Der Putsch gegen Gorbatschow und das Ende der Sowjetunion: Dissertationsschrift 9783412222307, 3412222305

August 1991: Panzer auf Moskaus Straßen, Ausnahmezustand, der sowjetische Staatspräsident unter Hausarrest. Der Putsch a

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Der Putsch gegen Gorbatschow und das Ende der Sowjetunion: Dissertationsschrift
 9783412222307, 3412222305

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  I GNAZ LOZO

DER PUTSCH GEGEN GORBATSCHOW UND DAS ENDE DER SOWJETUNION

2014 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. Umschlagabbildungen: Vorderseite: © Itar-TASS, Andrej Solowjow Rückseite: © RIA Novosti, Dima Tanin © 2014 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Volker Manz, Kenzingen Satz: synpannier. Gestaltung & Wissenschaftskommunikation, Bielefeld Einbandgestaltung: Guido Klütsch, Köln Druck: freiburger graphische betriebe GmbH & Co. KG, Freiburg Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-22230-7

 

Für Stefanie und Marc

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INHALT 1 EINLEITUNG  ....................................................................................  2 REKONSTRUKTION DER EREIGNISSE – GRUNDLAGEN  ..........................  3 STELLENWERT DER INTERVIEWS MIT HAUPTAKTEUREN UND ZEUGEN  ...  4 HINTERGRÜNDE UND MOTIVE FÜR DEN PUTSCH  . . ................................ 

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4.1 ­Gorbatschows Machterosion und Orientierungslosigkeit 1990/1991  . . ..........  32 Putschwarnungen  .........................................................................  37 Die Machtverschiebung zugunsten Jelzins  .........................................  45

4.2 Die sukzessive Entmachtung der KPdSU  ...............................................  49 Jelzins Parteizellenverbot  . . ..............................................................  50 Der Widerstand der Partei und der Systembewahrer  ............................  51

­Gorbatschows Verlust der innenpolitischen Mittlerrolle  . . ......................  54

4.3 Die Militärführung und die sowjetische Rüstungsindustrie  ........................  55 4.4 Der Kontrollverlust über die Republiken  . . ..............................................  60 Das Referendum vom März 1991  ....................................................  62 Das Referendum als Scheinargument für die Unionsbefürworter  ............  63

4.5 Der neue Unionsvertrag  .....................................................................  65 Die Verhandlungen und ihr Abschluss  ..............................................  67 Zum Inhalt des Unionsvertrages  ......................................................  72 Die Akzeptanz des Unionsvertrages  .. ................................................  74 Die späte Veröffentlichung der Endfassung  ........................................  75

4.6 Das Geheimtreffen zwischen G ­ orbatschow, Jelzin und Nasarbajew  . . ............  80 Offene und geheime Absprachen  .....................................................  82 Das Recht zur Steuererhebung  ........................................................  83 Die Vorverlegung der Unterzeichnung auf den 20. August 1991  .............  86 Die Geheimabsprachen zu Wahlen und Verfassung  .. ............................  96 Die Geheimabsprachen über Neubesetzungen  ....................................  98

4.7 Wurde das Gespräch der drei Präsidenten abgehört?  .. ............................... 100 Die Quelle der Abhörversion  .......................................................... 108 Das angeblich abgehörte Gespräch als verbreitetes Putschmotiv  ............. 110

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8 Inhalt

5 ­GORBATSCHOWS ROLLE IM PUTSCH UND SEINE POLITISCHE MITVERANT­WORTUNG  ................................... 113 5.1 ­Gorbatschows personelle Stärkung der Systembewahrer  ............................ 113 5.2 Verabschiedung und Inhalt des Gesetzes über den Ausnahmezustand  .......... 119 5.3 Die Diskussion über die Verhängung des Ausnahmezustandes  . . .................. 121 Die erste Phase ab Herbst 1990  ....................................................... 122 Die zweite Phase ab Frühjahr 1991  .................................................. 124

Der Auftrag zur Ausarbeitung von Ausführungsbestimmungen  .............. 128 Die Ablehnung der Einführung des Ausnahmezustandes  ...................... 130

­Gorbatschows Distanzierung vom Ausnahmezustand  . . ......................... 131

5.4 ­Gorbatschow in Foros während der Putschtage  ....................................... 132

Der unangekündigte Besuch der Emissäre  ......................................... 135

Das Ausmaß der logistischen Isolierung ­Gorbatschows  ........................ 146

5.5 Unterstellungen der Komplizenschaft mit den Putschisten  .. ....................... 154

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ENTSCHEIDUNGSABLÄUFE DES PUTSCHES UND DIE GRÜNDE FÜR SEIN SCHEITERN  ............................................. 159

6.1 Die politischen Ziele des ­GKTSCHP  ................................................... 161 6.2 Der Auslöser für den Putsch  . . .............................................................. 162 6.3 Die Putschvorbereitungen  . . ................................................................. 163

Die Hauptorganisatoren  . . ............................................................... 169 Das konspirative Treffen der Putschisten am 17. August 1991  . . .............. 172 Die Amtsträger, die in den Putsch hineingerieten  ................................ 177 Das Fehlen einer klaren Strategie gegenüber Jelzin  .............................. 180

6.4 Die unbeherzte Machtergreifung in der Nacht zum 19. August 1991  ........... 186 6.5 Die Rolle Lukjanows vor und im Augenblick der Macht­über­nahme  ............ 192 6.6 Der erste Putschtag  ........................................................................... 197

Das Publikmachen der Macht­über­nahme  .......................................... 198 Schwanensee und der Putsch  .......................................................... 201 Die publizierten Verordnungen und Erklärungen  ................................ 202

Die Begründung der Macht­über­nahme und des Ausnahmezustandes  ...... 204 Der Auftrag an das Militär und die KGB-Kampfeinheiten  .................... 206 Die Strategiesuche des Jelzin-Lagers in Archangelskoje  ........................ 209 Jelzins Pressekonferenz und seine Rede auf dem Panzer  ........................ 216

Die erste Sitzung des ­GKTSCHP und dessen Beschlüsse  ..................... 219 Die internationale Pressekonferenz der Putschisten  .. ............................ 221

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Inhalt

Die Sitzung des sowjetischen Kabinetts  . . ........................................... 226

6.7 Der zweite Putschtag  ......................................................................... 228 Die Vormittagssitzung des ­GKTSCHP  . . ........................................... 229 Die Planung des Sturms auf Jelzins Machtzentrale  .............................. 234 Das Gespräch zwischen der russischen Führung und Lukjanow  . . ............ 239

Die Abendsitzung des ­GKTSCHP im Kreml  ..................................... 241

6.8 Der dritte Putschtag  .......................................................................... 247 Die drei Todesopfer  .. ..................................................................... 249 Die Nachtsitzung im KGB  ............................................................. 254 Gab es einen Befehl, Jelzins Machtzentrale zu stürmen?  ....................... 259

Jasow und die Auflösung des ­GKTSCHP  . . ........................................ 265 Die Reisen nach Foros  ................................................................... 268

6.9 ­Gorbatschows Rückkehr nach Moskau  .................................................. 271 6.10 Lukjanows Verzögerungstaktik  ............................................................ 276 6.11 Kontakte des Jelzin-Lagers mit Militärführern und dem G ­ KTSCHP  .......... 278 6.12 Die Rolle der KPdSU bei der Macht­über­nahme durch das ­GKTSCHP  ....... 285 6.13 Die Lage in Leningrad  . . ..................................................................... 290 6.14 Die Reaktionen in den Republiken  ....................................................... 294 6.15 Die Reaktionen des Auslands  .............................................................. 303 6.16 Die Rolle der Medien  ........................................................................ 313

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DIE POLITISCHEN FOLGEN DES PUTSCHES UND SEINE HISTORISCHE EINORDNUNG  ............................................. 317

7.1 Das weitere Schicksal der Putschisten und ihrer Unterstützer  ..................... 321 Die Verhaftungen, die Verhöre und deren Publizierung  .. ....................... 322 Die staatsanwaltlichen Ermittlungen und der Gerichtsprozess  ............... 327 Die Amnestie und die gesellschaftliche Rehabilitierung  ........................ 334

7.2 Der Putsch als Katalysator für den Untergang der KPdSU und UdSSR  ........ 342 Jelzins faktische Entmachtung ­Gorbatschows nach dem Putsch  ............. 345 Jelzins Demontage der KPdSU  ........................................................ 347

­Gorbatschows Illusion eines reformierten Zentralstaates  ....................... 350

7.3 Die Bewertung des August-Putsches durch die russische Bevölkerung  ......... 354 7.4 Die Bewertung des August-Putsches durch russische Historiker  ................. 356

7.5 Die Darstellung in russischen Geschichtslehrbüchern  ............................... 358 7.6 Die politische und mediale Erinnerungskultur  ........................................ 362 7.7 Deutsche Osteuropahistoriker und der Putsch  .. ....................................... 371

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8 ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSS­BETRACHTUNGEN  ........................ 377 9 NACHWORT UND DANKSAGUNG  ........................................................ 399 10 QUELLENÜBERBLICK  . . ...................................................................... 401 Biographien, Autobiographien und Zeugenberichte  ............................. 401 Das Buch der leitenden russischen Staatsanwälte  . . ............................... 401 Wissenschaftliche Abhandlungen  .................................................... 402 Russische Archive  . . ....................................................................... 403 Dokumente, Erlasse, Stenogramme, Protokolle  ................................... 405 Untersuchungsberichte  .................................................................. 407 Presseartikel, Agenturmeldungen, Radio-, TV- und Internetbeiträge  ....... 409 Filmquellen  ................................................................................. 410

Gespräche und Interviews der Akteure und Zeitzeugen mit dem Verfasser  .. ..412 Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge  ................................................. 413

Nachrichtenagenturen  ................................................................... 414 Umfrageergebnisse des Meinungsforschungsinstituts Levada-Zentrum  . . .. 414 Radioquelle  ................................................................................. 414 Unveröffentlichte Schriftquellen  ...................................................... 414

11 LITERATURVERZEICHNIS  .................................................................. 415 Dokumenten- und Interviewsammlungen, Chroniken

und Augenzeugenberichte  .......................................................... 419

Abkürzungen / Erläuterungen  .......................................................... 420

12 ANMERKUNGEN  .. ............................................................................. 421 13 DOKUMENTE  ................................................................................... 475 14 PERSONENREGISTER  ....................................................................... 497

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1 EINLEITUNG

Am 18. August 1991 wurden Michail ­Gorbatschows Telefonverbindungen an seinem Urlaubsort in Foros am Schwarzen Meer abgeschaltet; die Weltöffentlichkeit erfuhr einen Tag später von dem Putsch, als das Staatskomitee für den Ausnahmezustand die Macht ergriff, Panzer in Moskau einrollten und der sowjetische Präsident aus Krankheitsgründen für amtsunfähig erklärt wurde. Das Putschkomitee gab den Offizieren, die den sogenannten Atom­koffer in Foros bewachten und im militärischen Ernstfall bedienen sollten, den Befehl, nach Moskau zurückzufliegen und den Koffer mitzunehmen. G ­ orbatschow verlor somit die Kontrolle und die Verfügungsgewalt über den Einsatz der sowjetischen Atomwaffen. Intrigen, Verschwörungen und Verrat bis hin zum „Königsmord“ bieten oft den Nährboden für kontroverse Darstellungen des Geschehenen, für Spekulationen, Unterstellungen und Theorien, die lange Zeit über das Ereignis hinaus ihre Wirkung nicht verlieren. Michail ­Gorbatschow 1 wird in historischen Abhandlungen und in den Medien – nicht nur seines Heimatlandes – häufig eine zwielichtige Rolle im Machtkampf zugeschrieben, der im August 1991 zwischen den restaurativen Kräften der Sowjetunion und dem russischen Präsidenten Boris Jelzin entbrannte. In der Beschreibung dieses Machtkampfes haben sich die Begriffe „August-Putsch“ und „August-Revolution“ durchgesetzt. Weltweit – vor allem aber in Deutschland – fand seit 1945 selten ein außenpolitisches Ereignis so viel Aufmerksamkeit wie der Sturz des sowjetischen Präsidenten Gorbatschow; ­­ selten war die Sorge der deutschen Bevölkerung und der Politiker so groß wie bei der Machtübernahme der orthodoxen Kommunisten am 19. August 1991 in Moskau.2 Aus der Sicht des Westens drohte das Ende der liberalen Politik von Perestrojka und Glasnost. Der Grund für die ausgeprägten Sorgen der Deutschen war die noch vorhandene Präsenz der sowjetischen Truppen auf dem Gebiet der ein Jahr zuvor untergegangenen DDR. Umso größer waren die Freude und die Erleichterung über das Scheitern des Putsches, hatten doch viele eine Rückkehr zum Kalten Krieg befürchtet. Die Wiedervereinigung war zwar völkerrechtlich vollzogen, aber Bundeskanzler Helmut Kohl und Präsident Michail Gorbatschow ­­ hatten für den vollständigen Abzug der rund 550.000 sowjetischen Militärangehörigen

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12 Einleitung

(einschließlich deren Familienangehörigen) einen Zeitraum von vier Jahren vereinbart. Die Rückführung der Truppen und des sowjetischen Militärpotentials sollte laut Vertrag erst 1994 abgeschlossen sein.3 Das Ende des sowjetischen Systems wurde durch den Putsch besiegelt. Dieses einschneidende Ereignis der Weltgeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist im Hinblick auf seine Ursachen und Vorbereitungen, seinen Verlauf und seine Folgen kaum untersucht worden. Es ist mit einer sperrigen Abkürzung verbunden: GKTSCHP. Für die Russen selbst ist sie schwer aussprechbar. Sie steht eben für dieses Staatskomitee für den Ausnahmezustand, das die Putschisten bildeten – Gosudarst­vennyj Komitet po Črezvyčajnnomu Položeniju (GKČP bzw. GKTSCHP). Auch rund ein Vierteljahrhundert später liegt weder in Russland noch in Westeuropa oder in den USA eine zusammenhängende, umfassende und wissenschaftlich fundierte Monographie über den August-Putsch von 1991 vor. Die Hintermänner und Akteure waren während des Umsturzversuches öffentlich weitgehend unsichtbar geblieben. Wer waren sie? Wie und wo verliefen die Putschvorbereitungen? Wie agierten das Staatskomitee, die Armeeführung und der KGB? Die Medienvertreter konnten ab dem 19. August 1991 nur das äußere Tagesgeschehen abbilden, die Situation auf den Straßen Moskaus und in anderen Städten beschreiben. Den Historikern mangelte es in späteren Jahren vor allem an fundierten Quellen. Eine möglichst dichte Rekonstruktion der Putschtage war daher das Ziel dieses Buches. Die Entscheidungsfindungen des Staatskomitees, das hinter den Kremlmauern agierte, standen dabei besonders im Mittelpunkt – aber auch die Rolle Gorbatschows. ­­ Was geschah an seinem Urlaubsort in Foros? Wie belastbar sind die bis heute kursierenden Darstellungen oder Vermutungen, er sei stiller Komplize der Putschisten gewesen? Schließlich gibt das Buch auch eine Antwort auf die Frage, was der Auslöser für den Putsch war. Meist wird in diesem Zusammenhang die für den 20. August 1991 geplante Unterzeichnung des Unionsvertrages genannt, der eine Dezen­tralisierung der Sowjetunion vorsah. Ebenso wird aber auch ein vom KGB angeblich abgehörtes Gespräch zwischen ­Gorbatschow, dem russischen Präsidenten Boris Jelzin sowie dem kasachischen Präsidenten ­Nursultan ­Nasarbajew als Auslöser bezeichnet. Bei diesem Dreier-­Gespräch im Juli 1991 wurde die Absetzung einiger der späteren Mitglieder des Staatskomitees für den Ausnahmezustand verabredet, die ja Teil der ­­Gorbatschow-­Führung waren. Wurde das Gespräch überhaupt abgehört? Was waren die Gründe für das

Einleitung

Scheitern des Putsches? Hat es seitens des GKTSCHP einen Befehl zum Sturm auf Jelzins Machtzentrale, das Weiße Haus, gegeben? Wenn ja, wurde er von entscheidenden Einheiten des Militärs und des KGB verweigert? Die Erforschung dieser und weiterer Fragen erforderte eine neue Qualität der Quellen. Ausgewertet wurde die rund 1.000 Seiten umfassende Anklageschrift. Diese Dokumente sind im Obersten Gericht der Rus­ sischen Föderation archiviert und offiziell als Staatsgeheimnis deklariert. So hatte ­Gorbatschows Tochter Irina Wirganskaja, die 1991 in Foros auf der Krim aufgrund der Aktionen der Putschisten drei Tage festgesetzt war, Einsichtnahme beantragt. Die Hürden und Bedingungen, die vom Obersten Gericht dafür aufgestellt wurden, waren offenbar so hoch, dass sie schließlich auf die Einsicht verzichtete.4 Ferner wurde die inzwischen sehr umfangreiche Memoirenliteratur der Akteure und der Zeugen des Putsches ausgewertet. Mit mehr als 30 dieser an den Ereignissen unmittelbar oder mittelbar beteiligten Personen führte ich in den Jahren 2009 bis 2012 Interviews, persönliche Gespräche oder Telefonate, darunter mit Michail ­Gorbatschow, dem damaligen sowjetischen Verteidigungsminister Dmitri Jasow oder dem Chef der sowjetischen Rüstungs- und Raumfahrt­ industrie Oleg Baklanow. Nach der Niederlage der Putschisten, die den endgültigen Zusammenbruch der Sowjetunion zur Folge hatte, brachen sich unterschiedliche Verschwörungstheorien Bahn. Hier lässt sich von einem „Instrument der Manipulation“ und von einer „Waffe der relativen Verlierer“ sprechen. Das Kultivieren dieser Theorien bietet sich für die Verlierer als „Bewältigungsstrategie“ für ihr erlittenes Scheitern an.5 Dies erinnert zum Beispiel an die Dolchstoßlegende, mit der die Schuld für die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg den Sozialdemokraten zugeschoben werden sollte. Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, die Falschdarstellungen der historischen August-Ereignisse in der Sowjetunion lediglich den Putschisten, ihren Anwälten und politischen Sympathisanten zuzuschreiben. Allerdings hat auch G ­ orbatschow – wenn auch in einem weit geringeren Maße – einige Begebenheiten verzerrt wiedergegeben. Mindestens bis zum Abschluss der staatsanwaltlichen Ermittlungen und der Verhöre sowie der Fertigstellung der Anklageschrift Ende 1992/ Anfang 1993 gab es kaum belastbare Informationen über die Hintergründe, die Organisation und die Entscheidungsabläufe des Putsches. Und selbst nach Fertigstellung der Anklageschrift drangen diese Informationen nicht umfassend, sondern nur in selektiver Form an die Öffentlichkeit. Zutreffend

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14 Einleitung

schrieb der Osteuropahistoriker Edgar Rösch 1996, dass die Hintergründe des Putsches noch ungeklärt seien.6 Nach Norbert Elias, dem einflussreichen Soziologen des 20. Jahrhunderts, erklärt sich die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien aus anthropologischer Sicht auch aus einer Grund­ erfahrung des Menschen – dem „Horror des Nichtwissens.“ 7 Es verwundert daher nicht, dass in historischen und publizistischen Darstellungen zentrale Fragen des Putsches häufig umgangen oder – wie hier dargelegt werden wird – nicht plausibel beantwortet werden. Gestützt auf eine völlig neue und solide Quellenbasis, wird durch dieses Buch bis heute kursierenden Mythen und Verzerrungen die Grundlage entzogen. Der Blick auf die Ereignisse vom August 1991 ist nun in einem klaren Licht möglich.

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2 REKONSTRUKTION DER EREIGNISSE – GRUNDLAGEN

Die Quellenkombination aus Anklageschrift und persönlichen Gesprächen, darunter mit Putschisten, den ranghöchsten Vertretern des Jelzin-Lagers und mit Michail G ­ orbatschow, findet sich weder in Abhandlungen innerhalb Russlands noch außerhalb. Als wichtige dritte Quellengruppe dienen die inzwischen recht zahlreichen Autobiographien und Werke der Erinnerungsliteratur der Hauptbeteiligten speziell zum August 1991. Sie allein hätten allerdings nur einen sehr begrenzten Wert für die Erhellung der Hintergründe und Abläufe des Putsches; isoliert genutzt, würden sie wohl beinahe jeden an diesen Ereignissen interessierten Leser bei dem Versuch, eine korrekte Einordnung vorzunehmen, überfordern. Erst die Gegenüberstellung im Einzelnen und der Abgleich mit dem übrigen Quellenmaterial gab dem Verfasser die Gewissheit, die schriftlichen Ego-­Dokumente sicher und zielgerichtet nutzen zu können. Dass die detaillierte Anklageschrift als Quelle herangezogen werden konnte, ermöglichte auch eine recht sichere Einschätzung der Glaubwürdigkeit und Aufrichtigkeit des jeweiligen Zeitzeugen. Zu den aussagekräftigsten Quellen gehören die staatsanwaltlichen Ermittlungsergebnisse und Verhörprotokolle, die in der rund eintausend Seiten starken Anklageschrift zusammengefasst wurden. Über das Deutsche Historische Institut in Moskau stellte ich am 23. März 2012 bei Wjatscheslaw Lebedew, Vorsitzender des Obersten Gerichts der Russischen Föderation, den Antrag auf Akteneinsicht zu wissenschaftlichen Zwecken. In seinem Antwortschreiben vom 11. April 2012 begründete das Gericht die Ablehnung der Akteneinsicht damit, dass diese Dokumente Staatsgeheimnisse darstellten und dem „Gesetz der Russischen Föderation vom 21. Juni 1993, Nr. 5485 – 1 Über das Staatsgeheimnis“ unterlägen. Während meines Recherche- und Forschungsaufenthaltes im März / April 2012 in Moskau ist es mir dennoch gelungen, nicht nur Einsicht in die Anklageschrift zu nehmen, sondern ein Exemplar anschließend sogar nach Deutschland zu überführen. Diesen Umstand, der für die Erschließung der Quellen und für die Erstellung dieses Buches höchst bedeutsam war, verdanke ich Frau

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16 Rekonstruktion der Ereignisse – Grundlagen

Tamara Schenina, Ehefrau des 2009 verstorbenen KPdSU-Politbüromitglieds Oleg Schenin. Der russischen Strafprozessordnung entsprechend wurde den Angeklagten jeweils ein Exemplar vor Prozessbeginn übergeben. Frau Schenina überließ mir für meinen Forschungszweck das aus fünf Bänden bestehende Originalexemplar der Anklageschrift gegen ihren Mann. Exzerpte der Anklageschrift kursieren seit Jahren in den russischen Medien und im russischen Internet. Teile sind also durchgesickert, doch sind diese vom quellenkritischen Standpunkt aus zu unsicher, um zum Zwecke der Erstellung einer verlässlichen Darstellung der Ereignisse weiterverwendet zu werden. Es kann nicht wirklich verifiziert werden, ob die Exzerpte jeweils authentisch sind oder ob sie interessengesteuert eingesetzt wurden. Diesem Buch liegt demgegenüber nicht nur die fünfbändige Anklageschrift im Original vor, sondern auch in ihrer Vollständigkeit.1 Gegen zwölf am Putsch Beteiligte wurde letztlich ein Gerichtsverfahren eröffnet; zu den vielen Zeugen gehörten zum Beispiel Fahrer, Fernmelde­ techniker, Wachpersonal, Telefonistinnen, Sekretärinnen, Volksdeputierte, Armeeangehörige, KGB-Mitarbeiter, Parteifunktionäre, aber auch Spitzenpolitiker wie Michail ­Gorbatschow und Boris Jelzin. Im Zuge der Ermittlungen wurden rund 2.700 Zeugen befragt und 53 Stunden Videomaterial von Verhören der Hauptbeteiligten angefertigt.2 Allein das GKTSCHP-­Mitglied Oleg Baklanow wurde zwischen dem 24. August und dem 17. Dezember 1991 neunzehn Mal von den Ermittlern verhört.3 Von den zwölf Angeklagten leben noch fünf (Stand: Dezember 2013). Die rund 1.000 Seiten umfassenden Dokumente enthalten nicht nur inhaltlich wertvolle und eine Reihe bisher noch nicht veröffentlichter Informationen und Sachverhalte, sondern auch die Privatadressen (und teilweise die Telefonnummern) der zwölf Angeklagten sowie von 991 Personen, die potenziell als Zeugen vor Gericht infrage kamen – darunter zahlreiche Spitzenpolitiker, Militärangehörige oder zum Beispiel auch Mitglieder des KGB.4 Letzteres erleichterte die Kontaktaufnahme zu diesen Personen. Sehr verlässliche Informationen stellen beispielsweise die minutengenauen Telefonprotokolle der über die Regierungsleitungen abgewickelten Gespräche dar, aus denen genau hervorgeht, wer mit wem wann und wie lange telefoniert hat und wer wen angerufen hat. Damit lässt sich erhärten, wer zu den Putschorganisatoren und wer zu den „Hineingezogenen“ gehörte. Auch wurde an den jeweiligen Pforten und in den Sekretariaten sehr genau Buch geführt, wer sich wann und wie lange im Kreml, in der KP dSU -­ Parteizentrale oder an anderen wichtigen Orten aufhielt. Auch aufgrund

Rekonstruktion der Ereignisse – Grundlagen

der Fahrtenbücher der Chauffeure blieben beispielsweise die als Geheimtreffen geplanten Zusammenkünfte im KGB-Objekt „ABZ“ nicht geheim. Diese in Schriftform oder audiovisuell festgehaltenen Ermittlungsergebnisse waren essenziell für die Rekonstruktion und die Einordnung der Ereignisse, in erster Linie für die Darstellung der strategischen und personellen Vorbereitung des Putsches sowie der internen Entscheidungsfindungen während der gefährlichen Tage des Machtkampfes in Moskau vom 19. bis 21. August 1991. Was die politischen Bewertungen durch die Staatsanwaltschaft betrifft, die in diesen Dokumenten ihren Niederschlag finden, ist allerdings Zurückhaltung angebracht. Als Gegengewicht im Sinne des Grundprinzips „audiatur et altera pars“ – man möge auch die andere Seite hören – wurden die von mir geführten Interviews und Gespräche mit den damaligen Angeklagten und Zeugen sowie deren Memoiren ausgewertet und berücksichtigt.

Eigene Befragungen von Hauptakteuren und Zeugen Für dieses Buch war aufgrund des teilweise hohen Lebensalters mit der Befragung der Mehrzahl der Akteure Eile geboten. Inhaltlich ging es primär darum, auf der Faktenebene zu bleiben – mit in der Regel geschlossenen Fragen. Um ein Beispiel zu nennen: Der unangekündigte Besuch der fünfköpfigen Delegation an G ­ orbatschows Urlaubsort in Foros ist eine der entscheidenden Episoden der Putschgeschichte. Dieser Ort auf der Krim ist einer der bedeutendsten Schauplätze des Kampfes um die Deutungshoheit darüber, wie die Verhängung des Ausnahmezustandes und die Bildung des GKTSCHP zustande kamen. Da keinerlei Protokolle oder Tondokumente dieses entscheidenden Gesprächs existieren, kann sich der Versuch einer Rekonstruktion dieses Ereignisses nur auf mündliche Zeugnisse stützen. Diese Ego-Dokumente – seit den 1980er-Jahren verstärkt als Quellen und als Instrument der Forschung herangezogen – werden unter dem Begriff „Oral History“ subsumiert und bedürfen einer besonderen quellenkritischen Vorsicht.5 Norbert Frei konstatiert, dass „die Geschichtswissenschaft viel zu lange Chancen, die in der […] Befragung von Zeitzeugen lagen, ungenutzt verstreichen“ gelassen hat.6 In erster Linie ging und geht es bei Oral History allerdings mehr um mündliche Zeugnisse von einfachen Bürgern, mit deren Hilfe der Frage des Verhältnisses von Individuum und System nachgegangen wird.7 Inzwischen subsumiert dieser Begriff auch die Quellen, die durch die Befragung von maßgeblichen Akteuren, die meist hohe Repräsentanten eines Staates waren oder sind, entstanden.

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18 Rekonstruktion der Ereignisse – Grundlagen

Mit den noch lebenden Hauptbeteiligten hatte der Verfasser zwischen Oktober 2009 und Mai 2011 TV-Interviews geführt, in denen die Kernfragen schon beantwortet worden waren. Doch schienen für das vorliegende Buch eine Erweiterung des Personenkreises sowie eine neue Befragung einiger Beteiligter, die schon ein Interview gegeben hatten, geboten. Aus diesem Grunde wurden mit Michail G ­ orbatschow, Sowjetmarschall Dmitri Jasow, mit dem sowjetischen Rüstungsindustriechef Oleg Baklanow und dem Kommandeur der KGB-Elitetruppe „Alpha“ Michail Golowatow je zwei Gespräche geführt. Teilweise ging es um historische Präzisierungen, teilweise um das Auflösen von Widersprüchen durch vorliegende Darstellungen anderer Beteiligter oder Zeugen des Putsches.8 In dieser zweiten und erweiterten Interviewrunde war es vorteilhaft, dass die Gespräche überwiegend ohne Kamerateam (nur bei G ­ orbatschow wurde auch beim zweiten Mal gefilmt) und ohne die damit erforderliche umfangreiche Technik geführt wurden, womit eine entspanntere Gesprächsatmosphäre gegeben war. Gleichwohl stellten bereits die Interviews der ersten Runde ein ausgezeichnetes Quellenmaterial und eine erste Grundlage für den Fall dar, dass ein neues Interview abgelehnt wurde oder der jeweilige Gesprächspartner in der Zwischenzeit verstorben war.9 Es gab während des Putsches drei Lager, Orte und Machtzentren: 1 ­Gorbatschow an seinem Urlaubsort in Foros. Sein politisches Ziel war, die Sowjetunion als reformierten und zentral regierten Unionsstaat zu erhalten. Er wollte den Republiken mehr Selbstbestimmung und Eigenständigkeit zugestehen, lehnte allerdings eine lose Konföderation ab. Er war bereit, diejenigen Republiken, die die völlige Loslösung von der Sowjetunion anstrebten, in die Unabhängigkeit von der Sowjetunion zu entlassen. 2 Jelzin und dessen Unterstützer im Weißen Haus. Er strebte die Eigenständigkeit der russischen Republik an, wollte keine Bevormundung mehr durch die sowjetische Zentralregierung akzeptieren. Dennoch beteiligte er sich an den Verhandlungen über eine reformierte Sowjetunion und war bereit, den ausgehandelten neuen Unionsvertrag zu unterschreiben. 3 Die Putschisten im Kreml sowie deren Unterstützer. Ihr politisches Hauptziel war, die territoriale Integrität der Sowjetunion zu erhalten. Sie wollten die Unterzeichnung des neuen Unionsvertrags verhindern, der nicht nur eine Dezentralisierung der Sowjetunion, sondern auch die Loslösung mehrerer Teilrepubliken festgeschrieben hätte. Im Hinblick auf die Frage, ob dieses Ziel auch mit Gewalt durchgesetzt werden sollte, war das Putschkomitee allerdings gespalten.

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Rekonstruktion der Ereignisse – Grundlagen

Da ­Gorbatschow in Foros isoliert wurde und vorübergehend politisch ausgeschaltet war, wurde der Putsch zu einem Zweikampf der Machtzentren in Moskau – desjenigen der Putschisten und desjenigen von Jelzin. Die Interviewpartner sind entweder einer dieser drei Gruppen zuzuordnen, oder sie sind zufällig oder als politische oder militärische Funktionsträger in eines der drei Lager hineingeraten. Es war anzunehmen, dass einige der Interviewten interessengesteuert antworten würden. Sorgfalt und Vorsicht bei der Interpretation der Interviewäußerungen waren und sind daher geboten. Bei der Auflistung der Zeitzeugen weiter unten wird in einigen Fällen sowohl die Funktion als auch die Amtszeit angegeben, um – wie zum Beispiel im Falle von Eduard Schewardnadse – deutlich zu machen, dass er zum Zeitpunkt des Putsches nicht sowjetischer Außenminister war. Bei allen aufgeführten Zeitzeugen, bei denen nur die Funktion angegeben ist, bedeutet dies, dass sie zum Zeitpunkt des Putsches diese auch innehatten. Aus dem ­Gorbatschow-Lager konnten folgende Personen für ein persönliches Gespräch gewonnen werden: –– Michail ­Gorbatschow (*1931), UdSSR-­Präsident und Generalsekretär des ZK der KPdSU –– Anatoli Tschernajew (*1921), engster Berater des sowjetischen Präsidenten; er war ebenfalls in Foros festgesetzt und ist somit ein wichtiger Zeitzeuge –– Eduard Schewardnadse (*1928), sowjetischer Außenminister von 1985 bis 1990 und nach dem Putsch wieder zwischen Oktober und Dezember 1991 –– Wadim Bakatin (*1937), sowjetischer Innenminister 1990 und Chef des KGB

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vom 23. August bis zum 3. Dezember 1991, als der KGB aufgelöst wurde –– Grigori Jawlinski (*1952), Wirtschaftswissenschaftler

Aus dem Lager des verstorbenen russischen Präsidenten Jelzin: –– Alexander Ruzkoj (*1946), Vizepräsident Russlands

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–– Ruslan Chasbulatow (*1942), amtierender Parlamentspräsident Russlands –– Gawril Popow (*1936), Oberbürgermeister von Moskau

–– Michail Poltoranin (*1939), Presse- und Informationsminister Russlands (Telefonat) –– Gennadi Burbulis (*1945), Chefberater Jelzins

Aus dem Lager der Putschisten und deren aktiver Unterstützer: –– Marschall Dmitri Jasow (*1924), sowjetischer Verteidigungsminister

–– Oleg Baklanow (*1932), Chef der sowjetischen Rüstungs- und Raumfahrtindustrie –– Wladislaw Atschalow (1946 – 2011), stellv. sowjetischer Verteidigungsminister –– Juri Prokofjew (*1939), KPdSU-Chef von Moskau-Stadt

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20 Rekonstruktion der Ereignisse – Grundlagen

Akteure und Zeugen, die Befehlsempfänger waren oder sich plötzlich involviert sahen: –– Alexander Bessmertnych (*1933), sowjetischer Außenminister –– Valentin Falin (*1926), ZK-Sekretär (Telefonat) 12

–– Pawel Gratschow (1947 – 2012), Kommandeur der sowjetischen Luftlandetruppen –– Michail Golowatow (*1946), stellvertretender Kommandeur 13

der KGB-Elitekampfeinheit „Alpha“ 

–– Alexander Dsasochow (*1934), ZK-Sekretär (Telefonat) –– Wladislaw Terechow (*1933), sowjetischer Botschafter in der Bundesrepublik (Telefonat) –– Leonid Krawtschenko (*1938), Chef des staatlichen Fernsehens und Radios der Sowjetunion –– Wjatscheslaw Keworkow (*1924), stellvertretender Leiter der Nachrichtenagentur TASS

Telefonate mit wichtigen Akteuren oder Zeugen, die zu einem persönlichen Gespräch und zu ausführlichen Aussagen nicht bereit waren, deren – wenn auch kurze – Ausführungen dennoch einen Erkenntnisgewinn bieten: –– Alexander Tisjakow (*1926), Mitglied des GKTSCHP

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–– Boris Beskow (*1939), Kommandeur der KGB-Elitekampfeinheit „B“ 

Weitere Zeugen und indirekt Beteiligte, mit denen persönliche Gespräche geführt wurden: –– Rudolf Seiters (*1937), Chef des Bundeskanzleramtes unter Helmut Kohl –– Klaus Blech (*1928), Botschafter Deutschlands in der Sowjetunion 15

–– Jack F. Matlock (*1929), Botschafter der USA in der Sowjetunion

–– Jörg R. Mettke (*1943), Korrespondent des Nachrichtenmagazins Der Spiegel –– Valentin Stepankow (*1951), Generalstaatsanwalt Russlands –– Juri Blochin (*1945), Vorsitzender der Fraktion „Sojus“ im Obersten Sowjet der UdSSR –– Vytautas Landsbergis (*1932), Präsident Litauens –– Vitali Doguschijew (*1935), kommissarischer Ministerpräsident der Sowjetunion nach dem angeblich krankheitsbedingten Ausfall von Valentin Pawlow (Telefonat) –– Lew Ponomarjow (*1941), Volksdeputierter der RSFSR; er leitete die parlamentarische Untersuchungskommission des Obersten Sowjets der RSFSR zum Putsch –– Tamara Schenina, Ehefrau von Oleg Schenin (1937 – 2009), der einer der Hauptorganisatoren des Staatskomitees war

Rekonstruktion der Ereignisse – Grundlagen

–– Ljubow Komar, Mutter von Dmitrij Komar, eines der drei Putschopfer –– Galina Wolskaja-Everstowa, Tochter des Industriefunktionärs Arkadi Wolski (Telefonat); sie nahm am 18. August 1991 einen Anruf ­Gorbatschows aus Foros entgegen

Schriftlich beantwortete Michail G ­ orbatschow am 24.07.2012 drei weitere wesentliche Fragen, die sich nach der Sichtung des umfangreichen Quellenmaterials ergeben hatten.16 Der ehemalige US-Außenminister Baker gab mir im Mai 2011 ein TV-Interview zum Putsch. Meine Fragen trug in Houston ein Bevollmächtigter vor, da der mir von Baker vorgegebene Gesprächstermin mit Interviewterminen in Moskau kollidierte.

