zuschreibt, wenn Wittgenstein die Zurückführung metaphysischer auf alltägliche Wortverwendungen propagiert, oder wenn Gadamer und Wieland den Sinnhorizont sprachlicher Ausdrücke zur Geltung bringen wollen 23, so zielen diese Autoren – bei aller Unterschiedlichkeit im Einzelnen – auf Effekte, die sich durch ein seit jeher in der Philosophie beliebtes Mittel der sprachlichen Rückbindung und der Transparenz erreichen lassen – die etymologische Erklärung. Zur Etymologie als Instrument der gleichsam archäologischen Anknüpfung an die natürliche Sprache oder Umgangssprache in der Philosophie, speziell in ihren terminologischen Hinweisen und Reflexionen, sollen einige grundsätzliche Bemerkungen vorausgeschickt werden, die dann konkretisierend auf den mittelalterlichen Gesetzesbegriff, exemplarisch wiederum bei Thomas von Aquin, zurückzubeziehen sind. IV. Funktion und Relevanz etymologischer Zur ückführ ung en Die Bezeichnung ‚Etymologie‘ (etymologia) steht einerseits für die sprachwissenschaftliche Disziplin der Zurückführung von Wörtern auf ihre Herkunfts- oder Ursprungselemente im Sinne bedeutungsrelevanter Bestandteile, andererseits für diese Elemente bzw. Bestandteile selbst. Die Suche nach dem etymologischen Ursprung eines Wortes reflektiert den Wandel, dem es örtlich und zeitlich ausgesetzt ist, und macht gleichsam ein sprachlich-kulturelles Erbe transparent. Als Mittel der Suche nach der Richtigkeit bzw. Bedeutungsadäquatheit von Wörtern als Namen spielt die etymologische Untersuchung seit jeher eine wichtige Rolle24. Wenn es um terminologische Erklärungen in der Philosophie geht, sind etymologische Zurückführungen verbreitet und weisen eine enorme Vielfalt auf. Wie aufschlußreich sind sie eigentlich? Die bekannte Erklärung von ‚Philosophie‘ durch die etymologische Zurückführung auf ,fílov‘ und ,sofía‘ wird in der Philosophiegeschichte von zahlreichen Autoren für erwähnenswert gehalten, wobei diese Autoren jenseits ihres übereinstimmenden etymologischen Rückgriffs aber zu erheblich verschiedenen Wesens- und Aufgabenbestimmungen der Philosophie gelangen. Wahrheitstheoretische Untersuchungen setzen bis in die Neuzeit 23 24

Cf. Kap. II. Cf. dazu einführend J. Trier, Wege der Etymologie (Philologische Studien und Quellen, Heft 101), Berlin 1981, 9–36; zur Etymologie speziell in ihren Zusammenhängen zur Philosophie bzw. zur philosophischen Terminologie cf. I. Opelt, Etymologie, in: Th. Klauser (ed.), Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 6, Stuttgart 1966, 797–844; W. Sanders, Grundzüge und Wandlungen der Etymologie, in: Wirkendes Wort 17 (1967), 361–384; K. Grubmüller, Etymologie als Schlüssel zur Welt? Bemerkungen zur Sprachtheorie des Mittelalters, in: H. Fromm/ W. Harms/U. Ruberg (eds.), Verbum et signum, Bd. 1. Beiträge zur mediävistischen Bedeutungsforschung, München 1975, 209–230; R. Bernecker, Etymologie, in: G. Ueding (ed.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 2, Darmstadt 1994, 1543–1556.

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hinein bei den bereits vorphilosophisch gebräuchlichen griechischen Wörtern ,a¬lhjäv‘ und ,a¬läjeia‘ an, um die schon von Sextus Empiricus in ,Adversus mathematicos‘ 8, 8 erwähnte etymologisch-anschauliche Bedeutung von ,Unverborgenheit‘ zum Ausdruck zu bringen. Da dann aber durchaus unterschiedliche, von jeder Etymologie unabhängige Sachanalysen folgen, drängt sich hier ebenso wie bei ‚Philosophie‘ der Eindruck eines Eigenlebens der etymologisch erschließbaren Termini, eine Entfremdung von ihren archaischen Bestandteilen auf. Der etymologische Rückgriff selbst erweist sich jedenfalls nicht schon als Erklärungsmodell oder Theoriekomponente, sondern eher als Richtungsweisung oder provisorische Explikation. Eine weit tiefer gehende Bedeutung mißt allerdings Martin Heidegger der genannten etymologischen Zurückführung bei, die aus seiner Sicht den eigentlichen Schlüssel für ein adäquates Wahrheitsverständnis liefert: „Wenn wir a¬läjeia statt mit ‚Wahrheit‘ durch ‚Unverborgenheit‘ übersetzen, dann ist diese Übersetzung nicht nur ‚wörtlicher‘, sondern sie enthält die Weisung, den gewohnten Begriff der Wahrheit im Sinne der Richtigkeit der Aussage um- und zurückzudenken in jenes noch Unbegriffene der Entborgenheit und der Entbergung des Seienden.“ 25 John L. Austin, der Begründer der Sprechakttheorie, vertritt entsprechend die Auffassung, daß Wörter, mögen sie sich auch noch so weit von ihrer wortgeschichtlichen Herkunft entfernen, davon niemals völlig unabhängig sind, wie er unter der Überschrift „Etymologie im Schlepptau“ und unter Hinweis auf die bleibende Abhängigkeit eines Wortes von seiner „ursprüngliche[n] Bildung“ bzw. Etymologie betont: „Der alte Grundgedanke bleibt trotz aller Veränderungen, Erweiterungen und Zusätze zu seiner Bedeutung erhalten, und es ist […] so, daß diese von diesem Grundgedanken durchdrungen und bestimmt werden.“ 26 Austins Bild der bleibenden Bedeutungsrelevanz der Etymologie von Wörtern verweist nicht zuletzt auf die vorterminologische Erblast von Fachausdrücken, die sich ihrer etymologischen Herkunft auch über komplexe doktrinale und begriffsgeschichtliche Entwicklungslinien hinweg verbunden zeigen. Jene bleibende Bedeutungsrelevanz des etymologischen Substrats von Wörtern wird bekanntlich in Heideggers unsere „unmittelbare Erfahrung“ nur vortäuschende „Krypto-Terminologie“, wie Theodor W. Adorno sie nennt 27, besonders intensiv genutzt. Dagegen widerspricht der Sprachwissenschaftler Mario Wandruszka dem Anspruch, der so genannten „Bildungsdurchsichtigkeit“ einen Verstehensgewinn zuzuschreiben, da er im forcierten Etymologisieren „eine der Grundkräfte der Sprache“, nämlich die „zur Vereinzelung und Verselbständigung

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M. Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, Frankfurt a. M. 1949, 15. Zu Heideggers etymologischer Zurückführung von ‚Wahrheit‘, seinem etymologischen Verfahren im Gegensatz zu „sprachgeschichtliche[n] Ableitungen“ im Sinne des „Fachetymologen“ sowie seiner Tendenz zu einem „übertriebenen Gebrauch“ jenes Verfahrens cf. Trier, Wege der Etymologie (nt. 24), 33. J. L. Austin, Wort und Bedeutung. Philosophische Aufsätze, München 1975, 209; cf. ibid., 338, wo Austin bemerkt: „[…] kein Wort vergißt je völlig seine Ursprünge.“ Adorno, Philosophische Terminologie (nt. 9), 28.

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des Wortes“, mißachtet sieht 28. Wer sich darüber hinwegsetzt, daß „in einem bestimmten Augenblick […] a¬läjeia für die Griechen eben nicht mehr ‚Unverborgenheit‘ war, sondern ‚Wahrheit‘“, läuft nach Wandruszka in die Falle, daß man, „um die Bedeutung eines Wortes philosophisch zu vertiefen, Gegenwart, Vergangenheit und Vorvergangenheit ineinander projiziert“ 29. Die Bildung eines Ausdrucks kann aus heutiger Sicht „bedeutungslos, unverständlich, ja oft genug widersinnig“ geworden sein, ein Rückgriff auf die Etymologie kann das Verständnis erschweren, und wir sollen darauf verzichten, „den gegenwärtigen geläufigen Sinn eines Wortes mit längst vergangenen Bedeutungen anzureichern und zu übersättigen“ 30. Die spezialisierte und kodifizierte, mitunter deformierte Bedeutung eines aus der Normalsprache gewonnenen Fachterminus hat sich oft genug von seiner sprachgeschichtlich rekonstruierbaren Herkunft bis zur Unkenntlichkeit gelöst. Den gegensätzlichen Auffassungen Austins und Wandruszkas ist eine je relative Berechtigung zuzuschreiben: Einerseits können Termini in ihrem doktrinalen Bedeutungskern unverändert bleiben, und ihre etymologische Zurückführung wäre entsprechend von bleibender Relevanz. Andererseits können Termini in derart unterschiedliche Theoriebildungen eingehen, daß ihre etymologische Zurückführung jeden sachhaltigen Bezug dazu einbüßt. Tatsächlich dürfte das Urteil von Fall zu Fall, von Wort zu Wort, von Etymologie zu Etymologie, unterschiedlich ausfallen. Versuche etymologischer Wortzurückführung begegnen uns schon in vorterminologischen Bereichen wie der frühen griechischen Dichtung. Bereits im 5. vorchristlichen Jahrhundert integrieren Heraklit und Parmenides etymologische Betrachtungen in ihre Untersuchungen der Sprache und der Sprache-Welt-Relation. Heraklit gilt als der wohl erste Philosoph, der von natürlichen Wortbedeutungen ausging, die er als Teil eines umfassenden metaphysischen Sinngeflechts verstanden wissen wollte. Die Vorstellung natürlicher Wortbedeutungen wurde spätestens zur Zeit der Sophistik des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. Gegenstand kritischer Diskussion. Wie die Sophisten sich in der Frage nach Werten, ihrem Status und ihrer Seinsweise, nicht mehr mit dem Verweis auf die Natur zufrieden gaben, so wurde auch die Frage nach der Bezeichnungsfunktion sprachlicher Ausdrücke mit dem Gedanken der Konvention konfrontiert. Die Auseinandersetzung zwischen Naturalismus und Konventionalismus ist in Platons ‚Kratylos‘ ausführlich dokumentiert, wobei die Position der natürlichen Wortrichtigkeit u. a. anhand zahlreicher etymologischer Beispiele illustriert wird. An die etymologischen Perspektiven des ‚Kratylos‘ knüpfen wiederum die stoischen Sprachlehren an, die ihrerseits seit Alters her etymologische Untersuchungen hervorbrachten. In ihnen gilt die Sprache als natürliches System, dessen einzelne Bestandteile wesentlich auf

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M. Wandruszka, Etymologie und Philosophie, in: H.-E. Keller (ed.), Etymologica. Walther von Wartburg zum siebzigsten Geburtstag, 18. Mai 1958, Tübingen 1958, 857–871 (867, 860). Ibid., 860, 870. Ibid., 861, 864.

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die Natur des Bezeichneten bezogen sind. Bereits bei dem Stoiker Chrysipp kommt ‚Etymologica‘ in dem beschriebenen Sinn erstmals als Titel eines selbständigen philosophischen Werks vor 31. Im Dienst etymologischer Fragen steht auch die frühmittelalterliche Tradition von Enzyklopädien, die bis ins 13. Jahrhundert fortlebt. Ein prominentes Werk dieses Genres ist die offenbar von dem nicht erhaltenen ‚Liber de etymologiis‘ Cassiodors angeregte, um 630 entstandene Enzyklopädie des Isidor von Sevilla unter dem Titel ‚Etymologiarum sive Originum Libri XX‘ – gleichsam eine umfassende (wenngleich unvollendet gebliebene) Realenzyklopädie des menschlichen Wissens. In ihr kommt paradigmatisch eine Tendenz zum Ausdruck, die mit der spätantiken und mittelalterlichen Philosophie oft schlagwortartig verbunden wird, daß nämlich Wissen weitgehend in Bücherwissen bestehe, weshalb die ersten Informationen zu einer Sache zunächst einmal in Wortwissen aufgehe. Etymologische Erklärungen dienen der Vorbereitung, Ergänzung oder Stützung von Sachanalysen. Besonders die Philosophie des Mittelalters ist bekannt für ihre Tendenz zu etymologischen Zurückführungen im allgemeinen und von Fachtermini im besonderen. So wird etwa das Wort ‚persona‘ durch zahlreiche Autoren wie Petrus Abaelardus, Gilbert von Poitiers, Alexander von Hales, Bonaventura und Albertus Magnus von ‚per se una‘, ,durch sich selbst eines‘, hergeleitet. Thomas von Aquin, der die genannte Etymologie ebenfalls anführt 32, erläutert den Vorgang der Reflexion (reflexio) unter Rückgriff auf das Verb ‚reflecti ‘, ‚zurückbeugen‘ 33; die Natur (natura), von ‚nasci ‘, ‚entstehen‘, ‚geboren werden‘, ist nach Thomas strenggenommen als ‚nascitura‘ zu bezeichnen34; das Wort ‚religio‘ leitet er von (1) ‚relectio‘ bzw. ‚relegere‘, ‚immer wieder lesen‘, von (2) ‚reeligere‘, ‚erneut wählen‘, und von (3) ‚religare‘, ,zurück-, anbinden‘, her – die erste Variante unter Rekurs auf Isidor, der seinerseits Cicero zitiert, die zweite und dritte unter Rekurs auf Augustinus35. Das Wort ‚intellectus‘ verweist für Thomas auf ‚intus legere‘, ‚im Inneren lesen‘, da der Intellekt im Gegensatz zu den auf die äußeren Eigenschaften verwiesenen Erkenntnisvermögen, i. e. sensus bzw. cognitio sensitiva und imaginatio, das Innerste bzw. die Washeit eines Dinges erkenne 36. Das uns hier besonders interessierende Nomen ‚lex‘ leitet Thomas von dem Verb ‚ligare‘, ‚binden‘, 31

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Cf. Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen VII, 200, sowie K. Barwick, Probleme der stoischen Sprachlehre und Rhetorik (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse, Band 49, Heft 3), Berlin 1957, 60 sq. Thomas von Aquin, Summa theologiae, I, 29, 4. Die eigentliche Analyse der Bezeichnungsfunktion (significatio) des Terminus ‚persona‘ in Summa theologiae, I, 29, 3, erfolgt jedoch unabhängig von dieser Etymologie; cf. auch nt. 47. Thomas von Aquin, De veritate, 1, 9; cf. 1, 5, ad 5; zu ‚reflexio‘ cf. Summa theologiae, I, 76, 2, ad 4. Thomas von Aquin, Summa theologiae, III, 2, 1. Thomas von Aquin, Summa theologiae, II-II, 81, 1. Dieses Beispiel zeigt besonders deutlich den Umgang des Thomas mit tradierten Etymologien. Thomas von Aquin, De veritate, 1, 12; Summa theologiae, II-II, 8, 1.; cf. II-II, 49, 5, 3: „[…] nomen enim intellectus sumitur ab intima penetratione veritatis […]“.

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her, dem es die Konnotation der Verbindlichkeit für das Handeln verdanke, führt es aber unter Berufung auf Isidor zusätzlich auf ‚legere‘ – ,lesen, auf-, aus-, durch-, vorlesen‘ – zurück 37: Als Niedergeschriebenes (scripta) gewährleistet das Gesetz gleichsam die beständige, in die Zukunft reichende Bekanntgabe; derjenige, der bei der aktuellen öffentlichen Bekanntgabe eines Gesetzes, seiner Kundgabe in mündlicher Form, nicht anwesend ist, kann in seine Deklaration einbezogen werden. Aus der Zurückführung von ‚lex‘ auf ‚legere‘ ergibt sich sogar eine etymologische Verbindung von ‚intellectus‘ und ‚lex‘. Keine Berücksichtigung findet bei Thomas das Wort ‚legare‘, ,gesetzlich verfügen‘, das sich evidenterweise seinerseits der Herleitung von dem Wort ‚lex‘ verdankt 38. V. Etymologie und Wahrheitsanspr uch Etymologische Zurückführungen verweisen auf ein didaktisch zu nennendes Konzept: Wer die Etymologie eines Wortes kennt, wird ihm dadurch Informationen über die bezeichnete Sache entnehmen und diese so leichter, aber auch sachgerechter begreifen können. Entsprechend sind besonders in der stoischen Tradition Hinweise auf einen spezifischen Anspruch verbreitet, der mit etymologischen Erklärungen oder Herleitungen von Wörtern einhergeht – den Anspruch auf Wahrheit. Die Stoiker verstanden unter ‚etymologia‘ die sprachphilosophische Aufgabe, das jedem Wort eigene ,et¢ umon‘, die ‚Wahrheit‘, herauszufinden. Der etymologisierende Wahrheitsanspruch kommt noch im heutigen Sprachgebrauch darin zum Ausdruck, daß man etwa sagt, ein Terminus bedeute eigentlich oder genaugenommen das, was dann etymologisch entschlüsselt wird. So sagt man etwa, ‚Subjekt‘ leite sich von ‚subicere‘ her und bedeute eigentlich das Darunter- oder Zugrundeliegende. Cicero, der wiederholt (manchmal kritisch) die stoischen Wortherkunftsuntersuchungen erwähnt 39, setzt nicht nur ‚etymologia‘ mit ‚notatio‘ (als Verbindung von ‚nota‘, gr. ‚symbolon‘, und ‚originatio‘) gleich, sondern betont den mit Etymologien verbundenen Wahrheitsanspruch, indem er den Terminus ‚etymologia‘ mit ,veriloquium‘, ‚Wahrrede‘, übersetzt 40. 37 38

39 40

Thomas von Aquin, Summa theologiae, I-II, 90, 1; 90, 4, ad 3. Zu weiterführenden Literaturangaben und etymologischen Informationen zu ‚lex‘, auch zu dem altnordischen ,lag‘, das auf das englische ,law‘ und das deutsche ,legen‘ vorausweise, sowie zu ,jesmóv‘ (cf. nt. 12) als dem griechischen Herkunftsbegriff zu dem deutschen ‚setzen‘ und ‚Gesetz‘ cf. Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht, 3. Bd., 1. Abt., Basel–Stuttgart 1963, 308 sq., bes. nt. 4. Cf. ferner P. Stein, Regulae iuris. From Juristic Rules to Legal Maxims, Edinburgh 1966, 9 sq., und A. A. Schiller, Roman Law. Mechanisms of Development, The Hague–Paris– New York 1978, 221–224. Cf. Cicero, De officiis, I, 23; De natura deorum, III, 62 sq. Cicero, Topica, VIII, 35. An anderer Stelle bezeichnet Cicero die Etymologie als „enodatio nominum“ (De natura deorum, III, 62) oder „verborum explicatio“ (Academici libri quattuor, I, 32). Zu einer Kritik der Übersetzung ‚veriloquium‘, vor der es nach Quintilian, Institutio oratoria I,6,28 Cicero selbst graust, cf. W. Ax, Quintilians Grammatik (Inst. Orat., I, 4–8), Text, Übersetzung und Kommentar, Berlin 2011, 274 sq.

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Während also etymologische Zurückführungen dem Anspruch nach eine besondere Eignung, Valenz, Authentizität, und, folgen wir der stoischen Tradition, sogar Wahrheit sprachlicher Ausdrücke zum Vorschein bringen sollen, sind sie andererseits auffallend häufig uneindeutig, fragwürdig oder falsch. Beispielsweise verbindet Plato das Wort ,nómov‘ etymologisch sowohl mit ‚dianomä‘ (Verteilung) als auch mit ‚noûv‘ (Vernunft) 41. Tatsächlich ist aber ,nómov‘ nur mit ,dianomä‘ und insofern mit ,némein‘ (ver-, zuteilen) verwandt, während zwischen ,nómov‘ und ,noûv‘ allenfalls lautliche (und nach Plato auch aitiologische) Verbindungen bestehen. In den aristotelischen Schriften finden sich vergleichbare Beispiele verfehlter Etymologien42. Für Augustinus kommt ‚verbum‘ von ‚verberare‘ (treffen, schlagen), während ‚nomen‘ sich von ‚noscere‘ (erkennen) herleite43. Damit hebt Augustinus bei ‚nomen‘ die begriffliche, bei ‚verbum‘ die sinnlich faßbare Seite der Wörter hervor und nennt, von dieser anscheinenden Willkür abgesehen, an anderer Stelle zusätzlich die wohl von Varro stammende Erklärung des Wortes ‚verbum‘ aus ‚verum‘ (Wahres) bzw. ‚verum boare‘ (Wahres ausrufen); die Entscheidung über die zu bevorzugende Deutungsversion überläßt er bezeichnenderweise dem Urteil des Lesers44. Heinrich von Gent leitet das Wort ‚res‘ sowohl von ‚ratitudo‘ (Festigkeit, Bestimmtheit) als auch von ‚reor, reris‘, i. e. von ‚reri‘ (meinen, glauben), her und erschließt aus diesen beiden – etymologisch ersichtlich verbundenen – Ursprungswörtern jeweils verschiedene Bezeichnungsfunktionen45. Die bereits erwähnte Zurückführung von ‚intellectus‘ auf ‚intus legere‘ bei Thomas von Aquin korrigiert Joseph Endres und stellt ihr die im ‚Etymologischen Wörterbuch‘ von Walde und Hofmann angebotene Zurückführung auf ‚inter-legere‘ (dazwischen wählen, unterscheiden), gegenüber 46. Etymologien und entsprechende Uneindeutigkeiten, Unsicherheiten oder Fehler finden sich bei Autoren unterschiedlichster Strömungen bis in die Philosophie der Neuzeit und Gegenwart. Denkt man an Heidegger, dann kann man den Eindruck gewinnen, daß in der Philosophie zum Zweck der terminologischen Klärung mehr wortspielerische, zweifelhafte oder falsche als wahre bzw. richtige Etymologien angeboten werden.

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Plato, Nomoi, 714 a 1 sq. Cf. I. Craemer-Ruegenberg, Die Naturphilosophie des Aristoteles, Freiburg–München 1980, 51, 59. Augustinus, De magistro, V, 12. Augustinus, De dialectica, 6, 9, ed. J. Pinborg, Dordrecht–Boston 1975, 92, 16–18: „Ergo ad te iam pertinet iudicare, utrum ‚verbum‘ a verberando an a vero solo an a verum boando dictum putemus.“ Cf. H.-I. Marrou, Augustinus und das Ende der antiken Bildung, Paderborn 21995, 112 sq., wo Augustinus’ etymologischen Rückgriffen eine Tendenz zur „Kuriosität“ nachgesagt wird, und K. Kahnert, Entmachtung der Zeichen? Augustin über Sprache (Bochumer Studien zur Philosophie, Band 29), Amsterdam–Philadelphia 2000, 95, wo Augustinus’ Etymologien zu ,nomen‘ und ,verbum‘ als „sehr konstruiert“ bezeichnet werden. Heinrich von Gent, Summa quaestionum ordinariarum, 75, 6, ed. J. Badius, Paris 1520 (repr. Louvain–Paderborn 1953), vol. II, fol. 312 E. J. Endres (ed. u. komm.), Die Deutsche Thomas-Ausgabe, Band 17 B: Die Liebe (2. Teil), Klugheit, Heidelberg–Graz–Wien–Köln 1966, 392.

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Der Grund für das Auftreten der vielen fragwürdigen Etymologien ist nicht ohne weiteres klar. Mehrere Erklärungen scheinen prinzipiell möglich: (1) Die Autoren sind wortgeschichtlich defizitär informiert und halten falsche für richtige Etymologien. (2) Die Autoren bieten mit der Intention aufschlußreicher Assoziationen Pseudo-Etymologien an, wobei sie deren Wahrheit, also ihre Qualität als ‚Wahrrede‘, wie Cicero sagt, für unerheblich oder wenigstens zweitrangig halten. (3) Die Autoren beanspruchen, wahre Wortbedeutungen anzugeben, verstehen dabei ‚wahr‘ aber in einem eigenen Sinn, der weniger wortgeschichtliche Korrektheit als vielmehr bedeutungserschließende Adäquatheit vorsieht. (4) Die Autoren nehmen Worterklärungen vor, die wir für etymologische Zurückführungen halten, da sie der Form nach als solche auftreten, aber tatsächlich nicht als Etymologien, sondern als Explikationen, Paraphrasierungen, Assoziationshilfen oder ähnliches intendiert sind, also eher auf konzeptionelle Anbindung als auf historische Herleitung zielen. Einiges spricht dafür, daß alle vier Hypothesen wechselnd oder in Kombinationen als Erklärung prima facie problematischer Etymologien in Frage kommen. Daß mittelalterliche Etymologien dem heutigen Leser oft rätselhaft erscheinen mögen, liegt – abgesehen von Merkwürdigkeiten einzelner Zurückführungen und dem unerklärten Nebeneinander unterschiedlicher Zurückführungen – daran, daß die Autoren mit Hinweisen zu Sinn und Zweck der Etymologien meist zurückhaltend sind. Bei Thomas von Aquin jedenfalls ist ein Ungleichgewicht zwischen den häufigen, variantenreichen etymologischen Zurückführungen und den seltenen, knappen Erklärungen zur Etymologie als solcher zu konstatieren. An einer der wenigen einschlägigen Textstellen unterscheidet Thomas ausdrücklich zwischen der Etymologie (etymologia) und der Bezeichnungsfunktion (significatio) eines Wortes, indem er erstere als das Woher (a quo) und letztere als das Wohin bzw. Wozu (ad quod) der Beilegung oder Imposition eines Wortes gegenüberstellt47. So werde das Wort ‚lapis‘ dem mit ihm bezeichneten Gegenstand von der Verletzung (a laesione) des Fußes her beigelegt, nicht aber zur Bezeichnung der Verletzung des Fußes; ‚lapis‘ dient deshalb nicht zur Bezeichnung der Verletzung des Fußes, weil sonst etwa auch ein Stück Eisen (ferrum), das gleichfalls den Fuß verletzt, durch ‚lapis‘ bezeichnet werden müßte48. Ähnlich argumentiert Thomas in seiner Ana47

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Thomas von Aquin, Summa theologiae, II-II, 92, 1, ad 2: „[…] dicendum, quod aliud est etymologia nominis, et aliud est significatio nominis. Etymologia enim attenditur secundum id a quo imponitur nomen ad significandum; nominis vero significatio attenditur secundum id ad quod significandum nomen imponitur.“ Zur Diskrepanz zwischen etymologia und significatio bei Thomas cf. Grubmüller, Etymologie als Schlüssel (nt. 24), 222–224, und Sanders, Grundzüge und Wandlungen (nt. 24), 383. Auf dasselbe Beispiel rekurriert Thomas, allerdings ohne die Kennzeichnung ‚etymologia‘, in Summa theologiae, I, 13, 2, ad 2. Die Frage der Austauschbarkeit von ‚lapis‘ und ‚laedens pedem‘ spielt in zahlreichen mittelalterlichen Abhandlungen zur Topik, i. e. der Lehre der Wahrscheinlichkeitsschlüsse, eine wichtige Rolle; cf. etwa William of Sherwood, Introductiones in logicam / Einführung in die Logik, textkritisch herausgegeben, übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von H. Brands und Ch. Kann, Hamburg 1995, 84 sq., 254. Die Unterscheidung des Woher (a quo) und des Wohin bzw. Wozu (ad quod ) der Beilegung oder Imposition eines Wortes benutzt Thomas auch bei der Erläuterung der Angemessenheit der Wörter ‚persona‘ und ‚hypostasis‘ in Bezug auf Gott in Summa theologiae, I, 29, 3, ad 2 und ad 3.

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lyse des Wortes ‚articulus‘, indem er die Zurückführung auf ‚arctare‘ (i. e. ‚artare‘, ‚zwingen, einengen‘) als lediglich gemäß irgendeiner Etymologie des Wortes („secundum quamdam etymologiam nominis“) gegenüber der aus dem Griechischen (nämlich von ‚arthron‘ als dem griechischen Entsprechungswort zu ‚articulus‘) abgeleiteten wahren Bezeichnungsfunktion abwertet49. Erst durch diese Klärung des Wortes ‚articulus‘ als „Gefüge von unterschiedlichen Teilen“ kommt man nach Thomas zu einem adäquaten Verständnis dessen, was einen Glaubensartikel ausmacht. Bemerkenswert ist jedenfalls, daß Thomas hier die Etymologie mit einer Herleitung aus dem Lateinischen, die kein großes Gewicht besitze („non est magni ponderis“), und die eigentliche oder wahre Bezeichnungsfunktion mit einer Herleitung aus dem Griechischen assoziiert. Der Erklärungswert einer etymologischen Zurückführung scheint jedenfalls von der Wahrheit im konkreten wortgeschichtlichen Sinn weitgehend unabhängig zu sein. Autoren, die Etymologien mit der Intention fachterminologischer Klärung anbieten, sind nicht schon dadurch widerlegt, daß man ihnen eine im wortgeschichtlichen oder sprachwissenschaftlichen Sinn falsche Zurückführung nachweist. Indem Autoren eine solche anbieten, wollen sie mitunter weniger eine tatsächliche wortgeschichtliche These formulieren als vielmehr die Absicht zum Ausdruck bringen, wie sie ein Wort bzw. einen Terminus verstehen oder verstanden wissen wollen. In diesem Sinne können, wie an den Zurückführungsvarianten für ‚verbum‘ bei Augustinus, ‚res‘ bei Heinrich von Gent und ‚religio‘ bei Thomas von Aquin zu zeigen war, für ein und dasselbe Wort sogar unterschiedliche Etymologien angeboten werden, die sich nicht widersprechen müssen und auch nicht gegeneinander auszuspielen sind. Durch den Nachweis unterschiedlicher Zurückführungsoptionen läßt sich das vielfältige Bedeutungsspektrum bzw. Verweisungspotential eines Wortes aufzeigen. Gehen wir hierzu nun näher auf Thomas’ etymologische Zurückführungen im Rahmen seiner terminologischen Analyse des Gesetzesbegriffs ein. VI. Ter minologie und Etymolo gie von ‚lex ‘ bei T homas von Aquin Thomas führt ,lex ‘, wie gesagt, in Ia-IIae, q. 90, a. 1, seiner ‚Summa theologiae‘ zunächst auf ‚ligare‘ zurück, weil das Gesetz für das Handeln verbindlich sei, i. e. das Handeln auf das Gesetz verpflichte (obligat). Für diese Etymologie nennt Thomas keine Quelle. Möglicherweise kannte er sie von ihrem Urheber Cassiodor und dessen Psalmenkommentar her, der, wie Otto Hermann Pesch anmerkt, in der ‚Summa theologiae‘ viermal zitiert wird 50. Insofern kann Thomas die genannte 49 50

Thomas von Aquin, Summa theologiae, II-II, 1, 6, ad 3. Cf. O. H. Pesch, (ed. u. komm.), Die Deutsche Thomas-Ausgabe, Band 13: Das Gesetz, Heidelberg–Graz–Wien–Köln 1977, 473. Die ‚lex‘-Etymologie bei Cassiodor, Expositio in Psalterium, I, 2 (Migne Patrologia Latina 70, 29D), lautet „Lex enim dicitur ex eo quod animos nostros liget […]“.

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Etymologie aus eigener Lektüre ihres Herkunftstextes geläufig gewesen sein, oder aber aus den Schriften seiner Zeitgenossen, da sie sich bei Albertus Magnus, Bonaventura und Roger Bacon ebenso findet wie in der ihm zweifellos bekannten ‚Summa‘ des Alexander von Hales. Besonders bemerkenswert ist für Pesch, daß Alexander, der beide Etymologien, ‚ligare‘ und ‚legere‘, nennt und unmittelbar durch „uno modo“ und „alio modo“ gegenüberstellt, dabei auf das zweite Buch der ‚Etymologiae‘ des Isidor von Sevilla hinweist, während sich tatsächlich bei Isidor nur und wiederholt die Zurückführung auf ‚legere‘ findet51. Auf diese zweite Etymologie, die Pesch, ähnlich wie bereits Otto Schilling, als die „sachlich richtigere“ ansieht52 greift Thomas dann in Ia-IIae, q. 90, a. 4, ad 3, mit Quellenangabe zurück, was Pesch zu einer komplexen Hypothese veranlaßt: „Hat er [Thomas] also beide Ableitungen durch die SH [‚Summa Halensis‘] bzw. deren Vorlage kennengelernt, das Isidor-Zitat nachgeprüft, nur die Ableitung von legere bestätigt gefunden und demgemäß mit Quellenangabe verzeichnet, die andere Ableitung von ligare aber trotzdem verwendet, wenn auch ohne Quellenangabe, weil diese Ableitung ihm überzeugend und nützlich schien?“53 Wichtiger als eine Entscheidung dieser von Pesch offen gelassenen Frage ist sein Rückgriff auf Prädikate wie „überzeugend“ und „nützlich“. Offensichtlich meint auch Pesch, daß es bei dem Rückgriff auf Etymologien nicht allein und vielleicht nicht einmal vorrangig um jene Richtigkeit oder Wahrheit geht, die ihn, wie erwähnt, ‚legere‘ als die „sachlich richtigere“ Option bezeichnen ließ. Vielmehr greift Thomas, wie unser Beispiel deutlich macht, jeweils auf diejenige Etymologie zurück, die ihm für das, was er als begrifflich-terminologisches Moment zum Ausdruck bringen oder betonen will, passend erscheint. Entsprechend haben die beiden Zurückführungen jeweils ihren plausiblen systematischen Ort. In q. 90, a. 1, wo es um das Gesetz als Vernunftanordnung geht, führt Thomas ‚lex‘ auf ‚ligare‘ zurück; in q. 90, a. 4, wo es um das Gesetz und seine öffentliche Bekanntgabe, promulgatio, geht, führt Thomas ‚lex‘ auf ‚legere‘ zurück. Alexander von Hales dagegen erläutert umgekehrt die promulgatio-Bestimmung mit dem Hinweis auf ‚ligare‘54, was gegen Peschs Hypothese 51

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Die von Pesch, op. cit., 473 sq., genannten Textstellen sind Summa Halensis, III, 2, 224 (Summa theologica, tomus IV, St. Bonaventure 1948, 315), sowie Isidors Etymologiae, II, 10, 1; V, 3, 2 (Migne Patrologia Latina 82, 130C; 199A). Pesch, op. cit., 474; O. Schilling, Die Staats- und Soziallehre des Heiligen Thomas von Aquin, München 21930, 169, nt. 5. Cf. auch Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin (nt. 16), 106, nt. 21, der ‚ligare‘ als „linguistisch unzutreffend[e]“ und ,legere‘ als „linguistisch korrektere“ Herleitungsversion bezeichnet. Die Verbindung von ,lex‘ und ,legere‘ findet sich außer bei den von Pesch als Quellen genannten Cicero und Augustinus auch bei Varro, De lingua Latina VI, 66. Pesch, op. cit., 474. Erwähnt sei, daß Alexander an der erwähnten Textstelle (cf. nt. 51) beide Etymologien jeweils noch sprachanalytisch ausdifferenziert: „[…] Secundum quod [lex] dicitur a legendo, extenso nomine lectionis non solum ad lectionem temporalem, sed ad lectionem secundum quod legitur in mente, sic lex est in dispositione. Lex autem, prout est in promulgatione, dicitur a ligando. Primo ergo modo est aeterna, secundo modo non. Tamen potest distingui, cum dicitur: ‚Lex ligat‘, quia ‚ligare‘ potest sumi active vel passive. Si active, sic lex aeterna in Deo dicitur a ligando; secundum quod accipitur passive dicitur respectu creaturae. […].“

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spricht, nach der die ‚Summa Halensis‘ Thomas’ Vorlage für die beiden ,lex‘-Etymologien gewesen sein könnte. Hätte sich Thomas an der ‚Summa Halensis‘ orientiert, dann vermutlich in der Weise, daß die Zuordnung der beiden Etymologien zu den Bedeutungskomponenten mit der des Alexander übereinstimmen würde. Thomas’ Zurückführung von ‚lex‘ auf ‚ligare‘ in einem corpus articuli und auf ‚legere‘ in der Antwort auf ein videtur quod belegt jedenfalls, daß beide Etymologien nicht nur referiert werden, sondern seiner eigenen Lehrmeinung zuzurechnen sind. Indessen stellen einige Interpreten seit jeher Thomas’ vermeintliche Präferenz für die eine oder die andere Zurückführungsversion heraus. So bemerkt Hans Meyer, daß Thomas den Terminus ‚lex‘ von ‚ligare‘ und nicht von ‚legere‘ ableite, „wenn er auch letztere Ableitung gelegentlich für seine Zwecke verwendet“55. Stephen L. Brock betont ebenfalls den Zusammenhang von ‚lex‘ und ‚ligare‘ bzw. ‚ligatio‘ und sieht in der Bindungs- bzw. Verbindlichkeitsbedeutung die eigentliche ratio nominis des Gesetzesbegriffs56. Umgekehrt stellt Otto Schilling fest: „Da Thomas in seiner Definition den Zwangscharakter nicht als Begriffsmoment erwähnt, so ist daraus zu schließen, daß er diesen nicht als wesentliches und konstitutives, sondern nur als konsekutives Element ansieht.“57 Brock begründet seine These damit, daß Thomas die responsio in q. 90, a. 1, mit der Zurückführung auf ,ligare ‘ beginnen läßt, während die Zurückführung auf ‚legere‘, wie gesagt, erst in der Antwort auf ein videtur quod in q. 94, a. 2, folgt – ein vermutlich bereits für Meyer leitender Gesichtspunkt. Indessen ist einzuwenden, daß der Anfang der responsio kaum als die eigentliche, konkludierende, sondern als einleitende, hinführende Textstelle anzusehen ist, weshalb auch Schillings Bemerkung, der „Zwangscharakter“ sei ein in der Definition selbst nicht vorkommendes „konsekutives“ Begriffsmoment, wenig überzeugt. Thomas hätte seine responsio kaum mit dem Hinweis auf ein „konsekutives“, also ein sich erst aus anderen, primären Charakterisierungen ergebendes Moment beginnen lassen. Festzuhalten bleibt, daß Thomas die unterschiedlichen Etymologien an den jeweiligen Stellen bzw. in den beiden Artikeln weder zufällig noch im Sinne einer Priorisierung der einen oder der anderen nennt: Die Zurückführung auf ‚ligare‘ stützt für Thomas die Bestimmung (1) der Vernunftanordnung, und zwar mit ihrer Konnotation der Verbindlichkeit, die Zurückführung auf ‚legere‘ stützt für Thomas die Bestimmung (4) mit ihrer Konnotation der öffentlichen Bekanntgabe. Daß die Richtigkeitsoder Wahrheitsfrage der etymologischen Zurückführung gegenüber der Frage

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H. Meyer, Thomas von Aquin, Bonn 1938, 512 sq. S. L. Brock, Obligation, Legislation, and the Common Good: Metaphysical Considerations from Thomas Aquinas, http://bib26.pusc.it/fil/p_brock/obligation.pdf, 1 sq., (10.02.2013). Cf. auch Rhonheimer, Praktische Vernunft (nt. 21), 532, für den hier weniger „eine ‚Verpflichtung‘ im heute gebräuchlichen Sinne“ als vielmehr „wohl eher der präzeptive, gebietende und zum Handeln ‚antreibende‘ Charakter jedes Gesetzes“ angesprochen sei. Schilling, Die Staats- und Soziallehre (nt. 52), 170. Diese Auffassung wird affirmativ aufgenommen von Reimer, Lex und ihre Äquivalente (nt. 16), 41 sq.

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nach dem jeweils Passenden zurücktritt, wird dadurch bestätigt, daß Thomas selbst die Etymologien weder auf ihre Richtigkeit oder Wahrheit hin thematisiert noch die beiden Etymologien in eine direkte Konkurrenz zueinander setzt, was der insgesamt geringen Gewichtung der mit Etymologien verbundenen Wahrheitsansprüche bei Thomas entspricht 58. Offenbar also geht es Thomas weniger um eine wortgeschichtlich oder philologisch korrekte Herleitung als vielmehr um eine Methode der Verdeutlichung, wie er das Wort ‚lex‘ jeweils, im Sinne seiner unterschiedlichen Bedeutungskomponenten, verstanden und begrifflich-terminologisch akzentuiert wissen will. Trifft dieser Befund zu, dann ist Thomas’ zweifache Etymologie von ‚lex‘ nicht so rätselhaft, wie sie auf den ersten Blick scheinen mag und von Pesch zum Anlaß für seine komplexe Zurückführungshypothese genommen wird. Hinzu kommt, daß das Nebeneinander von mehreren etymologischen Erklärungsvarianten bereits für die antike Etymologie durchaus typisch ist. Nach Plato „sieht auch wohl, wer sich auf die Wörter versteht, nur auf das Bedeutsame als ihre Kraft und wird nicht irre, wenn wo ein Buchstabe hinzugetan oder weggenommen oder versetzt ist, oder wenn auch in ganz andere Buchstaben die Kraft des Wortes gelegt ist“59. Entsprechend ist für Varro, dem sich die Übermittlung der genuin griechischen Disziplin der Etymologie nach Rom wesentlich verdankt, der Etymologe legitimiert, bei der Erklärung eines Wortes einzelne Buchstaben wegzunehmen (demptio), hinzuzufügen (additio), umzustellen (traiectio) oder auszutauschen (commutatio), um die eigentliche Wortbedeutung hervortreten zu lassen60. Die so ausdifferenzierte und systematisierte etymologische Methode sieht also die der Buchstabenfolge nach ähnliche, aber semantisch unterschiedliche Zurückführung programmatisch vor. Sie blieb über die Antike und über das gesamte Mittelalter hinweg einflußreich und eröffnet Autoren wie Thomas von Aquin entsprechende Spielräume in der Handhabung des etymologischen Verfahrens. VII. Fazit Der Begriff des Gesetzes bewegt sich wie zahlreiche in der Philosophie gebräuchliche Ausdrücke im Überschneidungsbereich von Normalsprache und Fachterminologie. Philosophische Fachtermini werden oft in der Weise definiert, daß die spezielle, terminologisch zu fixierende Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks aus dem Gesamtbereich seiner sonstigen Verwendungen isolierend herausgehoben wird. Daß sie diesem Gesamtbereich aber, wie etwa Wittgenstein, Gadamer, Heidegger, Wieland und von Weizsäcker in unterschiedlicher Weise betonen, latent verpflichtet bleiben, manifestiert sich u. a. in ihrer Etymologie. 58 59 60

Cf. Kap. V. Plato, Kratylos 394 b (übers. F. Schleiermacher, Hamburg 1957). Cf. Varro, De lingua Latina VII, 1. Cf. dazu auch Sanders, Grundzüge und Wandlungen (nt. 24), 362, 365.

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Seit jeher bedienen sich Philosophen gerne etymologischer Zurückführungen, die eine besondere Transparenz speziell von fachterminologisch zu klärenden Ausdrücken herstellen sollen. Mit etymologischen Analysen ist mindestens seit der Stoa ein besonderer Wahrheitsanspruch der Bedeutungserklärung verbunden. Inwiefern Etymologisierungen tatsächlich ein Erklärungswert zukommt oder nicht, wird im 20. Jahrhundert Gegenstand gegensätzlicher Auffassungen etwa bei Austin und Wandruszka, die einerseits den konstanten wortgeschichtlichen Hintergrund und Bedeutungskern sowie andererseits die Absonderungstendenz und Eigenständigkeit sprachlicher Ausdrücke betonen. Auch und gerade die scholastischen Autoren arbeiten immer wieder mit etymologischen Worterklärungen, wie sich paradigmatisch am mittelalterlichen Gesetzesbegriff zeigen läßt. Thomas von Aquin kann sich in seinen Überlegungen zum lex-Begriff auf prominente Quellen wie Isidor von Sevilla und Alexander von Hales berufen, ohne aber die tradierten Zurückführungen auf ‚legere‘ und ‚ligare‘, wie uns die Thomas-Interpreten Meyer, Schilling und Brock suggerieren, tatsächlich in Konkurrenz zueinander zu setzen. Die sporadischen expliziten Ausführungen des Thomas zur Etymologie bieten keine Anhaltspunkte hinsichtlich der Frage, mit welchen Motiven variierende Etymologie verbunden sein mag. An seiner Einführung des Gesetzesbegriffs zeigt sich exemplarisch, daß der von Cicero betonte Wahrheitsanspruch etymologischer Herleitungen offenbar nicht auf eine strenge wahr/falsch-Dichotomie hin zuzuspitzen ist, wie sie latent im Hintergrund steht, wenn Pesch zwei Herleitungen von ‚lex‘ vergleicht und zu Thomas’ mutmaßlichen Quellen zurückverfolgt. Peschs Vorgehen mag aus einem historisch-philologischen Kommentatoreninteresse heraus plausibel sein, spiegelt aber den Umgang des Thomas mit seinen autoritativ verbürgten Bezugstexten kaum adäquat wieder. Der Gebrauch, den Thomas von den beiden Etymologien macht, verdankt sich offenbar weniger einer aus anspruchsvoller philologischer Quellennutzung gewonnenen Präsenz, sondern einer unbefangenen Gebrauchsoder Interpretationspräsenz: Wortbedeutungen, soweit sie Thomas traditionell geläufig und sachlich betonenswert scheinen, werden unter Rückgriff auf jeweils passende Etymologien transparent gemacht. Diese bilden keine strikten, an Wahrheitsansprüchen orientierten Deutungsalternativen, sondern lassen unterschiedliche, durchaus gleichrangige Komponenten hervortreten, die Thomas für die fachterminologische Klärung des Gesetzesbegriffs zur Geltung bringen will 61.

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Ich danke Monika Steffens für wertvolle Hinweise und für die kritische Durchsicht des Manuskripts.

Deux formes de théocratie* R B (Paris/München) Nos démocraties sont engagées dans une lutte dans laquelle elles ont à combattre sur plusieurs fronts. Un ennemi que l’on place volontiers au premier rang de ceux qui l’attaquent est souvent caractérisé comme étant la théocratie. Le combat est censé se livrer entre démocratie et théocratie. Pour l’étymologie, comme on sait, cela signifie : le pouvoir du peuple contre le pouvoir de Dieu. Dans cet article, je vais essayer de nuancer cette opposition en montrant que le véritable problème est la nature de la Loi. Les deux conceptions de la Loi qui se font face reposent sur une base commune qui est l’idée d’une Loi divine1. De la sorte, nos démocraties s’avèreront être, elles aussi, une sorte de théocratie. Mais la divinité de la loi n’est pas pensée de la même façon dans tous les cas. Ces conceptions ont été forgées au Moyen Âge, ce pour quoi le thème du présent congrès prend une brûlante actualité. I. La signification originelle de « théocratie » Dans le langage de tous les jours, et n’en déplaise aux lexicographes, « théocratie » a pris une nuance péjorative 2. Appeler un régime « théocratique » revient à l’insulter. On définit communément comme une « théocratie » un régime politique dans lequel le pouvoir est détenu par une sorte de caste sacerdotale, recrutée sur la base de l’orthodoxie de ses membres par rapport à une croyance religieuse quelconque. Dans l’Iran d’après Khomeiny, par exemple, on caractérise ce qu’on appelle là-bas « gouvernement du légiste » (wilaya-e faqih) comme une théocratie parce que les clercs shiites (mollahs) détiennent le pouvoir, soit directement, soit indirectement par l’intermédiaire du « Conseil de la Révolution » qui vérifie la con*

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Il existe de cet article une version anglaise et une version allemande : Are Non-Theocratic Regimes Possible?, in : The Intercollegiate Review, 41-1 (2006), 3–12; Ist ein anderes Regime als Theokratie möglich?, in : D. Gottstein/H. R. Sepp (eds.), Polis und Kosmos. Perspektiven einer Philosophie des Politischen und einer Philosophischen Kosmologie. Eberhard Avé-Lallemant zum 80. Geburtstag, Würzburg 2008, 58–73. J’ai appris qu’il existait une traduction tchèque : Mu˚zˇ e existovat vláda, která není teokratická?, tr. Eduard Geissler, Prague, Obcˇ ansky´ institut, 2006 [non vidi]. Je reprends ici quelques idées de mon livre: La Loi de Dieu. Histoire philosophique d’une alliance, Paris 2005. Cf. Oxford English Dictionary, s.v.

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formité à l’Islam de chaque loi proposée par le gouvernement et contrôle l’orthodoxie de tout candidat à de hautes fonctions. D’une telle théocratie, nous n’avons guère envie. Pourtant, à l’origine, « théocratie » était loin d’être un mot péjoratif. Au contraire, quand il fut forgé pour la première fois, il était tout à fait décidément censé être un terme élogieux. Cela se produisit au premier siècle de notre ère. Le créateur de l’expression fut l’historien juif Flavius Josèphe. Né Joseph b. Mattatyahu, il combattit les Romains, fut capturé par eux, changea de camp et fut adopté par la famille de l’empereur Vespasien. Outre ses œuvres historiques sur la guerre à laquelle il avait pris part, et sur l’histoire juive en général, il écrivit une défense du judaïsme en réponse à l’œuvre polémique d’un égyptien nommé Apion. Dans cette apologie, Josèphe fait l’éloge de l’œuvre législative de Moïse en faisant valoir que, seul parmi toutes les nations, le Peuple juif, qui respecte cette loi, ne vit pas sous l’un des types de régime politique qui ont été définis par les philosophes grecs, mais directement sous les commandements de Dieu. Par suite, la cité fondée par Moïse n’est ni une monarchie ni une démocratie, mais ce que Josèphe appelle « jeokratía », le pouvoir de Dieu3. Le seul souverain d’Israël est Dieu, plus précisément la Loi de Dieu. Telle est d’ailleurs la signification de la théocratie qui serait acceptée par les régimes islamiques existant déjà, et celle dont rêvent ceux qui souhaitent donner force d’institution à ce qu’on appelle la « sharia ». II. La théocratie occidentale : l’idée de loi divine Bien que nous ayons coutume de regarder de haut les « théocraties » présentes ou passées, nos systèmes de législation sont, ou ont été (je reviendrai sur ce point) en un certain sens également théocratiques. Ils sont, ou ont été, fondés en dernière instance sur des conceptions qui sont d’origine théologique. L’idée d’une Loi divine n’est pas absente de notre propre tradition occidentale. Bien au contraire, elle est emphatiquement présente dans les deux sources de celle-ci ou, pour reprendre une expression éculée, à « Athènes » comme à « Jérusalem », pas seulement dans l’Ancien Testament, mais aussi chez Sophocle, Platon, Cicéron, etc. Ou, en tout cas, cette idée n’était pas absente jusqu’à une date relativement récente, puisque le dernier auteur important à avoir mentionné une Loi divine parmi les différents types de lois qu’il distinguait fut John Austin, un disciple de Bentham, dans ses conférences de 1832 sur la jurisprudence4. Ce qui est exceptionnel dans l’histoire intellectuelle de l’Occident, ce sont plutôt les deux derniers siècles, pendant lesquels l’idée d’une Loi divine est sortie de notre – champ de vision.

3 4

Cf. Flavius Josèphe, Contre Apion, II, 16, § 165, ed. T. Reinach, Paris 1930, 86. Cf. J. Austin, The Province of Jurisprudence Determined, ed. H. L. A. Hart, Indianapolis 1998.

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Cependant, même si cette idée était présente dans une grande partie de notre tradition, elle s’est développée selon des lignes qui n’ont pas grand-chose à voir avec la façon dont l’islam comprend ce qu’une loi divine (sharia) est ou devrait être. Il me faut donc comparer brièvement l’idée de Loi divine en Occident et dans l’islam. Je commencerai par notre propre tradition. Je prendrai comme fil conducteur l’œuvre de Thomas d’Aquin, d’une part à cause de son immense réception, parfois dans des lieux inattendus comme chez Martin Luther King 5. Mais surtout parce que l’évolution médiévale de l’idée occidentale de Loi divine me semble, à moi comme à beaucoup d’autres, y avoir été synthétisée et atteindre son sommet. Dans le Traité des Lois de sa « Summa theologiae », Thomas distingue quatre sortes de loi : la loi peut être éternelle, naturelle, divine ou humaine6. La Loi éternelle n’est autre que la loi par laquelle Dieu lui-même vit et à laquelle il est en quelque sorte soumis : la charité. La Loi divine est, en gros, le contenu législatif de l’Ancienne et de la Nouvelle Alliance. La quatrième espèce de loi, la loi humaine, désigne les tentatives de l’humanité pour appliquer à des peuples divers dans des circonstances variables la loi naturelle de la raison qui reflète la Loi éternelle de Dieu. Il me faut m’étendre plus longuement sur ce que Thomas d’Aquin entend par la troisième sorte de loi, la « loi naturelle ». En effet, il n’entend pas par là ce que le mot en est venu à désigner dans les temps modernes, à savoir la fiction d’un état de choses pré-politique dans lequel les êtres humains auraient été gouvernés par leur seul désir de conservation. Les représentations de la nature qui sont sous-jacentes à la pensée politique classique et à sa version moderne sont diamétralement opposées. C’est ce que Leibniz a remarqué contre Hobbes: « Selon Aristote, on appelle naturel ce qui est le plus convenable à la perfection de la nature de la chose; mais M. Hobbes appelle l’état naturel celui qui a le moins d’art, ne considérant peut-être pas que la nature humaine dans sa perfection porte l’art avec elle »7. Pour Thomas d’Aquin, la loi naturelle est la loi qui émane, non pas de la Nature en général, mais bien de la nature de l’homme. Or, cette nature ne signifie pas la dimension brute ou (prétendument) purement biologique des êtres humains. Elle est bien plutôt exprimée par la définition classique de l’homme comme « animal rationnel ». Dans cette définition, ce qui exprime le mieux l’humanité de l’homme n’est pas son aspect animal, que l’homme partage avec certains autres êtres vivants, mais ce que Thomas d’Aquin appelle ratio, mot qui avait été choisi pour rendre de façon standard le grec lógov. En conséquence, la Loi naturelle a deux aspects : pour tout ce qui est animal en l’homme et dans les autres êtres vivants, elle signifie la même chose que pour 5 6 7

M. L. King, Lettre de la prison de Birmingham, 16 avril 1963. Thomas d’Aquin, Summa theologiae, I-II, q. 90–97. Leibniz, Essais de Théodicée, II, § 220, in : Œuvres Philosophiques, ed. P. Janet, Paris 1900, vol. 2, 234.

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Hobbes ou même pour Épicure, à savoir le souci de la conservation de soi 8. Mais dans le cas de l’homme comme tel, la Loi naturelle est située dans la ratio, c’est-àdire dans la raison et dans la liberté. La Loi naturelle est la Loi rationnelle. Maintenant, Thomas d’Aquin définit la Loi naturelle comme « une participation de la Loi éternelle dans la créature rationnelle » (« participatio legis aeternae in rationali creatura »). De la sorte, puisqu’elle reflète la Loi éternelle, la loi naturelle est, comme telle, divine 9. Elle n’est pas moins divine que les écrits de l’Ancien et du Nouveau Testaments, dont l’apport législatif vise à rappeler à l’humanité la loi naturelle qu’elle n’aurait pas dû oublier. III. La théocratie occidentale: l’idée de conscience Bien sûr, nous ne fondons plus aujourd’hui nos efforts pour faire des lois capables de satisfaire les exigences de la justice sur l’idée d’une Loi divine, révélée ou même naturelle. Nous préférons parler de la conscience morale de l’homme. C’est là le résultat d’une histoire longue et sinueuse. Il y a des historiens qui ont tenté de la raconter, et je n’ai pas l’intention de le refaire ici en moins bien qu’eux10. Il me faut pourtant rappeler ici que l’idée de conscience fut longtemps conçue comme la trace en l’homme de quelque chose de divin. Dans un passage célèbre, Rousseau fait s’exclamer son vicaire Savoyard : « conscience, instinct divin, immortelle et céleste voix ! »11 Mais l’idée d’un lien entre la conscience et le divin n’est pas nouvelle et n’a, en particulier, rien à voir avec les Lumières, période pendant laquelle Rousseau, comme on sait, était plutôt un marginal qu’un auteur représentatif. L’idée se rencontre dans l’Antiquité aussi bien qu’au Moyen Âge, parmi les philosophes païens aussi bien que chez les Pères de l’Église ou les Scolastiques. Le premier à voir dans la conscience quelque chose de divin fut probablement le philosophe stoïcien Sénèque, qui écrit : « Dieu (ou un dieu) est proche de toi, avec toi, en toi. Un esprit sacré a son siège en nous. Il est l’observateur et le gardien de nos bienfaits et de nos méfaits »12. Les premiers mots font étrangement écho à un célèbre passage du Pentateuque selon lequel la Loi est « toute proche de toi, dans ta bouche et dans ton cœur » (Deutéronome, 30, 14).

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Cf. Thomas d’Aquin, Commentaire de l’Éthique à Nicomaque, V, lect. 12, § 1019, ed. R. Spiazzi, Turin 1964, 280a. La même distinction est présente chez des juristes antérieurs. Cf. Thomas d’Aquin, Summa theologiae, I-II, q. 91, a. 2, c; ad 1m; a. 4, début. Cf. P. Prodi, Una storia della giustizia. Dal pluralismo dei fori al moderno dualismo tra coscienza e diritto, Bologne 2000. Rousseau, Émile, IV, in: Œuvres complètes, edd. B. Gagnebin/M. Raymond , Paris 1969, vol. 4, 600. Sénèque, Ad Lucilium epistolae, 41, 1–2, ed. L.D. Reynolds, Oxford 1965, t. 1, 108 : « prope est a te deus, tecum est, intus est. […] sacer intra nos spiritus sedet, malorum bonorumque nostrorum observator et custos ».

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Le passage du paganisme au christianisme n’affecta pas cette idée de façon sensible. Au contraire, Paul reprit l’idée stoïcienne de conscience (suneídhsiv), censée remplir la même fonction pour les Païens que la Loi de Moïse pour les Juifs (Romains, 2, 15). Puisque la Loi de Moïse vient de Dieu, on est autorisé à supposer, par analogie, que la conscience a la même origine. Augustin a explicitement identifié la voix de la conscience avec la voix de Dieu. « Il n’est aucune âme, si corrompue soit-elle, tant qu’elle peut raisonner, dans la conscience de laquelle Dieu ne parle. Car qui a écrit la loi naturelle dans le cœur des hommes, si ce n’est Dieu? »13 Bien sûr, l’idée du divin sous-jacente à ces différentes déclarations sur la conscience et son origine dans un principe « divin » n’est pas une seule et même chose. Le Dieu de Sénèque est le Zeus stoïcien, lequel ne se distingue pas radicalement du monde qui émane de lui. Nous possédons en notre poitrine l’étincelle divine de la conscience parce que, littéralement parlant, notre âme constitue une étincelle du feu créateur primitif qui est identique à Dieu. Il y a loin de ceci au Dieu de Paul, d’Augustin et de Thomas d’Aquin. Ce dernier est le Dieu de la Bible, qui ne s’adresse pas seulement à la conscience humaine par une voix silencieuse intérieure, mais qui entre dans le cours de l’histoire, d’abord en Israël sous la première Alliance, et à la plénitude des temps dans la vie de Jésus. Ce Dieu biblique est celui qui, lorsque la Loi de la nature et/ou de la raison a été recouverte ou oubliée, la rappelle à la conscience en donnant à Moïse les Dix Commandements. IV. La démocratie et ses f ondements théocr atiques Quoi qu’il en soit, que l’idée sous-jacente soit la Loi ou la conscience, les deux ont des fondements théologiques. De la sorte, nos idéaux démocratiques d’un règne de la Loi ou d’une conscience morale dont on suppose qu’elle fonctionne en dernière instance dans l’esprit de chaque être humain, qu’il ou elle soit citoyen, juge or quoi que ce soit d’autre, ces idéaux ont une origine théologique. Certains aspects des origines médiévales de la démocratie peuvent être, et ont effectivement été, reconnus par l’histoire. Par exemple, les historiens nous rappellent que nos procédures modernes d’élection ont été tout d’abord élaborées dans des couvents. Les moines élisaient leurs supérieurs, tout spécialement dans les ordres mendiants comme les Dominicains et les Franciscains, selon la règle de la majorité.

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Augustin, De Sermone Domini in monte, II, 9, 32 (PL 34, 1283 [c] ; CCSL 35, 122, 695–699) : « Nam quando illi ualent intellegere nullam esse animam quamuis peruersam, quae tamen ullo modo ratiocinari potest, in cuius conscientia non loquatur deus ? Quis enim scripsit in cordibus hominum naturelem legem nisi deus ? ». Cf. Sermo XII, IV, 4 (PL 38, 102).

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Quel est le fondement ultime de cette confiance dans le vote? Elle devient compréhensible si nous pensons que le principe du choix moral en l’homme, à savoir la conscience, fut longtemps considéré comme participant à une qualité divine. La loi, dans un régime occidental, provient de la volonté du peuple. Le peuple est constitué d’êtres humains libres dont on suppose qu’ils savent que faire parce qu’ils écoutent la voix de leur conscience. De ce fait, la Loi se fonde en dernière analyse sur la conscience morale de l’homme. Au fond du principe « one man, one vote », il y a donc le proverbe rebattu vox populi, vox Dei. La formule se lit pour la première fois sous la plume d’Alcuin, le moine anglais que Charlemagne, dans les premières années du e siècle, avait invité à sa cour et chargé d’organiser le système de l’éducation14. C’était là plus qu’une simple façon de parler. Au e siècle, le cardinal et philosophe Nicolas de Cuse défendit l’avantage donné aux Conciles (plus qu’au Pape) pour incarner le principe de l’infaillibilité dans l’Eglise en disant que le critère du caractère divin d’une décision est le fait que le peuple s’est mis d’accord sur lui : « Toute autorité légitime provient d’un accord sur un choix et d’une soumission libre. Il y a dans le peuple une semence divine en vertu de leur naissance commune et du droit naturel, égal en tous les hommes, de telle sorte que toute autorité, laquelle vient de Dieu comme le fait l’homme lui-même, est reconnue comme divine quand elle provient du consentement commun des sujets »15.

V. L’idée islamique de loi divine Passons maintenant à la conception islamique d’une Loi divine. Selon l’islam, établir la loi, « légiférer », signifie que l’on attribue aux actions une valeur (« hukm ») qui est inséparablement juridique et morale. En principe, toute action humaine sans exception se laisse ranger dans l’une de cinq cases: strictement obligatoire, louable mais non obligatoire, permis, blâmable mais non interdit, strictement interdit. Or, le seul pouvoir qui puisse attribuer une valeur aux actions humaines est Dieu. En conséquence, le seul législateur (« hâkim ») qui puisse exister est Dieu. C’est ainsi que s’exprime al-Ghazali dans son traité sur les principes de la Loi islamique, ce par quoi il ne représente rien de plus que l’opinion commune16. Dans certains cas, pas très nombreux, Dieu a émis de façon explicite des décisions d’ordre juridique, dans le Coran. C’est le cas à propos du mariage, de l’héritage, du droit pénal. Cependant, dans l’immense majorité des cas, les dispositions juri14 15 16

Alcuin d’York, Epistolae, 166, 9 (PL, 101, 438). Nicolas de Cuse, De concordantia catholica, III, 4, § 331, ed. G. Kallen, in : Opera Omnia, vol. 14, Hambourg 1963–1968, 348. Cf. e.g. al-Ghazali, Al-Mustasfa min ‘ilm al-usûl, ed. I. M. Ramadân, Beyrouth s.d., vol. 1, 222sq.

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diques doivent être déduites, soit du Livre, soit du corpus des Traditions sur Mahomet (« hadith »), soit de la combinaison des deux ensembles, auxquels s’ajoutent d’autres sources de droit, qui diffèrent selon les quatre écoles juridiques (parfois appelées « rites ») communément acceptées. Le système de règles qui se fonde en dernière instance sur ces sources divines et humaines est la Loi islamique, la sharia. Il faut ici distinguer, et prendre en compte un argument souvent invoqué. Il n’existe pas, et il n’a jamais existé, une sharia toute d’un bloc. Ce qui existe est une pluralité de systèmes juridiques, qui proposent des sources coraniques et autres diverses interprétations, toutes humaines17. En revanche, une idée est présente partout et toujours dans l’islam, et c’est celle selon laquelle Dieu exerce une activité législatrice. En deçà de la pluralité des sharias (ou des « sharâ’i’ », pour les puristes), il y a ce qu’on pourrait appeler le « shar’ », le fait pour Dieu d’imposer à ses créatures une loi positive exigeant l’obéissance comme condition du salut18. En toute hypothèse, et même pour certains auteurs dits modernistes, la conscience humaine, sans l’aide de la volonté révélée de Dieu, ne suffit jamais pour distinguer adéquatement entre le bien et le mal 19. L’argument des partisans de la sharia ne manque pas de force contraignante. Il se ramène à la formule de saint Pierre devant le Sanhédrin : « Il vaut mieux obéir à Dieu qu’aux hommes » (Actes, 5, 29). En chrétienté, dès le e siècle, Hobbes a assuré un fondement à la philosophie politique moderne en prenant comme cible implicite de sa critique la déclaration même de saint Pierre que je viens de citer et que, bien entendu, il ne cite que rarement 20. Selon lui, tant que nous pouvons prétendre qu’il existe une autorité plus élevée que l’Etat séculier, par exemple l’Eglise, tant que nous pouvons redouter des sanctions pires que la mort, c’est-àdire l’enfer, la vie politique manque de toute base ferme. Hobbes s’est efforcé de montrer qu’il n’y a aucune autre façon d’obéir à Dieu que d’obéir à l’autorité temporelle sous laquelle nous vivons. Il a pu le faire parce que nous ne sommes jamais sûrs que notre inspiration privée provienne de Dieu et parce que la Bible peut s’interpréter de différentes manières. La même opération serait très difficile en Islam. En effet, si Dieu en personne a parlé, plus précisément s’Il a dicté un Livre à un Envoyé, si, de plus, Il a choisi et « purifié » (« mustafâ ») ledit envoyé de telle façon que sa vie entière aura la valeur d’un « bel exemple » (Coran, XXXIII, 21) pour la conduite des hommes, pourquoi devrions-nous faire confiance à nos propres pouvoirs ? C’est d’autant moins vraisemblable que, de l’aveu de tous, les capacités de la raison humaine sont limitées.

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Cf. e.g. M. Rohe, Das islamische Recht. Geschichte und Gegenwart, Munich 2009, 9–16. Cf. Wilfred Cantwell Smith, The Concept of Shari’a among some Mutakallimun, in : G. Makdisi (ed.), Arabic and Islamic Studies in Honor of H. A. R. Gibb, Cambridge, Mass. 1965, 581–602. Cf. e.g. M. ‘Abduh, Risâla al-Tawhîd [1897], Beyrouth 1986, 85, 95. Hobbes, Leviathan, III, ch. 39, ed. M. Oakeshott, Oxford 1960, 306; ch. 42, 378.

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En conséquence, on peut voir plus clairement sur quel point l’Occident et l’Islam s’opposent. Ils ne s’opposent ou ne s’opposaient pas sur l’origine dernière de la législation. Les deux se fondent ou se fondaient en dernière instance sur des choses divines. En revanche, ils s’opposent sur la manière dont la Loi est divine. Les façons dont les deux conçoivent celle-ci et le rôle que Dieu joue par rapport à la loi sont, et ont toujours été, à cent lieues l’une de l’autre. Cela dépend en dernière analyse de la façon dont les deux religions conçoivent la Parole de Dieu : dans les deux religions bibliques, Dieu parle à travers l’histoire, à travers la voix de la conscience et, selon les Chrétiens, dans la vie de Jésus comme Verbe incarné (Jean, 1, 1. 14) ; dans l’islam, Dieu parle dans la parole écrite du Livre. J’insiste sur le fait que ces représentations de la Parole de Dieu, et donc de la Loi divine, étaient différentes dès le début. L’Occident et l’Islam n’ont jamais été d’accord sur ces points fondamentaux, même pas au Moyen Âge. Peut-être n’ont-ils jamais été si profondément en désaccord qu’au Moyen Âge. On pourrait même pousser le paradoxe jusqu’à dire que certains aspects des idées politiques modernes sont davantage en harmonie avec les idées islamiques que ne l’étaient les théories de l’Occident médiéval. Qu’on songe par exemple à la façon dont Rousseau prononce l’éloge de Mahomet, qui n’a pas pratiqué la funeste distinction entre le spirituel et le temporel 21. En conséquence, il nous faut prendre congé de la supposition paresseuse selon laquelle l’islam ne serait rien de plus que quelque chose de « médiéval » qui, simplement, n’aurait pas (encore) pu négocier le virage que l’Occident a pris à l’époque moderne. VI. La démocratie, un problème secondaire Nous pouvons maintenant retourner au conflit que j’ai mentionné au début. Le régime politique qui fait face à la théocratie est-il vraiment la démocratie ? Le vrai problème est-il la démocratie ? Le manque de démocratie est un fait dans tous les pays islamiques, en tout cas avant le « printemps arabe », et d’ailleurs aussi dans beaucoup de pays qui n’ont rien d’islamique. Qui plus est, nous devons tous admettre que ce que nous appelons nos démocraties sont loin d’être des régimes idéaux, et la plaisanterie de Churchill, quelque rebattue qu’elle soit, conserve toute sa validité. Je soutiens donc : la question de la démocratie comme régime politique est secondaire. Vue à travers des yeux antiques et médiévaux, plus précisément sur la base de Platon et d’Aristote, la démocratie n’est rien de plus qu’un régime parmi six régimes possibles. C’est la domination du « peuple » (dñmov) tout entier, à la différence de celle d’un groupe minoritaire, qui s’appelle aristocratie, et de celle d’une seule personne, qui s’appelle monarchie. Chacun de ces régimes reçoit, selon la façon de voir antique, une qualification morale : la démocratie est la

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Rousseau, Contrat Social, IV, 8, in: loc.cit., t. 3 (1964), 462sq.

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version tolérable du gouvernement par le peuple, alors que sa corruption, la domination de la plèbe, s’appelle ochlocratie. De la même façon, l’aristocratie, qui devrait être le règne des plus vertueux, peut dégénérer en oligarchie, le règne de la minorité (le plus souvent, le règne des riches, c’est-à-dire la ploutocratie) ; et la monarchie, qui pourrait être le meilleur régime, peut dégénérer en la tyrannie, qui est le pire de tous 22. La démocratie, de même que les cinq autres régimes, relève du domaine de la science politique. Or, la science politique est elle-même une partie de la philosophie pratique, conçue comme l’art du gouvernement. Les penseurs du Moyen Âge divisaient cet art en trois parties 23. Le gouvernement peut être celui de l’individu, ce que nous appelons « éthique ». Il peut être le gouvernement du ménage (oi®kov), ce que les Anciens appelaient « économie », art qui concerne trois relations fondamentales : mari et femme, père et enfants, maître et esclaves 24. Finalement, le gouvernement peut être le gouvernement de la cité (póliv), et c’est là ce que nous appelons encore « politique ». Dans tous les cas, la philosophie pratique a pour objectif de répondre à la question du bon gouvernement: que dois-je faire pour gouverner comme il faut dans ces trois domaines. Quant à l’éthique : Comment dois-je me gouverner moimême ? Quant à l’économie, pour le dire dans des termes modernisés : comment dois-je traiter ma femme ? Comment dois-je élever mes enfants ? Comment doisje me comporter envers les gens dont je suis responsable dans mon entreprise ? Enfin, quant à la politique : comment dois-je me comporter comme citoyen, comme magistrat, etc. ? En conséquence, la démocratie est un régime parmi d’autres, à l’intérieur d’un domaine, celui du politique, qui est lui-même une partie d’un tout plus vaste, celui de la philosophie pratique. VII. La revendication islamique Or donc, la revendication islamique ne porte pas uniquement sur les questions politiques. Elle ne porte même pas tellement sur de telles questions. Sa revendication s’étend à l’ensemble du champ de ce que j’appellerais la « normativité », à toutes les règles de comportement : éthique, rapports familiaux, droit. L’islam comme tel, l’islam comme idée, n’a rien à reprocher à l’idée de démocratie, tant que la démocratie est un système défini de gouvernement, qu’il

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Cf. e.g. Aristote, Politique, III, 7. Cf. e.g. al-Kindi, in: Rosenthal, From Arabic Books and Manuscripts, VI, Istanbul Materials for al-Kindî and as-Sharakhsî, in: Journal of the American Oriental Society, 76 (1956), col. 27b et n. 6; Maïmonide, Traité de Logique, ch. 14; Thomas d’Aquin, Commentaire de l’Éthique à Nicomaque, I, 1, 6, ed. C. Spiazzi, Turin 1949, 4a; Nasir ud-Dîn Tusî, The Nasirean Ethics, ed. G. M. Wickens, Londres 1964, Préambule, 25, 28. Aristote, Politique, I, 3, 1253b 6–7.

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convient de distinguer de l’aristocratie, de la monarchie, etc. Certes, l’islam primitif, tel qu’on ne cesse de le raconter et de l’exalter comme le modèle d’un passé idéal, était une monarchie absolue : Mahomet régnait seul. Ou plutôt : Dieu seul régnait à travers lui. C’est ce que prétendirent faire également les Califes qui lui succédèrent. En outre, le monde islamique d’aujourd’hui consiste principalement en régimes monarchiques, quel que soit le nom dont ils se parent. On peut espérer que le « printemps arabe » y changera quelque chose, sans trop se bercer d’illusions. D’un autre côté, de nombreux penseurs musulmans, et pas seulement ceux qu’on appelle « modernistes » or « réformateurs », font remarquer que le Coran ne contient aucune indication claire sur le type de régime qui a la faveur de Dieu et se borne à demander qu’on obéisse « au Prophète et à ceux qui commandent » (IV, 59). Quelques-uns parmi eux soulignent le fait que certains califes furent élus par un comité (« shura »), voire qu’il arriva à Mahomet lui-même de demander conseil à autrui, faits dont ils déduisent non sans audace une préférence de l’islam pour la démocratie représentative, de type parlementaire 25. De plus, les mêmes auteurs aiment à mettre fortement l’accent sur certains traits de la vision du monde islamique que l’on peut caractériser comme égalitaires et les prennent comme points de départ pour développer l’idée démocratique. Nous pouvons pardonner quelques anachronismes dans leur argumentation ; nous pouvons regretter que l’égalitarisme islamique soit opposé à des caricatures du christianisme, par exemple, sur la signification de la vie monastique et sur le rôle des clercs dans l’Église. Quoi qu’il en soit, de tels traits démocratiques sont bel et bien présents dans l’islam : chaque être humain est responsable devant Dieu sans la médiation d’un quelconque dirigeant ou prêtre, etc. Rien n’empêche de les prendre comme pierres d’attente pour un régime politique en faveur du peuple. Mais quel type de peuple ? VIII. Démocratie, laocratie, ummacratie Je me suis efforcé de montrer que, dans une certaine mesure, nous vivons, ou en tout cas nous avons vécu sous une théocratie. Peut-être serait-il opportun de regarder de plus près la démocratie et de nous demander dans quelle mesure l’usage de ce nom est vraiment justifié. Les « démocraties » modernes s’appellent ainsi sur la base de concepts qui sont d’origine grecque. Or, il se pourrait bien que l’identité du mot dissimule un gouffre entre les temps anciens et modernes. Ce que nous appelons maintenant du nom de « démocraties » ne sont plus exactement des démocraties au sens grec du pouvoir du dñmov. Certaines différences crèvent les yeux, comme celle qui sépare démocratie directe et démocratie représentative. Mais j’en vois une plus profonde, qui concerne la nature même du peuple par lequel et pour lequel le pouvoir est censé s’exercer. Dans la Grèce antique, le dñmov des « démocraties » 25

Cf. e.g. H. Laoust, Le Califat dans la doctrine de Rashid Rida. Traduction annotée d’al-Hilâfa aw al-Imâma al-‘uzma (Le Califat ou l’Imâma suprême), Beyrouth 1938, 126.

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n’était guère plus qu’un club de mâles, adultes, de condition libre, et parfois même propriétaires d’esclaves, jouissant en tout cas des droits de citoyenneté dans une cité donnée 26. Quel est le sujet des démocraties modernes ? Il se peut que celles-ci ne soient pas conscientes de ce qu’elles sont en leur intime. Peut-être même ne veulent-elles pas reconnaître ce sur quoi elles se fondent. Je voudrais quant à moi reprendre une intuition du philosophe français Henri Bergson (1859–1941), pour lequel la démocratie est « d’essence évangélique » 27. Il me semble que le véritable sujet des démocraties modernes est le peuple tel qu’il est constitué par l’élection divine, qui donne à chaque personne d’avoir accès au Vrai et au Bien. Il y a dans le vocabulaire de la langue grecque un mot pour designer cette façon de concevoir le peuple. Il fut choisi par les auteurs de la traduction grecque de la Bible, les Septante. Afin de rendre l’hébreu « ‘am », et probablement pour éviter d’avoir recours à dñmov, aux connotations politiques trop manifestes, ils recyclèrent le terme épique lâov, qui était à leur époque plutôt démodé ou provincial. L’adjectif grec laikóv (« appartenant au laos ») donna le latin laicus, encore vivant dans les langues romanes, dans l’anglais lay, dans l’allemand Laie. Si je pouvais me permettre de forger un terme technique inélégant, je dirais que nos prétendues « démocraties » modernes sont en dernière analyse des laocraties. Par ailleurs, ce qui est demandé d’un peuple islamique est exprimé par le concept de « umma », la « nation » qui englobe et transcende les « ethnies » particulières (« sha’b »). Un peuple de ce genre est constitué par l’appel de Dieu (« da’wa ») et par la réponse à cet appel, qui consiste à prendre sur soi le joug de la loi (« sharia »). De nouveau, si je pouvais me risquer à fabriquer un autre néologisme, peut-être encore moins heureux, je dirais qu’une démocratie islamique, à supposer qu’elle puisse exister, serait une ummacratie. Dans un régime de ce genre, chacun des citoyens individuels serait gouverné, en dernière instance, non par sa conscience, mais par la loi positive de Dieu. Quant aux procédures techniques de choix par vote, etc. un tel régime ne se distinguerait guère d’un régime « laocratique » en style occidental. Mais son contenu serait très différent. Ainsi, le parlement d’un tel régime s’interdirait de prendre des dispositions législatives contraires à la version de la « sharia » en vigueur dans son pays. IX. La sécularisation de la conscience Nos démocraties d’aujourd’hui continuent à insister sur l’idée selon laquelle la conscience humaine constitue l’instance dernière. Mais elles ont tranché le fil qui reliait la conscience à la divinité, de telle sorte que le pouvoir de la conscience n’est plus tenu pour divin. La domination de la conscience a perdu sa dernière trace de théocratie. Ce fut le résultat d’un long processus, que je ne puis ici qu’es26 27

Cf. e.g. Aristote, Politique, IV, 4, 1290b 1. H. Bergson, Les deux Sources de la morale et de la religion, Paris 1932, 300.

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quisser. Pour faire bref, je ne mentionnerai que les cas les plus extrêmes, puisque bien des penseurs ont défendu des conceptions plus nuancées. Afin de dessiner une image complète, il me faudra arrondir plus d’un angle. On a remarqué que, dans l’exclamation de Rousseau que j’ai citée plus haut, le divin n’est déjà plus un substantif, mais un adjectif un peu vague 28. Fichte mentionne avec beaucoup d’emphase « la voix de la conscience à l’intérieur de moi qui me dit ce qu’il me faut faire dans chaque situation de ma vie » 29. Mais cette voix n’est plus directement celle de Dieu. Ce qui parle à travers notre conscience, bien sûr, est une « sublime volonté » qui est « en elle-même une loi ». Mais Fichte se garde bien de nommer Dieu comme l’origine de la conscience. Nous nous trouvons avec lui dans la nouvelle perspective inaugurée par Kant : la Loi morale n’est plus la monnaie du Bien qui est un aspect de Dieu. L’existence de celui-ci est l’un des principes qu’il nous faut postuler afin que le devoir s’accorde avec le bien, les autres postulats étant la liberté et l’immortalité de l’âme. Le dernier philosophe important dans la tradition continentale qui ait fourni une théorie de la conscience est Heidegger. Or, son interprétation de la conscience (« Gewissen ») évite systématiquement, et même exclut toute référence à des étants qui existent d’une autre façon que le Dasein humain, qu’il s’agisse de Dieu ou d’une Loi. Par le truchement de la voix de la conscience, le Dasein n’a à écouter aucun message qui lui viendrait du dehors ; il n’a même pas besoin qu’on lui rappelle qu’il y a quelque chose comme le Bien, comme des « valeurs », ou quel que soit le nom qu’on leur donne. La conscience ne fait que rappeler le Dasein à lui-même depuis sa dispersion dans l’existence inauthentique30. À l’heure actuelle, quand il est question de la « conscience », on se contente souvent de la démystifier comme n’étant que le résultat de la sélection naturelle, de la pression sociale, de souvenirs de nursery, ou que sais-je encore. Mais quand on continue à la mentionner, elle désigne dans la vie de tous les jours quoi que ce soit que l’individu décide ou plutôt croit décider selon son caprice. Que ce caprice soit rationalisé par telle ou telle idéologie ne fait guère de différence. X. Un régime radicalement non-théocr atique est-il possib le? Nos régimes actuels, dans le monde occidental, ne sauraient être dits laocratiques qu’en un sens plutôt pickwickien, du fait qu’ils ont traversé le processus que l’on appelle communément « sécularisation ». Ce concept soulève autant de questions qu’il n’en résout, mais je l’accepterai pour l’instant 31. Or, ce statut sécu28 29 30 31

Cf. plus haut n. 11. Fichte, Die Bestimmung des Menschen [1800], III, 4, in: Ausgewählte Werke, ed. F. Medicus, Darmstadt 1962, vol. 3, 394. Heidegger, Sein und Zeit [1927], Tübingen 1963, § 54, 269; § 57, 275, 278; § 59, 291. Cf. mon: La sécularisation est-elle moderne ?, in: M. Foessel/J.-F. Kervégan/M. Revault d’Allonnes (eds.), Modernité et sécularisation. Hans Blumenberg, Karl Löwith, Carl Schmitt, Leo Strauss, Paris 2007, 21–28.

Deux formes de théocratie

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larisé de nos démocraties est un problème. On peut en effet se demander si une communauté humaine, à long terme, peut continuer à se comprendre comme un lâov constitué de personnes capables de liberté et de vérité sans des soubassements théologiques à tout le moins implicites. En conclusion, j’aimerais donc poser une question désagréable : un régime radicalement non-théocratique est-il possible à long terme ? Si l’on prend le mot « théocratie » en son acception habituelle, celle du « gouvernement des hommes de religion », tant décrié, l’expérience des siècles démontre à l’évidence qu’un régime non-théocratique est possible. On pourrait même douter qu’il ait jamais existé quelque chose comme un régime théocratique. Même en Islam. On s’imagine souvent que cette religion ne pratique pas une distinction stricte entre le politique et le religieux. Il se peut que cela soit vrai au niveau des principes. Mais si l’on regarde les faits historiques, on voit que l’identité entre les pouvoirs religieux et politique, à supposer qu’elle soit plus qu’un rêve rétrospectif, n’a guère duré plus que la dizaine d’années pendant lesquelles Mahomet gouvernait personnellement ses sujets à Médine. Même pour un philosophe vivant sous domination islamique comme al-Farabi, l’existence de tels régimes appartenait à un lointain passé. Si nous devons faire confiance au témoignage d’auteurs postérieurs, Farabi aurait mentionné un régime qui se rapprochait de ce type de gouvernement, l’aurait appelé du nom de « régime de l’imam » (« imâmiyya »), et aurait dit qu’il avait existé dans la Perse antique, c’est-à-dire avant l’islam32. La question devient plus épineuse si nous prenons « théocratie » au sens d’un régime dans lequel on considère les normes comme reposant sur un fondement divin, qu’il s’agisse d’une Loi en style islamique ou de la conscience en style occidental. Depuis la pensée politique moderne, la source dernière de la légitimité politique est le contrat tacite entre citoyens. Certains auteurs contemporains risquent, implicitement ou explicitement, un pas de plus : un contrat de ce genre pourrait être la source dernière de toute norme, y compris les règles morales. Un tel contrat doit rester à l’intérieur des frontières de l’humanité. Il sert même à exclure quelque instance que ce soit qui pourrait revendiquer une origine extrahumaine. Or, cette exclusion radicale de toute instance extrahumaine a une conséquence de grand poids. Sur la base du contrat social, nous pourrions probablement construire un système de normes permettant aux êtres humains de vivre en paix les uns avec les autres. Il leur suffit pour cela de chercher leur intérêt, c’est-à-dire l’intérêt des individus qui sont actuellement en vie. D’où la permanence depuis Hobbes, qui l’a peut-être inventée, de la comparaison des joueurs assis autour

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Cf. Al-Farabi, cité dans Ibn Bâjja, Tadbîr al-Mutawahhid, 1, in: Opera metaphysica [arabe], ed. M. Fakhry, Beyrouth 1991 (2e ed.), 43; Averroès, Commentaire de la République de Platon, II, , 5, ed. E. Rosenthal, Cambridge 1969, 79 et Commentaire moyen à la Rhétorique d’Aristote [I, 8], ed. M. Aouad, Paris 2002, 69.

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d’une table et se mettant d’accord sur les règles du jeu 33. Ce qui présuppose un accord préalable : personne ne doit pouvoir mettre en doute le droit à prendre part au jeu des joueurs qui sont déjà là. Mais d’un autre côté, un contrat de cette sorte, précisément parce qu’il ne comporte aucun point de référence extérieur, ne peut pas décider la question de savoir si l’existence sur cette terre de l’espèce homo sapiens est une bonne ou une mauvaise chose34.

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Cf. Hobbes, Leviathan, II, 30, ed. M. Oakeshott, Oxford 1960, 227; cf. aussi Adam Smith, A Theory of Moral Sentiments, VI, , 2, 17, edd. D. D. Raphael/A. L. Macfie, Oxford 1976, 234. Cf. mon : Les Ancres dans le Ciel. L’infrastructure métaphysique, Paris 2011.

Zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft: Verbindungen zwischen dem russischen ,zakon‘ und dem tatarisch-persischen Rechtsdenken J K (Joensuu) I. Quellen des Rechtsdenkens Im westeuropäischen Kulturkreis sind wir der Überzeugung, daß Gesetze das Leben, die Gesellschaft und die Politik lenken. Wir haben genaue schriftliche Regeln, die alles regulieren und uns im voraus informieren, wie in Einzelfällen verfahren werden sollte. Den Hintergrund dazu liefert das römische Rechtsdenken, das schon früh das ius als ein irdisches Phänomen vom fas, das ein göttliches, ewiges Recht meinte, getrennt hat. Aus diesem Grunde konnte man als Richter (iudex) über Recht entscheiden (ius dicere) und auch neue Regeln (oder Gesetze) als administrative Beschlüsse (leges) erlassen. Das fas blieb immer im Wirkungskreis der Priester und hatte nur eine begrenzte Einwirkung auf das alltägliche Leben1. Ein solcher Gedankengang ist allerdings sehr außergewöhnlich. Schon früh gab es im Nahen Osten ein System, in dem religiöse Moralnormen das ganze Leben bestimmten. Die Normen sind gottgegeben, weswegen Priester und religiöse Leiter eine entscheidende Stellung bei der Auslegung ihrer und bei der Führung der Gesellschaft einnehmen. Ein Zusammenstoß der zwei Systeme ist eindeutig im Neuen Testament zu sehen 2. Im Mittelalter entwickelte sich ein westeuropäisches Staats- und Gesellschaftssystem auf der Basis des römischen Rechtsdenkens, was zu einer absoluten und souveränen Fürstenmacht und ihren Gesetzen führte. In Byzanz dagegen – durch starke persische Kulturverbindungen und ein caesaropapistisches Verwaltungssystem –, wie auch in der islamischen Welt, entwickelte sich eine gemeinschaftliche Gesellschaftsstruktur, die sich auf moralische Normen der Religion stützte. Die Herrscher vertraten die Macht Gottes oder waren sogar Priesterherrscher wie der byzantinische Kaiser. Sie waren Allmächtige, die Recht und Gesetz von ihrer Gnade aus vollstreckten3.

1 2 3

Fr. Prescendi, Fas, in: H. Cancik / H. Schneider (eds.), Der Neue Pauly – Enzyklopädie der Antike IV (1998), 432–433, Gottfried Schiemann, Ius, in: Der Neue Pauly VI (1999), 89–92. Act. 18:14–15, 25:16. D. Obolensky, The Byzantine Commonwealth. Eastern Europe, 500–1453, New York 1974, 15, 353–354, P. Magdalino, Introduction, in: P. Magdalino (ed.): New Constantines. The Rhythm of

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Eine Gesetzesstruktur des mongolischen Imperiums beruhte auf einer ‚törü‘. Die meinte sowohl ein Gesetz als auch eine Ordnung, Richtigkeit, Gewalt, Herrschaft, Regierung, Vernunft des Herrschers, Tradition und Sitten. Sie war die oberste Konstitution Gottes, die ein gutes Leben, Frieden und Ordnung auf der Erde garantierte. Obwohl der Herrscher das Monopol für die Auslegung der Normen des Alltags hatte, mußte er immer in seiner Regierung die ‚törü‘ beachten, weil der Herrscher nach der ursprünglichen Idee eine Garantie für die unparteiische Verwirklichung des Gesetzes darstellte. Wegen des zunehmenden persischen Einflusses wurde die Machtstellung des Herrschers erst später gestärkt, was seine Richterposition in die Richtung lenkte, daß er eine Richtigkeit nicht wegen seiner Pflichten, sondern aus Gnade verwirklichte4. Gesetz, Rechtsnormen und Tradition sind auch im Allgemeinen in zentralasiatischen Kulturen einer Gottesordnung gleichgesetzt 5. Eine Bekehrung der mongolischen Khanaten zum Islam bestärkte nur die Auffassung, weil die persischislamische Auffassung vom Gesetz (‚s¸erit/Scharia‘) sehr nahe daran war. Eigentlich bedeutete die Mongolenherrschaft in Osteuropa eine Bestärkung der türkischen Kultur 6. Die tatsächlichen Normen waren aber auch in diesen Gesellschaften nicht beständig, sondern wurden interpretiert, entwickelt und den neuen Umständen angepaßt. Lokale Rechtsnormen wurden nach einem lokalen Brauch formiert. Die Theorie forderte jedoch, alle Erneuerungen in Harmonie mit der universalen ‚törü‘ zu erklären7. Nun formierte sich die russisch-orthodoxe mittelalterliche Gesellschaft unter heterogenen Einflüssen aus verschiedenen Richtungen. Die russische Kultur ist nicht nur eine Transitionskultur zwischen dem östlichen und westlichen Christentum, sondern vor allem eine Transitions- und Integrationskultur zwischen dem Christentum und der Welt des Islam8. Frühmittelalterliche ostslawische Gesellschaften hatten bereits enge ökonomische und familiäre Beziehungen mit türkischen Steppenvölkern, obwohl literarische Quellen eine stereotypische und eschato-

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Imperial Renewel in Byzantium, 4th–13th centuries (Society for the Promotion of Byzantine Studies Publications 2), Aldershot 1994, 3–9, H.-G. Beck, Das byzantinische Jahrtausend, München 1978, 87–108, J. Niehoff-Panagiotidis, Byzanz und Islam – Von der Kontingenzbewältigung zur aneignenden Übersetzung, in: A. Speer / Ph. Steinkrüger (eds.), Knotenpunkt Byzanz. Wissensformen und kulturelle Wechselbeziehungen (Miscellanea Mediaevalia 36), Berlin–New York 2012, 126–130, H. I˙ nalcik, Suleiman the Lawgiver and Ottoman Law, in: H. I˙ nalcik, The Ottoman Empire: Conquest, Organization and Economy. Collected Studies, London 1978, 107–108, H. I˙ nalcik, The Ottoman Empire. The Classical Age 1300–1600, London 1994, 66–70, 111. R. Ju. Pocˇ ekaev, Pravo Zolotoj Ordy, Kazan’ 2009, 18–19, 21–24, 30–32 I˙ nalcik, Suleiman (nt. 3), 107–109. Pocˇ ekaev, Pravo (nt. 4), 20. Ch. J. Halperin, Russia and the Golden Horde. Mongol Impact on Medieval Russian History, Bloomington 1987, 28–32, I˙ nalcik, Suleiman (nt. 3), 107–109. Pocˇ ekaev, Pravo (nt. 4), 26–44. In diesem Beitrag verweisen die Begriffe ‚Russen‘ und ‚russisch‘ auf alle mittelalterlichen Ostslawen.

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logische Vorstellung von ‚Ismaeliten‘ vermittelten 9. Außerdem ging eine Staatsformierung unter den Polovcern im 12. Jahrhundert im Verhältnis zu Westeuropa nicht wesentlich zurück10. Diese hatte nur ihre eigenen Formen und ihre eigene Rechtskonzeptualisierung. Deswegen konnten die Polovcer den Russen beachtenswerte Muster im Reichsbau anbieten. Diese östliche Einwirkung wurde nach der Mongoleneroberung des 13. Jahrhunderts stärker und formaler. Fürsten bekamen von den Khanen Befehlsbriefe, ‚jarlyk‘, die ins Rechtssystem der russischen Fürstentümer inkorporiert wurden. Die orthodoxe Kirche und ihre normative Struktur waren nicht von dieser Entwicklung ausgeschlossen. Obwohl eine Umsetzung konkreter Normen sehr selten war, hatte die persisch-türkisch-mongolische Weise, die Normen als einen Teil der Gottesordnung zu sehen, auch das russische Rechtsdenken, die juristische Terminologie und die Konzeptualisierung der Normen beeinflußt 11. Die russische Gesellschaft war allerdings bereit für eine solche Rechtskonzeption, weil die Entwicklung der russischen Kirche seit dem Ende des 10. Jahrhunderts unter dem starken Einfluß des byzantinischen Kirchenrechts lag, als die byzantinische Metropolie in Kiew gegründet worden war. Weil die meisten Metropoliten bis zum Ende des 13. Jahrhunderts aus Byzanz kamen, bestärkten sie natürlich auch diese Sachlage noch mit ihrer eigenen Arbeit. Danach wurden die Beziehungen der kirchlichen Verbindungen noch enger12. Die byzantinische Rechtskonzeption hat schon früh Abstand von der des westlichen Christentums genommen. Letzten Endes hat der persische Kulturkreis starken Einfluß darauf genommen, und derselbe Kulturkreis hat dann auch die Kultur und Verwaltungsstruktur des Mongolenimperiums geformt 13. Seit dem ‚Nomokanon‘ von Photios (9. Jh.) wurden die byzantinischen Kanons, die allgemeine moralische Verfügungsprinzipien bedeuteten, den genauen Rechtsnormen vorgezogen. Darauf baute der Patriarch von Antioch Theodoros Balsamon seine eigene Normensammlung Ende des 12. Jahrhunderts auf, in der diese Normenauffassung klar erkennbar ist. Der byzantinische Einfluß wurde noch stärker in der Welt der Ostslawen, als das serbische Zakonopravilo des Erzbischofs Savva im 13. Jahrhundert eingebürgert wurde 14. 9

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T. S. Noonan, Pechenegs, and the Polovtsy: Economic Interaction along the Steppe Frontier in the Pre-Mongol Era, in: Russian History – Histoire Russe 19 (1992), 303–306, 315, 323–324, L. S. Chekin, The Godless Ishmaelites: The Image of the Steppe in Eleventh – Thirteenth-Century Rus’, in: Russian History – Histoire Russe 19 (1992), 9–28, Halperin, Russia (nt. 6), 16––20. P. P. Tolocˇ ko, Kocˇ evye narody stepej i Kievskaja Rus’, Kiev 1999, 114–116, A. P. Horváth, Petschenegen, Kumanen, Jassen. Steppenvölker im mittelalterlichen Ungarn, Gyomaendröd, 1989, 44–45. Pocˇ ekaev, Pravo (nt. 4), 177–188, 198–210. Obolensky, Commonwealth (nt. 3), 291–302, 385–387. St. F. Dale, The Muslim Empires of the Ottomans, Safavids, and Mughals, Cambridge 2010, 10–17, 31–47. Obolensky, Commonwealth (nt. 3), 407–413, F. Feldbrugge, Law in Medieval Russia, Leiden– Boston 2009, 87–128 hat detailliert den byzantinischen (und auch römischen) Einfluß auf die altrussische Gesetzgebung diskutiert.

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Obwohl das Kiewer Kirchenrecht klar byzantinische Wurzeln hatte, war die altrussische Fürstenmacht bis zur Mongolenherrschaft des 13. Jahrhunderts auf einem westeuropäischen Weg. Obwohl ihre Rechtsquellen meistens unbekannt sind, ist eine skandinavische Einwirkung trotzdem denkbar 15. In diesem Artikel diskutieren wir die Bedeutung der wichtigsten Rechtsbegriffe und ihre Veränderung vom 10. bis zum 16. Jahrhundert in der russischen/ostslawischen Literatur. Es wird ebenfalls der Frage nachgegangen, ob es diesbezüglich eine systematische Terminologie gegeben hat. Wie wurde Gewalt und Fürstenmacht legitimiert? Welche Autorität steckte hinter den Gesetzen? Wenn wir die Begriffe und Wörter für Gesetzesausdrücke in den Texten finden wollen, handelt es sich hierbei um ein unmögliches Unterfangen, weil Zeitgenossen ihre Umwelt nie so verstanden haben. Es hat nämlich weder eine Jurisprudenz oder Jurisdiktion noch berufliche oder wissenschaftliche Juristen im mittelalterlichen Rußland gegeben, weil eine westliche Scholastik diese Kultur nie erreicht hat und sich auch keine ähnlichen philosophischen Lehren selbständig in Osteuropa entwickelt haben. Juristische Probleme blieben auf dem theologischen und philosophischen Niveau und handelten meistens von Ewigkeitsfragen im Stil des römischen fas. Deswegen ist nur zu beobachten, wie Beamte, Herrscher, Priester usw. arbeiteten und ihre Arbeit beschrieben. Die wenigen normativen Quellen sind bescheiden und praktisch. II. Gr ünde für das r ussische mittelalterliche Rechtsdenken Das Gesetz heißt auf Russisch ‚zakon‘. Im allgemeinen altrussischen Wortgebrauch ist aber ‚zakon‘ dem griechischen nómov ähnlich. Damit kann man sowohl auf griechisch als auch auf russisch Sitten, Gebräuche und soziale Normen meinen. Ein Unterschied zwischen verschiedenen ‚zakon‘ ist in den Texten normalerweise mit einer ethnischen (‚grecˇeskij‘, ‚russkij‘) Bestimmung versehen. Auch ist eine allgemeine alttestamentarische Ordnung mit ‚zakon‘ (also ‚zakon Moisej‘) beschrieben worden. Das Wort bezeichnet aber auch eine Kirchenordnung (‚cerkovnyj zakon‘) und somit eine Religionsgruppe16. ‚Povest‘ vremennyh let‘, im Prinzip die älteste Chronik der ‚Rus‘, beschreibt 907 den Friedensschluß zwischen Byzantinern und Russen. Die Russen schworen den Eid „po ruskomu zakonu“. Die Religion der Griechen und Russen wird auch mit dem Begriff ‚zakon‘ beschrieben17. Im Friedensabkommen des Jahres 945 15 16 17

Feldbrugge, Law (nt. 13), 14–17, 51–57, Richard Hellie, The Law, in: M. Perrie (ed.), The Cambridge History of Russia, Volume I. From Early Rus’ to 1689, Cambridge 2006, 361–362. I. I. Sreznevskij, Slovar drevnerusskogo jasyka, Moskva 1989, Tom I:2, 921–923. Povest’ vremennyh let, ed. V. P. Andrianovoj-Peretc, Podgotovka teksta, perevod, stat’i i kommentarii D. S. Lihacˇ eva. Izdanie vtoroe, ispravlennoe i dopolnennoe, Sankt-Peterburg 1996, 6415 (907), 6420 (912). Wann und wie die Chronik entstanden ist, ist eine Ewigkeitsfrage, worüber man viel nach dem 18. Jahrhundert diskutiert hat. Die meisten Forscher denken, daß eine

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wird das religiöse Eidschwören ebenfalls mit ‚zakon‘ bezeichnet, aber daneben meint ‚zakon‘ auch konkretere Normen, nach denen ein Urteil erlassen wird („da budet povinen zakonu rusku i grecˇeku“)18. Chronikenerzählungen der Jahre 946 und 947 beschreiben, wie Fürstin Olga eine Besteuerung im Lande der Drevljanen und in der Umgebung Nowgorods organisiert. Im Lande der Drevljanen hätte sie ‚ustavy i uroki‘ erlassen, was man gut mit ‚Vorschriften‘ und ‚Arbeitspflichten‘ übersetzen kann. Der Text beschreibt aber nicht näher, wie Olga diese Vorschriften erlassen konnte. Es scheint so eine Selbstverständlichkeit zu sein, daß ein Fürst mit seiner Gefolgschaft solche Ordnungen erlassen kann. Eine ganz andere Sache ist aber, was die Ordnungen gemeint haben, und ob wir damit von einer Gesetzgebung sprechen können, weil eine Besteuerung damals nicht so legal wie heute und verwaltungsmäßig gut organisiert war. Eher handelte es sich um Raubzüge und Einzelfallbeschlüsse19. Ferdinand Feldbrugge hat jedenfalls diese Chronikensätze als die ersten Hinweise auf eine russische Gesetzgebung behandelt. Damit spricht er über ein russisches Gewohnheitsrecht. Vielleicht können wir mit dem Begriff des Gewohnheitsrechts gerade den Ausdruck ‚russkij zakon‘ verbinden 20. Die erste russische Rechtssammlung ist ‚Russkaja Pravda‘, die teilweise schon aus dem frühen 11. Jahrhundert stammt. Sie besteht aus einem Kiewer Gewohnheitsrecht, Wikingertraditionen usw. Danach wurden die ersten Vorschriften entwickelt und erst im 12. Jahrhundert entstand ein vollkommeneres Gesetzbuch. Die ‚Russkaja Pravda‘ blieb bis Mitte des 16. Jahrhunderts die Grundgesetzsammlung der ostslawischen Gesellschaften21. Diese Gesetze sind vom Fürsten in Anwesenheit seiner Gefolgschaft erlassen worden. Ihre Legitimität ist somit ohne einen Hinweis auf Gott oder eine Gottesordnung manifestiert. Die Rolle der Gefolgschaft ist von diesem Standpunk aus beachtenswert, weil die nächsten Männer des Fürsten eine Garantie der Normen zu formen scheinen. Dies ähnelt skandinavischen Gesetzessammlungen. Dagegen legitimierten Götter Verträge und Eidablegungen, wie wir auch aus ‚Povest‘ vremennyh let’ wissen. Ihre Abwesenheit von der Gesetzgebung ist besonders überraschend, weil dann später eine Ewigkeitsargumentation so wichtig wurde. Auf der anderen Seite ist diese Sachlage auch deswegen überraschend, weil die Eidablegungen an Götter laut den Chronikentexten ‚po ruskomu zakonu‘ geschah

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Urchronik aus der Mitte des 11. und eine erste „fertige“ Fassung vom Beginn des 12. Jahrhunderts stammt. Das älteste Manuskript ist aus dem späten 14. Jahrhundert und ich habe betont, daß Interpolationen usw. eine so wichtige Rolle spielten, daß wir in vielen Fragen kaum echte Informationen aus dem 10. oder 11. Jahrhundert bekommen können. Povest’ vremennyh let (nt. 17), 6453 (945). Povest’ vremennyh let (nt. 17), 6454 (946), 6457 (947). Feldbrugge, Law (nt. 14), 40–41, 51–52. Novgorodskaja pervaja letopis’ starsˇego i mladsˇego izvodov (Polnoe sobranie russkih letopisej III), Moskva 2000, (mladsˇ ij izvod) 6524 (1016), Feldbrugge, Law (nt. 14), 33–41, 48–57, 123–124, 140–145, Hellie, The Law (nt. 15), 360.

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und dieses ‚russkij zakon‘ also möglicherweise auf das lokale Gewohnheitsrecht hinweist. Somit hätte das Gewohnheitsrecht eine göttliche Legitimität gekannt 22. Die Rechtssammlung heißt folglich ‚Pravda‘ und nicht ‚zakon‘, was auf eine ewige Wahrheit hinweist, weil ‚pravda‘ an sich wahr, richtig usw. meint 23. Die ersten Teile der ‚prostrannaja Pravda‘ (die erweiterte Pravda) heißen außerdem ‚sud Jaroslava‘ (das Urteil Jaroslavs des Weisen), was auf eine terminologische Unsicherheit schließen läßt. Außerdem benutzt der eigentliche Text der ‚Pravda‘Fassungen keinen solchen eindeutigen Begriff wie ‚sud‘ oder ‚ustav‘ oder ‚zakon‘. Die Vorschriften sind überhaupt sehr praktisch 24. Einen Erlaß der Vorschriften und ihre Anwendung beschreibt der Text mit den Verben ‚sudit‘ und ‚ustavit‘ 25. Es ist aber auch beachtenswert, daß der Begriff ‚sud‘, der von Vorschriften Jaroslavs benutzt wird, auf Gerichtsbeschlüsse, also Beschlüsse des Großfürsten hinweist, was gut damit vereinbar ist, daß es sich um eine Legitimität des Fürsten und seiner Gefolgschaft und um keine Gottesordnung handelt 26. Das kann man wieder mit einer skandinavischen Tradition verbinden, weil man in Skandinavien die Landschaftsgesetze mos und consuetudo auf lateinisch formulierte und mit dem Wort lex das Gesetz Gottes (oder das Gesetz Moses’) meinte 27. Die Kirchenordnung von St. Vladimir aus dem Jahre 996 und die von Jaroslav dem Weisen aus dem Jahre 1037 heißen ‚ustav‘, obwohl der Chronikentext den Begriff überhaupt nur mit dem letztgenannten benutzt. Die späteren Manuskripte nennen sie ‚ustav knjazja Vladimira o desjatinah, sudah i ljudjah cerkovnyh‘ und ‚ustav knjazja Jaroslava o cerkovnyh sudah‘. Die neuzeitlichen lateinischen Übersetzungen nennen die Vorschriften constitutio 28. Der slawische Begriff ‚ustav‘ ist nicht immer im eigentlichen Text benutzt worden. In den meisten Handschriften gibt es keine Titel. In wenigen heißen die Vorschriften ‚zavet Volodimirov‘, ‚oustav svjatogo knjazja Volodimira krestivsˇago Rous’skoju zamlju o cerkovnyh soudeh‘, ‚sud Jaroslava knjazja syna Volodimerova‘ und ‚ustav knjazja velikago Jaroslava syna Vladimirja‘. Sie entstammen aber eindeutig einer späteren Zeit 29. Die Vorschriften werden im Text sowohl als ‚pravilo‘, aber auch als ‚ustav‘ und ‚oustavlenie‘ bezeichnet. Die Begriffe werden meistens in spätmittelalterlichen

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Povest’ vremennyh let (nt. 17), 6415 (907), 6420 (912), 6453 (945), 6479 (971), S. Iuul / J. Liedgren, Landskabslove, in: Kulturhistoriskt lexikon för Nordisk medeltid från vikingatid till reformationstid, X (1981), 228–233. Novgorodskaja pervaja letopis’ (nt. 21), 6524 (1016). Russkaja Pravda kratkoj redakcii (po Akademicˇ eskomu spisku)/ prostrannoj redakcii (po Troickomu I spisku), in: A. A. Zimin (red.), Pamjatniki Kievskogo gosudarstva (X–XII vv.) (Pamjatniki russkogo prava I), Moskva 1952, 77–80, 108–120. Russkaja Pravda (nt. 24), 108, 113, 115. Russkaja Pravda (nt. 24) 108, Feldbrugge, Law (nt. 14) 83. Iuul – Liedgren, Landskabslove (nt. 22), 231. Povest’ vremennyh let (nt. 17), 6504 (996), 6545 (1037), Drevnerusskie knjazˇeskie ustavy XI–XV vv. Izdanie podgotovil Ja. N. Sˇ cˇ apov, Moskva 1976, 12, 60, 85, 125. Drevnerusskie knjazˇ eskie ustavy XI–XV vv. (nt. 28), 20, 22, 30, 103, 133.

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Redaktionen im sogenannten Sanctio-Teil des Textes verwendet 30 und in lateinischen Handschriften mit dem Wort ordinatio übersetzt 31. An sich wissen wir nichts Genaues von der Originalform dieser Ordnungen, weil die Handschriften erst aus dem 14. Jahrhundert stammen und in vielen verschiedenartigen Verfassungen erhalten sind. Wir können auch nicht wissen, inwieweit es spätere Interpolationen, Modernisierungen usw. gibt. Die Autorenschaft Vladimirs und Jaroslavs war später ein sehr wichtiges Argument für die Legitimität der Vorschriften. Möglicherweise ist die Autorenschaft der Fürsten nur wegen einer Autorität betont. Es ist z. B. eine Streitfrage, ob es überhaupt kirchliche Zehnten im Kiewer Reich gegeben hat, obwohl der ‚ustav Vladimira‘ diese definitiv erläßt und sie dann später als ein Kernteil des ‚ustavs‘ betrachtet worden sind 32. Womöglich waren sie beide jedenfalls auch ursprünglich Ratschläge und Ordnungen für ganz konkrete Einzelfälle, wie auch die Chronikenbeschreibung des Jahres 1037 uns zu verstehen gibt: es handelt sich um eine liturgische Kirchenordnung. Vom Standpunkt der Fürstenmacht aus ist jedoch interessant, daß der ‚ustav‘ von Jaroslav eine nahe Verbindung zwischen dem Herrscher und der Kirche betont und sehr nahe bei dem griechischen nomokanån ist. Das ist auch in den beiden ‚Ustav‘-Texten direkt gesagt worden. Die nahe Beziehung zwischen den Machtpolen ist zumindest später in dem russischen politischen System sehr wichtig. Vielleicht können wir hier schon eine Grundlage für ein solches Denken finden 33. Die Existenz eines Gewohnheitsrechts ist selbstverständlich. Eine byzantinische Einwirkung ist klar auf den ersten Stufen des Kiewer kirchlichen Rechtsdenkens, was nicht verwundert. Beachtenswert ist jedoch, daß es keine terminologische Systematik gab. Vorschriften waren praktisch. Die göttliche Legitimität der fürstlichen Gesetzgebung wird nicht besonders betont, weil der Fürst die Gesetze mit seinen Männern erlassen hat. Die kirchlichen Vorschriften verweisen jedoch schon auf eine Gottesordnung. Die ersten ‚ustavy‘ beruhen auf dem griechischen Nomokanon, was auf eine Legitimität der Kirche hinweist. Im Wortgebrauch der Vorschriften findet sich auch schon die Formulierung „ein ewiges Gesetz Gottes“.

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Drevnerusskie knjazˇ eskie ustavy XI–XV vv. (nt. 28), 24, 33, 40 – 41, 44, 59, 90, 99, 103, 106. Drevnerusskie knjazˇ eskie ustavy XI–XV vv. (nt. 28), 62. Drevnerusskie knjazˇ eskie ustavy XI–XV vv. (nt. 28), 3–5, 12–13, 85, Feldbrugge, Law (nt. 14), 83–85, Jukka Korpela, Prince, Saint and Apostle – Prince Vladimir Svjatoslavicˇ of Kiev, his Posthumous Life, and the Religious Legitimization of the Russian Great Power (Veröffentlichungen des Osteuropa-Institutes München, Reihe: Geschichte, 67), Stuttgart 2001, 34, Anm. 105. Povest’ vremennyh let (nt. 17), 6545 (1037), Feldbrugge, Law (nt. 14), 84–85.

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III. Götter kommen ins Bild Hochmittelalterliche fürstliche Gesetze und Vorschriften sind bei der Entwicklung des Gesetzbegriffes wichtig, weil sie eine alltägliche Normierung zwischen Tataren, Fürstenmacht und der Orthodoxen Kirche beweisen. Die Normen und ihre Begriffe müßten für alle diese Machtpole verständlich sein. Im Allgemeinen nennt man dies in der Forschungsliteratur „knjazˇeskie ustavy“ 34. Diese sind praktische Verordnungen für Steuerzahlungen, kirchliche Ordnungen oder andere ähnliche Verwaltungsfragen35. Die Terminologie ist nach wie vor flexibel, aber ‚ustav‘‚ustavnaja gramota‘ und ‚ustavnaja zapis‘ werden genannt. Die Texte werden in der Regel nur ‚gramota‘ genannt und erst aus deren Lektüre wird deutlich, daß es sich um eine Vorschrift handelt. Bei der Übersetzung einer ‚gramota‘ ins Lateinische wurde das Wort constitutio benutzt 36. Das Wort ‚zakon‘ habe ich nur selten in ‚ustav Vladimira‘, ‚ustav Jaroslava‘ und auch in späteren Vorschriften gefunden. In diesen Fällen hatte der Begriff eine klare Verbindung zum Gesetz Gottes. Der Text hat genau ‚po zakonou oukazanie ot Boga‘, ‚ot zakona Bozˇ ia‘ (‚das Gesetz Gottes‘) oder ‚po zakonom i po pravilom svjatyh otec‘ (‚ein Gesetz und eine Vorschrift der heiligen Väter‘) erwähnt. Gelegentlich bedeutet ‚zakon‘ auch auf unklare Weise die herkömmlichen Sitten der Kirche37. Auf der anderen Seite ist eine Auffassung von einer Gottesordnung auch in den spätmittelalterlichen Nowgoroder Gerichtsbriefen (‚Novgorodskaja sudnaja gramota‘) feststellbar. Das Gericht, das Angelegenheiten der Priesterschaft prozessierte, beruhte auf ‚pravilo svjatyh otec‘ (‚die Vorschrift der heiliger Väter‘), das hier das griechische nomokanån bedeutete38. Es gibt auch bischöfliche Vorschriften und Ratschläge in Form von einzelnen Briefen und polemischen Schriften, die auch in Sammlungen erhalten sind. Außerdem macht die gesamte hagiographische Literatur in der Rechtskultur der Kirche auch einen Teil der normativen Struktur aus, weil die Normen oft nur anhand von Beispielen und heiligen Erzählungen dargestellt sind. ‚Kanonicˇeskie otvety‘ des Kiewer Metropoliten Ioann II. ist eine echte kanonische Schrift vom Ende des 11. Jahrhunderts. Noch wichtiger ist unter Umständen die Schrift ‚Voprosy Kirika, Savvy i Il’i s otvetami Nifonta episkopa Novgorodskago i drugih ierarhicˇeskih lic‘ aus dem 12. Jahrhundert. Beide sind Fragen-Antworten-Sammlungen39. 34 35 36 37 38 39

Drevnerusskie knjazˇ eskie ustavy XI–XV vv. (nt. 17), Feldbrugge, Law (nt. 14), 85. A. A. Zimin (red.), Pamjatniki prava feodal’no-razdroblennoj Rusi (XII–XV vv.) (Pamjatniki russkogo Prava II), Moskva 1953, 117–118. Drevnerusskie knjazˇ eskie ustavy XI–XV vv. (nt. 28), 141, 146, 149–150, 154, 158, 166, 176–177, 179–181, 183–184. Drevnerusskie knjazˇ ekie ustavy XI–XV vv. (nt. 28), 23, 32, 39, 57, 58, 87, 95, 158. Pamjatniki prava feodal’no-razdroblennoj Rusi (nt. 35), 212. Pamjatniki drevne-russkago kanonicˇeskago prava I (pamjatniki XI–XVv.). Izdanie vtoroe (Russkaja istoricˇeskaja biblioteka izdavaemaja imperatorskoju arheograficˇeskoju kommissieju VI), Sanktpeterburg 1908, Nr. 1, 2.

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Eine Überschrift der Antworten des Metropoliten Ioann ist „pravilo cerkovnoe“ („eine kirchliche Vorschrift“) und ihre Rechtsquelle ist die „Heilige Schrift“ 40. Im Text wird der Begriff ‚zakon‘ verwendet, der vor allem das göttliche Recht der Kirche (und des Alten Testaments) meint 41. Das wird in solchen praktischen Vorschriften deutlich, in denen es nicht erlaubt ist, Christen an Juden und Heiden als Sklaven zu verkaufen 42. Die Terminologie ist jedoch relativ unklar, so daß man bei der Konfrontation von Christen und Heiden von „bozˇestvennyj oustav i mirskij zakon“ sprechen kann. Hier weist gerade das Wort ‚zakon‘ auf ein weltliches Gesetz hin 43. Die ‚Voprosy Kirika, Savvy i Il’i‘ besteht aus praktischen Ratschlägen und Vorschriften bei verschiedenartigen theologischen und alltäglichen Problemen. ‚Zakon‘ und ‚pravilo‘ meinen auch hier eine Gottesordnung und heilige Schriften. Auffällig ist jedoch, daß diese Wörter nur sehr selten benutzt worden sind 44. Außerdem sind verschiedene einzelne Briefe erhalten. Diese werden oft ‚poslanie‘ oder ‚gramota‘ genannt, aber manchmal gibt es keine klare Überschrift. Eine Entscheidung oder Vorschrift geht von dem Text aus45. Die Vorschriften behandeln einen heterogenen Komplex des kirchlichen Lebens. Darin gibt es eine Fastenregel, Fragen-Antworten-Sammlungen, eine politische Polemik, liturgische Verfahren, Aufforderungen zur Vermeidung von Häresie usw.46. In allen Schriften bedeutet das Gesetz eine Gottesordnung. Gott ist sowohl die Quelle der Vorschriften und der Wahrheit als auch ein Originalgrund für das Rechtswesen47. Der Metropolit Fotij verfaßte 1415 oder 1416 eine gelehrte kanonische Polemik gegen die Einsetzung des Kiewer (Litauer) Metropoliten Gregorij Cˇ amblak. Er begann mit einer Beschreibung der Geburt des originalen Gesetzes. Zuerst gab es kein schriftliches Gesetz, sondern die Patriarchen folgten dem Wort Gottes. Dann mußte aber Moses das Gesetz Gottes schriftlich fixieren, und das ist das „bozˇestvennyj zakon“ 48. In dieser Schrift wie auch in vielen anderen ähnlichen polemischen Streitschriften über die Spaltung der Kiewer Metropolie Ende des 14. und im 15. Jahrhunderts beweisen die Moskauer Prälaten ihre kanonische Gelehrsamkeit. Eine juristische Terminologie sagt eindeutig, daß ‚zakon‘ eine Gottesordnung und ‚pravilo‘ einzelne Vorschriften von Konzilien, Kirchenvätern, Aposteln oder Bibeln meinen49. In seinem Aufforderungsbrief für die Nowgoroder vom 29. 8.1410

40 41 42 43 44 45 46 47 48 49

Pamjatniki drevne-russkago kanonicˇeskago prava (nt. 39), Nr. 1, stb. 2. Pamjatniki drevne-russkago kanonicˇeskago prava (nt. 39), Nr. 1, § 3, § 26, § 29. Pamjatniki drevne-russkago kanonicˇeskago prava (nt. 39), Nr. 1, § 22. Pamjatniki drevne-russkago kanonicˇeskago prava (nt. 39), Nr. 1, § 13. Pamjatniki drevne-russkago kanonicˇeskago prava (nt. 39), Nr. 2, § 18, § 72. Pamjatniki drevne-russkago kanonicˇeskago prava (nt. 39), Nr. 21, 33, 54, 58, 61, 62, 63, 64. Pamjatniki drevne-russkago kanonicˇeskago prava (nt. 39), Nr. 12, 13, 20, 33, 39, 100, 124. Pamjatniki drevne-russkago kanonicˇeskago prava (nt. 39), Nr. 9, 36. Pamjatniki drevne-russkago kanonicˇeskago prava (nt. 39), Nr. 39 (Spalten 315–316). Pamjatniki drevne-russkago kanonicˇeskago prava (nt. 39), 20, 39, 87, 95, 100, 114.

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benutzt der Moskauer Metropolit Fotij auch die Begriffe ‚zakon hrest’anskij‘ und ‚bozˇestvennoe pravilo‘ im Sinne der christlichen Lehre 50. Die wichtigste Bedeutung dieser Phase der Entwicklung ist eine Bestärkung der Religion in der Legitimität der Vorschriften. Dies bezieht sich nicht nur auf echte kirchliche Angelegenheiten, sondern gelegentlich auch auf ganz praktische Handlungsverfahren und Regeln. IV. Eine Politisier ung der Gottesor dnung Das Gesetzbuch von Pleskau und das Gesetzbuch von Nowgorod, die beide aus dem 14. oder 15. Jahrhundert stammen, repräsentieren schon ein entwickelteres Rechtsdenken von einem westeuropäischen Standpunkt aus, obwohl beide auch auf ‚Russkaja Pravda‘ beruhen. Darin wird die selbstständige Rolle des Richters klar, was ein westeuropäisches Charakteristikum ist. Im östlichen System sind Richter und Ankläger kaum voneinander zu trennen. Auch ist hier das Verhältnis zwischen der Prozedur und den Normen nicht eindeutig 51. Diese nördlichen Handelsstädte hatten sehr enge Verbindungen mit der ‚deutschen‘ Ostseewelt, was auch juristische und administrative Einwirkungen mit sich führte. Dagegen standen diese Gesellschaften in keiner so engen Verbindung mit den Tatarenkhanaten wie Moskau, Tver oder Kiew. Die Nowgoroder mittelalterliche Schra repräsentiert bereits eine typische mittelalterliche Gesetzgebung des Ostseeraumes. Ein ähnlicher westlicher juristischer Einfluß ist in den Handelsverträgen zu sehen, die die Städte mit westlichen Städten geschlossen hatten 52. Nun bildeten diese nördlichen Handelsstädte einen wichtigen Weg für den westlichen Einfluß auf die mittelalterliche russische Gesellschaft und Kultur. Das muß auch eine Weiterentwicklung des frühmittelalterlichen westlichen Einflusses auf das Rechtsdenken bedeuten. Die kulturelle und politische Differenzierung der Rus’ hat auch praktische Resultate mit Blick auf das Rechtsdenken. Die erste Nowgoroder Chronik erzählt im Jahre 1382 von den Zerstörungen der Tataren und vom Elend des Landes auf stereotypische Weise, die nach Charles J. Halperin eine propagandistische Totaltaktik der russischen Verfasser war, um die ganze Mongoleneroberung als einen gemeinsamen, frommen christlichen Kampf gegen Heiden beschreiben zu können53. Aber am Ende des Kapitels finden sich einige Sätze darüber, wie der Bischof von Suzdal Dionisij nach Nowgorod aus Konstantinopel vom Hof des Patriarchen mit Segen und Briefen kam und dann nach Pleskau auf Befehl des Metropoliten Aleksej weiterfuhr.

50 51 52 53

Pamjatniki drevne-russkago kanonicˇeskago prava (nt. 39), Nr. 33. Hellie, The Law (nt. 15), 364–374, Feldbrugge, Law (nt. 14), 123–124. Feldbrugge, Law (nt. 14), 261–291. Halperin, Russia (nt. 7), 61–64, 127.

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Der Bischof lehrte „zakon Bozˇ ij“ („das Gesetz Gottes“), um eine orthodoxe Christlichkeit und ein richtiges Christentum in Nowgorod zu bestärken. Das geschah, weil in den Jahren zuvor „böse Leute Verwirrungen mit teuflischen Lehren“ im Nowgoroder Land verursacht hatten („… negli by bog v poslednjaja leta utverdil nesmusˇcˇeno ot zlyh cˇeovek, dijavolom nausˇcˇenym, pravovernaja vera.“) 54. Hier hat ‚zakon‘ schon einen politischen Aspekt. Die Vorgänge und den Besuch Dionisijs muß man nämlich mit einer Ausdehnung des Moskauer Reiches, einer politisch-kirchlichen Rivalität zwischen Moskau und Litauen (Polen) und der Bestrebung Nowgorods, mit Unterstützung Litauens ihre unabhängige politische Position zu behalten, verbinden. Die Moskauer Fürsten versuchten ihre Macht mit Unterstützung der orthodoxen Kirche seit dem frühen 14. Jahrhundert zu stärken und diese Politik wurde Ende des Jahrhunderts intensiviert. Der bereits erwähnte Metropolit Aleksej (1357–1378) war einer der Architekten der Moskauer Politik. Nach seinem Tode 1379 versuchten die verschiedenen Machtgruppen, ihre Position zu stärken, woraus die Aufspaltung der Kiewer Metropolie resultierte. Der (Erz)bischof von Suzdal Dionisij (1374–1385) war ein Diplomat und eine zentrale Figur im Prozeß zwischen den Moskauer Fürsten, den Tataren, den verschiedenen Metropoliten und Byzanz. Eine wichtige Botschaft der Erzählung ist, daß nun das Gesetz Gottes mit der Politik, dem politischen Vorteil und dem Bau eines Großreiches von Moskau gleichgesetzt wird 55. Die Politisierung der kanonischen Argumentation ist auch in anderen Quellentexten zu sehen. Bereits der oben erwähnte Aufforderungsbrief des Metropoliten Fotij von 1410 bedeutete eine Bestärkung des Moskauer Primats und seiner Jurisdiktion im Nowgoroder Land, weil eine solche Aufforderung keine Angelegenheit des Moskauer Metropoliten, sondern die des Nowgoroder Erzbischofs war. Noch klarer ist die Politik in der kanonistischen Argumentation gegen die Errichtung einer neuen (polnisch-litauischen) Metropolie in Kiew im Jahre 1415 zu sehen. Die Moskauer Prälaten nennen die Situation eine Häresie und bezeichnen die Unterstützer der litauischen Kirche als Häretiker. In die Diskussion wurde dann seit 1448 die Frage nach der Selbstständigkeit der Moskauer Kirche verwickelt. Die Kernfrage ist aber eine Territorialisierung und ein Machtbereich des Moskauer Großfürsten gegen Polen, was man auch im Brief des Großfürsten Ivan III. für den Nowgoroder Erzbischof Gerasim von 1488 lesen kann 56. 54 55

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Novgorodskaja pervaja letopis’ (mladsˇ ij izvod) (nt. 21), 6890 (1382). R. O. Crummey, The Formation of Muscovy 1304–1613 (Longman History of Russia), London–New York 1987, 43–49, 58–61, G. M. Prohorov, Mitjaj, in: D. S. Lihacˇev (ed.), Slovar’ knizˇnikov i knizˇ nosti drevnej Rusi. Vtoraja polovina XIV – XVI v. cˇast 2. L – Ja. (1989), 117–118, J. Meyendorff, Byzantium and the Rise of Russia. A Study of Byzantino-Russian relations in the fourteenth century, Cambridge 1981, 214–234, J. Korpela, Stefan von Perm’, Heilige Täufer im politischen Kontext, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 49 (2001), 482. Pamjatniki drevne-russkago kanonicˇeskago prava (nt. 39), Nr. 33, 87, 95, 100, 114, 115, J. Korpela, The Christian Saints and the Integration of Muscovy, in: Sergei Bogatyrev (ed.), Russia Takes Shape. Patterns of Integration from the Middle Ages to the Present (Annales Academiae Scientiarum Fennicae, Humaniora 335), Helsinki 2005, 20–21.

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Wir können diesen Wortgebrauch mit den Chronikenerzählungen über die Moskauer Eroberung Nowgorods von Ivan III. aus dem Jahre 1471 vergleichen. Der Großfürst begann einen heiligen Krieg gegen Nowgorod mit dem Segen der Kirche und des Metropoliten und der Unterstützung der heiligen und christlichen Vorväter gerade wegen der Häresie, weil Nowgorod das echte Christentum aufgegeben hatte 57. Die religiöse Argumentation hat ihren festen Platz in der Politik eingenommen und diese hatte eine juristische Form mit Hinweis auf die ewige Ordnung Gottes! V. Das Moskauer Recht Die Rechtsterminologie ist noch Ende des 15. Jahrhunderts sehr kasuistisch. Beispielsweise können im Briefwechsel zwischen dem Zaren Ivan III. und dem Nowgoroder Metropoliten Gerontij über Häretiker aus dem Jahre 1488 die Begriffe ‚zakon‘ und ‚pravilo‘ sowohl ‚carskoe‘ (kaiserlich) als auch ‚apostol’skoe‘ (apostolisch) bedeuten. Ein Unterschied zwischen ‚pravilo svjatyh apostol i svjatyh otec‘ (‚Vorschrift der heiligen Aposteln und heiligen Väter‘) und ‚bozˇestvenoe pisanie‘ (‚göttliche Schrift‘) ist schwer auszumachen 58. Obwohl wir diese Häresievorgänge an sich nicht behandeln können, muß man unbedingt beachten, daß es sich um keine echte, bloße theologische Streitfrage oder nur um ökonomisch-soziale Unruhen handelt, wie man herkömmlich behauptet hat 59. Vor allem waren die Häretiker politische Gegner einer Ausdehnung der Moskauer Macht, weshalb kanonische Argumente in einer politischen Diskussion benutzt worden sind. Das zentrale kritische Argument gegen die Häretiker war eine Absage an die kirchliche Hierarchie, was eigentlich eine politische Opposition gegen die Moskauer Oberherrschaft und eine pro-litauische politische Orientation meinte 60. Der Aufstieg des Moskauer Reiches vom Ende des 14. Jahrhunderts bis zur Regierungszeit Ivans des IV. (1533–1584) bedeutete eine Umorganisierung der ganzen russischen Gesellschaft. Die Moskauer Entwicklung im Rechtsdenken folgte zu Beginn in Ansätzen der spätmittelalterlichen westeuropäischen Entwicklung, z. B. nahm der Ankläger eine stärkere Stellung im Kriminalprozeß ein. In der gesamten Verwaltung und Gesellschaft bedeuteten die Erneuerungen Ivans eine Bestärkung und Organisierung der Zentralmacht und der Souveränität des Großfürsten, was wir auch als eine westliche Einwirkung verstehen können 61. 57 58 59 60 61

Moskovskij letopisnyj svod konca XV veka (Polnoe sobranie russkih letopisej XXV), Moskva 2004, 6977 (1469). Pamjatniki drevne-russkago kanonicˇeskago prava (nt. 39), Nr. 5. N. A. Kazakova – Ja. S. Lur’e, Antifeodal’nye ereticˇeskie dvizˇenie na Rusi XIV – nacˇala XVI veka (Musej istorii religii i ateizma), Moskva–Leningrad 1955, 34–58. Crummey, The Formation (nt. 55), 67–68, 80–81, 87–89, J. Martin, Medieval Russia 980–1584 (Cambridge Medieval Textbooks), Cambridge 1995, 248–251, 255, 259–260. Hellie, The Law (nt. 15), 362–363.

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Die Harmonisierung der Normen war ein Teil des Ausbaus einer einheitlichen Verwaltungsstruktur. Dafür erließ Ivan III. 1497 sein Rechtshandbuch ‚sudebnik‘. Danach wurden mehrere solcher Bücher bis zum ‚Sobornoe Ulozˇenie‘ aus dem Jahre 1649 erlassen, was das Ende der mittelalterlichen und den Beginn der neuzeitlichen Gesetzgebung im Moskauer Rußland bedeutete. Die ‚sudebniki‘ sind aber eigentlich Rechtshandbücher zur Verfügung der Beamten und keine vollkommenen und selbständigen Gesetzessammlungen, sondern nur Sammlungen wichtiger Vorschriften. Sie vertreten auch keine Kasuistik im westlichen Sinne des Rechtsbegriffes, weil sie aus keinen Einzelfällen und Gerichtsentscheidungen, sondern aus echten Rechtsnormen bestehen, was ihre Besonderheit ausmacht. Da Moskauer Richter kein Recht auf weitere Interpretationen der Normen und ihre Anpassungen in ähnlichen Fällen hatten, besteht die Besonderheit darin, daß die Normen der Sammlungen nur in genau ähnlichen Fällen gelten. Bei etwas abweichenden Fällen müßten die Behörden sich nach der Meinung der Herrscher erkundigen. Das System betont die Rolle des Herrschers als Quelle der Normen 62. Der Bau des Moskauer Reiches bedeutete auch eine starke ideologische Entwicklung der Fürstenmacht seit Ende des 14. Jahrhunderts, als Großfürsten und Moskauer Metropoliten die Lehre von Moskau als einem neuem Rom zu entwickeln begannen. Das bedeutete eine russische Kaiserideologie, was eine zunehmende Betonung der göttlichen Legitimierung der Fürstenmacht mit sich führte63. Laut modernen Forschungen geschah dies vor allem wegen der Ostpolitik mit den Khanaten und ihren Bevölkerungen. Im Westen hatte sich schon eine souveräne Königsmacht seit dem 14. Jahrhundert an eine naturgesetzliche Argumentation angelehnt, weswegen eine kaiserliche/päpstliche Universalmacht degeneriert wurde, die eine echte göttliche Legitimität gehabt hatte. Aus diesem Grund war eine Moskauer Kaiserideologie bei diplomatischen Verhandlungen mit dem Westen kaum mehr brauchbar. Dagegen entwickelte sich im Osten eine religiöse Machtkonzeption stark weiter. In diesem Kontext war die Moskauer Kaiserideologie äußerst wichtig und brauchbar. Die Symbolik und auch die Insignien wie die ‚Sˇapka Monomaha‘ (‚Moskauer Kaiserkrone‘) des Kaisertums kamen vom Osten, obwohl die schriftliche, ikonographische und ideologische Konstruktion auf der Lehre der orthodoxen Kirche beruhte und deswegen die Legende auch z. B. die ‚Sˇapka‘ mit Konstantinopel verbindet. Diese Propaganda war vor allem an Kazan’ Astrahan’, Nogai, Krim, Buhara und Persien gerichtet. So ist ihre fertige ikonographische Darstellung in der Ikone von ‚Blagoslovenno voinstvo nebesnogo

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R. B. Mjuller / L. V. Cˇerepnin (red.), Sudebniki XV–XVI vekov, Moskva–Leningrad 1952, Hellie, The Law (nt. 15), 375–386, Feldbrugge, Law (nt. 14), 123–124, B. P. Belozerov, Sudebnaja vlast’ v russkom gosudarstve v XV v. in: I. Ja. Frojanov (red), Sudebnik Ivana III. Stanovlenie samoderzˇavnogo gosudarstva na Rusi, Sanktpeterburg 2004, 206–208. Korpela, Prince (nt. 32), 173–179, 190–196, Korpela, The Christian Saints (nt. 56), 26–43. J. Korpela, Russische Heilige und Byzanz im Mittelalter, in: A. Speer / Ph. Steinkrüger (eds.), Knotenpunkt (nt. 3), 584–586.

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carja‘ (‚Das gesegnete Heer des Kaisers vom Himmel‘) im Moskauer Kreml’ zu sehen. Die Ikone stellt gerade die Eroberung (oder Befreiung) von Kazan’ durch die Truppen Ivans IV. dar 64. Diese neue ideologische Stellung nahm natürlich auch darauf Einfluß, wie man einen Herrscher, seine Macht und Legitimität begrifflich machte. Seit dem 15. Jahrhundert begannen allmählich die Moskauer Beamten, sich Sklaven der Herrscher zu nennen. Dies wurde zur Norm im 16. Jahrhundert und auch der Herrscher selbst nannte seine Beamten regelmäßig ‚Sklaven‘ (‚holop moj‘). Obwohl das nicht wirklich eine Sklavenposition wie beispielsweise bei den Römern bedeutete, wird unbedingt betont, daß das juristische Verhältnis zwischen dem Zaren und seinen Beamten nicht gleichwertig war. Man muß nämlich beachten, daß in zeitgenössischen Gesetzen das Wort ‚holop‘ eindeutig echte Sklaven bedeutete, und deswegen mußten die Zeitgenossen diese Verbindung realistisch verstanden haben 65. Diese neue Herrscherkonzeption wirkte auch auf das Gesetzesverständnis und die Rechtskonzeption ein. Die westlichen Züge in der Gesetzgebung blieben damals meistens marginal, während das Verständnis des Gesetzes als eine Gottesordnung noch stärker wurde. Die Moskauer Behörden und Richter bekamen jetzt keine selbständige Gewalt, die Normen zu interpretieren, was sowohl durch die Entwicklung des Rechtswesens und der Reichsverwaltung als auch durch die Harmonisierung der Normen zu vermuten gewesen wäre, sondern sie konnten nur noch weiter die Befehle des Herrschers befolgen. Gab es keine verfügbaren Normen, mußte man auch in kleinen Einzelfällen nach Meinung und Entscheidung des Herrschers fragen, weil er ein göttlicher Herrscher war, der das Recht kannte. Sein Urteil war somit auch endgültig und es gab kein Einspruchsrecht. Darum entwickelten sich die Moskauer Gerichtshöfe auch nicht selbstständig und unabhängig, sondern blieben als Verwaltungsorgane innerhalb der echten Verwaltung 66. Im Hintergrund muß die starke Einwirkung der Tataren liegen. Das Gesetz ist ursprünglich keine Rechtsbestimmung, auch kein Edikt, das ein Herrscher heraus-

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Korpela, Prince (nt. 32), 179, 207, Halperin, Russia (nt. 6), 100, Ch. J. Halperin, Tsarev ulus: Russia in the Golden Horde, in: Cahiers du monde russe et sovietique 23:2 (April–June 1982), 257–263, M. Cherniavsky, Khan or Basileus: an Aspect of Russian Political Theory, in: Journal of the History of Ideas, 20,4 (1959), 462–473, Dale, The Muslim Empires (nt. 13), 51–52, M. Cherniavsky, Ivan the Terrible and the Iconography of the Kremlin Cathedral of Archangel Michael, in: Russian History – Histoire Russe, 2:1 (1975), 5, 12–13, D. Ostrowski, The Mongol Origin of Muscovite Political Institutions, in: Slavic Review 49 (1990), 525–542, I. A. Kocˇetkov, K istolkovaniju ikony „Cerkov’ voinstvujusˇ cˇaja“ (Blagoslovenno voinstvo nebesnogo carja), in: Trudy otdela drevnerusskogo literature 38 (1985), 187–202. Z. B. Gramoty velikago Knjazja Joanna Vasil’evicˇa, in: Prodolcˇenie drevnej rossijskoj Vivliofiki, (Imperatorskaja Akademija Nauk), Sankt-Peterburg 1791–1801, tom VII, 307, tom VIII, 168, tom IX, 210, tom X, 131, 178, Sudebnik 1550 g., in: R. B. Mjuller / L. V. Cˇerepnin (red.), Sudebniki XV–XVI vekov (nt. 62), § 76. Hellie, The Law (nt. 15), 364, 375, 378, Belozerov, Sudebnaja vlast’ (nt. 62), 209–210.

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gegeben hätte, sondern eine ewige Moralnorm Gottes, ein Teil der ‚töru‘. Deswegen konnte nur der allmächtige Herrscher, aber keine juristische Behörde, das Gesetz auslegen. Ein Urteilsspruch ist eine absolute Wahrheit oder eine Gnade des Herrschers und keine prozessuale Wahrheit wie im Westen, die eigentlich nur eine Meinung des Richters ist. Erst wesentlich später begannen die türkisch-persischen Imperia von Ottomanen und Safaviden eine einheitliche Reichsstruktur mit Gesetzessammlungen zu entwickeln 67. Es verwunderte bereits Giovanni di Plano Carpini, wie wenig Rechtsanwälte und Juristen an den Mongolenhöfen gab 68. Die Synoden des Metropoliten Makarij (gestorben 1563) um die 1550er Jahre bedeuteten einen Neubau der nationalen russischen Kirche. Die Stoglav Synode aus dem Jahre 1551 führte zu einer Erneuerung des Kirchengesetzes. Die Beschlüsse der Synode verfügten über keine einheitliche Terminologie bezüglich der Normen. Auf dem Niveau der Überschriften haben wir folgende Begriffe: ‚ukaz‘, ‚pravilo‘, ‚ustav‘, ‚zapoved‘, ‚zakon‘, ‚ulozˇenie‘. Der Text kennt in diesem Sinne noch die Wörter ‚pravda‘, ‚poruzˇenie‘, ‚nakaz‘ 69. Im ersten Kapitel wird erklärt, wie der Zar und der Metropolit die Synode zusammengerufen haben, um die Kirche auf einen richtigen Weg zu leiten. Die Wahrheit ist die Wahrheit des Himmels und Gott selbst hat den Zaren und Metropoliten die Führung gegeben. Die Lehre über eine christliche Ordnung beruht auf heiligen Texten, den Lehren der Aposteln, Kirchenvätern und Heiligen sowie auf Beschlüssen von Konzilien. Jedoch hat der Zar ein ‚blagozakonie‘, was man mit einem Verständnis für Gottes Ordnung übersetzen kann 70. ‚Zakon Bozˇ ij‘ meint Gottes Ordnung und deswegen hat das Wort ‚zakon‘ eine der umfangreichsten Bedeutungen. Es meint eigentlich einen Moralcode, und deswegen ist eine Sünde ein ‚zakonoprestuplenie‘, weil der Apfel des Paradieses ein ‚prestuplenie‘ („Verbrechen“) ist 71. In den konkreten Stoglavbeschlüssen wird ‚zakon‘ nicht so oft benutzt. Die Homosexualität ist ‚bezzakonoe‘, also gegen eine solche Ordnung, und deswegen muß man „so einen Perversen“ wieder auf den ‚richtigen‘ Weg „po pravilom svjatyh apostol i svjatyh otec“ („die Vorschrift der heiligen Aposteln und heiligen Väter“) lenken72. ‚Pravilo‘ und ‚ustav‘ meinen eine Vorschrift, Ordnung und Bestimmung im konkreten Sinne. ‚Bozˇ estvennyj ustav‘ („göttlich“) und ‚svjasˇcˇennoe pravilo‘ („heilig, geheiligt“) meinen eine absolute Kirchenordnung: auf der einen Seite

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R. M. Savory, The Safavid Administrative System, in: The Cambridge History of Iran in seven volumes, Volume 6, Peter Jackson / Laurence Lockhart (eds.), The Timurid and Safavid periods, Cambridge 1986, 351–353, I˙ nalcik, Suleiman (nt. 3), 107–109. Ioannes de Plano Carpino, Historia Mongolorum, IX:42, ed. C. Raymond Beazley, The Texts and versions of John de Plano Carpini and Willian de Rubruquis (Works issued by the Hakluyt Society, Extra Series 13), Nendeln 1967. Stoglav, ed. E. B. Emcˇenko, Issledovanie i tekst, Moskva 2000, 231–238. Stoglav (nt. 69), § 1–3. Stoglav (nt. 69), § 3. Stoglav (nt. 69), § 33.

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sind sie konkrete Regeln, aber auf der anderen Seite sind sie ein Teil der ewigen Ordnung, die sich nach dem Jüngsten Gericht richtet73. Die Terminologie ist aber sehr kasuistisch. Wenn man den Fragen-AntwortenTeil von Stoglav liest, kann man leicht erkennen, daß sowohl ‚zakon‘ als auch ‚pravilo‘ bisweilen eine konkrete Verordnung von Kirchenvätern in einem Einzelfall bedeuten, aber auch in einem anderen Zusammenhang ein ganz allgemeines Prinzip meinen. Man kann die Wörter z. B. auch durch den Begriff ‚bozˇ estvennoe pisanie‘ (‚göttliche Schrift‘) ersetzen 74. ‚Pravilo‘ ist gerade deswegen ein interessanter Ausdruck, weil er einmal sehr klar nur auf Moralprinzipien der Patriarchen hinweist, aber dann grundsätzlich praktische Verordnungen, wie z. B. das Verbot, daß Männer und Frauen zusammen die Sauna besuchen, meint. Daneben bezeichnet ‚pravilo‘ die Beschlüsse von Konzilien und kaiserlichen Verordnungen75. Das Wort ‚zapoved‘ wird gelegentlich mit einer ähnlichen Bedeutung benutzt 76. Dagegen bedeuten Wörter wie ‚ukaz‘ ‚ulozˇ enie‘ und ‚ustav‘ sehr konkrete Verordnungen. Es wird zumal klar gesagt, daß z.B. liturgische Vorschriften auf dem göttlichen ‚pravilo‘ beruhen77. Es gibt auch den Begriff ‚bozˇ estvennyj ustav‘, aber auch hier handelt es sich um eine praktische Vorschrift, die nur mit einer Göttlichkeit betont und verstärkt wird 78. Der Wortgebrauch von Ivan IV. in seinem Briefwechsel mit seinem politischen Gegner Fürst Andrej Kurbskij ist sehr ähnlich. Meistens meint er mit ‚zakon‘ das Gesetz Gottes, was ähnlich mit der Wahrheit (‚pravda‘) Gottes ist. Was er als ‚bezzakonno‘ (‚gesetzwidrig‘) beschreibt, bedeutet alles, was überhaupt nicht moralisch erlaubt ist 79. Konkreter kann ‚zakon‘ aber auch sämtliche kanonische Kirchenordnungen meinen 80. In diesem Sinne trennt er Gedeons echte Ehefrauen von den Konkubinen mit dem Begriff ‚zakonnaja zˇena‘ (Idc 8, 30) 81. ‚Vethyi zakon‘ war für ihn wie für seine Zeitgenossene das Alte Testament 82. Das Wort ‚zakon‘ wird auch in der litauischen Verwaltung benutzt. In der litauischen Metrika finden wir solche Begriffe wie ‚lifljandskij zakon‘, ‚latinskij zakon‘, ‚rimskij zakon‘ und ‚grecˇeskij zakon‘. Die drei letzten meinen klar Kirchenord-

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Stoglav (nt. 69), § 4. Stoglav (nt. 69), § 5 (SS. 254 266). Stoglav (nt. 69), § 5, § 41:18, § 55–59. Stoglav (nt. 69), § 53–54, § 60. Stoglav (nt. 69), § 6–10, § 69. Stoglav (nt. 69), § 18. Pervoe poslanie Groznogo. 1-ja prostrannaja redakcija, edd. Ja. S. Lur’e / Ju. D. Rykov, Perepiska Ivana Groznogo s Andreem Kurbskim, Moskva 1981, l.300 (S. 14), l. 304–304ob. (S. 18), l. 308–308ob. (S. 22–23), l. 310 (S. 24), l. 315 (S. 30), l. 325ob. (S. 40), l. 332ob. (S. 47), l. 334 (S. 49), 346ob.–347 (S. 51). Pervoe poslanie Groznogo (nt. 79), l. 305 (S. 40). Pervoe poslanie Groznogo (nt. 79), l. 310ob. (S. 25). Pervoe poslanie Groznogo (nt. 79), l. 307ob. (S. 21), Sreznevskij, Slovar (nt. 15), Tom I:1, 249–250.

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nungen, also die römisch-katholische und orthodoxe Kirche. ‚Lifljandskie zakon‘ meint den baltischen Ordensstaat. In diesem Zusammenhang bezeichnet ‚zakon‘ eine Gewaltsstruktur. Es ist aber etwas überraschend, daß der Text keinen ‚krimskij‘, ‚kazanskij‘, ‚turskij‘, ‚tatarskij‘, ‚perekopskij‘ oder ‚nogajskij zakon‘ kennt, obwohl die Dokumente viel von diesen tatarischen Gesellschaften sprechen83. Im Allgemeinen können wir sagen, daß eine Moskauer Norm nicht leicht mit dem westlichen, zeitgenössischen Wort lex, also dem Gesetz zu übersetzen ist. ‚Zakon‘ meint vor allem die Ordnung, die in der Kirche oder in der Verwaltung herrscht und die der Herrscher in Einzelfällen beschließt. Dies kann man nicht leicht in Texten erkennen, sondern es handelt sich um eine Meinung oder sogar das Wissen des Herrschers über die richtige Ordnung. Falls der Herrscher dies nicht genau geäußert hat, muß man um seine Meinung bitten. Dagegen meinen Wörter wie ‚ustav‘ oder ‚pravilo‘ konkretere Vorschriften, die man in Einzelfällen beachten muß. Diese waren jedoch auch nicht absolut, sondern eher Behandlungsmodelle, nach denen man verfahren darf, wenn der Herrscher nicht anderer Meinung ist. Sie sind nicht so verbindlich wie ein lex im Westen. Ein klarer Zug des Moskauer Verwaltungssystems ist auch die Zunahme der Herrschermacht und ihre zunehmende Verbindlichkeit mit der Kirche. VI. Praktische Einwirkung en und Legitimität der r ussischen Gewalt Die russische Entwicklung sieht in gewisser Weise wie ein Spiegelbild des westlichen Europas aus. Nach unseren Quellen hat eine religiöse Argumentation in der Legitimität des Rechtswesens während des Mittelalters zugenommen. Im Frühmittelalter war diese nur in kirchlichen Vorschriften klar zu erkennen, während im 16. Jahrhundert die gesamte juristische Struktur des Reiches damit verbunden war. Der auffallendste Aspekt ist hier eine Verstärkung der Position des Herrschers als Ausleger der Gottesordnung und der ewigen Wahrheit und nicht wie im Westen als eine Quelle der schriftlichen Gesetze. Eine frühe Entwicklung war auch im Kiewer Reich eher mit einer westeuropäischen Staatsformierung verbunden, weil die fürstliche Oberstruktur der Gesellschaft stark mit der Wikingerwelt und Westeuropa verbunden war 84. Eine westliche Scholastik erreichte aber nie Osteuropa im Hochmittelalter. Anstatt einer Zunahme der rationalen Argumentation vermehrte ein Aufstieg der byzantinischen Lehre des Hesychasmus eine Betonung mystischer Spekulationen und jenseitiger Visionen im ganzen Leben. Außerdem setzten vermehrte politische und 83

84

Lietuvos Metrika (1427–1506). Knyga Nr. 5. Uzˇrasˇymu˛ knyga 5, Vilnius 1993, 63, 72, 73, 81, 85, 87–89, 93, 147–149, 151, 153, 167, 169, 186, 187, 191, 193, 195, 196–198, 217, 239, 242, 243, 272. J. Korpela, Beiträge zur Bevölkerungsgeschichte der Kiever Rus’ bis zum Tode von Vladimir Monomah (Studia historica Jyväskyläensia 54), Jyväskylä 1995, 53–57, 77–87, 103–108.

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wirtschaftliche Verbindungen mit der tatarisch-persischen Welt auch eine andersartige, religiösere Legitimität der höchsten Macht voraus. Dies hat Auswirkungen gehabt, die noch heute zu sehen sind. Den Hintergrund dazu lieferte eine starke östliche Volkskultur unter den Ostslawen, da die alltäglichen Verbindungen natürlich mit den nächsten Nachbarn geschlossen worden waren, die meistens aus türkischen Stämmen der Steppe bestanden. Die Grundeinheit der russischen Gesellschaft ist seit dem Mittelalter eine Dorfgemeinschaft gewesen, die man ‚mir‘ nennt. ‚Mir‘ bedeutet aber auch sowohl die Welt als auch den Frieden. Eigentlich meint sie eine Einheit, die unter Leitung eines Hausvaters oder Ältesten besteht. Weil die Einstimmigkeit der Mitglieder das Leitprinzip einer solchen Einheit ist, formt die Meinung des Ältesten die Normgrundlage des Lebens und ihre Legitimität ist eine Autorität, also eine Gottesordnung und keine schriftlichen Gesetze eines außenstehenden Herrschers. Diese Gemeinschaftlichkeit nennen die Russen ‚sobornost‘’ und betrachten sie auch heute noch als ein Grundelement ihrer Kultur. Der Gedankengang ist nicht weit von einer islamischen ‚umma‘ entfernt, die auch die Welt, den Staat und ursprünglich die Gesellschaft einer Moschee bedeutet. Somit ist eine Dorfgemeinschaft, die man ‚rea¯ya¯‘ (‚eine Gruppe, die der Herrscher schützen muß‘) nennen kann, das Grundelement der gesellschaftlichen Existenz. Ein lokaler Leiter muß seine ‚rea¯ya¯‘ nach dem islamischen Gesetz ‚s¸erı¯t‘ leiten, so wie ein Hirte seine Herde, aber auch hier ist die Autorität des Leiters absolut. Die Schwedische Friedensdelegation versuchte 1556 in Moskau, ihre gefangenen Landsleute zu befreien. Der Zar versprach, alle die freizulassen, die in seiner Gefangenschaft waren. Er konnte aber nichts für diejenigen tun, die in privater Gefangenschaft der Truppen waren, weil sie zum Eigentum dieser Menschen gehörten. Hier stoßen zwei verschiedene Gesellschaftssysteme auf einander. Obwohl Zar Ivan IV. sicher mächtiger als König Gustav Wasa war, konnte der schwedische König allerdings solche Probleme der Gefangenschaft in seinem Reich laut Gesetz entscheiden, was der russische Zar nicht konnte, weil sein Reich eine andersartige politisch-juristische Zusammensetzung besaß. Der Zar war ein absoluter Herrscher, dessen Macht durch keine Rechtsnormen wie die des schwedischen Königs begrenzt war. Wegen des Systems hatte der Zar jedoch keine Instrumente, seine Macht in solchen Fragen auf lokalem Niveau zu verwirklichen, die laut dem herkömmlichen sozial-ökonomischen System absolut und moralisch auf eine andere Weise schon entschieden worden waren. Seine Autorität beruhte auf einer solchen Legitimität, die eine moralische und religiöse Pflicht des Herrschers für das Wohlsein seiner Untertanen in den Augen Gottes betonte 85. 85

N. P. Lihacˇeva / V. V. Majkova (eds.), Pamjatniki diplomaticˇeskih snosˇenij Moskovskago gosudarstva so Sˇveciej 1556–1586gg, Pamjatniki diplomaticˇeskih snosˇenij drevnej Rossii s derzˇavami inostrannymi po vysocˇajsˇemu poveleniju izdannye Imperatorskim Russkim Istoricˇeskim Obsˇcˇetvom (Sbornik Imperatorskago russkago istoricˇeskago obsˇcˇestva 129), Sanktpeterburg 1910, Nr. 2 (S. 41), Nr. 9 (S. 104).

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Die Entwicklung endete nicht mit dem Zarentum Ivans IV. Das Zitat von Giovanni di Plano Carpini aus dem 13. Jahrhundert stimmt noch heute. Eine echte juristische Argumentation ist immer unbedeutend in Rußland gewesen, weil der Herrscher wegen seiner Position die Wahrheit kennt, die die Politiker, Behörden oder Bürger nicht kennen. Juristen und echte juristische Wissenschaftler existierten bis zu Reformierungen Peters des Großen nicht. Danach waren Juristen in Rußland meistens Verwaltungswissenschaftler im westlichen Sinne, obwohl eine starke deutsche Einwirkung in der Adaptation des römischen Rechts seit dem 19. Jahrhundert zu beobachten war 86.

86

Feldbrugge, Law (nt. 14), 59–61.

II. Gesetz, Recht und Politik

Die erste Leges-Reform Karls des Großen K U (Köln) Der Biograph Einhard wirft einen Schatten auf das Nachleben Karls des Großen, dem sich die Historiker nur schwer entziehen können. Die Beurteilung der Rechtsreform des Kaisers belegt diese dauerhafte Prägung wie kaum ein anderes Thema. Wenn Historiker die Rechtsreform erörtern, zitieren sie meist zustimmend das kategorische Verdikt Einhards. In der ‚Vita Karoli‘ läßt der Biograph nämlich keinen Zweifel an der negativen Beurteilung dieses Aspekts im Leben seines Helden aufkommen: „Nach Annahme des Kaisertitels, als er sah, wie viele Mängel den Gesetzen seines Volkes anhafteten – die Franken haben nämlich zwei Rechte (leges), die in sehr vielen Stücken stark voneinander abweichen –, nahm er sich vor, Fehlendes zu ergänzen, Widersprüchliches zu entfernen, Unrechtes und Verkehrtes zu verbessern; indes er kam damit nicht weiter, als daß er wenige Kapitel den Volksrechten (legibus) hinzufügte, und auch diese waren unvollkommen. Er ließ aber alle ungeschriebenen Rechte (iura) der von ihm beherrschten Völker sammeln und schriftlich aufzeichnen“ 1. Einhards Verdikt ist deshalb so vernichtend, weil er ansonsten aus seiner großen Bewunderung für den Kaiser keinen Hehl macht – seine Biographie ist eine durchgehend positive und weitgehend kritiklose Lobrede auf den Herrscher. Die negative Bewertung der Rechtsreform wirkt vor diesem Hintergrund als ein unverrückbares Faktum. Auch gibt Einhard bereits einen Wink, wie die Reform Karls verstanden werden muß: als eine Nachahmung römischer Kaiser. Erst „nach der Annahme des Kaisertitels“, so Einhard, widmete sich Karl den leges. Die Forschung nahm diesen Hinweis dankbar auf. Der große François Louis Ganshof erkennt darin die „Andeutung eines Kausalzusammenhangs“ und folgert: „Im Bewußtsein seiner gesetzgeberischen Gewalt wagte er es nunmehr, mit seinen Kapitularien auch in den Bereich der leges einzugreifen“ 2. Mit einer ähnlichen Tendenz urteilte der Altmeister der Rechtsgeschichte Patrick Wormald über die Reformbestrebungen Karls. Den Bericht Einhards hält er ausdrücklich

1 2

O. Holder-Egger/G. Waitz (eds.), Einhard: Vita Karoli, c. 29 (MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum 25), Hannover/Leipzig 1911, 33. F. L. Ganshof, Was waren die Kapitularien?, Weimar 1961, 151. Zustimmend und mit Hinweis auf byzantinischen Einfluß G. Theuerkauf, Lex, Speculum, Compendium juris. Rechtsaufzeichnung und Rechtsbewußtsein in Norddeutschland vom 8. bis zum 16. Jahrhundert (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 6), Köln 1968, 62.

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für eine akkurate Beschreibung des Mißerfolgs des von „imperial euphoria“ 3 erfaßten Kaisers. Die zahlreichen Rechtshandschriften des 9. Jahrhunderts bewertet Wormald als Dokumente des Scheiterns, da sie kirchlichen, nicht weltlichen Interessen ihre Entstehung verdankt und keine Integration von alten Volksrechten und neuen Herrschererlassen zuwege gebracht hätten. Wormald versteht die Gesetzgebung der fränkischen Herrscher als ideologisch inspiriert: „Barbarian law-making replicated an archetypal function of Roman imperial sovereignty“4. Auch Wilfried Hartmann stimmte unlängst in diesen Chor ein. Er hält Einhards Aussage für angemessen, weist aber einschränkend darauf hin, daß Einhard wichtige Aspekte wie das Kirchenrecht und die Kapitularien verschweigt sowie möglicherweise eigene Vorstellungen über eine „Vereinheitlichung des Rechts“5 in die Bewertung einfließen ließ, die nichts mit den Zielen des Kaisers zu tun gehabt hätten. Im Urteil über die Leges-Reform sind sich die Historiker also weitgehend einig. Wenn sich Karl nur aufgrund seines neuen kaiserlichen Amtes dazu entschloß, die Rechtsbücher zu reformieren, verwundert nicht sein Scheitern: Er wollte einem Herrscherideal gerecht werden und nicht den realen Gegebenheiten des Frankenreiches. Meines Erachtens hat die These von Karls Scheitern jedoch eine Reihe von Schwachpunkten. In erster Linie kann sie nicht die sagenhafte Verbreitung von Rechtshandschriften in der Karolingerzeit erklären, denn diese fand gerade nicht durch eine zentrale Steuerung statt, sondern durch lokale Interessen und lokale Initiativen. Es mußte ein weitverbreitetes Bewußtsein von der Nützlichkeit der ,Lex Salica‘ und anderer Rechtsbücher gegeben haben, unabhängig von einem königlichen Programm oder einer imperialen Ideologie6. Ich will aber diesen Kritikpunkt nicht weiter ausführen, sondern vielmehr den Zusammenhang von LegesReform und Kaisertum in Frage stellen. Denn das Bild von Karls Rechtsreform erfährt erhebliche Veränderungen, wenn gezeigt werden kann, daß er bereits zwanzig Jahre früher eine erste Reform der Leges veranlaßt hat – unabhängig vom Titel des römischen Kaisers. Ausgangspunkt für diese These einer „ersten“ Leges-Reform ist die Überarbeitung der ‚Lex Salica‘. Das fränkische Rechtsbuch aus der Zeit um 500 wurde auf Veranlassung Karls zweimal überarbeitet, und zwar in der sogenannten E- und K-Fassung. In meinem Beitrag will ich zeigen, daß beide Versionen mit einer planmäßigen Erneuerung des Rechts durch den Herrscher in Beziehung stehen. Stand dies für die Leges-Reform von 802, welche die K-Fassung hervorbrachte, seit langem fest, möchte ich die These aufstellen, daß auch die E-Fassung im Rahmen einer „ersten Leges-Reform“ um das Jahr 789 3 4 5

6

P. Wormald, The Making of English Law. King Alfred to the Twelfth Century 1: Legislation and its Limits, Oxford 1999, 45–48. Ibid. 64. W. Hartmann, Karl der Große, Stuttgart 2010, 130, 141. Cf. id., Karl der Große und das Recht, in: P. L. Butzer et al. (ed.), Karl der Grosse und sein Nachwirken. 1200 Jahre Kultur und Wissenschaft in Europa, Turnhout 1997, 173–192. Cf. R. McKitterick, The Carolingians and the Written Word, Cambridge 1989.

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entstanden ist7. Die zwei Reformen unterscheiden sich grundlegend voneinander und können daher deutlich machen, in welcher Weise sich das Verständnis von Recht während der Regierungszeit Karls des Großen wandelte und wie die lex scripta zum Fundament des karolingischen Großreichs wurde. Bevor ich mich dieser von mir angenommenen „ersten Leges-Reform“ zuwende, ist es sinnvoll, in Umrissen die bekannte Reform von 802 zu charakterisieren. Nur so wird deutlich, wie sich unser Bild von der Gesetzgebung Karls des Großen durch die These einer ersten Leges-Reform verändert. 1. So einschneidend die Reform von 802 war, hat sie die Annalisten nicht nachdrücklich beeindruckt. Weder die Reichsannalen vom Hof des Kaisers nehmen davon Notiz noch andere wichtige Chroniken aus dem Umkreis der Karolinger. Nur die Lorscher Annalen berichten einigermaßen ausführlich über die Initiative Karls des Großen. Der Annalist, vermutlich Karls enger Vertrauter Erzbischof Richbod von Trier, bemerkte am Anfang seines Eintrags die ungewöhnliche Ruhe im Reich des Frankenkönigs: „In diesem Jahr weilte der Herr Kaiser Karl in der Pfalz von Aachen ruhig mit den Franken ohne einen Kriegszug zu unternehmen“ 8. Daraufhin beschreibt der Annalist die Einsetzung von Inspekteuren, den sogenannten missi dominici, um dann auf die eigentliche Rechtsreform im Herbst desselben Jahres auf einer Reichsversammlung in Aachen zu sprechen zu kommen: „Und der Kaiser selbst versammelte während dieser Synode die Herzöge, Grafen und das übrige christliche Volk mit den Rechtskundigen und ließ alle Kodifikationen in seinem Reich verlesen und einem jeden Mann sein Rechtsbuch auslegen (tradi) und er ließ die Rechtsbücher verbessern, wo immer es notwendig war, und das verbesserte Rechtsbuch aufzeichnen, damit die Richter aufgrund des geschriebenen Rechts urteilen sollten und keine Geschenke annehmen, damit alle Menschen, Arme und Reiche, in seinem Reich Gerechtigkeit hätten“ 9.

Bedenkt man, daß Karl der Große über ein Vielvölkerreich herrschte, in dem jedes Volk Anspruch auf ein eigenes Rechtsbuch hatte, war dies in der Tat eine immense Aufgabe. Wieviel davon konnte er verwirklichen? Grundsätzlich ist festzuhalten, daß kein einziger Text einer Rechtskodifikation eindeutig in das Jahr 802 datiert werden kann und daher unzweifelhaft mit der Reform von 802 in Zusammenhang steht. Trotz dieser ernüchternden Bilanz hat sich in der Forschung die Vorstellung durchgesetzt, daß eine ganze Reihe von Texten aus der Reform hervorgegangen ist. Zum einen sind von den bereits bestehenden Rechtsbüchern revidierte Texte erhalten. Eindeutig ist der Befund für die Lex Salica. Die schon 7

8 9

Für die E-Handschriften verwende ich die üblichen Siglen: E11 = Vatikan, BAV, Reg. lat. 846; E12 = Paris, BnF, lat. 4409; E13 = Warschau, BU, 1; E14 = St. Gallen, Stiftsbibliothek, 729; E15 = Paris, BnF, lat. 4629; E16 = Berlin, Staatsbibliothek – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Phill. 1736. Annales Laureshamenses a. 802, ed. G. H. Pertz (MGH SS 1, Hannover 1826), 22–39, 39. Ibid.

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erwähnte K-Version ist sehr wahrscheinlich um das Jahr 800 entstanden und verdrängte ziemlich rasch alle anderen im Umlauf befindlichen Fassungen des fränkischen Rechtsbuches. Schwieriger ist der Befund für die Rechte der Alemannen, der Bayern und der Franken um Köln. In diesen Fällen sind zwar revidierte Textstufen erkennbar, aber nicht eine klar abgegrenzte Fassung Karls des Großen. Es ist bis heute nicht klar, wie stark die Eingriffe der Redaktoren waren, die im Auftrag Karls des Großen arbeiteten10. Zum anderen sind auch ganz neue Rechtsbücher erhalten, und zwar für die Völker im Nordosten des Frankenreichs. Die Franken am Niederrhein, die Thüringer, die Sachsen und die Friesen erhielten erstmals eigene Rechtsbücher. Auch diese Werke sind nicht auf das Jahr 802 datiert, aber auch hier ist sich die Forschung einig, daß sie im Rahmen der Reform von 802 entstanden sein müssen. Um die Aufarbeitung der neuen Rechtsbücher steht es erheblich besser als um die Revisionen.11 Wir wissen, daß Karl Kommissionen für die Erarbeitung einsetzte, daß er vor Ort die Einwohner nach den Gewohnheiten befragen ließ und daß er auf vorhandene fränkische Rechtstraditionen zurückgriff und auf die östlichen Völker übertrug. Ein Rechtsbuch blieb dabei offensichtlich unfertig, die ‚Lex Frisionum‘. Alle neuen Rechtsbücher waren überdies wenig erfolgreich. Es existieren jeweils nur ein bis zwei Handschriften, im Fall der ‚Lex Frisionum‘ überhaupt nur ein Druck aus dem 16. Jahrhundert. Kaum erkennbare Revisionen auf der einen Seite, wenig erfolgreiche Neukodifikationen auf der anderen Seite: Es wundert nicht, daß die Rechtsreform von 802 von Historikern weitgehend als Fehlschlag betrachtet wird – zumindest was die Rechtsbücher (die leges) angeht. Die Bewertung ist zumeist differenzierter hinsichtlich der Herrschererlasse, der sogenannten Kapitularien, die seit dem Jahr 802 in schöner Regelmäßigkeit vom Hof des Kaisers ausgingen12; aber auf diese Quellengattung soll in diesem Rahmen nicht näher eingegangen werden.

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Die Forschung ist seit B. Krusch, Neue Forschungen über die drei oberdeutschen Leges: Bajuvariorum, Alamannorum, Ribuariorum (Abhandlungen Göttingen 20/1), Göttingen 1927, und R. Buchner, Textkritische Untersuchungen zur Lex Ribuaria (Schriften des Reichsinstituts für Ältere Deutsche Geschichtskunde 5), Leipzig 1940, zum Erliegen gekommen. Theuerkauf, Lex (nt. 2); H. Siems, Studien zur Lex Frisionum (Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 42), Ebelsbach 1980; P. Landau, Die Lex Thuringorum – Karls des Großen Gesetz für die Thüringer, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung (2001), 23–57; anders T. Faulkner, Carolingian Kings and the leges barbarorum, in: Historical Research 86 (2013), 443–464. Cf. H. Mordek, Studien zur fränkischen Herrschergesetzgebung, Frankfurt am Main 2000; T. M. Buck, „Capitularia imperatoria“. Zur Kaisergesetzgebung Karls des Großen von 802, in: Historisches Jahrbuch 122 (2002), 3–26; C. Pössel, Authors and recipients of Carolingian capitularies, 779-829, in: R. Corradini et al. (eds.), Texts and Identities in the Early Middle Ages (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 13), Wien 2006, 253–276; S. Patzold, Normen im Buch. Überlegungen zu Geltungsansprüchen so genannter „Kapitularien“, in: Frühmittelalterliche Studien 41 (2007), 331–350; J. Davis, A Pattern for Power: Charlemagne’s Delegation of Judicial Responsibilites, in: ead./Michael McCormick (eds.), The Long Morning of Medieval Europe, Aldershot 2008, 235–246.

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2. Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist die sogenannte E-Fassung der ‚Lex Salica‘. Die ‚Lex Salica‘ ist eine Aufzeichnung fränkischen Gewohnheitsrechts, die um das Jahr 500 entstanden ist und im Lauf der Merowingerzeit zum wichtigsten Bezugspunkt für die fränkische Identität wurde13. Diesen symbolischen Rang konnte das Rechtsbuch deshalb annehmen, weil darin die Franken doppelt so viel wert waren wie die Romanen, sie keine körperlichen Strafen zu befürchten hatten, nicht durch einen Beweis vor Gericht überführt werden konnten und sich nicht dem Urteil eines Richters unterwerfen mußten. Die Bedeutung dieser fränkischen Freiheiten stieg im 6. Jahrhundert so stark an, daß das Rechtsbuch letztlich als unveränderbar galt. Als die Karolinger im Jahr 751 die Merowinger vom Königsthron vertrieben, knüpften sie an die Rechtspolitik ihrer Vorgänger an. Pippin ließ die ‚Lex Salica‘ im Jahr 764 auf einer Reichsversammlung erneut verkünden. Die Forschung nennt die Version Pippins die D-Fassung. Pippin ließ im Inhalt nichts verändern, sondern die Gliederung verbessern und dem Text einen Prolog voranstellen, in dem die historische Bedeutung der Franken pointiert herausgehoben wird. Als Dokument des fränkischen „exceptionalism“ ist der Prolog in der Geschichtsschreibung zur Karolingerzeit gut bekannt14. Die D-Fassung Pippins hatte jedoch einen schwerwiegenden Mangel: Was der Redaktor durch seine Neuordnung verbesserte, wurde durch die schlechte Vorlage zunichte gemacht. Der unerbittliche Bruno Krusch hat in dieser Hinsicht den Nagel auf den Kopf getroffen: „Der Unverstand von A [d. h. D] ist auf die wunderlichsten Gesetzesbestimmungen gekommen“15. Zeilensprünge, ausgefallene Wörter und Verschreibungen haben den Text auf eine Weise verunstaltet, daß bereits das verlorene Original der D-Fassung an so manchen Stellen unverständlich gewesen sein muß. Der symbolische Gebrauch der ‚Lex Salica‘ durch Pippin war in der Tat vorrangig. Die von Pippin angeregte Fassung der ‚Lex Salica‘ war also ein Fehlschlag. Es ist daher nicht überraschend, daß Karl der Große, der Sohn Pippins, die Notwendigkeit einer Revision der ‚Lex Salica‘ erkannte. Die D-Version Pippins wurde folglich unterdrückt und ist nur in drei Handschriften aus dem Ende des 8. und

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Künftig ausführlich in meinem Buch mit dem Arbeitstitel ‚Sinnstiftungen eines Rechtsbuchs. Die Lex Salica im Frankenreich‘. Cf. R. Schmidt-Wiegand, ‚Gens Francorum inclita‘. Zu Gestalt und Inhalt des längeren Prologes der Lex Salica, in: U. Scheil (ed.), Festschrift Adolf Hofmeister, Halle 1955, 233–250; M. Garrison, The Franks as the New Israel?, in: Y. Hen/M. Innes (eds.), The Uses of the Past in the Early Middle Ages, Cambridge 2000, 114–161; M. Innes, ‚Immune from heresy‘. Defining the boundaries of Carolingian Christianity, in: D. Ganz/P. Fouracre (eds.), Frankland. The Franks and the World of the Early Middle Ages. Essays in Honour of Dame Jinty Nelson, Manchester 2008, 101–125. B. Krusch, Der Umsturz der kritischen Grundlagen der Lex Salica. Eine textkritische Studie aus der alten Schule, in: Neues Archiv 40 (1916), 497–579, 560. Dieselben Beispiele analysiert H. Nehlsen, Sklavenrecht zwischen Antike und Mittelalter. Germanisches und römisches Recht in den germanischen Rechtsaufzeichnungen, 1: Ostgoten, Westgoten, Franken, Langobarden (Göttinger Studien zur Rechtsgeschichte 7), Göttingen 1972, 293–295.

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dem Anfang des 9. Jahrhunderts erhalten. An ihre Stelle setzte Karl die sogenannte E-Fassung. Sie beruhte auf der D-Version, reinigte diese aber von offensichtlichen Fehlern im Rechtsinhalt und grammatischen Barbarismen des merowingischen Lateins. Die E-Fassung ist damit ein Zeugnis dafür, daß ein intelligenter Redaktor auch aus einer verdorbenen Vorlage einen halbwegs brauchbaren Text zurechtzimmern konnte. Eine Anpassung an die Rechtspraxis der Zeit fand jedoch ebenso wenig statt wie in den anderen Fassungen der Karolingerzeit. Die ‚Lex Salica‘ war eben schon lange ein unveränderbarer Text geworden. Wie ist diese E-Fassung chronologisch einzuordnen? Bislang hat sich zu dieser Frage nur der Herausgeber Karl August Eckhardt geäußert. Eckhardt datierte die E-Fassung in das Jahr 798, identifizierte den Redaktor mit dem königlichen Notar Erkanbald und glaubte den Einfluß Alkuins auf die Redaktion nachweisen zu können16. Diese Zuschreibung ist in der Forschung unwidersprochen hingenommen worden. Allerdings hat die Argumentation Eckhardts einen nicht unbedeutenden Haken: Die Datierung in das Jahr 798 ist nur in fünf Handschriften der K-Fassung erhalten (K20, K31, K33, K34, K35) und in keiner der sechs Handschriften der E-Fassung (E11-E16)17. Wie Eckhardt es gelingt, die Datierung in die E-Fassung hineinzuschmuggeln, ist das Produkt einer ebenso genialen wie irrwitzigen Kombinatorik. Es geht kein Weg daran vorbei, seine Argumentation Punkt für Punkt zu widerlegen. Eckhardt setzte dort an, wo jede verfehlte Spekulation seinen Ausgang nimmt: vom Schweigen der Quellen. Zwei Handschriften haben nämlich am Anfang des ‚Lex Salica‘-Textes eine Lücke: Bei E11 fehlt nach fol. 79v ein Blatt, das auf einer Seite mit dem Anfang des Titelverzeichnisses beschrieben gewesen sein muß. Was auf der anderen Seite stand, wissen wir nicht. Bei E15 fehlt eine ganze Lage, da der Text erst mit Titel 24 der ‚Lex Salica‘ einsetzt. Eckhardt nimmt nun an, daß eine oder beide Handschriften die Datierung enthalten habe. Für E11 verwertet er einen weiteren Hinweis. Diese Handschrift befand sich nämlich im 16. Jahrhundert im Besitz des Gelehrten Jean du Tillet und wurde von diesem für seine Editio princeps der ‚Lex Salica‘ verwendet. In dieser Edition taucht nun ebenfalls die Datierung auf, und zwar in einer einzigartigen Form, in der Inkarnationsjahr und Indiktionsjahr übereinstimmend das Jahr 798 bezeichnen. Eckhardt nimmt nun an, daß Tillet die Datierung aus E11 entnommen hat, während die anderen Handschriften (E12, E13, E16) die „Datierung eingebüßt haben“. Nach Eckhardt „kann dies umso weniger verwundern, als sich der gleiche Prozeß bei den übrigen Redaktionen des salfränkischen Gesetzes, ja bei nahezu allen germanischen Volksrechten abgespielt hat“18. 16 17

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K. A. Eckhardt (ed.), Lex Salica: 100 Titel-Text (Germanenrechte: Westgermanisches Recht 3), Weimar 1953, 55–78. K. A. Eckhardt (ed.), Lex Salica (MGH Leges nationum Germanicarum 4/2), Hannover 1969, 9: „Anno ab incarnatione domini nostri Iesu Christi DCCLXLVIII, indictione sexta, domnus Karolus rex Francorum inclitus hunc libellum tractati legis Salicae scribere iussit.“ Ibid. 75 sq.

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Diese Argumentation ist in vielerlei Hinsicht fehlerhaft. Eckhardts Vorannahme, jede Redaktion der Volksrechte habe einen amtlichen Datierungsvermerk eingeschlossen, sei dahingestellt. Kaum ein Historiker würde ihr gegenwärtig zustimmen. Aber nicht nur die Vorannahme ist fraglich, auch die Details stimmen nicht. So muß E15 eindeutig aus der Argumentation ausscheiden, weil E16 auf eine gemeinsame Vorlage zurückgeht und den Datierungsvermerk nicht enthält. Was E11 angeht, ist es nicht zwingend anzunehmen, Jean du Tillet habe daraus für seine Editio princeps geschöpft. Schließlich kannte er mit K33 nachweislich eine Handschrift mit der Datierung, vielleicht auch K2019. Was aber die Argumentation von Eckhardt ganz unglaubwürdig erscheinen läßt, ist folgende Tatsache: Alle Handschriften mit der Datierung enthalten vor dem Text der K-Fassung den langen Prolog in der D-Fassung und nicht in der E-Fassung. Wenn aber, wie Eckhardt behauptet, die Datierung in der E-Fassung gleich nach dem langen Prolog gestanden hätte, ist es nicht einsichtig, warum die fünf Handschriften der K-Fassung die vermeintliche Datierung der E-Fassung mit dem Prolog der D-Fassung kombinieren. Naherliegender wäre es doch gewesen, gleich die Datierung der D-Fassung zu kopieren. Ferner liegt allen fünf Handschriften mit der Datierung auf das Jahr 798 eine Zusammenstellung von Texten zugrunde, die das ‚Capitulare legibus additum‘ aus dem Jahr 803 enthält, also aus einer Zeit stammt, in der bereits die K-Fassung im Umlauf war, welche in allen Handschriften auf die fragliche Datierung folgt. Zuletzt spricht auch die Form der Datierung gegen einen Zusammenhang mit der E-Fassung. Denn die Datierung nennt das Werk einen libellus tractati legis Salicae, während die E-Fassung durchgängig mit Liber Salicae betitelt wird. Die Datierung gehört folglich nicht zur E-Fassung. Es braucht daher an dieser Stelle gar nicht diskutiert werden, wie die Datierung ursprünglich gelautet hat. Denn Eckhardt kehrt auch die Tatsache unter den Tisch, daß nur Tillet das Jahr 798 angibt, während die Handschriften die Jahre 778 und 768 nennen. Ebenso muß nicht erörtert werden, ob die Datierungsformel („scribere iussit“) überhaupt eine Neufassung meint oder nicht bloß den Befehl der Herstellung einer Kopie. Die E-Fassung berühren diese Fragen nämlich ohnehin nicht. Kaum besser steht es um die Zuschreibung des E-Textes an den Notar Erkanbald. Formulierungen wie „audeat inrumpere“, „domino auxiliante“ oder „per cuncta futura secula“ sind in der Urkundensprache kaum so spezifisch, um ihre Wiederkehr in der E-Fassung auf den Einfluss eines einzelnen Notars zurückzuführen. Auch der Zusammenhang mit dem Alkuinbrief aus der Zeit um 798 erschließt sich mir nur schwer. Alkuin diskutiert darin die Worte aeternum, sempiternum, aevum und tempus. Aber muß man gleich darauf schließen, daß der Redaktor der E-Fassung mit Allerweltsformulierungen wie „per infinita saecula“ auf die subtilen Diskussionen Alkuins anspielt? Sind die Thesen Eckhardts vom Tisch, läßt sich die Frage der Entstehung der E-Fassung neu aufrollen. Der Terminus ante quem ist die K-Fassung, denn es steht seit langem fest, daß sich ihr Redaktor der E-Fassung bediente und diese 19

K. A. Eckhardt (ed.), Pactus Legis Salicae: I,1: Einführung und 80-Titel-Text (Germanenrechte. Neue Folge: Westgermanisches Recht 1), Göttingen 1954, 41.

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neben den älteren Versionen für seine Textherstellung heranzog. Der Terminus post quem ist die D-Fassung des Jahres 764. Mit einiger Wahrscheinlichkeit läßt sich dieses Datum noch um einige Jahre verschieben, denn zwei Handschriften der E-Fassung enthalten eine Herrscherliste, welche die Regierungsjahre Pippins enthält und daher nach dessen Tod im Jahr 768 entstanden sein muß. Es ist zwar nicht gesichert oder auch nur wahrscheinlich, wie Eckhardts Edition glauben machen will, daß die Herrscherliste zum ursprünglichen Bestand der Fassung gehörte, sie ist aber sicher schon früh in die Überlieferung eingedrungen20. Es scheint ohnehin kaum plausibel, die Redaktion in die letzten Jahre Pippins zu datieren. Die E-Fassung ist also zwischen 768 und 802 entstanden. Will man zu einer genaueren zeitlichen Einordnung gelangen, bewegt man sich auf unsicherem Boden. Ich möchte im folgenden drei Argumente zur Diskussion stellen, warum ich eine Entstehung der E-Fassung um das Jahr 789 für plausibel erachte. a. Das erste Argument beruht auf einem Vergleich mit den Herrscherlassen vor 800, den sogenannten Königskapitularien Karls des Großen. Hubert Mordek hat die Forschung hierzu in den letzten Jahren auf eine neue Grundlage gestellt. Ging man bisher von einer mehr oder weniger kontinuierlichen Produktion der Kapitularien aus und versuchte die zumeist undatierten Texte grob zeitlich über die Herrscherjahre zu streuen, gruppierte Mordek die Kapitularien um einzelne legislatorische Schübe herum21. Im Jahr 802 fand ein legislatorischer Schub zweifellos statt, und damit hängen nicht nur fertige Herrschererlasse, sondern auch Beratungsdokumente und interne Fragelisten zusammen. Vor 802 gab es nur einen legislatorischen Schub, und zwar um das Jahr 789. Diesem Schub läßt sich das bedeutendste Kapitular Karls des Großen zuordnen, die ‚Admonitio generalis‘, aber auch eine Reihe weiterer kürzerer Texte wie die ‚Epistola generalis‘, die berühmte ‚Epistola de litteris colendis‘ und das ‚Capitulare primum‘. Abgesehen von dieser Gruppe gibt es vor 800 nur die beiden datierten Kapitularien von Herstal (779) und Frankfurt (794). Vergleicht man diese Kapitularien, so paßt eine Revision der ‚Lex Salica‘ am besten zum legislatorischen Schub von 789. Weder in Herstal noch in Frankfurt spielt die lex scripta in den Bestimmungen eine herausragende Rolle. In Herstal wird lex geradezu synonym mit Wergeld gebraucht: Der meineidige Ankläger soll seine lex, d.h. sein Wergeld, bezahlen22. Im Jahr 789 wird dagegen erstmals die für 20 21

22

Cf. hierzu den Anhang. Cf. die Datierungen in H. Mordek, Bibliotheca capitularium regum Francorum manuscripta. Überlieferung und Traditionszusammenhang der fränkischen Herrschererlasse (MGH Hilfsmittel 15), München 1995; id., Die Anfänge der fränkischen Gesetzgebung für Italien, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 85 (2005), 1–35; M. Glatthaar/H. Mordek/K. Zechiel-Eckes (eds.), Die Admonitio generalis Karls des Großen (MGH Fontes iuris Germanici antiqui 16), Hannover 2012; M. Glatthaar, Zur Datierung der Epistola generalis Karls des Großen, in: Deutsches Archiv 66 (2010), 455–477. Capitulare Haristallense, c. 10, in: A. Boretius (ed.), Capitularia regum Francorum 1, Hannover 1883, 49.

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die Rechtsreform von 802 so zentrale Forderung laut, Richter sollen nach Schriftrecht urteilen. In der ‚Admonitio generalis‘ von 789 heißt es: „Zuerst hat nämlich der Richter sorgfältig das Recht (lex) zu lernen, das von den Weisen für das Volk zusammengestellt wurde, damit er nicht aus Unwissenheit vom Weg der Wahrheit abirre“23. Es scheint mir nicht vollkommen abwegig, hier einen Verweis auf die ‚Lex Salica‘ zu sehen. Denn die Formulierung „lex a sapientibus populo conposita“ trifft gerade für das fränkische Rechtsbuch zu, das im langen Prolog vorgibt, ohne königliche Mitwirkung von vier weisen Männern Arogast, Salegast, Widogast und Wisogast verfaßt worden zu sein. An anderer Stelle fordert die ‚Admonitio generalis‘: „Und kein Mann darf hingerichtet werden, wenn es die lex nicht erfordert“24. Dieser Satz ist deshalb besonders aussagekräftig, weil in der Vorlage des Kapitels, dem Kapitular von Herstal, noch iustitia und nicht lex stand 25. Diese Forderung nach der Durchsetzung von Schriftrecht begegnet ferner noch in einem Kapitular für Italien, das ebenfalls dem legislatorischen Schub von 789 angehört. In diesem ‚Karoli Magni capitulare Italicum‘ heißt es: „Wir haben beschlossen einzufügen: wo es ein Gesetz gibt, soll es die Gewohnheit verdrängen, damit keine Gewohnheit dem Schriftrecht vorangestellt werde“26. Im Jahr 789 forderte Karl der Große also die Richter auf, das Schriftrecht zu lernen und danach zu urteilen. Dasselbe tat er in Kapitularien, die dem legislatorischen Schub von 802, also der bekannten Rechtsreform, zu verdanken sind. Doch dies ist nicht die einzige Parallele. In beiden Jahren verlangte Karl von seinen Untertanen einen allgemeinen Treueid. Im Jahr 789 war es überhaupt das erste Mal, daß ein solcher Treueid von allen freien Männern sowie von allen Unfreien, denen das Tragen von Waffen erlaubt war, gefordert wurde27. Der König hat in

23

24 25 26

27

Admonitio generalis, c. 62 (nt. 21), 213. Daneben tritt auch die Bedeutung von lex als Bibel, ibidem, c. 60, 210, c. 65, 218 und öfter. Die Erhaltung der lex wird auch in den beiden Anweisungen für die Königsboten aus dem Jahr 789 angemahnt: Duplex capitulare missorum, c. 22, in: A. Boretius (ed.), Capitularia regum Francorum 1, Hannover 1883, 64; Capitulare missorum, c. 5, in: A. Boretius (ed.), Capitularia regum Francorum 1, Hannover 1883, 67. Admonitio generalis, c. 66 (nt. 21), 219. Capitulare Haristallense, c. 10 (nt. 22), 49. Karoli Magni capitulare Italicum (787?), c. 10, in: A. Boretius (ed.), Capitularia regum Francorum 1, Hannover 1883, 201. Datierung nach Mordek, Bibliotheca (nt. 20), 1090. Die Meinung von S. Patzold, Die Veränderung frühmittelalterlichen Rechts im Spiegel der ‚Leges‘-Reformen Karls des Großen und Ludwigs des Frommen, in: St. Esders/Ch. Reinle (eds.), Rechtsveränderungen im politischen und sozialen Kontext mittelalterlicher Rechtsvielfalt (Neue Aspekte der europäischen Mittelalterforschung 5), Münster 2005, 63–99, 78 nt. 64, dieser Text sei in Wolfenbüttel, HAB Blankenb. 130, fol. 82v charakteristischerweise ins Gegenteil verkehrt worden, ist nicht zwingend – der zweite (von Patzold nicht zitierte) Halbsatz ist nämlich korrekt wiedergegeben: „et nulla consuetudo preponatur legi“. Ausführlich hierzu M. Becher, Eid und Herrschaft. Untersuchungen zum Herrscherethos Karls des Großen (Vorträge und Forschungen Sonderband 39), Sigmaringen 1993 sowie die unveröffentlichte Habilitationsschrift von S. Esders, Sacramentum fidelitatis. Treueid, Militärwesen und Formierung mittelalterlicher Staatlichkeit, Berlin 2009 (Ms.) und zum Zusammenhang von Treueidleistung und Gesetzgebung id., Rechtliche Grundlagen frühmittelalterlicher Staatlichkeit: der

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einem Kapitular nicht nur den Personenkreis ausführlich beschrieben, der dazu verpflichtet ist, er hat auch seinen Amtsträgern aufgetragen, eine Liste über die abgelegten Treueide anzulegen und dem König zu übermitteln. Darüber hinaus ist für 789 und für 802 das Formular des Treueids in den Kapitularien erhalten. Angesichts dieser Parallelen halte ich es für plausibel, eine Entstehung der E-Fassung um das Jahr 789 anzunehmen. b. Wenn diese Argumentation stimmig ist, stellt sich die Frage, warum Karl dann nicht auch andere Volksrechte einer Revision unterzogen hat. Einen Anhaltspunkt dafür gibt es in der Tat für das römische Recht. Im Frankenreich war zwar die Kodifikation Justinians weitgehend unbekannt 28, doch der ‚Codex Theodosianus‘ aus dem Jahr 438 kursierte in zahlreichen Versionen und ergänzten oder verkürzten Fassungen. Am verbreitetsten war das sogenannte Breviar, eine Kurzfassung des ‚Theodosianus‘ ergänzt durch Novellen und juristische Schriften, erlassen vom westgotischen König Alarich II. im Jahr 506/7 29. Der gesamte Süden des Frankenreichs lebte auch nach dem Untergang des römischen Reiches weiterhin nach römischem Recht. Die merowingischen Könige hatten den Galloromanen dieses Privileg erteilt. Auch nördlich der Loire war das römische Recht von Relevanz, weil es sich dort mit dem fränkischen Recht vermischte, wie in den Dokumenten der Rechtspraxis zu erkennen ist.30 Schließlich partizipierte auch die Kirche an dieser Weitergeltung, da viele Privilegien für den Klerus und die Bischöfe im ‚Codex Theodosianus‘ festgeschrieben waren. „Ecclesia vivit lege Romana“, so heißt es in einem Gesetzbuch aus dem 7. Jahrhundert 31. Die Karolinger veränderten nichts an dieser Fortgeltung römischen Rechts. König Pippin sicherte im Jahr 768 allen Franken und Romanen zu, ihr Recht beibehalten zu können32. Man könnte meinen, diese beiden Rechtstraditionen würden innerhalb des Vielvölkerreichs besonders hervorgehoben. Es ist daher bezeichnend, daß für die Zeit um 789 eine Bestätigung des Breviars Alarichs durch Karl den Großen belegt ist. Dieser Beleg ist zwar seit langem bekannt, wird

28

29

30

31 32

allgemeine Treueid, in: W. Pohl (ed.), Der frühmittelalterliche Staat – europäische Perspektiven (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 16), Wien 2009, 423–434, 429. Cf. D. Liebs, Römische Jurisprudenz in Gallien (2.–8. Jahrhundert) (Freiburger rechtsgeschichtliche Abhandlungen NF 38), Berlin 2002; W. Kaiser, Die Epitome Iuliani. Beiträge zum römischen Recht im frühen Mittelalter und zum byzantinischen Rechtsunterricht (Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 175), Frankfurt am Main 2004. I. N. Wood, The Code in Merovingian Gaul, in: J. Harries/I. N. Wood (eds.), The Theodosian Code. Studies in the Late Imperial Law of Late Antiquity, London 1993, 161–177; B. Dumézil/ M. Rouche (eds.), Le Bréviaire d’Alaric. Aux origines du Code civil, Paris 2008. A. Rio, Legal Practice and the Written Word in the Early Middle Ages. Frankish formulae, c. 500–1000 (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, Fourth Series 75), Cambridge 2009. F. Beyerle/R. Buchner (eds.), Lex Ribuaria tit. 61, 1 (MGH Leges nationum Germanicarum 3/2), Hannover 1954, 109. Pippini capitulare Aquitanicum, c. 10, in: A. Boretius (ed.), Capitularia regum Francorum 1, Hannover 1883, 43.

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aber von den Biographen Karls des Großen kaum herangezogen. In einer heute verlorenen Handschrift, die im Besitz des französischen Juristen Aimar de Ranconnet im 16. Jahrhundert war, stand unterhalb von Alarichs Datierungsvermerk folgende Notiz: „Et iterum anno XX. regnante Karolo, rege Francorum et Longobardorum, et patricio Romanorum“ 33 – „Und abermals im zwanzigsten Herrscherjahr Karls, des Königs der Franken und Langobarden und Schutzherrn der Römer“. Obwohl diese Handschrift verloren ist, gibt es keinen Grund an dieser Information zu zweifeln. Das 20. Herrscherjahr Karls reichte vom 9. Oktober 787 bis zum 8. Oktober 788, also unmittelbar in die Vorbereitungszeit für die ‚Admonitio generalis‘, in der auch andere wichtige Dokumente wie die ‚Epistola generalis‘, die ‚Epistola de litteris colendis‘ und das oben erwähnte ‚Karoli Magni capitulare Italicum‘ entstanden. Es folgt daraus: Wenn die Datierung der E-Fassung in die Jahre um 789 stimmt, hat Karl der Große sich im Rahmen dieses legislatorischen Schubes darum bemüht, für die beiden wichtigsten Rechtstraditionen in seinem Reich klarzustellen, worin die lex scripta besteht: für die Franken mit der E-Fassung der ‚Lex Salica‘ und für die Romanen mit der Bestätigung des Breviars Alarichs II. c. Das dritte Argument baut auf den ersten beiden auf und nimmt den Zusammenhang zwischen der ‚Lex Salica‘ und dem Breviar in den Blick, und zwar zunächst die handschriftliche Überlieferung. Von der E-Fassung sind uns wie gesagt sechs Handschriften überliefert, die als E11 bis E16 klassifiziert werden. Da E16 eine Schwesterhandschrift von E15 ist, bleiben uns fünf voneinander unabhängige Überlieferungen übrig34. Von diesen fünf Handschriften sind vier in ihrer Zusammenstellung ziemlich gleichförmig: Sie enthalten alle neben der E-Fassung eine verkürzte Form des Breviars, die sogenannte ‚Epitome Aegidii‘. Hinzu gesellen sich kleinere Texte wie ein Exzerpt zum Begriff lex aus Isidors ‚Etymologiae‘, Formeln aus Tours und in einem Fall das Kapitular von Herstal. Nur für die Schwesterhandschriften E15 und E16 ist es nicht gesichert, ob römisches Recht Teil der ursprünglichen Anlage war. Bernhard Bischoff bejahte dies für E15, da er eine Leidener Handschrift als ersten Teil des Codex ausmachte35. David Ganz lehnte diese Identifikation jedoch mit guten Argumenten ab36. Aber

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34 35

36

G. Haenel (ed.), Lex Romana Visigothorum (Breviarium Alarici), Leipzig 1849, XXII, LXXXIX, 4. Zustimmend Max Conrat, Geschichte der Quellen und Literatur des römischen Rechts im frühen Mittelalter, Leipzig 1891, 44 sq.; T. Mommsen (ed.), Codex Theodosianus, Berlin 1905, XXXIV–XXXVII; A. von Wretschko, De usu Breviarii Alariciani forensi et scholastico per Hispaniam, Galiam, Italiam regionesque vicinas, in: T. Mommsen (ed.), Codex Theodosianus, Berlin 1905, CCCVII–CCCLXXVII, CCCXIII. Die Handschriften sind allesamt beschrieben von Mordek, Bibliotheca (nt. 21). Cf. http://www. leges.uni-koeln.de/ (31.12. 2012). B. Bischoff, Panorama der Handschriftenüberlieferung aus der Zeit Karls des Großen, in: id., Mittelalterliche Studien 3, Stuttgart 1981, 5–38, 17. Zustimmend Mordek, Bibliotheca (nt. 21), 502. D. Ganz, Some Carolingian Questions from Charlemagne’s Days, in: Frankland (nt. 14), 90–100, 90. Cf. Rio, Legal Practice (nt. 30), 246.

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immerhin: in vier von fünf Überlieferungen wird die E-Fassung mit dem Breviar verbunden, und in keiner der vier Handschriften begegnen Texte aus der Zeit nach 789. Die handschriftliche Überlieferung zeigt also zweierlei: Erstens wurden in der E-Fassung die Rechte der Franken und der Romanen kombiniert, andere Rechtsbücher wie dasjenige der Bayern, der Alemannen37 und der Burgunder sind nicht inbegriffen. Dies unterscheidet die Überlieferungssituation grundsätzlich von der K-Fassung aus dem Jahr 802, die oft im Verbund mit unterschiedlichen Volksrechten kopiert wurde. Zweitens hat man diese Handschriften zwar nach Erlaß der K-Fassung singulär weiter abgeschrieben, aber mit Ausnahme von E15/E16 nicht mehr durch die Hinzufügung neuer Kapitularien ergänzt. Die erhaltenen Handschriften sind daher Zeugnisse für Textkombinationen aus der Zeit vor 800. Mit über sechzig Handschriften hat die K-Fassung letztlich alle früheren Fassungen erfolgreich verdrängt. Der Zusammenhang zwischen der E-Fassung und dem römischen Recht ist aber nicht bloß in der Überlieferung zu erkennen. Auch der Text der E-Fassung sticht dadurch hervor, daß Begriffe aus der römischen Rechtssprache eingeflossen sind. Zwei Beispiele mögen genügen: Die Rubrik „De alodis“, über das Eigengut, veränderte der Redaktor in „De intestatorum hereditatibus“, identisch mit einer Rubrik im Breviar38. Ebenso ersetzt er die Rubrik „De plagatoribus“ durch die Formulierung „Si quis mancipium alienum sollicitaverit“, annähernd gleichlautend mit dem Titel von Breviar 5, 1, 939. Darüber hinaus machte bereits Eckhardt auf den Einfluß römisch-rechtlicher Terminologie aufmerksam40. Nur in der E-Fassung begegnen Begriffe wie accusator, contradictor, aestimatio damni und fideiussor, die res praestita wird durch das beneficium ersetzt. 3. Wie ich glaube gezeigt zu haben, gab es möglicherweise bereits um 789 eine erste Leges-Reform. Diese Reform hatte bereits alle Ingredienzen, welche die berühmte Initiative von 802 auszeichnet: Ein Gesetzbuch, die ‚Lex Salica‘, wurde revidiert, ein anderes, das römische Recht, wurde bestätigt. Daneben erließ Karl der Große eine Reihe grundsätzlicher Kapitulare wie die ‚Epistola generalis‘, die ‚Epistola de litteris colendis‘ und nicht zuletzt die ‚Admonitio generalis‘. Begleitet wurden diese Erlasse durch Ausführungsbestimmungen an die Amtsträger und weitere Einzeltexte. Daneben verfügte Karl erstmals in der Geschichte des Frankenreichs eine allgemeine Treueidleistung durch alle waffenfähigen Untertanen und verpflichtete die Amtsträger auf die Beachtung des Schriftrechts.

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Die Überlieferung der Lex Alamannorum in E14 (St. Gallen, 729) beginnt „mit neuer Lage und anderer Hand“, cf. Mordek, Bibliotheca (nt. 21), 670. K.A. Eckhardt (ed.), Lex Salica (MGH Leges nationum Germanicarum 4/2), Hannover 1969, 27; Lex Romana Visigothorum (nt. 33), 315, 332. Lex Salica (nt. 38), 21; Lex Romana Visigothorum (nt. 33), 148. Eckhardt, Lex Salica (nt. 16), 60.

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Als Auslöser für diese Reform können verschiedene Ereignisse und Faktoren benannt werden. Im Jahr 786 hatte Karl einen gefährlichen Aufstand unterdrückt, der vom Grafen Hardrad ausging, in Thüringen seinen Ausgang nahm und auch von bedeutenden fränkischen Familien unterstützt wurde. Die Aufständischen beriefen sich darauf, keinen Treueid auf den König geleistet zu haben und daher auch keinen Rechtsbruch begangen zu haben. Nach der Niederschlagung des Aufstands befand sich Karl im darauffolgenden Jahr auf seinem dritten Romzug, während dessen er in Montecassino mit dem berühmten Gelehrten Paulus Diaconus zusammentraf und zur Abfassung der ‚Epistola generalis‘ angeregt wurde. In Italien begann er auch mit einem Schub an neuer Gesetzgebung, in der er erstmals den Richtern einschärfte, nach Schriftrecht zu urteilen. Ende des Jahres unterwarf er dann den letzten Herzog im Frankenreich, Tassilo III. von Bayern, der im folgenden Jahr 788 verurteilt und zum Mönch geschoren wurde. Die fränkische Hegemonie über das Reich, die sich Karl Martell zum Ziel gesetzt hatte, war damit endgültig hergestellt. Die Reichsannalen, die genau zu diesem Zeitpunkt für die Jahre von 741 bis 788 rückblickend verfaßt wurden, zelebrierten diese fränkische Hegemonie, indem die Franci in den Mittelpunkt des Narrativs gestellt werden41. Auch die Rechtsreform steht im Zeichen der fränkischen Hegemonie. Schließlich wurde nur die ‚Lex Salica‘ einer neuen Revision unterzogen, nicht aber die Rechte der unterworfenen Völker wie der Bayern und Alemannen. Der Prolog über den fränkischen ‚exceptionalism‘ taucht in der E-Fassung in polierter Gestalt erneut auf. Dies unterscheidet die erste Leges-Reform grundsätzlich von der zweiten. Im Jahr 802 stand dann der imperiale Gedanken im Vordergrund, unter dessen Dach die anderen Völker eine gleichberechtigte Rolle spielen konnten. Der Prolog wurde folglich in der K-Fassung weggelassen. Zwischen erster und zweiter Leges-Reform wandelte sich also das Selbstverständnis des fränkischen Großreiches grundlegend 42. Ein zweiter Unterschied, auf den ich aber nicht mehr eingehen möchte, besteht in der Art und Weise der Bearbeitung. Die Entstehung der K-Fassung war ein äußert komplexer Vorgang, weil der Redaktor drei ältere Fassungen konsultierte und daraus einen neuen, besonders authentischen Text bastelte. Die karolingische Reform hatte seine Wirkung getan. Zuletzt möchte ich Perspektiven aufzeigen, wie dieser Befund unser Verständnis der Leges-Reform Karls des Großen verändert. Zuallererst ist festzuhalten, daß nicht erst das Kaisertum den Herrscher dazu bewog, die Rechtsbücher in den Fokus seiner Gesetzgebung zu stellen. Bereits 789 forderte er dazu auf, die schriftliche Rechtsordnung ernst zu nehmen, und ließ im Zuge dessen die wich41

42

Cf. R. McKitterick, History and Memory in the Carolingian World, Cambridge 2004, 133–155; H. Reimitz, Nomen Francorum obscuratum. Zur Krise der fränkischen Identität zwischen der kurzen und langen Geschichte der ,Annales regni Francorum‘, in: M. Becher/S. Dick (eds.), Völker, Reiche und Namen im frühen Mittelalter (MittelalterStudien 22), München 2010, 279–296, 286. Hierzu aus anderer Perspektive I. Garipzanov, The Symbolic Language of Authority in the Carolingian World (c. 751–877) (Brill’s Series on the Early Middle Ages 16), Leiden 2008, 68.

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tigsten Rechtsbücher der Franken und Romanen erneut publizieren. Wenn aber die Reform von 802 nicht der erste Versuch war, dann ist es kaum plausibel, diese Initiative als Schnellschuß oder als rein ideologischen Schachzug abzutun. Vielmehr entsprach die Rechtsreform einer langfristigen Planung des Herrschers. Die Unterschiede der beiden Reformen, die aufgrund der K-Fassung noch vertieft werden könnten, lassen einen Reflexionsprozeß erahnen, in dem Karl der Große sich Gedanken über das Fundament seiner Herrschaft machte. Anhang: Die Königsliste der E-Fassung Die Edition von Karl August Eckhardt, im Jahr 1969 im Rahmen der ‚Monumenta Germaniae Historica‘ erschienen, gibt ein verzerrtes Bild der E-Fassung. Der Grund ist einfach zu benennen: Eckhard druckte auf der linken Seite die D-Fassung und parallel dazu auf der rechten Seite die E-Fassung. Diese synoptische Darstellung suggeriert eine gleichförmige Anordnung in beiden Fassungen, die jedoch nicht existierte. Dies wird schon daran ersichtlich, daß die Königsliste in den D-Handschriften am Ende des Textes angehängt wurde, während sie in zwei E-Handschriften am Anfang eingeschoben wurde. Überhaupt ist die Anordnung in der E-Fassung variabler, wie ein Überblick zeigt: E11

E12

E13

E14

E15/16

Titelverzeichnis

Titelverzeichnis

In nomine sanctae trinitatis

In nomine sanctae trinitatis

Incipit prologus libri Salicae

Incipit prologus liber Salicae

Langer Prolog

Langer Prolog

Text

Text

In nomine sanctae trinitatis Incipit prologus libri Salicae Königsliste

Langer Prolog Explicit prologus. Amen

[Lücke]

Incipiunt capitula de lege Salica

Incipiunt capitula legis Salicae

Titelverzeichnis

Titelverzeichnis

Titelverzeichnis Expliciunt capitula legis Salicae

In nomine sanctae trinitatis Königsliste Incipit prologus libri Salicae

Incipit prologus libri Salicae

Langer Prolog

Langer Prolog

Text

Text

Incipit legis Salicae

Text

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Aus diesem Überblick ist erkennbar, wie die ursprüngliche Anlage ausgesehen haben muß. Die Königsliste ist nur in den verwandten Handschriften E11 und E12 enthalten und wurde an unterschiedlicher Stelle am Anfang eingefügt. Sie ist daher nicht Teil der E-Fassung, wie noch Eckhardt glaubte. Ein Vergleich mit der D-Fassung macht die Änderungen deutlich, die in der synoptischen Edition Eckhardts nicht zum Ausdruck kommen: D-Fassung

E-Fassung Titelverzeichnis

In Christi nomine

In nomine sanctae trinitatis

Incipit prologus legis Salicae

Incipit prologus libri Salicae

Langer Prolog

Langer Prolog

Incipiunt capitula legis Salicae Titelverzeichnis Text

Text

Königsliste

Drei Veränderungen springen in die Augen: Das Titelverzeichnis wanderte an die erste Stelle, die Verbal-Invokation nahm eine andere Form an, und die Königsliste verschwand 43. Diese Feststellung hat für die Deutung der Königsliste wichtige Konsequenzen. Denn die Fassung der Liste in E11 und E12 ist ein wichtiges Zeugnis für den sogenannten „Staatsstreich“ Grimoalds. Nach der herrschenden Auffassung setzte der pippinidische Hausmeier Grimoald im Jahr 656/7 seinen eigenen Sohn als Nachfolger des austrasischen Königs Sigibert III. ein. Diese Nachricht ist durch den ‚Liber historiae Francorum‘ aus dem Jahr 727 bezeugt 44. Der Königskatalog 43

44

Die Invokation ist nicht eindeutig für die D-Fassung gesichert, da sie an verschiedenen Stellen in D8 und D9 auftaucht, nicht aber in D7. In D9 hat sie die Form, wie sie auf dem Frankfurter Konzil von 794 verwendet wird: Concilium Francofortense, in: A. Werminghoff (ed.), Concilia aevi Carolini (MGH Concilia 2/1), 143. Es sei darauf hingewiesen, daß die Epitome Aegidii des Breviars aus der Mitte des 8. Jahrhunderts mit derselben Invokationsformel beginnt: Kaiser, Epitome Iuliani (nt. 28), 730. Zur Datierung der Epitome Aegidii cf. Liebs, Römische Jurisprudenz (nt. 28), 229. Die verbale Invokation beginnt in den Urkunden erst nach der Kaiserkrönung unter byzantinischem Vorbild: H. Fichtenau, Zur Geschichte der Invokationen und „Devotionsformeln“, in: id., Beiträge zur Mediävistik. Ausgewählte Aufsätze, 2: Urkundenforschung, Stuttgart 1977, 37–61, 41. Die Anrufung der Trinität begegnet gleichlautend in der Epitome Parisina des Breviars aus dem 8. Jahrhundert: Haenel, Lex Romana Visigothorum (nt. 33), 3; cf. D. Liebs, Römischrechtliche Glut für ein Bischofsgericht in Burgund. Die „Epitome Parisina“ der „Lex Romana Visigothorum“ in: Atti dell’Accademia Romanistica Costantiniana XVI, Neapel: Edizioni Scientifiche Italiane 2007, 63–83. B. Krusch (ed.), Liber historiae Francorum, c. 43 (MGH Scriptores rerum Merovingicarum 2), Hannover 1888, 215–328, 315 sq.

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bietet darüber hinaus die Information, daß Grimoalds Sohn mit dem merowingischen Namen Childebert vom König adoptiert worden ist. Matthias Becher hat diese Nachricht mit beachtenswerten Argumenten in Zweifel gezogen45. Becher schlug vor, König Childebert (656-662) nicht als Adoptivsohn Sigiberts, sondern als seinen leiblichen Sohn zu betrachten, der von Grimoald adoptiert worden sei. Somit gab es nach Becher gar keinen ersten Griff nach der Krone durch die Vorfahren der Karolinger. Wichtiger Mosaikstein in seiner Argumentation ist der Königskatalog. Darin heißt es nämlich: „Childebertus adoptivus filius Grimoald regnavit annos VII“ 46. Becher meint nun, dieser Satz unterstütze seinen Standpunkt, da die bisherige Forschung willkürlich nach adoptivus ein Komma setzte. Statt „Der adoptierte Childebert, Sohn Grimoalds …“ übersetzte er folglich: „Childebert, der Adoptivsohn Grimoalds, regierte sieben Jahre“. Becher löste damit eine Debatte aus, in der er wenige Anhänger rekrutieren konnte47. Die traditionelle Deutung behielt die Oberhand. Eine erneute Analyse der Königsliste bestätigt jedoch Bechers These. Die ursprüngliche Fassung der Liste begegnet in Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Weißenb. 97 (fol. 37r-v) aus der Zeit Pippins des Jüngeren, und zwar im Zusammenhang der A-Fassung der Lex Salica (A2). Darin werden die merowingischen Einheitskönige von Theuderich III. (673-691) bis Childerich III. (743– 751) genannt. Diese Liste wurde in der D-Fassung um den Anfang Incipit regnorum ergänzt und begegnet später in dieser Form auch in drei Handschriften der K-Fassung. In vier Handschriften des Breviars wurde während der Herrschaft Karls des Großen die ursprüngliche Liste um die Regierungszeit Pippins ergänzt. Die Fassung in E11 und E12 ist eine weitere Überarbeitungsstufe. Sie erweitert die Liste auf die Könige von Chlothar II. (584–628/9) bis Pippin I. (751–768). Anders als die Forschung meint, ist es keinesfalls klar, von welcher Liste diese Fassung abhängt 48. Unbestritten ist jedoch, daß sie durch besonders präzise Angaben bei 45 46

47

48

M. Becher, Der sogenannte Staatsstreich Grimoalds. Versuch einer Neubewertung, in: M. Becher/ J. Jarnut (eds.), Karl Martell in seiner Zeit (Beihefte der Francia 37), Sigmaringen 1994, 119–147. B. Krusch (ed.), Chronologica regum Francorum stirpis Merowingicae. Catalogi, computationes annorum vetustae cum commentariis (MGH Scriptores rerum Merovingicarum 7), Hannover– Leipzig 1920, 482 Ablehnend: E. Ewig, Die fränkischen Königskataloge und der Aufstieg der Karolinger, in: Deutsches Archiv 51 (1995), 1–28; T. Offergeld, Reges pueri. Das Königtum Minderjähriger im frühen Mittelalter (MGH Schriften 50, Hannover 2001); S. Hamann, Zur Chronologie des Staatsstreiches Grimoalds, in: Deutsches Archiv 59 (2003), 49–96; R. Kaiser, Das römische Erbe und das Merowingerreich (Enzyklopädie deutscher Geschichte 26), München 32004, 98; R. Schieffer, Die Karolinger, Stuttgart 42006, 20; A. Fischer, Karl Martell. Der Beginn karolingischer Herrschaft, Stuttgart 2012, 31. Krusch, Chronologica (nt. 46), 469, konstruierte eine Abhängigkeit von D9 (St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 731); ihm folgte Ewig, Königskataloge (nt. 47), 11. Doch E11 und E12 kennen weder das Incipit noch die Summe der Regierungsjahre aus der D-Fassung. Es erscheint mir auch wenig plausibel, daß die beiden E-Handschriften die kommentierenden Passagen aus D9 einfach getilgt hätten. Daß sowohl E als auch D9 mit Chlothar II. beginnen, muß nicht eine Abhängigkeit implizieren. Darüber hinaus war diese Abhängigkeit auch nur vor dem Hintergrund von Eck-

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den Regierungsjahren hervorsticht. Bereits Bruno Krusch vermutete, der Redaktor habe Zugang zum Hausarchiv der Karolinger gehabt 49. Eugen Ewig sah darin das Zeugnis eines „gefestigten karolingischen Geschichtsbewußtseins“ 50. Unbemerkt ist aber bislang geblieben, daß sich der Schreiber von E11 durch die konsequente Hinzufügung von Verwandtschaftsverhältnissen auszeichnet: Dagobert wird als Sohn Chlothars, Sigibert als sein Enkel bezeichnet. Damit wird auch das Wort filius im Eintrag zu Childebert verdächtig, da es nur in E11, nicht aber in E12 begegnet. Anders als Ewig dachte, kann E11 nämlich trotz der frühen Entstehung (800–825) nicht der absolute Vorrang vor E12 zuerkannt werden. Beide Handschriften beziehen sich gleichwertig auf eine verlorene Vorlage, wie aus der kritischen Edition der E-Fassung von Eckhardt leicht ersichtlich ist.51 Die Stufen der Veränderung sind daher so darzustellen, wie es bereits Krusch in seiner MGH-Edition getan hat. Die Sigle „e“ bezeichnet die Vorlage von E11 und E12 und C eine spätere Stufe im ‚Chronicon Laurissense breve‘ 52 des 9. Jahrhunderts. E

Childebertus

adoptivus

E11 E12 C

Grimoaldi

regnavit

annos VII



In der Vorlage stand daher nur adoptivus Grimoaldi. Alle Kopisten fanden diese knappe Bemerkung offensichtlich unvollständig. Der Schreiber von E11 fügte filius ein, so wie er auch Dagobert als filius und Sigibert als nepus kennzeichnete. E12 schob ein erklärendes id est ein, während die ‚Lorscher Chronik‘ Childebert und Grimoald als eigenständige Herrscher auffaßte. Die Stelle war erklärungsbedürftig und gab zu verschiedenen Emendationen Anlass. Es steht somit fest, daß das Wort adoptivus ursprünglich substantivisch gebraucht wurde, was in der Spätantike durchaus belegt ist 53. Die richtige Übersetzung lautet folglich: „Childebert, der Adoptivsohn Grimoalds, regierte sieben Jahre“.

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hardts Datierung der E-Fassung in das Jahr 798 glaubhaft, da D9 im Jahr 793 fertiggestellt wurde. Dieses Argument ist aber hinfällig. Krusch, Chronologica (nt. 46), 476. Ewig, Königskataloge (nt. 47), 12. Ewig, Königskataloge (nt. 47), 11 sq.; ebenso Hamann, Zur Chronologie (nt. 47), 52. Cf. dagegen die Bemerkungen und das Stemma von Eckhardt, Lex Salica (nt. 16), 38–42. Zudem kann id est nicht aus filius verlesen sein, weil sich beides an unterschiedlicher Stelle befindet. Die Annahme eines solchen Lesefehlers übernahm Ewig von E. Hlawitschka, Studien zur Genealogie und Geschichte der Merowinger und der frühen Karolinger, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 43 (1979), 1–99, hier 66. Cf. Chronicon Laurissense breve, http://www.geschichtsquellen.de/repOpus_01100.html, 201406-06. Orosius, Historiae adversum paganos 5, 15, 3; Thesaurus Linguae Latinae I, 809.

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Die Königsliste bestätigt also Bechers Hypothese, die ohnehin die historische Plausibilität für sich hat, wenn man die Ereignisse des 7. Jahrhunderts nicht durch die Brille des späteren Erfolgs der Karolinger interpretiert. Nach der Herrschliste in E11/E12 vom Hof Karls des Großen war Childebert tatsächlich ein leiblicher Sohn Sigiberts und wurde vom Hausmeier Grimoald adoptiert. Man kann daher vermuten, daß Grimoald nach dem Tod Sigiberts den einen Sohn Childebert adoptierte und den zweiten Sohn Dagobert nach Irland verbannte, um eine Teilung des Reichs zu verhindern und um seine Stellung als Hausmeier über das gesamte Teilreich Austrasien zu festigen. Erst der ‚Liber historiae Francorum‘ machte aus Childebert im Abstand von siebzig Jahren den leiblichen Sohn Grimoalds.

Kirchenrecht und politische Kommunikation im Frankenreich des 9. Jahrhunderts D Z (Budapest) I. Kirchenrecht als Indikator politischer T heoriebildung Die Geschichte der politischen Ideen wurde schon vielfach geschrieben, dem Frühmittelalter insgesamt, und dabei auch der Zeit der Karolinger, eine nur untergeordnete Rolle zugewiesen. In politiktheoretischen Gesamtdarstellungen findet sich meist eine Lücke zwischen der Zeit der Kirchenväter und dem 11. Jahrhundert oder zumindest eine nur recht sparsame Darstellung1. Wegweisende theoretische Werke zu Konzeptionen von ‚Staat‘ und ‚Gesellschaft‘ sind aus dem 9. Jahrhundert in der Tat kaum erhalten. Einige für die Epoche in Anspruch zu nehmende Ideen müssen daher aus historiographischen Quellen, Fürstenspiegeln, Briefen oder Rechtsquellen wie Kapitularien oder Synodalbeschlüssen zusammengesucht werden. Ein in sich geschlossenes, kohärentes System läßt sich aus all diesen Versatzstücken nur schwer erschließen. Bedeutet dies aber, daß die Karolingerzeit über keine eigenen relevanten Ideen verfügte oder die vorhandenen innerhalb des eigenen Verstehenshorizonts mehr schlecht als recht auszufüllen versuchte? In der Forschung wurden heftige Diskussionen zum konzeptionellen Denken der Karolingerzeit geführt. War man in der Lage, einen Staat unabhängig von der Person des jeweiligen Herrschers zu denken? Was meinten die Zeitgenossen, wenn sie von einem regnum sprachen 2 ? Eine Antwort fällt nicht leicht. Sicher, ein 1

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T. Struve, Regnum und Sacerdotium, in: I. Fetscher/H. Münkler (eds.), Pipers Handbuch der politischen Ideen, Bd. 2, Mittelalter: Von den Anfängen des Islams bis zur Reformation, München 1993, 189–242, zur Karolingerzeit hier vor allem 192–200; H. Ottmann, Geschichte des politischen Denkens, Stuttgart–Weimar 2004, 46–56; D. E. Luscombe, Introduction: the formation of political thought in the West, in: J. H. Burns (ed.), The Cambridge History of Medieval Political Thought, c.350–c.1450, Cambridge 1988, 157–173, zur Karolingerzeit 157–158; R. van Caenegem, Government, law and society, ibid., 174–210, zur Karolingerzeit 174–178, 181–182, 200; J. Nelson, Kingship and empire, ibid., 211–251 mit einem vergleichsweise ausführlichen Abschnitt zur Karolingerzeit, 211–237. J. Fried, Der karolingische Herrschaftsverband im 9. Jh. zwischen „Kirche“ und „Königshaus“, in: Historische Zeitschrift 235 (1982), 1–43 (http://www.jstor.org/stable/27622961); anders: H.-W. Goetz, Regnum: Zum politischen Denken der Karolingerzeit, in: Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 104 (1987), 110–189 (http://www. digizeitschriften.de/dms/resolveppn/?PPN=PPN602167701_0104); weitere Literatur bei S. Pat-

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Jonas von Orléans 3 oder Wala von Corbie 4 hatten eine Vorstellung über das Verhältnis von geistlicher und weltlicher Gewalt entwickelt, aber sie äußerte sich in einer für den modernen Leser ungewohnten Form und zudem üppig angereichert mit Zitaten aus der Bibel oder der patristischen Literatur. Die Innovationskraft der Epoche muß erst hinter dieser vermeintlich verkrusteten Fassade erschlossen werden; zudem kommen wichtige Aspekte, die man nach moderner Begrifflichkeit einer politischen Theoriebildung zurechnen würde, innerhalb von Texten zum Ausdruck, die eine solche Thematik nicht vermuten lassen, wie beispielsweise Bibelkommentare oder das Kirchenrecht. Unbestritten ist die hohe intellektuelle Produktivität der Epoche nach 800 als Folge der Reformbestrebungen Karls des Großen5. Auch wenn die Nachhaltig-

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zold, Episcopus. Wissen über Bischöfe im Frankenreich des späten 8. bis frühen 10. Jahrhunderts, Ostfildern 2008, 23–23. G. Heydemann, Text und Translation. Strategien zur Mobilisierung spiritueller Ressourcen im Frankenreich Ludwigs des Frommen, in: R. Corradini/M. Diesenberger/M. Niederkorn-Bruck (eds.), Zwischen Niederschrift und Wiederschrift. Frühmittelalterliche Hagiographie und Historiographie im Spannungsfeld von Kompendienüberlieferung und Editionstechnik (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 18. Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 405), Wien 2010, 301–334; M. Sot, Concordances et discordances entre culture des élites laïques et culture des élites cléricales à l’époque carolingienne: Jonas d’Orléans et Dhuoda, in: F. Bougard/R. Le Jan/R. McKitterick (eds.), La culture du Haut Moyen Âge, une question d’élites?, Turnhout 2009, 341–362; R. Savigny, La “communitas christiana” dans l’ecclésiologie carolingienne, in: F. Bougard/D. Iogna-Prat/R. Le Jan (eds.), Hiérarchie et stratification sociale dans l’Occident médiéval (400–1100), Turnhout 2008, 83–104; Patzold, Episcopus (nt. 2), 199–204; T. F. X. Noble, Secular sanctity: forging an ethos for the Carolingian nobility, in: P. Wormald/J. L. Nelson (eds.), Lay Intellectuals in the Carolingian World, Cambridge–New York 2007, 8–36; P. Zamora, Teoría del poder en el De institutione regia de Jonás de Orléans (siglo IX). Construcción ideológica y ordenamiento social en la alta Edad Media, in: Intus legere. Revista de historia, letras y filosofia 10 (2007), 81–98; F. Sedlmeier, Die laienparänetischen Schriften der Karolingerzeit. Untersuchungen zu ausgewählten Texten des Paulinus von Aquileia, Alkuins, Jonas’ von Orleans, Dhuodas und Hinkmars von Reims, Neuried 2000; J. J. C. Cabanillas, La vida cristiana del laico en la primera mitad del siglo IX: virtud y santidad en el “De institutione laicali” de Jonas de Orleans y en el “Liber manualis” de Dhuoda, Rom 1996; I. Schröder, Zur Überlieferung von De institutione laicali des Jonas von Orléans, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 44 (1988), 83–97; K. Amelung, Leben und Schriften des Bischofs Jonas von Orleans, Dresden 1888. M. de Jong, Becoming Jeremiah: Paschasius Radbertus on Wala himself and others, in: R. Corradini (ed.), Ego trouble. Authors and their identities in the early Middle Ages, Wien 2010, 185–196; C. Verri, Il libro primo dell’Epitaphium Arsenii di Pascasio Radberto, in: Bullettino dell’Istituto italiano per il Medio Evo 103 (2000-2001) [2002], 33–131; D. Ganz, The Epitaphium Arsenii and opposition to Louis the Pious, in: P. Godman/R. Collins (eds.), Charlemagne’s Heir: New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814–840), Oxford 1990, 537–550; H. MayrHarting, Two Abbots in Politics: Wala of Corbie and Bernard of Clairvaux, in: Transactions of the Royal Historical Society, Ser. 5, 40 (1990), 217–237. M. de Jong, Charlemagne’s Church, in: J. Story (ed.), Charlemagne. Empire and Society. Manchester–New York 2005, 103–135; R. McKitterick, The Carolingian renaissance of culture and learning, ibid., 151–166; B. Bischoff (ed.), Das geistige Leben (W. Braunfels [ed.], Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben, Band 2]), Düsseldorf 1965.

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keit dieser Reformanstrengungen meist skeptisch beurteilt wird, so sind die kurzfristigen und vielleicht auf einen engen Hofzirkel beschränkten Ergebnisse schwerlich zu ignorieren6. Abgesehen von dem nun deutlich verbesserten sprachlichen Niveau und der verstärkten Rezeption antiken Wissens in den unterschiedlichsten Disziplinen, wurde auch dem Kirchenrecht eine Aufmerksamkeit zuteil, wie sie vorher nicht zu beobachten war. Neben einer intensiven Rezeption älteren Rechts gelang auch die Schaffung von Neuem. Während der sog. ‚Karolingischen Renaissance‘ wurden über 200 Synoden abgehalten7. Sie verwiesen einerseits auf die Statuten und Canones der heiligen Väter, zugleich generierten sie im Rahmen von Aneignungs- und Interpretationsprozessen neue Normen und Gesetze. Nicht zuletzt entwickelten sie Bestrebungen zur Systematisierung des vorhandenen Materials anhand der jeweils aktuellen politischen Fragen. II. Veränder ungsprozesse in den 820er / 830er Jahren Dabei vollzog sich im 9. Jahrhundert ein tiefgreifender Wandel. Lapidar vermelden die ‚Annales Regni Francorum‘ zu 818, daß die am Aufstand Bernhards von Italien beteiligten Bischöfe, Erzbischof Anselm von Mailand und die Bischöfe Wolfold von Cremona und der berühmte Theodulf von Orléans durch einen Synodalbeschluß abgesetzt und mit Klosterhaft belegt worden seien8. 17 Jahre später zieht im Falle des Erzbischofs Ebo von Reims der Verlust seines Erzbischofsamtes eine rege Diskussion, mehrere Briefwechsel und Synoden sowie eine Reihe päpstlicher Stellungnahmen nach sich 9. Wiederum 34 Jahre später führte der Streit zwischen Erzbischof Hinkmar von Reims und seinem Neffen Hinkmar von Laon neben einigen Synoden auf beiden Seiten zu einer gewaltigen literarischen Produktion in einem bis dahin unbekannten Ausmaß unter Verwendung pseudoisidorischen Materials10. Das im Rahmen dieses Konflikts von Hinkmar von Reims verfaßte und auf der Synode von Attigny 870 vorgelegte ‚Opuscu-

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P. Depreux, Ambitions et limites des réformes culturelles à l’époque carolingienne, in: Revue historique 304 (2002), 721–753. W. Hartmann, Kirche und Kirchenrecht um 900. Die Bedeutung der spätkarolingischen Zeit für Tradition und Innovation im kirchlichen Recht, Hannover 2008. Annales Regni Francorum inde ab a. 741 usque ad a. 829 qui dicuntur Annales Laurissenses Maiores at Einhardi, edd. G. H. Pertz/F. Kurze (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum 6), Hannover 1895, ad a. 818, 148: „iussit […] episcopos synodali decreto depositos monasterii mancipari“. P. R. McKeon, Archbishop Ebbo of Reims (816–835). A Study in the Carolingian Empire and Church, in: Church History 43 (1974), 437–447; K. Hampe, Zum Streite Hincmars von Reims mit seinem Vorgänger Ebo und dessen Anhängern, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 23 (1898), 180–195. H. Fuhrmann, Fälscher unter sich: Zum Streit zwischen Hinkmar von Reims und Hinkmar von Laon, in: M. Gibson/J. Nelson/D. Ganz (eds.), Charles the Bald. Court and Kingdom. Papers based on a colloquium held in London in April 1979, Oxford 1981, 237–254.

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lum quinquaginta quinque capitulorum‘ glänzte dabei mit einer mit rund 1000 Zitaten belegten Darstellung der Kirchenordnung 11. Etwas hatte sich in der Zwischenzeit also getan. Dabei geht es einerseits um eine Absicherung und Begründung von Entscheidungen und Äußerungen durch in Form von Sammlungen rezipiertes, kirchenrechtliches Material. Darüber hinaus ist aber auch eine neue Kultur der Willensbildung und politischen Auseinandersetzung zu beobachten. Abgesehen von einer veränderten Interpretation des kirchlichen Amtes werden nun verstärkt Rechtssammlungen zur Untermauerung der eigenen Position eingesetzt, interpretiert und, wenn sie nicht das gewünschte Ergebnis erzeugen, manipuliert12. Schließlich werden auch Bemühungen um eine stärkere Systematisierung des Rechtscorpus deutlich. Natürlich dürfen die Vergleiche nicht überstrapaziert werden. Die Synoden in der Mitte des 9. Jahrhunderts sind keineswegs alle als Früchte eines intellektuellen Aufbruchs zu erkennen, zudem sind krasse regionale Unterschiede auszumachen13. Die Kirchenprovinz Reims ragt hierbei deutlich heraus. Zudem dominieren wenige Einzelpersönlichkeiten. Dennoch bleiben zumindest die in dieser Epoche verfaßten Schriften nicht ohne Wirkung, auch wenn sie ihre inhaltliche Explosionskraft mitunter erst 200 Jahre später im Rahmen des Investiturstreits entfalteten. Die Forschung ist bereits mehrfach auf Veränderungsprozesse in den ersten Jahrzehnten des 9. Jahrhunderts aufmerksam geworden. Während in der älteren Forschung die Reformbestrebungen zur Zeit Karls des Großen und ihre Nachwirkungen im Mittelpunkt standen, rückte in den letzten zwei Jahrzehnten die Zeit Ludwigs des Frommen spürbar ins Zentrum des Interesses. Immer wieder wird das 1990 erschienene Buch ‚Charlemagne’s Heir: New Perspectives on the Reign of Louis the Pious‘ als Wendepunkt für ein verstärktes Interesse an der Zeit Ludwigs des Frommen genannt14. In jüngster Zeit waren es – um nur Beispiele herauszugreifen – die Arbeiten von Karl Heidecker zum Scheidungsprozeß Lothars II.15, die Forschungen Mayke de Jongs über den „penitential 11 12

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R. Schieffer (ed.), Die Streitschriften Hinkmars von Reims und Hinkmars von Laon, 869 – 871. (MGH Concilia, vol. 4, Supplementband 2), Hannover 2003. K. Zechiel-Eckes, Ein Blick in Pseudoisidors Werkstatt. Studien zum Entstehungsprozeß der falschen Dekretalen. Mit einem exemplarischen editorischen Anhang (Pseudo-Julius an die orientalischen Bischöfe, JK † 196), in: Francia 28 (2001), 27–90; id., Zwei Arbeitshandschriften Pseudoisidors (Codd. St. Petersburg F.v. I. 11 und Paris lat. 11611), in: Francia 27 (2000), 205–210; id., Auf Pseudoisidors Spur. Oder: Versuch, einen dichten Schleier zu lüften, in: W. Hartmann/G. Schmitz (edd.), Fortschritt durch Fälschungen? Ursprung, Gestalt und Wirkungen der pseudoisidorischen Fälschungen. Beiträge zum gleichnamigen Symposium an der Universität Tübingen vom 27. und 28. Juli 2001 (Monumenta Germaniae Historica. Studien und Texte 31) Hannover 2002, 1–28. Hartmann, Kirche und Kirchenrecht (nt. 7). P. Godman/R. Collins (eds.), Charlemagne’s Heir: New perspectives on the Reign of Louis the Pious (814–840), Oxford 1990. K. J. Heidecker, Kerk, huwelijk en politieke macht. De zaak Lotharius II (855–869), Amsterdam 1997; id., The divorce of Lothar II. Christian marriage and political power in the Carolingian world (Conjunctions of religion and power in the medieval past), Ithaca, N.Y. 2010.

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state“16, die 2008 erschienene Habilitationsschrift von Steffen Patzold zum „Wissen über Bischöfe im Frankenreich“17, Johannes Frieds Neuinterpretation der Konstantinischen Schenkung18 oder Klaus Zechiel-Eckes mit seinen Arbeiten zu Florus von Lyon19 und Pseudoisidor 20. Sie alle leisteten einen entscheidenden Beitrag zu einer Revision des bis dahin vorherrschenden Bildes dieser Epoche. III. Paris 829 Alle genannten Arbeiten legen ihren Fokus auf das Ende der 820er und die 830er Jahre des 9. Jahrhunderts, die Zeit des Konflikts zwischen Ludwig dem Frommen und seinen Söhnen. Mayke de Jong sieht in dieser Zeit eine Kulmination des Bußmodells, ein bis dahin nie gekanntes Ausmaß an öffentlicher Bußhandlung vor aller Augen seitens des Herrschers, also Ludwigs des Frommen, inszeniert und theoretisch unterfüttert durch zahlreiche Schriften aus dem Umfeld des Herrscherhofes 21. Die Buße ist dabei eine Tugend. Nicht die zu büßenden Übeltaten stehen im Mittelpunkt, sondern der Gott versöhnende Akt der Reue. Das Schlüsseldokument stellen hierbei die von Bischof Jonas von Orléans verfaßten Akten der Synode von Paris 829 dar 22. Die 94 Kapitel skizzieren ein grundsätzliches Reformprogramm. Sie umfaßten eine Art Neudefinition des Bischofsamtes, die Abschaffung von Mißständen, die scharfe Trennung von weltlichen und geistlichen Sphären, um nur wenige Aspekte herauszugreifen 23. Nachdruck wird dem Ganzen durch zahlreiche Zitate aus Konzilsbeschlüssen und päpstlichen Dekretalen verliehen. Sie sind meist der ‚Dionysio-Hadriana‘, der 789 zum ersten Mal nachweisbaren und am weitesten verbreiteten historisch geordneten Kirchenrechtssammlung des fränkischen Reiches entnommen 24. Mit ihr wird die

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M. de Jong, The Penitential State. Authority and Atonement in the Age of Louis the Pious, 814–840, Cambridge–New York 2009. Patzold, Episcopus (nt. 2). J. Fried/W. Brandes, Donation of Constantine and Constitutum Constantini. The Misinterpretation of a Fiction and Its Original Meaning (Millennium-Studien 3), Berlin–New York 2007. K. Zechiel-Eckes, Florus von Lyon als Kirchenpolitiker und Publizist. Studien zur Persönlichkeit eines karolingischen „Intellektuellen“ am Beispiel der Auseinandersetzung mit Amalarius (835–838) und des Prädestinationsstreits (851–855) (Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter 8), Stuttgart 1999. Zechiel-Eckes, Ein Blick in Pseudoisidors Werkstatt (nt. 12); id., Zwei Arbeitshandschriften Pseudoisidors (nt. 12); id., Auf Pseudoisidors Spur (nt. 12). De Jong, The Penitential State (nt. 16). A. Werminghoff (ed.), Concilia aevi Karolini I [742–842] pars 2 [819–842] (Monumenta Germaniae Historica, Legum sectio III, Concilia t. 2), Hannover–Leipzig 1908, Neudruck Hannover 1999, Concilium Parisiense, Nr. 50 D, 605–680; W. Hartmann, Die Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich und in Italien (Konziliengeschichte Reihe A, Darstellungen), Paderborn [etc.] 1989, 179–181. Zusammenfassend mit Literatur: Patzold, Episcopus (nt. 2), 149–150. Hartmann, Kirche und Kirchenrecht um 900 (nt. 7), 100, nt. 218.

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Rechtmäßigkeit des Vorgehens unterstrichen. Nach einer Synode von Arles und der berühmten ‚Admonitio Generalis‘ aus dem Jahre 789, also zur Zeit Karls des Großen, wird bei keiner anderen Kirchenversammlung so ausgiebig aus dem Kirchenrecht zitiert wie auf der Pariser Synode im Jahre 829. Vor allem aber wird auf die besondere Verantwortung der Priester und Bischöfe hingewiesen. Ihre Stellung wird gegenüber den Laien so deutlich hervorgehoben wie selten zuvor. Zum ersten Mal in der karolingischen Epoche wird in der sog. ‚Relatio episcoporum‘ 25, von der eine Version in der letzten Sektion der Pariser Synodalbeschlüsse integriert ist 26, der berühmte Brief des Papstes Gelasius I. mit den zwei Gewalten, der heiligen Autorität der Priester und der königlichen Macht, zitiert 27. Zusammen mit anderen Dokumenten bietet er einen interessanten Beleg dafür, wie bestimmte Rechtsnormen des älteren Kirchenrechts nun auf einmal Eingang in aktuelle Entscheidungsprozesse fanden und neu rezipiert wurden. Steffen Patzold spricht in seinem Buch stets vom „Pariser Modell“, einer neuen Konzeption des Bischofsamtes, die den Amtscharakter der Bischöfe, ihre Unabhängigkeit in kirchlichen Belangen und die daraus erwachsende besondere Verantwortung betone 28. Johannes Fried glaubte im auf der Synode von Paris aktiven Kreis um den Abt Wala von Corbie und Hilduin von St. Denis die treibenden Kräfte bei der Fälschung des ‚Constitutum Constantini‘ zu sehen 29. IV. Pseudoisidor Einen anderen Aspekt finden wir bei den ebenfalls in diese Zeit datierten Fälschungswerken Pseudoisidors. Klaus Zechiel-Eckes glaubte die Entstehung zumindest des ersten Teils der berühmten Fälschungen, der Dekretalen der Päpste der ersten drei Jahrhunderte, in die 930er Jahre datieren zu können. Er sah in ihnen eine Reaktion des gleichen Kreises um Abt Wala von Corbie auf die Absetzung bzw. die einer möglichen Verfolgung zuvorkommende Flucht mehrerer 25 26 27

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A. Boretius/V. Krause (edd.), Capitularia regum francorum t. 2 (Monumenta Germaniae Historica [Leges]), Hannover 1887, No. 196, 27–51. Werminghoff (ed.), Concilia 2, 2 (nt. 22), 667–682. Boretius/Krause (eds.), Capitularia (nt. 25), 29, 23–27; G. Schmitz, Echte Quellen – falsche Quellen: Müssen zentrale Quellen aus der Zeit Ludwigs des Frommen neu bewertet werden?, in: H. Wolff/F.-R. Erkens (eds.), Von Sacerdotium und regnum. Geistliche und weltliche Gewalt im frühen und hohen Mittelater: Festschrift für Egon Boshof zum 65. Geburtstag. (Passauer historische Forschungen 12), Köln [etc.] 2002, 275–300, hier 288–289; aus der sehr umfangreichen Literatur zu Gelasius und seinem berühmten Brief sei an dieser Stelle nur verwiesen auf E. Caspar, Geschichte des Papsttums von den Anfängen bis zur Höhe der Weltherrschaft, vol. 1–2, Tübingen 1930/1933, vol 2, 64–73, 753–758; W. Ullmann, Gelasius I (492–496): Das Papsttum an der Wende der Spätantike zum Mittelalter, Stuttgart 1981, 198–212; A. Cotrell, Auctoritas and potestas: A Reevaluation of the Correspondence of Gelasius I on Papal-Imperial Relations, in: Mediaeval Studies 55 (1993), 95–110. Patzold, Episcopus (nt. 2), 159–168. Fried/Brandes, Donation (nt. 18), 88–109.

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Bischöfe ab 935, also sechs Jahre nach der Pariser Synode 30. Den historischen Hintergrund bildete dabei die Rückkehr Ludwigs des Frommen 835 nach seiner kurzzeitigen Abdankung. Die in ihrem Amt bedrohten Erzbischöfe Agobard von Lyon, Barnard von Vienne, Bartholomäus von Narbonne und Ebo von Reims wandten sich ebenso zur Flucht wie die Bischöfe Elias von Troyes, Heribald von Auxerre, Hildemann von Beauvais, Jesse von Amiens und Joseph von Evreux. Erzischof Ebo von Reims mißlang die Flucht, er wurde gestellt und mußte abdanken 31. Klaus Zechiel-Eckes sah in genau diesen Vorgängen den Anlaß zur Anfertigung der ,pseudoisidorischen Dekretalen‘ 32. In ihnen wird bekanntlich eine Absetzung von Bischöfen erheblich erschwert und ohne päpstliche Bestätigung unmöglich gemacht. Zudem verortete Zechiel-Eckes anhand von identifizierten Vorlagehandschriften und den für die Fälschung benutzten Quellen die Entstehung der Fälschung im Kloster Corbie an der Somme. Als spiritus rector vermutete er konsequenterweise den späteren Abt des Klosters, Paschasius Radbertus. Während die Vorlagehandschriften und ihre Benutzung unumstritten sind, beruht die Zuweisung zu Paschasius Radbertus und die politische Einordnung in die Zeit nach 835 auf zwar überzeugenden, aber dennoch weiterhin zur Diskussion stehenden Analogieschlüssen. All diesen Ansätzen, sei es das Bischofsbild, die Bedeutung der Buße oder die Datierung der großen Fälschungsprojekte, ist die Zuweisung zu einem bestimmten, meist bzw. teilweise Ludwig dem Frommen kritisch gegenüberstehenden, Kreis karolingischer Intellektueller und eine Datierung in die Krisenzeit der 820er und 830er Jahre des 9. Jahrhunderts gemeinsam. V. Gesamtkonze ption In all diesen Fällen geht es – unter unterschiedlichen Voraussetzungen – nicht nur um eine intensive Rezeption kirchlicher Normen, sondern um eine systematisierende Gesamtkonzeption der Kirche und ihrer Amtsträger. Diese Gesamtkonzeption sollte durch den Bezug auf die notwendigen Autoritäten gestützt werden. In den Akten der Synode von Paris heißt es, daß diese so umfangreich geworden seien, weil man sich bemüht habe, sie durch Zitate aus der Bibel und aus den Schriften der heiligen Väter zu unterstützen, der verwendete Ausdruck ist: munire 33.

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K. Zechiel-Eckes, Fälschung als Mittel politischer Auseinandersetzung. Ludwig der Fromme (814–840) und die Genese der pseudoisidorischen Dekretalen (Vorträge: G, Geisteswissenschaften/Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und Künste 428), Paderborn–München–Wien–Zürich 2011. Zechiel-Eckes, Ein Blick in Pseudoisidors Werkstatt (nt. 12), 55. Ibid., 57–60. Werminghoff (ed.), Concilia 2, 2 (nt. 22), 609, 6sq.; Hartmann, Die Synoden der Karolingerzeit (nt. 22), 181.

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Diese von Jonas von Orléans verfaßten Akten, die auch zusammen mit seinen anderen Schriften, seinem Fürsten- und Laienspiegel, zu sehen sind, stellen damit nicht nur ein Werk über die Beschaffenheit der Kirche, sondern zugleich einen Beitrag zur politischen Theorie dar, in dem die Kirche als ein universelles Gesellschaftsmodell konzipiert wird. Mit einem ähnlichen Gesamtanspruch treten auch die pseudoisidorischen Fälschungen auf. Neben ihren Hauptinteressen, dem Prozeßrecht, der Stärkung der Bischöfe, der überragenden Stellung des Papstes und dem Schutz des Kirchengutes bringt die Sammlung teilweise längst bekannte Aussagen zum Abendmahl, zur Taufe, zur Messe, zum Fasten, zur Osterzeit, zu den Speisevorschriften, zur Weihe von Kirchen und zur Ehe 34. So erfaßt denn auch eine allein auf bestimmte Motive zugespitzte Deutung des gigantischen Fälschungswerkes wohl nie die ganze Dimension, die seiner Anfertigung zugrunde lag. Schließlich stellen die Fälschungen in ihrer Gesamtheit keinen allein von einem konkreten politischen Kontext inspirierten Text dar, sondern eben eine komplette Dekretalen- und – nimmt man alle Teile hinzu – auch Konzilssammlung, also eine voll ausgebildete Kirchenrechtssammlung, die auf viele offene oder nur teilweise beantwortete Fragen und Probleme Antworten zu geben suggerierte. Neben den Hauptzielen, für die Pseudoisidor ja auch, beispielsweise von Hinkmar von Laon in seinem Kampf um sein Amt zwischen 869 und 871, eingesetzt wurde, kommen daher auch weitere Aspekte zum Tragen. Interessanterweise beziehen sich die ersten wörtlichen Zitate der Dekretalen auf der Synode von Quierzy 857 innerhalb der von Hinkmar von Reims verfaßten Schrift ‚De raptoribus‘ auf den Schutz des Kirchengutes, also ein – wenn man so will – Nebenthema Pseudoisidors. Es geht hier um die, bei Pseudo-Anaklet cap. 14 zu findende, Aussage, daß jemand, der seinen Vater oder seine Mutter bestiehlt, Beihilfe zum Mord leiste. Dies täte, da Gott der Vater und die Kirche die Mutter sei, auch jemand, der Kirchengut entfremde 35. Bequem und wohl mitverantwortlich für den Erfolg der neu in Umlauf gebrachten Fälschungen war die Tatsache, daß sie eben zahlreiche Aspekte zu behandeln vorgaben, also eine vor allem für das Bischofsamt recht umfassende Zusammenstellung möglicher Themen bieten konnten. Worin liegt aber nun die Ursache für diesen Drang zu einer systematischen Erfassung kirchenrechtlicher Bestimmungen für die Amtsführung von Bischöfen und anderen Klerikern? Sie liegt nun wohl zu einem großen Teil in der verstärkten Rezeption des Materials, welches bereits zur Verfügung stand. Erst diese aus aktuellen Anlässen erfolgte Rezeptionstätigkeit weckte wohl auch das Bedürfnis, die Lücken zu schließen, die ein konkreter Konflikt aufzeigen konnte.

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E. Seckel, Pseudoisidor, in: A. Hauck/J. J. Herzog (edd.), Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, Band 16, Leipzig 1905, 265–307, hier 279–283. W. Hartmann (ed.), Die Konzilien der karolingischen Teilreiche 843–859 (Monumenta Germaniae Historica [Leges 4], Concilia 3), Hannover 1984, 393, nt. 27.

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VI. Die Tradition – verfügbare Kirchenrechtssammlung en Als Klassiker unter den Kirchenrechtssammlungen der Karolingerzeit läßt sich die historisch geordnete ‚Dionysio-Hadriana‘ bezeichnen36. Sie ist die am meisten verbreitete Kirchenrechtssammlung des Frankenreichs. Papst Hadrian hatte sie Karl dem Großen bei seinem Romaufenthalt im Jahre 774 übergeben 37. Ab dem Jahr 800 wird sie in großem Umfang abgeschrieben und verbreitet. Über 70 Handschriften der insgesamt an die 100 Exemplare umfassenden Überlieferung stammen aus dem 9. Jahrhundert 38. Wichtige Synoden und Kapitularien schöpfen aus ihr, wie beispielsweise die schon erwähnte Pariser Synode von 829 39. Jedoch erfreuten sich weiterhin auch andere, bisweilen ältere Kirchenrechtssammlungen großer Beliebtheit. Acht der insgesamt 13 bekannten Handschriften mit vollständigen Texten der um 600 kompilierten Vetus Gallica entstanden im 8. und 9. Jahrhundert, wenn auch Nachweise ihrer konkreten Benutzung bei karolingischen Synoden eher spärlich sind 40. 14 der in insgesamt 26 erhaltenen Handschriften überlieferten systematischen, aus der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts vielleicht aus Italien stammenden, ‚Concordia Canonum‘ des Cresconius sind ebenfalls dem 9. und beginnenden 10. Jahrhundert zuzuordnen41. Die Capitulatio dieser Sammlung fand zudem eine interessante Verwendung zum Zwecke der Systematisierung der historisch geordneten ‚Dionysio-Hadriana‘ 42. Auch die um 500 entstandene ‚Quesnelliana‘ unterstreicht mit vier im 9. Jahrhundert angefertigten Exemplaren die Tendenz zur Abschrift auch älterer Sammlungen im und vor allem zu Beginn des 9. Jahrhunderts43. Ähnliches gilt für die im 36

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H. Mordek, Kirchenrecht und Reform im Frankenreich. Die Collectio Vetus Gallica, die älteste systematische Kanonessammlung des fränkischen Gallien; Studien und Edition (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 1), Berlin–New York 1975, 241–249; F. Maassen, Geschichte der Quellen und der Literatur des canonischen Rechts im Abendlande bis zum Ausgange des Mittelalters. Erster Band, Graz 1870, 441–452. Dies ist aus einem Widmungsachrostikon, das der Kirchenrechtssammlung vorangestellt wurde, zu erschließen; die Edition des Gedichts in: Maassen, Geschichte der Quellen (nt. 36), 965–967 (= Beilage XX); E. Dümmler (ed.), Poetae Latini Aevi Carolini, tomus 1 (Monumenta Germaniae Historica, Poetae, tomus 1), Berlin 1881, 91; hierzu: K. Zechiel-Eckes, Die Concordia canonum des Cresconius. Studien und Edition, Frankfurt am Main [u. a.] 1992, 163. Zechiel-Eckes, Die Concordia canonum (nt. 37), 151, nt. 85. Hartmann, Kirche und Kirchenrecht (nt. 7), 100. Mordek, Kirchenrecht und Reform (nt. 36), 267–301; Hartmann, Kirche und Kirchenrecht (nt. 7), 63; L. Kéry, Canonical Collections of the Early Middle Ages (ca. 400–1140). A bibliographical guide to the manuscripts and literature (History of medieval canon law), Washington, D.C. 1999, 51sq. Zechiel-Eckes, Die Concordia canonum (nt. 37), 312–354; id., Cresconius maculatus – Unbekannte Kölner Überlieferung der Concordia canonum. Zugleich eine Bestandsaufnahme nach zwölf Jahren, in: Analecta Coloniensia 4 (2004), 97–127; Hartmann, Kirche und Kirchenrecht (nt. 7), 63; Kéry, Canonical Collections (nt. 40), 33–38. Zechiel-Eckes, Die Concordia canonum (nt. 37), 206–215. Mordek, Kirchenrecht und Reform (nt. 36), 238–240; Hartmann, Kirche und Kirchenrecht (nt. 7), 62; Kéry, Canonical Collections (nt. 40), 27sq.

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6. Jahrhundert zusammengestellte ‚Collectio Sanblasiana‘ 44. Alle drei vollständigen Handschriften der ‚Collectio Sancti Amandi‘ wurden im 9. Jahrhundert in Nordfrankreich geschrieben45. Auch die aus Irland ins Frankenreich gekommene ,Collectio Hibernensis‘ wurde offenbar im 9. Jahrhundert mehrmals kopiert. Zwei vollständige Handschriften aus dem Frankenreich weisen in das 9. Jahrhundert46. Das Interesse an den meist älteres Recht transportierenden kirchenrechtlichen Sammlungen ist, so läßt sich feststellen, ab dem Beginn des 9. Jahrhunderts so groß wie niemals zuvor in der Geschichte des Frankenreiches. Betrachtet man die insgesamt spärliche, jedoch 789 auf der Reichsversammlung von Aachen, 813 in Arles und 829 auf der Synode von Paris sich verdichtende Verwendung kirchenrechtlicher Sammlungen47, so drängt sich der Eindruck auf, daß vor allem dann auf sie zurückgegriffen wurde, wenn sich das Bewußtsein krisenhafter Zustände breit machte, und die Rekursion auf die Normen der Kirchenväter Abhilfe versprach. Jedoch machten einige Situationen auch die Lücken deutlich, welche die älteren Kanonessammlungen ließen. VII. Die Diskussion um Ebo von Reims In der Zeit nach 835 ragt ein Fall unter vielen anderen hervor, der Fall des Amtsverzichts – so könnte man es nennen – Erzbischofs Ebo von Reims48. Ebo hatte 833 maßgeblich an der Amtsenthebung Ludwigs des Frommen mitgewirkt 49. Zwei Jahre später, am 28. Februar 835, im Zusammenhang mit der Reha-

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Mordek, Kirchenrecht und Reform (nt. 36), 240 sq.; Hartmann, Kirche und Kirchenrecht (nt. 7), 63; Kéry, Canonical Collections (nt. 40), 30. Hartmann, Kirche und Kirchenrecht (nt. 7), 63; Mordek, Kirchenrecht und Reform (nt. 36), 249–250. Hartmann, Kirche und Kirchenrecht (nt. 7), 63; Kéry, Canonical collections (nt. 40), 73 sq.; Mordek, Kirchenrecht und Reform (nt. 36), 255–257. Hartmann, Kirche und Kirchenrecht (nt. 7), 100; zur Krisensituation von 813: J. Fried, Elite und Ideologie oder die Nachfolgeordnung Karls des Großen vom Jahre 813, in: R. Le Jan (ed.), La royauté et les élites dans l’Europe carolingienne, début IXe siècle aux environs de 920 (Collection Histoire et littérature régionales 17), Villeneuve d’Ascq 1998, 71–109; zu 829: Patzold, Episcopus (nt. 2), 149–168. H. Schrörs, Hinkmar, Erzbischof von Reims. Sein Leben und seine Schriften, Freiburg im Breisgau 1884, 27–35; K. Hampe, Zum Streite Hincmars von Reims mit seinem Vorgänger Ebo und dessen Anhängern, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 23 (1898), 180–195; P. R. McKeon, A Study in the Carolingian Empire and Church, in: Church History 43 (1974), 437–447; J. Devisse, Hincmar, Archevêque de Reims 845–882 (Travaux d’histoire éthico-politique 29), Genève 1977, I, 71–97, II, 600–635; Patzold, Episcopus (nt. 2), 315–357. E. Mühlbacher/J. Lechner, Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern 751–918 (924) (J.-F. Böhmer, Regesta Imperii I, 1), Innsbruck 1908, Neudruck Hildesheim 1966, No. 926 a; auch in Regesta Imperii Online, URI: http://www.regesta-imperii.de/id/0833-10-01_1_0_1_1_0_ 1992_926a (abgerufen am 02.04.2013); Boretius/Krause (edd.), Capitularia regum Francorum t. 2

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bilitation Ludwigs des Frommen, erklärte Ebo in Metz vor allen versammelten 44 Erzbischöfen, Bischöfen und den Großen des Reiches, daß der Kaiser unrechtmäßig abgesetzt worden sei 50. Eine Woche später, am 4. März 835, trat er auf einer Synode in Thionville (Diedenhofen) von seinem Amt zurück, indem er ein Sündenbekenntnis ablegte und erklärte, fortan seines Amtes unwürdig zu sein51. Zwar handelte es sich dabei keineswegs um die erste Bischofsabsetzung während der Regierungszeit Ludwigs des Frommen52, jedoch hatten sich inzwischen die Zeiten gewandelt. Die Absetzung eines Bischofs war kein Vorgang, die ein Herrscher ohne großen Widerstand durchsetzen konnte. Man suchte daher nach Rechtssicherheit und fand sie nicht. 840 nach dem Tod Ludwigs des Frommen wurde Ebo auf einer Synode in Ingelheim auf Betreiben seines ältesten Sohnes Lothar wieder eingesetzt53. Wohl kurz nach seiner Rückkehr ins Amt verfaßte er eine Rechtfertigungsschrift, die in zwei Fassungen erhalten ist. Im Kern versucht die Schrift die Unrechtmäßigkeit seiner Absetzung zu erhärten, wobei sie auf zahlreiche Bibelstellen und die apostolische Binde- und Lösegewalt, die den Bischöfen zustehe, verwies. Ein Hauptargument bildete jedoch die reinigende Wirkung der Buße, die nun keinesfalls zur Verdammung führen könne54. Nach der Niederlage seines Fürsprechers Lothar bei Fontenoy am 26. Juni 841 war Ebo endgültig nicht mehr als Erzbischof zu halten. Er flüchtete nach Italien und wurde vielleicht bald darauf von einer Synode in Bourges abgesetzt 55. Jedoch sind von dieser Synode keine Akten erhalten. Ebo überarbeitete seine Rechtfertigungsschrift und interpolierte eine dort inserierte Aussage Bischof Drogos von Metz, in der dieser sich vermeintlich dahingehend äußerte, daß Ebos Absetzung unkanonisch zustande gekommen sei, da die Gemeinde nicht anwesend gewesen sei und ein zur Flucht gezwungener Bischof vor der Verhandlung seines Falles erst zurückgerufen werden müsse56. Ähnliches wiederholte er in einem von ihm vielleicht 845 gefälschten Brief Papst Gregors IV. (827–844), nachdem er 844 beim damaligen Papst Sergius II. (844–847) gescheitert war 57. 851 starb Ebo, aber sein Fall fand eine

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(nt. 25), No. 199, 57sq.; Annales Bertiniani, ed. G. Waitz (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum 5), Hannover 1883, 7; Annales de Saint-Bertin (« Annales Bertiniani »), edd. F. Grat/J. Vielliard/S. Clémencet, Paris 1964, 10. Annales Bertiniani, ed. Waitz (nt. 49), 11; Annales de Saint-Bertin, edd. Grat/Vielliard/Clémencet, (nt. 49), 16sq; hierzu Patzold, Episcopus (nt. 2), 196. Werminghoff (ed.), Concilia 2, 2 (nt. 22), No. 55B, 702sq.; E. Boshof, Erzbischof Agobard von Lyon. Leben und Werk (Kölner Historische Abhandlungen 17), Köln–Wien 1969, 257–260; Patzold, Episcopus (nt. 2), 197. Annales Regni Francorum edd. G. H. Pertz/F. Kurze (nt. 8), ad a. 818, 148. Werminghoff (ed.), Concilia 2, 2 (nt. 22), No. 61, 791–793; A. Werminghoff, Ein neuer Text des Apologeticum Ebonis, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 25 (1900), 361–378; Patzold, Episcopus (nt. 2), 316. Werminghoff (ed.), Concilia 2, 2 (nt. 22), 794–799 (erste Version), 799–806 (zweite Version). Hartmann, Die Synoden der Karolingerzeit (nt. 22), 199; Patzold, Episcopus (nt. 2), 321, nt. 456. Werminghoff (ed.), Concilia 2, 2 (nt. 22), 804, 20–805, 3. K. Hampe (ed.), Epistolae Selectae Pontificum Romanorum Carolo Magno et Ludowico Pio regnantibus scriptae, in: Epistolae Karolini Aevi tomus III (Monumenta Germaniae Historica, Epi-

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Fortsetzung. Es ging dabei um die Frage der von Ebo geweihten Kleriker. Die Gültigkeit der Weihen wurde u. a. 853 auf einer Synode in Soissons verhandelt und abgelehnt 58. Nachdem 855 Papst Benedikt III. (855–858) die Beschlüsse noch bestätigt hatte59, war später Papst Nikolaus I. (858–867) zurückhaltender und forderte in mehreren Briefen ausführliche Erklärungen und die Einberufung einer neuen Synode, die im August 866 in Soissons tagte 60. Jetzt, 866, verwiesen die betroffenen Kleriker in einem Schreiben an den Papst auch rückwirkend für ihre Position von 853 auf die decreta sacrosanctorum patrum hin, welche die Verurteilung eines Bischofs erst nach der vollen Restituierung seines Amtes und seiner Güter möglich und zudem die päpstliche Bestätigung zur Bedingung machten61. Dies sind die Gedanken Pseudoisidors, er war inzwischen bei ihnen angekommen62. Er paßte dabei nicht nur zu ihren Interessen, sondern er füllte eben auch die Lücke, welche die vorhandenen Rechtssammlungen offengelassen hatten. VIII. Lothar II. Die Prozesse der Systematisierung und Schließung vorhandener Lücken lassen sich anhand eines weiteren Beispiels, des berühmten Ehescheidungsverfahrens König Lothars II. von Lotharingen, der von 855–869 regierte, verdeutlichen. Lothar II. war seit dem Jahr 855 mit Theutberga aus dem Haus der Bosoniden vermählt. Ab dem Jahr 857 versuchte jedoch Lothar II., diese kinderlos bleibende Ehe aufzulösen und Waldrada, die wohl aus einer adligen Familie des MaasMosel-Raums stammte und mit der er mehrere Kinder hatte, an ihrer Statt zu ehelichen63.

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stolarum Tomus V), Berlin 1899, 1–84, No. 15, 81–84; Hampe, Zum Streite Hincmars (nt. 9); Patzold, Episcopus (nt. 2), 324, nt. 472. Hartmann (ed.), Die Konzilien (nt. 35), No. 27, 264–279, hier 266 mit der Bitte der Kleriker um die von Erzbischof Hinkmar von Reims verweigerte Anerkennung ihrer Weihen. Benedikt III, Epistola, No. 59a, in: E. Perels (ed.), Nicolai I papae epistolae, in: Epistolae Karolini Aevi IV (Monumenta Germaniae Historica, Epistolarum Tomus VI), Berlin 1925, 257–690, hier 367sq. Nikolaus I, Epistolae, No. 59, 74, in: Perels (ed.), Nicolai I papae epistolae (nt. 59), 365, 404–407; Patzold, Episcopus (nt. 2), 330sq. Narratio clericorum Remensium, in Werminghoff (ed.), Concilia 2, 2 (nt. 22), 806–814, hier 807, 28–808, 3; H. Fuhrmann, Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen. Von ihrem Auftauchen bis in die neuere Zeit (Schriften der Monumenta Germaniae Historica 24,1), Stuttgart 1972, 208sq.; Patzold, Episcopus (nt. 2), 333, nt. 535. Seckel, Pseudoisidor (nt. 34), 280. Zum Ereignisverlauf Heidecker, Kerk, huwelijk (nt. 15); id., The divorce of Lothar II. (nt. 15) mit weiterer Literatur; S. Airlie, Private Bodies and the Body Politic in the Divorce Case of Lothar II, in: Past and Present 161 (1998), 3–38; E. Dümmler, Geschichte des Ostfränkischen Reiches. Zweiter Band. Ludwig der Deutsche. Vom Koblenzer Frieden bis zu seinem Tode (860–876) (Jahrbücher der Deutschen Geschichte), Leipzig 21887, 3–249; R. Parisot, Le Royaume de Lorraine sous les Carolingiens (843–923). Thèse présentée à la Faculté des Lettres de Paris, Paris 1898, 78–325.

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Dieses Vorhaben versuchte Lothar unter Einbeziehung des lotharingischen Episkopats in mehreren Schritten zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen. Als Scheidungsgrund wurde ein inzestuöses Verhältnis Theutbergas mit ihrem Bruder angeführt 64. Auf den drei Aachener Synoden des Jahres 860 und 862 wurde die Ehe als nicht rechtmäßig erklärt 65. Noch im gleichen Jahr 862 ließ Lothar II. Waldrada zur Königin krönen und versuchte damit auch die drei gemeinsamen Kinder, Sohn Hugo und die drei Töchter Berta, Gisela und Irmingard zu legitimieren und das Reich über seinen Tod hinaus zu erhalten66. Eine Synode in Metz 863 in Anwesenheit der Erzbischöfe Gunthar von Köln und Thietgaud von Metz bestätigte die Scheidung 67. In der Hoffnung, Papst Nikolaus I. würde die Beschlüsse der Synode widerspruchslos genehmigen, schickte man die Akten nach Rom. Doch Nikolaus I. reagierte in einer Weise, wie es die Synodalteilnehmer nicht erwartet hatten. Er kassierte nicht nur die Beschlüsse und erklärte die Ehescheidung Lothars II. von Theutberga für ungültig, er enthob die Erzbischöfe Gunthar von Köln und Thietgaud von Metz ihrer Ämter und exkommunizierte sie68. Interessant für den hier zu behandelnden Themenkomplex ist die Art und Weise, wie sich die Diskussion innerhalb des Verfahrensprozesses entwickelte. 860 schrieb Erzbischof Hinkmar von Reims seinen Traktat ‚De Divortio Lotharii regis et Theutbergae reginae‘, ein erst später hinzugefügter Titel, von dem wir offensichtlich Hinkmars eigenes Arbeitsexemplar, Paris, BnF, Ms. lat. 2866, be-

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Heidecker, Kerk, huwelijk (nt. 15), 74 mit den Quellenstellen; Hinkmar von Reims, De divortio Lotharii regis et Theutbergae reginae, ed. L. Böhringer (Monumenta Germaniae Historica, Concilia IV, Supplementum 1), Hannover 1992, 114. Heidecker, Kerk, huwelijk (nt. 15), 127–128; Aachen, 29. April 862: Hartmann (ed.), Die Konzilien (nt. 35), 71–74. Mühlbacher/Lechner, Regesten (nt. 49), No. 1297a; auch in: Regesta Imperii Online, URI: http://www.regesta-imperii.de/id/0862-00-00_3_0_1_1_0_2844_1297a (abgerufen am 5.4.2013); Annales de Saint-Bertin, edd. Grat/Vielliard/Clémencet (nt. 49), ad a. 862, 93–94; Reginonis Abbatis Prumiensis Chronicon cum continuatione Treverensi, ed. F. Kurze (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum 50), Hannover 1890, ad a. 864, p. 82; Heidecker, Kerk, huwelijk (nt. 15), 128sq. Annales de Saint-Bertin, edd. Grat/Vielliard/Clémencet (nt. 49), ad a. 863, 98; Annales Fuldenses sive Annales Regni Francorum Orientalis ab Einhardo, Ruodolfo, Meginhardo Fuldensibus Seligenstadi, Fuldae, Mogontiaci conscripti cum continuationibus Ratisbonensi et Altahensibus, edd. G. H. Pertz/F. Kurze (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum 7), Hannover 1891, ad a. 863, 57, 10–24; Epistolae ad Divortium Lotharii II regis pertinentes ed. E. Dümmler, in: Epistolae Karolini Aevi IV (Monumenta Germaniae Historica, Epistolarum Tomus VI), Berlin 1925, 127–206, No. 5: Adventius von Metz: Narratio, 215–217; Hartmann (ed.), Die Konzilien (nt. 35), 134–138. Heidecker, Kerk, huwelijk (nt. 15), 175; E. Perels (ed.), Nicolai I papae epistolae (nt. 59), No. 18, 284–285; Synode von Rom, Oktober 863: W. Hartmann (ed.), Concilia Aevi Karolini. Die Konzilien der karolingischen Teilreiche 860–874. (Monumenta Germaniae Historica, Concilia 4), Hannover 1998, 147–155; W. Janssen/R. Knipping/F. W. Oediger, Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 21,1), Nachdruck der Ausgabe Bonn 1954–1961, Düsseldorf 1978, No. 193, 61–63.

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sitzen69. Der Traktat wurde im Auftrag von Bischöfen geschrieben, die mit den Entscheidungen der Aachener Synoden nicht einverstanden waren. Sie sandten Hinkmar einen in acht Kapitel unterteilten Fragenkatalog, später noch einmal sieben weitere Fragen. Hinkmar antwortete mit einer ausführlichen Behandlung des Themas. Ein wichtiger Teil der detaillierten Informationen, die wir über den ganzen Fall überhaupt zur Verfügung haben, sind diesem Traktat entnommen70. Entscheidend in diesem Text ist, daß zum ersten Mal die entsprechenden Fragen eine systematische Behandlung erfahren. Tatsächlich zeigt sich, daß das kanonische Recht zahlreiche Bestimmungen aufweist, beispielsweise zwischen welchen Partnern eine Ehe nicht erlaubt oder auch unter welchen Umständen eine Scheidung möglich oder eben unmöglich ist 71. Über eine negative Bestimmung gehen aber die meisten Quellen nicht hinaus. Wiederum ist es Jonas von Orléans in den Akten des Pariser Konzils von 829, der einen neuen, moralischen Aspekt einbringt und eine Ehedefinition mit dem Ziel, Nachwuchs zu gebären, formuliert. Hier wird zugleich auch das Verbot der Wiederverheiratung nach einer Scheidung wegen Ehebruchs angesprochen. Auch andere Elemente werden genannt, wie die Segnung der Ehe, die sonst nicht vorgeschrieben ist72. Es sind nun wieder einmal die falschen ‚Dekretalen‘ Pseudoisidors und das Fälschungswerk des Benedictus Levita, die eine Systematisierung dieser verstreuten Vorschriften bieten73. In einer vom Fälscher der pseudoisidorischen ‚Dekretalen‘ Papst Evaristus zugeschriebenen Dekretale werden alle Elemente als Block aufgeführt. Die Braut solle von den Eltern erbeten werden, von diesen geführt und mit einer Gabe, der dos, ausgestattet werden, und die Eheschließung ist von einem Priester zu segnen. Alle Elemente finden sich hier bequem zusammengestellt. Ehen, die mit der Hilfe des rechten Glaubens geschlossen würden, seien rechtmäßig, die anderen nicht 74. Zwar beruhen die Einzelelemente auf echten Texten, ihre Komposition zu einem idealen Ablauf einer Eheschließung ist jedoch das Werk des Fälschers. Es ist nun ausgerechnet diese Passage, die Hinkmar bei seinem Werk als Antwort auf die Frage, welche Bedin69 70 71 72 73

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Hinkmar von Reims, De divortio (nt. 64). Hinkmar von Reims, De divortio (nt. 64), 20–31. Ein Überblick bei Heidecker, Kerk, huwelijk (nt. 15), 16–29. Werminghoff (ed.), Concilia 2, 2 (nt. 22), c. 69, 670–671. Eine Zusammenstellung zu den Vorschriften bei Benedictus Levita bietet Heidecker, Kerk, huwelijk (nt. 15), 33–36; eine Neuedition des Benedictus Levita sowie die Ergebnisse der neuesten Forschungen nebst Verweisen auf die ältere Literatur stehen auf der von Prof. Dr. Gerhard Schmitz betreuten Webseite www.benedictus.mgh.de zur Verfügung; zum Thema z. B. Benedictus Levita, Capitularia III, c. 179, http://www.benedictus.mgh.de/edition/archiv/bl_ 20080226/libIII.pdf, 34–36 (zuletzt besucht am 6.4.2013). P. Hinschius (ed.), Decretales Pseudo-Isidorianae et Capitula Angilramni, Leipzig 1863, 87–88; K. Ritzer/U. Hermann, Formen, Riten und religiöses Brauchtum der Eheschließung in den christlichen Kirchen des ersten Jahrtausends (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 38), Münster (Westfalen) 21981, 277–278; zur dos: P. Mikat, Dotierte Ehe – rechte Ehe: zur Entwicklung des Eheschließungsrechts in fränkischer Zeit (Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften: Vorträge Geisteswissenschaften, Band 227), Opladen 1978.

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gungen jemand erfüllen müsse um zu heiraten, sich scheiden zu lassen oder sich erneut zu vermählen, verwandte75. Damit folgte auch er allen genannten Elementen als Bedingungen für eine rechtsgültige Ehe, auch wenn er schließlich zusammenfassend nur zwei Elemente als notwendig erachtete, den eigenen Willen und rechtmäßige Gelöbnisse. Eine detaillierte und in sich geschlossene Konzeption, welche Elemente eine rechtmäßige Eheschließung beinhaltete, existierte im kirchlichen Recht bis dahin nicht. Statt dessen konnte man Bestimmungen finden, die einer Ehe im Wege standen oder zu einer Auflösung führen konnten. Erst die pseudoisidorischen Fälschungen kreierten einen praktischen Text, der alle Elemente aufführte und diese zugleich im Mantel eines Dekrets des Papstes Evaristus zu präsentieren vermochte. Auf diesen Text konnte man sich nun bei bestimmten Fragen beziehen. IX. Fazit Nicht umsonst hat die jüngere Forschung die 20er bis 30er Jahre des 9. Jahrhunderts als Schlüsselzeit für einige interessante Entwicklungen entdeckt, darunter eine besondere Ausformung des Begriffs der Buße, ein neues Selbstverständnis des Bischofsamtes oder die Produktion gigantischer Fälschungswerke, die nicht zuletzt auch als Ausdruck einer besonderen intellektuellen Kapazität zu sehen sind. Viele der entscheidenden konzeptionellen Entwicklungen, die – wie beispielsweise Fragen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit einer Ehe – weit über genuin kirchliche Belange hinausgehen, sind dem Bereich des Kirchenrechts zuzuordnen, sei es durch die Rezeption vorhandener Sammlungen, die Anwendung und Interpretation desselben, die Rechtssetzung durch Synodalbeschlüsse oder die Fälschung kirchenrechtlicher Sammlungen. Die Wahrnehmung einer Krisensituation war bei all den in dieser Zeit entstandenen Werken von Bedeutung, die Lösung von Konflikten und die Beeinflussung der Entscheidungen zugunsten einer bestimmten Partei standen hierbei sicherlich im Vordergrund. Zugleich läßt sich aber auch ein Bedürfnis nach einer Vervollständigung und Systematisierung der relevanten Fragen erkennen, das die für das vorliegende Thema maßgeblichen Schriften jener Zeit durchdrang, die Akten der Pariser Synode von 829 ebenso wie eben auch die falschen Dekretalen. Konflikte um die Absetzung von Bischöfen oder Klerikern oder die Rechtmäßigkeit einer Ehe verlangten nach Klärung durch das Recht der Väter. Die Techniken des Umgangs mit Quellen waren in anderen Bereichen – vor allem im Hinblick auf theologisch-dogmatische Fragen – eingeübt und seit Langem praktiziert worden. Nun erfaßten sie auch das Kirchenrecht. Dort, wo diese schwierig oder den eigenen Interessen hinderlich waren, konnte

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Hinkmar von Reims, De divortio (nt. 64), 133; L. Böhringer, Der eherechtliche Traktat im Paris. Lat. 12445, einer Arbeitshandschrift Hinkmars von Reims, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 46 (1990), 18–47, hier 39.

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nachgeholfen werden. Die Grenzen waren fließend, auf dem Gebiet der Interpretation ebenso wie zwischen Sammlung, Interpolation und Fälschung. Eine strikte Trennung dieser Elemente verstellt uns den Blick auf jene Zeit. Das Kirchenrecht war damit auch Teil der politischen Kommunikation, es diente der Austragung politischer Konflikte und brachte damit auch Veränderungen in den zugrundeliegenden Vorstellungen vom Herrschaftsverband und den gesellschaftlichen Ordnungsmodellen zum Ausdruck. Die Suche nach politischen Ideen der Karolingerzeit muß daher die kirchenrechtlichen Sammlungen ebenso mit einbeziehen wie Synodalbeschlüsse und Gutachten, denn genau in diesem Bereich offenbart sich auch die Entwicklungsdynamik der politischen Ideen jener Zeit. Jedoch sei zum Schluß auch angemerkt, daß es sich um die Konzepte, Ideen und Kommunikationstechniken einer kleinen Gruppe von Intellektuellen handelte, um einen engen Kreis weniger Gelehrter, um die immer gleichen Namen, die uns in diesem Zusammenhang begegnen. Diese Beschränkung auf eine kleine Gruppe verhinderte wohl größere unmittelbare Folgewirkungen der produzierten Texte, deren Explosionskraft erst 200 Jahre später zur Entfaltung kommen sollte. Es mag daher bezeichnend sein, daß in Thegans ‚Gesta Hludowici imperatoris‘ selbst der in diesem Zusammenhang so deutlich hervortretende Ebo von Reims turpissimus rusticus genannt wird76. Als solcher gehörte er zweifellos einer breiten Mehrheit unter den politischen Akteuren jener Zeit an.

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Theganus/Astronomus, Die Taten Kaiser Ludwigs. Das Leben Kaiser Ludwigs, ed. u. übers. v. E. Tremp (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi 64), Hannover 1995, cap. LVI, 252.

Lex und consuetudo Zum politischen Hintergrund ihres Verhältnisses in den Lehren der Bologneser Legisten des 12. bis 14. Jahrhunderts H G. W (Jena) I. Problemstellung Kaiser Justinian setzte das Lehrbuch der ‚Digesten‘ am 16. Dezember 533 mit seinen zwei Konstitutionen ‚Tanta‘ und ‚Omnem‘ in Kraft. ‚Omnem‘ wies die Rechtslehrer im Imperium Romanum über den neugeordneten Lehrstoff und den Zeitplan des Rechtsstudiums an und begrenzte letzteres auf die Rechtsschulen in den regiae urbes, Rom und Konstantinopel, und auf die pulcherima civitas Beirut, deren damals berühmte Rechtsschule er „Nährmutter der Gesetze“ (nutrix legum) titulierte. Weder die Stadt Bologna noch ein anderer der bekannten Orte des Studiums des römischen Rechts im Mittelalter wurden in der kaiserlichen Konstitution genannt und verfügten somit über eine Privilegierung durch den Princeps. Damit sahen sich die mittelalterlichen doctores legum in Bologna schon zu Beginn ihrer Glossierungs- und Kommentierungstätigkeit der einzig aufgefundenen Handschrift der ‚Digesten‘ vor die Aufgabe gestellt, die Legitimität ihrer eigenen Tätigkeit zumal als Rechtslehrer eigens zu begründen1. Dieses Legitimationsbedürfnis der Bologneser Rechtslehrer entsprang einem als gravierend empfundenen Problem, wie noch an der ‚Glossa ordinaria‘ des Bologneser Rechtslehrers Accursius (ca. 1185–1263) von ca. 1230 abzulesen ist 2. 1

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Zur Beschränkung des Rechtsunterrichts auf die Residenzstädte und Beirut im Corpus Iuris Civilis, vol. I: Institutiones et Digesta, edd. P. Krueger et Th. Mommsen, Berlin 1872, XVI (§ 7); zum historischen Hintergrund F. Wieacker, Recht und Gesellschaft in der Spätantike (Urban Bücher 74), Stuttgart 1960, 94–100; zu den Bestimmungen von ‚Omnem‘ und ‚Tanta‘ B. Rubin, Das Zeitalter Justinians I, Berlin 1960, 152–160; cf. W. Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, Köln–Wien 121990, 146–157, P. G. Stein, Römisches Recht und Europa. Die Geschichte einer Rechtskultur, Frankfurt/M. 1996, 61–67. Corpus iuris civilis cum commentariis Accursii […], ed. Ioannes Feh, Lyon 1627 (Reprint Frankfurt/M. 2006), vol. I Digestum Vetus, ad ‚Omnem‘ § 7, s.v. „regiis urbibus“, col. 10: „scilicet Roma veteri, quam Romulus et Remus fratres reges fecerunt […] et Constantinopoli, quam imperator Constantinus fecit […]; ergo idem et in Bononiensi quia et eam fecit Imperator Theodosius iussu beati Ambrosii, cum per proditionem eam destruxerat , ut dicitur in legenda beati Ambrosii, et hic habent excusationem ab omnibus muneribus.“ Accursius allegiert dazu u.a. eine Passage aus dem Codex Justinianus, X.53.6 („De professoribus et medicis, l. medicos“) (op. cit., vol. V, col. 98), in der Kaiser Konstantin u.a. die Professoren von städtischen Abgaben befreit. Die Glosse des Accursius wurde schon im 14. Jh. mit dem Argu-

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Auch dieser Kompilator der Standardglosse zu den Büchern des ‚Corpus Iuris Civilis‘ hielt es wie seine vor ihm die spätantiken Rechtstexte glossierenden Kollegen noch für nötig, ausführlich über das Verhältnis von (kaiserlichem) Gesetzgebungsrecht und Gewohnheitsrecht zu reflektieren und zu einer Lehre von der Rolle der Zeit innerhalb des Rechts auszudehnen3. Der Begründer der neuen problemorientierten Kommentatorenschule der italienischen Legistik, Cino da Pistoia (1270–1336), faßte noch ein Jahrhundert später in seinem einflussreichen Digestenkommentar aus den 30er Jahren des 14. Jahrhunderts die vorhergehenden Lehrmeinungen anderer Kollegen dahingehend zusammen, daß ein schon lange Zeit bestehendes Gewohnheitsrecht (ex consuetudine longissima), das gar mit Duldung des Herrschers entstanden sei, ein herrscherliches Privileg, also eine lex, ersetzen könne wie im Falle des Rechtsstudiums in Padua4. Andere Juristen hatten dagegen das Prinzip der ratio legis geltend gemacht. Ihm komme eine solche rechtssetzende Kraft zu, daß für die Gegenwart (hodie) die möglichen Gründe Justinians zu einer Beschränkung der Rechtsstudien in damaliger Zeit (olim) auf so wenige Städte, nämlich ein Ausschließenwollen einer Perversion des Rechts durch Unterricht in dafür ungeeigneten Institutionen, durch die inzwischen eingetretenen Veränderungen der historischen Rahmenbedingungen nicht mehr maßgeblich und dadurch aufgehoben seien. Solche Überlegungen hielt Cino wie die meisten anderen Legisten für nicht zwingend und lehnte sie als Legitimationsgrund der neuen mittelalterlichen Orte von Rechtsstudien ab. Nur die Lehre von der consuetudo longissima hielt Cino für beweis-

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ment des in Padua lehrenden Alberich de Rosciate (c. 1290–1360) ergänzt, daß nach höchstmöglicher Verjährungsfrist („tempus cuius non extat memoria“) das Verbot des Princeps eines Rechtsunterrichts außer in den drei genannten Städten aufgehoben sei. Zur Akzeptation dieses Arguments bei Cino da Pistoia cf. nt. 5. Cf. H. G. Walther, Mundus non generabitur et corrumpetur, sed dispositiones ipsius. Zum Umgang der gelehrten Juristen mit dem Problem der Vergänglichkeit und Dauer, in: A. Speer/D. Wirmer (eds.), Das Sein der Dauer (Miscellanea Mediaevalia 34), Berlin–New York 2008, 432–446. Der in den gedruckten Ausgaben überlieferte Text des Kommentars des Bartolus von Sassoferrato (1313–1357) zum ‚Digestum Vetus‘ ist weitgehend eine Übernahme der heute in ihrer Gänze als verloren geltenden ‚Lectura‘ des Cino da Pistoia zum ersten Teil der ‚Digesten‘. Dies läßt sich aus dem Vergleich mit den überlieferten Textpassagen vorausgehender Fassungen dieser Lectura in zwei Handschriften feststellen. Die Überlieferungs- und Textverhältnisse hat schon vor Jahren Domenico Maffei untersucht: D. Maffei, La „Lectura super Digesto Veteri“ di Cino da Pistoia. Studio sui mss. Savigny 22 e Urb. lat. 172 (Quaderni di Studi Senesi 10), Milano 1963, sp. 39sqq. Cino (und ihm folgend Bartolus) weisen ausdrücklich die Argumentationen von Jacobus de Arena und Riccardo Malombra mit einer das Verbot von ‚Omnem‘ abrogierenden ratio legis als rechtlich unhaltbar zurück. Dagegen fand Cinos Argumentation mit der praescriptio longissima über den Paduaner Legisten Alberich da Rosciate Eingang in die ‚Glossa ordinaria‘. Cf. Cinos Argumentation in Bartolus de Saxoferrato, Opera Omnia, 5 vol., Basel 1562 (Reprint: Frankfurt/M. 2007), I Digestum Vetus, ad ‚Omnem‘ § 7, 6a–7a. Zur Bedeutung Cinos für die methodische Entwicklung der Legistik G. Astuti, Cino da Pistoia e la giurisprudenza del suo tempo, in: Colloquio Cino da Pistoia (Atti dei Convegni Lincei 18), Roma 1976, 129–152; P. Weimar, Cinus de Sighibuldis, in: M. Stolleis (ed.), Juristen. Ein biographisches Lexikon von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 2001, 133sq.

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kräftig und rechtmäßig und machte dadurch deutlich, welch starke Rechtskraft die Legisten der Gewohnheit im Verhältnis zum Gesetzgebungsrecht des Princeps einzuräumen bereit waren5. Ihre Ausführungen zum Gewohnheitsrecht, insbesondere in den Glossen und Kommentaren zu den spätantiken Kaisergesetzen des Codex Justinians, nehmen deshalb stets großen Raum ein; bei Cino in der Ausgabe von dessen CodexLectura von 1578 zum 2. Paragraphen des 52. Titulus des 8. Buches sogar 211/2 Druckspalten, wobei ihm bei der Behandlung der Möglichkeit des Gewohnheitsrechts, Gesetze zu abrogieren, der Gegensatz zwischen olim und hodie zum zentralen Argument erhoben wird 6. Consuetudo versus lex scheint eine zentrale Rolle in der Rechtslehre der Legisten des Mittelalters gespielt zu haben und es ist wert, sich mit dieser Problematik etwas näher zu befassen7.

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[Bartolus], op. cit. (nt. 4) ad ‚Omnem‘ § 7, no. 3, 6b: „Quid ergo si civitas hoc privilegio careat? Jacobus de Arena dicit, quod si hoc habet ex consuetudine longissima, sicut habet civitas Paduae, possunt ibi iura doceri legitime. Cum talis consuetudo sit similis privilegio, et facit quod licitum, sicut privilegium […]. Et consuetudo inducit privilegium, in decretis c. XVIII, quaestio ultima, c. ‚servitium‘ [XVIII. q.2.c,31] et Extra ‚De verborum significatione‘, c. ‚super quibusdam‘; § ‚praeterea‘ [X. 5.40.26]. Item probatur, quod expressum et tacitum aequipollent […]. Sed princeps permittendo alibi doceri videtur concedere et suam prohibitionem revocare […] Aret[anus] dicit, quod iura possunt doceri in locis permissis ex privilegio vel consuetudine antiqua quae pro lege servatur, vel ex permissione eius tacita vel expressa, qui est princepts vel loco principis in territorio suo; et qui in talibus locis docent et docentur, debent habere privilegia, quae tribuit authentica ‚habita‘.[…] Plus dicunt quidam moderni, ut Richardus Malumbra, quod possunt haec iura hodie in qualibet civitate vel castro, ut Mutinae, Regii, Parmae, Vercellis, et in castris, ut vidimus maxime in provincia Marchiae Anconitanae probant, quia ubi cessat ratio legis […]. Item cum ratio vincat legem, possumus facere contra legem adhaerendo rationi […] Sed ratio quare prohibitum fuit iura doceri in aliis locis, illa erat olim, ne iura perverterentur et falsificarentur, cum in illis locis non erat copia iurisperitorum, sed cum hodie ubique sint iurisperiti, nec sit locus perversioni vel falsificationi sicut olim, cessat ista ratio, et ideo ad hoc observandum non tenemur. Quod mihi non placet, quod tempore huius legis multae erant splendidae civitates, in quibus forte maior erat copia sapientum quam in civitate Berytensi, et cum alibi non possint doceri iura neque in Alexandria neque in Constantinopolitana civitate, dico ergo, quod habere studium vel licentiam docendi procedit ex privilegio tantum vel ex cosuetudine longissima, sicut Paduae, ubi est studium generale ex consuetudine, et sic eadem privilegia sunt ibi, quae sunt Bononiae, ubi est studium ex consuetudine et privilegio Lotharii imperatoris, ut dicunt quidam.“ Cinus de Pistorio in Codicem et Digestum Vetus Commentaria a Nicolao Cisnero correcta et illustrata, Frankfurt/M. 1578 (Reprint Frankfurt/M. 2007), II, 519rb–526va (1063–1078), ad C. 8. 52 (53) 2‚ „Quae sit longa consuetudo“. Cino setzt sich hier ausführlich mit Lehren seiner Zeitgenossen (moderni) wie besonders der Orléaneser Legisten Pierre Belleperche und Jacques de Revigny sowie seines Lehrers Dino da Mugello über die Fähigkeit des gegenwärtigen populus Romanus zur Abrogierung kaiserlicher leges durch Verjährung auseinander. Zur Verjährungsproblematik cf. H. G. Walther, Das gemessene Gedächtnis. Zur politisch-argumentativen Handhabung der Verjährung durch gelehrte Juristen des Mittelalters, in: Mensura, Maß, Zahl, Zahlensymbolik im Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 16/1), Berlin–New York 1983, 212–233, sp. 222–228 (Wiederabdruck in: H. G. Walther, Von der Veränderbarkeit der Welt, Ausgewählte Aufsätze, edd. S. Freund, K. Krüger und M. Werner, Frankfurt/M. u.a. 2004, 67–91). Cf. E. Cortese, La norma giuridica. Spunti teorici nel diritto comune classico II, Milano 1964, sp. cc. 3–5, 101–293; M. Bellomo, Società e istituzioni in Italia dal Medioevo agli inizi dell’età moderna, Catania 41984, 339–378.

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II. Römisches Recht und norditalienische Kommune Die moderne Forschung hat den Glauben an den „miracolo bolognese“ verloren, mit dem früher der Rezeptions- und Durchsetzungsprozess des römischen Rechts in den Bologneser Rechtsschulen seit dem 11. Jahrhundert bezeichnet wurde. Stellte dieser Notbegriff doch letztlich nichts anderes als eine Kapitulation wissenschaftlicher Erklärungsversuche vor jenem gewiß einzigartigen, aber keineswegs auf Bologna allein beschränkten Prozeß in Südfrankreich und dem nördlichen Italien dar. Sind die Entwicklungsschritte auch heute noch in den Details umstritten, so ist die Forschung doch weitgehend zum Konsens gelangt, daß das auslösende Moment in einer systematischen Erschließung der spätantiken Texte der ‚Digesten‘ und des ‚Codex‘ für den prozeßrechtlichen Bereich zu suchen ist 8. Seit dem letzten Drittel des 11. Jahrhunderts ist sodann eine Trägerschicht dieses innovativen Schubs festzustellen. Die ihn tragenden Juristen schufen mit ihrer rechtspraktischen Tätigkeit nicht nur eine rationale Anpassung des Rechtssystems an die veränderten sozialen Rahmenbedingungen, sondern bewirkten dabei auch, daß die Normen des spätantiken römischen Rechts bei den Führungsschichten in den sich ausbildenden neuartigen politischen Gemeinschaften der Kommunen auf Akzeptanz stießen, da sie deren inneren Frieden durch neue Formen des sozialen Ausgleichs beförderten 9. 8

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M. Sbriccoli, L’interpretazione dello statuto. Contributo allo studio della funzione dei giuristi nell’età comunale, Milano 1969; J. Fried, Die Entstehung des Juristenstandes im 12. Jahrhundert. Zur sozialen Stellung und politischen Bedeutung gelehrter Juristen in Bologna und Modena (Forsch. z. neueren Privatrechtsgesch. 21), Köln–Wien 1974, leicht differenziert in J. Fried, … „auf Bitten der Gräfin Mathilde“. Werner von Bologna und Irnerius, in: Europa an der Wende vom 11. Zum 12. Jahrhundert, Beiträge zu Ehren von Werner Goez, Stuttgart 2001, 171–206; M. Bellomo, Saggio sull’università nel età del diritto comune, Catania 1979; H. G. Walther, Die Anfänge des Rechtsstudiums und die kommunale Welt im Hochmittelalter, in: J. Fried (ed.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters (Vorträge u. Forschungen 30), Sigmaringen 1986, 121–162 (Wiederabdruck in: id., Veränderbarkeit [nt. 6], 93–143); A. Padoa Schioppa, Sul ruolo dei giuristi nell’eta del diritto comune: un problema aperto, in: Il diritto comune e la tradizione giuridica europea, Perugia 1989, 153–166; M Ascheri, Alle origini dell’Università di Bologna (zuerst 1970), in: Ascheri, Diritto medievale e moderno. Problemi del processo, della cultura e delle fonti giuridiche, Rimini 1991, 287–297; C. Dolcini, Lo Studium fino al XIII secolo, in: O. Capitani (ed.), Storia di Bologna. II Bologna nel Medioevo, Bologna 2007, 477–498. A. Tognoni Campitelli, Attività processuale e documentazione giuridica. Aspetti e problemi del processo civile nel medioevo, Rom 1989; E. Cortese, Il diritto nella storia medievale II: Il Basso Medioevo, Roma 1995, 103sqq., H. G. Walther, Die Legitimation der Herrschaftsordnung durch die Rechtslehrer der italienischen Universitäten des Mittelalters, in: Moral und Recht im Diskurs der Moderne. Zur Legitimation gesellschaftlicher Ordnung, edd. G. Dux/F. Welz (Theorie des sozialen und kulturellen Wandels 2) Opladen 2001, 175–190; E. Cortese, Scienza di giudici e scienza di professori tra XII e XIII secolo, in: Legge, giudici, giuristi (Atti del Convegno Cagliari, 1981), Milano 1985, 93–148; N. Wandruszka, Die Oberschichten Bolognas und ihre Rolle während der Ausbildung der Kommune (12. und 13. Jh.), Frankfurt/M. 1993. Rückfall in ältere geistesgeschichtliche Erklärungsmodelle dagegen bei Ch. M. Radding, The Origins of Medieval Jurisprudence: Pavia and Bologna 850–1150, New Haven–London 1988.

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Es war diese praktische, in Rechtsstreitigkeiten prozessual sich bewährende Tätigkeit der zunächst nur wenigen, im römischen Recht gebildeten Juristen, die ihnen Einfluß und auch sozialen Aufstieg in den Kommunen verschaffte. Inhaltlich und methodisch erwiesen sich diese doctores legum gegenüber ihren rein gewohnheitsrechtlich argumentierenden Kollegen deshalb als überlegen, weil sie die spätantiken Texte der Justinianischen Kodifikationen des 6. Jahrhunderts durch die Methode der Glossierung, vor allem der Texte der nun handschriftlich bekanntgewordenen ‚Digesten‘, als geschlossenes rationales System betrachten und argumentativ in den Prozessen einsetzen konnten10. Dieser überlegenen Durchsetzungskraft von derart am römischen Recht geschulten Juristen begünstigte zum dritten auch den Aufschwung der von ihnen geleiteten Rechtsschulen, die damit die Konkurrenz von auch andernorts in Norditalien und Südfrankreich bezeugten Bemühungen von Juristen um die prozessuale Nutzung des kodifizierten römischen Rechts bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts allmählich ausschalteten11. Alle diese Bemühungen von praktizierenden Juristen reagierten also innerhalb der Rahmenbedingungen eines mehrschichtigen sozialen und politischen Transformationsprozesses, der damals in diesen Regionen ablief. Insbesondere in Norditalien wurde seit dem 11. Jahrhundert die neuartige Institution der Kommune, zu der sich die spätantiken civitates mit den ihnen zugeordneten contadi transformierten, zu einem entscheidenden Tätigkeitsfeld dieser Praktiker der neuen Rechtsmethodik. Die älteren Gewohnheitsrechtsformen zeigten sich den veränderten Sozialformen nicht mehr gewachsen, mußten zumindest systematisiert und prozessual rationalisiert werden. Das neue System der am Text der ‚Digesten‘ geschulten Juristen bot dafür eine gute Basis12. Die Trägergruppe des kommunalen Rechtssystems der Richter und Prozeßanwälte orientierte sich in ihrer Methode der Textglossierung immer systematischer am kodifizierten spätantiken römischen Recht als höchster Autorität in Rechtsfragen. Mit der Übernahme römisch-rechtlicher Prozeßtechnik und der dazugehörigen Argumentation trug sie zugleich zur Verstetigung und Akzeptanz der Herrschaftsverhältnisse bei; denn die den sozialen Wandel begleitenden laten-

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Walther, Anfänge (nt. 8); G. Pace, ,Iterum homines querebant de legibus‘. Una nota sulla riemersione dei ,Digesta‘ nel Medioevo, in: Rivista internazionale di diritto comune 3 (1992), 221–229; M. Bellomo, Der Text erklärt den Text. Über die Anfänge der mittelalterlichen Jurisprudenz, in: Rivista internationale di diritto comune 4 (1993), 51–64, Fried, auf Bitten (nt. 8). Bellomo, Saggio (nt. 8), 43–53; Walther, Anfänge (nt. 8); cf. id., Sozialdisziplinierung durch die gelehrten Rechte im Mittelalter, in: Gewalt und ihre Legitimation im Mittelalter, ed. G. Mensching (Contradictio 1), Würzburg 2003, 26–47, sp. 29sq.. Cf. Fried, Entstehung (nt. 8); Bellomo, Saggio (nt. 8); P. Classen, Richterstand und Rechtswissenschaft in italienischen Kommunen des 12. Jahrhunderts, in: id., Studium und Gesellschaft im Mittelalter, ed. J. Fried (Schriften der MGH 29), Stuttgart 1983, 59sqq., 62sqq.; Ascheri, Alle origini (nt. 8); Walther, Sozialdisziplinierung (nt. 11).

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ten bis offenen sozialen und politischen Konflikte in den Kommunen konnten durch rationale Argumentation vor Gericht nun entschärft und beigelegt werden. Die Normen, die sich durch die Autorität eines schriftlich aus der Zeit vor den gegenwärtigen Parteistreitigkeiten stammenden Rechtssystems legitimierten, konnten in der kommunalen Welt durchaus sozial befriedend wirken. Die sozialgeschichtlichen Untersuchungen der letzten Jahre haben ergeben, daß die ersten doctores legum in der Regel keine Angehörigen der Konsulats-Oberschicht der Kommunen waren, daß ihr Angebot der Autorität des römischen Rechts von den Angehörigen der Mittelschichten nicht als bloßes neues Machtinstrument der von ihnen bekämpften städtischen Führungsschicht der milites verstanden und die daraus entwickelte Legalität als weitgehend ‚neutral‘ in den innerstädtischen Konflikten angesehen wurde13. III. Leges nostri und scientia nostra in Bologna Die Gestalt des zunächst als Rechtsberater im Umkreis der Markgräfin Mathilde tätigen, dann wohl seit dem 2. Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts in Bologna die römischen leges lehrenden Irnerius (Guarnerius, Wernerius, gestorben nach 1125) umrankt trotz aller quellenkritischen Bemühungen der Forschung bis heute eine mythische Aura, die offensichtlich bereits unter den Legisten Bolognas begann14. Zumindest seit dem frühen 13. Jahrhundert galt er allen Bologneser Rechtslehrern als der alleinige Begründer der scientia nostra, da allein er sich um die richtigen Texte am richtigen Ort mit der richtigen Methode bemüht und diese an Schüler weitergegeben habe. Der stärkste Propagandist dieser Legende war der Bolognesische Legist Odofredus de Denariis († 1265). In der politisch kritischen Situation, als Kaiser Friedrich II. nach 1226 das Rechtsstudium in der ihm feindlich gesonnenen Kommune Bologna zugunsten seiner Hauptstadt Neapel verbieten wollte und zudem bereits an vielen Orten Norditaliens konkurrierende Rechtsschulen und universitates von Rechtsstudenten entstanden waren, war es ein geschickter Schachzug, die alleinige Legitimität der Bologneser Rechtsschulen von diesen Anfängen unter Irnerius her zu behaupten. Odofredus war Exponent eines inzwischen eng gewordenen Schulterschlusses zwischen den Rechtslehrern und der Kommune in Bologna. Seit den 1180er Jahren band im übrigen die Kommune

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Fried, Entstehung (nt. 8); Wandruszka, Oberschichten (nt. 9). Cf. die Bemerkungen Harold J. Bermans in seinem fundamentalen Abriß Recht und Revolution. Die Bildung der westlichen Rechtstradition, Frankfurt/M. 1995 (Law and Revolution. The Formation of the Western Legal Tradition, Cambridge, Mass. 1983), 199–215. Zum noch immer kontroversen Wernerius-Irnerius-Problem zuletzt Walther 1986 (nt. 8), Fried, auf Bitten (nt. 8), Cortese, Il diritto II (nt. 9), 57–102; F. Roversi-Monaco, Il „circolo“ giuridico di Matilde: da Bonizone a Irnerio, in: Storia di Bologna II (nt. 8), 387–409 (vorzüglicher Literaturüberblick); Dolcini, Lo studium (nt. 8), 479–487.

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durch Eid auswärtige Rechtslehrer an sich, um die Gefahr ernsthafter Konkurrenz von Rechtsstudien anderswo nach Möglichkeit einzuschränken15. Dieser enge Schulterschluß war nicht zuletzt durch die politische Entwicklung in Norditalien befördert worden, als die gefährlichen Konsequenzen der Lehren Bologneser Rechtslehrer deren dritter Generation in der Kommune am Reno klar wurden. Denn Kaiser Barbarossa hatte sich 1158 der Hilfe der sog. Quattuor Doctores aus Bologna, der vier bedeutendsten Leiter von Bologneser Schulen des römischen Rechts, bedient, um gegenüber den auf ihre autonome Stellung pochenden Kommunen der Lombardei seine kaiserlichen Rechtsansprüche durchzusetzen. Da Bologna sich in der Folgezeit der militärisch gegen Barbarossa durchaus erfolgreich agierenden Liga der Lombardischen Kommunen angeschlossen hatte, um eigene Autonomieansprüche ebenfalls gegen die Staufer zu verteidigen, distanzierte sich die mittlerweile nachgewachsene dritte Generation von Rechtslehrern in dieser Kommune mehrheitlich von den älteren Lehren der vier Rechtsdoktoren von einer umfassenden Herrschergewalt (iurisdictio) des Princeps. Besonders die 1158 in Bologna mit Hilfe der vier Doktoren formulierte Lex Omnis iurisdictio billigte dem Princeps die alleinige iurisdictio zu und erhob den Anspruch, daß er allein allen Rechtsprechungsorganen die administratio verleihen und diese mit einem Richtereid an sich binden könne16. Im Sinne der kommunalen Autonomie wurden solche früheren Lehräußerungen und ihre praktische Umsetzung nun als schwerer Fehler, wenn nicht gar als Verbrechen betrachtet. Freilich wollte man nachträglich zumindest den Bulgarus, einen der vier Doktoren, von der Schande des Urhebertums von antikommunalen Lehren ausgenommen wissen, da sich auf ihn und seine Schule inzwischen alle namhaften Vertreter der Legistik in Bologna zurückführten. Aus der Bologneser Schultradition der in die Sammlung des sog. ‚Liber Feudorum‘ inserierten kaiserlichen Novellen wurde diese lex ausgeschieden17. So wurde um 1200 eine stete Lehrkontinuität in Bologna behauptet, die stets der consuetudo des Volkes die Möglichkeit einer zumindest partikularrechtlichen Rechtssetzungskraft auch gegen den Wortlaut schriftlich fixierter leges des Princeps ein-

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Fried, Entstehung (nt. 8); Walther, Anfänge (nt. 8); id., Sozialdisziplinierung (nt. 11); cf. Dolcini, Lo studium (nt. 8). Cf. V. Colorni, Die drei verschollenen Gesetze des Reichstages bei Roncaglia wieder aufgefunden in einer Pariser Handschrift (Bibl. Nat. Cod. Lat. 4677) (Untersuchungen zur deutschen Staatsund Rechtsgeschichte NF 12), Aalen 1969, 26: „Omnis iurisdictio et districtus apud principem est et omnes iudices a principe administrationem accipere debent et iusiurandum prestare, quale a lege constitutum est.“ Druck auch in MGH, Die Urkunden Friedrichs I., Hannover 1979, D FI Nr. 238, 30. Colorni, Verschollene Gesetze (nt. 16), 15sqq., 28–33; cf. D. Quaglioni, Il diritto comune pubblico e le leggi di Roncaglia. Nuove testimonianze sulla l. „Omnis iurisdictio“, in: G. Dilcher/D. Quaglioni (eds.), Gli inizi del diritto pubblico. L’età di Federico Barbarossa. Legislazione e scienze del diritto (Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento. Contributi 19), Bologna–Berlin 2007, 47–65; E. Conte, „Ego quidem mundi dominus“. Ancora su Federico Barbarossa e il diritto giustinianeo, in: L. Gatto/ P. Supino Martini (eds.), Studi sulle società e le culture del Medioevo per Girolamo Arnaldi, I, Roma 2002, 135–148.

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geräumt habe. Damit wurde zugleich das kommunale Statutarrecht als verschriftlichtes Gewohnheitsrecht legitimiert. Entsprechend wurde auch die in den Rechtsschulen umlaufende Anekdote vom aufrechten Rechtslehrer Azo Portius († 1220) interpretiert, der 1191 Kaiser Heinrich VI. offen widersprochen hatte. Azo hatte damals dem Kaiser erklärt, daß ihm keineswegs allein eine unumschränkte Amtsgewalt (merum imperium) zustehe und sich damit das Geschenk eines wertvollen kaiserlichen Reitpferds verscherzt, das an seiner Stelle der dem Kaiser nach dem Mund redende stadtfremde Rechtslehrer Lothar von Cremona erhielt. Odofredus erklärte als Schüler Azos den Vorfall zur offen bekundeten politischen Stellungnahme und zugleich Parteinnahme seines Lehrers zugunsten Bolognas. Er habe damit auch den allein in Bologna möglichen richtigen Gebrauch der Bücher des römischen Rechts hervorgehoben: „In legibus nostris dicitur …“. Azo selbst kleidete in seinem Zusammenfassung der Bestimmungen des ‚Codex‘ Justinians die Notwendigkeit seines Widerspruchs in ein Wortspiel: „… ob hoc amiserim equum, sed non fuit equum.“ Dieses Wortspiel wurde wenig später aufgegriffen, als die Schüler des Azo nun im Sinne ihrer Behauptung von einer steten Wahrung der rechten Lehre von der Autonomie der Kommune die Pferde-Anekdote in die Vergangenheit zurückdatierten, nämlich bereits auf Bulgarus zur Zeit des Hoftags von Roncaglia 1158: Damals schon habe Kaiser Barbarossa die Bologneser Doktoren Bulgarus und Martinus gefragt, ob er dominus mundi sei. Martinus habe dies im Unterschied zu Bulgarus bejaht und erhielt das Pferd als Geschenk. Bulgarus aber habe erklärt: „Amisi equum, quia dixi equum, quod non fuit equum“ – „Ich verlor das Pferd, weil ich das Gerechte gesagt habe, das nicht das Günstige gewesen ist“ 18. Die Übertragung der Anekdote auf einen Konflikt zwischen zwei Bologneser Rechtslehrern, dem eigenen juristischen Stammvater Bulgarus und seinem Kollegen Martinus Gosia, spielt also auf der rhetorischen Ebene mit den lateinischen Homonymen equus und aequus, bezieht sich aber andererseits auch auf wirklich bestehende Lehrkonflikte zwischen diesen beiden Doktoren. Der für unser Thema wichtigste war, daß Martinus in seiner Rechtsquellenlehre die aequitas als göttliche Quelle und Ursprung der sich im menschlichen Willen zum Recht verstetigenden iustitia bezeichnet hatte. Bulgarus hatte dagegen die aequitas als bloßes Idealrecht angesehen, das als Norm für Gesetzgeber und Richter bei der Formulierung positiven Rechts dienen könne. Für die Praxis bedeute dies, daß sich ein Richter in seinen Urteilen nicht auf die nichtschriftliche aequitas rudis, sondern nur auf die bereits schriftlich niedergelegten Regeln der aequitas scripta berufen dürfe. Die verschiedenen Kontroversen der Lehrer wurden für deren Schüler Anlaß zu offener Feindschaft. Die Bulgarini erklärten die Gosiani mit ihrer aequitas-Lehre nicht nur

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Zu den Entstehungsumständen, Überlieferung und der Bedeutung der Pferdeanekdote ausführlich H. G. Walther, Gedächtnis (nt. 6), 223–225 (mit Quellennachweisen); id., Anfänge (nt. 8), 152sq.; Sozialdisziplinierung (nt. 11), 34–36.

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für stulti, sondern verknüpften die als kommunefeindlich betrachtete kaiserfreundliche Position des Martinus mit der Herkunft der Mehrzahl seiner Schüler von außerhalb Bolognas. So galten Martinus und die Gosiani hinfort in Bologna als diejenigen, die sich liebedienerisch beim politischen Feind der Kommune Barbarossa eingeschmeichelt und damit zu ihrem Schaden gearbeitet hätten19. Damit wurde in Anspruch genommen, auch über den damaligen Lehrstreit der beiden Rechtsgelehrten in der aequitas-Lehre nach den Kriterien der politischen Nützlichkeit für die Kommune Bolognas zu entscheiden. Dabei war das von Bulgarus in seiner Rechtsquellenlehre vertretene Prinzip, in Normenkonflikten bei der Interpretation von leges des ius civile letztlich nicht eine aequitas naturalis als Kriterium anzuerkennen, sondern nur nach der mens oder der ratio legis zu entscheiden, sicherlich methodisch wesentlich konventioneller als das diffizile Gebäude der Rechtsquellenlehre des Martinus Gosia. Die Lehrkontroversen in Bologna wurden aber offenbar inzwischen durch politische Opportunitätserwägungen in den Rechtsschulen selbst überwuchert und mündeten in eine bewußte Verdrängung von politisch abweichenden Rechtslehrern und deren Schulen aus der Stadt. Wer nicht eine enge institutionelle und inhaltliche Bindung an die Kommune und ihre politischen Interessen einzugehen bereit war, sollte dort nicht Rechtslehrer sein. Die Legitimität der Autonomie der Kommune setzte damit den Rahmen für die Legalitätsdiskussion der Rechtslehrer. Eine neue politische consuetudo begrenzte die freie Diskussion um die leges und ihre Normen. IV. Lex r egia und consuetudo bei Azo Por tius Trotz alledem kam es noch immer zu hochdifferenzierten Lösungen unter den Bologneser Juristen. Dies bewies nicht zuletzt der Bologneser Rechtslehrer Azo Portius († 1220) mit seiner Theorie vom konkurrierenden Nebeneinander von Gewohnheitsrechtsetzung durch das Volk und kaiserlichem Gesetzgebungsrecht. Indem Azo den historischen Wandel als Kategorie für die Beurteilung der Gültigkeit von konkurrierenden Rechtsnormen einführte, konnte er zugleich dem Prinzip der Zeit, das ja dem Gewohnheitsrecht zugrunde liegt, Gesetzgebungskraft zubilligen, ohne das System des römischen Rechts zu verlassen. Consuetudo wurde von ihm mit der Autorität einer conditrix, abrogatrix und interpretatrix legis ausgestattet. Die einstige Legitimierung des kaiserlichen Gesetzgebungsmonopols im ‚Corpus Iuris Civilis‘ durch eine (wohl fiktive) lex regia des römischen Volkes läßt er in der Praxis seiner Gegenwart durch partielle lokale und regionale Gesetzgebung des Volkes ersetzt sein. Er sah deshalb gegenwärtig erneut eine Gesetzgebungskonkurrenz zwischen Kaiser und Volk gegeben. Die Legitimität der Statutarrechtsetzung durch die italienischen Kommunen war für ihn nicht Ergeb-

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Cf. Walther, Legitimation (nt. 9), 181sqq.: id., Sozialdisziplinierung (nt. 11), 35sq.

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nis einer politisch motivierten Konzession von Juristen, sondern eine im System des römischen Rechts fundamental verankerte Tatsache. „Hier geht es darum, auf welche Weise sich eine civitas durch Gewohnheitsrecht konstituiert“, faßt er den Kern seiner entsprechenden Ausführungen in seiner Codexsumme zusammen. Die Institutionen einer Kommune seien legitim, da sie im Rechtsrahmen des römischen Rechts errichtet wurden: Fundament aller Gesetzgebung sei der Wille des römischen Volkes, das prinzipiell dem Kaiser übergeordnet sei. Zwar sehe das römische Recht eine institutionelle Überordnung des Princeps über jeden einzelnen Staatsbürger vor, um das Reich und seine Rechtsordnung zu wahren; doch besitze er keine größere Amtsgewalt als das ganze Volk. Dies hält Azo auch seinem wissenschaftlichen Hauptgegner, dem nicht aus Bologna stammenden Placentinus, entgegen, der dem römischen Volk durch die lex regia die rechtliche Handlungsfähigkeit auf Dauer genommen sah 20.

20

Azo, Summa Codicis ad C.8.52 (53) „Quae sit longa consuetudo“: „Et quidem videtur quod consuetudo sit conditrix legis, abrogatrix et interpretatrix in ff. de leg. et senatusconsultus. ‚De quibus‘ § ult..[= D.1.3.32.1 ] et l. ,nam imperator‘ [D.1.3.38] et Inst. De iure nat. § ,Ex non scripto‘ [I.2.§ 9][…] Sed quidam dicunt, quod illae leges antiquae sunt, hodie contra, ut infra eodem lege consuetudinis. His enim legibus translata erat omnis potestas in principem. Vel ibi loquitur de eo, quod civitas sibi constituit per consuetudinem, namque ea vel lege scripta, tantum lege scripta. Vel ibi loquitur de generali consuetudine, id est quam princeps patitur, quae ex certa scientia inducta videtur, hoc de speciali alicuius loci quae legem non abrogat, etiam si ex certa scientia sit inducta licet in eo loco serventur […] Sed distingue, utrum lex sequatur consuetudinem, cui ipsa est contraria, an precedat. […] Alii distinguunt, an lex sit talis, cui derogari possit per pactum, ut est in omnibus, quae favore alicuius sunt inducta.“ (Venedig 1581, Reprint Frankfurt/M. 2008, 874sq.). Pointierter, vor allem in seiner Polemik gegen den Konkurrenten Placentinus in der späteren Codex-Lectura ad C. 8.52 (53) s.v. „usuque longaevi“: „et ita secundum nos dicitur longa X annorum vel XX annorum, non solum temporis cuius non extat memoria, sicut alii dixerunt. […] non enim quaeritur nisi tempore cuius non extat memoria, ut dicit, sed quaeret aliquis de qua consuetudine hic loquitur, an de ea quae est secundum legem vel de ea, quae est contra. Io[hannes Bassianus, der Lehrer des Azo] vero in ea quae contra legem cuius non est vilis auctoritas, cum in eo loco teneat unde processit. Sed videtur huic legi assignari posse contra, quia dicit lex quod per desuetudinem et tacitum consensum populi lex abrogatur, ut. ff. de legibus et senatus cons., ‚De quibus‘. P.[lacentinus] dixit legem illam loqui secundum vetera iura, in quibus populus habet potestatem legis condendae et ita abrogandae per desuetudinem; hodie translata est omnis potestas et omne ius in imperatorem, ut Inst. De iure naturali § ‚Sed quod principi placuit‘ [= Inst. 1.2 § 6]; sed nec ita translata, quin sibi retinuerit. Unde non est maioris potestatis imperator quam totus populus sed quam quilibet de populo, et ideo non valet eius solutio. […] P.[lacentinus] autem dixit, quod numquam potest consuetudo legem scriptam abrogare […], sed et eius sententia manifeste reprobatur […]. Sed ut melius dicas et verius, dic secundum Io.[hannem Bassianum], qui distinxit, utrum esset generalis consuetudo, qua utitur populus Romanus vel imperator, an specialis ut illa, qua utitur civitas aliqua, burgus vel oppidum. Si generalis, abrogat legem, si specialis, aut per errorem est introduca contra legem aut ex certa populi scientia. Verbi gratia exemplum satis familiare occurrit in terra ista, praecipue tamen Mutinae et Ravennae. […] Sed quia consuetudo illa introducta est ex certa scientia, abrogat legem in eo loco ubi status [statuta?] est. […] Sed si lex praecedat talem specialem consuetudinem, bene potest illi derogare per contrariam consuetudinem, si sit econverso, quod consuetudo praecedat legem, non potest derogari legi. […] Et hanc opinionem Iohannis P.[lacentinus] reprobat, quia deliquentium melior non debet esse conditio […]. Sed hoc hoc delictum non est mortale sed veniale, quia ius civile per aliud ius civile tolli potest: secus in iure naturali, quod est immutabile. Unde ibi esset mortale peccatum, servatur ergo tamquam lex consuetudo“ (Ad singulas leges XII librorum Codicis Iustinianei commentarius, Paris 1577 [Repr. Frankfurt/M. 2008], 671sq.).

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Azo vermochte als brillantester Jurist seiner Zeit die Spannung zwischen den konkurrierenden Identitäten des Reichs und seiner Heimatkommune Bologna auszuhalten und produktiv zur Lösung eines fundamentalen Rechtsproblems zu nutzen, ohne sich wie seine Kollegen aus politischer Opportunität entscheiden zu müssen. Die Lösung seines Lehrers Johannes Bassianus wurde durch ihn methodisch noch einmal differenziert, indem er angesichts des Verhältnisses der beiden Rechtsquellen lex und consuetudo einzelne Normen des römischen Rechts historisch durch das Gegensatzpaar olim–hodie grundsätzlich auflöste. Damit gelang es ihm, diese Normen in ihrem zeitlichen Gültigkeitsanspruch zu relativieren und die für eine Legitimierung des Rechtswandels notwendige Relativierung zu erreichen, ohne das System des römischen Rechts in seinen Fundamenten als allgemein gültiges ius commune zu tangieren. Wie sehr dieses innovative Verfahren von dem üblichen der damaligen Legisten abwich, beweist freilich der Umstand, daß es seinen Schülern, dem Bolognesen Odofredus de Denariis und dem in Bologna lehrenden Florentiner Accursius, für ihre Zwecke nicht genügte: Accursius wollte seiner Glossa ordinaria den Rang einer mit dem Text des ‚Corpus Iuris Civilis‘ beinahe gleich autoritativen Sammlung verschaffen. Deshalb führte er bei der Behandlung der lex regia auch alle abweichenden Meinungen zu Detailproblemen eines noch bestehenden Gesetzgebungsrechts des populus Romanus auf. Dem seiner Heimatkommune Bologna so stark verpflichteten Odofredus enthielten Azos Ausführungen dagegen eine zu wenig direkte Parteinahme für Bologna. An die Stelle der wissenschaftlichen Auseinandersetzung rückte bei ihm die Setzung des Mythos von Bologna als dem allein legitimen Ort zum Studium des römischen Rechts. Nahezu monoton wiederholt er die Epitheta von den leges nostrae in der civitas nostra 21. V. Die uni versitas si ve populus als Gesetzg eber Für die Legistik blieb auch nach dem Abschluß der Glossa ordinaria im Gegensatz zu den Intentionen des Accursius die Frage nach dem Grad der Autonomie und der Gesetzgebungsbefugnis von Teilen des populus Romanus ein aktueller Diskussionsgegenstand, da sich mittlerweile nicht nur die Könige in West- und Südeuropa als vom Princeps unabhängig erklärten und für ihre Reiche die gleiche Gesetzgebungskompetenz beanspruchten, wie sie der Princeps im Imperium besäße, sondern auch einige italienische Kommunen ihren Autonomie- zu einem Souveränitätsanspruch steigerten. Noch zu seinen Lebzeiten erlangte der hauptsächlich in Perugia lehrende Bartolus von Sassoferrato (1313–1357) mit seinen Lehrmeinungen eine gewaltige Autorität und bestimmte mit seinen Kommentaren die methodische Ausrichtung

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Ausführlicher zu Azo, Accursius und Odofredus bei Walther, Gedächtnis (nt. 6), 223sqq.

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der juristischen Diskussion nicht nur in Italien. Auch Bartolus richtete wie seinerzeit Azo sein Interesse auf die Normen des römischen Rechts, um die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten für die sich wandelnde Gesellschaft seiner Zeit auszuloten. Der Princeps des ‚Corpus Iuris Civilis‘ war mit einem universalen imperium ausgestattet. Das bedeutete für Bartolus in der Konsequenz, daß kaiserliche Amtsgewalt ex definitione universal angelegt zu sein habe und über eine umfassende Gesetzgebungskompetenz verfüge. der. Wer also seine Zugehörigkeit zum Reichsverband leugne, also kein civis Romanus mehr sein wolle, verstoße zudem gegen die Lehre der Kirche, daß der Kaiser dominus et monarcha totius orbis sei 22. So sieht er innerhalb der Normen des römischen Rechts nur fünf legitime Möglichkeiten für eigenständige Herrschaftsbereiche, sich von der direkten Jurisdiktion des Kaisers zu befreien, ohne zugleich ihre Zugehörigkeit zum populus Romanus zu verlieren. Dies gelte auch für wenige italienische Kommunen, während er der Mehrzahl der Städte dort nur einen mit Zustimmung oder stiller Duldung des Kaisers zustande gekommenen graduell abgestuften autonomen Status zubilligen wollte 23. Die Gesetzgebungsbefugnis der in ihren Reichen kaisergleichen Könige akzeptiert der Peruginer Jurist stillschweigend als Realität. Seine Überlegungen zielen vielmehr auf die Verhältnisse Italiens seiner Gegenwart, in der einzelne Signori ihre Herrschaft auf weitere Kommunen auszuweiten trachteten und somit auf dem Boden des Reiches quasimonarchische Sonderherrschaften errichteten. Aufgrund von Gewohnheitsrecht Statuten zu erlassen, sei jedoch nur dort legal, wo dies durch einen populus liber erfolge. Eine Signorie kann sich für ihn deshalb niemals aus dem römischen Recht legitimieren. Gegenteilige Anerkennungshandlungen von Kaiser und Papst gegenüber italienischen Signori seien als illegal einzustufen24. Schon Azo hatte den Unterschied zwischen dem totus populus und quilibet de populo, den singuli de populo und der universitas sive populus betont und deshalb die

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H. G. Walther, Imperiales Königtum, Konziliarismus und Volkssouveränität. Studien zu den Grenzen des mittelalterlichen Souveränitätsgedankens, München 1976, 176–181, 213–221; id., Gedächtnis, 226sqq.; id., Die Legitimität der Herrschaftsordnung bei Bartolus von Sassoferrato und Baldus de Ubaldis, in: E. Mock u. G. Wieland (edd.), Rechts- und Sozialphilosophie des Mittelalters (Salzburger Schiften. z. Rechts-, Staats- u. Sozialphilosophie 12), Frankfurt/M.–Bern– New York–Paris 1990, 115–139. Walther, Imperiales Königtum (nt. 22), 182–186; id., Der gelehrte Jurist und die Geschichte Roms. Der Traktat De regimine civitatis des Bartolus von Sassoferrato als Zeugnis städtischen Selbstbewußtseins Perugias [1989], in: id., Veränderbarkeit (nt. 6), 145–165. Walther, Bartolus (nt. 22), und id., Sozialdisziplinierung (nt. 11), 38. Zur Lehre der Legisten über eine notwendige Verfaßtheit des Volkes, wenn es korporativ als politische Handlungs- und Rechtssetzungsgemeinschaft auftreten wolle, und zur im 13. Jahrhundert ausgefeilte Korporationslehre der Kanonisten zur entscheidenden Anregung zur Weiterbildung id., Die Konstruktion der juristischen Person durch die Kanonistik im 13. Jahrhundert, in: G. Mensching (ed.), Selbstbewußtsein und Person im Mittelalter (Contradictio. Studien zur Philosophie und ihrer Geschichte 6), Würzburg 2005, 195–212.

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Kommune als einen in Form einer Korporation (universitas) organisierten Teil des Gesamtvolkes gesehen. Am Ende des 14. Jhs. führt der Schüler des Bartolus, Baldus de Ubaldis (1327–1400), keine grundsätzliche Diskussion über die Legitimation von Herrschaftsordnungen mehr. Er konzentriert sich ganz auf eine Sicherung der Dauerhaftigkeit von Herrschaftsverbänden ungeachtet der Fluktuation ihres Mitgliederbestandes und eines Wechsels an der Spitze der Korporation25. Wenn der reale Herrscher die dignitas angemesssen repräsentieren können solle, müsse seine Person aber dauerhafte Qualitäten aufweisen. Diese Dauerhaftigkeit übersteige aber die natürlichen Möglichkeiten, könne also von einer natürlichen Person nicht besessen werden. Damit kommt Baldus zum Schluß, daß jeder Herrscher noch eine zweite korporative Person besitze, die als fictio juris durch einen intellektuellen Akt gesetzt wird. Durch diese öffentliche Person des Herrschers bleibe die dignitas des Herrschers auch beim Tod von dessen natürlicher Person repräsentiert. Auf der realen Ebene wird die respublica dem Zugriff des populus damit weitgehend entzogen und verbleibt in einem durch nomina intellectiva bestimmten Rahmen. Die abstrakten Schlüsselbegriffe des Baldus von respublica, dignitas, honor regni und fiscus verdecken nun beinahe schon die Intentionen, mit denen die ersten Generationen von Bolognesischen Glossatoren versucht hatten, den neuen Herrschaftsverbänden der Kommunen einen legitimen Platz im System des merum imperium und der verschiedenen iurisdictiones des spätantiken römischen Rechts anzuweisen und dem populus Romanus ihrer Gegenwart auch in seiner regionalen Fragmentierung ein autonomes Recht auf Gesetzgebung zu erstreiten26. Baldus hebt sich mit seinen gedanklichen Abstraktionen von den Formen der Wahrnehmung der Wirklichkeit durch seine damaligen juristischen Zeitgenossen ab. Nicht umsonst nennen ihn seine Kollegen deswegen „Baldus philosophus“. Mit seiner daraus resultierenden politischen Theoriebildung und ihren Konsequenzen für die Methodik der gelehrten Jurisprudenz entfernt er sich noch weiter vom damals Üblichen 27. Sein Institutionen- wie sein Digestenkommentar verwenden nur wenige Worte darauf, die fortdauernde Gültigkeit der lex regia zu behaupten und dem populus Romanus seiner Gegenwart das Recht zur Gesetzgebung abzusprechen 28. Das sind für ihn offensichtlich bereits Probleme von gestern: „Die bewirkende Ursache war das römische Volk, das dem Princeps das Imperium übergab. Und beachte wohl die Verbform dedit; deshalb hat das Volk [das Impe-

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Walther, Legitimität (nt. 22), 117–131. Walther, Legitimation (nt. 9), 185–189; id., Sozialdisziplinierung (nt. 11), 43–47. M. Kriechbaum, Philosophie und Jurisprudenz bei Baldus de Ubaldis: „Philosophi legum imitati sunt philosophos naturae“, in: Ius Commune 27 (2000) = (VI Centenario della morte di Baldo degli Ubaldi), 299–343. Baldus de Ubaldis, Commentaria omnia, vol. 4, Venedig 1599 (Reprint Frankfurt/M. 2004), ad Inst. 1.29, 5rb: „Ista glossa videtur sentire, quod possit fieri quaedam generalis consuetudo per totum mundum, quod non videtur verum. Nam si eam posset facere populus Romanus, quod hodie non habet potestatem legis vel consuetudinis faciendae, cum transtulerit omnem iurisdictionem in principem.“

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rium] verloren“ 29. Das Imperium wies zur Zeit des Baldus inzwischen eine so differenzierte Herrschaftsstruktur auf, daß sich eine Legitimation der Partikularherrschaften gegenüber einem Universalanspruch der Kaisergewalt nahezu erübrigte. Es ging Juristen wie Baldus nur noch um die Ausgestaltung der legalen Strukturen im Inneren dieser autonomen, wenn nicht sogar souveränen Herrschaftsbereiche. Die Sicherung von deren Stabilität ist nun das Ziel der Bemühungen von Juristen; ein eine Gesetzgebungskompetenz aufgrund von consuetudo beanspruchender populus war für die rationalitas intellectiva, die Baldus als dominierendes Prinzip definierte, nur hinderlich.

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Baldus de Ubaldis, op. cit., vol I: In primam partem Digesti veteris, Venedig 1599 (Reprint Frankfurt/M. 2004), ad D.1.2.2.11 „Novissime“: „causa vero efficiens fuit populus Romanus, qui dedit ei Imperium. Et nota verbum dedit; ergo populus perdidit “ (16vb als Teil einer repetitio des Baldus).

The Notion and the Practices of vindicta in the Italian City-States in the Light of the Various Juridical and Theological Traditions A Z (Firenze) I. Introduction As we know, the conceptual equivalence of justice and revenge has long been interpreted in terms of a process of the evolution of private vendetta into the public function of punishment1. In recent years the most perceptive historians of law and criminal justice have offered more nuanced interpretations2. In this paper I would like to show how in the Italian city-states, conversely, vendetta imposed itself as the central model of political culture, conditioning both the activity of penal justice – conceived as vengeful retaliation – and the practice of social relations: that is to say, revenge was one of the resources of political conflict and was part of the education of the citizens. The Italian communes are, in effect, an exemplary case of a complex society in which the activity of the institutions interacted with the informal practices of political action. Conflict was a primary part of the integration process: social and political relations were based on a network of friendships and enmities (the vendetta between ‘enemies’ was a logical consequence of this) and on the protection of the honor of an individual and of his lineage. A citizen had to learn how to manage these relations: managing enmity therefore meant drawing on the network of friends, cultivating their consilium, controlling and channeling strong emotions. On other occasions, I have already analysed in detail some practices that legitimated conflict in the society of the communes3, so I shall limit myself here to 1

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Cf. A. M. Enriques, La vendetta nella vita e nella legislazione fiorentina, in: Archivio storico italiano 91 (1933), 144–145; R. Celli, Studi sui sistemi normativi delle democrazie comunali. Secoli XII–XV. I: Pisa, Siena, Firenze 1976, 104 sqq.; T. Dean, Crime and justice in late medieval Italy, Cambridge 2007, 123–132. Cf. M. Sbriccoli, Giustizia criminale, in: M. Fioravanti (ed.), Lo Stato moderno in Europa. Istituzioni e diritto, Roma–Bari 2002, 163–205. Cf. A. Zorzi, Conflits et pratiques infrajudiciaires dans les formations politiques italiennes du XIIIe au XVe siècle, in: B. Garnot (ed.), L’infrajudiciaire du Moyen Age à l’époque contemporaine, Dijon 1996, 19–36; Id., La cultura della vendetta nel conflitto politico in età comunale, in: R. Delle Donne, A. Zorzi (eds.), Le storie e la memoria. In onore di Arnold Esch, Firenze 2002, 135–170; Id., ‘Fracta est civitas magna in tres partes’. Conflitto e costituzione nell’Italia comunale, in: Scienza e politica. Per una storia delle dottrine politiche 39 (2008), 61–87; Id., Consigliare alla vendetta, consigliare alla giustizia. Pratiche e culture politiche nell’Italia comunale, in:

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reviewing the salient points. First of all, the conflicts that shape relations of enmity traverse the entire social fabric, from eminent lineages to individuals of more modest condition. But it does not mean that vendetta and feuding were the exclusive recourse of a given social group, especially of the knightly class (of milites). Vendetta and feuding were practices within the reach of anyone who could afford them, regardless of social origin. However, when vendetta was exacted, it placed both the life and the emotions of the individuals and families involved in jeopardy and disturbed the peace of the city. Therefore, we can easily understand why the moral attitude toward this practice was ambivalent, a practice to be legitimated but also to be disciplined. Not a single author from the communal period who takes a positive view of vendetta fails to highlight its negative aspects or to prefer peace and forgiveness. Numerous examples can be recalled, but I shall mention only one by the modest Florentine merchant, Paolo da Certaldo, whose ‘Libro di buoni costumi’ still lists vendetta as one of man’s greatest pleasures as late as the middle of the fourteenth century: “The first happiness is getting revenge: pain is being injured by your own enemy”. Yet, he warns of potential consequences: “Revenge wilts a man’s soul, his body and his possessions”, and “in vengeance you obtain the contrary: that is, sin towards God, blame from men (from wise men, that is), and more hatred from your enemy” 4. A man’s social reputation also took debts of vengeance into account and considered it a dishonour to shirk the obligation of retaliation. This is confirmed also by the practice of publicly insulting anyone who failed to exact vendetta 5. II. T he Centrality of consilium Managing a feud or resorting to vendetta was not within the reach of every individual or every family. Since they involved risk, they could have drastic economic or political repercussions, and they could lead to social isolation and so forth. The decision to avenge a wrong suffered and, above all, to engage in a lasting conflict, were options that individuals and family groups pondered according to their means. They explain why the more powerful families in terms of their demographic structure, social relations, political clout and economic and symbolic resources were more likely to resort to vendetta. Vendetta was thus the result of a

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Archivio storico italiano 170 (2012), 263–284; Id., Legitimation and legal sanction of vendetta in Italian cities from the twelfth to the fourteenth centuries, in: S.K. Cohn Jr., F. Ricciardelli (eds.), The culture of violence in late medieval and early modern Italy, Firenze 2012, 27–54. “La prima allegrezza si è fare sua vendetta: il dolore si è essere offeso da uno suo nimico”; “però che le vendette disertano l’anima, l’corpo e l’avere”; “ne le vendette acquisti il contrario: cioè, verso Iddio peccato, dagli uomini biasimo (cioè da’ savi) e dal nimico tuo più odio”: Paolo da Certaldo, Libro di buoni costumi, in: V. Branca (ed.), Mercanti scrittori. Ricordi nella Firenze tra medioevo e Rinascimento, Milano 1986, 24, 54, 75. Cf. A.M. Onori, ‘Va’ fa’ le vendette tue!’. Qualche esempio della documentazione sulla pace privata e la regolamentazione della vendetta nella Valdinievole del Trecento, in: A. Zorzi (ed.), Conflitti, paci e vendette nell’Italia comunale, Firenze 2009, 219–235.

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decision-making process on the part of the groups involved; it was a matter for consilium et auxilium 6. Precisely this recourse to consilium made training in vendetta one of the primary aspects of the political education of a citizen. The vast pedagogical literature of Italy of the communes includes a variety of moral treatises and practical instruments that worked out cultural models of behavior also for practices like vendetta 7. Among the various texts on the ‘art of citizenship’, there is even a treatise devoted entirely to the culture of conflict, the well-known ‘Liber consolationis et consilii’ by Albertano da Brescia, a causidicus (judge) in the entourage of itinerant podestàs in the second quarter of the thirteenth century 8. The ‘Liber’ is part of a trilogy of moral treatises designed to provide the citizen with the tools for behaving appropriately in various social situations: family relations and the choice of friends (the ‘De amore et dilectione Dei et proximi et aliarum rerum et de forma vitae’, written in 1238), the social use of words, that is the necessary equivalence between rhetoric and good behaviour (the ‘Ars loquendi et tacendi’, written in 1245) and, as mentioned, the management of conflict (the ‘Liber consolationis et consilii’, written in 1246) 9. The ‘Liber consolationis’ was considered until recently to justify public justice over the feud, or in any case a “clear and unimpeachable condemnation of vendetta”, according to the prevailing interpretation among the historians of the commune10. In fact, Albertanus has put together a more complex and subtle discourse on conflict and on the ways of conducting and resolving disputes. Consilium plays a crucial role, as even the title makes clear: the most appropriate strategy for dealing with anyone who has injured us must be devised only after systematically pondering advice from relatives and friends. This text deserves further comment, and I have commented on it elsewhere11. I shall merely point out that Albertano’s ‘Liber consolationis’ is an extraordinary mixture of moral judgements and practical advice. Conflict is understood as an ordinary type of social relationship, which, while deplorable from a moral and religious viewpoint, should be pondered well. It is not a practice that he rejects or condemns a priori; indeed, Albertano devotes a chapter to analysing the many instances when it is recommended. The best solution for conflicts appears to be peace and forgiveness. The last few chapters of the ‘Liber’ present the ritual use of 6 7 8 9

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Cf. Zorzi, Consigliare alla vendetta (nt. 3). Cf. Id., La cultura della vendetta (nt. 3), 139–161. Albertani Brixiensis Liber consolationis et consilii ex quo hausta est fabula gallica de Melibeo et Prudentia, ed. Th. Sundby, Havniae 1873. Cf. E. Artifoni, Prudenza del consigliare. L’educazione del cittadino nel ‘Liber consolationis et consilii’ di Albertano da Brescia (1246), in: C. Casagrande, C. Crisciani, S. Vecchio (eds.), Consilium. Teorie e pratiche del consigliare nella cultura medievale, Firenze 2004, 195–216. Cf. J.M. Powell, Albertanus of Brescia. The pursuit of happiness in the early thirteenth century, Philadelphia 1992, 74–89; J.-C. Maire Vigueur, Cavaliers et citoyens. Guerre, conflits et société dans l’Italie communale, XIIe–XIIIe siècles, Paris 2003, 316–319. Zorzi, La cultura della vendetta (nt. 3), 144–158.

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public vows of reconciliation as one of the salient features of feuds which were often also decisive in resolving them. The book ends on a note of reconciliation and peace: “Meum est consilium, ut per reconciliationem et concordiam vincas discordiam et guerram ” 12. So the ‘Liber consolationis’ does not advocate the prevalence of public justice and punishment meted out by a judge; rather, it proposes the resolution of conflicts outside the law court. This is all the more striking when we note that its author is a judge in a court of law, and the treatise begins, is developed and resolved totally within the framework of the culture and logic of conflict. III. Training in vendetta: T he Tradition of Classical Rhetoric The education of a citizen of the commune included teaching him how to conduct a vendetta. This is confirmed by an analysis of the collections of examples of public speeches, which drew on the classical rhetorical tradition and were generally written by notaries. These were practical texts, whose function was to help the cives to use suitable words on the public occasions of social and political life 13. In each of the collections that have survived to our day there is no lack of outlines of speeches for the purpose of requesting and offering advice in the case of vendetta. Let us look at some examples. The most important collection, the ‘Arringhe’ composed in 1275 by Matteo de’ Libri, a notary in Bologna, for example, contains an outline of a speech on ‘Quomodo aliquis habens odium debet petere auxilium a consanguineis suis’. The supplicant must ask “friends and relatives in whom I place more hope and confidence than in anyone else” 14, citing, among others, Solomon (“l’anima se delecta in li consigli del bon amico”) and expressing confidence “that you will be pleased not to abandon me in this feud, but will cordially help and advise me so that it will be clear that I have good friends and relatives, and that this matter is not mine but yours”15. The ‘Flore de parlare, çoè somma d’arengare’, compiled around 1290 by Giovanni da Vignano, probably a Florentine notary16, also contains an example of a speech on ‘What to say to the relatives of someone who has been killed by someone on the adversary’s side’17. Urging revenge, the speaker states that “we 12 13

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Albertani Brixiensis Liber consolationis et consilii (nt. 8), 106–107. Cf. E. Artifoni, Gli uomini dell’assemblea. L’oratoria civile, i concionatori e i predicatori nella società comunale, in: La predicazione dei frati dalla metà del ‘200 alla fine del ‘300, Spoleto 1995, 147–149. “Amici e parenti in cui eo ò plù sperança e fidança ka in altri ke sia”. “K’el ve plaça de no habandonar voi mi in questa mia briga, ma sì debiate vivamente atturiar e consigliare, sì k’el aparà k’eo abia bona amici e parenti, e ke questo [fato non sia] meo, ma v[ost]ro”: Matteo dei Libri, Arringhe, ed. E. Vincenti, Milano–Napoli 1974, 48–50. Cf. C. Frati, ‘Flore de parlare’ o ‘Somma d’arengare’ attribuita a ser Giovanni fiorentino da Vignano in un codice Marciano, in: Giornale storico della letteratura italiana 61 (1913), 1–31, 228–265. “Sì como se po’ dire denante da li parenti d’alcun chi sia morto per alcun d’altra parte”.

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are many and such that in this matter we cannot avoid taking revenge so great that in the future its echo will resound in every corner of Tuscany”18, and he adds: “These are my words, this is my comfort, this is my advice”19. The richest examples come from the ‘Dicerie da imparare a dire a huomini giovani et rozzi’ by the Florentine Filippo Ceffi, a notary who lived in the early decades of the fourteenth century 20 and who made numerous translations from Latin into the vernacular (including Ovid’s ‘Epistulae’ and the ‘Historia destructionis Troiae’ by Guido delle Colonne)21. It alternates speeches for “making peace between two citizens” 22 with others in which vendetta appears clearly as an ordinary element of political relations. One of the first dicerie (sayings), ‘How the leading citizens should talk to the governor of the city when a serious crime has been committed 23, expresses the conception of criminal justice as the equivalent of vendetta. In this case the speakers are members of the communal government, who turn to the podestà to urge him to punish a “serious crime” that has been committed. The exhortation is explicit: “So that, messer Albuino, you who are our governor, and extend your just and avenging hand towards the evildoer, proceed worthily and exact just revenge, which is pleasing to God and to good men,” and expresses the feeling widespread among the citizenry: “Certainly all the Albani cry out for justice for such a wicked deed” 24. Public justice is thus, first and foremost, an act of revenge. But the same citizens who urge the podestà to exercise “avenging justice” can proceed directly to vendetta if necessary. Let us examine another saying in the collection, ‘What to say when we want to ask advice from relatives and friends’ 25, which offers an example of proper speech for the wronged citizen who seeks comfort from his friends. The preamble recalls that “reason demands that the friend be considered and cultivated, both for advice and for aid, in periods of adversity as well as in times of prosperity” 26. This is the constantly recurring theme of consilium as a legitimating basis for the practices of revenge. For this reason, the protagonist has no hesitation in “asking, in this adverse moment, for advice and comfort from you, my friends and relatives, hoping that my request will be accepted and imple18 19 20 21 22 23 24

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“Bem siamo tanti e tali che nu’ poremo de questa vixenda prendere tal vendeta che per çaschaum cantom de Toschanna e più inançe porà sonare”. “E queste èm li mie parole, questo è lo me conforto e questo è lo me conseio”. Cf. M. Palma, Ceffi, Filippo, in: Dizionario biografico degli italiani, Roma 1979, vol. XXIII, 320–321. Le dicerie di ser Filippo Ceffi notaio fiorentino, ed. L. Biondi, Torino 1825. Ibid., 30–31: “Come si de’ dire a mettere concordia tra due cittadini”. “Come si de’ dire al rettore della cittade da parte de maggiori quando si commette un grave malificio”. “Onde, messer Albuino, il quale siete nostro rettore e stendete la vostra giusta e vendicatrice mano verso il malfattore, procedete valentemente e fate giusta vendetta, la quale piace a Dio e agli uomini buoni. Certo tutti gli Albani gridano vendetta di sì scellerata opera”: Ibid., 35. “Come si dee dire quando vuogli adimandare consiglio alli tuoi parenti e amici”. “La ragione vuole che l’amico sia guardato e mantenuto, e per consiglio e per aiuto, così nel tempo dell’ avversitade come della prosperitade”.

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mented as seems necessary to you, so that from it you may gain honor, and I something helpful” 27. Honor for friends and personal gain are thus feelingly implored: “Since my heart is in your hands, and all my hope and pleasure is in your counsel, I declare to you that I want revenge for the grave outrage perpetrated on me by Xenocrates, and others”. Final appeal is made to the solidarity of the front of relatives and friends: “I firmly believe that the matter touches each of you so greatly that without doubt you will consider it yours” 28. These tones are mirrored in the answering speech, ‘How to tell and support friends to seek revenge’, in which it is the friends who manifest their solidarity 29: “This new thing that has happened to you makes us participate in your adversity in such a way that we feel it was done to us: with the result that you are the cause of the greatest part of all our benefits”. The promised support is both material and personal: “So I say, for myself and for these other friends of yours and our followers, that soon we shall meet the need with our belongings and our persons until honorable vendetta is enacted” 30. Words thus seem to be one of the main tools for management of the relations of friendship and enmity, one of the elements of education for life in the commune31. The insistent reference to the concept of honor (honorable revenge, the honor of friends and relatives, etc.) confirms that the practice of revenge helped define the identity of the individual and the prestige of his lineage. IV. T he Public Dimension of vendetta Emerging from the texts examined is the unmistakable public nature of the practices of revenge. They were part of the widespread culture, thus it is difficult to continue to consider them a form of private exercise of justice. Even less were they an appurtenance of the aristocratic style of life. Contrary to what continues to be maintained 32, they were not at all an attribute peculiar to the milites, claimed 27

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“D’adimandare, in questa mia avversità, consiglio e conforto a voi, amici miei e parenti, sperando che per voi la mia presente adimanda sarà messa ad effetto secondo che si richiede e parrae a voi che sia onore di voi e utile di me”: Ibid., 37–38. “E però che in voi si riposa l’ animo mio, e tutta la mia speranza e tutto il mio diletto è nel vostro consiglio, io mi vi manifesto ch’ io mi voglio vendicare del grave oltraggio che mi fue fatto per Senocrate etc.”: Ibid., 37–38. Ibid., 73. “Questa novitade la quale è avvenuta nella vostra persona fannogli essere partefici della vostra avversitade in tale guisa, che noi riputiamo che sia fatta nelle nostre persone: conciosiacosa che voi siate cagione della maggiore parte di tutti li nostri beneficii”; “Ond’io vi dico per me e per questi altri vostri amici e per li nostri seguaci, che presti siamo d’imprendere la bisogna con l’avere e con la persona infino a onorevole vendetta”. Cf. C. Casagrande, S. Vecchio, I peccati della lingua. Disciplina ed etica della parola nella cultura medievale, Roma 1987; C. Casagrande, Parlare e tacere. Consigli di un giudice del secolo XIII, in: E. Becchi (ed.), Storia dell’educazione, Firenze 1987, 165–179. Cf. F. Cardini, ‘Nobiltà’ e cavalleria nei centri urbani: problemi e interpretazioni, in: Nobiltà e ceti dirigenti in Toscana nei secoli XI–XIII: strutture e concetti, Monte Oriolo 1982, 13–28; C. Lansing,

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by ancient privilege of rank or way of life, and in any case in stark contrast with the jurisdiction of the commune, but they were widespread social practices also among the ranks of merchants and artisans. For example, in a sample of 111 conflicts that I counted in Florence during Dante’s time (from 1260 to about 1320), more than half the cases (61) involve ‘popular’ families (i.e., lineages without milites), and in a good one-quarter of the cases (30 out of 111), the feud took place only between ‘popular’ families (and in 21 cases only between merchant families). Other case studies confirm this wide social distribution over a long period of time: for example, in Mantua in the earliest decades of the thirteenth century 33, in Parma in the central decades 34, or in Siena at the end of the century 35, we find the involvement of different social groups. In other words, wherever the social profile of the protagonists of the vendetta practices are analysed, the range of social classes of the actors emerges – not only milites, but also simple popolani, tradespeople, and artisans36. Well-established political leaders, members of the ruling class who sat on the principal boards and councils of the commune, also exacted revenge. For example, one of the most sensational Florentine vendette, carried out on the feast of Saint John the Baptist, patron saint of Florence, in 1295, was enacted in person by some members of the popular Velluti family, as recounted several generations later by one of the descendants in the book of family memoirs37. The magnate Lippo di Simone Mannelli was killed on his way home after watching the race (palio) – thus on a very public occasion – by Gherardino Velluti, who had been a prior (i.e., a member of the college of government) in 1289 (and would be again in 1299) and consul of the guild of Por Santa Maria in 1293, Cino Dietisalvi, who would be elected prior barely a month and a half after the vendetta was carried out, Lapo Velluti, gonfaloniere of justice (i.e., head of the college of government) in

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The Florentine magnates. Lineage and faction in a medieval commune, Princeton 1991, 164 sqq., 184 sqq.; S. Gasparri, I “milites” cittadini. Studi sulla cavalleria in Italia, Roma 1992, 88, 121, 130–131; Maire Vigueur, Cavaliers et citoyens (nt. 10), 307–335. Cf. G. Gardoni, Conflitti, vendette e aggregazioni familiari a Mantova all’inizio del secolo XIII, in: Conflitti, paci e vendette nell’Italia comunale (nt. 5), 43–104. Cf. G. Guarisco, ‘Come uno sciame d’api’. Il popolo e le pratiche della vendetta a Parma tra tardo Duecento e primo Trecento, in: Conflitti, paci e vendette nell’Italia comunale (nt. 5), 131–153. Cf. D. Waley, A blood-feud with a happy ending: Siena, 1285–1304, in: T. Dean, Ch. Wickham (eds.), City and countryside in late medieval and Renaissance Italy. Essays presented to Philip Jones, London 1990, 45–54. See, for exemple, Biagio Boccadibue (1298–1314), vol. I (1298–1309), ed. L. De Angelis, E. Gigli, F. Sznura, Pisa 1978–1986, docc. 70, 135, 136, voll. I, 72–73, 140–141; Ser Matteo di Biliotto notaio, Imbreviature, I registro (anni 1294–1289), ed. M. Soffici, F. Sznura, Firenze 2002, docc. 14, 41, 50, pages 15–16, 41, 49–50. Zorzi, Politica e giustizia a Firenze al tempo degli Ordinamenti antimagnatizi, in: V. Arrighi (ed.), Ordinamenti di giustizia fiorentini, Firenze 1995, 110–113; see also I. Del Lungo, Una vendetta in Firenze il giorno di San Giovanni del 1295, in: Archivio storico italiano s. 4, 18 (1886), 355–409; Ch. Klapisch–Zuber, Les soupes de la vengeance. Les rites de l’alliance sociale, in: J. Revel, J.-C. Schmitt (eds.), L’ogre historien. Autour de Jacques Le Goff, Paris 1998, 259–281. Source: Donato Velluti, La cronica domestica, ed. I. Del Lungo, G. Volpi, Firenze 1914, 10–11.

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1308, who dealt mainly with military matters, and Lamberto Velluti, who engaged in trade for long periods away from Florence, but whose father Filippo had twice been prior. These men who perpetrated coolly and determinedly a vendetta brewing for many years inside the lineage were therefore prominent public personalities in the Florentine ‘popular’ regime. They performed this deed as an ordinary practice, without suffering any consequences, judicial or even less political. V. T he Juridical Legitimacy of vendetta Social and political legitimation was echoed by the legality of the vendetta. If we consider the corpus of Italian communal statutes, they share one thing: not a single text banned vendetta. Civic laws neither prohibited nor prosecuted it; in fact, vendetta constituted an integral part of the judicial system of the commune and was built into it. In most cities the statutes make no mention of any constraints. This is not surprising if we keep in mind the broad legitimacy enjoyed by vendetta in communal society 38. Only a few statutes in a limited number of cities regulated the use of vendetta among quarrelling parties, legitimating it – note carefully – not as a residual social custom but as a legitimate system of justice. The underlying principle of the legislative ratio is to consider practices of retaliation to be legal 39. The establishment of rules was meant essentially to limit the range of people who could exercise the right of revenge and of those who could be subjected to it, the degree of retaliation, and the cases in which it could be carried out. I shall cite just a few examples among the many possible. The ‘Breve consulum’ of Pistoia, dated before 1180, regulates the case of a person who kills, except in legitimate defence, a fellow citizen (“aliquem civem alterum concivem studiose interfecisse, nisi pro se defendendum ” 40 ); it specifies that someone “qui interfecerit interfectorem parentum aut filii aut fratris aut agnati vel cognati seu leviri sui unde finis non sit facta” is exempt from public punishment, as is someone “qui vindictam pro suo domino fecerit ”. Thus vendetta by close relatives is legitimate (without specifying the degree of kinship), but also – and much more meaningfully – the action of men at arms who act “pro suo domino”. Therefore a broad legitimation, further confirmed in the ‘Statutum potestatis’ 41, also of Pistoia, of 1180, which regulates violent aggression in which no one is killed. Exempted from punish-

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Cf. Zorzi, La cultura della vendetta (nt. 3), 164–170; Id., Legitimation and legal sanction of vendetta (nt. 3). For a general survey, cf. A. Pertile, Storia del diritto italiano, vol. V, Storia del diritto penale, Torino 1892, 7–29; J. Kohler, Das Strafrecht der italienischen Statuten vom 12.–16. Jahrhundert, Mannheim 1895, 18–55. Statuti pistoiesi del secolo XII. Breve dei consoli [1140–1180]. Statuto del podestà [1162–1180], ed. N. Rauty, Pistoia 1996, 163. Cf. ibid.

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ment are not only the cases of legitimate defence, but also those that occur “in bello” 42, that is to say during violent feud battles, and those when the vendetta is carried out the same day (“quod si aliquis incontinenti eadem die vindictam fecerit in persona eius qui prius percusserit, non teneatur inde aliquid tollere ” 43), a span of time apparently as brief as it is commensurate with the kind of physical aggression – without bloodshed – contemplated in the rubric. Another section of the statute permits a person who notoriously lives in a state of enmity – “si tamen aliquis manifestam inimicitiam habuerit, possit deferre spetum convenientem ad se tuendum” – to bear arms, with the only restriction being that the fight must not have already started (“non tamen post bellum inceptum”) 44. Moving on to later texts, things are not different. From the very title of the rubrics – for example of the Bolognese statute of 1252, ‘De pena fatientis vindictam praeter quam in offendentem’ 45, or the Florentine statute of the podestà dated 1325, ‘De puniendo qui fecerit vindictam nisi in principalem personam’ – the legitimacy of vendetta was explicit, even while restricting the victims to whom it could be applied. The Florentine statute reads: “Statutum et ordinatum est quod, si offensio aliqua fuerit facta alicui in persona et talis offensio sit publica et manifesta, vel de qua a Potestate vel Capitaneo vel eorum iudicibus facta fuerit condemnatio, et ipse cui talis offensio facta fuerit vel aliquis de domo eius fecerit vindictam de tali offensione in personam alterius et non illius qui dictam offensionem manifestam et publicam fecerit, dum ipse principalis offensor viveret, teneatur dominus Potestas ipsum talem vindictam facientem condennare infrascripto modo, videlicet […]” 46.

The injured party’s right to vendetta was recognized and, in the event of his death, that right passed to his family. The podestà were forbidden to prosecute anyone who had legitimately exercised his right to exact vendetta 47; they were not even allowed to promote a truce in the event of a murder or serious injury, before vendetta had been exacted 48. In all cases it was forbidden to involve non-family members in the act of retaliation49 to the point where a “persona non coniuncta” was 42 43 44 45

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Ibid., 237. Ibid., 241. Ibid., 247. Statuta populi Bononiae inter annos MCCXLV et MCCL, in: Statuti del comune di Bologna dall’anno 1245 all’anno 1267, ed. L. Frati, Bologna 1869, annus 1252, liber II, rubrica XIV, vol. I, 266. Statuti della repubblica fiorentina. Statuto del podestà dell’anno 1325, ed. R. Caggese, Firenze 21999, liber III, rubrica CXXVI, 251–252. Cf. ibid., liber III, rubrica XLV, 190–191. Cf. ibid., liber III, rubrica XLV, 193: “Et que supradicta sunt locum non habeant nec extendantur ad illos vel contra illos qui ad vindictam, pro vindicta homicidii, predicta commisserint ”; Statuti della repubblica fiorentina. Statuto del capitano del popolo degli anni 1322–25, ed R. Caggese (nt. 46), liber V, rubrica LXXVI, vol. I, 245: “quod executor non possit nec debeat gravare vel cogere […] aliquem vel aliquos ad fatiendum pacem de homicidio aliquo […] nec de vulnere enormi in vultu seu fatie vel debilitatione membri […], nisi de homicidio vel vulnere enormi […] facta fuerit condecens vindicta”. Cf. Statuto del podestà del 1325 (nt. 46), liber III, rubrica XLV, 188–193; U. Dorini, La vendetta privata ai tempi di Dante, in: Il giornale dantesco 29 (1926), 63–66.

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to be considered an “assessinus, et ut assessinus puniatur ” 50. Vendetta could be wreaked on the offending party, of course, or only on his male descendants; while it was forbidden to exact vendetta from anyone who had been granted peace by his adversary or who had caused the injury while defending himself against attack51. Furthermore, a vendetta was allowed only in retaliation for injury, mutilation and murder; less serious injuries, on the other hand, could not provide a pretext for seeking a vendetta, being directly prosecuted by the judges in the same way as threats and injuries, unless previously settled through a peace accord 52. One might then claim that the commune’s legislation still was designed to contain the practice of vendetta. But, if approached from this angle, the question appears mal-posée. The rationale of the vendetta is based on retaliating for the offense, hence it can be configured as a practice of social self-regulation which balances out mutual offenses and attacks 53. To be sure, the law scrupulously upheld this aspect. What it tried to prevent, however, were indirect retaliations and acts that exceeded the vendetta, because such acts could turn a clash between parties into much larger feuds fuelled by spiraling retaliation. Normative regulations also endorsed the intervention and mediation to which the commune’s institutions could resort. Peace between the parties was the political aim of public intervention54: an act of concord, promoted by the podestà, always had to follow the exercise of a legitimate vendetta 55. Anyone breaking the peace enforced by the communal judges was likely to incur tough penalties. It was the job of the podestà to make sure that the vendetta was both legitimate and proportionate to the offense, just as it was his job to mete out punishment and to promote peace between the parties56. VI. T he Roman Law Tradition The topic of the juridical legitimation of the practices of vendetta has not yet been investigated by legal historians. It probably deserves greater attention, starting for instance with the opinions voiced by such commentators as Piacentino and Azzone, who sought to find in the ‘Codex’ those rubrics (with C.3.27

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Ibid., 64. Cf. ibid., 65–66. Cf. Statuto del podestà del 1325 (nt. 46), liber III, rubrica XLV, 188–193; rubrica XXVIII, 180; rubrica LXXXX, 222. Cf. R. Verdier, Le système vindicatoire, in: J.-P. Poly, G. Courtois (eds.), La vengeance. Études d’ethnologie, d’histoire et de philosophie, Paris 1984, vol. I, 11–42. Cf. Zorzi, Politica e giustizia a Firenze (nt. 37), 139–144; Id., Conflits et pratiques infrajudiciaires (nt. 3), 25–27; M. Vallerani, Pace e processo nel sistema giudiziario del comune di Perugia, in: Quaderni storici 101 (1999), 315–353. Cf. Dorini, La vendetta privata (nt. 49), 65. Ibid.

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heading the list: “Quando liceat sine iudice unicuique se vindicare”) that might impart legitimacy to impunity for killing an outlaw and, by extension, to the practice of exacting vengeance that appeared to them to be an everyday part of urban social relations 57. The sources that I examined apply different meanings to the term vendetta, indicating both the act of retaliation and the exercise of criminal justice by the authorities of the commune. This is not a case of equivalence – note well – but of an interweave of meanings, which I believe merits reconsideration. We should remember that in Roman law of the late Republic, accusatorial procedure had absorbed the system of vindication into the mediating function of the judge 58, and in the early Empire the judiciary monopoly of the Prince emerged as the only holder of the right to “vindicate” (vindicare) in that he was the ultimate embodiment of “divina vindicta.” The very term vindicta ended up being used to indicate the action of judges 59. Therefore it can come as no surprise that some statutes from the early age of the communes use the term vindicta to indicate the exercise of criminal justice by the consuls of the commune. Thus, for example, in Pisa, in the ‘Breve consulum’ of 1162, the expression vindictam facere refers to the sphere of penal justice, while for the resolution of civil suits the expression used is iustitiam facere 60. The term vindicta belongs here fully to the semantic field of public action. The provisions of a sentence of the consuls (the governing body) of 1153, which inflicted heavy punishments, beginning with interdiction from public office, on the faction headed by the Visconti family of milites, indicate this clearly: “Proinde, cum rei publicae intersit ne maleficia sint impunita, ad laudem vero bonorum, et ad vindictam malefactorum; ex nostra sana auctoritate a cuncto Pisarum populo in publica contione concessa, calmante ‘fiat, fiat’; habitoque principaliter consiliatorum consilio […] statuimus, sicque, irrevocabiliter ordinamus, publicamus et condemnamus” 61.

The exercise of vendetta (on the evildoers) by the consuls of the commune is thus legitimated by the populus, the result of a consilium, and in the general interest of the res publica. Vendetta by the consuls appears to be an act of equity emanating from their civic responsibilities. The next political regime as well, that headed by a podestà, reworked the notion of criminal justice as first and foremost the exercise of vendetta. This is indicated 57 58

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Cf. C. Ghisalberti, La condanna al bando nel diritto comune, in: Archivio giuridico “Filippo Serafini” XXVII (1960), 69–70. Cf. Y. Thomas, Se venger au forum. Solidarité familiale et procès criminel à Rome (Ier siècle avant – IIe siècle après J.C.), in: R. Verdier, J.-P. Poly (eds.), La vengeance. Études d’ethnologie, d’histoire et de philosophie, vol. 3, Vengeance, pouvoirs et idéologies dans quelques civilisations de l’antiquité, Paris 1984, 65–100. Cf. Y. Rivière, Pouvoir impériale et vengeance: de ‘Mars ultior’ à la diuina uindicta (Ier–IVe siècle ap. J.-C.), in: D. Barthélemy, F. Bougard, R. Le Jan (eds.), La vengeance. 400–1200, Rome 2006, 7–42. As outlined by Celli, Studi sui sistemi normativi, (nt. 1), 104. Statuti inediti della città di Pisa dal XII al XIV secolo, ed. F. Bonaini, Firenze 1854, vol. I, 18.

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clearly in the handbooks, practical in orientation and springing from a rhetoric and moral matrix, written to furnish instructions and models of behavior to the podestà who exercised in a professional capacity the political and judiciary functions of governing the Italian communes 62. The authors of these texts were for the most part judges and notaries. Orfino da Lodi, in his ‘De regimine et sapientia potestatis’, a book of advice composed in rhyme in the early 1240s 63, and Giovanni da Viterbo, author of the ‘Liber de regimine civitatum’, datable probably to 1237 64, refer to the judicial notion of vendetta. According to Orfino, “vindictam teneant crimina queque suam / optima vindicta rationis sit benedica / congrua si pena fuerit, tunc fertur amena / non superet culpas ulcio queque suas” 65. According to Giovanni, in the chapter ‘De vita et honestate iudicum in officio cum protestate residentium et eorum interpretatione’, the office of the judge “altissime patet […] in rei vendicatione et in omnibus arbitrariis actionibus” 66. It should be noted here that the judicial notion of vendetta was worked out by jurists, the same people who operated in the city courtrooms. Concerning the procedure that was being elaborated in those same decades during court trials, a keen decretalist like Enrico da Susa, in his ‘Summa’ of Gregory IX’s ‘Liber Extra’ (dated to 1250–1253), observed that the accusatorial framework took shape as a model created for the purpose of “facere ad vindictam”67. VII. T he T heological Tradition It should be remembered, finally, that theological thought had developed a notion of vendetta as the expression of divine justice. In the Holy Scripture it is God who reserves the right to revenge over sinners and the guilty; his justice is an expression of divine wrath. Saint Thomas Aquinas, in his ‘Summa theologiae’ begun in the 1260s, deals with two notions of vendetta: on one hand he condemns revenge powered by envy, pride, ambition, hatred, and cruelty because it is an expression of the vice of wrath; on the other, however, vendetta is a virtue when it

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Cf. E. Artifoni, I podestà professionali e la fondazione retorica della politica comunale, in: Quaderni storici 63 (1986), 687–719; Id., Retorica e organizzazione del linguaggio politico nel Duecento italiano, in: P. Cammarosano (ed.), Le forme della propaganda politica nel Due e nel Trecento, Roma 1994, 157–182; Id., L’éloquence politique dans les cités communales (XIIIe siècle), in: I. Heullant-Donat (ed.), Cultures italiennes (XIIe–XVe siècles), Paris 2000, 269–296. Cf. Orfino da Lodi, De regimine et sapientia potestatis (Comportamento e saggezza del podestà), ed. S. Pozzi, Lodi 1998, 13 sqq. Cf. A. Zorzi, Giovanni da Viterbo, in: Dizionario biografico degli italiani, Roma 2001, vol. LVI, 267–272. Orfino da Lodi, De regimine et sapientia potestatis (nt. 63), 77. Iohannis Viterbiensis, Liber de regimine civitatum, ed. G. Salvemini (Bibliotheca iuridica medii aevi, vol. III), Bologna 1901, 257. Cf. M. Meccarelli, Arbitrium. Un aspetto sistematico degli ordinamenti giuridici in età di diritto comune, Milano 1998, 284.

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represses evil, a special virtue which can be exercised by the public authority to punish crime. Thus it is a moral virtue connected with divine justice68. The influence of Thomas’s Summa on the development of the political culture of the communes was decisive and long-lasting, for it was the Dominicans who incorporated Aristotelian political thought into this culture. In many cities they were closely linked to the local ruling groups, and in particular to the merchant class, and their position was often an integral part of its fate and fortune. Among Thomas’s direct students active in Italian cities was the Florentine Remigio de’ Girolami. He was a reader (lettore) at the Dominican convent of Santa Maria Novella in Florence, and an influential member of the order at the international level 69. He frequently intervened in Florentine public life, both as a public speaker before the city authorities and addressing visiting guests. He penned monographic treatises commenting on the main developments in the city’s political life: the revision of the Ordinances of Justice (‘Ordinamenti di giustizia’) of 1295, with the incomplete ‘De iustitia’; the Black party’s violent acquisition of supremacy in 1301, with a treatise entitled ‘De bono communi’; and the attempt to broker peace between the parties promoted by Pope Benedict XI in 1304, with the ‘De bono pacis’ of the same year 70. His approach to civic values was pragmatic, rooted in events. He actively and personally intervened to settle conflicts and to direct political action in a turbulent period 71. Remigio de’ Girolami was always guided by the Aristotelian belief that man’s actions should always be subordinate to the bonum commune of peace. The example, once again, comes from ancient Rome: “De innumeris […] virtuosis Romanis legitur quod frequentissime exponebant se morti pro re republica idest pro bono comuni populi. Plus enim curabant de comuni bono quam de proprio” 72. In comparison, the present reality looks appalling: “isti [the virtuous Romans] non abstulerunt comuni ut sibi acquirerent, sicut faciunt officiales moderni temporis; inveniuntur enim officiales comunis sine omni artificio in officio ditati, cum essent pauperes prius; quod certe pessimum signum est ” 73. Therefore, if the common good does not prevail, society is destroyed, beginning with the individual 68

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Cf. Thomas Aquinas, Summa Theologiae, II, II, q. CVIII, De vindicatione. Cf. also Vengeance, in: Dictionnaire de Théologie Catholique, Paris 1947–1950, vol. 15/II, coll. 2613–2623 and D. L. Smail/K. Gibson (eds.) Vengeance in Medieval Europe. A Reader, Toronto 2009, 196–210. Cf. S. Gentili, Girolami, Remigio de’, in: Dizionario biografico degli italiani, Roma 2001, vol. LVI, 531–541; E. Panella, Per lo studio di fra Remigio dei Girolami ( 1319), in: Memorie domenicane 10 (1979), 7–313. Cf. O. Capitani, L’incompiuto ‘tractatus de iustitia’ di fra’ Remigio de’ Girolami ( 1319), in: Bullettino dell’Istituto storico italiano per il Medio evo e Archivio Muratoriano 72 (1960), 91–134; M.C. De Matteis, La ‘teologia politica comunale’ di Remigio de’ Girolami, Bologna 1977; E. Panella, Dal bene comune al bene del comune. I trattati politici di Remigio dei Girolami, in: Memorie domenicane 16 (1985), 1–198. See also Ch.T. Davis, Un teorico fiorentino della politica: fra Remigio dei Girolami [1960], in: Id., L’Italia di Dante, Bologna 1988, 201, 228. Remigio dei Girolami, De bono comuni, in Panella, Dal bene comune al bene del comune (nt. 70), 128. Ibid., 128–129.

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citizens, who are to be pitied: “destructa civitate, remanet civis lapideus aut depictus, quia scilicet caret virtute et operatione quam prius habebat […]. Ut qui erat civis florentinus, per destructionem Florentie iam non sit florentinus dicendus sed potius flerentinus” 74. His comment on this is speculative: “Et si non est civis non est homo, quia homo est naturaliter animal civile, secundum Philosophum” 75. Remigio stresses the positive value of making peace between disputing lineages and factions: “omnis discordia potest concordari et omnis inimicitia pacificari, quamcunque sit ex parte unius excellens potentia vel gravis offensa vel diuturna inimicitia” 76. Peace must consist in ordered concord among citizens “pro bono communi ” and thus coincide with action designed to promote “pro bono communis” 77: “summum bonum multitudinis et finis eius est pax ” was in fact the opening concept of the treatise ‘De bono pacis’ 78. If justice and peace had to be the foundation for communal life, the common good became the good of the commune, with a play on meanings of extraordinary significance. Awareness of the unbreakable tie between working towards peace and towards justice – expressed in the repetition of a passage from the Scriptures: “Erit opus iustitie pax” 79– derived for Remigio from an aware evaluation of the conflicts undermining Italian cities in his time. VII. Conclusion From the very origins of the commune, vendetta seems to inspire the action of public justice because it was its logic that shaped criminal justice. This observation should surprise no one because, as I have attempted to demonstrate, vendetta was given moral and juridical legitimation in Italian urban society: advocating vendetta meant advocating justice, on the basis of the most ancient juridical and theological traditions. It therefore seems difficult to continue to maintain that criminal justice won out teleologically over vendetta, progressively depriving it of authority. The question can be considered open to discussion.

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Ibid., 138–139. Ibid. Remigio dei Girolami, Sermoni sulla pace, in: De Matteis, La ‘teologia politica comunale’ (nt. 70), 77. Cf. N. Rubinstein, Marsilius of Padua and Italian political thought of his time, in: J. R. Hale, J. R. L. Highfield, B. Smalley (eds.) Europe in the late middle ages, London 1965, 54–57. Remigio dei Girolami, De bono pacis, in: De Matteis, La ‘teologia politica comunale’ (nt. 70), 55. “‘Erit opus iustitie pax’. Iniurie enim non permictunt habere pacem”: Remigio dei Girolami, Sermoni sulla pace (nt. 76), 86.

Die Anfänge der Kodifikation des Landrechts in Böhmen M B (Prag) Der böhmische Staat gehörte seit seiner Entstehung zu den Territorien, die nicht vom Einfluß des römischen Rechts erfaßt wurden; ähnlich wie die übrigen mitteleuropäischen Länder richtete er sich nach Gewohnheitsrecht, das nicht schriftlich kodifiziert worden war. Die einzige Institution, in der mittelbar römisches Recht angewandt wurde und die sich an geschriebenen Normen orientierte, war die christliche Kirche, deren Rechtssystem von spätrömischen Traditionen ausging und die ihre geschriebenen Normen – sei es in Gestalt des kanonischen Rechts oder der Klosterregeln – aus den fortschrittlicheren Regionen Süd- und Westeuropas mitgebracht hatte. Das geschriebene Recht fand nur langsam Eingang in das gesellschaftliche Leben, und Rechtskodifikationen, d. h. das bewußte Aufzeichnen von Rechtsnormen in systematisierten Komplexen, die bereits bei ihrer Entstehung durch die Autorität der Staatsmacht sanktioniert worden waren1, setzten sich erst gegen Ende des Mittelalters vollständig durch. Der Weg zur verbindlichen Kodifikation des Landrechts unter der Autorität der Staatsmacht war jedoch kompliziert und wurde von gesellschaftlichen Konflikten und erfolglosen Versuchen begleitet. Die böhmische politische Repräsentation benötigte lange Zeit keine schriftliche Kodifikation des gültigen Rechts und zeigte daher auch kein Interesse an ihr. Bis Ende des 12. Jahrhunderts verkündete der Herrscher verbindliche Rechtsbestimmungen in der Regel mündlich in der Versammlung der Magnaten – sicherlich mit deren Zustimmung oder zumindest nicht gegen deren Willen; eventuell wurde auch das Einverständnis des Bischofs eingeholt 2. Offizielle schriftliche Dokumente wurden nicht ausgestellt, der Inhalt der Bestimmungen konnte schriftlich in einer Art Traditionsnotiz festgehalten sein, die den Büchern der kirchlichen Institutio-

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Diese Definition liefert M. Dolezˇal, K deˇ jinnému vy´znamu velky´ ch kodifikací, in: Velké kodifikace. Sborník prˇ íspeˇ vku˚ z mezinárodní konference konané v Praze ve dnech 5. azˇ 8. zárˇ í 1988. Praha 1989, I, 14. – Die vorliegende Studie entstand im Rahmen des Programms zur Entwicklung der Wissenschaftsbereiche an der Karlsuniversität Nr. P12 Geschichte in interdisziplinärer Perspektive, Unterprogramm Fontes. Quellen zur tschechischen Geschichte. Cf. e.g. B. Bretholz, W. Weinberger (eds.), Cosmae Pragensis Chronica Boemorum (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum germanicarum, Nova series II), Berlin 1923, II, 4, 86–89. Zur Chronik cf. L. Wolverton, Cosmas of Prague, in: G. Dunphy (ed.), Encyclopedia of the Medieval Chronicle 1, Leiden–Boston 2010, 494sq.

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nen über ihre Stiftungen und Schenkungen ähnelte 3. Manchmal wurden die Bestimmungen auch von zeitgenössischen oder späteren Chronisten übermittelt. Die ältesten bekannten fürstlichen Rechtsbestimmungen betreffen die Einführung von durch die Kirche vorgeschriebenen Regeln in das Leben der Gesellschaft. Die ersten dieser Bestimmungen, deren Spuren sich in den schriftlichen Quellen finden lassen, wird Boleslav II. (967/972–999) zugeschrieben. Danach verlieh der Herzog 992 dem zweiten Prager Bischof Adalbert (972–997) das Recht, nach kanonischem Recht eine zwischen Verwandten geschlossene Ehe aufzulösen, Kirchen an geeigneten Stellen zu errichten und den Zehnten zu erheben4. Die Notiz ist objektiv formuliert und entspricht im Stil den Gedenkeinträgen. Ihre Formulierung deutet darauf hin, daß Adalbert diese Maßnahme wohl selbst initiierte. Die von Adalbert verfochtenen Prinzipien drangen jedoch zu seinen Lebzeiten nicht tiefer in das Leben der böhmischen Gesellschaft ein, worin eine der Ursachen für Adalberts Konflikt mit der böhmischen politischen Repräsentation und seinen Weggang aus dem Land gesehen werden dürfte5. Erst einige Jahrzehnte nach Adalberts Märtyrertod verkündete der böhmische Herzog Brˇetislav I. (1035–1055) im Jahr 1039 anläßlich der Translation der Adalbertschen Gebeine aus Gnesen nach Prag die von dem Prager Bischof vertretenen Prinzipien erneut in einer vermutlich sogar erweiterten Form6. Diesmal gab es keinen größeren Widerstand – die einzelnen Bestimmungen wurden auch von dem anwesenden Prager Bischof Severus bestätigt und vor allem war ihre Verkündung schon im Vorhinein mit den böhmischen Magnaten vereinbart worden. Außerdem wurde der Akt durch die Sakralität des Augenblicks sanktioniert, da der Herzog suggestiv die Hand auf Adalberts Sarg legte, als er zu der Menge sprach. Schließlich kam es noch zur Bestätigung der Brˇetislavschen Bestimmungen durch ein „Wunder“ des Heiligen: Der Herzog und der Bischof öffneten nach der Bekanntmachung ohne Schwie3

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Cf. P. Johanek, Zur rechtlichen Funktion von Traditionsnotiz, Traditionsbuch und früher Siegelurkunde, in: P. Classen (ed.). Recht und Schrift im Mittelalter (Vorträge und Forschungen XXIII), Sigmaringen 1977, 131–162; zu den böhmischen Traditionsnotizen cf. J. Prazˇák, Rozsˇ írˇ ení aktu˚ v prˇ emyslovsky´ch Cˇechách. K pocˇ átku˚m cˇ eské listiny, in: Collectanea opusculorum ad iuris historiam spectantium Venceslao Vaneˇcˇ ek septuagenario ab amicis discipulisque oblata – Pocta akademiku Václavu Vaneˇcˇ kovi k 70. narozeninám, Praha 1975, 29–40. Cf. G. Friedrich (ed.), Codex diplomaticus et epistolaris regni Bohemiae I, Praha 1904–1907, nr. 37, 43. Cf. M. Bláhová, Biskup Vojteˇch a cˇ eská spolecˇ nost, in: A. Barciak (ed.), S´ ro´dkowoeuropejskie dziedzictwo s´wie¸tego Wojciecha, Katowice 1998, 71–87. Bretholz, Cosmae Chronica (nt. 2), II,3–4, 84–86, 89. Der Text der Brˇetislavschen Dekrete ibid., II, 4, 86–89; H. Jirecˇ ek (ed.), Codex Juris Bohemici I, Praha 1867, nr. 7, 15sq. Cf. V. Novotny´, Cˇeské deˇjiny I,2. Od Brˇ etislava I. do Prˇ emysla I., Praha 1913, 21–23; M. Bláhová, J. Frolík, N. Profantová, Velké deˇjiny zemí Koruny cˇeské I., Praha–Litomysˇl 1999, 387sq., 712sq. J. Sláma, Kosmovy zámeˇrné omyly, in: Deˇjiny ve veˇku nejistot, Sborník k prˇ ílezˇitosti 70. narozenin Dusˇana Trˇ esˇtíka, Praha 2003, 261–267, bes. 264, meint, daß Decreta wohl schon am Anfang der Regierung Brˇ etislavs erließen wurden und Cosmas sie später mit dem Heerzug Brˇ etislavs und mit dem Gewinn der körperlichen Überreste des heiligen Adalberts verband.

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rigkeiten den Sarkophag, aus dem ein lieblicher Duft emporstieg, und erhoben Adalberts Körper aus dem Grab, während sie zuvor nicht einmal das Grabmal hatten berühren können7. – Die Einhaltung der christlichen Regeln konnte trotzdem nicht durchgesetzt werden, was sich schon daran zeigt, daß manche Bestimmungen noch über einen langen Zeitraum immer wieder neu erlassen wurden8. Die Bestimmungen der Brˇetislavschen Dekrete verpflichteten die Adressaten dazu, eine kirchliche Ehe zu schließen, die Monogamie zu wahren und einen geschlossenen Ehebund nicht zu stören; außerdem setzten sie Strafen für Mord fest, verboten den Betrieb von Wirtshäusern und Märkten am Sonntag, die Arbeit an Feiertagen sowie die Bestattung von Toten außerhalb der Friedhöfe. Brˇetislav I. war der Chronik des Cosmas zufolge auch Urheber eines weiteren ‚Gesetzes‘. Auf dem Totenbett regelte dieser Vater von fünf tüchtigen Söhnen die Nachfolge auf dem böhmischen Thron so, daß immer der älteste Familienangehörige den Fürstenthron besteigen und die übrigen Mitglieder des Geschlechts ihm untergeordnet sein sollten. Über Brˇetislavs Anordnung wurde erneut kein offizielles schriftliches Zeugnis ausgestellt. Sie wurde nur mündlich verkündet, wenn man diesen Vorgang so bezeichnen darf. Für die Einhaltung sollten die Magnaten des Landes verantwortlich sein, die durch einen Treueeid an den Herzog gebunden waren9. Der nächste Herrscher, der sich – zumindest nach Aussage des ersten böhmischen Chronisten – um die Ordnung der Verhältnisse im Land verdient machte (besonders um die Durchsetzung des Christentums, die den Chronisten, den Dekan des Prager Bischofskapitels, am meisten interessierte), war Brˇetislavs Enkel Brˇetislav II. Dieser vertrieb gleich zu Beginn seiner Herrschaft, zwei Wochen nach seiner Amtseinführung, am 28. September 1092 alle Zauberer, Wahrsager und Propheten aus dem Land, ließ die heidnischen Symbole beseitigen, verbot die Bestattung der Toten außerhalb der Friedhöfe und ordnete an, die heidnischen Gebräuche auszurotten. Die Anordnung wurde am Festtag des bedeutendsten böhmischen Heiligen, des hl. Wenzel, öffentlich verkündet, als Menschenmassen nach Prag strömten und sich alle Höflinge und Magnaten, also diejenigen, die die Durchsetzung von Brˇetislavs Anordnungen garantieren sollten, auf der Prager Burg zum Festmahl versammelt hatten10. 7

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Bretholz, Cosmae Chronica (nt. 2), II,4, 88sq. Cf. P. Kopal, Smírˇ ení Cˇechu˚ se svaty´m Vojteˇchem. Struktura jednoho obrazu v Kosmoveˇ kronice, in: M. Nodl/M. Wihoda (eds.), Rituál smírˇ ení. Konflikt a jeho rˇ esˇ ení ve strˇ edoveˇku, Brno 2008, 46sq. Von den in Gnesen verkündeten Bestimmungen betrifft dies besonders das Verbot, Tote außerhalb der Friedhöfe zu bestatten, das Brˇ etislav II. im Jahr 1092 erneut erließ. Zum Durchsetzungsprozeß des Christentums in Böhmen, der erst im 13. Jahrhundert seinen Höhepunkt erreichte, als eine untere Ebene der Kirchenverwaltung (Pfarreien) eingerichtet wurde, cf. P. Sommer, Duchovní sveˇt raneˇ strˇ edoveˇké cˇ eské laické spolecˇ nosti, in: D. Trˇ esˇ tík/J. Zˇemlicˇ ka (eds.), Svaty´ Vojteˇch, Cˇechové a Evropa, Praha 1998, 133–166. Bretholz, Cosmae Chronica (nt. 2), II,13, 191sq. Bretholz, Cosmae Chronica (nt. 2), III,1, 160sq. Cf. Novotny´, Cˇeské deˇ jiny I,2 (nt. 6), 355–357; Bláhová etc., Velké deˇ jiny (nt. 6), 470.

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Weder die Fortsetzer des Cosmas noch andere Autoren historischer Werke11 hielten während der nächsten knapp hundert Jahre irgendwelche Nachrichten über Gesetzesbestimmungen böhmischer Herrscher fest. Im Verlauf des 12. Jahrhunderts bildete sich jedoch in der böhmischen Gesellschaft allmählich eine Beziehung zu geschriebenen Dokumenten heraus12. Die Entscheidungen der Herrscher wurden kodifiziert und in Urkunden verkündet. In Urkundenform garantierten Sobeˇslav II. (1173–1178) und vor ihm wohl bereits Vratislav II. (1061–1092) die Rechte der Prager Deutschen (vermutlich im Jahr 1178)13. Die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse im Land gegen Ende des 12. Jahrhunderts kodifizierte Herzog Konrad Otto in einem Herrschergesetz, über das ebenfalls Urkunden ausgestellt wurden. Zuvor wurde es jedoch öffentlich in der Versammlung der Magnaten des Landes am Herzogshof in Sadská (unweit von Podeˇbrady in Mittelböhmen) verkündet. Konrad Ottos Statuten regelten das Prozeßverfahren vor den Gerichten, bestimmten die Regeln für die Ladung vor Gericht und die Höhe der gerichtlichen Bußgelder, wobei sie die Absicht verfolgten, die willkürlichen Eingriffe der Burgbeamten in das Gerichtswesen abzustellen. Zugleich erweiterten die Statuten das Erbrecht auch auf Töchter und andere Verwandte, sofern der Erblasser keine Söhne hinterlassen hatte. Die Statuten sind allerdings nur aus späteren Konfirmationen bekannt, die allein für die südmährischen Provinzen galten, denn der dortige Adel ließ sich das wichtige Dokument von dem böhmischen König Prˇemysl Ottokar I. erneut schriftlich bestätigen. Überliefert sind Prˇemysls Konfirmationen für die Regionen Znojmo und Bítov (Südmähren) von 1222 sowie die Region Brünn von 1229. Für die Region Brˇeclav stellte der Teilfürst Ulrich von Kärnten 1237 die Bestätigungsurkunde aus14. In Prˇemysls Konfirmation für die Region Znaim wird bereits aus-

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Zur Historiographie dieser Zeit cf. M. Bláhová, Deˇ jepisectví v cˇ esky´ch zemích prˇ emyslovského období, in: J. Dobosz (ed.), Przemys´ lidzi i Piastowie – twórcy i gospodarze s´ redniowiecznych monarchii, Poznan´ 2006, 107–139; ead., Continuatio Cosmae I–II, in: Dunphy, Encyclopedia (nt.2), 489–491. Zu den Anfängen der Schriftkultur in den böhmischen Ländern cf. M. Bláhová, Písemná kultura prˇ emyslovsky´ch Cˇech, in: P. Sommer/D. Trˇ esˇtík/J. Zˇemlicˇ ka (eds.), Prˇ emyslovci. Budování cˇ eského státu, Praha 2009, 508–529, 640–645. Zu den Anfängen des Urkundenwesens cf. e.g. V. Hruby´, Trˇ i studie k cˇ eské diplomatice, Brno 1936; Z. Fiala, K pocˇ átku˚m listin v Cˇechách, in: Sborník historicky´ 1 (1953), 27–45; id., K otázce funkce nasˇich listin do konce 12. století, in: Sborník prací Filozofické fakulty brneˇ nské univerzity C 7 (1960), 5–34; J. Sˇebánek/S. Dusˇková, Cˇeská listina doby prˇ emyslovské, Sborník prací Filozofické fakulty brneˇ nské univerzity C 11 (1964), 51–72; id., Cˇeská listina doby prˇ emyslovské I. Listina nizˇsˇích feudálu˚ duchovních, in: Sborník archivních prací VI, 1 (1956), 136–166; II, Listina feudálu˚ sveˇ tsky´ch, ibid., 167–211; III. Listina meˇ st a jejich obyvatel, ibid. VI, 2 (1956), 99–160. Friedrich, Codex I (nt. 4), nr. 290, 255–257. G. Friedrich (ed.), Codex diplomaticus et epistolaris II, Praha 1912, nr. 234, 222–225, nr. 325, 329–332; id. (ed.), Codex diplomaticus et epistolaris III, Praha 1942, nr. 164, 202–205. Cf. J. Zˇemlicˇ ka, Prˇ emysl Otakar I. Panovník, stát a cˇ eská spolecˇ nost na prahu vrcholného feudalismu, Praha 1990, 53–57.

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drücklich der erbliche Besitz des Adels anerkannt, sofern dieser rechtmäßig erworben worden war15. Im 13. Jahrhundert setzte sich für Rechtsbestimmungen immer stärker die Schriftform durch. Dies belegt vor allem die wachsende Anzahl von Urkunden bzw. der in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts immer häufiger verwendeten Amtsbücher, die entweder als Hilfsmittel für den Kanzleibedarf oder als öffentliche Bücher dienten, die in einem bestimmten Rechtsmilieu die Urkunden ersetzten. Seit den siebziger Jahren des 13. Jahrhunderts stellten die königlichen Beamten, die anfangs aus Ländern mit einer weiter fortgeschrittenen Schrift- und Rechtskultur rekrutiert wurden16, Formelsammlungen für Urkunden und Briefe zusammen, die als Hilfsmittel für das Personal der königlichen Kanzlei oder als Vorlage beim Konzipieren von Urkunden in der Kanzlei dienten. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts setzten sich im Rechtsleben in Böhmen neben den Urkunden auch öffentliche Amtsbücher durch. Genannt sei vor 15 16

Friedrich, Codex II (nt. 14), nr. 234, 223. Vor allem Henricus Italicus, Notar, ab 1270 Protonotar der Kanzlei Prˇ emysl Ottokars II., Kompilator einer Formelsammlung für Urkunden und Amtsbriefe († 1287), und Heinrich von Isernien, ein italienischer Ghibelline und Emigrant, der 1270 über Meißen nach Prag gekommen war, Autor einer Sammlung epistolarer Formeln, Lehrer der Notarkunst und Gründer einer besonderen Schule für Notare und Advokaten auf dem Vysˇehrad. Beide fanden in Böhmen Schüler und Fortsetzer wie Magister Bohuslav, Zdeneˇ k von Trˇ ebícˇ und andere bereits anonyme Autoren. Cf. J. Voigt, Das urkundliche Formelbuch des königl. Notars Henricus Italicus aus der Zeit der Könige Ottokar II. und Wenzel II. von Böhmen, in: Archiv für Kunde österreichischer GeschichtsQuellen 29, Wien 1863, 1–184; A. L. Petrov, Henrici Italici libri formarum e tabulatorio Otacari II. Bohemorum regis quatenus rerum fontibus aperiendis possint inservire, I-II, S. Peterburg 1906–1907; J. Novák, Henricus Italicus und Henricus de Isernia, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 20 (1899), 253–275; K. Doskocˇ il, Pronotárˇ Jindrˇ ich Vlach a notárˇ Jindrˇ ich Vlach z Isernie, in: Cˇasopis Archivní sˇkoly 15–16 (1937–1938), 89–98; D. Trˇ esˇtík, Formularze czeskie XIII wieku. Re˛kopisy i filiacje, in: Studia Z´ródl oznawcze 7 (1962), 43–56; H. M. Schaller, Enrico da Isernia (Henricus de Isernia), in: Dizionario Biografico degli Italiani, Volume 42 (1993) http://www.treccani.it/enciclopedia/enrico-da-isernia_(Dizionario_Biografico)/ ; C. Hampe, Beiträge zur Geschichte der letzten Staufer. Ungedruckte Briefe aus der Sammlung des Magisters Heinrich von Isernien, Leipzig 1910; R. Psík, Invectiva prosotetrasticha in Vlricum Polonum. Soucˇ ást sbírky listu˚ a diktamin mistra Jindrˇ icha z Isernie, Ostrava 2008; J. Nechutová, Die lateinische Literatur des Mittelalters in Böhmen, Köln–Weimar–Wien 2007, 129–134. – Die Übereinstimmung der Namen und teilweise auch des Tätigkeitszeitraums in Prˇemysls Kanzlei ließ einige Historiker die Hypothese wagen, daß die beiden Notare identisch gewesen seien. Dies konnte jedoch nicht nachgewiesen werden, da sich die beiden Formelsammlungen stilistisch stark unterscheiden und außerdem ein Heinrich Schreiben an sich selbst gerichtet haben müsste (cf. Schaller, ibid.). Ebensowenig läßt sich zuverlässig nachweisen, daß Heinrich von Isernien nach dem Tod Prˇemysl Ottokars II. in der Kanzlei Wenzels II. und in der Prager städtischen Kanzlei tätig gewesen ist, wie einige tschechische Forscher annehmen, e.g. S. Dusˇková, Kdo byl notárˇ Jindrˇich?, in: Sborník prací Filozofické fakulty brneˇ nské univerzity C 7 (1960), 59–74; ead., Kancelárˇ jako nástroj politiky Prˇemysla Otakara II., in: Folia Historica Bohemica 1 (1979), 67–91; J. Sˇebánek/S. Dusˇková, Das Urkundenwesen König Ottokars II. von Böhmen. Zweiter Teil 1264–1278, in: Archiv für Diplomatik 15 (1969), 275–276, 331–341, 368–371; Z. Sviták, Kazˇdodenní zˇivot v rakousko-cˇ esky´ch vztazích. Jindrˇich, notárˇ Prˇemysla Otakara II., in: Cˇeskorakouské vztahy ve 13. století, Praha 1990, 237–245. /

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allem die Landtafel, die irgendwann im Zeitraum 1260 und 1278 beim Landesgericht (dem höchsten Gericht des Landes), entstand17. Nach dem Tod Prˇemysl Ottokars II. auf dem Marchfeld am 26. August 1278, vermutlich in den Jahren 1279–1280, wurde auch das städtische Gerichtsbuch der Prager Altstadt, quaterni contractuum vel obligationum, eingerichtet, das nach dem Vorbild der Landtafel die privaten Rechte der Prager Bürger schützen sollte.18 Rechtliche Maßnahmen wurden jedoch im 13. Jahrhundert vor allem in Form von Dispositionsurkunden durchgeführt. Von den Urkunden, die die Rechtsbeziehungen im Land regelten, hatte besonders das Große Privileg der böhmischen Kirche vom 10. März 1222 gesamtgesellschaftliche Bedeutung: Es regelte das Verhältnis der Kirche und ihrer Institutionen zum Herrscher und zur weltlichen Macht und beendete einen mehrjährigen Streit zwischen dem böhmischen König Prˇemysl Ottokar I. und dem Prager Bischof Andreas über die Emanzipation der böhmischen Kirche19. Normativen Charakter besaß die Urkunde Prˇemysl Ottokars II., die die auf dem Landtag vermutlich im Jahr 1266 verkündeten Bestimmungen enthielt. Prˇemysl Ottokar II. versuchte hier der Münzfälschung vorzubeugen, die Plünderung des Landes bei Feldzügen zu verhindern und Unterkunft und Schutz für Vogelfreie in Klöstern zu vereiteln20. Wohl zwei Jahre später erließ Prˇemysl Ottokar II. auch eine Bestimmung, die einheitliche Maße und Gewichte einführte21. Einer späteren Quelle zufolge versuchte Prˇemysl Ottokar II. zu Beginn der siebziger Jahre sogar, in seinem Königreich ein Recht nach dem Vorbild des Magdeburger Rechts und der Rechte anderer Länder zu schaffen und zu bestätigen, aber damit erregte er angeblich großen Unwillen unter dem Adel 22.

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Cf. Z. Fiala, Panovnické listiny, kancelárˇ a zemsky´ soud za Prˇemysla II. (1247–1253. 1278), in: Sborník archivních prací, Praha 1951, 279–281, 285sq. Ihr Urheber war Henricus Italicus. Cf. J. B. Novák (ed.), Formulárˇ biskupa Tobiásˇe z Bechyneˇ (1272–1296), Praha 1903, nr. 250, 189–191; nr. 251–252, 292–294. Cf. V. Vojtísˇek, K pocˇ átku˚m meˇ stsky´ch knih prazˇsky´ch a desk zemsky´ch, in: Vy´bor rozprav a studií, Praha 1953, 229–239; M. Bláhová, Die städtische Gerichtsbarkeit und ihr Schriftgut im böhmischen Spätmittelalter, in: G. Nicolaj (ed.), Commission Internationale de Diplomatique, X Congresso Internazionale, La diplomatica dei documenti giudiziari (dai placiti agli acta – saec. XII–XV), Bologna, 12–15 settembre 2001 (Pubblicazioni degli Archivi di Stato, saggi 83), Roma 2004, 472. Friedrich, Codex II (nt. 14), nr. 227, 210–213; Friedrich, Codex I (nt. 4), nr. 28, 45–53. Cf. Zˇemlicˇ ka, Prˇemysl Otakar I. (nt. 14), 233–236. Cf. Friedrich, Codex I (nt. 4), nr. 52, 156–159. Diese Anordnungen gelten als Beschlüsse des Landtags, überliefert in der urkundlichen Formelsammlung des könglichen Notars Henricus Italicus, Voigt, Das urkundliche Formelbuch (nt. 16), nr. CXXXVI, 139–142. Cf. V. Novotny´, Cˇeské deˇ jiny I, 4, Rozmach cˇ eské moci za Prˇemysla Otakara II. (1253–1271), Praha 1937, 151, 378–381. J. Emler, Pokracˇ ovatelé Kosmovi, Letopisy cˇ eské 1198–1278, in: Prameny deˇ jin cˇ esky´ch – Fontes rerum Bohemicarum II, Praha 1874, 1268, 300. L. Dusˇek (ed.), Benedicti minoritae dicti Chronica et eius continuatio, in: J. Kl oczowski (ed.), Zakony Franciszkan´skie w Polsce, Tom I, Franciszkanie w Polsce s´ redniowiecznej, cze˛s´c´ 2 i 3, Franciszkanie na ziemiach polskich, Kraków 1993, 1271, 363. Cf. P. Kreuz/I. Martinovsky´ (eds.), Vladislavské zrˇ ízení zemské a navazující prameny (Svatováclavská smlouva a zrˇ ízení o rucˇ nicích), Praha 2007, 11. /

Die Anfänge der Kodifikation des Landrechts in Böhmen

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Auf ein offizielles verschriftlichtes „Landrecht“ warteten die böhmischen Länder also weiterhin, genauer gesagt: Die Vertreter der Länder setzten sich ausdauernd dagegen zur Wehr. Ein anderer böhmischer Herrscher, der sich um die Kodifikation des Landrechts bemühte, war Wenzel II. (1283–1305). Der Königsaaler Chronik nach, der Hauptquelle für Wenzels Regierungszeit, beabsichtigte Wenzel II. alle bisher zerstreute und ganz mangelhafte Rechte seines Königtums unter gesetzliche Normen zusammenzustellen, damit niemand die Beschlüsse seiner Erwägung nach zu erdenken konnte, sondern jeder dank dem geschriebenen Gesetz sein Recht bei jedem Gericht finden konnte23. Die Kodifikation wollte Wenzel II. einem qualifizierten Fachmann anvertrauen. Daher erbat er von Kardinal Matteo Rosso Orsini einen fähigen Juristen aus der Wiege der europäischen Rechtswissenschaften, d. h. aus Italien. Der Kardinal konnte für diesen Dienst gegenüber dem böhmischen König den Professor beider Rechte Gozzius von Orvieto gewinnen24. Bevor jedoch Gozzius die Arbeit an diesem Landrechtsbuch aufnehmen konnte, griff der böhmische Adel ein, damit, so die Königsaaler Chronik, die Adeligen weiterhin von dem Missbrauch ihrer Beschlüsse profitieren konnten25. Wenzel II. verzichtete daher einstweilen auf die Durchsetzung seiner Absichten. Er betraute Gozzius von Orvieto zumindest damit, ein Bergrecht für das neue Bergstadt Kutná Hora (in Mittelböhmen) auszuarbeiten. So entstand das berühmte Bergrecht Ius regale Montanorum 26. Die Idee einer Kodifikation des Landrechts gab Wenzel II. nicht auf, beschloß aber, sie demnächst einem einheimischen Fachmann anzuvertrauen. Vielleicht nahm er an, daß ein solches Werk für den böhmischen Adel akzeptabler sein werde als die Arbeit eines Italieners, der zudem enge Kontakte zum päpstlichen Hof pflegte. Wenzel schickte daher einen jungen Studenten zum Studium der Rechte nach Orléans, damit dieser „irgendwann nach der Rückkehr“ die Absicht des Königs verwirklichen konnte. Es war Wenzel II. allerdings nicht mehr vergönnt, die Früchte dieser Bemühungen zu ernten27. Er starb am 21. Juni 1305. 23

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[…]. Quoniam Wenceslaus rex de salute, profectu quoque populi sibi commissi debitum sollicitudinem in corde suo sine intermissione habuit, omnia iura regni sui hactenus diffusa et penitus imperfecta sub certis legum canonumque regulis constringere cogitavit, quatenus secundum suum sensum temerarias in suis causis sentencias nullus amplius excogitare presumeret, immo scripta lege contentus, quemadmodum potens ita et humilis pro se pugnare iusticiam in foro cuiuscunque iudicii persentiret. J. Emler (ed.), Petra Zˇitavského kronika zbraslavská, I, 51, in: Prameny deˇ jin cˇ esky´ch – Fontes rerum Bohemicarum IV, Praha 1884, 61sq. Zu dieser Quelle cf. M. Bláhová, Chronicon Aulae Regiae; in: Dunphy, Encyclopedia (nt. 2), 301. Emler, Petra Zˇitavského kronika zbraslavská (nt. 23), I, 51, 61. […] ne videlicet, si vigor scripti iuris per hunc modum invalesceret, fructus, quem de abusivis eorum adinvencionibus hactenus consueverunt tollere, ipsis forsitan deperiret. Emler, Petra Zˇitavského kronika zbraslavská (nt. 23), I, 51, 61sq. A. Zycha (ed.), Ius Regale Montanorum, in: Das böhmische Bergrecht des Mittelalters auf Grundlage des Bergrechts von Iglau II, Berlin 1900. Cf. G. Ch. Pfeifer, Ius Regale Montanorum. Ein Beitrag zur spätmittelalterlichen Rezeptionsgeschichte des römischen Rechts in Mitteleuropa, Ebelsbach 2002. Zur Problematik der Autorschaft des Gozzius von Orvieto ibidem, 17–20. Petra Zˇitavského kronika zbraslavská (nt. 23), I, 51, 62.

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Die Gerichtspraxis in Böhmen kam in dieser Zeit jedoch nicht mehr mit dem mündlich tradierten Gewohnheitsrecht aus. Zumindest im rechtlich besonders fortschrittlichen Adelsmilieu wurden bereits seit Ende des 13. Jahrhunderts die Gewohnheiten vor allem des Prozeßrechts in privaten Rechtsbüchern aufgezeichnet 28. Diese besaßen zwar keine gesetzliche Geltung, aber sie erleichterten die Orientierung in den Details und Komplikationen eines Gerichtsprozesses, wurden bei Gericht verwendet und dort als Rechtsgrundlage zitiert. So wurden Ende des 13. Jahrhunderts auf Anregung des Landrichters Peter von Rosenberg in tschechischer Sprache erste Bestimmungen zu Fragen des Gerichtsprozesses vor dem Landesgericht festgehalten. Im 14. Jahrhundert erfolgte eine Erweiterung, durch die das sog. Rosenberger Buch entstand – das älteste Rechtsbuch in den böhmischen Ländern29. Der nächste Versuch zur Kodifikation des Landrechts geht auf den römischen Kaiser und böhmischen König Karl IV. (1346–1378) zurück, der einige Absichten Wenzels II. verwirklichen konnte, die Ende des 13. Jahrhunderts im böhmischen Umfeld noch unannehmbar gewesen waren – dies betraf vor allem die Gründung einer Universität in Prag 30. Im Herbst 1355, nach seiner Kaiserkrönung zu Ostern desselben Jahres und nach der Rückkehr von der Romfahrt, legte Karl IV. dem böhmischen Landtag mit den in einem Codex versammelten constitutiones et leges den Text eines Landrechtsbuchs vor. Der Codex sollte nach dem Wunsch Karls IV. den „heilbringenden Namen unserer Majestät“ tragen – „maiestatis nostre felici nomine nuncupandum“ 31. Seit dem 16. Jahrhundert wird für das Gesetzbuch anstelle des Karls Wunsch entsprechenden Titels ‚Codex Carolinus‘ die eher unlogische Bezeichnung ‚Maiestas Carolina‘ verwendet 32. Nach dem mißlungenen Versuch von Karls

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Cf. K. Maly´, F. Sivák, Deˇ jiny státu a práva v Cˇeskoslovensku do roku 1918, Praha 1992, 168. V. Brandl (ed.), Kniha rozˇmberská, Praha 1872. Über diese Absicht Wenzels II. informiert Petra Zˇitavského kronika zbraslavská (nt. 23), I, 52, 62sq. Zur Gründung der Karlsuniversität cf. M. Svatosˇ, Obecné ucˇení 1347/8–1419, in: M. Svatosˇ (ed.), Deˇ jiny Univerzity Karlovy, I, 1347/48–1622, Praha 1995, 27–42. B.-U. Hergemöller (ed. et transl.), Maiestas Carolina. Der Kodifikationsentwurf Karls IV. für das Königreich Böhmen von 1355, München 1995, Prooemium, 38. Karl IV. ließ wohl das Gesetzbuch noch vor der Romfahrt zusammenstellen, vermutlich während eines längeren Aufenthalts in den böhmischen Ländern im Herbst 1350, der mit der Rekonvaleszenz nach einer Krankheit zusammenhing. Cf. Z. Fiala, Prˇ edhusitské Cˇechy. Cˇesky´ stát pod vládou Lucemburku˚ 1310–1419, Praha 1978, 139; B.-U. Hergemöller, Maiestas, XXXVI–XXXVIII. Cf. B.-U. Hergemöller, Cogor adversum te. Drei Studien zum literarisch-theologischen Profil Karls IV. und seiner Kanzlei, Warendorf 1999, 368. Zu Karls Gesetzbuch cf. e.g. J. Sˇusta, Cˇeské deˇ jiny II,4. Karel IV. Za císarˇ skou korunou, 1346–1355, Praha 1948, 179–215, 401–405; Fiala, Prˇ edhusitské Cˇechy (nt. 31), 139–146; V. Vaneˇcˇ ek, Die gesetzgeberische Tätigkeit Karls IV. im böhmischen Staat, in: E. Engel (ed.), Karl IV. Politik und Ideologie im 14. Jahrhundert, Weimar 1982, 135–147; id., Karlova zákonodárná cˇ innost v cˇ eském státeˇ , in: Karolus Quartus, Praha 1984, 107–124; J. Kejrˇ , Maietas Carolina v dochovany´ch rukopisech, in: Studie o rukopisech 17 (1978), 3–39; id., Maiestas Carolina v dochovany´ch rukopisech (Dodatky), in: Studie o rukopisech 20 (1981), 87–91.

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Großvater Wenzel II.33 sollte der böhmische Staat also endlich ein geschriebenes Gesetzbuch erhalten. Den vorgeschlagenen Text hatte Karl IV. mit einem engen Kreis von Mitarbeitern (vermutlich aus den Reihen der Beamten seiner Kanzlei und der Mitglieder des Hofrats) sowie hinzugeladenen Rechtskennern vorbereitet 34. Obwohl Karl IV. nicht direkt der Autor des Landrechtsbuchs war, wurde der Text doch in vollkommener Übereinstimmung mit Karls Absichten formuliert. Besonders starken Einfluß hatte dabei das Kirchenrecht 35. Als Vorbild dienten möglicherweise die ‚Konstitutionen von Melfi‘ von Friedrich II. (1231), aber es finden sich auch Spuren des ‚Ius regale Montanorum‘; ein gewisser Zusammenhang mit den polnischen Statuten Kasimirs des Großen ist ebenfalls nicht auszuschließen36. Das Gesetzbuch bestand aus 127 Kapiteln. Die ersten fünf Kapitel waren dem katholischen Glauben als Staatsreligion und der Verfolgung der Ketzerei gewidmet. Diese Kapitel wurden in Anlehnung an das kanonische Recht zusammengestellt37. Erst danach folgte ein Vorwort, das sich jedoch nur auf die elf folgenden Kapitel (6–16)38 gegen die Aneignung königlicher Burgen, Städte und Güter, gegen die Teilung des Königreichs und die Aneignung seiner Länder bezog 39. Es deklarierte den sakralen Charakter der königlichen Macht und präsentierte das Gesetzbuch als Geschenk Gottes, das den Menschen durch einen von Gott eingesetzten und der Gerechtigkeit ergebenen König überreicht werde. Das Gesetzbuch sollte Gerechtigkeit, Sicherheit und Frieden im Land garantieren, was vor allem durch die Revindikation des königlichen Besitzes erreicht werden sollte, der nach dem Tod von Karls Großvater Wenzel II. und besonders während der Regierung von Karls Vater König Johann, entfremdet worden war – als in Folge der langfristigen Abwesenheit des Königs „das Königreich in verschiedene Wirbelstürme und Sturmwinde geschleudert wurde, begann die furchtgebietende Macht der Gerechtigkeit erstmals auf vielfältige Weise dahinzuschwinden […]“ 40. Der Gesetzgeber erließ daher eine Reihe von Bestimmungen gegen Verpfändung, Verpachtung, Tausch und Teilung von Herrschaften, die unter direkter könig-

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Cf. Petra Zˇitavského Kronika zbraslavská (nt. 23), I, 51, 61sq. Cf. Vaneˇcˇ ek, Karlova zákonodárná cˇ innost (nt. 32), 116; Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), XXXI–XXXVI. Einen Überblick über die Literatur und die vertretenen Meinungen liefert Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), XXI–XXVI. Zum Einfluß des Kirchenrechts auf Karls Gesetzbuch cf. J. Kejrˇ , Právní vzdeˇ lanost v Cˇechách v dobeˇ Karloveˇ , in: Karolus Quartus (nt. 32), 127–134. Cf. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), XXV, XXIXsq.; Vaneˇcˇ ek, Die gesetzgeberische Tätigkeit (nt. 32), 139. Cf. Kejrˇ , Maiestas Carolina (nt. 32), 8. Cf. Hergemöller, Cogor adversum te (nt. 32), 367. Cf. Hergemöller, Cogor adversum te (nt. 31), 367–372; Fiala, Prˇ edhusitské Cˇechy (nt. 31), 139sq. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), Prooemium, 34 sq. Deutsche Übersetzung B.-U. Hergemöller.

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licher Regierung standen.41 Ein eigenes Kapitel sollte die Unteilbarkeit des Königreichs sicherstellen42. Die Kapitel 17–27 betrafen die Staatsverwaltung, die Staatsbeamten und das Gerichtswesen. Sie regelten die Besetzung der Landesämter und den Beamteneid einschließlich der für eine Verletzung vorgesehenen Strafen. Die höchsten Ämter sollte nur der König verleihen. Dieser hatte auch das Recht Beamte abzuberufen und nach seinem Willen durch neue zu ersetzen. Die Rechte des Adels wurden nicht nur durch diese Bestimmungen eingeschränkt, die den Adel als politischer Repräsentation des Landes berührten, der ebenfalls Träger der höchsten Landesämter war; eine zusätzliche Einschränkung erfuhren die adligen Rechte durch die Bestimmungen über Führung und Absicherung der Landtafel und über die Verhandlungsprotokolle beim Landrecht43. Das Landesgericht war spätestens seit Ende der Prˇemyslidenzeit eine besondere Domäne des Adels. Große Aufmerksamkeit schenkte das Landrechtsbuch der Aufrechterhaltung von Ruhe und Recht im Land entweder durch strengere Verbote und Strafen für die verschiedenen Verbrechen oder durch Bestimmungen, die die Regierung nach dem Sterben des Königs regelten (Kapitel 28–44). Besonders interessant ist das Verbot von Gottesurteilen, konkret von glühenden Eisen und Eiswasser, als zulässiger Beweismittel vor Gericht. Im Gesetzbuch wurde dieses Vorgehen, das übrigens bereits vom Vierten Laterankonzil 1215 verboten, in Mitteleuropa jedoch noch lange in der Praxis angewendet worden war44, ausdrücklich als „äußerst schwerwiegender Irrtum“ bezeichnet45. Die nächsten Kapitel (45–48) betrafen das Militärwesen und die Verteidigung des Königreichs gegen äußere Feinde46. Neun Kapitel (49–57)47 enthielten Bestimmungen zum Schutz der königlichen Wälder und zu deren Verwaltung. Dem Herrscher ging es nicht nur um die Verteidigung der Wälder gegen Diebstahl und Beschädigung von Bäumen, wofür drastische Strafen drohten, sondern im Text der betreffenden Absätze wird das Bemühen deutlich, die Wälder um ihrer selbst willen zu schützen. „Das bewundernswerte Aussehen und die schöne Fülle unserer Wälder wollen wir auf Dauer unberührt erhalten und nicht bloß vor jeder Zerstörung, sondern auch in sorgfältiger Obhut vor jedem Baumfällen […] bewahren […]“ 48. Obwohl der Grund für diese Bestimmungen rein praktischer Natur war, da er erneut die Revindikation königlicher Besitzungen thematisierte, die der Adel sich angeeignet hatte, indem er besonders nach Aussterben der Prˇemysliden in den königlichen Wäldern 41 42 43 44 45 46 47 48

Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), cap. 6–16, 44–73. Cf. Fiala, Prˇ edhusitské Cˇechy (nt. 31), 140sq. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), cap. 15, 66–71. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), cap. 27, 88–91. Cf. Kejrˇ , Právní vzdeˇ lanost (nt. 35), 128, 132. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), cap. 39, 114–117. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), cap. 45–48, 126–133. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), cap. 49–57, 132–145. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), cap. 50, 134–137, hic 134sq. (deutsche Übersetzung B.-U. Hergemöller).

Die Anfänge der Kodifikation des Landrechts in Böhmen

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seine Burgen errichtete49, stellen diese Kapitel in Karls Landrechtsbuch zugleich die ersten Bestimmungen zum Schutz der Natur in den böhmischen Ländern dar. Die zahlreichen Vorschriften über das königliche Heimfallrecht (Kapitel 58–76) vertraten die Interessen der königlichen Kammer. Der Besitz aller freien Einwohner des Königreichs, die ohne eigene legitime Kinder verstarben, sollte der königlichen Kammer zufallen. Nach böhmischem Gewohnheitsrecht waren außerdem verheiratete Töchter und Witwen durch die Mitgift abgesichert und von der Erbfolge ausgeschlossen50, so daß nur die Söhne erben konnten. Falls also der Erblasser keinen männlichen Nachkommen hatte, sollte der Besitz dem König zufallen. Grundsätzlich durften durch Erbfall keine königlichen Güter entfremdet werden51. Geistlichen war es nicht gestattet, ohne Erlaubnis des Königs etwas aus ihrem Besitz zu verschenken, und die Söhne von Geistlichen waren vollständig von der Erbfolge ausgeschlossen52. Die dem Adel gewidmeten Kapitel (77–94) zielten auf den Schutz seines Besitzes und seiner Ehre53, behandelten aber auch die Beziehung zwischen Adligen und Untertanen. Dem Adel verbot das Gesetzbuch unter Androhung strenger Strafen, Körperverletzungen zu begehen und die Gesundheit der eigenen Untertanen zu beschädigen. Besondere Aufmerksamkeit wurde den Regeln des Zweikampfs gewidmet54. Ein eigenes Kapitel erhielt die Stellung der Bürger, die ein emphyteutisches („deutsches“) Recht auf adligem Boden erworben hatten55. Erträge für die königliche Kammer hatten auch die Bestimmungen über die Sexualmoral und das Familienrecht (Kapitel 94–98)56 sowie die abschließenden Regelungen zum Straf- und Heimfallrecht im Auge (Kapitel 99–119)57. Das Landrechtsbuch hielt zwar zu großen Teilen die bisherigen Rechtsgewohnheiten schriftlich fest, brachte aber auch neue Bestimmungen. Diese betrafen vielfach sehr stark die Interessen des Adels, sodaß sie für diesen inakzeptabel waren. Mit einigen Regelungen konnten sich auch die Angehörigen anderer gesellschaftlicher Schichten nicht abfinden. Die Ambitionen des böhmischen Adels wurden vor allem durch die Bestimmungen zur Revindikation des königlichen Besitzes, zur eingeschränkten Disposition über diesen Besitz und zur Lehnsabhängigkeit des Adels vom Herrscher, weiter durch die Wehrvorschriften und die Reform des Gerichtswesens, die Fiskalpolitik im Hinblick auf den Adel, die Eingriffe in das Familienrecht des Adels und die Einschränkung der adligen Willkür auf den eigenen Herrschaften berührt. Einschlägig für den Adel, aber auch für die Städte, war

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Cf. Fiala, Prˇ edhusitské Cˇechy (nt. 31), 145. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), cap. 68, 160sq. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), cap. 72–73, 164–167. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), cap. 74–75, 166–169. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), cap. 84–87, 170–175. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), cap. 88–92, 184–191. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), cap. 93, 190–192. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), cap. 94–98, 192–199. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), cap. 99–119, 198–221.

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das Vereinigungsverbot58, und alle höheren Gesellschaftsschichten sahen sich mit dem Verbot konfrontiert, Begünstigungen, Schenkungen und Privilegien zu fordern und zu empfangen, die irgendeine Freiheit, Exemtion oder gar die Abtrennung vom Königreich zur Folge gehabt hätten59. Besonders gestört fühlten sie sich jedoch von der Forderung, daß alle Untertanen scripta lege – „nach geschriebenem Gesetz“ – leben sollten60. Unter diesen Umständen konnte Karl IV. die Annahme des Gesetzbuchs auf dem Landtag nicht durchsetzen; er zog den Entwurf daher am 6. Oktober 1355 mit der unwahren Begründung zurück, dieser sei durch einen unglücklichen Zufall verbrannt. Da man ihn noch nicht öffentlich verkündet und niemand auf ihn geschworen habe, sei auch niemand an ihn gebunden61. Es fiel kein Wort mehr über das Landrechtsbuch, und selbst die Chronisten der Regierungszeit Karls IV. verheimlichten die betreffenden Verhandlungen. Benesˇ Krabice von Weitmühl informierte zwar über Karls Maßnahmen gegen Raub und andere Verbrechen, die auf demselben Landtag verkündet worden waren, auf dem das Landrechtsbuch verhandelt werden sollte, ließ dieses jedoch unerwähnt62. Obwohl Karl IV. damals in der Vorbereitung des Landrechtsbuchs weiter vorangekommen war als sein Großvater und mit seinen Beamten den gesamten Text erarbeitet hatte, ähnelte das Ergebnis der Situation von vor mehr als einem halben Jahrhundert: Der Versuch, Böhmen ein kodifiziertes Landrecht zu geben, endete erneut in einem Fiasko. Aus der Zeit Karls IV. stammte noch ein anderer juristischer Text, das Rechtsbuch ‚Ordo iudicii terrae‘ 63. Diese Schrift enthielt vor allem Regeln zur Prozeßführung vor dem Landesgericht und Vorschriften über das Besitz- und das Strafrecht. In dreizehn Kapiteln behandelte es die Vorladung vor Gericht und die Prozeßführung im Fall einer Anschuldigung wegen Mordes an einem Verwandten oder Freund des Klägers, unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Stellung des Opfers bzw. des Klägers und des Angeklagten, weiter das Vorgehen im Fall eines Mordes vor dem König oder bei einer Gerichtsverhandlung, die Vorladung

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Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), cap. 29 et 33, 92–95, 100–103. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), cap.15–16. 66–73. Cf. Vaneˇcˇ ek, Karlova zákonodárná cˇ innost (nt. 32), 116–119. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), Prooemium, 40sq. E. Mendlová (ed.), Regesta diplomatica nec non epistolaria Bohemiae et Moraviae, VI (1355– 1358), Praha 1979, nr. 143, 82sq.; J. Brandl, J. Chytil (eds.), Codex diplomaticus et epistolaris Moraviae, VIII, 1350–1355, Brno 1875, nr. 319, 259sq. Cf. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), XI. J. Emler (ed.), Kronika Benesˇe z Weitmile, in: Prameny deˇ jin cˇesky´ch – Fontes rerum Bohemicarum IV, Praha 1884, 524sq. Cf. M. Bláhová, Narativní prameny jako prameny k deˇ jinám práva v Cˇechách v období raného a rozvinutého feudalismu, in: Velké kodifikace (nt. 1), I, 86sq.; ead., Benesˇ Krabice of Weitmil, in: Dunphy, Encyclopedia (nt. 2), 166. Cf. V. Vaneˇcˇ ek, Ordo iudicii terrae a jeho porˇ adí v právních památkách cˇesky´ch, in: Sborník veˇ d právních a státních 42 (1942), 150–171; J. Vesely´, Maiestas Carolina a Ordo iudicii terrae, ibidem 48 (1948), 18–32.

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vor Gericht wegen Raubes oder nächtlicher Gewalt. Die weiteren Bestimmungen betrafen Schäden, die durch weidendes Vieh verursacht worden waren, Schäden an Obstgärten, Fischbeständen und Wäldern, den Entzug von Zinsen, Schäden an Obstbäumen und an Bienenvölkern, die Entfremdung unbeweglichen Besitzes, die Verletzung von Erbrechten, verschiedene weitere Schäden, Schulden und die Entführung von Töchtern (Kapitel 12). Die abschließenden Bestimmungen bezogen sich auf die erzbischöfliche Vorladung vor Gericht bzw. die Möglichkeit, den Erzbischof vor Gericht zu stellen, sowie die Vorladungen von Geistlichen. Der ‚Ordo iudicii terrae‘ ist als protokolliertes Gewohnheitsrecht jedoch keine Rechtskodifikation. Seine Bestimmungen, die Anklagen und Prozeßrecht im Fall von Raub und Diebstahl behandelten und bis auf wenige Details mit den entsprechenden Regelungen der ‚Maiestas‘ übereinstimmten64, stellen ihn in einen Kontext mit Karls Kodifikationsentwurf. Die Frage nach der Priorität der Texte konnte bisher allerdings nicht abschließend beantwortet werden. Die Abhängigkeit des ‚Ordo‘ von der ‚Maiestas‘ wurde ebenso wenig ausgeschlossen wie der umgekehrte Fall; außerdem wäre auch eine gemeinsame Vorlage der beiden Texte im böhmischen Landrecht möglich65. Die Bestimmungen des ‚Ordo iudicii terrae‘ wurden wahrscheinlich Ende des 14. Jahrhunderts in die tschechische Sprache übersetzt und überarbeitet. Die tschechische Fassung ‚Rˇ ád práva zemského‘ (Landrechtsordnung) spiegelte bereits einige Veränderungen wider, zu denen es während Karls Regierungszeit vor allem in der Prozeßführung vor den Kirchengerichten gekommen war. Das Gesetzbuch Karls IV. war auf lange Zeit der letzte Versuch, das Landrecht zu kodifizieren. Karls Sohn und Nachfolger Wenzel IV. (1378–1419) bemühte sich nicht um eine solche Maßnahme. Unter seiner Regierung verfaßte jedoch der Oberstlandrichter des Königreichs Böhmen Andreas von Dubá erneut ein privates Rechtsbuch, das Böhmische Landrecht (‚Zemská práva cˇeská‘)66, in dem er das böhmische Prozeßrecht, teilweise auch das Privatrecht und in geringerem Ausmaß das Straf- und Staatsrecht erfaßte und gliederte. Das Handbuch des Andreas von Dubá darf aber ebenfalls nicht als Kodifikation des Landrechts gelten. Selbst der Hussitischen Revolution gelang es nicht, die rechtlichen Veränderungen systematisch zu kodifizieren, zu denen es im Verlauf der Revolution in der böhmischen Gesellschaft gekommen war. Unter Georg von Podiebrad (1458–1471) stellte zwar die antikönigliche Opposition mit Hilfe von Rechtsbüchern, Exzerpten, Sammlungen und Urteilen sowie der Familienarchive ein Verzeichnis der Bestimmungen des Landrechts bzw. der Bestimmungen zusammen, die zugunsten der adligen Opposition interpretiert werden konnten, aber seine Autoren bemühten sich nicht um eine konsequentere Durchsetzung. Der 64 65 66

ˇ ád práva zemHergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), cap. 120–125, 222–267; H. Jirecˇ ek (ed.), R ského. Ordo iudicii terrae, in: Codex iuris Bohemici II,2, Praha 1870, cap. 4, 227–229. Cf. Hergemöller, Maiestas Carolina (nt. 31), XXVI–XXVIII. F. Cˇáda (ed.), Nejvysˇsˇího sudího království cˇ eského Ondrˇ eje z Dubé Práva cˇ eská zemská, Praha 1930.

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König blieb mit seinem Verzeichnis über die Rechte und Freiheiten der Stände, das er mit Hilfe von Materialien aus dem Kronarchiv erstellen ließ, ebenfalls erfolglos67. Zur ersten Kodifikation des Landrechts wurde daher erst die Landesordnung des Böhmischen Königreichs, die auf Anregung des Landtags unter Wladislaw Jagiello (1471–1516) ausgearbeitet und im Jahr 1500 angenommen wurde: die sog. Wladislawsche Landesordnung 68. Sie entstand allerdings unter Bedingungen, die vollkommen von den Umständen abwichen, unter denen Karl IV. sein Gesetzbuch durchzusetzen versuchte oder Georg von Podiebrad über die Einführung eines verschriftlichten Rechts nachdachte. Der entscheidende politische Repräsentant im Staat war nunmehr der Adel, der jetzt die Initiative zur Abfassung des Gesetzbuchs ergriff, um seine Stellung zu festigen. Der Adel wollte vor allem die Veränderungen beseitigen, zu denen es im Lauf der Hussitischen Revolution und später in der Stellung und politischen Macht der Städte gekommen war 69; gleichzeitig wollte er jedoch seine Position gegenüber dem König wahren. Im Jahr 1487, als die großen Gegensätze innerhalb des Adels, zwischen Herren und Rittern, bereinigt worden waren, schlugen beide Stände vor, die Urteile und Privilegien, auf denen das Landrecht basierte, in einem Gesetzbuch zusammenzufassen und so die Rechtsordnung in dem zerrütteten Land zu stärken. Die Kodifikationsarbeit war schon deshalb langwierig, weil es keine Grundlagen gab, von denen man hätte ausgehen können: Die Rechtsbücher aus vorhussitischer Zeit entsprachen im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts nicht mehr dem Stand der Dinge, und dem Adel stand kein Fachmann zur Verfügung, der in der Lage gewesen wäre, die Kodifikation des Landrechts auszuarbeiten. Ein weiterer Grund für die Verzögerung waren Streitigkeiten zwischen den einzelnen Ständen. Es mußten daher nach und nach normative Grundlagen für die Kodifikation geschaffen werden. Die Landtage und Landesgericht erließen nach und nach Bestimmungen und Urteile, die die führende Position des Adels im Staat juristisch formulieren und festigen sollten. Dabei gelang es, die Städte aus den Verhandlungen herauszudrängen. Die entscheidenden Bestimmungen wurden auf dem Landtag im Mai 1497 verhandelt. Der Landtag verlangte zugleich, daß die alten und neuen, in der Landtafel eingetragenen allgemeine Urteile gesammelt, in ein öffentlich zugängliches Buch eingeschrieben und im Druck herausgegeben werden sollten, damit jedermann sie sich kaufen könne. Im Oktober 1499 wurde eine 17-köpfige Kommission aus Herren und Rittern gebildet, die die Endredaktion der Landesordnung durchführen sollte. Den Hauptanteil an der Erarbeitung der Kodifikation hatte der königliche Prokurator Ritter Albrecht Rendl von Ousˇava († 1522).

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Cf. Kreuz/Martinovsky´, Vladislavské zrˇ ízení (nt. 22), 24–34. Kreuz/Martinovsky´, Vladislavské zrˇ ízení (nt. 22), Cf. K. Maly´/J. Pánek (eds.), Vladislavské zrˇ ízení zemské a pocˇ átky ústavního zrˇ ízení v Cˇesky´ch zemích (1500–1619), Praha 2001. Cf. I. Martinovsky´, Vznik a pocˇ átky Vladislavského zemského zrˇ ízení, in: Maly´/Pánek, Vladislavské zrˇ ízení (nt. 68), 85–100; Kreuz/Martinovsky´, Vladislavské zrˇ ízení (nt. 22), 34–50.

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Auf dem Landtag im März 1500 wurde der fertige Text ohne Beteiligung der Vertreter der Städte und des Königs70 genehmigt und unmittelbar darauf gedruckt71. Auf dem Landtag im September 1500 traten zwar die Städte mit einem Protest auf, der jedoch ebenso wenig auf ein größeres Echo stieß wie die Beschwerde der Städte gegenüber dem König und die Bitte, dieser solle doch einschreiten. Auf dem Landtag im Februar 1502 genehmigte Wladislaw II. nachträglich die Landesordnung, die bis heute seinen Namen trägt. Darauf reagierten die königlichen Städte mit der Formierung eines Wehrbündnisses und der Einberufung von Truppen „zum Schutz der Königsmacht gegen die Willkür des Herrenstandes“72. Die Feindschaft zwischen den Städten und dem Adel nahm weiter zu, und die Beruhigung in den Zwistigkeiten zwischen den Ständen, die mancher von der Landesordnung erwartet hatte, sollte nicht eintreten73.

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Cf. Kreuz/Martinovsky´, Vladislavské zrˇ ízení (nt. 22), 47. Zu den Drucken der Wladislawschen Landesordnung cf. Kreuz/Martinovsky´, Vladislavské zrˇ ízení (nt. 22), 85–90. Kreuz/Martinovsky´, Vladislavské zrˇ ízení (nt. 22), 54–57. Dieser Aufsatz wurde von Anna Ohlidal übersetzt.

Rechtsprechung ohne Gesetz? Die Rechtsentscheidungen der Schöffen von Niedergerichten R S (Mainz) Ein spätmittelalterliches Gerichtsbuch aus dem Ort Nieder-Ingelheim am Rhein beginnt nach der Datierung auf den 27. Januar 1468 mit der Schilderung des folgenden Streites vor Gericht: „Item Beinlings Mathis hait daß buch lassen offen gein kale Henne(n) und hait das verbot. Vnd spricht: Er hoffe, kale Henne sulle jme sinen zins geben, dwile er irkant hait, das er den sime anhern geben habe. Daruff spricht kale Henne: Er hoffe, er sulle Mathisen nit schuldig sin vnd stelt das an das recht. Mathis spricht: Da sin vatter gestorben sij, da sij die gulte off die kinde gefallen vnd hoffe, die muder sulle sin nit macht han vnd stellt das an das recht. Henne spricht: Er hoffe er sij Mathissen nust schuldig. Habe ere muder daiclich getan, das sie sie dar vmb suchen. Das ist gelent off die gesellen.“ 1

Die Parteien stritten sich um einen Zins, welchen der kahle Henne an Mathis Beinling zu zahlen habe. Dieser Zins war bereits an den Vater von Mathis Beinling gezahlt worden, der ihn folglich erbte. Mathis verweist auch darauf, Henne habe ja zugegeben, daß der Zins seinen Vorfahren gezahlt wurde. Allerdings lebt seine Mutter noch und hat in zweiter Ehe den Vater des kahlen Henne geheiratet. Ihrer neuen Familie hat sie den Zins wohl erlassen. Henne argumentiert folglich, er habe den Zins nicht zu zahlen und wenn Mathis Ansprüche an die Mutter habe, so solle er sich an diese wenden. Beide Parteien beenden ihre Aussagen damit, daß sie diese „an das recht stellen“, was man wohl als „die Aussage beenden und dem Gericht vorlegen“ zu deuten hat. Das Gericht, das nur in einer Rumpfbesetzung anwesend ist, vertagt eine Entscheidung „off die gesellen“, „ad socios“, wie die Randbemerkung vermerkt und damit bis zum Zusammentreten des Vollgerichts. Die Entscheidung des Vollgerichts, durch Randbemerkung als „sententia“ gekennzeichnet, erfolgt erst mehr als ein Jahr später, am 13. Februar 1469: „Jt(em) nach ansprach, antwort und beider theile vorbrenge(n) sprechen wir zum rechten: daß Kette nach abegang jrs ersten mans, nemlich Peter Beynlings, nit macht gehabten hait, one verwillygunge yr kinde eynche gulte zuüerandern. Vnd salle Kale Henne

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W. Marzi (ed.), Das Nieder-Ingelheimer Haderbuch 1468–1485, Alzey 2012, fol. 3. Die Interpunktion wurde zum besseren Textverständnis ergänzt.

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Mathisen souil vnd jme nach anczale der IIII ß geburt geben und vßriechten. daß hait Mathis verbot vnd dem rechte(n) gedanckt.“ 2

Das Gericht fällte eines seiner seltenen Urteile – es sprach zu Recht – und bestätigte den Erben in seinem Anspruch an diesem Zins. Dieser dankte „dem recht“, was hier erneut als „Gericht“ zu übertragen wäre. Schon dieser Auszug – ein Beispiel aus Hunderten allein aus diesem einen Protokollbuch – zeigt die Bandbreite des Rechtsbegriffs im Prozeßschriftgut des Ingelheimer Gerichts. Während von „recht“ in den Gerichtsbüchern hunderte Male gesprochen wird, rekurrieren weder die Parteien und ihre Fürsprecher noch das Gericht explizit auf eine „lex“, wohl aber vereinzelt auf das Landrechte, Gerichtsordnungen oder allgemein „das Recht“ 3. Unter Gesetz seien hier im umfassenden Sinn alle Rechtsnormen verstanden4. Auf welche Rechtsnormen das Gericht sich hierbei beziehen konnte, wird zu zeigen sein. Das besondere Interesse gilt aber hier nicht der Suche nach den hinter Einzelurteilen liegenden Rechtsnormen – dies fällt sicher auch eher in die Kompetenz eines Rechtshistorikers – als vielmehr der Anwendung des Rechts, der alltäglichen Rechtsprechung vor allem an einem besonders gut dokumentierten örtlichen Niedergericht. Und dieser Rechtsalltag erfolgte, so wird zu zeigen sein, weitgehend ohne Bezug auf Rechtsnormen – und in diesem Sinn fand das Gericht Recht ohne Gesetz. Spätmittelalterliches und frühneuzeitliches städtisches Prozeßschriftgut ist als Quellengattung in den letzten Jahren verstärkt in den Blick geraten. Die Historische Forschung interessierte hierbei vor allem die Herrschaftslegitimation im Gerichtsverfahren5, der Übergang von Mündlichkeit zur Schriftlichkeit 6 sowie der Umgang mit Delinquenz, der insbesondere am Beispiel großer Städte geschildert wurde7. Auch in der rechtshistorischen Forschung sind die kleinen landesherr2 3 4

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Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 35. Die Interpunktion wurde zum besseren Textverständnis ergänzt. Cf. nt. 81sqq. Zur Problematik des Gesetzesbegriffes unter philosophischer Fragestellung cf. C. Kann, Terminologie und Etymologie des mittelalterlichen Gesetzesbegriffs; zur rechtshistorischen Problematik H. Kalb, Rechtswissenschaften, Rechtsgeschichte und der Gesetzesbegriff im Mittelalter, im vorliegenden Band. I. Baumgärtner, Gerichtspraxis und Stadtgesellschaft. Zu Zielsetzung und Inhalt, in: F.-J. Arlinghaus (ed.), Praxis der Gerichtsbarkeit in europäischen Städten des Spätmittelalters (Rechtsprechung. Materialien und Studien 23), Frankfurt a. M. 2006, 1–18. Th. Wetzstein, Prozeßschriftgut im Mittelalter – einführende Überlegungen, in: S. Lepsius/ Th. Wetzstein (eds.), Als die Welt in die Akten kam. Prozeßschriftgut im europäischen Mittelalter (Rechtsprechung. Materialien und Studien 27), Frankfurt a. M. 2008, 1–27; M. Blattmann, Beobachtungen zum Schrifteinsatz an einem deutschen Niedergericht um 1400: die Ingelheimer Haderbücher, ibid., 51–91; ead., Protokollführung in römisch-kanonischen und deutschrechtlichen Gerichtsverfahren im 13. und 14. Jahrhundert, in: St. Esders (ed.), Rechtsverständnis und Konfliktbewältigung. Gerichtliche und außergerichtliche Strategien im Mittelalter, Köln e. a. 2007, 141–164. G. Schwerhoff, Kriminalitätsgeschichte im deutschen Sprachraum. Zum Profil eines „verspäteten“ Forschungszweiges, in: A. Blauert/G. Schwerhoff (eds.), Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne (Konflikte und Kultur – Historische Perspek-

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lichen Städte und ihre Gerichtsbücher untersucht, Beispiele wären Butzbach, Babenhausen und Mühlhausen8. Ebenso wurden zahlreiche Rechtsbücher ediert und deren Wirkungskreis analysiert sowie die Oberhöfe in den Blick genommen, an die sich die kleineren Gerichte um Rechtsauskunft wandten9. Vereinfacht ausgedrückt machte man sich dabei oft auf die Suche, inwiefern ein Rechtssatz im konkreten Gerichtsalltag Anwendung fand, ging also von idealer Weise niedergeschriebenen Rechten aus. Da die Suche nach Rechtsbüchern aber oft erfolglos blieb, nahm man schließlich zumindest eine Sammlung von vorbildlichen und auch verbindlichen Rechtsaussagen an, die, wenn schon nicht aufgeschrieben, zumindest der Gemeinschaft der Schöffen gut bekannt war und die als Gewohnheitsrecht im konkreten Fall dann angewandt wurde10. Es wurde – überspitzt for-

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tiven 1), Konstanz 2000, 21–67, besonders 23–25; S. Burghartz, Leib, Ehre und Gut. Delinquenz in Zürich Ende des 14. Jahrhunderts, Zürich 1990; G. Schwerhoff, Köln im Kreuzverhör. Kriminalität, Herrschaft und Gesellschaft in einer frühneuzeitlichen Stadt, Bonn 1991; P. Schuster, Der gelobte Frieden. Täter, Opfer und Herrschaft im spätmittelalterlichen Konstanz, Konstanz 1995; P. Schuster, Eine Stadt vor Gericht. Recht und Alltag im spätmittelalterlichen Konstanz, Paderborn e. a. 2000; P. Schuster, Verbrechen und Strafe in der spätmittelalterlichen Nürnberger und Augsburger Chronistik, in: A. Bendlage (ed.), Recht und Verhalten in vormodernen Gesellschaften. Festschrift für Neithard Bulst, Bielefeld 2008, 51–65; U. Henselmeyer, Ratsherren und andere Delinquenten. Die Rechtsprechungspraxis bei geringfügigen Delikten im spätmittelalterlichen Nürnberg (Konflikt und Kultur. Historische Perspektiven 6), Konstanz 2002; L. Behrisch, Gerichtsnutzung ohne Herrschaftskonsens. Kriminalität in Görlitz im 15. und 16. Jahrhundert, in: R. Habermas/G. Schwerhoff (eds.), Verbrechen im Blick. Perspektiven der neuzeitlichen Kriminalitätsgeschichte, Frankfurt–New York 2009, 219–248. So insbesondere in den von G. Gudian betreuten Dissertationen der Reihe Gerichtsbücherstudien: A. Tschepe, Gerichtsverfassung und Prozeß des Stadtgerichts Butzbach im 15. Jahrhundert, Aalen 1976 ; St. Lentz, Grundstücksübertragungsrecht und Vorkaufsrecht des nächsten Erben in Babenhausen im 14. und 15. Jahrhundert, Aalen 1976; J. Schmidt-Troje, Die Grundstücksleihe des Babenhausener Rechts im 14. und 15. Jahrhundert, Aalen 1978; H.-J. Wirtz, Die Gülte im Babenhausener Recht des 14. und 15. Jahrhunderts, Aalen 1976; M. Hüttemann, Die Bürgschaft im Babenhausener Recht des 14. und 15. Jahrhunderts, Aalen 1976; M. Cirullies, Die Rechtsterminologie des Stadtgerichts Babenhausen in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, Aalen 1980; R. Schmidt, Die Prozesse des Adels vor dem Stadtgericht Babenhausen (1355–1485), Aalen 1985; U. Stange, Die Aufzeichnungen über Verhandlungen des Stadtgerichts der Stadt Mühlhausen im Elsaß (1438–1443 und 1450–1458). Abriß des Inhalts des ältesten Bandes sowie des Gerichtsverfahrens, Aalen 1996; B. Schoofs, Die Gerichtsverfassungen der Stadtgerichte Homberg an der Ohm und Grünberg sowie des Landgerichts an der Lahn in Marburg im 15. Jahrhundert dargestellt anhand der Gerichtsbücher, Köln 1973. Zu den Arbeiten zu Babenhausen H. Schlosser, Mittelalterliche Gerichtsbücher als Primärquellen der Rechtswirklichkeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 8 (1981), 323–330. H. Loersch, Der Ingelheimer Oberhof. Bonn 1885; A. Erler (ed.), Die älteren Urteile des Ingelheimer Oberhofs, vol. 1–4, Frankfurt a. M. 1952–1963; A. Erler (ed.), Der Oberhof zu Neustadt an der Weinstraße, vol. 1–2, Frankfurt 1968–1971; M. Dolch/M. Münch (eds.), Das Lauterer Gericht und sein Speyerer Oberhof. Die Urteils- und Protokollbucheinträge des 15. Jahrhunderts. Speyer 1996; J. Weitzel, Über Oberhöfe, Recht und Rechtszug, Göttingen 1981; J. Weitzel, Oberhof, in: Lexikon des Mittelalters 6 (1993), col. 1331sq. G. Gudian, Die Begründung in Schöffensprüchen des 14. und 15. Jahrhunderts: ein Leitprinzip der Abfassung spätmittelalterlicher Schöffensprüche, Darmstadt 1960; id., Ingelheimer Recht im 15. Jahrhundert (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte N.F. 10), Aalen 1968.

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muliert – folglich oft von einem allgemeingültigen Codex des Gewohnheitsrechts ausgegangen, der bekannt, anwendbar, aber nicht schriftlich fixiert war11. Während für das Frühmittelalter die Problematik der modernen Vorstellung einer Rechtsordnung thematisiert und die Debatte um Gewohnheitsrecht und Rechtsgewohnheiten und das Verhältnis von oraler Rechtstradition und verschriftlichtem Recht sehr intensiv geführt wurde und wird 12, sind spätmittelalterliche Quellen für diese Fragen bisher kaum betrachtet worden13. Wenn spätmittelalterliche Quellen herangezogen wurden, dann oft Weistümer auf der Suche nach „alten“ Rechtsgewohnheiten. Allerdings konnte Simon Teuscher zeigen, daß auch die erfragten Kundschaften und Weistümer keinesfalls mündlich tradierte Rechtsgewohnheiten unverfälscht spiegeln, sondern herrschaftlich verordnete Rechtssätze ebenso wie Satzungsrecht enthalten und gerade die scheinbar urtümliche Form oft eine späte Konstruktion ist, die der Vereinheitlichung wie dem flexiblem Umgang mit lokalen Rechten dienen sollte14. Hinzu kommt für das Spätmittelalter die Besonderheit der sich stark überlappenden Rechtskreise; damit geht folglich eine Gleichzeitigkeit von verschiedenen Rechtsformen einher15. Die Aufsplitterung in Texte, die „noch altes“, mündlich-tradiertes Recht spiegeln und solche, die „schon modern“ römisch-rechtliche Ansätze oder einen stärkeren herrschaftlichen Zugriff aufweisen, ist zu schematisch. Zumindest am Ende des 15. Jahrhunderts ist eher von einem Nebeneinander auszugehen. Auch die Weistümer

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Zu dieser Problematik M. Pilch, Rechtsgewohnheiten aus rechtshistorischer und rechtstheoretischer Perspektive, in: Rechtsgeschichte 17 (2010), 17–39, hier 29sq.; J. Weitzel, Dinggenossenschaft und Recht. Untersuchungen zum Rechtsverständnis im fränkisch-deutschen Mittelalter (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im alten Reich 15), Köln–Wien 1985, 1344–1350. H. Kalb, Rechtswissenschaften, Rechtsgeschichte und der Gesetzesbegriff im Mittelalter, im vorliegenden Band; R. Schulze, „Gewohnheitsrecht“ und „Rechtsgewohnheiten“ im Mittelalter – eine Einführung, in: Gewohnheitsrecht und Rechtsgewohnheiten im Mittelalter (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 6), Berlin 1992, 9–20; G. Dilcher, Mittelalterliche Rechtsgewohnheit als methodisch-theoretisches Problem, ibid., 21–65, hier 25–27; J. Weitzel, Gewohnheitsrecht und fränkisch-deutsches Gerichtsverfahren, ibid., 67–86; Weitzel, Dinggenossenschaft (nt. 11). H. Lück, Nach Herkommen und Gewohnheit. Beobachtungen zum Gewohnheitsrecht in der spätmittelalterlichen Gerichtsverfassung Kursachsens, in: Gewohnheitsrecht (nt. 12), 149–160; Weitzel, Gewohnheitsrecht (nt. 12), 69sq. S. Teuscher, Erzähltes Recht. Lokale Herrschaft, Verschriftlichung und Traditionsbildung im Spätmittelalter (Campus Historische Studien 44), Frankfurt–New York 2007. Auch auf diese Problematik wurde bereits mehrfach hingewiesen: B. Kannowski, Rechtsbegriffe im Mittelalter. Stand des Diskussion, in: A. Cordes/B. Kannowski (eds.), Rechtsbegriffe im Mittelalter (Rechtshistorische Reihe 262), Frankfurt a. M. e. a. 2002, 1–27, hier 7sq.; Lück, Herkommen (nt. 13), 150–153; J. Weitzel, Gewohnheiten im lübischen und im sächsisch-magdeburgischen Rechtskreis, in: La Coutume – Custom (Recueils de la société Jean Bodin pour l’histoire comparative des institutions 42), Brüssel 1990, 325–358; Weitzel, Dinggenossenschaft (nt. 11), 1467sq.; H. Schlosser, Gesetzgebung und Rechtswirklichkeit im Territorialstaat der frühen Neuzeit, in: Diritto e Potere nella Storia Europea, Florenz 1982, 528–534, hier 529.

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enthalten beides, „neues“ und „altes“ Recht 16. Einzelfunde, wie die Abschrift des Kleinen Kaiserrechts im Flörsheimer Gerichtsbuch machen zudem deutlich, daß auch ländlichen Gerichtsschreibern Rechtsbücher durchaus bekannt waren, sie teils auch über eine Textvorlage verfügten, auch wenn sich die Rezeption dieser Rechtstexte nur in Ansätzen nachweisen läßt 17. Die Suche nach neu und alt droht ebenso wie die Suche nach Gesetzen und Rechtsnormen in den Köpfen der mittelalterlichen Schöffen, die dann aktualisiert angewandt wurden, den Blick zu verengen. Damit soll nicht die Existenz von Rechtsnormen – seien sie über Gewohnheitsrecht, Satzungen oder neu erlassene herrschaftliche Verordnungen transportiert worden – geleugnet werden. Die spätmittelalterlichen Gerichtsprotokolle bieten aber anders als Weistümer und Kundschaften eine Möglichkeit, stärker auf die Rechtspraxis und den Gerichtsalltag zu schauen. Sie sind zudem weit breiter in den behandelten Rechtsfällen als die sehr selektiven und oft auch tendenziösen Chroniken18. Dabei enthalten nur die wenigsten Gerichtsbücher auch Gerichtsprotokolle, noch seltener sind sie ediert19. Meist umfassen Gerichtsbücher eher Ordnungen, Weistümer und Eide 16

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Zu den Weistümern: Teuscher, Recht (nt. 14); S. Schmitt, Recht und Ordnung im Dorf. Zur Bedeutung von Weistümern und Dorfordnungen in Spätmittelalter und Frühneuzeit, in: K. Andermann/O. Auge (eds.), Dorf und Gemeinde. Grundstrukturen der ländlichen Gesellschaft in Spätmittelalter und Frühneuzeit (Kraichtaler Kolloquien 8), Epfendorf 2012, 45–64; Ch. Birr, Ordnung im Dorf. Eine Skizze zur Normgenese in Weistümern und Dorfordnungen, in: G. Drossbach (ed.), Von der Ordnung zur Norm. Statuten in Mittelalter und Früher Neuzeit, Paderborn e. a. 2010, 153–165; W. Rösener, Dinggenossenschaft und Weistümer im Rahmen mittelalterlicher Kommunikationsformen, in: W. Rösener (ed.), Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft vom Mittelalter bis zur Moderne (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 156), Göttingen 2000, 47–75; S. Schmitt, Herrschaft über Bauern im Spiegel der Weistümer. Untersuchungen zum mittelrheinischen Raum, in: W. Rösener (ed.), Tradition und Erinnerung in Adelsherrschaft und bäuerlicher Gesellschaft (Formen der Erinnerung 17), Göttingen 2003, 153–172; H. Feigl, Von der mündlichen Rechtsweisung zur Aufzeichnung. Die Entstehung der Weistümer und verwandter Quellen, in: P. Classen (ed.), Recht und Schrift im Mittelalter (Vorträge und Forschungen 23), Sigmaringen 1977, 425–448. Weitzel, Dinggenossenschaft (nt. 11), 1348 betont, daß Weistümer Urteile, keine Gesetze seien. Auch das Ingelheimer Hadergericht fällt seine Entscheidungen zum Teil in Form eines Weistums, teils auf formale Anfrage der Schultheißen; cf. nt. 119. S. Munzel-Everling, Dez Keisers Recht. Das Kleine Kaiserrecht, entnommen dem Flörsheimer Gerichtsprotokollbuch von 1447–1613. Faksimile, vol. 1–3, Flörsheim 2003; A. Schultze-Petzold, Das älteste Gerichts- und Protokollbuch des halbschöffenbaren Niedergerichts zu Flörsheim am Main 1447 bis 1613 und seine Bedeutung für die freiwillige Gerichtsbarkeit, Frankfurt a. M. 1973, 82. Zur expliziten Berufung auf Gerichtsordnungen in Dorfgerichten B. Diestelkamp, Das Verhältnis von Gesetz und Gewohnheitsrecht im 16. Jahrhundert – aufgezeigt am Beispiel der oberhessischen Erbgewohnheiten von 1572, in: Rechtshistorische Studien. Hans Thieme zum 70. Geburtstag zugeeignet von seinen Schülern, Köln e. a. 1977, 1–33. R. Sprandel, Die Strafrechtswirklichkeit im Spiegel der spätmittelalterlichen Chronistik: ein Überblick über den Forschungsstand des Würzburger Teilprojekts, in: H. Schlosser/D. Willoweit (eds.), Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung (Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas. Symposien und Synthesen 2), Köln 1999, 147–154. C. A. Lückerath/F. Benninghoven (eds.), Das Kulmer Gerichtsbuch 1330–1430 (Veröffentlichungen aus den Archiven preußischer Kulturbesitz 44), Köln e. a. 1999. K. Riedel/S. Schmitt e. a.

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als Protokolle der Prozesse20. Dichter wird die Überlieferung erst im Verlauf des 16. Jahrhunderts, innerhalb der sich allerdings die Strafrechtspraxis hin zu einem obrigkeitlichen Strafanspruch entscheidend wandelte, restriktiver wurde und den Vergleich zwischen den Parteien erschwerte21. Im Folgenden soll der Blick auf die Rechtsverhältnisse in einem spätmittelalterlichen Dorf vor diesem herrschaftlichen Zugriff gerichtet werden. Quellenbasis meiner Überlegungen ist ein sehr dichter Quellenbestand, die Ingelheimer Hadergerichtsbücher aus den Orten Ober-Ingelheim und Nieder-Ingelheim, zwischen Bingen und Mainz gelegen. Die Haderbücher zeigen anders als die bekannteren Oberhofsprotokolle das Ingelheimer Gericht als Ortsgericht. Personell handelt es sich also um das gleiche Gericht, das im einen Fall als Oberhof, im anderen Fall als Ortsgericht tätig ist. Die Ingelheimer Haderbücher sind für einen Zeitraum von rund 150 Jahren 1376 bis 1534 erhalten und trotz Kriegsverlusten noch in einem Umfang von mehr als 2000 Folioseiten überliefert 22. Ungewöhnlich sind

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(eds.), Das Protokollbuch des Niersteiner Rittergerichts (1654–1661) (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 122), Darmstadt–Marburg 1999; M. Dolch/M. Münch (eds.), Das Lauterer Gericht und sein Speyerer Oberhof. Die Urteils- und Protokollbucheinträge des 15. Jahrhunderts, Speyer 1996; H. U. Colmar (ed.), Das Diedenberger Gerichtsbuch 1550 bis 1688, Hofheim 1992; H. U. Colmar (ed.), Das älteste Hofheimer Gerichtsbuch als regionalgeschichtliche und genealogische Quelle 1425–1500, vol. 1–3, Hofheim 1986–1990; F. Otto (ed.), Das älteste Gerichtsbuch der Stadt Wiesbaden, Wiesbaden 1900. Zum Teil vergleichbar sind die Landgerichte der Obergrafschaft Katzenelnbogen; K. E. Demandt (ed.), Regesten der Grafen von Katzenelnbogen 1060–1486 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 11, 1–4), vol. 3, Wiesbaden 1956, 2201–2303. H. Lück, Gerichtsbücher, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, vol. 2, Berlin 22009, col. 144-150; W. Schultheiß, Über spätmittelalterliche Gerichtsbücher aus Bayern und Franken, in: Festschrift für Hans Liermann zum 70. Geburtstag (Erlanger Forschungen A 16), Erlangen 1964, 265–296; Schlosser, Gerichtsbücher (nt. 8); Blattmann, Protokollführung, in: Esders (ed.), Rechtsverständnis (nt. 6), 152sq.; St. Pätzold, Amtsbücher des Mittelalters. Überlegungen zum Stand ihrer Erforschung, in: Archivalische Zeitschrift 81 (1998), 87–111. A. Bendlage, „Umb friedens willen“ – Obrigkeit und Exekutive in der Reichsstadt Nürnberg im 16. Jahrhundert, in: S. Kesper-Biermann/D. Klippel (eds.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit. Soziale, rechtliche, philosophische und literarische Aspekte (Wolfenbütteler Forschungen 114), Wiesbaden 2007, 57–75; K. Härter, Soziale Disziplinierung durch Strafe? Intentionen frühneuzeitlicher Policeyordnungen und staatliche Sanktionspraxis, in: Zeitschrift für historische Forschung 26 (1999), 365–379; Schuster, Frieden (nt. 7), 312–318; Schwerhoff, Köln (nt. 7), 282; G. Sälter, Lokale Ordnung und soziale Kontrolle in der frühen Neuzeit. Zur außergerichtlichen Konfliktregelung in einem kultur- und sozialhistorischen Kontext, in: Kriminologisches Journal 32 (2000), 19–42. Zum Bestand zuletzt R. Opitz, Kodikologie und Quellenwert der frühen Haderbücher, in: F. J. Felten/H. Müller/R. Schäfer (eds.), Die Ingelheimer Haderbücher. Mittelalterliches Prozessschriftgut und seine Auswertungsmöglichkeiten (Beiträge zur Ingelheimer Geschichte 50), Ingelheim 2010, 29–41; M. Blattmann, Beobachtungen, in: Lepsius/Wetzstein (eds.), Welt (nt. 6), 55–57. Die frühen Haderbücher bis zur Wende des 14. Jahrhunderts werden in einem Forschungsprojekt unter M. Blattmann an der Universität Köln erfaßt. Die Haderbücher des 15. und frühen 16. Jahrhunderts werden am Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz ediert. Jeweils ein Band aus Ober-Ingelheim und aus Nieder-Ingelheim liegen vor: W. Marzi (ed.), Das Ober-Ingelheimer Haderbuch 1476–1485, Alzey 2011; W. Marzi (ed.), Das Nieder-Ingelheimer Haderbuch 1468–1485, Alzey 2012.

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sie auch deshalb, weil Ingelheim keine Stadt war, sondern ein Dorf, das aus drei voneinander unabhängigen Gemeinden bestand 23. Ingelheim war Kern eines kleinen Reichsgutkomplexes, der 1375 an die Pfalzgrafen verpfändet wurde; die Überlieferung der Gerichtsbücher beginnt folglich unmittelbar nach der Verpfändung 24. Sie endet in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts und damit in einer Zeit, in der sich auch das Gericht in Ingelheim wandelte und exklusiver abschloß25. Die Schaffung von Recht durch das Gericht wird in der rechtshistorischen Forschung intensiv diskutiert 26. Martin Pilch definiert aus rechtsphilosophischer und rechtstheoretischer Perspektive das ungelehrte Recht im Mittelalter als das „Wissen der Rechtsgenossen […], deren unmittelbare rechtliche Urteilskraft, die Fähigkeit, einzeln und im Kollektiv in ihrer Lebenswelt Recht von Unrecht konkret unterscheiden zu können“ 27, Jürgen Weitzel bringt es auf die Formel „Gericht = Recht“ 28. Aus historischer Perspektive sei dies ergänzt um einen Ansatz, der im Gericht weniger den Normgeber sieht 29, als nach der Aufgabe des Gerichtes als Organ in der Dorfgemeinschaft fragt. Die rechtsgeschichtliche Forschung hat die doppelte Funktion des Dorfgerichts, Frieden zu sichern und die Ordnung zu wahren, bereits mehrfach herausgehoben, dabei aber stark die Bedeutung der Gerichtsöffentlichkeit und des Rechtsverfahrens betont 30. Das möchte ich ergän23

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R. Schäfer, Ingelheim im Spätmittelalter – eine Gemeinde zwischen Dorf und Stadt, in: W. Marzi/R. Schäfer (eds.), Alltag, Herrschaft, Gesellschaft und Gericht im Spiegel der spätmittelalterlichen Haderbücher. Ein Begleitband zum Editionsprojekt „Ingelheimer Haderbücher“, Alzey 2012, 47–63. W. Reifenberg, Die kurpfälzische Reichspfandschaft Oppenheim, Gau-Odernheim, Ingelheim, Mainz 1968; L. Petry, Der Ingelheimer Grund vom 14. bis zum 18. Jahrhundert, in: F. Lachenal/H. T. Weise (eds.). Ingelheim am Rhein 774–1974. Geschichte und Gegenwart, Ingelheim 1974, 63–76, hier 63–66; Loersch, Oberhof (nt. 9), XLIX–LIII. Loersch, Oberhof (nt. 9), CXXI–CXXV. H. Kalb, im vorliegenden Band. Pilch, Rechtsgewohnheiten (nt. 11), Definition, 29. Weitzel, Dinggenossenschaft (nt. 11), 1474. J. Weitzel, „Relatives Recht“ und „unvollkommene Rechtsgeltung“ im westlichen Mittelalter. Versuch einer vergleichenden Synthese zum „mittelalterlichen Rechtsbegriff, in: A. Cordes/B. Kannowski (eds.), Rechtsbegriffe im Mittelalter (Rechtshistorische Reihe 262), Frankfurt a. M. e. a. 2002, 43–62, hier 58–60. G. Gudian, Zur Funktion des spätmittelalterlichen Ortsgerichts, in: G. Dilcher/B. Diestelkamp (eds.), Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey. Studien zu Grundbegriffen der germanistischen Rechtshistorie. Symposion für Adalbert Erler, Berlin 1986, 33–37. In der Rechtsgeschichte hat sich dieser Ansatz, der an Oberhofprotokollen nicht zu erarbeiten ist (Gudian, Funktion, 33), allerdings nicht durchgesetzt. Pilch konstatiert noch 2010, es sei „eine am Paradigma von Norm, Regel und Geltung sowie allerlei Derivaten ausgerichtete Begrifflichkeit nach wie vor in rechtshistorischen Arbeiten dominierend – gerade auch in Bezug auf die Rechtsgewohnheiten“; Pilch, Rechtsgewohnheiten (nt. 11), 24–30, Zitat, 27. Die historische Forschung sieht vor allem in der Identitätsstiftung und Disziplinierung zentrale Funktionen des Gerichts; S. Burghartz, Disziplinierung oder Konfliktregelung? Zur Funktion städtischer Gerichte im Spätmittelalter. Das Züricher Ratsgericht, in: Zeitschrift für Historische Forschung 16 (1989), 385–408; C. A. Hoffmann, Strukturen und Quellen des Augsburger reichsstädtischen Strafgerichtswesens in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben 88 (1995), 57–108;

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zen um die Beobachtung, daß das Gericht beides oft vermied – Öffentlichkeit wie Verfahren. Es ging zumindest dem Ingelheimer Dorfgericht weniger darum, Recht zu setzen und Rechtsgrundsätze durchzusetzen, als vielmehr den Frieden im Dorf zu erhalten bzw. wiederherzustellen – teils durch bewußte Verschleppung der Urteilsfällung. Um dieser These nachzugehen sei zuerst auf das Gericht eingegangen, um aufzuzeigen, wer hier Recht sprach (I.). Danach soll gezeigt werden, daß das primäre Ziel des Gerichts eben nicht war, Entscheidungen zu fällen und Recht zu sprechen, sondern den Frieden im Dorf zu wahren; das Gericht vertagt folglich bewußt Entscheidungen (II.). Darauf wird die Rechtssprache genauer in den Blick genommen, um zu fragen, was in den Quellen denn als Recht bezeichnet wird (III.), bevor abschließend nach Rechtsgrundsätzen zu fragen ist, die hinter der Rechtsprechung des Gerichts stehen (IV.). I. Das Ing elheimer Gericht Das Gericht zu Ingelheim bestand aus 14 Schöffen unter Vorsitz des Schultheißen, der im hier behandelten Zeitraum aber stets ebenfalls Schöffe war 31. Das Kolleg ergänzte sich durch Kooptation und die Schöffen agierten in der Regel auf Lebenszeit. Die Schöffen kamen anteilig aus den drei Gemeinden Ober- und Nieder-Ingelheim sowie Groß-Winternheim32. Das Ortsgericht tagte in allen drei Gemeinden, bis zu dreimal die Woche in Ober-Ingelheim sowie ebenfalls in Nieder-Ingelheim, einmal in Groß-Winternheim33. Diese dichte Frequenz wurde

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cf. nt. 7, 21. Anders A. Blauert für Freiberg, der die Verwendung verschiedener Verfahrensformen in Hochgerichtsfällen als „Strategie einer städtischen Politik […], deren alles beherrschendes Ziel die Wahrung bzw. Wiederherstellung des städtischen Friedens darstellte“ interpretiert; A. Blauert, Sühnen und Strafen im sächsischen Freiberg vom 15. bis 17. Jahrhundert, in: R. Schlögl (ed.), Interaktion und Herrschaft: die Politik der frühneuzeitlichen Stadt, Konstanz 2004, 163–179, Zitat 179. Diese scheint auch in Ingelheim so, das Gericht als Disziplinierungsorgan lässt sich nicht fassen. Zur Friedensfunktion des Ingelheimer Gerichts: R. Schäfer, Frieden durch Recht. Zur Funktion des Dorfgerichts in der Gemeinde, in: Andermann/Auge (eds.), Dorf (nt. 16), 65–85; R. Schäfer, Frieden und Ruhe im Ort. Zur Funktion des Gerichts in der Gemeinde, in: W. Marzi/R. Schäfer, Alltag (nt. 23), 81–96. Die Modalitäten der Schultheißeneinsetzung im Spätmittelalter – vor dem Abschluß der Ingelheimer Schöffen zu einem rein adeligen Gremium im 16. Jahrhundert und der neuen Einsetzung eines Oberschultheißen für die drei Gemeinden – werden aus den Quellen nicht deutlich, auch wenn der Eid bekannt ist; Loersch, Oberhof (nt. 9), XCIX. Die Schultheißen amtierten in der Regel offenbar auch über einen längeren Zeitraum. Das Schultheißenamt verlangte allerdings die Präsenz vor Ort, so daß es durchaus zu Unterbrechungen kam. So war Philipp Buser 1476 bis 1481 Schultheiß in Ober-Ingelheim, von 1481 bis 1484 Adam Wolff von Sponheim, ab 1484 dann wieder Philipp Buser; R. Schäfer, Das soziale Gefüge im Ort Ober-Ingelheim, in: Marzi/ Schäfer (eds.), Alltag (nt. 23), 65–80, hier 67. Im gleichen Zeitraum amtierte Emerich von Engelstadt als Schultheiß in Nieder-Ingelheim; Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1). Loersch, Oberhof (nt. 9), XC–XCIX. Blattmann, Beobachtungen, in: Lepsius/Wetzstein (eds.), Welt (nt. 6), 53; Loersch, Oberhof (nt. 9), XCIX–CII.

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zumindest in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eher selten eingehalten. Doch trat auch dann in Nieder-Ingelheim mindestens alle zwei Wochen, in OberIngelheim mindestens wöchentlich das Gericht zusammen. Fand kein Gerichtstag in der Woche statt, liefen die Parteien zum Teil zum Nachbarort, um dort das Gericht aufzusuchen34 oder – falls es auch dort nicht (mehr) tagte und Fristen zu verstreichen drohten – versuchten einzelne Schöffen anzutreffen35. Für jeden Ort wurde auch ein eigenes Gerichtsbuch geführt. Die Fälle überschnitten sich allerdings zum Teil; Ober-Ingelheim zeigt sich zudem als Hauptort. Die meisten Schöffen, aber nicht alle, waren adelig – im späten 15. Jahrhundert lassen sich elf Adelige und drei Nicht-Adelige greifen36. Diese hatten zum Teil ihren Hauptwohnsitz in den Ingelheimer Gemeinden, zum Teil aber auch auf der anderen Rheinseite, im Rheingau 37. Schon dies legt nahe, daß das Gericht relativ selten vollständig versammelt war. Diese Vollversammlungen werden in den Gerichtsbüchern nicht besonders herausgehoben – man erkennt sie nur an der Fülle von Urteilen, die dann gefällt werden und meist mit einem sententia-Kürzel in den Randbemerkungen deutlich gemacht werden38. Während sich bei Oberhofsitzungen öfter Präsenzlisten finden, wird in ortsgerichtlichen Streitigkeiten nicht vermerkt, wer aus dem Kreis der Schöffen anwesend ist, dies läßt sich nur in einigen 34

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Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 5 (cf. fol. 55v): „Da habe er sins tages hie gewart vnd sij broist an dem gerichte gewest. Da sij er gein Jngelnh(eim) gangen vnd habe das rechte da gesucht.“ Ibid., fol. 7: „[…] da sij broist an deme gericht gewest. Vnd sin gein Jngeln(n)heim gewist vnd sin vor hern Hanssen ko(m)men.“ 1459 wird in einem Fall des Oberhofs das Schöffenkolleg vollständig genannt: die Adeligen Herr Heinrich Wolff (von Sponheim), Herr Hans von Ingelheim, Karl Buser, Wilhelm von Ingelheim, Philipp Flach (von Schwartzenberg), Heinrich von Wingarten, Emerich von Ockenheim, Heinrich von Stege, Philipp Buser und die Nicht-Adeligen Henne Keie, Clese Raup und Endris Bart; Loersch, Oberhof (nt. 9), 456. Die Titulierung als Herr findet sich nur bei den beiden besonders geachteten Heinrich Wolff und Hans von Ingelheim, die in den Haderbüchern ebenfalls mit Herr bezeichnet werden, ohne daß dies einen Freiherrenstatus bedeuten würde. Die anderen Mitglieder dieser niederadeligen und sehr reichen Familien werden oft als Junker bezeichnet, wobei der adelige Status in den Haderbüchern nicht immer explizit hervorgehoben wird, auch wenn er unzweifelhaft ist. Die Listung erfolgte nach Rang und Alter, der Schultheiß ist nicht hervorgehoben. Knapp zwanzig Jahre später finden sich in den Haderbüchern noch mehr als die Hälfte der Genannten als Schöffen; für die verstorbenen Heinrich Wolff, Hans von Ingelheim und Wilhelm von Ingelheim waren Verwandte in den Kreis kooptiert worden: Adam Wolff von Sponheim und die Brüder Heinrich und Hans Wolff von Sponheim, die Verwandte, aber keine Söhne von Hans waren. Wilhelm von Ockenheim hatte ebenfalls keine Söhne; Schäfer, Gefüge, in: Marzi/Schäfer (eds.), Alltag (nt. 23), 66–69. Loersch, Oberhof (nt. 9), 528 sq. bringt zudem ein zeitgenössisches Verzeichnis der neugewählten und der verstorbenen Schöffen von 1451–1514 aus dem heute ebenfalls verbrannten Kopiar. Eine alphabetische Liste von Schultheißen und Schöffen findet sich bei Loersch, Oberhof (nt. 9), CXXXIV–CXL. Allerdings weist sie gerade für die hier behandelte zweite Hälfe des 15. Jahrhunderts Lücken auf, da die Haderbücher vor Loersch versteckt wurden, um sie der Überführung in das Staatsarchiv Darmstadt zu entziehen. H. Loersch, Eine Bittschrift aus dem Ingelheimer Reich (1483), in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, N.F. 3 (1888), 377–379. E. g. 17. März 1469 in Nieder-Ingelheim; Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 36v–39*r/v.

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Fällen indirekt erschließen39. Meist tagte ein Ausschuß, der als vollfähiges Gericht handeln konnte, falls die Parteien damit einverstanden waren. Bestand aber eine Partei auf dem Vollgericht, also dem Entscheid ad socios, wurde die Verhandlung entsprechend vertagt 40. Das Gericht fällte seine Entscheidungen als Mehrheitsentscheidungen, auch in Fällen, in denen einzelne Schöffen beklagt waren – und entsprechend auch gegen sie entschieden wurde41. Die adeligen Schöffen waren vielfältig vernetzt, teil Lehensmänner des Pfalzgrafen, des Mainzer Erzbischofs und von Grafenfamilien. Sie hatten ebenfalls Reichslehen und auch Ämter inne, mehrere übten das Reichsschultheißenamt in Oppenheim aus. Sie besaßen Burgenanteile an der Nahe und im Rheingau ebenso wie umfangreichen Landbesitz im Ingelheimer Grund 42. Sie verfügten folglich in der Regel über umfassende Verwaltungserfahrung und sicher über eine gewisse Bildung, aber wohl kein Studium. Immerhin ein Teil konnte Latein, wie sich zeigt, als die Schöffen bei der Vorlage einer Urkunde um Aufschub baten, bis diejenigen Schöffen, die Latein könnten, dabei seien43. Zum Gericht gehörte weiter der Gerichtsschreiber, der die Protokollbücher – je eines für den jeweiligen Gerichtsort – sowie das Ufgiftbuch, das Güterübertragungen verzeichnete, führte. Er war über Jahre fest angestellt am Gericht und wirkte meist zuvor bereits als Schreiber. Es finden sich unter den Schreibern ehemalige Hilfsschreiber der Städte Mainz und Frankfurt, ein Stadtschreiber von Worms, ein Sekretär des Grafen von Leiningen und auch ein Notar, die also des Lateinischen mächtig waren und zudem zumindest Grundkenntnisse im römischen Recht hatten44. Daß der Schreiber einen großen Einfluß auf die Formulierung der Protokolle hatte und sich diese nicht als wörtliche Mitschriften

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Die Oberhofsprotokolle sind, abgesehen von dem heute in London liegenden und von Erler gekürzt und in modernisierter Schreibweise edierten Band von 1398–1430, verbrannt; Erler, Urteile (nt. 9). Loersch bringt Fallbeispiele, die zum Teil die Schöffen nennen, zuletzt für das Jahr 1459; Loersch, Oberhof (nt. 9), Nr. 402, 455 sq. In den Haderbüchern werden die Schöffen nur dann erwähnt, wenn sie als Partei vor Gericht erscheinen müssen. Da dies aber recht häufig der Fall ist und sie fast immer als „vnsser mitscheffen“ tituliert werden (Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 7v), läßt sich das Kolleg in seiner Mischung aus Adeligen und Nicht-Adeligen auch im Spätmittelalter weiter verfolgen. Ibid., fol. 22v-23. Cf. Loersch, Oberhof (nt. 9), CIII–CIV nt. 2. So im Falle des nichtadeligen Schöffen Antz Drapp. Er erklärte daraufhin am 9. Mai 1483 nach Heidelberg zu appellieren. Die Appellation zog er am 19. Juli 1484 zurück und einigte sich mit seinem Gegner, dem er alle Kosten erstattete; Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 258, 278. Loersch, Oberhof (nt. 9), CXXXIV–CXL; Schäfer, Gefüge, in: Marzi/Schäfer (eds.), Alltag (nt. 23), 66sq. Im Fall Conrad Crasse gegen Karl Meczler: „Also hait er off hude eyn konde zu latin gemacht zu geigen ghabt vnd dem gericht anbracht(en). Dar off das gericht(en) die die zijt zu /geigen gewesten eyne(n) off schoppe bijß off yre gesellen geno(m)men die obgemelt(en) latins konde off Ducze abe zu schreiben laißen dar ynne fur(er) zu handeln und thun soujl als recht ist“; Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 200r–v. Zu den Schreibern Loersch, Oberhof (nt. 9), CXIV–CXXI; H. Schwitzgebel, Kanzleisprache und Mundart in Ingelheim im ausgehenden Mittelalter. Mainz 1957, 13-23; Erler, Urteile (nt. 9), vol. 1, 17–22.

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lesen lassen, bezeugen bereits zahlreiche Formeln, welche er verwendete. Daneben gab es am Gericht die örtlichen Heimberger oder Heimbürgen von Oberund Nieder-Ingelheim, die auch als Büttel bzw. Gerichtsknechte tätig waren45. Der Büttel handelte auf Anweisung des Schultheißen und sprach Vorladungen aus und nahm Pfändungen und Arrestierungen in dessen Auftrag vor. Ebenso konnte er aber vom Schultheißen als gerichtlicher Zeuge in einem Gerichtsgeschäft gefordert werden und begleitete dann zum Beispiel zu einer Zinszahlung nach Mainz46. In ihrer Anbindung an das Gericht nur schwer zu erfassen und für ein ländliches Gericht bisher so unbekannt sind die Fürsprecher. Am Gericht tätig waren zeitgleich bis zu vier zumindest semiprofessionelle „Anwälte“, die für die Parteien die Verhandlungsführung ebenso übernahmen wie sie den Eid abnahmen47. Das Vertragsverhältnis zwischen Fürsprecher und ihren Mandanten, die meist als Hauptleute bezeichnet werden, mußte dabei zu Beginn jeder Verhandlung erneuert werden48. Die Fürsprecher konnten aber noch unmittelbar vor der eigentlichen Verhandlung und dem Verdingen ausgewechselt werden49. Sie waren während der gesamten Verhandlungsführung anwesend, mußten aber während der Beratung der Schöffen den Raum mit ihren Mandanten verlassen50. In strittigen Rechtsfällen standen sich oft zwei Anwälte gegenüber 51, Kläger und Beklagte waren persönlich vor Gericht anwesend52. Es bestand kein Fürsprecherzwang, 45

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Loersch, Oberhof (nt. 9), CII. Die bis zu vier Amtleute in Mühlhausen waren ebenfalls teils als Fürsprecher tätig, teils aber als Büttel; Stange, Aufzeichnungen (nt. 8), 41–44. In Ingelheim sind Heimbürgen/Büttel und Fürsprecher verschiedene Personen, Gerichtsknecht und Büttel aber sind die gleiche Person, wie auch explizit vermerkt wird, Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 3. Ibid., fol. 3v–4. Zu den Bütteln B. Kruger-Richter, Zwischen Dorf und Gericht. Tätigkeitsbereiche, Amtspraxis und soziale Stellung des Gerichtsdieners in einer ländlich-lokalen Gesellschaft der frühen Neuzeit, in: A. Holenstein (e. a.) (ed.), Policey in lokalen Räumen. Ordnungskräfte und Sicherheitspersonal in Gemeinden und Territorien vom Spätmittelalter bis zum frühen 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2002, 169–197. 1468 waren Henne von Eltville, Henne Erke, Hans Snider und Drubein als Fürsprecher am Gericht in Nieder-Ingelheim tätig; Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 5v, 16v–17, 18v. Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 172v, 165v; cf. A. Krey/R. Schäfer, Rechtsformen in der Ingelheimer Rechtslandschaft, in: Inszenierungen des Rechts. Law on Stage (Jahrbuch Junge Rechtsgeschichte 2010), 199–216; cf. P. Oestmann, Fürsprecher, in: Handwörterbuch für Rechtsgeschichte, vol 2, Berlin 22012, col. 1883–1887; A. Cordes, G. Buchda, Anwalt, in: Handwörterbuch für Rechtsgeschichte, vol. 1, Berlin 22008, col. 256. Auch in Babenhausen gab es Fürsprecher, bei denen es sich aber anders als in Ingelheim meist um Schöffen handelt; Cirullies, Rechtsterminologie (nt. 8), 17. In Mühlhausen im Elsaß übernahmen die Büttel die Funktion mit; Stange, Aufzeichnungen (nt. 8), 41–44. Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 5v: „Als sich Henne von Eltuil verdingt hatte Heinrichen sin wort zu thun da Heinrich Henne(n) widder ruffen vnd hait sich Henne Erke nu verdingt Heinriche(n) sin wort zu thun vnd hat sin vnderding verbot als recht ist.“ So der Schöffenbeschluß aus dem Ober-Ingelheimer Haderbuch von 1440–1446, abgedruckt bei Loersch, Oberhof (nt. 9), Beilage 4, 494. Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 16v–17, Henne von Eltville als Anwalt von Gonter dem Zimmermann steht Hans Snider gegenüber, der Heinrich den Schneider vertritt. Der Schöffe Philipp Hirt machte am 29. Juli 1477 nach der Aussage seines Vertreters noch eine gerichtskundige Bemerkung; Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 38.

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vielmehr ließen sich einzelne Parteien mal vertreten, mal redeten sie selbst 53. Auch Schöffen, die zweifellos rechtskundig und verhandlungsgeübt waren, hatten zum Teil Fürsprecher. Man war folglich nicht nur an deren Rechtskenntnis sondern zudem an ihrem Verhandlungsgeschick interessiert54. Wie weit dies ging, bezeugt die empörte Klage eines Mannes, der dem Anwalt Rüdiger Geld gezahlt hatte, damit er nicht vor Gericht gegen ihn tätig werde und darauf empört verweist, als sie dann doch vor Gericht aufeinander trafen55. Die Fülle der Eintragungen – pro Jahr und Ort sind es mehrere Hundert – betreffen ausstehende Zahlungen. Hier erfolgte entweder ein Schuldeingeständnis vor Gericht oder die Gläubiger wurden in einem Heischungsverfahren belangt; nach der vierten Heischung erfolgte die Übergabe von Pfändern oder die Einsetzung in das eingeklagte Gut56; es sei denn, der Beklagte stellte seinen Leib vor sein Gut, stoppte damit das Verfahren und die Parteien verhandelten ihren Streit dann vor Gericht 57. Ein einfaches Heischungsverfahren konnte folglich zu einem strittigen Verfahren werden. Die strittigen Verfahren – grob überschlagen rund ein Zehntel der Eintragungen – decken inhaltlich die gesamte Bandbreite der grundherrlichen und vogteilichen Gerichtsbarkeit ab58. Sie spiegeln somit die möglichen Streitigkeiten in einer Dorfgemeinde. Es ging um Schulden und Ansprüche aller Art – nicht oder nur zum Teil bezahlte Zinsen und Gülten59, Produkte und Dienstleistungen60, bis hin zu Mahlzeiten61 und der Aufteilung der

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So auch in Mühlhausen im Elsaß. Stange, Aufzeichnungen (nt. 8), 43 zitiert einen Protokolleintrag „wer in gerichte redet ane sinen fursprecher unerloubet bessert 1s.“. In der Folge findet er die Fürsprecher dann aber eher selten vor Gericht und kommt zum Ergebnis, daß die Parteien die Fürsprecher nutzen konnten, nicht aber mußten; ibid. Die rechtshistorische Literatur betont oft, ein „Vorsprech“ sei notwendig gewesen aufgrund „der Gefahr, bei geringfügigsten Formverstößen wie Versprechen, Räuspern usw., sein Recht zu verlieren oder zumindest prozessuale Nachteile zu erleiden“; Tschepe, Gerichtsverfassung (nt. 8), 33. Es findet sich für einen solchen Formalismus zumindest in Ingelheimer Gerichtsbüchern keinen Beweis. Oberingelheimer Haderbuch fol. 224; cf. Krey/Schäfer (nt. 48); Schäfer, Frieden und Ruhe, in: Andermann/Auge (eds.), Dorf (nt. 16), 84 sq. E.g. Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 58v: „Jt(em) Hen(ne) Henckmantel dut 1 h vor VII1/2 ß gelts off schrybers Clasma(n)scholn zu Esenhey(m) und Cleßgin Rompe von Winhey(m) vnd off alles das der schryber gelaßen hait. Jt(em) Cleßgin Kremer hait erk(annt) Niclas Wenern von Sassenhuse(n) 1/2 gulde(n) zu gebe(e)n jn XIIII tage(n). Si no(n) p[ande] erf(olgt).“ Cf. Schäfer, Frieden und Ruhe, in: Andermann/Auge (eds.), Dorf (nt. 16), 89sq.; A. Krey, Rechtsbräuche am Ingelheimer Gericht, in: Marzi/Schäfer (eds.), Alltag (nt. 23), 97–108. Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 54. Cf. Krey, Rechtsbräuche, in: Marzi/Schäfer (eds.), Alltag (nt. 23), 104–106. Zu den strittigen Verfahren Schäfer, Frieden und Ruhe, in: Andermann/Auge (eds.), Dorf (nt. 16), 90–94. Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 13v, 17v, 55, 55v. Leinentücher; ibid., fol. 9; Schuhe, ibid. fol. 222v; Behandlung durch den heilkundigen Juden Ysaack; ibid. fol. 9v–10. Ibid., fol. 13v, 17, 33v.

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Ernte von drei Apfelbäumen62 – oder verschiedene Schadensansprüche: Tiere wurden getötet oder verletzt, rissen aus und verwüsteten dabei Nachbars Garten63. Man stritt um eigenmächtige Umbauten ohne Wissen des Vermieters oder die kaputten Regenrinne am Haus, über die sich der Nachbar ärgerte64, ebenso über falsch ausgeführte Reparaturen oder Pfusch am Bau65. Und es kam im Dorf zu einer großen Bandbreite von Beleidigungen – im Regelfall unter Alkoholkonsum geäußert – und tätlichen Übergriffen bis hin zu versuchtem Mord66. Eine ganze Reihe von Fällen ergaben sich aus Besitz- und Erbstreitigkeiten zwischen Verwandten, die sich in der Regel lange hinzogen und schwer beizulegen waren67. Ein spektakulärer Fall, ein Hausfriedensbruch mit schwerem Diebstahl wird angezeigt – also ein todeswürdiges Verbrechen – erweist sich als eine Art Erbschaftsbereinigung durch den Schwager68. Die Delikte spiegeln folglich den Alltag der Streitigkeiten in den Ortschaften. Aufgrund des großen Kreises von Kläger und Beklagten – vom Lehrknaben und der Bademagd bis zu den sehr reichen adeligen Familien – sowie der Fülle der Eintragungen, kann man zudem schließen, daß weitgehend alle Streitigkeiten in der Dorfgemeinschaft vor das Gericht getragen wurden69. Lediglich Streitigkeiten innerhalb der engeren Hausgemeinschaft finden sich kaum im Haderbuch, zum einen wohl weil die Familie der Hausherrschaft des Mannes unterstand und zum anderen weil Sittlichkeitsdelikte im Spätmittelalter eher nicht angezeigt wurden; ob es ein Sendgericht in Ingelheim gab, bleibt unklar 70. 62 63

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Ibid., fol. 216v–217. Weggelaufene Kühe, da das Tor nicht verschlossen war; ibid., fol. 143. Ein Pferd hatte beim Nachbarn Heu zerstört, andere Pferde Korn; ibid., fol. 33, 155. Ein Pferd hatte ein anderes totgebissen; ibid., fol. 228. Klage des Vermieters über ein ausgebautes Tor; ibid., fol. 182. Der Streit um die Regenrinne im Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 77v. Ein Klöppel in der Glocke von Winternheim war zwar repariert worden, doch hatte die Glocke nun keinen schönen Klang mehr; Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 166v; cf. A. Krey, Fallbeispiele aus den Bereichen des Sachenrechts, Erbrechts und der Streitigkeiten mit Handwerkern, in: Marzi/Schäfer (eds.), Alltag (nt. 23), 127–136, hier 134 sq. In einem anderen Fall hatte sich eine Mauer gedreht. Der Maurer leugnete den Schaden auch nicht, argumentierte aber, die Leistung sei unmittelbar nach Fertigstellung abgenommen worden; Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 12r–v. In einem weiteren Fall ging es um Fenster, die nicht so gemacht worden seien, wie abgesprochen; ibid., fol. 55. Beleidigung im Wirtshaus; ibid., fol. 16v–17. Beleidigungen vor der Haustür; ibid., fol. 5, 143 (mit Ausspucken), 40 (mit Bedrohung durch ein Messer). Beleidigung vor Gericht; Haderbuch OberIngelheim (nt. 22), fol 168r–v. Beleidigung eines Schöffen durch den Bürgermeister auf dem Schöffenhaus; Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 65v. Schlägerei; Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 12, 221v–222. Gewalttätige Auseinandersetzungen mit Waffen; ibid., fol. 145r–v (Steine, Schwert); Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 15, 21, 26v, 30v, 54, 56v, 61, 62r–63r (Degen, Mordanklage). Krey, Fallbeispiele, in: Marzi/Schäfer (eds.), Alltag (nt. 23), 129–134. Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 70v–71v, 147v. Hierzu Schäfer, Gefüge, in: Marzi/Schäfer (eds.), Alltag (nt. 23). Das Hadergericht entschied vereinzelt in häuslichen Streitigkeiten. So bestätigte es das Recht des Mannes, seine Ehefrau schlagen zu dürfen in einem Urteil vom 14. Februar 1413; abgedruckt bei

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II. Die Funktion des Gerichts für die Dorfg emeinde Für die städtische Gerichtsbarkeit wurde die Schärfe des Rechtsspruches betont und ihr der Gnadenerweis als komplementär gegenüber gestellt. Zudem wurde von der Forschung herausgearbeitet, wie unterschiedlich soziale Gruppen in der Stadtgemeinde sowie Fremde auch vor Gericht behandelt wurden71. All dies läßt sich so, zumindest für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts, in Ingelheim nicht nachvollziehen. Die Haderbücher enthalten nur wenige Endurteile des Schöffen-Vollgerichts. Dies liegt nicht daran, daß es vielleicht ein eigenes Urteilsbuch gegeben hätte. Vielmehr fällten die Schöffen – ganz anders als in den Oberhofsachen, wo sie ja von auswärtigen Gerichten angerufen wurden – in Streitsachen der Einwohner des Ingelheimer Grundes selten Urteile. Die meisten strittigen Fälle konnten wohl außergerichtlich geregelt werden. Gerade dann, wenn das Gericht die Fristen deutlich über die üblichen zwei Wochen hinaus verlängerte, läßt sich vermuten, daß man den Parteien die Chance geben wollte, sich außergerichtlich zu einigen. Deshalb werden Gerichtstermine oft verschoben, explizit mit der Auflage, zwischenzeitlich eine Einigung zu versuchen: „Werdent sie da thuschen nit vereynyget, so sullent sie her widder kom(m)en.“ 72. Diese Einigung konnte sehr schnell erfolgen – bereits zum Abschluß der ersten Frist von 14 Tagen, in welcher die Unschuld beider galt – oder

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A. Saalwächer, Das Recht des Ingelheimer Oberhofs, Frankfurt a. M. 1934, 155 aus dem Haderbuch Ober-Ingelheim 1398–1413 fol. 302v. Explizite Belege für ein Sendgericht gibt es nicht. Zur Verschärfung des Normenkatalogs Behrisch, Gerichtsnutzung (nt. 7), 228–230; A. Johann, Kontrolle mit Konsens. Sozialdisziplinierung in der Reichsstadt Frankfurt am Main im 16. Jahrhundert (Studien zur Frankfurter Geschichte 46), Frankfurt a. M. 2001. In den Haderbüchern finden sich aber eine Reihe indirekter Hinweise, daß das Gericht auch einen Blick hierfür hatte, e. g. wenn für einen Mann, der offenbar gewalttätige Anfälle hatte, ein Vormund eingesetzt wurde oder wenn das Gericht zugunsten von Lehrjungen eingriff; Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 38v–39, 135. Ein Neuaufkommen von Sittlichkeitsdelikten erst in der frühen Neuzeit findet auch Schirmer für das Amt Grimma; U. Schirmer, Das Amt Grimma 1485 bis 1548. Demographische, wirtschaftliche und soziale Verhältnisse in einem kursächsischen Amt am Ende des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit, Beucha 1996, 234–237. Auch das Niersteiner Gericht des 17. Jahrhunderts kannte Delikte wie Ehebruch, Bigamie, Kuppelei, Frauentausch, Zauberei, Beleidigung des Pfarrers e. a., die sich so im mittelalterlichen Ingelheim nicht finden; cf. Riedel/ Schmitt (nt. 19). Anders als ein Sendgericht ist in Ingelheim ein Rügegericht sicher bezeugt, das sich aber weitgehend mit Allmendsachen beschäftigte. Die Aufzeichnungen sind verloren, Auszüge aus einem Haderbuch finden sich bei Loersch, Oberhof (nt. 9), LXXXIII nt. Die Ordnung findet sich bei Loersch, Oberhof (nt. 9), 505 sq. Beilage 24. A. Bauer, Gnade, in: Handwörterbuch zur Rechtsgeschichte, vol 2, Berlin 22012, col. 424–430; Blauert, Sühnen (nt. 30), 163–179; F.-J. Arlinghaus, Gnade und Verfahren. Kommunikationsmodi in spätmittelalterlichen Stadtgerichten, in: Schlögel (ed.), Interaktion (nt. 30), 137–162. So auch in problematischeren Fällen, e.g. einem Beleidigungsfall, welcher vom Schultheißen für den Pfalzgrafen und das Gericht festgehalten werden mußte; Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 5. Ein anderer Fall um Erbanteile wurde vertagt, noch bevor der Kläger überhaupt auf die Anklage antworten konnte: „Jst gelengt XIIII tage. Obe sie nit eynß word(e)n so sal Noiß off die ansprach antworte(n).“; ibid., fol. 14v.

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aber sich Jahre hinziehen73. Besonders eklatant – aber durchaus nicht nur – zeigt sich dies bei den Prozessen von Adeligen gegeneinander, beispielsweise in einem Fall zwischen Anthis Wolff von Lahnstein, Einwohner in Nieder-Ingelheim und seinem Schwiegervater Hermann Stock. Beide waren keine Schöffen in Ingelheim. Bei dem Streit ging es um nicht-gezahltes Heiratsgut. Anthis Wolff, der offenbar die Widerlage für seine Braut nicht zahlen konnte oder wollte, reagierte mit einer Gegenklage. Eigentlich wäre ein solcher Fall durch die Einsetzung in das Gut nach dreimaliger Klage und innerhalb von 8 Wochen entschieden worden, wobei für die Beweisaufnahme dreimal 14 Tage Verlängerung beantragt werden konnten. Tatsächlich zog sich der Prozeß mehr als drei Jahre hin. Der Schwiegervater sollte den Ausgang des Streits nicht mehr erleben, seine Erben einigten sich schließlich wohl mit Anthis Wolff von Lahnstein74. Auch wenn außergerichtliche Verfahren nicht am Gericht entschieden wurden, finden sich immer wieder Spuren, die vermuten lassen, daß Schöffen auch an den Schiedsverfahren auf Wunsch einer Partei beteiligt sein konnten75. Meist geschah der Vergleich durch ein Fünfer-Gremium. Jede Seite stellte zwei Mann; dem fünften Mann mußten beide Parteien zustimmen. Dieser Obmann wurde auch nur dann bestimmt, falls eine Einigung zwischen den verfeindeten Parteien besonders schwierig schien, was allerdings in Schiedsverfahren oft der Fall war. Gerade um den Obmann kam es immer wieder zu Streitigkeiten. Ebenso finden sich aber auch Zweier- oder Vierer-Gruppen als Schlichtungsgruppen. Die Entscheidung

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Am 19. August 1468 wurde der Streitfall Gonter, Zimmermann gegen Heinrich, Schneider wegen Beleidigung („ […] gehent her uß ir fremden lecker yr diebe vnd ir schelke […]“), Bedrohung (durch einen Spieß, den Heinrich von zu Hause holen mußte) und tätlichem Angriff (Gonter hatte Heinrich gewürgt) verhandelt, bei der der Zimmermann seinen Schaden auf die Höchstsumme von 1000 Gulden bemaß und auch der gewürgte Beklagte sich sehr unwillig zeigte; ibid., fol. 16v–17. Bereits bei der nächsten Sitzung des Gerichts am 2. September wird vermerkt „Jt(em) zuschen Gontern dem zy(m)merma(n) vnd Hey(n)rich de(m) snyder sal nit widder an gerichte ko(m)men. Das hait der scholteß als von des gerichteß wegen verbot.“; ibid. fol. 17v. Die Parteien hatten sich folglich geeinigt. Der Streit Johann der Pollerer gegen Hans von Isenach wegen versuchtem Totschlag durch einen Degenstich wurde vom 1. März 1477 bis zum 31. März 1477 immer wieder vor Gericht verhandelt/vertagt und schließlich ebenfalls außergerichtlich entschieden; cf. Schäfer, Frieden und Ruhe, in: Marzi/Schäfer) (eds.), Alltag (nt. 23), 94. Zum Unschuldseid S. Menke, Eid und Gerichtspraxis – Beobachtungen zur Verwendung von Unschuldseiden in der Praxis des Ingelheimer Niedergerichts im 15. Jahrhundert, in: Marzi/Schäfer (eds.), Alltag (nt. 23), 109–125. Am 5. Mai 1481 entschuldigte sich Hermann Stock wegen Krankheit und der Termin wurde erstmals verschoben. Es finden Gerichtssitzungen mit Aussagen und zahlreiche Verschiebungen statt, bis die Sitzung am 12. März 1484 auf den 19. April 1484 verschoben wurde. Das Blatt fehlt im Haderbuch. Im November 1484 ist Hermann Stock bereits verstorben; cf. Krey, Fallbeispiele, in: Marzi/Schäfer (eds.), Alltag (nt. 23), 129–134. E. g. Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 8 „[…] Daruff spricht Clasema(n) iß habe sich begeben das er vnd sin swager Cleschin zu Winheim haben ey(n) gespenne mit eyn gehabt vnd sij dryn geret worden das sie sulden jre frunde dar zu geben. Also habe er Do(m)mus und Heinrich Buser vnsern mitscheffen dar zugeben […]“.

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der Schiedsmänner war bindend 76. Das Vermittlungsverfahren funktionierte meist erstaunlich gut, wie man an der Fülle von Angelegenheiten sieht, welche aus dem Gerichtsbuch spurlos verschwinden. Die gütlichen Einigungen finden zwangsläufig nur selten ihren Niederschlag im Gerichtsbuch, zum Beispiel wenn es einer Partei notwendig schien, den ausgehandelten Vergleich auch schriftlich festhalten zu lassen77. Vor allem aber werden sie erwähnt, wenn auch die schiedsgerichtliche Lösung nicht gelang oder aber ein Ausgleich in der Hauptsache zwar glückte, aber es zu Folgeklagen kam – wegen des versuchten Totschlags war man verglichen, aber man stritt sich noch um die Arztkosten oder die Dienstleistungen waren bezahlt, doch ein Paar Schuhe war noch strittig78. Die zögerliche Entscheidungsfindung, häufige Vertagungen und Verschleppungen sind folglich nicht in einem Unvermögen der Schöffen begründet, sondern vom Gerichtszweck her zu interpretieren. Selbstgestellte Aufgabe des Gerichts war es nicht in erster Linie, Entscheidungen zu treffen. Es hielt eher das Gespräch der Parteien vor Gericht in Gang, vertagte Verhandlungen und verlängerte Beweisaufnahmen, verwies öfter auch direkt an Schiedskommissionen und regulierte insgesamt die Auseinandersetzung zwischen den Parteien. Dies gilt, obwohl es eine Fülle von Formen zur Beweissicherung gab: von der Zeugenbefragung, der Besehung durch das Gericht, der Vorlage von Urkunden und unbesiegelten „schlechten“ Zetteln bis hin zum Unschuldseid 79. Eine Gerichtsverhandlung war öfter ein Zwischenschritt im Ausgleich zwischen den Parteien,

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Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 36v: „Jt(em) zusch(en) Henne Buß(er) von Hilberßhey(m) und Enderß(e)n von Swabenhey(m) sall nit widd(er) an gericht kom(m)men. Und was sie bijß of diesen tag myt eyne zu thun gehabt sall yr yglicher syner frunde czene zu geb(e)n und obe die fier nit ober ko(m)men sollen sie eyne(n) funfften kiesen und wie sie die fier mytsampt dem funfften entscheid(e)n do sall eß bij blyben. Das hait der scholtes als vo(n) gerichts wegen verbot“; weitere Beispiele Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 61r–v, 194, Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 4v, 18 wo dies als die Zwietracht verlassen beschrieben wird. Zu den Schlichtungsformen cf. Schäfer, Frieden und Ruhe, in: Marzi/Schäfer (eds.), Alltag (nt. 23), 94 sq. Zum schiedsrichterlichen Verfahren U. Kornblum, Zum schiedsrichterlichen Verfahren im späten Mittelalter, in: H.-J. Becker (e. a.) (eds.), Rechtsgeschichte als Kulturgeschichte. Festschrift für A. Erler zum 70. Geburtstag, Aalen 1976, 289–312. Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 4v: „Jtem Cleschin Wober hait irkant das er gutlich verey(n)ynget sij mit hern Mertin zu diesser zijt probest jme Sale waß er mit dem selben hern Mertin vnd mit dem probest h(er)n Johann(n) probest gewest vnd nu zu Beheym ist vmb alle sache waß sie mit ein zu thun gehabt hant mit off diesen hutigen tag. Vnd sal here Mertin geben Cleschin obg(e)n(ann)t(en) ey(n) guld(en) und IIII malt(er) korns. Vnd ist die rachtu(n)ge geschen dorch Peter Rup(p)eln und Drubenn an die dann(n) die obg(e)n(ann)t(en) here Mertin vnd Cleschin ere zweijtracht verlassen hatten. Das hat here Mertin der probest verbot.“ Die Kompromisse, welche die Rachtungsleute festhielten, wurden in einem Fall sogar urkundlich festgehalten und dann vor Gericht verlesen; Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 148v. Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 43, 85. Zum Beispiel in einem Streit um die Abgrenzung von Grundstücken. Hier waren Kohlköpfe im Feld eines Nachbarn eingepflanzt worden; Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 23v–24. Cf. Krey, Rechtsbräuche, in: Marzi/Schäfer (eds.), Alltag (nt. 23); Menke, Eid, in: Marzi/Schäfer (eds.), Alltag (nt. 23).

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nicht deren Ende. Für die großen Städte wurde betont, daß Schlichten und Richten vor Gericht geschah, um die herrschaftliche Funktion des Gerichts zu bestätigen80. Dagegen scheint das Ingelheimer Gericht sich eher zurückgehalten und den Parteien einen Ausgleich ermöglicht zu haben. Ob dieses Gerichtsverhalten der prekären Situation Ingelheims als Pfandschaft und der engen Vernetzung der adeligen Familien untereinander geschuldet ist oder auch der noch stärkeren Verhaftung in mittelalterlichen Traditionen, während die großen Städte weit moderner und straffer organisiert waren, wäre noch zu untersuchen. In jedem Fall lassen sich Parallelen ziehen zu den Beobachtungen, die Bernhard Diestelkamp für das Reichskammergericht gemacht hat, vielleicht auch zu den Fehdeverfahren, in denen der Gerichtsaustrag eine Stufe innerhalb eines Ausgleichsprozesses zwischen den Parteien sein konnte81. III. Recht in der Spr ache des Gerichtsbuchs Wenn die Verhandlung vor Gericht dem Ausgleich diente, wo zeigt sich dann noch Recht? Die Gerichtsprotokolle sind keine wörtliche Mit-Protokollierung sondern nachträglich angefertigte Reinschriften, die durchaus formalisiert und mit Gerichtsfloskeln versehen wurden82. Der Gerichtsschreiber hatte folglich erheblichen Einfluß auf das, was als Rechtssprache vorliegt, auch wenn er bei der Urteilsfindung nicht beteiligt war. In den Protokollen wimmelt es vor Rechtsbekundungen. Diese umfassend zu analysieren liegt sicher eher in der Kompetenz eines Rechtshistorikers; die Bandbreite der Rechtsformeln aufzuzeigen, soll aber bereits hier versucht werden. Am häufigsten wird von Recht gesprochen im Kontext der Verfahrensabläufe vor Gericht: Verlängerungen, um Beweise beizubringen werden, sind zu fordern, wie es Recht ist 83. Auch die Bestellung der Fürsprecher 84 oder das Beibringen von Beweisen mußte erfolgen, wie es Recht ist. Sind die Beweise erbracht und 80

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Zur Verhaltenskontrollfunktion zuletzt Behrisch, Gerichtsnutzung (nt. 7), 222–228. Selbst die Gnadenerweise in dieser Tradition sieht V. Groebner, Der verletzte Körper und die Stadt. Gewalttätigkeit und Gewalt in Nürnberg am Ende des 15. Jahrhunderts, in: Th. Lindenberger/ A. Lüdtke (eds.), Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit, Frankfurt a. M. 1995, 162–189. B. Diestelkamp, Das Reichskammergericht im Rechtsleben des 16. Jahrhunderts, in: Becker (e. a.) (eds.), Rechtsgeschichte (nt. 76), 435–480, hier 474–480; id., Verwissenschaftlichung, Bürokratisierung, Professionalisierung und Verfahrensintensivierung als Merkmale frühneuzeitlicher Rechtsprechung, in: I. Scheurmann (ed.), Frieden durch Recht. Das Reichskammergericht von 1495 bis 1806, Mainz 1994, 165–196, hier 190–196. Cf. Schäfer, Friede durch Recht, in: Andermann/Auge (eds.), Dorf (nt. 16), 66, 70. daß es sich um eine nachträgliche Reinschrift handelt, darauf verweisen auch Irrtümer in der Chronolgie; Opitz, Kodikologie, in: Felten/Müller/Schäfer (eds.), Prozeßschriftgut (nt. 22), 29–41. Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 4: „Dorffent sie dan ir tage vnd heuschent die als recht ist so sal man yne die furt stellen noch zu zwein XIIII dagen.“ Ibid., fol. 5v.

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werden gehört, „waz dan recht sij das geschie“ 85. Pfänder wurden eingezogen und „verbot als recht ist“ beziehungsweise eine Partei hatte ihren Anspruch „herheischen und herwonnen […] wie recht sij“. Und immer wieder wurde den Parteien in den verschiedenen Verfahrensschritten aufgetragen, beim nächsten Gerichtstermin zu fragen, was Recht sei, das geschehe dann. In all diesen Formeln scheint Recht die zeremonielle und institutionalisierte Art der Einsetzung vor Gericht zu benennen, also die Form, in welcher der Rechtsablauf vor Gericht zu erfolgen hat. Erst mit der abgeschlossenen Einsetzung vor Gericht ist eine Besitzübertragung gültig 86. Formfehler passierten und hatten den Verlust einer Klage zur Folge, weil ein Kläger seinen Beweis nicht so erbracht hatte, wie es das Gericht forderte, oder einen Termin verpasst hatte87. Vermerkt das Gerichtsbuch, daß eine Partei „das recht gethan“ habe, so heißt dies faktisch, daß sie einen Eid vor Gericht geleistet hatte. Eine „rechte“ Antwort ist eine Antwort vor Gericht, der Eid schwingt hier aber zumindest mit 88. Auch die Forderung, etwas „myt recht behalten“, was sich wohl als „durch das Recht bestätigen“ übertragen ließe, bedeutete im Rechtsalltag, den eigenen Anspruch durch Eidesleistung zu beweisen89. Dabei erlaubte das Gericht Ausnahmen von dem formalen Verfahren, insbesondere bei der Beeidung. Dies begründete es damit, daß jemand fremd sei oder auch, daß ihm besonders daran liege, weshalb das Verfahren beschleunigt werden könne90. Recht ist das, was vor Gericht geschieht und durch das Gericht geschieht. Stellt ein Beklagter seinen Leib vor sein Gut und bricht damit das Klageverfahren, das ihn enteignet hätte, so läßt das Gericht dies erst zu, nachdem er sich bereit erklärt hat, Recht zu geben und zu nehmen, wie es die Schöffen hier als Recht weisen bzw. das Gerichtsbuch nutzt den Singular 91. Wenn eine Partei etwas „myt recht 85 86

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Ibid., fol. 6. Besonders deutlich im Streitfall Hengin Snyder gegen Jekel Brope; Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 18v: „[…] Dar off hait sich Drubein verdingt Jekel Brope(n) sin wort zu thune vnd hait sin vndertinge verbot als recht ist. Vnd hait verbot daß Hengin geretten habe / er habe key(n) gerechtigkeit dar zu gehabt // Nu habe er Hengin Ruß(e)n frauen erfolgt vnd ergange(n) als recht ist. Vnd hait daß auch v(er)kaufft als pantguts recht ist. Vnd auch so ist yme noch nust angewonne(n) word(e)n als recht ist vnd were yme etwas des halb(e)n an gewonen word(e)n als recht were da wolt sich Jekel da jnne gehalten han als recht were nach wystum des gerichtes. Vnd zugt sich auch aller vor redde off das gerichtes buch. Vnd hofft daß in dem recht(e)n erkant wolle werd(e)n. daß Jekel yme nust schuld(ig) syhe deß halb(e)n.“ Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 54: „sin kunde jnhalt des buchs nit follenfurten habe als recht ist“, „seinen tag nit verhut hat als recht ist.“ Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 8: „Vnd heuschet jme des ein recht antwert.“ Auf diese Forderung hin mußte die Gegenpartei antworten. Häufiger findet sich noch die Forderung mit Ja oder Nein auf eine erhobene Klage zu antworten; zur Eidleistung Menke, Eid, in: Marzi/Schäfer (eds.), Alltag (nt. 23). Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 20v. Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 52: „doch dwile Clasen belang dar an lijt so hait das gericht zu gelaißen, daß Peder sin sage yeczunt beweren mag.“ Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 19v: „recht geben und nehmen als der scheffe hie vor eyn recht wiset“; cf. Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 12v.

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begehrt“ oder fordert, etwas mit Recht zu bescheiden, so fordert sie ein Urteil, eine Sentenz des Gerichts92. Das Gericht leitet seine Urteilsverkündigung mit den Worten „daroff sententia“ oder „daruff ist zum rechten gewiset“ 93 oder auch „sprechen wir zum rechten“ ein; wobei die Formel, ein Urteil zu sprechen oder es zu weisen, synonym verwendet wurde. Mehrfach läßt sich der Begriff „Recht“ zudem direkt durch „Gericht“ ersetzen. Wenn jemand etwas „zu recht stellt“, dann beendet er damit seine Aussage und legt diese dem Gericht vor, wie in dem eingangs formulierten Beispiel. Der Gerichtsschreiber verwendet bei der Beweiserhebung die Wörter Recht und Gericht weitgehend synonym94. Zu Recht zu stehen heißt zum Gerichtsaustrag bereit zu sein, bzw. im Recht stehen in ein Gerichtsverfahren verwickelt zu sein95. Auch jemanden „myt recht darum suchen“ meint, ihn vor Gericht zu belangen; der Schreiber setzt auch in diesem Kontext Recht und Gericht explizit gleich96. Besonders augenfällig scheint diese Gleichsetzung zudem, wenn nach einem Urteil die schließlich obsiegende Partei nicht nur das Urteil verboten und somit festhalten lässt, sondern zudem dem Recht dankt, wie es wörtlich heißt, was sich wohl angemessen nur als Dank an das Gericht für das Urteil deuten lässt – auch dies fand sich bereits im Eingangsbeispiel. Kurz, Recht in der oft formelhaften Weise, wie es der Gerichtsschreiber für die Schöffen im Buch notiert, ist meist entweder das Gerichtsurteil oder eine bestimmte, stark formalisierte Verfahrensweise des Rechtsaustrags vor Gericht – bis hin zur Eidleistung. Ein anderer, mehr inhaltlicher Rechtsbegriff ist demgegenüber weit seltener und auch diffuser. Vielleicht kann man ihn bereits dann sehen, wenn das Gericht betont, eine Vertagung mindere keine Partei in ihren Rechten, der neue Termin werde festgesetzt „zu alle dem rechten als hute zu tage“ 97. In diesem Graubereich zwischen Verfahrensrecht und inhaltlichem Recht findet sich auch die Formel, das

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Ibid., fol. 15v: „Vnd begert mit recht obe sie die gude nit moge(n) widder nehmen(n). S(e)n(tent)ia ja si ita est si no(n) geschee was recht syhe. daß hait Hen(ne) von Eltuil verbott vo(n) der here(n) wege(n).“ In einem anderen Fall auf der gleichen Seite: „Vnd begert mit recht dwile er die konde nit bracht habe obe er yne nit erfolgt habe so hoch sin ansprach gelut habe. S(e)n(tent)ia ja. Das hait Hey(n)rich v(er)bot.“ Ibid., fol. 4. Neben der Formel „bij brengen als recht ist“ – also Beweise/„kunde“, meist in der Form von Zeugenaussagen vorlegen zu müssen – findet sich auch die Formel „bijbrengen mit gericht“ oder „was dann ein gericht erkennt“; ibid., fol. 23v. Auch wenn jemand etwas mit recht tun will, was ihm gebührt oder fordert, es müsse ihm erst mit Recht bewiesen werden, läuft diese auf den Austrag vor Gericht hinaus; ibid., fol. 17v. Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 53v, 78 „in syme rechte stehen“. Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 5: „[…] Do(m)m(us) spricht iß sin an Fritage XIIII d(age) gewest das sie uffs buche getzogen haben. Da habe er sins tages hie [in Nieder-Ingelheim] gewart vnd sij broist an dem gerichte gewest. Da sij er gein Jngelnh(eim) [Ober-Ingelheim] gangen vnd habe das rechte da gesucht. […] Daruff sprechen wir zum(m) rechten hait Do(m)m(us) das gericht zu Ingelnh(eim) gesucht vnd sinen tag furt geheuschen als recht ist vnd Wiprecht nit so ist Do(m)mus der ansprache von Wiprecht entprochen. […].“ Ibid., fol. 4v.

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Gericht habe etwas als Recht geschehen lassen, vor allem die Einziehung von eingeklagtem Gut und die Aufsagung von Grundstücken gegen Hinterlegung der Bede98. Ein nicht nur verfahrenstechnische Rechtsbegriff findet sich insbesondere dort, wo die Protokolle näher an den direkten Aussagen scheinen. Hier findet sich der Bereich der Rechtsüberzeugungen. Es wird deutlich, daß jemand meint, ein Anrecht auf etwas zu haben99; ebenso finden sich Auslassungen, die Gegenargumente sollen einen nicht am eigenen Recht irre machen können100. Recht wird Freundschaft und guter Nachbarschaft gegenübergestellt: Die Regenrinne, darauf einigen sich die Nachbarn, „soll durch fruntschaft und nit in recht“ dort bleiben, wo sie ist101. Meist wird dieses Rechtsgefühl in der Quelle aber als „gerechtigkeit“, die jemand an etwas habe, bezeichnet102. Nur in zwei der zahlreichen Formeln taucht dieser Rechtsbegriff auch auf: Einmal, wenn eine Klage erfolgreich war, es aber keine Pfänder gab und der Gläubiger den Schuldner arrestieren lassen konnte. Hier hatte er zuvor am Gericht zu fragen, „wie er mit yme thun soll daß yme recht geschehe und nyemant unrecht“, worauf das Gericht dann den Arrest verordnete103. Im anderen Fall, wenn jemand einem anderen, der „ein Recht darauf hat“ 104, ein gepachtetes Gut wieder zurückgibt, indem er bei Gericht die Pachtsumme hinterlegt. IV. Landrecht und Rechtsg ewohnheiten Auch wenn Recht in den Formeln des Gerichtsschreibers das ist, was im formalisierten Verfahren vor Gericht geschieht und was das Gericht als Recht spricht, lassen sich dennoch – zumindest in Ansätzen – Rechtsgrundsätze finden. Insgesamt ist zu vermerken, daß das Gericht seine Urteile nur sehr selten begründete. Rechtsgrundsätze wurden eher von den Parteien – ihren Fürsprechern – angeführt und dann vom Gericht bestätigt. Dies betraf zum einen die Verpflichtung eines Bürgen, seine Bürgschaft zu erfüllen, Bürgenrecht zu tun, wie es das Gericht nennt und zwar noch am gleichen Tag, falls der Gläubiger nicht explizit darauf verzichtete105. 98

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Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 47v, 48, 48v. „Jt(em) Hengin Berkern spricht er habe gude hie in der gemark(e)n ligen. Die geb(e)n den here(n) bedde hie / Die sage er nu off vor die bedde. Vnd hait daß verbot / daß hait das gerichte laß(e)n gescheen off recht.“; Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 16. Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol 5v. Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol 15v; Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 166v. Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 77v. Zu diesen „Berechtigungen“ Pilch, Rechtsgewohnheiten (nt. 11), 26 sq. Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 22, 23v, 27, 48v, 70. Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 26v. Die gleiche Formel aber mit Einsetzung in den Besitz ibid. fol. 40; cf. Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 11v. Ibid., fol. 153. Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 35, 37v; Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 19v. Auch das konnte verlängert werden, in einem Fall um acht Tage und war dann bei mündlicher Mahnung zu leisten; ibid., fol. 19v; cf. Krey, Rechtsbräuche, In: Marzi/Schäfer (eds.), Alltag (nt. 23).

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Der Gerichtsschreiber benennt einmal Pfandgut-Recht106, ein anderes Mal spricht er davon, ein Kläger solle den Pfändern nachgehen, wie es dem Landrecht und der Gewohnheit entspricht107. Ebenso führen die Parteien das „Recht der toten Hand“ an. Dies bedeutete faktisch eine Eidleistung108 oder das Prinzip der Einkindschaft, welches Kinder aus verschiedenen Ehen gleichberechtigt am Erbe zuläßt. Vereinzelt verweisen Parteien auf übergeordnete Grundsätze: auf die Gewohnheit, das Herkommen, aber auch auf das Landrecht und – allerdings ohne explizite Nennung – auf das Kleine Kaiserrecht109: Heiratet eine Witwe wieder, fällt der mobile Besitz des Ehemanns an dessen Familie zurück110; stirbt eine verheiratete Frau erbenlos, fällt ihr Besitz an ihre Herkunftsfamilie zurück111, Kinder und Enkel erben112. Mehrfach umfaßt die Gewohnheit das, was nach Aussagen der Nachbarn üblich ist und sich gebührt: wie ein Weinberg ordnungsgemäß zu bebauen sei, wie eine Kelter auszusehen hat113. Wie problematisch dies werden konnte, zeigt sich, wenn der Schultheiß behauptete, er könne gemäß dem Landrecht und der Gewohnheit erbenlosen Besitz einziehen114 – was das Gericht ebenfalls verschleppte und nicht zuließ. In einem besonders schwerwiegendem Fall, einem Wildfrevel, stoßen zudem Gewohnheitsrecht im Ingelheimer Grund und herrschaftliches Recht hart aneinander. Vier Ingelheimer hatten gemeinsam ein Reh gefangen. Eigentlich habe man einen Hasen fangen wollen, aber dann sei ein Reh über das Garn gestolpert; das sei dann schon tot gewesen, da habe man es geteilt. Drei der Täter zeigen keine Reue, einer argumentiert wörtlich damit, daß „waßer und weide frij sihi“ 115. Der Vertreter des Pfalzgrafen vermochte sich kaum zu beherrschen ob dieser Rechtsanmaßung und verwies auf Regalien und den Rechtsbezirk, welche die Frevler in Frage stellten. Es kam nicht zur Lösung vor Gericht. Die Beklagten stellten Bürgen, sich weiter dem Pfalzgrafen zum Rechtsaustrag zur Verfügung zu stellen. Der Fall verschwand aus dem Gerichtsbuch und ließ sich auch in anderen Quellen nicht weiter finden. Der Pfalzgraf 106

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Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 18: „Jt(em) Jeckel Broppe hait off geb(e)n vor pandt gut als pantguts recht ist […]“. Pfandgut-Recht bedeutete in einem anderen Fall konkret das Recht, gepfändetes Gut weiterverkaufen zu können; ibid., fol. 18v; cf. Krey, Rechtsbräuche, in: Marzi/Schäfer (eds.), Alltag (nt. 23). Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 75: „[…] Si no(n) so mag er syne(n) vnd(er)phande(n) nach gehe(n) als landes recht vnd gewohnheit ist.“ Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 40v, 59v. Zur Verwendung des Kleinen Kaiserrechts Loersch, Oberhof (nt. 9), 495 sq. Beilage 8; cf. D. Munzel, Der Einfluß des Kleinen Kaiserrechtes auf die Rechtsprechung des Ingelheimer Oberhofes, in: Dilcher/Diestelkamp (eds.), Recht (nt. 30), 13–32. Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 271r–v. Ibid., fol. 56. Ibid., fol. 50v. Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 89: „yme eyn kelter seczen solt, da sie recht und als sich gebure stehen solle.“ Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 92. Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 89–92, Zitat fol. 90.

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aber reagierte schließlich auf dieses Ereignis mit einem neuen Gesetz, einer Verordnung, die noch einmal explizit das Jagen verbot116. Das Gericht führte diese Gesetze nicht an. Den Schöffen waren die Regeln des Landrechts bekannt, aber sie verwiesen nicht darauf 117. Das Gerichts stützte sich in seiner Vorgehensweise stets auf die örtliche Gerichtsordnung, als zwar vom Pfalzgrafen bestätigte, aber durch die Schöffen aufgestellte, gewillkürte Regeln am Gericht. So fixierten die Schöffen schriftlich die Taxordnung118. Weiter faßten sie Beschlüsse zum Verfahren bei strittigen Gülten, zur Auflösung von Kaufverträgen und zur gemeinsamen Verfügung von Eheleuten. Diese Regeln waren Einzelbestimmungen. Sie wurden von den Schöffen durch Übereinkunft festgelegt – ohne herrschaftliche Beteiligung119. Dies geschah so auch bei Weistümern, die auf formale Anfrage der beiden Schultheißen gewiesen wurden. Im Falle der Frage, wie mit einem Straßenräuber umzugehen sei, erfragten die beiden Schultheißen, die zugleich auch Schöffen waren, formal ein Urteil des Kollegs, das dann wies, daß er durch das Schwert zu richten sei 120. Der konkrete Gerichtsanlaß, der die Schöffen zu ihrer Entscheidung bewog, ist an dieser Stelle nicht mehr sichtbar, vielmehr wird der Beschluss als allgemeingültig formuliert. Diese „Ordnung“ wurde folglich im Laufe der Jahre fortgeschrieben, ohne daß es zu einer Systematisierung oder Zusammenstellung kam, die vermutlich erst 1512 erfolgte121. Bis dahin wurden die Bestimmungen teils im Einband, teils auf Blättern hinter dem Einzelfall festgehalten. Der Gerichtsschreiber vermerkt auch in den späteren Haderbüchern vereinzelt ein Nota und den Verweis, dies sei zum

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Loersch, Bittschrift (nt. 37). Cf. zu den von den Schöffen am Oberhof – die ja identisch waren mit den Schöffen am Hadergericht – verwandten Grundsätze Gudian, Recht (nt. 10) die Kommentare von Erler zu den abgedruckten Oberhofprotokollen, e.g. zur Einkindschaft; Erler, Urteile (nt. 9), vol. 1, Nr. 4, 38–40. Eine Taxordnung wird explizit benannt im Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 238. Im Wortlaut überliefert ist diese Ordnung erst 1599; Loersch, Oberhof (nt. 9), 500 Beilage 17. Die Schöffen fassten zudem Beschlüsse über die Gebühren, welche auswärtige Schöffen, Dienstboten und Einwohner aus den anderen Orten des Ingelheimer Grundes zu zahlen hatten; Abdruck bei Loersch, Oberhof (nt. 9), 493 sq. Beilage 1–3 nach den Excerpten Bodmanns, die hier aber unzweifelhaft sind. Im Beschluß heißt es 1378 im ersten Haderbuch „Wir die scheffin zu I. sin ubireinkommen“ bzw. „Die scheffin sind ubireinkommen“; Loersch, Oberhof (nt. 9), 493 Beilage 1,2; ganz ähnlich in den weiteren Beschlüssen aus den 40er Jahren des 15. Jahrhunderts; Loersch, Oberhof (nt. 9), 494 sq. Beilagen 3–7. Die Schultheißen von Nieder-Ingelheim und Ober-Ingelheim, beide zugleich Schöffen, „haint mit ortel gefragt“, wie bei Straßenraub zu handeln sei. Loersch, Oberhof (nt. 9), 495 Beilage 7: „Daruf ist mit recht gewiset: das man den mit dem swert richten sulle und uf ein rait setzen.“ Loersch, Oberhof (nt. 9), 495 Beilage 7. Loersch, Oberhof (nt. 9), 497 zitiert eine „Beschreibung der eid wie auch satzung ind einungh, welches in anno 1512 ufgericht worden“. Diese Handschrift ist verbrannt, doch überliefert der Gerichtsschreiber Susenbeth 1644 zumindest die Eide und die Taxordnung; Loersch, Oberhof (nt. 9), 496–501; cf. Menke, Eid, in: Marzi/Schäfer (eds.), Alltag (nt. 23), 121–125 mit einer Beschreibung der Entwicklung der Eidleistungen in Ingelheim.

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Gedächtnis des Gerichts aufzubewahren. Vereinzelt wurden geradezu Grundsatzentscheidungen erfragt, so zur Leistung von Gülten und Einziehung von Pfändern durch Kirchen oder Klöster122. Dieses Bündel an Regeln wird von den Fürsprechern als Recht und Gewohnheit des Gerichts oder Ordnung des Gerichts angesprochen123. Auch die Ordnungen anderer Gerichte waren bekannt: die Ordnungen des Frankfurter Gerichts124, welches man als auf gleicher Ebene stehendes Gericht behandelte sowie die des Heidelberger Hofgerichts, an das man von Ingelheim aus letztinstanzlich appellieren konnte125. Letzteres forderte eine schriftliche Zeugenaussage aller Umständer, welche das Gericht auf Wunsch der Parteien anfertigen ließ, falls man dorthin appellieren wollte. Doch obwohl Appellationsinstanz lehnte das Heidelberger Hofgericht auch Fälle ab und verwies sie nach Ingelheim „an das keyser recht“, wie es explizit heißt126. Den verwaltungserfahrenen, aber nicht römisch-rechtlich gebildeten, meist adeligen Schöffen des Ingelheimer Niedergerichts ging es, so sollte hier gezeigt werden, nicht primär darum, Recht zu sprechen, sondern vielmehr den Frieden im Dorf zu erhalten. Land- und Gewohnheitsrecht müssen den Schöffen bekannt gewesen sein, werden aber nur von Parteien angeführt. In den Urteilen des Gerichts kommen Rechtsnormen jenseits der Ordnung des Gerichts nicht zur Sprache. Für Kläger und Beklagte ging es darum, das formale Verfahren einzuhalten und das Gericht zu überzeugen. Es galt also, einen Beweis vorzulegen, “der zu recht genug ist“127 oder wie es eine Frau einmal formuliert „do das gericht mocht sin glauben off geseczen“128. All die Fälle, die sich so nicht entscheiden ließen, versuchte das Gericht durch Rachtungsleute, außerhalb des Gerichts vergleichen zu lassen, was meist gelang. Während das Nebeneinander von Sühne und Strafe im Falle todeswürdiger Delikte in der Forschung behandelt wurde, zeigt sich hier das Nebeneinander in allen Konfliktfeldern in der dörflichen Gemeinschaft129. 122

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Haderbuch Nieder-Ingelheim (nt. 1), fol. 49: „Jt(em) Cleßgin Kremer hait mit ortel begert wie kyrchen ader klusen yr vnderphande dauo(n) ma(n) yne dan(n) golte gybt / die syne vnd anderslude altern gesaczt hab(e)n // off holen sollen// Obe sie die off holen sollen w(er) fryhe gulte ader heysch(e)n gulte. Dar off spricht Gontrum als uo(n) der kyrch(e)n wegen beduncke Cleßgin / daß sie yme anderß gethan hab(e)n dan recht ist so moge er yne dar vm(m)b zu sprech(e)n. daß ist gelengt XIIII tage sic hodie. Das hait Cleßgin verbot.“ Der Gerichtsschreiber vermerkt am Rand „no(ta) gelengt.“ Der Einzelfall selbst wird 2 Wochen später bereits entschieden – es ist freie Gülte; ibid., fol. 50. Vermutlich kam es hier aber zur Grundsatzentscheidung. Der Gerichtsschreiber benutzt nur selten Nota-Verweise, so ibid., fol. 34 zu einem Weinkauf; ibid., fol. 44v, 45v zu nicht geführten Beweisen; ibid., fol. 47 bei einem Geständnis. Gewohnheit des Gerichts; ibid., fol. 136, 228v, 251, 260, 265v. Ordnung des Gerichts; ibid., fol. 251, Recht und Gewohnheit; ibid., fol. 253, 272v. Ibid., fol. 225v. Ibid., fol. 260v. Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 3v. Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol 66v–67. Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 37. H. Lück, Sühne und Strafgerichtsbarkeit im Kursachsen des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Schlosser/Willoweit (eds.), Wege (nt. 18), 83–99, hier 98 sq.; Blauert, Sühnen (nt. 30).

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Ingelheim ist in manchem sicher ein Sonderfall. Das Ingelheimer Gericht bezog seine Legitimation aus seiner Einsetzung durch den Kaiser, auch wenn der Pfalzgraf längst Herr von Ort und Gericht war und so auch von den Schöffen angesprochen wurde. Ingelheim war ein verpfändetes Reichsgebiet, das seine Freiheiten im 15. Jahrhundert noch wahren konnte und dem pfalzgräflichen Territorium nur locker eingegliedert war; eine Samtgemeinde aus zwei beziehungsweise drei Orten130, welche über eine teils städtischen Infrastruktur verfügten, ohne doch Stadtrechte anzustreben; eine Gemeinde mit einer sehr differenzierten Sozialstruktur und einem sehr hohen Anteil an niederadeligen Einwohnern, die sich aber noch nicht als Herrenschicht abgeschlossen hatten und ein Ortsgericht, das zugleich Oberhof für 70 weitere Ortschaften war, die verschiedenen Landesherren zugehörten131. Die Protokolle zeigen eine sehr stabile, gut funktionierende Ortsgemeinschaft mit einem umsichtig agierenden Gericht, dem es gelang, Streitigkeiten zu deeskalieren – auch Ehrkonflikte132. Dieses ist sicher auch im 15. Jahrhundert ein Auslaufmodell gewesen, das seine Freiheiten und Handlungsspielräume nur wahren konnte, bis der vormoderne Staat auch in diese Freiräume der Gemeinde drang. Daß die Haderbücher im frühen 16. Jahrhundert enden, auch wenn das Gericht noch bis ins 17. Jahrhundert fortbestand, ist wohl auch dadurch zu begründen. Das Ingelheimer Gericht war besonders und vor allem ist sein Handeln sehr gut dokumentiert. In seiner Funktion ist es keinesfalls einzigartig. Aus mehreren Orten Rheinhessens, des Rheingaus und des Taunus, in denen sich die Gemeinden ihre Gestaltungsspielräume in dem noch nicht verfestigten Territorialstaat lange erhalten konnten, finden sich ähnlich aktive Gerichte133. Vergleichbare 130

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Hinzu kommen die weiteren, den drei Zentralgemeinden aber nachgestellten Orte, welche insgesamt den aus neun Gemeinden bestehenden Ingelheimer Grund ausmachten; cf. Petry, in: Lachenal/Weise (eds.), Ingelheim (nt. 24), 63–76. Erler, Urteile (nt. 9), vol. 1, 28–34. Ganz anders dagegen die Ergebnisse von R. Walz, Agonale Kommunikation im Dorf der Frühen Neuzeit, in: Westfälische Forschungen 42 (1992), 215–251. In Ingelheim ist eine Fülle von Ehrkonflikten dokumentiert, die einer eingehenden Untersuchung bedürften. Nach einer ersten Übersicht läßt sich aber bereits sagen, daß besonders die langfristigen Konflikte oft in Besitzund Erbstreitigkeiten begründet waren. Protokollbücher sind gedruckt aus Nierstein, Flörsheim, Hofheim und Diedenbergen, zum Teil nur in Auszügen; cf. die Literatur nt. 19. In den Archiven liegen noch zahlreiche ungedruckte Bücher, wie allein im Bestandsverzeichnis aus Darmstadt sichtbar; F. Battenberg, Gerichtsbücher (Abt. C4) (Repertorien des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt 35), Darmstadt 1994. Zu den in Ingelheim anfragenden Orten cf. Loersch, Oberhof (nt. 9) und Erler, Urteile (nt. 9). Ein Beispiel für ein Dorf, das dank eines herrschaftlichen Vakuums sehr selbständig handeln konnte, bietet Kostheim. Zu den Freiheiten der Dörfer Rheinhessens und des Rheingaus cf. H. Ochs, Kommunale Autonomie und Siegelführung. Das Beispiel des Rheingaus, in: Andermann/Auge (eds.), Dorf (nt. 16), 87–112; S. Schmitt, Herrschaft, in: Rösener (ed.), Tradition (nt. 16), 153–172; S. Schmitt (ed.), Ländliche Rechtsquellen aus den kurmainzischen Ämtern Olm und Algesheim (Geschichtliche Landeskunde 44), Stuttgart 1996; K.-H. Spieß, Bäuerliche Gesellschaft und Dorfentwicklung im Hochmittelalter, in: W. Rösener (ed.), Grundherrschaft und bäuerliche Gesellschaft im Hochmittelalter (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 115), Göttingen 1995, 384–412.

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Strukturen sind aus sehr vielen kleinstädtischen Gerichten auch in anderen Regionen überliefert134. Vielleicht zeigen sich in Ingelheim eher typische Elemente der ländlichen-kleinstädtischen Gerichte. Diese wurden aber durch die viel besser dokumentierten großstädtischen Gerichte mit ihren vielfältigen Straforganen ebenso verdeckt, wie durch die Suche nach Anfängen der Rezeption des Römischen Rechts. Ein Ansatz, der eher nach der Funktion der Gerichte als nach den Vorkenntnissen der Schöffen fragt, vermag dieses Bild vielleicht zu modifizieren. Wir wissen aus Zeugenauslassungen, daß zumindest der Ingelheimer Rat in Gemeindeangelegenheiten mit dem gemeinen Nutzen argumentierte, das Gemeinwohl folglich als Handlungsgrundsatz anwendete135. Das Gericht formuliert dies nicht explizit als Argument für seine Tätigkeit, es mag aber hinter seiner Handlungsweise gestanden haben. In diesem Sinne sprach es Recht ohne auf Gesetze zurückzugreifen.

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Nt. 8 die in den Gerichtsbücher-Studien untersuchten Gerichte. Haderbuch Ober-Ingelheim (nt. 22), fol. 20v. Hier wurde im Auftrag der Gemeinde ein Haus abgerissen. Hierzu grundlegend J. Rogge, Für den gemeinen Nutzen. Politisches Handeln und Politikverständnis von Rat und Bürgerschaft in Augsburg im Spätmittelalter, Tübingen 1996.

III. Koran und Gesetz im islamischen Denken

Die ‚Entdeckung des Bösen‘ im Koran? Überlegungen zu den koranischen Versionen des Dekalogs A N (Berlin) Einleitung * „Mit leichter Übertreibung kann man sagen, daß erst mit Muhammad die Sünde als persönliche Aneignung des Bösen in das Leben desjenigen eintrat, der von christlichen, jüdischen oder iranischen Gedanken unberührt geblieben war.“ 1

Dieses scharfsinnige, wenn auch nicht ganz unproblematische Dictum Gustav von Grunebaums ist herausfordernd. Es nimmt gewissermaßen den zentralen Gedanken des Berliner Forschungsansatzes2, den Koran als noch-nicht-islamischen, spätantiken Text zu lesen, vorweg, indem es auf das Innovative, das revolutionär Neue, abhebt, das der Koran in den Horizont seiner plurikulturellen, aber theologisch noch unfokussierten arabischsprachigen Gesellschaft einbringt. Problematisch ist dagegen die heute nicht mehr haltbare scharfe Trennung zwischen monotheistisch akkulturierten und rein paganen Rezipienten der koranischen Botschaft. Wir wissen aus historischen Quellen außerhalb des Korans zwar wenig über die ersten Hörer, gehen aber von einer weiten Verbreitung jüdischer und christlicher Lehren als allgemein zugänglichem Bildungsgut der Spätantike aus, von dem auch die Hörer des arabischen Propheten nicht unberührt geblieben sein sollten3. Vor allem aber würden wir heute zusammen mit dem Verkünder auch seine Hörerschaft, die ‚koranische Gemeinde‘, kollektiv als Trägerin der Botschaft einsetzen, denn erst ihre allmähliche Konsensbildung war es, die die Fixierung des Korantextes möglich macht und die folglich auch die neue Wahrnehmung von ‚Normübertretung als Sünde‘ zu einem substantiellen Element der * 1 2

3

Eine erweiterte englische Fassung dieses Aufsatzes erscheint in A. Neuwirth, Scripture, Poetry and the Making of a Community, Oxford 2014 (im Druck). G. von Grunebaum, Studien zum Kulturbild und Selbstverständnis des Islams, Zürich–Stuttgart 1969, 34. Siehe zu dem Akademienprojekt Corpus Coranicum M. Marx, Ein Koranforschungsprojekt in der Tradition der Wissenschaft des Judentums. Zur Programmatik des Akademienvorhabens Corpus Coranicum, in: D. Hartwig e. a. (eds.), „Im vollen Licht der Geschichte“ – Die Wissenschaft des Judentums und die Anfänge der Koranforschung, Würzburg 2008, 41–54. Siehe J. E. Montgomery, The Empty Hijaz, in: J. E. Montgomery (ed.), Arabic Theology, Arabic Philosophy: From the Many to the One. Essays in Celebration of Richard M. Frank, Leuven–Paris 2006, 37–97; cf. A. Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike. Ein europäischer Zugang, Berlin 2010, 24–28.

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neuen religiösen Bewegung werden ließ. Die Aufgabe, diesen sich sukzessiv vollziehenden Prozeß systematisch zu verfolgen, ist bisher nicht angegangen worden – schon deswegen nicht, weil die wenigen Forscher, die sich bisher überhaupt dem Problem des Bösen im Koran widmeten, den Korantext einfach synchron, als vorbedachtes literarisches Produkt, verfaßt von einem ‚Autor‘, Muhammad, oder auch einem anonymen Kompilator betrachten und daher den kanonischen Text, nicht die vorkanonische Verkündigung, im Blick haben. Sie nehmen den Text nicht als Spiegel eines Verhandlungsprozesses wahr und können daher keine Entwicklung der Verkündigung wahrnehmen. Eine solche Entwicklung läßt sich bei Zugrundelegung des in der Biblistik eingeführten Methodenkanons aber durchaus verfolgen. Ihr nachzugehen ist angesichts der Tatsache, daß der Koran innerhalb einer eng begrenzten Zeitspanne von kaum mehr als 20 Jahren entstand, versprechend. Sie ist darüber hinaus unverzichtbar, will man den Koran nicht einfach als eine Art christliche Apokryphe lesen, sondern als das Dokument einer sukzessiven Auseinandersetzung einer sich herausbildenden Gemeinde mit ihren Umwelttraditionen. Erst der Versuch einer diachronen Lektüre erlaubt, die Stationen zu identifizieren, über die die sich herausbildende Gemeinde zu jenen konsensuellen Einsichten gelangte, die am Ende der Entwicklung die koranische Lehre ausmachen4. Auch in unserem Rahmen kann nur ein kleiner Ausschnitt aus diesem Entwicklungsprozeß zur Sprache kommen. Wenn wir dabei nicht bei den ältesten Texten einsteigen, sondern einen Punkt der mittelmekkanischen Verkündigung zum Ausgang wählen, so geschieht dies aus mehreren Gründen: Zum einen erscheinen Verweise auf ‚Böses‘, ‚Schlechtes‘ in den frühen Suren phraseologisch bereits vorgegeben; die aus dem Bereich des Messens gegriffene Metapher Q 99:8 wa-man ya>mal mit qa¯la darratin sˇarran yarah / „wer Böses auch nur im Ausmaß ¯ ¯ wird es zu sehen bekommen“ etwa entspricht biblieines Körnchens getan hat, schen Bildern, so daß diese frühe Erwähnung von ‚Schlechtem‘, ‚Bösem‘ textreferentiell zu sein scheint und daher wenig Rückschlüsse auf ihre Verwurzelung im Bewußtsein der Gemeinde zuläßt. Auch die im frühen Koran zahlreichen ‚Straflegenden‘ 5, die Erzählungen von Gottgesandten, die mit ihrem Auftrag zur Alleinverehrung Gottes bei ihren Gemeinden scheitern und so deren Vernichtung heraufbeschwören, lassen zwar ein deutliches Gefühl für geschehenes Böses, gegen Gott verübte Vergehen erkennen, die die Vernichtung der Übeltäter als Strafe rechtfertigen; sie bleiben aber bei dem einen Vorwurf des takd¯ı b, des Leugnens seitens der frevlerischen Völker, ¯ ihrer Ablehnung der zu ihnen gesandten Gottesboten, stehen. Eine Theodizee in nuce gewiß – doch während im biblischen Vorbildtext um Noah, Gen 6,13 sqq., von Gewalttaten die Rede ist – in anderen Texten wie Jer 52,2 oder 2 Kön 24,19 tun Menschen „das Böse in den Augen des Herrn“ –, bleibt in den frühen korani4

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Zu den immer noch bestehenden Vorbehalten gegenüber einer chronologischen Analyse des Korans sowie einem Versuch, für die frühmekkanischen Suren eine lückenlose Chronologie zu konstruieren cf. A. Neuwirth, Der Koran. Vol. 1: Frühmekkanische Suren, Berlin 2011, 39–61. Cf. J. Horovitz, Koranische Untersuchungen, Berlin–Leipzig 1926, 11–32.

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schen Texten das Delikt der vernichteten Völkerschaften stets auf ein Vergehen begrenzt: die Verwerfung des Eingottglaubens, so daß ‚das Böse‘ in einer konkreteren Erscheinungsform nicht ins Blickfeld tritt. Fruchtbarer könnten sich auf den ersten Blick eschatologische Debatten erweisen. Gottes Gerechtigkeit manifestiert sich in seiner angemessenen Vergeltung des menschlichen Handelns im Jenseits, wobei das dabei belohnte bzw. bestrafte Tun in mehreren Fällen in Tugend- bzw. Lasterkatalogen expliziert wird. Doch sind diese litaneiartigen Listen stark von den Erwartungen monastischer Frömmigkeit geprägt und gehen nur auf begrenzte Ausschnitte des sozialen Lebens ein6. Verurteilt werden hier im allgemeinen kultische Nachlässigkeit, auch Geiz, vor allem aber Geringschätzung der eschatologischen Botschaft. Um die von Grunebaumsche These zu verifizieren, müssen wir über den engen Radius dieser Texte hinausgehen. Zur Beantwortung der Frage nach der Wahrnehmung „des Bösen in den Augen Gottes“, dessen Meidung für den einzelnen verbindlich sein sollte, d. h. nach dem Sündenbegriff, wird ein Text benötigt, der wie ein Prisma verschiedene Formen religiöser und moralischer Disqualifizierung bündelt und dabei erkennbar eine neue Position zu älteren Traditionen einnimmt. Ein solcher Text liegt mit dem ältesten Dekalog des Korans vor, der erstmals einen programmatischen Gebots- und Verbotskatalog bietet und der sich zudem durch klare Autorisierungsformeln als ein verbindliches ethisches Manifest ausweist. Ein Argument für die Wahl gerade des Dekalogs ist praktischer Art: Er eröffnet ideale Möglichkeiten des Vergleichs. „In ethikhistorischen Perspektiven“ – bemerkt Friedrich Wilhelm Graf – „erweist sich der Dekalog als eine grandiose Projektionsfläche für unterschiedlich akzentuierte Normenentwürfe, in denen sich je besondere kulturelle Erfahrungen, politische Ordnungsinteressen, Machtansprüche, Heilshoffnungen und Bilder göttlicher Souveränität spiegeln.“ 7 Solche Ordnungsvorstellungen, Machtansprüche und Heilshoffnungen lassen sich auch am koranischen Dekalog festmachen. Der Dekalog begegnet im Koran allerdings nicht einmal, sondern in drei Versionen, die auf verschiedene Stadien der Verkündigung zurückgehen, zunächst mittelmekkanisch als Manifest-Text (Q 17:22–39), dann spätmekkanisch als mahnende Erinnerung an eine substantielle Botschaft (Q 6:151–153) und schließlich in einer medinischen ‚Dekalogpolemik‘ (Q 2:83–85). Während die Dekalog-Gebote bei ihrem ersten Vorkommen in der koranischen Verkündigung ein Fanal setzen, indem sie ein neues ethisches Manifest propagieren, stehen sie später im polemischen Kontext einer ‚Korrektur‘ von ‚falschen‘ religiösen Prioritätensetzungen; noch später dienen sie der Demonstration eines als gescheitert betrachteten Bundesschlusses. Die Diskussion dieser drei Texte soll uns ermöglichen, abschließend einige grundsätzliche Schlüsse auf die Vorstellung vom Bösen im Koran zu ziehen.

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Cf. Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike (nt. 3), 297 sqq. Cf. F. W. Graf, Moses Vermächtnis. Über göttliche und menschliche Gesetze, München 2006.

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I. Das Böse im Koran in der bisherig en Forschung Eine systematische Untersuchung zum Phänomen des Bösen im Koran, vergleichbar etwa der Studie von Colpe und Schmidt-Biggemann8, ist noch ein Desiderat 9. Stefan Wild 10 gibt einen kurzen allgemeinen Überblick über koranische Ansätze, das Böse zu erfassen, und zeigt dabei im Koran unbeachtet bleibende Dimensionen auf: Es gibt keinen Erbsünde-Begriff und daher keine Erlösungsnotwendigkeit, es fehlt eine elaborierte koranische Theodizee. Wild basiert seine Untersuchung im Wesentlichen allerdings auf diejenigen – im Koran erst späten – Texte, die primär asˇ-Sˇait. a¯n / „den Satan“11 aus der Schöpfungsgeschichte instrumental an der Übertretung des ersten Menschenpaares beteiligen. Satan könnte so als der Urheber des Bösen erscheinen – ein Bild, das einzelne spätere Traditionen in der Tat suggerieren. Die entsprechenden Korantexte über Satans Verführung des ersten Menschenpaares geben aber wenig Aufschluß über eine Wahrnehmung des Bösen. Die erste Übertretung bedeutet im Koran nicht den Eintritt in eine menschheitsgeschichtlich neue Entwicklungsstufe, beruhend auf der nun eröffneten Unterscheidung zwischen Gut und Böse, sie tangiert nicht einmal Adams Rang als Prophet. Den Texten unterliegt also – wie schon Josef van Ess festgestellt hat – im Koran nicht die mit der Schöpfungsgeschichte in der christlichen Tradition verbundene theologische Axiomatik. Die Verführung des ersten Menschenpaars durch den Satan bleibt im Koran – in van Ess’ Worten12 – eine ‚Episode‘, die erst nachkoranisch, in der Auseinandersetzung mit den Trägern christlicher Traditionen, an Bedeutung gewinnt13. Wichtige Denkanstöße zur Reflexion über die Natur des Bösen im Spiegel des Korans verdanken wir Gustav von Grunebaum14, der den Koran zwar auch nur als 8 9

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W. Schmidt-Biggemann/C. Colpe (eds.), Das Böse. Eine historische Phänomenologie des Unerklärlichen, Frankfurt am Main 1993. Immerhin hat die noch weitgehend unerforschte halakhische Dimension des Korans (cf. W. Hallaq, Law and the Qur< a¯n, in: Jane Dammen McAuliffe [ed.] Encyclopaedia of the Qur< a¯n III, Leiden 2003, 149–172) jetzt in einer wichtigen Studie neues Interesse erfahren: H. Zellentin, The Qur’an’s Legal Culture. The Didascalia Apostolorum as a Point of Departure, Tübingen 2013. S. Wild, Der Böse und das Böse im Islam, in: K. Berger/H. Herholz/U. Niemann (eds.), Das Böse in der Sicht des Islam, Regensburg 2009, 53–66. A. Neuwirth, Qur< a¯n, Crisis and Memory. The Qur< a¯nic Path towards Canonization as Reflected in the Anthropogonic Accounts, in: A. Neuwirth/A. Pflitsch (eds.), Crisis and Memory in Islamic Societies, Beirut–Würzburg 2001, 113–152. J. van Ess, Islamische Perspektiven, in: H. Küng e. a. (eds.), Christentum und Weltreligionen. Hinführung zum Dialog mit Islam, Hinduismus und Buddhismus, München 1984: „[…] die Auflehnung Satans [hat] keine metaphysischen Konsequenzen; die Menschheit bleibt davon unberührt. Ähnliches gilt für Adams Fall; es war gar kein Fall, es war ein Ausrutscher, und Adam selbst hat ihn wiedergutgemacht. Wiedergutmachung geschieht durch Buße, die sich ihrerseits jeweils nur auf bestimmte einzelne Vergehen bezieht. Erlösung kommt in diesem System nicht vor.“ Zur Deutung von Q 2:29–30, einer Stelle, die wohl nicht auf Gottes mit der Schöpfung des sündenanfälligen Adam eingegangenes Risiko zielt, sondern eher die (politische) Herrschaft der Menschen unabhängig von diesem Risiko im Blick hat, cf. Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike (nt. 3), 609. Grunebaum, Studien zum Kulturbild (nt. 1), 36.

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einen von Muhammad verfaßten Gesamttext zur Kenntnis nimmt, ihn aber doch in den Horizont der monotheistischen Traditionen seiner Zeit zu stellen versucht. Ihm geht es, wie seine eingangs zitierte These zeigt, um die ‚koranische Wende‘, um das gegenüber der – theologisch unfokussierten – Masse von im Umlauf befindlichen Traditionen erreichte ‚Neue‘. Von Grunebaum verzichtet aber darauf, die Spuren dieser Entdeckung systematisch zu verfolgen, etwa der auffallenden Tatsache nachzugehen, daß bereits seit mittelmekkanischer Zeit15 ein Name für ‚Sünde‘ zur Verfügung steht: hat.¯ı < a / „das Verfehlte“16 – wenn dieser ˘ Begriff 17 auch ohne Auswirkung auf den koranischen Diskurs um das Böse geblieben zu sein scheint. II. Der fr üheste Dekalo g: Teil der mittelmekkanischen Diskussion 1. Die Einbettung: Sure 17 Auch der früheste koranische Dekalog, Q 17:22–39, gehört in die mittelmekkanische Zeit. Diese Entwicklungsphase, die für die Gesamtverkündigung konstitutiv ist, sei ganz kurz vorgestellt. Sie stellt die zweite Phase der Verkündigung dar – ihr voraus geht eine längere Zeit der vor allem liturgischen Textproduktion –, eine Phase, in der aber die Proklamierung des nahe gerückten Jüngsten Tages bereits eine Polarisierung zwischen den Anhängern und den paganen Gegnern des neuen Paradigmas eingeleitet hatte. Man kann so weit gehen zu sagen, daß die Träger der neuen Bewegung in mittelmekkanischer Zeit mit der Herausbildung einer counter-history18, einer neuen Identitätskonstruktion um das Zentrum der biblischen Heilsgeschichte, zunehmend in ein „inneres Exil“ eintraten, was sich auch liturgisch – in der Annahme der Gebetsrichtung nach Jerusalem – äußert. Die Gemeinde wird sich immer klarer ihrer Erwählung als neues Gottesvolk bewußt, sie stellt sich in die Tradition der Banu¯ Isra¯Adı¯ b. Zayd, in: D. Hartwig e. a. (eds.), „Im vollen Licht“ (nt. 2), 235–256, und K. Dmitriev, An Early Christian Arabic Account of the Creation of the World, in: A. Neuwirth e. a. (eds.): The Qur’an in Context. Historical and Literary Investigations into the Qur’anic Milieu, Leiden 2009, 349–388. Cf. Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike (nt. 3), 451–472. Ibid., 230–234.

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durch eine spirituelle ersetzt 20. Mose ist ein Prototyp des Verkünders, seine Rolle wird vom Propheten in ihren wichtigsten Zügen nacherlebt: Moses Berufung spiegelt sich in einer der Visionen Muhammads (Q 53:7–12), Moses Befreiungserfahrung des Exodus entspricht auf Seiten des Propheten eine im Traum erfahrene befreiende Versetzung ins Zentrum des Heiligen Landes (Q 17:1)21. Eine Sure, in der die Parallelisierung der beiden Figuren Mose und Muhammad gewissermaßen zum durchgehenden Muster wird 22, ist die eben bereits genannte Q 17, der Text, in dem sich mit V. 22–39 der älteste koranische Dekalog findet. Wenn auch – wie mehrfach betont worden ist – dieser Dekalog sich nicht explizit als solcher ausweist noch auch Mose als Überbringer identifiziert, so ist er doch eine nicht zu überhörende Neuproklamation des autoritativen älteren Textes. Man darf die Kenntnis der mosaischen Herkunft des Dekalogs bei den Hörern gewiß voraussetzen, auf ihr baut – wie wir sehen werden – die Textpolitik der Sure auf. 2. Die bisherige Forschung Das Verdienst, den Text und seine späteren Bearbeitungen als koranischen Dekalog identifiziert zu haben, kommt Hartwig Hirschfeld 23 zu. Heinrich Speyer dagegen führt unter dem Titel Dekalog lediglich verstreute biblisch klingende Gebote auf 24. Hirschfelds Beobachtungen sind wertvoll, obwohl er – gemäß dem Konsens der Forschung seiner Zeit, als Korantexte als mehr oder weniger getreue Nachbildungen biblischer Vorbilder galten – die erste Version, Q 17:22–39, als vorbedachte Reproduktion von Ex 20,1–17 und die beiden folgenden Versionen als spätere Redaktionen der ersten betrachtete. Hirschfeld führt überzeugende Argumente zur Erklärung des Fehlens bestimmter biblischer Gebote aus dem koranischen Katalog an. So geht für ihn das fehlende Verbot, Gottes Namen zu nennen, aus der im Koran vertretenen gegenteiligen Haltung hervor, die die Erwähnung des Namens Gottes nicht nur nicht mißbilligt, sondern sie explizit empfiehlt. Für das Fehlen des Sabbatgebots verweist Hirschfeld auf (spätere) koranische Deutungen des Sabbatgebots im Sinne einer strafweise verhängten Regelung,

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Ibid., 489–491. Siehe A. Neuwirth, „Eine religiöse Mutation der Spätantike“: Von tribaler Genealogie zum Gottesbund. Koranische Rekonfigurationen pagan-arabischer Ideale nach biblischen Modellen, Berlin 2014, 201–230. Zur Berufung cf. ibid., 657 sq., zur Nachtreise ibid., 469–471 und zur Mose-Muhammad-Typologie ibid., 669–671. Cf. A. Neuwirth, Erste Qibla – Fernstes Masgid? Jerusalem im Horizont des historischen Muhammad, in: F. Hahn e. a. (eds.), Zion – Ort der Begegnung, Festschrift Laurentius Klein, Hain 1993, 253–258. H. Hirschfeld, Beiträge zur Erklärung des Koran, Berlin–Leipzig 1886, 22, spricht von einer „koranischen Reproduktion des Dekalogs“. Dennoch zählt er nicht zehn, sondern nur neun Gebote, deren Anzahl er mit den in derselben Sure (Q 17:101, cf. Q 27:12) erwähnten neun Zeichen des Mose in Zusammenhang bringt. H. Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran, Gräfenhainichen 1935, 305–310.

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wie sie in Q 16:125 und anderswo erwähnt wird 25. Obwohl Hirschfeld die dem koranischen Dekalog unterliegende Hauptintention klar erkennt, die darin besteht, „den Dekalog so weit wie möglich den Sitten und Erfordernissen der Araber anzupassen“ 26, versucht er doch die einzelnen Gebote mit ihren biblischen Entsprechungen zu kontextualisieren. Hirschfeld diskutiert auch die zweite (Q 6:151–153) und dritte Version des koranischen Dekalogs (Q 2:83–85) und versucht, ihre besonderen Abweichungen von der ersten durch ihre Einbettung in die einschlägigen asba¯b an-nuzu¯l, die „Anlässe der Offenbarung“, zu erklären, also ihren „Sitz im Leben“ zu bestimmen 27. Angesichts dieser frühen ergiebigen und gedankenreichen Untersuchung zum koranischen Dekalog ist es bedauerlich, daß spätere Studien nicht nur nicht auf ihr aufgebaut haben, sondern sie sogar ignorieren28. Neuere Studien zum koranischen Dekalog liegen von William M. Brinner (1986) 29, Stefan Schreiner (1987) 30, Hans Zirker (1999)31, Karl Prenner (2002)32 und von Sebastian Günther (2005) 33 vor, die aber alle – mit der Ausnahme von Brinner – aus verschiedenen Gründen gerade zu unserer besonderen Fragestellung der neu entdeckten Idee des Bösen nur wenig beitragen können. Der – für den Dekalog in der Exegese grundlegende – Beitrag von Sebastian Günther zeigt deutlich, welch hohen Stellenwert der Dekalog im nachkoranischen religiösen Leben gehabt hat. Da er jedoch wenig mit dem Koran selbst befaßt ist, ist er für unsere Fragestellung nicht einschlägig. Zirker, der sich nicht auf den frühesten, sondern auf den zweiten, spätmekkanischen, Dekalogtext konzentriert, geht über einen kursorischen Vergleich mit dem biblischen Dekalog in Ex 20,1–17 nicht hinaus.34 Prenner beschränkt sich auf die 25 26 27 28

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Hirschfeld, Beiträge zur Erklärung des Koran (nt. 23), 22–23. Ibid., 25. Ibid., 26. Dieses Schicksal teilen eine Reihe von Arbeiten aus der Tradition der Wissenschaft des Judentums, die trotz bahnbrechender Ergebnisse selbst im deutschen Sprachraum in der jüngeren Forschung unbeachtet bleiben. Cf. zu der gelehrten Tradition der Wissenschaft des Judentums Dirk Hartwig e. a. (eds.): „Im vollen Licht“ (nt. 2). W. M. Brinner, An Islamic Decalogue, in: W. M. Brinner/S. D. Ricks (eds.), Studies in Islamic and Judaic traditions, Atlanta 1986, 67–84. Der Autor zitiert einen kurzen und etwas herablassend urteilenden Abschnitt zum Dekalog aus M. S. Seale, Qur’an and Bible, London 1978, 74. S. Schreiner, Der Dekalog der Bibel und der Pflichtkodex für den Muslim, in: Judaica 43 (1987), 171–184. H. Zirker, Der Koran. Zugänge und Lesarten, Darmstadt 1999. K. Prenner, Du sollst in Freiheit leben – der Dekalog, 11. Österreichische Christlichjüdische Bibelwoche 15.–20. Juli 2002, Graz 2002 (Typoskript). S. Günther, O People of Scripture! Come to a Word Common to You and Us: The Ten Commandments and the Qur< an, in: Journal of Qur< anic Studies 9 (2007), 28–58. Zirker, Der Koran (nt. 31), 154. Er hebt das Fehlen des zweiten, dritten und vierten Gebots hervor, d. h. die Nicht-Erwähnung des Bilderverbots, des zu schützenden Namens Gottes und der Sabbatheiligung, und benennt die dafür neu aufgenommenen Referenzen auf lokale Praktiken (Kindstötung, Talion). Da der spätere Text aber nur eine Rekapitulation des der Gemeinde schon bekannten älteren ist, bleibt das besondere Spannungsfeld, das der Dekalog mit seinem ersten Eintritt in den Koran schafft, unerkannt.

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Sacherklärung der einzelnen in Q 17:22–39 aufgeführten Gebote. Lediglich Schreiner verfolgt ein koranhistorisch relevantes Ziel; er möchte zeigen, „dass Muhammad den Biblischen Dekalog, den er sehr wohl kannte, vor Augen hatte, als er seinen Pflichtenkodex für den Muslim zusammenzustellen im Begriff war“ 35. Sein an sich wichtiger Ansatz verliert dadurch, daß er vom Koran als einem von Muhammad verfaßten Buch ausgeht und dem Propheten eine genaue Kenntnis von biblischen Vorlagen unterstellt, vor allem aber dadurch, daß er mit seiner synchronen Lektüre die gesamte textgeschichtliche Forschung ignoriert, erheblich an Überzeugungskraft. Er setzt – wie Zirker – willkürlich nicht die stilistisch eindeutig frühe Sure 17, sondern die späte Sure 6, wohl weil sie im Textcorpus vor Sure 17 steht, als das früheste Zeugnis für den Dekalog an und stellt damit die Entwicklung auf den Kopf 36. Es ist William Brinner, der am ernsthaftesten an der Funktion des Dekalogs in seiner Sure interessiert ist. Obwohl er sich für seine Interpretation auf die islamische Tradition stützt, kontextualisiert Brinner den Text doch ebenso mit nachbiblischen Traditionen. Vor allem erkennt er erstmals klar den Stellenwert der Mose-Referenzen in den Dekalog-Suren als Hinweise auf eine Rivalität zwischen Muhammad und Mose und trägt so der Textpolitik des Korans Rechnung. Seine Darstellung wird lediglich durch die mangelnde Unterscheidung zwischen der koranischen Aussage und der in der Sı¯ra getroffenen Interpretation von entscheidenden Gedanken beeinträchtigt. Sehen wir uns nun den Text selbst an: Trotz fehlender Referenz auf den mosaischen Vorbildtext und dessen Zehnzahl der Gebote weist sich die Versgruppe Q 17:22–39 doch deutlich als eine Proklamation mit Manifestcharakter aus, denn sie wird mit einer unverkennbaren Autorisierungsformel eingeleitet: qad.a¯ rabbuka / „Bestimmt hat dein Herr“ 37. Die mitgeteilten Gebote besitzen also göttliche Autorität. Was folgt, kann in der Tat als ein Katalog von 10 Geboten erkannt werden, vorausgesetzt, man identifiziert den Vorspann V. 22 und V. 23a als 1. Gebot (Ex 20,3–5), V. 23b–25 als 5. Gebot (Ex 20,12), V. 33 als 6. Gebot (Ex 20,13), V. 32 als 7. Gebot (Ex 20,14), V. 35 als 8. Gebot (Ex 20,15) und V. 36 als modifizierte Version des 9. Gebotes (Ex 20,16), wobei Lev 17,35 noch enger verwandt ist. Anstelle der vier ausgefallenen Gebote 2–4 (Namenstabu, Sabbatheiligung, Bildverbot) und 10 (Tabuisierung des Besitzneids) sind vier andere getreten: die Sorgewaltung für Verwandte und Bedürftige V. 26 38, das Verbot der Kindstötung 35 36 37 38

Schreiner, Der Dekalog (nt. 30), 171. Seine totale Ausblendung der Textentwicklung führt ihn darüber hinaus zu einigen problematischen Hypothesen, die hier außer Acht bleiben müssen. Autorisierungsformeln sind z.B. auch kutiba >alaikum / „es ist für Euch vorgeschrieben“ (Q 2:183–187) oder farı¯d. atan mina ’lla¯hi / „eine Pflicht, auferlegt von Gott“ (Q 9:60). Cf. Ex 22,20–26. Speyer, Die biblischen Erzählungen (nt. 24), 307, zitiert für die Aufforderung, weder geizig zu sein noch zu viel zu geben eine biblische, Dtn 15,7–9, und eine mischnaische Parallele: Ket. 67b „dir ist aufgegeben, ihm Speise zu geben, nicht ihn reich zu machen“. Es ist offenkundig, daß diese Anweisung zum Umgang mit eigenem Besitz von derjenigen in Jesus’

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V. 31, die Sorgewaltung für Waisen V. 34 und schließlich das Gebot der Bescheidenheit V. 37 39. Offenbar wird aber auf die Zehnzahl kein großer Wert gelegt, denn einzelne Gebote sind durch kommentierende Zusätze in weitere Anweisungen aufgefächert, so daß die Kontrolle der Zehnzahl erschwert ist. Dennoch vermittelt der im Koran einzigartige Imperativ-Katalog den Eindruck, daß hier eine bereits bestehende Tradition von Zehn Geboten für den Koran adaptiert wird. Das lokale Kolorit des koranischen Dekalogs ist vor allem dort unübersehbar, wo Gebote über die biblischen Dekaloggebote hinaus formuliert werden, wie mit der Forderung nach Abschaffung bzw. Neuregelung einheimischer problematischer Praktiken, vor allem der Kindstötung, V. 26, die bereits einmal in Frühmekka, in Q 81:8–9, angeprangert worden war. Ähnliches gilt für die vorher nicht erwähnten besonderen Umstände die Talion betreffend, V. 33. Auch die Verpönung anmaßenden Verhaltens, V. 37, ist aus der Poesie bekannt. Diese Korrekturforderungen werden verbunden mit Anweisungen aus dem biblischen Dekalog, von denen die meisten – etwa die den Eltern entgegenzubringende Pietät oder die Ehrlichkeit im Handel – auch den pagan orientierten Hörern nicht fremd gewesen sein dürften. So war die Forderung nach Aufrichtigkeit im sozialen Umgang, wie das rechte Messen und Wiegen (V. 35), schon frühmekkanisch erhoben worden, cf. Q 83:1–3. Sachlich ist weniges neu, es ließen sich allenfalls die Problematisierung des Tötens (V. 35), die rechte Zeugnisablegung (V. 36) und die Tabuisierung von verpönter sexueller Freizügigkeit mit dem biblischen Begriff der Unzucht 40 (V. 32) benennen. Und dennoch verdient der koranische Dekalog als ein Fanal neuen Denkens wahrgenommen zu werden. Gewiß, der Eingottglaube, V. 22–23, ist seit Beginn der Verkündigung Zentrum der Botschaft, er steht daher selbstverständlich – wie im biblischen Vorbild – am Anfang der Gebote. Doch fällt bereits die noch im selben Vers 23 beginnende lange Ausführung zur Pietät gegenüber den Eltern aus der Reihe. Sie verlangt ja nicht nur Ehrerbietung gegenüber den Eltern als Garanten der Familienzusammengehörigkeit, sondern auch Umsorgung der alt und abhängig gewordenen. Sie sollen nicht nur sozialen Schutz, sondern auch durch Fürbittgebete erflehte göttliche Barmherzigkeit erfahren. Der karitative und sogar emotionale Aspekt an diesem Gebot erinnert deutlich an die Auszeichnung der beiden Gottesmänner Yah.ya¯ (Johannes) und Jesus in Sure 19, zu deren Tugenden Ehrfurcht vor ihren Eltern gehörte. Die Entfaltung göttlicher, aber auch den Menschen aufgegebener Barmherzigkeit, rah.ma, war eines der Hauptanliegen der in Sure 19 erzählten Geschichte von der christlichen Gründersippe, Maria, Jesus,

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Kommentar zum Dekalog in der Geschichte von dem reichen jungen Mann weit entfernt ist, siehe Mt 19, 16–22. Speyer, l. c., verweist auf Dtn 29,28 und auf eine Homilie von Aphraates; Brinner, An Islamic Decalogue (nt. 29), 80, führt Dtn 8,14 und Mi 6,8 an. Sexuelle Freiheitsbegrenzungen finden sich aber schon in Tugendkatalogen, cf. Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike (nt. 3), 297. Für die spätere Verkündigung siehe auch H. Motzki, Wal-muh.s.ana¯tu mina n-nisa¯< i illa¯ ma¯ malakat aima¯nukum (Koran 4:24) und die koranische Sexualethik, Der Islam 63 (1986), 192–218.

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Zacharias und Johannes, wo auf den Begriff zwanzigmal zurückgegriffen wird; er wird auch im Dekalog mehrmals aufgenommen: in Q 17:24 rah.mati, irh.amhuma¯, „Barmherzigkeit“, „erbarme dich ihrer“, und Q 17:28 ibtig˙ a¯< a rah.matin, „im Streben nach Barmherzigkeit“. Diese Verinnerlichung des Gebots zeugt von einem neuen Bewußtsein, einer neuen Verantwortung des einzelnen für seine Lebensführung, die Guy Stroumsa41 als eine neue „Sorge um das Selbst“, epimeleia heautou, bezeichnet hat und in der er ein für die spätantike Frömmigkeit charakteristisches Phänomen erkennt. In dieselbe Richtung verweist die Einbeziehung nicht nur von ferneren Angehörigen, sondern auch von fremden Bedürftigen in den Kreis der zu Umsorgenden. Die schon mehrmals erhobene Forderung nach Sorgewaltung für die Waisen (cf. Q 107:2, 93:6,8, 90:15, 89:17) geht nun ausdrücklich in den Dekalog ein. Diese neue Akzentsetzung beweist, daß das kollektive Selbstverständnis inzwischen von einem tribal orientierten, genealogisch begründeten42 zu einem kommunitären „mutiert“ hat – wiederum eine der von Stroumsa beschriebenen „religiösen Mutationen der Spätantike“43. Im Hintergrund steht die Überzeugung, daß Gott in seiner rah.ma den einzelnen Menschen umsorgt, dieser seinerseits aber dieselbe Emotionalität gegenüber den ihm zur Sorge anvertrauten Abhängigen zeigen sollte. 3. Der Text Q 17:22–39 44: 22 la¯ tagˇ>al ma>a ’lla¯hi ila¯han a¯hara fa-taq>uda madmu¯man ˘mahdu¯la¯ ˘¯ 23 wa-qad.a¯ rabbuka ¯alla¯ ta> budu¯ illa ¯ ¯ı ya¯hu wa-bi-’l-wa¯lidaini ih.sa¯nan imma¯ yablug˙ anna >indaka ’l-kibara ah.aduhuma¯ au kila¯huma¯ fa-la¯ taqul lahuma¯ uffin wa-la¯ tanharhuma¯ wa-qul lahuma¯ qaulan karı¯ma¯ 24 wa-’hid. lahuma¯ gˇ ana¯h.a ’d-dulli mina ’r-rah.mati ˘ ¯ ¯¯ kama¯ rabbaya¯nı¯ sag˙ ¯ı ra¯ wa-qul rabbi ’rh.amhuma . 25 rabbukum a>lamu bi-ma¯ f ¯ı nufu¯sikum in taku¯nu¯ s.a¯lih.¯ı na fa-innahu ka¯na li-’l-auwa¯bı¯na g˙ afu¯ra¯ 26 wa-a¯ti da¯ ’l-qurba¯ h.aqqahu wa-’l-miskı¯na wa-’bna s-sabı¯li ¯¯ tubaddir tabd¯ı ra¯ wa-la 27 inna ’l-mubad¯d¯irı¯na ka¯¯nu¯ ihwa¯na ’sˇ-sˇaya¯t.¯ı ni ˘ wa-ka¯na ’sˇ¯-s¯ˇ ait. a¯nu li-rabbihi kafu¯ra¯ 28 wa-imma¯ tu>rid.anna >anhumu ’btig˙a¯< a rah.matin min rabbika targˇu¯ha¯ fa-qul lahum qaulan maisu¯ra¯ 41 42

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G. Stroumsa, Das Ende des Opferkults. Die religiösen Mutationen der Spätantike, Berlin 2011, 21–52. A. Neuwirth, Eine „religiöse Mutation der Spätantike“: Von tribaler Genealogie zum Gottesbund. Koranische Refigurationen pagan-arabischer Ideale nach biblischen Modellen, Berlin 2014, 201–230. Stroumsa, Das Ende des Opferkults (nt. 41), 120–151. Die Übersetzung ist die von Verfasserin.

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29 wa-la¯ tagˇ >al yadaka mag˙ lu¯latan ila¯ >unuqika wa-la¯ tabsut.ha¯ kulla ’l-bast.i fa-taq>uda malu¯man mah.su¯ra¯ 30 inna rabbaka yabsut. u ’r-rizqa li-man yasˇa¯< u wa-yaqdiru innahu ka¯na bi->iba¯dihi habı¯ran bas.¯ı ra¯ 31 wa-la¯ taqtulu¯ aula¯dakum has˘ˇyata imla¯qin ˘ nah.nu narzuquhum wa-ı ¯ya¯kum inna qatlahum ka¯na hit.< an kabı¯ra¯ 32 wa-la¯ taqrabu¯ ’z-zina¯ ˘ innahu ka¯na fa¯h.isˇatan wa-sa¯< a sabı¯la¯ 33 wa-la¯ taqtulu¯ ’n-nafsa ’llatı¯ h.arrama ’lla¯hu illa¯ bi-’l-h.aqqi wa-man qutila maz.lu¯man fa-qad gˇ a>alna¯ li-walı¯yihi sult.a¯nan fa-la¯ yusrif f ¯ı ’l-qatli innahu ka¯na mans.u¯ra¯ 34 wa-la¯ taqrabu¯ ma¯la ’l-yatı¯mi illa¯ bi-’llatı¯ hiya ah.sanu h.atta¯ yablug˙ a asˇuddahu wa-aufu¯ bi-’l->ahdi inna l->ahda ka¯na mas< u¯la¯ 35 wa-aufu¯ ’l-kaila ida¯ kiltum wa-zinu¯ bi-’l-qist. a¯si ’l-mustaqı¯mi ¯ da¯lika hairun wa-ah . sanu ta< wı¯la¯ ˘ ¯ 36 wa-la¯ taqfu ma¯ laisa laka bihi >ilmun inna ’s-sam>a wa-’l-bas.ara wa-fu< a¯da kullu ula¯< ika ka¯na >anhu mas< u¯la¯ 37 wa-la¯ tamsˇi fı¯ ’l-ard.i marah.an innaka lan tahriqa ’l-ard.a ˘ wa-lan tablug˙a ’gˇ-gˇ iba¯la t.u¯la¯ 38 kullu da¯lika ka¯na saiyi< uhu >inda rabbika makru¯ha¯ 39 da¯lika ¯mimma¯ auh.a¯ ilaika rabbuka mina ’l-h.ikmati ¯ wa-la¯ tagˇ>al ma>a ’lla¯hi ila¯han a¯hara ˘ fa-tulqa¯ f ¯ı gˇahannama malu¯man madh.u¯ra¯

22 Setze neben Gott nicht einen andern Gott! Damit du nicht getadelt und gedemütigt dasitzt. 23 Beschlossen hat dein Herr, daß ihr ihm allein dienet, und gegenüber euren Eltern Wohltätigkeit. Wenn sie alt geworden sind bei dir, einer oder auch beide, sag ihnen nicht „Pfui!“, und fahre sie nicht an! Gebrauche ihnen gegenüber nur freundliche Worte. 24 Und senke auf sie herab die Fittiche der Demut, aus Erbarmen, und sprich: „Mein Herr! Erbarm dich ihrer, so wie sie mich aufzogen, als ich klein war!“ 25 Was ihr in euren Seelen hegt, weiß er wohl. Wenn ihr rechtschaffen seid, ist er bereit, denen, die zu ihm umkehren, zu vergeben. 26 Gewähre dem Verwandten sein Recht und dem Armen und dem Sohn des Weges! Doch übertreibe nicht im Geben, 27 die Verschwender sind Brüder der Satane, und der Satan war gegen seinen Herrn undankbar.

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28 Wendest du dich von ihnen ab, im Streben nach Barmherzigkeit von deinem Herrn, die du erhoffst, gebrauche ihnen gegenüber nur freundliche Worte! 29 Laß deine Hand nicht an deinem Hals gefesselt sein, und öffne sie nicht zu weit, so daß du getadelt und verarmt dasitzt! 30 Dein Herr gibt Unterhalt reichlich, wem er will, und gibt ihn bemessen, er weiß um seine Diener und ist umsichtig. 31 Tötet eure Kinder nicht aus Furcht vor Armut! Denn wir versorgen sie und euch. Sie zu töten ist ein schweres Vergehen. 32 Naht euch nicht der Unzucht! Das ist etwas Schändliches – ein schlimmer Weg! 33 Und tötet keinen, den Gott zu töten verboten hat – es sei denn, rechtens! Wenn jemand unrechtmäßig getötet ist, so geben wir die Vollmacht seinem Rechtsvertreter doch überschreite er im Töten nicht das Maß! Er erhält ja Hilfe. 34 Vergreift euch nicht am Gut der Waise – es sei denn, daß es gutem Zwecke dient –, bis daß sie ihre Reife erreicht hat! Haltet ein, was ihr versprecht! Denn das Versprochene wird eingefordert. 35 Wenn ihr zumesst, haltet ein das Maß und wiegt mit rechter Waage! Denn das ist gut und führt zum besten Ziel. 36 Folge dem nicht nach, wovon du nichts weißt; denn Ohren, Augen, Herz, sie alle werden dereinst befragt. 37 Gehe nicht einher auf Erden in stolzem Überschwang; du kannst die Erde nicht durchqueren und kannst, in ihrer Höhe, die Berge nicht erreichen. 38 All dieses Böse ist verhaßt bei deinem Herrn. 39 Das ist von dem, was dir dein Herr an Weisheit eingegeben hat. Und setze neben Gott nicht einen anderen Gott! Sonst wirst du in Gehenna geworfen, gescholten und verstoßen.

Wirft man einen Blick auf die – im Koran angedrohten – Konsequenzen, die aus der Nicht-Beachtung der Gebote erwachsen, so macht man eine überraschende Entdeckung: Es scheint auf den ersten Blick, als würden die hier vorgetragenen Anweisungen vor allem innerweltliche Folgen nach sich ziehen. Bereits die Verletzung des im Vorspannvers 22 genannten Gebotes der Alleinverehrung Gottes hat soziale Folgen: fa-taq>uda madmu¯man mahdu¯la¯ / „damit du nicht getadelt und ˘¯ ¯

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gedemütigt dasitzt“. Denn eben diese Mahnung ist zur Zeit der Verkündigung bereits ein Standardargument, wenn auch in einem anderen Kontext, der Debatte um den Umgang mit Vermögen. Es verbindet sich in der altarabischen Dichtung mit der Figur der >a¯dila /„Tadlerin“45, einer fiktiven Gegenfigur zu dem hero¯ seinem – in prahlerischem Ton verteidigten – exaltierten ischen Dichter-Ich, die Verhalten mit pragmatischen Argumenten entgegentritt. Ihr Tadel zielt vor allem auf die Verschwendungssucht des Helden, die ihn sozial ins Verderben stürzt. Ein Verschwendungsverbot begegnet auch im Dekalog, verbunden mit einer der in V. 22 verwandten Androhung (V. 29f): wa-la¯ tagˇ >al yadaka mag˙lu¯latan ila¯ >unuqika wa-la¯ tabsut.ha¯ kulla ’l-bast.i fa-taq>uda malu¯man mah.su¯ra¯ 30 inna rabbaka yabsut.u ’r-rizqa li-man yasˇa¯< u wa-yaqdiru innahu ka¯na bi->iba¯dihi habı¯ran bas.¯ı ra¯ / ˘ nicht zu weit, „Laß deine Hand nicht an deinem Hals gefesselt sein, und öffne sie so daß du getadelt und verarmt dasitzt! 30 Dein Herr gibt Unterhalt reichlich, wem er will, und gibt ihn bemessen, er weiß um seine Diener und ist umsichtig.“ Wie in der alten Dichtung vor den Folgen der Verschwendung gewarnt wird, die soziale Isolation infolge von Armut nach sich zieht, so ist hier – neben der Verschwendung – auch die Mehrgottverehrung (V. 22) ein möglicher Auslöser solcher Isolation. Es dürfte sich bei der hier angedrohten Situation allerdings nicht um den in der Dichtung angedrohten sozialen Statusverlust handeln, sondern um das Geschick im Jenseits. Die Verse sind in einem eschatologischen Kontext zu sehen: Die hier vorausgesagte Isolation entspricht derjenigen, die auch sonst Frevlern für den Jüngsten Tag prophezeit wird, man denke an die drastischen Bilder in Q 80:33–3746 und 70:8–1447. In jedem Fall spricht aber der unüberhörbare verbale Bezug auf die >a¯dila¯ Intertexte, weiter gestützt durch die deutlich poetische Phrasierung des Verbots der Verschwendung, dafür, daß mit dem Dekalog auch Adressaten erreicht werden sollen, denen die in der Dichtung geführte Debatte um die paganen Werte vertraut war, unter denen besonders exzessive Großzügigkeit als ein Weg galt, sich Ruhm, ‚Ewigkeit‘, huld, zu verschaffen. Die Benutzung des biblischen Dekalog˘ Moduls zur Formulierung von Normen, die für die teils bereits monotheistisch orientierte, teils aber auch noch pagan geprägte Gesellschaft gelten sollen, stellt eine besonders wirksame Strategie der Autorisierung dar 48. Im selben Kontext findet sich auch ein Verweis auf den Satan, V. 26b–27: wa-la¯ tubaddir tabd¯ı ra¯ 27 ¯¯ ¯ ¯ ra¯ / inna ’l-mubaddirı¯na ka¯nu¯ ihwa¯na ’sˇ-sˇaya¯t.¯ı ni wa-ka¯na ’sˇ-sˇait. a¯nu li-rabbihi kafu ˘ ¯ ¯ „Doch übertreibe nicht im Geben, 27 die Verschwender sind Brüder der Satane, und der Satan war gegen seinen Herrn undankbar“. Verschwendung ist das Verhalten der ‚Anhänger der Satane‘ – eine Anspielung nicht auf den einen Bösen im christlichen Verstand, sondern auf die Dämonen, Djinnen, von denen die Dichter 45 46 47 48

Zum Motiv der Tadlerin cf. Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike (nt. 3), 697 sq. Neuwirth, Der Koran 1 (nt. 4), 378–394. bid., 431–451. Zur Umfunktionierung weiterer biblischer Module cf. Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike (nt. 3), 374.

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ˇ a¯hilı¯ya, inspiriert werden, die das exaltiert-heroische Weltbild des Vorislam, der G vertreten. Der abschließend genannte „eine Satan“ evoziert die in der mittelmekkanischen Sure 15 erzählte Episode, wo sich einer der Dämonen, Iblı¯s, „Diabolos“, der Aufforderung Gottes, sich vor dem neu erschaffenen Adam niederzuwerfen, widersetzt 49. Ihm wird strafweise die Rolle des Menschenverführers übertragen, wobei er sich eben jener Mittel bedienen wird, die im Dekalog implizit disqualifiziert werden: Besitz – die Grundlage der verpönten individuellen Selbsterhöhung durch exaltiertes gˇu¯d, karam / „Großzügigkeit“ – und eine große Nachkommenschaft als Grundlage des gleichfalls verworfenen nasab / „tribalen Stolzes“. Der im Dekalog genannte Satan steht für Irreleitung vermittels eben dieser vorislamischen Werte – die der Dekalog aushebeln will –, ohne daß der eine Satan dabei aber selbst zu einer Hypostase des Bösen aufrückte. Es ist also letztlich das anthropozentrische Weltbild der Dichtung, deren Helden autonom über ihre Welt verfügen, das als Negativfolie hinter dem Dekalog steht. Das Modul des biblischen Dekalogs bietet eine suggestive Form für die Zusammenfassung elementarer sozialer Anweisungen; hier werden alte pagane Normen (Umgang mit Eltern, Regelungen betreffend unerwünschten Nachwuchses, Formen der Talion) unter nun zentral werdenden biblischen und asketischen Einsichten verhandelt, so daß ein integraler neuer Normenkanon entsteht. Will man diese neue Gesetzgebung charakterisieren, so ist grundsätzlich ihre theozentrische Perspektive hervorzuheben; es geht prioritär darum, nicht in Gottes Prärogativen einzudringen: Gott allein steht es zu, den Unterhalt zu bemessen (V. 30, 31), und es ist nicht mehr der Heldenmut des Rächers, sondern erst die Synergie Gottes, die dem Racheakt zum Erfolg verhilft (V. 35) – ein kühner Eingriff in die bis dahin als Spielfeld des Heldentums verstandene Sphäre der Güterverteilung und der tribalen Talion, ein Eingriff, der dem Akt des Tötens nun jede heroische Dimension nimmt: Der Rächer handelt nicht mehr aus eigener Kraft, „er erhält ja Hilfe“ / innahu ka¯na mans.u¯ra¯. Selbst tribalrechtliche Regelungen wie die Talion werden der Verfügbarkeit des Menschen entzogen und Gott unterstellt. Darüberhinaus werden bereits als solche respektierte Gebote des sozialen Anstands zu göttlichen Geboten erhoben. Zusammen mit der Sakralisierung von sozialen Verhaltensregeln wird die anthropozentrische Weltsicht aus den Angeln gehoben. Das geschieht von der Warte einer neuen Frömmigkeit aus: Der gesamte Gebote-Katalog steht nicht nur unter dem Vorzeichen der Wahrnehmung göttlicher Allmacht, seines Waltens auch in weltlichen Angelegenheiten, sondern auch im Zeichen der Verantwortlichkeit des einzelnen. So wird die bereits in Frühmekka, Q 81:8 sq., zum Problem erhobene Kindstötung: wa-ida¯ ’l-mau< u¯datu su< ilat/ ¯ wird/ um welcher bi-aiyi danbin qutilat, „und wenn die Verscharrte gefragt ¯ Schuld willen sie getötet wurde“, nun zum Gegenstand eines göttlich verhängten Verbots erhoben. Während die Frage nach unerwünschtem Nachwuchs in Frühmekka, wo Gedanken aus einer christlichen Mahnpredigt anklangen, noch isoliert 49

Q 15:28–48; cf. Neuwirth, Qur < a¯n, Crisis and Memory (nt. 11) und Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike (nt. 3), 360–373.

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gestellt wurde, steht der geforderte Umgang mit ungeborenen oder neu geborenen Kindern im Dekalog im großen Kontext der göttlich gebotenen rah.ma, der Barmherzigkeit, gegenüber schwachen Angehörigen, die sich mit dem Bild des seine Flügel über seine Jungen ausbreitenden Vogels (V. 24: „und senke auf sie herab die Fittiche der Demut, aus Erbarmen, und sprich: „Mein Herr! Erbarm dich ihrer, so wie sie mich aufzogen, als ich klein war!“) eindeutig als eine emotional getragene, der privaten Frömmigkeit entspringende Tugend zu erkennen gibt. Diese Version des Dekalogs erscheint auf den ersten Blick eigentümlich unverbunden mit jener biblischen Figur, die in der jüdischen und christlichen Tradition als der herausgehobene Übermittler der Gebote gilt: Mose. In der Tat spricht der Text selbst ihm die Gebote nicht zu. Da wir aber davon ausgehen können, daß seine besondere Verbindung zu diesem Text allgemein bekannt war – die Entgegennahme der Tafeln wird im Koran in einer Form berichtet, die die Vertrautheit der Hörer mit dem Ereignis nahelegt, siehe Q 20:80 – darf Moses als von vornherein, auch ohne Namensnennung, als im Text präsent gelten. Es ist vor allem deutlich, daß es Moses Verdienst, den Kern des Gesetzes überbracht zu haben, ist, das die Herausforderung enthält, auf die die Sure antwortet. Wie früher bereits gezeigt 50, spielt der Anfangsvers von Q 17 auf eine Art Exodus-Erfahrung Muhammads an, eine Entrückung hin zu einem gesegneten und geheiligten Ort, an dem er bedeutsame göttliche Mitteilungen, Zeichen, a¯ya¯t, erhielt – eine Erfahrung, die derjenigen Moses nahekommt, der die Tafeln auf einem hohen Berg, in unmittelbarer Nähe Gottes, in Empfang nahm51. Der Ausdruck, mit dem die Entrückung Muhammads bezeichnet ist, isra¯< , verweist jedoch nicht auf einen Aufstieg, sondern auf eine horizontale Bewegung, wie sie in anderen Suren für die Flucht Lots (Q 15:65, 11:81), vor allem aber – dreimal – für den Exodus des Mose (Q 20:77, 26:52, 44:23) gebraucht ist. V. 1 enthält so einen unmissverständlichen Verweis auf Mose. Es überrascht nicht, daß John Wansbrough eine Deutung des Verses im Sinne einer Entrückung von Mose selbst vorschlug 52. Dem Vers folgt unmittelbar die Aussage über Moses Überbringung der Schrift, al-kita¯b, als Instrument der Rechtleitung. Ein indirekter Verweis auf Mose ist in dem kurzen Abriß der Geschichte der beiden Jerusalemer Tempel, Q 17:4–8, enthalten. Dieser Passus ist ein im Koran einzigartiger historisch-politischer Text, der anders 50

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Siehe A. Neuwirth, From the Sacred Mosque to the Remote Temple. Su¯rat al-Isra¯< between Text and Commentary, in: J. McAuliffe/B. Walfish/J. Goering (eds.), With Reverence for the Word. Studies in Jewish, Christian and Islamic Exegesis, Oxford 2003, 376–407. Diese Lokalität wird in der späteren Tradition mit einem himmlischen Ort identifiziert – wie dem Mose zugebilligten, der vom Gipfel eines hohen Berges mit Gott sprach. Die islamische Tradition berichtet auch von verschiedenen Treffen zwischen Muhammad und Mose in den himmlischen Sphären. Eine klare Wahrnehmung der Analogie zwischen den beiden Erfahrungen reflektiert sich in diesen Erzählungen. Doch obwohl der Koranvers auf dieser Analogie aufbaut, spricht er nicht von einem Aufstieg – es gibt im Gegenteil einen eindeutigen Vers in der Sure, Q 17:93, der die Möglichkeit eines Aufstiegs, ruqı¯y, explizit vom Verkünder abwehrt. J. E. Wansbrough, Quranic Studies. Sources and Methods of Scriptural Interpretation, Oxford 1977, 68.

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als die sonstigen koranischen Erzählungen nicht historische Figuren, sondern einen besonderen Ort fokussiert: den Jerusalemer Tempel. Er nimmt damit wieder Bezug auf den Ort, zu dem hin der Verkünder während seiner Entrückung ins Heilige Land versetzt wird. Das fehlende Verbindungsglied zur Erhellung des Kontexts findet sich jedoch nicht im Text, sondern ist in der Situation der Gemeinde zu suchen: Der Ort des Jerusalemer Tempels ist das Ziel der Gebetsrichtung, die in mittelmekkanischer Zeit gewählt worden ist, um die Absicht der Gemeinde auszudrücken, ein Teil der monotheistischen Heilsgeschichte zu werden und so den Israeliten ähnlich zu werden, deren Heiligtum der Tempel ist. Die negative Darstellung der Geschicke des Tempels klingt wie ein indirekter Ausdruck der Geringschätzung für die Effizienz der Rechtleitung, die Mose überbracht hatte (cf. Q 17:3). Die Sure zeigt, daß die Supersessionspolitik, das Bestreben, die Israeliten zu übertreffen und so die Privilegien Moses durch vergleichbare Erfahrungen seitens des Verkünders einzuholen, in vollem Gange ist. 4. Der frühmedinische Dekalog Der frühmedinische Dekalog53 Q 6:151–153 ist direkt mit Mose verbunden, dessen Erhalt der gesamten Schrift (V. 154: tumma atayna¯ Mu¯sa¯ ’l-kita¯ba ¯ wird. Beide Akte, die Entgetama¯man…) im unmittelbar folgenden Vers bezeugt gennahme der Tafeln und die des Gesetzes, scheinen in dieser Phase bereits eng zusammenzugehören. Der rein paränetische Text, der sich mit freundlicher Ermahnung an die offenbar vornehmlich jüdischen Hörer wendet, ist noch nicht polemisch. Die Mitteilung des Dekalogs bedarf nun keines fanalähnlichen Einsatzes mehr. Nachdem der Dekalog längst bekannt ist, kann die Wiederholung auf der früheren Version als Referenztext aufbauen. Der Verkünder kann einfach an die Hörer appellieren und ihnen die bereits vorher mitgeteilten Gebote in Erinnerung bringen. Der Text ist in eine ausführliche Kontroverse mit jüdischen und paganen Gegnern über das sakral Verbotene bzw. Gebotene – ma¯ h.arrama ’lla¯hu / „das, was Gott sakral verboten hat“ – eingebettet. Es geht dabei weniger um die Korrektur ihres Handelns, als darum, das essentiell Wichtige in Erinnerung zu rufen und die Angesprochenen von ihren marginal-kasuistischen Fragen, etwa bezüglich diätetischer Vorschriften, weg wieder auf das Herzstück des Gebotenen und Verbotenen zu lenken. 53

Die Sure gilt der islamischen Tradition und in der kritischen Forschung als mekkanisch. Zu einem Plädoyer für die mekkanische Zugehörigkeit cf. Th. Nöldeke, Geschichte des Qor< a¯ns. Über den Ursprung des Qor< a¯ns, Leipzig 1961, 162: „V. 142 [=153] und V. 153–154 [=154–155] werden mit Unrecht für medinisch gehalten. Vor dem Teile, der mit V. 155 [=156] anfängt, scheint einiges ausgefallen zu sein.“ Dafür, daß sich die Dekalog-Verse Q 6:151–153 dennoch vornehmlich an jüdische Hörer wenden und daß sie daher in die medinische Wirkungszeit des Propheten datiert werden sollten, spricht die auffallende stilistische Nähe des Korantexts zu Ex 20:1–17 (jeweils Listen von negierten Imperativen), die eine Vertrautheit mit dem Duktus der biblischen Version voraussetzt, wie sie am ehesten aus einer Debatte mit jüdischen Gesprächspartnern erwachsen konnte.

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Q 6:151–153: 151 qul: ta>a¯lau atlu ma¯ h.arrama rabbukum >alaikum alla¯ tusˇriku¯ bihi sˇai< an wa-bi-’l-wa¯lidaini ih.sa¯nan wa-la¯ taqtulu¯ aula¯dakum min imla¯qin nah.nu narzuqukum wa-iya¯hum wa-la¯ taqrabu¯ ’l-fawa¯h.isˇa ma¯ z.ahara minha¯ wa-ma¯ bat.ana wa-la¯ taqtulu¯ ’n-nafsa ’llatı¯ h.arrama ’lla¯hu illa¯ bi-’l-h.aqqi da¯likum was.s.a¯kum bihi la>allakum ta>qilu¯n ¯ ¯ taqrabu¯ ma¯la ’l-yatı¯mi illa¯ bi-’llatı¯ hiya ahsanu 152 wa-la . h.atta¯ yablug˙ a asˇuddahu wa-aufu¯ ’l-kaila wa-mı¯za¯na bi-’l-qist.i la¯ nukallifu nafsan illa¯ wus>aha¯ wa-ida¯ qultum fa->dilu¯ wa-lau ka¯na da¯ qurba¯ ¯ >ahdi ’lla¯hi aufu¯ ¯ wa-bida¯likum was.s.a¯kum bihi la>allakum tadakkaru¯n ¯ ¯ >u¯hu 153 wa-anna ha¯da¯ s.ira¯t.¯ı mustaqı¯man fa-’ttabi ¯ >u¯ ’s-subula fa-tafarraqa bikum >an sabı¯lihi wa-la¯ tattabi da¯likum was.s.a¯kum bihi la>allakum tattaqu¯n ¯ 151 Sprich: „Kommt her, daß ich vortrage, was euch euer Herr verboten hat: Gesellt ihm nichts bei! Begegnet euren Eltern mit Freundlichkeit! Tötet eure Kinder nicht aus Armut, wir versorgen euch und sie! Naht euch nicht der Schändlichkeit, nicht dem, was davon offen zutage liegt, und nicht dem, was verborgen ist! Tötet niemanden, den Gott zu töten verboten hat, es sei denn, rechtens! Das hat er euch zu tun geboten. Vielleicht, daß ihr vernünftig seiet. 152 Vergreift euch nicht am Gut der Waise – es sei denn, daß es gutem Zwecke dient, bis daß sie ihre Reife erreicht hat! Haltet Maß und Waage ein in Gerechtigkeit – wir lasten keiner Seele mehr auf, als sie tragen kann! Wenn ihr etwas aussagt, so seid gerecht, auch dann, wenn es einen Verwandten betrifft! Und haltet Gottes Bund! Das hat er euch zu tun geboten. Vielleicht, daß ihr euch mahnen laßt.“ 153 Das nämlich ist mein Weg – er ist gerade. So folgt ihm – und folgt nicht den Nebenpfaden, die euch von seinem Pfad abbringen. Das hat er euch zu tun geboten. Vielleicht, daß ihr gottesfürchtig seiet.

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Obwohl der Text aufgrund seines besonderen Status als einer autoritativen Erklärung wesentlich pathetischer eingeleitet ist als die erste Version, ist er seinem Inhalt nach nicht viel mehr als eine Rekapitulation des früheren Dekalogs, wobei nun auf die dort mitgeteilten Einzelheiten, die spezifisch auf die Reform altarabischer Verhältnisse zielten – etwa die Details der Elternbehandlung oder die Tötung betreffend – verzichtet werden kann. Lediglich einmal wird Kritik an den tribal orientierten Privilegierungen in der paganen Gesellschaft laut: V. 152 „Wenn ihr etwas aussagt, so seid gerecht, auch dann, wenn es einen Verwandten betrifft!“ Der Akzent liegt jedoch jetzt anderswo: Es wird dreimal – jeweils im Schlußkolon der Verse54 – pathetisch auf die Verbindlichkeit der Gebote als was.¯ı ya (da¯likum ¯ was.s.a¯kum), ein Korrelat zu der biblischen mis.wah / „verpflichtenden Bestimmung“, verwiesen. Einige Bestimmungen werden spezifiziert, so die Sorgewaltung um die Waise und die Zeugnisaussage, andere wie das Gebot des gerechten Zuwiegens werden ‚erleichtert‘. Das Gebot der Bescheidenheit fehlt jetzt, so daß nur noch neun Gebote zusammenkommen. Es fällt auf, daß, obwohl der Fortgang von Mose handelt, der Dekalog selbst nicht explizit auf Mose zurückgeführt wird. Er wird offenbar als ein universales Vermächtnis verstanden. 5. Der spätere medinische Dekalog Der Text ist in eine Polemik eingebunden, die nun wesentlich härter mit den jüdischen Hörern verfährt als die Anrede in Q 6: 151–15355. Ihnen wird nun angesichts bereits begangener Verstöße gegen einzelne Gebote jenseitige Strafe angedroht. Einleitend wird der Bundesschluß der Israeliten mit Gott eingeblendet, bei dem sie – ohne daß Mose beteiligt erscheint – auf die Gebote festgelegt werden. Im Zentrum steht also nicht die Figur Moses, sondern das Kollektiv der ursprünglichen Rezipienten des Dekalogs, die Israeliten, deren Nachkommen, die zeitgenössischen Juden, aufgefordert werden, Rechenschaft für ihre Mißachtung der Gebote abzugeben. Q 2:83–85: 83 wa-id ahadna¯ mı¯t a¯qa Banı¯ Isra¯˘budu . wa-d¯ı ’l-qurba¯ wa-’l-yata¯ma¯ wa-’l-masa¯kı¯ni ¯ 54 55

Zu den Schlußklauseln cf. Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike (nt. 3), 758–761. Nach Ibn Ish.a¯q, in: ’Abd al-Malik ibn Hisha¯m, As-Sı¯ra an-nabawiyya, ed. Mus.t.afa¯ b. Muh.ammad al- Saqqa¯’, Ibra¯hı¯m, al-Abyari, ’Abd al H.afı¯z. Shalabi, Beirut o.D. 4 Bde., II. 540 f. (englische Übersetzung: A. Guillaume, The Life of Muhammad: A Translation of Ibn Ish.a¯q’s Sı¯rat Rasu¯l Alla¯h, Oxford 1955, 253 f.), beziehen sich die beiden Verse 2:84 und 85 auf vorislamische Geschichte: konkret auf eine Episode, die sich wenige Jahre vor dem Eintreffen des Propheten in Medina ereignet hatte. Siehe dazu M. Schöller, Exegetisches Denken und Prophetenbiographie. Eine quellenkritische Analyse der Sira-Überlieferung zu Muh.ammads Konflikt mit den Juden, Wiesbaden 1998, 171–174.

Die ,Entdeckung des Bösen‘ im Koran?

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wa-qu¯lu¯ li-’n-na¯si h.usnan wa-aqı¯mu¯ l-s.ala¯ta wa-a¯tu¯ ’z-zaka¯ta tumma tawallaitum illa¯ qalı¯lan minkum wa-antum mu>rid.u¯n 84 wa-¯id ahadna¯ mı¯t a¯qakum ˘ ¯ ¯ ¯< akum wa-la¯ tuhrigˇu¯na anfusakum min diya¯rikum la¯ ¯tasfiku ¯ na dima ˘ tumma aqrartum wa-antum tasˇhadu ¯n ¯ 85 tumma antum ha¯< ula¯< i taqtulu¯na anfusakum ¯ wa-tuhrigˇu¯na farı¯qan minkum min diya¯rihim ˘ taz. a¯haru ¯ na >alaihim bi-’l-it mi wa-’l->udwa¯ni wa-in ya< tu¯kum usa¯ra¯ tufa¯¯du¯hum wa-huwa muh.arramun >alaikum ihra¯gˇuhum ˘ a-fa-tu< minu¯na bi-ba>d.i ’l-kita¯bi wa-takfuru ¯ na bi-ba>d.in fa-ma¯ gˇaza¯< u man yaf >alu da¯lika minkum ¯ ¯ illa¯ hizyun fı¯ ’l-h.aya¯ti ’d-dunya ˘ wa yauma ’l-qiya¯mati yuraddu¯na ila¯ asˇaddi ’l->ada¯bi ¯ wa-ma¯ ’lla¯hu bi-g˙ a¯filin >amma¯ ta>malu¯n 83 Damals, als wir die Verpflichtung von den Söhnen Israel entgegen nahmen: „Ihr sollt niemand dienen außer Gott und zu den Eltern gütig sein und zu den Verwandten, den Waisen und den Armen! Sprecht nur Gutes zu den Menschen! Verrichtet das Gebet, und gebt Almosen!“ Darauf kehrtet ihr euch ab, außer wenigen von euch, und seid nun abgewandt. 84 Damals, als wir die Verpflichtung von euch entgegennahmen: „Ihr sollt nicht euer Blut vergießen und euch nicht gegenseitig aus euren Wohnstätten vertreiben!“ Ihr bestätigtet es, indem ihr es bezeugtet. 85 Doch dann tötet gerade ihr euch gegenseitig und vertreibt eine Gruppe eurer Leute aus ihren Wohnstätten, indem ihr euch gegen sie verbündet in Frevel und Feindseligkeit. Doch kommen sie als Gefangene zu euch, dann kauft ihr sie frei – wo es euch doch verboten ist, sie zu vertreiben. Glaubt ihr denn nur an einen Teil der Schrift und leugnet den anderen? Was ist wohl die Vergeltung für den von euch, der solches tut, wenn nicht Erniedrigung im Leben in dieser Welt? Am Tag der Auferstehung werden sie dann der strengsten Strafe ausgesetzt. Gott läßt, was ihr tut, nicht unbeachtet.

Dieser Text stellt den Dekalog erstmals in den Zusammenhang des Sinai-Bundes56, so daß die Gebote nun als Rede Gottes an die Banu¯ Isra¯aritischen, A.N.] System ist al-Shayt.a¯n nicht der Auslöser des Bösen; Gott verursacht es als ultima causa, die Menschen unmittelbar. Al-Shayt.a¯n dient nur dazu, uns durch viele anziehende Alternativen vom geraden Weg (al-sı¯ra¯t al-mustaqı¯ m) abzulenken. Da Gut und Böse nicht rational unterschieden werden können – eine ‚Irr57

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Grunebaum, Studien zum Kulturbild (nt. 1), 35. Von Grunebaum veranschaulicht das Gesagte an einem kurzen Vergleich des Islam mit dem Christentum: „Während dem Muslim das Irrationale und Antigöttliche nur als Unwissenheit, Mangel an Einsicht oder Schwäche erscheinen kann, steht der Christ dem Bösen selbst gegenüber, das seit dem Sündenfall sich im Innersten seines Willens eingenistet hat. Der Kampf mit dem Bösen wird als an der Stelle stattfindend anerkannt, wo er sich tatsächlich abspielt, nämlich im Menschen selbst. Für ihn gibt es unter Gott eine echte Wahl, einen echten Sieg, und, vielleicht noch öfters, eine echte Niederlage“ (ibid., 36). Er fährt fort: „Ohne eine vergleichbare Verinnerlichung des Bösen gelten zu lassen, nahm die Antike an ihm als an einem irrationalen Element Anstoß. Daher konnte sowohl für die Alten als auch für die Christen der Mensch eine Wahl treffen, ja mehr noch: wie und warum er sein Wahl traf, war für den Lauf der Dinge und auch für sein sittliches Format wirklich bedeutsam. Denn es gab ein allgemeines Sittengesetz und ein besonderes, die mit der gleichen unentrinnbaren Autorität ausgestattet waren. Antigone hat recht und Kreon nicht unrecht“ (ibid.). Als Beispiel für ein moralisch besonders ambivalentes Vorbild ließe sich die anonyme Figur des Lehrers in der – nicht-biblischen – Mose-Geschichte in Q 18:65–2 anführen. Im übrigen deuten die Verweise auf die verschiedenen der Seele zugesprochenen Fähigkeiten auf eine viel weiter entwickelte Verinnerlichung von Gedanken und Handlungen des Individuums als von Grunebaum zugestehen möchte.

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meinung‘ der Mu>taziliten – bleibt einzig die Aufgabe, richtig festzustellen, was Gott in einer jeden Situation angeordnet hat. Eigentlich gibt es – dieser Meinung zufolge – also gar keine Theologie des Bösen im Islam. Stattdessen gibt es eine Theologie der Unterwerfung“59.

Für den Koran wäre es jedoch zu einfach, in Anlehnung an von Grunebaum zu behaupten, daß sich eine persönliche Aneignung des Bösen im Sinne der individuellen Sünde noch gar nicht abzeichne, daß es nur ein allgemeines Sittengesetz, kein den Einzelnen betreffenden besonderes gebe. Eine Verinnerlichung wenn nicht der Verbote, so doch der Gebote zeigte sich deutlich bei der für die Eltern eingeklagten Ehrerbietung, die von rah.ma, Barmherzigkeit, getragen sein soll, oder bei dem Auftrag zur Abfindung des Bettlers, der leer ausgeht, mit freundlichen Worten. Das kommt zwar nicht dem alle Gesetze übergreifenden Auftrag zur grenzenlosen Nächstenliebe (cf. Mt 22,35–40, Mk 12,28–31, Lk 10,25–2860), gleich, öffnet aber die Augen für die Untrennbarkeit der Menschlichkeit des anderen von der eigenen. Auch die mit den Dekalog-Geboten gestiftete Ordnung untersteht also dem Prinzip der Barmherzigkeit Gottes und, in seinem Auftrag, der Menschen. Mit all diesen auf Innerlichkeit und Sorge um das Selbst deutenden Referenzen erweist sich der Koran als typischer Text der Spätantike, als eine Stimme im Konzert der Debatten der Zeit, die sich zum einen gegen eingefleischte pagane Verhaltenformen – wie die Orientierung am Wohl des Familienclans und das exzessive Ausleben des tribalen Ehrenkodex – durchzusetzen hatte, die sich aber gleichzeitig in ihrem festen Vertrauen in die göttliche Vorsorge und ihrem höchsten Ziel, die Nähe Gottes zu finden, theologisch auf der Höhe ihrer Zeit bewegte.

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W. S. Bodman, The Poetics of Iblis. Narrative Theology in the Qur’an, Cambridge 2011, 11, der sich auf von Grunebaum, Observations on the Muslim Concept of Evil, in: Studia Islamica 31 (1970), 117–134, stützt. Siehe auch Lk 18, 18–23 wo die Gebote als solche zur Erfüllung des göttlichen Willens als nicht hinreichend erachtet waren, sondern durch die vollständige Entsagung von jeglicher Selbstsucht vervollständigt werden müssen.

Sˇarı¯‘a: Determinanten des islamischen Gesetzesbegriffes im Spiegel der Spätantike B J (Berlin) I. Einführ ung Im Islam, ebenso wie im Judentum oder Zoroastrismus, spielt das ‚Gesetz‘ eine zentrale Rolle, weshalb die monotheistischen Religionen nicht selten als „Gesetzesreligionen“ bezeichnet werden1. Doch trotz der herausragenden Bedeutung gibt es in der islamischen Jurisprudenz keine tiefergehenden Reflexionen über den Gesetzesbegriff als solchen und auch in der Außenperspektive ist in keiner Weise klar, welcher arabische Terminus überhaupt als Referenzbegriff für das europäisch konnotierte ‚Gesetz‘ bzw. ‚loi‘ oder ‚law‘ heranzuziehen ist. Begriffe wie fiqh, h.uqu¯q, qa¯nu¯n, ah.ka¯m oder gar Qur’a¯n (d. h. der Offenbarungstext selbst als Gesetz) sind entweder moderne Bezeichnungen für das islamische Gesetz (bzw. Abgrenzungen zu diesem) oder decken nur einen Teil dessen ab, was das islamische Gesetz tatsächlich umfaßt. In der Regel wird auf den Begriff Sˇarı¯‘a (wörtlich: der kürzeste Weg zur Wasserstelle) rekurriert, der allerdings allgemeiner mit „islamisches Recht“ zu übersetzen ist 2. Die unter europäischen Rechtshistorikern gängige und vor dem Hintergrund der europäischen Staatsentwicklung zu erklärende Unterscheidung von ‚Recht und Gesetz‘ ist auf die religiösen Rechtssysteme orientalischer Provenienz, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt übertragbar. Würde man den modernen europäischen Gesetzesbegriff in seiner engeren Bedeutung zugrundelegen, wonach unter Gesetz „jede abstrakte Rechtsregel mit dem staatlichen Willen zur generellen Geltung“ zu verstehen ist 3, gäbe es im vor1 2

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J. Figl, Lexikon für Theologie und Kirche, ed. W. Kasper, Freiburg e.a. 1995, Bd. 5, Art. Gesetz, I. Religionsgeschichtlich, 580. M. Rohe, Das islamische Recht. Geschichte und Gegenwart, München 2009, 9. Gelegentlich finden sich auch Übersetzungen wie „kanonisches Gesetz“ (J. Schacht, Art. Sharı¯‘a, in: M. Houtsma e.a. (eds.), Enzyklopaedie des Islam, Leiden 1934, Bd. 4, 344) oder „islamisches Gesetz“. Der mehrdeutige Begriff Sˇarı¯‘a, der im Qur’a¯n (45:18) noch allgemein auf den ‚göttlich vorgegebenen Weg‘ verweist, erhält erst im 10. Jahrhundert A.D. die Konnotation von ‚Rechtssystem‘ und deckt sich in dieser Bedeutung mit dem in der Rechtsliteratur bevorzugten Terminus sˇar‘ (N. Calder, Art. Sharı¯‘a, in: C. E. Bosworth e. a. (eds.), The Encyclopaedia of Islam, Leiden 1994, Bd. 9, 321); siehe auch W. Smith, The Concept of Sharı¯‘a among Some Mutakallimu¯n, in: G. Makdisi (ed.) Arabic and Islamic Studies in Honor of Hamilton A. R. Gibb, Leiden 1965, 586. W. Sellert, Vorwort des Herausgebers, in: W. Sellert (ed.) Das Gesetz in Spätantike und frühem Mittelalter. 4. Symposium der Kommission „Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart“, Göttingen 1992, 7.

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modernen Islam – und auch im mittelalterlichen Europa – streng genommen kein Gesetz. Um also im islamischen, und insbesondere im frühislamischen, Kontext von ‚Gesetz‘ sprechen zu können, bedarf es eines erweiterten Gesetzesbegriffes, der Raum läßt für die Besonderheiten der islamischen Rechtsentwicklung und der im Wesentlichen deckungsgleich ist mit dem allgemeineren Begriff des ‚Islamischen Rechts/Sˇarı¯‘a‘. Zwei allgemeine Aspekte sind bei der Erörterung des islamischen Gesetzesbegriffes zu berücksichtigen. Zum einen verbietet die Vielfalt des islamischen Rechts in seiner räumlichen und zeitlichen Dimension eine einheitliche, essentialisierende Darstellung 4. Je nach historischem Kontext, ob bei den Umayyaden, den früheren oder späteren Abbasiden, den Fatimiden, Mamluken oder Safawiden usw., hat das islamische Recht sehr unterschiedliche Ausprägungen erfahren. Im vorliegenden Beitrag ist eine Beschränkung auf die frühere Entwicklungsphase des islamischen Rechts vorgesehen (7.–10. Jahrhundert)5, in der neben endogenen ebenso exogene Faktoren in Form spätantiker Ideen und Konzepte aus Recht, Theologie, Philosophie und politischer Theorie wirksam waren. Zum anderen lassen sich im islamischen Recht – nicht weniger als in anderen Rechtssystemen – Diskrepanzen zwischen einer idealisierten Form des Rechts einerseits und seiner konkreten Anwendung andererseits feststellen. Zwar ist im Laufe der Geschichte des islamischen Rechts eine dialektische Wechselwirkung von Theorie und Praxis zu beobachten6, doch nicht selten weicht der in der Rechtsliteratur formulierte theoretische Anspruch der Rechtsgelehrten von der Rechtswirklichkeit ab. Dies dürfte auch für den hier untersuchten Zeitraum des frühabbasidischen Kalifats gelten, für den nur wenige Quellen zur Rechtspraxis zur Verfügung stehen. ‚Determinanten‘ des islamischen Gesetzes in jener Zeit können folglich nur auf der Grundlage theoretischer Abhandlungen zeitgenössischer Juristen sowie im historischen Kontext rekonstruiert werden. II. Kriterien des ‚Gesetz es‘ Darstellungen des islamischen Rechts in den Studien westlicher Orientalisten orientieren sich sehr häufig an den Kategorien und Begrifflichkeiten moderner westlicher Rechtssysteme, was aufgrund daraus entstehender Zerrbilder zunehmend Kritik auslöste7. Daß es aber nicht einfach ist, gemeinsame Kriterien zur 4

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Die Vielfältigkeit des islamischen Rechts geht so weit, daß manche Sˇarı¯‘a-Forscher, insbesondere solche mit anthropologischem Ansatz, an der Existenz der Sˇarı¯‘a als einem konkret faßbaren Rechtssystem zweifeln (siehe z. B. B. Dupret/L. Buskens, L’invention du droit musulman. Genèse et diffusion du positivisme juridique dans le contexte normatif islamique, in: F. Pouillon (ed.), Après l’orientalisme: l’orient créé par l’orient, Paris 2011, 71–92). Die Zeitangaben in diesem Beitrag erfolgen ausschließlich nach christlicher Zeitrechnung. Siehe dazu B. Jokisch, Islamisches Recht in Theorie und Praxis. Analyse einiger kaufrechtlicher Fatwas von Taqı¯’d-Dı¯n Ah.mad b. Taymiyya, Berlin–New York 1996. Siehe z.B. die Untersuchung von M. Popal (Die Scharia, das religiöse Recht – ein Konstrukt? Überlegungen zur Analyse des islamischen Rechts anhand rechtsvergleichender Methoden und

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Charakterisierung von Rechtssystemen unterschiedlicher Kulturen in unterschiedlichen Zeiträumen zu finden, zeigen entsprechende rechtsvergleichende Studien8. Hinzu kommt die Schwierigkeit, die jeweiligen Rechtssysteme in ihrer höchst komplexen historischen Dimension zu erfassen. Während etwa die Rechtskonzeptionen im neuzeitlichen Europa deutlich von denjenigen im Islam abzuweichen scheinen, bietet der mittelalterliche Gesetzesbegriff eine Reihe interessanter Parallelen zum klassisch-islamischen Recht. Trotz der Risiken einer historisch-vergleichenden Perspektive soll hier der Versuch unternommen werden, charakteristische Elemente des frühen islamischen Rechts anhand einiger allgemeiner Parameter – hier insbesondere vor dem Hintergrund spätantiker Rechtssysteme wie dem jüdischen und byzantinisch-römischen Recht – herauszustellen. Als geeignet für die allgemeine Charakterisierung von Rechtssystemen erscheint das Verhältnis von Recht zu Herrschaft, Sakralität, Vernunft und Institution, wobei die genannten, in zahlreiche Unteraspekte zu gliedernden Kriterien miteinander vernetzt sind. Zu fragen ist also nach der Verortung des islamischen Rechts im Rahmen sich wandelnder Herrschaftssysteme sowie nach Elementen der Sakralität, Vernunft und Institutionalisierung, die sich in sehr unterschiedlicher Weise manifestieren können. 1. Recht und Herrschaft Wie dargelegt, impliziert der (neuzeitliche) europäische Gesetzesbegriff eine enge Verbindung von Gesetz und Herrschaft bzw. Staat 9. Dies mag mit der besonderen Staatsentwicklung in Europa zusammenhängen, kann darüber hinaus aber auch durch den römischen Gesetzesbegriff inspiriert sein, der im Zuge der Rezeption des römischen Rechts in Europa Wirkung entfalten konnte. Bereits

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aus Sicht post-kolonialer Kritik, Frankfurt a.M. 2006), die sich kritisch mit den Darlegungen des namhaften Sˇarı¯‘a-Forschers J. Schacht auseinandersetzt. Dieser hatte sich seinerseits kritisch mit den Typologien von M. Weber befaßt (Zur soziologischen Betrachtung des islamischen Rechts, in: Der Islam 22 (1935) 207–238). Siehe auch I. Schneider, Die Merkmale der idealtypischen qa¯d.¯ı Justiz – Kritische Anmerkungen zu Max Webers Kategorisierung der islamischen Rechtsprechung, in: Der Islam 70 (1993), 145–159. Siehe z. B. die Darlegungen zu den Rechtskonzeptionen in Afrika, der fernöstlichen, westlichen und sozialistischen Welt sowie in Hinduismus und Islam in R. David, Introduction, in: R. David (ed.), International Encyclopedia of Comparative Law, Bd. II: The Legal Systems of the World. Their Comparison and Unification, Kap. 1: The Different Conceptions of the Law, Tübingen– Paris 1975, 4. Siehe aber im Vergleich dazu die innenperspektivischen Beschreibungen von H. Afchar, The Muslim Conception of Law, in: R. David (ed.) International Encyclopedia of Comparative Law, Bd. II: The Legal Systems of the World. Their Comparison and Unification, Kap. 1: The Different Conceptions of the Law, Tübingen–Paris 1975, 84–106 oder C. Schäfer, Das »Gesetz« in islamischer Sicht, in: U. Kern (ed.) Das Verständnis des Gesetzes bei Juden, Christen und im Islam, Münster 2000, 135–150. Rechts- und Staatsphilosophie im neuzeitlichen Europa basieren auf der engen Verknüpfung von Recht und Nationalstaat. Reflexionen zum Recht bewegen sich ausschließlich im Kontext der politischen Ideengeschichte (T. Vesting, Rechtstheorie, München 2007, 14–15). Die Geltung des Rechts wird primär als von staatlich sanktionierter Gewalt abhängig qualifiziert (op. cit., 78).

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Theodor Mommsen erhob die lex publica zum zentralen Organisationsprinzip des römischen Staates. Gesetzgebung wird für ihn zur Rechtssetzungsgewalt schlechthin, durch die Staatlichkeit überhaupt erst entsteht 10. Die Staatszentriertheit des Gesetzesbegriffes bleibt auch im Byzantinischen Reich erhalten, nachdem das Christentum zur Staatsreligion geworden war. Obwohl es zwischen dem ‚staatlichen‘ Recht einerseits und dem neu hinzukommenden ‚religiösen‘ (kanonischen) Recht andererseits mannigfaltige Wechselwirkungen gibt und beide Bereiche oftmals schwer zu trennen sind, gewinnt das byzantinische Kaisertum mit einem Rechtssetzungsmonopol eine zentrale Stellung im Rechtswesen11. Das grundsätzliche Spannungsverhältnis von weltlichem und religiösem Recht wird im Byzantinischen Reich – abgesehen von einigen Ausnahmen – im Zuge des cäsaropapistischen Konzepts überwunden, d. h. der Kaiser als Vertreter Gottes auf Erden repräsentiert das ‚lebende Gesetz‘ und bestimmt in dieser Eigenschaft prinzipiell alle normativen Bereiche des Staatswesens12. Formal unterliegt auch der Kaiser der göttlichen Autorität (sub auctoritate Dei)13, aber im Zuge der imitatio Dei und der damit korrelierenden Analogie von Monotheismus und Alleinherrschaft geht sein Handlungsspielraum sehr weit, zumal er im Reich ebenso handeln darf wie Gott im Universum. In nicht wenigen Fällen stellt sich der Kaiser sogar ausdrücklich über das Gesetz14. Dieses Konzept, das vor allem Eusebius von Caesarea (gestorben 338) für den neuen christlichen Staat auf der Grundlage der Schriften von Philon von Alexandrien, Origenes und Arius entwickelt hatte15 und das später in der Zeit des Ikonoklasmus erneut instrumentalisiert wurde16, findet in der frühabbasidischen Staatstheorie eine deutliche Parallele. Dabei ist zu berücksichtigen, daß zentrale Bewegungen und Denkströmungen auf kalifaler und byzantinischer Seite in jener

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O. Behrends, Der römische Gesetzesbegriff und das Prinzip der Gewaltenteilung, in: O. Behrends (ed.), Zum römischen und neuzeitlichen Gesetzesbegriff. 1. Symposion der Kommission „Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart“ vom 26. und 27. April 1985, Göttingen 1987, 48. D. Liebs, Das Gesetz im spätrömischen Recht, in: W. Sellert (ed.), Das Gesetz in Spätantike und frühem Mittelalter. 4. Symposium der Kommission „Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart“, Göttingen 1992, 12. B. Jokisch, Islamic Imperial Law. Ha¯ru¯n al-Rashı¯d’s Codification Project, New York–Berlin 2007, 269–271. G. Guyon, Der Gesetzesbegriff der christlich gedeuteten römischen Monarchie unter besonderer Berücksichtigung der Wende Konstantins, in: O. Behrends (ed.) Der biblische Gesetzesbegriff. Auf den Spuren seiner Säkularisierung. 13. Symposion der Kommission „Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart, Göttingen 2006, 75, 79. D. Simon, Princeps legibus solutus. Die Stellung des byzantinischen Kaisers zum Gesetz, in: D. Nörr e. a. (eds.), Gedächtnisschrift für Wolfgang Kunkel, Frankfurt 1984, 449–492. F. Dvornik, Early Christian and Byzantine Political Philosophy. Origins and Background, Washington 1966, Bd. 2, 617; P. Kawerau, Das Christentum des Ostens, Stuttgart 1972, 101. G. Florovsky, Origen, Eusebius, and the Iconoclastic Controversy, in: Church History 19 (1950), 86–92.

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Zeit so stark korrelieren, daß statt einer zufälligen Übereinstimmung von einer direkten Verflechtung der Entwicklungen ausgegangen werden muß17. Anders als das Römische Reich fußt das Kalifat allerdings von Anfang an auf einem starken religiösen Fundament, sodaß hier die Verbindung von Herrschaft und Gesetzgebung weniger deutlich hervortritt. Jede faktische gesetzgeberische Maßnahme, wie im Einzelnen sie auch ausgestaltet war, bedarf prinzipiell der Legitimation durch den Qur’a¯n als einer eigenständigen normativen Instanz sowie durch weitere daraus hervorgehende Quellen. Normen, wiewohl aus mehr oder weniger weltlichen Erwägungen heraus formuliert und gesetzt, können gemäß der Logik des Offenbarungsvorbehaltes nicht öffentlich als von Menschen gemachte Gesetze promulgiert werden. Während dem frühabbasidischen Kalifat also einerseits ein ausgesprochen zentralistisches Herrschaftskonzept zugrundeliegt18, das wie der byzantinische Cäsaropapismus eine gesetzgeberische Komponente enthält 19, finden sich andererseits Einschränkungen in der Darstellungsweise des Gesetzes. So entsteht Ende des 8. Jahrhunderts im Zentrum der politischen Macht in Bagdad ein Corpus von Regelungen (bezeichnet als Z.a¯hir ar-riwa¯ya), das in Inhalt und Struktur dem Corpus Iuris Civilis des Justinian I. äußerst nahe kommt, aber nicht wie dieses öffentlich promulgiert und landesweit für verbindlich erklärt werden kann. Stattdessen wird es im Rahmen eines zentralisierten Justizwesens faktisch in weiten Teilen des Kalifats verbreitet, ohne – so wird allgemein vermutet – Anspruch auf Alleingeltung zu erheben. Allerdings ist der Kodex im Zusammenhang mit der in jener Zeit (833–ca. 850) eingeführten Staatsdoktrin von der Erschaffenheit des Qur’a¯n zu sehen, die den Qur’a¯n als einen ‚in‘ der Zeit und nicht ‚jenseits‘ der Zeit stehenden Offenbarungstext relativiert und damit in seiner unmittelbaren Verbindlichkeit schmälert. Es mag kein Zufall sein, daß genau in dieser Phase jene Denkströmungen (z. B. die Mu‘tazila) dominieren, die der Vernunft Vorrang vor der Tradition einräumen und ihre ethischen Vorstellungen, etwa nach stoischem Vorbild, auf das auch Gott bindende Naturgesetz gründen20. Aufgrund der weitreichenden Parallelen in Bezug sowohl auf die beiden Regelwerke als auch auf die dahinterstehenden politischen Theologien in Byzanz und frühabbasidischem Kalifat läßt sich auf eine mit dem Corpus Iuris Civilis vergleichbare Funktion der Z.a¯hir ar-riwa¯ya als ‚Reichsrecht‘ schließen. Auch wenn der Geltungsanspruch nicht explizit gemacht wird, so deuten doch die Umstände

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Jokisch, Islamic Imperial Law (nt. 12), 321ff. Insbesondere die Sendschreiben einiger frühabbasidischer Kalifen betonen die neue Machtstellung des Kalifen; cf. A. Arazi/A. El’ad, « L’Épître à l’armée ». Al-Ma’mu¯n et la seconde da‘wa (1e partie), in: Studia Islamica 66 (1987), 27–70; (cont.) Studia Islamica 67 (1988), 29–73. Im Sendschreiben des hohen abbasidischen Verwaltungsbeamten Ibn al-Muqaffa‘ (gestorben 756) wird die Idee der Kodifizierung des Rechts ausdrücklich formuliert; cf. C. Pellat, Ibn al-Muqaffa‘ « conseilleur » du calife, Paris 1976, 41. Zu weiteren Initiativen dieser Art siehe Jokisch, Islamic Imperial Law (nt. 12), 277. E. Mainz, Mu‘tazilitische Ethik, in: Der Islam 22 (1935), 200.

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auf ein ‚staatlich‘ (d. h. im Zentrum der politischen Macht) initiiertes Vorhaben zur Schaffung einer einheitlichen, für das gesamte Kalifat gültigen gesetzlichen Grundlage 21. Die Folge des ‚Kodifizierungsprojektes‘ ist, daß unabhängige Juristen in den Provinzen sich des umfassenden Regelwerkes zwar annehmen, es aber dann nach Maßgabe der für sie gültigen, mit staatlicher Autorität konkurrierenden Tradition umarbeiten und in verschiedenen Varianten ihrerseits verbreiten 22. Dies erklärt, warum die Kasuistik der verschiedenen Rechtsschulen auffällig einförmig ist 23, während die Beurteilung der einzelnen Fälle oftmals unterschiedlich ausfällt. Der Versuch der frühabbasidischen Kalifen, den oben genannten Kodex als ‚Gesetz‘ zu etablieren, ist letztlich gescheitert, offenbart aber das weite Spektrum an Gesetzesvorstellungen in jener Phase der islamischen Geschichte. Zugleich bildet er mit der Bereitstellung einer umfassenden Normmasse und Terminologie die Grundlage für die weitere Rechtsentwicklung im Kalifat. Was nun entsteht, ist ein ‚Juristenrecht‘, repräsentiert durch Juristen, die weitgehend unabhängig vom politischen Machtzentrum agieren. Die Dezentralisierung des Rechts, dogmatisch eingeleitet durch die öffentliche Widerrufung der oben genannten Staatsdoktrin von der Erschaffenheit des Qur’a¯n und politisch begünstigt durch die Zersplitterung des Kalifats seit dem 10. Jahrhundert, zeigt sich konkret in der Herausbildung verschiedener Rechtsschulen, aber auch in der Entwicklung und Etablierung von Staatstheorien, die die Aufgabe des Kalifen im Rechtsbereich explizit auf diejenige eines Erfüllungsgehilfen beschränken. Ganz im Gegensatz zu den zentralistischgesetzespositivistischen Tendenzen der frühen Abbasiden überwiegt nun eine rechtspluralistische Auffassung, die die konkrete, aus den gemeinsamen Bezugsgrößen Qur’a¯n und Sunna (Prophetentradition) abgeleitete Rechtsnorm auf ein unverbindliches ‚Provisorium‘ reduziert. Erst im Rahmen der Gerichtsbarkeit – und nach Priorisierung einer von zumeist verschiedenen, möglichen Normen – gewinnt diese verbindliche Kraft und wird durchsetzbar. Dies muß nicht Willkür im Sinne der von Max Weber beschriebenen „Kadi-Justiz“ bedeuten, zumal auch in modernen Rechtssystemen westlicher Provenienz Rechtsentscheidungen (oftmals) nicht vorhersehbar sind 24. Maßgeblich für die juristische Qualität einer Falllösung ist die Plausibilität ihrer Begründung, die sich – von westlichen Sˇarı¯‘aForschern immer wieder unterschätzt 25 – in der Regel im Rahmen eines metho21 22 23 24

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Zu dieser Hypothese siehe B. Jokisch, Herrschaft und Recht im frühabbasidischen Kalifat, in: TrumaH 19 (2009), 145–151. Jokisch, Islamic Imperial Law (nt. 12), 305–311. Bezüglich der Einförmigkeit des islamischen Rechts siehe I. Schneider, Kinderverkauf und Schuldknechtschaft. Untersuchungen zur frühen Phase des islamischen Rechts, Stuttgart 1999, 354–355. Vesting, Rechtstheorie (nt. 8), 119: „Die Vorstellung des Rechtspositivismus, dass Interpretation einem logischen Schlussverfahren gleicht oder jedenfalls über den richtigen Einsatz von Interpretationsregeln (canones) zu stets objektiv vorhersagbaren Ergebnissen führt, zu einer der naturwissenschaftlichen Wahrheit analogen „Rechtserkenntnis“, ist schon lange unhaltbar geworden.“ Siehe z. B. W. Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. 1: Frühe und religiöse Rechte. Romanischer Rechtskreis, Tübingen 1975, 309, 317, 319.

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disch strukturierten Argumentationssystems bewegt. Eine gewisse Verengung erfährt das Verfahren der Rechtsfindung durch die faktisch vorherrschende madhab-Bindung (d. h. Bindung an eine Rechtsschule), die im Extremfall dazu ¯ daß in den Standardwerken einer Rechtsschule enthaltene abgeleitete führt, Rechtsnormen ebenso behandelt werden wie explizit formulierte Vorschriften in Qur’a¯n und Sunna26. Die für eine Rechtsschule konstitutiven Regelungen erhalten damit einen ‚gesetzesähnlichen‘, je nach Region ‚quasi-verbindlichen‘ Charakter, ohne daß diesen abgeleiteten Normen in der Theorie eine solche Eigenschaft zugestanden würde. Kennzeichnend für die Sˇarı¯‘a als Juristenrecht ist mithin die einhellige Auffassung der Juristen, dass die sˇarı¯’atrechtlichen Normen, ob sie nun explizit in den primären Quellen Qur’a¯n und Sunna formuliert oder aber von den Juristen abgeleitet sind, in keiner Weise durch ein zentrales Herrschaftssystem und ein von diesem kontrolliertes Verfahren zur Festsetzung konkreter Normen autorisiert sein können. Autorität ergibt sich vielmehr aus einer spezifischen Verbindung von Qur’a¯n und Sunna als den unverzichtbaren Bezugsgrößen einerseits und der Gelehrsamkeit herausragender, mehr oder weniger unabhängiger Juristenpersönlichkeiten andererseits. Der daraus resultierende grundsätzliche Dualismus von Recht und (politischer) Herrschaft, den muslimische Herrscher zweifellos immer wieder und auf sehr unterschiedliche Weise zu überwinden versucht haben, hat dann, wie im Folgenden darzulegen ist, zur Herausbildung weiterer spezifisch ‚juristenrechtlicher‘ Elemente geführt. 2. Recht und Sakralität Nahezu alle Rechtssysteme enthalten sowohl religiöse als auch säkulare Elemente. Die Beschreibung des islamischen Rechts als einem ‚rein religiösen‘ Recht im Gegensatz etwa zu modernen, säkularen Rechtssystemen in der westlichen Welt kann daher zu Mißverständnissen führen. Göttliche und naturgesetzliche Herleitung gesellschaftlicher Grundnormen und Werte zeigen nicht nur in der Geschichte fließende Übergänge, sie sind auch in der Gegenwart schwer zu trennen. Selbst formal säkulare Rechtssysteme erweisen sich in ihren elementaren Begründungszusammenhängen als mehr oder weniger religiös konnotiert 27. Umgekehrt wird der durch die explizite Bezugnahme auf religiöse Grundlagen (Offenbarungstext, Prophetentradition) hervortretende Transzendenzcharakter des islamischen Rechts durch den simplen Umstand relativiert, daß es Menschen sind, die den ‚göttlichen Willen‘ in konkretes, handelbares Recht transformieren. Diese, nicht zu leugnende Transformationsleistung der muslimischen Juristen vollzieht 26 27

at.-T.awfı¯, Sˇarh. Muhtas.ar ar-Rawd.a, Beirut 1989, Bd. 3, 625–626. So bedurfte auch ˘das römische Recht stets einer religiösen Grundlage; cf. G. Guyon, Der Gesetzesbegriff der christlich gedeuteten römischen Monarchie (nt. 13), 87. Sogar in der gegenwärtigen Debatte über die europäische Verfassung wird auf die christlichen Wurzeln verwiesen.

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sich im Rahmen methodischer und institutioneller Strukturen, die durchaus Parallelen zu säkularen Rechtssystemen aufweisen. Es wäre sogar zu fragen, sozusagen als neue Forschungsperspektive, inwieweit sich direkte Berührungspunkte zwischen islamischer und europäischer Rechtsentwicklung feststellen lassen. Was also macht das islamische Recht zu einem religiösen Recht? Sˇarı¯‘a als Juristenrecht ist zunächst durch den theoretischen Anspruch gekennzeichnet, sämtliche Normen aus dem Offenbarungstext herzuleiten. Dieser Anspruch wird bereits in der Risa¯la des namhaften Juristen asˇ-Sˇa¯fi‘ı¯ (gestorben 820) formuliert 28, findet aber auch in der weiteren Entwicklung der islamischen Rechtsquellenlehre (us.u¯l al-fiqh) seinen klaren Ausdruck. Die prinzipielle Rückführung aller Normen auf einen zwar göttlichen, aber äußerlich begrenzten und größtenteils nicht normativ formulierten Text 29, während andere Quellen wie Naturrecht, Gewohnheitsrecht, Richterrecht, Gutachterrrecht usw. ausgeschlossen werden, läßt die Sˇarı¯‘a formal als religiöses Recht erscheinen. Der mit dieser Rückführung notwendigerweise verknüpfte faktische Rekurs auf externe Quellen bereicherte das islamische Recht jedoch um eine Vielzahl quasi-säkularer Elemente. So mußte z. B. das islamische Kaufrecht, das im Qur’a¯n nur sehr punktuell geregelt ist, durch Rechtsvorstellungen konkretisiert werden, die ganz anderen Quellen (etwa dem römischen Recht) entspringen. Auch gewohnheitsrechtliche Überlegungen sind immer wieder eingeflossen, wobei die Grundlegitimation durch den Offenbarungstext oder Prophetenüberlieferungen in der Regel beibehalten wurde. Vielfältig begründete und diskutierte Versuche, externe Quellen in das etablierte Quellen-Schema zu integrieren, ohne dieses grundsätzlich in Frage zu stellen, ziehen sich durch die gesamte Geschichte des islamischen Rechts und dürfen als systemimmanent betrachtet werden. Damit ist auch die Frage der Zeitlosigkeit als einem (angeblichen) Grundelement religiöser Rechtssysteme berührt. Das Festhalten an einem göttlichen, unveränderlichen Text – und der Qur’a¯n gilt im sunnitischen Islam in der Tat als unerschaffen – begrenzt das Spektrum der Wertvorstellungen zunächst auf den Mikrokosmos des Offenbarungsszenarios, d. h. die Zeit und Region des Propheten. Der in der Folgezeit eintretende mögliche Wertewandel kann dann nur als unzulässige Abweichung vom ewig gültigen Werteideal des Offenbarungstextes interpretiert werden. So wird der Wandel der Zeiten tatsächlich wahrgenommen und insbesondere die stetige Entfernung vom goldenen Zeitalter des Propheten bedauert. Doch gleichzeitig verbietet die oben beschriebene Dezentralität des Rechtssystems die Festlegung auf eine einheitliche, zeit- und ortsspezifische Hermeneutik und damit die Zementierung der zur Zeit des Propheten herrschenden Wertevorstellungen. Das ständige, bis in die Gegenwart zu beobachtende Ringen

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asˇ-Sˇa¯fi‘ı¯ , al-Risa¯la, ed. Ah.mad Muh.ammad Sˇa¯kir, Kairo 1940, 20 (Nr. 48). So ist z. B. nicht klar, welche Teile des Textes überhaupt als ‚Regelung‘ im engeren Sinne aufgefaßt werden können, da die Verse nicht dem Konditionalschema „wenn Tatbestand x, dann Rechtsfolge y“ folgen.

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um (neue) hermeneutische Ansätze indiziert nicht nur ein Bewußtsein vom 30 Wandel der Zeiten, sondern schafft auch die Voraussetzungen für eine rechtsschöpferische Neuformulierung von Normen oder zumindest für deren zeitgemäße, praktikable Anwendung im konkreten Einzelfall 31. Die Wandelbarkeit eines ‚religiösen‘ Rechtssystems erschließt sich also nicht aus der Veränderlichkeit des zugrundeliegenden Offenbarungstextes, sondern aus den daran anknüpfenden diskursiven Prozessen, wie sie im Islam ebenso wie im Judentum immer wieder stattgefunden haben. Der religiöse Charakter des islamischen Rechts zeigt sich, so könnte man annehmen, vielmehr durch das enge Nebeneinander von Kultusbestimmungen (‘iba¯da¯t) und allein die zwischenmenschlichen Beziehungen betreffenden Regelungen (mu‘a¯mala¯t) im Gesamtkorpus islamischer Normen. Beide Bereiche werden rechtstechnisch nahezu gleich behandelt und sind auch beide in den fiqhWerken enthalten. Nicht selten werden darüber hinaus Fälle behandelt, in denen beide Bereiche ineinandergreifen (z. B. Abschluß von Rechtsgeschäften während des Freitagsgebetes). Hier gibt es eine klare Übereinstimmung mit dem jüdischen Recht, während die Trennung der Sphären im römischen Recht sowie den späteren europäischen Rechtssystemen bereits auf der literarischen Ebene zu Tage tritt. Dennoch gibt es auch im islamischen Recht Tendenzen, die Kultusbestimmungen von den übrigen islamrechtlichen Normen abzusondern und als eine eigenständige Kategorie zu behandeln32. Fraglich ist nur, wie weit diese Aussonderung geht. Soweit rituelle Normen äußerer Kontrolle entzogen werden und ihre Geltung auf das Innenverhältnis von Gott und Mensch begrenzt wird, verlieren sie ihre objektiv rechtliche Qualität und werden zu rein religiösen Normen ohne jegliche Außenwirkung. Zu einer vollständigen ‚Privatisierung‘ des Kultus ist es im vormodernen Islam aber weder auf der theoretischen noch auf der praktischen Ebene gekommen. Durch die immanente Verknüpfung von Innen- und Außenseite sind die rituellen Normen Bestandteil des Korpus islamrechtlicher Normen geblieben und verleihen diesem in der Tat einen ‚religiösen‘ Charakter.

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Dies spiegelt sich besonders in der bid‘a-Literatur wider, in der die unzulässigen, der Tradition zuwiderlaufenden Neuerungen aufgelistet werden; cf. D. Macdonald, Art. Bid‘a, in: M. Houtsma e.a. (eds.) Enzyklopaedie des Islam, Leiden 1934, Bd. 1, 742; M. Gronke, „Alles Neue ist ein Irrweg“. Zum mittelalterlichen arabischen Schrifttum über religiöse Missbräuche, in: R. Brunner e.a. (eds.), Islamstudien ohne Ende. Festschrift für Werner Ende zum 65. Geburtstag,Würzburg 2002, 127. Die lange Zeit in der westlichen Sˇarı¯‘a-Forschung verbreitete Vorstellung, das islamische Recht sei mit der „Schließung des Tores des Ig˘tiha¯d (eigenständige Rechtsfindung)“ im 10. Jahrhundert in eine stagnative Phase getreten, kann als überholt gelten. Trotz einzelner Verkrustungserscheinungen entwickelte sich das islamische Recht stets mit einer beträchtlichen Dynamik; cf. W. Hallaq, Was the gate of ijtiha¯d closed?, in: International Journal of Middle East Studies 16 (1984), 33. Ein Beispiel für eine solche Sonderbehandlung der ‘iba¯da¯t ist der ma¯likitsche Jurist al-Qara¯fı¯ (gestorben 1285); cf. S. Jackson, Islamic Law and the State. The Constitutional Jurisprudence of Shiha¯b al-Dı¯n al-Qara¯fı¯, Leiden 1996.

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Ein weiteres religiöses Element ist in den für das islamische Recht charakteristischen Handlungskategorien zu sehen. So wird nicht nur zwischen Ge- und Verboten, d. h. verpflichtenden (wa¯ g˘ib) und zu unterlassenden Handlungen (h.ara¯m) unterschieden, sondern auch zwischen empfohlenen (mandu¯b), verwerflichen (makru¯h) und indifferenten (muba¯h.) Handlungen. Während die ersteren beiden im Diesseits eine Rechtsfolge nach sich ziehen (was für die rituellen Handlungen allerdings nur eingeschränkt gilt), bleiben die letzteren ohne jegliche Rechtsfolge. Relevant sind sie nur im Innenverhältnis Gott – Mensch, da es gegenüber Gott besser ist, eine empfohlene Handlung durchzuführen als sie zu unterlassen bzw. eine verwerfliche Handlung zu unterlassen als sie durchzuführen. Indifferente Handlungen sind ganz und gar wertneutral und stehen im freien Ermessen des Handelnden. Vieles spricht dafür, daß diese Kategorien der stoischen Ethik entnommen (möglicherweise der Anthologie des Stobaios, die Fragmente aus den Schriften des Chrysipp zur stoischen Ethik enthält und aller Wahrscheinlichkeit nach im Bagdad des 9. Jahrhunderts kursierte) und in die us.u¯l-Wissenschaft als einer sich verselbstständigen Disziplin eingearbeitet wurden. Auf jeden Fall finden die arabischen Termini eine exakte Entsprechung in den griechischen Termini der Stoiker kajñkon, a™márthma, prohgménon, a¬poprohgménon und a¬diáforon und auch weitere spezifische Elemente des stoischen Konzepts begegnen im Kontext der islamischen Handlungskategorien33. Ebenso wie bei der oben beschriebenen Unterscheidung zwischen ‘iba¯da¯t und mu‘a¯mala¯t impliziert die Differenzierung in Muß- und Soll-Vorschriften einen transzendenten Bezug, der Teile des materiellen Rechts der subjektiven Sphäre der Gläubigen vorbehält. Andererseits hat die unterschiedliche Geltungsqualität nicht zur formalen Aufteilung der Normmasse geführt, sodaß Muß- und Soll-Vorschriften in den Rechtswerken beliebig nebeneinander stehen können. Da prinzipiell jede Handlung einer der Handlungskategorien zugeordnet werden kann und somit sˇarı¯‘atrechtlich relevant ist, bleibt streng genommen kein Raum für jene normativen Bereiche, die in anderen Rechtsordnungen als ‚Sitte‘ oder ‚Moral‘ bezeichnet werden. Die im islamischen Kontext ebenfalls bekannte und stark durch die griechische Philosophie geprägte Sittenlehre (‘ilm al-ahla¯q) ist in erster Linie auf die Tugenden und Laster des Indi˘ viduums fokussiert34, nicht aber auf die Wertung von Handlungen. Das Konzept der Handlungskategorien, die enge Verknüpfung von ‘iba¯da¯t und mu‘a¯mala¯t und nicht zuletzt der theoretische Anspruch, jede Regelung aus dem Offenbarungstext ableiten zu können, lassen die Sˇarı¯‘a als ein allumfassendes Recht erscheinen, das alle Lebensbereiche durchdringt und gelegentlich ganz allgemein als Wegweiser ‚islamischer Lebensführung‘ verstanden wird. Dies ist im Wesentlichen auf die genannten religiösen Kernelemente zurückzuführen, die neben den diesseitigen, gesellschaftlich relevanten Regelungen eben auch die jen-

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Jokisch, Islamic Imperial Law (nt. 12), 597–598. Carra de Vaux, Art. Akhla¯k., in: M. Houtsma e. a. (eds.) Enzyklopaedie des Islam, Leiden 1934, Bd. 1, 244.