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3 STELLENWERT DER INTERVIEWS MIT HAUPTAKTEUREN UND ZEUGEN Dass es kaum schriftliche Dokumente und keine Audioquellen über die Planung eines Putsches gibt, liegt in der Natur der Sache begründet. Denn schriftliche Spuren oder Tondokumente im Vorfeld und während der Planung und Durchführung einer Machtübernahme zu produzieren, wird von potenziellen Putschisten aus Gründen der Vorsicht in der Regel vermieden. Daher rücken nachträgliche Gesprächsquellen mit den Beteiligten und Betroffenen in den Vordergrund, die in der Regel einen bedeutenden Erkenntnisgewinn liefern. Hinzu kommt, dass es für eine gründliche Untersuchung erforderlich ist, aus allen der damals widerstreitenden politischen Lager Quellenmaterial zu gewinnen. Bislang konnten Autoren von in Westeuropa oder in den USA veröffentlichten Abhandlungen nicht auf ausführliche eigene Gespräche mit Zeitzeugen aus der früheren sowjetischen und russischen Führung zurückgreifen, weil sie sich entweder nicht um einen Zugang bemüht hatten oder weil die Zeitzeugen nicht für ein persönliches Gespräch zur Verfügung standen. Dieses Buch will diese Lücke schließen. Dabei ergibt sich allerdings bei den Interviews, die in unserem Fall rund zwanzig Jahre nach den Ereignissen erfolgten, eine Reihe von Vor- und Nachteilen, die es im Folgenden zu skizzieren gilt. Das Bedürfnis, die eigene Position auch im Nachhinein zu verteidigen und in einigen Fällen auch subtile Rache an den Gegnern üben zu wollen, darf als Interviewmotiv nicht ausgeschlossen werden. Des Weiteren könnte ein Gesprächspartner aufgrund seines fortgeschrittenen Alters großes Interesse daran haben, der Nachwelt ein möglichst vorteilhaftes Bild von sich zu hinterlassen, und seine Ausführungen entsprechend gestalten. Das GKTSCHP-Mitglied Oleg Baklanow sagte dem Verfasser während der zweiten persönlichen Begegnung wörtlich: „Das Einzige, was man ins Grab mitnehmen kann, ist der gute Name.“ 1 Zu den Vorteilen dürfte gehören, dass die Betroffenen aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters keine Rücksicht mehr auf mögliche Karrierenachteile

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nehmen müssen, sodass sie möglicherweise eher geneigt sind, mit großer Offenheit Interviews zu einem sensiblen Thema zu geben. Auch müssen sie wegen des großen zeitlichen Abstandes nicht mehr befürchten, Mitglieder des eigenen Lagers oder sich selbst durch wahrheitsgemäße Antworten zu belasten, obwohl einige genau dies nach dem gescheiterten Putsch taten. Schließlich ist – im Gegensatz zu den an einem positiven Eigenbild Interessierten – oft zu beobachten, dass gegen Ende des Lebens eine gewisse Altersmilde eintritt, die mit dem Bedürfnis einhergeht, die Dinge nach bestem Wissen und Gewissen wiederzugeben, vereinzelt auch Geheimnisse preiszugeben. So nannte beispielsweise Marschall Jasow G ­ orbatschow einige Jahre nach dem Putsch, als er juristisch und politisch in Sicherheit war, einen Verräter; nun beschrieb er diesen als „ordentlichen Menschen, auf den ich nicht böse sein muss. Er hat mich zum Marschall ernannt. Heute gibt es nur noch vier lebende Marschalle in unserem Land.“ 2 Der zeitliche Standort der Beteiligten ist aus mehreren Gründen relevant, was bei der Interpretation und Bewertung der Quellen berücksichtigt werden muss.3 1991, als nach dem Scheitern des Putsches ein politisches Klima der Abrechnung herrschte und die Verwurzelung in dem damals gerade überwundenen totalitären Regime noch stark war, machten einige Putschisten oder Unterstützer bei oder nach ihrer Verhaftung Aussagen, mit denen sie Mitstreiter des eigenen Lagers belasteten, um sich selbst zu entlasten. Interessant ist auch die vollständige politische Metamorphose des Generals und damaligen russischen Vizepräsidenten Alexander Ruzkoj, der an der Seite Jelzins den Widerstand gegen die Putschisten organisierte. Er hatte pathetisch an die Bürger appelliert, sie sollten das Weiße Haus verteidigen, in welchem sich der Regierungssitz Jelzins und das russische Parlament befanden. Die GKTSCHP-Mitglieder belegte er mit Schimpfwörtern; am dritten Putschtag flog er zu G ­ orbatschow auf die Krim, um diesen unter den gebannten Blicken der Weltöffentlichkeit nach Moskau zurückzubringen. Zwanzig Jahre später sagte er dagegen, G ­ orbatschow habe da „eine Show veranstaltet“, die GKTSCHP-Mitglieder seien Patrioten gewesen.4 In einer einem Gerichtsverfahren ähnelnden Diskussionssendung des russischen Fernsehens RTR anlässlich des 20. Jahrestags des Putsches saß Ruzkoj auf der Seite der GKTSCHP-Mitglieder Baklanow, Jasow und Starodubzew und verteidigte deren Taten vom August 1991 vehement. Dieser vollständige Positionswechsel lässt sich vor allem dadurch erklären, dass Ruzkoj spätestens 1993 zu einem erbitterten Feind seines bisherigen Mitstreiters

Stellenwert der Interviews mit Hauptakteuren und Zeugen

Jelzin geworden war, der sich zwei Jahre zuvor gegen das Staatskomitee für den Ausnahmezustand (GKTSCHP) durchgesetzt hatte. Im Oktober 1993 gipfelte die Feindschaft zwischen dem russischen Präsidenten und Ruzkoj (sowie dem Obersten Sowjet) in einem blutigen Machtkampf mit dem Beschuss des russischen Parlaments durch Panzer. Ruzkoj ist aber keine Ausnahme. Die Lager von 1991 sind somit nicht politisch identisch mit denen in den Folgejahren. Einander widersprechende Aussagen oder sogar Positionsänderungen, was die Einschätzung des Putsches betrifft, liegen auch bei Jelzin vor, wie weiter unten dargelegt wird. Erinnerungsselektion, durch die – bewusst oder unbewusst – bestimmte Sachverhalte nur eingeschränkt wahrgenommen werden, ist ein weiteres Phänomen in diesem Zusammenhang. Auch war es 1991 vorteilhaft, auf der Seite der „Sieger“ zu stehen, die geholfen haben, das Sowjetimperium zum Einsturz zu bringen. In der Putin-Ära wurde dies zunehmend weniger opportun, als Putin sogar dazu überging, einige ehemalige Putschisten auszuzeichnen. Einige Gesprächspartner konnten eigene oder vermeintlich eigene widersprüchliche Aussagen, die in verschiedenen Quellen auftauchten, erläutern. Hinsichtlich der Quellenkritik und der Quelleninterpretation war vor allem die Frage von Bedeutung, wann, wo und in welchem psychologischen Umfeld die Quelle entstand und wer der Adressat war. Ein konkretes Beispiel, das die Bandbreite der möglichen Quelleninterpretation veranschaulicht, ist das folgende: ­Gorbatschow hat in seinem kleinen Museum, das sich in seiner Stiftung befindet, auch Dokumente und Gegenstände aus den Putschtagen ausstellen lassen. Dazu gehört ein handschriftlich geschriebener, flehentlich um Vergebung bittender Brief des Hauptdrahtziehers des Putsches – des KGB-Chefs Wladimir Krjutschkow. Dieser hatte den Brief in den ersten Tagen seines Gefängnisaufenthalts verfasst und ihn – mit unterwürfiger Selbstkritik versehen – an G ­ orbatschow geschickt. In Moskau wurde zu diesem Zeitpunkt darüber spekuliert, ob gegen die Putschisten nicht die Todesstrafe verhängt werden würde, was viele für wahrscheinlich hielten. ­Gorbatschow zitiert sehr häufig aus diesem Brief, wenn er auf den AugustPutsch angesprochen wird oder wieder Zweifel an seiner eigenen Rolle in diesen Ereignissen geäußert werden. Dieser Brief scheint eindeutig klarzumachen, wo die Schuld und die Verantwortung für das Geschehen vom August 1991 liegen. Jahre später und besonders nach dem Jahr 2000, als Krjutschkow von Wladimir Putin zu dessen Amtseinführung als russischer

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Präsident in den Kreml eingeladen worden war, war in Krjutschkows Stellungnahmen und Interviews zum August-Putsch 1991 nichts mehr von Selbstkritik zu vernehmen. Vielmehr richtete er verbale Anklagen in Richtung des ersten und letzten Sowjetpräsidenten und äußerte sein Bedauern, ­Gorbatschow nicht rechtzeitig vor Gericht gestellt zu haben. Der ReueBrief von 1991 hat daher nur eine geringe inhaltliche Relevanz. Eine kleine Hilfe bei der Bewältigung dieser großen Menge an einerseits widersprüchlichen und andererseits interessengesteuerten Aussagen, die geradezu ein Quellendickicht bilden, dürfte sein, dass der Verfasser im persönlichen Gespräch mit den Akteuren deren Reaktion, Mimik, Gestik und Stimme beobachten konnte. Dies dürfte die Gefahr von Fehlinterpretationen doch erheblich reduzieren.

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4 HINTERGRÜNDE UND MOTIVE FÜR DEN PUTSCH

Der Niedergang der sowjetischen Wirtschaft und die Erstarrung des politischen und gesellschaftlichen Systems, das durch das Kommando-­Prinzip geprägt war, begannen in der Spätphase der Ära Leonid Breschnew. Er regierte das Land von 1964 bis 1982. Zahlreiche Missernten, die enormen Verteidigungsausgaben in Konkurrenz zu den USA, eine kostspielige Unterstützung der sogenannten „Bruderstaaten“ sowie die Finanzierung kommunistischer Parteien und Bewegungen in kapitalistischen Staaten waren Anzeichen einer ernsten Krise, die kaum noch mithilfe der Propaganda verdeckt werden konnte. So bildete der elfte Fünfjahresplan (1981 – 1985) „ein historisches Tief in der Geschichte der Sowjetunion.“ 1 Versorgungsmangel, das sogenannte „Defizit“, sowie Schlangen vor den Geschäften waren also grundsätzlich keine Erscheinungen, die erst während der ­Gorbatschow-­Ära in das Leben der sowjetischen Bürger traten, wie häufig angenommen oder behauptet wird. Auch in den Bereichen Industrie, Computer- und Kommunikationstechnik wurde der Rückstand zum Westen Anfang der 1980er-Jahre immer größer. Die weiterhin betriebene Abschottung vom Ausland und die Versuche, westliche Einflüsse auf die sowjetischen Bürger zu unterbinden, ließen sich zunehmend schwerer durchsetzen. Die Diskrepanz zwischen der propagierten Ideologie und der gesellschaftlichen Wirklichkeit nahm zu und unterhöhlte das kommunistische Herrschaftssystem. Nach dem Tod Breschnews im November 1982 versuchte sein Nachfolger Juri Andropow, der 15 Jahre KGB-Chef gewesen war, Reformen auf den Weg zu bringen. Diese fanden zunächst ihren Niederschlag in Kampagnen für mehr Arbeitsdisziplin und in Versuchen, die Korruption zu bekämpfen. Es blieb bei Reformversuchen, denn Andropow war schon nach etwa einen halben Jahr im Amt des Generalsekretärs krankheitsbedingt nicht mehr handlungsfähig. Er verstarb im Februar 1984. Nachfolger wurde Konstantin Tschernenko, ein langjähriger Vertrauter Breschnews. Die Zeichen standen wieder auf Festigung des Parteiapparats und Reformunwilligkeit.

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Tschernenko, der schon sehr krank an die Macht gekommen war, personifizierte als Parteiapparatschik und Generalsekretär das degenerierte sowjetische Herrschaftssystem. Der für das Schicksal des Landes wohl wichtigste Impuls dürfte gewesen sein, dass seine dreizehnmonatige Amtszeit und sein Tod im März 1985 den Ausschlag für das Politbüro gaben, dieses Mal – schon aus politischem Selbsterhaltungstrieb heraus – einen bedeutend jüngeren Nachfolger zu wählen. Michail G ­ orbatschow, 54 Jahre alt, wurde am 11. März 1985 neuer Generalsekretär. Während er anfangs den Begriff „Uskorenije“ – Beschleunigung – häufig als politisches Schlagwort zur Beschreibung seiner programmatischen Ausrichtung benutzte, kamen danach „Glasnost“ (Offenheit)2 und „Perestrojka“ (Umbau) hinzu. Diese beiden Wörter setzten sich durch und waren schon in G ­ orbatschows zweitem Amtsjahr sowohl national als auch international als Synonyme für die politische Kursbeschreibung der Sowjetunion etabliert.3 Der politisch übergeordnete Begriff „Perestrojka“ stand für tief greifende Reformen in der Partei und in der Gesellschaft; mit mehr Glasnost sollten die Bürger für die Reformen mobilisiert werden; Missstände sollten benannt werden und Glasnost sollte helfen, den Mangel an Vertrauen seitens der Bevölkerung zu den Machthabern zu verringern. Die Intention G ­ orbatschows war, die Sowjetunion konkurrenzfähiger und das sozialistische System für die Menschen attraktiver zu machen. J­ oachim Holtz, der den Übergang der kurzen Regierungszeit ­Tschernenkos zu ­Gorbatschow und dessen Amtszeit als ständiger ZDF-Korrespondent bis 1990 in Moskau beobachtete, schrieb im vierten Jahr der Perestrojka analytisch zutreffend: „Die Verfassung und die ideologische Starrheit der sowjetischen Führung bewahrt die KPdSU vor Konkurrenz, das soll auch in Zukunft so bleiben. Es darf nur eine Partei geben, sie soll avantgardistisch und bewahrend sein. Regierung und Opposition zugleich. Der Vielfalt anderer Gesellschaften setzt ­Gorbatschow einen begrenzten ‚sozialis­ tischen Pluralismus‘ entgegen.“ 4 Seine Reformen sollten sich innerhalb der Systemgrenzen bewegen. Genau das gelang G ­ orbatschow allerdings nicht. Das Mehr an Freiheit war auf Dauer nicht in sozialistischen Bahnen zu halten und zu kontrollieren. Viele Bürger wollten zunehmend die ganze Freiheit. Die Forderungen nach nationaler Selbstbestimmung waren von den Herrschenden jahrzehntelang entweder unterdrückt oder als eine längst gelöste und damit obsolete politische Frage propagiert worden. Die Revolutionen in Ostmitteleuropa 1989 verstärkten die separatistischen Strömungen in der UdSSR, die vom Initiator zum Schlusslicht bei den

Hintergründe und Motive für den Putsch

politischen Veränderungen innerhalb des Warschauer Paktes geworden war. Neben den zahlreichen Bestrebungen nach Unabhängigkeit von Moskau und der Vielzahl von innersowjetischen Nationalitätenkonflikten in den Jahren 1988 bis 1991 waren vor allem die prekäre Lage der Wirtschaft sowie die Versorgungskrise die Hauptursachen für das völlige Scheitern der von ­Gorbatschow anvisierten Reformen. Die von anderen Autoren vorgetragene Kritik, Gorbatschow habe kein ausgereiftes Reformkonzept gehabt, laufen allerdings ins Leere. Angesichts der gigantischen Aufgabe, angesichts all der Unwägbarkeiten und unkalkulierbaren Risiken, angesichts der beispiellosen Größe und Komplexität des Landes hätte er es schwerlich vorlegen können. Heinz Brahm stellte in diesem Zusammenhang fest: „Der neuen Führung im Kreml fehlten oft die simpelsten Daten, die für eine zuverlässige Diagnose und Therapie der Sowjetgesellschaft nötig gewesen wären. Man experimentierte daher mit immer neuen Reformplänen und endete in einem solchen Chaos, dass man schließlich nur noch in der Marktwirtschaft einen Ausweg aus der Krise sah.“ 5 ­Gorbatschows ideologisch untermauerte Perestrojka, wie sie von ihm selbst formuliert und ursprüng­lich propagiert worden war, blieb aber ein uneingelöstes Versprechen. Insofern bildete sie weder den Hintergrund noch ein Motiv für den gescheiterten Putsch von 1991 – im Gegenteil: Hätte die Perestrojka Erfolg gehabt, wäre der Boden für den Versuch der Putschisten, die Macht zu ergreifen, nicht vorbereitet gewesen. Es war vielmehr die übergroße Diskrepanz zwischen Idee und Wirklichkeit der Perestrojka-­Politik, die die Putschisten zu ihrem Handeln bewegte. In diesem Kontext seien hier die grundlegenden Prinzipien der ­­Gorbatschow’schen Perestrojka in Bezug auf die sowjetische Innenpolitik in Erinnerung gerufen. Damit soll aufgezeigt werden, dass G ­ orbatschow und seine von ihm selbst ausgesuchten Führungsmitglieder, die später zu Putschisten wurden, zumindest in ideologischer Hinsicht ursprünglich weitgehend identische Zielvorstellungen hatten. Gegen Ende des dritten Jahres im Amt des Generalsekretärs der KPdSU ließ ­Gorbatschow im November 1987 sein Buch „Perestrojka“ weltweit veröffentlichen. Die ideologische Quelle für die Perestrojka sei Lenin, schrieb er. In der Sprache eines überzeugten Parteifunktionärs und Kommunisten führte er wörtlich aus: „Gerade sein Vorbild ist uns ein unsterbliches Beispiel für hohe moralische Stärke, umfassende Bildung und selbstlose Hingabe an die Sache des Volkes und des Sozialismus. […] Lenin lebt weiter in den Köpfen und Herzen von Millionen von Menschen. […] Die Rückbesinnung auf Lenin 6

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hat Partei und Gesellschaft beflügelt, Erklärungen und Antworten auf die neu aufgeworfenen Fragen zu finden.“ 7 Und diametral entgegengesetzt zu seinen gut zwei Jahre später tatsächlich praktizierten politischen Schritten hatte er ausgegeben: „Die Ziele der Perestrojka, die für das Land und den Sozialismus von entscheidender Bedeutung sind, erfordern die Stärkung der Führungsrolle der Partei […].“ 8 Die Ideologie und das Machtmonopol der KPdSU standen für den Generalsekretär demnach nicht nur nicht zur Diskussion oder gar zur Disposition; im Gegenteil: Er wollte ursprünglich beides sogar stärken. Des Weiteren wollte er mit seiner Perestrojka auch an zwei weiteren Pfeilern des Sowjetsystems keinesfalls rütteln: am zentralistischen Staat und an der zentralistischen Planwirtschaft. In seinem Buch, mit dem er sich, wie er schrieb, „direkt an die Bevölkerung in der UdSSR, in den USA und in allen anderen Ländern“ 9 wenden wollte, hatte er – nachdem die Perestrojka schon fast drei Jahre im Gange war – geschrieben: „Der von V. I. Lenin begründete sozialistische Sowjetstaat verkörpert den revolutionären Willen und die revolutionären Ziele einer multinationalen Familie. […] Eine neue historische Gemeinschaft – das sowje­ tische Volk – ist entstanden. […] Die Parteikonferenz hält es für eine Aufgabe von historischer Bedeutung, Lenins Normen und Prinzipien der Nationalitätenpolitik beharrlich zu verfolgen […] auf der Grundlage unserer internationalistischen Ideologie […].“ 10 Den bereits damals in der Sowjetunion aufgekommenen Forderungen nach einer Aufgabe der Planwirtschaft erteilte er eine scharfe Absage: „Das können wir allerdings nicht zulassen, weil wir den Sozialismus stärken und nicht durch ein anderes System ersetzen wollen. Was uns vom Westen angeboten wird, von einem anderen Wirtschaftssystem, ist für uns inakzeptabel […]. Wir sind davon überzeugt, dass der Sozialismus weit mehr erreichen kann als der Kapitalismus, wenn wir tatsächlich das Potential des Sozialismus mobilisieren und […] die Vorteile unserer Planwirtschaft nutzen.“ 11 Durchaus nachvollziehbar hatte aus Sicht der Putschisten ­Gorbatschow nach und nach Verrat an den von ihm selbst hochgehaltenen und propagierten Prinzipien und Zielen begangen, da seine Politik dann tatsächlich nicht auf eine Reform des Systems, sondern auf dessen Abschaffung hinauslief. Nachdem das Parteimonopol Anfang 1990 gefallen war, wurde schon im Sommer die Einführung der Marktwirtschaft ernsthaft diskutiert und sogar beinahe beschlossen. Doch selbst in der Spätphase seiner Amtszeit hielt G ­ orbatschow unbeirrt am Leninismus als der staatstragenden Ideologie fest, auch wenn dieser seine Rolle im Land längst verloren

Hintergründe und Motive für den Putsch

hatte. Zum 120. Geburtstag Lenins im April 1990 hielt er eine Rede mit dem Titel: „Ein Wort zu Lenin“, in der er versicherte, sich von Lenin abzuwenden heiße, „die Wurzeln der Gesellschaft und des Staates abzutrennen und das Denken und Fühlen von Generationen zu verwüsten.“ 12 Der damalige Regierungschef Chinas, Li Peng, führte am Ende seines Besuchs in Moskau am 25. April 1990 aus, dass der sowjetische Präsident den Willen Moskaus betont habe, „an Lenins Pfad“ festzuhalten.13 In seinen Memoiren von 2012 weicht G ­ orbatschow von seinem in seiner Amtszeit propagierten Verständnis der Perestrojka als Fortführung der Oktoberrevolution („Perestrojka – prodolženie Oktjabrja“) ab: „Jetzt sage ich: diese Aussage hatte etwas Wahres, sie enthielt aber auch Irrtümliches. Heute bin ich vorsichtiger bezüglich einer Analogie zwischen der Oktoberrevolution und der Perestrojka.“ 14 In der Sowjetunion bestand schon ab 1987 eine enorme Diskrepanz zwischen der propagierten Linie sowie den Zielen der G ­ orbatschow-Führung einerseits und der politischen Wirklichkeit andererseits. Diese Schere ging immer weiter auseinander. Demnach war die Perestrojka schon spätestens 1990 in ihrem jahrelang zuvor von ­Gorbatschow selbst propagierten Sinne, nämlich als Politik der Erneuerung und Stärkung des Sozialismus und der UdSSR, vollends gescheitert. Von besonderer Bedeutung für die Putschisten sollte ­Gorbatschows völlige Aufgabe seiner Positionen in der Nationalitätenpolitik und in der Frage der Souveränitäts- und Unabhängigkeitsbestrebungen der Republiken werden. Sichtbares Zeichen dafür war allein die Tatsache, dass ­Gorbatschow diese Bestrebungen ab Frühjahr 1991 als verhandelbar ansah. Dies bedeutete gleichzeitig eine klare Absage an Gewaltmaßnahmen als Mittel für den Zusammenhalt der Union, wie er sie bis dahin zumindest geduldet, wenn nicht sogar selbst sanktioniert hatte. In der Erklärung des GKTSCHP „An das sowjetische Volk“, die am 19. August 1991 im sowjetischen Fernsehen ständig wiederholt wurde, lag der Schwerpunkt auf der Beschreibung der zu diesem Zeitpunkt in der Tat unleugbaren katastrophalen wirtschaftlichen Lage im Land, ferner auf der faktischen Unregierbarkeit des Landes aufgrund des „Kriegs der Gesetze“ zwischen der Zentralregierung und der russischen Regierung unter Boris Jelzin, auf der Gefahr des Zerfalls des Staates, die verhindert werden müsse, sowie auf der Notwendigkeit, Ordnung zu schaffen. Ein jeweils kleiner Auszug aus der „Erklärung der Sowjetführung“ und der Erklärung „An das sowjetische Volk“, beide am 19. August 1991 veröffentlicht und von den sowjetischen Massenmedien verbreitet, soll die öffentlich

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vorgegebenen Hauptmotive der Putschisten umreißen: „Die auf Initiative von Michail ­Gorbatschow begonnene Reformpolitik, die gedacht war, die dynamische Entwicklung unseres Landes […] zu gewährleisten, ist aus einer Reihe von Gründen in eine Sackgasse gelangt. Der anfängliche Enthusiasmus ist von Verzagtheit, Apathie und Verzweiflung abgelöst worden. […] Das Land wurde im Grunde genommen unregierbar. Wenn wir nicht schleunigst entschlossene Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft treffen, dann sind in kürzester Zeit Hunger und eine weitere Drehung der Verelendungsspirale unausweichlich […].“ 15 Die Verhängung des Ausnahmezustands in „einzelnen Gebieten“ der UdSSR wurde begründet mit der Absicht, „Chaos und Anarchie, die das Leben und die Sicherheit der Bürger der Sowjetunion […] und die Unversehrtheit des Territoriums […] bedrohen zu beenden.“ 16 Neben den öffentlich vorgegebenen Motiven gab es eine Reihe weiterer – politisch differenzierter – Gründe, die die Putschisten antrieben. Ebenso lagen bei einem Teil des GKTSCHP auch oder vor allem persönliche Motive vor.

4.1 G ­ orbatschows Machterosion und Orientierungslosigkeit 1990/1991 Die Freiheits- und Unabhängigkeitsbewegungen in den baltischen und in den südlichen Sowjetrepubliken gewannen an Zulauf und forderten die Zentrale in Moskau immer mehr heraus. Die Führung unter Generalsekretär ­Gorbatschow schickte am 19. und 20. Januar 1990 Panzer in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku. Das sowjetische Militär schoss auf überwiegend unbewaffnete Demonstranten. Nachdem die Meldungen über den Militäreinsatz um die Welt gegangen waren, rechtfertigte ­­Gorbatschow im sowjetischen Fernsehen die Gewalt, stritt eine Sanktionierung nicht ab und sagte: „Der Staat hatte die Pflicht, den Völkern Sicherheit und Frieden zurückzugeben.“ 17 Im Gegensatz dazu bestritt er die Verantwortung für und sogar die Kenntnis vom Gewalteinsatz fast genau ein Jahr später, als der Angriff der sowjetischen Armee in Vilnius 13 litauische Bürger das Leben kostete. In Baku kamen mit 121 Opfern fast zehn Mal so viele Bürger um, doch war eine spürbare Empörung im Westen im Fall Aserbaidschans nicht zu vernehmen.18 Neben dem Freiheitswillen der Völker, mit dem sich G ­ orbatschow konfrontiert sah, kämpfte er innenpolitisch zum einen gegen den Machtverlust

­Gorbatschows Machterosion und Orientierungslosigkeit 1990/199

der KPdSU. Die Aufgabe des in Artikel 6 der Verfassung festgeschriebenen Machtmonopols der Kommunistischen Partei musste er Anfang 1990 widerwillig hinnehmen und sich den neuen Realitäten beugen. Noch im Dezember 1989 geriet er im Volksdeputiertenkongress mit Andrej Sacharow in dieser Frage aneinander. Den argumentativen Schlagabtausch beendete ­Gorbatschow, indem er dem Physiker und Friedensnobelpreisträger das Wort entzog. Doch die Position der KPdSU und ihres Generalsekretärs hatte mit der politischen Wirklichkeit nicht mehr viel gemein, da zu diesem Zeitpunkt schon zahlreiche Parteien und Bewegungen existierten. Hunderttausende demonstrierten in Moskau für die Abschaffung des Artikels 6 in der Verfassung. Das ZK beschloss schließlich Anfang Februar 1990, das Machtmonopol aufzugeben und das Amt des sowjetischen Präsidenten einzuführen. Zum anderen kämpfte G ­ orbatschow innenpolitisch vergeblich gegen den Aufstieg von Boris Jelzin, der im Mai 1990 zum Vorsitzenden des Obersten Sowjets der Sowjetrepublik Russland gewählt wurde. Dies führte bald zu einem „Krieg der Gesetze“.19 Schließlich und möglicherweise entscheidend für G ­ orbatschows Machtund Autoritätsverlust war seine widersprüchliche und konzeptionslose Wirtschaftspolitik, die viele Bürger an den Rand des Existenzminimums brachte. Er sprach von „sozialistischer Marktwirtschaft“, war einmal für die Abschaffung der Planwirtschaft, dann wieder dagegen. Der interna­ tional renommierte Ökonom Grigori Jawlinski, der 1990 mit der Ausarbeitung eines Wirtschaftskonzepts beauftragt wurde, das den Übergang zur Marktwirtschaft ebnen sollte („500-Tage-Plan“), legte seinen Beraterposten entnervt nieder. Zwanzig Jahre später konstatierte er: „­Gorbatschow hatte wie alle Generalsekretäre der KPdSU keine Ahnung von Wirtschaft. Er wollte ein bisschen Marktwirtschaft. Aber so funktioniert das nicht. Ebenso wenig wie ‚ein bisschen schwanger‘ funktioniert.“ 20 In Moskau wurden 1990 Lebensmittelkarten eingeführt; G ­ orbatschow bat im Ausland ständig um Kredite, und der Westen schickte neben finanzieller Hilfe im Herbst 1990 auch Lebensmittelpakete. In Deutschland gab es öffentlich groß angelegte Initiativen wie „Helft Russland“.21 Schon im Juni 1990 drohte der Supermacht Sowjetunion nach Angaben von Horst Teltschik, dem außenpolitischen Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl, die Zahlungsunfähigkeit. Diese Information musste aber geheim gehalten werden, um die internationale Kreditwürdigkeit der Sowjetunion nicht weiter zu beschädigen.22 Im Herbst versuchte G ­ orbatschow seinen Bürgern zu erklären, man sei in eine neue und entscheidende Etappe der Perestrojka

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getreten.23 Diese Ankündigung machte die Bevölkerung jedoch nur zunehmend aggressiv gegenüber ihrem Präsidenten, dem das Staatsruder entglitten war. Der sowjetische Ministerpräsident Nikolai Ryschkow (1985 – 1990) stellte in unverhohlener Kritik an ­Gorbatschow am 19. Dezember 1990 in einer Rede vor dem Volksdeputiertenkongress fest, dass die Perestrojka gescheitert sei, viele Strukturen zerstört habe und diese Strukturen durch nichts Funktionierendes ersetzt worden seien. Schon Anfang Dezember 1990 hatte er G ­ orbatschow vertraulich mitgeteilt, dass er sein Amt aufgeben würde. Seinen Herzinfarkt erlitt er erst Wochen später; die Krankheit war eben gerade nicht – wie allgemein verbreitet – der Grund für den Rücktritt gewesen.24 Ein selbstbestimmter Rückzug Ryschkows ist allerdings recht zweifelhaft. Auf einer Sitzung des Politbüros, dessen Protokolle damals als „streng geheim“ deklariert wurden, die jedoch seit Längerem im Russischen Staatsarchiv für Neuere Geschichte einsehbar sind, stellte ­­Gorbatschow das sowjetische Kabinett samt Ministerpräsidenten angesichts der dramatischen Wirtschaftslage und angesichts der Angriffe seitens des Jelzin-­ Lagers zur Disposition. Die Wortmeldungen der Politbüro-Mitglieder waren einhellig negativ, wenn auch vereinzelt Sympathie für Ryschkow als Mensch anklang.25 Ungeachtet dessen, dass der Bedeutungsverlust des Politbüros des ZK der KPdSU im Jahr 1990 schon weit fortgeschritten war, sah sich der Generalsekretär heftiger Kritik seiner Mitglieder ausgesetzt. Die Protokolle einiger Wortwechsel aus den Sitzungen jener Periode illustrieren ­Gorbatschows Autoritätsverlust, aber auch seine politisch weitgehend isolierte Lage, in die er sich selbst hineinmanövriert hatte. Teilweise ist den Repliken des Generalsekretärs sogar etwas Verzweiflung zu entnehmen. Als Beispiel sei ein Auszug der Sitzung vom 16. November 1990 angeführt: Politbüromitglied W. Mobsesjan: „Es gibt keine Rechtsordnung mehr und es herrscht Gesetzlosigkeit.“ Politbüromitglied I.  Poloskow: „Ihr [­­Gorbatschows] Fehler besteht darin – und ich sage das hier im Kreis von Gleichgesinnten –, dass Sie die Perestrojka mit der Zerstörung des Fundaments begonnen haben, auf dem die Partei basierte.“ ­Gorbatschow: „Was redest du da?“ Poloskow: „Ihre Schuld besteht darin, dass Sie sich auch jetzt nicht auf die Partei stützen.“ ­Gorbatschow: „Ja, ich habe nichts mehr, auf das ich mich stützen könnte! Den Apparat gibt es nicht mehr. Die Regierung steht allein für sich. Strukturen auf der Präsidentenebene gibt es nicht. Die Einzigen, an denen ich mich festhalte, seid ihr. Eigentlich

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sollte ich mich als Präsident darauf nicht einlassen; aber in Wirklichkeit habe ich ja keine andere Stütze mehr.“ 26 Am 20. Dezember 1990 trat der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse zurück, und er tat dies während seiner Rede vor dem Volksdeputiertenkongress. Weltweite Besorgnis verursachte seine Warnung vor einer nicht näher spezifizierten „Diktatur, die kommen wird“. Armut, Anarchie und Agonie – so stellte sich 1990/1991 die Situation im Land dar, und so sahen für viele auch die Zukunftsperspektiven aus.27 Viele von ­Gorbatschows Mitstreitern hielten noch bis zum späten Frühjahr 1991 still, zumal sie durch verschiedene Handlungen und öffentliche Äußerungen des sowjetischen Präsidenten durchaus glauben konnten, er werde zumindest den Zerfall des Imperiums nicht zulassen. Dazu gehört vor allem ­Gorbatschows Haltung bei der Niederschlagung der Demokratie- und Unabhängigkeitsbewegung in der litauischen Hauptstadt Vilnius 1991. Selbst wenn er – wie er später behauptete – nichts davon gewusst hatte, so suchte er nach dem Militäreinsatz, bei dem 13 Zivilisten und ein Kämpfer der KGB -Eliteeinheit „Alpha“ ums Leben gekommen waren, nicht nach den Verantwortlichen, von einer Bestrafung der Schuldigen ganz zu schweigen. Außerdem verband ihn mit den späteren Putschisten die gemeinsame Ablehnung, ja Feindschaft gegenüber dem inzwischen starken Mann Russlands – Boris Jelzin. Auf seine Planspiele im Hinblick auf die Verhängung des Ausnahmezustandes, die die Putschisten ebenfalls in ihrem Glauben bestärkt haben dürften, er werde den Zerfall des Staates nicht zulassen, wird weiter unten ausführlicher eingegangen. G ­ orbatschow griff die demokratische Opposition am 26. Februar 1991 scharf an, was einer Verunglimpfung gleichkam. Er warf den „sogenannten Demokraten“ vor, sie seien im Grunde eine „rechte Opposition“, da sie „die sozialistische Idee ablehnen“ und eine kapitalistische Gesellschaft schaffen wollten.28 Die politische Entfremdung von den Putschisten setzte ein, als er im April 1991 in Nowo-Ogarewo bei Moskau mit den unionstreuen Republiken die Verhandlungen über einen neuen Unionsvertrag aufnahm. Doch dies bedeutete noch lange keinen Bruch mit den späteren Putschisten. Es mag bizarr klingen, doch KGB-Chef Krjutschkow und Verteidigungsminister Jasow gehörten bis zum 18. August 1991 nach wie vor zu seinen engsten Vertrauten. Ihnen beiden habe er am meisten vertraut, sagte ­Gorbatschow auf der internationalen Pressekonferenz in Moskau am 22. August 1991 unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Foros. Auch KPdSU-Kaderchef Oleg Schenin, seit 1990 Politbüro-Mitglied, war ein Vertrauter des Präsidenten.

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­Gorbatschow hatte ihn sogar aus dem sibirischen Krasnojarsk nach Moskau geholt, wo er der lokale Parteichef gewesen war. Neben dem drohenden Zerfall der Sowjetunion war die katastrophale wirtschaftliche Lage das zweite große Problem. Weiter finanzielle Hilfe im Ausland suchend, bat ­Gorbatschow als Gast auf dem G7-Gipfel in London Mitte Juli 1991 – flehentlich und unwirsch zugleich – um Milliardenkredite für die Sowjetunion, wie der damalige US-Botschafter Jack F. Matlock schreibt und dabei ­Gorbatschows loyalen und engsten außenpolitischen Berater Anatoli Tschernajew zitiert.29 Präsident George Bush sen. und die anderen Führer westlicher Industriestaaten hatten weitere Hilfen davon abhängig gemacht, dass ­Gorbatschow ein schlüssiges Wirtschaftskonzept vorlegte, was dieser offensichtlich nicht getan hatte. Seiner Enttäuschung machte er schließlich in einem separaten Gipfelgespräch mit Bush sen. Luft. Tschernajew, der in London Zeuge der Vorwürfe G ­ orbatschows gegenüber dem amerikanischen Präsidenten war, die USA würden für alles Mögliche Geld ausgeben, der Sowjetunion in dieser schwierigen Phase aber Hilfe verweigern, beschreibt die Situation folgendermaßen: „Es war das Wehklagen eines verzweifelten Mannes, dem die Kontrolle über sein Land sichtbar entglitt. Und was noch mehr irritierte: Es war das Gejammer eines Mannes, der gar nicht mehr wusste, wohin er wollte und was er erreichen wollte.“ 30 Bush habe nach Angaben zweier amerikanischer Delegationsteilnehmer bei seiner Rückkehr nach Washington G ­ orbatschows Ausbruch intern mit den Worten kommentiert: „Er war immer sein eigener bester Verkäufer. Aber diesmal nicht. Ich frage mich, ob er nicht inzwischen den Überblick und den Anschluss an die Entwicklungen verloren hat.“ 31 Festzuhalten ist, dass G ­ orbatschow innenpolitisch in den Monaten vor dem Putsch in einer desperaten Lage war. Glaubwürdigkeit, Sympathie und Autorität hatte er bei der sowjetischen Bevölkerung weitgehend verspielt. Die Perestrojka war für die meisten Sowjetbürger zu einer Worthülse verkommen. In ihrem Präsidenten sahen sie vor allem jemanden, der ihre persönliche Wirtschaftsmisere verursacht und das Land ruiniert hatte. Eben auch auf diese extreme Unpopularität G ­ orbatschows bei der Bevölkerung bauten die Putschisten, als sie im August 1991 zur Tat schritten. Dieser zweifellos vorhandene Verdruss der Bürger über ihren viel redenden und das Chaos verwaltenden Präsidenten machte die Putschisten neben anderen Gründen glauben, sie würden siegen. Sie rechneten laut Oleg Baklanow sogar ganz fest mit einer breiten Unterstützung seitens der Bevölkerung.32

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Putschwarnungen Es gab in der Sowjetunion bis zum August 1991 drei Phasen von öffentlichen Putschgerüchten oder Putschwarnungen. Diese Gerüchte und Warnungen basierten auf der sich dramatisch zuspitzenden Wirtschafts- und Versorgungskrise in der UdSSR im Sommer und Herbst 1990 sowie auf der sich verschärfenden Konfrontation zwischen dem Lager der Demokraten um Boris Jelzin und dem Lager der sowjetischen Systembewahrer. Beide politischen Gruppierungen warfen sich gegenseitig vor, einen Putsch zu planen. Auch die deutsche Bundesregierung machte sich große Sorgen. Bundeskanzler Kohl schrieb in seinen Memoiren: „Die bange Frage nach der Zukunft des Riesenreiches bewegte uns im Westen außerordentlich. Auch innerhalb des Bonner Regierungsbündnisses wurde stundenlang über die Gefahr eines möglichen Putsches diskutiert.“ 33 Der Grund für diese Sorgen war vor allem die noch vorhandene Präsenz von rund 300.000 sowjetischen Soldaten und Offizieren in der im Sommer 1990 im Untergang befind­lichen DDR; mit den Familienangehörigen befanden sich dort noch rund 500.000 Sowjetbürger. Im Juli 1990 hatten Kohl und G ­ orbatschow zwar vereinbart, dass die Rückführung der sowjetischen Soldaten, ihrer Familien und der Militärtechnik bis 1994 abgeschlossen sein müsse. Doch auch nach Abschluss des Zwei-plus-vier-Vertrages in Moskau am 12. September 1990, mit dem die Bundesrepublik ihre volle Souveränität zurückerhielt, waren diese Vereinbarungen und Verträge völkerrechtlich noch nicht verbindlich. Der Oberste Sowjet der UdSSR musste – ebenso wie die Parlamente der anderen drei Besatzungsmächte (USA, Großbritannien und Frankreich) – die Verträge noch annehmen. Endgültig wurden diese Verträge vom Obersten Sowjet der UdSSR am 2. April 1991 ratifiziert.34 Die erste Phase verstärkter Umsturzwarnungen begann in der ersten Septemberhälfte 1990, als Zeitungen wie die Literaturnaja Gaseta, die ­Komsomolskaja Prawda oder die Moskowskie Nowosti vor einem Putsch warnten, namentlich durch das Militär.35 Das Land stand vor einer fundamentalen Richtungsentscheidung: Am 10. September 1990 begann auf der an diesem Tag eröffneten Herbstsitzungsperiode des sowjetischen Parlaments die erbittert geführte Debatte über die Frage, ob die Planwirtschaft das Leitmodell bleiben oder aber die Marktwirtschaft mit der Zulassung von Privateigentum eingeführt werden sollte, was auf die gesetzlich abgesicherte Einführung des Kapitalismus hinausgelaufen wäre.36 Die damals einflussreiche Wochenzeitung Moskowskie Nowosti veröffentlichte sogar einen Ablaufplan für den „Tag X“, an dem die Macht an

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die Militärs übergeben werden würde. Die Begründung würde lauten, dass „­Gorbatschow das Land in den Ruin geführt, die Wirtschaft zum Verfall gebracht und die Ideale des Sozialismus verraten hätte.“ 37 In mehreren anderen Zeitungsberichten war die Rede von angeblich ungewöhnlichen Truppenbewegungen vor Moskau. Befeuert wurden diese Gerüchte im Obersten Sowjet, als der Abgeordnete Sergej Beloserzew von diesen angeblich verdächtigen Truppenbewegungen bei Moskau berichtete und eine Erklärung verlangte.38 Oberst Sergej Kudinow, der Mitte September 1990 von seinem Amt als Kommandant einer Militärschule in Rjasan entbunden worden war, behauptete, die um den 9. September 1990 stationierten Truppen vor Moskau seien „in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt worden […] und auf ein außergewöhnliches Ereignis vorbereitet worden.“ 39 ­Gorbatschow forderte Oberst Kudinow daraufhin auf, die Quellen und Informanten für seine Darstellung zu benennen.40 Danach wurde sogar der Verteidigungsausschuss des Parlaments mit einer Untersuchung beauftragt, ob es ungewöhnliche Truppenbewegungen und eine erhöhte Alarmbereitschaft gegeben habe.41 Dies bedeutet, dass im Frühherbst 1990 Putschgerüchte und Putschwarnungen die Parlamentsebene erreicht hatten und nicht mehr nur Gegenstand von Erörterungen in den Medien geblieben waren. Verteidigungsminister Jasow gab in dieser Phase mindestens vier Mal öffentliche Stellungnahmen ab, in denen er Putschabsichten entschieden zurückwies, und zwar am 19., 26. und 29. September sowie am 19. Oktober 1990.42 „Alle Informationen in Presse und im Fernsehen, das Militär bereite angeblich einen Umsturz vor, sind unsinnig und entbehren jeder Grundlage“, sagte er in den Hauptnachrichten des sowjetischen Fernsehens am 19. September. Die Soldaten würden bei der Ernte helfen, lautete seine Begründung für die erhöhte Truppenpräsenz bei Moskau. Die abkommandierten Fallschirmjäger hätten sich zu Übungen zur Vorbereitung der Militärparade anlässlich der Feierlichkeiten der Oktoberrevolution dort aufgehalten. Ihre partielle Bewaffnung rechtfertigte er damit, dass die Soldaten für plötz­ liche Einsätze in Krisenherden hätten gewappnet sein sollen. Denn es hätte Fälle gegeben, in denen sie zu spät gekommen seien, was dann öffentlich kritisiert worden sei. Dass Soldaten zur Hilfe bei der Ernte herangezogen wurden, war in der Sowjetunion in der Tat gang und gäbe, ebenso Übungen von Militärparaden. Dies hatte bis dahin niemals Anlass zu Spekulationen oder Unterstellungen gegeben. Rotarmisten wurden schon in der Stalin-Zeit beim Bau von Eisenbahnen, Brücken oder anderen Objekten

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eingesetzt, unter Chruschtschow setzte der massive Einsatz von Bausoldaten im zivilen Sektor ein. Unter Breschnew schließlich wurde auf die Armee als Stütze bei der Einbringung der Ernte zurückgegriffen.43 Für die Version der Hilfe bei der Ernte hätte gesprochen, dass es 1990 große Probleme gab, sie einzufahren, weil sich das Land zu diesem Zeitpunkt in einem Zustand der faktischen Anarchie befand. Ein Hungerwinter drohte, westliche Länder schickten bedeutende Lebensmittelhilfen. Gegen einen beabsichtigten Putsch spricht, dass die eingesetzte Kommission des Parlaments, die die angeblich verdächtigen Truppenbewegungen untersuchte, keine Ergebnisse in diese Richtung vorlegte. Im Parlament Russlands brachte man die Truppenbewegungen vom 9. bis 13. September mit der Eröffnung der Herbstsitzungsperiode des Parlaments der UdSSR in Verbindung; die versprach, turbulent zu werden. Möglicherweise in Anspielung darauf sagte Jasow: „Es gab keine Verlegungen, um Leute zu erschrecken oder mit der Absicht, Truppen für staatsfeindliche oder andere Betätigungen zusammenzuziehen.“ 44 Die Aktivierung von Fallschirm­jägern spricht allerdings dafür, dass es sich wegen der höchst angespannten Lage im Zusammenhang mit der bevorstehenden Parlamentsdebatte, bei der faktisch die gesellschaftliche und wirtschaftliche Systemfrage verhandelt wurde, um präventive Maßnahmen für eine mögliche Eskalation der Ereignisse handelte. Das politische Moskau war zu sehr mit sich selbst und der akuten Krise im eigenen Land befasst. Die Prioritäten lagen zu diesem Zeitpunkt sicher nicht bei außenpolitischen Fragen.45 Dass ein Militärputsch zu diesem Zeitpunkt in Planung gewesen sein könnte, erscheint sogar ausgeschlossen. Jasow, der ein Jahr später zwar den Putsch-Planungen des KGB-Chefs folgte, zeigte keinerlei eigene Energie und eigenen Antrieb für einen Umsturz. Er war es auch, der den Truppenrückzug aus der Innenstadt Moskaus – gegen den Willen einer Reihe von Mitgliedern des GKTSCHP – am 21. August 1991 anordnete. Jasow blieb auch im Herbst 1990 weiter auf G ­ orbatschow-­Kurs und kündigte zum Beispiel bei einer Pressekonferenz in Moskau mit seinem amerikanischen Amtskollegen Richard Cheney weitere drastische Abrüstungsschritte an: Mit dem Abschluss des START-Vertrages über die Halbierung der strategischen Waffen sagte die UdSSR zu, die Produktion dieser Waffen um die Hälfte zu reduzieren.46 Bei dieser Gelegenheit ging er zum letzten Mal öffentlich auf die angeblich verdächtigen Truppenbewegungen in der zweiten Septemberwoche 1990 ein. Gerüchte über einen Putsch durch die Streitkräfte wies er entschieden zurück. Damit solle die Armee diskreditiert

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werden. Und wörtlich fügte er hinzu, was im Hinblick auf den August 1991 von entscheidender Bedeutung werden sollte: „Die Streitkräfte der Sowjetunion sind Teil des Volkes, und wir werden nie die Waffen gegen das Volk erheben.“ 47 Die erste der oben erwähnten drei Phasen der Putschgerüchte und Warnungen ging Mitte November 1990 zu Ende. Sie war mit den vermeintlich verdächtigen Truppenbewegungen aufgekommen und bezog sich nur auf diese. ­Gorbatschow nahm schließlich auch zu ihnen Stellung. Bei einer Rede vor Armeeangehörigen rief er die rund eintausend anwesenden Offiziere auf, jegliche Spekulationen über einen möglichen Militärputsch zurückzuweisen. Die amtliche sowjetische Nachrichtenagentur TASS fasste unter anderem zusammen: „Der Präsident wehrte sich gegen Versuche, der Armee böswillige Pläne zu unterstellen.“ 48 In der Phase von September bis November konterten die Systembewahrer mit Unterstellungen gegenüber den demokratischen Kräften, sie würden den Sturz der Regierung planen und versuchen, die Macht zu ergreifen. Bemerkenswert ist dabei, dass diese schwerwiegenden Vorwürfe von der amtlichen Nachrichtenagentur TASS erhoben wurden und somit sehr wahrscheinlich mit dem sowjetischen Präsidialamt abgestimmt waren. Am 25. September 1990 warf TASS den radikalen Kritikern der KPdSU vor, sie wollten die Nahrungsmittelknappheit dazu ausnutzen, den sowjetischen Präsidenten zu stürzen. In den von den „Radikalen“ geführten Städten sei dies Teil eines Plans, die allgemeine Unzufriedenheit anzustacheln und den Weg für einen „konterrevolutionären Staatsstreich“ zu ebnen. Namentlich erwähnt wurde dabei der Moskauer Oberbürgermeister Gawril Popow.49 Er war zu diesem Zeitpunkt ein Verbündeter Jelzins. Die orthodoxen Parteizeitungen, wie zum Beispiel die Prawda oder die Sowetskaja Rossija, bekräftigten diese Vorwürfe kurze Zeit später; sogar ein Ausschuss des russischen Parlaments sollte diesen angeblichen Putschplänen nachgehen.50 Auch hier sind keinerlei Ergebnisse bekannt. Ganz offensichtlich waren dies politische Inszenierungen im Ringen mit den politischen Feinden. All diese Gerüchte, Warnungen und Unterstellungen auf beiden Seiten zeigen aber deutlich, wie spannungsgeladen die innenpolitische Lage der UdSSR spätestens seit dem Herbst 1990 war. Die zweite Phase der Putschwarnungen setzte mit dem spektakulären, überraschenden und öffentlich vor dem sowjetischen Volksdeputiertenkongress verkündeten Rücktritt des sowjetischen Außenministers Eduard Schewardnadse ein, als er gleichzeitig vor einer in naher Zukunft drohenden Diktatur sprach. Dies geschah am 20. Dezember 1990 und gab nun verstärkt

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auch im Ausland Anlass zu Spekulationen. ­Gorbatschow geriet selbst in den Verdacht, sich an die Spitze einer rückwärtsgewandten Politik stellen zu können. Boris Jelzin sah in den neuen Warnungen vor einem Putsch hingegen ein „Zweckgerücht“, mit dem sein Widersacher G ­ orbatschow die Anhäufung von Sondervollmachten rechtfertige.51 Dass die Frequenz der Warnungen in den nächsten sechs Monaten bis Mitte Juni 1991 abnahm, lag wahrscheinlich auch daran, dass ein gewisser Ermüdungseffekt eingetreten war. Schewardnadse wiederholte noch einmal Ende April 1991 vor Mitgliedern des Moskauer Verbandes der Auslandskorrespondenten, dass ein Putsch drohe.52 Vier Monate vor dem Putsch antwortete Verteidigungsminister Jasow in einem Interview mit der italienischen Zeitung Il Giorno auf die Frage, ob die sowjetischen Streitkräfte einen Putsch verüben könnten, dass „solche Behauptungen pure Erfindung sind und jeder Grundlage entbehren.“ 53 Die dritte und letzte Phase der Putschgerüchte und Putschwarnungen hatte eine neue Qualität, da sich die politische Konfrontation der beiden Lager verschärft hatte und die späteren Putschisten nun auch ­­Gorbatschow herausforderten angesichts der sich abzeichnenden Einigung über den Unionsvertrag mit Jelzin und dessen Wahl zum Präsidenten Russlands durch das Volk. Am 17. Juni 1991, fünf Tage nach Jelzins Sieg, hatte der sowjetische Ministerpräsident Pawlow – mit Rückendeckung des Innenund Verteidigungsministers sowie des KGB-Chefs – vom Obersten Sowjet Sondervollmachten für sich beansprucht, auch auf Kosten des Präsidenten. Kommentatoren sahen darin den Versuch, Gorbatschow ­­ zu schwächen oder 54 ihm gar die Macht zu nehmen. Das Parlament lehnte Pawlows Forderung letztlich ab, doch der Vorstoß blieb für Pawlow folgenlos. ­­Gorbatschow äußerte öffentlich: „Es gibt keine Krise in den Beziehungen mit dem Genossen Pawlow und ich hoffe, dass es sie auch nicht geben wird.“ 55 Diese ungewöhnliche Milde G ­ orbatschows gegenüber seinem Ministerpräsidenten, der ihn auf offener Bühne und ohne sein Wissen herausgefordert hatte, veranlasste Jack F. Matlock, von 1987 bis 1991 Botschafter der USA in der Sowjetunion, am 20. Juni 1991 einige führende sowje­tische Politiker in seine Residenz in Moskau einzuladen, um diesen für ihn sehr rätselhaften Vorfall zu erhellen. Zuvor hatte er ihn mit Journalisten und Kollegen aus dem diplomatischen Korps erörtert und keine plausible Erklärung gefunden. In seinem Buch „Autopsy on an Empire“ über seine Botschafterjahre in der Sowjetunion fragt er sich, warum ­Gorbatschow Pawlow nicht auf der Stelle entlassen hatte. Dies sei so, als hätten einige Minister der US-Regierung

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gemeinsam mit dem Chef des FBI den Kongress – ohne Wissen des Präsidenten – aufgesucht, um die Macht des Präsidenten zu beschneiden.56 Über Matlock sollte ­Gorbatschow eine dringende Putschwarnung übermittelt werden, die allerdings streng geheim blieb und die erst nach dem Staatsstreich in ihren Einzelheiten publik wurde. Der in die Botschafter­ residenz eingeladene Oberbürgermeister Popow bat um ein separates Treffen mit Matlock, womit dieser einverstanden war. Die Hauptbeteiligten gaben diese Episode folgendermaßen wieder: Matlock: „Gawril Popow schob mir während unseres Gesprächs einen Zettel zu mit der Warnung, dass der Sturz ­Gorbatschows beschlossene Sache sei. Er bat uns, Jelzin umgehend davon zu informieren, der gerade zu Besuch in den USA war. Popow ging es also nicht in erster Linie darum, uns zu warnen, sondern Jelzin.“ 57 Popow: „Der Botschafter und ich wussten zu gut, dass das Gebäude vom KGB abgehört wurde. Matlock schob mir den Zettel zurück mit der Frage: ‚Wer steckt dahinter?‘ Ich schrieb die Namen auf, unterstrich die Worte ‚dringend an Jelzin‘. Matlock las den Zettel wieder, gab ihn mir zurück und ich zerriss ihn dann.“ 58 Bei den Namen handelte es sich um Pawlow, Krjutschkow, Jasow und Lukjanow, den Vorsitzenden des Obersten Sowjets. Matlock informierte umgehend Präsident George Bush und Außenminister James Baker, die sowohl Jelzin als auch ­Gorbatschow warnen wollten. Baker: „Im Juni 1991 war ich in Berlin auf einer Konferenz mit dem sowjetischen Außenminister Bessmertnych. Bob Pearson, Organisationschef in meinem Ressort, eilte zu mir in den Konferenzraum und gab mir eine chiffrierte Eilmeldung der höchsten Dringlichkeitsstufe, dass offensichtlich ein Putsch gegen ­Gorbatschow bevorstehe.“ 59 Niemand außer dem sowjetischen Außenminister sollte davon erfahren, auch die westlichen Verbündeten nicht. Bessmertnych: „James Baker bat mich, ich solle alles stehen und liegen lassen und unauffällig in sein Hotel kommen, wegen der Presse keine Dienstlimousine mit Blaulicht nehmen. Ich sagte zunächst, ich könne nicht kommen, weil ich ein Gespräch mit einem europäischen Außenminister hätte […]. Er insistierte weiter. Ich fuhr also hin. Wir vereinbarten, dass er seinen Botschafter in Moskau instruierte, die Warnung ­Gorbatschow persönlich zu überbringen. Ich sollte dafür sorgen, dass der Botschafter sofort zum Kreml-Chef vorgelassen würde.“ 60 Matlock bekam den Termin, nannte aber nicht die Quelle, um Popow nicht zu gefährden.

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Matlock: „Wir waren zu dritt im Büro des Präsidenten: ­Gorbatschow, sein engster Mitarbeiter Tschernajew und ich. Die Putschwarnung quittierte ­Gorbatschow mit einem Lachen, wandte sich dann an Tschernajew, sagte so was wie: ‚Ach, diese naiven Amerikaner.‘ Zu mir sagte er: ‚Richten Sie Ihrem Präsidenten aus, dass ich seine Fürsorge schätze, da sie belegt, wie gut unser Verhältnis inzwischen ist.‘“ 61 Bush hatte die Warnung zuvor in Washington Jelzin überbracht. Der russische Präsident schlug vor, G ­ orbatschow sofort anzurufen und ihn zu 62 warnen. Wenig diplomatisch beschreibt Matlock in seinen schriftlichen Moskau-­ Erinnerungen die Rolle ­Gorbatschows in jenen Tagen: „Er handelte wie ein Schlafwandler, irrte herum, ohne seine Umgebung wahrzunehmen. Er hatte im Dezember Schewardnadses Warnungen vor einer Diktatur in den Wind geschlagen, loyale Mitstreiter geopfert, die Ratschläge von A ­ lexander Jakowlew, welcher die Perestrojka mit entworfen hatte, ignoriert und ist damit fortgefahren, dem ein Doppelspiel spielenden Krjutschkow und dem unverschämten Trottel Pawlow zu vertrauen.“ 63 Den Pawlow-­Vorstoß im Obersten Sowjet, der im In- und Ausland als Versuch der Machtübernahme interpretiert worden war, erläutert ­Gorbatschow in seinen Memoiren unter anderem so: „Abends [17. Juni 1991] hatte ich eine scharfe Auseinandersetzung mit Janajew, Pawlow und Lukjanow. Pawlow gestand seinen Fehler ein. […] Er erklärte sein Vorgehen auch damit, dass er durch den Zerfall der Wirtschaft […] so überreizt sei, dass ihm alles aus den Händen zu gleiten drohe. […] Die Attacke der konservativen Kräfte, so zeigte sich gleichwohl, wurde abgewehrt. Doch diese Affäre führte zu einer drama­tischen Verschärfung der gesellschaftlichen Spannungen. Schon ein kleiner Funke hätte genügt, das Pulverfass, auf dem wir alle saßen, zur Explosion zu bringen.“ 64 Die Putschwarnung Matlocks an ihn persönlich, von der die Weltöffentlichkeit damals nichts erfuhr, erwähnt er in seinen rund 1.200 Seiten umfassenden Memoiren allerdings mit keinem Wort. Im November 1991, während einer internationalen Pressekonferenz anlässlich der Veröffent­lichung seines Buches mit dem russischen Titel „Avgustovskij Putč “, machte er publik, dass er von Präsident Bush in einem Telefonat einige Zeit vor dem Putsch gewarnt worden sei. Kurz zuvor hatte der sowjetische Außenminister ­Bessmertnych die dramatische Putschwarnung durch die USA im Juni 1991 öffentlich gemacht. ­Gorbatschow ließ auf der Pressekonferenz den genauen Zeitpunkt, wann er sie erhalten hatte, offen und erklärte, er hätte Präsident Bush entgegnet: „Machen Sie sich keine Sorgen, es ist alles in Ordnung.“ 65

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­Gorbatschow wurde demnach im Juni 1991 sogar zweimal von den Amerikanern gewarnt: zuerst durch Botschafter Matlock in einem persönlichen Gespräch, kurz darauf von Präsident Bush in einem Telefonat, in dem Bush ihn über sein gerade beendetes Treffen mit Boris Jelzin in Washington unterrichtete. Er versicherte ihm, dass sich Jelzin in keiner Weise illoyal gegenüber ihm (­Gorbatschow) verhalten habe.66 Und in diesem Telefonat nannte Bush – zur späteren Verärgerung Matlocks – ­Gorbatschow die Quelle der Putschwarnung, nämlich den Moskauer Oberbürgermeister Popow. Dies sei gedankenlos gewesen, weil man davon ausgehen musste, dass selbst das sowjetische Präsidententelefon vom KGB abgehört wurde. Popow wäre fahrlässig in Gefahr gebracht worden – nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn die Putschisten später gesiegt hätten.67 Popow berichtet, der sowjetische Präsident hätte ihn wenige Tage danach unwirsch angegangen mit den Worten: „Was für dummes Zeug erzählst du den Amerikanern?“ 68 Auch über die telefonische Putschwarnung Bushs schreibt G ­ orbatschow nichts in seinen Memoiren, obwohl er diese Warnung einige Monate nach dem Staatsstreich preisgegeben hatte – allerdings erst auf die Frage der Journalisten bei der Pressekonferenz im November 1991, ob die (zu diesem Zeitpunkt gerade publizierte) Darstellung von Alexander Bessmertnych zutreffend sei. Diese war nicht zu leugnen, denn die Journalisten hatten längst das Weiße Haus in Washington um eine Bestätigung gebeten und diese auch bekommen. ­Gorbatschow versuchte bei der Pressekonferenz im November 1991 den Vorgang herunterzuspielen: „In jenen Tagen lagen immer irgendwelche Warnungen in der Luft“, sagte er.69 Eine plausible Erklärung dafür wäre, dass es ihm hinterher unangenehm gewesen sein könnte, diese Warnung so leichtfertig beiseitegeschoben, ja sie sogar ins Lächerliche gezogen zu haben, zumal es sich nicht um irgendeine Pressespekulation gehandelt hatte, sondern um eine sehr besorgte und von offizieller Seite der anderen Weltmacht vorgetragene Warnung, die ihn persönlich betraf. Dass sie sich Wochen später auch noch bewahrheitete, verstärkt den Eindruck, dass ­Gorbatschow unangemessen reagiert und die Lage offensichtlich völlig falsch eingeschätzt hatte. Seine Quelle wollte Popow auch zwanzig Jahre danach namentlich nicht preisgeben. Nur so viel: Er sei aufgesucht worden von einem Mitarbeiter des KGB. Sie hätten sich recht gut gekannt. Sie machten einen Spaziergang, um sicher zu sein, nicht abgehört zu werden. Der KGB-Mann sei sehr aufgewühlt und sehr besorgt gewesen darüber, was dem Land drohe.

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Schließlich habe er es ihm erzählt. Den Namen des Informanten könne er leider nicht nennen, weil er ihm sein Wort gegeben habe, es niemals zu tun.70 In dieser dritten Phase der öffentlichen Putschwarnungen, die mit der Attacke der Konservativen im Obersten Sowjet am 17. Juni 1991 begann und am Wochenende vor dem tatsächlich erfolgten Putsch Mitte August endete, ist vor allem eine offene Drohung des Lagers der Systembewahrer von besonderer Relevanz: Ihr pathetischer Handlungsaufruf vom 23. Juli an die Bevölkerung, der unter anderem auch von sowjetischen Militärs unterschrieben wurde. Mit dem „Wort an das Volk“ überschriebenen Aufruf, der in der konservativen Zeitung Sowetskaja Rossija erschien, wurde indirekt zu den Waffen gerufen, um das „bedrohte Vaterland“ zu retten. Einerseits verschärfte sich der Ton, andererseits herrschte schon fast eine Gewöhnung an das mediale Donnern und Drohen vor einem Umsturz. Die wohl letzte Warnung, die international Gehör fand, war die von Alexander Jakowlew, der am 16. August 1991 aus der KPdSU austrat, dabei einem Parteiausschluss zuvorkam und gleichzeitig erklärte: „Ich möchte die Gesellschaft davor warnen, dass sich in der Parteiführung eine einflussreiche Gruppe […] gebildet hat, die einen Staatsstreich vorbereit und eine soziale ­Revanche will.“  71 Jakowlew war als Berater ­Gorbatschows einen Monat zuvor zurückgetreten und gründete kurz nach seinem Rücktritt mit ­Eduard Schewardnadse eine demokratische Reformbewegung. Wadim Bakatin, Krjutschkows Nachfolger im Amt des KGB-Chefs, sagte im Herbst 1991: „Das Thema Putsch beschäftigte seit Monaten unser Leben. Schließlich glaubte niemand mehr daran.“ 72 Die Tatsache, dass in der Sowjetunion über einen Zeitraum von einem Jahr aus unterschiedlichen Anlässen heraus wiederholt vor einem Umsturz gewarnt wurde, lässt darauf schließen, dass diejenigen, die ihn dann schließlich in Gang setzten, sehr lange ihren Unmut über den Zustand und die eingeschlagene Richtung des Landes unterdrückt haben müssen. Somit erscheint es sogar eher erstaunlich, dass der Putsch nicht schon ­früher erfolgte.

Die Machtverschiebung zugunsten Jelzins Boris Jelzin, Parteichef in Swerdlowsk von 1976 bis 1985, wurde von Generalsekretär ­Gorbatschow persönlich nach Moskau gerufen und befördert. Nach zwei Jahren im Amt als Parteichef von Moskau-Stadt kritisierte Jelzin auf einem ZK -Plenum den seiner Meinung nach schleppenden Gang der Perestrojka und griff damit auch den Generalssekretär und die

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KPdSU an – damals, im Herbst 1987, war dies ein Tabubruch. Jelzin hatte

­ orbatschow zuvor einen Brief geschrieben, in dem er ihn bat, ihn von seiG nen Pflichten als Parteichef von Moskau-Stadt und als Politbüro­kandidat zu entbinden. Nach Jelzins Kritik am Gang der Perestrojka folgte seine Verurteilung durch den Generalsekretär; ein Redner nach dem anderen schloss sich in noch funktionierender alter Parteidisziplin den Ausführungen ­Gorbatschows an. Jelzin wurde gedemütigt, verlor seine Ämter, die er allerdings zuvor selbst zur Disposition gestellt hatte. Es war der Beginn einer erbitterten Feindschaft zweier Männer, die das Schicksal des Landes nach dem politischen Comeback Jelzins 1989 wesentlich prägen sollte und letztlich wohl mit entschieden hat. Die Erwähnung dieses persönlichen und politischen Tiefpunkts ­Jelzins im Herbst 1987 ist für das Verständnis seines teilweise rigorosen späteren Verhaltens gegenüber ­Gorbatschow geboten. Dieser Tiefpunkt war sehr wahrscheinlich die Haupttriebfeder für seine politischen Schritte, die zunächst eine sukzessive Rückgewinnung von Macht, dann sogar eine Machtverschiebung zu seinen Gunsten zum Ziel hatten, um ­Gorbatschow zu schwächen und ihn schließlich ganz aus der Politik zu verdrängen. Diese erbitterte Feindschaft scheint auch nach dem Tod Jelzins im April 2007 weiter zu existieren. Im Gespräch mit dem Verfasser, im Jahr 2011, leitete ­Gorbatschow seine Ausführungen zu seinem damaligen Widersacher zwar mit den Worten ein: „Über Verstorbene sollte man eigentlich nichts Schlechtes sagen.“ Doch als es um seine damaligen Auseinandersetzungen mit Jelzin ging, ließ er sich unter anderem zu der Äußerung hinreißen: „Jelzin war ein Vollidiot“ („kruglyj durak“).73 G ­ orbatschow führte aus: „Ich selbst hatte Jelzin ja nach Moskau geholt. Mir erschien er tatkräftig und ich unterstützte ihn ja auch in der ersten Zeit. Aber ich habe mich in ihm getäuscht. Wenn das nicht geschehen wäre, hätte sich in Bezug auf die Sowjetunion alles anders entwickeln können.“ 74 An dieser Stelle seien die zehn wichtigsten Stationen von Jelzins Werde­ gang von seinem politischen Fall im Herbst 1987 bis hin zu seinem Aufstieg im Sommer 1991 als dominierende politische Figur Russlands – aber auch der Sowjetunion – genannt: 1 Der triumphale Sieg bei der Volksdeputiertenwahl in der Sowjetunion im Februar 1989. Trotz Behinderungen und Einschüchterungsversuchen durch die KPdSU stimmten 89 Prozent der Bürger Moskaus für den „Parteirebell“, wie er damals auch im Westen genannt wurde.