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seitsbezogenen Bestimmungen in das islamische Recht einbeziehen und letztlich allesamt aus einer einzigen Quelle, dem Offenbarungstext, herleiten. Das islamische Recht steht damit im Gegensatz zu vormodernen europäischen Gesetzeskonzeptionen, die spätestens seit Thomas von Aquin eine schärfere Trennung von lex divina und lex humana vorsehen, indem letztere mit der Begründung durch das Naturrecht (lex naturalis) ausdrücklich an gesellschaftlichen Belangen ausgerichtet ist 35. 3. Recht und Vernunft Wie dargelegt, finden sich insbesondere in der früheren Geschichte des Islam, als die islamische ‚Orthodoxie‘ in Form des Sunnismus noch nicht fest etabliert war, verschiedene, an der Vernunft orientierte Denkströmungen, die nicht ohne Einfluß auf die dogmatischen Prämissen des Rechtsdenkens waren. Selbst jene Rechtsschulen, die später als sunnitisch bezeichnet werden, gliederten sich in zwei Grundrichtungen, jene die eher den ahl ar-ra’y (Leute der persönlichen Meinung) und jene, die eher den ahl al-h.adı¯t (Leute der Tradition) zugetan waren. So sind die H.anafiten, die mit asˇ-Sˇayba¯nı¯ ¯und Abu¯ Yu¯suf und deren staatlicher Anbindung die Verschriftlichung des Rechts deutlich vorangetrieben haben, der ersteren Gruppe zuzuordnen. Durch ihre Ausrichtung an Quellen und Methoden auch jenseits der Tradition (Qur’a¯n und Sunna) wie dem Gewohnheitsrecht (‘urf), der Analogie (qiya¯s) und dem Billigkeitsgrundsatz (istih.sa¯n) standen sie in der Kritik der anderen stärker traditionsbezogenen sunnitischen Rechtsschulen. Nach der Etablierung des Sunnismus als der dominanten Strömung im Islam setzte sich die Festlegung von Qur’a¯n und Sunna als den primären und ausschließlichen materiellen Quellen des islamischen Rechts mehrheitlich durch. Das Spannungsverhältnis zwischen Tradition (naql) und Vernunft (‘aql) blieb aber bestehen, wobei sich der Fokus von der Bestimmung der Quellen auf die vernunftmäßige Durchdringung nun rein religiöser Quellen verlagerte. Ziel und Gegenstand der im 10. Jahrhundert entstehenden us.u¯ l-Wissenschaft (‘ilm us.u¯ l al-fiqh) ist die Beschreibung und Begründung jener hermeneutischen Instrumente, die eine objektiv nachvollziehbare Ableitung konkreter Normen aus den materiellen Quellen Qur’a¯n und Sunna ermöglichen. Als eigenständige Disziplin neben der Rechtswissenschaft (‘ilm al-fiqh), die sich anders als die letztere nicht mit den konkreten Ableitungen selbst, sondern abstrakt mit den Methoden und Begründungen der Ableitungen befaßt, ist sie in den spätantiken Rechtsystemen ohne Vorbild. Gleichzeitig aber verdankt sich das ausgeprägte Vernunftelement dieser Disziplin der aristotelischen Logik, die nicht nur in Einzelteilen, sondern als System übernom35

N. Slenczka, Thomas von Aquin und die Synthese zwischen dem biblischen und dem griechischrömischen Gesetzesbegriff, in: O. Behrends (ed.) Der biblische Gesetzesbegriff. Auf den Spuren seiner Säkularisierung. 13. Symposion der Kommission „Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart“, Göttingen 2006, 123.

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men, transformiert und für die islamische Rechtswissenschaft instrumentalisiert wurde. Bereits in der christlichen und wohl auch jüdischen Hermeneutik finden sich Elemente der Logik des Aristoteles, doch in diesem Falle griffen die muslimischen Juristen offenbar gezielt auf das im 10. Jahrhundert in Bagdad vollständig übersetzte und kommentierte Organon zurück und entwickelten es, angereichert mit Elementen aus anderen Disziplinen wie Philosophie, Theologie und Grammatik usw., zu einer eigenständigen Disziplin im rechtlichen Kontext. Die aus dem Organon herrührende Aufteilung in Kategorien, Hermeneutik, Analytik I, Analytik II, Topik und Sophistische Widerlegungen ist ohne Weiteres erkennbar, auch wenn es im Einzelnen zahlreiche Abweichungen gibt36. Die logikbasierte Rechtsmethodik ermöglichte die Strukturierung und Abstrahierung des heterogenen Fallmaterials in der Weise, daß den zumeist speziellen Fallregelungen zugrundeliegende, allgemeinere Regelungen ermittelt werden, unter die dann wiederum andere, in Qur’a¯n und Sunna nicht explizit geregelte Fälle subsumiert werden können. Die Bestimmung des dabei zentralen Rechtsgrundes (‘illa), der auf das aristotelische ai¬tía zurückgeht, erfolgt über verschiedene Verfahren, in die neben textlichen Kriterien (d. h. explizite Hinweise in Qur’a¯n und Sunna) auch ‚naturrechtliche‘ Erwägungen wie Überlegungen zum Schutz von Leben, Eigentum, Verstand, Abstammung oder Religion einfließen. Die variable Bestimmung des Rechtsgrundes im Rahmen der Analogie bildet nur ein, wenn auch bedeutsames, Beispiel zur methodischen Absicherung der Rechtskonkretisierung. In ihrer Gesamtheit verweisen die verschiedenen Verfahren auf die Vielschichtigkeit und Komplexität der islamischen Rechtsargumentation, in der Text- und Vernunftbezüge eng miteinander verflochten sind. Während der Vorrang der primären Quellen Qur’a¯n und Sunna unbestritten ist, kann die Anwendung der in der us.u¯ l-Wissenschaft entwickelten, logischen Verfahren, je nach Jurist, zu beträchtlich relativierenden Ergebnissen führen. Besonders deutlich tritt das Zusammenspiel von Tradition und Vernunft bei den H.anbaliten zutage, die – ganz anders als die H.anafiten – zunächst aus einer Traditionarierbewegung hervorgingen und dann über die us.u¯ l-Wissenschaft sehr praktikable Lösungen im Vertragsrecht entwickelten. 4. Recht und Institution Die Institutionalisierung des islamischen Rechts als Juristenrecht vollzog sich vor allem in außerstaatlichen Strukturen. Zwar ergibt sich über das Gerichtswesen eine Verzahnung mit staatlichen Zuständigkeiten, insofern als der Herrscher die Richter bezahlt, ernennt und entläßt und die Durchsetzung der Gerichtsurteile

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Zur Aristotelisierung der islamischen Rechtsmethodik siehe Jokisch, Islamic Imperial Law (nt. 12), 573ff.

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erzwingt 37. Doch die Kontrolle über die Inhalte des Rechts und seine Vermittlung unterlag grundsätzlich unabhängigen Einrichtungen. Nachdem sich bereits im 8. Jahrhundert Lehrzirkel mit exponierten Gelehrtenautoritäten herausbildeten, aus denen dann die personalen Rechtsschulen entstanden, kann im 10. Jahrhundert von einer einflußreichen Juristenklasse gesprochen werden, die sich innerhalb der sunnitischen Rechtsschulen in zunftähnlichen Vereinigungen organisierte 38. Den vorläufigen Abschluß dieser Entwicklung bilden die im 11. Jahrhundert erstmals gegründeten Medresen, nach G. Makdisi 39 mögliche Vorläufer der europäischen Universitäten. Zumeist durch Stiftungsvermögen finanziert und damit ökonomisch weitgehend unabhängig, repräsentieren sie die entscheidende Plattform zur Sicherung der Rechtstradition. Die vergleichsweise komplexe Organisationsstruktur der Medresen geht einher mit der Professionalisierung des Juristenstandes und der Produktion einer umfassenden, differenzierenden Kommentarliteratur. Trotz der Herausbildung regionaler Schwerpunkte der jeweiligen Rechtsschulen (z. B. die Ma¯likiyya in Nordafrika und Andalusien, die H.anafiyya in Kleinasien und im Osten der islamischen Welt) etabliert sich eine einheitliche Rechtssprache mit einer höchst differenzierten Terminologie. Zugleich führen die regionalen Bezüge zu spezifischen Ausprägungen des islamischen Rechts in Inhalt und Form, wobei der gemeinsame Bezugspunkt der Offenbarungstext und die Prophetentradition bleiben. Während sich das islamische Recht also jenseits staatlicher Kontrolle durchaus zu institutionalisieren vermochte, kam es zu keiner einheitlichen, schriftlichen Fixierung der Normen. Der Offenbarungstext selbst, in seiner sprachlich-normativen Struktur ebenso vielschichtig und heterogen wie die jüdische Tora, kann nur bedingt als „Gesetz“ fungieren. Dem islamischen ‚Gesetz‘, soweit man den Begriff überhaupt zur Disposition stellt, ist vielmehr eine normative Pluralität und Variabilität immanent, die sich aus der Oszillation zwischen göttlicher Offenbarung und menschlicher Hermeneutik ergibt.

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Einige Bereiche wie das Kriegs-, Steuer- und Strafrecht sind mehr oder weniger staatliche Domänen geblieben, die sich der Kontrolle der Juristen entzogen. Den Entwicklungsprozeß der Rechtsschulen skizziert im Einzelnen G. Makdisi, The Rise of Colleges. Institutions of Learning in Islam and the West, Edinburgh 1981. G. Makdisi, Baghdad, Bologna, and Scholasticism, in: J. Drijvers/A. MacDonald (eds.) Centres of Learning. Learning and Location in Pre-Modern Europe and the Near East, Leiden 1995, 157.

“… and the killing of someone who upholds these convictions is obligatory!” Religious Law and the Assumed Disappearance of Philosophy in Islam F G (Yale, New Haven) After more than a hundred years of serious academic engagement, Western research into Islamic theology and Arabic and Islamic philosophy can now write the early history of these disciplines in quite some detail. Contributions by many Western scholars created something like a master narrative of the early intellectual history in Islam. This master narrative tells how after the emergence of theological groups within the Muslim community during the First Civil War (661–666 CE), different theological schools with different methodologies competed with one another. Names such as ahl al-h.adı¯th, Qadarites, Shiites, Mu>tazilites, Hanbalites, Ash>arites, or fala¯sifa have become household items among students of Islam and they populate undergraduate courses on Islam and Islamic intellectual history. Most students in this field know about the lives and the scholarly contributions of H.asan al-Bas.rı¯ (d. 728), Ah.mad ibn H.anbal (d. 855), al-Ash>arı¯ (d. 936), the Qadi >Abd al-Jabba¯r (d. 1025), Ibn Sı¯na¯ (known to us in the West as Avicenna, d. 1037), or al-Ghaza¯lı¯ (d. 1111). The predominance of early figures from the first six centuries of Islam mirrors the understanding that many Muslims have of their own religion – including Muslim scholars and historians –, namely that the early history of Islam should be studied more closely than any subsequent period. This focus on the early intellectual history of Islam is in stark contrast to other fields in that discipline such as European intellectual history, where there is much more attention paid to more recent thought and literature. The master narrative of Islamic theology and philosophy ends some time between 1100 and 1200. While those of us who work in Islamic intellectual history can give a succinct overview of developments up to and including al-Ghaza¯lı¯ – who died in 1111 –, most of us will be hard pressed when it comes to the period after him. In classes and in the available introductory literature we often jump from al-Ghaza¯lı¯ to a small number of remarkable figures such as Ibn >Arabı¯ (d. 1240), Ibn Taymiyya (d. 1328), and Ibn Khaldu¯n (d. 1406) without having a clear understanding of the developments and the thinkers that connect them. The few available textbooks refer to the period after 1200 with attributes such as “decline” 1, or “the 1

M. Fakhry, A History of Islamic Philosophy, 2nd ed., New York 1983, 319.

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stagnation of rational and philosophical theology” 2. Even a more recent and very well received introduction into Islam says that after 1100, rationalist theology and philosophy tended to become marginalized from the “Sunni intellectual mainstream”3. The idea or suggestion that philosophy in Islam disappeared as a result of suppression or even persecution is an inherently Western one. Muslim literature prior to being influenced by Western ideas on that subject, that is prior to 1860 or so, never mentions that philosophy disappeared in Islam. Muslim authors, in fact, would have no reason to see it that way. One of the most important curriculum of studies used in higher education in the Islamic world during the 19th century, for instance, the so-called dars-i niz. a¯mı¯, includes among sections on Arabic grammar, Qur’anic studies, h.adı¯th studies and Islamic law and theology also a section on falsafa, that is the Arabic, Persian, and Turkish term for philosophy in the Greek tradition4. Before 1857, no senior administrator in the Moghul empire in India, for instance, could be appointed without having earlier studied the works that make up the dars-i niz. a¯mı¯. Thus, they all went through al-Abharı¯’s (d. 1264) Guide of Philosophy (Hida¯yat al-h. ikma), a textbook laying down the philosophical system of Avicenna, written in the mid-13th century5. Al-Abharı¯’s Guide of Philosophy would be memorized by the students and studied in class with explanatory commentaries, such as the one by H.usayn ibn Mu>¯ı n al-Din al-Maybu¯dı¯ (d. 1504–05)6. Students with further interest in philosophy would add, for instance, al-Ka¯tibı¯’s (d. c. 1280) Philosophy of the Point (H . ikmat al->ayn), which also teaches the Avicennan philosophical system and comes from the same period around 12607. Thus, they would learn, for instance, that the world was not created at one point in time but that some of God’s creations exist from past eternity or that God does not know

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In his history of Islamic theology from 950 to 1850 – a continuation of his 1973 study The Formative Period of Islamic Thought, published only in German – William M. Watt characterized the period between 1250–1850 as, “die Stagnation der rationalen oder philosophischen Theologie.” See W. M. Watt and M. E. Marmura, Der Islam: II Politische Entwicklungen und theologische Konzepte, Stuttgart 1985, 462. J. P. Berkey, The Formation of Islam: Religion and Society in the Near East, 600–1800, Cambridge 2003, 229–230. For the books studied in the educational curriculum of the dars-i niz.a¯mı¯ see F. Robinson, Ottoman-Safavids-Mughals: Shared Knowledge and Connective Systems, in: Journal of Islamic Studies 8 (1997), 151–184. On the curriculum itself see also Robinson’s article on Mulla¯ Muh.ammad Niz.a¯m al-Dı¯n (d. 1748), the scholar who put it together, in: H. A. R. Gibb et al. (eds.), Encyclopaedia of Islam. New Edition, 12 vols., Leiden–London 1954–2009, vol. 8, 68 sq. al-Abharı¯, A Guide to Philosophy: The Hida¯yat al-H.ikmah of Athı¯r al-Dı¯n al-Mufad.d.al ibn >Umar al-Abharı¯ al-Samarqandı¯, facsimile ed. and Engl. transl. by Syed Ali Tawfik al-Attas, Selangor (Malaysia) 2009. On al-Abharı¯ see C. Brockelmann, Geschichte der arabischen Litteratur. 2nd. ed., 2 vols. and 3 suppl. vols., Leiden 1937–1949, vol., 1, 464 sq. and Suppl. 1, 839–844. Robinson, Ottoman-Safavids-Mughals: Shared Knowledge and Connective Systems, 183. On al-Maybudı¯ see Brockelmann, Geschichte der arabischen Litteratur, vol. 2, 210 and Suppl. 2, 294. al-Ka¯tibı¯, H.ikmat al->ayn, ed. M. >Abd al-Rah.ma¯n al-Sha¯ghu¯l, Cairo 2009. On al-Ka¯tibı¯ see Brockelmann, Geschichte der arabischen Litteratur, vol. 1, 466 sq. and Suppl. 1, 845–848.

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each and every individual but only knows them “in a universal way” 8. It would have been the teacher’s job to explain what that means. He would get help from the great number of commentaries written on these two books. Manuscript libraries in India, in Iran, in Egypt, or in Istanbul, all contain large numbers of copies of these two books and of the commentaries upon them9. One might think that the commentaries would provide a healthy corrective to those teaching that religious scholars would view as problematic, such as the eternity of the world or that God does, in effect, not know individuals. That, however, was not the case. Most commentaries on these two very popular textbooks of philosophical instruction are merely explanatory, meaning they clarify, for instance, what “in a universal way” means when it applies to God’s knowledge of particulars. Sure, there are commentaries that refute these teachings10. Those used in the education of the madrasa system, however, that I describe here, were purely explanatory 11. Students were required to understand the Avicennan philosophical system before they could get a lucrative job at the Moghul court or collect taxes in Kashmir, for instance. What was true for India from the mid-18th century up to the 20th century, when the system of traditional madrasa education came to its end, also holds true for the Ottoman Empire in Turkey and the Eastern Mediterranean as well as for Iran. Philosophy, in the form of the teachings of the fala¯sifa, was part of the system of higher education and no scholar could truly say he had mastered all the sciences without having had a quite thorough instruction in Avicennism12. How ignorant scholarship in the West is about this practice can be illustrated by the fact that al-Abhari’s Guide of Philosophy and al-Ka¯tibı¯’s Philosophy of the Point are virtually unknown to Western students of philosophy in Islam. True, even Western libraries have plenty of manuscript copies of these two books and their commentaries. As for reliable editions, however, none exists. Both books were printed in commercial lithograph editions all through the 19th and 20th centuries, but a proper edition 8 9

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al-Abharı¯, Hida¯yat al-h.ikma, Arab. text 264, 269, Engl. text 172, 177. See the lists in Brockelmann, Geschichte der arabischen Litteratur, vol. 1, 464 sq., 466 sq. and Suppl. 1, 839–844, 845–848. These lists have been analyzed by Robert Wisnovky, in: The Nature and Scope of Arabic Philosophical Commentary in Post-Classical (ca. 1100–1900 AD) Islamic Intellectual History: Some Preliminary Observations, in: P. Adamson/H. Baltussen/ M. W. F. Stone (eds.), Philosophy, Science and Exegesis in Greek, Arabic, and Latin Commentaries, London 2004, 149–191, esp. 174–176. Mulla¯ S.adra’s (d. 1640) commentary on the Hida¯yat al-h.ikma, for instance, is quite critical, see S.adr al-Dı¯n Shı¯ra¯zı¯, Sharh.-i Hida¯yat-i h.ikmat, [Lucknow], Mat. ba>-i >Alawı¯, 1262 [1846]. The commentary of al-Sharı¯f al-Jurja¯nı¯’s (d. 1413) son, Nu¯r al-Dı¯n Muh.ammad al-Jurja¯nı¯ (d. 1434), which is only available in manuscripts, also engages critically with the text. See the most widespread commentary on the Hida¯yat al-h.ikma by H.usayn ibn Mu>¯ı n al-Din al-Maybu¯dı¯, which is available to me in a lithograph print, Sharh. al-Hida¯ya fı¯ l-h.ikma ([Lucknow] al-Mat.ba>a al-Muh.ammadiyya al-Mutabarrika, 1262 [1846]) and in several copies of the Beinecke Rare Books and Manuscript Library at Yale (e.g., Arabic MSS suppl. 103, 321, 511) or the commentary by Shams al-Dı¯n Muh.ammad ibn Muba¯raksha¯h al-Bukha¯rı¯ (d. c. 1440), which is available to me as MS. Istanbul, Ayasofya 2433, foll. 1b–79b. Robinson, Ottoman-Safavids-Mughals: Shared Knowledge and Connective Systems.

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that would have a table of contents and maybe even an index of subjects at the end is as of yet still a desideratum. There is virtually no scholarship on these books. When I prepared this paper, for instance, I found that in the extensive Yale Library system there are a number of lithograph editions of al-Abharı¯’s Guide of Philosophy, some with and some without commentaries. Most of them were printed in the mid-19th century in Lucknow, India, and the latest is a 1960-lithograph from Bangladesh on cheap yellowish paper with Urdu-interlinear translation13. There are also at least eight manuscript copies of al-Abharı¯’s textbook at Yale’s Beinecke Rare Book and Manuscript Library. Whoever studied al-Abharı¯’s Guide of Philosophy, as many scholars in Islam up to the 20th century did, would not come up with the idea that philosophy was no longer practiced in Islam. The ideas in that book, though in fact centuries old, sound fresh and invite to numerous thorough investigations. Avicennism was well and alive up until the 19th century, even if few would have defended it the way al-Abharı¯ does in his book. It was still considered one of the subjects that one would need to know in fair detail. Although serious research into the post-classical period of Islamic philosophy, that is the period after 1100 has begun only recently, it seems that philosophy in Islam between 1100 and at least 1800 can be characterized as an ever more sophisticated adaptation of the Avicennan system to what people in these centuries considered Islam. Avicenna and his Avicennist followers were read and studied, and even if scholars in Islam objected to elements in this system, they still applied others and contributed to what has been called the “naturalization” of Aristotelian and Neoplatonic philosophy in Islam14. Philosophy became such a genuine Islamic enterprise, one might say, that it shed its foreign, Greek name, falsafa, and was practiced as a properly Islamic science in the field of kala¯m, that is rationalist theology. The idea that philosophy had disappeared in Islam after the 11th or 12th century is entirely Western. In the modern academic study of Arabic and Islamic philosophy, it can be traced to its beginning at the early 19th century, when European powers, particularly France, were creating colonial empires that included many Muslim countries. One of the most influential works in this regard is Ernest Renan’s (1823–92) ‘Averroès et l’Averroïsme’15. Many historians of philosophy have used and still use this book. If a book of secondary literature, first published in 1852, is still recommended in university courses during the 1990s, as I witnessed myself while studying at universities in Germany, it must be truly remarkable. Renan’s book is remarkable in many ways, and I do not wish to dispute its merits. It does, however, also have a strong colonial subtext that aims at legitimizing the political subjugation of Muslims under the banner of a European nation that embodies the philosophical spirit of the 13 14 15

al-Abharı¯, Hida¯yat al-h.ikma, with Urdu transl. by Mumta¯z al-Dı¯n, Dhaka: Imda¯diyya Library, w.d. A. I. Sabra, The Appropriation and Subsequent Naturalization of Greek Sciences in Medieval Islam: A Preliminary Statement, in: History of Science 25 (1987), 223–243. E. Renan, Averroès et l’averroïsme. Essai historique, 3rd. ed., Paris 1866. The book was first published 1852 with Librairie Auguste Durand in Paris.

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Enlightenment. Consider this brief passage that makes a clear connection between the death of Averroes in 1198 and the arrival of the very first modern European army in one of the Muslim countries precisely 600 years later. In 1798, Napoleon landed in Egypt and turned it into a politically short-lived French colony that would nevertheless have a long-term cultural importance. Renan writes about Averroes’ death: “When he died in 1198, Arab philosophy had lost its last representative and the triumph of the Qur’an over free-thinking was assured for at least six-hundred years” 16.

What relieved the Islamic world from the “triumph of the Qur’an” was, of course, the French invasion of Egypt in 1798. Renan thus sets up what becomes the grand narrative of philosophy in Islam, a narrative that is still very much prevalent today. This narrative includes the death of philosophy in Islam with the passing of Averroes – or sometime around then – and the resurrection of philosophy through European, enlightened influence. Renan’s book includes a thorough and ground-braking study of Western Averroism in the later Middle Ages. It includes, however, no study of philosophy in Islam after Averroes, giving the false impression that he was the last representative of that tradition. Among the Western historians of philosophy in Islam who wrote before Renan in the 17th and 18th centuries that notion was not as widespread as one might think17. Averroes was, of course, the last of the Arab philosophers whose works were translated into Latin and this fact might have reinforced or even triggered Renan’s attitude. Yet there was since the late 17th century in Europe enough information available to understand that the history of philosophy in Islam did not end with him. Jakob Brucker’s influential Historia critica philosophiae of 1743 includes detailed information on post-Averroian philosophers in Islam. In two long chapters on Arabic philosophy that stretch over more than 200 pages, Brucker includes portrayals of two important post-Averroian philosophers, namely Fakhr al-Dı¯n al-Ra¯zı¯ (d. 1210) and Nas.¯ı r al-Dı¯n T.u¯sı¯ (d. 1274)18. In addition, he mentions a great number of other scholars by name, among them such important figures as Abu¯ l-Baraka¯t al-Baghda¯dı¯ (d. c. 1165) and al-Tafta¯za¯nı¯ (d. 1390), clearly identifying them as philosophers who were active in the centuries after Averroes19. Another source for post-Averroian philosophy in Islam that is 16 17

18 19

Renan, Averroès et l’averroïsme, 2. G. Piaia, Averroes and Arabic Philosophy in the Modern Historia Philosophica: Seventeenth and Eighteenth Centuries, in: A. Akasoy/G. Giglioni (eds.), Renaissance Averroism and Its Aftermath: Arabic Philosophy in Early Modern Europe, Dordrecht 2013, 237–253. Known to him as Ibnu El-Chatib Rasi and Nasiroddinus. Johann Jakob Brucker, Historia critica philosophiae, 2nd ed., 6 vols., Leipzig 1766–1767, vol. 3, 113–118. Referred to as Ebn Malca and Ettphtheseni, ibid, 119 f. Brucker’s main sources were Edward Pococke’s adaptation of Bar Hebraeus’ (d. 1286) history in his Specimen historiae Arabum of 1650 and Leo Africanus’ (d. c. 1550) short biographical history of scholars and historical figures in Islam, Libellus de viris quibusdam illustribus apud Arabes, published by Johann Heinrich Hottinger, Bibliothecarius quadripartitus, Zurich 1664, 246–294.

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largely neglected by Renan is Barthélemy d’Herbelot’s ‘Bibliotheque Orientale’ of 1697, an extensive work that makes much information from Ka¯tib Çelebı¯’s (d. 1657) celebrated bibliographical dictionary of works in Arabic, ‘Kashf al-z.unu¯n’, available in French 20. In addition to his neglect of any philosophy in Islam after 1198, Renan portrays Averroes as a “sober exponent (…) of a philosophical understanding of the world, at odds with Islamic orthodoxy” 21. John Marenbon noted that this was new and different from the presentations of Averroes in Brucker and Tennemann before him 22. Equally new in Renan was, according to Marenbon, the view of Averroes as the representative of a “philosophical party” in Islam that was defeated during his lifetime by a “religious party”. While Renan does not include any study of Arabic and Islamic philosophers after Averroes, he does include the philosophers of Islam before him and here he focuses particularly on al-Ghaza¯lı¯ (d. 1111). For Renan, al-Ghaza¯lı¯ was the archrival of Averroes and the nemesis of philosophical free-thinking. There was a war going on in Islam at the end of the 12th century, writes Renan, “a war against philosophy”, triggered by a “theological reaction similar to the one that followed in the Latin Church after the Council of Trent” 23. One does not need to explain that the Council of Trent during the mid-16th century was the beginning of the Catholic counter-reformation that aimed at re-conquering the intellectual ground that had been lost to the Protestant Reformation and that did not shy away from violence and from civil war. Renan compares the assumed conflict between philosophy and religious authority in Islam with the one-and-half centuries long period of religious wars in Central and Western Europe and their millions of casualties among Catholics and various groups of Protestants. According to Renan, al-Ghaza¯lı¯ was one of the forces behind that open war against philosophy. Reading al-Ghaza¯lı¯’s autobiography The Deliverer from Error (alMunqidh min al-d.ala¯l ) in a French translation24, Renan knew that he had confessed to Sufi teachings. For Renan, the mystics were simply “the most intolerant enemies of philosophy”. Al-Ghaza¯lı¯ “attacked rationalism” by founding religion on scepticism. His attack on causality – and here he repeats a remark that he read in Averroes – was “the negation of all science.” Al-Ghaza¯lı¯ “was one of those bizarre minds,” Renan wrote, “who only embraced religion as a manner to challenge reason” 25. 20 21 22 23 24 25

Barthélemy d’Herbelot, Bibliotheque Orientale, ou, Dictionnaire universel contenant Tout ce qui fait connoître les Peuples de l’Orient (…), 3d ed., 4 vols., The Hague 1777–1779. J. Marenbon, Ernest Renan and Averroism: The Story of a Misinterpretation, in: A. Akasoy/ G. Giglioni (eds.), Renaissance Averroism and Its Aftermath (nt. 17), 273–283, 276. Ibid., 276 referring to Wilhelm Gottlieb Tennemann, Geschichte der Philosophie, 12 vols. Leipzig 1810, vol. 8:1, 420. Renan, Averroès et l’averroïsme, 29–30. Essai sur les écoles philosophiques chez les Arabes, et notamment sur la doctrine d’Algazzali, par Auguste Schmölders, Paris 1842. Renan, Averroès et l’averroïsme, 97.

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All these characterizations strike us today as particularly misled and misleading. Renan’s view of al-Ghaza¯lı¯ seems more that of a fanatical Jesuit who puts all his efforts into fighting rationalism and the Enlightenment. Renan saw Averroes, and himself of course, on the side of the Enlightenment and perceived al-Ghaza¯lı¯ in the light of the Catholic counter-reformation or rather the reactionary Catholic establishment of the 19th century that Renan was heavily engaged in fighting. Nowadays, there is hardly any researcher on al-Ghaza¯lı¯ who would not characterize him as a rationalist Muslim theologian, who was heavily engaged in integrating elements of the philosophy of Avicenna into what can be described as mainstream Islam. We now know that al-Ghaza¯lı¯ championed Avicenna’s psychological – that is scientific – explanation of how prophecy comes about over others26, or that he subscribed to almost all details in Avicenna’s cosmological explanation of the world, including the celestial spheres and the celestial intellects as their movers 27. There remained, however, an important disagreement between al-Ghaza¯lı¯ and what in Arabic is simply called “the philosophers” (al-fala¯sifa) 28. This disagreement was about the nature of God. Here is neither the time nor the place to explain the philosophical and theological dispute about whether God’s actions are the result of His free deliberation and His choice between alternatives, as al-Ghaza¯lı¯ insisted, or whether they result “automatically”, as the critics said, from God’s pure goodness and His knowledge of what is the best of all possible worlds 29. Suffice it to say that this was first of all an intellectual dispute about how to understand God. For critics, such al-Ghaza¯lı¯, Avicenna’s God was a mere creation-machine, a mechanism that turns His knowledge of which is the best of all possible worlds into the world that we live in. Yet al-Ghaza¯lı¯ does not only fight Avicenna on the level of arguments, he was also a leading scholar of fiqh, Islamic jurisprudence, and he brings religious law into his dispute with Avicenna and the fala¯sifa. Al-Ghaza¯lı¯’s opposition to Avicenna was triggered by the suggestion that God is a mere cause (>illa) of the world. This opposition finds its harshest expression in his legal condemnation of Avicenna’s view that the world can have no temporal beginning and no end. Following a late-

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A. Treiger, Inspired Knowledge in Islamic Thought. Al-Ghaza¯lı¯’s Theory of Mystical Cognition and its Avicennian Foundations, London–New York 2012, 64–79; M. Afifi al-Akiti, The Three ˙ haza¯lı¯, in: J. McGinnis (ed.), Properties of Prophethood in Certain Works of Avicenna and al-G Interpreting Avicenna. Science and Philosophy in Medieval Islam. Proceedings of the Second ˙ aza¯lı¯’s Conference of the Avicenna Study Group, Leiden 2004, 189–212; and F. Griffel, Al-G Concept of Prophecy: The Introduction of Avicennan Psychology into Asˇ>arite Theology, in: Arabic Sciences and Philosophy 14 (2004), 101–144. Griffel, Al-Ghaza¯lı¯’s Philosophical Theology, 253–260. While initially the Arabic translation of Greek filósofoi, the Arabic fala¯sifa became identified with a certain set of philosophical teachings and denotes a certain direction of philosophy, namely Neoplatonized Aristotelianism and Avicennism. About the fact that disagreement about God’s attributes and the way God relates to his creation lies at the heart of the conflict between falsafa and kala¯m, or Avicenna and al-Ghaza¯lı¯, see Griffel, Al-Ghaza¯lı¯’s Philosophical Theology, 124–143, 172 sq., 271 sq., 275–279.

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antique interpretation of Aristotle, Avicenna maintained that this world is preeternal in the past and post-eternal in the future. Al-Ghaza¯lı¯ condemned that view in his critique of Avicenna’s philosophy in his Incoherence of the Philosophers (Taha¯ fut al-fala¯sifa). This document is important. On the last page of his Incoherence of the Philosophers, al-Ghaza¯lı¯’s says: “If someone asks: ‘Now that you have discussed in detail the teachings of these [philosophers], do you [also] say decisively that they hold unbelief (kufr) and that the killing of someone who upholds their convictions is obligatory?’ We answer: Pronouncing them unbelievers must be done in three questions. One of them is the question of the world’s pre-eternity and their saying that the substances are all pre-eternal. The second is their statement that God’s knowledge does not encompass the temporally created particulars among individual [existents]. The third is their denial of the resurrection of bodies and assembly of bodies [on Judgment Day]. These three teachings do not agree with Islam in any way. Whoever holds them [also] holds that prophets utter falsehoods and that they said whatever they have said [only] in order to promote the public benefit […]. Such [a position] is manifest unbelief (kufr .sira¯h.) which none of the [various] groups of Muslims [ever] held” 30.

This is the text of a legal fatwa¯. A real or imaginary interlocutor asks a legal authority a question about the law and receives an opinion. Al-Ghaza¯lı¯’s answer takes implicit recourse to the Muslim law of apostasy. Based on a report of the prophet Muhammad, a Muslim who becomes an unbeliever after he was a believer should be killed. As often in Islamic law, however, the jurists put high obstacles in the way of anybody who was willing to kill a co-Muslim on account of some offense. In this case, they established that the law of apostasy can only be applied after the accused apostate has been publicly asked to repent and return to Islam and after he has been shown what punishment awaits him if he remains unrepentant. Repentance (tawba) would wipe out the whole affair and its legal consequences. This “invitation to repent” (istita¯ba) was obligatory and it effectively made it impossible to punish a Muslim for his apostasy 31. Since jurists also agreed to accept nominal repentances that might not have been all too sincere, simply pronouncing a return to Islam would make any accusation of apostasy void. Accusation and repentance could be repeated as often as possible and would not result in any punishment. The idea behind this was that as long as people nominally continue to profess Islam, nobody should be accused of apostasy even if some might choose to practice Christianity or any other religion secretly at home. Unlike in Christianity, Islamic law was not interested in what people did secretly at home. It was interested first of all in public order 32. 30 31 32

al-Ghaza¯lı¯, The Incoherence of the Philosophers / Taha¯fut al-fala¯sifa. A Parallel English-Arabic Text, ed. and transl. M. E. Marmura, 2nd ed., Provo (Utah) 2000, 226. I use only the masculine form here, because different rules apply to women. On the legal institution of the istita¯ba and its implications see my earlier studies: Apostasie und ˙ aza¯lı¯s Urteil gegen die Philosophie und die ReaktioToleranz im Islam. Die Entwicklung zu al-G nen der Philosophen, Leiden 2000, 54 sq., 77 sq., 83–99, and Toleration and Exclusion: al-Sha¯fi> ¯ı

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Philosophers like Avicenna did profess that they were Muslims. Avicenna, in fact, received most probably an education in Islamic law 33. He clearly regarded his philosophy as an interpretation of Islam. Muhammad was for him the most important of a number of philosopher-prophets who gave humanity a religious law, which for Avicenna is the most efficient kind of legislation. In short, Avicenna regarded himself as a Muslim, in fact, a very good Muslim. He would have certainly denied to harbor any kind of “unbelief ” (kufr) that al-Ghaza¯lı¯ ascribes to him posthumously 34. To achieve his goal of associating the philosophers with unbelief, al-Ghaza¯lı¯ here applies a legal trick that he explained elsewhere in his oeuvre. He admits that the philosophers think of themselves as good Muslims and do not commit apostasy in the usual sense of the word. They are, however, clandestine apostates (zana¯diqa). Like those who publicly profess Islam but practice secretly a different religion at home, these philosophers should be regarded as people who have unIslamic opinions even if they continue to present themselves as Muslims. These people, al-Ghaza¯lı¯ argues elsewhere in his legal writings, do not deserve the invitation to repent (the istita¯ba). Deprived of their procedural right to receive an invitation to repent, such clandestine unbelievers (that is zana¯diqa) can be killed immediately 35. This is why al-Ghaza¯lı¯ can say that “the killing of someone who upholds the [three] convictions [quoted above] is obligatory.” Al-Ghaza¯lı¯, of course, never thought of this as a legal trick but maintained that this is not only a legitimate application of sharı¯ >a but one that is mandated by the severity of the threat that these philosophical teachings pose. For him, the Law is a means that allows humans – in fact, makes it easy for them – to gain redemption in the afterlife. Given the shortness of life in this world in comparison with an eternity of either reward or punishment in the afterlife, it is most rational that humans are guided by their concern for the afterlife. The jurists who interpret the law should also be guided by this concern and form the law is such a way that it allows the greatest number of people to enjoy rewards rather than suffer punishments. The teachings of the philosophers such as their denial of bodily resurrection in the afterlife may prompt people to neglect the law and break it, thus creating afterlifely punishments where none would have been before. Ordinary people, so argues al-Ghaza¯lı¯ implicitly, do not fear “spiritual punishments” or punishments that are only inflicted on the disembodied souls. The Qur’an speaks

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and al-Ghaza¯lı¯ on the Treatment of Apostates, in: Bulletin of the School of Oriental and African Studies 64 (2001), 339–354, esp. 342–350. D. Gutas, Avicenna’s madhab. With an Appendix on the Question of his Date of Birth, in: Qua¯ (1987/88), 323–336. derni di Studia Arabi 5/6 al-Ghaza¯lı¯, The Incoherence of the Philosophers / Taha¯fut al-fala¯sifa, 226. For al-Ghaza¯lı¯, accusing fala¯sifa of “kufr” implied the accusation of zandaqa, i.e., ‘clandestine apostasy’ and the death penalty, see Griffel, Apostasie und Toleranz im Islam, 282–291. Singl. zindı¯q. On the meaning of zindı¯q as ‘clandestine apostate’ see Griffel, Apostasie und Toleranz im Islam, 71 sq., 83–89, 134 sq., 285 sq. On al-Ghaza¯lı¯’s view not to grant zana¯diqa the right to repent (istita¯ba) see ibid., 375–379.

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about bodily rewards and punishments and departing from that by saying that there is no bodily resurrection in the afterlife takes the thorn out of disobeying the Law. In one of his books al-Ghaza¯lı¯ writes that philosophical teachings like the one about the merely spiritual character of afterlifely reward and punishment, “are clear unbelief. Claiming something like this destroys the achievements of the revealed Law and closes the gate of taking one’s guidance from the light of the Qur’an and of benefiting morally from the sayings of the Prophet Muh.ammad” 36.

The ordinary believer will simply no longer fear punishment if it is not painted to him in the most drastic form of bodily pains. Given the great harm that these teachings create among the ordinary believers, so al-Ghaza¯lı¯ here implicitly, they must never reach them. And while he was aware that his application of the law of apostasy to reign in heterodox opinions was a legal novelty in Islam,37 it is this kind of harm that legitimizes for al-Ghaza¯lı¯ using the full force of the Law and cracking down on the three teachings listed in his fatwa¯ at the end of ‘The Incoherence of the Philosophers’38. Events surrounding Khomeini’s fatwa¯ against Salman Rushdie more than twenty years ago taught a wider Western public that a fatwa¯ may indeed be dangerous, but it is not “the Law.” It is not a proper condemnation but a mere legal opinion whose validity stands and falls with its legal reasoning and the authority of the scholar who issued it. As a legal judgement it would need to be adopted by judges at their courts. All this also applies to al-Ghaza¯lı¯’s fatwa¯ against Avicennan philosophy. The important question about any fatwa¯ is whether or not this legal opinion has indeed had its desired effects and whether this opinion was applied. The short answer is: Yes, but mostly no. Yes, in the sense that we have a small number of cases where Islamic jurists did indeed apply al-Ghaza¯lı¯’s judgment on the clandestine apostasy of people who teach the eternity of the world. Mostly no, in the sense that there were so many problems with al-Ghaza¯lı¯’s legal argument that the great majority of Muslim jurists and the legal tradition overall abandoned it. First, let’s look into the small number of cases where it was, most probably, applied. Here, I have two cases in mind, both of them close to al-Ghaza¯lı¯’s lifetime. The first is that of >Ayn al-Qud.a¯t al-Hamadha¯nı¯, who was crucified in Hamadan in Iran in 1131. He was – interestingly enough – a close follower of al-Ghaza¯lı¯ and a devoted student of his brother Ah.mad (d. c. 1123). It speaks to the complexity of al-Ghaza¯lı¯’s ideas that one of his faithful followers could be accused of upholding the world’s eternity. Yet that seems to have been the case. After looking at the available evidence, I conclude elsewhere that al-Ghaza¯lı¯’s fatwa¯ played a role

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al-Ghaza¯lı¯, al-Iqtis.a¯d fı¯ l-i>tiqa¯d, ed. Anas M. >A. al-Sharafa¯wı¯, Beirut 1429/2008, 304. Griffel, Apostasie und Toleranz im Islam, 282–291. Ibid., 300–303.

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in his execution39. A case that otherwise might have ended with milder punishments, such as expulsion, for instance, ended in capital punishment. The second case is that of Yah.ya al-Suhrawardı¯ al-maqtu¯l, “the executed” who was put to death in Aleppo in 1191. Here, the evidence is not so clear. The powerful Sultan Saladin evidently wished his death for reasons that might be in the realm of the political. But the legal authorities of Aleppo succumbed to his wishes and endorsed the death penalty. Since al-Suhrawardı¯ had committed no crime other than teaching the eternity of the world, for instance, this may have prompted their acquiescence40. Both cases happened within a century after al-Ghaza¯lı¯ had published his fatwa¯ . Both cases also happened under the Seljuq dynasty that revered al-Ghaza¯lı¯ as a legal scholar, or, in the case of al-Suhrawardı¯, under a dynasty, namely the Ayyubids, that understood itself as a successor to the Seljuqs. Once the Seljuqs and their successors had disappeared, al-Ghaza¯lı¯’s fatwa¯ seems to have had no more influence. Al-Abharı¯, for instance, the above-mentioned author of the Guide of Philosophy, lived and worked fifty to seventy years after the unfortunate al-Suhrawardı¯ in the very same region and yet he seemed to have had no problems during his lifetime. This despite the fact that he makes no secret of his view that creation is a process that has no temporal beginning in the past and no end in the future. In section 3.3 of the part on metaphysics in his Guide of Philosophy he lays down Avicenna’s teachings on the creation of the first intelligibles and concludes that “it follows from this that they [scil. the intelligibles, al->uqu¯l ) are pre-eternal, for the effect is necessary when the complete [scil. sufficient] cause exists”41. And since God’s existence as a continuous creator is the only sufficient cause of the existence of the world as such, it exists as long as God exists. Earlier, in chapter 2.9, al-Abharı¯ had already clarified that God knows individuals only “in a universal way”, meaning, He does not know them as individuals42. Al-Ghaza¯lı¯’s fatwa¯ had many legal problems that limited its effects on the practice of philosophy in Islam. Among the four different schools of law in Islam, only one would accept his recommendation not to apply the “invitation to repent” (istita¯ba) in cases of clandestine apostasy. Although there was and is disagreement about the istita¯ba in the other three schools as well, the majority of jurists in the other three legal schools would mandate it and make any condemna39

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See my discussion of >Ayn al-Qud.a¯t al-Hamadha¯nı¯, in: Griffel, Al-Ghaza¯lı¯’s Philosophical Theology, 81–87. On >Ayn al-Qud.a¯t al-Hamadha¯nı¯’s life and execution see also Omid Safi, The Politics of Knowledge in Premodern Islam, Chapel Hill 2006, 158–200 and H. Dabashi, Truth and Narrative. The Untimely Thoughts of >Ayn al-Qud.a¯t al-Hamadha¯nı¯ (d. 525/1131), Richmond 1999, 475–536. On our scant knowledge of the circumstances of al-Suhrawardı¯’s life and his execution cf. H. Ziai, in: Encyclopaedia of Islam. New Edition, vol. 9, 782–784 and id., The Source and Nature of Authority: A Study of al-Suhrawardı¯’s Illuminationist Political Doctrine, in: C. Butterworth (ed.), Islamic Political Aspects of Philosophy, Cambridge (Mass.) 1992, 294–334. al-Abharı¯, Hida¯yat al-h.ikma, Arab. text 269, Engl. text 77. Ibid., Arab. text 264, Engl. text 172.

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tion of confessing Muslims as apostates almost impossible43. Only the Ma¯likı¯ school in North and West Africa as well as in al-Andalus would accept such practice, and this may be one of the reasons that contributed to the problems Averroes (Ibn Rushd, d. 1198) experienced late in his life during an episode that became known as his “persecution” (mih.na)44. The overall problem with al-Ghaza¯lı¯’s legal opinion was his assumption of an inner apostasy where outwardly the philosophers confessed to Islam. It is interesting that for Western ears, used to a centuries long history of religious persecution, such legal thinking appears plausible. For scholars trained in classical Muslim jurisprudence it is all but plausible. Lawyers trained in classical sharı¯ >a were not much interested to construct legal offenses out of the inner motives or the implication of an accused’s actions or out of the convictions of the people they deal with as accused. The Prophet Muh.ammad himself was quoted as having said that the penal law of sharı¯ >a should be used with extreme economy and punishment “averted at the existence of the slightest doubt” 45. Take the case of adultery. Lusting after one’s neighbour’s wife is, of course, morally reprehensible but it is not forbidden by Law. The case only gains legal relevance once there are four competent witnesses who say they personally saw the actual performance of sex between two people not allowed to have it. In a pre-modern society, such a situation is truly rare, nay, unthinkable, which made adultery as a legal offense nearly impossible to establish without a confession.46 In the case of apostasy, most legal scholars in Islam applied the rule that unless there is no clear evidence for apostasy from Islam – such as a Muslim who publicly converted to Christianity – there is no legal relevant case of apostasy. Al-Ghaza¯lı¯’s legal opinion suffers from two weaknesses: first he argues that holding a certain opinion, such as that the world is pre-eternal, is equivalent to apostasy from Islam, and second, that apostasy is not even in the open but only clandestine. Very few Muslim jurists followed him in this.

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F. Griffel, Art. Apostasy, in: G. Böwering (ed.), Encyclopedia of Islamic Political Thought, Princeton 2013, 40 sq. On this episode in the life of Averroes see my comments in: Averroes’ Maßgebliche Abhandlung. Aus dem Arabischen übersetzt und herausgegeben von F. Griffel, Frankfurt a. M. 2010, 83–89. Wael Hallaq, Shari>a: Theory, Practicem Transformations, Cambridge (UK) 2009, 311. Hallaq adds that standard legal rules that are invoked in all other branches of Islamic jurisprudence were applied differently in penal law. In other branches motives play an important role and there is a valid legal maxim that actions of worship, for instance, are only valid with the intention of serving God (“al-a >ma¯l bi-l-niyya”). Ibid., 312f. The witnesses would need to testify that the man actually penetrated the woman. Discrepancies in the testimonies of the four witnesses would vindicate the accused and expose the witnesses to the charge of wrongful accusation punishable with eight lashes.

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Conclusions According to the majority opinion of legal scholars in Islam the religious law, that is sharı¯ >a, could not be applied against the practice of philosophy or against someone teaching that the world is pre-eternal. This is simply not a matter of the Law. Legal scholars may not like it when people teach the pre-eternity of the world. But as scholars committed to upholding sharı¯ >a, most of them realized that they had no case against such a practice. Al-Ghaza¯lı¯ tried to invoke the death penalty for apostasy from Islam against that practice. For most scholars, however, that meant bending the Law as the death penalty for apostasy could only be applied against people who openly converted to another religion and stubbornly refused to return to Islam even after being confronted with the consequence of capital punishment. Overall, al-Ghaza¯lı¯’s attempt to use the law of apostasy as a means of excommunicating philosophers or of legally persecuting them failed. There was, as far as I know, no second attempt to use any other statute of sharı¯ >a as a means to legally persecute philosophy in Islam. This is the legal side of the matter. But as in the case of adultery there is a non-legal case. Adultery is considered a sin and a social ill, it is frowned upon, shunned, and leads to social stigma even if there are not four witnesses for the performance of a sexual act 47. The same applies to philosophy. Certain intellectual circles in Islam have frowned upon, shunned, and stigmatized the study of philosophy. Other circles, however, favoured it, encouraged philosophers to write books, and rewarded them for it. There is clear evidence that even after al-Ghaza¯lı¯ there were enough of the latter circles to safeguard that philosophy in Islam did not disappear after 1100. At the beginning of this chapter, I tried to show that after al-Ghaza¯lı¯ there were still quite a number of philosophers, who were Muslims, who followed Avicenna, and who taught, for instance, the pre-eternity of the world. If my field of study, that is Islamic studies, has given a wrong impression about this in the past one-hundred and sixty years since the appearance of Ernest Renan’s ‘Averroès et l’Averroïsme’ it is now high time to rectify this mistake.

47

Hallaq, Sharı¯>a, 271 sq.

IV. Jüdische Gesetzeshermeneutik

La table des préceptes dans le ‘Dux neutrorum’ de Moïse Maïmonide D D S (Lecce/Köln) I. Introduction Il est surprenant de trouver à la première page du ‘Dux neutrorum’ – dans la version transmise par le manuscrit de Paris, Bibliothèque de la Sorbonne, Ms. 601 – une annotation reportant un titre bien singulier pour un ouvrage si important et si connu tel que le ‘Guide des égarés’ de Maïmonide1. Une main, très tardive par rapport à celle à l’œuvre dans le codex, a en effet donné à ce texte le titre français suivant : « Livre des préceptes de Maimonides » 2. Qu’est-ce qui a pu amener l’auteur de cette annotation à attribuer au chef d’œuvre de la philosophie juive médiévale le titre d’un autre écrit maïmonidéen, de nature totalement différente par rapport au ‘Guide’ ? La réponse est à chercher dans la tradition manuscrite du ‘Dux neutrorum’, car sept témoins ajoutent justement à la fin de la célèbre traduction latine la liste des 613 préceptes codifiés par Maïmonide dans son ouvrage intitulé ‘Sefer ha-mis.wot’ (le ‘Livre des préceptes’)3. Bien que l’ajout ne soit pas 1

2

3

Sur le ‘Dux neutrorum’, cf. W. Kluxen, Literargeschichtliches zum lateinischen Moses Maimonides, in : Recherches de théologie ancienne et médiévale 21 (1954), 23–50 ; G. K. Hasselhoff, The reception of Maimonides in the Latin world : the evidence of the latin translations in the 13th–15th century, in : Materia Giudaica VI/2 (2001), 258–280 ; D. Di Segni, Moses Maimonides and the Latin Middle Ages. Critical edition of ‘Dux neutrorum’ I, 1–59, Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln im Fach Philosophie, 2013. Paris, Bibliothèque de la Sorbonne, Ms. 601, fol. 21ra. Cf. Catalogue général des manuscrits des Bibliothèques publiques de France : Université de Paris et Universités des Départements, Paris 1918, 150. Le ‘Dux neutrorum’ nous est transmis par treize manuscrits : Città del Vaticano, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Ottoboniano Latino Ms. 644 [A] ; Paris, Bibliothèque Nationale de France, Ms. fonds latin 15973 [B] ; Paris, Bibliothèque de la Sorbonne, Ms. 601, foll. 21ra–103vb [E] ; Saint-Omer, Bibliothèque de l’agglomération, Ms. 608 [C] ; München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 7936b [D] ; Cambridge, University Library, Ms. Ii. I.19 (1711) [F] ; Graz, Universitätsbibliothek, Ms. II.482, foll. 16va–98rb [G] ; Todi, Biblioteca comunale Lorenzo Leonj, Ms. 32 [H] ; Oxford, Bodleian Library, Ms. Bodl. 437 [I] ; Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vaticano Latino, Ms. 1124 [K] ; Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vaticano Latino, Ms. 4274 [L] ; Kassel, Landes- und Murhardsche Bibliothek, 2 Ms. Theol. 67 [N] ; Cambridge, Trinity College, Ms. O.8.37 [M]. En outre, le texte a été imprimé au XVIe siècle par Giustiniani : Rabi Mosei Aegyptii Dux seu director dubitantium aut perplexorum, ed. Augustinus Iustinianus, Parisiis 1520. Pour le texte arabe du ‘Sefer ha-mis.wot’, cf. M. ben Maimun, Le livre des préceptes, ed. M. Bloch, Paris 1888.

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attesté par la totalité de la tradition manuscrite latine, il y a raison de croire à son originalité, d’autant plus que, au-delà des sept témoins, deux autres manuscrits fournissent notamment le début de la table, preuve que chez leur antigraphe – ou chez un antigraphe plus ancien – elle était présente4. Deuxièmement, les témoins transmettant cet appendice se situent plus haut dans le stemma codicum par rapport au reste de la tradition, alors que les autres manuscrits témoignent généralement d’une leçon moins correcte5. Nous présentons ici pour la première fois une édition critique de ce texte, lequel a déjà attiré l’attention de la recherche à plusieurs occasions6. À côté de l’analyse des caractéristiques principales du texte et de son encadrement par rapport à la version originale, le but de notre étude introductive sera aussi de s’interroger sur les raisons de l’intérêt que cet ouvrage de codification légale a éveillé, au point d’en ajouter une traduction latine à la fin du ‘Guide’, un texte éminemment philosophique7. Puisque les circonstances dans lesquelles le ‘Dux neutrorum’ a luimême été produit restent encore aujourd’hui assez mystérieuses – nous ignorons tantôt les noms du traducteur et du commanditaire, tantôt le lieu et la date de composition –, comprendre ces raisons contribuerait à la définition du projet culturel qui se cache derrière la traduction latine de Rabbi Moyses8. 4

5 6

7

8

Les témoins qui transmettent la liste sont A, foll. 283ra–291ra ; B, foll. 229ra–236vb ; G, foll. 95va–98rb ; K, foll. 122rb–125vb ; L, foll. 243v–250v ; I, foll. 115va–118vb ; N, foll. 285r–296v. Les manuscrits transmettant uniquement le début sont : C, fol. 121vb ; E, fol. 103vb. Les rapports entre les manuscrits ont été analysés de manière approfondie dans ma thèse de doctorat, cf. nt. 1. Cf. Kluxen, Literargeschichtliches (nt. 1), 30 ; G. Hasselhoff, Dicit Rabbi Moyses. Studien zum Bild von Moses Maimonides im lateinischen Westen vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, Würzburg 2004, 61–72. La célébrité du ‘Dux neutrorum’ au sein du monde latin est surtout liée à son contenu philosophique. Ce n’est pas un hasard qu’en Angleterre le texte soit connu sous le titre alternatif ‘Mater philosophie’ ; cf. le manuscrit F, fol. 1 : « Incipit liber Rabi Mosse, qui dicitur Dux dubiorum vel Dux neutrorum, qui etiam ab aliquibus dicitur Mater philosophie ». De même, Thomas de York et Adam Marsh le désignent pareillement ; cf. Adae de Marisco Epistolae, epist. 227, in : Monumenta Franciscana, ed. J. S. Brewer, London 1858, 394–396 : « Mittit vobis frater Laurentius quaternos matris philosophie, pro quibus misistis ». Cf. également Thomas de Eboraco, Sapientiale I, 35, Firenze, Biblioteca nazionale, Conv. soppr. A. 6.437, fol. 41rb : « Hae igitur sunt opiniones de cura seu providentia secundum recitationem Rabbi Mosi in libro suo, quem vocavit Matrem Philosophiae ». Je remercie Fiorella Retucci pour m’avoir permis de lire sa transcription. Deux hypothèses ont été formulées par la critique à propos de l’origine du ‘Dux neutrorum’ ; parmi les partisans de l’hypothèse italienne, on trouve : M. Steinschneider, Kaiser Friedrich II. über Maimonides, in : Hebräische Bibliographie VII (1864), 62–66 ; J. Perles, Die in einer Münchener Handschrift aufgefundene erste lateinische Übersetzung des Maimonidischen ‘Führers’, in : Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums XXIV (1875), 65–86, 81 ; G. Sermoneta, Un glossario filosofico ebraico-italiano del XIII secolo (Lessico intellettuale europeo I), Roma 1969, 40-42 ; L. Thorndike, Michael Scot, London 1965, 28–29 ; G. Freudenthal, Pour le dossier de la traduction latine médiévale du Guide des égarés, in : Revue des études juives CXLVII (1988), 167–172. Au contraire, l’hypothèse française est soutenue par : Kluxen, Literargeschichtliches (nt. 1), 32–33 ; C. Rigo, Zur Rezeption des Moses Maimonides im Werk des Albertus Magnus, in : W. Senner/H. Anzulewicz (eds.), Albertus Magnus. Zum Gedenken nach

La table des préceptes dans le ‘Dux neutrorum’ de Moïse Maïmonide

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II. La codification des préce ptes Dans l’introduction au ‘Livre des préceptes’, Maïmonide nous informe luimême que cet ouvrage a été rédigé tout juste après son ‘Commentaire à la Misˇnah’ (1168) : « Après avoir rédigé l’ouvrage très connu, dans lequel nous avons compris l’explication de toute la Misˇnah […] j’ai vu qu’il était opportun de compiler un recueil qui embrasse toutes les lois de la Torah et les prescriptions, jusqu’à ce que il n’y manque rien »9.

De même que le ‘Commentaire à la Misˇnah’, le ‘Sefer ha-mis.wot’ fut écrit en arabe et a été idéalement conçu comme une introduction au ‘Misˇneh Torah’10 ; pour cette raison, une version abrégée du ‘Livre des préceptes’ a ensuite été incorporée comme prémisse au célèbre code légal11. Le but du ‘Sefer ha-mis.wot’ est celui de traiter chaque précepte en détail, en en indiquant la source biblique ainsi que la référence à la littérature rabbinique, de sorte à comprendre le sens précis de la prescription au sein de la tradition orale12. Bien qu’à plusieurs endroits les préceptes soient reconnus comme étant au nombre de 613, les écrits rabbiniques n’offrent aucune énumération explicite13. La classification proposée par Maïmonide est donc originelle et répond au défaut du système juridique traditionnel, ce qui en explique aussi la renommée jusqu’à nos jours au sein du judaïsme. À proprement parler, la première tentative de codifier le matériel juridique biblique avait été faite au VIIIe siècle par Simon Kayyara, avec son ‘Halakot Gedolot’, dans lequel il énonçait 265 commandements et 348 défenses14. Deux¯ siècles plus tard, à Babylone, H.efez ben Yazliah. s’était attelé au même projet ; malheureusement son ‘Sefer ha-mis.wot’ est aujourd’hui perdu, mais Maïmonide devait en posséder une copie, puisqu’il l’évoque dans son introduction15. Comme on peut aisément l’imaginer, Maïmonide se réfère à ses prédécesseurs afin de les critiquer durement :

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11 12

13 14 15

800 Jahren. Neue Zugänge, Aspekte und Perspektiven, Berlin 2001, 29–66, 31–35 ; Hasselhoff, Dicit Rabbi Moyses (nt. 6), 123–124 ; Y. Schwartz, Authority, Control, and Conflicts in 13th Century Paris : The Talmud Trial in Context, in : E. Baumgarten/J. Galinsky (eds.), Jews and Christians in 13th Century France : Culture, Society and Mutual Perceptions (à paraître en 2015). Notre traduction se fonde sur la version hébraïque de l’ouvrage, cf. Moshe ben Maimun, Sefer ha-mis.wot, ed. Y. Q’afih., Jérusalem 1958, 1. Selon Moshe ibn Tibbon, un des traducteurs médiévaux de cet ouvrage en hébreu, le ‘Sefer ha-mis.wot’ aurait été écrit en arabe pour le différencier du ‘Misˇneh Torah’. Cf. Moshe ben Maimun, Sefer ha-mis.wot, ed. H. Heller, Piotrkow 1914, 19 [nouvelle édition Jérusalem 1946]. M. Hyamson, Mishneh Torah: The book of knowledge by Maimonides, Jerusalem 1981, 5a–17a. Sefer ha-mis.wot, ed. Y. Q’afis. (nt. 9), 1 : « Notre but dans cette œuvre [le ‘Commentaire à la Misˇnah’] était de nous limiter à l’explication de chaque paragraphe de la ‘Misˇnah’, mais nous n’avions pas l’intention de traiter des règles de chaque précepte jusqu’aux détails, de sorte à comprendre tout ce qu’il est nécessaire à propos de ce qui est permis et de ce qui est interdit ». Cf. Talmud Bavlì, Sˇabbat 87a ; Makkot 23b. Ici, on retrouve la division entre 248 commandements et 365 défenses, mais sans que les préceptes ne soient clairement énoncés. E. Hildesheimer (ed.), Halakot Gedolot, Berlin 1892. Pour le compte des préceptes dans cette œuvre, cf. M. Bloch, Les 613¯lois, in : Revue des études juives V (1882), 27–40. Cf. B. Halper, A volume of the Book of Precepts by H.efez ben Yazliah., Tel Aviv 1972.

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« Dans le compte des préceptes, certains arguments, qui sont absolument étrangers au sujet, ont été inclus par fantaisie, car celui qui s’est occupé du compte des préceptes […] a suivi l’auteur des ‘Halakot Gedolot’ […] Et j’ai vu que même le célèbre auteur du ¯ remarqué un petit nombre des fantaisies de l’auteur des ‘Sefer ha-mis.wot’, bien qu’il ait ‘Halakot’ […], s’est éloigné encore plus et s’est laissé emporter par quelque chose de ¯ très étrange, comme cela apparaîtra clairement au lecteur de notre ouvrage »16.

La critique la plus forte contre ses devanciers leur reprochait d’avoir inclus, dans l’énumération, des préceptes qui n’avaient pas été établis par le Pentateuque : Maïmonide fait donc précéder cet ouvrage de quatorze règles qui lui ont permis d’établir sa classification, notamment quant à la distinction entre lois bibliques et rabbiniques17. Les préceptes sont divisés en 248 commandements – autant que les parties du corps – et 365 défenses – autant que les jours de l’année18. La logique de la division entre commandements et défenses échappe parfois au lecteur moderne, étranger aux modes de raisonnement rabbinique ; à une interdiction correspond souvent un commandement, mais les deux sont formulés de manière distincte et constituent deux préceptes séparés. C’est notamment le cas de l’interdiction de travailler le jour du Sˇabbat, qui correspond à la formulation positive selon laquelle, ce jour-là, il faut cesser toute activité19. Il en résulte une impression de doublement, qui est parfois déroutante si l’on s’attend à une classification systématique du matériel juridique, telle qu’on la conçoit aujourd’hui. Des actions apparemment semblables, comme la prescription de laisser un coin du champ aux pauvres et celle de ne pas recueillir ce qui tombe de la moisson, forment deux préceptes bien distincts20. Il faut en outre considérer que, déjà du temps de Maïmonide, la plupart des préceptes ne pouvaient plus être accomplis ; il en va par exemple ainsi des lois sur les sacrifices, qui étaient strictement liées au Temple de Jérusalem. Au Moyen Âge, le ‘Livre des préceptes’ a été traduit en hébreu plusieurs fois : tout d’abord par Abraham ben Samuel ibn H.asdai21, ensuite par Moshe ibn Tibbon22, 16 17 18

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22

Sefer ha-mis.wot, ed. Y. Q’afih. (nt. 9), 3–4. Ibid. Op. cit., 6 : « À propos des commandements, qui sont au même nombre que les parties du corps, cela signifie : chaque membre dit à l’homme : respecte un précepte par moi. Et sur les défenses, qui sont au même nombre que les jours de l’année, cela signifie : chaque jour dit à l’homme : ne commet pas de transgression en moi ». Cf. le commandement n° 154 et la défense n° 320. Cf. les commandements n° 120 à 124. Cet ouvrage n’est transmis que par tradition indirecte ; un certain nombre de citations tirées de cette traduction a été publié par M. Bloch dans son introduction à la version arabe du ‘Sefer ha-mis.wot’ (cf. nt. 3). Cf. M. Steinschneider, Die hebräische Übersetzungen des Mittelalters und die Juden als Dolmetscher, Berlin 1893, 927. Pour l’édition de ce texte, cf. supra, nt. 10. D’après ibn Tibbon (Sefer ha-mis.wot, ed. Heller [nt. 10], 19), ibn H.asdai se serait fondé sur une première version de l’ouvrage, tandis qu’ibn Tibbon aurait eu accès à la rédaction définitive ; cependant, cette assertion a été mise en doute par Moïse Bloch, qui a comparé le texte du traducteur provençal avec les fragments de l’autre version, et aboutit à la conclusion que la traduction plus ancienne est aussi la meilleure ; cf. Le livre des préceptes (nt. 3), VIII–XII ; pour la collation des passages, cf. op. cit., XII–XIX.

La table des préceptes dans le ‘Dux neutrorum’ de Moïse Maïmonide

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puis enfin par Salomon ben Joseph ibn Ayyub de Grenade23. Cependant, notre table ne provient d’aucune de ces traductions, mais se fonde au contraire sur la transposition abrégée qui a été ajoutée, en tant que prémisse, au ‘Misˇneh Torah’. Cette deuxième version est significativement plus synthétique par rapport au ‘Sefer ha-mis.wot’, bien que l’énumération des préceptes corresponde parfaitement avec le premier ouvrage24. Les informations omises dans la version raccourcie concernent principalement les détails liés à la réalisation pratique des préceptes, ainsi que les références à la littérature rabbinique. La traduction latine n’offre non plus aucun détail de ce genre, s’avérant alors très proche de la version abrégée25. De même que dans le ‘Dux neutrorum’, lequel a été traduit à partir de la transposition hébraïque, on remarque aussi dans ce cas précis que la source de la traduction est un texte hébreu, signe que le traducteur devait être familier avec cette langue beaucoup plus qu’avec l’arabe. III. La traduction latine C’est à la fin de la troisième partie du ‘Dux neutrorum’ que la liste contenant les 613 préceptes est ajoutée, introduite par l’expression suivante : « Hec sunt precepta que proprie dicuntur precepta, et consistunt in faciendo plura ex illis. Alia vero ex eis sunt affirmativa, et sunt CCXLVIII secundum numerum membrorum; et alia sunt negativa, et sunt CCCLXV secundum numerum dierum anni, et inducunt bonas opiniones. »

La table complète nous est transmise par les manuscrits A, B, G, I, K, L et N, tandis que les manuscrits C et E reportent uniquement la formule introductive que nous venons de citer, mais restant sans suite. Au contraire, les témoins D, F et H se terminent avec le dernier chapitre du ‘Dux neutrorum’. Puisque le manuscrit M est incomplet, nous ignorons si originairement il contenait ou pas l’appendice. Les préceptes sont parfois comptés comme s’ils étaient des chapitres du ‘Dux’ ; tel est le cas du manuscrit C, qui reporte en marge l’indication suivante : « capitulum 56 »26, de même que Giustiniani, qui ajoute les chapitres 56 et 5727.

23 24

25

26 27

Cf. Steinschneider, Die hebräische Übersetzungen (nt. 21), 928. Selon D. Henschke, Remnants of Maimonides’ Sefer ha-mis.wot in the Misˇneh Torah [hébr.], in : Proceedings of the Tenth World Congress of Jewish Studies, division C, vol. I, 1989, 180–186, il n’y a pas de différence entre le contenu du ‘Livre des préceptes’ et l’énumération présente dans l’introduction au ‘Misˇneh Torah’. Maïmonide aurait été amené par souci de brièveté à raccourcir son ouvrage antérieur pour le faire précéder au ‘Misˇneh Torah’. Nous citons, à titre d’exemple, le commandement n° 23, où, dans le ‘Sefer ha-mis.wot’, toutes les charges attribuées aux lévites étaient énoncées, tandis que la version du ‘Misˇneh Torah’ établit seulement l’obligation pour les lévites de servir dans le Temple. De même, dans le texte latin on trouve la formule très générique : « Ut Levita serviat sanctuario ». C, fol. 121vb. Dux neutrorum, ed. Giustiniani (nt. 3), foll. CXIVr et CXVIr.

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La liste se présente avec une mise en page très particulière, laquelle est reproduite assez fidèlement par la tradition manuscrite, même chez les témoins appartenant à des familles éloignées l’une de l’autre ou attestant d’une transmission corrompue. Cependant, cette mise en page est définitivement introduite à partir du commandement n° 34, tous les témoins s’accordant sur ce point. On a donc l’impression que le traducteur ait suivi d’abord une certaine méthode, mais qu’après les premiers cas, par souci pratique, il ait changé d’avis : les premiers commandements sont en effet traduits de façon plus littérale, car chaque énoncé est accompagné de la traduction du verset biblique correspondant. Pour les préceptes n° 1 à 14, la référence au livre biblique est introduite directement dans le texte, avant la citation ; ensuite, plusieurs prescriptions partageant la même source commencent à être regroupées. Ce n’est qu’à partir du commandement n° 25 que la méthode d’assemblage des énoncés ayant une référence commune s’établit définitivement jusqu’à la fin de l’ouvrage, tandis qu’à partir du n° 34 – sauf quelques rares exceptions – la citation du texte biblique disparaît totalement. Les préceptes sont reliés par l’emploi d’un signe graphique qui varie de manuscrit en manuscrit, mais dont la structure reste toutefois très semblable. Le signe renvoie en marge de la colonne – ou de la page, dans les manuscrits n’ayant pas de colonne – où l’on trouve la référence au livre biblique, sans indication du chapitre et du verset. Pour simplifier cette mise en page relativement complexe, Giustiniani décida d’ajouter, à la fin de chaque ligne, la source biblique correspondante, tandis que pour les premiers préceptes, il préfère indiquer les références et les citations dans une colonne à part. L’ensemble de la tradition manuscrite se caractérise encore par l’absence de numérotation des préceptes – qui suit un ordre bien précis, établi par Maïmonide dans l’introduction au ‘Sefer ha-mis.wot’28. La numérotation, présente dans l’original, est toujours mentionnée par les commentateurs postérieurs lisant le texte hébraïque : d’une part, elle permet de se référer très simplement à tel ou à tel précepte ; d’autre part, elle a parfois été remise en question, surtout en ce qui concerne la division entre commandements et défenses. Dans l’édition de Giustiniani, la numérotation est introduite à partir du commandement n° 25, de sorte que le nombre total des préceptes positifs descend à 218, tandis que les défenses restent à 365. Quant à la traduction, le texte semble assez fidèle par rapport à l’original. Pareil à l’introduction au ‘Misˇneh Torah’, la version latine expose uniquement l’énonciation du précepte, dépourvue de toute explication, tandis que le ‘Sefer ha-mis.wot’ fournissait aussi les références à la littérature talmudique, que Maïmonide avait introduit pour justifier ses choix29. Néanmoins, on trouve aussi parfois, dans la version abrégée, des renvois – à vrai dire très génériques – à la tradition orale, les-

28 29

Cf. Sefer ha-mis.wot, (ed. Q’afih., nt. 9), 2–3. Ibid.

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quels sont systématiquement omis par le traducteur latin. L’absence des sources talmudiques rappelle la manière dont le ‘Dux neutrorum’ a lui-même été traduit : dans les deux cas, en effet, toutes les références à la littérature rabbinique ont été délibérément exclues30. Notre traduction garde une forte fidélité vis-à-vis de la conception et de la structure du texte original, l’ordre des préceptes étant généralement respecté ; de plus, sauf quelques rares exceptions, on ne relève pas de véritables méprises. On en déduit alors que la traduction a été conçue par quelqu’un connaissant aussi bien l’hébreu que les 613 mis.wot. Le commandement n° 108 nous fourni une preuve de cette familiarité : on y traite de la purification au moyen de l’eau mélangée avec les cendres de la vache rouge (Nm 19), mais toute référence explicite à cette eau est absente, le texte maimonidéen se servant plutôt du mot hdn (niddah), qui exprime un état d’impureté. Le traducteur devait donc fort bien connaître cette loi pour comprendre que l’expression « niddah » renvoyait au précepte de la vache rouge : « Quod aque vacce rufe polluentes sint hominem mundum, et mundatrices pollutionis ex mortuo solummodo ». D’ailleurs, on remarque que le lemme « vacce rufe » présente une variante intéressante à l’intérieur de la tradition manuscrite, notamment quant aux témoins B (fol. 230vb), I (fol. 116ra) et N (fol. 287r), qui le remplacent par « menstruate mulieris », un terme rendant plus fidèlement le mot « niddah », si on ignore les prescriptions liées à la vache rouge. Puisque, d’une certaine manière, les deux versions sont correctes, elles proviennent probablement du traducteur lui-même, qui, hésitant, aurait dès lors laissé une traduction double, comme on l’observe très souvent à d’autres endroits du ‘Dux neutrorum’, ainsi que dans de nombreuses traductions médiévales31. Un certain nombre de préceptes n’a pas été traduit ; toutefois, leur absence pourrait s’expliquer, non pas par un choix délibéré, mais simplement en raison d’une faute mécanique, du moment où manquent souvent des prescriptions fort semblables. La ressemblance aurait engendré des fautes par ‘saut du même au même’, tantôt au niveau de la traduction, tantôt au niveau de sa transmission. Enfin, il est possible que, déjà dans le manuscrit hébreu dont le traducteur disposait, ces préceptes étaient absents ; au total, il s’agit de sept omissions, notamment du commandement n° 246, et des défenses n° 49, 63, 121, 162, 337 et 339. De véritables erreurs de traduction apparaissent également : au commandement n° 121, il est question des épis qui tombent pendant la récolte et qu’il faut laisser aux pauvres, mais la version latine transforme le texte comme suit : « Ut relinquatur de oliveto ». Bien sûr, dans ce cas aussi, la faute ne doit pas forcément incomber au traducteur latin, car elle pourrait dériver du manuscrit hébraïque

30 31

Cf., par exemple, Dux neutrorum, ed. Giustiniani (nt. 3), Proem., fol. Vr : « Diversitates de Talmut et parabolarum devitavit translator ». Pour l’occurrence des traductions doubles, cf. par exemple Aristoteles Latinus, Ethica Nicomachea, ed. R. Gauthier, Leiden 1974, CIV–CIX; Averroes Latinus, Commentum medium super libro Peri Hermeneias Aristotelis, ed. R. Hissette, Louvain 1996, 102–103.

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dont il se servait. En outre, la compréhension du texte est parfois compromise par l’omission de certains détails ; tel est le cas du commandement n° 223, qui, dans l’original, est dédié à la femme soupçonnée d’adultère (Nm 5, 11–28). Le texte latin n’en fait pas mention, si bien que dans l’expression : « Ut fiat a sacerdote sicut scriptura dicit », on ne comprend pas que le sujet de la phrase est la cérémonie spécialement prévue pour la femme soupçonnée. De même, la brièveté empêche la compréhension du commandement n° 180 : « Ut fiat testibus sicut facere voluerint » ; il s’agit ici des faux témoins, qui doivent être condamnés à la même punition qu’ils voulaient provoquer par leur faux témoignage. De plus, certaines imprécisions peuvent être observées, par exemple au commandement n° 16, où la version latine stipule : « Ad congregandum populum, ut audiant legem tempore certo », tandis que, dans l’original, il est question de l’année sabbatique. À l’inverse, au précepte positif n° 57, le texte latin fournit plus de détails que la version hébraïque ; celle-ci prescrivait uniquement de fêter la Seconde Pâque, alors que la traduction précise à qui ce commandement s’adresse : « Ut qui fuerant polluti vel in via celebrent secundum Pascha quarta decima die mensis secundi ». De plus, on détecte des traces d’hébreu dans le texte latin, touchant en particulier à la terminologie des sacrifices : le mot « hatat », qui exprime le sacrifice d’expiation (tXux), est présent aux commandements n° 70, 189, 112, ainsi qu’aux défenses n° 139 et 145. Parfois, notamment au précepte positif n° 64, la traduction latine est fournie et correspond à celle de la Vulgata : « sacrificium pro peccato ». À la défense n° 139, le mot « hatahot » – cette fois-ci employé au pluriel – est précédé d’un article en langue vulgaire : « los », signe probablement que la traduction fut réalisée par l’intermédiaire d’une langue vernaculaire32. Il arrive aussi que le terme hébreu soit introduit par la formule « que vocatur », de sorte que la parole vient à donner une information supplémentaire par rapport au texte, et non pas à remplacer un terme latin. C’est le cas du commandement n° 65, où l’on trouve le mot « assam », qui désigne le sacrifice de culpabilité (,>X) : « Que necessaria sunt in hostia pro delicto, que vocatur ‘assam’ » – l’expression attestée dans la Vulgata (Lv 7, 1) étant : « sacrificium pro delicto ». La même formulation introductive est employée pour le terme « quezem » (défense n° 31), se référant à l’interdiction de deviner (,cvq). Ce dernier terme relève de la terminologie liée à la magie, de même que les mots hébraïques « ob » (bvX) et « ydeom » (ynvidy), qui sont attestés dans les défenses n° 8 et 9. En tout cas, la plupart des mots hébraïques appartiennent à la sphère sémantique des offrandes présentées au Temple de Jérusalem : aux défenses n° 133, 134, 135, 136, 154, on recense encore le terme « tharuma » (hmvrt) – l’offrande qui comprenait plusieurs catégories de donation selon les différentes occasions –, tandis qu’au précepte négatif n° 133, on relève le mot « pigul », qui désigne un sacrifice devenu impur.

32

Pour une étude approfondie de cette méthode de traduction ‘à quatre mains’ au travers d’une langue vernaculaire dans le Dux neutrorum, je me permets de renvoyer à ma thèse de doctorat (cf. nt. 1).

La table des préceptes dans le ‘Dux neutrorum’ de Moïse Maïmonide

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Une trace ‘à demi-cachée’ du substrat hébraïque du texte peut être entrevue aux commandements n° 92 et 93, traitant la question du nazirat. En effet, dans le premier cas, le traducteur appelle le nazir « separatus », qui correspond littéralement au terme hébraïque, alors que, dans le deuxième cas, il emploie le mot « nazareus » : ‹92› ‹93›

« Ut separatus tempore consecrationis sue non tondeatur neque radatur. » « Ut nazareus tondeatur completo tempore separationis sue, vel si acciderit ei pollutio. »

La présence d’expressions hébraïques dans le texte constitue un trait commun au ‘Dux neutrorum’ et à son appendice, bien que ce dernier en offre proportionnellement des exemples plus nombreux ; cela s’explique simplement par son contenu, la difficulté étant liée à la terminologie de nombreux rites juifs, dont, d’ailleurs, la plupart n’étaient plus pratiqués depuis des siècles. Il semble donc que les deux ouvrages aient été traduits suivant la même méthode33. Enfin, on remarque parfois de la naïveté (ou de la ruse ?) dans la traduction des préceptes qui pouvaient paraître ‘dangereux’ aux oreilles des chrétiens ; notamment au commandement n° 198, où le traducteur prend soin d’ajouter l’explication du terme « extraneo » – absente dans l’original : « Ut extraneo, scilicet idolatre, detur mutuum sub usura ». En identifiant l’étranger avec l’idolâtre, le traducteur vide ce commandement de son potentiel polémique, car l’on exclut les chrétiens de la catégorie à laquelle il faut prêter intérêt ; également, puisque l’idolâtre représente un ‘ennemi’ commun aux juifs et aux chrétiens, cette formule met les deux parties du même côté. IV. La réce ption dans la la tinité Il est ardu d’évaluer avec certitude la portée de l’influence que cet ouvrage eut au sein du monde latin ; d’un côté, le fait qu’il ne s’agit pas d’un écrit autonome – on a déjà vu qu’en certains cas le texte est transmis en tant que chapitre du ‘Dux neutrorum’ –, puis de l’autre son intérêt très restreint contribuent à cette difficulté. Des renvois précis à cet écrit ne se repèrent pas facilement, les références étant toujours assez vagues, au point qu’on peut se demander si ces citations viennent de notre table ou si elles ont une origine différente34. Le premier témoignage de la réception de cette liste se trouve dans la ‘Summa theologica’ de Roland de Crémone :

33

34

On cite à titre d’exemple le mot « tharuma », qui apparaît en Dux neutrorum, III, 40 (A, fol. 241rb ; B, fol. 194rb ; C, fol. 104vb ; D, fol. 104vb ; E, fol. 88 rb ; F, fol. 155rb ; G, fol. 83rb ; H, fol. 152ra ; I, fol. 98r ; K, fol. 106vb ; N, fol. 237r.) : « Fructum vero quarti anni, licet in eo sit ratio tangens idolatriam, sicut diximus, tamen usus eius est sicut usus de lataruma et halla ». De même, on remarque ici aussi l’emploi de la préposition « de » accompagnée de l’article « la ». Les renvois ont été analysés par Hasselhoff, Dicit Rabbi Moyses (nt. 6), 61–71.

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« diximus enim in superioribus, quod trecenta et XLVIII precepta sunt in lege secundum numerum ossium, que sunt in homine […] et hoc tradidit Rabi Mose in libro suo quem fecit contra antiquitatem mundi »35.

Premièrement, on observe une transcription fautive du nombre des commandements ; ensuite, il faut se demander si le livre « contra antiquitatem mundi » s’identifie avec le ‘Dux neutrorum’, ou bien si Roland se réfère ici à un autre ouvrage, et, qui plus est, s’il ne s’agit pas d’une connaissance indirecte. Certes, il est vrai que la question de l’éternité du monde est traitée par le ‘Dux’, II, 13–27, et que ces arguments sont parmi les plus cités par les auteurs scolastiques – ce qui justifierait la ‘réduction’ de tout le ‘Dux neutrorum’ aux chapitres dédiés à la réfutation de la théorie aristotélicienne36. Toutefois, le texte cité par Roland ne correspond pas tout à fait au ‘Dux neutrorum’, car il est ici question du « numerum membrorum », et non pas du « numerum ossium ». On pourrait alors envisager la possibilité que la transmission se soit réalisée par le biais du ‘Liber de parabola’, un ouvrage rédigé sur la base de matériels d’origine maïmonidéenne, mais élaborés par un compilateur 37. C’est là que l’on trouve le renvoi au nombre des os : « Et aliter processerunt dicta et sermones in mandatis Dei, sicut dicam in capitulis mandatorum, et circa mandata sexcenta et XIII : ducenta et XLVIII preceptoria et affirmatoria, et tot sunt ossa in homine, et trecenta sexaginta V prohibitoria, iuxta numerum dierum in anno »38.

L’incohérence entre les deux données, notamment le renvoi au « livre contre l’éternité du monde » – semblant correspondre au ‘Dux neutrorum’ –, ainsi que la référence au nombre des os – laisse supposer que Roland se serait servi d’une source indirecte. Un problème analogue se pose dans le cas de Thomas d’Irlande qui, dans son traité ‘De tribus punctis religionis Christianae’, fait appel à Maïmonide à propos de la distinction entre commandements et défenses : « Multa autem plura et graviora in veteri lege erant mandata, quia secundum Rabi Moysen precepta affirmativa erant ibi CCXVIII, quia tot ossa dicuntur esse in corpore humano, ad designandum, 35

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Ms. Paris, Bibliothèque Mazarine, Cod. lat. 795, fol. 73b. Nous citons ici la transcription faite par E. Filthaut, Roland von Cremona O.P. und die Anfänge der Scholastik im Predigerorden: ein Beitrag zur Geistesgeschichte der älteren Dominikaner, Vechta i. O. 1936, 72. Quant au succès de ces arguments, voir A. Rohner, Das Schöpfungsproblem bei Moses Maimonides, Albertus Magnus und Thomas von Aquin, Münster 1913 ; W. Dunphy, Maimonides and Aquinas on Creation. A Critique of their Historians, in : L. P. Gerson (ed.), Graceful Reason. Essays in Ancient and Medieval Philosophy Presented to Joseph Owens, Toronto 1983, 361–379 ; M. Dubois, A. Wohlman, L’usage de la notion aristotélicienne de forme dans l’explication de la causalité créatrice chez Maïmonide et chez Thomas d’Aquin, in : Aquinas XXX (1987), 3–26 ; K. Seeskin, Maimonides and Aquinas on Creation, in : Medioevo XXIII (1997), 453–472 ; S. Nolan, Moses Maimonides and the Eternity of the World Debate, in : Milltown Studies 40 (1997), 73–86. Le texte est transmis par le manuscrit Paris, Bibliothèque de la Sorbonne, Ms. 601 [E], foll. 1ra-16vb. Sur cet écrit, voir Kluxen, Literargeschichtliches (nt. 1), 41–46 ; Hasselhoff, The Reception of Maimonides (nt. 1), 261 ; Giles of Rome, Errores philosophorum, ed. J. Koch, transl. J. O. Riedl, Milwaukee 1944, XLVII–LI. E, fol. 1ra.

La table des préceptes dans le ‘Dux neutrorum’ de Moïse Maïmonide

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quod de omnibus membris debet homo servire Deo, et bene operari. Precepta autem negativa sive prohibitiva secundum eundem sunt CCCLXV, quia tot sunt die in anno, ad designandum, quod nulla die homo debet transgredi legem »39.

L’explication de la correspondance entre les commandements et le nombre des membres du corps humain, ainsi qu’entre les défenses et les jours de l’année, avait été fournie par Maïmonide dans l’introduction au ‘Sefer ha-mis.wot’ 40. Du reste, ce texte n’apparaît pas dans notre traduction, et Thomas n’a donc pas pu en prendre connaissance par l’intermédiaire de notre appendice. Cela témoigne de la circulation et de la diffusion de la pensée de Maïmonide, non seulement par le moyen du ‘Dux neutrorum’, mais aussi par d’autres sources. De même, l’absence de références explicites au ‘Sefer ha-mis.wot’ s’explique par le fait que déjà dans la troisième partie du ‘Guide’, Maïmonide avait analysé en détail les préceptes, en les distinguant cette fois-ci en quatorze groupes41. Étant donné que notre texte s’avère très synthétique, on doit supposer que tout renvoi à un détail spécifique dépend du ‘Dux’ et non pas de son appendice. Tel est le cas, par exemple, chez Thomas d’Aquin : « Adipis etiam esus prohibitus est eis, tum quia idololatrae comedebant illum in honorem deorum suorum. Tum etiam quia cremabatur in honorem Dei. Tum etiam quia sanguis et adeps non generant bonum nutrimentum, quod pro causa inducit Rabbi Moyses »42.

Ces détails ne se trouvent pas dans la table, laquelle donne simplement : « Ut non comedant adipem », mais sont mentionnés dans le ‘Dux neutrorum’ 43. Pour évaluer l’influence de la table des préceptes auprès des penseurs latins, il faut donc considérer uniquement les renvois aux distinctions entre commandements et défenses, ainsi qu’au nombre des préceptes relevant de chaque catégorie44. 39

40 41 42 43

44

Cf. Thomas Hibernicus, Tractatus de tribus punctis essentialibus christianae religio, in : B. Dudik (ed.), Statuten des Ersten Prager Provincial-Concils vom 11. und 12 November 1349, Brünn 1872, 93. Cf. supra, nt. 18. Dux neutrorum, III, 36–50, ed. Giustiniani (nt. 3), foll. XCIVv–CVIIIr. Thomas d’Aquin, Summa theologiae [S. th.], Ia–IIae, q. 102 a. 6 ad 1. Cf. Dux neutrorum, III, 49, ed. Giustiniani (nt. 3), fol. CVIr : « Adeps quoque interiorum replet stomachum et nocet ei et generat frigidum sanguinem. Et propter hoc aptior est ad cremandum quam ad comedendum ». D’autres exemples se trouvent en S. Th., Ia–IIae q. 102 a. 3 ad 11 : « Est autem attendendum, ut Rabbi Moyses dicit, quod quanto gravius erat peccatum, tanto vilior species animalis offerebatur pro eo. Unde capra, quod est vilissimum animal, offerebatur pro idololatria, quod est gravissimum peccatum ; pro ignorantia vero sacerdotis offerebatur vitulus ; pro negligentia autem principis, hircus », qui correspond à Dux neutrorum III, 47 (ed. Giustiniani), fol. CIIIIr ; et S. th., Ia–IIae q. 102 a. 3 ad 4 : « Ad quartum dicendum quod in turturibus meliores sunt maiores quam pulli ; in columbis autem e converso. Et ideo, ut Rabbi Moyses dicit, mandantur offerri turtures et pulli columbarum, quia omne quod est optimum, Deo est attribuendum », qui correspond à Dux neutrorum, III, 47, ed. Giustiniani (nt. 3), fol. CIIIr. Cette distinction sera ensuite dépassée en faveur de la division entre moralia, caerimonialia et iudicialia ; cf. Thomas d’Aquin, S. th., Ia–IIae, q. 99 a. 4. En outre, Maïmonide distingue les préceptes entre h.uqqim et misˇpatim ; les h.uqqim sont les préceptes qui apparemment n’ont pas d’explication, tels que l’interdiction de mélanger la laine avec le lin, ou la viande avec le lait. Les misˇpatim représentent en revanche des lois dont l’utilité est immédiatement comprise (cf. Dux neutrorum,

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Dans le ‘Sermo XXIV’, Maître Eckhart reprend ce point 45, tandis qu’ailleurs il met en rapport ces informations avec le chapitre 36 de la troisième partie du ‘Dux’, en montrant sa connaissance ‘de première main’ de l’œuvre maïmonidéenne46 : « sciendum quod Rabbi Moyses omnia praecepta negativa, quae dicuntur esse trecenta sexaginta quinque secundum numerum dierum anni, affirmativa vero, quae dicuntur esse ducenta duodeviginti ad minus iuxta numerum membrorum hominis, omnia, inquam, ista simul reducit ipse l. III c. 36 ad quattuordecim partes »47.

Il existe donc une relation entre notre énumération et les chapitres de la troisième partie du ‘Guide des égarés’ qui sont consacrés à la division des commandements en quatorze groupes. Le traducteur a été sans doute amené à ajouter cet appendice au ‘Dux’ afin d’éclaircir ainsi les notions contenues aux chapitres 36–50 de la troisième partie, en le concevant comme un instrument de travail fournissant les informations nécessaires à la compréhension du texte. Le sens de cette table se rapproche alors de celui des notes marginales transmises par le manuscrit A – dont le contenu remonte très probablement au traducteur même – par lesquelles des termes présents dans le texte sont expliqués : « Mysna est brevis compositio legis, quam fecit quidam Iudeus sapiens, propter cuius etiam brevitate [sic] factus est postea liber, qui dicitur Talmud. Darassot dicunter obscura quedam dispersa in Mysna »48.

Le souci qui a amené le traducteur à fournir ces renseignements nous paraît analogue à celui qui l’a poussé à traduire le catalogue tiré de l’introduction au ‘Misˇneh Torah’. V. L’édition L’édition critique que nous présentons ici se fonde sur la collation des manuscrits A, B, G, et du texte édité par Giustiniani (désigné en apparat par la lettre π). Ces témoins ont été sélectionnés sur la base des études conduites jusqu’à présent sur les manuscrits du ‘Dux neutrorum’, grâce auxquelles la meilleure tradition a

45

46

47 48

ed. Giustiniani [nt. 3], III, 27–29, foll. LXXXVIIIv–XCr). Thomas ‘superpose’ cette distinction à la subdivision entre moralia, caerimonialia et iudicialia : « Praeterea, Rabbi Moyses dicit quod praecepta caeremonialia dicuntur quorum ratio non est manifesta » (Thomas d’Aquin, S. th., Ia–IIae, q. 101, a. 1). Maître Eckhart, Sermo XXIV, n. 226, LW IV, 212, 1 : « Moyses Aegyptius narrat quod affirmativa fuerunt ducenta duodeviginti vel – secundum alios – ducenta duodequinquaginta secundum numerum membrorum hominis, negativa vero trecenta sexaginta quinque secundum numerum dierum anni ». Pour la bibliographie dédiée à l’influence de la pensée maïmonidéenne chez Maître Eckhart, cf. D. Di Segni, “verba sunt Rabbi Moysis” : Eckhart e Mosè Maimonide, in : L. Sturlese (ed.), Studi sulle fonti di Meister Eckhart, vol. II, Freiburg 2012, 103–140, 103. Maître Eckhart, Expositio libri Exodi, n. 230, LW II, 190, 14. A, fol. 4ra. Voir également la note suivante : « Nota quod lataruma dicuntur due partiuncule, que sumebantur de massa panis : prima crematur, secunda datur alicui de gente sacerdotis » (A, fol. 241rb). On remarque ici aussi la présence de l’article « la ».

La table des préceptes dans le ‘Dux neutrorum’ de Moïse Maïmonide

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pu être identifiée 49. Les manuscrits K et L n’ont pas été pris en compte, car leur leçon correspond presque toujours avec G et Giustiniani, lequel employa pour son édition un exemplaire appartenant à la même famille que G, K, L. De plus, le texte transmis par K et L est souvent corrompu par rapport à la leçon de G, qui témoigne d’un plus haut niveau de transmission du texte à l’intérieur de cette famille. De même, les variantes relevant du manuscrit I n’ont pas été enregistrées dans l’apparat, à cause de leur proximité avec le texte transmis par B. Malgré cela, tous les exemplaires transmettant l’appendice ont été consultés pour les cas douteux, particulièrement lorsqu’il était nécessaire de proposer une conjecture. Le texte s’emploie de reproduire le plus fidèlement possible la mise en page présente dans la tradition manuscrite : à l’exception des premiers préceptes, chaque commandement et chaque défense sont accompagnés par la référence au livre biblique indiquée en marge. Nous avons transcrit ces renvois tels qu’ils figurent dans les manuscrits, même dans le cas où ceux-ci étaient erronés, alors que les références correctes sont données dans l’apparat des sources. Il faut aussi considérer que, dans la Bible, les commandements sont souvent répétés, ce qui peut avoir engendré une certaine ambigüité quant à l’indication de la source. Les signes graphiques regroupant plusieurs préceptes n’ont pas été reproduits. Giustiniani a ajouté les renvois aux livres bibliques à la fin de la ligne ; nous les avons systématiquement omis – sans indiquer à chaque fois l’omission, pour ne pas alourdir l’apparat – car cette innovation ne trouve aucune correspondance dans la tradition manuscrite. De plus, on ne trouve dans les témoins aucune trace de numérotation des préceptes. Toutefois, il nous a paru utile pour le lecteur d’en donner l’indication ; pour cela, la numérotation a été introduite à l’aide des sigles ‹ ›. Comme on l’a observé, certains préceptes n’ont pas été traduits ; dans ces cas précis, l’ordre de la numérotation suit l’original, ce qui engendre parfois des ‘sauts’ dans notre compte. En outre, lorsque deux préceptes sont inversés, on a aussi inversé la numération, afin de rester fidèle au texte original. En italique, on trouvera aux préceptes négatifs n° 112 et 139 des mots précédés par un article en langue vernaculaire. Si cela apparaît évident pour le cas de « de los hatahot », cela ne l’est pas autant concernant le mot « enhatath ». Tous les manuscrits concordent sur cette leçon, qui pourrait s’expliquer par une corruption de l’article « el » – qui d’ailleurs figure déjà dans d’autres passages du ‘Dux neutrorum’. À cette exception près, le texte ne présente pas de caractéristiques particulières ni de nombreuses variantes ; on peut signaler ici l’introduction dans le texte de ce qui devait être une note marginale à la défense n° 7 : « Ob et idonei erant opera magica vel genera idolatrie ». Le manuscrit A témoigne de la version correcte, tandis que la note est insérée justement par les manuscrits qui n’arrivent pas à déchiffrer la parole « ydeom » et la remplacent ainsi par « idonei » ou « idonea ». Enfin, nous signalons, dans la défense n° 206, la leçon transmise par la plupart 49

Cf. supra, nt. 5.

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des manuscrits : « Ut non comedat azimum » ; seul B témoigne une autre variante, notamment « adcinum ». Le mot « azimum » ne concorde pas avec l’original, où il était question de l’interdiction pour le nazir de se nourrir de la peau du raisin ; bien que la variante « adcinum » ne corresponde pas tout à fait l’original, elle s’y rapproche du point de vue de la signification. Le lemme « azimum » semble alors être une lectio facilior qui nous amène à conjecturer le mot « azinum » à sa place.

La table des préceptes dans le ‘Dux neutrorum’ de Moïse Maïmonide

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Hec sunt precepta que proprie dicuntur precepta, et consistunt in faciendo plura ex illis. Alia vero ex eis sunt affirmativa, et sunt CCXLVIII secundum numerum membrorum; et alia sunt negativa, et sunt CCCLXV secundum numerum dierum anni, et inducunt bonas opiniones:

Dt.

‹1› Ad ostendendum quod Deus est. Exodus: «Ego sum Dominus Deus tuus». ‹2› Ad ostendendum quod Deus unus est: «Audi, Israel, Dominus Deus tuus Deus unus est». ‹3› Ad amandum ipsum. Deuteronomium: «Ama Dominum Deum tuum». ‹4› Ad timendum ipsum: «Dominum tuum timebis». ‹5› Ad ipsum adorandum. Exodus: «Servies Domino Deo tuo», quod de adoratione intelligitur. ‹6› Ad adherendum ipsi. Leviticus: «Ipsique adherebis». ‹7› Ad iurandum in nomine eius. Leviticus: «Iurabis in nomine eius». ‹8› Ad ambulandum in viis eius. Leviticus: «Ambulabis in viis ipsius». ‹9› Ad sanctificandum nomen eius. Leviticus: «Sanctificabis me inter filios Israel». ‹10› Ad discendum scripturam unitatis bis cotidie. Deuteronomium: «Cum surrexeris et accubueris et cet.». ‹11› Ad docendum filios legem. Deuteronomium: «Docete filios vestros». ‹12› Ad ligandum ‘thephilim’ in capite: «Inter oculos vestros collocate». ‹13› Ad ligandum in brachio. Deuteronomium: «Suspendite ea pro signo in manibus vestris». ‹14› Ad faciendum fimbrias, que dicunt ‘citit’. Numeri: «Faciant sibi fimbrias quatuor». ‹15› Ad scribendum ‘mezuza’ super postem: «Scribe ea super postes». ‹16› Ad congregandum populum, ut audiant legem tempore certo: «Congregabis populum et cet.». ‹17› Ad scribendum quemlibet librum legis: «Scribite vobis canticum istud».

5 Ex. 20, 2. 7 Dt. 6, 4. 8 Dt. 6, 5. 9 Dt. 4, 13. 10 Ex. 23, 25. 12 Dt. 10, 20. 13 Dt. 10, 20. 14 Dt. 28, 9. 15 Lv. 22, 32. 17 Dt. 6, 7. 18 Dt. 6, 7. 19 Dt. 6, 8. 21 Dt. 6, 8. 23 Nm. 15, 38. 24 Dt. 6, 9. 26 Dt. 31, 12. 27 Dt. 31, 19. 2 et … 3 et1 om. B | CCXLVIII con.] CCXVIII ABG π 3 anni om. ACG 4 opiniones add. quorum primum est istud B 5 est] sit A | Exodus om. B 6 est add. Deuteronomium G 8 Deuteronomium om. B 9 ipsum add. Deuteronomium G | Dominum add. Deum B 10 adorandum] exorandum π | Exodus om. B | quod … intelligitur om. Gπ | adoratione] oratione Bπ 12 adherendum] herendum A | Leviticus om. B 13 eius1] ipsius BG | Leviticus om. B | eius2] ipsius B 14 ambulandum] adsimilandum B | Leviticus om. B 15 Leviticus om. B | Sanctificabis] sanctificabitis B 16 discendum] dicendum B | unitatis add. vel veritatis sup. l. A | bis cotidie om. π | Deuteronomium add. Meditaberis ea π om. B | surrexeris et om. A | surrexeris et accubueris] inv. B 17 et cet. om. G 18 Deuteronomium om. B 19 thephilim] thipilim π | capite add. Deuteronomium G 20 Deuteronomium om. B | in … vestris om. A 21 vestris om. BG 22 que … fimbrias om. A | que dicunt om. Gπ | Numeri om. B 24 mezuza] meriza π add. Deuteronomium π | super postem om. Gπ | postes] postem A 25 audiant] audiat Bπ | certo add. Deuteronomium π add. unde A 26 populum add. Dei A | et cet. om. Bπ 27 legis add. Deuteronomium π

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10

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Nm. Ex. Lv. Nm. Lv. Ex. Nm. Ex. Dt. Lv. Nm.

29 38 45 53

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‹18› Ut rex habeat alium librum preter illum quem quilibet debet habere. Describat sibi Deuteronomium in legem. ‹19› Ad benedicendum post comestionem. Deuteronomium: «Comedes et saturabis et benedices Domino Deo tuo». ‹20› Ut faciant sanctuarium Domino. Exodus: «Faciant michi sanctuarium». ‹21› Ut timeant sanctuarium. Leviticus: «Timebitis sanctuarium». ‹22› Ut custodiant sanctuarium. Exodus: «Semper tu et filii tecum tui coram tabernaculo». ‹23› Ut Levita serviat sanctuario. Numeri: «Serviet Levita sanctuario». ‹24› Ut lavet manus et pedes sacerdos tempore ministerii: «Aaron et filii sui lavabunt et cet.». ‹25› Ut accendantur lucerne in sanctuario. Numeri: «Aaron et filii sui accendent». ‹26› Ut sacerdotes benedicant populo. Numeri: «Sic benedicetis filiis Israel». ‹27› Ut panes et incensum ponantur coram Domino quolibet Sabbato super mensam. ‹28› Ut adoleatur incensum cotidie. ‹29› Ut ignis semper ardeat in altari: «Ignis in altari semper ardebit». ‹30› Ut cinis cotidie tollatur: «Cinis cotidie tolletur de altari». ‹31› Ut polluti expellantur de castris. ‹32› Ut honor exhibeatur generi Aaron: «In omni genere sanctitatis sanctificabis eum». ‹33› Ut sacerdotes vestibus sacerdotalibus induantur tempore ministerii: «Facies vestem sanctam Aaron». ‹34› Ut arca portetur in humeris. ‹35› Ut sacerdotes et reges ungantur unctione sancta. ‹36› Ut sacerdotes maiores serviant in sanctuario vice sua et in solemnitatibus omnes simul. ‹37› Quod sacerdotes polluerentur super mortuos suos sicut et populus. ‹38› Ut sacerdos duceret virginem in uxorem. ‹39› Ut duo holocausta cotidie offerrentur Domino.

Dt. 17, 18. 31 Dt. 8, 10. 32 Ex. 24, 8. 33 Lv. 19, 30. 35 Nm. 18, 2. 36 Nm. 18, 23. Ex. 30, 19. 39 Ex. 27, 21. 40 Nm. 6, 23. 42 Ex. 25, 30. 43 Ex. 30, 7. 44 Lv. 6, 6. Lv. 6, 3. 46 Nm. 5, 2. 47 Lv. 21, 8. 49 Ex. 28, 2. 50 Nm. 7, 9. 51 Lv. 21, 10. Dt. 18, 7. 54 Lv. 21, 1-4. 55 Lv. 21, 13. 56 Nm. 28, 3.

28 preter … habere om. Gπ | Describat] scribat G describet Bπ 29 legem] in ipsa legis B om. Gπ 30 Deuteronomium om. B 31 et benedices om. B | Domino … tuo om. A 32 Exodus om. B 33 Ut … sanctuarium2 om. B | Timebitis] Timebis A 34 Exodus om. B | Exodus semper] inv. A | tecum om. π | tecum tui] inv. A 36 Numeri om. B | Serviet] serviat A 37 Ut add. sacerdos B | sacerdos om. B | sacerdos … ministerii om. π | ministerii add. Exodus G add. unde A 38 et cet. om. BG add. Sacerdotes tempore ministerii curent π 39 accendantur] accendatur Bπ | in sanctuario om. π | Numeri om. B | sui] eius A | accendent add. et cetera π 40 populo om. Gπ | Numeri om. B 41 Domino add. in B 44 semper1 om. Gπ | in2] super π | altari2] altare π | semper2 om. π | ardebit] ardeat A 45 cinis1] finis B | cotidie1 om. Gπ | cotidie tollatur] inv. A | Cinis2 … tolletur om. B | tolletur] tollatur G 46 castris] templo π add. Polluti expellantur et cetera Gπ 47 Aaron add. Leviticus π | eum add. fratri tuo Gπ 48 sacerdotes] sacerdos Gπ | induantur] induatur Gπ 49 Aaron add. frater tuo B 51 sacerdotes et reges] inv. A 52 sanctuario add. in B | sua add. Deuteronomium π 54 sacerdotes add. non A

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Lv. ‹40› Ut sacerdos maior cotidie aliquid offerret. Nm. ‹41› Ut holocaustum additaretur in omni Sabbato. ‹42› Ut holocaustum additaretur in omni neomenia. ‹43› Ut holocaustum additaretur in Pascha. Lv. ‹44› Ut manipulus offerretur altera die Pasche. Nm. ‹45› Ut additaretur holocaustum in die Pentecostes. Lv. ‹46› Ut duo panes offerrentur in die Pentecostes. Nm. ‹47› Ut additaretur holocaustum in prima die anni, scilicet in prima die septimi mensis. ‹48› Ut additaretur holocaustum in die expiationum, scilicet decima die mensis septimi. Lv. ‹49› Ut in predicta die faceret maior sacerdos totum ministerium, sicut scriptum est. Nm. ‹50› Ut additaretur holocaustum in festo tabernaculorum. ‹51› Ut additaretur holocaustum in octava die, qui est festum per se. Ex. ‹52› Ut custodiantur dies festi. ‹53› Ut ter in anno presententur omnes in sanctuario in diebus festis. Dt. ‹54› Ut letentur in illis festis. Ex. ‹55› Ut decolletur aries in Pascha. ‹56› Ut carnes eius comedantur XV nocte mensis Nisan. Nm. ‹57› Ut qui fuerant polluti vel in via celebrent secundum Pascha quarta decima die mensis secundi. ‹58› Ut comedant carnes arietis in ipsa nocte. ‹59› Ut clangant buccinis super holocausta. Lv. ‹60› Ut omnis applicatio bestie fiat a die VIII et non antea. ‹61› Ut omnis bestia offerenda sit integra membris. ‹62› Ut in omni sacrificio ponatur sal. ‹63› Que necessaria sunt in holocausto. ‹64› Que necessaria sunt in hostia pro peccato. ‹65› Que necessaria sunt in hostia pro delicto, que vocatur ‘assam’. ‹66› De hostia pacificorum. ‹67› De hostia pro gratiarum actione. ‹68› De oblatione capituli domus iudicii, si erraverit. ‹69› De oblatione cuiuslibet hominis peccantis per errorem.

57 Lv. 6, 13. 58 Nm. 28, 9. 59 Nm. 28, 11. 60 Lv. 23, 36. 61 Lv. 23, 10. 62 Nm. 28, 26-27. 63 Lv. 23, 17. 64 Nm. 29, 1-2. 65 Nm. 29, 7-8. 66 Lv. 16. 67 Nm. 29, 12-13. 68 Nm. 29, 35-38. 69 Ex. 23, 14. 70 Ex. 23, 17. 71 Dt. 16, 14. 72 Ex. 12, 3-6. 73 Ex. 12, 8. 75 Nm. 9, 10-11. 76 Nm. 9, 11. 77 Nm. 10, 10. 78 Lv. 22, 27. 79 Lv. 22, 21. 80 Lv. 2, 13. 81 Lv. 1, 2-3. 82 Lv. 6, 18. 83 Lv. 7, 1. 84 Lv. 3, 1. 85 Lv. 7, 12. 86 Lv. 4, 13-14. 87 Lv. 4, 27. 58 omni] in quolibet B 59 neomenia add. mensis VII Gπ 60 Ut … Pascha om. π 63 Pentecostes add. cum aliis necessariis B 64 scilicet … die om. π | in2 om. Bπ | septimi mensis] inv. B 66 maior sacerdos] inv. Aπ | ministerium] servitium π 68 octava] septima A | qui] que B 70 anno] annus B | in2 … festis om. Gπ 73 nocte] noctis A | mensis om. A | Nisan] Mersan π 74 secundum om. π | Pascha] Pascham B 75 secundi om. π 78 VIII] scilicet π | non] in π | antea] ante decimononum Gπ 82 hostia] holocausto G add. que vocatur ‘hatat’ B 83 delicto] derelicto π | que … assam om. A 84 pacificorum] pacificationis A 86 iudicii om. Gπ 87 cuiuslibet] cuiuscumque B | peccantis om. G

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‹70› De oblatione hominis, cum dubitat utrum commiserit peccatum, pro quo debetur ‘hatat’, vel non. ‹71› De oblatione errantis in tollendo aliquid parvum, vel negantis depositum et iurantis propter hoc. ‹72› Qualis oblatio sit offerenda, si quis non suffecerit ad arietem. ‹73› Ut confiteatur homo coram Domino omne peccatum, quod commiserit. ‹74› Ut homo patiens fluxum offerat oblationem, postquam mundificatus fuerit. ‹75› Ut mulier patiens fluxum offerat oblationem, postquam mundificata fuerit. ‹76› Ut mulier que peperit offerat oblationem, postquam mundificata fuerit. ‹77› Ut leprosus offerat post munditiam suam. ‹78› Ut decimentur oves et vacce. Dt. ‹79› Ut sanctificetur omne primogenitum bestie. Nm. ‹80› Ut primogenitum hominis redimatur. Ex. ‹81› Ut redimatur filius asini. ‹82› Ut decervicetur asinus, si dominus noluerit ipsum redimere. Dt. ‹83› Ut omnes oblationes, quas quis debet offerre ex debito vel ex voluntate, offerantur in prima festivitate que evenerit. ‹84› Ut omnes oblationes offerantur in domo sanctuarii. ‹85› Ut omnes oblationes, de extra terram ipsam, reducantur ad domum sanctuarii. ‹86› Ut sanctificata, que maculam habuerunt, redimantur; et quod licitum sit comedere ipsa. Lv. ‹87› Ut sanctum sit mutatum, et illud pro quo mutatur. ‹88› Ut residuum oblationum comedant Aaron et filii sui. ‹89› Ut carnes de ‘hatat’ et de ‘assam’ comedantur. ‹90› Ut carnes sanctificate, que postea pollute sunt, crementur in igne. ‹91› Ut reliquie sacrificii pacificorum crementur. Nm. ‹92› Ut separatus tempore consecrationis sue non tondeatur neque radatur. ‹93› Ut nazareus tondeatur completo tempore separationis sue, vel si acciderit ei pollutio. Dt. ‹94› Ut compleat homo quicquid voverit ore suo. Nm. ‹95› Iudicia in fractione votorum. Lv. ‹96› Ut omnis qui tetigerit cadaver pollutus sit. ‹97› Ut octo serpentia sint polluentia. 89 Lv. 5, 17-18. 91 Lv. 5, 21-25. 92 Lv. 5, 7-11. 93 Lv. 5, 5. 94 Lv. 15, 13-15. 95 Lv. 15, 28-29. 96 Lv. 12, 6. 97 Lv. 14, 10. 98 Lv. 27, 32. 99 Dt. 15, 19. 100 Nm. 18, 15. 101 Ex. 34, 20. 102 Ex. 34, 20. 104 Dt. 12, 5-6. 105 Dt. 12, 14. 106 Dt. 12, 26. 108 Dt. 15, 21-22. 109 Lv. 27, 33. 110 Lv. 6, 9. 111 Lv. 10, 17. 112 Lv. 7, 19. 113 Lv. 7, 17. 114 Nm. 6, 5. 116 Nm. 6, 9; 6, 18. 117 Dt. 23, 24. 118 Nm. 30. 119 Lv. 11, 24. 120 Lv. 11, 29-30. 88 commiserit peccatum] inv. A 89 vel non om. G 91 iurantis] iuramentis B 93 commiserit] commisit A 94 mundificatus fuerit] inv. B 96 Ut … fuerit om. sed add. in marg. inf. B | mundificata] mundata A 97 Ut add. qui π | offerat] fuerat π om. B | suam add. offerat B 102 decervitetur] decimetur Gπ | dominus add. ipse G | noluerit] voluerit G | ipsum] eum B om. G 103 ex2 om. A 104 evenerit] venerit A 106 de om. Gπ | reducantur] adducantur B 107 maculam] lesionem Gπ | sit] est A 109 sit mutatum] inv. A 110 comedant] comedat Bπ | sui] eius G 112 sunt add. post G 114 sue om. A | tondeatur] tondetur A 117 voverit] vovuerit π

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‹98› Quod cibi possunt pollui. ‹99› Quod menstruata sit polluta et polluens alios. ‹100› Quod mulier que peperit sit polluta sicut et menstruata. ‹101› Quod leprosus sit pollutus et polluens. ‹102› Quod vestis plagata sit polluta et polluens. ‹103› Quod domus plagata sit polluens. ‹104› Quod vir patiens fluxum sit pollutus et polluens. ‹105› Quod sperma sit polluens. ‹106› Quod mulier patiens fluxum sit polluens. ‹107› Quod mortuus sit polluens. ‹108› Quod aque vacce rufe polluentes sint hominem mundum, et mundatrices pollutionis ex mortuo solummodo. ‹109› Ut munditia omnium pollutionum fiat in baptismo aque manantis. ‹110› Ut omnis munditia lepre, sive sit hominis sive domus, fiat cum ligno cedrino et isopo et vermiculo. ‹111› Ut leprosus tondeatur omnino. ‹112› Ut leprosus sit manifestus in omnibus. Nm. ‹113› Qualiter vacca rufa debeant immolari. Lv. ‹114› Ut homo qui spoponderit Deo animam suam det precium estimatione. ‹115› Ut qui fecerit votum de bestia polluta det precium. ‹116› Qui sanctificaverit domum det precium sicut estimabit sacerdos. ‹117› Qui sanctificaverit agrum possessionis sue. ‹118› Qui comederit sanctificatum quod teneatur reddere. ‹119› Ut fructus quarti anni sanctus sit. Dt. ‹120› Ut relinquatur pars agri vel vinee. ‹121› Ut relinquatur de oliveto. ‹122› Ut relinquatur oblitum. ‹123› Ut relinquatur quod remanserit de arboribus. ‹124› Ut relinquantur racemi de vindemia, hec omnia pauperi et peregrino. Ex. ‹125› Ut primitie adducantur ad domum sanctuarii. Dt. ‹126› Ad separandum partem que dicitur ‘tharuma’ sacerdoti. Lv. ‹127› Ut separetur decima annone ad opus Levitarum. Dt. ‹128› Ut separetur decima secunda comedenda in Hierusalem.

121 126 132 138 143 149

Lv. 11, 34. 122 Lv. 15, 19-20. 123 Lv. 12, 5. 124 Lv. 13, 46. 125 Lv. 13, 47-52. Lv. 14, 44. 127 Lv. 15, 2. 128 Lv. 15, 16. 129 Lv. 15, 25. 130 Lv. 11, 39. Nm. 19, 2-10. 133 Lv. 15, 13. 135 Lv. 14, 52. 136 Lv. 14, 9. 137 Lv. 13, 45. Nm. 19. 139 Lv. 27, 2. 140 Lv. 27, 11-12. 141 Lv. 27, 14. 142 Lv. 27, 16. Lv. 22, 14. 144 Lv. 19, 24. 145 Lv. 19, 9. 147 Dt. 24, 19. 148 Lv. 19, 10. Lv. 19, 10. 150 Ex. 23, 19. 151 Dt. 18, 3-4. 152 Nm. 18, 24. 153 Dt. 14, 22.

121 cibi] sibi G | cibi … pollui] possint pollui cibi A 123 sit polluta] immunda sit π | polluta om. G | sicut om. π | et om. A 125 vestis] vir π | plagata] patiens fluxum π | polluta] pollutus π 127 Quod … polluens om. π 131 vacce rufe] monstruate B | sint add. mulieris B 133 aque manantis] inv. A | manantis om. Gπ 134 sit om. π | sive add. sit | cum om. π 138 debeant] debea A debeat G 139 Deo om. π | suam add. Deo π | precium add. sub Gπ 140 fecerit] fecit π | det] debeat π 141 domum add. suam B | det] debet π 144 sanctus sit om. A 148 remanserit] remansit A 152 annone om. G

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Nm. ‹129› Ut Levite de decima sua dent decimam sacerdoti. Dt. ‹130› Ut separetur decima pauperibus. ‹131› Ut confiteatur coram Domino super decima. Nm. ‹132› Ut lectio recitetur, que scripta est super primitias. ‹133› Ut separetur pars masse sacerdoti. Lv. ‹134› Ut dimittatur terra quiescere anno septimo. ‹135› Ut non feratur neque laboretur. ‹136› Ut sanctificetur annus iubileus, scilicet quinquagesimum. ‹137› Ut clangatur buccina in ipso anno. ‹138› Ut redimantur possessiones in ipso anno. ‹139› Ut domus intra urbem muratam consistentes redimantur intra annum. ‹140› Ut computentur anni iubilei per annos septenarios. Dt. ‹141› Ut dimittantur debita in anno septimo. ‹142› Ut exigantur ab extraneo, scilicet idolatra. ‹143› Ut dentur sacerdoti de qualibet bestia munera. ‹144› Ut dentur ei primitie tonsionis. Lv. ‹145› Ut iudicentur iudicia excommunicationum partim Deo partim sacerdoti. ‹146› Ut decolletur bestia vel avis, et postea comedantur eius carnes. ‹147› Ut operiatur sanguis cervini et similium et volatilium. Dt. ‹148› Ut dimittatur mater de nido. ‹149› Que sint signa bestie que debet comedi. ‹150› Que sint signa volucris que debet comedi. ‹151› De signis locuste munde vel immunde. ‹152› De signis comestibilium piscium. Ex. ‹153› Ut sanctificentur menses, et numerentur anni in capitulo domus iudicii maioris solummodo. ‹154› Ut quiescatur in Sabbato. ‹155› Ut sanctificetur Sabbatum. ‹156› Ut abiciatur fermentatum. ‹157› Ut narretur exitus de Egypto. ‹158› Ut comedatur azimum in nocte illa. Nm. ‹159› Ut quiescatur in prima die Pasche. ‹160› Ut quiescatur in septima die. 154 Nm. 18, 26. 155 Dt. 14, 28-29. 156 Dt. 26, 13. 157 Dt. 26, 5-10. 158 Nm. 15, 20. 159 Lv. 25, 4. 160 Lv. 25, 4. 161 Lv. 25, 10. 162 Lv. 25, 9. 163 Lv. 25, 24. 164 Lv. 25, 29. 165 Lv. 25, 8. 166 Dt. 15, 2. 167 Dt. 15, 3. 168 Dt. 18, 3. 169 Dt. 18, 4. 170 Lv. 27, 21. 171 Dt. 12, 21. 172 Lv. 17, 13. 173 Dt. 22, 7. 174 Dt. 14, 4-8. 175 Dt. 14, 11-18. 176 Lv. 11, 21-22. 177 Dt. 14, 9-10. 179 Ex. 12, 2. 180 Ex. 23, 12. 181 Ex. 20, 8. 182 Ex. 12, 15. 183 Ex. 13, 8. 184 Ex. 12, 18. 185 Ex. 12, 16. 186 Ex. 12, 16. 156 confiteatur] confiteantur π 157 recitetur] cogitetur A 159 anno septimo] inv. A 161 scilicet quinquagesimum om. A 165 computentur] computantur A | per add. VII G 170 excommunicationum] exquisitionum π 171 decolletur] decollentur B 172 cervini] cervi Gπ 174 Que] quot π 175 Que] quod π | sint] sunt BG | signa om. A | volucris] volucres A | debet] debentur A 176 munde] munda B | vel] et A | immunde] immunda B 177 piscium om. AB 178 numerentur add. et AG | maioris solummodo om. A 183 exitus om. π | Egypto] Egyptiis Gπ add. et de iugo egyptiaco in prima nocte egyptiaco π 184 Ut … illa om. A 186 septima] septimo A

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Lv.

‹161› Ut numerentur XLIX dies a die manipulorum. ‹162› Ut quiescatur in die quinquagesimo. ‹163› Ut quiescatur in prima die mensis septimi. ‹164› Ut ieiunentur in decima die mensis eiusdem. ‹165› Ut quiescatur in ipsa die ieiunii. ‹166› Ut quiescatur in prima die festi tabernaculorum. ‹167› Ut quiescatur in octava die. ‹168› Ut habitent in tabernaculis septem diebus. ‹169› Ut teneant palmam et alias species in prima die. ‹170› Ut audiatur vox corni in prima die anni. Ex. ‹171› Ut detur medietas ponderis quolibet anno. Dt. ‹172› Ut audiatur quilibet propheta in tempore suo, dum non addiderit vel diminuerit de lege. ‹173› Ut rex constituatur. ‹174› Ut obediatur capitulo domus iudicii maioris. Ex. ‹175› Ut sequantur plures, si contrarietas fuerit inter seniores in iudiciis. Dt. ‹176› Ut constituantur iudices et prepositi ubique. ‹177› Ut equetur inter duos advocatos in iudicio. Lv. ‹178› Ut testis testificetur quod scit. Dt. ‹179› Ut diligenter examinentur testes. ‹180› Ut fiat testibus sicut facere voluerint. ‹181› Ut vitula cedatur cervice. ‹182› Ut eligantur sex civitates refugii. Nm. ‹183› Ut dentur Levitis urbes in quibus morentur. Dt. ‹184› Ut in domo nova fiat murus tecti per circuitum. ‹185› Ut servitium idolorum et idolatre disperdantur. ‹186› Ut interficiantur homines civitatis exose. ‹187› Ut deleantur septem gentes de terra Israel. ‹188› Ut deleatur genus Amalech. ‹189› Ut reducatur semper ad memoriam quod fecit Amalech. ‹190› Ut fiat in aliis pugnis, sicut scriptura mandat. ‹191› Ut sacerdos instante prelio stet ante populum. ‹192› Ut preparetur extra castra locus secessus. ‹193› Ut preparetur paxillus in exitu de castris.

187 Lv. 23, 15. 188 Lv. 23, 21. 189 Lv. 23, 24. 190 Lv. 16, 29. 191 Lv. 16, 29. 192 Lv. 23, 35. 193 Lv. 23, 36. 194 Lv. 23, 42. 195 Lv. 23, 40. 196 Lv. 23, 24. 197 Ex. 30, 12. 199 Dt. 18, 15. 200 Dt. 17, 15. 201 Dt. 17, 10-11. 202 Ex. 23, 2. 203 Dt. 16, 18. 204 Lv. 19, 15. 205 Lv. 5, 1. 206 Dt. 13, 15. 207 Dt. 19, 19. 208 Dt. 21, 1-4. 209 Dt. 19, 3. 210 Nm. 35, 2. 211 Dt. 22, 8. 212 Dt. 12, 2-3. 213 Dt. 13, 17. 214 Dt. 20, 16-17. 215 Dt. 25, 19. 216 Dt. 25, 17. 217 Dt. 20, 10-20. 218 Dt. 20, 2. 219 Dt. 23, 13. 220 Dt. 23, 14. 187 XLIX] quadraginta Aπ 193 Ut … die om. G 195 Ut add. non G | prima] illa Gπ 196 corni] cornu G | prima] illa G 197 ponderis add. in A 198 dum] ut π 204 duos] duo B | advocatos] advocatus B 211 nova] unius π una G | murus] unius π | tecti] certi π recti B 213 interficiantur] interficientur B | exose add. et ut comburatur igne B 216 reducatur] reducantur B educatur A 218 ante] autem π 219 locus secessus om. π

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Diana Di Segni

Lv. Dt. Dt. Ex. Dt.

‹194› Ut restituatur ablatum. ‹195› Ut elemosinam dent. ‹196› Ut viaticum detur servo. ‹197› Ut mutuum detur pauperi. ‹198› Ut extraneo, scilicet idolatre, detur mutuum sub usura. ‹199› Ut pignus restituatur domino eadem die. ‹200› Ut merces detur operario eadem die. ‹201› Ut operarius comedat de hiis, in quibus laboraverit. Ex. ‹203› Ut homo sublevet bestiam que cecidit sub onere. Dt. ‹202› Ut iuvet proximum suum vel iumentum eius in onere. ‹204› Ut reducat homo rem perditam in domo domini. Lv. ‹205› Ut improperetur peccatori proximo. ‹206› Ut diligant proximum. Dt. ‹207› Ut ament peregrinum. Lv. ‹208› Ut habeant pondera iusta. ‹209› Ut sapientes honorentur. Ex. ‹210› Ut honorent patrem et matrem. Lv. ‹211› Ut timeant patrem et matrem. Gn. ‹212› Ut fructificent et multiplicentur. Dt. ‹213› Ut contrahat homo. ‹214› Ut letetur sponsus cum sponsa per annum unum. Lv. ‹215› Ut circuncidatur puer octava die. Dt. ‹216› Ut frater uxorem fratris ducat. ‹217› Ut discalcietur frater qui noluerit ducere. ‹218› Ut qui per vim oppressit aliquam habeat ipsam in uxorem. ‹219› Qui diffamaverit uxorem suam non possit eam dimittere in vita sua. Ex. ‹220› Ut iudicetur, sicut scriptum est in deceptore mulieris. Dt. ‹221› Ut fiat de captiva formosa, sicut scriptum est. ‹222› Ut cum carta fiat repudium. Nm. ‹223› Ut fiat a sacerdote, sicut scriptura dicit. Dt. ‹224› Ut detur pena que dicitur ‘malcut’ male merito. Nm. ‹225› Ut fugiat qui occidit aliquem per errorem usque ad mortem sacerdotis maioris. Ex. ‹226› Ut capitulum domus iudicii maioris interficiat cum gladio.

221 Lv. 5, 23. 222 Dt. 15, 8. 223 Dt. 15, 12-14. 224 Ex. 22, 24. 225 Dt. 23, 21. 226 Dt. 24, 12-13. 227 Dt. 24, 15. 228 Dt. 23, 25-26. 229 Ex. 23, 5. 230 Dt. 22, 4. 231 Dt. 22, 2-3. 232 Lv. 19, 17. 233 Lv. 19. 18. 234 Dt. 10, 9. 235 Lv. 19, 35. 236 Lv. 19, 32. 237 Ex. 20, 12. 238 Lv. 19, 3. 239 Gn. 1, 28. 240 Dt. 24, 1-2. 241 Dt. 24, 5. 242 Lv. 12, 3. 243 Dt. 25, 5. 244 Dt. 25, 9. 245 Dt. 22, 29. 246 Dt. 22, 19. 247 Ex. 22, 15. 248 Dt. 21, 11. 249 Dt. 24, 1. 250 Nm. 5, 15-28. 251 Dt. 25, 2. 252 Nm. 35, 25. 253 Ex. 21, 20. 223 viaticum] mutuum B 230 onere] homine G 231 domo] domum π 232 peccatori] peccatum A 241 sponsa add. sua B 243 fratris ducat] transducat G 244 discalcietur] discaloretur B | noluerit] voluerit A add. uxorem π | ducere add. eam A 245 vim] viam π | habeat om. π | habeat ipsam] inv. A | in] ducat π om. A 249 repudium] repudietur B 251 malcut] maltut Gπ 252 sacerdotis maioris] inv. π 253 domus iudicii] inv. G | cum] eum A om. π

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La table des préceptes dans le ‘Dux neutrorum’ de Moïse Maïmonide

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Lv.

‹227› Ut interficiatur fornicator et fornicaria. ‹228› Ut crementur in igne. Dt. ‹229› Ut lapidibus obruantur. ‹230› Ut in patibulo suspendantur. ‹231› Ut suspensus sepeliatur. Ex. ‹232› Ut fiat iudicium servi hebrei, sicut scriptum est. ‹233› Quid fieri debeat de serva hebrea, quam sibi coniunxit dominus. ‹234› Ut dimittatur libera. Lv. ‹235› Ut semper servus sit chananeus. Ex. ‹236› Ut qui damnum dederit, mulcta puniatur. ‹237› Quomodo iudicetur damno dato a bestiis. ‹238› De iudicio damni putei. ‹239› De iudicio latronis in mulcta vel in morte. ‹240› De iudicio damni pascentis quod non debet pascere. ‹241› De iudicio damni ab igne dati. ‹242› De iudicio depositi. ‹243› De iudicio locati et locatoris. ‹244› De iudicio commodati. ‹245› De iudicio empti et venditi. Dt. ‹247› De evasione fugati etiam per animam fugatoris. Nm. ‹248› De iudiciis hereditatum.

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Ista sunt precepta de non faciendo et proprie dicuntur prohibitiones: 275 Ex. ‹1› Non ascendat in cogitationes vestras quod sit alius Deus preter me: «Non habebis deos alienos». ‹2› Non facies tibi sculptile neque omnem similitudinem. ‹3› Nolite converti ad idola neque deos conflatiles facietis. ‹4› Non facietis deos argenteos neque deos aureos in nullam talem formam, etiam 280 causa pulcritudinis. ‹5› Non adorabis idola. ‹6› Non coles idola. Lv. ‹7› Ut nullus det de semine suo, scilicet filium suum, idolo Moloch. ‹8› Ut non fiat opus de ‘ob’. 285 254 Lv. 20, 10. 255 Lv. 20, 14. 256 Dt. 22, 24. 257 Dt. 21, 22. 258 Dt. 21, 23. 259 Ex. 21, 2. 260 Ex. 21, 8. 261 Ex. 21, 8. 262 Lv. 25, 46. 263 Lv. 24, 19. 264 Ex. 21, 28. 265 Ex. 21, 33. 266 Ex. 21, 37-22, 2. 267 Ex. 22, 4. 268 Ex. 22, 5. 269 Ex. 22, 6. 270 Ex. 22, 9. 271 Ex. 22, 13. 272 Lv. 25, 14. 273 Dt. 25, 12. 274 Nm. 27, 8-11. 277 Ex. 20, 3. 278 Ex. 20, 4. 279 Lv. 19, 4. 281 Ex. 20, 23 282 Ex. 20, 5. 283 Ex. 20, 5. 284 Lv. 18, 21. 285 Lv. 19, 31. 254 interficiatur] interficiantur A 255 in om. AGπ 260 Quid] qui B 263 mulcta] multa π 266 mulcta] multa π 267 quod … pascere om. π 268 dati] pati G 270 et om. B 272 empti] erapti B | et] vel Bπ 273 evasione] iudicio G 275 et] que π | prohibitiones add. et sunt CCXLVIII B 276 Non … me om. B | ascendat] ascendet AG | cogitationes] cogitationem G | vestras] vestram G | habebis] habebitis Gπ 280 deos om. Gπ | in] id est A om. G | talem formam] inv. π 284 de om. B | Moloch add. Ob et idonei erant opera magica vel genera idolatrie BGπ

252

Dt. Ex. Dt.

Lv. Dt. Lv. Dt.

Lv.

Diana Di Segni

‹9› Ut non fiat opus de ‘ydeom’. ‹10› Ut non respiciantur idola. ‹11› Ut non erigatur statua. ‹12› Ut non ponatur lapis sculptus. ‹13› Non plantabis lucum et omnem arborem iuxta altare. ‹14› Ut non iuretur in idolis neque recipiatur iuramentum super illa. ‹15› Ut nullus erret post servitium idolorum, etiam nominando ipsa. ‹16› Ut nullus decipiat aliquem ad serviendum idolis. ‹17› Ut non ametur persuasor talis. ‹18› Ut non parcatur tali persuasori seu deceptori. ‹19› Ut non remittatur ei inimicitia. ‹20› Ut deceptus nullam assignet rationem propter quam possit evadere. ‹21› Ut persuasus non taceat offendere persuasorem. ‹22› Ut nullus celet idolum vel aliquid de ipso. ‹23› Ut non reedificetur civitas anathematizata. ‹24› Ut nullus accipiat aliquid de bonis illius civitatis. ‹25› Ut nullus accipiat aliquid utilitatis de idolis vel de idolatris vel de aliqua re pertinente ad idola. ‹26› Ut non prophetizatur in nomine idolorum. ‹27› Ut non sit falsus propheta in populo. ‹28› Ut non audiatur qui prophetizat in nomine idoli. ‹29› Ut non prohibeamus nos a morte falsi prophete. ‹30› Ut non ambulent in ritibus idolatrarum. ‹31› Ut non fiat heresis que vocatur ‘quezem’. ‹32› Ut non augurentur. ‹33› Ut non divinent. ‹34› Ut non declinent ad magos. ‹35› Ut non sciscitentur arioli. ‹36› Ut non requiratur ‘ob’. ‹37› Ut non requiratur ‘ydeom’. ‹38› Ut non requiratur a mortuis veritas. ‹39› Ut non assumat mulier habitum viri. ‹40› Ut non assumat vir habitum mulieris. ‹41› Ut non fiant caracteres et scripture in carne sicut faciebant idolatre.

286 Lv. 19, 31. 287 Lv. 19, 4. 288 Dt. 16, 22. 289 Lv. 26, 1. 290 Dt. 16, 21. 291 Ex. 23, 13. 292 Ex. 23, 13. 293 Dt. 13, 4. 294 Dt. 13, 9. 295 Dt. 13, 9. 296 Dt. 13, 9. 297 Dt. 13, 9. 298 Dt. 13, 9. 299 Dt. 13, 17. 300 Dt. 13, 17. 301 Dt. 13, 18. 303 Dt. 7, 26. 304 Dt. 18, 20. 305 Dt. 18, 20. 306 Dt. 13, 4. 307 Dt. 18, 22. 308 Lv. 20, 23. 309 Dt. 18, 10. 310 Lv. 19, 26. 311 Lv. 19, 26. 312 Dt. 18, 10. 313 Dt. 18, 10-11. 314 Dt. 18, 11. 315 Dt. 18, 11. 316 Dt. 18, 11. 317 Dt. 22, 5. 318 Dt. 22, 5. 319 Lv. 19, 28. 286 de om. Gπ | ydeom] ydonea B idonei Gπ 292 etiam add. in A 293 nullus] non G 295 tali] malo G | seu] vel π 297 nullam] nullus π | propter] per Aπ 298 offendere] ostendere B 300 non om. B 301 illius] ipsius B 302 aliqua] alia G | pertinente … idola] inv. A 304 Ut … idolorum om. A | prophetizatur] prohiberetur π prophetetur G 306 prophetizat] prophetat G 314 requiratur] sequiratur B requirat A 315 ydeom] idonei BGπ 317 assumat] assumet G 318 assumat] assumet G

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La table des préceptes dans le ‘Dux neutrorum’ de Moïse Maïmonide

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Dt. Lv.

‹42› Ut non induatur vestis de lana et lino contexta. 320 ‹43› Ut non attondatur coma in rotundum. ‹44› Ut non radatur angulus barbe. ‹45› Ut non incidant carnes super mortuos. Dt. ‹46› Ut nunquam inhabitent terram Egypti. Nm. ‹47› Ut non sequantur imaginationem. 325 Dt. ‹48› Ut non ineant fedus cum septem gentibus. ‹50› Ut non misereantur idolatris. Ex. ‹51› Ut non permittant eos habitare in terra sua. ‹52› Ut non ducant uxores de filiabus ipsorum. Dt. ‹53› Ut non intrent Ammonites et Moabites in ecclesiam Domini. 330 ‹54› Ut non abhominentur Idumeum. ‹55› Ut non abhominentur Egyptum. ‹56› Ut non requirant pacem Ammonitis et Moabitis. ‹57› Ut non succedantur arbores fructifere. ‹58› Ut non timeant inimicos suos in prelio. 335 ‹59› Ut non obliviscantur que Dominus fecit Amalech. Lv. ‹60› Ut non blasphematur nomen Domini, et qui blasphemaverit illud moriatur. ‹61› Ut non periuret quis in nomine Domini. Ex. ‹62› Ut non iuretur in vanum. Dt. ‹64› Ut non tentet verbum Domini. 340 ‹65› Ut non destruatur domus sanctuarii neque libri legis sicut templa idolorum et libri eorum: «Non facietis ita Domino Deo vestro». ‹66› Ut non remaneat suspensus in patibulo. Lv. ‹67› Ut non tollatur custodia de sanctuario. ‹68› Ut non intret sacerdos omni hora in sanctuarium. 345 ‹69› Ut non intret maculatus in interius. ‹70› Ut non serviat maculatus in sanctuario. ‹71› Ut non serviat qui habuit maculam, etiam que de levi transit. ‹72› Ut non intromittant se Levite de ministerio sacerdotum nec econverso. ‹73› Ut non intret ebrius in sanctuarium. 350 320 Dt. 22, 11. 321 Lv. 19, 27. 322 Lv. 19, 27. 323 Lv. 19, 28. 324 Dt. 17, 16. 325 Nm. 15, 39. 326 Dt. 7, 2. 327 Dt. 20, 16. 328 Ex. 23, 33. 329 Dt. 7, 3. 330 Dt. 23, 4. 331 Dt. 23, 8. 332 Dt. 23, 8. 333 Dt. 23, 7. 334 Dt. 20, 19. 335 Dt. 7, 21. 336 Dt. 25, 19. 337 Lv. 24, 16. 338 Lv. 19, 12. 339 Ex. 20, 7. 340 Dt. 6, 16. 342 Dt. 12, 4. 343 Dt. 21, 23. 344 Nm. 18, 5. 345 Lv. 16, 2. 346 Lv. 21, 23. 347 Lv. 21, 17. 348 Lv. 21, 17. 349 Nm. 18, 3. 350 Lv. 10, 9-11. 320 vestis] vestes B | de om. π | lana … lino] inv. π | contexta] texta A 321 attondatur] attondeatur π 324 inhabitent] habitent G add. in BG | terram] terra Bπ 325 imaginationem add. vel visum π 326 cum om. A 327 misereantur] misereatur B 328 permittant] permittent G 329 ipsorum] eorum π suis G 330 ecclesiam] ecclesia B 331 Idumeum add. ut non faciant B 332 abhominentur] abhominetur B 333 pacem add. ad A 334 succedantur] succedant A | fructifere] eorum π suas G 335 prelio add. fleth G 336 que] quod A quia G | fecit] facit B 337 blasphematur] vilipendatur B blasphemetur π | Domini] Dei π | blasphemaverit] blasphemat A 338 Domini] Dei Aπ 340 tentet] tententur B 341 destruatur] destruant B 342 eorum add. ut B 345 sacerdos add. in sanctuario B | in sanctuarium om. B 346 Ut … interius om. Gπ | in om. A 347 serviat] intret Gπ | sanctuario] sanctuarium π 348 que] qui A 349 ministerio sacerdotum] inv. π

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Diana Di Segni

‹74› Ut non serviat alienigena in sanctuario. ‹75› Ut non serviat sacerdos pollutus in sanctuario. ‹76› Ut non serviat sacerdos etiam in die cum fuerit balneatus. ‹77› Ut non intret pollutus in atrium. Ex. ‹78› Ut non intret pollutus in cetum Levitarum. ‹79› Ut non edificetur altare de lapidibus dolatis. ‹80› Ut non ascendatur ad altare per gradus. Lv. ‹81› Ut non deficiat ignis in altari. Ex. ‹82› Ut non incendatur thymiama extraneum in altari aureo. ‹83› Ut non fiat unguentum simile unctioni sancte. ‹84› Ut non ungatur extraneus oleo sancto. ‹85› Ut non fiat compositio similis thymiamatis. ‹86› Ut non extrahantur vestes de arca federis. ‹87› Ut non separetur rationale de superhumerali. ‹88› Ut non rumpatur ipsum opertorium. Dt. ‹89› Ut non fiat holocaustum in omni loco. Lv. ‹90› Ut non decollentur sanctificata extra. ‹91› Ut non sanctificentur maculata ad altare. ‹92› Ut non decollentur maculata in sacrificium. ‹93› Ut non effundatur sanguis maculatorum in altari. ‹94› Ut non crementur interiora maculatorum. Dt. ‹95› Ut non offeratur in sacrificium habens maculam etiam transibilem. Lv. ‹96› Ut non offeratur maculatum etiam per manum advene. ‹97› Ut non ponatur macula in sanctificatis. ‹98› Ut non offeratur fermentum neque mel. ‹99› Ut non fiat oblatio sine sale. Dt. ‹100› Ut non offeratur merces prostibuli nec precium canis. Lv. ‹101› Ut non immoletur bestia et filius suus eadem die. ‹102› Ut non ponatur oleum olivarum in oblatione pro peccato. ‹103› Ut non ponatur super illam aloen. Nm. ‹104› Ut non mittatur oleum olivarum in oblatione. ‹105› Ut non mittatur super illam aloen.

351 Nm. 18, 4. 352 Lv. 22, 2. 353 Lv. 22, 6-7. 354 Nm. 5, 3. 355 Dt. 23, 11. 356 Ex. 20, 25. 357 Ex. 20, 26. 358 Lv. 6, 6. 359 Ex. 30, 9. 360 Ex. 30, 32. 361 Ex. 30, 32. 362 Ex. 30, 38. 363 Ex. 25, 15. 364 Ex. 28, 28. 365 Ex. 28, 32. 366 Dt. 12, 13. 367 Lv. 17, 3-4. 368 Lv. 22, 20. 369 Lv. 22, 22. 370 Lv. 22, 24. 371 Lv. 22, 22. 372 Dt. 17, 1. 373 Lv. 22, 25. 374 Lv. 22, 21. 375 Lv. 2, 11. 376 Lv. 2, 13. 377 Dt. 23, 19. 378 Lv. 22, 28. 379 Lv. 5, 11. 380 Lv. 5, 11. 381 Nm. 5, 15. 382 Nm. 5, 15. 353 sacerdos etiam] inv. π 359 incendatur] incedatur B accendatur A | thymiama] tiamidem B | extraneum] nec holocaustum Gπ 360 Ut … sancte om. π | unguentum] unctio G 362 similis] similitudinis B simul π | thymiamatis] thiamitis B thimiata Gπ 368 sanctificentur] sanctificetur G | maculata] maculati Bπ maculari G | altare] altari G 369 Ut … sacrificium om. A 372 etiam] non Gπ om. A | transibilem] intransibilem A 373 manum] viam B modum π 375 neque] nec A 378 et] nec π | suus] eius π add. in A | eadem die om. Gπ 379 olivarum] olive A 380 aloen] thus Gπ oleum A 382 aloen] alitem π oloen A

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La table des préceptes dans le ‘Dux neutrorum’ de Moïse Maïmonide

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Lv.

‹106› Ut non mutentur sanctificata unius oblationis in aliam. ‹107› Ut non mutetur sanctificatum neque bonum pro malo nec econverso. ‹108› Ut non redimatur primogenitum bestie munde. ‹109› Ut non vendatur decima bestie. ‹110› Ut non vendatur ager excommunicatus. ‹111› Ut non redimatur ager excommunicatus. ‹112› Ut non dividatur enhatath volucris. Dt. ‹113› Ut non utatur in servitio suo sanctificatis: «Non arabis in primogenito bovis tui». ‹114› Ut non tondeantur sanctificata: «Non tondebis primogenita ovium tuarum». Ex. ‹115› Ut non decolletur aries paschalis antequam fermentatum abiciatur. Dt. ‹116› Ut non remaneat de membris ipsius arietis. Ex. ‹117› Ut non remaneat de carnibus ipsius arietis. Dt. ‹118› Ut non remaneat de adipe suo in diem tertium. Nm. ‹119› Ut non remaneat de carne arietis secundi Pasche usque mane. Ex. ‹121› Ut non frangatur os in primo Pascha. Nm. ‹122› Ut non frangatur os arietis secundi Pasche. Ex. ‹123› Ut non extrahatur de carnibus ipsius arietis extra domum. Lv. ‹124› Ut non remaneat aliquid de fermento. Ex. ‹125› Ut non comedatur de carnibus arietis neque crudum neque coctum aqua. ‹126› Ut non detur de carnibus illis peregrino et advene. ‹127› Ut non comedat de carnibus illis extraneis. ‹128› Ut non comedat de carnibus illis hebreus qui recesserit a lege et adheserit idolatris. Lv. ‹129› Ut nullus pollutus comedat de sanctificatis. ‹130› Ut non comedantur sanctificata que tetigerint pollutiones. ‹131› Ut non comedantur reliquie. ‹132› Ut non comedatur infectum ‘pigul’. ‹133› Ut non comedat extraneus ‘tharuma’. ‹134› Ut non comedat ‘tharuma’ etiam domesticus sacerdotis. ‹135› Ut non comedat inquilinus sacerdotis ‘tharuma’. ‹136› Ut non comedat ‘tharuma’ sacerdos pollutus. ‹137› Ut non comedat de sanctificatis filia sacerdotis nupta alicui. 383 Lv. 27, 10. 384 Lv. 27, 26. 385 Lv. 27, 26. 386 Lv. 27, 33. 387 Lv. 27, 28. 388 Lv. 27, 28. 389 Lv. 5, 8. 391 Dt. 15, 19. 392 Dt. 15, 19. 393 Ex. 23, 18. 394 Ex. 23, 18. 395 Ex. 12, 10. 396 Dt. 16, 4. 397 Nm. 9, 12. 398 Ex. 12, 46. 399 Nm. 9, 12. 400 Ex. 12, 46. 401 Lv. 6, 10. 402 Ex. 12, 9. 403 Ex. 12, 45. 404 Ex. 12, 48. 406 Ex. 12, 43. 407 Lv. 12, 4. 408 Lv. 7, 19. 409 Lv. 19, 6-8. 410 Lv. 7, 18. 411 Lv. 22, 10. 412 Lv. 22, 10. 413 Lv. 22, 10. 414 Lv. 22, 4. 415 Lv. 22, 12. 383 non om. A 388 non om. A 390 servitio] servitiis A | suo] suis A | sanctificatis add. ut B | in om. Gπ 392 tondeantur] comedantur π | sanctificata add. ut B | tondebis] comedas π 397 carne add. manifesta + ? B | usque add. ad G | mane add. ut non remaneat de carne manifestationis usque mane G 399 arietis om. π 403 advene add. heresis idololatrie Gπ 404 Ut … extraneis om. Gπ | extraneis] extraneus A 405 illis] alius B | recesserit] recessit A 407 nullus] non BG om. π | pollutus om. B add. non π | comedat add. nullus pollutus B 408 pollutiones] pollutionem A 409 comedantur add. eorum π 410 comedatur] comedant Gπ | pigul om. Gπ 411 extraneus tharuma] inv. A 412 etiam om. Gπ 413 sacerdotis add. ex B 414 comedat add. pollutus π | sacerdos] sacerdotis Gπ | pollutus om. π

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Diana Di Segni

‹138› Ut non comedantur sacrificium sacerdotis. ‹139› Ut non comedantur carnes de los ‘hatahot’. Dt. ‹140› Ut non comedantur sanctificata que scienter maculata sunt. ‹141› Ut non comedatur decima secunda panis extra Hierusalem. ‹142› Ut non utantur decima secunda vini extra. ‹143› Ut non comedatur decima secunda olei extra. ‹144› Ut non comedatur primogenitum completum extra. ‹145› Ut non comedant sacerdotes ‘hatath’ nec ‘assam’ extra atrium. ‹146› Ut non comedantur carnes holocausti. ‹147› Ut non comedantur carnes sanctificate antequam fundatur sanguis. ‹148› Ut non comedat primitias sacerdos antequam ponantur in atrio. ‹149› Ut non comedat advena de sanctis sanctorum. ‹150› Ut non comedatur decima secunda in pollutione et in Hierusalem antequam redimatur. ‹151› Ut non comedatur decima secunda in luctu. ‹152› Ut non expendatur precium decime secunde in aliis usibus nisi in cibo et potu. Lv. ‹153› Ut non comedatur fructus non decimatus. Ex. ‹154› Ut non preponatur ‘tharuma’ primitiis, nec decima prima ‘tharume’, nec decima secunda prime; sed secundum ordinem extrahantur primo primitie, postea ‘tharuma’ maior, deinde decima prima, postea secunda. Dt. ‹155› Ut non morentur reddere vota. Ex. ‹156› Ut non ascendatur in solennitatibus sine oblatione. Nm. ‹157› Ut non transgrediatur ad que se obligavit. Lv. ‹158› Ut non ducat sacerdos scortum in uxorem. ‹160› Ut non ducat repudiatam. ‹159› Ut non ducat violatam. ‹161› Ut non ducat maior sacerdos viduam. ‹163› Ut non intret sacerdos in sanctuarium capillis male compositis. ‹164› Ut non intret sacerdos sanctuarium cum vestibus ruptis. ‹165› Ut non exeat maior sacerdos in hora ministerii extra atrium. ‹166› Ut non polluatur maior sacerdos super alienis mortuis. ‹167› Ut non polluatur idem etiam in propinquis mortuis. ‹168› Ut non intret maior sacerdos super mortuum.

416 Lv. 6, 16. 417 Lv. 6, 23. 418 Dt. 14, 3. 419 Dt. 12, 17. 420 Dt. 12, 17. 421 Dt. 12, 17. 422 Dt. 12, 17. 423 Dt. 12, 17. 424 Dt. 12, 17. 425 Dt. 12, 17. 426 Dt. 12, 17. 427 Ex. 29, 33. 429 Dt. 26, 14. 430 Dt. 26, 14. 431 Dt. 26, 14. 432 Lv. 22, 15. 435 Ex. 22, 28. 436 Dt. 23, 22. 437 Ex. 23, 15. 438 Nm 30, 3. 439 Lv. 21, 7. 440 Lv. 21, 7. 441 Lv. 21, 7. 442 Lv. 21, 14. 443 Lv. 10, 6. 444 Lv. 10, 6. 445 Lv. 10, 7. 446 Lv. 21, 1. 447 Lv. 21, 11. 448 Lv. 21, 11. 416 comedantur] comedat A comedatur G 417 de los] delot G 418 maculata sunt] inv. π 419 extra om. Gπ 420 utantur] utatur A | decima om. Gπ | decima secunda] inv. A | extra add. Hierusalem A 421 extra add. Hierusalem A 422 extra add. Hierusalem A 423 nec] neque A 426 primitias sacerdos] inv. B | ponantur om. A 428 et] etiam A | et in om. π 430 luctu] la π 433 non om. A 434 secunda] secunde B 435 deinde] demum A 439 in om. Gπ 443 in om. A 444 sacerdos add. in Bπ 445 maior sacerdos] inv. G | in om. Gπ 446 Ut … mortuis om. G 447 polluatur add. maior sacerdos G 448 super add. vel B

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La table des préceptes dans le ‘Dux neutrorum’ de Moïse Maïmonide

257

Dt.

‹169› Ut non accipiat tribus Levitarum fortem in terra. ‹170› Ut non accipiat eadem tribus partem spoliorum, cum intraverit in terram. ‹171› Ut non scindant capillos super mortuum. Lv. ‹172› Ut non comedant bestiam pollutam. ‹173› Ut non comedant piscem pollutum. ‹174› Ut non comedant volucrem pollutam. ‹175› Ut non comedant volatile quod graditur super quatuor pedes. ‹176› Ut non comedatur quadrupes quod incedit super manibus. ‹177› Ut non comedant omnem serpentem. ‹178› Ut non comedant serpentem de fructu procedentem, cum exit ad aera. ‹179› Ut non comedant que non habent pinnulas et squamas in aquis. Dt. ‹180› Ut nullum morticinum comedant. Ex. ‹181› Ut non comedant carnem in agro interfectam. Dt. ‹182› Ut non comedant membrum animalis. Gn. ‹183› Ut non comedant nervum femoris. Lv. ‹184› Ut non comedant sanguinem. ‹185› Ut non comedant adipem. Ex. ‹186› Ut non comedant carnem cum lacte. Dt. ‹187› Ut non coquant carnem in lacte. Ex. ‹188› Ut non comedant carnem bovis lapidati. Lv. ‹189› Ut non comedant panem novum ante Pascha. ‹190› Ut non comedant tostum de novis frugibus. ‹191› Ut non comedant grannas de novo. ‹192› Ut non comedant fructus arboris plantate de novo in tribus primis annis. Dt. ‹193› Ut non comedant mixturam vinee. ‹194› Ut non bibant vinum mixture. Lv. ‹195› Ut non comedant neque bibant sectantes comessationem et ebrietatem. ‹196› Ut non comedant in die expiationum. Ex. ‹197› Ut non comedant fermentum in Pascha. ‹198› Ut non comedant mixturam cum fermento. Dt. ‹199› Ut non comedant fermentatum in XIV die a meridie inantea. Ex. ‹200› Ut non appareat fermentatum. ‹201› Ut non inveniatur fermentatum in domibus. 449 Dt. 18, 1. 450 Dt. 18, 2. 451 Dt. 14, 1. 452 Lv. 11, 4. 453 Lv. 11, 11. 454 Lv. 11, 13. 455 Dt. 14, 19. 456 Lv. 11, 14. 457 Lv. 11, 41. 458 Lv. 11, 42. 459 Lv. 11, 43. 460 Dt. 14, 21. 461 Ex. 22, 30. 462 Dt. 12, 23. 463 Gn. 32, 33. 464 Lv. 7, 26. 465 Lv. 7, 23. 466 Ex. 23, 19. 467 Ex. 34, 26. 468 Ex. 21, 28. 469 Lv. 23, 14. 470 Lv. 23, 14. 471 Lv. 23, 14. 472 Lv. 19, 23. 473 Dt. 22, 9. 474 Dt. 32, 38. 475 Lv. 19, 26. 476 Lv. 23, 29. 477 Ex. 13, 3. 478 Ex. 12, 20. 479 Dt. 16, 3. 480 Ex. 13, 7. 481 Ex. 12, 19. 450 in om. G 451 scindant] cindant B 454 comedant] comedent G 455 quod] que B 456 comedatur] comedant B 458 comedant] comedat G 459 pinnulas] premulas B | et … aquis] in aquis et squamas Gπ 461 interfectam] infectam A 462 membrum] membris A 467 in] cum A 468 carnem] carnes Aπ 469 Pascha] Pasche G 471 grannas] grumas π 472 tribus primis] inv. Gπ 475 neque] nec A | bibant add. sic π add. sicut G 478 mixturam … fermento] fermentum cum mixtura π 479 in … die om. Gπ | inantea om. π 480 Ut] et B 481 inveniatur] appareat π | fermentatum] fermentum B | domibus add. ut non inveniatur fermentum in domibus inantea π

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Diana Di Segni

Nm. ‹202› Ut non bibat nazareus vinum nec aliquid ex uvis. ‹203› Ut non comedat uvas. ‹204› Ut non comedat uvas passas. ‹205› Ut non comedat grana uvarum sive arillos. ‹206› Ut non comedat azinum. ‹207› Ut non polluatur super mortuum. ‹208› Ut non intret in domum ubi iacuerit mortuus. ‹209› Ut non tondeat capillos. Lv. ‹210› Ut non metatur totus ager. ‹211› Ut non colligantur spice remanentes. ‹212› Ut non colligantur razemi remanentes. Dt. ‹213› Ut non colligatur quicquid remanet in vinea. ‹214› Ut non colligatur manipulus oblitus. ‹215› Ut non seminentur semina mixta. ‹216› Ut non seminentur diversa in vinea. Lv. ‹217› Ut non misceantur diversa genera animalium. Dt. ‹218› Ut diverse species animalium non laborent simul. ‹219› Ut non illigetur os bestie laborantis. Lv. ‹220› Ut non laboretur terra in anno septimo. ‹221› Ut non laboretur vinea eodem anno. ‹222› Ut non metantur fructus eiusdem anni sicut in aliis annis. ‹223› Ut non colligantur fructus arborum eiusdem anni. ‹224› Ut non laboretur in anno iubileo. ‹225› Ut non metatur in eodem anno. ‹226› Ut non colligantur fructus eiusdem anni. ‹227› Ut non vendantur possessiones in terra Israel in perpetuum. ‹228› Ut non permutentur possessiones Levitarum cum aliis. Dt. ‹229› Ut non relinquantur Levite. ‹230› Ut non exigantur debita in anno septimo. ‹231› Ut non dimittat dare mutuum pauperi licet annus septimus instet. ‹232› Ut non induretur quando benefaciat pauperi. ‹233› Ut non dimittatur hebreus servus vacuus. Ex. ‹234› Ut non exigat debitum a debitore sciendo quod non habet unde exigat. Lv. ‹235› Ut non det ad usuram. 482 Nm 6, 3. 483 Nm 6, 3. 484 Nm 6, 3. 485 Nm. 6, 4. 486 Nm. 6, 4. 487 Nm. 6, 7. 488 Nm. 6, 6. 489 Nm. 6, 5. 490 Lv. 19, 9. 491 Lv. 19, 9. 492 Lv. 19, 10. 493 Lv. 19, 10. 494 Dt. 24, 19. 495 Lv. 19, 19. 496 Dt. 22, 9. 497 Lv. 19, 19. 498 Dt. 22, 10. 499 Dt. 25, 4. 500 Lv. 25, 4. 501 Lv. 25, 5. 502 Lv. 25, 5. 503 Lv. 25, 4. 504 Lv. 25, 11. 505 Lv. 25, 11. 506 Lv. 25, 11. 507 Lv. 25, 23. 508 Lv. 25, 34. 509 Dt. 12, 19. 510 Dt. 15, 2. 511 Dt. 15, 9. 512 Dt. 15, 7. 513 Dt. 15, 13. 514 Ex. 22, 24. 515 Lv. 25, 37. 482 uvis] vite π 484 passas] proassas A 485 uvarum … arillos om. B | sive] super G | arillos] docillos A 486 azinum con.] adcinum B azimum AGπ 488 in om. G 489 tondeat] tondat A 492 Ut … remanentes om. π 493 colligatur] tollatur Gπ 495 seminentur] seminantur G 499 non om. G | illigetur] ligetur π alligetur B tangetur G 501 vinea add. in A | eodem] eadem π 502 non om. A | anni om. Gπ | anni sicut] inv. A 503 colligantur] colligatur B | arborum] arboris A 505 in om. G | eodem anno] inv. A 506 colligantur] colligatur G 510 anno septimo] inv. π 511 instet om. Gπ 514 habet om. Gπ

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La table des préceptes dans le ‘Dux neutrorum’ de Moïse Maïmonide

Dt. Lv. Dt.

Lv. Lv. Dt.

Lv. Ex. Dt. Ex. Lv.

Ex. Dt. Ex.

259

‹236› Ut non accipiat ad usuram. ‹237› Ut non sit mediator inter datorem et acceptorem fideiussor nec testis. ‹238› Ut non remaneat merces mercenarii apud aliquem. ‹239› Ut non accipiatur pignus debitoris per vim. ‹240› Ut non retineatur pignus eius, cum fuerit ei necessarium. ‹241› Ut non pignoretur vidua. ‹242› Ut non pignorentur instrumenta comestioni necessaria: «Non pignorabis molas». ‹243› Ut non furentur. ‹244› Ut non furentur pecuniam. ‹245› Ut non tollant per vim. ‹246› Ut non transferantur termini. ‹247› Ut non opprimant vi proximum. ‹248› Ut non negetur alicui pecunia sua. ‹249› Ut non iuretur falsum pro pecunia sibi commissa. ‹250› Ut non decipiant proximum in emptione et venditione. ‹251› Ut non decipiant eum verbo. ‹252› Ut non decipiant peregrinum verbo. ‹253› Ut non decipiant in mercando. ‹254› Ut non restituatur domino servus qui fugerit in terram nostram. ‹255› Ut non decipiatur talis servus. ‹256› Ut non affligant orphanum vel viduam. ‹257› Ut non recipiant servitium a servo hebreo sicut a chananeo. ‹258› Ut non vendant servum hebreum sicut et alium. ‹259› Ut non faciant ipsum servire sibi per violentiam. ‹260› Ut non dimittant servum extraneum pro servo hebreo qui se vendidit ei. ‹261› Ut non vendant servam hebream alii. ‹262› Ut non subtrahantur ei necessaria, scilicet victus et vestitus. ‹263› Ut non vendant captivam formosam. ‹264› Ut non opprimatur sicut serva. ‹265› Ut non concupiscant uxorem proximi. ‹266› Ut non concupiscant rem proximi.

516 Dt. 23, 20. 517 Ex. 22, 24. 518 Lv. 19, 13. 519 Dt. 24, 10. 520 Dt. 24, 12. 521 Dt. 24, 17. 523 Dt. 24, 6. 524 Lv. 19, 11. 525 Lv. 19, 11. 526 Lv. 19, 13. 527 Dt. 19, 14. 528 Lv. 19, 13. 529 Lv. 19, 11. 530 Lv. 19, 11. 531 Lv. 25, 14. 532 Lv. 25, 17. 533 Ex. 22, 20. 534 Ex. 22, 20. 535 Dt. 23, 16. 536 Dt. 23, 17. 537 Ex. 22, 21 538 Lv. 25, 39. 539 Lv. 25, 42. 540 Lv. 25, 43. 541 Lv. 25, 53. 542 Ex. 21, 8. 543 Ex. 21, 10. 544 Dt. 21, 14. 545 Dt. 21, 14. 546 Ex. 20, 17. 547 Ex. 20, 17. 516 Ut … usuram om. G 517 acceptorem add. ut non sit π | testis add. inter eos π 520 retineatur] teneatur A | ei om. Gπ 521 pignoretur] impignoretur π 522 pignorentur] impignorentur π | necessaria add. ut B | Non … molas om. A 524 Ut om. π 525 Ut om. π 531 in … venditione om. B | et] vel π 532 eum] cum A | verbo] verba π 535 fugerit] fugit G | in] ad A | nostram] vestram π 536 non om. G | talis servus] inv. A 539 et om. Gπ 540 faciant] faciat G 541 dimittant] dimittat B dimittatur G | hebreo om. π | ei] eis A 543 subtrahantur] subtrahant π 546 Ut … proximi om. Gπ

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Diana Di Segni

Dt.

‹267› Ut non comedit operarius de fructu arboris dum existit in ipsa vel in canna sua: «Ut non eleves falcem super messem proximi». ‹268› Ut non accipiat operarius de fructu collecto, nisi quod tunc comedat. ‹269› Ut non celet rem perditam. ‹270› Ut non dimittat iumentum proximi sub onere. ‹271› Ut non habeant mensuram iniquam vel stateram. ‹272› Ut non habeant duas mensuras, unam parvam et alteram magnam. ‹273› Ut non iudicent iudicium iniustum. Lv. ‹274› Ut non accipiant precium. ‹275› Ut non honoretur potens et maior in iudicio. Dt. ‹276› Ut non timeat iudex hominem malum. ‹277› Ut non misereatur pauperis in iudicio. ‹278› Ut non iudicet iniquum iudicium homini malo. ‹279› Ut non misereatur ei qui damnum dedit in mulcta. ‹280› Ut non iudicet iniquum iudicium peregrino et orphano. Ex. ‹281› Ut non audiatur unus advocatus nisi presente adversario. ‹282› Ut non sequantur multitudinem in iudiciis animarum. ‹283› Ut non testificetur homo postquam testificatus fuerit. Dt. ‹284› Ut non instituatur iudex qui non fuerit sapiens in iudiciis legis. Ex. ‹285› Ut non testificentur falsum contra proximum. Ex. ‹286› Ut non testificetur homo malus. Dt. ‹287› Ut non testificetur propinquus sanguinis. ‹288› Ut non dent iudicium atque dictum unius testis. Ex. ‹289› Ut non interficiatur qui non meruit. ‹290› Ut non detur iudicium per presumptiones: «Iustum non interficies». Nm. ‹291› Ut non sit idem iudex et testis in iudiciis animarum. ‹292› Ut non interficiatur reus mortis donec iudicetur per capitulum domus. Dt. ‹293› Ut non misereantur insidiatori. ‹294› Ut non calumnientur vi oppressum. Nm. ‹295› Ut non accipiant precium pro anima homicide qui debet interfici. ‹296› Ut non accipiant precium ab illo qui debet exulare in civitate refugii.

549 Dt. 23, 26. 550 Dt. 23, 25. 551 Dt. 22, 3. 552 Dt. 22, 4. 553 Lv. 19, 35. 554 Dt. 25, 13. 555 Lv. 19, 15. 556 Ex. 23, 8. 557 Lv. 19, 15. 558 Dt. 1, 17. 559 Lv. 19, 15. 560 Ex. 23, 6. 561 Dt. 19, 13. 562 Dt. 24, 17. 563 Ex. 23, 1. 564 Ex. 23, 2. 565 Ex. 23, 2. 566 Dt. 1, 17. 567 Ex. 20, 16. 568 Ex. 23, 1. 569 Dt. 24, 16. 570 Dt. 19, 15. 571 Ex. 20, 13. 572 Ex. 23, 7. 573 Nm. 35, 30. 574 Nm. 35, 12. 575 Dt. 25, 12. 576 Dt. 22, 26. 577 Nm. 35, 31. 578 Nm. 35, 32. 548 comedit] comedat Aπ 551 celet] celat A 552 proximi om. Gπ 555 iudicent] iudicet G 556 accipiant] accipiat G | precium add. et Exodus A 557 honoretur] honoreretur B | et] vel π 558 iudex] iudes B | hominem malum] inv. π 560 iudicet] iudicent A | iniquum iudicium] inv. π 561 misereatur] misceatur π | mulcta] multa π 562 iniquum … orphano] peregrino et orphano iniquum iudicium Gπ | iniquum iudicium] inv. A 566 instituatur] instruatur A | iudiciis] iudicium π 567 testificentur] testificetur A 570 dent] detur A | atque] ad π 574 domus add. iudicii A 575 insidiatori] insidiatores A 576 calumnientur] calumniantur A | vi om. A | oppressum] oppressi vi A 578 accipiant] recipiant π

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565

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La table des préceptes dans le ‘Dux neutrorum’ de Moïse Maïmonide

Lv. Dt. Lv.

Dt. Lv. Dt.

Ex. Dt. Ex. Lv. Ex. Lv. Ex. Lv.

261

‹297› Ut non stent contra sanguinem proximi. ‹298› Ut non ponant offendiculum coram ignorante. ‹299› Coram ceco non ponas offendiculum. ‹300› Ut non fiat additamentum in flagellis XL, que dicuntur ‘malcut’. ‹301› Ut non sit susurro. ‹302› Ut non oderit fratrem. ‹303› Ut non erubescat alium. ‹304› Ut non accipiat ultionem. ‹305› Ut non retineat inimicitiam. ‹306› Ut non accipiat matrem de super filiis. ‹307› Ut non tondeatur capillus scabiosi capitis. ‹308› Ut non depilentur signa lepre. ‹309› Ut non laboretur neque seminetur locus in quo fuerit decervicata vitula. ‹310› Ut non teneatur sponsus in primo anno ad aliquid eorum ad que tenetur populus. ‹311› Ut non referuetur vite magus. ‹312› Ut non rebelletur contra dictum capituli maioris. ‹313› Ut nichil addatur preceptis legis. ‹314› Ut nichil diminuatur de ipsis. ‹315› Ut non maledicatur iudici. ‹317› Ut nulli alii maledicatur: «Non maledices surdo». ‹318› Ut nullum maledicat patri vel matri. ‹319› Ut nullus percutiat patrem vel matrem. ‹316› Ut non maledicatur regi vel principi. ‹320› Ut nullus opus operetur in Sabbato. ‹321› Ut nullus transeat terminum statutum in Sabbato. ‹322› Ut non iudicent in Sabbato. ‹323› Ut nullum opus fiat in prima die Pasche. ‹324› Ut nullum opus fiat in septima die. ‹325› Ut nullum opus fiat in die Pentecostes. ‹326› Ut nullum opus fiat in prima die mensis septimi. ‹327› Ut nullum opus fiat in die expiationum. ‹328› Ut nullum opus fiat in die tabernaculorum. ‹329› Ut nullum opus fiat in octava die. ‹330› Ut nullus revelet turpitudinem matris.

579 Lv. 19, 16. 580 Dt. 22, 8. 581 Lv. 19, 14. 582 Dt. 25, 3. 583 Lv. 19, 16. 584 Lv. 19, 17. 585 Lv. 19, 17. 586 Lv. 19, 18. 587 Lv. 19, 18. 588 Dt. 22, 6. 589 Lv. 13, 33. 590 Dt. 24, 8. 591 Dt. 21, 4. 593 Dt. 24, 5. 594 Ex. 22, 17. 595 Dt. 17, 11. 596 Dt. 13, 1. 597 Dt. 13, 1. 598 Ex. 22, 27. 599 Lv. 19, 14. 600 Ex. 21, 17. 601 Ex. 21, 15. 602 Ex. 22, 27. 603 Lv. 23, 3. 604 Ex. 16, 29. 605 Ex. 35, 3. 606 Ex. 12, 16. 607 Lv. 23, 8. 608 Lv. 23, 21. 609 Lv. 23, 25. 610 Lv. 23, 28. 611 Lv. 23, 35. 612 Lv. 23, 36. 613 Lv. 18, 7. 580 coram ignorante om. B 581 Coram ceco] ut B | offendiculum add. coram ceco B 584 oderit] odiat π odit A 585 erubescat] rubore afficiat π 592 teneatur] teneant B 596 addatur] addidatur π 599 maledicatur add. ut B | maledices] maledicas π 603 nullus] nullum B 604 Ut … Sabbato2 om. π 605 Ut … Sabbato om. G 607 fiat om. G 609 prima om. Gπ 611 in add. prima B 613 turpitudinem] pulchritudinem G

580

585

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605

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262

Dt. Dt.

Lv.

Diana Di Segni

‹331› Nec noverce. ‹332› Nec sororis. ‹333› Nec sororis patris vel matris. ‹334› Nec filie filii. ‹335› Nec filie filie sue. ‹336› Nec filie uxoris sue. ‹338› Nec filie filii uxoris. ‹340› Nec sororis patris. ‹341› Nec sororis matris. ‹342› Nec uxoris fratris patris. ‹343› Nec nurus proprie. ‹344› Nec uxoris fratris. ‹345› Nec sororis uxoris. ‹346› Nec mulieris menstruate. ‹347› Nec mulieris maritate. ‹348› Ut nullus coeat cum iumento. ‹349› Ut nulla mulier succumbat iumento. ‹350› Ut nullus coeat cum viro. ‹351› Ut nullus revelet turpitudinem patris. ‹352› Neque fratris patris. ‹353› Ut nullus faciat aliquid de hiis que possunt ipsum inducere in incestum vel in adulterium, licet non perpetret illa. ‹354› Ut nulla nubat nato de scorto: «Non ingredietur ‘manzer’ in ecclesiam Domini». ‹355› Ut non sit meretrix. ‹356› Ut non ducat repudiator repudiatam que alii nupserit, etiam ipso mortuo. ‹357› Ut non nubat uxor fratris defuncti nisi fratri eius. ‹358› Ut non dimittat oppressor vi oppressam. ‹359› Ut non dimittat uxorem suam qui obiecit ei nomen pessimum. ‹360› Ut non ducat eunuchus filiam populi: «Et non intrabit eununchus in ecclesia Domini». ‹361› Ut non castrent masculum cuiuscunque speciei. ‹362› Ut non constituatur rex qui sit de aliena gente. ‹363› Ut non multiplicet rex equos. ‹364› Ut non multiplicet uxores. ‹365› Ut non multiplicet argentum et aurum.

614 Lv. 18, 8. 615 Lv. 18, 9. 616 Lv. 18, 12-13. 617 Lv. 18, 10. 618 Lv. 18, 10. 619 Lv. 18, 17. 620 Lv. 18, 17. 621 Lv. 18, 12. 622 Lv. 18, 13. 623 Lv. 18, 14. 624 Lv. 18, 15. 625 Lv. 18, 16. 626 Lv. 18, 18. 627 Lv. 18, 19. 628 Lv. 18, 20. 629 Lv. 18, 23. 630 Lv. 18, 23. 631 Lv. 18, 22. 632 Lv. 18, 7. 633 Lv. 18, 14. 635 Lv. 18, 6. 636 Dt. 23, 3. 637 Dt. 23, 18. 638 Dt. 24, 4. 639 Dt. 25, 5. 640 Dt. 22, 29. 641 Dt. 22, 19. 643 Dt. 23, 2. 644 Lv. 22, 24. 645 Dt. 17, 15. 646 Dt. 17, 16. 647 Dt. 17, 17. 648 Dt. 17, 17. 617 filii add. sui A 625 uxoris] sororis A 630 Ut … iumento om. Gπ 633 Neque] non π 634 vel] et G 636 scorto add. unde A 638 repudiatam add. eius G 640 dimittat] dormiat π | vi] cum π in B | oppressam] oppressa Gπ 641 obiecit] obiedit B 642 Ut … populi om. G | populi add. Israhel A | Et om. A | ecclesia] ecclesiam A 644 Ut … speciei om. A 645 aliena] alia G 646 equos add. nec uxores π

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Talmudisten versus Kabbalisten? Der Streit um die Hermeneutik der Gebote im mittelalterlichen Judentum S C (Paris) Seine Geburt war unordentlich, darum liebte er leidenschaftlich Ordnung, das Unverbrüchliche, Gebot und Verbot. Thomas Mann1

Glaubt man den ersten christlichen Kabbalisten der Renaissance, kennzeichnet die Dichotomie von Talmudisten und Kabbalisten das Judentum. Die luzidesten Ausführungen zu diesem Thema, die die Erbschaft von Maimonides und Nachmanides in einem durchaus christlichen Sinne verarbeiten, stammen aus der Feder von Johannes Reuchlin und wurden von seinen Nachfolgern immer wieder aufgenommen und weiterentwickelt. In seinem ‚De arte cabalistica‘ (1517 2) spricht Reuchlin von zwei Schulen (facultates) im Judentum: Die Talmudisten und die Kabbalisten entsprächen dem Diesseits (ha-‘olam ha-zeh) und dem Jenseits (ha-olam ha-ba’) oder, um die Artikulation des Maimonides zu wiederholen, dem ma‘aseh bereshit (der Naturphilosophie) und dem ma‘aseh merkavah (der Metaphysik), was sich wiederum mit dem herkömmlichen Paar Aktion und Kontemplation decken würde. Reuchlin übernimmt die Ausführungen des Maimonides3 und instrumentalisiert die Parallele zum Wohlergehen des Körper und der Seele, um zu zeigen, daß die Talmudisten sich nur um den Körper kümmern (das ist die Bedeutung der pharisäischen Buchstabentreue der „Juden“) während sich die Kabbalisten vorrangig der Seele widmen. Dies würde widerum ihren Spiritualismus erklären, den man als quasi-christlich oder mindestens mit dem Christentum nicht inkompatibel beschreiben könne. Die ursprüngliche Alternative zwischen Buchstabe und Geist, oder, wenn man will, zwischen Hebräern und Juden erhält somit am Anfang der Renaissance eine neue, aber nicht unerwartete Facette. Die Kabbala wird in diesem Zusammenhang als die Dimension des Judentums gedacht, die von dem Joch des Gesetzes zu befreien und seine Inhalte für das Christentum als unbedenklich assimilierbar

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Th. Mann, Das Gesetz, Bermann-Fischer Verlag, Stokholm 1944, 9. J. Reuchlin, De arte cabalistica libri tres, Thomas Anshelm, Hagenau 1517, XIVv–XVv. Moreh nevukim 3, 26–27.

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zu machen vermag. Bei einigen Gelegenheiten habe ich versucht, zwei Aspekte dieser Konstellation zu erhellen: Einerseits entspricht das Ziel, das sich die christlichen Kabbalisten bei der Einführung dieser unerhörten Unterscheidung gesetzt hatten, einem wohlbekannten Reflex des Christentums, der das gute Judentum vor dem bösen retten und so seine zwiespältigen Gefühle gegenüber dem Judentum, nämlich Neugier und Geringschätzung, erhalten will 4. Neu ist in diesem Zusammenhang, daß die Unterscheidung dem nachbiblischen Judentum gilt. Obwohl die ersten christlichen Kabbalisten überzeugt waren, daß die Kabbala so alt wie die Offenbarung oder sogar wie die Schöpfung sei, wußten sie sehr wohl, daß die meisten Texte der literarischen Gattung Kabbala doch fast zeitgenössisch waren. Obwohl man heute die These von Heinrich Graetz über den ‚Zohar‘ als Schoßkind des Papsttums nicht mehr ohne Weiteres akzeptieren kann, wurden die Veröffentlichung des ‚Zohar‘, des ‚Sefer Yetzira‘ und womöglich auch des ‚Sefer ha-Bahir‘ 5, d. h. der wichtigsten Klassiker der mittelalterlichen kabbalistischen Literatur, unter anderem auch durch die Intervention von Christen (als Drucker, Zensoren, Bibliographen usw.) ermöglicht, wie ich an anderer Stelle zu zeigen versuchte6. Man hat sogar die These vertreten, daß der Talmud, der im Jahre 1553 auf päpstliche Anordnung öffentlich verbrannt wurde, in seinem zentralen Stellenwert für das Judentum durch den ‚Zohar‘ ersetzt wurde 7. Was am Anfang des 16. Jahrhunderts eine Strategie war, um jüdische Inhalte unter Christen zu „schmuggeln“, wurde somit ein Hilfsmittel zur selektiven Verfolgung und trug dazu bei, den Kanon der jüdischen Literatur zu gestalten, wie Amnon Raz-Krakotzkin schrieb 8. Hier sollte allerdings eine andere Frage im Zentrum stehen. Wir haben festgestellt, daß es im Interesse der christlichen Kabbalisten der Renaissance lag, eine Dichotomie oder sogar einen Streit zwischen Talmudisten und Kabbalisten zu sehen, um dem Talmud allein all die Merkmale und Eigenschaften zuzuschreiben, die man traditionell mit dem Judentum verband. In einem Zusammenhang, in dem das Gesetz thematisiert wird, scheint mir die Frage angebracht, ob diese 4

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S. Campanini, Talmudisti e cabbalisti. Un’immagine dell’ebraismo alle origini della qabbalah cristiana, in: D. Felice A. Cassani (ed.), Civiltà e popoli del Mediterraneo: immagini e pregiudizi, Bologna 1999, 119–135. Siehe auch B. Roling, Aristotelische Naturphilosophie und christliche Kabbalah im Werk des Paulus Ritius, Tübingen 2007, bes. 213–239 und 305–371. S. Campanini (ed.), The Book of Bahir. Flavius Mithridates’ Latin Translation, the Hebrew Text, and an English Version, Nino Aragno Editore, Turin 2005. S. Campanini, On Abraham’s Neck. The Editio Princeps of the Sefer Yetzirah (Mantua 1562) and Its Context, in: G. Veltri/G. Miletto (eds.), Rabbi Judah Moscato and the Jewish Intellectual World of Mantua in the 16th–17th Centuries, Leiden–Boston 2012, S. 253–278. Vgl. G. Busi, Materiali per una storia della qabbalah a Mantova, in: Materia Giudaica 2 (1996), 50–56 und S. Campanini, Anima in itinere. Un’orazione funebre di Abraham da Sant’Angelo, in: M. Perani (ed.), La cultura ebraica a Bologna tra medioevo e rinascimento, Firenze 2002, 129–168, bes. 135–136. A. Raz-Krakotzkin, The Censor, the Editor and the Text. The Catholic Church and the Shaping of the Jewish Canon in the Sixteenth Century, Philadelphia 2007.

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Unterscheidung eine reine ideologische Projektion darstellt oder ob es doch irgendein fundamentum in re, irgendeine Verwurzelung in der Realität gibt. Hat es tatsächlich eine Auseinandersetzung zwischen der Halaka, d. h. dem Gesetz in seiner rabbinischen Interpretation, und der Kabbala gegeben? Das Thema an sich ist nicht neu und wurde bereits von Gershom Scholem9, Jacob Katz10 und Meir Benayahu11 unter verschiedenen Gesichtspunkten behandelt. Allerdings konzentrierten sich die meisten Autoren auf die halakische Gültigkeit oder den Vorrang eines gewissen kabbalistischen Usus (minhag 12) oder aber auf den halakischen Wert bestimmter kabbalistische Traditionen. Sie blieben somit innerhalb der halakischen Logik und machten aus der Kabbala im äußersten Fall eine mögliche, umstrittene Quelle der Halaka. Von einem radikalen Gegensatz, wie er bei den christlichen Kabbalisten der Renaissance angedeutet wird, ist aber so gut wie nie die Rede. Bevor man den Grund dafür erörtern kann, sollte man festhalten, daß das Gesetz oder die Tora, im Zentrum, d. h. im innersten Wesen aller Formen des Judentums steht und die Kabbala hierin keine Ausnahme bildet. Die Kabbalisten erkennen die zentrale Rolle des Gesetzes für die geistige Physiognomie des Judentums an und stellen seine Wichtigkeit für die theologische Konstitution des Judentums in keiner Weise in Frage. Darüber hinaus verweist die meist implizite Selbstdarstellung der Kabbala auf eine zusätzliche Offenbarung, die der schriftlichen Offenbarung der Tora nicht im Geringsten entgegengesetzt ist. Hier aber liegt die Wurzel eines potentiellen Konflikts. In der Tat werden auch die Mishna und der Talmud im klassischen rabbinischen Judentum als „mündliche Tora“, d. h. als zusätzliche Offenbarung dargestellt. So verwendeten einige Christen das Modell einer zusätzlichen Offenbarung, das die Kabbalisten von den Talmudisten übernahmen, als Legitimationsstrategie, um der ursprünglichen, esoterischen, spirituellen Deutungsoffenbarung der Tora eine wegen der falschen, materialistischen, diesseitigen, unmetaphysischen rabbinischen Hermeneutik illegitime Deutung gegenüber zu stellen. Die zentrale Stellung des Gesetzes wird durch die legitimationsbedürftige Kabbala gar nicht in Frage gestellt und die einzigen Andeutungen in Richtung eines möglichen kabbalistischen Antinomismus kommen aus einer ganz besonderen Ecke, nämlich aus der explosiven Mischung von Kabbala und Messianismus, die erst im 17. und 18. Jahrhundert im Sabbatianismus und im Frankismus sichtbar wird. Hier kann diese spätere Entwicklung der Kabbala nicht gebührend behandelt werden, aber es sei die Anmerkung erlaubt, daß auch in ihr, wie im

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10 11 12

G. Scholem, Kabbalah, Jerusalem 1974, in: Encyclopaedia Judaica; im Allgemeinen kann man auf G. Scholem, The Meaning of the Torah in Jewish Mysticism, in: Diogenes 4 (15) (1956), 65–94 verweisen. J. Katz, Halakah and Kabbalah. Studies in the History of Jewish Religion, Its Various Faces, and Social Relevance (Hebr.), Jerusalem 1984. M. Benayahu, Wikkuach ha-qabbalah ‘im ha-halakah, in: Daat 5 (1980), 61–115. Siehe D. Sperber, Minhage Israel. Meqorot w-toledot III, Mosad ha-Rav Kook, Jerusalem 1994.

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Falle des Christentums, die subversive Kraft des Messianismus den Rahmen des Gesetzes zu sprengen droht. Da die Zentralität des Gesetzes nicht bedroht ist, kann der Punkt, über den die „facultates“ streiten, notwendigerweise nur in der Hermeneutik liegen, d. h. in der juristischen und meta-juristischen Deutung des Gesetzes und der Einzelgebote, in denen sich das Gesetz manchmal sehr enigmatisch manifestiert. Es wäre aber entschieden falsch, die Kabbala, die eine tiefgreifende Erneuerung des Judentums mit sich brachte, mit einer heterodoxen Sekte wie den Karäern zu verwechseln oder auch nur zu vergleichen. Letztere diskreditierte die rabbinische Literatur, weil sie sie als zu spät und daher illegitim brandmarkte, und begrenzte von daher die Tora als einzige Legitimationsquelle. Da die Offenbarung als punktuelles Ereignis einen begrenzten Korpus generiert, verursacht die Offenbarung als Gesetz zwei eng miteinander verbundene Phänomene: einerseits eine breite juristische Hermeneutik und andererseits ein konstantes Legitimationsproblem, da alles, was notwendigerweise in der Zeit stattfindet, einen wachsenden Abstand zu dem Ursprung jeder Legitimität verzeichnet. Die Paradoxie der jüdischen Hermeneutik ist der chiddush, die Erneuerung oder Innovation, die in der Regel positiv bewertet wird, wenn sie zu einer tieferen, besseren, ausführlicheren, durchsichtigeren Ausführung der Gebote führt. Wenn man einen Konflikt zwischen Halaka und Kabbala sehen will, müßte man ihn in den Fällen suchen, in denen man eine Diskrepanz zwischen den Normen der kodifizierten Halaka und den Traditionen beziehungsweise der Offenbarungen der Kabbalah findet. Man könnte sich auf die nicht seltenen Fälle konzentrieren, in denen sich eine offene anti-halakische Animosität unter einigen kabbalistischen Autoren bemerkbar macht. Zu dieser Kategorie gehört zweifelsohne der Kabbalist Abraham Abulafia, in dem das Phänomen des Enthusiasmus, d. h. der direkten persönlichen Offenbarung als (anti-)halakische Quelle typisiert werden kann. Bei Abulafia13 addieren sich allerdings zwei weitere, ineinander verwobene Faktoren von nicht unerheblicher Wichtigkeit: der Konflikt mit der halakischen Autorität, verkörpert durch Shelomoh Ibn Adret, und eine akute messianische Identifizierung, die sowohl seine ungemein scharfen Attacken gegen die Autorität und sein, für Mystiker nicht untypisches, Überlegenheitsgefühl gegenüber dem rabbinischen Establishment begründet. Ein weiterer Fall ist ohne Zweifel die anti-rabbinische Animosität der ‚Tikkune ha-Zohar‘, die aber innerhalb der zoharischen Literatur eher eine bloße Episode bleibt. Der ‚Zohar‘ an sich polemisiert in seiner programmatischen (pseudepigraphischen) Gleichzeitigkeit mit der ‚Mishna‘ selbstverständlich nicht gegen den (der Fiktion nach späteren) Talmud, sondern ignoriert ihn eher und weist in bestimmten Fällen im Vergleich zu der rabbinischen Tradition divergierende halakische Merkmale und Gebräuche auf, worin sich ein polemisches Potential verbirgt, das dem zoharischen Korpus aber 13

E. R. Wolfson, Mystical Rationalization of the Commandments in the Prophetic Kabbalah of Abraham Abulafia, in: A. Ivry/A. Arkush/E. R. Wolfson (eds.), Perspectives on Jewish Thought and Mysticism, Amsterdam 1998, 311–360.

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gleichzeitig eine Patina von Autentizität verleiht. Im 17. Jahrhundert, als die Autorität des ‚Zohar‘ enorm gestiegen war, kompilierte Isaac Beer ben Petachia in seinem ‚Yesh Sakhar‘ (Prag 1609) sogar ein Kompendium der Stellen, in denen der ‚Zohar‘ von der traditionellen Halaka divergiert. Die Autoren wie die Rezipienten haben aber keine polemische Absicht, sondern wollen innerhalb des halakischen Paradigmas entscheiden, ob der ‚Zohar‘ eine gültige Quelle des rabbinischen Rechtes sei. Die Frage wurde durch die normative und weithin akzeptierte Entscheidung des großen Halakisten Joseph Karo geregelt, nach dem der ‚Zohar‘ als halakische Autorität gilt, so lange er nicht in offenem Konflikt mit einer verbindlichen halakischen Autorität von höherem Rang steht. Erst das Erscheinen der Minhagim von Isaak Luria stellte (und stellt noch immer) alles noch einmal in Frage. Nicht in den Anfangszeiten der Kabbala, in denen letztere noch ein ernsthaftes Legitimationsproblem hatte, sondern in der Mitte des 14. Jahrhunderts findet man wenigstens einen Fall offener kabbalistischer Feindlichkeit gegenüber den Talmudisten (Ba‘ale ha-Talmud). Aus dieser Zeit stammen die Joseph Gikatilla zugeschriebenen streng kabbalistischen Responsa14, die die Struktur, die Sprache und die Prozeduren der rabbinischen Literatur nachahmen, aber von letzter weitgehend unabhängig sind. Diese echte, wenn auch vollkommen implizite Auseinandersetzung mit der Ordnung und den Normativitätskriterien der halakischen Literatur blieb aber ziemlich isoliert und wäre für einen christlichen Leser unverständlich geblieben, selbst wenn er auf sie aufmerksam geworden wäre, was nicht der Fall gewesen zu sein scheint. Sollte die rabbinische Autorität auf sie aufmerksam geworden seien, sah sie sich nicht zu einer offenen Widerlegung dieses Versuchs veranlasst. Viel interessanter sind zwei umfangreiche Kompilationen aus derselben Epoche mit reichen Exzerpten aus den Werken von Abulafia, Gikatilla und Recanati, die jenseits der plagiierten Werke ein eigenes kabbalistisches Profil haben und den Titel ‚Sefer ha-Peliah‘ und ‚Sefer ha-Qanah‘ tragen. Letzteres expliziert auf systematische Weise das metaphysische Fundament des Gesetzes mit einem kabbalistischen Kommentar der Gebote. Der häufig sehr polemische Ton richtet sich gegen die rein legalistische Deutung der Gebote von Seiten der Talmudisten. Bereits auf den ersten Seiten15 des verwandten Werkes ‚Sefer ha-Peliah‘, eines kabbalistischen Bibelkommentars, liest man ein Plädoyer gegen die Halaka, wenn sie als der Kabbala überlegen oder auch nur unabhängig von ihr präsentiert wird. Hier wird nicht der absolute Wert der Halaka radikal in Frage gestellt, sondern die Vorstellung, daß letztere mit dem nigleh, d. i. mit dem exoterischen, expliziten, buchstäblichen Sinn der Offenbarung, die ganze Tiefe der Offenbarung erschöpfe 14

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G. Scholem, Teshuvot ha-meyuchasot le-R. Yosef Gikatilla, in: Festschrift Dr. Jakob Freimann zum 70. Geburtstag gewidmet von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und dem Rabbinerseminar zu Berlin sowie einem Kreise seiner Freunde und Verehrer, Rabbinerseminar, Berlin 1937, 163–170. Vgl. Sefer ha-Peli’ah, Nezer Shraga, Jerusalem 1998, 4. Eine wissenschaftliche Ausgabe des Werkes bleibt ein Desideratum der Forschung.

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oder daß sie zur vollständigen Verwirklichung der Gebote ausreichen könne. Es ist denkwürdig, daß der anonyme Autor des Sefer ha-Peliah die zentrale Stelle des esoterischen Sinns mit einem Vergleich (mashal) begründet: Xvh ′lykXh ,i xyrh tlvz ,iuvm vtlykX ]yX> vxyr >vx ,tcn> ,dXl d′′hml l>m ?l l>mXv .,iuh dylvm

Um den Zusammenhang mit einem Vergleich zu verdeutlichen: Die Sache gleicht einem Mann ohne Geruchssinn. Das Essen hat für ihn keinen Geschmack, weil der Geruchssinn zusammen mit dem Essen den Geschmack entstehen läßt.

Interessanterweise verbindet sich das Bild vom Geschmack mit der vorhergegangenen Diskussion über den mystischen Sinn der Vokalzeichen, die zusammen mit den Akzenten (te‘amim) den unsichtbaren, aber bestimmenden Teil des Sefer Torah darstellen. Das Gesetz hat wie alle Texte einen unsichtbaren oder ungeschriebenen Teil und die Diskussion kreist um den Status und den Rang dieses ungeschriebenen Gesetzes, das eine entscheidende Rolle spielt, weil es bestimmt, wie man den Text, in diesem Fall den Text der Offenbarung, ausspricht, d. h. wie man den Text mit Sinn erfüllt. Wenn man die berühmte Dichotomie, die Ferdinand de Saussure in den Aufzeichnungen des ‚Cours de linguistique générale‘ hinterließ, übernehmen möchte: Das Gesetz ist die „langue“ und seine Verwirklichung, sei es halakisch oder kabbalistisch, entspricht dem Gebiet der „parole“. Obwohl in den Sefer ha-Peliah und Sefer ha-Qanah nicht wenige polemische Ausführungen gegen die Halaka vorkommen, soll die Halaka nicht delegitmiert oder gar ersetzt werden. Selbst in dem genannten sensoriellen Beispiel kann der Geruchssinn alleine ohne das Essen keinen Geschmack erzeugen. Der Terminus, auf den ich die Aufmerksamkeit lenken möchte, ist „ta‘am“. Er hat eine breite Palette semantischer Nuancen, da er „Akzent“, „Geschmack“ und, als Erweiterung davon, auch „Sinn“ bedeutet. Es gibt in der Tat einen ganzen Zweig der kabbalistischen Literatur, der als „Ta‘ame ha-Mitzwot“ bezeichnet wird und viel älter als das bereits erwähnte Sefer ha-Qanah ist. Dazu gehört unter anderen auch das „Sefer Ta‘ame ha-Mitzwot“, das früher Isaac Ibn Farchi zugeschrieben wurde, aber als dessen Autor in den letzten Jahrzehnten (aufgrund der Arbeiten von Alexander Altmann16 und Menachem Meier17 ), Joseph von Hamadan gilt. Zu demselben Genre gehört auch das ‚Sefer ha-Rimmon‘ von Mosheh de León18 und das ‚Sefer ha-Orah‘ von Ya‘aqov ha-Kohen. Meiner Meinung nach gehört es zum typischen Mainstream und gestattet uns deshalb, die rhetorische und argumentative Strategie der früheren Kabbalisten, vor allem des Kommentars

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18

A. Altmann, On the Question of the Authorship of Sefer Ta‘amey Mizvot Which Is Attributed to R. Isaac Ibn Farhi, in: Kiryat Sefer 40 (1965), 256–276; 405–412. M. Meier, A Critical Edition of the Sefer Ta‘amey Ha-Mitzwoth (“Book of Reasons of the Commandments” Attributed to Isaac Ibn Farhi. Section I: Positive Commandments with Introduction and Notes (PhD Brandeis University 1974–75), University Microfilms, Ann Arbor 1989. Vgl. E. R. Wolfson, The Book of the Pomegranate. Moshe De León’s Sefer ha-Rimmon, Atlanta 1988.

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zu den Geboten des italienischen Kabbalisten Menachem Recanati besser zu verstehen, dem hier einige kurze Bemerkungen gewidmet seien. Das Sefer Ta‘ame ha-Mitzwot von Menachem Recanati ist von dem sehr häufig zitierten ‚Zohar‘ tief beeinflußt und könnte die Frage beantworten, ob die Kabbalisten, von einigen momentanen polemischen Ausbrüchen abgesehen, sich nicht eher in den Schatten der Halaka stellen wollten, indem sie die prinzipielle halakische Auffassung der Tora vollkommen akzeptierten und ihr nur eine weitere Dimension hinzufügten, ohne die Offenbarung als Gesetz an sich in Frage stellen zu wollen. Dadurch hätten sie einen Stempel der rabbinischen Legitimierung erhalten, der für eine „neuere“ oder erst vor kurzem aufgetauchte Lehre wie die Kabbala geradezu lebensnotwendig war. Diese Hypothese kann man im Nachhinein stärken, wenn man bedenkt, daß das polemische Hauptargument der Anti-Kabbalisten unter den Vertretern des rabbinischen Judentums im 17. Jahrhundert gerade das Novum der kabbalistischen Parallelen zur Offenbarung darstellen wird. Diese spätere Animosität der Rabbinen, am prominentesten von Leone da Modena gegen die Kabbala19, weist eine signifikante Parallele mit der Diskussion über die Echtheit (d.i. Antiquität) der Vokalzeichen und der Akzente auf, in der gerade die kabbalistischen Bücher eine zentrale Rolle spielen werden. Um meine These zu verdeutlichen und ein allgemeineres Prinzip zu gewinnen, das für die meisten Kompilatoren der frühen Kabbala, insbesondere für Bachyah ben Asher und seinen einflußreichen Torakommentar, gilt, werde ich ein Beispiel präsentieren. Die Kabbala wird nicht als radikale Alternative, sondern als ein möglicher Weg zum Kern des Gesetzes als Offenbarung durch den Buchstaben verstanden20. Das Gebot, den Vater und die Mutter zu ehren, wird kurz präsentiert und als Teil des Dekalogs biblisch begründet, mit dem Verweis auf Lev. 19,3; Num. 5,16; Lev. 20,9. Darauf folgt die exoterische Begründung, eingeführt mit der Formel „Ha-Ta’am Ha-Nigleh“ (hlgnh ,iuh), also der offenbarte oder explizite Sinn. Dies wird aus der rabbinischen Literatur 21 gerechtfertigt: Jeder Mensch hat als mittelbare und unmittelbare Ursachen drei Shutafin, d. h. Assoziierte, nämlich Gott, den leiblichen Vater und die Mutter. Somit erreicht Recanati bereits in diesem ersten Teil seines Kommentars das eigentliche Ziel seiner Exe-

19

20

Siehe aber Y. Dweck, The Scandal of Kabbalah. Leon Modena, Jewish Mysticism, Early Modern Venice, Princeton–Oxford 2011 und meine Rezension, in: Materia Giudaica 15/16 (2010/2011), 589–592. Ich zitiere aus der zweiten Ausgabe des Werkes, Basel 1581, 5v: ,tvX dbklv ,Xv bXm hXryl hvjm vmX tXv vybX tX llqy r>X bytkv ?mX tXv ?ybX tX dbk bytkv vXryt vybXv vmX >yX ′Xn> ,llql Xl>v ]tvn ]ydh .,dXb >y ]yptv> h>l> l′′zr v>rd> vmk hryjyb ]yptv> ,h> ynpm Xvh ,hb> hlgnh ,iuh ′vgv yk rmXn hlbqh ?rd li .vllql Xl>v vnmm Xrylv dbkl Xvh ]ydh vtvXyjm tbc Xvh bXh> rxXm yk ?k ′ty h′′bqh lzvg vlyXk hkrb Xlb hzh ,lvih ]m hnhnh lk ′vkrbb vrmXv lXr>y ′cnkv ′ty h′′bqh tmgvd ,h ′vgv ?yq ?ybX Xvh Xlh rmXn> h′′bqh XlX vybX ]yX ′vgv i>p ]yX rmvXv vmXv vybX lzvg rmXn> lXr>y tcnkv ?mXv ?ybX xm>y ?k ytXjm Xlpvmh rhvzh rpcbv .hlim l> ,l>vry Xyh hlim l> lXr>y tcnk yk idtv vhyX ?tdlvy lgtv lXr>y tcnk Xd ?mXv h′′ bq Xd ?ybX xm>y XlX , Xygc ?mX Xhd ?tdlvy lgtv yXmX .Xttld ?tdlvy

21

Talmud Bavli, Traktat Kiddushin, 30b.

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gese: Wie auch der Talmud sagt, ist die Ehre der Eltern ein Symbol für die Ehre, die Gott gebührt. Genau das hat er bereits in seinem Vorwort für alle Gebote im Allgemeinen formuliert: Der Sinn der Gebote liegt in dem Gebieter, d. h. in ihrem geheimen oder esoterischen Sinn, so wie die Wesen auf der Erde von den oberen Wesen (Planeten, Engeln, …) abhängig sind oder wie der Mond für sein Licht von der Sonne abhängt. Mit dieser Umkehrung der Paradigmen der Evidenz (das Esoterische beleuchtet und erfüllt das Exoterische, dem eine falsche, illusorische und im besten Fall sekundäre Evidenz anhaftet, mit Sinn) ist die Intention seines Kommentars bereits illustriert. Ta‘am kann tatsächlich auch als „Ursache“ zwar nicht übersetzt, aber doch verstanden werden. Wenn der Sinn als „Grund“ (causa) interpretiert wird, ist auch verständlich, daß alle Gebote durch ihren Gebieter zu erklären sind; nicht durch eine explikative Erweiterung, sondern durch eine reduktive Zurückführung der Einzelströme zur ihrer einzigen Quelle. Es folgt dann die kabbalistische Erklärung, explizit bezeichnet als solche mit der Formel „‘Al Derek ha-Kabbala“, d.h. nach dem Weg der Kabbala. Dieser ist in Recanatis rhetorischer Strategie nur einer von mehreren möglichen Wegen, wie er mit Bravur zeigt, indem er den Talmud 22 verwendet, um die kabbalistische Deutung dieses Gebotes zu erläutern: „‘Al derek ha-Kabbala“, also nach dem Weg der Kabbala, der ein Weg unter anderen ist, symbolisieren die Eltern zwei mystische Figuren, nämlich Gott und die „Keneset Israel“, das heißt „die Synagoge.“ Recanati sagt nicht explizit, sondern spielt bloß für Eingeweihte darauf an, daß Keneset Israel 23 keine einfache Typisierung der Synagoge darstellt, sondern eine Dimension der Gottheit, und zwar die Sefira Malkut, die göttliche Anwesenheit, seine weibliche Seite ist. Wie wir gleich sehen werden, verwenden andere Autoren eindeutigere Termini, aber es ist eben die rhetorische Strategie Recanatis, Innovationen sehr behutsam hinzuzufügen. Er rundet den Kommentar mit ein Zitat aus dem ‚Zohar‘ 24 ab (vgl. III; 156r), aus dem wieder nicht ganz explizit entnommen werden kann, daß es zwei Mütter, die obere und die untere, gibt: „In dem Vers aus den Sprüchen (23,25) liest man: So mögen sich denn Vater und Mutter [über dich] freuen; es möge frohlocken, die dich geboren hat.“ Der biblische Text scheint redundant: Vater ist Gott, Mutter ist die Keneset Israel, wer ist aber diejenige „die dich geboren hat“? Im ursprünglichen Zusammenhang im ‚Zohar‘ spielt die Formel auf die leibliche Mutter des Moses an, aber in Recanatis Text ist das Zitat leicht verändert, um die zwei weiblichen Dimensionen in der Gottheit anzudeuten. Wir können uns hier nicht in diese komplizierte Auslegung vertiefen, aber es scheint klar, daß die Exegese der Gebote nicht nur dazu dient, die Gebote symbolisch zu verstehen, sondern auch die Geheimnisse der Kabbbala rückwirkend aus dem Buchstaben des Gesetzes zu erleuchten.

22 23 24

In diesem Fall Berakot 35b. Heute ein säkularisierter Begriff. III 156r.

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Die Unterschiede, die bei genauer Betrachtung grundlegend sind, werden nicht verwischt, aber auch nicht unterstrichen. Durch die Harmonie zwischen dem exoterischen Weg der Halaka und dem esoterischen Weg der Kabbala werden sie eher geglättet. Die zwei Wege sind selbstverständlich nicht identisch, sonst hätte die Unterscheidung auch keinen Sinn, aber sie erscheinen als vollkommen kompatibel. Ein kurzer Vergleich mit einem Werk desselben literarischen Genres könnte verdeutlichen, daß diese Strategie der Harmonisierung durch eine Gestaltung der exegetischen Inhalte stattfand. Obwohl das Werk ‚Me’ah She‘arim‘, das in Saloniki im Jahre 1543 erschien und wie bereits erwähnt Isaak ibn Farchi (und auch Joseph Gikatilla) zugeschrieben wird, aber aus der Feder von Joseph von Hamadan stammt, stark von Recanati beeinflußt ist, finden wir im Kommentar zum gleichen Gebot eine parallele Erklärung, die auch theologisch viel weniger unproblematisch erscheint. In Wirklichkeit sind die Unterschiede marginal, aber die Akzente werden anders gesetzt 25. Auf einen kurzen Kommentar, der eine talmudische Stelle zitiert und aus ihr die genauen Inhalte und Grenzen des Gebotes definiert 26, folgt die kabbalistische Auslegung, die mit der Formel „‘Al derek ha-emet“ (nach dem Weg der Wahrheit) eingeführt wird. Diese klassische Formel wird verständlicherweise nur von Kabbalisten verwendet, weil nur für sie gelten kann, daß das Esoterische das einzig Wahre ist. Unmittelbar im Anschluß wird gesagt, daß der Vater und die Mutter eine Anspielung auf den „Du-Partzufim“ sind, d. h. auf die zwei Aspekte der Gottheit: Männlich und Weiblich. Es handelt sich um einen zentralen Punkt der kabbalistischen Theosophie, der aber von einer rein monotheistischen Perspektive aus nicht unproblematisch ist. Die Vorsicht Recanatis bei der Behandlung des gleichen Motivs erscheint im Vergleich umso deutlicher. Nichtsdestoweniger bleibt bei beiden Autoren die Praxis, der Vollzug des Gebotes unabhängig von seiner höheren oder höchsten Bedeutung. Der wahre Schibbolet der Halaka wird nicht in Frage gestellt. Um feststellen zu können, ob tatsächlich und nicht nur in den Augen der christlichen Beobachter des Judentums ein radikaler Disput zwischen Kabbala und Halaka stattgefunden hat, ist es meiner Einschätzung nach nicht unangebracht, ein Tertium, eine dritte Instanz einzuführen, oder besser anzuerkennen. Fragen wir uns, wer in der Dialektik zwischen Kabbala und Halaka als „Tertium“ auftreten kann, ist die Philosophie der beste Kandidat. Das heißt noch lange

25

Sefer Me’ah She‘arim, Soloniki 1543, n.p., Kap. 36: tXv ?ybX tX dbk ′Xn> ,Xh tXv bX dbkl hvjm rbd ,v>v vl>m vybXl ]yX ,Xv vXyjvmv vcynkm vlyinmv v>yblm vhq>mv vlykXm dvbk vhz yX l′′ zr vrmXv ?mX li ryzxhl buym vmji ryb>hl Xjm Xl ,Xv vlyb>b vmji ry>khl byyx vl ]yX vlypXv vl>m vnyzl byyx vl >yv ,Xv bX tmXh ?rd liv … ,Xv bX dybk lvdg yXxvy ]b ]vim> ybr yntd vdvbk lyb>b vybXm rtvy Xvh ,yxtph hliml zmvr hrymx vz hvjmb> yplv rmvgv vmXv vybX lzvg zmr ,hyliv ,dbkl yvXr ]k li ]ypvjrp vydl zmr . ?ymy ]vkyrXy ]iml bytkd Xvh Xdh ?vrX vlvk> ,lvil zmdh ,ymy tvkrX bvtkh hb rykzh ]k li humlv

26

Talmud Bavli, Kidduschin, 31b.

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nicht, daß man bereits im Voraus entschieden hat, welche dieser Instanzen die Funktion des Richters ausübt. Dies hängt, wie der Kabbalist Abraham Abulafia schrieb 27, selbstverständlich von unseren Präferenzen ab: Neigen wir zu einer der Parteien oder dazu, den Richter als parteiisch zu sehen und seine Funktion deshalb nicht anzuerkennen. Alexandre Kojève postulierte in seiner Esquisse d’une phénoménologie du droit 28 die Notwendigkeit eines Dritten als das, was das Recht als Phänomen erscheinen läßt. Andererseits könnte, wie Warren Zev Harvey 29 kürzlich erwähnte, laut Shem Tov Ibn Shaprut 30 die Kluft zwischen Philosophie und Kabbala nicht tiefer sein. Dieser sieht zwischen den beiden Disziplinen einen Kontrast, der nicht aufgehoben werden kann31: „Wahrlich die Philosophie und die Kabbala stellen zwei Gegensätze dar und keine Vermittlung zwischen den beiden ist möglich“ und gerade dieser Gegensatz verursache Verwirrung unter den Lernenden (sibbat bilbul la-talmidim be-’iyyun). Die Konfiguration der gegenseitigen Beziehungen zwischen den drei Elementen, die Jacob Katz32 „Dreieck“ (von Halakah, Philosophie und Kabbala) genannt hatte, kann am besten mit Hilfe eines hervorragenden Halakisten und Kabbalisten dargestellt werden, der alles andere als unphilosophisch veranlagt war: Moses ben Nachman oder Nachmanides. Der Ausgangpunkt ist die lange Exegese von Dtn. 22,26 in Nachmanides Kommentar zum Pentateuch. Wir werden die dort zitierten Texte, den Talmud und Maimonides, kurz zusammenfassen müssen. Eine Prämisse ist an dieser Stelle erforderlich: Der Talmud33 präsentiert eine ausführliche Diskussion einer Vorschrift der Mishna34, in der verordnet wird, daß derjenige zum Schweigen gezwungen werden muß, der betet: „Möge sich Deine Barmherzigkeit bis zum Vogelnest erstrecken“. Im Talmud liest man, die Meister seien über die Ausdeutung dieses Verbotes uneinig gewesen. Andere Verbote aus der gleichen Stelle der Mishna sind weitgehend unproblematisch. Es ist z. B. klar, daß man die Formel „modim, modim“ („wir sagen Dank, wir sagen Dank“) vermeiden sollte, um dem Verdacht des Dualismus zu entkommen. Deutlich schwieriger ist die Frage, warum man diejenigen zum Schweigen zwingen sollte, die Gott loben, weil er seine Barmherzigkeit bis zum Vogelnest ankommen läßt, besonders weil es zwei Gebote gibt, die die gesetzestreuen Juden auffordern, die Nester, die man auf dem Lande findet, mit besonderer Vorsicht zu behandeln. Zwei 27

28 29 30 31 32 33 34

S. Campanini, Talmud, Philosophy, Kabbalah: A Passage from Pico della Mirandola’s Apologia and Its Source, in: M. Perani (ed.), The Words of a Wise Man’s Mouth are Gracious. Festschrift for Günter Stemberger on the Occasion of His 65th Birthday, Berlin–New York 2005, 429–447. A. Kojève, Esquisse d’une phénoménologie du droit, Paris 1982 (1943). W. Z. Harvey, Why Philosophers Quote Kabbalah. The Cases of Mendelssohn and Rosenzweig, in: Studia Judaica *16 (2008), 118–125, hier 118, Anm. 1. S. Ibn Shaprut, Pardes Rimmonim, Sabbioneta 1554, 2r. In Ibn Shapruts Worten: yXjmX ,hynyb ]yX> ,ykph yn> tmXh ypl ,hv hlbqhv Xypvcvlyph. J. Katz, Divine Law in Human Hands. Case Studies in Halakhic Flexibility, Jerusalem 1998, 64. Tb Berakot, 33b. Berakot, V,3.

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Amoraim lieferten sehr unterschiedliche Erklärungen: Laut Rabbi Jose ben Abin ließe dieses Gebet Eifersucht unter den anderen Tieren entstehen. Rabbi Jose ben Zebida setzte entgegen, das Gebet unterstelle, daß Gottes Gesetz durch Barmherzigkeit motiviert sei, während es sich in Wahrheit um reine Erlasse (gezerot) handle. Moses Maimonides, der bei Nachmanides als zweite Autorität evoziert wird, vertrat in dieser talmudischen Frage unterschiedliche Positionen. In seinem arabischen Kommentar zur Mishnah und am prominentesten in seinem Mishneh Torah35, wählt er zwischen den Alternativen und spricht sich eindeutig für die Meinung von Rabbi Jose ben Zebida aus. Er betont, daß die Gebote der Ausdruck von Gottes reinem Willen seien. In seinem philosophischen Traktat unterstützt er andererseits die entgegengesetzte Lösung und plädiert für die Rationalität der Gebote oder mindestens dafür, daß die Gebote einen vernunftmäßigen Grund haben, wenn uns dieser auch in manchen Fällen unzugänglich sein mag36. Hier folgen hintereinander die zwei Texte des Maimonides. Zuerst die relevante Stelle aus dem Mishneh Torah: „Wer in seinen Gebeten sagt: „Er, der seine Barmherzigkeit bis zu dem Vogelnest erstreckt, da er [nicht zuläßt], daß man die Mutter mit den Küken nimmt oder daß man den Vogel und die Küken nicht an einem einzigen Tag schlachtet, wird Sich uns erbarmen“ oder Ähnliches muß zum Schweigen gezwungen werden. Diese Gebote sind, in Wahrheit, reine Erlasse der Schrift und nicht [Zeichen] der Barmherzigkeit. Wären sie es, dann hätte uns der Ewige nicht erlaubt, [Tiere] zu schlachten“37.

Im Dritten Buch des Führers der Unschlüssigen38 liest man: „Du darfst aber gegen mich nicht einwenden, daß unsere Lehrer verboten haben zu beten: „Sogar bis auf ein Vogelnest erstreckt sich dein Erbarmen“, denn dies ist die eine der beiden Glaubensmeinungen, die wir erwähnt haben, nämlich die Meinung derjenigen, die glauben, daß es bei den Geboten der Heiligen Schrift auf den Grund nicht ankomme, daß diese vielmehr ausschließlich durch den Willen Gottes bedingt sind. Wir aber folgen der zweiten Meinung“39.

Die allgemeine Diskussion des Prinzips, daß die Gebote nicht nur einen Grund in Gott, sondern auch einen uns theoretisch zugänglichen Sinn haben, ist 35 36 37

Hilkot Tefillah, Kap. 9. Dies hat auch der Philosoph Chasdai Crescas in seinem Kommentar zum Moreh Nevukhim zurecht unterstrichen. Mishneh Torah, Buch II sefer Ahavah, hilkot Tefillah, Kap. 9, Par. 7: ]q li ,xyr> ym ,ynvnxtb rmX> ym .vtvX ]yqt>m hz ]ynib Xjvykv vnyli ,xry dxX ,vyb vnb tXv vtvX uvx>l Xl> vX ,ynbh li ,Xh xqyl Xl> rvpyj .rqyi lk huyx> vnl rytm hyh Xl ,ymxr ynpm vyh vlyX> .,ymxr ]nyXv ]h bvtkh trzg vlX tvjm> ynpm

38 39

Moreh nevukim III,48. Es handelt sich allerdings um die Übersetzung von Ibn Tibbon. Wenn ich mich nicht täusche, fehlt die Stelle in der Übersetzung von Jehudah Al-Charizi. Hier folgt der arabische Originaltext: ]Xl ′vgv ?ymxr viygy rvpj ]q li rmvXh l′′z ,hlvqb ynjrtit Xlv XmnX ]xnv hdXrlX drgm XlX hiyr>ll hli Xl ]X yry ]m yXr yniX XmhXnrkd ]ydlX ]yyXrlX dxX ?ld ynXtlX yXrlX Xnibt. Die bereits erwähnte hebräische Übersetzung des Ibn Tibbon lautet: l′′r ,,vnrkz r>X tvidh yt>m txX ypl Xvh yk ′vgv ?ymxr viygy rvpj ]q li ,rmXb yli h>qt Xlv .yn>h tidh rxX vnk>mn vnxnXv, dbl ]vjrh XlX hrvtl ,iu ]yX> b>vx> ym tid

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im ‚More nevukhim‘ III,26 ausgeführt. Interessanterweise haben zwei verschiedene Kommentatoren, Salomon Munk einerseits und Eliyahu Touger andererseits, zwei entgegengesetzte Erklärungen für den offensichtlichen Widerspruch geäussert. Munk schreibt: „Maimonide, dans son Mischné Torâ s’exprime dans le même sens que la Mischnâ 40, et contrairement à ce qu’il dit dans notre passage, où il manifeste son opinion personelle“ 41. Touger bemerkt seinerseits: „It is significant that in the Guide to the Perplexed, the Rambam explains that these prohibitions were instituted as expressions of Divine Mercy. He notes that one of the opinions in Berachot disagrees with the approach of giving reasons for the mitzvot, and states that he favors the other opinion. In his Commentary on the Mishnah, the Rambam mentions the reason he states here. This lends credence to the view that certain statements in the Guide to the Perplexed were made with the intent of attracting those who had become involved with secular thought systems and do not necessarily reflect the Rambam’s genuine feelings“ 42. Der Widerspruch erlaubt keine Vermutung darüber, was Maimonides wirklich dachte, oder ob er, was durchaus möglich ist, seine Meinung geändert hat. Ohne Zweifel ist die Versuchung einer Exegese à la Leo Strauss43 mächtig. Maimonides zitiert den Gegensatz, aber nicht dessen Auflösung aus einer Talmudstelle, in der sich Rabba kurioserweise verstellt, um Abbaye zu testen oder seinen Verstand zu schärfen: „Ein Beter ging [vor die Bundeslade] in Anwesenheit von Rabba und sagte: ‚Du hast Deine Barmhezigkeit bis zum Vogelnest erstreckt, zeige uns auch Dein Erbarmen‘. Rabba sagte: ‚Dieser Schüler weiß beileibe, wie man den Herrn besänftigt‘. Abbaye erwiderte: ‚Aber wir haben gelernt: Er soll zum Schweigen gezwungen werden!‘. Rabba handelte nur so, um Abbaye zu testen“ 44.

In anderen Worten scheint Rabbas Bemerkung ironisch oder halb scherzhaft. Die Verstellung betrifft aber nicht die Frage, ob die Gebote einen Sinn haben oder nicht, sondern bezieht sich nur darauf, ob man eine Vorschrift der Mishna brechen darf. Der Sinn der Gebote wird nicht weiter erörtert. 40

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43

Ich erlaube mir anzumerken, daß Munks Kommentar an dieser Stelle ein wenig überraschend ist: Maimonides nimmt weder hier noch andernorts Stellung gegen oder für die Meinung der Mishna über diesen spezifischen Punkt, da es sich um eine Diskussion handelt, die erst im Talmud stattfindet. Auch M. Zonta, in seiner italienischen Übersezung des Moreh Nevukhim, vielleicht in Anlehnung auf S. Munk, verweist auf die Mishna und nicht auf die relevante Talmudstelle (Berakot, 33b); vgl. M. Maimonide, La guida dei perplessi, Torino 2003, 717, Anm. 2. Le Guide des égarés. Traité de théologie et de philosophie par Moïse ben Maimoun dit Maïmonide, traduit pour la première fois sur l’original arabe et accompagné de notes critiques, littéraires et explicatives par S. Munk, T. III, A. Franck, Paris 1866, S. 400, Anm. 2. Maimonides, Mishneh Torah. Hilchot Tefilah II and Birkat Kohanim. The Laws of Prayer and the Priestly Blessing. A New Translation, with Commentaries, Notes and Diagrams by R. Eliahu Touger, New York–Jerusalem 1989, 73–74. L. Strauss, Persecution and the Art of Writing, Glencoe (Ill.) 1952, gerade in einem sehr ähnlichen Zusammenhang erwähnt von G. Scholem, Zur Kabbala und ihrer Symbolik, Zürich 1960, 72.

44 ]nbrm Xbrvj yXh idy hmk hbr rmX vnyli ,xrv cvx htX rvpj ]q li tcx htX rmXv hbrd hymq tyxnd

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Talmudisten versus Kabbalisten?

275

Diese lange Prämisse war nötig, um die Ausführungen des Nachmanides im Torakommentar (zu Dtn. 22,6) in ihrem Zusammenhang zu verstehen. Der katalanische Exeget zitiert Maimonides in einer Formulierung, die von der klassischen Übersetzung des Ibn Tibbon abweicht und die Sache auf den Punkt bringt: „Der Meister [Maimonides] sagte: Du darfst nicht das einwenden, was die Weisen gesagt haben, derjenigen, der von der Barmherzigkeit den Nestern gegenüber spricht, es handelt sich nämlich um eine von zwei Erklärungen, die derjenigen, die meinen, die Gebote haben keinen Sinn [oder: Ziel] außer dem, was dem Schöpfer gefällt. Wir aber neigen eher zu der zweiten Erklärung, nach der jedes Gebot einen Sinn hat“ 45.

Auf diese Art und Weise wird Maimonides ein Vorfahre des Nachmanides, und die Philosophie gehört de facto46 in den genealogischen Baum der Kabbala. Wenige Zeilen später zitiert Nachmanides die meiner Meinung nach entscheidende Stelle aus einem anderen Talmudtraktat 47, die die Grundfrage stellt: Warum wurden die Motivationen für die Gebote nicht offenbart (vlgtn Xl hm ynpm hrvt ymiu)? Der ursprüngliche Zusammenhang bemerkt, daß die einzigen Gebote, die ausdrücklich motiviert wurden, Salomon zu Fall brachten. Der biblische König dachte, er könne die Substanz der Gebote einhalten, aber dadurch brach er die Form oder genauer die Norm. Hier liegt dem narrativen Modus des Talmud entsprechend die Antwort auf die Frage, warum die Halaka den Sinnes der Gebote, ob geheim oder offenbar, nicht hinterfragt, nämlich weil letztere diese Frage nicht stellt, so lange die Motivation der Mitzwot kein expliziter Teil der Offenbarung ist. Die Frage stammt, wie Gershom Scholem in einem verwandten Zusammenhang wie der biblischen Exegese einmal bemerkte, aus der Allegorese des Philo von Alexandrien und, allgemeiner, aus der mittel- und neuplatonischen Allegorese, vermittelt durch die arabische Tradition. Andererseits erweist sich Nachmanides auch hier als großer Kabbalist, wenn er unmittelbar im Anschluß die Möglichkeit eröffnet, daß die noch nicht offenbarten te‘amim (Gründe) der Gebote in der Zukunft durchaus offenbart werden könnten. In der Fülle der Zeiten (typischerweise in der messianischen Zeit) kann die Bedeutung der Gebote enthüllt werden. Gleichzeitig hält er auch die andere, von den Philosophen favorisierte Möglichkeit offen, daß die Gebote dem ganzen Volk zugänglich seien, während ihre Bedeutung nur für Eingeweihte sei. Typischerweise erwähnt er, daß Moses die Bedeutung des obskuren Rituals der roten Kuh kannte, während das gemeine Volk an die Orthopraxie gebunden war und nicht eingeweiht wurde. Crescas sprach noch von einer Kluft zwischen dem Erklärten (rXvbm) und dem [Noch-Nicht]-Erklärten (rXvbm ytlb). Diese wird für Nachmanides der Eingang

45 trbc ,tvrbc yt>m txX vz yk ?ymxr viygy rvpj ]q li rmvXh ,ymkxh rmXmm yli by>t lXv brh rmXv 46 47

.,iu tvvjmh lkb hyhy> hyn >h Xrbcb ,yqyzxm vnxXv ,Xrvbh /px XlX tvvjml ,iu ]yX yk hXry> ym Er läßt die problematische Stelle aus dem Mishneh Torah weg, um der Schwierigkeit des Widerspruchs zu entgehen. Sanhedrin, 22b.

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zur esoterischen Erklärung. Letztere steht dadurch nicht im Gegensatz zur Halaka, sondern stellt sich im Gegenteil in ihren Schatten. So erscheint die Kabbala, um eine bekannte Formel zu variieren, als „eine bloße Fortsetzung der Halaka mit anderen Mitteln“. Nachmanides schließt seinen langen Exkursus mit einem obskuren Zitat aus dem Bahir 48, der das Gebot über die Küken und ihre Mutter „erklären“ sollte: „Nun in dem Midrasch von Rabbi Nechunja ben Ha-Kana über das Gebot ‚Freilassen solltest du im Nest…‘. Es gibt eine Ausdeutung, die zeigt, daß es in dem Gebot ein Gehemnis (sod) gibt: Rabbi Rehumaj sagte: Was bedeutet der Vers: ‚Freilassen solltest Du die Mutter, [und die Kinder magst du an dich nehmen]‘, und es heißt nicht ‚und den Vater‘? Es heißt ‚die Mutter freilassen‘ in der Herrlichkeit, diejenige Einsicht (Binah), die ‚Mutter der Welt‘ heißt, von der es heißt: ‚denn Mutter nenne die Einsicht‘. Was bedeutet ‚und die Kinder magst du an dich nehmen‘? Rabbi Rechumaj sagte: ‚jene Kinder, die sie erzogen hat‘. Und welche sind das? Die sieben Tage des Sukkotfestes und die Gesetze der sieben Tage der Woche usw. Siehe diese Mitzwah (Gebot) spielt auf ein großes Geheimnis an, deshalb ist ihre Belohnung groß, [wie es heißt] damit es dir wohl ergehe und du deine Tage verlängern magst“ 49.

Wir können die Details dieser Auslegung hier unmöglich erklären, aber es scheint klar, daß „die Mutter“ in diesem Zusammenhang eindeutig mit einer göttlichen Dimension identifiziert wird. Ohne von einer Zweigeschlechtligkeit Gottes zu sprechen, erreicht Nachmanides zwei Ziele. Er redet den Konflikt mit der Halaka klein, ohne die Philosophie offen zu diskreditieren, und es gelingt ihm gleichzeitig auch, die spezifischen Inhalte der Kabbala als ein Midrash, eine alte Tradition zu präsentieren: Nur die Eingeweihten werden wohl verstehen, worum es hier geht. Die Kabbala, die von ihren Koryphäen häufig mit der Formel „‘Al derek ha-emet“ (secundum viam veritatis) eingeführt wird, stellt sich in einen exegetischen Raum, der wie die Philosophie durchaus mit der Halaka kompatibel erscheint. Die konfliktreichen Dimensionen, die sich aus diesem Dreieck ergeben, werden von einem erfahrenen Halakisten wie Nachmanides ebenso sorgfältig geglättet wie in den Texten eines erfolgreichen Kompilators wie Menachem Recanati. Die Auseinandersetzung mit den Halakisten, die im Fall Abulafias oder im Sefer ha-Peliah alles andere als virtuell war, wurde hier systematisch vermieden. Die Idee, daß das Gesetz im Allgemeinen und die Gebote im Einzelnen eine causa finalis haben, ist der halakischen Betrachtung des Gesetzes nicht ganz fremd, aber ihr nicht unproblematischer Ursprung liegt, wie ich zu zeigen versucht habe, eher in der jüdischen Religionsphilosophie oder spezifischer in dem schwierigen Weg der 48 49

Bahir § 104–105 (Margalioth). Nachmanides, Torahkommentar zu Dtn. 22,6: >rdm ]qh xvl>b hnqh ]b Xynvxn ybr l> v>rdmb lbX xl>t xl> XlX ,bXh tX rmX Xlv ,Xh tX xl>t xl> bytkd yXm yXmxr ybr rmX ,dvc hvjmb >y> rmX ,?l xqt ,ynbh tXv yXm .Xrqt hnybl ,X yk bytkd ,,lvih ,X tXrqn> hnyb htvX dvbkb ,Xh tX tXzh hvjmh hnhv .′vkv ivb>h ymy tib> ynydv hkch ymy tib> vhyn yXmv , hldyg> ,ynb ,tvX yXmxr ybr .,ymy tkrXhv ?l buyy ]iml hbvrm hrk> ]klv ,lvdg ]ynil tzmvd

Talmudisten versus Kabbalisten?

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Selbstbehauptung eines philosophischen Rationalismus innerhalb des Judentums. Unter den Gefahren, die dieser Rationalismus in sich birgt, erkannten auch die meisten Philosophen den Reduktionismus, d.h. die Reduzierung des Gesetzes auf ihre Vernunftmäßigkeit, die in letzter Konsequenz sogar zur Erklärung der Überflüssigkeit der Tora, d. h. zu ihrer Aufhebung für alle Vernunftwesen führen könnte. Aus diesem Grund wurde die Bedeutung der Gebote, wie man im Traktat Sanhedrin liest, meistens nicht offenbart, um zu vermeiden, daß man die vermeintliche Substanz des Gesetzes über die Form stellt. Deshalb betont Nachmanides, man müsse die Autorität des Gebieters zuerst anerkennen, bevor man die Gebote erhalten könne. Ein anderes Risiko lauert aber: Wenn der Sinn (oder die Intention) der Gebote nicht explizit offenbart wurde, und gerade hier öffnet sich die Kluft zwischen den Religionen oder der Konflikt der Interpretationen, neigt man eher dazu, das Gesetz in eine ihm fremde Logik zu transponieren, als ob ihm etwas fehlen würde. Braucht man tatsächlich den Sinn der Gebote, um sie einzuhalten, wie man die Worte ohne Akzent nicht aussprechen kann? Die Kabbala versucht, den Sinn des Gesetzes durch Formen und Inhalte zu erhellen, die der jüdischen Tradition konformer waren als die universalistischen Tendenzen der philosophischen Sprache, die von den Gegnern der Philosophie vor allem in der Kontroverse über die Werke des Maimonides scharf kritisiert wurden, aber sie kann nicht umhin, die Problematik als Ausgangspunkt zu nehmen und die Funktionsweise der philosophischen Tradition zu übernehmen, d. h. genuin jüdische Inhalte doch in einem fremden Medium, klassischerweise in der Allegorisierung der Gesetze, zur Geltung zu bringen. Gerade auf diesem Weg zeigt die Kabbala ihre konstitutive „belatedness“ 50, nicht weniger als ihren apologetischen Charakter. Der Versuch einer perfekten Kompatibilität, wenn nicht Koinzidenz der Kabbala mit der Halaka gegen die Philosophie, konnte die Christen, die Erfahrung im Bereich der „belatedness“ hatten, nicht davon abhalten, den potentiell universalistischen und deshalb katholisch beanspruchbaren Charakter der Kabbala zu sehen. Dies würde erklären, warum noch vor den christlichen „identificationes“ z. B. zwischen den ersten drei Sefirot und der Trinität oder zwischen der Shekina (Malkut) und der Jungfrau Maria, einige Christen seit ihrem ersten Kontakt mit kabbalistischen Materialien ein dauerhaftes und immer wieder aufflammendes Interesse für die Kabbala hatten, und den Talmud dagegen weiterhin verachteten, indem sie ihn, wohl zu Recht, mit der Hürde identifizierten, die es nicht zuläßt, daß die Juden zu Christen wurden. In anderen Worten ist der Talmud in den Augen der Christen, aber auch in den Worten zahlreicher Konvertiten, die den Talmud angeprangerten, die einzige Garantie, daß man innerhalb des Judentums von der „Intention“ der Gebote nicht versucht wird und deren „Sinn“ aufgibt. Der Streit um das Gesetz erweist sich als keine bloße Frage der Akzentuierung.

50

Cf. H. Bloom, Kabbalah and Criticism, New York 2005 (1975), bes. 4, 14 und 50–51.

V. Scholastische Lex-Traktate und Gesetzesauffassungen

Littera et Lex: Scriptural Hermeneutics and the Old Law at the Twelfth-Century Parisian Abbey of St. Victor F T. H (Durham, UK) This essay seeks to show that the different understandings of the Old Law and its ritual or sacramental observance set forth by Godfrey of St. Victor and Robert of Melun are grounded in a common scriptural hermeneutic propounded by Hugh of St. Victor at the twelfth-century Parisian abbey. Scholars of Hugh of St. Victor’s scriptural hermeneutic have long recognized the particular emphasis he places on literal interpretation as the necessary foundation of the higher, spiritual senses of allegory and tropology. Since the groundbreaking work of Beryl Smalley and Henri de Lubac in the middle of the last century, however, many of these scholars have disagreed on the extent to which this Victorine emphasis represented a new perspective in the history of Christian exegesis. Smalley and those in her intellectual wake have presented Hugh’s emphasis on littera as innovative and have shown how this distinctive Victorine approach to Scripture facilitated positive social relations and intellectual exchange between the Christian scholars at St. Victor and their Jewish neighbors. On the other hand, de Lubac, following Marie-Dominique Chenu, argued that in prioritizing historia Hugh “merely conferred ‘a conscious methodological force’ to this traditional theme”1. Given these two historiographical poles, we might best begin by considering anew the relationship between letter and spirit in Hugh’s hermeneutic, particularly as it is set forth in the ‘Didascalicon’, Book VI, chapter 4. I. Hugh’s Her meneutic and Sacr aments throughout Histor y My recent work of producing a new English translation of the ‘Didascalicon’ made me aware of what I understand to be a rather serious error in the now classic translation of Jerome Taylor 2. The sentence from ‘Didascalicon’ VI.4 that Taylor seems to have misunderstood, which is absolutely central to Hugh’s hermeneutic, reads as follows in Charles Buttimer’s edition: 1

2

H. de Lubac, Exégèse médiévale. Les quatre sens de l’Écriture, Paris 1959–1964, vol. II.1, 288; English translation taken from Medieval Exegesis: The Four Senses of Scripture, tr. E. M. Macierowski, Grand Rapids 2009, vol. 3, 212. The Didascalicon of Hugh of St. Victor: A Medieval Guide to the Arts, tr. J. Taylor, New York 1961 (repr. 1991).

282

Franklin T. Harkins

“Oportet ergo ut et sic sequamur litteram, ne nostrum sensum divinis auctoribus praeferamus, et sic non sequamur ut in ea non totum veritatis iudicium pendere credamus”3.

Taylor follows Buttimer’s edition straightforwardly, rendering the second non together with the credamus as “to deny”: “For this reason it is necessary both that we follow the letter in such a way as not to prefer our own sense to the divine authors, and that we do not follow it in such a way as to deny that the entire pronouncement of the truth is rendered in it” 4.

For Taylor, the double negative becomes a positive, and Hugh is made to affirm that we should follow the letter in such a way as to believe that “the entire pronouncement of truth is rendered in it”. The problem, however, is that such an affirmation flies in the face of what Hugh is actually arguing in this paragraph, namely, that we should not be enslaved to the letter, but rather should “be firmly bound by the truth of the spiritual meaning”. Indeed, the scriptural passages that serve as bookends to this paragraph and its argument, viz., 2 Cor. 3:6 and 1 Cor. 2:15, attest that Taylor’s translation runs contrary to Hugh’s intention. One of the oldest and best manuscripts, Paris Bibliothèque Mazarine 732, provides a better reading than does Buttimer’s text by omitting the first non in the sentence, resulting in Hugh’s maintaining (as we would expect) that we should “follow the letter in such a way that we do not believe that the entire expression of the truth is articulated in it”. I render the Victorine’s entire sentence thus: “It is necessary, therefore, that we follow the letter in such a way that we do not prefer our own understanding to the intention of the divinely inspired authors, and that we follow the letter in such a way that we do not believe that the entire expression of the truth is articulated in it” 5.

The point, for Hugh, is that whereas the “entire expression of the truth” is firmly built on the literal or historical meaning, this foundational significance in no way articulates or exhausts the entirety of the truth found in the biblical text: hence, the necessity of allegorical and tropological reading. There can be little doubt that Taylor’s misreading here has led English-speaking scholars and students to miss a crucial nuance in Hugh’s hermeneutic and to misunderstand the role of the letter within it. Recognizing the textured complexity of Hugh’s approach to scriptural reading will enable us to see more clearly how the views of subsequent Victorines like Godfrey of St. Victor and Robert of Melun on the Old Law and

3

4 5

Hugo de Sancto Victore, Didascalicon De Studio Legendi, VI, 4, ed. C. H. Buttimer, Washington D.C. 1939, 122. The analysis that follows is taken from my Introduction to the ‘Didascalicon’ in: F. T. Harkins/F. van Liere (eds.), Interpretation of Scripture: Theory. A Selection of Works of Hugh, Andrew, Richard and Godfrey of St Victor, and of Robert of Melun (Victorine Texts in Translation 3), Turnhout 2012, 78. Taylor (tr.), Didascalicon (nt. 2), 144. Harkins/Van Liere, Interpretation of Scripture (nt. 3), 171.

Littera et Lex

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its sacramental observance, different though they be, are both indebted to Hugh’s exegetical theory. By way of background to Godfrey and Robert, let us sketch the broad outlines of Hugh’s understanding of history and the sacraments throughout time. Among Hugh’s various divisions of history, the Pauline and Augustinian partitioning of the three times plays a crucial role in his ‘De sacramentis christianae fidei’. According to Hugh, God generously gave human beings all of history, from the beginning of the world until the end of the age, and divided it into three distinct periods so that humans would have sufficient time for repentance and the appropriate means for post-lapsarian reparation before final judment. The time of the natural law ran from Adam to Moses; the time of the written law from Moses to Christ; and the time of grace from Christ to the end of the world 6. In each of these times, Hugh teaches, “God offered the human person the sacraments of his own salvation with which He [i.e., God] might sign and seal him with the expectation of future sanctification” 7. From the beginning, God instructed humans that whoever chose to align themselves with Him by awaiting Him as savior ought to prove this choice by receiving the sacramenta Christi. On the other hand, the devil offered his own “sacraments” to humankind, by means of which he intended to bind those who would accept his rule more closely to himself. And so, according to Hugh, the human race soon began to be divided into two “opposing parts” or “families” based on sacramental observance: those receiving the sacramenta diaboli and those receiving the sacramenta Christi 8. In these two “families” we hear clear echoes of Augustine’s two cities. It is worthy of note, however, that whereas Augustine’s two cities are determined by different kinds of love (of self and of God, respectively), Hugh’s “families” are constituted by sacramental participation. In fact, Augustine’s understanding of the Church throughout time as a corpus permixtum disqualifies sacramental reception as a legitimate criterion for distinguishing between members of the two cities. Based on this understanding of the two human “families” and their sacraments, Hugh offers a striking image: that of a trans-historical, interreligious army of God, whose members or soldiers fortify themselves with various arms (i.e., sacraments) for battle against the devil, the tyrant of humankind 9. The king or leader of this army is, it must be said, Christ in particular, and the weapons of war are, as we have seen, the sacramenta Christi. We may be somewhat surprised, 6

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Hugo de Sancto Victore, De sacramentis christianae fidei [hereafter: De sacr.] I, 8, 11, ed. R. Berndt, SJ, Monasterii Westfalorum 2008, 202–203 (PL 176, col. 312D); for an English translation see On the Sacraments of the Christian Faith (De sacramentis) of Hugh of Saint Victor, tr. R. Deferrari, Cambridge Mass. 1951. The following discussion depends on F. T. Harkins, Reading and the Work of Restoration: History and Scripture in the Theology of Hugh of St Victor, Toronto 2009, 213 sqq. De sacr. I, 8, 11, ed. Berndt, 202 (PL 176, col. 312A–B). Unless otherwise noted, all translations of ‘De sacramentis’ are my own. L. c. L. c., ed. Berndt, 202–203 (PL 176, col. 312B–D).

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though, by the degree to which Hugh recognizes the unity of this army and its purpose and, in light of this singular purpose, his positive valuation of the efficacy of pre-Christian sacraments (including the rites of the Old Testament Law). The Victorine master asks rhetorically: “And what shall I call all the earlier saints who before the Incarnation of the Word were elected from the beginning, if not certain excellent soldiers preceding in the line of battle their king who was to come, strengthened by and equipped with, as if with certain arms, sacraments by which they were then being sanctified?”10

Similarly, those chosen after the Incarnation are new soldiers in the same army. Hugh specifies that it is not another king whom these explicitly Christian soldiers eagerly follow in battle; rather, although they bear different sacramental weapons, they have been armed by the same king to war against the same diabolical enemy11. Hugh summarizes thus: “Therefore, whether preceding or following, carrying the sacraments of the one king, fighting for the one king and conquering the one tyrant, those precede him who was to come, these follow him who had come before”12.

In each of the three periods of history, then, soldiers in the one army of God made use of different sacraments for a single purpose. Furthermore, Hugh suggests the equal salvific efficacy of all sacraments throughout time when he declares: “These [sacraments God] … furnished at different times and places for the cure of humankind: some before the law, others under the law, others under grace; diverse in outward appearance yet having one effect and producing one health”13.

As intimated here, both history and Scripture lay at the heart of Hugh’s understanding of sacraments. In the Victorine’s view, a sacramentum, broadly defined is, to use the words of Dominique Poirel, “a reality, a person, or an event recounted

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L. c., ed. Berndt, 202 (PL 176, col. 312C): “Et quid omnes priores sanctos qui ante incarnationem verbi ab initio fuerunt electi appellaverim, nisi milites quosdam optimos regem venturum in acie praecedentes ipsis quibus tunc sanctificabantur sacramentis quasi quibusdam armis muniti atque praecincti?” All Latin quotations from De Sacr. are taken from the PL edition. L. c., ed. Berndt, 202 (PL 176 col. 312C–D): “Quid item eos qui post incarnationem usque ad finem electi subsequuntur, nisi milites alios, non tamen alium, sed ipsum suum regem praecedentem unanimiter atque alacriter subsequentes, habentes et ipsi novi arma nova, tamen ab eodem armati et contra eumdem pugnaturi? ” L. c., ed. Berndt, 202–203 (PL 176, col. 312D): “Sive igitur praecedentes sive subsequentes, unius regis sacramenta portantes, uni regi militantes, et unum tyrannum superantes; illi venturum praecedentes, isti praecedentem subsequentes”. Op. cit. I, 8, 12, ed. Berndt, 204 (PL 176, col. 313D): “Quae quidem (prout ratio postulabat et causa) diversis temporibus et locis ad curationem illius exhibuit; alia ante legem, alia sub lege, alia sub gratia: diversa quidem in specie unum tamen effectum habentia et unam sanitatem perficientia”.

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in the Scriptures that is the object of a spiritual interpretation”14. Whereas anything revealed in the sacred text that is read spiritually or allegorically qualifies as a sacrament, according to Hugh, it must be understood in light of the Incarnation of Christ, the chief sacrament from which all others – both those preceding and those following the Incarnation – receive their efficacy or power. In considering the relationship between Sacred Scripture and the observance of the written law according to Hugh, we should not divorce this general understanding of sacraments from his strict definition of a sacramentum, which would come to exert considerable influence on subsequent scholastic thought. Hugh defines a sacrament strictly as “a corporeal or material element set before the senses externally representing by similitude, signifying by institution, and containing by sanctification some invisible and spiritual grace”15. Hugh nowhere explicitly states that this strict definition applies to pre-Christian sacraments; we might well assume that it does not, and that therefore these sacraments prior to the Incarnation neither contain nor confer grace – they are, after all, confined to the two periods before ‘the time of grace’. And yet, unlike many theologians after him, Hugh understands the sacraments of the natural law and written law not only to have signified the salvation that was to come, but also to have actually effected human restoration in their respective times16. We must point out, however, that the restorative power of these sacraments of the natural law and the written law derives, for Hugh, from the Incarnate Word and His saving work. As he explains in ‘De sacramentis’, this is precisely the meaning of Christ, as king, marching in the midst of his trans-historical army: “You should understand, therefore, that at any time from the beginning of the world until its end, no one was or is truly good unless justified by grace, and that it was never possible to obtain grace except through Christ. Thus, you should recognize that all, whether preceding or following, were saved by the one remedy of sanctification. Therefore, look at the camp of our king and the battle lines of his army resplendent in spiritual arms; see what a great multitude of people, both preceding and following, surrounds Him as He advances”17.

The “truly good” people referenced here are those whom Hugh generally identifies with the time of grace and calls the “people of grace” (homines gratiae),

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D. Poirel, Hugues de Saint-Victor, Paris 1998, 101. What follows depends on Harkins, Reading and the Work of Restoration, 220 sqq. De sacr. I, 9, 2, ed. Berndt, 209–210 (PL 176, col. 317D): “Sacramentum est corporale vel materiale elementum foris sensibiliter propositum ex similitudine repraesentans, et ex institutione significans, et ex sanctificatione continens aliquam invisibilem et spiritualem gratiam”. De sacr. I, 8, 12, ed. Berndt 204–205 (PL 176, col. 313C–314A). De sacr. I, 8, 11, ed. Berndt, 204 (PL 176, col. 313B–C): “Scias ergo quocunque tempore ab initio mundi usque ad finem, nullum fuisse vel esse vere bonum, nisi justificatum per gratiam, gratiam autem nunquam aliquem adipisci potuisse, nisi per Christum. Ita ut omnes sive praecedentes sive subsequentes uno sanctificationis remedio salvatos agnoscas. Aspice ergo castra regis nostri et acies exercitus eius fulgentes in armis spiritualibus, quanta praecedentium subsequentiumque populorum multitudine stipatus incedat”.

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understood as those who, having been inspired by the Holy Spirit, are illuminated to recognize the good that must be done, inflamed to love it, and strengthened to perform it18. Corresponding roughly to the periods of natural law and written law, respectively, are those whom Hugh identifies simply as “people of the natural law” and “people of the written law”. “People of the natural law” are those who lead their lives solely according to natural reason or the concupiscence in which they were born. And “people of the written law” are those who are formed by external precepts for living rightly. Greater knowledge flourishes in them by virtue of their adherence to scriptural traditions and principles19. Hugh develops a shorthand for these three anthropological groups, calling people of the natural law “openly evil” (aperte mali ), people of the written law “falsely good” (ficte boni), and people of grace “truly good” (vere boni ) 20. Interestingly, when he comes to identifying who exactly, in terms of religious adherence, belongs to each of these groups – the openly evil, the falsely good, and the truly good – Hugh opens the door to positive interreligious relations and provides confirmation that faithful Jews can, in fact, be “truly good” “people of grace”. Because Hugh does affirm that pagans, Jews, and Christians “are included” (continentur) among the people of the natural law, the people of the written law, and the people of grace, respectively, most Victorine scholars simply assume that Hugh straightforwardly and unequivocally teaches that pagans are the “openly evil,” Jews are the “falsely good,” and Christians are the “truly good.” This assumption led Rebecca Moore, for example, in her 1998 monograph ‘Jews and Christians in the Life and Thought of Hugh of St. Victor’ to assert: “With the advent of Christianity in the Incarnation, Jews became second class citizens in the economy of salvation. Their ontological status as people who were ‘apparently good’ (ficte boni) rather than ‘truly good’ (vere boni) ratified the Jews’ permanent second class status. In addition, although Hugh considered Jews part of the people of God, they were not full-fledged members”21.

This interpretation derives from what I take to be a facile collapsing of anthropological categories that finds no warrant in the text of ‘De sacramentis’ or in Hugh’s thought more generally. As our foregoing presentation of Hugh’s trans-historical, interreligious army indicates, there is no suggestion here that faithful Jews who preceded Christ were not full-fledged members. Rather, they were, as Moore herself observes, “part of the people of God”. It must be noted, though, that in her assessment Moore seems principally to have in mind Jews who lived or live after the time of Jesus and who did not or do not convert to Christianity. But Hugh himself undermines her association of the “falsely good” with post18 19 20 21

L. c., ed. Berndt, 203 (PL 176, col. 313A). L. c. L. c. See also Hugo de Sancto Victore, Libellus de formatione arche (De arca Noe mystica), 3, ed. P. Sicard (CCCM 176), Turnhout 2001, 137. R. Moore, Jews and Christians in the Life and Thought of Hugh of St. Victor, Atlanta 1998, 136. See Harkins, Reading and the Work of Restoration, 248–249.

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Incarnational Jews when he affirms that both the openly evil and the falsely good “always persecute the truly good,” the people of God 22. Even if, like Moore, we wish to identify the “falsely good” with Jews and the “truly good” with Christians, Hugh refuses to be pinned down on this, maintaining instead, “It is clear that there were Christians from the beginning – if not in name, nevertheless in reality” 23. Moore’s claim that Jews became second-class citizens “with the advent of Christianity in the Incarnation” can only be argued, then, if one assumes that Christianity, authentic goodness, and restorative sacraments began only with the Incarnation. This may be an assumption of Moore herself and even of certain High Medieval thinkers, but it is hardly one shared by Hugh. II. Godfrey of St. Victor and Rober t of Melun The influence of Hugh’s exegetical theory and its implications for Jewish-Christian relations on Richard and Andrew of St. Victor is well-known, and perhaps best exemplified in their disagreement over the correct interpretation of Isaiah 7:14, “A virgin shall conceive”24. What scholars have devoted far less attention to is how Hugh’s teaching shaped the views of other Victorines such as Godfrey and Robert of Melun. In this section I would like to briefly consider Godfrey of St. Victor’s ‘Fountain of Philosophy’ and the opening chapters of Robert of Melun’s ‘Sentences’ in light of Hugh’s understanding of sacred reading, transhistorical sacraments, and the Jewish-Christian relationship. Although Robert of Melun penned his ‘Sententiae’ in the 1150s, about two decades prior to Godfrey’s ‘Fons philosophiae’, I will begin with the latter work because its imagining of Jewish-Christian relations appears to align more directly with the vision of Hugh. After considering Godfrey, we will move back to the 1150s to consider, in the ‘Sentences’ of both Robert of Melun and Peter Lombard, the scholastic beginnings of a more interreligiously challenging view of the sacramental dispensation throughout time than we see in either Hugh or Godfrey. Very little is known for certain about the life and career of Godfrey of St. Victor (c. 1125–1195) 25. The broad outlines of what we do know have been gleaned and confirmed largely from his own ‘Fountain of Philosophy’. From 1144–55,

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De sacr. I, 8, 11, ed. Berndt, 203 (PL 176, col. 313A): “Ficte boni, sunt tecti; aperte mali, sunt detecti; qui per Gog et Magog significati sunt; quod interpretatur tectus et detectus. Et in persecutionem populi Dei venturi praedicantur, quia haec duo genera hominum semper vere bonos persequuntur”. De sacr. I, 8, 11, ed. Berndt, 203 (PL 176, col. 312D): “patet quod ab initio et si non nomine, re tamen Christiani fuerunt ”. See Harkins/Van Liere, Interpretation of Scripture (nt. 3), 44 for a summary of their disagreement. The following summary of Godfrey’s life depends on Hugh Feiss’s introduction to Godfrey’s ‘Microcosm’ in H. Feiss OSB (ed.), On Love: A Selection of Works of Hugh, Adam, Achard, Richard, and Godfrey of St Victor (Victorine Texts in Translation 2), Turnhout 2011, 303–304.

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Godfrey studied the arts at the Parisian school on the Petit Pont, after which he studied and taught theology. He may have also studied law in Bologna before arriving at St. Victor sometime between 1155 and 1160. Around 1180 Godfrey left the abbey (for unknown reaons), but returned c. 1185, serving as St. Victor’s armarius and archivist, probably until his death about a decade later. The ‘Fountain of Philosophy’ represents a refashioning of Hugh’s ‘Didascalicon’ and Richard’s ‘Liber exceptionum’ in the form of an autobiographical poem recounting Godfrey’s own journey toward Wisdom. Guided by the Holy Spirit, Godfrey first encounters the streams of the philosophical arts, waters from which “many drink eagerly” if Aristotle, Plato, and the other “ancient men of lasting memory” who preside over these streams and “mix drinks of wondrous power” deem them worthy to imbibe26. After drinking of the secular disciplines, Godfrey advances to the river of “the highest philosophy, that is, to theological wisdom”, which he describes as “the goal of my drinking and living”27. This stream, Godfrey observes, flows in four distinct ways: according to history, according to allegory, according to morality, and – adding to Hugh’s threefold scheme – according to anagogy 28. As the poem continues, Godfrey provides a vivid description of the two peoples who have historically inhabited the banks of the river of theological wisdom, “the people of the old [rite]” on one side and “the younger people” on the other 29. The river of theological wisdom flows differently toward the bank of the older people and their rituals than it does toward the bank of the younger people and theirs: “Since, as we said, the river is fourfold, history (istoria) shapes the old rite to a greater extent and for that reason it turns more to the other bank; the threefold mode [of spiritual signification and interpretation] is closer to us”30.

It is the literal interpretation of Scripture that forms and informs the sacraments or ritual observances of faithful Jews, whereas spiritual reading plays this crucial role in the sacraments of their Christian counterparts. Although not stated

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Godfrey of St. Victor, Fons philosophiae, ll. 97–244, ed. P. Michaud-Quantin, Louvain–Lille 1956, 38–43; translated in Harkins/Van Liere, Interpretation of Scripture (nt. 3), 393–397. Godfrey’s account of his journey through the philosophical arts continues to l. 464. Unless otherwise noted, all translations of the ‘Fons’ will be those of H. Feiss in Harkins/Van Liere, Interpretation of Scripture, 389–425, here 393–397, and will be cited according to page number as follows: tr. Feiss, 393. Op. cit., ll. 465–466 and 471, ed. Michaud-Quantin, 51; tr. Feiss, 404. Op. cit., ll. 477–484, ed. Michaud-Quantin, 51; tr. Feiss, 405. Op. cit., ll. 537–664, ed. Michaud-Quantin, 53–58; tr. Feiss, 406–410. Lines 537–540 read: “Ripas huius fluminis equa sors digessit: / In hanc enim ueterum populus secessit, / Pars aduersa populo iuniori cessit, / Mediusque fluminis cursus intercessit ”. Op. cit., ll. 541–544, ed. Michaud-Quantin, 53; tr. Feiss, 406–407: “Qui cum, sicut diximus, sit quadripartitus, / Veteris istoria plus informat ritus / Et ob hoc ad alterum magis uertit litus; / Nobis est uicinior modus tripartitus”. See also H. de Lubac, Medieval Exgesis, vol. 1: The Four Senses of Scripture, tr. M. Sebanc, Foreword by R. L. Wilkins, Grand Rapids 1998, 2–3 (with n. 16 on p. 272).

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explicitly, Godfrey likely has in mind here Hugh’s appropriation of Gregory’s building metaphor, in which the principles of the sacraments of faith throughout history form a second foundation on which the edifice of Christian allegorical interpretation is built. This second foundation and the spiritual edifice to which it gives rise, though, are determined and stabilized by the sacred text, its literal interpretation, and the sacraments of the written law that are intimately related to it. It may well be that the exegetical and sacramental unity that is conspicuous visually in this building analogy leads Godfrey, like Hugh before him, to affirm the unity of faithful Jews and Christians throughout time: “On this bank and that, yet only one city, one tongue, one and the same people. They fight for the one king by means of the same faith, but they have long been divided by different observances”31.

It must be noted, as is clear in this and the previous quotation, that the designations “Jews” and “Christians” are not Godfrey’s, but rather my own. Godfrey uses such phrases as “the people of the old [rite]” (ueterum populus) and “the younger people” (populus iunior), which align more easily with Hugh’s image of a single army with faithful soldiers marching both before and after their king. In Godfrey’s image, instead of being lined up before and after Christ, temporally on each side of the Incarnation, the older and younger soldiers are situated on opposite banks of the river of theological wisdom. The two parts of the army draw and drink from these waters differently, according to how the river itself flows toward them. But the image is striking and potentially quite fruitful for Jewish-Christian relations precisely in that the two groups share a common scriptural – or, more properly, proto-scriptural – source of wisdom32. Godfrey makes explicit that the very purpose of the ancient ceremonial rites in which the older people engaged was “so that, taught by these external practices, they would discern the recesses of the hidden mystery” of both these rituals and the sacred writings that literally enjoin them33. But, he goes on to say, this part of the army, “densely populated 31

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Op. cit., ll. 545–548, ed. Michaud-Quantin, 54; tr. Feiss, 407: “Hinc et inde ciuitas una sola quidem, / Una lingua, populus unus est et idem, / Uni regi militant per eamdem fidem, / Sed diuersis ritibus dissident iampridem”. Godfrey would have likely agreed with the modern Jewish authors of “Dabru Emet: A Jewish Statement on Christians and Christianity” when they affirmed that Jews and Christians seek authority from the same book: “Turning to the Bible for religious orientation, spiritual enrichment, and communal education, we each take away similar lessons: God created and sustains the universe; God established a covenant with the people Israel; God’s revealed word guides Israel to a life of righteousness; and God will ultimately redeem Israel and the whole world. Yet, Jews and Christians interpret the Bible differently on many points” (“A Jewish Statement on Christians and Christianity,” in: T. Frymer-Kensky/D. Novak/P. Ochs/D. Fox Sandmel/M. Signer (eds.), Christianity in Jewish Terms, Boulder–Oxford 2000, xvi). Godfrey, Fons philosophiae, ll. 549–564, here 563–564, ed. Michaud-Quantin, 54; tr. Feiss, 407. Lines 561–564 read: “Sed quid plus? Et alii ritus adhuc multi / Huius partis populo quondam sunt indulti, / Ut exterioribus usibus exculti / Discerent misterii latebras occulti ”.

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and supported by the power of great men – the patriarch, the judge, the king and the prophet are here – does not seem joyful, for the Lord is absent” 34. On the face of it, then, Godfrey’s assessment of the ancient Jewish people appears more negative than does Hugh’s: because they do not discern the “hidden mystery,” they lack both joy and the Christ. And yet, “they fight for the one king by means of the same faith,” as we have seen. In considering how Godfrey likely understood this single faith shared by both the older and younger parts of the army, let us look to Hugh’s view of the necessary content of faith throughout time. In ‘De sacramentis’ I.10.5, Hugh affirms: “These, then, are the things that are said to pertain to faith, by believing which a person is called faithful. … These are the two things that as propositions of faith must be believed, creator and savior, and the things that pertain to creator and those that pertain to savior similarly”35.

Although Hugh recognized that the cognition of this twofold faith increased with the passage of time, with those living in the time of grace knowing more about who precisely this divine savior is than those living under natural or written law, the basic content of faith has remained constant throughout history: God as both Creator and Savior was and is and will be believed by all the faithful everywhere. Hugh and Godfrey of St. Victor agree that faith in this fundamental content binds Jews and Christians together. When we turn to Robert of Melun and his ‘Sentences’, we see a different strand of Christian thinking about Scripture and legal observance. It is a strand that would become the norm, the received tradition among subsequent Scholastic theologians in large part because of its presence in the ‘Sentences’ of Peter Lombard. Robert of Melun enjoyed a long and distinguished career in the Parisian schools of the twelfth century, studying and teaching dialectic and theology there for about forty years, from c. 1120 until c. 1160. He represents, then, an important transition in Parisian theology between second-generation scholars such as Peter Abelard and Hugh of St. Victor, on the one hand, and later masters like Peter Lombard and Peter Comestor, on the other. Although many of the particulars of Robert’s life and career remain unknown and modern scholars differ in their reconstructions of the details, it seems fairly certain that Robert studied under both Peter Abelard and Hugh of St. Victor 36. 34

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Op. cit., ll. 565–568, ed. Michaud-Quantin, 54; tr. Feiss, 407: “Sed hec quidem portio ciuibus repleta / Multis, et potentia magnatorum freta, / Patriarcha, iudex, rex hic est et propheta, / Sed absente Domino non uidetur leta”. De sacr. I, 10, 5, ed. Berndt, 230–231 (PL 176, 334A–B): “Haec sunt ergo quae ad fidem pertinere dicuntur quae credendo homo fidelis nominatur. … Haec ergo sunt duo quae fidei proposita sunt credenda, creator et salvator, et quae pertinent ad creatorem et quae pertinent ad salvatorem similiter”. See also Harkins, Reading and the Work of Restoration, 240–244. For recent considerations of Robert’s life and career, see C. Mews, Between the schools of Abelard and Saint-Victor in the mid twelfth century: the witness of Robert of Melun, in: D. Poirel (ed.), L’École de Saint-Victor de Paris: Influence et rayonnement du moyen âge à l’époque

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That Robert learned well Hugh’s exegetical theory is conspicuously attested in Part 1 of Book I of his ‘Sentences’. Reminiscent of Hugh’s injunction to his student not to “look down on what seem to be the least important things” in the scriptural text, Robert emphasizes in his opening chapter that the scriptural reader “must begin from the smallest things in order to arrive at the greater” 37. Robert is especially concerned that one should not despise or reject Old Testament figures as one venerates the New Testament truths to which they point 38. The question arises, then, whether the Law is to be observed along with the Gospel and in light of it 39. Robert spills much ink on this crucial question, first in clarifying its meaning and then in answering it. He avers that, when this question is asked, what is meant by ‘the Law’ are the precepts contained in the Old Testament, which precepts he identifies with the scriptural letter. ‘Observing the Law’, then, means literally carrying out the rites commanded in that letter. Here Robert brings to bear the Augustinian teaching that Scripture signifies at two basic levels, by means of signs and things. According to the teaching of a number of Christian doctors, ‘the Law’, which concerns the significance of scriptural words or signs, finds its fulfillment in the significance of particular things signified by those words. For Robert, this Augustinian notion that God signifies His will primarily by things rather than by signs establishes the hermeneutical groundwork for the claim that the letter of the Law offers figures by means of which the reader moves to the spiritual truth of the Gospel. Although knowledge of the Old Testament letter or figure is necessary to arrive at a knowledge of the New Testament truth, Robert teaches that “to return from the truth to the figure is not to go forward but backward” 40. The literal precepts of the Law must be accepted as pointing to and finding fulfillment in the Gospel; but the Law must not be accepted in the sense that “the ceremonial rituals must still be celebrated, which is false in every way,” Robert affirms41.

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moderne. Colloque international du C.N.R.S. pour le neuvième centenaire de la fondation (1108–2008) tenu au Collège des Bernardins à Paris les 24–27 septembre 2008 (Bibliotheca Victorina 22), Turnhout 2010, 121–138; and Dale Coulter’s introduction to Robert’s ‘Sentences’ in Harkins/Van Liere, Interpretation of Scripture (nt. 3), 429–443, from which the above summary is taken. Hugh, Didascalicon, VI, 3, ed. Buttimer, 114; Harkins/Van Liere, Interpretation of Scripture (nt. 3), 164; Robert, Sententie, I, 1, 1, in: R. M. Martin, O. P. (ed.), Œuvres de Robert de Melun, Tome III, vol. 1 (Spicilegium Sacrum Lovaniense 21), Louvain 1947, 159: “A minimis namque inchoandum est ut ad maiora perveniatur ” (translated by Nancy Van Baak in: Harkins/Van Liere, Interpretation of Scripture [nt. 3], 445. All translations of Robert’s ‘Sententie’ are those of Van Baak and will be cited simply according to page number as follows: Van Baak, 445). Robert, Sententie, I, 1, 2, ed. Martin, 160–162; tr. Van Baak, 445–447. Robert, Sententie, I, 1, 3, ed. Martin, 162–167; tr. Van Baak, 447–451. Robert, Sententie, I, 1, 1: “Non est autem procedere sed retrogradari, a veritate ad figuram redire” (ed. Martin, 159; tr. Van Baak, 445); and I, 1, 3 (ed. Martin, 162–167; tr. Van Baak, 447–451). Robert, Sententie, I, 1, 3: “Hac vero posteriori, id est, Lex est tenenda, designatur ritus ceremoniales adhuc celebrandos esse. Quod omnibus modis falsum est ” (ed. Martin, 167; tr. Van Baak, 450–451). For a fulllength consideration of Robert’s understanding of the relationship beteween Law and Gospel,

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For Robert, then, the question of the Christian’s relationship to the Old Testament precepts and rites is fundamentally exegetical. The Christian must certainly attend to “the smallest things” of the letter; but he can never stop there if he hopes to arrive at the truth. And having arrived through allegorical reading, he should never reverse course and return to the letter. To invoke Godfrey’s river metaphor, Robert would hardly encourage his Christian student to leave his own spiritual bank, where Christ Himself is present, to wade back through the exegetical waters to the bank of literal reading and the practice of the old rites, where Christ’s arrival is still being anticipated. In the 1150s, just as Robert was penning his ‘Sentences’, so too Peter Lombard was producing his. Also drawing on the Augustinian distinction between signa and res, Peter opens Book IV, on the doctrine of signs, by defining a sacramentum proper as “a sign of God’s grace and a form of invisible grace in such manner that it bears its image and is its cause”42. The seven sacraments of the New Law were instituted, he proceeds to explain, not simply for the sake of signifying sanctifying grace, but also to sanctify by causing this grace43. By contrast, the rites of the Old Law were instituted merely as signs, not sanctifying sacraments. Peter maintains: “The carnal sacrifices and the ceremonial observances of the Old Law … could never justify those who offered them”44. In support of this claim, the Lombard collects the sentences of a number of ancient authorities, including Augustine, Ambrose, and St. Paul, who claims in Gal. 3:19 that the Law was added to the promise given to Abraham “for the sake of transgressions” only until that promise would find its fulfillment in Jesus Christ 45. The Lombard’s reasoning here aligns generally with that of Robert of Melun, who, in a question on this scriptural passage, maintains that the propter in the Apostle’s propter transgressiones should be read as indicating causation, not consequence, i.e., that the Law aimed at actually causing sin. Robert explains:

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see U. Horst, Gesetz und Evangelium. Das Alte Testament in der Theologie des Robert von Melun (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der Mittelalterlichen Theologie und Philosophie, N. F. 13), Paderborn 1971. Peter Lombard, Sententiae in IV Libris Distinctae, IV, 1, 4, 2–3, ed. I. Brady, Tome II (Spicilegium Bonaventurianum 5), Grottaferrata 1981, 233: “Quid proprie dicitur sacramentum. Sacramentum enim proprie dicitur, quod ita signum est gratiae Dei et invisibilis gratiae forma, ut ipsius imaginem gerat et causa exsistat. Non igitur significandi tantum gratia sacramenta instituta sunt, sed et sanctificandi. Quod legalia melius signa quam sacramenta dicuntur. Quae enim significandi gratia tantum instituta sunt, solum signa sunt, et non sacramenta: sicut fuerunt sacrificia carnalia et observantiae caerimoniales veteris Legis, quae nunquam poterant iustos facere offerentes”. Unless otherwise noted, all translations of the ‘Sentences’ Book IV will be taken from Peter Lombard, The Sentences, Book 4: On the Doctrine of Signs, tr. Giulio Silano, Toronto 2010, and cited according to page number as follows: tr. Silano, 4. Peter Lombard, Sententiae, IV, 1, 4, 2, ed. Brady, 233; tr. Silano, 4. Peter Lombard, Sententiae, IV, 1, 4, 3, ed. Brady, 233; tr. Silano, 4: “… sicut fuerunt sacrificia carnalia et observantiae caerimoniales veteris Legis, quae nunquam poterant iustos facere offerentes”. Peter Lombard, Sententiae, IV, 1, 4, 3, ed. Brady, 233–234; tr. Silano, 4–5.

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“The Law, therefore, was given so that human beings would realize that they could be justified neither by that very Law nor by natural reason. Thus, recognizing their own infirmity through the Law, they would then flee to the grace that is in Christ Jesus”46.

Although Robert’s scriptural hermeneutic is firmly rooted in Hugh’s emphasis on the letter as foundational, passages like Gal. 3:19 lead him to an understanding of the Law and the purpose of its ritual observance that lands in a far different theological and interreligious place than that of Hugh’s army bearing saving sacraments throughout history. For both Robert and Peter Lombard, ritual observance of the Law simply fails to confer the grace necessary for salvation. It was their view, rather than that of Hugh of St. Victor, that became the received tradition among subsequent theologians such as Thomas Aquinas. III. T homas Aquinas: Scripture, Aristotle, and the Old Law When aspiring theologians of the thirteenth century commented on Book IV of Peter Lombard’s ‘Sentences’, the Master’s opening distinction compelled them to treat the question of the salvific efficacy of the sacraments of the Old Law, particularly in light of the teaching of Hugh of St. Victor. In the opening question of his ‘Scriptum’ on Book IV distinction 1, Thomas Aquinas asks, among other things, whether “the sacraments of the Old Law conferred grace”. Thomas sets forth several authorities suggesting that the sacraments of the Old Law did, in fact, confer grace. The most important of these for our purposes is the teaching of Hugh that God provided a remedy or medicine in His sacraments for humans from the time they began to be sick. “But medicine against the sickness of sin cannot be furnished except by grace. Therefore, the sacraments of the ancients conferred grace”47. Against Hugh’s view, Thomas offers Hebrews 10:4 in the sed

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Robert of Melun, Questiones [Theologice] de Epistolis Pauli, in Gal. 3:19, in: R. M. Martin, O. P. (ed.), Œuvres de Robert de Melun, Tome II (Spicilegium Sacrum Lovaniense 18), Louvain 1938, 248: “Idcirco enim Lex data est ut homo cognosceret se ex ipsa Lege sicut nec ex naturali ratione non posse iustificari, ut sic cognita infirmitate sua per Legem, ad gratiam que est in Christo Iesu confugeret ”. The English translation above is my own. For a complete English translation of Robert’s Questions on Galatians, see I. C. Levy (tr. and ed.), The Bible in Medieval Tradition: The Letter to the Galatians, Grand Rapids–Cambridge, UK 2011, 207–213. Thomas Aquinas, Scriptum super Sententiis Magistri Petri Lombardi, IV, d. 1, q. 1, a. 5, obj. 3, ed. M. F. Moos, O. P., Tome IV, Paris 1947, 39, § 173: “Hugo de Sancto Victore dicit (lib. I de Sacram., p. 8, c. 12; PL 176, 314) quod ex quo homo aegrotare coepit, Deus in sacramentis suis medicinam paravit. Sed medicina non potest exhiberi contra morbum peccati nisi per gratiam. Ergo sacramenta antiquorum gratiam conferebant”. All translations from the ‘Scriptum’ and the ‘Summa theologiae’ are my own. On Aquinas’s doctrine of the sacraments (and their relation with the Old and the New Law), see further K. Hedwig, ‘Efficiunt quod figurant’. Die Sakramente im Kontext von Natur, Zeichen und Heil (S.th. III, qq. 60–65 und q. 75), in: A. Speer (ed.), Thomas von Aquinas: Die Summa theologiae. Werkinterpretationen, Berlin 2005, 401–425; and D. Holtz, Sacraments, in: B. Davies/E. Stump (eds.), The Oxford Handbook of Aquinas, Oxford 2012, 448–457.

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contra: “It is impossible that sins are taken away by the blood of oxen and bulls”. Because grace takes away sin, the ancient sacraments must not have conferred grace48. In his response to the question, Thomas again explicitly invokes Hugh, this time as a representative of the view of “some” that the “sacrament itself ” (ipsum sacramentum) of the sacraments of the Old Law was “a sign of the sacraments of the New Law and of the passion of Christ from which they have their efficacy”. Therefore, according to this position, these earlier sacraments had the power to justify indirectly and retroactively, whereas “our sacraments justify directly and immediately because they were properly instituted for this purpose”49. Having set forth this Hugonian view, Thomas replies: “But this opinion does not seem to agree with the words of the saints. For they say that the Law was an occasion for death insofar as it pointed out sin but did not confer helping grace”50. Although Thomas offers no explicit scriptural evidence here in the ‘Scriptum’ on distinction 1 of Book IV, he does in article 2 of question 103 of the First Part of the Second Part of the ‘Summa theologiae’, where he considers “whether the ceremonies of the Old Law had the power to justify in the time of the Law”. Against the position that they did confer justice, Thomas quotes Gal. 2:21: “If there had been a law given which could justify, Christ died in vain”51. In the corpus, Thomas makes use of Heb. 10:4 and Gal. 4:9, where he understands St. Paul to call the ceremonies of the Old Law “weak and needy elements”. Because they are “needy,” i.e., do not contain grace, they are also “weak,” i.e., they cannot take away sin. Thomas explains in greater detail: “At no time could there be expiation from sin except through Christ, who takes away the sins of the world, as is said in John 1[:29]. And because the mystery of the Incarnation and Passion of Christ had not yet actually taken place, those ceremonies of the Old Law could not actually contain in themselves the power flowing from Christ having become incarnate and having suffered, such as the sacraments of the New Law contain. And therefore they were not able to cleanse from sin”52.

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Thomas Aquinas, Scriptum, IV, d. 1, q. 1, a. 5, sed contra, ed. Moos, 39, § 173. Thomas Aquinas, Scriptum, IV, d. 1, q. 1, a. 5, resp., ed. Moos, 41, § 182: “Quidam enim dicunt quod in illis sacramentis opus operatum erat signum sacramentorum novae legis et passionis Christi a quo efficaciam habent. Et ideo illud opus operatum erat cum quadam protestatione fidei. Et ideo indirecte et ex consequenti habebant justificare, quasi mediantibus nostris sacramentis per ea significatis a Deo significationem habentia ut dicit Hugo de Sancto Victore (lib. I de Sacram., p. 9, c. 1 et 2; PL 176, 343). Nostra autem sacramenta directe et immediate justificant, quia ad hoc directe sunt instituta”. Thomas Aquinas, Scriptum, IV, d. 1, q. 1, a. 5, resp., ed. Moos, 41, § 183: “Sed haec opinio non videtur convenire dictis sanctorum. Dicunt enim quod lex erat occasio mortis, inquantum ostendebat peccatum et gratiam adjutricem non conferebat ”. Thomas Aquinas, Summa theologiae [hereafter ST], I–II, 103, 2, sed contra, ed. P. Caramello, Turin–Rome 1952, 494–495; see also the translation of the Fathers of the English Dominican Province, vol. 2, 1083. Thomas Aquinas, ST, I–II, 103, 2, resp., ed. Caramello, vol. 1, 495; cf. trans. English Dominicans, vol. 2, 1083: “… expiatio a peccatis nunquam fieri potest nisi per Christum, qui tollit peccata mundi, ut dicitur

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Aquinas makes the same point in question 62 articles 5 and 6 of the Tertia Pars. In article 5, he invokes Aristotelian causality to explain how “the sacraments of the New Law have their power from the passion of Christ”. Whereas the principal efficient cause of grace is God Himself, both the humanity of Christ and the sacraments of the Christian religion are instrumental causes of grace. Christ’s humanity is, relative to God, a conjoined instrument, as a hand is an instrument conjoined to the body. Sacraments are separate or extrinsic instruments of grace, as a stick or a hammer is separate from the human body or hand whose instrument it is. For Thomas, then, the saving power of properly Christian sacraments (as separate instruments) derives from the divinity of Christ through His humanity (as a conjoined instrument)53. It is through this lens of instrumental causality that, in the following article, Thomas reads Gal. 4:9 and Gal. 2:21, leading him to the conclusion that before the advent of Christ “the sacraments of the Old Law did not cause grace”. Insofar as the saving power of Christ’s Passion is joined to humans “through the use of exterior things” or separated instruments (viz., visible sacraments), the efficient cause must temporally precede these separated instruments through which this cause has its effects54. To use the hammer analogy, without the prior action of a strong hand or arm a hammer has no power to drive nails. Apart from the human hand and the will to which it is conjoined, the hammer merely points to the nails and their need to be driven. So too, for Thomas, without the prior action of Christ’s Incarnation and Passion, the sacraments of the Old Law merely point to the justifying grace that would be effected by Christ’s humanity. He explains: “The sacraments of the Old Law were certain protestations of that faith [in the Incarnate Christ] insofar as they signified the Passion of Christ and its effects. It is therefore clear that the sacraments of the Old Law did not have in themselves any power by which they worked to confer justifying grace”55.

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Ioan. 1 [29]. Et quia mysterium incarnationis et passionis Christi nondum erat realiter peractum, illae veteris legis caeremoniae non poterant in se continere realiter virtutem profluentem a Christo incarnato et passo, sicut continent sacramenta novae legis. Et ideo non poterant a peccato mundare”. Thomas Aquinas, ST, III, 62, 5, resp., ed. P. Caramello, vol. 3, 352; tr. English Dominicans, vol. 4, 2353. On this text, see further J.-P. Torrell, Saint Thomas d’Aquin, maître spirituel. Deuxième édition, Fribourg 2002, 171; and E. Luijten, Sacramental Forgiveness as a Gift of God: Thomas Aquinas on the Sacrament of Penance, Nijmegen 2003, 173–176. For the two kinds of instruments, cf. Aquinas, Sentencia libri de anima, II, 9, ed. Leon. 45.1, Roma–Paris 1984, 106, 248–269. Thomas Aquinas, ST, I–II, 62, 6, resp., ed. P. Caramello, vol. 3, 353; tr. English Dominicans, vol. 4, 2354. Thomas Aquinas, ST, III, 62, 6, resp.: “Sacramenta autem veteris legis erant quaedam illius fidei protestationes, inquantum significabant passionem Christi et effectus eius. Sic ergo patet quod sacramenta veteris legis non habebant in se aliquam virtutem qua operarentur ad conferendam gratiam iustificantem: sed solum significabant fidem, per quam iustificabantur”. Thomas does point out here that the ancient Fathers were justified by “faith in Christ’s passion”. Faith is the other way, besides the sacraments, in which the power of Christ’s Passion is united to us. Because faith in the Passion of Christ can exist in the soul prior to the Incarnation and Passion itself, the ancient Fathers could be justified by faith in the Passion temporally prior to the Passion itself (see ST, III, 62, 6, resp.).

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IV. Conclusion Our foregoing survey, however cursory and incomplete, suggests the wide interpretive potential of Hugh of St. Victor’s understanding of how the text of Sacred Scripture signifies and therefore should be read. This wide and rich potential is rooted in what Hugh understands as the intimate and necessary connection between history and allegory. History is the firm foundation on which the edifice of allegory is erected; history is the honeycomb from which the allegorical honey is extracted56. “You have in history the means by which to marvel at the works of God,” Hugh explains, “in allegory the means by which to believe in His mysteries”57. According to the Victorine master, all who have believed and participated in the mysteries or sacraments of Christ from the beginning of the world to the present, including the rites of the Old Law, have been sanctified by them. Hugh’s image of the single army of Christ, marching both before and after their leader and bearing sacraments suitable to their time, was undoubtedly determinative for Godfrey’s understanding of a faithful people inhabiting the two banks of the river of theological wisdom, united in faith but distinct in ritual observance. Of the one bank, he declares: “On this bank you will see ancient ceremonial rites: the Feasts of Tabernacles and New Moons. You will pass by a temple wherein sacrificial animals are meeting their deaths, with the bases of altars stained with blood”58.

The priest who kills cattle with axe and knife also “cuts off the foreskin of a tender newborn,” Godfrey explains.59 Although his tone is negative here, particularly in light of his subsequent description of the new rites on the opposite bank, Godfrey – like Hugh – not only assumes that the rites of the Old Law were salvifically efficacious before the advent of Christ but also emphasizes the one faith (shared by those both before and after Christ) which underlies all sacramental participation. In answering the question whether the Law is to be observed in light of the Gospel, Robert of Melun’s emphasis is quite different. For Robert, the figure set forth in the letter of the Law is intended to point the scriptural reader to the truth of the Gospel. Therefore, the believer after Christ’s advent should not stop at or regress to the observance of the Old Law. In short, he or she must not return from proper allegorical reading to the foundational letter, from sanctifying sacra56 57 58

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See Didascalicon, VI, 3 and 4, ed. Buttimer, 113–122; Harkins/Van Liere, Interpretation of Scripture (nt. 3), 164–172. Hugh, Didascalicon, VI, 3, ed. Buttimer, 116; Harkins/Van Liere, Interpretation of Scripture (nt. 3), 167. Godfrey of St. Victor, Fons philosophiae, ll. 549–552, ed. Michaud-Quantin, 54; tr. Feiss, 407: “Hinc videres veteres ceremoniarum / Ritus: Scenophegie, neomeniarum, / Templum occumbentium cedes hostiarum, / Sanguine crepidines sordidas ararum”. Op. cit., ll. 557–560, ed. Michaud-Quantin, 54; tr. Feiss, 407.

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ments to merely signifying ones. Following both Robert of Melun and Peter Lombard, Thomas Aquinas maintained, over against Hugh of St. Victor, that the sacraments of the Old Law could not have conferred justifying grace (as separate instrumental causes) by virtue of the fact that they temporally preceded the conjoined instrumental cause of that very grace, namely, the human nature of Christ and His Passion. In spite of the fact that Aquinas develops Robert’s general line of thinking in explicit contradistinction to Hugh, the understandings of the Old Law and its sacramental observance propounded by Godfrey and Robert are equally indebted, though in different ways, to the scriptural hermeneutic of Master Hugh. Whereas Godfrey’s approach takes up Hugh’s emphasis on divergent sacramental observance throughout history as manifesting a common faith held throughout time, Robert’s focus is squarely on the changing nature of sacraments and the saving power flowing from them in their respective times. What is clear, though, is that one of the basic assumptions of both Godfrey and Robert on the question of the Old Law – an assumption underlying the very notion of sacraments – is Hugh’s teaching in ‘Didascalicon’ VI.4 that we should “follow the letter in such a way that we do not believe that the entire expression of the truth is articulated in it”.

Der Traktat ‚De legibus et praeceptis‘ der ‚Summa Halensis‘ und sein kulturgeschichtlicher Kontext M B (Dortmund) Der Traktat ‚De legibus et praeceptis‘ der ‚Summa Halensis‘ ist die bedeutendste Abhandlung zur Gesetzesthematik im Übergang von der Früh- zur Hochscholastik. Dabei verdienen der konzeptionelle Aufriß dieses Traktates und seine inhaltlichen Darlegungen nicht nur philosophie- und theologiegeschichtlich Beachtung, sondern die vielfältigen Bezüge zur Lebens- und Alltagswelt dieser Zeit sind auch sozial- und kulturgeschichtlich interessant. Dem soll im Folgenden in zwei Abschnitten nachgegangen werden: In einem ersten Teil werden zunächst der Aufbau und die Grundaussagen des Traktates rekonstruiert, um dann in einem zweiten Teil auf die Verknüpfungen mit dem sozial- und kulturgeschichtlichen Kontext einzugehen1. I. Aufbau und Gr undaussag en des Traktates In der Begründung und Entfaltung der unterschiedlichen Ausprägungen des Gesetzes – als ewiges Gesetz, Naturgesetz, mosaisches Gesetz und evangelisches Gesetz – weist der Traktat eine innere Geschlossenheit auf, die durch die Verknüpfung von Metaphysik und Heilsgeschichte eine spezifisch theologische und philosophische Prägung erhält. Dabei werden die zeitgenössischen Diskurse zur Gesetzesthematik – vor allem die entsprechenden Ausführungen in der ‚Summa

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Die Frage nach dem Verfasser des Traktates, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem im Zusammenhang mit der kritischen Edition des vierten Bandes der ‚Summa Halensis‘ diskutiert worden ist, kann hier in aller Kürze so beantwortet werden, daß Johannes von Rupella († 1245), der Mitarbeiter des Alexander von Hales (um 1185–1245), für die Textvorlage gesorgt hat (cf. M. Grabmann, Das Naturrecht der Scholastik von Gratian bis Thomas von Aquin, in: Zeitschrift für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 16 [1922/23], 13–53 [abgedr. in: id., Mittelalterliches Geistesleben, vol. 1, München 1926, 65–103, hier: 75sq.]; F. M. Henquinet, Ist der Traktat De legibus et praeceptis in der Summa Alexanders von Hales von Johannes von Rupella?, in: Franziskanische Studien 26 [1939], 1–22, 234–258; W. H. Steinmüller, Die Naturrechtslehre des Johannes von Rupella und des Alexander von Hales in der „Summa fratris Alexandri“ III, 2 q. 26–29, q. 39 [n. 224–286, 395–399] und in der neuaufgefundenen Sentenzenglosse des Alexander von Hales, in: Franziskanische Studien 41 [1959], 310–422, hier: 312sq.).

Der Traktat ,De legibus et praeceptis‘ der ,Summa Halensis‘

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aurea‘ Wilhelms von Auxerre († 1231)2, in der ‚Summa de bono‘ Philipps des Kanzlers († 1236)3 und in dem Traktat ‚De fide et legibus‘ Wilhelms von Auvergne (um 1180–1249)4 – produktiv aufgenommen und in eine Gesamtkonzeption integriert, die sich in erster Linie Augustin (354–430) verpflichtet sieht. Mit einer grundsätzlichen wissenschaftstheoretischen Unterscheidung zwischen der fides und den mores wird im Prolog zum Gesetzestraktat dessen Stellung in der Systematik der theologischen Disziplinen erläutert. Danach bildet er den ersten Teil einer Moraltheologie und befaßt sich im Blick auf bestehende Gesetze und Vorschriften mit dem Aufweis des Guten, das getan werden muß, und des Bösen, das zu vermeiden ist 5. Das Verhältnis zwischen den verschiedenen Ausprägungen des Gesetzes und den Tugenden, die im Anschluß betrachtet werden, wird mit der Unterscheidung zwischen Ursachen- und Zielrelation so bestimmt, daß das Gesetz auf Gott als principium bezogen ist, während die Tugenden auf Gott als Ziel hinlenken6. Im Unterschied zur ‚Summa theologiae‘ des Thomas von Aquin7 (1224/ 25–1274) verzichtet die ‚Summa Halensis‘ auf eine einleitende Erörterung des Gesetzesbegriffs im Allgemeinen und beginnt stattdessen direkt mit der theologischen Analyse des ewigen Gesetzes. Dessen Wesen und Intention werden im Anschluß an die Tradition bestimmt, um so den Ausgangs- und Bezugspunkt der gesamten Gesetzeslehre zu gewinnen8. Die lex aeterna wird damit zu einem meta-

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Cf. Wilhelm von Auxerre, Summa aurea, III, 18, 44–48, 50–51 und 55, ed. J. Ribaillier (Spicilegium Bonaventurianum 18a–b), Paris–Grottaferrata 1986, 368–385, 830–938, 969–1012 und 1054–1068. Cf. Philipp der Kanzler, Summa de bono, ed. N. Wicki (Corpus philosophorum medii aevi: Opera philosophica mediae aetatis selecta 2), Bern 1985, 298, 9–299, 39; 712, 114–714, 172; 1015, 1–1060, 19. Cf. Wilhelm von Auvergne, De fide et legibus, in: id., Opera Omnia, vol. 1, Paris 1674 [Neudruck Frankfurt a. M. 1963], 1–102. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, prol., edd. Patres Collegii S. Bonaventurae, vol. IV/2, Quaracchi 1948, 313: „Summa theologicae disciplinae in duo consistit, in fide et moribus. Expeditis inquisitionibus pertinentibus ad fidem, ut de Redemptore, cum adiutorio Iesu Christi, procedendum est ad inquisitiones pertinentes ad mores. Ad informationem autem morum concurrunt necessario praecepta et leges, gratia et virtutes, dona, fructus et beatitudines. Leges et praecepta, ut ostendentia debitum boni faciendi et mali vitandi; gratia et virtutes etc., ut praestantia facultatem faciendi et vitandi.“ Op. cit. n. 280 sol., vol. IV/2 (nt. 5), 421: „Quia enim creatura a bono, ideo debet bonum ut conformetur suo principio, sicut dictum est, et ex hac parte venit lex tamquam directiva creaturae et dictans ei bonum debitum. Ex illa autem parte qua bonum movet ut finis et quod creatura est ad ipsum ut ad finem, provenit virtus tamquam directiva ipsius animae, quia virtus dirigit in finem.“ Cf. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I–II, q. 90, in: id., Opera Omnia (ed. Leonina), vol. 7, Rom 1892, 149–152. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 224, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 315: „Dicendum, secundum quod dicit Augustinus, in libro De vera religione: menti nostrae concessum est videre legem veritatis immutabilem. Mens enim nostra iudicat de veritate immutabili, ut iudicat istam propositionem: iustum est ut omnia sint ordinatissima. Cum ergo ipsa, scilicet ‚mens humana, mutabilitatem pati erroris, apparet supra mentem nostram esse legem, quae veritas dicitur‘; haec autem lex est aeterna: quod enim est supra mentem nostram est aeternum.“ – Cf. Augustinus, De vera religione 30, 56, ed. J. Martin (CCSL 32), Turnhout 1962, 224.

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Michael Basse

physischen Prinzip, aus dem die anderen Gesetzesarten deduziert werden9. Die Erkenntnis des ewigen Gesetzes ist der vernunftbegabten Kreatur von Natur aus „eingeprägt“10, wenngleich die Sünde bisweilen dazu verleitet, daß sich der Mensch in seinem Handeln nicht daran orientiert11. Die metaphysische Bedeutung der lex aeterna schließt eine heilsgeschichtliche Dimension ein, insofern sie die vollkommene göttliche Weltordnung bezeichnet, welche die Bewegung der gesamten Schöpfung ordnet, dabei aber der vernunftbegabten Kreatur ihren Willen läßt12. Betrachtet die ‚Summa Halensis‘ das ewige Gesetz als eine Einheit sowohl mit der göttlichen Vernunft als auch dem göttlichen Willen – und nimmt sie damit im Blick auf die späteren Kategorisierungen von Intellektualismus und Voluntarismus noch eine mittlere, verbindende Position ein13 –, so korrespondiert dem zum einen die Betonung der Willensfreiheit der vernunftbegabten Kreatur und zum anderen die Auffassung, daß im Rahmen der Hinordnung auf das letzte Ziel durch die „summa ratio“ 14, d. h. Gott selbst, durchaus von mehreren, partikularen „rationes“ 15 gesprochen werden kann, die auf je einzelne, zeitliche Ziele hinordnen. Als das „Gesetz des allmächtigen Schöpfers“ ist die lex aeterna „der Maßstab jener Güter, die unmittelbar vom Schöpfer sind“, während sie als Gesetz „aller artes“ der „Maßstab für die guten Taten der vernunftbegabten Schöpfung“16 ist.

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Cf. O. Lottin, Psychologie et Morale aux XIIe et XIIIe siècles, Tom. II: Problèmes de morale, Louvain 1948, 19–21; Steinmüller, Naturrechtslehre (nt. 1), 317–343; E. Gössmann, Metaphysik und Heilsgeschichte. Eine theologische Untersuchung der Summa Halensis (Alexander von Hales), München 1964, 251–265; A. Obiwulu, Tractatus de Legibus in 13th Century Scholasticism. A Critical Study and Interpretation of Law in Summa Fratris Alexandri, Albertus Magnus and Thomas Aquinas (Schriftenreihe der Josef Pieper Stiftung 4), Münster 2003, 105–115. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 225, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 316. Ibid., ad 2. Op. cit., n. 233, ad 1, vol. IV/2 (nt. 5), 329: „Ad primam rationem in contrarium dicendum quod duplex est notio legis aeternae, secundum Augustinum, una est lex aeterna, qua ‚iustum est ut omnia sint ordinatissima‘; alia est lex aeterna, quae est ‚summa ratio, cui obtemperandum est, qua mali miseram, boni bonam vitam sequuntur‘. Ex quibus patet quod lex aeterna dicit divinam artem et sapientiam, in quantum ordinat creaturam et motum creaturae, et ita ordo secundum legem in omni creatura est ab ea et lex similiter. Sed ordo duplex: quaedam enim creatura est domina sui actus, sicut rationalis; quaedam non, sicut irrationalis creatura. Ordinat ergo lex aeterna ordine necessario actum irrationalis creaturae; actum autem rationalis non ordinat ordine necessario, sed relinquit eum in arbitrio.“ – Cf. Steinmüller, Naturrechtslehre (nt. 1), 317sqq.; Gössmann, Metaphysik (nt. 9), 260. Cf. Steinmüller, Naturrechtslehre (nt. 1), 325. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 229, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 323. Ibid.: „Secundum ergo quod ratio respicit ordinem istum creaturarum inter se sive ad finem creatum, dicimus quod sunt plures rationes ratione connotati, una tamen semper est ratione principalis significati; unde in omnibus iis est unitas ratione significati principalis.“ Op. cit., n. 226, ad II,2, vol. IV/2 (nt. 5), 318: „Definitur ergo ibi lex aeterna per comparationem ad omnia bona generaliter, quae derivantur ab arte prima aeterna, quae est causa prima. Sed quaedam bona sunt ab ipsa immediate, sicut illa quae sunt ab operatione divina; quaedam autem mediate, sicut illa quae sunt ab operatione humana. Dicitur ergo lex esse ‚omnium artium‘, ut intelligatur esse regula operationum bonarum a rationali creatura. Dicitur autem ‚lex omnipotentis artificis‘ secundum quod est regula illorum bonorum quae immediate sunt a Creatore.“

Der Traktat ,De legibus et praeceptis‘ der ,Summa Halensis‘

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Diese doppelte Perspektive wirkt sich auch auf die Verhältnisbestimmung von Ewigkeit und Veränderbarkeit des Gesetzes aus: An und für sich ist die lex aeterna ewig und unwandelbar, aber in ihren zeitlichen Wirkungen ist sie veränderlich17. Diese Verknüpfung der göttlichen Dignität des ewigen Gesetzes mit dessen geschichtlicher Explikation bildet den spezifischen Grundgedanken des gesamten Gesetzestraktates der ‚Summa Halensis‘18. Auf den Abschnitt zur lex aeterna folgt eine Abhandlung der lex naturalis, die in der Ordnung der abgeleiteten Gesetze an erster Stelle steht, weil sie der vernunftbegabten Kreatur „eingegeben“ ist, während die weiteren Gesetze „hinzugefügt“ 19 wurden. Hatte die Naturrechtslehre durch die ‚Summa aurea‘ des Wilhelm von Auxerre Eingang in die scholastische Theologie und Philosophie gefunden20, so erfuhr sie durch Johannes von Rupella in qualitativer wie quantitativer Hinsicht eine Erweiterung, die in der Geschichte der scholastischen Naturrechtslehre einzigartig blieb21. Die ‚Summa Halensis‘ unterscheidet hinsichtlich der lex naturalis zwischen der natura insensibilis, der natura sensibilis sowie der natura rationalis und konzentriert sich dann auf das Naturgesetz, dem die vernunftbegabte Kreatur unterliegt 22. In seiner Bezogenheit auf die lex aeterna ist das Naturgesetz das dem Menschen eingeprägte Wissen und Empfinden um die Verbindlichkeit des ewigen Gesetzes 23. Im Horizont der scholastischen Psychologie bezeichnet die ‚Summa Halensis‘ das Naturgesetz als einen habitus facultatis und ordnet es der conscientia wie auch der synderesis – d. h. sowohl der ratio als auch der voluntas – zu 24. Die ‚Einprägung‘ des Naturgesetzes wird schöpfungstheologisch respektive ontologisch als das Kennzeichen der Gottebenbildlichkeit des Menschen bestimmt und mit dem Abdruck eines Siegels verglichen. Erkenntnistheoretisch wird das Wissen des Naturgesetzes mit der augustinischen Vorstellung von der illuminatio erläutert 25. Die Tatsache, daß der Mensch dieses Naturgesetz immer wieder verkennt, obwohl es ihm doch eingeprägt ist, wird auf seine Sündhaftigkeit zurückgeführt

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Cf. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 228, ad 2, vol. IV/2 (nt. 5), 321. Cf. Gössmann, Metaphysik (nt. 9), 265. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, De lege naturali [Prologus], vol. IV/2 (nt. 5), 337: „Adiuvante divina gratia, consequenter inquirendum est de legibus derivatis a lege aeterna ad ordinandam rationalem creaturam. Harum autem quaedam est rationali creaturae indita, ut lex naturalis; quaedam vero imposita sive addita, ut Lex Moysi, lex Evangelii et humana.“ Cf. Grabmann, Naturrecht (nt. 1), 18. Cf. Steinmüller, Naturrechtslehre (nt. 1), 343. – Darin wird auch eine Differenz zu Alexander von Hales deutlich, der dem Naturgesetz in seiner Sentenzenglosse kaum Aufmerksamkeit schenkt. Cf. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 241, vol. IV/2 (nt. 5), 338–340. Op. cit., n. 241, ad 2, vol. IV/2 (nt. 5), 340: „Notio autem illa legis aeternae impressa animae nihil aliud est quam ipsa lex naturalis in anima, quae quidem est similitudo et imago ipsius divinae legis et divinae bonitatis in anima. Unde lex naturalis est notio legis aeternae impressa animae. Sicut imago, quae est in sigillo, imprimens est, imago autem quae est in cera, est impressa, et est similitudo et imago illius quae est in sigillo: ita est hic, quia lex aeterna est imprimens, lex naturalis est impressa animae.“ Cf. op. cit., n. 245, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 345; cf. Steinmüller, Naturrechtslehre (nt. 1), 363–372. Cf. op. cit., n. 264, ad 3, vol. IV/2 (nt. 5), 383.

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und mit einer Sonnenfinsternis sowie einer unleserlichen Schrift verglichen26. In theologischer Perspektive wird das Naturgesetz in eine enge Beziehung zum Glauben gestellt. Dadurch entwickelt dieses Konzept der lex naturalis eine innere Dynamik, insofern sie den Menschen erkennen läßt, daß er erlösungsbedürftig ist, und ihn über sich hinaus auf die Liebe Gottes weist 27. Dieser Hinordnung auf die Gottesliebe korrespondiert die Ausrichtung auf den Nächsten. Inhaltlich wird das Naturgesetzes hier zum einen auf die Goldene Regel 28 und zum anderen auf die Ehe, das Privateigentum und die persönliche Freiheit als Grundlagen menschlichen Zusammenlebens fokussiert 29. Aus der lex naturalis „extrahiert“ 30 ist das mosaische Gesetz, das insofern über das Naturgesetz hinausgeht, als es zum einen in seinen Einzelbestimmungen darauf reagiert, daß die Menschen das Naturgesetz nach dem Sündenfall nicht mehr zu erkennen vermögen, und zum anderen auf die Ehrfurcht gegenüber Gott als die rechte ‚Intuition‘ verweist, mit der das göttliche Gesetz zu befolgen ist31. Die Abhandlung zum mosaischen Gesetz steht allein schon vom Umfang her im Zentrum des Gesetzestraktates der ‚Summa Halensis‘– sie umfaßt drei Viertel des gesamten Textes und gliedert sich in zwei Teile, in denen zunächst die allgemeinen Rahmenbedingungen dieses Gesetzes erläutert werden, bevor dann ausführlich auf den Dekalog als Moralgesetz sowie die Rechtssatzungen und Zeremonialgesetze eingegangen wird. Die systematische Struktur des mosaischen Gesetzes wird in Anknüpfung an die theologische Tradition ebenso eigenständig wie wirkungsträchtig begründet 32. Von Augustin wird die Unterscheidung zwischen „Geboten des Lebens, das zu führen ist“ (praecepta vitae agendae), und „Geboten des Lebens, das zu versinnbildlichen ist“ (praecepta vitae significandae)33 aufgegriffen, jedoch zu einem Dreierschema erweitert, indem zwischen Sittengeboten des Dekalogs sowie den Rechtssatzungen und Kultvorschriften unterschieden wird. Mit dieser dreifachen Unterscheidung des mosaischen Gesetzes wird zugleich dessen Heiligkeit, Gerechtigkeit und Güte begründet: So enthält es heilige, gerechte und gute Gebote, wobei die Kultvorschriften als heilig, die Rechtssatzungen als

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Cf. op. cit., n. 246, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 346; cf. Steinmüller, Naturrechtslehre (nt. 1), 357sqq. Cf. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 252, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 357; cf. M. Seckler, Instinkt und Glaubenswille, Mainz 1961, 44–47; Gössmann, Metaphysik (nt. 9), 270. Cf. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 248, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 350sq. Cf. op. cit., n. 253–258, vol. IV/2 (nt. 5), 358–364. Op. cit., n. 241, ad 1, vol. IV/2 (nt. 5), 340: „et sic dicitur in Decretis quod lex naturalis est quae ‚in Lege et in Evangelio continetur‘, et hoc est, quia ipsa a lege naturali extrahitur, ut praecepta moralia et iudicia et huiusmodi.“ – Cf. Decretum Gratiani, D. 1, ad c. 1, ed. Æ. Friedberg (Corpus Iuris Canonici 1), vol. 1, Leipzig 1879 (Nachdr. Graz 1959), 1. Cf. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 276, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 415. Cf. O. H. Pesch, Kommentar, in: Das Gesetz, Summa theologica. Deutsch-lateinische Ausgabe, vol. 13: Das Gesetz (I–II, 90–105), Heidelberg e. a. 1977, 498sq. Augustin, Contra Faustum, VI 2, ed. J. Zycha (CSEL 25/1), Prag e. a. 1886, 285, 13sq.; cf. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 265, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 387.

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gerecht und die Sittengebote als gut anzusehen sind. Heilig sind die Kultvorschriften, weil sie die Bereitschaft der Menschen für den Gottesdienst ermöglichen, während die Rechtssatzungen auf Grund ihrer Funktion, die Bösen zu bestrafen, gerecht sind und die Sittengebote in der doppelten Perspektive der Liebe zu Gott sowie der Nächstenliebe als gut zu betrachten sind 34. Die Auslegungen des Dekalogs und der alttestamentlichen Rechtssatzungen nehmen eine zentrale Stellung im Gesetzestraktat ein. Die Einteilung des Dekalogs wird von der Gottebenbildlichkeit des Menschen her begründet und im Anschluß an Augustin trinitätstheologisch entfaltet: So entsprechen die drei Gebote der ersten Tafel der Hinordnung des Menschen auf Gott als causa efficiens, causa formalis exemplaris und causa finalis 35. Bei den Geboten der zweiten Tafel, die auf den Nächsten als Gottes Ebenbild hinordnen, wird zwischen dem „natürlichen Sein“ des Menschen und seinem „personalen Sein“ 36 unterschieden. Dementsprechend ist in der natürlichen Ordnung das vierte Gebot, die Eltern zu ehren, begründet, während die anderen Gebote in unterschiedlicher Weise personale Beziehungen zu den Mitmenschen im Blick haben. In der Auslegung der alttestamentlichen Rechtssatzungen, die qualitativ wie quantitativ eine Besonderheit der ‚Summa Halensis‘ darstellen, werden grundlegende Fragen des Kirchenrechts und der Ethik behandelt 37. Zwar wird betont, daß die Rechtssatzungen im Unterschied zu den Sittengeboten auf bestimmte Einzelfälle und auch auf einen bestimmten Zeitpunkt bezogen sind 38, aber damit ist ihre Weitergeltung im Neuen Bund nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern hängt davon ab, inwiefern sie in ihrer Funktion, vom Bösen abzuhalten und zum Guten anzuleiten, jeweils noch als verbindlich anzusehen sind.

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Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 266, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 390: „Proprie dicitur sanctum respectu caerimonialium: ad hoc enim fuerunt caerimonialia ut parati essent ad cultum divinum, et hoc respicit sanctum; iudicialia vero erant ad puniendum malos, et hoc respicit iustum; moralia vero conferebant bonitatem secundum ramos caritatis, qui sunt dilectio Dei et proximi, et ideo proprie dicitur bonum respectu moralium“. Op. cit., n. 282, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 426: „Secundum ergo multiplicationem debiti ad Deum est multiplicatio praeceptorum ordinantium ad Deum. Haec autem intentio debiti tripliciter est. Creatura enim, eo quod est effectus, debet se Deo, quia effectus debet se totum suae causae; causa autem, quae Deus est, in triplici habitudine causae se habet: est enim ut principium sive ut causa efficiens, item se habet ut causa formalis exemplaris, item se habet ut causa finalis.“ – Die ‚Summa Halensis‘ stellt dieser Einteilung ein zweites Schema zur Seite, das auch Alexander von Hales in seinen Sentenzenglossen verwendet, indem zwischen der Bekehrung zu Gott „mit dem Herzen“, „dem Mund“ und „dem äußeren Werk“ (ibid.) unterschieden wird (cf. Alexander von Hales, Glossa in Libri IV Sententiarum Petri Lombardi, III, d. 37, edd. PP. Collegii S. Bonaventurae [Bibliotheca Franciscana Scholastica Medii Aevi 14], Quaracchi 1954, 461, 20–25). Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 282, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 427. Cf. Pesch, Kommentar (nt. 32), 500sq. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 399, vol. IV/2 (nt. 5), 589.

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Besondere Aufmerksamkeit widmet die Auslegung des mosaischen Gesetzes der Frage nach der Rechtfertigung durch das Gesetz39. Hier wird zwischen der Rechtfertigung als göttlichem und als menschlichem Akt unterschieden. Während die göttliche Rechtfertigung nicht durch das Gesetz, sondern allein durch die Eingießung der Gnade Gottes bewirkt werden kann, werden die menschlichen Rechtfertigungen – im Plural – als Realisierungen des Gesetzes verstanden, die als Zeichen der Gerechtigkeit zwar auf die Gnade verweisen, aber sie nicht zwingend herbeiführen können40. Damit wird das mosaische Gesetz insgesamt heilsgeschichtlich relativiert. Gleichwohl behält es nicht nur materialiter hinsichtlich konkreter Einzelbestimmung, sondern auch als Ganzes eine bleibende Bedeutung, insofern es beim Lesen gerade in seiner Zeichenhaftigkeit zu einer tieferen Erkenntnis und damit zur Festigung des Glaubens beitragen kann41. Dementsprechend differenziert wird auch die Frage erörtert, ob das mosaische Gesetz durch Christus erfüllt ist: Wiederum in Anknüpfung an Augustin wird zwischen ‚Erfüllung‘ im Sinne einer Vollendung und im Sinne der Aufhebung unterschieden. So habe Christus das Gesetz vollendet, indem er erst die wirkliche Erkenntnis des Guten offenbart und die Gnade zur Ausführung dieses Guten sowie zur Wiederaufrichtung nach dem Fall gegeben habe42. Aufgehoben sei demgegenüber die Verpflichtung zur Befolgung der sinnbildlichen Gebote, das heißt der Kultvorschriften, die den Juden als signa für das zukünftige Gesetz der Gnade gegeben worden seien und deshalb nach der Offenbarung dieser lex gratiae nicht mehr befolgt werden müßten43. Der vierte und letzte Abschnitt des Traktates widmet sich der lex evangelica, die zusammen mit dem mosaischen Gesetz als die „lex scripta“ 44 bezeichnet wird, aber von jenem durch die ‚Intuition‘ unterschieden ist, mit der sie befolgt wird: Verlangt das mosaische Gesetz Ehrfurcht gegenüber Gott, so wird die lex evange-

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Cf. Gössmann, Metaphysik (nt. 9), 277sqq.; V. Marcolino, Das Alte Testament in der Heilsgeschichte. Untersuchung zum dogmatischen Verständnis des Alten Testaments als heilsgeschichtliche Periode nach Alexander von Hales (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters NF Bd. 2), Münster 1970, 177–188. Cf. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 265, ad V, vol. IV/2 (nt. 5), 389: „Ad illud quod quinto quaeritur de iustificationibus, dicendum quod iustificatio uno modo dicitur actus Dei, et hoc modo non est effectus Legis, sed divinae gratiae. Alio modo dicitur iustificatio actus hominis, et hoc tripliciter, quia aut consideratur iustificatio secundum esse iustitiae, hoc est per comparationem ad illud in quo est iustitia, et sic iustificatio dicitur illud in quo est iustitia, et sic moralia dicuntur iustificationes, quia per illa est conservatio iustitiae; aut iustificatio dicitur executio iustitiae, et sic iudicalia dicuntur iustificationes; aut dicitur iustificatio ut signum iustitiae, et sic caerimonialia dicuntur iustificationes, quia sunt signa iustitiae sive gratiae futurae ante Christi incarnationem.“ Cf. op. cit., n. 538, ad 4, vol. IV/2 (nt. 5), 822sq. Cf. op. cit., n. 269, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 396sq.; Marcolino, Alte Testament (nt. 39), 275–305. Cf. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 270 sol., vol. IV/2 (nt. 5), 400. Op. cit. n. 398 (vol. IV/2 (nt. 5), 588); cf. Wilhelm von Auxerre, Summa aurea, III, 18, 3, ed. Ribaillier (nt. 2), 375–379.

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lica mit Liebe erfüllt45. Auch die Abhandlung zur lex evangelica gliedert sich in einen allgemeinen Teil, der vor allem das Verhältnis zum mosaischen Gesetz thematisiert, und einen speziellen Teil, der sich mit den evangelischen Vorschriften und Räten befaßt, wobei hier noch einmal zwischen den verschiedenen Seelenvermögen unterschieden wird46. Zwischen dem mosaischen Gesetz der Werke und dem Evangelischen Gesetz des Glaubens besteht nach Auffassung der ‚Summa Halensis‘ die entscheidende Differenz in dem Vermögen bzw. Unvermögen des Menschen, es jeweils zu verwirklichen: Während das Gesetz der Werke auf den freien Willen des Menschen bezogen ist und ihm anzeigt, was zu tun ist, richtet sich das Gesetz des Glaubens an den Menschen, der ohnmächtig ist und deshalb der Gnade Gottes bedarf, um die Werke des Gesetzes zu vollbringen. Damit ist der freie Wille des Menschen nicht grundsätzlich ausgeschaltet, aber er ist ganz im Sinne des Gedankens der Perfektionierung, die das Verhältnis von Gesetz und Evangelium insgesamt bestimmt, auf die Gnade Gottes angewiesen. Das Evangelium als das Gesetz des Glaubens hat dementsprechend eine demonstrative Funktion, indem es dem Menschen die Gnade Christi anzeigt, durch die er den Befehl Gottes erfüllen kann. Das ‚evangelische Gesetz‘ wird deshalb in der ‚Summa Halensis‘ auch als „lex caritatis“ 47 bezeichnet. In dieser Gesamtstruktur einer umfassenden Gesetzeslehre hat das menschliche Gesetz als lex temporalis keinen eigenen systematischen Ort. Gleichwohl wird es an verschiedenen Stellen im Gesetzestraktat erwähnt, wobei auch hier die Ableitung von der lex aeterna betont wird, so daß es, insoweit es gerecht und gut ist48, seine Legitimation nicht von einem irdischen Gesetzgeber, sondern von Gott erhält49. Diese Ableitung des menschlichen Gesetzes von der lex aeterna wird aber in der ‚Summa Halensis‘ nicht als eine abstrakte conclusio verstanden, sondern als eine Konkretisierung in die geschichtliche Wirklichkeit hinein, an deren Realisierung der Mensch mitwirkt 50. So bleibt nicht nur die relative Eigenständigkeit menschlicher Gesetze gewahrt, sondern es wird auch deren spezifische Aufgabe deutlich: Ihr Zweck ist es, Frieden unter den Menschen zu schaffen und zu wahren51.

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Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 276, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 415. Op. cit., n. 564–605, vol. IV/2 (nt. 5), 880–939. Op. cit., n. 266, vol. IV/2 (nt. 5), 389. Das Problem – und gleichzeitig die gesellschaftliche Realität – der ungerechten Gesetze erklärt die ‚Summa Halensis‘ in der Konsequenz ihres ordo-Konzeptes damit, daß solche Gesetze von der lex aeterna „zugelassen“ (op. cit., n. 230, ad 1, vol. IV/2 [nt. 5], 324), aber nicht verursacht und auch nicht auf das letzte Ziel des Menschen hingeordnet seien. Cf. op. cit., n. 232, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 327. Cf. Steinmüller, Naturrechtslehre (nt. 1), 332sqq. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 232, ad 1, vol. IV/2 (nt. 5), 327: „Et [sc. Augustinus, M. B.] vult dicere quod lex temporalis non habet puniri nisi mala quae sunt contraria suo fini, qui est conciliatio pacis inter homines; unde non assumit sibi vindicanda mala contraria paci hominum ad Deum, sicut fornicationem et huiusmodi, sed lex aeterna haec vindicat.“ – Cf. Augustinus, De libero arbitrio, I, 5, 13, ed. W. M. Green (CCSL 29), Turnhout 1970, 218.

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Der Gesetzestraktat der ‚Summa Halensis‘ wird insgesamt von Augustins Programm einer christlichen Bildung bestimmt, insofern weltliche Aspekte der Wahrnehmung von Gesetzeswirklichkeit, zumal juristische Zusammenhänge, in einen theologischen Kontext eingebettet und nach theologischen Kriterien beurteilt werden. So ist der Zusammenhang von Theologie und Recht für den Gesetzestraktat der ‚Summa Halensis‘ grundlegend, was der Scholastik insgesamt in ihrer Doppelstruktur als theologische Lehre und als Rechtssystem entspricht und zugleich deren Intention zur Geltung bringt, in einer Zeit, die von weitreichenden Veränderungen geprägt war, verbindliche Regeln sowohl des Glaubens als auch des sozialen Zusammenlebens in der christlichen Gemeinschaft festzulegen. Im unmittelbaren Kontext der Entstehungsgeschichte dieses Traktates implizierte das nicht zuletzt die kritische Auseinandersetzung mit dem Dualismus der Katharer 52. Besonders deutlich wird dieses Bestreben im Zusammenhang mit dem Interesse der ‚Summa Halensis‘, die dualistische Entgegensetzung und Zurückführung des Alten und Neuen Testaments auf ein böses bzw. gutes Prinzip zu widerlegen, indem die Güte des mosaischen Gesetzes sowie dessen fortbestehende Geltung bewiesen werden und gezeigt wird, daß es der ‚eine‘ Gott ist, der sowohl das Gesetz des Alten wie auch des Neuen Testaments erlassen hat53. Mit diesem Traktat wurde ein explizit theologischer Anspruch erhoben, das Gesetz umfassend zu ergründen, womit wissenschaftstheoretisch und -pragmatisch, das heißt auch institutionengeschichtlich, ein Kontrapunkt zur aufkommenden Kanonistik gesetzt werden konnte. Die konzeptionelle Grundentscheidung, der Dekalogauslegung und den Rechtssatzungen ein großes Gewicht beizumessen, bot die Möglichkeit, die theologische Verortung des Gesetzes und seiner verbindlichen Auslegung zu unterstreichen. Angesichts der Konkurrenz zwischen Theologie und Kanonistik um die Führungsrolle in der Leitung der Amtskirche war damit der Anspruch der Theologie eindeutig formuliert. II. Der kultur- und sozialg eschichtliche Kontext des Gesetzestraktates Über seine konzeptionelle Bedeutung hinaus ist der Gesetzestraktat der ‚Summa Halensis‘ interessant, weil seine Auslegung des Dekalogs und der alttestamentlichen Rechtssatzungen konkrete Bezüge zur Lebens- und Glaubenswelt aufweist, die für die Kultur- und Sozialgeschichte dieser Zeit aufschlußreich sind. Die

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Cf. B. Smalley, William of Auvergne, John of La Rochelle and St. Thomas Aquinas on the Old Law, in: A. A. Maurer e. a. (eds.), St. Thomas Aquinas 1274–1974. Commemorative Studies, vol. 2, Toronto 1974, 11–71, hier: 22sq. Cf. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 263, prooem., vol. IV/2 (nt. 5), 374: „Et primo, contra Manichaeos ostendendum est quod lex Moysi sit lata a bono et a solo Deo; […] Contra Manichaeos ergo, qui blasphemant Legem, dicentes eam latam ore impiissimo a principe tenebrarum, arguitur ex testimoniis Novi Testamenti, quod recipiunt “; cf. op. cit., n. 562, vol. IV/2 (nt. 5), 868–877.

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zunehmende Bedeutung der Dekalogauslegungen für die Glaubensvermittlung und die Frömmigkeitspraxis resultierte aus den kirchlichen und theologischen Entwicklungen des 12. und 13. Jahrhunderts sowie den damit verbundenen Entscheidungen des Vierten Laterankonzils von 1215 54. Daß der Gesetzestraktat im Anschluß an die ausführliche Auslegung des Dekalogs noch eine Kurzfassung zur Unterweisung der einfachen Gläubigen präsentiert55, entspricht den pastoralen Bemühungen dieser Zeit wie des späten Mittelalters generell. Bemerkenswert ist hierbei, daß der heilsgeschichtliche Prolog der Zehn Gebote nicht – wie sonst zumeist in der christlichen Rezeptionsgeschichte – einfach ausgeblendet, sondern trinitätstheologisch ausgelegt wird, indem eine dreifache Wirkung des Dekalogs aufgewiesen wird: die Macht Gottes, den Menschen aus der Sünde herauszuführen und zur Wahrheit sowie zur Freiheit der Gnade und zum Streben nach hinzuführen56. Die Funktionalisierung der Dekalogauslegung für die Instruktion der Gläubigen im Rahmen der Beichte, wie sie dann im 14. und 15. Jahrhundert vorherrschte57, ist im Gesetzestraktat der ‚Summa Halensis‘ noch nicht erkennbar, wenngleich auffällt, daß die bedeutende Beichtsumme des Raymundus von Penyafort (um 1175–1275)58, die kurz vorher entstanden ist, hier ausgiebig rezipiert wurde59. Besondere Beachtung verdienen die materialethischen Ausführungen der ‚Summa Halensis‘, die rein quantitativ einen Großteil des Gesetzestraktates ausmachen, aber bisher nicht im Fokus der wissenschaftlichen Forschung standen. So wird bei der Auslegung des ersten Gebotes die Frage erörtert, inwieweit auch die Kreatur angebetet werden darf 60. Konkret geht es um die Legitimation insbesondere der Marien- und Heiligenverehrung, die in der mittelalterlichen Frömmigkeitspraxis eine zentrale Rolle spielten61. Die ‚Summa Halensis‘ unterscheidet dabei präzise zwischen der Anbetung, die allein Gott als dem Schöpfer gebührt,

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Cf. P. Bange, Soziale Prägungen von Dekalogerklärungen in den Niederlanden im späten Mittelalter, in: K. Schreiner (ed.), Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter. Formen, Funktionen, politisch-soziale Zusammenhänge (Schriften des Historischen Kollegs 20), München 1992, 253–262; R. J. Bast, Honor Your Fathers. Catechism and the Emergence of a Patriarchal Ideology in Germany, 1400–1600 (Studies in Medieval and Reformation Traditions 63), Leiden u.a. 1997, 1–52; P. Dinzelbacher, Handbuch der Religionsgeschichte im deutschsprachigen Raum. Vol. 2: Hochund Spätmittelalter, Paderborn u. a. 2000, 99; M. Basse, Von den Reformkonzilien bis zum Vorabend der Reformation (Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen II/2), Leipzig 2008, 164sqq. Cf. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 395–410, vol. IV/2 (nt. 5), 587–598. Op. cit., n. 400, vol. IV/2 (nt. 5), 589sq.: „Dicit ergo ‚ego Dominus, qui te eduxi‘, scilicet per potentiam; ‚Deus, qui te eduxi de terra Aegypti‘, id est de tenebris erroris et infidelitatis ad intelligentiam veritatis; ‚ego tuus qui te eduxi de domo servitutis‘, id est reatu peccati et pravorum morum, ad libertatem gratiae et affectionem bonitatis.“ Cf. Basse, Reformkonzilien (nt. 54), 164. Cf. Raymundus de Pennafort, Summa de paenitentia, ed. X. Ochoa (Universa Bibliotheca iuris 1), Rom 1976. Cf. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, Prolegomena, vol. IV/1 (nt. 5), CXIV. Cf. op. cit., n. 295–304, vol. IV/2 (nt. 5), 452–459. Cf. Dinzelbacher, Handbuch (nt. 54), vol. 2, 141–152.

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und verschiedenen Formen einer Ehrerbietung, die besonderen Menschen auf Grund ihres Vorbildcharakters und ihrer Führungsqualitäten entgegengebracht werden muß62. Die Auslegung des zweiten Gebotes – „Du sollst den Namen deines Gottes nicht leichtfertig heranziehen“ – konzentriert sich zum Großteil auf eine ausführliche Abhandlung über den Eid und reflektiert damit dessen besondere Bedeutung für das gesellschaftliche Leben und das Rechtswesen dieser Zeit63. In Anknüpfung an Hieronymus (347–420)64 sowie Causa XXII des ‚Decretum Gratiani‘ 65 wird geradezu paradigmatisch die scholastische Lehre von den drei ‚Begleitern‘ des Eides – nämlich der Gerechtigkeit, dem Urteil und der Wahrheit – entfaltet 66. In Übereinstimmung mit der Kanonistik wurde so die Praxis des Eides legitimiert und gegen prinzipielle Einwände, wie sie von den Katharern und Waldensern unter Berufung auf die neutestamentlichen Eidverbote vertreten wurden67, verteidigt. Bei den Ausführungen zum dritten Gebot, den Sabbat zu heiligen, wird nicht nur die christliche Tradition der Sonntagsruhe christologisch von der Auferstehung her begründet 68, sondern zugleich die gesellschaftlich wie wirtschaftlich brisante Frage beantwortet, welche Arbeiten sonntags nicht verrichtet werden durften69. Nach Auffassung der ‚Summa Halensis‘ ist an diesem Tag „sklavische Arbeit“ untersagt, womit zum einen jede Form von Sünde gemeint sei und zum anderen „eine Arbeit, die verhindert, für Gott freizusein“70. Für welche Arbeiten genau dieses Verbot gelte, sei „von der Kirche als der Stellvertreterin Gottes fest-

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Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 301, vol. IV/2 (nt. 5), 457: „Est enim servitus obnoxietatis, et haec debetur Deo, eo quod est principium nostri esse; est etiam servitus reverentiae, et haec debetur sanctis, quia ipsi sunt nostri ductores vel per doctrinam, sicut praelati, vel per intercessionem vel per administrationem.“ Cf. P. Blickle (ed.), Der Fluch und der Eid. Die metaphysische Begründung gesellschaftlichen Zusammenlebens und politischer Ordnung in der ständischen Gesellschaft (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 15), Berlin 1993; P. Prodi, Das Sakrament der Herrschaft. Der politische Eid in der Verfassungsgeschichte des Okzidents, Berlin 1997. Cf. Hieronymus, In Ieremiam, I, 69 [Jer. 4, 2], ed. S. Reiter (CCSL 74), Turnhout 1960, 40. Cf. Decretum Gratiani, C. 22, q. 4, c. 4, ed. Friedberg (nt. 30), vol. 1, 876. Cf. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 320–322, vol. IV/2 (nt. 5), 483–487. – Unmittelbare Vorläufer waren hierbei die ‚Summa aurea‘ Wilhelms von Auxerre und die Sentenzenglossen des Alexander von Hales: Wilhelm von Auxerre, Summa aurea, III, 46, ed. Ribaillier (nt. 2), 873–897; Alexander von Hales, Glossa in Libri IV Sententiarum Petri Lombardi, III, d. 39, c. 2, edd. Patres Collegii S. Bonaventurae (nt. 35), 515, 25 – 516, 2. Cf. Chr. Thouzellier, Catharisme et Valdéisme en Languedoc à la fin du XIIe et au début du XIIIe siècle. Politique pontificale – Controverses (Publications de la Faculté des Lettres et Sciences Humaines de Paris. Série Recherches 27), Paris 1966, 98sq. Cf. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 334, vol. IV/2 (nt. 5), 501sq. Cf. H. Pribyl, Der Sonntag als Tag der wöchentlichen Arbeitsruhe, in: R. Weiler (ed.), Der Tag des Herrn. Kulturgeschichte des Sonntags, Wien 1998, 95–139. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 335, vol. IV/2 (nt. 5), 503: „Dicendum quod die Dominica cessandum est ab opere servili; opus autem servile dicitur duobus modis. Uno modo peccatum dicitur opus servile, alio modo opus prohibens vacationem ad Deum, quae determinata est ab Ecclesia vice Dei.“

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gelegt worden“, und so habe diese „mechanische Arbeit, Landwirtschaft und weltliche Geschäfte bestimmt, wie Handel oder Vergnügen“71. Allerdings gebe es Ausnahmen wie die Wein- und Getreideernte, die „um der Notwendigkeiten der Menschen willen geduldet“72 werde. Falls sich solche Arbeiten nicht aufschieben ließen, was auch für den Fischfang gelte, sollten die Betroffenen doch wenigstens nach verrichteter Arbeit „den umliegenden Kirchen und den Armen Christi einen angemessenen Teil geben“73. Die spezifischen Interessen der Kirche, die in diesen Ausführungen zur Geltung kamen, wurden auch dadurch unterstrichen, daß auch für solche Arbeiten Ausnahmen gemacht werden konnten, die zwar nicht aus unmittelbarer Notwendigkeit, aber aus Frömmigkeit verrichtet wurden, „wie Steine tragen, um Kirchen zu bauen und Hospitäler und Ordenshäuser zu errichten“74. Daß den Christen nicht jegliche körperliche Betätigung am Sonntag untersagt ist, begründet die ‚Summa Halensis‘ damit, daß es einen entscheidenden Unterschied zwischen der Zeit des Gesetzes und der Zeit der Gnade gebe und die Christen deshalb nicht den Eindruck erwecken dürften, daß sie sich „jüdisch verhalten“75. Der theologischen Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium korrespondiert hier ein unverkennbarer Antijudaismus. Hinsichtlich des vierten Gebotes, Vater und Mutter zu ehren, wird danach gefragt, ob die Ehrerbietung den leiblichen Eltern gegenüber auch nach dem Eintritt in einen Orden noch verbindlich ist. Diese Frage betrifft die existentielle Grundlage des Mönchtums und damit auch das Selbstverständnis der franziskanischen Autoren der ‚Summa Halensis‘, denn hier steht nicht nur das Gehorsamsgelübde der Mönche und Nonnen zur Diskussion, sondern auch das Armutsideal, insofern es mit der Verpflichtung zur materiellen Versorgung der Eltern zu kollidieren scheint. Die Problemlösung besteht darin, daß dieser Vorschrift, „weil sie bejahend ist“, nicht eine absolute, sondern nur eine relative Verpflichtung – „nur je nach Ort und Zeit“ 76 – beigemessen wird, weshalb Ordensangehörige, die nichts besitzen dürfen, auch nicht zur Versorgung ihrer Eltern verpflichtet seien. Daß die ‚Summa Halensis‘ in diesem Punkt aber nicht einfach nur die Interessen der Orden zur Geltung bringt, sondern die Realität von Armut vor Augen hat, läßt sich an der ausführlichen Erörterung der Frage ablesen, ob die materielle Not von Eltern ein Hinderungsgrund sein könnte, in einen Orden einzutreten. Letztlich wird es als ein Zeichen der Frömmigkeit angesehen, die persönliche Entscheidung in dieser Frage davon abhängig zu machen, ob der Einzelne ohne Gefahr für das eigene Seelenheil in den weltlichen, das heißt familiären Bindungen verbleiben kann oder nicht77.

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Ibid. mit dem Verweis auf den ‚Liber Extra‘, X, 2, 9, 1, ed. Friedberg (nt. 30), vol. 2, 270. Op. cit., ad 1, vol. IV/2 (nt. 5), 503. Ibid. im Anschluß an X, 2, 9, 3, ed. Friedberg (nt. 30), vol. 2, 271. Op. cit., ad 4, vol. IV/2 (nt. 5), 503. Op. cit., ad 2, vol. IV/2 (nt. 5), 503. Op. cit., n. 347, vol. IV/2 (nt. 5), 516. Op. cit., n. 348, vol. IV/2 (nt. 5), 517.

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Im Blick auf das fünfte Gebot – „Du sollst nicht töten“ – wird zum einen erörtert, wer bzw. was nicht getötet werden darf; so wird dargelegt, warum Tiere im Unterschied zu Menschen getötet werden dürfen, warum Suizid verboten ist und weshalb ein Verbrecher um der Liebe zur Gerechtigkeit willen getötet werden darf 78. Zum anderen wird erörtert, wer töten darf und wer nicht; hierbei wird zunächst auf den allgemeinen Maßstab einer gerechten Ordnung und die prinzipielle Notwendigkeit einer Berechtigung zum Töten hingewiesen, bevor dann detailliert begründet wird, warum es Klerikern im Unterschied zu Laien verboten ist, zu töten – auch nicht aus Notwehr –, da sie „Diener der Milde und Liebe sein müssen, um die Menschen zum Guten zu verlocken“ 79. Eine Zuspitzung erfährt die Auslegung dieses Gebotes noch dadurch, daß unterlassene Hilfeleistung etwa Hungerleidenden gegenüber als Mord beurteilt wird 80. Die Ausführungen zum sechsten Gebot sind aufschlußreich in Bezug auf die Sexualmoral der ‚Summa Halensis‘: Der Geschlechtsverkehr von Mann und Frau wird als ein „natürliches Gut“ bezeichnet, er sei aber „in moralischer Hinsicht indifferent, wie Essen und Trinken, da er gut und schlecht getan werden kann“ 81. Insgesamt überwiegt jedoch im Gesetzestraktat – wie in dieser Zeit generell 82 – eine Abwertung der Sexualität im allgemeinen bzw. sexueller Lustempfindung im besonderen, insofern betont wird, daß der Geschlechtsverkehr doch „mehr zum Schlechten als zum Guten hinneigt“, weil er durch die „Begierde des Zunders nach dem Sündenfall des Menschen mehr zur Ungeordnetheit der Lust als zum Gut der Fruchtbarkeit verleitet“ 83. Prinzipiell verboten ist nach Auffassung des Gesetzestraktates jede Form des Ehebruchs und der Bigamie sowie der Inzest, wenn er die Grenzen mißachte, die „vom Naturgesetz, dem göttlichen Gesetz und der Kirchenbestimmung“ 84 gesetzt seien, wobei auf die entsprechende Neuregelung des Vierten Laterankonzils hingewiesen wird, das den Geschlechtsverkehr von Blutsverwandten bis zum fünften Grad untersagte85. Bei der Auslegung des siebten Gebotes – „Du sollst nicht stehlen“ – wird zunächst begründet, daß Diebstahl in Ausnahmefällen erlaubt sein kann, wenn eine existenzbedrohende Notlage besteht 86. Umgekehrt werden Kleriker, die das Kirchengut für eigene Zwecke mißbrauchen, anstatt es an die Armen zu verteilen, mit Nachdruck verurteilt 87. Die Enteignung besiegter Völker hingegen wird im

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Cf. op. cit., n. 352–355, vol. IV/2 (nt. 5), 521–527. Op. cit., n. 360, vol. IV/2 (nt. 5), 536. Cf. op. cit., n. 361, vol. IV/2 (nt. 5), 540. Op. cit., n. 364, vol. IV/2 (nt. 5), 544: „Dicendum quod coitus masculi et feminae, quantum est de ipso actu, bonum est naturae in se, in genere vero moris indifferens, sicut comedere et bibere, quia potest bene fieri et male.“ Cf. Dinzelbacher, Handbuch (nt. 54), vol. 2, 370sq. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 364, vol. IV/2 (nt. 5), 545. Op. cit., n. 367, vol. IV/2 (nt. 5), 550. Can. 50 Concilii Lateranensis, X, 4, 14, 8, ed. Friedberg (nt. 30), vol. 2, 703sq. Cf. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 375, vol. IV/2 (nt. 5), 561. Cf. op. cit., n. 382, vol. IV/2 (nt. 5), 568.

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Falle eines gerechten Krieges ebenso für gerechtfertigt erklärt wie das Ausplündern von Ungläubigen, wenngleich mit der Einschränkung, daß Juden nicht das Lebensnotwendige weggenommen werden dürfe, während bei Häretikern und Muslimen darauf keine Rücksicht genommen werden müsse88. Nach diesen Ausführungen zum Diebstahl im engeren Sinne setzt sich der Gesetzestraktat mit dem Wucher auseinander, der mit dem Aufkommen der Geldwirtschaft zu einem gesellschaftlichen Problem geworden war, mit dem sich auch die Amtskirche und die Kanonistik intensiv befaßt haben89. Hatte das Dritte Laterankonzil 1179 die öffentliche Bestrafung von Wucherern gefordert und sie von allen Sakramenten, vor allem der Bestattung in geweihter Erde, ausgeschlossen und Papst Gregor VIII. (um 1100–1187) das 1187 noch einmal unterstrichen90, so knüpfte die ‚Summa Halensis‘ an diese Tradition an und konstatierte in aller Prägnanz, daß Zinsnahme „schlecht und verboten“91 sei. Zu der Bestimmung des Vierten Laterankonzils, das jüdischen Geldverleihern die Zinsnahme ausdrücklich untersagte, wenn sie „unmäßig“92 war, nahm die ‚Summa Halensis‘ an dieser Stelle nicht explizit Stellung, während sie unmittelbar zuvor – im Zusammenhang mit der Ausplünderung von Ungläubigen – dargelegt hat, daß es Juden untersagt sei, Christen gegen Zinsen zu leihen93. Vor diesem Hintergrund thematisierte sie nun die alttestamentliche Bestimmung, daß Juden von Fremden Zinsen nehmen konnten: Den Juden sei diese Erlaubnis nicht erteilt worden, damit die Zinsnahme als gut angesehen werden könne, vielmehr sei sie ihnen „wegen der Härte ihres Herzens zugestanden“94 worden. Auch wenn die stereotypen Muster antijüdischer Polemik hier unverkennbar sind, darf doch nicht übersehen werden, daß in diesem Abschnitt noch auf zwei Aspekte hingewiesen wird: Zum einen werden die Juden des Alten Testaments zwar als „hartherzig“ charakterisiert, aber zugleich wird gesagt, daß sie „nur nach und nach zur Vollkommenheit“95 gebracht werden konnten. Inwie88 89

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Cf. op. cit., n. 376, vol. IV/2 (nt. 5), 563. Cf. H.-J. Gilomen, Wucher und Wirtschaft im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 250 (1990), 265–301; O. Langholm, Economics in the Medieval Schools: Wealth, Exchange, Value, Money and Usury according to the Paris Theological Tradition, 1200–1350 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 29), Leiden e. a. 1992, 137–141. Cf. P. Landau, Rechtsfortbildung im Dekretalenrecht. Typen und Funktionen der Dekretalen des 12. Jahrhunderts, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 86 (2000), 86–131, hier 124; St. Schima, Die Entwicklung des kanonischen Zinsverbots. Eine Darstellung unter besonderer Berücksichtigung der Bezugnahmen zum Judentum, in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 20 (2012), 239–279, hier: 260sqq. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 380, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 565: „Dicendum quod dare ad usuram in se et secundum se malum est et prohibitum.“ Can. 79 Concilii Lateranensis, X, 5, 19, 18, ed. Friedberg (nt. 30), vol. 2, 816; cf. Schima, Entwicklung (nt. 90), 262–265. Cf. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 376, vol. IV/2 (nt. 5), 563. Op. cit., n. 380, ad 1, vol. IV/2 (nt. 5), 565sq.: „Ad primum obiectum in contrarium, dicendum quod nunquam fuit Iudaeis licitum foenerare alieno, sed permissum fuit illis, sicut dare libellum repudii, propter duritiam cordis sui; peccabant tamen mortaliter foenerando alieno.“ Ibid., vol. IV/2 (nt. 5), 566: „Sed permittebatur eis duplici de causa, scilicet ne facerent peius, id est ne foenerarent fratribus suis; et quia duri erant et paulatim trahendi ad perfectionem.“

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fern die ‚Summa Halensis‘ auch die zeitgenössischen Juden als Mitmenschen angesehen hat, die ‚vervollkommnet‘ werden konnten, und wie das gegebenenfalls geschehen sollte, bleibt hier offen. Unabhängig davon wird aber die allgemeine Schlußfolgerung aus diesem Gedanken der Vervollkommnung gezogen, daß Wucherer, wenn sie schon nicht alles wieder hergeben wollten, so doch wenigstens einen Teil erstatten sollten. Die ‚Summa Halensis‘ unterscheidet sich von den anderen mittelalterlichen Auslegungen des mosaischen Gesetzes dadurch, daß sie an der Geltung auch der Rechtssatzungen als Gebote für Christen festhält. Den Nutzen dieser Rechtssatzungen begründet die ‚Summa Halensis‘ in auffälliger Nähe zu Moses Maimonides (1135/38–1204)96, so daß sich interessante Verbindungen zum christlichjüdischen Dialog dieser Zeit ergeben97. Auch wenn die Frage, woher Johannes von Rupella von dem ‚Dux neutrorum‘ des Moses Maimonides wußte, nicht abschließend beantworten werden kann, spricht doch einiges dafür, hier sowohl Einflüsse Wilhelms von Auvergne zu vermuten als auch Alexanders von Hales, der bereits in seinem Sentenzenkommentar auf Maimonides Bezug genommen hatte98. Auf jeden Fall bewegte sich der Gesetzestraktat der ‚Summa Halensis‘ hier in einem größeren Diskurs, in dem Maimonides im lateinischen Westen produktiv rezipiert wurde. Dieser positiven Wertschätzung des Maimonides kontrastiert in der ‚Summa Halensis‘ ansonsten – wie bereits erwähnt – eine antijüdische Polemik, die nicht zuletzt im Kontext der ersten Pariser Talmuddisputation im Jahr 1240 und der daraus resultierenden Talmudverbrennung 1242 zu betrachten ist 99. Die Anknüpfung an die zivil- und kirchenrechtlichen Bestimmungen und Diskurse jener Zeit erfolgte vor allem über das ‚Decretum Gratiani‘ sowie einige ano-

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Cf. op. cit., n. 263, vol. IV/2 (nt. 5), 377; Rabbi Mossei Aegyptii Dux seu Director dubitantium aut perplexorum, III, 27, ed. A. Giustiniani, Paris 1520 [Neudruck Frankfurt a. M. 1964], fol. 88v; cf. G. Hasselhoff, Dicit Rabbi Moyses. Studien zum Bild von Moses Maimonides im lateinischen Westen vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, Würzburg 2004, 72sq. Cf. J. Guttmann, Alexandre de Hales et le judaïsme, in: Revue des études juives 19 (1889), 224–234, hier: 229sqq.; id., Die Scholastik des dreizehnten Jahrhunderts in ihren Beziehungen zum Judenthum und zur jüdischen Literatur, Breslau 1902 [Neudruck Hildesheim–New York 1970], 41sqq.; id., Der Einfluß der maimonidischen Philosophie auf das christliche Abendland, in: W. Bacher e. a. (eds.): Moses ben Maimon. Sein Leben, seine Werke und sein Einfluß, Leipzig 1908 [Neudruck Hildesheim/New York 1971], 135–230, hier: 147sqq.; St. D. Benin, Maimonides and Scholasticism: Sacrifice as Historical Hermeneutic, in: Proceedings of the 8th World Congress of Jewish Studies, Div. C, Jerusalem 1982, 41–46, hier: 43; J. I. Dienstag, Eschatology in English Christian Thought and Scholarship. An Alphabetical Survey, in: Hebrew Studies 26 (1985), 249–299, hier: 252sq.; Hasselhoff, Dicit Rabbi Moyses (nt. 96), 66sqq. Cf. Alexander von Hales, Glossa, III, d. 37, c. 7, edd. Patres Collegii S. Bonaventurae (nt. 35), 471, 12–14. Cf. Hasselhoff, Dicit Rabbi Moyses (nt. 96), 73; W. P. Eckert, Hoch- und Spätmittelalter. Katholischer Humanismus, in: K. H. Rengstorf/S. von Kortzfleisch (eds.), Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden – Darstellung mit Quellen, vol. 1, Stuttgart 1968, 227–232.

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nym zitierte Glossatoren100. Ausführlich erörtert werden in der ‚Summa Halensis‘ die biblischen Rechtssatzungen über das Gerichtswesen, die Wahrung der Gerechtigkeit sowie das Steuer- und Abgabenrecht. In Bezug auf das Gerichtswesen werden zunächst die daran beteiligten Personen betrachtet, indem dargelegt wird, wie jeweils Richter, Angeklagte, Ankläger, Zeugen und Anwälte zu agieren haben101. Im Zusammenhang mit den Befugnissen und Qualifikationen der Richter wird auch die Rangordnung weltlicher und geistlicher Obrigkeit thematisiert und mit Hugo von St. Viktor (um 1097–1141) festgehalten: „Die geistliche Obrigkeit hat die irdische Obrigkeit sowohl einzurichten, damit es sie gibt, als auch zu richten, wenn sie nicht gut ist“102. Es folgen detaillierte Ausführungen zum ordnungsgemäßen Ablauf eines Gerichtsverfahrens im Blick auf die Untersuchung, eventuelle Geständnisse und die Beweisführung mit Hilfe von Zeugen oder Vermutungen103. Kulturgeschichtlich aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang, daß volkstümliche Auffassungen einer ‚Reinigung‘ des Angeklagten beispielsweise durch eine Feuerprobe ausdrücklich abgewiesen werden und dem der Eid als die purgatio canonica gegenüber gestellt wird104. Die ‚Summa Halensis‘ folgte hier einer entsprechenden Bestimmung des Vierten Laterankonzils und setzte sich somit für klare Verfahrensregeln ein, um die Objektivität des Urteils zu gewährleisten105. Es ist diese – theologisch begründete – Rationalität der Rechtsprechung, die dieses Konzept auszeichnet und erkennen läßt, wie die Entwicklung eines umfassenden Rechtssystems durch die scholastische Systematisierung verschiedener Rechtstraditionen und Rechtsansprüche vorangetrieben wurde106. Die Ausführungen zum Gerichtswesen werden abgeschlossen mit einem Abschnitt über den Urteilsspruch: Besondere Beachtung finden hier zum einen Fragen der Scheidungsgesetzgebung und zum anderen Formen der Bestrafung – von der Züchtigung über das ius talionis und die Rechtfertigung eines gerechten Krieges bis hin zur Todesstrafe107. Es schließt sich ein zweiter Teil an, der die Rechtssatzungen ‚zur Wahrung der Gerechtigkeit‘ betrachtet und dabei nach Personen, Sachen und Handlungen unterscheidet. Im Blick auf die Personen geht es der ‚Summa Halensis‘ vor allem um die Legitimation der Ständeordnung und die erneute Abgrenzung sowie Verhältnisbestimmung von königlicher und priester-

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Cf. Alexander von Hales, Summa theologica III/2, Prolegomena, vol. IV/1 (nt. 5), XCIV. Op. cit., n. 411–443, vol. IV/2 (nt. 5), 600–647. Op. cit., n. 415, IV, vol. IV/2 (nt. 5), 611 im Anschluß an Hugo von St. Viktor, De sacramentis christianae fidei II, 2, 4, ed. R. Berndt (Corpus Victorinum. Textus historici 1), Münster 2008, 339, 6sq. Cf. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 444–452, vol. IV/2 (nt. 5), 647–661. Cf. op. cit., n. 446–447, vol. IV/2 (nt. 5), 651–654. Cf. Can. 18 Concilii Lateranensis, X, 3, 50, 9, ed. Friedberg (nt. 30), vol. 2, 660; P. Dinzelbacher, Das fremde Mittelalter. Gottesurteil und Tierprozess, Essen 2006, 87sq. Cf. R. W. Southern, Scholastic Humanism and the Unification of Europe, vol. 1: Foundations, Oxford–Cambridge (Mass.) 1995, 237–318. Cf. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 455–474, vol. IV/2 (nt. 5), 665–697.

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licher Herrschaft108. Hinsichtlich der Sachen kommen unterschiedliche Aspekte des Eigentumsrechts zur Sprache, wobei die Erörterung der Eingangsfrage, ob es generell erlaubt sei, Besitz anzuhäufen, insofern interessant ist, als damit ja das Ideal der Besitzlosigkeit virulent wird, dem sich Franziskanertheologen wie Alexander von Hales und Johannes von Rupella verpflichtet hatten. Die Problemlösung besteht nach Auffassung der ‚Summa Halensis‘ darin, weltliches Besitzstreben für gerechtfertigt zu erklären, solange es aus „kluger Vorsorge“ 109 um einer Notwendigkeit oder des öffentlichen Wohles willen geschieht; kirchlichen Personen hingegen sei es „eigentlich niemals erlaubt“, Besitz anzuhäufen, wenngleich mit Ambrosius (339–397) festgestellt wird, die Kirche dürfe etwas besitzen, „um es in Notlagen auszugeben und damit zu helfen“110. Der dritte und letzte Teil zu den alttestamentlichen Rechtssatzungen behandelt das Steuer- und Abgabenrecht. Im Mittelpunkt steht ein umfangreiches Kapitel, das sich mit dem Zehnten befaßt und damit einen zentralen Aspekt nicht zuletzt der materiellen Versorgung der Kirche thematisiert111. In Übereinstimmung mit dem ‚Decretum Gratiani‘ wie auch dem ‚Liber Extra‘ wird der Zehnt in der ‚Summa Halensis‘ als eine verbindliche Rechtssatzung verstanden, die von Gott „hauptsächlich gemäß des Gleichheitsgedankens der gegenseitigen Verteilung erlassen worden ist, damit es eine Gleichheit des Gegebenen und Empfangenen gibt zwischen dem, der geistliche Güter sät, und dem, der weltliche Güter gibt, soweit das möglich ist“ 112. Im Unterschied zum ‚Decretum Gratiani‘, das Laien den Besitz von Zehnten verbot113, folgte die ‚Summa Halensis‘ der zeitgenössischen Auffassung der Kanonistik, wonach Laien nur die Neuerwerbung von Zehnten verboten sein sollte114. Diese Berücksichtigung der sozialen und ökonomischen Gegebenheiten sowie der zeitgenössischen juristischen Diskurse bestimmt den gesamten Gesetzestraktat der ‚Summa Halensis‘. Er zeichnet sich dadurch aus, daß mit der sprachphilosophischen und theologischen Klärung von Aussagenzusammenhängen unterschiedliche Konzeptualisierungen von Gesetzen systematisiert und in einen

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Cf. op. cit., n. 477–486, vol. IV/2 (nt. 5), 702–715. Op. cit., n. 487, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 716. Ibid. im Anschluß an Ambrosius, De officiis, II, 28, 137, ed. M. Testard, Paris 1992, 71; cf. Decretum Gratiani, C. 12, q. 2, c. 70, ed. Friedberg (nt. 30), vol. 1, 710. Cf. R. Puza, Zehnt, in: Lexikon des Mittelalters, vol. 9, Stuttgart 1999, 499–501; E. Marmursztejn, Débats scolastiques sur la dîme au Moyen Âge central, in: M. Lauwers (ed.), La dîme, l’Église et la société féodale, Turnhout 2012, 507–526. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 495, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 732: „Praeceptum de decimis est praeceptum iudiciale. Unde non est dicendum morale, quia secundum suam determinationem non est scriptum in corde hominis; nec caerimoniale, quia non est datum principaliter in figuram significationis; sed iudiciale, quia datum principaliter secundum rationem aequitatis mutuae distributionis, ut sit aequalitas dati et accepti inter seminantem spiritualia et dantem temporalia, secundum quod possible est.“ Cf. Decretum Gratiani, C. 16, q. 7, c. 1, ed. Friedberg (nt. 30), vol. 1, 800. Cf. Alexander von Hales, Summa theologica, III/2, n. 500, sol., vol. IV/2 (nt. 5), 741; X, 3, 30, 17, ed. Friedberg (nt. 30), vol. 2, 561sq.

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heilsgeschichtlichen Bezugsrahmen gestellt werden. Die detaillierte Entfaltung ihres normativen Gehaltes wird dabei als die theologische Aufgabe verstanden, das göttliche Gesetz in seinen unterschiedlichen heilsgeschichtlichen Ausprägungen in die Wirklichkeit menschlicher Existenz hinein auszulegen115. Als grundlegende ‚Ordnung‘ der Welt bilden die Gesetze das Rückgrat des ‚Corpus christianum‘ und vermitteln ihm die entscheidende Orientierung auf das letzte Ziel christlicher Existenz hin.

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In kulturgeschichtlicher Perspektive können die Gesetze somit als performative Sprechakte verstanden werden, die Identität stiften, indem sie ein System kollektiver Bedeutungen und Symbole zur Geltung bringen (cf. S. S. Tschopp/W. E. J. Weber, Grundfragen der Kulturgeschichte, Darmstadt 2007, 8).

Lex divinitatis – Albertus Magnus kommentiert Dionysius Areopagita M B (Bonn) I. Einführ ung des T hemas – einig e Vorbemerkung en „Haec enim est lex divinitatis, ut per prima media, et ultima per media reducantur“ 1. In einer gegenüber dem Original leicht abgewandelten Formulierung greift Albertus Magnus in seinem Werk einen Kernsatz des Dionysius Areopagita 2 auf. Im Doppeltraktat ‚De caelesti hierarchia‘ und ‚De ecclesiastica hierarchia‘ entfaltete Dionysius das hierarchische Gesetz als Grundstruktur der geschaffenen Wirklichkeit. Wenn in diesem Beitrag Alberts Deutung der lex divinitatis untersucht wird, so wenden wir den Blick gleichsam zurück von einer späteren Indienstnahme dieser Formulierung. Papst Bonifaz VIII. zitiert 1302 in der Bulle ‚Unam sanctam‘, auf dem Höhepunkt seiner Auseinandersetzung mit dem französischen König Philipp dem Schönen, diesen Satz aus dem ‚Corpus Dionysiacum‘3. Bonifaz umschreibt die Einheit der Kirche ausgehend vom konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis4 in biblischen Motiven: Die Arche Noah wurde von nur einem gesteuert, und so gibt es nur einen, der die Geschicke der Kirche lenkt, den Nachfolger Petri. Dieser ist geistlicher wie weltlicher Herrschaft vorgeordnet, wie der Papst die Zwei-Schwerter-Lehre (Luk. 22,38) auslegt. Bonifaz spricht dem Papstamt Autorität nicht nur gegenüber der kirchlichen Hierarchie, sondern auch gegen-

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Albertus Magnus, Super Dionysium De caelesti hierarchia, prologus, edd. P. Simon/W. Kübel (Editio Coloniensis 36/1), Münster 1993, 2, 19sq. Dionysius Areopagita, De caelesti hierarchia, 8, translatio Eriugenae. Recueil donnant l’ensemble des traductions Latines des ouvrages attribués au Denys de l’Aréopage, ed. Ph. Chevallier, Bruges 1950 (Dionysiaca II, 881sq.): „Hoc enim est omnino divina taxiarchia [a.l. ordinatione] divinitus promulgatum, per prima secunda divinis participare illuminationibus.“ Cf. Albertus Magnus, Super Dion. De cael. hier. (Ed. Colon. 36/1), 132, 80sq.; Dion., De eccl. hier., 5 transl. Eriugenae (Dionysiaca II, 1330): „Lex quidem haec est divinitatis sacratissima per prima secunda ad divinissimam suam reducere lucem.“ Cf. Albertus Magnus, Super Dionysium De ecclesiastica hierarchia, ed. M. Burger (Ed. Colon. 36/2), Münster 1999, 121, 58sqq. Cf. D. E. Luscombe, The lex divinitatis in the Bull Unam Sanctam of Pope Boniface VIII, in: C. N. L. Brooke (ed.), Church and Government in the Middle Ages, Cambridge 1976, 205–221. Enchiridion symbolorum, definitionum et declarationum de rebus fidei et morum, edd. H. Denzinger/A. Schönmetzer. Editio XXXVI emendata, Freiburg–Rom 1976, n. 150: „Credo in unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam.“

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über dem König zu. Die potestas temporalis ist der potestas spiritualis untergeordnet. Der Papst allein muß sich nur gegenüber Gott verantworten. Bonifaz zeichnet das Bild einer hierarchischen Einheit, die nur ein Haupt haben kann. Hier folgt der Verweis auf Dionysius: „Nam secundum B. Dionysium lex divinitatis est infima per media in suprema reduci.“5 Die von Dionysius beschriebene himmlische Hierarchie ist das Urbild für die kirchliche Hierarchie; aus den Strukturen jener lassen sich Ansprüche in dieser ableiten. Dieses Zitat in einer päpstlichen Bulle setzt einen langen Rezeptionsprozeß voraus, der keinesfalls geradlinig nur auf diese politische Dimension hin verlaufen war 6. Betrachten wir die Geschichte der Dionysius-Rezeption im lateinischen Westen, so ist es auffällig, daß dem Traktat ‚De caelesti hierarchia‘ offenbar eine höhere Aufmerksamkeit zukam als den anderen Schriften7. Schon der Übersetzer des ‚Corpus Dionysiacum‘, Johannes Scotus Eriugena, legte im 9. Jahrhundert einen Kommentar zu dieser Schrift vor. Im 12. Jahrhundert kommentierte Hugo von St. Viktor das Werk. Bei ihm wird die lex divinitatis bereits ausformuliert in der Form, wie sie später häufig zitiert wird 8. Darüber hinaus wurden von zahlreichen Autoren die Angelologie und das Konzept der Hierarchien vielfältig rezipiert und transformiert. Albertus Magnus (1200–1280) zeigte sich von Anbeginn seines schriftlichen Schaffens wohl vertraut mit dem Werk und dem Denken des vermeintlichen Apostelschülers Dionysius Areopagita. Ausdrückliche Zitate lassen sich in großer Zahl in seinen Schriften finden. Zwischen 1248 und 1250 verfaßte Albert am neu eingerichteten Generalstudium der Dominikaner in Köln einen Kommentar zum Gesamtwerk des Dionysius, wie es ihn in dieser Ausführlichkeit bis dahin nicht gegeben hatte9. Über diese materiale Rezeption hinaus machte Albert sich dessen 5 6

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Bonifacius VIII., Unam Sanctam, in: Æ. Friedberg (ed.), Corpus Iuris Canonici II, Leipzig 1879 (Nachdruck Graz 1955), 1245. Der Kontext der Bulle und die Entwicklung des päpstlichen Primates ist ohnehin vielschichtiger, als es die Dionysius-Rezeption zu erhellen vermag. Hierzu liegt hinreichend Spezialliteratur vor. Cf. K. Ubl, Die Genese der Bulle „Unam sanctam“: Anlass, Vorlagen, Intention, in: M. Kaufhold (ed.), Politische Reflexion in der Welt des späten Mittelalters, Leiden 2004, 129–149, mit Verweis auf weitere Literatur. Cf. P. Rorem, Pseudo-Dionysius. A Commentary on the Texts and an Introduction on their Influence, Oxford 1993, 78: „The influence came rather from the general hermeneutical principles enunciated in The Celestial Hierarchy regarding the anagogical interpretation of all symbols, whether beautiful or not, as part of the overall Dionysian method of ascending to union with God. Aesthetics, especially for later commentators on The Celestial Hierarchy, is part of a spiritual journey to God.“ Hugo de Sancto Victore, Commentaria in Hierarchiam coelestem S. Dionysii Areopagitae, Patrologia Latina 175, 1014B: „Cum enim divina lex primum a Deo in angelos, ac deinde per angelos in homines processisse perhibetur, manifeste ostenditur quod per prima et superiora, secunda et inferiora ad divinam cognitionem reducuntur.“ Zu einigen Hintergründen dieser Kommentierung cf. M. Burger, Thomas Aquinas’s Glosses on the Dionysius Commentaries of Albert the Great in Codex 30 of the Cologne Cathedral Library (ins Englische übersetzt von Martin Tracey), in: L. Honnefelder/H. Möhle/S. Bullido del Barrio (eds.), Via Alberti. Texte – Quellen – Interpretationen (Subsidia Albertina 2), Münster 2009,

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Denken stark zu eigen, wie insbesondere seine theologischen Werke deutlich zeigen. Diese Phase der Rezeption soll in diesem Beitrag betrachtet werden. Zu fragen ist: Welche Funktion hatte die lex divinitatis bei Dionysius? Welche Interpretation bietet Albertus Magnus an? Welchen Weg nahm die Interpretation des Dionysius-Textes im Verlauf des 13. Jahrhunderts? II. Die hierarchische Str uktur Albert beginnt seine Kommentierung des ‚Corpus Dionysiacum‘ mit der Schrift ‚De caelesti hierarchia‘ und führt die von Dionysius vorgelegte Struktur schon im Prolog anhand des Bibelverses aus dem Buch Kohelet sorgfältig aus: „Zu dem Ort, an dem die Ströme entspringen, kehren sie zurück, um wieder auszufließen.“ (Koh. 1,7) Vom Ort Gottes, so Albert, nimmt alles seinen Ausgang und verzweigt sich in die verschiedenen Ströme der Seienden, der Lebenden, der sinnenhaften und der vernunftbegabten Wesen. Diese Ströme entspringen in der göttlichen Gutheit, sie kehren durch den Aufstieg der Erleuchteten zu Gott zurück. An dieser Stelle verweist Albert auf die lex divinitatis: „Dies aber ist das Gesetz der Göttlichkeit, daß durch die ersten die mittleren und die letzten durch die mittleren zurückgeführt werden.“10 Und er führt weiter aus: „Dies aber ist das ganze, was die Hierarchie ausmacht: nämlich die Aufnahme der Erleuchtung, der Aufstieg des Erleuchteten zu Gott, und das Zurückblicken des Aufsteigenden zu den niederen, damit [auch] sie wiederum zu Gott aufsteigen.“11 Beschrieben wird eine gegenläufige Bewegung: Im Absteigen über die einzelnen Stufen werden die vom Ersten ausgehenden Gaben und Offenbarungen immer weiter differenziert; die aufsteigende Rückkehr zum Ursprung führt durch die Aufnahme der Erleuchtungen von den hierarchisch Höherstehenden wiederum genau über diese Stufen. Die lex divinitatis umfaßt die hierarchisch gegliederte Struktur der ganzen geschaffenen Wirklichkeit; das Verständnis der lex divinitatis erschließt sich aus dem der hierarchia 12. Ziel ist die Rückkehr zum Ort des Ausgangs aller Geschaffenen, zum Ort Gottes. Die Vorstellung vom Kosmos als einer vollständig durchgliederten Ordnung, in der jede Stufe in Relation zu einer anderen steht, wird von Dionysius in seinem

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561–582. Zur Bedeutung der Dionysius-Kommentierung im Gesamtwerk Alberts cf. A. de Libera, Raison et foi, Paris 2003, 73. Albertus Magnus, Super Dion. De cael. hier. prol. (Ed. Colon. 36/1), 2, 19sq.: „Haec enim est lex divinitatis, ut per prima media et ultima per media reducantur.“ Ibid. 2,24–27: „Hoc autem est totum quod est in hierarchia, scilicet illuminationis receptio, illuminati in deum ascensio et ascendentis ad inferiora respectus, ut iterum in deum ascendant.“ Cf. M. Burger, Hierarchische Strukturen. Die Rezeption der Dionysischen Terminologie bei Albertus Magnus, in: J. Hamesse / C. Steel (eds.), L’élaboration du vocabulaire philosophique au Moyen Âge. Actes du Colloque international de Louvain-la-Neuve et Leuven, 12–14 septembre 1998, organisé par la S.I.E.P.M. (Rencontres de Philosophie Médiévale 8), Turnhout 2000, 397–420.

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Werk entfaltet. Dieser Kosmos ist jedoch kein starres Gebilde, sondern eine dynamische Harmonie, deren Bewegung die Hervorgänge und Rückführungen der geschaffenen Wirklichkeit sind. Ziel der Rückführung ist die bestmögliche Angleichung an Gott13. Für Dionysius ist die Hierarchie eine geheiligte Ordnung (ordo divinus), Wissen (scientia) und Tätigkeit (actio), die auf die Angleichung an Gott (assimilatio dei) ausgerichtet ist. Der Weg zu diesem Ziel führt über fortschreitende Erkenntnis durch Erleuchtungen (illuminationes)14. Entscheidend ist somit, wie Albert es in seinem Kommentar ausführt, die Aufnahme und Weitergabe des göttlichen Lichtes. Purgatio und perfectio, die beiden weiteren Elemente des Aufstiegs, sind auf die illuminatio bezogen. Die purgatio ist die Reinigung von der ursprünglichen Unwissenheit, die perfectio die Vollendung in der unio. Die eigentliche hierarchische Tätigkeit aber ist die illuminatio, weil nur das Licht tatsächlich weitergegeben wird15. Das hierarchische Gefüge ist durch Aufnahme (perceptio) des göttlichen Lichtes und dessen Weiterleitung (transfusio) gegliedert. Die Aufnahme des Lichtes bewirkt zugleich die ascensio zum Ursprung16. Scientia und actio markieren den spekulativen und praktischen Teil der Vollendung17. Wenngleich die Tätigkeit der hierarchischen Stände in Relation zueinander zentral in dieser Struktur ist, so ist die Tätigkeit, die Praxis, nicht die Zielbestimmung der Hierarchie. Nicht das Handeln am Nächsten im Sinne der Caritas, nicht die Tätigkeit als solche, sondern das Vollkommensein (perfectum esse) in der Rückkehr zu Gott ist das Ziel18. In der hierarchischen Vervollkommnung findet auch keine Erhebung von einem Stand in den anderen statt. Der Mensch wird nicht Engel, um sich Gott anzugleichen; nicht einmal innerhalb der Ränge der himmlischen oder kirchlichen Hierarchie geht es um ein ‚Aufrücken‘ in eine höhere Stufe19. Eine klare Grenze ergibt sich schließlich zwischen dem göttlichen Ursprung und den geschaffenen Seienden. Wenngleich Dionysius die prima causa als den trinitarischen Gott sieht, so bleibt diese Trias gegenüber den geschaffenen hierarchi13

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Umfassend wird diese Struktur dargestellt bei R. Roques, L’univers dionysien. Structure hiérarchique du monde selon le Pseudo-Denys, Aubier 1954. P. Rorem verweist zu Recht darauf, daß Dionysius selbst nicht so systematisch vorgeht; cf. Rorem, Pseudo-Dionysius. A Commentary (nt. 7), 57. Dion., De cael. hier., 3, transl. Eriugenae (Dionysiaca II, 785sq.): „Est quidem hierachia secundum me ordo divinus et scientia et actio, deiforme, quantum possible, similans et ad inditas ei divinitus illuminationes proportionaliter in dei similitudinem ascendens.“ Cf. Albertus Magnus, Super Dion. De cael. hier., 3 (Ed. Colon. 36/1), 48, 1sqq.: „Ita etiam substantialiter reductio hierarchica non fit nisi per illuminationem, cum nihil aliud transfundatur ab uno in alterum nisi lumina quaedam. Purgatio vero et perfectio sunt consequentia illuminationem, quia per illuminationem fit purgatio et perfectio, alterum ut a quo incipit secundum rationem, alterum ut in quod tendit.“ Ibid., 48, 29sq.: „[…] tamen illuminatio est tota substantia hierarchicae actionis.“ Cf. ibid., 46, 4sqq. Ibid., 46, 44sqq. Cf. ibid., 47, 20sqq. Grundlage ist die aristotelische Unterscheidung von Fähigkeiten und Künsten, die ihr Ziel in der actio selbst haben, und jenen, die auf anderes verweisen; cf. Aristoteles, Ethica Nicomachea, I, 1, 1094a3–6. Cf. Albertus Magnus, Super Dion. De cael. hier., 3 (Ed. Colon. 36/1), 48, 12sqq.

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schen Triaden transzendent20. Dies betont auch Albert in seinem Kommentar. Die göttlichen Personen stehen nicht in einer hierarchischen Ordnung zueinander, folglich gibt es keine überhimmlische (supercaelestis) Hierarchie als Fortsetzung der kirchlichen und himmlischen Hierarchie21. Ziel ist die Verähnlichung mit Gott quantum possibile, nicht ein Aufgehen im Göttlichen in Identität. Viel wäre über die Hierarchien bei Dionysius noch zu sagen, doch hier soll nur der Ort skizziert werden, an dem Albert sich als Kommentator des ‚Corpus Dionysiacum‘ mit der lex divinitatis befaßt. III. Alber tus Magnus über lex di vinitatis Auf die lex divinitatis beruft sich Albertus Magnus in seinem Gesamtwerk, also nicht nur in seinem Kommentar zum ‚Corpus Dionysiacum‘, häufig. Es soll hier ein kurzer Überblick über die Themenfelder gegeben werden, bevor ich mich einem Kontext in besonderer Weise zuwenden werde22. Zunächst gibt es den klassischen Kontext der Hierarchie der Engel in Verbindung mit der Aufgabe der purgatio und illuminatio. Im Frühwerk ‚De quattuor coaequaevis‘ im Traktat über die Engel, der in gewisser Weise als eine Vorform der Kommentierung von ‚De caelesti hierarchia‘ angesehen werden kann, finden wir dieses Thema23. Als Beispiel für die vermittelnde Aufgabe der Engel wird auf biblische Texte verwiesen. Insbesondere die prophetische Erleuchtung ist durch Engel vermittelt. In Alberts Bibelkommentaren, etwa im Kommentar zu den Propheten Daniel und Zacharias, findet sich in diesem Zusammenhang das lexZitat 24. Albert betont, daß Gott sich in seinen Offenbarungen an die von ihm 20

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Die fortschreitende Modifizierung des neuplatonischen Ansatzes von Plotin über Proklos zu Dionysius zeichnet nach W. Beierwaltes, Dionysios Areopagites – ein christlicher Proklos?, in: W. Beierwaltes (ed.), Platonismus im Christentum (Philosophische Abhandlungen 73), Frankfurt am Main 1998, 44–84. Cf. Albertus Magnus, Super Dion. De cael. hier., 3 (Ed. Colon. 36/1), 46, 78sqq. Albert verwendet die Formulierung sehr einheitlich in seinen Werken; cf. e.g. Albertus Magnus, Super Dion. De cael. hier. prol. (Ed. Colon. 36/1), 2, 19sq.; ibid., 4 und 10 (Ed. Colon. 36/1), 69, 60sqq. und 165, 20sq.; Quaestio De raptu, edd. A. Fries/W. Kübel/H. Anzulewicz (Ed. Colon. 25/2), Münster 1993, 94, 17sqq.; De mysterio Missae, 3, 6, 9, ed. A. Borgnet (Editio Parisiensis 38), Paris 1899, 103b. Weitere Textstellen werden im folgenden erläutert. An zahlreichen Stellen wird das Dionysius-Zitat auch sinngemäß verwendet. Albertus Magnus, De quattuor coaequaevis, 34, ed. A. Borgnet (Ed. Paris. 34), Paris 1895, 523a: „Sicut supra saepe habitum est, lex hierarchiarum est per prima secunda reducere.“ Zuvor verweist Albert schon in qq. 32–33 (ibid. 511b, 515a, 521a) darauf. Auffällig ist, daß sich in ‚De quattuor coaequaevis‘ eine gegenüber den anderen Werken Alberts abweichende Formulierung findet; cf. auch q. 58 (ibid. 604b) und q. 61 (ibid. 654a). In diesen inhaltlichen Kontext gehört auch ein Zitat aus Super II Sententiarum, 11, 1, ed. A. Borgnet (Ed. Paris. 27), Paris 1894, 219a: „Lex divinitatis est in nullo negligere ordinem, sed per prima media, et per media postrema reducere.“ Cf. Albertus Magnus, Super Danielem, 8, 13, ed. A. Borgnet (Ed. Paris. 18), Paris 1893, 565b; Super Zachariam, 2, 3, ed. A. Borgnet (Ed. Paris. 19), Paris 1892, 532a. Auch die Begegnung des Zacharias mit dem Engel, wie sie im Lukasevangelium berichtet wird, und die des Joseph in der

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eingerichtete Ordnung hält. Im Kommentar zum Buch Iob wird die Anwendung auf den zwischenmenschlichen Bereich übertragen: Bei der Beschreibung der Lebenssituation Iobs zu Beginn des Buches wird erzählt, daß dessen sieben Söhne sich regelmäßig gegenseitig zum Mahl einladen; dieses Mahl wird als gegenseitige Stärkung interpretiert. Die drei Schwestern werden, so heißt es bei Albert, ebenfalls eingeladen, damit das schwächere Geschlecht sich nicht gering geschätzt glaubt. Hier folgt das Dionysiuszitat der lex divinitatis 25. Im Kommentar ‚Super Isaiam‘ geht Albert deutlich einen Schritt über Dionysius hinaus. Hier heißt es, die lex divinitatis werde zugunsten der Inkarnation durchbrochen. Christus, der menschgewordene Sohn Gottes, kann Menschen unmittelbar erleuchten, ohne Vermittlung durch die Engel 26. – Eine etwas andere Akzentsetzung findet sich schließlich in ‚De homine‘, wo die lex divinitatis im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Körper und Seele des Menschen herangezogen wird. Albert diskutiert die Frage, ob die vernunftbegabte Seele zusammen mit dem vergänglichen Körper zugrunde geht. Dabei referiert er den stufenweisen Aufbau von Leben nach Aristoteles und verweist in diesem Zusammenhang auf die lex divinitatis 27. An anderer Stelle fragt Albert, ob gemäß der lex divinitatis die Engel nicht auch bei der Gestaltung des menschlichen Körpers mitgewirkt hätten. In seiner Antwort betont er, daß sich die Tätigkeit der Engel im Blick auf den Menschen auf die illuminatio beschränkt 28. In diesen inhaltlichen Kontext gehört in gewisser Weise auch die Zitation im III. Buch des Sentenzenkommentars. Hier wird gefragt, zu welchem Zeitpunkt das Fleisch der seligen Jungfrau geheiligt wurde. Ein Einwand verweist unter Bezug auf Dionysius darauf, daß der Körper nur durch die Seele zum Stand der Gnade geführt werden kann. Albert bestätigt in seiner Antwort, daß die Heiligung erst nach der Beseelung des Körpers erfolgt 29. Insgesamt zeigt sich in diesen Texten eine recht einheitliche Verwendung des Zitates. Abgesehen von den Kommentaren zu ‚De caelesti hierarchia‘ und ‚De

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Kindheitsgeschichte nach Matthäus gehören in diesen Kontext, cf. Super Lucam 1, 11, ed. A. Borgnet (Ed. Paris. 22), Paris 1894, 20b; Super Matthaeum, 1, 20, ed. B. Schmidt (Ed. Colon. 21/1) Münster 1987, 34, 54–64. Albertus Magnus, Super Iob, 1, 4, ed. M. Weiß, Freiburg 1904, 23, 10–14: „Et, ne sexus infirmior se despici putaret, mittentes vocabant tres sorores suas. Dicit enim Dionysius, quod lex divinitatis est per prima media et per media ultima reducere.“ Cf. Albertus Magnus, Super Isaiam, 63,1, ed. H. Ostlender (Ed. Colon. 19), Münster 1952, 591, 34sqq.: „Filius igitur dei homo factus immediatam illuminationem infudit apostolis et non angelis, et ideo incarnationis mysterium, secundum quod immediate fluxit a sapientia, quibusdam angelis potuit esse incognitum, non ut in toto esset ignotum, sed quia quaedam rationes altissimae sapientiae dei de hoc mysterio non sufficienter notae erant, quae de die in diem per operationis effectum et veritatis praedicationem magis apparuerunt. Et sic et erat ignotum et non ignotum et per angelos revelatum homini et per hominem angelis manifestatum. Et manifestationis, quae per hominem est, causa fuit, quia in humanis impletum est per deum, inquam, natum et hominem factum.“ Cf. Albertus Magnus, De homine, edd. H. Anzulewicz/J. R. Söder (Ed. Colon. 27/2), Münster 2008, 467, 33sqq. Cf. ibid. (Ed. Colon. 27/2), 559, 14sqq. Cf. Albertus Magnus, Super III Sententiarum, 3, 4, ed. A. Borgnet (Ed. Paris. 28), Paris 1894, 47a.

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ecclesiastica hierarchia‘, in denen die lex divinitatis durchgehend thematisiert wird, zieht Albert das Zitat in seinen Werken für Pro- und Contra-Argumentation in Quaestiones wie auch zur Bestätigung einer Aussage heran. Die lex divinitatis ist dabei jedoch nicht als solche Gegenstand der Betrachtung. Auch bei vergleichbaren Formulierungen im Werk Alberts finden wir keine Definition, mit der wir sie in einen lex-Traktat einordnen könnten. Lex divina wird zum Teil synonym mit der lex divinitatis verwendet 30. Sie kann inhaltlich aber auch weiter als die lex divinitatis gefaßt sein, wenn sie von Albert allgemein als die von Gott ausgehende offenbarte Schöpfungsordnung verstanden wird. Als solche steht sie in gewisser Nähe zum Naturrecht, das dem Menschen ins Herz geschrieben wird31. Die lex divinitatis dagegen wird von Albert nicht als ein den Menschen innerlich verpflichtendes ius beschrieben, und sie kann nur im weitesten Sinne als handlungsleitend verstanden werden32. Sie ist ein Ordnungsprinzip, das seine Gültigkeit in allen Vermittlungsinstanzen beweist. IV. Lex di vinitatis in der Sakramentenlehre Es gibt ein weiteres Themenfeld, in dem die lex divinitatis von Albert aufgegriffen wird, nämlich die Sakramententheologie. Hierfür können Texte aus Alberts Kommentar zum IV. Buch der Sentenzen des Petrus Lombardus wie auch aus dem Frühwerk ‚De sacramentis‘ herangezogen werden. Es scheint dies der Ort, an dem wir am ehesten mit einer Weiterentwicklung des lex-Verständnisses bis hinein in den rechtlichen Raum zu rechnen haben. In der Sakramentenlehre geht es um die kirchliche Hierarchie, und damit kommen die besonderen Strukturen, wie sie im weltlichen Bereich gelten, in den Blick. Albert stellt zunächst die Frage, warum es überhaupt eine Ordnung, warum es hierarchische Stufen gibt. Warum herrscht Gott nicht unmittelbar? Albert vergleicht Gott mit einem König. Der weltliche König benötigt einen Stellvertreter und eine hierarchische Ordnung, weil er nicht persönlich überall zur gleichen Zeit sein kann33. Albert gesteht zu, daß dies für Gott kein Hindernis darstellt. Er führt

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Die synonyme Verwendung ergibt sich schon aus der Vorlage des Dionysius. Johannes Scotus Eriugena übersetzte qesmóv mit lex, qearcía je nach Kontext mit divinitas oder divinus. So finden sich auch in Alberts Kommentaren beide Formulierungen, cf. e.g. Albertus Magnus, De cael. hier. 3 (Ed. Colon. 36/1), 50, 52–54. De divinis nominibus 1 und 4, ed. P. Simon (Ed. Colon. 37/2), Münster 1972, 16, 44 und 129, 24–26. Cf. Albertus Magnus, Super Matth., 16, 19 (Ed. Colon. 21/2), 490, 55–60. Quaestio De conscientia (Ed. Colon. 25/2), 24, 32–41 und 30, 9–37. So kann auch der Verweis auf die lex divina in der Ethik interpretiert werden, cf. Albertus Magnus, Super Ethica 5, 16, ed. W. Kübel (Ed. Colon. 14/1), Münster 1968, 384, 75–81. Zur Differenzierung von lex und ius im Blick auf das Naturrecht cf. J. Müller, Natürliche Moral und philosophische Ethik bei Albertus Magnus (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters NF 59) Münster 2001, 223. Cf. Albertus Magnus, Super IV Sent., 17, 32, 4, ed. A. Borgnet (Ed. Paris. 29), Paris 1894, 702b.

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aber weitere Gründe an, die eine Hierarchie sinnvoll erscheinen lassen. Der eine Grund liegt darin, daß diese Ordnung für die Untergebenen durchaus nützlich ist: Den Höherrangigen gewährt sie die Möglichkeit, an der Vervollkommnung der niedriger stehenden Mitglieder der Gesellschaft teilzuhaben. Die Niederrangigen haben umgekehrt zu den Vermittlern einen leichteren Zugang als zum König selbst. Diese Gründe läßt Albert auch für die kirchliche Hierarchie gelten. Ein weiterer Grund aber liegt in der hierarchischen Ordnung selbst begründet, die von Gott in vollkommener Schönheit gestaltet wurde34. Die hierarchische Ordnung ergibt sich somit nicht nur aus Gründen der Zweckmäßigkeit, wenngleich auch diese eine Rolle spielen, sondern sie macht die Schönheit von Gottes Wirken in der Schöpfung sichtbar. Diesen Aspekt gewinnt Albert aus der von Dionysius vorgelegten Konzeption. Für ihn gehört die pulchritudo zu den wenigen positiv aussagbaren Gottesprädikationen. Das Schöne in seiner Identität mit dem Guten gilt ihm als Basis für den Zusammenhalt der Vielgestaltigkeit des Geschaffenen35. So erfordert das Schöne in den Dingen eine Verhältnismäßigkeit36. Diese Wohlgeordnetheit gilt für den Kosmos, für alle hierarchischen Stufen bis hin zu den einzelnen Dingen der materiellen Welt37. Schönheit zeigt sich in Maß, Proportion und Harmonie. Das Ordnungsverständnis des Dionysius und die von ihm formulierte lex divinitatis sind somit die Basis für Alberts Interpretation des ordo in der kirchlichen Hierarchie. In spezieller Weise kommt Albert auf die lex divinitatis zu sprechen bei der Frage, vor wem die Beichte abzulegen sei38. Ist nur der Pfarr-Priester bzw. der für eine Gemeinschaft zuständige Priester berechtigt, die Beichte zu hören? Albert kommentiert an dieser Stelle gleichsam ein Dekret des IV. Laterankonzils, in dem festgelegt worden war, daß die jährliche verpflichtende (Oster-)Beichte vor dem proprius sacerdos abzulegen sei39. Das Konzil geht dabei von der schon im 12. Jahr34

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Ibid., 17, 32, ad 4 (Ed. Paris. 29), 704a: „Tertia causa est ordo: et ista est beati Dionysii, quia etsi Deus omnia per seipsum possit perficere et illuminare et consummare, tamen propter pulchritudinem ordinis lex divinitatis est per prima media, et per media ultima deducere ad purgationem, illuminationem et perfectionem, et ideo in Ecclesiastica hierarchia constituuntur gradus sicut in caelesti.“ Cf. Dion., De cael. hier., 3 transl. Eriugenae (Dionysiaca II, 785sqq.); cf. hierzu Beierwaltes, Dionysios Areopagites (nt. 20), 71sq. Albertus Magnus, Super Dionysium De divinis nominibus, 4, 76, ed. P. Simon (Ed. Colon. 37/1), Münster 1972, 185, 80–87: „Dicendum, quod sicut ad pulchritudinem corporis requiritur, quod sit proportio debita membrorum et quod color supersplendeat eis, quorum si alterum deesset, non esset pulchrum corpus, ita ad rationem universalis pulchritudinis exigitur proportio aliqualium ad invicem vel partium vel potentiarum vel quorumcumque quibus supersplendeat claritas formae.“ Der Gedanke der Ordnung wird von Dionysius in reicher Terminologie ausgeführt cf. hierzu R. Roques, La notion de Hiérarchie selon le Pseudo-Denys, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire 17 (1949), 183–222; 18 (1950), 5–44. Die Untersuchung des Vokabulars findet sich 17 (1949), 185sqq. Albertus Magnus, De sacramentis, edd. A. Ohlmeyer/I. Backes/W. Kübel (Ed. Colon. 26), Münster 1958, 106, 65sqq.; Albertus Magnus, IV Sent., 17, 40 (Ed. Paris. 29), 722b. Concilium Lateranense IV (1215) can. 21 (Conciliorum Oecumenicorum Decreta, ed. Centro di Documentazione, Basel e.a. 1962, 221): „Omnis utriusque sexus fidelis, postquam ad annos discretionis pervenerit, omnia sua solus peccata confiteatur fideliter, saltem semel in anno proprio sacerdoti.“

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hundert im ‚Decretum Gratiani‘ formulierten Rechtslage aus40. Der proprius sacerdos ist der Priester, der die in der Weihe übertragene potestas kraft seines Amtes in der Pfarr-Seelsorge einsetzen darf. Die Rechtstexte kennen aber auch gerechte Gründe (iustae causae), die Ausnahmen möglich machen41. Die scheinbar ganz konventionelle Frage nach der Zuständigkeit für die Beichte, die im Kontext der Sentenzenkommentierung behandelt wird, beinhaltet Mitte des 13. Jahrhunderts Sprengstoff. Gerade in diesem Punkt waren die Bettelorden in Konflikt mit den Weltgeistlichen geraten. Durch päpstliches Privileg hatten die Angehörigen der Bettelorden das Recht, zu predigen und die Beichte zu hören, ohne daß es eines gesonderten Einverständnisses durch die Pfarrgeistlichen bedurfte42. Die Kritik der Weltgeistlichen an diesem Privileg zusammen mit den Konflikten um die Lehrstühle der Bettelorden an der Universität Paris waren bekanntlich die Auslöser des sogenannten Bettelordensstreites43. Albert schreibt seinen Kommentar zum IV. Buch der Sentenzen des Petrus Lombardus zwischen 1247 und 1249, also unmittelbar vor dem eigentlichen Ausbruch dieses Streites 44; es war ihm mit Sicherheit klar, daß er mit seiner Antwort Stellung beziehen mußte in der Frage nach den Privilegien für die Angehörigen der Bettelorden, zu predigen und die Beichte zu hören. Andererseits war eine theologische Pflichtvorle40 41

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Gratian, Decretum de poenitentia, 6, 3, in: Æ. Friedberg (ed.), Corpus Iuris Canonici I, Leipzig 1879 (Nachdruck Graz 1955), 1244. Auch die Privilegien, die den Bettelorden verliehen wurden, werden als Ausnahmen gewertet. Dies zeigt sich etwa in der vor 1238 entstandenen ‚Summa de paenitentia et matrimonio‘ des Raimund von Peñaforte (ed. X. Ochoa, Rom 1976), cf. L. Hödl, Die sakramentale Buße und ihre kirchliche Ordnung im beginnenden mittelalterlichen Streit um die Bußvollmacht der Ordenspriester, in: Franziskanische Studien 55 (1973), 330–374, 335sqq. Die zumeist territorial gegliederte Pfarrseelsorge und die Seelsorge durch Ordensangehörige sind zunächst parallel bestehende Strukturen. Entsprechend waren auch die konkreten Voraussetzungen für Predigt und Beichte geregelt. Allerdings erzwang das Kult- und Seelsorgemonopol ständig Ausnahmen. Cf. I. W. Frank, Das mittelalterliche Dominikanerkloster als paraparochiales Kultzentrum, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 17 (1998), 123–142. Ausführlich wird der Bettelordensstreit mit allen Aspekten dargestellt bei M.-M. Dufeil, Guillaume de Saint-Amour et la polémique universitaire parisienne 1250–1259, Paris 1972. Wenngleich es an der Universität Paris zunächst um die Besetzung der Lehrstühle ging, so wurden Fragen der Predigt und Beichte sowohl im Vorfeld wie auch in den abschließenden Dokumenten immer mit behandelt. Cf. hierzu auch J. Ratzinger, Der Einfluß des Bettelordensstreites auf die Entwicklung der Lehre vom päpstlichen Universalprimat, unter besonderer Berücksichtigung des heiligen Bonaventura, in: J. Auer (ed.), Theologie in Geschichte und Gegenwart, München 1957, 697–724. 703; G. Geltner, „Introduction“, in: William of Saint-Amour, De periculis novissimorum temporum. Edition, Translation, and Introduction, Leuven 2008, bes. 1–18. Albert vollendete seinen Kommentar 1249 in Köln. Das früheste Dokument des Bettelordensstreites scheint ein 1253 datierter Brief des Pariser Kanzlers Haimericus zu sein, in dem das Problem der Beichte thematisiert wird. Cf. Chartularium Universitatis Parisiensis I (= CUP I), n. 216, edd. H. Denifle/Æ. Chatelain, Paris 1889, 240sq. Cf. J. Miethke, Papst, Ortsbischof und Universität in den Pariser Theologenprozessen des 13. Jahrhunderts, in: A. Zimmermann/G. VuilleminDiem (eds.), Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII. Jahrhundert (Miscellanea Mediaevalia 10), Berlin 1976, 52–94, bes. 70, sowie die ausführliche Darstellung bei Dufeil, Guillaume de Saint-Amour (nt. 43), 91sqq.

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sung, wie sie der Sentenzenkommentar darstellte, der Ort, die tradierte theologische Struktur Studenten zu erläutern. Eher vorsichtige Formulierungen Alberts sind vor diesem Hintergrund zu lesen. Wie geht Albert in dieser Frage nun vor? Zum einen findet die für den ordo, das Weihesakrament, grundlegende Unterscheidung in potestas ordinis und potestas iurisdictionis hier Anwendung. Albert unterscheidet schon in seinem frühen Traktat ‚De sacramentis‘, der vermutlich Anfang der 40er Jahre des 13. Jahrhunderts geschrieben wurde, ein zweifaches Verständnis von clavis: Der eine Schlüssel ist die Unterscheidungskompetenz, die jedem Ordinierten zukommt, der andere Schlüssel ist die Binde- und Lösegewalt, die zugleich ein Amt ist und mit diesem Amt verliehen wird45. Daher ist diese potestas vom ordo nicht zu trennen46. Nicht allein die Weihegewalt befugt den Priester dazu, die Beichte zu hören, sondern es bedarf einer besonderen Beauftragung, die in der Regel nur dem zuständigen Priester zukommt. Albert unterscheidet vier Möglichkeiten, wie jemand zum proprius sacerdos bestimmt werden kann: Die eine ist die Einsetzung der pastores und vicarii durch die ihnen Vorgesetzten. Die zweite Form erfolgt durch ein besonderes Privileg; Albert betont jedoch sogleich, daß dabei die kirchliche Ordnung zu wahren ist. Die dritte Möglichkeit erfolgt aufgrund einer Erlaubnis des proprius sacerdos. Die vierte Möglichkeit resultiert aus einem defectus des zuständigen Priesters. Albert macht hierzu keine näheren Angaben. Er betont lediglich, daß stellvertretend für den proprius sacerdos nur eine Person, die bekannt ist, diese Aufgabe übernehmen könne 47. Damit unterstreicht er die Intention des Konzilsdekrets, das mit der Verpflichtung auf den proprius sacerdos vor Häretikern und falschen Beichtvätern schützen wollte. Im Sentenzenkommentar, einige Jahre später geschrieben, wird Albert deutlicher: Er bestätigt zwar das Dekret Papst Gregors IX., daß die Beichte gegenüber dem zuständigen Priester abzulegen sei 48. Als Begründung für Ausnahmen verweist er jedoch auf die besonderen Umstände der gegenwärtigen Zeit: Die Sünden nehmen zu am Ende der Zeiten, doch es gibt nur wenige Priester, die wahre Seelsorger sind. Daher verleiht der Papst aufgrund der übermäßigen Nachlässigkeit und Käuflichkeit der Priester das Privileg, die Beichte zu hören jenen, die dafür geeignet sind 49. Die Jurisdiktionsgewalt hat ihren Ausgang vom summus 45 46 47 48 49

Albertus Magnus, De sacram. (Ed. Colon. 26), 146, 76–79 und 86–92. Albertus Magnus, IV Sent., 19, 3 (Ed. Paris. 29), 804b. Albertus Magnus, De sacram. (Ed. Colon. 26), 107, 14–30. Cf. Albertus Magnus, IV Sent., 17, 40, sol. (Ed. Paris. 29), 724b. Cf. Albertus Magnus, IV Sent., 17, 44, resp. (Ed. Paris. 29), 736a: „Respondeo sine praeiudicio, quod si privilegium audiendi confessiones per modum supra dictum daretur alicui, sicut datum est privilegium audiendi eos quos movent aliqui verbo suae praedicationis: firmissime credendum est, quod propter nimiam sacerdotum negligentiam hoc summus Pontifex dedit: quia peccatis nostris crescentibus in hoc fine saeculi, etiam perpauci inveniuntur sacerdotes qui veri sint pastores, sed potius vicarii conducti pretio vili: et quod abominabilius est, nec sunt perpetuati in multis terris, sed conducti ad annum, vel etiam ad dimidium, vel mensem. Et haec omnia scio, quia vidi: ita ut videatur impleri illud Ezechielis, XIII, 19: Pro fragmento panis et pugillo hordei corrumpebant me, et meum populum. Et ideo satis necessarii sunt, qui vita et scientia populum audiant et absolvant: tamen propter officium

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pontifex, vom Papst 50, was Albert in diesem Kontext nun sehr nachdrücklich betont. Dieser wiederum hat seine Autorität als Nachfolger Petri unmittelbar von Christus51. Der summus pontifex vergibt die Privilegien. Es geht somit nicht darum, die geltende rechtliche Ordnung zu verändern. Vielmehr wird der Papst in die Verantwortung gerufen, von der Möglichkeit einer Ausnahme aus gerechtem Grund Gebrauch zu machen. Die causa iusta liegt in den Erfordernissen der Seelsorge. Der Verlauf des Bettelordensstreites, insbesondere die Differenzierung zwischen dem Konflikt um die Seelsorge und dem Streit um die Lehrstühle an der Universität Paris, kann hier nicht diskutiert werden. Bekanntlich hatte Papst Innozenz IV. per Dekret vom 21. November 1254 die Rechte der Mendikanten stark beschnitten. Papst Alexander IV. hebt die einschränkenden Regelungen seines Vorgängers am 22. Dezember 1254 wieder auf 52. In mehreren Schreiben und Erklärungen bestätigt er gegenüber König und Bischöfen die Regelung, daß die Angehörigen der Bettelorden mit Erlaubnis der päpstlichen Legaten oder Ordinarien überall predigen dürfen53. Für einzelne Konvente gab es besondere Bestimmungen54. Durchgesetzt hat sich die Einschätzung, daß besondere Situationen besonderer Maßnahmen bedürfen, so wie Albert es formuliert hatte. Es ist überliefert, daß Albert 1256 vor Papst Alexander IV. die Klage der Dominikaner gegen die Vorwürfe des Wilhelm von St. Amour führte 55. Er muß

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pastorale et reverentiam sacerdotum, et quia non est detrahendum eis coram subditis, videtur quod absolvens privilegiatus deberet injungere confesso sibi, quatenus ad minus in generali ostendat se proprio sacerdoti si pastor est, vel etiam perpetuus vicarius. Si autem conductus est ad tempus, tunc videtur, quod non oportet.“ Bei der Frage nach der Binde- und Lösegewalt von Häretikern greift Albert diese Frage auf, cf. Albertus Magnus, IV Sent., 18, 6, resp. (Ed. Paris. 29), 773b: „Responsio. Dicendum in ista quaestione quod est potestas clavis ex ordine, et est potestas ex iurisdictione: sicut enim supra patuit, omnis actus quaerit materiam circa quam sit, et illi in clavibus sunt subditi, qui non nisi per iurisdictionem a summo Pontifice descendentem haberi possunt.“ Der summus pontifex erhält seine Jurisdiktionsgewalt unmittelbar von Christus, dadurch daß er Nachfolger Petri wird. Cf. Albertus Magnus, IV Sent., 24, 40, ad 2 (Ed. Paris. 30), 81b. In II Sent., 44, 6 (Ed. Paris. 27, 693b) vermerkt Albert, daß vom Papst jede potestas ausgeht und daher alle Bischöfe ihm untergeordnet sind. Bischof und Erzbischof verdanken ihre Jurisdiktionsgewalt beide dem Papst; daher gibt es zwischen ihnen keine eindeutige Über- und Unterordnung. Cf. CUP I, n. 240, 267–270 und CUP I, n. 244, 276sq. Cf. e.g. die Erklärung vom 23. Oktober 1256, CUP I, n. 293, 338–340: „[...] videlicet de potestate Romani pontificis, quod possit predicatores et confessores mittere ubique per mundum juxta sue beneplacitum voluntatis sine consensu inferiorum prelatorum quorumcumque seu parrochialium sacerdotum; item quod archiepiscopi et episcopi in suis diocesibus licentiam dare possint predicandi et confessiones audiendi sine consensu inferiorum sacerdotum vel rectorum ecclesiarum, cum viderint expedire, quodque predicatores et confessores sic missi possint libere predicare et licite confessiones audire ac absolvere penitentes.“ Exemplarisch sei verwiesen auf die Privilegien für den Frankfurter Dominikanerkonvent, cf. H. H. Koch, Das Dominikanerkloster zu Frankfurt am Main. 13. bis 16. Jahrhundert, Freiburg 1892, 40. Albert hielt sich 1256 an der päpstlichen Kurie in Anagni auf. Ein unmittelbares schriftliches Zeugnis seiner Anklage ist nicht überliefert. Cf. Miethke, Papst, Ortsbischof und Universität (nt. 44), 78sq. Quetif und Echard verweisen auf Zeugnisse über eine solche Schrift ‚Contra

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sich folglich mit dieser Problematik noch ausführlicher beschäftigt haben. Daher fällt es auf, daß er auf das Thema vom päpstlichen Primat in seinem Spätwerk nur sehr beiläufig zu sprechen kommt56. Im Kommentar zum Matthäusevangelium, der in die Zeit nach dem Bettelordensstreit zu datieren ist, könnten wir einen Hinweis in der Auslegung von Mt. 16,19 erwarten57. In dieser Perikope werden Petrus die claves verliehen. Albert diskutiert hier wiederum die Unterscheidung der Schlüsselgewalt und betont dabei den Aspekt der Autorität. Er geht an dieser Stelle jedoch nicht eigens auf den päpstlichen Primat ein58. Schon bei der Auslegung der Berufung der ersten Jünger (Mt. 4,18) verweist Albert darauf, daß derjenige, der die universitas potestatis innehat, Helfer benötigt, weil der Mensch schwach ist 59. Die lex divinitatis wird von Albert im Kommentar zum Johannesevangelium mit der Vorrangstellung Petri in Zusammenhang gebracht. In der Exegese der Perikope der Fußwaschung (Joh. 13,6) erläutert Albert mit Verweis auf das Dionysius-Zitat, daß Jesus die Fußwaschung bei Petrus als dem ersten der Apostel

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Guillemistas impugnantes religiosos‘ oder ‚Defensorium mendicantium‘ (cf. J. Quetif/J. Echard [eds.], Scriptores Ordinis Praedicatorum I, Paris 1719, 179b). – Heinrich von Herford vermerkt, Thomas von Aquin habe seinen Traktat ‚Contra impugnantes‘ (ed. Commissio Leonina, Opera omnia 41/1) in Anlehnung an Alberts Verteidigungsrede geschrieben (cf. Henricus de Hervordia, Liber de rebus memorabilioribus sive chronicon, ed. A. Potthast, Göttingen 1859, 197). Dies ist jedoch unwahrscheinlich; cf. schon H. C. Scheeben, Albert der Große. Zur Chronologie seines Lebens, (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland), Vechta–Leipzig 1931, 46. Eine Ausnahme ist Albertus Magnus, Summa II, 141, ed. A. Borgnet (Ed. Paris. 33), Paris 1895, 484. Hier wird die Lehre aus II Sent., 44, 6. (Ed. Paris. 27, 693b) wieder aufgegriffen. Angesichts der noch nicht abschließend behandelten Frage der Authentizität von Summa II ist es nicht auszuschließen, daß Alberts Schüler diese Passage aus dem Sentenzenkommentar übertragen haben. – Auch die einschlägige Sekundärliteratur kommt zu dem Ergebnis, daß Alberts Beitrag zum päpstlichen Primat gering ist; cf. Ratzinger, Einfluss des Bettelordensstreites (nt. 43), 700: „Für das Primatsthema werfen die Schriften der Dominikaner in diesem Zeitraum nichts Wesentliches ab.“ Congar sieht ebenfalls den bedeutenden Beitrag zum Primat bei Bonaventura, Thomas von York und Herveus Natalis; cf. Y. M.-J. Congar, Aspects ecclésiologiques de la Querelle entre Mendiants et Séculiers dans la seconde Moitié du XIIIe siècle et le début du XIVe, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du moyen âge 28 (1961), 35–151. 149. In der Behandlung des Themas bei Hödl wird Albert nur knapp erwähnt, Hödl, Sakramentale Buße (nt. 41). Cf. Albertus Magnus, Super Matth., 16, 19 (Ed. Colon. 21/2), 460, 56sqq. Ulrich Horst kommt bei seiner Analyse von Alberts Auslegung von Matth. 16,18sqq. ebenfalls zu diesem Ergebnis; cf. U. Horst, Albertus Magnus und Thomas von Aquin zu Matthäus 16, 18ff. Ein Beitrag zur Lehre vom päpstlichen Primat, in: W. Senner/H. Anzulewicz e.a. (eds.), Albertus Magnus, (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens N.F. 10), Berlin 2001, 553–571. 559: „Daß Albert an allen entscheidenden Stellen auf einer konservativen Linie verharrt, ist das eigentlich überraschende Ergebnis unserer Untersuchung, die trotz ihrer limitierten Basis hinreichend aussagekräftig sein dürfte.“ Horst geht allerdings davon aus, daß Albert keine Erfahrung an der Kurie hatte; er berücksichtigt nicht seinen Aufenthalt 1256 in Anagni. Albertus Magnus, Super Matth., 4, 18 (Ed. Colon. 21/1), 96, 73–78: „In potestate autem ministrorum necesse est aliquem esse, penes quem consistat universitas potestatis, ita quod in opere sollicitudinis habeat coadiutores, eo quod homo est et infirmus, et necesse est, quod aliqui ‘in partem sollicitudinis advocentur’.“

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begann60. Unterstrichen wird in der weiteren Auslegung die besondere Ehrerbietung, die Petrus Christus gegenüber erweist 61. Das Handeln Jesu und seine Antwort auf die Einwände des Petrus sollen den Aposteln ein notwendiges Beispiel der Demut geben, weil die, die Stellvertreter und Nachfolger Christi sein sollen, nur zu schnell dem Stolz verfallen62. Albert kennt den Primat Petri, behandelt dieses Thema aber mit deutlicher Zurückhaltung. Hatte Albert bei seinem Aufenthalt an der päpstlichen Kurie gelernt, wie schnell Entscheidungen in die eine oder andere Richtung getroffen werden können? Eine kurze Reminiszenz an die Zeitsituation können wir vielleicht in Super Joh. 18,30 finden. Bei der Verurteilung Jesu sagen die jüdischen Ankläger zu Pilatus: „Wäre er kein Übeltäter, so hätten wir ihn dir nicht ausgeliefert.“ Albert kommentiert diesen Satz des Evangeliums: „Wir, die wir von so hoher Autorität und Religiosität sind [hätten ihn nicht ausgeliefert] – dabei hatten sie in der Sache nichts entgegenzusetzen.“63 Und Albert fügt an: „Ähnlich erleben wir es bei unseren Päpsten / höchsten Bischöfen, die aus alleiniger Autorität Unschuldige unterdrücken, und für unschuldig gehalten werden wollen. Es besteht nämlich für unsere Autorität eine solche Vermessenheit, daß wir nichts Ungehöriges tun.“64 Auch im Lukaskommentar Alberts finden wir deutliche Worte in der Einschätzung kirchlicher Würdenträger. In seiner Auslegung der Ankündigung des letzten Gerichtes – ‚Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen …‘ (Luk. 21,25) – deutet Albert die Gestirne auf die Stände der Kirche: „Die Sonne wird nämlich verdunkelt, wenn jene, die Erleuchter des Weltkreises 60

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Albertus Magnus, Super Joh., 13, 6, ed. A. Borgnet (Ed. Paris. 24), Paris 1899, 504b: „Dicit ergo Dionysius, quod lex divinitatis est per prima media, et per ultima media reducere. Et sic fecit Christus incipiens a principe Apostolorum.“ Ibid.: „Et sic hic tangitur specialiter reverentia Petri ad Dominum pedes lavantem.“ Ibid., 503a: „Dixit Jesus sicut illuminator dispensationis, quam exhibens, formam humilitatis assumpsit et officium: quod ego facio in forma humilitatis quam exhibeo, et purificatione quam impendo, tu nescis modo, quam scilicet necessarium est vobis humilitatis exemplum: quia post totum illud, adhuc cum Lucifero superbient, qui vicarii et sucessores Christi existunt. Aliter enim non potuit nostrae superbiae tumor curari nisi per maximam humilitatem Redemptoris.“ (Der kommentierte Bibeltext ist unterstrichen.) Albertus Magnus, Super Joh., 18,30 (Ed. Paris. 24), 640a: „[...] nos qui sumus tantae auctoritatis et religionis, et tamen in facto nihil obiciunt.“ bid.: „Similes adhuc Pontificibus summis nostris, qui ex sola auctoritate innocentes opprimunt, et credi sibi in sanguinem volunt innocentem. Est enim de nostra auctoritate tanta praesumptio quod nihil perperam faciamus.“ – Ähnlich äußert sich auch Robert Grosseteste; cf. D. E. Luscombe, Thomas Aquinas and Conceptions of Hierarchy in the Thirteenth Century, in: A. Zimmermann/C. Kopp (eds.), Thomas von Aquin (Miscellanea Mediaevalia 19), Berlin 1988, 261–277. 264: „If a hierarch oppresses his subjects, the ‘raison d’être’ of hierarchy is lost.“ – Nach Thomas von Cantimpré soll Albert im Anschluß an den Bettelordensstreit in Italien seinen Johannes-Kommentar verfaßt haben. Cf. Thomas Cantimpratensis, Bonum universale de apibus, 24, Douai 1627, 176. Es ist jedoch ein größerer zeitlicher Abstand anzunehmen, da Albert die Kommentierung der Evangelien, wie Querverweise zeigen, in der biblischen Reihenfolge vorgenommen hatte. Demnach setzt der Johannes-Kommentar die drei anderen Evangelienkommentare voraus. Cf. hierzu schon Dufeil, Guillaume de Saint-Amour (nt. 43), 261sq.

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sein sollten, verdunkelt sind, wie der Papst, die Kardinäle, die Erzbischöfe und Bischöfe. (…) Diese Leuchten sind schon mehr verfinstert als andere Finsternisse, zum einen durch Unwissenheit, zum anderen durch ein geschwärztes Leben. Diese sind es, die unbeweglich sind und nicht umhergehen, weil sie nicht die Sorge um ihre Untergebenen im Sinn haben, sondern in der Höhe ihrer Beflissenheit erhaben und müßig stehen.“65 V. Abschließende Bemer kung en Werfen wir zum Schluß einen Blick auf die weitere Perspektive. Albert verweist in den Texten, die sich mit Fragen hierarchischer Kompetenz im Rahmen der Sakramentenlehre befassen, auf die lex divinitatis, um die geltende kirchenrechtliche Struktur zu erklären. Die historischen Ereignisse drängen auf eine Weiterentwicklung der kirchenrechtlichen Struktur, die mit den Privilegien für die Bettelorden auch längst in Gang ist. Läßt sich das Hierarchie-Konzept des Dionysius für diese Problematik in Dienst nehmen66? Bei Alberts Zeitgenossen findet sich allenthalben eine Tendenz, die lex divinitatis des Dionysius auf die aktuellen Anliegen zu deuten67. Wilhelm von St. Amour beruft sich ausdrücklich auf Dionysius, wenn er die hierarchische Ordnung gegen die Bettelorden geltend macht. Er zeichnet ein geschlossenes, kontinuierliches Bild der Hierarchie von den Apostel-Bischöfen ausgehend bis in seine Zeit. Diese Hierarchie sei unveränderlich und ewig 68. Wilhelm verweist auf die entsprechenden Passagen aus ‚De caelesti hierarchia‘ und ‚De ecclesiastica hierarchia‘. Eine Interpretation bietet Dionysius selbst im Brief an Demophilos, in dem er einen Mönch mahnt, er habe kein Recht, sich gegen seinen Oberen zu erheben, weil er

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Albertus Magnus, Super Luc., 21, 25 (Ed. Paris. 23), 644b: „Sol enim obscuratur, quando illi qui illuminatores orbis terrae deberent esse, obscurantur, sicut Papa, Cardinales, Archiepiscopi et Episcopi. […] Haec enim luminaria tenebrosiora iam sunt quam alia tenebrosa, tum per ignorantiam, tum etiam per nigram vitam. Hi etiam sunt qui stant, non circumeunt, quia de cura subditorum nihil considerant, sed in altitudine suae ambitionis stant erecti et otiosi.“ Pree sieht die neuplatonische Lehre des Dionysius „offen für eine Ausgestaltung als rechtliche Struktur“. Cf. H. Pree, „Lex divinitatis est, infima per media in suprema reduci“ (X vag. comm. 1,8,1). Überlegungen zum hierarchischen Amtsverständnis, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 119 (2002), 411–442. 414: „Durch die Verschmelzung mit dem ordo-Gedanken erfährt der dionysische Hierarchiebegriff eine juristische Transformation.“ Zwar wurde, historisch betrachtet, das Werk des Dionysius hierfür in Dienst genommen. Diese Weiterentwicklung scheint mir jedoch inhaltlich nicht in seinem Konzept grundgelegt zu sein. Cf. Rorem, Pseudo-Dionysius. A Commentary (nt. 7), 30sqq. William of Saint-Amour, De periculis novissimorum temporum. Edition, Translation, and Introduction, Leuven 2008, 56/57. Cf. hierzu die Ausführungen bei M.-M. Dufeil, Ierarchia: Un concept dans la polémique universitaire parisienne du XIIIème siècle, in: A. Zimmermann/G. Vuillemin-Diem (eds.), Soziale Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters (Miscellanea Mediaevalia 12/1), Berlin 1979, 56–83.

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sonst gegen die Hierarchie handelt. Aus diesem Hierarchieverständnis sollte sich nach Wilhelms Ansicht auch im 13. Jahrhundert ableiten lassen, daß Ordensangehörigen keine sakramentale Vollmacht zukäme. In seinen Dionysius-Kommentaren machte Albert dagegen deutlich, daß Dionysius als Vertreter der primitiva ecclesia zu interpretieren ist 69. Kirchenrechtliche Tatbestände des 13. Jahrhunderts dürften folglich nicht in sein Werk projiziert werden. Diese historische Sichtweise macht sich später Thomas von Aquin in der Argumentation gegen Wilhelm von St. Amour zu eigen, wenn er in ‚Contra impugnantes‘ darlegt, daß zur Zeit des Dionysius Mönche keine Kleriker waren, wie es auf die Angehörigen der Bettelorden zutrifft. Thomas sieht darin sogar eine Voraussetzung gegeben, Dionysius zu modifizieren. Ihm ist es wichtig, daß die kirchliche Hierarchie die himmlische nicht vollständig nachahmt, daß sie sogar trotz ihrer göttlichen Einsetzung eine historische Entwicklung nimmt. Für Thomas gibt es innerhalb der kirchlichen Hierarchie auch Rangvertauschungen der lex divinitatis 70. Andere Autoren, Bonaventura und Thomas von York, sehen darüber hinaus hier den Ansatzpunkt für die Ausarbeitung der Lehre vom päpstlichen Primat 71. Wilhelm von Auvergne scheint der erste zu sein, der die von Dionysius entlehnte Lehre auch auf weltliche Hierarchien anwendete. Säkulare wie kirchliche Ordnungen haben ihr Vorbild im himmlischen Königreich72. Anfang des 14. Jahrhunderts, als Aegidius Romanus und Jakob von Viterbo die theologischen Vorlagen für die Bulle ‚Unam sanctam‘ ausarbeiteten, erhielt diese politische Auslegung eine neue Dimension73. Hier ging es nicht mehr wie bei Dionysius um den Grad der Partizipation am göttlichen Licht bei geschaffenen Wesen, sondern die juridische Beziehung von Laien und Klerikern wurde reflektiert74. Die Anerken69

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In Alberts Kommentar zum Brief an Demophilos (Ed. Colon. 37/2, 514–527) ist der Konflikt in keiner Weise erkenntlich. Der lange Text wird ausführlich paraphrasiert, jedoch nur geringfügig durch quaestiones erläutert. Offenkundig sah Albert keinen Anlaß, aktuelle Fragen an dieser Stelle zu diskutieren. Thomas von Aquin, Contra impugnantes, 4, ed. Commissio Leonina (Opera omnia 41A), 80, 1062–1082: „[…] dicendum quod ecclesiastica ierarchia imitatur caelestem quantum potest, sed non in omnibus. […] Unde non est inconveniens si in ecclesiastica ierarchia aliquis inferioris ordinis officium superioris ordinis exerceat eius commissione.“ Cf. Luscombe, Thomas Aquinas (nt. 64), und Dufeil, Ierarchia: Un concept (nt. 68), 70. Siehe auch W. J. Hankey, „Dionysius dixit, lex divinitatis est ultima per media reducere“. Aquinas, Hierocracy and the „Augustinisme politique“, in: Medioevo 18 (1992), 119–150. Cf. L. Hödl, Dienst und Vollmacht der Presbyter im mittelalterlichen Ringen um das theologische Verständnis der Kirchenverfassung, in: S. Kuttner (ed.), Studia Gratiana XI, Roma 1967, 527–554; Ratzinger, Einfluß des Bettelordensstreites (nt. 43), v.a. 715; und Luscombe, Lex divinitatis (nt. 3), 208sqq. Cf. D. E. Luscombe, Conceptions of Hierarchy before the thirteenth century, in: A. Zimmermann/G. Vuillemin-Diem (eds.), Soziale Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters (Miscellanea Mediaevalia 12/1), Berlin 1979, 1–19, bes. 14sqq. Cf. Congar, Aspects ecclésiologiques (nt. 56), 138sqq.; Luscombe, Lex divinitatis (nt. 3), 215sqq. Luscombe macht zu Recht auf diese Diskrepanz aufmerksam, cf. Luscombe, Lex divinitatis (nt. 3), 208.

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nung der Herrschaft des Papstes auch in weltlichen Angelegenheiten bedurfte für Bonifaz VIII. einer gesetzlichen Klärung75. Für die Begründung schien das Hierarchie-Konzept des Dionysius geeignet. Albert hält die Bereiche getrennt. Die Fortführung in den politischen Bereich ist für ihn kein Thema. Im Sentenzenkommentar, am Vorabend des Bettelordensstreites, lassen sich zwar Ansätze finden für ein Weiterdenken der Konzeption des Dionysius auf eine Vorrangstellung des Papstes. Albert verweist hierfür jedoch auf die rechtliche Struktur der potestas iurisdictionis. Er macht deutlich, daß er den ordo als solchen nicht in Frage stellt. Nicht die lex divinitatis ändert sich, sondern potestate iurisdictionis werden Ausnahmen in der kirchlichen Hierarchie geregelt, für deren Begründung Dionysius keine Rolle spielt76. Die klassische Bibelstelle, auf die sich später die Bulle ‚Unam sanctam‘ stützt, ist die Zwei-Schwerter-Lehre aus Luk. 32,38. Albert legt diese Stelle schon in seinem Kommentar ‚De caelesti hierarchia‘ aus77. Die beiden Schwerter bezeichnen die potestas spiritualis und saecularis. Jurisdiktionell gehören beide in den Autoritätsbereich der kirchlichen Hierarchie78. In der Ausübung der potestates gilt es aber zu differenzieren. Die geistliche Macht liegt ganz in der Hand der kirchlichen Würdenträger. Die Ausübung des weltlichen Schwertes, die erst durch die Ausbreitung der Kirche erforderlich geworden ist79, wird delegiert. Albert erläutert, daß die weltliche Macht nicht ohne Blutvergießen ausgeübt werden könne und daher diejenigen, die sie ausüben, nicht mehr für den Dienst am Altar geeignet sind. Albert nennt im Dionysiuskommentar, bei der Behandlung des ordo principum, den princeps ecclesiae als den Inhaber der potestates; im Lukaskommentar ist es der minister ecclesiae. Eine Formulierung wie in der päpstlichen Bulle, daß beide Schwerter in der Hand des vicarius Christi liegen, findet sich im Matthäuskommentar, ohne daß Albert an dieser Stelle auf den päpstlichen Primat einginge80. Nach Dionysius ist es klar, daß das Ziel der reductio der eine und dreifaltige Gott ist. Jede andere hierarchische Stufe ist in diese Bewegung integriert. Die Vorstellung, daß die Spitze der Hierarchie in einem Menschen erreicht sein könnte, liegt diesem Denken fern. In der Hierarchie, wie Dionysius sie beschreibt, gibt es

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Cf. Ubl, Die Genese der Bulle Unam Sanctam (nt. 6), 148. Schon Congar konstatiert in seinem Artikel ohne eingehende Prüfung der Texte Alberts (wie er selbst betont), daß Albert den Papst nicht als primus hierarcha denkt; cf. Congar, Aspects ecclésiologiques (nt. 56), 133, nt. 321. Albertus Magnus, Super Dion. De cael. hier., 9 (Ed. Colon. 36/1), 139, 58–77. Diese Auffassung ist schon von Bernhard von Clairvaux formuliert worden, auf den sich Albert hier beruft. Cf. Bernardus Claraevallensis, De consideratione, IV, 3, 7, edd. J. Leclercq/ H. M Rochais (Editiones Cistercienses, S. Bernardi Opera 3), Rom 1963, 454, 9–14. Cf. Albertus Magnus, Super Luc., 32, 38. (Ed. Paris. 23), 688. Cf. Albertus Magnus, Super Matth., 10, 10 (Ed. Colon. 21/1), 326,41–50: „Sed ad hoc dicendum, quod arma defensionis, non impugnationis sunt contra eos qui nituntur subvertere fidem in plebe, postquam ad statum fidei devenit. Et ad hoc habet duos gladios Christi vicarius: unum, quo ferit, qui est spiritualis potestatis, et alterum, quo licet non feriat, tamen ad imperium eius exserendus est, ut feriat, et hunc habet ecclesiae advocatus vel officiatus.“

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keinen Papst, denn die kirchliche Hierarchie ist wiederum der himmlischen untergeordnet. Wenn Albert auf den Primat des Petrus zu sprechen kommt, so ist dies der faktischen kirchenrechtlichen Struktur geschuldet und nicht der DionysiusRezeption. Die lex divinitatis, wie Albert sie im Anschluß an Dionysius in seinem Werk verwendet, muß verstanden werden als die Ordnung des Ausgangs der Schöpfung aus Gott und der Rückkehr der vernunftbegabten Geschöpfe zu ihrem göttlichen Ursprung. Wenngleich Albert im Prolog zu ‚De caelesti hierarchia‘ das Ausströmen aus dem Göttlichen als auch die (nur) belebte oder sinnenhafte Natur umfassend beschreibt, so wird doch sofort deutlich, daß es im eigentlichen Sinne um den Menschen geht. Nicht die Ordnung der materiellen Schöpfung nach Naturgesetzen steht hier zur Diskussion, sondern der jeweilige Ort der vernunftbegabten Geschöpfe in der Hierarchie. Es ist die von Gott gesetzte Grundstruktur des Daseins, die immer schon die Zielbestimmung des vernunftbegabten Geschöpfes impliziert; denn je nach dem Platz innerhalb der Hierarchie bemißt sich die Rückführung der einzelnen. Die durch illuminatio vermittelte reductio richtet sich ausdrücklich an die vernunftbegabte Kreatur, die im Erkenntnisprozeß eine assimilatio dei erlangt. Konkrete Formen der Vermittlung, wie sie in Riten und Geboten der kirchlichen Hierarchie vorhanden sind, haben dienende Funktion. Sie können nach den jeweiligen historischen Erfordernissen angepaßt werden. Der providentielle Charakter der lex kommt in der divinitas zum Ausdruck. Dionysius definiert: „Die Gottheit aber ist eine Vorhersehung, die alles sieht, die in vollkommener Gutheit alles allseitig betrachtet und alles beinhaltet und es mit sich selbst ausfüllt, und sie überschreitet alles, was sich ihrer Vorhersehung erfreut.“ 81 Sowohl der Kommentator Maximus Confessor wie auch Johannes Damascenus, die Albert in diesem Zusammenhang zitiert, interpretieren theos unter dem Aspekt des Betrachtens und Bewahrens82. Geordnet durch die lex divinitatis geht die Schöpfung von Gott in der Weise aus, daß die Voraussicht auf das Ziel immer schon im Blick ist. Der Prozeß des Ausgangs und der Rückführung ist kontinuierlich von der bewahrenden Betrachtung Gottes aktiv gehalten. Dennoch bleibt Gott allem, was in seiner Vorsehung liegt, gegenüber transzendent 83. Albert bleibt Dionysius auch darin treu, daß die hierarchische Ordnung Spiegel göttlicher Schönheit ist. Die lex divinitatis entspricht in ihren Eigenschaften der göttlichen 81

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Dionysius Areopagita, De divinis nominibus, 12, translatio Sarraceni. Recueil donnant l’ensemble des traductions Latines des ouvrages attribués au Denys de l’Aréopage, ed. Ph. Chevallier, Bruges 1937 (Dionysiaca I, 530sq.): „Deitas autem, quae omnia videt, providentia, et bonitate perfecta omnia circumspiciens et continens et seipsa implens et excedens omnia providentia ipsa utentia.“ Cf. Albertus Magnus, Super I Sententiarum, 2, 11, ed. A. Borgnet (Ed. Paris. 25), Paris 1893, 64sq. Albert verwendet im Zitat aus ‚De divinis nominibus‘ divinitas. Cf. Saint John Damascene, De fide orthodoxa, 9, Versions of Burgundio and Cerbanus, ed. E. M. Buytaert (Franciscan Institute Publications. Text Series N. 8), St. Bonaventure–Louvain–Paderborn 1955, 49, 20–24; Commentum in Dionysium De div. nom. c.12 § 2: Cod. Paris. BnF lat. 15630, foll. 143vb–144ra. Die griechische Etymologie kann im Lateinischen nicht nachgeahmt werden. Cf. Albertus Magnus, De div. nom., 12 (Ed. Colon. 37/1), 430, 40–65.

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Gutheit und Schönheit. Unter dieser Maßgabe erfolgt die Rückführung der vernunftbegabten Schöpfung84. Alberts Verdienst ist es, der Dionysius-Rezeption allgemein und der Interpretation der lex divinitatis breiten Raum geschaffen zu haben. Die theologischen Impulse, die er gab, wurden von anderen Autoren politisch weiterentwickelt.

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Albertus Magnus, De div. nom., 4 (Ed. Colon. 37/1), 201, 45–53: „Cum enim motus circularis angelorum sit, secundum quod per pulchritudinem, quam consequuntur ex lumine primi, revertuntur in ipsum, motus autem rectus, secundum quod procedunt in providentiam inferiorum, motus obliquus ex utroque compositus est, quando per pulchritudinem, quae in eis est ex descensu luminis a primo, procedunt in inferiora et sic demum revertuntur in primum reducendo etiam inferiora.“

Der Vergleich von Altem und Neuem Gesetz im Spiegel ausgewählter scholastischer Kommentierungen von 3 Sent., d. 40 T M (Augsburg) I. Hinführ ung Der Vergleich zwischen Altem und Neuem Gesetz1 gehörte bereits vor der Entfaltung eines umfassenden Gesetzestraktats zu den regelmäßig behandelten Themen scholastischer Theologie. Wichtigster Grund dafür war zweifellos das Interesse, das ihm in vielen Texten der Väter (namentlich bei Augustinus) überall dort entgegengebracht worden war, wo einerseits die Überlegenheit der von Christus gestifteten Heilsordnung gegenüber der alttestamentlichen Ordnung aufgezeigt und andererseits die innere Bezogenheit beider aufeinander und dadurch die bleibende Relevanz des Alten Bundes und seines Gesetzes auch im Christentum begründet werden sollten. Das Instrumentarium für diese Auslegung war schon von Theologen vor Augustinus entwickelt worden. Die geistlich-übertragene Interpretation der alttestamentlichen Gesetzestexte geht bis auf Origenes zurück und hatte vor allem über Hieronymus Einzug auch in die westliche Theologie gehalten. Bei Gregor dem Großen wurde sie erneut unterstrichen2. In ihrem Licht erweisen die Gesetzestexte des Alten Bundes ihre bleibende Geltung, für deren Anerkennung aber die Christusbotschaft den unverzichtbaren hermeneutischen Schlüssel liefert. Deren größere Dignität in der objektiv-heilsgeschichtlichen Ordnung bildet sich nach der Überzeugung der christlichen Theologen unmittelbar im Vergleich der alt- und neutestamentlichen Texte ab. Obwohl, wie etwa Beryl Smalley gezeigt hat, die mittelalterliche Theologie schon im 12. Jahrhundert die Bemühung erkennen läßt, das alttestamentliche Gesetz „in sich“, also im Kontext der heilsgeschichtlichen Situation, in der und

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Mit V. Marcolino, Das Alte Testament in der Heilsgeschichte. Untersuchung zum dogmatischen Verständnis des Alten Testaments als heilsgeschichtliche Periode nach Alexander von Hales (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, N.F. 2), Münster 1970, 85, ist auf die oft sehr weite Verwendung des Begriffs ‚Gesetz‘ bei den scholastischen Theologen hinzuweisen: „Die mittelalterliche Scholastik betreibt ihre Theologie des Alten Bundes unter dem Oberbegriff des Gesetzes; so kann das Alte Testament sogar einfach als ‚das Gesetz‘ schlechthin bezeichnet werden.“ Cf. B. Smalley, William of Auvergne, John of la Rochelle and St. Thomas Aquinas on the Old Law, in: ead., Studies in Medieval Thought and Learning. From Abelard to Wyclif, London 1981, 121–181, hier: 122sq.

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für die es von Gott verfügt worden war, in seinem durch Litteralexegese erfaßbaren Eigenwert wiederzuentdecken3, blieb die Vorgabe der Vätertheologie dort wirksam, wo ein unmittelbarer Vergleich zwischen alt- und neutestamentlicher Gesetzesordnung angezielt wurde. Dieser ist nach diversen Aspekten bereits in der Schule von Laon nachweisbar 4, und er hat seitdem in der frühscholastischen Literatur einen festen Platz eingenommen. Die Behandlung der Gesetze und Sakramente des Alten Bundes 5 bot sich dabei als geeigneter Ort auch für den Vergleich mit der analog gestalteten Ordnung des Neuen Bundes an6. Schon in den ‚Sentenzen‘ des Petrus Lombardus († 1160) ist unser Thema präsent. Deren drittes Buch behandelt nach der Christologie die drei göttlichen Tugenden und nimmt die Distinktionen über die Liebe zum Anlaß, anschließend weitere handlungsleitende Prinzipien zu besprechen, die für den Christen Relevanz besitzen: die vier Kardinaltugenden (d. 33), die (ebenfalls unter die Tugenden gezählten) sieben Gaben des Heiligen Geistes (d. 34) und nach einigen weiteren Aspekten der Tugendlehre (d. 35–36) die zehn Gebote als Ausfaltung des doppelten Liebesgebotes mit Blick auf Gott und den Nächsten (d. 37–40). Der Dekalog repräsentiert das Zentrum des alttestamentlichen Gesetzes, und in der Behandlung seiner einzelnen Gebote ist immer wieder das Verhältnis zum Neuen Testament zu thematisieren. In d. 40 kommt der Lombarde im Anschluß an die Erläuterung der beiden letzten Weisungen der zweiten Dekalogtafel explizit auf das Verhältnis von „Gesetz und Evangelium“ zu sprechen7. Grund dafür scheint zum einen der Inhalt dieser beiden Vorschriften zu sein, das Verbot des Begehrens einer fremden Frau und fremden Eigentums, denn durch ihren Bezug auf die Herzenshaltung und nicht bloß das äußere Werk weisen sie nach Überzeugung des Magisters schon deutlich in die Ordnung des Neuen Bundes hinein. Der Abschluß der Dekalogerklärung lädt darüber hinaus zu einem generellen Fazit über das Verhältnis von Gesetz und Evangelium ein (c. 2 und 3), das Lombardus aus Zitaten des Augustinus und der Glosse zusammenstellt. Damit ist zugleich ein nahtloser Übergang zum vierten Buch geschaffen, das bei der Behandlung der Sakramente den Vergleich der beiden Ordnungen unter vielen Einzelhinsichten fortsetzen wird.

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Smalley (ibid. 132) nennt als einen möglichen Grund die Herausforderung, welche durch die prinzipielle Gesetzeskritik der Katharer im Raum stand. Cf. die Übersicht bei U. Horst, Gesetz und Evangelium. Das Alte Testament in der Theologie des Robert von Melun (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der Mittelalterlichen Theologie und Philosophie, N. F. 13), Paderborn 1971, 1, Anm. 2. Cf. etwa die Kapitel über das alttestamentliche Gesetz bei Hugo von S. Viktor († 1141), De sacramentis, l. I, p. 12, ed. J.-P. Migne (Patrologiae cursus completus. Series Latina 176), Paris 1854, 347–363, und in der Summa Sententiarum, tr. 4, ed. J.-P. Migne (Patrologiae cursus completus. Series Latina 176), Paris 1854, 118–126. Beispielhaft sei auf die ausführliche Behandlung des Gesetzesvergleichs bei Robert von Melun († 1167) verwiesen, die Ulrich Horst monographisch untersucht hat: Gesetz und Evangelium (nt. 4). Cf. Petrus Lombardus, Sententiae, l. III, d. 40, c. 2–3 (Spicilegium Bonaventurianum 5), Grottaferrata 1981, 229.

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Die Kommentatoren haben die Vorgabe des Sentenzenmeisters aufgegriffen und gerne die knappen Passagen über das Verhältnis von Gesetz und Evangelium8 im Kontext von 3 Sent., d. 40 zu mehr oder weniger ausführlichen Quästionen ausgeformt. Wir beschränken uns im Folgenden auf einige der prominentesten Beispiele dafür aus der Theologie des 13. und frühen 14. Jahrhunderts. Manche dieser Texte sind ausführlicher gestaltet, wie etwa diejenigen des Alexander von Hales OMin († 1245), Bonaventura OMin († 1274), Thomas von Aquin OP († 1274), Richard von Mediavilla OMin († 1308) oder (mit Einschränkungen) Johannes Duns Scotus OMin († 1308). Andere Autoren der Epoche, wie Albertus Magnus OP († 1280), Petrus Aureoli OMin († 1322) oder Durandus a S. Porciano OP († 1334), äußern sich in d. 40 eher kurz, wieder andere auch gar nicht zu unserem Thema, so etwa Richard Fishacre OP († 1248), Wilhelm de la Mare OMin († ca. 1285), Robert Kilwardby OP († 1279) und Walter Chatton OMin († 1343)9. Mit der im Verlauf des 14. Jahrhunderts zunehmenden Eingrenzung der Kommentierungen von Buch drei auf wenige, meist sehr spekulative Einzelpunkte wird unsere Fragestellung zurückgedrängt, verschwindet aber bis zum Ende der Sentenzenkommentierungen auf der Schwelle zur Neuzeit niemals völlig, wie etwa ihre Behandlung bei Gabriel Biel († 1495) oder John Mair († 1550) bezeugt10. Nur am Rande berücksichtigen können wir im vorliegenden Beitrag die Erörterungen des Themas, die sich außerhalb von Sentenzenkommentaren in teils großer Ausführlichkeit finden, vor allem in scholastischen Summen (wie in den großen Gesetzestraktaten der ‚Summa Halensis‘ oder der thomanischen ‚Summa theologiae‘) oder Quästionenfolgen (wie etwa den ‚Quaestiones de legibus‘ des Matthaeus ab Aquasparta OMin [† 1302])11. 8

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Zur Terminologie cf. U. Kühn, Via Caritatis. Theologie des Gesetzes bei Thomas von Aquin, Göttingen 1965, 70sq. Zunehmend wird lex nova zum Oberbegriff für „alles das, was aus dem Munde Christi an Verfügungen, Geboten und Verheißungen als bestimmend für das Leben der an ihn Glaubenden hervorgegangen ist“ (70). Die Bemerkung Kühns, daß damit „die Scholastik mehr und mehr vom Sprachgebrauch Augustins ab[rücke], bei dem ich außer ‚Evangelium‘ nur ‚Gesetz der Barmherzigkeit‘, ‚Gesetz der Liebe‘ und vor allem „Gesetz des Glaubens‘ gefunden habe“ (71), ist nicht ganz korrekt, da der Ausdruck lex nova auch schon bei Augustinus vorkommt; cf. etwa De gratia et libero arbitrio, 18, 37 (PL 44, 903, 44–49); Contra Iulianum opus imperfectum, VI, 15 (CSEL 85/2, 339, 80). Die Formulierung bei U. Kühn, Via caritatis (nt. 8), 74, wonach der Vergleich von Gesetz und Evangelium in d. 40 „obligat“ zu den Aufgaben der Kommentatoren gehört habe, ist daher übertrieben. Cf. G. Biel, Collectorium circa quattuor libros Sententiarum, l. III, d. ult., quaest. ult., a. 1–3, edd. W. Werbeck/U. Hofmann, Tübingen 1979, 698–704 (die Ausführungen haben stark kompilatorischen Charakter, sofern sie aus Bonaventura, Thomas oder Scotus genommen sind); J. Maior, In tertium Sententiarum, Paris 1517, hier: d. 40, q. 4 (164ra–va). Natürlich gibt es noch zahlreiche weitere Kontexte, innerhalb derer mittelalterliche Theologen das Thema in teils origineller Gestalt aufgreifen und denen hier ebenfalls nicht weiter nachgegangen werden kann. Beispielhaft genannt seien etwa die stark den Gegensatz von Zeitlichkeit und Ewigkeit reflektierende Auslegung im Johanneskommentar Meister Eckharts (cf. die Belege bei U. Kern, Der Gang der Vernunft bei Meister Eckhart [Rostocker theologische Studien 25], Berlin–Münster 2012, 214sqq.) oder die politisch-theologische Verwertung unseres Gegensatz-

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II. Der Vergleich zwischen Gesetz und Evang elium 1. Elemente des Vergleichs Die üblichen drei Teilaspekte, nach denen die Ordnungen des Alten und Neuen Bundes untersucht und verglichen werden, übernimmt Lombardus aus der Glossentradition12: Sie sind geprägt durch „unterschiedliche Verheißungen“, „unterschiedliche Sakramente“ und „unterschiedliche Gebote“. Auch die allermeisten nachfolgenden Autoren knüpfen an diese Trias an. Innerhalb ihrer gestehen die Scholastiker nur den Moralvorschriften kontinuierliche Fortgeltung im Neuen Bund zu, während die Wirksamkeit der alttestamentlichen Rechts- und Zeremonialvorschriften ihrem Wortlaut nach mit Christi Tod endet. Dennoch bleiben sie nach Lombardus im Evangelium „in vollerer Weise“ enthalten13. Dahinter steht die aus der Vätertheologie bekannte Leitthese, wonach das Evangelium das ganze Gesetz enthält, nicht aber umgekehrt14. Diejenigen seiner Weisungen, die im Neuen Bund nicht mehr in wörtlicher Form vorgeschrieben sind, dürfen dennoch als in geistlicher Hinsicht erfüllt und somit in „aufgehobener“ Gestalt präsent angesehen werden. Dieses Unterscheidungs- und Vergleichsmuster wird auch von den späteren Autoren durchgängig übernommen15. Zunehmend vermehrt werden im 13. Jahrhundert die Formalaspekte der Gegenüberstellung. Alexander von Hales präsentiert in seiner Sentenzenglosse16 ein nach der aristotelischen Ursachenlehre differenziertes Schema. So unterscheiden sich nach ihm die beiden Ordnungen in der Benennung („Gesetz“ und „Testament“), nach der Wirkursache (Moses und Christus), der Materialursache („fleischliche“ Gebote und Verheißungen gegenüber „geistlichen“), den angestrebten Zielen und Wirkungen („Befreiung von der Schuld“ gegenüber „umfassender Erlösung“, unvollkommener gegenüber vollkommenem Gehorsam) und der Formalursache („Furcht“ gegenüber „Liebe“).

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paares bei Wilhelm von Ockham (De imperatorum et pontificum potestate, in: Guillelmi de Ockham Opera Politica IV, ed. H. S. Offler, Oxford 1997, 261–355, hier: c. 1–3, 282–287; Kernaussage: Die Annahme einer Gewaltenfülle des Papstes in spiritualibus et temporalibus würde dazu führen, daß das Neue Gesetz zur ärgeren Knechtschaft würde als das Alte). Die Herausgeber verweisen auf die Glossa ordinaria zu Hebr 8,6–7, auf Bezüge zur Glossa media zu Ps 73,1 sowie zu Hugo von S. Viktor, De sacramentis, l. I, p. 12, c. 10 (PL 176), 364A. Cf. auch M.-D. Chenu, La théologie de la loi ancienne selon saint Thomas, in: Revue Thomiste 61 (1961), 485–497, hier: 491sqq. Petrus Lombardus, Sententiae, l. III, d. 40, c. 2 (Spicilegium Bonaventurianum 5), 229. Alexander von Hales, Glossa in quattuor libros Sententiarum Petri Lombardi, l. III, d. 40 (Bibliotheca Franciscana Scholastica Medii Aevi 14), Quaracchi 1954, 545sq. Bonaventura, Liber III Sententiarum, d. 40, q. 2 c., ed. L. M. Bello (Opera theologica selecta, ed. minor), Quaracchi 1941, 900a–b, verweist auf die Einführung der drei Begriffe bei Hugo von S. Viktor (De sacramentis, l. I, p. 12, c. 4 [PL 176], 351): „sacramenta sunt adiutoria, ut per praecepta veniatur ad promissa“. Cf. Alexander von Hales, Glossa, l. III, d. 40, Quaracchi 1954, 544sq.

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Die ‚Summa Halensis‘ kennt leicht abweichende Vergleichspunkte17. In einer stärker konzentrierten, aber im Prinzip unveränderten Form diskutiert Bonaventura unser Thema in drei Quästionen, welche Gesetz und Evangelium in sich, hinsichtlich ihrer Wirkungen sowie der jeweils mit ihnen „verbundenen Last“ bewerten18. Schon dieser knappe Überblick zeigt: Die Abhandlungen der scholastischen Autoren sind durchweg geprägt von der Konstruktion schroffer Gegensätze, mit deren Hilfe die Differenz zwischen der alten und der neuen Heilsordnung auf möglichst vielen Ebenen hervorgehoben werden soll und die allesamt den Beweis der Überlegenheit des Evangeliums gegenüber dem Alten Gesetz anzielen. 2. Die Gründe für die Überlegenheit des Evangeliums gegenüber dem Alten Gesetz Wenn die mittelalterlichen Theologen nach den Gründen fragen, die das Gesetz gegenüber dem Evangelium als defizient erscheinen lassen, folgt die Verhältnisbestimmung fast durchgängig dem hermeneutischen Grundprinzip von Verheißung und Erfüllung. Dieses läßt sich in zwei Aussagen exakter entfalten. (1) Was das Gesetz des Alten Bundes anzielte, vermochte es selbst nicht zu erreichen. Die Gebote, die es vorschrieb, konnten de facto nicht erfüllt werden, sondern führten den Menschen im Gegenteil nur noch tiefer in die Schuld vor Gott. Die negativen Charakterisierungen des Gesetzes als „tötender Buchstabe“ oder „Gesetz der Furcht“, die das Mittelalter vor allem von Augustinus übernommen hat19, werden mit Bezug auf diese verderblichen Konsequenzen legitimiert. (a) Entscheidender Grund für das Scheitern des Gesetzes in seinem wörtlichen Verständnis, so sind alle Scholastiker überzeugt, war das Fehlen oder doch zumindest das unzureichende Maß der Gnade, das mit seiner Befolgung verbunden war. Erst infolge des Sühnetodes Jesu hat Gott diese Erlösungsgnade gewährt. Die Rechtfertigung des Sünders, die im Neuen Bund als eingegossenes Geschenk in der Kraft des Glaubens und durch die Vermittlung der Sakramente gegeben ist, kommt darum nach Meinung der meisten vorher in der Regel nicht zustande 20. Diese Ansicht ist seit Lombardus in der Schule in vielen Variationen vorgetragen worden 21. Thomas von Aquin unterstreicht sie besonders deutlich, wenn er in seiner ,Summa‘ das „Neue Gesetz“ des Evangeliums geradezu mit der rechtfertigen17 18 19 20

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Cf. Summa fratris Alexandri [Summa Halensis], tom. IV, Quaracchi 1948, l. III, n. 547 (846a–b); n. 549 (848a–850b). Cf. Bonaventura, 3 Sent., d. 40, q. 1–3, ed. Bello (nt. 15), 896–904. Cf. etwa A. Guindon, La pédagogie de la crainte dans l’histoire du salut selon Thomas d’Aquin, Paris–Tournai 1975, 25–28. Es fehlte die solutio pretii: Thomas von Aquin, Scriptum super Sententiis magistri Petri Lombardi, d. 40, a. 4, qa. 1, sol., ed. M. F. Moos, vol. 3, Paris 1933, 1310; cf. auch Summa theologiae, I–II, q. 107, a. 2 c., Rom 1962, 1042. Cf. A. M. Landgraf, Die Gnadenökonomie des Alten Bundes, in: id., Dogmengeschichte der Frühscholastik, vol. III/1, Regensburg 1954, 19–60, hier bes. 39–52, der auch auf differenzierende Thesen in der frühscholastischen Epoche hinweist.

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den „Gnade des Heiligen Geistes, die im Glauben an Christus verliehen wird“, identifiziert 22. Mit diesen Ausführungen über die lex nova als lex gratiae überschreitet Thomas nicht nur terminologisch die Vorgaben seiner Zeitgenossen 23, sondern erweist sich auch in der Charakterisierung des mit dem Begriff Bezeichneten als innovativ. Es geht um ein Gesetz als lebendiges, von Gott geschenktes Handlungsprinzip, das nun aus dem Inneren des Menschen heraus seine Wirksamkeit entfaltet 24; Weisung und Hilfe fallen in ihm zusammen. Schon in seinem Sentenzenkommentar charakterisiert Thomas demgegenüber das geschriebene Gesetz des Alten Bundes als bloßes Zeichen der angestrebten, im Neuen Bund realisierten Gerechtigkeit vor Gott, dem echte Wirksamkeit fehlte und das bestenfalls dispositive Kraft zu entfalten vermochte 25. Seine Problematik lag in „der Diskrepanz zwischen Lehre und Kraft“ 26. Andere Autoren haben sich zur rechtfertigenden Kraft des Alten Gesetzes im Kontext des unmittelbaren Vergleichs etwas positiver geäußert, ohne diese Position grundsätzlich zu verändern. Durandus etwa spricht nicht bloß von der vorbereitenden Funktion, welche das Alte Gesetz in seiner Geltungszeit durch Rechts- und Kultvorschriften ausübte, sondern möchte ihm sogar eigentlich rechtfertigende Kraft hinsichtlich der eingegossenen Gnade zugestehen, wenn auch nicht in wirkursächlicher, sondern allein „in verdienstursächlicher Form“, und zwar de congruo, nicht de condigno (also in einer Weise des Verdienstes, die nicht in vollkommener Entsprechung zum Verdienten, der Rechtfertigungsgnade, steht, wohl aber in einem vor Gott relevanten unvollkommenen Entsprechungsverhältnis)27. In solchen Thesen setzt sich die schon in der Frühscholastik entwickelte Meinung fort, daß im Alten Bund „nicht das opus

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Thomas, Summa theologiae, I–II, q. 106, a. 1, c., Rom 1962, 1037: „Id autem quod potissimum est in lege Novi Testamenti, et in quo tota virtus eius consistit, est gratia Spiritus Sancti, quae datur per fidem Christi “. Cf. zur Charakterisierung der thomanischen lex nova den Kommentar von Th. Deman, in: Deutsche Thomas-Ausgabe, vol. 14: Der neue Bund und die Gnade, Heidelberg e. a. 1955, 287–325. Die Originalität und Bedeutung dieser Konzeption, nicht zuletzt in ökumenischer Perspektive, hat Kühn, Via Caritatis (nt. 8), bes. 163–223, herausgearbeitet. Zum Verhältnis von „Altem und Neuem Gesetz“ im thomanischen Sentenzenkommentar cf. ibid. 70–79. Siehe auch B. Ippolito, Iustificatio e Lex Nova nella Summa Theologiae, in: F. Di Blasi (ed.), Riscoprire le radici e i valori comuni della civiltà occidentale. Il concetto di legge in Tommaso d’Aquino, Palermo 2007, 157–174. Cf. Marcolino, Das Alte Testament (nt. 1), 295. Cf. dazu P. Rodriguez, Spontanéité et caractère légal de la Loi nouvelle, in: L. J. Elders/K. Hedwig (eds.), Lex et libertas. Freedom and Law according to St. Thomas Aquinas. Proceedings of the fourth Symposium on St. Thomas Aquinas’ Philosophy, Rolduc, Nov. 8 and 9, 1986, Città del Vaticano 1987, 254–264. Cf. Thomas, 3 Sent., d. 40, a. 3 c., ed. Moos (nt. 20), 1306sq., und ad 2, 1307. Kühn, Via Caritatis (nt. 8), 72. Letztlich legen die Scholastiker durchgängig das Wort Augustins, e. a. vorgetragen in De spiritu et littera (c. 13, n. 22, ed. K. F. Urba [Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 60], Wien 1913 [Nachdruck Wien 1962], 175), aus, das die Summa Halensis (l. III, n. 554, Quaracchi 1948, 858b) auch wörtlich anführt: „Per legem operum dicit Deus homini: Fac quod iubeo; per legem fidei dicit homo Deo: Da quod iubes.“ Cf. Durandus, Super tertium Sententiarum, Paris 1550, d. 40, q. 3, 247vb.

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operatum, wohl aber das opus operantis rechtfertigte bzw. verdienstlich war“ 28, näherhin unter der Voraussetzung, daß das Gesetz seinem geistlichen Sinn nach erkannt und befolgt wurde. Ähnlich äußert sich Richard von Mediavilla, der allerdings als Bedingung nennt, daß neben der geistlichen Beobachtung des Gesetzes ein expliziter oder impliziter Christusglaube vorgelegen haben muß, damit das Verdienst einer iustitia infusa eingeräumt werden kann 29. Solche Aussagen zur rechtfertigenden Kraft des Gesetzes unter ganz bestimmten Bedingungen sind auch bei anderen Scholastikern zu finden, bei Thomas von Aquin vor allem in seinen Schriftkommentaren30. Unter diesen Vorgaben mußte man die Heilswirkung des Alten Gesetzes allerdings faktisch auf einen äußerst kleinen Kreis von Menschen beschränkt sehen31. (b) Im Regelfall hat nach Meinung der Scholastiker das Gesetz den Menschen vor Gott nicht gerecht gemacht, sondern tatsächlich das Gegenteil bewirkt: „Es vermehrt“, wie bereits Lombardus mit Verweis auf Augustinus schreibt, „die Konkupiszenz und fügt Schuld hinzu, wenn die Gnade nicht befreit“ 32. Wie diese „Vermehrung von Schuld“ zu verstehen ist, wird von den Autoren nach mehreren Aspekten beschrieben, die Alexander von Hales in eine geordnete Aufzählung faßt: „Es heißt, das Gesetz des Mose decke die Schuld auf, bringe Zorn hervor, vermehre die Sünde und wecke Furcht. Diese Wirkungen aber stehen in einer Ordnung: Das Erste nämlich ist die Erkenntnis der Sünde, als Zweites kommt die Weckung von Furcht, das Dritte ist das Verbot der Sünde, daß sie nicht geschehen soll; viertens aber folgt, daß, wenn sie geschieht, sie vermehrt wird; an fünfter Stelle steht, daß es [das Gesetz] nach vollzogener Handlung Sünde hervorbringt, das bedeutet: Strafe für die Sünde.“ 33 28 29 30 31

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Landgraf, Die Gnadenökonomie (nt. 21), 60. Cf. Richard von Mediavilla, Super quatuor libros sententiarum Petri Lombardi, 3 Sent., d. 40, a. 1, q. 4 c., Brixen 1591 [Nachdruck Frankfurt 1963], 482b. Nachweise bei O. H. Pesch, Kommentar in: Deutsche Thomas-Ausgabe, vol. 13: Das Gesetz, Heidelberg e. a. 1977, 529–734, hier: 674–678 („Heil unter dem Gesetz“). Die generelle Partikularität des Alten Bundes und Gesetzes für Israel gegenüber der Universalisierung des Heilsangebotes für alle Menschen spielt in den Vergleichen unserer Autoren eine erstaunlich geringe Rolle. Ausdrücklich verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf Matthaeus ab Aquasparta, Quaestiones de legibus, in: Quaestiones disputatae de anima separata, de anima beata, de ieiunio et de legibus, ed. C. Piana (Bibliotheca Franciscana Scholastica Medii Aevi 18), Quaracchi 1959, 429–571, hier: q. 5 c., 526.531. Ein Argument, warum das Alte nicht mit dem Neuen Gesetz gemeinsam fortbestehen konnte, lautet: „Secunda ratio est propter universalis legis traditionem. Sicut enim dictum est, illa Lex fuit particularis, uni tantum populo tradita et in illa remedia efficacia tantum uni sexui. De iis autem quae ad salutem pertinent vel sunt necessaria ad salutem, praecepta communia et universalia leges particulares et praecepta evacuant; aliter iniuste ageretur cum eis quibus particularia sunt data praecepta, cum ad plura necessaria quam alii tenerentur; et peior esset conditio Iudaeorum quam gentium, cum ad eorum iustificationem plura necessaria exigerentur; quod constat esse falsum“ (531). Petrus Lombardus, Sententiae, l. III, d. 40, c. 2, 229. Nach Lombardus war die Gnade im Gesetz nicht so reich vorhanden wie im Evangelium („non sic abundabat “); damit wird sie immerhin dem Gesetz nicht völlig abgestritten. Alexander von Hales, Glossa, l. III, d. 40, Quaracchi 1954, 549: „Dicitur autem Lex Moysi ostendere peccatum, operari iram, augere peccatum, inducere timorem. Sunt autem isti effectus ordinati: primum enim est cognitio peccati; secundum est inducere timorem; tertium est prohibere peccatum ne fiat; quartum est, si fiat, quod augetur; quintum, si actum est, operatur peccatum, id est poenam peccati.“

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Diese Momente tauchen auch bei nachfolgenden Theologen in verschiedener Zusammenstellung und gelegentlich mit leichten Akzentverschiebungen auf. So sehen etwa Albert und Thomas von Aquin den erweiterten Strafcharakter darin mitbegründet, daß aus dem vorher nur naturrechtlich Verbotenen durch das Gesetz auch positiv-rechtlich Untersagtes wird 34. (c) Ziel der Autoren ist es stets, die im Ergebnis negative Wirkung des Gesetzes konstatieren zu können, ohne dessen innere Schlechtigkeit behaupten zu müssen, weil dies den göttlichen Ursprung der lex vetus zweifelhaft machen könnte. Für die Explikation dieses Zusammenhangs bot die paulinische Theologie eine entscheidende Vorlage: Es war das Sündersein des Menschen, das Leben im Status des Nicht-Begnadetseins35, das die an sich guten Weisungen des Gesetzes in ihr Gegenteil verkehrte. Es „befiehlt, was ohne die Gnade nicht erfüllt werden kann“ 36. Das Scheitern des Menschen am Gesetz ist folglich nicht diesem selbst anzukreiden. Zum „tötenden Gesetz“, so Bonaventura oder ähnlich Albertus Magnus, wird es per occasionem, nicht per causam bzw. per se 37. Es wirkt nach dem Wort der Glosse beiläufig tödlich, wie ein Schwert, das jemand zur eigenen Verteidigung trägt, das aber dann ein Feind benutzt, um den Träger umzubringen38. Das Gesetz, so Thomas von Aquin, ist ebensowenig schuld daran, daß die Sünder an ihm scheitern, wie die Sonne, wenn Fiebernde sterben, die ihr ausgesetzt sind 39. Einen ähnlichen Vergleich kennt auch Albert: Das Gesetz wirkte in seiner die Sünde offenlegenden, sie aber nicht eindämmenden Kraft wie Wasser, das den Durst eines Dürstenden noch vermehrt, wenn es ihm gezeigt wird 40. Zu beseitigen vermag es ihn nicht. (2) Aber nicht nur nach der realen Möglichkeit seiner Erfüllung, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht gilt das alttestamentliche Gesetz für die von uns untersuchten Theologen als defizient.

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38 39 40

Cf. Albertus Magnus, Commentarii in III Sententiarum, d. 40, a. 4 c., ed. Borgnet (Opera omnia 28), Paris 1894, 752a–b; Thomas, 3 Sent., d. 40, a. 3 c., ed. Moos (nt. 20), 1306sq. Alexander von Hales verweist ausdrücklich auf die Erbsünde: Alexander von Hales, Glossa, l. III, d. 40, Quaracchi 1954, 549. Petrus Lombardus, Sententiae, III, d. 40, 229. Cf. Bonaventura, 3 Sent., d. 40, q. 2 c., ed. Bello (nt. 15), 900b; Albert, 3 Sent., d. 40, a. 4 c., ed. Borgnet (nt. 34), 752a. Mit Bezug auf ähnliche Gedanken bei Alexander von Hales kommentiert Marcolino, Das Alte Testament (nt. 1), 111sq.: „Die Aufgabe des Gesetzes war es also, Israel zu veranlassen, die Sünde zu meiden, und es so auf den Wegen Gottes zu führen. Welche Wirkung aber hatte das Gesetz in Wirklichkeit? Wenn es sich auch als heilige Forderung Gottes behauptete, so trug es in seiner geschichtlichen Auswirkung nur zur Vermehrung der Sünde bei; doch gerade darin bestand eine seiner heilsgeschichtlichen Funktionen.“ Cf. Bonaventura, 3 Sent., d. 40, q. 2 c., ed. Bello (nt. 15), 900b–901a. Cf. Thomas, 3 Sent., d. 40, q. 1, a. 3 ad 4, ed. Moos (nt. 20), 1308. Cf. Pesch, Kommentar (nt. 30), 669sqq. („Thomas über das ‚tötende Gesetz‘“). Cf. Albert, 3 Sent., d. 40, a. 4 c., ed. Borgnet (nt. 34), 752a–b: „sicut quando febricitanti aqua ostenditur, magis excitatur in eo sitis quam prius: et ita etiam aestuanti homini in concupiscentia, decalogus eo ipso quod prohibet, ostendit peccatum: et cum non dat gratiam, est occasio provocationis concupiscentiae: et hic est unus modus occidendi.“

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(a) Zum Vorwurf gegen Gott kann jedoch diese Feststellung nach ihrer Ansicht ebenfalls nicht gewendet werden, denn das Gesetz war immer schon auf seine Überbietung durch das Evangelium angelegt 41. Es besaß die Funktion eines (Vor-)Zeichens, das auf die noch ausstehende Erfüllung, die größere Hoffnung verweist 42. „Das Gesetz wurde gegeben, auf daß die Gnade gesucht würde“, hatte schon Augustinus festgestellt 43, und unter dieser Prämisse konnte man selbst problematisch erscheinende Elemente seines Inhalts sinnvoll interpretieren44. Das Schema von Verheißung und Erfüllung ist somit das Grundprinzip des gesamten scholastischen Gesetzesvergleiches und wird von den Autoren gerne in differenzierter Weise herangezogen. (b) Die Überlegenheit des Evangeliums auf der Ebene der Gebote wird sowohl mit Blick auf ihren im Evangelium stark verminderten Umfang als auch auf Veränderungen in ihrer Qualität begründet. Während der erste Punkt kaum eingehenderer Erläuterung bedurfte, hat man zum zweiten Aspekt diverse Explikationsversuche vorgetragen45. So seien die Weisungen des Alten Bundes vorrangig am Maßstab der Gerechtigkeit orientiert gewesen, während im Evangelium ausgleichend die Barmherzigkeit hinzugekommen sei46. Für Bonaventura zeigt sich der unterschiedliche Charakter von Gesetz und Evangelium bereits im jeweiligen Modus ihrer Einsetzung: Während die Übergabe des Alten Gesetzes „unter großem Getöse und Furcht“ stattfand, wurde das Evangelium mit „großer Güte und Süßigkeit“ verkündet47. Diese Differenz betont der Franziskaner auffällig stark, aber ähnliche Hinweise auf die Milde des göttlichen Gesetzgebers im Neuen Bund kennen auch die ‚Summa Halensis‘48 und im Rahmen von 3 Sent., d. 40 Thomas49 und Aureoli 50. Die Differenz der Gesetze angesichts ihrer Prägung durch Furcht und Strafandrohung einerseits und Liebe andererseits wird regelmäßig auf die Unterschiedlichkeit der jeweiligen Adressaten zurückgeführt. Während, so Bonaventura, im Alten Bund „hartnäckige Menschen, die zum Bösen geneigt waren“, durch Strafandrohungen gezähmt werden sollten, sind nach dem 41 42 43 44 45 46 47 48 49

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Cf. ausdrücklich Alexander von Hales, Glossa, l. III, d. 40, Quaracchi 1954, 546. Cf. etwa Thomas, 3 Sent., d. 40, q. 1, a. 4, ed. Moos (nt. 20), 1308. „Lex data est, ut gratia quaereretur“: Augustinus, De spiritu et littera 19,34 (CSEL 60), 186sq. Cf. Marcolino, Das Alte Testament (nt. 1), 115–122. Cf. zu den frühscholastischen Vorgaben Landgraf, Die Gnadenökonomie (nt. 21), 34sqq. Cf. Alexander von Hales, Glossa, l. III, d. 40, Quaracchi 1954, 546. Bonaventura, 3 Sent., d. 40. q. 1 c., ed. Bello (nt. 15), 897b. Cf. Summa Halensis, l. III, n. 552, Quaracchi 1948, 854a–856b. Cf. Thomas, 3 Sent., d. 40, a. 4, qa. 2, sol., ed. Moos (nt. 20), 1311. Weitere Aspekte benennt M. Qualizza, Israele nella storia della salvezza secondo san Tommaso d’Aquino (Publicazioni del Pontificio Seminario Lombardo in Roma, Ricerche di Scienze Teologiche, Ser. min. 4), Brescia 1978, 90sqq. Zur Unterscheidung von timor servilis und timor filialis, die Thomas hier anwendet, cf. Guindon, La pédagogie de la crainte (nt. 19), 62–104. Cf. Petrus Aureoli, Commentaria in tertium librum Sententiarum, d. 40, q. ult., a. un., Rom 1605, 541b. Er verweist bei der Diskussion von timor und amor auf die Promulgation des Neuen Gesetzes durch den am Kreuz hängenden Christus und auf die Tatsache, daß das neue Gesetz am Pfingsttag in die Herzen der Apostel geschrieben wurde.

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Erscheinen der Menschenfreundlichkeit Christi die Menschen „für Überzeugung offen“ geworden (persuadibiles) und können daher durch Verheißungen gelenkt werden, die man zu lieben und zu ersehnen vermag und die zum Tun des Guten Anreiz geben51. Das Volk des Alten Bundes wird in diesem Zusammenhang stets als ein unreifes, irdisch denkendes charakterisiert, das aus pädagogischer Sicht einer härteren Hand bedurfte – wie nach den Worten des Aquinaten Kranke strengere Diät halten müssen als Gesunde und Kinder einer härteren Disziplin unterworfen werden als Erwachsene52. Der Weg vom Alten zum Neuen Gesetz erscheint somit als langsam entfalteter göttlicher Erziehungsprozeß, in dem Gott das für die jeweils Angesprochenen Beste besorgt und Christus die entscheidende Wende gebracht hat53. (3) Im Kontext dieser Vergleiche meldet sich eine Reihe von Einwänden, die von den Autoren in unterschiedlicher Kombination diskutiert werden. (a) Häufig beschäftigt man sich mit der Frage, ob die Überlegenheit des Evangeliums nicht dadurch gefährdet wird, daß es in bestimmten Punkten das Alte Gesetz verschärft und Hinzufügungen vorgenommen hat. Bonaventura bewertet die Verteilung der „Last des Gesetzes“ folgendermaßen54: Schwerer zu erfüllen ist das Neue Gesetz nicht der Quantität, wohl aber der Qualität der Forderungen nach, da es anders als das Alte auf die Vollkommenheit des Menschen abzielt 55. Dagegen steht jedoch eine klare Erleichterung auf zwei anderen Ebenen: hinsichtlich der „bewegenden Affekte“, weil nun Liebe statt Furcht wirksam ist, und hinsichtlich der „helfenden Sakramente“, die im Neuen Bund anders als im Alten weitaus mehr Nutzen als Schwierigkeit mit sich bringen. Gnade und Liebe gleichen also alle scheinbaren Mehrbelastungen des Neuen Bundes aus56. Was immer

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Cf. Bonaventura, 3 Sent., d. 40. q. 1 c., ed. Bello (nt. 15), 897b. Cf. Thomas, 3 Sent., d. 40, a. 4, qa. 3 ad 3, ed. Moos (nt. 20), 1312. Thomas hat den pädagogischen Charakter der Furcht im Alten Bund im Verlauf seines Werkes zunehmend deutlicher herausgestellt. Cf. den detaillierten Nachweis bei Guindon, La pédagogie de la crainte (nt. 19); weitere Hinweise bietet auch Qualizza, Israele nella storia della salvezza (nt. 49). Schon zu Beginn des 13. Jahrhunderts hat, wie Smalley, William of Auvergne (nt. 2), 137–156, zeigt, die Betonung des pädagogischen Charakters der alttestamentlichen Weisungen bei Wilhelm von Auvergne das zweite aus der Väterzeit übernommene Deutungsmotiv, das die lex vetus als schattenhaftes Vorzeichen der Gnadenordnung des Neuen Bundes ansieht, ganz in den Hintergrund drängen können. Auf eine allegorische Auslegung der entsprechenden alttestamentlichen Texte konnte dann völlig verzichtet werden. Dieses Vorgehen setzte sich aber, wie auch die von uns behandelten späteren Autoren des 13. Jahrhunderts belegen, nicht durch. Cf. Bonaventura, 3 Sent., d. 40, q. 3, ed. Bello (nt. 15), 903a. Cf. ähnlich schon Wilhelm von Auxerre, Summa aurea, l. IV, tr. 2, c. 2 sol., ed. J. Ribaillier (Spicilegium Bonaventurianum 20), Paris–Rom 1987, 22, Z. 55–58: „Duplex est difficultas sive gravitas: una carnalis, alia spiritualis. Quantum ad gravitatem carnalem gravior erat lex vetus quam evangelium; sed quantum ad difficultatem spiritualem lex nova difficilior est.“ Die Bezeichnung des alttestamentlichen Gesetzes als lex vetus übernimmt auch Alexander von Hales (Marcolino, Das Alte Testament [nt. 1], 87). Bereits Alexander von Hales verweist auf das Wort des Augustinus, wonach jede Bürde für den Liebenden leicht zu tragen sei (Glossa, l. III, d. 40, Quaracchi 1954, 547); cf. auch Thomas, Summa theologiae, I–II, q. 107, a. 4 c., Rom 1962, 1044; Johannes Duns Scotus, Ordinatio. Liber

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hier hinzugefügt worden sein mag, so ist sich Bonaventura sicher, dient nur dem Fortschritt in der Liebe und ist darum letztlich als Erleichterung zu bewerten, mag es auch auf den ersten Blick als Erschwernis erscheinen – „wie die Federn beim Vogel oder das Segel beim Schiff“ 57. Thomas von Aquin geht auf diese Hinzufügungen inhaltlich näher ein. Als Beispiele nennt er die mit dem Vollkommenheitsideal verbundenen evangelischen Räte, denen allerdings keine strenge Verpflichtung zukommt, und bestimmte Verschärfungen, die mit der exakteren Erklärung der Sittengebote, wie sie Jesus vorgenommen hat, im Zusammenhang stehen, darunter etwa die Rücknahme der Scheidungserlaubnis58. Damit greift er exakt diejenigen Punkte auf (consilia und explanatio [legis]), die am Beginn der Hochscholastik bereits Wilhelm von Auxerre als neutestamentliche Erweiterungen des Gesetzes auf geistlicher Ebene vermerkt hatte59. Für Richard von Mediavilla hat Christus in diesen Fällen bloß äußere Zeremonien außer Kraft gesetzt, um den dahinter verborgenen inneren Sinn besser zur Geltung kommen zu lassen60. Scotus preist (ähnlich wie Thomas in der ‚Summa‘61) die Einfachheit und Sparsamkeit des Neuen Gesetzes gegenüber dem Alten auf der Ebene der Rechts- und Zeremonialvorschriften. So habe Christus bloß sieben Sakramente eingesetzt, von denen nur zwei (Taufe und gegebenenfalls Buße) heilsnotwendig seien. Allein die explizite Verpflichtung zum Beichtbekenntnis vor dem Priester könnte in ihrem Bereich als Erschwernis angesehen werden. Allerdings zerstreut Scotus die Bedenken mit dem Hinweis auf die (Gnaden-)Hilfen sowie das strenge Beichtgeheimnis62. Petrus Aureoli fügt hinzu, daß bereits der sündentilgende Charakter, der dem Bekenntnis an sich innewohnt, dessen belastende Scham ausgleicht 63. Nochmals ähnlich wie Thomas betont Scotus, daß Christus im Neuen Gesetz keine exakten Festlegungen in Bezug auf Rechtsnormen getroffen und

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tertius a distinctione vigesima sexta ad quadragesimam, d. 40, q. un., n. 22, ed. J. Rodríguez Carballo (Opera omnia X), Città del Vaticano 2007, 353sq.: „Amor autem et praecipue finis, si ille in omnibus quaeratur, facit omnia onera levia“. Bonaventura, 3 Sent., d. 40, q. 3 ad 6, ed. Bello (nt. 15), 904a–b. Cf. Thomas, 3 Sent., d. 40, a. 4, qa. 3 sol. und ad 1, ed. Moos (nt. 20), 1311sq. Ein originelles Argument für die Rücknahme der Scheidungserlaubnis durch Jesus ist am Ende des Mittelalters John Mair eingefallen: Wer seiner Frau einen Scheidebrief ausstellt, bekommt vielleicht anschließend eine noch schlimmere (3 Sent., d. 40, q. 4, dub. 2, Paris 1517, 164rb). Cf. Wilhelm von Auxerre, Summa aurea, l. IV, tr. 3, c. 2 (Spicilegium Bonaventurianum 20), 59, Z. 77–79. Die Hinzufügung einiger Gebote auf „litteraler“ Ebene zählten hier nicht. Cf. auch Summa Halensis, l. III, n. 560, Quaracchi 1948, 865a–867b. Richard von Mediavilla, 3 Sent., d. 40, a. 2, q. 4 ad 4, Brixen 1591, 487a–b. Cf. Thomas, Summa theologiae, I–II, q. 107, a. 4, Rom 1962, 1044. Im Hintergrund steht bei beiden Augustinus, Ad inquisitiones Ianuarii I, c. 2, n. 2, ed. A. Goldbacher (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 34), Wien 1970, 160. Scotus, Ordinatio, l. III, d. 40, q. un., n. 12, ed. J. Rodríguez Carballo (nt. 56), 348: „difficile enim videtur alicui peccata privata, soli Deo et sibi nota, alicui homini revelare; sed ibi adhibita sunt tot remedia, quod propter talem revelationem non oportet eum confundi, – obligatur enim audiens ad maximum sigillum secreti.“ Cf. Petrus Aureoli, 3 Sent., d. 40, q. ult., a. un., Rom 1605, 541a–b.

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deren weitere Ausgestaltung den Menschen überlassen hat, vor allem den weltlichen wie geistlichen Verantwortungsträgern64. Allerdings gibt er anders als dieser zu, daß den Christen damit faktisch sogar eine größere Belastung als zuvor den Juden erwachsen kann, weil sie jetzt nicht mehr bloß den Gesetzen von Priestern und Richtern, sondern zusätzlich den Weisungen weltlicher Fürsten folgen müssen65. (b) Zweitens kann die Tatsache, daß auch das Gesetz des Evangeliums Furcht einflößt, gegen die Überlegenheitsthese ins Spiel gebracht werden. Da sich die Drohungen (analog zu den Verheißungen) nun nicht mehr auf zeitliche Strafen und Verluste, sondern auf die ewige Verdammnis beziehen, sind sie nach Bonaventura sogar objektiv ernster geworden. Und dennoch, so ist er überzeugt, entstand durch das Alte Gesetz real größere Furcht, da zeitliche Strafen den „fleischlichen“ Mensch subjektiv eher erschrecken als ewige: „wie viele Räuber den Diebstahl eher wegen Galgen und Strick fürchten als wegen der Höllenstrafe“ 66. Natürlich ist dabei wiederum die neue Situation in Rechnung zu stellen, die mit Christi Kommen durch die Gewährung der tröstenden Gnadenhilfen und die Möglichkeit echter Vergebung 67 eingetreten ist. (c) Ein dritter Problemkomplex eröffnet sich durch die Feststellung, daß manche der alttestamentlichen Gebote in sich bereits jene Vollkommenheit zu besitzen scheinen, die doch angeblich eigentlich erst im Neuen Bund erreicht werden soll, sofern sie nämlich nicht bloß die äußeren Handlungen, sondern auch den menschlichen Willen als ihren innerlichen Grund betreffende Weisungen darstellen. Das von den Scholastikern gerne zitierte Väterwort, wonach das Alte Gesetz nur „die Hand, nicht das Herz“ zügle, erweist sich in diesem Zusammenhang als zweifelhaft. Petrus Lombardus hatte diese Problematik mit Blick auf die beiden letzten Gebote des Dekalogs aufgeworfen, wobei er den Dekalogerörterungen bei Hugo von S. Viktor oder in der ‚Summa Sententiarum‘ 68 folgte. Die Antworten der Theologen auf diesen Einwand zielen schon seit der Frühscholastik meistens auf das Zugeständnis ab, daß es tatsächlich bereits im Alten Bund Gesetze gab, die bei rechtem Verständnis Weisungen für das „Herz“ und nicht bloß für die „Hand“ darstellten69. Menschen, die sie in dieser geistlichen Weise auszulegen

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Cf. Thomas, Summa theologiae, I–II, q. 108, a. 2 c. und ad 4, Rom 1962, 1046sq. Die These kennt schon Alexander von Hales, cf. Marcolino, Das Alte Testament (nt. 1), 281. Cf. Scotus, Ordinatio, l. III, d. 40, q. un., n. 16–17, ed. J. Rodríguez Carballo (nt. 56), 349sq. Das nüchterne Fazit lautet: „Sic ergo, breviter, pauciora sunt onera Legis christianae in quantum sunt tradita a Christo, sed forte plura in quantum post addita sunt alia per eos qui habent regere populum christianum; et ad omnia talia de novo statuta ab Ecclesia tenemur“ (n. 17, 350). Bonaventura, 3 Sent., d. 40, q. 1 ad 6, ed. Bello (nt. 15), 898b: „Sicut multi latrones magis timent furari propter patibulum et suspendium quam propter infernale supplicium.“ Cf. Summa Halensis, l. III, n. 552, Quaracchi 1948, 855a–b, ad 1–3. Cf. Hugo von S. Viktor, De sacramentis, l. I, p. 12, c. 7 (PL 176), 358D–359B; Summa Sententiarum, tr. 4, c. 6 (PL 176), 124D–125A. Dazu Landgraf, Die Gnadenökonomie (nt. 21), bes. 26–30, der auf die Existenz der Formel bei Summisten des 12. Jahrhunderts hinweist.

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wußten, so sagt die ‚Summa Sententiarum‘, gehörten in Wahrheit zum Neuen Bund70. Die Überzeugung, daß die beiden Bundesordnungen im Hinblick auf konkrete Einzelpersonen und deren Verständnis der göttlichen Heilsabsicht füreinander durchlässig waren, wird auch von den Autoren des 13. Jahrhunderts durchgängig vertreten71. Solche Menschen haben begriffen, daß „das Gesetz mit dem Evangelium schwanger ging“72, sie haben es aus Liebe befolgt73 und wurden dadurch gerettet. Bonaventura geht so weit zu behaupten, daß Gott hauptsächlich ihretwegen das Alte Gesetz erlassen hat74. Der großen Masse des Volkes aber fehlte dieser Tiefenblick. Ihr wird im Alten Bund nur eine Gesetzesbefolgung aus Furcht vor Strafe zugeschrieben, die nach Bonaventura Kennzeichen des status imperfectionis ist. Darum fehlte dem Alten Gesetz „in hauptsächlicher Weise“ die Ausrichtung auf die Liebe75. Damit kehrt man zu den schon referierten Grundaussagen über die zumeist ausbleibende rechtfertigende Kraft der lex vetus zurück. (d) Ein vierter Einwand gegen die größere Vollkommenheit des Neuen Bundes beruft sich auf die Abstufung, welche die Kirche ihren Gläubigen hinsichtlich der evangelischen Vollkommenheitsweisungen zugesteht. Demnach sind offensichtlich nicht alle Christen gehalten, das Evangelium in gleicher Weise „ganz“ zu erfüllen wie die Juden ihr Gesetz. Nach Alexander von Hales76 ist der Grund für diese Diskrepanz darin zu finden, daß das Evangelium „auf Gnade und Liebe hin (in gratiam et amorem)“ gegeben sei, nicht aber als Strafe. Deswegen müsse die Erfüllung des vollen Evangeliums stets ein Akt der Freiheit sein. Die Vollkommenheit, zu der die Christen geführt werden sollen, wird in einer Stufenordnung betrachtet, innerhalb derer von einer für alle geltenden Basis aus dem einzelnen ein Aufstieg in freier Entscheidung möglich bleibt. Alexander unterscheidet eine „hinreichende Vollkommenheit“ (perfectio sufficientiae), zu der alle berufen sind, von einer Vollkommenheit des Weihestandes (perfectio ordinis), welche für die Geweihten gilt, und einer Vollkommenheit des Ordensstandes (perfectio religionis), welche 70 71

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Cf. Summa Sententiarum, tr. 4, c. 6 (PL 176, 124C–D). Cf. etwa Wilhelm von Auxerre, Summa aurea, l. IV, tr. 2, c. 2 ad 3 (Spic. Bon. 20), 23; tr. 3, c. 2, 59; Bonaventura, 3 Sent., d. 40, q. 1, ed. Bello (nt. 15), 897a; Thomas, 3 Sent., d. 40, a. 4, qa. 1 und 2, ed. Moos (nt. 20), 1310sq.; Summa theologiae, I–I, q. 107, a. 1 ad 2, Rom 1962, 1041: „Fuerunt tamen aliqui in statu veteris testamenti habentes caritatem et gratiam spiritus sancti, qui principaliter expectabant promissiones spirituales et aeternas. Et secundum hoc pertinebant ad legem novam. Similiter etiam in novo testamento sunt aliqui carnales nondum pertingentes ad perfectionem novae legis, quos oportuit etiam in novo testamento induci ad virtutis opera per timorem poenarum, et per aliqua temporalia promissa“; Richard von Mediavilla, 3 Sent., d. 40, a. 1, q. 3 c., Brixen 1591, 482b; a. 2, q. 4 ad 2, 487a. Bonaventura, 3 Sent., d. 40, q. 2 c., ed. Bello (nt. 15), 900a: „et qui spiritualiter Legem observabant viri evangelici erant, quia Lex praegnans erat Evangelio.“ Cf. etwa Thomas, 3 Sent., d. 40, a. 4, qa. 1 ad 1, ed. Moos (nt. 20), 1310, und qa. 2 ad 2, 1311: „illi qui in veteri lege ex amore legem observabant, perfecti erant; unde ad legem novam pertinebant, in qua est status perfectionis“. Dazu: Guindon, La pédagogie de la crainte (nt. 19), 107–110. Cf. Bonaventura, 3 Sent., d. 40, q. 2 ad 2, ed. Bello (nt. 15), 901b: „propter spiritualiter intelligentes, qui salvabantur et merebantur in ipsius Legis observatione.“ Cf. Bonaventura, 3 Sent., d. 40, q. 1 c. und ad 4, ed. Bello (nt. 15), 898a. Cf. Alexander von Hales, Glossa, l. III, d. 40, Quaracchi 1954, 549sq.

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nur diejenigen betrifft, die ein Gelübde abgelegt haben. Nur die letztgenannte Stufe zielt „Vollkommenheit in jeder Hinsicht“ (omnimoda perfectio) an, sofern sie auf die Erfüllung des gesamten Evangeliums gerichtet ist. Alexanders franziskanisches Selbstbewußtsein dokumentiert sich in der hinzugefügten Bemerkung, daß die Nachfolger der Apostel (anders als die Apostel selbst) nicht unter der zuletzt genannten höchsten Verpflichtung stehen, es sei denn, sie gehören zum Orden der Minderbrüder77. III. Fazit Unser Überblick soll mit einigen thesenartigen Feststellungen abschließen. (1) Der Gesetzesvergleich, den wir im Spiegel einiger Sentenzenkommentare der Hochscholastik skizziert haben, bietet viel Übereinstimmung und wenig kontroverse Inhalte. Die Grundaussagen sind schon in der Frühscholastik vorbereitet und werden von den Theologen des 13. Jahrhunderts nur geringfügig variiert. In der Erläuterung klarer, kaum Spielraum lassender Vätervorgaben hat sich im Mittelalter ein Lehrstück herausgebildet, dem nur wenig echtes theologisches Entwicklungspotential innewohnte. (2) Deutlich erkennbar ist der Wille der Autoren, trotz aller negativen Urteile über die Effekte des Alten Gesetzes die göttliche Urheberschaft hinter beiden Testamenten gegen jede Marcionismustendenz78 zu verteidigen. Dies zeigt sich nicht nur in den ausführlichen und wertschätzenden Erörterungen, die Theologen des 13. Jahrhunderts dem Alten Gesetz bzw. besonders wichtigen Einzelvorschriften und Sakramenten (wie etwa der Beschneidung) nach ihrer Bedeutung in derjenigen Epoche der Heilsgeschichte gewidmet haben, für die sie nach dem Willen Gottes Geltung besitzen sollten. Auch im Vergleich mit dem Neuen Bund kann durch das beide Gesetze verbindende Schema von Verheißung und Erfüllung eine enge Verbindung der Ordnungen problemlos zugestanden werden. Letztlich, so Thomas in der ,Summa‘, ordnen Altes und Neues Gesetz den Menschen auf das gleiche Ziel hin, die Unterordnung unter Gott, und darum sind sie der Art nach identisch, erfüllen ihre Aufgabe allerdings in unterschiedlicher (unvollkommener beziehungsweise vollkommener) Form79. In diesem Zusam77 78 79

Cf. ibid., 550. Cf. sehr deutlich Matthaeus ab Aquasparta, Quaestiones de legibus, q. 4, ed. Piana (nt. 31), 494–518. Thomas, Summa theologiae, I–II, q. 107, a. 1. Ähnlich bereits Summa Halensis, l. III, n. 547, Quaracchi 1948, 845a–846b: „Dicendum quod lex Evangelii et lex Moysi una lex est ratione universali, diversae vero sunt in ratione propria. Unde Augustinus, Contra adversarium Legis et Prophetarum 4: ‚Qui recte colit Deum, utriusque Testamenti invenit unum Deum, et eiusdem unius Dei in utroque diligit bonitatem, in utroque metuit severitatem‘“ (845b). Cf. nach Thomas Richard von Mediavilla, 3 Sent., d. 40, a. 2, q. 4 c., Brixen 1591, 486b: „Finis enim utriusque legis est, ut homines sic subdantur Deo ut iustificentur supernaturali iustitia, qua digni sunt praemio transcendente[m] nostram naturalem facultatem, quod est vita aeterna“; Petrus Aureoli, 3 Sent., d. 40, q. ult., a. un., Rom 1605, 541a.

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menhang werden durch die scholastischen Autoren einerseits zahlreiche Klischees hinsichtlich der Inferiorität jüdischer Religiosität aus der patristischen Literatur recht unkritisch tradiert, andererseits wird jedoch das Motiv der Einheit des göttlichen Heilsplans und der Kontinuität des einen Gottesvolkes, der ecclesia ab Abel, deutlich bestätigt 80. (3) Wenn die Theologen dem Alten Gesetz einen Eigenwert zugestehen, dann stets nur bis zum Tod Christi, dem alles Vorangehende überbietenden eigentlichen Erlösungsereignis. Vergeblich sucht man im Zusammenhang unserer Fragestellung nach positiven Einschätzungen des alttestamentlichen Gesetzes und des ihm treu bleibenden Judentums für die Zeit nach Christus. Als schlechterdings „tötendes Gesetz“ wird es nun auf jeden Fall hinsichtlich seiner Kultvorschriften charakterisiert, deren Befolgung in der Zeit des Evangeliums als Häresie und Todsünde qualifiziert werden kann81. Hinsichtlich der Rechtsnormen war eine Diskussion darüber möglich, ob sie im Neuen Bund weiterhin nützlich (‚Summa Halensis‘) oder zumindest als indifferent, weder wirksam noch schädlich, anzusehen sind, da ihnen schon immer echte religiöse Relevanz gefehlt hat (so die Meinung des Durandus)82. Daß den Moralnormen (vor allem dem Dekalog) dauerhafte Geltung zugestanden wird, hängt weniger mit ihrer Promulgation im Alten Bund als mit dem ihnen zugeschriebenen naturrechtlichen Charakter zusammen. Indem der Begriff des Gesetzes im Neuen Bund somit unter den Bedingungen einer radikalen materialen Beschränkung zu betrachten ist und durch die enge Verbindung mit dem Konzept der sich nun darin ausdrückenden inneren Gnade vor allem unter einer veränderten formalen Perspektive erfaßt wird, läßt sich die Frage stellen, ob er im Gegensatzpaar lex vetus vs. lex nova tatsächlich noch uneingeschränkt univok verwendet wird. Insgesamt sehen sich die scholastischen Autoren von diesen Prämissen her nur in der Lage, die Weiterbefolgung des Gesetzes durch die Juden als Inbegriff heilsgeschichtlichen Unverstandes und atavistischer Religionsausübung anzusehen. (4) Aus der Perspektive der mittelalterlichen Diskussion unseres Themas muß es eigentlich erstaunen, daß die Gegenüberstellung von Gesetz und Evangelium in der Reformationszeit zu einem Topos innerchristlicher Polemik werden konnte, der bis weit in die Moderne hinein die Kontroverstheologie geprägt hat. In ihr ist gerade die mittelalterlich geprägte katholische Tradition häufig mit dem Vorwurf einer Vergesetzlichung des Evangeliums konfrontiert worden. In den von uns untersuchten scholastischen Texten ist als Ansatzpunkt dafür bestenfalls das von Augustinus her geläufige Zugeständnis auszumachen, daß nicht nur im Alten

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Cf. auch Marcolino, Das Alte Testament (nt. 1), 137–174. Cf. Summa Halensis, l. III, n. 542, Quaracchi 1948, 832–836; Matthaeus ab Aquasparta, Quaestiones de legibus, q. 6 c., ed. Piana (nt. 31), 550. Durandus, 3 Sent., d. 40, q. 3, Paris 1550, 247vb. Cf. mit ähnlicher Richtung bereits Wilhelm von Auxerre, Summa aurea, l. III, tom. 2, tr. 44, c. 4 ad 2, ed. J. Ribaillier (Spicilegium Bonaventurianum 18 B), Paris–Grottaferrata 1986, 843, Z. 46–47.

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Bund manche Menschen durch ihr Gesetzesverständnis faktisch zum Neuen gehörten, sondern auch Umgekehrtes gelten kann83. Unterscheidungen zwischen den Christen nehmen die Theologen des Mittelalters jedoch nicht von diesem Maßstab aus vor, sondern viel eher mit Blick auf die mehr oder weniger intensiv ausgeprägte Bereitschaft des Einzelnen, sich der Vollkommenheitsforderung des Evangeliums zu stellen. Daß die Vollkommenheit im Neuen Bund keine Frucht gesetzlich konzipierter Frömmigkeit ist, sondern aus dem Geschenk der Gnade und Liebe Christi hervorgeht und in der Antwort eines Lebens aus Glaube und Liebe sichtbar wird, steht in der Hochscholastik außer Zweifel.

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Cf. die in nt. 71 zitierten Texte.

Naturgesetz und Dekalog bei Thomas von Aquin A S (Köln) Der Gesetzestraktat der ‚Prima secundae‘ der ‚Summa theologiae‘ zählt zu den prominentesten und wirkmächtigsten Lehrstücken des Thomas von Aquin. Bis heute fehlt in kaum einem Beitrag zum Naturrecht ein Hinweis auf die historische und systematische Bedeutung der thomasischen Lehre. Hierbei wird Thomas gerade in systematischer Hinsicht nicht selten für eine materiale Naturrechtslehre in Anspruch genommen, in der sich der universelle Anspruch einer allgemeinen Vernunftnorm mit durchaus unterschiedlich ausgestalteten inhaltlichen Handlungsnormen verbindet, die in gleicher Weise der allgemeinen Vernunft zugänglich und von dieser als verbindlich anerkannt werden können sollen1. Was die inhaltlichen Handlungsnormen des Naturrechts angeht, so bilden der Dekalog und insbesondere die Gebote der zweiten Tafel das Paradigma für jene Normen, die der Vernunft selbst als oberster Maßstab und als Regel aller menschlichen Handlungen eingegeben sein sollen2. Eine solche Interpretation setzt zum einen leichthin das Naturgesetz (lex naturalis) mit dem Naturrecht (ius naturale) gleich3. Sie unterläuft zudem die Unter1

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Einen guten Überblick über diese Debatte mit entsprechenden Referenzen findet sich bei M. Rhonheimer, Praktische Vernunft und das „von Natur aus Vernünftige“. Zur Lehre von der „Lex naturalis“ als Prinzip der Praxis bei Thomas von Aquin, in: Theologie und Philosophie 75 (2000), 493–522, hier 493–495; ferner G. Wieland, Vernunft und Natur. Das Secundum naturam in der Thomanischen Strebens- und Güterlehre, in: J. Szaif / M. Lutz-Bachmann (eds.), Was ist das für den Menschen Gute? Menschliche Natur und Güterlehre, Berlin–New York 2004, 229–245; sowie E. C. Sweeney, Thomas Aquinas on the Natural Law Written on Our Hearts, in: J. A. Jacobs, Reason, Religion, and Natural Law. From Plato to Spinoza, Oxford 2012, 135–154. Scriptum super lib. III Sent., d. 37, a. 3, resp., ed. M. F. Moos, Paris 1933, 1244, n. 57: „Quaedam enim sunt leges quae ipsi rationi sunt inditae, quae sunt prima mensura et regula omnium humanorum actuum; et haec nullo modo deficiunt, sicut nec regimen rationis deficere potest, ut aliquando esse non debeat; et hae leges jus naturale dicuntur.“ – Siehe hierzu P.-M. Van Overbeke, La loi naturelle et le droit naturel selon S. Thomas, in: Revue Thomiste 57 (1957), 53–78 und 450–495 (bes. 474–479). Zur Unterscheidung von „lex naturalis“ und „ius naturale“ vor dem Hintergrund der damit verbundenen Traditionen siehe W. Kluxen, Lex naturalis bei Thomas von Aquin (Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Vorträge G 378), Wiesbaden 2001, 9–13 und 35sq. Während Thomas in seiner ‚Summa theologiae‘ das Naturgesetz (lex naturalis) im Rahmen der theoretischen Grundlegung des Gesetzestraktates der ‚Pirma secundae‘ behandelt (S. th., I–II, q. 90 und q. 94), handelt er vom Naturrecht (ius naturale) im praktischen Kontext der ‚Secunda secundae‘ im Zusammenhang des Rechtstraktates (S. th., II–II, q. 57: ‚De iure‘). Siehe hierzu auch G. Wieland, Gesetz und Geschichte, in: A. Speer (ed.), Thomas von Aquin: Die Summa theologiae – Werkinterpretationen, Berlin–New York, 2005, 223–245, hier 230sq.

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schiedlichkeit der Erkenntnisquellen – eine von Thomas selbst umfassend und immer wieder thematisierte Problematik4 – und nimmt eine theonome Begründung des Naturrechts in Kauf, die zudem auf einer bestimmten religiösen Tradition gründet und diese somit auch in normativer Hinsicht privilegiert. Das Naturrecht verbindet dann gleichermaßen positive Inhalte allgemeiner Natur mit den Geboten des Dekalogs unter der Maßgabe eines einheitlichen Naturrechts: „Ius naturale est, quod in Lege et in Evangelio continetur“ – so heißt es im ‚Decretum Gratiani‘, das in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Bologna entstand und als ein Hauptwerk der Kanonistik gilt 5. Doch ist das wirklich die Position des Thomas von Aquin? I. Das Gesetz im Sentenz enkommentar und in der ‚Summa contr a g entiles‘ Bereits ein Blick in den dritten Artikel der Distinctio 37 im dritten Buch seines Sentenzenkommentars läßt Zweifel an einer solchen Interpretation aufkommen und zeigt, daß Thomas bereits zu Beginn seiner akademischen Karriere eine andere Idee verfolgt. Thomas unterscheidet vielmehr „in rebus naturalibus“ einen „triplex cursus rerum“: zum einen das, was immer gilt, niemals fehlgeht und kraft der eigenen Natur sich so verhält wie es ist; ferner das, was gewöhnlich (frequenter) gilt und nur im geringeren Maß (ut in paucioribus) behindert wird; und schließlich das, was selten (raro) und nur in einem geringeren Maß gilt 6. Entsprechend lassen sich auch die Gesetze einteilen in die der Vernunft selbst eingegebenen Gesetze, die zweifelsfrei den obersten Maßstab und die erste Regel für alle menschlichen Handlungen bilden; diese Gesetze bilden das Naturrecht: ius naturale 7. Andere Gesetze müssen von der Vernunft beachtet werden, obwohl es auch konkurrierende Alternativen gibt; solche Gesetze bilden ab, was häufig in der Natur aufgefunden werde, und können – wie Thomas unter Berufung auf Cicero feststellt – direkt und unmittelbar auf das Naturrecht zurückgeführt werden8. Schließlich

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Siehe hierzu A. Speer, The Division of Metaphysical Discourses: Boethius, Thomas Aquinas and Meister Eckhart, in: K. Emery, Jr. / R. Friedman / A. Speer (eds.), Philosophy and Theology in the Long Middle Ages (STGM, 105), Leiden–Boston 2011, 91–116. Decretum Gratiani I, di. 1, 1. Cf. W. Kluxen, Lex naturalis bei Thomas von Aquin (nt. 3), 20. Scriptum super lib. III Sent., d. 37, a. 3, resp., ed. M. F. Moos, 1244, n. 56: „Respondeo dicendum, quod in rebus naturalibus invenitur triplex cursus rerum. Quaedam enim sunt semper, quae nunquam deficiunt, ex natura hoc habentia ut sint, et impediri non possint: quaedam vero sunt frequenter, quae in paucioribus impediuntur: quaedam vero sunt raro, vel in minori parte.“ Ibid., n. 57, siehe nt. 2. Ibid., n. 58: „Quaedam vero leges sunt quae secundum id quod sunt, habent rationem ut observari debeant, quamvis aliquibus concurrentibus earum observatio impediatur; sicut quod depositum reddatur deponenti, impeditur quando gladius furioso deponenti reddendus esset; et hae leges similantur his quae frequenter in natura accidunt; et ideo directe et immediate ad jus naturale reducuntur. Et ideo Tullius, in 1 Rhetor. (II Invent., c. 36), nominat hujusmodi jus a naturali jure profectum.“

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gebe es Gesetze, die in sich betrachtet keinen Grund für ihre Beachtung besitzen; dieser folge vielmehr aus den besonderen Umständen. Derartige Gesetze können auf natürliche Ursachen nur unter Berücksichtigung aller Umstände zurückgeführt werden. Solcherart sind die positiven Gesetze (positiva iura), die auf das Naturgesetz (lex naturae) nicht absolut, sondern nur unter Berücksichtigung aller besonderen Umstände zurückgeführt werden können9. Die Frage des genannten Artikels betrifft den Zusammenhang des Dekalogs und aller übrigen Gesetzesvorschriften und die mögliche Rückführung (reductio) dieser auf die zehn Gebote. Auffällig ist, daß Thomas die Problemstellung vollständig anhand der und unter ausdrücklicher Berufung auf die aristotelische Prinzipienlehre entwickelt. Dies gilt für die Argumente gegen die Möglichkeit einer Zurückführung (reductio) aller oder einzelner Gebote auf den Dekalog ebenso wie für die in dieser Frage affirmativen sed contra-Argumente10. Im zweiten sed contraArgument findet sich darüber hinaus bereits die für Thomas charakteristische Parallelisierung der Gebote des Naturgesetzes im Bereich der Praxis mit den von Natur aus bekannten Prinzipien im Bereich der Demonstration11. In dieser Parallelisierung deutet sich auch bereits an, daß Thomas, obgleich die Terminologie im Ausgang von den Autoritäten (Cicero, Pandekten, Celsus) noch eher rechtlich konnotiert ist, die Problemstellung eines Naturrechts (ius naturale) oder Naturgesetztes (lex naturalis) – beide Begriffe stehen noch nebeneinander – eher als eine im weiteren Sinne ethische, denn als eine spezifisch rechtstheoretische Fragestellung begreift. Dies unterstreicht Thomas in seiner Antwort (Solutio) auf die erste Teilfrage (Quaestiuncula) des zweiten Artikels der gleichen 37. Distinctio. Die Absicht des Gesetzgebers richte sich auf die Tugenden der Menschen. Daher habe der göttliche Gesetzgeber in den zehn Geboten, die gleichsam die ersten Anfangsgründe des Gesetzes (prima initia legis) seien, alles das vorgeschrieben, was dem nach Tugend Strebenden unmittelbar als zu tun oder zu lassen erscheint. Von den zehn Geboten aus könne alles übrige eingesehen werden, da es in ihnen wie in ihren Prinzipien enthalten sei 12. Ziel hierbei sei die Hinordnung des Men-

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Ibid., ed. F. M. Moos, 1244–1245, n. 59: „Quaedam vero leges sunt quae secundum se consideratae nullam rationem habere videntur suae observationis; sed rationem hujusmodi nanciscuntur ex aliquibus concurrentibus quae faciunt decentiam observandi; et hujusmodi similantur his quae raro accidunt in natura. Unde sicut illa non reducuntur in causas naturales nisi observato concursu omnium, quibus aliquis rarus eventus accidebat; ita etiam hujusmodi legalia, quae dicuntur positiva jura, reducuntur ad legem naturae non secundum se absolute, sed consideratis omnibus circumstantiis particularibus, quae faciebant decentiam suae observationis. Unde patet quod omnia praecepta legis divinae vel civilis, ad haec praecepta reducuntur aliquo modo.“ Scriptum super lib. III Sent., d. 37, a. 3, arg. und sed contra ed. F. M. Moos, 1243–1244, nn. 52–55. Scriptum super lib. III Sent., d. 37, a. 3, sed contra, n. 54: „Cum ergo praecepta legis naturalis sint in agibilibus, sicut principia naturaliter cognita in demonstrativis, videtur quod omnia praecepta legalia ad haec praecepta legis naturaliter reducantur.“ Scriptum super lib. III Sent., d. 37, a. 2, sol. 1, ed. F. M. Moos, 1238, n. 35: „Respondeo dicendum ad primam quaestionem, quod cum intentio legislatoris sit ad virtutes homines inducere, quibus legem tradit, oportet quod illo modo in assignandis praeceptis legis utatur, qui competat viae ad virtutem; quae quidem est ut ex

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schen nicht nur auf die Gemeinschaft, sondern auch auf Gott 13. Deshalb sei auch im Gebot der Nächstenliebe, das gleichsam die erste Wurzel für die Beachtung der Gebote sei, die Gottesliebe eingeschlossen, die das Ziel eines jeden Gebotes sei 14. Um die Ordnungsfunktion des göttlichen Gesetzes (lex divina) geht es auch im dritten Buch der ‚Summa contra gentiles‘. Eingebunden eine umfassende providentielle Schöpfungsdynamik kommt dem Gesetz die Funktion zu, das vernunftbegabte Geschöpf nach Art seiner eigenen personalen Tätigkeiten15 als Individuum und nicht nur durch eine natürliche Neigung gemäß seiner Artnatur, wie dies bei den vernunftlosen Geschöpfen der Fall ist, auf sein Ziel hin zu leiten, denn das Gesetz, so Thomas, ist nichts anderes als eine Begründung der Tätigkeit von seinem Ziel her 16. Da aber auch das vernünftige Geschöpf – wie die Schöpfung im allgemeinen – sein letztes Ziel in Gott besitzt, spricht Thomas im dritten Buch der ‚Summa contra gentiles‘ vom Gesetz als „lex divina“. Das Gesetz ist seinem Wesen nach „göttliches Gesetz“, da die Gesetze den Menschen von Gott gegeben werden17. Das Gesetz ist somit „quaedam ratio providentiae gubernantis rationali creaturae proposita“, Grund und Maßgabe der lenkenden göttlichen Vorsehung, wie sie der rationalen Kreatur vorgestellt wird 18. Das von Gott auf diese Weise gegebene Gesetz entfaltet seine Wirksamkeit mithin dadurch, daß der Mensch Gott unterstellt ist, d. h. daß der menschliche Geist Gott anhängt 19. Auf diese

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his quae magis in promptu sunt, in difficiliora tendatur; sicut etiam in disciplinis ex magis notis in minus nota proceditur. Et ideo legislator in istis decem praeceptis, quae sunt quasi prima legis initia, illa prohibuit vel praecepit, quae primo occurrunt facienda vel dimittenda eunti ad virtutem; et ex his alia intelligi voluit, quae in eis quasi in suis principiis includuntur.“ Ibid., sol. 2, ed. F. M. Moos, 1240, n. 42: „Sed lex divina dirigit nos suis praeceptis in spirituali vita, secundum quam societatem habemus non solum ad hominem, sed ad Deum, 1 Joan. 1; et ideo oportuit praecepta legis divinae hoc modo distingui quod quaedam dirigerent hominem in his quae ad Deum spectant, quae dicuntur praecepta primae tabulae; quaedam vero in his quae spectant ad proximum, quae dicuntur praecepta secundae tabulae.“ Ibid., sol. 2, ad 2, ed. F. M. Moos, 1241, n. 45: „Ad secundum dicendum, quod dilectio proximi est sicut prima radix observandi praecepta, prout in dilectione proximi etiam dilectio Dei includitur: est enim finis praecepti, ut dicitur 1 Tim 1,5; unde tenet locum primi principii in disciplinis.“ Summa contra gent., III, c. 113: „Actus personales rationalis creaturae sunt proprie actus qui sunt ab anima rationali. […] Actus ergo rationalis creaturae a divina providentia diriguntur non solum ea ratione qua ad speciem pertinent, sed etiam inquantum sunt personales actus.“ Summa contra gent., III, c. 114: „Ex hoc autem apparet quod necessarium fuit homini divinitus legem dari. Sicut enim actus irrationalium creaturarum diriguntur a Deo ea ratione qua ad speciem pertinent, ita actus hominum diriguntur a Deo secundum quod ad individuum pertinent, ut ostensum est. Sed actus creaturarum irrationalium, prout ad speciem pertinent, diriguntur a Deo quadam naturali inclinatione, quae naturam speciei consequitur. Ergo, supra hoc, dandum est aliquid hominibus quo in suis personalibus actibus dirigantur. Et hoc dicimus legem. […] Cum lex nihil aliud sit quam ratio operis; cuiuslibet autem operis ratio a fine sumitur.“ Ibid.: „Sed creatura rationalis finem suum ultimum in Deo et a Deo consequitur, ut ex superioribus patet. Fuit igitur conveniens a Deo legem hominibus dari.“ Summa contra gent., III, c. 115: „Lex, sicut dictum est, est quaedam ratio divinae providentiae gubernantis rationali creaturae proposita.“ Ibid.: „Sed lex divinitus data ex hoc apud homines efficaciam habet quod homo subditur Deo: […] Hoc igitur praecipuum in divina lege esse debet, ut mens humana Deo adhaereat.“

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Weise unterstützt das göttliche Gesetz, das seine Sinnspitze im Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe hat 20 das Naturgesetz 21. Das Ziel des göttlichen Gesetzes wie jedes Gesetzes ist praktischer Natur: es besteht darin, die Menschen gut zu machen 22. Für Rémi Brague stellt die Lehre vom göttlichen Gesetz in der ‚Summa contra gentiles‘ den Schlüssel und Zielpunkt der thomasischen Lehre vom Gesetz dar. Zu diesem Kernverständnis zählt die providentielle Funktion, der göttliche Charakter und die im doppelten Liebesgebot kulminierende Ausrichtung des Gesetzes auf die Vollendung des Menschen in Gott 23. Damit aber wird, so Brague das Gesetz zu einem intrinsischen Prinzip (und nicht zu einer extrinsischen Norm), welches die Vernunft befreit 24. Dem steht nun die explizite Bestimmung des Gesetzes im kurzen Prolog zu Quaestio 90 der ‚Prima secundae‘ der ‚Summa theologiae‘ entgegen, mit der Thomas seinen Gesetzes-Traktat eröffnet. Dort rechnet Thomas das Gesetz zu den äußeren Prinzipien der menschlichen Handlungen 25 – im Unterschied zu Habitus und Tugend als den inneren Prinzipien menschlichen Handelns. Diese Bestimmung, die für das Gesetz wesentlich ist, gibt zugleich einen Hinweis auf den systematischen Ort des Gesetzestraktats der zweiten ‚Summa‘ im Kontext eines umfassenden Entwurfs einer – philosophischen wie theologischen – Ethik als „scientia practica“ nach aristotelischem Vorbild 26. Diese Ortsbestimmung hat einen erheblichen Einfluß auf die Konzeption des Lex-Traktats: Weder eine providentielle Ordnungsvorstellung noch Rechtstheorie oder Kanonistik im engeren Sinne, sondern die Ethik im umfassenden Sinne und damit der gesamte Bereich menschlichen Handelns bilden den systematischen Rahmen für die Lehre vom Gesetz. Anders als Rémi Brague also lese ich Thomas’ Schriften zum Gesetz genealogisch. In Bragues Interpretation wird der providentielle Charakter des göttlichen Gesetzes zum Schlüssel und Zielpunkt der thomasischen Gesetzeslehre, worin zugleich die Begegnung von weltlichem und göttlichem Recht ihre christliche Synthese findet 27. In meiner Sicht bildet dieser providentielle Charakter aber nur den Ausgangspunkt und den spekulativen Rahmen für die Ausarbeitung einer hochdifferenzierten Gesetzeslehre im Kontext einer umfassenden Morallehre, deren Ziel – wie in der Glückseligkeitslehre – in der genauen Bestimmung der 20 21 22 23 24 25 26 27

Cf. Summa contra gent., III, c. 116 („Quod finis legis divinae est dilectio Dei“) und c. 117 („Quod divina lege ordinamur ad dilectionem proximi“). Summa contra gent., III, c. 117: „Lex divina profertur homini in auxilium legis naturalis. Est autem omnibus hominibus naturale ut se invicem diligant.“ Summa contra gent., III, c. 116: „Finis cuiuslibet legis, et praecipue divinae, est homines facere bonos.“ R. Brague, La loi de Dieu. Histoire philosophique d’une alliance, Paris 2005, 372–382. Ibid., 382. S. th., I–II, q. 90, prol.: „Consequenter considerandum est de principiis exterioribus actuum. […] Principium autem exterius movens ad bonum est Deus, qui et nos instruit per legem, et iuvat per gratiam.“ Hierzu ausführlich W. Kluxen, Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin, Hamburg 31988, 21–84; id., Lex naturalis bei Thomas von Aquin (nt. 3), 29–32. Cf. R. Brague, La loi de Dieu (nt. 23), 372–376.

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„adeptio finis“ besteht, d. h. in der genauen Angabe, wie ein bestimmtes Ziel in einer praktischen Handlungsordnung erreicht und realisiert werden kann 28. In diesem Sinne steht die gesamte ‚Secunda pars‘ der ‚Summa theologiae‘ unter der Leitfrage, wie der Mensch, sofern er als rationale Kreatur und Ebenbild Gottes über Vernunft und freien Willen verfügt, an der göttlichen Weltregierung (gubernatio rerum) teilhat. Dies aber ist für Thomas die spezifische Aufgabe der Ethik als einer praktischen Wissenschaft. Und genau in diesem Sinne antwortet die ‚Secunda pars‘ auf die gubernatio-Lehre am Ende der ‚Prima pars‘ der ‚Summa theologiae‘. II. Die For malbestimmung des Gesetz es in der ‚Summa theolo giae‘ Der Gesetzestraktat schließt den ersten Teil des ‚Secunda pars‘ ab. Er ist somit in systematischer Hinsicht Teil der Morallehre. Gesetz und Moral stehen sich also nicht antagonistisch gegenüber, sondern das Gesetz ist ein integraler Teil der Moral, sofern diese sich auf jene Klasse menschlicher Handlungen (actus humani oder actiones humanae) bezieht, die durch Vernunft und freien Willensentscheid bestimmt sind 29. Auch das Gesetz hat somit keinen anderen Gegenstand als jene spezifisch menschlichen Handlungen30. Der Gesetzestraktat ist eine sehr subtile Konstruktion. Das zeigt sich sowohl mit Blick auf die Tradition wie auch auf die früheren Werke des Thomas selbst. Im Vergleich mit den bisherigen Ausführungen werden wir in diesem Traktat Zeugen einer umfassenden terminologischen und systematischen Neubestimmung der Gesetzesthematik, deren wichtigste Elemente ich zusammenfassen möchte: (i) Den Ausgangspunkt bildet eine formale Bestimmung des Gesetzesbegriffs (lex) als „regula et mensura actuum“ in strenger Analogie zur Vernunft (ratio) als dem ersten Prinzip menschlicher Handlungen31. Das Gesetz ist folglich eine Sache der Vernunft 32. Diese besitzt eine konstitutive Bedeutung, denn nur als ein von der Vernunft erkanntes ist das Gesetz handlungsleitend. 28

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Cf. S. th., I–II, q.1, a. 8, c. und q. 3, a. 4, c.; hierzu A. Speer, Das Glück des Menschen, in: id. (ed.), Thomas von Aquin: Die Summa theologiae – Werkinterpretationen, Berlin–New York 2005, 141–167, hier 155–161. Cf. S. th., I–II, q. 1, a. 1, c.; hierzu A. Speer, Das Glück des Menschen (nt. 28), 150sqq. S. th., I–II, q. 90, a. 2, c.: „lex pertinet ad id quod est principium humanorum actuum, ex eo quod est regula et mensura. Sicut autem ratio est principium humanorum actuum, ita etiam in ipsa ratione est aliquid quod est principium respectu omnium aliorum. Unde ad hoc oportet quod principaliter et maxime pertineat lex.“ S. th., I–II, q. 90, a. 1, c.: „lex quaedam regula est et mensura actuum, secundum quam inducitur aliquis ad agendum, vel ab agendo retrahitur, dicitur enim lex a ligando, quia obligat ad agendum. Regula autem et mensura humanorum actuum est ratio, quae est primum principium actuum humanorum … In unoquoque autem genere id quod est principium, est mensura et regula illius generis, sicut unitas in genere numeri, et motus primus in genere motuum. Unde relinquitur quod lex sit aliquid pertinens ad rationem.“ S. th., I–II, q. 91, a. 2, ad 3: „Sed quia rationalis creatura participat eam intellectualiter et rationaliter, ideo participatio legis aeternae in creatura rationali proprie lex vocatur, nam lex est aliquid rationis, ut supra dictum

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(ii) Sofern das Gesetz sich auf den Bereich menschlicher Tätigkeiten bezieht, unterliegt es – in strikter Analogie zu und zugleich in deutlicher Unterscheidung von der theoretischen Vernunft – der Maßgabe und dem prozeduralen Verfahren der praktischen Vernunft, das im praktischen Syllogismus seinen vorzüglichen Ausdruck findet 33. Mit Gesetz bezeichnet Thomas in diesem Zusammenhang die allgemeinen Sätze der praktischen Vernunft, die auf die Tätigkeiten hingeordnet sind 34. (iii) Ein Gesetz kann sich folglich niemals unmittelbar auf einen Einzelfall beziehen, sondern auf das, was Prinzip hinsichtlich alles anderen ist 35. Hier zeigt sich erneut die Parallelität von Gesetz (lex) und Vernunft (ratio). Daraus folgt die Gemeinwohlorientierung des Gesetzes, die in der Hinordnung auf das gemeinsame Wohl, bzw. Glück besteht. Nur in Ausrichtung auf das Gemeinwohl haben Gebote und Anordnungen (praecepta) die Bewandtnis des Gesetzes36. (iv) Daraus ergibt sich umgekehrt die Frage der Applikation und der Konkretisierung des Gesetzes in Hinblick auf das Gebotene. Thomas betont die Eigentümlichkeit der praktischen Vernunft, die es im Unterschied zur theoretischen Vernunft mit Singulärem und Kontingentem zu tun hat. Erforderlich sind daher sachbereichsbezogene Einzelfallentscheidungen. Diese werden jedoch nicht nach Art wissenschaftlicher Schlußfolgerungen (conclusiones) aus allgemeinen Prinzipien gewonnen. Thomas spricht von näheren Bestimmungen (determinationes) allgemeiner Sätze, die nur eine auf den jeweiligen Sachbereich bezogene Gewißheit besitzen37.

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est.“ – S. th., I–II, q. 94, a. 1, c.: „lex naturalis est aliquod per rationem constitutum, sicut etiam propositio est quoddam opus rationis.“ – Cf. C. Steel, Natural Ends and Moral Ends according to Thomas Aquinas, in: J. Follon / J. McEvoy (eds.), Finalité et intentionalité: Doctrine thomiste et perspectives modernes (Bibliothèque Philosophique de Louvain, 36), Paris–Leuven 1992, 113–126, hier 123sq. S. th., I–II, q. 90, a. 1, ad 1: „Et quia ratio etiam practica utitur quodam syllogismo in operabilibus, ut supra habitum est, secundum quod philosophus docet in VII Ethic.; ideo est invenire aliquid in ratione practica quod ita se habeat ad operationes, sicut se habet propositio in ratione speculativa ad conclusiones. Et huiusmodi propositiones universales rationis practicae ordinatae ad actiones, habent rationem legis. Quae quidem propositiones aliquando actualiter considerantur, aliquando vero habitualiter a ratione tenentur.“ S. th., I–II, q. 90, a. 1, ad 3: „Sed voluntas de his quae imperantur, ad hoc quod legis rationem habeat, oportet quod sit aliqua ratione regulata. Et hoc modo intelligitur quod voluntas principis habet vigorem legis, alioquin voluntas principis magis esset iniquitas quam lex.“ S. th., I–II, q. 90, a. 2, c.: „lex pertinet ad id quod est principium humanorum actuum, ex eo quod est regula et mensura. Sicut autem ratio est principium humanorum actuum, ita etiam in ipsa ratione est aliquid quod est principium respectu omnium aliorum. Unde ad hoc oportet quod principaliter et maxime pertineat lex.“ Ibid.: „cum lex maxime dicatur secundum ordinem ad bonum commune, quodcumque aliud praeceptum de particulari opere non habeat rationem legis nisi secundum ordinem ad bonum commune. Et ideo omnis lex ad bonum commune ordinatur.“ S. th., I–II, q. 91, a. 3, ad 3: „ratio practica est circa operabilia, quae sunt singularia et contingentia, non autem circa necessaria, sicut ratio speculativa. Et ideo leges humanae non possunt illam infallibilitatem habere quam habent conclusiones demonstrativae scientiarum. Nec oportet quod omnis mensura sit omni modo infallibilis et certa, sed secundum quod est possibile in genere suo.“ – Cf. S. th., I–II, q. 95, a. 3; ferner zur Bedeutung der determinationes G. Wieland, Gesetz und Geschichte (nt. 3), hier 237–240.

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(v) Schließlich muß ein Gesetz öffentlich bekanntgemacht werden, damit es seine verpflichtende Kraft erlangt. Denn nur was der Vernunft zugänglich und bekannt ist, kann eine verpflichtende Kraft besitzen38. (vi) Die Promulgation kann nur durch eine dafür legitimierte Instanz oder Person erfolgen 39. Allerdings ist die Vollmacht des Gesetzgebers strikt an den Gemeinwohlvorbehalt geknüpft. Demgemäß sind nur solche Gesetze verpflichtend, die gerecht sind und die Lasten gleichmäßig verteilen. Denn nur das ist gesetzmäßig (legalis). Was gegen das Gerechtigkeitsprinzip verstößt, ist kein Gesetz, sondern eine Gewaltmaßnahme (violentia) 40. III. Die Unterscheidung der vier Gesetz e Diese formalen Bestimmungen des Gesetzes, die Thomas in eine allgemeine Definition des Gesetzes als „quaedam rationis ordinatio ad bonum commune ab eo qui curam communitatis habet promulgata“ zusammenfaßt 41, haben ihre Relevanz und Gültigkeit mit Bezug auf die weitere Ausfaltung der Gesetzesthematik. Den Schlüssel für die Systematik des gesamten Gesetzestraktats bildet die Unterscheidung in ein vierfaches Gesetz. Diese wohlbekannte Unterscheidung in ein ewiges, in ein natürliches, in ein positives und in ein göttliches Gesetz 42 weist im Rückblick auf die Ausführungen im dritten Buch des Sentenzenkommentars sowie im dritten Buch der ‚Summa contra gentiles‘, aber auch mit Blick auf die bestehende scholastische Tradition, vor allem zwei markante Differenzierungen von großer systematischer Bedeutung auf: (a) die Unterscheidung zwischen dem ewigen und dem göttlichen Gesetz, und (b) die Unterscheidung des natürlichen vom ewigen und vom göttlichen Gesetz. – Was sind die Konsequenzen dieser Differenzierung?

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S. th., I–II, q. 90, a. 4, c.: „Unde ad hoc quod lex virtutem obligandi obtineat, quod est proprium legis, oportet quod applicetur hominibus qui secundum eam regulari debent. Talis autem applicatio fit per hoc quod in notitiam eorum deducitur ex ipsa promulgatione. Unde promulgatio necessaria est ad hoc quod lex habeat suam virtutem.“ S. th., I–II, q. 90, a. 3, c.: „Ordinare autem aliquid in bonum commune est vel totius multitudinis, vel alicuius gerentis vicem totius multitudinis. Et ideo condere legem vel pertinet ad totam multitudinem, vel pertinet ad personam publicam quae totius multitudinis curam habet.“ S. th., I–II, q. 96, a. 4, c.: „leges positae humanitus vel sunt iustae, vel iniustae. Si quidem iustae sint, habent vim obligandi in foro conscientiae a lege aeterna, a qua derivantur […] Et secundum hoc, leges huiusmodi, onera proportionabiliter inferentes, iustae sunt, et obligant in foro conscientiae, et sunt leges legales. Iniustae autem sunt leges dupliciter. Uno modo, per contrarietatem ad bonum humanum, […[ Et huiusmodi magis sunt violentiae quam leges, quia, sicut Augustinus dicit, in libro de Lib. Arb. [I,5], lex esse non videtur, quae iusta non fuerit. Unde tales leges non obligant in foro conscientiae, […] Alio modo leges possunt esse iniustae per contrarietatem ad bonum divinum, sicut leges tyrannorum inducentes ad idololatriam, vel ad quodcumque aliud quod sit contra legem divinam. Et tales leges nullo modo licet observare.“ S. th., I–II, q. 90, a. 4, c. Cf. S. th., I–II, q. 90; hierzu ausführlich W. Kluxen, Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin (nt. 26), 230–241; ferner G. Wieland, Gesetz und Geschichte (nt. 3), 226–235.

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(i) Zum einen die Unterscheidung zwischen einer universellen göttlichen Schöpfungsordnung und den konkreten offenbarten Gesetzen: Haben an der universellen Schöpfungsordnung alle Menschen kraft ihrer natürlichen Vernunft teil, so gilt dies für die offenbarten Gesetze nur in einem eingeschränkten Maß. Voraussetzung hierfür ist die Kenntnis und die Anerkenntnis dieser offenbarten Gesetze43. (ii) Zum anderen die Unterscheidung zwischen dem, was der Vernunft von Natur aus bekannt und zugänglich ist von dem, was ihr nur kraft Offenbarung zugänglich ist: Diese Unterscheidung entspringt der Begrenztheit der menschlichen Vernunft, die als an die körperlichen, d.h. an die raum-zeitlichen Bedingungen gebundene diskursive Vernunft (ratio) auch das Gesetz von sich aus nur auf die Weise erfassen kann, die ihrer Natur entspricht 44. Thomas bringt hier ein epistemologisches Prinzip zur Geltung, das auch für sein Verständnis der die Beziehung von Philosophie und Theologie zentral ist. Auf die Bedeutung dieser Frage für das Verständnis des Lex-Traktats hat Wolfgang Kluxen nachdrücklich und mit Recht hingewiesen45. Diese doppelte Unterscheidung spiegelt sich im Verständnis der vier Gesetze wider und in der Art und Weise, wie sich diese aufeinander beziehen. Anders nämlich als in der stoischen Konzeption eines ewigen Gesetzes und anders auch als bei Augustinus ist das ewige Gesetz für Thomas keine normative Größe 46. Es artikuliert nichts anderes als die Tatsache der göttlichen Lenkung (gubernatio) und Vorsehung (providentia) der Welt 47. Das ewige Begreifen der göttlichen Vernunft (divina ratio) verbürgt die prinzipielle Sinnhaftigkeit des gesamten Kosmos. Dieser spekulative Begriff des ewigen Gesetzes unterscheidet sich in seinem Ansatz auch deutlich von dem der ‚Summa fratris Alexandri‘ des Alexander von Hales, die eine auf den ersten Blick vergleichbare Unterscheidung in ein ewiges und natürliches Gesetz sowie in Dekalog und Evangelium kennt. Jedoch steht die ‚Summa fratris Alexandri‘ (oder ‚Summa Halensis‘) in ihrer Lex-Lehre ganz unter dem Einfluß des Augustinus und begreift die „lex aeterna“ – darin exemplarisch für die frühe Franziskanerschule – als Gesetz der unwandelbaren Wahrheit (lex 43 44

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Cf. S. th., I–II, q. 94, a. 5, c. (nt. 78); cf. S. th., I–II, q. 98, a. 5, c. (nt. 80). Cf. Summa contra gent., I, cc. 3–8; zur Tragweite der von Thomas etablierten Unterscheidung cf. A. Speer, The Division of Metaphysical Discourses: Boethius, Thomas Aquinas and Meister Eckhart (nt. 4), hier bes. 96–106. W. Kluxen, Lex naturalis bei Thomas von Aquin (nt. 3), 27–29. Ibid., 32sq. S. th., I–II, q. 91, a. 1, c.: „Et ideo ipsa ratio gubernationis rerum in Deo sicut in principe universitatis existens, legis habet rationem. Et quia divina ratio nihil concipit ex tempore, sed habet aeternum conceptum, ut dicitur Prov. VIII; inde est quod huiusmodi legem oportet dicere aeternam.“ – S. th., I–II, q. 93, a. 1, c.: „lex aeterna nihil aliud est quam ratio divinae sapientiae, secundum quod est directiva omnium actuum et motionum.“ – Zur Entfaltung der lex aeterna im Kontext der providentia- bzw. gubernatio-Lehre und zu den daraus folgenden systematischen Konsequenzen siehe Th. Nisters, Mensch und Natur als Subjekte der lex aeterna, in: A. Zimmermann / A. Speer (eds.), Mensch und Natur im Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 21/2), Berlin–New York 1992, 622–644, hier bes. 622–626.

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veritatis immutabilis), kraft dessen unser Intellekt unfehlbar urteilt 48. Das Naturgesetz leitet sich dann nach augustinischem Vorbild dergestalt vom ewigen Gesetz ab, daß es als „regula exemplaris prima“ für den Menschen das im ewigen Gesetz erhaltene zu erkennen gibt 49. Als „ius naturae“ umfaßt es gleichermaßen das „ius nativum“, das „ius humanum“ und das „ius divinum“ 50. Für Thomas hingegen gelten für die Kenntnis des ewigen Gesetzes dieselben Erkenntnisbedingungen wie für die Erkenntnis Gottes: Allein die Seligen, die Gott seinem Wesen nach kennen, kennen auch das ewige Gesetz, wie es in sich selbst ist 51. Die Kenntnis des ewigen Gesetzes steht somit unter demselben Erkenntnisvorbehalt wie die Erkenntnis Gottes 52. Sofern es nicht durch Offenbarung bekanntgemacht wird, wissen wir um die lex aeterna nur theoretisch durch Rückschluß aus den Wirkungen53. Damit besteht auch kein normativ wirksamer Ableitungszusammenhang zwischen ewigem und natürlichem Gesetz, sondern ein Teilhabezusammenhang, der in der Sache nichts anderes artikuliert als die besondere Weise der Teilhabe und Teilnahme der vernunftbegabten Geschöpfe

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Summa fratris Alexandri, pars II, inq. I, q. 1, ed. Quaracchi, t. IV, 315, n. 224: „Dicendum, secundum quod dicit Augustinus in libro De vera religione [XXX, 56]: menti nostrae concessum est videre legem veritatis immutabilem. Mens enim nostra iudicat de veritate immutabili, ut iudicat istam propositionem: iustum est ut omnia sint ordinatissima. Cum ergo ipsa, scilicet ‘mens humana, mutabilitatem pati possit erroris, apparet supra mentem nostram esse legem, quae veritas dicitur’; haec autem lex est aeterna: quod enim est supra mentem nostram est aeternam.“ – Zur ‚Summa fratris Alexandri’ (= ‚Summa Halensis’) siehe den Beitrag von M. Basse, Der Traktat ‚De legibus et praeceptis‘ der ‚Summa Halensis‘ und sein kulturgeschichtlicher Kontext, in diesem Band, 298–315. Summa fratris Alexandri, pars II, inq. II, q. 1, ed. Quaracchi, t. IV, 341, n. 242: „Dicendum quod lex naturalis uno modo dicitur regula exemplaris prima, et sic ipsa est prima veritas, et sic lex naturalis idem est quod lex aeterna et increata.“ Summa fratris Alexandri, pars II, inq. II, q. 4, ed. Quaracchi, t. IV, 350, n. 248: „Dicendum quod lex naturalis est principium ad omne ius morale, secundum quod vita debeat ordinari. Est autem ius naturae triplex, scilicet nativum, humanum, divinum.“ – Die nachfolgende systematische Entfaltung dieses integrativen Verständnisses von ius naturae und lex naturalis markiert den vorläufigen Endpunkt der Aufnahme der antiken Lehre vom Naturgesetz, bzw. Naturrecht in das christliche Denken; hierzu W. Kluxen, Lex naturalis bei Thomas von Aquin (nt. 3), 13–19. Gerade im Vergleich mit dem Lex-Traktat der ‚Summa fratris Alexandri‘ tritt die Neuheit im Ansatz und in der Anlage des Lex-Traktats in Thomas’ ‚Summa theologiae‘ deutlich hervor. S. th., I–II, q. 93, a. 2, c.: „Sic igitur dicendum est quod legem aeternam nullus potest cognoscere secundum quod in seipsa est, nisi solum beati, qui Deum per essentiam vident.“ Ibid., ad 1: „Ad primum ergo dicendum quod ea quae sunt Dei, in seipsis quidem cognosci a nobis non possunt, sed tamen in effectibus suis nobis manifestantur, secundum illud Rom. I [20], ‘invisibilia Dei per ea quae facta sunt, intellecta, conspiciuntur’.“ S. th., I–II, q. 93, a. 2, c.: „Sed omnis creatura rationalis ipsam [sc. legem aeternam] cognoscit secundum aliquam eius irradiationem, vel maiorem vel minorem. Omnis enim cognitio veritatis est quaedam irradiatio et participatio legis aeternae, quae est veritas incommutabilis, ut Augustinus dicit, in libro de Vera Relig. [XXXI, 58]. Veritatem autem omnes aliqualiter cognoscunt, ad minus quantum ad principia communia legis naturalis.“ – Ibid., ad 2: „Ad secundum dicendum quod legem aeternam etsi unusquisque cognoscat pro sua capacitate, secundum modum praedictum, nullus tamen eam comprehendere potest, non enim totaliter manifestari potest per suos effectus. Et ideo non oportet quod quicumque cognoscit legem aeternam secundum modum praedictum, cognoscat totum ordinem rerum, quo omnia sunt ordinatissima.“

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an der ewigen göttlichen Vernunft, der lex aeterna, sofern das vernunftbegabte Geschöpf nicht nur der göttlichen Vorsehung unterstellt ist, sondern an ihr aktiv teilhat, indem es für sich selbst Vorsorge trifft. „Participatio legis aeternae in rationali creatura lex naturalis dicitur“ – so lautet denn auch Thomas’ Definition 54. Anders als das ewige Gesetz, das im Grunde eine metaphysische Größe ist, hat das Naturgesetz eine propositionale Gestalt. Sätze aber, so Thomas, werden durch die Vernunft aufgestellt. Somit ist das Naturgesetz durch die Vernunft konstituiert: „Lex naturalis est aliquid per rationem constitutum“ 55. Erst durch die aktive Teilhabe der subjektiven Vernunftnatur am ewigen Gesetz in Gestalt des natürlichen Gesetzes eröffnet sich dessen normative Dimension im Kontext einer als scientia practica konzipierten philosophischen wie auch theologischen Ethik, die positive Gebote und Vorschriften enthält. Denn die Kenntnis gewisser allgemeiner Grundsätze verbürgt für Thomas nicht die eigentümliche Erkenntnis jeder Wahrheit, die in Gottes Weisheit beschlossen ist 56. Es ist das positive Gesetz, das die konkreten Handlungsnormen enthält. Diese stellt die Vernunft selbst auf, indem sie von den Geboten des natürlichen Gesetzes wie von allgemeinen und unbeweisbaren Grundsätzen aus übergeht zu den konkreteren Weisungen hinsichtlich des einzelnen57. Diese Formel steht im Zentrum heftiger Forschungskontroversen. Was sind die „praecepta legis naturalis“, die als gleichsam selbstevidente Prinzipien den Ausgangspunkt für die auf das einzelne zielenden Weisungen bilden, die die menschliche Vernunft in Form menschlicher Gesetze findet 58? Die menschliche Vernunft ist zwar nicht von sich aus Regel der Dinge (regula rerum), jedoch bilden die ihr naturhaft eingesenkten Prinzipien (principia naturaliter indita) gewisse allgemeine Regeln und Maßstäbe für alles, was dem Menschen zu tun obliegt. Das ist das Feld der praktischen Vernunft, die über die allgemeinen Prinzipien hinaus auf den Einzelfall bezogene Regelungen trifft und Gesetze und Vorschriften erläßt 59. Von dieser Art positiver Gesetzgebung ist auch das göttliche Gesetz. Es steht in dem skizzierten Ableitungszusammenhang erst an vierter Stelle. Die Begrün54 55 56

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S. th., I–-II, q. 91, a. 2, c. – cf. auch die alternative Formulierung: „Unde patet quod lex naturalis nihil aliud est quam participatio legis aeternae in rationali creatura.“ S. th., I–II, q. 94, a. 1, c. S. th., I–II, q. 91, a. 3, ad 1: „[…] ita etiam ex parte rationis practicae naturaliter homo participat legem aeternam secundum quaedam communia principia, non autem secundum particulares directiones singulorum, quae tamen in aeterna lege continentur.“ S. th., I–II, q. 91, a. 3, c.: „Secundum hoc ergo dicendum est quod, sicut in ratione speculativa ex principiis indemonstrabilibus naturaliter cognitis producuntur conclusiones diversarum scientiarum, quarum cognitio non est nobis naturaliter indita, sed per industriam rationis inventa; ita etiam ex praeceptis legis naturalis, quasi ex quibusdam principiis communibus et indemonstrabilibus, necesse est quod ratio humana procedat ad aliqua magis particulariter disponenda.“ Ibid.: „Et istae particulares dispositiones adinventae secundum rationem humanam, dicuntur leges humanae, servatis aliis conditionibus quae pertinent ad rationem legis, ut supra dictum est.“ S. th., I–II, q. 91, a. 3, ad 1: „Ad primum ergo dicendum quod ratio humana non potest participare ad plenum dictamen rationis divinae, sed suo modo et imperfecte. […] Et ideo necesse est ulterius quod ratio humana procedat ad particulares quasdam legum sanctiones.“

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dung für die Notwendigkeit eines göttlichen Gesetzes – zunächst in Gestalt des Alten Gesetzes, d. h. des Dekalogs, sodann in Gestalt des Neuen Gesetzes, d. h. des Evangeliums – hat eine Parallele zu Beginn der ‚Summa contra gentiles‘, wo Thomas die Notwendigkeit der Offenbarung mit der mangelhaften theoretischen Begabung, mit den Erfordernissen der praktischen Lebensführung und Haushaltung und schließlich mit der Faulheit der Menschen begründet, die sie von den Anstrengungen bei der Erforschung der Wahrheit und dem in der Gotteserkenntnis gipfelnden Wissensstreben in dem Maße abhalten, daß nur kraft Offenbarung jeder Mensch zur Gotteserkenntnis zu gelangen vermag. Hinzukommt – so lauten zwei weitere Argumente –, daß der Weg der natürlichen Vernunft äußerst beschwerlich ist und viel Übung erfordert. Darüber hinaus – trotz allen Bemühens – unterliegt die menschliche Vernunft aufgrund ihrer Schwäche immer wieder Täuschungen und Irrtümern60. Ähnlich argumentiert Thomas im Gesetzestraktat der ‚Summa theologiae‘ für die Notwendigkeit eines göttlichen Gesetzes: (i) Es lenkt den Menschen in seinen eigentümlichen Handlungen auf das letzte Ziel der ewigen Glückseligkeit hin, das über die natürlichen Fähigkeiten des Menschen hinausweist; (ii) es bietet dem Menschen besonders in den kontingenten Einzelfällen einen Maßstab für eine zweifelsfreie Entscheidung, was er zu tun oder zu lassen habe; (iii) es bietet einen Beurteilungsmaßstab nicht nur für das äußere, sondern auch für das innere Tun; und (iv) es ist die Instanz, die alle Untaten bestrafen und alles Schlechte zu ahnden vermag, was dem menschlichen Gesetz nicht möglich ist, ohne zugleich vieles Gute zu unterbinden, was wiederum dem Gemeingut und dem menschlichen Zusammenleben abträglich wäre 61. In dieser discretio legum wird sowohl in systematischer wie in begrifflicher Hinsicht die auf Differenzierung angelegte Strategie des Thomas deutlich erkennbar. Diese folgt dem methodischen Prinzip einer praktischen Wissenschaft im aristotelischen Sinne und unterscheidet sich damit deutlich von den augustinisch inspirierten Konzeptionen der Vorgänger und einiger Zeitgenossen. IV. Das Naturg esetz Die strikte Unterscheidung zwischen der theoretischen und der praktischen Begründungsordnung hindert Thomas jedoch nicht daran, die praktische Vernunft insbesondere mit Bezug auf die Prinzipienerkenntnis in strenger Analogie zur theoretischen Vernunft zu betrachten. Diese Analogie zwischen theoretischer und praktischer Vernunft ist nicht nur ein Schlüssel zum Verständnis der lex naturalis-Lehre, Thomas greift auch an anderer Stelle mehrfach auf sie zurück62. Sie ist mithin ein Systemelement in seinem Verständnis praktischer Wissenschaft. 60 61 62

Cf. hierzu im folgenden S. th., I–II, q. 91, a. 4, c. und Summa contra gent., I, c. 4. S. th., I–II, q. 91, a. 4, c. Cf. im Kontext des Gesetzestraktats S. th., I–II, q. 90, a. 1, ad 2; q. 90, a. 2, c.; q. 91, a. 3, c. und ad 1–3; q. 94, a. 2, c.; q. 94, a. 4, c.; q. 100, a. 1, c., und öfter.

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Damit kommen wir zu einem der bevorzugten Kampfplätze der ThomasInterpretation63. Im Mittelpunkt steht vor allem ‚Summa theologiae‘ I–II, q. 94, a. 2. Allerdings wird dieser Artikel oftmals isoliert und ohne Bezugnahme auf den engeren und weiteren Kontext betrachtet. Die Bedeutung der Einbeziehung des weiteren wie des engeren Kontextes dürfte bisher deutlich geworden sein und zeigt sich auch in der folgenden Rekonstruktion des zweiten Artikels der 94. Quaestio. Die Argumentation des Thomas nimmt ihren Ausgang zum einen von der bereits erwähnten Analogie zwischen theoretischer und praktischer Vernunft, zum anderen von einem zweifachen Verständnis dessen, was der Vernunft von sich aus evident scheint. Etwas ist „per se notum secundum se“, wenn es ohne weitere Voraussetzungen einem jeden Menschen unmittelbar einleuchtet, wie der Satz „Das Ganze ist größer als sein Teil“. Hiervon unterschieden sind analytische Sätze von der Art „Der Mensch ist vernunftbegabt“. Auch diese sind unmittelbar evident – aber nur für den, der bereits über ein bestimmtes Wissen verfügt. Thomas nennt diese Sätze „per se notum quoad nos“ 64. Diese Unterscheidung ist bedeutsam für die folgende Applikation auf die Frage der lex naturalis. Diese beginnt mit dem Hinweis auf die bestehende Vorrangordnung innerhalb der „dignitates vel propositiones per se notae communiter omnibus“ – so Thomas unter Rekurs auf die ‚Hebdomaden‘ des Boethius –, also der per se notum secundum se-Sätze im Bereich der theoretischen Vernunft 65. Sowie der Satz vom Widerspruch, der seine transzendentale Begründung im ersterkannten Begriff des Seienden hat, grundlegend für die theoretische Vernunft ist, so gründet das erste Gesetz der praktischen Vernunft: „bonum est faciendum et prosequendum, et malum vitandum“ in der auf dem Konvertibilitätsprinzip beruhenden ersthaften Erfassung des Guten als das, wonach alle streben66. Damit fungiert das „primum praeceptum legis

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Siehe hierzu die Literaturhinweise in Anm. 1. S. th., I–II, q. 94, a. 2, c.: „praecepta legis naturae hoc modo se habent ad rationem practicam, sicut principia prima demonstrationum se habent ad rationem speculativam, utraque enim sunt quaedam principia per se nota. Dicitur autem aliquid per se notum dupliciter, uno modo, secundum se; alio modo, quoad nos.“ Ibid.: „Et inde est quod, sicut dicit Boetius, in libro de Hebdomad., quaedam sunt dignitates vel propositiones per se notae communiter omnibus, et huiusmodi sunt illae propositiones quarum termini sunt omnibus noti, ut, omne totum est maius sua parte, et, quae uni et eidem sunt aequalia, sibi invicem sunt aequalia.“ – Cf. L. F. Tuninetti, ‚Per se notum‘. Die logische Beschaffenheit des Selbstverständlichen im Denken des Thomas von Aquin (STGM, 47), Leiden–New York–Köln 1996, 12–67. S. th., I–II, q. 94, a. 2, c.: „In his autem quae in apprehensione omnium cadunt, quidam ordo invenitur. Nam illud quod primo cadit in apprehensione, est ens, cuius intellectus includitur in omnibus quaecumque quis apprehendit. Et ideo primum principium indemonstrabile est quod non est simul affirmare et negare, quod fundatur supra rationem entis et non entis, et super hoc principio omnia alia fundantur, ut dicitur in IV Metaphys. Sicut autem ens est primum quod cadit in apprehensione simpliciter, ita bonum est primum quod cadit in apprehensione practicae rationis, quae ordinatur ad opus, omne enim agens agit propter finem, qui habet rationem boni. Et ideo primum principium in ratione practica est quod fundatur supra rationem boni, quae est, bonum est quod omnia appetunt. Hoc est ergo primum praeceptum legis, quod bonum est faciendum et prosequendum, et malum vitandum. Et super hoc fundantur omnia alia praecepta legis naturae, ut scilicet omnia illa facienda vel vitanda pertineant ad praecepta legis naturae, quae ratio practica naturaliter apprehendit esse bona humana.“ – Auch seine

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naturae“ als eine Art praktisches Widerspruchsprinzip, welches gebietet, etwas mit Blick darauf, was die praktische Vernunft auf natürliche Weise als menschliche Güter (bona humana) erfaßt, zu tun oder zu lassen. Denn als ein praktischer Satz ist das oberste Gesetz der praktischen Vernunft notwendig präskriptiv 67. Doch woran bemißt sich die Erfassung der bona humana? Diese Frage ist ein zentraler Gegenstand der Debatten um das thomasische Naturrechtsverständnis. Denn an dieser Frage entscheidet sich, inwieweit das Naturgesetz über den Besitz der obersten formalen Regel der praktischen Vernunft hinaus auch materielle Handlungsnormen enthält, die von jedem unmittelbar und mit Evidenz eingesehen werden können und damit auch eingesehen werden können müssen. Kern der Antwort ist Thomas Lehre von den inclinationes naturales, die er gemäß der neuplatonischen Perfektionentrias esse – vivere – intelligere entfaltet. Von Natur aus erstrebt der Mensch – wie alle Substanzen – die Erhaltung seines Seins (conservatio sui esse). Von Natur aus sorgt sich der Mensch – wie alle Sinnenwesen – um die Erhaltung seiner Art durch Fortpflanzung und Aufzucht der Nachkommen. Von Natur aus strebt der Mensch kraft der Natur der Vernunft, die ihm wesenseigentümlich und sein Alleinstellungsmerkmal ist, danach, die Wahrheit zu erkennen – das schließt auch die Gotteserkenntnis ein – und in der Gemeinschaft zu leben 68. Ich lese die Lehre der inclinationes naturales im Sinne einer per se notum quoad nosArgumentation, die abhängig ist von einem Wissen um und einem Nachdenken über die Natur des Menschen als des Trägers jener Handlungen, die Gegenstand der Ethik sind. Ausdrücklich stellt Thomas fest, daß sämtliche inclinationes der menschlichen Natur, insofern sie von der Vernunft reguliert werden, unter das Naturgesetz fallen und – im Sinne unseres Zweistufenmodells – auf ein erstes Gebot zurückgeführt werden. Demnach, so folgert Thomas, „gibt es zwar viele Gebote (praecepta) des Naturgesetzes, aber diese haben eine gemeinsame Wur-

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‚Collationes de decem preceptis‘ von 1273 beginnt Thomas mit der Feststellung: „Et prima dicitur lex nature et hec nichil aliud est quam lumen intellectus insitum nobis a Deo, per quod cognoscimus quid agendum et quid uitandum.“ – J.-P. Torrell, Les « Collationes de decem preceptis » de Saint Thomas d’Aquin. Édition critique avec introducition et notes, in: id.; Recherches thomasiennes (Bibliothèque thomiste, LII), Paris 2000, 47–117, hier: 65. Cf. W. Kluxen, Lex naturalis bei Thomas von Aquin (nt. 3), 35–37. S. th., I–II, q. 94, a. 2, c.: „Secundum igitur ordinem inclinationum naturalium, est ordo praeceptorum legis naturae. Inest enim primo inclinatio homini ad bonum secundum naturam in qua communicat cum omnibus substantiis, prout scilicet quaelibet substantia appetit conservationem sui esse secundum suam naturam. Et secundum hanc inclinationem, pertinent ad legem naturalem ea per quae vita hominis conservatur, et contrarium impeditur. Secundo inest homini inclinatio ad aliqua magis specialia, secundum naturam in qua communicat cum ceteris animalibus. Et secundum hoc, dicuntur ea esse de lege naturali quae natura omnia animalia docuit, ut est coniunctio maris et feminae, et educatio liberorum, et similia. Tertio modo inest homini inclinatio ad bonum secundum naturam rationis, quae est sibi propria, sicut homo habet naturalem inclinationem ad hoc quod veritatem cognoscat de Deo, et ad hoc quod in societate vivat. Et secundum hoc, ad legem naturalem pertinent ea quae ad huiusmodi inclinationem spectant, utpote quod homo ignorantiam vitet, quod alios non offendat cum quibus debet conversari, et cetera huiusmodi quae ad hoc spectant.“ – Cf. S. th., I–II, q. 94, a. 3, c.: „Dictum est enim quod ad legem naturae pertinet omne illud ad quod homo inclinatur secundum suam naturam.“

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zel“ 69. Es ist mithin nicht die Natur, die unmittelbar normsetzend wirkt, sondern es ist die Vernunft selbst, die im Rekurs auf die anthropologischen Bedingungen normativ tätig ist. (Soviel zur Frage eines möglichen naturalistischen Fehlschlusses.) Die Natur findet die Vernunft vor – denn sie ist nicht „regula et mensura“ für das, was von Natur aus ist, sondern allein mit Bezug auf die dem Menschen eigentümlichen Tätigkeiten70. Wolfgang Kluxen hat in diesem Zusammenhang von einer metaphysischen Grundlegung gesprochen, von einer Metaphysik des Handelns71. Mit Blick auf die Lehre von den inclinationes naturales könnte man ergänzend auch von einer anthropologischen Grundlegung der Ethik sprechen. Auch darin gewinnt Thomas eine bemerkenswerte Aktualität. Nimmt man das doppelte Verständnisses von per se notum zum Maßstab, so scheint es demnach nur ein Gebot des Naturgesetzes zu geben, das ausnahmslos allen Menschen bekannt und als oberste Regel der praktischen Vernunft zu befolgen ist: „bonum faciendum et malum vitandum“ 72. Alle übrigen Gebote des Naturgesetzes sind nicht in gleicher Weise evident und erfordern eine intellektuelle Anstrengung, die nicht von jedem erbracht werden kann. Wie sieht es daher mit der Geltung des Naturgesetzes für alle aus? Diese Frage diskutiert Thomas im vierten Artikel der gleichen 94. Quaestio. Wiederum bemüht er die Parallelität von theoretischer und praktischer Vernunft, dieses Mal jedoch mit Blick auf ein anderes Ordnungsmodell: dem Verhältnis zwischen dem Prinzip und dem, was unmittelbar aus ihm folgt 73. Im Bereich der theoretischen Vernunft liegt, so Thomas, zwischen Prinzip und erstem Folgesatz dieselbe Wahrheit für alle vor, nur ist sie nicht allen gleichermaßen bekannt – wie beim Satz, daß ein Dreieck drei Winkel gleich zwei rechten hat. Dies gilt aber nicht für die auf das Einzelne zielenden Folgesätze im Bereich der praktischen Vernunft. Dort liegt weder dieselbe Wahrheit oder Rechtheit für alle vor noch ist diese Wahrheit dort, wo sie dieselbe ist, allen in gleicher Weise bekannt 74. Vielmehr steigt, je mehr Einzelbedingungen 69

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S. th., I–II, q. 94, a. 2, ad 2: „Ad secundum dicendum quod omnes inclinationes quarumcumque partium humanae naturae, puta concupiscibilis et irascibilis, secundum quod regulantur ratione, pertinent ad legem naturalem, et reducuntur ad unum primum praeceptum, ut dictum est. Et secundum hoc, sunt multa praecepta legis naturae in seipsis, quae tamen communicant in una radice.“ – Cf. C. Steel, Natural Ends and Moral Ends (nt. 32), 123–125. S. th., I–II, q. 91, a. 3, ad 2: „ratio humana secundum se non est regula rerum, sed principia ei naturaliter indita, sunt quaedam regulae generales et mensurae omnium eorum quae sunt per hominem agenda, quorum ratio naturalis est regula et mensura, licet non sit mensura eorum quae sunt a natura.“ W. Kluxen, Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin (nt. 26), 234sq.; id., Lex naturalis bei Thomas von Aquin (nt. 3), 32–35. S. th., I–II, q. 94, a. 2, c.: „Hoc est ergo primum praeceptum legis, quod bonum est faciendum et prosequendum, et malum vitandum.“ Thomas benutzt für diese Unterscheidung der aristotelischen Wissenschaftstheorie die folgenden Formulierungen: „tam in principiis quam in conclusionibus“ (q. 94, a. 4, c.) oder – schon mit Blick auf die Notwendigkeit der Unterscheidung: „non sicut principia communia, sed sicut quaedam conclusiones ex his derivatae“ (q. 94, a. 4, ad 2). S. th., I–II, q. 94, a, 4, c.: „Sic igitur patet quod, quantum ad communia principia rationis sive speculativae sive practicae, est eadem veritas seu rectitudo apud omnes, et aequaliter nota. Quantum vero ad proprias conclusiones

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hinzugefügt werden, auch die Häufigkeit, Fehler zu begehen und Unrecht zu tun. Thomas verdeutlicht dies am Gebot, Eigentum dem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben. Dies kann beispielsweise im Falle von konfisziertem Kriegsgut zu einer dramatischen Fehlentscheidung mit unabsehbaren Konsequenzen führen75. Somit gehören zum Naturgesetz im eigentlichen Sinne nur die allgemeinen Prinzipien (principia communia), die sowohl hinsichtlich der Rechtheit wie der Kenntnis allen (apud omnes) bekannt sind 76. Thomas scheint mir an dieser Stelle keinen Zweifel zuzulassen, daß es sich hier nur um solche Prinzipien handelt, die „per se notum secundum se“ gelten; das aber ist nur die oberste Regel der praktischen Vernunft. Hinsichtlich aller weiteren einzelnen Regeln (quaedam propria), die gleichsam Folgerungen aus den Prinzipien darstellen oder – um auf das andere Ordnungsmodell zu sprechen zu kommen – eine weitere, erst zu erwerbende Kenntnis voraussetzen, gilt dies nur in der Mehrzahl der Fälle (ut in pluribus) nach Maßgabe der Rechtheit und Kenntnis, in der Minderzahl der Fälle (ut in paucioribus) hingegen kann eine solche Regel oder Vorschrift fehlerhaft oder gar falsch sein (q. 94, a. 4, c)77. Unwandelbarkeit besitzt das Naturgesetz daher nur hinsichtlich der ersten Prinzipien, nicht jedoch hinsichtlich der ins einzelne gehenden, den ersten Prinzipien jedoch nachstehenden Folgesätzen. Diese zweiten Gebote (secunda praecepta) gelten lediglich in der Mehrzahl der Fälle (ut in pluribus), sie können sich aber mit Bezug auf einem einzelnen Sachverhalt aufgrund besonderer Ursachen und Umstände ändern78. Das gilt für das Tötungsverbot ebenso wie für den Eigentumsschutz oder für das Lügenverbot 79.

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rationis speculativae, est eadem veritas apud omnes, non tamen aequaliter omnibus nota, apud omnes enim verum est quod triangulus habet tres angulos aequales duobus rectis, quamvis hoc non sit omnibus notum. Sed quantum ad proprias conclusiones rationis practicae, nec est eadem veritas seu rectitudo apud omnes; nec etiam apud quos est eadem, est aequaliter nota.“ Ibid.: „Apud omnes enim hoc rectum est et verum, ut secundum rationem agatur. Ex hoc autem principio sequitur quasi conclusio propria, quod deposita sint reddenda. Et hoc quidem ut in pluribus verum est, sed potest in aliquo casu contingere quod sit damnosum, et per consequens irrationabile, si deposita reddantur; puta si aliquis petat ad impugnandam patriam. Et hoc tanto magis invenitur deficere, quanto magis ad particularia descenditur, puta si dicatur quod deposita sunt reddenda cum tali cautione, vel tali modo, quanto enim plures conditiones particulares apponuntur, tanto pluribus modis poterit deficere, ut non sit rectum vel in reddendo vel in non reddendo.“ – Ein ähnliches Beispiel für einen Hinderungsgrund, der einer unmittelbaren Rückführung auf ein von der Natur gebotenes Recht entgegensteht der findet sich im bereits im dritten Buch des Sentenzenkommentars: Scriptum super lib. III Sent., d. 37, 1. 3, resp., ed. M. F. Moos, 1244, n. 59 (siehe nt. 9). S. th., I–II, q. 94, a. 4, c.: „Sic igitur dicendum est quod lex naturae, quantum ad prima principia communia, est eadem apud omnes et secundum rectitudinem, et secundum notitiam.“ Ibid.: „Sed quantum ad quaedam propria, quae sunt quasi conclusiones principiorum communium, est eadem apud omnes ut in pluribus et secundum rectitudinem et secundum notitiam, sed ut in paucioribus potest deficere et quantum ad rectitudinem, propter aliqua particularia impedimenta […] et etiam quantum ad notitiam […].“ S. th., I–II, q. 94, a. 5, c.: „Et sic quantum ad prima principia legis naturae, lex naturae est omnino immutabilis. Quantum autem ad secunda praecepta, quae diximus esse quasi quasdam proprias conclusiones propinquas primis principiis, sic lex naturalis non immutatur quin ut in pluribus rectum sit semper quod lex naturalis habet. Potest tamen immutari in aliquo particulari, et in paucioribus, propter aliquas speciales causas impedientes observantiam talium praeceptorum, ut supra dictum est.“ Siehe hierzu exemplarisch S. th., I–II, q. 18., a. 10 und 11 im Kontext der Diskussion der Handlungsumstände (circumstantiae) sowie S. th., II–II, q. 110 („De mendacio“) zu den Formen der Lüge.

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V. Naturg esetz und Dekalog Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und inwiefern die Gebote des Dekalogs zum Naturgesetz gehören. Thomas dreht die Frage um, wohl wissend, daß sie einige Brisanz enthält. Hinsichtlich dessen, was das Alte Gesetz vom Naturgesetz enthielt, so Thomas, waren alle zur Beobachtung des Alten Gesetzes verpflichtet, und zwar nicht, weil die betreffenden Gebote dem Alten Gesetz, sondern weil sie dem Naturgesetz angehörten80. Anders verhält es sich mit den Geboten, die das Alte Gesetz über das Naturgesetz hinaus hinzufügte: Diese sind nicht für alle verpflichtend, sondern nur für die, die dem Alten Gesetz unterstanden81. Von Bedeutung ist die Unterscheidung des Alten Gesetz in das Sittengesetz (praecepta moralia), in die Kultvorschriften (praecepta caeremonialia) und in die Rechtssatzungen (praecepta judicialia), die sich auch schon in scholastischen Rechtstraktaten vor Thomas findet, unter anderem in der ‚Summa fratris Alexandri‘ 82. Für unsere Frage von Belang sind nur die praecepta moralia, unter denen Thomas jene Gebote versteht, die bindende Kraft allein aus der Weisung der Vernunft selbst haben – eine Fähigkeit, die den anderen praecepta abgeht, die allein aufgrund menschlicher oder göttlicher Einrichtung ihre bindende Gewalt (vis obligandi) besitzen83. In welchem Verhältnis stehen aber die Gebote des Sittengesetzes zum Naturgesetz? Diese Frage ist ein bevorzugter Probierstein für die Frage des materialen Gehalts des Naturrechts im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Theonomie, von Philosophie und Theologie. Im zweiten Artikel der 99. Quaestio macht sich Thomas selbst diesen Einwand. Wenn Altes Gesetz und Naturgesetz sich unterscheiden, die praecepta moralia

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In diesen Kontext gehört auch die Repugnanzlehre des Thomas; hierzu Th. Nisters, Akzidentien der Praxis. Thomas von Aquins Lehre von den Umständen menschlichen Handelns, Freiburg– München 1992. S. th., I–II, q. 98, a. 5, c.: „Quantum igitur ad illa quae lex vetus continebat de lege naturae, omnes tenebantur ad observantiam veteris legis, non quia erant de veteri lege, sed quia erant de lege naturae.“ – Siehe hierzu auch G. M. Cottier, Loi naturelle et décalogue, in: Doctor Communis. Persona, legge naturale, diritti umani in una società complessa e globale, Vatican City 2007, 23–40, bes. 35–40, und J. M. Jacobs, The Precepts of the Decalogue and the Problem of Self-Evidence, in: International Philosophical Quarterly 47/188 (2007), 399–415. Ibid.: „Sed quantum ad illa quae lex vetus superaddebat, non tenebantur aliqui ad observantiam veteris legis nisi solus populus Iudaeorum.“ Cf. im folgenden vor allem S. th., I–II, q. 100, a. 1, c. und q. 104, a. 1, c. Hierzu O. H. Pesch, Sittengebote, Kultvorschriften, Rechtssatzungen. Zur Theologiegeschichte von Summa Theologiae I–II, 99, 2–5, in: W. P. Eckert OP (ed.), Thomas von Aquino. Interpretation und Rezeption (Walberberger Studien, 5), Mainz 1974, 488–518. S. th., I–II, q. 104, a. 1, c.: „praeceptorum cuiuscumque legis quaedam habent vim obligandi ex ipso dictamine rationis, quia naturalis ratio dictat hoc esse debitum fieri vel vitari. Et huiusmodi praecepta dicuntur moralia, eo quod a ratione dicuntur mores humani. Alia vero praecepta sunt quae non habent vim obligandi ex ipso dictamine rationis, quia scilicet in se considerata non habent absolute rationem debiti vel indebiti; sed habent vim obligandi ex aliqua institutione divina vel humana.“

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aber zum Naturgesetz gehören, dann können sie nicht gleichzeitig zum Alten Gesetz zählen84. Und wenn die lex divina den Menschen dort unterstützt, wo die menschliche Vernunft versagt, diese aber grundsätzlich für die Erkenntnis der Sittengebote ausreicht, dann gehören diese gleichfalls nicht zum Alten Gesetz. Denn trifft es nicht zu, daß Gebote wie „Du sollst nicht töten“ und „Du sollst nicht stehlen“ aus sich selbst heraus verständlich und bekannt sind, beziehen sie sich doch auf jene bona humana, die mit den inclinationes naturales gegeben sind 85. Handelt es sich nicht – in moderner Terminologie – um prima facie-Gebote? In der Tat unterstreicht Thomas, daß es sich um Sittengebote handelt, weil sie vernünftig sind 86. Sie gehören gleichwohl zum Alten Gesetz, sofern dieses nicht nur die Freundschaft zwischen Menschen zu stiften imstande ist wie das menschliche Gesetz, sondern darüber hinaus zwischen den Menschen und Gott 87. Thomas bringt hier ein weiteres Modell zur Geltung: Das göttliche Gesetz ist nicht nur Ausdruck der göttlichen Fürsorge für den Menschen, sofern er – obgleich er sich hinsichtlich der Sittengebote niemals gänzlich irren konnte – insbesondere wegen der langen Herrschaft der Sünde in doppelter Weise irrtumsanfällig ist: nicht nur bezüglich des Schlußfolgerns aus Prinzipien, sondern auch dahingehend, für erlaubt zu halten, was in sich schlecht ist88. Zugleich betont Thomas die Verwandtschaft von Naturgesetz und Altem Gesetz, das nicht etwas völlig Fremdes sei, sondern jenes so wie die Gnade die Natur vollendet, ohne es aufzuheben89. 84 85

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S. th., I–II, q. 99, a. 2, obi. 1: „Lex enim vetus distinguitur a lege naturae, ut supra habitum est. Sed praecepta moralia pertinent ad legem naturae. Ergo non pertinent ad legem veterem.“ S. th., I–II, q. 100, a. 3, c.: „Illa ergo praecepta ad Decalogum pertinent, quorum notitiam homo habet per seipsum a Deo. Huiusmodi vero sunt illa quae statim ex principiis communibus primis cognosci possunt modica consideratione, et iterum illa quae statim ex fide divinitus infusa innotescunt. Inter praecepta ergo Decalogi non computantur duo genera praeceptorum, illa scilicet quae sunt prima et communia, quorum non oportet aliam editionem esse nisi quod sunt scripta in ratione naturali quasi per se nota, sicut quod nulli debet homo malefacere, et alia huiusmodi.“ S. th., I–II, q. 99, a. 2, c.: „Respondeo dicendum quod lex vetus continebat praecepta quaedam moralia, ut patet Exod. XX, ‘non occides’, ‘non furtum facies’. Et hoc rationabiliter.“ S. th., I–II, q. 99, a. 1, ad 2: „omnis lex tendit, ut amicitiam constituat vel hominum ad invicem, vel hominis ad Deum. Et ideo tota lex impletur in hoc uno mandato, ‘diliges proximum tuum sicut teipsum’, sicut in quodam fine mandatorum omnium, in dilectione enim proximi includitur etiam Dei dilectio, quando proximus diligitur propter Deum.“ S. th., I–II, q. 99, a. 2, ad 2: „Ad secundum dicendum quod legi divinae conveniens erat ut non solum provideret homini in his ad quae ratio non potest, sed etiam in his circa quae contingit rationem hominis impediri. Ratio autem hominis circa praecepta moralia, quantum ad ipsa communissima praecepta legis naturae, non poterat errare in universali, sed tamen, propter consuetudinem peccandi, obscurabatur in particularibus agendis. Circa alia vero praecepta moralia, quae sunt quasi conclusiones deductae ex communibus principiis legis naturae, multorum ratio oberrabat, ita ut quaedam quae secundum se sunt mala, ratio multorum licita iudicaret. Unde oportuit contra utrumque defectum homini subveniri per auctoritatem legis divinae.“ – Die destructio des Naturgesetzes durch das Gesetz der Begierde („lex nature per legem concupiscentie destructa est“) thematisiert Thomas ausführlich im Prolog zu seinen ‚Collationes de decem preceptis‘; diese destructio werde zum einen durch das Gesetz des Mose (‚lex Moysi‘), vor allem aber durch das Gesetz Christi (‚lex Christi‘) aufgehoben, welche den Menschen durch Furcht und Liebe zum Guten führen. Cf. Collationes de decem preceptis, ed. J.-P. Torrell (nt. 66), 65sq. S. th., I–II, q. 99, a. 2, ad 1: „Ad primum ergo dicendum quod lex vetus distinguitur a lege naturae non tanquam ab ea omnino aliena, sed tanquam aliquid ei superaddens. Sicut enim gratia praesupponit naturam, ita

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Gilt dies aber für alle Sittengebote des Dekalogs? Gehören diese durchweg zum Naturgesetz? Thomas verweist in seiner Antwort im ersten Artikel der 100. Quaestio auf die bereits zuvor etablierte Lehre, wonach jedes praktische Urteil aus gewissen naturhaft erkannten Prinzipien hervorgeht 90. Einiges im Bereich der menschlichen Handlungen sei nun derart klar (explicata), daß es unverzüglich (statim), bei nur geringer Überlegung, aufgrund dieser ersten und allgemeinen Prinzipien gebilligt oder zurückgewiesen werden kann, während anderes zu einer angemessenen Beurteilung einer umfangreichen Erwägung der verschiedenen Umstände bedarf. Diese sorgfältige Erwägung sei aber nicht Sache eines jeden, sondern allein Sache der Weisen und der Philosophen. Und schließlich gibt es noch solches, um das der Mensch nicht ohne eine ausdrückliche göttliche Unterweisung wissen könne, wie die Glaubenswahrheiten91. Wir erkennen unschwer das Disktinktionsschema für die Gebotetafel des Dekalogs wieder. Doch abermals möchte ich die Aufmerksamkeit allein auf das Verhältnis von Sittengesetz und Naturgesetz lenken. Thomas rekurriert erneut auf die Evidenz. Zum Naturgesetz gehören demgemäß alle Gebote, die mit der Vernunft übereinstimmen und sich auf irgendeine Weise von der natürlichen Vernunft herleiten. „Absolute“, d. h. ohne Einschränkungen gehören nach Thomas zum Naturgesetz diejenigen praecepta moralia, bei denen die natürliche Vernunft eines jeden Menschen von sich aus sofort entscheidet, daß diese zu befolgen oder nicht zu befolgen sind. Als Beispiel nennt er wiederum drei Gebote aus der zweiten Dekalogtafel: „Ehre deinen Vater und deine Mutter“, „Du sollst nicht töten“, „Du sollst nicht stehlen“. Andere Sittengebote hingegen setzen – wie per se notum quoad nos-Sätze – Erfahrung (das ist hier mit „sapientior“ gemeint 92 ), genauere

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oportet quod lex divina praesupponat legem naturalem.“ – Die Behauptung von N. Slenczka, „Thomas ordne der Sinaioffenbarung die aus der griechischen Tradition übernommene Naturrechtstradition über und begründe und begrenze durch sie die Geltung der Sinai-Tora“, ist demnach unzutreffend; die von Thomas vorgenommene Unterscheidung ist gerade nicht als Unterordnung oder Beschränkung zu lesen. Cf. N. Slenczka, Thomas von Aquin und die Synthese zwischen dem biblischen und dem griechisch-römischen Gesetzesbegriff, in: O. Behrends (ed.), Der biblische Gesetzesbegriff. Auf den Spuren seiner Säkularisierung, Göttingen 2006, 107–132, hier 120. S. th., I–II, q. 100, a. 1, c.: „Sicut autem omne iudicium rationis speculativae procedit a naturali cognitione primorum principiorum, ita etiam omne iudicium rationis practicae procedit ex quibusdam principiis naturaliter cognitis, ut supra dictum est.“ – Cf. S. th., I–II, q. 94, a. 2 und 4 (siehe nt. 64–66 und 71–77). Ibid.: „Quaedam enim sunt in humanis actibus adeo explicita quod statim, cum modica consideratione, possunt approbari vel reprobari per illa communia et prima principia. Quaedam vero sunt ad quorum iudicium requiritur multa consideratio diversarum circumstantiarum, quas considerare diligenter non est cuiuslibet, sed sapientum, sicut considerare particulares conclusiones scientiarum non pertinet ad omnes, sed ad solos philosophos. Quaedam vero sunt ad quae diiudicanda indiget homo adiuvari per instructionem divinam, sicut est circa credenda.“ Thomas gebraucht hier und in ähnlichen Zusammenhängen sapiens bzw. sapientior in der ursprünglichen antiken Bedeutung einer bereichsbezogenen Vorzüglichkeit oder Expertise wie etwa der tüchtige Zimmermann bei Homer, der Wetterkundige bei Pindar (Belegstellen bei H. Leisegang, Sophia, in: Pauly-Wissowa, Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft, 2. Reihe, 5. Halbband, Stuttgart 1927, 1019), oder die ‚weisen‘ Politiker, Dichter und Handwerker bei Platon (Apologie, 21a–22e und 23b). Dieser komparative Gebrauch von ‚weise‘ mit Bezug auf alle Formen der erfahrungs-, handlungs- und wissensmäßigen Weltorientierung, die nach Art der

Naturgesetz und Dekalog bei Thomas von Aquin

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Überlegung und Belehrung voraus wie die Aufforderung, die Person des Greises zu ehren, oder gar göttliche Unterweisung wie das Bilder- und das Namenverbot der ersten Dekalogtafel 93. Darin, so möchte ich argumentieren, ist dennoch nicht ein Versuch zu sehen, eine materiale Naturrechtslehre zu etablieren, so als hätten diese Gebote dieselbe Evidenz im Sinne eines per se notum secundum se-Satzes wie das oberste Gebot der praktischen Vernunft 94. Thomas bleibt vielmehr seiner diskretiven Argumentationsstrategie selbst dann treu, wo er ihre Grenzen austestet. Das Naturgesetz ist die oberste Regel der praktischen Vernunft. Nur was diese als zu tun und zu lassen erkennt, erlangt Gesetzeskraft. Dies zeigt sich gerade auch mit Blick auf die praecepta moralia des Dekalogs. Auch diese werden von der Vernunft als Sittengebote erkannt 95. Dies kann geschehen zum einen mit Blick auf die anthropologischen Voraussetzungen, die alle im Sinne einer allgemeinen Menschennatur affirmieren, sofern sie sich als Menschen erkennen und anerkennen. Dies kann ferner geschehen im Rückgang auf die Analyse des menschlichen Urteilens: in Hinblick auf die Modi der Evidenz und des Schließens, und nicht zuletzt des praktischen Urteilens und Entscheidens. Hier eröffnet Thomas einen weiten Raum für das positive Recht, für das Historische und für das Politische. ****** Kehren wir noch einmal zurück an den Anfang zu Gratian und dessen Sentenz aus dem Prolog zu seiner Dekretaliensammlung: „Ius naturale est, quod in Lege et in Evangelio continetur “, die Thomas zu Beginn des vierten Artikels der 94. Quaestio als Einwand zitiert 96. In seiner Erwiderung stellt Thomas dann klar, daß das

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Einsicht in die Regeln und Ursachen ‚architektonisch‘ aufeinander bezogen sind, findet sich auch bei Aristoteles (cf. Metaph., I, 1–2); cf. hierzu A. Speer, Weisheit, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, vol. 12, Basel 2004, 371–397, hier 371–376. S. th., I–II, q. 100, a. 1, c.: „Quaedam enim sunt quae statim per se ratio naturalis cuiuslibet hominis diiudicat esse facienda vel non facienda, sicut honora patrem tuum et matrem tuam, et, non occides, non furtum facies. Et huiusmodi sunt absolute de lege naturae. Quaedam vero sunt quae subtiliori consideratione rationis a sapientibus iudicantur esse observanda. Et ista sic sunt de lege naturae, ut tamen indigeant disciplina, qua minores a sapientioribus instruantur, sicut illud, ‘coram cano capite consurge, et honora personam senis’, et alia huiusmodi. Quaedam vero sunt ad quae iudicanda ratio humana indiget instructione divina, per quam erudimur de divinis, sicut est illud, ‘non facies tibi sculptile neque omnem similitudinem; non assumes nomen Dei tui in vanum’.“ Mit Recht stellt daher James M. Jacobs unter Berufung auf S. th., I–II, q. 100, a. 11, c. fest: „Let us now turn to the Decalogue, for Thomas takes these precepts to be the main example of secondary precepts of the natural law, the immediate conclusions from the self-evident precepts.“ – Siehe J. M. Jacobs, The Precepts of the Decalogue and the Problem of Self-Evidence (nt. 80), 405. Ibid.: „praecepta moralia, a caeremonialibus et iudicialibus distincta, sunt de illis quae secundum se ad bonos mores pertinent. Cum autem humani mores dicantur in ordine ad rationem, quae est proprium principium humanorum actuum, illi mores dicuntur boni qui rationi congruunt, mali autem qui a ratione discordant.“ – Cf. S. th., I–II, q. 98, a. 5, c. (nt. 80). S. th., I–II, q. 94, a. 4, obi. 1: „Videtur quod lex naturae non sit una apud omnes. Dicitur enim in Decretis, dist. I, quod ‘ius naturale est quod in lege et in Evangelio continetur’. Sed hoc non est commune omnibus, quia,

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Naturgesetz nicht inklusivistisch in dem Sinne verstanden werden dürfe, daß es alles enthalte, was im Gesetz und im Evangelium enthalten sei. Das Wort wolle vielmehr besagen, daß das, was unter das Naturgesetz fällt, dort vollständig überliefert sei 97. Was das konkret heißt, verdeutlich Thomas mit einem weiteren Gratian-Zitat: „quo quisque iubetur alii facere quod sibi vult fieri “ 98 – das nichts anderes besagt als die goldene Regel, dem anderen zu tun, was man sich selbst gegenüber getan sehen möchte! Diese Interpretation ist programmatisch. Sie unterstreicht Thomas’ Abkehr von einer inklusiven materialen Naturrechtskonzeption zugunsten eines formalen Naturrechtsprinzips auf der Grundlage einer aus Überlegung frei handelnden, gestaltungsoffenen vernünftigen Natur, die zum Prinzip des moralischen Handelns wird. Hier liegt der Ausgangspunkt für eine wirkmächtige Neuinterpretation des Gesetzestraktats auf der Grundlage der Unterscheidung von theoretischer und praktischer Vernunft, von natürlicher Vernunft und Offenbarung, von Philosophie und Theologie. Mit Recht ist dieser Traktat in historischer wie systematischer Perspektive auch jenseits der fragwürdigen Epochengrenze von ‚Moderne‘ und ‚Vormoderne‘ zu einem Referenzwerk geworden, das die Frage nach dem Verhältnis von universaler, aber abstrakter, sowie von partikulärer, aber historisch-konkreter Handlungsorientierung überhaupt betrifft, erst recht dann, wenn diese im Spannungsfeld und Philosophie und Religion artikuliert wird.

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ut dicitur Rom. X [16], ‘non omnes obediunt Evangelio’. Ergo lex naturalis non est una apud omnes.“ – Cf. Decretum Gratiani I, di. 1, 1 (nt. 5). S. th., I–II, q. 94, a. 4, ad 1: „Ad primum ergo dicendum quod verbum illud non est sic intelligendum quasi omnia quae in lege et in Evangelio continentur, sint de lege naturae, cum multa tradantur ibi supra naturam, sed quia ea quae sunt de lege naturae, plenarie ibi traduntur.“ Ibid.: „Unde cum dixisset Gratianus quod ‘ius naturale est quod in lege et in Evangelio continetur’, statim, exemplificando, subiunxit, ‘quo quisque iubetur alii facere quod sibi vult fieri’.“

Olivis Ontologie des Rechts und des Sozialen C R (Bonn) In seinen Büchern ‚The Construction of Social Reality‘ und ‚Making the Social World‘ präsentiert John Searle eine Ontologie des Sozialen. Er möchte zeigen, auf welche Weise sogenannte institutionelle Fakten wie Ehen, Geld oder Präsidentschaften in der Realität existieren. Zu diesem Zweck unterscheidet er diese institutionellen Fakten von rohen natürlichen Fakten, wie z. B. der Tatsache, daß der Mount Everest der höchste Berg der Welt ist1. Er zeigt, daß natürliche Fakten epistemisch und ontologisch objektiv sind, d. h. weder hängt die Wahrheit von Aussagen über derartige Fakten von individuellen Präferenzen einzelner Menschen ab (epistemische Objektivität) noch hängt die Existenz solcher Fakten davon ab, daß sie als solche von einer Gesellschaft anerkannt werden (ontologische Objektivität). Dagegen sind institutionelle Tatsachen epistemisch objektiv – die Erkenntnis, daß Angela Merkel deutsche Kanzlerin ist, hängt anders als Aussagen über die Schönheit von Möbelstücken oder Kunstwerken nicht vom Belieben eines Einzelnen ab –, sie sind aber ontologisch subjektiv – denn Frau Merkel wäre nicht Kanzlerin, wenn sie nicht als solche gesellschaftlich anerkannt würde 2. Im Falle institutioneller Tatsachen werden physikalischen Objekten wie z. B. Geldscheinen oder Menschen sogenannte Statusfunktionen durch kollektive Intentionalität zugewiesen, z. B. die Eigenschaften, als Geld zu fungieren oder deutsche Kanzlerin zu sein3. Diese Statusfunktionen sind intensionale Eigenschaften, sie entsprechen dem, was Frege mit Sinn bezeichnet, es sind objektive Hinsichten, unter denen sich bestimmte physikalische Gegenstände der menschlichen Erkenntnis präsentieren4; ihre Zuweisung basiert stets auf menschlichen Sprechakten5 und der Annahme der Willensfreiheit 6. Im Folgenden möchte ich zeigen, daß Searles Projekt einer Ontologie des Sozialen in der Philosophiegeschichte keineswegs neu ist. Petrus Johannis Olivi

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Cf. J. Searle, The Construction of Social Reality, London 1996, 4–7; id., Making the Social World, Oxford–New York 2010, 10–11. Cf. Searle, The Construction of Social Reality (nt. 1), 7–13. Cf. Searle, The Construction of Social Reality (nt. 1), 13–23; id., Making the Social World (nt. 1), 7; 42–60. Cf. Searle, The Construction of Social Reality (nt. 1), 18. Cf. Searle, The Construction of Social Reality (nt. 1), 59–78. Cf. Searle, Making the Social World (nt. 1), 123–144.

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widmet sich in seiner Quaestio ‚Quid ponat ius vel dominium‘ 7 eben den Problemen, die auch Searle behandelt; er interessiert sich für die Ontologie des Rechts und der Macht, für eine Ontologie der Normativität, des Sozialen und der Institutionen. Ihm geht es um Fragen wie: Was setzt das Recht in den ihm unterworfenen Menschen? Wie manifestieren sich Macht und Herrschaft in der Wirklichkeit? Im Folgenden möchte ich die genannte Quaestio einer genauen Lektüre unterziehen und zeigen, daß Olivi besagte Fragen mutatis mutandis sogar tendenziell ähnlich wie Searle beantwortet, indem er zwischen natürlichen Essenzen, die durch die aristotelische Kategorienlehre beschrieben werden können, und den relationalen und sinnhaften sozialen oder institutionellen Eigenschaften, den rationes respectivae oder obiectivae, unterscheidet, bei denen er auf ein besonderes Konzept der Relation zurückgreift, das die aristotelische Kategorienlehre hinter sich läßt. Dabei zeigt sich, daß seine Ontologie der Normativität besonders den Aspekt des freien Willens und damit verbunden den Aspekt der Sprachlichkeit des Rechts hervorhebt. I. Der Lex-Beg riff Bevor ich auf die Quaestio ‚Quid ponat ius‘ näher eingehe, möchte ich die Bedeutungen des Lex-Begriffes behandeln, die Olivi in der 82. Quaestio des zweiten Buchs der Sentenzensumme präsentiert. Der Lex-Begriff ist laut Olivi analog, d. h. es gibt eine primäre Bedeutung und dann weitere, nicht aufeinander reduzierbare Bedeutungen, die immer in Hinsicht auf die erste Bedeutung bestehen. Olivi unterscheidet drei Grundbedeutungen: (1) Die lex increata, das ungeschaffene Gesetz, das identisch mit Gott bzw. seinem Wollen ist. ‚Gesetz‘ in dieser ersten Bedeutung ist gebietendes Gesetz, lex imperans. Dies ist die primäre Bedeutung von lex, auf die alle anderen Bedeutungen hingeordnet sind 8. (2) Die lex imperata, d.h. der Gehalt oder Inhalt des Gesetzes, der zum einen in Gott existiert und dann nur gedanklich von ihm unterschieden ist oder der zum anderen in der Realität als Gesetzeswerke vorliegt, d. h. die realen Erfüllungen des Gesetzes oder der Gebote 9. (3) Die dritte Auffassung von lex bezeichnet die subjektive, habituelle Seite des Gesetzes. Von den verschiedenen Bedeutungen dieser Gesetzesauffassung soll uns vor allem aber folgende hier interessieren: Gesetz als Verpflichtung (debitum) oder als Recht zur Verpflichtung (ius obligationis), ein Terminus, der schon im römischen Recht Verwendung findet 10. Durch diese Verpflichtung sind wir angehalten, Gottes Willen auszuführen und seine Gebote zu erfüllen. Diese Bedeu7 8 9 10

Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius vel dominium/De signis voluntariis, ed. F. Delorme, in: Antonianum 20 (1945), 316–330. Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quaestiones in secundum librum Sententiarum, q. 82, ed. B. Jansen (Bibliotheca Franciscana Scholastica Medii Aevi 6), Quaracchi 1926, 177. Cf. Petrus Ioannis Olivi, loc. cit. Cf. Gaius, Institutiones, II, 14, edd. E. Seckel et B. Kübler, Leipzig 71935, 56.

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tung von lex als Verpflichtung ist wiederum real identisch mit der Bedeutung (2), der lex imperata, d.h. den Geboten oder dem Inhalt des Gesetzes – der objektive und der subjektive Aspekt des Gesetzes sind demnach zwei Seiten derselben Medaille11. Nachdem Olivi auf diese Weise den Lex-Begriff expliziert hat, fährt er nicht etwa fort, indem er konkrete moralische Gebote ableitet oder aufzeigt, wie die lex handlungsleitend sein könnte, sondern er wendet sich – und das ist ungewöhnlich – einer ontologischen Frage zu: Was fügt das Gesetz in der jeweiligen Bedeutung den Subjekten des Gesetzes hinzu? Die Antwort auf diese Frage soll uns im Folgenden beschäftigen. In der besprochenen Quaestio 82 gibt er nur knappe Hinweise: Faßt man lex als Verpflichtung auf, wird der rationalen Natur, d. h. dem Menschen, nichts Wesentliches hinzugefügt. Geht es aber um die objektive Bedeutung von Gesetz als Gegenstand des göttlichen Willens oder als Objekt des menschlichen Intellekts oder Wollens, dann fügt das Gesetz durchaus etwas hinzu, nämlich ein reales Fundament objekthafter Bestimmungen (reale fundamentum talium rationum obiectivarum). Diese Bestimmungen kann der Geist erkennen und lieben. Jedoch setzen sie noch nichts in der Realität; denn es handelt sich ja um Gegenstände des Wollens, die noch nicht in die Tat umgesetzt sind12. Die Bedeutung von Gesetz als Verpflichtung und diejenige von Gesetz als göttlichen Geboten, als Inhalten des göttlichen Wollens, fällt aber laut Olivi zusammen. Handelt es sich hierbei um einen Widerspruch? Auf der einen Seite wird im Falle einer Verpflichtung nichts Wesentliches in der Realität gesetzt oder verändert, auf der anderen Seite haben wir es beim Gegenstand des göttlichen Willens, bei den Inhalten des Gesetzes, mit gegenständlichen Bestimmungen zu tun. Welchen ontologischen Status haben solche rationes obiectivae? Diese Frage muß geklärt werden, um einen eventuellen Widerspruch aufzulösen. II. Die Quaestio ‚Quid pona t ius vel dominium‘ Aber bevor ich mich der Lösung dieser ontologischen Frage widme, lassen Sie mich das Problem unter Rückgriff auf die einschlägige Quaestio ‚Quid ponat ius vel dominium‘ des vierten Buchs seiner Summa noch etwas genauer fassen13. Denn in dieser Quaestio untersucht Olivi detailliert das Thema der Ontologie der Normativität, das bisher nur gestreift wurde, und nimmt das Gesetz in seiner Form des Rechtes (ius) und der Verpflichtung in den Blick. Olivi faßt den Gegenstand dieses Textes sehr weit: Es geht um alle Tätigkeiten und Geschäfte der Gerechtigkeit, die stets durch eine Gegenüberstellung eines Begriffspaars gekennzeichnet sind: Auf der einen Seite das Recht oder die rechtsprechende Autorität 11 12 13

Cf. Sent. II, q. 82, ed. Jansen (nt.8), 177sq. Cf. Sent. II, q. 82, ed. Jansen (nt. 8), 178. Ein knapper Abriß dieser Quaestio findet sich in J. Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, Leiden–New York–Köln 2012, 20–25.

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und Macht, auf der anderen Seite die Schuld oder die Verpflichtung14. Olivi fragt nun, wie schon in der behandelten Quaestio, ob diese rechtlichen Verhältnisse, das Recht und die Macht auf der einen Seite und die Verpflichtung auf der anderen Seite, den involvierten Personen und Sachen etwas Reales hinzufügen. Als weitere Beispiele nennt er auf der einen Seite das Recht der Königsherrschaft und Autorität, auf der anderen Seite das Königreich und die Untertanen; auf der einen Seite das Besitzrecht, auf der anderen Seite das eigene Haus15. Schon diese Fundamentalopposition zu Beginn macht die besondere Akzentsetzung Olivis deutlich: Es geht nicht um Gesetz oder Recht als einfachen Bestand an Normen, sondern von Anfang an denkt Olivi in Relationen und in sozialen Bezügen. Auf die besondere Auffassung der Relation soll später eingegangen werden; aber daß Olivi einen scharfen Blick für weltliche wie kirchliche soziale Bezüge hat, wird bekanntlich auch in anderen seiner Texte deutlich, in denen er das Kaufen und Verkaufen, das Kapital oder das Gelübde thematisiert 16. Vielsagend ist, daß Olivi in diese einleitenden Gegenüberstellungen auch die Bezeichnungen der Namen oder lautlichen Ausdrücke, die willentlich vergeben wurden, einreiht, denen die Namen selbst und die Intentionen der Namengeber oder Sprecher gegenübergestellt werden. Darüber hinaus nennt er den Taufcharakter, die Priesterweihe und das Recht zur Teilnahme an oder Leitung von Sakramenten auf der einen Seite und die getauften Personen und Priester und äußeren Zeichen und Werke der Sakramente auf der anderen17. Wie manifestieren sich all diese rechtlichen Verhältnisse in der Realität? Gibt es ontologische Spuren der Macht und des Rechts oder plädiert Olivi für einen normativen Nominalismus? Für eine reale ontologische Manifestation des Rechts sprechen mehrere Gründe, z. B., daß eine Gesetzesübertretung, etwa im Falle einer Todsünde, nicht nichts ist, sondern äußerst schwer wiegt 18. Auch scheint es so zu sein, daß ein neuernannter Abt tatsächlich eine neue Eigenschaft hinzugewonnen hat, eine Würde und Macht, über die er vorher nicht verfügte19, so eines von insgesamt sieben Pro-Argumenten, denen Olivi – ganz ausgewogen, und darin liegt schon eine gewisse Wertung – sieben Contra-Argumente entgegenstellt:

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Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius, ed. Delorme (nt. 7), 316. Ibid. Cf. Petrus Ioannis Olivi, De emptionibus et venditionibus, ed. G. Todeschini, Un tratto di economia politica francescana: il „De emptionibus et venditionibus, de usuris, de restitionibus“ di Pietro di Giovanni Olivi, Rom 1980; S. Piron, Vœu et contrat chez Pierre de Jean Olivi, n. 3, in: Les Cahiers du Centre de Recherches Historiques 16 (1996) [en ligne], mis en ligne le 27 février 2009. URL: http://ccrh.revues.org/index2645.html, aufgesucht am 28.10.2012; C. Rode, Kapital und Arbeit bei Petrus Johannis Olivi, in: G. Mensching (ed.), Geistige und körperliche Arbeit im Mittelalter. Öffentliches Symposium zur Philosophie des Mittelalters vom 23. bis 25. Februar an der Leibniz-Universität Hannover, Würzburg, im Druck. Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius, ed. Delorme (nt. 7), 316sq. Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius, ed. Delorme (nt. 7), 317. Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius, ed. Delorme (nt. 7), 317.

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Gegen die Annahme, daß juridische Beziehungen, d. h. Rechte oder Pflichten, real sind, spricht jedoch, daß bestimmte Rechte oder Pflichten über weite räumliche oder zeitliche Distanzen verliehen werden. Wenn nun ein Mensch dabei etwas Reales auf einen anderen Menschen übertrüge, so ereigneten sich wundersame raum-zeitliche Fernwirkungen, die unter natürlichen Umständen nicht in der tatsächlichen Macht des Menschen liegen, so z. B. bei Erbschaften20. Aber nicht nur die Verursachung realer juridischer Eigenschaften wäre problematisch, auch ihre Wirkung. Denn ein König kann mit einem Befehl, einer Anordnung theoretisch unendliche Wirkung ausüben: Erläßt er z. B. ein Gesetz, das eine bestimmte Handlung unter Strafe stellt, kann er damit auf unzählige gegenwärtige und zukünftige Gesetzesbrecher einwirken21. Auch hier haben wir es mit einer nicht auf natürliche Weise prozedierenden Kausalität zu tun, daher kann die Macht, die dazu erforderlich ist, nicht eine reale, natürliche Eigenschaft sein. Tatsächlich scheinen doch Rechte oder Pflichten ohne reale Veränderungen weitergegeben zu werden. Dies zeigt sich auch im Falle der sprachlichen Zeichen: Ein Satz wie „Ein Mensch läuft“ kann erst wahr und dann falsch sein, im Extremfall sogar dann, wenn sich überhaupt nichts in der Realität ändert, sondern einfach die sprachlichen Konventionen, die Begriffsbedeutungen modifiziert werden22. Ebenso kann ein König einem Stück Papier oder einer Urkunde nach Belieben einen gewissen Wert verleihen, den die Urkunde vorher nicht hatte, ohne daß sich die realen Eigenschaften des Papiers verändern. Nach der Auszahlung des Preises verliert diese Urkunde wieder ihren Wert, das reale Stück Papier bleibt aber stets das gleiche23. Offenbar scheint diesen Argumenten zufolge die reale Auswirkung von Rechten oder Pflichten einfach nur in einer Relation zu bestehen, und zwar noch nicht einmal in einer realen Relation, denn die besäße ja ein eigenes Fundament an der Sache – das läßt sich hier aber gerade nicht angeben. So besitzt Peters Acker keine ominösen besitzrechtlichen Eigenschaften, sondern nur eine Beziehung zu Peter. Wenn Peter den Acker an Paul verkauft, verliert das Land diese Relation und gewinnt eine neue zu Paul hinzu, der reale Acker bleibt dabei immer identisch. Es wäre dieser Argumentation zufolge unsinnig zu verlangen, daß eine solche Relation irgendwie in einer essentiellen Eigenschaft des Ackers inhärierte 24. Außer dem realen Acker, dem realen Peter und dem realen Paul kennt diese Argumentation keine weiteren wesentlichen ontologischen Fundamente – wohl aber, und das überliest man leicht, eine habitudo oder ratio relativa, deren Bedeutung immer noch unklar ist. Olivi geht nun auf gewissermaßen dialektische Weise mit den Pro- und Contra-Argumenten um: Er wird auf eine noch zu klärende Weise beiden Positionen 20 21 22 23 24

Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius, ed. Delorme (nt. 7), 318. Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius, ed. Delorme (nt. 7), 322. Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius, ed. Delorme (nt. 7), 320. Cf. Petrus Ioannis Olivi, loc. cit. Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius, ed. Delorme (nt. 7), 320sq.

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zustimmen. Die Argumente für eine reale Entsprechung des Rechts sprachen nur davon, daß juridische Verhältnisse nicht nichts, sondern vielmehr etwas Reales seien. Die Contra-Argumente stehen dazu streng genommen gar nicht im Gegensatz, behaupten sie doch, daß Recht und Verpflichtung nichts essentielles Reales seien, weisen ihnen aber zumindest den Status von relationalen rationes zu. Und genau dies ist auch die Argumentationsstrategie Olivis im corpus quaestionis 25. In seiner Antwort skizziert Olivi eine Ordnung, an deren Spitze Gott steht, dem die rationalen Naturen, d. h. unter anderem: die Menschen, Gehorsam schulden, denen wiederum die unvernünftigen Wesen unterstehen, wie auch die vernünftigeren den unvernünftigeren Menschen vorstehen. Vor allem das Verhältnis Gottes zu den Menschen, insbesondere zu den mit einer besonderen Herrschaftsgewalt ausgestatten Personen, untersucht Olivi genauer: Gott will, daß diesen Menschen, z. B. dem König, an Gottes Stelle gehorcht wird, so daß als Gesetz gilt, was jener befiehlt. Welche Realität ist mit diesem ordo gesetzt? Nur zwei essentielle Realitäten: zum einen der Wille Gottes, insofern er den beschriebenen Inhalt enthält, zum anderen die aktuale Realität des Gewollten, d. h. die reale Person z. B. des Königs, die an Gottes Stelle Befehle erteilt und Gesetze erläßt. Die Ordnung enthält nichts weiteres Reales, außer vielleicht noch solchen realen Vermittlungen und Hilfsmitteln wie die Wahl des Königs, ist aber trotzdem höchst wirklich und wirksam26. Dabei besitzt die Ordnung, zu der Gott und die Menschen gehören, einen Teil, der in der göttlichen Natur gleichsam eingeschlossen ist, nämlich diejenigen Willensinhalte des göttlichen Willens, deren Gegenteil auch Gott nicht wollen kann und denen jedes rationale Wesen auf natürliche Weise verpflichtet ist – es handelt sich um die Ordnung des natürlichen Rechts. Zu dieser Ordnung gehört nicht nur die erste, sondern auch die zweite Tafel der zehn Gebote, wie z. B. die ‚Quaestiones circa matrimonium‘ bezeugen 27. Ein anderer Teil der göttlichen Ordnung ist ins Belieben Gottes gestellt, dergestalt, daß er auch dessen Gegenteil wollen kann. Bei beiden Ordnungen existieren aber stets nur der göttliche Wille 25

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Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius, ed. Delorme (nt. 7), 323: „Ad quorum intelligentiam absque preiudicio sententie melioris videtur probabiliter dici posse quod predicte habitudines vere ponunt aliquid reale, non tamen addunt aliquam diversam essentiam realiter informantem illa subiecta, quorum et in quibus esse dicuntur.“ Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius, ed. Delorme (nt. 7), 323: „Ulterius sciendum quod, sicut Deus nullo addito potest velle quod ille [scil. rex] teneat locum eius ita quod illi tanquam sibi obediatur vel quod id quod iste dixit habeatur pro lege sive pro rato tanquam dictum Dei, sic talis nullo sibi addito, eo ipso quod Deus hoc vult et pro tempore quo hoc vult, habet in se ordinem predicte voluntatis Dei, eo scilicet ipso quo est obiectum et volitum divini velle. Et si queratur quid ponit realiter ordo ille, potest dici quod duo sibi invicem connexa, quorum primum est ipsum velle divinum in quantum est talis voliti et in quantum continet in se illud volitum, secundum est entitas et essentia actualis ipsius voliti prout est actualiter subsistens divino velle tanquam eius actuale obiectum seu volitum. Si igitur nichil est realius et divinius quam esse actuale volitum Dei et precipue quando est ad hoc volitum ut actu super alios gerat et teneat vicem Dei, patet quod ordo predictus est quid realissimum et divinissimum, quamvis nichil realiter addat super predicta diversum.“ Cf. e.g. Petrus Ioannis Olivi, Quaestiones circa matrimonium (quaestiones e ‚Commentario super Sententias‘ carptae), d. 33, a. 2, q. 1, ed. A. Ciceri (Collectio Oliviana 3) Grottaferrata (Roma) 2001, 124: „Unde preceptum illud: ‚Non mecchaberis‘, in quo omnis inordinata comixtio prohibetur, est ex naturali iure et ratione, etiam si non fuisset scriptum.“

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und das aktual verwirklichte von Gott Gewollte in der Realität 28. Weil die menschliche Rechtsordnung so letztlich im göttlichen Willen verankert ist, verstößt, wer z. B. ein Eigentumsrecht verletzt, zugleich gegen den göttlichen Willen29. Schon Thomas von Aquin vertrat die Auffassung, daß ein Gesetz kein Gesetz ist, wenn es nicht promulgiert wird30. Olivi hebt die Rolle der Sprache bei der Verwirklichung der göttlichen Ordnung besonders hervor: Die Sprache kann etwas bezeichnen, weil eine Intention zu den bloßen Lauten hinzutritt. Außer der Sprechabsicht und den Lauten als physikalischen Entitäten erfordert die Bezeichnung nichts Reales, die Bezeichnung ist – ähnlich wie die Königswürde – keine reale Essenz, die etwa an den Lauten haftete, sondern nur eine Hinsicht (respectus oder habitudo) auf die Bezeichnungsabsicht 31. Die Bezeichnungsabsicht kann auch direkt göttlichen Ursprungs und nur über sekundäre menschliche Absichten, die der göttlichen unterworfen sind, vermittelt sein. In diesem Falle – Olivi bringt das Beispiel der Sakramente – ist die Realität der Bezeichnung als etwas Göttliches zu verehren, besonders wenn – wie bei der Eucharistie – das Göttliche auch als Anwesendes im Zeichen enthalten ist 32. Dies gilt aber nicht nur für den sakramentalen Bereich, sondern läßt sich auf alle semiotischen Manifestationen des göttlichen Willens übertragen: Die ganze göttliche Ordnung ist durch Zeichen vermittelt, nur mithilfe der sprachlichen Vermittlung können die Menschen den göttlichen Willen erfahren und ihm, z. B. vermittelt über die vom König erlassenen Gesetze, nachkommen. Nicht ohne Grund bemüht Olivi, wenn es um die

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Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius, ed. Delorme (nt. 7), 324: „Ulterius sciendum quod quidam est ordo sic absolute prefixus et inclusus in ipsa absolutissima ratione virtutis et iustitie, que est quod Deus non potest nec debet oppositum eius velle et ideo ad illum natura rationalis absolutissime et omnino immobiliter ferri debet, quod quidem debitum partim per indifferentiam includitur in essentia sua, partim in essentia gratuitorum accidentium suorum in quantum suorum, et hic ordo communiter vocatur ordo iuris naturalis. Alius autem est ordo sic a dominativo imperio divine voluntatis procedens, quod Deus ipsum et eius oppositum seu absolute seu conditionaliter pro libitu potest velle. Uterque autem ordo semper in se includit duo predicta, scilicet actualem rationem divini velle, divini voliti.“ Cf. Petrus Ioannis Olivi, loc. cit.: „Igitur dignitas aut iurisdictio et potestas regalis ponit realiter duo predicta, et idem est de dominio seu iure proprietatis quod quis habet in domo vel agro; et ex hoc est quod transgrediens hoc ius vere dicitur transgredi Dei voluntatem et legem, et tanto magis quanto id magis est a Deo volitum et in divino velle inclusum.“ Vgl. Summa theologiae, I–II, q. 90, a. 4, ed. Leon. 7, Rom 1892, 152: „Unde promulgatio necessaria est ad hoc quod lex habet suam virtutem.“ Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius, ed. Delorme (nt. 7), 324: „Restat igitur videre de signis voluntariis, quid scilicet ponit ipsorum significatio active sumpta. Et certe quanto subtilius et perspicatius illam attenderis, invenies quod supra realem essentiam rei que pro signo assumitur nichil addit ipsa significatio nisi solum mentalem intentionem instituentium et acceptantium, et ipsius qui actu illam rem assumit ad significandum et eius qui eam audit vel accipit sub ratione talis significationis seu talis signi. In hiis tamen que ab imperio talis intentionis producuntur in esse, sicut est vox vel nutus, ipsa significatio ultra intentionem significantis et ultra essentiam rei que dicitur signum addit habitudinem effectus imperati et imperationem producti ab intentione significantis; pro quanto tamen per significationem proprie designatur respectus signi ad suum significatum, sic in signis mere voluntariis huiusmodi respectus nichil reale ponit actu preter actualem intentionem significantis et aliorum qui rem illam accipiunt tanquam designativam talis significati.“ Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius vel dominium, ed. Delorme (nt. 7), 325.

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rechtliche Herrschaftsgewalt geht, häufig den Terminus iurisdictio, indem sich genau die sprachliche Vermittlung des göttlichen ordo niederschlägt. Mit der Sprachlichkeit wird aber zugleich auch die Willentlichkeit dieses ordo betont, es geht um die signa voluntaria, die willentlich eingesetzten Zeichen33. Bis hierhin schien Olivi einem normativen und institutionellen Nominalismus das Wort geredet zu haben, er schien betont zu haben, daß durch institutionelle Fakten wie die Königswürde oder die Sprachzeichen nichts zusätzliches Reales zu den involvierten Personen und realen Gegenständen hinzukommt außer einer bestimmten Willensabsicht, die letztlich auf den ungeschaffenen Willen Gottes zurückzuführen ist 34. Jedoch möchte Olivi überhaupt nicht leugnen, daß der Mensch z. B. durch die Königswürde oder ein Mönchsgelübde eine neue reale Eigenschaft erwirbt; Olivis Ontologie umfaßt daher tatsächlich institutionelle oder soziale Eigenschaften oder Fakten. Bei diesen neu erworbenen Eigenschaften handelt es sich aber nicht um solche, die in einer herkömmlichen aristotelischen Ontologie kategorial als substantiell oder akzidentell einzuordnen wären. Vielmehr gewinnt z. B. jemand, der ein Mönchsgelübde abgelegt hat, eine ratio respectiva, eine relationale Bestimmung, hinzu, eine neue habitudo, d. h. ein neues Verhältnis oder eine Relation, oder einen neuen ordo, den er vorher nicht besaß 35. Damit ist eine relationale Eigenschaft gemeint; aber Relationen kommen doch als ad aliquid unter den aristotelischen Kategorien vor – warum ist eine ratio respectiva also nicht einfach eine schlichte kategoriale Eigenschaft der betreffenden Person? Inwiefern kann man sagen, daß eine solche Eigenschaft nicht in eine aristotelische Ontologie einzuordnen ist? Das liegt daran, daß – wie bereits Alain Boureau gezeigt hat36– die Relation bei Olivi eine Art von Überkategorie ist, da sie auch die Kate-

33 34 35

36

Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius vel dominium, ed. Delorme (nt. 7), S. 324sq. Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius vel dominium, ed. Delorme (nt. 7), 326. Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius vel dominium, ed. Delorme (nt. 7), 327: „Rursus sciendum quod, licet actus creature rationalis transeant, nichilominus per illos potest acquirere quamdam rationem respectivam, nove scilicet habitudinis et novi ordinis, nullo alio addito preter actum […] Idcirco, nullo alio sibi addito, per solos actus pretereuntes potest creatura rationalis acquirere habitudines meriti et demeriti et iuris vel debiti non solum apud Deum, set etiam respectu omnis creature rationalis; iuxta quod omnis mens rationalis sub alia ratione debet accipere eum qui peccavit pro quanto peccavit quam eum qui nunquam peccavit et aliter eum qui aliquid vovit quam eum qui non vovit. Si autem queras quomodo novus respectus ab actu preterito differens et post ipsum permanens potest alicui personae acquiri nulla alia essentia sibi superaddita: dicendum quod hoc fit et potest fieri dupliciter. Primo scilicet, quia multa sunt relationis extrema que ante adventum alterius extremi non habent rationem actualem relati pro eo quod tunc in sua ratione non includunt actualiter suum correlativum, et talia ex solo adventu sui correlativi assumunt rationem actualis relationis ad illud alterum […] Secundo fit ex eo quod ab omni mente potest ex tunc vere accipi et considerari sub illo respectu quod antea non poterat, et pro tanto respectu omnis mentis acquirit novum respectum seu novam rationem obiecti respectivi.“ Cf. A. Boureau, Le concept de relation chez Pierre de Jean Olivi, in: A. Boureau/S. Piron (eds.), Pierre de Jean Olivi (1248–1298). Pensée scolastique, dissidence spirituelle et société, Paris 1999, 41–55. Zu Olivis Konzeption der Relation vgl. auch R. Schönberger, Relation als Vergleich. Die Relationstheorie des Johannes Buridan im Kontext seines Denkens und der Scholastik, Leiden–New York–Köln 1994, 143–150. Allerdings geht Schönberger nicht auf Quodl. III, q. 2 ein, dessen kritische Edition erst 2002 erschienen ist.

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gorien der Tätigkeit und des Leidens oder die Begriffe von Form und Materie zusammenfaßt, sie besitzt somit fast transzendentalen Charakter37. Darüber hinaus fügt die Relation ihren Gliedern nichts Reales hinzu, denn Relationen entstehen und vergehen einfach nur mit dem Entstehen und Vergehen ihrer extrema, wie Olivi in ‚Quodlibet‘ III, q. 2 zeigt. So verliert der Vater seine Relation der Vaterschaft genau dann, wenn der Sohn stirbt 38. Wenn die Relation eine real inhärierende Eigenschaft wäre, käme es – so Olivi – zu einem unendlichen Regreß: Denn damit die Relation dem Zugrundeliegenden inhäriert, bedürfte es der Relation der Inhärenz. Damit diese Relation ihrerseits dem Zugrundeliegenden innewohnt, bedürfte es einer weiteren Inhärenzrelation und so fort in infinitum. Eine Relation entzieht sich daher der aristotelischen Kategorisierung und ist keine reale Eigenschaft, kein Akzidens, sondern äußert sich nur in einer ratio respectiva, die an einer realen Essenz vorliegt.39 Was versteht man nun unter einer ratio respectiva? Darüber gibt Quaestio 7 des zweiten Buchs der Sentenzensumme Auskunft: Beispiele für derartige rationes sind die Transzendentalien, das unum, verum, bonum, oder auch die Individuierung oder die Universalität, die an einem realen Wesen vorliegen; weitere Beispiele sind ganz allgemein die Beziehung jedes Geschöpfes zum Schöpfer oder eben rechtliche Verhältnisse wie die königliche Verfügungsgewalt (iurisdictio regalis) oder das Priesteramt 40. Eine solche ratio wie die Königswürde bezeichnet nun die Person des Königs, aber dies nicht in ihrer Gesamtheit, sondern gemäß einem bestimmten Aspekt, einem bestimmten Gehalt, der in dieser ratio enthalten ist; nämlich gemäß ihrer Beziehung zum göttlichen Willen und zu den Untertanen. Jede Bestimmung (ratio) bezeichnet also ein reales Wesen, aber nur unter einem bestimmten Gesichtspunkt. Eine Pluralität von solchen Bestimmungen bedeutet daher keine Viel37

38 39 40

Eine ähnliche Ausweitung des Relationsbegriffs auf andere Kategorien findet sich bei Heinrich von Gent, bei dem alle Kategorien außer der Substanz, der Quantität und der Qualität unter das ad aliud subsumiert werden. Cf. Heinrich von Gent, Quodlibet VII, ed. G. Wilson, Opera omnia XI, Leuven 1991, 6sq.: „Rerum autem naturalium quaedam sunt additae secundum se et ad se ipsas, quaedam non sed ad aliud vel in respectu ad aliud solum. De primo modo rerum sunt tantummodo res trium praedicamentorum: substantiae scilicet, quantitatis et qualitatis. De secundo vero modo sunt res aliorum septem praedicamentorum, secundum modum alias a nobis expositum in quadam quaestione de praedicamentis in communi, quarum quia non est aliqua realitas propria alia a realitate aliorum trium generum super quae fundantur, ut in quibusdam aliis Quaestionibus et ordinariis et de quolibet diffusius exposuimus, et iam amplius exponemus in solutione argumenti secundi, ideo dico quod relationes, et generaliter res septem praedicamentorum aliorum a substantia, quantitate et qualitate, non habent proprias ideas in Deo alias ab ideis illorum praedicamentorum, super quorum res fundantur.“ Zum Relationsbegriff bei Heinrich von Gent cf. M. G. Henninger, Relations. Medieval Theories 1250–1325, Oxford 1989, 40–58; Schönberger, Relation als Vergleich (nt. 36), 87–102; S. M. Williams, Henry of Ghent on Real Relations and the Trinity: The Case for Numerical Sameness without Identity, in: Recherches de Théologie et Philosophie médiévales 79 (2012), 109–148, bes. 115–127. Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quodlibet III, q. 2, ed. S. Defraia (Collectio Oliviana 7), Grottaferrata (Roma) 2002, 172sq. Cf. Petrus Ioannis. Olivi, Quodl. III, q. 2, ed. Defraia (nt. 38), 174. Petrus Ioannis Olivi, Quaestiones in secundum librum Sententiarum, q. 7, ed. B. Jansen, vol. I (Bibliotheca Franciscana Scholastica Medii Aevi 4) Quaracchi 1922, 135sq.

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heit von realen Wesenheiten41. Damit handelt es sich bei diesen rationes respectivae um intensionale Entitäten42, um das Äquivalent zu dem, was Frege ‚Sinn‘ nennt 43, der immer auch ein Sinn für die ihn anerkennenden Menschen ist 44. Wie bei Frege sind diese rationes Arten des Gegebenseins oder Gegebenheitsweisen von realen Gegenständen und zugleich nichts völlig Subjektives wie Vorstellungen, denn sie können „gemeinsames Eigentum von vielen“ 45 sein. Angewandt auf das Problem der Ontologie des Rechts und des Sozialen ergibt sich folgendes Bild: Durch bestimmte Akte, wie z. B. ein Gelübde oder eine Königskrönung, also Akte, an denen die Sprache auf fundamentale Weise beteiligt ist, erwerben wir bestimmte rationes respectivae. Durch solche Akte entstehen neue Beziehungen einer Person oder eines Gegenstandes zu anderen Personen oder zum göttlichen Willen – d. h. institutionelle Fakten sind wie bei Searle in ontologischer Hinsicht abhängig. Diese Beziehungen drücken sich in einem neuen Sinn aus, den die betroffene Person oder der Gegenstand annimmt, einer ratio respectiva oder obiectiva 46. Somit sind die Macht des Königs und jede Macht, die man durch ein Recht erwirbt, d. h. jede Verfügungsgewalt, die sich aus rechtlichen Verbindlichkeiten ergibt, keine natürlichen Mächte oder Wirkkräfte; diese Kraft des Rechts ist auch keine natürliche oder künstliche reale essentielle Eigenschaft. Jedoch setzt sie natürliche Wirkungen voraus, vermittels deren sie übertragen wird. So setzt ein Schuldschein oder Vertrag die reale Präsenz des Schriftstücks voraus; die Königswürde erfordert die reale Präsenz einer Person, die König genannt wird usw. Aber die institutionelle Kraft des Rechts geht auf nicht-natürliche Weise darüber hinaus 47. An dieser Stelle wird deutlich, daß Olivi den Unterschied zwischen physischen und institutionellen Fakten ebenso klar wie später Searle sieht; wie dieser arbeitet er heraus, daß die institutionelle Sphäre notwendig die physische voraussetzt und auf ihr aufsattelt. Ein Unterschied zu Searle liegt aber darin, daß Olivi jedes 41 42

43 44

45 46 47

Cf. Petrus Ioannis Olvi, Sent. II, q. 7, ed. Jansen (nt. 40), 143sq. Zur Deutung der eben aufgeführten Transzendentalien als intensional, also dem Gehalt nach, verschieden und extensional, also dem Umfang nach, gleich cf. D. Perler, Eine sprachphilosophische Wende im Spätmittelalter? Zu den Wahrheitsdiskussionen bei Thomas von Aquin und Wilhelm von Ockham, in: Recherches de Théologie et Philosophie médiévales 71 (2004), 280–304, hier 283. Damit ließe sich z.B. – unter Verwendung der Fregeschen Begrifflichkeit – das Wahre als Gegebenheitsweise des Seienden im Hinblick auf den Intellekt, das Gute als Gegebenheitsweise des Seienden im Blick auf den Willen interpretieren, was sicher auch die Zustimmung des Thomas fände (Cf. Quaestiones disputatae de veritate, q. 1, a. 1, ed. Leon. 22, vol. I, fasc. 2, Rom 1970, 4–6). Cf. G. Frege, Über Sinn und Bedeutung, in: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, NF 100 (1892), 25–50, hier 26. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius, ed. Delorme (nt. 7), 328: „Secundo fit ex eo quod ab omni mente potest ex tunc vere accipi et considerari sub illo respectu quod antea non poterat, et pro tanto respectu omnis mentis acquirit novum respectum seu novam rationem obiecti respectivi.“ G. Frege, Über Sinn und Bedeutung (nt. 43), 29. Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius, ed. Delorme (nt. 7), 328. Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius, ed. Delorme (nt. 7), 329.

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menschliche Recht, alle menschlichen Institutionen in letzter Instanz nicht wie Searle an eine kollektive Intentionalität, sondern an den göttlichen Willen zurückbindet. Es ist aber fraglich, welches die problematischere Erklärung ist. Überhaupt hebt Olivi – ähnlich wie Searle48 – stets die große Bedeutung des Willens hervor. Ohne die Freiheit des Willens sowohl Gottes als auch des Königs als auch der Menschen, die Verpflichtungen wie ein Gelübde freiwillig eingehen, hätten alle Rechtsverhältnisse kein Fundament und keinen Bestand 49. Und gerade die Willensfreiheit ist ein Grund dafür, daß rechtliche oder soziale institutionelle Eigenschaften keine essentiellen Eigenschaften sein dürfen. Am Beispiel der signa voluntaria wird dies deutlich: Wenn Sprachzeichen von Natur aus Dinge bezeichnen würden, dann wären sie nicht willentlich eingesetzt, es gäbe keinen Spielraum für die Bezeichnungsänderung, die Olivi aber ausdrücklich erlaubt 50. Wäre einem Herrscher seine Herrschaftswürde von Natur aus eingeschrieben, gäbe es keinen Spielraum für göttlichen wie menschlichen Willen, argumentiert Olivi im III. Buch der ‚Summa‘, denn dann müßte allen Menschen, da sie von gleicher Natur sind, diese Würde zukommen51. Recht und Moral zeichnen sich anders als physikalische Naturgesetze dadurch aus, daß wir uns frei gegen oder für sie entscheiden können, nur unter dieser Prämisse ergeben Institutionen Sinn. Die menschliche Gesellschaft unterscheidet sich so laut Olivi von der übrigen natürlichen Realität gerade durch die basale Rolle der Willensfreiheit. Die Gesellschaft kann daher als die Sphäre der Freiheit bezeichnet werden, im Gegensatz zur Sphäre der Notwendigkeit, der Natur. Eine weitere Lehre läßt sich aus Olivis Quaestio ziehen: Auf den ersten Blick so divergente Lebensbereiche wie das Kaufen oder Verkaufen, die Sprache, die Königswürde, die Sakramente oder das Gelübde eines Bettelmönchs funktionieren alle auf ähnliche Weise. Anders als dies z. B. J. Varkemaa in Bezug auf die Franziskaner und unseren Autor behauptet 52, möchte Olivi den Bereich des Reli48 49 50 51

52

Cf. e.g. Searle, Making the Social World (nt. 1), 123–144. Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius, ed. Delorme (nt. 7), 329. Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quid ponat ius, ed. Delorme (nt. 7), 328. Cf. Petrus Ioannis Olivi, Quaestiones de incarnatione et redemptione, q. II, appendix: De effectibus baptismi parvulorum, ed. A. Emmen (Bibliotheca Franciscana Scholastica Medii Aevi 24), Grottaferata 1981, 157: „Quare enim filius tantum tenetur patri aut uxor viro, vel servus et subditus domino vel praelato? Si enim hoc esset ex absoluta ratione suae essentiae et suae naturae humanae, tunc omnis habens consimilem essentiam vel naturam teneretur consimili modo eisdem; quod patenter est falsum. Constat igitur quod hoc est ratione praefatarum habitudinum seu relationum. Et certe, si per impossibile daretur quod naturae creatae essent actu sicut sunt absque hoc, quod non fuissent a Deo, nec aliqua relatione essent coordinatae in Deum, eo ipso quaedam inaestimabilis bonitas et dignitas esset in eis sublata, et in tantum quod ab omni recto iudicio plus debet omnis creatura aestimari ac diligi et honorari propter hoc, quod est a Deo et ad Deum et in Deo, quam propter suam absolutam entitatem.“ Das heißt, daß selbst, wenn alle anderen sozialen Relationen außer acht gelassen werden, noch die Beziehung des Geschöpfes zum Schöpfer bleibt, die dem Geschöpf eine Würde verleiht, die nicht auf die Ontologie der Natur zurückzuführen ist und die in einer intensionalen ratio respectiva besteht. Varkemaas Pointe in Bezug auf die Franziskanische Tradition ist, daß „the Franciscans wanted to remain outside the entire legal system that regulated relationships between men and material

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giösen oder die Beschreibung eines Gelübdes gerade nicht prinzipiell vom Bereich des Kaufens oder Verkaufens trennen, sondern aufzeigen, daß alle Bereiche des menschlichen sozialen Lebens in einer bestimmten Hinsicht zusammenkommen – nämlich insofern es um rechtliche oder institutionelle Verhältnisse und sinnhafte rationes respectivae geht. Dank diesem abstrahierenden Blick auf die Gesamtheit aller Formen der sozialen Realität, der das Verbindende in allen menschlichen Lebensbereichen erkennt, kann Olivi mit Fug und Recht als Sozialphilosoph bezeichnet werden. Olivi konzipiert eine Ontologie des Sozialen, die sich von der aristotelischen Ontologie natürlicher Substanzen durch die Betonung der Relationalität, der Intension oder des Sinns und der Freiheit unterscheidet. Für Olivi sind institutionelle Fakten auf andere Weise real als physische Tatsachen53, aber beides, die Welt des Rechts und der Institutionen wie der Bereich der Natur, machen zusammen eine Welt aus, denn Institutionen setzen die natürliche Realität voraus. Olivi besitzt daher einen mindestens ebenso genauen Blick für die soziale Realität seiner Zeit wie John Searle für die Wirklichkeit des 20. und 21. Jahrhunderts. Es ist sicher unhistorisch, Olivi Modernität zu unterstellen, aber polemisch ließe sich durchaus behaupten, daß Searles Sozialphilosophie in großen Teilen mittelalterliche Züge aufweist.

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things.“ (J. Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights [nt. 13], 16sq.) Allerdings stellt Olivi gerade nicht das Trennende der religiösen und der weltlichen Sphäre heraus, sondern die Verbindung aller sozialen Bereiche über die Begriffe des Rechts und der ratio respectiva. Ein wesentlicher Unterschied Olivis zu Searle ist allerdings, daß Olivis aristotelische Ontologie der Natur und der Naturen sich stark von der modernen Physik unterscheidet, die Searle als privilegierte Naturbeschreibung im Blick hat.

Henry of Ghent on Divine Law, Natural Law and Human Law M L (Rom/Köln) Introduction It is a matter of fact that Henry of Ghent has never tried to develop in his texts a theory of law, unlike some of his medieval colleagues1. All we know concerning a discussion of law in the works of the Flemish doctor can be found in some pages of his ‘Summa quaestionum ordinariarum’ 2 and in a few questions of his 15 ‘Quodlibeta’. In this last text he, as a master of theology, is encouraged to deliberate on several particular juridical cases. On this occasion, he also ends up discussing law in general. Taking these assumptions as a starting point, this article aims at evaluating whether we can speak of the presence of a real theory of law in Henry’s works – like in those of other medieval authors –, or whether he only deals with this field of inquiry casually in the abovementioned text passages. If, then, there proves to be a legal theory in Henry of Ghent, the second step of this study will be to investigate whether it presents original aspects in comparison with his contemporaries. I. Henr y’s Classification of Law The first time that Henry mentions the law in his works is at the beginning of the ‘Summa’, in the articles written in 1276. In questions 5 and 6 of article VIII of the text – which is about the purpose of theology – Henry questions whether revelation is already fully present in the Old and New Testament, or whether we should expect another revelation (namely that of the Holy Spirit), another teaching of the Truth, as the Gospel of St. John discloses. At this place, Henry clarifies that the law of the Old Testament was perfectly completed by Christ, and that revelation has already been fulfilled entirely in the two parts of the Bible. Moreover, he explains that the three ages of human beings coincide with the

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See, for instance, Peter Olivi’s ‘De legalibus’ or Robert Grosseteste’s ‘De cessatione legalium’. Cf. Henricus de Gandavo, Summa quaestionum ordinariarum, art. VIII, qq. 5–6 and IX, q. 1. On this cf. E. Marmursztejn, Loi ancienne, loi nouvelle et normes chrétiennes dans la théologie scolastique du XIIIe siècle, in: Revue de l’histoire des religions 228/4 (2011), 509–539.

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natural law, the law of Moses and the law of the Gospel respectively 3. That is to say, according to what Henry writes here, there is a divine law (of both the Old and the New Testament) that is the completed development of a natural law. Divine law and natural law coincide in the sense that the latter is the continuation and completion of the first 4. However, if we are searching for a clearer interpretation and definition of law in Henry’s work, we have to turn from the ‘Summa’ to his ‘Quodlibetal Questions’, and especially to question 16 of ‘Quodlibet’ II, discussed at Christmas 1277. In this text, Henry addresses the question as to whether a sovereign, i.e., a princeps, can rightly keep some goods of a person (of whom he secretly knows that he is innocent), which have been committed to him by the public justice (publica iustitia), suggesting that this person is guilty 5. As it is said in the arguments favoring the possession of these goods, the princeps (whom Henry takes to be a member of the clergy) has every right to accept these goods without thinking about giving back them, because it is the authority of public law that gave them to him. It may be added that the penalty that the person considered guilty has to pay is to a great extent in revulsion of the crime (“magis in odium criminis”) rather than in favor of the princeps 6. Also, for this reason, it seems that the princeps does not commit any fault if he accepts these goods. On the other hand, if the princeps decided to take the goods in question, he would voluntarily risk punishing someone who he knows is innocent, getting rich unjustly and thus committing a sin. In his answer to this question, Henry dwells on law in general. However, he does not suggest a definition of law, but rather distinguishes two kinds of law: a divine law and a human (or public) law. In particular, Henry in this text explicitly identifies the divine law with the natural law (“Lex divina lex naturae est ”) 7. This latter instructs us to pursue the peace of conscience, and to do nothing which adversely affects it; according to this divine and natural law, an innocent person is not to be punished. 3

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6 7

Cf. Henricus de Gandavo, Summa quaestionum ordinariarum, art. VIII, q. 6, in: Summa[e] quaestionum ordinariarum, ed. J. Badius, vol. 1, Paris 1520 [Reprint St. Bonaventure, New York 1953], 68vT: “Et ita cum deductio mundi processit secundum tres leges per tres status hominum: legem naturae, legem Moysi et legem evangelii Christi. Nullus status vitae huius perfectior esse potest statu novae legis et evangelii Christi.” In the Middle Ages, the identification of the natural law with the divine law was openly recognized by the ‘Decretum Gratiani’. About the ‘Decretum’ and the connection between lex naturalis and lex aeterna in particular cf. R. Pizzorni, Il diritto naturale dalle origini a S. Tommaso d’Aquino, Bologna 2009, esp. chs. 8–9. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet II, q. 16: “Utrum princeps licite possit tenere bona alicuius sibi per publicam iustitiam adiudicata propter culpam illi impositam, quem in rei veritate scit esse innocentem.” On this question cf. R. Macken, The Sovereign, sometimes forbidden by the Divine Law to enjoy the money granted to him by the Public Justice, according to the Philosophy of Henry of Ghent, in: id., Essays on Henry of Ghent II, Leuven 1995, 7–20. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet II, q. 16, ed. R. Wielockx, Leuven 1983 (Opera Omnia, VI), 102, 14–16. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet II, q. 16, ed. R. Wielockx, 102, 19.

Henry of Ghent on Divine Law, Natural Law and Human Law

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Henry has already made some reference to natural law in question 18 of his ‘Quodlibet’ I (1276), in order to explain the concept of synderesis. At this place, he clarified that natural law is already in the human soul. Both the cognitive and affective parts of the soul – on a universal level – seem to act according to natural law: in the first case, natural law is in the cognitive part of the soul, and it is realized by a series of rules concerning actions. In the second case, i.e., in the affective part of the soul, the natural law is fulfilled because the will – again on a universal level – is prompted by the natural mover of the synderesis (i.e., the knowledge of the first principles) to follow the natural law 8. In question 16 of ‘Quodlibet’ II, Henry goes beyond his discussion in ‘Quodlibet’ I, and adds that natural law coincides with divine law. This means that the human being – through the mover of the synderesis – naturally knows about God’s will with regard to his actions 9. According to this divine/natural law, an innocent person is not to be punished: in practice, this signifies that the princeps must give back the goods received from the public law to their legitimate owner once he knows of his innocence. On the contrary, Henry maintains that human law was instituted in order to rule the people. It has the purpose of preserving peace between human beings in their weakness (this explains why it leaves a lot of evil unpunished, especially hidden evil). As Augustine says, human law tolerates minor sins in order to prevent great sins from being committed. For this reason, Henry adds, we should not do what the public law prohibits10. This principle, however, does not work in the reverse direction, meaning that not all the things the public law allows have to be done. Quoting Augustine once again, Henry explains that the human law regulates things from the outside, according to what merely appears to human beings. However, a lot of those occurrences take place in secret: for example, there might be a case in which someone kills someone else in order to defend his life, his free8

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At this place, Henry was able to show that the will can contradict the judgement of the intellect without contradicting the conscience. According to Henry, ratio recta and conscience belong to two different levels: the former to the cognitive level, the latter to the affective level. Furthermore, in question 22 of ‘Quodlibet’ VI Henry specifies that the rules of natural law eminently coincide with the two evangelic commandments: “Do unto others whatever you would like them to do to you” and “do not do unto others whatever you would not like them to do to you”: cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet VI, q. 22, ed. G. Wilson (Opera Omnia, X), Leuven 1987, 203, 14–19: “Dicendum ad hoc quod aequitas iuris naturalis quoad praecepta et prohibita secundae tabulae, quae sunt erga proximum, consistit in his duabus regulis; ‘quod tibi vis fieri, hoc facias alii’, in quo continentur universa praecepta, ‘Quod tibi non vis fieri, ne feceris alii’, in quo continentur universa prohibita, et hoc quoad omnem statum, gloriae scilicet, innocentiae et gratiae.” Moreover, concerning divine law, Henry often explains in his texts that everyone knows the rules of this type of law, so that nothing can excuse those who ignore them; such a lack of knowledge ends up being an “ignorantia iuris.” Cf. e.g. Henricus de Gandavo, Quodlibet I, q. 26, ed. R. Macken (Opera Omnia, V), Leuven–Leiden 1979, 181. The difference between ignorantia facti and ignorantia iuris is elaborated by Henry in q. 19 of ‘Quodlibet’ I. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet II, q. 16, ed. R. Wielockx, 102, 28–29: “Quae custodienda est erga proximum, et hoc a quolibet, ne faciat quod lex publica prohibet.”

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dom or chastity. According to public opinion, those persons have to be punished because they committed a murder. Nevertheless, the reason why they committed this sin is understandable. In those cases (just like in the instance presented in q. 16 of ‘Quodlibet’ II), there is a contrast between an exterior and public level, concerning human law, and an interior level, which instead concerns divine and natural law 11. However, this contrast between the human and divine law codes does not occur when human law strictly follows divine law. In this way, Henry specifies, every good and positive law has its roots in divine law 12. Still discussing the subject of human law, and following Aristotle in Book V of the ‘Nicomachean Ethics’, Henry distinguishes between a positive general right and its particular applications. For this reason, in q. 17 of ‘Quodlibet’ II (“Utrum licitum sit tenere plura beneficia ecclesiastica aut hoc malum sit secundum se”), Henry speaks of legis directiva or legis correctiva, a kind of justice which, as he explains, “apponit illud particulare quod legis positiva in suo statuto universali omisit” 13. This means that in the realm of human law it deals with the particulars, filling the gaps of positive law, as the latter only works on a universal level. As Henry explains, “what is universal is not always right and just, but the law takes the universal for what occurs mostly in the right way” 14. On the basis of these assumptions, Henry discusses in question 16 of ‘Quodlibet’ II whether it is right to contradict the positive law (both generally and particularly) when we know that it is wrong. In other words: if the public law diverges from divine and natural law (taken as coincident), which one must we follow? The problem particularly arises in the case of the princeps: he is indeed a minister of the public law (thus he must follow and execute this law, which suggests him to keep the money); however, he is also subject to the divine rule, which commands to not take advantage of the innocent person. As Henry explains, regarding the relation between divine law and human law, there are two cases. The first concerns situations in which human law imposes obligations on someone that are to be respected absolutely. This is, for example, the case when someone is ordered to kill an enemy in war. In this instance, the soldier is obliged by human law to execute the order, repressing his feelings, as he will otherwise have to face the sanctions imposed on him by his military superiors. The same holds true for the ministers or subaltern functionaries. For 11 12

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Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet II, q. 16, ed. R. Wielockx, 103, 41–50. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet II, q. 16, ed. R. Wielockx, 104, 66–70: “In talibus ergo, in quibus princeps necesse habet ratione officii sui legi obtemperare, sine peccato potest et debet exsequi legis edictum, quia, si lex illa bona sit et iusta, legi divinae contraria esse non potest, quia a divina lege omnis lex humana bona et iusta ortum sumit”. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet II, q. 17, ed. R. Wielockx, 130–131, 52–77. De Lagarde even finds an eternal order in Henry’s doctrine (Quodlibet V, q. 17), i.e., a kind of eternal law, elaborated on also by other masters like Thomas Aquinas and Godfrey of Fontaines: cf. G. de Lagarde, La naissance de l’esprit laïque au déclin du Moyen Age, II, Louvain–Paris 1960, 105. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet II, q. 17, ed. Wielockx, 130, 63–65: “Non semper quod universale est, rectum est et iustum, sed accipit lex universale pro eo quod accidit in pluribis recte.”

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them observing the obligations of their office does not mean committing any sin. This is due to the fact that – as it has been already said – each good and just human law has its origin in the divine law. This, however, is not true for the examples considered in question 16 of ‘Quodlibet’ II. For there is no obligation emanating from human law, and the power to decide between what the divine/natural law directs and what the public law allows lies entirely in the hands of the human being who chooses. In this context, according to Henry, one should always choose to follow divine law. As has been said before, human law leaves several evils unpunished in order to preserve peace. Thus, it might be true that the public law condemns a person who is convicted of a crime to pay a certain sum of money to the ruler; nevertheless, it leaves the decision of whether to accept the money or not to the ruler. In other words, there is no human law that compels him to accept it. Considering that, the person who receives goods from someone whom he knows to be innocent, and who wants to follow the divine law, must refuse these goods. If the princeps accepted the sum given to him by a ‘defective law’, he would not be found guilty according to the militant Church (Ecclesia militans), but he would be guilty according to the triumphant Church (Ecclesia triumphans) 15. Yet, one must also consider that, according to God’s law and Bernard’s teachings a recipient can only accept a penalty payment from a convicted person respecting three conditions: “primum quidem an liceat, deinde an deceat, postremo an expediat” 16. Keeping those three conditions in mind, the princeps, who has decided to follow divine law and consequently to give the money back to the person convicted by positive law, has to be very careful: if he handed in the money, he would provoke a scandal in public (as they do not know the truth), openly leaving an evil unpunished. The princeps must particularly preserve the truth of life, justice and doctrine, since he has the obligation to publicly punish allegedly committed sins (showing that the sin is detestable). For this reason, the princeps should accept the money – provisionally – with the intention of secretly returning it to the convicted person (or to their heirs), without provoking a public scandal. Besides the specific case taken reflected upon, it is important to note that, in fact, Henry’s answer to the questions can be summed up as follows: 1) greatly considering what is established by divine law (in question 16 of ‘Quodlibet’ II expressly identified with natural law) is essential; this type of law should always be followed (in this sense the princeps must give back the goods to the person he knows is innocent). 2) Henry’s solution, however, does not discredit completely the public code (for this reason the princeps should nevertheless accept the goods in order to punish those who – from an external point of view – are thought to have sinned, and in later give them back in private). In sum, Henry’s suggestion is that we should always follow the divine/natural law, trying, however, not to 15 16

Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet II, q. 16, ed. R. Wielockx, 110, 00–6. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet II, q. 16, ed. R. Wielockx, 105, 93–94.

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publicly dissent from the positive law, because it is useful to punish sins in public. Apart from the specific case debated in this question, what is highlighted here is mainly the tension – emphasized many times by Henry in the text – between divine and natural laws on the one hand and human law on the other; between the rule that concerns what really is, and the rule that is instead concerned with appearances. II. Henr y’s Use of the Difference between Divine/Natural Law and Human Law It is quite significant that in all of the other ‘Quodlibetal Questions’ in which Henry comes back to the topic of law he underlines the difference between divine and natural laws and human law. One example is to be found in question 31 of ‘Quodlibet’ V, where he discusses whether it is licit to kill someone 17. At this place, Henry once again outlines exactly what he had said by quoting Augustine in question 16 of ‘Quodlibet’ II, namely that the positive law judges the things as they appear outwardly. However, many things happen in secret: just as it is in the case under consideration, in which someone kills someone else to defend his own life. In this specific case, the divine law and the natural law (in this text they are not identified with each other, but mentioned together) command to preserve one’s own life, and thus “excuse” the murder. Moreover, in the case of self-defense, the intention is not to kill, but to protect one’s own life 18. Concerning the example in question, Henry observes that just because the jurisdiction of human law is limited to the level of appearances and is implemented to maintain public peace, it can be deficient. To function well, however, human law has to be in accordance with divine law and natural law. Even positive law – as Henry specifies in the text – should not depend on the will of the legislator, but follow divine law and natural law 19. Therefore, we have to say that Henry of Ghent distinguishes between natural law and divine law on the one hand and positive law on the other 20. Every correct 17 18

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Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet V, q. 31: “Utrum liceat alium occidere ne occidatur.” Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet V, q. 31, ed. J. Badius, Paris 1518, fol. 209rE: “Ad propositum igitur descendendo an licet quemquam alium occidere ne ipse ab illo occidatur, cum talis occisio non sit nisi sub specie defensionis, ut propria vita conservetur: que si aliter salva esse posset, nullo modo occideret, aut occidere vellet […] Unde talis licet expresse nullo modo haberet in sua intentione occidere, sed solummodo se tueri.” Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet V, q. 31, ed. J. Badius, fol. 210rH: “[…] Non enim iustitia legis pendet ex voluntate legislatoris, quasi iustum sit quicquid ipse praecipere velit: sed a iustitia legis divinae et naturalis, cui congruere debet etiam si ab initio legislatore statuatur, dicente Augustino De libero arbitrio. Lex quae tuendi populi causa lata est, nullius libidinis argui potest, siquidem ille qui tulit dei iussu tulit in quod praecepit aeterna iustitia.” According to Henry, within the positive law there is a difference between canonical law (which follows the evangelic rules more strictly) and civil law. Concerning these two kinds of positive law, the canonical law presents rules which must be preferred to the civil law. This discussion is, for instance, mentioned in question 22 of ‘Quodlibet’ VIII (“Utrum res praescripta in bona fide cum notum fuerit de mala fide statim tenens eam teneatur restituere ei ad quem de iure debet pertinere”).

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positive law has its origin in natural and divine law. However, when a disagreement between the two kinds of law arises, the natural and divine law has to be preferred. Moreover, the validity of every law does not depend on the person who made or on the person who enforces it, but rather on its conformity with or deviation from natural and divine law. Actually, if we follow what Henry has said so far, he seems to suggest some legal theories that correspond to those of many of his contemporaries. Thomas Aquinas, for instance, also distinguishes between divine law, natural law and positive law. As is well known, in questions 90–108 of the Prima Secundae of his ‘Summa theologiae’, Thomas deals with law and defines it as “an ordination of reason for the common good promulgated by the one who is in charge of the community”. Contrary to Henry, he distinguishes four types of law (lex aeterna, lex naturalis, lex humana and lex divina). The lex aeterna is the law itself of the ratio divina, identified with divine providence; natural law is instead defined as “the participation in the eternal law by rational creatures”; divine law is the reason of God in relation to the governance of human beings. Like Henry, also Thomas maintains that natural law and divine law are in accord with each other, although he does not admit that they coincide (as does the Flemish master at some places, for instance in q. 16 of ‘Quodlibet’ II). By contrast, for Aquinas human law is the law set by human beings, because the moral rules presented in the lex naturalis are not sufficient: social life takes place in different epochs and in different places, and thus the moral law has to be applied in different ways. Just like Henry, Thomas also maintains that human law leaves several evils unpunished (especially hidden evils), and that it is not infallible. However, if we read Henry’s legal doctrine against the background of his other texts and of the historical events in which he was involved, we must admit that Henry’s theory of law is characterized by particular traits when compared to the other theories of law of his time. Although he expounds a doctrine of law that was quite common at that time, he employs it in an original and new way in comparison to his contemporaries. In particular, Henry uses the difference between divine and natural law and human law in three contexts: 1) to defend the existence of what we today call “individual human rights”, 2) to attack papal supremacy against the power of the bishops and of the secular Church in the historical controversy called “Gallicanism”, and 3) to affirm the superiority of the theologian in the society of his time, in both religious and secular spheres. 1) We can find the divergence between public and natural law being used to defend a theory of right in questions 25 21 and 26 22 (strictly correlated) of ‘Quodlibet’ IX from 1286. Here, Henry denies the exercise of torture in juridical 21 22

Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet IX, q. 25: “Utrum iudex saecularis possit aliquem cogere ad confitendum aliquid ad quod sequitur mors alterius.” Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet IX, q. 26: “Utrum condemnatus morti licite possit abire, si tempus et locum habeat.”

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inquiry as well as the applicability of the death penalty, though both are admitted and performed by public law. Writing against these practices, Henry refers to the right of self-preservation of human life, being among the first ones in the history of thought to elaborate on the idea of an inviolable sphere of personal natural rights (and duties), as important studies have already shown 23. Among those texts, question 26 appears to be more significant for the present purpose, since Henry establishes a relation between the inviolability of human life and natural law, against the position of the public law. Here, Henry does not mention the divine law at all, but only natural law. In other words, it seems that Henry defends here the human rights merely taking into consideration the law of nature, which – unlike in the other texts examined (for instance, q. 16 of ‘Quodlibet’ II) – in this contest does apparently not coincide with the law of God. In particular, in question 26 of ‘Quodlibet’ IX, Henry maintains the idea according to which it is true that a judge – on the basis of positive law – has the power to capture and take the life of the body of a man condemned to death; he says, however, also that this law grants this person – in the case of extreme necessity (necessitas 24) – the potestas and the right, according to the lex naturalis, to use his own body to preserve its existence 25. According to these assumptions, in the case of utmost need, for example facing the risk of starving to death, the person condemned to death is allowed even to commit a theft with the purpose of preserving his own life, but only sine iniuria alterius 26. 23

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Cf. esp. R. Macken, Henry of Ghent as Defender of the Personal Rights of Man, in: Franziskanische Studien 73 (1991), 170–181; V. Mäkinen, Property Rights in the Late Medieval Discussion on Franciscan Poverty, Leuven 2001, 120–123; B. Tierney, Natural Rights in the Thirteenth Century. A Quaestio of Henry of Ghent, in: Speculum 67 (1992), 58–68; id., The Idea of Natural Rights. Studies on Natural Rights, Natural Law and Church Law 1150–1625, Atlanta 1997, esp. 78–89; id., Tuck on Rights: Some Medieval Problems, in: History of Political Thought 4 (1983), 429–441. The necessitas is one of the four ways, as Henry explains it in the question, in which it is possible to have and to exercise a power on something. The others ways are fas, licitum and ius. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet IX, q. 26, ed. R. Macken (Opera Omnia, XIII), Leuven–Leiden 1983, 308, 38–46: “Dico ergo ad propositum quod super corpus damnati ad mortem potestatem habet iudex saecularis capiendi, detinendi et occidendi. Habet autem et ipsemet damnatus quoad animam potestatem super idem corpus utendi eo ad vitae suae in corpore custodiam, in qua consistit eius perfectio sine iniuria alterius. Et hoc non solum aequitate naturae quae fas est circa rem alienam, sed quae licitum est. Et non solum licitum tamquam a lege naturae indultum in aliquale alterius praeiudicium, sed quae ius est secundum legem naturae. Et non solum ius, sed in casu necessitas exsequendi ius suum.” Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet IX, q. 26, ed. R. Macken, 308, 46–50; 309, 66–76: “Ut si oporteret captivum talem mori fame nisi acciperet clam contra voluntatem custodis sui panem eius, in hoc habet potestatem et ius atque necessitatem utendi corpore ad panem capiendum et vescendum. Et fit hoc sine laesione alterius, quia necessitas facit commune quod erat proprium, et iuste occupanti concedatur […] quoniam quamcumque rem necessariam ad custodiam vitae suae posset ei subtrahere, dum tamen eius subtractio non vergeret in praeiudicium iuris quod habet iudex in corpus illius. Si enim, ut dictum est, existens in vinculis necesse haberet mori fame nisi subtraheret ei panem, hoc liceret ei, quia hoc nullo modo vergit in praeiudicium iuris quod habet in

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To sum up, militating against human law that prohibits escape and facilitates the death sentence, Henry reaffirms in this question that according to the lex naturalis the life of a human being (also of a person condemned to death) has to be safeguarded 27. Another example of Henry’s use of the contrast between human law and natural law to defend the body of a human being can be found in q. 18 of ‘Quodlibet’ VII. In the text he is demanded to determine whether a priest is obliged to force a person to practice the Lenten fast though he has to work for his survival and thus cannot abstain from eating 28. Here, the positive law, in contrast to natural law (in the text it is again explicitly regarded to be in accordance with divine law), is not the civil law, but the ecclesiastical law. Canon law concords more with natural law than civil law, and it therefore seems more just than the latter. However, according to Henry, whenever canon law is not in accordance with natural and divine law, the latter must take precedence. In particularly, in answer to the question, Henry distinguishes between the statutum ecclesiae, which has established the Lenten fast and the statuta iuris naturae (aut evangelii, vel divini), which have especially been established to provide that one’s life can be supported. The divine and natural law should never be violated (it is better, Henry clarifies, to suffer every kind of misfortune than to transgress divine or natural law); on the contrary, the Church’s statute can be contradicted when it violates the rules of the law of nature and the law of God. According to these assumptions, Henry concludes, the priest must allow the person having to work in order to survive, to infringe the rules of the Lenten fast established by the Church, and therefore to eat 29.

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detinendo vel occidendo. Quare cum subtractio corporis necessaria sit animae suae ad vitae eius custodiam, quam facit absque omni praeiudicio potestatis quam habet iudex super corpus eius, quando sentit quod corpus non est in vinculis et quod ostiis apertis nullum restat obstaculum, ideo in tali casu licet corpus suum subtrahere utendo iure suo, sicut in alio casu liceret subtrahere panem iudicis.” Behind Henry’s defense of the single human being there is a doctrine that defends the individual good in favor of the common good. Cf. especially ‘Quodlibet’ IX, q. 19, where Henry argues that Aristotle’s claim that bonum commune is more divine is not always true. According to Henry, the common good is more divine only if it realizes and implies the individual good. Cf. M. S. Kempshall, The Common Good in Late Medieval Political Thought, Oxford 1999, 165–170; M. Leone, Bene comune, bene individuale e naturalità dei rapporti economici in Enrico di Gand, in: R. Lambertini/L. Sileo (eds.), I beni di questo mondo. Teorie etico-economiche nel laboratorio dell’Europa medievale, Porto 2010, 193–214. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet VII, q. 18: “Utrum illi qui nihil habet quid manducet postquam ieiunaverit, nisi prius lucratus fuerit labore suo corporali, nec poterit laborare ieiunando, sacerdos suus debeat ei iniungere ieiunium quadragesimale.” Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet VII, q. 18, ed. G. Wilson (Opera Omnia, XI), Leuven 1991, 120–121, 27–40: “Dicendum ad hoc quod, casu posito in quaestione retento, sacerdos tali non debet tale ieiunium iniungere, sed permittere ipsum laborare et frangendo ieiunium comedere, quia talia ieiunia sunt de statuto ecclesiae, non de statuto iuris naturae, aut evangelii, vel divini. Nunc autem differentia est inter statuta iuris naturalis, aut divini et ecclesiastici, quod iura divina et naturalia obligant in omnem eventum, ne etiam propter mortis tolerantiam liceat ea transgredi: melius enim est omnia mala pati, quam contra divinae legis aut naturae praeceptum quidquam agere. Non sic autem est de statutis ecclesiae, maxime cum obvient eis statuta legis divinae, ut in

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In this text, Henry’s devotion to the person’s well-being becomes obvious once again. Due to this, the deficiency of the positive law (in this case the ecclesiastical law) compared to natural/divine law is again underlined; contrary to the first type of law, the latter stands surety for the safeguard of the life (also corporeal life) of a human being. 2) In Henry’s texts we find the difference between divine law, natural law and positive law to attack papal sovereignty, especially in those, in which he deals with the debate following the privilege accorded by pope Martin IV to the mendicant friars with the bull ‘Ad fructus uberes’ (December 3, 1281) 30. With the bull the pope confirmed to the mendicants the privileges (already granted by the previous popes) to exercise confession, without asking the permission of the local clergy; however, he confirmed the statute ‘Omnis utriusque sexus’ from 1215 and thus commanded the believers to confess all of their sins at least once a year to their parish priest. The problems between secular priests and mendicants arose with regard to the interpretation of the bull of Martin IV: according to the secular theologians (among them Henry of Ghent is to be found), the pope’s intention with this decree was to make the believers confess to the parish priest all their annual sins (including those already confessed and absolved by the friars). In this way, the Church’s structure and jurisdiction with its bishops and parish curates would not be subverted. On the contrary, the mendicants read the bull as the pope’s invitation to confess only new sins to the parish priest, and not those already confessed to them. To repeat a confession would indeed mean to invalidate a sacrament already conceded. This problem intensified with the election of a new pope, Nicholas IV (in 1288), belonging to the Franciscan order, whose position concerning the sacrament of penance was obviously in favor of the mendicants’ interpretation of the bull ‘Ad fructus uberes’. Precisely in 1288, Henry of Ghent composed the ‘Tractatus super facto praelatorum et fratrum’; a section of this work was afterwards summarized and added to his ‘Quodlibet’ XII, as question 3131. Concerning our inquiry, the ratio 10a pro fratribus is noteworthy, in which Henry uses the famous distinction between “ordained power” (potentia ordinata) and “absolute power” (potentia absoluta): the ordained power of a ruler consists in following the ordained course of the law ad litteram; the absolute power rather belongs to a ruler who, for the community’s welfare, decides to act beyond the ordained power 32.

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casu proposito: de statuto enim legis naturae est, quod quilibet necessitati propriae vitae corporali debet praevidere quantum poterit, salva iustitia legis divinae, ne fiat sui ipsius homicida, non obstante statuto legis ecclesiasticae, quia de ipsa dicitur quod necessitas non habet legem.” Cf. for instance Henricus de Gandavo, Quodlibet VII, q. 24; id., Quodlibet X, qq. 1–4. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet XII, q. 31. (Tractatus super facto praelatorum et fratrum), edd. L. Hödl/M. Haverals (Opera Omnia, XVII), Leuven 1989, esp. 253–259. On absolute power and ordained power in Henry of Ghent cf. A. Boureau, La religion de l’état. La construction de la République étatique dans le discours théologique de l’Occident médiéval

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At the beginning of the Ratio Henry explains that there are three ways of acting for a legislator with regard to the passing of a law or a statute 33: a) The legislator can grant a privilege totally against divine or natural law. This way of acting is without any doubt sinful and not permissible 34; b) The legislator can pass a statute that is just because of its conformity with natural law; c) Finally, the legislator can promulgate a statute, which is good in itself, because it is in accordance with divine or natural law, but which, under certain circumstances, could still contradict this law 35. Henry is mostly interested is the latter case: the pope’s decree concerning confession is per se good; it could, for instance, be good for the Primitive Church, when the believers were very attached to the priest. In that case, the pope’s decree granted the priests not to be discredited 36. However, under particular circumstances, the pope’s privilege could per accidens provoke serious consequences for the present Church, as it would deprive the secular clergy of its debita reverentia, which is established by the natural and divine justice 37.

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(1250–1350), Paris 2006, 240–252; Kempshall, The Common Good (nt. 27), 186–187; J. Marrone, The Absolute and the Ordained Powers of the Pope. An Unedited Text of Henry of Ghent, in: Mediaeval Studies 34 (1974), 7–27; P. Porro, Henry of Ghent on Ordained and Absolute Power, in: G. Guldentops / C. Steel (eds.), Henry of Ghent and the Transformation of Scholastic Thought. Studies in Memory of Jos Decorte, Leuven 2003 (Ancient and Medieval Philosophy, I/31), 387–408; id., Il « Tractatus super facto praelatorum et fratrum » di Enrico di Gand. La controversia tra clero secolare e Ordini Mendicanti alla fine del XIII secolo, in: Quaderno di cultura e formazione 3 (1990), 37–66, esp. 57–59; id., Riccardo di Mediavilla e Enrico di Gand sulla plenitudo potestatis del papa, in: A. Musco (ed.), I Francescani e la politica. Atti del Convegno internazionale di studio, Palermo 3–7 Dicembre 2002, Palermo 2007, 835–847. About the distinction between the two powers in general cf. F. Oakley, Jacobean Political Theology: The Absolute and Ordinary Powers of the King, in: Journal of the History of Ideas 29 (1968), 323–346; id., Omnipotence, Covenant and Order. An Excursion in the History of Ideas from Abelard to Leibniz, London 1984, 107–118; W. J. Courtenay, Capacity and Volition. A History of the Distinction of Absolute and Ordained Power, Bergamo 1990, esp. 98–100. Cf. Marrone, The Absolute and the Ordained Powers of the Pope (nt. 32), 15–16. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet XII, q. 31, edd. Hödl/Haverals, 254, 75–77: “Primo quidem modo inconveniens non sequitur ex statuto aut privilegio, nisi ipsum statutum aut privilegium in se sit inconveniens et contra divinum ius et natura.” Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet XII, q. 31, edd. Hödl/Haverals, 254, 81–82: “Secundo autem modo bene quandoque sequitur inconveniens ex statuto vel privilegio existente in se iusto et aequo, saltem in casu.” Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet XII, q. 31, edd. Hödl/Haverals, 256, 38–42; 257, 48–52: “Et sic dico quod papa de potentia absoluta potest tale privilegium fratribus concedere, quia ad ipsum ex natura talis privilegii sive per se non sequeretur dictum inconveniens, quia non sequeretur, si homines in tali statu essent in quali erant ab initio homines primitivae ecclesiae, in qua erant communes sacerdotes […] Unde dico quod papa posset de potentia eius absoluta modo tale privilegium fratribus concedere, et quod plus est, puto quod posset ecclesiam modernam ad statum primitivum in quo regebatur de communi sacerdotum consilio, reducere.” Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet XII, q. 31, edd. Hödl/Haverals, 253, 53–58; 254, 64–69 and 87–91: “Legislator non potest concedere privilegium aut condere statutum ad quod sequitur in ecclesia subtractio debitae reverentiae et oboedientiae inferiorum ad suos superiores, aut universaliter destructio ordinis ecclesiastici, quia hoc est magnum inconveniens et contra ius naturale et divinum, contra quod legislator nihil statuere potest aut concedere aut dispensare […] Ergo legislator, ut papa, tale privilegium secundum intellectum et voluntatem fratrum

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Concerning exactly this subject, Henry introduces the distinction between “ordained power” and “absolute power”: as has already been said, the first characterizes the normal course of the law, while the latter allows acting beyond the ordinary course of justice. Henry, in particular, was the first to apply this distinction between ordained power and absolute power (until then only applied to God) to the pope 38. In this debate, Henry’s other innovation was to define “absolute power” in a negative way, i.e., as a “power to act sinfully” because it does not fall under the obligation of the law, and therefore may entail, accidentally, serious consequences 39. This explains why, according to Henry, we may not speak about God in terms of absolute power, but only of His ordinate power 40. What is remarkable here is Henry’s hidden polemic against the pope: Henry implies that it is strange given that we may not speak of absolute power concerning God, the pope, according to some canonists of that time or Bernard, could act beyond the ordained law of the Church, yet without acting against the well-being of the Church41. The pope, Henry explains, could then have the power to bestow the privilegium due to his absolute power; however, in this way he would risk to commit a sin in reference to his ordained power: in doing so, he would contradict the normal course of the law (i.e., he would act against the divine and natural law that, as we have already seen, command respect for priests) 42.

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non potest concedere. Consequens falsum est, ergo et antecedens. Consequentis falsitas patet, quia tale privilegium concedendo non concedit papa nisi quod suum est, cum ipse sit omnium curatus immediatus […] Dico ergo quod statutum vel privilegium ad quod primo modo sequitur inconveniens dictum, scilicet subtractio debitae reverentiae etc., non potest concedere legislator, quicumque fuerit ille, quia esset contra ordinem naturae et divinae iustitiae, ut dictum est in probatione dictae maioris propositionis.” Cf. Marrone, The Absolute and the Ordained Powers of the Pope (nt. 32), 11. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet XII, q. 31, edd. Hödl/Haverals, 256, 19–22: “Homo enim purus eo quod peccare potest, aliquid potest, large accipiendo potentiam, de potentia absoluta, quod non potest de potentia ordinata: de potentia enim absoluta agere mala culpae quae non potest agere de potentia ordinata.” Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet XII, q. 31, edd. Hödl/Haverals, 255, 7–11: “Licet enim circa Deum non contingat distinguere inter potentiam absolutam et ordinatam – ‘Deus enim eo quod peccare non potest, nihil potest de potentia absoluta, nisi illud possit de potentia ordinata: omnis enim potentia sua, quocumque modo vadit in actum, ordinata est”. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet XII, q. 31, edd. Hödl/Haverals, 256, 23–27; 257–258, 67–75: “Dico ergo de legislatore, qui est homo purus potens peccare et malum agere, quod de potentia absoluta bene potest statuere vel privilegium concedere, ad quod sequitur secundo modo inconveniens praedictum, et hoc ideo, quia in antecedente non statim apparet consequens. Cuiusmodi, ut puto, est privilegium fratrum secundum eorum intellectum […] Ecce plana distinctio inter potentiam absolutam et ordinatam apud dominum papam, quando beatus Bernardus aliquid factitando ostendit se habere plenitudinem potestatis, quam appello potentiam absolutam, super quo dubitat an habeat potentiam iustitiae, quam appello potentiam ordinatam. Quod si ita est in exemptionibus particularibus, quod secundum Bernardum dominus papa aliquid possit in eis de potentia absoluta quod non possit de potentia ordinata, multo fortius ergo et in exemptione universali, qua fratres volunt eximi a praelatis omnem populum subiectum illis secundum praedictum modum”. Cf. Marrone, The Absolute and the Ordained Powers of the Pope (nt. 32), 9. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet XII, q. 31, edd. Hödl/Haverals, 259, 6–14: “Dico ergo quod, loquendo de potentia ordinata secundum regulam iustitiae, qua scilicet papa concedendo tale privilegium non peccaret si ipsum concederet, an ipse isto tempore tale privilegium concedere possit fratribus, ego non video nec

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Henry prudently leaves this question open, and he assigns the solution of the problem to the pope’s will. Moreover, he invites other ecclesiastics and viri litterati to point out to the pope which negative consequences his act might have for the Church, if he decides to concede the privilegium 43. The conclusion insinuated in Henry’s text is that if the pope, through his “absolute power”, would interpret the privilege of the confession against the secular clergy, he would risk acting unjustly, and therefore committing a sin. This is due to the fact that he would willfully act against the normal course of the “good” positive law (civil or canonical), which is based on the divine and natural law 44. Thus, the pope should rather emit the second type of decree (type b mentioned above), following the natural law. The positive law (even if it is promulgated by the pope) is not reliable because in certain cases and under certain circumstances it might be against natural and divine law. Moreover, as Henry has already said in question 31 of ‘Quodlibet’ V, the authority of the positive law should not depend on the will of the legislator, but on its conformity with the divine and natural law. Hence, we should not conclude that a law (like the decree on confession) must be considered valid because it is promulgated by the pope. On the contrary, what is important is the conformity of the positive law with the divine and natural law, which even the pope has to follow 45.