­Gorbatschows Machterosion und Orientierungslosigkeit 1990/199

Gründung der „Interregionalen Abgeordnetengruppe“ (gemeinsam mit Andrej ­Sacharow, Gawril Popow und Juri Afanasjew). Hierbei handelte es sich um die erste oppositionelle Parlamentariergruppe innerhalb der KPdSU. 3 Wahl zum Parlamentsvorsitzenden des Obersten Sowjets der RSFSR im Mai 1990. Jelzin wurde somit Chef der russischen Teilrepublik. 4 Von Jelzin betriebene Souveränitätserklärung der RSFSR am 12. Juni 1990. 5 Austritt aus der KP dSU während des 28. Parteitages am 12. Juli 1990. 6 Öffentliche Erklärung Jelzins am 16. Oktober 1990, dass die russischen Gesetze nun juristischen Vorrang vor denen der Sowjetunion hätten. 7 Öffentliche Rücktrittsforderung Jelzins an G ­ orbatschow am 19. Februar 1991. Dies stellte zu diesem Zeitpunkt noch einen Tabubruch dar. 8 Klarer Sieg am 17. März 1991 bei dem Referendum über die Frage, ob in Russland das Amt eines frei vom Volk zu wählenden Präsidenten eingeführt werden sollte. (Für seine Bürger fügte Russland beim Referendum über den Erhalt der Sowjetunion diese Frage hinzu – gegen den ausdrücklichen Willen des sowjetischen Präsidenten.) 9 Sieg in der Kraftprobe mit G ­ orbatschow, als dieser am 28. März 1991 Truppen in Moskau auffahren ließ, um das verhängte Demonstrationsverbot durchzusetzen. Hierbei handelte es sich um Pro-Jelzin-Kundgebungen, die mit Massenprotesten gegen G ­ orbatschow verbunden waren. Die Demonstrationen fanden weiter statt, das Militär zog sich schließlich zurück. 10 Jelzin schrieb am 12. Juni 1991 mit seiner Wahl zum ersten demokratisch und frei vom Volk gewählten Präsidenten russische Geschichte. 2

Es war vor allem dieser letzte Punkt: Nach Fürsten, Zaren und kommunistischen Parteiführern stand zum ersten Mal in der mehr als 1.000-jährigen russischen Geschichte ein frei vom Volk gewählter Repräsentant an der Spitze eines Gemeinwesens. Dabei handelte es sich um die „Rus­sische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik“ – mit rund 150 Millionen Einwohnern größer als jedes europäische Land, flächenmäßig das größte Land der Erde und dennoch ein Teilstaat der Sowjetunion. Jelzins Wahl, zumal mit einem eindrucksvollen Ergebnis von 57 Prozent der Stimmen, war ein epochales Ereignis, das ihm weit mehr Legitimation verschaffte, als alle anderen Politiker in Moskau und in den Sowjetrepubliken gemeinsam beanspruchen konnten. Auf die Frage, mit welchem Recht das Staatskomitee für den Ausnahmezustand (GKTSCHP ) gegen den in einer freien und demokra­ tischen Volkswahl gewählten Präsidenten Russlands vorgegangen sei – sogar

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erwogen habe, ihn zu verhaften –, antwortete Oleg Baklanow, einer der drei Hauptorganisatoren des Putsches: „Jelzin war gewählt, na und? Er war ein Trunkenbold! Wir sagten zu G ­ orbatschow oft: ‚Schick Jelzin auf irgendeinen Botschafterposten. Lass ihn sich dort zu Tode trinken.‘ Doch von Gorbatschow ­­ kam wieder nur Gerede.“ 75 Baklanow und die anderen Putschisten waren ganz offensichtlich der Meinung, der sowjetische Präsident kämpfe mit ihnen gemeinsam gegen Jelzin und gegen die Machtverschiebung zu dessen Gunsten. In ihrer Logik war daher ­Gorbatschow derjenige, der den Verrat beging. „Wir kamen zu ihm nach Foros. […] Er sagte schließlich: ‚Dann handelt, wie ihr es für richtig haltet.‘ Und dann? Dann verbündete er sich mit Jelzin! Was für ein Charakter!“ 76 Der August-Putsch wurde und wird im historischen, vor allem aber im medialen Diskurs meist als „Putsch gegen ­Gorbatschow“ bezeichnet. Doch es war Jelzin, der für die Systembewahrer eine Gefahr darstellte; er war es, der die KP dSU bekämpfte – im Gegensatz zu G ­ orbatschow, der sie sogar noch nach dem gescheiterten Umsturzversuch reformieren und retten wollte. Es war ein Putsch „nominell gegen G ­ orbatschow, in Wirklichkeit aber gegen Jelzin und die radikalen Kräfte, die er repräsentierte.“ 77 Auch der damalige Moskauer Oberbürgermeister Gawril Popow ist der Auffassung, der Putsch habe in erster Linie darauf abgezielt, die Machtverschiebung zugunsten Jelzins zu stoppen, und weniger darauf, G ­ orbatschow auszuschalten.78 In dem beträchtlichen und für die Systembewahrer bedrohlichen Machtzuwachs Jelzins, der in den zwölf Monaten bis zum August 1  Noch unter Hammer und Sichel, aber dennoch eine Zeitenwende: Vereidigung von Boris Jelzin als erster frei vom Volk gewählter Präsident der sowjetischen und sozialistischen Republik Russland am 10. Juli 1991. © Itar-TASS

Die sukzessive Entmachtung der KPdSU

1991 mit einem enormen Macht- und Autoritätsverfall ­Gorbatschows einherging, ist ein wesentliches Motiv für den Putsch zu sehen. Denn die politischen Ziele Jelzins und die der Systembewahrer schlossen einander prinzipiell aus, auch Kompromisse wären nicht möglich gewesen. Anders dagegen verhält es sich mit ­Gorbatschow. Er wollte nach Möglichkeit ein starkes Zentrum erhalten; er wollte die KP dSU  – selbst 1991 – als poli­ tische Kraft bewahren; er tat sich – anders als Jelzin – mit dem Übergang zur Marktwirtschaft sehr schwer. Obwohl er gegen seine erklärten Ziele handelte, war G ­ orbatschow allerdings bereit, lange von ihm verteidigte Positionen aufzugeben und die machtpolitischen Realitäten, die Jelzin für sich erkämpft hatte, anzuerkennen.

4.2 Die sukzessive Entmachtung der KPdSU Schon Anfang 1990 hatte sich ­Gorbatschow widerwillig mit der Aufgabe des in Artikel 6 der sowjetischen Verfassung festgeschriebenen Machtmonopols der KPdSU abfinden müssen. Auch die Systembewahrer nahmen diesen Rückschlag – gewiss nicht weniger widerwillig – hin. Von dem sich immer stärker abzeichnenden Machtverlust der KP dSU versuchte sich ­Gorbatschow ganz offensichtlich abzusetzen, indem er für sich neben dem an Bedeutung verlierenden Amt des Generalsekretärs die Position eines Sowjetpräsidenten schuf. Es liegt auf der Hand, dass er seine persönliche Stellung durch diese zweite Säule stabilisieren wollte, möglicherweise auch gegen eine Bedrohung seiner Macht durch orthodoxe Kräfte der KPdSU. Er weigerte sich aber beharrlich, sich einer Volkswahl zu stellen. Seine Wahl zum Präsidenten erfolgte schließlich durch den Volksdeputiertenkongress, wo er allerdings viele Gegenstimmen bekam. Einen Gegenkandidaten gab es nicht.79 Neben dem Verlust des Machtmonopols hatte die KPdSU mit einem beträchtlichen Mitgliederschwund zu kämpfen.80 Doch die größte Gefahr für die KPdSU ging von Jelzin aus. Er wandelte sich so rasch wie kaum ein anderer von einem Kommunisten zu einem Antikommunisten. Wie viel politische Überzeugung, wie viel Machtstreben und wie viel Opportunismus dafür verantwortlich waren, ist schwer auszumachen. Tatsache ist, dass er noch auf der 19. Parteikonferenz der KPdSU im Juli 1988 am Rednerpult und live im sowjetischen Fernsehen die Delegierten um seine politische Rehabilitierung bat, und zwar „noch zu Lebzeiten.“ Dies sei, so Jelzin, eine Grundsatzfrage, die „im Lichte

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des sowjetischen Meinungspluralismus“ angebracht sei.81 Rund ein halbes Jahr vorher hatte er seinen Platz in der sowjetischen Führung verloren. Erst nachdem seiner Bitte um Rehabilitierung in der KPdSU, die er mit der Rückkehr in die Machtzentrale gleichsetzte, nicht entsprochen wurde, begann er seinen entschiedenen Kampf gegen die Partei. Er strebte fortan nicht nur die Schwächung der KPdSU an, sondern auch ihre völlige Entmachtung. Das von der Partei über Jahrzehnte angehäufte Vermögen wollte er ihr entreißen. Um die KPdSU zu schwächen und seine Chancen bei der historischen Präsidentschaftswahl im Juni 1991 zu steigern, trug er ausgerechnet General Alexander Ruzkoj die Kandidatur für das Amt des Vizepräsidenten an. Ruzkoj war gerade Anführer der Gruppierung „Kommunisten für Demokratie“ geworden. Jelzin tat dies zweifellos aus einer „populistischen Haltung“ 82 heraus. Somit war der im Juni 1991 vom russischen Volk gewählte Präsident die Zielscheibe derjenigen Putschisten, die in erster Linie den ihnen verbliebenen politischen Besitzstand und ihre noch vorhandenen Privilegien – und somit auch ihre persönliche Machtbasis – verteidigen und wahren wollten. Zu ihnen gehörte vor allem Oleg Schenin als Kader- und Organisationschef der KPdSU, der neben KGB-Chef Krjutschkow und dem Chef der Rüstungsindustrie, Baklanow, als einer der Hauptorganisatoren des Putsches betrachtet werden muss. Zu den aktiven Unterstützern des Putsches zählte auch der Moskauer KP-Chef Juri Prokofjew.

Jelzins Parteizellenverbot Zehn Tage nach seiner Vereidigung als russischer Präsident versetzte Jelzin der KP dSU einen schweren Schlag, als er am 20. Juli 1991 deren Partei­ tätigkeit und Organisationszellen in staatlichen Betrieben, Behörden und Ämtern auf russischem Gebiet verbot. Der Erlass Nr. 14 war zwar neutral formuliert („Über die Beendigung der Tätigkeit von Organisationsstrukturen politischer Parteien und gesellschaftlicher Massenbewegungen in staatlichen Organen, Einrichtungen und Organisationen der RSFSR“)83, doch richtete er sich eindeutig gegen die KPdSU, weil sie die einzige Partei war, die flächendeckend über Parteizellen in staatlichen Betrieben, Einrichtungen und Organisationen verfügte. Das Verbot begründete Jelzin damit, dass laut russischer Verfassung die Rechtsgleichheit der Parteien gewährleistet werden müsse. Auch sei er verpflichtet, das Gebot durchsetzen, die politische Einmischung in staatlichen Institutionen zu verhindern. Mit den Worten „Die Arbeitsstellen sind zum Arbeiten da und nicht, um

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einen politischen Kampf zu führen“, hatte Jelzin den Erlass zusätzlich gerechtfertigt.84 Es war damals auch so, dass die Chefs der Parteiorganisationen in den Betrieben oft mächtiger waren als die Fabrikdirektoren. In dem Erlass holte Jelzin ebenfalls gegen die Einrichtungen und Organisationsstrukturen aus, die unmittelbar dem Zugriff der sowjetischen Zentrale unterlagen. Punkt 6 der insgesamt sieben Teilbestimmungen lautete: „Dem Obersten Sowjet der RSFSR wird empfohlen, in den Obersten Sowjet der UdSSR […] eine Gesetzesinitiative über das Verbot der organisierten Struktur politischer Parteien […] im Obersten Gericht der UdSSR, in der Staatsanwaltschaft der UdSSR sowie den Streitkräften der UdSSR und in den Organen und Einheiten des KGB und des Innenministeriums einzubringen.“ 85 Nun war für jeden sichtbar, dass Jelzins Ambitionen für eine grundlegende Änderung des politischen Lebens und der politischen Kultur über die Teilrepublik Russland hinausgingen. Es war die unmissverständliche Kampfansage an die Vertreter der alten Ordnung.

Der Widerstand der Partei und der Systembewahrer Ein Kausalzusammenhang ist nicht nachzuweisen, doch es ist auffällig, dass drei Tage nach Jelzins Parteizellenverbot die Kampfansage der ortho­ doxen Systembewahrer erschien. Das bereits erwähnte „Wort an das Volk“ wurde als offener Brief an die Bevölkerung und die Millionen von Parteimitgliedern gerichtet: „Werte Einwohner Russlands! Bürger der UdSSR! Landsleute! Ein ungeheures, unerhörtes Unglück hat sich ereignet. Das Heimatland, unser Land, der große Staat […] geht zugrunde, zerbricht, versinkt in Finsternis und ins Nichts […]. Löschen kann man den Brand nicht mehr mit Wasser, sondern nur mit eigenen Tränen und Blut […]. Wir wenden uns an die Partei – die Kommunistische Partei, welche verantwortlich ist […] auch für die letzten sechs tragischen Jahre, als sie zuerst das Land führte, dann aber auf die Macht verzichtete und sie leichtfertigen und unfähigen Parlamentariern gab […].“ 86 Unterschrieben war dieser offene Brief unter anderem sogar von zwei hohen Mitgliedern aus der Regierung: von General Valentin Warennikow, stellvertretender Verteidigungsminister der Sowjetunion und Befehlshaber der sowjetischen Bodentruppen, sowie von General Boris Gromow, stellvertretender Innenminister der Sowjetunion. Warennikow gehörte vier Wochen später der fünfköpfigen Delegation an, die G ­ orbatschow in Foros unangemeldet aufsuchte.

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Da von „tragischen sechs Jahren“ und „leichtfertigen und unfähigen Parlamentariern“ die Rede war, hätte ­Gorbatschow auch hier eingreifen und zumindest die beiden Unterzeichner, die der sowjetischen Regierung angehörten, zur Rechenschaft ziehen oder sich von ihnen distanzieren müssen. Er tat es nicht. Fast zeitgleich zu dem „Wort an das Volk“ wurde in Nowo-Ogarewo eine Einigung zwischen der Zentrale und neun der 15 Sowjetrepubliken erzielt. ­Gorbatschow gab am 24. Juli 1991 vor der Presse bekannt: „Die Arbeit an einem Entwurf eines neuen Unionsvertrages ist abgeschlossen.“ 87 Es wurde sichtbar, dass die Systembewahrer immer stärker in die Defensive gerieten. Der KPdSU-Generalsekretär G ­ orbatschow wurde vor allem vom Kader- und Organisationschef der KPdSU Oleg Schenin bedrängt, das Parteizellenverbot nicht zuzulassen und ein Dekret zu unterschreiben, welches das von Jelzin aufheben sollte. Schenin sagte in einem russischen Fernsehinterview von 2008: „Ich wurde aus allen Landesteilen mit Anrufen bombardiert. Drei Tage lang riefen die lokalen Parteichefs an auf der normalen Leitung und auf der Regierungsleitung, fragten mich: ‚Oleg Semjonowitsch – wo bleibt das Dekret, wann kommt es?‘ Ich telefonierte mehrmals mit ­Gorbatschow, er sagte dann: ,Ja, ich bin gerade dabei, es kommt.‘ Nach drei Tagen rief er mich an und bat mich und Iwan P ­ oloskow [Parteichef der Kommunistischen Partei Russlands] in den Kreml zu kommen. Dort sagte er dann: ‚Ach, wozu brauchen wir mein Dekret. Das führt wieder nur zu Streitereien mit Jelzin. Wir sind aus den Betrieben raus, na und? Aber, wir können doch auch so vor Ort unsere Parteiarbeit machen.‘ Ich erwiderte: ‚Aber auf dem ZK-Plenum [einige Tage zuvor] haben Sie doch gesagt, dass Sie ein Dekret unterschreiben würden! Ich bekomme die ganzen Anrufe, komme nicht mehr vom Telefon weg.‘ Darauf er: ‚Ach Oleg – du hast doch in Afghanistan gedient; was ist da für dich so ein Jelzin-­Erlass.‘ […] G ­ orbatschow und Jelzin waren beide Verräter.“ 88 Die Spitzengremien der Partei forderten ­Gorbatschow auf, das Verbot für „null und nichtig“ zu erklären. Der Generalssekretär konnte sich dazu aber nicht durchringen – höchstwahrscheinlich vor allem deshalb nicht, weil er den soeben erst in monatelanger Kleinarbeit ausgehandelten Unions­vertrag nicht gefährden wollte. G ­ orbatschow bezeichnete das Verbot lediglich als „verfassungswidrig“, was inhaltlich aber nicht haltbar war. Denn das Machtmonopol und die führende Rolle der KPdSU waren schon ein Jahr zuvor aus der Verfassung gestrichen worden. Außerdem hatte der Oberste Sowjet der UdSSR rund neun Monate vor Jelzins Verbot der

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Parteiorganisationen in staatlichen Institutionen ein Gesetz verabschiedet, das alle politischen Parteien gleichstellte. Jelzin war daher klar im Recht, auch wenn er im Westen zu diesem Zeitpunkt immer noch als eine Art Störenfried betrachtet wurde, der den großen Reformer G ­ orbatschow behinderte. Auf dem Plenum des ZK Ende Juli 1991 sagte der sowjetische Präsident: „Niemand hat das Recht, die Arbeit der Partei mit den Arbeitskollektiven zu untersagen.“ 89 Er drohte aber keine Konsequenzen an. Jelzin seinerseits warnte den Generalsekretär davor, sein Dekret zu annullieren.90 Konnte der sowjetische Präsident bisher lavieren, so musste er sich jetzt entscheiden. Er versagte den orthodoxen Kräften der KPdSU in dieser Frage schließlich seine Kampfbereitschaft; die konservativen Vertreter waren nun auf sich allein gestellt. Das bedeutet aber nicht, dass G ­ orbatschow die KPdSU als politische Kraft abschreiben wollte – im Gegenteil: Er strebte ihre Stärkung an, indem er auf ihre Reform hinarbeitete, die ideologische Dogmen über Bord werfen sollte. Das darf jedoch angesichts der neu entstandenen Machtverhältnisse und der politischen Atmosphäre im Land als illusionistisch bezeichnet werden. Die Vertreter der alten Ordnung hatten nach ­Gorbatschows unterlassenem Einschreiten gegen das Jelzin-Dekret, das eine mehr als 70 Jahre alte Praxis beenden sollte, weiteres Vertrauen in den Präsidenten verloren. Doch sie hofften immer noch, dass seine Gegnerschaft zu Jelzin stark genug sein und er in der Frage der Beibehaltung zentraler Strukturen des Staates hart bleiben würde. Für die Umsetzung des Dekrets hatte Jelzin eine zweiwöchige Frist gesetzt. Es trat am 5. August 1991 in Kraft. Am Tag zuvor, als G ­ orbatschow in den Urlaub auf die Krim flog, versuchte Schenin am Flughafen in Moskau noch einmal, Gegenmaßnahmen zu erwirken. Er rief ­Gorbatschow in Anwesenheit der anderen Mitglieder der sowjetischen Führung, die sich zur Verabschiedung des Präsidenten dort eingefunden hatten, zu: „Michail Sergejewitsch, ich bitte Sie nochmals den Ukas des Präsidenten der Sowjetunion zu unterschreiben, durch den das Jelzin-Dekret zum Parteizellenverbot ungültig wird.“ 91 ­Gorbatschow ging darauf nicht ein, sondern sagte zu Schenin – offenbar um dessen Bedeutung vor den versammelten Kollegen aufzuwerten: „Du hältst die Stellung im Hinblick auf die Parteiangelegenheiten.“ 92 Danach verabschiedete er sich und bestieg mit seiner Frau Raissa das Flugzeug. Neben dem Unionsvertrag und der Verbannung der Parteizellen aus Betrieben und Behörden drohte den orthodoxen Vertretern innerhalb der KP dSU durch eine dritte Entwicklung die Schwächung ihrer Position und somit ihr weiterer Bedeutungsverlust, gegen den sie sich zu stemmen

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versuchten: Die KPdSU stand durch innere Kämpfe vor einer Spaltung, die auf dem ZK-Plenum am 25. und 26. Juli 1991 zwar abgewendet wurde, doch die Grabenkämpfe zwischen dem orthodoxen Flügel und den in eine sozialdemokratische Richtung tendierenden Parteimitgliedern waren geblieben. Ein Sonderparteitag im Herbst 1991 sollte endgültige Klarheit über den neuen Kurs und das neue Programm bringen.93 Es war ein allgemeiner Auflösungsprozess im Gange, der für die orthodoxen Mitglieder der Parteielite wie Oleg Schenin oder den Moskauer Parteichef Juri Prokofjew, der die Putschisten später unterstützen sollte, zum Machtverlust geführt hätte. Wie Schenin versuchte auch Prokofjew den Generalsekretär der KPdSU ­Gorbatschow zu überreden, etwas gegen den Jelzin-Erlass zu unternehmen: „Nach dem ZK-Plenum im Juli [1991] wandte ich mich an G ­ orbatschow. Er sagte zu mir: ‚Sprich selbst mit Jelzin.‘ […] Das tat ich dann auch. Wir hatten ja von Ende Dezember 1985 bis Mai 1986 in Moskau zusammengearbeitet. Das Gespräch verlief sachlich. Für meinen Einwand, dass man das nicht auf die Schnelle machen könne, zeigte er offenbar Verständnis. Kurze Zeit später bekam ich von seinem Mitarbeiter Burbulis einen Anruf. Die Sache verlief dann aber im Sande.“ 94 Der Versuch der späteren Putschisten aus den Reihen der Partei, dieser für sie negativen Entwicklung entgegenzusteuern, war gescheitert. Schenin und Prokofjew hatten recht viel zu verlieren, da sie exponierte Positionen in der KPdSU hatten. Sie hatten hohe, in der Prä-Perestrojka-Ära prestige­ trächtige Funktionen inne. Doch war ihre reale Macht inzwischen gering, weil die Partei als solche ihre dominierende Stellung längst verloren hatte und ihre Erosion weiter voranschritt. Sie hielten ganz offensichtlich an Vergangenem fest und waren die einzigen beiden hohen Parteifunktionäre, die den Putsch aktiv unterstützten.

­ orbatschows Verlust der innenpolitischen Mittlerrolle G War ­Gorbatschow noch ungefähr bis zum Sommer 1990 eine Art Schiedsrichter zwischen den rivalisierenden politischen Gruppierungen gewesen, was besonders bei seiner persönlichen Regie der oft live übertragenen Sitzungen des Volksdeputiertenkongresses und des Obersten Sowjets der UdSSR zum Ausdruck kam, so änderte sich dies mit dem Aufstieg von Boris Jelzin zum Vorsitzenden des russischen Obersten Sowjets. Gorbatschows ­­ Autoritätsverfall bei der eigenen Bevölkerung und auch auf der politischen Bühne im eigenen Land setzte mit Beginn der dramatischen Versorgungskrise und mit dem fast zeitgleich aufkommenden „Krieg der Gesetze“ ein.

Die Militärführung und die sowjetische Rüstungsindustrie

Es ist bemerkenswert, welche Sichtweise dagegen der Westen gegenüber ­ orbatschow zu diesem Zeitpunkt an den Tag legte, welchen Spielraum G er ihm noch bei der Verwirklichung seines Reformprogramms unterstellte und wie er ihn noch als visionären Akteur ansah, den es zu unterstützen galt. Was das Reformprogramm angeht, hatte G ­ orbatschow allerdings schon Orientierung und Ziel verloren, wie etwa seine sprunghafte und entscheidungsschwache Wirtschaftspolitik belegt. Sein langjähriger Berater Tschernajew, der ihn bis zu seinem erzwungenen Rücktritt im Dezember 1991 begleitete, beschreibt G ­ orbatschows Ansehens- und Autoritätsverlust innerhalb der UdSSR wie folgt: „Das Jahr 1991 begann trostlos. Die Glückwünsche [der Neujahrsansprache] des Präsidenten, auch die eindringlichsten Worte, wurden nicht mehr ernst genommen, und viele Menschen reagierten nur noch gereizt. G ­ orbatschow wurde, auch auf dem Kongress, allenfalls noch Mitgefühl oder gar Mitleid entgegengebracht, und das verbitterte ihn zusätzlich.“ 95 Und bezogen auf das Frühjahr 1991 schreibt er: „Seine Worte konnten schon niemanden mehr beeindrucken. Nur mit einem hätte er das Volk überraschen können – mit seinem Rücktritt. Er spürte, dass er die Zuhörer nicht mehr erreichte […].“ 96 Der sowjetische Präsident kämpfte mit seinen Bemühungen um einen neuen Unionsvertrag nicht nur um den Erhalt des Zentralstaates, sondern auch um sein eigenes Amt. In den letzten Monaten vor dem Putsch stand er nicht mehr als ein über den widerstreitenden politischen Gruppierungen stehender Akteur da, sondern war ein von beiden Seiten Getriebener. Zwei feindliche und ihre jeweilige Existenz ausschließende Lager standen vor dem entscheidenden Zusammenstoß, der eine Auflösung der lähmenden inneren Widersprüche des Zentralstaates erzwingen sollte. Das Lavieren ­Gorbatschows, das stellenweise einem Doppelspiel von seiner Seite gleichkam, würde und musste darin ebenfalls sein Ende finden.

4.3 Die Militärführung und die sowjetische Rüstungsindustrie Die Vertreter der staatlichen Rüstungsindustrie waren in einem sehr hohen Maße an einer fundamentalen politischen Kurskorrektur interessiert und mit ihrem Spitzenfunktionär Oleg Baklanow an der Bildung des Staatskomitees für den Ausnahmezustand auch an vorderster Stelle beteiligt. Auch wenn der militärisch-industrielle Komplex – die Abkürzung im Russischen: VPK97 – eng mit der militärischen Armeeführung verbunden war und oft die

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gleichen Interessen und Ziele hatte wie diese, unterlag er nicht den strengen militärischen Gehorsamspflichten, wie sie in der Sowjetarmee vorherrschten. Der Oberkommandierende der sowjetischen Streitkräfte war nicht der Verteidigungsminister, sondern Präsident G ­ orbatschow. Aus diesem militärischen Selbstverständnis heraus war es für den damals fast 67-jährigen Verteidigungsminister, der noch unter Stalin in die Armee eingetreten war und im „Großen Vaterländischen Krieg“ (1941 – 1945) gekämpft hatte, aus prinzipiellen Erwägungen zunächst schwierig, sich gegen den Oberkommandierenden zu stellen. Mit diesen „militärethischen“ Skrupeln hatten die Vertreter der staatlichen Rüstungsindustrie in der Regel nicht zu kämpfen. ­Gorbatschow hatte mit seiner Politik des „Neuen Denkens“, die außenpolitisch vor allem Abrüstung und Entspannung zum Ziel hatte, das in der Breschnew-Zeit starke Mitspracherecht der Armeeführung in Fragen der Strategie und des materiellen Verteidigungsbedarfs beschnitten, indem er das Außenministerium unter Eduard Schewardnadse gestärkt hatte.98 Nach dessen Rücktritt im Dezember 1990 zog ­Gorbatschow die Armee wieder stärker in Abrüstungsgespräche ein und übertrug sogar im Frühjahr 1991 Generalstabschef Michail Moissejew die Delegationsleitung in Washington, als es um die Verhandlungen über die Verringerung von konventionellen Waffen ging.99 Auch diese Tatsache ist ein gewichtiges Indiz dafür, dass ­Gorbatschow in der Spätphase seiner Amtszeit die Distanz zu den rechten Kräften verringern wollte oder musste, zumindest aber sich um ihr Vertrauen bemühte, wenn dieses auch – vor allem durch seinen internationalen Kurs – deutlich gelitten hatte. Der Abschluss der zahlreichen Abrüstungsabkommen während der ­Gorbatschow-Ära und die damit verbundenen Pflichten für die Sowjetarmee sowie die daraus entstandenen Folgen für die sowjetische Rüstungsindustrie sollen hier nicht im Einzelnen behandelt und analysiert werden – auch deshalb nicht, weil die sowjetischen Angaben und Zahlen sowohl untereinander variieren als auch von denen abweichen, die beispielsweise US-amerikanische Militärexperten veröffentlicht haben. Der Problemdruck für die Streitkräfte wurde auch dadurch erhöht, dass die international eingegangenen Vereinbarungen Truppenreduzierungen der Sowjetarmee vorsahen. Darüber hinaus befand sich der östliche Militärblock in Auflösung. Hunderttausende von sowjetischen Soldaten und Offizieren waren im Zusammenhang mit dem beginnenden Rückzug aus den Staaten des Warschauer Pakts sozial zu unzureichend abgesichert, um für den neuen Lebensabschnitt nach der oft widerwilligen Rückkehr in

Die Militärführung und die sowjetische Rüstungsindustrie

die Heimat eine echte Perspektive zu haben. Allein in der DDR waren ca. 350.000 Soldaten und Offiziere stationiert, zusammen mit deren Angehörigen mussten ca. 550.000 Personen zurück in die Sowjetunion, wo schon seit 1990 Bezugsscheine das Bild der Versorgungslage prägten. Für den VPK bedeutete der Verlust der bisherigen Bündnisstaaten vor allem eine drastische Reduzierung der Waffenexporte und somit von Aufträgen für die heimische Industrie. Knapp sechs Monate vor dem Putsch, am 25. Februar 1991, wurde in Budapest durch die jeweiligen Verteidigungsund Außenminister der Warschauer Pakt aufgelöst. Auch Dmitri Jasow setzte seine Unterschrift unter das Dokument. An dieser durch die Politik vorgegebenen und von der neuen europäischen Wirklichkeit diktierten Entwicklung rüttelte er nicht. Wohl aber war er besorgt über die Folgen der Rückkehr zahlreicher Soldaten und Offiziere, ebenso über den einsetzenden Kontroll- und Kommandoverlust über die Sowjetarmee aufgrund der nat­ionalen Separationsbestrebungen sowie über die hohe Zahl von Einberufungsverweigerern. Während des politischen Ringens um den neuen Unionsvertrag hatte er, wie er später berichtete, ­Gorbatschow vorausgesagt, dass es bei seiner Annahme keine einheitliche Armee mehr geben werde. „Nein, sie wird erhalten bleiben“, soll G ­ orbatschow erwidert haben.100 Die inhaltlichen Differenzen zwischen Präsident und Verteidigungsminister waren zwar vorhanden, doch war das persönliche Verhältnis der beiden bis zum 18. August 1991 ein vertrauensvolles, wie G ­ orbatschow selbst auch nach dem Putsch hervorhob und sogar in einem russischen Fernsehinterview zwanzig Jahre später wiederholte.101 Einer von Jasows Stellvertretern, General Warennikow, geißelte die Ergebnisse der Perestrojka – und damit den Präsidenten – dagegen öffentlich, indem er als Mitunterzeichner des oben erwähnten „Wortes an das Volk“ erschien. Zwei Tage vor dem Putsch erfolgte eine indirekte öffentliche Kampfansage des sowjetischen Militärs und der Rüstungsindustrie, die nach ihrer politischen Ausrichtung eher an Jelzin denn an G ­ orbatschow gerichtet war. In dem Verlautbarungsorgan der Armee, der Zeitung Krasnaja swesda, erschien ein Artikel mit der Überschrift „Appell“. Darin hieß es unter anderem: „Die Armee muss fest und einig zusammenstehen und der Bevölkerung klarmachen, dass das Militär der Garant der Unabhängigkeit unserer Großmacht ist […]. Von uns, den Kommunisten in der Armee, hängt das Schicksal unseres Landes und seiner Streitkräfte ab. Unsere Pflicht […] ist es, internationalistische Patrioten zu sein und mit all unseren Handlungen für die Ideen Lenins und die Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes

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zu kämpfen […].“ 102 Die nach Unabhängigkeit strebenden Republiken wurden verurteilt, und es wurde ihnen vorgeworfen, die Armee „in einzelne Republikarmeen zersplittern“ zu wollen. Jelzins Erlass zum Parteizellenverbot, das die Rüstungsbetriebe betraf, wurde ebenfalls verurteilt: „Antikommunistische Kräfte“ wollten die Partei spalten und ihre Stellung in den Arbeiter- und Soldatenkollektiven schwächen, hieß es weiter in dem Appell, der als Warnung verstanden werden musste. Das Unbehagen, die Sorge und die Ungewissheit, wie die militärischen Organisationsstrukturen nach der Unterzeichnung des Unionsvertrages beschaffen sein würden, waren bei den Offizieren, der Armeespitze und bei der Rüstungsindustrie (VPK) sehr groß. Im Folgenden soll kurz auf die spezifischen Probleme des VPK eingegangen werden: 1 Der Abbau von Produktionskapazitäten war zum einen die logische Folge des weitgehenden Wegfalls des Marktes in den Ländern des damals gerade aufgelösten Warschauer Paktes. Zum anderen verursachten die Verpflichtungen aus den Abrüstungsverträgen einen zusätzlichen Minderbedarf. An dieser Stelle sei auch der zum Putsch zeitnahe Abschluss des START-Vertrages erwähnt, der die drastische Verringerung der Interkontinentalraketen der USA und der UdSSR vorsah. Er wurde am 31. Juli 1991 in Moskau durch die Präsidenten Bush und G ­ orbatschow unterzeichnet. Zuvor waren die beiden anderen großen Abrüstungsverträge geschlossen worden: das INF-Abkommen bezüglich der Mittelstreckenraketen (1987) und der Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (VKSE, 1990). 2 Mit dem Abbau der Produktionskapazitäten ging der von der ­Gorbatschow-Führung forcierte Versuch einher, die Rüstungsbetriebe zunehmend auf die Produktion ziviler Güter umzustellen. Die Rede war von Lebensmitteln, Medikamenten, Computern, Fernseh- und Radiogeräten sowie zivilen Flugzeugen und Schiffen.103 Diese Konversionspläne stießen allerdings auf den Widerstand des VPK. Einen entsprechenden offenen Brief in der Parteizeitung Prawda unterzeichneten 47 Generaldirektoren und Generalkonstrukteure von sowjetischen Rüstungsbetrieben.104 Den Übergang zu marktwirtschaftlichen Strukturen auch in diesem Sektor lehnten sie ebenfalls ab. Ein Konzept dazu lag seitens der ­Gorbatschow-­Führung nicht vor. Hans-Henning Schröder vom damaligen Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien konstatierte in diesem Zusammenhang: „Die Vielzahl von Schwierigkeiten, die eine Konversion begleiten, machen eine durchdachte Politik der Umstellung erforderlich. […] Nur wenn für die anfallenden Schwierigkeiten Lösungen vorbereitet

Die Militärführung und die sowjetische Rüstungsindustrie

werden, kann Abrüstung für die eigene Bevölkerung sozial und ökonomisch verträglich gestaltet und damit konsensfähig gemacht werden.“ 105 Es war abzusehen, dass von den rund 7,8 Millionen Beschäftigten im VPK ein beträchtlicher Teil seinen Arbeitsplatz verlieren würde. Für das Jahr 1992 rechneten Experten mit Massenentlassungen in einer Größenordnung von zwei Millionen Personen.106 3 Der russische Präsident Jelzin kündigte eine Woche vor dem Putsch in einer schriftlichen Erklärung an, dass nach der Unterzeichnung des Unionsvertrages das gesamte auf dem Territorium der russischen Republik befindliche Wirtschaftspotenzial unter die Jurisdiktion der RSFSR gestellt würde. Dies habe ihm G ­ orbatschow zugesagt. Sollte der sowjetische Präsident an der Einlösung dieses Versprechens gehindert werden, so werde er ( Jelzin) einen entsprechenden Erlass unterzeichnen.107 Als gesichert gilt, dass es mit dieser – aus Sicht der Systembewahrer – höchst provokanten Erklärung und Ankündigung Jelzins jetzt nicht mehr nur um das Tauziehen und den Machtkampf um die Ausrichtung des politischen und wirtschaftlichen Kurses ging. Sie lief auch darauf hinaus, die bisherigen Direktoren von Fabriken und Rüstungsbetrieben, die in der Vergangenheit gezeigt hatten, dass sie zu den Reformbremsern und Bewahrern des alten Systems gehörten, zu entmachten und durch jelzintreue und der russischen Souveränität verpflichtete Manager zu ersetzen. Auf dem Spiel standen für die Vertreter der sowjetischen Rüstungsindustrie demnach also auch die eigene Karriere sowie die eigene Macht und die damit verbundenen materiellen Privilegien. Oleg Baklanow, ZK-Sekretär für Verteidigung und Repräsentant des militärisch-industriellen Komplexes (VPK ), gehörte dann auch zu den drei Hauptorganisatoren des Komitees, dessen Bildung er als letztes Instrument zur Rettung der Sowjetunion verstand. Neben den machtpolitischen Interessen hatte er möglicherweise auch ein anderes persönliches Motiv: Sein Vater, den er als Kind verloren hatte, war Russe gewesen (1937 an Tuberkulose gestorben), die Mutter Ukrainerin.108 Für Oleg Baklanow gehörten Russland und die Ukraine zusammen; eine Trennung empfand er als unnatürlich. Als Hauptmotiv für sein damaliges Handeln gibt er an, er habe die UdSSR erhalten wollen. Das Staatskomitee für den Ausnahmezustand (GKTSCHP) habe damit, im Gegensatz zu G ­ orbatschow, die sowjetische Verfassung ja gerade zu verteidigen versucht, der Präsident hingegen habe gegen seinen Amtseid verstoßen, indem er das Land in

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den Zerfall getrieben habe. Über die Abrüstung und die Probleme für die Rüstungsindustrie habe er mit ­Gorbatschow öfter gestritten und versucht, ihm klarzumachen, dass man nicht zu viel nachgeben dürfe – im Interesse des eigenen Landes. Der Präsident habe erwidert: „Sie sind ja kaum im Amt [ZK -Sekretär für Verteidigung] und kritisieren schon alles.“109 Baklanow, der 1988 auch die Aufsicht über das erfolgreiche Raumfahrtprojekt Buran innehatte, sagte später über sich, er habe sich weniger mit Politik befasst, sondern mit technischen Dingen.110 Aufgrund der zunehmenden Wirtschaftskrise wurden unter ­Gorbatschow auch die Mittel für die Raumfahrtindustrie gekürzt, was Baklanow zusätzlich empörte, da er mit Leidenschaft die sowjetischen Weltraumprogramme mitgestaltet hatte. Hohe staatliche Anerkennung wurde ihm dafür in der Prä-Perestrojka-Ära zuteil; seine Memoiren belegen durch zahlreiche Dokumente, Würdigungen und Fotos das Ansehen, das er bei sowjetischen Konstrukteuren und Kosmonauten genoss und bis heute genießt. In der Perestrojka-Ära war die Raumfähre Buran das Konkurrenzobjekt zum amerikanischen Spaceshuttle und wurde von den US-Experten seinerzeit als sehr innovativ angesehen, konstatiert Charles Duke, einer der insgesamt zwölf Astronauten, die den Mond betreten haben.111 G ­ orbatschow ließ das Buran-­Programm aufgrund der akuten sowjetischen Finanznot de facto abwickeln. Für Baklanow war ­Gorbatschow spätestens 1991 nicht nur derjenige, der den Niedergang des Landes verschuldete, sondern auch derjenige, der seine Branche in den Ruin trieb. Nach der Unterzeichnung des Unionsvertrages drohte sie unter die Kontrolle Jelzins zu geraten und weiter zu zerfallen, was Baklanow verhindern wollte.

4.4 Der Kontrollverlust über die Republiken Im Verlauf des Jahres 1991 bis zum Putsch im August hatte die Zentrale in Moskau von den 15 Sowjetrepubliken zwei Fünftel völlig oder fast völlig verloren.112 Dazu gehörten Estland, Lettland, Litauen, Moldawien, Georgien und Armenien. Diese sechs Teilstaaten nahmen im März 1991 weder am Referendum über die Frage nach einer reformierten Union noch ab April 1991 an den Verhandlungen über die Gestaltung eines neuen Unionsvertrages teil. Die jahrzehntelang durch Zwang und Repression zusammengehaltene Sowjetgesellschaft befand sich in der ersten Hälfte des Jahres 1991 demnach nicht nur in Auflösung, sondern sie war als Zentralstaat in

Der Kontrollverlust über die Republiken

ihrer bisherigen Form faktisch schon am Ende. Daran hätte – bei einem geglückten Putsch – letztlich auch nichts geändert, wenn die Unterzeichnung des Unionsvertrages am 20. August verhindert worden wäre. Dennoch ging es den Putschisten darum, die Besiegelung dieses Zustandes zu verhindern und einer weiteren Erosion der Macht der Zentrale entgegenzuwirken, die zwangsläufig entweder mit der Schwächung oder mit dem Verlust ihrer eigenen persönlichen Stellung verbunden gewesen wäre. Auch stemmten sie sich gegen die kurzfristig wahrscheinlichste Variante, nämlich die eines zermürbenden Kompetenzgerangels und Kompetenzwirrwarrs mit den Republiken. Die Unterzeichnung des neuen Unionsvertrages versprach den neun verbliebenen Republiken einen rechtlichen Interpretationsspielraum, um den politischen Weg einer größeren Unabhängigkeit von der Zentrale zu beschreiten. Dieser Interpretationsspielraum erschien den Systembewahrern bedrohlich.113 Kein Zweifel dürfte allerdings daran bestehen, dass nur mit dem Einsatz von massiver militärischer Gewalt in einigen abtrünnigen Republiken die Wiederherstellung der Sowjetunion in ihrer alten Form möglich gewesen wäre. Es gibt keine Beweise, dass das GKTSCHP dies beabsichtigt oder geplant hätte. Der Kontrollverlust über die Republiken war so zwar eines der maßgeblichen politischen Motive für die Putschisten. Sie waren geleitet von dem Gedanken, die Sowjetunion mit ihren 15 Republiken – obwohl sich schon sechs von ihnen von der Zentrale losgesagt hatten – erhalten bzw. wiederherstellen zu müssen. Das GKTSCHP blieb in seinen öffentlichen Verlautbarungen aber ambivalent in der Frage, wie dieses Ziel erreicht werden sollte. Einerseits war in den Erlassen und Aufrufen an die sowjetische Bevölkerung die Rede davon, die Krise stoppen zu wollen, die „die Unversehrtheit des Territoriums der Sowjetunion bedroht.“ 114 Auch deshalb sei der Ausnahmezustand verhängt worden, hieß es darin. Andererseits machte das ­GKTSCHP ein Gesprächs- und Diskussionsangebot an die Bürger der Sowjetunion, wohl wissend, dass sechs Republiken schon in den ersten Monaten des Jahres 1991 klar und deutlich zum Ausdruck gebracht hatten, in Zukunft in keiner wie auch immer reformierten Union mehr verbleiben zu wollen. In dem Aufruf „An das sowjetische Volk“ hieß es: „Sogar der Ruf nach Aufsplitterung der Sowjetunion wird laut […]. Wir versprechen, eine breite Diskussion über den neuen Unionsvertrag, an der sich das ganze Volk beteiligen soll, durchzuführen. Jeder wird das Recht und die Möglichkeit haben, sich in Ruhe über diesen äußerst wichtigen Vorgang Gedanken zu machen und sich dann eine Meinung zu bilden.“ 115

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Bemerkenswert ist hier vor allem die implizierte und inhaltlich zutreffende Kritik, dass die Bevölkerung bis dahin gar nicht die Möglichkeit bekommen hatte, sich mit dem Unionsvertrag auseinanderzusetzen – selbst wenn man außer Acht lässt, dass sechs Republiken dies gar nicht gewollt hätten. Das vom ­GKTSCHP angekündigte Versprechen, nachzuholen, was (von ­Gorbatschow und den Republikführern) versäumt worden sei, drang jedoch während der sich überschlagenden Ereignisse ab dem 19. August 1991 als Argument gar nicht durch, weder bei der sowjetischen Bevölkerung noch bei den in- und ausländischen Medien. Daran trugen die Putschisten selbst Schuld: Die massive und sehr bedrohlich wirkende Stationierung von Panzern und Truppen in Moskau war alles andere als dazu angetan, den Eindruck einer auf Ausgleich bedachten Diskussionsbereitschaft des ­ KTSCHP zu vermitteln. Die Absicht des Truppeneinmarschs in die MosG kauer Innenstadt und in Teile des Baltikums dürfte gewesen sein, Macht zu demonstrieren, einzuschüchtern und ein Signal an alle 15 Republiken zu senden, sich der Zentrale nun wieder völlig unterzuordnen.

Das Referendum vom März 1991 Das Auseinanderdriften der Republiken hatte G ­ orbatschow im Falle Aserbaidschans im Januar 1990 noch mit massiver Gewalt zu stoppen versucht. Dem weiteren Aufstieg Jelzins in jenem Jahr zum Anführer der mächtigen Republik Russland konnte er dagegen nur mit politischen Mitteln zu begegnen versuchen. Gegen Ende des Jahres waren zudem die Forderungen nach mehr beziehungsweise nach völliger Unabhängigkeit von der Moskauer Zentrale innerhalb der 15 Republiken immer lauter und zahlreicher geworden. Auf Initiative des sowjetischen Präsidenten erörterte der Volksdeputiertenkongress der UdSSR im Dezember 1990 die Notwendigkeit, ein unionsweites Referendum abzuhalten, in dem die Bürger über den Erhalt der UdSSR abstimmen sollten. Am 26. Dezember traf er dann die Entscheidung, ein solches Referendum durchzuführen. Am 16. Januar legte der Oberste Sowjet der UdSSR den Termin auf den 17. März 1991.116 Zwei Tage vor der Abstimmung warb G ­ orbatschow in einer unionsweit ausgestrahlten Fernsehansprache und in einer sehr eigenwilligen Geschichtsinterpretation der Entstehung des Staates für seine Position. Diese sei unter anderem die Gewähr dafür, dass „die Integrität unseres tausendjährigen Staates, der durch den Fleiß und Verstand und durch unzählige Opfer vieler Generationen geschaffen wurde, bewahrt“ werde.117 Jelzin wurde eine von ihm geforderte TV-Ansprache zum Referendum, in der er seine Position

Der Kontrollverlust über die Republiken

darlegen wollte, vom Chef des sowjetischen Fernsehens verweigert.118 Dies war ein weiterer Grund für Jelzin, einen eigenen russischen TV-Kanal ins Leben zu rufen, der im Mai 1991 erstmals auf Sendung ging. (Alle anderen Republiken verfügten schon immer über einen eigenen TV-Kanal.) Das Referendum, das Klarheit über den Willen der Bevölkerung bringen sollte, konnte dies jedoch von vornherein nicht leisten, weil es keine anerkannte politische Instanz gab, die elementare Dinge wie eine einheitliche Formulierung der Fragestellung im gesamten Abstimmungsgebiet durchgesetzt und überwacht hätte. Republiken und Zentrale stritten im Vorfeld heftig darüber, was denn genau gefragt werden sollte und in welchen Worten dies zu erfolgen hatte. Dies führte dazu, dass es zwar eine übergeordnete Fragestellung gab, diese jedoch in einzelnen Republiken um unterschiedliche Zusatzfragen ergänzt wurde. Dabei kam es, wie zum Beispiel im Falle der Ukraine, zu sich inhaltlich widersprechenden Fragen. Die von der ­Gorbatschow-Führung gestellte Frage lautete: „Sind Sie der Meinung, dass der Erhalt der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken als erneuerte Föderation gleichberechtigter souveräner Republiken, in denen die Rechte und Freiheiten jeder Nationalität in vollem Umfang garantiert sind, notwendig ist?“ 119 In der Ukraine lautete die Zusatzfrage: „Sind Sie damit einverstanden, dass die Ukraine nach den Grundsätzen der Erklärung über die staatliche Souveränität der Ukraine Mitglied in einer Union Sowjetischer Souveräner Staaten werden soll?“ 120 Dies lief auf eine Konföderation hinaus statt auf eine Föderation, wie sie von ­Gorbatschow angestrebt wurde. Die historisch folgenschwerste Zusatzfrage wurde – gegen den Willen der Zentralregierung – den Bürgern der RSFSR vorgelegt: „Halten Sie es für notwendig, das Amt des Präsidenten der RSFSR einzuführen, der in einer Volksabstimmung zu wählen ist?“ 121 Das Referendum geriet so zu einem interessengesteuerten Instrument im politischen Kampf, das eher die Gegensätze der Kontrahenten herausstellte als die Möglichkeit für eine aussagekräftige Willensbekundung der Bevölkerung bot. Sein Ergebnis interpretierten alle Seiten in ihrem Sinne als Erfolg. Auch die Putschisten nahmen es im August für ihre Argumentation in Anspruch.

Das Referendum als Scheinargument für die Unionsbefürworter 74,6 Prozent der Sowjetbürger, die in 9 der 15 Republiken an dem Referendum teilnahmen, stimmten für den Erhalt der Union als erneuerte Föderation. Gleichzeitig stimmten 80 Prozent der ukrainischen Wähler für eine „Union Sowjetischer Souveräner Staaten“ und damit für eine

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Konföderation. Die Unterschiede bei der Fragestellung in anderen Sowjetrepubliken seien an dieser Stelle nicht weiter erwähnt. Der Versuch der Moskauer Zentrale, die Ergebnisse des Referendums als für die gesamte Sowjetunion bindend zu erklären, war schon allein angesichts der Tatsache, dass sechs Republiken sich verweigert hatten, abwegig und ging selbst dem Parlament der UdSSR zu weit. Ein entsprechender Vorschlag des Vorsitzenden des Obersten Sowjets, Anatoli Lukjanow, wurde von den Abgeordneten mehrheitlich abgelehnt.122 In dem Aufruf der Putschisten „An das sowjetische Volk“, der schon in seiner Überschrift fragwürdig war, da die Existenz eines solchen Volkes unterstellt wurde, war die Rede von der UdSSR als dem Vaterland. Wider besseres Wissen wurde der Eindruck erweckt, alle 15 Republiken hätten sich an dem Referendum beteiligt und es sei ein klares Votum für den Erhalt der Sowjetunion gewesen. In dem Aufruf hieß es: „Es entstanden extremistische Kräfte, die […] Kurs auf die Liquidierung der Sowjetunion nahmen, auf den Zerfall des Staates und die Machtergreifung um jeden Preis. Einfach übergangen wurden die Ergebnisse des Referendums aller Nationalitäten über die Einheit des Vaterlandes.“ 123 Mit einer ähnlichen Empörung kritisierte G ­ orbatschow in seinen Memoiren den Zerfall der Sowjetunion und die Gründung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten: „Keiner von diesen Leuten [ Jelzins Leuten] erinnerte sich daran, wie rücksichtslos der souveräne Wille des sowjetischen Volkes ignoriert wurde, der bei der Abstimmung am 17. März 1991 bekundet worden war.“ 124 Der in der kommunistischen Ideologie der Sowjetunion verwurzelte Terminus „sowjetisches Volk“ eignet sich allerdings nicht, dem Scheinargument mehr Kraft zu verleihen, dass in dem Referendum der Wille der sowjetischen Bevölkerung und damit der sehr vielfältigen Nationen zum Ausdruck gekommen sei, weiterhin in einer Union mit einer Zentrale in Moskau leben zu wollen. Das Referendum konnte eher als klarer Sieg Boris Jelzins gewertet werden, auch wenn das Abstimmungsergebnis in der RSFSR als der mit Abstand größten sowjetischen Teilrepublik ambivalent war. Bei der ersten Frage über den Erhalt der Union als Föderation stimmten in Russland 71,3 Prozent mit „Ja“. Die zweite, politisch brisantere und gewichtigere Frage über die Einführung des Präsidentenamtes in Russland (verbunden mit einer Direktwahl durch das Volk) beantworteten 70 Prozent der an dem Referendum beteiligten russischen Bürger ebenfalls mit „Ja“.125 Der Grundstein für Jelzins Präsidentschaft mit voller demokratischer Legitimation durch das Volk war gelegt. Die Behauptung der

Der neue Unionsvertrag

Systembewahrer, das Referendum sei „Ausdruck des Willens der Bevölkerung“ nach einem Erhalt der Sowjetunion gewesen, war und ist nicht zutreffend. In dieser Diskussion verlaufen die Fronten zuweilen widersprüchlich: Jewgeni Primakow, seit Frühjahr 1991 Mitglied des sowjetischen Sicherheitsrates unter G ­ orbatschow, stellte sich dem G ­ KTSCHP am zweiten Putschtag öffentlich entgegen; 1998 wurde er russischer Ministerpräsident unter Jelzin. Zwanzig Jahre nach dem Putsch bedauert er nun das Ende der Sowjetunion. Dabei beruft er sich explizit auf das Referendum 1991 und behauptet, dass „mehr als 76 Prozent“ 126 der Bevölkerung sich für den Erhalt der Sowjetunion ausgesprochen hätten. Dies wird scheinbar untermauert mit fehlerhaften Fakten wie der Aussage, dass zwölf (statt nur neun) Republiken an der Abstimmung teilgenommen hätten. Auch die Putschisten müssen sich bewusst gewesen sein, dass sie, indem sie die Verweigerung von sechs Republiken sowie die Ergebnisse zu den oben skizzierten Zusatzfragen des Referendums – allein in Russland und der Ukraine – nicht erwähnten, zumindest mit einem fragwürdigen Argument operierten, das aufgrund der Faktenlage nur als Scheinargument bezeichnet werden kann.

4.5 Der neue Unionsvertrag Die Diskussion und das Ringen um die Kompetenzen und um die Neustrukturierung der Beziehungen zwischen der Zentrale und den Republiken bestimmte die sowjetische Innenpolitik in der ersten Hälfte des Jahres 1991 maßgeblich. G ­ orbatschow brachte am 12. Juni 1990 einen neuen Unionsvertrag ins Spiel, und zwar während einer Tagung des sowjetischen Föderationsrates. Er schlug eine „Union souveräner Staaten“ vor. Dies hörte sich für die meisten Republiken verlockend an und der Vorschlag stieß auf große Zustimmung. Der Kongress der Volksdeputierten der Sowjetunion billigte dann allerdings am 26. Dezember 1990 – gegen den vehementen Protest Jelzins – einen anderen Plan ­Gorbatschows: Die Verfassung wurde dahingehend geändert, dass G ­ orbatschow ab sofort weitgehende Vollmachten zur Kontrolle der 15 Sowjetrepubliken und zur zentralen Steuerung der Volkswirtschaft der UdSSR bekam. Diese Vollmachten bestanden allerdings nur auf dem Papier, wenn auch auf Verfassungspapier; eine „Kontrolle“ war aufgrund der politischen Wirklichkeit längst nicht mehr durchsetzbar. Diese

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Verfassungsänderung widersprach auch dem am 24. November 1990 in der Sowjetpresse veröffentlichten ersten Entwurf eines neuen Unionsvertrages. Darin sollten die Republiken mehr Rechte bekommen – andererseits ließ sich G ­ orbatschow einen Monat später umfassende Sondervollmachten übertragen. Der erste Entwurf, den die Zentrale ohne Beteiligung der Republiken ausgearbeitet und veröffentlicht hatte, blieb somit Makulatur. Auch der zweite offizielle Entwurf des neuen Unionsvertrages, der am 9. März 1991 veröffentlicht wurde, hielt an dem bundesstaatlichen Charakter fest.127 Die enormen zentrifugalen Kräfte in der gesamten UdSSR, die immer stärker wurden, ließen auch diesen Entwurf obsolet erscheinen, ging es doch mittlerweile zunehmend um die Frage: Bundesstaat oder Staatenbund? ­Gorbatschow, der sein Ziel einer starken, zentral regierten Sowjetunion widerwillig aufgeben musste, sah sich eben durch die Realitäten gezwungen, dem Drängen der Mehrheit der Republiken nach Souveränität oder zumindest mehr Eigenständigkeit nachzugeben. Um mit ihnen eine erfolgversprechendere Verhandlungsbasis aufzubauen, begannen am 23. April 1991 direkte Konsultationen auf höchster Ebene zwischen den führenden Repräsentanten der Zentrale und denen der verhandlungsbereiten Republiken, die unter der Formel „9 plus 1“ in Nowo-Ogarewo bei Moskau geführt wurden. Dem Prinzip der Freiwilligkeit gab die Zentrale jetzt nach. Von den 15 Republiken hatten sich sechs schon spätestens zu diesem Zeitpunkt von der Sowjetunion verabschiedet. Dies waren die drei baltischen Republiken sowie Georgien, Moldawien und Armenien. Die Tatsache, dass ­Gorbatschow ab April 1991 in direkte Verhandlungen mit den Republiken trat und sich Jelzin annäherte, weckte den Argwohn der orthodoxen Kräfte und der Mitglieder seiner Führung, die vier Monate später mit dem Putsch diese Entwicklung und die in diesem Verhandlungsprozess erzielten Ergebnisse stoppen beziehungsweise rückgängig machen wollten. Aus dem „Rechtsruck“ G ­ orbatschows im Herbst / W inter 1990/1991 wurde im Frühjahr 1991 ein „Linksruck“, auch wenn seine Führung weiterhin aus konservativen und aus nicht reformbereiten Politikern bestand. Es dürfte kein zeitlicher Zufall sein, dass auf dem ZK-Plenum der KPdSU am 24. und 25. April – also einen Tag nach ­Gorbatschows Verhandlungsbeginn mit den Republikführern – die orthodoxen Kräfte in der Partei den Versuch machten, ihren Generalsekretär abzusetzen. Ihnen widerstrebte die ganze Richtung zutiefst. ­Gorbatschow wurde dort äußerst scharf kritisiert; in einer vom ZK

Der neue Unionsvertrag

verfassten Erklärung war sogar die Rede davon, dass „der Generalsekretär eine Politik gegen die Interessen des Volkes“ mache. ­Gorbatschow, so erinnert sich sein Berater Tschernajew, habe wütend den für Parteiorganisation und Kaderfragen zuständigen ZK-Sekretär Oleg Schenin angerufen und ihm vorgehalten: „Ich sehe, das ist deine Arbeit.“ 128 G ­ orbatschow selbst bot seinen Rücktritt an; doch das Politbüro kam daraufhin eiligst zusammen und empfahl dem Plenum, die Angelegenheit nicht auf die Tagesordnung zu setzen. ­Gorbatschow blieb somit Generalssekretär. Es ist erstaunlich, welche Milde er gegenüber jemandem walten ließ, von dem er überzeugt war, dass er ihn als Parteichef stürzen wollte. Schenin, einer der späteren Organisatoren des Putsches, war G ­ orbatschow also schon vier Monate vor dem Staatsstreich als illoyal aufgefallen. In seinen Memoiren schreibt ­Gorbatschow: „Vor allem kann ich mir selbst nicht verzeihen, zugelassen zu haben, dass Schenin eine Schlüsselfunktion im Politbüro, nämlich die Betreuung der Abteilung Organisations- und Parteiarbeit, bekleidete. Paradoxerweise hielt ich ihn für einen aufrichtigen Anhänger der Perestroika. Das mag an seiner Anpassungskunst gelegen haben, an seiner Fähigkeit, die Rolle eines Neuerers überzeugend zu spielen, während er insgeheim offenbar ein hartgesottener Konservativer war.“ 129 Umgekehrt konnte aber auch Schenin G ­ orbatschow zu Recht vorwerfen, von dem gemeinsamen Weg abgekommen zu sein, nämlich dem Weg des Sozialismus. Diesen hatte der KPdSU-Generalsekretär ja selbst beschworen und immer wieder auf die Rückbesinnung auf Lenin verwiesen. Die „Perestrojka“ wurde 1990/1991 zunehmend zu einem beliebigen politischen Begriff, der von „Sozialismus und Planwirtschaft“ bis zu „Einführung des Kapitalismus und der Marktwirtschaft“ alles programmatisch zu subsumieren schien. ­Gorbatschow selbst hatte keine klaren politischen Zielvorgaben mehr. Er war innenpolitisch sehr geschwächt und politisch ziemlich isoliert. Dies könnte eine Erklärung dafür sein, dass er auch nach dem April-Plenum des ZK 1991 noch vier Monate weiter mit Schenin zusammenarbeitete.

Die Verhandlungen und ihr Abschluss Die Verhandlungen über den dritten Entwurf des neuen Unionsvertrages zogen sich von Ende April bis Ende Juli 1991. Die Putschisten, die in diesem Zeitraum fast alle in der sowjetischen Führung saßen, hielten sich in diesen drei Monaten mit öffentlichen Äußerungen zum neuen Unionsvertrag zurück. Am Anfang des Nowo-Ogarewo-Prozesses waren entscheidende Vertragspunkte, wie die Kompetenzverteilung zwischen der

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Zentrale und den neun verbliebenen Republiken, noch offen. Es zeichnete sich aber immer mehr ab, dass G ­ orbatschow im Zweifel derjenige war, der bei Streitigkeiten nachgeben musste. Anfang Juli offenbarte Jelzin, dass die Republikführer am Beginn der Verhandlungen im April zu G ­ orbatschow gesagt hätten: „Dies ist Ihre letzte Chance.“ Wenn er ihnen nicht folgen würde, würden sie ihre eigenen Wege gehen.130 Eine detaillierte Schilderung dieser Verhandlungsetappen scheint geboten, um die Rolle der Putschisten bei der Entstehung des Unionsvertrages klarer einordnen und bewerten zu können, begründeten sie doch später ihr Vorgehen im August in starkem Maße damit, dass die Unterzeichnung dieses Dokuments unzulässig gewesen sei. Die Verhandlungsprozedur, die in Nowo-Ogarewo begann und endete, erwies sich als wenig stringent und wenig koordiniert. Dies lag vor allem daran, dass es keine verfassungsrechtlichen Vorgaben dafür gab. Die Aushandlung eines neuen Unionsvertrages bedeutete politisches und juristisches Neuland. Man musste also improvisieren. Dem Vertragsentwurf sollten auch das Unionsparlament und die Republikparlamente zustimmen. Er wurde ihnen ab dem 18. Juni zur Beratung zugesandt, nachdem sich die Republikführer und der sowjetische Präsident angeblich schon über ihn geeinigt hatten.131 Wichtige Punkte waren ausgeklammert worden wie die Details über die gemeinsame Aufsicht über den Energiesektor oder über das Verfahren des Einzugs und der Abführung von Steuern. Nun meldeten sich Abgeordnete oder Fraktionen der jeweiligen Parlamente zu Wort, nahmen Stellung zu einem Dokument, das noch gar nicht endgültig ausgearbeitet war. Auch die Republikführer Russlands und der Ukraine meldeten wieder Bedenken an oder forderten Änderungen.132 Mit besonderer Spannung wurde erwartet, wie die Obersten Sowjets der UdSSR, Russlands und der Ukraine auf diesen weitgehend ausgearbeiteten, aber eben nicht endgültig ausgehandelten Entwurf reagieren würden. Den Anfang von diesen drei Parlamenten machte die Ukraine: Am 27. Juni 1991 lehnte der Oberste Sowjet in Kiew mit 345 Nein-Stimmen gegen 18 Ja-Stimmen den vorliegenden Entwurf ab.133 Dies war ein schwerer Rückschlag für G ­ orbatschows Bemühungen, einen reformierten Zentralstaat zu erhalten. Gerhard Simon spricht in diesem Zusammenhang von einer „verschleierten Ablehnung“ einer Union durch die Ukraine.134 Am 5. Juli 1991 stimmte der Oberste Sowjet Russlands dem Entwurf nur „im Prinzip“ zu und behielt sich vor, erst nach Vorliegen der endgültigen Fassung endgültig einen Beschluss zu fassen. Diese müsste von den

Der neue Unionsvertrag

Parlamentariern vorher noch erörtert werden, wobei anschließend auch mög­liche neue Änderungswünsche seitens des Obersten Sowjets berücksichtigt werden sollten.135 Am 12. Juli 1991 stimmte auch der Oberste Sowjet der UdSSR dem vorliegenden Entwurf des neuen Unionsvertrages nur „im Prinzip“ zu.136 Gleichzeitig brachte er Änderungswünsche ein, zum Beispiel, dass der Name der neuen Union nicht „Union der Souveränen Sowjetrepubliken“ lauten sollte, sondern – wie es im Referendum vom März 1991 geheißen hatte – „Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken.“ Der alte Staatsname sollte erhalten bleiben. Im Zusammenhang mit den Beratungen im Obersten Sowjet der UdSSR ist bisher der folgenden Tatsache wenig oder gar keine Aufmerksamkeit geschenkt worden. Am 11. Juli, am Vortag der Abstimmung, wohnte die gesamte sowjetische Führung den Beratungen im Parlament bei. Dazu gehörten unter anderen Ministerpräsident Pawlow, Innenminister Pugo, Verteidigungsminister Jasow und KGB-Chef Krjutschkow – sie alle gehörten im darauffolgenden Monat dem ­GKTSCHP an. Auch die wichtigen Putsch-Organisatoren Baklanow und Schenin waren in ihrer Eigenschaft als Volksdeputierte der UdSSR anwesend. Sie griffen nicht in die Debatte ein. Von den entschiedenen Gegnern des Unionsvertrages trat vor allem die orthodoxe Parlamentsfraktion Sojus in Erscheinung. Ihr Vorsitzender Juri Blochin warnte davor, dass die Annahme das Ende der Sowjetunion zur Folge haben würde.137 Die deutliche Machtverschiebung durch eine Kompetenzstärkung der Republiken, die beispielsweise im festgeschriebenen „Vorrang der Republikgesetze“ vor den Unionsgesetzen auf dem Gebiet der „innenpolitischen Angelegenheiten“ zum Ausdruck kam, war zu diesem Zeitpunkt schon allgemein bekannt. Dass die Putschisten nicht schon im Parlament oder anderweitig öffentlich dagegen Stellung nahmen, könnte darauf zurückzuführen sein, dass sie vier Wochen zuvor bei dem Versuch, Ministerpräsident Pawlow (an gleicher Stelle) Sondervollmachten zu übertragen, gescheitert waren und ­Gorbatschow nicht wieder herausfordern wollten. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass sie sich aus taktischen Verschwörungsgründen bedeckt hielten. Denn alles spricht dafür, wie in Kap. 6.2, S. 162 noch darzulegen sein wird, dass zu diesem Zeitpunkt (Mitte Juli 1991) noch gar kein konkreter Putsch-Plan bestand. Nach den Beratungen Ende April und Mitte Juni kamen G ­ orbatschow und die neun Republikführer am 23. Juli zum dritten und letzten Mal in Nowo-Ogarewo zusammen. Zwei neue Entwürfe der sowjetischen Führung

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wurden abgelehnt. Dennoch wurde auf der Grundlage des bisherigen Entwurfs schließlich eine Einigung erzielt und verkündet.138 Das Besondere an diesem Treffen war, dass wegen strittiger Fachfragen Verteidigungsminister Jasow, Außenminister Bessmertnych oder auch der Vorsitzende des Obersten Sowjets der UdSSR, Lukjanow, zu den Beratungen hinzugezogen worden waren. Weder Jasow noch Lukjanow gaben bei diesem Treffen zu verstehen, dass sie den Vertrag ablehnten. Lukjanow hatte allerdings zwei Monate zuvor eine Resolution des Obersten Sowjets der UdSSR mitgetragen, in der die Grundsatzeinigung G ­ orbatschows mit den Republiken kritisiert worden war, unter anderem damit, dass die Abgeordneten nicht an den Verhandlungen teilnehmen dürften. Das Ziel der „9 plus 1“ wurde allerdings erst eine Woche später erreicht mit der dann wirklich ausgehandelten endgültigen Fassung. Am 29. Juli trafen sich ­Gorbatschow, Jelzin und der kasachische Präsident ­Nasarbajew erneut in Nowo-Ogarewo und verhandelten sieben Stunden lang – bis zum 30. Juli, 3 Uhr morgens.139 Der letzte strittige Punkt – das Steuersystem – war zugunsten der Republiken entschieden und ausgeräumt worden. Vor allem Russland hatte darauf bestanden, dass die Bürger die Steuern direkt an die Republiken zahlten. Von dort würden die Republikführungen einen bestimmten Teil an das Zentrum abtreten. Damit hätten die Republiken die Kontrolle über die Steuern, die an das Zentrum abgeführt würden („Ein-Kanal-System“). G ­ orbatschow dagegen wollte, dass die Bürger an das Zentrum und die Republiken zahlen („Zwei-­ Kanal-System“). Dass die Verhandlungen sehr mühsam werden würden, war aufgrund der überaus unterschiedlichen politischen Interessenlage zu erwarten gewesen, nicht aber die sehr unkoordinierte Annahmeprozedur des Unionsvertrages. Sie sei an zwei Beispielen veranschaulicht: Keinem Parlament lag die Endfassung zur Beratung vor. Dabei können gerade strittige Einzelfragen oft entscheidend für die Annahme oder Ablehnung eines solchen Vertragswerkes sein. Die Sitzungsperiode beispielsweise des Obersten Sowjet der UdSSR war schon am 12. Juli 1991 zu Ende gegangen – die Abgeordneten, die mit darüber entscheiden sollten, ob und in welchem Maße „ihr“ Staat reformiert werden sollte, befanden sich ab dem 13. Juli in Parlamentsferien. Das spätere Argument der Putschisten, die Unterzeichnung des Unions­ vertrages wäre allein schon aus diesen Gründen nicht rechtens gewesen, erscheint vor diesem Hintergrund zunächst nachvollziehbar. Der

Der neue Unionsvertrag

sowje­tische Parlamentspräsident Lukjanow, der nicht dem G ­ KTSCHP angehörte, es aber unterstützte und deshalb nach dem Putsch angeklagt wurde, schrieb zwei Jahrzehnte nach den Ereignissen: „Hinter verschlossenen Türen gab G ­ orbatschow bei seinem Treffen mit Jelzin und Nasarbajew am 30. Juli 1991 die letzten Positionen der Union preis, indem er sich mit dem Ein-Kanal-Steuersystem einverstanden erklärte und sich auf die Unterzeichnung eines Vertrages einließ, der aus der Union eine Konföderation machte. Dies tat er, ohne die Vertreter des Obersten Sowjet der UdSSR in diese Entscheidungen mit einzubeziehen, was allerdings laut Parlamentsbeschluss vom 12. Juli 1991 vorgesehen war. Damit hat er den Willen des Parlaments des Landes und der Völker der UdSSR völlig ignoriert.“ 140 Zu einem vollständigeren Bild dieses wichtigen Aspekts und der Frage nach der Einbeziehung des Obersten Sowjet gehört jedoch auch, dass Lukjanow damals als Vorsitzender dieses Parlaments keinerlei Widerstand erkennen ließ, indem er Bedenken vortrug oder protestierte. Zehn Tage nach Beginn der Parlamentsferien nahm er sogar an den sich im Endstadium

2  Ringen um einen neuen Unionsvertrag für den zerfallenden Zentralstaat: An den Verhandlungen in Nowo-Ogarewo bei Moskau nehmen auch einige spätere Putschisten und deren Unterstützer teil – unter ihnen der sowjetische Ministerpräsident Valentin Pawlow (links) und der Vorsitzende des sowjetischen Obersten Sowjets Anatoli Lukjanow (Mitte). © RIA Novosti

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befindlichen Beratungen in Nowo-Ogarewo teil. Dies erwähnt er in seinem Buch über den August 1991 allerdings nicht. Zur Verteidigungsstrategie der offiziellen Mitglieder des G ­ KTSCHP gehörte später auch der Hinweis auf das Fehlen der abschließenden Erörterung des Obersten Sowjet. Doch auch sie hatten während des Zustandekommens des Unionsvertrages (April bis Juli 1991) nicht auf eine abschließenden Erörterung und Absegnung durch den Obersten Sowjet der UdSSR gedrängt und eine solche nicht einmal thematisiert. Der Hinweis, dass der Unionsvertrag nicht genügend diskutiert worden sei, fand sich erst in ihrem „Aufruf an das Volk“ vom 19. August 1991 zu Beginn des Putsches.