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assero, ne forte veritati contrarier, non tamen denego, ne videar ‘ponere os in caelum’. Sed ipse dominus papa viderit et iudicet, sua enim interest! Et sic, eo modo quo in praedicto argumento maior propositio est vera sive antecedens est verum, vera est conclusio sive consequens, et eo modo quo est falsa, et conclusio est falsa.” Marrone writes (The Absolute and the Ordained Powers of the Popes [nt. 32], 21–22) that, although Henry seems to attack the pope in this text, he does not request his degradation. On the contrary, Henry demands the intervention of the bishops and of the priests, and especially of the viri litterati to show the negative effects of the privilege on the secular clergy, in order to revoke it. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet II, q. 16, ed. R. Wielockx, 104, 66–70. In Henry’s work other examples concerning the fact that the pope is not allowed to act against natural law can be found, for instance in q. 41 of ‘Quodlibet’ I (this text however does not concern the problem of confession): “Utrum liceat in die dominico tenere forum rerum venalium.” In this question Henry denies the possibility to carry on commerce on those days reserved for religious duties (like on Sundays), because the obligation to respect a religious holiday has its roots not only in the positive law, but especially in natural law, which is “written in the heart”: “Ad primam igitur dicendum quod edictum circa sabbatismum diei dominicae non est omnino de iure positivo, ut in eo vacent homines ab opere servili, ut si non esset statutum, in nullo tempore necessarium esset ab illis vacare, sicut est statutum illud purae legis positivae, ut in die veneris non comedantur carnes, ita quod si statutum illud auferatur, in nullo die hebdomadae a carnibus abstinendum est regulariter; immo fundatur super edictum generale legis naturae, quod illo edicto positivo ecclesiae specificatur. Edictum enim legis naturae scriptum in tabulis cordium est, quod omnis homo usum rationis habens certis temporibus, aliis negotiis omissis, debeat vacare cultui divino et divinae venerationi.” Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet I, q. 41, ed. R. Macken, 230–231, 9–19. As Henry explains, there are only three possibilities to avoid the rule not to trade on holidays: 1) one can appeal to a pontifical dispensation; 2) one must have the justification to perform something very urgent or an act of charity; 3) one must wait until this law is abrogated. However, the pope cannot do anything against a divine and natural principle, and it is impossible for anything to be more urgent than religious duties; moreover, it is not probable that the law prohibiting commerce on days reserved for the divine cult will be abrogated, as it is based on the natural law. All

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3) In question 32 of ‘Quodlibet’ V, Henry uses the difference between positive, divine and natural law to praise the role of the theologian in the religious and civil society of his time. In particular, the question concerns the practice of the duel. In the text, Henry explains that the human law customarily admits duels. Yet, this practice contradicts the natural law and the divine law (in this text especially these two kinds of law are considered distinct). It is particularly against natural law to intentionally kill someone, and it is against the divine law to expect getting signs from the divine judge as a result of the duel 46. For this reason, it is better for both clergymen and laity not to fight duels; neither of them should allow them. This is also the case, because the human law that permits duels is in fact inequitable; any just law could not tolerate them (as has already been said, every human law is good only if it conforms to the natural law). Moreover, in this text Henry writes that if we are obliged to follow divine law and natural law more than human law, and if the latter should conform to the former, the true guarantor of the legislation consequently is the theologian, because he is the person who, par excellence, acts according to the law of God and the law of nature: “Hic attendendum est: quod in tali quaestione et in consimilibus in quibus aliqua statuunt iura humana de permittendo aliqua fieri vel non fieri simpliciter, aut aliquibus permittunt, aliquibus prohibent aut in quibus aliquid detinetur ex consuetudine: theologi est iudicare quid iuxta statuta divinae legis et naturalis et quid non liceat. Quidquid enim invenit legi divinae et naturali repugnans et contrarium, quacumque lege humana statutum fuerit, sive ut praeceptum, sive ut permissum, debet illud damnare tanquam illicitum, et similiter legem sive statuentem, sive permittentem, et etiam contrariam consuetudinem.” 47

Thus, the theologian (with whom we ought to identify Henry himself) becomes the unique authority of legislation, not only because of his expertise regarding the biblical text, but first of all because he is capable of determining whether or not something is according to nature. In question 24 of ‘Quodlibet’ VII, in a text that again concerns the problem of confession, Henry explains that the juridical matters first of all appertain to jurists and not to theologians. The theologians, on the other hand, will take up questions

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this means that the norm which forbids commerce on Sundays is quite invariable. Cf. also Marmursztejn, Loi ancienne, loi nouvelle et normes chrétiennes dans la théologie scolastique du XIIIe siècle (nt. 2), 529–530. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet V, q. 32, ed. J. Badius, 110vP–111rP: “Unde quia contra praeceptum legis naturae est quo ad effectum et intentionem occidendi, et expresse contra praeceptum legis divinae est quo ad intentionem signo sensibili propria suspitione divinum iudicium experiendi; igitur nulla lex iusta fieri duellum permittit, aut permittere potest, nec cuiusque auctoritate, aut quacumque consuetudine contraria diutissime observata licite potest pugnari per duellum: immo quicumque in duello pugnant et quicumque ei auctoritatem, consilium, auxilium, favorem, aut permissionem praestant, cum possint impedire, participes sunt homicidi, et mortaliter peccant.” Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet V, q. 32, ed. J. Badius, 210rL.

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of justice if this justice concerns divine and natural law 48. However, as a result of Henry’s juridical theory that good human law is based on divine (and natural law) 49, the theologian becomes the authentic legislator of municipal affairs as well. The image of the theologian that arises from these texts is once again one that pictures him as someone who is required more than any other (even than the pope) 50 to deliberate on ethics, and decide which conduct to adopt, thus extending his field of responsibility also to practical life. What we have just said often appears in Henry’s texts, in which he ends up judging a number of historical and significant events: naming only a few, we can think of his response to the events of Saint John d’Acre in 129151, the miracle of the bleeding host of 1290 in Paris52, the burial of the body of Philip III, king of France53, and the like; he even gets to judge the power of the lay princes and the power of the pope, especially, as we have seen, with regard to the sacraments54. Conclusions Although Henry’s texts lack a systematic elaboration of a legal theory, we should keep in mind that – through the examples that can be found especially in his ‘Quodlibeta’ – there is a clearly sketched legal doctrine. All what we know about Henry of Ghent’s theory of law seems to be reduced to the difference between divine and natural law on the one hand and positive law on the other. In contrast to Thomas Aquinas, Henry does not clearly distinguish between divine law and natural law: sometimes, these two kinds of law appear to be on different levels (‘Quodlibet’ V, q. 32), or they seem independent from each

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Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet VII, q. 24, ed. G. Wilson, 175, 33–37: “Dicendum quod quaestio ista iuris est, et potius pertinet ad iuristas, qui vim papalium rescriptorum sive privilegiorum, et clausularum in ipsis positarum, ex regulis super hoc in iure conscriptis cognoscere debent, quam ad theologos, qui proprie non debent considerare in quaestionibus iuris, nisi quod pertinet ad ius divinum et naturae.” Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet II, q. 16, ed. R. Macken, 104, 66–70. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet V, q. 36, ed. J. Badius, fol. 212vA: “[...] etiam ut ecclesia contra instituta Apostolorum et concilia generalia in eis quae non statuerunt secundum praecepta evangelica vel scripta, vel secundum quod ea a Christo audierunt observata, possit dispensare et addere vel subtrahere et immutare, nihil tamen horum potest contra instituta legis naturae et divinae.” Cf. de Lagarde, La naissance de l’esprit laïque (nt. 9), 187. Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet XV, q. 16: “Utrum miles irruens praevolando consortes suos in hostium exercitum faciat opus magnanimitatis.” Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet XIV, q. 15: “Utrum Iudaeus pungens hostiam consecratam, qui videns sanguine emergente ex puncturis ipsam rubescere, et viso miraculo convertitur et baptizatur, debeat pro isto delicto puniri a iustitia publica.” Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet IX, q. 12: “Utrum qui sepelivit in sua Ecclesia partem corporis illius qui elegit alibi sepulturam corporis sui simpliciter, teneatur partem illam restituere, et illi apud quos fuit sepultura pro corpore simpliciter, teneantur illam repetere.” Cf. Henricus de Gandavo, Quodlibet V, q. 36.

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other, also because in some texts Henry only refers to natural law and does not mention divine law at all (like in q. 26 of ‘Quodlibet’ IX). Taking these considerations into account, we also have to say that in Henry of Ghent’s works the divine law and natural law are most of the time explicitly identified (‘Quodlibet’ II, q. 16), and frequently quoted together (‘Quodlibet’ V, q. 36; ‘Quodlibet’ XII, q. 31). Like any other medieval thinker, Henry also derives good positive law from natural law and divine law; every time that the positive law contradicts the divine and natural law, we should follow, according to Henry, the latter. What is new in Henry’s works (compared to those of his contemporaries) is the use he makes of the two different kinds of law. He highlights the difference between divine/natural law and positive law in order to defend what is today called the human rights. For instance, he disapproves of the use of torture in juridical inquiries and the applicability of the death sentence. Natural law always tells us to respect the life of a human being, even if this person is condemned to death. Moreover, using the tension between divine/natural and positive law Henry ends up assigning to the theologian an extraordinary “normative power” – to use an expression by Elsa Marmursztejn55. This has two consequences: 1) The pope cannot decide anything concerning positive law (both civil and canonical) that is against the course of divine/natural law (even if occasionally); if he would act in this sense (through the absolute power of his will), as the case of his privilegium concerning confession has shown, he might commit a sin. 2) The theologian is then the true adherent of both the divine/natural and the human law; in his actions, he sticks to the divine and natural law better than anyone else. Moreover, if positive law does not depend on the ruler’s will, but has to be in conformity with the divine and natural law, it consequently follows that it is first and foremost the theologian’s obligation (even in the light of papal sovereignty) to establish what is right and what is not, also with regard to the public law. In this way, every type of law – not only in the Church, but also in the civil community in which the magister theologiae lives – falls within the theologian’s remit. Therefore, according to Henry, the theologian plays a crucial role and has a specific responsibility within society. 55

Cf. E. Marmursztejn, A Normative Power in the Making: Theological Quodlibeta and the Authority of the Masters at Paris at the End of the Thirteenth Century, in: C. Schabel (ed.), Theological Quodlibeta in the Middle Ages. The Thirteenth Century, Leiden–Boston 2006, 345–402; ead., L’autorité des maîtres. Scolastique, normes et société au XIIIe siècle, Paris 2007; I. P. Wei, The Masters of Theology at the University of Paris in the Late Thirteenth and Early Fourteenth Centuries: An Authority beyond the Schools, in: Bulletin of the John Rylands University Library of Manchester 75 (1993), 37–63; id., The Self-Image of the Masters of Theology at the University of Paris in the Late Thirteenth and Early Fourteenth Centuries, in: Journal of Ecclesiastical History 46/3 (1995), 398–431; id., Intellectual Culture in Medieval Paris: Theologians and the University, c.1100–1330, Cambridge 2012, ch. 3 (“The University of Paris in the thirteenth century”).

Lex libertatis und ius naturale Freiheitsgesetz und Naturrechtslehre bei Wilhelm von Ockham A E (Berlin) Lex itaque libertatis lex caritatis est 1 Lex christiana est lex perfecte libertatis 2

I. Einleitung Das Verhältnis der lex libertatis zur Instanz des göttlichen Gesetzes (lex divina) bzw. des natürlichen Rechts (ius naturale/lex naturae) ist in den politischen Schriften Wilhelms von Ockham von zentraler Bedeutung. Mit der Aufnahme naturrechtlicher Argumentationsgrundlagen gewinnt Ockham Instrumentarien, um rigide Kritik an politischer Machtanmaßung und Herrschergewalt zu üben. Die Engführung von Ansätzen des antiken Naturrechtsdenkens mit der evangelischen Freiheitslehre fundiert die Sozialphilosophie3 und entfaltet individualethische Geltungsdimensionen. Ockhams Berufung auf ein ius naturale entspringt nicht nur einer „Gelegenheitsproblematik“ 4 bzw. fungiert nicht allein als „tactical device“ 5 im Kontext historisch-politischer Konflikte. In Verschränkung mit der lex libertatis, dem Freiheitsgesetz des Evangeliums, wird die systematische Frage aufgeworfen, wie sich eine philosophische Begründung sittlicher Freiheit über eine Grundlegung in naturrechtlich bestimmten, allgemeinen Vernunftnormen mit den Voraussetzungen der Ockham’schen Theologie, insbesondere in Hinsicht auf die absolute Freiheit Gottes, vereinbaren läßt 6. In Hinführung auf diese Problematik sei das Augenmerk im Folgenden auf die christologischen Implikationen der lex evangelica (lex libertatis, lex Christi ) gelegt.

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A. Augustinus, Epistulae III 167, 19, ed. A. Goldbacher (CSEL 44), Wien–Leipzig 1904, 606. Guillelmus de Ockham, Dialogus de imperio et pontificia potestate, ed. Trechsel, III Dial. I i, c. 6 (Opera Plurima, vol. 1), Lyon 1494–96 [Neudruck. Farnborough 1962], 183rb. J. Miethke, Ockhams Weg zur Sozialphilosophie, Berlin 1969. W. Kölmel, Das Naturrecht bei Wilhelm von Ockham, in: Franziskanische Studien 35 (1935), 39–85, cf. 41. Cf. A. St. McGrade, The Political Thought of William of Ockham. Personal and Institutional Principles, Cambridge (UK) 1974, 176. Zur Diskussion McGrade, Political Thought (nt. 5), 175; F. Oakley, Medieval Theories of Natural Law. William of Ockham and the significance of the voluntarist tradition, in: Natural Law Forum 6 (1961), 65–83.

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Ockham greift in seiner Auseinandersetzung mit naturrechtlichen Fragen neben dem ‚Decretum Gratiani‘ bzw. den Dekretalen zum ‚Corpus iuris canonici‘ – Textbestände, über die er auf eine Fülle biblischer Referenzquellen wie Kirchenväterzeugnisse rekurriert – auf die praktische Philosophie des Aristoteles zurück, deren naturrechtliche Grundlegung im 13. Jahrhundert größte Bedeutung gewinnt. Parallel zu diesem Prozess läßt sich eine intensivierte Auseinandersetzung mit römisch-stoischen Naturrechtstheorien in christlichen Aneignungsformen, so etwa über die Schriften der Kirchenväter, beobachten 7. Ockham entwickelt keine systematisch geschlossene Theorie zum Naturrecht bzw. göttlichen Recht/Gesetz und bietet keine begrifflich scharfe Differenzierung von Geltungsebenen an, wie sie etwa Thomas von Aquin in Hinsicht auf die Distinktion von lex aeterna – lex naturalis – lex divina bis hin zu den unterschiedlichen Reichweiten positiven Rechts geleistet hat8. Fragen der Legitimität politischer Herrschaft, der Machtbefugnis des Papstes, der Streit um die paupertas evangelica, das Eintreten für die Selbstbestimmungsrechte des Franziskanerordens, aber auch der gegen Ockham erhobene Häresievorwurf (Pelagianismusverdacht) grundieren ein realpolitisches Argumentationsinteresse. Im Kontext kirchenrechtlicher Auseinandersetzungen mit Naturrechtsfragen verhandelt Ockham ethische Grundsätze und entfaltet eine Theorie menschlichen Handelns nach Gesetzen der praktischen Vernunft, beruhend auf sittlicher Einsichts- und Urteilsfähigkeit kraft der natürlichen Vernunft (recta ratio). Die Rolle des Vernunftgebrauchs bzw. der recta ratio markiert eine Scharnierstelle zwischen Ockhams theologischen und politisch-naturrechtlichen Schriften. Es ist dafür argumentiert worden, daß Ockham gerade über seine Berufung auf das Naturrecht als allen Menschen gemeinsame sittliche Vernunft von einer moralischen Einsichts- und Handlungsfähigkeit Nichtgläubiger ausgeht, wenngleich unter der Einschränkung, daß allein im Glauben die Einsicht in den göttlichen Geltungsgrund des sittlichen Vernunftgesetzes gegeben ist 9. Die willentliche Zustimmung zu dem qua Vernunfteinsicht sittlich Richtigen als Bedingung moralischen Handelns weist auf die Rolle des Glaubens zurück10. Hier greift die Bestimmung der lex libertatis.

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Cf. D. E. Luscombe/G. R. Evans, The Twelfth Century Renaissance, in: J. H. Burns (ed.), The Cambridge History of Medieval Political Thought, c. 350–c.1450, Cambridge (UK) 1988, 311–313. Cf. S. Thomae Aquinatis Doctoris Angelici Summa Theologiae, I–II, q. 91–108, ed. P. Caramello, Turin–Rom 1952, sowie den Beitrag von A. Speer in diesem Band. Cf. J. P. Beckmann, Wilhelm Ockham München 1995, 153. Zur Differenzierung zwischen natürlichen und christlichen Tugenden cf. Ockham, Principium Bibliae sive Quaestio de connexione virtutum, edd. G. I. Etzkorn/F. E. Kelley /J. C. Wey (Opera theologica [= OTh], vol. 8, Quaestiones variae), St. Bonaventure NY 1984, 321-407. Cf. S. Müller, Handeln in einer kontingenten Welt. Zu Begriff und Bedeutung der rechten Vernunft (recta ratio) bei Wilhelm von Ockham (Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie 18), Tübingen/Basel 2000, 128sqq.

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II. Geistesg eschichtliche Rahmenbedingung en: Christologie und natürliches Recht Daß das Gesetz Christi ein Gesetz vervollkommneter Freiheit ist, betont Ockham in seinen politischen Schriften wiederholt in Rekurs auf eine Formulierung aus dem Brief des Jakobus (Jak I 25). Wenngleich in realpolitische Begründungsinteressen eingebunden, artikuliert sich hier ein grundsätzlicher moralphilosophischer Anspruch: Die Gewährleistung eines Freiraums sittlicher Selbstbestimmung, der erst die Verfolgung der via perfectionis, ein tugendhaftes Leben in Nachfolge Christi ermöglicht. Diese Bedingungen umgreifen im Sinne einer „doctrina perfecta moralis“11 die freiheitliche Bestimmung in inneren wie äußeren Akten12. Die lex libertatis weist für Ockham nicht nur auf eine geistliche, innere Freiheit, sondern impliziert lebensweltliche, sozialethische wie politische Forderungen. Denn wenn die komparative Aussage des Jakobus gilt, dann muß sich die von Christus eingesetzte lex libertatis gegenüber dem Gesetz des Alten Bundes als Befähigung zur Entwicklung einer fortschreitenden Tugendhaftigkeit in Entfaltung einer in der menschlichen Natur angelegten sittlichen Freiheit ausweisen, die auf eine Vervollkommnung in inneren wie äußeren Tugendakten angelegt ist und so Fragen der Lebensführung wie der Sozialität umgreift13. „Lex evangelica est perfectissima; ergo docet extremos gradus virtutum.“14 Eine Auseinandersetzung mit Naturrechtslehren, dem Geltungsanspruch und der Begründungsleistung eines ius naturale bzw. einer lex naturae im Verhältnis zur positiven Rechtssetzung einerseits (ius gentium, ius civile), zu einer metaphysisch gefaßten, theologischen Rechtsnorm andererseits (ius divinum, lex divina bzw. aeterna) nimmt in philosophisch-theologischen Debatten der Scholastik breiten Raum ein. Bevor das für die scholastische Begriffsprägung grundlegende ‚Corpus iuris civilis‘ in den akademischen Schulbetrieb Eingang gefunden hat, sind es die ‚Etymologiarum libri XX‘ Isidors von Sevilla, über die Grundlagen der römischen Rechtslehre in die mittelalterliche Terminologie Aufnahme finden. Isidor bestimmt das Naturrecht über einen natürlichen Instinkt als etwas allen Nationen Gemeinsames, eine allgemeine Norm unabhängig von menschlichen Setzungen: „Ius natu11

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Ockham, Opus nonaginta dierum [= OND], c. 23, edd. R. F. Bennett/H. S. Offler, (Guillelmi de Ockham, Opera Politica [= OPol], vol. 2), Manchester 1963, 469. „Cuiuslibet doctrinae perfectae moralis est docere qualiter tam actus interiores quam exteriores virtuosus debeat exercere. Sed doctrina evangelica, prout tractat de paupertate, est doctrina perfecta moralis; ergo non tantum docet qualiter quis debeat esse pauper quantum ad actum interiorem, sciliect quantum ad praeparationem animi, sed etiam quantum ad opus exterius, scilicet quantum ad carentiam temporalium rerum.“ Ockham verweist immer wieder auf diese Stelle aus dem Jakobusbrief und die darin angelegte Forderung nach einem Handeln gemäß dem evangelischen Gesetz, in dem sich das alte Gesetz erfüllt: in tätiger Gottes- und Nächstenliebe. Jak 2, 12: „sic loquimini et sic facite sicut per legem libertatis incipientes iudicari.“ OND, c. 23 (nt. 11), 469: „Nam, sicut lex evangelica est quodam modo perfectior veteri lege, ita paupertas evangelica aliquid perfectionis addit ultra perfectionem paupertatis antiquorum patrum.“ Ibid., 470.

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rale commune omnium nationum, et quod ubique instinctu naturae, non constitutione aliqua habetur “15. Dieses natürliche Recht aller umfaßt den gemeinsamen Besitz aller Dinge und eine gleiche Freiheit aller sowie das gemeinsame Gebrauchsrecht in bezug auf alle Naturgüter. In Unterscheidung von positiven Gesetzen16 ist das göttliche, heilige Recht (fas, lex divina) von Natur, während menschliche Gesetzgebungen auf sittliche Konventionen zurückgehen17. Wie sich dieser römischstoische Hintergrund der Rechts- bzw. Gesetzesdefinition zu den theologischen Begriffen einer lex Moysi bzw. lex evangelica verhält, deutet sich über Isidors Auffassung des dreieinigen Gottes an. Ist die Person des Sohnes als Sapientia Inbegriff eines Offenbarwerdens der göttlichen Weisheit in Christus, so wirkt die divine Weisheit im inspirierten Wortlaut der Schrift kraft des Spiritus Sanctus. Als Caritas gefaßt bewirkt der Geist die Gott-Mensch-Beziehung („quia in nobis id agit ut in Deo maneamus, et ipse in nobis“)18. Dies ist die Brücke zum theologisch interpretierten Gesetzesbegriff: Vermittels der Caritas wird das Gesetz in die Seele eingeschrieben. „War der Sohn manus Dei, so ist der Geist digitus Dei und spiritale signaculum nicht zuletzt deswegen, weil digito Dei scripta est lex, nicht nur in tabulis, sondern auch – Isidor würde dem zugestimmt haben – in cordibus“ 19. Mit der christlichen Interpretation eines göttlichen rechtsetzenden Schöpfungshandelns wird die Verankerung der lex naturae in einer lex divina als theonom begründete Einschreibung des Rechtsbewußtseins in der menschlichen Natur zum Allgemeingut. Im ‚Decretum Gratiani‘ finden wir eine Zusammenführung von ius naturae und lex evangelii, die für die scholastische Tradition einschlägig wird – so auch für die Philosophie Ockhams. In direkter Anknüpfung an Isidors Definitionen wird in der ersten Distinktion des ‚Decretum Gratiani‘ 20 formuliert: „Ius naturae est, quod in lege et evangelio continetur, quo quisque iubetur alii facere quod sibi uult fieri, et prohibetur alii inferre, quod sibi nolit fieri“ 21. Daß die göttliche Rechtsetzung des alten und neuen Bundes das Naturrecht umfaßt, begründet Gratian mit einem Verweis auf die von Christus ausgesprochene Goldene Regel (Matth 7, 12): „Unde Christus in euangelio: ‚Omnia quecunque uultis ut faciant uobis homines, et uos eadem facite illis. Haec est enim lex et prophetae.‘“ 22. Gratian führt ius naturale und divinum eng 15 16 17 18 19 20

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Isidor, Etymologiae, V, 4, in: Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive originum libri XX, ed. W. M. Lindsay, 2 vol., Oxford 1911 [Neudruck 1957], vol. 1, I–X, ohne Paginierung. Ibid., V, 5. Ibid., V, 2. Cf. ibid., VI, 2, 12 und VI, 3, 18 sowie als das Gesetz gebender digitus dei VII, 3, 21–22. Cf. U. A. Wolf, Ius divinum. Erwägungen zur Rechtsgeschichte und Rechtsgestaltung (Ius ecclesiasticum 11), München 1970, 61 in bezug auf Isidor, Etymologiae, VII, 3, 21–23. Corpus Iuris Canonici. Editio Lipsiensis secunda. Post Aemilii Ludouici Richteri curas ad librorum manu scriptorum et editionis Romanae fidem recognouit et adnotatione critica instruxit Aemilius Friedberg. Pars prior: Decretum Magistri Gratiani, Leipzig 1879 [Neudruck Graz 1955]. Zu abweichenden Formulierungen die Editio Romana: Decretum Gratiani, emendatum et variis electionibus simul et notationibus illustratum Gregorii XIII Pont. Max. jussu editum; post justi Henningii Boehmeri curas ed. J.-P. Migne (PL 187), Paris 1891, 29A. Decretum Gratiani dist. I, ante c. I; ed. Friedberg, 1; PL 187, 29A. Ibid.

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zusammen23, er legt den Akzent auf eine gesetzliche Norm sittlichen Handelns, die sowohl unter dem Namen des göttlich gesetzten wie des natürlichen Gesetzes verbürgt wird und betont damit eine Instanz, deren Geltungsstatus er von positiven, sei es kirchlichen oder säkularen Gesetzen, strikt scheidet. Kriterium für das Primat des ius naturale ist die unveränderliche Gültigkeit seit Anbeginn der Erschaffung der vernunftfähigen Kreatur 24. Die Setzung, sowohl das alttestamentliche Gesetz als auch das Evangelium beinhalte das unveränderliche ius naturale, scheint in Hinsicht auf abweichende Gesetzesvorschriften des AT bzw. deren Modifikation im NT in Frage gestellt. „In lege et in euangelio naturale ius continetur; non tamen quecunque in lege et euangelio inueniuntur, naturali iuri coherere probantur.“25 Gratian differenziert in Hinsicht auf die Gesetzesvorschriften des AT zwischen moralischen Vorschriften, die sich am ius naturale orientieren und unveränderlich gelten, und mystischen Anweisungen, die sich zwar in ihrer nach außen tretenden Durchführung als veränderlich darstellen, gemäß der inhärenten intelligentia moralis aber in Übereinstimmung mit dem ius naturale stehen 26. Über die heilsgeschichtliche Historisierung biblisch verbürgter Gesetzesvorschriften kann die grundlegende Immutabilität des natürlichen Rechtes bestätigt werden 27. Entscheidend für die Argumentation Ockhams ist die Betonung eines unveränderlichen Rechtsgrundes, um das Gesetz des Evangeliums und das Naturrecht (natürliches Vernunftrecht) parallel zu führen und von Gesetzesvorschriften aus Gewohnheit oder auch menschlicher Einsetzung abgrenzen zu können. Denn wie Gratian darlegt, sind nach dem natürlichen Recht alle Dinge allen Menschen gemeinsam, d. h. es gibt keinen Privatbesitz sondern ein gemeinschaftliches Nutzungsrecht aller Güter, eine Auffassung, die der Platonischen Auffassung eines idealen politischen Gemeinwesens, „illa civitas justissime ordinata“, zugrundeliege. Ockham sucht vor diesem Hintergrund zu begründen, daß Besitzverhältnisse und -ansprüche Resultat eines historischen Prozesses sind. Die rechtliche Unterscheidung von Mein und Dein gilt, so hält es Gratian fest, kraft menschlicher Setzung 23

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Für Gratian wird aus der Begriffsbestimmung Isidors evident, wie sich göttliches/natürliches und menschliches Gesetz unterscheiden. Cf. ibid., dist. I, post c. I; ed. Frieberg, 1; PL 187, 29B: „differant inter se lex diuina et humana, cum omne quod fas est, nomine diuinae uel naturalis legis accipiatur, nomine uero legis humanae mores iure conscripti et traditi intelligantur.“ Ibid., dist. V, ante c. I; ed. Friedberg, 7; PL 187, 37B: „Naturale ius inter omnia primatum obtinet et tempore et dignitate. Cepit enim ab exordio rationalis creaturae, nec uariatur tempore, sed immutabile permanet.“ Ibid., dist. VI, post c. III; ed. Friedberg, 11, PL 187, 42B. Cf. St. Chodorow, Christian Political Theory and Church Politics in the Mid-Twelfth Century. The Ecclesiology of Gratians Decretum, Berkeley e. a. 1972, 103 sqq. Ibid., dist. VI, post c. III; ed. Friedberg, 11; PL 187, 42 B–C. Gratian beruft sich auf Augustin: Wenn „Gott in Anbetracht der geschichtlichen Lage (pro temporalibus causis) der Menschen damals und denen heute je andere Weisungen gab“, stehen doch „beide im Dienst der nämlichen Gerechtigkeit“, d. h. einer allumfassenden, zeitenübergreifenden, unveränderlichen Gerechtigkeit, die „dennoch den wechselnden Zeiten nicht alles zugleich sondern jeder das ihrige zuweist und vorschreibt.“ Cf. Augustinus, Confessiones, III, 7, 13, edd. M. Skutella/L. Verheijen (CCSL 27), Turnhout 1981, 34; id., Bekenntnisse, ed. E. L. Grasmück, Frankfurt a. M. 1987, 119sqq.

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(consuetudo vel constitutio). „Iure divino omnia sunt communia omnibus: iure vero constitutionis hoc meum, illud alterius est.“ Augustin kann hierfür als Autorität aufgerufen werden28. Die naturrechtliche Dekonstruktion von individualisierten wie herrschaftsbezogenen Eigentums- und Besitzverhältnissen bietet Ockham eine Argumentationsgrundlage, die nicht nur zur Verteidigung des franziskanischen Armutsideals herangezogen werden kann. Sie wird zur Basis einer kritischen Infragestellung menschlicher Rechtsetzungen am Maßstab einer überzeitlichen, göttlichen respektive natürlichen Rechtsnorm. Über die weitgehende Konsonanz von Vernunftrecht und Offenbarungslehre werden Rechtsansprüche höherer Geltung einklagbar. Nicht zuletzt stützen die naturrechtlichen Grundlagen die christlich-utopische Vorstellung eines Lebensmodells in perfekter Tugendhaftigkeit – eine Kirche der Gläubigen, an der sich die institutionellen realhistorischen Ausprägungen messen lassen müssen29. III. Geltungsebenen natürlichen Rechts: modi iuris naturalis Gratians auf Augustin gestützte Argumentation für die Prävalenz des göttlichen bzw. natürlichen Rechts findet in Ockhams Distinktion von Ebenen des natürlichen Rechts ihren Niederschlag 30 in einer Ausweitung des göttlichen Rechts auf das gesamte Naturrecht („extendendo ius divinum ad omne ius naturale“) 31. Ockham setzt beide Geltungsquellen (ius divinum, ius naturale) keineswegs gleich. Zum einen ist das natürliche Recht ein ius divinum, sofern es durch Gott, den Schöpfer der Natur, gegeben ist. Zum anderen ist die Ausweitung des ius divinum auf das ius naturale für Ockham gerechtfertigt, sofern er in allen heiligen Schriften explizit oder implizit Grundsätze des natürlichen Rechts enthalten sieht: allgemeine Vernunftmaßstäbe (regulae generales), die auf unterschiedliche heilsgeschichtliche Stadien und Verfaßtheiten menschlicher Gemeinschaft angelegt werden können. Die Grundlegung eines rational einsichtigen Vernunftgesetzes in Gott wird zum normativen Maßstab der theologischen Anthropologie wie praktischen Philosophie. Unter dieser Voraussetzung kann Ockham eine Extension des ius divinum auf das natürliche Recht nach drei differenten Modi, „propter tres modos iuris naturalis“, behaupten.

28

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Decretum Gratiani, dist. VIII, ante c. I.–c. I (nt. 20), ed. Friedberg, 12; PL 187, 43C. In Bezug auf Augustinus, In Johannis Evangelium Tractatus CXXIV, Tract. VI, cap. 1, 25, ed. R. Willems (CCSL 36), Turnhout 1954, 66: „Diuinum ius in scripturis habemus, humanum ius in legibus regum. Vnde quisque possidet quod possidet? nonne jure humano? Nam iure divino….Iure tamen humano dicit: Haec uilla mea est, haec domus mea, hic seruus meus est. Iure ergo humano, jure imperatorum. Quare? Quia ipsa iura humana per imperatores et reges saeculi Deus distribuit generi humano.“ Zum Begriff der Kirche als ecclesia universalis cf. Miethke, Sozialphilosophie (nt. 3), 289sqq. Cf. Ockham, III Dial., II, iii, c. 6 (nt. 2), 263ra–264rb. Zitate nach der kritischen Edition dieses Passus von H. S. Offler, The Three Modes of Natural Law in Ockham. A Revision of the Text, in: Franciscan Studies 37 (1977), 207–218, op. cit., 212.

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1. Im ersten Modus ist Naturrecht bestimmt über die Konformität mit der natürlichen Vernunft (ratio naturalis), d. h. als Ausdruck eines unveränderlichen Vernunftgebotes, das in Hinsicht auf allgemeine Regeln sittlicher Vernunft kongruent ist mit dem, was die heiligen Schriften als ius divinum/lex divina offenbaren. Ockham deutet den stoischen Naturinstinkt im Sinne eines der rationalen Seele innewohnenden, unveränderlich gültigen Vernunftrechts, das jedem Menschen qua Schöpfung selbsteinsichtig und unverfehlbar gegeben ist. Dieser göttliche Geltungsgrund, das Sittengesetz als Verpflichtung aus natürlicher Vernunft, artikuliert sich auch in den moralischen Gesetzen des Dekalogs. Das natürliche Vernunftrecht ist, soweit es sich um unveränderliche, ohne Ausnahme obligate Vernunftregeln handelt, kongruent mit Gesetz und Evangelium. 2. In einem zweiten Modus wird es als natürliches, zu wahrendes Recht derjenigen bestimmt, deren Zusammenleben allein auf einer natürlichen Gleichheit/ Billigkeit (aequitas naturalis) beruht. Dieser Rechts-Modus garantiert die gemeinschaftliche Nutzung aller irdischen Güter. Ockham kann sich auf Isidors Definition (communis omnium possesio et omnium una libertas) sowie auf Ps.-Clemens berufen32. Als Vernunftgebot an eine postlapsarische Lebensform richtet er sich als Verpflichtung an eine sittliche wie politische Gemeinschaft von Menschen, sofern diese dem Gebot der natürlichen Vernunft folgen. Das aber heißt: „Si post lapsum omnes homines secundum rationem viverent, omnia deberent esse communia et nichil proprium“. Aneignungsverhältnisse sind Konzessionen an die postlapsarische Ungleichheit. Der zweite Rechts-Modus ist insofern natürlich, als er gegen den ursprünglichen Naturzustand etabliert („contra statum nature institute“) eine natürliche Konsequenz aus der postlapsarischen Verfaßtheit des Menschen ist 33. Ausschlaggebend ist das Bedingungsverhältnis: Wenn alle Menschen nach dem göttlichen bzw. natürlichen Recht leben würden – postlapsarisch müßte man betonen, wenn sie es vermöchten – d. h. allein nach Maßgabe von aequitas und communium omnium possessio, wie es den Naturzustand nach Isidor kennzeichnet 34, dann wäre dieser zweite Modus kein Gegenstand politischer Maßnahmen. Er reflektiert ein natürliches Gebot vernünftigen Zusammenlebens und der Bedürfnisbefriedigung unter den Bedingungen eines heilsgeschichtlich veränderten Zustands der Menschheit. Die überlieferte lateinische Formulierung Ockhams – „quod ideo est naturale: quia est contra statum nature institute“ ist vielfach problematisiert worden35. Folgen wir der quellenkritischen Textrekonstruktion Offlers, dann qualifiziert Ockham hier einen 32

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Bezogen auf Ps.-Clemens, Ep. IV, Delectissimis nach Decretum Gratiani pars 2, causa 12, q. I, c. 1 (nt. 20), ed. Friedberg, 676; PL 187, 882A: „Communis enim usus omnium, quae sunt in hoc mundo, omnibus hominibus esse debuit. Sed per iniquitatem alius hoc dixit esse suum, et alius istud, et sic inter mortales facta est divisio.“ Ockham, III Dial., II, iii, c. 6 (nt. 2), 263ra in der Formulierung der Lyoneser Ausgabe. Dialogus, ed. Offler (nt. 31), 212: „in statu nature institute omnia fuissent communia“. Cf. McGrade, Political Thought, (nt. 5), 179.

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Modus von Vernunftrecht als natürlich, weil das Gegenteil davon sich gegen den Naturzustand (status naturae institutae) richten würde36. Das naturrechtlich verbürgte gemeinsame Nutzungsrecht aller natürlichen Dinge legitimiert sich als generelle Vernunftregel aus einem prälapsarischen Rechtszustand menschlichen Zusammenlebens. In der Tat steht es ganz in Ockhams bzw. der Franziskanischen Argumentationsstrategie, einen Rechtsanspruch auf Gütergemeinschaft und Besitzlosigkeit zu begründen, der sich auf göttliches und natürliches Recht (Offenbarungslehre und Vernunftprinzipien) stützen kann. Lesen wir die problematische Stelle mit Johannes Duns Scotus37, dann tritt die eschatologische Einbettung dieses naturrechtlich grundgelegten Rechtes aller auf alle Güter der Erde bzw. einer gleichen Freiheit aller 38 deutlich hervor. Im Kontext einer Auseinandersetzung mit der Entstehung von Eigentumsverhältnissen kommt Scotus in bezug auf den prälapsarischen Naturzustand gemeinschaftlichen Lebens zu dem Schluß: „quòd lege naturae, vel diuina, non sunt rerum distincta dominia pro statu innocentiae: immò tunc omnia sunt communia“ 39. Die naturrechtliche Gütergemeinschaft bzw. das Nutzungsrecht aller, fernab individueller Besitzansprüche, gilt als Rechtszustand vollkommener Freiheit für den status innocentiae 40. Der von der recta ratio bestimmte Gebrauch von gemeinsamen Dingen vollzieht sich in vollständiger Kongruenz von friedfertigen Zusammenleben und der Gewährleistung notwendiger Bedürfnisbefriedigung jedes Einzelnen. Im Gegensatz dazu der Zustand der postlapsarischen Menschheit: „Secunda conclusio est, quòd illud praeceptum legis naturae, de habendo omnia commmunia, reuocatum est post lapsum“ 41. Vernünftig ist dieser Widerruf angesichts der durch Selbstsucht und Leidenschaften defizienten Vernunftfähigkeit bzw. Gewaltbereitschaft der Menschen untereinander. Das communitas-Ideal des status innocentiae wäre unter den Bedingungen des Sündenfalls geradezu „contra pacificam conuersationem“ und „contra necessariam sustentationem“ 42. Zur Vermeidung von expandierender Zwietracht, sozialer Ungleichheit und zur Sicherung des Lebensnotwendigen ist es durch veränderte Vorschriften abzulösen. Die postlapsarische Festsetzung von Besitzansprüchen und Eigentumsverhältnissen beruht auf menschlicher Setzung. „Tertia conclusio, quòd reuocato isto praecepto legis naturae, de habendo omnia communia, non fiebat 36

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Dialogus, ed. Offler (nt. 31), 212: „Quod ideo dicitur naturale quia contrarium est contra statum nature institute, et si homines viverent secundum rationem naturalem aut legem divinam non esset servandum nec faciendum.“ Johannes Duns Scotus, Quaestiones in Lib. IV Sententiarum, cum commentario R. P. F. Anthonii Hiquaei (Opera Omnia IX), Lyon 1639 [Neudruck Hildesheim–New York 1968], 150sqq.; cf. A. S. Brett, Liberty, Right and Nature. Individual Rights in Later Scholastic Thought, Cambridge UK 2003, 30sq. „communis omnium possessio, et omnium una libertas“ Isidor, Etymologiae, V 4, 1 (nt. 15). Duns Scotus, In Lib. Sent. IV, dist. 15, q. 2, (nt. 37), 151. Belege sind, wie bei Ockham, Gratians Dekret, Augustinus’ Johannes-Traktat, der Brief Dilectissimis des Ps-Clemens, biblische Referenzstellen. Zur Gleichsetzung des „status naturae institutae, seu innocentiae“ cf. ibid., Commentarius, 151. Ibid., In Lib. Sent. IV, Dist. XV, q. 2, 152. Ibid.

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actualis distinctio per legem naturae, nec per diuinam“ 43. Das Ideal einer menschlichen Kommunität („status innocentiae sive legis naturae“ 44) kann von franziskanischer Seite gegen Positionen in Anschlag gebracht werden, die Besitzverhältnisse auf eine paradiesische Einrichtung und damit auf ein ursprüngliches göttliches Recht zurückführen. Auch Ockham führt den status innocentiae mit einem status naturae institutae zusammen, um die historische Entwicklung menschlicher Rechtsverhältnisse von einem ursprünglichen natürlichen Recht abzusetzen. Dem gesamten Menschengeschlecht kommt prälapsarisch die Teilhabe an allen temporalen Gütern kraft eines von Gott verliehenen freien Nutzungsrechts („potestats disponendi et utendi “) aller Dinge zu45. Dieses Recht fällt zusammen mit dem Zustand einer Vernunftnatur, die keinen Neid und keine widervernünftigen Begehrlichkeiten in bezug auf persönliche Inbesitznahme kennt46. In Folge des Sündenfalls muß diese natürliche Form des Zusammenlebens revidiert werden. Die Entstehung von Aneignungsrechten führt Ockham auf göttliches Recht (ius divinum) zurück, sofern die Aneignung temporaler Güter durch göttliches Recht in menschliche Verfügungsgewalt (potestas appropriandi res temporalia) gegeben ist. Eine Maßnahme, um das gute Zusammenleben zu sichern47. Die Frage der Besitzrechte, der entsprechend eingerichteten politischen Ordnung und der postlapsarisch restringierten Einsichtsfähigkeit steht im Horizont einer heilsgeschichtlich gefaßten Anthropologie und impliziert eine Vervollkommnung der sittlichen Vernunftfähigkeit respektive des tugendhaften Handelns in einer Gemeinschaft nach dem Ideal des paradiesischen Naturzustands48. Erst der korrumpierte Zustand des Menschengeschlechtes macht Aneignungsrechte auf temporale Dinge und Sachwalter der Einhaltung von Rechtsverhältnissen notwendig 49. Wenngleich der extendierte Charakter des göttlichen Rechts die postlapsarische Regelungsbedürftigkeit legitimiert, ist das 43 44 45

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Ibid., 156. Zu den Voraussetzungen der Position Michaels von Cesena bzw. der Michaelisten cf. J. Robertson, Ockhams Theory of Property Rights in Context, Leiden 2013, 104. Ockham, Breviloquium de principatu tyrannico, III, 7, in: Wilhelm von Ockham als politischer Denker und sein Breviloquium de principatu tyrannico, ed. R. Scholz (Schriften des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde. Monumenta Germaniae historica 8) Stuttgart 1944 [Neudruck 1952], 126. Ibid.: „Propter hoc enim, quod in eis nulla fuisset avaritia vel contra rationem rectam cupiditas possidendi vel utendi quacumque re temporali, nulla fuisset tunc necessitas vel utilitas habendi proprietatem cuiuscumque rei temporalis.“ Wie Scotus verweist auch Ockham auf die Politik des Aristoteles (Pol., II, 1–4) und die dort begründete Kritik an der Platonischen Konzeption eines politischen Gemeinwesens in Gütergemeinschaft. Cf. Ockham, Breviloquium III 7 (nt. 45), 127: „quia perfecti plus diligunt et curant communia, quam propria“. Ockham, Breviloquium, III, 7, ibid., 128: „Potestas ergo appropriandi res temporales persone et personis aut collegio data est a Deo humano generi; et propter rationem consimilem data est a Deo absque ministerio et cooperatione humana potestas instituendi rectores habentes iurisdictionem temporalem, quia iurisdictio temporalis est de numero illorum, que sunt necessaria et utilia ad bene et politice vivere, teste Salomone, qui ait Prov. ii: Ubi non est gubernator, populus corruet.“

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Resultat, die jeweilige Ausgestaltung der positiven Gesetze zu Eigentumsverhältnissen, wesentlich menschliche Einrichtung. Das Vernunftgebot menschlichen Zusammenlebens, prototypisch verwirklicht im status innocentiae, bleibt Maßstab und Verpflichtung an eine politische Lebensform. Diese idealtypische Norm von aequitas/libertas und communitas ist die Instanz, auf die sich ein kritischer Einspruch gegen menschliche Rechtsetzungen berufen kann, sofern die historisch-pragmatische Umsetzung politischer Verhältnisse dieses göttliche und natürliche Recht verweigert. Ockham geht es nicht um die generelle Forderung nach einer Rückkehr zu christlicher Armut oder urchristlichem Zusammenleben. Wohl aber um die sittliche Freiheit, entsprechend dem ius divinum/naturale eine Lebensform wählen zu können. Die vernunftrechtlichen Konsequenzen aus der postlapsarischen Verfaßtheit menschlichen Zusammenlebens prägen Ockhams Bestimmung eines dritten Modus des ius naturale ex suppositione: Unter der Bedingung, daß individuelle Besitzverhältnisse nach humanem bzw. zivilem Recht gesetzlich geregelt sind 50, verpflichtet ein sittlich unmittelbar gegebenes Vernunftgebot (evidenti rationi ), Besitzansprüche anzuerkennen, Verstöße gegen Eingentumsrechte juristisch zu ahnden 51. Ockham behauptet mit Isidor einen universalen, die Menschheit synchron wie diachron umfassenden Geltungsanspruch von Vernunftgeboten52. Mit der Extension des ius divinum auf alle Modi bzw. heilsgeschichtlichen Verwirklichungsstadien des ius naturale kann Ockham die Kontinuität eines sittlichen Vernunftgesetzes, das schöpfungstheologisch aus Gott abgeleitet ist und zudem seine Geltung als sittlicher Verpflichtungsgrund aus der Kongruenz mit der Offenbarungslehre erhält, behaupten. Wie bei Thomas53 läßt sich so eine Interdependenz, ja Korrespondenz der Genese und Legitimität von weltlichen und geistlichen Rechtsordnungen postulieren. IV. Christologische Implikationen Ockham gewinnt mit dem Zugriff auf Distinktionen des ‚Decretum Gratiani‘ kritisches Potential. Aufgrund seiner Würde und Prävalenz54 wird das Naturrecht zum Prüfstein historischer Rechtssetzungen. „Adversus naturale ius nulli quicquam 50 51 52

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Cf. Dialogus, ed. Offler (nt. 31), 213. Ibid. 215. Ibid.: „Ius naturale est commune omnium nationum etc, intelligitur quod omnes nationes indispensabiliter obligantur ad ipsum; et ideo instintcu nature, hoc est naturalis rationis, que nunquam fallit, habetur.“ Cf. H. G. Walther, Ursprungsdenken und Evolutionsgedanke im Geschichtsbild der Staatstheorien in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, in: A. Zimmermann (ed.), Antiqui und Moderni. Traditionsbewußtsein und Fortschrittsbewußtsein im spätern Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 9), Berlin–New York 1973, 236–261, cf. 246. Decretum Gratiani, dist. 8, pars 2, ante c. II (nt. 20), ed. Friedberg, 23; PL 187, 45B: „Dignitate vero ius naturale simpliciter prevalet consuetudini et constitutioni.“

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agere licet.“ 55 Auch dies wird mit einem Verweis auf Augustinus untermauert, der einen Verstoß gegen die göttliche Gerechtigkeit, und das heißt das neutestamentliche Gebot der Gottes- und Nächstenliebe56, als Verbrechen wider das göttliche Gesetz (lex divina) harsch kritisiert. Gratian ruft christologische Implementierungen des natürlichen Rechts auf, wenn er in Hinsicht auf die Rechtmäßigkeit menschlicher Gesetzesordnungen bzw. die Gehorsamspflicht gegenüber weltlicher Herrschaft jegliche Form der auf consuetudo 57 oder menschliche Konstitution gegründeten Rechtssetzung der Instanz einer göttlichen Wahrheit, genauer der lebendigen Wahrheit Christi nachordnet. „Nam Dominus in euangelio: ‚Ego sum‘, inquit, ‚veritas‘: non dixit: ego sum consuetudo. Itaque ueritate manifestata ueritati cedat consuetudo. … Igitur cum Christus ueritas sit, magis ueritatem, quam consuetudinem sequi debemus, quia consuetudinem ratio et veritas semper excludit.“58 Aufgerufen ist hiermit eine vielzitiertes Diktum, hier übernommen aus Augustins ,De baptismo contra Donatistas‘, das in unterschiedlichen Ausformulierungen über Cyprian, die Sentenzen des Bischofs Libosus Vagensis bis zu Tertullian rückverfolgbar ist 59. Nicht nur das Primat der christologisch gefaßten Wahrheit der Offenbarung (Joh 14,6) gegenüber jeglicher Form von Gewohnheitsrecht (consuetudo) wird hiermit untermauert sondern zugleich die Legitimität kirchenrechtlicher Reformen. Wenn Gratian für den Vorrang der in der Schrift gegebenen Offenbarungswahrheit (scripturae veritas) gegenüber innerweltlichen Rechtsetzungen argumentiert 60, zielt er auf den Ausweis, daß die in den kanonischen Schriften des AT und NT offenbarten Weisungen als Ausdruck der lex bzw. voluntas divina mit dem, was das ius naturale vorschreibt, konvergieren61. Mit der christologischen, offenbarungstheologischen Fundierung des Naturrechts entzieht sich das ius naturale einer Verhandelbarkeit und wird als divine Norm über Gewohnheitsrechte gesetzt. „Liquido igitur apparet, quod consuetudo naturali iuri postponitur.“ 62 Gratian sucht mit seiner Beweisführung für eine göttliche Willens- und Vernunftoffenbarung in den kanonischen Schriften gerade die Rechtfertigung des Hoheits55 56 57

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Ibid. Cf. Augustinus, Confessiones, III 8, 15, edd. M. Skutella/L. Verheijen (CCSL 27); Mk 12, 30sq.; Mt 22, 37– 39. Zu Augustins Unterscheidung von consuetudo und lex divina: Die „wahre innere Gerechtigkeit“ (iustitia vera interior), Ausdruck der Gottebenbildlichkeit des Menschen, urteilt nicht nach Gewohnheitsrechten (consuetudo), sondern nach dem „allein richtigen Gesetz des allmächtigen Gottes (ex lege rectissima dei omnipotentis), durch das die Sitten der Länder und der Zeiten je nach Ländern und Zeiten verschieden sich gestalten sollten, während es selbst überall und immer als das gleiche zugegen ist, nicht anderswo anders, noch ein andermal anders, ein Gesetz“. Cf. Confess., III, 7, 13 (nt. 27), edd. M. Skutella/L. Verheijen (CCL 27), 62; ed. Grasmück, 117. Decretum Gratiani, dist. 8, post c. VI (nt. 20), ed. Friedberg, 17; PL 187, 46 C-47A. Cf. Augustinus, De baptismo contra Donatistas, III, 8, ed. M. Petschenig (CSEL 51), Prag– Wien–Leipzig 1908, [Neudruck 1963], 204. Zur Frage der Gleichsetzung von ius naturale und lex divina bei Gratian cf. Wolf, Ius divinum (nt. 21), 57sqq. Decrectum Gratiani, dist. IX, c. XI (nt. 20), PL 187, 52B. Decretum Gratiani, dist. VIII, post c. IX, ibid. PL 187, 48B.

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anspruchs ekklesiastischer Einrichtungen (constitutiones ecclesiasticae) nach Maßgabe der päpstlichen Amtsgewalt zu stützen. Es mag an dieser Stelle und im Blick auf Ockham genügen, darauf hinzuweisen, daß in der Auslegung dieses Passus Reform-, ja Sprengpotential steckt. Die kanonischen Schriften als Ausdruck göttlichen Willens wie eines theonomen Vernunftrechts von Natur lassen sich ebenso gegen historisch gewachsene, etwa papstkirchliche Rechtssetzungen in Stellung bringen. Ockham kann genau hier anknüpfen. Die Zusammenführung des Naturrechtsgedankens mit einem offenbarungstheologisch verbürgten Anspruch der Veritas Christi verleiht den heiligen Schriften einen Wahrheitsanspruch, der über Autoritäts- oder Gewohnheitsrechte hinausweist. Mit der Akzentuierung des ius naturale wird eine Vernünftigkeit der göttlichen Willensoffenbarung begründet, die – dies wird bei Ockham als Problem virulent – unter den Bedingungen der Begrenztheit menschlicher Einsichtsfähigkeit in die offenbarten Weisungen Gottes bzw. einer Kontingenz der geschöpflichen Welt de potendia ordinata auf immanenten Vernunftprinzipien der Ordnungshaftigkeit (rationabilitas) und Widerspruchslosigkeit beruht. Die Anerkennung einer prinzipiellen Vernünftigkeit der göttlichen Willensoffenbarung wird gewährleistet über die recta ratio. V. Lex caelestis – Lex nova Die theologische Verschränkung eines Prinzips sittlicher Vernunfteinsicht (recta ratio) als Bedingung der Einsicht in eine divine, überzeitliche, unveränderliche Norm von Gerechtigkeit (lex divina bzw. aeterna) mit einem voluntativen Prinzip (caritas), der Bindung an den göttlichen Willen im Glauben, führt auf eine zweite Voraussetzungsebene: Die von den frühen Kirchenvätern vorgenommene christliche Transformation des stoischen ius naturale im Sinne einer überzeitlichen aeterna lex stellt das göttliche Gesetz als Gerechtigkeitsnorm über alle positiven Rechtsetzungen. Die Relevanz der christologischen Reformulierung des Naturrechtsgedankens sei an zwei zentralen Positionen, Laktanz und Augustin, exemplarisch skizziert. In den ,Divinae institutiones‘ weist Laktanz auf eine lex caelestis bzw. sancta, die er Cicero verdanke. Es ist die berühmte Stelle aus ,De republica‘ III 33, die Laktanz einer kritischen Revision unterzieht, um in christlicher Neubegründung zu zeigen, daß diese lex caelestis sich in der göttlichen Sapientia/Christus offenbart. Cicero folgend werden Momente greifbar, die auch für Ockham grundlegend sind: die in der stoischen Logosphilosophie verankerte Setzung einer vera lex als unveränderliche, von allen geteilte, mit der Natur kongruente Gesetzesnorm (lex naturae bzw. lex aeterna) und die Auffasung, diese überzeitliche Vernunftnorm kennzeichne als rechte oder auch vollendete Vernunft den Weisen (recta bzw. perfecta ratio, ratio sapientis)63. Über Laktanz bestimmen Ansätze einer stoisch fundierten Moralphilo-

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Cf. Cicero. De legibus, I, 27; II, 8–13; De natura deorum, I, 36; De officiis, III, 31sowie De re publica, III, 33.

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sophie die Aneignung bei den Kirchenvätern wie in enzyklopädischen oder rechtstheoretischen Texten (Corpus iuris civilis bzw. canonici ). Das göttliche Gesetz, die höchste Weisheit und Gerechtigkeit Gottes, wird der naturrechtlichen Bestimmung einer dem Menschen gegebenen Anlage zur Entfaltung seiner sittlichen Vernunftfähigkeit und Freiheit nach stoischem Verständnis vorgeordnet 64. Laktanz greift immer wieder auf Cicero bzw. auf Ansätze der antiken Philosophie zurück, deutet naturrechtliche Bestimmungen um65 und verwirft die sittliche Vernunft philosophischer Lehren aufgrund der Verkennung der Voraussetzungen wahrhafter Gerechtigkeit. Erst der christliche Gottesglaube stützt eine Gerechtigkeit, die ihren Ursprung in der Religion, ihre Basis in der menschlichen Gleichheit haben muß: in pietas und aequitas 66. Gottes- und Menschenliebe als Voraussetzung wahrhafter Gerechtigkeit bzw. des Inbegriffs der Tugendhaftigkeit weisen auf die christologische Fundierung. Kraft des Erlösungsgeschehens Christi, der durch die sapientia dei an Gott rückgebundenen Menschheit, kann die von Gott abgefallene Menschheit wieder auf die lex dei zurückgeführt werden.67 Die biblische Offenbarungslehre umfaßt die grundlegenden Anforderungen: Gottes- und Nächstenliebe, die dem Menschen nur kraft der sich offenbarenden Weisheit zuteil werden (Matth. 22, 36–40) 68. Der Sapientia-Begriff ist Angelpunkt einer nur im und aus dem Glauben zu verwirklichenden Ethik69. Ciceros naturrechtliche Bestimmung eines immerwährenden, göttlichen Vernunftgesetzes (lex dei bzw. aeterna), deren einzig erhaltene Überlieferung Laktanz zu verdanken ist 70, kann als „lex dei … illa sancta, illa caelestis“ christlich gedeutet und dem Verfügungsbereich der Philosophie entzogen werden71: „legis caput primum est ipsum deum nosse“ 72. Ohne pietas bzw. religio, ohne das Wissen um den göttlichen Geltungsgrund der sittlichen Vernunftgesetze sind selbst die

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Cf. Laktanz, Divinae Institutiones, III, 26, 12 f., edd. S. Brandt/J. Laubmann (CSEL 19), Prag–Wien–Leipzig 1890, 261. Cf. Laktanz, Div. Inst., I, 5, 21; ibid. 17. Id., Div. Inst., V, 14, 8sq., ibid. 445. Hierzu detailliert V. Buchheit, Die Definition der Gerechtigkeit bei Laktanz und seinen Vorgängern, in: Vigiliae Christianae, 33 (1979), 356–374. Wäre die Menschheit nicht von Gott abgefallen, wären alle unter einem göttlichen Gesetz als Gleiche miteinander vereint; cf. Laktanz, Div. Inst., V, 8, 8–10 (nt. 64), 422sq.: „quam beatus esset quamque aureus humanarum status, si per totum orbem mansuetudo et pietas et pax et innocentia et aequitas et temperantia et fides moraretur! Denique ad regendos homines non opus esset tam multis et tam uariis legibus, cum ad perfectam innocentiam dei lex una sufficeret […] cum praeceptorum caelestium salubritas humanis pectoribus infusa ultor ad iustitia opera homines erudiret.“ Cf. Div. Inst., V 7, 1ff.; ibid., 419. Buchheit, Gerechtigkeit (nt. 66), 363. Laktanz, Div. Inst. III 26, 1 (nt. 64), 259: „sola haec efficit doctrina caelestis, qui sola sapientia est.“ Religion und Weisheit sind korrelativ, „utraque coniuncta“, d.h. „aut sapiens religio aut religiosa sapientia“. Id., Epitome Div. Inst. Ad Pentadium fratrem, 36, ibid. 712. Cicero, De re publica, III, 3 in: Laktanz, Div. Instit., VI 8, 7–9, ibid., 508: „est quidem vera lex recta ratio, naturae congruens, diffusa in omnis, constans, sempiterna, quae vocet ad officium iubendo […].“ Laktanz, Div. Inst., VI, 8, 6, 6 und VI, 8, 6, 12; ibid. 508sq. Ibid., VI, 9, 1; 509.

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guten Taten der Nichtchristen moralisch wertlos und nichtig73. In der caritas 74, der Anerkennung einer uneingeschränkten Gleichheit aller Menschen (aequitas), wie sie durch die Goldene Regel gefordert ist 75, liegt für Laktanz die Bedingung der Mitmenschlichkeit bzw. brüderlichen Sozialität (misericordia, humanitas, fraternitas, benignitas, hospitalitas), sofern sich hierin der von Gott an den Menschen gerichtete Wille, das göttliche Gesetz, erfüllt 76. Laktanz interpretiert antike Theoreme im Sinne einer christlichen Pflichtenlehre um. Pietas ist Bedingung der Anerkenntnis bzw. der Hinordnung auf ein supramundanes, göttliches Gesetz. Das Wissen hierum ist Voraussetzung einer Verwirklichung innerweltlicher Gerechtigkeit auf individualethischer wie politischer Ebene. Dem immanentistischen Verständnis einer lex naturalis stellt Laktanz dezidiert eine lex divina, aeterna oder auch universalis divina lex voran, die Offenbarung des göttlichen Willens, dessen Gerechtigkeitsgebot auf einen überzeitlichen Heils- und Erlösungszustand hinweist. Dieser auf den alttestamentlichen Dekalog, vor allem aber das zweifache Liebesgebot und die goldenen Regel gegründete, heilsgeschichtlich erst noch zu vollendende Gerechtigskeitsanspruch markiert die Hoheit des göttlichen Gesetzes (ius divinum): „supra leges enim dei lex est “ 77. Das Verhältnis von mosaischem Gesetz und „nova lex“ 78 zeigt sich aus einer heilsgeschichtlichen Enthüllungs- bzw. Erfüllungsperspektive, weisen doch die alttestamentlichen Schriften selbst schon auf einen neuen Propheten79: In Christus als viva lex 80 wird die iustitia vera im Evangelium als nova lex offenbar. Augustin knüpft hier an, wenn er die Weisungen und Lebensweise des menschgewordenen Gottes auch als historisches Offenbarwerden der lex aeterna faßt, d. h. der unveränderlichen Regeln (immutabiles regulae iustitiae) 81, an denen sich jede Form von Gerechtigkeit messen muß. Augustinus bestimmt dieses ewige göttliche Gesetz gleichermaßen als ratio divina bzw. voluntas dei 82 und betont damit die 73 74 75 76 77 78 79 80

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Ibid., VI, 9, 24; 513sq. Laktanz, De ira dei XVII 5, edd. S. Brandt/G. Laubmann (CSEL 27), Prag–Wien–Leipzig 1898, 110: „haec est voluntas dei, haec divina lex: quam qui sequitur, qui observat, deo carus est.“ Laktanz, Epit. 51 (nt. 64), 730sq. Cf. id., Div. Inst., V, 6, 12; ibid., 418sq. Laktanz, Epit. 59, (nt. 64), 744. Cf. Wolf, Ius Divinum (nt. 19), 55. Id., Div. Inst. IV 17, 3 (nt. 64), 343; ibid. IV 17, 13 (nt. 64), 347. Ibid. IV 17, 5sq.: „ut propheta maximus mitteretur a deo, qui sit supra legem, qui uoluntatem dei ad homines perferat“; cf. ibid., 344sq.; cf. IV 17, 7; 345 und IV 17, 16; 347. Ibid., IV, 25, 2; 375. Cf. Wolf, Ius divinum (nt. 19), 55. Zur lex nova als Erfüllung der lex vetus J. Stöhr, Bewahrt das Sittengesetz des AT sein Geltung im Neuen Bund?, in: L. J. Elders S.V.D./K. Hedwig (eds.), Lex et Libertas. Freedom an Law according to St. Thomas Aquinas, Proceedings of the Fourth Symposium on St. Thomas Aquinas’ Philosophy, (Studi Tomistici 30) Rom 1987, 219–240. Cf. Augustinus, De trinitate, XIV, 15, 21, ed. W. J. Mountain (CCSL 50A), Turnhout 1968, 450sq.; De spiritu et littera, 28, 48, edd. K. F. Urba/J. Zycha (CSEL 60), Prag–Wien–Leipzig 1913, 202sq. Cf. K. Demmer, Ius caritatis. Zur christologischen Grundlegung der Augustinischen Naturrechtslehre, Rom 1961, 106. Hierauf aufbauend K. M. Girardet, Naturrecht und Naturgesetz:

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voluntative, personale Dimension eines Gesetzes, das nicht als Katalog von praescriptiones neben oder gesondert von Gott zu denken ist sondern als Inbegriff einer Gerechtigkeitsnorm des göttlichen Wollens selbst. Göttliche Vernunft und göttlicher Wille konstituieren das universale Gesetz: „Est enim lex universitatis divina sapientia“.83 Die Auseinandersetzung mit der antiken Naturrechtslehre, insbesondere Ciceronischen Ansätzen 84, zieht sich durch das gesamte Augustinische Werk. Die lex aeterna wird zur Begründungsfigur für die Gott-Ebenbildlichkeit des Menschen bzw. der innerseelischen Grundlegung von sittlicher Erkenntnis und zeigt sich in den späten Schriften in eine heilsgeschichtliche Zeitenlehre eingefaßt. Augustinus entfaltet das Einschreibungsmotiv: Das sittliche Vernunftgesetz – lex naturae – ist den Menschen in die Herzen eingeschrieben85, verpflichtet auf die lex aeterna bzw. dei, bestimmt als summa ratio oder divina sapientia. Die Transkription des göttlichen Gesetzes in die menschliche Vernunftseele hat individualethische wie politische Konsequenzen. Sie macht die Einsicht in unveränderliche Gerechtigkeitsnormen zur Bedingung der temporalen Verwirklichungsformen von Tugendhaftigkeit 86 bzw. politischen Rechtsordnungen und ist über diese Prävalenz die Basis, um abweichende Rechtssetzungen kritisch in Frage zu stellen. So auch in der Unterscheidung von ius fori und ius poli (bzw. ius caeli/lex caelestis), auf die Ockham sich vermittelt über Gratian beruft 87. Die Offenbarung der lex aeterna manifestiert sich als heilsgeschichtliche Entfaltung des alten Gesetzes im Neuen Bund 88 im Übergang von den promulgierten praescriptiones der Tora bzw. des Dekalogs zum neutestamentlichen Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe (Mt 22m 36–40) bzw. der Goldenen Regel (Mt 7, 12). Die Heilsbotschaft des Evangeliums verlebendigt die der Seele eingeschriebene lex naturalis und ist Voraussetzung, die incommutabiles regulae iustitiae in ein erkenntnisgeleitetes Handeln überführen zu können89. Die aus der Christologie reinterpretierte lex naturalis ist nicht rein intellektualistisch als Vernunftnorm zu bestimmen – Augustin distanziert sich entschieden von einer natürlichen Religion –, sondern dem doppelten Liebesgebot von pietas und caritas unterstellt. Dies ist der

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Eine gerade Linie von Cicero zu Augustinus?, in: Rheinisches Museum für Philologie, NF 138 (1995), 266–298. Augustinus, De diversis quaestionibus LXXXIII, q. 79, 1, ed. A. Mutzenbecher (CCSL 44), Turnhout 1975, 226; De libero arbitrio, I, 6, 15, ed. W. M. Green (CSEL 74), Wien 1956, 7; Contra Faustum, 22, 27, ed. J. Zycha (CSEL 25), Prag–Wien–Leipzig 1891, 621sq. Zur direkten Cicero-Rezeption Augustinus cf. De div. Quaest. LXXXIII, qu. 31 (nt. 83), 41–45. Augustinus, De trinitate XIV, 15, 21 (nt. 81), 451. Id., De div. quaest. LXXXIII, qu. 53, 2 (nt. 83), 88: „quasi transcritpa est naturalis lex in animam rationalem, ut in ipsa vitae huius conversatione moribusque terrenis hominis talium distributionem imagines servent.“ Cf. Augustinus Sermones ad populum 335, ed. J.-P. Migne (PL 39), De vita et moribus clericorum suorum 1, 1572. Augustinus, Sermones IX, 14, ed. C. Lambot (CCSL 41), Turnhout 1961, 135; cf. Girardet, Naturrecht (nt. 82), 286. Cf. Augustinus, Enarrationes in Psalmos, 118, Sermo 25, 4sq., edd. E. Dekkers/J. Fraipont (CCSL 40), Turnhout 1956, 1749sq.

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Ausgangspunkt für präzisierende, explikative Kommentierungen der Dekretisten der Folgezeit, die zur Grundlage scholastischer Auseinandersetzungen mit der Naturrechtslehre werden90. Die theonome, christologische Fundierung des Naturrechtsbegriffs führt nun unmittelbar zurück zu Ockhams Begriff einer lex libertatis. VI. Lex liber tatis In Verbindung der Freiheitslehre der lex libertatis mit Ansätzen antiker Naturrechtslehren verschränken sich bei Ockham unterschiedliche Ebenen der Indienstnahme. Auf moralphilosophischer Ebene ist Thomas’ Akzentuierung des supererogativen Charakters der lex libertatis in Erinnerung zu rufen. Eine Unterscheidung aufnehmend, mit der bereits die Kirchenväter zwischen sittlichen praecepta im Sinne notwendig zu befolgender göttlicher Gebote und consilia, dem sittlich Geratenen, dessen Nichtbefolgung keine sündhafte Handlung darstellt, differenzieren91, wird das optionale Vollziehen des sittlich Guten zu einem Differenzkriterium von lex vetus und lex nova 92. Eine moralische Abundanz aus freiem Willensentschluß des Gläubigen kennzeichnet die lex libertatis. Sie ‚knechtet‘ damit nicht unter obligate Gesetze wie die lex vetus 93. Die freie Annahme einer sittlichen Verpflichtung gemäß der lex libertatis gründet sich auf das doppelte Liebesgebot, die lex caritatis. Die über Gebühr, Lohn und Strafe vollzogene, freie sittliche Selbstverpflichtung auf das Gute (z. B. Armut, Keuschheit, Gehorsam) läßt sich als höhere Tugendhaftigkeit qualifizieren. Sofern das Gute im Horizont der evangelischen Weisung bzw. in Nachfolge Christi um seiner selbst willen vollzogen wird, ist es nach Thomas eine Einübung in eine höhere Vollkommenheit 94. Auch Ockham weist mit der Rede von einem Gesetz der Freiheit auf den Unterschied zum alttestamentlich gebotenen Gesetzesgehorsam. Die von Christus eingesetzte lex libertatis ist ein Gesetz größerer Freiheit, sofern sie nicht unter göttliche Ge- und Verbote sowie zeremoniale Vorschriften knechtet, sondern eine 90

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Cf. M. Grabmann, Das Naturrecht der Scholastik von Gratian bis Thomas von Aquin, in: id., Mittelalterliches Geistesleben. Abhandlungen zur Geschichte der Scholastik und Mystik, ND der Ausgabe 1926 Hildesheim–New York 1975, 68sqq.; A. S. McGrade, Natural Law and Moral Omnipotence, in: P. V. Spade (ed.), The Cambridge Companion to Ockham, Cambridge 1999, 273–301. U. Wessels, Die gute Sameriterin. Zur Struktur der Supererogation, Berlin 2002, cf. 153 in Hinweis auf Augustin, De sanct. virg., 15. Das praeceptum ist auf ein notwendig einzuhaltendes Gut gerichtet („respectu veri boni necessarii“), das consilium weist auf eine über die unbedingte Pflicht hinausgehendes sittliches Handeln („respectu vero superabundantis boni“); cf. Thomas von Aquin, Summa theol., I, q. 19. a. 12 (nt. 8), 117. Summa theol., I–II, q. 108, a. 4, 522–528. „Et ideo convenienter in lege nova, quae est lex libertatis, supra praecepta sunt addita consilia: non autem in veteri lege, quae erat lex servitutis.“ D. Witschen, Mehr als die Pflicht. Studien zu supererogatorischen Handlungen und ethischen Idealen (Studien zur theologischen Ethik), Fribourg 2006, 195; zur perfectio cf. Summa theol., II–II, q. 189 a. 1 ad 5, (nt. 8), 850.

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freie Annahme im Glauben voraussetzt: „est lex minoris servitutis quam fuit lex vetus“ 95. Die gewonnene Freiheit trägt einen heilsgeschichtlichen Index. Sie weist auf die Überwindung der alttestamentlichen Zeit, ist Befreiung von der Knechtschaft unter dem Gesetzesgehorsam wie unter der Sünde. Vermittels des Erlösungsgeschehens Christi, sub gratia, ist sie Bedingung eines irrtumsfreien Vernunftgebrauchs96 und größere Freiheit, „soweit es dem Sinn des evangelischen Gesetzes entspricht („quantum est de ratione evangelice legis“) 97. Wie wird sie eingelöst? Ockham korreliert ein politisch-soziales Freiheitsverständnis und den Gewinn an sittlicher bzw. geistlicher Freiheit. Grundlegend ist ein Zuwachs an individualethisch relevanter sittlicher Freiheit im Sinne der Ermöglichung freier Akte sittlicher Selbstbestimmung bzw. einer reflektierten Zustimmung zu dem, was die Vernunft dem Willen als das Gebotene vorlegt. Weil die politisch-soziale Ordnung eine Bedingung dafür ist, diese sittliche Bestimmung garantieren oder restringieren zu können, gehen die Vervollkommnung innerer und äußerer Freiheit unter der lex christi Hand in Hand. Wenngleich das Primat für Ockham auf der willentlichen Zustimmung des jeweils Einzelnen zum sittlich Gebotenen liegt, sofern sich hierauf Rechenschaftsfähigkeit, Zuschreibbarkeit und Verantwortlichkeit gründen, sind die lebensweltlichen Rahmenbedingungen eine Komponente, um diese zu ermöglichen. Struktur und Herrschaftsform einer politischen Gemeinschaft sind geradezu Indikatoren der Verwirklichung der Würde des Menschengeschlechts (dignitas humanitatis), die in einem Zustand der politischen Sklaverei ebenso vernichtet wird wie unter einem seine Amtskompetenzen überschreitenden Papst 98. Gefordert ist mit der Rede vom Gesetz der Freiheit, der Befreiung der Christen oder dem immer wieder aufgerufenen Jakobus-Wort „lex christiana est lex perfecte libertatis“ nicht die Aufhebung innerweltlicher Herrschaftsverhältnisse, sei es als Unterwerfung unter weltliche Herrscher oder geistliche Oberhäupter wie den Papst. Die natürliche Freiheit ist postlapsarisch nicht durch Ungebundenheit einzulösen, sondern auf politischer Ebene gerade durch eine Herrschafts- und Sozialstruktur, die das gemeinsame Wohl aller befördert. Diese aristotelisch geprägte Vorstellung von einer auf eine politische Gemeinschaft angelegten Natur des Menschen schließt an die Differenzierung der Modi des natürlichen Rechts an. Anders als im status innocentiae wird unter den Bedingungen des Sündenfalls eine Gewährleistung gleicher Rechte und Pflichten durch positive Rechtsetzungen bzw. eine gerechte Herrschaft garantiert.

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Ockham, III Dialogus, I, i, c. 6, (nt. 2), 183vb. Ibid. I Dialogus, V, c. 3 ; (nt. 2), 34vb. Ibid. III Dialogus, I, i, c. 5 (nt. 2), 184ra; cf.: William von Ockham. Texte zur politischen Theorie. Exzerpte aus dem Dialogus. Lat./Dt., ed. J. Miethke, Stuttgart 2013, 92–93. III Dialogus, II, ii, c. 20 (nt. 2), 255vb: „Dignitati enim humani generis derogaret si omnes essent servi imperatoris“. Cf. J. Miethke, Selbstbewußtsein und Freiheit in der politischen Theorie der Scholastik, in: Selbstbewußtsein und Person im Mittelalter (Contradictio. Studien zur Philosophie und ihrer Geschichte, 67), ed. G. Mensching, Würzburg 2005, 153–171, op. cit. 167.

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Aristoteles folgend läßt sich eine ideale politische Verfassung bzw. eine vollkommene Herrschaft durch eine Amtsgewalt (plenitudo potestatis) kennzeichnen, deren Rechtfertigung sich an der Ausrichtung des politischen Handlungswillens auf das bonum commune mißt. Weder an Gewohnheitsrechte noch positiv-menschliche Rechtsetzungen gebunden, wohl aber an die Gesetze des Naturrechts, garantiert die Verwirklichung des Gemeinwohls die natürliche Freiheit der Untergebenen, denn es ist nach Aristoteles, wie Ockham festhält, nicht gegen die natürliche Freiheit, wenn ein Herrscher auf vernünftige Weise freie Menschen zur Verwirklichung des Gemeinwohls nutzt. Die Aristotelische Grundlegung einer Politie, deren königlicher Herrscher als Gesetzgeber und Regent die Verwirklichung eines tugendhaften Lebens in der Gemeinschaft zu gewährleisten hat, ist in transformierter Form auf das Kirchenoberhaupt übertragbar 99. Ockham führt in Hinsicht auf die päpstliche Amtsgewalt vor Augen, daß eine unumschränkte Amtsgewalt (plenitudo potestas) des Papstes in weltlichen wie geistlichen Dingen in einen Widerspruch führt. Denn wenn der Papst von Christus eine allumfassende Amtsgewalt erhalten hätte, alles zu verfügen, was nicht gegen das göttliche Gesetz und nicht gegen das Naturgesetz verstößt („ut omnia possit, que non sunt contra legem divinam nec contra legem naturalem“), dann würde genau dies das christliche Freiheitsgesetz verletzen, sofern eine solch umfassende Amtsgewalt in unvergleichlich größere Knechtschaft als unter den Gesetzen des Alten Bundes führen müßte und eben nicht in eine größere sittliche Freiheit, wie sie die lex christiana verheißt: „quod maioris libertatis est lex nova quam vetus“.100 Das bonum commune der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen, d. h. die Hinordnung auf Gott und die Heilsverheißung im Glauben muß als Ziel an den Legitimationsrahmen des göttlichen bzw. natürlichen Gesetzes gebunden werden. Wenn der Papst sich eine Machtausübung anmaßt, die die Gläubigen in Hörigkeit von seinen Weisungen zwingt, pervertiert er die Freiheitsverheißung des Evangeliums wie der Väter 101 und steht im Widerspruch zu seiner Aufgabe als Statthalter Christi, gegen dessen Freiheitsgesetz er in eine größere Knechtschaft als unter dem alten Gesetz zwingt102. Im ‚Breviloquium de principatu tyrannico‘ führt Ockham diese Argumentation mit aller Schärfe aus. Er decouvriert Fehlauslegungen biblischer Zeugnisse zu Gunsten päpstlicher Machtaneignung schonungslos103, stellt einen detaillierten Gegenbeweis in Rekurs auf Kirchenväterzeugnisse 99

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Zur Unterscheidung zwischen päpstlicher und weltlicher potestas J. Miethke, Studieren an mittelalterlichen Universitäten. Chancen und Risiken, gesammelte Aufsätze von Jürgen Miethke, Leiden 2004, 94; cf. Cf. M. Breitenstein, Vos enim in libertatem vocati estis, in: R. Butz/G. Oberste (eds.), Studia Monastica. Beiträge zum klösterlichen Leben im Mittelalter (Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiösen Lebens im Mittelalter 22), Münster 2004, 163. Ockham, III Dialogus, I, i, c. 6, (nt. 2), 183vb. Ockham argumentiert wie Marsilius von Padua gegen eine Perversion der Idee der Kirche im Zuge der Etablierung eines „papalen Zentralismus“. Cf. Miethke, Mittelalterliche Universität (nt. 99) 92. Ockham, III Dial., I, i, c. 6, (nt. 2), 183vbsqq. Ockham, Breviloquium, II, 2 (nt. 45), 54–56.

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wie die kanonischen Schriften an. Die Berufung auf die lex libertatis, die Verheißung einer größeren Freiheit, entlarvt die päpstliche Machanmaßung als Gefährdung der gesamten Kirche. Sie führt im schlimmsten Falle zur schrecklichsten Unfreiheit104 und wird zur Häresie105. Hier greift die Distinktion von Ebenen eines postlapsarisch interpretierten Naturrechts in Korrespondenz zur heilsgeschichtlichen Einsetzung der lex nova bzw. libertatis. Denn die Auseinandersetzung mit der Frage der päpstlichen plenitudo potestas demonstriert unmißverständlich die temporäre, keineswegs unwandelbare, sondern vielmehr historisch konstituierte Amtsgewalt und Hoheit des Kirchenoberhauptes. Die beanspruchte weltliche wie geistliche Verfügungsgewalt wird angesichts des Primats des ius divinum bzw. naturale angreifbar. Dies nimmt auf kirchenpolitischer Ebene konziliaristische Forderungen vorweg 106. In der christologischen Freiheitsverheißung, die sich an der Papstkritik konturiert, artikuliert sich darüberhinaus ein moralphilosophischer Anspruch. Denn die lex evangelica als Ausdruck des unwandelbaren Gesetzes Gottes, das in seinen Vernunftgründen mit dem Gesetz der Natur übereinstimmt, weist auf eine heilsgeschichtliche Entfaltung des ewigen Gesetzes kraft der in Christus geschenkten größeren sittlichen Freiheit, die sowohl die individualethische Vervollkommnung in einem tugendhaften Leben107 wie eine perfectio in der Gemeinschaft der Gläubigen, der Kirche, umfaßt108. Auch wenn Ockham keine Geschichtstheologie entwirft und sich von der Spiritualenbewegung distanziert, operiert er mit heilsgeschichtlichen Mustern, wie sie über Augustins Dreizeitenlehre in die mittelalterliche Rezeption eingehen und, etwa in der Schule der Viktoriner109, die franziskanische Theologie grundieren. Mit der lex libertatis wird die Verhältnisbeziehung des Menschen zu Gott wie zu den Mitmenschen, d. h. das zentrale neutestamentliche Gebot der Gottes- und Nächstenliebe zum Angelpunkt einer Verpflichtung ex caritate 110. Gegenüber dem Gesetzesgehorsam ist die im Glauben verankerte Gottesliebe Grundlage, um eine größere Freiheit aus der subjektiv-voluntativen Hingabe als Fundament christlicher Tugendlehre zu begründen. In der Annahme der christologischen Verheißung verbinden sich die Vernunfteinsicht in das sittlich höchste Gut/Gebo-

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Ibid. II 3, 57. Cf. ibid. II 4, 58. So Miethke, Mittelalterliche Universität, (nt. 99), 95. Ockham, OND, c 23 (nt. 11), 470: „Lex evangelica est perfectissima; ergo docet extremos gradus virtutum.“ Ockham, III Dialogus I, i, c. 7; Miethke, Ockham (nt. 97), 113: „Denn in der Vollkommenheit gibt es Abstufungen. So ist nicht alles Vollkommene als das Allervollkommenste anzusehen. Eine schlechthin vollkommene Freiheit aber wird es in diesem sterblichen Leben niemals geben.“ Cf. Hugo v. St. Viktor, De sacramentis, I, 8, 11, ed. J.-P. Migne (PL 176) 312D (und ferner 313A-C): „Tria enim sunt tempora per quae praesentis saeculi spatium decurrit. Primum tempus naturalis legis; secundum tempus scriptae legis; tertium tempus gratiae.“ Zur Differenz des caritas-Begriffs in eine essentielle und eine auf den tätigen Vollzug angelegte Bedeutung Miethke, Sozialphilosophie, (nt. 3), 452; cf. L. Freppert, The Basis of Morality according to William Ockham, Chicago 1988, 189sqq.

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tene (hier greift das antike Verständnis von ius naturale, das sich der praktischen Vernunft, recta ratio, als das sittlich Gebotene zeigt) mit einem Willensakt, dieses höchste Gut als das vernünftigerweise sittlich Erstrebenswerte anzuerkennen und zu befolgen. Dabei handelt es sich nicht um zwei Akte111. Die recta ratio ist für die Moralität von Willensakten konstitutiv. Dem Wollen des Guten inhäriert eine Anerkennung des zu Wählenden, eine freiwillige Annahme des sittlich Vernünftigen. Das Verfehlen eines sittlich rechtmäßigen Handelns hat hier seinen Grund: „est carentia rectitudinis debitae inesse ipsi voluntati“ und das heißt, „quod voluntas obligatur aliquem actum elicere secundum praeceptum divinum quem non elicit. Et ideo rectitudo actus non est aliud quam ipse actus qui debuit elici secundam rectam rationen“ 112. Willensakte sind dann als moralische Akte zu verstehen, wenn ihnen eine bewußte Akzeptanzbeziehung zum Gebotenen innewohnt. Dies betrifft die formale Verfaßtheit eines mit der natürlichen Vernunft konformen Sittengesetzes wie die materialen, in der Offenbarungslehre gegebenen göttlichen praecaepta113. Die handlungsleitende Ausrichtung auf das Gute setzt nicht nur ein willentliches Erstreben voraus („bonum est ens appetibile a voluntate“), sondern das frei Gewollte basiert auf einer Vernunfteinsicht in die Verbindlichkeit der Norm („bonum est appetibile secundum rectam rationem“)114. Der Akt der freien Wahl ist einerseits unerläßlich, soll eine sittliche Entscheidung zurechnungsfähig sein. Andererseits bedarf es im status corruptionis der Annahme des Glaubens bzw. des Erlösungsgeschehens Christi und das heißt eines Gnadenaktes, um überhaupt Vernunft und Willen auf das Wollen des Gebotenen lenken zu können115. Das Angenommensein von Gott und das Annehmen des göttlichen Willens, des Gebots der Gottesliebe, kennzeichnen zwei Bewegungsrichtungen einer Beziehung116. Gnade, enggeführt mit caritas, ist weder Glücksgarantie noch (als inklinierende fides bzw. caritas infusa) in irgendeiner Weise hinreichende Voraussetzung eines nicht nur tugendhaften sondern verdienstvollen Handelns. Ockham koppelt die Verheißung einer überzeitlichen Seligkeit von einem sittlich tugendhaften bzw. verdienstvollen Handeln ab. Die göttliche Annahme ist frei geschenkt, kein Gegenstand der Kalkulation oder Erwirkung durch innere oder äußere Akte des guten Willens.

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Ockham, Quodlibeta septem III, ad q. 15, ad dubium 2, ed. J. C. Wey, OTh 9 (nt. 10), St. Bonaventure NY 1980, 261: „actus voluntatis non est rectus propter actum intellectus nec potest fieri rectus; igitur rectitudo actus necessario erit actus voluntatis.“ Ibid., 261. Zur hermeneutischen Funktion der Vernunft in bezug auf Glaubenssätze cf. Müller, Handeln (nt. 10), 122sqq. Ockham, In librum primum Sententiarum. Ordinatio, Dist. 2, q. 9, ed. S. Brown, OTh II (nt. 10), St. Bonaventure NY 1970, 321, 16sqq.; cf. Beckmann (nt. 9), 157. Der Gerechte ist erst gerechtfertigt durch die gratia gratum faciens; cf. Ockham, Breviloquium III 12, (nt. 45), 133. De potentia dei absoluta schließt Ockham allerdings nicht aus, daß auch sittliches Handeln aus natürlicher Vernunft ohne die fides infusa von Gott als verdienstlich angenommen werden kann. Müller, Handeln (nt. 10), 135sqq.

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Wenn Ockham unter der Voraussetzung des Neuen Bundes die lex christiana betont, werden damit Freiheit und Selbstverantwortung im Kontext einer christlichen Tugendlehre unterstrichen. Die nova lex gibt das göttlich Gebotene als das handlungsleitende Gute und höchsten Geltungsgrund von Gerechtigkeit zu erkennen. Gegründet auf das Prinzip der Gottes- und Nächstenliebe (caritas) geht es hier stets um ein einsichtsgebundenes Willensstreben. In naturrechtlicher Hinsicht, d. h. im Überschneidungsbereich von christlicher und natürlicher Tugend, verweist sie auf Einsicht in eine sittliche Vernunftnorm, deren überzeitlicher Verpflichtungscharakter der praktischen Vernunft evident ist. Hier überlagern sich natürliche sittliche Urteilsfähigkeit und theologische Ethik. Wenngleich jedoch die göttlichen praecepta der praktischen Vernunft instantan einsichtig sind, sei es als sittlich evidente Prinzipien, als erworbenes Erfahrungswissen oder offenbarte Vorschriften, heißt das nicht, daß alle Gebote oder situativen Weisungen Gottes Gegenstand einer Vernunfteinsicht wären. Im theologischen Kontext geht die Einsicht (recta ratio) im Sinne einer unbedingten Anerkenntnis des göttlichen Willens als des höchsten Geltungsgrunds über die natürliche Vernunftverpflichtung hinaus. „omne bonum dictatum a recta ratione est diligendum“ 117. Doch dies ist nicht als Forderung nach einem blinden Gesetzesgehorsam oder als Moralpositivismus zu qualifizieren. Die im evangelischen Glauben gewirkte Befreiung verlangt die freiwillige Annahme, die Möglichkeit der Zustimmung oder auch freien Einwilligung aus Einsicht in die Gebotenheit des Gottgewollten. Die Freiheit des Willens ist für Ockham eine zwar nicht beweisbare, aber aus der Selbsterfahrung evidente Tatsache118. Damit ist die rechte Vernunft unter den heilsgeschichtlichen Bedingungen der lex libertatis aufgerufen. VII. Ius poli versus Ius fori Ockham greift Augustins, über das ‚Decretum Gratiani‘ vermittelte Unterscheidung zwischen einem ius fori und einem ius poli 119 auf, um sie im Konflikt um die paupertas evangelica in Anschlag zu bringen. Gegenstand der Auseinandersetzung, die wiederum zum Anlaß einer rigiden Papstkritik wird, ist die Streitfrage, ob sich das Franziskanische Armutsideal im Sinne eines bloßen Gebrauchs von lebensnotwendigen Gütern ohne ein damit einhergehendes individuelles oder kollektives Besitzverhältnis (dominium) als gerecht begründen läßt. Papst Johannes XXII. hatte den usus simplex facti, gegen den Lösungsansatz Nicolaus’ III., d. h. die Distinktion eines ius utendi von einer zugestandenen licentia utendi 120 in 117 118 119 120

Ockham, In librum tertium Sententiarum. Reportatio, q. 12, edd. F. E. Kelley/G. I. Etzkorn, OTh VI (nt. 10), St. Bonaventure NY 1982, 425, 7sqq. Ockham, Quodlibet I, q. 16, ad diff. 1, ed. J. c. Wey (nt. 111), OTh IX (nt. 10), 88. Decretum Gratiani, p. 2, causa 17, q. IV, ante c. XLIII (nt. 20); cf. Augustinus, Sermo 355, 4 (nt. 87). Ockham, OND, c. 61, (nt. 11), 561 sowie c. 65, 578.

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verschiedenen Bullen bestritten. Ohne die konfligierenden Argumentationen hier detailliert nachzeichnen zu wollen121: Johannes XXII. sucht der auf die apostolische Armut bzw. das Evangelium gestützten Berechtigung der franziskanischen Lebensweise argumentativ die Basis zu entziehen. Hier greift Ockham ein und gründet auf die Augustinische Differenzierung von ius poli und fori eine Distinktion von göttlichen bzw. naturrechtlichen und positiv-gesetzten Geltungsgründen, um das franziskanische Leben in Armut in Anknüpfung an die apostolische Lebensweise122 bzw. in Orientierung an der gottgewollten Lebensform im status innocentiae zu rechtfertigen. Der sozialphilosophische Ansatz123 führt auf das grundlegende, im göttlichen Willen gegründete Primat eines göttlichen bzw. natürlichen Rechts gegenüber menschlichen Konstitutionen oder Gewohnheitsrechten und beansprucht mit Augustin eine moralphilosophische bzw. -theologische Prävalenz der sittlichen Selbstbestimmung124. Der Kirchenvater ist hier wie an vielen Stellen ein wichtiger Gewährsmann. Augustinus’ Unterscheidung zwischen einem ius fori und dem ius poli bzw. caeli läßt die christlich transformierte, stoische Naturrechtslehre anklingen, eine lex caelestis oder aeterna, die in christlicher Reformulierung das Gesetz der göttlichen Weisheit bzw. des Gottgewollten ist125. Er entwickelt den Geltungsanspruch des ius poli in Konfrontation von zwei Rechtssphären an einem Fallbeispiel: Nach weltlichem Recht (ius fori), in diesem Falle Kirchenrecht, hat es ein Bischof nicht in seiner Macht, ein der Kirche gestiftetes Erbe zurückzuerstatten, auch wenn der Stifter später einen leiblichen Erben hat, dem damit das Gut vorenthalten würde. Nach göttlichem Recht aber (ius poli) steht es in seiner Macht: „in potestate habebat non redere; sed iure fori non iure poli “ 126. Konfrontiert werden hier nicht nur Rechtssysteme. Das himmlische Recht hat bei Augustinus ethische Implikationen, es formuliert das Primat eines Bewußtseins für das göttlich Gebotene, das durch das Gnadengeschehen in Christus eine innerseelische Verlebendigung erfährt, die sich in der äußeren Lebensführung gemäß der ursprünglichen, gottebenbildlichen Natur manifestiert 127. Die Fähigkeit einer graduellen Vervollkommnung der Tugenden kennzeichnet bei Augustin, gegen die stoische Ethik des Weisen, die Freiheit der lex libertatis 128. Bei Ockham rückt der Begriff des ius poli in engsten Zusammenhang mit naturrechtlichen Kategorien: Er verweist auf ein vorgängiges, unbeding121 122 123 124 125 126 127

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Cf. Miethke, Sozialphilosophie (nt. 3), 468sqq.; zur Debatte um das dominium im Urzustand cf. 473sqq. Zu den Consilia Christi cf. Ockham, OND, c. 9, (nt. 11), 387sqq. Miethke, Sozialphilosophie (nt. 3), cf. 477sqq. Ockham, OND, c. 65 (nt. 11), 573sqq.; cf. ibid. c. 61, 561; c. 66, 580; c. 88, 654. Augustinus, Enarratio in Ps. 18, sermo 1, 8, edd. E. Dekkers/J. Fraipont (CCSL 38), (nt. 89), 103. Cf. Decretum Gratiani, Causa 17, ante 43, q. 4 (nt. 20); Ockham, OND, c. 65 (nt. 11), 573. Augustinus, De spiritu et littera 27, 47 (nt. 81), 201: „Hoc enim agit spiritus gratiae, ut imaginem Dei, in qua naturaliter facti sumus, instauret in nobis […]. Quo vitio lex Dei est deleta de cordibus; ac per hoc, vitio sanato, cum illic scribitur, fiunt quae legis sunt naturaliter, non quod per naturam negata sit gratia, sed potius per gratiam reparata natura.“ Cf. Augustinus, Epistulae 167, 19 (nt. 1), 246.

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tes Recht, dessen Verpflichtungscharakter allen Menschen als Vernunftrecht über die recta ratio gegenwärtig ist. Dieses Recht umfaßt diejenigen praecepta, die über die Offenbarung, in der Nachfolge Christi bzw. über die apostolischen Weisungen gegeben sind und sich für den Gläubigen in ihrer vernunftgemäßen sittlichen Verbindlichkeit bzw. als Anratungen (consilia) für eine christlich-tugendhafte Lebensführung zeigen. Im Unterschied zum ius fori definiert er das ius poli im Sinne der aequitas naturalis bzw. Lebensform gemäß dem status innocentiae: Eine natürliche Billigkeit als Zustand der Kommunität im Zusammenklang mit der natürlichen sittlichen Vernunft (consona rationi rectae), wobei diese Konsonanz sowohl auf die rein natürliche Vernunft (ius naturale) wie die durch die Offenbarung empfangenen Rechtsgründe (ius divinum) weist. Ockhams Rekurs auf ein ius poli beruft sich zunächst auf Vernunftgründe. Er argumentiert auf der Basis eines Naturrechtsbegriffs, in dem sich Offenbarungslehre und natürliche Vernunft teilweise überschneiden und damit reziprok stützen. Die genealogische Argumentation für einen vorrechtlichen anthropologischen Zustand als Ideal einer natürlichen Lebensform läßt sich rational explizieren. Auf offenbarungstheologischer Ebene kann diese – nun den Glauben an das Evangelium voraussetzende Konsonanz mit der recta ratio – das Primat des ius divinum bzw. dessen Erneuerung in der Verkündigung des Evangeliums akzentuieren. Die lex libertatis als größere Freiheit beruft sich auf vor- und überpositive Rechte bzw. Weisungen. Wenngleich Ockham den Rechtscharakter (ius poli) hervorhebt, unterstreicht er vielfach, daß es um ein moralisches Recht geht, das gemäß der lex libertatis eine Freiheit gegenüber positiven Verfügungen geltend macht129. Die Überschneidungen von sittlicher und evangelischer Freiheit im Begriff des ius poli bzw. der gemeinsame Bezug auf die recta ratio sind offenkundig130. Wenn Ockham dieses Recht in Rekurs auf Thomas als metaphorisch verwendeten Begriff charakterisiert, ist damit der Argumentation für ein moralisches Freiheitsrecht nichts an argumentativer Kraft genommen. Die übertragene Rede- und Verwendungsweise von Gerechtigkeit (iustitia) unterstreicht hier, im Unterschied zu Gerechtigkeit als partikularer Tugend oder als umfassender Tugendbegriff, ein naturrechtlich wie durch die Offenbarung fundiertes eigenes Recht (iustitia proprie dicta) der sittlichen Vernunft, das über die Verankerung im göttlichen Recht metaphysisches Primat beansprucht131 und sich, über die konkrete Auseinandersetzung um die Franziskanische Armut hinaus, als Begründung einer sittlichen 129

130 131

Cf. A. S. Brett, On the Power of Emperors and Popes (Primary Sources in Political Thought 1), Bristol 1998, 37sq.: „The liberty of external moral or righteous action is evangelical liberty (remembering that ius poli includes righteousness deduced from Scripture): but […] any moral activity includes an internal dimension of which the agent must be aware for it to count as moral action at all.“ Ibid. 38. Ockham, OND, c. 60 (nt. 11), 557 (in Berufung auf Thomas, STh I–II, q. 18, a. 9; Aristoteles Eth. Nic. V 11, 1138b 5–8 u. V 1–2, 1129b 12sq.): „isto modo omnis actus licitus est iustus, quia est bonus et verae consonus rationi.“

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Lizenz zur Selbstverpflichtung auf die perfectio caritatis berufen kann. In Rekurs auf Isidor und dessen Begriff von fas (göttlichem bzw. natürlichem Recht) kann Ockham den Bereich des moralisch Gerechtfertigten („‘Fas est’ id est de iure divino licitum est“) bzw. der natürlichen Billigkeit pointieren, der unveränderliche Geltung beansprucht und nicht von menschlichen Setzungen eingeschränkt werden darf, „quia lex iniqua esset et contra ordinem caritatis ac contra doctrinam Christi“ 132. Die durchgängige Betonung einer auf vernunftgeleitete Willensakte gegründeten moralischen Freiheit steht in starker Spannung zum geforderten Gottesgehorsam. Die Kontingenz der göttlichen Willensäußerungen (de potentia dei ordinata) im Verhältnis zur unbedingten Freiheit des göttlichen Willens (de potentia dei absoluta) aber auch die widersprüchlich erscheinenden situativen Weisungen (z. B. das odium-dei-Gebot, das Isaak-Opfer etc.) im Verhältnis zum obersten, einzig notwendigen Gebot der Gottesliebe ergeben eine paradoxale Struktur, die vielfach als Aufruf zu blindem Gottesgehorsam, als Setzung eines Willkürgotts bzw. eines Voluntarismus gedeutet worden ist. Dagegen kann geltend gemacht werden, daß trotz der Kontingenz der konkret gegebenen Welt diese stets Ausdruck der Rationabilität und Widerspruchsfreiheit göttlichen Handelns ist. In bezug auf das sittlich Geforderte ist die Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen die oberste Forderung. Doch auch wenn nicht alle Willensoffenbarungen Gottes der sittlichen Einsicht nachvollziehbar sind – hier artikuliert sich ein erkenntniskritisches Moment – rückt Ockham nicht davon ab, die recta ratio als jedem Willensakt inhärente sittliche Einsicht zu betonen133. Die Anerkennung der unbedingten Gebotenheit des göttlichen Willens als Inbegriff des Guten mündet nicht in blinden Gehorsam und enthebt nicht der Vernunftreflexion, auch wenn die sittliche Vernunft ihre Vorläufigkeit, ihre Begrenzheit erfährt. Gerade die lex libertatis fordert eine kritische Reflexion auf die Geltungsherleitung positiver Gesetze einerseits, eine hermeneutische Urteilsfähigkeit in Hinsicht auf das in der Schrift Offenbarte bzw. in den kanonischen Texten und Zeugnissen Überlieferte andererseits. Ockham führt das in seinen Analysen wie Beweisführungen laufend vor. Gehorsam dem göttlichen Gebot gegenüber verlangt Zustimmungsfähigkeit bzw. die Möglichkeit der Ablehnung, d. h. eine bewußt gewählte, intentionale Bindung an den göttlichen Willen als Prinzip des Guten. Die sittliche Ausrichtung des Willens impliziert eine Urteilsfunktion, d. h. die Annahme der unbedingten Maßstäblichkeit des göttlichen Willens ist ein Akt der vernunftgeleiteten Anerkennung. Die recta ratio ist als actus assentiendi konstitutiv für tugendhafte wie verdienstliche Willensakte134. Es mag sein, daß diese Extension auf Prinzipien der Ockham’schen Ethik die Implikationen der lex libertatis überstrapaziert. Das evangelische Gebot der Gottes- und Menschenliebe (caritas) postuliert in vielfacher Hinsicht eine klare

132 133 134

Ockham, OND, c. 66 (nt. 11), 581sq. Cf. Miethke, Sozialphilosophie (nt. 3), 317. Ockham, De connexione virtutum, edd. G. I. Etzkorn/F. E. Kelley /J. C. Wey, OTh VIII (nt. 10), 393.

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Kongruenz mit der Urteilsfähigkeit kraft natürlicher Vernunft. Es geht als Geltungsgrundlage christlicher Tugend und als Voraussetzung verdienstlichen Handelns zugleich darüber hinaus135, faßt die rechte Einsicht in das Tun um der Gottesliebe willen ein: „Und allein diese Stufe ist vollkommen und die wahre Moraltugend, von der die Heiligen sprechen (perfecta et vera virtus moralis)“ 136.

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Ockham, III Sent., I, 11, edd. F. E. Kelley/G. Etzkorn, OTh VI (nt. 117), 374; cf. Freppert, Basis (nt. 110), 78. Ockham, De connexione virtutum/Über die Verknüpfung der Tugenden, lat.-dt., ed. V. Leppin, Freiburg–Basel–Wien 2008 (Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters 16), 40–41.

VI. Göttliches und natürliches Gesetz im byzantinischen Denken

Die göttliche Gesetzgebung und die Norm der Erkenntnis gemäß Gregorios Palamas G K (Sofia) Innerhalb der massiven alttestamentlichen Thematisierung des göttlichen Gesetzes ist schon instruktiv zu lesen, daß der Wille des Gerechten im Gesetz Gottes ist, indem er, der Gerechte, bei Tag und Nacht über dieses Gesetz nachsinnt1. Das Gesetz Gottes ist mitten in seinem ‚Herzen‘; es ist in seinem Inneren2. Das göttliche Gesetz wird hier nicht als externe Regelung, sondern als dem Menschen inhärente konstitutive Kraft verstanden. Das Neue Testament setzt diese Linie entschieden fort. Innerhalb seiner Gesetz-Gnade-Dialektik, die in Jo 1, 17 3 wurzelt, hebt Paulus hervor, daß das Gesetz heilig (açgiov)4 und geistlich (pneumatikóv)5 ist. Damit ist freilich das Gesetz gemeint, das dem Gesetz der Sünde (nómov tñv a™martíav) widerstreitet und als Gesetz Gottes bestimmt wird. Es ist nämlich im Inneren des Menschen zu finden; an ihm freut man sich nach dem inneren Menschen6. Es ist, insistiert Paulus entschlossen, das „Gesetz meines Intellekts“ (nómov toû noóv mou)7. Die geistliche Denkart (frónhma toû pneúmatov ), die Leben und Frieden ist, widersteht der Denkart des Fleisches (frónhma tñv sarkóv ), die Tod ist, sich dem Gesetz Gottes nicht unterwirft und dies auch nicht vermag 8. Das Gesetz des lebendigmachenden Geistes in Jesus Christus befreit von dem Gesetz der Sünde und des Todes9. Die Fülle (plärwma) des geistlichen Gesetzes ist die Liebe10; es ist das Gesetz Christi 11. Nur einer ist der Gesetzgeber und Richter – Jesus Christus, der Herr 12.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Ps 1, 2. Ps 40, 9. „Denn durch Moses wurde das Gesetz gegeben, durch Jesus Christus ist die Gnade und die Wahrheit geworden“. Rom 7, 12. Rom 7, 14. Rom 7, 21–23. Rom 7, 23. Rom 8, 6–7. Rom 8, 2. Rom 13, 10. Gal 6, 2. Jak 4, 12: „ei©v estin o™ nomojéthv kaì kritäv“.

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Georgi Kapriev

Das Gesetz Gottes und Christi, als „Gesetz der Freiheit“ (nómov tñv e l¬ eujeríav)13 oder eher als „Gesetz der Gnade“ (nómov tñv cáritov ) formuliert, wird auf eine spontane Weise noch bei den frühchristlichen Autoren thematisiert, indem es auch auf die anthropologische Ebene inklusive auf die Struktur der menschlichen Erkenntnis als ihre immanente konstitutive Basis bezogen wird. Bei Maximus Confessor wird die Inkarnation schon als Rekapitulation und Vervollständigung der göttlichen Gesetzgebung gedeutet. Dadurch sind die drei Aspekte der Ökonomie (die Schöpfung, die Offenbarung und die Erlösung) unterschieden und die drei Gesetze endgültig festgelegt: das natürliche, das geschriebene und das geistliche (oder das Gesetz der Gnade), das das Gesetz Christi im eigentlichen Sinn ist14. Das Gesetz der Gnade belehrt unmittelbar (a¬méswv), insistiert Maximus, die von ihm Gelenkten, Gott nachzuahmen15. Dieses Gesetz steht (als überessentiales) über aller geschaffenen Essenz und Natur. Es vergöttlicht die Menschen kraft der Gnade. Gleichwohl wirkt es innerhalb des Menschen, indem es das Gesetz der Natur vervollkommnet16. Die Problematik wird bei Johannes Damaskenos im 95. Kapitel seiner ºEkjesiv tñv o¬rjódoxou pístewv mit dem eindeutigen Titel Perì nómou Qeoû kaì nómou a™martíav normativ zusammengefaßt17 und in weiteren Kapiteln ergänzt. Der gute und übergute Wille Gottes bildet das Gesetz, das die in ihm Lebenden belehrt und in dessen Licht sie sich bewegen. Die Übertretung dieses Gebots ist die Sünde, die auch „Gesetz“ (nómov tñv a™martíav) genannt wird 18 und mit der fleischlichen Begierde, Neigung und Bewegung, d. h. mit dem unvernünftigen Teil der Seele assoziiert wird 19. Das Gesetz Gottes wird dem menschlichen IntellektNous als „geistlicher Samen“ (spérma pneumatikón ) immanent, indem dieser Samen in der Seele mittels der Liebe und der Gottesfurcht empfangen wird und den „Geist der Erlösung“ (pneûma swthríav) erzeugt 20. Der heilige Geist verleiht dem Gesetz des menschlichen Intellektes Kraft gegen das Gesetz des Körpers 21. Das dem Nous inhärent gewordene Gesetz Gottes zieht den Nous heran und stachelt das Gewissen (suneídhsiv) auf, das auch als „Gesetz unseres Intellekts“ (nómov toû noóv h™møn ) bestimmt wird und mit dem göttlichen Gesetz synchron wirkt 22. Johannes fügt als notwendige Ergänzung hinzu, daß das erste Fundament

13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

Cf. Jak 1, 25. Maximus Confessor, Quaestiones ad Thalassium, 64, edd. C. Laga/C. Steel, Turnhout–Leuven 1990 (CCSG 22), 235–237 (PG 90, 724C–728D). Ibid., 725B. Ibid., 725CD. Die Schriften des Johannes von Damaskos, Bd. II: Expositio fidei, 95 (= IV.22), ed. B. Kotter, Berlin–New York 1973, 222–223 (PG 94, 1197C–1201A). Ibid, (PG 94 1197C–1200A). Ibid. (PG 94 1200B). De fide orthodoxa, 97 (= IV, 24), 229 (PG 94, 1209B). De fide orthodoxa, 95 (= IV, 22), 223 (PG 94, 1200B). Ibid. Noch bei Maximus Confessor wird das Gewissen als Mit-Einsehen, als gemeinsames Wissen-Können Gottes und des Menschen verstanden und als „der Logos Gottes, der in die Seele

Die göttliche Gesetzgebung und die Norm der Erkenntnis gemäß Gregorios Palamas

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des ganzen gesetzmäßigen Verhaltens der Glaube ist. Der Glaube wird als Ergebnis des Zuhörens der Heiligen Schrift, d. h. der Lehre des heiligen Geistes (didaskalía toû a™gíou Pneúmatov ), wie auch als gemeinsames Erzeugnis des gnomischen Willens (gnåmh) des Menschen und der Gaben des Heiligen Geistes bestimmt 23. Dieser Glaube wird durch die ganze Gesetzgebung Christi vollendet (teleioûtai pâsi toîv nomojethjeîsin u™pò toû Cristoû )24, indem Christus das ganze Gesetz erfüllt und festigt 25. Damaskenos setzt also den Glauben, die mystische Erfahrung, den Intellekt, die diskursive Gotteserkenntnis und die wahre Erkenntnis im Allgemeinen in einen homogenen Zusammenhang, der durch das Gesetz Gottes, das im Inneren der Seele keimt, unmittelbar verfaßt und verwaltet wird. Der göttlichen Gesetzgebung Christi widmet Gregorios Palamas eine gesonderte Schrift, die zu seinen späteren Werken zählt. Der um 1355 entstandene Dekálogov tñv katà Cristòn nomojesíav h¢toi tñv néav diajäkhv ergänzt Satz für Satz den alttestamentlichen Dekalog aus christlicher Perspektive. Darin assoziiert Palamas die göttliche Gesetzgebung unmittelbar und ausschließlich mit der frommen Lebensführung, d. h. mit dem Bereich des Ethischen oder des Praktischen. Die Erkenntnis- und selbst die Gotteserkenntnisproblematik werden gar nicht diskutiert. Sogar Worte wie ‚Vernunft‘, ‚Denken‘ oder ‚Erkenntnis‘ kommen nicht einmal darin vor. Die einzige Stelle, die eventuell diese Perspektive visieren könnte, lautet, daß der Sünder und der Teufel Gott in Taten, Worten und Gedanken (e n¬ er ¢ goiv kaì lógoiv kaì dianoämasin ) verwerfen26. Der Bereich der Erkenntnis und des Diskurses wird hier also, zwar ganz abstrakt erwähnt, restlos auf den Nenner der Lebenshaltung gebracht, die eben das eigentliche Territorium der Wirkung der göttlichen Gesetzgebung ist. Demjenigen, der die Gebote Gottes nicht vergißt und ihnen folgt, gibt Gott die Kraft, den Willen Gottes zu tun 27. Wenn man die Gebote der gerechten Lebensweise bewacht und darin lebt, errichtet man, insistiert Palamas, den Schatz der Frömmigkeit (tñv eu¬sebeíav jhsauróv) in seiner Seele 28.

23 24 25 26

27 28

hineinkommt“ gedeutet. Der Logos Gottes und sein Gesetz machen das Gewissen wach und kraft des Gewissens keimt das Gesetz im Inneren der Seele. Das Gewissen ist eine streng persönliche Kraft; sie ist persönliches Gericht über die eigenen Werke und Gedanken, das in einem inneren Dialog mit dem Logos errichtet wird. Das Gewissen ist die Zulassung der Auferstehung Christi innerhalb der eigenen Seele. Das gute Gewissen, das rechte mensch-göttliche Mit-Wissen ist der Grund sowohl der Tugenden als auch der richtigen noetischen und vernünftigen Erkenntnis über das Nichtmaterielle und das Göttliche – cf. Quaestiones ad Thalassium, 55 (PG 90, 544CD), Ambigua ad Ioannem, 10; 56 (PG 91, 1120BC; 1125B; 1173CD; 1380CD). Ibid., 83 (= IV, 10), 186 (PG 94, 1125C–1128A). Ibid., 83 (= IV, 10), 186 (PG 94, 1128A). Ibid., 98 (= IV, 25), 230–231 (PG 94, 1213D). Dekalogos, 1 (V, 252, 29–30). Die Werke des Gregorios Palamas (mit Ausnahme seines „Glaubensbekenntnisses“) werden nach der Ausgabe Grhgoríou toû Palamâ suggrámmata, edd. P. Chrestou et alii, Thessaloniki 1962 sqq., nach Band, Seite und Zeile zitiert. Ibid. (V, 251, 14–17). Ibid., 10 (V, 260, 12–13).

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Die diskursive Erkenntnis Gottes und des Seienden zählt offenkundig nicht unmittelbar zu dieser Lebensweise. Palamas verneint empört die These, daß man durch dasjenige Erlangen der wahren Ansichten über das Seiende, welches kraft Unterscheidungen, Syllogismen und Analysen vorgeht, der Vollkommenheit und der Gutheit teilzuhaben vermag; daß der danach Strebende obligatorisch die entsprechenden Methoden durch die äußeren Wissenschaften (parà tñv e ¢xw paideíav) erlernen und sie auf eine vollkommene Weise verwenden muß 29. Palamas nennt demgegenüber „wahre Ansicht“ (dóxa a¬lhjäv) nicht das Wissen (gnøsiv), das durch Worte und Syllogismen (dià lógwn kaì sullogismøn ) erworben wird, sondern das Wissen, das durch Taten und Leben gezeigt wird (di’ e r¢ gwn kaì bíou a¬podeiknuménh ). Mit jedem Wort ringt ein anderes Wort (lógwı palaíei pâv lógov), führt Palamas auch hier seinen skeptischen Lieblingssatz ein. Welches Wort ringt jedoch, fragt er emphatisch, mit dem Leben? 30 Die wahre und vollkommene Gotteserkenntnis ist Palamas gemäß auch eine Lebenserfahrung. Sie ist die mystische Schau der natürlichen Energien Gottes, die Teilhabe an diesen Energien, durch die die Heiligen Gott in Gott selbst erleben. Sie wird nur in einem übertragenen Sinn „Wissen“ genannt. Denn es ist nicht lediglich Erkenntnis, sondern auch Vergöttlichung (jéwsiv). Deshalb wird sie bei Palamas vielmehr als positive existentielle Erfahrung und unmittelbare weise Praxis im Umgang mit Gott beschrieben. Hier wird Gott nicht gewußt, sondern erlebt. Diese Teilhabe in der Erfahrung, worin auch das Gesetz Gottes im Menschen direkt wirkt, setzt die Einigung des ganzen Menschen mit Gott jenseits des rationalen Wissens und des Intellekts voraus. Wie steht es aber dann mit der Situation, in der man mit einem lógov gegen einen anderen lógov Front macht, wie Palamas selbst seine polemische Schrifttätigkeit und das Gebiet des verbalen und schriftlichen Diskurses überhaupt kennzeichnet 31? Der Diskurs, einschließlich des theologischen Diskurses, ist offensichtlich kein Element der Vollkommenheit, mit der der Zustand der Vergöttlichung in diesem Leben gemeint ist. Er gehört nicht zum wahren Leben, das als Erleben des Göttlichen qualifiziert wird. Er ist ihm, wie gesehen, nicht immanent. Immerhin markiert Palamas die Relation zwischen dem frommen Leben nach dem Gesetz Gottes und dem philosophisch-theologischen Diskurs. Die Selbsterkenntnis (deren Anfang das Einsehen der eigenen Wissensarmut ist) wie auch die richtige Verwendung der Methoden der Diairese, der Syllogistik und der Analyse setzen, insistiert er, die Verwandlung des eigenen Intellekt-Nous in einen nicht-hochmütigen und unbösen Nous voraus, die durch mühsame Reue (oder Sinnesänderung) und angestrengte Askese (di’ e p¬ ipónou metanoíav kaì a¬skäsewv suntónou ) erreicht werden kann32.

29 30 31 32

Triades, 1, 3, 13 (I, 423, 10–18). Ibid. (I, 423, 23–28). Triades, 2, 1, 14 (I, 477, 8–9). Ibid., 1, 3, 13 (I, 423, 28–424, 2).

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Angesichts des Diskurses wird hier instruktiv gesagt, daß die Vorbereitung auf seine erfolgreiche Verwendung, indem dieser Vorlauf auf der Gottesgesetzgebung gründet, die Möglichkeitsbedingung für den fehlerfreien Gebrauch der Vernunft ist. Sie ist aber kein Bestandteil des Diskurses, wobei die sie strukturierende Gottesgesetzgebung keine unmittelbar konstitutive Kraft für die Vernunfttätigkeit hat. Auf symptomatische Weise benutzt Palamas in seinen diskursiven Auslegungen die von ihm als wahre Gotteserkenntnis hervorgehobene mystische Erfahrung höchstens illustrativ, nicht aber als expliziten Beweisgrund. Die Wirkung des göttlichen Gesetzes im Bereich des Diskursiven wird als vermittelt konzipiert. Der bei Damaskenos geprägte Bezug findet bei Gregorios Palamas eine Relativierung, indem dem Bereich des Diskursiven eine andere, eigenständige Verfassungs- und Regulativbasis beigemessen wird. Palamas umschreibt diese Basis in seinem Dialog ‚Theophanes‘, der wahrscheinlich 1343 entstanden ist. Er verspricht darin, die Wurzel darzustellen, die in den Tiefen liegt und die Ursache für die Richtigkeit oder Falschheit aller Sätze über Gott (perì jeoû dogmátwn) ist 33. Aus dieser Perspektive formuliert er eine für den Diskurs gültige Regel oder Norm der Frömmigkeit (gnåmwn tñv eu¬sebeíav)34, welche die diskursive Theologie, die Palamas auf eine Ebene mit der Philosophie setzt, regelt. Diese Norm wird zwar durch das Gesetz Gottes, das in diesem Kontext nicht einmal erwähnt wird, motiviert, ist aber mit ihm durchaus nicht identisch35. Die Norm der diskursiven Erkenntnis entspricht der Beschaffenheit der natürlichen menschlichen Vernunft. Diese Norm fordert ein striktes Festhalten an den christlichen Dogmen, indem sie einen Widerspruch im Dogmensystem definitiv ausschließt 36. Sie verlangt eine kompromißlose Anwendung der Sätze der Logik37 und entschiedene Vermeidung der terminologischen Homonymie 38. Aufgrund dieser Norm wagt Palamas eine „Richtregel der Dogmen“ (gnåmoná tina dogmátwn)39 aufzustellen, durch die man richtige von falschen Sätzen unterscheiden kann. Es wird zwar (neben der Nächstenliebe) eine Rahmenvorbedingung für ihre Wirkung angekündigt: die Hilfe seitens des „Gottes der Liebe“, auf die der die 33 34 35

36 37 38 39

Theophanes, 3 (II, 223, 17–19). Ibid., 10; 13 (II, 233, 23; 238, 11–12). Eine lose Unterstützung könne der Satz des Palamas etwa bei Gregorios dem Theologen finden. Dieser bringt nämlich die vernünftige Überlegung (logismóv), den „Reiter“, und die trefflich zügelnde Gottesfurcht oder Scheu vor dem Göttlichen (eu¬lábeia), die „Trense“, beim Philosophieren über das Göttliche in einem Zusammenhang (Gregorius Nazianzenus, Oratio 27, 5, 5–7, zit. nach Gregor von Nazianz, Theologische Reden, übers. u. eingel. von H. J. Sieben, Freiburg–Basel–Wien, 1996, 76). Es geht dennoch um eine entfernte Analogie, die nur kraft einer Überinterpretation die Worte Gregors des Theologen mit dem Satz des Palamas in Zusammenklang zu bringen vermag. Palamas beruft sich allerdings auf diese Stelle bei Gregorios dem Theologen nicht. Ibid., 13 (II, 238, 11–17). Ibid., 3; 22 (II, 223, 13–15; 248, 26–249, 9). Ibid., 28 (II, 256, 5–7). Ibid., 3 (II, 223, 2).

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Erkenntnisnorm Verwendende hofft (scäsein e l¬ písav sulläptora tòn tñv a¬gáphv jeón )40. Zweifellos ist dieser „Gott der Liebe“ mit dem Geber und Erfüller des geistlichen Gesetzes bei Paulus identisch. Im Unterschied zu Paulus aber wirkt Gott im Erkenntnisbereich nicht unmittelbar konstitutiv. Die Erkenntnisnorm gründet auf der Verfassung der natürlichen menschlichen Vernunft und steht mit dem Gottesgesetz schlechthin nur vermittelt in Korrespondenz. Palamas erklärt seine Gewißheit, durch diese Norm die Wahrheit aller Sätze zu prüfen, wie auch Zeugnis (tekmärion) und notwendigen Beweis (a¬pódeixiv) für die von ihm verkündete Wahrheit anführen zu können41 und imstande zu sein, nicht nur zu zeigen und auszulegen, sondern auch zu erforschen und zu beweisen42. Vor diesem Hintergrund soll es keine Überraschung sein, daß die ersten theoretischen Schriften des Palamas eben die ‚Apodiktischen Traktate‘ (Lógoi a¬podeiktikoì dúo)43 sind, in denen (wie auch in der damit verknüpften Korrespondenz mit Barlaam und Akindynos 44) die Möglichkeit bejaht wird, apodiktische Syllogismen über die Gottheit abzuleiten. Er weicht zwar an einigen Punkten von der Syllogismus-Lehre des Aristoteles ab, wobei der Grund dafür die von der aristotelischen Lehre divergenten metaphysischen Sätze des Palamas und der byzantinischen Philosophie sind. Es geht an erster Stelle um die grundlegende Unterscheidung zwischen Essenz, Sein und Existenz, die für die aristotelische Metaphysik nicht gültig ist. Vor diesem metaphysischen Hintergrund besteht Palamas darauf, daß die Essenz in jeder Hinsicht unerkennbar bleibt, während die Existenz und die Einzigkeit Gottes durch theologische Syllogismen mit notwendiger Gültigkeit beweisbar sind 45. Die allgemeinen Begriffe und die Axiome des theologischen apodiktischen Syllogismus sollen sich dabei von den üblichen Erzeugnissen der menschlichen Vernunft unterscheiden. Als Ausgang und erste Prämissen dieses Syllogismus müssen die unerweislichen Prinzipien der Heiligen Schrift, der christlichen Dogmen und die entsprechenden Sätze der Kirchenväter gelten, von denen zwingende Folgerungen abgeleitet werden können46. Palamas ist dementsprechend fest überzeugt, daß man kraft der Wirkung der Erkenntnisnorm und der Verwendung der Richtregel imstande ist, mit zwingender Notwendigkeit Sätze zu prägen, die in voller Übereinstimmung mit den Glaubensdogmen und der Theologie der heiligen Väter stehen47. Dieses Verfahren gibt ihm Gründe, die axiomatische Basis der spekulativen Theologie und der Philosophie über die Grenzen der 40 41 42 43 44 45 46

47

Ibid. (II, 223, 1). Ibid. (II, 223, 3–9). Ibid., 13 (II, 236, 23–26). I, 19–153. Ibid., 200–312. Cf. Epistula I ad Akindynon, 8 (I, 211, 26–212, 19). Cf. Ibid., 8; 10; 11 (I 211, 7; 214, 29; 215, 3–17). Es ist auch hier zu bemerken, daß Palamas gemäß „atheistisch“ und „unvernünftig“ fast Synonyme sind – Capita 150, 141 (V, 114, 11–12). Er meint, daß das Erkenntnissystem des Atheisten unvollständig ist, und würde nie einen theologischen Syllogismus vor einem Atheisten entwickeln. Für die anderen sollen aber die erwähnten Sätze eine axiomatische Gültigkeit haben. Dialogus cum Gregora, 4 (V, 195, 12–23).

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Dogmatik schlechthin zu erweitern. Er erlaubt sich dabei, gewisse Theologumena als axiomatisch geltend zu betrachten, die bisher durch keine Synode anerkannt worden waren, und im Bereich der diskursiven Theologie seiner Zeit als Gesetzgeber zu agieren. Besonders signifikant in dieser Hinsicht sind seine Schriften, die vor 1351 entstanden sind. In diesem Jahr akzeptierte die Synode in Konstantinopel durch den damals anerkannten (von Neilos Kabasilas und Philotheos Kokkinos verfaßten) ‚Tomos‘ die Energienlehre des Palamas zum ersten Mal explizit. Die späteren Äußerungen des Palamas dürften sich darauf berufen, nicht aber die früheren. Anscheinend sind die öfters polemischen Schriften des Palamas seit der Mitte der 30er ihrer Form nach theologische diskursive Auslegungen, die ein Theologumenon (samt der Schlußfolgerungen daraus) durch seinen rechtmäßigen Bezug auf die Kirchenlehre und die christliche Dogmatik als korrekt zu beweisen versuchen. Man könnte versucht sein, die darin enthaltenen Vorwürfe der kakodoxía und der Neigung zu Häresie gegen seine Opponenten der rhetorischen Eigenart der Polemik in Byzanz zuzuschreiben. Die eigentlichen Ansprüche des Palamas waren aber viel höher. Sie sind am Anfang seiner 1341–1342 entstandenen Schrift Perì jeíav kaì jeopoioû mejéxewv 48 beinahe direkt erörtert. Der Glaube geht den christlichen Dogmen voran, insistiert Palamas, nicht aber ein Beweis (a¬pódeixiv). Die Dogmen sind jedoch, muß man hier bemerken, letztendlich diskursiv formuliert und fordern ihre diskursive Verteidigung und Erklärung. Derjenige, suggeriert deswegen Palamas im Kontext seiner These, der die Dogmen syllogistisch unwidersprüchlich deuten und aufgrund der Dogmen notwendige Konsequenzen durch Beweise ableiten will, muß in einer perfekten sumfwnía mit den Heiligen und ihren Sätzen stehen49. Das Beweisverfahren hat seine Wurzel nicht im Glauben selbst und also nicht direkt im Grund der Dogmen, sondern es ist ein Erzeugnis des menschlichen Intellekts aufgrund der Dogmen. Die epistemische „Regel der Frömmigkeit“ fordert eben die makellose Übereinstimmung mit den Sätzen der Väter, den Dogmen und der Heiligen Schrift, damit man unumgängliche, notwendig geltende und also dogmatische Wahrheiten kraft des Intellekts abzuleiten vermag. Aus diesem Grund sagt Palamas, daß Gott es ist, der den lógov beim „Eröffnen unseres Mundes“ (e n¬ a¬noíxei toû stómatov h™møn ) gibt, doch die Rede um der Wahrheit willen selbst, der Ablauf des wahren Diskurses, eine persönliche Sache des Redenden und Denkenden ist, die oft gegen die Meinung der Mehrheit agiert und einen persönliches Lob verdient 50. Aus demselben Grund wird die Rede derer, die der wahrheitstreuen Rede widerstehen, nicht unbedingt als „glaubenslos“, aber unzweifelhaft als „a¬súnetov“ (unverständliche, an intellektueller Einsicht mangelnde) qualifiziert – ihre Erzeuger sind die „a™sunétwv légontev“51. 48 49 50 51

Ed. Chrestou, II, 137–163. Cf. ibid., II, 137, 9–12. Theophanes, 33 (II, 262, 23–30). Ibid. (II, 262, 15).

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Vor diesem Hintergrund erlaubt sich Palamas, ein Abfallen von der Orthodoxie auch denen vorzuwerfen, die mit durch die „Regel der Frömmigkeit“ abgeleiteten Kernsätzen seines Theologiesystems in Widerspruch stehen, insoweit er ihre Positionen als direkt durch die dogmatische Basis widerlegt ansieht. Er schreibt zum Beispiel, daß Barlaam durch Betrug der Gesinnung seiner „stammverwandten (o™mófuloi) Lateiner“ nahekommt, „weswegen sie aus dem Umkreis unserer Kirche abgewiesen wurden: Daß nicht die Gnade, sondern der Heilige Geist selbst sowohl von dem Sohn geschickt als auch sich aus dem Sohn ergießen wird“. Dieser Schluß wird jedoch aus der These Barlaams abgeleitet, derzufolge lediglich Gott anfangslos und ewig ist, während die durch den Sohn zuteil gewordene Gnade und damit jegliche von ihm geäußerte Energie notwendigerweise eine erschaffene sein soll 52. Noch heftiger greift er ihn wegen seiner Verstoßung der palamitischen Energienlehre im letzten Kapitel der ‚Triaden‘ an53, in dem er die zukünftige Verurteilung Barlaams in einem hohen Maß fordert. Auf dieselbe Weise verfährt er mit Akindynos in seiner 1343–1344 verfaßten ‚Antirrhetika‘ gegen ihn. Zu jener Zeit war aber die palamitische Fassung der Energienlehre selbst immer noch durch keine Synode anerkannt. Noch kräftiger ist dieser Zug in seinem Glaubensbekenntnis (¿Omología pístewv), das im Zuge der heftigsten theologischen Kontroverse (1343–1344) verfaßt wurde. Darin wagt Palamas, die Energienlehre, wie sie von ihm konzipiert wird, an die dogmatische Basis anzuschließen. Wie erwartet, beginnt das Bekenntnis mit einer triadologischen Auslegung. Nach der Darstellung der orthodoxen dogmatischen Deutung des Vaters und des Sohns (mit einer christologischen Darlegung an dieser Stelle) kommt die Rede über den Heiligen Geist als göttliche Person und Paraklet. Indem Palamas bemerkt, daß das Schicken und Erscheinen des Paraklets, der nicht der Essenz, sondern der Gnade, Kraft und Energie nach erscheint, eine Sache (er¢ gon) der ganzen Trinität ist, setzt er seine Auslegung durch die These fort, daß nicht nur die überessentiale Essenz, sondern auch die Gnade, die Kraft, die Energie, der Glanz, das Reich, die Unvergänglichkeit und überhaupt alles, wodurch die Engel und die Menschen an Gott teilhaben, der Trinität gemeinsam sind. In den nächsten Sätzen erklärt Palamas die Hauptsätze seiner Deutung der Energienlehre, wobei er eine Zusammensetzung der Gottheit wegen der Mannigfaltigkeit der Kräfte und der Energien entschieden ablehnt 54. Im letzten Abschnitt des Bekenntnisses, nachdem er die sieben ökumenischen Konzilien erwähnt hat, betont Palamas, daß er auch die lokalen Synoden verehrt, die die Frömmigkeit und die evangelische Lebensverfassung (eu¬sebeia kaì eu¬aggelikæ politeía ) bekräftigt haben. Im Weiteren spricht er aber nur über die Synode von 1341, die Barlaam und Akindynos getadelt hat. Er zitiert jedoch nicht die Beschlüsse der Synode, sondern legt seine eigene Deutung ihrer Lehre (als ob Barlaam und Akindynos eine identische Doktrin entwickelt hätten) vor und weist 52 53 54

Triades, 3, 1, 3 (I, 617, 26–618, 11). Triades, 3, 3, 16 (I, 693, 19–694, 18). PG 151, 766A–C.

Die göttliche Gesetzgebung und die Norm der Erkenntnis gemäß Gregorios Palamas

435

auf den von ihm geschriebenen und von den Athos-Äbten unterzeichneten ‚Tomos agioretikos‘ hin55. Dieser Schritt ist eben deshalb nötig, weil die Synode von 1341 den ‚Tomos‘ nur prinzipiell akzeptierte. Sie verurteilte die Vorwürfe Barlaams gegen die hesychastischen Mönche wegen ihrer Gebetspraxis und der Schau des Taborlichts als Lästerung, wobei sie die weitere Diskussion über diese Fragen schlicht verbot. Eine synodale Sanktion der speziellen palamitischen Energienlehre fand damals nicht statt. In seinem Glaubensbekenntnis führte Palamas also die kraft seiner Regel der Frömmigkeit entwickelte Lehre als dogmatische Wahrheit ein, abgesehen davon, daß diese Lehre in den 1340er Jahren keine offizielle kirchliche Akzeptanz kannte und als eine explizit dogmatisierte Doktrin nicht zu betrachten war, wie auch aus den weiteren Ereignissen zu entnehmen ist. In Form einer Schlußbetrachtung ist zunächst zu bemerken, daß die erklärte Vermittlung der Wirkung des göttlichen Gesetzes im Bereich des Intellektuellen und Vernünftigen, wie sie durch die Funktion der epistemischen „Regel der Frömmigkeit“ bei Gregorios Palamas eingeführt wird, einen kulturgeschichtlichen Grund hat. Die ganze Periode, die man immer noch als „palaiologische Renaissance“ zu bezeichnen pflegt, obschon damals nichts Altes wiedererrichtet wurde, ist als eine permanente Krisenzeit zu bestimmen. Die Krise umfaßte alle Dimensionen des sozialen Lebens und motivierte eine weitgehende Identitätskrise: auch für die heftigsten Traditionalisten war die christliche Ökumene bereits ein Ideal, das kein Äquivalent in der Realität mehr hatte. Die mehrfach bewunderte intellektuelle Blüte dieser Periode ist auch als Ergebnis der hektischen Überproduktion von Projekten zu betrachten, die eine neue Konstruierung oder aber innovative Rekonstruierung des rhomäischen kulturellen Ganzen erzielten56. Alle Autoren waren sich dabei bewußt, daß eine Wiederherstellung der vor 1204 funktionierenden Kultursituation definitiv unmöglich war, abgesehen davon, daß die im Laufe der vorausgegangenen etwa 150 Jahre (nach etwa Mitte des 11. Jahrhunderts) geprägte Kulturgestalt bis zum Ende der eigentlich byzantinischen Zeit als Norm galt. Die palamitischen Hesychasten stellten keine Ausnahme dar. Angesichts dieser Sachlage dürfte keiner mehr behaupten, daß die fromme und selbst die heilige Lebensweise einen korrekten theologischen Diskurs direkt garantiert. Der Fundus der spekulativen Theologie war bereits abnorm groß und subtil geworden. Für seine Beherrschung brauchte es intellektuelle Gewandtheit, Übung und Praxis. Die Selbstverständlichkeit der Identität von wahrem und richtigem Denken war spürbar erschüttert. Palamas selbst erklärt sich zum Rechtsanwalt der Hesychasten, deren Lebensweise er bewundert, indem er sich die Rechenschaft gibt, daß die meisten von seinen Helden nicht imstande sind, ihre Position theologisch adäquat darzustellen. Obschon er selbst die hesychastische psychosomatische Praxis ausgeübt hat, beruft er sich in seinen diskursiven Auslegungen nie direkt darauf. 55 56

Ibid., 768B–C. Cf. T. M. Kolbaba, Repercussions of the Second Council of Lyon (1274): Theological Polemic and the Boundaries of Orthodoxy, in: M. Hinterberger/C. Schabel (eds.), Greeks, Latins and Intellectual History, 1204 –1500, Leuven–Paris–Walpole, MA 2011, 66.

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Selbst vor diesem Hintergrund ist der Zug des Palamas als extrem kühn und innovativ zu schätzen. Aus systemtheologischer Perspektive sieht die Gleichsetzung eines intellektuell produzierten Theologumenons mit den dogmatisierten Sätzen bestenfalls verdächtig aus. Es scheint, daß der Spitzname „neuer Theologe“ (in der byzantinischen Tradition immerfort – anfänglich auch im Fall Symeons des Neuen Theologen – pejorativ gemeint), den Akindynos ihm ständig beimißt, nicht ganz grundlos war. Er betrifft dabei die Lehre des Palamas zunächst methodologisch und erst dann, wenn überhaupt, inhaltlich. Rückwirkend stellt die weitgehend autonome Verfassung der theologischen Vernunft bei Palamas das Etikettieren von ihm und seinem Denkstil als „obskur“ und „irrational“ sehr massiv in Frage. Die mystische oder theologische Erfahrung, die Palamas als wahre Gotteserkenntnis bestimmt, ist diskursiv unartikulierbar. Sie ist weder als „irrational“ noch als „rational“ zu bezeichnen, weil sie eben über-vernünftig ist und sich auf die Vernunfttätigkeit nicht direkt bezieht. Sie verläuft jenseits der Vernunft und des Intellekts. Im Bereich des theologischen Diskurses stattet aber Palamas, wie die vorliegende Untersuchung zeigt, den „frommen Intellekt“ und die „fromme Vernunft“ mit außergewöhnlich weitreichenden Vollmachten aus. Die Auszeichnung „irrational“ scheint in Rücksicht auf den tatsächlichen Sachverhalt durchgehend irrelevant zu sein.

Gültigkeit und Anerkennung der natürlichen Grenzen Gennadios Scholarios’ Konzept des natürlichen Gesetzes S M (Sofia/Lausanne) Gennadios Scholarios (Geårgiov Scoláriov) (1400–1472), der am 29. Juni 1453 nach der Eroberung der Stadt von Mechmet dem Eroberer der erste Patriarch von Konstantinopel wird, ist einer der prominentesten Intellektuellen während des 15. Jhs. in Byzanz1. Scholarios ist ein vortrefflicher Kenner der antiken und der christlichen Philosophie. Besonders hoch schätzt er das Gedankengut des Aristoteles und des Thomas von Aquin. Gennadios ist überzeugt, daß die aristotelische Philosophie unter den Denksystemen der Antike dem Glauben der Christen am geringsten widerspricht. Diese Überzeugung motiviert das starke Interesse von Scholarios an den Werken des Thomas, den er für den tiefgreifendsten Aristoteles-Interpreten hält 2. Bestimmend für den Denkstil von Scholarios ist die Dogmatik der Orthodoxen Kirche, wie auch seine von ihm selber subtil reflektierte Identifizierung mit der Ost-römischen Kulturtradition3, die er als Strukturelement der christianitas versteht. 1 2

3

Für die sprachliche Redaktion dieses Textes bedanke ich mich bei meinem Freund Dr. Christian Ivanov. Scholarios ist der Autor von Abkürzungen der ‚Summa contra gentiles‘ und des ersten Teils der ‚Summa theologiae‘, wie auch von Übersetzungen und Kommentare anderer Texte von Thomas. Bezüglich des Thomismus von Gennadios siehe: H. C. Barbour, The Byzantine Thomism of Gennadios Scholarios and His Translation of the Commentary of Armadur de Bellovisu on the «De ente et essentia» of Thomas Aquinas (Studi Tomistici, 53), Città del Vaticano 1993, 125; F. Tinnefeld, Georgios Genadios Scholarios, in: La Théologie byzantine et sa tradition, II (XIIIe– XIXe s.), sous la direction de C. Conticello, V. Conticello, Turnhout 2002, 477–541; G. Kapriev, Vier Arten und Weisen, den Westen zu bewältigen, in: A. Speer/Ph. Steinkrüger (eds.), Knotenpunkt Byzanz. Wissensformen und kulturelle Wechselbeziehungen, Berlin 2012, 3–31, bes. 29–30. Scholarios reflektiert diese Konstellation von Identifikationen subtil. Repräsentativ dafür, wie er die universalen und die lokal-spezifischen Elemente seiner Selbstidentifizierung hierarchisiert, ist das folgende Exzerpt aus dem apologetischen Traktat ‚Gegen die Juden‘: „Obwohl ich von Geburt Grieche bin, würde ich mich trotzdem nicht Grieche nennen. Denn ich glaube nicht an das, woran die Griechen glaubten. Ich würde mich nach meinem Glauben nennen, und wenn mich jemand fragt, wer ich bin, würde ich „Christ“ antworten. Obwohl mein Vater in Thessalien lebte, würde ich mich nicht „Thessalier“, sondern „Byzantiner“ nennen. Denn ich komme aus Byzantion“ (G. Scholarius Gennadius, Contre les Juifs, in: Œuvres complètes de Georges (Gennadios) Scholarios, edd. M. Jugie/L. Petit/X. A. Siderides., vol. 3, Paris 1930, 252. Dazu siehe: C. Livanos. Greek Tradition and Latin Influence in the Work of George Scholarios, Georgias Press LLC, New Jersey 1996, 7.

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In seiner apologetischen Spekulation im Traktat „Über den einzigen Weg zum Heil der Menschen“ (‚De unica via ad salutem hominum‘)4 gewinnt Scholarios einen konzeptuellen Referenzpunkt, durch den er die universale anthropologische Gültigkeit des christlichen Gesetzes verteidigt. Er beruft sich auf die Besonderheiten des traditionellen anthropologischen Diskurses in Byzanz, reduziert aber die Argumentation nicht auf die schon durchgearbeiteten Gedankenwege, sondern entlehnt Begriffsmodelle aus der Philosophie des Thomas von Aquin. Scholarios, der auch ein guter Kenner des Lateinischen ist, faßt in einem seiner Werke den zweiten Teil der ‚Summa theologiae‘, inkl. die Kapitel über das Gesetz, zusammen5. Wie es aus den folgenden Abschnitten ersichtlich wird, werden diese Modelle auf eine gewisse Art und Weise transformiert. Um die ideengeschichtliche Bedeutung der Entlehnungen aus der ‚Summa‘ im lex-Traktat von Scholarios zu bestimmen, muß man zeigen, welche anthropologischen Implikationen die Spekulation von Scholarios hat. Dadurch kann man einen Standpunkt gewinnen, um die Bedeutung der intellektuellen Geste von Scholarios wie auch ihre Relevanz für die byzantinische Kultur klarzumachen. I. Definition und Er kenntnisstatus des natürlichen Gesetzes Grundlegend für die Überlegung im Traktat ‚De unica via‘ ist der von Thomas in der ‚Summa theologiae‘ etablierte Begriff des natürlichen Gesetzes. Scholarios wiederholt die These des Thomas, daß jede Natur durch ein Gesetz zu ihrem ontologischen Ziel geführt wird 6. Das Ziel der menschlichen Natur ist das unmittelbare Erreichen und Erkennen Gottes, oder die Rettung, was Scholarios mit dem Begriff ‚Glückseligkeit‘ (eu¬daimonía) identifiziert 7. Das Gesetz der menschlichen Natur ist ein Prinzip des Lebens (lógov zwñv), das die natürliche Tätigkeit reguliert. Gerade weil diese Tätigkeit zum großen Teil von der Vernunft regiert wird, ist das Gesetz ein Kriterium für Bewertung der willentlichen Taten. Obwohl das natürliche Gesetz diskursiv dargestellt wird, ist sein Inhalt nicht in den Grenzen der diskursiven Vernunft einzuengen. Dies ist eine konzeptuelle Neuigkeit in der Spekulation von Scholarios, die in der terminologischen Unterscheidung zwischen noûv und lógov zu sehen ist. Für Scholarios ist die menschliche Vernunft (lógov) die Instanz, die für die Realisierung des Gesetzes im Rahmen der vernünftigen Handlung verantwortlich ist. Wenn er die Reflexion über die Prinzipien des Gesetzes analysiert, bevorzugt er den Begriff ‚Verstand‘ (noûv):

4 5 6 7

De unica via ad salutem hominum, in: Œuvres complètes de Georges (Gennadios) Scholarios, vol. 3, Paris 1930, 434–453. Epitome Primae secundae Summae theologicae Thomae de Aquino, in: Œuvres complètes de Georges (Gennadios) Scholarios, edd. M. Jugie/L. Petit/X.A. Siderides, vol. 6, Paris 1933, 1–153. Summa theologiae, I–II, 93, 5. De unica via, 2 (nt. 4).

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der Verstand ist die Instanz, die den Evidenzen der (Selbst-)Erkenntnis und des (Selbst-)Wollens Geltung verleiht. Die Relevanz einer nicht-diskursiven gnoseologischen Komponente bei der Konzipierung des natürlichen Gesetzes entsteht daraus, daß „die Wege der Menschen“ 8 sich gemäß der Konstellation der konkreten Taten unterscheiden. Damit das Gesetz zu einem Prinzip des menschlichen Lebens wird, reicht es nicht, seine Prinzipien bei der logischen Bestimmung des vernünftigen Handelns korrekt anzuwenden. Der Zielhorizont des natürlichen Gesetzes betrifft das Ende der menschlichen Geschichte (h™ dè méllousa h™méra). Die geschichtliche Fragmentierung der menschlichen Existenz erlaubt es nicht, daß die Vernunft logisch-notwendige Rückschlüsse auf den Erfolg des Subjektes beim Erreichen der Glückseligkeit zieht. Der gnoseologische Garant dafür, daß das menschliche Tun mit dem Ziel der Natur korrespondiert, ist der Glaube. Die logische Unsicherheit der Vernunft über den Weg des Gesetzes wird kompensiert durch gemeinsame Anerkennung (sunegnwsménh) von gewissen zusätzlichen Kriterien9. Daß das christliche Gesetz eine übernatürliche Begründung hat, ist eine These, die im lex-Traktat in der Summa theologiae des Thomas von Aquin anwesend ist10. Die Begründung jeglicher nicht diskursiven gnoseologischen Anerkennung des natürlichen Gesetzes ist bei Thomas jedoch nicht zu finden. Scholarios versucht, die reflexiven Gründe des christlichen Glaubens sowie die kognitive Struktur ihrer Anerkennung als Erkenntnisbasis des Gesetzes zu rekonstruieren. Das geltungstheoretische Fundament des Modells von Scholarios ist aber nicht nur in der oben erwähnten Unsicherheit der Vernunft im Bereich des praktischen Tuns zu finden. Es gibt noch zwei Voraussetzungen – eine ontologische und eine phänomenologische, die übrigens von grundlegender Bedeutung für die anthropologischen Systeme in der byzantinischen Philosophie sind. Von denen ist in Punkt 2 und in Punkt 3 die Rede. II. Die ontologische Voraussetzung: das natürliche Gesetz und das Energie-Konze pt Das natürliche Gesetz hilft dem Willen, sodaß er bei den konkreten willentlichen Akten zum natürlichen Ziel strebt. Scholarios thematisiert die Spezifik der Relation zwischen dem Ziel der menschlichen Natur und den konkreten willentlichen Akten. Man könnte erwarten, daß das Individuum gerade wegen der einzelnen willentlichen Akten zum Erreichen des natürlichen Ziels bewegt wird. Scholarios 8

9 10

Für Scholarios ist die menschliche Vernunft (lógov) für die praktische Anwendung des Gesetzes verantwortlich. Wenn er aber die Reflexion über die Prinzipien des Gesetzes analysiert, bevorzugt er den Begriff „Verstand“ (noûv): der Verstand ist die Instanz, die den Evidenzen der (Selbst-) Erkenntnis und des (Selbst)Wollens Geltung verleiht. De unica via, 1, 19 (nt. 4). Summa theologiae, I–II, 106, 1–3.

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betont aber, indem er Thomas und Aristoteles folgt, daß die Akte, die gemäß dem natürlichen Gesetz realisiert werden, zum Domain des tugendhaften Tuns gehört. Und, als ein Aristoteliker weiß er, daß die menschliche Tugend kein instrumentelles Vermögen ist, weil sie ein stabiler und unveränderlicher Habitus ist, der das Sein des Einzelnen an sich qualifiziert. Deswegen ist seine Spekulation über den anthropologischen Status des Gesetzes nicht auf die Regulation vereinzelter menschlicher Handlungen fokussiert, die im Bereich der Beweisführung stehen und aus praktischen Gründen modifiziert werden können. Die Realisierung des natürlichen Gesetzes korrespondiert mit der grundlegenden Disposition des menschlichen Aktes. Relevant ist hier auch ein anderes aristotelisches Konzept, das aus der ‚Metaphysik‘ stammt: das Sein der Wesenheit wird als Wirkung (e n¬ érgeia) verstanden. Der Begriff ist grundlegend für die Ontologie des Aristoteles. Für den antiken Philosophen stellt die Aktualität der Wesenheit die ontologische Basis für die Manifestierung der natürlichen Vollendung (e n¬ teléceia) dar. In der byzantinischen Philosophie wurde das Konzept gewissermaßen modifiziert. Für die Byzantiner realisiert die Energie das ontologische Potenzial der Wesenheit nicht nur zwecks Verwirklichung der optimalen ontologischen Kapazität der Natur; sie ermöglicht auch die Wechselwirkung zwischen dem Einzelding (prâgma), d. h. der Hypostase der Wesenheit, mit anderen Einzeldingen. Dadurch bedeutet ‚Energie‘ für die Byzantiner nicht nur ‚Aktualität‘ oder ‚Aktivität‘, sondern auch dynamische ‚Wechselbeziehung‘, ‚Teilnahme‘11. Dieses spezifische byzantinische Konzept der Energie hat gewisse ontologische Konsequenzen, die die Spezifik der Beziehung zwischen natürlichem Ziel und natürlichem Gesetz prägen. Erstens wird die natürliche Energie im primären Sinne als existentielle Energie und nicht als kausale, gemäß der aristotelischen Klassifikation, verstanden. Die existentielle Energie wird in zwei Aspekten betrachtet: a) als Energie, die das Sein der Wesenheit als solches konstituiert; b) als Energie, die das ontologische Potenzial der Wesenheit manifestiert. In diesem Zusammenhang wird die terminologische Unterscheidung zwischen immanenter wesenhafter Wirkung (e n¬ érgeia tñv

11

I. Tschalakov/G. Kapriev, The Limits of Causal Action: Actor-Network Theory of Translation and Aristotle’s Notion of Action, in: A. Bammé/G. Getzinger/B. Wieser (eds.), The Yearbook of the Institute for Advanced Studies on Science, Technology and Society, Munich–Vienna 2005, 408. So interpretiert man in Byzanz die berühmte Stelle aus Metaph., IX, 9, 1065b–1066b, wo Aristoteles die wesenhafte Energie als aktuellen Zustand interpretiert. Siehe auch S. Markov, The symbol as a meeting point of energies and categories – the symbolical status of the Eucharistic gifts according to Theophanes of Nicaea, in: Philosophia, E-Journal of Philosophy and Culture (http://philosophy-e.com/the-symbol-as-a-meeting-point-of-energies-and-categories-thesymbolical-status-of-the-eucharistic-gifts-according-to-theophanes-of-nicaea/ – 14 Febr. 2012); G. Dragas. Divine and Human Synergy, in: P. Ladouceur (ed.), The Wedding Feast, Proceedings of the Colloquia of Orthodox Theology of the Université de Shervrooke, 2007–2008–2009, Montreal 2010, 23–53; D. Bradshaw. Aristotle East and West. Metaphysics and the Division of Christendom, Cambridge 2004.

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ou¬síav), und transitiver (e n¬ érgeia e k¬ tñv ou¬síav)12 oder extrinsischer (e n¬ érgeia pròv tò e ¢xw)13 wesenhafter Wirkung, gemäß der neuplatonischen Lesart des

Aristoteles, benutzt. Zweitens wird die Bestimmung der Wesenheit mit den definitiven Besonderheiten der Wirkung identifiziert. Dies bedeutet, daß die Realisierung der natürlichen Normativität, inkl. des natürlichen Ziels, vom konkreten Existenzmodus qualifiziert wird. Die dritte Konsequenz besteht darin, daß die Ausstrahlung der natürlichen Energie durch die Hypostase bewerkstelligt wird. 1. Das Gesetz und die existentielle Energie des Menschen Das energetische Verständnis des gesetzmäßigen menschlichen Handelns ist systematisch verbunden mit dem Immanentismus der Wirkung Gottes in der Welt, die in Byzanz axiomatisch ist. Dieses nicht kausale Verständnis der göttlichen unterstützenden Gnade, das aus dem oben dargestellten Energie-Konzept folgt, bedeutet, daß das natürliche Ziel des Menschen, nämlich das Treffen mit Gott, eine dynamische Bestätigung des definitiven Prinzips der Wesenheit ist und keine „Intervention“ Gottes in ihr verkörpert. So führt die Erfüllung des Gesetzes von einem primären Status des gnadenhaften Seins (das Sein der menschlichen Natur gemäß der „ersten Gnade“), der durch den Sündenfall zerstört wurde, zu einem neuen gnadenhaften Status14. Nicht nur das Ziel des Gesetzes, sondern auch dessen Anerkennung und dessen Erfüllung sind aus der Perspektive der göttlichen Gnade zu verstehen, die auf die menschliche Natur wirkt. Diese Wirkung interagiert mit der Energie der menschlichen Natur, und deswegen wird die Annäherung zum natürlichen Ziel von Scholarios als „Angleichen“ der natürlichen Wirkung zum Ziel erklärt. Thomas von Aquin benutzt den Begriff actus in Bezug auf die Realisierung des natürlichen Gesetzes. Actus wird im Griechischen mit e n¬ érgeia übersetzt, und es gibt Indizien, daß der Gebrauch des Begriffs in diesem Traktat vom Text der Summa beeinflußt wurde. Es gibt aber einen semantischen Unterschied, der aus dem oben dargestellten Energie-Konzept resultiert. Scholarios erklärt zum Beispiel, daß das Gesetz von Moses nur die extrinsischen Energien des Menschen reguliert (tàv e x¬ wtérav tøn a¬njråpwn diwrjåsato en¬ érgeíav)15, während das Gesetz Christi die intrinsischen und die geistigen Energien (e ¬ndóterai kaì pneumatikaí)16 reguliert. Auch Thomas bezieht actus exteriores auf das alttestamentliche und actus interiores auf das neutestamentliche Gesetz. Unter actus exteriores versteht er aber diejenigen Taten des Individuums, die eine Gefahr für den Staat darstellen 12 13 14 15 16

D. Bradshaw, Op.cit., 76 (nt. 11); Plotin, Enneaden, V, 4, 2; 27–39, in: Plotini opera, edd. P. Henry/H.-R. Schwyzer, 2 vol., Leiden 1959. Plotin, Enneaden, IV, 5, 7, 35 (nt. 12). De unica via, 3, 15–20 (nt. 4). Ibid. 6, 17–18 (nt. 4). Ibid. 6, 18 (nt. 4).

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können17. Scholarios seinerseits bezeichnet durch diesen Begriff die körperliche Verehrung Gottes (swmatikæ toû jeíou latreía), die deswegen defizitär ist, weil sie nur einen Aspekt der menschlichen Wirkung engagiert. Und wenn er über die intrinsische Wirkung spricht, führt er die Charakteristik „geistig“, was auf die Synergie der göttlichen und der menschlichen Energie hinweist. Das geistige Gesetz wird vom Menschen einfacher akzeptiert, gerade weil er alle natürlichen Kräfte des Menschen vollständiger engagiert. Das Vollendungspotenzial des Gesetzes wird analogisch zu der Optimierung menschlicher Aktivitäten und Zustände, wie z. B.: Wissen, Gesundheit oder Essen, konzipiert18. Es geht um Dispositionen, die von der menschlichen Existenz nicht trennbar sind. 2. Die anthropologische Relevanz des Gesetzes Es ist einerseits wichtig zu betonen, daß die kognitive Klarheit über die definitiven Prinzipien der Natur die Anwendung des natürlichen Gesetzes nicht garantiert. Der Prozeß der Realisierung des natürlichen Gesetzes hat nicht die Form eines deduktiven Hinausführens von Normen für die praktische Aktivität aus den ersten Prinzipien der Natur. Deswegen können auch die Fehler bei der Verfolgung des Gesetzes nicht als Abweichungen von der konsequenten Durchführung der Prinzipien im Bereich der einzelnen Willensakte bezeichnet werden. Andererseits sind die sündhaften Dispositionen nicht der wichtigste Faktor, der gewisse Gesetzsysteme inadäquat macht, gerade weil das natürliche Gesetz für die Vernunft evident ist. Der begrenzte geschichtliche Horizont des Menschen ist der Grund dafür, daß er unfähig ist, das Endziel der menschlichen Geschichte zu begreifen. Deswegen haben alle vorchristlichen Gesetzesordnungen eine antizipative, vorbereitende Funktion. Der Topos ‚christliches Gesetz‘ erscheint in vielen Werken von Scholarios, meistens in einem apologetischen Kontext. Scholarios benutzt Superlativen, die den ethischen Vorteil des Christentums gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen bzw. anderen Gesetzessystemen darstellen sollen. Wenn der Autor das christliche Gesetz im Kontext der christlichen Anthropologie betrachtet, arbeitet er mit derselben terminologischen Kette, die im lex-Traktat des Thomas in der ‚Summa theologiae‘ zu finden ist: „göttliches Gesetz“, „natürliches Gesetz“, „schriftliches Gesetz“. Den Zusammenhang erklärt er durch Analogie mit dem traditionellen Bildkonzept, das die geschichtliche Veränderung der Existenzart der menschlichen Natur illustriert19. Wegen der Vernunft und des Willens ist 17

18 19

Summa theologiae, I–II, 98, 1: „Legis enim humanae finis est temporalis tranquillitas civitatis, ad quem finem pervenit lex cohibendo exteriores actus, quantum ad illa mala quae possunt perturbare pacificum statum civitatis“. De unica via, 12, 10–20 (nt. 4). Das Bildkonzept wurde während der Zeit des Ikonoklasmus als ein philosophisches Modell entwickelt, das mit dem Modell der kosmologischen Hierarchie von Dionysios konkurriert. Die

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der Mensch ein Bild Gottes; das Bild verkörpert eine Charakteristik, die aus dem definitiven Prinzip der menschlichen Natur folgt. Die Vervollkommnung des Bildes besteht nicht in der Veränderung des wesenhaften Prinzips, sondern in der Form von dessen Realisierung. In diesem Sinne, schreibt Scholarios, repräsentiert das natürliche Gesetz ein Bild des Göttlichen und das mosaische Gesetz ein Vorbild des Evangelischen. Obwohl das mosaische Gesetz mit dem natürlichen Gesetz der Menschheit korrespondiert, kann die menschliche Natur allein dadurch ihr Ziel nicht erreichen, denn es ist nicht im Stande, sie von ihren ersten ontologischen Prinzipien zu Gott zu bewegen20. Das Gesetz von Mose ist ein Hilfsmittel, sofern es die Menschen von der Verehrung der Geschöpfe ablenkt und zumindest die körperliche Ebene des Menschen zur Verehrung Gottes führt. Obwohl er vor gnoseologischen Fehlern schützt, kann dieses Gesetz das menschliche Leben gänzlich nicht richtig bestimmen. Scholarios erklärt, daß das Gesetz von Mose unwirksam ist, weil es keine Angst vor einer ewigen Strafe suggeriert, sondern lediglich vergängliche Bestrafungen21. Damit das Ziel der Natur zu einem Faktor für die Existenz des einzelnen Menschen wird, müssen die Prinzipien des Gesetzes und die konkreten Gesetzesvorschriften reflexive Gründe haben, die die menschliche Natur transzendieren. In diesem Sinne besteht der Vorteil des Gesetzes Christi darin, daß es einen kognitiven Horizont bietet, von dem aus die Grenzen der menschlichen Natur wahrnehmbar sind. 3. Die hypostatische Fundiertheit des Gesetzes Das Gesetz ist ein Kriterium für den Verstand und für den Willen, allerdings stellt es für Scholarios keine bloß mentale Entität dar. Gerade weil es dem ontologischen Optimum der ganzen menschlichen Natur entspricht, hat es eine holistische anthropologische Dimension. In diesem Sinne ist das Fundament des Gesetzes die seelisch-körperliche Einheit, deren Zentrum als das „Herz“ bezeichnet wird. Scholarios schließt sich einer Haupttendenz in der byzantinischen Philosophie an, die das Prinzip der individuellen Existenz nicht in der Individualisierung der allgemeinen Natur, sondern in einem separaten Prinzip persönlicher

20 21

Seinshierarchie des Dionysios fußt auf der kausalen Beziehung, wobei nicht nur die akzidentellen, sondern auch die wesenhaften Eigenschaften auf eine immer zunehmende Distanz von der Ursache hinweisen. Jede Seinsinstanz realisiert ihre Bildfunktion, indem sie ihre ontologische Abhängigkeit und ihre ontologische Distanz von der ersten Ursache manifestiert wird. So bilden alle Dinge die erste Ursache ab, aber mit unterschiedlicher Intensität. Das damascenische Bildkonzept hingegen differenziert die Bildfunktion von der kausalen Anhängigkeit von Gott. Das Bild offenbart die göttliche Wirkung in der Welt auf eine spezifische Art und Weise, die nicht aus einem hierarchischen Modell folgt, sondern dem Heilgeschichtlichen Prozeß entspricht. De unica via 6, 3–4 (nt. 4). Ibid. 6, 19 (nt. 4).

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Existenz (Hypostase) sieht. Daß es sich hier um eine konsequente konzeptuelle Tendenz handelt, wird daraus klar, daß Scholarios die konkreten Gesetzessysteme, nämlich das Gesetz von Mose und das Gesetz Christi, nicht aus der Perspektive der inhaltlichen Nähe zum natürlichen Ziel vergleicht. Für ihn äußern beide Gesetzessysteme dieses Ziel in gleichem Maße. Es geht um ein anderes Kriterium, das aus der Perspektive der hypostatischen Fundiertheit des Seins ersichtlich ist. Dieses Kriterium betrifft den Status des Individuum, der dem entsprechenden Gesetz folgt. Und es handelt sich hier nicht um die präventive oder zwingende Macht des Gesetzes, gewisse Handlungsvorschriften zu etablieren, sondern um seine Fähigkeit, die Existenz des Individuums auf gewisse Art und Weise zu gestalten. In diesem Zusammenhang behauptet Gennadios, daß das Gesetz von Mose Nutzen nur für vereinzelte Individuen habe 22. Die natürlichen Prinzipien und das Endziel des Gesetzes bleiben dieselben, verändert wird lediglich der Modus, in dem das Individuum das Gesetz realisiert. Die Veränderung ruht nicht im Bereich der Wesenheit, sondern in dem Modulieren der essentiellen Energie. Dies findet durch Imprägnierung mit der göttlichen Gnade oder Energie statt 23, und in diesem Sinne ist das evangelische Gesetz eine Gabe der Gnade 24. Der Ausgangspunkt des Konzeptes von Scholarios über das Gesetz der Vernunft ist eine eigenartige Bindung zwischen natürlichem Ziel und kognitivem Status des Gesetzes, worauf er sein eigenes Modell der anthropologischen Kontextualisierung des Gesetzes baut. III. Wahr nehmung und Anerkennung des natürlichen Gesetzes Das Erreichen des Ziels des natürlichen Gesetzes wird als Genuß (a¬pólausiv) des göttlichen Lebens beschrieben. Hier ist die Rede von einem noetischen Zustand, der gemäß dem oben dargestellten Energie-Modell den ganzen Menschen engagiert. Die praktischen Axiome werden durch die diskursive Vernunft erfaßbar, ihre vollständige Realisierung braucht aber auch andere kognitive Garanten, die außerhalb des Bereichs des demonstrativen Denkens stehen. Es ist kein Zufall, daß Gennadios auch die christlichen Dogmen zu den Energien zählt, die zusammen mit den guten Taten den Willen zum Ziel des Gesetzes orientieren. Der Autor erklärt, daß die Dogmen nicht das Begreifen der Wahrheit bezeichnen, sondern sie lenken den Verstand auf sie; mit anderen Worten konstituieren sie eine Disposition des Verstands zur Wahrheit 25. Sie qualifizieren den 22 23

24 25

Ibid., 6, 52 (nt. 4): „ei¬v e l¬ áttona a¢toma e x¬ hnécjh h™ w¬féleia toû mwsaïkoû nómou“. Die Identifizierung der Gnade mit der Energie ist eine Position, die Scholarios implizit auch in anderen Werken vertritt: cf. S. Markov. Die transsubstantiatio der Eucharistischen Gaben laut Gennadios Scholarios, in: S. Tutekov (ed.), Theologikon. Jahrbuch des Zentrums für systematische Theologie der Fakultät für orthodoxe Theologie an der St. Kyril und Method Universität, Veliko Turnovo, V. Turnovo 2012 (Bulgarisch), 236–247. De unica via, 7, 2 (nt. 4). Ibid., 2, 21 (nt. 4).

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existentiellen Status des Erkennenden und prägen dadurch die extrinsische und kausale Aktivität des einzelnen Menschen. Impliziert wird hier eine Korrespondenz zwischen theoretischer und praktischer Beweisführung, die nicht auf die Erkenntnisintentionalität zu reduzieren ist. Im Einklang mit dieser Anschauung modifiziert Scholarios die in ‚Summa contra gentiles‘ und in ‚Summa theologiae‘ von Thomas von Aquin entwickelte Argumentation über den epistemologischen Status der Prinzipien des natürlichen Gesetzes. Laut Thomas werden die Prinzipien dieses Gesetzes bei den willentlichen Handlungen der Menschen mit durch logische Deduktion angewandt. Auch Scholarios ist überzeugt, daß die Prinzipien des natürlichen Gesetzes per se nota sind, und daß sie den Menschen zum richtigen Denken und Tun anstoßen26. Er ist aber im Gegensatz zu Thomas nicht bereit zu akzeptieren, daß „die Verordnungen des natürlichen Gesetzes für die praktische Vernunft genau das sind, was die ersten Prinzipien der Demonstration für die spekulative Vernunft“ 27. Diese Prinzipien haben einen unterschiedlichen epistemologischen Status. Sie können den Menschen nicht direkt zu Gott führen28, denn sie sind keine ausreichende Bedingung dafür, daß die menschliche Aktivität sich Gott angleicht 29. Darüber hinaus können die richtig anerkannten Prinzipien des natürlichen Gesetzes nicht direkt in der Praxis angewandt werden. Sie brauchen in eine entsprechende Verstandesdisposition integriert zu werden. Diese Integration ist ein sowohl noetischer, als auch willentlicher Vorgang. Letzterer wird vom Autor als Mitwirkung (sunérgeia) der guten Wahl (proaíresiv) der Menschen bezeichnet 30. Es geht um eine Manifestierung der existentiellen Energie des Menschen. 1. Gewißheit des ungeschriebenen Gesetzes Vor dem Sündenfall war das natürliche Gesetz wirksam, weil es fähig war, den Verstand zur Wahrheit und den Willen zum Guten zu lenken31. Die Schwäche dieses Gesetzes nach dem Sündenfall entsteht nicht daraus, daß es ins Schwanken gebracht wurde. Es war im menschlichen Herzen so tief eingraviert, daß der

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Ibid., 2, 23 (nt. 4). Cf. Summa theologiae, I–II, 94, 2. Summa theologiae, I–II, 94, 2. De unica via, 6, 4 (nt. 4). Ibid., 3, 1 (nt. 4). Ibid., 6, 22 (nt. 4). Proaíresiv bedeutet in diesem Kontext nicht einfach das Bevorzugen eines Objektes des Wollens vor einem anderen, sondern auch die Disposition des Wollenden, durch die eine willentliche Handlung realisiert wird. Eine solche Bedeutung hat der Begriff bereits bei Aristoteles; cf. A. Kenny. Practical Truth in Aristotle, in: B. Morison/K. Ierodiakonou (eds.), Episteme, etc. Essays in honour of Jonathan Barnes, Oxford 2012, 278. Dieser Gebrauch ist auch für die philosophische Spekulation über den willentlichen Akt des Menschen gültig; siehe z. B. A. McFarland, ‘Naturally and by grace’: Maximus the Confessor on the operation of the will, in: Scottish Journal of Theology 58/4 (2005), 410–433. Ibid., 3, 10–15 (nt. 4).

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menschliche Wille es daraus nicht verdrängen konnte. Das natürliche Licht des Verstandes ist in jeder Epoche klar genug, damit er dieses Gesetz begreift 32. Scholarios schätzt die aristotelische epistemologische Ansicht, die auch Thomas teilt, nach der der menschliche Verstand von evidenten Prinzipien zu wahrhaften allgemeinen Konzepten allein kommen kann. Er benutzt an dieser Stelle das thomistische Konzept der lumen naturale – eine Fähigkeit des Verstandes, die Wahrheit autonom zu suchen, und zwar im theoretischen sowie im praktischen Bereich33. Die dadurch gewonnene diskursive Gewißheit ist aber nicht hinreichend, damit das natürliche Gesetz an Aktualität gewinnt und vollkommen erfüllt wird. Notwendig ist eine zusätzliche Stufe von Gewißheit, die die Mitwirkung der menschlichen Wahl (proaíresiv) ermöglichen würde. An dieser Stufe wird nicht die kausale Bewegung des Willens bestätigt, sondern die existentielle, sodaß nicht nur das vernünftige Streben, sondern auch die unvernünftige Begierde, und folglich der ganze Mensch (ti kajólou kinhtikón) zur Erfüllung des Gesetzes angetrieben wird34. Die von Gennadios formulierten Kriterien für eine solche Gewißheit, die sowohl für die Vernunft, als auch für den Willen bindend ist, sind etwa paradox: indem er dem ungeschriebenen Gesetz folgt, „überwindet der Mensch die Kraft des Gesetzes“ und erreicht einen neuen gnadenhaften Status 35. Die Erfüllung des Gesetzes bringt das Subjekt aus dem kognitiven Horizont der Verordnungen des Gesetzes heraus, ohne daß die imperative Gültigkeit des Gesetzes verletzt wird. Deswegen kann man die Schlußfolgerung ziehen, daß Scholarios keine prinzipiell unterschiedlichen Gesetzesverordnungen meint, wenn er schreibt, daß das Gesetz Christi dem Willen des Menschen neue Prinzipien und Modelle verlieh36, sondern einen neuen Orientierungspunkt, der dem einzelnen Menschen erlaubt, die Grenze seiner Natur zu begreifen und existentiell zu prüfen. Die Gewißheit des natürlichen Gesetzes alleine kann der fragmentierten Reflexion über die eigene Natur nicht vorbeugen, bei der der Mensch sich nicht nur den Leidenschaften unterordnet, sondern auch einzelne Triebe der Natur und Prinzipien des Seins verabsolu-

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Ibid., 3, 5–15 (nt. 4). Auch in anderen Schriften benutz Scholarios das thomistische Konzept des lumen naturale (fusikòn toû lógou føv). Siehe z. B. Contra Plethonis ignorationem de Aristotele, IV 20,27–21,14; 22,37–23,1; 23,33–36; 24,9–11, in: Œuvres complètes de Georges (Gennadios) Scholarios, edd. M. Jugie/L. Petit/X. A. Siderides., vol. 4, Paris 1935, 1–116. De unica via, 2, 28 (nt. 4). Ibid., 3, 15–16 (nt. 4). Ibid., 12, 5 (nt. 4). Der Begriff „Prinzip“ übersetzt in diesem Fall das griechische Wort lógov. Es muß betont werden, daß hier nicht die Rede von den ersten offensichtlichen Prinzipien des natürlichen Gesetzes ist, für die Scholarios den Begriff a¬rcä verwendet. Diese Prinzipien sind die Anfangsaxiome der Spekulation, während diese zweiten Prinzipien solche Prämissen sind, die bei der konkreteren praktischen Spekulation benutzt werden. Wie weiter gezeigt wird, haben auch sie, genau wie die ersten Prämissen, keinen bloß spekulativen, sondern auch einen breiteren phänomenologischen Status (siehe III.3).

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tiert und viele Götter verehrt 37. Dieser Zustand nennt er Polytheismus des Verstandes38 und hält ihn für die anthropologische Voraussetzung für den religiösen Polytheismus. 2. Anerkennung des schriftlichen Gesetzes: das schriftliche Gesetz von Mose Da die Wirksamkeit des natürlichen Gesetzes immer schwächer wurde, stellte Gott die Anerkennung der Prinzipien des natürlichen Gesetzes erneut sicher. Dies geschah durch das mosaische Gesetz. Sowohl Moses selber, der alle Menschen an Tugendhaftigkeit übertraf, als auch das durch ihn gegebene schriftliche Gesetz (graptòv nómov), wurden als von Gott gesandt anerkannt 39. In seinem apologetischen Plädoyer betont Scholarios, daß das Gesetz von Mose von mächtigen und berühmten Menschen bestätigt wurde, die ihm keine Untertanen waren und ihm nicht folgten40. Offensichtlich ist die Anerkennung keine Funktion der Unterordnung der eigenen Taten zu den Vorschriften des Gesetzes. Die Kriterien für Anerkennung hängen nicht automatisch von der Korrelation zwischen individuellem Benehmen und natürlichem Gesetz ab. Es geht um eine nicht-ostentative (Paul Ricœur) aber doch bindende Kraft des mosaischen Gesetzes41. Hier entsteht die Frage, wie dieses Anerkennungspotenzial garantiert wird, besonders angesichts der Bemerkung des Autors, daß sehr wenige Menschen das mosaische Gesetz in seiner Gesamtheit erfüllen und sein Ziel erreichen. Diese Beispiele sind spezielle Manifestierungen des göttlichen Vorwissens, das die Feststellung des Gesetzes Christi vorbereitete. Nicht die Summe der konkreten Taten gemäß diesem Gesetz bestimmt seine allgemeine Evidenz, sondern die existentielle Disposition, die seine Anwendung voraussetzt. Durch die Autorität der historiografischen Schrift von Diodoros verteidigt Scholarios die These, daß das schriftliche Gesetz von Mose das erste System imperativer Handlungsvorschriften war, das nicht repressiv durchgesetzt

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Ibid., 12, 3 (nt. 4). Ibid., 13, 5 (nt. 4). Ibid., 5, 2–8 (nt. 4): „ed¢ wken o™ jeòv toîv a¬njråpoiv nómon graptòn di’ a¬njråpou páshv a¬retñv plhrestátou kaì a¬lhjoûv profätou, toû Mwséwv, e¬fanérwsé te toîv a¬njråpoiv shmeíoiv pleístoiv te kaì i™kanwtátoiv, oçti o™ te profäthv h©n Mwsñv kaì au¬tøı oi¬keiótatov Jeøı, w™ v oi©on te e n¬ a¬njråpoiv, kaì oçti nómov oÇn e k¬ ómise toîv ’Ioudaíoiv a¬p’ au¬toû h®n, toû Jeoû dhlonóti, wçste mæ mónon ’Ioudaíoiv toûto gnwrisjñnai kaløv, a¬llà kaì pâsi“.

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Ibid., 13 (nt. 4). In seinem Werk über die Hermeneutik als Methode für Erkenntnisgewinnung in Human- und Sozialwissenschaften (Verstehende Soziologie. Grundzüge und Entwicklungstendenzen, München 1972, 282) spricht Paul Ricœur über die „nicht-ostentative“ Bedeutung eines Textes, d. h. die Bedeutung, die, obwohl vom Autor nicht gezielt und nicht explizit vorgegeben, von einer Gemeinschaft anerkannt wird. Es scheint, daß die Anerkennung des mosaischen Gesetzes seitens der Menschen, die keine Adressaten seiner konkreten Verordnungen sind, nach einem analogischen Modell, diesmal aber im Bereich des praktischen Handelns, funktioniert.

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wurde, sondern sich als naturgemäß erwies42. Die Relevanz dieses Gesetzes für das Leben der menschlichen Hypostase ergibt sich aus der Parallele zwischen zwei semiotischen Ordnungen: der Vergegenständlichung der Gesetzesnormen durch den aufgeschriebenen Text und der von diesem Gesetz vorgeschriebenen körperlichen Verehrung Gottes. In beiden Fällen geht es um Vergegenständlichung noetischer Inhalte durch den menschlichen Körper. Nicht die konkreten Gebote, sondern die semiotische Bedeutung der körperlichen Verehrung des einzelnen Gottes, die das mosaische Gesetz verordnet, offenbart die Evidenz des Monotheismus, und zwar auch den Menschen, die dem Judentum nicht angehörig sind. Gemäß dem holistischen anthropologischen Konzept, das für Scholarios gültig ist, stellt der Körper einen Marker des existentiellen Status der menschlichen Hypostase dar. Aus dieser Spekulation von Gennadios läßt sich ableiten, daß die Realisierung des Gesetzes solche kognitiven Fundamente braucht, die sich im Status des Körpers als Zeichen des menschlichen existentiellen Zustands äußern. Der ontologische Garant dieser körperlichen Anschaulichkeit der Kriterien für Gewißheit des Gesetzes ist die Energielehre, die eine holistische anthropologische Perspektive bestimmt. Im Weiteren werden die phänomenologischen Garanten der vollständigen Realisierung des natürlichen Gesetzes analysiert. 3. Das Gesetz Christi als Selbstidentifizierung mit der Wahrheit Wie schon bemerkt, akzentuiert Scholarios nicht den Unterschied zwischen den Verordnungen des mosaischen Gesetzes auf der einen Seite und denen des Gesetzes Christi auf der anderen Seite; sein Ziel besteht darin zu prüfen, inwieweit das natürliche Gesetz durch das Gesetz Christi wirksam wird. Das Gesetz Christi führt den Menschen „unmittelbar“ zum natürlichen Ziel 43, indem es den menschlichen Verstand vervollkommnet 44. Der Hauptfaktor für diese neue Form gnoseologischer Gewißheit ist die Tatsache, daß es nicht durch gnadenhafte Offenbarung gegeben wird, sondern Gott zeigt ihn selber durch die Person seines zum Menschen gewordenen Sohnes. Diese Tatsache ist der Grund dafür, daß die Garanten für die Realisierung des christlichen Gesetzes, genauso wie die Anerkennungsgründe des mosaischen Gesetzes, die ganze Existenz des Menschen in Anspruch nehmen. Sie beziehen sich aber nicht lediglich auf eine Phänomenologie des Körpers, sondern sind für den Menschen als intellektuell-somatische Einheit relevant. Es geht um drei neue

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De unica via, 5, 1015 (nt. 4). Hier ist die Rede von Diodorus Siculus, dem griechischen Historiograph aus der Zeit Julius Caesars und Augustus’. Gennadios beruft sich auf sein Werk ‚Die Bibliothek‘ (Bibliojäkh, ‚Bibliotheca historica‘). Ibid., 7, 18–19 (nt. 4). Ibid., 12, 1 (nt. 4).

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Aspekte der Selbstidentifizierung mit dem Gesetz: 1) Offenbarung der wahren Bedeutung des Gesetzes (diánoia); 2) Darstellung der fälligen Sorge bei der Beachtung der Anweisungen des mosaischen Gesetzes (a¬sfáleia); 3) vollkommenste Ermunterung (paraínesiv)45. Sie ermöglichen die Verwirklichung des natürlichen Gesetzes in allen Lebensbereichen. Christus ist ein Gesetzgeber, sofern er das Ziel des natürlichen Gesetzes in seinem eigenen Leben erreicht. In diesem Sinne realisiert er das wahre philosophische Leben: filosofwtáth zwä. In Christus werden die ethischen, die politischen und die dianoetischen Tugenden durch Liebe erreicht, die die leidenschaftlichen Begierden besiegt. Dem Weg, der sonst mit Belastung gegangen wird, wird durch das Wort und Gesetz Christi leicht und genießbar gefolgt 46. Die Gelehrten der griechischen Antike, die das natürliche Gesetz in subtilen spekulativen Tugendlehren entwickelten, gaben so gut wie keinen Hinweis darauf, wie dies praktisch umgesetzt wird. Gennadios kritisiert insbesondere die antiken Philosophen, und zwar dafür, daß sie die Schwierigkeiten bei der Formierung von Entschlossenheit für tugendhaftes Handeln kaum diskutieren. Nur der von Scholarios hoch respektierte Aristoteles habe diese Schwierigkeiten zum Teil thematisiert, aber nur was die politischen Tugenden angeht. Die Schwierigkeiten, die das Aneignen von Verstandestugenden begleiten und sehr gewichtig sind, werden von Plato und Aristoteles außer Acht gelassen47. Die Verstandestugenden brauchen die kognitiven Evidenzen, die nur das Gesetz Christi sichern kann. Die Identifizierung des intellektuellen Auges mit diesen Evidenzen reinigt die existentielle Wirkung des einzelnen Menschen. Dank deren wird das menschliche Sein gleich dem Göttlichen (jeoeidäv)48. Scholarios schließt sich teilweise dem aristotelischen Konzept an, demzufolge das glückliche Leben in der Erkennung der Wahrheit besteht, und gleichzeitig korrigiert er diese Ansicht. Er betont nämlich, Glückseligkeit für die Christen bestehe nicht in der „Kontemplation der Wahrheit“ ( jewría tñv a¬lhjeíav) sondern in der „unmittelbaren Erkennung“ (a¢mesov gnøsiv tñv a¬lhjeíav) von ihr durch Jesus Christus. Der Autor meint hier die Teilhabe an der göttlichen Energie. So wird das Gesetz Christi als eine wahre Philosophie verstanden, die die menschliche Seele zur Erlösung bringen kann. Die phänomenologischen Garanten für die Gewißheit des christlichen Gesetzes sind Basisstrukturen des praktischen Denkens, die auch für das theoretische Denken relevant sind. Ihr Bewußtwerden annulliert die Axiome des theoretischen Verstandes nicht, sondern führt spezielle spekulative Konzepte ein: gemeint sind hier hauptsächlich die triadologischen und die christologischen Dogmen. Scholarios zieht eine Parallele zwischen den Versuchen der antiken Philosophie, den

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Ibid., 9, 4–7 (nt. 4). Ibid., 19, 30 (nt. 4). Ibid., 19, 35 (nt. 4). Scholarios schreibt, daß bei diesen Tugenden, die schwierig zu kultivieren sind, das Nutzen viel größer ist: ibid, 19, 36–38 (nt. 4).

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Erkenntnishorizont für Realisierung des natürlichen Gesetzes zu definieren, und der Antizipation der christlichen Dogmen in gewissen metaphysischen Modellen der Antike49. Indem der Autor das traditionelle byzantinische holistische Konzept über die menschliche Wirkung anwendet, demonstriert er den Zusammenhang zwischen den existentiellen Aspekten des Willens und den Anerkennungskriterien des Gesetzes. IV. Das Gesetz Christi und die Kriterien der praktischen Spekulation Die meisten Menschen sind unfähig, sich alleine zur wissenschaftlichen und moralischen Wahrheit zu bewegen50. Eine solche These teilt auch Thomas von Aquin und erklärt, daß diese Schwierigkeit im praktischen Bereich aus zwei Gründen entsteht: 1) wegen der Leidenschaften ist das Individuum unfähig die Prinzipien des Gesetzes konsequent durchzuführen; 2) wegen der Vielfalt der konkreten Umstände ist es schwierig, die gesetzmäßige praktische Handlung in der konkreten Situation zu bestimmen. Wie bereits demonstriert, sieht Scholarios noch eine andere causa erroris, und zwar darin, daß die vorchristlichen ethischen Gesetzessysteme keine hinreichenden reflexiven Gründe haben, um ihre Vorschriften konsequent zu realisieren. Aus dieser Position folgt nicht nur ein unterschiedliches Verständnis für die Rolle der göttlichen Gnade, sondern auch ein spezifisches Modell für die Bewertung der Disposition zum gesetzmäßigen Handeln. Dieses Modell überbrückt die Diskrepanz zwischen ethischen und dianoetischen Tugenden. Indem Scholarios das Gesetz Christi als „philosophisches Leben“ und die „wahre Philosophie“ als die höchste Stufe der menschlichen Glückseligkeit bezeichnet 51, meint er eine Synthese der ethischen und der dianoetischen Tugenden 52. Es geht um noetische Teilhabe an der göttlichen Energie, bei der der Mensch zu einem Subjekt „der Einigung mit Gott, wie auch anderer gottziemenden Gedanken“ wird 53. Das Erreichen dieses Zustands wird vom Evangelium gelehrt, was Gennadios die „adlige Pädagogik des christlichen Gesetzes“ nennt, und durch die Wirkung Gottes garantiert. Die Verwirklichung des christlichen

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Ibid., 20 (nt. 4). So antizipiert nach Gennadios die Monade der Pythagoreer die Einzigursächlichkeit der Trinität. Ibid., 3 (nt. 4); Contra Plethonis ignorationem de Aristotele, IV, 21,3–5 (nt. 33); Quaestiones et responsiones de divinitate Domini nostri Jesu Christi, 2, in: Œuvres complètes de Georges (Gennadios) Scholarios, vol. 3. Paris 1930, 458–475. Ibid., 13 (nt. 4). Ibid., 9 (nt. 4). Ibid., 13, 3–5 (nt. 4): „o™ d’ eu¬aggelikòv nómov dñlóv e s¬ tin a¢mfw taûta pepoihkœv en¬ h™mîn, tæn mèn e™nóthta toû jeoû kaì tàv a¢llav jeoprepeîv en¬ noíav a¢rista toùv a¬njråpouv didáxav“.

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Gesetzes ist eine epistemologische Basis für das Erreichen der theoretischen und der praktischen Wahrheit. Das dadurch konstituierte philosophische Leben ermöglicht eine Existenz an der Grenze der Natur, die in Verachtung der Welt und Sterben zwecks der Wahrheit besteht 54. Der Autor beruft sich auf Johannes Damascenus’ Definition von Philosophie 55. Indem er die Semantik des Todes transformiert und erweitert, korrigiert Johannes Platons Definition der Philosophie als „Sorge um den Tod“ 56. In der von Johannes verfaßten Version dieser Definition geht es nämlich nicht nur um den natürlichen Tod, verstanden als Trennung von Seele und Körper; dabei werden diejenigen Dispositionen der natürlichen Kräfte der menschlichen Person vernichtet, die die Wahrheit in der Lebenspraxis vernebeln. Die Vergegenwärtigung der natürlichen Grenzen, die dank der neuen phänomenologischen Kriterien für Anerkennung möglich wurde, ist das anthropologische Fundament für ein Kriterium für praktische Wahrheit, das in der antiken Philosophie in der Form nicht zu finden ist. Anthony Kenny zeigt, daß Aristoteles im Bereich des moralischen Handelns eine Parallele zwischen kognitiver und effektiver Tätigkeit der Vernunft etabliert57. Damit eine konkrete Tat (e r¢ gon) realisiert wird, reicht das Streben des Willens nach einem kognitiv als gut begriffenen kausalen Akt nicht; notwendig ist die Formierung der entsprechenden Wahl (proaíresiv). Genauso wie die Gedanken richtig oder falsch sein können, kann auch die Wahl gut oder schlecht sein58. Das kognitive Problem besteht hier darin, daß die konkreten Umstände so variieren, daß die willentliche Disposition, die die einzelne Wahl bestimmt, schwierig zu bewerten ist. Man kann tatsächlich die Güte eines willentlichen Ziels richtig wahrnehmen und prüfen, allerdings erweist sich die Wahrhaftigkeitsprüfung des konkreten willentlichen Zustrebens auf dieses Ziel als viel schwieriger 59. Mit anderem

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Ibid., 13, 10 (nt. 4). „Philosophie ist weiterhin Sorge um den Tod, den gewählten sowie den natürlichen. Denn zwiefach ist das Leben: einmal ist es ein natürliches, demnach wir leben, zum andern ein gewähltes, demnach wir leidenschaftlich an dem gegenwärtigen Leben festhalten. Zwiefach ist auch der Tod: der natürliche, das ist das Entweichen der Seele aus dem Körper, und der gewählte, demnach wir das gegenwärtige Leben verachten und uns nach dem zukünftigen sehnen.“ (Johannes Damascenus, Dialectica, 3, 1–27, in: Die Schriften des Johannes von Damaskos, I, ed. B. Kotter, Berlin 1969, 56). Die Definition ist in den christlichen Quellen zu finden ist, wobei die endgültige Variante Johannes Damascenus zuzuschreiben ist. Der unterstrichene Text aus diesem Zitat weist auf das von Johannes hinzugefügte Material hin. Implizit wird hier der platonischen Spiritualismus polemisiert, indem es behauptet wird, daß es möglich sei, die existenziellen Defizite der conditio humana durch die (von Gott gerichtete) Willensdisposition zu überwinden. Phaidon, 81 a1. A. Kenny, Practical Truth in Aristotle (n. 30), 279. Cf. Ethica Nicomachea, III, 4, 1111b34; Ethica Eudemia, II, 10, 1226a4. Kenny concludes: „The rules of valid argument in the theoretical mode are designed to ensure that in reasoning one will never pass from something that is true to something that is not true. If there are rules for practical inference, they must ensure that the inference conforms to a pattern that will never lead from a project that is good to one that is not good. Just as the truth of the premises is communicated to (or as Aristotle would say, causes) the truth of the conclusion in a

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Worten ist es durchaus möglich, durch ein gültiges Beweisverfahren zu bestimmen, wie der tugendhafte Mensch in einer konkreten Situation agieren würde: durch welche konkrete Tat das natürliche Gesetz unter gewissen Umständen angewandt werden muß. Die Wahrhaftigkeit des Beschlusses aber, nach dem die Person auf eine gewisse Art und Weise handelt, ist mit einem solchen Verfahren nicht begründbar, denn die Tugend ist ein Habitus, der die Manifestierung der komplexen existentiellen Energie des Menschen charakterisiert 60. Es scheint, daß Scholarios gerade dieses epistemologische Problem meint, wenn er bemerkt, Aristoteles selber habe zugegeben, daß diejenigen, die gemäß der Tugend wirken wollen, es kaum konsequent realisieren, denn das ist so schwierig, wie das Treffen des Zentrums eines Kreises61. Wenn man die Spekulation von Scholarios über das willentliche Handeln gemäß des Gesetzes Christi in einer Systematik des Willensaktes rekonstruiert, läßt sich feststellen, daß die willentlich-kognitive Bestimmung der Tat auf zwei Achsen verläuft: auf der einen wird das Ziel der Tat aus dem Begriff der natürlichen Gute deduziert (was-Wollen); auf der anderen wird ein eventueller Widerspruch gesucht zwischen der willentlichen Disposition für die konkrete Tat und der Bereitschaft (projumía) bis an die natürliche Grenze zu gehen (wie-Wollen)62. Das ist möglich durch die schon kommentieren phänomenologischen Kriterien für die Gewißheit des Gesetzes Christi. Das Kriterium für die Wahrhaftigkeit des Beschlusses, das man aus der Spekulation von Scholarios ableiten kann, ist die Lust bei der gesetzmäßigen Handlung 63. Die so verstandene Lust ist das Kriterium für Nutzen des natürlichen Gesetzes seitens der einzelnen menschlichen Hypostase. In der byzantinischen Anthropologie wird die Lust traditionell als ein existentieller Zustand konzipiert, der alle körperlichen und intellektuellen Kräfte des Menschen engagiert. Johannes Damascenus zum Beispiel betrachtet die Lust nicht als ein automatisches Ergebnis aus dem Treffen mit einem konkreten natürlichen Güte, sondern als einen Habitus, in dem die Disposition des einzelnen Menschen zu der Quelle des Lebens, d. h. zu Gott, manifestiert wird64. Die Lust

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valid theoretical argument, so the goodness of the initial practical premise (the desire of a good life) is communicated to the conclusion, which is the resolution (prohairesis) to act appropriately. Aristotle never succeeded in setting out rules of valid practical reasoning“. Zum Beispiel die Konklusion: „In dieser Situation wird der tugendhafte Mensch so und so handeln. Ich bin aber nicht tugendhaft genug, also würde ich anders agieren“ ist logisch korrekt, aber ist keine gültige Abschätzung der praktischen Wahrhaftigkeit der konkreten Tuns. De unica via, 19, 24–25 (nt. 4). Cf. Ethica Nicomachea, II, 8, 1109a25. Ibid., 11, 10 (nt. 4). Der konzeptuelle Unterschied zwischen was-Wollen und wie-Wollen ist in der byzantinischen philosophischen Tradition von Maximus Confessor und Johannes von Damaskos etabliert. Ibid., 19, 32–33; 41–42: „Wer würde doch fähig sein aufgrund der Lehre ihrer Weisen es schaffen über die Wahrheit bereitwillig und mit Lust zu sterben, wie aufgrund der Lehre unseres Herrn“. Expositio fidei, 36, 108–11; 58, 155–77, in: Die Schriften des Johannes von Damaskos II, ed. B. Kotter, Berlin 1973, 92; 143–144. Dieses Verständnis von Johannes korrigiert die neuplatonische normative Hierarchisierung der Lüste und die daraus folgende Unterschätzung der körperlichen Lüste zugunsten der intellektuellen, die bei Nemesios zu finden ist. Damit schafft Dama-

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des philosophischen Lebens ist subjektiv spürbar, aber das Kriterium ist nicht subjektivistisch, denn die Grenze des eigenen Agierens durch die Kräfte der Natur ist eine evidente Anschauung. Der willentliche Moment, bei dem die Achse des wie-Wollens bei der kognitiven Bestimmung des Willensaktes stattfindet, wird von Scholarios nicht thematisiert, ist aber in der Tradition gut bezeugt – das ist nämlich die Gnome (gnåmh), d. h. der spezifisch persönliche Faktor, der die logische Folgerichtigkeit des Willens bezüglich eines konkreten Tuns axiologisch qualifiziert 65. Platon und Aristoteles haben es nicht geschafft, die praktischen Kriterien des von ihnen dargestellten Wegs zur Glückseligkeit zu demonstrieren. So bleibt bei ihnen die Vollkommenheit des Menschen ein unrealisierbares Ideal. Implizit korrigiert aber der Autor auch Thomas. Für ihn ist die Zielursache des willentlichen Aktes lediglich das natürliche Gute. Das Gesetz ist also ein Kriterium für die Korrespondenz der konkreten Tat mit dem natürlichen Guten. Für Scholarios ist das Erreichen des natürlichen Ziels durch gute Taten nur dann vollständig, wenn eine persönliche Teilhabe des Menschen an der praktischen Wahrheit realisiert wird. Es geht um eine noetische Lust, die an der Grenze der Natur stattfindet und die gesamte existentielle Energie des Menschen engagiert. V. Epilog Der Traktat ‚Über den einzigen Weg der Rettung‘ kombiniert Apologetik, konfessionelle Polemik und philosophische Spekulation. Scholarios demonstriert die Redundanz der Verordnungen, denen die Nachfolger des Propheten Muhammad folgen; weiterhin weist er die Überlappung zwischen dem christlichen Gesetz und einer normativen Ethik der menschlichen Natur nach. Die christliche Religion wird verteidigt als die absolute Vervollkommnung des Naturgesetzes und als das geschichtlich letztere von Gott offenbarte Gesetzsystem. Der Text soll als eine Kulturgeste im Rahmen der byzantinischen Kultur interpretiert werden, sein Adressat sind die Bürger von Byzanz und nicht ein Publikum von Muslimen. Das Leitmotiv des polemischen Diskurses gerade um die Zeit der türkischen Invasion herum hat die Aufgabe, die Ansicht zu rechtfertigen, daß das Ende des christlichen Reiches von Byzanz kein ‚Unfall‘ der Weltgeschichte ist. Denn diese geschichtliche Katastrophe kann sich nicht außerhalb der göttlichen Vorsehung ereignen66. Die Geschichte als Realisierung der ewigen Vorsehung Gottes – das ist die große Voraussetzung für die Schlußfolgerungen von Scholarios. Der Idee einer sakralen geschichtlichen Topologie stellt er den geschichtlichen Immanentismus des Bildkonzeptes gegenüber. Das christliche Gesetz

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scenus eine Synthese der Lust-Konzepte von Plato und Aristoteles. Dem von ihm etablierten Standard für Behandlung dieses Themas wird von Scholarios gefolgt. Ibid (nt. 64). F. Tinnefeld, Grundzüge der Theologie (n. 2), 534.

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ist eine natürliche Evidenz, die durch den persönlichen Faktor in jeder Zeit realisierbar ist. Folglich hebt die Tatsache, daß das christliche Reich endgültig verschwunden sei, wie der Autor in einem anderen Text behauptet 67, die eschatologische Bedeutung der Existenz des einzelnen Christen nicht auf. Indem er diesen geschichtlichen Universalismus verteidigt, beruft sich Scholarios auf das dynamische und holistische byzantinische Konzept der menschlichen Natur, welches er in die Anthropologie versetzt. Das Gesetz ist ein normatives Kriterium für das natürliche Sein, dessen Realisierung gewisse Anerkennungskriterien voraussetzt. Der Autor entwickelt ein System von Anerkennungskriterien, die nicht formal-kognitiv, sondern anthropologisch fundiert sind. Er stützt sich auf einem Konzept über die intellektuelle Seele als Garant für die persönliche Einheit, das er ausführlich woanders in seinen Werken darlegt. Die Energie-Lehre wird hier nicht als direkter Kontrapunkt zur thomistischen Ontologie der Natur, sondern als Kohärenzprinzip zwischen der ethischen Normativität und der Phänomenologie des Gesetzes benutzt. Durch dieses Prinzip werden die phänomenologischen Gründe des mosaischen Gesetzes und des Gesetzes Christi begründet, nämlich die Semiotik des Körpers und die existentielle Dimension des Willensaktes. Die geschichtsphilosophische Relevanz der oben dargestellten Ansätze ist das Kriterium für transformative Entlehnungen von thomistischem Material. Gleichzeitig markiert sie eine umfassendere kulturologische Bedeutung der philosophischen Argumente. Obwohl Scholarios einen konzeptuellen Konsens zwischen Ost und West sucht, ist er sein ganzes Leben lang nicht bereit, die dogmatischen Unterschiede zu ignorieren68. Das Thema ‚Gesetz‘ ist keine Streitfrage, die die Polemik zwischen Ost und West erregte. Trotzdem beschränkt sich Scholarios nicht auf eine instrumentelle Benutzung von terminologischen Konstrukten und Argumentationslinien von Thomas, sondern konfrontiert seine eigene Position mit dem lex-Konzept des scholastischen Theologen. Scholarios studiert und korrigiert die Rezeption der aristotelischen Anthropologie bei einem ihrer profundesten Interpreten, Thomas von Aquin. Man kann die Schlußfolgerung ziehen, daß die Argumentation von Scholarios in diesem Text auch ein Zeichen dafür ist, daß er neue Nuancen in der philosophischen Debatte bezüglich der Transponierung der Antiken Philosophie ins christliche Denken aufdecken will. Diese Geste gilt für ihn als Bestätigung kultureller Identität. Was die politische Katastrophe anbelangt, ist er nicht bereit, die Marginalisierung des geistlich-philosophischen Erbes des Oströmischen Reiches und seine Umwandlung in eine Kulturprovinz des Westens zu akzeptieren.

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Lamentation de Scholarios sur les malheurs de sa vie, in: Œuvres complètes de Georges (Gennadios) Scholarios, edd. M. Jugie/L. Petit/X. A. Siderides, vol. 1, Paris 1928, 180–188. F. Tinnefeld, Grundzüge der Theologie (n. 2), 533–534.

VII. Gesetzesdiskurse zwischen erster und zweiter Scholastik

Duty to Self-Preservation or Right to Life? The Relation between Natural Law and Natural Rights (1200–1600) V M (Helsinki) I. Introduction The idea that all human beings are equal and that they deserve certain kinds of treatment and are entitled to the right to life is often perceived as a typically modern ethical-political idea. However, the ways in which natural, individual rights are discussed today is the outcome of a long legacy of theorising going back to the high Middle Ages. There is the consensus among modern scholars that natural rights emerged in medieval rights discourse but there is still dispute about more particular questions, such as whether the emergence of individual, natural rights can be understood as a continuation or a revival of an earlier tradition (e.g. what is the relation between objectively and subjectively understood natural right(s) traditions?). Another disputed question which is related to the previous one is whether there is a single unbroken rights tradition or are there separate traditions. Concerning the first question – the relationship between natural law and natural rights doctrines – some scholars distinguish sharply between them, and regard them as incompatible1, whereas others see the idea of natural rights merely as a supplement to natural law, or even as a different way to express what is already implied by natural law 2. When studying medieval and early modern texts concerning the subject, it is important to clarify in which historical, philosophical, and political contexts they are written and what is their main focus. According to Brian Tierney, there were at least four momentous historical contexts for the development of natural rights theories: the “renaissance” or “revolution” of the twelfth century, which saw many new beginnings in Western life and thought; the long-lasting dispute over the Franciscan poverty beginning from the mid-thir-

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See L. Strauss, Natural Right and History, Chicago 1965; C. B. MacPherson, The Political Theory of Possessive Individualism. Hobbes to Locke, Oxford 1962. Recently, a similar argument has been made by S. Moyn, The Last Utopia. Human Rights in History, Harvard 2010. See J. Maritain, Les droits de l’homme et la loi naturelle, Paris 1945; J. Finnis, Natural Law and Natural Rights, Oxford 1980; B. Tierney, The Idea of Natural Rights. Studies on Natural Rights, Natural Law and Church Law, 1150–1625, Atlanta/Georgia 1997.

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teenth century, along with the writings of the canonists; the context of the Conciliar Movement for church reform; and the impact of the European encounter with the New World from the sixteenth century 3. Concerning the first question, it has been asserted among some modern scholars that medieval natural rights remained derivative and were thus understood mostly as the fulfillment of natural law duties4. However, there is no evidence for this kind of idea in medieval sources. According to Brian Tierney, the central ideas which late medieval scholastics offered concerning natural law and natural rights, were the notions of a permissive natural law and of self-dominion5. The third central topic in the relation between natural law and natural rights offered by the scholastics themselves was the idea of self-preservation6. With regard to the second question – whether there is a single unbroken rights tradition or separate traditions – some modern scholars see only one tradition. This grounds rights in Christian anthropology and maintains that human beings are rational God-created individuals worthy of humane treatment7. Others maintain two separate and parallel natural rights traditions, with radically different conceptions of humankind, society, and the state: one based on Christian anthropology and another on Enlightenment anthropology. The latter tradition “posited a natural state of antagonism among individuals and a natural right to self-preservation from which other rights emerged” 8. Scholars in this tradition also consider that the earliest roots are seen in seventeenth-century thinkers, especially in the writings of Thomas Hobbes and John Locke, who broke decisively with the previous tradition9. 3 4

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Tierney, The Idea (nt. 2), 17, 34–35. This assertion varied according to the author; see E. L. Fortin, Natural Law, in: J. Brian Benestad (ed.), Human Rights, Virtue, and the Common Good. Untimely Meditations on Religion and Politics (Ernest L. Fortin: Collected Essays, vol. 3), Lanham, MD 1966, 246, 248; M. Kriechbaum, Actio, ius und dominium in den Rechtslehren des 13. und 14. Jahrhunderts, Ebelsbach 1996; R. Helmholz, Natural Human Rights. The Perspective of the ius commune, in: Catholic University Law Review 52 (2003), 301–325. According to Knud Haakonssen even the classical natural law theorists (referring especially to Locke) saw natural rights as “powers to fulfill the fundamental duty of natural law.” See his Natural Law and Moral Philosophy. From Grotius to the Scottish Enlightenment, Cambridge 1996, 55, 62. See B. Tierney, Dominion of Self and Natural Rights Before and After Locke, in: V. Mäkinen/ P. Korkman (eds.), Transformations in Medieval and Early-Modern Rights Discourse (The New Synthese Historical Library, vol. 59), Dordrecht 2006, 174–176. See V. Mäkinen, Rights and Duties in Late Scholastic Discussion on Extreme Necessity, in: V. Mäkinen/P. Korkman (eds.), Transformations in Medieval and Early-Modern Rights Discourse, 37–59; V. Mäkinen, Self-Preservation and Natural Rights in Late Medieval and Early Modern Political Thought, in: V. Mäkinen (ed.), The Nature of Rights. Moral and Political Aspects of Rights in Late Medieval and Early Modern Philosophy (Acta Philosophica Fennica, vol. 87), Helsinki 2010, 93–108. See e.g. Tierney, The Idea (nt. 2); V. Possenti, Diritti umani e natum umana, in: Rivista di Filosofia neo-scholastica 2 (1995), 252. See Th. D. Williams, Francisco de Vitoria and the Pre-Hobbesian Roots of Natural Rights Theory, in: Alpha Omega 7/1 (2004), 47–59. See E. L. Fortin, Classical Christianity and the Political Order: Reflections on the TheologicoPolitico Problem, in: J. Brian Benestad (ed.), Ernest L. Fortin: Collected Essays, vol. 2, Lanham,

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In this article I am interested in the relationship between natural law and natural rights in late medieval and early modern rights discourse, i.e., in the first and second Scholasticism. I will argue that the investigation of the idea of selfpreservation and its meaning in the emergence of natural rights will also clarify the relationship between the objective and the subjective rights traditions. There were at least two main medieval contexts in which the idea of self-preservation had an important relevance for our subject: first, the discussion on the rights of the poor in medieval canon law sources, and second, the dispute on the ideal of Franciscan poverty. Among medieval theologians, the inclination to self-preservation was commonly seen as a precept of natural law and as a divinely ordered duty to preserve one’s life, which was owed to the Creator. Interestingly enough, in some sources commenting on or criticizing the Franciscan ideal of poverty in the late thirteenthcentury, self-preservation was also seen as an inalienable natural right belonging to every person in extreme necessity. In fact, the twelfth-century decretists touched on the subject but did not explicate it as thoroughly as later theologians. The duty and right to self-preservation remained a vital subject in the natural rights and law traditions up to the eighteenth-century. It plays a central role with different modifications and in different circumstances in the theories of Thomas Hobbes, John Locke, Samuel von Pufendorf, David Hume, and even Adam Smith. My aim in this article is first to offer a brief overview of how the notion ius naturale was understood in late medieval canon law and theological sources. I will focus on the terminological development of ius naturale and especially its subjective understanding by late medieval scholastics, referring to Henry of Ghent, Godfrey of Fontaines, William of Ockham, Marsilius of Padua, Conrad Summenhart, and Jean Gerson. I will argue that the emergence of the subjectively understood notion of ius naturale required new psychological insights, and in late medieval voluntarist psychology the individual as an autonomous and self-assertive person was highlighted10. Secondly, I will focus on the notion of self-preservation and especially its significance in medieval and early modern natural rights theory. I will not, however, try to explain how the idea of self-preservation was transformed into a universal right to life of every citizen protected by society and the government in the early modern period. This kind of explanation is, of course, a major task and deserves

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MD 1996, 265–286; J. Lockwood O’Donovan, The Concept of Rights in Christian Moral Discourse, in: M. Cromartie (ed.), A Preserving Grace. Protestants, Catholics, and Natural Law, Grand Rapids, MI 1997, 143–156. V. Mäkinen, Property Rights in the Late Medieval Discussion on Franciscan Poverty (Recherces de Théologie et Philosophie médiévales, Bibliotheca 3), Leuven 2001; J. Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights and Its Medieval Background (Studies in Medieval and Reformation Tradition, vol. 159), Leiden–Boston 2012. However, there were also other important factors in political, social and economic spheres that certainly influenced ideas on individual rights. It should also be mentioned that each scholastic author had his own historical, political as well as ideological contexts.

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to be studied more intensively than it is possible here. Concerning the second Scholasticism, I am here referring to the writings of Francisco de Vitoria, who was the earliest figure and was known as the father of the School of Salamanca. Finally, I will argue that in the light of medieval and early modern texts (especially those concerning self-preservation and the right to life), it seems evident that natural rights and natural law are not derived one from the other. On the contrary, they are both derived as correlative doctrines from the same fundamental view of human personality. II. T he Objective and the Subjective Notion of ius naturale When using the notion ius naturale medieval scholastics did not explicitly differentiate whether they were referring to natural law or natural rights. There are, however, two main lines of interpretation of ius naturale in late medieval scholastic sources: “natural right” based on the notion of ius in an objective sense and “natural rights” based on the notion of ius in a subjective sense11. In fact, the Latin word ius was an elusive concept and there were numerous interpretations of what ius means and to what it refers. Partly this variation is due to context: the interpretation of ius depends on whether we consider it a legal or a moral term, but variation is also found within one context12. As Cary J. Nederman describes it, “this begs underlying questions about whether the widespread medieval use of rights language, first of all, had any strong philosophical foundations and whether, moreover, the way(s) in which medieval thinkers conceived of rights has any significant relation to more recent ideas of rights.” 13 In ancient and medieval sources, ius in its moral philosophical sense means “what is right” or “that which is just (id quod iustum est).”14 In this sense, ius is understood as the object or objective of the moral virtue of justice15. In the source 11

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See e.g., A. S. Brett, Liberty, Right and Nature. Individual Rights in Later Scholastic Thought (Ideas in Context 44), Cambridge 1997, 2–9; A. S. McGrade, The Ontology and Scope of Human Rights. Forward with Ockham, in: American Catholic Philosophical Quarterly 86/3 (2012), 527–528 (527–538). C. Nederman, Natural Rights, in: J. Marenbon (ed.), The Oxford Handbook of Medieval Philosophy, Oxford 2012, 643–644 (643–660). See also J. Kilcullen, Medieval and Modern Concepts of Rights, in: V. Mäkinen (ed.), The Nature of Rights. Moral and Political Aspects of Rights in Late Medieval and Early Modern Philosophy (Acta Philosophica Fennica, vol. 87), Helsinki 2010, 31–62. Nederman, Natural Rights (nt. 12). For the objective definition of ius in medieval sources in general, see McGrade, The Ontology (nt. 11), 528. For more examples of this kind of definition in scholastics texts, see e.g. Thomas Aquinas, Summa theologiae (hereafter Sth), 2a 2ae, 57, 1: “Et propter hoc specialiter iustitiae prae aliis virtutibus determinatur secundum se obiectum, quod vocatur iustum. Et hoc quidem est ius. Unde manifestum est quod ius est obiectum iustitiae.” See Thomas Aquinas, Summa theologiae, II–II, 57, 2: “… ius, sive iustum, est aliquod opus adaequantum alteri secundum aequalitatis modum.” For Aquinas’s understanding of ius and iustum,

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books included in the Roman legal tradition (e.g., ‘Digesta’, ‘Institutiones’, and ‘Codex’), ius could refer either to a thing (res), rightness or justice as existing in external nature, and in this sense it needs to be understood as referring to right as something objective. In legal sources, the notion of ius also referred to a body of legal or moral precepts (e.g., ius civile, ius gentium) and was thus understood as equivalent to lex, ‘law’ or ‘the laws’16. It has been argued that the Aristotelian tradition provided a basis for the classical doctrine of objectively understood natural rights that scholastic authors inherited and exemplified in their doctrine of the natural law 17. Thomas Aquinas, for instance, is seen to represent this tradition. For him, ius was primarily a thing (res), something existing in external reality, as justice (tò díkaion) also was for Aristotle and ius for Ulpian. Aquinas followed the ancient legal and philosophical traditions, and for him the most common definition of ius was that it was a thing (rem), something existing in external nature18. However, Aquinas did not only use the notion of ius in this sense but gave some derivative meanings to it and distinguished between different kinds of ius 19. Some of these uses of the notion in fact seem to exemplify a subjective sense of rights, as is the case with the phrases ius dominii and ius possidendi, the right of an owner and the rights of a possessor 20. This does not, however, mean that Aquinas fully developed an idea of natural rights 21.

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see H. Syse, Natural Law, Religion, and Rights. An Exploration of the Relationship between Natural Law and Natural Rights, with Special Emphasis on the Teachings of Thomas Hobbes and John Locke, South Bend, Ind. 2007. For a discussion of the terminological variation, see J. A. C. Thomas, Textbook of Roman, New York–Oxford 1976. In ancient philosopical usage díkaion and ius primarily referred to objective rights within a characteristically moral sphere as opposed to a legal context. For example, for Aristotle díkaion was what is just. See Tierney, The Idea (nt. 2), 21–27; Brett, Liberty (nt. 11), 3, 89–97. Some scholars have also attributed the theory of natural rights to Aquinas. See e.g. Maritain, Les droits (nt. 2); Finnis, Natural Law (nt. 2), esp. 132–138, 183–209. See H. Hering, De iure subjective sumpto apud s. Thomam, in: Angelicum 16 (1939), 295–229. Hering lists several cases of particular rights where Aquinas employs ius in a subjective or individual sense: Summa theol., I–II, 58, 2 (ius contradicendi); II–II, 62, 1, ad 2 (ius dominii); II–II, 66, 5, ad 2 (ius possidendi); II–II, 69, 1 (ius praelationis); II–II, 87, 3 (ius accipiendi); III, 46,3, obj. 3 (ius in homine); III, 57, 6, ad 3 (ius mansionis caelestis); III, 67, 2 (ius accedendi ad mensam Domini); III, 67, 6 (ius baptizandi); suppl., 57, 1, ad 7 (ius successionis); suppl., 64, 1, ad 3 (“Si aliquis redditur impotens ad depitum solvendum […] mulier non habet ius plus petendi”); suppl., 64,4, ad 1 (ius petendi); Qu. disp. de virtutibus in communi, q. 1, ad 4 (ius et facultatem repugnandi); Quodl. II, 8 (ius exigendi). For Aquinas’s usage of ius as a subjective notion, see also Tierney, The Idea (nt. 2), 23. M. Zuckert has offered an interesting treatment of Aquinas’s teaching on natural law, comparing it to John Locke’s doctrine of self-ownership. According to Zuckert’s interpretation, some of Aquinas’s texts could readily be translated into a language of rights – though Aquinas himself did not do this. See M. P. Zuckert, Natural Rights and the New Republicanism, Princeton 1998. See also B. Tierney, Dominion of Self and Natural Rights Before Locke and After, in: V. Mäkinen/P. Korman (eds.), Transformations in Medieval and Early-Modern Rights Discourse, 173–203, esp. 175. For the view that Aquinas did not fully develop a notion of natural individual rights, see Brett, Liberty (nt. 11), 89–97; Tierney, The Idea (nt. 2), 23.

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The most relevant sense of ius for our subject is “a right”, a legal or moral power someone has. “Subjective” simply refers to someone – the subject – who has ius 22. In its subjective sense, ius naturale referred to the licit claims and powers inhering in individuals. William of Ockham, for example, defined ius utendi as “a licit power of using an extrinsic object of which no one without culpability on his part should be deprived against his will and without reasonable cause; and if he should be [so] deprived, he can bring an action against the person who deprives him in court”23. Jean Gerson and Conrad Summenhart followed in the same paths. For Gerson ius was primarily “an immediate faculty or power pertaining to anyone according to right reason”. Ius was also to act rightly according to reason and conscience. Gerson also declared that “from ius so defined it was possible to deduce, by a sort of mathematical reasoning, a whole theory of government and property” 24. Gerson also distinguishes between ius and lex, the latter being “a rule in conformity with right reason” 25. According to Gerson, an individual has God-given rights: liberty, i.e., “a faculty of acting or not acting”, and dominion, “a right of taking inferior things for one’s use and preservation”26. Gerson was widely quoted by later Parisian conciliarists, by the German theologian Conrad Summenhart, and by the Spanish scholars of the second Scholasticism27. This was important for the further development of the Gersonian natural rights tradition. In his ‘De contractibus’ (1500), Conrad Summenhart defined ius in two ways following Gerson. He made an explicit distinction between the subjective and objective meanings of ius as follows: “In one sense it is the same as law (lex) as when we say that the precepts of God are ius divinum and the statutes of emperors are ius civile […] In another sense ius is taken to be the same as a power as when we say a father has a right (ius) as regards his son, or a king as regards his subjects and men have a right in their things and possessions …” 28.

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See McGrade, The Ontology (nt. 11), 528. For a subjectively understood definition of ius, see William of Ockham, Opus nonaginta dierum, edd. R. F. Bennett/J.G. Sikes, Guillelmi de Ockham, Opera Politica I, Manchester 1940 (287–374), ch. 2, 304: “[…] ius utendi potestas licita utendi re extrinseca qua quis sine culpa sua et absque causa rationabili privari non debet invitus; et si privatus fuerit, privantem poterit in iudicio convenire.” See also V. Mäkinen, Moral Psychological Aspects in William of Ockham’s Theory of Natural Rights, in: American Catholic Philosophical Quarterly, 86/3 (2012), 507–525. Jean Gerson, De vita spirituali animae, in: Jean Gerson: Œuvres complètes, 10 vols., Paris 1961–1973, 3:14i: “Jus est facultas seu potestas propinqua conveniens alicui secundum dictamen recta rationis.” For Gerson’s theory, see also Tierney, The Idea (nt. 2), 53; Brett, Liberty (nt. 11), 76–87. Gerson, De vita (nt. 24), 6:242: “[…] lex est regula conformitatem habens ad dictamen rectae rationis.” Gerson, De vita (nt. 24), 145. Tierney, The Idea (nt. 2), 53. Conrad Summenhart, De contractibus licitis atque illicitis, Venice 1580, 1.1.1: “[…] jus capitur dupliciter. Uno modo idem est quod lex, quo modo accipitur cum dicimus praecepta Dei esse jus divinum et constitutiones imperatorum esse jus civile … Alio modo accipitur jus ut idem est quod potestas, quo modo accipitur cum dicitur patrem habere jus in filium, regem in subditos, et homines jus in rebus et possessionibus suis […].” Translation in Tierney, The Idea (nt. 2), 109.

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Summenhart himself stated that this formulation of ius was from Gerson but, as Brian Tierney has shown, Marsilius of Padua made a similar formulation in his ‘Defensor pacis’ 29. Some modern scholars have pointed out the importance of the notion of dominium in the development of subjectively understood ius naturale 30. In medieval rights language, the notion dominium was often treated as equivalent to ius, at least beginning from the thirteenth century. So-called dominion rights were important in Summenhart’s doctrine on natural rights and thus also in Francisco de Vitoria’s thought, who mainly followed Summenhart. Thus another key notion to understand the development of natural rights is dominium 31. Like the notion of ius, dominium also had many senses. Even the same author had several kinds of meaning for it, depending on the context. Four senses are worth noticing here 32: “Dominium may mean (1) the mastery over one’s own actions; (2) rulership (e.g. a king’s rulership); (3) ownership over things (proprietas), and (4) the mastery Adam and Eve had in the state of innocence over other creatures.” Some medieval scholars called sense (4) a “natural dominium” (dominium naturale), or “original dominium” (dominium originale), and “by analogy with this some (e.g., Conrad Summenhart) wrote of evangelical dominium, beatific dominium and other kinds enjoyed by particular categories of people.” 33 It should be noted here that natural rights were often referred to as ius naturale, but some scholars also used the notion dominium naturale 34. The first and the latter senses of dominium above are not rights. Only senses (2) and (3) are themselves rights or objects of rights. In the meaning of ownership, dominium was distinguished from other limited rights such as possession (possessio), private property (proprietas), usufruct (ususfructus) and use (usus). For example, an owner (dominus) does not have possession, usufruct and use over his property (a house for instance) when she has rented it to another person. All those restricted rights belong to the tenant but he or she does not have a dominium and proprietas 29

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See Marsilii de Padua Defensor Pacis, ed. R. Scholz, Hanover 1933, 2.12.6, 268: “Sic igitur secundum unam significationem ius idem est quod lex divina vel humana […]”; ibid., 2.12.10, 269: “Dicitur autem ius secondo modo de omni humano actu, potestate, vel habitu […] conformiter iuri dicto secundum priorem significationem […].” Cited in Tierney, The Idea (nt. 2), 109, note 18. For Marisilius’s contribution to the development of natural rights, see Tierney, The Idea (nt.), 108–118; Nederman, Natural Rights (nt. 12), 645, 654–655, 659. R. Tuck, Natural Rights Theories. Their Origin and Development, Cambridge 1979, esp. 5–31. For its relevance in the Franciscan poverty dispute, see Mäkinen, Property Rights (nt. 10); Varkemaa, Conrad Summenhart (nt. 10), 13–60; J. Robinson, William of Ockham’s Early Theory of Property Rights in Context (Studies in Medieval and Reformation Traditions, vol. 166), Leiden– Boston 2012. I am following John Kilcullen’s analyses here. See his The Origins of Property: Ockham, Grotius, Pufendorf, and Some Others 2001 (1995). The article is published electronically by the Australian National Library, Pandora Archive see, www.pandora.nla.gov.an. It is also available by philpapers.org. Ibid., 3–4. Ibid., 4.

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over the house. There were, however, some scholars who stated that a tenant should have some kind of dominium over a house he or she is living in and called it dominium utile as distinct from dominium directum 35. In the light of these and other sources, recent studies have shown that the distinction between objective and subjective rights was not clear among medieval thinkers. This also means that the subjectively understood notion of natural rights was developed together with the objectively understood notion. Thus the evolution of the subjectively understood tradition of ius naturale has to be studied together with the objectively understood tradition36. As Brian Tierney has stated: “In presenting subjective definitions of ius naturale, the canonists did not abandon the old meaning of the term as natural justice; rather they were coming to see that an adequate concept of natural justice had to include a concept of individual rights.” 37 III. T he Cor relative of Rights and Duties: An Example of Self-Preser vation In medieval scholastics texts, rights and duties can have a mutual relationship; i.e. rights, whether moral or legal, can involve correlative duties, but not always. On the one hand, rights can be duties, and that can be regarded as inalienable rights such as the right of self-preservation38. On the other hand, “sometimes there may be a duty to relinquish rights and sometimes a just ground for asserting them”. William of Ockham, for example, maintained individual rights but also the goal of a political society, which is the common good. In the case of extreme necessity, the requirements of common good might, however, prevail over the rights of the individual 39. One such inalienable right was the right of self-preservation. Medieval canon law knew the principle necessitas non habet legem, “necessity does not have law”. The principle came into play in extreme circumstances when an individual’s subsistence need had failed to be satisfied by his own resources, by his family, and by his community. The principle also came to be commonplace in civil law collections up to the seventeenth century 40. Some twelfth- and thirteenth-

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For the question whether every ius is a dominium in medieval sources, see R. Tuck, Natural Rights (nt. 30), 5–31; Brett, Liberty (nt. 11), 34–40, 128–129, 149–150; Mäkinen, Property Rights (nt. 10). Brett, Liberty (nt. 11), 4–9. Brian Tierney, The Idea of Natural Rights-Origins and Persistence, in: Northwestern University Journal of International Human Rights, 2 (April 2004). Tierney, The Idea (nt. 2), 79. Tierney, The Idea (nt. 2), 194. For the principle of extreme necessity in medieval canon law and moral philosophy, see S. Swanson, The Medieval Foundations of John Locke’s Theory of Natural Rights. Rights of Subsistence and the Principle of Extreme Necessity, in: History of Political Thought 18 (1997), 399–459.

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century canon lawyers interpreted the principle so that the destitute poor (for instance, a starving person) might rightfully take what he or she needed from another’s property in order to survive, without this action being considered theft. In such cases, some lawyers treated self-preservation as a duty, some as an individual right. As Brian Tierney has shown, some twelfth-century canon lawyers stated that a person in extreme need had something very like a right (ius) to take what he or she needed. The English canonist Alanus (fl. 1208–1238) reformulated his reply that “the poor man did not steal because what he took was really his own iure naturali ” and Hostiensis (c. 1190/1200–1271) stated that the “one who suffers the need of hunger seems to use his right (ius suum) rather than to plan a theft” 41. It is, however, doubtful whether these citations included early terminological seeds of individual rights42. Another context in which the subjectively understood notion of ius naturale was discussed together with the idea of self-preservation was the late medieval dispute over Franciscan poverty43. Since the Franciscans themselves argued that they were living in absolute poverty without any rights at all (called usus facti, factual use of goods) their opponents tried to show that no one could live without any rights, at least without the right to life. In their criticism, the Franciscans’ opponents also referred to the case of the poor in extreme necessity. In his ‘Quodlibet XII’, question 19, Godfrey of Fontaines compared the case of a poor Franciscan friar and a person in extreme need as follows: “[…] in extreme necessity anyone has the right to use temporal goods to the extent which is sufficient for his sustenance” 44. In ‘Quodlibet VIII’, question 11, Godfrey explored the connection between extreme need, duty and natural rights as follows: “[…] since by natural right each person is obliged to maintain his life, which is not possible without using external goods, each person by the law of nature had dominion and a certain right in the common exterior goods of this world which he cannot licitly renounce”45. In these texts, Godfrey went on to ascertain the principle of extreme need, which grew out of the fundamental and universal duty

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Tierney, The Idea (nt. 2), 73, where he defines such a right using modern rights language as a “rightful power”. Further, he argues that the person in need also had a “rightful claim” according to canonists. This was based on a process called “evangelical denunciation”. See also ibid., 74. For critics of Tierney’s interpretation, see Mäkinen, Rights and Duties (nt. 6), 46. See Tierney, The Idea (nt. 2), 43–77. I do not, however, agree with Tierney that twelfth-century decretists created a theory of natural rights. See Mäkinen, Property Rights (nt. 10), 106–139. Godfrey of Fontaines, Quodlibet XII, q. 19, in: Les Quodlibets onze-quatorze de Godefroid de Fontaines, ed. J. Hoffmans, Louvain 1932, vol., 143: “[…] in extrema necessitate quilibet habeat ius utendi bonis temporalibus quantum sufficit ad eius sustentationem.” Translation mine. Godfrey of Fontaines, Quodlibet VIII, q. 11, in: Le Huitième Quodlibet de Godefroid de Fontaines, ed. J. Hoffmans, Louvain 1924, 105: “[…] propter hoc quod unusquisque tenetur iure naturae vitam suam sustentare, quod non contingit nisi de bonis exterioribus, ideo etiam iure naturae quilibet habet dominium et quoddam ius in bonis communibus exterioribus huius mundi, cui iuri etiam renuntiare non potest licite.” Translation mine.

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of self-preservation and the right of subsistence. For Godfrey it seems that the right of subsistence follows from the duty of self-preservation46. Before Godfrey of Fontaines, Henry of Ghent (c. 1217–1293), Godfrey’s teacher and another opponent of the Franciscan camp, discussed natural rights in the context of extreme need. In his ‘Quodlibet IX’, question 26 (probably written in 1289), he asked whether a person condemned to death can licitly flee47. The context of this question was not the Franciscan dispute but the discussion of the rights of French bishops and especially the respective rights of superiors and subordinates. In his reply, Henry differentiated between the rights of the judge and the rights of the prisoner. The judge has a right to condemn to death whereas the prisoner has both a right to self-preservation and the ownership of himself (proprietas)48. Moreover, the prisoner’s rights to preserve his life and be owner of himself were greater than the judge’s right to condemn. The right of the judge over the body of the condemned person did not exclude a corresponding right in prison. The most important reason for the prisoner’s overriding rights, according to Henry, was that the judge was not compelled by the necessity to hold and kill the prisoner as the prisoner was to preserve his own life. Henry’s final answer was that the prisoner ought to flee if he could, for instance, if he were left unbound with the door open. Henry even added, “if not to do so it would be equivalent to suicide” 49. There was also another condition for the prisoner’s escape: he should not hurt anyone50. According to Brian Tierney, Henry assumed that “there was a class of rights that were also duties, rights that had to be exercised in case of necessity” 51. The idea of self-preservation also had important implications for politics in medieval texts, for example, in the thought that everyone has a natural right to self-defence. In William of Ockham’s political thought, for example, the ruler’s power (even that of a Pope or Emperor) was limited by the natural rights of subjects – not only by the right to replace a tyrannical ruler but also by other “rights and liberties” (which he did not specify in detail). Further, Ockham’s account of natural rights makes no reference to the difference between Christians and nonChristians. He argued that political rights (such as self-determination and the right to established government) belong to all human beings and are said to be given “by God and nature”. They are not given by God through positive divine law but through the law of nature (a divine law in a broad sense; in its third sense;

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See Mäkinen, Property Rights (nt. 10), 124–139; Mäkinen, Rights and Duties (nt. 6), 47–48. Henry of Ghent, Quodlibet IX, questio 26, Henrici de Gandavo opera omnia, vol. XIII, ed. R. Macken, Leuven 1983. Ibid., 309. Interestingly, in this connection, Henry used a strong property rights notion proprietas, which in the civil law tradition meant private ownership. Ibid., 308–309. Ibid. 309. Tierney, The Idea (nt. 2), 298.

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natural law “on supposition”)52. Comparing medieval theories of natural rights to early modern theories, the latter argued more strongly that whereas natural law emphasizes duties and obligations defence. IV. Francisco de Vitoria and ius naturale The contribution of the Spanish neo-Scholastics of the sixteenth century to the natural rights discourse was based, on the one hand, on careful conceptual definitions already made by medieval scholastics and, on the other hand, on a novel historical context, the discovery of the New World. The principal founder of the sixteenth-century Salamanca School, Francisco de Vitoria (c. 1485–1546) spoke especially about dominion rights. As a Dominican theologian, he naturally operated within the Aristotelian-Thomistic tradition, often citing both Aristotle and Thomas Aquinas as well as other sources of via antiqua (the AristotelianThomistic tradition), but he was also familiar with the followers of via moderna (the nominalistic-voluntaristic tradition) initiated by William of Ockham and followed e.g. by the French scholar Jean Gerson (1363–1429) and the German theologian Conrad Summenhart (1458–1502). One of the most cited scholars of Vitoria within this tradition was Summenhart whose doctrine of dominion rights he further developed. Thus Vitoria’s contribution to the rights discourse rested on his interpretation of both objectively and subjectively understood notions. There is no consensus among modern scholars whether Vitoria represented the subjectively rights tradition and had, therefore, a theory of natural rights. According to my understanding, Vitoria’s contribution rests both on the subjective and the objective interpretations together 53. Further, the way he developed the objective perspective of right gave rise to new ways of articulating subjective rights. Vitoria’s ability to compose material from both these traditions was essential to his contribution to the Western rights discourse54. His way of handling the subject corresponds to that of Henry of Ghent and Godfrey of Fontaines. The historical context of Vitoria – the rights of aboriginals – was naturally different than that of Henry and Godfrey, but also he spoke about the rights of marginalized people. Vitoria dealt with the subject in his many works, especially in the ‘Relectione de Indis’ (‘On the American Indians’) in which he discussed the rights of barbarians

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J. Kilcullen, Natural Law, in: H. Lagerlund (ed.), Encyclopedia of Medieval Philosophy, vol. 2, Dordrecht 2011, 831–839; Natural Rights, in: H. Lagerlund (ed.), o.c., 867–873. For more detailed discussion and references to other modern studies on the question, see Virpi Mäkinen, Dominion Rights of the Aboriginals in Francisco de Vitoria’s De indis, in: J. Cunliffe/G. Erreygers (eds.), Inherited Wealth, Justice and Equality (Routledge Frontiers of Political Economy, vol. 165), London–New York 2012, 17–38. See Mäkinen, Dominion Rights (nt. 54).

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(i.e., Indians)55; in the ‘Relectione de homicidio’ (‘On Homicide’), in which he explored suicide but also the individual’s duty to self-preservation56; in his ‘De potestate civili’ (‘On Civil Power’) in which he created his doctrine of political society 57, and in his commentary on Thomas Aquinas’s ‘Secunda Secundae’, in which he developed his theory of dominion rights. Vitoria’s understanding of natural rights is related to his ideas of the relationship between individual, community, and government after the establishment of a political society. He does not, however, create any kind of systematic doctrine of natural rights. On the one hand, in his ‘De potestate civili’, Vitoria created a holistic state without any kind of individual rights. Despite mentioning the right to self-defence, he did so only on the metaphorical level emphasizing the organic unity of the state58. On the other hand, in his ‘De Indis’, he developed a clear doctrine of natural rights inhering in individuals, especially the right of selfdefence59. Brian Tierney has also noticed that “like Gerson he [Vitoria] apparently wanted to uphold both individual rights and community values; but in the Spanish thinker the two sides of the argument were developed separately and not formally related to one another” 60. Concerning the relationship between the duty to self-preservation and the right of self-defence which Vitoria dealt with, for instance, when discussing suicide, he distinguished between God’s right and an individual’s right in his life as well as between the possession of a right and the manner of its exercise 61. Vitoria puts it thus: “Although, as was said, man is not the master of his body or his life as he is of other things, nevertheless he does not have something of mastery and right in his own life, so that if anyone harms his body he not only does an injury to God, who is the supreme lord of life, but also to the individual man himself ” 62.

In his ‘De indis’, Vitoria defined the right of man in himself as a zone of human autonomy, an area of licit behaviour, where a man could act as he chose.

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See Francisco de Vitoria, De indis et de iure belli relectiones, ed. E. Nys, transl. J. B. Pate, Buffalo, New York 2010; Francisco de Vitoria, On the American Indians, in: A. Pagden/J. Lawrence (eds./transl.), Political Writings (Cambridge Texts in the History of Political Thought, eleventh printing), Cambridge 2010 [1991], 233–292. Francisco de Vitoria, On Homicide & Commentary on Summa theologiae IIa–IIae Q. 64 (Thomas Aquinas), trans., intro. and notes by J. P. Doyle, Milwaukee 1997. Francisco de Vitoria, De potestate civili, in: Obras de Francisco de Vitoria, ed. T. Urdanoz, Madrid 1960, 149–195. For an English translation, see On Civil Power, in: A. Pagden/J. Lawrence (eds.), Francisco de Vitoria. Political Writings, Cambridge 1991, 1–44. Tierney, The Idea (nt. 2), 296–297. Ibid., 296. Ibid., 296. Ibid., 298. Vitoria, De homicidio, 24, Obras, 1119: “Pro quo est considerandum quod licet (ut dictum est) homo non sit dominus sui corporis, aut vitae suae sicut aliarum rerum, tamen aliquid dominii et iuris habet in vita sua, ratione cuius qui nocet in corpore non solum facit Deo, qui est supremus dominus vitae, sed etiam ipsi homini privato, iniuriam.” Translation in Tierney, The Idea (nt. 2), 298.

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Thus, whereas the right of self-defence always exists and is inalienable, a person might choose not to exercise it. In the case of suicide, however, he states that “it was sometimes permissible and even laudable to set aside one’s own right in one’s life and to accept death for the sake of another”63. He also noticed that his idea is opposed to many others who thought that a private individual could not relinquish the duty to preserve his or her own life64. The core of Vitoria’s doctrine of dominion rights in his ‘De indis’ was that all human beings, whether they were sinners, infidels or mad men, could be right-holders both in a legal and moral sense and, therefore, also be masters (domini) in their own affairs (sui iuris)65. He considered human beings to be autonomous rights-bearing individuals because of their rational nature. Thus, the very idea of possessing dominion rights indicated a rational human being who owned himself, and was, therefore, sui iuris. This was an important factor in Vitoria’s theory but was already present in his main source, namely Conrad Summenhart: the existence of rights was based on the possession of a rational nature, not in the exercise of reason66. In his commentary on Aquinas’s ‘Secunda Secundae’, Vitoria also borrowed from Summenhart the subjective notion of ius, defining it as a power or faculty pertaining to somebody according to the law 67. It is important to notice that Vitoria operated both with the notion of ius naturale and ius gentium. He maintained that the case of Indians should be discussed under such a law that firstly covers everyone (i.e., all human beings whether they are Christians or infidels) and secondly is universally applicable everywhere. He often referred to ius gentium, not ius naturale, as such a law. However, he did not give any coherent definition of the notion of ius gentium in his works. It has, however, been argued that Vitoria’s notion of ius gentium paved the way for the later notion of international law 68.

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Vitoria, De homicidio, 24, Obras, 1119–20. Translation in Tierney, The Idea, 299. Vitoria, De homicidio, 25, Obras, 1121. Vitoria, De indis, I, 4, 223: “Et ideo […] notandum quod, si barbari non haberent dominium, non videtur quod posset praetendi alia causa, nisi vel quia sunt peccatores vel quia infideles vel quia amentes vel insensati.” Vitoria also discussed these four qualifications in his earlier work, his commentary on Thomas Aquinas’s Secunda Secundae. See Francisco de Vitoria, De justitia, in: Francisco de Vitoria. Comentarios a la Secunda Secundae de Santo Tomás, ed. V. Beltrán de Heredia, vol. 3, Salamanca 1934, part. III, qq. 63–67. For Vitoria’s doctrine of rights, see also Mäkinen, Dominion Rights (nt. 54); Brett, Liberty (nt. 11), 124–137. Francisco de Vitoria, Comentarios a la Secunda Secundae de Santo Tomás, ed. Beltrán de Heredia, vol. 3, q. 62, a. 1, n. 5, 64. For Vitoria’s doctrine of dominium rights, see Brett, Liberty (nt. 11), 124–137; W. Decock, Theologians and Contract Law. The Moral Transformation of the Ius Commune (ca. 1500–1650), (Legal History Library, vol. 9, Studies in the History of Private Law, vol. 4), Leiden–Boston 2013, 352–362. M. Koskenniemi, Colonization of the ‘Indies’: The Origin of International Law, in: Y. Gamarra (ed.), La idea de la América en el pensamiento ius internacionalista del siglo XXI, Zaragoza 2010, 43–63.

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V. Conclusion To conclude, in general, natural rights (also called ‘moral rights’) indicate the idea that, as Nederman puts it: “Human beings possess a set of powers, freedoms, and/or competencies to the extent that they enjoy complete and exclusive dominion over their mental and bodily facilities – and the fruits thereof – in the form of personal property. A natural rights theory, therefore, entails a conception of private ownership grounded on the status of the individual human subject” 69. The rights arising from nature (which, during the Middle Ages, meant rising from the consequences of divine creation) were understood both as inalienable and imprescriptible, in the sense that any attempt to renounce or extinguish them would constitute at the same time the cessation of one’s personhood70. In this sense, William of Ockham, for instance, developed a theory of natural rights71. In the light of medieval and early modern sources (especially concerning self-preservation and the right to life), it seems evident that natural rights and natural law are not derived one from the other. On the contrary, they are both derived as correlative doctrines from the same fundamental view of human nature.

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Nederman, Natural Rights (nt. 12), 644; Tierney, The Idea (nt. 2), 265. Nederman, Natural Rights (nt. 12), 644. See Mäkinen, Moral Psychological (nt. 23), 507–526.

The Relationship between Conscience and Law in Some Late Scholastic Commentators on Aquinas’s ‘Summa theologiae’ * L L (Porto) I. Introduction Conscience and law are arguably two of the major issues of sixteenth and seventeenth-century scholastic theology. This can be seen by recalling the great number of treatises known as ‘De legibus’ and ‘De iustitia et iure’ and of works of casuistry, all of which were devoted to analysis of what were known as ‘cases of conscience’. In casuistical literature, theologians were concerned with the application of general rules to particular cases, while in the ‘De legibus’ treatises the authors offered a reflection intended to lay down those universal principles. With the growing importance of Aquinas’s ‘Summa theologiae’ in university teaching 1, from the 1530s onwards the relationship between conscience and law was mainly dealt with in commentaries on the ‘Summa theologiae’, more precisely in the section known as ‘De legibus’, which comprises questions 90–108 of the ‘Prima secundae’. In the ‘De legibus’ section, the issue is tackled in two places and from two different points of view. First, in the third article of question 96: whether human law prescribes acts of all the moral virtues (“Utrum lex humana praecipiat actus omnium virtutum”); second, in the fourth article of the same question, where Aquinas raises the question of whether human law binds man in conscience *

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The research for this article was supported by a postdoctoral fellowship from the Fundação para a Ciência e a Tecnologia (SFRH/BPD/75934/2011). It is part of a broader inquiry into law and conscience in late Scholasticism. Here I can only offer an outline of the debate. For this reason, I focus on the major authors, leaving aside a thorough study of other notable commentators such as Rodrigo de Arriaga, Juan de Salas, Luis Molina and Jan van Malderen. The replacement of Peter Lombard’s ‘Sentences’ by Aquinas’s ‘Summa’ was gradual and occurred first in a number of German Dominican studia in the fifteenth century. Later, this replacement became widespread in Southern European universities. It was granted official status in 1561 in the University of Salamanca. On this see H. Goris, Thomism in Fifteenth-Century Germany, in: P. van Geest/H. Goris/C. Leget (eds.), Aquinas as Authority. A Collection of Studies Presented at the Second Conference of the Thomas Instituut te Utrecht, December 14–16, 2000 (Publications of the Thomas Instituut te Utrecht, New Series 7), Leuven 2002, 1–24, especially 17–24; R. García Villoslada, La Universidad de París durante los estudios de Francisco de Vitoria O. P. (1507–1522) (Analecta Gregoriana 14; Series Facultatis Historiae Ecclesiasticae, Sectio B, 2), Roma 1938, 279–307; and L. Lanza/M. Toste, The Sentences in Sixteenth-Century Iberian Scholasticism, in: Ph. W. Rosemann (ed.), Mediaeval Commentaries on the Sentences of Peter Lombard, volume 3, Leiden 2015.

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(“Utrum lex humana imponat homini necessitatem in foro conscientiae”). These two articles of question 96 correspond to two distinct approaches: in the third article, by addressing the question of whether every human act falls under the law, Aquinas confronts the issue of the scope of human law, but in the fourth article he is more concerned with substantiating the necessity of obedience to civil law and the limits of such law. In this sense, the third article represents the point of view of the law, whereas the fourth article concerns the perspective of the conscience. The earliest Iberian commentators on the ‘Summa’, from Francisco de Vitoria on, do not linger on the third article; they limit themselves to reasserting Aquinas’s conclusion that human law does not enjoin acts of all the moral virtues. But they deal at great length with the fourth article. The majority of the commentators follow Aquinas on the idea that human laws bind man in conscience and are hence to be obeyed: this is the case for both just and unjust human laws. Unless an unjust law contravenes divine law, man has to obey it and, to prevent riot or scandal, has to yield his own rights for the sake of the common good. The commentators, however, shift the terms of Aquinas’s question, as they deal to a greater extent with the issue of disobedience to human laws and the question of whether the infraction of the law is a venial or a mortal sin. In this way they emphasise the sinful character of disobedience to human law on the grounds that obedience is required by the commands of the higher divine law. For the commentators, the law binds man in conscience and also in respect of sin. Although one should not obey a law which is contrary to divine law – and this maintains an inviolable space for the individual’s conscience – the commentators in fact leave little room for it, as human law nearly always binds man in conscience, its infraction being sinful. This position with respect to the fourth article of question 96 soon became standardised and, despite the length of reflections on this particular article, it did not undergo any changes through the entire commentary tradition on the ‘Summa’2. In contrast, the third article emerged as a significant question only with Gabriel Vázquez’s commentary on the ‘Prima secundae’, issued in Alcalá in 1598–16053, 2

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For this sketch of the commentators’ position regarding the fourth article of q. 96 I draw on M. Toste, Unjust Laws and Moral Obligation in the Sixteenth-Century Salamanca Commentaries on Aquinas’s ‘De legibus’, in: A. Culleton/R. Hofmeister Pich (eds.), Right and Nature in the First and Second Scholasticism. Acts of the XVIIth International Colloquium of the Société Internationale pour l’Étude de la Philosophie Médiévale, Porto Alegre, 15–18 September 2010, Turnhout 2015. Gabriel Vazquez Bellomontanus, Commentariorum ac Disputationum in Primam Secundae S. Thomae tomus I–II, Compluti: ex Officina Iusti Sanchez Crespo, 1598–1605. For this article I have used the edition Antuerpiae: apud Petrum et Ioannem Belleros, 1621, 2 voll. Vázquez’s question on the relationship between law and conscience (“An lex humana vim habeat obligandi conscientias ad actus interiores”) is found in the second volume of this edition, disp. 160, foll. 95a–101a (hereafter: Vázquez, Disputatio 160). A reliable study of the various aspects of Vázquez’s interpretation of this issue is found in L. Vereecke, Conscience morale et loi humane selon Gabriel Vázquez S. J. (Bibliothèque de théologie, série II, Théologie Morale 4), Paris 1957, 109–130. Vázquez also wrote an unedited ‘Tractatus de conscientia recta, erronea, dubia et scrupulosa’; cf. R. Araud, Une étape dans l’histoire du traité de la conscience morale: le « Traité de

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and with Francisco Suárez’s famous ‘De legibus ac Deo legislatore’, first published in 1612 4. After these two authors, the commentators on the ‘Summa’ began to pay more attention to the third article. What in Aquinas was only a reflection on the scope of human law, became in the commentators a consideration of the relationship between the subject-matter of human law and the inner acts of man. This is so because the question of the extent to which human law can enjoin human acts entails the related problem of the intention, motivation and causes of human acts themselves. The commentators shifted their attention from acts of moral virtues, which were at the centre of Aquinas’s article, to the internal or mixed acts of man. This led them to a thorough analysis of how man’s inner acts could fall under human law and therefore be liable to be punished by civil or ecclesiastical power. II. T homas Aquinas Aquinas’s position is clear regarding the question of whether human law enjoins acts of all virtues: every moral virtue can be related either to the private or to the common good; acts of the virtue of courage, for instance, can be carried out either for the sake of the community or in defence of a friend. Aquinas gives the example of fortitude, but states that the same rule can be asserted with regard to all the other moral virtues5. Since law is ordained to the common good 6, Aquinas concludes, no virtue can be exempt from being prescribed by the law. Yet, human law does not enjoin every single act of every moral virtue; in fact, human law extends only to the acts of virtues insofar as they are related to the common good. For Aquinas, this can occur either immediately, as when a deed is carried out directly for the common good, or mediately, as in the case in which the lawgiver enacts a law in order to keep peace in the community7. Since an act has to be

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la conscience » chez Gabriel Vázquez, in: Mélanges de science religieuse 24 (1967), 1–48, 113–152. For a bibliography on Gabriel Vázquez (1549–1604) see J. Schmutz, Scholasticon, URL = http://scholasticon.ish-lyon.cnrs.fr/Database/Scholastiques_fr.php?ID=51 (consulted 30 June 2014). Franciscus Suarez, De legibus ac Deo legislatore in decem libros distributus, Conimbricae: apud Didacum Gomez de Loureyro, 1612. I have used the edition of the first four books: Francisco Suárez, De legibus, edd. L. Pereña et al. (Corpus Hispanorum de pace 11–17, 21–22), Madrid 1971–1981, 8 voll. (henceforth: Suárez, De legibus). Thomas de Aquino, Summa theologiae, I–II, q. 96, a. 3, resp.: “Omnia […] obiecta virtutum referri possunt vel ad bonum privatum alicuius personae, vel ad bonum commune multitudinis, sicut ea quae sunt fortitudinis potest aliquis exequi vel propter conservationem civitatis, vel ad conservandum ius amici sui; et simile est in aliis.” Aquinas argues this in q. 90, art. 2 of the I–II. Thomas de Aquino, Summa Theologiae, I–II, q. 96, a. 3, resp.: “nulla virtus est de cuius actibus lex praecipere non possit. Non tamen de omnibus actibus omnium virtutum lex humana praecipit, sed solum de illis qui sunt ordinabiles ad bonum commune, vel immediate, sicut cum aliqua directe propter bonum commune fiunt; vel mediate, sicut cum aliqua ordinantur a legislatore pertinentia ad bonam disciplinam, per quam cives informantur ut commune bonum iustitiae et pacis conservent.”

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related to the common good in order to fall under the human law, some individual acts may not be covered by the law. This is actually Aquinas’s position: some private vices such as falsehoods and fornication are not necessarily related to the common good and may therefore be permitted within the political community 8. The common good is therefore the aim of civil law and, as such, the criterion according to which the lawgiver uses his potestas legislativa, coactiva and correctiva. In contrast, the external acts of man are the object of civil law, insofar as these acts are related to the common good. Civil laws play an important role in the acquisition of moral virtue – and the virtuous lawgiver takes into account the educational function of the law. Nevertheless, this function does not necessarily belong to the domain of politics, since in this domain civil laws are the means to reach an end which is not necessarily morally good. The aim of every lawgiver is the common good of the community of which he is a ruler, not the moral good9. This distinction between two spheres, morals and politics, also involves a distinction between private and public domains10. This is grounded on the Aristotelian distinction between the political virtue of the citizen (virtus civis) and virtue understood in its moral sense (virtus viri boni), a distinction used by Aquinas in both the ‘Summa theologiae’ and in his commentary on the ‘Politics’11. These two 8

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Civil law’s standard of morality cannot be too high, as the majority of the members of the political community cannot abstain from vice. Aquinas states this in the second article of q. 96: civil law prohibits only the vitia graviora; further, and more significantly, civil law punishes principally those vices which harm or jeopardise the political community, that is, those vices that have a social dimension, such as theft, homicide and the like; as a result civil law tolerates individual vices. The Salamanca commentator Domingo de Soto explicitly refers to falsehood and fornication as examples of individual vices that can be permitted by civil law. See Domingo de Soto, De legibus (Ms. Ottob. lat. n° 782). I. Comentarios al Tratado de la ley. I. Tratado de la ley en general (‘Summa Theologica’, 1–2, QQ. 90–97), edd. F. Puy/L. Núñez [Publicaciones de la Cátedra Francisco Suárez. Ediciones Críticas de textos clásicos, 2], Granada 1965, q. 96, a. 2, 112–114, 1578– 1585: “Cum ergo lex ordinetur ad bonum commune, debet esse proportionata bono communi. Sed bonum commune constat ex multis differentiis personarum, et singulariter ex perfectis et imperfectis, et plures sunt imperfecti quam perfecti: quare non debet prohibere nisi illa quae etiam imperfecti possunt observare, quia, ut diximus, debet dari in communi, et ideo permittit minora mala, ut mendacium et fornicationem, etc.” Cf. Toste, Unjust Laws (nt. 2). I have considered these aspects of medieval theory of law more extensively in: La Politica di Aristotele e il De regimine principum di Egidio Romano, in: Medioevo e Rinascimento 15 (2001), 19–75. This is clearly assumed by both medieval and early modern authors. See Toste’s article (see nt. 2), in which Toste quotes Albert the Great’s first commentary on the ‘Nicomachean Ethics’: “bonitas viri est in his quae sunt privata, sed bonitas civis est in his quae sunt in factis publicis” (Albertus Magnus, Super Ethica commentum et quaestiones, ed. W. Kübel [Opera omnia 14], Münster 1968–1972, V.4, 327), and the commentary of Francisco Rodrigues, a professor in Coimbra: “Bonitas enim viri, ut sic, respicit vitam privatam; bonitas vero civis ad concives refertur” (in Francisco Suárez, De legibus (I 9–20): De legis obligatione, edd. L. Pereña/P. Suñer/ V. Abril/C. Villanueva/E. Elorduy [Corpus Hispanorum de pace 12], Madrid 1972, 300). Thomas de Aquino, Summa theologiae, I–II, q. 92, ad 3; id., Sententia libri Politicorum, III, 3, ed. Commissio Leonina (Opera omnia 48), Rome 1971, A193–194, 22–89. On the distinction between the virtue of the good citizen and the virtue of the good man and its implications see L. Lanza, Aspetti della ricezione della Politica aristotelica nel XIII secolo: Pietro d’Alvernia, in: Studi Medievali 35 (1994), 643–694. For an analysis more focused on the characterisation of

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virtues mirror distinct aspects of human acts and permit us to understand Aquinas’s reply to the second argument of the third article of question 9612: it is one thing to do a virtuous act (for instance, the act of the virtue of courage is to do courageous actions); it is another thing to do an act of virtue in the way in which a virtuous man does it. The first case is an external act which may or may not arise from the habit of the moral virtue; it falls under the precept of law, and is thus its object. In the second case, the act springs from virtue and a habit of virtue; this does not fall under the law, and is in fact the ultimate end at which the lawgiver aims13. Thus human law prescribes acts of virtue insofar as they are external acts and their omission can be punished. We can understand this position better by taking into account the question of whether the way in which virtues are practised falls under the precept of law (q. 100, art. 9). Here Aquinas establishes an intimate connection between law and its coercive power (vis coactiva) and between coercive power and fear of punishment (metus poenae). In the case of non-virtuous men, the observance of the law springs from the fear of punishment and not from a moral habitus. But this does not mean that the man who abides by the law on account of the fear of punishment should be punished. Human law punishes only acts and not intentions of deeds that may or may not be accomplished. For Aquinas, therefore, the external acts are the object of human law. In other words, human law only has the power to punish to the extent that it may have knowledge of punishable acts; “human law is competent to judge only of external acts, while God alone, the framer of divine law, is competent to judge of the inward movements of wills” 14.

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these two virtues carried out by the medieval commentators on the ‘Politics’ see M. Toste, Virtue and the City: The Virtues of the Ruler and the Citizen in the Medieval Reception of the Politics, in: I. P. Bejczy/C. J. Nederman (eds.), Princely Virtues in the Middle Ages, 1200–1500 (Disputatio 9), Turnhout 2007, 75–98. Finally, on how this distinction was used, and sometimes refuted, in the sixteenth-century Salamanca commentaries on the ‘Summa’ see Toste, Unjust Laws (nt. 2). Thomas de Aquino, Summa theologiae, I–II, q. 96, a. 3, arg. 2–3: “[2.] Actus virtutis a virtute procedit. Sed virtus est finis legis; et ita quod est ex virtute sub praecepto legis cadere non potest. Ergo lex humana non praecipit actus omnium virtutum. [3.] Praeterea, lex ordinatur ad bonum commune, ut dictum est. Sed quidam actus virtutum non ordinantur ad bonum commune, sed ad bonum privatum. Ergo lex non praecipit actus omnium virtutum.” Ibid., resp.: “[…] aliquis actus dicitur esse virtutis dupliciter. Uno modo, ex eo quod homo operatur virtuosa, sicut actus iustitiae est facere recta, et actus fortitudinis facere fortia. Et sic lex praecipit aliquos actus virtutum. Alio modo dicitur actus virtutis, quia aliquis operatur virtuosa eo modo quo virtuosus operatur. Et talis actus semper procedit a virtute, nec cadit sub praecepto legis, sed est finis ad quem legislator ducere intendit.” Thomas de Aquino, Summa theologiae, I–II, q. 100, a. 9, resp.: “Ad instituendam […] poenam aliter se habet lex divina et lex humana. Non enim poena legis infligitur nisi pro illis de quibus legislator habet iudicare, quia ex iudicio lex punit. Homo autem, qui est legis lator humanae, non habet iudicare nisi de exterioribus actibus, quia ‘homines vident ea quae parent’, ut dicitur I Regum 16. Sed solius Dei, qui est lator legis divinae, est iudicare de interioribus motibus voluntatum, secundum illus Psalmi 7, ‘scrutans corda et renes Deus’ […] [Voluntatem et intentionem] non diiudicat lex humana, sed solum lex divina. Lex enim humana non punit eum qui vult occidere et non occidit, punit autem eum lex divina, secundum illud Matthaei 5, ‘qui irascitur fratri suo, reus erit iudicio’.”

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The impossibility of judging man’s internal acts is one of the arguments – for some commentators the key argument 15 – used to establish the necessity of divine law. The relationship lex–iudicium is crucial: man can only make laws on matters about which he is competent to judge. Hence, human law cannot concern inward acts which are unknown or concealed, but only external acts which come into view. For this reason, divine law is required to guide man’s inward acts, so that divine law is much broader than human law16. III. T he opinio communis and Gabriel Vázquez Between the time of Aquinas and that of the sixteenth-century Iberian commentators on the ‘Summa’, two opposing views were expressed: on the one hand there were the supporters of Aquinas, who represented, in the words of Gabriel Vázquez, the common opinion (“opinio communis”); on the other hand, some opposed Aquinas’s view that human law is concerned only with outward behaviour and endorsed the idea that human law has the same power over both inward and outward acts. For both parties, human law comprised both civil and ecclesiastical law. The debate broadened because of new pressures arising from practical ecclesiastical matters: notably the need to cope with heresy, and the requirement to condemn the heretic who does not manifest his heresy, and the attention given to the celebration of liturgical offices. Much of the discussion on these issues is found in university texts, such as the commentaries on Peter Lombard’s ‘Sentences’, at least until the beginning of the sixteenth century and from then on, in the commentaries on Aquinas’s ‘Summa’. Other relevant sources are the numerous penitential handbooks known as ‘Summae confessorum’17. Thanks to Gabriel Vázquez, who, more than any other author, provides an account of the discussion on whether human law extends to man’s inward acts, it is possible to trace the development of this debate18. According to Vázquez, the

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Cf. Domingo de Soto, De legibus (nt. 8), q. 91, a. 4, 42, 602–604: “Tertia ratio est optima, quia lex humana potest ferri de actibus de quibus homo potest iudicare; quare de actibus interioribus non est lex humana.” Thomas de Aquino, Summa theologiae, I–II, q. 91, a. 4, resp.: “De his potest homo legem ferre, de quibus potest iudicare. Iudicium autem hominis esse non potest de interioribus motibus, qui latent, sed solum de exterioribus actibus, qui apparent. Et tamen ad perfectionem virtutis requiritur quod in utrisque actibus homo rectus existat. Et ideo lex humana non potuit cohibere et ordinare sufficienter interiores actus, sed necessarium fuit quod ad hoc superveniret lex divina.” Paolo Prodi has provided a major account of the development of the debate on the relationship between law and conscience in medieval and early modern theology: P. Prodi, Una storia della giustizia. Dal pluralismo dei fori al moderno dualismo tra coscienza e diritto, Bologna 2000 (German translation: Eine Geschichte der Gerechtigkeit: Vom Recht Gottes zum modernen Rechtsstaat, München 2003). See also J. Chiffoleau, La Chiesa, il segreto e l’obbedienza, Bologna 2010. For some criticism of Prodi’s account see Toste, Unjust Laws (nt. 2). See Vázquez, Disputatio 160.

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authors who argue that human law has jurisdiction over inward acts are a minority: among these Vázquez points to the fifteenth-century Franciscan Battista de Salis (Giovanni Battista Trovamala), who wrote the ‘Summa rosella’ 19, and Albert Pigge of Kampen (Albertus Pighius), author of the ‘Hierarchiae ecclesiasticae assertio’, who studied theology at Louvain under Adrian of Utrecht, the future Pope Hadrian VI 20. However, Vázquez assigns more significance to the ‘Quodlibeta’ of Hadrian VI 21 and to the work of Juan de Medina, as it is mostly his explicit opposition to these two authors that Vázquez wishes to express. Vázquez presents his own interpretation as part of the mainstream (“sententia communis”), whose representatives, beginning with Aquinas, far outnumber the opposing minority. Both parties to this debate shifted the question from Aquinas’s discussion of human civil law, limited to the political community, to ecclesiastical law. This move is not regarded as problematic, since, as every author recalls, the “lex ecclesiastica” is “quodammodo divina, quodammodo humana”. The shift broadens the debate, since in this way it brings in complex cases of interference between the inner and outer dimensions of man. Indeed, in the period between Aquinas and the sixteenth-century authors, the debate grows in complexity and precision: alongside the dichotomy between internal and external acts, later authors establish a second distinction between actus interni (or interiores), actus exteriores which remain occulti or secreti, and actus publici, for which there is a further distinction between occulti per accidens and occulti per se. All this leads to a reflection on the relationship be-

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Baptista de Salis’s ‘Summa rosella’ (Pavia 1489) is an expanded and revised version of his previous ‘Summa casuum conscientiae’ (or ‘Summa baptistiniana’, first issued in Novi Ligure 1484). On the ‘Summa rosella’ see P. Michaud-Quantin, Sommes de casuistique et manuels de confession au Moyen Âge: XIIe–XVIe siècles, Louvain–Lille–Montreal 1962, 98–99; L. Babbini, Tre summa casuum composte da tre francescani piemontesi della provincia di Genova, in: Studi francescani 78 (1981), 159–169, especially 163–165. O. Langholm has devoted some pages to Baptista’s work and more specifically to his ideas on economic issues: O. Langholm, The Merchant in the Confessional. Trade and Price in the Pre-Reformation Penitential Books (Studies in Medieval and Reformation Thought 93), Leiden–Boston 2003, 175–190. I have consulted the following edition: Hierarchiae ecclesiasticae assertio, Coloniae: excudebat Ioannes Novesianus 1551, VI, 16 (“An saltem ob haeresis crimen papa vniuersalis concilii iudicio fiat obnoxius”), foll. 333v–338v. On Albertus Pighius see H. Jedin, Studien über die Schriftstellertätigkeit Albert Pigges (Reformationsgeschichtlichte Studien und Texte 55), Münster 1931; L. Pfeifer, Ursprung der katholischen Kirche und Zugehörigkeit zur Kirche nach Albert Pigge, Würzburg 1938; R. Bäumer, Albert Pigge (d. 1542), in: E. Iserloh (ed.), Katholische Theologen der Reformationszeit, Münster 1984, 98–106. For a general presentation see P. G. Bietenholz (ed.)/ T. B. Deutscher (ass. ed.), Contemporaries of Erasmus. A Biographical Register of the Renaissance and Reformation, Toronto–Buffalo, NY–London 1985, I, 84–85. For Hadrian VI’s moral thought see L. Vereecke, Un Pape moraliste: Adrien VI (1459–1523), in: Studia Moralia 6 (1978), 191–208 (reprinted in: id., De Guillaume d’Ockham à saint Alphonse de Liguori, Rome, 1986, 291–308); R. B. Hein, ,Gewissen‘ bei Adrian von Utrecht (Hadrian VI.), Erasmus von Rotterdam und Thomas More. Ein Beitrag zur systematischen Analyse des Gewissensbegriffs in der katholischen nordeuropäischen Renaissance (Studien der Moraltheologie 10), Münster 1999, especially 175–261.

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tween thought, emotion and action which becomes more and more complex and sophisticated. Clearly, this reflection is carried out with the purpose of determining the type of law under which any given act must be considered, judged and punished. Both sides of the debate focus not only on the inward acts which are causes and principles of outward acts, but also on acts which do not result in the accomplishment of external acts and thereby remain confined to the most intimate sphere of the individual (“ipsi actus cordis puri”). The principle disagreement between the two camps concerns the possibility that the ecclesiastical authority, which is also a human authority, may enjoin or forbid inward acts. The question at stake is whether ecclesiastical authority relates only to outward acts, or also to inward acts; in this question the inward acts are taken to include both those that lead to outward acts and those that are carried out exclusively in man’s inward sphere, although they are sometimes connected with outward 22. The opposition between the two sides is not so sharp with regard to other classes of acts: the classification and characterisation of internal acts which are related in some way to external acts gives rise to a variety of nuances and even to some disentanglement from the particular side of the debate to which an author adheres. Two examples will suffice. First, at the beginning of his explanation of the sententia communis, which he considers the right way to solve the question of internal acts, Gabriel Vázquez distances himself from Cajetan and Domingo de Soto. Vázquez accuses their doctrine of lacking the precision required in order to be correct and consistent with the common opinion which they claim to share; their position is therefore a mistaken one 23. The second and more interesting example is from the work of Juan de Medina, master of theology at the University of Alcalá for twenty years24. His solution to the question of whether the Church has jurisdiction regarding man’s inward acts is that it is probable 25. Vázquez in fact underlines this position; but what Vázquez eliminates from his 22

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Vázquez, Disputatio 160, fol. 95a: “vtrum haec potestas locum habeat in solas exteriores, an etiam in interiores operationes nostras, non solum quae tendunt ad opus et sunt principium illius, sed etiam quae interius consummantur, licet coniunctae sint aliquando cum exterioribus.” Ibid., fol. 96a–b. For his biography and outcome see J. Schmutz, Scholasticon, URL = http://www.scholasticon. fr/Database/Scholastiques_fr.php?ID=1602 (consulted 30 June 2014). See also this website for a scholarly bibliography on this author. Juan de Medina’s main work was first published in Salamanca in 1550: De poenitentia, restitutione et contractibus tractatus sive codex, nempe de rerum dominio atque earum restitutione et de aliquibus contractibus, de usura, de cambiis, de censibus et in titulum De paenitentia ejusque partibus commentarius, scilicet de paenitentia cordis, de confessione, de satisfactione, de jejunio, de eleemosyne, de oratione. I have used the edition Ingolstadii: ex officina typographica Davidis Sartorii, 1581 (hereafter: Ioannes Medina, De poenitentia). Ioannes Medina, De poenitentia, fol. 378: “His tamen non obstantibus, posset probabiliter contrarium teneri, scilicet, quod possit Papa et Ecclesia praecipere et prohibere ac punire actus mentis, non solum prout respiciunt actus exteriores, vt dicebat Caietanus, sed etiam ipsos actus cordis puros.”

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account, before presenting his own solution, is the complexity and subtlety of the thesis advanced by Juan de Medina. Medina’s analysis includes a fine discussion of others’ theses, a discussion in which he shows no interest in defining the side of the debate with which each thesis may fit. His conclusion regarding jurisdiction over inward acts concurs with Hadrian VI’s thesis; nonetheless, he admits that the opposing position is grounded on valid arguments, and thus easily tenable; further, for Medina, Hadrian’s reasoning is on occasion inappropriate 26 and in these cases, as Vázquez states, Medina achieves a conclusion which leads to the invalidation of Hadrian’s position 27. This said, in his account of the authors on the opposing side, Vázquez does not preserve any trace of the pro and contra arguments that each author presented in his own discussion. Vázquez supplies only the authors’ conclusions, against which he builds his own position. For Hadrian VI, Vázquez recalls, human law has the power to bind the conscience with regard to its inward acts. Hadrian VI’s position is supported by the numerous cases in which the ecclesiastical authority enjoins or forbids an inward act: this authority may indeed prescribe confession of all mortal sins, including sins “solius cordis et interiora”; the Church may also release one from an oath inwardly made; moreover, it obliges its members to observe the holy days, the violation of this precept being considered as a “peccatum cordis” 28. This position is further corroborated by the reference to the Church’s decrees enacted in the Councils. In this respect Vázquez mentions Juan de Medina, who recalls that anyone who does not believe in what a Council has ruled will be charged with heresy and become anathema. In this way, anyone who does not accept a conciliar decision on matters concerning the individual’s inward dimension has to be considered as heretical and punished. For Medina, even a disagreement which remains merely as an “actus cordis purus” has to be forbidden29. These cases of purely inward acts are described as “mental heresies” and, as such, must be punished. However, “mental heresy” can only be punished if the heretic confesses or manifests his heresy; the Church cannot judge a peccatum cordis if there is no knowledge of that sin. But if the Church does not penalise the peccata cordis, this is solely because of a “defectus probationis” and not because of “defectus iurisdictionis” 30. 26 27 28 29

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Ioannes Medina, De poenitentia, foll. 375–376: “Si tamen quis velit tenere alteram opinionem, facile posset respondere ad haec motiua Adriani […] ideo illa quarta ratio Adriani, salua pace, non satis pertinens est.” Cf. Vázquez, Disputatio, 160, fol. 95a. Ibid., fol. 95ab. Ioannes Medina, De poenitentia, fol. 379: “[…] non solum dicere (quod exterius est) sed ipsum credere (quod interius est) anathemate feritur”; ibid., fol. 378, “Multa […] sub anathemate prohibentur, que ad interiora cordis spectant “; ibid., fol. 379: “[…] aperte actus cordis etiam purus prohibetur et anathemate feritur.” Medina recalls the Councils which were chronologically close to him, especially the Council of Constance. In this Council, the ecclesiastical authority determined the ways in which the Church should proceed regarding heretics, considering all those who did not agree with its own conciliar decisions to be heretics too. Cf. Ioannes Medina, De poenitentia, fol. 379: “Faciunt praeterea Concilia recentiora, specialiter Constantiense, vbi tradita est forma in fine Concilij procedendi contra haereticos et eos

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Vázquez ends his account of the arguments in favour of the jurisdiction over inward acts by providing further instances. These are the most controversial: the case of the Benedictine monk who, without his superior’s consent, goes to the curia regis to accuse his superior; the inquisitor who when performing his duty is moved by feelings such as hate, love or desire for profit; distraction during liturgical services. For all these cases Vázquez cites the text of the ‘Clementinae’: canon law prescribes excommunication for the first two and indicates the behaviour to adopt in the third case. These cases show how the ecclesiastical authority holds the authority to prescribe and punish on matters of inward acts. In all these cases the authors make use of a strategy that consists in drawing on a statement of fact. The ecclesiastical authority had solved these cases in the past by imposing its own authority, that is, by punishing, commanding and forbidding, in order to affirm an entitlement. If the ecclesiastical authority does this, this means that it has the power to do it: “punit igitur Ecclesia affectum omnino internum, ac proinde sua lege praecipere aut prohibere illum potest ” 31. As presented by Vázquez, the doctrinal position of these authors can be reduced to the inference de facto–de iure. But, as noted earlier with regard to Juan de Medina’s work, this doctrinal simplicity does not do justice to the richness and precision of the works that argue against Vázquez’s position. Unsurprisingly, Vázquez’s account serves the purpose of presenting his own side of the debate in a favourable light, from Aquinas to himself. Vázquez depicts his side as a tradition of thought arising out of a long process of different stages, on occasion with disagreements between them, and characterised by theoretical enrichment and an increasing degree of complexity and subtlety. According to Vázquez, this steady increase in complexity is attributable to authors such as Durandus of Saint Pourçain, Pierre of Palude, Jean Gerson, Gabriel Biel, Saint Antoninus of Florence, Sylvester Mazzolini, John Driedo, Cajetan, Alfonso de Castro, Domingo de Soto, Martín de Azpilcueta (Navarrus) and Diego de Simancas. All these authors agree that the “actus interiores nudi secundum seipsos”, to use Cajetan’s words, cannot fall under the scope of human law, whether civil or ecclesiastical law 32. The first stage in the formation of Vázquez’s side – the opinio communis – is represented by Durandus of Saint Pourçain. Like Aquinas, Durandus stresses the connection between lex–poena–iudicium, stating that the judgement necessary to punish the person who breaks the law cannot be carried out on account of

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puniendi. Et inter alia, quae statuta sunt per inquisitores interroganda, hoc vnum est: vtrum credant, quod illud quod in sacro Concilio credendum esse determinatur, sit ab omnibus catholicis credendum et asserendum. Iterum, vtrum credant esse de necessitate salutis confiteri sacerdoti […] Quae quidem ideo statutum a Concilio fuit per iudices inquiri, vt quos reperirent non ita credere, tanquam haereticos punirent. Et ita aperte videtur ex hoc Concilio, Ecclesia posse solam haeresim mentalem punire, habita eius cognitione per confessionem partis. Et ita si Ecclesia non punit in iudicio peccata cordis, videtur quod non sit ob defectum iurisdictionis, sed cognitionis.” Vázquez, Disputatio 160, fol. 95a–b. For the specific contribution of each one of these authors see Vereecke, Conscience morale (nt. 3).

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inward acts which are not expressed in some way, whether through words or deeds, outside man’s inward dimension. According to Durandus, this is impossible. There is both a “defectus probationis”, since no man can bear witness against someone else who has not manifested his thought, and a “defectus auctoritatis”, as no man has authority over the thoughts of any other man 33. The case is different if the act does not remain confined to the inward sphere, even if it is not overtly disclosed: in this case, according to Durandus, it would fall under human law. It would remain, however, unpunished, because no one could bear witness to it. This case would remain without punishment but not on account of the limits of human jurisdiction: as Durandus asserts, “ius non deficit, sed probatio” 34. Gabriel Vázquez draws on this opinio communis. Like Durandus, Vázquez considers that the case of entirely inward acts leaves no doubt; these acts cannot be subjected to human law on the grounds of both a “defectus probationis” and a “defectus iurisdictionis”, in Durandus’s words, on account of the very nature of these acts, as no man can have knowledge of other men’s thoughts, except through some noticeable sign35. Like Durandus, Vázquez emphasizes that an external act which remains secret (“actus externus occultus”) cannot be punished, because in this case too, as in the case of inward acts, “deficit probatio”. Yet, this act falls under human jurisdiction: indeed, it is identical by nature to a public act. The fact that this act remains secret does not entail its classification as an inward

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Durandus a Sancto Porciano, Super Sententias theologicas Petri Lombardi commentariorum libri quatuor, Parisiis: apud Carolum Guillard et Gulielmum Desbois, 1550, IV, d. 17, q. 8 (“Quo iure confessio sit introducta”), fol. 295v: “Quod autem non sit de iure pure humano patet quia nulla lex potest praecipere actum cuius transgressorem non potest iuste punire. Frustra enim ferrentur leges quaecunque nisi transgressores possent puniri. Et ideo Philosophus decimo Ethicorum dicit quod omnis lex habet vim coactiuam per poenam, sed nulla lex humana posset iuste punire illum qui non confiteretur peccatum sibi soli notum, quia tale peccatum aut consistit in solo consensu interiore aut procedit exterius in dicto vel facto. Si consistat in solo consensu interiori, non subiacet legi pure humanae, non solum propter defectum probationis, quia nullus potest testificare contra alterum de solo consensu interiore quando nullo modo procedit exterius dicto, facto vel signo, sed etiam propter defectum auctoritatis, quam nullus purus homo habet super cogitationes alterius. Hanc enim sibi solus Deus reseruauit, qui solus nouit corda filiorum hominum.” Ibid.: “Si autem peccatum procedit exterius per dictum vel factum, occultum tamen aliis, tale peccatum bene subiacet potestati humanae, sed iuste puniri non potest propter defectum probationis, vnde ius non deficit, sed probatio, quia si posset probari posset iuste puniri, ipsa tamen celatio peccati occulti exterius procedentis iuste puniri non potest per legem humanam, quia nullus tenetur prodere suum peccatum nisi in iudicio forensi ad instantiam partis vel quando iudex procedit ex officio, et ordo iuris hoc exigit“. This conclusion is also applicable to the case of the confession which is the subject-matter of the question; ibid.: “Quod autem aliquis dicat peccatum suum occultum coram sacerdote, qui illud habet celare, nulla lex pure humana potest praecipere, nec trangressorem iuste punire. Propter quod relinquitur quod confessio sacramentalis, de qua loquimur, est solum de iure diuino.” Vázquez, Disputatio 160, fol. 96a: “Legislator non potest praecipere aut prohibere actus, de quibus non potest sententiam ferre […] cum […] non possit vllus legislator etiam Ecclesiasticus sententiam ferre et iudicare de actibus omnino internis, efficitur vt non possit lege sua illos iubere aut vetare. Dico autem non posse Ecclesiam de actibus internis sententiam pronunciare, non solum defectu probationis, sed etiam considerata natura ipsorum: nullum enim humanum iudicium corda hominum intueri aut scire potest, immo neque coniectura aliqua inuestigare, nisi signo aliquo sensibili indicentur: quare nullum de eis humanum testimonium esse potest.”

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act 36. Moreover, by definition human law requires obedience: any human act implies obedience to the law, irrespective of the fact that it may remain occult. As Vázquez argues, obedience to human law is not merely to avoid scandal (“ratione scandali ”); quite the contrary, the law is binding and necessarily involves obedience (“ratione obedientiae”)37. These conclusions agree with the opinio communis, as Vázquez himself admits. But Vázquez frames the conclusions of the opinio communis through his overall principle: the law is “imperium superioris” and it is according to the natural order that “inferiores ad suam observationem obligat ”. However, this conformatio of the inferior to the superior must be true according to what is specific to man, and specific to man is “external operation according to reason” (“operatio exterior secundum rationem”). A conformatio spiritualis is specific to angels and spiritual creatures; it is also specific to man insofar as he partakes of something of the spiritual creatures and not insofar as he is a human being 38. Vázquez’s principle is followed by Rodrigo de Arriaga. Commenting on the question of the ‘Summa’ devoted to obedience (II–II, q. 104), Arriaga agrees with Aquinas that a man cannot be subject to another man “secundum animam”, but only “secundum corpus”. Therefore, if God, master of body and soul, does not grant jurisdiction over the inward acts, no man by himself (“nullus purus homo”) has jurisdiction over another man with regard to inward acts39. 36

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As early as Saint Antoninus of Florence, authors opposed the assimilation of secret external acts to inward acts. For Antoninus, the occult act is opposed to the public act just as the inward act is opposed to the outward act. On this see Vereecke, Conscience morale (nt. 3), 113–114. Vázquez, Disputatio 160, fol. 96a: “[…] actus externus suapte natura Ecclesiae et humano iudicio et testimonio subditus est, licet interdum defectu testium, quia in occulto factus est, non subijciatur: hoc tamen non obest, quominus legi et praecepto ita subiiciatur, vt in foro conscientiae, etiam in occulto, lex humana obliget subditos ad sui obseruationem: quia actus exterior secretus eiusdem naturae est cum publico, et suapte natura subiectus testium depositioni sicut publicus: lex autem humana obligat non solum ratione scandali, sed etiam ratione obedientiae, alioqui non obligaremur lege ex vera obedientia, sed ex sola ratione scandali, quod est absurdum: ergo lex humana eodem modo obligat ad actum publicum et ad actum occultum.” Ibid.: “Ego vero aliam rationem non minus efficacem adderem, quae talis est: lex est imperium superioris ideoque inferiores ad sui obseruationem obligat: quia iure naturali oportet inferiorem ad voluntatem superioris conformari, absurdum quippe videtur ei refragari et resistere, sicut honestum obtemperare; atqui conformatio haec inferioris ad superiorem in eo solum attendi debet, quod proprium hominum est, id autem est exterior operatio secundum rationem: nam spiritualis conformatio angelorum et spirituum potius videtur quam hominum, vel hominum etiam, ea tamen ratione, qua cum angelis communicant. Lex igitur humana, humanam postulans obedientiam, eam solum exposcit in operibus exterioribus, quae propria hominum sunt, nec communia cum angelis, ac proinde actus omnino interiores prohibere aut praecipere nequit, quia in illis conformatio obedientiae humanae non exigitur.” Rodericus de Arriaga, Disputationes theologicae in Primam secundae D. Thomae t. II, sive Vniversi cursus theologici t. IV, qui continet Tractatus De legibus, De divina gratia, De iustificatione, De merito, Antverpiae, ex Officina Plantiniana Balthasaris Moreti, 1644, disp. 14 (henceforth: Arriaga, Disputatio 14), fol. 152a: “[…] D. Thomas […] docet, hominem non subdi alteri secundum animam, sed secundum corpus: ergo non habet Imperator ius in actus pure internos; vnde fit vt, nisi Deus, qui dominus est animae et corporis, et vtrumque perdere in gehennam potest, specialiter concedat iurisdicitionem supra actus internos, non possit vllus homo purus alteri actum internum praecipere.” For Arriaga’s life and work, as well as for secondary bibliography, see J. Schmutz, Scholasticon, URL = http://www.scholasticon.fr/ Database/Scholastiques_fr.php?ID=174 (consulted 30 June 2014).

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The opinio communis presents a substantial uniformity regarding the arguments and conclusions. Even the discussion on the greater or lesser scope of the law does not weaken the agreement on the main point of the debate, according to which the sphere of man’s inward acts remains inviolable to any power which is not divine. This did not prevent some issues giving rise to opposing views. This occurred with regard to the idea that human law may enjoin a number of inward acts. Gradually, some authors began to admit this idea. The identification of which precise acts may fall under human jurisdiction is, of course, problematic. The Dominican Sylvester Mazzolini, in his ‘Summa’ issued as early as 1516, admitted that some inward acts could fall under the scope of the “potestas legislativa humana”: for Mazzolini, these acts remain excluded from human jurisdiction per se, but not per accidens: as far as they are related to external acts, which belong to the domain of the positive law, they fall into the domain of human law 40. The attempt to include some types of inward acts was made, among others, by Cajetan. For Cajetan, internal acts fall under the jurisdiction of the Church if they are the cause for the external acts. It is by virtue of this inclusion that Cajetan validates the excommunication of those who, by hatred or goodwill, or for the sake of personal advantage, condemn or absolve in an untruthful way someone accused of heresy; likewise, Cajetan defends the legitimacy of intervention against those guilty of distraction during the liturgy: in both cases the Church punishes an inward act insofar as it is the cause or reason for the external act 41. Yet, from Cajetan’s words it is not clear how one should understand the statement that an inward act is the reason for an external act. Gabriel Vázquez disproves Cajetan’s interpretation, which, for Vázquez, goes against the opinio communis. Vázquez aims to establish a clear dividing line: on one side, the inward act or disposition of mind which inevitably produces one effect and only that given effect; on the other hand, the inward act which is related to an action that ensues but is not causally determined by it: the inward act has produced a given external act, but it could also have produced a different external act. Vázquez defines the disposition of mind of the first type as “voluntas efficax”: in this case, the condemnation imposed by human law does not concern the purpose in itself that motivated the action (the distinction between external and internal forum is always acknowledged); the condemnation concerns in the first place the opus which is an outcome of the will and, in the second place and consequently (“consequenter et secundarie”, in Vázquez’s words), the inward act from which it springs. Yet, as Vázquez explains, such inward acts can never be condemned unless they bring about an external act 42. 40 41 42

See Vereecke, Conscience morale (nt. 3), 114–115. Thomas de Vio Caietanus, Summula Caietani, Lugduni 1551, ad verbum “Excommunicatio. Contra haereticos”, III, 174–175. Vázquez, Disputatio 160, fol. 96b: “[…] notandum est actum interiorem dupliciter posse comparari cum exteriori; primum vt est solum voluntas quaedam efficax faciendi aliquid exterius, quod lege humana vetitum est, vel omittendi id, quod praeceptum est; et hoc modo nullus dubitat actus interiores lege humana prohiberi, ita vt

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The disposition of the second type, that is, the disposition of mind which goes together with the external act as circumstance or accidental cause, is different. In this case, the link between disposition of mind and action is not necessarily turned towards the production of one effect and only that given effect: this kind of disposition goes together with the action, but it is not the origin of the action; as such, this disposition of mind cannot, in any case, fall under the scope of human law 43. The earlier examples, the monk, the inquisitor that condemns or absolves moved by personal feelings, and even the case of distraction during the liturgy, all fall into the second class of acts, that is, those acts that ensue from a disposition of mind which Vázquez describes not as “voluntas efficax”, but as “quasi circumstantiae et causae accidentariae”. The monk who goes, without his superior’s consent, to the kingly court with the purpose of accusing his superior, accomplishes two acts which are not necessarily related: it is not the lack of obedience that produces the intention to accuse the superior; moreover, the fact that the monk goes to the court without his superior’s consent could result in the accusation of his superior, but could also have resulted in another different act. The condition of nonobedience does not necessarily involve the accusation of the superior. In the same way, one can attend the liturgical service with or without attention; being physically present and paying attention are not yoked together. Finally, to accuse or not accuse someone of heresy may be an effect of feelings of hatred, or love, but also result from negligence or laziness44. The dividing line between the two types of internal acts corresponds to the distinction between fora: the inward acts understood as “voluntas efficax” are subject to the “forum externum”, though in the second place and consequently; the other inward acts remain in the sphere of the “forum conscientiae”. The examples provided by Hadrian VI and the other authors in order to illustrate the view that “lex humana aeque potest in actus omnino interiores et exteriores” 45

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solum propositum opere exequendi id, quod lege humana interdictum est, sit vere peccatum et contra legem, non quia lex per se prohibeat talem voluntatem – nam de illa secundum se iudicare non poterat, neque vim suae coactionis et poenae circa illam exercere –, sed quia ex opere exteriori prohibito deriuatur malitia in voluntatem efficacem illius: ideo enim voluntas haec mala est, quia opus, cuius est causa efficax, malum est, et prohibitio seu praeceptum per se fertur in opus externum, consequenter et secundarie in actum interiorem efficacem […].” Ibid.: “Deinde comparantur affectus quidam interiores, qui coniunguntur exterioribus operibus, non vt per se causae illorum, sed quasi circumstantiae et causae accidentariae. Talis est voluntas finis, vt in exemplo illo monachi, qui intentione accusandi superiorem sine licentia se confert in curiam regiam. Eodem modo se habet affectus odii aut amoris in inquisitore cum voluntate non inquirendi contra haereticum et attentio in recitandis horis canonicis cum ipsa recitatione; nam omnes hae operationes vel omissiones exteriores ex se solum postulant simplicem voluntatem vt causam per se; accidit autem, vt voluntas omittendi vel faciendi sit cum odio vel amore, cum tali intentione voluntatis vel attentione intellectus. Cum igitur dicimus lege humana non prohiberi actus interiores, nec primarie, hoc est, non secundum se, nec secundarie, hoc est, non ratione operis externi, intelligimus de ijs, qui non sunt per se causa exteriorum, sed ex accidenti ei coniunguntur, et ex se suam malitiam habent, vt in exemplis adductis.” Ibid., fol. 97a. Cf. supra, p. 479.

The Relationship between Conscience and Law in Late Scholasticism

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present cases in which the two fora, the two orders of law, divine and human, are not considered to be distinct. In contrast to this, Vázquez aims to distinguish between the two orders. In his ‘Quodlibet’ Hadrian VI argues that the Church imposes on its believers the confession of sins, including the sins “solius cordis et interiora”. For Hadrian VI, this is evidence that the Church has the right to forbid or command internal acts. Vázquez refutes Hadrian VI’s conclusion. The precept to confess all sins, including inward sins, is a divine precept; the confession is a commandment both divine and ecclesiastical (and, therefore, human): as a divine commandment it prescribes the duty to receive the sacrament; as an ecclesiastical and human one it determines how and when confession should be made so that it guarantees the full absolution of the sins. The Church, therefore, does not prescribe internal acts46. The same line of reasoning is valid for the commandment that enjoins that the feasts are to be observed: this is a divine commandment if understood in a general way, while it is ecclesiastical and human with regard to the “determinatio temporis” 47. Vázquez’s arguments against those who supported the view that “lex humana aeque potest in actus omnino interiores et exteriores” are grounded on a conception of human law understood as a specification (determinatio) that the lawgiver adds to the contents of natural law, from which every positive human law derives. This idea had been expressed by Aquinas in his commentary on the ‘Nicomachean Ethics’ 48. IV. Francisco Suárez’s Criticism and Rodrig o Ar riag a From all this, it seems that the charge made by Francisco Suárez against Vázquez has no foundation. Suárez is ferocious and numbers his fellow Jesuit among the “haeretici huius temporis”. According to Suárez, Vázquez identified the subjectmatter of the human law with the subject-matter of the natural and divine laws. For Suárez there is only a formal difference between human law and natural and divine laws, their content being virtually identical 49. As a result, there is a risk of assigning a superior status to dispositions of human law, that is, a risk of sacralising human law. Yet, Vázquez’s text does not support Suárez’s criticism. This disagreement between the two authors is significant for the notion of human law and its relationship with natural and divine laws. Vázquez acknowledges that civil law has its own autonomous sphere of validity, one which is not necessarily related to moral virtues. This is not the case for Suárez.

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Vázquez, Disputatio 160, fol. 97b. Ibid., fol. 98a. Cf. Thomas Aquinas, Sententia libri Ethicorum, V, 12, ed. Commissio Leonina (Opera omnia 47), Rome 1969, 306, 114–119. See also id., Summa I–II, q. 95, a. 2. Suárez, De legibus, V, disp. 10, sectio II, 326–327.

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The two authors agree that entirely inward acts do not fall under human law, whether ecclesiastical or civil, and that these acts can be judged by God alone. This assertion is not problematic, as we have seen, being merely a reassertion that can be traced back to the opinio communis. Rather, the key issue is the extent to which human law is related to the inward acts. For these authors the answer to this issue is connected to the way in which they determine the boundaries between human law on the one hand and natural and divine laws on the other. A precise distinction between human law and natural law would have offered a reliable criterion by which to assign an act to its sphere of jurisdiction. Without this precision, it becomes problematic to define the scope of each type of law and difficult to determine which type of law enjoins any particular act. Suárez’s work is evidence of the possible consequences arising from such lack of distinction. In his treatment of the distinction between civil and canon law, Suárez argues that civil law is subject to ecclesiastical law “ratione peccati ”. Obviously, this position deprives the respublica christiana of the autonomy specific to the temporal power. As a result, the ecclesiastical jurisdiction becomes much broader. Indeed, Suárez remarks that before the advent of the Christian religion the civilis potestas had much wider autonomy and validity. Christianity subverted the priorities: it did not change the subject of the law, but allowed it to consider matters “sub altiori ratione”. The same occurs in nature, where a superior faculty of the soul can deal with the matter of a lower faculty, considering it “sub altiori ratione”: this is what happens with the intellect and the senses50. Likewise, ecclesiastical authority may use civil laws to fill a gap in its own legislation. By contrast, civil law may punish behaviours that fall under the forum ecclesiasticum if such behaviours threaten the respublica christiana. In this way, ecclesiastical jurisdiction extends to a sphere that one might consider would be reserved to man’s conscience. In contrast, Vázquez upholds a different view regarding the relationship between the different kinds of law: civil law and the moral virtues are not necessarily yoked and civil law is not identical with moral principles. For Vázquez, a lawabiding citizen does not have to be morally virtuous51. Late scholastic commentators present various positions. At times the differences between them concern the lines of reasoning used to reach a given conclusion; at other times a particular conclusion may differ, and at still other times the whole theoretical framework that supports the conclusions may be a different 50

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Suárez, De legibus, IV, cap. 11. See for instance, 9–11: “[… materia] canonica excellentior est et universalior […] fere tota materia temporalis ad spiritualem finem ordinari potest et illi subest et sub illo respectu induit quamdam rationem spiritualis materiae et ita potest ad leges canonicas pertinere. Sic enim supra dicebamus potestatem temporalem seu civilem esse ecclesiasticae subiectam, et eodem modo dicunt iuristae materiam peccati, id est, ubi agitur de illo vitando seu de periculo animae, canonicam esse et ad leges canonicas spectare […] sicut in naturalibus potentiis superior interdum versatur circa materiam inferioris sub altiori ratione et ultra illam circa aliam excellentiorem, ut patet de intellectu respectu sensuum, ita quodammodo lex canonica excellentiori modo materiam legis civilis et aliam praeterea altioris ordinis complectitur.” Vázquez deals at greater length with the relationship between the different types of law when he comments the q. 96, a. 4; cf. Toste, Unjust Laws (nt. 2).

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one, as in the case of Suárez and Vázquez. Furthermore, in some cases the differences are merely apparent, introduced for rhetorical or polemical purposes and instrumental in the commentator’s praise of his own supposed originality and novelty. Finally, in other cases, the differences concern the methodology used by the commentator, which has consequences for the content. This is the case for the Jesuit Rodrigo de Arriaga. Arriaga criticises authors who support the legitimacy of enacting a given law, or its illegitimacy, by adducing as evidence the existence or non-existence of laws concerning the particular issue at stake52. In this, Arriaga invalidates the inference de facto–de iure – the very inference on which a large proportion of the sixteenthcentury debate on the relationship between law and conscience is grounded, as we have seen. Arriaga is arguably also thinking of the numerous cases in which Suárez makes use of this method, “ex inductione”, to use Suárez’s own words. In the opening pages of the section of the ‘De legibus’ dedicated to the scope of the law, Suárez rejects the notion that the Church may deal with inward acts, reasoning that no ecclesiastical law enjoins inward acts; if something has never been done, for Suárez, this means that it could not have been done (“quod numquam factum est, signum est fieri non posse”) 53. Arriaga frequently quotes Suárez, often to criticise him. This is apparent, for instance, in the passage in which Arriaga refutes Suárez’s distinction between acts which are occult per se and those which are so per accidens, following Suárez. More precisely, Arriaga considers the distinction between internal acts and external occult acts to be specious. Durandus of Saint Pourçain had used such an argument, and was followed by Vázquez and many other later authors. For Arriaga, this is sophistry: from the point of view of civil jurisdiction, both – occult acts per se and per accidens – are classified as if they were inward acts (“moraliter sunt ac si fuissent interni”) 54. The inward acts are occulti per se for one single reason: we cannot have an intelligible species through which we can know these acts; but, he remarks, the same occurs with regard to many external acts: the colour does not produce sensible species in the absence of light, and for the same reason many

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Arriaga, Disputatio 14, fol. 152a: “[…] Conclusio communis sit: lex ciuilis non potest, per se loquendo, imperare aut prohibere actus pure internos. Probari haec solet ex aliquibus legibus, quae id videntur supponere; haec tamen probatio non est admodum bona; nam cum agamus, quid lex possit, non debemus id ex ipsa lege suadere, sed aliunde: est quidem illud argumentum bonum ad probandum auctorem legis fuisse in ea opinione, at non propterea fecit illam certam; quia in quaestione speculatiua, qualis est haec reflexa de potestate ipsius Imperatoris, certe eius dictum non facit fidem, siue extendat suam potestatem siue eam limitet.” Suárez, De legibus, V, disp. 10, 315–316: “[…] potuisset […] Christus, si voluisset, hanc potestatem Ecclesiae dare. Tractanda est ergo res de facto et probandum est non dedisse […]. Est etiam magnum argumentum, quod hactenus non invenimus legem datam ab Ecclesia de his actibus mere internis; quod enim nunquam factum est, signum est fieri non posse.” Arriaga, Disputatio 14, fol. 152b: “Ego, vt verum fatear, magnam adhuc sentio in hac solutione communi difficultatem. Primo quia, quidquid sit de ea occultatione, per se aut per accidens, in ordine tamen ad externam et communem administrationem Reipublicae, ea actio omnino occulta plane se habet per accidens; quia illa, vt sic dicam, est actio hominis solitarii.”

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acts carried out in the darkness cannot be known55. Arriaga concludes his lengthy criticism by arguing that in moral issues we should not seek for a metaphysical difference but for a moral difference. And the issue of law and obedience is a moral issue. That a given act may be known or not known is not significant; what is significant is that this act is “ad rationem communitatis” 56. Like Aquinas, Arriaga limits the range of the law to acts which are related to the common good. Finally, for Arriaga, the notion of direct compraeceptio is mistaken: Suárez conceived this notion to assert that when civil law enjoins an external act, it enjoins an internal act at the same time (“compraecipit ”). Suárez uses this notion to broaden the human law’s scope to include inward acts57. Arriaga absolutely rejects the proposition that civil law may enjoin directly (“directe praecipere”) acts which are completely inward58. These late scholastic authors present a variety of different approaches, methodologies and conclusions. However, they are united in an attempt to pave the way for a broader ecclesiastical jurisdiction with regard to a number of acts which had been considered outside the range of human power. Situated as they were in a historical period marked by opposition between Catholicism and Protestantism, this undertaking appears to be a most significant one. Beyond this, it is worthy of note that those authors who made it their business to disprove and deny a fusion of the civil law and moral virtues are also the ones who tended to recognize an inviolable sphere for man’s inner acts and conscience.

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Ibid., foll. 152b–153a: “[…] quare actus pure interni sunt nobis occulti per se? Certe non alia ratione, quam quod de illis non habeamus species, per quas eos noscamus, nec habere possimus, nisi ipse operans eos nobis manifestet: atqui in hoc sensu etiam multi actus externi debent omnino dici occulti per se, nisi abutamur vocibus. Nam non minus absente luce non producit species sui color aut motus, quam eas non producit actus internus. V.g. in tenebris ego palpebras moueo, nicto oculis, certe tunc nullae sunt species eorum actuum, per quos cognosci valeant; ergo etiam tunc debent dici moraliter occulti.” Ibid., fol. 153b: “[…] in rebus moralibus, qualis est lex et eius obligatio, non tam est attendenda differentia aliqua metaphysica quam moralis et prudens: atqui si res moraliter consideretur tam in ordine ad rationem communitatis, quam in ordine ad probationem, nihil magis facit, quod actus ille potuisset esse notus in aliis circumstantiis quam si non potuisset […].” Ibid., fol. 154b: “Posset hic quaeri, an non solum indirecte, sed etiam directe possit lex ciuilis compraecipere actum internum […] Affirmat Pater Suarez […] vbi dicit actum illum internum tunc temporis esse compraeceptum, quia per se praecipitur actus humanus sensibilis, in quo includitur vt pars ipsa interior volitio, quae externum constituit per modum formae in ratione humani, eo modo quo qui praecipit studium, praecipit etiam attentionem, sine qua studium esse non potest.” Ibid. Significantly, in the discussion on the definition of heresy (I–II, q. 19), Arriaga is the commentator who argues most strongly that it is very difficult to prove that someone is a “pertinacious heretic”, as it is not easy to measure a person’s sincerity. This agrees with his rejection of the idea that the law may enjoin a purely inward act; cf. J.-P. Massaut, Les droits de la conscience erronée dans la théologie catholique moderne, in: H. R. Guggisberg/F. Lestringant/J.-C. Margolin (eds.), La liberté de conscience (XVIe–XVIIe siècles). Actes du colloque de Mulhouse et Bâle (1989) (Études de philologie et d’histoire 44), Genève 1991, 237–255, especially 253.

Facing the Ambiguities of Aquinas: The Sixteenth-Century Debate on the Origin of ius gentium P O  S (Porto) I. Ius gentium: a Juridical Conce pt in a Philosophical Conte xt The concept of ius gentium is a complex notion emerging from a juridical context, which Thomas Aquinas analyses in the ‘Summa Theologiae’ in both his explanation of the nature of the law and of justice. The notion presents a certain degree of ambiguity because this ius is not established by the laws of the republic but by human consensus. This raises the issue of the natural or positive origin of this ius and Thomas Aquinas offers a somewhat ambiguous solution to this problem in the ‘Summa Theologiae’. This study analyses Aquinas’ theories on the origin of ius gentium and shows how they gave rise to a heated debate, which can be found in the commentaries on the ‘Summa’ resulting from the teaching of moral theology in sixteenth-century Iberian universities1. In the ‘Summa Theologiae’, Aquinas first discusses the concept of ius gentium while analysing the concept of law in I–II, qq. 90–97 and then while discussing the concept of justice in II–II, q. 57. An important aspect of Aquinas’ argument is that he imported this notion from its original juridical realm into the area of moral philosophy. This renders the concept more complex, making it necessary for it to be interpreted within the domains of both philosophy and moral theology. As the notion of ius gentium originates in the realm of law, and in particular Roman law, dealing with the term in the context of moral philosophy is intrinsically problematic. Thomas Aquinas analyses the concept without presenting any specific definition of this notion, adopting Isidore of Seville’s definition as it appears in the ‘Decretum Gratiani’. However, Isidore’s statements are neither analytical nor conceptual, as they refer to a juridical and normative context. Indeed, Aquinas does not justify the importation of a concept from the juridical realm into his philosophical and theological analysis of law and justice, possibly because

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The choice of the sixteenth-century texts and authors to be analyzed here was guided by the following criteria: 1) representativeness (The First School of Salamanca: Francisco de Vitoria and Domingo Soto); 2) criticism of Soto’s position and the consolidation of doctrines (The Second School of Salamanca: Luis de León and Domingo Bañez); 3) the continuity of the debate in Portuguese universities (António de S. Domingos and Fernando Perez).

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he found it natural to do so. This fact raises two questions: the first about the definition of ius gentium and the second about the appropriateness of studying this type of ius within the areas of philosophy and moral theology. Offering a general definition of ius gentium would require a historical review of the concept, which would be fraught with numerous difficulties. Cicero, for example, linked the notion of ius gentium to an eternal law that could be discovered by human reason. So, he considered ius gentium as a ius which governs all humans in accordance with their nature and reason. Centuries later, the jurist Gaius followed Cicero in linking ius gentium to the naturalis ratio common to all humans. Ulpian later expanded this concept of natura pointing out that ius gentium leads to principles that rational beings share with irrational beings, and stressing the absolutely primary and elementary character of some principles of human actions, such as the declaration “it is fair to give to each his own” 2. Aquinas’ arguments about law and justice in the ‘Summa Theologiae’ could not ignore the canonical works, namely the ‘Decretum Gratiani’. In his analysis of the concept of ius gentium it is precisely the statement by Isidore of Seville as transposed by Gratian that is considered3. In the case of the commentaries by the sixteenth-century theologians, the references to jurists and their auctoritates – Cicero, Gaius, Ulpian and Justinian’s ‘Institutions’ – are even more frequent. Both in Aquinas and in his sixteenth-century commentators, the debate about the nature of ius gentium concerns the relationship that this ius establishes with natural law. The central question debated is whether the division of law proposed by Isidore is the correct one. Does human law (and by extension ius gentium) depend on natural law? Or is it the mere consequence of circumstantial determinations resulting from a temporal agreement and consensus amongst a certain set of people? And is this disjunction exclusive, or does it admit some causal link between nature and consensus? In ‘Summa Theologiae’, I–II, qq. 90–97, Thomas Aquinas places ius gentium within a four-part division of the law: eternal, natural, positive and civil. By doing so, in some texts he seems to place it within natural law while in others it appears within civil law. This causes perplexity and gave rise to intense debate among sixteenth-century commentators on Aquinas. 2

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For a treatment of the concept from the perspective of the history of law, cf. M. Kaser, Ius Gentium, Granada 2004, 6–12, 19–29, 68–86; M. Scatolla, Models in History of Natural Law, in: Ius commune. Zeitschrift für Europäische Rechtsgeschichte 28 (2001), 92–93; R. Domingo, The New Global Law, Cambridge 2010, 1–11. Kenneth Pennington has pointed out the progressive increase of legal terminology in the thirteenth-century theology. He focuses his analysis on the way Aquinas deals with juridical texts (mainly with the ‘Decretum Gratiani’) in the ‘Summa Theologiae’ and emphasizes that Aquinas adopts the terms lex naturalis and ius naturale but remains faithful to his philosophical and theological point of view and does not adopt their juridical interpretation. Cf. K. Penningthon, Lex naturalis and ius naturale, in: S. E. Young (ed.), Crossing Boundaries at Medieval Universities, Leiden–Boston 2011, 239–244. An account of the canonistic rights language can be found in B. Tierney, The Idea of Natural Rights, Michigan–Cambridge 22001, 58–69.

The Sixteenth-Century Debate on the Origin of ius gentium

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An initial justification for this ambiguity can be found by looking at the different views Aquinas adopts in his analysis of ius gentium. In his explanation of the nature of law, he focuses on the principle that gives it the force of law, insofar as it is a ius common to all people and adopted by all nations. However, when he analyses this ius from the viewpoint of the nature of justice, he takes into account the content of ius gentium. Therefore, in his explanation of the law Aquinas analyses this ius abstractly, that is, as being linked to the law as the general principle which regulates human acts; and defines it according to the manner in which its principles are rationally deduced from the general concept of law. In this case, Aquinas argues that the principles of ius gentium arose as necessary conclusions from the primary principles of practical reasoning 4. However, when this ius is to be applied to the virtue of justice according to the equity that defines it, Aquinas has to consider its content, which includes principles such as the division of property and slavery, and whose necessary derivation from primary principles is neither evident nor necessary. Thus, in II–II, q. 57, a. 3, Aquinas has to revise his statement about the origin of the concept, stating that the deduction of its principles does not depend on a reasoning deriving from principles per se nota, but from complex reasoning. Given the nature of ius gentium, its foundation is difficult to determine, as Aquinas’ texts show. Here we analyse the debate found in some commentaries on the ‘Summa Theologiae’ produced in sixteenth-century Iberian universities, and the basic research question is: what is the origin of a ius common to all peoples? Formulated in these terms, the question shifts from the domains of the history of civilization and the history of law to the realm of moral philosophy. In effect, the specific nature of ius gentium renders this concept particularly problematic. It is a form of ius that links people to rights and duties, whose principle of efficacy is the common agreement among people, but without the need for promulgation. Its norms express basic human needs, which denote a common nature. These characteristics demonstrate the level of complexity of the research on the origin of ius gentium when the analysis is based on its philosophical foundations. In the commentaries by the sixteenth-century theologians, this concept takes centre stage, since given the reality of human communities inhabiting the New World it is the basis for the elaboration of doctrines regarding the possible establishment of an international law and of the distinction between objective and subjective rights. However, in these texts the doctrines on the constitution of this ius are not always linked to the debate on the origin of ius gentium but rather to the exhaustive discussion of its contents: relations of domination, slavery, property, just war or freedom of religion. In fact, the debate about the norms and rules 4

Thomas Aquinas, Summa Theologiae, I–II, q. 95, a. 4, resp., in Opera Omnia, ed. Leonina, tomus septimus, Romae 1892, 178: “Est enim primo de ratione legis humanae quod sit derivata a lege naturae […]. Et secundum hoc dividitur ius positivum in ius gentium et ius civile, secundum duos modos quibus aliquid derivatur a lege naturae […]. Nam ad ius gentium pertinent ea quae derivantur ex lege naturae sicut conclusiones ex principiis […].”

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which had always integrated ius gentium, isolating them in order to analyse their complexity as part of the human condition, acquires a central role if compared to the importance given to the texts where the origin of that right is discussed 5. Nevertheless, the definition of the natural or positive origin of ius gentium is not completely ignored in those debates and the differences between the answers given by the theologians to the question of the origin of ius gentium, as well as the perplexities derived from those answers, reveal the close connection between the theoretical discussion and the practical solutions for ethical and political issues6. In the specific case of the texts and authors examined here, this complexity is expressed in the indecisions in the arguments on the place of ius gentium within the law and, consequently, on the norms it includes. These difficulties belong to a particular historical context characterized by the clash of fundamental beliefs: those of a society which for many centuries had based itself on the christiana religio, the crisis of conviction reflected in the reform movement, and the excess of new information concerning human nature brought by the discovery of the New World. Focusing on the question of whether ius gentium is a natural or a positive law, we first analyse Aquinas’ doctrines expounded in the ‘Summa Theologiae’. Then, we look at their reception in some sixteenth-century commentators on Aquinas’ ‘Summa Theologiae’, whose names are linked to the foundation of the School of Salamanca, briefly referring to some indications of the dissemination of these doctrines in the sixteenth-century Portuguese universities of Coimbra and Évora.

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See, for example, the short nineteen-page treatise ‘De iustitia et iure’ by Vitoria in the edition we have used here: Francisco de Vitoria, Comentarios a la secunda secundae de Santo Tomas, ed. V. B. de Heredia, tome III, Salamanca 1934, 1–19. The treatise by Domingo de Soto, in the 1553 edition reproduced by Carro that we have used, is also only nine pages long (Domingo de Soto, De iustitia et iure, edd. V. Carro/M. González, vol. II, Madrid 1968, 193–200). The quotations made hereafter refer to these editions. The same limited scope is found in the treatise by Luis de León and that by Domingo Bañez, as well as in the manuscripts containing the lectures given by António de S. Domingos (Coimbra, 1531–1596/98?) and Fernando Perez (Cordova, 1530– Coimbra, 1595), at the Portuguese universities. Among the authors here analyzed, Fernando Perez explicitly argues that this debate, together with the controversy about domination and slavery are the basis of his treatise De restitutione. Fernando Perez, Non nulla ante materiam de restitutione traditam, à sapientissimo Doctore Patre Ferdinando Perez, Anno Domini 1588, National Library of Portugal, MS. 2623, fol. 1r: “Ad utilissimam restitutionis materiam, quoad possim, breviter et accurate illustrandam, oportet prius, veluti totius tractationis fundamenta ante oculos ponere duas alias praevias perutilisque materias: alteram de iure, et iustitia […] alteram vero quae nunc maxime controvertitur de dominio et servitude.” However, this treatise corresponding to his ‘De iure et iustitia’ makes up the first four folios of the codex, while ‘De dominio et possessione’ occupies foll. 4v–35r and ‘De restitutione’ foll. 40–282.

The Sixteenth-Century Debate on the Origin of ius gentium

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II. T homas Aquinas: the Natural or Positive Origin of ius gentium In his explanation on the nature of the law, Aquinas refers its ultimate foundation, as well as that of all lex or ius 7, to an ontological realm: the eternal law containing the ordination of all things according to a divine and creative ratio. Regarding natural law, this basis guarantees, above all, its objectivity and stability. Natural law is that which arises from the stable nature of things and therefore has this same stability. Human law, on the other hand, derives from natural law. This derivation grants its conformity with the order established by the Creator. When analysing the nature of ius gentium in the context of the law, Aquinas introduces a set of distinctions in order to establish its origin. Like all human law, ius gentium depends on natural law, insofar as human beings are part of nature and tend towards good. However, the natural world is divided into three levels – inanimate, irrational and rational – and as human beings participate in all three, they are subject to the precepts of natural law in a threefold manner: the natural tendency toward good, which is common to all substances, the precepts which correspond to the natural tendency of all animals and, finally, those concerning what is good according to the nature of reason, which is specific to humans8. To explain how human law derives from reason, Aquinas affirms that something originates from natural reason dupliciter: 1) “sicut conclusiones ex principiis” and 2) “sicut determinationes quaedam aliquorum communium” 9. In the first case, human law results from an inference which derives necessarily from practical reason axioms such as “do not kill”. This conclusion results from the principle of the right to life which, for living beings, is a basic right. This is a necessary conclusion, since it is contradictory for reason to deny it. In the second case, human law results from a determination derived from those primary conclusions, such as when it determines the specific punishment for murderers. In the first case, the force of the law derives from a natural need. In the second case, it derives from the consideration of the appropriateness of ends to means. Both conclusions are formulations of human laws. But since the former approach results from a primary principle of practical reason, it derives directly from the perception of the nature of things, while the latter derives from the statements that human reason produces about the nature of things. This is a distinction of the utmost importance, because in 7

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Cf. K. Pennington, op. cit., 240–241; 241, n. 26 regarding the interchangeable use of the terms lex and ius by Aquinas. His use of these concepts is also discussed in J. T. Erbel, Necessity of lex aeterna in Aquinas’ account of lex naturalis, in: A. Fidora/M. Lutz-Bachmann/A. Wagner (eds.), Lex und Ius. Beiträge zur Begründung des Rechts in der Philosophie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, vol. 1, Stuttgart–Bad Cannstatt 2010, 148–153. Cf. Thomas Aquinas, Summa Theologiae, I–II, q. 94, a. 2, resp., in Opera Omnia, ed. Leonina, tomus septimus, Romae 1892, p. 170. Id., Summa Theologiae, I–II, q. 95, a. 2, resp.: “Sed sciendum est quod a lege naturali dupliciter potest aliquid derivari: uno modo sicut conclusiones ex principiis: alio modo, sicut determinationes quaedam aliquorum communium. Primus quidem modus est similis ei quo in scientiis ex principiis conclusiones demonstrativae producuntur. Secundo vero modo simile est quod in artibus formae communes determinantur ad aliquid speciale […].”

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human law it makes it possible to distinguish principles which derive necessarily ex natura rei from norms deriving from a rational determination which depends either on the context or on secondary characteristics of things. In ‘Summa Theologiae’, I–II, q. 95, a. 4, responsio, Aquinas argues that ius gentium belongs to the first case, while ius civile belongs to the second one10. In this article, Aquinas does indeed ask whether the division of the law made by Isidore is appropriate. However, Isidore places ius gentium within the realm of positive law, which has three characteristics: 1) it considers the suitability and proportionality of the ends of things concerned; 2) it is public in nature; and 3) it tends towards the common good. These characteristics are shared, however, by both ius gentium and ius civile. Therefore, the specific nature of ius gentium cannot be found in the fact that it is a positive ius. Instead, it is to be found in the way in which this ius derives from natural law. Aquinas holds that the former derives from the latter immediately, just as necessary conclusions derive from axiomatic principles in a theoretical syllogism. Conversely, civil law derives from ius naturale as its specific determination. Thus, although Aquinas affirms that ius gentium is a positive law and accepts the division of the law established by Isidore, he states that ius gentium is a set of laws formed by norms which are conclusions derived necessarily from primary principles11. This deduction is totally consistent with Aquinas’ explanation of the nature of law. Nevertheless, it does to some extent contradict his statements about ius gentium in ‘Summa Theologiae’, II–II, q. 57. Here, Aquinas begins by affirming that equity is the correct domain of ius 12. In the context of the explanation of the nature of justice, he considers ius as the result of a relationship of equality between human beings because of their similar nature, and states that this is the intrinsic foundation of the virtue of justice. Thus, if the foundation of the law derives from the nature of things and from the correctness of the derivation of the norm from the knowledge of the nature of things, then the derivation of the law presupposes nothing more than formally correct reasoning. However, what specifically belongs to justice is the consideration of the nature of things

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Id., Summa Theologiae, I–II, q. 95, a. 4, resp.: “[…] Est enim primo de ratione legis humanae quod sit derivata a lege naturae, ut ex dictis patet. […] Nam ad ius gentium pertinent ea quae derivantur ex lege naturae sicut conclusiones ex principiis, ut iustae emptiones, venditiones, et alia huiusmodi, sine quibus homines ad invicem convivere non possent; […] Quae vero derivantur a lege naturae per modum particularis determinationis, pertinent ad ius civile, secundum quod quaelibet civitas aliquid sibi accommodum determinat.” M. Lutz-Bachmann analyses Aquinas’ concept of ius gentium from the same perspective, but only in I–II, pointing out the function attributed to synderesis in the deduction of the conclusions based on the principles. Cf. M. Lutz-Bachmann, Die Normativität des Völkerrechts: Zum Begriff des ius gentium bei Francisco Suárez im Vergleich mit Thomas von Aquin, in: A. Fidora/ M. Lutz-Bachmann/A. Wagner (eds.), op. cit. (nt. 7), 476–481. Thomas Aquinas, Summa Theologiae, II–II, q. 57, a. 1, resp.: “Iustitiae proprium est inter alias virtutes ut ordinet hominem in his quae sunt ad alterum. […] Importat autem aequalitatem quaedam, ut ipsum nomen demonstrat […]. Aequalitas autem ad alterum est. […] illud enim in opera nostra dicitur esse iustum quod respondet secundum aliquam aequalitatem alteri, puta recompensatio mercedis debitae pro servitio impenso.”

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regarding equity, i.e., concerning the relation between humans, who have the same nature. In the context of the horizontal relationships between humans, there are things to which nature is indifferent regarding ownership: things that do not have any ontological characteristic which might determine their attribution to one person rather than to another. In this case, what criterion ought to be used to evaluate their fair distribution or possession? Aquinas states that this evaluation does not depend on an analysis of things simpliciter, but on their specific features. In the explanation of justice, the law cannot be seen merely as rational rule, since justice consists of the application of principles, so that the rule appears qualified by an adjective – fair or unfair – as a function of the elements contained within the precepts of the law itself. Thus, in the context of justice, the deduction of what is just cannot be made only according to a formal deductive model following from self-evident principles, since other elements must also be considered, as is the case of the ends of the goods concerned, and of the means to reach them. Thus, concerning ius gentium and in order to evaluate the equity of this ius, its material content must be taken into account. In accordance with his objective notion of the law, Aquinas states that ius gentium is close to natural law. However, he cannot affirm that ius gentium is absolute et per se close to nature, due to the similar nature that all human beings have, and the indifference of some goods regarding ownership. Therefore, he states that the concept of ius naturale inherent to ius gentium does not refer to the relationship between one thing and another insofar as it is considered absolutely, but according to something resultant from it13. So, apart from the nature of things, human reason should ponder some other aspect to establish a fair relation of possession between human beings equal in dignity and goods that have no objective characteristic based on which their fair possession could be decided 14. This other aspect is the consideration of one thing, taking into account the consequences which may result from its use. A comparison of Aquinas’ statements regarding the nature of ius gentium in the context of the law and in the context of justice reveals that his doctrine contains some ambiguities. In the explanation of the law, he states that the norms of ius gentium are immediately evident to human reason, which discovers them based on the primary principles of practical reason. However, while explaining the concept of justice, the norms of ius gentium demand a complex deductive process that relegates these precepts to the realm of specific determinations, resembling those of ius civile. This ambiguity regarding the place of ius gentium within the law gave 13

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Ib., Summa Theologiae, II–IIae, q. 57, a.3, resp.: “[…] ius sive iustum naturale est quod ex sui natura est adaequatum vel commensuratum alteri. Hoc autem potest contingere dupliciter. Uno modo, secundum absolutam sui considerationem […]. – Alio modo aliquid est naturaliter alteri commensuratum non secundum absolutam sui rationem, sed secundum aliquid quod ex ipso consequitur […]. Ib., Summa Theologiae II–IIae, q. 57, a. 3, resp.: “Absolute autem aprehendere aliquid non solum convenit homini, sed etiam aliis animalibus. Et ideo ius quod dicitur naturale secundum primum modum commune est nobis et aliis animalibus. A iure autem natural sic dicto recedit ius gentium […]. Considerare autem aliquid comparando ad id quod ex ipso sequitur, est proprium rationis. Et ideo hoc quidem est naturale homini secundum rationem naturalem, quae hoc dictat.”

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rise to a strong debate amongst sixteenth-century theologians concerning the origin of the precepts of ius gentium. Indeed, it can be deduced from an analysis of Aquinas’ presentation of ius gentium in the ‘Summa Theologiae’ that he implicitly acknowledges two types of precepts: those immediately and necessarily deduced from the primary principles of practical reason, and those which require more complex reasoning and which are more distant from natural law, since they are not evident. The texts of the sixteenth-century commentators on Aquinas’ ‘Summa Theologiae’ reveal that a solution to this ambiguity is to accept the existence of two types of ius gentium precepts. In the case of precepts deduced with evidence, they converge with natural morality, while the others are similar to those of positive law. III. T he Debate on the Origin of ius gentium in Some Sixteenth-Centur y Iberian Commentaries The adoption of the texts by Aquinas in the teaching of theology in the Iberian Peninsula is linked to Francisco de Vitoria, as is the foundation of international law15. However, the question analyzed here does not focus on the practical features of the contents of ius gentium, since it is limited to investigating the way some commentators on Aquinas in sixteenth-century Iberian universities conceive the origin of ius gentium and how they deal with Aquinas’ dilemma. This question is completely theoretical, while the discussion of contents is practical and relates to specific issues emerging at the time regarding the policies of Spanish and Portuguese territorial expansion and the legitimacy of the occupation and expropriation of overseas territories by non-peaceful means. The theoretical question is the one which is analyzed here. The practical discussion is that which is commonly identified as the sixteenth-century debate on the concept of ius gentium. In the view of sixteenth-century academics, the theoretical question is clearly secondary to the practical one. However, decisions regarding practical issues depended on the interpretation of the origin of ius gentium, a fact which can also be seen in the treatises analyzed 16. Nevertheless, because of their ethical and 15

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Vitoria’s influence on the dissemination of Aquinas’ ‘Summa Theologiae’ in theological studies at the University of Salamanca is incontrovertible. However, S. Langella asserts that this is the result of a process that began at least as early as the end of the fifteenth-century in the universities of Valladolid, Seville and Alcalá. Cf. Francisco de Vitoria, De Legibus, edd. S. Langella/J. B. García/ P. García, Salamanca 2010, 20, n. 4. The quotations hereafter refer to this edition. See above notes 2 and 3. A large number of studies on the authors of the so-called School of Salamanca are available, focus on the contents of ius gentium and on the role of this notion in the foundation of international law, while the literature on the specific issue of the genesis of ius gentium is relatively scarce. Three studies on this latter issue were useful for our analysis, despite their different standpoints and goals, and the great temporal distance which separate them: C. Arenal, Ensayo sobre el Derecho de Gentes, Madrid 2002 (reprint of the first edition, Madrid 1879); S. M. Ramirez, El derecho de gentes, Madrid–Buenos Aires 1955; A. Poncela, Las raíces filosóficas y positivas de la doctrina del derecho de gentes en la Escuela de Salamanca, León 2010.