Zum Inhalt des Unionsvertrages Bei näherer Betrachtung des Unionsvertrages, der das politische Leben in der UdSSR monatelang maßgeblich bestimmt hatte, stellt sich heraus, dass er juristisch widersprüchlich war und weiterhin ständige Konfliktherde in sich barg. Es war ein höchst „wackeliges, ja schiefes Konstrukt, für das es nicht umsonst in der ganzen Welt keine vergleichbare verfassungs- und staatsrechtliche Vorlage gab.“ 141 Die einfache und ebenso leicht nachvollziehbare Begründung hierfür findet sich in erster Linie in der fachlichen Qualifikation der Verhandlungspartner sowie in deren unvereinbaren und sich ausschließenden politischen Vorstellungen und Zielen. Sie waren alle ehemalige Parteifunktionäre, die sich nun an ein diffiziles juristisches Werk machten und dabei nicht primär die juristische Belastbarkeit und Stringenz der darin niedergelegten Bestimmungen im Auge hatten, sondern darauf bedacht waren, ein Maximum der eigenen politischen Ziele in den Formulierungen wiederzufinden. Georgi Schachnasarow, Berater des sowjetischen Präsidenten, sammelte die Änderungswünsche der Verhandlungsführer, feilte mit einigen Kollegen an den Formulierungen und legte die neuen Entwürfe wieder vor. Den ukrainischen Parlamentspräsidenten Krawtschuk, einen ehemaligen Funktionär für Propaganda und Ideologie, dessen Republik eine besondere Bedeutung in dem Ringen um eine reformierte Union hatte, beschrieb er als begriffsstutzig: „Wir waren gezwungen, sie [juristische Feinheiten] ihm zu erklären, und stießen dabei auf keine ausgeprägte Auffassungsgabe.“ 142 Am 23. Juli 1991 lag schließlich nach langen, quälenden Verhandlungen der unterschriftsreife Unionsvertrag vor, der eine Woche später von den Präsidenten G ­ orbatschow, Jelzin und Nasarbajew in der strittigen Steuerfrage letztmalig nachgebessert wurde. In den Folgewochen bis zum

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Putsch wurde der geplante Unionsvertrag sowohl von den Verfechtern eines starken Zentralstaates als auch von dessen entschiedenen Gegnern öffentlich infrage gestellt und abgelehnt. Die Putschisten hielten sich mit öffentlichen Äußerungen oder Stellungnahmen jedoch weitgehend zurück. Am 5.  August 1991 forderten namhafte Reformpolitiker wie Juri ­Afanasjew oder Jelena Bonner den russischen Präsidenten in einem offenen Brief auf, das Dokument nicht zu unterschreiben, weil es die Souveränität Russlands gefährde: „Niemand konnte uns bisher schlüssig erklären, was das heißt: Souveräne Staaten, die zusätzlich noch einen unabhängigen, souveränen Staat bilden. […] Niemand kann erklären, warum Russland von zwei Präsidenten regiert werden soll. […] Warum brauchen wir zwei Oberste Sowjets als eine Quelle für den ‚Krieg der Gesetze‘? […] Warum brauchen wir zwei Regierungen – die eine über die andere gestellt? Und kann ein Rechtsstaat auf der Basis von zwei Verfassungen funktionieren?“ 143 Der Vertrag bestand aus einer Präambel, sieben Grundprinzipien (Teil I) sowie aus insgesamt 26 Artikeln in drei weiteren Teilen, welche die Überschriften hatten: „Aufbau der Union“ (II ), „Unionsorgane“ (III ) und „Schlussbestimmungen“ (IV).144 Wie widersprüchlich, ja absurd der Vertrag war, zeigt sich schon an der Gegenüberstellung einiger weniger Prinzipien und Artikel: Grundprinzip 1 besagt, dass es sich bei der Union Sowjetischer Souveräner Republiken (USSR) um einen „souveränen Bundesstaat“ handele. Im selben Grundprinzip ist festgelegt, dass jede Republik, die dem Vertrag beitritt, ein „souveräner Staat“ sei. Grundprinzip 7 lautet: „Die Staaten, die diese Union bilden, sind vollberechtigte Mitglieder der internationalen Gemeinschaft. Sie haben das Recht, direkte diplomatische Beziehungen, konsularische Beziehungen und Handelsbeziehungen mit anderen Staaten aufzunehmen […].“ In Art. 5 unter der Überschrift „Zuständigkeitsbereich der Union“ heißt es dagegen: „Die Mitglieder dieses Vertrages übertragen der Union der SSR folgende Vollmachten: Die Verwirklichung der Außenpolitik und die Koordinierung der außenpolitischen Aktivitäten der Republiken […].“ Art. 11 schreibt Folgendes fest: „Die Gesetze der Union haben bei Fragen, die die Zuständigkeit der Union betreffen, Vorrang und sind für die Republiken auf deren Territorium bindend […]. Streitfälle werden an das Verfassungsgericht der Union geleitet, das innerhalb eines Monats eine endgültige Entscheidung fällt.“ In Grundprinzip 2 heißt es wiederum: „Die Staaten, die diese Union bilden, behalten sich das Recht vor, alle Fragen, die ihre Entwicklung betreffen, selbstständig zu entscheiden.“ 145

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Die Putschisten – so unter anderen Oleg Baklanow – legten den Vertrag zweifellos so aus, dass die Sowjetunion durch seine Unterzeichnung endgültig auseinanderfallen würde. Zwanzig Jahre später behauptete Baklanow, die Delegation in Foros habe darauf bestanden, dass über den Unionsvertrag der Oberste Sowjet befinden müsse: „Hätten wie vorgesehen nur sieben oder acht der 15 Republiken den Vertrag unterschrieben, so wäre damit das Ende der Sowjetunion besiegelt worden. Das konnten wir nicht zulassen.“ 146 Aus diesen Äußerungen geht auch hervor, dass einige Putschisten im Nachhinein demokratisch zu argumentieren versuchten, in der Sache aber von vornherein nicht bereit waren, demokratisch zustande gekommene Entscheidungen der abtrünnigen Republiken zu akzeptieren.

Die Akzeptanz des Unionsvertrages Im historischen Diskurs wird meist die für den 20. August 1991 geplante Unterzeichnung des Unionsvertrages als entscheidendes Motiv für den Putsch genannt. Dies ist zwar berechtigt, doch wird der Vertrag im Hinblick auf seinen Inhalt, seine politische Verbindlichkeit und Klarheit sowie seine Akzeptanz überbewertet. Denn selbst die grundsätzlich unterschriftsbereiten Republiken, von denen es höchstens neun gab, hatten noch keine endgültige Entscheidung getroffen. Ohne die Ukraine wäre eine „Union der Sowjetischen Souveränen Republiken“, so der vereinbarte neue Staatsname, kaum denkbar gewesen, denn Jelzin hatte das Inkrafttreten des neuen Vertrages davon abhängig, gemacht, dass auch die Ukraine zustimmte.147 Gerade die Ukraine hatte jedoch ihre Entscheidung in ihrem Obersten Sowjet auf September 1991 verschoben, weil der Widerstand gegen den Vertrag zu groß geworden war.148 Begleitet wurden die parlamentarischen Beratungen in Kiew von einer gewaltsamen Demonstration vor dem Parlamentsgebäude gegen einen neuen Unionsvertrag. Dabei riegelte die sowjetische Polizei den Obersten Sowjet ab und setzte Tränengas ein. Zahlreiche Menschen wurden bei den Zusammenstößen verletzt.149 Auch in anderen Städten der Ukraine gab es Demonstrationen. Auch wenn er an den Verhandlungen zum Unionsvertrag teilnahm, so verfolgte der ukrainische Parlamentsvorsitzende Leonid Krawtschuk primär das Ziel der staatlichen Unabhängigkeit der Ukraine. Der einstige ZK-Sekretär für Propaganda, Agitation und Ideologie hatte sich 1989 zum Nationalisten gewandelt. Am 6. Juli 1991 beschloss der Oberste Sowjet der Ukraine – dem Beispiel Jelzins folgend – die Einführung eines Präsidentenamtes und setzte als Termin den 1. Dezember 1991 für die Wahl

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des Präsidenten durch das Volk fest. Noch während um den Abschluss des Unionsvertragsentwurfs gerungen wurde, drohte Krawtschuk mit der Begründung, von den Vorgaben der im Jahr zuvor beschlossenen Souveränitätserklärung dürfe nicht abgerückt werden, indirekt damit, dass sein Land doch nicht Mitglied einer reformierten Union werden würde: „Wenn er [der Unionsvertrag] so gestaltet wird, dass es eine reale Union souveräner Staaten gibt, und zwar nicht nur nach Worten, dann kann man sagen, das gefällt uns.“ 150 Zu vermuten ist, dass Krawtschuk durch die Parlamentsentscheidung, die erst ab September eine Wiederbefassung mit dem Unionsvertrag vorsah, Zeit gewinnen und die fast quälenden und teils widersprüchlichen „9 plus 1“-Verhandlungen ins Leere laufen lassen wollte. Die Ukraine war eine Schlüsselrepublik, mit deren Entscheidung der Unionsvertrag stehen oder fallen würde. Ihre Zustimmung war nun politisch und zeitlich in weite Ferne gerückt. Daraus ergibt sich, dass G ­ orbatschow im Sommer 1991 kein sicheres Fundament für eine Reform der Union vorzuweisen hatte; sein ohnehin brüchiges und widersprüchliches Konzept des Unionsvertrages basierte somit lediglich auf der Hoffnung, dass sich die Dinge letztlich irgendwie in seinem Sinne fügen würden. Dazu gehörte ganz entscheidend, dass die Ukraine den Unionsvertrag nicht ablehnte. G ­ orbatschow blieb angesichts der Signale aus Kiew zunächst nicht viel mehr übrig, als die sich verschlechternden Aussichten in dieser Angelegenheit zu verdrängen.

Die späte Veröffentlichung der Endfassung Hatte G ­ orbatschow im November 1990 den ersten Entwurf für einen neuen Unionsvertrag in der sowjetischen Presse in allen Einzelheiten publizieren und die Veröffentlichung mit einer breiten Öffentlichkeits- und Propagandaarbeit begleiten lassen und dies in vermindertem Umfang auch beim zweiten Entwurf im März 1991 so gehandhabt, so war der dritte und letzte Entwurf von Nowo-Ogarewo von einer gewissen Intransparenz gekennzeichnet. Ein wichtiges Indiz spricht dafür, dass G ­ orbatschow den Vertragstext vor dem 20. August gar nicht im Detail veröffentlicht sehen wollte. Nach den bis dahin in Moskau allgemein geltenden Regeln in der Nachrichtenpolitik des Kremls hatte immer die staatliche und offizielle Agentur TASS die Steuerung und Publikation von wichtigen und von der Führung gewünschten Informationen oder Dokumenten inne. Die Veröffentlichung der Endfassung des Unionsvertrags erfolgte nun entgegen allen sonstigen Gepflogenheiten.

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Bisher wurde allgemein davon ausgegangen, dass die Redaktion der liberalen Wochenzeitung Moskowskie Nowosti am 14. August 1991 den Vertragstext als Erste publiziert hätte.151 Er kursierte jedoch laut der deutschen Nachrichtenagentur dpa bereits am 13. August 1991 in Moskau. Auch sie kam in den Besitz eines Exemplars und brachte den endgültigen Vertrags­text am gleichen Tag in einer zweiteiligen dokumentarisch angelegten Agentur-Meldung, und zwar um 14 : 27 Uhr und um 14 : 36 Uhr. Hingegen veröffentlichten weder die amerikanische (AP) noch die britische (­Reuter) oder die französischen Agentur (AFP) am 13. August den Vertragstext, der ihnen ganz offensichtlich nicht vorlag. Erstaunlich ist, dass selbst die offizielle sowjetische Nachrichtenagentur TASS weder am 13. noch am 14. August einen eigenen Vertragstext publizierte. Das offizielle sowje­tische Sprachrohr TASS zitierte vielmehr am 14. August 1991 aus der bereits erwähnten vermeintlichen Erstveröffentlichung des Textes aus der Zeitung Moscow News vom gleichen Tag. Am 14. August um 12 : 40 Uhr brachte AP, die gegenüber dpa ins Hintertreffen geraten war, eine Meldung unter der Überschrift „Text des Unionsvertrages veröffentlicht. TASS-Zusammenfassung basiert auf ‚Moscow News‘.“ Daraus ist zu schließen, dass TASS selbst am 14. August noch nicht über ein Exemplar verfügte oder es nicht veröffentlichen sollte, denn sonst hätte sie sich als offizielle sowjetische Nachrichtenagentur nicht die Blöße gegeben, aus einem russischen Reformblatt solch ein staatstragendes Dokument entnehmen zu müssen und daraus zu zitieren. Da der Vertragstext nun auf dem Nachrichtenmarkt war, hätte es auch keinen Sinn mehr gemacht zu versuchen, ihn durch Nichtveröffentlichung zurückzuhalten. Und es ist auch klar ersichtlich, dass in der TASS-Fassung der nach allen Seiten hin interpretierbare Vertragstext im Sinne G ­ orbatschows und der Unionszentrale wiedergegeben wurde. Die Vertragsformulierungen und -passagen, die die Rechte und Kompetenzen der Republiken herausstreichen (zum Beispiel, dass die Mitglieder der Union vollberechtigte Mitglieder der Weltgemeinschaft sind und eine eigene Außenpolitik verfolgen können), wurden nicht erwähnt, diejenigen, die die Macht der Zentrale und die von ­Gorbatschows persönlich skizzieren, hingegen betont. Die sowjetische Regierungszeitung Iswestija und die Parteizeitung ­P rawda veröffentlichten den Vertragstext einen Tag später. Eine öffentliche Diskussion innerhalb der Bevölkerung über den neuen Unionsvertrag fand aber nicht statt. Ab dem 15. August blieben noch drei Werktage bis zur geplanten Unterzeichnung. Da zu diesem Zeitpunkt die meisten

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Bürger der Sowjetrepubliken mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatten, dürften sie kein allzu großes Interesse daran gehabt haben, über die künftige Staatsform zu debattieren. Hinzu kam, dass der August der traditionelle Ferienmonat war. ­Gorbatschow seinerseits hatte die Bevölkerung am 2. August lediglich in einer Fernsehansprache darüber informiert, dass der Vertrag unterschriftsreif und für die Zukunft des Landes von enormer Bedeutung sei, und sich zuversichtlich gegeben, dass mit seiner Unterzeichnung die Wirtschaftskrise überwunden werden würde. Zwei Tage später flog er in den Urlaub auf die Krim. Die Putschorganisatoren Krjutschkow und Schenin behaupten, die sowjetische Führung habe die Endfassung aus der Zeitung erfahren. Schenin nennt namentlich Ministerpräsident Pawlow, der den Text „zufällig und nicht auf offiziellem Wege“ am 14. August durch die Iswestija zur Kenntnis genommen habe. Daraufhin habe man sich zusammengesetzt, beraten und festgestellt, dass „dies der völlige Zusammenbruch, die völlige Katastrophe“ wäre. Krjutschkow zufolge sei man im „Schock“ gewesen und habe „nur noch zwei Tage zum Handeln“ gehabt.152 Diese Darstellung, dass angeblich die Informationen der Iswestija am 14. August der Auslöser für ihre Beratungen und ihr anschließendes Handeln gewesen seien, entspricht nicht den Fakten. Zu diesem Zeitpunkt waren unter der maßgeblichen Beteiligung Krjutschkows und Schenins die Putschvorbereitungen bereits seit mehr als einer Woche im Gange, wie die späteren staatsanwaltlichen Ermittlungen und Zeugenaussagen belegten. Die zweifellos späte, seltsame und wahrscheinlich von ­Gorbatschow nicht gewünschte Veröffentlichung des diffizilen und in sich widersprüchlichen Vertragstextes durch die Medien ändert nichts daran, dass die Putschisten über den Verhandlungsstand mit den Republiken und über die Ergebnisse immer im Bilde sein konnten. Verteidigungsminister Jasow, der stellvertretende sowjetische Ministerpräsident Wladimir Schtscherbakow und auch der sowjetische Parlamentsvorsitzende Lukjanow waren persönlich bei den stundelangen Abschlussberatungen am 23. Juli in Nowo-Ogarewo anwesend. Dass eine Woche später ­Gorbatschow, Jelzin und Nasarbajew noch die Steuerfrage als letzten strittigen Punkt ausräumten, wurde den sowjetischen und internationalen Medien sofort mitgeteilt, auch wenn das Dreier-Treffen als solches vorher nicht bekannt gemacht worden war und die dort getroffenen Absprachen über die zu unternehmenden politischen und personalpolitischen Schritte

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für die Zeit nach der Unterzeichnung geheim gehalten wurden. Und dass ausgerechnet der KGB -Chef, dessen Organisation bis zum Putsch die innenpolitischen Vorgänge unter besonderer Beobachtung hatte, nicht über den Vertragstext im Bilde gewesen sein will, ist absurd. Völlig widerlegt wird Krjutschkows Behauptung, nach der Veröffentlichung im „Schock“ gewesen zu sein und nur noch zwei Tage zum Handeln gehabt zu haben, durch ihn selbst: In seinem 2003 erschienen Buch über die August-Ereignisse schreibt er: „Gleich nach der Einigung über das Projekt Unionsvertrag gelangte sein Text in meine Hände. Ich legte meine Aufmerksamkeit auf die Passagen, die die Gewährleistung der Staatssicherheit und ihrer Funktionstüchtigkeit torpedierten. […] Die Rolle des KGB auf Unionsebene wurde auf die einer Koordinierungsstelle für die KGB-Organe auf Republikebene reduziert.“ 153 Krjutschkow schreibt weiter, er habe sich dann bei ­Gorbatschow beschwert, der unzufrieden reagiert und erwidert habe, dass es gelungen sei, das Maximum aus den Verhandlungen herauszuholen. Daraufhin habe er ­Gorbatschow um Erlaubnis gefragt, ob er selbst mit den Republikführern diesen Punkt besprechen dürfe, womit G ­ orbatschow einverstanden gewesen sei, jedoch hinzugefügt habe, dass er an dem Erfolg der Aktion zweifle. Diese Schilderungen führen zu dem Hauptmotiv des Hauptorganisators des Putsches: dem drohenden Kompetenzverlust und dem damit verbundenen Machtverlust der KGB-Zentrale in Moskau. Dabei ist allerdings eine Gewichtung des möglichen persönlichen Motivs Krjutschkows, einerseits seinem eigenen Bedeutungsverlust entgegenzuwirken und andererseits einen Bedeutungsverlust seiner Organisation nicht zuzulassen, nicht möglich. Schon im Dezember 1990 hatte der russische Volksdeputiertenkongress eine Entschließung verabschiedet, in der die Gründung eines eigenen Geheimdienstes für Russland vorgesehen wurde. KGB-Chef ­Krjutschkow war laut Agenturmeldungen nicht dagegen gewesen.154 In der Folgezeit führte Krjutschkow darüber sogar mit Vertretern der Jelzin-Führung Abstimmungsgespräche hinsichtlich der Kompetenzverteilung; am 5. Mai 1991 unterzeichneten beide Seiten ein gemeinsames Protokoll zur Gründung eines eigenen russischen Dienstes, vertagten aber die Regelung von strittigen Punkten. Diese sollten nach der Unterzeichnung des neuen Unionsvertrages „einvernehmlich gelöst werden“.155 Krjutschkow gibt an, dass er, nachdem ihm der Text des neuen Unionsvertrages vorgelegen hatte, seine Kollegen im KGB zu einer Beratung zusammengerufen habe. Man sei einhellig der Meinung gewesen, dass die Reduzierung der KGB-Zentrale auf

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eine Koordinierungsstelle die Erfüllung der Aufgaben unmöglich machen würde und dass sie „das Ende eines einheitlichen Staatssicherheitssystems und das Ende ihrer Existenz“ bedeuten würde. Man bestand darauf, im Vertragstext die Führungsrolle des KGB gegenüber den Unterorganisationen in den Republiken festzuschreiben. Er habe mit den Republikführern „quälende Gespräche“ geführt. Mit Jelzin habe er sogar zweimal in dieser Angelegenheit verhandelt. Schließlich sei der Vertragstext in Artikel 5 dahingehend geändert worden, dass es nun hieß: „[…] Zu den Kompetenzen der Union gehört […] die Führung und die Koordinierung der Tätigkeit der KGB-Organe der Republiken.“ 156 Doch dieser Kompromiss stellte ihn nicht zufrieden, da nach seiner Darstellung das entscheidende Wort „Führung“ kursiv erschien und mit einer Fußnote versehen war, der zufolge dieses Wort auf Krjutschkows Vorschlag hin hinzugefügt worden war. Diese Fußnote habe für ihn alles wieder infrage gestellt. Es sei der Eindruck entstanden, dass diese Frage noch offen und zu einem späteren Zeitpunkt noch abschließend zu klären sei.157 Die von Krjutschkow erwähnte Fußnote, von der man fast den Eindruck gewinnen könnte, sie hätte den Putsch ausgelöst, findet sich allerdings nicht in dem von der sowjetischen Presse veröffentlichten Vertragstext. Dort ist bezogen auf den KGB die Rede von „Führung und Koordinierung“.158 Kein Zweifel dürfte daran bestehen, dass in der KGB-Führung eine starke Unsicherheit über die Zukunft bestand. Die bisher völlig unstrittige Führungsrolle der KGB-Zentrale in Moskau wurde durch den neuen Unionsvertrag bestenfalls beschnitten, wenn nicht sogar umgestoßen. Der Geist dieses Vertrages widersprach zudem der in Sicherheitsorganen üblichen Mentalität und der dort herrschenden klaren hierarchischen Strukturen, die von einer Gehorsamskultur geprägt waren. Krjutschkow nahm seinen hier zitierten eigenen Ausführungen zufolge sogar aktiv an der Erstellung der Endfassung des Vertragstextes teil. Allein angesichts der Tatsache, dass die Putschvorbereitungen am 5. August begannen, ist die auch an anderen Stellen aufgestellte Behauptung der Verschwörer haltlos, sie hätten von dem in ihren Augen so zerstörerischen Inhalt des Unionsvertrages erst wenige Tage vor der geplanten Unterzeichnung erfahren. Warum aber hat ­Gorbatschow eine detaillierte Veröffentlichung ganz offensichtlich gescheut? Der Grund hierfür dürfte taktischer Natur gewesen sein, um nicht wieder neue Wortmeldungen und neue Diskussionen zu provozieren, die das in sich widersprüchlich gebliebene Werk gefährden oder möglicherweise wieder Nachverhandlungen erforderlich machen würden.

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Auch sein Gegenspieler Jelzin hatte genügend eigene Gegner unter den „Radikalreformern“, denen der neue Unionsvertrag als Hindernis auf dem Weg zu einer größeren Eigenständigkeit Russlands erschien. Es fällt auf, dass auch die reformorientierte Presse den Vertragstext lange nicht veröffentlichte, weil er auch ihr offensichtlich nicht vorlag. Dies spricht dafür, dass beide – G ­ orbatschow und Jelzin – ein Interesse daran hatten, allen Gegnern – sowohl den extremen Systembewahrern als auch den extremen Systemgegnern – möglichst wenig Gelegenheit zu geben, in den ausformulierten Artikeln und Bestimmungen aus ihrer Sicht Anstößiges zu finden. Krjutschkow, der während des Urlaubs des sowjetischen Präsidenten fast täglich mit diesem telefonierte (wie dieser auch selbst bestätigt), schreibt, er sei von ­Gorbatschow am Tag der Veröffentlichung des Vertragstextes in der Wochenzeitung Moskowskie Nowosti aus Foros wutentbrannt angerufen worden. „Er spuckte Gift und Galle und forderte, den ‚Schuldigen‘ dieser Aktion [der Veröffentlichung des Vertragstextes] ausfindig zu machen.“ 159 Dieser Zorn resultierte wohl aus der Tatsache, dass G ­ orbatschow zehn Tage zuvor, zu Beginn seines Urlaubs, den Vertragstext an die Mitglieder der sowjetischen Führung geschickt hatte mit dem Zusatz: „Streng geheim. Das Anfertigen von Kopien, auch auszugsweise, ist verboten.“ 160 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass G ­ orbatschow den Kreis derjenigen, die Einfluss auf den ohnehin fragilen und strittig gebliebenen Unions­vertrag hätten nehmen können, möglichst klein halten wollte. Dass die Putschisten über den Vertrag nicht oder zu spät im Bilde waren, ist allerdings nicht zutreffend. Als Auslöser und Motiv für den Putsch kann die späte Veröffentlichung des Vertragstextes in der sowjetischen Presse damit ausgeschlossen werden. Die Mitglieder der sowjetischen Führung – allen voran der KGB-Chef – hatten ihn spätestens seit den ersten Augusttagen vorliegen, Krjutschkow schon in der letzten Juli-Woche, wie er selbst in seinen Memoiren bestätigte.

4.6 Das Geheimtreffen zwischen ­Gorbatschow, Jelzin und Nasarbajew Zunächst stellt sich die Frage, warum es Ende Juli 1991 in Nowo-Ogarewo ein „2 plus 1“-Treffen gab statt des üblichen „9 plus 1“. Denn behandelt wurden dort Angelegenheiten, die alle neun der am Verhandlungsprozess beteiligten Republiken betrafen. Die Zusammenkunft der drei Präsidenten am

Das Geheimtreffen zwischen ­Gorbatschow, Jelzin und Nasarbajew

Abend des 29. Juli auf dem Landsitz bei Moskau wurde der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt. Es ergingen lediglich am nächsten Tag Pressemitteilungen über ein Ergebnis des Treffens – und das war die Einigung über die noch strittig gebliebene Frage des Steuersystems. Der Ort des Treffens wurde nicht erwähnt.161 Die weiteren bedeutenden Absprachen und Ergebnisse, auf die weiter unten noch eingegangen wird, wurden nicht publik gemacht und sollten somit ganz offensichtlich zunächst geheim bleiben. Der Zeitpunkt des Geheimtreffens war geschickt gewählt. Es fand am Vorabend des Gipfeltreffens der Supermächte USA und UdSSR in Moskau statt, an dem aufgrund der Machtverschiebung zugunsten der sowjetischen Teilstaaten erstmals auch zwei Republikchefs teilnehmen sollten: Jelzin und Nasarbajew. Während die drei Präsidenten in Nowo-Ogarewo am Abend und bis in die frühen Morgenstunden verhandelten, übernahm der sowjetische Vizepräsident Janajew – wie von ­Gorbatschow beauftragt – die Begrüßung von US-Präsident Bush sen. am Flughafen in Moskau am späteren Abend. Wie außerordentlich zwiespältig das persönliche Verhältnis zwischen ­Gorbatschow und Jelzin zu diesem Zeitpunkt war, zeigt sich gerade auch in diesem Zusammenhang. Einerseits trafen sie in Nowo-Ogarewo politische Geheimabsprachen, die erst nach dem Putsch öffentlich bekannt wurden. Für solche konspirativen Absprachen ist in der Regel ein gewisses Maß an Vertrauen erforderlich. Am gleichen Tag, dem 29. Juli, bekämpften sie den Kurs des jeweils anderen vehement – mit Taten und Verlautbarungen: ­Jelzin unterschrieb in Moskau mit dem litauischen Präsidenten Landsbergis einen Vertrag der gegenseitigen Anerkennung der staatlichen Souveränität. Danach warnte er G ­ orbatschow nochmals öffentlich, sein Parteizellenverbot „auch nur anzurühren“ 162, und fügte hinzu: „­Gorbatschow wird genügend Menschenverstand haben, es nicht zu tun.“ 163 ­Gorbatschow wiederum provozierte Jelzin, indem er verlauten ließ, ­Jelzin werde neben Nasarbajew am nächsten Tag (30. Juli) zu der erweiterten sowjetischen Delegation gehören, die an den sowjetisch-amerikanischen Gipfelgesprächen mit Präsident Bush teilnehmen sollte.164 Der russische Präsident erwiderte öffentlich, er habe seine Zustimmung dafür nicht gegeben und werde wie geplant als Chef des souveränen Russland mit Bush in der Residenz des russischen Präsidenten im Kreml zusammentreffen. Bush und Jelzin trafen sich am nächsten Tag, wie vorher zwischen ihnen vereinbart, separat. Nasarbajew nahm im Rahmen der sowjetischen Delegation an einer Gesprächsrunde mit dem amerikanischen Präsidenten

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teil. Jelzin kritisierte G ­ orbatschow in einem Interview mit dem US-Fernsehsender CNN, dieser hätte dann auch die übrigen Republikführer zu dem Gipfeltreffen einladen müssen und nicht nur ihn und Nasarbajew.165 Die Amerikaner balancierten zwischen den beiden politischen Schwergewichten, machten aber in Moskau klar, dass ­Gorbatschow der wichtigste Ansprechpartner für sie bleiben würde. Gleichzeitig bekräftigte Bush gegenüber Jelzin, dass direkte Beziehungen zu Russland erst nach Abschluss des neuen Unionsvertrages infrage kämen.166 Jelzin, der stets um eine internationale Aufwertung seiner Republik bemüht war, hatte somit einen gewichtigen außenpolitischen Grund, den neuen Unionsvertrag zum Abschluss zu bringen und in Kraft treten zu lassen. Nach seiner Vereidigung als vom Volk gewählter Präsident Russlands drei Wochen zuvor hatte er zusätzlich zu seinen bereits vorhandenen Räumlichkeiten im Weißen Haus an der Moskwa eine kleine Residenz im Kreml bezogen. Doch für zwei Bären in einer Höhle, so besagt das russische Sprichwort, ist auf Dauer kein Platz. In seiner Konsequenz war es im Unionsvertrag genau so vorgesehen: dass zwei Präsidenten in Moskau regieren würden.

Offene und geheime Absprachen Das der Öffentlichkeit vorher nicht mitgeteilte Treffen der Präsidenten ­Gorbatschow, Jelzin und Nasarbajew hatte vier Hauptthemen. Nur das Ergebnis eines Gesprächsgegenstandes wurde am gleichen Tag mitgeteilt, das zweite mit einer mehrtägigen Verzögerung, die Ergebnisse der letzten beiden (und brisantesten) wurden erst nach dem Putsch bekannt. Bei den vier Themen handelte es sich um: 1. die Einigung über das Steuer­system – den letzten zwischen ­Gorbatschow und Jelzin strittigen Punkt des neuen Unionsvertrages, 2. die Vorverlegung der Unterzeichnung des Unionsvertrages und die Festlegung auf den 20. August, an dem allerdings zunächst nur Russland, Kasachstan und Usbekistan unterschreiben würden, 3. die Verabredung, dass die Wahlen, mit denen die neuen Unionsorgane laut Unionsvertrag zu bestimmen waren, vor der Verabschiedung der neuen Ver­ fassung abgehalten werden sollten,167 und 4. die Erörterung von Führungspositionen in der neuen Union und ihrer Besetzung. Die vier Punkte bedürfen einer näheren Betrachtung – sowohl ihrer Veröffentlichung als auch ihres Inhalts. Dadurch soll verdeutlicht werden, wie inkonsistent und auch eigenmächtig die Hauptkonstrukteure der neuen Union, ­Gorbatschow und Jelzin, die eher gegeneinander als

Das Geheimtreffen zwischen ­Gorbatschow, Jelzin und Nasarbajew

miteinander agierten, vorgingen. Ferner soll der Frage nachgegangen werden, welche Reaktionen diese Vereinbarungen hervorgerufen haben und ob die zwischen den drei Präsidenten ­Gorbatschow, Jelzin und ­Nasarbajew getroffenen Absprachen die Putschvorbereitungen mit ausgelöst haben könnten.

Das Recht zur Steuererhebung ­ orbatschow bestand lange auf dem „Zwei-Kanal-System“, das sowohl der G Zentrale als auch den Republiken das Recht geben sollte, von den Bürgern Steuern zu erheben. Genau das aber wollte der russische Präsident nicht. Die Steuern sollten allein von den Republiken erhoben werden; von dort würde ein noch zu bestimmender Teil an die Zentrale weitergeleitet werden („Ein-Kanal-System“). Die strittige Steuerfrage tangierte die Existenz der Moskauer Zentrale und des ganzen Staatsgebildes. Ohne eine eigene Steuerhoheit der Union, die dann davon abhängig gewesen wäre, dass die Republiken einen Teil der Steuern an sie weiterleiteten, hätte sich der Handlungs- und Gestaltungsspielraum für die Zentrale bis zur Bedeutungslosigkeit reduziert. Inhaltlich war die Einigung auf das „Ein-Kanal-System“ ein Zugeständnis und ein großer Erfolg für Russland. Die Untersuchung aller Meldungen der in diesem Zusammenhang weltweit wichtigsten Nachrichtenagenturen, zu denen die sowjetische TASS , die sowjetische Interfax, die russische RIA , die deutsche dpa, die amerikanische AP, die britische Reuter und die französische AFP gehören, hat ergeben, dass das G ­ orbatschow-Lager keine einzige Information zu der Einigung über das künftige System der Steuererhebung veröffentlichte. Es war der Sprecher Jelzins, der am 30. Juli vormittags den Durchbruch bekannt gab. Im Laufe des Tages meldete sich Jelzin persönlich zu Wort. Offenbar voller Stolz über diesen Sieg Russlands gegenüber der Moskauer Zentrale unterrichtete er auch Präsident Bush bei ihrem Treffen in der russischen Residenz im Kreml am 30. Juli nachmittags über diesen Erfolg. Er teilte der Presse anschließend mit, die USA und Russland würden nach Unterzeichnung des Unionsvertrages „ein Memorandum oder ein Abkommen“ 168 schließen. Das russische Parlament hatte am 5. Juli der Annahme des Unionsvertrages unter dem Vorbehalt zugestimmt, dass Russland seine Steuern selbstständig und allein erheben dürfe.169 Somit hatte der russische Oberste Sowjet formal zwar nicht die Endfassung des Vertrages geprüft, doch inhaltlich hatte Jelzin mit der Durchsetzung des Steuersystems im

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Sinne der russischen Parlamentarier – wie er es darstellte – diesen Vorbehalt gegenstandslos gemacht. Jetzt war der Unionsvertrag vorbehaltlos akzeptabel für die Mehrheit der russischen Abgeordneten. Jelzin hatte sich im Juli 1991 für ihn mit den Worten stark gemacht, dass bei einer Ablehnung „wir das ganze Land dem Zusammenbruch und der Destabilisierung ausliefern.“ 170 ­Gorbatschow dagegen hatte sein Parlament, den sowjetischen Obersten Sowjet, der ebenfalls nur unter Vorbehalt zugestimmt hatte, vor vollendete Tatsachen gestellt. Diese Abgeordneten, deren Sitzungsperiode am 12. Juli zu Ende gegangen war, hatten nun keine Möglichkeit mehr, über die von ­Gorbatschow gemachten Zugeständnisse gegenüber Jelzin zu befinden. Auch konnten sie keine eigenen Änderungswünsche in die ausgehandelte Endfassung einbringen. Und genau diese Absicht hatten sie durch eine entsprechende Resolution im Obersten Sowjet (Nr. 2335 -1 vom 12. Juli 1991) kundgetan. Andererseits hatte sich Lukjanow als ihr Vorsitzender hinter den Vertrag gestellt. In Punkt 2 der Entschließung findet sich eine weitere formale Hürde für G ­ orbatschow, die er ebenfalls ignorierte: Der Oberste Sowjet sollte die Delegation der Union, die die Vollmacht zur Unterzeichnung des neuen Unionsvertrages haben würde, bestätigen. Insgesamt sollten der von ­Gorbatschow geführten Delegation dreizehn Personen angehören, darunter der sowjetische Ministerpräsident und der Vorsitzende des Obersten Sowjets der UdSSR.171 Da aber selbst die Staatsform im Unionsvertrag widersprüchlich formuliert war, hätte sich der Oberste Sowjet der UdSSR in der Steuerfrage nicht eindeutig auf den Unionsvertrag berufen können. Denn die reformierte „Union Sowjetischer Souveräner Republiken“ (USSR ) war laut Unionsvertrag einerseits ein „souveräner föderativer demokratischer Staat“, andererseits waren aber auch „die Teilnehmer dieses Vertrages souveräne Staaten“.172 Auch die Bezeichnung der Union war unklar. In der Vertragsüberschrift war vom Vertrag über die „Union Souveräner Staaten“, im ersten Artikel hingegen von der „Union sowjetischer souveräner Republiken“ die Rede.173 Russland hatte sich in der Steuerfrage also scheinbar durchgesetzt. Ebenfalls am 30. Juli informierte Jelzin die Öffentlichkeit, dass ­Gorbatschow per Dekret „noch im August die auf dem russischen Territorium befindlichen Betriebe […] unter die Jurisdiktion Russlands stellen“ würde. Hätte ihm ­Gorbatschow dies nicht zugesagt, hätte er ein solches Dekret selbst herausgegeben, fügte er machtbewusst hinzu.174 Nach außen hin schien alles geklärt, zumindest gab es keinen Widerspruch aus dem G ­ orbatschow-Lager. Der

Das Geheimtreffen zwischen ­Gorbatschow, Jelzin und Nasarbajew

sowjetische Präsident und sein Apparat schwiegen in den Medien zu der Steuerfrage. ­Gorbatschow wollte offensichtlich unbedingt einen – zumal dann öffentlichen – Streit mit Jelzin vermeiden. Jelzins Ankündigung eines neuen Steuersystems und des Dekrets über die russische Hoheit über die Betriebe, das ihm ­Gorbatschow (angeblich) zugesagt hatte, müssen zusätzliche Provokationen vor allem für die Putschisten gewesen sein. Wie wenig belastbar die von Jelzin einseitig publik gemachte Einigung in der besonders heiklen Steuerfrage jedoch war, zeigt die Auslegung dieser „Einigung“ durch G ­ orbatschow, die dieser nach dem Putsch offenbarte. Seinen Memoiren zufolge ist es genau umgekehrt gewesen: „Die russische Führung hatte es bisher [bis zum 29. Juli] abgelehnt, eine Unionssteuer einzuführen; ohne sie wäre die Existenz des Föderativstaates unmöglich, da die Unionsorgane sonst Bittsteller bei den Republiken sein müssten und nicht in der Lage wären, die ihnen übertragenen Funktionen auszuüben. Schließlich wurde eine Kompromissformel gefunden und Jelzin zog seinen letzten Einwand zurück.“ 175 Überspitzt formuliert handelte es sich bei dem Unionsvertrag um einen juristischen Steinbruch, in dem für jeden Vertragspartner das Passende vorhanden war, mit dem er dann seine Maximalforderungen hätte begründen können. Mit dem ersten Unterzeichnungsakt am 20. August wäre zudem ein Vertrag in drei Republiken in Kraft getreten, der an entscheidenden Stellen so kompliziert und umständlich war, dass er die politische Energie der Akteure beim Versuch seiner praktischen Umsetzung in hohem Maße gebunden hätte. Laut G ­ orbatschow hatte er sich, wie er in seinen Memoiren schreibt, mit Jelzin am 29. Juli auf eine Kompromissformulierung geeinigt, die dann in Artikel 9 des Vertrages („Unionssteuern und Abgaben“) Eingang gefunden habe: „Am 29. Juli schließlich gelang es, das letzte Hindernis für die Unterzeichnung des Unionsvertrages aus dem Weg zu räumen […]. Die Fassung […] lautete nun: Zur Finanzierung der Ausgaben des Unionshaushaltes, die mit der Realisierung von den an die Union delegierten Befugnissen zusammenhängen, werden einheitliche Unionssteuern und Abgaben in festen Prozentsätzen festgelegt, die in Abstimmung mit den Republiken auf der Grundlage der von der Union vorgelegten Ausgabepositionen berechnet werden. Die Kontrolle über die Ausgaben aus dem Unionshaushalt erfolgt durch die Teilnehmer des Vertrages.“ 176 Hierbei handelt es sich aber um exakt die Formulierung des Vertragstextes, der mit Datum vom 23. Juli 1991 ausgehandelt wurde.177 Inhaltlich ist er, auch wenn G ­ orbatschow schreibt, dass Jelzin schließlich nachgegeben

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habe, eher als Bestätigung des von russischer Seite verlangten „Ein-Kanal-­ System“ zu verstehen, da die Union ohne Abstimmung mit den Republiken nicht eigenständig Steuern hätte erheben können. Jelzin selbst beschreibt in seinen Memoiren zwar das, wie er es nennt, „vertrauliche Gespräch“ am 29. Juli, erwähnt dabei aber nicht die Behandlung der Steuerfrage.178 Von Nasarbajew war zu der Steuerfrage zunächst nichts zu vernehmen. Kritik von ihm kam dazu erst kurz vor dem Putsch. Möglicherweise war auch er an dieser Absprache nicht beteiligt, weil die Steuerfrage in erster Linie ein großer Streitpunkt zwischen dem sowjetischen und dem russischen Präsidenten gewesen war. In den drei Wochen vom 29. Juli bis zum Putsch war für die sowjetische Öffentlichkeit – und damit auch für die Putschisten – Jelzins Auslegung der „finalen Einigung“ durch dessen eigene Veröffentlichung bekannt, die von G ­ orbatschow unwidersprochen blieb. Zwischen dem sowjetischen und dem russischen Präsidenten war die Fähigkeit oder der Wille nicht vorhanden, nach einer Einigung auch eine gemeinsame Sprache zu sprechen und eine solche Vereinbarung offensiv, transparent und vor allem gemeinsam nach außen zu tragen.

Die Vorverlegung der Unterzeichnung auf den 20. August 1991 Einen genauen Termin für die Unterzeichnung des Unionsvertrages gab es bis zum Abschluss der letzten Nachbesserungen, auf die sich die Präsidenten ­Gorbatschow, Jelzin und Nasarbajew dann bei ihrem Treffen am 29. und 30. Juli 1991 verständigen konnten, nicht. Auffällig ist, dass die Bekanntgabe der dort getroffenen Vereinbarung über die Vorverlegung auf den 20. August noch einige Tage zurückgehalten wurde. In Moskau ging man davon aus, dass der Vertrag im September oder Oktober unterschrieben werden würde.179 Nach Darstellung des Parlamentsvorsitzenden Lukjanow hatte der Oberste Sowjet der UdSSR den Zeitraum September bis Oktober sogar bestätigt.180 Es fällt auch auf, dass es wieder Jelzin war, der die Nachricht als Erster verkündete, und zwar am dritten Tag nach der Vereinbarung. Am 1. August gab er bekannt, dass Russland und Kasachstan am 20. August als erste Republiken unterschreiben würden.181 Anders als Jelzin verkündete ­Gorbatschow am folgenden Tag in seiner Bekanntgabe des Termins, dass zunächst drei Republiken den Vertrag unterschreiben würden: Russland, Kasachstan und Usbekistan. Die anderen würden nach und nach folgen. Dies gebe der Ukraine die Möglichkeit, die Prüfung des Entwurfes abzuschließen.182 Der Beschluss über die Vorverlegung der Vertragsunterzeichnung und seine um einige Tage verzögerte Bekanntgabe war ein eigenwilliger

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Akt, der hinsichtlich seiner ausreichenden Mandatierung zumindest umstritten war. Hier gilt es jedoch zu differenzieren zwischen den Einwänden, die vor, und denen, die nach dem Putsch geäußert wurden. Ein gewichtiges Wort gegen die Vorverlegung hätte der Vorsitzende des Obersten Sowjet der UdSSR , Lukjanow, vorbringen können. Er hätte seinen Protest mit der bereits vorhandenen Resolution des Parlaments vom 12. Juli auch gut begründen können, in der Nachbesserungen beim Unionsvertrag eingefordert worden waren. Er bestand aber nicht auf einer Rücknahme der Vorverlegung, äußerte auch keinen Protest gegen den Inhalt der Endfassung des Unionsvertrages. ­Gorbatschow sagte in seiner Zeugenbefragung am 14. September 1991: „Nachdem Lukjanow von einer Auslandsreise zurückgekehrt war, äußerte er [mir gegenüber] seine Unzufriedenheit wegen der Vorverlegung und wollte wissen, auf wessen Initiative das geschehen sei.“ 183 Auch das reformierte politische System der Sowjetunion offenbarte: Die Legislative war kein echtes Gegenwicht zur Exekutive; Lukjanow fügte sich als Vorsitzender des Parlaments den Vorgaben des Präsidenten. Recht lapidar war auch die Erklärung G ­ orbatschows ausgefallen: „Dies [Lukjanows Unzufriedenheit] zeigte, dass das nicht allen gefiel.“ 184 Lukjanow verteidigte am 14. August aber dann sogar öffentlich die vorgezogene Vertragsunterzeichnung, war demnach vollkommen auf G ­ orbatschow-Linie. Er äußerte erst in der Nacht zum 19. August Widerstand gegen die Unterzeichnung, als er am Abend des 18. zu den Putschisten in den Kreml geladen wurde und ihnen dann in opportunistischer Weise anbot, eine Erklärung zu verfassen, in der er die bevorstehende Unterzeichnung des Unionsvertrages in seiner vorliegenden Form teilweise als verfassungswidrig bezeichnen würde, weshalb der Vertrag der Überarbeitung bedürfe. Lukjanow trug den Vorwurf, G ­ orbatschow habe den Obersten Sowjet ignoriert, erst nach dem Scheitern des Putsches und nach seinem Gefängnisaufenthalt vor, den ihm seine Unterstützung des G ­ KTSCHP eingebracht hatte.185 Der sowjetische Ministerpräsident Pawlow, später ein Mitglied des ­ KTSCHP, versuchte sein Kabinett zu mobilisieren und G G ­ orbatschow auf die mögliche Unzulässigkeit der Vertragsunterzeichnung hinzuweisen. Zunächst, so behauptete er, schrieb er ihm am 10. August einen Brief, in dem er ihm empfahl, die unterschriftsberechtigte Delegation der Unionsseite zu einer Beratung einzuberufen, bevor der Vertrag unterschrieben würde. ­Gorbatschow, der sich in Foros aufhielt, habe dies telefonisch aber abgelehnt. Pawlow selbst gehörte der Vertragsdelegation auf Unionsseite an.186

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Auch habe er dem sowjetischen Kabinettspräsidium und den Ministern der UdSSR, deren Zuständigkeitsbereich mit Wirtschaftsfragen zusammenhing, den von G ­ orbatschow erhaltenen Unionsvertrag weitergeleitet und darum gebeten, ihn zu bewerten und anschließend gemeinsam zu diskutieren. Dass es eine Kabinettspräsidiumssitzung zum Thema Unionsvertrag geben sollte, sei am 13. August beschlossen worden. Die Ausführungen Pawlows zu dieser geplanten Sitzung sind durchaus glaubwürdig, da er nachweislich am 13. August eine Pressekonferenz abhielt, auf der er vor einem Machtvakuum warnte, falls der Zentralregierung der Einfluss auf die Wirtschaft entzogen würde. In Russland bestünden noch keine wirtschaftlichen Mechanismen; mit Deklarationen allein könne man keine Wirtschaft führen, kritisierte er.187 Damit wies Pawlow Jelzins Ankündigung zurück, die zentrale Kon­trolle der russischen Wirtschaft würde nach der Unterzeichnung des Unionsvertrages wegfallen. Jelzin selbst bekräftigte ebendies am gleichen Tag in einer öffentlichen Erklärung und berief sich nochmals darauf, dass ­Gorbatschow ihm eine entsprechende Zusage gemacht habe.188 In dieser Erklärung beharrte Jelzin zudem darauf, den Unionsvertrag rasch unterzeichnen zu wollen, und widersprach somit nachdrücklichen Forderungen auch der ihm nahestehenden Gruppe „Demokratisches Russland“, die ihn drängte, nicht zu unterschreiben, weil die im Vertrag festgeschriebenen Vereinbarungen unter anderem unklar und widersprüchlich seien.189 Das Präsidium des sowjetischen Kabinetts kam am 17. August zusammen, als Pawlow schon zur geheimen Gruppe um den KGB -Chef gehörte. Am Vortag, so ergaben die staatsanwaltlichen Ermittlungen, ließ er seinen Assistenten eine Erklärung im Namen des Kabinettpräsidiums verfassen, in der die Unterzeichnung des Unionsvertrages abgelehnt wurde.190 Doch die Mehrheit des Präsidiums folgte ihm nicht, sondern forderte lediglich eine Überarbeitung des Unionsvertrages, lehnte ihn also nicht grundsätzlich ab und äußerte auch keine Drohungen. Aus diesem Grund legte er seinen Kollegen die vorbereitete Erklärung gegen den Unionsvertrag gar nicht erst vor, weil sie den Vertrag grundsätzlich unterschrieben haben wollten. ­Gorbatschow, der in Foros offensichtlich von der Sitzung erfuhr, rief Pawlows Stellvertreter Wladimir Schtscherbakow an und erreichte ihn, als dieser mit dem Auto unterwegs war. Wütend soll er gefragt haben: „Ist Pawlow verrückt geworden? Will er den Unionsvertrag platzen lassen?“ Schtscherbakow beruhigte den Präsidenten: „Es ist nicht so, wie man es Ihnen offenbar zugetragen hat. Die Präsidiumsmitglieder sind

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ja für den Vertrag. Die Zusatzerklärung [in der einzelne Vertragspunkte kritisiert wurden] widerspricht nicht Ihrer Grundlinie.“ 191 Im In- und Ausland interpretierte man die sowjetische Regierung aber doch eher dahingehend, dass sie den Unionsvertrag drei Tage vor der geplanten Unterzeichnung ablehnte. Es war die Rede davon, dass beim Kabinett von Ministerpräsident Pawlow „ernsthafte Besorgnis“ über den Unionsvertrag vorherrsche. Diese Meldung wurde über TASS verbreitet. Nach Prüfung des Vertragstextes sei das Kabinett zu der Überzeugung gekommen, dass in ihm „keine Lösung für eine Reihe von entscheidenden Problemen gefunden wurden, die die lebenswichtigen Interessen der Wirtschaft und der Bevölkerung betreffen.“ In der Stellungnahme hieß es weiter, dass insbesondere die Ausführungen bezüglich der Lebensmittelversorgung und der Energie ungenau seien und es keine Bestimmungen für ein einheitliches Finanz- und Bankensystems gebe. Der Unionsvertrag hebe die existierenden Widersprüche zwischen der Gesetzgebung der Union und derjenigen der Republiken nicht auf.192 Drei Tage vor der geplanten Unterzeichnung und zwei Tage bevor in Moskau die Panzer einrollten, meldeten sich einige Bedenkenträger der anderen politischen Seite ein letztes Mal und lautstark zu Wort: Im rus­ sischen Parlament stellten sich Abgeordnete verschiedener Fraktionen sogar gegen ihren Präsidenten Jelzin und beschlossen, im September ein „Bürgerparlament“ 193 einzuberufen, das gegen den Unionsvertrag in seiner vorliegenden Form protestieren sollte. Außerdem vereinbarten sie, sich in den nächsten Tagen mit ukrainischen Volksdeputierten zusammenzusetzen, um den Widerstand in beiden Republiken zu koordinieren. Leonid Babkin, einer der Wortführer der demokratischen Abgeordneten im russischen Parlament, drückte die bei vielen vorhandene Befürchtung aus: „Was aus Russland […] nach der Unterzeichnung wird, weiß niemand. Wahrscheinlich beginnt dann ein ewiger Kampf zwischen den Erlassen ­Gorbatschows und denen der Republikpräsidenten.“ 194 Was die Logik des Vertrages angeht, waren sich Anhänger der alten Ordnung und die Verfechter eines unabhängigeren Russlands – und somit die sich politisch gegenseitig ausschließenden Lager – sogar einig, dass der Vertrag inkonsistent und für die politische Praxis untauglich sei. In diesem Punkt hatten sie zweifellos Recht. Dass sich die russische Abgeordnetengruppe, die zuvor versucht hatte, Jelzin von der Unterzeichnung abzubringen, sich an einem Samstag (17. August) im Parlament traf, unterstreicht die Dringlichkeit ihres Anliegens. Ihr drastischer Aktionsplan, den diese

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Abgeordneten so kurz vor dem Unterzeichnungstermin publik machten, fügt sich in das Bild, dass sie – ebenso wie die sowjetischen Unionsvertragsgegner – unter Zeitdruck standen, weil G ­ orbatschow und Jelzin die Vertragsunterzeichnung recht eigenmächtig vorgezogen hatten. In einem Land, in dem die zentralen Unionszeitungen wie die P ­ rawda oder die Iswestija Politikerreden, Dokumente oder Programme in oft ermüdend ausführlicher Form abdruckten und in der Glasnost-Ära die Teilnahme der Bevölkerung am politischen Diskurs geradezu gefördert und gewünscht worden war, ist es umso merkwürdiger und verdächtiger, dass der sowjetische Präsident versucht hatte, die Endfassung des Vertrags­textes den Medien und der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Es rächte sich nun auch, dass die Vertragsunterzeichnung in einem Sechs-Augen-Gespräch hinter verschlossenen Türen vom Herbst auf den 20. August vorverlegt worden war, auch wenn man den Termin schon Anfang August öffentlich gemacht hatte. Die Berücksichtigung der finanzund währungspolitischen Konsequenzen der Unterzeichnung des Unions­ vertrages hatten die Verhandlungspartner ganz offensichtlich schlicht vergessen, oder sie hatten die in ihm niedergelegten und allgemein gehaltenen Formulierungen für ausreichend befunden. Am 14. August meldete sich in der Zeitung Moskowskie Nowosti, in welcher der Text des Unionsvertrages zum ersten Mal für die sowjetische Öffentlichkeit nachzulesen war, der Chef der sowjetischen Zentralbank Viktor Geraschtschenko mit einer nüchternen und eindeutigen Kritik zu Wort. Er setzte sich für Änderungen ein und bat gleichzeitig höflich um Verständnis für seine Einwände. Dabei ist für die Einordnung wichtig, dass Geraschtschenko mit dem Putsch gar nichts zu tun hatte. „Der Vertrag wird in seiner jetzigen Form eine einheitliche Währungs- und Kreditpolitik unmöglich machen und zum Zusammenbruch der sowjetischen Währung führen […]. Der derzeit vorliegende Vertragstext bedeutet, dass jede einzelne Republik in der Lage sein wird, die Währungskontrolle zu blockieren und die Zentralbank auf einen reinen Debattierklub zu reduzieren. Entscheidungen […] würden nur durch Konsens aller Signaturrepubliken in einer neuen Union herbeigeführt. Ein solches System der Entscheidungsfindung ist völlig inakzeptabel in der Welt des Bankwesens und bezüglich der Währungs- und Kreditkontrolle durch die Regierung.“ 195 Je näher der Termin der Unterzeichnung rückte, desto nervöser und spannungsgeladener schien die Atmosphäre zu werden. Nun begann nach Darstellung ­Gorbatschows auch Jelzin kurz vor dem Ziel zu wanken. In

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einem Telefonat am 14. August sei er von Jelzin gefragt worden, ob er denn wisse, welchen Angriffen Jelzin ausgesetzt sei. Er habe (aus Foros) erwidert, dass er als Unionspräsident nicht weniger angefeindet werde. Das ganze Projekt Unionsvertrag drohte demnach doch noch zu scheitern. ­­Gorbatschow schrieb in seinen Erinnerungen: „Ich […] versuchte […] alles in meiner Macht Stehende zu tun, um ihn [ Jelzin] vor Schwankungen in diesem entscheidenden, im wahrsten Sinne des Wortes historischen Moment zu bewahren.“ 196 Jetzt kam kurz vor dem ersten Unterzeichnungstermin auch noch Kritik von fünf zentralasiatischen Unionsrepubliken, die bisher gar nicht mit ablehnenden Äußerungen aufgefallen waren. Die Führungen von Usbekistan, Kirgisistan, Turkmenistan, Tadschikistan und Kasachstan hatten sich in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe getroffen, um ihre Sozialund Wirtschaftspolitik zu koordinieren. Dort äußerten sie am Abend des 14. August heftige Kritik an dem Unionsvertrag, insbesondere am vereinbarten Steuersystem.197 Dem Geist des Unionsvertrages zufolge hätten sie all diese Fragen vorher mitberaten und mitentscheiden sollen. Im Gegensatz zur Republik Russland, die von einer selbstständigen und von ihr kontrollierten Steuererhebung profitieren würde, wäre das „Ein-Kanal-System“ für die ärmeren zentralasiatischen Republiken von Nachteil, weil sie bisher über die Zentrale in Moskau durch die reicheren Teilstaaten praktisch unterstützt worden waren. Ausgerechnet der kasachische Präsident Nasarbajew, der am 29. Juli bei dem Treffen mit ­Gorbatschow und Jelzin dabei gewesen war, trug diese Kritik mit und sagte, die den Unionsvertrag unterzeichnenden Republiken müssten sich „nun ernsthaft Gedanken machen, was danach werden soll.“ 198 Entscheidend ist aber, dass es sich nicht um eine grundsätzliche Ablehnung des Vertrages handelte und dass im Grunde keine Gefahr bestand, dass die zentralasiatischen Republiken nun doch nicht unterschreiben würden. Wohl aber war es eine deutliche inhaltliche Kritik. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Zeitzonen zwischen Moskau und Duschanbe ergibt sich, dass diese Kritik wenige Stunden nach dem Erscheinen der Endfassung in den Moskowskie Nowosti geäußert wurde. Jelzin hatte aber schon am 1. August die Einigung auf das „Ein-Kanal-­ System“ bekannt gegeben. Warum kamen dann erst zwei Wochen später die Einwände? Hier bieten möglicherweise auch psychologische Momente einen Erklärungsansatz sowohl für die Vorbehalte des sowjetischen Kabinetts als auch

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für die Kritik aus Teilen des russischen Parlaments sowie für die Einwände seitens der fünf zentralasiatischen Republiken: 1 Das Unbehagen über eine Entwicklung wird nicht selten durch mentale Verdrängung und die Hoffnung, dass sich alles irgendwie doch noch zum Guten wenden werde, reduziert oder ganz beiseitegeschoben. Dieser Mechanismus, der bei den Unionsvertragsgegnern sehr wahrscheinlich vorhanden war, konnte nun nicht mehr funktionieren, weil der Zeitpunkt der Unterzeichnung fast erreicht worden war. 2 Jelzins Auftrumpfen in dieser existenziellen Frage des Steuersystems wurde von ­Gorbatschow nicht widersprochen. Entsprechend hat man angesichts der vielen Drehungen und Wendungen in der Vergangenheit Jelzins „Erfolgsmeldung“ wahrscheinlich nicht als offizielles und endgültiges Verhandlungsergebnis angesehen. 3 Jetzt lag zum ersten Mal ein Dokument in dieser strittigen Frage vor, etwas Schriftliches, schwarz auf weiß. Der offizielle und endgültige Charakter war nun gegeben. Es handelte sich nicht mehr um irgendwelche möglicherweise interessengesteuerten Äußerungen oder Verlautbarungen. 4 Die Vertragsgegner von links und rechts dürften schon länger ihre Ablehnung mit sich getragen haben. Einzelstimmen, wie die des Chefs der sowjetischen Zentralbank, gegen den Vertrag waren jedoch selten. Das Vorbringen von Kritik erfolgte nun jeweils kollektiv: bei den russischen Parlamentariern und in abgeschwächter Form bei der sowjetischen Regierung und den fünf Präsidenten der zentralasiatischen Republiken. 5 Schließlich war und ist der August der traditionelle Urlaubsmonat. Viele Politiker waren verreist, ein mögliches effektives Eingreifen in die Diskussion wäre für sie daher mit größerem Aufwand verbunden gewesen. Auch zwanzig Jahre danach widerspricht ­Gorbatschow immer noch der Darstellung, um den Unionsvertrag sei letztlich ein Geheimnis gemacht worden: „Präsident, Parlament, Regierung – alle diese Organe waren vertreten in der Kommission, die mit der Ausarbeitung des neuen Unionsvertrages beauftragt war. Ich hatte im Auftrag des außerordentlichen Kongresses den Vorsitz in dieser Kommission. Außerdem waren Vertreter von allen Republiken vertreten. Deshalb ist es Unsinn zu behaupten, ich hätte da etwas Heimliches oder Listiges gemacht.“ 199 Zumindest was die Schlussphase der Verhandlungen und die Veröffentlichung der Endfassung des Vertragstextes betrifft, ist diese Darstellung strittig. Laut den staatsanwaltlichen Ermittlungen war es Ministerpräsident Pawlow, der die Endfassung an die Presse lancierte.200

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Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, warum solch ein wichtiges Dokument, das die Neuordnung des bisherigen Gemeinwesens regeln sollte, überhaupt „lanciert“ werden musste. Politische Taktik hatte hier Vorrang vor der Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit. Es ist dabei unerheblich, dass die veröffentlichte Fassung bis auf die Steuerfrage keine Regelung beinhaltete, die nicht schon vorher in dem Vertrag, dessen Entstehung die späteren G ­ KTSCHP-Mitglieder teilweise ja sogar persönlich in Nowo-Ogarewo begleitet hatten, festgeschrieben worden und bekannt gewesen war. Nachdem das ukrainische Parlament seine Entscheidung auf September 1991 vertagt hatte und auch das sowjetische und russische Parlament nur unter Vorbehalt zugestimmt hatten, wäre eine Unterzeichnung des Vertrages offiziell erst nach endgültiger Billigung durch diese drei Organe zulässig gewesen, zumal Jelzin ursprünglich den Beitritt Russlands von dem Beitritt der Ukraine abhängig gemacht hatte. Davon war er nun abgerückt. Der ursprüngliche Plan, dass die „9 plus 1“-Verhandlungspartner den Unionsvertrag in einer gemeinsamen Zeremonie im Kreml unterzeichnen sollten, wurde durch die Vorverlegung fallen gelassen. Die plötzliche Eile, die partielle Intransparenz, die partiell verschleppte Bekanntgabe wichtiger Ergebnisse sowie das Hinwegsetzen über die nur mit Vorbehalt gegebene Zustimmung zum Unionsvertrag durch den Obersten Sowjet der UdSSR lassen keinen anderen Schluss zu, als dass ­Gorbatschow einer nicht auszuschließenden parlamentarischen Ablehnung oder einer weiteren Verzögerung durch den Obersten Sowjet der UdSSR zuvorkommen wollte, indem er vollendete Tatsachen schuf. Es handelte sich in gewisser Weise um ein Überrumpelungsmanöver, denn wäre er sich seiner Sache sicher gewesen, hätte er den finalen Entwurf des Unionsvertrages vom Obersten Sowjet der UdSSR diskutieren lassen. Auch die Veröffentlichung des Vertragstextes wäre nicht durch ein bewusstes Zuspielen an einzelne Medien erfolgt, in dessen Verlauf zum Beispiel die deutsche Nachrichtenagentur einen ganzen Tag vor TASS dieses sowjetische Staatsdokument publizierte. ­Gorbatschow hatte am 2. August, als er die Vorverlegung des Unterzeichnungstermins im Fernsehen bekannt machte, nicht viel vorzuweisen. Zu diesem Zeitpunkt hatten nur die von ihm genannten drei Republiken Russland, Kasachstan und Usbekistan zugesichert, am 20. August in Moskau unterschreiben zu wollen. Der feierliche Glamour, den er sich ursprünglich erhofft hatte, war somit nicht mehr ganz gegeben. Den von

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ihm im November 1990 persönlich eingesetzten sowjetischen Fernsehchef Krawtschenko verpflichtete er nach dessen Angaben, seinen geplanten Urlaub im August nicht zu nehmen und die TV-Live-Übertragung am 20. August vorzubereiten. In dem Telefonat habe G ­ orbatschow zu Krawtschenko gesagt: „In Moskau und im Land ist es unruhig. Das weißt du ja selbst. Alle meine Hoffnungen verbinde ich mit der Unterzeichnung des Vertrags. Falls das schiefgeht, wird das Land zerfallen. Der Tag der Unterzeichnung ist der 20. August, Uhrzeit 12 bis 16 Uhr. Überleg dir was wegen der Dramaturgie für die Live-Übertragung dieser feierlichen Zeremonie. Und halt dich bereit, mir zu berichten.“ 201 G ­ orbatschow war offensichtlich erheblich besorgt, dass der Unionsvertrag möglicherweise scheitern könnte, wobei diese Befürchtung nicht nach außen drang. Zu seiner Politik der vollendeten Tatsachen gehörte sicherlich auch, dass er am Sonntag (4. August) nach seiner TV-Ansprache, die am Freitagabend (2. August) ausgestrahlt worden war, in den Urlaub flog, womit sehr wenig Raum für weitere Diskussionen blieb. Während G ­ orbatschows Urlaub folgten über seinen Sprecher Vitali Ignatenko, aber auch vonseiten des Jelzin-Lagers weitere Ankündigungen, wann die anderen Republiken, mit Ausnahme der Ukraine, unterschreiben würden. Von mehreren zusätzlichen Daten war die Rede: am 3. September Belarus und Tadschikistan, am 20. September Turkmenistan und Kirgisistan, am 10. Oktober Aserbaidschan und – falls der Oberste Sowjet in Kiew bis dahin zugestimmt hätte – die Ukraine.202 Doch auch bei diesen Ankündigungen gab es teilweise ein Durcheinander. ­Gorbatschow schreibt in seinen Memoiren, man hätte zunächst drei Etappen vorgesehen, doch diese dann auf zwei zusammengezogen. Genaue Termine nennt er dort nicht.203 Er drückte in seiner TV-Ansprache kurz vor seinem Urlaub seine Zuversicht aus, dass mit der Unterzeichnung des Unionsvertrages die Krise im Lande überwunden werden würde. Dies war allerdings schon aus damaliger Sicht als unbegründet und unrealistisch anzusehen angesichts dieses fragilen, widersprüchlichen, nicht klar zu Ende verhandelten und somit noch mit großem Konfliktpotenzial behafteten Vertragswerkes. In den ersten, aber auch noch in späteren Analysen und Kommentaren war fast immer die Rede von „dem Unionsvertrag“, den „die Republiken“ hätten unterschreiben sollen, was nun durch die Putschisten verhindert worden sei. Dies suggerierte, dass es sich um einen geordneten, ausgereiften und bereits vollständig von den Vertragsteilnehmern gebilligten politischen Akt der „9 plus 1“ gehandelt hatte. Das war er jedoch bei Weitem nicht. Auch

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wird meist nicht erwähnt, dass zunächst nur drei Republiken unterzeichnen sollten und die endgültige Zustimmung durch einige Schlüsselparlamente noch ungewiss war. Und es wird ebenfalls kaum deutlich gemacht, dass es auch gerade auf russischer Seite, und zwar im Lager der Demokraten, Widerstände gab und am Ende dann sogar bei den lange unterschriftsbereiten zentralasiatischen Republiken, bei denen sich ebenfalls Unbehagen einstellte. Die Vorverlegung der Unterzeichnung, die partielle Intransparenz sowie die teilweise Ignorierung des Obersten Sowjet der UdSSR – allerdings unter Mitwirkung des Parlamentspräsidenten selbst – hat den Spielraum der Unions­ vertragsgegner zweifellos eingeengt. Dies war die Absicht Gorbatschows, ­­ die er erst mit Jelzins Hilfe umsetzen konnte. Es entstand damit ein Zeitdruck für die Vertragsgegner. Auf dem Diskussionswege (­Gorbatschow war im Urlaub) oder durch das Parlament (der sowjetische Sitzungsbeginn war erst lange nach dem 20. August) hätten sie nur agieren können, wenn der Vorsitzende des Obersten Sowjets der UdSSR , Lukjanow, eine außerordentliche Sitzung einberufen hätte. Eine entsprechende Dringlichkeit sah dieser jedoch nicht als gegeben an. Insofern wurde G ­ orbatschows Taktik, vollendete Tatsachen zu schaffen, durch das Schweigen, durch die Enthaltung von Kritik und somit durch die Untätigkeit des mächtigen Parlamentsvorsitzenden faktisch sanktioniert. Hinterher, nach dem Putsch, schrieb Lukjanow, dass es „um Leben und Tod der Union“ 204 gegangen sei und ­Gorbatschow das Parlament übergangen habe. Dies ist so nicht zutreffend. Jelzin, der spätere Sieger des großen sowjetisch-russischen Machtkampfs, sah darüber hinweg, dass er mit seinem Widersacher ­Gorbatschow in der Endphase der Verhandlung über den Unionsvertrag recht eigenmächtig vorging. Der Unterschied lag aber darin, dass er mit der Durchsetzung des „Ein-Kanal-Systems“ sicherstellte, dass Russland seine Steuern selbstständig erheben konnte und andere Republiken nicht mehr so stark alimentieren musste. Er war der faktischen Unabhängigkeit Russlands ein großes Stück näher gekommen. Hat die Vorverlegung des Termins zur Unterzeichnung des Unionsvertrages, hat die partielle Intransparenz in Bezug auf die Endfassung, hat die teilweise Überrumpelung des Obersten Sowjets der UdSSR den Putsch mit ausgelöst, sodass man in diesem Zusammenhang von einer Verantwortung ­Gorbatschows sprechen müsste? Auch ein späterer Unterzeichnungstermin hätte das Wesen des Unionsvertrages nicht mehr ändern können, weil sich die Hauptakteure ­Gorbatschow und Jelzin formal geeinigt hatten. Die sich gegenseitig ausschließenden Positionen (Erhaltung des Zentralstaates

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und Schaffung souveräner Staaten), die sich in dem Vertrag wiederfanden, waren auch durch Nachbesserungen nicht zu korrigieren. Die Putschisten, die ihre wahren Absichten und ihre Entschlossenheit, eine Unterzeichnung nicht zuzulassen, nicht zu erkennen gaben, hätten wenn nicht zum 19. August, dann vor einem anderen Unterzeichnungstermin gehandelt. Als Ursache oder Motiv für den Putsch kann die Vorverlegung selbst daher nicht betrachtet werden. Sie hat lediglich seinen Termin näher festgelegt. Der Geist des Unionsvertrages und die formalen, wenn auch in der ­Praxis sehr interpretationsfähigen Kompetenzverschiebungen zugunsten der Republiken waren schon lange bekannt, sodass die Intransparenz in Bezug auf die Veröffentlichung der Endfassung nicht ins Gewicht fällt. Selbst die Steuerfrage hatte keinen Neuigkeitswert, denn Jelzin hatte diesen Punkt schon am 30. Juli durch seinen Sprecher und dann selbst öffentlich bekannt gemacht. Entscheidend ist aber, dass der Vorsitzende des Obersten Sowjets der Sowjetunion weder Nachbesserungen einforderte noch die Rücknahme der Vorverlegung verlangte, obschon er sie mündlich gegenüber ­Gorbatschow zunächst monierte. Er leistete gegen die Vorverlegung und den Inhalt des Vertrags erst Widerstand, als er in der Nacht zum 19. August zu der Gründungssitzung des G ­ KTSCHP gerufen wurde und im Kreml im Namen des Obersten Sowjets plötzlich eine Unterzeichnung „in der vorliegenden Form“ 205 ablehnte. Festzuhalten ist, dass die gesamte sowjetische Führung – und somit der Großteil der Putschisten – über die Inhalte des Unionsvertrages immer rechtzeitig im Bilde war. Selbst der KGB -Chef hatte partiell an ihm mitgewirkt. Der Feststellung, dass die Führung über die Inhalte stets unterrichtet war, widerspricht auch nicht die Tatsache, dass ­Gorbatschow versucht hat, die allgemeine Veröffentlichung des Vertragstextes in den Medien und damit das Aufkommen neuer Einwände und Diskussionen zu vermeiden.