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political implications, these discussions already assumed a prominent role in the sixteenth-century and their analysis became decisive in later doctrines regarding both the modern distinction between objective and subjective rights and the emergence of international law17. Here we intend to illustrate how some theologians whose names are linked to the foundation of the so-called School of Salamanca commented on Aquinas’ ‘Summa Theologiae’, II–II, q. 57, a. 3, and to identify their doctrines on the natural or positive origin and nature of ius gentium. 1. The First School of Salamanca: Vitoria and Soto When, in his ‘De iustitia et iure’, Vitoria raises the question “vtrum ius gentium sit idem cum iure naturali ”, he closely follows Aquinas’ doctrine on the dependence of ius gentium on natural law. However, subtle discrepancies regarding Aquinas’ doctrine can be identified in Vitoria’s ‘De legibus’, namely regarding natural law18. Although Vitoria adopts the Thomistic doctrine of the objectivity of ius gentium regarding natural law, he makes two explicit statements which reveal a personal interpretation and illustrate his own position. First of all, he clarifies the statement already present in Aquinas’ thought, on the multiple principles included in natural law. Some of these principles are common to all humans, although they are not recognized by all with the same degree of certainty. Others are particular principles that vary in accordance with the subjective conditions of those who recognize them19. Secondly, Vitoria explicitly decides not to comment on the question posed by Aquinas in I–II, q. 95, a.4., about the suitability of Isidore’s division of ius. He merely states it, pointing out the textual references to the places where Aquinas had mentioned it and affirming that Thomas had contradicted himself. He indicates that he would explore the subject in q. 100, in the discussion of the precepts of the Decalogue 20. To understand Vitoria’s doctrines on the natural or positive origin of ius gentium, the statements of his ‘De legibus’ are quite important. Vitoria sides with the intellectualism of Aquinas regarding the deduction of the legal principles 21. How17

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The commentaries by Vitoria and Soto on ‘Summa Theologiae’, II–II, q. 62 gave rise to abundant scholarly works on the reception of Aquinas’ doctrines and on the debate of natural rights in the School of Salamanca. See B. Tierney, op. cit. (nt. 3), 256–272, to Vitoria; A. Bett, Liberty, Right and Nature, Cambridge 1997; J. Finnis, Aquinas: Moral, Political, and Legal Theory, Oxford 1998. The treatise ‘De legibus’ (De Lege commentarium in I–II, qq. 90–108) by Francisco de Vitoria includes his lectures at Salamanca in the year 1533–1534. Francisco de Vitoria, De legibus, I–II, q. 94, a. 4 [lect. 123], (nt.15) 126: “Dicit secundum rei veritatem ius naturale in communi idem est apud omnes, sed non omnibus est aequaliter notum. Sed in particulari non est idem, nam alia est lex infirmi, alia sani, etc.” Id., De legibus, I–II, q. 95, a. 4 [lect. 124], 132: “Vtrum convenienter Isidorus dividit legem in ius gentium et in ius civile. [Quaestione] 105, art. 1, et I p., quaest. 105, a.3, et II–IIae, q. 50 [possibly a copy error: 57?], et Contra gentes lib III, cap. 114, et opuscula 20 art. 20, dicit contra ea quae in isto articulo dicit. Sed de his infra, quaest. 100.” Cf. id., De legibus, I–II, q. 95, a.2, 124.

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ever, when he analyses the question regarding the tripartite division of law proposed by Isidore referring it to the precepts of the Decalogue, he admits that Aquinas had contradicted himself about the division of law and adopts a division of ius between divine and human, natural and positive, presenting it as more suitable. In his commentary on ‘Summa Theologiae’, II–II, q. 57, a. 3, Vitoria once again brings his doctrine closely into line with that of Aquinas, beginning by defining ius naturale 22. In the context of justice, he defines naturale as a type of relationship that presupposes a certain degree of equity. This equity may either be considered absolute et per se, if there is a similar nature between those who are subjects of this relationship or secundum aliquid if, in order to attain equity, the consideration of the ends of the goods concerned and of their appropriate use is required. Vitoria also considers that ius gentium is a natural right secundum aliquid rather than a natural right stricto sensu, since its precepts are not based on an equality of nature. Therefore, rather than evaluating the particular aspects of the things involved in a relationship, Vitoria states that the force of law of ius gentium lies in the fact that it results from a human statute established by means of reason 23. Thus, ius gentium depends on a consensus which is based on the universality of human reason and results from human rational nature. This feature grants it universality and justifies that its force of law does not depend on its public form. The dependence of ius gentium on the rational nature of humans is clearly present in Aquinas, as previously mentioned. However, Vitoria points out that the two elements that ensure the legal force of ius gentium are consensus and reasoning, which arise from human faculties. To this extent, ius gentium is established by human beings and is thus a positive law. Vitoria’s understanding of Aquinas is made clear when he discusses the place of ius gentium within the law, based on Isidore’s tripartite division. For these two Dominicans, ius gentium differs from natural law. However, is it merely a result of a remote deduction starting from ius naturale as Aquinas states? According to Isidore’s distinction, ius gentium is a positive law, different from both the natural and the civil one. But this statement becomes problematic when we focus on the various precepts contained in ius naturale. If ius gentium is, in fact, a positive law and if, as Vitoria demonstrates in ‘De legibus’, some of its precepts converge with those of the Decalogue, these would then also be norms of a positive law, dependent on human consensus. Vitoria therefore considers, as had Thomas Aquinas, that the precepts of the Decalogue are norms of natural law absolute et per se considered: they are fair per se and their fairness does not rely on any relation

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Id., De iustitia et iure (nt. 5), q. 57, a. 3, 1, 12: “jus naturale est […] quod ex natura sua est alteri commensuratum. Et hoc dupliciter contingere potest. Uno modo, ut de se dicit aequalitatem quaedam et justitiam […]. Illud quod primo modo est adaequatum et absolute justum vocatur jus naturale, id est de jure naturali.” Ibid.: “Illud quod est adaequatum et iustum […] ut ordinatur ad aliud justum, est jus gentium. Itaque, illud quod non est aequum ex se, sed ex statuto humano in ratione fixo, illud vocatur jus gentium. ita quod propter se non importat aequitatem, sed propter aliquid aliud, ut de bello et de aliis, etc.”

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with any other object, which is the Thomist conception of ius naturale 24. But Vitoria affirms that the specific feature of ius gentium is the fact that it is not a good in and of itself and so it requires human consensus in order for it to be just. Thus it is a ius positum, in other words, a law established by human agreement 25. Vitoria’s statement regarding the essence of ius positivum does indeed diverge from Aquinas’ doctrine. For Aquinas the promulgation is an essential element of the definition of the law in general. In the case of human law, it will be promulgated by humans. But every human law results from natural law as a description of its contents produced by rational deduction. The precepts of ius gentium and of civil law are both included in human law, differing only in the type of reasoning required to deduce their conclusions from the principles. Thus, in his doctrine on the origin of ius gentium, Vitoria adopts Aquinas’ principle of the primacy of rationality. However, he does not adopt Aquinas’ paradigm in its entirety as he modifies it to some extent. He considers that what makes a law positive is the fact that it is established by a legislator, whether human or divine, and emphasizes that this feature is the main difference between natural and positive law. Consequently, he states that natural law is based on the principle of necessity, in which the nature of things is rooted, while positive law is based on the will of the legislator 26. Ius gentium is a ius of this latter type, since it is established by rational deduction and common consensus. However, there are two ways of establishing this consensus, privately or publicly. As the former does not go beyond the relationship between two people it cannot have the nature of a law, while the latter, being published, becomes a law. Thus, for Vitoria ius gentium is a positive law, with the particular feature that it implies a consensus shared by all peoples and all nations. This consensus can even be considered virtual, since to be established it does not require the reunion of people in a specific territory governed by its legitimate authority. However, this statement on the interdependence between ius gentium and consensus does not mean that Vitoria defends the subjectivism of positive law. In the particular case of ius gentium, its dependence on natural law is upheld by the fact that all the people involved in it have the same human nature and the same human faculty of reasoning, which is naturally disposed to judge with rightness. Indeed, to consider ius gentium as a positive law, in other words as a law established by human deliberation, could endanger its universal and coercive nature. Vitoria resolves this issue by stating that the precepts of ius gentium ensure that the pri-

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Id., De iustitia et iure, q. 57, a. 3, 2, 14: “Dicimus ergo cum sancto Thoma, quod jus naturale est bonum de se sine ordine ad aliud.” Ibid.: “Jus vero gentium de se non est bonum, id est jus gentium dicitur quod non habet in se aequitatem ex natura sua, sed ex condicto hominum sancitum est.” Id., De iustitia et iure, q. 57, a. 2, 2, 7: “[…] omne aliud ius a iure naturale est positivum. Dicitur enim positivum quia est ex aliquo beneplacito […]. Communiter doctores dicunt quod idem est jus naturale sicut ius necessarium […], puta quod non dependet ex voluntate aliqua. Et illud quod dependet ex voluntate et beneplacito hominum dicitur positivum.”

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mary principles of natural law are respected, such as the preservation of peace among human 27. Therefore, the universality of ius gentium and its link to natural law is safeguarded. However, since ius gentium includes a wide variety of precepts, the arguments put forward by Vitoria and his followers become problematic since, in order to explain the nature of ius gentium, they shift from the consideration of the law in general to particular precepts, without establishing a clear distinction between principles per se naturalis and precepts of ius positivum. Instead of a theoretical explanation of this distinction, these authors frequently employ practical examples, which gives rise to some unexpected conclusions. Vitoria, for example, illustrates the positive nature of ius gentium with the case of the norm of ius gentium concerning prisoners of war. Ius gentium stipulates that prisoners of war become slaves. But this does not occur in the case of war among Christians, since Christian prisoners can stand trial, a right denied to slaves. Vitoria admits a change in the precepts of ius gentium brought about by Christianity and states that a Christian cannot under any circumstances sell a Christian prisoner. In this particular case, the law of nations was modified, or as Vitoria says, partly abolished 28. But Vitoria states that as ius gentium is based on a common consensus, the same consensus is required for the law to be abolished 29. Vitoria does not clearly establish one distinctive criterion to differentiate precepts which belong to natural law per se and those belonging to ius gentium. Thus, it could be possible to consider that precepts of ius gentium that coincide with those of the Decalogue are based on consensus, and that, once the consensus changed, these precepts would be revoked. This vagueness of criterion opens up the way for the precepts of ius gentium, and particularly those which overlap with the Decalogue, to be diverted from natural law, leaving their determination to human arbitrium. This seems to be the central reason behind the criticism addressed by later commentators, mainly aimed at Domingo de Soto, whose doctrine regarding the origin of ius gentium closely follows that of Vitoria.

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Id., De iustitia et iure, q. 57, a.3, 4, 16: “Ius gentium non necessario sequitur ex jure naturali, nec est necessario simpliciter ad conservationem juris naturalis, quia si necessario sequeretur ex jure naturali, jam esset jus naturale. […] Nihilominus tamen jus gentium est necessarium ad conservationem juris naturalis, et non est omne necessarium, sed paene necessarium, quia male posset conservari jus naturale sine jure gentium. […] Posset quidem orbis subsistere si possessiones essent in communi, ut est in religione; tamen esset cum magna difficultate ne homines in discordias et bella prorumperent.” Id., De iustitia et iure, q. 57, a.3, 5, 17: “Secundo dico, quod bene potest ex parte abrogari jus gentium, licet non omnino ; […]. Si enim in bello Hispani capiant Gallos, Galli sunt captivi, sed non servi, quia possumt comparecere in judico et alia hujusmodi, quae tamen non liceret si essent servi. Item facta, Galli tenerent, et chiristianus non posset illum omnino vendere. Ecce hic ex parte violatur jus gentium, nam de jure gentium captivi in bello sunt servi.” Id., De iustitia et iure, q. 57, a.3, 5, 16: “[…] quando semel ex virtuali consensu totius orbis aliquid statuitur et admittitur, oportet quod ad abrogationem talis juris toto orbis conveniat, quod tamen est impossibile, quia impossibile est quod consensus totius orbis conveniat in abrogatione juris gentium.”

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The commentaries by Domingo de Soto on the questions of the ‘Summa Theologiae’ analyzed here can be found in his ‘De iustitia et iure’ 30. In Book I, q. 4, a. 2, he explains the concept of natural law, following the statements by Aquinas and Vitoria. Soto affirms that it contains principles whose knowledge is immediately evident, in other words, principles known without mediation, either of human reasoning or of divine revelation. These principles per se nota, in turn, regard two types of evidence, either per se or quoad nos. In this latter case they need to be explained by wise men. Furthermore, insofar as the three levels of nature (inanimate, irrational and rational), are gathered in human beings, natural principles belonging to each one of these levels could be found in humans. Thus, precepts belonging to natural law vary according to these different levels and as they are not evident, the knowledge of some of them requires rational deduction. However, those precepts derive from natural law, even though they do not derive from it with the same degree of evidence. Natural law is therefore multiple both in its precept and in the way these principles are grasped by human reason31. Soto also explains that the tripartite division of law established by Isidore presupposes, on the one hand, the consideration of a ius naturale lato sensu, i.e., a ius containing precepts derived from an absolutely general way of considering nature. On the other hand, it implies that ius gentium is a specific form of natural law. The former type of precept derives from an instinct a natura indictum, while its specific determinations derive from nature propter discursum, which denotes an act of reason. These latter precepts integrate both ius gentium and civil law. This is indeed the way Soto explains the origin and scope of ius gentium. It is a ius naturale deriving from rational deduction through what is rational in humans. This feature is common to ius gentium and civil law. But the former differs from this latter in its broader scope, as it is common to all peoples, while civil law is limited to and instituted by a particular community or republic32. In his explanation of the question of whether all human law derives from natural law, Soto, like Aquinas, goes back to the argument of Augustine in ‘De libero arbitrio’ I: “omnis lex humanitus posita, si recta est, a lege naturae derivat ” 33. Also like Aquinas, he affirms that this derivation of human law from natural law can occur in a twofold manner: either in the same way conclusions derive from axio30

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Domingo de Soto, De iustitia et iure (nt. 5), voll. I–II. There is also a commentary by Soto on Aquinas’ Summa Theologiae, I–II, qq. 90–97: Domingo de Soto, De legibus (Ms. Ottob. lat. nº 782), edd. F. Puy/L. Nuñez, Granada 1965. This work contains the lectures given by Soto in Salamanca in the academic year 1538–1539. Its main doctrinal relevance derives from the fact that, given the chronological proximity to Vitoria’s lectures ‘De legibus’ and ‘De iustitia et iure’, it is possible to confirm the doctrinal dependency between these two authors (cf. op. cit., Estudio introductorio, XXV–XXIX). Ibid., Book I, q. 4, a. 2, vol. I, 30–31. The relationship between natural law, ius gentium and civil law in Soto’s De iustitia et iure, and the broader scope of ius gentium regarding civil law are explained by I. Zorroza “Fundamentos Morales del contrato y de la propriedad en Domingo de Soto”, in J. Cruz Cruz (ed.), La ley natural como fundamento moral y jurídico en Domingo de Soto, Eunsa, Pamplona, 2007, 210–213. Cf. Domingo de Soto, De iustitia et iure, Book I, q. 5, a.2, vol. I, 41.

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matic principles in a theoretical syllogism, or in the way specific determinations derive from some common genus. Human law which derives in the first manner consists merely of an explicitation of natural law. This is the case of the precepts of the Decalogue. However, precepts which originate in the second manner add a new element to the reasoning, which will determine the conditions under which an action is fair 34. According to this distinction, Soto analyzes the suitability of Isidore’s division of law and proposes a quadripartite division of ius humanum, according to what is formally contained in its nature and to what is its intrinsic property 35. He states that it is a characteristic of human law “derivari a iure divino” in the twofold manner above described: “per modum naturalis illationis et per modum arbitrariae determinationis”, this latter depending on the former. According to these two principles, nature and arbitrium, ius humanum belongs to the latter and is divided into ius gentium and ius civile. Since all depends ultimately on nature, Soto thus admits three types of derivation for naturale ius: that which derives directly from nature without reasoning (ius naturale), that which derives through the mediation of reasoning (ius gentium)36, and that which derives by means of arbitrium (ius civile). However, Soto recognizes that this doctrine gives rise to a problem which must be solved. It leads to the conclusion that the precepts of the Decalogue must be included within those of ius gentium, since they derive from natural law by means of reason, even if this refers to divine reason37. To overcome this impasse, Soto introduces a distinction between the origin of ius gentium and the principle which gives it force of law. In its origin, ius gentium derives from ius naturae, while in the case of its establishment it is a right of peoples38. In Book III of ‘De iustitia et iure’, q. 1, a. 2, he analyses whether the division between natural and positive law is appropriate. First, he states that it is absolutely necessary to understand ius by means of its divisions, either by considering law as a regulatory principle or by considering law as what is fair. In addition, Soto considers that the tripartite division of ius offered by jurists cannot be supported by the principle of equity (“non est ex aequo”), which is the essence of ius, nor can it be the quadripartite division which adds divine law to the three aforementioned parts. Indeed, Soto’s reasoning reveals that he considers ius as the main concept from which derives any subdivision of law and as a principle shared by God and by men. Subsequently, both iura, divine and human, are divided into positive and natural. Ius positivum is further subdivided into ius gentium and civile. Soto adopts this division according to the essential role of equity in law, since he considers it as its formal characteristic. 34 35 36 37 38

Cf. ibid, 41–42. Cf. id., De iustitia et iure, Book I, q. 5, a. 4, vol. I, 44. Ibid.: “Dicitur enim ius gentium quicquid mortales ex principiis naturalibus per modum conclusionis ratiocinati sunt.” Id., De iustitia et iure, Book I, q. 5, a. 4, vol. I, 45: “[…] quantum ad radicem, de iure naturae censetur; quantum vero ad explicationem et positionem, de iure Divino, tum antiquo, tum etiam evangelico.” Ibid., 45: “[…] ratione originis omne ius gentium dicitur de iure naturae licet ratione illationis ac positionis nuncupetur ius gentium.”

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Having adopted this division of ius based on equity, Soto faces Aquinas’ issue in ‘Summa Theologiae’, II–II, q. 57, a. 3: “utrum ius gentium sit idem cum iure naturali ”. He clearly affirms that this question is to be answered with one single sentence: “ius gentium et a iure naturali distinguitur et sub iure positivo comprehenditur ”. He declares that, although Aquinas did not explicitly state it, this is the necessary conclusion of his doctrine. Soto repeats the arguments he put forward in Book I of ‘De iustitia et iure’, and states that ius gentium cannot derive from the concept of natura adopted by jurists but from the concept of natura rationalis insofar as it arises from human discourse and it is established by humans. It is therefore a right rooted in human nature as it is capable of reasoning based on principles per se nota. Thus, it is a right established by humans. It differs from ius naturale simpliciter because it is based on human will, and from civil law, insofar as this latter requires the reunion of people in a specific territory governed by its legitimate authority. Soto explicitly states that ius gentium is a positive right. However, in Book I of ‘De iustitia et iure’, he establishes the dependency of ius gentium on natural law, which, in turn, depends on divine law. Nevertheless, later theologians, including Luis de León and António de S. Domingos, explicitly criticized Soto’s interpretation of the origin of ius gentium. The basis of their criticism is their awareness that if ius gentium is considered a positive right, the objectivity of its precepts is endangered. Soto’s doctrine is doubly problematic. This is true on the one hand since there is a coincidence, as Soto also admits, between the precepts of the Decalogue and those of ius gentium. On the other hand, it is also true because prominent fields of jurisdiction, such as domination, restitution, slavery and just war all risk being submitted to the subjective decision of the legislator. At this point, a question arises: why is this criticism directed at Soto rather than at Vitoria, since Soto clearly established the origin of ius gentium in natural law, and Vitoria clearly states the same doctrine? This fact can probably be understood considering the progressive introduction of human faculties and mainly of will and deliberation at the origin of human law. Vitoria had clearly asserted that common consensus between people is the reason why ius gentium had force of law. Soto, in turn, argues that ius gentium is established by human knowledge and is achieved by precepts whose deduction is not based on obvious principles but on the human evaluation of the ends and circumstances of the good. On the other hand, although ius gentium depends on ius naturale, it is very similar to ius civile, the only difference being its more universal scope. All of these features led some later theologians, such as Luis de León, in Salamanca, and António de S. Domingos, in Coimbra to consider that Soto’s arguments could to some extent introduce relativism into the precepts of ius gentium. In that case, as there are precepts common to the Decalogue and to ius gentium this relativism could extend to the precepts of the Decalogue39. 39

Soto admits that before the divine revelation to Moses, the precepts of the Decalogue may have been covered by ius gentium. Thus, they are not supernatural: they only have God as author, but they do not transcend nature. Cf. id., op. cit., I, q. 5, a. 4, vol. I, 45: “[…] nihil vetat si ante legem

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2. The Second School of Salamanca and the Spread of the Debate to Portuguese Universities The controversy regarding both the interpretation of Aquinas’ doctrine on the origin of ius gentium and on Soto’s statement on the same issue is clearly evident in two commentaries written by two theologians of the so-called Second School of Salamanca: Luis de León and Domingo Bañez. In his ‘De legibus’ 40, the former categorically rejects Soto’s statement on the positive nature of ius gentium while, in his ‘Decisiones de iustitia et iure’41, the latter seeks to justify and clarify it. The manner in which Luis de León formulates Aquinas’ question from ‘Summa Theologiae’, I–II, q. 95, a. 4 shows that his focus is Soto’s division of law: “Dubitatur: Vtrum Isidorus convenienter posuerit divisionem iuris humani et positivi”. He affirms that ius gentium is a natural right, although he recognizes that regarding this subject matter there is a contradiction in both the statements of Aquinas and those of jurists and philosophers. Criticizing Soto, Luis de León considers his doctrine regarding ius gentium totally unsustainable42, mainly because of the following three arguments: 1) the principles of the Decalogue would be considered as principles of ius gentium; 2) principles necessarily deduced from evident principles (deduced ex natura rei simpliciter), such as those common to the Decalogue and to ius gentium, are required for moral rightness, and therefore belong to natural law; 3) principles necessarily deduced from nature but based on a deduction supposito alio also belong to natural law as is the case of ius gentium 43. Luis de León does not assert that ius gentium is a natural right simpliciter, but neither does he affirm that it is a positivum ius. His position is that it has an intermediate nature, partly naturale and partly civile 44. After explaining which manner pertains to each one of these parts, he deduces a second corollary, which is

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scriptam Decalogus censeretur posteriori modo de iure gentium. Nam est Decalogus adeo patens, vt principijs naturalis iuris sit proximus. At vero quoniam caligante iam mortalium mente praecepta illa digito Dei in tabulis exarata sunt, nomen obtinuerunt diuini iuris. Non quod supra naturalis sunt, sed quia Deo authore exposita.” Luis de León, De legibus. Tratado sobre la Ley, edd. J. Barriento García/E. F. Vallina, Madrid 2005. This work contains the lectures Luis de León gave while occupying the Chair of Durandus in Salamanca in the academic year 1570–1571. Domingo Banez, Decisiones de iustitia et iure, Venice 1595. This work contains the lectures given by Bañez while occupying the Chair of Durandus, in Salamanca, in the academic year 1577–1580. The quotations made hereafter refer to this edition. Luis de León, De legibus, VI, a. 4, 226–228: “Soto, in hac re explicanda (lib. I De iustitia et iure, quaest. 5, art. 4) hac ratione videtur dividere ius naturale et gentium: quod principia prima quae sunt indita humanis membris ab ipsa natura et quae homines congnoscunt sine discursu illo, pertinent sola ad legem naturae. At vero conclusiones quae inde deducuntur, pertinent ad ius gentium. Et haec sententia stare nullo modo potest: primo quia inde sequeretur quod omnia praecepta Decalogi essent de iure gentium […]. Hoc autem est manifeste falsum, ut probo, quia in his quae sunt de iure gentium possunt ab una aliqua republica abrogari et deleri; at vero nulla republica potest delere praecepta Decalogi nec ullum.” Cf. ibid., 228–230. Ibid., 232: “Ex his sequuntur aliquot: corollarium primum quod ius gentium est medium inter ius naturale proprie dictum et ius civile; et quia medium participat quadam ratione extremorum, ita fit ut ius gentium partim conveniat cum iure naturali, et quadam ex parte cum iure civili.”

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surprising in its similarity to that of Soto: “simpliciter loquendo, ius gentium pertinet ad ius positivum” 45. Luis de León’s doctrine on the origin of ius gentium does not have the coherence and completeness of that of Soto but it makes it possible to confirm the adoption of some common features which will progressively become doctrine. He clearly assumes the division of law into natural and positive and defines ius gentium as an intermediate ius between natural and civil. However, the arguments used by Soto to ascertain that ius gentium is an ius positivum remain subject to criticism. In turn, the thesis on the intermediate nature of ius gentium requires the definition of which of its precepts belong to ius naturale, thus benefiting from the immutable, though relative, nature of the natural law; it is also necessary to establish which of them belong to ius positivum, thus depending on rational deduction and human consensus and therefore affected by the mutability of human law. The commentary by Domingo Bañez on ‘Summa Theologiae’, II–IIa q. 57, reaffirms the doctrines of Vitoria and Soto on the origin of ius gentium as a positive right, while insisting on Aquinas’ statement on the objective foundation of ius gentium. In his answer to Aquinas’ question “vtrum ius gentium sit idem cum iure naturale”, Bañez introduces a set of distinctions on the different uses of the term ius gentium among jurists and theologians, since he considers that a terminological ambiguity is at the basis of the controversial interpretation of Aquinas’ texts46. Bañez states three main conclusions on the nature of ius gentium, deduced from the different views he analyses. The first one is drawn from the general division of the law into natural and positive, and states that the three forms of human law (ius gentium, humanum and civile) are all partly natural and partly positive47. The second conclusion is drawn from the division of human law which is always by definition a positive one. From this viewpoint, ius gentium and ius civile are positive laws. The difficulty, he argues, lies in demonstrating how ius gentium is a positive law. In order to demonstrate it, he uses three arguments already suggested by Vitoria and Soto. First he states that, apart from the type of deductive reasoning, whether general or specific, all of the precepts of ius gentium were instituted by deductive reasoning and are therefore produced by humans. Secondly, what is ordained or prohibited by natural right is either essentially good or essentially bad. But, as Aquinas states in II–IIae, q. 57, a.3, the concept of ius naturale inherent to ius gentium does not refer to the relationship between one thing and another insofar as it is considered absolutely, but according to something resultant from it. To this extent, the precepts of ius gentium differ from those of ius naturale. The same reasoning applies to the rational deduction of those precepts, since those of 45 46

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Ibid., 232. Bañez states that when Aquinas follows Isidore in ‘Summa Theologiae’, I–II, q. 95, a. 4, arguing that ius gentium is a ius positivum, he is not speaking as a theologian but “more jurisconsultorum”. He emphasizes that the misunderstanding which surrounds the concept of ius gentium comes from the equivocal use of the term by jurists and by theologians. Domingo Banez, Decisiones de iustitia et iure (nt. 41), 12, col. 1B–C: “[…] aequivocatio est in ipso nomine ius gentium.” Cf. ibid., q. 57, a. 3, 12, col. 1C.

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ius naturale derive as necessary conclusions from principles per se nota while those of ius gentium require complex reasoning as well as the intellectual apprehension of the nature and the end of the goods concerned. Despite these different ways of deriving from natural law, the precepts of ius gentium are so closely deduced from those of ius naturale that these latter ensure their force of law 48. Finally, Bañez concludes that ius gentium occupies a position between ius naturale and civile 49. This debate on the origin of ius gentium and on its place within the law reached Portuguese universities, as can be seen in some of the sixteenth-century commentaries on the ‘Summa Theologiae’, II–II, q. 57, a. 3 extant in Portuguese libraries in manuscript form. Here we will briefly refer to the arguments of António de S. Domingos and Fernando Perez, two theologians who taught at the universities of Coimbra and Évora, respectively 50. The former emphasizes the proximity between ius gentium and natural law51. He recognizes that Soto states the contrary 52 and clearly criticizes him saying that his views lead the precepts of ius gentium to depend on human will 53. If this is so, it would be no way to justify universal consensus54, which is at the origin of the force of law attributed to ius gentium 55. He admits, however, that some precepts of ius gentium are closer than others to natural law. Those without which human coexistence is not possible are indispensable, while those which are unnecessary for human coexistence may be 48

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Ibid., 12, col. 2E: “At vero ea quae introducta sunt iure gentium neque sunt principia per se nota: neque ex illis per necessariam consequentiam deducuntur, quamvis colligantur per consequentiam usque adeo probabilem et utilem humanae societati, ut nullae sint nationes, quae talem consequentiam non admittant.” Ibid., 13, col. 1B: “[…] ius gentium est quasi medium affinitatem habens cum iure naturali et civili positivo.” Luciano Pereña states that at the University of Salamanca, there must have existed a collective research program, whose goal would have been to study the legitimacy of the Spanish enterprise in America, and that it would have involved a plan to disseminate the doctrines of the School of Salamanca, also reaching the universities of Coimbra and Évora (cf. L. Pereña, Glosas de interpretación, in: J. de la Peña, De bello contra insulanos. Intervención de España en América (Corpus Hispanorum De Pace, vol. X), Madrid 1982, 149–153). The authors of the two commentaries mentioned herein are among those whom Pereña considers as having lectured relevant doctrine. António de S. Domingos, Q. 57, De iure, 2ª–2ae S. Thomae, National Library of Portugal, MS. 5512, fol. 6r: “Est ergo dubium utrum ius gentium debeat adnumerari iuri naturali an iuri positivo? Nos articuli praecedenti adnumeravimus naturali.[…]Et ratione etiam probatur, ius gentium sola natura docuit, ergo est naturale. Antecedens probatur, quia aliàs nunquam homines in eadem re convenirent nisi natura doceret.” Ibid.:“[…] Dominicus à Soto libri 3 de iustitia et iure q.1 art 3 tenet oppositum, dicit enim quod ius gentium non pertinet ad ius naturale, sed ad ius positivum.” Ibid.:“[…] si ius gentium non est de iure naturali, ergo est de iure positivo, et per consequentiam pendet à voluntate hominum.” Ibid. foll. 6v–7r: “Ad […] argumentum Soti, dico quod erat impossibile non convenire homines in divisione rerum, et in caeteris de iure gentium; illud enim quod quilibet homo secum deliberans iustum statuit, impossibile est quod omnes in illo non convenissent […]. [7r] Patet ergo quod instigante natura factum est et quod non potuit non ita esse.” Ibid., fol. 7r: “ius gentium quantum est de se non habet unde obliget, non enim fertur auctoritate alicuius principis vel praelati, sed tantum ex communi hominum consensu non quidem communicato inter se, quia tunc haberet autoritatem à Republica, sed quia cuilibet ita visum est. […] Igitur ius gentium si habet robur habet à lege naturali.”

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abolished. Nevertheless, only God can abolish them since, as he states, ius gentium does not recognize any superior authority but God 56. In turn, the commentary by Fernando Perez, although brief, can be taken as a good synthesis of this debate. He reformulates Aquinas’ question and presents it in a disjunctive manner – “vtrum ius gentium potius ad ius naturale quam ad positivum pertineat ”. By doing so, he assumes the doctrine of the intermediate position of this ius and states that the dilemma is based on knowing whether ius gentium is closer to natural or to positive law. He first explains the arguments of the theses presented by those who defend each one of the disjunctives, and refers to the authorities who uphold each one. He then expounds his own doctrine, establishing that ius gentium includes a variety of precepts, some of which belong to natural law and coincide with the principles of moral law contained in the Decalogue, while others belong to positive law. The latter depend on the laws established by means of reasoning and consensus. Consensus among people differentiates ius gentium from civil law. Perez considers ius naturale as a right instituted by the creator of nature with no human interference or institution57. In contrast, ius gentium is a right sanctioned by human reason and consensus, so it is a ius positivum 58. However, since he formulated the question in an alternative way – is it nearer to natural or to positive law? – he adopts the thesis of Aquinas and affirms that ius gentium is nearer to natural right than to positive law. Indeed, even when it cannot be deduced as a necessary consequence of natural right, it can be deduced through sound reasoning. Finally, he states that this is the right way to understand Aquinas’ thought; otherwise Aquinas would be contradicting himself 59. Conclusion Despite the limited scope of this paper, restricted to the analysis of some sixteenth-century commentaries on Aquinas’ ‘Summa Theologiae’, II–II, q. 57, a. 3, and focusing on the origin of ius gentium, its heuristic method contributes to a better understanding of the evolution of this concept from the medieval to the 56

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Ibid., fol. 7v :“Attendendum est ergo ad id quod ipsum ius praecipit id est ad materiam, et si illa talis fuerit quod sine illa humanus convictus vix aut nullo modo possit sine illo subsistere, tunc est indispensabile […]. Si autem aliqua fuerint sine quibus potest humanus convictus subsistere, tunc ista non quidem sunt dispensabilia nisi solo a Deo, quia nullum alium superiorem recognoscit ius gentium nisi solum Deum: sed nihilominus potuisset per dissuetudinem abrogari.” Fernando Perez, De iure et iustitia (nt. 6), fol. 3r: “[…] vocamus ius naturale quod natura ipsa vel potius auctor naturae lumine naturae dictante instituit absque hominum consideratione et institutione.” Ibid. fol. 3r: “ […] Deum esse colendum, parentibus esse deferendum honore et caet., ea vero sunt iuris gentium, quae quamvis lumina natura consona sint, tamen ratione et institutione humana sunt sancionata, dum homines fines, circunstantias et rerum eventus considerarunt […]; [3v] ius gentium patet esse ex humana institutione […].” Ibid. fol 3v: “[…] ius gentium quamvis simpliciter humanum sit tamen potest quodammodo ius naturale vocari, quia a naturali iure aliquo modo derivatur quia etiamsi non per necessariam consequentiam, tamen per vigentem rationem a iure naturali deducitur, et ita videlicet explicandus Div. Th. alioquin ipse secum pugnabit.”

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modern age. Regarding the issue of the origin of ius gentium, the sixteenth-century scholars adopt a division of the law based on the concept of justice and on the viewpoint of the legislator, rather than rooting it in an abstract consideration of the law as a regulatory principle, which is strongly present in Aquinas’ explanation. In the specific case of the doctrines on the nature and origin of ius gentium, and of its place within the law, the texts analyzed show an increasing awareness of the intermediate nature of this ius, which is associated to the prominence they give to the fact that ius gentium contains precepts which are either based on different principles (nature or reason) or differently derived from the same principle, which is rational human nature. The texts also prove the progressive need these authors felt to elucidate which precepts of ius gentium should be allocated to natural or to positive law or, in the case of the theologians who consider that ius gentium derives from rational human nature, of elucidating which precepts of ius gentium derive with immediate evidence of the primordial principles of practical reason and which ones are deduced by complex reasoning and were thus established by humans. These difficulties do not arise only from a theoretical context and from the need to reformulate concepts which, from the ancient and medieval worldview to the sixteenth-century universities, were gradually altered by the doctrinal debate. They are particularly linked to practical questions emerging from the historical context and from a changing worldview. In fact, these theologians reach conclusions that are not easily reconcilable with the surrounding circumstances. This is the case, for example, of the conclusions they reach about the legitimacy of slavery. This practice is understood by all to be a humanly instituted precept which ought to be abolished. However, they demand for it the conditions required for the precepts of natural right (universal consensus, on the part of Vitoria, and a divine order, from António de S. Domingos’ viewpoint). The same kind of paradox appears in Soto’s conclusion about the precept contained in ius gentium concerning the preservation of the lives of ambassadors in wartime. Soto recognizes that their lives must be protected but he clearly states that if they spread erroneous doctrines, they should be burnt at the stake. The ambiguities found in Aquinas’ texts and the contradictions and dilemmas in the sixteenth-century commentaries demonstrate the complexity of these debates. However, they also highlight their importance, whether they are investigated from the viewpoint of their dependency on the medieval texts and doctrines, or from that of the doctrinal debate occurring at the time. This method of research, based on the comparison of texts and doctrines which appear to be similar, has its own heuristic strength, since it makes it possible to shed light on a period of the history of Western philosophy which, although decisive for the understanding of the European mental framework and identity, is still shrouded in darkness60. 60

This study is the result of research carried out within the project Iberian Scholastic Philosophy at the Crossroads of Western Reason: The Reception of Aristotle and the Transition to Modernity (PTDC/FILFIL/109889/2009) of the Instituto de Filosofia da Universidade do Porto.

Der Begriff des Naturgesetzes zwischen Intellektualismus und Voluntarismus und die via media bei Francisco Suárez D R (Halle/Saale) Glaubt man zahlreichen Untersuchungen zum Begriff des Gesetzes und des Naturgesetzes bei Francisco Suárez, dann scheint dessen vermittelnde Position der via media hinsichtlich der Quelle und der Verbindlichkeit des Naturgesetzes klar zu sein: Die Frage, ob die Gesetze des Naturrechts nun einer natürlichen Vernunft entsprächen oder aber Ausdruck des göttlichen Willens seien, habe Suárez letztlich mit einem „Sowohl als auch!“ beantwortet. Damit habe er ein seit langem bestehendes und berühmtes Dilemma der Moralphilosophie aufgelöst, das spätestens seit Platons Dialog ‚Euthyphron‘1 Gegenstand der Debatte war: Ist eine Handlung gut, weil Gott sie gebietet, oder aber gebietet Gott eine Handlung, eben weil sie gut ist? Ist also eine objektive Vernunft oder Gottes Wille als Grundlage der Gesetze anzusehen? Die Parteigänger in dieser Streitfrage, die sogenannten Voluntaristen bzw. Intellektualisten, hätten mit einiger Vehemenz gegen die jeweils entgegengesetzte Position gestritten, ergaben doch beide Positionen unannehmbare theologische und ethische Konsequenzen: Die Voluntaristen mußten sich unter anderem vorwerfen lassen, die Gesetzgebung des Naturgesetzes einem willkürlichen Gott zu überlassen, der heute diese und morgen die entgegengesetzte Handlung gebieten könnte und damit den Menschen in eine unentrinnbare Verwirrung über das naturgesetzlich Geforderte stürze. Die Intellektualisten gerieten unter den Verdacht, Gott objektiven sittlichen Werten unterzuordnen und damit die Freiheit und Allmacht Gottes als Gesetzgeber zu begrenzen. Während noch Augustinus die aufgeworfene Frage, ob Wille oder Vernunft Grundlage des ewigen Gesetzes Gottes sei, nicht entscheiden mochte und zu der Aussage kam, daß „lex aeterna est ratio divina vel voluntas Dei“ 2, habe Suárez, so die weitgehend übereinstimmende Interpretation der vergangenen Jahrzehnte, in seinem rechtsphilosophischen Hauptwerk ‚De legibus ac Deo legislatore‘ 3 eine 1

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Cf. B. Ludwig, Auf dem Wege zu einer säkularen Moralwissenschaft: Von Hugo Grotius’ De Jure Belli ac Pacis zu Thomas Hobbes’ Leviathan, in: Jahrbuch für Recht und Ethik 8 (2000), 3–31, 6 (Platon, Euthyphron, 10a). Cf. op. cit., 7 (Augustinus, Contra Faustum Manichaeum, XXII, 27). F. Suárez, Commentaria ac Disputationes in Primam Secundae D. Thomae, De legibus seu legislatore Deo. Tractatus de legibus, utriusque fori hominibus utilis, in decem libros dividitur, quorum quinque primos in hoc tomo reperies, in: R. P. Francisci Suarez e Societate Jesu Opera Omnia. Editio nova, ed. C. Berton, Paris 1856–1878, vol. V. Deutsche Übersetzungen im folgen-

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Gesetzestheorie ausgebreitet und diese dann mehr oder weniger konsequent auch dem Begriff und Inhalt des Naturgesetzes zugrunde gelegt, die nunmehr – so Welzel – „Gottes Wille an die rationale Natur der Dinge gebunden“4 habe. Auch widerspiegele sie – so Böckenförde – „die beiden nicht voneinander trennbaren Seiten der göttlichen Natur: Gottes vernünftiges Urteil über gut und schlecht, und sein[en] Wille[n], der ein entsprechendes Verhalten vorschreibt“5. Mit dieser Argumentation habe Suárez – so Sauter – eine Vermittlung intellektualistischer Positionen von Gregor von Rimini bis Gabriel Vasquez mit voluntaristischen Positionen insbesondere Wilhelms von Ockham vorgenommen, wie er dies auch selbst bestätige, und sei damit „für die Entwicklung der Naturrechtslehre von ungeheurer Bedeutung“ 6 gewesen, weshalb ihm zum Beispiel Altwicker das Verdienst zuspricht, „die Rolle des Gesetzgebers und damit die Bedeutung der Verpflichtung des Gesetzes für die Moderne in den Blick genommen zu haben“, was schließlich anzeige, daß „Suárez’ Denken mit Recht als Brücke zwischen Mittelalter und Neuzeit verstanden werden“7 könne. Zur Prüfung dieser Bewertungen soll nun im einzelnen untersucht werden, wie Suárez seinen Gesetzes- und Naturgesetzesbegriff im genannten Werk gerade hinsichtlich der Quelle der Verbindlichkeit entlang der vermeintlichen Gegenpositionen entwickelt. Francisco Suárez definiert den Begriff des Gesetzes unter Verweis auf Thomas von Aquin in folgender Weise: „Das Gesetz ‚ist die eine Gemeinschaft betreffende Anordnung, die gerecht, verlässlich, beständig und auch in genügender Weise verkündet worden ist‘“ 8, das Naturgesetz hingegen so: „Naturgesetz im eigentlichen Sinn, als Gegenstand der Moralphilosophie und Theologie, ist nun jenes Gesetz, welches dem menschlichen Geist dazu innewohnt, das Gute vom Schlechten zu unterscheiden; […]. Unter dieser Rücksicht ist es auch göttliches Gesetz, da ja von Gott unmittelbar erlassen […]. Aus alledem steht nun fest, wie notwendig und nützlich dieses Gesetz ist, da in ihm der vernünftigen Natur die Fähigkeit gegeben ist, zwischen dem sittlich Guten [honestum] und Verwerflichen [turpe] zu unterscheiden“ 9.

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den Text aus: F. Suárez, Abhandlung über die Gesetze und Gott den Gesetzgeber, ed. N. Brieskorn, Freiburg e. a. 2002. H. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, Göttingen 1980, 97 sq. E.-W. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie. Antike und Mittelalter. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Tübingen 2006, 382. J. Sauter, Die philosophischen Grundlagen des Naturrechts. Untersuchungen zur Geschichte der Rechts- und Staatslehre, Wien 1932, 88. T. Altwicker, Gesetz und Verpflichtung in Suarez’ De legibus, in: M. Walther e. a. (eds.): Transformation des Gesetzesbegriffs im Übergang zur Moderne? Von Thomas von Aquin zu Francisco Suarez, Stuttgart 2008, 125–133, 132. Suárez, Tractatus de legibus (nt. 3), 54, dt. 255 (I, 12, 4 [5]): „Lex est commune praeceptum, iustum, ac stabile sufficienter promulgatum.“ Suárez verweist auf: „D. Thom. q. 96 art. 1. ad 2.“ Cf. Thomas von Aquin, Summa theologiae, I-II, q. 96, a. 1 ad 2: „Ad singulares enim actus dirigendos dantur singularia praecepta prudentium, sed lex est praeceptum commune […]“. Suárez, Tractatus de legibus (nt. 3), 9, dt. 63 sq. (I, 3, 9): „Lex ergo naturalis propria quae ad moralem doctrinam, et theologiam pertinet, est illa, quae humanae menti insidet ad discernendum honestum a turpi, iuxta

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Nun scheint es für das Naturgesetz eine Unvereinbarkeit mit der allgemeinen Gesetzesdefinition des Suárez zu geben. Die Fähigkeit zur Unterscheidung des Guten vom Schlechten beinhaltet noch nicht die dort geforderte Anordnung zum Handeln. Die Anordnung als notwendiges Kriterium eines Gesetzes wird von Suárez erst in einer verwinkelten Konstruktion aus vernünftiger Natur und natürlicher Vernunft10 im menschlichen Gewissen aufgefunden, das die Verpflichtung aufzeigt: „Das Gewissen ist erwiesenermaßen das Tun der Vernunft, legt seinerseits Zeugnis ab und zeigt die [verpflichtende] Tätigkeit des Gesetzes auf, die in den Herzen der Menschen aufgeschrieben ist. Das Gewissen bezeugt nämlich, ob der Mensch schlecht oder gut handelt, je nachdem, ob er dem natürlichen Spruch der rechten Vernunft widersteht oder gehorcht; und dementsprechend weist es auf, daß jener Spruch im Menschen mit der Kraft des Gesetzes ausgestattet ist, auch wenn es an einem geschriebenen, von außen her erkennbaren Gesetz mangelt. Also ist dieser Spruch das Naturgesetz.“ 11

Mit diesem Versuch, das Naturgesetz mit seiner Definition des allgemeinen Gesetzesbegriffes zu versöhnen, betritt Suárez den Bereich der Debatte um die Natur des Gesetzesaktes, der er hinsichtlich des Naturgesetzes mit dem von ihm selbst so genannten „Mittelweg“ [via media] begegnet. Wie sich nun Suárez in dieser Debatte verortet, wie er die vermeintlichen Gegenpositionen einander gegenüberstellt und jeweils mehr oder weniger erfolgreich entkräftet, um daraufhin seine eigene Lösung anzubieten, soll im folgenden dargestellt werden. Im fünften Buch des ersten Kapitels von ‚De legibus ac Deo legislatore‘, das dem allgemeinen Gesetzesbegriff gewidmet ist, stellt sich Suárez die Frage, ob das Gesetz ein Akt des Verstandes oder aber des Willens sei. Hier nun führt Suárez thesenartig die beiden Gegenpositionen an, um schließlich in einer Schlußfolgerung zu dem Ergebnis zu kommen, „daß beide Akte, der des Verstandes und der des Willens, zum Gesetz nötig sind“12.

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[…] Et ex hac parte etiam est divina haec lex, tanquam a Deo immediate lata […] Atque ex his tandem constat, quam sit necessaria, et utilis haec lex, cum in ea posita sit discretio inter honestum et turpe in rationali natura.“ Suárez verweist auf: „D. Th.[omas], d. q. 91, art. 2.“; „D. Thom. dicta q. 91. et q. 94. art. 6.“ Cf. Thomas, Summa theologiae, I–II, q. 91, a. 2, resp.: „[…] talis participatio legis aeternae in rationali creatura lex naturalis dicitur […] quid sit bonum et malum, quod pertinet ad naturalem legem, nihil aliud sit quam impressio divini luminis in nobis.“; I–II, q. 94, a. 6, sed contra: „Sed lex scripta in cordibus hominum est lex naturalis.“ Cf. Suárez, Tractatus de legibus (nt. 3), 102, dt. 413 (II, 5, 9): „Est ergo secunda sententia, quae in natura rationali duo distinguit: unum est natura ipsa […]; aliud est vis quaedam illius naturae, quam habet ad discernendum inter operationes convenientes, et disconvenientes illi naturae, quam rationem naturalem appellamus. Priori modo dicitur haec natura esse fundamentum honestatis naturalis. Posteriori autem modo dicitur lex ipsa naturalis, quae humanae voluntati praecipit vel prohibet quod agendum est ex naturali iure.“ Op. cit., 102, dt. 414 sq. (II, 5, 10): „Est autem conscientia opus rationis, ut constat, et illa praebet testimonium et ostendit opus legis scriptum in cordibus hominum, quia testificatur, male, aut bene agere hominem, quando resistit, vel sequitur dictamen naturale rectae rationis, et consequenter ostendit dictamen illud habere vim legis in homine, etiamsi scriptam exterius legem non habeat. Hoc ergo dictamen est lex naturalis […]“. Op. cit., 21, dt. 113 (I, 5, 20): „Unde quae pro his opinionibus adduximus suadere videntur utrumque actum intellectus et voluntatis esse ad legem necessarium […].“ Eine ausführliche Darstellung der suárezschen via media bietet T. Irwin, The Development of Ethics. A Historical and Critical Study, Volume II: From Suarez to Rousseau, Oxford–New York 2008, 1–54.

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Für die These, daß das Gesetz ein Akt des Verstandes sei, hatte Suárez die Gewährsleute Thomas von Aquin, Thomas de Vio Cajetan, Domingo de Soto, aber auch Platon, Aristoteles und Cicero angeführt, aus deren Schriften zum Gesetzesbegriff vier Gründe für diese intellektualistische These hervorgingen. So würde erstens dem Gesetz eine Ordnungsfunktion zukommen, „Ordnen sei aber nicht Sache des Willens, sondern des Verstandes, weil es nur über eine konkrete Urteilsbildung zustande komme. Zweitens sei es Aufgabe des Gesetzes, aufzuklären und zu belehren […]. Aufzuklären sei aber eine typische Arbeit des Verstandes. Drittens sei das Gesetz eine Regel […]. Der Wille sei nun aber einmal keine Regel, ja noch mehr, er bedürfe der Regelung eben durch die Vernunft. In ihr sei also das Gesetz“13. Und viertens „lasse sich […] kein Willensakt auffinden, dem als solchem Gesetzescharakter zukäme. Denn entweder ergehe das Gesetz vom Herrscher oder von einem Oberen in der Form bloßen Wollens, daß der Untergebene eine bestimmte Handlung vornehme; dann aber liege kein Gesetz vor, weil ein solcher Wille weder zwingend noch ausreichend [sei …]. Oder man wolle in diesem Fall das Gesetz im Willen erkennen, den Untergebenen zu verpflichten. Der genüge jedoch nur, wenn er mitgeteilt werde“14. Die Vorteile der intellektualistischen und die Defizite der voluntaristischen Position sind damit klar benannt. Dem bloßen Willen als Grundlage des Gesetzes fehlen das Ordnende und Regelnde als vernunftgeleitete Form ebenso wie der vernünftige Inhalt des Aufklärens, die dem Verstand hingegen zukommen, so wie darüber hinaus die Wirksamkeit eines mitgeteilten Befehls. Dieser mitgeteilte Befehl aber – so zitiert Suárez Bartolomé de Medina – verpflichte und gebe ein Gesetz, selbst wenn der Herrscher gar nicht verpflichten wolle. Da der Befehl aber Sache des Verstandes sei, wäre damit das Gesetz im Verstand begründet. Mit der sich anschließenden Frage aber leitet Suárez die Ablehnung der intellektualistischen Position ein und es wird bereits klar, in welche Richtung sich die weitere Argumentation bewegen wird. Denn indem er fragt, welcher Akt des Verstandes denn nun das Wesen des Gesetzes ausmache, nämlich entweder das Urteil der Vernunft, das dem Willen vorausgeht, oder das Urteil in Form des Befehls, das dem Willen nachfolgt, so setzt er zumindest implizit voraus, daß eine vorerst dreistufige Abfolge der Geistesakte im Gesetzgeber sehr wohl feststeht. Einem Urteil der Vernunft über die moralische Qualität einer Handlung nämlich folgen der Wille zur Verpflichtung und schließlich das Urteil in Form des Befehls als Verstandesakt. Suárez weist nun kurz angebunden nach, daß weder das Vernunft-

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Op. cit., 17, dt. 96 sq. (I, 5, 3): „Prima est, quia ad legem pertinet ordinare, unde et definiri solet, quod sit ordinatio rationis: sed ordinare non ad voluntatem, sed ad intellectum spectat, quia includit ratiocinationem quandam: unde quae ratione carent, ordinare non possunt: ergo lex actus intellectus est. Secunda, legis est illuminare, et instruere […] illuminare autem intellectus est. Tertia, lex est regula […] sed voluntas non est regula, quin potius ipsa ratione regulanda est: est ergo lex in ratione.“ Op. cit., 17, dt. 97 sq. (I, 5, 4): „Quarta, quia nullus potest assignari actus voluntatis, qui sit lex: aut enim est voluntas principis, seu superioris, quod talis actio fiat a subdito, et hoc non: quia talis voluntas necessaria non est, nec sufficit […] vel consistit in voluntate obligandi subditum: et haec etiam non sufficit, nisi intimetur.“

Der Begriff des Naturgesetzes zwischen Intellektualismus und Voluntarismus

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urteil der ersten Stufe, das nicht die Fähigkeit habe, wirkkräftig zu verpflichten, und keinen Unterschied zum bloßen Ratschlag aufweise, noch der Akt des Befehls der dritten Stufe, der entweder völliges Gedankenprodukt sei oder aber nur Zeichencharakter habe, im eigentlichen Sinne als Gesetz anzusehen seien. Mit diesem Ergebnis scheint nun die intellektualistische Position als Ganze erledigt und Suárez kann sich der anderen markanten Ansicht zuwenden. Für die These, daß das Gesetz ein Akt des Willens sei, die Suárez den Gelehrten Gabriel Biel, Wilhelm von Ockham und überraschenderweise auch Gregor von Rimini zuschreibt, spräche die Meinung ihrer Vertreter, daß „das Befehlen als Haupttätigkeit des Willens“15 anzusehen sei. So gehe schon aus der Heiligen Schrift hervor, daß Christus im Gebet des „Vater unser“ gesagt habe, „Dein Wille geschehe!“, um auf die Befolgung der Gesetze Gottes zu verweisen16. Daher sage man allgemein, daß das Gesetz den Willen des Herrschers angibt. Selbst wenn man das Gesetz als Beschluß der Bürgerschaft ansehe, so wie es Platon und Aristoteles getan haben, zeige dieser Beschluß doch „die Absicht des Willens an“ und es bilde „sich der Konsens als Akt des Willens aus“17. Aber auch die Eigenschaften des Gesetzes sprächen für die These des Willensaktes, auf den die genannten Eigenschaften des Verstandesaktes noch viel mehr zuträfen und der zudem Eigenschaften besitze, die dem Verstand fehlten, so Suárez. So sei die erste genannte Aufgabe des Gesetzes, als Regel und Maßstab zu dienen, in höchstem Maße dem göttlichen Willen zuzuschreiben18, und die zweite, nämlich den Untergebenen wirksam aufzuklären und zu lenken, ebenfalls auf den im Gesetzgeber selbst vorhandenen Willen zurückzugehen scheint, während man, wenn das Gesetz als Vernunft definiert wird, meist das Gesetz meine, „wie es im Untergebenen vorliegt“ als „eine richtige und von der Natur eingegebene Vernunft“ 19. Auch die dritte Eigenschaft des Ordnens komme mit Duns Scotus

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Op. cit., 18, dt. 101 sq. (I, 5, 8): „Est ergo secunda opinio principalis affirmans, legem esse actum voluntatis legislatoris.“ Der Name Gregors von Rimini auf voluntaristischer Seite überrascht, erscheint dessen hypothetisches Ausblenden Gottes in seiner Begründung in sich schlechter oder guter Handlungen durch die recta ratio geradezu als Inbegriff „der Konsolidierung einer allein auf rechter Vernunft basierenden Sittlichkeit“ und damit als zentrales Merkmal intellektualistischer Gesetzestheorie. Cf. I. Mandrella, Die Autarkie des mittelalterlichen Naturrechtes als Vernunftrecht: Gregor von Rimini und das etiamsi Deus non daretur-Argument, in: J. A. Aertsen/M. Pickavé (eds.), „Herbst des Mittelalters“? Fragen zur Bewertung des 14. und 15. Jahrhunderts, Berlin–New York 2004, 265–276, 271. Op. cit., 19, dt. 103 (I, 5, 9): „Sic dixit Christus Dominus in oratione Dominica: Fiat voluntas tua, id est, servetur lex tua […].“ Op. cit., 19, dt. 104 (I, 5, 10): „Nam decretum propositum voluntatis indicat; et clarius, consensus actus est voluntatis.“ Op. cit., 19, dt. 104 sq. (I, 5, 11): „Major patet, quia in primis legi tribuitur, quia sit regula, et mensura: at hoc maxime convenit divinae voluntati […].“ Op. cit., 19, dt. 105 (I, 5, 12): „[…] cum enim legem per rationem definiunt, saepe loquuntur de lege, prout est in subdito, quomodo naturalis lex dicitur esse recta, et a natura indita ratio: sic autem lex illuminat, quia ostendit voluntatem legislatoris: unde in ipso legislatore voluntas esse videtur […].“

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„dem Willen als ureigene zu“ 20. Schließlich sei auch die Diskrepanz zwischen dem Willen des Gesetzgebers und dessen Mitteilung als notwendiger Bedingung der Verpflichtungswirkung zwar „momentan nicht unser Thema“, wie Suárez ausweichend konstatiert, dennoch sei diese Mitteilung, „insoweit sie sich noch im Inneren des Gesetzgebers aufhält, […] wohl am exaktesten damit erfasst, dass man sie als Wille begreift, der sich nach außen hin kundgeben will. Dieser Wille ist wiederum innerster Bestandteil jenes Willens, der eine Verpflichtung entstehen lassen will oder der aus jenem Willen folgt. Also gehört auch aus diesem Grund das Gesetz noch am ehesten zum Willen“21. Neben diesen Eigenschaften des Gesetzes, die auf den Willen viel mehr zuträfen als auf den Verstand, nennt Suárez nun weitere Eigenschaften, die ausschließlich im Willensakt anzutreffen seien. Hierzu zählen erstens das Bewegen des Untergebenen zur Ausübung bzw. Unterlassung einer Handlung, dessen Prinzip im Willen liege, zweitens die Kraft zur Verpflichtung, die „der Natur der Sache nach im Willen und nicht im Verstand anzutreffen“ sei, drittens der Akt der Rechtsetzung, der ein Gebrauch des Herrschaftsrechts und damit ein Akt des Willens sei, und schließlich viertens der Akt der legalen Gerechtigkeit, auf das Gemeinwohl zu achten, der eine Tugend des Willens sei, auch wenn er der Unterstützung durch die Klugheit bedürfe 22. Wurde noch für die intellektualistische Seite festgestellt, daß kein spezifischer Akt des Verstandes aufzufinden sei, der als Gesetz bezeichnet werden könne, sei auf der voluntaristischen Seite ein solcher sehr wohl auszumachen. Es handele sich um den „Willen, den der Obere hat, um den Untergebenen zu einem bestimmten Tun zu verpflichten“ 23. Kein Akt, der diesem Willen vorausgeht, könne aufgrund mangelnder Fähigkeit zu sittlicher Verpflichtung bereits Gesetzeskraft haben. Ein Akt hingegen, der diesem Willen nachfolgt, sei bereits Zeichen des im Bewußtsein des Herrschers verfaßten Gesetzes und nicht mehr das Gesetz selbst 24. Damit scheint Suárez klar die voluntaristische Position einzunehmen, verortet das Gesetz eindeutig im Willensakt und schließt die Akte des Verstandes mangels Verpflichtungskraft als Grundlage der Gesetzgebung aus. In dem Moment also, in dem man den Schluß erwartet, daß das Gesetz nun ganz eindeutig als Sache des Willens bezeichnet wäre, dem noch die Absicht [intentio] des Gesetzgebers zur 20 21

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Op. cit., 19, dt. 106 (I, 5, 13): „Erat tertia proprietas, quod lex ordinat, at hoc propriissime convenit voluntati, ut recte Scotus supra docet […].“ Op. cit., 20, dt. 107 (I, 5, 14): „[…] intimatio autem, prout est in legislatore, maxime esse videtur voluntas exterius intimandi, quae in ipsa voluntate obligandi intime includitur, vel ex illa sequitur: ergo ea etiam ratione lex maxime pertinet ad voluntatem.“ Cf. op. cit., 20, dt. 107 sq. (I, 5, 15). Op. cit., 20, dt. 109 (I, 5, 16): „Nam illa voluntas, quam superior habet obligandi subditum ad talem actum, vel (quod perinde est) constituendi talem materiam intra necessarios terminos virtutis, optime recipit denominationem legis […]“. Op. cit., 20, dt. 109 (I, 5, 16): „[…] quidquid autem subsequitur potius est signum legis jam conceptae et stabilitae in mente principis […].“

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Verpflichtung als notwendige Voraussetzung der Gesetzeswirkung beigesellt wird 25, folgert Suárez überraschend, „dass beide Akte, der des Verstandes und der des Willens, zum Gesetz nötig sind. […] So erfordert das Gesetz […] einerseits das rechte Urteil über das, was zu tun ist, und andrerseits den Willen, der imstande ist, zu jenem Tun zu bewegen“26. Die noch wenige Zeilen zuvor mangels der Verpflichtungswirkung sowie mangels der Möglichkeit einer präzisen Verortung in der Abfolge der Geistesakte des Gesetzgebers abgelehnte Rolle der Vernunft ersteht nunmehr in der Form des rechten Urteils über das zu Tuende neu. Doch bevor Suárez zu dem abschließenden Urteil anhebt, „dass nämlich das im Bewusstsein des Gesetzgebers vorhandene Gesetz […] ein Akt des gerechten und richtigen Wollens ist, durch welches der Obere den Unteren zu diesem oder jenem Tun verpflichten will“ 27 – eine Formulierung, die dazu bewogen hat, Suárez als einen Voluntaristen zu bezeichnen, da der Wille in betonter Weise als Substantiv stehe, die Verstandesakte des gerechten und richtigen dagegen bewußt in die Adjektive verwiesen seien 28 – schließt er das uns hier im Besonderen interessierende Naturgesetz gerade aus. Da nicht ausgemacht sei, ob es sich bei dem Naturgesetz um ein echtes Gesetz handele, verweist Suárez auf seine eigene Behandlung des Problems im fünften und sechsten Kapitel des zweiten Buches von De legibus, dem nun gefolgt werden soll, um schließlich auch auf die via media zu gelangen. 25 26

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Cf. op. cit., 20 sq., dt. 109–113 (I, 5, 17–19). Op. cit., 21, dt. 113 sq. (I, 5, 20): „[…] videntur utrumque actum intellectus, et voluntatis esse ad legem necessarium […] Sic ergo lex duo requirit […] iudicium rectum de agendis, et voluntatem efficacem movendi ad illa […].“ Op. cit., 22, dt. 118 (I, 5, 24): „[…] legem mentalem (ut sic dicam) in ipso legislatore esse actum voluntatis iustae, et rectae, quo superior vult inferiorem obligare ad hoc, vel illud faciendum.“ Cf. N. Brieskorn, Kurzkommentierung der Abhandlung, in: F. Suárez, Abhandlung über die Gesetze (nt. 3), 659–792, 685; J. M. A. A. Fernandes, Die Theorie der Interpretation des Gesetzes bei Francisco Suárez, Frankfurt am Main 2005, 47 sq. Weitere voluntaristische Interpretationen suárezscher Gesetzestheorie: T. H. Irwin, Obligation, rightness, and natural law: Suárez and some critics, in: D. Schwartz (ed.), Interpreting Suárez. Critical Essays, Cambridge 2012, 142–162; T. Pink, Action, Will and Law in Late Scholasticism, in: J. Kraye/R. Saarinen (eds.), Moral Philosophy on the Threshold of Modernity, Dordrecht 2005, 31–50. Stellt Norbert Brieskorn neuerlich auch für die suárezsche Theorie das notwendige Vorliegen von Akten der Vernunft und des Willens für das Gesetz heraus, beharrt er doch auf der entscheidenden Rolle des Willens. Cf. N. Brieskorn, Lex und ius bei Francisco Suárez, in: A. Fidora/M. Lutz-Bachmann/A. Wagner (eds.), Lex und Ius. Beiträge zur Begründung des Rechts in der Philosophie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2010, 429–463, bes. 437–441, 439: „[Das Gesetz] kommt nicht ohne beide aus, denn die Akte des Willens und des Verstandes hängen unablösbar und innerlich miteinander zusammen. Entscheidend ist der Beschluss des Herrschers in seinem Bewusstsein, Menschen zu Adressaten zu machen und zu verpflichten.“, 440 sq.: „Lex besagt eine […] Regel, welche […] sich nicht ausschließlich, aber, verglichen mit der Vernunft, vorrangig dem Willen verdankt.“ Im gleichen Sinne auch: G. Stiening, Suprema potestas […] obligandi – Der Verbindlichkeitsbegriff in Francisco Suárez’ Tractatus de Legibus, in: K. Bunge e.a. (eds.), Kontroversen um das Recht: Beiträge zur Rechtsbegründung von Vitoria bis Suárez, Stuttgart–Bad Cannstatt 2013, 341–367, 358. Unter notwendigen Bedingungen aber ist eine jede entscheidend und daher ein Vorrang einer Bedingung vor der anderen hinsichtlich des Resultats schwer auszumachen.

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Wiederum durchschreitet Suárez die Argumente für Vernunft und Willen, diesmal speziell hinsichtlich des Naturgesetzes, das er zuerst als ein mit der natürlichen Vernunft übereinstimmendes und dann als ein echtes göttliches Gesetz mit gebietendem Charakter erweisen möchte. Wegweisend führt Suárez verschiedene Möglichkeiten der Verbindung von vernünftiger Natur, natürlicher Sittlichkeit und Naturgesetz ein, wobei er der einen Extremposition, derzufolge die vernünftige Natur selbst mit dem Naturgesetz identisch und damit als Grundlage der Sittlichkeit jeglicher menschlichen Handlung zu betrachten sei, eine besondere Stellung einräumt. Diese Position schreibt Suárez seinem Ordensbruder Gabriel Vasquez zu und geht ausführlich auf sie ein. Grundlage dieser These sei, so Suárez, „dass es gewisse Handlungen gibt, die aus ihrer Natur heraus derart in sich schlecht sind, dass sie in keiner Weise in ihrer Schlechtigkeit von einem äußeren Verbot abhängen, auch nicht von einem göttlichen Urteil oder Willensakt, und dass dementsprechend andere Handlungen so in sich gut und ehrenvoll sind, dass sie mit dieser Ausstattung gleichfalls in keiner Weise von einer äußeren Ursache dazu bestimmt sind“ 29. Diesen Grundsatz bezeichnet Suárez als „selbstverständlich richtig“ und schreibt moralischen Handlungen eine „eigene innere Natur und ein unveränderbares Wesen, welche sich keinem äußeren Grund oder Willensbeschluss verdanken“ 30, zu. Zudem führt Suárez drei mögliche Beweise für die Übereinstimmung von natürlicher Vernunft und Naturgesetz an, die er den Vertretern dieser These unterstellt. So ergebe sich erstens die Sittlichkeit einer Handlung durch die Übereinstimmung mit einem Gesetz, nicht etwa erst mit dem Urteil der Vernunft, also sei diese vernünftige Natur selbst das Naturgesetz31. Zweitens seien Vorschriften des Gesetzes entweder Prinzipien oder notwendige Schlußfolgerungen derselben. 29

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Suárez, Tractatus de legibus (nt. 3), 100, dt. 406 (II, 5, 2): „[…] quia sunt aliquae actiones ita intrinsece malae ex natura sua, ut nullo modo pendeant in malitia ex prohibitione extrinseca, nec ex iudicio, vel voluntate divina, et eadem ratione sunt aliae actiones ita intrinsecé bonae, et honestae, ut in hoc etiam non pendeant ex causa extrinseca.“ Suárez verweist auf: „Vasquez 1. 2. disp. 150. cap.3.“ Cf. G. Vasquez, Commentariorum, ac Disputationum in Primam Secundae S. Thomae Tomus secundus [vol. 2], Compluti [Alcala] 1605, 10 (disp. 150, cap. 3, n. 23): „Prima igitur lex naturalis in creatura rationali est ipsamet natura, quatenus, rationalis, quia haec est prima regula boni et mali.“ Suárez verhandelt die These von Gabriel Vasquez in II, 5, 2–8. Cf. R. Specht, Zur Kontroverse von Suárez und Vasquez über den Grund der Verbindlichkeit des Naturrechts, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 45 (1959), 235–255. Vgl. auch I. Mandrella, Das Isaak-Opfer. Historisch-systematische Untersuchung zu Rationalität und Wandelbarkeit des Naturrechts in der mittelalterlichen Lehre vom natürlichen Gesetz, Münster 2002, 218–249. Suárez, Tractatus de legibus (nt. 3), 100, dt. 406 sq. (II, 5, 2): „Quod suppono ex communi sententia […] quia actus morales habent suas intrinsecas naturas, et essentias immutabiles, quae non pendent a causa, vel voluntate extrinseca […]“. Cf. F. Suárez, Disputationes Metaphysicae, X, 1, 12, in: R. P. Francisci Suarez e Societate Iesu Opera omnia. Editio nova, ed. C. Berton, Paris 1856–1878, vol. XXV, 332: „[…] nam bonum honestum ex omnium sententia dicit bonum quod per se est conveniens naturae rationali ut sic; bonum item delectabile nihil aliud est quam bonum habens convenientiam cum natura sensibili […].“ Suárez, Tractatus de legibus (nt. 3), 100, dt. 407 (II, 5, 3): „[…] prima ratio: nam in his actionibus invenitur honestas, vel turpitudo per conformitatem ad aliquam legem, et non per conformitatem ad iudicium rationis: ergo per conformitatem ad ipsam rationalem naturam: ergo ipsa natura secundum se est lex naturalis […].“

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Die Prinzipienerkenntnis gehe aber jedem Urteil der Vernunft, selbst der göttlichen, voraus. Folglich kann nicht erst das Urteil der Vernunft das Gesetz sein, sondern nur die vernünftige Natur selbst. Und schließlich „stelle in den übrigen Naturen, die unterhalb der menschlichen Natur zu stehen kommen, die Natur einer jeden Sache den Maßstab des Guten und Schlechten, des Übereinstimmens und des Nichtübereinstimmens dar, so wie die Wärme dem Wasser nicht bekomme, wohl aber die Kälte, weil Wasser aufgrund seiner Form und Natur Kälte und nicht Wärme fordere“ 32. Suárez unterstellt also der vasquezschen These die Ineinssetzung des Naturgesetzes mit der vernünftigen Natur, die mithin als solche ausreiche, Gesetzeswirkungen zu zeitigen. Und weil Suárez genau dies für seinen Begriff des Naturgesetzes bestreitet, steht für ihn fest, daß mit der vasquezschen These höchstens eine Grundlage der Sittlichkeit, aber eben nicht das Naturgesetz selbst beschrieben sei. Zudem seien die theologischen Konsequenzen dieser These nur als absurd zu bezeichnen, da Gott „unter einem an ihn adressierten, natürlichen Gesetz stehen würde, welches ihn binden und verpflichten würde“, zudem wäre „das Naturgesetz kein göttliches Gesetz und nicht aus Gott“ und somit ginge es „dem Urteil und Willen Gottes voraus“ 33, was unannehmbar sei. Suárez unterstellt der vasquezschen These also die Annahme einer natürlichen Ordnung der guten und schlechten Handlungen, wie er dies seinem eigenen Modell der Dreistufenabfolge des Gesetzes zugrundegelegt hatte. Der ersten Stufe gehe demnach eine vernünftige Natur der Handlungen voraus, die das Urteil bestimmt und selbst das Gesetz sei. Wie später noch erörtert werden soll, hatte Vasquez indessen etwas anderes behauptet. Auch eine Erweiterung der These der vernünftigen Natur als Gesetz durch die Hinzunahme des Gewissens kann die Ansprüche Suárez’ an den Begriff des Gesetzes nicht erfüllen. Selbst das Gewissen als „Tun der Vernunft“, das „die verpflichtende Tätigkeit des Gesetzes auf[zeigt]“ und daher „mit der Kraft des Gesetzes ausgestattet ist“ 34, kann nicht genügen, weil „wir in der Bedeutung, wie wir jetzt über das Naturgesetz sprechen, es nicht betrachten, wie es im Gesetzgeber, sondern wie es in den Menschen ist“ 35. Das Gewissen sei also eine Sache

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33

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Op. cit., 100 sq., dt. 408 sq. (II, 5, 4): „[…] quia praecepta huius legis sunt, vel principia per se nota ex terminis, vel conclusiones evidenti necessitate ex illis elicitae, quae sunt priores omni iudicio rationis, non solum intellectus creati, sed etiam ipsius intellectus divini […] ergo nihil potest habere rationem legis naturalis respectu illorum, nisi natura ipsa rationali. Tertio in aliis naturis rerum inferiorum, mensura boni, et mali, convenientis et disconvenientis est uniuscuiusque rei natura, ut, verbi gratia, calor est disconveniens aquae, et frigus conveniens, quia aqua ex vi suae formae, et naturae postulat frigus, et non calorem, sed potius illi repugnat.“ Op. cit., 101 sq., dt. 411 sq. (II, 5, 7–8): „[…] quia sequitur non minus proprie habere Deum suam legem naturalem, quae ipsum liget, et obliget, quam homines, quod videtur absurdum. […] sequitur, legem naturalem non esse legem divinam, neque esse ex Deo. […] ergo lex naturalis praecedit iudicium, et voluntatem Dei […] Quod autem consequens illud non sit admittendum, ostendemus in sequentibus.“ Op. cit., 102, dt. 414 (II, 5, 10): „Est autem conscientia opus rationis, ut constat, est illa praebet testimonium, et ostendit opus legis […] et consequenter ostendit dictamen illud habere vim legis in homine […].“ Op. cit., 103, dt. 419 (II, 5, 14): „Considerandum est ergo, legem naturalem, prout de illa nunc loquimur, non considerari in ipso legislatore, sed in ipsis hominibus […].“

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des Gesetzesadressaten, welches ein „praktisches Urteil im besonderen Fall“ darstellt, das Gesetz hingegen eine „Regel, die im Allgemeinen für das, was zu tun ist, aufgestellt ist“. Daraus folgt nun für Suárez, daß das Gewissen „eher die Anwendung des Gesetzes auf ein besonderes Tun“ sei 36 und daher nicht das Naturgesetz selbst sein könne. Was aber ist nun das Naturgesetz selbst? Nach der Zwischenbilanz, derzufolge das Naturgesetz nicht mit der natürlichen Vernunft übereinstimmen kann, wendet sich Suárez nun der anderen Extremposition zu. „Sie besagt, dass das Naturgesetz ganz und gar aus einem göttlichen Befehl oder Verbot bestehe, welches aus dem Willen Gottes als Urheber und Lenker der Natur hervorgehe.“37 Diese Ansicht schreibt er Wilhelm von Ockham zu. Nun geht aus dieser Position klar hervor, daß Gott als Urheber des Naturgesetzes anzusehen sei, eine Forderung, die Suárez in seiner Darstellung der vasquezschen Position nicht erfüllt sah. Insoweit also wäre ein wichtiges Problem – und damit auch ein theologisch äußerst relevantes – erledigt. Ockham habe unterstellt, so Suárez, „dass das gesamte natürliche Gesetz in göttlichen Vorschriften bestehe, welche von Gott aufgestellt worden seien und welche Gott selbstverständlich aufheben und ändern könnte“ 38. Folglich liege aller „Grund für das Gute und Böse in den Dingen, die unter das Naturgesetz fallen, […] im Willen Gottes und nicht im Urteil der Vernunft, nicht einmal im Urteil Gottes selbst, noch in den Dingen selbst, welche durch ein solches Gesetz verboten oder geboten werden“ 39. Hier meint Suárez, ein entscheidendes Argument gegen die Willensthese beibringen zu können, indem er voraussetzt, daß der Wille Gottes nun einmal davon ausgehe, „dass schon im Voraus die Handlungen selbst unter der Verpflichtung zur sittlichen Gutheit oder gegen die Schändlichkeit stehen […]. Wenn sie nämlich verboten werden, weil sie schlecht sind, so kann der erste Grund für die Schlechtigkeit nicht vom Verbot ausgehen, da ja die Wirkung nicht der Grund der Ursache ist“ 40. Dieses Argument, das Knud Haakonssen einmal als „surprisingly muted and poorly formulated“ bezeichnet hat 41, bedeutet nun aber nichts anderes, als einem Voluntaristen vorzuwerfen, daß er eben nicht intellektualistisch sei, 36 37 38 39

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Op. cit., 103, dt. 420 (II, 5, 15): „[…] nam lex dicit regulam generaliter constitutam circa agenda: conscientia vero dicit dictamen practicum in particulari: unde potius est veluti applicatio legis ad particulare opus.“ Op. cit., 105, dt. 425 sq. (II, 6, 4): „[…] legem naturalem omnino positam esse in divino imperio, vel prohibitione procedente a voluntate Dei, ut auctore, et gubernatore naturae […].“ Op. cit., 105, dt. 426 (II, 6, 4): „Unde supponit totam legem naturalem consistere in praeceptis divinis a Deo positis, quae ipse possit auferre, et mutare.“ Op. cit., 105, dt. 427 (II, 6, 4): „[…] totam rationem boni, et mali in rebus ad legem naturae pertinentibus positam esse in voluntate Dei, et non in iudicio rationis, etiam ipsius Dei, neque in rebus ipsis, quae per talem legem vetantur, aut praecipiuntur.“ Op. cit., 108, dt. 437 sq. (II, 6, 11): „Haec Dei voluntas […] supponit in ipsis actibus necessariam quandam honestatem, vel turpitudinem […] si enim prohibentur, quia mala, non possunt primam rationem malitiae accipere a prohibitione, quia effectus non est ratio suae causae.“ K. Haakonssen, Natural Law and Moral Philosophy. From Grotius to the Scottish Enlightenment, Cambridge 1996, 21.

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beziehungsweise daß er die rationalistische These der intrinsischen Gut- oder Schlechtheit einer Handlung bestreitet, was ein Voluntarist im buchstäblichen Sinne des Wortes aber gerade tut. Suárez aber gelangt nach der Ablehnung der zwei geschilderten Positionen nun zu seiner eigenen, vermittelnden Position der via media, die sich aus drei Hauptthesen zusammensetzt. Erstens: „Das Naturgesetz ist nicht nur eine Anzeigetafel des Schlechten und Guten, sondern enthält auch ein echtes Verbot des Schlechten und ein echtes Gebot des Guten.“ 42 Zweitens: Der Wille Gottes geht davon aus, „dass schon im Voraus die Handlungen selbst unter der Verpflichtung zur sittlichen Gutheit oder gegen die Schändlichkeit stehen, und knüpft folglich an diese Handlungen die besondere Verpflichtung des göttlichen Gesetzes an“ 43. Drittens: Beim Naturgesetz handelt es sich „um ein wahres und im eigentlichen Sinn göttliches Gesetz […], dessen Gesetzgeber Gott ist“ 44. Die Rettung der geforderten und die Eliminierung der abgelehnten Konsequenzen des Naturgesetzbegriffes leistet Suárez, indem er das Naturgesetz als ein zusammengesetztes konzipiert. So sei „es völlig zutreffend und davon auszugehen, dass das Naturgesetz wahrhaft und im eigentlichen Sinn verbietet, was auch immer in sich selbst schlecht bzw. ungeordnet im menschlichen Handeln ist. Ohne ein solches Verbot würde das Handeln sozusagen nicht bis in die letzte Faser oder vollständig davon geprägt sein, Schuld und Beleidigung Gottes zu sein“ 45. Für Suárez besteht das Naturgesetz also in einer Vermittlung zwischen den jeweils notwendigen Elementen des Anzeigens des gebotenen bzw. verbotenen Handelns auf der einen und des Anordnens bzw. Verbietens dieses Handelns durch den Gesetzgeber Gott auf der anderen Seite. Hiermit ist das weite Feld der Diskussion um die bloße Möglichkeit einer Trennung von Anzeigen und Anordnen berührt, das die Sprachphilosophie seit dem letzten Jahrhundert bewegt hat und bis heute bewegt. Es soll hier nur auf Richard Hare verwiesen werden, der in seiner Untersuchung ‚Die Sprache der Moral‘ überzeugend nachgewiesen hat, daß es nicht sinnvoll sein kann, einem moralischen Urteil über eine Handlung zuzustimmen, aber den zugehörigen Imperativ abzulehnen, da, so Hare, „der Imperativ aus dem moralischen Urteil logisch folgt“ 46. Das hieße nun für das hier verhandelte Naturrechtskonzept, daß man das Anzeigen des guten Handelns gar nicht vom Gebot des Tuns trennen könnte. Dennoch soll von der suárezschen Konzeption ausgegangen und deren Innova42 43 44 45

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Suárez, Tractatus de legibus (nt. 3), 105, dt. 427 (II, 6, 5): „Dico ergo primo: Lex naturalis non tantum est indicativa mali et boni, sed etiam continet propriam prohibitionem mali, et praeceptionem boni.“ Op. cit., 108, dt. 437 sq. (II, 6, 11): „Haec Dei voluntas […] supponit in ipsis actibus necessariam quandam honestatem, vel turpitudinem, et illis adiungit specialem legis divinae obligationem.“ Op. cit., 108, dt. 440 (II, 6, 13): „[…] dico tertio, legem naturalem esse veram, ac propriam legem divinam, cuius legislator est Deus.“ Op. cit., 110, dt. 448 (II, 6, 19): „[…] nihilominus nunc lex naturalis vere, et proprie prohibet quidquid secundem se malum, seu inordinatum est in actibus humanis, et sine tali prohibitione actus non haberet (ut sic dicam) consummatam vel perfectam rationem culpae, et offensae divinae […].“ R. Hare, Die Sprache der Moral, Frankfurt am Main 1972, 215.

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tionsgehalt gegenüber den vermeintlichen Extrempositionen von Vasquez und Ockham überprüft werden. Erste Zweifel an der Neuartigkeit seines Konzepts stößt Suárez selbst an, indem er sich mit seiner These der via media keines geringeren Gewährsmannes als Thomas von Aquin versichert. Suárez zitiert eine Stelle aus der ‚Summa Theologiae‘, die dahingehend interpretiert werden kann, daß Thomas von einer gegenseitigen notwendigen Abhängigkeit der Nichtübereinstimmung einer Handlung mit der natürlichen Vernunft und deren Verbot durch das Naturrecht ausgeht 47. Der von Suárez für das eine Extrem zitierte Gabriel Vasquez hatte in seinem Thomaskommentar ‚Commentaria ac disputationes in Primam Secundae S. Thomae‘ einen auf den ersten Blick streng intellektualistischen Naturrechtsbegriff auf der Basis einer unveränderlichen inneren Natur moralischer Handlungen eingeführt, der von Suárez auch beinahe wörtlich wiedergegeben und unter anderem durch den wiederholenden Bezug auf das Gleichnis der natürlichen Kälte des Wassers bestätigt wird. Aber darüber hinaus, und das bleibt Suárez schuldig, findet sich auch der gesetzgeberische Wille in der Gesetzeskonstruktion von Vasquez wieder, wenn er feststellt, daß „eine Vorschrift und ein Befehl einen Beschluss und die Wahl des Willens voraussetzen“ 48, und „dass ohne den Beschluss des Willens keine Regel des menschlichen Handelns ein Gesetz sein kann, wie alle lehren“ 49. Vasquez hatte nicht beabsichtigt, die Rolle des Willens bei der Entstehung des Gesetzes abzulehnen. Bei genauerer Lektüre stellt sich vielmehr heraus, daß Vasquez lediglich darauf besteht, daß der Wille allein nicht die Grundlage des Gesetzes und des Befehls sein kann, und daher die substantielle Rolle des Intellekts im Gesetzgeber betont 50 – ein Ergebnis, das mit der via media des Suárez hervorragend harmoniert. Schließlich findet sich nach dieser ersten und zweiten auch die dritte Stufe der suárezschen Dreistufenabfolge des Gesetzes auch in der vasquezschen Konstruktion, wenn er auf einen „Akt des Intellekts, der auf den gesetzgeberischen Willensakt folgt“ 51, also den Akt der Festsetzung und Explikation, verweist. Insgesamt stellt sich die vasquezsche Konstruktion der Dreistufenabfolge mit der suárezschen als deckungsgleich dar. Die Ursache der scheinbaren Gegensätzlichkeit besteht in der unterschiedlichen Bezeichnung dessen, was von Suárez in beiden Thesen als Akt des Intellekts vorgestellt wird. In der suárezschen These ist 47 48 49 50

51

Cf. Thomas, Summa theologiae, I–II, q. 71, a. 6 ad 4: „Si autem referatur ad ius naturale […], tunc omne peccatum est malum quia prohibitum; ex hoc enim ipso quod est inordinatum, iuri naturali repugnat.“ Vasquez, Commentariorum, vol. 2 (nt. 29), 11 (d. 150, c. 4, n. 28): „[…] quia cum praeceptum, et imperium supponat consensum, et electionem voluntatis […].“ Op. cit., 12 (d. 150, c. 4, n. 30 sq.): „[…] sine consensu enim voluntatis non esse legem omnes docuerunt.“ G. Vasquez, Commentariorum, ac Disputationum in Primam Secundae S. Thomae. Tomus primus [vol. 1], Compluti [Alcala] 1614, 305 (d. 49, c. 3, n. 6): „[…] opinionem, imperium esset actus solius voluntatis […] hoc autem falsum est, ergo in sola voluntatis actione non consistit lex, & imperium“; (n. 7): „[…] quia imperium semper dirigitur ad aliquem capacem rationis, qui possit percipere id, quod imperatur, et iubetur: ergo debet esse actus intellectus, et non potest esse actus solius voluntatis […].” Vasquez, Commentariorum, vol. 2 (nt. 29), 12 (d. 150, c. 4, n. 30): „[…] actu intellectus, qui sequeretur actum voluntatis.“

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dies nach eigener Aussage das Urteil über die moralische Qualität einer Handlung, das dem Willen des Gesetzgebers vorausgeht. In der vasquezschen These hingegen ist es nicht wie nach suárezscher Lesart dieses selbe Urteil, sondern vielmehr der Akt des Intellekts, der dem Willensakt nachfolgt, mithin also die Explikation dieses gesetzgeberischen Willens. Dieser zweite Akt des Intellekts, also die dritte Stufe der Gesetzesabfolge, meint damit den Befehl als Verstandesakt, der den Willen des Gesetzgebers ausdrückt und ihm folgt. Wenn Suárez der vasquezschen These vorwirft, das Gesetz in dem Akt des Intellekts, der dem Akt des Willens des Gesetzgebers vorausgeht, zu verorten und in diesem den Grund der Verbindlichkeit verankert zu haben, damit also dessen These die Beteiligung des Willens am Gesetz abspricht, so sitzt er dem Irrtum auf, daß Vasquez das Wesen des Gesetzes in diese erste Stufe verlegt hätte. Dies aber ist nicht der Fall. Die auch für Vasquez entscheidende Frage nach dem Grund der Verbindlichkeit des Gesetzes beantwortet dieser zumindest in der Weise, daß der Akt des Intellekts beziehungsweise das Urteil des Gesetzgebers über die Qualität einer Handlung auf keinen Fall schon Grund der Verbindlichkeit sein kann, „was auch noch niemand bisher behauptet hätte“52. Vielmehr gelte es nach Vasquez für die Gelehrten die schwierige Frage zu entscheiden, ob der Grund der Verbindlichkeit bereits „im Akt des Willens oder aber im Akt des Intellekts, der dem Akt des Willens nachfolgt“ 53 zu finden sei. Keinesfalls aber ist nach Vasquez ohne die Zustimmung des Willens ein Gesetz denkbar, so daß die Thesen von Suárez und Vasquez über Wesen und Verbindlichkeit des Gesetzes entgegen der suárezschen Darstellung als weitgehend identisch bezeichnet werden können und der vermeintliche Gegensatz der Thesen vielmehr einer Verwechslung der jeweiligen Akte des Intellekts in der sonst gleichlautenden Gesetzesabfolge geschuldet ist. Man kann sogar das Verhältnis umdrehen und, wie dies Rainer Specht getan hat, zu einer entgegengesetzten Zuordnung der Thesen kommen: „Wenn Suárez den Intellekt vorausgehen läßt, ihm gleichsam die Präzedenz einräumt, so ist im Grunde er der wirkliche Intellektualist, während Vasquez, der den Intellekt nachfolgen läßt, also dem Willen die Präzedenz einräumt, der eigentliche Voluntarist ist.“54 Wie aber steht es um die andere Extremposition? Die Ansicht des des Voluntarismus bezichtigten Ockham wird von Suárez mit den Worten wiedergegeben, „dass es kein schlechtes Tun gebe, außer insoweit Gott es untersagt hat, und dass es zum guten Tun werden könnte, wenn Gott es so anordnen würde, und umgekehrt. Ockham unterstellt also, dass das gesamte natürliche Gesetz in göttlichen Vorschriften bestehe, welche von Gott aufgestellt worden seien und welche Gott

52 53 54

L. c.: „Hoc tamen argumentum frivolum est, nemo enim hactenus dubitavit iudicium quo iudicatur aliquid bonum, vel expediens, non esse legem […].“ L. c.: „[…] sed difficultas solum fuit inter Doctores de actu voluntatis, vel de actu intellectus, qui sequeretur actum voluntatis.“ Specht, Kontroverse (nt. 29), 252 nt. 66.

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selbstverständlich aufheben und ändern könnte“55. Folgt man dieser Ansicht aus den ‚Super quatuor libros Sententiarum‘ des Ockham, so scheint die suárezsche Kritik gerechtfertigt zu sein. Aus ihr geht eine deutliche Zuschreibung von Willkür hervor, die schließlich zu der Annahme führen muß, daß sich der Begriff des Naturrechts als solcher erübrige. Schaut man sich die Äußerungen Ockhams bezüglich der Sittlichkeit einer Handlung und des Naturrechts aber genauer an, so ergibt sich ein differenzierteres Bild. An anderer Stelle legt Ockham entscheidenden Wert auf die Rolle der rechten Vernunft in der Ausrichtung des Willens: „Keine Handlung ist vollkommen tugendhaft, es sei denn, der Wille zu jenem Akt wird durch den Spruch der rechten Vernunft gelenkt, eben weil es ein Spruch der rechten Vernunft ist.“ 56 Dem Spruch der rechten Vernunft zu folgen heißt nach Ockham aber „vom natürlichen Recht“ 57 Gebrauch machen, wie er im ‚Dialogus‘ ausführt. Das natür55

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57

Suárez, Tractatus de legibus (nt. 3), 105, dt. 426 (II, 6, 4): „[…] nullum esse actum malum, nisi quatenus a Deo prohibitus est, et qui non possit fieri bonus, si a Deo praecipiatur, et e converso. Unde supponit totam legem naturalem legem consistere in praeceptis divinis a Deo positis, quae ipse possit auferre, et mutare.“ Suárez verweist auf: „Ocham. in 2. quaest. 19. ad 3. et 4.“. Cf. Guillelmi de Ockham Opera philosophica et theologica ad fidem codicum manuscriptorum edita. Cura Instituti Franciscani Universitatis S. Bonaventurae. Opera Theologica, St. Bonaventure (N.Y.) 1967–1986, vol. V: Quaestiones in librum secundum sententiarum (reportatio), ed. G. Gál, 1981, 353, l. 11–18 (l. II, q. 15[!]): „Sed Deus ad nullum actum causandum obligatur, ideo quemlibet actum absolutum potest sine omni malo culpae causare et eius oppositum. Et ideo sicut potest causare totaliter actum diligendi sine bonitate vel malitia morali, quia bonitas moralis vel malitia connotant quod agens obligatur ad illum actum vel eius oppositum, ita potest causare totaliter actum odiendi Deum sine omni malitia morali propter eandem causam, quia Deus ad multum actum causandum obligatur.“ Guillelmi de Ockham Opera philosophica et theologica ad fidem codicum manuscriptorum edita. Cura Instituti Franciscani Universitatis S. Bonaventurae. Opera Theologica, St. Bonaventure (N.Y.) 1967–1986, vol. VIII: Venerabilis inceptoris Guillelmi de Ockham Quaestiones variae, ed. G. I. Etzkorn, 1984, 395, l. 451–459 (q. 7, a. 4): „Confirmatur, quia nullus actus est perfecte virtuosus, nisi voluntas per illum actum velit dictatum a recta ratione propter hoc quod est dictatus a recta ratione, quia si vellet dictatum a ratione, non quia dictatum, sed quia delectabile vel propter aliam causam, iam vellet illud dictatum si solum esset ostensum per apprehensionem sine recta ratione; et per consequens ille actus non esset virtuosus, quia non eliceretur conformiter rationi rectae, quia hoc est elicere conformiter rectae rationi: velle dictatum a ratione propter hoc quod est dictatum.“ Cf. F. Oakley, Locke, Natural Law, and God: again, in: id., Politics and Eternity. Studies in the History of Medieval and Early-Modern Political Thought, Leiden e.a. 1999, 217–248, 232; R. B. Hein, „Gewissen“ bei Adrian von Utrecht (Hadrian VI.), Erasmus von Rotterdam und Thomas More. Ein Beitrag zur systematischen Analyse des Gewissensbegriffs in der katholischen nordeuropäischen Renaissance, Münster 1999, 110–127; S. Müller, Handeln in einer kontingenten Welt. Zu Begriff und Bedeutung der rechten Vernunft (recta ratio) bei Wilhelm von Ockham (Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie 18), Tübingen 2000; H. Schröcker, Das Verhältnis der Allmacht Gottes zum Kontradiktionsprinzip nach Wilhelm von Ockham, Berlin 2003, 89–96. Schröcker bietet eine ausführliche Übersicht über sowohl rationalistische als auch voluntaristische Deutungen von Ockhams Ethik und zahlreiche weitere diesbezügliche Stellen aus Ockhams Schriften. Wilhelm von Ockham, Dialogus. Auszüge zur Politischen Theorie, ed. J. Miethke, Darmstadt 1992, 56 (I Dial. VI, c. 100). Cf. Ockham, Dialogus magistri Guillermi de Ockam doctoris famosissimi, in: Monarchia Sacri Romani Imperii, sive Tractatus de Iurisdictione Imperiali seu Regia et Pontificia seu Sacerdotali … Tomus secundus, ed. M. Goldast, Francofordiae [Frankfurt am

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liche Recht nun, das ius naturale, ist nach Ockham keineswegs ein der göttlichen Willkür ausgeliefertes Recht, das wandel- und damit unberechenbar wäre, sondern es ist in seiner ersten von drei Arten „jenes Recht, das der natürlichen Vernunft entspricht, die in keinem Einzelfall in die Irre leitet, wie zum Beispiel: Du sollst nicht ehebrechen. Du sollst nicht lügen, und dergleichen“58. Für eine göttliche Willkür scheint hier wenig Platz zu sein, und das liegt, wenn man Jan Peter Beckmanns Interpretation folgt, klar an dem auch von Ockham bestätigten Prinzip der Widerspruchsfreiheit bezüglich der göttlichen Freiheit und Allmacht. Denn Gott vermag, so Beckmanns Interpretation der ockhamschen These, nichts zu tun, „was einen kontradiktorischen Widerspruch enthält […], Gott vermag nur das zu tun, was in seiner Art einen rationalen Ordnungszusammenhang darstellt“59. Und dieser Ordnungszusammenhang ist dafür verantwortlich, daß das „Gute als moralische Qualität [nicht etwa] etwas willkürlich Festgelegtes wäre; es entspringt zwar der freien, aber durch die Prinzipien der Widerspruchsfreiheit und Ordnungshaftigkeit und damit durch Rationalität gekennzeichneten göttlichen Allmacht“60. Nimmt man diese Verankerung in der natürlichen Vernunft für Ockham an, dann ist es nur folgerichtig, den ihm zugesprochenen Voluntarismus zu relativieren und Brian Tierneys Interpretation zu folgen, der resümiert: „All medieval and early modern thinkers who considered these questions realized that both reason and will were necessary for the conduct of human affairs; but if we have to divide them into rationalists and voluntarists according to their emphases, Ockham clearly belongs in the rationalist camp“61. Zieht man die Summe aus diesen knappen Betrachtungen der von Suárez herangezogenen Extrempositionen, drängt sich die Frage auf, welchen Mittelweg Francisco Suárez eigentlich beschritten hat, haben sich doch die von ihm vorgestellten vermeintlichen Extrempositionen als gleichfalls auf Wille und Vernunft basierende Konzepte von Naturgesetz entpuppt, was, wie Brian Tierney festgestellt hat, für die Gesetzeskonzepte aller mittelalterlichen und frühmodernen Denker gilt. Woher kam also die Vermutung, daß zwei diametral gegenüberstehende Schulen in der Zeit der Scholastik entweder Wille oder Vernunft zur ausschließlichen Grundlage des Naturgesetzes machten und schließlich durch Suárez versöhnt wurden? Der entscheidende Hinweis zur Lösung dieser Frage kann von Francis

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59 60 61

Main] 1614 [ND Graz 1960], 396–957, 629: „[…] utens naturali dictamine rationis, hoc est utens iure naturali […].“ Op. cit., 178 sq. (III Dial. II, III, c. 6). Cf. ed. Goldast, 932: „Uno enim modo dicitur ius naturale illud, quod est conforme rationi naturali, quae in nullo casu fallit, sicut est, non moechaberis, non mentieris, et huiusmodi.“ J. P. Beckmann, Wilhelm von Ockham, München 1995, 154 sq. Op. cit., 155. B. Tierney, The Idea of Natural Rights. Studies on Natural Rights, Natural Law, and Church Law 1150–1625, Grand Rapids–Cambridge 1997, 199. Die Rolle der recta ratio und eines natürlichen sittlichen Bewußtseins betonen auch: J. Miethke, Ockhams Weg zur Sozialphilosophie, Berlin 1969, 312–325; Beckmann, Ockham (nt. 59), 152 sq.

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Oakley bezogen werden, der zumindest für den angelsächsischen Bereich der Forschung einen engen Weg der Rezeptionsgeschichte des mittelalterlichen Naturrechts annimmt, der über „one of the most frequently cited of Otto Gierke’s lengthy footnotes“ 62 seines Monumentalwerks Das deutsche Genossenschaftsrecht führt. Die hier von Gierke „in der tiefgreifenden scholastischen Streitfrage, ob und inwieweit Wille oder Vernunft die Substanz des Rechtes sei,“ dargestellte scharfe Trennung zwischen der voluntaristischen Schule, die allein den Willen Gottes zu Grunde lege, und der rationalistischen Schule, die „lediglich in der im Wesen Gottes begründeten, aber für Gott selbst unabänderlichen Aussage der ewigen Vernunft über das Gerechte“63 die Grundlage des Naturrechts finde, habe die Forschung entscheidend geprägt. Diese Trennung aber habe nicht, so Oakley, auf Gierkes eigenen unabhängigen Analysen der entsprechenden Texte der Scholastik basiert, sondern er beziehe diese vielmehr aus den tendenziösen Charakterisierungen dieser Texte und Autoren durch Francisco Suárez in ‚De legibus ac Deo Legislatore‘. Hier hätte Suárez schließlich auch ersonnen, selbst die intellektualistische Position des Thomas von Aquin an seine juristische anzugleichen, um sich so in dessen Tradition zu stellen 64. Folgt man den Analysen von Rainer Specht, Brian Tierney und Francis Oakley, so liegt es nahe zu vermuten, daß Suárez’ via media gar keine neuartige vermittelnde Theorie über das Naturgesetz darstellt, sondern daß die zu vermittelnden Elemente von Willen und Vernunft schon immer gemeinsam als Grundlagen des Gesetzes angesehen wurden, und daß es schließlich Suárez selbst gewesen ist, der mit der Gegenüberstellung rationalistischer und voluntaristischer Positionen und deren Vermittlung entscheidend mit dafür gesorgt hat, daß eine solche Polarisierung in der Debatte wahrgenommen wurde und wird.

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63 64

Oakley, Locke again (nt. 56), 222. Oakley verweist auf: O. Gierke, Political Theories of the Middle Ages, ed. F. W. Maitland, Cambridge 1900, 172 sq. nt. 256. Diese Übersetzung gibt § 11 („Die publicistischen Lehren des Mittelalters“) des dritten Bandes von Gierkes Untersuchung des deutschen Genossenschaftsrechts wieder. Cf. O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht. Dritter Band. Die Staats- und Korporationslehre des Altertums und des Mittelalters und ihre Aufnahme in Deutschland, Berlin 1881 [ND Darmstadt 1954], 502–644, 610 sq. nt. 256. Ibid. Cf. Oakley, Locke again (nt. 56), 222. Die andauernde Wirksamkeit dieser Interpretation vasquezscher Naturgesetzestheorie zeigt sich neuerlich wieder in einem Beitrag von Thomas Pink. Cf. T. Pink, Reason and Obligation in Suárez, in: B. Hill/H. Lagerlund (eds.), The Philosophy of Francisco Suárez, Oxford 2012, 175–208, 188: „But the view of natural law as arising through divine legislation was not universal in late Scholasticism. There were some who conceived of the natural law as without legislative origin, as a law without a law-maker. Such an account of how natural law exists prior to and independent of any legislation is to be found in the work of Suárez’s fellow Jesuit and antagonist Gabriel Vasquez.“

VIII. Interreligiöse Polemik

Lex Mahometi Die Erfolgsgeschichte eines vergleichenden Konzepts der christlichen Religionspolemik * M M. T (Barcelona) I. Einleitung. Beobachtung en und methodische Vor überlegung en Schlägt man die italienische Humanistenhandschrift Paris, BnF, Ms. lat. 3670 von 1515, ein Exemplar der sog. Collectio Toletana (besser: Corpus Islamo-Christianum), auf, so findet man auf der ersten Seite das Bild eines Mannes mit Turban und Buch, das wohl Muh.ammad mit dem Koran darstellen soll. Nach der Interpretation von Thomas E. Burman1 haben wir es hier mit der Darstellung eines Autorenporträts in der mittelalterlichen Tradition zu tun, das folglich den Vorwurf mittransportiert, Muh.ammad sei selbst der Autor des Koran und damit ein Pseudo-Prophet gewesen. Diese Sichtweise entspricht der in der mittelalterlichen Muh.ammad-Polemik häufig geäußerten Behauptung, der Koran sei nichts anderes als eine lex Mahometi, das ‚Gesetz Muh.ammads‘. Wurde hier also im Vergleich zum Typus der vertrauten Christus-Ikonographie der Evangeliare der Antitypus mit dem Gegenevangelium, mithin Muh.ammad als Antichrist inszeniert? Nichts wäre nun leichter, von der Frühen Neuzeit bis weit ins 19. oder 20. Jahrhundert hinein die Vorstellung vom falschen Religionsgesetz Muh.ammads in der (latein)europäischen Kultur aufzuzeigen. Doch woher rührt die Vorstellung von der Vergleichbarkeit des Koran mit dem christlichen und damit letztlich jüdischen Religionsgesetz zu polemischen Zwecken? Blickt man in die Geschichte der gedruckten Koranausgaben und -übersetzungen, so stößt man beispielsweise bei einer der frühesten spanischen Koran-Übertragungen, die 1872 Vicente Ortiz de la Puebla herausgegeben hat, auf den Titel ‚El Corán o Biblia Mahometana‘ – ‚der Koran oder die muh.ammadanische Bibel‘. Doch selbst bis in unsere Gegenwart *

1

Die Ausarbeitung dieses am 12. September 2012 auf der 38. Kölner Mediaevistentagung gehaltenen Vortrags wurde ermöglicht im Rahmen meiner Tätigkeit als Senior Researcher eines Marie Curie Fellowships der Gerda Henkel Stiftung zum Thema ‚Muh.ammad in Latin Christian Contexts. Comparing Modes of Dis/integration of Religious Otherness in Historiographical Traditions, 8th to 13th Centuries‘. A European author portrait of Muhammad and medieval Latin traditions of Qu’ra¯n reading, Interdisciplinary Conference ‚Crossing Boundaries, Creating Images. In Search of the Prophet Muh.ammad in Literary and Visual Traditions‘, Kunsthistorisches Institut/Max-Planck-Institut, Firenze, 17. Juli 2009 (unveröffentlichtes Manuskript).

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ist unter gebildeten Christen der theologische Irrtum weit verbreitet, man könne die geoffenbarten ‚heiligen Bücher‘ der Juden, Christen und Muslimen, also Tora, Bibel und Koran, miteinander vergleichen2. Zwar ist es richtig, daß Tora und Altem Testament dasselbe symbolische Verständnis vom inspirierten Wort Gottes zugrunde liegt, doch sind sie nicht mit dem Koran, Gottes herabgesandtem Wort, vergleichbar, ist doch dessen Äquivalent nach mittelalterlichem Verständnis Jesus Christus in eucharistischer Gestalt. Der Koran ist vom Arabischen als der geoffenbarten Sprache Gottes ebenso wenig zu trennen wie der Leib Christi von Christus selbst. Wir müssen den vergleichenden Blick erneut auf die Träger, Bücher und Orte der religiösen Praxis richten, ist doch die Komparation dieser drei Themenfelder nicht nur historisch praktiziert worden3, sondern aus heutiger Sicht4 ein Vergleich kultureller und religiöser Asymmetrien gewesen, dessen sich die Gebildeten der Vormoderne erst mit der Zunahme und Präzisierung ihres Wissens von ihrem Gegenüber allmählich bewußt geworden sind. So wissen wir

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Dies betrifft natürlich nicht die Untersuchung der inhaltlichen Bezüge der Schriften vor allem der Christen und Muslime, die seit langem in der Theologie und Religionswissenschaft intensiv erforscht werden: J.-D. Thyen, Bibel und Koran. Eine Synopse gemeinsamer Überlieferungen (Kölner Veröffentlichungen zur Religionsgeschichte 19), Köln–Weimar–Wien 1989, 32000 (Synopse Bibel – Koran); H. Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran, Gräfenhainchen 1931 [Nachdrucke: Hildesheim 1961, Darmstadt 1961, Hildesheim–New York 1971, Hildesheim–New York 1988]; H. Busse, Die theologischen Beziehungen des Islams zu Judentum und Christentum. Grundlagen des Dialogs im Koran und die gegenwärtige Situation (Grundzüge 72), Darmstadt 1988, 21991 (jüdische und christliche Traditionen im Koran). Beliebt sind auch Untersuchungen zu den biblischen Gestalten des Alten und Neuen Testaments im Koran, insbesondere zu Jesus Christus: C. Schedl, Muh.ammad und Jesus. Die christologisch relevanten Texte des Korans, Wien–Freiburg–Basel 1978 (kommentierte Anthologie); G. Rizzardi, Il problema della cristologia coranica. Storia dell’ermeneutica cristiana (Facoltà Teologica dell’Italia Settentrionale Milano. Tesi di laurea 16), Milano 1982 (Geschichte der christlichen Hermeneutik der koranischen Christologie); O. H. Schumann, Der Christus der Muslime. Christologische Aspekte in der arabisch-islamischen Literatur (Kölner Veröffentlichungen zur Religionsgeschichte 13), Köln– Wien 21988, 13–31; G. Rizzardi, Il fascino di Cristo nell’Islàm, Milano 1989; M. Bauschke, Jesus im Koran, Köln–Weimar–Wien 2001; id., Jesus im Koran. Ein Schlüssel zum Dialog zwischen Christen und Muslimen, Erfstadt 2007; id., Der Sohn Marias. Jesus im Koran, Darmstadt 2013 (jeweils koranische Christologie). In dem 2007 eingerichteten Forschungsprojekt ‚Corpus Coranicum – Textdokumentation und historisch-kritischer Kommentar zum Koran‘ an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften wird der Koran nun aus der Perspektive der spätantiken (Buch)Kultur untersucht: http://www.bbaw.de/forschung/Coran/uebersicht. Das belegen zahllose Quellen etwa in der Anwendung christlicher, jüdischer und muslimischer Terminologie auf Traditionsbestandteile der jeweils anderen Religionsgemeinschaft. Eine Monographie, die den Vergleich der drei Monotheismen in der Vormoderne im Spiegel ihrer Terminologie perspektiviert, ist ein dringendes, aber kaum rasch erfüllbares Desiderat. Hier kann nur ein kleiner Ausschnitt zum lateinischen Begriff lex vorgestellt werden. Etwa zum modernen Vergleich von Christen und Muslimen in Deutschland: A. Renz, Asymmetrien und Hindernisse im christlich-islamischen Dialog. Beobachtungen zur gegenwärtigen Situation in Deutschland, in: E. Ballhorn e. a. (eds.), Lernort Jerusalem. Kulturelle und theologische Paradigmen einer Begegnung mit den Religionen (Jerusalemer Theologisches Forum 9), Münster 2006, 57–70.

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heute, daß die Kernelemente des Judentums, des Christentums und des Islam über die jeweiligen ‚Religionsgesetze‘ hinaus nur bedingt vergleichbar sind. Schon hinsichtlich der institutionellen Verfaßtheit der drei religiösen Traditionsgemeinschaften gibt es deutliche Unterschiede. So kennen Judentum und Islam keinen durch besondere Weihen von den Laien abgehobenen, durch die Spendung von Sakramenten als Mittler zwischen Gott und den Gläubigen agierenden Klerus. Hieraus ergibt sich die Unvergleichbarkeit von Rabbinen, Imamen und Priestern. Während für die Christen der Missionsgedanke zentraler Bestandteil des religiösen Selbstverständnisses ist, fehlt den Juden der Vormoderne weitestgehend eine eigene Missionserfahrung, während die Muslime wiederum da’wah, den ‚Ruf zum Islam‘, als eine Form des dschiha¯d kennen. Auch die Stifter der drei religiösen Traditionsgemeinschaften sind unvergleichbar: Ist es im Judentum Gott selbst, so im Christentum Jesus Christus als Mensch gewordener Gott und im Islam Muh.ammad als Prophet Gottes. Schließlich liegen den religiösen Versammlungsräumen ‚Synagoge‘, ‚Kirche‘ und ‚Moschee‘ verschiedene Raum- und Sakralitätskonzepte zugrunde. Bereits aus diesen wenigen Sätzen geht deutlich hervor, daß sich die Historisierung des asymmetrischen Vergleichs als Umschreibung eines umfassenden kulturellen und religiösen Bewußtwerdungsprozesses in den drei erwähnten Themenfeldern ‚Träger‘, ‚Bücher‘ und ‚Orte‘ der religiösen Traditionsgemeinschaften geradezu aufdrängt. Wir wollen uns im folgenden allein mit dem im lateineuropäischen Mittelalter praktizierten Vergleich der für Christen, Juden und Muslime zentralen religiösen Bücher Bibel, Tora und Koran beschäftigen und die hierbei verwendete Terminologie und Semantik beachten. Im Vordergrund wird die Perspektive der christlichen Vergleichskonzepte von der Mitte des 9. Jahrhunderts bis zum Anfang des 14. Jahrhundert stehen5.

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Aus der Betrachtung herausgenommen werden muß hier leider die lex-Debatte bei Ramon Llull aufgrund seines nahezu unüberschaubaren Œuvres. Bekannt sind aber seine vergleichenden Betrachtungen zu Naturgesetz, altem Gesetz (Mose) und neuem Gesetz (Jesu Christi) in seiner auf Mallorca 1274–1276 geschriebenen Doctrina pueril, c. 68–70: A. Fidora, Ramon Llull’s ‚Doctrina pueril‘. Approaching religion from a historical point of view, in: A. Fidora/M. M. Tischler (eds.), Discovering Religion as a Historical Phenomenon. Changes in the Perception of Judaism, Christianity and Islam during the Middle Ages [= Quaderns de la Mediterrània 16 (2011), 143–168 und 296–314], Barcelona 2012, 145–151, 149sq. mit nt. 19, sowie in dem im Februar 1313 ebendort verfaßten, in zwei Redaktionen vorliegenden Liber per quem poterit cognosci quae lex sit magis bona, magis magna et etiam magis vera zur Überlegenheit des Glaubensgesetzes der Christen (lex Christianorum, lex christiana, lex christicolarum und lex catholicorum) gegenüber dem Muh.ammads (lex Mahometi und lex Saracenorum) und dem der Juden (lex Moysi, lex Iudaeorum und lex Hebraeorum): edd. A. Soria Flores (†)/F. Domínguez Reboiras/M. Senellart (CCCM 80), Turnhout 1991, 169–193.

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II. Der Vergleich als Mittel der r eligiösen Identitätsfindung und Abg renzung Die Konfrontation und die Komparation von Bibel und Koran sind keine Erfindung der Christen. Dieser – im letzten – für Muslime sinnlose Vergleich der zentralen Schriften ist im Koran selbst aufgehoben. Denn dieser enthält nicht nur zahlreiche Bezüge auf die Bibel6; sondern mit seinem tah.rı¯ f-Vorwurf, die Juden und Christen hätten ihre biblische Tradition verfälscht, und mit der steten Widerlegung dieses Vorwurfs durch die Juden und Christen trägt er von Anfang an maßgeblich zur Identitätsbildung im Vergleich mit dem Anderen bei 7. Die tah.rı¯ fDebatte ist Teil der noch nicht geschriebenen Geschichte des zwischen Christen, Juden und Muslimen wechselseitig erhobenen Vorwurfs der Schriftverfälschung 8. Nach Auffassung der Muslime entziehe sich der Koran dieses Vorwurfs, weil er dem Zugriff des Propheten selbst entzogen gewesen, ja, für die Menschen allgemein unnachahmlich und unübertrefflich sei. Doch die Unnachahmbarkeit des Koran (i‘g˘a¯z) wird schon in etlichen Suren selbst – als Beglaubigungswunder der prophetischen Sendung Muh.ammads – bezeugt, scheint also Gegenstand von frühesten Debatten um den Vergleich der Schrifttraditionen und den Status des Propheten gewesen zu sein9. Insofern sind alle künftigen, von Christen unternommenen Versuche, die Unnachahmbarkeit des Koran durch die Schaffung neuer Suren zu konterkarieren, ebenso wie der Nachweis, es handle sich nur um das Gesetz Muh.ammads selbst, eine Widerlegung seines Prophetenstatus. Die Perspektive des Vergleichs wird aber auch durch eine gemeinsame Terminologie gestärkt. Sie verdankt sich insbesondere der Übersetzung des Wortes ‚Religion‘ im Islam (dı¯n) mit lex. So übersetzen unabhängig voneinander, aber mit voller (polemischer) Absicht Robert von Ketton und Markus von Toledo dı¯n in ihren lateinischen Übertragungen des Koran10, womit sie sich an einen seit der Antike

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Wie Anm. 2. I. Di Matteo, Il ‚tah.rı¯f‘ od alterazione della bibbia secondo i musulmani, in: Bessarione 38 (1922), 64–111 und 223–260; J.-M. Gaudeul/R. Caspar, Textes de la tradition musulmane concernant le ‚tah.rı¯f‘ (falsification) des Écritures, in: Islamochristiana 6 (1980), 61–104. Die Vorwürfe reichen von der Verfälschung des Textes selbst (tah.rı¯f al-nas..s) bis zur Verfälschung des Schriftsinns (tah.rı¯f al-ma‘a¯nı¯ ). I. M. Resnick, The falsification of scripture and medieval Christian and Jewish polemics, in: Medieval Encounters. Jewish, Christian and Muslim Culture in Confluence and Dialogue 2 (1996), 344–380 (zur christlich-jüdischen Debatte); C. Adang, Muslim Writers on Judaism and the Hebrew Bible. From Ibn Rabban to Ibn H.azm (Islamic Philosophy, Theology and Science. Texts and Studies 22), Leiden–New York–Köln 1996, 223–248 (zur muslimisch-jüdisch-christlichen Debatte). G. E. von Grunebaum, I‘dja¯z, in: Encyclopédie de l’Islam 3, Leiden–Paris 1971, 1044–1046. Die Ungläubigen werden herausgefordert, selbst eine ähnliche Schrift vorzulegen (52, 34; 17, 88). Nicht zehn Suren können sie beibringen (11, 13sq.), ja nicht einmal eine einzige Sure (10, 38; 2, 23). Das Unvermögen der Menschen, eine dem Koran ähnliche Schrift abzufassen, ist ein Zeichen dafür, daß der Koran das Wort Gottes ist. R. F. Glei, ‚Pontes fieri iubentur‘. Brücken zwischen (Neo-)Latinistik, Religionsgeschichte und Orientalistik, in: Neulateinisches Jahrbuch 11 (2009), 277–287, 281–283; R. F. Glei/S. Reichmuth,

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schillernden christlichen Rechtsbegriff anschließen11. Lex wird hier verstanden als ‚Sammlung schriftlich fixierter Normen einer religiösen Traditionsgemeinschaft‘ 12, also als ‚Religionsgesetz‘13. Das im Koran enthaltene muslimische Religionsverständnis wird somit zu einem der Geburtshelfer des christlichen Religionsbegriffs, eine Einsicht, die selbst in den jüngsten Forschungen zum mittelalterlichen Begriff der Christen von religio bislang kaum zu finden ist14. Denn der zur Kennzeichnung innerchristlicher Lebensverhältnisse verwendete Terminus religio meint

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Religion between Last Judgement, law and faith. Koranic ‚dı¯n‘ and its rendering in Latin translations of the Koran, in: Religion 42 (2012), 247–271, 260–263 (gezeigt insbesondere an den Übersetzungen von Sure 9, 33 und 30, 30). Auch in dem auf ca. 1275 zu datierenden Vocabulista in arabico ist die Entsprechung von dı¯n und lex zu finden: J.-M. Mérigoux, L’ouvrage d’un frère precheur florentin en Orient à la fin du e siècle. Le ‚Contra legem Sarracenorum‘ de Riccoldo da Monte di Croce, in: Fede e controversia nel ’300 e ’500 [= Memorie domenicane N. S. 17 (1986)], Pistoia 1986, 1–144, 6 nt. 4. Zu lex, legislator, legum conditor u. ä. in der lateinischen Bibel und im spätantik-frühmittelalterlichen Rechtsdenken: W. Ullmann, The Bible and principles of government in the Middle Ages, in: La bibbia nell’alto medioevo (Settimane di Studio del Centro Italiano di Studi sull’Alto Medioevo 10), Spoleto 1963, 181–227 [Nachdruck: id., The Church and the Law in the Earlier Middle Ages. Selected Essays (Collected Studies Series 38), London 1975, Nr. III] und 331–336 (Discussione), 209sq. und 212. Entscheidend für die Theologisierung des lex-Begriffes ist die Systematisierung des paulinischen Gesetzeskonzepts (lex Christi: I Cor 9, 21; Gal 6, 2), die Augustinus im Römerbriefkommentar vorgelegt hat: D. Marafioti, Lex (A), in: Augustinus-Lexikon 3, Basel 2004–2010, 931–943, 932sq. Petrus Venerabilis etwa definiert den Koran als collectaneum praeceptorum: wie Anm. 54. Das hat er möglicherweise von Robert von Ketton, der im Explicit zu seiner Koranübersetzung von einer collectio capitulorum sive preceptorum spricht: „Explicit liber legis diabolice˛ Sarracenorum, qui arabice dicitur Alchoran, id est Collectio capitulorum sive preceptorum“ (Paris, Bibliothèque de l’Arsenal, Ms. 1162, fol. 138rb): M.-Th. d’Alverny, Deux traductions latines du Coran au moyen âge, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du moyen âge 16 (1947–1948), 69–131 [Nachdruck: Ch. Burnett (ed.), La connaissance de l’Islam dans l’Occident médiéval (Collected Studies Series 445), Aldershot 1994, Nr. I], 87. Zu ‚Gesetz‘ in religionswissenschaftlicher Perspektive: J. Neumann, Gesetz, in: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe 3, Stuttgart–Berlin–Köln 1993, 9–17; A. Michaels/ E. Otto/H. Räisänen, Gesetz. I. Religionsgeschichtlich. II. Altes Testament. III. Neues Testament, in: 4Religion in Geschichte und Gegenwart 3, Tübingen 2000, 843–850. M. Despland, La religion en Occident. Évolution des idées et du vécu. Préface de C. Geffré (Cogitatio fidei 101), Montréal–Paris 1979, 61–166; C. H. Ratschow, Religion. II. Antike und Alte Kirche. III. Mittelalter. IV. Humanismus und Reformation, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 8, Basel 1992 [auch: Darmstadt 1992], 633–644; J.-C. Schmitt, Une histoire religieuse du moyen âge est-elle possible? (Jalons pour une anthropologie historique du christianisme medieval), in: F. Lepori/F. Santi (eds.), Il mestiere di storico del Medioevo. Atti del Convegno di Studio dell’Associazione ‚Biblioteca Salita dei Frati‘, Lugano, 17–19 maggio 1990 (Quaderni di cultura mediolatina 7), Spoleto 1994, 73–83, 74; G. Ahn, Religion. I. Religionsgeschichtlich, in: Theologische Realenzyklopädie 28, Berlin–New York 1997, 513–522, 514; J. Figl (ed.), Handbuch Religionswissenschaft. Religionen und ihre zentralen Themen, Innsbruck–Wien–Göttingen 2003 [auch: Darmstadt 2003], 62–64. Die nach den Vorbildern christianismus und christianitas bzw. iudaismus gebildeten Parallelbegriffe sarracenia, sarracenitas oder sarracenimus sowie vergleichbare, aus dem Eigennamen Mahomet abgeleitete Termini sind offensichtlich erst Entwicklungen des späteren Mittelalters: P. Biller, Words and the medieval notion of ‚religion‘, in: The Journal of Ecclesiastical History 36 (1985), 351–369, 361sq. und 365 (mit Beispielen).

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bis ins Spätmittelalter neben der den Menschen von Natur aus innewohnenden Tugend der ‚Gottesverehrung‘, ähnlich wie vita religiosa, vornehmlich die monastische oder regulierte Lebensform und die sie realisierenden Gemeinschaften, Orden und Mitglieder15. Demgegenüber bezeichnen die zeitgenössischen Quellenbegriffe secta, lex und fides die konkrete organisatorische, die theoretisch-dogmatische und die praktisch-theologische Dimension einer religiösen Gemeinschaft16, bezeugen aber zugleich den oft polemischen Gebrauch der Begriffe ‚Gläubige‘, ‚Glaubensgesetz‘, und ‚Glaubensbekenntnis‘ und behaupten ihre angebliche Vergleichbarkeit. Die uns vertraute umfassende Wortbedeutung von ‚christlicher Religion‘ etwa in der Formel religio christiana (‚Christentum‘) bildet sich in der Auseinandersetzung mit dem muslimischen und jüdischen Selbstverständnis17 allmählich neu aus dem patristischen Wortgebrauch von religio bzw. vera religio heraus, die einst als Abgrenzungsbegriff gegenüber der heidnischen kultischen Gottesverehrung diente. III. Ein Vorspiel ohne Folg en. Erste Vergleiche auf der Iberischen Halbinsel Erste punktuelle Einsichten in das Wesen des Koran sind schon um die Mitte des 9. Jahrhunderts bei den geistigen Anführern der sog. freiwilligen Martyrer von Córdoba zu beobachten. Paulus Albarus spricht etwa 853/854 von einem ‚anderen Gesetz Gottes‘, das Muh.ammed vom Erzengel Gabriel eingegeben worden sei. Niemand habe es vor Muh.ammad gewagt, das Testament an Gottes Stelle für sich in Anspruch zu nehmen. Ausdrücklich charakterisiert Paulus dieses Gesetz als vom Evangelium abweichend, ja als gegensätzlich18, weshalb es auch das von 15

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Biller, Words (nt. 14), 352 und 357–360; E. Feil, Religio [1]: Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs vom Frühchristentum bis zur Reformation (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 36), Göttingen 1986, 83–127; Schmitt, Une histoire (nt. 14), 77 mit nt. 11; F. Wagner, Religion. II. Theologiegeschichtlich und systematisch-theologisch, in: Theologische Realenzyklopädie 28, Berlin–New York 1997, 522–545, 524. In der Patristik meint religio noch weitestgehend ‚Form der Bindung an Gott‘: e. g. Vigilius von Tapsus, Dialogus contra Arrianos, I 5, in: PL 62, 155–180, 157 l. 58sq (um 484): „Nam cum tres sint in mundo religiones, Judaeorum, paganorum et Christianorum, …“. Biller, Words (nt. 14), 362–369; Ahn, Religion (nt. 14), 514; Wagner, Religion (nt. 15), 524. Dasselbe gilt natürlich umgekehrt auch für den Islam (J. Waardenburg, Muslim notions of religion as manifested in interreligious discourse, in: U. Bianchi (ed.), The Notion of ‚Religion‘ in Comparative Research. Selected Proceedings of the XVIth Congress of the International Association for the History of Religions, Rome, 3rd–8th september, 1990 (Storia delle religioni 8), Roma 1994, 531–540, 531–533 und 539sq.) wie für das Judentum (M. Riesebrodt, Überlegungen zur Legitimität eines universalen Religionsbegriffs, in: B. Luchesi/K. von Stuckrad (eds.), Religion im kulturellen Diskurs. Festschrift für Hans G. Kippenberg zu seinem 65. Geburtstag (Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 52), Berlin–New York 2004, 127–149, 129sq.). Indiculus luminosus, § 8, ed. J. Gil [Fernández], Corpus Scriptorum Muzarabicorum 1 (Manuales y anejos de ‚Emerita‘ 28, 1), Madrid 1973, 270–315, 280 l. 38–43: „Et verum est quod a tempore iam dicti summi magistri nullus alius sub nomine angeli devia eius predicatjoni et evangelice adversa adducere ausus est secte, nisi iste qui sub nomine Gabrielis alteram Dei se hominibus detulisse mentitus est legem. Et licet multi

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Muh.ammad geschaffene, also sein Gesetz sei19. Der aus jüdischer Familie stammende Paulus Albarus hat noch zahlreiche weitere Details aus dem arabischen Koran herausgepickt, die er gegen Muh.ammad und seine Glaubenslehre wendet, wenn er etwa den Vorwurf erhebt, der Begründer der neuen Lehre habe mit Dämonen einen Pakt geschlossen, damit sie sein Gesetz erinnern und in ihm wachsen20; sein recht verworrenes Gesetz und gewisse geheimnisvolle Zeichen darin seien kaum aufzuschlüsseln21; sein Gesetz sei angeblich strahlend und klar, in Wirklichkeit aber extrem finster 22. Hier soll offenkundig mit der bekannten Licht- und Schatten-Metapher ein neues Religionsgesetz diskreditiert werden.

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ereseorum auctores angelorum tenebrarum invasione fuisse‹n›t delusi, tamen nullus eorum testamentum vice Dei presumtus est usurpare.“ Cf. D. Millet-Gérard, Chrétiens mozarabes et culture islamique dans l’Espagne des e–e siècles (Études Augustiennes), Paris 1984, 202. Indiculus luminosus, § 27, ed. Gil [Fernández], Corpus (nt. 18), 301 l. 20–302 l. 30: „Elati videlicet seculi et tiranni sevissimi iniquissimas ei offerunt volumtates et ei certe demones, qui tenebrosi in scripturis montes vocantur, seu principes terre et filosophi, qui ei exquisitos dolos excultosque doctrinarum diversarum porrigunt mendacii cibos. […] vel in corde impiissimi demones vel in lege ipsius multarum heresum novitates. Ex quibus sectis venenum fucatum ore patulo suggens, confectjonem operose inficiens, eufrasia sua milleno sectarum ritu conficuit, quam ex het‹n›icorum philosoforum Iudeorumque doctrinis conponens diversis gentibus colore fidei tecta vestivit cunctisque levibus pastinatum operculum propinavit.“ Cf. Millet-Gérard, Chrétiens mozarabes (nt. 18), 178 nt. 132. Indiculus luminosus, § 27, ed. Gil [Fernández], Corpus (nt. 18), 302 l. 46–52: „Sed et umbre possunt accipi demones alii, qui hunc abitatorem sceleratissimi corporis obsequiolo proprio se protegere fingunt. Tradent enim eum pacem inter spiritus sceleratissimos a[s] se dissidentes reformasse et multos ex demonibus sue fidei inclinasse legemque suam illis tenendam memoriter tradidisse. Unde et in lege ipsa horrivili frequenter ex persona Dei demonibus vel ominibus sermo predicatjonis inducitur et ut credant ei frequenter ingeritur“; § 28, ibid., 304 l. 40–44: „Et sicut lex Dei angelis hominibusque ex auctoritate dominica intonat, ita hec e regione diaboli dogmata demonibus et perditis hominibus verbum fidei porrigit crebre et assidue dicens: ‚O multitudo demonum et ominum‘, quod Harabice dicitur iemahascar algen“, sowie die Suren 72, 1sq. und 46, 29–31 (gute Geister, die bei der Rezitation des Koran anwesend sind und dem Propheten beiseite stehen), ferner 6, 128 und 130 sowie 55, 33 (Anrufung der Geister und Menschen). Cf. F. R. Franke, Die freiwilligen Märtyrer von Cordova und das Verhältnis der Mozaraber zum Islam (nach den Schriften des Speraindeo, Eulogius und Alvar), in: Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 13 (Spanische Forschungen der Görresgesellschaft I), Münster 1958, 1–174, 125sq.; Millet-Gérard, Chrétiens mozarabes (nt. 18), 74; F. González Muñoz, El conocimiento del Corán entre los mozárabes del siglo , in: Manuela Domínguez García e. a. (eds.), Sub luce florentis calami. Homenaje a Manuel C. Díaz y Díaz, Santiago de Compostela 2002, 390–409, 405–407. Indiculus luminosus, § 29, ed. Gil [Fernández], Corpus (nt. 18), 306 l. 31–33: „Calliditatem legis inique quis penetravit involutumque errorem et numerum litterarum, quem in quibusdam fabulose sue legis locis intexuit, quis discussione accerima ventilavit?“ Cf. Franke, Märtyrer (nt. 20), 126; González Muñoz, El conocimiento (nt. 20), 407sq.; id., En torno a la orientación de la polémica antimusulmana en los textos latinos de los mozárabes del siglo , in: C. Aillet/M. Penelas/Ph. Roisse (eds.), ¿Existe una identidad mozárabe? Historia, lengua y cultura de los cristianos de al-Andalus (siglos –) (Collection de la Casa de Velázquez 101), Madrid 2008, 9–31, 24. Dieses Werk enthält weitere Detailkenntnisse zum Islam, die nicht sicher auf ein Koranstudium zurückgeführt werden können: González Muñoz, El conocimiento, 408 mit nt. 42–46. Indiculus luminosus, § 29, ed. Gil [Fernández], Corpus (nt. 18), 306 l. 57–59: „Splendor dicta est vis illa furoris, eo quod quasi ultjone legis rabies vesana in Christi cultores desevit, fingens se splendorem legis habere, que non luminis faculam, set nigerrimam ustionis retinet flammam“, sowie die Suren 12, 1; 15, 1; 24, 1 und 24, 35. Cf. González Muñoz, El conocimiento (nt. 20), 408sq.; id., En torno (nt. 21), 24.

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Paulus Albarus’ Freund Eulogius bezeichnet in seinem 857 niedergeschriebenen Liber apologeticus martyrum Muh.ammad sogar als einen Vorläufer des Antichrist, der nach eigenem Gutdünken und in dämonischer Eingebung ein ‚Gesetz der Neuheit‘ dem verlorenen Volk verschafft habe23. Innerhalb des ersten Teils des Werkes entwickelt und wiederlegt Eulogius auffallend ausführlich ein drittes Gegenargument (§ 12–20), nämlich daß es sich bei den von den Muslimen getöteten Christen Córdobas um keine echten Martyrer handle, weil diese von Menschen den Tod erleiden, die an einen einzigen Gott glauben und ein heiliges Gesetz ihr eigen nennen24. Hier geht es um nichts weniger als um den Anspruch des Islam, ein vollgültiger Monotheismus zu sein. Und genau gegen diesen Anspruch fügt Eulogius nun eine knappe Muh.ammad-Biographie, die sog. Historia de Mahomat pseudopropheta, ein (§ 16), die aus einigen Suren des Koran die Tiernamen und die Namen einiger neutestamentlicher Personen liefert. Mit dieser Biographie will Eulogius zeigen, daß Muh.ammad ein Pseudo-Prophet sei und die hier ‚Psalmen‘ genannten Suren selbst verfaßt habe25. Doch mit dem lateinischen Begriff ‚Psalmen‘ stellt Eulogius auch bewußt eine Vergleichbarkeit von Koran und Bibel her, insofern Koran und Psalter beide zu rezitierende Bücher sind und

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Liber apologeticus martyrum, § 12, ed. Gil [Fernández], Corpus Scriptorum Muzarabicorum 2 (Manuales y anejos de ‚Emerita‘ 28, 2), Madrid 1973, 475–495, 482 l. 12–14: „[…] qui ab spiritu immundo praereptus iniquitatis mysterium et verus Antichristi praecursor exercens, nescio quam novitatis legem pro suo libito et instinctu daemoniorum perdito vulgo instituit.“ Cf. P. Alphandéry, Mahomet-Antichrist dans le moyen âge latin, in: Mélanges Hartwig Derenbourg (1844–1908). Recueil de travaux d’érudition dédiés à la mémoire d’Hartwig Derenbourg par ses amis et ses élèves, Paris 1909, 261–277, 262; J. Guadalajara Medina, Las profecías del Anticristo en la edad media, Madrid 1996, 257 mit nt. 251; J. Flori, L’islam et la fin des temps. L’interprétation prophétique des invasions musulmanes dans la chrétienté médiévale (L’Univers historique), Paris 2007, 160–164. Liber apologeticus martyrum, § 12, ed. Gil [Fernández], Corpus (nt. 23), 481 l. 1–4: „Dicunt enim quod ab hominibus Deum et legem colentibus passi sunt nec ad sacrilegia idolorum, sed ad cultum veri Dei invitati perempti sunt, et ideo non ut priorum martyrum horum martyria veneranda sunt.“ M. C. Díaz y Díaz, Los textos antimahometanos más antiguos en códices españoles, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du moyen âge 45 (1970), 157–159, 158 l. 30–36 ≈ Liber apologeticus martyrum, § 16, ed. Gil [Fernández], Corpus (nt. 23), 484 l. 29–485 l. 36: „Psalmos denique idem pseudopropheta in honore insensibilium animalium composuit, vitulae scilicet rufae memoriam facientes; araneae quoque muscipulae ad capiendas muscas historiam texuit; upuppae namque et ranae edictiones quasdam composuit, ut foetor unius ex eius ore eructaret, garrulitas vero alterius ab eius labiis non sileret. Alios quoque ad condimentum sui erroris in honorem Joseph, Zachariae, sive etiam genitricis Domini Mariae, stilo suo digessit.“ Cf. Franke, Märtyrer (nt. 20), 39sq. mit nt. 281–286 und 291; Millet-Gérard, Chrétiens mozarabes (nt. 18), 38 nt. 65, 105–108 und 129; E. Rotter, Embricho von Mainz und das Mohammed-Bild seiner Zeit, in: F. Staab (ed.), Auslandsbeziehungen unter den salischen Kaisern. Geistige Auseinandersetzung und Politik. Referate und Aussprachen der Arbeitstagung vom 22.–24. November 1990 in Speyer (Veröffentlichung der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer 86), Speyer 1994, 69–122, 85 mit nt. 98; González Muñoz, El conocimiento (nt. 20), 394–396; J. Wasilewski, The ‚Life of Muhammad‘ in Eulogius of Córdoba. Some evidence for the transmission of Greek polemic to the Latin West, in: Early Medieval Europe 16 (2008), 333–353, 345sq. Angespielt wird hier auf die Suren 2, 67–73 (rotgelbe Kuh); 29, 41 (Spinne); 27, 20–22 (Wiedehopf); 7, 133 (Frösche); 12 (Joseph, AT); 3, 37–41 und 19, 1–11 (Zacharias, NT) sowie 19 (Maria, NT).

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ferner der Psalter den Muslimen als das dem Propheten David geoffenbarte Buch gilt. Mit der Integration dieser polemischen Muh.ammad-Vita, die übrigens die älteste heute bekannte lateinische Biographie des Stifters des Islam ist, wird erstmals in Lateineuropa die polemische Auseinandersetzung von Leben und Lehre Muh.ammads als dem ‚Gesetzgeber‘ der Muslime verknüpft 26. Die Vorbilder für die Verknüpfung der beiden Diskurse über die zweifelhafte Qualität des Koran und des Propheten Muh.ammad sind wahrscheinlich im griechisch-arabischen Osten zu suchen. Wir wissen inzwischen von persönlichen Kontakten mit Gewährsleuten aus dem Nahen Osten in Córdoba zu dieser Zeit27, welche die Argumentationsweisen der neuesten Islampolemik eines Johannes von Damaskus und des vor allem bislang nicht identifizierten Pseudo-al-Kindı¯ nach Spanien brachten. Insbesondere der fiktive Briefwechsel des Pseudo-al-Kindı¯ zwischen dem Muslim al-Ha¯sˇimı¯ und dem Christen al-Kindı¯ über das bessere ‚Gesetz‘ 28 dürfte hier vorbildhaft geworden sein, da er nicht nur den Vergleich der beiden Positionen inszeniert, sondern im (sehr viel längeren) Antwortbrief des Christen auch die Verknüpfung von Muh.ammads Leben, Lehre und Gesetz leistet 29. In letzterem Werk dürfte ein christlicher Reflex auf die Ablösung der mu‘tazilitischen Ansicht stecken, der Koran sei ‚geschaffen‘. Denn just zu dieser Zeit setzt sich die ‚fundamentalistische‘ sunnitische Sicht vom ‚ewigen Koran‘ durch30. Dieser Diskurs dringt dann über die Iberische Halbinsel bis ins westliche Frankenreich vor. Denn schon der karolingische Gelehrte Paschasius Radbertus bezeugt in seinem im 2. Viertel des 9. Jahrhunderts (831–850) fertiggestellten

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Actus vel Passio SS. martyrum Georgii monachi, Aurelii atque Nathaliae, § 59 (nur westfränkische Textfassung), ed. R. J. Pedrajas, San Eulogio de Córdoba, autor de la Pasión francesa de los mártires mozárabes cordobeses Jorge, Aurelio y Natalia, in: Anthologica annua 17 (1970) 485 col. b–576 col. b, 567 col. b l. 18–568 col. b l. 23: „Ipsos enim solum vident saraceni interimendos, qui relicta eorum secta, vertunt se ad Christianam fidem; vel qui blasphemias garriunt adversus legislatorem suum.“ Cf. B. Z. Kedar, Crusade and mission. European approaches toward the Muslims, Princeton (NJ.) 1984, 9sq. mit nt. 16. M. M. Tischler, Eine fast vergessene Gedächtnisspur. Der byzantinisch-lateinische Wissenstransfer zum Islam (8.–13. Jahrhundert), in: A. Speer/Ph. Steinkrüger (eds.), Knotenpunkt Byzanz. Wissensformen und kulturelle Wechselbeziehungen (Miscellanea Mediaevalia 36), Berlin–New York 2012, 167–196, 183–185. J. Muñoz Sendino (ed.), La Apologia del Cristianisimo de al-Kindı¯, in: Miscelánea Comillas 11–12 (1949), 377–460; F. González Muñoz (ed.), Exposición y refutación del Islam. La versión latina de las epístolas de al-Ha¯sˇ imı¯ y al-Kindı¯ (Universidade da Coruña. Servizio de Publicacións. Monografías 111), A Coruña 2005, 1–25 und 29–147. § 19–46, ed. González Muñoz, Exposición (nt. 28), 43–76. Der Briefwechsel soll ja zur Zeit des abbasidischen Kalifen al-Ma’mu¯n (813–834) stattgefunden und durch dessen Urteil beendet worden sein: F. González Muñoz, Introducción, in: id., Exposición (nt. 28), –, sq. und ; L. Bottini, The Apology of al-Kindı¯, in: D. Thomas/B. Roggema (eds.), Christian-Muslim Relations. A Bibliographical History 1: (600–900), Leiden–Boston 2009, 585–594, 587sq. Das Kalifat des al-Ma’mu¯n gilt freilich als der kurze Höhepunkt der mu’tazilitischen Einflußnahme: D. Gimaret, Mu‘tazila, in: Encyclopédie de l’Islam 7, Leiden–New York–Paris 1993, 785–795, 786. Es ist daher kein Zufall, daß just seit dieser Zeit die Vorstellung von der Unnachahmbarkeit des Koran (i‘g˘a¯z) aufkommt: wie Anm. 9.

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Matthäus-Kommentar die Vorstellung, daß das ‚Gesetz‘ der Muslime ein ‚gemachtes‘ sei, auch wenn Paschasius bereits um den Anspruch der Muslime weiß, einen monotheistischen Glauben zu haben, diesen aber mehr als Verdrehung von jüdischen und christlichen Glaubensanteilen versteht 31. IV. Tendenzen der ‚Ver rechtlichung‘ im lateineuropäischen Mittelalter. Einig e Etappen des Vergleichs religiöser leges Seit dem 11. Jahrhundert sorgt die immer weiter zunehmende Bedeutung des weltlichen Rechts der Kirche, der Könige und Kaiser Lateineuropas (kanonisches und ziviles Recht) zum einen für eine klarere Scheidung von lex divina und lex humana, zum anderen aber für die Ausbildung von gelehrten Strukturen des zivilen und kirchlichen Rechtsstudiums wie auch des Studiums des göttlichen Gesetzes. Erstmals wird nicht mehr nur das Verhältnis von ‚Naturgesetz‘ (lex naturalis), ‚göttlichem‘ bzw. ‚ewigem Gesetz‘ (lex divina bzw. lex aeterna) und ‚Religionsgesetz‘ (lex)32, etwa in der Positionierung von ‚Naturgesetz‘, Dekalog und ‚altem‘ wie 31

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Expositio in Matheo, XI (zu Mt 24, 11), ed. B. Paulus (CCCM 56, 56 A und 56 B), Turnhout 1984, 1–456, 463–924 und 931–1437, 1163 l. 446–453: „Et ne quis mihi obiciat Sarracenos […] quasi ad eos Evangelium Christi necdum pervenerit. Pervenit quidem et receperunt Dei notitiam sed male seducti a quibusdam pseudoapostolis ut ita loquar Nicolai discipulis propriam sibi tam ex Veteri Testamento quam ex Novo condiderunt legem ac si sub unius Dei cultu nec tamen nobiscum nec cum Iudeis quippiam sentire volentes omnia perverterunt.“ Cf. Alphandéry, Mahomet-Antichrist (nt. 23), 268sq.; M.-Th. d’Alverny, La connaissance de l’Islam au temps de Saint Louis, in: 7e centenaire de la mort de Saint Louis. Actes des Colloques de Royaumont et de Paris, 21–27 mai 1970, Paris 1976, 235–246 [Nachdruck: Burnett (ed.), La connaissance (nt. 12), Nr. VI], 237; Kedar, Crusade (nt. 26), 30sq. und 205 (Textstelle); F. González Muñoz, La leyenda de Mahoma en Lucas de Tuy, in: M. Pérez González (ed.), Actas del III Congreso Hispánico de Latín Medieval, León, 26–29 de septiembre de 2002 1, León 2002, 347–358, 351 mit nt. 11; K. S. Beckett, Anglo-Saxon perceptions of the Islamic world (Cambridge Studies in Anglo-Saxon England 33), Cambridge 2003, 7 nt. 20. Exakte Islamkenntnisse verrät auch die Verwendung des Wortes myschyda für ‚Moschee’: Expositio in Matheo, II, ed. Paulus, 146 l. 1045sq. (cf. ibid., 1167 l. 585sq.). Bereits A. [H.] Cutler, The ninth-century Spanish martyrs’ movement and the origins of Western Christian missions to the Muslims, in: The Muslim World 55 (1965), 321–339, 326 nt. 18 vermutete, daß Paschasius’ Islamkenntnisse mit der 858 im Auftrag des westfränkischen Königs Karl des Kahlen durchgeführten Spanienreise der Mönche von Saint-Germain-des-Prés zu tun haben, die diese bis nach Córdoba führte. Zu ius naturale und lex naturalis von der Frühscholastik bis Thomas von Aquin: M. Grabmann, Das Naturrecht der Scholastik von Gratian bis Thomas von Aquin, in: id., Mittelalterliches Geistesleben. Abhandlungen zur Geschichte der Scholastik und Mystik [1], München 1926 [Nachdrucke: München 1956, Hildesheim–New York 1975], 65–103; O. Lottin, Le droit naturel chez saint Thomas d’Aquin et ses prédecesseurs, Bruges 21931 [teilweise und überarbeitet wieder abgedruckt unter dem Titel: La loi naturelle depuis le début du e siècle jusqu’à saint Thomas d’Aquin, in: id., Psychologie et morale aux e et e siècles 2: Problèmes de morale 1, Louvain–Gembloux 1948, 71–100]; F. Flückiger, Geschichte des Naturrechtes, 1: Altertum und Frühmittelalter, Zollikon–Zürich 1954, 411–475; R. M. Pizzorni, Il diritto naturale dalle origini a s. Tommaso d’Aquino. Saggio storico-critico (Diritto 3), Roma 1978 [21985, (Civis 16), Bologna

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‚neuem Gesetz‘ bestimmt. Sondern es wird mit der Festlegung des Verhältnisses von ‚Naturgesetz‘ und ‚göttlichem Gesetz‘ auch die sich vermittelnde göttliche Offenbarung zur Periodisierung der Heilsgeschichte der Juden und Christen genutzt, die für letztere eine Geschichte der Kirche ist 33. Es ist hier nicht der Ort 32000],

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170–310. Zu Semantik und Verhältnis von ius naturale und lex naturalis zur selben Zeit: M. Perkams: ‚Lex naturalis vel ius naturale‘. Philosophisch-theologische Traditionen des Naturrechtsdenkens im 12. und 13. Jahrhundert, in: A. Fidora/M. Lutz-Bachmann/A. Wagner (eds.), ‚Lex‘ und ‚Ius‘. Beiträge zur Begründung des Rechts in der Philosophie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (Politische Philosophie und Rechtstheorie des Mittelalters und der Neuzeit. Texte und Untersuchungen II. 1), Stuttgart–Bad Cannstatt 2010, 89–119. Zum Verhältnis von lex aeterna, lex divina und lex naturalis bei Thomas von Aquin: J. T. Eberl, The necessity of ‚lex aeterna‘ in Aquinas’s account of ‚lex naturalis‘, in: ibid., 147–174. Zur lex naturalis bei Thomas von Aquin und Nikolaus von Kues: K. Kremer, Das natürliche Gesetz (‚lex naturalis‘) in der Sicht des Thomas von Aquin und des Nikolaus von Kues, in: F.-J. Bormann/Chr. Schröer (eds.), Abwägende Vernunft. Praktische Rationalität in historischer, systematischer und religionsphilosophischer Perspektive, Berlin–New York 2004, 157–177. Zur lex naturalis bei Johannes Duns Scottus: L. A. De Boni, ‚Legislator‘, ‚lex‘, ‚lex naturalis‘ und ‚dominium‘ bei Johannes Duns Scotus, in: Fidora/Lutz-Bachmann/Wagner (eds.), ‚Lex‘ und ‚Ius‘, 221–239. Zu ‚göttlichem Gesetz‘, ‚Naturgesetz‘ und einer Universaltheorie von Gerechtigkeit im christlich-jüdischen Dialog des 12. und 13. Jahrhunderts: Y. Schwartz, Divine law and human justification in medieval Jewish-Christian polemic, in: ibid., 121–145. Augustinus gliedert in seinem Römerbriefkommentar die Geschichte der Menschheit in die vier Perioden ante legem (Heidentum), sub lege (Judentum), sub gratia (Christentum) und in pace (Zeitalter der Eschatologie): wie Anm. 11. In der hochmittelalterlichen Zeitenlehre des wirkungsmächtigen Begründers der frühscholastischen Theologie der Viktoriner Schule, in Hugos von Saint-Victor biblischen Einführungen Diligens scrutator bzw. De scripturis et scriptoribus sacris, c. 16, geht dann das tempus naturalis legis dem tempus scriptae legis voraus und bildet mit diesem zusammen den vetus status. Cf. R. M. W. Stammberger (ed.), ‚Diligens scrutator sacri eloquii‘. An introduction to scriptural exegesis by Hugh of St. Victor preserved at Admont library (MS 672), in: A. I. Beach (ed.), Manuscripts and monastic culture. Reform and renewal in twelfth-century Germany (Medieval Church Studies 13), Turnhout 2007, 272–283, 276 l. 1–5: „Presens seculum distinguitur in duos status sive in tria tempora. Primus status qui dicitur vetus est ab adam usque ad christum. Secundus qui novus appellatur ab adventu christi usque ad finem seculi. Primum tempus naturalis legis ab adam usque ad moysen secundum scripte legis a moyse usque ad christum tercium tempus gratie ab adventu christi usque ad finem seculi.“ Cf. auch PL 175, 9–28, 24 l. 15–18 und 31–40: „Et sciendum quod tota ista series et porrectio temporis dividenda est in duos status: veterem, et novum, et tria tempora naturalis legis, et scriptae et gratiae, et sex aetates […] Vetus dicitur status, quia in culpa et poena usque ad resurrectionem Christi. Novus autem dicitur propter innovationem vitae humanae, quae per gratiam Christ facta est usque ad finem saeculi. Item tempus naturalis legis dicitur, eo quod homo suo naturali sensui relictus fuit sine communi praeceptione. Tempus scriptae legis dicitur, eo quod tunc lex scripta in populo Dei praecepta dabat vivendi. Tempus gratiae, quia Christus gratis dedit implere quod lex praeceperat.“ Von Hugo gibt es auch einen frühen Dialogus de sacramentis legis naturalis et scriptae, in dem er das Verhältnis von Naturgesetz und schriftlich fixiertem göttlichen Gesetz aus der Perspektive seiner Lehre von den Sakramenten bestimmt und den er weitestgehend in seine spätere Summe De sacramentis christianae fidei integriert, PL 176, 17–42. Cf. H. Weisweiler, Hugos von St. Viktor ‚Dialogus de sacramentis legis naturalis et scriptae‘ als frühscholastisches Quellenwerk, in: Miscellanea Giovanni Mercati 2: Letteratura medioevale (Studi e Testi 122), Città del Vaticano 1946, 179–219. Zur lex vetus im 13. Jahrhundert: B. Smalley, William of Auvergne, John of La Rochelle and St. Thomas Aquinas on the Old Law, in: A. A. Maurer e. a. (eds.), St. Thomas Aquinas 1274–1974. Commemorative Studies 1, Toronto 1974, 11–71 [Nachdruck: ead., Studies in Medieval Thought and Learning. From Abelard to Wyclif (History Series 6),

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darüber nachzudenken, ob im Rekurs auf das Konzept der natürlichen Vernunft bei vielen christlichen Autoren seit dem 12. Jahrhundert nicht auch der Versuch steckt, durch den Verweis auf das tempus naturalis legis gleichsam auf eine ‚religionslose‘ Frühzeit der Geschichte, also auf den vormosaischen Zustand (ante legem) zu verweisen, als alle Menschen in der Zeit des Erzvaters Abraham zusammenlebten, um auf diese Weise zu einem möglichst natürlichen Zustand des GottMensch-Verhältnisses zu gelangen und von daher die beste Übereinstimmung mit der eigenen, also der christlichen lex zu erweisen34. Im geoffenbarten göttlichen Gesetz, das seit dem Dekalog stets verschriftet wird, manifestiert sich jedenfalls in der jüdisch-christlichen Tradition der Übergang von der Transzendenz zur Immanenz, von der Gestaltung und Bewältigung des Diesseits aus dem Jenseits, zugleich aber der Übergang vom allen Menschen innewohnenden ‚Naturgesetz‘ zum ‚niedergeschriebenen Gesetz‘ als ‚wiederhergestelltem natürlichen Gesetz‘. Wie aber wird der Vergleich der ‚verschrifteten‘ Gesetze der Christen, Juden und Muslime seit dem Hochmittelalter konkret vorgenommen? Was nun folgt, kann nur ein erster Überblick über einige wichtige Etappen des Vergleichs religiöser leges zwischen dem frühen 12. und dem frühen 14. Jahrhundert sein. Es wird Ausschau nach Werken gehalten, in denen wenigstens passagenweise, wenn nicht gar umfassend die leges der Christen, Juden und Muslime verglichen werden. Es werden hierbei nicht nur einschlägige Glaubensgespräche und Traktate in den Blick genommen, da auch in anderen Textsorten das Vergleichen der Gesetze als identitätsstiftende Diskursform praktiziert worden ist. 1. Das 12. Jahrhundert. Ansätze zur Idee des Vergleichs und erste Entwürfe zum Vergleich Mit der Entdeckung des Talmud und den ersten Teil- und Vollübersetzungen des Koran seit dem 12. Jahrhundert gewinnt die in Lateineuropa geführte Debatte zu den verschiedenen ‚Religionsgesetzen‘ neue Qualität und Komplexität. Denn der schon lange praktizierte Vergleich des ‚alten‘ und des ‚neuen Gesetzes‘, also der hebraica veritas und des Evangeliums in den christlich-jüdischen Glaubensgesprächen seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert wirft nun nicht nur die Frage nach der Rechtgläubigkeit des nachbiblischen Judentums, sondern auch die Frage nach dem Ort und Stellenwert des ‚dritten Gesetzes‘ der Mulime auf. Bemerkenswert zögerlich erfolgt aber die Einbeziehung dieser dritten lex in der lateinischen

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London 1981, 121–181]. Zum Verhältnis von lex vetus und lex nova bei Thomas von Aquin: G. Helewa, La ‚legge vecchia‘ e la ‚legge nuova‘ secondo S. Tommaso d’Aquino, in: Ephemerides Carmeliticae 25 (1974), 28–139. Zu denken ist hier etwa an die Überlegungen in Abaelards Collationes, ed. J. Marenbon/ G. Orlandi (Oxford Medieval Texts), Oxford 2001 [Nachdruck: Oxford 2003], 2–222. J. Marenbon, Abelard’s concept of natural law, in: A. Zimmermann/A. Speer (eds.), Mensch und Natur im Mittelalter 2 (Miscellanea Mediaevalia 21), Berlin–New York 1992, 609–621, 616–619; id., The philosophy of Peter Abelard, Cambridge 1997, 270 geht auf Abaelards Perspektive der besten Übereinstimmung von ‚Naturgesetz‘ und ‚christlichem Gesetz‘ nicht näher ein.

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Dialogliteratur seit Petrus Alfonsis um 1110 geschriebenen Dialogus contra Iudaeos 35. Dies läßt sich bei dem zum Christentum konvertierten sefardischen Juden Petrus sehr schön beobachten, und zwar sowohl konzeptionell wie auch terminologisch. Denn während er das Gesetz der Juden, das Gesetz seines religiösen Herkommens, oft nur als lex, sonst natürlich als lex Moysi 36, das Glaubensgesetz der Christen als lex et fides Christianorum, lex Christiana 37 o. ä. und den Glauben der Juden, Christen und Muslime oft gleichmaßen als fides bezeichnet38, versieht er den Koran (Alcoranus), das Gesetz der Muslime, das er allein in einem zwischengeschalteten Dialog (Titulus V) seiner alten jüdischen und seiner neuen christlichen Identität behandelt 39, zunächst mit keinem eigenen Attribut40. Ist das das Signet der Bedeutungslosigkeit der Konversionsalternative ‚Islam‘, die Petrus gleichwohl sehr präzise als Muzalemitica religio zu bezeichnen weiß41? Für den jüdischstämmigen spanischen Neuchristen ist die ‚sog. Lehre des Muh.ammad‘ eben eine nichtige42. Dies gehe aus dessen Leben und Wandel klar hervor und zeige sich vor allem darin, daß es eines häretischen Christen (Sergius) und zweier abtrünniger Juden (Ab-dias und Chabalahabar) bedurfte, um Muh.ammad überhaupt ein eigenes Gesetz zu verschaffen43. Von einem Propheten könne bei ihm daher keine Rede 35

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M. M. Tischler, Der iberische Grenzraum. Drei frühe Entwürfe zum Islam aus Exegese und Theologie, in: M. Borgolte e. a. (eds.), Die Mediävistik testet Wege zu einer transkulturellen Europawissenschaft (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik 10), Berlin 2008, 95–116, 95–102. E. g. Prologus, ed. K.-P. Mieth, in: M. J. Lacarra (ed.), Pedro Alfonso de Huesca, Diálogo contra los Judíos (Larumbe 9), Huesca 1996, 5–193, 7 l. 27: de tota lege Moysi. Den Talmud bezeichnet er hingegen nur als doctrina bzw. liber doctrinarum, e. g. Titulus I, ibid., 12 l. 21sq. und 15 l. 34: „[…] in prima parte vestre doctrine est […] Iterum vestri doctores in doctrinarum libro ferunt.“ Cf. Y. Friedman, Introduction, in: ead. (ed.) (CCCM 58), Turnhout 1985, ‒, . E. g. Prologus, ed. Mieth, Pedro Alfonso (nt. 36), 6 l. 30–34 und 7 l. 6–12: „Cum notum esset Iudeis […] quod legem et fidem accepissem Christianorum […] Hunc igitur libellum composui, ut omnes et meam cognoscant intentionem et audiant rationem, in quo omnium aliarum gentium credulitatis destructionem proposui, post hec Christianam legem omnibus prestantiorem esse conclusi. Ad ultimum etiam omnes cuiuslibet Christiane legis adversarii obiectiones posui positasque pro meo sapere cum ratione et auctoritate destruxi.“ E. g. Titulus V, ibid., 91 l. 13–15: „Sed cum paternam reliqueris fidem, miror, cur Christianorum et non pocius Sarracenorum, cum quibus semper conversatus atque nutritus es, delegeris fidem.“ E. g. Prologus, ibid., 7 l. 30sq: „Quintus [sc. titulus] de Sarracenorum lege destruenda et sententiarum suarum stultitia confutanda.“ Petrus charakterisiert es zunächst folgendermaßen, ibid., 91 l. 22–25: „Lex est siquidem larga de presentis vitae deliciis multa servans mandata, in quo ostenditur divina circa eos fuisse dilectio maxima, pariterque suis cultoribus gaudia repromittit ineffabilia.“ Später sieht er, ganz der konzeptionellen Mittelstellung des Titulus V entsprechend, das Gesetz als zwischen dem der Juden und dem der Christen stehend, ibid., 98 l. 13sq: „[…] mediatricem inter Iudeorum et Christianorum legem effici voluit [sc. Mahometus] suam […].“ Ibid., 94 l. 13–15: „[…] cur potius Christianam quam Muzalemiticam sectatus es religionem et presentis vitae melius et futurae pariter felicitate fruiturus?“ Ibid., l. 24–26: „Unum, reor, tibi incertum manet, ipsam Mahometi quam dicunt doctrinam quam inanem iudicem.“ Ibid., 95 l. 29–34: „Et hi tres legem Mahometi quisque secundum heresim suam contemperaverunt et talia ei ex parte dei dicere monstraverunt, quae et heretici Iudei et heretici Christiani, qui erant in Arabia, vere esse crediderunt, qui vero sponte credere noluerunt, vi tamen et gladii timore crediderunt.“

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sein44. Ohnehin sei der Koran erst nach Muh.ammads Tod von seinen Gefährten zusammengestellt worden45. Mit der erstmals im außeriberischen Kontext thematisierten Debatte um das ‚Gesetz Muh.ammads‘ schlägt Petrus Alfonsi eine Brücke zwischen seiner Heimat und seinem neuen Wirkungsraum in Südengland und Nordfrankreich. Diverse Texte aus verschiedenen christlichen Milieus der Iberischen Halbinsel zeigen, daß dort die Vorstellung von der lex Mahometi weit verbreitet gewesen sein muß. Nur zwei Zeugnisse aus der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts sollen hier genügen. Der Liber denudationis sive ostensionis aut patefaciens, der von einem konvertierten Muslimen geschrieben worden sein soll (c. 1), der bereits die Pilgerfahrt nach Mekka gemacht habe (c. 11), dessen polemische Tendenz diese Behauptung aber als literarische Fiktion verrät, stammt wohl von einem mozarabische Autor 46 und ist vermutlich in Toledo zwischen 1085 und 1132 zunächst auf Arabisch geschrieben47 und später von einem unbekannten Übersetzer ins Lateinische übertragen worden. Das Werk entpuppt sich rasch als kenntnisreiche Schrift gegen die Juristen und Theologen der sog. malikitischen Schule, die am Hof der in al-Andalus herrschenden Almoraviden großen Einfluß besitzt. Diese werden als ‚Vollkommene im Gesetz Muh.ammads‘ bezeichnet (c. 1)48. Der Prior Arnaldus des Benediktinerklosters San Servando in Toledo schreibt 1147/1149 seine Chronica Adefonsi imperatoris, eine Geschichte König Alfons VII. von Kastilien und León. Er weiß, daß die Muslime nach ‚ihrem Gesetz‘ die Beschneidung praktizieren49. Auffallend ist sein konsequenter Einsatz von lateinisch-christlichen Termini zur Bezeichnung von Imamen, Koranbüchern und Moscheen. An zwei Stelle spricht Arnaldus vom ‚Gesetz Muh.ammads‘, nimmt aber keinen Vergleich mit den ande-

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Ibid., 96 l. 14–16 und 103 l. 23–25: „Mahometus igitur qualiter inter prophetas recipiendus sit, qui nulli prophetarum aliqua probabilitate comparabilis est? […] Omnibus ergo modis, o Moyses, possumus agnoscere eum neque verum prophetam esse neque dicta illius vera fore.“ Ibid., 101 l. 20–23: „Alcoranus non manu Mahomethi scriptus est, si enim hoc fecisset, ordinatus esset. Post mortem vero ipsius socii eius, qui secum fuerant morati, quisque, ut ita dicam, lectionem suam renuntians, Alcoranum composuerunt.“ Dies hat mit textkritischen Bemerkungen zu scheinbar später eingefügten christologischen Kommentaren bezweifelt J. G. [Fernández], En torno a una obra sobre polémica religiosa contra el Islam, in: Hispania. Revista española de historia 55 (1995), 1115–1124, 1116–1119, der von einer von einem Christen überarbeiteten Textfassung einer originalen mudejarischen Version ausgeht. Th. E. Burman, Religious Polemic and the Intellectual History of the Mozarabs, c. 1050–1200 (Brill’s Studies in Intellectual History 52), Leiden–New York–Köln 1994, 50. Ibid., 240–384, 240 l. 24: „perfecti in lege Mahometi.“ I, 59 schildert er nämlich die gewaltsame Beschneidung des gefangenen Bischofs Christian von Lescar; ed. L. Sánchez Belda, Crónica Adefonsi imperatoris. Edición y estudio (Consejo Superior de Investigaciones Científicas. Escuela de Estudios Medievales. Textos 14), Madrid 1950, 3–206, 48 l. 7–11; ed. A. Maya [Sánchez] (CCCM 71), Turnhout 1990, 149–248, 177 l. 1–4: „Episcopus vero de Lascar captivus ductus est in Valentia et aflixerunt eum multis tormentis ut denegaret illum, qui pro nobis suspensus est in ligno, et baptismum et circumcederent eum secundum legem suam.“

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ren ‚Gesetzen‘ vor 50. Ein Transfer von latinisierter arabischer Terminologie hat bei ihm noch nicht stattgefunden, vermutlich weil er kein Arabisch kann. Doch auch außerhalb Spaniens beginnen Gelehrte vor und während des Zweiten Kreuzzugs, erste kritische Vergleiche zwischen den Gesetzen der Christen und Muslime zu ziehen. Ein oft zitiertes, aber noch nicht vollends gedeutetes Beispiel hat hierfür der Zisterzienser und Bischof Otto von Freising in seiner Weltchronik geliefert. Beachtet wurde Ottos harsche Kritik an der Glaubwürdigkeit der Erzählung der Passionsgeschichte des Salzburger Erzbischofs Thiemo (Passio S. Thiemonis archiepiscopi), die dessen angebliche Zertrümmerung eines Götzenbildes während des Kreuzzugs in den Nahen Osten schildert. Die hierüber transportierte Charakterisierung des Glaubens der Muslime als Polytheismus kritisiert Otto wie schon die Benediktiner Wibert von Nogent und Wilhelm von Malmesbury vor ihm, weil er weiß, daß dieser Glaube ein Monotheismus ist51. Doch viel interessanter ist in unserem Zusammenhang, daß Otto auch einen Vergleich der Gesetze vornimmt und hierfür einen bislang singulären Terminus wählt, um zu zeigen, daß Muh.ammad ein ‚Verführer‘ sei. Der Beginn ‚seiner Verführung‘ bzw. ‚Predigt‘ laute nämlich: „Beginn des ‚Evangeliums Muh.ammads, des Sohnes Gottes, des höchsten Propheten: ‚Wascht euch, reinigt euch …‘“ 52. Otto unterstellt Muh.ammad damit den Gebrauch des genuin christlichen Terminus für die lex Christi zum Zwecke der Verführung der Christen.

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I, 36, ed. Sánchez Belda, Crónica (nt. 49), 33 l. 12–16; ed. Maya [Sánchez] (nt. 49), 167 l. 10–13: „Sed et omnes synagoge eorum, quas inveniebant, destructe sunt. Sacerdotes vero et legis sue doctores, quoscumque inveniebant, gladio trucidabant, sed et libri legis suae in synagogis igne combusti sunt.“ II, 36, ed. Sánchez Belda, 103 l. 12–19; ed. Maya [Sánchez], 212 l. 7–13: „Et multe cohortes predatorie ambulaverunt per dies multos a longe et predaverunt totam terram de Iaen et Baeçe et Vbete et Anduger et multarum aliarum civitatum et miserunt ignem in omnibus villis, quascunque inveniebant, et synagogas eorum destruxerunt et libros legis Mahometi combusserunt igne. Omnes viri doctores legis, quicunque inventi sunt, gladio trucidati sunt. […].“ II, 95, ed. Sánchez Belda, 151 l. 2sq.; ed. Maya [Sánchez], 241 l. 1sq.: „In illo tempore erat quidam sacerdos in Corduba secundum legem Mahometi […].“ Chronica, VII, 7, ed. A. Hofmeister (MGH Scriptores rerum Germanicarum [45]), Hannover– Leipzig 1912, 1–457, 317 l. 18–22; ed. W. Lammers (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 16), Darmstadt 1960, 2–680, 510 l. 17–21: „[…] quod autem ydola comminuerit, ex hoc credere difficile est, quia constat universitatem Sarracenorum unius Dei cultricem esse librosque legis necnon et circumcisionem recipere, Christum etiam et apostolos apostolicosque viros non improbare.“ Cf. M. Manitius[/P. Lehmann]: Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters 3: Vom Ausbruch des Kirchenstreites bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts (Handbuch der Altertumswissenschaft IX. 2. 3), München 1931, 379; W. Berschin, Biographie und Epochenstil im lateinischen Mittelalter 4: Ottonische Biographie. Das hohe Mittelalter. 920–1220 n. Chr. 2: 1070–1220 n. Chr. (Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters 12, 2), Stuttgart 2001, 457. Ibid., ed. Hofmeister (nt. 51), 317 l. 22 – 318 l. 7; ed. Lammers (nt. 51), 510 l. 21–28: „[…] in hoc tantum a salute longe esse, quod Iesum Christum humano generi salutem afferentem Deum vel Dei filium esse negant Mahmetque seductorem, de quo supra dictum est, tanquam prophetam magnum summi Dei venerantur et colunt. Cuius seductionis et, ut ipse mentitur, predicationis tale apud eos esse traditur exordium: ‚Inicium evangelii Mahmet filii Dei, prophetae altissimi: ‚Lavamini, mundi estote‘. Quod preceptum predicta gens stolide servans secretiores corporis partes cottidie abluere solet.“

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Deutlich komplexer ist der Beitrag des letzten bedeutenden Abtes von Cluny, Petrus Venerabilis, zum Vergleich der Religionsgesetze. Denn im Rahmen seiner umfassenden intellektuellen Auseinandersetzung mit den Feinden des christlichen Glaubens (Häretiker, Juden und Muslime) lernt er über Teil- und Vollübersetzungen zwei neue ‚Religionsgesetze‘ kennen, die er in die Geschichte der christlichen Kirche terminologisch und theologisch einzuordnen versucht. Den Talmud, den er durch Petrus Alfonsi erstmals in Teilübersetzung kennenlernt, bezeichnet er noch nicht als lex, sondern als einen liber mit einer egregia doctrina, die nach Auffassung der Juden den Prophetenbüchern und allen authentischen Sätzen vorzuziehen sei53. Damit markiert er als Christ das empörte Erstaunen darüber, daß das zeitgenössische Judentum neben der gemeinsamen lex Moysi eine alternative Lehre zum Neuen Testament besitzt, die letztlich die Konversion zum Christentum verhindert. Ein formaler Einbezug des Talmud, gar zusammen mit dem ‚Gesetz der Muslime‘ kann in Petrus’ Überlegungen daher nicht erfolgen. Vom Koran, dessen arabischen Titel Alkoran und dessen Charakter als ‚Sammlung von Vorschriften‘ Petrus kennt, liefert er verschiedene Bewertungen. Muh.ammad habe den elenden Menschen eingeredet, der Koran sei ihm vom (Erz)Engel Gabriel vom Himmel herab eingegeben worden54. Die eigentliche Auseinandersetzung mit dem Koran führt Petrus dann in seinem Werk Contra sectam Saracenorum. Aufgrund seiner Anweisungen, die Gewalt, ja Mord den Vorzug vor dem Glaubensgespräch gäben, könne der sog. Prophet Muh.ammad nur einen falschen Glauben propagiert haben55. Im weiteren Verlauf seines Werkes will sich Petrus unter dieser Maßgabe kritisch mit dem eigenmächtigen ‚Gesetzgeber‘ Muh.ammad und seiner ‚Gesetzgebung‘ auseinandersetzen56. So bezeichnet er den Koran konsequenterweise immer wieder als ‚muhammadisches Gesetz‘ 57. Auch geht er auf 53

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Aduersus Iudeorum inueteratam duritiem, c. 5, ed. Y. Friedman (CCCM 58), Turnhout 1985, 1–187, 125 l. 32 – 126 l. 35: „Profero tibi coram universis, Iudee, bestia, librum tuum, illum, inquam, librum tuum, illum Thalmuth tuum, illam egregiam doctrinam tuam propheticis libris et cunctis sententiis autenticis praeferendam.“ Cf. Y. Friedman, Anti-Talmudic invective from Peter the Venerable to Nicolas Donin (1144–1244), in: G. Dahan/É. Nicolas (eds.), Le brûlement du Talmud à Paris 1242–1244 (Nouvelle Gallia Judaïca [1]), Paris 1999, 171–189, 175 mit nt. 13. In Contra sectam Sarracenorum spricht er von fabulae Talmud; cf. Contra sectam Sarracenorum, II, § 138, ed. R. Glei, Petrus Venerabilis, Schriften zum Islam (Corpus Islamo-Christianum. Series Latina 1), Altenberge 1985, 30–224, 208 l. 13. Zu doctrina für den Talmud bei Petrus Alfonsi: wie Anm. 36. Epistola de translatione sua, § 2, ed. Glei, Petrus Venerabilis (nt. 53), 22–28, 22 l. 12–24 l. 16: „Sed et totam impiam sectam vitamque nefarii hominis ac legem, quam Alkoran id est collectaneum praeceptorum appellavit sibique ab angelo Gabriele de caelo allatum miserrimis hominibus persuasit […].“ Contra sectam Saracenorum, I, § 35–48, ed. Glei, Petrus Venerabilis (nt. 53), 76–94. I, § 40, ibid., 84 l. 12–18: „Nam pagani vel vestrae stirpis Saraceni, qui vestrum Mahumetum praecesserant, legem prius accepisse dicendi non sunt. Nulla enim vel paganis ab aliquo lex data fuerat, quos solus error falsis nec nunc dicendis hominum opinionibus infecerat, nec Saracenis, quia necdum legis vestrae lator ne dicam auctor suprascriptus advenerat.“ I, § 49, ibid., 96 l. 22–24: „necesse mihi erit et contra vestrum legislatorem et contra ipsius legislationem verbis materiei congruentibus agere.“ I, § 33, ibid., 74 l. 9sq.: „lex Mahumetica os obturabit aut, si quid forte contra eam dixero, vix primis verbis elapsis caput secabit?“ I, § 55, ibid., 104 l. 5–7: „Ex quo ab aliquot annis lex Mahumetica de lingua Arabica in patriam id est Latinam meo studio translata est.“

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die Vermengung von jüdischen und christlichen Anteilen im Koran ein58 und widerlegt in Verbindung damit den muslimischen Vorwurf der Verfälschung der heiligen Schriften durch Juden und Christen (tah.rı¯ f ), wodurch er wiederum die Falschheit bzw. die Zweifelhaftigkeit des Koran erweisen kann59. Als Fazit seiner Untersuchung des Inhaltes des Koran hält Petrus fest, daß Muh.ammad kein Prophet oder Bote Gottes, sondern ein Verführer und ein Frevler gewesen sei60. Den Nachweis hierzu führt Petrus dann im gesamten Buch II61. Der hier von Petrus praktizierte Vergleich der leges hat Folgen für seinen Umgang mit ihnen. Da der Islam für ihn vorwiegend eine christliche Häresie ist, kann er ihr mit den von Muh.ammad selbst verwendeten Zitaten aus dem Alten und Neuen Testament, die er beide in Buch I von Contra sectam Saracenorum als für Muslime akzeptabel erwiesen hat62, sowie mit Koranversen63 begegnen. Doch woher hat Petrus die Anregung zu dieser vergleichenden Auseinanderset58

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I, § 55, ibid., 104 l. 7–12: „mirari non desino nec satis mirari sufficio, qua ratione propheta ille vester suo Alkorano quaedam de Hebraica, quaedam insuper de Christiana lege excerpta admiscuit, et cum magnum se pro viribus utrique genti hostem exhibeat, velut Iudaeus aut Christianus plurima quae scribit legis eorum auctoritate confirmat […].“ I, § 55–88, ibid., 104–148. Die wechselseitige Bedingtheit der beiden Argumentationskreise zeigt Petrus sehr schön auf I, § 75sq. , ibid., 132 l. 16 – 132 l. 3: „Constat igitur hac ratione legem illam, illam inquam legem vestram, quam de caelis missam gloriari soletis, non solum ex parte sed totam ex integro falsam vel dubiam. Quod si falsum vel dubium Alkoran vestrum vel dicere vel credere refugitis, urgente vos undique certa quae nec fallit nec fallitur veritate fateri cogemini libros illos, unde a Mahumeto vestro plurima vel sumpta vel quantum ad sententiam sicut ibi leguntur legi vestrae inserta sunt, non ex parte sed ex toto veraces, non ex parte sed ex toto divinos. Hoc concesso non solum Iudaica volumina absque ulla mendacii nota ut divina suscipietis, sed hac eadem per omnia ratione etiam Christianos libros pariter admittetis […].“ Cf. ferner I, § 86 und 88, 144 l. 1–146 l. 17 und 148 l. 1–3. Schlußsatz von Buch I, § 88, ibid., 148 l. 6–9: „Quod autem saepe dicta lex vestra omni prorsus veritate destituatur ipseque ille, ille plane ille, nec propheta fuerit nec dei nuntius, sed seductor et profanus, sequentia declarabunt.“ Ibid., 150–224. Das Fazit steht II, § 151 bzw. 154, ibid., 220 l. 4–6 und 224 l. 1–8: „Mahumetum legislatorem vestrum prophetam vel dei nuntium non fuisse ex superioribus plene quidem probatum est […] Nam nec universalem nec particularem nec personalem eum esse prophetam probavi; ne de praeteritis aliqua revelasse nec de praesentibus aliqua demonstrasse nec de futuris aliqua prophetasse ostendi. Si haec ita se habent, non est hic tuus vel alicuius ut dicebas propheta. Sed ut ex praemissis colligitur, nihil prorsus propheticum dixisse vel scripsisse legitur. Non est igitur propheta.“ Zu der bei Petrus bereits aufblitzenden Einsicht, den Muslimen mit von Muh.ammad selbst in den Mund genommenen Bibelstellen zu begegnen, cf. etwa Contra sectam Saracenorum, I, § 26, ibid., 64 l. 10–12: „Quae Psalmorum verba ea vobis de causa propono, quia Psalmos a deo David fuisse datos a vestro Mahumeto audio.“ I, § 33, ibid., 72 l. 1sq.: „et iuxta Psalmum David, cui ut credo non discreditis.“ I, § 56, ibid., 108 l. 17sq: „Unde in Psalmis, quos iam dictus propheta vester David traditos asserit, legitur.“ Auch aus dem Evangelium Christi werden Zitate angeführt; cf. I, § 34, 74 l. 3–76 l. 14; II, § 91, 154 l. 18–20. Zu den Koranzitaten in Contra sectam Saracenorum: Glei, Petrus Venerabilis (nt. 53), 316sq. Nur Sure 17, 59 und 29, 46 stammen aus dem Pseudo-al-Kindı¯; cf. G. Monnot, Les citations coraniques dans le ‚Dialogus‘ de Pierre Alfonse, in: M.-H. Vicaire (ed.), Islam et chrétiens du Midi (e–e s.) (Cahiers de Fanjeaux 18), Toulouse 1983, 261–277 [Nachdruck: id., Islam et religions (Islam d’hier et d’aujourd’hui 27), Paris 1986, 261–277], 276; Glei, Petrus Venerabilis (nt. 53), 293 nt. 506 und 273sq. nt. 278.

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zung? Es ist wahrscheinlich erneut, wie schon bei Petrus Alfonsi, der sog. Pseudoal-Kindı¯, den er sich erstmals komplett in Toledo übersetzen läßt 64. Doch auch aus dem Umfeld der Gelehrten, die Petrus für sein Islam-Projekt engagiert hat, kommen entsprechende Ideen. Robert von Ketton, sein Übersetzer des Koran, versteht diesen als das ‚Gesetz Muh.ammads‘ und vergleicht ihn mit dem christlichen Glaubensgesetz, um dessen alleinige Heilswirkung umso strahlender hervortreten zu lassen65. Zudem weiß Petrus aus der von Robert übertragenen Chronica mendosa et ridicula Sarracenorum, daß auch die Muslime die Vorstellung von den Propheten Seth, Moses, David, Christus und Muh.ammad vom Himmel geoffenbarten Bücher haben66. 2. Das 13. Jahrhundert. Erste systematische Vergleiche anhand ausgewählter theologischer Fragen In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts dringt in Lateineuropa die Vorstellung vom Koran als einem ‚gefälschten Gesetz‘ und von Muh.ammad als einem ‚Betrüger‘, mithin der Terminus lex Mahometi über verschiedene Quellen weiter ins Bewußtsein der Gelehrten. Eine noch relativ wenig verbreitete Traditionsschiene ist hierbei die orientalische Sergius (Bah.ira)-Legende, die teils über den Pseudo-alKindı¯, teils auch in verschiedenen Versionen direkt in den lateinischen Wissensbestand eingeht. So verdankt der Kölner Domkanoniker Oliver von Paderborn, der am Kreuzzugsgeschehen von Damiette teilnimmt, seine Vorstellung von der Entstehung des Koran durch Mithilfe des abtrünnigen und häretischen Mönches Sergius auf Diktat des Teufels und unter Hinzuziehung eines Juden der bekannten Sergius (Bah.ira)-Legende67. Sein Machwerk habe Muh.ammad dann selbst ver64 65

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Glei, Petrus Venerabilis (nt. 53), 277 nt. 316. Praefatio ad Chronicam mendosam et ridiculam Sarracenorum, ed. Ó. de la Cruz Palma, Los textos de la llamada ‚Collectio Toletana‘, fuente de información sobre el Islam, in: Proceedings of the Fifth International Congress for Medieval Latin Studies (Toronto 2006) 1 [= The Journal of Medieval Latin 17 (2007)], Turnhout 2007, 419sq., 419 l. 13–17 und 24–28 sowie 420 l. 37: „[…] Sui [sc. Petri Venerabilis] namque gratia speciali, prius laborem aggressus, legem predicti [sc. Machumet] manu propria detexi et in lingue Romane thesaurum attuli, ut, illius vilitate notata, lapis angularis, redempcio generis humani preciosissima, longius magisque suos fulgores emittat […] Visum est enim perniciosum ut christiane fidei legisque, que sola veraciter et absolute lex perhiberi potest, ministros flos illius prave secte, scorpionem operiens, alliciendo falleret fallendoque perimeret, quod sepius, proh dolor, iam contigisse vidimus […] lex prava designata.“ Paris, Bibliothèque de l’Arsenal, Ms. 1162, fol. 6ra: „Est item scitu dignum quod prophetis celitus missi sunt libri LIIII , quorum .L. dati sunt Seth, Moysi Testamentum, Davidi Psalterium, Christo Evangelium, Machumeti Alchoran.“ Historia Damiatina, ed. H. Hoogeweg, Die Schriften des Kölner Domscholasters, späteren Bischofs von Paderborn und Kardinalbischofs von S. Sabina Oliverus (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 202), Tübingen 1894, 161–282, 204 l. 12–205 l. 1: „Lex autem eorum, quam diabolo dictante ministerio Sergii monachi et apostate ac heretici Machometus Sarracenis dedit Arabice scriptam, a gladio cepit, per gladium tenetur et in gladio terminabitur.“ Epistola 5, ibid., 299 l. 10sq.: „in libro suo, quem quidam Judaeus et Sergius monachus apostata dictabant.“ Cf. J. Schäfers, Olivers, des Bischofs

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öffentlicht und die Einhaltung seiner Gebote mit Gewalt durchzusetzen verstanden68. Auch sonst häufen sich nun die Belege für die Vorstellung, der Koran sei das ‚Gesetz Muh.ammads‘. Nur zwei Beispiele abseits der später zu behandelnden Traktatliteratur sollen hier genügen. Auf der Rückseite des unter Abt Mainerius von Saint-Victor de Marseille (1196–1204) angelegten Bibliothekskatalogs ist die Liste eines Handschriftenlegats des 1257 verstorbenen ehemaligen Bischofs von Vence, Wilhelm Ribot, nachgetragen, eines im Kampf gegen die Katharer engagierten Glaubenshirten, der sich an seinem Lebensende in die provenzalische Abtei zurückgezogen hat69. In dieser Liste wird auch Petrus’ Islamwerk Contra sectam Saracenorum als selbständige Handschrift erwähnt. Doch wird dieses Werk hier schon ganz als Widerlegung der lex Mahometi verstanden70. Der englische Chronist Matthaeus Parisiensis von St. Albans inseriert in seiner Chronica majora zur Zeit Papst Gregors IX. die (erste) Teilübersetzung des Pseudo-alKindı¯ von 1187. Aus der Rubrik zu diesem polemischen Traktat geht hervor, daß Matthaeus den Koran gleichfalls als ‚Gesetz Muh.ammads‘ begreift71.

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von Paderborn und Kardinalbischofs von S. Sabina († 1227), Kenntnis des Mohammedanismus, in: Theologie und Glaube 4 (1912), 535–544, 536sq.; A.-D. von den Brincken, Islam und Oriens christianus in den Schriften des Kölner Domscholastikers Oliver († 1227), in: A. Zimmermann/ I. Craemer-Ruegenberg (eds.), Orientalische Kultur und europäisches Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 17), Berlin–New York 1985, 86–102, 100. Historia Damiatina, ed. Hoogeweg, Schriften (nt. 67), 205 l. 2–4: „[…] et que prenominatus hereticus dictavit, ipse promulgavit et per comminationes observari statuit.“ Epistola 5, ibid., 299 l. 12–14: „sed comminatus est legem suam contempnentibus, quam celitus missam per Gabrielem archangelum dixit, contradictores gladio subiugavit et bello.“ Cf. Schäfers, Olivers (nt. 67), 539sq.; von den Brincken, Islam (nt. 67), 100. D. Nebbiai, La bibliothèque de l’abbaye Saint-Victor de Marseille (e–e siècle) (Documents, études et répertoires publiés par l’Institut de Recherche et d’Histoire des Textes 74), Paris 2005, 27, 54, 72sq., 90–93 und 145; ead.: Les livres de l’évêque Guillaume Ribot († 1257) à SaintVictor de Marseille, in: M.-M. de Cevins/J.-M. Matz (eds.), Formation intellectuelle et culture du clergé dans les territorires angevins (milieu du e–fin du e siècle) (Collection de l’École française de Rome 349), Rome 2005, 173–184. D. Nebbiai, La bibliothèque (nt. 69), 153 sq., 153, n° 342: „Liber P. abbatis Cluniacensis Contra legem Mahomet“. Die Handschrift mit Contra sectam Saracenorum wird auch in den Katalogen von 1374 und 1418 erwähnt: ibid., 165–180, 171 no 181: „Item liber abbatis Cluniacensis“; ibid., 199–221, 213 no 274: „Item liber abbatis Cluniacensis Contra legem Macumeti qui incipit in secundo folio ‚//gelice‘ et finit in penultimo ‚credimus//‘“. Cf. Nebbiai, La bibliothèque (nt. 69), 92 mit nt. 321; ead., Les livres (nt. 69), 176 Anm. 13. Chronica majora, ed. H. R. Luard (Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores 57, 3), London 1876 [Nachdruck: London 1964], 343 l. 25sq.: „De quodam scripto misso ad dominum Papam de lege Machometi“. Zu diesem eingefügten Text: d’Alverny, La connaissance (nt. 31), 239; M. Vandecasteele, Étude comparative de deux versions latines médiévales d’une apologie arabo-chrétienne. Pierre le Vénérable et le Rapport grégorien, in: Mededelingen van de Koninklijke Academie voor Wetenschapen, Letteren en Schone Kunsten van België, Klasse der Letteren 53, 1 (1991), 81–134, 82; O. Lieberknecht, Zur Rezeption der arabischen Apologie des Pseudo-Kindi in der lateinischen Mohammedliteratur des Mittelalters, in: A. Schönberger/K. Zimmermann (eds.), De orbis Hispani linguis litteris historia moribus. Festschrift für Dietrich Briesemeister zum 60. Geburtstag 1, Frankfurt am Main 1994, 523–538, 526sq. Von einem Zusammenhang dieses Textes mit Gregor IX.

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Wichtiger als diese Einzelbelege ist aber die seit den 20er Jahren des 13. Jahrhunderts in Paris geführte leges-Debatte, die durch die Wiederentdeckung von Talmud und Koran ins Rollen kommt. Sie zeitigt hierbei nicht nur einige wichtige scholastische De legibus-Traktate, sondern sie befördert auch den Bau eines christlichen Systems der zu vergleichenden leges. Eine nicht unwichtige Rolle bei der Fortführung und Erneuerung des christlich-muslimischen Vergleichs der leges spielt hierbei die Rezeption des Pseudo-al-Kindı¯72 seit dem 2. Viertel des 13. Jahrhunderts. Wilhelm von Auvergne, Bischof von Paris (1228–1249), etwa verrät in seinem zwischen 1223 und April 1228 geschriebenen Traktat De fide et legibus bei der Widerlegung muslimischer Glaubensinhalte Kenntnis des Pseudo-al-Kindı¯ und des Koran (c. 18sq.)73. Mit Hilfe dieser Schriften, aber auch auf der Grundlage des Pseudo-Methodius74, polemisiert Wilhelm gegen die Ismaeliten, Muh.ammad und sein Glaubensgesetz (c. 18). Hier und in weiteren Traktaten, die seine

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gehen noch aus B. Altaner, Die Dominikanermissionen des 13. Jahrhunderts. Forschungen zur Geschichte der kirchlichen Unionen und der Mohammedaner- und Heidenmission des Mittelalters (Breslauer Studien zur historischen Theologie 3), Habelschwerdt 1924, 87 nt. 90; U. Monneret de Villard, Lo studio dell’Isla¯m in Europa nel  e  secolo (Studi e Testi 110), Città del Vaticano 1944 [Nachdruck: Città del Vaticano 1977], 60; J. M. Powell, Matthew Paris, the Lives of Muhammad, and the Dominicans, in: M. Balard/B. Z. Kedar/J. Riley-Smith (eds.), Dei gesta per Francos. Études sur les croisades dédiées à Jean Richard. Crusades studies in honour of Jean Richard, Aldershot e. a. 2001, 65–69, 65sq. und 68sq. Viel zur Klärung der verschiedenen lateinischen Traditionen des Pseudo-al-Kindı¯ haben nach N. Daniel, Islam and the West. The Making of an Image, Edinburgh 1960 (u. ö.), 11sq. (= id., Islam and the West. The Making of an Image, Oxford 21993, 29sq.) und id., The Arabs and Mediaeval Europe (Arab Background Series), London–New York 1975, 21979, 21986, 241, dann Vandecasteele, Étude (nt. 71) und Lieberknecht, Rezeption (nt. 71) beigetragen, ohne daß sich die Autoren untereinander rezipieren. Powell, Matthew Paris (nt. 71), 66, und González Muñoz, Introducción (nt. 30),  nt. 249, die allein auf Daniel, Islam (1993) rekurrieren, berücksichtigen die Studien von Vandecasteele und Lieberknecht nicht. Die bisherige Forschung behandelte vor allem die Sicht dieses Werkes auf das Judentum: J. Cohen, Scholarship and intolerance in the medieval academy. The study and evaluation of Judaism in European Christendom, in: The American Historical Review 91 (1986), 592–613 [Nachdruck: id. (ed.), Essential Papers on Judaism and Christianity in Conflict. From Late Antiquity to the Reformation (Essential Papers on Jewish Studies [1]), New York–London 1991, 310–341], 612sq.; L. Smith, William of Auvergne and the Jews, in: D. Wood (ed.), Christianity and Judaism. Papers Read at the 1991 Summer Meeting and the 1992 Winter Meeting of the Ecclesiastical History Society (Studies in Church History 29), Oxford 1992, 107–117; ead., William of Auvergne and the law of the Jews and the Muslims, in: Th. J. Heffernan/Th. E. Burman (eds.), Scripture and Pluralism. Reading the Bible in the Religious Plural Worlds of the Middle Ages and Renaissance. Papers Presented at the First Annual Symposium of the Marco Institute for Medieval and Renaissance Studies at the University of Tennesse, Knoxville, February, 21–22, 2002 (Studies in the History of Christian Traditions 123), Leiden–Boston 2005, 123–142. De fide et legibus, c. 18, ed. [F. Hotot], Guilielmi Alverni episcopi Parisiensis, mathematici perfectissimi, eximii philosophi, ac theologi praestantissimi, Opera omnia […] 1, Paris 1674 [Nachdruck: Frankfurt am Main 1963], 1 col. a–102 col. b, 49 col. b–50 col. a. Cf. Daniel, Islam (1960) (nt. 72), 128 (= Daniel, Islam [1993] [nt. 72], 151); H. Möhring, Der Weltkaiser der Endzeit. Entstehung, Wandel und Wirkung einer tausendjährigen Weissagung (Mittelalter-Forschungen 3), Stuttgart 2000, 336sq.

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enzyklopädische Summe Magisterium divinale bilden75, bezeichnet Wilhelm Muh.ammad als Gesetzgeber ‚seines Gesetzes‘, den Koran als ‚Gesetz Muh.ammads‘ und an einer Stelle Muh.ammad sogar als ‚Gesetzgeber des Gesetzes Abrahams‘76. In einem weiteren Kapitel konzentriert sich Wilhelm auf die Widerlegung der körperlichen Paradiesesvorstellungen des Koran (c. 19)77. Hierzu hat ihm möglicherweise das schon von Petrus Alfonsi vorgebrachte Argument der Unmöglichkeit eines materiellen Paradieses den Anstoß gegeben78. Doch Wilhelm

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N. Valois, Guillaume d’Auvergne, évêque de Paris (1228–1249). Sa vie et ses ouvrages, Paris 1880, 162sq. und 195–197; J. Kramp, Des Wilhelm von Auvergne ‚Magisterium divinale‘, in: Gregorianum 1 (1920), 538–584, 564sq. und 574sq.; ibid. 2 (1921), 42–78 und 174–187, 67sq., 71 und 78. C. 18sq., insbesondere c. 18 ed. [Hotot], Opera omnia (nt. 74), 49 col. b–54 col. a, 50 col. b l. 15–20: „[…] et de ista contradictione atque discordia, multa leges in libello disputationum cujusdam Christiani, et cujusdam Saraceni, qui tacitis nominibus suis, de legibus suis disputant utroque legem suam defendente, et legem alterius impugnante“ und c. 19, 52 col. a l. 71–col. b l. 1: „Pulchre autem irrisit quidam Christianus quendam Saracenum ex hoc dicens ei […].“ Cf. Valois, Guillaume d’Auvergne (nt. 75), 204; E. Cerulli, Il ‚Libro della scala‘ e la questione delle fonti arabo-spagnole della ‚Divina commedia‘ (Studi e Testi 150), Città del Vaticano 1949 [1960; Nachdruck: Città del Vaticano 1970], 402–412; d’Alverny, La connaissance (nt. 31), 241sq.; Smith, William of Auvergne (2005) (nt. 73), 124 und 138sq. Seine Pseudo-al-Kindı¯-Kenntnisse dürfte Wilhelm aus einer Handschrift der sog. Collectio Toletana geschöpft haben, da er auch bezeugt, er habe den Koran gelesen; cf. c. 18, ed. [Hotot], Opera omnia (nt. 74), 50 col. a l. 39–41 und 70–72: „Naturam enim divinam in Christo domino, et in Deo patre aeternam generationem aperte, et saepe negat in lege sua […] hic ergo legis Abrahae latorem se dixit, et ipsum Abraham Sarracenum fuisse evidenter asserit in lege sua.“ Cf. d’Alverny, La connaissance (nt. 31), 242. Siehe ferner De virtutibus, c. 1, ed. [Hotot], Opera omnia (nt. 74), 102 col. b–191 col. a, 103 col. b l. 82–104 col. a l. 7: „In lege Macometi dicitur (si tamen sermones illi sermones sunt alicujus, qui nomine hominis dignum sit) quia Deus creavit Angelos de luce, diabolos autem de flamma, in quo aperte videtur, diabolos creatos fuisse malos intellexisse, Angelos autem bonos, et posuisse naturalem esse bonitatem Angelorum, et malitiam diabolorum.“ De universo, II 2, 6, ed. [Hotot], Opera omnia (nt. 74), 593 col. a–1074 col. b, 849 col. b l. 59–62: „Quod enim legitur in lege Sarracenorum, quia Deus creavit Angelos de luce, diabolos vero de flamma, non solum vanum, et frivolum est, sed etiam impossibile.“ Cf. Cerulli, Il ‚Libro della scala‘ (nt. 76), 416 nt. 2. II 2, 37, ed. [Hotot], Opera omnia (nt. 74), 881 col. b l. 17–19 und 60–68: „Vera tamen, et nova corpora humana, et vere incarnatos angelos sanctos quosdam fuisse, lex sarracenorum evidenter narrat […] Ex parte autem aliqua similis fabula invenitur in lege sarracenorum de quibusdam angelis, qui recepti hospitio apud quendam, vino inebriati sunt, et ad fornicandum inducti: propter quam causam interdixit legis sarracenorum lator sarracenis bibere vinum. Ecce alia fabula, in qua evidenter vides legis illius latorem sensisse angelos illos aut homines veros fuisse, aut vere humanatos, seu vere incarnatos.“ Cerulli, Il ‚Libro della scala‘ (nt. 76), 402–407; B. Roling, ‚Paradysus carnalium‘? Das körperliche Paradies in der christlich-islamischen Kontroverse, in: F. Schmieder (ed.), Produktive Kulturkonflikte [= Das Mittelalter 10, 2 (2005), 3–147], Berlin 2006, 74–125, 90–92. Cf. den auf c. 19 hinführenden Satz, in dem Wilhelm seinen inhaltlichen Fokus begründet: ed. [Hotot], Opera omnia (nt. 74), 50 col. b l. 25–36: „Quia igitur de vita ejus, et de gestis, apud alios multa leguntur, praeter intentionem esset praesentis propositi: quod autem gens Saracenorum istas insanias, quas in lege ejus legimus, tenet, veneratur, ut divina oracula per Dei prophetam ad se missa, et servat, ut Dei mandata; destruemus eas ostendentes ridiculositatem eorum, et impossibilitatem, ut diximus. In hac ergo lege, et mendatiis, multa vera inserta sunt, et malis bona commixta; vel malignitate fallendi videlicet, ut aut falsis propter vera crederetur, aut ut mala propter bona reciperentur.“ Petrus Alfonsi, Dialogus contra Iudaeos, Titulus V, ed. Mieth, Pedro Alfonso (nt. 36), 102 l. 18–25: „Quae de paradiso predicasti, pretermittenda sunt, quia ratione non possunt comprobari. Separata quippe anima a corpore et quatuor elementis a se invicem separatis non utetur homo his rebus secularibus eo modo

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gelingt es noch nicht wie späteren lateinischen Autoren des 13. Jahrhunderts79, mit Avicennas ‚Metaphysik‘ in der Hand den Koran in dieser Hinsicht symbolisch zu lesen80, weil der zu dieser Zeit in Paris gerade erst eingeführte Avicenna Latinus81 diese weitergehende Nutzung noch gar nicht erlaubt. Immerhin hat sich bei Wihelm gegenüber dem 12. Jahrhundert die Deutung des Verhältnisses von Islam und Judentum verändert. Im Gegensatz zu Petrus Venerabilis 82 begründet Wilhelm die Herkunft des Islam nicht mehr durch das talmudische Judentum. Vielmehr sieht er umgekehrt Einflüsse des Islam und der arabischen Philosophie auf das in seinen Augen zunehmend ‚degenerierende‘ jüngere Judentum83. Der Fokus der Pariser Theologen liegt also eher auf der Auseinandersetzung mit dem Judentum84, und tatsächlich ist Wilhelm ja derjenige Pariser Bischof, unter dem später die berühmten Talmudprozesse seit 1240 durchgeführt werden85.

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prius, quod supra dampnavimus in titulo tercio, ubi loquuti sumus de resurrectione mortuorum. Sapiens minime huiusmodi paradisum credit nec talibus decipitur verbis.“ Cf. Roling, ‚Paradysus carnalium‘ (nt. 77), 90. Wie etwa Raimundus Martini in seiner Explanatio symboli apostolorum, Undecimus articulus und Duodecimus articulus, ed. J. M. March [i Batlles], En Ramón Martí i la seva ‚Explanatio simboli Apostolorum‘, in: Anuari de l’Institut d’Estudis Catalans 2 (1908), 443–496 [mit 1 Abbildung], 450–496, 492 l. 24–496 l. 8; cf. Roling, ‚Paradysus carnalium‘ (nt. 77), 103sq.; oder Roger Bacon in seiner Moralis philosophia = Opus majus, VII, 4, 2, 3 und 6sq., ed. J. H. Bridges, The ‚Opus majus‘ of Roger Bacon 2, Oxford 1897 [Nachdruck: Frankfurt am Main 1964], 382 l. 2–5, 383 l. 19–23, 389 l. 26–32 sowie 392 l. 20 und 24sq.; ed. F. M. Delorme (†)/E. Massa, Rogeri Baconis Moralis philosophia (Thesaurus mundi [4]), Zürich 1953, 206 l. 24–207 l. 2, 208 l. 20–23, 215 l. 6–13, 218 l. 23sq. und 218 l. 27–219 l. 2; cf. E. Heck, Roger Bacon. Ein mittelalterlicher Versuch einer historischen und systematischen Religionswissenschaft (Abhandlungen zur Philosophie, Psychologie und Pädagogik 13), Bonn 1957, 98; d’Alverny, La connaissance (nt. 31), 244; Roling, ‚Paradysus carnalium‘ (nt. 77), 97. C. 19, ed. [Hotot], Opera omnia (nt. 74), 54 col. a l. 57–68: „Ex his de causis volunt quidam sapientes de Saracenis, non juxta literam Macometum intellexisse promissiones istas, videntes eas esse ridiculosas, et Macometum per eas toti mundo fieri ridiculum. Avicenna tamen in philosophia sua prima deliramentis istis expresse consentit dicens, quia gaudia corporum expressa sunt in lege nostra, quam dedit Macometus loquens de gaudiis post corpora, in quo non philosophum, sed insaniae istius consortem se evidenter ostendit, cujus damnatio tanto justior, quanto ista deliramenta tantus philosophus magis videre potuit, et videre neglexit.“ M.-Th. d’Alverny, L’introduction d’Avicenne en Occident, in: Revue du Caire 14 (1951), 130–139 [Nachdruck: Avicenne en Occident. Recueil d’articles de M.-Th. d’Alverny réunis en hommage à l’auteur. Avant-propos de D. Jacquart (Études de philosophie médiévale 71), Paris 1993, Nr. II], 137; ead., Avicennisme en Italie, in: Oriente e Occidente nel medioevo. Filosofia e scienze. Convegno internazionale, 9–15 aprile 1969 (Accademia nazionale dei Lincei. Fondazione Alessandro Volta 13), Roma 1971, 117–139 und Tafeln A–VI [Nachdruck: Avicenne en Occident, Nr. XVI], 123sq. Über die sog. Collectio Toletana kann Wilhelm nur die Epistola de translatione sua und die Summa totius haeresis Sarracenorum benutzt haben. H. Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (13.–20. Jh.) (Europäische Hochschulschriften. Reihe XXIII. 497), Frankfurt am Main e. a. 1994, 143. J. Guttmann, Guillaume d’Auvergne et la littérature juive, in: Revue des études juives 18 (1889), 243–255; id., Alexandre de Halès et le judaïsme, in: ibid. 19 (1889), 224–234; id., Die Scholastik des dreizehnten Jahrhunderts in ihren Beziehungen zum Judenthum und zur jüdischen Literatur, Breslau 1902 [Nachdruck: Hildesheim–New York 1970], 13–46. Guttmann, Scholastik (nt. 84), 14; G. Dahan, Introduction. Textes et contextes de l’affaire du Talmud, in: Dahan/Nicolas (eds.), Le brûlement (nt. 53), 7–20, 16 nt. 34; Smith, William of

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Daneben ist der franziskanische Theologe Alexander von Hales (ca. 1180–1245) eine weitere Schlüsselfigur für die frühe theologische Koran- und Pseudo-alKindı¯-Lektüre im Paris der 1220er und 1230er Jahre. Zwar beruht Alexanders Islam-Wissen in seiner Summa universae theologiae auf selbständiger Lektüre86, doch ist auch hier die Vorstellung von Muh.ammad als Gesetzgeber seines Gesetzes, ja an einer Stelle sogar die neue Wendung ‚Regel des Muh.ammad‘ zu finden, die eher der monastischen Lebenswelt angehört 87. Wilhelm von Auvergne ist als Bischof von Paris aber auch ein entscheidender Förderer der ersten Generation der Pariser Dominikaner und er dürfte in dieser Funktion eine wichtige Rolle in der Vermittlung der Kenntnis des cluniazensischen Islamkorpus im noch jungen Dominikanerorden gespielt haben88. Insofern wird seine Lektüre von interreligiösem Schrifttum, das bei aller Polemik einen authentischen Zugang zum Islam versprach, gerade in Paris den Anstoß zur weiteren Auseinandersetzung mit Talmud und Koran in den 1240er Jahren gegeben haben. Für die Vorbereitung des Pariser Talmudprozesses vom Juni 1240 spielt ferner der Dialogus contra Iudaeos des Petrus Alfonsi eine Rolle, da er eine frühe

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Auvergne (1992) (nt. 73), 107; A. Tuilier, La condamnation du Talmud par les maîtres universitaires parisiens, ses causes et ses conséquences politiques et idéologiques, in: Dahan/Nicolas (eds.), Le brûlement (nt. 53), 59–78, 75 nt. 50. Zu diesem Werk allgemein: E. Gössmann, Metaphysik und Heilsgeschichte. Eine theologische Untersuchung der ‚Summa Halensis‘ (Mitteilungen des Grabmann-Instituts der Universität München. Sonderband), München 1964. Summa theologica, II 2, Inquisitio III, tractatus IV, sectio II, quaestio I, titulus VI, distinctio II, ed. Doctoris irrefragabilis Alexandri de Hales Ordinis Minorum Summa theologica […] 3: Secunda pars secundi libri, Quaracchi 1930, 1–831, 589 col. a l. 9–11 und 589 col. b l. 34–39: „in regula similiter Mahometi praecipitur abstinentia a vino, non a carnibus […] Ad illud quod quaeritur de lege Mahometica, dicimus quod non prohibuit vinum quia esset provocativum ad libidinem, quoniam ipse concessit abusum mulierum, sed propter hoc quod inducit ebrietatem, quae subvertit usum rationis.“ Zum Traktat De legibus et praeceptis in der Summa des Alexander von Hales cf. den Beitrag von Michael Basse (Dortmund) in diesem Band. Der Fokus der älteren Forschung lag mehr auf Alexanders Haltung zu den Juden: Guttmann, Alexandre de Halès (nt. 84); id., Scholastik (nt. 84), 32–46; W. Lampen, Alexander von Hales und der Antisemitismus, in: Franziskanische Studien 16 (1929), 1–14. Cf. ferner folgende Stelle im von Wilhelm von Meliton 1256 vollendeten vierten Teil der Summa theologica, quaestio 28 (De ieiunio), ed. Alexandri Alensis Angli, Doct. Irrefragabilis, Ordinis Minorum, Summae Theologiae […] 4, Köln 1622, 1–845, 745 col. a l. 30–38: „Etsi Mahumetus iniunxit abstinentiam a vino, hoc non fecit, quia huiusmodi abstinentia sit magis meritoria et magis placens Deo, sed quia magis facit ad conservationem Reipublicae, de qua semper Arabes curaverunt, quoniam cum in regione calida sit vinum fortissimum, si uterentur Saraceni vino fortissimo, sicut et nos, cum ipsi non sint sobrij, quotidie essent ebrij, et magis voluptatibus dediti, et se mutuo interficerent, propter hoc legislator eorum prohibuit vinum.“ Cf. E. Cerulli, Nuove ricerche sul Libro della Scala e la conoscenza dell’Islam in Occidente (Studi e Testi 271), Città del Vaticano 1972, 26 und 60. M. M. Tischler, Orte des Unheiligen. Versuch einer Topographie der dominikanischen Mohammed-Biographik des 13. Jahrhunderts zwischen Textüberlieferung und Missionspraxis, in: Archa Verbi 5 (2008), 32–63, 47; id., Die älteste lateinische Koranübersetzung als (inter)religiöser Begegnungsraum, in: R. F. Glei (ed.), Frühe Koranübersetzungen. Europäische und außereuropäische Fallstudien (Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium 87), Trier 2012, 25–82, 46 und 49.

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Quelle für die Kenntnis dieses ‚anderen Gesezes‘ der Juden ist. Auch wenn wir bislang nicht genau wissen, ob eine ordensinterne Lektüre dieses wichtigsten literarischen Religionsgesprächs des 12. Jahrhunderts konkrete Anstöße zur Rezeption der authentischen religiösen Schriften der Juden und der Muslime geben hat, so deuten frühe Spuren im Dominikanerorden doch auf eine solche zweckgebundene Lektüre hin. Denn nicht nur der zum Christentum konvertierte Jude Nicolas Donin hat als dominikanischer Protagonist des Talmudprozesses das Werk des Petrus Alfonsi verwertet 89, sondern auch sein gleichfalls konvertierter und in den Dominikanerorden eingetretener jüdischer Mitbruder Theobald von Sézanne hat für seinen Traktat gegen den Talmud, die sog. Pharetra fidei contra Iudaeos (‚Pfeilköcher des Glaubens gegen die Juden‘), den Dialogus contra Iudaeos des Petrus Alfonsi ausgiebig verwertet (Titulus I)90. Tatsächlich bezeichnet Papst Gregor IX. in seinem Brief Si vera sunt […], der Anklageschrift gegen den Talmud vom 9. Juni 1239, diesen jetzt als ein ‚anderes Gesetz‘ 91 bzw. als ein ‚neues Gesetz‘, denn plötzlich steht er in Konkurrenz zur christlichen nova lex, den die Christen vorher quasi nicht kannten. Damit will der Papst die Illegitimität dieses Gesetzes betonen, weshalb die Juden ihr Recht auf Toleranz und Schutz durch die Christen verwirkt hätten. Nicolas Donin nimmt Gregors Wendung nova lex daher in seinen 35 Anklagepunkten gegen den Talmud wieder auf 92. Auch im Verhältnis zu den Muslimen wird vor der Jahrhundertmitte immer deutlicher erkannt, daß diese ihr ‚eigenes Gesetz‘ haben. Dies belegt ein Schreiben des ayyu¯bidischen Sultans al-Mans.u¯r an den Papst Innozenz IV., das von ‚unse-

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B. Blumenkranz, Jüdische und christliche Konvertiten im jüdisch-christlichen Religionsgespräch des Mittelalters, in: P. Wilpert/W. P. Eckert (eds.), Judentum im Mittelalter. Beiträge zum christlich-jüdischen Gespräch (Miscellanea Mediaevalia 4), Berlin 1966, 264–282, 280sq. mit nt. 26, der die auffallend übereinstimmenden Vorwürfe gegen die Anthromorphismen Gottes im Talmud erwähnt, die sich im Dialogus contra Iudaeos, Titulus I des Petrus Alfonsi (ed. Mieth, Pedro Alfonso [nt. 36], 25–27) und in den Extractiones de Talmud, § 18 des Nicolas Donin befinden. Die Richtigkeit dieser Beobachtungen ergibt sich gegen J. V. Tolan, Petrus Alfonsi and His Medieval Readers, Gainesville (Fl.) e. a. 1993, 119 mit nt. 71 und 243 nt. 71, der die Nutzung des Petrus Alfonsi bezweifelt hat, aus einem genauen Vergleich der parallelen Stellen und aus der unwesentlich jüngeren Nutzung des Petrus Alfonsi durch den Ordensbruder Theobald von Sézanne: wie folgende Anm. Tolan, Petrus Alfonsi (nt. 89), 117sq. S. Simonsohn (ed.), The Apostolic See and the Jews [1]: Documents: 492–1404 (Pontifical Institute of Mediaeval Studies. Studies and Texts 94), Toronto 1988, 125–178 no 121–169, 172 no 163 l. 15–23: „[…] ipsi enim, sicut accepimus, lege veteri, quam Dominus per Moysen in scriptis edidit, non contenti, immo penitus praetermittentes eandem, affirmant legem aliam, quae Talmud, id est doctrina, dicitur, et Dominum edidisse ac verbo Moysi traditam et insertam eorum mentibus mentiuntur, tamdiu sine scriptis servatam, donec quidam venerunt, quos sapientes et scribas appellant, qui eam, ne per oblivionem a mentibus hominum laberetur, in scripturam cujus volumen in immensum excedit textum Bibliae redegerunt, in qua tot abusiones et nefaria continentur, quod pudori referentibus et audientibus sunt horrori.“ Siehe auch das Schreiben desselben Papstes vom 20. Juni 1239: ibid., 174 no 165 l. 7sq. Friedman, Anti-Talmudic invective (nt. 53), 174.

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rem‘ und ‚eurem Gesetz‘ redet93. Diese in den vermehrt aufkommenden Glaubensgesprächen zwischen Christen und Muslimen durch Vergleich gewonnene Auffassung von verschiedenen Gesetzen bezeugt auch der zuletzt in Lyon wirkende Dominikaner Stephan von Bourbon († 1261) in seiner bekannten ExemplaSammlung, dem Tractatus de diversis materiis praedicabilibus ordinatis et distinctis in  partes secundum  dona spiritus sancti. Zwar setzt Stephan den Islam traditionell mit einer Häresie gleich. Doch er berichtet auch, daß muslimische Gelehrte ihrerseits die Evangelien mit dem Koran, dem Gesetz Muh.ammads, verglichen und festgestellt hätten, daß es nach den Gesichtspunkten der natürlichen Vernunft lächerlich und unannehmbar sei. Insgeheim würden die Weiseren unter ihnen in Gesprächen mit den christlichen Gelehrten eingestehen, daß der christliche Glaube der bessere sei, doch würden sie dies aus Todesfurcht oder aus ihrer Liebe zu den Lüsten, in denen sie erzogen worden seien, nicht offen zu bekennen wagen94. Auch wenn diese hoffnungsfrohen Bemerkungen aus christlicher Sicht überzeichnet sein dürften, kommt doch mit der ‚natürlichen Vernunft‘, dem Vernunftgesetz, nun vermehrt ein weiterer Beurteilungsfaktor im Vergleich der Religionsgesetze ins Spiel. Der erste Dominikaner, der den Koran dann aus verschiedenen Blickrichtungen systematisch und vergleichend untersucht, ist der Katalane Ramon Martí.

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K.-E. Lupprian (ed.), Die Beziehungen der Päpste zu islamischen und mongolischen Herrschern im 13. Jahrhundert anhand ihres Briefwechsels (Studi e Testi 291), Città del Vaticano 1981 [1992], 158–165 no 24, 162 l. 34–163 l. 8: „Sed desideraremus, ut possemus, insimul convenire et ore ad ore disputare et colloqui [colloquii ed.] de rebus divinis de prope quasi certamine manuali. Sed quoniam hoc fuit impossibile, volumus hoc agere cum illis, quos miserat de fratribus Predicatoribus; sed non erat eis in terris nostris omnino securum de lege vestra et nostra in presentia nostrorum sapientum disputare. Et manifestum est, quod hoc erat ob impedimentum lingue arabice et propter incessum per viam humilitatis ordinis monachatus, et quia nisi in lingua sive gallica disputandi consuetudinem non habebant. Signa enim virtutis in eis relucebant, et insignia scientie ex eorum vultibus manifeste apparebant, et vestigia contemptus mundi et religionis in eis erant manifesta et mores eorum laudabiles et decori.“ Cf. R. Röhricht, Zur Korrespondenz der Päpste mit den Sultanen und Mongolenchanen des Morgenlandes im Zeitalter der Kreuzzüge, in: Theologische Studien und Kritiken 64 (1891), 359–369, 363 mit nt. 5; A. Paravicini Bagliani, La scienza araba nella Roma del duecento. Prospettive di ricerca, in: B. Scarcia Amoretti (ed.), La diffusione delle scienze islamiche nel medio evo europeo. Convegno internazionale, Roma, 2–4 ottobre 1984 (Pubblicazioni della Fondazione Leone Caetani [20]), Roma 1987, 103–166, 107 nt. 6. IV 7 § 327 (De heresi), ed. A. Lecoy de la Marche, Anecdotes historiques, légendes et apologues tirés du recueil inédit d’Étienne de Bourbon, dominicain du e siècle (Publications de la Société de l’Histoire de la France 185), Paris 1877, 3–449, 275 l. 13–23: „Multi enim Sarraceni, conferentes evangelia cum Alcorano, legem Mahometi irrisibilem et inconceptibilem naturali racione judicantes, ad Deum conversi sunt. Sapienciores eciam eorum, cum in secreto a nostris confertur cum eis, nostram fidem judicant meliorem, et in secreto hoc fatentur; sed in aperto non audent propter mortis timorem, quam incurrunt deprehensi, vel propter amorem voluptatum, in quibus sunt enutriti, sicut audivi ab illis fratribus qui fuerunt inter illos; et multi in secreto baptismum recipiebant […].“ Cf. O. van der Vat, Die Anfänge der Franziskanermissionen und ihre Weiterentwicklung im nahen Orient und in den mohammedanischen Ländern während des 13. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Internationalen Institutes für Missionswissenschaftliche Forschungen. Missionswissenschaftliche Studien N. S. 6), Werl in Westfalen 1934, 182 nt. 13.

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1256–125795 schreibt Ramon während seines Aufenthalts in Tunis die Explanatio symboli apostolorum ad institutionem fidelium96, ein erst am Ende des 19. Jahrhunderts von Heinrich Denifle in Tortosa wiederentdecktes apologetisches Werk97 zur argumentativen Verteidigung und Stärkung des christlichen Glaubens. Es ist für Missionsprediger wie Christen gedacht, die in einem muslimisch-jüdischen Umfeld leben. Gegen die tah.rı¯ f-Vorwürfe der Muslime entwickelt Ramon darin eine lange Abhandlung über die unangetastete Vollständigkeit der Bücher des Alten und Neuen Testamentes, die durch strenge Vorschriften und angedrohte Strafen bei Änderungen, durch den Eifer der Gläubigen gerade auch in Notzeiten, sowie durch das Zeugnis der früheren Bibelausgaben und die weite Verbreitung der Bibelhandschriften belegt werden kann98. Wenn schon die Muslime die Integrität des Koran behaupten, dann gelte diese für die Evangelien erst recht99. Raimundus zählt hierzu die maßgeblichen Stellen aus dem Koran auf und zeigt zugleich, daß Muh.ammad weder im Alten noch im Neuen Testament angekündigt wird100. 1260 stellt Ramon Martí eine kleine Summe gegen Muh.ammad und den Islam unter dem Titel De seta Machometi (De origine, progressu et fine Machometi et

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Cf. die Datumsangabe in der Auslegung des dritten Glaubensartikels, ed. March [i Batlles] (ed.), En Ramón Martí (nt. 79), 473 l. 27–29: „Cum igitur iam complete sint ille LXX ebdomades, sive sint dierum, sive mensium, sive annorum, et amplius fluxerint MCCLVII anni.“ March [i Batlles] (ed.), En Ramón Martí (nt. 79). Cf. H. Denifle/É. Châtelain, Inventarium codicum manuscriptorum capituli Dertusensis, in: Revue des bibliothèques 6 (1896), 1–61, 4; March [i Batlles], En Ramón Martí (nt. 79); id., ‚Explanatio Simboli‘, obra inédita de Ramón Martí, autor del ‚Pugio fidei‘, Barcelona 1910; id., Valor apologético de la ‚Explanatio simboli apostolorum‘ de Ramón Martí, in: Razón y Fe 29 (1911), 203–210; H. Sancho, La ‚Explanatio Symboli Apostolorum‘ de Raimundo Martí, O. P., in: La ciencia tomista 15 (1917), 394–408; A. Berthier, Un maître orientaliste du e siècle. Raymond Martin O. P., in: Archivum Fratrum Praedicatorum 6 (1936), 267–311, 279–281; F. Cavallera, L’‚Explanatio symboli‘ de Raymond Martin O. P. (1258), in: Studia mediaevalia in honorem admodum Reverendi Patris Raymundi Josephi Martin […], Bruges [1948], 201–220; Á. Cortabarría Beitia, L’étude des langues au moyen âge chez les Dominicains. Espagne, Orient, Raymond Martin, in: Mélanges de l’Institut Dominicain d’Études Orientales du Caire 10 (1970), 189–248, 225–228. J. Quétif/J. Échard, Scriptores Ordinis Praedicatorum recensiti […] 1, Paris 1719 [Nachdrucke: (Burt Franklin Bibliographical and Reference Series 16) New York 1959, Torino 1961], 397 vermuteten dahinter ein arabisches Werk, weshalb es ihrer Meinung nach irgendwo unberücksichtigt herumläge. Die von Pedro Ribes Montané für 1981 angekündigte Edition scheint nie publiziert worden zu sein. March [i Batlles] (ed.), En Ramón Martí (nt. 79), 452 l. 22–454 l. 14. Zu dem hier zurückgewiesenen muslimischen Vorwurfs des tah.rı¯f: wie Anm. 7. March [i Batlles] (ed.), En Ramón Martí (nt. 79), 454 l. 15–18: „Praeterea si Alcoranus vel unus liber gramatice, qui est in una lingua, non potest corrumpi; quomodo Evangelium, quod fuit scriptum in diversis linguis, potuisset universaliter corrumpi? Quod ergo recipiunt pro se de incorruptione Alcorani, vel alterius libri, oportet eos necessario recipere contra se de incorruptione legis et Evangelii; quia de similibus idem est iudicium.“ Ibid., 454sq. Cf. H. Bobzin, Der Koran im Zeitalter der Reformation. Studien zur Frühgeschichte der Arabistik und Islamkunde in Europa (Beiruter Texte und Studien 42), Stuttgart 1995 [22008], 64 mit nt. 170. Ramon zitiert die Suren teils mit ihren Titeln, teils mit ihrer Zählung.

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quadruplici reprobatione) zusammen101. Das Werk, das seinen Ausgang von Jesu Warnung vor den falschen Propheten (Mt 7, 15–16a) nimmt102, schöpft aus der eben vorgestellten Explanatio symboli apostolorum und bildet hierzu eine Art Komplement103, da es die dort stets nur angedeutete Widerlegung von Muh.ammads Prophetenstatus diesmal zum Ausgangspunkt der Darlegungen anhand der muslimischen Glaubensinhalte macht. Neu ist nun, daß Ramon auch arabische Philosophen als Gewährsmänner in seine Argumentation gegen Muh.ammad und sein falsches Gesetz mit einbezieht. Bei seiner Beschäftigung mit der Thaumaturgie als einem wesentlichen Kennzeichen eines Gottesboten zieht Ramon etwa die Meinung des Averroës (Kita¯b falsafat) heran, wonach ein echter 101

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J. Hernando [i Delgado] (ed.), Ramon Martí (s. ), ‚De seta Machometi o de origine, progressu et fine Machometi et quadruplici reprobatione prophetiae eius‘. Introducción, transcripción, traducción y notas, in: Acta historica et archaeologica mediaevalia 4 (1983), 9–63, 14–62; J. Chorão Lavajo (ed.), Cristianismo e islamismo na península ibérica. Raimundo Martí, um precursor do diálogo religioso 3, Diss. theol. [masch.] Evora 1988, 900–1026. Cf. Daniel, Islam (1960) (nt. 72), 13, 28sq., 70sq., 81, 83, 85, 87sq., 94, 96–101, 125, 137, 150, 155, 226, 238sq., 253 und 320sq. (= Daniel, Islam [1993] [nt. 72], 31, 48sq., 91sq., 102, 104, 106, 108sq., 116, 118–124, 148, 159sq., 174, 179, 252, 264sq., 284 und 351sq.); id., Characteristics of institutional learning in the middle age [!] exemplified in the study of Islam, in: G. Makdisi/D. Sourdel/J. Sourdel-Thomine (eds.), L’enseignement en islam et en Occident au moyen âge. Communications présentées pendant la session des 25–28 octobre 1976 (Colloques internationaux de La Napoule [France] 1) [= Revue des études islamiques 44 (1976)], Paris 1977, 273–285, 276sq.; Cortabarría Beitia, L’étude (nt. 96), 70, 245; J. Hernando i Delgado, Le ‚De Seta Machometi‘ du Cod. 46 d’Osma, œuvre de Raymond Martin (Ramón Martí), in: Vicaire (ed.), Islam (nt. 63), 351–371; id., De nuevo sobre la obra antiislámica atribuida a Ramón Martí, dominico catalán del siglo , in: Sharq al-Andalus 8 (1991), 97–108; J. V. Tolan, Rhetoric, polemics and the art of hostile biography. Portraying Muh.ammad in thirteenth-century Christian Spain, in: J. M. Soto Rábanos (ed.), Pensamiento medieval hispano. Homenaje a Horacio Santiago-Otero 2, Madrid 1998, 1497–1511 [aktualisierte Fassung: id., Sons of Ishmael. Muslims through European eyes in the middle ages, Gainesville (Fl.) 2008, 35–45 und 167–170], 1501–1505; González Muñoz, Introducción (nt. 30), sq. Zur hierin erkennbaren Kenntnis des arabischen Koran mit Nennung der originalen Surentitel sowie arabischer Koranexegese: Monneret de Villard, Lo studio (nt. 71), 15 nt. 2, 57 nt. 7 und 63sq.; Cerulli, Il ‚Libro della scala‘ (nt. 76), 453–455; Daniel, Islam (1960) (nt. 72), 36, 50sq. und 75 (= Daniel, Islam [1993] [nt. 72], 57, 70sq. und 95sq.). Diese beiden zuletzt genannten Autoren, aber auch R. Galle, Eine geistliche Bildungslehre des Mittelalters. Aus der Geschichte der Predigt, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 31 (1910), 523–555, 530; van der Vat, Anfänge (nt. 94), 185 nt. 30; L. Hagemann, 34. Auteurs chrétiens du monde latin des e et e siècles, in: R. Caspar e. a., Bibliographie du dialogue islamo-chrétien (sixième partie), in: Islamochristiana 6 (1980), 260–278, 269 und G. Rizzardi, La controversia con l’Islàm di Iohannes Guallensis O. F. M., in: Studi Francescani 84 (1985), 245–269, 252–269 schreiben das Werk noch dem Franziskaner Johannes von Wales zu, unter dessen Namen es in Straßburg 1515 erstmals gedruckt worden ist. Doch schon F. Diago, Historia de la provincia de Aragón de la Orden de Predicadores desde su origen hasta el año de mil y seyscientos dividida en los libros, Barcelona 1599 [Nachdruck: València 1999], fol. 137rb wies das Werk richtig Ramon Martí zu. Hernando [i Delgado] (ed.), Ramon Martí (nt. 101), 14 l. 2–7: „Ad […] notandum quod Dominus, loquens de falsis prophetis et monens fideles ut caverent sibi ab eis, dixit secundum quod habetur in Mattheo VII: ‚Attendite a falsis prophetis qui veniunt ad vos in vestimentis ovium intrinsecus autem sunt lupi rapaces: a fructibus eorum cognoscetis eos‘.“ Hernando [i Delgado], Ramon Martí (nt. 101), 11sq.

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Prophet in der Lage sein müsse, Wunder zu bewirken104. Dann aber wechselt Ramon überraschend die Perspektive. Denn die Vernunft, das Naturgesetz, die Philosophie und sogar viele Inhalte der muslimischen Lehre selbst sprächen für die Wahrheit der christlichen Position. Ramon fährt also mit der ratio, der lex naturalis, der philosophia und dem Alcoran gleich eine ganze Batterie von Geschützen zur Verteidigung der eigenen Glaubensposition auf. In mehreren kurzen Abschnitten behandelt er dann falsche Propheten, ihr Wesen und ihre Erkennbarkeit. Letztere lasse sich an gewissen Früchten bzw. Zeichen festmachen, denn Propheten müßten wahrhaftig, gut und tugendhaft sowie wundermächtig sein und sie müßten ein heiliges und gutes Gesetz hervorbringen, das die Menschen zu heiligmäßigem Leben, Eintracht und Frieden anleite105. Diese vier Punkte würden freilich auf Muh.ammed nicht zutreffen106. Auch Ramon verknüpft also die Diskurse zum Status des Propheten und zur Qualität seiner Lehre. In den folgenden drei Kapiteln behandelt er das frühe Leben Muh.ammads107, die falsche Offenbarung des Koran108 und die Gemeinschaft der ersten Muslime109. Dann entwickelt er eine ausführliche vierfache Widerlegung vor allem anhand des Koran, die dem Werk seinen ausführlicheren Titel De […] quadruplici reprobatione gegeben hat110. Sie bezieht sich auf die genannten vier Merkmale eines echten Propheten111. Im Kontrast zum lustvollen Paradies der Muslime schildert Ramon den reinen und nüchternen Himmel des Paulus und der Evangelien112. Somit liegt ein Schwerpunkt seiner weiteren Auseinandersetzung auf der übermäßigen sexuellen Aktivität Muh.ammads und seiner Anhänger und auf der Widerlegung der

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Heiligmäßigkeit des Propheten113. Als Zwischenfazit stellt Ramon fest, daß alles dafür spräche, daß Muh.ammad eher ein Dummkopf oder Spötter denn ein Prophet oder Bote Gottes gewesen sei114. Vielmehr sei er ein falscher Prophet gewesen115. Hinsichtlich des heiligen und guten Gesetzes versucht Ramon zu zeigen, daß Muh.ammads Gesetz gegen das göttliche Gesetz (wie es die Schrift vorschreibt) und das natürliche Gesetz (wie es die Vernunft diktiert) verstoße 116. Gleich sieben von zehn vorgebrachten Gesetzesvorschriften Muh.ammads betreffen denn auch den Umgang der Geschlechter und die Ehe, wobei Ramon insbesondere die Polygamie aufs Korn nimmt. Aber auch die Ehescheidung, unnatürliche sexuelle Praktiken, das Konkubinat, der abgebrochene Geschlechtsakt und die Homosexualität werden von ihm angesprochen117. Nachdem der Islam als falsch erwiesen ist, zeigt Ramon nun – in umgekehrter Reihenfolge zur Explanatio symboli apostolorum – die Richtigkeit des Christentums auf, indem er die Autorität der christlichen Bibel durch Vernunftgründe (rationes) und Schriftzeugnisse (auctoritates) sowie durch den Koran und weitere authentische Schriften des Islam (historiae antiquae) betont. Hierbei wehrt er sich gegen den üblichen Vorwurf der Muslime, die Christen hätten die heiligen Schriften verfälscht118. Eine fast zeitgleiche, jedoch weniger komplexe vergleichende Auseinandersetzung mit dem Koran führt Ramons Ordensbruder, der frühere Ordensgeneral Humbert von Romans. Mit seinem Werk De praedicatione sanctae crucis contra Saracenos, infideles et paganos legt Humbert zwischen 1266 und 1268 ein ‚Methodenhandbuch der Dominikanermission‘ vor, das er unmittelbar nach dem Fall der galiläischen Bergfestung Safad (24. April 1266) beginnt, als Papst Clemens IV. den Dominikanern und Franziskanern erneut die Kreuzzugspredigt für das Heilige Land aufträgt119. Damit entsteht parallel zur Summa contra gentiles, die Thomas 113 114 115

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Hernando [i Delgado] (ed.), Ramon Martí (nt. 101), 34 l. 1–36 l. 19. Ibid., 32 l. 24sq.: „Hec autem omnia videntur plus verba stulti vel derisoris quam prophete vel nuntii Dei.“ Ibid., l. 26–28: „Per ista et multa alia, que propter prolixitatem vitandam omittimus, ostenditur quod Machometus fuit mendax et in multis et sic sibi primum quod debet habere verus propheta secundum quod sit verax in dictis suis.“ Ibid., 42 l. 24sq., 44 l. 2sq. und 12–14 sowie 46 l. 12 und 24: Quod quidem est contra divinum preceptum et contra naturalem rationem […] Est manifeste contra mandatum divinum, contra legem naturalem et contra rationem […] Hanc detestabilem turpidinem et inordinationem onerosam intellectus manifeste intelligit esse contra Deum et contra rationem […] Hoc est contra preceptum Dei et legem naturalem […] quod est expresse contra preceptum Dei […] quod est contra illud preceptum ‚non concupisces‘ et cetera.“ Ibid., 42 l. 8: „Sunt autem iste leges ipsius. Lex super Machometo et mulieribus“; ibid., l. 26: „Lex super repudio“; ibid., 44 l. 9: „Lex cognoscendi mulieres“; ibid., l. 26: „Lex super conductione mulierum“; ibid., l. 33: „Lex de effusione seminis extra vas debitum“; ibid., 46 l. 3: „Lex de modo comedendi“; ibid., l. 9: „Lex super rapinis“; ibid., l. 13: „Lex super transgressione iuramenti“; ibid., l. 27: „Lex contra illud ‚non concupisces‘ “; ibid., l. 32: „Lex super peccato sodomitico.“ Ibid., 52 l. 8–62 l. 4. A. Lecoy de la Marche, La prédication de la croisade au treizième siècle, in: Revue des questions historiques 48 (1890), 5–28, 8–28; B. Birckmann, Die vermeintliche und die wirkliche Reformschrift des Dominikanergenerals Humbert de Romanis (Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 62), Berlin–Leipzig 1916, 10–14; K. Michel, Das Opus tripartitum des Humbertus de Romanis, O. P. Ein Beitrag zur Geschichte der Kreuzzugsidee und der kirchlichen

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von Aquin für die wissenschaftliche Ausbildung der Mitbrüder in den ordenseigenen studia als theoretische Grundlegung der intellektuellen Auseinandersetzung mit den Andersgläubigen schreibt, eine praktische Handreichung zur dominikanischen Kreuzzugspredigt. Sie ist die erste ihrer Art im Orden. Auch wenn Humbert sein Werk für den außeriberischen Kontext geschrieben hat, die handschriftliche Überlieferung erst im späten 14. bzw. im 15. Jahrhundert einsetzt und für die Iberische Halbinsel nur in einer einzigen Handschrift des 15. Jahrhunderts nachgewiesen ist 120, liefert es eine genau datierbare Momentaufnahme des Muslimenbildes eines führenden Dominikaners, der ihm hierfür im Orden zur Verfügung stehenden Texte und des Umgangs mit ihnen. Nachdem Humbert zunächst den noch immer währenden Skandal der stetigen Ausbreitung von Muh.ammads Namen und seiner inzwischen mehr als 600 Jahre währenden Erhebung zum Idol – etwa im Vergleich zur nur kurzen Errichtung des goldenen Kalbes – beklagt hat121, geht er zum Vergleich der drei ‚Lebensgesetze‘ über, des ersten jüdischen, das Moses gegeben habe, des zweiten christlichen, das Christus gegeben habe, und des dritten ‚muslimischen‘, das Muh.ammad in dem Buch namens ‚Alkoran‘ redigiert habe. Während die ersten beiden von heiligen Männern übergeben wor-

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Unionsbewegungen, Graz 21926, 13–17; F. Heintke, Humbert von Romans, der fünfte Ordensmeister der Dominikaner (Historische Studien 222), Berlin 1933 [Nachdruck: Vaduz 1965], 92 und 105–107; V. Cramer, Humbert von Romans’ Traktat ‚Über die Kreuzpredigt‘ (Zur Geschichte und Charakteristik der Kreuzpredigt IV), in: Das Heilige Land 79 (1935), 132–153; ibid. 80 (1936), 11–23, 43–60 und 77–98; id., Die Kreuzzugspredigt zur Befreiung des Heiligen Landes 1095–1270. Studien zur Geschichte und Charakteristik der Kreuzzugspropaganda, Köln 1939, 25–96; P. A. Throop, Criticism of the Crusade. A Study of Public Opinion and Crusade Propaganda, Amsterdam 1940 [Nachdruck: (Perspectives in European History 12), Philadelphia (Pa.) 1975], 151–162; E. T. Brett, Humbert of Romans. His Life and Views of Thirteenth-Century Society (Pontifical Institute of Mediaeval Studies. Studies and Texts 67), Toronto 1984, 167–175; E. Siberry, Criticism of Crusading 1095–1274, Oxford 1985, 15; P. J. Cole, The Preaching of the Crusades to the Holy Land, 1095–1270 (Medieval Academy Books 98), Cambridge (Mass.) 1991, 202–217; Chr. T. Maier, Preaching the Crusades. Mendicant Friars and the Cross in the Thirteenth Century (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought. 4th Series. 28), Cambridge 1994, 21998, 114–116 und 118; P. J. Cole, Humbert of Romans and the crusade, in: M. G. Bull/ N. J. Housley (eds.), The Experience of Crusading 1: Western Approaches. Presented to Jonathan Riley-Smith on his Sixty-Fifth Birthday, Cambridge 2003, 157–174. Madrid, BN, Ms. 19423, fol. 87r–126v. Cf. Th. Kaeppeli, Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi 2, Roma 1975, 288sq. no 2014, 289. C. 11, ed. [P. Wagner,] Tractatus solemnis fratris humberti quondam Magistri generalis ordinis predicatorum. De predicatione Sancte crucis, [Nürnberg ca. 1495, fol. 1r–49v] [Frankfurt am Main, Stadt- und Universitätsbibliothek, Inc. oct. 395 Nr 3], 25sq. (fol. 13r/v): „Non solum autem extinxerunt ibi nomen eius sed super hoc non adversarij sui pessimi abhominabilis machometi ibi extulerunt. secundum enim legem suam in locis que subsunt eius nomen machmeti faciunt plures in die publice acclamari. et acclamando extolli. O contumelia. o dedecus dei nostri ipsum sic expelli de terra sua sic dilecta. et nomen eius ibidem deleri. et ydolum dyabolicum adversarij sui in illa terra sanctissima sic extolli [… / …] ¶ Ecce charissimi quantus zelus fuit apud antiquos pro vindicandis divinis contumelijs gravior est contumelia de erectione ydoli machmeti contra eum. que iam duravit plusquam sexcentis annis quam de erectione ydoli vitulini. que paucis diebus duravit. Item falsus ille propheta plures seduxit et seducere non cessat quam prophete Baal “. Cf. Cramer, Humbert von Romans (nt. 119), 12.

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den seien, sei das letzte von dem übelsten Landstreicher Muh.ammad ins Werk gesetzt worden. Humbert begründet sein Urteil mit im Koran enthaltenen Stellen, an denen Muh.ammad seine sexuelle Leistungsfähigkeit preist und seine Berechtigung zum Ehebruch legitimiert. Der Vergleich mit den beiden ersten Gesetzen offenbare auch, daß Muh.ammad für sein Gesetz einiges den Gesetzen des Moses und Christus entnommen habe, um eher Glauben zu finden. Ansonsten enthalte es viel Schändliches, was die menschliche Vernunft verabscheue. Auch zeige der Vergleich mit Moses und Christus, daß Muh.ammad keine Wunder bewirken konnte. Die Nichtigkeit von dessen Gesetz zeige sich also in der Nichtigkeit der übergebenden Person, in der Schändlichkeit der im Gesetz überlieferten Inhalte und im Mangel an göttlicher Offenbarung, die Gott bei der Übergabe seiner (beiden) Gesetze zu zeigen pflegte. Die Muslime wollten doch nur das ehrwürdige christliche Gesetz für ihr so nichtiges zerstören, habe doch ihr Muh.ammad gesagt, daß so wie Christus größer als Moses gewesen und von Gott geschickt worden sei, um dessen Gesetz zu korrigieren, er selbst größer als Christus sei, um dessen Gesetz zu korrigieren und auszulegen. Als er aber an die Macht gekommen sei, habe er im Königreich der Perser zahllose Christen gezwungen, ihr Gesetz für das seine zu verlassen, und die sich geweigert hätten, habe er getötet122. Schließlich erteilt Humbert gleichsam den offiziellen Auftrag, den Koran zu studieren, und bezeichnet ihn dabei als ‚Gesetz Muh.ammads‘123. Dabei weiß 122

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C. 12, ed. [Wagner,] Tractatus (nt. 121), 26–28 (fol. 13v–14v): „Circa secundum notandum quod ab initio mundi usque nunc fuerunt date tres leges vivendi. Prima fuit Judaica a Moyse data. Secunda christiana a christo data. Tercia saracenica a machometo redacta in librum qui dicitur Alcoranus [… / …] Tercia nunquam fuit bona nec unquam erit. […] Item saracenica est lex vilissima. alie tradite sunt a viris sanctis. a sanctissimo moyse scilicet et christo. illa vero a ribaldo vilissimo machameto. Ipse enim gloriatur in lege sua quod data sit sibi potestas in lumbis ad coeundum supra viros alios .XL. Item cum adamasset uxorem cuiusdam et prohibuisset in lege sua adulterium adinvenit quod hoc privilegium erat sibi tanquam summo prophete concessum a deo ut quecunque mulier maritata vellet se sibi supponere gratis posset hoc facere sine peccato. et hoc publicavit. dicens hoc sibi revelatum ut sic illam et alias uxores posset ad suas facilius allicere voluptatem. Et quamvis alia multa nephanda de vita ejus legantur. tamen hec duo solum deberent sufficere omni cordi humano ad eum vitandum. et ymaginem suam post mortem de stercoribus lapidandam […] Lex vero istius ribaldi licet aliqua honesta contineat extracta a legibus Moysi et christi ut sic ei melius crederetur tamen multa continet inhonesta. Concedit enim homini plures uxores et plures concubinas quotquot voluerit et poterit sustinere. et alia multa que humana ratio detestatur omnino […] Iste vero filius dyaboli hoc non potuit facere ad suam legem confirmandam. Super que cum aliqui quererent ab eo quare non faciebat sicut Moyses et christus. Respondit quia semper miracula calumniam habuerunt sic genti simplici sua responsione illudens. Patet ergo tam ex vilitate persone tradentis quam ex inhonestate traditorum in lege quam ex defectu ostensionis divine quam in traditione legum suarum solet deus facere vilitas legis huius. Sciendum vero quod legem christianam tam dignissimam saraceni volunt destruere propter suam tam vilissimam. / Dixit enim Machmetus suus quod sicut christus maior fuit Moyse missus a deo ad legis eius correctionem. ita ipse maior christo fuit ad correctionxm [!] et expositionem legis eius. Et ipse suo quando adeptus est potestatem in regno Persarum. coegit innumrrabiles [!] christianos ad deserendum legem christianam propter suam. et illos qui noluerunt trucidavit. Et sui usque hodie idem in nostris faciunt quam possunt eius exemplo et doctrina. […]“. Cf. Cramer, Humbert von Romans (nt. 119), 13sq. C. 29 (De sex generibus scientie que sunt necessaria eisdem), ed. [Wagner,] Tractatus (nt. 121), 75 (= fol. 38r): „Item scientia de origine et vita machometi. quia contra eum et legem suam oportet multotiens loqui. de his autem habetur in alcorano et in libello petri alfonsi contra iudeos et in alijs scriptis multis. Item scientia de processu machometi et suorum contra nostros et nostrorum contra illos usque hodie de quibus habetur in epistola turpini de

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Humbert um die gefährliche Predigttätigkeit im muslimischen Herrschaftsbereich, wenn sie sich gegen ‚sein Gesetz‘ richtet124, zumal Muh.ammad darin seinen Gläubigen untersagte, Predigen über Christus zu hören125. Schließlich ist noch auf Humberts Spätwerk Opusculum tripartitum126 einzugehen. In seinem ersten Teil verrät es eine angesichts der geschwächten Position

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gestis Karoli magni in hispania. et in historijs antiochena. et Transmarina et in Cronicis multis.“ Cf. Cerulli, Il ‚Libro della scala‘ (nt. 76), 416 (Ausgabe nach Città del Vaticano, BAV, Vat. lat. 3847, fol. 18v, der das Werk irrtümlich als unediert bezeichnet, da er die Nürnberger Inkunabelausgabe von ca. 1495 übersehen hat); d’Alverny, La connaissance (nt. 31), 245; Tolan, Petrus Alfonsi (nt. 89), 108 mit nt. 238 und 238 nt. 25; id., Pedro Alfonso, precursor de la literatura apologética, in: M. J. Lacarra Yanguas (ed.), Pedro Alfonso de Huesca, Diálogo contra los Judíos (Larumbe 9), Huesca 1996, –, ; A. Müller, Die dominikanische Mission ‚inter infideles et scismaticos‘. Konzepte, Leitbilder und Impulse bei Humbert de Romanis, in: G. Melville/J. Oberste (eds.), Die Bettelorden im Aufbau. Beiträge zu Institutionalisierungsprozessen im mittelalterlichen Religiosentum (Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter 11), Münster 1999, 321–382, 363. Die ibid., 379 zu findende Wendung, „versäumt er [sc. Humbert von Romans], die Übersetzung und das Studium des Koran anzuregen“, ist also unzutreffend. C. 8, ed. [Wagner,] Tractatus (nt. 121), 20 (= fol. 10v): „saraceni vero decapitant omnes qui vellent eos de errore suo dimittendo informare“; c. 12, ibid., 28 (= fol. 14v): „[…] ipsi enim saraceni sic zelant pro lege sua quod sine misericordia decapitant omnem hominem ubicunque habent potestatem. qui contra legem suam predicat.“ Opusculum tripartitum, I 20, ed. E. Brown, Appendix ad fasciculum rerum expetendarum et fugiendarum ab Orthuino Gratio editum Coloniae A. D.  …, London 1690 [Nachdruck: Tucson (Ariz.) 1967], Appendix 2, 185–228, 200 l. 18–20: „Sed Saraceni excluserunt a se viam praedicationis, quia secundum legem suam decapitant omnem hominem, qui eis vellet aliquid praedicare contra Mahumeti legem vel sectam.“ De eruditione praedicatorum, V 32sq., ed. J. J. Berthier, B. Humberti de Romanis […] Opera de vita regulari 2, Roma 1889 [Nachdruck: Torino 1956], 373–484, 434 l. 20–24 und 435 l. 21–24: „Diabolus nititur detinere praedicationem in omni loco per satellites suos. Nunquid enim non fuerunt satellites ejus Scribae et Pharisaei inter Judaeos, et pontifices templorum inter paganos, et Mahometus inter Sarracenos? […] Non enim vult diabolus quod sui audiant praedicationem Christi, ne trahantur ad ipsum. Sic Mahometus eadem de causa ordinavit in lege sua ne Sarraceni audirent praedicationem de Christo.“ Cf. Á. Cortabarría Beitia, Los ‚studia linguarum‘ de los dominicos en los siglos  y , in: C. del Valle Rodríguez (ed.), La controversía judeocristiana en España (Desde los orígines hasta el siglo ). Homenaje a Domingo Muñoz León (Consejo Superior de Investigaciones Científicas. Instituto de Filología. Serie B: Controversia 11), Madrid 1998, 253–276, 262. Dieses Handbuch zur Predigerausbildung entsteht parallel seit 1266 bis zu Humberts Tod 1277; cf. Brett, Humbert of Romans (nt. 119), 153sq.; S. Tugwell, Humbert of Roman’s material for preachers, in: Th. L. Amos/E. A. Green/ B. M. Kienzle (eds.), De ore domini. Preacher and Word in the Middle Ages (Studies in Medieval Culture 27), Kalamazoo (Mich.) 1989, 105–117, 105. Brown (ed.), Appendix (nt. 124). Cf. D. A. Mortier, Histoire des maîtres généraux de l’ordre des frères prêcheurs 2: 1263–1323, Paris 1905, 91–93; Birckmann, Reformschrift (nt. 119), 39–65; Michel, Opus tripartitum (nt. 119); Heintke, Humbert von Romans (nt. 119), 117–144; Throop, Criticism (nt. 119), 135–138 und 147–213; C. Carozzi, Humbert de Romans et l’histoire, in: M. Mollat (ed.), 1274. Année charnière. Mutations et continuités. Lyon–Paris, 30 septembre– 5 octobre 1974 (Colloques Internationaux du Centre National de la Recherche Scientifique 558), Paris 1977, 849–862; Brett, Humbert of Romans (nt. 119), 176–194; Siberry, Criticism (nt. 119), 15, 88, 195, 208, 212 und 219; B. Roberg, Das Zweite Konzil von Lyon [1274] (Konziliengeschichte. Reihe A: Darstellungen 10), Paderborn e. a. 1990, 106–126; A. Müller, Bettelmönche in islamischer Fremde. Institutionelle Rahmenbedingungen franziskanischer und dominikani-

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der Lateiner im Orient deutliche Differenzierung seines Islambildes und seines Umgangs mit den Muslimen. Das Werk ist eine für das II. Konzil von Lyon von 1274 recht hastig entworfene Reformschrift. In dieser nur für den internen Gebrauch, also nicht zur Veröffentlichung gedachten Expertise – Papst Gregor X. hatte Gutachten angefordert127 – nimmt Humbert eine kategorische Stellung zum Islam ein. Der Verführer der Muslime, Muh.ammad, habe ihnen ein Gesetz speziell zur Zerstörung der Christenheit gegeben. Er selbst habe gesagt, er sei von Gott als Prophet gesandt worden, um das Gesetz der Christen und das Gesetz der Juden auszulegen und zu korrigieren128. Der Grund für den Abfall vieler Christen von ihrem Glauben sei die Laxheit und Scheinheiligkeit des sarrazenischen Gesetzes, das Ausschweifungen und Polygamie ermögliche, ohne die Heilsgewißheit in Frage zu stellen. Humbert vergleicht hierzu die Unterschiede zwischen den beiden Gesetzen, um die Folgen für die Konversionswilligkeit deutlich zu machen. Das fingierte Gesetz Muh.ammads enthalte nichts, was die Vernunft der Gläubigen übersteige, ja es sei aufgrund seiner üblen Verquickung mit lobenswerten Taten der Frömmigkeit, des Almosengebens, der Gebete und der Fasten sogar gegen die Christen ‚erfunden‘ worden, die demgegenüber ein Gesetz hätten, das schwierige Glaubensinhalte aufweise, die über die Vernunft gingen, sehr schwer zu erfüllen seien und dazu noch die ewige Verdammnis für üble Taten androhen129. Diese Verführung zeitige gegenwärtig und zukünftig viele Konver-

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scher Mission in muslimischen Räumen des 13. Jahrhunderts (Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter 15), Münster–Hamburg–London 2002, 263–266. Von dem Werk ist bislang keine vollständige Handschrift wiedergefunden worden. Es gibt lediglich einen, vielleicht von Bernard Gui gefertigten Auszug daraus, überliefert in Città del Vaticano, BAV, Reg. lat. 880, fol. 60r–70v: Birckmann, Reformschrift (nt. 119), 15sq.; Michel, Opus tripartitum (nt. 119), 3 nt. 6, 9 nt. 4 und 32 mit nt. 1; ferner Città del Vaticano, BAV, Pal. lat. 588, fol. 96, Pal. lat. 965, Pal. lat. 209 und eine Handschrift, die der Gräfin Le Godinec de Traissan gehörte; cf. L. Delisle, Notice sur les manuscrits de Bernard Gui, in: Notices et extraits des manuscrits de la Bibliothèque Nationale et autres bibliothèques 27 (1879), 169–455, 303 § 155; Birckmann, Reformschrift (nt. 119), 16sq. mit nt. 3; Carozzi, Humbert de Romans, 861. Der im Katalog der päpstlichen Bibliothek von 1375 (Pontifikat Gregors XI.) vorgenommene Eintrag „Item in volumine signato per CCLXV quidam libellus contra Saracenos, de scismate Grecorum“ dürfte sich gleichfalls auf dieses Werk beziehen; cf. F. Ehrle, Historia bibliothecae Romanorum pontificum tum Bonifatianae tum Avenionensis 1 (Biblioteca dell’Accademia Storico-Giuridica 7), Roma 1890, 454– 549, 505 no 766. Im vorliegenden Fall ergeht am 11. März 1273 die Bitte Gregors X. um Erstellung eines Gutachtens an Humberts Nachfolger im Amt des Ordensgenerals, Johannes von Vercelli [Potthast Nr. 20685]: Mortier, Histoire (nt. 126), 87sq.; Birckmann, Reformschrift (nt. 119), 15 nt. 1; Heintke, Humbert von Romans (nt. 119), 119 und 124sq.; Brett, Humbert of Romans (nt. 119), 176. I 4, ed. Brown, Appendix (nt. 124), 187 l. 1–5: „Alii fuerunt et sunt adhuc (proh dolor) pessimi Saraceni, quibus seductor eorum Mahumetus dedit legem specialiter ad destruendam Christianitatem. Dixit enim quod missus erat propheta a Deo ad exponendum et corrigendum legem Christianorum et legem Judaeorum. Quot autem et quantas impugnationes fecerunt et faciunt Christianis, non est facile explicare.“ I 6, ibid., 188 l. 40–52: „Iterum ipsi legem habent sic fraudulenter confictam, quam ab angelo suo seductore dicunt traditam, quod in credendis non continet aliquid supra rationem. Primo continet talia quae homines quantumcunque bestiales possunt capere, ut paradisum, corporales delicias habentem, et similia. Nec praecepit etiam aliquid magnae austeritatis, imo concedit voluptuosa quam multa circa multitudinem mulierum, et earum abusum,

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sionen vom Christentum zum Islam130. Der Anstoß zum Vergleich der Gesetze dürfte wohl wieder durch die auch hier bezeugte Pseudo-al-Kindı¯-Lektüre gegeben worden sein131. Selbst die Polemik des Thomas von Aquin gegen das Gesetz Muh.ammads beruht auf der Rezeption des im Orden vielgelesenen Pseudo-al-Kindı¯. In seiner ‚Summa contra gentiles‘ unterstreicht Thomas erneut, daß Muh.ammad sein Gesetz anderen Völkern aufgezwungen habe132. Zudem habe keiner der vorausgegangenen Propheten eine göttliche Voraussage gesprochen, die auf ihn hindeute. Vergleiche man das Alte und das Neue Testament mit dem Koran, so stelle man fest, daß Muh.ammd fast alle Zeugnisse der beiden Testamente durch seine legendenhaften Erzählungen entstellt habe. Sein Gesetz sei also ein Mischmasch aus jüdischen und christlichen Anteilen. Zu seinem Selbstschutz habe er seinen Gläubigen das Lesen der beiden Testamente untersagt. So werde einsichtig, warum Muh.ammads Anhänger leichtgläubig seien133. Der in Syrien von christlichen Eltern geborene Wilhelm von Tripolis134 gehört dem Dominikanerkonvent von Akkon an. Die unmittelbare Nähe zum Islam

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et similia. Nec comminatur aeternitatem poenarum, sed promittit ad preces Mahumeti omnes suos finaliter salvandos. Insuper palliat omnia mala insertione quorundam operum laudabilium pietatis et eleemosynarum, orationum et jejuniorum, et hujusmodi, sicut patet in Alchorano, qui est liber legis Mahumeti. Ex his igitur patet, quam fraudulenter lex ista est adinventa contra Christianos, qui habent legem continentem difficilia in credendis, quae sunt supra rationem, in agendis vero valde austera, in futuro vero damnationem aeternam malis. Et ideo valde facilius est avertere homines malos et fatuos ab ista lege ad illam quam econverso.“ Ibid., 188 l. 52sq.: „Et sic accidit de facto, quod multi Christiani transeunt et transierunt ad Sarracenicam legem.“ I 20, ibid., 200 l. 21–26: „Item sanctitatis exempla Christianorum non movent Saracenos, quia suas orationes, sua jejunia, suas eleemosynas, suas peregrinationes et similia praeferunt nostris. Immo, quod est absurdum magis, suam incontinentiam praeferunt nostre continentiae, continentiam Christianam vocantes superstitionem, sicut patet in epistola Saraceni, invitatis quendam Christianum amicum suum ad legem Mahumeti.“ Cf. D. C. Munro, The Western attitude toward Islam during the period of the crusades, in: Speculum 6 (1931), 329–343, 343. Summa contra gentiles, I 6, ed. Sancti Thomae Aquinatis doctoris Angelici Opera omnia, iussu edita Leonis XIII. P. M. 13, Roma 1918, 17 l. 22–34: „[…] Signa etiam non adhibuit supernaturaliter facta, quibus solis divinae inspirationi conveniens testimonium adhibetur, dum operatio visibilis quae non potest esse nisi divina, ostendit doctorem veritatis invisibiliter inspiratum, sed dixit se in armorum potentia missum, quae signa etiam latronibus et tyrannis non desunt. Ei etiam non aliqui sapientes, in rebus divinis et humanis exercitati, a principio crediderunt, sed homines bestiales in desertis morantes, omnis doctrinae divinae prorsus ignari, per quorum multitudinem alios armorum violentia in suam legem coegit.“ Ibid., l. 34–42: „[…] Nulla etiam divina oracula praecedentium prophetarum ei testimonium perhibent, quin potius quasi omnia Veteris et Novi Testamenti documenta fabulosa narratione depravat, ut patet eius legem inspicienti. Unde astuto consilio libros Veteris et Novi Testamenti suis sequacibus non reliquit legendos, ne per eos falsitatis argueretur. Et sic patet quod eius dictis fidem adhibentes leviter credunt.“ Altaner, Dominikanermissionen (nt. 71), 85–88; Kaeppeli, Scriptores (nt. 120), 170sq.; P. Engels, I. Einleitung. II. Die Überlieferung, in: id., Wilhelm von Tripolis, Notitia de Machometo. De statu Sarracenorum (Corpus Islamo-Christianum. Series Latina 4), Würzburg–Altenberge 1992, 23–189, 23–45; Th. Kaeppeli (†)/E. Panella, Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi 4: Praemissis addendis et corrigendis ad volumina I–III, Roma 1993, 108sq.; Th. F. O’Meara, Wilhelm von Tripoli OP (13. Jh.), in: Wort und Antwort 48 (2007), 131–135.

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ermöglicht ihm detaillierte Kenntnisse über diese Glaubensgemeinschaft, ihr Entstehen und ihre Eigenarten. Seine in Akkon 1271 entstandene Notitia de Machometo et de libro legis qui dicitur Alcoran et de continentia eius et quid dicat de fide Domini nostri Iesu Christi geht auf die Bitte des Lütticher Archidiakons Thealdo Visconti zurück, der im Frühsommer 1271 als Pilger ins Heilige Land gekommen ist und hierbei auch den Dominikanerkonvent in Akkon besucht, Näheres über den Islam zu berichten135. Die Schrift ist in drei thematische Abschnitte gegliedert: Zunächst handelt sie über Muh.ammad, sein Herkommen und die gewaltige Ausbreitung der Muslime, dann über die Entstehungsgeschichte des Koran, des Gesetzes Muh.ammads, und schließlich über die darin steckende Lehre und ihre Relevanz für den christlichen Glauben136. Das ‚Gesetz Muh.ammads‘ sei erst nach dessen Tod von seinen Anhängern zusammengestellt worden, weil sie nicht ohne Gesetz regiert werden wollten, zumal die anderen Verehrer Gottes die Tora des Moses und das Evangelium Christi hatten137. Bemerkenswert ist der erstmals in der lateineuropäischen Auseinandersetzung mit dem Koran zu beobachtende Versuch, alle Christus, Maria und die Christen betreffenden Passagen des Koran den Muslimen als Konversionsargumente vorzulegen, um ihre Glaubensauffassung, die göttliche Urheberschaft des Koran, die Prophetenschaft Muh.ammads und die Leugnung der Trinität argumentativ zu widerlegen138. Ein weiteres Werk, De statu Saracenorum et de Mahomete pseudopropheta eorum et de ipsa gente et eorum lege, wurde früher ebenfalls mit Wilhelm von Tripolis in Verbindung gebracht. Dies ist aber seit den Untersuchungen von Peter Engels nicht mehr haltbar139. Die Schrift thematisiert erneut den Islam und ist eine Überarbeitung und Erweiterung der Notitia de Machometo, ihrer Hauptvorlage, die 1271 im Auftrag des in Akkon weilenden Lütticher Archidiakons Thealdo Visconti entstanden ist, der über Ursprung, Geschichte und Wesen des Islam im Verhältnis zum Christentum Auskunft haben wollte140. Noch im selben Jahr wird 135

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Prolog, ed. Engels, Wilhelm von Tripolis (nt. 134), 194 l. 5–11: „Venerabili domino Leodiensis ecclesie archidyacono Terre Sancte peregrino sancto frater G. Acconensis conventus ipsum in Christo Iesu sue peregrinationis adipisci votiva. Quoniam intellexi fidei vestre devotionem cupere scire, quid gens Sarracenorum et liber eorum de fide sentiat christiana, vestre pie devotioni studui in Domino deservire et offere cupita, tria in medium adducendo et ostendendo.“ Ibid., l. 11–16: „Primo, quis fuerit Machometus et unde et quomodo gens sua, qui dicuntur Sarraceni, et eorum secta ita vehementer et potenter dilatata. Secundo de libro legis Machometi, qui dicitur Alcoran lingua arabum sive Forcan, quomodo fuit editus et quis auctor sive compilator aut compositor. Tertio vero quid liber iste doceat et quid de fide tangat christiana.“ Die Abschnitte sind entsprechend ibid., 196–210, 210–214 und 214–260. § 5, ibid., 210 l. 7–212 l. 10: „Ne viderentur regi sine lege, cogitaverunt habere doctrinam et docma, que dicerentur ‚Lex Machometi‘, sicut videbant ceteros cultores Dei habere Thoram Moysi et Ewangelium Christi.“ Gegliedert ist diese Widerlegung wie folgt: § 9 (Capitulatio), § 10 (Testimonia), § 11 (Antwort der Muslime) und § 12 (Antwort der Christen hierauf), ibid., 222–224, 226–236, 236–238 und 238–248. Engels, Einleitung (nt. 134), 52–74; J. V. Tolan, Les Sarrasins. L’Islam dans l’imagination européenne au moyen âge (Collection historique), Paris 2003, 305. Prolog, ed. Engels, Wilhelm von Tripolis (nt. 134), 266 l. 8sq.: „[…] Quoniam intellexi illuminatam fidem vestram cupere scire, quid gens Sarracenorum et liber eorum de fide sentiat christiana […].“

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Thealdo aber zum neuen Oberhirten der Kirche gewählt und besteigt 1272 als Gregor X. den päpstlichen Stuhl. Der unbekannte Autor überarbeitet daher das Werk und stellt es bis 1273 fertig, indem er eine möglicherweise als Gutachten für das II. Lyoner Konzil gedachte Abhandlung über den gegenwärtigen Zustand des Islam integriert (§ 17–23), ansonsten aber den Adressaten unverändert Thealdo nennt. Möglicherweise handelt es sich also um eine im lateinischen Westen, vielleicht in Italien vorgenommene Überarbeitung. Das Werk hebt sich von anderen zeitgenössischen Stellungnahmen insofern ab, als der Autor die gemeinsamen Wurzeln und Übereinstimmungen zwischen Christentum und Islam betont und durchaus eine angemessene Beurteilung des von ihm fast immer unpolemisch lex Sarracenorum genannten Koran versucht141, weshalb die Konversion der Muslime seiner Meinung nach nur noch eine Frage der Zeit sei 142. Gegliedert ist die Arbeit in drei Teile: eine Geschichte Muh.ammads (§ 1–3), eine Geschichte der arabischen Expansion seit dem Tod Muh.ammads (§ 4–23) sowie Betrachtungen über den Islam, die Herausbildung des Koran und seine Untersuchung an den für die christliche Theologie interessanten Stellen (§ 24–53): Gerade hier betont der Autor, welches christliche Gedankengut im Koran stecke, ja, daß er christliche Wahrheiten enthalte und daß er von den Christen heiligen Personen (Christus, Maria) mit größter Ehrfurcht spreche; auch stünden die muslimischen Gelehrten dem christlichen Glauben sehr nahe – sie besäßen einen Sinn für die Dogmen der Trinität und der Inkarnation und sie zeigten Bewunderung für diese Glaubenswahrheiten. Auch konstatiert der Autor bei den tiefer blickenden Muslimen Einsicht in den tiefen Widerspruch zwischen ihrem Glauben und der Moral der Anhänger dieser Traditionsgemeinschaft. Obwohl der Autor behauptet, er habe sich auf arabische Quellen gestützt143, sprechen die Entstellungen in den wenigen arabischen Zitaten und Worten dagegen144. Auch scheint er den im Dominikanerorden inzwischen kursierenden Pseudo-al-Kindı¯ nicht genutzt zu haben145. Ob aus Unkenntnis, in bewußter Ablehnung oder weil er gar kein Dominikaner gewesen ist? Die umfangreichste und zugleich erfolgreichste dominikanische Auseinandersetzung mit dem Koran ist jedoch Riccoldos von Montecroce Werk Contra legem Sarracenorum (Confutatio Alcorani), das in der autographen Handschrift Firenze, 141

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Im Gegensatz zu Wilhelm von Tripolis spricht der anonyme Autor im Vorwort nur noch vom ‚Gesetz jener‘, ibid., l. 14–16: „Tertium de lege eorum sive libro, qui dicitur Alcoranum et quid in ipso de fide Christianorum contineatur.“ Auch sonst hält er diesen Sprachgebrauch bis auf einmal (§ 51, 364 l. 8sq.) durch. § 48, ibid., 360 l. 7–9: „[…] licet multis sint involuta mendaciis et decorata figmentis, tamen, quoniam pia, satis manifeste apparet, quod ipsi sint fidei christiane vicini et ad viam salutis propinqui“; § 49, ibid., 360 l. 3– 362 l. 6: „[…] quod doctrina Machometi et fides sit in brevi casura sicut mosayce legis cultura, et sola fides Christi cum populo christiano semper sit, quamdiu mundus durat, stabilis et mansura.“ § 4, ibid., 276 l. 3sq.: „sicut legitur in Cronicis Orientalium.“ § 8, ibid., 286 l. 18, das arabische Zitat des Glaubensbekenntnisses der Muslime: „La eleh ella Alla, Mahomad rosol Alla.“ González Muñoz, Introducción (nt. 30), .

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Biblioteca Nazionale Centrale, Conv. Soppr. C 8.1173 sowie in 28 weiteren, europaweit verbreiteten Codices erhalten ist146. Es handelt sich um ein Kompendium polemischer Argumente gegen den Koran und seinen Verfasser Muh.ammad, dessen Erscheinung er in einem Kurzdurchgang durch die Kirchengeschichte als die gottgewollte, alles übersteigende Verschmelzung von Verfolgern, Ketzern und falschen Glaubensbrüdern umschreibt147. Hier wird nun im Dominikanerorden nach den bereits behandelten Ansätzen bei Ramon Martí, Humbert von Romans und Wilhelm von Tripolis erstmals eine intensive Auseinandersetzung mit der lex Sarracenorum auf der Grundlage der ersten und zweiten lateinischen Koranübersetzung und des arabischen Koran selbst betrieben. Riccoldo dürfte den Anstoß für seine Arbeit durch das islamkritische Hauptwerk des Petrus Venerabilis, Contra sectam Saracenorum, bekommen haben, dessen Titel er nicht nur bewußt variiert, sondern dessen Kenntnis er auch an einigen Stellen erkennen läßt148. In seinem späteren Libellus ad nationes Orientales149, einem Vademecum für die im Orient unter Anders- und Ungläubigen wirkenden Mitbrüder150, bezeugt Riccoldo das

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Mérigoux, L’ouvrage (nt. 10), 6–11 und 35–43; E. Panella, Ricerche su Riccoldo da Monte di Croce, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 58 (1988), 5–85, 19–22. Bereits in seinem ältesten Werk, dem Liber peregrinationis, legt sich Riccoldo im Abschnitt De Sarracenis die Grundlage für die sehr viel ausführlichere Widerlegung des Koran in Contra legem Sarracenorum; cf. P. Mandonnet, Fra Ricoldo de Monte-Croce, pèlerin en Terre Sainte et missionnaire en Orient. e siècle, in: Revue biblique 2 (1893), 44–61, 182–202 und 584–607, 200sq., der auf sechs in beiden Werken angesprochene Eigenschaften des Koran verweist: Er sei ohne inneren Zusammenhang, ohne Ordnung, dunkel, lügnerisch, unvernünftig und gewalttätig. Im Autorenexemplar des Liber peregrinationis, Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms. lat. 4° 466, steht auf fol. 22rb die wohl eigenhändige Notiz „Hec sub brevitate et quasi preter propositum diximus, ut daremus occasionem maioribus efficacius impugnandi legem tante perfidie.“ Mit einem Verweiszeichen wird dann auf die nur wenig jüngere Randnotiz „alia super ‹sim›ilia requires in alio opere nostro quod contra maccometum et alcoranum composui “ verwiesen. Cf. A. Dondaine, Ricoldiana. Notes sur les œuvres de Ricoldo da Montecroce, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 37 (1967) 119–179, 131sq. Prolog, ed. Mérigoux, L’ouvrage (nt. 10), 62 l. 42–53: „In hoc igitur tertio statu surrexit contra ecclesiam Dei et contra veritatem, scilicet post tempora beati Gregorii, tempore Eraclii, surrexit quidam homo diabolicus, primogenitus sathane, homo lubricus et obscenis actibus deditus, nomine Mahometus, qui consilio illius et auxilio ‚qui mendax est et pater eius‘, legem mendacissimam et nefariam composuit quasi ex ore Dei, quam legem appellavit Alchoranum, quasi collectaneum preceptorum Dei. Hic Mahometus super omnes alios qui unquam fuerunt vel erunt, persecutus est ecclesiam Dei. Non enim uno modo, sed omnibus tribus generaliter efferatur. Unde modo per tyrannidem seviendo, modo per legem seducendo, modo per hypocrisim simplices subvertendo, iam fere dimidiam partem totius orbis seduxit permissione Dei qui ‚terribilis est in consiliis super filios hominum‘.“ Mérigoux, L’ouvrage (nt. 10), 31 und 144. Dondaine (ed.), Ricoldiana (nt. 146), 162–170 (Teiledition); K. V. Jensen (ed.), Riccoldi Florentini Libelli ad nationes orientales editio princeps telina [http://www.sdu.dk/Hum/kvj/Riccoldo]; cf. Mandonnet, Fra Ricoldo (nt. 146), 602sq.; A. Duval, Précurseurs de nos frères à Bagdad au e siècle, in: Vie dominicaine 25 (1966), 149–156; Dondaine, Ricoldiana (nt. 146), 137–142. Dondaine (ed.), Ricoldiana (nt. 146), 168 l. 24–28: „Hec igitur que de nationibus orientalibus rudi et simplici stilo descripsi, conversando cum eis pluribus annis per experientiam ita esse cognovi. Notavi autem ea sub compendio ut darem aliqualem occasionem proficiendi fratribus qui volunt ire nec possunt portare libros, nec sciunt motiva et positiones incognite nationis.“

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Hauptziel von Contra legem Sarracenorum: Mit ihm soll gezeigt werden, daß sich das ‚Glaubensgesetz der Muslime‘ selbst widerlege151. Doch nun zu den Kritikpunkten Riccoldos im einzelnen: Der Koran sei nichts anderes als eine Vermischung alter Häresien, die schon früher durch die Kirche widerlegt worden seien. Es sei unmöglich, alle diese Irrtümer aufzuzählen152. Freilich empfehle Muh.ammad auch den Psalter und die anderen Propheten, Iob und das Gesetz des Moses, und über allem das Evangelium Christi 153. Hier stelle sich nun die Frage, wie mit den Muslimen umzugehen sei, da sie sehr begierig danach seien, die christliche Lehre insbesondere zur Trinität und zur Inkarnation kennenzulernen, doch legten sie so sehr viel Wert auf Vernunft und Erkenntnis, daß sie nicht glauben wollten, was sie nicht verstehen könnten154. Es sei aber leichter, ihnen die Inkonsistenz ihres Glaubens als die Wahrheit des christlichen Glaubens aufzuzeigen, da man – ganz im Sinne des Thomas von Aquin – die Trinität und die anderen Glaubensinhalte nicht mit Vernunftsargumenten beweisen könne155. Der Koran könne nicht als göttliches Gesetz akzeptiert werden, da weder im Alten Testament noch in den Evangelien eine Prophezeiung darauf verkündet worden sei, während der Koran umgekehrt beide als das wahrhaftige Gesetz Gottes bezeuge156. Gegen die islamische Lehre von der jüdischen und christlichen Verfälschung der Heiligen Schrift seien die verschiedensten Gründe anzuführen; dies spräche aber gegen den Koran als Gesetz Gottes157. Der Koran sei auch deshalb kein göttliches Gesetz, weil sein Stil und Modus nicht im Einklang mit dem Stil und Modus der Heiligen Schrift stünden158. Zudem könne der Inhalt des 151

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Im Kapitel über die Muslime (De sarracenis), ed. Dondaine, Ricoldiana (nt. 146), 167 l. 7–9: „De sarracenis autem nichil amplius addo ad id quod scripsi in illo tractatu qui incipit ‚Quot sunt dies servi tui‘, ubi per legem eorum confutatur ipsamet lex“. Cf. ibid., 141. C. 1, ed. Mérigoux, L’ouvrage (nt. 10), 63 l. 1–68 l. 105. Ibid., 67 l. 93sq.: „Ipse tamen multum commendat psalterium et alios prophetas et Iob et legem Moysi. Sed super omnia alia commendat Evangelium Christi.“ C. 2, ibid., 68 l. 3–6: „Secundo notandum est quis modus sit tenendus cum eis. Et sciendum quod ipsi sunt valde curiosi audire ea que sunt fidei nostre et maxime de Trinitate et Incarnatione. Et quia superant rationem et excedunt intellectum, illa nec credere volunt nec intelligere possunt.“ Ibid., l. 15–20: „[…] est autem facilius ostendere fidem ipsorum esse frivolam quam probare nostram fidem esse veram, quia fides est de non visis, et donum Dei […] Et licet non habeamus rationes ad probandam Trinitatem et alia que sunt fidei, quia tunc fides non esset fides, nec meritoria […]“. C. 3, ibid., 70 l. 4–6 und 76 l. 135–137: „Tertio sciendum est quod Alchoranum non est lex Dei. Non enim attestatur ei nec vetus Testamentum nec Evangelium, que ambo Alchoranus testatur, quod sint vere lex Dei […] Patet igitur quod Alchoranum non est lex Dei, quia lex vetus et Evangelium que Machometus testatur quod sint lex Dei, non attestantur ei, sed contrariantur.“ Ibid., 71 l. 26–76 l. 137. Anregung und Quelle hierfür ist unter anderem die Explanatio symboli apostolorum des Raimundus Martini gewesen; cf. Mérigoux, L’ouvrage (nt. 10), 32 mit nt. 160 und 144. C. 4, ed. Mérigoux, L’ouvrage (nt. 10), 76 l. 3–5: „Quarto sciendum est quod Alchoranum non est lex dei quia non habet stilum nec modum consonum legi Dei. Est enim metrica vel rithmica in stilo, blanditoria in verbis et fabulosa in sententiis.“ Der Koran gelte den Muslimen aufgrund seines Stils als unnachahmbar, da göttlich, denn Muh.ammad habe als Ungebildeter ein solches Werk nicht schreiben können (i‘g˘ a¯z), doch Riccoldo läßt dieses Argument nicht gelten; ibid., 77 l. 9–13: „Saraceni tamen et Arabes in hoc maxime gloriantur quod sermo legis eorum et stilus est rithmicus. Et dicunt quod in hoc patet quod Deus fecit

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Koran keinen göttlichen Ursprung für sich beanspruchen, da seine zahlreichen phantasievollen Erzählungen keine Grundlage in der biblischen Tradition hätten159. Auch widersprächen Muh.ammads ethische Konzepte grundlegenden philosophischen Überzeugungen160. Der Koran stecke zudem voller innerer Widersprüche161 und seine Glaubwürdigkeit werde auch nicht durch Wunder bezeugt162. Hiermit deckt Riccoldo den Widerspruch zwischen der volkstümlichen Meinung, Muh.ammad habe Wunder bewirkt, und dem diesbezüglich negativen Zeugnis des Koran selbst auf. Der Koran widerspreche der Vernunft163. Dies erweise sich am unmoralischen Lebenswandel des Muh.ammad und am Koran selbst, der blasphemische und unsinnige Überzeugungen in göttlichen Dingen enthalte164. Das Buch zeige offenkundige Irrtümer165 und sei ein Gesetz des Tötens und des Todes166. Es rede der Gewalt zur Ausbreitung des Islam das Wort und lasse Ungerechtigkeiten zu167. Der Koran sei in nahezu jeder Hinsicht ungeordnet168 und übel 169. Dann läßt Riccoldo eine gutinformierte Entstehungs-

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illum librum et revelavit Machometo de verbo ad verbum, quia Machometus qui fuit ‚homo idiota‘, nescivisset adinvenire talem stilum et tales sententias. Sed contrarium manifeste apparet.“ Ibid., 78 l. 37–40 und 80 l. 83–85: „Sed quicquid sit de stilo et verbis, certum est et omnibus legentibus manifestum quod lex illa est fabulosa in sentenciis, et licet possit vere dici quod pro magna sui parte lex illa fabulosa sit, tamen de multis quedam pauca notabilia referam […] Hec et his similia multa continentur in predicta lege per que quilibet sapiens potest advertere fictionem et quod nullo modo sit lex Dei. Non enim est Dei consuetudo loqui hominibus per tales fabulas.“ C. 5, ibid., 80 l. 3–6: „Quinto sciendum est quod, quicquid sit de stilo et modo, sed manifeste patet quod non est lex Dei ipsum Alchoranum quia non concordat in sententia cum lege Dei nec etiam cum philosophis qui de virtutibus et ultimo fine hominis tractaverunt.“ C. 6, ibid., 82 l. 3sq.: „Sexto considerandum est quod lex Alchorani non solum dissidet a lege Dei, sed etiam non convenit sibi ipsi.“ C. 7, ibid., 87 l. 3sq. und 90 l. 90–92: „Septimum est considerare quod Alchoranum non est lex Dei nec Mahometus est nuncius Dei quia non attestatur ei aliquod miraculum […] Constat igitur modis omnibus fidem Christianorum stupendis miraculis esse fundatam, legem etiam Mahometi nullo fulciri miraculo.“ Für c. 7 (Quod lex Sarracenorum non est confirmata miraculis) nimmt Monnot, Les citations (nt. 63), 274 eine Anregung durch den Titulus V des Dialogus contra Iudaeos des Petrus Alfonsi an. Diese Petrus Alfonsi-Rezeption hat Tolan, Petrus Alfonsi (nt. 89) nicht verzeichnet. C. 8, ed. Mérigoux, L’ouvrage (nt. 10), 90 l. 3–6: „Octavo considerandum est quod etiam sine omni miraculo lex Mahometi posset acceptari a mundo et affirmari quod esset lex Dei, dummodo esset rationabilis. Est autem omnino irrationabilis et ratione ministri et ratione sui et ratione operis et ratione finis.“ Ibid., 90 l. 7–99 l. 282. C. 9, ibid., 100 l. 3–5 und 17–19 sowie 107 l. 219–221: „Nonum considerare oportet quod lex ista non sit lex Dei quia continet falsitates apertas. Deus enim est prima et summa veritas a quo non potest dici aliqua falsitas … Reducuntur autem principales falsitates eius ad decem genera. Dicit enim falsa de seipso, de Christianis, de Iudeis, de Apostolis, de Patriarchis, de Demonibus, de Angelis, de Virgine Maria, de Christo et de Deo […] Unde et manifestum potest esse omnibus sapientibus quod lex illa non est a Deo que tot et tam patentes continet falsitates.“ C. 10, ibid., 109 l. 3–7: „Decimo, considerare debemus quod Alchoranum non sit lex Dei quia est violenta et, ut breviter dicamus, lex ista proprie potest dici lex occisionis et mortis, non solum quia ducit ad mortem eternam, sed etiam quia cogit homines per mortem et occisionem corporalem quod hoc credant quod in ea dicitur.“ Ibid., 109 l. 8–112 l. 102. C. 11, ibid., 113 l. 3–5: „Undecimo, considerandum est quod Alchoranum non est lex Dei, quia est inordinata. ‚Quecumque autem sunt a Deo ordinata sunt‘, ut dicit Apostolus.“ C. 12, ibid., 115 l. 3sq.: „Duodecimo, considerandum est quod lex ista non est a Deo quia est mala.“

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geschichte des Koran folgen, die dessen Ungewißheit erweist170. Wichtig ist hier insbesondere die Vorstellung, daß das fingierte Gesetz quasi in der Mitte zwischen dem alten und dem neuen stehe171, denn diese Idee dürfte Riccoldo von Petrus Alfonsi übernommen haben172. Auch sei die auf koranischer Grundlage näher ausgeführte Geschichte von Muh.ammads nächtlicher Himmelfahrt reine Fiktion und Erfindung173. Dennoch sei der Koran nicht nur eine Ansammlung von Irrtümern und Täuschungen174, da er oft Gott von sich im Plural sprechen lasse175 und sehr häufig den Heiligen Geist und oft das Wort Gottes erwähne176, da Muh.ammad auch immer wieder das Gesetz des Moses, Hiob und David lobe, die Psalmen als ein erleuchtendes Buch bezeichne und die Evangelien vor allen anderen Büchern empfehle, weil in ihnen Heil und Rechtleitung stecke177, da der Koran Muh.ammad unermüdlich sagen und von sich schreiben lasse, man solle Gott und seinem Boten Glauben schenken178 und weil der Koran über Christus vieles Großartige erzähle, über Muh.ammad aber manches Schlechte berichte179. Dies alles zeige die Überlegenheit des Evangeliums gegenüber dem Koran180, auch wenn die Gegenargumente mancher neugieriger und hartnäckiger Muslime nicht zu verachten und nicht ganz einfach zu widerlegen seien181. Riccoldos Strategie ist ebenso klar wie traditionell: Er versucht den Koran als ‚Fälschung‘ und auf diesem Weg die Richtigkeit der Hauptpunkte der christlichen 170 171 172 173 174

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C. 13, ibid., 117 l. 3–5: „Cum igitur ostensum sit quod Alchoranum, quod est lex Saracenorum, non est a Deo, consequenter inquirendum est de discipulis Mahometi et institutione Alchorani predicti.“ Ibid., 118 l. 19sq.: „[…] cogitavit [sc. diabolus] per fictionem cuiusdam legis, quasi medie inter novam et veterem, decipere mundum.“ Wie Anm. 40. C. 14, ibid., 122 l. 3sq.: „Quartodecimo considerare oportet quam fictam visionem Machometus composuit que est expositio cuiusdam Alchorani.“ C. 15, ibid., 125 l. 2–5: „Questiones super Alcoranum Consequenter movenda sunt quedam dubia in Alchorano et quedam questiones de quibus, cum Saraceni non poterunt reddere rationem, non solum invitentur sed compellantur intrare ad convivium veritatis.“ Es folgt ibid., 125 l. 6–136 l. 328 die Darlegung von sechs Quaestiones. Ibid., 125 l. 7sq.: „Prima questio est: Quid sibi voluit Alchoranum quod totiens induxit Deum de se pluraliter loquentem?“ Ibid., 127 l. 69sq. und 128 l. 100–102: „Secunda questio est quia Alchoranum facit mentionem frequentissime de Spiritu Sancto et de verbo Dei […] Eandem omnino questionem quam fecimus de Spiritu Sancto possumus facere de Verbo Dei. Nam in Alchorano frequenter facit mentionem de Verbo Dei.“ Ibid., 132 l. 209–212: „Quarta questio est quia Machometus frequentissime in Alchorano commendat legem Moysi et Iob et David et dicit ‚Psalterium librum luminosum‘ et super omnes alios libros commendat Evangelium in quo dicit est ‚salus et directio‘.“ Ibid., 133 l. 254–256: Quinta questio est, quid sibi vult Machometus in Alchorano quod totiens et totiens dicit et replicat de se scribens: ‚Credite in Deum et nuncium‘;‚obedite Deo et nuncio‘; ‚sequimini Deum et nuncium‘.“ Ibid., 134 l. 273sq.: „Sexta questio est quia Alchoran multa magnifica dicit de Christo, et e contra vilia quedam de Machometo“; cf. auch schon c. 3, ibid., 74 l. 94–96: „[…] cum ipse [sc. Machometus] tantum commendaverit Christum, et matrem suam, et Evangelium, ut diceret in Alchorano quod in Evangelio Christi est directio et perfectio.“ C. 16, ibid., 136 l. 3sq.: „Preminentia vero Evangelii ad Alchoranum potest cognosci faciliter ex his que superius dicta sunt de Alchorano.“ C. 17, ibid., 140 l. 1–142 l. 67.

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Lehre zu erweisen. Dies ist die für das 13. Jahrhundert typische Methode der aggressiven Widerlegung der gegnerischen Glaubenspositionen. Die Wirkung von Contra legem Sarracenorum setzt bald auch am Papsthof ein. Charles Kohler publizierte im Jahr 1897 einen von dort stammenden, bis dato unbekannten Text, der sich eingehend mit der Glaubenslehre der Muslime beschäftigt182. Er datierte das Werk an das Ende des 13. Jahrhunderts, weil er aufgrund interner Verweise auf ein benutztes Werk davon ausging, daß dieses auch Riccoldo von Montecroce vorgelegen habe. Doch Ugo Monneret de Villard konnte zeigen, daß der Autor vielmehr von Riccoldo von Montecroce selbst abhängt und verwies dazu auf eine nähere Begründung an anderer Stelle.183 Ferner enthält Paris, BnF, Ms. lat. 4230, fol. 151vb–159rb ein unter Riccoldos Namen laufendes Werk mit dem Titel Tractatus seu disputatio contra Saracenos et Alcoranum184. Es ist ein Nachtrag zu Contra legem Sarracenorum, das in dieser Handschrift unmittelbar auf fol. 159va–183va folgt. Benutzt hat Riccoldo in diesem polemischen Kompendium unter anderem die Arbeiten des Ramon Martí, seines Vorgängers in den dominikanischen Islamstudien185 Ziel des Werkes ist es, zu zeigen, daß Muh.ammad kein echter Prophet und der Koran ein falsches Gesetz ist, weshalb auch hier wieder als viertes Merkmal eines echten Propheten die Hervorbringung eines heiligen Gesetzes und einer heiligen Lehre thematisiert wird186.

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Ch. Kohler (ed.), Histoire anonyme des rois de Jérusalem (1099–1187) composée peut-être à la fin du e siècle, in: Revue de l’Orient latin 5 (1897), 213–253, 249–253; cf. ibid., 216–218 und 247sq. Der Text wird nur in London, BL, Ms. Burney 73, fol. 257–265 überliefert. Monneret de Villard, Lo studio (nt. 71), 77 nt. 1. Dondaine (ed.), Ricoldiana (nt. 146), 152 col. b–154 col. b [Teilausgabe]; Chorão Lavajo (ed.), Cristianismo (nt. 101), 1031–1055. Cf. Mandonnet, Fra Ricoldo (nt. 146), 603sq.; M.-Th. d’Alverny/G. Vajda, Marc de Tolède, traducteur d’Ibn Tu¯mart, in: al-Andalus 16 (1951), 99–140 und 259–307; ibid. 17 (1952), 1–56 [Nachdruck: Burnett (ed.), La connaissance (nt. 12), Nr. II], 131 mit nt. 2; Dondaine, Ricoldiana (nt. 146), 149–157; Chorão Lavajo, Cristianismo (nt. 101), 683–695. Eine Neuausgabe und Studie des Textes durch Daniel Pachurka (Bochum) ist in Vorbereitung. Eines der Islamwerke des Ramon Martí, das Riccoldo ausdrücklich ausgewertet hat, ist De seta Machometi, ed. Dondaine, Ricoldiana (nt. 146), 152 col. b l. 3–6; ed. Chorão Lavajo, Cristianismo (nt. 101), 1031 l. 3–5: „Contra machometum et legem eius alius modus procedendi secundum fratrem Raymundum yspanum ordinis fratrum predicatorum“. Cf. Dondaine, Ricoldiana (nt. 146), 150–157. Es dürfte der von Ludwig von Valladolid in seiner Tabula scriptorum Ordinis Predicatorum von 1414 unter den Werken des Ramon Martí genannte Titel „contra Sarracenos“ sein: H. Chr. Scheeben, Die ‚Tabulae‘ Ludwigs von Valladolid im Chor der Predigerbrüder von St. Jakob in Paris, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 1 (1931), 223–263, 260 no 54; Cortabarría Beitia, L’étude (nt. 96), 246sq.; L. Robles [Carcedo], Escritores domínicos de la Corona de Aragón (Siglos –), Salamanca 1972, 76. Chorão Lavajo (ed.), Cristianismo (nt. 101), 1040 l. 10–1043 l. 24.

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V. Auswer tung Betrachtet man die in Lateineuropa seit dem 12. Jahrhundert einsetzende literarische und theologische Beschäftigung mit dem Koran als ein vorwissenschaftliches Verfahren der vergleichenden Wahrnehmung und Deutung von fremden Gegenständen mit der vertrauten Begrifflichkeit, so kann diese zu polemischen Zwecken eingesetzte Vorgehensweise als ein höchst produktives Mißverständnis charakterisiert werden. Da im Koran Bestandteile der von den Christen gänzlich unpolemisch gebrauchten lex Moysi (Pentateuch) und lex Christi (Evangelium) vorgefunden werden, erweist sich in ihren Augen das zentrale Buch der Muslime als das menschliche Falsifikat eines Betrügers und eben nicht als göttliches Gesetz. An die Stelle der Ordnung, Schönheit und Unnachahmbarkeit des Koran treten seine Unordnung, Dunkelheit und Sinnlosigkeit. Doch im letzten ist der Streit um die Exklusivität des Geltungsanspruchs der drei leges eine Auseinandersetzung um die Rolle der drei legislatores in den monotheistischen Traditionsgemeinschaften des Mittelalters. Beide Debatten gehören untrennbar zusammen und werden in dieser Untrennbarkeit zunehmend in den religionspolemischen Schriften inszeniert. So steckt im Terminus ‚Gesetzgeber‘ das Spannungsverhältnis zwischen der Inspiration und Beauftragung durch Gott und der Selbstbeauftragung einerseits sowie zwischen dem Status als echtem Propheten und als Pseudopropheten andererseits. Welche lex verdankt sich der göttlichen Transzendenz, welche aber der bloßen menschlichen Immanenz? Hier spielen die unterschiedlichen christlichen Qualifizierungen von Moses, Christus und Muh.ammad als Prophet, Gottessohn und Häretiker in die Wahrnehmung und Deutung der Religionsgesetze hinein. Es ist daher weniger die institutionelle denn die personale Dimension, die für die Anerkennung und Durchsetzung von religiöser Normativität im Mittelalter verantwortlich zeigt. So sorgt gerade das Vergleichen zu polemischen und apologetischen Zwecken für eine Vergewisserung über Inhalt und Gültigkeit der eigenen lex. Zugleich ist festzustellen, daß die christlichen Gelehrten mit vertiefter Einsicht in das wahre Wesen des Koran den polemischen Begriff lex Mahometi zunehmend vermeiden. Seit dem 13. Jahrhundert führt dies bei den besonders Einsichtigen zu einem veränderten Umgang mit dem Koran: Sie müssen nicht mehr allein seine Falschheit erweisen, sondern sie nutzen ihn vielmehr zum Nachweis des ihm inhärenten Christentums. Die im Vergleich von jüdischem und christlichem Gesetz verwendeten Attribute vetus und nova verraten das im binären Denken der Präfiguration zwischen dem sog. Alten und Neuen Testament, dem alten und neuen Gesetz, verfangene Denken der Christen. Hier kann gar kein Platz für eine dritte Größe sein. Insofern ist die gedankliche Einführung einer dritten lex ein Schritt von allergrößter geistesgeschichtlicher Bedeutung. Die hiermit geleistete Historisierung eines asymmetrischen Vergleichs beschreibt einen bedeutenden kulturellen und religiösen Bewußtwerdungsprozeß Lateineuropas. Denn die Frage nach den religiösen Gesetzgebern und nach dem gegenseitigen Vorwurf der Verfälschung der leges zwingt zu ihrer geschichtlichen Ordnung und zur Rückführung auf den gemeinsamen

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Ursprung. Daher wird in der leges-Debatte an der frühen Pariser Universität des 13. Jahrhunderts erstmals das Verhältnis der drei leges untereinander, dann zur lex naturalis, dem Vernunftgesetz im vormosaischen Zustand (ante legem), und nicht zuletzt auch zur kirchlichen und weltlichen Rechtsordnung des Hochmittelalters bestimmt. VI. Transfer. Der Vergleich der drei Religionsg esetzg eber als Gr undlag e für die Erzählung von den drei Betr üg er n der Menschheit? Es dürfte zu Genüge klar geworden sein, daß in dem polemisierenden Vergleich der drei Religionsgesetze die Relativierung, wenn nicht gar Diskreditierung der jeweils beiden anderen leges beabsichtigt wurde. Doch lauerte in diesem vergleichenden Verfahren auch die Gefahr der Leugnung aller dreier Gesetze. John Victor Tolan hat vor einiger Zeit die These aufgestellt, daß Muh.ammad erst ab dem 17. Jahrhundert als impostor, das heißt als Hochstapler bzw. Betrüger diskutiert wurde, während ab dem 18. Jahrhundert dann einige europäische Autoren den Propheten des Islam in einem angenehmeren Licht präsentierten, nämlich als einen inspirierten religiösen Reformer und großen Gesetzgeber187. Diese etwas unglücklich formulierte Meinung ist in Teilen zu revidieren, wenn wir uns der berühmten blasphemischen Tradition der ‚drei großen Betrüger der Menschheit‘ zuwenden, der von Saladin, Kaiser Friedrich II. und Pomponazzi bis Lessing reichenden Vorgeschichte der berühmten Ringparabel188. Häufig ist zu lesen, daß 187

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Impostor or Lawgiver? Muh.ammad through European Eyes in the 17th and 18th Centuries, Interdisciplinary Conference ‚Crossing Boundaries, Creating Images. In Search of the Prophet Muh.ammad in Literary and Visual Traditions‘, Kunsthistorisches Institut/Max-Planck-Institut, Firenze, 18. Juli 2009 (unveröffentlichtes Manuskript). Allgemeine Überblicke: M. Esposito, Una manifestizione d’incredulitá religiosa nel medieovo. Il detto dei ‚Tre Impostori‘ e la sua trasmissione da Federico II a Pomponazzi, in: Archivio storico italiano VII 16 (1931), 3–48; M. Penna, La parabola dei tre anelli e la tolleranza nel medio evo, Torino 1952; A. Castro, Die Figur des Sultans Saladin in den romanischen Literaturen, in: Diogenes 2 (1954–1955), 831–859 [englische Fassung: The presence of the sultan Saladin in the Romance literatures, in: S. Gilman/E. L. King (eds.), An idea of history. Selected essays of Américo Castro, Columbus (Oh.) 1977, 241–269]; F. Berriot, Athéismes et athéistes au e siècle en France 1–2, Paris 1976 [(Thèses-Cerf), Paris 1984], 303–590; F. Niewöhner, ‚Veritas sive Varietas‘. Lessings Toleranzparabel und das Buch Von den drei Betrügern (Bibliothek der Aufklärung 5), Heidelberg 1988; P. Marcolini: Le ‚De tribus impostoribus‘ et les origines arabes de l’athéisme philosophique européen, in: Les Cahiers de l’Atelier de Travaux Philosophiques, octobre 2003 [http://alemore.club.fr/PM3Imposteurs.pdf (letzter Zugriff 28. Januar 2013)]; ferner P. Dinzelbacher, Unglaube im ‚Zeitalter des Glaubens‘. Atheismus und Skeptizismus im Mittelalter, Badenweiler 2009, 73 und 111; F. Ferrari, Der ‚frum heiden‘ und sein kostbarer Tisch. Jans Enikels Erzählung um Saladins Tod und die Darstellung des muslimischen Ostens in der deutschen Literatur des Mittelalters, in: B. F. W. Springer/A. Fidora (eds.), Religiöse Toleranz im Spiegel der Literatur. Eine Idee und ihre ästhetische Gestaltung (Literatur. Forschung und Wissenschaften 18), Wien/Zürich/Berlin 2009, 83–91, 87–91. Zu Friedrich II. und seinem Kontext

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die erste explizite Erwähnung dieser Idee sich in einem Brief Papst Gregors IX. fände, in dem er dem Staufer Friedrich II. eine derartige Äußerung zuschreibt189.

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speziell: E. [H.] Kantorowicz, Kaiser Friedrich der Zweite [1]: [Hauptband], Berlin 1927 (u. ö.), 455sq.; [2]: Ergänzungsband, Berlin 1931 (u. ö.), 199; H. M. Schaller, Kaiser Friedrich II. Verwandler der Welt (Persönlichkeit und Geschichte 34), Göttingen 1964, 66; Th. C. van Cleve, The Emperor Frederick II of Hohenstaufen. Immutator mundi, Oxford 1972, 421sq.; K. J. Heinisch, Kaiser Friedrich II. Sein Leben in zeitgenössischen Berichten (dtv Dokumente), München 1977 (u. ö.), 333sq. nt. 22 und 36; Niewöhner, ‚Veritas sive Varietas‘, 143–153; D. Abulafia, Herrscher zwischen den Kulturen. Friedrich II. von Hohenstaufen, Berlin 1991, 298sq.; A. Sommerlechner, Stupor mundi? Kaiser Friedrich II. und die mittelalterliche Geschichtsschreibung (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom. 1. Abteilung. Abhandlungen 11), Wien 1999, 139 und 143; K. van Eickels/T. Brüsch, Kaiser Friedrich II. Leben und Persönlichkeit in Quellen des Mittelalters, Düsseldorf–Zürich 2000, Düsseldorf 22006, 345, 358–360, 362sq., 365 und 464sq.; W. Stürner, Friedrich II. 2: Der Kaiser 1220–1250 (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 2000, 473 mit nt. 30; G. Schwerhoff, Zungen wie Schwerter. Blasphemie in alteuropäischen Gesellschaften 1200–1650 (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven 12), Konstanz 2005, 120; M. Thomsen, ‚Ein feuriger Herr des Anfangs …‘. Kaiser Friedrich II. in der Auffassung der Nachwelt (Kieler Historische Studien 42), Ostfildern 2005, 37; H. Houben, Kaiser Friedrich II. (1194–1250). Herrscher, Mensch und Mythos (Urban-Taschenbücher 618), Stuttgart 2008, 74 und 150sq.; O. B. Rader, Friedrich II. Der Sizilianer auf dem Kaiserthron. Eine Biographie, München 2010 (u. ö.), 454sq.; D. Weltecke, ‚Der Narr spricht: Es ist kein Gott‘. Atheismus, Unglauben und Glaubenszweifel vom 12. Jahrhundert bis zur Neuzeit (Campus Historische Studien 57), Frankfurt am Main–New York 2010, 43, 55, 123–142, 147, 150sq., 177, 180, 197, 207 und 210. Einen ähnlichen Vergleich bezeugt Alonso de Espina in seinem Fortalitium fidei mit der Lehre einer Sekte in Medina del Campo 1459, welche die Trias Abraham, Jesus Christus und Muh.ammad nennt: Esposito, Una manifestizione, 44sq.; id., Une secte d’hérétiques à Medina del Campo en 1459. D’après le ‚Fortalicium Fidei‘ d’Alphonse de Spina, in: Revue d’histoire ecclésiastique 32 (1936), 350–360, 350sq., 356–358 und 360; Niewöhner, ‚Veritas sive Varietas‘, 359–365. So noch bei Weltecke, Narr (nt. 188), 123sq.; ead., ‚Quod lex christiana impedit addiscere‘. Gelehrte zwischen religiöser Verdächtigung und religionskritischer Heroik, in: F. Rexroth (ed.), Beiträge zur Kulturgeschichte der Gelehrten im späten Mittelalter (Vorträge und Forschungen 73), Ostfildern 2010, 153–184, 171sq. Der Brief ist Potthast Nr. 10766 [1239 V 21], ed. K. Rodenberg (MGH Epistolae saeculi  1), Berlin 1883, 646–654 no 750, 653 l. 34–39: „Set quia minus bene ab aliquibus credi posset, quod se verbis non illaqueaverit oris sui, probationes in fidei victoriam sunt parate, quod iste rex pestilentie a tribus barattatoribus, ut eius verbis utamur, scilicet Christo Iesu, Moyse et Machometo, totum mundum fuisse deceptum, et duobus eorum in gloria mortuis, ipsum Iesu in ligno suspensum manifeste proponens.“ Cf. F. Graefe, Die Publizistik in der letzten Epoche Kaiser Friedrichs II. Ein Beitrag zur Geschichte der Jahre 1239–1250 (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 24), Heidelberg 1909 [Nachdruck: Nendeln 1977], 35; P. Segl, Die Feindbilder in der politischen Propaganda Friedrichs II. und seiner Gegner, in: F. Bosbach (ed.), Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit (Bayreuther Historische Kolloquien 6), Köln–Weimar–Wien 1992, 41–71, 45 nt. 22. Zur Autorschaft Rainers von Viterbo an diesem Schreiben: P. Herde, Ein Pamphlet der päpstlichen Kurie gegen Kaiser Friedrich II. von 1245/46 (‚Eger cum lenia‘), in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 23 (1967), 468–538, 497 mit nt. 122 und 503 mit nt. 149; W. Maleczek, Papst und Kardinalskolleg von 1191 bis 1216. Die Kardinäle unter Coelestin III. und Innocenz III. (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom I. 6), Wien 1984, 185 mit nt. 461 und 187 mit nt. 476. Zur Leugnung seitens Friedrichs II., je diesen Ausspruch getätigt zu haben, cf. Historia diplomatica Friderici Secundi sive Constitutiones, privilegia, mandata, instrumenta quae supersunt istius imperatoris et filiorum ejus. Accedunt epi-

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Doch hat die intensive Suche in den zeitgenössischen Quellen weder nähere Daten zum historischen Kontext dieser Aussage noch irgendwelche Zitate noch überhaupt ein Manuskript(fragment) hiervon zutage gefördert. Auch der Pariser Artist und Theologe Simon von Tournai (ca. 1130–1201)190 und Kaiser Friedrichs Sekretär Petrus de Vinea (vor 1200–1249)191 sind als Verfasser des bis heute nicht gefundenen Originalwerkes ins Spiel gebracht worden. Eine andere Quelle bereits aus dem späteren 12. Jahrhundert variiert die Trias Moses, Jesus, Muh.ammad. Es ist das berühmte ‚Sendschreiben in den Yemen‘ (Iggeret Teman) von 1172 aus der Feder des jüdischen Religionsphilosophen Moses Maimonides, der in der dritten Phase der Judenverfolgungen mit Schwert und Argumenten als Phase von Religionsgründungen Jesus, Paulus und Muh.ammad als die besagten drei Betrüger bezeichnet192. Doch es gibt noch ein weiteres, bislang übersehenes lateinisches Zeugnis aus dem Orient, das die Kenntnis des dort praktizierten Vergleichs der Gesetze des Moses, Jesu und Muh.ammads bezeugt und das zugleich eine motivgeschichtliche Brücke in den Okzident schlägt. In seinem im September 1221 nur

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stolae paparum et documenta varia, 5, 1, ed. J.-L.-A. Huillard-Bréholles, Paris 1857 [Nachdruck: Torino 1963], 348–351, 349 l. 10–28 (in der Briefsammlung des Petrus de Vinea I 31): „Inseruit enim falsus Christi vicarius fabulis suis nos christiane fidei religionem recte non colere, ac dixisse tribus seductoribus mundum esse deceptum: quod absit de nostris labiis processisse, cum manifeste confiteamur unicum Dei filium, coeternum et coequalem Patri ac Sancto Spiritui, dominum nostrum Jesum Christum, ab initio et ante secula genitum, processu temporis missum in terris, in subsidium generationis humane, non de potentia ordinata, sed de potentia ordinante: quo est de gloriosa Virgine matre natus, passus postmodum, et mortuus secundum carnem et alteram naturam, quam assumpsit in utero matris, virtute deitatis, a morte post triduum surrexisse. Mahometi vero corpus in aere pendere didicimus, obsessum demonibus, animam Inferni cruciatibus deditam, cujus opera tenebrosa fuerunt, et contra legem Excelsi. Mosen vero amicum Dei et familiarem vera docente pagina fuisse tenemus; in monte Synai cum ipso tenentem colloquia, cui Dominus rubum accendit: per quem signa et mirabilia fecit in Egypto et Hebraico populo; lex tradita declarat ipsum postmodum vocatum ad gloriam cum electis. In iis et aliis accusator noster et emulus ponens adversus filium matris Ecclesie scandalum, contra nos mendaces et venenosas notas mundo inscripsit.“ Cf. Graefe, Publizistik, 44sq.; O. Vehse, Die amtliche Propaganda in der Staatskunst Kaiser Friedrichs II. (Forschungen zur Mittelalterlichen und Neuen Geschichte 1), München 1929, 75–77. So Thomas von Cantimpré, Bonum universale de apibus, II  5 ed. George Colveneer, Thomae Cantipratani S. Theologiae doctoris, Ordinis Praedicatorum, et episcopi suffraganei Cameracensis, Bonum Universale De Apibus […], Douai 1627, 1–594, 440 l. 11–22: „Hic, cum super omnes doctores civitatis auditores haberet, et in schola coram omnibus de humilitate altissimae doctrine˛ Christi, quaestionem, disputatione praehabita, terminaret, in fidem tandem, datus in reprobum sensum, in execranda contra Christum blasphemiae verba prorupit. Tres sunt, inquit, qui mundum sectis suis et dogmatibus subiugarunt: Moyses, Iesus, et Mahometus. Moyses primo Iudaicum populum infatuavit. Secundo Iesus Christus a suo nomine Christianos. Tertio Gentilem populum Mahometus.“ Cf. Graefe, Publizistik (nt. 189), 38sq.; Esposito, Una manifestazione (nt. 188), 35sq. und 38; Weltecke, ‚Quod lex christiana‘ (nt. 189), 172sq. Wie Anm. 189. Niewöhner, ‚Veritas sive Varietas‘ (nt. 188), 177 und 179–182. Ibid., 143 hält er Maimonides für die Inspirationsquelle Friedrichs II. Moses Maimonides‘ Meinung wiederum ist der Anlaß für die Ringparabel des Salomon ibn Verga: ibid., 258–260 und 266sq.; F. Niewöhner, Scheiterhaufen sind keine Argumente. Die Ringparabel des Spaniers Salomon ibn Verga (1507), in: J. Irmscher (ed.), Rapports entre juifs, chrétiens et musulmans. Eine Sammlung von Forschungsbeiträgen, Amsterdam 1995, 199–203.

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kurz vor der Niederlage vor Damiette an den Sultan al-Ka¯mil geschickten Brief beschreibt der Kölner Domkanoniker Oliver von Paderborn den Vergleich der Religionsgesetze durch Christen, Juden und Muslime, von dem er Kenntnis erhalten habe: So ziehe der Christ das mosaische Gesetz dem muslimischen, der Jude das Gesetz Christi dem des Muh.ammad und der Muslim das Gesetz Christi dem mosaischen Gesetz vor. Dies sei schon einmal konkret vor den Großen des Volks der Muslime praktiziert worden. Oliver trägt dem Sultan die Geschichte vor, weil er ihm damit zeigen möchte, daß zwei fremde Zeugen, die nicht aus der eigenen Glaubenstradition und auch nicht aus dem eigenen Haus stammten, nämlich ein Jude und ein Muslim, das Gesetz Christi erhöht hätten, während das muslimische Gesetz allein bei den Muslimen vorgefunden würde193. Bei aller Abwandlung der Legende von den drei Betrügern der Menschheit aus christlicher Sicht wird klar, daß wir ihre Quelle im Orient zu suchen haben. Daher hat Louis Massignon schon 1920 zu Recht auf ihren östlichen Ursprung im heterodoxen Milieu des Islam seit dem 10. Jahrhundert (Qarmaten) hinweisen können194. VII. Ausblick Ich kehre zum Ausgangspunkt meines Beitrags zurück, indem ich mich nochmals auf einen Aspekt in der modernen Beurteilung der christlichen transkulturellen Buchkultur des Mittelalters konzentriere. In den letzten Jahren hat sich Thomas E. Burman mehrfach recht positiv zur Integration glossierter lateinischer Koranhandschriften in die Buchkultur des 12. und 13. Jahrhunderts geäußert195. Schon anhand ihrer Seitengestaltung mit Haupttext und Glossenapparat könne man nämlich den Anspruch ihrer Urheber zur Vergleichbarkeit mit den glossierten Bibelhandschriften derselben Zeit erkennen. Hier gilt es Widerspruch einzulegen, bestehen doch eklatante Unterschiede nicht nur in der Seitengestaltung von

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Epistola 5, ed. Hoogeweg, Schriften (nt. 67), 300 l. 8–16: „Quando Christianus et Judeus et Sarracenus conveniunt ad colloquendum de tribus legibus, Christianus legem Mosaycam tue legi merito prefert, Judeus legem Christi legi Mahumeth veraciter anteponit, Sarracenus legem Christi lege Mosayca meliorem firmiter asserit; sic coram maioribus tue gentis aliquando factum fuisse cognovimus. Ecce duo testes alieni prorsus a nostra disciplina nec a domo nostra prodeuntes, Judeus et Sarracenus, nostram legem extollunt, tue legis non invenitur nisi domesticus.“ L. Massignon, La légende ‚de tribus impostoribus‘ et ses origines islamiques, in: Revue de l’histoire des religions 82 (1920), 74–78; Niewöhner, ‚Veritas sive Varietas‘ (nt. 188), 233–237; Weltecke, Narr (nt. 188), 143–147. Zu den Qarmaten: W. Madelung, K.armat.¯ı , in: Encyclopédie de l’Islam 4, Leiden–Paris 1978, 687–692. So Th. E. Burman, Polemic, philology, and ambivalence. Reading the Qur’a¯n in Latin christendom, in: The Journal of Islamic Studies 15 (2004), 181–209, 202–204; id., Reading the Qur’a¯n in Latin christendom, 1140–1560 (Material Texts), Philadelphia (Pa.) 2007, 63 und 78–87, der seine Argumentation auf die Koran-Handschrift Cambridge, Corpus Christi College, Ms. 184 bzw. auf den Koran-Codex Paris, Bibliothèque de l’Arsenal, Ms. 1162 stützt, die beide ein schlichtes zweispaltiges Seitenlayout mit Glosse aufweisen.

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zeitgleichen Koran- und Bibelhandschriften196, sondern gerade auch in der völlig unterschiedlichen Qualität ihrer Glossenapparate, denn wir haben es allein bei der glossierten Bibel mit einem harmonischen Ganzen aus heiligem Text und seiner autoritativen Auslegung zu tun. Nichtsdestotrotz eröffnet der Vergleich der ‚heiligen Schriften‘ von Christen, Juden und Muslimen einen noch viel zu wenig beachteten Zugang zur lateineuropäischen Wahrnehmung und Deutung ‚religiöser Gesetzesbücher‘ auch in kodikologischer und medialer Perspektive. Doch sollte dieser Vergleich unter Beachtung der fundamentalen Unterschiede in der Wertigkeit ihrer Formen und Inhalte vorgenommen werden, um nicht von vornherein falsch zu sein.

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Zur völlig anderen formalen und inhaltlichen Qualität der glossierten Bibelhandschriften des 12. und 13. Jahrhunderts: G. Powitz, Textus cum commento, in: Codices manuscripti 5 (1979), 80–89 [mit 18 Abbildungen], 81–87; Chr. de Hamel, Glossed books of the bible and the origins of the Paris booktrade, Woodbridge 1984, 14–27; G. Lobrichon, Une nouveauté. Les gloses de la bible, in: P. Riché/G. Lobrichon (eds.), Le moyen âge et la bible (Bible de tous les temps 4), Paris 1984, 95–114 [mit 1 Abbildung] [Nachdruck: id., La bible au moyen âge (Les médiévistes français 3), Paris 2003, 158–172], 97–103; J. P. Gumbert, The layout of the bible gloss in manuscript and early print, in: P. H. Saenger/K. Van Kampen (eds.), The bible as book [2]: The first printed editions, London–New Castle 1999, 7–13 [mit 7 Abbildungen], 8–10 und Tafel 1–5; M. M. Tischler, Dal Bec a San Vittore. L’aspetto delle Bibbie ‚neomonastiche‘ e ‚vittorine‘, in: P. Cherubini (ed.), Forme e modelli della tradizione manoscritta della Bibbia (Littera antiqua 13), Città del Vaticano 2005, 373–405 und Tafeln 30–32; id., Die Bibel in Saint-Victor zu Paris. Das Buch der Bücher als Gradmesser für wissenschaftliche, soziale und ordensgeschichtliche Umbrüche im europäischen Hoch- und Spätmittelalter (Corpus Victorinum. Instrumenta 6), Münster i.W. 2014, passim.

Jüdisches Gesetz christlich interpretiert: Ramon Martís ‚Pugio fidei‘ G K. H (Ratingen-Lintorf) A. M. Ritter zum 23. November 2013

In den letzten Jahren ist Ramon Martís1 ‚Pugio fidei‘ 2 (um 1280 abgeschlossen) erneut in den Blick des wissenschaftlichen Interesses gerückt. Ein Hauptaugenmerk lag dabei auf dem ersten der drei Bücher (in fünf Teilen) und der Verarbeitung arabischer Philosophie 3. Die von Aufbau und Charakter andersartigen Bücher II und III gerieten dabei ein wenig aus dem Blick4. Das mag mit dem Aufbau des Gesamtwerks zu tun haben, das den Eindruck erweckt, als sei es nicht von vornherein in der vorliegenden Form vorgesehen gewesen. Das erste Buch weist in Form und Inhalt eine große Nähe zum ersten Buch der ‚Summa contra gentiles‘ des Thomas von Aquino auf 5, das zweite Buch erscheint wie eine, nun

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So die katalanische Schreibweise; der Name wird auch in der latinisierten Form mit Raimundus Martini wiedergegeben. Die meisten Handschriften weisen lediglich ein „frater Raimundus“ auf, was mitunter zu Spekulationen um eine Identität mit Ramon de Peñafort geführt hatte. Der ‚Pugio fidei‘ liegt in unterschiedlichem Umfang in zehn mittelalterlichen und zwei frühneuzeitlichen Handschriften, bislang einem bekannten mittelalterlichen Fragment sowie zwei von einander abhängigen Druckausgaben des 17. Jahrhunderts vor; cf. G. K. Hasselhoff, Some Remarks on Raymond Martini’s (c. 1215/30–c. 1284/94) Use of Moses Maimonides, in: Trumah 12 (2002 [2003]), 133–148, hier 144sq.; M. Perani, Giovanni Spano e gli ebrei. Due manoscritti ebraici della sua collezione donati alla Biblioteca Universitaria di Cagliari e nuove scoperte sulla Sardegna Judaica, in: Materia Giudaica 14 (2009), 35–62, hier 57–59 et Tabula 16; R. Szpiech, Citas árabes en caracteres hebreos en el Pugio fidei del domenico Ramón Martí. Entre la autenticidad y la autoridad, in: Al-Qantara 32 (2011), 71–107, hier 76–80. Eine Neuausgabe wird derzeit von einem internationalen Team für die ‚Bibliotheca Philosophorum Medii Aevi Cataloniae‘, Santa Coloma de Queralt, erarbeitet. – Alle nachfolgenden Angaben nach der Edition Carpzov (Leipzig 1687; ND Farnham 1967) und dem mutmaßlichen Autograph Ms. Paris, Bibliothèque Ste. Geneviève 1.405. ˙ aza¯lı¯ et les philosophes; Analyse de la Cf. D. Travelletti, Front commun. Raymond Martin, al-G structure et des sources du premier livre du Pugio Fidei, Diss Fribourg/CH 2011; A. Gilleti, The Journey of an Idea. Maimonides, Albertus Magnus, Thomas Aquinas and Ramon Martí on the Undemonstrability of the Eternity of the World, in: J. F. Meirinhos/M. L. Pulido (eds.), Pensar a Natureza. Problemas e Repostas na Idade média (séculos IX–XIV) (Coleção: Textos e estudos de Filosofia Medieval 2), Porto 2011 [2012], 269–300. Eine Ausnahme ist Szpiech, Citas árabes (nt. 2). Cf. L. Robles, Escritores Dominicos de la Corona de Aragon (Siglos XIII–XV), Salamanca 1972, 72–75 (Synopse der Parallelen); id., En torno a una vieja polémica. el ‚Pugio fidei‘ y Tomás de

Jüdisches Gesetz christlich interpretiert: Ramon Martís ,Pugio fidei‘

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zweisprachige, Neuausgabe der früheren Schrift ‚Capistrum iudeorum‘ 6, wohingegen das dreiteilige Buch III wie eine Wiederholung und Fortführung des bereits Gesagten der ersten beiden Teile erscheint, indem eine Gotteslehre aus jüdischen Quellen (I–III), eine Anthropologie in christologischer Perspektive (II–III) und eine Heilslehre (III–III) ausgeführt werden. Der letzte Teil (III–III) ist dabei umfangreicher als die übrigen vier Teile zusammen. Ramon wechselt innerhalb seines Textes zwischen Traktat- und Quästionenstil und führt zur Stützung seiner Argumente sowohl biblische Texte (mit einer klaren Dominanz alttestamentlicher Literatur) als auch Kirchenväterliteratur (hier vor allem Hieronymus, Johannes Chrysostomos, Augustinus, Gregor den Großen und Bernhard von Clairvaux7) sowie arabisch-muslimische (Koran, arabische Aristoteliker) und jüdische Traditionsliteratur an. Bemerkenswert und für die Frage nach dem „Gesetz“ besonders interessant ist die Auseinandersetzung mit rabbinischen und zeitgenössischen Positionen jüdischer Autoren, deren Texte in der Originalsprache (aramäisch, hebräisch, (judäo-)arabisch) und in lateinischer Übersetzung dargeboten werden. Saul Lieberman erstellte aufgrund der Druckausgabe des 17. Jahrhunderts eine Übersicht über die von Ramon Martí angeführten Texte 8. Auch wenn diese Übersicht nach dem mutmaßlichen Autograph (Ms. Paris, Bibliothèque Ste. Geneviève, 1.405), das den Umfang der Editio princeps um etwa 15 % übersteigt, zu korrigieren ist 9, so gibt schon diese Übersicht eine ungefähre Vorstellung davon, welches Judentum Ramon Martí kennt und zur Abgrenzung oder zur Stützung seiner Behauptungen anführt. Demnach zitiert Ramon in unterschiedlichem Umfang (im genannten Manuskript von einer Zeile bis zum einem vierseitigen Exzerpt) aus einer

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Aquino, in: Revista Española de Teologia 34 (1974), 321–350; A. Huerga, Hipótesis sobre la génesis de la ‚Summa contra gentiles‘ y del ‚Pugio fidei‘, in: Angelicum 51 (1974), 533–557; P. Ribes Montané, ¿Conoció Santo Tomás la ‚Explanatio Symboli‘ de Ramón Martí?, in: Espiritu. Barcelona 26 (1977), 93–97; A. Robles Sierra, Fray Ramon Martí de Subirats, O. P. y el diálogo misional en el siglo XIII, Burgos 1986, 71–77; Ann Giletti (Rom) arbeitet gegenwärtig an einer Neubewertung der Abhängigkeitsverhältnisse. Das ‚Capistrum Iudeorum‘ liegt in einer unkritischen Ausgabe vor: Raimundi Martini, Capistrum Iudaeorum. Texto crítico y traducción A. Robles Sierra (Corpus Islamo-Christianum 3/1; 5), Würzburg–Altenberge 1990/93. Für weitere zitierte Kirchenväter cf. A. Berthier, Un Maître orientaliste du XIIIe siècle. Raymond Martin O. P., in: Archivum Fratrum Praedicatorum 6 (1936), 267–311, hier 310sq. Cf. S. Lieberman, Shkiin. A Few Words on Some Jewish Legends, Customs and Literary Sources Found in Karaite and Christian Works (Including an Index of the Jewish Books Cited in Pugio fidei of Raymund Martini) (1939), Second Edition with additional notes and corrections, Jerusalem 1970, 84–91 (Hebr.); lediglich Präzisierungen bietet Ch. Merkhavia, Pugio Fidei – An index of Citations, in: Exile and Diaspora. Studies in the History of the Jewish People Presented to Haim Beinart on the Occasion of his Seventieth Birthday, Jerusalem 1988, 203–234 (Hebr.), hier 208–234. Alle nachfolgenden quantitativen Aussagen aufgrund der Liebermanschen Zählung, die jedoch teilweise nach eigener Durchsicht des Autographen nach oben korrigiert wurde; die Rashi-Stellen wurden von Lieberman nicht gezählt. Cf. Hasselhoff, Some Remarks (nt. 2), 138.

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Görge K. Hasselhoff

sehr breiten Palette jüdischer Traditionsliteratur. Den mit Abstand größten Anteil haben dabei die rabbinischen Texte, insbesondere aggadische Partien aus insgesamt fünfzehn sehr unterschiedlichen Midraschim (rund 400 Zitate ohne Moshe ha-Darshan) und aus den beiden Talmudim (Babylonischer Talmud: mehr als 230 Zitate aus insgesamt 28 Traktaten; Jerusalemer Talmud: mindestens 24 Zitate). Daneben treten Bibelübersetzungen wie Targum Onqolos, Targum Yonatan und Bibelkommentatoren. Der mit Abstand am häufigsten angeführte Bibelkommentator ist R. Shlomo Yitzhaqi (Rashi, ca. 1040–1105) mit knapp 300 Zitaten10. Er wird gefolgt von Moshe ha-Darshan (12. Jahrhundert)11 mit mindestens 64 Zitaten, David Kimhi (1160–1235) mit mindestens 38 Zitaten und Abraham ibn Ezra (ca. 1092– 1167) mit 32 Zitaten12. Bemerkenswert sind zudem 21 Maimonideszitate13 sowie mindestens zwei Anführungen des Ramon Martí aller Wahrscheinlichkeit nach persönlich bekannten Moshe ben Nahman (auch: Nachmanides, 1194–1270)14. Interessant ist nun zu sehen, wie Ramon Martí diese mehr als 1000 Anführungen jüdischer Autoritäten mit einem Konzept einer lex bzw. einer lex vetus in Verbindung bringt. Hierfür sollen exemplarisch drei Kapitel des letzten Teils des ‚Pugio fidei‘ dargestellt werden, in denen ‚Gesetz‘ thematisiert wird. Es handelt sich dabei um die konsekutiven Kapitel 11 und 12 zur – im weitesten Sinne – lex vetus, sowie um Kapitel 20 zur lex nova sive Messie. In den ersten zehn Kapiteln dieses letzten Teils stellt Ramon Martí dar, daß das gesandte Wort Gottes der erwartete Messias und als solcher Gott ist, der gekommen ist, Adam und seine Nachkommen zu erlösen, wie Gott bereits zuvor mehrfach erschienen ist, daß der Messias aus einer Jungfrau geboren wurde und wie seine Genealogie zu deuten und zu verstehen ist. Daran schließt sich das erste der Kapitel an, die wir hier näher betrachten wollen. In III–III, 11 fragt Ramon, „auf welche Weise unser Herr Jesus Christus gekommen“ sei, „nicht, um das Gesetz und die Profeten aufzulösen, sondern zu erfüllen“. Zur Beantwortung dieser Frage geht er (nach de Voisin’scher Zählung) in dreißig Schritten vor15. Zunächst stellt er fest, daß das Gesetz, das Jesus Christus erfülle, in fünf Gruppen einzuteilen sei, nämlich in moralia, in judicialia, in ceremona10 11

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Vgl. G. K. Hasselhoff, Die Rashi-Texte in Ramon Martís ,Pugio fidei‘, in: Judaica 70 (2014), im Druck. Cf. S. Lieberman, Raymund Martini and His Alleged Forgeries (1943), in: id., Texts and Studies, New York 1974, 285–300, hier 285–290, 294sq.; H. Mack, The Mystery of Rabbi Moshe Hadarshan, Jerusalem 2010, 240–292 (hebr.). Zu den 27 bei Lieberman genannten Stellen kommen noch fünf weitere Texte. Cf. die Übersicht in Hasselhoff, Some Remarks (nt. 2), 139–142; id., Dicit Rabbi Moyses. Studien zum Bild von Moses Maimonides im lateinischen Westen vom 13. bis 15. Jahrhundert, Würzburg 2. Aufl. 2005, 227–244. Nachmanides war der Opponent in der Disputation von Barcelona 1263, bei der Ramon Martí möglicherweise als Zuschauer bzw. Zuhörer anwesend war, cf. Hasselhoff, Dicit (nt. 13), 225. Die folgende Darstellung folgt in der Ed. Carpzov, p. 774–795, in Ms. Paris, Sainte-Geneviève 1.405, foll. 299r–318r. – Aus Gründen der Pragmatik behalte ich diese Zählung hier und für die anderen hier besprochenen Kapitel bei, obgleich sie nicht immer mit der Einteilung in Ramon Martís Autograph übereinstimmt.

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lia, in comminationes und in sacramenta. Zu den moralia gehören die Zehn Gebote (vgl. Exodus 20, 3; Matthäus 19, 17); das Shabbatgebot ist dabei moralisch, insofern es nicht als zur Einteilung der Tage – das sei zeremoniell – zugehörig verstanden werde. Judizialgebote seien von der Art des Tallionsgesetzes; zu den Zeremonialgeboten gehörten dagegen neben den Opfervorschriften beispielsweise auch die Vorschrift zur Beschneidung. Verheißungen wie die des Landes und die Bekehrung der Heiden seien in der Inkarnation Christi erfüllt. Sakramentalia wie das Passahlamm und die Rote Kuh seien gleichsam Schatten Jesu Christi. Auf diese allgemeine Kategorisierung des Gesetzes erfolgt als Einschub ein wichtiger Hinweis auf die Kirchenvätertradition (hier repräsentiert durch Chrysostomos und Augustin), in der gelehrt worden sei, daß Christus das Gesetz erfüllt habe. Dennoch, so die Fortsetzung im nächsten Schritt, haben Juden und Judaisierer (iudaizantes) einiges gegen diese ‚christliche‘ Sichtweise hervorgebracht (mit Verweis auf Genesis 17, 13; Exodus 31, 16; 12, 14; Leviticus 23, 21; 24, 8). Solche Einwände ließen sich jedoch aus Schriften jüdischer Exegeten auf fünferlei Weise, nämlich mit Argumenten aus Rashi, Midrasch Devarim zu Deuteronomium 15, 17, Numeri 19, 21 [!], bQiddushin 21b und David Kimchi mit Bezug auf deren Interpretation von ’olam / seculum widerlegen16. Es folgt eine gesonderte Darstellung der Auslegung David Kimchis zum Begriff ‚ewig‘. Übergangslos stellt Ramon Martí dar, daß Zeremonialgebote wie Beschneidung, Shabbat, Opfer und dergleichen nicht ewig gültig seien, sondern nur bis zum Kommen des Messias; das Verschwinden des mosaischen Gesetzes vor der Ankunft des Messias wird belegt aus Midrasch Qohelet zu Prediger 2, 1 und Jeremia 31, 31–33. Wiederum übergangslos erfolgt eine äußerst umfangreiche (acht ManuskriptSeiten!) Übertragung des Begriffs b’rit (Bund) auf lex, wie sich aus dem Midrasch Mekhilta (zu Exodus 12, 3) und anderen Texten ergebe. Dieser Abschnitt endet mit einer Erinnerung daran, daß das Shabbatgebot dadurch aufgehoben sei, daß der Herrentag ihn überbiete; an diesem Tag sei zudem den Aposteln der Geist und damit das Neue Gesetz gegeben worden. Von hier aus geht Ramon Martí über zu einer Auseinandersetzung mit dem Midrasch Shir-HaShirim zu Hohelied 2, 10, der auf die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit der Messias kommen kann, untersucht wird. Nach der Wiederkunft des Messias werde das Gesetz erneuert, wie sich aus Jeremia 4, 3, Deuteronomium 10, 16 und dem Midrasch Bereshit Qatana (kleiner Midrasch zum Buch Genesis) zu Genesis 17, 7 ergebe. Hierauf folgt eine exkursartig angelegte Nota: Es gebe vier Arten der Beschneidung, nämlich die der Ohren, des Mundes und des Herzens, die geistlich sind, sowie die körperliche der Vorhaut. Gerechtigkeit komme jedoch nicht aus der letzten, wie Paulus (2. Korinther 13, 3; Galater 5, 2; Römer 4, 10), Rashi (zu Genesis 15, 6) und der Midrasch Bereshit Qatana zu Genesis 6, 9 schrieben (letzteres bezogen auf Gerechte wie Noah.) 16

Bemerkenswert ist, daß das vierte Argument im Autograph in margine überarbeitet ist.

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Die Beschneidung werde in der Kirche daher durch die Taufe ersetzt. Eine Beschneidung nach der Offenbarung Jesu Christi sei wie eine Blasphemie. Aus Schriften der Kirchenväter Augustinus und Beda Venerabilis erfolgt eine Darstellung der Beschneidung im Alten Testament. Von hier geht es zurück zum Shabbat, der als ein Zeichen (signum) gegeben sei. Aus Midrasch Tehellim (zu Psalm 75, 11) und bMe’ila 17a–b werden anschließend Argumente gegen die Beschneidung und den Shabbat angeführt17. Daß dennoch die Juden an den Zeremonialvorschriften Beschneidung und Shabbatobservanz festhielten, ist für Ramon ein Werk (eigentlich: Wunder) des Teufels (per diabolicum miraculum). Anknüpfend an die Anführung des Teufels werden nun Beispiele für die Versuchung Abrahams durch den Teufel nach bSanhedrin 89b und dem Midrasch Tanchuma zu Genesis 22, 6 angeführt. In einem erneuten Einschub wird darauf verwiesen, daß Gebote zur Menstruation unter die moralia zu zählen seien. Danach kommt Ramon Martí erneut auf den Shabbat zu sprechen. Nun werden die beiden Midraschwerke Bereshit rabba und qatana (beide zu Genesis 2, 3) angeführt, um gegen die Shabbatobservanz zu polemisieren, die ja schon für Abraham nicht gegolten hatte. Mit einem Hinweis auf Hieronymus18 wird diese Aussage noch vertieft und für die christliche Leserschaft unterstrichen. Jedoch werde auch aus weiteren rabbinischen Schriften deutlich, daß der Shabbat seiner Bedeutung enthoben sei. Das Kapitel wird abgeschlossen mit einem Dreischritt, in dem zunächst verwiesen wird auf Augustinus, der betont hatte, daß der Shabbat zwar Gebot gewesen sei 19, es nun aber nicht mehr sei, sodann auf Midrasch Tehillim (zu Psalm 90, 15), nach dem der Shabbat zeremoniell sei, und schließlich auf Gregor den Großen, der gezeigt habe, daß das zukünftige Leben ein lang andauernder Shabbat sein werde. Aus dieser Übersicht dürfte schon deutlich geworden sein, daß die eingangs des Kapitels erwähnte Fünfteilung bzw. Kategorisierung der Gebote von Ramon Martí seinerseits auf die christlich nicht mehr gültigen Zeremonialgebote Beschneidung und Shabbat reduziert wird. Hinsichtlich des mit dieser Sicht verbundenen Judentums fällt zudem auf, daß, obgleich eine Vielzahl an Belegen aus rabbinischer (sowohl talmudischer als auch midraschischer) Literatur stammt, das Judentum durch Ramon Martí auf ein Judentum reduziert wird, das für lange Zeit charakteristisch war für die von Doron Mendels und Arye Edrei so bezeichnete „westliche Diaspora“, d. h. ein Judentum, das eine frühe religionsgeschichtliche Form des Judentums ohne eine rabbinische Debattenkultur darstellte 20.

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Der Duktus des Talmudtextes ist freilich ein anderer, als Ramon Martí ihm beilegt. Sophronius Eusebius Hieronymus, Hebraicae Quaestiones in libro Geneseos, 2, 2, ed. de Lagarde, Corpus Christianorum. Series Latina 72, Turnhout 1969, 4. Cf. Aurelius Augustinus, In Iohannis Evangelivm, XX, 2, ed. Willems, Corpus Christianorum. Series Latina 36, Turnhout 1954, 203sq. Cf. D. Mendels/A. Edrei, Zweierlei Diaspora. Zur Spaltung der antiken jüdischen Welt (Toledot 8), Göttingen 2010. – Die Beobachtung der beiden Autoren ist deswegen wichtig, weil sie ein

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Das direkt anschließende 12. Kapitel behandelt die „Zeremonialgebote, die nicht wörtlich zu verstehen sind“. Hier geht Ramon Martí (nach de Voisin’scher Zählung) in 21 Schritten vor 21; das Vorgehen ist noch weniger stringent als in dem vorangehenden Kapitel. Die Grundannahme ist dabei, daß bis zur Ankunft des Messias alle Gebote, die im Folgenden mit Kommentierungen aus biblischen und jüdischen Schriften genannt werden, gegolten haben. Dazu zählen die die körperliche Reinheit betreffenden (erläutert nach dem Midrasch Bereshit Rabba zu Genesis 41, 1) sowie der Verzehr unreiner Tiere (Deuteronomium 12, 15. 22sq. mit der zugehörigen Erläuterung aus dem Midraschwerk Sifre zu Deuteronomium)22. Darauf folgt eine Darstellung der rabbinischen Setzung von 613 Ge- und Verboten nach bMakkot 23b–24a, in die eine Deutung nach dem Zahlenwert von „Torah“ = 611 (h = 5; v = 6; r = 200; t = 400) zuzüglich zweier Gebote nach Exodus 20, 2 („Ich bin“) und 3 („Du sollst nicht haben“) einfließt. Die Zahl 613 wird mit einem Kommentar Rashis aus dessen Talmudkommentar zur Stelle erläutert. Es folgt eine Reihe mit Beispielen nach Midrasch Bamidbar (zu Numeri 22, 34) und bSanhedrin 90a für die Reduktion der zu beachtenden Gebote. Mit „nota“ gekennzeichnet erfolgt ein Einschub zu dem Wort „totafot “ in Deuteronomium 6, 8, das gleichbedeutend mit dem Griechischen phylaktéria = servare tora = lex sei. Wenn es nun 613 Ge- und Verbote gebe, sei – so muß ergänzt werden: nach bMakkot 24a – die Zahl mit David (Psalm 15, 1–5) auf elf, mit Jesaja (33, 15) auf sechs, mit Micha (6, 8) auf drei, wiederum mit Jesaja (56, 1) auf zwei und mit Habakuk (2, 4) auf eines zu reduzieren, nämlich auf den Glauben aus der Liebe Gottes. Das treffe aber nur auf den Messias Jesus Christus, aber nicht auf Bar Kochba zu, wie er, Ramon, schon zuvor gezeigt habe. Die Zeremonialgebote seien aber nicht gut zu nennen, wie es schon Ezechiel (20, 25) gesagt habe; diese These wird mit Zitaten aus Rashis Kommentar zur Stelle sowie einer Aussage des Augustinus in seinem Briefwechsel mit Hieronymus gestützt 23. Aber auch Jesaja (40, 16) belege die Unerfüllbarkeit der Gebote. Auch Rabbi Moyses (i.e. Moses Maimonides) begründe in seinem ‚Führer der Unschlüssigen‘ die Zahl 613; die hier angeführten drei sehr langen Zitate aus den

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Erklärungsmodell liefert, warum es seit dem 12. Jahrhundert zu einem gravierenden Wandel im Verhältnis der Christen zum Judentum gekommen ist: Das bislang eher biblisch orientierte Judentum griff verstärkt auf ein „neues“ Gesetzeskorpus zurück, das den zeitgenössischen Christen unbekannt und fremd war; damit ging eine vorher dagewesene relative Nähe beider religiöser Traditionen verloren. Ramon Martís Ansatz würde demnach versuchen, in den Kategorien des bisher bekannten Judentums dieses „neue“ Judentum zu integrieren und zu beschreiben. Die folgende Darstellung folgt in der Ed. Carpzov, p. 802–817 [p. 804sq. fehlt in der Handschrift], in Ms. Paris, Sainte-Geneviève 1.405, foll. 318r–330v. In der Druckausgabe (ed. Carpzov, p. 804sq.) schließt hieran ein Beleg über das Verbot des Verzehrs einzelner Glieder lebender Tiere nach dem Midrasch Echa Rabbati zu Klagelieder 2, 10 an, der im Autograph fehlt. Die Herkunft dieses Textes im ‚Pugio fidei‘ ist noch ungeklärt. Cf. Augustinus, Epistula 82, 14, ed. A. Goldbacher, CSEL 34/2, Prag–Wien–Leipzig 1889, 363sq.

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drei Kapiteln 31, 32 und 45 des genannten Buchs in eigener Übertragung Ramons gehören zu den längsten Zitaten im gesamten ‚Pugio fidei‘ 24. Im Midrasch Tehellim zu Psalm 50, 8 werden die Brandopfer abgelehnt, Moshe ha-Darshan führe einen Text an, der die Liebestätigkeit über die Opfer stelle, Midrasch Tehillim zu Psalm 56, 13 wiederum belege, daß Opfer usw. enden werden; Psalm 51, 17 sowie bSota 5b und bSanhedrin 43a–b schließlich belegen, daß Demut und Zerknirschtheit wichtiger als Opfer sind. Der Gedanke wird dann unterbrochen mit einer nota, daß die Gebote einen geistlichen Sinn im Blick auf virtutes, boni mores und passio Christi hätten. Das belegten auch Midrasch Shir-HaShirim zu Hohelied 4, 3, sowie Maleachi 1, 10 mit den jeweiligen Kommentaren zur Stelle bei Abraham ibn Esra und Rashi. An dieses Kapitel schließen sich acht 25 Kapitel an, in denen Ramon Martí die Sakramente, das Leiden, sowie Tod und Auferstehung Christi darstellt. Im letzten ‚regulären‘ Kapitel des ‚Pugio fidei‘ (III–III, 20 26) 27 schließlich kommt Ramon Martí ein letztes Mal auf die Frage des Gesetzes zurück, nun als das „neue“ Gesetz des Messias und die Aussendung des Heiligen Geistes. In diesem Kapitel möchte Ramon Martí zeigen, daß der Messias ein neues Gesetz geben, nach seiner Himmelfahrt zur Rechten Gottes sitzen und den heiligen Geist schicken wird, der jenes Gesetz in die Herzen seiner Jünger einschreiben wird. Wie auch in allen anderen Fällen geht Ramon Martí in mehreren (nach de Voisin’scher Zählung sechzehn) Schritten vor 28. Zunächst gibt er einen Beleg für das „neue Gesetz“ aus dem Buch Sifra, einem Midrasch zum Buch Leviticus (zu Leviticus 26, 10). Es folgt eine aus dem Midrasch der Mekhilta zu Exodus 12, 3 belegte „Übersetzung“ für den Begriff „berit“ (wohl am ehesten mit „Bund“ wiederzugeben) mit „lex“. Aus Tanchuma zu Deuteronomium 29, 12 wird anschließend angeführt, daß Gott auf der Wüstenwanderung drei Bundesschlüsse mit Israel schloß, am Sinai, am Horeb und in der Wüste Moab. Hinzugefügt wird eine Passage aus dem Midrasch Shir-HaShirim zu Hohelied 2, 12, in der gesagt wird, daß Gott einen neuen Bund schließen werde. Aus Midrasch Qohelet zu Prediger 11, 8 wird die Vergeblichkeit (vanitas) der Gesetzeserfüllung angesichts der Erwartung der lex Messie benannt. Aus Sifra über Leviticus 26, 46 wird eine Diskussion angeführt, was die Begriffe Huqim (statuta), Mishpatim (iudicia) und Torot (leges) bedeuten. Statuta seien Auslegungen (expositiones), Judicia seien Entscheidungen (deci-

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Das Zitat erstreckt sich in Ms. Paris, Ste. Geneviève 1.405, foll. 323v–328r! Nach der Zählung der Edition von Carpzov, cf. die nächste nt.! In Ms. Paris, Sainte-Geneviève 1.405 wird das Kapitel als achtzehntes geführt; die Differenzen in der Kapitelzählung (Cp. 13 der Handschrift wird in drei Kapitel der Tradition, die zum Druck führte, geteilt) gehören zu den unerklärten Problemen der Ramon Martí-Forschung. Die letzten beiden Kapitel gehören zwar ebenfalls zum ‚Pugio fidei‘, jedoch fügen sie sich nicht in die theologische Diskussion ein, sondern bieten eine Polemik gegen das Judentum eigener Art. Die folgende Darstellung folgt in der Ed. Carpzov, p. 883–893, in Ms. Paris, Sainte-Geneviève 1.405, foll. 383r–391v [der Text des Druckes weicht teilweise erheblich von dem der Handschrift ab].

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siones) und Gesetze seien zweierlei: Mündliches oder Schriftliches (oder eben, so die Diskussion, andere). Schließlich wird aus dem Midrasch Qohelet zu Prediger 2, 1 eine Verheißung eines zukünftigen Gesetzes zitiert. Hieran schließt Ramon Martí die allgemeine Bemerkung an, daß sich alles Angeführte auf „unseren Herrn Jesus Christus“ beziehe, der auch das Gesetz des Messias an Pfingsten in die Herzen seiner Jünger geschrieben habe, weswegen weder die Macht des Teufels noch menschliche Setzung das bestreiten könnten, wie schon der Profet Jeremia (31, 32) beschrieben habe. Über die Braut, d. h. – so Ramon Martí mit der Tradition – die Kirche, heiße es im Midrasch Shir-HaShirim zu Hohelied 1, 1, daß ihr das neue Gesetz zukomme. Das werde auch aus Deuteronomium 18, 15 belegt. Die Ankündigung aus Deuteronomium 34, 10, daß es keinen Profeten wie Mose geben werde, wird aus Sifre erläutert, wonach Balaam die Worte Gottes gehört habe. Aus Midrasch Qohelet zu Prediger 1, 9 wird eine Textpassage über den ersten und den letzten Erlöser zitiert, die auf Mose und den Mann aus Sittim bezogen sei. Sittim sei in Makedonien, wo die Apostel predigten und tauften, weswegen auch diese „Verheißung“ erfüllt sei. Wenn es im Hohelied mehrfach heiße „Küsse mich“, so sei auf das Christus und die Kirche zu beziehen. Nach diesem argumentativen Umweg kehrt Ramon Martí zu seinem eigentlichen Thema, dem neuen Gesetz, zurück, das für die gentes gegeben sei. Belege dafür finden sich in erster Linie bei Jesaja (42, 1) sowie in einer eher allgemeinen Notiz aus Midrasch Tehillim zu Psalm 21, 2. Daran schließt sich eine Auslegung von Prediger 10, 1 aus dem Midrasch Qohelet an, die danach fragt, was Weisheit, Ruhm und Torheit seien. Die Polemik wird dahingehend uminterpretiert, daß sie sich auf die oben angeführte Stelle der Eitelkeit (vanitas) beziehe, die vor dem messianischen Gesetz stehe. Der Messias seinerseits sei „Berater“ (consiliarius) Gottes (nach Psalm 73, 24) und empfange dort die Seinen. Alleine dem Gesetz des Messias kommt dabei Vollkommenheit zu, wie neben anderen schon Ibn Ezra zu Psalm 2, 12 und Midrasch Tehellim zur gleichen Stelle belegten (Ramon Martí führt insgesamt sieben Texte an). Diese Belegkette wird abgeschlossen mit einer allgemeinen Überlegung, daß die Unvollkommenheit des Mosaischen Gesetzes zudem die Vollkommenheit (perfectio) des Messianischen Gesetzes aus sieben Gründen belege: Wegen seiner Präexistenz, des Bezuges auf das Reich Gottes, der Taufe und der Buße, der Erkenntnis Gottes, der Erkenntnis der Seele, der Auferstehung und des Status der Gerechten nach der Auferstehung. Ein Reden über Geist und Kirche erübrige sich daher. Mit anderen Worten: Der Aufweis der Defizienz des Mosaischen Gesetzes genügt als Beleg für die Superiorität des Neuen Gesetzes Christi, das aber kaum inhaltlich gefüllt wird. Dieser Schnelldurchgang durch die drei Kapitel zur lex dürfte verdeutlicht haben, was ein Hauptproblem der Ramon-Martí-Erforschung ist: Der systematische Theologe, der Raimundus zweifelsohne auch ist, bleibt nur schwach konturiert; seine – in Bezug auf die Gesetzesthematik hier interessierende Aufgliede-

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rung der lex vetus in fünf Bereiche ging im Verlauf der Argumentation verloren. Stattdessen nimmt der Textsammler und -liebhaber das Heft in die Hand; die Illustration scheint nahezu zu einem Selbstzweck zu werden. Die eigentliche Aussage läßt sich in zwei Sätzen zusammenfassen: Die lex Messie löst die lex Mosaica ab; würden die Juden ihre eigenen Texte richtig lesen, könnten sie das wissen. Das von Ramon Martí präsentierte Christentum ist – auch wenn der Ausdruck nicht fällt – das wahre, nämlich das messianische Israel, das auf dem Weg der Darstellung nebenbei noch einen tiefen Einblick in die ‚neue‘ Literatur des Judentums erhält.

Die Kritik des Ägidius von Rom am ‚falschen Gesetz‘ in ihrem philosophie- und theologiehistorischen Kontext G G (Köln) In seinem dritten ‚Quodlibet‘ behandelt Ägidius von Rom die Frage, „ob jemand, der unter einem falschen Gesetz erzogen worden ist, zur Einsicht gelangen kann, daß das Gesetz falsch ist“. Obwohl Ägidius’ Antwort als eine Reflexion über unterschiedliche Möglichkeiten der Glaubensverteidigung interpretiert werden kann1, steht eigentlich nicht der christliche Glaube, sondern vielmehr das Gesetz im Mittelpunkt. Daß die Quästio eher eine moraltheologische als eine apologetische Ausrichtung hat, zeigt auch der unmittelbare Kontext: Die Disputatio, zu der sie gehört, behandelt Fragen „über den Menschen“ im diesseitigen Leben. Voraus geht die Frage, ob es verdienstvoller sei, Gott alleine zu gehorchen, als einem Menschen um Gottes willen zu gehorchen. Als dritte (und letzte) Quästio dieser Disputatio folgt die Frage, ob der Mensch durch die Alchemie echtes Gold produzieren kann und ob es erlaubt ist, solches Gold auszugeben. Die drei Fragen beziehen sich also auf das Verhältnis zwischen dem Menschen und (1.) „seinem Herrn, dem er dienen soll“, (2.) „seinem Gesetz, gemäß dem er leben soll“, und (3.) „seiner Kunst, mittels deren er imstande ist, tätig zu sein“ 2. Allein schon die Reihenfolge dieser Fragen suggeriert, daß das Gesetz in Ägidius’ Ideenwelt eine mittlere und vermittelnde Position zwischen Gott und der menschlichen Tätigkeit in der Welt einnimmt.

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Cf. A. Langs knappe Vorstellung dieser Quästio in seiner Studie Die Wege der Glaubensbegründung bei den Scholastikern des 14. Jahrhunderts, Münster i. W. 1930, 126–127. Bereits A. Stöckl (Geschichte der Philosophie des Mittelalters. Zweiter Bd., Zweite Abt., Mainz 1865, 767–768) bezeichnete die Quästio als einen der „Hauptpunkte aus seinem [d. h. Ägidius’] Lehrsystem“. Ägidius, Quodlibet III, Membrum III: De ente creato, Disputatio prima: De homine, in: B. Ægidii Columnæ Romani […] Quodlibeta revisa […] studio M. Fr. Petri Damasi De Coninck […], Lovanii […] 1646, 142: „Postea quærebatur de homine. Homo autem, quantùm ad pre˛sens spectat, potest comparari ad tria, videlicet ad suum dominum, cui servire debet: ad suam legem, secundum quam debet vivere, & ad suam artem, per quam competat ei, quod agat “. Das 3. Quodlibet datiert aus dem akademischen Jahr 1287–1288 (cf. G. Pini, Giles of Rome, in: C. Schabel, Theological Quodlibeta in the Middle Ages. The Thirteenth Century, Leiden–Boston 2006, 233–286, bes. 243). Bedenkt man, daß die Mamluken zu dieser Zeit Latakia (in 1287) und nur wenige Jahre später Tripolis (in 1289) und Akko (in 1291) eroberten, so ist klar, daß der Untergang des lateinischen Königreichs Jerusalem den ‚geopolitischen‘ Hintergrund von Ägidius’ Kritik am ‚falschen [muslimischen] Gesetz‘ bildete (cf. J. N. Claster, Sacred Violence. The European Crusades to the Middle East, 1095–1396, Toronto 2009, 285–287).

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Guy Guldentops

Will man die zweite Quästio richtig verstehen, so müssen zunächst zwei Kernelemente der scholastischen Gesetzestheorien berücksichtigt werden: einerseits die These, daß Gesetze eine moralisch bildende Kraft besitzen (I), andererseits die Kritik an menschlichen Gesetzen (II). Nachdem der philosophie- und theologiehistorische Kontext der Quästio umrissen worden ist, wird untersucht, wie unwahre Gesetze nach Ägidius falsifiziert werden können (III). Abschließend werden einige Aspekte der Rationalität der scholastischen Gesetzestheorien des 13. Jahrhunderts beleuchtet. I. Die disziplinier ende Funktion der Gesetz e Ägidius’ Frage nach der Möglichkeit einer Kritik am falschen Gesetz, unter dem man erzogen worden ist, setzt zuerst voraus, daß einem Gesetz (auch einem menschlichen Gesetz) prinzipiell eine disziplinierende Funktion beigemessen wird. Diese Auffassung hat sowohl philosophische als auch theologische Wurzeln. Aristoteles zufolge ist es die Absicht jedes Gesetzgebers, „die Bürger durch Gewöhnung tugendhaft zu machen“ 3. In einem ganz anderen Zusammenhang charakterisiert Paulus das alte Gesetz als „unseren Erzieher auf Christus hin“4. Anhand verschiedener aufschlußreicher Textstellen läßt sich zeigen, daß die erzieherische, das innere Ethos und das Handeln ordnende Funktion des Gesetzes ein Topos war, der das gesetzestheoretische Denken im 13. Jahrhundert dominierte und auch von Ägidius aufgegriffen wurde5.

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Cf. Aristoteles, Ethica Nicomachea, II, 1, 1103b2–6; X, 10, 1180a21–35; Politica, I, 2, 1253a31–33. Siehe dazu D. A. Lines, Aristotle’s Ethics in the Italian Renaissance (ca. 1300–1650). The Universities and the Problem of Moral Education, Leiden 2002, 63–64; F. Rese, Praxis und Logos bei Aristoteles. Handlung, Vernunft und Rede in Nikomachischer Ethik, Rhetorik und Politik, Tübingen 2003, 249–257; Z. Hitz, Aristotle on Law and Moral Education, in: Oxford Studies in Ancient Philosophy 42 (Summer 2012) 263–306, bes. 264–265. Paulus, Gal., 3, 24–25. Cf. J. Schröter, Die Universalisierung des Gesetzes im Galaterbrief. Ein Beitrag zum Gesetzesverständnis des Paulus, in: U. Kern (ed.), Das Verständnis des Gesetzes bei Juden, Christen und im Islam, Münster 2000, 27–63. Zur Rezeption dieser Stelle in der scholastischen Moraltheologie cf. E. Marmursztejn, Loi ancienne, loi nouvelle et normes chrétiennes dans la théologie scolastique du XIIIe siècle, in: Revue de l’histoire des religions 228 (2011), 509–539, bes. 518–520. Die metaphorische Verwendung des Verbs nutrire in Zusammenhang mit dem Gesetz geht auf Ambrosius zurück: vgl. De Spiritu Sancto, III, 11, 78, ed. O. Faller, Vindobonae 1964 (CSEL 79), 182, 71–73; Expositio euangelii secundum Lucam, V, 114, ed. M. Adriaen, Turnholti 1957 (CCSL 14), 174, 1255–1257); man findet sie auch im Aristoteles Latinus: Ethica Nicomachea. Translatio Roberti Grosseteste […] Recensio pura, ed. R. A. Gauthier, Leiden–Bruxelles 1972, 366 (X, 10, 1180a15). Siehe ferner J. R. Pierpauli, Elemente einer politischen Philosophie bei Albertus Magnus und ihre Bedeutung für die politische Philosophie des Thomas von Aquin, in: Archives d’Histoire Doctrinale et Littéraire du Moyen Âge 68 (2001), 27–43, bes. 39–41.

Die Kritik des Ägidius von Rom am ,falschen Gesetz‘

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1. Albertus Magnus An mehreren Stellen hat Albertus Magnus auf die Funktion des Gesetzes, den Menschen moralisch zu bilden, hingewiesen. Wenn er in ‚De bono‘ das Gesetz definiert, geht er von der oben zitierten Aussage des Philosophen aus. Da die politische Theorie (civilis doctrina) sowohl gebietende als auch verbietende Gesetze umfaßt, ist ihr gesamtes Ziel das „menschlich Gute“, das das Leben des Menschen am meisten vervollkommnet. Daher wird das Gesetz als „das geschriebene Recht, welches das Ehrsame erheischt und das Gegenteil verbietet“, definiert 6. In seinem Ethikkommentar fügt Albert hinzu, daß ein Gesetzgeber, der nicht auf die moralische Besserung der Bürger zielt, sondern nur eigennützige Gesetze erläßt, ein Tyrann sei 7. Außerdem verbindet er die aristotelische Definition, derzufolge ein Gesetz „eine von der Klugheit oder vom Intellekt ausgehende und eine zwingende Macht habende Rede“ ist, mit dem aus der christlichen Theologie stammenden Begriff regula vivendi 8: das Gesetz sei also eine „Lebensregel, die zum Lebensziel führt“ 9. Die moralische Konzeption der Gesetze tritt auch in der Frage, ob „Gesetze de nutritionibus erlassen werden sollen“, ans Licht. Dabei unterscheidet Albert zwischen der Ernährung, welche die körperliche Gesundheit des Kindes als Ziel hat, und der Erziehung, die auf die tugendhafte Gewohnheit hingeordnet ist. Die Ernährung der Kinder ist nicht durch „bürgerliche Gesetze“, sondern durch die „Gesetze der Medizin“ zu regeln10. Die sittliche Erziehung dagegen „soll zweifelsohne durch Gesetze geordnet werden“. Diese bürgerlichen Gesetze sind 6

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Albertus Magnus, De bono, V, 2, 1, edd. W. Kübel/F. Heyer, Münster 1951, 281, 9–11 und 282, 1–23: „Dicit enim Tullius, quod lex est ius scriptum asciscens honestum prohibensque contrarium. […] sicut dicit Philosophus in Ethicis, voluntas omnis legislatoris est, ut bonos secundum virtutem cives faciat. […] Ius enim scriptum est genus, et finis est asciscere honestum et prohibere contrarium.“ Cf. Aristoteles, Ethica Nicomachea, II, 1, 1103b2–6; Cicero, De inuentione, II, 54, 162 (alllerdings handelt es sich nicht um ein wörtliches Cicero-Zitat, sondern um eine von Augustin beeinflußte, im 12. Jahrhundert geprägte Paraphrase: cf. Augustin, Epistula 185, 5, ed. A. Goldbacher, Wien 1911 [CSEL 57], 17, 23–24; Wilhelm von Conches, Glosae super Boetium, I, m. 5, 4, ed. L. Nauta, Turnhout 1999 [CCCM 158], 86, 20–21; sowie die von H. Kühle angeführten Parallelstellen, in: De bono, 46, 70). Zu Alberts Gesetzesbegriff cf. S. B. Cunningham, Reclaiming Moral Agency. The Moral Philosophy of Albert the Great, Washington, D.C. 2008, 233–235. Albertus Magnus, Super Ethica, II, 1, ed. W. Kübel, Münster 1968–1972, 94, 8–15. Der Begriff regula vitae begegnet zuerst in einem Fragment des Seneca (cf. Lactanz, Diuinae institutiones, III, 15, 1), wurde aber erst in der christlichen Literatur ein gängiger Terminus; der Ausdruck regula vivendi ist zuerst bei Gennadius von Marseille (De scriptoribus ecclesiasticis, 78, in: PL 58, 1103A) bezeugt. Im Historischen Wörterbuch der Philosophie wird der antike bzw. mittelalterliche Begriff ‚Lebensregel‘ nicht behandelt (siehe B. Kible, Regel, in: HWPh, Bd. 8, Darmstadt 1992, 427–434). Albertus Magnus, Super Ethica, X, 18, ed. cit. (nt. 7), 785, 57–69. Cf. Aristoteles, Eth. Nic., X, 9, 1180a21–22. Zu Alberts diätetischem Interesse cf. H. Schipperges, Das medizinische Denken bei Albertus Magnus, in: G. Meyer/A. Zimmermann/P.-B. Lüttringhaus (eds.), Albertus Magnus, Doctor universalis. 1280/1980, Mainz 1980, 279–294, bes. 290–291; U. Friedrich, Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter, Göttingen 2009,

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zweifach. Zum einen gibt es juristische Gesetze, die Gerichtssachen regulieren; von diesen Gesetzen wird die Erziehung der Kinder nicht geleitet. Zum anderen gibt es moralische Gesetze, „welche die Philosophen im Hinblick auf das durch tugendhafte Handlungen verwirklichte Glück betrachten“; solche Gesetze bieten einen Leitfaden für die Erziehung der Kinder, „insofern Platon lehrt, daß auf die Tätigkeiten der Kinder geachtet werden soll und die Kinder den Unterricht bekommen sollen, dem sie sich von selbst widmen, weil sie darin am besten Fortschritte machen werden“11. Albert zufolge müssen dabei die Fähigkeiten der Kinder berücksichtigt werden, „damit jeder sich dem Unterricht widmet, für den er am meisten geeignet ist, und so dem Staat am meisten nützlich ist, weil man nicht nur für sich selber, sondern auch für andere gebildet werden soll“. Im Hinblick auf die Bildungspolitik hält Albert ferner fest, daß die Gesetzgeber verordnen sollen, welche Wissenschaften und Künste im Staat unterrichtet werden müssen. Die Künste, welche die Bürger moralisch schwächen (wie die Ausbildung zum Gastwirt oder die Würfelspielkunst), sollen verboten werden. Argumentiert man gegen diese platonisch-aristotelische Bildungspolitik, daß „es jedem erlaubt sei, zu lernen, was er will und solange er es will, und dies offensichtlich nicht vom Gesetz bestimmt wird“, so ist dieser Einwand leicht zu beseitigen: „[Daß dies erlaubt sei], ist eine Folge der Pervertierung der Bürgergemeinschaft, weil sich ihre Leiter nicht viel um den Nutzen des Staates kümmern. Im Altertum aber wurde für jeden bestimmt, was er lernen sollte“ 12. Auch in seinem Politikkommentar betont Albert, daß ein wahrhafter Staat eine durch eine „gute Gesetzgebung“ geordnete Gemeinschaft sei, die „ihre Bürger nicht zur Geldgier, sondern zur Übung der Tugend (studium virtutis) auffordert“13. In einem ähnlichen Sinne führt er in seinem Kommentar zu Matthäus 6, 10 („Dein Reich komme“) aus, daß die Gesetze ein heiliges, bindendes Element in einer königlichen Monarchie seien. Unter Berufung auf Platon definiert er ein regnum als

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160; C. Steel, A Philological Diet for Philosophers. Aristippus’ Translation of Book IV of Aristotle’s Meteorology and Albert the Great, in: A. Palazzo (ed.), L’Antichità classica nel pensiero medievale, Porto 2011, 79–106, bes. 101–105. Albertus Magnus, Super Ethica, X, 18, ed. cit. (nt. 7), 786, 19–38. Cf. Aristoteles, Eth. Nic., X, 9, 1180a25–28, Platon, Timaeus, 19A (= Calcidius, edd. J. Waszink/P. J. Jensen, London–Leiden 1962, 10, 1–7), und Augustin, De ciuitate Dei, II, 14. Albertus Magnus, Super Ethica, I, 2, ed. cit. (nt. 7), 11, 27–47. Cf. Aristoteles, Eth. Nic., I, 2, 1094a28–b2. Zu Alberts Bildungsideal cf. H. Anzulewicz, Alberts Konzept der Bildung durch Wissenschaft, in: L. Honnefelder (Hg.), Albertus Magnus und der Ursprung der Universitätsidee. Die Begegnung der Wissenschaftskulturen im 13. Jahrhundert und die Entdeckung des Konzepts der Bildung durch Wissenschaft, Berlin 2011, 382–397. Gegen eine Identifizierung von Albert als Vorläufer Humboldts muß hier bemerkt werden, daß der moderne deutsche Begriff ‚Bildung‘ Albert fremd ist: insbesondere fehlen bei ihm die historischen, philologischen und ästhetischen Dimensionen, die für die neuhumanistische ‚Bildung‘ konstitutiv sind (cf. J. Stolzenberg/ L. T. Ulrichs [eds.], Bildung als Kunst: Fichte, Schiller, Humboldt, Nietzsche, Berlin–New York 2010). Albertus Magnus, Politica, III, 6, ed. A. Borgnet, Paris 1891, 247, k.

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„die in einer [einzigen Person] vollkommen verwirklichte Macht und Herrschaft, die durch die Gerechtigkeit beseelt, durch Gesetze geordnet, durch die städtischen Gemeinschaften wie durch ihre Teile bestimmt und durch die Kraft ihrer Waffen gestärkt ist, die ferner die besten Bürgergemeinschaften regiert, die autark und reich ist an äußeren Gütern oder Mitteln, welche ihr organisch dienen“14.

In einem Königreich geht die ‚bindende‘ Macht der Gesetze vom König aus. Um dies zu erläutern, unterscheidet Albert verschiedene ‚Sprechakte‘. Die „unterrichtende Rede“ (sermo instructivus) ist imstande, Unwissende zu belehren, und die „überzeugende Rede“ (sermo persuasivus) vermag die Tugendhaften zu bilden. Solche Reden reichen aber noch nicht aus, um den Staat zusammenzuhalten: weil es Bürger gibt, die die Gerechtigkeit nicht spontan achten, ist auch eine „zwingende Rede“ (sermo coactivus) erforderlich. Diese „zwingende Rede“ ist das Gesetz, d. h. „die Form des Rechtes (iuris forma), die aus der im Geist des Königs gegenwärtigen Form abgeleitet und auf Schrift gebracht worden ist, um das Volk gemäß einer Regel zu führen“15. 2. Thomas von Aquin Ähnliche Gedanken sind von Thomas entfaltet worden. Die Absicht jedes Gesetzgebers soll darin bestehen, „die Menschen durch Vorschriften, Belohnungen und Strafen an tugendhafte Handlungen zu gewöhnen“16. Auch Thomas hält fest, daß „das Gesetz notwendig sei, um die Menschen gut zu machen“. Es sei optimal, daß der Gesetzgeber „sich kraft seiner öffentlichen Autorität richtig mit der Erziehung der Kinder und den tugendhaften Handlungen der Bürger befaßt“17. Die Gesetzgebungskunst (legispositiva) soll als architektonischer „Teil der politischen Klugheit“ darauf gerichtet sein, die Bürger moralisch zu verbessern18. Wie jeder Aristoteliker, ist Thomas der Meinung, daß „der Mensch ohne das Gesetz und die Gerechtigkeit das böseste aller Tiere sei“. Im Umkehrschluß heißt dies, daß „der Mensch durch die bürgerliche [oder zivilisierte] Ordnung“ (ordo civilis) der Gemeischaft „zur Gerechtigkeit zurückgeführt werde“19. Diese aristotelischen Auffassungen hat er in der ‚Summa theologiae‘ systematisch herausgearbeitet. Weil ein Gesetz als „eine Vorschrift der Vernunft im Staats14

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Albertus Magnus, Super Matthaeum, VI, 10, ed. B. Schmidt, Münster 1987, 191, 84–192, 4: „[…] regnum nihil aliud est nisi completa in uno potestas et dominatus, iustitia animata, legibus ordinata, urbanitatibus sicut partibus determinata, armorum strenuitate roborata, civilitates optimas gubernans et bonis exterioribus sive copiis organice subservientibus, quantum sufficit, superabundans“. Albertus Magnus, Super Matthaeum, VI, 10 (nt. 14), 192, 79–193, 14. Thomas von Aquin, Sententia libri Ethicorum, II, 1, ed. Leon. 47.1, Roma 1969, 78, 135–138. Thomas von Aquin, Sententia libri Ethicorum, X, 15, ed. Leon. 47.2, Roma 1969, 602, 17–19. Thomas von Aquin, Sententia libri Ethicorum, X, 15 und 16, ed. cit. (nt. 17), 603, 108–119 und 605, 21–25. Thomas von Aquin, Sententia libri Politicorum, I, 1, ed. Leon. 48, Roma 1971, A79, 209–A80, 235.

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oberhaupt“, durch welches die Untertanen gelenkt werden, definiert wird, und weil „die Tugend jedes Untergeordneten“ Aristoteles zufolge darin besteht, „daß er sich dem Führenden gut unterwerfe“, ist der Gehorsam der Untertanen gegenüber dem Oberhaupt das Ziel jeder Gesetzgebung 20. Da nun die Tugend ein Habitus ist, der den Menschen gut macht 21, „liegt der eigentümliche Effekt eines Gesetzes darin, daß es diejenigen, denen es gegeben wird, entweder schlechthin oder in einer bestimmten Hinsicht gut macht“. Zielt der Gesetzgeber auf das wahrhaft Gute, d. h. auf „das in Übereinstimmung mit der göttlichen Gerechtigkeit geordnete bonum commune“, so werden die Menschen durch das Gesetz schlechthin gut. Beabsichtigt der Gesetzgeber dagegen etwas, das nur für ihn selber nützlich oder angenehm ist oder im Widerspruch zu Gottes Gerechtigkeit steht, so macht das von ihm erlassene Gesetz die Menschen nur im Hinblick auf eine solche Herrschaftsform gut 22. Thomas zufolge ist das Gesetz im allgemeinen ‚bindend‘ (d. h. es legt eine praktische Verpflichtung auf) 23. Insbesondere üben menschliche Gesetze eine ‚disziplinierende‘ Macht aus, welche die dem Gesetz (und dem Gesetzgeber) Untergeordneten mittels der Furcht vor der Strafe zu einem friedvollen und tugendhaften Zusammenleben führen soll. Erforderlich ist eine solche zwingende Macht vor allem wegen derjenigen, die nicht von Natur oder durch eine besondere göttliche Gnade zur Tugend geneigt sind, sondern eher zu Lastern neigen und infolgedessen nicht mit väterlichen Ermahnungen diszipliniert werden können. Die von Menschen erlassenen Gesetze sind also notwendig, damit die moralisch Schlechten in einer ersten Phase durch Furcht vom Bösen abgehalten werden und später freiwillig tugendhaft handeln. Die „Disziplin der Gesetze“ soll (und kann nach Thomas) also durch Gewöhnung interiorisiert werden24. Dennoch können die menschlichen Gesetze nur die lasterhaften Handlungen verbieten, welche die Gemeinschaft bedrohen und von denen die Mehr-

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Thomas von Aquin, Summa theologiae, I–II, 92, 1, resp. (ich benutze die Übersetzung der Deutschen Thomas-Ausgabe [Bd. 13: Das Gesetz, I–II, 90–105, Heidelberg–Graz 1977], habe sie aber an manchen Stellen geändert). Cf. Aristoteles, Pol., I, 13, 1260a20–24. Cf. Aristoteles, Eth. Nic., II, 5, 1106a15–23 (zitiert in Summa theologiae, I–II, 55, 3, sed contra). Thomas von Aquin, Summa theol., I–II, 92, 1, resp. Eine detaillierte Analyse dieses Artikels bietet Th. Nisters, Akzidentien der Praxis. Thomas von Aquins Lehre von den Umständen menschlichen Handelns, Freiburg–München 1992, 84–101; zurecht bemerkt er: „Immer haben Gesetze eine pädagogische Wirkung. Häufig jedoch verziehen sie die Untertanen mehr als sie sie erziehen, ohne daß dadurch jedoch die Kraft des Postulats geschwächt würde, daß rechte Erziehung ihre wahre Aufgabe sei“ (93). Zur Funktion des ‚Gemeinwohls‘ in Thomas’ Politiktheorie cf. M. Bastit, Naissance de la loi moderne. La pensée de la loi de saint Thomas à Suarez, Paris 1990, 114–122; M. S. Kempshall, The Common Good in Late Medieval Political Thought, Oxford 1999, chaps. 3 und 4, bes. S. 84–114. Thomas von Aquin, Summa theologiae, I–II, 90, 1, resp. Die figura etymologica, die lex von ligare ableitet, begegnet schon bei Hrabanus Maurus (Expositio in Matthaeum, II, 5, 19, ed. B. Löfstedt, Turnhout 2000 [CCCM 174], 139, 86) und war in der scholastischen Theologie weit verbreitet. Cf. C. Kanns Beitrag in diesem Band. Thomas von Aquin, Summa theologiae, I–II, 95, 1, resp. Cf. Th. Nisters, op. cit. (nt. 22), 119–120.

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heit der Bürger sich enthalten kann, so wie sie auch nur die tugendhaften Handlungen gebieten können, die direkt oder indirekt auf das Gemeinwohl bezogen sind 25. Auf die enge Verflechtung von Gesetz, Macht und Disziplinierung weist Thomas auch in ‚De regno‘ hin. Der Monarch müsse darauf achten, daß „er durch seine Gesetze und Vorschriften sowie durch Strafen und Belohnungen die ihm untergebenen Menschen von Unrecht abhält und zu tugendhaften Tätigkeiten veranlaßt, wobei er das Vorbild Gottes nachahmt, der den Menschen seine Gesetze gegeben hat und allen, die sie befolgen, Lohn, denen aber, die sie übertreten, Strafe austeilt“26.

Insofern die vom Fürsten erlassenen Gesetze nach dem Modell der göttlichen Gesetze geformt werden, sind sie im Grunde religiös oder beruhen zumindest auf einem religiös-metaphysischen Fundament. Durch die moralische Disziplinierung bekräftigen sie die hierarchische Gesellschaftsstruktur, die sie voraussetzen 27. 3. Ägidius Ägidius’ Gesetzestheorie hat, wie die seiner Zeitgenossen, eine ethische Orientierung. In seinem dem französischen Kronprinzen Philipp gewidmeten Fürstenspiegel ‚De regimine principum‘ vertritt er die aristotelische These, daß „wir aufgrund der Einrichtung des Staates das tugendhafte Leben erreichen, weil der Gesetzgeber und derjenige, der den Staat einrichtet, nicht nur darauf achten sollen, daß die Bürger im Staat genügend Mittel haben, um zu leben, sondern auch darauf, daß sie in Übereinstimmung mit den Gesetzen gut und tugendhaft 25 26

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Thomas von Aquin, Summa theologiae, I–II, 96, 2–3, resp. Thomas von Aquin, De regno, II, 4, ed. Leon. 42, Roma 1979, 468, 99–104: „Secundo autem ut suis legibus et preceptis, penis et premiis homines sibi subiectos ab iniquitate coherceat et ad opera uirtuosa inducat, exemplum a Deo accipiens, qui hominibus leges dedit, obseruantibus quidem mercedem, transgredientibus uero penas retribuens.“ (Die Übersetzung von W. Metz [in: Thomas von Aquin. Die „doctrina christiana“ als Wissenschaft. Berühmte Traktate und kleinere Schriften, Frankfurt a. M.–Leipzig 2009, 373] habe ich leicht geändert.) Eine ähnliche, von Thomas beeinflußte Position findet sich bei Gottfried von Fontaines: Obwohl die Tugenden letztendlich von Gott bewirkt werden, „ist es die Aufgabe der Gesetzgeber und die Wirkung des Gesetzes selbst, die Menschen dazu zu führen, daß sie gut und tugendhaft seien, zwar nicht durch eine [formelle oder innerliche] Gestaltung („per informationem“), wie dies die Tugend tut, sondern durch Anspornung und Lenkung („per inductionem et directionem“), insofern die menschlichen Handlungen, durch welche die politische Tugend erworben wird und der Mensch sogar auf [das Empfangen der] eingegossenen Tugend vorbereitet wird, durch das Gesetz selbst gelenkt werden“; im Hinblick darauf verfügen die Gesetzgeber über „die Gewalt und die Macht, zu bewirken, daß das Gesetz aus Furcht vor Strafe beobachtet wird“ (Quodlibet I, 6, edd. M. De Wulf/A. Pelzer, Louvain 1904, 17–18). Zu Gottfrieds Politiktheorie cf. M. Kempshall, op. cit. (nt. 22), chaps. 8 und 9 (zum Gesetz bes. 243–244); J. F. Wippel, Godfrey of Fontaines’ Quodlibet XIV on Justice as a General Virtue: Is It Really a Quodlibet?, in: C. Schabel (ed.), Theological Quodlibeta (nt. 2), 287–344, bes. 304–331.

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leben“28. Dieses letztgenannte Ziel ist umso wichtiger, da „die Seele vornehmer ist als der Körper und die tugendhaften Handlungen wertvoller sind als die äußeren Güter“. Daraus folgt, so Ägidius, daß „die Staatsführer die bürgerliche [oder politische] Macht haben sollen, um diejenigen, die nicht tugendhaft leben wollen, den Frieden verstören und den Wohlstand der anderen Bürger beeinträchtigen, zwingen und bestrafen zu können“29. Die „Hauptintention des Gesetzgebers“ soll sich also nicht, wie Phaleas meinte, auf „das Ermessen [bzw. die maßvolle Verteilung] des äußeren Besitzes“ beziehen. Sein Ziel soll es vielmehr sein, „die Begierden zu tadeln, weil nicht der äußere Besitz, sondern die Begierde die Wurzel aller Schlechtigkeit ist“; darüber hinaus soll er „viele [Gesetze] in Bezug auf die Zurückdrängung der Leidenschaften erlassen, damit die Bürger nicht zügellos seien und sie die Frauen und Töchter anderer Bürger nicht mißhandeln“30. Da die Ruhe im Staat durch die „Perversion der Bürger“ verstört wird, soll der Fürst dafür „sorgen, daß die Bösen ausgerottet und die Übeltäter auf den richtigen Weg geführt werden“31. Dabei spielt die ‚Politikwissenschaft‘ (scientia politica) eine richtungweisende Rolle, weil sie „durch die Gesetze und ihre übrigen Lehren die menschlichen Handlungen gleich und gerecht machen und normieren will, damit die Bürger gerecht leben und sich pflichtgemäß verhalten“. Nach Ägidius sind die Gesetze ein Instrument dieser normativen Politikwissenschaft, ein politisches ‚Heilmittel‘, das sich mit den von Ärzten verschriebenen „Ernährungs- und Lebensweise sowie [medizinischen] Getränken“ vergleichen läßt 32. Diese teleologisch-eudämonistische Charakterisierung des Gesetzes verbindet Ägidius mit seiner ethisch-naturalistischen Gerechtigkeitsauffassung 33. Die Grundlage des bürgerlichen Rechtes sei das Naturgesetz oder genauer formuliert: 28

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Ägidius von Rom, De regimine principum libri III ad Francorum regem Philippum IIII cognomento Pulchrum, III, 1, 2, Rom 1556, 239v. Cf. Aristoteles, Pol., I, 2, 1252b28–30. Zu Ägidius’ politischer Philosophie cf. M. Senellart, Les arts de gouverner. Du regimen médiéval au concept de gouvernement, Paris 1995, bes. 196–203 (zum König als lex animata); R. Lambertini, Von der iustitia generalis zur iustitia legalis. Die Politisierung des Gerechtigkeitsbegriffes im 13. Jahrhundert am Beispiel des Aegidius Romanus, in: J. A. Aertsen/A. Speer (eds.), Geistesleben im 13. Jahrhundert, Berlin–New York 2000, 131–145; P. Sommaggio, Introduzione bibliografica, in: Egidio Romano [Lex Naturalis, vol. 3], a cura di P. Sommaggio/A. Turatti/F. Todescan, Verona 2005, 43–56 (mit weiteren Literaturangaben); zu der literarhistorischen Stellung und den rhetorischen Aspekten des Fürstenspiegels cf. R. Imbach, Dante, la philosophie et les laïcs, Fribourg– Paris 1996, 52–55 und 79–85; M. Kempshall, The Rhetoric of Giles of Rome’s De regimine principum, in: F. Lachaud/L. Scordia (eds.), Le Prince au miroir de la littérature politique de l’Antiquité aux Lumières, Mont-Saint-Aignan 2007, 161–190. Eine übergreifende Studie zu Ägidius’ Gesetzestheorie steht noch aus; sie müßte auch die wichtigen lex-Kapitel aus seinem RömerbriefKommentar und seinem Sentenzenkommentar berücksichtigen. Ägidius von Rom, De regimine principum, III, 1, 5, ed. cit. (nt. 28), 243v. Ägidius von Rom, op. cit., III, 1, 18, ed. cit. (nt. 28), 261v–262v. Cf. Aristoteles, Pol., II, 7, 1266b26–31. Ägidius von Rom, op. cit., III, 2, 8, ed. cit. (nt. 28), 279v. Ägidius von Rom, op. cit., III, 2, 28, ed. cit. (nt. 28), 312v. Zum aristotelischen Naturalismus in Ägidius’ Politiktheorie cf. G. Briguglia, La questione del potere. Teologi e teoria politica nella disputa tra Bonifacio VIII e Filippo il Bello, Milano 2010, 95–104.

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„Das menschliche oder positive Gesetz muß gerecht sein, insofern es der natürlichen Vernunft oder dem Naturgesetz entspricht, weil, wenn es nicht gerecht ist, es kein Gesetz, sondern eine Zerstörung des Gesetzes ist. Denn eine vom Menschen ausgehende Verordnung ist nur dann gerecht, wenn sie auf irgendeine Weise im Naturgesetz ihren Ursprung hat und die natürliche Vernunft irgendwie befiehlt, daß diese Verordnung erlassen werden soll“34.

Außerdem soll das menschliche Gesetz ‚nützlich‘ sein, d. h. zum Gemeinwohl beitragen, weil das Ziel „die Regel der gesamten Praxis“ ist und das bonum commune Aristoteles zufolge ein göttlicheres Ziel ist als das Wohl des Einzelnen, das auf das Wohl der Gemeinschaft hingeordnet werden soll 35. Ferner soll das menschliche Gesetz dem Volk, dessen Verhalten es normieren soll, angepaßt sein. Eine solche kulturelle Kontextualisierung des Naturgesetzes ist notwendig, weil „in praktischen Fragen etwas der Gewohnheit, der Zeit, dem Vaterland und den Sitten der Menschen gewährt werden muß, da es in den Gesetzen eine bestimmte Diversität geben muß, je nachdem dergleichen [Umstände] verschieden sind“. Ägidius begründet diese These, die implizit an Isidors und Thomas’ Beschreibungen des positiven Gesetzes anknüpft, mit einem Verweis auf Aristoteles, der in seiner ‚Politik‘ argumentiert, daß „die Gesetze der Staatsform (politia) angepaßt werden sollen“. Deswegen muß der Gesetzgeber die Beschaffenheit des Volkes kennen und wissen, „welche Gebräuche (ritus) es hat und in welchem Zustand (conditio) es sich befindet“36. Diese Kulturgebundenheit des menschlichen Gesetzes könnte leicht zu einem ethischen Relativismus führen. Ägidius wehrt sich aber gegen eine pluralistische Relativierung ethischer Ansichten. Zum einen wird das menschliche Gesetz vom universellen Gesetz der natürlichen Vernunft normiert; zum anderen sind diese beiden Gesetze dem göttlichen Gesetz untergeordnet. Ägidius kritisiert die Philo-

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Ägidius von Rom, op. cit., III, 2, 26, ed. cit. (nt. 28), 309v–310r: „[…] nam vt lex humana comparatur ad legem naturæ, oportet quod sit iusta: vt comparatur ad bonum commune, necesse est quod sit vtilis: sed vt refertur ad populum ad quem debet applicari & debet regulari per huiusmodi legem, oportet quòd sit competens & compossibilis consuetudini patriæ & tempori […]. Primo igitur oportet legem humanam siue positiuam esse iustam vt comparatur ad rationem naturalem siue ad legem naturalem: quoniam si iusta non sit, non est lex, sed corruptio legis; nihil enim ab homine statuitur iustè, nisi aliquo modo sumat originem ex lege naturali, & nisi aliquo modo ratio naturalis dictet illud statuendum esse“. Cf. Thomas, Summa theol., I–II, 95, 2, resp.; Augustin, De libero arbitrio, I, 5, 33, ed. W. M. Green, Turnholti 1970 (CCSL 29), 217, 19–20. Vgl. ferner J.-M. Carbasse, Non cujuslibet est ferre leges. « Légiférer » chez Gilles de Rome, in: J. Hoareau-Dodinau/G. Métairie/P. Texier (eds.), Le prince et la Norme. Ce que légiférer veut dire, Limoges 2007, 69–79, bes. 71–72. Ägidius von Rom, op. cit., III, 2, 26, ed. cit. (nt. 28), 310r–310v. Cf. Aristoteles, Eth. Nic., I, 1, 1094b9–10. Zum ‚Gemeinwohl‘ bei Ägidius cf. M. S. Kempshall, op. cit. (nt. 22), chap. 5, bes. S. 139–149. Ägidius von Rom, op. cit., III, 2, 26, ed. cit. (nt. 28), 309v–310v. Cf. Aristoteles, Pol., IV, 1, 1289a13–20; Isidor, Etymologiae, II, 10, ed. P. K. Marshall, Paris 1983, 51–53, und V, 21, ed. W. M. Lindsay, Oxford 1911; siehe auch Thomas, Summa theol., I–II, 95, 3, arg. 1 und resp., wo die Isidor-Stelle zitiert wird. Zu Isidors „Lob des Gesetzes“ cf. J. Fontaine, Isidore de Séville et la culture classique dans l’Espagne wisigothique, Paris 1959, 259–261.

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sophen aus der Artesfakultät, die sich in ihrem Stolz auf das eigene Ingenium vom Christentum verabschieden wollten37. Wie die Offenbarungstheologie überflüssig sei, weil die Philosophie alle Fragen über die gesamte Wirklichkeit beantworte, so könne man nach einigen Philosophen auch auf das evangelische Gesetz verzichten, weil das Naturgesetz und das menschliche Gesetz alle Laster verhindern und zugleich erfordern, alle Tugenden zu entwickeln. Unter Berufung auf die „gemeinsame Lehre“ der theologischen Tradition bekämpft Ägidius diese ‚rationalistische‘ These, und zwar aus drei Gründen, die schon von Thomas vorgetragen worden waren. (1) Zunächst kann das menschliche Gesetz nicht alle Sünden bestrafen. Nicht nur ist es unfähig, die inneren Begierden zu verhindern, sondern es verbietet sogar nicht alle äußeren Missetaten (Unzucht mit Prostituierten z. B. wird toleriert, um ein größeres Übel, nämlich Ehebruch, zu vermeiden)38. Da auch das Naturgesetz nicht zu einer übernatürlichen Bestrafung bzw. Belohnung aller Tätigkeiten beitragen kann, ist das evangelische und göttliche Gesetz, das sowohl die inneren als auch die äußeren Tätigkeiten beurteilt, notwendig, „damit nichts Böses unbestraft und nichts Gutes unbelohnt bleibe“39. (2) Zweitens ergibt sich die Notwendigkeit des evangelischen Gesetzes „aus der Ungewißheit unseres Urteils“: „Die Urteile der Menschen über die kontingenten und partikulären praktischen Angelegenheiten des menschlichen Lebens sind so unterschiedlich, daß es bei verschiedenen Völkern unterschiedliche Gesetze in Bezug auf dieselbe Angelegenheit gibt, weil etwas, das einigen zufolge gerecht ist, in den Augen von anderen ungerecht ist. Weil also Zweifel und Irrtümer in menschlichen Urteilen auftreten können, war das evangelische und göttliche Gesetz, hinsichtlich dessen man sich nicht irren kann, nützlich“40.

Ägidius greift in dieser Passage mehrere Elemente aus der aristotelischen Ethik auf: die Kontingenz, die den gesamten praktischen Bereich kennzeichnet41, die Singularität jeder Handlung und jeder Handlungssituation42, sowie die Diversität der moralischen Urteile, die eine mathematische Gewißheit in praktischen Fragen ausschließt 43. Um einen ethischen Relativismus zu vermeiden, verweist Ägidius in

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Cf. D. Piché, La condamnation parisienne de 1277, Paris 1999, 124–126 und 132 (Art. 152–154, 157, 174–175); R. Hissette, Enquête sur les 219 articles condamnés à Paris le 7 mars 1277, Louvain–Paris 1977, 265 und 274–275. Cf. Augustin, De ordine, II, 4, 12, ed. W. M. Green, Turnhout 1970 (CCSL 29), 114, 36–41 (u. a. von Thomas [Summa theol., II–II, 10, 11, resp.] zitiert). Ägidius von Rom, De regimine principum, III, 2, 30, ed. cit. (nt. 28), 316r–317r. Cf. Thomas, Summa theol., I–II, 91, 4, resp., tertio und quarto. Ibid., 317r: „Nam de contingentibus particularibus, & de agibilibus humanis adeo sunt diuersa iudicia hominum, vt de eisdem apud diuersas gentes diuersæ sint leges, secundum iudicium enim quorundam aliquid est iustum, quod secundum aliorum iudicium est iniustum. Quare cum in humanis iudicijs cadere possit dubietas et error, expediens fuit lex euangelica & diuina, circa quam error esse non valet “. Cf. Aristoteles, Eth. Nic., III, 5, 1112b8–9; VI, 5, 1140a31–33. Cf. Aristoteles, Metaphysica, I, 981b16–17 . Cf. Aristoteles, Eth. Nic., I, 1, 1094b14–25.

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diesem Kontext nicht, wie Aristoteles44, auf die menschliche Natur, sondern, wie Thomas 45, auf die von Gott gegebenen Gesetze, die einen unfehlbaren Maßstab darstellen. (3) Drittens führt Ägidius, ähnlich wie Thomas, aus, daß „das Naturgesetz und die menschliche Gesetzgebung uns zwar beim Erstreben des Guten, das wir von Natur erreichen können, helfen, dennoch nicht für die Erreichung des übernatürlichen Guten genügen“ 46. Daß der weltliche Herrscher-Gesetzgeber versuchen soll, „die Menschen zur Tugend zu führen“, ist eine These, die Ägidius auch in ‚De ecclesiastica potestate‘ nicht aufgegeben hat. In diesem ‚kurialistisch-hierokratischen‘ Pamphlet47 beschränkt er das Ziel des weltlichen Herrschers nicht auf die gerechte Verwaltung materieller Güter. Ausdrücklich hält er auch hier fest, daß die irdischen Fürsten „die Gerechtigkeit in zeitlichen und materiellen Angelegenheiten bewahren, damit der Frieden des Geistes und die Ruhe in geistlichen Angelegenheiten bewahrt bleiben, sodaß der geistliche Herrscher freier herrschen kann“. Mittels seiner „bürgerlichen Macht“ und „der Gesetze und Edikte, die er erläßt“, „bearbeitet und ordnet er [d. h. der weltliche Herrscher] die Steine [d. h. die Bürger seines christlichen Staates] im Hinblick auf den Frieden des Geistes und die Seelenruhe, damit [der kirchliche Machthaber] aus ihnen freier und leichter den geistlichen Tempel bauen kann“48. II. ‚Falsche‘ Gesetze 1. Ungerechte Gesetze Ägidius’ Frage setzt eine mehr oder weniger kritische Annäherung an die menschliche Gesetzgebung voraus. Im 13. Jahrhundert konnten bestimmte von Menschen erlassene Gesetze aus verschiedenen Gründen als falsch betrachtet werden. Allgemein wurde angenommen, daß eine lex humana nur dann ein Gesetz im eigentlichen Sinne sei, wenn und insofern es vom universellen Naturgesetz 44 45 46 47

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Cf. J. Müller, Physis und Ethos. Der Naturbegriff bei Aristoteles und seine Relevanz für die Ethik, Würzburg 2006, Kap. III, bes. 118–120. Cf. Thomas, Summa theol., I–II, 91, 4, resp., secundo. Ägidius von Rom, De regimine principum, III, 2, 30, ed. cit. (nt. 28), 317r. Cf. Thomas, Summa theol., I–II, 91, 4, resp., primo. Cf. J. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter. Von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham, Tübingen 2008, 95–101, und A. Boureau, La Religion de l’État. La construction de la République étatique dans le discours théologique de l’Occident médiéval (1250–1350), Paris 2008, 218–220. Ägidius, De ecclesiastica potestate, I, 9, ed. R. Scholz, Aalen 1961 [= 1929], 33, 17–24 ; II, 6, ed. cit., 68, 23–31; 69, 1–4 und 14–19. In dieser Hinsicht gibt es also keinen „Kontrast“ zwischen ‚De regimine principum‘ und ‚De eccleciastica potestate‘, wie M. Kempshall (op. cit. [nt. 22], 268) behauptet. Zu Recht beobachtet E. Krüger (Der Traktat »De ecclesiastica potestate« des Aegidius Romanus. Eine spätmittelalterliche Herrschaftskonzeption des päpstlichen Universalismus, Köln 2007, 335–336), daß „auch weltliche Herrschaft mit der geistigen Natur des Menschen zu tun hat“.

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abgeleitet worden sei. In seinem Ethikkommentar unterscheidet Albert zwei Weisen, ein Gesetz zu betrachten: zum einen „materiell, insofern es ein Edikt ist“, und in diesem Sinne könne es sowohl gute als auch schlechte Gesetze geben; zum anderen „formell, insofern es sich um ein durch die Klugheit (prudentia) geformtes Edikt handelt, welches das Leben auf das verbindliche Ziel lenkt“, und in dieser Hinsicht sei ein Gesetz immer gut. Mit dieser These vereinigt Albert zwei unterschiedliche Gesichtspunkte. Einerseits nimmt er eine ‚realistische‘ (dennoch keineswegs rechtspositivistische) Position ein, welche die Existenz von moralisch schlechten Gesetzen anerkennt. So verurteilt er mit Jesaja diejenigen, „die ungerechte Gesetze machen“, und argumentiert im Anschluß an Aristoteles, daß die Gesetzgebung der Konstitution entspreche und deswegen die Gesetze in verfehlten Staatsformen (corruptiones politiarum) schlecht seien. Andererseits betont Albert, daß ein Gesetz als „Lebensregel“ (regula vivendi oder preceptum) gut sei, weil es von der praktischen Vernunft ausgehe und tugendhafte Handlungen verordne49. Ähnliche Gedanken finden sich bei Thomas von Aquin. Das menschliche Gesetz erfülle den Begriff des ‚Gesetzes‘, „insofern es in Übereinstimmung mit der rechten Vernunft ist“. Weicht ein Gesetz von der rechten Vernunft ab, so wird es ein „ungerechtes Gesetz“ genannt; ein solches Gesetz erfülle nicht den Begriff des Gesetzes, sondern vielmehr den Begriff „einer Gewalttat“. Trotzdem bewahre auch ein solches Gesetz eine Spur des ewigen Gesetzes, und zwar „wegen der Ordnung der Macht des Gesetzgebers“, d. h., insofern, wie Paulus im Römerbrief sagt, „alle Macht von Gott stammt“ 50. Dennoch ist Thomas der Ansicht, daß ungerechte Gesetze die Kenntnis des Naturgesetzes (insbesondere die Kenntnis der sekundären, im Naturgesetz enthaltenen Gebote und Verbote) unterminieren und falsche Gewohnheiten zu unwahren Auffassungen führen51. Daher haben ungerechte Gesetze keine das Gewissen bindende Kraft. Sind sie dem bonum humanum entgegengesetzt, so darf man sie höchstens befolgen, um zu vermeiden, daß politische Unruhe entsteht oder andere dazu verführt werden, unmoralisch zu handeln; sind sie aber dem bonum divinum entgegengesetzt (z. B. weil sie zu Götzenverehrung anstiften oder im Widerspruch zum göttlichen Gesetz stehen), so darf man ihnen überhaupt nicht gehorchen 52.

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Albert, Super Ethica, X, 18, ed. cit. (nt. 7), 786, 44–74. Cf. Jesaja, 10, 1; in seinem Kommentar zu dieser Stelle notiert Albert, daß „ein ungerechtes Gesetz das Gesetz eines Tyrannen ist, das zum Nachtteil des Volkes und zum Vorteil des Tyrannen erlassen worden ist“ (Postilla super Isaiam, ed. F. Siepmann, Münster 1952, 150, 36–41). Thomas, Summa theol., I–II, 93, 3, ad 2. Cf. Paulus, Rom., 13, 1. Thomas, Summa theol., I–II, 94, 6. Thomas, Summa theol., I–II, 96, 4. Cf. J. Finnis, Aquinas. Moral, Political, and Legal Theory, Oxford 1998, 272–274; S. Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin. Eine rationale Rekonstruktion im Kontext der Summa Theologiae, Marburg 2000, 152–158; M. Baur, Law and Natural Law, in: B. Davies/E. Stump (eds.), The Oxford Handbook of Aquinas, Oxford 2012, 238–254, bes. 247.

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Auch Ägidius befürwortet eine kritische Haltung gegenüber dem positiven Gesetz. In seinem Rhetorikkommentar argumentiert er, daß „das Naturgesetz und die Billigkeit (epiches) gegenüber geschriebenen Gesetzen Vorrang haben“. Der Mensch müsse „darauf achten, was ungerecht, was wahr und was wirklich nützlich ist, nicht darauf, was so oder so scheint“. Da nun das positive Gesetz im Gegensatz zum Naturgesetz nur „meistens wahr“ sei (d. h. „nicht immer die Rolle eines [wahren] Gesetzes erfüllt“) und zum Bereich des „Wahrscheinlichen“ gehört, „soll wer die geschriebene Gesetzgebung nicht in allen Fällen befolgt, nicht getadelt werden“ 53. 2. Unwahrheiten im Gesetz Die scholastische Kritik an ‚falschen Gesetzen‘ hängt ferner mit der aristotelischen These zusammen, daß „in den Gesetzen das Mythische und das Kindische wegen der Gewohnheit eine größere Macht als das Erkennen haben“54. Diese Auffassung, die einigen ‚averroistischen‘, vom Pariser Bischof Tempier verurteilten Artikeln zugrunde liegt 55, konnte als eine Kritik an menschlichen Gesetzen interpretiert werden. In seinem verhältnismäßig ausführlichen Kommentar zu der zitierten Metaphysik-Stelle macht Albert auf zwei Punkte aufmerksam. Zunächst weist er darauf hin, daß „eine zum Habitus gewordene Gewohnheit (consuetudinalis habitus) [uns] auf die Weise der Natur dazu bewegt, zuzustimmen, auch wenn sie der Natur und der Vernunft widerstrebt“. Da überkommene Aussagen, an die wir gewohnt sind, eine quasi-natürliche Wirkung auf die Zuhörer ausüben, scheinen sie bekannter und daher auch wahr zu sein. Zweitens argumentiert Albert, daß Gesetzgeber diese Wirkung der Gewohnheit anwenden, um die soziale Kohäsion (congregatio)56, ohne welche ein Staat nicht bestehen könne, zu gewährleisten. So seien in verschiedenen Gesetzen viele irrationale und unwahre Elemente „im Hinblick auf die Angst vor Strafen und die Verlockung von Belohnungen erfunden worden“. Die Überzeugungskraft solcher Gesetze liege ausschließlich in „der Gewohnheit, die glaubhaft macht, was sonst als unglaubwürdig gelten würde“. Als Beispiel nennt Albert Gesetze, die „fleischliche Lüste, wie sexuelle Lüste und 53 54 55

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Ägidius von Rom, Rhetorica Aristotelis, Venetiis 1515 [Nachdr. Frankfurt 1968], I, 45ra–b. Cf. Aristoteles, Rhetorica, I, 15, 1375a27–b5. Aristoteles, Metaph., II, 3, 995a3–6. Siehe La condamnation parisienne, ed. D. Piché (nt. 37), 124–125 und 132–133 (art. 152, 174, 175). Vor allem die ‚religionskritische‘ These 175 – „daß es im christlichen Gesetz, wie in anderen Gesetzen, Fabeln und Falschheiten gibt“ – muß für die Pariser Kommission unerträglich gewesen sein, zumal da sie mit dem Mythos der ‚drei Betrüger‘ verwoben war; siehe dazu G. Minois, The Atheist’s Bible. The Most Dangerous Book That Never Existed. Translated by L. A. Weiss, Chicago 2012, 18–39; und den Beitrag von M. Tischler in diesem Band (bes. 569–572). Dieses Wort hat Albert offensichtlich aus Averroes’ Kommentar zu dieser Stelle übernommen. Cf. Averroes, In Aristotelis librum II (a) Metaphysicorum commentarius, ed. G. Darms, Freiburg (Schw.) 1966, 75, 13–14. Ansonsten hat Averroes Alberts Interpretation dieser Passage nicht beeinflußt.

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Vergnügen beim Trinken und Essen, als Belohnung nach dem Tod“ versprechen. Dieses Beispiel impliziert eine klare Anspielung auf den Islam (oder genauer: auf die damals im lateinischen Westen übliche Deutung der muslimischen Eschatologie)57. Solche Gesetze lehnt Albert ab, nicht nur weil „die Vernunft ausschließlich [die Tätigkeit], an der auch Gott Freude erlebt, d. h. die Gottesschau, als Belohnung für die Tugend akzeptiert“, sondern auch weil die Urheber dieser Gesetze ohne Rücksicht auf die Wahrheit „viele Götter und viele religiöse Kulte erdichtet“ hätten. Maßgebend dabei sei nur eine ‚pragmatische‘ Effizienzüberlegung gewesen, nämlich die Frage, „was am leichtesten zur Aufrechterhaltung des Staates beiträgt“ 58. In seiner Auslegung derselben Passage schließt sich Thomas seinem Lehrer an. Auch er hält fest, daß „die Gewohnheit einen der Natur ähnlichen Habitus verursacht“ und demnach „das Übliche, an das man gewohnt ist, bekannter ist“. Ebenso wie Albert weist er auf die in menschlichen Gesetzen wirksame Macht (vis) der Gewohnheit. Auch die These, daß die hier von Aristoteles erwähnten Gesetze „die conservatio civilis als letztes Ziel“ haben, erinnert an Albert. Thomas spezifiziert aber nicht die Belohnungen und Strafen, die von solchen Gesetzgebern angewendet werden. Er bemerkt lediglich, daß sie „in ihren Gesetzen gemäß der Verschiedenheit der Völker und Nationen bestimmte [Mittel] überliefert haben, mit denen die Seelen der Menschen vom Bösen abgehalten und zum Guten angereizt werden konnten, obwohl vieles davon eitel und inhaltslos war“. Schließlich unterstreicht Thomas, daß im Gegensatz zu solchen menschlichen Gesetzen „das von Gott gegebene Gesetz den Menschen auf die wahre Glückseligkeit hinordnet“. Daher sei „in Gottes Gesetz keine Unwahrheit enthalten“59. III. Ägidius’ Frag e, „ob jemand, der unter einem f alschen Gesetz erzog en worden ist, zur Einsicht g elang en kann, daß das Gesetz f alsch ist“ 1. Argumente pro und contra Bevor er seine eigene Antwort auf die Frage darlegt, präsentiert Ägidius zwei Argumente für die These, daß wer unter einem falschen Gesetz erzogen worden ist, die Falschheit dieses Gesetzes nicht einsehen könne. (1) Zunächst könnte man argumentieren, daß diese Person weder durch die natürliche Vernunft noch aufgrund von Wundern diese Einsicht erreichen könne. Die natürliche Vernunft sei unfähig die Falschheit des Gesetzes aufzuweisen; denn behauptet man, das Ge57

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Cf. Wilhelm von Tripolis, Notitia de Machometo et de libro legis qui dicitur Alcoran, 8, ed. P. Engels, Würzburg 1992, 220; B. Roling, Paradysus carnalium? Das körperliche Paradies in der christlich-islamischen Kontroverse, in: Das Mittelalter 10 (2005), 74–125, bes. 90–96. Albert, Metaphysica, II, 11, ed. B. Geyer, Monasterii Westfalorum 1960, 102, 40–103, 8. Thomas, In duodecim libros Metaphysicorum Aristotelis expositio, II, 5, edd. M.-R. Cathala/ R. M. Spiazzi, Taurini–Romae 1950, 93 (§ 332–333).

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setz sei falsch, weil es einige der natürlichen Vernunft widersprechende Elemente enthalte, so könnte man gleichermaßen erwidern, das evangelische Gesetz sei falsch, weil es viele Elemente enthalte, die offensichtlich im Widerspruch zur sinnlichen Wahrnehmung und zur Vernunft stehen. Auch Wunder können niemanden dazu führen, die Falschheit des Gesetzes der Gesellschaft, in der er aufgewachsen ist, einzusehen und die Richtigkeit des evangelischen Gesetzes anzuerkennen; denn auch wenn er gehört habe, daß das christliche Gesetz durch Wunder bestätigt worden sei, so habe er vielleicht das Gleiche über das eigene Gesetz gehört. Außerdem haben zahlreiche Christen niemals selbst Wunder gesehen, sondern seien darüber höchstens durch mündliche Überlieferug informiert worden. (2) Das zweite Argument geht von Aristoteles’ Beschreibung der Macht der consuetudo aus. Demnach sei die Gewohnheit eine zweite Natur und eine auf das Falsche fixierte Gewohnheit hindere die Erkenntnis der Wahrheit 60. Wer also unter einem falschen Gesetz erzogen worden ist, könne sich nicht von den in diesem Gesetz enthaltenen Unwahrheiten abwenden61. Gegen diese beiden Argumente wendet Ägidius im in contrarium-Argument ein, daß, wenn man die Falschheit des Gesetzes nicht einsehen könnte, man wegen der Befolgung dieses Gesetzes zu Unrecht von Gott bestraft werden würde, weil man für etwas, das man nicht vermeiden könnte, bestraft werden würde. Stillschweigend geht Ägidius hier davon aus, daß Gott in keinerlei Hinsicht ungerecht sei und niemanden zu Unrecht bestrafe. Ferner wird angenommen, daß nur freiwillige Handlungen bestraft werden dürfen. Aus diesen Prämissen läßt sich schließen, daß es möglich sein muß, die Falschheit des Gesetzes, unter dem man erzogen worden ist, einzusehen62. Dieses anti-deterministische Enthymem erinnert an Argumente, die Thomas zur Verteidigung der menschlichen Freiheit entwickelt hat 63. 2. Responsio In seiner Antwort verteidigt Ägidius folgende These: „Nachdem jemand, der unter einem falschen Gesetz erzogen worden ist, die Jahre des Unterschieds erreicht hat, kann er, wenn er dies will und alles tut, was in seiner Macht liegt, zu der Einsicht kommen und wird er auch zu der Einsicht gelangen, daß jenes Gesetz falsch ist, und zwar auf drei Weisen, nämlich aufgrund der natürlichen Vernunft, aufgrund der Wirkung von Wundern und aufgrund der göttlichen Offenbarung“ 64. 60

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Cf. Aristoteles, De memoria, 2, 452a24–28; Metaph., II, 3, 995a3–6. Ägidius scheint diese Passage in seinem Metaphysikkommentar nicht behandelt zu haben. Cf. Questiones methaphisicales Clarissimi Doctoris Egidii Romani, Venetiis 1501 [= Frankfurt/Main 1966], 21v–22r. Ägidius von Rom, Quodlibet III, 3, 2, arg. 1 und 2, ed. cit. (nt. 2), 144b–145a. Ibid., 145a. Cf. Thomas, Quaestiones disputatae de malo, 6, ed. Leon. 23, Roma–Paris 1982, 148, 247–262. Ägidius von Rom, Quodlibet III, 3, 2, ed. cit. (nt. 2), 145a: „[…] nutritus in aliqua lege falsa, postquam ad annos discretionis venerit, si vult & si faciat totum quod in se est, potest venire in cognitionem, & deveniet, quod illa lex sit falsa: idque tripliciter; ex naturali scilicet ratione, ex operatione miraculorum, & ex revelatione divina“.

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Die drei genannten Wege werden in den nachfolgenden Paragraphen der Antwort en détail beschrieben. Zwei andere Punkte aber werden nur kurz angedeutet und nicht weiter expliziert: der Gedanke nämlich, daß es sich dabei um einen Prozeß handelt, und die Ansicht, daß dieser Prozeß vom Willen abhängt. Die Erkenntnis, daß das Gesetz der eigenen Gemeinschaft falsch ist, fällt nicht plötzlich vom Himmel, sondern setzt einen Entwicklungsgang voraus: zuerst muß die Person moralisch erwachsen sein, weil sie vor diesem Alter überhaupt nicht imstande ist, das Scheinbar-Gute vom Wahrhaft-Guten zu unterscheiden; ferner muß sie sich dafür entscheiden, das Wahrhaft-Gute zu suchen, und sich so gut wie möglich anstrengen, es zu finden. Dabei impliziert die Formel „totum quod in se est “, daß bei diesem Prozeß auch Faktoren im Spiel sind oder sein können, die nicht vom Einzelmenschen abhängig sind und nicht von ihm gesteuert werden können. Solche Faktoren (wie z.B. die angeborenen Fähigkeiten, die Erziehung und andere von der fortuna abhängige Eigenschaften einer Person65) deutet Ägidius nicht deterministisch. Auch wenn sie den Handlungsspielraum gewissermaßen einschränken, so bleibt die handelnde Person dennoch imstande, die Wahrheit zu erkennen und frei den Weg zur Wahrheit zu wählen66. (1) Der erste Weg, der zur Erkenntnis der Falschheit eines Gesetzes führt, ist der Weg der natürlichen Vernunft. Daß dieser Weg zuerst beschrieben wird, hängt mit der Überzeugung zusammen, daß alles Übernatürliche die Natur und die Vernunft voraussetzt. Ägidius weist aber in diesem Abschnitt nicht so sehr auf die natürliche Erkenntniskraft der menschlichen Vernunft, sondern betont erstaunlicherweise vor allem ihre Fehlbarkeit. Sein Ausgangspunkt ist ein berühmter Psalmvers (115, 11): „Jeder Mensch ist lügnerisch“. Ähnlich wie Thomas interpretiert Ägidius diese Zeile dahingehend, daß „es keinen Menschen gibt, der, wenn er nur dem eigenen Denkvermögen (ingenium) überlassen ist, nicht in zahlreiche unterschiedliche Unwahrheiten (falsitates), sowohl im theoretischen als auch im praktischen Bereich, fällt“ 67. Die spekulative Fehlbarkeit illustriert er mit einem Verweis auf die „unterschiedliche Irrtümer“ (errores) der Philosophen, die die Wirklichkeit „aufgrund ihres Denkvermögens“ zu erforschen versuchen68. Diese

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Cf. V. Cordonier, Une lecture critique de la théologie d’Aristote : le Quodlibet VI, 10 d’Henri de Gand comme réponse à Gilles de Rome, in: V. Cordonier/T. Suarez-Nani (eds.), L’aristotélisme exposé. Aspects du débat philosophique entre Henri de Gand et Gilles de Rome, Fribourg 2014, 83–180, bes. 102–107, 146 (Z. 75–77) und 152 (Z. 279–303). Ägidius, op. cit., 145a. Ibid. Cf. Thomas, Summa contra gentiles, I, 4, ed. C. Pera/P. Marc/P. Caramello, Taurini 1961, 6 (§ 25); Super Epistolam ad Romanos lectura, 3, 1, § 255, ed. R. Cai, Taurini–Romae 1953, 46b. Giorgio Pini (op. cit. [nt. 2], 271–272) verspürt in Ägidius’ Antwort einen „Pessimismus“ hinsichtlich der menschlichen Kapazitäten. Die Parallelstellen bei Thomas, die Pini nicht berücksichtigt, machen aber klar, daß Ägidius hier nicht pessimistischer urteilt als Thomas. Obwohl man in dieser Bemerkung eine vage Anspielung auf die Ägidius zugeschriebene Schrift ‚Errores philosophorum‘ hören könnte, beweist sie nicht, daß Ägidius der Autor dieses Textes ist. Zur Authentizitätsfrage cf. J. Koch, Introduction, in: Giles of Rome. Errores philosophorum, Milwaukee 1944, xxix–xl; S. Donati, Studi per una cronologia delle opere di Egidio Romano. I: Le

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Hervorhebung der Fallibilität der Philosophie kann einerseits vor dem Hintergrund der Pariser Verurteilungen, andererseits in Zusammenhang mit der scholastischen Kritik am Autoritätsprinzip verstanden werden69. In dieser Quästio aber ist Ägidius nicht primär an theoretischen Problemen interessiert. Viel wichtiger scheint es ihm, zu zeigen, daß „große Philosophen, die nur mit ihrem eigenen Denkvermögen und durch ihre eigenen eifrigen Bemühungen den Staaten Gesetze geben und die Staatsform ordnen wollten, in unsittliche Irrtümer gefallen sind“. Wenn nun derartige Fehler bei eminenten Philosophen aufgedeckt werden, müssen sie a fortiori in den Gesetzen, die von durchschnittlichen Menschen aufgestellt worden sind, aufgefunden werden. Alle Gesetze, die von einem schlichten Menschen ohne göttliche Offenbarung und ohne göttliche Inspiration erlassen worden sind, „enthalten viel Falsches, viel Verwerfliches, viel Lasterhaftes“. Als Beispiele solcher falschen rein-menschlichen Gesetzgebungen nennt er zum einen Platons ‚Kommunismus‘, zum anderen den Islam. Wenn Platon anordnet, daß im idealen Staat alles gemeinsam sein soll und die Bürger keine eigenen Frauen oder Kinder haben dürfen, damit alle älteren Bürger alle Jüngeren als ihre Kinder lieben und umgekehrt alle Jüngeren die älteren Bürger als ihre Eltern ehren, so kann „jeder, der irgendwie bei Verstand (ratione vigens) ist, diese Staatsordnung kritisieren (improbare)“. In Platons Staat würde nämlich niemand ahnen können, wer seine eigenen Kinder sind; kennt man die eigenen Kinder nicht mit Gewißheit, so liebt man sie auch nicht (deswegen liebt niemand die Kinder von Prostituierten als seine eigenen Kinder)70. Der Islam – oder präziser:

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opere prima del 1285 – I commenti aristotelici, in: Documenti e Studi sulla tradizione filosofica medievale 1 (1990), 1–112, bes. 20–21 und 28–30. G. K. Hasselhoffs Hypothese, daß der Text von einem spanischen Dominikaner aus dem Umfeld des Raimundus Martini verfaßt worden sei, bleibt auch unsicher (cf. G. K. Hasselhoff, Dicit Rabbi Moyses. Studien zum Bild von Moses Maimonides im lateinischen Westen vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, Würzburg 2004, 189–191). Zu Ägidius’ Verhältnis zu den Verurteilungen cf. R. Wielockx, Aegidii Romani Opera Omnia: III.1: Apologia, Firenze 1985, 91–120; zur Kritik an der auctoritas des Philosophen cf. L. Bianchi, ‘Aristotele fu un uomo e poté errare’: Sulle origini medievali della critica al ‘principio di autorità’, in: L. Bianchi (ed.), Filosofia e teologia nel trecento. Studi in ricordo di Eugenio Randi, Louvain-laNeuve 1994, 509–533, bes. 519. Diese aristotelische Kritik an Platons Staatsideal erörtert Ägidius auch schon in seinem Fürstenspiegel; da macht er aber zugleich einen Versuch, Platons These wohlwollend auszulegen. Verstehe man Sokrates’ Beschreibung des idealen Staates nicht im buchstäblichen Sinne, so lasse sich seine Position aufrechterhalten. Obgleich die Vergemeinschaftlichung aller Güter unmöglich und zwecklos sei, „soll die Gemeinschaft im Hinblick auf die Liebe und die Hochachtung bewahrt werden“. Jeder Bürger soll das Gemeinwohl intendieren und sich so um die Sachen seiner Mitbürger kümmern, „als wären sie seine eigenen Sachen“. Auf diese Weise soll die größtmögliche Eintracht im Staat gesichert werden (De regimine principum, III, 1, 15, ed. cit. [nt. 28], 258v–259r; cf. Aristoteles, Pol., II, 1, 1262b15–25). Daß diese positive Interpretation in ‚De regimine principum‘ „funzionale […] alla teoria egidiana del primato della monarchia“ sei, wie R. Lambertini (Philosophus videtur tangere tres rationes. Egidio Romano lettore ed interprete della Politica nel terzo libro del De regimine principum, in: Documenti e Studi sulla tradizione filosofica medievale 1 [1990], 277–325, bes. 313–314) suggeriert hat, leuchtet nicht ein. Zwar verbindet Ägidius seine Platon-Interpretation mit dem Ideal der „Einheit des Staates“, auf das er sich

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„Mohammeds Gesetz“ – wird in dieser Frage nicht wegen seiner fundamentaltheologischen Heterodoxie angegriffen, sondern, weil „dort [d. h. im muslimischen Gesetz] die Sünde wider die Natur nicht als ein moralischer Fehler betrachtet wird“. Im 13. Jahrhundert wurden den Sarazenen oftmals widernatürliche Sünden angedichtet71. Da Ägidius (wie alle anderen Theologen seiner Zeit) aufgrund der naturalistischen Prinzipien seiner Ethik annimmt, daß Handlungen, die der menschlichen Natur widerstreben, unsittlich seien, fällt es ihm leicht, festzuhalten, daß „jeder, der irgendwie bei Verstand ist, sagen würde, daß jenes Gesetz ungerecht ist, weil es Bestialität nicht als ein Laster betrachtet“. Daraus schlußfolgert er, daß „man sich von einem falschen Gesetz, das von einem Menschen gegeben worden ist, kraft der natürlichen Vernunft abwenden könne, weil alle solchen Gesetze zahlreiche, der Vernunft widerstreitende Elemente enthalten“. Im Anschluß an diese These versucht Ägidius, einen Einwand, der die christliche Religion betrifft, zu widerlegen. Man könnte nämlich behaupten, „das evangelische Gesetz enthalte auch vieles, das im Widerspruch zur Vernunft zu stehen scheint“. Darauf erwidert Ägidius, daß „das christliche Gesetz zwar manches verkünde, das wir nicht mit der natürlichen Vernunft beweisen können, es aber nichts enthalte, das mit der natürlichen Vernunft überzeugend widerlegt werden könne“ 72. Während also der christliche Glaube rational verteidigt (dennoch nicht bewiesen) werden kann, lassen sich Mohammeds Gesetz und im allgemeinen alle von nicht-inspirierten Menschen gegebenen ‚Gesetze‘ (d. h. Religionen73 ) nicht überzeugend verteidigen; im Gegenteil, die natürliche Vernunft könne beweisen, daß solche Gesetze falsch seien74. (2) Zweitens argumentiert Ägidius, daß die lex christiana im Gegensatz zu den anderen Gesetzen durch Wunder bekräftigt worden sei75. Das größte, unleugbare

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auch in seinem Plädoyer für die Monarchie beruft (cf. De regimine principum, III, 2, 3, ed. cit. [nt. 28], 269v), aber seine Interpretation scheint nicht von seinem ‚Monarchismus‘ geprägt zu sein. Cf. J. V. Tolan, Saracens. Islam in the Medieval European Imagination, New York 2002, 210–213, und M. Tischlers Beitrag, bes. 554–557; siehe auch Vinzenz von Beauvais, Speculum historiale, XXIII, 43–44 (zitiert in: M. Di Cesare, The Pseudo-Historical Image of the Prophet Muh.ammad in Medieval Latin Literature: A Repertory, Berlin–Boston 2012, 322–324), sowie Heinrich Bate, Speculum divinorum, Prooemium (ed. E. Van de Vyver, Louvain 1960, 52, 23–28), wo die Herrschaft der Sarazenen „bestialisch“ genannt wird (cf. G. Guldentops, Arabic Sciences in the Mirror of Henry Bate’s Philosophical Encyclopedia, in: A. Speer/L. Wegener [eds.], Wissen über Grenzen. Arabisches Wissen und Lateinisches Mittelalter, Berlin–New York 2006, 521–541, hier 537). Cf. Thomas, Summa theol., I, 1, 8; Super Boetium de Trinitate, 2, 3, ed. Leon. 50, Roma–Paris 1992, bes. 99, 131–161. Siehe dazu L. Bianchi, Pour une histoire de la “double vérité”, Paris 2008, 89–92. Zu dieser Bedeutung von lex cf. B. Schmitz, ‘Religion’ und seine Entsprechungen im interkulturellen Bereich, Marburg 1996, 81 und 86 sowie M. Tischlers Beitrag in diesem Band (bes. nt. 11–13) . Ägidius von Rom, op. cit., 145a–146a. Cf. Thomas, Summa contra gentiles, I, 6, ed. cit. (nt. 67), 9–10 (bes. § 43, d). Siehe dazu C. Kann, Wunder als Argumente. Ein Motiv religiöser Herausforderung bei Thomas von Aquin, in:

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Wunder bestehe darin, daß eine gigantische Anzahl von Menschen, mitunter zahlreiche Weisen, von wenigen einfachen Menschen (u. a. von einigen Fischern) zum Christentum bekehrt worden ist. Dabei haben diese einfachen Leute entweder Wunder verrichtet oder keine Wunder verrichtet. Im ersten Fall sei klar, daß die Wahrheit des christlichen Glaubens durch Wunder bestätigt worden sei; im zweiten Fall bestehe das von Gott bewirkte Wunder darin, daß sie ohne selbst Wunder zu verrichten so viele Menschen bekehrt haben. Mit Augustin betont Ägidius, daß die von Christus ausgesandten Menschenfischer nicht in den ‚freien Künsten‘ geschult waren; auch dies sei ein wunderhafter Aspekt des christlichen Gesetzes76. Während also das christliche Gesetz durch Wunder verbreitet wurde, haben die Römer die von ihnen unterworfenen Völkern durch Einschüchterung (terror) dazu gebracht, ihren Romulus-Kult zu übernehmen77. Ebenso sind die Sarazenen, die „jetzt Mohammed verehren“, durch Angst dazu gebracht worden, dessen Gesetz zu übernehmen: „Mohammed vereinigte sich mit einigen ungerechten, kriegerischen Leuten und mit Gewalt zwangen sie die Völker dazu, sein Gesetz zu übernehmen. Unser Gesetz dagegen ist ohne Zwang, weil es durch einfache Menschen so verkündet und verbreitet worden ist“78.

Ägidius’ Kritik an den ‚falschen Gesetzen‘ (insbesondere am muslimischen Gesetz) ist also dreifach: sie seien nicht von Gott inspiriert, sondern von ungerechten Menschen erfunden worden; sie seien nicht in Übereinstimmung mit der natürlichen Vernunft, also inhaltlich falsch; und sie seien nicht mithilfe göttlicher

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G. Krieger (ed.), Herausforderung durch Religion? Begegnungen der Philosophie mit Religionen in Mittelalter und Renaissance, Würzburg 2011, 169–183, bes. 177 – 179. Cf. Augustin, De ciuitate Dei, XXII, 5, ed. B. Dombart/A. Kalb, Turnholti 1950, 810, 19–26. Cf. Augustin, De ciuitate Dei, XXII, 6, ed. cit. (nt. 76), 813, 56–63. Ägidius, op. cit., 146 a–b: „Coadunabat autem sibi ille Mahometus quosdam iniquos homines bellicosos, & vi gentes cogebant, ut susciperent legem ejus. Sed lex nostra sine coactione est: quia per simplices homines sic diffusa & dilata est “; cf. M. Tischlers Beitrag, bes. 560. Der Gedanke, daß die Ungläubigen „ohne Zwang (oder Gewalt)“ zum Christentum bekehrt worden seien (oder werden sollen), ist ein Topos in der mittelalterlichen Theologie und Kanonistik: cf. z. B. Ambrosiaster, In Epistulam ad Romanos (Rec. g), 4, 4, ed. H. Vogels (CSEL 81), Vindobonae 1966, 129, 25 und 131, 1–2; Thomas, Quodlibet III, 5, 1, arg. 3, ed. Leon. 25, Roma–Paris 1996, 255, 34–38; Summa theol., II–II, 10, 8; III, 68, 10. Den lateinischen Scholastikern war der Dschihad u. a. aus Averroes bekannt, der in seinem Ethikkommentar bemerkte, daß „es im Gesetz der Sarazenen ein allgemeines Gebot gibt, Krieg zu führen, bis die Wurzel derjenigen, die sich von ihnen unterscheiden, ausgerottet ist“; Averroes warnte aber vor den schädlichen Folgen des ‚Militarismus‘ und betonte, daß „manchmal eher Frieden als Krieg gesucht werden soll“ (Averroes, In Moralia Nicomachia, V, 10, in: Aristotelis Opera cum Averrois Commentariis, Vol. III, Venetiis apud Iunctas 1562, 79F–G, zitiert von Heinrich von Gent, Quodlibet II, 17, resp., ed. R. Wielockx, Leuven 1983, 132, 94–01). Zu dieser Passage cf. C. Kummerer, Der Fürst als Gesetzgeber in den lateinischen Übersetzungen von Averroes, Ebelsbach 1989, 60; N. Feldman, War and Reason in Maimonides and Averroes, in: R. Sorabji/D. Rodin (eds.), The Ethics of War. Shared Problems in Different Traditions, Aldershot–Burlington 2006, 92–107, bes. 103–104 und 107 (nt. 40).

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Wunder, sondern gewaltsam auferlegt worden79. Aus diesen Gründen ist es Ägidius zufolge fragwürdig, ob solche falsche Gesetze überhaupt ‚Gesetze‘ genannt werden dürfen80. (3) Die Falschheit des Gesetzes wird nicht nur durch die natürliche Vernunft und das Fehlen von Mirakeln gezeigt; ein ‚dritter Weg‘, der diese Falschheit ans Licht bringt, ist die Offenbarung. Ägidius ist der Überzeugung, daß „wir auf jeden Fall fromm glauben sollen, daß, wenn jemand, der unter einem falschen Gesetz aufgewachsen ist, sich guten Werken (wie dem Almosen-schenken und anderen frommen Handlungen) widmet, wenn er tut, was in seiner Macht liegt, und Gott bittet, ihm den Weg zum Heil zu weisen […], Gott ihm offenbart, was er tun soll“ 81.

In diesem Zusammenhang verweist Ägidius auf die Geschichte des heiligen Cornelius. Dieses exemplum zeige, daß Gott den Gottesfürchtigen in Visionen seinen Heilsweg offenbaren und sie auf diese Weise aus den schlechten Gesetzen befreien könne82. Die Antworten auf die Eingangsargumente fallen recht knapp aus. Was das erste Argument angeht, bemerkt Ägidius nur, daß das christliche Gesetz „weder im Hinblick auf die natürliche Vernunft noch im Hinblick auf die Wirkung von Wundern“ mit den falschen Gesetzen zu vergleichen sei. Auf das zweite Argument, das die Gewohnheit als eine altera natura darstellte, antwortet er, daß dieses Argument nur auf eine „Schwierigkeit“ aufmerksam macht: „denn auch wenn es schwierig ist, sich von demjenigen, woran man gewöhnt ist, abzukehren, so ist dies nicht unmöglich“ 83. Ägidius beharrt also auf die rationale Freiheit des Menschen gegenüber dem Druck, den die (politische, gesellschaftliche und religiöse) Umgebung auf ihn ausübt. Angesichts der hier vorgestellten Frage erscheint die These, Ägidius hätte „die für den Absolutismus grundlegende Trennung von Moralität und Legalität“ antizipiert 84, höchst zweifelhaft. Gesetze beurteilt und bewertet Ägidius ausdrücklich 79 80

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Ägidius, op. cit., 146a–b. Ägidius, op. cit., 146b: „Aliarum autem leges, si leges dici debeant, quæ non sunt per divinam inspirationem habitæ, utroque modo potest falsitas deprehendi: & quia possunt naturali ratione sufficienter improbari: & quia eas à principio terrore non miraculis gentes receperunt“. Daß Mohammed ein „falscher Prophet“ sei, der ein „diabolisches Gesetz“ verbreitet habe, war ein Gemeinplatz in der Literatur des 13. Jahrhunderts: cf. z. B. Vinzenz von Beauvais, Speculum historiale, XXIII, 49–50 und XXV, 143–144 (zitiert in: M. Di Cesare, op. cit. [nt. 71], 327–329 und 333–335). Ägidius, op. cit., 146b: „[…] omnino enim piè debemus credere, quod aliquis nutritus in falsa lege, si det se bonis operibus, ut eleëmosynis faciendis, & aliis operibus piis, & faciat quod in se est, & deprecetur Deum, ut sibi ostendat salutis viam, & si lex bona sit, quam habet, dimittatur in ea: si mala est, eruatur ab ea, & ut Deus revelat ei quid agendum sit “. Ägidius, ibid. Cf. Apg., 10, 22–31. Ägidius, op. cit., 146b–147a. So E. Homann, Totum posse, quod est in ecclesia, reservatur in summo pontifice. Studien zur politischen Theorie bei Aegidius Romanus, Würzburg 2004, 113. Die von Homann vorgetragenen Argumente, die sich nicht direkt auf Ägidius’ Gesetzestheorie, sondern auf die Unterscheidung zwischen perfectio personalis und perfectio status sowie auf die Unterscheidung zwischen forum internum und forum externum beziehen, sind ebensowenig überzeugend. (Im Übrigen ist Homanns Monographie eine wertvolle Studie zu Ägidius’ Politiktheorie.)

Die Kritik des Ägidius von Rom am ,falschen Gesetz‘

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aus einer ethischen bzw. moraltheologischen Perspektive, und zwar so, daß die Sittlichkeit keineswegs „ohnmächtig gegen die politische Macht und der Staatsraison nachgeordnet“ 85 wird. Auch wenn Ägidius geltend macht, daß der ‚rechtfertigende‘ Glaube an Christus die Gläubigen nicht von der Pflicht zum Gehorsam gegenüber den Herrschern, denen sie untergeordnet sind, entbinde, sie im Gegenteil gerade auch wegen ihres Glaubens zu jedem gerechten debitum verpflichtet seien, so bedeutet dies nicht, daß er eine Verabsolutierung der politischen Macht befürwortet. Auch Ägidius ist davon überzeugt, daß man die ‚unerlaubten‘ Befehle (illicita) eines ungerechten Herrschers nicht befolgen soll, sondern nach dem Vorbild der Märtyrer sogar bereit sein muß, im Ungehorsam gegen einen solchen Herrscher zu sterben86. Schlußbetrachtung (1) Manchmal wird behauptet, daß „im Mittelalter das Gesetz der Punkt war, an dem Leben und Logik einander begegneten“87. In seiner literarischen Unbestimmtheit mag dieser vielzitierte Aphorismus attraktiv klingen, doch ist er wenig hilfreich, wenn es darauf ankommt, theologische bzw. philosophische Gesetzestheorien des 13. Jahrhunderts zu verstehen88. Autoren wie Albertus Magnus, Thomas von Aquin und Ägidius von Rom interpretieren das Gesetz zwar als eine Vernunftanordnung, nicht aber als das Produkt einer auf die menschliche Praxis angewandten Logik. Die Rationalität der Gesetze liegt ihrer Ansicht nach nicht 85 86

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So Homann, ibid. Ägidius, In Secundum Librum Sententiarum Quæstiones, Nunc denuò excusæ Industria R. P. F. Angeli Rocchensis […] Pars Secunda, 44, 2, 2, resp., Venetijs 1581, 690bB–691aA. Auch Prälaten soll man nicht gehorchen, wenn sie etwas Sündhaftes anordnen. Cf. id., In Tertium Librum Sententiarum Eruditissima Commentaria cum Quæstionibus. Quæ […] industria Reu.mi P. F. Fulgentij Galluccij Georginatis […] typis deprompta fuere, III, 9, 4, 3, Romae 1623, 395bD–396aA. Cf. dazu M. Kempshall, op. cit. (nt. 22), 267. Das Dictum wird F. W. Maitland, dem Gründer der britischen Rechtsgeschichte, zugeschrieben – meistens ohne genaue Quellenangabe (so z. B. B. Tierney, The Canonists and the Medieval State, in: The Review of Politics 15 [1953], 378; W. Ullmann, Principles of Government and Politics in the Middle Ages, Oxon 2010 [First Edition 1961], 1); E. Cohen (The Crossroads of Justice. Law and Culture in Late Medieval France, Leiden 1993, 202) und M. Loughlin (Foundations of Public Law, Oxford 2010, 18, nt. 6) verweisen auf F. W. Maitland, Collected Papers, ed. H. Fisher, vol. 3, Cambridge 1911, xxxvii, aber dort ist das Zitat nicht zurückzufinden. Wie Martin Loughlin mir freundlicherweise mitgeteilt hat, geht dieser falsche Verweis auf den Maitland Reader (New York 1957) zurück; das Zitat stammt aber, so Loughlin, aus Maitlands Einleitung zu seiner Edition der Year Books of Edward II, Vol. I: 1 & 2 Edward II. A.D. 1307–1309, London 1903, p. xxxvii: „While as yet there was little science and no popular science, the lawyer mediated between the abstract Latin logic of the schoolmen and the concrete needs and homely talk of gross, unschooled mankind. Law was the point where life and logic met.“ Gersonides dagegen scheint versucht zu haben, das jüdische Gesetz anhand einer juristischen Topik zu ‚rationalisieren‘: cf. C. Sirat – O. Weijers, Droit et logique: Gersonide et les juristes chrétiens, in: Archives d’Histoire Doctrinale et Littéraire du Moyen Âge 75 (2008), 7–41, bes. 26.

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darin, daß sie ein logisch kohärentes System bilden. Wenngleich Thomas erklärt, daß menschliche Gesetze als Konklusionen aus den Prinzipien des Naturgesetzes deduziert werden oder diese Prinzipien mit einem konkreten Inhalt füllen, so will er damit dem Gesetz oder der Gesetzgebung keine formal-logische Struktur zusprechen89. Im allgemeinen interessieren sich die Theologen des 13. Jahrhunderts nicht für die Logizität des Gesetzes. Vielmehr versuchen sie zu zeigen, daß die menschlichen Gesetze die Individuen und die Gemeinschaft zu ihrem Ziel, d.h. zu einer ‚rationalen‘ Lebensweise in Übereinstimmung mit dem Naturgesetz und dem göttlichen Gesetz, führen oder führen sollen. Diese im Wesen religiöse und normativ-disziplinierende Rationalität ist charakteristisch für das moraltheologische Gesetzesverständnis des 13. Jahrhunderts, in dem aristotelische, stoische und christliche (sowohl biblische als auch patristische) Begriffselemente miteinander verknüpft werden. (2) Liest man Alberts, Thomas’ oder Ägidius’ Texte zur erzieherischen Funktion (oder ‚gouvernementalen‘ Macht 90 ) des Gesetzes, so könnte man geneigt sein, Elsa Marmursztejn zuzustimmen, die die Pariser Moraltheologie rezent als „Normenfabrik“ dargestellt hat 91. Diese Metapher ist aber irreführend, insofern die Theologen des 13. Jahrhunderts keine Normen ‚produziert‘ haben und anscheinend auch nicht die Absicht hatten, dies zu tun. In ihrer Reflexion über die Normen, die sie in den theologischen, philosophischen und kanonistischen Traditionen vorfanden, haben sie zweifelsohne bestimmte Maßstäbe und Vorschriften neu interpretiert und somit modifiziert; auch haben sie traditionelle Normen auf konkrete zeitgenössische Problematiken angewandt. Dabei haben sie aber keine radi-

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Siehe Thomas, Summa theol., I–II, 95, 2. Cf. K. L. Flannery, Acts Amid Precepts. The Aristotelian Logical Structure of Thomas Aquinas’s Moral Theory, Washington, D.C. 2001, 73–78; G. R. Evans, Law and Theology in the Middle Ages, London–New York 2002, 36–37; G. Wieland, Gesetz und Geschichte (S. th. I–II, qq. 90–108), in: A. Speer (ed.), Thomas von Aquin: Die Summa theologiae. Werkinterpretationen, Berlin–New York 2005, 222–245, bes. 238–240. Zu diesem (meistens zur Typisierung des modernen Staates verwendeten) Begriff cf. M. Foucault, La gouvernementalité, in: id., Dits et écrits. II, Paris 2001, 635–657, bes. 655–656; M. Senellart, Michel Foucault: « gouvernementalité » et raison d’État, in: La Pensée politique 1 (1993), 276– 303, bes. 283–290; B. Golder/P. Fitzpatrick, Foucault’s Law, Oxon 2009, Chap. 1, bes. 31–35. Cf. E. Marmursztejn, Une fabrique de la norme au XIIIe siècle: l’université de Paris, in: V. Beaulande/J. Claustre/E. Marmursztejn (eds.), La fabrique de la norme. Lieux et modes de production des normes au Moyen Âge et à l’époque moderne, Rennes 2012, 31–48, bes. 36–45. Die Hervorhebung von Paris als ‚Produktionszentrum‘ der Scholastik verkennt die Polyzentrizität der spätmittelalterlichen Theologie und Philosophie (auch Albert, Thomas und Ägidius waren nicht ausschließlich an der Pariser Universität tätig und ihre Wirkung überschritt die Grenzen der damaligen „kulturellen Hauptstadt des Christentums“). Cf. L. Sturlese, Universality of Reason and Plurality of Philosophies in the Middle Ages. Geography of Readers and Isograph of Text Diffusion before the Invention of Printing, in: A. Musco (ed.), Universalità della ragione. Pluralità delle filosofie nel Medio Evo, Palermo 2012, Vol, 1, 1–22, bes. 8–14; W. J. Courtenay, Epilogue, in: K. Emery, Jr./W. J. Courtenay/S. M. Metzger (eds.), Philosophy and Theology in the Studia of the Religious Orders and at Papal and Royal Courts, Turnhout 2012, 725–734, bes. 726 und 732.

Die Kritik des Ägidius von Rom am ,falschen Gesetz‘

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kal neuen Gesetze oder Regeln für das menschliche Leben hervorgebracht. Die im Grunde konservativ ausgerichtete Moraltheologie des 13. Jahrhunderts kennzeichnet sich also nicht durch eine „reelle normative Produktivität“ 92. Außerdem ist die Betriebsmetaphorik hier ungeeignet, da die scholastischen Theologen sich nicht einer instrumentellen, durch Technik oder Ökonomie diktierten Rationalität bedienten, sondern vor allem auch in ihren Gesetzestheorien mit einem praxisbezogenen, auf Klugheit und Glückseligkeit zielenden Vernunftbegriff operierten. (3) Obgleich Ägidius’ Frage, „ob jemand, der unter einem falschen Gesetz erzogen worden ist, zur Einsicht gelangen kann, daß das Gesetz falsch ist“, ein kulturkritisches Potential zu enthalten scheint, entwirft er keine Kulturkritik im eigentlichen Sinne dieses Wortes93. Er verfügt nicht über ein Vokabular, das der Terminologie der modernen Kulturkritik entspricht (Begriffe wie z. B. ‚Kultur‘ und ‚Kritik‘ sind ihm unbekannt 94). Die philosophischen bzw. theologischen Grundüberzeugungen der Gesellschaft, in der er arbeitet, will er keineswegs hinterfragen; auch die Gesetze, welche in den damaligen christlichen Ländern Westeuropas das Zusammenleben ordneten, versucht er nicht zu kritisieren. Wie alle christlichen Theologen setzt er die Gebote und Verbote der christlichen Moral mit dem wahren Gesetz gleich. Die in diesem Zusammenhang rhetorisch zugespitzte Antithese zwischen dem ‚christlichen Gesetz‘ und den ‚falschen Gesetzen‘ ist Teil eines alten, heimlich xenophoben Diskurses, der als ferner Vorbote der Ideologie des ‚Zivilisationenkampfes‘ betrachtet werden kann95. Gerade wegen

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So E. Marmursztejn, op. cit. (nt. 91), 48. Für eine postmoderne (also eher unscharfe) Theorie der Kulturkritik siehe C. Belsey, Culture and the Real. Theorizing Cultural Criticism, London–New York 2005. Interessanter ist R. Konersmann, Kulturkritik, Frankfurt a.M. 2008. Konersmann zufolge unterscheidet sich die moderne Kulturkritik von „der Kulturkritik der Vormoderne“ durch ihren radikalen Zweifel an der Zivilisation sowie durch „ihre Unfähigkeit, […] absolute Ziele zu benennen“ (op. cit., 16–17); sie ist das die eigenen Prinzipien und Normen permanent revidierende „Selbstbeobachtungsorgan der gottverlassenen und ihrer eigenen Zeitlichkeit überantworteten menschlichen Welt“ (op. cit., 29 und 131). In seiner scholastischen Sprache ist lex bedeutungsreicher als das moderne Wort ‚Gesetz‘ (oder die Äquivalente in anderen modernen Sprachen); es bedeutet u.a. auch ‚Religion‘, nicht aber ‚Kultur‘. Wenn hier von ‚Kritik‘ die Rede ist, so wird das Wort nicht im modernen philosophischen Sinne verwendet; es verweist lediglich auf ein moralisch abwertendes Urteil, das zur ‚deklamatorischen‘ (oder epideiktischen) Rhetorik gehört; Aufgabe dieses Teils der Redekunst ist es, „das [moralisch] Schöne zu loben und das Schändliche zu tadeln“ (cf. Ägidius von Rom, Rhetorica Aristotelis, Venetiis 1515 [Nachdr. Frankfurt 1968], I, 13vb). In seinem Samuel Huntington gewidmeten populärhistorischen Essay ‚The Origin of Political Order. From Prehuman Times to the French Revolution‘ (London 2012) geht Francis Fukuyama nicht auf ‚The Clash of Civilizations‘ ein; dennoch vertritt auch er Thesen, die mit Huntingtons Superioritätsgefühl verwandt sind. So unterstreicht er, daß sich im lateinischen Mittelalter unter dem Einfluß der katholischen Kirche und des römischen Rechts „the rule of law“ etabliert habe; daher sei „das abendländische Recht (‚law‘) in höherem Maße rationalisiert worden als das indische oder sunnitisch-islamische Recht“ (op. cit., 262–289, bes. 269, 274 und 288).

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ihrer islamfeindlichen Pseudorationalität hat Ägidius’ Argumentation auch über das Mittelalter hinaus lateinische Leser überzeugt. Einen Beweis dafür liefert eine Quästio aus dem Metaphysikkommentar des Matthias Aquarius, in der dieser Mitbruder und Lehrer Giordano Brunos Ägidius’ Fragestellung und Antwort vollständig, wortgetreu und ohne Einwände zu erheben plagiiert96.

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M. Aquarius O.P. († 1591), Dilucidationes in XII libros Primæ Philosophiæ Aristotelis, II, 9, Romæ 1584, 118D–121D, bes. 119A–121A. Neben einer knappen Einleitung, einigen marginalen Verweisen auf Thomas und einer Auseinandersetzung mit Gregor von Rimini (über die Frage, ob Ungläubige moralisch richtig handeln können) fügt Aquarius eine kurze Digression über Mohammeds angeblich verbrecherischen Charakter und den ‚geschichtstheologischen‘ Sinn des Islams hinzu. Hierbei argumentiert er, daß „Gott nach der weltweiten Verbreitung des christlichen Glaubens geduldet habe, daß zahllose Völker […] zu diesem unheiligen Gesetz [Mohammeds] gezwungen wurden“; dies sei nicht erstaunlich, da „das Ziel des christlichen Gesetzes, nämlich die ewige Glückseligkeit, nicht durch die betrügerischen Handlungen, die falschen Versprechungen und die Lüste dieser Welt erreichbar sei“, während umgekehrt „die Herrschaft der Türken kein Pendant in der anderen Welt habe“ (op. cit., 120A–C). In dieser Digression ist Aquarius sehr stark abhängig von Girolamo Savonarola (cf. Triumphus crucis, IV, 7 [„Mahumetanorum sectam omni ratione carere“], ed. M. Ferrara, Roma 1961, 259, 18–260, 6; 262, 9–23; 263, 17–24; 264, 3–9 und 18–21; 266, 19–21; 267, 15–21); dieser wird aber ebenso wenig wie Ägidius namentlich zitiert. Zu Aquarius cf. P. R. Blum, Giordano Bruno, Matthias Aquarius und die eklektische Scholastik, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 72 (1990), 275–300, bes. 281–294; id., Giordano Bruno, München 1999, 13 und 65; P. van Boxel, Robert Bellarmine Reads Rashi: Rabbinic Bible Commentaries and the Burning of the Talmud, in: J. R. Hacker/A. Shear (eds.), The Hebrew Book in Early Modern Italy, Philadelphia 2011, 121–132, bes. 126.

IX. Gesetz und Spiritualität

Législation de l’homme intérieur et extérieur chez Maître Eckhart M M (Köln) La théologie mystique médiévale dite « rhénane »1 nous a légué une compréhension somme toute caractéristique du thème de la loi divine, en insistant notamment sur le renouvellement et la plénitude de celle-ci dans le Nouveau Testament. Tout à la fois accomplie et abolie par le Christ (selon une conception paulinienne), la loi divine n’est alors plus contrainte oppressive suspendue au châtiment de Dieu en cas de manquements à l’observation des commandements, mais plutôt exhortation charitable à l’unio mystica promise à l’homme intérieur dès cette vie, si bien que « le chrétien lui obéit non par crainte ni avec peine, mais par amour et avec joie 2 ». Pour illustrer ce constat liminaire, il suffit par exemple de mesurer la résonance d’une telle compréhension dans la ‘Theologia deutsch’, opuscule anonyme représentatif d’une postérité immédiate. Dans ce « testament de la mystique rhénane3 » – rédigé à Francfort au cours de la seconde moitié du XIVe siècle par un ancien chevalier teutonique, prêtre et custode4, présumé héritier de Maître Eckhart et « dernier mystique rhénan5 » – on peut ainsi lire au chapitre 39, traitant expressé1

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Pour un aperçu d’ensemble de ce courant de pensée, voir M. de Gandillac, Tradition et développement de la mystique rhénane : Eckhart, Tauler, Seuse, dans : Mélanges de science religieuse 3 (1946), 37–60 ; A. M. Haas, Rhénane (Mystique), dans : Dictionnaire de spiritualité ascétique et mystique, vol. 13, Paris 1988, 506–521 ; A. de Libera, « Mystique rhénane », dans : id./C. Gauvard/ M. Zink (eds.), Dictionnaire du Moyen Âge, Paris 2002, 959–962. J.-P. Massaut, Mystique rhénane et humanisme chrétien d’Eckhart à Érasme : continuité, convergence ou rupture ?, dans : G. Verbeke/J. IJsewijn (eds.), The Late Middle Ages and the Dawn of Humanism Outside Italy (Mediaevalia Lovaniensia, Series I / Studia I), Leuven–The Hagues 1972, 112–130, 127, où l’auteur s’applique à brièvement souligner que l’on peut rapprocher les mystiques rhénans et Érasme quant à leur commune insistance sur « la métamorphose de la loi dans le Nouveau Testament ». J. Borella, La theologia teutsch et le sophisme de la liberté, dans : M. Samuel-Schneyder (ed.), Image de l’homme : l’Allemagne au XIVe siècle, Nancy 1994, 21–37, 23 [ensuite repris dans id., Lumières de la théologie mystique, Lausanne 2002, chap. XII, 157–179, 161]. Der Franckforter (Theologia deutsch), Prolog, ed. W. von Hinten (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 78), München–Zürich 1982, 67 : « Diß büchelein hat der almechtige, ewige got auß gesprochen durch eynen weißen, vorstanden, worhafftigenn, gerechten menschen, seynen frunt, der do vor czeitenn gewest ist eyn deutschir herre, eyn prister vnd eyn custos yn der deutschen herren hauß zu franckfurt ». J. Koch, Meister Eckhart Weiterwirken im deutsch-niederländischen Raum im 14. Und 15. Jahrhundert, dans : La mystique rhénane. Colloque de Strasbourg, 16–19 mai 1961 (Travaux du Centre d’Etudes Supérieures Spécialisé d’Histoire des Religions de Strasbourg), Paris 1963, 133–156, 156, où l’auteur conclut son panorama de la postérité immédiate d’Eckhart par la ‘Theologia

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ment de quatre sortes d’hommes quant à la pratique et l’observation des lois6, l’assertion suivante (que nous prenons soin ici de commenter à l’aide de passages adjacents) : « On doit également remarquer que les commandements de Dieu, ses paroles et toutes ses instructions concernent l’homme intérieur » – c.-à-d. l’homme illuminé par la vraie lumière et ne mettant dès lors en pratique ces choses-là que par amour 7 –, « afin qu’il s’unisse à Dieu » – c.-à-d. ne fasse absolument plus qu’un avec la volonté divine, moyennant l’anéantissement de toute volonté propre8 – ; « et lorsque cela se produit, l’homme extérieur est si bien ordonné et instruit par l’homme intérieur, que l’on n’a plus besoin d’aucun commandement ou instruction extérieurs9 ». Se plaçant dans une perspective spirituelle (sous-tendue par le schéma tripartite classique de l’ascension mystique : via purgativa, via illuminativa, via unitiva10 ), cette brève remarque semble bien empreinte de réminiscences eckhartiennes, puisqu’elle est foncièrement légitimée par une doctrine du détachement et de l’abandon à l’agir divin, en prônant les vertus de pauvreté et d’humilité spirituelles dans l’abnégation la plus totale et la désappropriation11, conditions de l’union à Dieu12.

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deutsch’, en rappelant succinctement – à la suite de Joseph Bernhart – que l’influence du Maître rhénan y transparaît de toute part. Der Franckforter (Theologia deutsch), c. 39 (incipit), ed. von Hinten (nt. 4), 124 : « […] vnd vierley menschen, die ordenunge, die gesetze vnd die weiße handeln vnd methe vmmb gehen ». Cf. ibid., c. 39, 125, 19–22 : « Die virden, das synt irluchte menschen mit dem warenn lichte. Die handeln disse dinge nicht vmmb lone, wan sie wollen nichts vbirkummen da mit, ader das yn nichts dar vmmb werde, sundern sie thun von libe, was sie dißes thun » ; ibid., c. 42, 134, 65–74 : « Aber ware libe wirt geleret vnd geleitet von dem waren licht vnd bekentniß, vnd das ware, ewige vnd gotlich licht leret die liebe nicht lieb han den das ware, einfeldige, volkumen gut, vnd vmmb nicht denn vmmb gut vnd nicht das man das czu lone haben wolle ader icht von ym, sundern dem guten czu libe vnd dar vmmb, das eß gut ist vnd das eß von recht geliebet werden sal. Vnd was also von dem waren licht bekant wirt, das muß auch gelibet werden von der waren libe. Nu magk das volkummen gut, das man got nennet, nicht bekant werden dan von dem waren licht. Dar vmmb muß eß auch gelibet werden, wo eß bekant wirt ader ist ». Cf. ibid., c. 27, 110, 8–19 : « Was ist nu die eynung? Nichts anders, den das man luterlichen vnd einfeldiclichen vnd gentzlichen yn der warheit eynfeldig sey mit einfeldigen, ewigen willen gotis ader joch czumal an willen sey vnd der geschaffen wille geflossen sey yn den ewigen willen vnd dar jnne vorsmelczet sey vnd czu nichte worden, also das der ewige wille allein do selbist welle thun vnd laße. […] Sich, also sal man alle vorlißen vnd laßen, das ist, das man nicht wenen ader gedencken solle, das kein werck, wort ader wiße, kunst ader meisterschafft ader kurtzlich alles, das geschaffen ist, kan hie czu wider gehelffen noch gedienen, sunder man muß diß alles laßen seyn, das eß ist, vnd ghen yn die eynung ». Ibid., c. 39, 125, 36–39 : « Auch sal man mercken, das gotis gebote vnd seyne rede vnde alle seyne lere gehoret czu dem ynnern menschen, wie er mit gote voreynet werde; vnd wo das geschicht, da wirt der vßer mensch von dem ynnern wol geordent vnd geleret, das man da keyner vßer gebote ader lere darff ». Cf. ibid., c. 14, 88, 6–9 : « Nv sal man wissen, das nymant erlucht mag werden, er sey denne vor gereyniget, geluttert vnnd gelediget. Auch mag nymant mit got voreyniget werden, er sey danne vor erluchte. Vnd dar vmmb seynt drey wege: zum ersten die reynigunge, czum andern die erluchtunge, czum drittin die voreynunge ». Cf. ibid., c. 26, 105–109 : « Von armut des geistes vnd warer demutikeyt vnd wo bey man sal erkennen die gerechten, geordenten, woren freyen, die dy warheit gefreyet hat » (incipit) ; ibid., c. 34, 118–119 : « Sal der mensche zcu dem besten kommen, ßo muß er seynen eygen willen lassen, vnde wer dem menschen hilfft zu seynem eygen willen, der hilfft ym czu dem aller boßten » (incipit) et c. 35, 119–120 : « Wie yn eynem vorgotten menschen ware, gruntliche, weßeliche demutikeit sey vnd geistlich armüth » (incipit). Cf. ibid., c. 27, 109 sq. : « Wie man das vorstehen sal, das Cristus spricht: ‘Man sal alle dingk laßen vnde vorlißen’ vnd wor an die voreynunge mit gotlichem willen gelegen sey » (incipit).

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Toutefois, « le Maître anonyme de Francfort n’est pas Maître Eckhart », comme le rappelle Alain de Libera ; « il n’a ni sa culture scolastique ni la force et la violence de sa prédication allemande13 ». S’il est de fait possible de percevoir dans la ‘Theologia deutsch’ une certaine expression, voire une vulgarisation, de l’enseignement transmis par la mystique rhénane – à l’instar de sa figure de proue – sur le thème de la Loi (bien que le discours du Francfortois ait assurément une teneur plus morale que spéculative, au prix d’un infléchissement volontariste qui le démarque de l’intellectualisme d’Eckhart), cela ne peut se vérifier que par la restitution du sens, de la cohérence et de la portée de cet enseignement dans sa teneur originale, c.-à-d. à l’aune de la conception eckhartienne – laquelle, à notre connaissance, n’a encore fait l’objet d’aucune étude spécifique. C’est pourquoi, dans un premier temps, nous souhaiterions ici-même en dresser compendieusement la problématique, ce qui nous amènera subséquemment à resserrer notre propos sur la législation de l’homme intérieur et extérieur. I. Problématique de la conce ption eckhar tienne de la Loi Une lecture attentive de l’ensemble du corpus eckhartien à notre disposition14 montre d’abord que le Maître rhénan, contrairement à son illustre prédécesseur dominicain Thomas d’Aquin, ne s’adonne jamais à un questionnement exhaustif et méthodique de la loi prise en elle-même d’une manière générale (afin d’en déterminer l’essence, la diversité et les effets)15, ni par suite de chaque loi en particulier (lex aeterna, lex naturalis, lex humana, et lex divina – laquelle est subdivisée en lex vetus et lex nova)16. De fait, Eckhart ne s’appesantit que très rarement sur la notion même de « loi », dont il ne propose d’ailleurs jamais de définition claire et générale17. Il nous faut garder à l’esprit que les deux premières parties de son fameux ‘Opus tripartitum’ – somme d’un nouveau genre, dont l’intention n’était autre que de systématiser ce qu’il avait pu exposer dans ses leçons et autres activités 13 14

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A. de Libera, Préface, dans : Anonyme de Francfort, Le Petit Livre de la Vie Parfaite, trad. du moyen haut allemand par G. Pfister, Orbey 2000, 5–16, 8. Nous renvoyons ici aux œuvres de Maître Eckhart dans l’édition critique de référence : Meister Eckhart, Die deutschen [DW] und lateinischen [LW] Werke, ed. sous la direction de la Deutsche Forschungsgemeinschaft, 12 voll., Stuttgart 1936 –. Voir Thomas d’Aquin, Sum. theol., Ia–IIae, q. 90 (De essentia legis), q. 91 (De legum diversitate) et q. 92 (De effectibus legis). Sur la loi éternelle, voir ibid., q. 93 ; sur la loi naturelle, q. 94 ; sur la loi humaine, qq. 95–97 ; et sur la loi divine, qq. 98–108 (98–105 = De lege veteri ; 106–108 = De lege evangelica, quae dicitur lex nova). Pour une présentation du traité de la loi dans le contexte général de la ‘Somme de théologie’, voir notamment G. Wieland, Gesetz und Geschichte (S.th. I–II, qq. 90–108), dans : A. Speer (ed.), Thomas von Aquin : Die Summa theologiae. Werkinterpretation, Berlin 2005, 223–245. Pour une définition générale du terme « loi », voir alors ibid., q. 90, art. 1, corp. : « lex quaedam regula est et mensura actuum, secundum quam inducitur aliquis ad agendum vel ab agendo retrahitur; dicitur enim lex a ligando, quia obligat ad agendum », ou encore art. 4, corp. : « definitio legis, quae nihil est aliud, quam quaedam rationis ordinatio ad bonum commune et ab eo, qui curam communitatis habet, promulgata ».

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académiques18 – ne nous sont pas parvenues (si tant est qu’elles aient bien été achevées). Toutefois, la structure proprement axiomatique de l’‘Opus propositionum’ – telle qu’elle nous est présentée dans le ‘Prologus generalis in Opus tripartitum’19 – n’incluait pas de traité sur la loi et ne s’y prêtait apparemment guère (suivant l’enchaînement cohérent des 14 termini régissant la distribution des traités20 ). Quant à l’‘Opus quaestionum’, bien qu’« il se divise d’après la matière des questions, dont on traite dans l’ordre où elles sont énoncées dans la Somme de l’éminent docteur et vénérable frère Thomas d’Aquin », Eckhart précise qu’« il ne s’agit cependant pas de toutes mais d’un petit nombre seulement, selon que s’offrait l’occasion de disputer, de lire et de conférer 21 ». On peut donc certes légitimement supposer que, durant ses deux magistères parisiens, Eckhart ait également consacré une ou plusieurs questions à ce thème traditionnel de la théologie scolastique 22, mais voilà qu’on n’en trouve malheureusement aucun renvoi « in Opere quaestionum » – dont le maître rhénan est pourtant coutumier – lorsqu’il en vient occasionnellement à traiter de la loi. Qui plus est, on ne dispose pas non plus de son commentaire sur les ‘Sentences’, dans lequel le jeune bachelier Eckhart dut obligatoirement disserter sur les commandements de la Loi (à l’occasion des dernières distinctions du livre III, conformément au modèle lombardien23) ; une thématique qu’il traitera néanmoins plus tard dans son ‘Expositio libri Exodi’ – nous invitant désormais à nous concentrer sur les textes qui nous sont parvenus,

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Cf. Maître Eckhart, Prologus generalis in Opus tripartitum, n. 2 (LW I, 148, 5–9). Voir, entre autres, K. Ruh, Meister Eckhart : Theologe, Prediger, Mystiker, München 1985, 72–133 ; A. de Libera, Maître Eckhart et la mystique rhénane, Paris 1999, 52–82 ; J. A. Aertsen, Der ‘Systematiker’ Eckhart, dans : A. Speer/L. Wegner (eds.), Meister Eckhart in Erfurt (Miscellanea Mediaevalia 32), Berlin–New York 2005, 189–230. Cf. Maître Eckhart, Prologus generalis in Opus tripartitum, nn. 3–4 (LW I, 149, 6–151, 1). Voir F. Brunner, La structure de l’Opus propositionum de Maître Eckhart, dans : J. Brunschwig/ C. Imbert/A. Roger (eds.), Histoire et Structure. À la mémoire de Victor Goldschmidt, Paris 1985, 241–249. Il semblerait nénamoins que les traités 5 (« de amore et caritate et peccato, eius opposito ») et 6 (« de honesto, virtute et recto et eorum oppositis, puta turpi, vitio, obliquo »), suggérant des considérations pratiques quant à la conduite humaine dans la relation à Dieu, permettaient d’inclure une approche propositionnelle du thème de la loi divine. Dans le cinquième traité, notamment, l’amour – de même que la charité, en tant que synonyme – « est considéré non pas comme une disposition psychologique, mais comme le commandement de Dieu : du commandement d’amour dépendent toute la loi et les prophètes » (F. Brunner, Prologues [traduction et commentaire], dans : L’œuvre latine de Maître Eckhart, 1 : Commentaire de la Genèse précédé des Prologues, texte latin, intro. Trad. et notes par id./A. de Libera/É. Wéber/É. Zum Brunn, Paris 1984, 31–196, ici 106). Maître Eckhart, Prologus generalis in Opus tripartitum, n. 5 (LW I, 151, 2–6) : « Opus autem secundum, quaestionum scilicet, distinguitur secundum materiam quaestionum, de quibus agitur ordine quo ponuntur in Summa doctoris egregii venerabilis fratris Thomae de Aquino, quamvis non de omnibus sed paucis, prout se offerebat occasio disputandi, legendi et conferendi ». Voir U. Kühn, Gesetz (göttliches), dans : Lexikon des Mittelalters, vol. 4, München–Zürich 1989, 1388–1390 ; O. Boulnois, Loi, dans : C. Gauvard/A. de Libera/M. Zink (eds.), Dictionnaire du Moyen Age, Paris 2002, 842–844. Cf. Pierre Lombard, Sententiae in IV Libris Distinctae, III, dist. 37 et 40.

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et notamment sur l’‘Opus expositionum’ 24, rassemblant les commentaires bibliques et sermons latins. Si la réflexion de jeunesse du lector sententiarum Eckhart sur les préceptes du Décalogue nous reste donc inconnue, demeure son commentaire du vingtième chapitre de l’Exode, « où on trouvera » – comme annoncé dans la ‘Table des autorités’ – « plusieurs choses sur les commandements 25 » de l’Ancienne Loi. Maître Eckhart y rappelle tout d’abord qu’« il a été suffisamment question de la suffisance, de l’ordre et de la distinction des commandements du Décalogue dans les Gloses et chez Thomas dans la Ia–IIae, q. 10026 », si bien qu’il en vient immédiatement à présenter cinq brèves remarques expliquant surtout pourquoi le précepte de charité n’est pas inclus parmi les dix commandements 27. À l’appui de 1 Tm. 1,5, la charité est en effet posée comme finis praecepti, de sorte qu’ici les commandements, en tant que moyens d’accéder à cette fin extrinsèque, ne peuvent compter parmi eux la charité 28 ; ou bien celle-ci y est incluse comme principium in conclusione, tant et si bien que la charité ne se rapporte pas au commandement de la Loi quant à sa substance, mais comme un certain principe premier et général sans lequel le commandement n’aurait pas lieu d’être, étant donné que « tous les commandements de la Loi s’ordonnent à ce que l’esprit humain s’unisse à Dieu, ce qui est le propre de la charité 29 ». Le précepte de charité est, par voie de conséquence, une condition préalable à la promulgation, l’utilité et l’observation

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L’‘Opus expositionum’ renferme en effet la totalité des quelques 125 occurrences du terme « loi » recensées dans l’édition de référence des œuvres de Maître Eckhart. Maître Eckhart, Expositio Libri Exodi, Tab. auct. (LW II, 4, 10–12) : « Ibi invenies plura de praeceptis, specialiter de decem moralibus, quomodo caritas non videtur contineri inter illa decem, et circa hoc plures modos dicendi ». Ibid., n. 94 (97, 3–4) : « De praeceptorum decalogi sufficientia, ordinatione, distinctione satis hic habetur in Glossis et a Thoma I II q. 100 ». Voir également ibid., n. 229–234 (190, 9–193, 13), où Maître Eckhart synthétise sur ce point l’enseignement de « frère Thomas », qui « distingue avec beaucoup plus de clarté et de raison (longe apertius et rationabilius) les commandements de l’Ancienne Loi » (n. 230 [191, 6–8]), à l’appui de Maïmonide (cf. G. K. Hasselhoff, Dicit Rabbi Moyses : Studien zum Bild von Moses Maimonides im lateinischen Westen vom 13. Bis zum 15. Jahrhundert, Würzburg 2004, 68–69). Ibid., n. 94 (97, 4–5) : « Ad praesens tamen notanda sunt quinque. Primo, quid est quod inter ista praecepta non fit mentio de praecepto caritatis? » Ibid., nn. 95–96 (97, 9–98, 6) : « Ad quod notandum primo quod in nulla arte dantur praecepta de fine, sed de his per quae finis acquiritur. […] ‘Finis autem praecepti est caritas’, Tim. 1. Rursus etiam finis universaliter est extra id, cuius est finis. […] Hinc est quod caritas, cum sit ‘finis praecepti’, ut dictum est 1 Tim., non debet inter praecepta numerari ». Ibid., n. 96 (98, 7–99, 4) : « Thomas autem I II q. 100 a. 3 aliam rationem assignat dicens quod dilectio dei et proximi, actus scilicet caritatis, “continentur in praeceptis decem sicut principium in conclusionibus”. ‘Caritas’ igitur cum sit ‘finis praecepti’, non oportebat de ipsa dari praeceptum nec ipsam connumerari praeceptis, sed est inclusa in omnibus praeceptis aliis sicut principium in conclusione. Sciendum igitur quod ad praeceptum legis dupliciter aliqua pertinent: quaedam quantum ad substantiam praecepti, alia vero non quantum ad praecepti substantiam. Sed tamquam quaedam praeambula, sine quibus praeceptum locum non haberet. Cum enim omnia praecepta legis divinae ordinentur ad hoc quod mens hominis uniatur deo, quod est proprium caritatis, apparet quod sine caritate nullum praeceptum legis divinae locum habet nec prodesset sine caritate ».

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des commandements moraux de la Loi – au même titre que les préceptes de foi et d’espérance, soumis respectivement « par mode de déclaration » et « par mode de promesse » 30, suivant l’enseignement de Thomas d’Aquin31. Ensuite, et c’est là un argument déterminant – voire conclusif – du présent raisonnement, ledit précepte de charité ne peut s’insérer de manière convenable parmi les dix commandements en raison du fait qu’il se rattache à la Nouvelle Loi, dès lors entendue comme lex amoris sive caritatis, et non pas à l’Ancienne Loi, quant à elle définie comme lex timoris32. À l’instar de saint Augustin, Eckhart établit ici une differentia legis, mais en radicalisant quelque peu cette différence sous forme d’opposition, ainsi fondée sur celle entre crainte et amour 33. Qui plus est, dans l’Ancienne Loi, l’amour « n’est pas posé à l’impératif ou comme commandement », mais plutôt « comme promesse ou bien comme récompense », c.-à-d. comme « fruit et fin du commandement 34 ». Dans l’immédiat, on ne s’attardera donc pas outre mesure sur chacun des commandements exposés (dont trois sont en outre complètement passés sous silence, et ce sans justification : le meurtre, l’adultère et le sabbat), afin de s’arrêter un instant sur le rapport entre lex vetus et lex nova 35. Car si, comme le souligne Pierre Gire dans sa dissertation consacrée au commentaire eckhartien de l’Exode, « des institutions d’Israël, Maître Eckhart ne retient véritablement que la Loi », il « ne s’intéresse à la réalité historique du Décalogue que dans la mesure où celui-ci a 30

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Ibid., n. 96 (99, 4–14) : « Propter quod etiam fides et spes non sunt de substantia legis nec connumerantur inter decem praecepta legis, sed sunt praeambula necessaria ad praecepta legis. Nisi enim homo crediderit esse deum et nisi speret se aliquid consecuturum per observantiam praeceptorum legis, non inclinaretur nec esset pronus suscipere sive subire iugum et onus praeceptorum. […] Hinc est quod notabiliter fides ut praeambula proponitur “per modum denuntiationis”, spes autem “per modum promissionis” ». Cf. Thomas d’Aquin, Sum. theol., IIa–IIae, q. 22, art. 1, corp. Maître Eckhart, Expositio Libri Exodi, n. 98 (101, 4–7) : « Rursus quarto videtur dicendum quod praeceptum caritatis convenienter valde non est positum inter decem praecepta, de quibus hic est mentio. Ratio est, quia lex vetus est lex timoris, lex autem nova lex est amoris sive caritatis ». Cf. id., Expositio s. evangelii sec. Iohannem, n. 632 (LW III, 548, 11–13). Ibid., n. 98 (101, 7–8) : « “Brevis”, ait Augustinus, “differentia legis” veteris et novae “timor et amor” ». Cf. Thomas d’Aquin, Sum. theol., Ia–IIae, q. 107, art. 1, arg. 2 : « Praeterea, Augustinus dicit, in libro contra Adamantum Manich. Discip., quod “brevis differentia legis et Evangelii est timor et amor” ». Cf. Augustinus, Contra Adimantum Manichaei discipulum, c. 17 (CSEL 25, 166, 27–28). Pour une justification exhaustive de cette opposition, voir le sermon latin VI/4, où, moyennant l’interprétation de 1 Jean 4,18 (« Il n’y a pas de crainte dans l’amour »), Maître Eckhart explique ainsi que « l’amour et la crainte sont des passions divisées l’une contre l’autre » (n. 66, LW IV, 65, 1–2), puis en vient notamment à faire ressortir qu’« il apparaît que l’amour est ‘la plénitude de la Loi’ (Rm 13,10), et également ‘la fin du commandement’ (1 Tm 1,5) » (n. 71, 68, 12–69, 1). Ibid., n. 99 (101, 13–102, 1) : « Argumentum autem et signum dictorum est quod in tota lege Moysi non memini quod alicubi dilectio dei ponatur sub imperativo modo sive praeceptivo, ut dicatur: ‘dilige’, sed Deut. 6 dicitur: ‘diliges’, quod magis est exhortatorium sive promissorium. […] Adhuc autem notandum quod li ‘diliges’ Deut. 6 non solum non est positum imperative aut sicut praeceptum, sed promissive aut etiam sicut praemium, fructus et ‘finis praecepti’ ». Cf. E. Winkler, Exegetische Methoden bei Meister Eckhart (Beiträge zur Geschichte der biblischen Hermeneutik 6), Tübingen 1965, 42–45 ; U. Kern, Der Gang der Vernunft bei Meister Eckhart (Rostocker theologische Studien 25), Münster 2012, 214–216.

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une signification intemporelle », lui permettant de cette façon « de délier le code mosaïque de son enracinement historique, pour lui conférer une universalité anthropologique36 ». Mais il faut néanmoins quelque peu nuancer l’allégation de Gire selon laquelle l’exposition des commandements de l’Ancienne Loi ne donnerait lieu chez le Maître rhénan qu’à « des développements ‘méta-exégétiques’ ou spéculatifs » ; car s’il est vrai que les lois du Décalogue « constituent les points de départ de certaines spéculations sur Dieu et sur l’homme37 », cela repose avant tout ici sur une réflexion exégétique marquée par le principe herméneutique de la differentia legis et de plus sous-tendue par une interprétation allégorique du donné biblique, permettant d’en dépasser le sens littéral par l’entrelacs des Testaments38. La différenciation opérée par Maître Eckhart entre lex vetus et lex nova répond donc à une double intention39 : d’une part afin de mettre en évidence que l’Ancienne Loi n’est qu’une préfiguration de la Nouvelle40, qui en révèle alors la signification des énoncés prophétiques (obscurs et figurés) par l’incarnation du Christ et les autres mystères41 ; puis d’autre part afin de montrer aussi que la Nouvelle Loi, donnée par le Christ, succède à l’Ancienne Loi, donnée par Moïse, comme son accomplissement, c.-à-d. son « dépassement réalisé » – puisque les préceptes de la Loi ne peuvent être accomplit sans charité 42 – et par là même s’y substitue d’une certaine manière « en la surmontant comme son contraire43 » – puisque l’amour ou la charité caractérisant la lex nova s’oppose à la crainte servile relevant quant à elle de la lex vetus. Le commentaire eckhartien de Jn 1,17 (« Lex per Moysen data est, gratia et veritas per Iesum Christum facta est ») apporte en outre un argument complémentaire : étant donné que l’amour ou la charité relève de la perfection et la crainte de l’imperfection44, il s’avère dès lors que « tout ce qu’il y a d’imperfection dans les Écritures et dans les créatures appartient à Moïse et à la Loi donnée par lui », à savoir la Loi mosaïque, tandis qu’« au contraire, tout ce qui est parfait et relève de la perfection appartient au Christ 45 », et par conséquent à la Loi évangélique ou 36 37 38 39 40

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P. Gire, Maître Eckhart et la métaphysique de l’Exode, Paris 2006, 38. Ibid., 39. Cf. Maître Eckhart, Liber parabolarum Genesis, Prologus, n. 1 (LW I, 447, 1–4) ; id., Expositio s. evangelii secundum Iohannem, n. 433 (LW III, 371, 4–8). Cf. P. Gire, Maître Eckhart et la métaphysique de l’Exode (nt. 36), 43. Dans ce sens, l’Ancienne Loi précontient implicitement et en substance la révélation de la Nouvelle Loi, qui se voit dès lors comparée à « une roue au milieu de la roue », suivant l’exégèse allégorique de la vision d’Ezéchiel (1,16) ; cf. Maître Eckhart, Liber parabolarum Genesis, n. 48 (LW I, 517, 3–4) : « […] ut sic ‘sit rota in medio rotae’, “novum testamentum in veteri”, secundum visionem Ezechielis primo capitulo ». Cf. Thomas d’Aquin, Sum. theol., Ia–IIae, q. 107, art. 3, s.c. et corp. Cf. Maître Eckhart, Expositio s. evangelii secundum Iohannem, n. 56 (LW III, 47, 1–5), n. 104 (89, 12–16), n. 178 (147, 1–3). Cf. ibid., n. 616 (537, 10–538,2). P. Gire, Maître Eckhart et la métaphysique de l’Exode (nt. 36), 43 sq. Cf. 1 Jn 4,18. Maître Eckhart, Expositio s. evangelii sec. Iohannem, n. 184 (LW III, 153, 3–14) : « Notandum quod omne, quod est imperfectionis in scripturis et in creaturis, ad Moysen et legem per ipsum datam pertinet, secundum illud Hebr. 7: ‘nihil ad perfectum adduxit lex’; e converso omne perfectum et quod perfectionis est ad

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lex Christi. Moyennant quoi, la nouveauté du précepte de charité 46, allégué comme tel dans l’Évangile, tient certes d’une part au fait qu’il « n’a pas été ordonné dans l’Ancienne Loi, mais plutôt conseillé, promis et souhaité », puis surtout d’autre part au fait qu’il engage la réalisation d’un dépassement de l’« homme ancien », craintivement assujetti à la lex vetus, par un « homme nouveau », qui adhère par amour à la lex nova 47. Du point de vue de la pédagogie de la Loi, le « dépassement réalisé » de la lex vetus par la lex nova prend ainsi tout son sens lorsque la portée respective de chacune est transposée sur le plan anthropologique de la dualité de la nature humaine, tel qu’il en va à nouveau dans l’‘Expositio libri Exodi’ de Maître Eckhart, suivant son explication du dixième commandement : « Tu ne convoiteras point la maison de ton prochain » (Ex 20,17). Sous cet angle, l’Ancienne Loi concerne effectivement le sensitif et s’adresse donc à l’homme ancien, extérieur et terrestre, auquel elle ne promet que des biens temporels, visibles et corruptibles (autrement dit imparfaits), tandis que la Nouvelle Loi concerne le rationnel ou la raison et s’adresse donc à l’homme nouveau, intérieur et céleste, en lui promettant des biens éternels et invisibles (autrement dit parfaits), puisqu’elle ne se corrompt jamais et que rien d’autre ne vient lui succéder 48.

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Christum pertinet, Iac. 1: ‘omne datum optimum et omne donum perfectum desursum descendens est’. Et hoc est quod hic dicitur: ‘lex per Moysen data est, gratia et veritas per Iesum Christum facta est’. Gal. 3: ‘priusquam veniret fides, sub lege custodiebamur conclusi’; et sequitur: ‘itaque lex paedagogus noster fuit in Christo’; et Hebr. 10: ‘umbram habens lex bonorum futurorum’. Moyses: servus, timor; Christus: filius, amor. Et sic breviter omnia, quae perfectionis sunt et quae perfecta sunt, puta gratia, veritas vitae, iustitiae et doctrinae, ad Christum pertinent; quae vero imperfectionis sunt et et quae imperfectioni congruunt, Moysen et legem sapiunt » ; n. 186 (155, 8–13) : « Ex his patet quod etiam in natura omnia, quae imperfectionis sunt, fieri puta, alterari, mutari, tempus, corporale, divisio, corruptio, numerus, multum sive multitudo et huiusmodi, ad Moysen pertinent et ad vetus testamentum – “tempus enim vetus facit”, ut ait philosophus – nondum ad Christum, ad filium, ad veritatem pertinent, sed horum opposita, puta esse, generatio, immutabilitas, aeternitas, spiritus, simplicitas, incorruptio, infinitas, unum sive unitas ». Cf. Jn 13,34. Maître Eckhart, Expositio s. evangelii secundum Iohannem, n. 541 (LW III, 573,1–5) : « Ex quibus verbis Augustini patet primo praeceptum caritatis esse novum, quia facit de veteri novum hominem, fuisse tamen in veteri lege scriptum et in sanctis illius temporis observatum. Posset tamen dici in veteri lege non fuisse imperatum, sed potius consultum, promissum et optatum; non enim dictum est: ‘dilige’, sed: ‘diliges’. Ratio est, quia dilectio sive amor est novae legis, timor veteris ». Cf. id., Expositio Libri Exodi, n. 224 (LW II, 186, 14–187,8) : « Ista duo in nobis, scilicet sensitivum et rationale, sunt homo vetus, exterior et terrenus, qui corrumpitur, temporalis enim est; ‘tempus autem vetus facit’, ut ait philosophus, et ‘nihil sub sole novum’, Eccl. 1. Propter quod et vetus testamentum promittit temporalia et corruptibilia. Et ipsi succedit lex nova, quae non corrumpitur, nec ipsi succedet alia. Promittit non quae videntur et temporalia sunt, sed aeterna et invisibilia, secundum illud: ‘oculus non vidit, deus, absque te’, Is. 64. Rationale vero sive ratio est homo novus, interior, caelestis, qui non corrumpitur, sed ‘renovatur de die in diem’, Cor. 4; et ideo necessario iste homo aeternus est et supra solem est, divinus est, thesaurus ‘in vasis fictilibus’ est, Cor. 4. ». Cf. id., Expositio s. evangelii secundum Iohannem, n. 542 (LW III, 573,6–9) : « Praeterea secundo, quia lex vetus erat de temporalibus, promittebat temporalia quae sub sole sunt. Dicitur autem Eccl. 1: ‘nihil sub sole novum’, et secundum philosophum tempus vetus facit. Notavi de hoc prius capitulo primo super illo: ‘lex per Moysen data est’ etc. ». Voir également ibid., n. 444 (380, 12–381, 4), où Eckhart soutient alors que l’Évangile – promettant des biens éternels – et l’Ancienne Loi – promettant quant à elle des biens temporels – diffèrent par leur mode d’enseignement, de sorte que l’un se rapporte à l’autre « sicut

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Cette transposition fait par conséquent ressortir deux aspects de la conception eckhartienne de la Loi : 1) Le dépassement de la lex vetus par la lex nova ne traduit pas uniquement une considération du seul rapport entre les deux Testaments comme méthode exégétique et clé herméneutique (moyennant une interprétation allégorique et figurée du premier, laissant peut-être ici poindre une sorte de doctrine du ‘Fils Pédagogue’ sous la forme de l’Ancienne Loi, menant toute l’humanité jusqu’à son incarnation dans le Christ 49), mais elle sous-tend aussi parallèlement une conception anthropologique de la loi divine, à portée métaphysique ; car transposée à la distinction paulinienne de deux genres d’homme, vetus et novus (Col. 3,9–10), elle suggère également que la législation de l’homo exterior soit dépassée par celle de l’homo interior (impliquant là une certaine caducité quant à l’économie de la Loi mosaïque), et par suite que l’homme se soustraie à l’ordonnance pècheresse dictée par sa nature inférieure et charnelle pour le bien de l’ordonnance divine prescrite par sa nature supérieure et spirituelle. 2) La notion de ‘loi’ semble du coup acquérir chez Maître Eckhart une signification et une consistance théologique en se rattachant organiquement à la conception (et au vocabulaire) de saint Paul : d’une part pour penser la relation entre l’Ancienne et la Nouvelle Loi (au cœur de la doctrine paulinienne, qualifiant alors la première de « vieillesse de la lettre » et la seconde de « nouveauté de l’esprit50 »), puis donc d’autre part afin de légitimer la théorie d’une double nature de l’homme par l’autorité exégétique de Rom. 7,23.25, et montrer ainsi que cette théorie englobe quatre acceptions différentes de la notion de ‘loi’, dès lors réparties en deux schèmes conceptuels : lex in membris–lex mentis et lex peccati–lex dei. C’est pourquoi nous nous proposons maintenant de consulter certaines occurrences des versets susmentionnés. II. Législation de l’homme intérieur et de l’homme e xtérieur Bien que les références aux écrits de saint Paul tiennent une place de choix dans le dossier des citations scripturaires convoquées par Maître Eckhart, on ne recense toutefois seulement que quatre passages de son œuvre où il s’appuie expressément sur l’autorité exégétique de Rm 7,23.2551 – Eckhart ne s’étant pas

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demonstrator et topicus, sicut metaphysicus et physicus ». L’autorité de l’Ancienne Loi se voit donc dépassée par celle de l’Évangile, qui en démontre ainsi la vérité métaphysique. Voir sur ce point Winkler, Exegetische Methoden bei Meister Eckhart (nt. 35), 44. Maître Eckhart, Expositio s. evangelii sec. Iohannem, n. 184 (LW III, 153, 9–10), où Maître Eckhart se réfère à Ga 3, 24 : « Itaque lex paedagogus noster fuit in Christo ». Rom. 7, 6. Cf. Maître Eckhart, Expositio libri Genesis, n. 242 (LW I, 386, 1–9); id., Liber parabolarum Genesis, n. 196 (LW I, 668, 8–669, 11); id., Expositio libri Exodi, n. 214 (LW II, 179, 3–8); id., Von dem edeln Menschen (DW V, 110, 11–111, 2).

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livré à un commentaire complet de cet épître. Or, même si les occurrences sont peu nombreuses, elles ne manquent pas d’intérêt. Dans le cadre de cette étude, nous nous concentrerons sur deux d’entre elles – les plus éloquentes –, en commençant par celle attestée dans le commentaire au dixième commandement : « Non concupisces … ». Après avoir commentée cette autorité de quinze manières différentes (constituant un court traité sur l’essence et l’objet de la concupiscence52, laquelle est envisagée respectivement sous l’angle de la volonté, de l’amour, puis du péché53 – considéré d’après Ambroise comme « une transgression ou “prévarication de la loi divine”54 »), Maître Eckhart expose subséquemment « plusieurs remarques sur la dualité de la nature humaine, à savoir sensitive et rationnelle, sur la créature mauvaise et bonne, sur l’ange bon et mauvais assignés à chaque homme », à partir de quoi « sont expliquées de nombreuses autorités de l’un et l’autre Testament 55 », et donc notamment du septième chapitre de l’‘Épître aux Romains’ (en raison de l’attestation par saint Paul du dixième commandement au verset 7 56, moyennant un certain regard rétrospectif sur le code mosaïque comme point de départ d’une réflexion sur la compétence et la nécessité de la Loi donnée par Moïse dans l’économie du salut). Suivant Josef Koch, la juxtaposition des quinze notanda préalables ne constitue qu’un prélude ouvrant sur l’argumentation principale, à travers laquelle Eckhart légitime sa méthode d’exposition57. L’interprétation eckhartienne du dixième commandement entend ainsi prouver que le récit historique de la Bible contient et préfigure des mystères, de même qu’il enseigne les natures des choses, puis instruit et règle la vie morale58. Tout le poids de l’argumentation qui s’ensuit – visant à démontrer au final que la rectitude de la conduite humaine est subordonnée à une concupiscentia rationalis, c.-à-d. à une concupiscence soumise et obéissante uniquement à la législation de l’âme rationnelle 59 – repose sur deux principes philosophiques : le premier tiré explicitement des ‘Noms divins’ du pseudo-Denys, à savoir que « le bien de l’homme est d’être selon la raison, tandis 52

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Cf. id., Expositio Libri Exodi, n. 188–210. Cf. P. Heidrich, Maimuni-Zitate bei Meister Eckhart, dans : id., Im Gespräch mit Meister Eckhart und Maimonides (Rostocker Theologische Studien 22), 66–192, 119 et nt. 216. Cf. J. Koch, Sinn und Struktur der Schriftauslegungen, dans : U. M. Nix/R. Öchslin (eds.), Meister Eckhart Prediger, Festschrift zum Eckhart-Gedenkjahr, Freiburg–Basel–Wien 1960, 73–103, 91. Maître Eckhart, Expositio libri Exodi, n. 203 (LW II, 170, 15–16) : « Duodecimo sciendum quod secundum Ambrosium peccatum est transgressio sive “praevaricatio legis divinae” ». Cf. Ambroise, De paradiso, c. 8, n. 39. Ibid., Tab. auct. (6, 1–6) : « Auctoritas ista exponitur quindecim modis, inter quos sunt multa notabilia. Post ultimam vero illarum habes plura notabilia de duplici natura in homine, scilicet sensitiva et rationali, creatura mala et bona, de angelo bono et malo singulis hominibus deputatis. Et secundum hoc exponuntur plurimae auctoritates utriusque testamenti ». Cf. ibid., n. 211–228. Cf. Rm 7,7 : « nam concupiscentiam nesciebam nisi lex diceret non concupisces ». Cf. J. Koch, Sinn und Struktur der Schriftauslegungen (nt. 53), 77 sq. et 91 sq. Cf. Maître Eckhart, Expositio libri Exodi, n. 211 (LW II, 178, 3–7). Cf. ibid., n. 226–228.

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que le mal est ce qui est contre la raison 60 » ; le second emprunté à Maïmonide (sans le mentionner 61), à savoir que « l’homme est constitué d’une double nature, c.-à-d. sensitive et rationnelle, en tant qu’il est constitué de chair et d’esprit, de matière et de forme », de telle sorte que « les forces » de notre nature sensitive « sont liées et immergées ou comprises dans la chair et la matière », tandis que « la raison est l’esprit ou la forme non immergée ni liée à quelque organe de la chair 62 ». Mais il convient surtout de comprendre cet antagonisme de la matière et de la forme, de la chair et de l’esprit en contexte paulinien, puisqu’« à partir de ces prémisses [philosophiques] se manifeste, s’explique et se vérifie ce qui est dit en Rm 7 » – d’une part au verset 18 : « Car je sais qu’en moi, c.-à-d. dans ma chair, n’habite pas le bien », d’autre part aux versets 23 : « Je vois une autre loi dans mes membres, qui répugne à la loi de mon esprit et qui me rend captif de la loi du péché », et 25 : « Par l’esprit je sers la loi de Dieu, mais par la chair je sers la loi du péché 63 ». Pour appuyer cette concordance de l’Écriture, Eckhart fait de nouveau appel à Maïmonide, dont l’enseignement sur l’ange bon et mauvais qui accompagnent chaque homme en sa double nature nous permet ici d’inférer que « la loi de mon esprit » est liée à la creatura bona en tant qu’elle désigne cette inclination naturelle au bien de la partie formelle et rationnelle de l’homme ; et inversement, que « l’autre loi dans mes membres » est liée à la creatura mala en tant qu’elle désigne l’inclination au mal de la partie matérielle et sensitive – d’où proviennent toute privation, toute corruption, tout manque ou toute imperfection, et par suite tous les péchés de l’homme –, en y entraînant alors la raison 64. En conflit avec la lex mentis, la lex in membris ou lex carnis conduit effectivement l’homme à d’abord concevoir intellectuellement son intention de transgresser, et donc à déjà

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Ibid., n. 212 (178, 8–10) : « Secundo sciendum est quod, sicut ait Dionysius De divinis nominibus c. 4, bonum hominis est secundum rationem esse, malum autem quod est praeter rationem ». Cf. id., Liber parabolarum Genesis, n. 99. 131 ; id., Expositio s. evangelii secundum Iohannem, n. 51. 307. 524. 555. Cf. Pseudo-Denys l’Aréopagite, De divinis nominibus, c. 4, n. 32. Cf. P. Heidrich, Maimuni-Zitate bei Meister Eckhart (nt. 52), 123. Sur l’utilisation de Maïmonide par Eckhart, cf. K. Flasch, Meister Eckhart : Die Geburt der « deutschen Mystik » aus dem Geist der arabischen Philosophie, München 2006, chap. VII: Eckhart und Rabbi Moyses, 139–149 ; D. Di Segni, « verba sunt Rabbi Moyses » : Eckhart e Mosè Maimonide, dans : L. Sturlese (ed.), Studi sulle fonti die Meister Eckhart (Dokimion 37), vol. II, Friburg [Suisse] 2012, 103–140. Maître Eckhart, Expositio libri Exodi, n. 213 (LW II, 178, 12–179, 2) : « Tertio autem sciendum quod homo constituitur ex duplici natura, scilicet sensitiva et rationali, utpote ex carne et spiritu, materia et forma. Materia et caro est sensitivum, cuius vires alligatae sunt et immersae seu comprehensae in carne et materia. Ratio vero spiritus est et forma, non immersa nec alligata alicui organo carnis ». Cf. Maimonide, Dux neutrorum, III, c. 8. Ibid., n. 214 (179, 3–7) : « His praemissis patet, exponitur et probat praemissa illud Rom. 7: ‘scio quia non habitat in me, hoc est in carne mea, bonum’ [= 7,18]; et infra: ‘video aliam legem in membris meis repugnantem legi mentis meae et captivum me ducentem in lege peccati’ [= 7,23]; et infra: ‘mente servio legi dei, carne autem servio legi peccati’ [= 7,25] ». Cf. ibid. (179, 9–180, 8) et n. 217 (182, 5–11). Cf. Maimonide, Dux neutrorum, III, c. 8 et 22. Cf. P. Heidrich, Maimuni-Zitate bei Meister Eckhart (nt. 52), 123.

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pécher par un abus de « la meilleure de ses puissances 65 », abusant non seulement de « ces dons supérieurs » – à savoir les puissances de l’âme, spécialement la raison et l’intellect –, mais qui plus est « contre le donateur lui-même » – Dieu –, « envers qui il est ingrat 66 ». Voilà pourquoi, d’après Maïmonide, « les idées de transgression de la Loi », autrement dit le péché de concupiscence à partir de la puissance rationnelle, « sont plus graves que la transgression elle-même67 », c.-à-d. par rapport au péché de l’œuvre extérieur 68, car c’est in concupiscentia et per concupiscentiam que le péché est conçu, puis consenti, et donc d’ores et déjà commis 69. En asservissant ainsi la raison par ce « roi puissant 70 » qu’est la sensualité inclinant au mal, la lex carnis place de ce fait nécessairement l’homme sous la servitude de la lex peccati. La lex mentis a dès lors pour fonction de neutraliser la lex in membris en restaurant la domination de la raison sur toute concupiscence charnelle ; car il échoit naturellement à la forme spirituelle et substantielle, du fait de son pouvoir sur la matière, de réfréner celle-ci et de réprimer la sensualité qui est en l’homme71. Dans ce sens, chacune de ces deux lois renvoie à un genre d’hommes clairement défini, moyennant ici la distinction opérée par Maïmonide72 (laquelle concorde parfaitement avec celle établie par saint Paul entre l’homme extérieur et l’homme intérieur) : d’un côté les hommes-esclaves, « qui se détournent de la noblesse de leur forme et suivent les passions et les désirs conséquents à la matière73 » ; de l’autre un type d’hommes nobles et honnêtes, c.-à-d. « qui se fixent toujours comme fin de rechercher l’honnêteté et la vie éternelle, suivant ce qu’exige sa forme honorable74 », en adhérant donc à la lex dei. Toujours selon Maïmonide, il en va en effet de l’inten65

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Maître Eckhart, Expositio libri Exodi, n. 197 (LW II, 165, 16–166, 1) : « Prima talis est: “homo” “cum facit transgressionem”, “peccatum ipsi provenit a potentia sua bestiali”. “Cum vero perceperit cogitationem suam ad opus transgressionis, iam peccat cum meliore de potentiis suis” ». Ibid., n. 198–166, 11–14) : « Secunda ratio talis est: maius peccatum est, quando quis, dotatus ab aliquo donis potioribus prae ceteris, ipsis donis abutitur in contemptum donatoris, tum quia potioribus abutitur, tum quia contra ipsum donatorem, cui ingratus est ». Ibid., n. 196 (165, 13–15) : « Decimo dictum est: non concupisces, quia, sicut dicit Rabbi Moyses l. III c. 9, “cogitationes transgressionis legis duriores sunt ipsa transgressione”, cuius assignat duas rationes cum suis exemplis ». Cf. Maïmonide, Dux neutrorum, III, c. 8. Cf. P. Heidrich, Maimuni-Zitate bei Meister Eckhart (nt. 52), 121 sq. Maître Eckhart, Expositio libri Exodi, n. 201 (170, 3–5). Cf. P. Heidrich, Maimuni-Zitate bei Meister Eckhart (nt. 52), 120 sq. Cf. ibid., n. 207 (LW II, 174, 1–175, 6). Ibid., n. 216 (181, 14–17) : « Vocatur autem sensualitas ‘rex magnus’ in hac parabola, [tum] quia connascitur homini et quam plurimi et maior pars hominum oboediunt et sequuntur passiones concupiscentiae et quam paucissimi secundum rationem vivunt ». Cf. ibid., n. 198 (LW II, 167, 10–12). Cf. ibid., n. 199 (LW II, 167, 13) : « “Propter hoc igitur distincti sunt gradus hominum” ». Cf. Maïmonide, Dux neutrorum, III, c. 8. Maître Eckhart, Expositio libri Exodi, n. 199 (168, 12–15) : « Et hoc quantum ad secundum genus hominum, qui aversi a nobilitate formae suae sequuntur passiones et concupiscentias materiam consequentes ». Ibid. (167, 13–17) : « Primum genus hominum sive gradus est homo, qui ponit finem suum semper “quaerere honestatem et vitam sempiternam, secundum quod exigit honorabilis forma sua, et” “ut intelligat intelligibilia et” “separetur ab aliis intellectu”, “qui effusus est super” nos ». Cf. ibid., n. 200 (168, 16–169, 8).

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tion de la loi divine – en tant que la loi parfaite – de bannir les désirs concupiscents et de les dédaigner secundum possibilitatem, afin de n’en requérir que ce qui est nécessaire75. Pour Eckhart, l’enseignement de Maïmonide vient manifestement corroborer les paroles susdites de l’‘Épître aux Romains’, si bien que le Maître rhénan ne ressent pas ici le besoin de justifier davantage cet appui exégétique et semble ainsi – par souci de brièveté – laisser à la prudence du lecteur le soin de continuer d’établir la présente concordance76. Plus avant dans son explication du dixième commandement, Eckhart procède de la même manière à l’égard d’autres renvois scripturaires, et soutient en particulier que cette dualité de la nature humaine est également figurée en Gn 25,2377 ; ce qui nous amène désormais à notre seconde occurrence, répertoriée dans le ‘Liber parabolarum Genesis’. Pour Eckhart, la parole adressée à Rébecca : ‘Deux nations sont en ton sein’ préfigure aussi les versets susdits de l’Apôtre Paul – comme annoncé dans la Table des autorités du second commentaire de la Genèse : « Quatrièmement, tu trouveras plusieurs choses sur le double appétit [de l’homme], à savoir sensible et rationnel, auxquels répondent la chair – l’esprit, Ga 5, la loi du péché – la loi de Dieu, Rm 7, Ismaël et Isaac, Gn 21 ; et au même endroit [on traitera] de leur jeu [respectif] vis-à-vis de l’autre78 ». Cette explication allégorique de Gn 25,23 démontre alors que la nature humaine est, dans son intégrité, assujettie à deux appétits qui s’opposent l’un à l’autre : un appetitus rationalis propre à l’esprit et rationnel par essence, puis un appetitus sensitivus propre à la chair et rationnel par participation79. Suivant Rm 7, 23.25, le premier appétit est donc subordonné à la 75

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Cf. ibid., n. 203 (170, 16–171, 4) : « Sed “universaliter de intentionibus perfectae legis est exterminare concupiscentias et contemnere illas secundum possibilitatem, et quod non requiratur de ipsis nisi quod necessarium est”. Verba sunt Rabbi Moysis l. III c. 33. Hoc est ergo quod hic dicitur: ‘non concupisces’ » ; voir également ibid., n. 204 (171, 9–17). Sur l’intention de la loi, voir en outre In Ioh., n. 379–380 (LW III, 323, 1–324, 2), où Eckhart fait dépendre celle-ci du commandement d’amour ou de charité. Cf. Maître Eckhart, Prologus in Opus expositionum II, n. 4 (LW I, 184, 12–15) : « Quarto sciendum quod pro vitanda prolixitate operis frequenter circa auctoritatem tangitur solum distinctio et quaedam notanda in illa et ex illa auctoritate, quae habetur prae manibus, prosecutio autem et concordantiae scripturae reservantur prudentiae lectoris. Propter quam brevitatem etiam multa notabilia volens omisi ». Cf. Maître Eckhart, Expositio libri Exodi, n. 223 (LW II, 185, 13–186, 13) : « Adhuc autem id ipsum pulchre valde figuratum est Gen. 25 in Esau et Iacob fratribus, filiis Isaac, quorum Esau primo natus significat sensualitatem, Iacob secundo natus rationale. […] Quod autem Iacob secundo nascitur, quod ‘manu plantam fratris tenet’, et omnia, quae vel ibi vel alibi in scriptura de ipso narrantur, congruunt rationali, fratri germano in nobis sensitivi. Quod autem dictum est parenti: ‘duo populi in utero tuo sunt’, notat duplex hominum genus, de quibus supra notavi ex Rabbi Moyse in exemplo, quorum alii delectantur ‘et exsultant in rebus pessimis’, alii vero concupiscentias carnis, materiae et sensualitatis detestantur, gaudent autem et delectantur in his quae rationis sunt ». Maître Eckhart, Liber parabolarum Genesis, Tab. auct. (LW I, 476, 5–7) : « Quarto de appetitu duplici, sensitivo scilicet et rationali, quibus respondent caro – spiritus, Gal. 5, lex peccati – lex dei, Rom. 7, Ismael et Isaac, Gen. 21, et ibidem de ludo istorum ad invicem ». Maître Eckhart, Expositio libri Genesis, n. 241 (LW I, 385, 7–11) ; id., Liber parabolarum Genesis, n. 114 (LW I, 580, 8–581, 4) ; ibid., n. 141 (608, 4–609, 2). Cf. Aristote, Eth. Nic., I, 13, 1102 b 28–31.

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loi de l’esprit, qui est au service de la loi de Dieu, tandis que le second appétit répugne à cette loi de l’esprit en étant asservi par une autre, à savoir celle des membres ou de la chair, qui le rend captif de la loi du péché80. Là encore, la convocation de l’Apôtre semble devoir se suffire à elle-même en tant qu’autorité souveraine – c.-à-d. comme validation puis explication de droit et de fait, dont nul ne peut ainsi contester l’authenticité –, puisque Maître Eckhart s’abstient de la développer. Nonobstant, le « troisièmement » – c.-à-d. le troisième des quinque parabolice significata (tous empruntés Origène81), introduisant notre « quatrièmement » comme une conséquence logique – nous permet d’expliciter davantage la manière dont Eckhart conçoit ces différentes acceptions pauliniennes de la loi. En effet, étant donné que les ‘deux nations’ signifient aussi et d’abord la double volonté de l’homme, la lex mentis détermine consécutivement une voluntas bona entendue comme voluntas boni (c-à-d. du bien considéré absolument), racine et principe des œuvres bonnes, puis comme amor dei, constitutif de la cité de Dieu, alors régie par la lex dei. Inversement, la lex carnis détermine quant à elle une voluntas mala entendue comme voluntas huius et huius boni (c.-à-d. d’un bien déterminé 82), racine des œuvres mauvaises et principe de tous les péchés, puis comme amor sui 83, constitutif de la cité du diable, placée donc quant à elle sous le joug de la lex peccati 84. La lex mentis entend ainsi commander à l’homme de s’imprégner d’une intention pieuse et divine en se purifiant de toute affection mondaine, c.-à-d. des appétits sensibles85. Symbolisant les deux sortes d’appétits de l’homme, les figures bibliques d’Ismaël et Isaac (conformément à l’interprétation qu’en donne Origène) amènent en outre 80

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Maître Eckhart, Liber parabolarum Genesis, n. 190 (LW I, 662, 3–4) : « Quarto, quod in natura humana et eius integritate sunt duo, scilicet sensitivum et rationale » ; n. 196 (668, 8–669, 1) : « Quarto: ‘duae gentes in utero’ Rebeccae sunt duo appetitus in homine, scilicet sensitivus et rationalis. Sensitivus ad carnem pertinet, rationalis ad spiritum, qui ‘sibi invicem adversantur ’, ut dicitur Gal. 5: ‘caro enim concupiscit adversus spiritum et spiritus adversus carnem’; Rom. 6 dicitur: ‘scio, quia non habitat in me, hoc est in carne mea, bonum’; et infra: ‘video aliam legem in membris meis repugnantem legi mentis meae et captivum me ducentem’; et infra: ‘mente servio legi dei, carne autem servio legi peccati’ ». Cf. ibid., n. 189 (LW I, 661, 5–7) : « Notandum quod sub his verbis quinque parabolice sunt significata, quae in eadem radice fundantur et sumi possunt ex verbis Origenis ex 12 homilia et 13 Super Genesim ». Voir Winkler, Exegetische Methoden bei Meister Eckhart (nt. 35), 72, soulignant qu’« il est intéressant qu’Eckhart, qui par ailleurs cite peu l’Alexandrin, l’utilise ici abondamment ». Sur la distinction eckhartienne entre bonum absolute et bonum hoc et hoc, cf. Maître Eckhart, Prologus in opus propositionum, n. 3 (LW I, 166, 12–167, 2) ; voir également id., Liber parabolarum Genesis, n. 165 (LW I, 635, 9–11) ; id., Expositio libri Sapientiae, n. 178 (LW II, 513, 8–514, 4) ; id. Sermo VI/3, n. 62 (LW IV, 60, 11–12). Sur la différence entre amor dei et amor sui, cf. In Ioh., n. 484 (LW III, 416, 7–9) ; ibid., n. 544 (474, 10–475, 2) ; voir également Sermo XIX, n. 187 (LW IV, 175, 1–8). Maître Eckhart, Liber parabolarum Genesis, n. 195 (LW I, 667, 3–8) : « Tertio: ‘duae gentes in utero’ Rebeccae duae sunt voluntates, voluntas scilicet boni et voluntas huius et huius boni particularis. Voluntas boni ipsa est amor dei; voluntas vero huius aut huius boni ipsa est amor sui, amantis scilicet. Primus amor secundum Augustinum principium est omnis boni et omnis meriti, constituens civitatem dei et paradisi. Secundus amor principium est omnis peccati, constituens civitatem diaboli et inferni ». Cf. Augustin, Enarrationes in Psalmos, 64, n. 2. Cf. ibid. (666, 4–6).

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à comprendre cette opposition de la lex carnis à la lex mentis comme un « jeu » de la chair contre l’esprit, dont la règle consiste à enjôler ce dernier, c’est-à-dire à l’entraîner par de séduisantes tromperies et à l’attirer par les plaisirs, si bien qu’en l’affaiblissant par la volupté, la chair porte atteinte à la vertu et par là même à la raison ou l’esprit. Obéir à la lex mentis suppose ainsi de vivre et se conduire selon la raison, en considérant comme « persécution de l’esprit » chaque espèce de mal portant atteinte à la vertu 86. La manière suivante d’interpréter Gn 25,23 87 – reprenant ce qu’Eckhart a déjà exposé au sujet des fils aîné et cadet de nos premiers parents, à savoir Caïn et Abel 88, qui symbolisent pareillement la double nature humaine 89 – nous permet également de mieux définir les lois de ces ‘deux nations’. La lex carnis, placée sous la servitude de la lex peccati (qui domine l’homme héréditairement depuis la chute), est radix sive semen vitiorum ; elle caractérise ainsi ce fomes carnis qui devient fomes peccati en inclinant à la concupiscence charnelle et par suite au mal 90. La lex mentis, au service de la lex dei, est quant à elle semen et radix virtutum ; elle caractérise dans l’esprit cette synderesis inextinguible, ni temporelle ni matérielle, que rien n’affaiblit ni n’empêche de murmurer contre le mal et d’incliner au bien91 – comme cela lui

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Maître Eckhart, Liber parabolarum Genesis, n. 196 (LW I, 669, 3–9) : « Quod exponens Origenes dicit Ismaelem ludere cum Isaac, dum “caro” “blanditur spiritui” “et illecebrosis cum eo deceptionibus agit, si delectationibus illiciat, voluptationibus molliat”. Hoc “Saram, quae est virtus” sive spiritus vel ratio, “offendit”. “Tu ergo” si ratione vivas, spiritu et virtute agaris, “singulas malitiae species, etiam si molles et delicatae sint et ludo similes, persecutionem spiritus dicito, quia in omnibus his virtus offenditur”. Verba sunt Origenis ». Cf. ibid., n. 197 (LW I, 669, 12–14) : « Quinto: ‘duae gentes’ in nobis sunt virtutes et vitia, formae naturales et earum privationes, scientia et ignorantia et praedictorum semina sive radices, puta fomes peccati, synderesis et intellectus principiorum ». Cf. Gn 4,1–2. Cf. Maître Eckhart, Liber parabolarum Genesis, n. 168 (LW I, 638, 4–639, 3) : « hi duo filii, bonus et malus, significant in nobis et humana natura descendente a parentibus primis duplicem naturam, sensitivum et rationale: sensitivum ad malum inclinans, utpote fomes peccati et concupiscentia carnalis, rationale ad bonum inclinans, puta synderesis. Hi duo filii sunt homo interior et homo exterior, homo caelestis et homo terrenus, homo novus et homo vetus. Rursus ‘Cain’ et ‘Abel’ sunt Ismael et Isaac, Gen. 16; item sunt Esau et Iacob, Gen. 25; item sunt angelus malus et bonus deputati hominibus; item caro et spiritus, Gal. 5. De istis in figura dicitur Luc. 15: ‘homo quidam habuit duos filios’ etc. ». Ibid., n. 199 (LW I, 671, 11–12) : « Semen sive radix vitiorum fomes est carnis, ad malum declinans ». Voir également id., Expositio libri Genesis, n. 245 (LW I, 389, 4–5). Maître Eckhart, Liber parabolarum Genesis, n. 199 (LW I, 671, 14–672, 8) : « Semen autem et radix virtutum synderesis est […]. Semper enim synderesis manet malo remurmurans, ad bonum inclinans etiam in damnatis. […] Hinc enim synderesis fortassis dicta est quasi sine haeresi, id est divisione a bono. Vel synderesis a syn-, con-, et haereo, quasi semper cohaerens bono ». Cf. Albert le Grand, Summa theologiae, Pars II, tract. XVI, q. 99, membri secundi, art. 3 (ed. A. Borgnet, dans : B. Alberti Magni Opera omnia, vol. 33, Paris 1895, 239A) : « Dicendum quod scintilla conscientiae sive synderesis in nullo nec viatore, nec damnato extinguitur ex toto: sed actus ejus duplex est, scilicet inclinatio ad bonum, et murmuratio contra malum » ; id., De homine, « De his motivis quae antecedent istas », 4 (De Synderesi), q. 1, arg. 5 (ed. H. Anzulewicz, dans : Alberti Magni Opera Omnia [Editio Coloniensis], vol. XXVII/2, Monasterii Westfalorum 2008, 528, 51–55) : « Synderesis secundum suum nomen sonat haesionem quandam per scientiam boni et mali, componitur enim ex Graeca praepositione ‘syn’ et ‘haeresis’, quod idem est quod opinio vel scientia haerens in aliquo per rationem ».

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est commandé par l’auteur ou la cause du bien absolu, à savoir Dieu lui-même92. Les amples développements occasionnés par l’interprétation du premier commandement de Dieu fait à l’homme en Gn 2,16–17 (« Et Dieu fit à l’homme ce commandement : Tu peux manger de tous les arbres du jardin etc. ») avaient en effet déjà permis à Eckhart d’exposer cette règle universelle suivant laquelle « une cause commande à ce dont elle est la cause et lui impose des lois auxquelles il ne peut échapper 93 ». Or, en assujettissant la syndérèse à la lex dei comme lex mentis, Dieu témoigne de « la manière la plus propre et la plus parfaite de commander » à l’homme, car c’est dès lors la forme substantielle et essentielle de ce dernier qui l’exhorte et l’incline au bien et à la vertu, en lui commandant intérieurement (et non par un ordre extérieur et transitoire) d’agir en conformité avec les propriétés de cette forme imprimée par Dieu, qui « informe et forme » ainsi la volonté de l’homme, si bien que celui-ci n’est plus le serviteur mais l’ami de Dieu, moyennant l’unité de leur vouloir 94. L’originalité de Maître Eckhart – et nous concluerons sur ce point – réside alors dans la signification qu’il accorde ici au concept traditionnel de synderesis (notion trouvant son origine dans le Commentaire sur Ézéchiel de saint Jérôme95 ) 96, 92

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Maître Eckhart, Liber parabolarum Genesis, n. 164 (LW I, 634, 1–10) : « Hinc iterum est secundo quod neque in damnatis appetitus naturalis ad esse exstinguitur neque synderesis remurmurans malo […], item quod « “in daemonibus naturalia manent integra« et splendida, iterum etiam quod neque in Cain neque in aliquo peccatore synderesis tacet, sed semper clamat, remurmurans malo et ad bonum inclinans voce consona, quam neque tempus neque locus unquam intercipit aut minuit, quamvis vox eius foris in tempore et loco non audiatur, eo quod neque sit temporalis neque materialis. Semper tamen loquitur bono, ad quod inclinat, et auctori sive causae boni, qui illi loquitur, dicit, mandat, praecipit dando naturam boni ad bonum inclinare ». Ibid., n. 88 (LW I, 549, 14–550, 6) : « Universaliter causa praecipit suo causato et ipsi leges imponit, quas praeterire non potest in quantum huiusmodi. Sic et superius omne praecipit et leges imponit suo inferiori, non autem pari nec superiori. […] Item ipsum superius hoc ipso et hoc ipsum, quod imprimit et inspirat, praecipit et imponit inferiori ». Ibid. (LW I, 550, 9–551, 14) : « Ubi et hoc notandum quod iste est propriissimus et perfectissimus modus praecipiendi et prohibendi, dum non solum mandatur et praecipitur quippiam alicui verbo vel scripto exteriori transitorio, sed dum ipsa forma rei substantialis et essentialis perseverans in re ipsa semper docet continue, monet et movet, inclinat, suggerit, ostendit et suadet, quid faciendum, quid dimittendum […]. Exemplum est in servo, qui foris accipit mandatum voluntatis domini sui, et in illo, qui ipsam voluntatem domini habet praesentem et informantem et formantem ipsius servi, non iam servi, sed amici potius, cuius est una voluntas et unum velle ». Cf. Jérôme, Commentarii in Hiezechielem, I, c. 1 (ed. F. Glorie, Turnhout 1964 [CCSL 75], 11, 209–212 et 12, 217–220) : « plerique, iuxta platonem, rationale animae et irascentiuum et concupiscentiuum, quod ille logikòn et jumikòn et e p¬ ijumhtikòn uocat, ad hominem et leonem ac uitulum referunt […] quartum que ponunt quae super haec et extra haec tria est, quam graeci uocant suneídhsin – quae scintilla conscientiae in cain quoque pectore, postquam eiectus est de paradiso, non extinguitur ». En passant dans la ‘Glose Ordinaire’, syneidesis devient alors synderesis ; cf. Biblia latina cum Glossa ordinaria : Facsimile Reprint of Editio Princeps Adolph Rusch of Strassburg 1480/81, vol. 3, ad Ez 1,6–8, Turnhout 1992. Dans son explication du dixième commandement, usant de la notion de synderesis pour qualifier la partie rationelle qui incline l’homme au bien, Maître Eckhart renvoie alors explicitement à Jérôme ; cf. Expositio libri Exodi, n. 217 (LW II, 182, 5–11). Cf. A. Solignac, Synderesis, dans : Dictionnaire de spiritualité ascétique et mystique, t. XIV, Paris 1990, 1408–1412.

Législation de l’homme intérieur et extérieur chez Maître Eckhart

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auquel il préfère ailleurs l’expression métaphorique de « petite étincelle de l’âme97 » (thème majeur de la mystique eckhartienne)98. Car s’il fait ici usage de cette notion pour d’une certaine manière montrer que son discours n’est pas sans fondement dans la tradition des « Maîtres » scolastiques, il tient néanmoins à montrer que la syndérèse n’est pas une puissance ou faculté de l’âme, ni même un habitus naturel de l’intellect pratique, comme chez Albert le Grand ou Thomas d’Aquin99. Eckhart ne s’emploie dès lors pas à distinguer synderesis et conscientia 100, autrement dit à 97

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Cf. Meister Eckhart, Predigt 20a (DW I, 332, 2–334, 4) : « Ze dem dritten mâle sô ist, als mich bedünket, dirre kneht daz vünkelîn der sêle, daz dâ ist geschaffen von gote und ist ein lieht, oben îngedrücket, und ist ein bilde götlîcher natûre, daz dâ ist kriegende alwege wider allem dem, daz götlich niht enist, und enist niht ein kraft der sêle, als etlîche meister wolten, und ist alwege geneiget ze guote; nochdenne in der helle dâ ist ez geneiget ze guote. Die meister sprechent: daz lieht ist sô natiurlich, daz ez iemermê ein kriegen hât, und heizet sinderesis und lûtet als vil als ein zuobinden und ein abekêren. Ez hât zwei werk. Einez ist ein widerbiz wider dem, daz niht lûter enist. Daz ander werk ist, daz ez iemermê locket dem guoten – und daz ist âne mittel îngedrücket der sêle – nochdenne den, die in der helle sint » ; id., Predigt 20b (DW I, 347, 10–349, 2) : « Noch sprechen wir von einem knehte, von dem ich mê gesprochen hân, daz ist vernünfticheit in dem umbekreize der sêle, dâ si rüeret engelische natûre und ist ein bilde gotes. In disem liehte hât diu sêle mit den engeln gemeinschaft und ouch mit den engeln, die in der helle vervallen sint und hânt doch behalten den adel ir natûre. Dâ stât diz vünkelîn blôz sunder aller hande lîden ûfgerihtet in daz wesen gotes. Si glîchet sich ouch den guoten engeln, die dâ stæte würkent in gote und nement in gote und tragent alliu ir werk wider in got und nement got von gote in gote. Disen guoten engeln glîchet sich daz vünkelîn der vernünfticheit, daz dâ âne underscheit geschaffen ist von gote, ein überswebende lieht und ein bilde götlîcher natûre und von gote geschaffen. Diz lieht treget diu sêle in ir. Die meister sprechent, ez sî ein kraft in der sêle, diu heizet sinderesis, des enist niht. Daz sprichet als vil als daz alle zît gote zuohanget, und ez enwil niemer niht übels. In der helle ist ez geneiget ze guote; ez krieget iemer in der sêle wider allez, daz niht lûter enist noch götlich und ladet în âne underlâz ze der wirtschaft ». On constate alors que ces deux passages de sermons allemands reprennent l’enseignement livré dans l’œuvre latine ; cf. supra, nt. 90, 91 et 94. Cf. Solignac, Synderesis (nt. 96), 1409–1410 ; voir également A. de Libera, Introduction à la mystique rhénane, d’Albert le Grand à Maître Eckhart, Paris 1984, 479 (Lexique des termes scolastiques) : « S. – Dans la tradition théologique : puissance pratique de discrimination du bien et du mal. Chez Eckhart : expression du fond incréé et incréable de l’âme. Synonyme : étincelle. Latin : synderesis ». Cf. A. de Libera, op. cit. (nt. 98), 251 sq. : « La théorie de “l’étincelle de l’âme” (vünkelin) est la version eckhartienne de la théorie de la syndérèse exposée par Albert le Grand et Hugues de Strasbourg. Cependant, elle prend chez lui une amplitude extraordinaire, car elle ne s’arrête pas comme chez Hugues à la simple poursuite du Bien, mais seulement, comme on l’a déjà dit, à l’absorption de l’âme dans “l’océan sans fond de la Déité”. […] Il va de soi que la notion de syndérèse ou celles de scintilla conscientiae ou de scintilla rationis, qui l’ont précédée dans la littérature scolastique, ne pouvaient ici fournir à Eckhart un point d’appui très solide. Puissance habituelle (potentia habitualis) de la “rectitude”, la syndérèse était encore une faculté de la volonté pour la majeure partie de ses contemporains. Et même chez Thomas d’Aquin, qui la plaçait dans la ratio practica, elle restait d’un rang très inférieur à celui de la ratio superior. L’innovation eckhartienne est donc considérable » ; ibid., 300, nt. 61: « L’originalité d’Eckhart réside dans l’usage qu’il fait de la notion de syndérèse – en elle-même parfaitement traditionnelle –, puisque, en attendant la notion d’“Un de l’âme”, c’est surtout à elle qu’il confie l’expression de l’unité originaire de l’âme et de Dieu ». Cf. K. Weiß, Die Seelenmetaphysik des Meister Eckhart, dans : Zeitschrift für Kirchengeschichte, dritte Folge, 52 (1933), 467–524, 508 : « Von den meisten Scholastikern wird die conscientia von der synderesis so unterscheiden, wie der intellectus von der ratio. Das heißt, die synderesis enthält das ewige Gesetz, während die conscientia es auf die einzelnen Fälle anwendet. Eckhart scheint diesen Unterschied nicht zu machen ».

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Maxime Mauriège

concevoir « la première comme l’habitus permanent dont relève le jugement moral en général, et la seconde comme l’exercice de cet habitus quant à un acte particulier »101. Pour Eckhart, la syndérèse n’est en effet que l’expression de l’essence même de l’âme dans sa relation vivante et immédiate à Dieu ; elle s’identifie par conséquent à l’image de nature divine imprimée dans le fond de l’âme102. Ayant pour peintre le Fils de Dieu103, cette imago caelestis, dépositaire de la lex dei, se révèle être au final l’instance normative suprême de l’âme et le principe dynamique de la lex mentis en commandant l’adhaesio et ordo supremi animae a deo ; si bien qu’en agissant par la grâce de Dieu – car l’homme étant privé de sa rectitude originelle (c.-à-d. du status naturae instituae ante peccatum ou status innocentiae), la loi de l’esprit ne peut donc à elle seule faire contrepoids à la loi de la chair aussi longtemps que la grâce ne vient pas au secours de la partie supérieure de l’âme104 –, la loi divine rétablit de cette façon dans les puissances de l’âme leur ordre naturel renversé par le péché (correspondant au status hominis sub peccato), afin que la sensibilité soit réordonnée et adhère ainsi à la raison inférieure, puis celle-ci à la raison supérieure ou supremum animae, adhérant pour sa part à Dieu lui-même (soit le status hominis post peccatum, accordé aux hommes parfaits)105. Cette ordonnance de l’âme à partir de la syndérèse – qu’Eckhart compare ailleurs à l’ordonnance d’une armée106 – exprime par conséquent le dynamisme inamissible de la loi divine, laquelle ne commande plus seulement à l’âme humaine d’incliner au bien en se détournant du 101 102

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Solignac, Synderesis (nt. 96), 1412. Cf. les deux extraits de sermons allemands cités supra, nt. 97. Voir également sur ce point U. Störmer-Caysa, Gewissen und Buch. Über den Weg eines Begriffes in die deutsche Literatur des Mittelalters (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 14 [248]), Berlin–New York 1998, 127 : « Bei Eckhart wird die synderesis zum Schlüsselbegriff, aber nicht für Gewissenstätigkeit, sondern für die Gottebenbildlichkeit des Menschen. Die conscientia spielt keine Rolle, und die alltägliche sittliche Entscheidung gerät nicht zum Problem » ; op. cit., 133 : « Wenn ein Autor die synderesis mit der imago dei identifizierte, wie es Eckhart, und zwar mit patristischen Autoritätsgründen, die noch keine scholastische synderesis kannten, getan hat, dann fielen nur für ihn das Göttliche im Menschen und die Leitinstanz der Seele, die sittliches Leben ermöglicht, zusammen. Das heißt, daß seine synderesis immer ambivalent bleibt: Sie ist für das Irdische zuständig, gehört aber wesentlich dem Göttlichen an. » Cf. Maître Eckhart, Liber parabolarum Genesis, n. 193 (LW I, 665, 11–666, 4) ; voir également ibid., n. 194 (666, 10–12). Sur ce point, cf. V. Lossky, Théologie négative et connaissance de Dieu chez Maître Eckhart (Études de philosophie médiévale 48), Paris 1960, 187–188. Cf. Maître Eckhart, Liber parabolarum Genesis, n. 143–145 (LW I, 612, 1–614, 2). Cf. Meister Eckhart, Predigt 31 (DW II, 121, 3–123, 4) : « Nû sprechen wir von der ordenunge der sêle. Ez sprichet ein heidenischer meister: daz überswebende natiurlich lieht der sêle daz ist sô lûter und sô klâr und sô hôch, daz ez rüeret engelische natûre; daz ist sô getriuwe und sô ungetriuwe und sô gram den nidersten kreften, daz ez sich niemer in sie gegiuzet noch der sêle niemer engeliuhtet, die nidersten krefte ensîn denne geordent under die obersten krefte und die obersten krefte under die oberste wârheit. Als ein her ist geordent, der kneht ist geordent under den ritter und der ritter under den grâven und der grâve under den herzogen. Sie wellent alle vride hân; dar umbe hilfet ieglîcher dem andern. Alsô sol ein ieglîchiu kraft der andern undertænic sîn und helfen strîten, daz ein lûter vride in der sêle sî und ein ruowe. Unser meister sprechent: «ganziu ruowe ist vrîheit aller bewegunge ». In disem sol sich diu sêle ûfheben über sich selben ze der götlîchen ordenunge. Dâ gibet der vater sînen eingebornen sun der sêle in einer lûtern ruowe. Diz ist danne daz êrste: von der götlîchen ordenunge ».

Législation de l’homme intérieur et extérieur chez Maître Eckhart

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mal (comme loi objective de tout agir moral), mais aussi de s’élever au-dessus d’elle-même vers l’ordonnance divine107 et de s’unir intérieurement à Dieu par amour108 – autrement dit, par obéissance au précepte de charité promulgué par le Christ comme principe, finalité et plénitude de la loi divine, comprise alors chez Eckhart comme loi de l’amour spirituel unifiant et extatique, moyennant une acception de la notion de syndérèse « passée en quelque sorte de l’éthique dans la mystique »109.

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Cf. supra, nt. 106. Cf. Maître Eckhart, Liber parabolarum Genesis, n. 146 (LW I, 614, 10–615, 2) : « Adhuc autem ad evidentiam praemissorum et multorum aliorum rursus notandum quod in attactu, occursu et unione superioris essentialis cum sui inferioris supremo multuo se osculantur et amplexantur naturali et essentiali amore intimo et dulcissimo superius et inferius ». M. Tardieu, YUCAIOS SPINQHR. Histoire d’une métaphore dans la tradition platonicienne jusqu’à Eckhart, dans : Revue des études augustiniennes 21 (1975), 225–255, 251 sq. ; voir également K. Ruh, Geschichte der abendländischen Mystik, vol. 3 : Die Mystik des deutschen Predigerordens und ihre Grundlegung durch die Hochscholastik, München 1996, 71.

Lebensregeln für Laien: Dionysius der Kartäuser als Kommentator der franziskanischen Drittordensregel und Verfasser eines Regelwerkes für alle Christen (‚De doctrina et regulis vitae christianorum‘) M W-J (Zürich) Die Frage, inwieweit das Leben der Laien in Analogie zu demjenigen der Mönche und Kanoniker gleichfalls durch eine Regel geordnet sei, beschäftigte die Theologie seit dem 12. Jahrhundert. So vertrat etwa der Regularkanoniker und Kirchenreformer Gerhoch von Reichersberg († 1169) in seinem Werk ‚De edificio Dei‘ (‚Über das Haus Gottes‘, 1128/38) die Auffassung, daß auch diejenigen Menschen, die in der Welt verblieben, in keiner Weise einer Regel entbehrten, wenn sie in der Lehre der Apostel verharrten, ja daß jeder Stand (ordo) und überhaupt jeder sich zum katholischen Glauben und der Lehre der Apostel Bekennende eine seiner Eigenart entsprechende Regel habe, unter der er rechtmäßig dereinst die Krone der Vollkommenheit erlangen könne1. Rund ein Jahrhundert später griff der französische Regularkanoniker und spätere Kardinal Jakob von Vitry († 1240) in seiner ‚Historia occidentalis‘ (1219–1221) diese Aussage erneut auf und sagte explizit, daß sich die Bezeichnung regulares (‚gemäß einer Regel lebend‘) nicht allein auf die Ordensgeistlichkeit beziehe, sondern auf alle gläubigen Christen, die unter der evangelischen Regel dem Herrn dienten und unter einem obersten Abt lebten 2. Zum Zeitpunkt der Vollendung von Vitrys Geschichte der abendländischen Kirche wurde im Umkreis der Kurie vermutlich auf Initiative des damaligen Kardinalbischofs von Ostia, Ugolinus von Segni, des späteren Papstes Gregor IX. (1227–1240), eine erste Lebensregel für Laien beiderlei Geschlechts

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Cf. M.-D. Chenu, La théologie au douzième siècle (Études de philosophie médiévale 45), Paris 1957, 31976, 239. A. Volpato, “Corona aurea” e “Corona aureola”: ordini e meriti nella ecclesiologia medioevale, in: Bullettino dell’Istituto Storico Italiano per il Medio Evo 91 (1984), 115–182, ibid. 138–141. Gerhochus Reichenspergensis, Liber de aedificio Dei, c. 43, PL 194, col. 1302D: „Habet enim omnis ordo et omnino omnis professio in fide catholica et doctrina apostolica suae qualitati aptam regulam, sub qua legitime certando poterit pervenire ad coronam.“ Der Text ist zum Teil neu herausgegeben: ed. E. Sackur, in: MGH.LL, III, 1897, 136–202. Cf. Chenu, Théologie (nt. 1), 238; Volpato, “Corona aurea” (nt. 1), 155sq. Jakob von Vitry, Historia occidentalis, c. 34, in: The Historia occidentalis of Jacques de Vitry. A Critical Edition, ed. J. Hinnebusch (Spicilegium Friburgense 17), Fribourg (Schw.) 1972, 165, 13–20: „Non solum hos qui seculo renunciant et transeunt ad religionem regulares iudicamus, sed et omnes Christi fideles, sub euangelica regula domino famulantes et ordinate sub uno summo et supremo abbate uiuentes, possumus dicere regulares.“

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aufgesetzt, die „in ihren eigenen Häusern“ („in domibus propriis“) ein Leben der Buße führen wollten, ohne gleichzeitig der Welt entsagen zu müssen3. Mit Erlaß der Bulle Supra montem aus dem Jahre 1289 durch den franziskanischen Papst Nikolaus IV. (1288–1292) mutierte diese erste Regel des italienischen Bußordens, genannt ‚Memoriale Propositi‘, in leicht veränderter Form zur Regel des Dritten Ordens von der Buße des hl. Franziskus und verbreitete sich seit dem Ausgang des 13. Jahrhunderts in der ganzen abendländischen Christenheit 4. Im Bewußtsein dieser älteren Tradition, aber unter völlig anderen historischen Bedingungen, greift nun der niederländische Kartäuser Dionysius von Ryckel (1402–1471) diese Thematik in zwei seiner Reformschriften erneut auf: Mit der ‚Enarratio in tertiam Regulam S. Francisci‘, die hier zuerst vorgestellt werden soll, setzte sich der Kartäuser mit der erwähnten franziskanischen Drittordensregel für bußwillige Laien „in domibus propriis“ auseinander. Mit der Schrift ‚De doctrina et regulis vitae christianorum‘ (‚Über die Lehre und die Lebensregeln der Christen‘) hingegen schuf Dionysius ein eigenständiges Werk, das den Versuch darstellt, eine zeitgemäße Antwort auf die in der Kirchenreform des 12./13. Jahrhunderts erstmals gestellte Frage nach der Regulierung christlichen Lebens zu finden. Auf sie werde ich im zweiten Teil meines Beitrages etwas ausführlicher eingehen. I. Bei der ‚Enarratio in tertiam Regulam S. Francisci‘ handelt es sich um einen fortlaufenden Kommentar zur Regel Nikolaus’ IV. aus dem Jahr 1289, der auch alle seither erfolgten päpstlichen Entscheide und Änderungen mitberücksichtigt5. 3

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Cf. M. D’Alatri, Genesi della Regola di Nicolò IV: aspetti storici, in: La «Supra montem» di Niccolò IV (1289): Genesi e diffusione di una regola. Atti del 5° Convegno di Studi Francescani, Ascoli Piceno, 26–27 ottobre 1987 (Analecta Tertii Ordinis Regularis Sancti Francisci), a cura di R. Pazzelli/L. Temperini, Rom 1988, 93–107, ibid. 98. Der Ausdruck in domibus propriis geht bis in die frühchristliche Zeit zurück und bezeichnet allgemein das private religiöse Leben außerhalb des Klosters sowie insbesondere den Status der freiwilligen Büßer, die bei sich zu Hause ein Leben der Buße führen, cf. G. G. Meersseman, Ordo fraternitatis. Confraternite e pietà dei laici nel Medioevo, 3 vol. (Italia Sacra 24–26), Rom 1977, I, cap. III: I penitenti nei secoli XI e XII, 265–304, ibid. 267 und 271 sowie G. G. Meersseman, Dossier de l’Ordre de la pénitence au XIIIe siècle (Spicilegium Friburgense 7), Fribourg (Suisse) 21982, 92sq. Die Bezeichnung ‚Memoriale Propositi’ für die erste Bußregel von 1221/1228 bezieht sich auf die Eingangsworte „Memoriale Propositi fratrum et sororum de Penitentia in domibus propriis existentium (…)“. Die Regel ist ediert von Meersseman, Dossier, 92–112, ibid. 92. Die Regel Nikolaus’ IV. ist ediert von E. Pasztor, La «Supra montem» e la cancelleria pontificia al tempo di Niccolò IV, in: Pazzelli/Temperini, La Supra montem (nt. 3), 65–92, ibid. Appendice I, 84–90. Zur Verbreitung cf. R. Pazzelli, Movimenti, congregazioni e ordini con la Regola di Niccolò IV nei secoli XIII–XV, in: Pazzelli/Temperini, La Supra montem, 249–288. Verwiesen wird auf folgende Edition: Doctoris Ecstatici D. Dionysii Cartusiani Opera omnia, cum cura et labore monachorum ordinis Cartusiensis, 42 voll., Montreuil-sur-Mer/Tournai/ Parkminster 1896–1913, 1935 (künftig zitiert als Dionysii Op. om.). Zur Überlieferung der ‚Enarratio in tertiam Regulam S. Francisci’ (Op. om. 38, 437–508) cf. K. Emery, Jr., Dionysii Cartusien-

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Im Vorwort schreibt Dionysius, er habe diesen Kommentar auf Bitten der „Priester, der Minister und Väter dieser Regel und dieses Ordens und insbesondere ihres Generalministers geschrieben“. Diese Anrede läßt den Schluß zu, daß das Werk für eine Kongregation des Dritten Ordens bestimmt war. Derartige Kongregationen gab es damals nördlich der Alpen nur in den Niederlanden und in Köln. Hinweise im Text machen wahrscheinlich, daß hier konkret die Vorsteher der Kongregation des Kapitel von Zepperen gemeint waren, für dessen Generalminister Dionysius bereits ein kleines Gutachten erstellt hatte zur Frage, inwieweit die Brüder gegenüber ihrem Generalminister oder ihren Ministern als ihren unmittelbaren Vorgesetzten zu Gehorsam verpflichtet waren (‚De Obedientia superioribus praestanda‘)6. Das Kapitel von Zepperen war hervorgegangen aus der Tertiariergemeinschaft St. Hieronymus in Zepperen bei Sint-Truiden im Bistum Lüttich, wo Dionysius in seiner Jugend bei den Benediktinern zur Schule gegangen war 7. 1435 hatte Johann von Heinsberg, Bischof von Lüttich (1419– 1455), den Konvent nach dem Vorbild des Kapitels von Utrecht (1399) einer Reform unterzogen. Im Jahre 1441 beschloß er, alle Tertiarier seiner Diözese nach dem Beispiel der Kölner Tertiarierkongregation in einer Kongregation zu vereinen, die nach dem Standort des ersten Reformkonvents die Bezeichnung ‚Kapitel von Zepperen‘ tragen sollte. Die neue Kongregation erhielt gleichzeitig das Recht, einen Priester aus den eigenen Reihen zum Generalminister zu wählen und selber Generalkapitel abzuhalten. Anläßlich seiner Legationsreise in den Niederlanden erließ Nikolaus von Kues Statuten für die Tertiarier von Lüttich, die Papst Nikolaus V. (1447–1455) am 14. April des Jahres 1453 auf Bitten des Generalministers und der Brüder des Dritten Ordens des hl. Franziskus im Bistum Lüttich bestätigte8.

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sis Opera selecta. I A: Studia bibliographica (Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis 121), Turnhout 1991, Nr. 104, 239. H. van Engen, De derde orde van Sint-Franciscus in het middeleeuwse bisdom Utrecht. Een bijdrage tot de institutionele geschiedenis van de Moderne Devotie (Middeleeuwse Studies en Bronnen 95), Hilversum 2006, 345, nt. 23. Enarratio, Dionysii Op. om. 38, 439: „idcirco venerabiles ac devoti sacerdotes, ministri et Patres Regulae et Ordinis hujus, specialiter generalis eorum Minister, parvitatem meam frequenter atque instanter rogare dignati sunt ut super eorum Regulam aliqua scribam, difficiliora elucidando, et circa utiliora doctrinas morales et exhortationes salubres addendo, ea quoque quae jam per apostolica indulta addita sunt Regulae veteri ac priori, concordando cum his quae in Regula illa sunt contenta“. Daß hier der Dritte Orden im Bistum Lüttich angesprochen ist, geht aus zwei Bemerkungen im Text hervor, 473aB–bA und 481aB. Cf. auch ‚De Obedientia superioribus praestanda‘, Dionysii Op. om. 38, 511–522, ibid. 513aA: „Rogavit me venerabilis et religiosus pater dominus Batholomaeus sacerdos, generalis Minister Fratrum de tertia Regula Ordinis S. Francisci in dioecesi Leodiensi, ut ei conscriberem qualiter et in quibus personae Ordinis sui teneantur plus obedire suo generali Ministro, aut etiam Visitatoribus suis, quam propriis ministris suis […]“. Cf. A. Mougel, Dionysius der Karthäuser. 1402–1471. Sein Leben, sein Wirken, eine Neuausgabe seiner Werke, Mühlheim a. d. Ruhr 1898, 9sq. van Engen, Derde orde (nt. 6), 344–350. van Engen stützt sich auf die ungedruckte Lizentiatsarbeit von M. Haverals, Het Sint-Hieronymus veld en de congregatie van Zepperen (1425–1560). Een bijdrage tot de kennis van de verhouding Begarden–Tertianen in het bisdom Luik (KU Leuven 1969); er datiert die Statuten des Nikolaus von Kues in das Jahr 1452 und schreibt, daß es sich dabei um ältere Statuten des Kapitels handelt, die dem Kardinal vorgelegt wurden und in der

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Nikolaus von Kues hatte dem Konvent St. Hieronymus und allen Tertiariern des Bistums Lüttich bereits am 2. Oktober des Jahres 1451 bei seinem Aufenthalt in Maastricht Vergünstigungen gewährt. So verlieh er der Gemeinschaft St. Hieronymus 100 Tage Ablaß für den Besuch ihrer Kirche und bestätigte ihr drei Urkunden aus den Jahren 1435, 1445 und 1449. Mit ihnen hatte der Bischof von Lüttich den Brüdern unter anderem das Recht erteilt, sich neben ihrem üblichen Visitator aus dem Franziskanerkloster Tienen auch einen „Prälaten aus einem bewährten Orden regularer Observanz“ zu erwählen. Zudem hatte er ihnen die Ablegung der drei feierlichen Gelübde erlaubt 9. Daraus geht hervor, daß der Konvent St. Hieronymus und die im Kapitel von Zepperen vereinigten Tertiarier offensichtlich nach den Vorstellungen der Observanz reformiert werden sollten. Wer für die Durchführung einer solchen Reform in Frage kam, bleibt aber unklar, da der vorgesehene Anschluß an das Kapitel von Utrecht, das dem Kapitel von Windesheim unterstand, nicht verwirklicht wurde und die Franziskanerobservanz in den Niederlanden zum Zeitpunkt der Legation des Nikolaus von Kues erst am Beginn ihrer Reformtätigkeit stand10. Es gilt als sicher, daß Nikolaus von Kues aus Anlaß seines Aufenthaltes in Lüttich auch die Kartause Roermond besucht hatte und dort am 25./26. September 1451 mit Dionysius, der dort seit mehr als 25 Jahren lebte, zusammengetroffen war11. Ob Dionysius ihm bei dieser Gelegenheit das Anliegen der Tertiarier von Zepperen ans Herz gelegt oder ob umgekehrt der Kardinal ihn auf diese Gemeinschaft aufmerksam gemacht hatte, läßt sich heute nicht mehr entscheiden12. Man kann aber davon ausgehen, daß Dionysius seinen Kommentar erst nach Erlaß der neuen Statuten durch Nikolaus von Kues verfaßt und möglicherweise im Rahmen der Supplik der Tertiarier zusammen mit den Statuten des Kardinals 1453 der Kurie zur Approbation vorgelegt hatte. Dionysius geht nämlich in zustimmendem Sinne sehr ausführlich auf einige zentrale Punkte der Anordnungen des päpstlichen Legaten ein und zitiert diese zum Teil sogar wörtlich. Das zeigt der Vergleich der Formulierungen im Supplikenregister mit denen des Kartäusers in seinem Kommentar. Sie betreffen die Bestimmungen zum Habit mit

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vom Kardinal gebilligten Fassung dann von der Kurie bestätigt wurden. Meine Datierung folgt hier E. Meuthen, in: Acta Cusana. Quellen zur Lebensgeschichte des Nikolaus von Kues, edd. E. Meuthen/H. Hallauer, Bd. I, Lieferung 3b: 1451 September 5–1452 März, ed. E. Meuthen, Hamburg 1996, Nr. 1843, 1189sq. Zu den Tertiaren in Zepperen cf. ferner T. Gaens, Les chartreux de Zelem lez Diest et la clôture des monastères dépendant du chapitre de Windesheim, in: M. Niederkorn-Bruck (ed.), Liber amicorum James Hogg. Kartäuserforschung 1970–2006, Salzburg 2007, 133–174, 156. Acta Cusana (nt. 8) I, 3b, Nr. 1841 und Nr. 1842, 1188sq. Cf. van Engen, Derde orden (nt. 6), 349sq. Cf. Acta Cusana (nt. 8) I, 3b, Nr. 1821, Nr. 1822, Nr. 1823, 1172–1179; P. Nissen, Dionysius de Kartuizer (1402/3–1471): de roem van de Roermondse Kartuis, in: K. Pansters (ed.), Het geheim van de stilte. De besloten wereld van de Roermondse Kartuizers, Zwolle 2009, 159–165. Laut G. Odoardi, La regola di Niccolò IV e movimenti di osservanza francescana, in: Pazzelli/ Temperini, La «Supra montem» (nt. 3), 219–247, ibid. 244–247, soll Nikolaus von Kues Dionysius mit der Reform der belgischen Begarden beauftragt haben.

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Skapulier, das den Tertiariern im Juli 1447 von Papst Nikolaus V. zugestanden worden war13, die Einholung der Zustimmung des Generalministers bei der Aufnahme neuer Mitglieder14 und die Regelung des Übergangs in einen strengeren Orden, die zurückgeht auf eine Anordnung Papst Eugens IV. (1431– 1439)15. Diese Beispiele machen deutlich, wie sehr Dionysius im Fall der Lütticher Tertiarier die Ansichten des Kardinals teilte und ihm bei der Umsetzung seiner Reformpläne schriftstellerisch zur Seite stand. In Übereinstimmung mit Nikolaus von Kues und der Kurie unterstützte er auch die Bestrebungen der Tertiarier und Tertiarierinnen, die drei feierlichen Gelübde der Armut, Keuschheit und des Gehorsams ablegen zu dürfen und infolgedessen unter die Religiosen eingereiht zu werden16. Als Folge dieser ‚Verklösterlichung‘ hatte in den Augen des Kartäusers die Drittordensregel als allgemeine Regel für ‚weltliche‘ Laien keine große Bedeutung mehr, obgleich die Kongregation der Tertiarier im Bistum Lüttich sowohl regulierte Gemeinschaften wie vereinzelt lebende Mitglieder umfaßte. Dionysius weist deshalb auch darauf hin, daß der Dritte Orden des hl. Franziskus ursprünglich wohl hauptsächlich für verheiratete Laien gegründet worden sei, in der Folge hätten sich jedoch einige Mitglieder, im Wunsch nach stärkerer Hingabe, zu Gemeinschaften zusammengeschlossen und lebten dort von ihrer Hände Arbeit, ohne vollkommen auf Besitz zu verzichten. Schließlich hätten sich einige, die in noch reicherem Maße vom Feuer der Caritas entzündet worden seien, vom Papst das Recht erbeten, die drei feierlichen Gelübde ablegen zu dürfen17. Der Kartäuser unterlegt damit dem Dritten Orden ein historisch gewachsenes dreifaches Aufstiegsmodell, das sich offensichtlich an der Entwicklung des Utrechter Kapitels 13

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Cf. Acta Cusana (nt. 8) I, 3b, Nr. 1843, 1190: „necnon ‘capucia ad modum parve cucule super mantellum cum scapulari’.“ Enarratio, Dionysii Op. om. 38, art.14, 463aA: „non repugnat [tertiae Regulae] quod nunc communiter Fratres ejusdem Regulae in Leodiensi dioecesi commorantes, gerunt capitia ad modum parvae cucullae supra mantellum cum scapulari.“ Acta Cusana, l.c: „quod […] nullus recipiatur ad habitum et observantiam ac illius ordinis professionem nec receptus promoveatur, nisi de expresso consensu generalis ac ministrorum dicti ordinis.“ Dionysii Op. om. 38, art. 4, 449bC: „quod nullus recipiatur ad habitum et observantiam professionemque Ordinis, nec receptus promoveatur, nisi de expresso consensu generalis Ministri, ac proprii seu specialis ministri praesidentis congregationi in qua quis postulat recipi.“ Acta Cusana (nt. 8), I, 3b Nr. 1843: „quibus eciam nequaquam licere voluit de ipsa religione nisi ad alium arctiorem et strictiorem ordinem, ubi regularis observantia et disciplina observatur, exire.“ Dionysii op. om. 38, 450aB: „Quibus (videlicet personis tertiae Regulae) nequaquam licere volumus de ipsa religione nisi ad aliam arctiorem et Ordinem strictiorem, ubi regularis observantia et disciplina observatur, exire.“ Siehe Acta Cusana, op. cit., Nr. 1841; Dionysii Op. om. 38, art. 29, 487. Enarratio, Dionysii Op. om. 38, art. 1, 441aA– 441bA: „Etenim istam tertiam Regulam specialiter principaliterque instituit pro saecularibus et conjugatis ac laicis utriusque sexus personis […]. Qui […] habitaverunt seorsum in domibus suis; deinde quidam majori fervore devotionis accensi, coeperunt insimul demorari, et vitam aliqualiter communem ducere. In qua tamen conversatione habuerunt aliqua propria, nec erant ad paupertatem adstricti, nec tria religionis vota fecerunt, sed ex possessionibus et manuum suarum vixerunt laboribus. Postremo adhuc ampliori sanctae caritatis inflammati ardore, procuraverunt quidam eorum a summo Pontifice licentiam emittendi tria vota omni Ordini substantialia […].“ Die Vorstellung, daß Franziskus den Dritten Orden begründet habe, ist widerlegt von Meersseman, Dossier (nt. 3), 5–11.

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orientierte und gewissermaßen die in den 80er Jahren des 15. Jahrhunderts einsetzende Entstehung des regulierten Ordenszweiges vorwegnimmt18. In diesem Modell hatte der einfache Laie nur noch einen geringen Stellenwert. Die alte Bezeichnung „Orden der Brüder von der Buße“, die auch noch in der Bulle Supra montem verwendet wird, geht laut Dionysius darauf zurück, daß der Dritte Orden ursprünglich für ‚weltliche‘ Laien gegründet worden war, die er wenig schmeichelhaft als unvollkommene, einfältige, ‚animalische‘ und täglich in vielem fehlbare Menschen bezeichnet, die deswegen unter die Büßern eingereiht werden, von denen besonders erwartet wird, daß sie täglich ihre Sünden beklagen und Werke der Buße vollbringen19. Dionysius war sich in Kenntnis des kanonischen Rechts aber bewußt, daß die Drittordensregel keine Regel im engeren Sinn war und aus diesem Grund nicht als Ordensregel für Religiose aufzufassen ist20. Seine Überlegungen zum Begriff regula zielen deshalb in eine andere Richtung: Die Anfangsworte der Narratio der Bulle Supra montem aufgreifend, wo es heißt: „Im Wunsch diesen Orden (ordo) durch Gunstbeweise zu fördern“ („Nos igitur Ordinem ipsum opportunis favoribus prosequi cupientes“), definiert er den Begriff ‚Regel‘ folgendermaßen: „Eine Regel wird Ordnung genannt, weil in der Regel die Form der vortrefflichsten Lebensordnung aufgezeichnet ist“ („regula dicitur ordo quia in regula traditur forma ordinantissime conversandi“)21. Mit anderen Worten: die Regel formt gleich einer Ordnung das Leben, denn alles möge, schreibt Dionysius mit den Worten des Apostels Paulus (I Kor 14, 40) wohlanständig und gemäß der Ordnung geschehen („omnia autem honeste et secundum ordinem fiant “). Die Drittordensregel wurde ihm zufolge deshalb in der Bulle Supra montem zu Recht als „ forma vitae“ bezeichnet. Während in der kanonischrechtlichen Diskussion um den Status der Drittordensangehörigen unter dem Begriff „ forma vitae“ meist im abschwächenden Sinn lediglich eine bestimmte Lebensweise verstanden wurde, die nicht den gleichen verpflichtenden Charakter wie eine Ordensregel aufwies, gab Dionysius diesem Begriff eine völlig neue Bedeutung. ‚Form‘ war für ihn im philosophischen Sinne das Wesen (essentia) und die Natur der Dinge, die Gott den Dingen zuinnerst eingeprägt hat. „Man spricht auch von der Form, welche das Sein (esse) verleiht, schreibt Dionysius in seiner

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Zur Entwicklung des Utrechter Kapitels cf. van Engen, Derde Orden (nt. 6), 214–232. Aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist, daß Nikolaus von Kues 1451 dem Schwesternhaus Sion die Annahme der Drittordensregel und die Ablegung der drei Gelübde erlaubte; cf. van Engen, op. cit., 216sq. Enarratio, Dionysii Op. om. 38, 442aB–442bA: „Dicitur quoque Ordo Fratrum de Poenitentia, quia hic Ordo primo ac principaliter institutus est pro saecularibus et conjugatis ac laicis, qui adhuc sunt imperfecti, insipientes, animales, atque quotidie defectuosi in multis: idcirco sunt in numero poenitentium constituti, et specialiter spectat ad eos quotidiana sua peccata quotidie deplorare, et poenitentiae opera exercere […].“ Cf. dazu M. Wehrli-Johns, Die kanonistischen Kommentare zu den Beginendekreten von Vienne 1311 und ihre Auswirkungen auf die Verfolgung der Beginen und Begarden im 14. Jahrhundert, in: D. Mieth/B. Müller-Schauenburg (eds.), Mystik, Recht und Freiheit. Religiöse Erfahrung und kirchliche Institutionen im Spätmittelalter, Stuttgart 2012, 38–50, ibid. 46sq. Enarratio, Dionysii Op. om. 38, 445bC.

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‚Elementatio philosophica‘ 22. Demzufolge verleiht erst die Form, und das heißt hier konkret die in der Regel enthaltene Ordnung, dem Leben der Tertiarier das Sein, das sie ihrer göttlichen Bestimmung zuführt. II. Zwei Jahre nach seinem Kommentar zur franziskanischen Drittordensregel legte Dionysius um das Jahr 1455 unter dem Titel ‚De doctrina et regulis vitae christianorum‘ eine weitere Reformschrift vor, in der die Thematik christlicher Lebensgestaltung in einem sehr viel umfassenderen Sinn behandelt wird23. Das Werk greift eingangs Gedanken auf, die der Autor bereits in seiner Streitschrift gegen Mohammed (‚Contra perfidiam Mahometi‘, 1452) niedergelegt hatte. Zu diesem Traktat soll ihn Nikolaus von Kues bei seinem Besuch in der Kartause Roermond am 25./26. September 1451 angeregt haben24. Die Schrift ‚De doctrina‘ hingegen hatte Dionysius auf Wunsch des Minoritenbruders Johannes Brugman (um 1400–1473), eines der ersten Vertreter der Franziskanerobservanz in den Niederlanden, verfaßt. Brugman war im Jahr 1445 zur observanten Richtung des Franziskanerordens gewechselt, 1447 begann er mit Unterstützung des Provinzialministers der Kölner Observantenvikarie den Franziskanerkonvent in Mechelen zu reformieren, 1454 wurde er Guardian des Konventes in Sluis und entfaltete gleichzeitig auf seinen verschiedenen Reisen durch die Niederlande und am Niederrhein eine rege Predigttätigkeit, die ihm große Berühmtheit einbrachte. Im

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Dionysii Op. om. 38, 446aA. ‚Elementatio philosophica, seu Compendium philosophiae‘, Dionysii Op. om. 33, 21–104, ibid. 32aD–32bB: „Quod est, quia essentia rei est vera ejus natura ac propria forma. Porro natura rei vocatur, quod est proprium et intrinsecum ejus. Nil autem est magis primum et proprium atque intrinsecum enti, quam sua essentia seu natura: quanquam primum agens, quod est Deus omnipotens, dicatur intimius rebus per influentiam ac realem praesentiam, imo et per suae supersimplicissimae infinitatis incircumscriptibilem penetrationem. Forma quoque dicitur, quae dat esse. Hinc essentia, forma et natura coincidunt, quanquam distinctas habeant rationes. Esse etiam rerum effective fluit ac derivatur a causa efficiente, formaliter vero ab essentia seu natura aut forma. Zum Begriff der „essentia“ bei Dionysius dem Kartäuser cf. K. Emery, Jr., Une réduction de la vie active à la vie contemplative. Denis le Chartreux à propos du mariage et des « états de vie » laics de la société chrétienne, in: C. Trottmann (ed.), Vie active et vie contemplative au Moyen Âge et au seuil de la Renaissance (Collection de l’École Française de Rome 423), Rom 2009, 531–549, ibid. 537 f. Zur Überlieferung der Schrift ‚De doctrina et regulis vitae christianorum‘ (Dionysii Op. om. 39, 497–572) cf. Emery, Opera selecta (nt. 5), Nr. 145, 248. Cf. Emery, Opera selecta (nt. 5), 134sq.; E. Meuthen, Nikolaus von Kues und Dionysius der Kartäuser, in: L. Hagemann/F. Glei (edd.), EN KAI PLHQOS. Einheit und Vielheit. Festschrift für Karl Bormann zum 65. Geburtstag (Religionswissenschaftliche Studien 30), Würzburg–Altenberge 1993, 100–120, ibid. 100sqq.; Acta Cusana, I, 3b (nt. 8), Nr. 1821, 1176. Zu den Anleihen aus ‚Contra perfidiam Mahometi‘ siehe D. Wassermann, Dionysius der Kartäuser. Einführung in Werk und Gedankenwelt (Analecta Cartusiana 133), Salzburg 1996, 171sq. Cf. De doctr. et reg, Dionysii Op. om. 39, 503–504, I, art. 1 und art. 2., sowie Contra perfidiam Mahometi, Dionysii Op. om. 36, 231–442, ibid. I, art. 18, 268.

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Jahre 1462 wurde er schließlich zum Provinzialvikar der Kölner Observantenvikarie ernannt25. Mit Dionysius dem Kartäuser verband ihn wohl das gemeinsame Interesse an der Klosterreform, jedenfalls wird Brugman sein Eintreten zugunsten der Drittordenskongregation von Zepperen mit Genugtuung zur Kenntnis genommen haben, obgleich es zu diesem Zeitpunkt noch keine erkennbare Verbindung zwischen der Reform der Tertiarier von Lüttich und der Franziskanerobservanz gab. In seinem Vorwort zu ‚De doctrina‘ schreibt Dionysius, diese Schrift verfolge die Absicht, zunächst auf das einzugehen, was alle Christgläubigen gemeinsam betreffe, um dann noch einmal auf das zurückzukommen, was alle im besonderen anbelange. Das aber tue er auf die inständige Bitte seines überaus geschätzten Mitbruders in Christo Johannes Brugman: „Du hast meine Wenigkeit dazu angestachelt“, ruft er aus und schmeichelt dem Angesprochenen anschließend mit einer gelehrten Wortetymologie seines Namens. Zurecht trage er diesen Namen, denn ‚Johannes‘ werde als ein Gefäß der Gnade ausgelegt, und ‚Brugman‘ bedeute „vir pontis“ (‚Brückenmann‘), weil er durch sein Beispiel und seine glühenden Worte den Gläubigen eine Brücke zum Heil gebaut habe26. Weiter unten kommt Dionysius nochmals darauf zurück: Brugman hätte nämlich von ihm ein Werk erbeten, in dem er kurz und konzis in Form von Regeln zuerst all das zusammenfasse, was jeden Christen angehe, und dann von neuem das behandle, was jeden einzelnen entsprechend seinem Stand, seiner Stellung, seiner Berufung und den dazu gehörigen Ordnungen (ordines) im besonderen betreffe 27. Man kann daraus schließen, daß Aufbau und Konzeption des Werkes im wesentlichen auf Brugman zurückgehen. Aufgrund dieser Textstellen wurde die Hypothese vertreten, daß Dionysius in ‚De doctrina‘ für den observanten Franziskaner Predigt-Material für seine Predig-

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Cf. H. Tervooren, Van der Masen tot op den Rijn. Ein Handbuch zur Geschichte der mittelalterlichen volkssprachlichen Literatur im Raum von Rhein und Maas, Berlin 2006, 159–161; T. Mertens, The Sermons of Johannes Brugman, OFM ( 1473): Preservation and Form, in: Constructing the Medieval Sermon, ed. R. Andersson (Sermo: Studies on patristic, medieval, and reformation sermon and preaching 6), Turnhout 2007, 253–274, hier 253sqq. De doctr. et reg., Dionysii Op. om. 39, 500sq., Prooemium: „Est ergo hujus editionis intentio, breviter tangere ad quid omnes teneantur Christifideles communiter, et rursus ad quid diversi specialiter. Ad quod declarandum ac prosequendum, parvitatem meam obnixis precibus instigavit caritas tua, religiose ac devotissime Pater atque in Christo praedilecte confrater Joannes Brugman: qui, juxta nominis tui interpretationem, recte vocaris Joannes, utpote vas gratiae Dei; nec minus apte cognominatus es Brugman, hoc est vir pontis, qui indefesse ac sapienter cunctis fidelibus fabricas, id est, exemplis et verbis ferventibus pandis et exhibes, pontem, quem transeundo pertingant ab amaritudinibus et inquietudinibus hujus procellosissimi maris magni, ad suavissimum ac quietissimum portum aeternae salutis.“ De doctr. et reg., Dionysii Op. om. 39, art. 8, 517bBC: „Quemadmodum tactum est supra, religiosus et praedilectus in Christo Pater cujus instigatione haec conscribuntur, petiit per modum regularem breviter ac succintim describi in primis ea quae ad omnem spectant Christifidelem, deinde ea quae ad singulos quosque in speciali, secundum speciales eorum status, gradus, vocationes et ordines, pertinent. Talis quippe descriptio magis est instructiva, faciliusque commendatur memoriae. Documenta namque moralia tanto sunt perfectiora quanto ad particularia magis descendunt: quoniam moralia circa particularia et humana gesta versantur.“

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ten ad status (gerichtet an die Stände) zusammengestellt hatte28. Tatsächlich ist die Förderung der Predigt ein wichtiges Anliegen von ‚De doctrina‘. Von ihr erhoffte sich Dionysius nichts weniger als die Rettung der abendländischen Christenheit vor dem Angriff der Türken. Die Türkengefahr hatte nach der Einnahme von Konstantinopel am 29. Mai 1453 höchste Dringlichkeit erhalten. Um diese Gefahr zu bannen, war nach Ansicht des Kartäusers eine Reform der Christenheit unumgänglich und die Predigt das entscheidende Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Denn obwohl das Gesetz Christi nach dem Zeugnis des arabischen Philosophen Avicenna und sogar Mohammeds allen früheren Gesetzen überlegen sei, werden die Christen verfolgt, weil sie das Gesetz Christi, das ein Vorbild für alle anderen Völker ist, nicht einhalten. Deshalb sind alle Christgläubigen zur Einhaltung der Vorschriften und Regeln Christi und des evangelischen Gesetzes verpflichtet, denn solange die Christen gemeinsam ein exemplarisches Leben führten, nahm der katholische Glaube unter den unsäglichen Qualen, die die Christen von ihren Verfolgern zu erdulden hatten, ständig zu, und auch „mittels der Predigten und der Heiligkeit, der Tugenden und Wunder der Christgläubigen wurden unzählige Tausende von Ungläubigen zur Nachfolge des Herrn bekehrt“ 29. Aus diesem Grund richtet sich die Unterweisung des Kartäusers im ersten Buch von ‚De doctrina‘ zunächst an die Gesamtheit aller Christgläubigen. Ihnen sollen auf der Grundlage des Evangeliums und insbesondere der Paulus-Briefe, sowie der Schriften der Wüstenväter und des Kirchenvaters Augustinus die Erfordernisse wahren christlichen Lebens erläutert werden. Gleich im ersten Artikel führt Dionysius dazu den Begriff der lex evangelica ein: „Der eingeborene Sohn Gottes des Allmächtigen, dem kein Gesetzgeber gleichkommt (Iob 36, 22), die Kraft und Weisheit des Vaters, brachte uns die lex evangelica, das evangelische Gesetz, das nicht allein den Gesetzen der Völker, die nichtig sind, sondern auch dem von oben herab erlassenen Mosaischen Gesetz und dem von Gott eingegebenen Naturgesetz gegenüber vollkommener ist“.

Dionysius läßt hier also nur die lex evangelica, die lex Mosaica und die lex naturalis gelten, nicht jedoch das Gesetz der Völker, dem er einen göttlichen Ursprung aberkennt. Die Überlegenheit der lex evangelica gegenüber den genannten Gesetzen erweist sich daran, daß Gott als allmächtiger Gesetzgeber dieses durch seinen eigenen Sohn den Menschen gebracht hat, im Unterschied zum göttlichen Gesetz des Propheten Moses, das mit der Inkarnation durch die lex evangelica ersetzt wurde, und im Unterschied auch zum Naturgesetz, das Dionysius zufolge 28

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Cf. K. Emery, Jr., Denys the Carthusian and the invention of preaching materials, in: Viator 25 (1994), 377–409, reprinted in: K. Emery, Jr., Monastic, Scholastic and Mystical Theologies from the Later Middle Ages (Variorum Collected Studies Series), Aldershot 1996, Item X. De doctr. et reg., Dionysii Op. om. 39, art. 1, 503–504, 504 bA–C: „Nonne ergo et omnes Christifideles ad praecepta et regulas Christi et evangelicae legis tenentur […]. Et certe quamdiu Christiani communiter tam virtuose exemplariterque vixerunt, crevit fides catholica inter persecutorum ac tyrannorum crudelissima et innumerabilia quae Christianis intulerunt tormenta; atque ex praedicationibus, sanctitate, virtutibus ac miraculis Christifidelium, innumerabilia millia incredulorum passim convertebantur ad Dominum Salvatorem.“

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als Abbild der ungeschaffenen lex aeterna anzusehen ist und die Naturgesetztlichkeit der Kreatur betrifft. Nur die lex divina, wozu der Kartäuser die lex mosaica und die lex evangelica zählt, befassen sich mit der heilsgeschichtlichen Bestimmung des Menschen, der Rechtfertigung des Sünders und der Rückkehr des Menschen in seinen göttlichen Ursprung. Auch wenn Dionysius dem positiven Recht der lex humana einen innerweltlichen Eigenwert zugesteht, kann das ewige Heil des Menschen nur über die lex divina, und innerhalb dieser nur über die lex evangelica und das heißt über das Vorbild Christi erlangt werden30. Und so fügt er im zweiten Artikel sogleich hinzu: „Denn dieser Sohn Gottes kam doch in die Welt und wurde Mensch, auf daß er die Menschen durch die Verachtung alles Irdischen göttlich, himmlisch, geistig und engelhaft mache“31,

und weiter: „Damit er uns dazu nicht allein durch seine Vorschriften, Verheißungen und Drohungen anfeuere, sondern höchst wirkungsvoll auch durch seine Beispiele, erwählte der eingeborene Sohn Gottes in dieser Welt vom Beginn seiner Fleischwerdung bis zu seiner Passion ein Leben in höchster Armut, in tiefster Demut und Sanftheit, in brennender Liebe, vollkommener Geistigkeit und Vorbildhaftigkeit. Deshalb solle jeder Christ, entsprechend seiner Beschaffenheit, seinem Grad und der Erfordernis seiner Berufung ihm in diesen Tugenden nachfolgen“32.

Unter Verweis auf einen Abschnitt in der pseudo-augustinischen Schrift ‚De vita christiana‘, fährt Dionysius dann fort: Der Name ‚Christus‘ bedeutet der Gesalbte und während im alten Bund bis zur Ankunft Christi nur die Propheten, Priester und Könige gesalbt wurden, werden nun alle Neugeborenen in ihm gesalbt und wir werden im Mysterium dieser Salbung und durch das Beispiel darüber belehrt, wie wir sein sollen und wie wir zu leben haben, damit der Lebenswandel bei diesen so heilig wie ihre Salbung sein möge. Von dieser Salbung wird der Name aller Christen abgeleitet33. Der Name ‚christianus‘ aber bedeutet Gerechtigkeit, Güte, Unbescholtenheit, Enthaltsamkeit, Klugheit, Menschlichkeit, Unschuld, Frömmigkeit, Demut, Nüchternheit und Sanftmut. Ein Christ müsse

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Op. cit., 503aAB: „Deus iste excelsus, omnipotens, cui nullus legislatorum est similis, est unigenitus Dei Filius, virtus et sapientia Patris, qui evangelicam contulit legem: Quae non solum legibus gentium, quae […] vanae sunt, sed lege quoque Mosaica desuper data et lege naturali divinitus indita valde est perfectior.“ Zum Gesetzesbegriff des Kartäusers cf. Wassermann, Dionysius der Kartäuser (nt. 24), 164–172, sowie die ‚Summa de vitiis et virtutibus‘, in: Dionysii Op. om. 39, I, art. 21, 50aA–D. Op. cit., 505aC: „Nempe ad hoc Filius Dei venit in mundum, et factus est homo ac conversatus in saeculo isto, ut homines faceret deos, id est divinos, coelestes, spirituales, angelicos, per contemptum omnium terrenorum […].“ Op. cit., 505aD–505bA: „Hinc Unigenitus Dei, ut non solum praeceptis, promissionibus et comminationibus, sed efficacissimis quoque suis exemplis nos ad ista accenderet, elegit in mundo isto in maxima paupertate, in profundissima humilitate […] et exemplaritate ab exordio suae incarnationis ac nativitatis usque ad crucis supplicium conversari: quatenus omnis Christianus secundum mensuram, gradum et exigentiam suae vocationis ipsum in istis virtutibus imitetur.“ Op. cit., 505bB; cf. Ps. Augustinus, De vita christiana, in: PL 40, coll. 1031–1046, ibid. 1033.

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deshalb den Tugenden Christi nachleben, und zwar nicht nur dem Namen nach, sondern auch durch Werke, wozu für Dionysius insbesondere die Werke der Barmherzigkeit gehören34. Aus den Büchern des neuen Testaments führt Dionysius zuerst die Briefe des Petrus an und vermerkt an einer Stelle, daß das kleine Werk zu umfangreich würde, wenn er alles ausführlich auslegen wollte. Er würde damit den Absichten des Paters zuwider handeln, dem zuliebe er dies hier alles aufschreibe und der ihn gebeten habe, denkwürdige Beispiele hinzuzufügen35. Aus den Briefen des Apostels Paulus, über die Dionysius auf Bitten von Nikolaus von Kues einen ausführlichen Kommentar verfaßt hatte36, zitiert er kaum mehr als einige ihm wichtig erscheinende Schlüsselstellen, wie etwa aus dem Römerbrief (Rm 6, 12) die Befreiung aus der Knechtschaft der Sünde oder die Ermahnung Christi zur Nächstenliebe im Brief an die Epheser (Eph 4, 32) und aus dem Brief an die Kolosser (Col 4, 12) das Gebot zur gegenseitigen Vergebung37. Aus den Büchern des Evangeliums zitiert Dionysius als erstes den Aufruf Johannes des Täufers zur Buße: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe“ (Mt 3, 1–2) und weist darauf hin, daß mit diesem Aufruf auch die Predigttätigkeit Jesu in Galilea seinen Anfang nahm (Mc 1, 14–15). Die Buße ist notwendig, da wir jeden Tag häufig sündigen. Deshalb steht sie am Anfang des Weges und jeder Christ ist gehalten, täglich seine Sünden zu beweinen, und zwar mit den heißen Tränen des Herzens und nicht den Tränen des Körpers. Im Weiteren lehrt Jesus uns mit den acht Seligpreisungen aus der Bergpredigt (Mt 5, 3–12), welche Tugendakte am verdienstvollsten sind. Sie sind wiederum für alle Christen verpflichtend, insbesondere aber die Tugend der Demut, die hier verstanden wird im Sinne einer Demütigung des eigenen Selbst. Ihr gilt die erste Seligpreisung der ‚Armen im Geiste‘, denn sie sind die Demütigen38. Er lehrt uns auch die Art und Weise, wie alle Christen beten, fasten und Almosen geben sollen, nämlich aufrichtig und fromm, ohne jede Verstellung, Eitelkeit oder Gier nach menschlichem Lob (Mt 6, 1–18). Mit Matthäus 5, 34 lernen wir, nicht zu schwören, mit Matthäus 7, 1, nicht über jemanden zu urteilen, sondern stattdessen das Mittel der brüderlichen Zurechtweisung einzusetzen39. Es folgen die um die moralischen Vorschriften des Naturgesetzes und der Bibel erweiterten praecepta des Dekalogs, die Dionysius bereits in seinem Kommentar zur Drittordensregel als verpflichtend für die Mitglieder des Dritten Ordens auf34 35

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Op. cit., 506aA–D. Op. cit., 508aB: „Verum, si velim omnia ita exponere, opusculum istud fieret nimis prolixum : immo et contra intentionem agerem praefati devotissimi Patris, cujus intuitu et amore haec scribo, qui et notabilia petiit exempla subjungi […].“ Cf. Meuthen, Nikolaus von Kues und Dionysius der Kartäuser (nt. 24), 106sqq. De doctr. et reg., Dionysii Op. om. 39, 509–511. Op. cit., art. 5, 512aC: „Itaque quilibet tenetur eas implere atque habere tempore suo: ut quum dicitur: ‘Beati pauperes spiritu’, id est humiles. Et constat quod ad humilitatem et veram sui ipsius humiliationem unusquisque tenetur.“ Cf. dazu G. Guldentops, Denys the Carthusian on Humility, in: G. Partoens/G. Roskam/ T. Van Houdt (eds.), Virtutis imago, Leuven 2004, 461–482, ibid. 470. De doctr. et reg., Dionysii Op. om. 39, art. 5, 512bD–513aD.

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gelistet hat40. Insbesondere das im Buch Tobias 4, 15 ausgesprochen negative Gebot („was dir selbst verhaßt ist, das mute auch keinem anderen zu“) kann jedoch in seiner Strenge nicht von allen erfüllt werden, sondern nur von jenen, die gemäß der Aufforderung des Herrn in Matthäus 7, 13 durch die ‚enge Pforte‘ gegangen sind, und sich zu einem strengen Leben, und das heißt zu einem Leben der Buße, entschlossen haben41. An dieser Einschränkung wird ersichtlich, daß Dionysius die strengen Lebensvorschriften des Dritten Ordens nicht mehr für alle Christen anwendbar hält. Obligatorisch für alle sind hingegen Demut und innere Umkehr42. Wichtig ist ihm auch der Gedanke der bereits erwähnten brüderlichen Ermahnung (correctio fraterna), zu der jeder Christ gehalten ist, soweit es sich um einen Akt der Liebe handelt. Geht es dabei jedoch um einen Akt der Rechtsprechung, gehört sie in die Kompetenz der Prälaten und anderer Richter 43. Aus all dem Gesagten ergibt sich für ihn, daß alle Christgläubigen ein tugendhaftes, vorbildliches, gottesfürchtiges und liebevolles Leben führen sollen. Entscheidend für den Kartäuser aber ist, daß Christus als erstes und oberstes Gebot die Gottes- und Nächstenliebe verkündet hat. Desgleichen hat er uns mit Matthäus 23,22 gelehrt, daß es notwendig ist, bei all unserm Tun aus der rechten Intention heraus zu handeln, auf daß wir mit übereinstimmenden und angemessenen Mitteln zum heilsamen Ziel streben mögen44. Mit dieser wohlgeordneten Christenheit im Blick entwirft Dionysius schließlich ein Idealbild der streitenden Kirche auf Erden, einer Kirche, der nach dem Gleichnis Jesu vom Unkraut, vom Senfkorn und vom Sauerteig (Mt 13, 24–34) das Himmelreich verheißen wird. Er zieht daraus den Schluß, daß die Kirche bereits auf Erden ein himmlisches Leben führen und in gleicher Weise wie die triumphierende Kirche im Himmel geordnet sein sollte. Denn zu diesem Zweck wurde die vernunftbegabte Kreatur geschaffen, daß ihr ganzes Leben dem Kultus und der Verehrung des Schöpfers geweiht und zu ihrem eigenen Heil und dem ihrer Nächsten bestimmt ist. Dionysius bekennt sich zu einer Kirche als einer Gemeinschaft von Gott verehrenden, liebenden und ihn fürchtenden Gläubigen, deren ganzes Leben dem Schöpfer und der Sorge für die eigene Glückseligkeit und die

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Enarratio, Dionysii Op. om. 38, art. 6, 452aA–C. De doctr. et reg., Op. om. 39, art. 5, 513bA–B. Op. cit., 513bB: „Deinceps ad humilitatem et reformationem internam nos obligans: ‘Nisi coversi fueritis, et efficiamini sicut parvuli, non entrabitis in regnum coelorum’ [Mt 18, 3]“. Op. cit., 513bC. Op. cit., 514aA–B: „Ex quibus constat quam virtuosam, exemplarem, timoratam caritativamque vitam ducere omnes teneantur Christifideles. Hoc quippe Dominus Jesus Christus protestatus est primum ac pricipalissimum esse mandatum [cf. Mt 22,37–39], ut diligant Deum toto corde, tota mente totaque anima et viribus totis, proximos quoque spirituali amore sicut se ipsos. Hoc item necessarium esse edocuit, ut in cunctis quae agimus, oculus noster sit simplex [cf. Mt 23, 22; Lk 11, 34], id est intentio recta, sic ut ad finem salubrem per media convenientia ac proportionata tendamus.“ Zum Begriff der intentio recta bei Dionysius cf. N. Maginot, Der Actus humanus moralis unter dem Einfluss des Heiligen Geistes nach Dionysius Carthusianus (Münchener Theologische Studien, II. Systematische Abteilung 35), München 1968, 186–189.

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seiner Nächsten gewidmet ist45. Eine solche Gemeinschaft – Dionysius nennt sie ecclesiastica politia – ist das Haus und der Thron Gottes, eine civitas Dei, die infolge des heilsamen Friedens in Gott ruht, gegenseitig fröhlichen Umgang pflegt und in sakramentaler Gemeinschaft miteinander verbunden ist, zugleich aber als Gottesheer gegen die Feinde der göttlichen Ehre streitet. Wer aber dieser civitas wirklich beitritt, muß auch deren Dienst auf sich nehmen, und das heißt die Vorschriften, Gesetze und Verordnungen der heiligen Kirche treu befolgen 46. Wie Dionysius im letzten Artikel mit Bitterkeit feststellt, entspricht diese Vision jedoch nicht dem aktuellen Zustand der Kirche, in der alle Mandate, Urkunden und evangelischen Räte ständig überschritten werden. So endet dieser Teil der allgemeinen Unterweisung aller Christen mit einer bewegten Klage über den Ruin der Kirche und den Niedergang des christlichen Volkes, das sich weigert, Christus in der Gestalt des Pilgers bei sich aufzunehmen47. Unmittelbar darauf folgen dann dreizehn Regeln für alle Christen, in denen nach dem Vorschlag Brugmans nochmals die wichtigsten Vorschriften zusammengefaßt werden. Jeder ‚Regel‘ wird zudem ein kurzer theologischer Kommentar mit Angabe der herangezogenen Autoritäten beigefügt. Das Besondere an diesen Regeln ist, daß Dionysius sich nicht damit begnügt, Anweisungen zu erteilen, sondern auch erklärt, warum jeder Christ gehalten ist, sich diesen Katalog katechetischen Wissens anzueignen und seine ganze Existenz im Hinblick auf den Heilserwerb danach auszurichten. Im einzelnen gehören dazu die Kenntnis (1) der Glaubensartikel, (2–3) der theologischen Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung, (4) der Gebote des Dekalogs, (5) der Moraltugenden, (6) der Seligpreisungen, (7) der sieben Gaben des Heiligen Geistes und (8) der sieben Sakramente. Damit dieses Grundwissen katholischen Glaubens aber auch umgesetzt wird, gehören für Dionysius dazu auch bestimmte Handlungsanweisungen, wie etwa (9) die Verpflichtung, stets aus der richtigen Intention heraus zu handeln, (10) bei jeder sich bietenden Gelegenheit die geistlichen und körperlichen Werke der Barmherzigkeit auszuüben oder (11) den Mitmenschen gegenüber in Worten und Taten vorbildlich zu sein. Die letzten beiden Regeln betreffen schließlich das Verhältnis des Christen zu Gott. Ihm soll der Christ nicht als Knecht gegenüberstehen, sondern ihn in Freiheit von ganzem Herzen lieben und anbeten48. Seine ausführlichsten Kommentare sind den theologischen Tugenden, Glaube, Liebe und Hoffnung und insbesondere der Caritas gewidmet. In Regel drei heißt es dazu: 45

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De doctr. et reg., Dionysii Op. om. 39, art. 6, 515aA: „Porro Ecclesiam consideremus tanquam congregationem ex hominibus taliter Deum verum colentibus, amantibus atque timentibus adunatam, quorum tota vita sit servitus superdignissimi Creatoris, procuratio quoque propriae felicitatis, et aedificatio ac subventio proximorum […] Denique congregatio ista tam virtuosa et veri nominis ecclesiastica politia […].“ Zur Verwendung des aristotelischen Begriffes politia bei Dionysius cf. G. Guldentops, De kluizenaar politiseert. Dionysius de Kartuizer over individu en gemeenschap, in: Millennium 18 (2004), 69–82, ibid. 71–74. De doctr. et reg., Dionysii Op. art. 6, 515aB–D, 515bA. Op. cit., art. 7, 515–517. Op. cit., art. 8, 517–524.

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„Jeder Christ ist gehalten, Gott gemäß der Caritas aus ganzem Herzen, ganzem Gemüt und ganzer Seele mit allen Kräften über alle Maßen zu lieben. Und dies unvergleichlich mehr als sich selbst und hauptsächlich um ihn und seiner Güte willen, in erster Linie, weil er uns auserwählt hat, und schließlich wegen seiner Wohltaten und Verheißungen“49.

Dionysius gibt dazu folgende Begründung: „Die Caritas ist die allerhöchste Tugend, sie ist Ziel, Form, Leben, Bewegerin und Lenkerin aller übrigen Tugenden. Und ebenso wie die Form in Bezug auf die natürlichen Dinge die Materie bewegt und sie vervollkommnet, so bewegt, vollendet und schmückt die Caritas bezüglich des Erkenntnisvermögens und der Moralethik auch durch die Tat alle übrigen Tugenden in solchem Maße, daß es ohne sie nichts Verdienstlicheres und Gottgefälliges gibt“50.

Die Caritas ist danach im Sinne der bereits erwähnten philosophischen Auffassung des Begriffs der Form für Dionysius die Tugend, die dem Tugendleben des Menschen erst das eigentliche Sein verleiht und damit auch zentrale Bedeutung für die Frage der Verdienstlichkeit vor Gott erhält: „Und da die Caritas die vollkommenste Tugend ist, so wird auch jeder Einzelne dereinst in der himmlischen Heimat in gleichem Maße Gott besser und lieber erscheinen, wie er zu Lebzeiten auf Erden besser und vollkommener in der Liebe verblieben ist, sei er nun Mönch oder Weltlicher“51.

Vollkommenheit in der Caritas zu erreichen, sei jedoch für in der Welt lebende verheiratete Menschen wegen der vielen Hindernisse, die ihnen dort widerfahren, sehr schwierig und gelinge nur wenigen, wie beispielsweise der hl. Elisabeth von Thüringen oder dem hl. Antonius in der Wüste. Um diese Hindernisse zu überwinden gab Christus, daß heißt die Weisheit des Vaters, die evangelischen Räte Armut, Keuschheit und Gehorsam, die Ordensleute beim Profess feierlich geloben52. In Regel 4 wird deshalb jeder Christ nur auf die praecepta des Dekalogs und die Vorschriften der Kirche und seiner Oberen verpflichtet, nicht aber auf die drei evangelischen Räte53.

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Op. cit., art. 8, 518bD: „Quilibet Christianus tenetur Deum toto corde, tota mente, tota anima totisque viribus ex caritate super omnia diligere, etiam incomparabiliter plus quam se ipsum, pricipaliter propter ipsum et suam propriam bonitatem, et quoniam prior dilexit nos, deinde propter ejus beneficia ac promissa.“ Op. cit., art. 8, Regula 3, 518bD–519aA: „Caritas enim est summa virtus, et ceterarum finis, forma, vita motrix ac imperatrix virtutum. Et sicut in naturalibus forma movet, ornat perficitque materiam; sic in intellectualibus atque moralibus caritas ceteras movet, perficit, ornat actuatque virtutes, in tantum quod sine ea nihil est meritorium et Deo acceptum, etiam nec mori pro fide.“ Op. cit., art. 8, 519bA: „Quumque caritas sit summa et perfectissima virtus, tanto unusquisque, absolute loquendo, est melior et Deo acceptior, majorque erit in patria, quanto exsistit in caritate perfectior, sive sit religiosus, sive saecularis.“ Op. cit., art. 8, 519bB–C. Op. cit., art. 8, Regula 4, 520aC: „Unusquisque Christianus tenetur ad praecepta Decalogi et ad praecepta Ecclesiae ac superiorum suorum, quantum eorum auctoritas, cathedra aut praesidentia se circa ipsum extendit.“

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Dionysius greift hier die alte Unterscheidung zwischen praecepta und consilia auf, die seit der Kirchenreform des 11./12. Jahrhunderts eine klare Trennung zwischen der Ordensgeistlichkeit und den in der Welt verbleibenden Laien begründet hatte54. Er verbindet sie hier mit dem hierarchisch gegliederten ordo der Caritas, führt diesen Gedanken jedoch nicht weiter aus. Diese Thematik wird jedoch in seiner ‚Summa de virtutibus‘ unter dem Lemma der Caritas ausführlich behandelt. Auch diesen Traktat hatte Dionysius, mit dem Ziel darin Material für die Predigt zusammenzustellen, um das Jahr 1453 für einen Franziskaner geschrieben55. Der ordo caritatis wird dort im Anschluß an seine Ausführungen zu den „zwei Wegen zum ewigen Leben“ vorgestellt. Der eine Weg führt über die Befolgung der praecepta zum Heil, der andere über die consilia. Dionysius bestreitet nicht, daß beide Heilswege von Christus im Evangelium gelehrt wurden, aber für ihn können nur die drei Räte, soweit dies überhaupt in diesem Leben möglich ist, zur Vollkommenheit führen, da nur sie darauf hin geordnet sind, daß das Gebot der göttlichen Liebe auf vollkommene Weise erfüllt werde56. Das Gebot der Caritas könne nämlich auf dreifache Art und Weise erfüllt werden: (1) auf der Stufe der Anfänger, indem wir, wie in Regel 3 von ‚De doctrina‘ bereits erwähnt, Gott von ganzem Herzen lieben und nichts erstreben oder zulassen, was der Caritas zuwiderläuft, (2) indem wir Gott mit all unseren Kräften so lieben, daß wir nicht nur das vermeiden, was der Caritas entgegengesetzt ist, wie etwa Todsünden zu begehen, sondern auch all das, was uns an ihrer Förderung hindert, und das sind Besitz, Ehe und die Freiheit des Willens. Deshalb ist der Ordensstand am geeignetsten für diesen zweiten, mittleren Grad der Caritas. Dieser kann aber auch von weltlichen Personen erreicht werden, wenn diese darauf achten, nicht ohne Maß und Ordnung mit irdischen Dingen und ihrer Ehefrau (bzw. ihrem Ehemann) oder ihren Verwandten beschäftigt zu sein57. Dinoysius beruft sich hier auf ein Pauluswort im 1. Korintherbrief (I Cor 7, 31: „qui utuntur hoc mundo tamquam non utantur “), das bereits Gerhoch von Reichersberg als Devise für die innerweltliche Lebensordnung verheirateter Christen gedient hatte58. Dem Ruf des Apostels 54 55

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Cf. Volpato, “Corona aurea” (nt.1), 123 und 136–141. Darauf hat Emery, Preaching Materials (nt. 26), 401, hingewiesen. Nach Emery, 386 könnte es sich bei dem anonymen Franziskaner ebenfalls um Johannes Brugman handeln. Zur Überlieferung der ‚Summa de vitiis et virtutibus‘ (Dionysii Op. om. 39, 7–242) cf. Emery, Opera selecta IA, Nr. 115, 242. Zur Datierung siehe A. Stoelen, Denys le Chartreux 1402/3–1471, in: Dictionnaire de Spiritualité ascétique et mystique: doctrine et histoire, 45 voll., Paris 1939–1995, vol. 3, 430–449, ibid. 434; Wassermann, Dionysius der Kartäuser (nt. 24), 113. Summa de vitiis (nt. 55), II, art. 11, 178bA–179bC. Cf. dazu Guldentops, De kluizenaar (nt. 45), 77. Op. cit., art. 12, 180aB: „Potest tamen etiam ad saeculares spectare, si tam custodite se habeant, ut circa terrenas opes et contoralem seu consanguineos non afficiantur nec occupentur inordinate, iuxta quod ait […]. Et Apostolus: ‘Qui habent uxores, tanquam non habentur sint; et qui utuntur hoc mundo, tanquam non utantur ’. Quod quamvis sit rarum ac arduum, non tamen est impossibile apud Omnipotentem, sed per specialem ejus gratiam a quibusdam impletur.“ Gerhochus Reichenspergensis, Liber de aedificio Dei (nt. 1), col. 1302CD: „Qui enim in baptismo abrenuntiavit diabolo et omnibus pompis ac suggestionibus ejus, etiamsi nunquam fiat clericus vel monachus,

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Paulus, „Sich die Welt zunutze machen, als nutze man sie nicht“, Folge zu leisten und damit in der Liebe zu Gott weiter fortzuschreiten, ist für den Kartäuser jedoch nur mit Hilfe der Gnade Gottes möglich. Der dritte Grad der Caritas bedeutet, Gott so mit ganzem Herzen zu lieben, daß der Mensch ohne Unterbrechung auf Gott gerichtet ist. In diesem Stadium werden wir durch die Caritas ganz mit Gott vereint, deshalb gehört diese Stufe den Vollkommenen. Unter Berufung auf Thomas von Aquin ist diese Vollkommenheit der Caritas für Dionysius in diesem Leben freilich nicht zu erlangen. Dennoch hält er diesen Zustand zumindest zeitweise für kontemplativ lebenden Menschen für möglich59. Von Thomas übernommen hat Dionysius auch die Verknüpfung der drei Grade der Caritas mit dem neuplatonischen Aufstiegsschema der Anfangenden, der Fortschreitenden und der Vollkommenen (incipientes – proficientes – perfecti )60. Anders aber als Thomas verbindet er die verschiedenen Grade der Caritas konkret mit den verschiedenen ordines der Kirche und hält für das Erreichen der Ziele dieser drei Grade auch genaue Handlungsanweisungen bereit. So ist der Status der Anfänger dem in der Welt lebenden Laien zugewiesen, der in erster Linie angehalten ist, den Lastern aus dem Weg zu gehen. Der Status der Fortschreitenden ist für die Ordensgeistlichkeit und einen kleinen Kreis auserwählter Laien bestimmt, die sich nur noch dem Geistigen und dem Fortschritt der Tugenden zuwenden. Der dritte Grad der Caritas bedeutet für den Menschen, daß er in diesem Ziele ruht oder, anders gesagt, Gott anhängt und ihn genießt, soweit ihm dies auf Erden gegeben ist, was nur noch dem Stand der Vollender möglich ist, wobei dieser auch für Dionysius wie für Thomas identisch ist mit dem Status der Bischöfe61. Schließlich aber finden sich diese drei Grade der Caritas auch beim Fortschreiten der Religiosen. Dort impliziert der dritte Grad der Caritas, daß man so im Wunsch nach Gott verzehrt ist, daß man seine Abwesenheit nicht mehr erträgt und begehrt in Gott aufzugehen und in ihm zu sein62. Nur diejenigen, die

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mundo tamen renuntiasse convincitur quia mundus totus in maligno positus pompa est ipsius maligni, cujus pompae renuntiaverunt omnes Christiani. Unde et qui utuntur hoc mundo, sint quasi non utantur: ut sive divites sive miseri, nobiles ac servi, mercatores et rustici et omnino cuncti, qui Christiana professione censentur, illa respuant, quae huic inimica sunt nomini, et ea quae sunt apta sectentur.“ Cf. Volpato, „Corona aurea“ (nt. 1), 139 und W. Beinert, Die Kirche – Gottes Heil in der Welt. Die Lehre von der Kirche nach den Schriften des Rupert von Deutz, Honorius Augustodunensis und Gerhoch von Reichersberg. Ein Beitrag zur Ekklesiologie des 12. Jahrhunderts (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters 13), 311sqq. Thomas von Aquin, Summa theologiae, II–II, q. 24, art. 8, ed. Leonina (Opera omnia, 8), Rom 1895, 190sq. Thomas von Aquin, op. cit., II–II, q. 24, art. 9, 191. Summa de vitiis, Dionysii Op. om. 39, II, art. 12, 180bD–181aA: „Tertio studendum est homini ut in ipso fine quiescat, seu Deo inhaereat ac fruatur prout in vita exstat possibile: quod ad tertium caritatis gradum perfectorumque statum certum est pertinere.“ Zum Status der Bischöfe cf. De doctr. et reg., Dionysii Op. om. 39, II, art. 1, 526aB. Die Abhängigkeit von Thomas, Summa theologiae, II–II, q. 184, geht hervor aus De vita et regimine praesulum, Dionysii Op. om. 37, art. 3, 12aB–12bB. Siehe unten Anm. 69. Summa de vitiis, Dionysii Op. om., II, art. 12, 181aA–B: „Denique, in Profectu religiosorum habetur […]. Tertius est, vehementi desiderio sic aestuare ad Deum, ut ejus diutius ferre absentiam nequeat, cupiatque dissolvi et esse cum Deo.“

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zu diesem dritten Grad der Caritas gehören, werden geschmückt mit der Gabe der Weisheit in ihrer höchsten Vollkommenheit, auf daß sie mit der Spitze des Geistes („per apicem mentis“) gleichsam mit der Sonne der Gerechtigkeit und der ewigen Weisheit in Berührung kommen, von ihr entflammt und entrückt werden und schließlich in die Gottheit versinken63. Caritas und Weisheit, Liebe und Erkenntnis, stehen für den Kartäuser zueinander in wechselseitiger Beziehung, denn „der Akt der Caritas geht aus dem Erkennen hervor“. So entspricht dem dreifachen ordo der Caritas auch ein dreifacher ordo der Weisheit, den Dionysius im Rahmen seiner Abhandlung über die Gaben des Heiligen Geistes dargelegt hat64. Beiden ordines liegt das bereits erwähnte neuplatonische Aufstiegsschema des incipiens, proficiens und perfectus zugrunde, entsprechend den Stufen der Reinigung, Erleuchtung und der Vollendung (purgatio, illuminatio, perfectio), das seit Innozenz III. in verschiedenen Varianten die drei ordines der Ecclesia militans bezeichnet 65, und insofern zum theologischen Gemeingut gehörte. Anknüpfend an den dreifachen ordo der Caritas bei Thomas von Aquin, stellte Dionysius jedoch den drei kirchlichen Ständen der Prälaten, des Ordensklerus und der Laien, mit den beiden ordines der Caritas und der Weisheit ein übergeordnetes Erklärungssystem zur Seite und errichtete auf dieser spekulativen Grundlage sein moralisches Regelwerk für alle Christen66. Für den Kartäuser ist die 63

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Op. cit., II, art. 12, 181aD–181bA: „Postremo, qui ad hunc tertium gradum caritatis pertingunt, dono sapientiae eatenus decorantur, quod per apicem mentis stant quasi in contactu Solis iusticiae ac Sapientiae sempiternae, a qua […] valide inflammantur, misericordissime rapiuntur, atque in divitias gloriae Dei immerguntur et absorbentur.“ Cf. dazu auch Wassermann, Dionysius der Kartäuser (nt. 24), 144sqq.; Emery, Preaching Materials (nt. 28), 397–403. Zum Verhältnis von Weisheit und Kontemplation beim Dionysius cf. K. Emery, Jr., Twofold wisdom and contemplation in Denys of Rickel (Dionysius Cartusiensis, 1402–1471), in: Journal of Medieval and Renaissance Studies 18 (1988), 99–134, reprinted in: Emery, Monastic, Scholastic and Mystical Theologies (nt. 26), Item VI. K. Emery, Jr., The Matter and Order of Philosophy according to Denys the Carthusian, in: J. A. Aertsen/A. Speer (eds.), Was ist Philosophie im Mittelalter? Qu’est-ce que la philosophie au Moyen Âge? What is Philosophy in the Middle Ages? Akten des X. Internationalen Kongresses für mittelalterliche Philosophie der Société Internationale pour l’Étude de la Philosophie Médiévale 25. bis 30. August 1997 in Erfurt (Miscellanea Mediaevalia 26), Berlin–New York 1998, 667–679. De donis spiritus sanctis, Tractatus II: De donis sapientiae et intellectus, Dionysii Op. om. 35, 175–206. Ibid. art. 15, 187bA: „Actus itaque caritatis ex cognitione procedit.“ Cf. Emery, Preaching Materials (nt. 26), 397sq. Emery, Une réduction de la vie active (nt. 22), 532sqq. Zur Abgrenzung der drei kirchlichen Stände der Kleriker, der Ordensgeistlichen, und der Laien berief sich Innozenz III. am häufigsten auf die biblischen Gestalten Noah, Daniel und Hiob (Ez 14,14). Gerade im Hinblick auf die eschatologische Bestimmung der drei ordines verwendete er aber auch das Ternar der Anfangenden, Fortschreitenden und der Vollender, cf. W. Imkamp, Das Kirchenbild Innozenz’ III. (1198–1216) (Päpste und Papsttum 22), Stuttgart 1983, 166sq., nt. 393 zitiert: Innozenz III, sermo XXII de tempore in ascensione Domini, PL 217, 414C–D: „Has tres solemnitates, celebrant tres ordines fidelium in Ecclesia: Incipientes, qui resurgunt per humilem poenitentiam, proficientes, qui ascendunt per abundantem justiciam; perficientes, qui consolantur per finalem perseverantiam.“ Cf. Emery, Preaching Materials (nt. 26), 397sq. Emery, Une réduction de la vie active (nt. 22), 532, sieht in der Theorie der Kontemplation des Kartäusers den Erkärungsgrund für dessen moraltheologisches Regelwerk für Laien. Dagegen wäre einzuwenden, daß den Laien auch in diesem Schema der Zugang zur höchsten Kontemplationsstufe verwehrt bleibt, die kontemplativen

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Schöpfung im Sinne des pseudo-dionysianischen Neuplatonismus ein Abbild des göttlichen ordo. Jeder Mensch kann an dieser Ordnung teilhaben und sich dadurch Gott nähern und schließlich die ewige Seligkeit erlangen67. Dies hängt jedoch vom Grad der durch Gnade erlangten Weisheit und Liebe ab, die ihn befähigt, nicht nur die Ordnung der Natur, die Naturgesetze, sondern auch die göttliche Ordnung zu erkennen und danach zu handeln. Die auf der Stufe der Anfänger verharrenden Laien müssen deshalb dem Beispiel der Fortgeschrittenen und der Vollkommenen nachfolgen, wobei in diesem Schema auch der Laie die gnadenhafte Möglichkeit erhält, bis zur zweiten, mittleren Stufe fortzuschreiten, wie auch den kontemplativen Orden die Gnade vollkommener Weisheit und Liebe zuteil werden kann, sofern sie das Ihre dazu beitragen. III. Aus diesem Grund reflektieren die Regeln für alle Christen nur die allgemeinen Prinzipien christlichen Lebens, während die im zweiten Teil aufgeführten Regeln differenziert auf die spezifischen Anforderungen der hierarchisch geordneten Stände der Kirche eingehen. Dionysius beginnt ganz entsprechend der seit Innozenz’ III. üblichen Ordnung mit dem Stand der Prälaten (praesules), kommt dann zum Stand der Ordensgeistlichkeit und schließlich zum Dritten Stand der Verheirateten. Die Prälaten werden angeführt von den Bischöfen, zu denen auch der Papst, der Höchste unter den Prälaten, zählt. Ihnen legt Dionysius die drei Briefe des Paulus an Timotheus und Titus (I Tim, II Tim, Tit) besonders ans Herz68. In I Timotheus, 3, sind die Tugenden der Bischöfe aufgezählt, aus denen Dionysius zufolge die wichtigsten Verhaltensregeln dieses Standes abgeleitet werden können. Auch hier bezieht sich Dionysius explizit wieder auf ein früheres Werk aus seiner Feder mit dem Titel ‚De vita et regimine praesulum‘. Die Bischöfe sind vor allen anderen Christen gehalten, sich mit Tugenden zu schmücken und den Lastern aus dem Weg zu gehen, denn der bischöfliche Stand ist der Stand der erworbenen Vollkommenheit (status perfectionis acquisitae), wie Dionysius darin unter Berufung auf Thomas von Aquin festhält69.

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Orden hingegen gegenüber der herkömmlichen kirchlichen Ständeordnung eine Aufwertung erfahren. Unbestritten bilden aber die beiden ordines der Caritas und der Weisheit das theoretische Fundament für sein Regelwerk für alle Christen. Für seine Ordnungsvorstellungen laikalen Lebens scheint mir der Ordo der Caritas aber von größerer Bedeutung zu sein. Cf. Wassermann, Dionysius der Kartäuser, 75sq. De doctr. et reg., Dionysii Op. om. 39, II, art. 1, 526bAB. De vita et regimine praesulum, Dionysii Op. om. 37, 7–57, ibid. art. 3, 12bB: „Sic itaque in statu perfectionis dicitur proprie aliquis esse, non ex hoc quod habet actum dilectionis perfectae, sed ex hoc quod obligat se perpetuo cum aliqua solennitate ad ea quae sunt perfectionis.“ Cf. Thomas von Aquin, Summa theologiae, II–II, q. 184, art. 4, resp., ed. Leonina (Opera omnia, 10), Rom 1899, 455.

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Es folgen die Archidiakone und der Kuratklerus, über die Dionysius ebenfalls eigene Schriften verfasst hat, auf die er hier verweist70. An die Adresse der Archidiakone gerichtet ist die Erwartung, dafür zu sorgen, daß sie selber mit theologischen Büchern versehen und die Pfarrgeistlichen ausreichend theologisch gebildet werden71. Allen mit der Seelsorge befaßten Priestern schärft er ein, zuerst bei sich selbst mit einem tugendhaften Leben zu beginnen, bevor sie andere belehrten, und wenn sie in den Kirchen öffentlich predigten, sollten sie ihre Zuhörer, darunter aber besonders die Arbeiter, seien sie in den mechanischen Künsten oder in der Landwirtschaft tätig, dazu anhalten, alle ihre Arbeiten in der „rechten Intention“ auf das geschuldete Ziel, nämlich die Ehre und den Ruhm Gottes, auszurichten72. Was den Ordensstand anbelangt, so ist allen religiösen Orden gemeinsam die Verpflichtung auf die drei evangelischen Räte, wobei Dionysius mit Thomas von Aquin das Gebot des Gehorsams vor den Geboten der Keuschheit und der Armut für das wichtigste hält73. Jeder Orden ist zudem gehalten, seine jeweilige Regel einschließlich der Konstitutionen genau zu befolgen. Sofern die Religiosen wirklich entsprechend ihrer Regel leben, ist diese Lebensweise die beste und verdienstvollste. Sobald sie jedoch ihre Gelübde nicht halten und nicht nach der Regel leben, ist es die schlimmste und am meisten verdammenswerte. Insbesondere kritisiert Dionysius scharf die nicht reformierten Konvente unter den Bettelorden und weist auf die Notwendigkeit der Reform der Nonnenklöster74. Hatte sich Dionysius hinsichtlich der geistlichen Stände damit begnügt, gewisse Verhaltensnormen und Ordensvorschriften wieder in Erinnerung zu rufen, so stellt er nun für den dritten Stand der Verheirateten erneut wiederum eine ganze Vielzahl von Regeln auf. Diese betreffen zunächst das Eheleben und die Familie einschließlich des Hausgesindes (art. 7–12), sodann geht er von der Hausgemeinschaft über zum Leben in der Pfarreigemeinde (art. 13) und gelangt von da zur staatlichen Gemeinschaft mit den Richtern, den Vorstehern des Gemeinwesens (art. 14–16) und den Landesherrn an der Spitze (art. 17–18), gefolgt von den führenden Schichten des Adels (art. 18) und der Reichen und Mächtigen im Allgemeinen (art. 19–20). Weiter wendet er sich den Jungen und den Alten zu (art. 21–22) und läßt sich des längeren über die Moralvorschriften für Frauen aus (art. 23). Zum Schluß nimmt er auch noch die Ritter (art. 24) und die Kaufleute (art. 25) in den Blick.

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De vita et regimine archidiaconorum, Dionysii Op. om. 37, 111–162; De vita et regimine curatorum, Dionysii Op. om. 37, 217–336. De vita et regimine Archidiaconorum, Dionysii Op. om. 37, art. 16, 139a–140a. Cf. De doctr. et reg., Dionysii Op. om. 39, 531bC. De doctr. et reg., Dionysii Op. om. 39, II, art. 4, 530bC; 532aA–C. De doctr. et reg., Dionysii Op. om. 39, II, art. 6, 535aA, cf. Thomas von Aquin, Summa theologiae II–II, q. 186, art. 5., ed. Leonina (Opera onmia 10), 494sq. De doctr. et reg., Dionysii Op. om. 39, II, art. 6, 535aC–535bD.

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Man geht sicherlich nicht fehl in der Annahme, daß Dionysius in diesem zweiten Teil des Traktats Themen aufbereitet, die für die Predigt ad status besonders geeignet waren. Bei den meisten der hier behandelten Fragen konnte Dionysius zudem auf seine älteren Schriften zur Ständedidaxe zurückgreifen und einzelne Textbausteine daraus in verkürzter Form übernehmen, wie er dies auch bei den verschiedenen Kategorien von Geistlichen getan hatte. Die gleiche Methode des „Textrecycling“ wandte er auch bei seinen eigenen Predigten an. Neu ist in ‚De doctrina‘ also weniger der Inhalt der Lehre als ihre Kodifizierung in Form von Regeln75. Schluß Dies führt wieder zur Ausgangsfrage meiner Untersuchung zurück: Was mochte den Kartäuser veranlaßt haben, in der Mitte des 15. Jahrhunderts ein derart umfassendes Regelwerk für alle Christen zu entwerfen? Als Ergebnis der Kirchenreform des 12. Jahrhunderts hatte sich unter Papst Innozenz III. eine Ekklesiologie durchgesetzt, bei der die Verheirateten auf der untersten Stufe der Beginner ihren Platz in der Gemeinschaft der Gläubigen gefunden hatten. Das Apostolat der neuen Bettelorden rief sie zur Buße auf, dem ersten Schritt der Reinigung auf dem Weg zur ewigen Seligkeit, ein kleiner Teil der Verheirateten verpflichtete sich, ein Leben nach den frühchristlichen Vorschriften für freiwillige Büßer zu führen76. Verbindlich für alle Christen waren die praecepta des Dekalogs, die Kenntnis des Credo und der Sakramente sowie das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe77. All das ist dem Kartäuser bekannt, und wird von ihm auch nicht außer Kraft gesetzt. Es erscheint ihm jedoch nicht mehr ausreichend zu sein, um

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Zur Methode des ‚Textrecycling‘ bei Dionysius cf. Emery, Preaching Materials (nt. 28), 393. Wichtig sind in diesem Zusammenhang, außer den bereits genannten die Schriften ‚De laudabili vita coniugatorum’ (vor 1450; Dionysii Op. om. 38, 55–117), ‚De regimine politiae‘ (Dionysii Op. om. 38, 7–54), ‚De vita et regimine principum libri tres‘ (Dionysii Op. om. 37, 373–497), ‚De vita militarium‘ (Dionysii Op. om. 37, 565–583) und ‚De vita mercatorum et justo pretio rerum dialogus‘ (Dionysii Op. om. 37, 585–605). Cf. oben nt. 3 und 4. Cf. J.-C. Schmitt, Du bon usage du « Credo », in: Faire croire. Modalités de la diffusion et de la réception des messages religieux du XIIe au XVe siècle. Table ronde organisée par l’École française de Rome, en collaboration avec l’Institut d’histoire médiévale de l’Université de Padoue (Rome, 22–23 juin 1979) (Collection de l’École française de Rome 51), Rom 1981, 337–361. J.-P. Torrell, Les « Collationes in decem praeceptis » de Saint Thomas d’Aquin. Édition critique avec introduction et notes, in: Revue des sciences philosophiques et théologiques 69 (1985), 5–40. Martina Wehrli-Johns, Voraussetzungen und Perspektiven mittelalterlicher Laienfrömmigkeit seit Innozenz III. Eine Auseinandersetzung mit Herbert Grundmanns „Religiösen Bewegungen“, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 104 (1996), 286–309.

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den Verfall der von den Türken bedrohten Christenheit aufzuhalten. Mit seinem Regelwerk verfolgt er das ehrgeizige Ziel, die lex Christi zur normativen Instanz für alle Lebensbereiche und alle menschlichen Sozialbezüge und Verhaltensweisen zu machen. Dies gelingt ihm mit Hilfe der zweifachen Ordnung der Caritas und der Weisheit, deren verschiedene Grade dazu geeignet sind, die Gesamtheit der Gläubigen ganz unterschiedlicher Herkunft, Begabung und Bestimmung auf die lex evangelica zu verpflichten. Der Buße kommt dabei nur noch eine untergeordnete Bedeutung zu. Viel wichtiger sind ihm die Tugend der Demut und der Fortschritt in der Liebe und der Erkenntnis Gottes. Entscheidend ist für ihn die Reform auf allen Ebenen. Deren Durchsetzung will Dionysius aber nicht allein dem Stand der ‚Vollender‘, also dem Papst und den Bischöfen überlassen, sondern er ruft in ‚De doctrina et regulis‘ insbesondere auch die weltlichen Fürsten dazu auf, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben ebenfalls vollkommen sein müssen und kraft göttlichen und menschlichen Rechtes dazu verpflichtet sind, ihre Untertanen zu erleuchten und zu regieren. Und obwohl sie keine Autorität und Jurisdiktion über die Geistlichkeit haben, ist es zum Wohl des Gemeinwesens ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, daß kirchliche Personen auf ihrem Territorium und insbesondere die Mönche und Nonnen sowie die Priester und Kanoniker soweit wie möglich einer Reform unterzogen werden78. Das Anliegen der Reform hatte Dionysius mit Nikolaus von Kues und einigen Vertretern der franziskanischen Observanz in den Niederlanden in Verbindung gebracht. Die über das Predigtrecht verfügenden Bettelorden boten ihm die notwendige Plattform, um seine Vorstellungen zur Kirchenreform und seine Ansichten zur mystischen Theologie über die Mauern seines Klosters hinaus bekannt zu machen79. Der aktuelle Kontext der franziskanischen Observanz erklärt auch die herausragende Rolle der weltlichen Herrschaft in diesem Heilsplan, denn Klosterreformen konnten zu diesem Zeitpunkt nur noch mit Hilfe der Landesfürsten durchgeführt werden80. Dionysius werden enge Beziehungen zum Hof

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De doctr. et reg., Dionysii Op. om. 39, II, art. 17, 554aD: „De pertinentibus specialiter ad principes“; 554bBC: „Regula prima: Non solum principem in spiritualibus, utputa summum Pontificem et unumquemque episcopum, sed etiam principem in temporalibus atque civilibus, oportet esse virum heroicum, divinum, perfectum, si sua officia digne implebit“; 554bD: „sic princeps splendore suae prudentiae et suarum vigore virtutum universos sibi subjectos debet illuminare ac gubernare, a peccatis retrahere, ad vitam virtuosam, quietam pacificamque inducere“; 556bC: „Regula VI: Fortitudo, magnanimitas et liberalitas omnino condecent principem“; 557bB: „Praeterea fervens sit circa honorificentiam et augmentum cultus divini. Et quamvis non habeat auctoritatem et jurisdictionem super spirituales personas et clerum, tamen, ut Deo magis sit gratus, et ut bonum reipublicae amplius prosperetur, condecens est ut princeps omnem ad hoc diligentiam et conatum adhibeat, quod ecclesiasticae personae in terrritorio suo, videlicet monachi et moniales religiosique alii, atque presbyteri, canonici quoque, quantum possibile est reformentur, et ad hoc peragendum dispensationem acquirere.“ Cf. Emery, preaching materials (nt. 24), 383–387. Cf. B. Neidiger, Erzbischöfe, Landesherren und Reformkongregationen. Initiatoren und treibende Kräfte der Klosterreformen des 15. Jahrhunderts im Gebiet der Diözese Köln, in: Rheinische Vierteljahresblätter 54 (1990), 19–77.

Dionysius’ des Kartäusers Lebensregeln für Laien

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Philipps des Guten von Burgund († 1467) nachgesagt. Seine Ausführungen zur Aufgabe des Fürsten, zum Seelenheil seiner Untertanen Klosterreformen auf seinem Gebiet durchzuführen, könnten ihm gegolten haben81.

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Zur Auffassung des Kartäusers über die Rolle des Fürsten als Garanten der Ordnung, cf. Wassermann, Dionysius der Karthäuser (nt. 24), 170sq. und 176–179. 1454 schrieb Dionysius einen Sendbrief an die katholischen Fürsten, in dem er sie zur Reform und zum Kampf gegen die Sarazenen aufrief, cf. Mougel, Dionysius der Karthäuser (nt. 7), 45sq. Zu seinen Beziehungen zum Hof von Burgund cf. Mougel, op. cit., 60. Vor allem seine Gattin Isabella von Portugal († 1471), der Dionysius seine Schrift ‚De vita et regimine principissae Dialogus‘ (Dionysii op. om. 37, 499–518) gewidmet hat, war eine große Förderin der Kartäuser und der observanten Bettelorden sowie der Devotio moderna; cf. Emery, Une réduction de la vie active, 547; M. Sommé, Le testament d’Isabelle de Portugal et la dévotion moderne, in: Rencontres de Colmar–Strasbourg (29 septembre au 2 octobre 1988): La dévotion moderne dans les pays bourguignons et rhénans des origines à la fin du XVIe siècle (Publication du centre européen d’Études bourguignonnes (XIVe–XVIe s.), Actes publiés sous la direction de Jean-Marie Cauchies, 27–45. Mit Hilfe ihres Sohnes Karl des Kühnen wollte Dionysius später die neue Kartause Herzogenbusch gründen, cf. Mougel op. cit., 70sqq. Das Haus Burgund unterstützte ebenfalls die Franziskanerobservanz in den Niederlanden; cf. G. Épinay-Burgard, Henri Herp: de la dévotion moderne à l’observance franciscaine, in: Rencontres de Colmar–Strasbourg, op. cit., 89–96.

Die Konzeption des lebendigen Gesetzes (lex viva) bei Nicolaus Cusanus I M (München) I. Wer sich schon einmal ausführlicher mit der Philosophie des Nicolaus Cusanus, insbesondere mit seiner Geistphilosophie, beschäftigt hat, dem wird aufgefallen sein, daß das Adjektiv „lebendig“ (vivus, viva, vivum) immer wieder in Verbindung mit zentralen cusanischen Metaphern genannt wird. An oberster Stelle steht dabei die These, daß der Mensch bzw. der menschliche Geist ein lebendiges Abbild (viva imago) Gottes sei 1. Cusanus hat diese Vorstellung in zahlreiche weitere Metaphern gekleidet: Der Mensch ist ein lebendiger Spiegel, lebendige Zahl, lebendiges Maß, lebendige Harfe usw.2 Nach Cusanus impliziert dies zweierlei. Erstens meint Lebendigkeit Selbstbezüglichkeit, d. h. die Fähigkeit, sich aktiv auf sich selbst beziehen zu können: Ein lebendiger Spiegel sieht sich selbst, eine lebendige Harfe spielt sich selbst, ein lebendiges Maß misst sich selbst usw. Zweitens ist die dynamische und steigerbare Fähigkeit des Menschen gemeint, sich

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Cf. I. Mandrella, Viva imago. Die praktische Philosophie des Nicolaus Cusanus (Buchreihe der Cusanus-Gesellschaft 19), Münster 2012, bes. 271–287; H. Schwaetzer, Viva imago Dei. Überlegungen zum Ursprung eines anthropologischen Grundprinzips bei Nicolaus Cusanus, in: I. Bocken/H. Schwaetzer (eds.), Spiegel und Porträt. Zur Bedeutung zweier zentraler Bilder im Denken des Nicolaus Cusanus, Maastricht 2005, 113–132; G. von Bredow, Der Geist als lebendiges Bild Gottes (Mens viva dei imago), in: H. Schnarr (ed.), Gerda von Bredow, Im Gespräch mit Nikolaus von Kues. Gesammelte Aufsätze 1948–1993, Münster 1995, 99–109; R. Steiger, Die Lebendigkeit des erkennenden Geistes bei Nikolaus von Kues, in: M. Bodewig/J. Schmitz/ R. Weier (eds.), Das Menschenbild des Nikolaus von Kues und der christliche Humanismus (Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft 13), Mainz 1978, 167–181. Die Werke des Nicolaus Cusanus werden im folgenden nach der Editio Heidelbergensis (h) zitiert: Nicolai de Cusa Opera omnia, iussu et auctoritate Academiae Litterarum Heidelbergensis ad codicum fidem edita, Hamburg 1932sqq. Cf. Nicolaus Cusanus, De filiatione Dei, 3, n. 65–68, ed. P. Wilpert (h IV), Hamburg 1959, 48–50; Idiota de mente, 7, n. 97sq., ed. R. Steiger (h 2V), Hamburg 1983, 145–148; ibid., 9, n. 123, 176sq.; Sermo CLXXVIII, n. 8, ed. S. Donati e. a. (h XVIII), Hamburg 1995–2007, 288. Zur Spiegelmetapher cf. I. Mandrella, Das Spiegelmotiv in der Philosophie des Nicolaus Cusanus, in: E. Filippi/H. Schwaetzer (eds.), Spiegel der Seele. Reflexionen in Mystik und Malerei (Texte und Studien zur europäischen Geistesgeschichte B 3), Münster 2012, 139–150; zur Zahl cf. A. Eisenkopf, Zahl und Erkenntnis bei Nikolaus von Kues (Philosophie interdisziplinär 24), Regensburg 2007.

Die Konzeption des lebendigen Gesetzes (lex viva) bei Nicolaus Cusanus

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selbst zu verändern bzw. zu verbessern. Ein lebendiger Spiegel ist in der Lage, sich selbst zu glätten bzw. zu polieren, eine lebendige Harfe ist in der Lage, ihr Spiel zu perfektionieren, ein lebendiges Maß ist in der Lage, das Maß seiner selbst zu erreichen. Gemeinsam ist beiden Momenten, daß Lebendigkeit für Cusanus immer das Gegenteil alles Statischen und Verharrenden meint; Lebendigkeit impliziert stets Dynamik und Kreativität. In diesem Sinne fällt bei Cusanus im fünften Kapitel von ‚Idiota de mente‘ auch der Begriff des lebendigen Gesetzes (lex viva), mit dem er den menschlichen Geist vergleicht. Vorausgegangen war eine Beschreibung des Geistes als einer „lebendige[n] Substanz, die wir in uns erfahren, wie sie innerlich spricht und urteilt“, und die in der Lage ist, sich allem um sie herum erkennend anzugleichen3. Eingeführt hatte Cusanus dieses innere Urteilsvermögen im vierten Kapitel, wo dem Geist eine anerschaffene Urteilsfähigkeit (iudicium concreatum) zugeschrieben wurde, d. h. eine Urteilskraft (vis iudiciaria), die ihm von Natur aus zukommt und durch die er selbständig urteilt 4. Als Beispiel für die Existenz eines solchen iudicium concreatum wählt Cusanus den Hinweis auf unsere natürliche Kenntnis des Moralischen (eine der wenigen Stellen übrigens, an denen er sich explizit zu Moral und Ethik äußert). „Denn deutlich“, so heißt es in ‚De mente‘, „erfahren wir einen Geist, der in unserem Geist spricht und urteilt, dies sei gut, dies gerecht, dies wahr, und uns tadelt, wenn wir vom Rechten abweichen. Diese Rede und dieses Urteil hat er niemals erlernt, sondern es ist ihm angeboren.“5 Der Sache nach beschreibt Cusanus hier das natürlich angeborene bzw. – theologisch gesprochen – von Gott bei der Schöpfung in die Herzen der Menschen eingesenkte Wissen um das zu tuende Gute und das zu meidende Schlechte, das in der philosophischen Tradition natürliches Gesetz oder Naturgesetz genannt wird. Dieser Zusammenhang wird uns an späterer Stelle wieder begegnen. Doch kehren wir zunächst zurück zu Kapitel 5 von ‚De mente‘. Der Philosoph fragt, woher denn der Geist die Urteilskraft, also jenes iudicium concreatum habe, das ihn dazu befähigt, über alles ein Urteil zu fällen. Der Laie antwortet mit dem Verweis auf das Urbild-Abbild-Verhältnis zwischen göttlichem und menschlichem Geist und antwortet: „Der Geist hat sie daher, weil er das Bild des Urbildes von allem ist. Gott nämlich ist das Urbild von allem. Da das Urbild von allem im Geist wie die Wahrheit im Abbild widerstrahlt, so hat er das in sich, auf das er schaut und nach dem er ein Urteil über das

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Nicolaus Cusanus, Idiota de mente, 5, n. 80 (h 2V), 121sq.: „Mens est viva substantia, quam in nobis interne loqui et iudicare experimur et quae omni vi alia ex omnibus viribus spiritualibus, quas in nobis experimur, infinitae substantiae et absolutae formae plus assimilatur.“ Ibid., 4, n. 77 (h 2V), 118sq.: „[…] quare mens nostra habet sibi concreatum iudicium, sine quo proficere nequiret. Haec vis iudiciaria est menti naturaliter concreata, per quam iudicat per se de rationibus, an sint debiles, fortes aut concludentes.“ Ibid., 4, n. 78, 119: „Nam clare experimur spiritum in mente nostra loquentem et iudicantem hoc bonum, hoc iustum, hoc verum, et nos reprehendentem, si declinamus a iusto. Quam loquelam et quod iudicium nequaquam didicit, sed sibi connatum est.“

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Außenliegende fällt. wie wenn ein geschriebenes Gesetz lebendig wäre, dann würde es, weil es lebendig ist, in sich die zu fällenden Urteile lesen. So ist der Geist die lebendige Abbildung der ewigen und unendlichen Weisheit.“ 6

Was meint nun diese paradox klingende Metapher, der Geist gleiche einem geschriebenen, lebendigen Gesetz, das die zu fällenden Urteile in sich selbst liest? Gemeint ist die mit der Metapher des Lebendigen verbundene unvermittelte Selbstbezüglichkeit: Ohne daß eine von außen hinzutretende Instanz nötig wäre, die das geschriebene Gesetz urteilend auf einen Einzelfall anwendet, ist das lebendige Gesetz in der Lage, selbst seine Urteile zu fällen, d. h. sich selbst anzuwenden. Worauf es Cusanus an dieser Stelle ankommt, ist zu zeigen, daß der menschliche Geist als Abbild des göttlichen Geistes in seiner Weisheit und Urteilsfähigkeit zwar vorstrukturiert ist, insofern er eben Abbild der unendlichen Weisheit und Urteilsfähigkeit ist, und nicht irgendetwas beliebig Anderes, aber nicht in dem Sinne, daß diese Abbildverhältnisse statisch oder essentialistisch zu interpretieren wären. Vielmehr geht es Cusanus hier und an anderen Stellen unablässig darum zu zeigen, daß es sich bei der Beziehung zwischen Urbild und Abbild um eine dynamische handelt, die erstens auf eine Ähnlichkeit der Tätigkeiten des Geistes abzielt, und die zweitens offen ist, insofern sie eine Anlage repräsentiert, die der Selbstgestaltung bedarf. Auf die Metapher des lebendigen Gesetzes übertragen, heißt das erstens: Nicht primär über das Geschriebene definiert sich die Ähnlichkeit von menschlichem und göttlichem Geist, sondern über die Tätigkeit des Lesens oder Auslegens. Und zweitens: Welche Urteile das lebendige Gesetz in sich fällt, steht nicht von vornherein fest, sondern sie sind das Resultat seiner eigenen Interpretation. II. Genau um diese beiden Pole – die Vorgegebenheit des Geschriebenen einerseits und die Aufgegebenheit des Selbstlesens andererseits – geht es Cusanus, wenn er im geistphilosophischen Kontext in ‚De mente‘ die bewußt paradox formulierte Metapher des geschriebenen, lebendigen Gesetzes anführt. Diese Deutung ließe sich an vielen weiteren cusanischen Metaphern des Lebendigen demonstrieren7. Doch lassen sich den cusanischen Ausführungen darüber hinaus noch andere Bestimmungen hinzufügen, die uns genauer zu definieren erlauben, was man sich unter einem lebendigen Gesetz vorzustellen habe. Wie bereits oben im 6

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Ibid., 5, n. 85, 127sq.: „Habet ex eo, quia est imago exemplaris omnium. Deus enim est omnium exemplar. Unde cum omnium exemplar in mente ut veritas in imagine reluceat, in se habet ad quod respicit, secundum quod iudicium de exterioribus facit. Ac si lex scripta foret viva, illa, quia viva, in se iudicanda legeret. Unde mens est viva descriptio aeternae et infinitae sapientiae.“ Besonders deutlich werden diese Zusammenhänge in der Metapher des toten und lebendigen Bildes in De mente c. 13 n. 148sq.; cf. hierzu A. Eisenkopf, Das Bild des Bildes. Zum Begriff des toten und lebendigen Bildes in Idiota de mente, in: Bocken/Schwaetzer (eds.), Spiegel und Porträt (nt. 1), 49–74.

Die Konzeption des lebendigen Gesetzes (lex viva) bei Nicolaus Cusanus

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Kontext der cusanischen Illustration der anerschaffenen Urteilskraft des Geistes am Beispiel der natürlichen Kenntnis um das Gute und Böse angedeutet, verweisen diese Bestimmungen in den Bereich der naturgesetzlichen Ethik. Cusanus kennt die traditionelle Lehre von der lex naturalis 8 und schließt sich der bereits im ‚Decretum Gratiani‘ vorgenommenen Identifizierung von Naturgesetz und Dekalog an9. In Sermo CLXXXIX vom Juni 1455 beschreibt er die Einmaligkeit und Besonderheit der Person Jesu Christi, indem er weit in die heilsgeschichtliche Vergangenheit zurückgreift, nämlich auf den im Alten Testament beschriebenen Bund Gottes mit Abraham und Moses. Der klassischen Bestimmung folgend beschreibt er den Sinn der Kodifizierung des Dekalogs: Die Zehn Gebote, die Gott dem Moses als Zeichen seines Bundes auf zwei Tafeln niedergeschrieben übergab, enthalten nichts anderes als das, was schon von Natur aus galt („id quod fuit naturale“). „Denn die Vernunft hat alle diese Gesetze aus sich […].“ 10 Da die Menschen diese von Natur geltenden, vernünftigen Gebote jedoch vernachlässigt und abgeschafft haben, weil sie ihren fleischlichen Begierden gefolgt sind – gemeint ist der Sündenfall –, mußte das natürliche Gesetz durch die Gesetzestafeln ausdrücklich erneuert werden. Die Vorstellung, daß das explizit geschriebene Gesetz dem Menschen gegeben werden mußte, weil das natürliche Gesetz durch die Ursünde in den Herzen der Menschen verschüttet war und folglich der Reparatur bedurfte, entspricht der gängigen Meinung seit dem 12. Jahrhundert11. Cusanus geht im Folgenden noch einen Schritt zurück und stellt sich damit dem Problem, wie Abraham vor der Bekanntgabe der Zehn Gebote von diesen Geboten Kenntnis erhalten haben könnte: „Dem Abraham ist gesagt worden, er solle vor Gott wandeln und vollkommen sein [Genesis 17, 1]. Und in diesen wenigen Worten sind alle Naturgesetze eingefaltet. Denn vor Gott zu wandeln und darin vollkommen zu sein, enthält alles. Wer nämlich vor Gott wandelt und vollkommen ist, wird von der Vernunft geführt und weicht nicht von ihr ab. Ein solcher weiß, daß an den einen Gott, der sich als allmächtig bezeichnet hat, zu glauben ist und daß er zu verehren ist, und daß man dem anderen nicht antun darf, was man an sich selbst nicht geschehen lassen will. Diese Gebote, die Sache des Naturgesetzes waren, oblagen Abraham und seinen Nachkommen aus dem Bund heraus.“ 12

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Cf. Mandrella, Viva imago (nt. 1), 93–128. Cf. Decretum Magistri Gratiani, I, 1, prol., ed. E. L. Richter, Leipzig 1879 (Nachdruck Graz 1955), 2. Nicolaus Cusanus, Sermo CLXXXIX, n. 16 (h XVIII), 366. Cf. e. g. Wilhelm von Champeaux, Dialogus inter Christianum et Judaeum de fide catholica, Patrologia Latina 163, Paris 1854, 1051 A; Sententie Anselmi, ed. F. Bliemetzrieder, in: id., Anselms von Laon systematische Sentenzen (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters 18), Münster 1919, 47–153, hier: 94. Nicolaus Cusanus, Sermo CLXXXIX, n. 16 (h XVIII), 366: „Abrahae dictum fuit, ut coram Deo ambularet et esset perfectus. Et in his paucis verbis complicantur leges naturae. Ambulare enim coram Deo et in hoc esse perfectum omnia continet. Qui enim coram Deo ambulat et est perfectus, movetur ratione et non declinat ab illa. Hic scit Deum unum, qui se omnipotentem asseruit, credendum et colendum, et alteri non esse faciendum quod sibi fieri nollet. Ista ex pacto incumbebant Abrahae et semini eius, quae erant legis naturae.“

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Worauf Cusanus hier anspielt, wenn er die Gebote des Naturgesetzes beschreibt, ist die klassische Aufteilung des Dekalogs in die erste und zweite Tafel. Während die erste Tafel die ersten zwei bzw. drei Gebote enthält, die sich allein auf Gott beziehen (Fremdgötterverbot, Bilderverbot, Namensmißbrauchverbot), umfaßt die zweite Tafel die weiteren Gebote, die das Verhältnis zum Nächsten regeln13. Cusanus faßt sie in die Goldene Regel zusammen, als diejenige Maxime, die in universaler Weise das Zusammenleben der Menschen untereinander regelt14. Die Begründung, warum auch Abraham das natürliche Gesetz befolgen konnte, ist dabei eine vernunftrechtliche, denn ‚vor Gott wandeln und vollkommen sein‘ kann für das Vernunftwesen Mensch nur gleichbedeutend sein mit ‚sich von der Vernunft führen lassen und nicht von ihr abweichen‘. Nach Abraham und Moses bricht mit Jesus Christus die im Neuen Testament überlieferte dritte Heilsperiode an, in der das Bündnis zwischen Gott und Mensch bestätigt wird – allerdings diesmal in geistiger Weise, insofern durch Christus „die geistige Vernunft (intelligentia spiritualis) geöffnet worden ist. […] Denn Gott wollte, daß alle nicht niedergeschriebenen und auf den Gesetzestafeln erneuerten Verträge der Natur in einer geistigen Vernunft aufgenommen würden.“15 Damit bringt Cusanus zweierlei zum Ausdruck: Zum einen, daß die Promulgation, d. h. die Bekanntgabe der konkreten Gebote, wie sie durch Moses auf den Gesetzestafeln niedergeschrieben worden waren, um nicht wieder vergessen zu werden, mit der Menschwerdung Jesu Christi endgültig überflüssig geworden ist. Zum zweiten und damit zusammenhängend geht es Cusanus um eine Art Internalisierung des naturgesetzlichen Anspruchs, über alle Verschriftlichung und Fixierung hinaus. Die Verpflichtung, die für den Menschen aus seiner Vernunftnatur resultiert, besteht in mehr als nur in der Befolgung des geoffenbarten Gesetzes. Mit einer solchen Erweiterung des vernunftrechtlichen Anspruchs hin zu einer intelligentia spiritualis eröffnet Cusanus den Horizont einer Selbstgestaltung des vernünftigen Menschen, der sich nicht mehr ausschließlich an vorgegebenen Strukturen in Form konkreter Gebote zu orientieren braucht. Dies sei mit Blick auf eine weitere einschlägige Textstelle erhärtet. Während Cusanus in Sermo CLXXXIX nach dem Status moralischen Wissens zur Zeit des Abraham und Moses zurückfragte, verlegt er diese Frage in Sermo CCLXXII vom März 1457 an den Anfang der Menschheit: „War Adam etwa 13

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Cf. e. g. Summa Halensis [Alexander von Hales, Summa theologica], I, 1, 1, 6, 3, 2, 2, 1, 3, ed. B. Klumper, tom. I, Quaracchi 1924, 383; Bonaventura, Commentaria in quatuor libros Sententiarum, I, 47, 1, 4, ed. Collegium a S. Bonaventura, tom. I, Quaracchi 1882, 846. Zur wichtigen Funktion der goldenen Regel im cusanischen Denken cf. Mandrella, Viva imago (nt. 1), 129–148; H. G. Senger, Gerechtigkeit und Gleichheit in der Cusanischen Ethik und Wertlehre, in: id., Ludus sapientiae. Studien zum Werk und zur Wirkungsgeschichte des Nikolaus von Kues (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 78), Leiden–Boston–Köln 2002, 141–161. Nicolaus Cusanus, Sermo CLXXXIX, n. 17 (h XVIII), 366: „[…] sed per eum [sc. Christum] aperta est intelligentia spiritualis. […] quia Deus omnia pacta naturae non scripta et renovata in tabulis in spirituali intelligentia recipi voluit.“

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nicht auf den Weg der wahren Gerechtigkeit gestellt?“ 16 Cusanus bejaht die Frage mit der Begründung, daß Adam in seiner Erschaffung den rationalen Geist erlangt hat, in dem er das natürliche Gesetz, nämlich den Weg der Gerechtigkeit gefunden hat. Zur Erläuterung heißt es: „Dieses Gesetz besteht darin, daß der erkannte Gott verehrt werde. Jenes Gesetz zeigt auch, daß die guten Sitten sich von den bösen unterscheiden und die guten zu wählen sind, d.h. dem anderen nicht das anzutun, was man selbst nicht erleiden will. Es ist zudem leicht begreifbar; wer es einmal eingesehen hat, weiß, daß er es denen, mit denen er zusammenlebt, kundzutun hat.“ 17

Wie in Sermo CLXXXIX besteht die lex naturae laut Cusanus einerseits in der Verehrung Gottes und andererseits in der Goldenen Regel, die diesmal durch ein Prinzip ergänzt wird, das Thomas von Aquin als das primum principium practicum, als das oberste Prinzip der praktischen Vernunft bezeichnet hat: Das auf der Differenz von ‚gut‘ und ‚böse‘ basierende Gebot, das Gute zu tun und das Böse zu unterlassen (bonum est faciendum, malum vitandum)18. Cusanus fährt sodann fort: „Und dieses Gesetz der rationalen Natur ist der Weg der Gerechtigkeit und so das Wort Gottes bzw. Christus, der sagte, daß er der Weg sei. Er selbst ist nämlich der Weg des Friedens und der Gerechtigkeit. Dem rationalen Geist ist dieses Gesetz daher eingeschrieben und es ist ein Bild des Wortes Gottes, so wie ein auf die Tafel geschriebenes Gesetz den Begriff oder das Wort des Gesetzgebers nachahmt.“ 19

Zunächst fällt auf, daß Cusanus hier das natürliche Vernunftgesetz als Weg bezeichnet, und es diesmal explizit mit Christus, der sich selbst als Weg bezeichnet hat, identifiziert. Wie dies zu denken ist, erläutert der folgende Satz, den Cusanus mit der traditionellen Vorstellung beginnt, daß die lex naturalis dem rationalen Geist des Menschen eingeschrieben ist 20, um dann zu seiner originellen Deutung zu gelangen: Das natürliche Gesetz ist ein Bild des Wortes Gottes (imago verbi Dei ). So wie ein geschriebenes Gesetz den Begriffsgehalt (conceptus) oder das Wort (verbum) des Gesetzgebers repräsentiert, also deren Abbild ist und diesen conceptus bzw. dieses 16 17

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Nicolaus Cusanus, Sermo CCLXXII, n. 22, ed. M.-A. Aris e. a. (h XIX), Hamburg 1996–2008, 506. Ibid.: „Nam eo ipso, quod creatus fuit et adeptus rationalem spiritum, in ipso spiritu naturalem legem scilicet viam iustitiae repperit, quae lex est, ut Deus agnitus veneraretur. Ostendit etiam lex illa mores bonos differre a malis et bonos eligendos, scilicet alteri non facere, quod ipse non vult pati, et est docilis, eo quod intellecta familiaribus suis scit esse revelanda.“ Cf. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I–II, 94, 2 (Ed. Leonina 7), Rom 1892, 170. Cf. dazu auch Nicolaus Cusanus, Sermo CCLXXIII, n. 29 (h XIX), 520, wo Cusanus von der „lex naturae lucida illuminans oculos“ spricht, die als Licht dem Wort Gottes entspricht, das befähigt „ut scias discernere bonum a malo, iustum ab iniusto, verum a falso“. Nicolaus Cusanus, Sermo CCLXXII, n. 22 (h XIX), 506: „Et haec lex naturae rationalis est via iustitiae et ita verbum Dei seu Christus qui ait se esse viam; ipse enim est via pacis et iustitiae. Unde in rationali spiritu haec lex scripta est et est imago verbi Dei, sicut lex scripta in tabula imitatur conceptum seu verbum legislatoris.“ Cf. hierzu auch Nicolaus Cusanus, Sermo CCLXXIII, n. 9 (h XIX), 514: „legem naturae ei ut rationali spiritui insignitam“.

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verbum nachahmt (imitatur), so repräsentiert das in den menschlichen Geist geschriebene natürliche Gesetz das Wort Gottes, ist dessen Abbild und ahmt es nach. Wie an vielen anderen Stellen auch ist es hier die Metapher des Wortes, das zum einen als das normale gesprochene Wort (in unserem Beispiel: eines Gesetzgebers), zum anderen als das besondere Wort Gottes, nämlich als Christus, interpretiert werden kann, das den Hintergrund für das richtige Verständnis dieser Textpassage bietet 21. Was aber meint Cusanus, wenn er in Sermo CCLXXII die lex naturae als Abbild des göttlichen Wortes = Christi im Geist definiert? Will man diese Aussage im Sinne einer durch Glauben vermittelten dogmatischen Christologie lesen, steht man vor dem massiven Problem, wie eine solche Interpretation mit dem natürlichvernunftrechtlichen Anspruch kohärent sein kann, den Cusanus in Bezug auf das Naturgesetz unzweifelhaft vertritt. Denn eine solche Deutung hätte zur Folge, daß ein Mensch nur vermittelt über den Glauben an Christus über das Naturgesetz in Kenntnis gesetzt werden könnte. Die Nennung Christi an dieser Stelle verdankt sich jedoch auch nicht einfach dem Kontext der Predigt, sprich der Darstellung der heilsgeschichtlichen Abfolge des alten und neuen Bundes. Mir scheint vielmehr, daß es Cusanus um eben jenen Aspekt der Internalisierung und um die daraus folgende Dynamik und Selbständigkeit der menschlichen Vernunft geht, die schon für Sermo CLXXXIX mit dem Hinweis auf die intelligentia spiritualis herausgearbeitet worden waren. Die Menschwerdung Gottes in der menschlichen Natur erlaubt folglich eine geistige Internalisierung des naturgesetzlichen Anspruchs jenseits der schriftlichen Fixierung. Denn in der Abbildhaftigkeit des menschlichen Geistes von seinem göttlichen Urbild, die sich in diesem Fall daraus ergibt, daß Gott sein Wort abbildhaft in Form des Vernunftgesetzes in den menschlichen Geist gelegt hat, liegt für Cusanus das ganze Potential des Menschen begründet. Die Vorstellung eines internalisierten Gesetzes, das keiner schriftlich fixierten Gebote mehr bedarf, da es in der Lage ist, von sich aus dynamisch und kreativ seine eigenen Urteile zu fällen, entspricht damit genau jener Konzeption eines lebendigen Gesetzes in ‚De mente‘, das die zu fällenden Urteile in sich liest. III. Wie läßt sich die cusanische Interpretation des Naturgesetzes als eines lebendigen Gesetzes interpretieren? Wie läßt sie sich in die Naturgesetzethik seiner Zeit einordnen? Was die unmittelbaren Zusammenhänge zum Denken seiner Vorgänger oder Zeitgenossen betrifft, so ist es auch hier extrem schwierig, zuverläs21

Gleiches gilt für den Begriff des conceptus, den Cusanus ebenfalls in dieser Doppeldeutigkeit benutzt, etwa wenn er in Sermo CCLI Gott beim Prozeß der Schöpfung mit einem Maler vergleicht, der sich zunächst im Geist Vorstellungen macht, nach denen er dann sein Gemälde, nämlich die Schöpfung, in Angriff nimmt. Bei der Erschaffung des menschlichen Geistes greift Gott dabei auf einen ganz besonderen idealen conceptus zurück: seinen Sohn selbst. Cf. Nicolaus Cusanus, Sermo CCLI, n. 9sq. (h XIX), 324sq., und hierzu I. Mandrella, Gott als Porträtmaler in Sermo CCLI, in: Bocken/Schwaetzer (eds.), Spiegel und Porträt (nt. 1), 133–145.

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sige Aussagen zu treffen. Aber es zeigt sich, daß die cusanische Position trotz ihrer christologischen Implikationen, die sich bei genauerem Hinsehen ja metaphysisch auflösen lassen (womit nicht gesagt werden soll, daß Christus für den gläubigen Christen Cusanus darüber hinaus nicht auch die Rolle des Vorbildes und Meisters einnimmt, dem es zu folgen gilt 22), nicht so isoliert ist, wie es zunächst den Anschein hat. Vergleicht man die cusanischen Probleme mit denjenigen der zeitgenössischen Naturgesetztheoretiker, die das 14. und 15. Jahrhundert hervorgebracht hat, so zeigt sich eine gewisse Übereinstimmung: Fraglos wird das Wissen um das Gute und Böse in die Vernunftnatur des Menschen verlegt. In Abhebung der voluntaristischen Antwortversuche wird auch deutlich, daß die Letztbegründung für dieses Wissen nicht im göttlichen Willen zu suchen ist, sondern in der Vernunfthaftigkeit des Guten23. Problematisch ist und bleibt freilich, wie die Verpflichtung begründet werden kann, das als gut und vernünftig Erkannte auch zu tun. Oder anders gewendet: Wo liegt der Verpflichtungsgrund, dem natürlichen Gesetz zu gehorchen, wenn der göttliche Wille in seiner gesetzgebenden Funktion dafür nicht mehr in Frage kommt 24? Auch Cusanus blendet diese Frage nicht aus, sondern stellt sich ihr. Durchaus vertraut ist ihm die Begründung, daß sich eine solche Verpflichtung aus der Natur der Sache ergibt, nämlich aus der Vernunftnatur selbst. Dahinter steht die Vorstellung, daß die Schöpfung Ausdruck der freien Willensentscheidung Gottes ist, der alle Naturen so geschaffen hat, wie er wollte 25. In der Schöpfung hat Gott

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Cf. zu den Zusammenhängen einer doppelt zu deutenden Christologie I. Mandrella, Natura intellectualis imitatur artem divinam – Die Angleichung des Menschen an Christus als ars Dei, in: A. Moritz (ed.), Ars imitatur naturam. Transformationen eines Paradigmas menschlicher Kreativität im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, Münster 2010, 187–202, bes. 199–202. Damit geht eine gewisse Loslösung des Naturbegriffs vom Gottesbegriff einher, die mit den ersten „etiamsi Deus non daretur“-Argumenten ihren Anfang nimmt und in der vor allem in der spanischen Spätscholastik vorherrschenden Vorstellung endet, die moralische Qualität sei – unabhängig von einem göttlichen Willen – an der Natur der Sache (natura rei) ablesbar. Cf. I. Mandrella, Das Isaak-Opfer. Historisch-systematische Untersuchung zu Rationalität und Wandelbarkeit des Naturrechts in der mittelalterlichen Lehre vom natürlichen Gesetz (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters N.F. 62), Münster 2002, bes. 177–254; R. Specht, Materialien zum Naturrechtsbegriff der Scholastik, in: Archiv für Begriffsgeschichte 21 (1977), 86–113. Bereits Gregor von Rimini beschäftigte sich in direkter Auseinandersetzung mit Ockhams scheinbarem Moralpositivismus mit eben dieser Frage, indem er in Bezug auf das Naturgesetz eine lex indicativa von einer lex imperativa unterschied. Cf. Gregor von Rimini (1300–1358): Moralisches Handeln und rechte Vernunft. Lectura super secundum Sententiarum, distinctiones 34–37. Lateinisch – deutsch, übersetzt und eingeleitet von Isabelle Mandrella (Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters 22), Freiburg 2010, bes. 28–35. Der Streit um die Verpflichtung des Naturgesetzes beherrschte auch die spanische Spätscholastik. Cf. R. Specht, Zur Kontroverse von Suárez und Vásquez über den Grund der Verbindlichkeit des Naturrechts, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 45 (1959), 235–255. Nicolaus Cusanus, De beryllo, n. 51, ed. H. G. Senger/K. Bormann (h 2XI/1), Hamburg 1988, 57sq.; Dialogus de ludo globi, I, n. 19, ed. H. G. Senger (h IX), Hamburg 1998, 22sq.

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jeder Natur ihre Wesenheit gegeben, nämlich das, was sie sein kann 26. Cusanus bezeichnet das Geschöpf deshalb als „Absicht des Schöpfers“ (intentio conditoris) 27. Darüber hinaus gilt, daß Gott die Welt auf gerechteste Weise geschaffen hat, d. h. jeder Natur – im Anschluß an die klassische Definition der Gerechtigkeit als distribuens unicuique, quod suum est – das zugeteilt hat, was ihr zusteht und was sie für eine gute Existenz benötigt 28. Damit gilt: „Die Gerechtigkeit ist nämlich die Natur selbst. Eine Tätigkeit gemäß der Natur ist eine gerechte Tätigkeit.“ 29 Die Tatsache, daß die Natur des Menschen keinesfalls beliebig ist, hat für Cusanus auch moralisch betrachtet Konsequenzen. Denn wenn alles, was der Mensch besitzt, ihm auf gerechte Weise zukommt, so gilt, daß er die göttliche Gabe der Vernunftfähigkeit, die er gerechter Weise besitzt, nicht mißbrauchen darf – andernfalls handelt es sich um etwas Ungerechtes und Schlechtes30. Insofern repräsentiert die Sünde ein Handeln gegen die Vernunft und damit gegen die Natur 31, während das Gewissen als eine Zurechtweisung durch die eigene Natur interpretiert wird 32. Doch haben diese natürlichen Vorgaben trotz ihres starken normativen Klangs33 nach cusanischem Verständnis keinen unmittelbaren präskriptiven Einfluß auf das menschliche Handeln. Sie repräsentieren deshalb auch nicht die vorrangige Erklärung, die Cusanus in der Frage nach dem Verpflichtungscharakter des natürlichen Gesetzes gibt. Cusanus setzt hier vielmehr auf die Freiheit des Menschen, die es ihm ermöglicht, sich zu seiner Natur nach seinem Willen zu verhalten. Der Rekurs auf das natürliche Wissen um das Gute und Schlechte gehört für Cusanus zur natürlichen Grundausstattung des Menschen, die sich – so der metaphysische Hintergrund – der Erschaffung durch den göttlichen Schöpfer verdankt, der alles sinnvoll vollendet hat, so daß jede Kreatur Gott durch ihr Dasein lobt 34. Doch genügt der Rekurs auf dieses natürliche Wissen allein nicht. Vielmehr ist für die Preiswürdigkeit des Menschen entscheidend, daß er sich aus freiem Willen auf das von Natur aus als preiswürdig Erkannte richtet, „auf daß er wie von Natur so auch durch seine freie Wahl selbst preiswürdig sei“ 35. 26

27 28 29 30 31 32 33

34 35

Nicolaus Cusanus, De visione Dei, 9, n. 34, ed. H. D. Riemann (h VI), Hamburg 2000, 32sq.; De venatione sapientiae, 3, n. 7sq., ed. R. Klibansky/H. G. Senger (h XII), Hamburg 1982, 9–11; ibid., 7, n. 16–18, 17–20. Nicolaus Cusanus, De beryllo, n. 51 (h 2XI/1), 57sq.; cf. auch ibid., n. 54, 61sq. Nicolaus Cusanus, De venatione sapientiae, 20, n. 57 (h XII), 54sq.; Sermo CCXLVIII, n. 6sq. (h XIX), 300. Nicolaus Cusanus, Sermo CXXXVIII, n. 5 (h XVIII), 87. Ibid., 86; Nicolaus Cusanus, Sermo CCXLVIII, n. 4 (h XIX), 299. Nicolaus Cusanus, Sermo CXXXVIII, n. 6 (h XVIII), 87; Sermo CLXXII, n. 5 (h XVIII), 251sq. Nicolaus Cusanus, De venatione sapientiae, 19, n. 54 (h XII), 51sq. Cf. e. g. Nicolaus Cusanus, Sermo CXCV B, n. 4 (h XVIII), 406: „Sicut vestimentum factum est, ut induatur, non ut comburatur, et vinum ut bibatur, non ut effundatur. Si igitur vestis comburitur et vinum effunditur, non est iustum.“ Nicolaus Cusanus, De venatione sapientiae, 19, n. 54 (h XII), 51sq.; ibid., 20, n. 57, 54sq. Ibid., n. 58, 55: „Scit etiam homo, quod ipsum oporteat liberum arbitrium suum per laudabilia determinare, ut sit ex electione sicut a natura laudabilis.“ Cf. Mandrella, Viva imago (nt. 1), bes. 187–193.

Die Konzeption des lebendigen Gesetzes (lex viva) bei Nicolaus Cusanus

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Im naturgesetzlichen Kontext trägt Cusanus diesen Zusammenhängen Rechnung, indem er dem lebendigen Gesetz den lebendigen Gehorsam (viva oboedientia) an die Seite stellt. Mittels dieses Begriffs macht Cusanus deutlich, wie der in seiner Freiheit gottähnliche36, unbegrenzte menschliche Geist aus freien Stücken der Einsicht in das Gute folgt. Die Ausführungen finden sich in Sermo CCLXXIX vom April 1457. Die Predigt thematisiert die Vorstellung, daß Christus Himmel, Welt und Unterwelt visitieren wird, um sein Urteil über die vorgefundenen Verhältnisse fällen zu können. In diesem Zusammenhang widmet sich Cusanus der Frage, was passiert, wenn das Wort Gottes die vernunftbegabte Kreatur visitiert. Zunächst klärt er die Voraussetzungen: Selbstverständlich führt das göttliche Wort auch in diesem Fall seine Visitation stets unter Berücksichtigung desjenigen Gesetzes aus, das es der rationalen Kreatur eingegeben hat. Eine Visitation der rationalen Kreatur wird sich also an der Frage orientieren, ob diese Kreatur gemäß ihrem vernünftigen Sein gelebt hat. Cusanus erläutert dies mit folgenden Worten: „Gott hat der rationalen Kreatur ein lebendiges Gesetz eingedrückt, das ein Gesetz in lebendigem Gehorsam ist. Denn der rationale Geist ist frei und edel gemäß der Freiheit der göttlichen Vernunft geschaffen. Damit er deshalb in der Freiheit nicht auf Abwege gerät, ist ihm das Gesetz des lebendigen Gehorsams gegeben worden, durch das er vor Irrtum bewahrt wird und in der Würde wächst. Es ist nämlich Sache der Vernunft, daß er dem Wort Gottes gehorche und an denjenigen glaube, von dem er das hat, was er ist.“37

Erneut zeigt sich: Der Geist ist lebendiges Gesetz in dem in ‚De mente‘ zuerst beschriebenen Sinne, insofern er sich das im Gesetz Gebotene in zustimmendem Gehorsam, also in bewußter und freier Entscheidung aneignet. Denn, wie Cusanus weiter ausführt, ein aus Furcht erzwungener Gehorsam ist weder lebendig noch frei, sondern zwanghaft und versklavend 38 – und widerspricht damit der Natur der freien und intellektuellen Kreatur Mensch. IV. Mit der Metapher des Lebendigseins hat Cusanus einen treffenden Ausdruck gefunden, die besondere Würde des menschlichen Geistes zwischen Vorgabe und Freiheit zum Ausdruck zu bringen. Das Vernunftrecht ist ein lebendiges Gesetz – 36

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Cf. Nicolaus Cusanus, Sermo CLXVIII, n. 8 (h XVIII), 222: „Creavit autem Deus naturam magis suae bonitatis participem, scilicet intellectualem, quae in hoc, quod habet liberum arbitrium, est creatori similior et est quasi alius deus.“ Cf. I. Mandrella, Das Subjekt bei Nicolaus Cusanus: Freie und intellektuelle Natur, in: H. Schwaetzer/M.-A. Vannier (eds.), Zum Subjektbegriff bei Meister Eckhart und Nikolaus von Kues (Texte und Studien zur europäischen Geistesgeschichte B 2), Münster 2011, 77–88. Nicolaus Cusanus, Sermo CCLXXIX, n. 5 (h XIX), 581: „Vivam enim legem ei impressit, quae est lex in viva oboedientia. Nam rationalis spiritus liber est et nobilis secundum libertatem divinae rationis creatus. Unde ne deviet in libertate, lex vivae oboedientiae ei data est, per quam conservatur ab errore et crescit in nobilitatem. Rationis enim est, ut oboediat verbo Dei et ei credat a quo habet id quod est.“ Cf. ibid., n. 6, 581.

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ein Gesetz, das nicht automatisch oder blind befolgt wird, sondern das die zu fällenden Urteile in sich selbst liest, d. h. sich selbst in Freiheit zum Gesetz macht39. Der in diesem Sinne tätige Mensch befolgt die natürlich erkannten Vorstellungen von ‚gut‘ und ‚böse‘, die als Abbild der ewigen Weisheit immer in ihm vorhanden sind, in freiem Gehorsam, nicht weil er muß. In diesem Moment der kreativ-gottähnlichen Tätigkeit freien Urteilens, d. h. auf dem Höhepunkt der vollkommenen Realisierung seiner Abbildhaftigkeit, bedarf der Mensch keiner schriftlichen Fixierung der Moralgebote mehr. Cusanus trägt diesem Gedanken Rechnung, indem er ihn christologisch auslegt. Alles, was Gott dem Menschen mitteilen wollte, legte er in sein Wort, den Gottessohn, die zweite Person der Trinität. Mit der Menschwerdung Gottes in Christus hat die Promulgation des göttlichen Vernunftgesetzes demnach ihren Abschluß und ihre Vollendung gefunden, insofern durch Christus der Zugang zu diesem Gesetz mittels einer intelligentia spiritualis eröffnet worden ist. Dieser Befund wird durch die auffällige Tatsache untermauert, daß Cusanus auf die Formulierung konkreter Normen weitestgehend verzichtet. Der Bezug auf Christus, der als Spiegelbild des Vaters als das exemplarische Urbild für den geistfähigen Menschen fungiert, versammelt alle Ansprüche in sich, deren sich der Mensch in Erkenntnis seines wahren Selbst, nämlich als mit bestimmten Potentialen ausgestattetes Abbild des absoluten Ursprungs, bewußt zu werden hat. Insofern vermag der Verweis auf Christus als das Wort des göttlichen Gesetzgebers und als die göttliche Selbstoffenbarung alle konkreten Weisungen an den Menschen zu ersetzen. An den näheren Ausformulierungen eines natürlichen Vernunftgesetzes und damit an der spezifischen Ausarbeitung der praktischen Vernunft ist Cusanus nicht interessiert. Entscheidend ist für ihn die Evidenz eines solchen Gesetzes, die jeder Mensch in sich selbst erfährt. Die Reflexion auf diese Erfahrung verweist den Menschen auf eine Quelle, deren Urheber er selbst nicht sein kann, und eröffnet – ermöglicht durch die Bewußtwerdung des eigenen imago-Seins – den Blick auf das absolute Urbild bzw. die ewige Weisheit, die alle Wert- und Tugendvorstellungen exemplarisch in sich vereinigt. Sich diesem Urbild anzunähern, impliziert eben nicht die Erfüllung idealtypischer Vorgaben, sondern die jeweils individuell realisierte Vervollkommnung der gottähnlichen Tätigkeiten ‚intellektuell und frei sein‘ – eine unendlich steigerbare Aufgabe, die den Menschen, wie die Metapher des lebendigen Gesetzes zeigt, in seinem Denken und Handeln betrifft.

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Mit Blick auf die mittelalterliche Naturgesetztradition sei eindringlich darauf hingewiesen, daß Cusanus sich in diesem Punkt keineswegs signifikant von seinen mittelalterlichen Vorgängern abhebt, die das Naturgesetz im Sinne eines Vernunftrechtes auslegten und deren Pointe genau darin bestand, die Selbständigkeit der praktischen Vernunft zu verdeutlichen – weit entfernt von den Verengungen, die das Naturrecht in der frühen Neuzeit und Moderne erfahren mußte. Cf. e. g. zu Thomas von Aquin den Beitrag von A. Speer in diesem Band.

X. Vergegenwärtigungen des Gesetzes

Gott ,vor dem Gesetz‘ Göttliches und menschliches Recht im ,Evangelium Nicodemi‘ Heinrichs von Hesler H M (Freiburg i.Br.) I. Problemstellung und Vorklär ung en Der Prozeß gegen Jesus kann als einer der berühmtesten Rechtsfälle überhaupt gelten. Gott wird hier als Gottmensch vor ein menschliches Gericht gestellt, er befindet sich – metaphorisch gesprochen – ,vor dem Gesetz‘. Das Urteil, das auf den ersten Blick wie eine rein menschliche Fehlentscheidung wirkt, ist ein integraler Bestandteil der Heilsgeschichte und kann so Fragen nach dem Verhältnis von ,Gott‘ und ,Recht‘ aufwerfen. In besonderer Weise zugespitzt ist dieses Verhältnis in der deutschsprachigen Versdichtung ,Evangelium Nicodemi‘ Heinrichs von Hesler1, die (nach neueren Erkenntnissen zu den frühesten Überlieferungszeugen) vor dem Ende des 13. Jahrhunderts abgefaßt worden sein muß 2. In die1

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Im Text selbst ist kein Autorname genannt, eine Identität mit dem Verfasser der ,Apokalypse‘ und der ,Erlösung‘ gilt aber als gesichert. Cf. A. Masser, Heinrich von Hesler, in: B. Wachinger et al. (eds.), Die deutsche Literatur des Mittelalters: Verfasserlexikon, vol. 3, Berlin–New York 1981, 749–755; W. J. Hoffmann, The Gospel of Nicodemus in High German Literature of the Middle Ages, in: Z. Izydorczyk (ed.), The Medieval Gospel of Nicodemus. Texts, Intertexts and Contexts in Western Europe (Medieval & Renaissance Texts & Studies 158), Tempe, AZ, 1997, 287–335, hier 296. Die ältesten Überlieferungszeugen sind Fragmente (München, BSB, Cgm 5249/55b), die Schneider für „paläographisch als kaum später als ins 4.V./ Ende 13. Jhs. datierbar“ hält (K. Schneider, Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Die mittelalterlichen Fragmente Cgm 5249–5250 [Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis 5,8], Wiesbaden 2005, 99; zuerst: ead., Die Fragmente mittelalterlicher deutscher Versdichtung der Bayerischen Staatsbibliothek München [Cgm 5249/1–79] [Zeitschrift für deutsches Altertum Beiheft 1], Stuttgart 1996, 88). Daß die Schaffenszeit Heinrichs von Hesler noch im 13. Jahrhundert liegt, ist auch deshalb plausibel, weil der früheste Überlieferungszeuge für die ,Apokalypse‘ (Colmar, Archives Départementales du Haut-Rhin, Fragments de Ms. no. 332 [früher Sennheim, Stadtarchiv, G. G. 1537]) wohl noch in die 60er Jahre des 13. Jahrhunderts zu datieren ist. Cf. den Eintrag im Handschriftencensus (http://www.handschriftencensus.de/ 13768, 20.10. 2012). Zu den Konsequenzen dieser Datierung cf. V. Honemann, Die Apokalypse des Heinrich von Hesler, in: Heinrich von Hesler. Die Apokalypse. . Mikrofiche-Edition der Handschriften Torún, Biblioteka Uniwersytetu Mikolaja Kopernika, ms. Rps. 64 und ms. Rps. 44. Einführung zum Werk und Beschreibung der Handschriften (Codices illuminati medii aevi 27), München 2000, 7–29; 47–57, wieder abgedruckt in: id., Literaturlandschaften. Schriften zur deutschsprachigen Literatur im Osten des Reiches, edd. R. Suntrup et al. (Medieval to Early Modern Culture 11), Frankfurt a. M. 2008, 47–84, bes. 53; F. Ferrari, L’Apo/

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sem narrativen Text befindet sich Gott metaphorisch auch insofern ,vor dem Gesetz‘, als die Erlösung als rechtliche Pflicht hingestellt wird, der Gott nachkomme, weil er den Menschen schwach geschaffen habe und so für den Sündenfall mit verantwortlich sei. Daß die Erlösung der Menschheit nur durch ein menschliches Unrechtsurteil möglich wird, steht in einem Spannungsverhältnis dazu, daß die Notwendigkeit der Erlösung rechtlich begründet wird und Gottes Handeln als an bestimmte Rechtsprinzipien gebunden erscheint. Dieses systematische Problem wird – der Textsorte entsprechend – nicht explizit formuliert, aber es ist auffällig, daß immer wieder Rechtsfragen thematisiert werden, die um das Verhältnis zwischen ,göttlichem‘ und ,menschlichem Recht‘ kreisen3. Ziel der folgenden Überlegungen ist es zu ermitteln, welche Funktion die Konfrontation der beiden rechtlichen Sphären im ,Evangelium Nicodemi‘ Heinrichs von Hesler haben könnte. Zugleich versteht sich die Analyse als ein Beitrag zur ,literaturwissenschaftlichen Ideen- und Problemgeschichte‘ 4, weil gezeigt wird, wie in einem volkssprachigen Text mit narrativen Mitteln Fragen der Heilsgeschichte und der richtigen Lebensführung perspektiviert werden, die sich auch in theologischen und philosophischen Diskussionszusammenhängen finden. Der Untersuchung seien einige Klärungen vorausgeschickt. 1. Textgrundlage Bei einer Interpretation des Textes in seiner von K. Helm edierten Form5 muß man sich der Quellen- und Überlieferungssituation bewußt sein: Vorlage für den

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calisse di Heinrich von Hesler: parafrasi, interpretazione, divagazioni, in: R. E. Guglimetti (ed.), L’Apocalisse nel Medioevo. Atti del convegno internazionale dell’Università degli Studi di Milano e della Società Internazionale per lo Studio del Medioevo Latino (S.I.S.M.E.L) (Millenio medievale 90), Gargnano–Florenz 2011, 473–488, bes. 474sq. Die Kurzformeln ,göttliches‘ und ,menschliches Recht‘ werden hier und im folgenden verwendet, um anzuzeigen, auf welche Akteure die Rechtssphären jeweils bezogen sind, ohne daß damit etwa die Vorstellung eines göttlichen Ursprungs der Rechtsordnung auf Erden ausgeschlossen werden soll. Die Zwillingsformel ist übernommen aus: K. Ridder, Literaturwissenschaftliche Ideen- und Problemgeschichte. Der Sündenfall im höfischen Roman am Beginn des 13. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 140 (2011), 442–463, hier 444–447; 459–462. Ridder (mit weiterer Literatur) verweist auch auf die Gefahren dieser Ansätze, z. B. eine Enthistorisierung oder die Vernachlässigung der ästhetischen und gedanklichen Eigenständigkeit literarischer Texte. Mit der gebotenen methodischen Vorsicht scheint aber gerade die Problemgeschichte ein vielversprechender Weg zu sein, um Bezüge zwischen Text und ,Welt‘ zu fassen. Cf. D. Werle, Modelle einer literaturwissenschaftlichen Problemgeschichte, in: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 50 (2006), 478–498, hier 481: „Der Primärkontext für in Texten aufgefundene Ideen sind die ›realweltlichen‹ Probleme, auf die sie reagieren. So stellt das vorgeschlagene Modell einen vermittelnden Bezug zwischen Text und Welt her: Zwar sind Ideen weder direkt im Text noch Probleme direkt in der Welt situiert, aber es handelt sich um aufeinander bezogene gedankliche Einheiten, von denen die eine als hinter dem Text liegend (Idee), die andere als auf die Welt referierend (Problem) gedacht ist.“ Cf. Heinrich von Hesler, Das Evangelium Nicodemi, ed. K. Helm (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 224), Tübingen 1902 (http://commons.wikimedia.org/wiki/File:BLV_224_ Heinrich_von_Hesler_Das_Evangelium_Nicodemi.pdf, 20.10. 2012). Der Ausgabentext bildet die Zitiergrundlage.

Gott ,vor dem Gesetz‘

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Text Heinrichs von Hesler war aller Wahrscheinlichkeit nach die A-Fassung des lateinischen ,Evangelium Nicodemi‘, die häufig zusammen mit der ,Cura sanitatis Tiberii‘ überliefert ist6. Auch im ,Evangelium Nicodemi‘ des Heinrich von Hesler ist das Geschehen des lateinischen ,Evangelium Nicodemi‘ (Passionsgeschichte und Descensus) mit der Heilung des Tiberius bzw. der Pilatus-Veronika-Legende kombiniert7. Wie die ,Cura sanitatis Tiberii‘ zeigt der Pilatus-Veronika-Teil im ,Evangelium Nicodemi‘ Heinrichs von Hesler ein wesentlich negativeres Pilatusbild als der erste Teil des Erzählkomplexes8. Ohne die Unterschiede zwischen den Textteilen leugnen zu wollen, soll der Text hier als Einheit interpretiert und geprüft werden, ob nicht eventuelle Brüche interpretatorisch belastbar sind. Grundlegend für die Rechtsthematik ist der umfangreiche Prolog, in dem in einem (nicht weiter kontextualisierten) Lehrdialog der Sinn von Schöpfung und Sündenfall diskutiert wird (vv. 1–300), bevor es einem Autor-Ich um die Abfassung des Werks geht (vv. 301–368)9. Der Prolog ist nur in der Görlitzer Handschrift überliefert, die zu einer Handschriftengruppe (z1)10 mit einem offensicht6 7

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Cf. Hoffmann, Gospel of Nicodemus (nt. 1), 298. Zur Gliederung und Quellenverarbeitung cf. ibid., 297–299. Neben dem lateinischen ,Evangelium Nicodemi‘ hat Heinrich auf die kanonischen Evangelien zugegriffen. Seine Version der Pilatus-Veronika-Legende verbindet Elemente, die sich heute nur noch in verschiedenen Paralleltexten nachweisen lassen. Möglicherweise hat er auch in diesem Textabschnitt kompiliert. Zu den Quellen cf. grundlegend auch K. Helm, Untersuchungen über Heinrich Heslers Evangelium Nicodemi, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 24 (1899), 85–187, hier 117–135. „The Cura undermines the sympathetic, pro-Christian conception of Pilate that emerges from the EN“ (Z. Izydorczyk, The ,Evangelium Nicodemi‘ in the Latin Middle Ages, in: The Medieval Gospel of Nicodemus [nt. 1], 44–101, hier 58). Nach Mattig-Krampe folgt Heinrich von Hesler dem Pilatus-Konzept der ,Cura‘ nur bedingt: Pilatus sei auch im zweiten Teil relativ positiv gezeichnet, der Schwerpunkt liege auf der Bestrafung der Juden (cf. B. Mattig-Krampe, Das Pilatusbild in der deutschen Bibel- und Legendenepik des Mittelalters [Germanische Bibliothek 9], Heidelberg 2001, 151sq., 229sq.; zur gesamten Studie cf. die kritische Rezension von D. Kartschoke in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur [PBB] 126 [2004], 336–340). Zwar verschwindet Pilatus tatsächlich irgendwann aus der Handlung, aber vorher wird seine Mitschuld am Tod Jesu auf der Figurenebene so ausführlich diskutiert (vv. 4326–4357), daß diese Thematisierung nicht nur dem in der Vorlage vorgegebenen Handlungsverlauf geschuldet zu sein scheint, wie Mattig-Krampe meint. Hoffmann, Gospel of Nicodemus (nt. 1), 297, nennt den ersten Abschnitt „introduction to the Fall of Man“ und benennt nur den Abschnitt ab Vers 301 als „prologue“. Vv. 1–300 sind aber eine thematische Einführung und erfüllen so eine Prologfunktion. Davon geht auch Wiedmer aus, der vv. 1–300 des Prologs interpretiert, sich aber zur Abgrenzung nicht äußert (cf. P. E. Wiedmer, Sündenfall und Erlösung bei Heinrich von Hesler. Ein Beitrag zum Verständnis der deutschen Bibelepik des späten Mittelalters [Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur 53], Bern 1977, 25–64). Hoffmann zählt nicht nur die Anrufung des Heiligen Geistes (vv. 301–368), sondern auch die ,Quellenkritik‘ (vv. 369–392) zum Prolog. Zwar beginnt die Handlung erst mit v. 393, aber im Text ist der Einschnitt vor dem eigentlichen Werk durch v. 368 („In got wil ichs beginnen.“) markiert. Auch mehrere Handschriften bieten den Text ab v. 369 (cf. Helm, Evangelium Nicodemi [nt. 5], I–XIX). Zur Gruppierung der Handschriften cf. Helm, Untersuchungen (nt. 7), 103–117; id., Evangelium Nicodemi (nt. 5), XIX–XXVI. Die von Masser auf der Grundlage von weiteren Fragmentfunden

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lich bearbeiteten Text gehört, in der die für rechtliche Aspekte ebenfalls relevanten Exkurse zur Auslegung von Jesu letzten Worten am Kreuz (vv. 1929– 2178) und – am Ende des Werks – zum Umgang mit ,den Juden‘ 11 (vv. 4714– 5392) stark gekürzt sind12. In der Schweriner Handschrift, die die Grundlage für Helms Text bildet13, war der Prolog vermutlich nie enthalten14. Da die im Prolog aufgeworfenen heilsgeschichtlichen Fragen im weiteren Text immer wieder angesprochen werden15, war der Prolog höchstwahrscheinlich Teil der ursprünglichen Konzeption16. Insofern scheint es gerechtfertigt, mit Helms Komposit-Text zu arbeiten.

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geforderte Überprüfung des Stemmas für die Gruppe z steht noch aus (cf. A. Masser, Eine unbekannte Handschrift vom Evangelium Nicodemi Heinrichs von Hesler, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 91 [1972], 321–336, hier 327). Das ,Evangelium Nicodemi‘ zeigt stark judenfeindliche Züge, wobei allerdings die dort zum Ausdruck kommende Haltung als orthodox und im zeitgenössischen Vergleich sogar noch als gemäßigt gelten kann (cf. Wiedmer, Sündenfall [nt. 9], 11–18; U. Schulze, wan ir unhail … daz ist iwer hail. Predigten zur Judenfrage vom 12. bis 16. Jahrhundert, in: ead. [ed.], Juden in der deutschen Literatur des Mittelalters. Religiöse Konzepte – Feindbilder – Rechtfertigungen, Tübingen 2002, 109–133, hier 122). Eine Form der Abwertung ist die Kollektivierung, die man beim Sprechen über den Text auflösen müßte zu „die im Text als ,die Juden‘ bezeichnete Gruppe“. Eine solche Distanz zum Text sollen in kürzerer Form hier und im folgenden die gnomischen Häkchen anzeigen. Görlitz, Bibl. der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften, Cod. A III.1.10 (Beilage) [verschollen] = Hs. G. Cf. Helm, Untersuchungen (nt. 7), 103–109; 117sq.; 134. Nach Helm, Evangelium Nicodemi (nt. 5), IX, ist deren Schreibsprache bairisch nach alemannischer Vorlage; darauf beruht auch die Angabe im Handschriftencensus (http://www.handschriftencensus.de/ 2484, 20.10. 2012). Einen „getreuen Abdruck“ (142) des ,Evangelium Nicodemi‘ liefert Piper in: Die geistliche Dichtung des Mittelalters, Teil 2: Die Legenden und die Deutschordensdichtung, bearbeitet von Prof. Dr. P. Piper (Deutsche National-Litteratur), Berlin–Stuttgart 1888 [Neudruck Zürich 1986], 141–285. Dem Auslegungsexkurs entsprechen dort vv. 1929–1972; eine Korrespondenz zwischen der Görlitzer Handschrift und dem Ausgabentext besteht nur bis zu dem Abschnitt, der mit v. 4908 (G) bzw. 5264 (Helm) beginnt. Cf. Hoffmann, Gospel of Nicodemus (nt. 1), 302. Helm, Evangelium Nicodemi (nt. 5), XXIV– XXVI, drückt sich nicht so klar aus, sondern betont angesichts der von ihm konstatierten „flüchtigkeit und nachlässigkeit“ der mittelalterlichen Schreiber die Freiheit des Editors gegenüber der „autorität der hss.“. Aus pragmatischen Gründen wird die Ausgabe Helms zugrunde gelegt trotz der Mängel, die sie nach heutigen editorischen Maßstäben aufweist. Schwerin, Landesbibl., ohne Sign. (1). Cf. Helm, Untersuchungen (nt. 7), 86. Weitere Handschriften sind nur fragmentarisch erhalten, oder das ,Evangelium Nicodemi‘ ist Teil von Kompilationen, so daß man den Befund dort ohnehin anders gewichten muß (cf. Helm, Evangelium Nicodemi [nt. 5], I–XIX, und den Handschriftencensus: http://www.handschriftencensus.de/ werke/157, 20.10. 2012). Cf. Hoffmann, Gospel of Nicodemus (nt. 1), 300sq. So auch Helm, Untersuchungen (nt. 7), 117sq. Eine Annäherung an ein ,Original‘ ist hier nicht angestrebt, aber es wird doch so etwas wie eine Gesamtkonzeption angenommen, bei der Prolog, Exkurse und Handlung aufeinander bezogen sind. Dieser Kombination war in der Rezeptionsgeschichte des Textes kein Erfolg beschieden; er wurde offensichtlich vor allem auf die Handlung hin gelesen, wie auch die Tatsache zeigt, daß Exzerpte Eingang in die ,Weltchronik‘ Heinrichs von München fanden (cf. Hoffmann, Gospel of Nicodemus [nt. 1], 302–304).

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2. Zu ‚Recht‘ und ‚Gesetz‘ „Der deutschen Rechtssprache fehlt von Hause aus eine klare Begrifflichkeit.“ 17 So hat Ruth Schmidt-Wiegand unter Rückgriff auf ältere Forschungen 1987 in einer Studie zum Althochdeutschen den Unterschied der älteren deutschen Rechtssprache zur stringenten (lateinischen) Terminologie des römischen Rechts beschrieben. Man könnte auch sagen, daß im germanischen Recht vor der Rezeption des römischen Rechts grundsätzlich in anderen Kategorien gedacht wurde18. Symptomatisch für diesen Befund ist, daß es im Althochdeutschen keine exakte Entsprechung für lex und ius gibt19. Althochdeutsch ,ewa‘ hat eine gewisse Nähe zu lex im Sinne des objektiven Rechts und kann sich wie lex auch auf das Alte und das Neue Testament beziehen, ist aber stärker auf die Sitte als kulturelle Grundordnung fixiert 20, so wie es dem Gewohnheitsrecht entspricht. Für das durch Konversion aus dem Adjektiv entstandene Substantiv ,reht‘ läßt sich im Kern ein Wortgebrauch zum Ausdruck des subjektiven Rechts rekonstruieren, zur Bezeichnung der „Ambivalenz von Anspruch und Leistung, Recht und Pflicht“; es begegnet jedoch auch als Übersetzung von iustitia und aequitas 21. Im Mittelhochdeutschen hatte ,reht‘ bereits eine objektive Komponente in sich aufgenommen 22 und verdrängte das Wort ,ê‘ (< ahd. ,ewa‘), das wiederum den 17

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R. Schmidt-Wiegand, Reht und ewa. Die Epoche des Althochdeutschen in ihrer Bedeutung für die Geschichte der deutschen Rechtssprache, in R. Bergman/H. Tiefenbach/L. Voetz (eds.), Althochdeutsch, vol. 2: Wörter und Namen. Forschungsgeschichte, Heidelberg 1987, 937–958. Cf. auch ead., Recht und Gesetz im Spannungsfeld zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit im Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 27 (1993), 147–166, hier 154. Die Ergebnisse SchmidtWiegands dienen im folgenden als Basis, auch wenn sie nicht unwidersprochen geblieben sind (cf. R. G. Sullivan, Justice and the Social Context of Early Middle High German Literature [Studies in Medieval History and Culture 5], New York–London 2001, 33sq.). Die Kontroversen um die Interpretation einzelner Textstellen können hier nicht diskutiert werden; grundsätzlich scheint aber der konsequent wortgeschichtliche Ansatz Schmidt-Wiegands überzeugender als die Herangehensweise Sullivans, der Wort- und Begriffsgeschichte nicht klar trennt und ein Konzept von ,reht‘ rekonstruieren möchte, das von lateinischen und christlichen Einflüssen möglichst frei ist. Cf. die Diskussion zur Unschärfe mittelhochdeutscher Werk- und Gattungsbezeichnungen, deren ,Vagheit‘ in der neueren Forschung als aussagekräftig erkannt worden ist (cf. G. Dicke/M. Eikelmann/B. Hasebrink, Historische Semantik der deutschen Schriftkultur. Eine Einleitung, in: iid. [eds.], Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter [Trends in Medieval Philology 10], Berlin–New York 2006, 1–12, bes. 4sq.). Cf. Schmidt-Wiegand, Reht und ewa (nt. 17), 945–949. Das gilt auch für die Übersetzungsliteratur; Lehnwörter aus dem Bereich des Rechts fehlen weitgehend. Cf. ibid., 942; 947; Schmidt-Wiegand, Recht und Gesetz (nt. 17), 154; E. Seebold, Etymologie. Eine Einführung am Beispiel der deutschen Sprache, München 1981, 89. Cf. Schmidt-Wiegand, Reht und ewa (nt. 17), 942; 947. Sullivan (nt. 17), 34, nimmt dagegen iustitia als Grundbedeutung von ,reht‘ an. Cf. Schmidt-Wiegand, Reht und ewa (nt. 17), 948, und die im BMZ formulierte Grundbedeutung: „dasjenige, was einer person oder einem dinge vermöge eines inneren oder äussern gesetzes oder auch vermöge geltender sitte zukommt“ (G. F. Benecke/W. Müller/F. Zarncke, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1854–1866 mit einem Vorwort und einem

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Aspekt des gesetzten Rechts hinzugewonnen hatte 23, als umfassendes Rechtswort immer mehr 24. Auch wenn sich die kulturellen Rahmenbedingungen im 13. Jahrhundert durch die verstärkte Rezeption des römischen Rechts änderten, ist nicht von unmittelbaren Entsprechungen im semantischen und lexikalischen Wandel auszugehen25. Ein Gesetzesbegriff, der dem lateinischen lex entspräche, ist also auch im Mittelhochdeutschen nicht vorhanden; unter Umständen verbergen sich hinter anderen semantischen Zuschnitten der Rechtswörter im Deutschen auch andere Konzeptualisierungen26.

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zusammengefaßten Quellenverzeichnis von E. Nellmann sowie einem alphabetischen Index von E. Koller et al., 4 voll. u. Indexband, Stuttgart 1990 [http://www.woerterbuchnetz.de/, 20.10. 2012], s. v.). Cf. auch die Differenzierung zwischen objektivem und subjektivem Recht in: Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache auf der Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300. Unter Leitung von B. Kirschstein/U. Schulze erarbeitet von S. Ohly/D. Schmidt, Schreibortverzeichnis und 3 voll., Berlin 1991–2010, s.v. Cf. BMZ (nt. 22), s.v.; Seebold, Etymologie (nt. 20), 90 (dort auch zur Verwendung von ,ê‘ für die Zehn Gebote). Nach dem Deutschen Rechtswörterbuch ist ,satzung‘ im Sinne von ,Vertrag‘ ab dem 4. Viertel des 13. Jahrhunderts belegt, ,gesetz‘ zur Bezeichnung von gesetztem Recht erst im 14. Jahrhundert (cf. Preußische Akademie der Wissenschaften, Berlin, Deutsches Rechtswörterbuch [Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache], 11 voll., Weimar 1914–2006 [http:// drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw/, 20.10. 2012]; cf. auch die Belege zu ,gesetze‘, ,gesetzede‘ und ,satzunge‘ im Wörterbuch der mhd. Urkundensprache [nt. 22], das im „im wesentlichen den Sprachzustand der letzten beiden Jahrzehnte des 13. Jh.s“ erfaßt [ibid., vol. 1, 3]). Das bedeutet jedoch nicht, daß das Konzept des Erlassens von Regelungen der deutschen Sprache vorher fremd war (cf. Belege im Deutschen Rechtswörterbuch für ,gebot‘ als Glossierung von edictum, decreta, praecepta und nicht zuletzt mandata decalogi schon ab der althochdeutschen Zeit sowie das Bedeutungsspektrum von ,orden‘ und der dazugehörigen Wortfamilie [cf. ibid., s. v.; BMZ [n. 22], s. v.; M. Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Zugleich als Supplement und alphabetischer Index zum Mittelhochdeutschen Wörterbuch von Benecke-Müller-Zarncke, Nachdruck der Ausg. Leipzig 1872–1878 mit einer Einleitung von K. Gärtner, 3 voll., Stuttgart 1992 [http:// www.woerterbuchnetz.de/, 20.10.2012], s.v.). Cf. Schmidt-Wiegand, Recht und Gesetz (nt. 17), 155. Zur Bedeutungsverengung von ,ê‘ zu ,Ehe‘ cf. Seebold, Etymologie (nt. 20), 90. Zur Entwicklung der Rechtssprache cf. R. Schmidt-Wiegand, Deutsche Sprachgeschichte und Rechtsgeschichte bis zum Ende des Mittelalters, in W. Besch et al. (eds.), Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung, 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, 1. Teilband, Berlin–New York 1998, 72–87. Zum komplexen Verhältnis zwischen ,Wort‘, ,Begriff‘ und ,Sache‘ und den Konsequenzen für die historische Forschung cf. R. Schmidt-Wiegand, Historische Onomasiologie und Mittelalterforschung, in: Frühmittelalterliche Studien 27 (1993), 49–78, hier 49–55. Zum Verhältnis von historischer Semantik und Ideengeschichte cf. R. Konersmann, Semantik, historische, in: J. Ritter/K. Gründer (eds.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, vol. 9, Basel 1995, 593–598, hier 596. Für eine Einführung in die kontroverse Diskussion um mittelalterliche Rechtsbegriffe in der deutschen Rechtsgeschichte cf. Sullivan (nt. 17), 25–31, und vor allem B. Kannowski, Rechtsbegriffe im Mittelalter. Stand der Diskussion, in: A. Cordes/B. Kannowski (eds.), Rechtsbegriffe im Mittelalter (Rechtshistorische Reihe 262), Frankfurt a. M. et al. 2002, 1–27, bes. 13–19 zu der Frage, ob es vor dem Aufkommen des gelehrten Rechts das Konzept objektiven Rechts gab.

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3. Analytischer Zugriff Wie der beispielhafte Problemaufriß zeigt, ist für die Untersuchung rechtlicher Fragen in mittelalterlichen deutschen Texten die Beschäftigung mit historischer Semantik nötig. Sie soll im folgenden vor allem durch die Rekonstruktion von Wortbedeutungen im Einzeltext geleistet werden27. Die Flexibilität des Rechtswortschatzes läßt es weiterhin als besonders wichtig erscheinen, auch onomasiologisch (im weitesten Sinn) zu arbeiten28, d. h. konkret, Textpassagen mit einzubeziehen, die sich nicht einer offensichtlich rechtsspezifischen Terminologie bedienen, für die aber rechtliche Dimensionen zu erschließen sind. Explizite Aussagen zum ,göttlichen‘ und ,menschlichen Recht‘ sind im ,Evangelium Nicodemi‘ Heinrichs von Hesler sowohl dem Erzähler als auch Figuren zugeordnet. Außerdem werden durch die Art der Handlungsführung bestimmte Einschätzungen zum Ausdruck gebracht. Im Textverlauf wird so Facette um Facette hinzugefügt, bis ein umfassendes, wenn auch nicht rundum kohärentes Bild davon entsteht, wie sich die beiden Rechtssphären zueinander verhalten. Zwar wird in der folgenden Textanalyse jeweils der Status der Aussagen deutlich gemacht und der Gang der Handlung präsent gehalten, der Erzählablauf jedoch nicht im einzelnen nachvollzogen. Statt dessen werden nach einer Analyse des im Prolog angelegten thematischen Spektrums relevante Aspekte thematisch gruppiert, damit im Text zum Ausdruck kommende Denkfiguren klarer herausgearbeitet werden können29. Der Text soll so nicht auf bestimmte Ideen reduziert, sondern es sollen Bedeutungsnetze aufgezeigt werden, die den Text umspannen. Wenn die Textbeobachtungen punktuell in theologischen Diskussionszusammenhängen verortet werden, dient das dazu, die Relevanz der im literarischen Text aufscheinenden Problemkomplexe sowie die Individualität des Umgangs damit deutlich zu machen.

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Beziehungsgeflechte zu anderen Texten können im gegebenen Rahmen nur durch den Bezug auf Wörterbücher aufgezeigt werden, die den Befund bereits wieder systematisieren. Zur historischen Semantik als Methode cf. Ch. Kiening, Gegenwärtigkeit. Historische Semantik und mittelalterliche Literatur, in: Scientia Poetica. Jahrbuch für Geschichte der Literatur 10 (2006), 19–46, hier 20. Cf. dazu auch grundsätzlich Kiening (ibid., 22): „Historische Semantik zielt […] nicht nur auf eine präzisere Analyse des jeweiligen Gegenstandsbereichs, sondern auch auf eine präzisere Bestimmung der Modalitäten ihrer eigenen Gegenstandskonstitution. Sie operiert deshalb dialektisch zwischen semasiologischem und onomasiologischem Zugang.“ Der Fragestellung entsprechend liegt ein Schwerpunkt auf den rechtlichen Aspekten, die direkt mit Sündenfall und Passion verbunden sind. Für ein vollständiges Bild von ,göttlichem‘ und ,menschlichem‘ Recht wären auch die Rechtsmotive in der Handlung um Joseph von Arimathäa sowie Leucius und Karinus (vv. 2246–2841; 3690–3779) zu analysieren. Zu den Eidesleistungen vgl. H. Manuwald, Zeugen der Anklage? Konzepte von Zeugenschaft in mittelhochdeutschen Dichtungen über den Prozess Jesu, in: W. Drews/H. Schlie (eds.), Zeugnis und Zeugenschaft. Perspektiven aus der Vormoderne (Trajekte), München 2011, 53–75.

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II. Rechtliche Aspekte im Prolog Der Prolog scheint mit einer wenig rechtlichen Thematik zu beginnen: Ein autoritativer Sprecher setzt dazu an, von der Schöpfung und der Erschaffung des Menschen zu erzählen (vv. 1sq.), wobei er sich sofort unterbricht und aus dem Schöpfungswerk den Baum der Erkenntnis mit seiner verführerischen, aber todbringenden Frucht 30 heraushebt, der zusammen mit dem Menschen geschaffen worden sei, der diese Frucht gegessen habe (vv. 3–9). Ein weiterer Sprecher, der den ersten mit ,Herr‘ anredet, fragt dann, warum Gott den verbotenen Baum in das Paradies gesetzt habe (vv. 10–13)31. Mit der Nennung des von Gott erlassenen Verbots kommt ein normativ-rechtlicher Aspekt ins Spiel, der jedoch nicht weiter vertieft wird. Die ,Lehrer‘-Stimme reagiert auf den Einwand des ,Schülers‘ mit dem Verweis darauf, daß Gott, der den Fall des Menschen vorausgewußt habe, in seiner Vernunft die Konsequenz ersonnen habe, der Menschheit dann das Paradies zu verschließen (vv. 14–21)32. Der ‚Schüler‘ hakt mehrfach nach und will zunächst wissen, ob Gott denn etwas anderes als das Beste tun könne (vv. 22sq.) und warum er den Menschen schwach geschaffen habe (vv. 26–29)33. Die ,Lehrer‘-Stimme betont demgegenüber, daß Gott alles vorausbedacht und vorausgewußt habe, auch der Teufel (in Form der Schlange) habe aufgrund des übergreifenden göttlichen Plans so gehandelt. Gott habe aus Liebe zu den Menschen („minne“, v. 99) von vornherein Gnade („milde“, v. 103) gegenüber den Menschen vorgesehen34. Seine Sanftmut („senfte otmute“, v. 159), seine göttliche Güte („gotlich gute“, v. 160) und seine Barmherzigkeit („milde“, v. 161) hätten ihn zur Erlösung der Menschheit gedrängt 35. Allerdings blieben diejenigen, die ihre Sünden nicht bereuten und der Marter Jesu nicht gedächten, unerlöst36. 30 31 32

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Ausdrücklich wird auf den ,smac‘ (,Geschmack‘, ,Geruch‘) der Frucht verwiesen (v. 7). Cf. Wiedmer, Sündenfall (nt. 9), 26. Zur Form des Lehrdialogs cf. ibid., 27 mit nt. 74 (pp. 158sq.). Wiedmer (25–64) bietet die bislang eingehendste Lektüre des heilsgeschichtlichen Prologteils. Vv. 14sq. sind schwer zu verstehen: „Sit er sin ob dem menschen wac [in G: ,wach‘] / so ho, ob erz genuzze, / daz er im sa vorschluzze / und allem sinem kunne / die himlischen wunne / und daz vrone paradis“ (vv. 14–19). Weder der Übersetzungsvorschlag Helms (Evangelium Nicodemi [nt. 5], 221sq.: „da er die schwerwiegende bestimmung traf“) noch der Wiedmers (Sündenfall [nt. 9], 27 mit nt. 75 [p. 159]: „Weil er seinen Geist so hoch über den Menschen bewegte“) können überzeugen. Vielmehr scheint ausgedrückt zu sein, daß Gott seine Vernunft, die den konkreten Heilsplan mit umfaßt, höher als alles andere erachtet: „Da er dem Geist gegenüber den Menschen ein so großes Gewicht zumaß, in der Weise, daß […]“. Zur Unergründlichkeit der voluntas divina cf. Wiedmer, ibid. Zu diesen und den folgenden Fragen des Schülers (bis v. 78) cf. ibid., 28–35. Offenbar kann den Menschen die umfassende Liebe Gottes nur schrittweise nahegebracht werden (cf. vv. 105–107). ,twingen‘ (cf. „twunge“, v. 150) kann einen Zwang, aber auch einen starken Drang ausdrücken (cf. BMZ [nt. 22], s. v.; Lexer, Mhd. Handwörterbuch [nt. 23], s. v.). Zu den grob skizzierten Argumenten bis v. 196 cf. ausführlicher Wiedmer, Sündenfall (nt. 9), 29–53, der auch auf die Bezüge zwischen Paradiesbaum und Kreuzesholz eingeht. Wiedmer, ibid., 34, setzt das Ende des Lehrgesprächs bei v. 78 an. In der Tat äußert sich der Schüler danach

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Diese ,Abscheulichen‘ behaupteten sogar, es sei unmöglich, daß bei der Empfängnis Jesu die ,Rechte‘ der Menschen übergangen worden seien; die Jungfrauengeburt sei wider die Natur: „Nu sprechen die ungehuren iz were der naturen zu tune unmugelich, daz got38 menscheit an sich in der meide lib enphienc, die39 menschen reht ubergienc, want sie maget sin genas, daz wider die nature was.“ (vv. 197–204)40

„Da behaupten die Abscheulichen, die Natur könne unmöglich vollbracht haben37, daß Gott menschliche Art im Körper der Jungfrau annahm, [und dabei] die menschlichen Rechte überging, denn sie gebar ihn als Jungfrau, das war gegen die Natur.“

An dieser Stelle verrechtlicht sich die Argumentation, wobei ,reht‘ hier offenbar so viel heißt wie „dasjenige, was einer person [...] vermöge eines inneren […] gesetzes […] zukommt“41. Ohne daß er die Naturgesetze als solche benennt, erklärt der Sprecher in der folgenden Argumentation, daß der Schöpfergott ihnen nicht unterworfen sei, er könne „mit urteilen“ tun, was er wolle, nicht, was er müsse (vv. 213–215). Mittelhochdeutsch ,urteil‘ kann einfach ,Entscheidung‘ bedeuten, bezeichnet jedoch so häufig die Entscheidung in einem gerichtlichen Kontext, daß hier eine rechtliche Dimension zumindest anklingt42. In den nächsten Versen heißt es dann: „Got der muste heilen von gotlicher ehte den menschen zu rehte wend er von mutwiller kur also cranc und also mur von nihte in hiez werden. Er nam in von der erden die was von velliger art.“ (vv. 216–223)

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„Gott, der mußte aus göttlicher Rechtsverpflichtung den Menschen zu Recht erretten, denn er ließ ihn aus freier Wahl so schwach und zerbrechlich aus dem Nichts entstehen. Er machte ihn aus Erde, die war von zum (Sünden-)fall führender Natur.“

nicht mehr, aber die eingehenden Erklärungen (vv. 79–300) beginnen als Antwort derselben autoritativen Stimme wie zuvor und sind nicht „Heinrich“ zuzuordnen (so aber Wiedmer, ibid., 35sq.). Zur Personifikation der Natur cf. ibid., 54. Helm, Evangelium Nicodemi (nt. 5), hat hier ,die‘ ergänzt. Piper, Geistliche Dichtung (nt. 12), liest in seinem handschriftennahen Abdruck hier ,div‘, das Helm, Evangelium Nicodemi (nt. 5), offenbar durch md. ,die‘ ersetzt hat. Die neuhochdeutschen Übersetzungen (von der Verfasserin) sollen zum mittelhochdeutschen Text hinführen und sind deshalb möglichst wörtlich und versgetreu gehalten. Cf. nt. 22. Cf. BMZ (nt. 22), s. v.; Lexer, Mhd. Handwörterbuch (nt. 23), s. v.; Wörterbuch der mhd. Urkundensprache (nt. 22), s. v.; G. Landwehr, „Urteilfragen“ und „Urteilfinden“ nach spätmittelalterlichen, insbesondere sächsischen Rechtsquellen, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 96 (1979), 1–37, hier 4sq.

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Hier wird eine Verpflichtung Gottes formuliert, die im Mittelhochdeutschen jedoch weniger zwangsläufig erscheint, als es in der neuhochdeutschen Übersetzung wiederzugeben ist: Mittelhochdeutsch ,müezen‘ kann auch ,sollen‘ heißen43, „zu rehte“ hat auch die Bedeutungsdimension „was recht u. geziemend ist“ 44. Zentral für das Verständnis der rechtlichen Implikationen ist das Wort ,ehte‘, eine Substantivbildung zum niederdeutschen 45 Adjektiv ,echt‘, dem hochdeutsch ,êhaft‘ entspricht46. Als Grundbedeutung für ,êhaft‘ kann gelten, „was durch satzung oder herkommen für eine person oder gemeinde recht oder pflicht ist“ 47. Daß es an der zitierten Stelle um gesetztes Recht geht, ist unwahrscheinlich. Vielmehr scheint die Verpflichtung gemeint zu sein, die Gott durch sein ,Herkommen‘ bzw. sein Wesen hat. Seine Sanftmut, seine Güte und seine Barmherzigkeit waren als für die Erlösung ausschlaggebend genannt worden (vv. 159–161)48. Wenn die Erlösung des Menschen Gottes angestammtem Wesen entspringt, dann kann sie zugleich als sein subjektives Recht angesehen werden. Angesichts des aufgezeigten Bedeutungsspektrums der Schlüsselwörter ist zu fragen, ob es sich nach dem Prolog bei der Erlösung des Menschen tatsächlich um eine „rechtliche Notwendigkeit“ handelt 49. Es ist eher eine Verpflichtung Gottes, der man im Zusammenhang der weiteren Argumentation im Prolog durchaus ,Rechtsverbindlichkeit‘ zuschreiben kann, denn im folgenden wird deutlich gemacht, daß Gott für den Fall der Menschheit mitverantwortlich ist (vv. 224–290): Der Mensch hätte nicht gesündigt, wenn Gott ihn „unvellic“ (v. 225), also nicht zum Fall prädestiniert, erschaffen hätte. Dagegen habe der aus Materie von reiner Art bestehende Teufel seinen Fall sich selbst und seinem Hochmut zuzurechnen, weshalb sich Gott über ihn nicht erbarme. Der Teufel bleibe unerlöst, da er das Gebot Gottes wissentlich und ohne Not übertreten habe50.

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Cf. BMZ (nt. 22), s. v., auch dazu, daß damit eine göttliche Fügung bezeichnet werden kann. Also können bei Gott als Akteur Intention (nämlich der Heilsplan) und Notwendigkeit in eins gehen. Cf. Lexer, Mhd. Handwörterbuch (nt. 23), s. v. Zu (im Nordthüringischen gebräuchlichen) niederdeutschen Elementen in der Sprache Heinrichs von Hesler cf. Honemann, Apokalypse (nt. 2), 51 mit nt. 13. Sie haben sich offenbar auch in der oberdeutsch geprägten Handschrift G (nt. 12) gehalten. Piper, Geistliche Dichtung (nt. 12), liest in v. 217 ,æhte‘. Cf. dazu Seebold, Etymologie (nt. 20), 79–81. Cf. BMZ (nt. 22), s. v. Für ,echt‘, ,echte‘ als Substantiv geben Lasch/Borchling (neben dem ehelichen Stand und der ehelichen Geburt mit den daraus abgeleiteten Rechten) ,Recht, Gesetz, Gesetzmäßigkeit, Berechtigung‘ an. Cf. Mittelniederdeutsches Handwörterbuch, begründet von A. Lasch/C. Borchling, fortgeführt von G. Cordes, vol. 1, Neumünster 1956. Die Seelen in der Hölle interpretieren die Erlösung später als Akt der beständigen Verbundenheit Gottes mit den Menschen („,Got wil uns truwe leisten‘“, v. 3006). Auch Adrian spricht gegenüber Vespasian (cf. infra, 674sq.) von der ,truwe‘ (cf. v. 4149) Gottes. Zur Adressatenbezogenheit seiner Ausführungen und zu den rechtlichen Implikationen cf. Wiedmer, Sündenfall (nt. 9), 82sq. Cf. ibid., 56. Wiedmer, ibid., 55, spricht selbst aber auch von einer „rechtliche[n] Verpflichtung“. Zur fragilis natura des Menschen cf. ibid., 55–58.

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Sowohl die Verfehlung des Menschen als auch die Verantwortung Gottes werden mit Wörtern aus der Wortfamilie ,schult‘ bezeichnet 51. Während in bezug auf den Menschen damit wahrscheinlich ein schuldhaftes Verhalten benannt wird, dürfte in bezug auf Gott gemeint sein, daß er als Urheber eine Verpflichtung zur Wiedergutmachung hat 52. Auch hier kann die Verpflichtung sittlicher Natur sein, aber der Argumentation scheint das Konzept der Buße (im Sinne eines Ausgleiches) zugrunde zu liegen und damit eine rechtliche Beziehung zwischen Gott und den Menschen53. Wie diese knappen Einblicke in den Inhalt des Prologs zeigen, werden dort komplexe theologische Problemstellungen in rechtlich aufgeladene Terminologie gefaßt, wobei ganz unterschiedliche rechtliche Vorstellungen präsent sind: Sie reichen von Naturgesetzen (Fortpflanzung des Menschen) über Verpflichtungsverhältnisse hin bis zu einem von Gott gesetzten objektiven Recht (das von Gott erlassene Verbot). Der Schöpfergott wird als derjenige dargestellt, der frei über Naturgesetze verfügen kann, da sie auf ihn zurückgehen. Andererseits wird er selbst als bestimmten Regeln unterworfen gesehen, die es als wiedergutzumachende ,Schuld‘ erscheinen lassen, daß er den Menschen schwach geschaffen hat, und die eine Erlösung durch ihn gleichsam einfordern. Diese Regeln wiederum sind nicht normativ gesetzt, vielmehr werden sie als im Wesen Gottes begründet gesehen. Die Erlösung, auf die die Menschen ein subjektives Recht haben, ist also nicht nur eine objektive Pflicht Gottes, sondern zugleich sein subjektives Recht. III. Göttliches Recht im Kontext von Sündenfall und Erlösung Das prekäre Problem der Handlungsfreiheit Gottes, das im Prolog berührt ist, wird im weiteren Verlauf des Textes immer wieder direkt oder indirekt thematisiert, insbesondere in bezug auf Gottes Verhältnis zum Teufel. Erscheint die Verführung des Menschen durch den Teufel im Prolog als Teil des Heilsplans (vv. 92–98), wird in einem Exkurs (vv. 1670–1764), der sich an die Schilderung der Geißelung anschließt, betont, daß – als Ausgleich für die Verführung Adams 51

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„Von du was sin schepphere, / so vil so ers geruchte / und selbe schulde da suchte, / an sinem valle schuldic“ (vv. 258–261). Wiedmer, Sündenfall (nt. 9), 58, bezieht vv. 259sq. irrig auch auf Gott. Später wird von Jesus gesagt, daß Gott die ,schult‘ Adams und Evas erdacht habe (v. 1979). Cf. dazu ibid., 70. Cf. zu beiden Aspekten Lexer, Mhd. Handwörterbuch (nt. 23), s. v.; Wörterbuch der mhd. Urkundensprache (nt. 22), s. v. Wiedmer, Sündenfall (nt. 9), 56, hebt die rechtliche Natur der ,Schuld‘ Gottes hervor, ohne auf das Bedeutungsspektrum des mittelhochdeutschen Wortes einzugehen. Der Vergleichspunkt ist hier der ,opferorientierte Ausgleich‘ (Eva Schumann, Buße, in: A. Cordes/H. Lück/D. Werkmüller [eds.]: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, vol. 1, Berlin 2008, 789–795, hier 789); d. h., die ,Tat‘ Gottes steht im Mittelpunkt, ein unrechtmäßiges Verhalten seinerseits soll nicht impliziert werden. Cf. dazu E. Stutz, Der ‚büßende‘ Gott, in: K. Hauck et al. (eds.), Sprache und Recht. Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters. Festschrift für Ruth Schmidt-Wiegand zum 60. Geburtstag, vol. 2, Berlin–New York 1986, 944–956, hier 946–949.

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und Evas – durch die Passion Jesu „list mit listen gar zuvurt“ (v. 1683), also die Arglist des Teufels („list“) durch die Weisheit Gottes („mit listen“) zunichte gemacht worden sei 54. Nicht nur das Wort „rache“ (v. 1714), im Sinne von „vergeltung eines unrechtes“55, verweist dabei auf einen Rechtskontext, sondern es wird auch explizit gesagt, daß der Teufel am Kreuz „mit rehte“ (v. 1724) überwunden worden sei 56. Inhaltlich bezieht sich der Sieg (cf. v. 1728) über den Teufel darauf, daß der Teufel erst im Moment des Todes Jesu realisiert, daß dieser ,Mensch‘ nicht von Erbsünde befleckt war und er deshalb kein Recht auf ihn hat (vv. 2206– 2240)57, seine ‚List‘ erkennt er als „vorlistiget“ (v. 2231). Für das Verhältnis von Gott und dem Teufel bedeutet die Betrachtungsweise der Inkarnation als eines klugen Schachzugs Gottes, daß sich Gott (gewissermaßen unter Zugzwang) auf das Niveau des Teufels begibt. Das bleibt im Text jedoch so nicht so stehen, sondern es wird – innerhalb der Bekehrungsrede des christlichen Boten Adrian an Vespasian (hier Lehnsmann des römischen Kaisers Tiberius, vv. 3914–3918) – noch folgende Begründung für Inkarnation und Passion gegeben: „Do koufte sie got der gute uz mit sin selbes blute. Anders kund iz niht geschen, daz het er selbe wol gesen, do sie sich hete gevalt, er enwolde dan begen gewalt wider sinen elichen ehten an den helleschen knehten. Daz ime niht wol gezeme, daz er der helle neme mit gewalt irn gewin, […]“ (vv. 4105–4115)

„Da löste sie [die Seele] der gnädige Gott mit seinem eigenen Blut aus. Anders war es nicht möglich – das hatte er selbst genau erkannt, als sie sich zu Fall gebracht hatte –, außer er hätte gewaltsam vorgehen wollen entgegen seinen rechtlichen Verpflichtungen gegenüber den Höllenknechten. Das wäre seiner nicht angemessen gewesen, daß er der Hölle mit Gewalt ihren Gewinn genommen hätte, […]“

Es hätte Gottes ‚rechtmäßiger Verpflichtung‘ 58 widersprochen, wenn er den Anspruch der Hölle auf die gefallenen Seelen mißachtet hätte. Aus der Argumenta54

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Zum Bedeutungsspektrum von ,list‘ cf. BMZ (nt. 22), s. v.; Lexer, Mhd. Handwörterbuch (nt. 23), s. v. Zum genannten Exkurs und den Abweichungen vom Prolog cf. Wiedmer, Sündenfall (nt. 9), 64–67. Cf. Lexer, Mhd. Handwörterbuch (nt. 23), s.v. Im Kontext des Satzes steht „mit rehte“ asyndetisch neben „mit gotlicher gute“ und „mit geduldiger odmute“ (vv. 1725sq.), wobei sich die ‚geduldige Demut‘ im Unterschied zu den vorherigen Angaben vermutlich auf Jesus bezieht. Cf. dazu Helm, Evangelium Nicodemi (nt. 5), 241; Wiedmer, Sündenfall (nt. 9), 73–79. Wiedmer analysiert die Darstellung der Höllenfahrt (vv. 2704–3689), wo der Rechtsanspruch des Teufels und dessen Überlistung auf der Figurenebene verhandelt werden. Dort wird der Erkenntnisprozeß ,Satans‘ noch einmal szenisch ausgestaltet (ohne Bezug auf das in vv. 2206–2240 Erzählte). BMZ (nt. 22) und Lexer, Mhd. Handwörterbuch (nt. 23) geben ,gesetzmäßig‘ und ,ehelich‘ als Bedeutung für ,êlich‘ an. Das erscheint gegenüber den möglichen Bedeutungen von ê, die ein breites Spektrum von Normen umfassen, als zu eng. Lasch/Borchling, Mnd. Handwörterbuch (nt. 47) nennen für ,êlı˜k‘ weiterhin noch ,legitim‘ und ,rechtsgültig‘, das Wörterbuch der mhd.

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tion ist abzuleiten, daß ein solch gewaltsamer Rechtsbruch nicht Gottes Wille gewesen sei, so daß seine Entscheidung nicht als Zwang erscheint59. Auch der Listcharakter von Gottes Handeln wird relativiert, wenn das Höllenvolk angesichts der drohenden Niederlage nach dem Eindringen Jesu in die Hölle sagt, der Teufel habe „mit rehten urteilen“ Jesus ,auf sich gezogen‘ (vv. 3408sq.). Wie die ausgewählten Textstellen erkennen lassen, werden in diesem literarischen Text heilsgeschichtliche Fragen aufgeworfen, die auch in anderen Texten so viel diskutiert sind, daß es lohnenswert ist zu schauen, wie sich das ‚Evangelium Nicodemi‘ im Vergleich zu diesen positioniert. Angesichts der rechtlichen Implikationen und der Hervorhebung der Liebe und Barmherzigkeit Gottes als zentrale Faktoren des Erlösungsgeschehens ist es bemerkenswert, daß das Motiv des Streites der vier Töchter Gottes nicht aufgenommen ist 60. Zwar wird die Rahmenhandlung des Erlösungsrates anzitiert (vv. 4160–4167)61, aber iustitia als objektive Norm spielt im gesamten Text keine Rolle. Das ist symptomatisch dafür, daß sich das dem Recht entsprechende Handeln Gottes nach dem Text an inneren Maßstäben orientiert. Daß Gott mit der seinem Wesen entsprechenden Erlösung das tut, was ,reht‘ ist (vv. 216–218), erinnert an den zentralen Stellenwert der rectitudo bei Anselm von Canterbury 62. Für den Gedanken einer ,Notwendigkeit‘ der Erlösung lassen sich ebenfalls Parallelen bei Anselm von Canterbury finden63. Die ,Notwendigkeit‘ wird jedoch im ,Evangelium Nicodemi‘ nicht nur sprachlich anders gefaßt, indem im Wort ,ehte‘ schon ,Recht‘ und ,Pflicht‘ verbunden sind, sondern auch fundamental anders begründet als in Anselms ,Cur deus homo‘, nämlich mit dem Verursacherprinzip, indem aus der fragilitas des Menschen eine Verantwortung Gottes für den Sündenfall und damit der Bedarf einer Wiedergutmachung abgeleitet wird.

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Urkundensprache (nt. 22) ,rechtmäßig‘ und ,rechtsgültig‘. G (nt. 12) liest nach Piper, Geistliche Dichtung (nt. 12), an der entsprechenden Stelle „gotlichen ehten“ (v. 3893). Auch in den weiteren Darlegungen Adrians (vv. 4120–4193) werden einzelne Schritte des Erlösungshandelns Gottes als für ihn notwendig dargestellt (vv. 4146–4149), sie werden aber als Konsequenz einer ursprünglichen Willensentscheidung charakterisiert: Da Gott zu dem steht, was er gesagt hat, ‚muß‘ er Maßnahmen ergreifen, die vorgesehene Gottebenbildlichkeit des Menschen wieder zu erreichen. Zur ,stete‘ Gottes cf. Wiedmer, Sündenfall (nt. 9), 82. Zu dem Motiv des Streites zwischen Justitia und Veritas auf der einen Seite und Misericordia und Pax auf der anderen cf. grundlegend F. Ohly, Die Trinität berät über die Erschaffung des Menschen und über seine Erlösung, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB) 116 (1994), 242–284, hier 258–277. Die auf Psalm 85,11 der Vulgata zurückgehenden Personifikationen werden seit dem späten 12. Jahrhundert als ,Töchter‘ Gottes bezeichnet. Cf. dazu Helm, Evangelium Nicodemi (nt. 5), 256. Cf. A. McGrath, Iustitia Dei. A History of the Christian Doctrine of Justification, Cambridge 2005, 77. Berührungspunkte zwischen dem ,Evangelium Nicodemi‘ und ,Cur deus homo‘ gibt es, was die Vereinbarkeit des Konzepts der göttlichen Handlungsfreiheit mit dem Gedanken der Notwendigkeit angeht. Cf. R. Campbell, The Nature of Theological Necessity, in: P. Gilbert/H. Kohlenberger/E. Salmann (eds.), CUR DEUS HOMO. Atti del Congresso Anselmiano Internazionale (Studia Anselmiana 128), Rom 1999, 421–435, bes. 427–431. Die Parallelen sind jedoch nicht von der Art, daß sich damit eine Vertrautheit Heinrichs von Hesler mit Anselms Werk sichern ließe.

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Ein ähnliches Denkmuster begegnet zwar schon in der ,Vorauer Sündenklage‘ (vv. 768–815)64 – wo allerdings die Unwürdigkeit des zu erlösenden Menschen stärker gewichtet wird –, scheint aber im 13. Jahrhundert nicht dominant zu sein65. Die Art und Weise, wie im ,Evangelium Nicodemi‘ Heinrichs von Hesler die Notwendigkeit der Inkarnation begründet wird, verweist auf das ältere Modell der Überlistung des Teufels, das von Anselm heftig kritisiert wurde66. Die Vorstellung, daß Gott aus dem Rechtsanspruch des Teufels auf die Menschheit diesem gegenüber Verpflichtungen erwachsen67, ist jedoch bei Heinrich von Hesler modifiziert: Zwar wird der de facto vorhandene Rechtsanspruch des Teufels anerkannt, aber das im Prolog skizzierte Vorauswissen Gottes läßt es als unmöglich erscheinen, daß dieser Rechtsanspruch nicht letztlich auch auf Gott zurückgeht. Und die Entscheidung, das Recht des Teufels zu respektieren, wird wiederum als ein Willensakt markiert 68. Es ist bezeichnend für den hohen Stellenwert, den gerechtes Handeln im ,Evangelium Nicodemi‘ hat, daß Gott im rechtlichen Bereich vorhandene Regelungen nicht brechen will, weil es seinem Wesen widerspräche69, während die jungfräuliche Empfängnis – zumindest böswillig – als Eingreifen in die (biologischen) Naturgesetze interpretiert werden kann.

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Die ,Vorauer Sündenklage‘ ist ediert in: Kleinere deutsche Gedichte des 11. und 12. Jahrhunderts, nach der Auswahl von A. Waag, ed. W. Schröder, vol. 2, Tübingen 1972, 193–222. Wiedmer, Sündenfall (nt. 9), 150, nennt eine Stelle bei Matthäus von Aquasparta, nach der der Mensch – trotz seiner Sünde – wegen seiner Fragilität der Erlösung nicht ganz unwürdig sei (cf. Fr. Matthei ab Aquasparta, O.F.M., S.R.E. Cardinalis, Quaestiones disputatae selectae de Christo [Bibliotheca Franciscana medii aevi 2], Quaracchi 1914, 89sq.). Matthäus von Aquasparta beruft sich für diesen Punkt auf Gregor und Isidor als Autoritäten, die ebenfalls so den Menschen von dem gefallenen Engel abgrenzen. Die Stelle stammt aus Quaestio V de incarnatione: „Quinto quaeritur, utrum natura humana sit lapsa reparabiliter vel irreparabiliter, hoc est quaerere, utrum peccatum primi hominis fuit remediabile vel irremediabile.“ In der Antwort wird argumentiert, der Mensch könne erlöst werden „propter culpae excusationem“, aber von einer Verantwortung Gottes für die schwache Natur des Menschen ist dort nicht die Rede. Cf. C. W. Marx, The Devil’s Rights and the Redemption in the Literature of Medieval England, Cambridge 1995, bes. 7–27. In der theologischen und vor allem in der erzählenden Literatur blieb die Überlistung des Teufels aber weiterhin sehr präsent. Cf. dazu neben Marx ibid. auch K. M. Ashley, The Guiler Beguiled: Christ and Satan as Theological Tricksters in Medieval Religious Literature, Criticism 24:2 (1982), 126–137. Cf. dazu McGrath, Iustitia Dei (nt. 62), 82sq. Insofern sind die Widersprüche zwischen Prolog und Erzählung hinsichtlich der Stellung des Teufels nur vordergründig vorhanden. Abgesehen davon, daß bei Heinrich von Hesler ein Rechtsanspruch des Teufels existiert (cf. dazu Wiedmer, Sündenfall [nt. 9], 81), ist die skizzierte Konstellation nicht untypisch für die in Reaktion auf die Kritik des 12. Jahrhunderts hin modifizierte Interpretation des Sieges über den Teufel, nach der der Teufel in seinem Handeln von der Erlaubnis Gottes abhängig ist (cf. Marx, The Devil’s Rights [nt. 66], 26). Zum Verhältnis von göttlichem Willen und Gerechtigkeit cf. in bezug auf Anselm von Canterbury M. Enders, Wahrheit und Notwendigkeit. Die Theorie der Wahrheit bei Anselm von Canterbury im Gesamtzusammenhang seines Denkens und unter besonderer Berücksichtigung seiner antiken Quellen (Aristoteles, Cicero, Augustinus, Boethius), Leiden–Boston–Köln 1999 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 64), 578–581; L. L. Peterson, St. Anselm on Justice, Retribution and the Divine Will, in: CUR DEUS HOMO (nt. 63), 659–672.

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Die genannten Parallelen liegen auf einer sehr allgemeinen Ebene und können nicht mehr als Schlaglichter auf Diskussionszusammenhänge werfen, die genauer zu studieren wären. Nach den Stichproben zu urteilen, scheint es ein individueller Akzent bei Heinrich von Hesler zu sein, daß ein Schwerpunkt auf der Mitverantwortung Gottes für den Sündenfall liegt. Wiedmer dagegen hatte für diesen Punkt und die Heilsökonomie Heinrichs von Hesler insgesamt einen Einfluß Bonaventuras nachweisen wollen70. Wegen der inzwischen erfolgten Neudatierung der Werke Heinrichs müßte man dann annehmen, daß Heinrich von Hesler Bonaventuras Sentenzenkommentar sehr bald nach dessen Abfassung kennengelernt hätte71. Vor allem ist die Hypothese aber auch inhaltlich zu überprüfen: Um zu zeigen, daß die Denkfigur von einer ‚Schuld‘ Gottes und der daraus folgenden rechtlichen Notwendigkeit zur Erlösung nicht ungewöhnlich sei, führt Wiedmer nur Stellen zur Notwendigkeit der Erlösung an, und zwar aus der Quaestio ‚Utrum congruum fuerit, humanam naturam a Deo reparari‘ 72. Darin findet sich (im mit Sed contra eingeleiteten Abschnitt) tatsächlich die Aussage, daß Gott die Menschheit nicht aus liberalitas sondern aus necessitas erlöst habe. Dabei handelt es sich aber gerade nicht um die Lehre Bonaventuras, wie Wiedmer meint. Vielmehr dient der Satz dazu nachzuweisen, welche Widersprüche sich ergeben, wenn man mit den Kategorien decens oder indecens im Hinblick auf die Erlösung argumentiert, denn es sei unmöglich, für Gott eine zwanghafte Notwendigkeit anzunehmen. Das wird in der conclusio noch deutlicher, wenn dort die necessitas immutabilitatis, die sich aus der Unveränderlichkeit des göttlichen Plans ergebe und die mit der liberalitas und benignitas Gottes vereinbar sei, von der necessitas inevitabilitatis abgegrenzt wird73. Die Vorstellung einer necessitas immutabilitatis steht allerdings wieder der Sicht auf das Heilsgeschehen im ,Evangelium Nicodemi‘ Heinrichs von Hesler sehr nahe – man denke etwa an die „stete“ Gottes (v. 4131) –, so daß Wiedmers These einer gedanklichen Nähe zu Bonaventura in abgewandelter Form durchaus ihre Berechtigung hat. Das Konzept der necessitas immutabilitatis begegnet auch bei Thomas von Aquin, der sie zwar necessitas ex suppositione nennt, aber

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Cf. Wiedmer, Sündenfall (nt. 9), 148–151, der aus allen bekannten Werken Heinrichs von Hesler dessen Standpunkt konstruiert. Daß Heinrich – nach Aussagen in seinen Werken ein Laie – überhaupt theologische Fachliteratur benutzt hat, machen seine in der ,Apokalypse‘ zum Ausdruck kommenden Kenntnisse wahrscheinlich (auf die Apokalypsekommentare des Beda Venerabilis und des Ambrosius Autpertus verweist er sogar selbst). Zu Heinrichs Bildungsstand und den Bibliotheken, auf die er Zugriff gehabt haben könnte, cf. Honemann, Apokalypse (nt. 2), 48–55, 76sq., der Heinrichs Methode nicht „der scholastischen Wissenschaft seiner Zeit“, sondern „der ‚Mönchstheologie‘ des 12. Jahrhunderts“ zuordnet. Zu chronologischen Problemen in bezug auf einen etwaigen Einfluß Bonaventuras auf die ,Apokalypse‘ Heinrichs von Hesler cf. Honemann, Apokalypse (nt. 2), 75. Cf. Doctoris Seraphici S. Bonaventurae Commentaria in quatuor libros Sententiarum magistri Petri Lombardi: In tertium librum Sententiarum, d. 20, a. 1, q. 1 (Opera omnia, Tom. 3), Ad Claras Aquas 1887, 417sq. Zur „conditioned necessity“ cf. Ch. M. Cullen, Bonaventure (Great Medieval Thinkers), Oxford 2006, 142.

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bemerkt, daß sie von anderen necessitas immutabilitatis genannt werde74. Das Denkmodell scheint also im 13. Jahrhundert weiter verbreitet gewesen zu sein, und es dürfte sich kaum spezifizieren lassen, auf welchen Autor sich Heinrich von Hesler konkret bezogen haben könnte. Im Hinblick auf die Studie Wiedmers wie auch die bisher hier vorgelegten Überlegungen ist ferner zu berücksichtigen, daß die Untersuchung der Zusammenhänge von Sündenfall und Erlösung im ,Evangelium Nicodemi‘ Heinrichs von Hesler vor allem anhand expliziter Aussagen zum Heilsgeschehen – im Prolog, in Exkursen oder ausführlichen Figurenreden – erfolgt ist. Diese Aussagen sind jedoch mit der Erzählung vom konkreten Erlösungsgeschehen verquickt, so daß die dem Werk möglicherweise zugrundeliegenden Ideen nicht allein aus den reflektierenden Passagen rekonstruiert werden können. Das gilt auch für die Bedeutung rechtlicher Fragen im Heilsgeschehen, denen die ausführliche Schilderung und die narrative Aufarbeitung des Prozesses gegen Jesus neue Akzente verleihen. IV. Göttliches und menschliches Recht: Quer verbindung en zwischen den Rechtsordnung en? Die Erzählung der Geschehnisse der Passion macht es notwendig, daß rechtliche Vorgänge zwischen Menschen thematisiert werden. Das Rechtssystem auf Erden wird im ,Evangelium Nicodemi‘ Heinrichs von Hesler jedoch nicht systematisch zum göttlichen Recht in Beziehung gesetzt, etwa im Sinne der Gesetzeshierarchie des Thomas von Aquin75. Auch wird das menschliche Rechtssystem nicht historisch hergeleitet, beispielsweise als ,Notordnung‘ nach dem Sündenfall76. Die Herkunft des Rechts wird sogar an der Stelle im Text ausgespart, an der auf die (für irdische Rechtsverhältnisse wichtige) Zweischwerterlehre angespielt wird77. Ausgangspunkt für die Darlegungen des Erzählers zur Zweischwerterlehre ist der Ausspruch Jesu vor seiner Gefangennahme, daß zwei Schwerter genug seien (v. 529, cf. Lk 22,38). Der Erzähler gibt an, daß Petrus das eine, Johannes das andere Schwert getragen habe, und erklärt dann in einem ausdrücklich als solchen markierten Exkurs (vv. 532–556) die Bedeutung der zwei Schwerter, daß sie nämlich für zwei Gerichtsbarkeiten („gerihte“, v. 535) stünden. Der König solle 74

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Thomas von Aquin, Scriptum super libros Sententiarum magistri Petri Lombardi, episcopi Parisiensis, III, 20, 1, 1, 3, ed. M. F. Moos, vol. 3, Paris 1933, 615: „haec [sc. necessitas ex suppositione] dicitur necessitas immutabilitatis a quibusdam.“ Dazu und zu den Implikationen für konkrete Rechtsordnungen cf. W. Metz: lex und ius bei Thomas von Aquin, in: M. Walther/N. Brieskorn/K. Waechter (eds.), Transformation des Gesetzesbegriffs im Übergang zur Moderne? Von Thomas von Aquin zu Francisco Suárez, Stuttgart 2008, 17–36. Cf. P. Landau, Der biblische Sündenfall und die Legitimität des Rechts, in: D. Willoweit unter Mitarbeit von E. Müller-Luckner (eds.), Die Begründung des Rechts als historisches Problem (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 45), München 2000, 203–214. Cf. P. Mikat, Zweischwerterlehre, in: A. Erler/E. Kaufmann (eds.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Mitbegründet von Wolfgang Stammler, vol. 5, Berlin 1998, 1848–1859.

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das weltliche Schwert tragen und damit in der Welt für die Wahrung der Rechtsordnung sorgen: „damite sal er tun geslagen alle die weder dem rehten in sime rihte vehten; […]“ (vv. 538–540)

„damit soll er all die schlagen, die gegen das ,Rechte‘ in seinem Gerichtsbereich kämpfen; […]“

Das ‚geistliche Schwert‘ aber solle alle bezwingen, die sich gegen Gott wenden (vv. 544–556). Im Unterschied zu anderen Versionen der Zweischwerterlehre wird nicht thematisiert, wer die Schwerter wem übergeben habe, sondern es geht vor allem um die Funktion der ursprünglich von Petrus und Johannes getragenen Schwerter. Dabei ist die personale Zuordnung der Schwerter in der Ausgangsszene nicht auf die Lukas-Stelle zurückzuführen. Daß eines der Schwerter Petrus zugeordnet ist, dürfte mit dem Fortgang der Handlung zusammenhängen, nach dem es in Anlehnung an Joh 18,10 Petrus ist, der Jesus bei der Gefangennahme mit dem Schwert verteidigt (vv. 610–621). Dieser handgreifliche Schwerteinsatz erklärt wahrscheinlich auch, warum ihm das weltliche Schwert zugeschrieben wird; eine Anspielung auf eine Verbindung von Papsttum und weltlichem Schwert scheint nicht vorzuliegen. Die Kirche findet jedoch auch bei den Ausführungen zum geistlichen Schwert keine Erwähnung: Das Schwert des Johannes, der im Exkurs noch einmal ausdrücklich genannt ist (v. 544), wird als zweischneidig gekennzeichnet (vv. 546–551). Möglicherweise liegt hier eine Anspielung auf die Offenbarung des Johannes vor (Offb 1,16; 19,15)78. Dann wäre das geistliche Schwert eher ein Verweis auf das Jüngste Gericht als auf die geistliche Gerichtsbarkeit auf Erden. Dafür spricht auch, daß die mit dem geistlichen Schwert zugefügten Verwundungen als nicht heilbar beschrieben sind (vv. 552sq.). Wenn das geistliche Schwert auf die göttliche Gerichtsbarkeit hindeutete, würde verständlich, warum nicht gesagt wird, wer dieses Schwert auf Erden führt. Auf jeden Fall treten die Handlungsbefugnisse des weltlichen Schwerts auf Erden so in den Vordergrund. Der Erzähler stellt keinen Bezug zwischen dem Exkurs zu den zwei Schwertern und der Handlung her 79, aber nach der Gefangennahme Jesu heißt es, daß er „vor des riches dincstul“ geführt wird (v. 623). Damit wird der Richter Pilatus als Repräsentant des Reiches qualifiziert, an ihn dürfen also die Anforderungen des weltlichen Schwerts gestellt werden. Bei diesen Grundsatzanforderungen spielt es dann offenbar keine entscheidende Rolle, von welchem weltlichen Rechtssystem erzählt wird. Zwar fühlt sich der Erzähler bemüßigt, anläßlich des Berichts von 78

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Daß auch Heinrich von Hesler den Jünger Johannes mit dem Verfasser der Offenbarung (und dem Evangelisten) identifizierte, belegen Verse in seiner ,Apokalypse‘: Dichtungen des Deutschen Ordens I. Die Apokalypse Heinrichs von Hesler aus der Danziger Handschrift, ed. K. Helm (Deutsche Texte des Mittelalters 8), Berlin 1907 (http://archive.org/details/dieapokalypsehe00heslgoog, 20.10. 2012), vv. 233–309. Implizit ist die Lehre aber weiterhin präsent, s. u. Abschnitt V.

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dem Wunder, daß sich römische Banner mitsamt ihren Trägern bei dessen Erscheinen vor Jesus verneigen, den römischen Rechtsbrauch zu erläutern (vv. 835– 851). Aber abgesehen von dieser erklärungsbedürftigen Übernahme aus der lateinischen Vorlage wird das Prozeßgeschehen mit Zügen aus dem deutschen Rechtswesen der Entstehungszeit versehen, etwa wenn ,die Juden‘ Pilatus bitten, nüchtern Gericht zu halten (vv. 720–722)80. Zeitgenössische Rezipienten dürften auf dieser Grundlage auch andere Elemente der Handlung vor dem Hintergrund der eigenen Rechtskultur aufgefaßt und zum Beispiel die weinende Volksmenge (vv. 1145–1154) als ,Umstand‘ interpretiert haben, dessen Reaktion eine rechtliche Relevanz zukommt 81. Pilatus als Vertreter des weltlichen Schwerts erscheint über weite Strecken in einer positiven Richterrolle: Von Beginn an macht er ,den Juden‘ klar, daß sie Jesus nicht verurteilen dürften „wan mit rehte“ (,außer rechtmäßig‘, v. 727), wenn also eine „schult“ vorliege (v. 725). Während des Prozesses erweist sich Pilatus als Beschützer des Rechts, indem er etwa dafür sorgt, daß Zeugen, die für Jesus eintreten, ohne Angst aussagen können, und indem er lange Zeit nicht denjenigen nachgibt, die die Kreuzigung fordern, sondern auch die Reaktion des Umstandes berücksichtigt, in dem viele Leute weinen82. Pilatus erklärt Jesus mehrfach für unschuldig (vv. 1035–1044; 1096sq.; 1111; 1119–1121; 1298–1301; 1475sq.) und befragt ihn auch selbst (vv. 939–949; 1065–1092; 1127–1133; 1455–1470). In den an die kanonischen Evangelien angelehnten Dialogen mit Jesus klingt jedoch auch an, daß Pilatus eine Funktion im übergeordneten Heilsplan erfüllt, denn Jesus sagt zu Pilatus, jener solle mit ihm verfahren, wie es ihm durch die Prophezeiung der Passion im Alten Testament vorgegeben sei (vv. 1129; 1131–1133). Außerdem weist er Pilatus darauf hin, daß dieser keine Gewalt über ihn hätte, wenn sie ihm nicht verliehen worden wäre (vv. 1465–1468). Das prekäre Problem der Willensfreiheit des Pilatus wird aber nicht weiter thematisiert. Auch bleibt die heilsgeschichtliche Dimension des Geschehens insgesamt wenig konturiert: Zwar ist das Motiv aufgenommen, daß die Frau des Pilatus aufgrund eines Traumes versucht, Pilatus von einer Verurteilung Jesu abzuhalten (vv. 919–938), doch bleibt offen, 80

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Zu partiellen Aktualisierungen des Gerichtsverfahrens cf. E. Klibansky, Gerichtsszene und Prozeßform in erzählenden deutschen Dichtungen des 12.–14. Jahrhunderts (Germanische Studien 40), Berlin 1925 [Neudruck Nendeln 1967], 16–23; H. Fehr, Kunst und Recht, vol. 2: Das Recht in der Dichtung, Bern o.J. [1931], 229–232 und auch den Registereintrag „Juristisches“ bei Helm, Evangelium Nicodemi (nt. 5), 272sq. Die Verf. bereitet eine Studie zur Funktion solcher Aktualisierungen vor. Cf. J. Weitzel, Umstand, in: HRG (nt. 76), 437–442, bes. 441 zu literarisch gestalteten Tribunalszenen mit Volksmengen, die als Umstand angesehen werden können. Cf. Manuwald (nt. 29). Nach der Tradition könnten es Gott oder der Teufel sein (cf. Marx, The Devil’s Rights [nt. 66], 52–55 mit fig. 1; A. Scheidgen, Die Gestalt des Pontius Pilatus in Legende, Bibelauslegung und Geschichtsdichtung vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit [Mikrokosmos 68], Frankfurt a. M. 2002, 54sq.). Aus einer späteren Textstelle (v. 3237–3239) geht hervor, daß im ,Evangelium Nicodemi‘ Heinrichs von Hesler der Teufel nicht in Frage kommt, da er an diesem Punkt des Geschehens die wahre Natur Jesu noch nicht erkannt hat.

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wer ihr den Traum eingegeben hat 83. Beziehungsreich sind allerdings die Formulierungen, die der Frau des Pilatus in den Mund gelegt sind: „si sprach: ‚War tustu dinen sin? Ez zimt niht dinen ehten vordamnen den rehten, oder daz man en vor dir strafe.‘ “ (vv. 920–923)

„Sie sagte: ‚Wo läßt du deinen Verstand? Es ist deiner rechtlichen Position nicht angemessen, den Gerechten zu verurteilen, oder daß man ihn in deiner Anwesenheit bestrafe.‘ “

Die Wortwahl in v. 921 erinnert an die Textstelle, an der von der Rechtsverpflichtung Gottes gegenüber den Menschen die Rede war (vv. 216–219)84. Obwohl das menschliche Recht nicht aus dem göttlichen abgeleitet wird, scheinen so Parallelen auf, wobei ,ehte‘ als Handlungsmaßstab in bezug auf Pilatus auch auf seine institutionelle Richterposition verweisen könnte. Zu dem von ihm eingeforderten Verhalten gehört es, den ,Gerechten‘ angemessen zu behandeln; über die Bezeichnung Jesu als des „rechten“ (in Anlehnung an Mt 27,19) wird zugleich angedeutet, daß seine Verurteilung, da er das Richtige verkörpert, auch ein Angriff auf solche Prinzipien wäre. Die Figur der Analogie wird im Text auch im Auslegungsexkurs (vv. 1929– 2165) zum Kreuzeswort „Eli lamasabatani“ (vv. 1927 sq.) eingesetzt 85, um in ganz unterschiedlicher Weise Bezüge zwischen göttlichem und menschlichem ,Recht‘ bzw. Rechtshandeln herzustellen. In dem Exkurs werden nach der Zurückweisung eines falschen Textverständnisses ,der Juden‘ (vv. 1929–1933) in einer imaginierten großen Rede Jesu erneut Fragen der ,schult‘ diskutiert, da Jesus mit seinem Tod die Schuld von Adam und Eva auf sich nehme (vv. 1934–2044), bevor der Erzähler für die Deutung des Kreuzeswortes neu ansetzt (vv. 2094–2165). Daß Jesus überhaupt Klagen ausgesprochen habe, wird in diesem Zusammenhang mit seiner Gottmenschlichkeit gerechtfertigt: Gott habe der göttlichen und der menschlichen Natur Jesu zu gleichen Teilen ihr „reht“ gelassen (vv. 2120–2124), die göttliche Natur sei zu ihrer „ehte“ gekommen, die menschliche Natur zu ihrem „rehte“, denn Gottes „reht“ sei Erbarmen, das der Menschen die Klage (vv. 2125–2133). ,reht‘ und ,ehte‘ stehen hier jeweils für einen wesensmäßigen Anspruch des Mensch- bzw. Gottseins, der trotz der inhaltlichen Unterschiede in seinem subjektiven Charakter vergleichbar ist. In den zur Deutung von Jesu Worten am Kreuz imaginierten Klagereden Jesu werden göttliches und menschliches Rechtshandeln miteinander konfrontiert. Zunächst interpretiert der Erzähler den Ausruf Jesu „min got, / durch waz hastu vorlazen mich“ (vv. 2112sq.) durch die Hinzufügung weiterer klagender Worte Jesu, daß Gott ihn, fern von seinem ,Heil‘ („heile“, v. 2115), der Welt zum Urteil („zu urteile“, v. 2116) überlassen habe – mit der Konsequenz der Verurteilung zu 84 85

Die Parallelen sind auch deshalb belastbar, weil ,ehte‘ im gesamten Text nicht häufig vorkommt. Cf. das (nicht immer vollständige) Wortverzeichnis bei Helm, Evangelium Nicodemi (nt. 5), 268. Cf. dazu Wiedmer, Sündenfall (nt. 9), 67–73. Zur Schwierigkeit, Vorbilder für die Gedankenführung nachzuweisen, cf. Helm, Untersuchungen (nt. 7), 134; id., Evangelium Nicodemi (nt. 5), 240.

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menschlichem Leid und Tod (vv. 2117–2119). In einer Jesus in den Mund gelegten („als ob er sprechen solde“, v. 2147) weiteren Explikation des Klageausrufs Jesu (vv. 2148–2165) läßt der Erzähler ihn dann sozusagen ,seine göttliche Hälfte‘ (v. 2146) folgendermaßen anreden: „Daz diz din wille wolde, daz ist unheil mines heiles; dise werlt, die du vorteiles nach dinem mutwillen, daz mich die nu sal villen und also schentlich handelen, so wol duz maht wandelen[,] und also broden weist mich, daz ist mir wol vorlazen dich.“ (vv. 2148–2156)

„Daß dein Wille das wollte, das ist Unheil für mein Heil; diese Welt, die du, so wie es dir beliebt, verurteilst, daß die mich jetzt peinigen kann und so schmachvoll behandeln, – obwohl du es ändern könntest – und mich als so schwach offenbart, das ist für mich ein guter Grund, dich zu verlassen.“

Über das Verb „vorteilen“ weist diese Passage auf die vorher ausgeführte Klage Jesu über seine Verurteilung durch die Welt („die mich vorteilet in den tot“, v. 2117) zurück86. Dadurch, daß an beiden Stellen nicht von einer Gruppe von Menschen, sondern von der Welt die Rede ist, wird ein allgemeiner Gegensatz zwischen menschlichem und göttlichem Urteilen hergestellt. Die Analogie betrifft hier nur den Akt des Urteilens, nicht dessen Rechtmäßigkeit: Während die Welt ein ungerechtfertigtes Todesurteil fällt, verzichtet Gott, der nach eigenen Maßstäben handelt 87, darauf, die Welt zu deren Schaden zu verurteilen, so wie es von der Sache her berechtigt wäre; statt dessen wird Jesus der Welt überlassen. Der Mensch in Jesus interpretiert die so erfolgende Erlösung nicht ohne Bitterkeit als ‚Verurteilung‘ der Welt 88. Das menschliche Todesurteil erscheint durch die ausdrückliche 86

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Auch andere zentrale Wörter aus dem Klageausruf (vv. 2112–2119) sind im ersten Teil der Explikation (vv. 2148–2156) aufgenommen, nämlich ,heil‘ (vv. 2115; 2149), ,brode‘ (vv. 2119; 2155) und ,vorlazen‘ (v. 2113), das – ganz aus der Perspektive des leidenden Menschen gesprochen – in v. 2156 wiederkehrt. Die Technik, Sinnbezüge über Leitwörter zu schaffen, kann als charakteristisch gerade für die Exkurse im ,Evangelium Nicodemi‘ gelten. Cf. H. de Boor, Stilbeobachtungen zu Heinrich von Hesler, in: P. Merker/W. Stammler (eds.), Vom Werden des deutschen Geistes. Festgabe Gustav Ehrismann zum 8. Oktober 1925, dargebracht von Freunden und Schülern, Berlin–Leipzig 1925, 125–148, hier 138–144. Trotzdem erwägt de Boor, daß der Auslegungsexkurs eine spätere Hinzufügung sein könnte, weil er sich ohne weiteres aus dem Text lösen ließe (id., Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. Zerfall und Neubeginn. Erster Teil 1250 bis 1350 [Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart III,1], München 1957, 515). Das reicht aber als Unechtheitskriterium nicht aus (so auch Wiedmer, Sündenfall [nt. 9], 68). ,mutwille‘ (v. 2151) bezieht sich in der Rechtssprache häufig auf Handlungen, die nicht der Rechtsordnung, sondern dem eigenen Willen folgen, ist aber nicht notwendig negativ besetzt (cf. Deutsches Rechtswörterbuch [nt. 23], s. v.; Lexer, Mhd. Handwörterbuch [nt. 23], s. v.; Wörterbuch der mhd. Urkundensprache [nt. 22], s. v.). Wie bei der Erschaffung des Menschen (vgl. v. 219) ist Gott bei dessen Erlösung nicht an äußere Regeln gebunden. ,verteilen‘ (hier mit ostmitteldeutschem Präfix ,vor-‘) impliziert in der Regel, daß die Verurteilung zum Schaden des Verurteilten erfolgt (cf. BMZ [nt. 22], s. v.; Lexer, Mhd. Handwörterbuch [nt. 23], s. v.). Denkbar wäre auch die Deutung von ,vorteiles‘ als Konjunktiv, der dann nur die

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Kontrastierung mit Gottes Milde, die vermutlich auf sein „reht“ des Erbarmens zurückzuführen ist, um so fragwürdiger 89. Daß die unrechtmäßige Verurteilung Jesu aber auch eine Konsequenz des göttlichen Erlösungsurteils ist, klingt in den Worten Jesu zwar an, wird aber im Text sonst nicht zur Sprache gebracht. V. Göttliches und menschliches Recht: rechtspraktische Argumentationslinien Der Prozeß in seinem Verlauf wird als eine auf menschlicher Ebene stattfindende gerichtliche Auseinandersetzung geschildert, die von der Willensfreiheit der Akteure geprägt ist 90. ,Die Juden‘ werfen Jesus vor, ihre „e“, also ihr seit langen Zeiten geltendes Gesetz, zerstören zu wollen (v. 1483), was von Beginn der Gerichtsverhandlung an durch den Vorwurf des Bruches der Sabbatruhe exemplifiziert wird (v. 738). Pilatus wiederum fordert ,die Juden‘ auf, Jesus nach ihrer „e“ zu richten (also vor ein geistliches Gericht zu stellen), was sie ablehnen, da es ihnen nicht erlaubt sei, ein Todesurteil auszusprechen (vv. 1052–1055). Damit verbleibt die Verhandlung vor einem weltlichen Gericht. Auch dort wird aber die Rechtsordnung des Alten Testaments diskutiert, denn der als Zeuge für Jesus auftretende Nikodemus erklärt den Plan, Jesus töten zu wollen, zur Sünde, die „wider dem gebote“ (v. 1167) sei, und verweist unter anderem auf Mose als jemanden, dem von Gott die Kraft verliehen worden sei, Wunder zu tun (vv. 1164–1181). Später wirft Pilatus ,den Juden‘ vor, sie hätten sich schon immer ihren „meisteren und gote“ sowie „dem gebote“ der „meister“ widersetzt (vv. 1319–1325). Pilatus bezieht sich dann darauf, daß sie, als Mose „die zehn gebot“ empfangen habe, das goldene Kalb angebetet hätten (vv. 1351–1359). Trotz seines Einsatzes bei Gott für ihre Begnadigung hätten sie Mose als Unschuldigen steinigen wollen91, genauso wollten sie jetzt Jesus „mit valschen listen“ töten (vv. 1368–1372). Das Ansinnen ,der Juden‘, die sich auf Zeremonialgesetze berufen, wird so als Verstoß gegen das alttestamentarische Moralgesetz dargestellt 92. Obwohl Pilatus es als List durchschaut, daß ,die Juden‘ ihn beim Kaiser verleumden wollen, falls er ihren Wünschen nicht folgt (vv. 1373–1377), gibt Pilatus – nachdem ,das Volk‘ darauf insistiert, den Königsanspruch Jesu als Ungehor-

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Möglichkeit der Verurteilung angäbe. Da aber in v. 2154 deutlich ausgedrückt wird, daß Gott eine Handlungsalternative hat, ist es wenig wahrscheinlich, daß der Gedanke bereits vorher nicht ausdrücklich markiert eingeführt wird. Dabei sollte das Gericht des Pilatus „dem rehten zu heile“ (v. 843) verhelfen. Zwar wird im Textabschnitt zum Descensus erzählt, daß „der arge slange“ (v. 3130) gesagt habe, er habe ,die Juden‘ und Pilatus auf Jesus gehetzt (vv. 3131–3145), doch macht eine Figurenrede zugleich deutlich, daß er nicht Herr des Geschehens ist, denn er kann nicht erklären, wohin der gute Schächer verschwunden ist (vv. 3142–3147). Für die Zuschreibung von Verantwortlichkeiten spielt die Sicht, daß ,die Juden‘ und ,Pilatus‘ Werkzeuge des Teufels seien, weder bei der Schilderung des Prozesses selbst noch bei der späteren Erzählung von dessen Aufarbeitung eine Rolle. Ein biblischer Bezugspunkt für diesen Vorwurf könnte 4 Mos 14,10 sein. Zur Hochschätzung des Alten Testaments mit den Zehn Geboten cf. auch vv. 5248–5255.

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sam gegenüber dem Kaiser zu deuten – wider besseres Wissen schließlich nach: Er überläßt Jesus ‚den Juden‘, die ihn nach ,königlichem Recht‘ an das Kreuz schlagen lassen wollen (vv. 1488–1491). Das Urteil erscheint also nach dem Recht des Reiches sanktioniert – jedenfalls aus der Perspektive ,der Juden‘. Sie hatten Pilatus gebeten, daß er Jesus richten solle, „als er zu rehte solde“ (v. 1442) – wie es das Recht verlange –, und sie werden sich später darauf berufen, daß er „mit rehter klage“ (v. 2294) gekreuzigt worden sei. Es ist signifikant, daß selbst die durchweg negativ gezeichneten ,Juden‘ darauf beharren, daß der Prozeß korrekt durchgeführt werden solle bzw. worden sei. Daraus ist zu schließen, daß das Anerkennen der Rechtsnorm, daß eine Rechtsübertretung geahndet werden muß, offenbar für alle Menschen vorausgesetzt ist, wie auch – nimmt man das gesamte Werk in den Blick – für Gott und sogar den Teufel. Die Auffassung darüber, was als Normübertretung zu werten ist, kann jedoch differieren, wie das Beispiel ,der Juden‘ zeigt, die formaljuristisch argumentieren. Ihre auf der Figurenebene geäußerte Sicht auf den Prozeß wird jedoch im weiteren Verlauf der Erzählung durch die Handlung relativiert. In dem Teil, der auf der Pilatus-Veronika-Legende basiert, wird unmißverständlich klargemacht, was ,Recht‘ und was ,Unrecht‘ ist, indem nämlich der Prozeß gegen Jesus rückblickend juristisch aufgearbeitet wird. Als die Römer herausfinden, daß Pilatus geboten habe, Jesus zu töten (vv. 4291sq.), wird er gefangengesetzt mit dem Vorwurf, denjenigen getötet zu haben, der ihm das Leben gegeben und viele Heilungswunder vollbracht habe (vv. 4296–4309). Pilatus versucht, die Schuld auf ,die Juden‘ abzuwälzen (vv. 4310–4325), doch Simeon widerlegt die Unschuldsbehauptung (vv. 4326–4345): Zum einen wäre Jesus freigesprochen worden, wenn Pilatus „gerehtlichen und rehte“ (v. 4333) gerichtet hätte. Zum anderen habe Pilatus selbst angegeben, Gewalt über Jesus zu haben, mit anderen Worten: Pilatus habe Entscheidungsfreiheit gehabt und müsse sich seiner „schult“ bewußt sein. Bemerkenswert ist, daß das schuldhafte Verhalten daran festgemacht wird, daß Pilatus wissentlich falsch gehandelt hat. Damit geht es hier nicht nur um eine Erfolgshaftung, sondern um eine subjektive Schuld 93. Auf die Vorwürfe Simeons hin kerkern die Römer Pilatus ein, bis zu seiner Verurteilung zum Tode (vv. 4358–4363). Pilatus wird also im Kontext des menschlichen Rechts juristisch zur Verantwortung gezogen, die göttliche Sphäre wird aber mit reflektiert, denn Pilatus soll von den Römern mit folgenden Worten beschimpft worden sein: „O du gotes widerwarte, verchviant des rehten, […]“ (vv. 4348sq.)

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„O, du Gegner Gottes, Todfeind des ,Rechten‘, […]“

Cf. Jürgen Weitzel, Erfolgshaftung, in: 2HRG (nt. 53); St. Kuttner, Kanonistische Schuldlehre. Von Gratian bis auf die Dekretalen Gregors IX. Systematisch auf Grund der handschriftlichen Quellen dargestellt, Vatikanstadt 1935.

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Hier wird Gott mit ,dem Rechten‘ parallelisiert, wobei „des rehten“ mehrere Deutungen zuläßt, denn neben der offensichtlichen Interpretation als ,das Rechte‘ ist es auch möglich, die Form auf ,den Rechten‘ bzw. ,Gerechten‘ zu beziehen, so wie Jesus in der Rede der Frau des Pilatus bezeichnet worden war (v. 922)94. Als Feind ,des Rechten‘ im Sinne von ,des Rechtmäßigen‘ unterliegt Pilatus wiederum dem weltlichen Schwert, mit dem der Herrscher alle die schlagen soll, die „weder dem rehten / in sime rihte vehten“ (vv. 539sq.)95. Das gilt nach der Logik des Textes insbesondere auch für die ebenfalls am Urteil gegen Jesus beteiligten ,Juden‘, die der mittlerweile zum Kaiser gewordene Vespasian (vv. 4612–4663) nach der Eroberung Judäas an der Stelle, an der Jesus verurteilt worden war, mitsamt ihrem Geschlecht „mit rehte“ (v. 4687) verurteilt, nach „romischen urteilen“ (v. 4691) mit Bann belegt (vv. 4687–4691); ihr rechtlicher Status wird im einzelnen festgelegt (vv. 4692–4713)96. Der Erzähler schließt an die Erzählung von der Verurteilung ,der Juden‘ eine über 600 Verse umfassende Invektive gegen ,die Juden‘ an (vv. 4714–5392)97, die das Werk beschließt und so gewissermaßen das kompositorische Gegenstück zum Prolog bildet. Auf den ersten Blick haben die beiden Textteile wenig miteinander zu tun, doch gibt es thematische Verbindungslinien: Geht es im Prolog um eine rechtlich begründete ,Notwendigkeit‘ zur Erlösung, wird im abschließenden Exkurs aus dem zur Erlösung führenden Passionsgeschehen eine ,Notwendigkeit‘ zur Bestrafung ,der Juden‘ abgeleitet: „Set daz soldet ir bewarn, wen daz gerihte uwer ist. Hat uch geloset Jesus Crist von den geisten bosen, so soldet ir in ouch losen von disen unreinen geisten, die ime nie truwe leisten und nimmer neheine wolden.“ (vv. 4942–4949)

„Gebt acht, das solltet ihr befolgen, denn ihr habt die Gerichtsgewalt. Hat euch Jesus Christus von den bösen Geistern erlöst, dann solltet ihr ihn auch von diesen unreinen Geistern erlösen, die ihm nie Treue leisteten und auch niemals welche (annehmen) wollten.“

Die Ausführungen sind insbesondere an Fürsten adressiert, die ihren aus dem weltlichen Schwert erwachsenden Verpflichtungen nachkommen sollen (vv. 4920– 94

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Bei ,dem Rechten‘ handelt es sich wiederum um ein Leitwort innerhalb des Textes. Zugleich könnten dahinter weitergehende theologische Überlegungen zur Einheit von ,Recht‘, ,Gerechtigkeit‘ und dem ,Gerechten‘ stecken (zur Gerechtigkeitslehre Eckharts cf. B. Mojsisch, Meister Eckhart. Analogie, Univozität und Einheit, Hamburg 1983, 65–70). Exakte Parallelen lassen sich jedoch nicht feststellen. Pilatus wird allerdings auch als Feind Gottes bestraft, nach der früheren Festlegung eine Aufgabe des geistlichen Schwerts (cf. vv. 544–556); jedoch werden ,Gott‘ und ,Recht‘ offenbar als so eng verbunden verstanden, daß das weltliche Schwert diese Aufgabe mit erfüllen kann. Unter anderem wird ,den Juden‘ die Gerichts- und Zeugnisfähigkeit (vv. 4694sq.) aberkannt. Cf. dazu Ch. Magin, „Wie es umb der iuden recht stet“. Der Status der Juden in spätmittelalterlichen deutschen Rechtsbüchern, Göttingen 1999, 407; 415–419. Zu deren predigthaftem Charakter vgl. Schulze, Predigten (nt. 11), 119–122, die auch die Argumente aufschlüsselt.

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4941)98. Vor allem sollten sie „gotes mort“ rächen, sonst würden sie im Jenseits zur Rechenschaft gezogen (vv. 4950–4954). Die Kritik an ,den Juden‘ bezieht sich mit dem Mordvorwurf und der Erinnerung an Jesu Leiden bei der Passion (vv. 4963–4973) auf die Vergangenheit, aber auch auf die Gegenwart des Textes, indem ,den Juden‘ beispielsweise vorgehalten wird, „unse e“ (unter Stärkung ihrer „e“) zu zerstören (vv. 4999–5006) – eine (anders akzentuierte) Umkehrung der Beschuldigung ‚der Juden‘ gegenüber Jesus im Prozeß (v. 1483). Noch weniger als bei Pilatus wird für ,die Juden‘ ihr Fehlverhalten innerhalb einer Rechtsordnung bzw. konkret im Prozeß gegen Jesus aufgearbeitet. Rechtliche Aspekte sind zwar im letzten Teil des Textes nach wie vor zentral, werden dort aber vor allem instrumentalisiert, um die Forderung nach der Bestrafung ,der Juden‘ zu begründen. Nicht nur, daß der Erzähler von den Fürsten Rache fordert, er argumentiert in Zusammenhang mit der Warnung davor, mit ,den Juden‘ eine Gemeinschaft zu bilden, auch mit „gotes reht“: „Allez daz dem gemeinet, daz ist an gote vorsteinet, und gotes reht unrihtet und wider gote vihtet und gotes niht enruchet, daz ist vor gote vorvluchet und ewiclich vorwazen. Solt ir die juden den lazen under u mit vride wesen, […]?“ (vv. 5021–5029)

„Alles, das sich damit [sc. ,den Juden‘] verbindet – das ist Gott gegenüber verstockt – und Gottes Recht in Unrecht verkehrt und gegen Gott kämpft und seine Gedanken nicht auf Gott richtet, das ist vor Gott verflucht und für alle Ewigkeit verdammt. Sollt ihr die Juden also unter euch in Frieden leben lassen, […]?“

Nach dieser Textstelle kann „gotes reht“ auf Erden in Unrecht verkehrt („unrihtet“) werden. Obwohl der Wortlaut der zitierten Verse eher auf gängige Klischees zum Verhalten ‚der Juden‘ hindeutet, sind – trotz des abwertenden ,das‘ (v. 5021) – die Fürsten gemeint, die sich ,den Juden‘ gleich machten, wenn sie diese nicht verfolgten. Sie würden nicht nur auf Erden durch eine eventuelle Vorherrschaft ,der Juden‘ Nachteile haben, sondern auch beim Jüngsten Gericht dafür angeklagt werden, wenn sie Gott auf Erden nicht angemessen verträten, indem sie nämlich ,die Juden‘ und deren Kinder, die Feinde Gottes seien, in Ruhe ließen (vv. 5050–5060)99. Man kann erschließen, daß die Fürsten auf diese Weise „gotes reht“ in Unrecht verkehren100.

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Das weltliche Schwert ist nicht explizit genannt, aber der Wortlaut von vv. 4925–4930 korrespondiert mit vv. 541–543. Auch hier schließt der Aufgabenbereich des weltlichen Schwerts den Kampf gegen die Feinde Gottes ein. Für die Gedankenfigur, daß überhaupt eine Verbindung zwischen menschlicher Gerichtsbarkeit und göttlicher Gerechtigkeit besteht, gibt es eine (anders akzentuierte) Parallele im ,Decretum Gratiani‘ (C.79, q.3 c.11). Dort wird ein nicht objektiv gefälltes Urteil als Perversion des iudicium Christi, qui est iustitia gesehen. Cf. Decretum magistri Gratiani, ed. Lipsiensis secunda post Aemilii

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Während hier die menschliche Gerichtsgewalt von der göttlichen abgeleitet ist, wird im folgenden die geforderte Verhaltensmaxime gegenüber Gott mit menschlichen Rechtsgrundsätzen begründet: Das zuvor bereits genannte Prinzip, daß man mit den Heiligen heilig werde, mit den Verdammten verdammt etc. (vv. 5045– 5049), wird vom Erzähler mit einer juristischen Argumentation noch einmal untermauert, indem er sich darauf beruft, ,ein von altersher zugesprochenes Recht‘ („ein alt erteilet reht“, v. 5062) besage, daß man sich genau so schuldig mache wie ein Dieb, wenn man einen solchen verstecke (vv. 5061–5068)101. Gottes ,Rache‘ am Teufel erscheint zwar durch die wiederholten Aufforderungen zur Rache an ,den Juden‘ indirekt auch als ein Vorbild für Strafhandlungen. Gott wird in der Argumentation jedoch vor allem als Maßstab für richtiges und rechtmäßiges Verhalten präsentiert, jedenfalls in der abschließenden Aufforderung an ,Israel‘ 102, richtig zu handeln („O Israel tu rehte“, v. 5294) und sich nicht dem ewigen ,Fall‘ anheimzugeben: Zwar meine ,Israel‘ den Geboten Gottes zu folgen, aber ihm fehle das Vertrauen, dem allmächtigen und vorauswissenden Schöpfergott auch die Erlösung zuzugestehen (vv. 5294–5359). Es wird wiederum suggeriert, daß das Rechtsverständnis ,der Juden‘ auf einer äußerlichen Ebene verbleibe, wohingegen ihnen das Wesen Gottes unzugänglich sei. Es wird von ihnen verlangt, „daz rehte“ in ihren „sin“ zu nehmen (v. 5312). Bei aller Betonung der Unbegreiflichkeit von Gottes Macht („gewalt“, v. 5354) werden doch den seinen analoge Verhaltensweisen der Menschen eingefordert – angesprochen ist ,Israel‘, aber damit auch alle anderen, die das ewige Leben wählen wollen (vv. 5360–5392)103: „enber swes got wil enbern, und halde, swaz er ouch halde, […]“ (vv. 5364sq.)

„verzichte darauf, worauf Gott verzichten möchte, und halte daran fest, woran auch er festhält, […]“

Aus dieser generellen Aufforderung kann man auch ableiten, daß sich die Menschen – wie Gott – rechtmäßig verhalten sollen. Sowohl die Figuren als auch der Erzähler berufen sich immer wieder auf Rechtsordnungen oder argumentieren mit Rechtsprinzipien, beziehen sich auf ‚das Rechte‘. Manches wird dabei selbstverständlich vorausgesetzt, zum Beispiel, daß Gott mit den Zehn Geboten verbindliche Regeln erlassen hat oder daß die Für-

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Ludovici Richteri curas ad librorum manu scriptorum et editionis Romanae fidem recognovit et adnotatione critica instruxit Aemilius Friedberg (Corpus iuris canonici 1), Leipzig 1879, 665 (http://geschichte.digitale-sammlungen.de/decretum-gratiani/online/angebot, 20.10. 2012). Zur ,Begünstigung‘ cf. E. Kaufmann, Teilnahme, in: HRG (nt. 77), 138–141, hier 140. Die Verse bilden eine Einleitung zu längeren Ausführungen, in deren Verlauf die Kammerknechtschaft kritisiert und indirekt als ,Hehlerei‘ mit dem unrechtmäßig angehäuften Schatz ,der Juden‘ charakterisiert wird (cf. vv. 5067–5238). Cf. H. Schreckenberg, Die christlichen Adversus-JudaeosTexte und ihr literarisches und historisches Umfeld, vol. 3, Frankfurt a. M. 41999, 360sq. (mit weiterer Literatur). Zu den positiven Implikationen dieser Anrede (cf. Röm 11,26a) cf. Schulze, Predigten (nt. 11), 121. So auch Schulze, Predigten (nt. 11), 122.

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sten seine Stellvertreter auf Erden sind. Aber die Ableitung des Rechts von Gott ist im Text nicht bestimmend, vielmehr geht es auf verschiedenen Ebenen um Parallelen: Wer ein Feind Gottes ist, ist auch gegen das Recht; er kann und sollte mit rechtlichen Mitteln bestraft werden. Menschliche Rechtsgrundsätze können Orientierung für das Verhalten gegenüber Gott geben; wichtiger ist aber Gott als Maßstab für richtiges Handeln. Dabei liegt der Schwerpunkt darauf, wie Verdammung vermieden werden kann, nicht auf dem Schicksal der bereits schuldig Gewordenen. Indem Fragen des richtigen beziehungsweise dem Recht gemäßen Verhaltens auch in der Handlung immer wieder zur Sprache kommen, gewinnt der Text nicht nur in der abschließenden Scheltrede einen appellativen Charakter. VI. Fazit Schaut man sich den Textbefund zur Frage nach göttlichem und menschlichem Recht insgesamt an, so ergibt sich ein vielschichtiges und auch verwirrendes Bild: Einerseits werden beide Rechtskreise getrennt voneinander dargestellt, andererseits gibt es onomasiologische Verbindungen. Eine Schwierigkeit bei der Textinterpretation besteht darin, daß Übereinstimmungen in der Wortwahl Analogien suggerieren, die auf semantischer Ebene oft, aber nicht immer gedeckt werden. So ist zum Beispiel die ,schult‘ des Schöpfergottes etwas anderes als die ,schult‘ Adams, der eine Normübertretung begangen hat, die nicht vorhandene ,schult‘ Jesu oder die ,schult‘ des Pilatus104. Daß sich konkrete Wortbedeutungen überlappen, aber häufig nicht identisch sind, führt zusammen mit dem weiten Bedeutungsradius der zentralen Rechtswörter auch dazu, daß eine Abgrenzung von subjektivem und objektivem Recht schwierig ist105. Das sollte jedoch nicht als Unzulänglichkeit angesehen werden, denn so kann beispielsweise die innere Notwendigkeit des Erlösungshandeln Gottes zum Ausdruck gebracht werden, ohne daß es als Zwang erscheint. Die analytischen Probleme deuten ferner auf die Machart des Textes hin. Daß der Text mit Wortwiederholungen arbeitet, ist in der älteren Forschung als Stilprinzip erklärt worden106. Darüber hinaus werden jedoch über Korrespondenzen 104

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Zum sprachphilosophischen Problem, ob grundsätzlich von einer „analogical nature of theological language“ auszugehen ist, cf. McGrath, Iustitia Dei (nt. 62), 89–92 (in bezug auf mittelalterliche Diskussionen zum Wort iustus). Dieses Problem scheint im ,Evangelium Nicodemi‘ nicht virulent zu sein. Zwar ist die jeweils zu aktualisierende Bedeutung nicht identisch, aber ,menschliche‘ Rechtswörter werden ohne weiteres dazu eingesetzt, das Handeln Gottes verständlicher zu machen. Auch die Gegenstandskonstitution müßte überdacht werden: Zählt beispielsweise das ,reht‘ der Menschheit auf Klage zum ,Recht‘ im modernen Sinn? De Boor, Stilbeobachtungen (nt. 86), bezieht sich vor allem auf den Gebrauch von Leitwörtern in einzelnen Abschnitten, für den er Gottfried von Straßburg und Konrad von Würzburg als Vorbilder ansieht (zu chronologischen Problemen vgl. Honemann, Apokalypse [nt. 2], 77). Er sieht dieses Stilprinzip im ,Evangelium Nicodemi‘ nur bei den „geistlichen Exkursen“ gegeben (cf. ibid., 138–144). Wie gezeigt wurde, arbeitet der Text – auch in Partien der Handlungsschilderung – darüber hinaus mit Wortentsprechungen zwischen weiter auseinanderliegenden Stellen;

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in der Wortwahl Verknüpfungen von Phänomenen angedeutet, wobei allerdings deren Verhältnis nicht explizit bestimmt wird107. So ist zwar das Verhältnis von göttlichem und menschlichem Recht nicht auf eine klare Formel zu bringen, aber die beiden Rechtssphären werden einander angenähert. Unterstützt wird diese Verknüpfung auf der Wortebene durch inhaltliche Analogien: So gilt etwa für Gott und für Pilatus, daß man für das, was man wissentlich getan hat, einstehen muß. Die für den Text charakteristische Hervorhebung der ,schult‘ Gottes hat nicht nur eine Funktion für die Erklärung des Heilsgeschehens, sondern sie bereitet auch die Argumentation vor, daß Fürsten ,schult‘ vermeiden sollten (indem sie gegen ,die Juden‘ vorgehen), weil sie sonst beim Jüngsten Gericht einen Ausgleich leisten müßten. Es dürfte kein Zufall sein, daß im Text solche Plattheiten nicht ausgesprochen werden, mit denen die Unterschiede zwischen Gott und den Menschen verwischt würden. Und doch wird suggeriert, daß göttliche und menschliche Gerechtigkeit kompatibel seien, denn das Handeln des gerechten Gottes soll Vorbild für die Menschen sein. Gerade die Aufforderungen zum Schluß machen, wenn man von den agitatorischen Aspekten einmal absieht, einen – maßgeblich auf der Annäherung der beiden Rechtssphären beruhenden – didaktischen Anspruch des Textes erkennbar. Doch wie läßt sich das Unrechtsurteil gegen Jesus in ein solches Konzept einfügen? Die positive Darstellung des Pilatus in der Erzählung vom Prozeß gegen Jesus hat sicherlich die Funktion, ,die Juden‘ in ein schlechtes Licht zu setzen. Darüber hinaus könnte sie aber dazu dienen, ein positives Bild weltlicher Gerichtsbarkeit zu vermitteln. Durch die aktualisierenden Züge dürfte dieses Bild für den zeitgenössischen Rezipienten zusätzlich an Relevanz gewonnen haben. Den PilatusVeronika-Teil des Textes kann man dann als einen Versuch lesen, mit dem Skandalon des durch die kanonischen Evangelien vorgegebenen Unrechtsurteils fertig zu werden: Die Schuldigen werden bestraft, und zwar mit Hilfe des Rechts, das so seine Autorität behält. Der mangelnden Kohärenz in der Figurenzeichnung des Pilatus steht also eine argumentative Kohärenz gegenüber. Indem den menschlichen Akteuren eine Entscheidungsfreiheit zugestanden wird, erscheint Gott nicht als direkt verantwortlich für das Unrechtsurteil. Jedoch wirft der Text auch weitere Fragen auf: Wenn die Gerichtsbarkeit auf Erden grundsätzlich ,gotes reht‘ in Unrecht verkehren kann, gilt das dann auch für den Prozeß gegen Jesus? Und wie verträgt sich eine solche Verkehrung mit dem Heilsplan des gerechten Gottes? In dieser Hinsicht ist es bemerkenswert, daß bei allem Bestreben, der Schöpfung (mit der fragilitas des Menschen) und der Erlösung sogar eine rechtliche

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das läßt sich etwa auch für das Wort ,smac‘ erweisen, das nach der Nennung in Zusammenhang mit dem Paradiesbaum (v. 7) zweimal in rückverweisender Funktion im Rahmen der Passion auftaucht (vv. 1678; 1960). Daß über Wortwiederholungen Analogien suggeriert werden, die dann aber nicht aufgehen, hat ebenfalls eine Parallele bei Gottfried von Straßburg. Cf. dazu S. Köbele, Wiederholung in Gottfrieds »Tristan«, in: Ch. Huber/V. Millet (eds.), Der »Tristan« Gottfrieds von Straßburg. Symposion Santiago de Compostela, 5. bis 8. April 2000, Tübingen 2002, 97–115.

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Logik zu verleihen, der Erzähler selbst die Unergründlichkeit der Entscheidungen Gottes proklamiert, indem er am Ende des heilsgeschichtlichen Prologteils sagt: „O meister aller wisheit stric dine urteil sint unfundic. Wer mac erkennen dinen sin? Du gewunne da gewin, da wir vorliesen gedahten, die schult zu sunden brahten, und der tufel wande gewinnen. Du zubreche sin mit sinnen108 von du dir lob und ere noch mer den immer mere.“ (vv. 291–300)110

„O Herr über die Verstrickungen aller Weisheit, deine Entscheidungen sind unergründlich. Wer kann deine Vernunft erkennen? Du erzieltest da einen Gewinn, als wir zu verlieren meinten, der Sünde die Schuld hinzufügten, und der Teufel zu gewinnen glaubte. Du hast Vernunft mit Vernunft zunichte gemacht109, daher sei dir Lob und Ehre noch mehr als immer mehr.“

Liest man das ,Evangelium Nicodemi‘ mit einem Fokus auf rechtliche Aspekte als Teil einer Problemgeschichte und fragt, auf welche Probleme der Text referiert, so ist sicherlich zunächst an die Erklärungsbedürftigkeit von Sündenfall und Erlösung zu denken, wie sie stellvertretend in den ,Schüler‘-Fragen zu Beginn des Textes eindringlich formuliert ist111. Die diskursive Rahmung des Textes verweist aber noch auf ein anderes Problem, nämlich das Spannungsverhältnis zwischen der Unbegreiflichkeit Gottes auf der einen und dem Bedarf nach praktischer Anleitung für ein gottgefälliges Leben auf der anderen Seite. Trotz der abschließenden Aufforderung (vv. 5360–5392), Gottes Ratschluß nicht zu hinterfragen, entwirft der Text im Erzählverlauf ein heilsgeschichtliches Erklärungsmodell der necessitas immutabilitatis, um mit den Scholastikern zu sprechen. Durch die Betonung der rechtlichen Aspekte (und die Aussparung prekärer Punkte, vor allem der Willensfreiheit des Pilatus) wird Gott darin von einer unbegreiflichen Größe zu einer moralischen Instanz, dessen Verhaltensmaximen für Menschen unmittelbar zur Orientierung dienen können. So rückt das „ewige leben“ (v. 5361) in greifbare Nähe, denn die Menschen, die gerecht handeln, können sich auf Gott verlassen und dem Tag ruhig entgegensehen, an dem sie selbst ,vor dem Gesetz‘ werden erscheinen müssen.

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Piper, Geistliche Dichtung (nt. 12), liest hier: „do zebræhde ín mit ínnen, / Von dev […]“. In Analogie zu Vers 294 ist „zebræhde“ wohl als 2. Pers. Sg. Ind. Prät. zu verstehen und in der Übersetzung entsprechend wiedergegeben. Cf. die erhellende Interpretation von ,sin‘ an dieser Stelle bei Ch. Thelen, Das Dichtergebet in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin–New York 1989, 393sq. Gottes ,sin‘ bezeichnet demnach seinen Heilsplan, der menschliche ,sin‘ den menschlichen Verstand. „Der sin des Menschen kann Gottes sinne, seinen Heilsplan, nicht erfassen und glaubt sich nach dem Sündenfall schon verloren (295), indem Gott den Menschen dennoch erlöst, wird der menschliche sin an den sinnen Gottes zuschanden […] (298)“. Cf. zur Stelle auch Wiedmer, Sündenfall (nt. 9), 60sq. Als korrespondierende Passage zur Unbegreiflichkeit Gottes im Schlußteil des Werks cf. vv. 5351–5359. De Boor, Die deutsche Literatur (nt. 86), 515, schrieb (unter anderen methodischen Prämissen): „Es ist das brennende Problem von Vorbestimmung und freiem Willen, das Heinrich in allen drei Dichtungen beschäftigt.“

Lex und iuramentum Gott als Wahrheitszeuge und Rechtsgarant in spanischen Gesetzescodices S W (Köln) I. Einführ ung In den Reichen der Krone Aragon kommt es im 13. Jahrhundert zu Rechtskodifikationen, die, vom König autorisiert und öffentlich promulgiert, Gesetzeskraft erlangen. Zu diesen gehören die 1251 von Jaume I. promulgierten Usatges (Usatici) von Barcelona ebenso wie die Franqueses i Privilegis del regne de Mallorca Jaumes II. von 12901. Es handelt sich dabei jeweils um die abschriftliche Sammlung von Landfrieden und von wichtigen Privilegien, die von König oder Papst der universitas des Landes verliehen worden waren. Aufgrund ihres AbschriftCharakters, ihrer Übertragung in einen Codex, entbehren die Privilegien jener Authentizität, die Originalurkunden erst rechtskräftig macht 2. Neben inhaltlichen Merkmalen gehören dazu visuelle Erscheinungsmerkmale, neben Format und Urkundenschrift insbesondere die graphische Hervorhebung der Invocatio zu Beginn und des Herrschersignums am Schluß des Privilegs3. Der an charakteristische, äußere wie innere Merkmale gebundene Rechtscharakter von Urkunden 1

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A. Wolf, Gesetzgebung in Europa 1100–1500. Zur Entstehung der Territorialstaaten, München 1973, 21996, zu Aragon 123–221, Katalonien 225–221, Mallorca 228sq. D. J. Kagay, The Usatges of Barcelona: The Fundamental Law of Catalonia, Philadelphia 1994. A. J. Kosto, Making Agreements in Medieval Catalonia. Power, Order, and the Written Word 1000–1200, Cambridge 2001. R. A. Maxwell, Sealing Signs and the Art of Transcribing in the Vierzon Cartulary, in: The Art Bulletin 81/4 (1999), 576–597. G. Declercq, Originals and Cartularies. The Organisation of Archival Memory (9–11thC), in: K. Heidecker (ed.), Charters and the Use of the Written Word in Medieval Society (Utrecht Studies in Medieval Literacy 5), Turnhout 2000, 147–170. M. Späth, Das ‚Regestum‘ von Sant’Angelo in Formis: Zur Medialität der Bilder in einem klösterlichen Kopialbuch des 12. Jahrhunderts, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 31 (2004), 41–59. H. Meyer zu Ermgassen, Nominis nostri conscripto caractere. Die Monogrammzeichnungen im Codex Eberhardi aus Kloster Fulda, in: Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde 39, ed. W. Heinemeyer, Köln–Weimar–Wien 1993, 201–267, hier 205–212. P. Rück, Die Urkunde als Kunstwerk, in: A. von Euw/P. Schreiner (eds.), Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und des Westens um die Wende des ersten Jahrtausends, Köln 1991, Vol. 2, 311–333. Id., Beiträge zur diplomatischen Semiotik, in: id. (ed.), Graphische Symbole in mittelalterlichen Urkunden. Beiträge zur diplomatischen Symbolik (Historische Hilfswissenschaften 3), Sigmaringen 1996, 13–48. P. Worm, Alte und neue Strategien der Beglaubigung. Öffentlichkeit und Königsurkunde im frühen Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 38 (2004), 297–308.

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wird in diesen Privilegiensammlungen jedoch medial übersetzt, durch andere textuelle wie visuelle Formen der Autorisierung unterstützt. Die Privilegiensammlungen der Usatges und Franqueses sind, anders als die um 1250 angelegten, aber erst Mitte des 14. Jahrhundert rechtskräftig und wirksam werdenden, am römischen Recht orientierten, systematischen Kodifizierungen des Gewohnheitsrechts, die Compilatio maior/Vidal Mayor Jaumes I. von Aragon und die Siete Partidas Alfons X. von Kastilien-León, nicht systematischthematisch geordnet 4. Stattdessen geben beide durch die chronologische Anordnung der Privilegien-Abschriften die historische Genese des geltenden Rechts zu erkennen und nutzen diese zur Legitimation der Kodifikation. Die Privilegien, die einzeln nur als Partikulargesetzgebung aufzufassen sind, werden durch ihre Sammlung in einem Rechtscorpus und durch dessen Promulgation zudem aufgewertet und zur Rechtskodifikation mit allgemeinem Geltungsanspruch erhoben. Dieser hohe Geltungs- und Wahrheitsanspruch der Usatges- und FranquesesCodices wird in Handschriften des 14. Jahrhunderts durch ihren künstlerischen Schmuck unterstrichen. Miniaturen vergegenwärtigen den Rechtsakt, der der urkundlichen Privilegienverleihung zugrunde liegt, sie machen den Betrachter zum Zeugen der Rechtshandlung 5. Zudem wird der Wahrheits- und Gesetzesanspruch der im Codex versammelten Privilegien und Constitutiones durch deren Einschreibung in die zeichenhafte Präsenz Gottes und in die Heilsgeschichte vermittelt. Wie dies geschieht, wird im folgenden an zwei Beispielen, dem Llibre dels Reis von Mallorca von 1334 (Palma, Arxiu del Regne de Mallorca, Cod. 1) sowie dem Tercer Llibre Verd von Barcelona von 1346 (Arxiu Històric de la Ciutat de Barcelona, 1G.L-10), gezeigt 6. In beiden Handschriften wird die chronologische Privilegien4

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Zur Genese der Siete partidas Alfons’ X. cf. Wolf, Gesetzgebung (nt.1), 199–202. R. Craddock, The Legislative Works of Alfonso el Sabio, in: R. I. Burns (ed.), Emperor of Culture. Alfonso X the Learned of Castile and His Thirteenth Century Renaissance, Philadelphia 1990, 182–198; Textedition cf. Las Siete Partidas del Sabio Rey don Alfonso el Sabio, cotejadas con varios codices antiguos por la Real Academia de la Historia, I–III, Madrid 1807. Die Kodifizierung der Fueros von Aragon wurde im Auftrag König Jaumes I. vom Bischof von Huesca, Vidal de Cañellas, 1247–1252 angelegt; cf. Wolf, Gesetzgebung (nt.1), 214sq. Textedition der aragonesischen Textfassung des Vidal mayor siehe M. De los Desamparados Cabanes/A. Blasco Martínez/P. Pueyo Colomina (eds.), Vidal Mayor. Edición, introducción y notas al manuscrito, Zaragoza 1997. S. Wittekind, Ego Petrus Sangiz rex donationem confirmo et hoc signum manu mea facio. Formen der Autorisierung in illuminierten Urkundenabschriften des Hochmittelalters in Nordspanien, in: K.-G. Beuckers/C. Jobst/S. Westphal (eds.), Buchschätze des Mittelalters. Forschungsrückblicke – Forschungsperspektiven (Beiträge zum Kolloquium des Kunsthistorischen Instituts der ChristianAlbrechts-Universität Kiel vom 24. bis zum 26. April 2009), Regensburg 2011, 211–231. Zu illuminierten Usatges-Handschriften cf. G. Coll i Rosell, Manuscrits jurídics i il.luminació. Estudi d’alguns còdexs dels usatges i constitucions de catalunya i del decret de gracià 1300–1350 (Textos i Estudis de Cultura Catalana 38), Montserrat 1995. J. Sobrequés i Callico (ed.), El Llibre Verd de Barcelona. Edición facsímil (Apographa historica Cathaloniae. Sèrie Històrica 8), Barcelona 2004. R. Urgell Hernández (ed.), Llibre dels Reis. Llibre de franqueses i privilegis del regne de Mallorca. Còdex numero 1 de l’Arxiu del regne de Mallorca. Estudis i transcripcions, Palma 2010. Die hinsichtlich der Auftraggeber wie der Verwendung irreführende Bezeichnung der Handschrift als Llibre dels Reis stammt erst aus dem 19. Jahrhundert.

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sammlung ergänzt um Paratexte, die das geltende Gewohnheitsrecht in einen sakralen Rahmen einbetten. Zu diesen gehören der liturgische Kalender, Evangelienauszüge sowie Chroniken. Der Kalender repräsentiert die Macht Gottes als Schöpfer und Regent des Kosmos. Die im Jahreskreis hervorgehobenen Festtage weisen auf das göttliche Erlösungswerk Christi. Chroniken führen die Heilsgeschichte bis in die Gegenwart fort und stellen so das nachfolgende Gewohnheitsrecht als Teil des göttlichen Heilsplans dar. Evangelienauszüge repräsentieren die vier Evangelien und damit Christus logos. Das Recht wird damit in Gegenwart Christi schriftlich niedergelegt; Christus erscheint als Zeuge der Gesetzgebung und als Garant des Rechts. Durch diese sakralen Kon-Texte erhält das katalanische Gewohnheitsrecht einen neuen hohen Rang. Der künstlerische Schmuck der beiden Usatges- und Franqueses-Handschriften markiert und verdeutlicht diesen Ranganspruch der Kodifikation als geordnetes und göttlich legitimiertes Recht. Die Bedeutung der Codices entfaltet sich, wie zu zeigen ist, jedoch erst im Handeln mit dem Buch, im Kontext der Vereidigung von Amtsträgern wie des Königs. Das Rechtsbuch verkörpert in der Eideshandlung das Recht, zu dessen Wahrung sich der Schwörende vor Gott und den Menschen verpflichtet. II. Zeichenhafte Präsenz Gottes im Tercer Llibre Verd de Barcelona Die Verschriftlichung des katalanischen Gewohnheitsrechts, der Usatici oder Usatges, geht zurück auf Landfriedensbeschlüsse und eine erste Rechtskompilation unter Graf Ramon Berenguer I. (1035–1076)7. Von nachfolgenden Grafen Barcelonas, die seit der Heirat Ramon Berenguers IV. (1131–1162) mit der aragonesischen Thronerbin Petronilla 1137 zugleich Könige von Aragon sind, werden weitere Landfrieden, Privilegien und Hofratsbeschlüsse ergänzt und seit Mitte des 12. Jahrhunderts in Codices gesammelt 8. Erst König Jaume I. el conqueridor (1213–1276) aber erhebt diese Usatges 1251 zur Gesetzesgrundlage seiner Reiche. Die älteren Usatges-Exemplare sind noch schlichte Texthandschriften, deren Textauswahl und Textabfolge differiert 9. Erst seit den 1320er Jahren entstehen illuminierte Usatges-Codices10. 7 8

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P. Bonnassie, Cataluña Mil Años Atrás (Siglos X–XI), Barcelona 1988, 340. J. Bastardas (ed.), Usatges de Barcelona. El codi a mitjan segle XII: establiment del text llatí i edició de la versió catalana del manuscrit del segle XIII de l’arxiu de la Corono d’Aragó de Barcelona, Barcelona 1984, 12. Ein ornamentales Initial zu Beginn sowie zweifarbige Lombarden zu Abschnitten enthalten die Usatici in Paris (Bibliothèque nationale de France, lat. 4792, fol. 3v) – F. Avril, Manuscrits enluminés de la péninsule ibérique, Paris 1982, 60 Nr. 62. Ein erstes Kartular oder Privilegienbuch der Stadt wird bereits 1269 erwähnt, ist jedoch nicht überliefert; cf. S. Riera i Viader/M. Rovira i Solà, Estudio histórico y codiológico, in: Sobrequés i Callico, El Llibre Verd (nt. 6), 167–214, hier 177. Cf. Usatici-Codices von 1321/3 in Paris (Bibliothèque nationale de France, lat. 4670A) und Rom (Biblioteca Apostolica Vaticana, Ms. Ott. Lat. 3058); Coll i Rosell, Manuscrits (nt. 6), 19–43 und

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Zu diesen gehört der Tercer Llibre Verd von Barcelona (Arxiu Històric de la Ciutat de Barcelona, 1G.L-10). Dieser wurde laut Proömium (fol. 3r) am Andreasfest (30.11.) 1345 von fünf consiliarii aus dem Rat der Hundert der Stadt Barcelona beim königlichen Notar und Schreiber Ramon Ferrer in Auftrag gegeben und am selben Festtag im Jahr 1346 fertiggestellt (Abb. 1). Illuminiert wurde die Handschrift, wie stilistische Vergleiche zeigen, von dem königlichen Hofmaler Ferrer Bassa und seiner Werkstatt11. Sie ist in drei Teile gegliedert, die jeweils durch eine ‚Titelseite‘ eingeleitet werden, die in der Bordüre das Stadtwappen zeigt. Der einleitende Teil beginnt mit dem Proömium, gefolgt vom Inhaltsverzeichnis der Rechtssammlung, einem liturgischen Kalender, chronikalischen Texten und Listen, der Beschreibung der Grenzen Kataloniens und Barcelonas, sowie Evangelienauszügen12. Der zweite Teil enthält als ius generale das Gewohnheitsrecht Kataloniens, die Usatges. Diese setzen sich aus Privilegien und Verordnungen (constitutiones), Landfrieden (pax et treuga) und Hoftagsbeschlüssen (cortes) zusammen. Sie sind in chronologischer Folge geordnet nach Herrschern, unter denen die Rechte und Vereinbarungen verkündet wurden. Entsprechend beginnen sie mit Verordnungen Graf Ramon Berenguers I., gefolgt von den Landfrieden Alfons’ I. (1104–1134), Alfons’ II. (1162–1196) und Peres II. (1106–1213) sowie den Constitutiones Jaumes I. (1213–1276). Hinzu kommen zu Beginn zwei Traktate, die feudalrechtlichen Commemoracions des Pere Albert († 1261) sowie ein Traktat zum gerichtlichen Zweikampf (De batalla facienda)13. Wichtige Constitutionen und Cortes-Beschlüsse unter Jaumes Nachfolgern Pere III. (1283), Jaume II. und Alfons IV. (1333) werden ergänzt. Der dritte Teil versammelt Rechtsdokumente bzw. Privilegien speziell für die Stadt Barcelona (ius speciale) ebenfalls in chronologischer Folge. Jüngere Dokumente (von 1351, 1354, 1365 und 1383) aus der Regentschaft von Pere IV. el ceremoniós (1336–1387) gehören zu den Nachträgen, die auf eigens dafür freigelassen Blättern am Ende des generale- wie des speciale-Teils eintragen wurden. Die Sonderrechte Barcelonas werden somit im Rahmen der katalanischen Usatges verankert.

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117–146, sowie Avril, Manuscrits (nt. 8), 90sq. Nr. 105; Usatici mit Privilegien und Konzilsbeschlüssen von Tarragona, um 1333 (Barcelona, Arxiu de la Corona de Aragón, Ms. Ripoll 32) – id., 149–220; Usatici mit Synodalstatuten von Lleida 1333/6 (Arxiu Capitular de Lleida, Ms. 22) – id., 147–187; Llibre verd von Lleida vor 1341 (Lleida, Arxiu Municipal de la Paeria, Ms. 1345) – id., 45–116. Coll i Rosell, Manuscrits (nt. 6), 266–278. J. Yarza Luaces, La illustración, in: Sobrequés i Callico, El Llibre Verd (nt. 9), 257–318. Cf. S. Philipp-Sattel, Parlar bellament en vulgar. Die Anfänge der katalanischen Schriftkultur im Mittelalter (ScriptOralia 92), Tübingen 1996, 111–114, zum Textinhalt des Tercer Llibre Verd de Barcelona (AHCB, 1 G.L-10) sowie zur Parallelhandschrift (AHCB, 1 G.L-9) von 1345, dem Segon Llibre Verd, in der allerdings das ius speciale von Barcelona fehlt. J. Rovira i Ermengol (ed.), Usatges de Barcelona i commemoracions de Pere Albert, Barcelona 1933, 41 zur Biographie von Pere Albert, der in Bologna studiert hat, 1233–1261 Kanonikus in Barcelona und befreundet mit Raymund Peñafort und Bischof Vidal von Huesca war. Cf. E. Ferran i Planas, El Jurista Pere Albert i les Commemoracions (Memòries de la Secció HistòricoArqueològica 67), Barcelona 2006. Bei dem jüngsten Nachtrag im Tercer Llibre Verd handelt es sich um ein Dokument von 1440.

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1. Ordo und decor Das Proömium begründet den Auftrag und die Ordnung des Tercer Llibre Verd. Demnach waren die älteren Privilegienbücher der Stadt nicht vollständig und nicht geordnet. Tatsächlich ist in den älteren Exemplaren entweder eine chronologische Ordnung nicht konsequent eingehalten, oder aber es wird das Landesrecht mit den Sonderrechten der Stadt Barcelona vermischt, falls nicht sogar das ius speciale gänzlich fehlt. Der Tercer Llibre Verd aber soll laut Proömium (fol. 3r) diesem Mißstand abhelfen – „weil Ordnung jede Sache gebührend behandelt und ziert bzw. ehrt“ („cum ordo rem quamlibet modificet et decoret“). Die innere Ordnung des Rechts der Stadt Barcelona soll im Codex zum Ausdruck kommen. Dies geschieht durch die Anordnung der Texte, aber zugleich auch durch den künstlerischen Schmuck, der diese Ordnung verdeutlicht. In ähnlicher Weise wird diese Beziehung von Ordnung und Schönheit im Prolog der Mallorquinischen Hofordnung (Leges palatinae) von 1337 formuliert (Brüssel, Bibliothèque royale, Ms. 9169, fol. 1rv)14. Hier repräsentiert die Verschiedenheit und Verteilung der Ämter die Schönheit (venustas) und Angemessenheit (decor) der Regierung: „officiorum varietas in diversas distributa personas, venustatem quamdam ac decorem in regimine repraesentat“. Und wie im Tercer Llibre Verd ist diese Amtsvielfalt und Ordnung durch den Buchschmuck betont. Denn jedem einzelnen Amt ist in den Leges Palatinae ein historisiertes Initial gewidmet. Die vier Hauptämter, denen sie zugeordnet sind, werden durch größere Miniaturen betont. Der König jedoch wird in der Titelminiatur (fol. 3r) als Zentrum des ganzen Hofs, umgeben von geistlichen und weltlichen Mitgliedern des Rats, vorgestellt. Decor bedeutet nicht nur Schmuck, sondern die Angemessenheit von Form und Inhalt15. Die künstlerische Rahmung und Gliederung des Rechtstextes veranschaulicht die in ihm konstituierte Rechtsordnung. Im Fall des Tercer Llibre Verd geschieht dies, indem die drei Teile des Buchs jeweils durch eine von Bordüren gerahmte Anfangsseite hervorgehoben werden (Abb. 2). Die chronologische Anordnung der Rechtsdokumente läßt das Recht als historisch gewachsenes erscheinen. Diese historische Fundierung und Kontinuität der Rechtsordnung wird im Tercer Llibre Verd auch durch die historisierten Initialen verdeutlicht, welche die Teile untergliedern und den Beginn einzelner Dokumente markieren. 14

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D. Papebroch (ed.), Leges Palatinae Jacobi II Regis Majoricae, in: Acta Sanctorum Junii III, Venedig 1743, 5sq. J. Domenge i Mesquida, Introduction, in: James III, King of Majorca, Leges Palatinae, Palma 1994, 5–26. G. Drossbach/G. Kerscher (eds.), Utilidad y decoro. Zeremoniell und symbolische Kommunikation in der Handschrift der Leges Palatinae (1337) König Jakobs II. von Mallorca. Akten zur Tagung vom 10.–12. Oktober 2008 an der Universität Trier [im Druck]. U. Mildner, Decorum, in: G. Ueding (ed.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Vol. 2, Tübingen 1994, 434–452. M. Thimann, Decorum, in: U. Pfisterer (ed.), Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Idee, Methoden, Begriffe, Darmstadt 2003, 64–68. J. D. Müller, Decorum. Konzepte von Angemessenheit in der Theorie der Rhetorik von den Sophisten bis zur Renaissance, Berlin– Boston 2011.

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Sie zeigen jeweils denjenigen Herrscher, von dem die nachstehenden Urkunden oder Hofratsbeschlüsse ausgestellt wurden. So entsteht eine bildliche Folge von katalanisch-aragonesischen Herrschern, eine Genealogie, die zugleich die Legitimität des regierenden Herrscherhauses wie die Legitimität seiner Gesetzgebung unterstreicht16. Der im Proömium vorgetragene Anspruch, die älteren Privilegienbücher Barcelonas hinsichtlich der Ordnung und Vollständigkeit des Textes wie des Schmucks zu übertreffen, wird im Tercer Llibre Verd umgesetzt. Denn die älteren Usatges von 1321/23 in Rom (Biblioteca Apostolica Vaticana, Ms. Ott. lat. 3058) beginnen noch ohne Prolog direkt mit dem Kalender und dem Beginn des Johannes- und Matthäusevangeliums. Ein Inhaltsverzeichnis fehlt hier, die Dokumente stehen nicht in chronologischer Abfolge. Der Beginn der Usatici (fol. 1r) mit Bestimmungen Ramon Berenguers I. ist aber bereits durch historisierte Initialen geziert; hinzu kommen fünf Miniaturen zum Landfrieden Alfons’ II. (fol. 21r), zu den Commemoracions des Pere Albert (fol. 40r) und dem Libellus de batalla (fol. 56r), den Cortes Peres III. (fol. 59r) sowie den Privilegia specialia von Barcelona (fol. 126r), denen (foll. 122–124) Rubriken vorangestellt sind. Nachgetragen ist hier eine Liste der karolingischen Könige von Pippin I. bis zu Ludwig dem Kind (fol. 162rv) sowie der später ergänzte Stammbaum der Könige Aragons bis zu Ferran II. 1449 (fol. 168v)17. Eine zweite, ebenfalls von Ramon Ferrer 1345 im Auftrag des Rates der Hundert geschriebene und von Ferrer Bassa illuminierte Usatges-Handschrift (Segon Llibre Verd, Arxiu Històric de la Ciutat de Barcelona, 1 G.L-9) verzichtet auf das ius speciale, doch der Einleitungsteil gleicht in der Textfolge genau dem des Tercer Llibre Verd18. Der Schmuck beschränkt sich insgesamt jedoch auf drei historisierte Initialen19. Bereits der Primer Llibre Verd von 1333–1343 (Arxiu Històric de la Ciutat de Barcelona, 1 G.L-8) beginnt ähnlich wie der Tercer Llibre Verd mit einem Kalender und den vier Evangelienanfängen, auf die Eidesformeln der Consellers folgen 20. 16

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B. Kellner, Zur Konstruktion von Kontinuität durch Genealogie, in: G. Melville/ K.-S. Rehberg (eds.), Gründungsmythen, Genealogien, Memorialzeichen. Beiträge zur institutionellen Konstruktion von Kontinuität, Köln 2004, 37–69. Das erste Initial (fol. 1r) zeigt das thronende Herrscherpaar, die zweite eine Halbfigur; cf. Coll i Rosell, Manuscrits (nt. 6), 122–125 mit Abbildungen. Reicher sind bereits die Usatges von 1321/23 in Paris (Bibliothèque nationale de France, lat. 4670A, foll. 67–240), denen allerdings der kalendarisch-chronikalische Vorspann fehlt, mit zwölf Miniaturen ausgestattet. Auch hier sind die Dokumente nicht chronologisch geordnet, das ius speciale ist nicht vom generale getrennt. Philipp-Sattel, Parlar (nt. 12), 112; Riera i Viader/Rovira i Solà, Estudio històrico y codicológico (nt. 9), 192–194. Eine zu Beginn der Usatges (fol. 30r) zeigt den thronenden Grafen Ramon Berenguer, eine Homagiumsszene markiert die Consuetudines barchinone (fol. 41r), eine weitere zeichnet die treuga et paces Alfons’ II. (fol. 57r) mit dem Bildnis des thronenden Königs aus; cf. Coll i Rosell, Manuscrits (nt. 6), 227. Zum Aufbau des Primer Llibre Verd cf. Riera i Viader/Rovira i Solà, Estudio històrico y codicològico (nt. 9), 190sq. Wolf, Gesetzgebung (nt. 1), 216 zum Privilegio general 1283 Recognoverunt Proceres. J. N. Hillgarth, The Spanish Kingdoms 1250–1516, Vol. I 1250–1410 Precarious Balance, Oxford 1976, 277–281.

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Die beiden Traktate werden hier jedoch getrennt, d.h. die lehnsrechtlichen commemoracions stehen zu Beginn im Zusammenhang von Landfriedensbeschlüssen (pax et treuga) sowie der Konstitution Recognoverunt proceres von 1283/4, in der dem Adel und der Stadt von König Pere III. wichtige Rechte bestätigt und neue zugestanden werden, ergänzt um weitere Konstitutionen Alfon’s III. und Jaumes II. Der Traktat De batalla zum gerichtlichen Zweikampf hingegen leitet hier das ius speciale von Barcelona ein, gefolgt von Urkunden zu Landrechten, den Ämtern des batlle und veguer, verschiedenen cortes von Jaume II. und Alfons IV. sowie Stadtratsbeschlüssen und Privilegien. Der Schmuck des Primer Llibre Verd beschränkt sich auf fünfzehn Initialen in Vollmalerei, die meist den König zeigen, nur zu De batalla (fol. 199r) einen ritterlichen Zweikampf zu Pferde. Der vergleichende Blick auf die zeitgenössischen Usatges-Handschriften und den Primer Llibre Verd zeigt, daß im Tercer Llibre Verd von 1345/6 erstens der einleitende Textteil besonders ausgebaut wird, daß zweitens die Gliederung in ius generale und ius speciale jeweils unter Wahrung der Chronologie beider Teile gelingt, und daß drittens der Schmuck der Handschrift mit drei Seiten mit Bordürenzier, mit vier Miniaturen und etwa fünfzig historisierten Initialen besonders reich ist. Die konzeptionelle Klarheit des Textaufbaus wird hier durch die Hierarchie des Buchschmucks sichtbar gemacht. Der Schmuckreichtum der Handschrift markiert und propagiert dabei zugleich den hohen Status, der hier dem Gewohnheitsrecht zugemessen wird. 2. Die künstlerische Aufwertung des katalanischen Gewohnheitsrechts Der neue, reiche Buchschmuck der Usatges ist ein Indikator für den hohen Status, den das Gewohnheitsrecht in Aragon und Katalonien seit den 1320er Jahren erhält. Bis dahin werden vor allem juristische Studientexte illuminiert: seit der Mitte des 12. Jahrhunderts zunächst das Decretum Gratiani, zu Beginn vielfach noch in klösterlichen Skriptorien21; ab der Mitte des 13. Jahrhunderts das 1234 versandte Dekretalenwerk Gregors IX. (Liber Extra)22, das zusammen mit dem Decretum Gratians die Textgrundlage des Kirchenrechtsstudiums in Bologna, Paris und andernorts bildete 23. Mit zunehmender Bedeutung des Zivilrechts21 22

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A. Melnikas, The Corpus of the Miniatures in the Manuscripts of Decretum Gratiani (Studia Gratiana 16–19), 3 Voll., Rom 1975. M. Bertram, Dekorierte Handschriften der Dekretalen Gregors IX. (Liber Extra) aus der Sicht der Text- und Handschriftenforschung, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 35 (2008), 31–65. M. Bertram/S. di Paolo (eds.), Decretales pictae. Le miniature nei manuscritti delle Decretali die Gregorio IX (Liber Extra). Atti del colloquio internazionale tenuto all’Instituto Storico Germanico Roma 3–4 marzo 2010, Rom 2012. J. A. Brundage, From Classroom to Courtroom: Parisian Canonists and Their Careers, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 83 (1997), 342–361, hier zum kanonistischen Curriculum 356sq. M. Bertram, Signaturenliste der Handschriften der Dekretalen Gregors IX. (Liber Extra), Rom 2010, www.dhi-roma.it/bertram_extrahss.html [11. 03. 2012].

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studiums in Bologna werden seit Mitte des 13. Jahrhunderts auch die Kerntexte des Justinianischen Gesetzeswerks, Codex, Digesten und Institutiones in großer Zahl illuminiert 24. Fast ausschließlich handelt es sich dabei um glossierte Studientexte. Als Auftraggeber, Besitzer und Adressaten dieser illuminierten Rechtshandschriften sind daher Scholaren und ihre Lehrer anzunehmen. Rechtshistorische Untersuchungen haben den sozialen Aufstieg des Juristenstandes wie die Kanonisierung bestimmter Studientexte im 13./14. Jahrhundert beschrieben25. Diese bilden die bildungs- und sozialhistorische Grundlage für die umfangreiche Produktion reich illuminierter Handschriften gerade dieser Textcorpora. Betrachtet man vor diesem Hintergrund die gewohnheitsrechtlichen UsatgesHandschriften, so gewinnt der hohe Anteil illuminierter Exemplare an Gewicht. Denn die Usatges sind keine Texte des internationalen lateinischen juristischen Universitätscurriculums. Anders als die Konstitutionen Friedrichs II. finden sie keine Aufnahme in den Codex Justiniani 26. Gebrauch und Publikum der Usatges sind auf deren Geltungsbereich, also regional auf Katalonien und Aragon beschränkt. In den von Hernando edierten Dokumenten zum Buchbesitz in Barcelona im 14. Jahrhundert werden die Usatges regelmäßig zusammen mit Texten des römischen oder kanonischen Rechts im Besitz von Juristen (iurisperiti), Jurastudenten, Kanonikern aufgeführt 27. Die von Coll i Rosell untersuchten illuminierten Usatges-Handschriften wie die oben besprochenen Llibres Verds weisen auf eine ähnlich breite Benutzer- und Auftraggeberschaft 28: Werden die Llibres Verds im Auftrag von Consellers des Stadtrats angefertigt, so stammt die ebenso reich illuminierte Usatges-Handschrift der Stadt Lleida (Arxiu municipal de la Paeria de Lleida, Ms.1345) aus dem Besitz von Ot I. de Montcada († 1341) 29; das Wappen der hochadeligen und einflußreichen Familie Montcada wurde hier mit dem Stadtwappen Lleidas übermalt (Abb. 3). In den Usatges in Rom (Biblioteca

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S. L’Engle, The Illumination of Legal Manuscripts in Bologna, 1250–1350. Production and Iconography, Diss. New York University 2000. S. L’Engle/R. Gibbs (eds.), Illuminating the Law. Legal Manuscripts in Cambridge Collections, London 2001. J. A. Brundage, The Rise of Professional Canonists and Development of the Ius Commune, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 81 (1995), 26–63. P. Weimar, Die legistische Literatur und die Methode des Rechtsunterricht der Glossatorenzeit, in: Ius Commune (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte II), Frankfurt 1969, 43–83; J. Verger, Histoire des universités de France, Toulouse 1986, 52–59. Wolf, Gesetzgebung (nt. 1), 73. J. Hernando, Llibres i lectors a la Barcelona del s.XIV, 2 voll., Barcelona 1995. S. Wittekind, Besitz und Überlieferung illuminierter Rechtshandschriften in Katalonien, in: P. Carmassi/G. Drossbach (eds.), Rechtshandschriften des deutschen Mittelalters. Produktionsorte und Importwege (Tagung Wolfenbüttel 2011) [im Druck]. Cf. zur Provenienz der Usatges Coll i Rosell, Manuscrits (nt. 6), 58, 126, 129, 155, 196; Wappen in den Pariser Usatges (Bibliothèque nationale de France, lat. 4670A) weisen auf die Familie Despuig de Barcelona – cf. Avril, Mansucrits (nt. 8), 91. Ot I. el vell de Montcada wurde 1313 königlicher Majordomus in Valencia, seine Schwester Elisenda heiratete 1322 König Jaume II. http://www.enciclopedia.cat/fitxa_v2.jsp?NDCHEC= 0043667.[18. 9. 2012]

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Apostolica Vaticana, Ms. Ott. lat. 3058), die aus dem Besitz des Katalanen Pere de Marca, Bischof von Paris 1662, als Schenkung an die Biblioteca Vaticana gelangten, weisen die Wappen in den Bordüren auf Abt Dalceran Solà von San Cugat (1313–1328) als Erstbesitzer. Wie die Vaticana-Handschrift, so ist auch jene im Kapitulararchiv von Lleida (Ms. 22) teilweise glossiert. Letztere ergänzt zudem regionale kirchenrechtliche Rechtsdokumente, d.h. Konstitutionen von Konzilien in Tarragona und einer Synode in Lleida. Beide waren also, obwohl die Usatges im wesentlichen lehens- und zivilrechtliche Sachverhalte betreffen, in kirchlichem Gebrauch. Ebenso gilt dies für die beiden aus der Bibliothek des Klosters Ripoll stammenden Usatges-Handschriften (Arxiu de la Corona d’Aragó, Ripoll Ms. 32 und Ms. 38), die jedoch vielleicht erst aus adligem Vorbesitz Ende des 14. Jahrhunderts dorthin gelangten30. Diese Zeugnisse machen deutlich, daß die Usatges im 14. Jahrhundert praxisrelevante Rechtstexte waren, die von Benutzern und Besitzern, ähnlich wie im Fall des Tercer Llibre Verd, oftmals später noch um wichtige Bestimmungen ergänzt wurden. Obwohl reich illuminiert, sind diese Handschriften nicht nur repräsentative Schaustücke, die den Wert des eigenen Rechts symbolisieren, sondern sie bleiben lange im praktischen Gebrauch. Bereits 1251 promulgiert, werden die Texte jedoch erst im 14. Jahrhundert durch ihre künstlerische Gestaltung visuell aufgewertet. Ihr Schmuck steht nun der künstlerischen Ausstattung der Dekretalen Gregors IX. als geltender Kirchenrechtskodifizierung nicht nach, ebensowenig den zeitgenössischen Handschriften der imperialen Gesetzeskodifikation Justinians. Dadurch wird der hohe Anspruch deutlich, den die illuminierten Usatges als kodifiziertes Gewohnheitsrecht Kataloniens visuell vertreten, nämlich gleichen Ranges und gleicher Würde mit der päpstlichen wie kaiserlichen Gesetzgebung zu sein. Zu überlegen ist, inwiefern hier eine besondere, spanische Tradition illuminierter Rechtshandschriften oder bestimmte Vorbilder einwirken. Denn bereits im Codex Albeldensis von 976 und seiner Abschrift vom Ende des 10. Jahrhunderts, dem Codex Aemilianensis aus San Millan de Cogolla (Biblioteca del Real Monasterio de San Lorenzo de El Escorial, Ms. d.I.2 und Ms. d.I.1) wird eine spanische Rechtssammlung, die mit der Collectio Hispana und dem Liber Judicium westgotisches Kirchen- und Zivilrecht zusammenbindet, künstlerisch auf höchstem Niveau gestaltet. Zwischen die Rechtstexte werden hier eine Chronik sowie eine Liste der Könige von Navarra eingeschoben, die das geltende kirchliche und weltliche Recht in eine Traditionslinie bis in die römische Zeit stellen. Zum einleitenden Teil gehören neben Miniaturen, Widmungsgedichten und Buchstabenlabyrinthen auch ein liturgischer Kalender sowie Isidor-Exzerpte zu Zeit und Chronologie. So wird bereits hier, ähnlich wie 350 Jahre später im Llibre Verd, das Recht in einen heilsgeschichtlichen Rahmen eingebettet 31. 30 31

Wittekind, Besitz (nt. 27). K. Böse, Recht sprechen. Diskurse von Autorschaft in den Illuminationen einer spanischen Rechtshandschrift des 10. Jahrhunderts, in: ead./S. Wittekind (eds.), AusBildung des Rechts.

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3. Kon-Texte: die heilsgeschichtliche Einbettung des Rechts Gemeinsam ist dem Tercer Llibre Verd und den drei oben vorgestellten UsaticiHandschriften (Rom, BAV, Ms. Ott. Lat. 3058 von 1321/23; Primer Llibre Verd, AHCB, 1 G.L-8 von 1333–1343; Segon Llibre Verd, AHCB, 1 G.L-9 von 1345) die Ergänzung eines Kalendariums sowie der Evangelienanfänge zu Beginn des Codex (Abb. 4). Diese Textauswahl erstaunt zunächst im Kontext einer Rechtssammlung. Doch findet man Kalender und Evangelienanfänge zu Beginn des 14. Jahrhunderts schon in den gewohnheitsrechtlichen Llibres de franqueses i privilegis de Mallorca. Aufgrund der Aufteilung der Herrschaftsgebiete der Krone Aragons unter den Söhnen Jaumes I. war Mallorca 1276 ein eigenständiges Königreich geworden, zu dem neben den Balearen die Grafschaften Cerdanya und Montpellier gehörten. 1295 wurde unter Jaume II. (1276–1311) ein erster Llibre de Franqueses angelegt (Palma, Arxiu del regne des Mallorca, Cod. 5)32. Er enthält wichtige Privilegien für die universitas von Mallorca, im ersten Teil in katalanischer Sprache (eingeleitet mit einem historisierten Initial), im zweiten Teil in Latein. Zwischen beiden Teilen stehen in der Mitte des Codex vor den Usatges Evangelienanfänge, ein liturgischer Kalender sowie Osterberechnungstafeln. Im Llibre segon de franqueses (Palma, Arxiu del regne des Mallorca, Cod. 6) von 1325 finden sich Kalender, Ostertafeln und Evangelienauszüge hingegen wie im Tercer Llibre Verd am Beginn der Handschrift; der vorgesehene Bildschmuck der Handschrift fehlt jedoch33. Besonders reich ausgestattet ist die dritte Fassung der Franqueses, der Llibre dels Reis (Palma, Arxiu del Regne de Mallorca, Cod.1), der laut Prolog im Auftrag von sechs Geschworenen (jurati) des Rats 1334 bei dem in Manresa gebürtigen Schreiber und Priester Romeus des Poal in Auftrag gegeben und 1341 abgeschlossen wurde 34. Miniaturen markieren den Beginn des lateinischen (fol. 13v)

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Systematisierung und Vermittlung von Wissen in mittelalterlichen Rechtshandschriften, Frankfurt 2009, 108–137. Weitere spanische Rechtscodices mit Kalender oder Chronik cf. unten nt. 39, 40. R. Urgell Hernández, Estudi arxuístic i codicològic, in: Id. (ed.), Llibre dels Reis. Llibre de franqueses i privilegis del regne de Mallorca. Còdex numero 1 de l’Arxiu del regne de Mallorca. Estudis i transcripcions, Palma 2010, 75–110, hier 79–81. Cod. 5 enthält nur zu Beginn des katalanischen Teils fol. 10r ein historisiertes Initial. Am Ende der Handschrift sind (fol. 204rv) Schwurformeln der königlichen Beamten (dels oficials reials de Mallorca i els consols de la mar) nach 1343 nachgetragen. Urgell Hernández, Estudi (nt. 32), 81sq.; Cod. 1: Vorspann foll. 2–10v; auf die Franqueses, die nach Regenten gegliedert sind, folgen foll. 129–155v die Usatges de Barcelona. Transkription des lateinischen Prologs (foll. 13r–14v) von A. Planas Rosselló, Transcripció del text llatí, in: Urgell Hernández, Llibre dels Reis (nt. 6), 163–270, hier 174sqq. Wie die übrigen Franqueses-Handschriften ist der Codex in einen lateinischen und einen katalanischen Teil gegliedert. Sie werden hier durch Miniaturseiten eingeleitet und ergänzt um einen Mittelteil, der neben Evangelienanfängen, die die Nutzung der Handschrift als Schwurbuch ermöglichen, eine Chronik, einen liturgischen Kalender und Osterberechnungstafeln umfaßt, daneben die Usatges. Das geltende Gewohnheitsrecht wird somit einerseits heilsgeschichtlich verortet, andererseits in das katalanische Gewohnheitsrecht eingebettet. Urgell Hernández, Estudi arxuístic (nt. 32), 82–91. A. Planas Rosselló, Estudi historicojurídic, in: Urgell Hernández, Llibre dels Reys (nt. 6), 52–72.

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sowie des nachfolgenden katalanischen Textteils (fol. 222v) (Abb. 5, 6). Beide stellen den thronenden Reichsgründer Jaume I. zwischen Vertretern seines Rats dar.35 Kleine Miniaturen bezeichnen die Abschnitte der einzelnen Regenten, historisierte Initialen den Beginn einzelner Dokumente. Kalender, Ostertafeln und Evangelien bilden die Mitte des Codex; sie werden, wie im Segon und Tercer Llibre Verd von Barcelona, um ein Chronicon ergänzt. Welche Bedeutung und Funktion haben diese Texte? Der Kalender verzeichnet die wichtigen Feste des Kirchenjahres, der Heiligen sowie der lokalen Patrone36. Daß er in die Rechtshandschrift eingeht, könnte man damit erklären, daß die Datierung von Urkunden nach Heiligenfesttagen erfolgte, daß bestimmte Abgaben an diesen zu leisten waren. Auch die Einsetzung von Beamten des Königs und Vertretern des Rats erfolgte an bestimmten Heiligenfesttagen37. Doch scheint es um mehr zu gehen. Der Kalender ist seit dem 11. Jahrhundert für zwei Textsorten üblich: zum einen für Meßbücher, gibt er doch einen Überblick über die Festtage der im Teil De tempore verzeichneten Heiligenfestliturgien; zum anderen in Psaltern, Gebet- oder Stundenbüchern für die private Andacht 38. Der Kalender verdeutlicht in graphischer Form den geordneten, zyklischen Lauf der Zeit. Diese zyklische Zeit wird von den hohen Kirchenfesten (Weihnacht, Ostern, Himmelfahrt) sowie den Heiligenfesten und dem Gedenken an sie geprägt. Im Jahreslauf werden so die göttliche Schöpfungsordnung, die Folge der Jahreszeiten und Sternbilder (Zodiacus) im Jahreszyklus, und das Heilsgedenken zusammengeführt. Der Kalender repräsentiert diese sakrale Ordnung der Zeit. Indem er dem Rechtscodex vorangestellt oder in dessen Zentrum gerückt wird, wird auch das Recht in diese himmlische Schöpfungs- und Weltordnung eingestellt. Vielleicht wird hier auf das Modell des Codex Albeldensis oder ihm nachfolgende Handschriften des Liber Judicium (fuero juzgo) zurückgegriffen39. 35 36

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S. Wittekind, Mediale Räume des Herrschers, in: J. Jachmann/A. Lange (eds.), Aufmaß und Diskurs. Festschrift für Norbert Nußbaum zum 60. Geburtstag, Berlin 2013, 100–118. So ist in den Usatges (Rom , BAV Ms. Ott.lat. 3058, fol. 1r) sowie im Tercer Llibre Verd (fol. 16r) im Kalender jeweils am 12. Februar die Patronin von Barcelona, Eulalia, hervorgehoben. Coll i Rosell, Manuscrits (nt. 6), 121sq. Riera i Viader/Rovira i Solà, Estudio histórico y codicológico (nt. 9), 167sqq.: laut Privileg Jaumes I. von 1249 werden die vier Paers, die jeweils für ein Jahr der Stadt vorstehen, durch die alten Paers bestimmt und schwören an Christi Himmelfahrt vor dem Veguer (Beamter des Grafen von Barcelona) den Eid; 1258 geht ihr Amt in dem der Consellers auf, deren Zahl von fünf auf acht erhöht wird und die dem Stadtrat der Hundert vorstehen; sie werden jährlich am Andreastag (30.11.) durch den Rat gewählt. Zu den Bezeichnungen und Aufgaben der Ämter (mit Quellennachweisen) cf. Institvt d’Estvdis catalans (ed.), Diccionari Català–Valencià–Balear: http://dcvb.iec.cat/ [18.9.2012]. S. Wittekind, Orte der Zeit. Form, Funktion und Kontext von Kalenderbildern im Mittelalter, in: T. Greub (ed.), Morphome der Zeit: Das Bild der Jahreszeiten im Wandel der Kulturen und Zeiten (Morphomata Bd. 7), München 2013, 201–222. Zum Codex Albeldensis cf. oben (nt. 31). Das Fuero Juzgo in Madrid (Biblioteca Nacional, Ms. Vitr. 14-5) aus San Isidoro/ León, laut Eintrag auf fol. 2v sowie auf fol. 5v von Froila und

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Die zyklische sakrale Zeitordnung wird im Llibre dels Reis von Mallorca, ähnlich wie im Segon und Tercer Llibre Verd von Barcelona, durch chronikalische Teile noch um eine lineare Zeitachse ergänzt, die mit der Schöpfung beginnt und bis in die Gegenwart führt 40 (Abb. 7). Auf eine knappe Darstellung der sechs Weltzeitalter folgt im Llibre Verd eine listenförmige Chronik der römischen Kaiser bis zu Ludwig dem Bayern ( 1347). An sie schließt sich, beginnend mit Petrus (im Initial fol. 22v), eine Papstreihe bis zu Clemens VI. (1342–1352) und ein Abschnitt zum Kardinalskollegium an (fol. 25v). Danach kommt die cronica regum francie (fol. 26r) sowie, eingeleitet durch ein Initial (fol. 26v), die katalanische Chronik der Grafen von Katalonien bzw. der Könige von Aragon, die um eine kurze cronica comunia mit weiteren Angaben zu Geschichte und Wirtschaftsleben der Stadt Barcelona ergänzt wird 41 (Abb. 8). So zielt im Segon und Tercer Llibre Verd die Geschichte vom Anfang der Welt über Päpste und Kaiser als Nachfolger des römischen Imperiums auf das Selbständigwerden der ehemals zum karolingischen Reich gehörenden Grafschaft Barcelona und deren Hauptstadt in der Gegenwart hin. Ihre Stellung und ihr historisch gewachsenes Recht werden so in einen weltgeschichtlichen Zusammenhang gestellt. Sie wird als Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung dargestellt und legitimiert. Bevor der zweite Teil mit dem Rechtstext der Usatges beginnt, werden noch die Grenzen des Geltungsbereichs der folgenden Gesetzes beschrieben, d. h. die Grenzen der Grafschaft Katalonien mit Blick auf die Usatges, im Tercer Llibre Verd auch diejenigen der Stadtherrschaft Barcelona (von Casteldefels bis Collserola) für den speciale-Teil (fol. 36rv). Weder die göttliche oder herrscherliche Legitimation von Gesetzgebung, noch deren naturrechtliche oder moralische Fundierung, sondern allein das geschichtliche Werden der universitas und ihres Rechts bilden hier den Focus. 4. Der Rechtscodex im Rechtsakt: Vereidigung vor Gott auf das Recht In den Barceloneser Usatges wie in den Mallorquinischen Franqueses gehören Evangelienauszüge zum festen Textbestand. Zusammen mit Anweisungen zur Eidesleistung von Amtsträgern des Rates weisen sie auf den konkreten Gebrauch

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Munio 1058 geschrieben, enthält zu Beginn eine Liste der Provinzen Spaniens (fol. 1v), die den Geltungsbereich des westgotischen Rechts bezeichnet, dann Osterberechnungstafeln (foll. 4v–5r) und einen liturgischen Kalender (foll. 6r–8v) vor den zwölf Büchern des Fuero Juzgo. Eine entsprechende Funktion kommt der Chronik und Liste der Könige von Navarra im Codex Albeldensis und Codex Aemilianensis zu, cf. Böse, Recht sprechen (nt. 31), 114. Auch die Sammlung der Beschlüsse des Konzils von Zaragoza 380 (Collectio Caesaraugustana) in Paris (Bibliothèque nationale de France, lat. 3876, Katalonien 1143) enthält auf fol. 139 vor dem arbor consanguinitatis eine Liste der Päpste (bis Innozenz II.) und der fränkischen Könige (bis Ludwig VII.) – Avril, Manuscrits (nt. 8), 58 Nr. 59. Cf. Philipp-Sattel, Parlar (nt. 12), 90–112 zur Gesta comitum Barchinone et regum Aragonum, die Mitte des 12. Jahrhunderts in Ripoll verfaßt wurde, und den Annalen in katalanischer Sprache (2. Hälfte 13. Jahrhundert), die beide in den Llibre Verd aufgenommen sind.

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der Handschriften im Kontext der Eidesleistung hin. Üblicherweise dienen die Evangelien als Lesungstext im Gottesdienst (Perikopen). Sie genießen aber über diese praktisch-liturgische Funktion hinaus eine besondere Wertschätzung als Verschriftlichung des Wortes Gottes und Gegenwart Christi, des Fleischgewordenen Wortes (Joh 1). Daher dienen die Evangelien, neben dem Kreuz, im Zusammenhang von Eidesleistungen als Zeichen oder Repräsentanten Gottes42. Obwohl nach Mt 5,33 der Eid den Christen verboten war, plädierten schon die Kirchenväter für die Zulassung dieses Rechtsinstruments, so um Gott zum Zeugen der Wahrheit einer Aussage zu machen43. Mittelalterliche Rechtstexte, darunter die nordspanischen Fueros44, fordern daher den Eid vor Gericht als Instrument der Bekräftigung von Aussagen und Versprechen (promissiones). Während der Schwörende die Eidformel spricht, legt er seine Rechte auf das Evangelium, Kreuz oder Reliquiar45. Diese haptische Verbindung des Schwörenden mit dem Repräsentanten Gottes verpflichtet ihn, wahrhaftig zu sprechen. Falls er die Unwahrheit sagt oder Meineid leistet, stellt er sich der Verdammung und Strafe Gottes anheim. Daß Evangeliare, vor allem im sakralen Bereich, zum Schwören genutzt wurden, zeigen Nachträge und Benutzungsspuren in Handschriften. So ist im Evangeliar aus St. Georg, Köln um 1100–1120 (Museum Schnütgen, Leihgabe aus 42

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Zum Evangelieneid, der unter Justinian verbindlich wird, cf. P. Hofmeister, Die christlichen Eidesformen. Eine liturgie- und rechtsgeschichtliche Untersuchung, München 1957, 36sq; L. Kolmer, Promissorische Eide im Mittelalter (Regensburger historische Forschungen 12), Lassleben 1989, 234–244, hier 238 die Vorschrift des Codex Justiniani IV.1.12.5: „sive sub ipso iudice praestari oportet iuramentum sive in domibus, sive sacris scripturis tactis“. M. Gerwing, Eid, in: Lexikon des Mittelalters 3, München 1986, 1672. P. Hofmeister, Eidesformen (nt. 42), 9–13; Kolmer, Promissorische Eide (nt. 42), 48sq. Augustin, Sermo De verbis apostoli Jacobi Ante omnia nolite jurare, Sermo 180, cap. 6, § 7, in: Migne PL 38, 972–979, hier 975: „Quid est autem jurare, nisi jus Deo reddere, quando per Deum juras, jus saluti tuae reddere, quando per salutem tuam juras?“. Thomas von Aquin, Summa theologiae, II–II, q. 89, a.1: „Assumere autem Deum in testem dicitur jurare: quia quasi pro iure introductum est ut quod sub invocatione divini testimonii dicitur pro vero habeatur“. P. Prodi, Das Sakrament der Herrschaft. Der politische Eid in der Verfassungsgeschichte des Okzidents, Berlin 1997 (ital. Il sacramento del potere, Bologna 1992), 21, 39sq zu Johannes Chrysostomus’ Mahnung, der Eid töte eher als das Schwert. Hofmeister, Eidesformen (nt. 42), 43, 65; cf. Fuero von Calatayud von 1131, cap. 37 – E. Wohlhaupter (ed.), Altspanische-gotische Rechte, Weimar 1936, 142–165, hier 153. Die ältesten, unter Ramon Berenguer I. 1058 verkündeten Usatici verlangen den Eid auf die Evangelien (ibid., 178sq); cf. Fuero General de Navarra, 13. Jahrhundert, Lib. V, cap. 11. Auch die Konstitutionen von Melfi fordern von Anwälten, einen Amtseid auf die Evangelien abzulegen, der jährlich vor dem Magister Justitiarius oder Bezirksjustitiaren zu erneuern ist – cf. H. Conrad/T. von der Lieck-Buyken/W. Wagner (eds.), Die Konstitutionen Friedrichs II. von Hohenstaufen für sein Königreich Sizilien, Köln–Wien 1973, hier Buch I, Titulus LXXXIV. K. Groß, Menschenhand und Gotteshand in Antike und Christentum, Stuttgart 1985, 219sq., 228. Im Reich scheint im Früh- und Hochmittelalter der Reliquienschwur vorzuherrschen, d. h. der Schwur in Gegenwart des Patrons, der seine Rechte selbst vertritt und wahrt, oder auch mehrerer Heiliger als Fürsprecher vor Gottes Thron; cf. W. Hartmann (ed.), Das Sendbuch des Regino von Prüm – Reginonis Prumensis Libri duo de synodalibus causis et disciplinis ecclestiasticis, Darmstadt 2004, 236sqq, 2. Buch cap. 2–3.

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St. Maria Lyskirchen) nach dem Schatzverzeichnis der Kirche wohl im 14. Jahrhundert die Eidformel für den Schatzmeister eingetragen46. In den katalanischen Usatges wie den Mallorquinischen Franqueses treten jedoch Evangelienauszüge an die Stelle des vollständigen Evangeliars (Abb. 4). Sie vertreten Christus Logos. In dieser verkürzten Form finden sich Evangelienanfänge, manchmal auch nur der Beginn des Johannes-Evangeliums, bereits in aragonesischen Fueros, so im Fuero von Teruel (Ayuntamiento de Teruel, c.1240), vor der den Codex beschließenden Kreuzigung (foll. 181v–182r) (Abb. 9)47. In der volkssprachlichen Fassung des Fueros von Teruel vom Anfang des 14. Jahrhunderts werden Evangelienanfänge und Kreuzzeichen auf einer Seite zusammengezogen. Hier erscheint auf dem ersten Folio der Handschrift ein grünes Lebensbaumkreuz, das vier Felder mit den jeweiligen Evangelienanfängen umgeben. Diese Kreuzes- oder Kreuzigungszeichnungen weisen starke Abnutzungsspuren in Folge häufiger Berührung auf; sie dienten offenkundig als Schwurbilder. Die Evangelienauszüge und das Bild des Gekreuzigten bzw. des Kreuzeszeichens machen Christus hier in schriftlichem wie bildlichem Medium gegenwärtig. Der Eid wird somit im Angesicht Christi, der Wahrheit (Joh 14,6), gesprochen. Zwar enthalten auch die Barceloneser Usatges und die Mallorquinischen Franqueses Evangelienauszüge, doch fehlen in beiden Textgruppen Kreuzigungsbilder. Daß die Usatges-Handschriften dennoch im Kontext von Eidesleistungen benutzt wurden, bezeugen eingetragene Anweisungen zur Eidesleistung der verschiedenen Ratsämter im Llibre Verd bzw. Eidesformeln im Llibre de Franqueses, die hier im Zusammenhang der Evangelienauszüge eingetragen sind 48. Im Llibre Primer de Franqueses (Palma, Arxiu del Regne des Mallorca, Cod. 5, fol. 204rv) stehen die Eidformeln der königlichen Beamten und der Consols de la Mar noch direkt vor den Evangelien, ebenso wie die Eidformeln der Consellers im Primer Llibre Verd von 1333. Im Llibre dels Reis ist zu Beginn der Handschrift eine Schwurformel für die Geschworenen (jurats) des Rats eingetragen, nach der sie sich ver46 47

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A. Legner (ed.), Ornamenta ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik in Köln, Köln 1985, Vol. 2, 286 (E 71 – B. Klössel-Luckhardt). S. de Silva y Verástegui, El tema de la crucifixión en los manuscritos jurídicos medievales, in: Revista virtual de la fundacion universitaria espanola, Cuardernos de arte et iconografia, Tomo II, 3, 1989, http://www.fuesp.com/revistas/pag/cai0320.html [18. 9. 2012]; ead., La miniatura medieval en Navarra, Pamplona 1988, 141–146 mit Abbildung 67–72. Weitere Beispiele sind das Fuero de Soria (Madrid, Biblioteca Nacional, Ms. 17662) Anfang 14. Jahrhundert, wo Evangelienauszüge und Kreuzigungsszene vor den Fueros die Handschrift eröffnen, wogegen in der Handschrift der Fueros von Soria (Ayuntamiento de Soria) nur der Beginn des Johannesevangeliums vor der Kreuzigung zu Beginn der Handschrift steht (ibid. Abbildung 70). Die Fueros y constituciones de Aragón (Paris, Bibliothèque nationale de France, n.a.l. 494), nach 1311, stellen dem Rechtstext foll. 2–7v einen Kalender voran sowie ein Kreuzigungsbild fol. 17r, in das die vier Evangelienauszüge (Joh. 1,1–5; Mk 16, 1–3; Lk 11, 27–28; Mt 1,18–20) jeweils am Rand integriert sind (ibid. Abbildung 72); cf. Avril, Manuscrits (nt. 8), 80 Nr. 91. Zu Kreuzigungsminiaturen als Eidbilder in Kölner Eidbüchern um/nach 1400 cf. J. C. Gummlich-Wagner, Bildproduktion und Kontemplation. Ein Überblick über die Kölner Buchmalerei in der Gotik, Weimar 2003, 155–184 Urgell Hernández, Estudi (nt. 32), 81.

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pflichten, alle ‚unsere‘ Franqueses, Privilegien und Libertates und Immunitates zu wahren. Dokumentiert ist für das Jahr 1444, daß die sechs Geschworenen (jurats) des Königs zwei Eide leisten mußten: Zum einen verpflichten sie sich zu Loyalität und Achtung der Regalien gegenüber dem König, zum anderen schwören sie, die Franqueses und Privilegien des Königreiches Mallorca zu achten49. Dies geschieht am Hochaltar der Kathedrale von Palma, Santa Eulalia, indem der jurat seine Hände über ein Missale und über den Llibre major de les franqueses hält – vermutlich also auf den Llibre dels Reis schwört. Auf einen entsprechenden Akt, das Iuramentum des Königs bei Antritt seines Amtes, spielt die Eingangsminiatur des Llibre dels Reis an (fol. 13v) (Abb. 5). Bereits der Infant und spätere König Jaume II. schwor auf die vier Evangelien, die Rechte und Freiheiten Mallorcas wie sein Vater zu wahren; ebenso ist es bei Sancho 1311 und Jaume III. 133250. Die Miniatur präsentiert König Jaume I. erhöht auf einem zentralperspektivisch gestalteten, raumgreifenden und erhöhten Thron. Er wird begleitet und gerahmt von den Großen des Reiches, Vertreter der Geistlichkeit stehen ihm zur Rechten, die Adligen zur Linken. Engel umschweben seinen Thron, der nicht nur von einem Teppich in den Farben der Krone Aragon, sondern zudem von einem Goldgrund hinterfangen und damit in eine sakrale Ebene gehoben wird 51. Jaume I. wird im Typus der maestà, der himmlischen Verehrung der Gottesmutter präsentiert, ähnlich der berühmten Sieneser Maestà Duccios von 1308–1311 (Museo dell’Opera del Duomo). Sein Haupt wird zudem von einem als Himmelsgewölbe gestalteten Baldachin überfangen und von Engelshand gekrönt. So wird König Jaume I. als von Gott begnadeter, fast wie ein Heiliger verehrter Herrscher dargestellt 52. In Aragon wurde er aufgrund der Eroberung der Balearen und Valencias als Vorkämpfer des christlichen Glaubens gefeiert. 49 50

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Urgell Hernández, Estudi (nt. 32), 71; J. Muntaner Bujos, La primera consueta de los Jurados de Mallorca, Bolletí de la Societat Arqueològica lul.liana (=BSAL) XXII (1961–1967), 273. Zu vertraglichen Wahlversprechen der deutschen Könige seit Mitte des 12. Jahrhunderts cf. Kolmer, Promissorische Eide (nt. 42) 1989, 161sq. Im Llibre dels Reis sind die Privilegienbestätigungen aufgenommen, die die Könige bei Antritt ihrer Herrschaft leisteten und die durch das iuramentum des Königs bekräftigt wurden. Planas Rosselló, Transcripció (nt. 34), 192 das iuramentum des Infanten Jaume (II.) 1256. Zum iuramentum Jaumes II. nach seiner Krönung 1276 (209): „Quod quando fuit coronatus rex confirmavit, approbavit, concessit et iuravit omnia privilegia et franquitates habitatoribus regni Maioricarum datas“; die Bestätigung der Franquetates et libertates durch König Sancho 1311, der darin explizit dem Vorbild seines Vaters folgt, ibid. 245: „iuramus ad sancta Dei Evangelia corporaliter a nobis tacta in manibus venerabilis Guillermi, divina providentia episcopi Maioricensis, et presentem cartam nostro sigillo pendenti iussimus comuniri “ (fol. 123r); die Bestätigung der Privilegien durch Jaume III. in Gegenwart seiner sechs iurati (fol. 156rv), hier 266sq., sein Schwur fol. 160r (hier 269): „iuramus ad Sancta quatuor Dei evangelia tacta manibus reverenter. In quorum omnium fidem et testimonium, presens publicum instrumentum bulla nostra plumbea bullari iussimus inpendenti. Quod est actum in palatio Castri Regii Civitatis Maioricarum“ (1332). Cf. Wittekind, Mediale Räume (nt. 35). Zur legendarischen Überhöhung Jaumes I. und der Aufnahme des Typus der sienesischen Maestà im Llibre dels Reis siehe M. Serrano Coll, Programas Ideológicos a través de la Imagen: algunos ejemplos de la Edad Media, in: Medievalista online Nr. 9 (2011), 5; http://www2.fcsh.unl.pt/ iem/medievalista/MEDIEVALISTA9\coll9003.html [22. 8. 2012].

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Die himmlische Verleihung der Krone an Jaume I. ist mehrdeutig: Einerseits erscheint der Herrscher durch sie als unmittelbar von Gott erwählt. Andererseits ist sie als Ausdruck der Erwartung zu werten, der Herrscher werde für sein gerechtes Leben und herrscherliches Wirken mit dem ewigen Leben belohnt 53. Indem das Bildnis des regierenden Königs Jaume III. (1324–1349) (fol. 374r), Urenkel Jaumes I., dessen Thronbildtypus folgt, jedoch schlichter gestaltet ist, wird die Mahnung deutlich, daß letzterer an seinem großen Vorbild zu messen ist. Die von Jaume I. der universitas von Mallorca verliehenen Rechte und Freiheiten erhalten bildlich einen göttlich legitimierten Ursprung. Der König legt in beiden Miniaturen (foll. 13v und 222v) seine rechte Hand auf ein Buch, das ihm der Bischof darbietet – es ist, worauf Evangelienauszüge und Eidformeln im Llibre dels Reis hindeuten, vermutlich der Llibre dels Reis selbst, die Sammlung der Rechte und Freiheiten Mallorcas, die der König hier zu bewahren schwört. Nicht nur die Großen des Reichs, sondern auch die himmlischen Mächte sind in Gestalt der Engel Zeugen dieser Handlung. Das von Jaume I. begründete Gewohnheitsrecht Mallorcas wird damit unmittelbar unter himmlischen, göttlichen Schutz gestellt. Dieser bildlichen Vergegenwärtigung Gottes korrespondiert hier auf textlicher Ebene die Invokation, mit der auf der gegenüberliegenden Seite (fol. 14r) der Prolog der Rechtssammlung beginnt: „In nomine Domini nostri Ihesu Christi et sancte individue Trinitatis, Patris et Filii et Spiritus Sancti, amen“. Gestützt auf die Aufforderung des Paulus, alles im Namen Gottes zu tun (Col 3,17), wurde die Anrufung Gottes zu Beginn eines Rechtsaktes oder einer Rechtsaufzeichnung bereits in der Spätantike üblich54. So beginnen die Institutionen wie die Digesten Justinians mit der Invokation Gottes55. Die Franqueses mögen darin diesen oder den spanischen Fueros folgen, die ebenfalls mit einer Invocatio beginnen. Vielleicht übertragen sie aber nur die Invokationsformel königlicher Privilegien von den Einzeldokumenten auf den Beginn der Privilegiensammlung 56. Die symbolische wie die 53 54

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Cf. J. Ott, Krone und Krönung. Die Verheißung und Verleihung von Kronen in der Kunst von der Spätantike bis um 1200 und die geistige Auslegung der Krone, Mainz 1998. W. Koch, Invocatio, in: Lexikon des Mittelalters 5, München 1991, 483sq. H. Fichtenau, Zur Geschichte der Invokationen und „Devotionsformeln“. In: Id., Beiträge zur Mediävistik. Ausgewählte Aufsätze, Vol. 2: Urkundenforschung, Stuttgart 1977, 37–61, hier 38–46. O. Behrends/R. Knüttel/B. Kupisch/H. H. Seiler (eds.), Corpus Iuris civilis. Text und Übersetzung, Vol I Institutionen, Heidelberg 1990, XIII: „In nomine domini nostri Jhesu Christi “; id. Vol. II Digesten 1–10, Heidelberg 1995, 1. Fuero von Najera 1076, cf. Wohlhaupter, Altspanische (nt. 44),72 sq.: „Sub nomine sancte et individue trinitatis, patris et filii et spiritus sancti “; Fuero von Jaca 1063 (ibid. 134f): „In nomine Domine nostri Ihesu Christi et individue trinitatis…“; Fuero von Calatayud 1131 (ibid.142f): „In Dei nomine et eius gratia…“. A. Planas Roselló, Transcripció del text llatí, in: Urgell Hernández, Llibre dels Reis (nt. 6) 163–270, hier 174 (fol. 14r), ibid. (fol. 1r) 165: „In nomine domini nostri Ihesu Christi et sancte individue Trinitatis et gloriose Virginis Beate Marie, matris eius“. Die Franquisen beginnen häufig „Noverint universi “, die eigentlichen Bestimmungen werden eingeleitet durch die Invokation und Eingangsformel „In Christi nomine. Manifestum sit omnibus tam presentibus quam futuris quod nos Iacobus, Dei gratia rex …“ (Bsp: 178sq).

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verbale Invokation gehört zu jenen Formeln und Zeichen, die königliche Privilegien vor einfachen Mandaten oder Privaturkunden als Herrschaftszeichen auszeichnen, darin der sanctio (Poenformel) ähnlich57. Denn, wie König Alfons X. von Kastilien-León in den Siete Partidas ausführt, wird ein Privileg vom König als Vertreter Gottes auf Erden aus Gnade verliehen, weshalb nur ihm als göttlichem Stellvertreter die Androhung des göttlichen Gerichts bei Verstoß zukomme58. Invocatio und sanctio rücken damit in die Nähe des Eides. Ihnen gemeinsam ist die Anrufung Gottes zum Zeugen und Rechtsgaranten59. Um den Authentizitätsverlust zu kompensieren, den die königlichen Privilegien durch ihre abschriftliche Übertragung in ein Kartular erleiden, fügt Bischof Pelayo von Oviedo (1098–1130) in seinem Liber Testamentorum (1118–1122) wiederholt die Rechte Gottes als Zeichen göttlicher Gegenwart, Verheißung und Rede, direkt in das Initial der Invocatio „In nomine“ ein, mit der die Urkunden beginnen60 (Abb. 10). Während im Liber Testamentorum auf diese Weise bildlich die einzelnen Privilegien authentifiziert werden, wird durch die Titelminiaturen des Llibre dels Reis jeweils das gesamte folgende Konvolut von Urkundenabschriften mit den darin enthaltenen Rechten, Freiheiten und Verpflichtungen durch die in den Miniaturen versicherte himmlische Präsenz bekräftigt. Ähnlich wie im Llibre dels Reis wird auch im Tercer Llibre Verd de Barcelona die Präsenz Gottes als Garant des Rechts einerseits in Gestalt der Evangelienauzüge evoziert, andererseits durch die Titelminiatur verdeutlicht. Die Anweisun57

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Cf. G. Dilcher, Oralität, Verschriftlichung und Wandlungen der Normstruktur in den Stadtrechten des 12. und 13. Jahrhunderts, in: H. Keller/K. Grubmüller/N. Staubach (eds.), Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen (Münstersche Mittelalter-Schriften 65), München 1992, 9–19, Reprint in: Id., Bürgerrecht und Stadtverfassung im europäischen Mittelalter, Köln–Weimar–Wien 1996, 281–300, hier 289. Siete Partidas, III. Partida De la justicia, Titulo XVIII De las escrituras por que se prueban los pleitos, Ley 2 – cf. Real Academia de la Historia (ed.), Las siete Partidas del rey Don Alfonso el Sabio, Madrid 1807, 547sq. Gemäß Ley 28 kommt Privilegien Gesetzeskraft zu, sie gelten als Partikularrecht (como ley apartada), ib. 563. Zur Nähe von Juramentum und Invocatio cf. R. Schmidt-Wiegand, Die rechtshistorische Funktion graphischer Zeichen und Symbole in Urkunden, in: P. Rück, Graphische Symbole in mittelalterlichen Urkunden. Beiträge zur diplomatischen Semiotik (Historische Hilfswissenschaften 3), Sigmaringen 1996, 67–79, hier 71sqq. Die Hand Gottes erscheint im Liber testamentorum jeweils im Initial der Invocatio: fol. 9r (Schenkung Ordoños I. 857), fol. 19r (Schenkung Alfons’ III. 905), fol. 27r (Schenkung Ordoños II. und Teresas 921), fol. 33v (Schenkung Fruelas II. 912), fol. 40r (Schenkung Ramiros Alfonsiz 926), fol. 50r (Schenkung Bermudos II. 992), fol. 60r (Schenkung Fernandos I. 1036), fol. 74r (Confirmatio Alfons’ VI. 1100); hinzu kommt auf fol. 19r die Figur Gottvaters mit A und Ω (zur Schenkung Alfons’ III. 905). F. J. Fernandez Conde, El Libro de los Testamentos de la catedral de Oviedo, Rom 1971, zum Aufbau der Handschrift 82 ff., 373–376. Liber Testamentorum Ecclesiae Ovetensis, Edición Facsímil. Estudios a cargo de E. E. Rodriguez Diaz/M. J. Sanz Fuentes/ J. Yarza Luaces/ E. Fernandez Vallina, 2 Voll., Barcelona 1995, ibid. J. Yarza Luaces, Las miniaturas del Liber Testamentorum, 147–230; M. J. Sanz Fuentes, Estudio paleografico, 93–143; ead., Transcripción, 451–684. K. Gross, Menschenhand und Gotteshand in Antike und Christentum, Stuttgart 1985, 344–351, zur bildlichen Darstellungstradition 434–443. Maxwell, Sealing Signs (nt. 2).

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gen, wann welche Amtsträger des Rats einen Eid in welcher Form ablegen müssen, sind im Tercer Llibre Verd erst nach der Stadtchronik am Ende des Einleitungsteils (fol. 35v) eingetragen, stehen hier also nicht in Verbindung mit den Evangelienanfängen. Die Seite der Evangelienanfänge (fol. 19rv) weist nur geringe Benutzerspuren auf. Es wurde also kaum auf den Evangelientext selbst oder angesichts der Eidesanweisungen geschworen. Stattdessen deuten starke Abnutzungsspuren und das Verblassen der Tinte im unteren Teil der Titelseite des Tercer Llibre Verd (fol. 3r) auf deren häufige Berührung hin (Abb. 1). Daraus ist zu folgern, daß sie für die Vereidigung der Consellers des Rates der Hundert von Barcelona benutzt wurde. Auf der Titelseite ist in der Bordüre unten im Zentrum das Wappen der Stadt Barcelona zu sehen: das viergeteilte Wappen zeigt im Wechsel ein rotes Kreuz vor Silbergrund und rote vertikale Streifen vor Goldgrund, das Wappen der Krone Aragon. Stadt und königlicher Schutzherr sind mit ihren Wappen in den Rechtscodex eingeschrieben, der Eid erfolgt in ihrer Gegenwart, denn Wappen galten als rechtsgültige Vertreter von Personen und Korporationen61. Zu Beginn des Prologs aber ist Gottvater hier als himmlischer Weltenherrscher in das Initial der Invocatio „In nomine sancte et individue trinitatis“ eingeschrieben. Vor goldenem Grund auf einem Sphärensegmentbogen stehend hält Gottvater in seiner Linken einen kreuzbekrönten Globus. Leicht nach rechts zum Prologbeginn gewandt erhebt er seine Rechte im Segensgestus. Anders als im Liber Testamentorum, in dem die Rechte Gottes die Wahrheit und Geltung des einzelnen Privilegs bezeugt, rückt hier die Präsenz Gottes an den Beginn der ganzen Rechtssammlung. Im Lesen der Invocatio des Prologs tritt das Bild Gottes als Weltenherrscher unmittelbar vor Augen. Doch auch der Eid wird im Llibre Verd somit in der bildlichen Gegenwart Gottes geleistet. Unter dieser ersten Buchseite des Codex liegen der Kalender, die kurzgefaßte, bis in die Gegenwart reichende Weltgeschichte ebenso wie die Evangelienauszüge, das ius generale und das ius speciale geborgen. Der auf diese erste Seite abgelegte Eid verpflichtet den Schwörenden auf die Wahrung des ganzen, im Buch niedergelegten, geordneten Rechts. Der Eid, der die Einhaltung der Rechte versichert, wird, anders als in den Fueros mit ihrem Kreuzigungsbild und den Evangelienauszügen, nicht mehr allein auf Christus, sondern zugleich auf das Recht selbst geleistet, das im Rechtsbuch verkörpert ist. III. Schluß In der künstlerischen Gestaltung des Tercer Llibre Verd de Barcelona und des Llibre dels Reis de Mallorca wird eine Aufwertung des volkssprachlichen, katalanischen Gewohnheitsrechts in den Rang kaiserlicher und päpstlicher Rechts61

Cf. O. Cavallar/S. Degenring/J. Kirshner, A Grammar of Signs. Bartolus da Sassoferrato’s Tract on Insignia and Coats of Arms, Berkeley 1994.

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kodifizierungen deutlich. Die sakralen, kalendarischen und chronikalischen Texte, die in den Llibres Verds wie den Llibres de Franqueses der eigentlichen Rechtssammlung zu Beginn oder in der Mitte beigefügt werden, stehen offenbar in einer besonderen Tradition spanischer Rechtshandschriften, die auf dem Codex Albeldensis von 976 gründet. Durch diese Paratexte wird das geltende Recht im Rahmen der Heilsgeschichte verortet und die herrscherliche (Privilegien-)Gesetzgebung historisch und genealogisch legitimiert. Auftraggeber der beiden hier behandelten Handschriften sind Mitglieder des Rates der Hundert von Barcelona beziehungsweise des Rats der universitas von Mallorca. Sie lassen die aufwendig geschmückten Rechtshandschriften zur Benutzung im Rat als Eidbuch einrichten, integrieren dazu Evangelienauszüge, die Christus repräsentieren, sowie Eidanweisungen für Amtsträger des Rates in den Codex. Dessen Bildschmuck symbolisiert einerseits die innere Ordnung des enthaltenen (Gewohnheits)Rechts. Andererseits entfalten die Miniaturen erst im Gebrauch des Codex, im Akt der Eidesleistung ihre volle Bedeutung 62. Denn zu Beginn beider Handschriften wird Gott als Garant des Rechts vor Augen gestellt: Im Llibre Verd ist er im Initial der Invokation als Weltenherrscher gegenwärtig, im Llibre dels Reis als himmlische Macht, die dem König die irdische Herrschaft (potestas) überträgt und ihn für deren Ausübung zugleich zur Rechenschaft zieht. Der in den Privilegien des Llibre dels Reis immer wieder erwähnte Eid, mit dem der König sich zur Wahrung der Rechte und Freiheiten der universitas Mallorcas verpflichtet, wird in der Eingangsminiatur auf das Rechtsbuch selbst bezogen, auf das der König hier bildlich den Eid leistet. Der König erscheint in den nachfolgenden Initialen zu den einzelnen Privilegien, ähnlich wie im Tercer Llibre Verd, immer wieder als Gesetzgeber. Doch ist er, wie die Eingangsminiaturen zeigen, zugleich dem (natürlichen bzw. göttlichen) Recht unterworfen, „pater et filius iustitiae“ 63. Auch wenn in den Miniaturen wie in den Rechtstexten beider Handschriften immer wieder die Grafen von Barcelona, die Könige von Aragon oder Mallorca als Gesetzgeber auftreten, wird doch durch die textliche und künstlerische Gesamtkonzeption der Handschrift die Rückbindung von Recht und Amt an die göttliche Ordnung und Gerechtigkeit bewußtgemacht. Mehr noch, Christus selbst wird hier in Gestalt der Evangelienauszüge dem Rechtscodex eingeschrieben, ihm inhärent. Christus, sol iustitiae, und das geschriebene, geltende Gesetz werden im Codex zusammengeführt, aufeinander bezogen und durchsichtig gemacht. Es ist also nicht allein der materielle Schmuck, der im

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Zu diesem Ansatz cf. H. Keller/C. Dartmann, Inszenierungen von Ordnung und Konsens. Privileg und Statutenbuch in der symbolischen Kommunikation mittelalterlicher Rechtsgemeinschaften, in: G. Althoff (ed.), Zeichen – Rituale – Werte. Internationales Kolloquium des Sonderforschungsbereichs 496 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496, 3) Münster 2004, 201–223. Cf. E. H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, München 1990 (engl. The King’s Two Bodies, Princeton 1957), 117, 123.

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Tercer Llibre Verd wie im Llibre dels Reis das katalanische Gewohnheitsrecht aufwertet. Sondern ihre Bedeutung und ihren besonderen Reiz gewinnen diese Werke aus ihrer originellen künstlerischen wie textuellen Konzeption, die das geltende Gewohnheitsrecht in einem großen, heilsgeschichtlichen Kontext verortet und legitimiert.

Seeing Justice: The Visual Culture of the Law and Lawyers A M (Exeter) The Law is usually thought of in academic and professional circles in terms of its underlying texts – legislation, reports of cases, legal treatises and other legal literature. The visual culture of the law, as an external expression of its substance, procedures, institutions and personnel is frequently overlooked, treated indifferently or ignored. This may be reasoned in part because the visual elements or ‘legal spectacle’ are regarded as inessential, inconsequential, superfluous to its functioning and therefore overlooked or merely regarded as the accoutrements of legal practice1. This paper examines the use of legal images in the medieval period and maintains that they had an impact on and significance for all members of society (not just in England, but elsewhere in medieval Europe, though I will be talking predominantly about the English tradition). Employed in a number of different contexts using a range of art forms and other types of visual display, the complementary media played an important part not only in forming and transmitting perceptions of justice, but in the operation of the law itself 2. The motives and strategies were different for different media and they were deployed (and gained their own significance and momentum) within a variety of legal extra-legal contexts. Indeed, images were not only employed consciously and with deliberate construction, but also unconsciously (even on the spur of the moment) as a consequence of deeply-held recognition of how the law functioned. The pictures and artefacts so used are not purely decorative or aesthetical, nor merely adjunct to legal documents and texts, but have an equally functional role within legal, political and social contexts that were fully recognised by contemporaries at all levels of the social hierarchy. Indeed, elements that might be regarded in later 1

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P. Goodrich, Specters of Law: Why the History of the Legal Spectacle Has Not Been Written, in: University of California Irvine Law Review 1 (2011), 779–812. Goodrich acknowledges that “the law depends upon, is supported by, exists through an array of background techniques, apparatuses of appearance, a theatrical machinery of solemnization and approbation that is largely preconscious, an affection image. These spectacles relay the site and space of legality.” But he finds that “Law is a theatre that denies its theatricality, an order of images that claims invisibility, a series of performances that desire to be taken as the dead letter of prose and so the dead hand of the law” (811). Sources include illuminated legal and non-legal texts, paintings, tapestries sculpture, wood carvings, stained glass, buildings and architectural characteristics, shields and heraldry, tombs and other funerary monuments, as well as objects of material culture.

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ages as merely symbolic still possessed real meaning and retained legal force; they were not inconsequential or purely ceremonial 3. It is legal historians of course who can make sense of them and place them in a legal framework, though an interdisciplinary approach is a prerequisite for interpretation4. Historians of the law, however, unlike their counterparts in art or social history have generally been slower to acknowledge the significance or extent of legal iconography 5. Part of the reason why the visual side of the law has been neglected (even for the medieval period) lies in assumptions about the transition of medieval society from an orally-based, pictorial and memory-dominated culture to a more literate-based, documentary or written culture6. While we should be careful not to imply that this was a move from an illiterate or less educated society, there is nevertheless an assumption that the visual was relegated to a subservient role: that it persisted only in the realms of high ceremonial and ‘popular’ culture or merely played upon folk lore and superstition. If ever such a transition to rationality and domination by the book fully took place (which is debatable), it was in any event never the case in the English legal system that the written word displaced or reduced entirely the significance of the oral or visual side (whether it be in trial proceedings, procedures or forms of proof)7. The continued significance of visual representations of the law and lawyers is underlined by the ubiquity and pervasiveness of iconography of a legal nature in medieval legal and political culture 8. The capacity of visual elements to instil awe

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Goodrich’s thesis rests on the psychological effect of the religious and political changes that occurred in England after the Protestant Reformation that shaped and consolidated attitudes towards the common law during the early modern and modern periods. A. Musson, Visual Sources: Mirror of Justice or ‘Through a Glass Darkly’?, in: A. Musson/ C. Stebbings (eds.), Making Legal History: Approaches and Methodologies, Cambridge 2012, 264–283. For example: S. L’Engle/R. Gibbs (eds.), Illuminating the Law: Medieval Legal Manuscripts in Cambridge Collections, FitzWilliam Museum Exhibition Catalogue, London–Turnhout 2001; S. Wittekind/K. Böse (eds.), AusBILDung des Rechts, Frankfurt 2009; J. M. Steane, The Archaeology of Power: England and Northern Europe AD 800–1600, Stroud 2001; N. Saul, English Church Monuments in the Middle Ages: History and Representation, Oxford 2009, 269–289 (monuments of lawyers). Some legal interest was stimulated by P. Raffield, Images and Cultures in Law in Early Modern England: Justice and Political Power, 1558–1660, Cambridge 2004 and C. Douzinas/L. Nead (eds.), Law and the Image: The Authority of Art and the Aesthetics of Law, Chicago, ILL 1999. See M. Clanchy, From Memory to Written Record: England 1066–1307, 2nd edn, Oxford 1993. A. Musson, Law and Text: The Impact on Legal Authority and Judicial Accessibility in the Late Middle Ages, in: J. Crick/A. Walsham (eds.), The Uses of Script and Print, 1300–1700, Cambridge 2003, 95–115. P. Binski, Hierarchies and Orders in English Royal Images of Power, in: J. Denton (ed.), Orders and Hierarchies in Late Medieval and Renaissance Europe, Manchester 1999, 74–93; P. Coss/ M. Keen (eds.), Heraldry, Pageantry and Social Display in Medieval England, Woodbridge 2002; A. Musson, Constitutional Discourse in Illuminated English Law Books, in: D. Nicholas/ B. S. Bachrach/J. M. Murray (eds.), Comparative Perspectives on History and Historians: Essays in Memory of Bryce Lyon (1920–2007), Kalamazoo 2012, 189–214.

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and respect for the authority and operation of the law, its procedures, its institutions and personnel (for example through royal images on charters, coins, seals and artefacts carrying out royal instructions as well as the physical staging of courts and tribunals in imposing castles or halls) was fully recognised by contemporaries9. [Plate 1] So too was the use of the visual to deter people from unlawful conduct (of a criminal or civil nature) and warn all subjects/citizens that personal behaviour (if violent or offensive) was liable to censure and punishment both by the state (in physical or financial form) and ultimately judgment by God 10. Indeed, these themes were articulated with some sophistication through a distinct iconography that drew strongly upon theological notions and was realized in both Christian art and architecture11. I. T he Last Judg ement Not surprisingly, the final reckoning, the Last Judgement, is the most significant in terms of its legal and visual impact. The consequences of heavenly judgement and its inescapability for all of humanity are powerfully and vividly portrayed through the separation of good and bad souls at the end of time. [Plate 2] The visual impact and thus the communication of the message differed slightly according to the artistic media and its location, but the vital psychological effect could readily be experienced simply by entering a church, opening up an illuminated Bible or psalter, or by watching dramatic reconstructions in the seasonal Mystery Plays. While the eschatological imagery concentrates on the setting for and the enactment of heavenly judgement (and its apparent harshness), the equitable and merciful side of divine justice is also expressed through representations of postmortem judgement on the individual, the process of weighing souls in the balance, and through notions of intercession by the Virgin Mary and the Saints on behalf of individual souls12. Theories of a less retributive justice were given tangible expression through their counterparts in the earthly sphere: notably the practice

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J. Watts, Looking for the State in Later Medieval England, in: Coss/Keen, Pageantry (nt. 8), 243–267; J. M. Steane, The Archaeology of the Medieval English Monarchy, rev edn, Stroud 1999; A. Musson, Legal Landmarks: The Architecture of Justice in Late Medieval England, in: Australian and New Zealand Law and History E-Journal, 2 (2006), paper no. 15. T. Dean, Crime and Justice in Late Medieval Italy, Cambridge 2007; E. Cohen, The Crossroads of Justice: Law and Culture in Late Medieval France, Leiden 1993; see also J. Burnside, God, Justice and Society: Aspects of Law and Legality in the Bible, Oxford 2011. M. Kauffmann, Biblical Imagery in Medieval England, 700–1550, London 2003; M. Camille, The Language of Images in Medieval England, 1200–1400, in: J. J. G. Alexander/P. Binski (eds.), The Age of Chivalry: Art in Plantagenet England, 1200–1400, London 1987, 33–40. For a more detailed discussion with reference to surviving English evidence see A. Musson, Controlling Human Behaviour? The Last Judgment in Late Medieval Art and Architecture, in: A. Boboc (ed.), Theorizing Legal Personhood in Late Medieval England, Leiden 2014.

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of petitioning the king for redress of grievances not covered by the common law, the rise of equitable jurisdiction, especially the growth of the chancellor’s ‘court of conscience’, and the increasing importance of the intercessory role played by the queen (and influential members of the nobility)13. Although the painting and sculpting of images of the Last Judgement in churches and cathedrals was intended for all churchgoers, the positioning in (or within sight of) courtrooms of pictures of the Last Judgement, the judgement of Solomon (the iconic figure of Wisdom in the Old Testament), and judicial exempla drawn from Classical mythology and a vast reserve of allegories was intended specifically to remind judges and lawyers (and all public officials possessing legislative and adjudicative powers) of the moral and ethical standards required to carry out their public duties and professional responsibilities14. It could be argued that these images played upon contemporary credibility or derived their currency and potency as a result of the prevailing system of belief and as such should have no part in the rationality of the law. The strength of this imagery in the medieval psyche and clear acceptance of the theological reasoning behind it is demonstrated by its acknowledgement by supposedly rational lawyers in the imagery and texts accompanying their funerary monuments. For example, various lawyers’ tombs portray saintly intercessors and express personal concern for their treatment by the Almighty, the ultimate judge. This is clearly intended in the design and composition of the brass to John Mulsho and his wife at Newton Geddington (Nothants), which shows the two figures kneeling at the base of a tall shaft cross with their prayers (in scrolls) floating up towards a bracket in the centre containing the figure of St Faith (identified by name)15. [Plate 3] The chantry tomb constructed in the church of Kingston on Soar in Nottinghamshire in the late 1530s for lawyer Anthony Babington (and his wife) has various iconographic schemes on the pillars and arches (including visual plays upon his own name), but the principal focus is a detailed Last Judgement scene sculpted in alabaster, demonstrating his personal adherence to the beliefs inherent in this doctrine16. [Plate 4] Verses that accompany John Martyn’s memorial brass at Graveney in Kent (which depicts him in judicial robes) speak of his contrition and acknowledge that although he was a judge in the royal courts while on earth, he knows he will have to face the sentence passed on him by the heavenly judge in the celestial

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G. Dodd, Justice and Grace: Private Petitioning and the English Parliament in the Late Middle Ages, Oxford 2007; A. Musson, Queenship, Lordship and Petitioning in Late Medieval England, in: W. M. Ormrod/G. Dodd/A. Musson (eds.), Medieval Petitions: Grace and Grievance, York 2009, 156–172. M. Schmoeckel, Procedure, Proof and Evidence, in: J. Witte Jr/F. S. Alexander (eds.), Christianity and Law, Cambridge 2008, 143–162; G. Martyn, Painted Exempla Justitiae in the Southern Netherlands, in: R. Schulze (ed.), Symbolische Kommunikation vor Gericht in der Frühen Neuzeit, Berlin 2006, 335–356. Saul, Monuments (nt. 5), 152, 257–258. M. Whinney, Sculpture in Britain, 1530–1830, 2nd edn, New Haven CT 1992, 430.

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supreme court17. [Plate 5] His contemporary William Hankford’s attitude can be found in the equitable ideal set out in the Latin verse (Psalm 105:3) that ran over his head (in a now lost funerary brass on his tomb at Monkleigh in Devon, which portrayed him kneeling in his judicial robes): Beati qui custodiunt judicium et faciunt justiciam in omni tempore (Blessed are they who keep (or guard) judgement and exercise justice (or deal justly) in all things)18. The sentence represents in general terms the collective professional ethos required of the judiciary, but may well have been intended to highlight Hankford’s personal reputation and integrity as a judge in advance of his heavenly adjudication. Whether it was the royal justices themselves or their families that commissioned the wording (or inclusion on the memorial) of such verses, an understanding of the process and need for earthly and heavenly justification is manifest. Such a concern comes across too in the way that legal executors were exhorted to exercise due diligence in their duties to testators, remembering (as Chief Justice William Gascoigne himself charged) that “they will have to account before the supreme judge on the day of judgement” 19. II. Legitimising Pr oper ty Rights While the potency of the imagery associated with the Last Judgement (and judicial exempla) underpinned the ‘virtual’ influence of the visual culture of the law, there were several other arenas in which it clearly complemented, even provided legitimacy for legal text. Visual symbols and ceremonial or ritualistic gestures lay at the heart of various legal contexts, notably the trial and punishment of criminals20, [Plate 6] but also in the rituals associated with out of court settlement by arbitration and in circumstances where issues of proof were involved (such as trial by battle). The visual ceremony and attendant symbolism that underpinned and legitimated tenurial service and the holding of property, however, has been largely underplayed and deserves closer examination. The significance of the act of homage lay in its publicly rendered, visible, dramatic qualities. The ceremony involved ritual gestures such as the prospective vassal kneeling before his future lord and placing his hands between those of the lord. The vassal took an oath to be faithful and the lord in turn uttered words of acceptance. Underlying this spectacle was a range of mutual and reciprocal obligations creating a binding contract that was intended to be seen and remain in the memory of assembled witnesses. The widespread use of written documentation arguably reduced the need for the full ceremonial, yet the ritual of homage 17 18 19 20

Ibid., 325–326. R. Gough, Sepulchral Monuments of Great Britain, vol. 2, London 1796, 72. J. Raines (ed.), Testamenta Eboracensia I, Surtees Society, 4 (1836), 394–395. See, for example, M. B. Merback, The Thief, the Cross and the Wheel: Pain and the Spectacle of Punishment in Medieval and Renaissance Europe, London 1999; J. Enders, The Medieval Theater of Cruelty: Rhetoric, Memory and Violence, Ithaca, NY 1999.

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nevertheless continued to be observed during the later Middle Ages (and even into the early modern period)21, as an account of John de Nowell’s act of homage in 1429 to Thomas de Hesketh demonstrates. Nowell knelt bareheaded before Hesketh, who was seated on a great stone wearing a hat. Nowell, turning and facing Hesketh squarely, placed his hands between the latter’s and pledged himself with the following words: “I become your man from this day forward and will bear you faith for the tenements I hold from you in Harwood […].” Hesketh kissed Nowell, who then repeated his oath with his right hand on a gospel book. “Hear this, Thomas de Hesketh, that I John Nowell will be faithful to you and bear you faith for the free tenement that I hold from you in Harwood and will perform loyally all the customs and services which I owe you to do at the times assigned, so help me God.”22 The memorable features of the ceremony are encapsulated in an illustration executed a hundred years earlier accompanying the text of the statute de homage et fauté from a collection of statutes given to Edward III by Philippa of Hainault as a wedding gift (now in the possession of Harvard Law School), which appropriately shows a prince kneeling in homage to his ‘lord’ in the manner outlined 23. During the Middle Ages inter vivos transfer of property was communicated visually through the public ceremony of livery of seisin. It was a fundamental principle of the common law that in order to legitimately possess (have seisin of) the land, it had to be duly conveyed and witnessed with the necessary ritual and physical symbols. As the thirteenth century legal treatise on English legal practice known as Bracton makes clear: “If livery is to be made of a house by itself or of a messuage for an estate, it ought to be made by the door and its hasp or ring, by which is understood the donee possess the whole to its boundaries”24. In other words a ceremony had to take place using recognised symbols (such as the hasp or ring on the door to the property). Although a charter or deed testifying to the conveyance was written evidence of the event, it did not validate possession on its own. As Bracton also states: “A gift is not valid unless livery follows; for the thing given is transferred neither by homage, nor by the drawing up of charters and instruments, even though they be recited in public”25. Oral proclamation or written text were thus regarded as insufficient on their own. The transfer of property was also sometimes evidenced by the gift of a knife (or even a clod of 21

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M. Bennett, Community, Class and Careerism: Cheshire and Lancashire Society in the Age of Sir Gawain and the Green Knight, Cambridge 1983, 44; J. Russell Major, Bastard Feudalism and the Kiss: Changing Mores in Late Medieval and Early Modern France, in: Journal of Interdisciplinary History 17 (1987), 509–535. A. R. Myers (ed.), English Historical Documents, 1327–1485, London 1969, 1117–1118; M. Keen, Introduction, in: Coss / Keen, Heraldry (nt. 8), 2–4. Harvard Law School MS 12 fol. 33v; M. Michael, A Manuscript Wedding Gift from Philippa of Hainault to Edward III, in: The Burlington Magazine 127 (1985), 582–598. Henry de Bracton, De legibus et consuetudinibus Angliae, ed. G. E. Woodbine, trans. and rev. S. E. Thorne, 4 vols., Cambridge MA 1968–1977, vol. 2, 50. Ibid., 124–125.

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earth), which might be symbolically laid upon an altar or wrapped in or affixed to the written charter. It is significant, therefore, that such physical objects were essential as proof in court proceedings (trumping documents) and produced also at inquest to demonstrate rights of tenure and office-holding 26. The Conyers falchion, for example, (now in the Durham Cathedral museum) symbolising title to the manor of Sockburn (held from the bishop of Durham) was produced in 1396 at the Inquisition Post Mortem of Sir John Conyers 27. Indeed, the strength of this mode of proof was such that the head of the Conyers family was obliged to produce the falchion as evidence of his manorial title up to the mid nineteenth century. If the sword represented the transfer of title, its ritual production before the bishop, its surrender and subsequent restoration, re-enacted the original legal event. Symbols, such as daggers and hunting horns were also safeguarded by families holding hereditary office and annually produced as visual proof of the serjeanties held. Indeed, destruction of documents by fire, rodents or other accident was redeemed by the survival qualities of material items28. Similarly during the late thirteenth and fourteenth centuries disputes about the legitimacy of seisin were communicated through the elaborate ritual that played a key part in founding actions of novel disseisin. Disseising or dispossessing an opponent was conducted (preferably in front of suitable witnesses) through a solemn demonstration of entering the property and claiming possession which was then followed up with legal action in court (on the basis that the opponent had unlawfully dispossessed him of it or alternatively trespassed by refusing to move out or make way for him). A claim to possession could take various forms. In 1300, for example, a baby boy of one or two years old (whose grandmother believed that he was the rightful claimant of her late husband’s house and land) was carried to the house during his grandfather’s funeral and placed by the doorway anticipating the arrival of his uncle who disputed his right. In 1287 a woman who was prevented from entering the hall of the property she believed she had inherited found a way in through a storeroom and remained there for twelve hours or so, even getting a meal for herself, before she was discovered and ejected. Once this ritual had been performed then in the eyes of the law the claimant was in possession (seised) of the property and entitled to enjoy full and peaceable control unless it were proved otherwise.29 Knowledge of this ritual was clearly widespread as a form of it was duly enacted by the St Albans rebels in 1381, when they according to the chronicler Walsingham, “ceremonially through the branches of trees accorded themselves seisin of the warren, of the common woods, of the open spaces in the woods and of the field of free alms 26 27 28 29

Clanchy, Memory (nt.6), 251–260. The head of the Conyers family was obliged to produce this falchion as evidence of manorial title until 1860. M. Cherry, Symbolism and Survival: Medieval Horns of Tenure, in: The Antiquaries Journal 69 (1989), 111–118; E. G. Kimball, Serjeanty Tenure in Medieval England, New Haven CT 1936. D. W. Sutherland, The Assize of Novel Disseisin, Oxford 1973, 144–153.

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of Sopwell Bury. [And] they took a certain live rabbit, taken by force among them in the open field by the crowd of people and declared that it should be carried before them on a spear and fixed it upon the pillory in the town of St Albans as a symbol of the freedom and of the warren thus gained.”30

As this and many other examples in the legal records demonstrate, rights could be disputed or challenged by symbolic usurpation, appropriation or destruction. The erection or despoiling of gallows, the taking of wood, crops growing on the land, even the removal of hedge-clippings constituted not just evidence, but the visual marker, a broader legal phenomenon, upon which a court action could be founded. Image operated to encapsulate rights and legitimacy that were set out in written documents too. The charter that provided evidence of a property transfer was frequently illuminated at the behest of the grantee. The pictorial representation operated in the abstract and in the context of the charter itself. It could encapsulate the subject matter of the charter or the powers accorded by the grant. For instance, the royal charter from Edward III to the city of Bristol in 1347 is prefaced by a large decorative initial ‘E’ that contains illustrations of the powers of incarceration and punishment granted in the charter. More specifically it depicts a baker weighing short-weight loaves and being drawn on a hurdle, while a man is being physically coerced into a wooden cage for prisoners31. In another example, the exceptionally elaborate Pilkington charter depicts realistic birds, animals and trees which surround the text of the charter on all four sides. As Michael Clanchy has pointed out, framing the hunting rights conveyed by charter with specimens of the flora and fauna likely to be encountered on his property served to enhance the authority of the document by giving it visual specificity 32. The illustration contained within the initial letter in a charter or surrounding its text not only functioned as a visual reminder of the nature of the grant and the grantee33, but it could also commemorate effectively an historical event, such as the founding of an institution34. The event in question may in fact be more mythical than historical, but nevertheless achieves some form of historical veracity through the representation. St John’s Beverley was reputedly founded by Athelstan35, though 30 31 32 33

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H. T. Riley (ed.), Gesta Abbatum Monasterii Sancti Albani, vol. 3, London 1869, 303. Reproduced in Alexander/Binski, Chivalry (nt. 11), 277. Clanchy, Memory (nt. 6), 121. For example: in the Furness Coucher Book the woman with white headdress and pink dress in the ‘O’ of omnibus may well be Alicia de Staveley, who gave some pasture (‘Suterschales’) to Furness Abbey (London, British Library, MS Additional 33244 fol. 120r). A rather crude drawing of an abbot with a crozier on a throne holding a document with a church to his left and monks praying to his right accompanies the text concerning the foundation of the abbey of St Mary’s in York in Oxford, Bodleian Library, MS Bodley 39 fol. 92. This claim is also made in the so-called rhymed charter of King Athelstan (dating from around Edward II’s reign): A. F. Leach (ed.), Memorials of Beverley Minster: The Chapter Act Book of the Collegiate Church of St John of Beverley AD 1286–1347, in: Surtees Society, 108 (1903), 280–287.

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there is no firm historical basis for this other than the fact that the Beverley Cartulary has a drawing of King Athelstan (so there is no doubt as to his identity he has a scroll across his chest bearing his name), crowned and holding a sceptre, handing a charter to Archbishop Wulfstan (outside a large church)36. Where the charter is itself represented in the picture (often with a seal attached – another potent symbol), this is not only proof of its donation, but usually regarded as visual shorthand for the charter’s recitation or proclamation. Visual and aural elements thus combined with the written text to provide the required legitimacy. III. Leg al Texts Volumes of statutes, precedents of pleading and treatises on the law and procedure used by legal practitioners also contributed significantly to the prevailing visual culture, orienting the reader both literally (in terms of location within the book) and figuratively with regard to the meaning of the ensuing text. Where an image at the book division encapsulates the import or meaning of the passage to come it serves as a vital mental stimulus, conveying visually concepts that were often by their very nature abstract 37. The images, therefore, probably functioned as memory aids for practitioners who had learnt swathes of law off by heart, but who needed a trigger to unlock the legal points they required. What better than a picture encapsulating the very point? This phenomenon can be found employed in books of Roman civil law and canon law produced both in Continental Europe and in England and offers a whole universe of analysis since the common schemes (akin to the practices adopted by illustrators of Bibles) were not always understood or the instructions correctly followed by the illuminators. It was a characteristic borrowed for illuminated books of English law, albeit in a slightly more simplistic fashion than their ius commune counterparts38. A glance at an image accompanying the statute of Winchester (1285), for instance, which shows a king with his sword held upright and men standing before him, one of whom is carrying a sword, another a staff, would be reminded that the statute sets out provisions concerning local policing and the requirements for assize of arms39. [Plate 7] The Charter of the Forest has a scene reminiscent of hunting, such as an archer firing an arrow at a stag in a wood 40, while the Statute of Wards and Relief is marked out by the presence of a child (or children)41. At least one 36 37 38 39 40 41

Oxford, University College MS 82 fol. 7. M. Carruthers, The Book of Memory: A Study of Memory in Medieval Culture, Cambridge 1990, 19–21, 253–256. For examples see L’Engle/Gibbs, Illuminating (nt. 5). BL MS Lansdowne 1174 fol. 142r. Cambridge, Trinity College, MS O.7.27 fol. 14r; Harvard, MS 12, fol. 5r (reproduced in Michael, Wedding Gift, (nt. 23, fig. 37). BL MS Lansdowne 1174 fol. 141r; Harvard, MS 12 fol. 33r (reproduced in Michael, Manuscript Wedding Gift, nt. 23, fig. 41).

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English Register of Writs conveniently has little images associated with the legal requirements of particular writs. As Camille has shown, the images were consciously produced to accompany the text of the breviary and intended not only to be visual representations of various rights, but also, more functionally, visual aids towards the location of the relevant writ for initiating legal action42. In showing practitioners in action, the law books provide a sense of the dedication of the profession, but also offer a human touch, moving beyond its abstract principals to reveal its personnel 43. [Plate 8] Judges and lawyers themselves used their distinctive costume to enhance the law’s image as well as promote their own status within the hierarchy. Indeed, the effigies on their tombs and images on their funerary brasses enable us to tap into how they represented themselves and signalled to others not only their achievements but also their aspirations and pretensions. [Plate 9] As with linguistic passages, there were often deeper layers of meaning and more sophisticated readings of apparently straightforward images are possible. Many of the volumes include pictures that offer an opportunity for undermining the authority of law and a forum for the subversion of legal concepts and relationships (even concepts of status and traditional hierarchy as portrayed by kings and legal personnel). The playing out of transgressive elements in rituals of shame and punishment, for instance, or in the margins of illuminated manuscripts bear witness to the power of image, its widespread understanding and the ease with which it could be appropriated and manipulated within particular legal and political contexts. In the illuminated law books, for example, additional actors sometimes appear within the frame of the initial or in the margins above, below or to the side of the text, creating tableaux that are complex and full of ambiguities. The interlopers can be humorous and satirical, but more particularly the combination of images can introduce or suggest elements that are anti-authoritarian and subversive, hinting at royal shortcomings or providing warnings for the legal and political communities44. [Plate 10] IV. Conclusion Study of its visual culture enables historians of the law to the see its operation through a new prism. Such research, however, is not purely an exploration of the non-verbal, non-textual crystallisation and distillation of legal principles; the 42

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M. Camille, At the Edge of the Law: An Illustrated Register of Writs in the Pierpont Morgan Library, in: N. Rogers (ed.), England in the Fourteenth Century, Proceedings of the 1991 Harlaxton Symposium, Stamford 1993, 1–14. See, for example: BL, MS Add. 11353, fol. 9r; BL, MS Harley 947, fol. 107r; Oxford, MS Douce 159, fol. 1r; Oxford, Oriel College, MS 46, fol. 156r. A. Musson, The Power of Image: Allusion and Intertextuality in Illuminated English Law Books, in: Y. Plumley/G. di Bacco/S. Jossa (eds.), Citation, Intertextuality and Memory in the Middle Ages and Renaissance, Exeter 2011, 113–126.

Seeing Justice: The Visual Culture of the Law and Lawyers

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spoken and the written word play an important part too, combining with image at times to underpin and legitimise particular elements of law, among them, the proper exercise of authority, upholding of rights, and fair and due process. We need to appreciate the visual and psychological impact that the law had on medieval people, but we cannot treat image as unconnected with those who created or determined its message, nor can we regard it as unaffected by changes in meaning over time. One of the main problems for the historian, therefore, is discerning who was using or deploying these legal images – was it royal government (i.e., the state), was it communities, or were they adopted or propagated by individuals? We know legislators and lawyers embraced visuality as a means of conveying or communicating its authority, principals and processes, but what was the role of the artist or craftsman and what was the scope for imaginative input or for improvisation within given guidelines? Equally seeing the exercise of justice in public courts, in illuminated miniatures, wall paintings or in dramatic reconstructions was intended to educate and advise as well as to warn and deter from misbehaviour all members of society not just the lower classes; the experiences of the visual side of the law, stretched like the law itself from the unfree peasant to the ordinary citizen, through members of the clergy and the legal profession to the gentry, nobility and even kings. The visual side was not necessarily simplistic, nor was it necessarily directed at the illiterate. However, some images were complex and only intellectually accessible to viewers with the requisite knowledge and experience, usually judges, lawyers and legal intermediaries. Since the law books were essentially privately produced, the images they contain can be regarded as providing a means of communicating ideas and creating opportunities for discussion concerning particular legal and political issues amongst their literate (and non-literate) law-minded owners and users. Indeed, the illuminated book, whether overtly legal in content or literary in nature but containing images relating to justice or legal issues was an important medium for the transmission of ideas about law. [Plate 11] The use of image within a spectacle or legal context and the methods by which it could be discerned by or highlighted for onlookers is therefore an important consideration for historians. Equally crucial for an understanding of the reception of the image is the extent to which its deployment (and meaning) remained constant or altered over time. Moreover, since visual aspects of the law in the form of art and spectacle drew on elements of both high and low culture, it could be claimed that law as a dynamic was able to permeate and erode the traditional class/cultural boundaries, thereby enriching interpretations. Significantly, therefore, the visual culture not only stimulates the little grey cells of researchers, but facilitates our engagement with legal cultures and judicial experiences of past ages.

Verzeichnis der Handschriften

Barcelona, Arxiu de la Corona de Aragón Ripoll 32: 694, 699 Ripoll 38: 699 Barcelona, Arxiu Històric de la Ciutat de Barcelona 1G.L-8: 696, 700 1G.L-9: 694, 696, 700 1G.L-10: 692, 694 Berlin, Staatsbibliothek Phill. 1736: 77, 80–81, 85, 86–88 Preußischer Kulturbesitz, lat. 4° 466: 563 Bruxelles, Bibliothèque royale de Belgique 9169: 695 Cambridge, Corpus Christi College 184: 572 Cambridge, Trinity College O.7.27: 719 O.8.37: 229, 233 Cambridge, University Library Ii. 1.19 (1711): 229–230, 233, 237 Colmar, Archives départementales du Haut-Rhin Fragments de ms. 332: 663 Firenze, Biblioteca Nazionale Centrale Conv. Soppr. C 8.1173: 563 Görlitz, Bibliothek der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften A III.1.10: 665–666 Graz, Universitätsbibliothek 11.482: 229–230, 233, 237, 240–241 Harvard, University Library 12: 719 Istanbul, Ayasofya 2433: 216

Kassel, Landes- und Murhardsche Bibliothek 2 Ms. Theol. 67: 229–230, 233, 235, 237 Köln, Museum Schnütgen Evangeliar (St. Georg): 703–704 Lisboa, Biblioteca Nacional de Portugal 2623: 492 5512: 506 Lleida, Arxiu Capitular de Lleida 22: 694, 699 Lleida, Arxiu Municipal de la Paeria 1345: 694, 698 London, British Library Add. 33244: 718 Add. 11353: 720 Burney 73: 567 Harley 947: 720 Lansdowne 1174: 719 Madrid, Biblioteca Nacional de España 17662: 704 19423: 556 Vitr. 14-5: 701 München, Bayerische Staatsbibliothek Cgm 5249/55b: 663 Clm 7936b: 229, 233, 237 Oxford, Bodleian Library Bodl. 39: 718 Bodl. 437: 229–230, 233, 235, 237 Douce 159: 720 Oxford, Oriel College 46: 720 Palma, Arxiu del Regne de Mallorca 1: 692, 700–701 5: 704

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Verzeichnis der Handschriften

Paris, Bibliothèque de l’Arsenal 1162: 531, 544, 572 Paris, Bibliothèque de la Sorbonne 601: 229–230, 233, 237–238 Paris, Bibliothèque Mazarine lat. 795: 238 Paris, Bibliothèque nationale de France lat. 3670: 527 lat. 3876: 702 lat. 4230: 567 lat. 4409: 77, 80, 85, 87–89, 91, 92 lat. 4629: 77, 80–81, 85–88 lat. 4670A: 693, 696, 698 lat. 4792: 693 lat. 11611: 96 lat. 15973: 229–230, 233, 235, 237, 240–241 n.a.l. 494: 704 Paris, Bibliothèque Sainte-Geneviève 1.405: 574–576, 579–580 Saint-Omer, Bibliothèque d’agglomération 608: 229–230, 233, 237 Sankt Gallen, Stiftsbibliothek 729: 77, 80, 85, 87–88 Sankt Petersburg, Russische Nationalbibliothek F.v.I.11: 96 San Lorenzo de El Escorial, Real Biblioteca del Monasterio de San Lorenzo de El Escorial d.I.1: 699, 702 d.I.2: 699, 701–702, 709

Schwerin, Landesbibliothek MecklenburgVorpommern ohne Signatur (1): 666 Teruel, Archivo Histórico Provincial de Teruel Ayuntamiento de Teruel: 704 Todi, Biblioteca comunale Lorenzo Leoni 32: 229, 233, 237 Torún, Biblioteka Uniwersytetu M. Kopernika Rps. 44: 663 Rps. 64: 663 Vaticano (Città del –), Biblioteca Apostolica Vaticana Ottob. lat. 644: 229–230, 233, 237, 240–241 Ottob. lat. 782: 501 Ottob. lat. 3058: 693, 696, 698–701 Reg. lat. 846: 77, 80–81, 85, 87–89, 91–92 Vat. lat. 1124: 229–230, 233, 237, 241 Vat. lat. 3847: 558 Vat. lat. 4274: 229–230, 233, 241 Warszawa, Biblioteka Uniwersytecka 1: 77, 80, 85, 87–88 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek Blankenb. 130: 83, 85, 87–88 Weißenb. 97: 90 Yale, University Library suppl. 103: 216 suppl. 321: 216 suppl. 511: 216

Verzeichnis der Frühdrucke

Alcalá 1605 Gabriel Vázquez, Commentariorum in Primam Secundae S. Thomae Tomus secundus: 516, 520 Antwerpen 1621 Gabriel Vázquez, Commentarii in Primam Secundae S. Thomae: 472 Antwerpen 1644 Rodericus de Arriaga, Disputationes theologicae in Primam Secundae D. Thomae: 482 Basel 1562 Bartolus de Saxoferrato, Opera omnia: 110 Brescia 1591 Richardus de Mediavilla, Super quatuor libros Sententiarum: 340 Douai 1627 Thomas Cantipratanus, Bonum universale de apibus: 571 Frankfurt a. M. 1578 Cinus de Pistorio, In Codicem et Digestum vetus commentaria: 111 Frankfurt a. M. 1614 Monarchia Sacri Romani Imperii: 522 Hagenau 1517 Johannes Reuchlin, De arte cabalistica: 263 Köln 1551 Albertus Pighius, Hierarchiae ecclesiasticae assertio: 477 Leuven 1646 Aegidius Romanus, Quodlibeta: 583

London 1690 Humbertus de Romanis, Opusculum tripartitum: 558 Lyon 1494–96 Guillelmus de Ockham, Dialogus de imperio et pontificia potestate: 399 Lyon 1627 Corpus iuris civilis cum commentariis Accursii: 109 Lyon 1639 Johannes Duns Scotus, Quaestiones in lib. IV Sententiarum, cum commentario R. P. F. Anthonii Hiquaei: 406 Nürnberg ca. 1495 Humbertus de Romanis, Tractatus solemnis fratris Humberti quondam Magistri generalis ordinis predicatorum. De predicatione Sancte crucis: 556, 558 Paris 1518 Henricus de Gandavo, Quodlibeta: 388 Paris 1520 Henricus de Gandavo, Summa quaestionum ordinariarum: 384 Roma 1566 Aegidius Romanus, De regimine principum libri IIII: 590 Roma 1584 Matthias Aquarius, Dilucidationes in XII libros Primae Philosophiae Aristotelis: 606 Roma 1623 Aegidius Romanus, In Tertium Librum Sententiarum Commentaria: 603 Venezia 1501 Aegidius Romanus, Questiones methaphisicales: 597

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Verzeichnis der Frühdrucke

Venezia 1515 Aegidius Romanus, Rhetorica Aristotelis: 595, 605 Venezia 1562 Averroes, In Moralia Nicomachia: 601

Venezia 1581 Aegidius Romanus, In Secundum Librum Sententiarum Quæstiones: 603

Namenregister

Abd al-Malik ibn Hisha¯m 196 Abd al Rah.ma¯n al-Sha¯gu¯l, M. 215 Ab-Dias 539 Abduh, M. 45 Abel 623 Abraham 570, 578, 653–654 Abraham Abulafia 266, 272, 276 Abraham ben Samuel ibn H.asdai 232 Abraham ibn Ezra 576, 580–581 Abril, V. 474 Abu¯ l-Baraka¯t al-Baghda¯dı¯ 218 Abu¯ Yu¯suf 211 Abulafia, D. 570 Accursius 109, 119 Adalbertus Pragensis 138–139 Adam 182, 192, 283, 463, 576, 654, 673, 681, 688 Adam de Marisco 230 Adamson, P. 216 Adang, C. 530 Adimantus 614 Adorno, Th. W. 22, 28 Adrianus 672, 675 Adventius Metensis 105 Aegidius Romanus 330, 474, 583–584, 589–593, 596–606 Aemarus Ranconnetus 85 Aertsen, J. A. 513, 590, 612, 644 Afchar, H. 203 Afifi al-Akiti, M. 220 Agobardus 99 Ah.mad ibn H.anbal 214 Ahn, G. 531 Aillet, C. 533 Akasoy, A. 218–219 Akindynos 434, 436 al-Abharı¯ 215–217, 224 Alanus Anglicus 465 Alaricus II 84 al-Ash>arı¯ 214 Albericus de Rosate 110 Albertanus Brixiensis 125–126 Albertus Magnus 30, 35, 230, 238, 300, 316–333, 336, 341, 474, 574, 584–587, 594–596, 603, 623–624

Albrecht Rendl z Ousˇavy 150 Alcuinus 44, 80–81, 94 Aleksej 62–63 Alexander IV papa 326 Alexander, F. S. 714, 718 Alexander Halensis 30, 35–36, 298–315, 336–337, 340–343, 345–347, 358, 654 Alexander, J. J. G. 713 al-Fa¯ra¯bı¯ 51 Alfonso I 694 Alfonso II 694, 696 Alfonso III 707 Alfonso IV 694, 697 Alfonso VI 707 Alfonso VII 540 Alfonso X 692, 707 Alfonsus de Castro 480 Alfonsus de Spina 570 al-Ghaza¯lı¯ 44, 214, 219–226, 574 al-Ha¯sˇimı¯ 535 al-Ka¯mil 572 al-Ka¯tibı¯ 215–216 al-Kindı¯ 47, 535 al-Kindı¯, Ps. 534–535, 543–546, 549, 560, 562 al-Mans.u¯r 550 al-Mustasfa 44 Alphandéry, P. 534, 536 al-Sha¯fi 222 al-Sharafa¯wı¯ A. M. >A. 223 al-Sharı¯f al-Jurja¯nı¯ 216 al-Tafta¯za¯nı¯ 218 Altaner, B. 546, 560 Althoff, G. 10–11, 709 Altmann, A. 268 Altwicker, T. 510 Ambrosiaster 601 Ambrosius Autpertus 677 Ambrosius Mediolanensis 292, 314, 584 Amelung, K. 94 Amos, Th. L. 558 Anacletus, Ps. 100 Andermann, K. 156, 159, 175 Andersson, R. 635 Andreas Pragensis 142

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Namenregister

Andreas Dubá 149 Andrej Kurbskij 68 Andrianovoj-Peretc, V. P. 56 Angelus Rocchensis 603 Anonymus (Franckforter) 609–611 Anonymus (De statu Saracenorum) 561–562 Anonymus (Vorauer Sündenklage) 676 Ansellus Laudunensis 653 Anselmus Cantuariensis 675–676 Anselmus Mediolanensis 95 Anshelm, Thomas 263 Antoninus Florentinus 480, 482 Antonius de S. Domingos 489, 491, 503, 506–508 Anzulewicz, H. 230, 320–321, 327, 586, 623 Aphraates 187 Apion 40 Aquarius, Matthias 606 Araud, R. 472 Arazi, A. 204 Arenal, C. 496 Aretanus 111 Aris, M.-A. 655 Aristoteles 26, 41, 46–47, 49, 51, 135, 212, 221, 235, 288, 293, 319, 369, 382, 386, 391, 407, 416, 421, 432, 437, 440, 446, 449–453, 461, 467, 474, 512–513, 601, 604–606, 621, 676 Arius 204 Arkush, A. 266 Arlinghaus, F.-J. 153, 165 Armandus de Bellovisu 437 Arnaldi, G. 115 Arnaldus Toletanus 540–541 Arogastus 83 Arriaga, Rodericus de 471, 482, 485, 487–488 Arrighi, V. 129 Artifoni, E. 126, 134 Ascheri, M. 112–113 Ashley, K. M. 676 asˇ-Sˇa¯fi>¯ı , 208 asˇ-Sˇayba¯nı¯ 211 Astuti, G. 110 Athelstan 718–719 Auer, J. 324 Auge, O. 156, 159, 175 Augustinus, Aurelius 4, 19, 23, 30, 32, 43, 283, 292, 299, 302–303, 305–306, 336–340, 342–343, 348, 385, 399, 403–404, 406, 409, 412–414, 419–420, 509, 531, 537, 574, 577–578, 585, 591–592, 601, 614, 622, 676, 703 Augustinus, Ps. 637 Augustus 448 Aurelius martyr 535

Austin, G. 5 Austin, J. L. 28, 40 Avé-Lallemant, E. 39 Averroes 51, 217–220, 225–226, 235, 553, 595, 601 Avicenna 214–217, 220–222, 224, 226, 548 Avril, F. 693, 698, 704 Ax, W. 31 >Ayn al-Qud.a¯t al-Hamadha¯nı¯ 223–224 Azo Portius 116–120, 132 Azpilcueta, Martínus de 480 Babbini, L. 477 Bacher, W. 312 Bachrach, B. S. 712 Bachyah ben Asher 269 Backes, I. 32, 323, 383, 388, 396–397 Balaam 581 Balard, M. 546 Baldus de Ubaldis 120–122 Ballhorn, E. 528 Baltussen, H. 216 Bammé, A. 440 Bañez, Dominicus 489, 491, 504–505 Bange, P. 307 Baptista de Salis 477 Bar Hebraeus 218 Barbour, H. C. 437 Barciak, A. 138 Barlaam de Calabria 434 Barnardus de Vienna 99 Barnes, J. 445 Barriento García, J. 504 Barthélemy, D. 133 Bartholomaeus Narbonensis 99 Bartolus de Saxoferrato 110–111, 119–121, 708 Barwick, K. 30 Basse, M. 298–315, 359, 549 Bast, R. J. 307 Bastardas, J. 693 Bastit, M. 588 Bate, Henricus 600 Battenberg, F. 175 Bauer, A. 165 Bäumer, R. 477 Baumgarten, E. 231 Baumgärtner, I. 153 Baur, M. 594 Bauschke, M. 528 Beaulande, V. 604 Beazley, C. R. 67 Becher, M. 83, 87, 90, 92 Beck, H.-G. 54 Becker, H.-J. 167–168

Namenregister Beckett, K. S. 536 Beckmann, J. P. 400, 523 Beda Venerabilis 578, 677 Behrends, O. 204, 211, 368, 706 Behrisch, L. 154, 164, 168 Beierwaltes, W. 320 Beinert, W. 643 Bejczy, I. P. 475 Bellarminus, Robertus 606 Bellomo, M. 6, 112–113 Belsey, C. 605 Beltrán de Heredia, V. 469 Benayahu, M. 265 Bendlage, A. 154, 157 Benecke, G. F. 667–668, 670–672, 674, 682 Benedictus III papa 104 Benedictus XI papa 135 Benedictus Levita 106 Benestad, J. B. 458 Benin, S. D. 312 Bennett, M. 716 Bennett, R. F. 401, 462 Benninghoven, F. 156 Bentham, J. 40 Bergman, R. 667 Bergson, H. 49 Berkey, J. P. 215 Bermudo II el Gotoso 707 Bernardus Claraevallensis 94, 331, 575 Bernardus Guidonis 559 Bernardus rex Italiae 95 Berndt, R. 283–284, 287, 290, 313 Bernecker, R. 27 Bernhart, J. 610 Berriot, F. 569 Berschin, W. 541 Berthier, A. 552, 575 Berthier, J. J. 558 Berton, C. 509, 516 Bertram, M. 697 Beuckers, K.-G. 692 Beyerle, F. 84 Biagio Boccadibue 129 Bianchi, L. 599–600 Bianchi, U. 532 Biel, Gabriel 336, 480, 513 Bietenholz, P. G. 477 Biller, P. 531–532 Binski, P. 712–713, 718 Biondi, L. 127 Birckmann, B. 555, 559 Birk, A. 5 Birr, Ch. 156 Bischoff, B. 85, 94

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Bláhová, M. 137–151 Blasco Martínez, A. 692 Blattmann, M. 153, 157 Blauert, A. 153, 159, 174 Blickle, P. 308 Bliemetzrieder, F. 653 Bloch, M. 229, 231–232 Bloom, H. 277 Blum, P. R. 606 Blumenberg, H. 50 Blumenkranz, B. 550 Boboc, A. 713 Bobzin, H. 552 Bocken, I. 650, 652, 656 Böckenförde, E.-W. 23, 510 Bodewig, M. 650 Bodman, W. S. 200 Boethius, A. M. S. 362, 600, 676 Bogatyrev, S. 63 Böhmer, H. 402 Böhmer, J.-F. 102 Böhringer, L. 107 Bohuslav, Magister 141 Boleslav II 138 Bonaini, F. 133 Bonaventura 30, 35, 330, 336, 341–346, 522, 677 Bonifatius VIII papa 316–317, 331 Bonnassie, P. 693 Borchling, C. 672, 674 Borella, J. 609 Boretius, A. 82–84, 98, 102 Borgnet, A. 320–322, 332, 623 Borgolte, M. 539 Bormann, F.-J. 537 Bosbach, F. 570 Böse, K. 699, 712 Boshof, E. 98, 103 Bosworth, C. E. 201 Bottini, L. 535 Bougard, F. 94, 133 Boulnois, O. 612 Boureau, A. 378, 593 Böwering, G. 225 Bradshaw, D. 440–441 Brady, I. 292 Brague, R. XIII, 39–52, 354 Branca, V. 124 Brandes, W. 97–98 Brandl, V. 144 Brandt, S. 411–412 Braunfels, W. 94 Bredow, G. von 650 Breitenstein, M. 416 Bretholz, B. 137–139

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Namenregister

Brˇ etislav I 138–139 Brett, A. S. 406, 421, 460–462, 464, 469, 497 Brett, E. T. 556, 558 Brewer, J. S. 230 Bridges, J. H. 548 Brieskorn, N. 24, 510, 515, 678 Briguglia, G. 590 Brincken, A.-D. von den 545 Brinner, W. M. 185–186 Brock, S. L. 36 Brockelmann, C. 215–216 Brooke, C. N. L. 316 Brown, E. 558 Brown, S. 418 Brown, V. 19 Brucker, J. 218–219 Brugman, Johannes 634–635, 640 Brundage, J. A. 697–698 Brunner, F. 612 Bruno, Giordano 606 Brunschwig, J. 612 Brüsch, T. 570 Buchda, G. 162 Buchheit, V. 411 Buchner, R. 78, 84 Buck, T. M. 78 Buckel, S. 4 Bulgarus 115–116 Bull, M. G. 556 Bullido del Barrio, S. 317 Bulst, N. 154 Bunge, K. XIII, 515 Burchardus Wormiacensis 5 Burger, M. 316–333 Burghartz, S. 154, 158 Burman, Th. E. 527, 540, 546, 572 Burnett, Ch. 531, 567 Burns, J. H. 93, 400 Burnside, J. 713 Busi, G. 264 Busse, H. 528 Butterworth, Ch. 224 Buttimer, Ch. 281–282, 291, 296 Butz, R. 416 Butzer, P. L. 76 Buytaert, E. M. 332 Cabanillas, J. J. C. 94 Cˇáda, F. 149 Caelestinus III papa 570 Caesar, C. I. 448 Caggese, R. 131 Cain 623 Cajetanus, Thomas de Vio 478, 480, 483, 512

Calcidius 586 Calder, N. 201 Camille, M. 713, 720 Cammarosano, P. 134 Campanini, S. 263–277 Campbell, R. 675 Cancik, H. 53 Capitani, O. 112, 135 Caramello, P. 294–295, 400 Carbasse, J.-M. 591 Cardini, F. 128 Carmassi, P. 698 Carolus I dux Burgundiae 649 Carolus IV imperator 144–145, 147–150 Carolus Calvus 95 Carolus Magnus 75–80, 82–88, 90, 92, 94, 96, 98, 101–102 Carolus Martellus 87, 90 Carozzi, C. 558–559 Carro, V. 491 Carruthers, M. 719 Casagrande, C. 125, 128 Caspar, E. 98 Caspar, R. 530 Cassani, A. 264 Cassiodorus 34 Castro, A. 569 Cauchies, J.-M. 649 Cavallar, O. 708 Cavallera, F. 552 Ceffi, Filippo 127 Celli, R. 123, 133 Celsus 352 Cˇerepnin, L. V. 66 Cerulli, E. 547, 549, 558 Chabalahabar 539 Chasdai Crescas 273 Châtelain, É. 324, 552 Chekin, L. S. 55 Chenu, M.-D. 281, 337, 628 Cherniavsky, M. 66 Cherry, M. 717 Cherubini, P. 573 Chevallier, Ph. 316, 332 Chiffoleau, J. 476 Childebertus 90–92 Childericus III 90 Chlotharius II 90–91 Chodorow, St. 403 Chomeini, R. M. 39, 223 Chorão Lavajo, J. 553, 567 Chrestou, P. 428, 433 Christensen, K. 14 Christensen, R. 4

Namenregister Christianus Lascurrensis 540 Chroust, A.-H. 24 Chrysippus 23, 30, 210 Churchill, W. L. S. 45 Ciceri, A. 376 Cicero, M. Tullius 31, 33, 40, 351–352, 410–411, 413, 489, 512, 585, 676 Cino Dietisalvi 129 Cinus Pistoriensis 110–111 Cirullies, M. 154 Clanchy, M. 712, 717–718 Classen, P. 113, 138, 156 Claster, J. N. 583 Claustre, J. 604 Clémencet, S. 103, 105 Clemens IV papa 555 Clemens VI papa 702 Clemens, Ps. 405–406 Cohen, E. 603, 713 Cohen, J. 546 Cohn, S. K., Jr. 124 Cole, P. J. 556 Coll i Rosell, G. 692–694, 696, 698 Collins, R. 94, 96 Colmar, H. U. 157 Colorni, V. 115 Colpe, C. 182 Colvenerius, G. 571 Congar, Y. 327, 330–331 Conrad Summenhart 373, 382, 459, 462–463, 467–469 Conrad, H. 703 Conradus III 140 Constantinus I imperator 109 Conte, E. 115 Conticello, C. 437 Conticello, V. 437 Conyers, John 717 Cordes, A. 7, 9, 155, 158, 162, 668, 673, 684 Cordes, G. 672 Cordonier, V. 598 Cornelius 602 Corradini, R. 78, 94 Cortabarría Beitia, Á. 552, 558 Cortese, E. 111–112 Cosmas 139–140 Coss, P. 712–713, 716 Cotrell, A. 98 Cottier, G. M. 366 Coulter, D. 291 Courtenay, W. J. 393, 604 Courtois, G. 132 Craddock, R. 692 Craemer-Ruegenberg, I. 32, 545

731

Cramer, V. 556–557 Cresconius 101 Crick, J. 712 Crisciani, C. 125 Cromartie, M. 459 Crummey, R. O. 63 Cruz Cruz, J. 501 Cruz Palma, Ó. de la 544 Cullen, Ch. M. 677 Culleton, A. 472 Cunliffe, J. 467 Cunningham, S. B. 585 Cutler, A. H. 536 D’Alatri, M. 629 d’Alverny, M.-Th. 531, 536, 545, 547–548, 567 Dabashi, H. 224 Dagobertus I 91–92 Dahan, G. 542, 548–549 Dalceran Solà 699 Daniel 320 Daniel, J. 546, 553 Dante Alighieri 129 Dartmann, C. 709 David 535, 544, 566, 579 David Kimhi 576–577 David, R. 203 Davies, B. 293, 594 Davis, Ch. T. 135 Davis, J. 78 De Angelis, L. 129 De Boni, L. A. 537 de Boor, H. 682, 688, 690 de Cevins, M.-M. 545 De Coninck, P. D. 583 de Hamel, C. 573 de Heredia, V. B. 491 de Jong, M. 94, 96–97 de Lagarde, G. 386 de León, L. 489, 490, 503–505 de Libera, A. 318, 609, 611–612, 625 De los Desamparados Cabanes, M. 692 de Lubac, H. 281, 288 De Matteis, M. C. 135–136 Dean, T. 123, 129, 713 Declercq, G. 691 Decock, W. XII, 469 Decorte, J. 393 Deferrari, R. 283 Defraia, S. 379 Degenring, S. 708 Dekkers, E. 413, 420 Del Lungo, I. 129 Delisle, L. 559

732

Namenregister

Delle Donne, R. 123 Delorme, F. 372, 374–378, 380–381, 548 Demandt, K. E. 157 Demmer, K. 412 Demophilos 329 Denifle, H. 324, 552 Denton, J. 712 Denziger, H. 316 Depreux, P. 95 Derenbourg, H. 534 Despland, M. 531 Despuig de Barcelona 698 Deutscher, T. B. 477 Dhouda 94 di Bacco, G. 720 Di Blasi, F. 339 Di Cesare, M. 600, 602 Di Matteo, I. 530 di Paolo, S. 697 Di Segni, D. 229–262 Diago, F. 553 Díaz y Díaz, M. C. 533–534 Dick, S. 87 Dicke, G. 667 Diego de Simancas 480 Diels, H. 23 Dienstag, J. I. 312 Diesenberger, M. 94 Diestelkamp, B. 17, 156, 158, 168, 172 Dilcher, E.-M. 6 Dilcher, G. 6, 8–10, 12, 14, 115, 155, 158, 172, 707 Dinzelbacher, P. 307, 313, 569 Diodorus Siculus 448 Diogenes Laertius 30 Dionisij 62–63 Dionysius Areopagita, Ps. 316–333, 442–443, 619, 645 Dionysius Cartusianus 628–649 Dmitriev, K. 183 Dobosz, J. 140 Dodd, G. 714 Dolch, M. 154, 157 Dolcini, C. 112, 114–115 Dolezˇal, M. 137 Domingo, R. 490 Domínguez García, M. 533 Domínguez Reboiras, F. 529 Donati, S. 598, 650 Dondaine, A. 563, 567 Donin, Nicolas 550 Dorini, U. 131, 132 Doskocˇ il, K. 141 Douzinas, C. 712

Doyle, J. P. 468 Dragas, G. 440 Drews, W. 669 Driedo, John 480 Drijvers, J. 213 Drogo Metensis 103 Drossbach, G. 156, 695, 698 Dubois, M 238 Dudik, B. 239 Dufeil, M.-M. 324, 328–330 Dumézil, B. 84 Dümmler, E. 101, 104–105 Dunphy, G. 137, 140, 143, 148 Dunphy, W. 238 Durandus de S. Porciano 336, 339, 348, 480–481, 487 Dusˇek, L. 142 Dusˇková, S. 140–141 Duval, A. 563 Dux, G. 112 Dvornik, F. 204 Dweck, Y. 269 Dworkin, R. 11 Ebbo Remensis 95, 99, 102–104, 108 Ebel, W. 16 Eberl, J. T. 537 Echard, J. 326–327, 552 Eckert, W. P. 312, 366, 550 Eckhardus 240, 336, 609–627, 659, 685 Eckhart, K. A. 80–82, 86, 88–89, 91 Edrei, A. 578 Eduardus II 603, 718 Eduardus III 716, 718 Ehrismann, G. 682 Ehrle, F. 559 Eike von Repgow 7 Eikelmann, M. 667 Einhardus 75 Eisenkopf, A. 650, 652 El < ad, A. 204 Elders, L. J. 339, 412 Elorduy, E. 474 Embricho Mogontiacensis 534 Emcˇ enko, E. B. 67–68 Emery, K., Jr. 351, 604, 629, 634, 636, 644, 647–649 Emler, J. 142–143, 148 Emmen, A. 381 Enders, J. 715 Enders, M. 676 Endres, J. 32 Engel, E. 144 Engels, P. 561

Namenregister Enikel, Jan 569 Enriques, A. M. 123 Epicurus 42 Épinay-Burgard, G. 649 Erasmus, Desiderius 477, 522 Erbel, J. T. 492 Erkanbaldus 81 Erkens, F.-R. 98 Erler, A. 154, 161, 173, 175, 678, 680, 687 Erreygers, G. 467 Esau 623 Esch, Arnold 123 Esders, St. 83, 153 Esposito, M. 569–570 Etzkorn, G. I. 400, 419, 422–423, 522 Eulalia 705 Eulogius 533–535 Eusebius Caesariensis 204 Eusterschulte, A. 399–423 Eva 463, 673, 681 Evans, G. R. 400, 604 Evaristus papa 106 Ewig, E. 90–91 Fahkry, M. 51, 214 Fakhr al-Dı¯n al Ra¯zı¯ 218 Faulkner, T. 78 Faustus Manichaeus 23 Feh, I. 109 Fehr, H. 680 Feigl, H. 156 Feil, E. 532 Feiss, H. 287–289 Feldbrugge, F. 55–57, 59–60, 62, 65, 71 Feldman, N. 601 Felice, D. 264 Felten, F. J. 157, 168 Fernandes, J. M. A. A. 515 Fernandez Vallina, E. 707 Fernando I 707 Ferran i Planas, E. 694 Ferrari, F. 569, 663 Ferrer Bassa 694 Fetscher, I. 93 Fiala, Z. 142, 144–147 Fichte, J. G. 50, 586 Fichtenau, H. 706 Fichtenau, H. 89 Fidora, A. XII, 493–494, 515, 529, 537, 569 Figl, J. 201, 531 Fikentscher, W. 206 Filippi, E. 650 Filthaut, E. 238 Finnis, J. 457, 497, 594

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Fioravanti, M. 123 Fischer, A. 90 Fischer, Ch. 5 Fischer-Lescano, A. 4 Fitzpatrick, P. 604 Flannery, K. L. 604 Flasch, K. 619 Flavius Josephus, 40 Flori, J. 534 Florovsky, G. 204 Florus Lugdunensis 97 Flückiger, F. 536 Foessel, M. 50 Fögen, M. T. 16 Follon, J. 356 Fontaine, J. 591 Fortin, E. L. 458 Fotij 61–63 Foucault, M. 604 Fouracre, P. 79 Fraipont, J. 413, 417 Franciscus Assisiensis 629–630, 632 Franciscus de Vitoria 458, 460, 463, 467–469, 472, 489, 491, 496–503, 505, 508, 515 Frank, I. W. 324 Frank, R. M. 179 Franke, F. R. 533–534 Frati, C. 126, 131 Frege, G. 380 Freppert, L. 417, 423 Freudenthal, G. 230 Freund, S. 111 Fridericus I imperator 18, 115–117 Fridericus II imperator 17, 114, 145, 230, 569–571, 698, 703 Fried, J. 93, 97–98, 102, 112–115 Friedberg, Æ. 302, 308–311, 313–314, 317, 324, 402–403, 405, 408–409, 687 Friederich, G. 138, 140, 142 Friedman, R. L. 351 Friedman, Y. 539, 542, 550 Friedrich, U. 585 Fries, A. 320 Frojanov, I. Ja. 65 Frolík, J. 138 Fromm, H. 27 Fruela II el Leproso 707 Frymer-Kensky, T. 289 Fuhrmann, H. 13, 95, 104 Fukuyama, F. 605 Fürst, C. G. 14 Gabriel 532, 542, 545 Gadamer, H.-G. 20, 22, 37

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Namenregister

Gaens, T. 631 Gagnebin, B. 42 Gagnér, S. 6, 24 Gaius 372, 490 Gál, G. 522 Galinsky, J. 231 Galle, R. 553 Galluccius, F. 603 Gamarra, Y. 469 Gandillac, M. de 609 Ganshof, F. L. 75 Ganz, D. 79, 85, 95 García, J. B. 496 García, P. 496 Gardoni, G. 129 Garipzanov, I. 87 Garnot, B. 123 Garrison, M. 79 Gärtner, K. 668 Gascoigne, William 715 Gasparri, S. 129 Gatto, L. 115 Gaudeul, J.-M. 530 Gauthier, R. A. 235 Gauvard, C. 609, 612 Gawain 716 Geffré, C. 531 Geissler, E. 39 Gelasius I papa 98 Geltner, G. 324 Gennadios Scholarios 437–439, 441–450, 452–454 Gennadius Massiliensis 585 Gentili, S. 135 Georgios Gemistos Plethon 446, 449–450 Georgius martyr 535 Georgius Podiebrandensis 149–150 Gerasim 63 Gerhohus Reichersbergensis 628, 642–643 Gerontij 64 Gerson, Johannes 459, 462–463, 467–468, 480 Gerson, L. P. 238 Gersonides 603 Gerwing, M. 703 Getzinger, G. 440 Ghisalberti, C. 133 Gibb, H. A. R. 201, 215 Gibbs, R. 698, 712, 719 Gibson, K. 135 Gibson, M. 95 Gierke, O. 524 Gigli, E. 129 Giglioni, G. 218–219 Gil Fernández, J. 532–534, 540

Gilbert, P. 675 Gilbertus Porretanus 30 Gilleti, A. 574–575 Gilman, S. 569 Gilomen, H.-J. 311 Gimaret, D. 535 Giovanni da Vignano 126 Girardet, K. M. 412–413 Gire, P. 614–615 Giustiniani, A. 312 Glatthaar, M. 82 Glei, R. F. 530, 542–543, 549 Glorie, F. 624 Godefridus de Fontibus 386, 459, 465–467, 589 Godefridus de S. Victore 281–283, 287–290, 296–297 Godman, P. 94, 96 Goering, J. 193 Goetz, H.-W. 93 Goldast, M. 522–523 Goldbacher, A. 344, 399, 579 Golder, B. 604 Gomez de Loureyro 473 González Muñoz, F. 533–536, 546, 562 González, M. 492 Goodrich, P. 711–712 Gordley, J. 14 Goris, H. 471 Gössmann, E. 300–302, 304, 549 Gottfried von Straßburg 688–689 Gottstein, D. 39 Gough, R. 715 Gozzius de Urbe Vetere 143 Grabmann, M. 298, 301, 414, 536 Graefe, F. 570–571 Graetz, H. 264 Graf, F. W. 180 Grasmück, E. L. 403 Grat, F. 103, 105 Gratianus XII, 14–15, 298, 302, 308, 312, 314, 324, 350, 369–370, 400, 402–406, 408–409, 413–414, 419, 653, 684, 686, 697 Green, E. A. 558 Green, W. M. 305, 413 Gregorij Cˇamblak 61 Gregorios Palamas 427–436 Gregorius I papa 334, 563, 575, 676 Gregorius IV papa 103 Gregorius VII papa 14 Gregorius VIII papa 311 Gregorius IX papa (Ugolino di Segni) 134, 325, 545, 550, 570, 628, 684, 697, 699 Gregorius X papa (Thealdo Visconti) 559, 561–562

Namenregister Gregorius XIII papa 402 Gregorius Ariminensis 510, 513, 606, 657 Gregorius Nazianzenus 431 Greub, T. 701 Griffel, F. 214–226 Grimoaldus 89–92 Groebner, V. 168 Gronke, M. 209 Groß, K. 703, 707 Grotius, Hugo 458, 463, 509, 518 Grubmüller, K. 27, 33, 707 Gründer, K. 668 Grundmann, H. 647 Grunebaum, G. E. von 179–182, 199–200, 530 Guadalajara Medina, J. 534 Gualterus Chatton 336 Guarisco, G. 129 Gudian, G. 154, 158, 173 Guggisberg, H. R. 488 Guglimetti, R. E. 664 Guibertus de Novigento 541 Guido delle Colonne 127 Guillaume, A. 196 Guillelmus Altissiodorensis 299, 301, 304, 308, 343–344, 346, 348 Guillelmus Alvernus 299, 306, 330, 343, 537, 546–549 Guillelmus de Campellis 653 Guillelmus de Conchis 585 Guillelmus de la Mare 336 Guillelmus de Melitona 549 Guillelmus de Ockham 337, 380, 399–423, 459, 462–464, 466–467, 470, 477, 510, 513, 518, 520–523, 593 Guillelmus de Rubruquis 67 Guillelmus de S. Amore 324, 326, 329 Guillelmus de Sherwood 33 Guillelmus Malmesburiensis 541 Guillelmus Ribotus 545 Guillelmus Tripolitanus 560–563, 596 Guindon, A. 338, 343, 346 Guldentops, G. G. F. 393, 583–606, 638, 640 Gumbert, J. P. 573 Gummlich-Wagner, J. C. 704 Guntharius Coloniensis 105 Günther, S. 185 Gustavus I 70 Gutas D. 222 Guttmann, J. 312, 548 Guyon, G. 204, 207 Haakonssen, K. 458, 518 Haas, A. M. 609 Habakuk 579

Habermas, J. 5 Habermas, R. 154 Hacker, J. R. 606 Hadrianus I papa 101 Hadrianus VI papa 477, 479, 484–485, 522 Hahn, F. 184 Haimericus de Veire 324 Hairbaut, D. 3 Hale, J. R. 136 Hallaq, W. 182, 209, 226 Hallauer, H. 631 Halper, B. 231 Halperin, Ch. J. 62, 66 Hamann, S. 90–91 Hamesse, J. 318 Hampe, C. 141 Hampe, K. 95, 103–104 Hampe, M. 24 Hankey, W. J. 330 Hankford, William 715 Hardradus 87 Hare, R. 519 Harkins, F. T. 281–297 Harms, W. 27 Harold, J. 114 Harries, J. 84 Härter, K. 157 Hartmann, W. 76, 95–97, 99–105,703 Hartwig, D. 179, 183 Ha¯ru¯n al-Rashı¯d 204 H.asan al-Bas.rı¯ 214 Hasebrink, B. 667 Hasselhoff, G. K. 229–231, 237–238, 312, 574–582, 599, 613 Hauck, A. 100 Hauck, K. 673 Haverals, M. 392–394, 630 Heck, E. 548 Hedwig, K. 293, 339, 412 H.efez ben Yazliah. 231 Heffernan, Th. J. 546 Heidecker, K. 96, 104–106, 691 Heidegger, M. 28, 32, 37, 50 Heidrich, P. 618–620 Hein, R. B. 477, 522 Heinisch, K. J. 570 Heinrich von Hesler 663–690 Heinrich von München 666 Heintke, F. 556, 558 Helewa, G. 538 Heller, H. 231–232 Hellie, R. 56, 62, 64–66 Helm, K. 664–666, 670–671, 674–675, 679 Helmholz, R. 458

735

736

Namenregister

Hen, Y. 79 Henninger, M. G. 379 Henquinet, F. M. 298 Henricus VI imperator 116 Henricus Aristippus 586 Henricus de Bracton 716 Henricus de Gandavo 32, 34, 379, 383–398, 459, 466–467, 598, 601 Henricus de Herfordia 327 Henricus de Isernia 141 Henricus de Segusio 134, 465 Henricus Italicus 141–142 Henry, P. 441 Henschke, D. 233 Henselmeyer, U. 154 Heraclitus 23, 26 Heraclius 563 Herbelot, B. d’ 219 Herde, P. 570 Hergemöller, B.-U. 144–149 Heribaldus Altissiodorensis 99 Hering, H. 461 Hermann, U. 106 Hernando Delgado, J. 553–555, 698 Herp, Henricus 649 Herveus Natalis 327 Herzog, J. J. 100 Hesiodus 23 Heullant-Donat, I. 134 Heydemann, G. 94 Hieronymus Stridonensis 308, 575, 578, 624, 630 Hiezechiel 579, 624 Highfield, J. R. L. 136 Hildemanus Bellovacensis 99 Hildesheimer, E. 231 Hilduinus de S. Dionysio 98 Hilgarth, J. N. 696 Hill, B. 524 Hincmarus Laudunensis 95–96, 100 Hincmarus Remensis 94–96, 100, 102, 105–107 Hinnebusch, J. 628 Hinschius, P. 106 Hinten, W. von 609 Hinterberger, M. 435 Hiob 564, 566, 636 Hiquaeus, A. 406 Hirschfeld, H. 184–185 Hissette, R. 235, 592 Hitz, Z. 584 Hlawitschka, E. 91 Hobbes, Th. 41–42, 45, 51–52, 458–459, 461, 509 Hödl, L. 324, 327, 330, 392–394

Hoffmann, C. A. 158 Hoffmann, W. J. 663, 665–666 Hoffmans, J. 465 Hofmann, J. B. 32 Hofmann, U. 336 Hofmeister, A. 79, 541 Hofmeister, P. 703 Hofmeister Pich, R. 472 Holder-Egger, O. 75 Holenstein, A. 162 Holtz, D. 293 Homann, E. 602–603 Homerus 23, 368 Honemann, V. 663, 672, 677, 688 Honnefelder, L. 317, 586 Honorius Augustodunensis 643 Hoogeweg, H. 544–545, 572 Horovitz, J. 180 Horst, U. 292, 327, 335 Horvath, A. P. 55 Hotot, F. 546–547 Hottinger, J. H. 218 Houben, H. 570 Hourani, A. 19 Housley, N. J. 556 Houtsma, M. 201, 209–210 Hrabanus Maurus 588 Hruby´, V. 140 Huber, Ch. 689 Huerga, A. 575 Hugo Argentinensis 625 Hugo de S. Victore 281–287, 289–291, 293–294, 296–297, 313, 317, 335, 337, 345, 417, 537 Huillard-Bréholles, J.-L.-A. 571 Humbertus de Romanis 555–559, 563 Humboldt, W. von 586 Hume, D. 459 Huntington, S. XV, 605 H.usayn ibn Mu> ¯ı n al-Din al Maybu¯dı¯ 215–216 Hüttemann, M. 154 Hyamson, M. 231 Ibn al-Muqaffa 205 Ibn Arabı¯ 214 Ibn Ba¯jja 51 Ibn Hazm 530 Ibn Ish. a¯q 196 Ibn Khaldu¯n 214 Ibn Rabban 530 Ibn Taymiyya 214 Ibn Tu¯mart 567 Ierodiakonou, K. 445 Ignor, A. 7 IJsewijn, J. 609

Namenregister Imbach, R. 590 Imbert, C. 612 Imkamp, W. 644 I˙nalcik, H. 54 Innes, M. 79 Innocentius II papa 702 Innocentius III papa 570, 644, 647 Innocentius IV papa 326, 550 Ioann II 60–61 Iogna-Prat, D. 94 Ippolito, B. 339 Irmscher, J. 571 Irnerius Bononiensis 112, 114 Irwin, T. 511, 515 Isaac 422, 621–623, 657 Isaac Beer ben Petachia 267 Isaac ibn Farchi 268, 271 Isabella de Avis 649 Isaias 579, 594 Isensee, J. 13 Iserloh, E. 477 Isidorus Hispalensis 14, 24, 30, 35, 85, 401–402, 406, 408, 422, 489–490, 494, 497, 591, 676, 699 Isidorus, Ps. 13, 96–100, 104, 106–107 Ismael 621–623 Iuul, S. 58 Ivan III 63–65 Ivan IV 64, 66, 68, 70 Ivanov, Ch. 437 Ivry, A. 266 Izydorczyk, Z. 663, 665 Jachmann, J. 701 Jackson, P. 67 Jackson, S. 209 Jacob 623 Jacobs, J. A. 350, 366, 369 Jacobus (epist.) 401, 415, 616 Jacobus de Arena 110 Jacobus de Ravanis 111 Jacobus de Viterbio 330 Jacobus de Vitriaco 628 Jacquart, D. 548 Jansen, B. 372–373, 379–380 Janssen, W. 105 Jaroslaw 58–59 Jaume I 692–693, 705–706 Jaume II 694–695, 697–698, 705 Jaume III 695, 705–706 Jean d’Acre 397 Jean du Tillet 81 Jedin, H. 477 Jeffery, A. 183

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Jehuda al-Charizi 273 Jensen, K. V. 563 Jesse Ambianensis 99 Jesus Christus 187, 328, 527–529, 544, 557–558, 562, 564–565, 568, 570–572, 616, 653–654, 660, 663, 665, 669, 670, 674–675, 678, 680–686, 688–689, 693 Jirecˇ ek, H. 149 Joannes Novesianus 477 Jobst, C. 692 Johanek, P. 138 Johann, A. 165 Johannes apostolus 129, 187–188, 678–679 Johannes baptista 129, 638 Johannes evangelista 327, 383, 404, 406, 409, 615–616, 621, 679, 703–704 Johannes Bassianus 118–119 Johannes Buridanus 378 Johannes Chrysostomus 575, 577, 703 Johannes Damascenus 332, 427–428, 431, 451–452 Johannes de Heinsberg 630 Johannes de Plano Carpino 67, 71 Johannes de Rupella 298, 301, 306, 312, 314, 537 Johannes de Viterbio 134 Johannes Duns Scotus 24, 336, 343–344, 406–407 Johannes Faventius 6 Johannes Guallensis 553 Johannes Luxemburgensis 145 Johannes Placentinus 118, 132 Johannes Scotus Eriugena 316–317, 319, 322–323 Johannes Vercellensis 559 Johannes XXII papa 419–420 Jokisch, B. 201–213 Jonas Aurelianensis 93, 97, 100, 106 Jose ben Abin 273 Jose ben Zebida 273 Joseph 320 Joseph ab Arimathia 669 Joseph de Hamadan 268, 271 Joseph Ebroicensis 99 Joseph Gikatilla 267, 271 Joseph Karo 267 Jossa, S. 720 Jugie, M. 437–438, 446, 454 Justinianus 84, 109–111, 116, 205, 229, 233, 235, 239–241, 490, 698, 703, 706 Kaeppeli, Th. 556, 560 Kafka, F. XI, XVI Kagay, D. J. 691 Kahnert, K. 32

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Namenregister

Kaiser, R. 90 Kaiser, W. 84 Kalb, H. 3–18, 153, 155, 158 Kann, C. 19–38, 153, 588, 600 Kannowski, B. 6, 9–10, 12, 155, 158, 668 Kant, I. 3–4, 10, 26, 50 Kantorowicz, E. H. 570, 709 Kapriev, G. 427–437, 440 Kartschoke, D. 665 Kaser, M. 490 Kasper, W. 201 Ka¯tib Çelebı¯ 219 Katz, J. 265, 272 Kauffmann, M. 713 Kaufhold, M. 317 Kaufmann, E. 678, 680, 687 Kawerau, P. 204 Kazakova, N. A. 64 Kedar, B. Z. 535–536, 546 Keen, M. 712–713, 716 Kejrˇ , J. 144–146 Keller, H. 707, 709 Keller, H.-E. 29 Kelley, F. E. 400, 419, 422–423 Kellner, B. 696 Kempshall, M. S. 391, 393, 588–591, 593, 603 Kenny, A. 445, 451 Kern, F. 4,7 Kern, U. 203, 336, 584, 614 Kerscher, G. 695 Kervégan, J.-F. 50 Kéry. L. 13, 101–102 Kesper-Biermann, S. 157 Kible, B. 585 Kiening, Ch. 669 Kienzle, B. M. 558 Kilcullen, J. 460, 463, 467 Kimball, E. G. 717 King, M. L., Jr. 41 King, E. L. 569 Kippenberg, H. G. 532 Kirchhof, P. 13 Kirschstein, B. 668 Kirshner, J. 708 Klapisch-Zuber, Ch. 129 Klauser, Th. 27 Klibansky, E. 680 Klibansky, R. 658 Klinkenberg, H. M. 13 Klippel, D. 157 Klössel-Luckhardt, B. 704 Kluxen, W. 229–230, 238, 350–351, 354, 357–359, 363–364 Knipping, R. 105

Knüttel, R. 706 Köbele, S. 689 Köbler, G. 7 Kocˇetkov, I. A. Koch, H. H. 326 Koch, J. 238, 598, 609, 618 Koch, W. 706 Kohlenberger, H. 675 Kohler, Ch. 567 Kohler, J. 130 Kojève, A. 272 Kolbaba, T. M. 435 Koller, E. 668 Koller, P. 5 Kölmel, W. 399 Kolmer, L. 703, 705 Kolmer, P. 24 Konersmann, R. 605, 668 Konrad von Würzburg 688 Kopal, P. 139 Kopp, C. 328 Korkman, P. 458, 461 Kornblum, U. 167 Korpela, J. 53–71 Kortüm, H.-N. 14 Kortzfleisch, S. von 312 Koskenniemi, M. 469 Kosto, A. J. 691 Kotter, B. 451, 452 Krabice von Weitmühl, Benesˇ 148 Kramp, J. 547 Kranz, W. 23 Krause, H. 7, 15 Krause, V. 98, 102 Kraye, J. 515 Kremer, K. 537 Kreuz, P. 142, 150–151 Krey, A. 162–163, 165, 172 Kriechbaum, M. 121, 458 Krieger, G. 601 Kroeschell, K. 7–8, 15 Krueger, P. 109 Krüger, E. 593 Krüger, K. 111 Kruger-Richter, B. 162 Krusch, B. 78–79, 89–91 Kübel, W. 320, 322–323, 474 Kübler, B. 372 Kühle, H. 585 Kühn, U. 24–25, 336, 339, 612 Kummerer, C. 601 Küng, H. 182 Kunkel, W. 109, 204 Kunz, K.-L. 4

Namenregister Kurze, F. 95, 103, 105 Kuttner, S. 330, 684 L’Engle, S. 698, 712, 719 Laband, P. 12 Lacarra Yanguas, M. J. 539, 558 Lachaud, F. 590 Lachenal, F. 158, 175 Lactantius 410–412 Ladouceur, P. 440 Laga, C. 427 Lagerlund, H. 467, 524 Lambertini, R. 391, 590, 599 Lambot, C. 413 Lammers, W. 541 Lampe, E. J. 9 Lampen, W. 549 Landau, P. 13, 78, 311, 678 Landgraf, A. M. 338, 340, 342, 345 Landwehr, G. 671 Lang, A. 583 Lange, A. 701 Langella, S. 496 Langholm, O. 311, 477 Lansing, C. 128 Lanza, L. 471–488 Laoust, H. 48 Lasch, A. 672, 674 Laubmann, J. 411–412 Lauwers, M. 314 Lawrence, J. 468 Le Goff, J. 129 Le Jan, R. 94, 102, 133 Leach, A. F. 718 Lechner, J. 102, 105 Leclercq, J. 331 Lecoy de la Marche, A. 551, 555 Leget, C. 471 Lehmann, P. 541 Leibniz, G. W. 41, 393 Lengauer, A. 6 Lentz, St. 154 Leo Africanus 218 Leone, M. 383–398 Lepori, F. 531 Leppin, V. 423 Lepsius, S. 153, 157, 159 Lessing, G. E. 569 Lestringant, F. 488 Levy, I. C. 293 Lexer, M. 668, 670–674, 682 Libosus Vagensis 409 Lieberknecht, O. 545 Lieberman, S. 575–576

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Liebs, D. 84, 89, 204 Liedgren, J. 58 Liguori, Alfonsus Maria de 477 Lihacˇ eva, D. S. 56, 63, 70 Lindenberger, Th. 168 Lindsay, W. M. 402 Lines, D. A. 584 Linhardt, R. 25 Lippert, S. 24, 594 Lippo di Simone Mannelli 129 Lisska, A. J. 25 Livanos, C. 437 Lobrichon, G. 573 Locke, J. 458–459, 461, 464, 522 Lockhart, L. 67 Lockwood O’Donovan, J. 459 Loersch, H. 154, 158–162, 165, 172–173, 175 Lossky, V. 626 Lot 193 Lotharius II 96, 103–107 Lotharius Cremonensis 116 Lottin, O. 300, 536 Loughlin, M. 603 Löwith, K. 50 Luard, H. R. 545 Lucas evangelista 316, 319–321, 328, 331, 602, 678, 704 Luchesi, B. 532 Lück, H. 155, 157, 174, 673, 684 Lückerath, C. A. 156 Ludovicus I rex Gallorum 83, 94, 96–97, 99, 103–104, 108 Ludovicus IV Puer 696 Ludovicus IX rex Gallorum 536 Ludovicus VII rex Gallorum 702 Ludovicus Vallisoletanus 567 Lüdtke, A. 168 Ludwig, B. 509 Luijten, E. 295 Lupprian, K.-E. 551 Lur’e, Ja. S. 68 Luscombe, D. E. 93, 316, 328, 330, 400 Lüttringhaus, P.-B. 585 Lutz-Bachmann, M. XII, 305, 493–494, 515, 537 Maassen, F. 101 MacDonald, A. 213 Macdonald, D. 209 Macierowski, E. M. 281 Mack, H. 576 Macken, R. 384–385, 390, 395, 397, 466 MacPherson, C. B. 457 Madelung, W. 572

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Namenregister

Maffei, D. 110 Magdalino, P. 53 Magin, Ch. 685 Maginot, N. 639 Mahlmann, M. 5 Mahometus 45–46, 48, 180, 183–184, 186, 193, 196, 199, 221–222, 225, 453, 527–573, 596, 600–602, 606, 634 Maier, M. 268 Maimonides 47, 229–232, 234, 237–240, 263, 272–275, 277, 311, 571, 574, 576, 579, 599, 613, 618–620 Mainerius de S. Victore 545 Mainz, E. 205 Mair, John 336, 344 Maire Vigueur, J.-C. 125, 129 Maitland, F. W. 603 Majkova, V. V. 70 Makarij 67 Makdisi, G. 45, 201, 213, 553 Mäkinen, V. 390, 457–470 Malderen, Jan van 471 Maleczek, W. 570 Maly´, K. 144, 150 Mandonnet, P. 563, 567 Mandrella, I. 513, 516, 650–660 Manitius, M. 541 Mann, Th. 263 Manuwald, H. 663–690 Marafioti, D. 531 March i Batlles, J. M. 548, 552 Marcolini, P. 569 Marcolino, V. 304, 334, 339, 341–343, 345, 348 Marcus evangelista 704 Marcus Toletanus 530, 567 Marenbon, J. 219, 460, 538 Margolin, J.-C. 488 Maria 187, 277, 528, 534, 562, 565, 671 Maritain, J. 457, 461 Markov, S. 437–454 Marmura, W. E. 215, 221 Marmursztejn, E. 314, 383, 396, 398, 584, 604–605 Marrone, J. 393–395 Marrou, H.-I. 32 Marschler, Th. 334–349 Marsilius Antenorides XII, 136, 416, 459, 463 Martin, J. 64, 299 Martin, R. M. 291, 293 Martinovsky´, I. 142, 150–151 Martinus IV papa 392 Martinus Gosia 116–117 Marx, C. W. 676, 680 Marx, M. 179

Marzi, W. 152, 157–160, 166–167, 171–173 Massaut, J.-P. 488, 609 Masser, A. 663, 665–666 Massignon, L. 572 Mathilda de Bononia 112, 114 Matteo de Libri 126 Matteo Rosso Orsini 143 Matthaeus de Aquasparta 336, 347, 676 Matthaeus evangelista 321, 327, 402, 411, 413, 536, 553, 586–588, 638–639, 681, 703–704 Matthaeus Parisiensis 545–546 Mattig-Krampe, B. 665 Matz, J.-M. 545 Maurer, A. A. 306, 537 Mauriège, M. 609–627 Maximus Confessor 427, 445, 452 Maxwell, R. A. 691, 707 Maya Sánchez, A. 540–541 Mayr-Harting, H. 94 McAuliffe, J. D. 182, 193 McCormick, M. 78 McEvoy, J. 356 McFarland, A. 445 McGinnis, J. 220 McGrade, A. S. 399, 405, 414, 460, 462 McGrath, A. 675–676, 688 McKeon, P. R. 95, 102 McKitterick, R. 76, 87, 94 Meccarelli, M. 134 Mechmet 437 Meder, S. 15 Medina, Bartholomaeus de 512 Medina, Joannes 478–480 Meersseman, G. G. 629, 632 Meirinhos, J. F. 574 Melnikas, A. 697 Melville, G. 558, 696 Menachem Recanati 267, 269–271, 276 Mendels, D. 578 Mendlová, E. 148 Menke, S. 166–167 Mensching, G. 113, 120, 374, 415 Merback, M. B. 715 Mérigoux, J.-M. 531, 563–565 Merkel, A. 371 Merker, P. 682 Merkhavia, Ch. 575 Methodius, Ps. 546 Metz, W. 24–25, 589, 678 Metzger, S. M. 604 Meuthen, E. 631, 634, 638 Mews, C. 290 Meyendorff, J. 63 Meyer, G. 585

Namenregister Meyer zu Ermgassen, H. 691 Micha 579 Michael Caesenas 407 Michael Scotus 230 Michael, M. 716, 719 Michaels, A. 531 Michaud-Quantin, P. 288–290, 296, 477 Michel, K. 555 Mieth, D. 633 Mieth, K.-P. 539, 547, 550 Miethke, J. 324, 326, 399, 404, 415–417, 420, 422, 522–523, 593 Mikat, P. 106, 678 Mildner, U. 695 Miletto, G. 264 Millet, V. 689 Millet-Gérard, D. 533–534 Minois, G. 595 Mjuller, R. B. 65–66 Mock, E. 120 Möhle, H. 317 Mohnhaupt, H. 13 Möhring, H. 546 Mojsisch, B. 685 Molina, Ludovicus 471 Mollat, M. 558 Mommsen, Th. 31, 109, 204 Mona, M. 4 Monneret de Villard, U. 546, 567 Monnot, G. 543, 565 Monomah, V. 69 Montgomery, J. E. 179 Moore, R. 285–287 Moos, M. F. 293, 350–353, 365, 678 Mordek, H. 78, 82, 101–102 More, Th. 522 Morison, B. 445 Moritz, A. 657 Mortier, D. A. 558 Morus, Thomas 477 Moses Nachmanides 263, 272–273, 275–276, 576 Moshe ha-Darshan 576, 580 Moshe ibn Tibbon 231–232 Motzki, H. 187 Mougel, A. 630, 649 Mountain, W. J. 412 Moyn, S. 457 Moyses 40, 43, 61, 183–184, 186, 193–196, 199, 283, 337, 340, 367, 384, 402, 412, 426, 441, 443, 447, 529, 539, 544, 557, 564, 568, 571, 581, 614–615, 618, 654, 683 Mühlbacher, E. 102, 105 Mulisch, H. XV

741

Mulla¯ Muh.amma Niz.am al-Dı¯n 215 Mulla¯ S.adra 216 Müller, A. 558 Müller, H. 157, 168 Müller, J. 322, 593 Müller, J. D. 695 Müller, S. 400, 417, 522 Müller, W. 667–668, 670–672, 674, 682 Müller-Luckner, E. 678 Müller-Schauenburg, B. 633 Mumta¯z al-Dı¯n 217 Münch, M. 154, 157 Munk, S. 274 Münkler, H. 93 Muñoz Sendino, J. 535 Munro, D. C. 560 Muntaner Bujos, J. 705 Munzel, D. 172 Munzel-Everling, S. 156 Murray, J. M. 712 Musco, A. 393, 604 Musson, A. 711–721 Mutzenbecher, A. 413 Myers, A. R. 716 Nas.¯ı r al-Dı¯n T.u¯sı¯ 218 Nathalia martyr 535 Nead, L. 712 Nebbiai, D. 545 Nechunja ben ha-Kana 276 Nechutová, J. 141 Nederman, C. J. 460, 463, 470, 475 Nehlsen, H. 79 Neidiger, B. 648 Neilos Kabasilas 433 Nellmann, E. 668 Nelson, J. 79 Nelson, J. 93–95 Nemesius Emesenus 452 Neschwara, Ch. 6 Neumann, J. 531 Neuwirth, A. 179–200 Nicholas, D. 712 Nicodemus 663–690 Nicolao Cisnero 111 Nicolas, É. 542, 548–549 Nicolaus I papa 104–105 Nicolaus III papa 419 Nicolaus IV papa 392, 629 Nicolaus V papa 630, 632 Nicolaus Cusanus 44, 537, 630–632, 634, 638, 648, 650–660 Niederkorn-Bruck, M. 94, 631 Niehoff-Panagiotidis, J. 54

742 Nietzsche, F. 586 Niewöhner, F. 569–572 Nissen, P. 631 Nisters, Th. 358, 366, 588 Nix, U. M. 618 Noa 316, 577 Noble, T. F. X. 94 Nodl, M. 139 Nolan, S. 238 Nöldeke, Th. 194 Noonan, T. S. 55 Nörr, D. 204 Novak, D. 289 Novák, J. B. 142 Novotny´, V. 138–139, 142 Nowell, John 716 Núñez, L. 474, 501 Nu¯r al-Dı¯n Muh.ammad al-Jurja¯nı¯ 216 Nys, E. 468 O’Meara, Th. F. 560 Oakeshott, M. 45 Oakley, F. 393, 399, 522–524 Oberste, G. 416 Oberste, J. 558 Obiwulu, A. 300 Obolensky, D. 53, 55 Ochoa, X. 307, 324 Ochs, H. 175 Ochs, P. 289 Öchslin, R. 618 Odoardi, G. 631 Odofredus de Denariis 114, 116, 119 Oediger, F. W. 105 Oestmann, P. 162 Offergeld, T. 90 Offler, H. S. 401, 404–406, 408 Ohlidal, A. 151 Ohlmeyer, A. 323 Ohly, F. 675 Ohly, S. 668 Olechowski, T. 6 Olga 57 Oliveira e Silva, P. 489–508 Oliverus Paderbornensis 544–545, 572 Onori, A. M. 124 Opelt, I. 27 Opitz, R. 157, 168 Orfino da Lodi 134 Origenes 204, 334, 622 Orlandi, G. 538 Ormrod, W. M. 714 Ortiz de la Puebla, V. 527 Ossenbühl, F. 13

Namenregister Ostlender, H. 321 Ott, J. 706 Ottmann, H. 93 Otto Frisingensis 541 Otto, E. 531 Otto, F. 157 Ovidius 127 Owens, J. 238 Pace, G. 113 Pachurka, D. 567 Padoa Schioppa, A. 112 Pagden, A. 468 Palazzo, A. 586 Palma, M. 127 Pánek, J. 150 Panella, E. 135–136, 560, 563 Pansters, K. 631 Paolo da Certaldo 124 Papebroch, D. 695 Paravicini Bagliani, A. 551 Parisot, R. 104 Partoens, G. 638 Paschasius Radbertus 94, 99, 535–536 Pate, J. B. 468 Patzold, S. 78, 83, 93–94, 97–98, 103–104 Pätzold, St. 157 Paulinus Aquileiensis 94 Paulus Albarus 532–534 Paulus apostolus 43, 283, 292, 426, 432, 531, 537, 554, 571, 577, 584, 594, 609, 616–619, 621–622, 633, 642, 645 Paulus Diaconus 87 Paulus, B. 536 Pauly, A. F. 368 Pauser, J. 17 Pawlik, M. 11 Pazzelli, R. 629 Pedrajas, R. J. 535 Pelagius Ovetensis 707 Pellat, C. 205 Peña, J. de la 506 Penelas, M. 533 Penna, M. 569 Pennington, K. 13, 490, 493 Perani, M. 264, 272, 574 Pere II 694 Pere III 694, 696–697 Pere IV 694 Pere Albert 694, 696 Perels, E. 104–105 Pereña, L. 474, 506 Pérez González, M. 536 Perez, F. 489, 491, 506–507

Namenregister Perkams, M. 537 Perler, D. 380 Perles, J. 230 Perrie, M. 56 Pertile, A. 130 Pertz, G. H. 77, 95, 103 Pesch, O. H. 24, 34–35, 302–303, 340–341, 366 Peterson, L. L. 676 Petit, L. 437–438, 446, 454 Petronilla 693 Petrov, A. L. 141 Petrus Abaelardus 30, 290, 334, 393, 538 Petrus Alfonsi 539–540, 542, 544, 547, 549–550, 558, 565–566 Petrus apostolus 45, 316, 326–328, 678–679 Petrus Aureoli 336, 342, 344, 374 Petrus Comestor 290 Petrus de Alvernia 474 Petrus de Palude 480 Petrus de Vinea 571 Petrus I de Rosenberg 144 Petrus Joannis Olivi 371–382, 383 Petrus Lombardus 287, 290, 292–293, 297, 308, 322, 324, 335, 337–338, 340–342, 476, 480, 612, 677–678 Petrus Sangiz 692 Petrus Venerabilis 531, 542–545, 548, 563 Petry, L. 175 Petschenig, M. 409 Pfeifer, G. Ch. 143 Pfeifer, L. 477 Pfister, G. 611 Pflitsch, A. 182 Phaleas 590 Philippus III dux Burgundiae 649 Philippus III rex Gallorum 397 Philippus IV rex Gallorum 316, 590 Philippa de Hanonia 716 Philipp-Sattel, S. 694, 702 Philippus Cancellarius 299 Philo Alexandrinus 204 Philotheos Kokkinos 433 Photius 55 Piaia, G. 218 Piana, C. 340, 347 Piché, D. 592, 595 Pickavé, M. 513 Pierpauli, J. R. 584 Pierre de Belleperche 111 Pighius, Albertus 477 Pilatus 328, 665, 679–681, 683–686, 688–690 Pilch, M. 5, 8–9, 11–12, 155, 158, 171 Pinborg, J. 32

743

Pindarus 368 Pini, G. 583, 598 Pink, T. 515, 524 Piper, P. 666, 671–672, 690 Pippinus III 79, 82, 84, 90 Pippinus I 90, 696 Piron, S. 374, 378 Pizzorni, R. 383, 536 Pjotr I 71 Planas Rosselló, A. 700, 705–706 Plato 23, 29, 32, 37, 40, 46, 288, 350, 368, 407, 451, 453, 509, 512–513, 586, 599 Plotinus 320, 441 Plumley, Y. 720 Pocˇ ekaev, R. J. 54–55 Pococke, E. 218 Poirel, D. 284–285, 290 Poly, J.-P. 132–133 Pomponazzi, P. 569 Poncela, A. 496 Popal, M. 202 Pössel, C. 78 Possenti, V. 458 Pouillon, F. 202 Powell, J. M. 125, 546 Powitz, G. 573 Pozzi, S. 134 Prazˇák, J. 138 Pree, H. 329 Prˇ emysl Otakar I 140, 142 Prˇ emysl Otakar II 141–142 Prenner, K. 185 Prescendi, Fr. 53 Pribyl, H. 308 Proclus 320 Prodi, P. 42, 476, 308, 703 Profantová, N. 138 Prohorov, G. M. 63 Psík, R. 141 Pueyo Colomina, P. 692 Pufendorf, Samuel 459, 463 Pulido, M. L. 574 Puskás, D. 10 Puy, F. 474, 501 Puza, R. 314 Qadi >Abd al-Jabba¯r 214 Q> afih., Y. 231–232, 234 Q> afis., Y. 231 Quaglioni, D. 115 Qualizza, M. 342–343 Quaritsch, H. 13 Quétif, J. 326–327, 552 Quintilianus 31

744

Namenregister

Radding, Ch. M. 112 Rader, O. B. 570 Raffield, P. 712 Raimundus de Pennaforte 307, 694 Raimundus Lullus 529 Raimundus Martini 548, 551–555, 563–564, 567, 574–582 Rainerius de Viterbio 570 Raines, J. 715 Räisänen, H. 531 Ramada¯n, I. M. 44 Ramirez, S. M. 496 Ramiro Alfonsiz 707 Ramon Berenguer I 693–694 Ramon Berenguer IV 693 Rasi 606 Ratschow, C. H. 531 Ratzinger, J. 324, 327, 330 Rauty, N. 130 Raymond, M. 42 Raz-Krakotzkin, A. 264 Recknagel, D. 509–524 Regino Prumensis 703 Rehberg, K.-S. 696 Reichmuth, S. 530 Reifenberg, W. 158 Reimer, F. 24–25, 36 Reinle, Ch. 83 Reiter, S. 308 Remigius Girolami 135–136 Renan, E. 217–220, 226 Rengstorf, K. H. 312 Rese, F. 584 Resnick, I. M. 530 Retucci, F. 230 Reuchlin, Johannes 263 Reuke, L. VI Revault d’Allones, M. 50 Revel, J. 129 Rexroth, F. 570 Reynolds, L. D. 42 Rhonheimer, M. 25, 350 Ribaillier, J. 299, 308, 343, 348 Ribes Montané, P. 552, 575 Ricciardelli, F. 124 Richardus de Mediavilla 336, 340, 344, 346–347 Richardus de S. Victore 288 Richardus Fishacre 336 Richardus Malumbra 110–111 Riché, P. 573 Richter, Æ. L. 402, 653, 687 Ricks, S. D. 185 Ricœur, P. 447 Ricoldus de Monte Crucis 531, 562–567

Ridder, K. 664 Riedel, K. 156, 165 Riedl, J. O. 238 Riemann, H. D. 658 Riera i Viader, S. 693, 696 Riesebrodt, M. 532 Rigo, C. 230 Riley, H. T. 718 Riley-Smith, J. 546 Rio, A. 84, 85 Ritter, J. 24 Ritter, J. 668 Ritzer, K. 106 Rivière, Y. 133 Rizzardi, G. 528, 553 Roberg, B. 558 Robertson, J. 407 Robertus Grosseteste 328, 383, 584 Robertus Ketenensis 530–531, 544 Robertus Kilwardby 336 Robertus Melodunensis 281–283, 287, 290–293, 297, 335 Robinson, F. 215–216 Robinson, J. 463 Robles, L. 567, 574 Robles Sierra, A. 575 Rochais, H. M. 331 Rode, C. 371–382 Rodenberg, K. 570 Rodin, D. 601 Rodriguez Carballo, J. 344–345 Rodriguez Diaz, E. E. 707 Rodriguez, P. 339, 344 Roger, A. 612 Rogers, N. 720 Rogerus Baco 35, 548 Rogge, J. 176 Roggema, B. 535 Rohe, M. 45, 201 Rohner, A. 238 Röhricht, R. 551 Roisse, Ph. 533 Rolandus Cremonensis 237–238 Roling, B. 264, 547–548, 554, 596 Roques, R. 319, 323 Rorem, P. 317, 319, 329 Rosemann, Ph. W. 471 Rösener, W. 156, 175 Roskam, G. 638 Rotter, E. 534 Rouche, M. 84 Rousseau, J.-J. 42, 46, 50, 511 Roversi-Monaco, F. 114 Rovira i Ermengol, J. 694

Namenregister Rovira i Solà, M. 693, 696 Ruberg, U. 27 Rubinstein, N. 136 Rück, P. 691, 707 Rufinus 6 Ruh, K. 612, 627 Rupertus Tuitiensis 643 Rushdie, S. 223 Russell Major, J. 716 Rüthers, B. 5 Rykov, Ju. D. 68 Saalwächer, A. 165 Saarinen, R. 515 Sabra, A. I. 217 Sackur, E. 628 S.adr al-Dı¯n Shı¯ra¯zı¯ 216 Saenger, P. H. 573 Safi, O. 224 Sˇ a¯kir, Ah. mad Muh. ammad 208 Saladin 224, 569 Salas, Joannes de 471 Salegastus 83 Salmann, E. 675 Salomon 126, 275, 407 Salomon ben Joseph ibn Ayyub 232 Salomon ibn Verga 571 Sälter, G. 157 Salvemini, G. 134 Samuel ben Jehuda ibn Tibbon 273, 275 Samuel-Schneyder, M. 609 Sánchez Belda, L. 540–541 Sancho, H. 552 Sanders, W. 27, 37 Sandmel, D. F. 289 Santi, F. 531 Sanz Fuentes, M. J. 707 Sara 623 Satan 676 Saul, N. 712, 714 Saussure, F. de 268 Sauter, J. 510 Savigny, R. 94 Savonarola, Hieronymus 606 Savva 55 Sbriccoli, M. 112, 123 Sˇ cˇ apov, N. 58 Scarcia Amoretti, B. 551 Scatolla, M. 490 Schabel, C. 398, 435, 583, 589 Schacht, J. 201, 203 Schäfer, C. 203 Schäfer, R. 152–176 Schäfers, J. 544–545

Schaller, H. M. 141, 570 Schedl, C. 528 Scheeben, H. C. 327, 567 Scheidgen, A. 680 Schennach, M. 17–18 Scheurmann, I. 168 Scheutz, M. 17 Schieffer, R. 90, 96 Schiemann, G. 53 Schiller, A. A. 31 Schiller, F. 586 Schilling, O. 35–36 Schim’on bar Kosiba, Rebell 579 Schima, St. 311 Schipperges, H. 585 Schirma, U. 165 Schlie, H. 669 Schlögel, R. 159, 165 Schlosser, H. 154–156, 174 Schmidt, B. 321 Schmidt, D. 668 Schmidt, R. 154 Schmidt-Biggemann, W. 182 Schmidt-Troje, J. 154 Schmidt-Wiegand, R. 79, 667–668, 707 Schmieder, F. 547 Schmitt, C. 11, 50 Schmitt, J.-C. 531, 647 Schmitt, S. 156, 165, 175 Schmitz, B. 600 Schmitz, G. 16, 98, 106 Schmitz, J. 650 Schmoeckel, M. 714 Schmölders, A. 219 Schmutz, J. 473, 478, 482 Schnädelbach, H. 22 Schneider, H. 53 Schneider, I. 203, 206 Schneider, K. 663 Schneidmüller, B. 10 Scholem, G. 265, 267, 274–275 Schöller, M. 196 Scholz, R. 407, 463 Schönberger, A. 545 Schönberger, R. 378–379 Schönmetzer, A. 316 Schoofs, B. 154 Schreckenberg, H. 548, 687 Schreiner, K. 307 Schreiner, P. 691 Schreiner, S. 185–186 Schröcker, H. 522 Schröder, I. 94 Schröder, W. 676

745

746

Namenregister

Schröer, C. 537 Schrörs, H. 102 Schröter, J. 584 Schultze-Petzold, A. 156 Schulze, R. 4, 17, 155 Schulze, U. 666, 668, 685 Schumann, E. 673 Schumann, O. H. 528 Schuster, P. 154, 157 Schwaetzer, H. 650, 652, 656, 659 Schwartz, D. 515 Schwartz, Y. 231, 537 Schweighöfer, S. XIII Schwerhoff, G. 153–154, 157, 570 Schwind, E. von 14 Schwitzgebel, H. 161 Schwyzer, H.-R. 441 Scordia, L. 590 Seale, M. S. 185 Searle, J. 371–372, 380–382 Sebanc, M. 288 Sˇebánek, J. 140–141 Seckel, E. 100, 194, 372 Sedlmeier, F. 94 Seebold, E. 667–668, 672 Seeskin, K. 238 Segl, P. 570 Seiler, H. H. 706 Sellert, W. 15, 201, 204 Seneca, L. Ann. 42–43 Senellart, M. 529, 590, 604 Senger, H.-G. 654, 657–658 Senn, M. 10 Senner, W. 230, 327 Sepp, H. R. 39 Sergius 539, 544 Sergius II papa 103 Sermoneta, G. 230 Serrano Coll, M. 705 Seth 544 Seuse 609 Sextus Empiricus 28 Shams al-Dı¯n Muh. ammad ibn Muba¯raksha¯h al Bukha¯rı¯ 216 Shear, A. 606 Shelomoh Ibn Adret 266 Shem Tov ibn Shaprut 272 Shlomo Yitzhaqi 576, 580 Sicard, P. 285 Siderides, X. A. 437–438, 446, 454 Sieben, H. J. 431 Siems, H. 14, 78 Sigibertus I 91–92 Sigibertus III 89

Signer, M. 289 Sikes, J. G. 462 Silano, G. 292 Sileo, L. 391 Silva y Verástegui, S. de 704 Simon Kayyara 231 Simon Tornacensis 571 Simon, D. 204 Simon, P. 323 Simon, Th. 6, 15 Simonsohn, S. 550 Sirat, C. 603 Sivák, F. 144 Skutella, M. 403, 409 Sláma, J. 138 Slenczka, N. 211, 368 Smail, D. L. 135 Smalley, B. 136, 281, 306, 334–335, 343, 537 Smith, A. 52, 459 Smith, L. 546–548 Smith, W. 201 Smith, W. C. 45 Sobeˇslav II 140 Sobrequés i Callico, J. 692–694 Söder, J. R. 321 Soffici, M. 129 Solignac, A. 624–626 Solon 23 Sommaggio, P. 590 Sommé, M. 649 Sommer, P. 139–140 Sommerlechner, A. 570 Sophocles 40 Sorabji, R. 601 Soria Flores, A. 529 Sot, M. 94 Soto, Dominicus de 474, 476, 478, 480, 489, 491, 497–506, 508, 512 Soto Rábanos, J. M. 553 Sourdel, D. 553 Sourdel-Thomine, J. 553 Southern, R. W. 313 Spade, P. V. 414 Späth, M. 691 Specht, R. 516, 521, 524, 657 Speer, A. XI–XVI, 54, 65, 110, 293, 350–370, 535, 538, 590, 600, 604, 611–612, 644, 660 Speraindeo 533 Sperber, D. 265 Speyer, H. 184, 186–187, 528 Spiazzi, R. 42, 47 Spieß, K.-H. 175 Spindler, A. XIII Spinoza, B. 550

Namenregister Sprandel, R. 156 Springer, B. F. W. 569 Sreznevskij, I. I. 56 Staab, F. 534 Stammberger, R. M. W. 537 Stammler, W. 678, 680, 682, 687 Stange, U. 154 Staubach, N. 707 Steane, J. M. 712–713 Stebbings, C. 712 Steel, C. 318, 364, 393, 427, 586 Steffens, M. 38 Steiger, R. 650 Stein, P. 31 Stein, P. G. 109 Steinkrüger, Ph. 54, 65, 535 Steinmüller, W. H. 298, 300–302, 305 Steinschneider, M. 230, 232–233 Stekeler-Weithofer, P. 24 Stephanus de Borbone 551 Stephanus Tornacensis 6, 13 Stern, S. M. 19 Stiening, G. 515 Stobaeus 210 Stöckl, A. 583 Stöhr, J. 412 Stollberg-Rillinger, B. 10 Stolleis, M. 110 Stolzenberg, J. 586 Störmer-Caysa, U. 626 Strauss, L. 50, 274, 457 Stroumsa, G. 188 Struve, T. 93 Stuckrad, K. von 532 Stump, E. 293, 594 Sturlese, L. 240, 604, 619 Stürner, W. 570 Stutz, E. 673 Suárez, Franciscus 473–474, 485–488, 509–524, 588, 657 Suarez-Nani, T. 598 Sullivan, R. G. 667 Sundby, Th. 125 Suñer, P. 474 Suntrup, R. 663 Supino Martini, P. 115 Sˇusta, J. 144 Sutherland, D. W. 717 Svatosˇ, M. 144 Sviták, Z. 141 Sweeney, E. C. 350 Syed Ali Tawfik al-Attas, S. 215 Sylvester Prierias 480, 483 Syros, V. XII

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Syse, H. 461 Szaif, J. 350 Sznura, F. 129 Szpiech, R. 574 Taqı¯ ’d-Din Ah. mad b. Taymiyya 202 Tardieu, M. 627 Tassilo III 87 Tauler 609 T.awfı¯, at. Nag˘ m ad-Dı¯n 207 Taylor, J. 281–282 Temperini, L. 629 Tempier, Stephanus 595 Tennemann, W. G. 219 Tertullianus 409 Testard, M. 314 Teuscher, S. 155–156 Theganus Trevarensis 108 Thelen, Ch. 690 Theobaldus de Sexannia 550 Theodericus III 90 Theodoros Balsamon 55 Theodulfus 95 Theophanes Nicaenus 440 Theophanu 691 Theuerkauf, G. 75, 78 Theutberga 104–105 Thieme, H. 156 Thiemo Salisburgensis 541 Thiers, A. 5 Thietgaudus Metensis 105 Thoben, K. VI Thomas Cantimpratensis 328, 571 Thomas de Aquino XII–XIII, 20, 24–26, 30–38, 41–43, 47, 134–135, 211, 238–240, 293–300, 306, 317, 327–328, 330, 336–347, 350–370, 377, 380, 386, 389, 397, 400, 408, 412, 414, 421, 437–442, 445–446, 450, 454, 459–461, 467–469, 471–477, 480, 485, 488–512, 516, 520, 524, 536–538, 555–556, 560, 564, 574, 584, 587–589, 591–594, 596–598, 600–601, 603–604, 606, 611–615, 625, 643–647, 655, 660, 677–678, 703 Thomas de Eboraco 230, 327, 330 Thomas de Hesketh 716 Thomas Hibernicus 238–239 Thomas Walsingham 717 Thomas, D. 535 Thomas, J. A. C. 461 Thomas, Y. 133 Thompson, A. 14 Thomsen, M. 570 Thorndike, L. 230

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Namenregister

Thorne, S. E. 716 Thouzellier, Chr. 308 Throop, P. A. 556 Thyen, J.-D. 528 Tiberius 665 Tiefenbach, H. 667 Tierney, B. 390, 457–458, 461–466, 468, 470, 490, 497, 523–524, 603 Timotheus 645 Tinnefeld, F. 437, 453–454 Tischler, M. M. 527–573, 595, 600 Titus 645 Tobias 639 Todescan, F. 590 Todeschini, G. 374 Tognoni Campitelli, A. 112 Tolan, J. V. 550, 553, 561, 565, 569, 600 Tolocˇko P. P. 55 Toral-Niehoff, I. 183 Torrell, J.-P. 295, 363, 367, 647 Toste, M. 471–472, 474–476, 486 Touger, E. 274 Tratado, I. 474 Travelletti, D. 574 Treiger, A. 220 Tremp, E. 108 Trˇ esˇtík, D. 139–141 Trier, J. 27–28 Tristan 689 Trottmann, C. 634 Tschalakov, I. 440 Tschepe, A. 154, 163 Tschopp, S. S. 314 Tuck, R. 463–464 Tuilier, A. 549 Tuninetti, L. F. 362 Turatti, A. 590 Tutekov, S. 444 Ubl, K. 75–92, 317, 331 Udalricus III 140 Ueding, G. 27, 695 Ullmann, W. 98, 531, 603 Ulpianus 461, 490 Ulrichs, L. T. 586 Urba, K. F. 412 Urbanus II papa 13 Urdanoz, T. 468 Urgell Hernández, R. 692, 700, 704–706 Utz, A. F. 24 Vajda, G. 567 Valle Rodríguez, C. del 558 Vallerani, M. 132

Vallina, E. F. 504 Valois, N. 547 Van Baak, N. 291 van Boxel, P. 606 Van Caenegem, R. 93 van Cleve, Th. C. 570 van der Vat, O. 551 van Eickels, K. 570 van Engen, H. 630–631, 633 van Ess, J. 182 van Geest, P. 471 Van Houdt, T. 638 Van Kampen, K. 573 van Liere, F. 282, 287–288, 291, 296 van Overbeke, P.-M. 350 Vandecasteele, M. 545 Vaneˇcˇek, V. 144–145, 148 Varkemaa, J. 373, 381–382, 459, 463 Varro 32, 35, 37 Vázquez, Gabriel 472–473, 476–487, 510, 516–517, 520–521, 524, 657 Vecchio, S. 125, 128 Vehse, O. 571 Velluti, Donato 129 Velluti, Filippo 130 Velluti, Gherardino 129 Velluti, Lamberto 130 Velluti, Lapo 129 Veltri, G. 264 Verbeke, G. 609 Verdier, R. 132–133 Vereecke, L. 472, 477, 480, 482–483 Verger, J. 698 Verheijen, L. 403, 409 Veronica 665, 684, 689 Verri, C. 94 Vespasianus 40, 672 Vesting, T. 203, 206 Vielliard, J. 103, 105 Vigilius Tapsensis 532 Villanueva, C. 474 Vincenti, E. 126 Vincentius Bellovacensis 602 Vitalis Oscensis 692, 694 Vladimir, St. 58–59 Voetz, L. 667 Voigt, J. 141–142 Vollrath, H. 8, 13 Volpato, A. 628, 643 Volpi, G. 129 von der Lieck-Buycken, T. 703 von Euw, A. 691 Vratislav II 140 Vuillemin-Diem, G. 324, 329–330

Namenregister Waag, A. 676 Wachinger, B. 663 Waechter, K. 24, 678 Wagner, A. XII–XIII, 493–494, 515, 537, 558 Wagner, F. 532 Wagner, P. 556–557 Wagner, W. 703 Waitz, G. 75, 103 Wala Corbiensis 93, 98 Walde, A. 32 Waldrada 104–105 Waley, D. 129 Walfish, B. 193 Walsham, A. 712 Walther, H. G. 109–122, 408 Walther, M. 24, 510, 678 Walz, R. 175 Wandruszka, M. 28–29 Wandruszka, N. 112 Wansbrough, J. E. 193 Wasilewski, J. 534 Wassermann, D. 634, 637, 644, 649 Watt, W. M. 215 Watts, J. 713 Wéber, É. 612 Weber, M. 203, 206 Weber, W. E. J. 314 Wegener, L. 600, 612 Wehrli-Johns, M. 628–649 Wei, I. P. 398 Weier, R. 650 Weijers, O. 603 Weiler, R. 308 Weimar, P. 110, 698 Weinberger, W. 137 Weinfurter, S. 10 Weise, H. T. 158, 175 Weiß, K. 625 Weiß, M. 321 Weisweiler, H. 537 Weitzel, J. 8–9, 154–155, 158, 680, 684 Weizsäcker, C. F. von 20, 37 Weltecke, D. 570–571 Welz, F. 112 Wenzel II 141, 143–145 Wenzel, St. 139 Werbeck, W. 336 Werkmüller, D. 673, 684 Werle, D. 664 Werminghoff, A. 89, 97–99, 103–104, 106 Werner, M. 111 Wessels, U. 414 Westphal, S. 692 Wetzstein, Th. 153, 157, 159

749

Wey, J. C. 400, 418, 422 Whinney, M. 714 Wickens, G. M. Wickham Jones, Ch. 129 Wicki, N. 299 Widogastus 83 Wieacker, F. 109 Wiedmer, P. E. 665–666, 670–674, 681–682, 690 Wieland, G. 120, 350, 356–357, 604, 611 Wieland, W. 19, 22 Wielockx, R. 384–387, 395, 599 Wieser, B. 440 Wihoda, M. 139 Wild, S. 182 Wildfeuer, A. G. 24 Wilkins, R. L. 288 Willems, R. 404 Williams, S. M. 379 Williams, Th. D. 458 Willoweit, D. 7, 156, 174, 678 Wilpert, P. 13, 550, 650 Wilson, G. 379, 385, 391, 396 Winkelbauer, T. 17 Winkler, E. 614, 617 Wippel, J. F. 589 Wirmer, D. VI, 110 Wirtz, H.-J. 154 Wisnovsky, R. 216 Wisogastus 83 Wissowa, G. 368 Witschen, D. 414 Witte, J., Jr. 714 Wittekind, S. 691–710, 712 Wittgenstein, L. 19, 21 Wittmann, M. 25 Wladislaw II. Jagiello 150–151 Wohlhaupter, E. 703, 706 Wohlman, A. 238 Wolf, A. 17, 691–692, 696, 698 Wolf, U. A. 402, 409, 412 Wolfoldus Cremonensis 95 Wolfson, E. R. 266, 268 Wolter, U. 14–15 Wolverton, L. 137 Wood, I. N. 84 Woodbine, G. E. 716 Worm, P. 691 Wormald, P. 76, 94 Wretschko, A. von 85 Wulfstanus 719 Wycliff, Johannes 334 Wyduckel, D. 13

750 Xenocrates 128 Ya>aqov ha-Kohen 268 Yah. ya al-Suhrawardı¯ 224 Yarza Luaces, J. 694, 707 Young, S. E. 490 Zacharias 188, 320, 534 Zamora, P. 94 Zarncke, F. 667–668, 670–672, 674, 682 Zdeneˇ k von Trˇ ebícˇ 141 Zechiel-Eckes, K. 82, 96–99, 101 Zellentin, H. 182 Zˇemlicˇ ka, J. 139–140, 142 Ziai, H. 224

Namenregister Ziemann, D. 93–108 Zimin, A. A. 58, 60 Zimmermann, A. 324, 328–330, 358, 408, 538, 545, 585 Zimmermann, K. 545 Zink, M. 609, 612 Zirker, H. 185–186 Zonta, M. 274 Zorroza, I. 501 Zorzi, A. 123–136 Zuckert, M. 461 Zum Brunn, É. 612 Zycha, A. 143 Zycha, J. 302, 412

Abbildungen

Abbildungsnachweise Abbildungsnachweise Beitrag S. Wittekind Abb. 1, 2, 4, 7, 8, 11 aus: J. Sobrequés i Callico (ed.), El Llibre Verd de Barcelona. Edición facsímil (Apographa historica Cathaloniae. Sèrie Històrica 8), Barcelona 2004 Abb. 3 aus: Usatges i Constitucions de Catalunya, Lleida segle XIV, Lleida 1997 Abb. 5, 6 aus: R. Urgell Hernández (ed.), Llibre dels Reis. Llibre de franqueses i privilegis del regne de Mallorca. Còdex numero 1 de l’Arxiu del regne de Mallorca. Estudis i transcripcions, Palma 2010, Vorsatzblatt (fol. 13v) sowie Abb. nach S. 110 (fol. 222v) Abb. 9 aus: S. Silva i Verastegui, La miniatura medieval en Navarra, Pamplona 1988, Abb. 69 Abb. 10 aus: Testamentorum Ecclesiae Ovetensis, Edición Facsímil, vol. 1 Barcelona 1995

Abbildungsnachweise Beitrag A. Musson Plate 1: Lydford Castle (Lydford, Devon) [© Anthony Musson] Plate 2: Last Judgment (St Mary’s Fairford, Gloucestershire) [© Anthony Musson] Plate 3: Memorial Brass of John Mulsho (d. 1400) (Newton Geddington, Northamptonshire) [© Anthony Musson] Plate 4: Tomb of Anthony Babington (d. 1536) (Kingston on Soar, Nottinghamshire) [© Anthony Musson] Plate 5: Memorial Brass of John Martyn (d. 1436) (Graveney, Kent) [© Anthony Musson] Plate 6: Prisoners in stocks (All Saints North Street, York) [© Anthony Musson] Plate 7: Statue of Winchester (British Library, MS Lansdowne 1174, fol. 142r) [© The British Library Board] Plate 8: Judge and Pleaders (British Library, MS Harley 947, fol. 107r) [© The British Library Board] Plate 9: Tomb of Chief Justice Sir Richard Choke (d. 1483) (Long Ashton, Somerset) [© Anthony Musson] Plate 10: ‘Rough Music’ in Smithfield Decretals (British Library, MS Royal 10 E iv, fol. 94r) [© The British Library Board] Plate 11: ‘Armed with Laws’ in Bracton, De legibus (British Library, MS Add. 11353, fol. 9r) [© The British Library Board]

Abbildungen zum Aufsatz Susanne Wittekind

Tafel 1

Abb. 1. Tercer Llibre Verd de Barcelona, Barcelona 1345/6 (Arxiu Històric de la Ciutat de Barcelona, 1G.L-10), fol. 3r: Titelseite mit Proömium, Initial mit Gott als Weltenherrscher, Bordüre mit Stadtwappen Barcelonas

Tafel 2

Abbildungen zum Aufsatz Susanne Wittekind

Abb. 2. Tercer Llibre Verd de Barcelona, Barcelona 1345/6 (Arxiu Històric de la Ciutat de Barcelona, 1G.L-10), fol. 37r: Titelseite zum Beginn der Usatici barchinone – Initial mit Graf Ramon Berenguer I. im Kreis der Großen des Landes und Initial mit Schreiberbild

Abb. 3. Usatges, vor 1341 (Arxiu municipal de la Paeria de Lleida, Ms.1345), foll. 85v–86r: iuramentum und Constitution Jaumes II. 1299 – Abklatsch des Wappens der Montcada und Wappen der Stadt Lleida, Bischof und König in der Bordüre

Abbildungen zum Aufsatz Susanne Wittekind

Tafel 3

Abb. 4. Tercer Llibre Verd de Barcelona, Barcelona 1345/6 (Arxiu Històric de la Ciutat de Barcelona, 1G.L-10), foll. 18v–19r: Kalendermonate November (mit Kirchweihfest der sedis Barchinone am 18.11.) und Dezember – Beginn des Matthäus-, Markus- und Lukasevangeliums

Tafel 4 Abbildungen zum Aufsatz Susanne Wittekind

Abbildungen zum Aufsatz Susanne Wittekind

Tafel 5

Abb. 5. Llibre dels Reis, 1334 (Palma, Arxiu del Regne de Mallorca, Cod. 1) fol. 13v: Miniaturseite vor der lateinischen Privilegiensammlung mit Krönung und Eidesleistung Jaumes I. vor Vertretern der universitas

Tafel 6

Abbildungen zum Aufsatz Susanne Wittekind

Abb. 6. Llibre dels Reis, 1334 (Palma, Arxiu del Regne de Mallorca, Cod. 1) fol. 222v: Miniaturseite vor der katalanischen Privilegiensammlung mit Eidesleistung Jaumes I.

Abb. 7. Tercer Llibre Verd de Barcelona, Barcelona 1345/6 (Arxiu Històric de la Ciutat de Barcelona, 1G.L-10), foll. 19v–20r: Beginn des Johannes-Evangliums – Weltchronik

Abbildungen zum Aufsatz Susanne Wittekind

Tafel 7

Abb. 8. Tercer Llibre Verd de Barcelona, Barcelona 1345/6 (Arxiu Històric de la Ciutat de Barcelona, 1G.L-10), fol. 26v: Beginn der Cronica comitum barchinone et regum aragonum mit Grafenbildnis im Initial

Tafel 8 Abbildungen zum Aufsatz Susanne Wittekind

Abbildungen zum Aufsatz Susanne Wittekind

Tafel 9

Abb. 9. Fuero de Teruel, c. 1240 (Ayuntamiento de Teruel), fol. 182r: Kreuzigung als Eidbild

Abb. 10. Liber Testamentorum, 1118–1121 (Oviedo, Archivo de la Catedral, Cod.1), foll. 8v–9r: Schenkung von König Ordoño I. und Königin Hemmadonne 857

Tafel 10 Abbildungen zum Aufsatz Susanne Wittekind

Abb. 11. Tercer Llibre Verd de Barcelona, Barcelona 1345/6 (Arxiu Històric de la Ciutat de Barcelona, 1G.L-10), fol. 35v–36r Schwurformeln für Amtsträger des Rates

Abbildungen zum Aufsatz Susanne Wittekind

Tafel 11

Tafel 12

Abbildungen zum Aufsatz Anthony Musson

Plate 1. Lydford Castle

Abbildungen zum Aufsatz Anthony Musson

Plate 2. Last Judgment

Tafel 13

Tafel 14

Abbildungen zum Aufsatz Anthony Musson

Plate 3. Memorial Brass of John Mulsho (d. 1400)

Abbildungen zum Aufsatz Anthony Musson

Plate 4. Tomb of Anthony Babington (d. 1536)

Tafel 15

Tafel 16

Abbildungen zum Aufsatz Anthony Musson

Plate 5. Memorial Brass of John Martyn (d. 1436)

Abbildungen zum Aufsatz Anthony Musson

Plate 6. Prisoners in stocks (All Saints North Street, York)

Tafel 17

Tafel 18

Abbildungen zum Aufsatz Anthony Musson

Plate 7. Statute of Winchester (British Library, MS Lansdowne 1174, fol. 142r)

Abbildungen zum Aufsatz Anthony Musson

Plate 8. Judge and Pleaders (British Library, MS Harley 947, fol. 107)

Tafel 19

Tafel 20

Abbildungen zum Aufsatz Anthony Musson

Plate 9. Tomb of Chief Justice Sir Richard Choke (d. 1483)

Plate 10. ‘Rough Music’ in Smithfield Decretals (British Library, MS Royal 10 E iv, fol. 94r)

Abbildungen zum Aufsatz Anthony Musson

Tafel 21

Tafel 22

Abbildungen zum Aufsatz Anthony Musson

Plate 11. ‘Armed with Laws’ in Bracton, De legibus (British Library, MS Add. 11353 fol. 9r)