Die Geheimabsprachen zu Wahlen und Verfassung Gleich zu Beginn der „9 plus 1“-Gespräche im April 1991 verständigten sich die Moskauer Zentrale und die verhandlungsbereiten Republiken auf einen Terminplan. Gemäß der von den Teilnehmern unterzeichneten Erklärung vom 24. April sollte nach der Unterzeichnung des Unionsvertrages eine neue Verfassung ausgearbeitet werden. Hierfür war ein Zeitraum von maximal sechs Monaten vorgesehen.206 Die Verfassung, zu deren

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Bestandteilen auch der Unionsvertrag gehören würde, sollte vom Kongress der Volksdeputierten der UdSSR ausgearbeitet und verabschiedet werden. Danach, so war in dieser gemeinsamen Erklärung festgelegt worden, sollten die Unionsorgane gewählt werden. Die drei Präsidenten ­Gorbatschow, Jelzin und Nasarbajew setzten sich in doppelter Hinsicht über die anderen sieben Republikführer der „9 plus 1“ hinweg. Vom Obersten Sowjet der UdSSR, dessen Resolution über geforderte Nachbesserungen am Unionsvertrag ignoriert, dessen Beachtung vom Parlamentspräsidenten letztlich aber auch nicht eingefordert wurde, war bereits die Rede. Die Wahlen zu den Unionsorganen – das waren der Unionspräsident und der nun aus zwei Kammern bestehende Oberste Sowjet – sollten nach dem Willen der drei Präsidenten vorgezogen und die Ausarbeitung sowie die Annahme der neuen Verfassung somit nicht abgewartet werden. Nach ­Gorbatschows Darstellung ging das auf Initiative von Jelzin und Nasarbajew zurück, um „die Struktur der Unions­ organe möglichst schnell in Übereinstimmung mit dem [Unions-]Vertrag zu bringen, da die Desintegrationsprozesse in allen Bereichen der Gesellschaft zunahmen und immer gefährlicher wurden.“ 207 Mit den anderen Republikführern sollte das nach seiner Darstellung noch erörtert werden. Allerdings spricht wenig dafür, dass die drei Präsidenten diesen Plan nicht eigenmächtig und nach vorherigen Konsultationen mit den anderen Republiken umgesetzt hätten, sondern alles dafür, dass sie wie bei der Vorverlegung des Unterzeichnungstermins und der Klärung der Steuerfrage vorgegangen wären. Nach der Vertragsunterzeichnung hätten demnach im Herbst 1991 ein neues Unionsparlament und ein Präsident des Zentralstaates bzw. des Staatenbundes (beide Organisationsformen wurden im Unionsvertrag genannt) durch eine freie Volkswahl bestimmt werden sollen. Für die Abgeordneten des Obersten Sowjets der UdSSR hätte dies bedeutet, dass sie sich alle vorzeitig einer freien Wahl durch die Bevölkerung hätten stellen müssen, die ursprünglich erst nach der Verabschiedung der neuen Verfassung vereinbart war. Jelzin sagte im Verlauf der Ermittlungen gegen das G ­ KTSCHP und ihre Unterstützer Anfang 1992 als Zeuge aus. Darin legte er auch dar, welche politischen Schritte er und ­Gorbatschow nach der Unterzeichnung des Unionsvertrages geplant hatten. „Was die Umstrukturierung der Macht- und Leitungsorgane der Union angeht, war die Bildung von Koordinationsstellen vorgesehen. Es sollte einen Wirtschaftsrat der Republiken geben mit entsprechenden

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Abteilungen, denen die Aufgaben der früheren Zentralregierung übertragen werden sollten.“ 208 Auch dies wäre, wenn der Putsch die Unterzeichnung am 20. August nicht verhindert hätte, ein eklatanter Verstoß gegen den bereits ausgehandelten Unionsvertrag gewesen. Denn in Artikel 16 (Unions­organe; das Ministerkabinett der Union der Sowjetischen Souveränen Republiken) war die Existenz einer Unionsregierung ausdrücklich vorgesehen und festgeschrieben. Schließlich hätte das Vorziehen der Wahlen, die gemäß einem gemeinsamen Beschluss der „9 plus 1“ vom 24. April 1991 in Nowo-Ogarewo erst nach Verabschiedung einer neuen Verfassung durch den Volkskongress der UdSSR vorgesehen waren, die sofortige Liquidierung des Volksdeputiertenkongresses als politische Institution zur Folge gehabt. Er war zwar laut Unionsvertrag in der neuen Union nicht vorgesehen, doch sollte er noch in einem letzten Akt die Verfassung verabschieden. Dass Gorbatschow, ­­ Jelzin und Nasarbajew sich auch über diesen bereits festgeschriebenen Beschluss hinwegsetzen wollten, erinnert weniger an ein Vorgehen, das um breiten politischen Konsens, Akzeptanz sowie um Transparenz bemüht war, sondern an machtbewusste Entscheidungen von Politikern, die die recht­lichen Grauzonen und den fehlenden politischen Mut zum Widerspruch seitens der Vertragsgegner ausnutzten. Dabei ist es unwesentlich, dass die Vereinbarungen durch den unvorhergesehenen Gang der Ereignisse nie zum Tragen kamen.

Die Geheimabsprachen über Neubesetzungen Sowohl G ­ orbatschow als auch Jelzin gehen in ihren Memoiren auf die in Nowo-Ogarewo zwischen ihnen erörterten Entlassungen und Neubesetzungen in der Unionsführung ein, die nach der Unterzeichnung des Unionsvertrages erfolgen sollten. Allerdings gibt Jelzin vor, dass er die treibende Kraft gewesen sei und G ­ orbatschow von der Notwendigkeit dieser Maßnahmen zu überzeugen versucht habe: „­Gorbatschow fiel dieses Gespräch ganz offenbar nicht leicht, er wirkte sehr angespannt. Nursultan Nasarbajew unterstützte mich […].“ 209 ­Gorbatschow schreibt nicht, dass er überzeugt werden musste: „Es war von der Notwendigkeit die Rede, die oberste Schicht der Exekutive […] und ganz besonders die Leiter der sicherheitsrelevanten Ministerien zu ersetzen. Konkret bezog sich das auf Jasow und Krjutschkow; die sollten in den Ruhestand treten.“ 210 ­Nasarbajew forderte laut Jelzin auch die Entlassung von Innenminister Pugo und von Fernsehchef Krawtschenko. Als neuen sowjetischen Ministerpräsidenten anstelle von Pawlow schlug Jelzin Nasarbajew vor. ­Gorbatschow war

Das Geheimtreffen zwischen ­Gorbatschow, Jelzin und Nasarbajew

einverstanden. Nasarbajew selbst wollte den Posten aber nur annehmen, wenn er und die sowjetische Regierung genügend Kompetenzen bekommen würden. Nasarbajews Bedingungen offenbaren, dass es ihm nicht in erster Linie um die Sache, sondern um seine persönliche Macht ging. Als Republikführer war er daran interessiert, ein Maximum an Unabhängigkeit von der Zentrale zu erreichen. Als potenzieller sowjetischer Ministerpräsident dagegen begann er nun so zu argumentieren, wie es die Verfechter einer starken Zentrale taten. Auf seinen Opportunismus am ersten und zweiten Putschtag wird weiter unten noch näher einzugehen sein. Bei dem Dreier-­Treffen wurde ferner erörtert, wer Präsident der neuen Union werden sollte. Laut G ­ orbatschow hatte Jelzin ihn vorgeschlagen. Jelzin schreibt, er habe ­Gorbatschow versucht zu überzeugen, nicht mehr gleichzeitig Generalsekretär der KPdSU und Unionspräsident zu bleiben. „Zu meinem Erstaunen wies ­Gorbatschow dieses Ansinnen hier zum ersten Mal nicht zurück. Er beriet sich sogar mit uns: ‚Vielleicht sollte ich mich direkt vom Volk wählen lassen?‘“ 211 Diese Darstellung Jelzins dürfte unzutreffend und ein Versuch sein, den Intimfeind ­Gorbatschow in einem unvorteilhaften Licht darzustellen. Denn bereits eine Woche zuvor, am 23. Juli, war der Unionsvertrag bis auf die Steuerfrage endgültig festgeschrieben. In Artikel 14 hieß es: „Der Präsident [der Union Sowjetischer Souveräner Republiken] wird durch die Bürger der Union in allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlen gewählt […].“ 212 Warum hätte also ­Gorbatschow diese Frage, die eine Scheu vor dem Volk ausdrückt, stellen sollen, obgleich sie längst klar beantwortet war? In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Erinnerungen Jelzins im Frühjahr 1994 erschienen. Er war zu diesem Zeitpunkt zwar unangefochtener und alleiniger Präsident im Kreml, wurde aber vom ehemaligen sowjetischen Präsidenten gelegentlich sehr heftig kritisiert.213 Seine Feindschaft mit G ­ orbatschow äußerte sich zum Beispiel in drastischer Weise in der kurzzeitigen Abriegelung von dessen Stiftung im Herbst 1992. Dass allerdings G ­ orbatschow kurz nach der Unterzeichnung des Unionsvertrages – also etwa im Herbst 1991 – angesichts seiner schon seit 1990 extremen Unpopularität zum Unionspräsidenten gewählt worden wäre, ist sehr unwahrscheinlich. Als er sich fünf Jahre später zum ersten Mal einer freien Volkswahl stellte und für das russische Präsidentenamt kandidierte, bekam er ein halbes Prozent der abgegebenen Stimmen.214 Auch diese Geheimabsprachen der drei Präsidenten in Nowo-Ogarewo über die personelle Ausgestaltung der neuen Unionsführung kamen durch

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den Putsch nie zum Tragen. Die entscheidende Frage ist aber: Wurde das Gespräch abgehört und hatten die Putschisten von dem Inhalt Kenntnis?

4.7 Wurde das Gespräch der drei Präsidenten abgehört? In den schriftlichen Protokollen während des dreimonatigen Verhandlungsprozesses von Nowo-Ogarewo findet sich das Gespräch der drei Präsidenten nicht, was auch kaum zu erwarten war, handelte es sich doch um ein geheimes Sechs-Augen-Gespräch. Nachdem der Putsch gescheitert war, nahmen die russische und die sowjetische Staatsanwaltschaft die Ermittlungen noch am 21. August auf.215 Im Verlauf dieser Ermittlungen gab es keinerlei Hinweise oder tauchten gar Beweise auf, dass das Gespräch der drei Präsidenten abgehört worden wäre. In seinen Memoiren schrieb Jelzin, dass ein abgehörtes Gespräch zwischen ihm, ­Gorbatschow und dem kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew in Nowo-Ogarewo „möglicherweise der Auslöser“ 216 für den Putsch gewesen sei. Dort hatten die drei Präsidenten heimlich vereinbart, dass nach Unterzeichnung des Unionsvertrages – wie bereits oben erwähnt – KGB-Chef Krjutschkow, Verteidigungsminister Jasow sowie der sowjetische Ministerpräsident Valentin Pawlow abgelöst bzw. in Rente geschickt werden sollten. Falls diese drei Amtsinhaber von Schlüsselpositionen in der sowjetischen Führung von den heimlichen Plänen für ihre Absetzung tatsächlich erfahren hatten, so hätten sie auch ein großes persönliches Motiv für den Putsch gehabt. Jelzin schreibt weiter, die Abhörprotokolle seien nach dem Putsch im Kreml im Safe des Mitverschwörers Valeri Boldin gefunden worden; er, Jelzin, habe sie selbst gesehen. Boldin war Leiter der Präsidialverwaltung ­Gorbatschows und sogar ein enger Freund der Präsidentenfamilie. ­Gorbatschow erwähnte in seinem Buch „Der Staatsstreich“, das im Herbst 1991 erschien, allerdings an keiner Stelle das abgehörte Gespräch der drei Präsidenten in Nowo-Ogarewo. Auch in seinem 1992 erschienenen Buch „Der Zerfall der Sowjetunion“ findet sich kein solcher Hinweis. Dies ist umso erstaunlicher, weil er dort ausführlich über den Putsch und ausdrücklich auch vom Abhören zahlreicher Politiker schreibt. Die Ermittlungen über die Tätigkeiten und die Verstrickung des KGB in Zusammenhang mit dem Putsch waren zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Buches bereits abgeschlossen. Man muss davon ausgehen, dass in dieser Schlüsselfrage (Wurde die beschlossene Absetzung abgehört oder nicht?)

Wurde das Gespräch der drei Präsidenten abgehört?

der Generalstaatsanwalt mögliche Beweise in der Anklageschrift oder in seinem Buch erwähnt hätte, weil dies bei der Suche nach den Motiven für den Putsch entscheidend geholfen hätte. ­Gorbatschow schreibt aber in seinen „Erinnerungen“, die 1995 – ein Jahr nach Jelzins Buch – erschienen sind, dass das besagte Gespräch abgehört worden sei.217 In diesem mehr als 1.000-seitigen Werk widmet er diesem wichtigen Thema nur einige Zeilen. Er schildert auch nicht, dass er die Abhörprotokolle selbst gesehen oder gelesen hätte oder wann und wo sie gefunden worden seien. In einem besonders wichtigen Punkt gehen die Darstellungen ­Gorbatschows und Jelzins auseinander. Es geht um den genauen Ort des Gesprächs. War es ein Raum, wie ­Gorbatschow es beschreibt, oder war es der Balkon, wie Jelzin es überliefert? Wegen der besonderen Bedeutung der Umstände des Gesprächs für den Gesamtzusammenhang des Putsches seien hier die relevanten Passagen aus den jeweiligen Memoiren ausführlicher und ohne Kürzungen zitiert. In Jelzins Memoiren steht: „Das Gespräch begann in einem der Säle der Villa. Als wir jedoch zu höchst vertraulichen Fragen kamen, hielt ich plötzlich inne: ‚Was ist, Boris?‘, fragte G ­ orbatschow verwundert. An meine Gefühle in diesem Augenblick kann ich mich kaum noch erinnern. Aber ich hatte den unerklärlichen Eindruck, hinter uns stehe jemand und beobachte uns mit höchster Aufmerksamkeit. Ich sagte damals: ,Gehen wir auf den Balkon hinaus, ich habe den Eindruck, wir werden abgehört.‘ ‚Ach, was‘, winkte ­Gorbatschow ab, folgte mir aber doch. Draußen versuchte ich den Präsidenten davon zu überzeugen, dass er für den Fall einer Erneuerung der Föderation nur dann mit der Teilnahme der Republiken rechnen könne, wenn er wenigstens einige der am meisten diskreditierten Männer in seiner Umgebung auswechselte.“ 218 ­Gorbatschows Erinnerungen geben die Situation folgendermaßen wieder: „Ich erinnere mich, dass Jelzin sich nicht ganz wohl in seiner Haut fühlte. Er hatte das Gefühl, jemand belausche uns. In diesem Fall aber durfte es keine Zeugen geben. Jelzin trat sogar mehrere Male auf die Veranda, um sich umzuschauen; er konnte seine Besorgnis nicht verbergen. Heute weiß ich, dass ihn sein Instinkt nicht getäuscht hat. Für dieses Treffen hatte Plechanow [Chef der Wache G ­ orbatschows und leitender KGB-Mitarbeiter] den Raum vorbereitet, dazu einen Nebenraum, in dem man einen Imbiss zu sich nehmen und sich ausruhen konnte. Allem Anschein nach waren die Räume mit ‚besonderer Ausrüstung‘ versehen worden, unser Gespräch wurde aufgezeichnet, und nachdem es zu Krjutschkow gelangt

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war, hielt dieser Argumente in der Hand, die dazu führten, dass seine Mitverschwörer endgültig den Kopf verloren.“ 219 ­Gorbatschows wörtliche Ausführungen bleiben vage, sind nicht belastbar, liefern auch nicht ansatzweise Beweise: „Heute weiß ich, dass ihn [ Jelzin] sein Instinkt nicht getäuscht hat.“ Was zu dem Erkenntnisgewinn geführt hat, erwähnt er nicht. Die Relativierung der eigenen Behauptungen erfolgt wenig später: Lediglich „allem Anschein nach“ wurden die Räume präpariert. Im gleichen Satz stellt G ­ orbatschow dann jedoch das nicht bewiesene Abhören und die nicht bewiesene Übergabe der Aufzeichnung als historische Tatsache hin und liefert darauf aufbauend sogar das Putschmotiv. Im Sommer 1992 gab G ­ orbatschow der Zeitung Komsomolskaja P ­ rawda ein Interview, in dem er Beschuldigungen des Anwalts des zu diesem Zeitpunkt in Haft sitzenden Krjutschkow zurückwies, er hätte als Präsident Anweisungen gegeben, führende Politiker abzuhören. In dem Interview äußerte G ­ orbatschow die Vermutung, der fehlgeschlagene Putsch sei Folge eines abgehörten Gesprächs zwischen ihm, Jelzin und Nasarbajew gewesen.220 Die Abhörversion bewegt sich auf der Ebene des Hörensagens und der Mutmaßungen. Der wahrscheinliche Grund für Jelzins Argwohn, der bisher kaum oder keine Aufmerksamkeit gefunden hat, war, dass im ­Februar 1991 Abhöranlagen im Obersten Sowjet Russlands gefunden worden waren. Einen entsprechenden Bericht, der von führenden Nachrichtenagenturen aufgegriffen wurde, hatte die Zeitung Nesawissimaja Gaseta veröffentlicht.221 Der KGB dementierte, Jelzin abgehört zu haben, räumte aber die Existenz von besonderen Vorrichtungen ein. In einem von TASS verbreiteten Dementi hieß es unter anderem: „Die von einigen Abgeordneten beim unberechtigten Eindringen in einem Raum für besondere technische Zwecke entdeckten Geräte sind schon 1981 installiert worden, um zu verhindern, dass über undichte Stellen in den Fernsprechverbindungen vertrauliche Informationen nach außen gelangen.“ 222 Nach dem Putsch fanden die Ermittler eine Vielzahl von Abhörprotokollen aufgezeichneter Telefongespräche: Dies wurde in der Anklageschrift hauptsächlich Krjutschkow zur Last gelegt. Beweise, dass Räume mit Wanzen versehen wurden, fanden sich nicht. Der Darstellung Jelzins zufolge musste aber auch der Balkon des Verhandlungsgebäudes in Nowo-Ogarewo vom KGB präpariert worden sein. Auch hierauf finden sich keine Hinweise in der Anklageschrift. Jelzin schrieb dagegen in seinen Memoiren:

Wurde das Gespräch der drei Präsidenten abgehört?

„Nur kurze Zeit später [nach dem 29. /30. Juli 1991] sollte ich die Abschrift des Gesprächs […] mit eigenen Augen sehen. Nach dem Augustputsch fanden die Untersuchungsbeamten der Staatsanwaltschaft im Arbeitszimmer des Leiters von G ­ orbatschows Apparat, Boldin, in zwei Panzerschränken Berge von Aufzeichnungen der Gespräche mit Jelzin […]. Auch das eben erwähnte Gespräch war aufgezeichnet worden. Die Abschrift ging, wie gewöhnlich, an Boldin. Ich glaube nicht, dass er dieses Papier seinem unmittelbaren Vorgesetzten, Michail G ­ orbatschow, vorgelegt haben wird. Wahrscheinlich übergab er es seinen neuen Chefs, auf die er im letzten Augenblick setzte.“ 223 Es erscheint unlogisch, dass Krjutschkow die Protokolle ausgerechnet in das räumliche Umfeld einer der drei Personen (­Gorbatschow) schickte, die er zuvor angeblich abgehört hatte. Die Behauptung, „Berge von Aufzeichnungen der Gespräche mit Jelzin“ seien gefunden worden, erscheint stark übertrieben. Denn Jelzin war einer von vielen Politikern, die abgehört wurden. Es ist ferner unlogisch, dass Boldin theoretisch zwei mögliche Adressaten gehabt haben soll, denen er Protokolle hätte zeigen können: „seinem unmittelbaren Vorgesetzten“ oder „seinen neuen Chefs“, wie ­Jelzin schreibt. Unterstellt man, die Putschisten unter Führung Krjutschkows hätten das Gespräch tatsächlich abgehört – welchen Sinn hätte es für Boldin gemacht, „den neuen Chefs“ die Protokolle zu übergeben, deren Inhalt diese doch längst hätten kennen müssen? Unterstellt man, wie Jelzin es tut, dass Boldin die Protokolle auch seinem Chef ­Gorbatschow hätte übergeben können, so wäre auch dies nicht logisch. Welchen Sinn würde es machen, jemandem ein abgehörtes Gespräch zu übergeben, dessen Inhalt der Empfänger – in diesem hypothetischen Fall ­Gorbatschow – längst kennt, weil er selbst Teilnehmer dieses Gesprächs war? Welche Neuigkeit, welcher Nutzen oder gar welche Sprengkraft hätte darin für ­Gorbatschow gelegen? Am unglaubwürdigsten ist Jelzins Behauptung, dass Untersuchungs­ beamte der Staatsanwaltschaft die Abhörprotokolle bei Boldin gefunden hätten. Genau das haben sie laut dem russischen Generalstaatsanwalt ­Stepankow eben nicht. Die Berufung auf die Untersuchungsbeamten lässt die gesamte Abhörversion Jelzins in sich zusammenbrechen. Auf die schriftliche Frage des Autors an den damaligen Generalstaatsanwalt Stepankow, ob Beweise für das Abhören der drei Präsidenten in Nowo-­ Ogarewo Ende Juli 1991 von den Ermittlern gefunden worden seien und ob sie – wie von Jelzin behauptet – im Safe von Valeri Boldin gelegen hätten, antwortete S ­ tepankow schriftlich:

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„Bei der Durchsuchung von Boldins Büro stellte man fest, dass sich auf der Etage seines Büros noch ein separates Zimmer befand, das von ­Boldin genutzt wurde. In diesem Zimmer befanden sich mehrere große Safes. Bei der Durchsuchung der Safes wurden verschiedene Papiere gefunden. Es wurden keinerlei Tondokumente gefunden. Bei den Papieren fand man Abhörprotokolle von Telefongesprächen, die der KGB -Chef Krjutschkow an Boldin geschickt hatte. Diese hatte Krjutschkow mit eigenen Anmerkungen versehen. Er empfahl Boldin, diese Abhörprotokolle an M. S. ­Gorbatschow zu dessen Kenntnisnahme weiterzuleiten. Nach Durchsicht dieses M ­ aterials zeigte Boldin einen Teil davon G ­ orbatschow […]. Falls das Gespräch zwischen Jelzin, ­Gorbatschow und Nasarbajew in Nowo-Ogarewo im Juli 1991 abgehört wurde, so hätte Krjutschkow Boldin wohl kaum davon in schriftlicher Form informiert. Deshalb habe ich größte Zweifel an der Existenz eines dokumentierten Beweises für das Abhören des Gespräches.“ 224 Gennadi Burbulis, Jelzins engster Berater 1991, konnte dessen Darstellung nicht bestätigen. Er sprach lediglich davon, dass die Ermittler in ­Krjutschkows Büro auf Papiere gestoßen seien, die der KGB -Chef mit Vermerken versehen habe, die für Außenstehende nicht nachvollziehbar waren. Offenbar habe er ein eigenes, ausgeklügeltes System gehabt.225 Davon, dass man Abschriften des Gesprächs der drei Präsidenten in Boldins Büro gefunden habe, sprach Burbulis nicht. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass Jelzins Version nicht zutrifft. Eine solch gravierende Abhör­aktion wäre zudem in den Wochen und Monaten nach dem Putsch gewiss einmal Gesprächsgegenstand zwischen Jelzin und seinem engsten Berater gewesen.226 ­Gorbatschow behauptete 2011 in einem Radiointerview, dass Verteidigungsminister Jasow sich anfangs lange gegen eine Beteiligung an dem Putsch gesträubt habe. Schließlich, so G ­ orbatschow, habe „man ihm das Band vorgespielt“, worauf Jasow seine Skrupel beiseitegeschoben habe.227 Entkräftet wird diese Darstellung allerdings nicht nur durch die Ausführungen des damaligen Generalstaatsanwalts Stepankow, sondern auch durch den Umstand, dass G ­ orbatschow diese Version in seinen zahlreichen Büchern zuvor nie auch nur ansatzweise ins Spiel gebracht hatte. Ende Juli 2012 ging ­Gorbatschow hinter das zurück, was er in seinen Büchern über die angebliche Abhöraktion geschrieben hatte. In einer schriftlichen Antwort auf die Frage des Verfassers, ob er Näheres über die Darstellung Jelzins wisse, auf was sich seine eigene Aussage stütze,

Wurde das Gespräch der drei Präsidenten abgehört?

Plechanow habe die Abhörgeräte installiert, und welche Quellen seiner Darstellung zugrunde lägen, antwortete ­Gorbatschow: „Ich glaube, die Teilnehmer des Treffens in Nowo-Ogarewo (­­Gorbatschow, Jelzin, Nasarbajew) hatten eine ausreichende Grundlage zu behaupten, dass die Gespräche abgehört wurden. Zu der Darstellung Jelzins, dass er die entsprechenden Dokumente gesehen habe, kann ich nichts sagen. Doch ich kann sagen, dass seine Worte nicht das Einzige waren, worauf meine Überzeugung beruhte, dass eine ungesetzliche Abhöraktion durchgeführt worden war. Denn eine Person, die Verteidigungsminister Jasow nahestand, sagte mir, dass dieser sich entschlossen hatte, am Putsch teilzunehmen, nachdem man ihm den Teil des Gesprächs vorgespielt hatte, bei dem es um die Notwendigkeit ging, eine Reihe von Ministern, einschließlich des Verteidigungsministers, zu entlassen.“ 228 ­Gorbatschow geht hier gar nicht auf Plechanow und die angeblichen Abhörgeräte ein, spricht nur von Behauptungen und von seiner Überzeugung, dass abgehört wurde. Den Jasow-Vertrauten nennt er nicht, was nach mehr als zwanzig Jahren jedoch unproblematisch wäre. Weder bei den staatsanwaltlichen Ermittlungen noch bei den Untersuchungskommissionen, einschließlich der, die sich mit der Rolle der Armee befasste, tauchte je eine solche Information oder solch ein Informant auf. Interessanterweise findet sich exakt diese Episode, die G ­ orbatschow in seinem Radiointerview zum 20. Jahrestag des Putsches als historisch ausgibt (und die er in dem Schreiben an den Verfasser relativiert durch die Einschränkung, dass ihm dies zugetragen worden sei), in einer fiktionalisierten Darstellung des Staatsstreichs aus der Feder des ehemaligen Moskauer Oberbürgermeisters Gawril Popow wieder. Popows Version enthält zahlreiche Spekulationen und erfundene Dialoge.229 Ausgehend von dem Schreiben ­Gorbatschows an den Verfasser kann so kein Zweifel daran bestehen, dass die Darstellung des damaligen Präsi­ denten der Sowjetunion auf Hörensagen beruht und die Ausführungen in seinen Memoiren zu dem Dreier-Gespräch stark bezweifelt werden müssen, weil sie dort als Faktum, nun aber als Vermutung oder Annahme dargestellt wurden. Nach dem Putsch förderte insbesondere auch die KGB-interne Untersuchung nichts ans Licht, was die Behauptung, das Nowo-Ogarewo-­ Gespräch von Ende Juli 1991 sei abgehört worden, gestützt oder gar belegt hätte. Angeordnet hatte die Untersuchung der neue KGB -Vorsitzende Wadim Bakatin, der dieses Amt von Ende August 1991 bis kurz vor der

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Auflösung der Sowjetunion innehatte. In seinem Buch über seine kurze Zeit als Chef dieser Organisation findet sich ebenfalls kein derartiger Hinweis.230 Die sowjetische Presse war in den Monaten nach dem Putsch reich an Enthüllungen, Informationssplittern aus Ermittlungsergebnissen oder reinen Spekulationen. Jene Zeit war geprägt von einer großen Freizügigkeit seitens der sowjetischen und russischen Behörden und Stellen, die über vertrauliche Informationen und Dokumente verfügten oder Zugang zu ihnen hatten. Der britische Filmemacher Angus Macqueen, der 1991 auch über den Putsch und das Ende der Sowjetunion in einer weltweit ausgestrahlten TV-Dokumentationsserie berichtete, beschreibt diese Freizügigkeit, die schon kurze Zeit später nicht mehr bestand und in den Amtszeiten Putins unvorstellbar war und ist: „In jenen Tagen hatten wir fast völlig freien Zugang zum Kreml. Wir haben Bakatin [Amtsnachfolger von Krjutschkow] sogar in dessen Büro im KGB interviewt.“ 231 Schrift­ liche oder Audioaufzeichnungen des in Rede stehenden Dreier-Gesprächs hätten mit großer Wahrscheinlichkeit ihren Weg in die Medien gefunden. Es ist festzuhalten, dass keine Beweise seitens der ermittelnden und untersuchenden offiziellen Stellen gefunden wurden, die die Abhörbehauptung stützen. Auch haben weder nationale noch internationale Medien solche Beweise publiziert. Hätte man sie gefunden, wäre aus den Gesprächsaufzeichnungen – ob schriftlich oder als Tondokument – zumindest auszugsweise wörtlich zitiert worden. Dies ist nie und nirgends geschehen. Darüber hinaus widersprechen die Darstellungen G ­ orbatschows und J­ elzins in den jeweiligen Memoiren einander, sowohl was den genauen Ort des Gesprächs als auch den Empfänger der angeblichen Abhörergebnisse angeht – bei Jelzin ist es Boldin, bei G ­ orbatschow ist es Krjutschkow. Während ­­Gorbatschow den KGB als angeblichen Initiator der Aktion benennt, bleibt dies bei Jelzin offen. Die erste These lautet daher: Jelzins Version entspricht nicht den Tat­ sachen. Denn drei eklatante Widersprüche und eine Frage bleiben ungelöst: Warum ist Jelzin angeblich auf etwas Brisantes aus dem Safe von Boldin gestoßen, was die Ermittler nicht entdeckt haben? Warum hat Jelzin die Abschriften von ­Gorbatschows Stabschef Boldin (angeblich) lesen können, ­Gorbatschow dagegen nicht, obwohl dieser während der Durchsuchung von Boldins Büro, das sich in unmittelbarer Nähe zu seinem befand, noch sowjetischer Präsident war? Warum schrieb Jelzin in seinem Memoiren: „Die Abschrift ging, wie gewöhnlich, an Boldin“, und ließ dabei außer Acht, dass es unlogisch und geradezu selbstgefährdend aus der Sicht der

Wurde das Gespräch der drei Präsidenten abgehört?

Verschwörer gewesen wäre, diese Abschrift ausgerechnet in die räumliche Nähe ­Gorbatschows zu schicken? Schließlich bleibt die womöglich entscheidende Frage unbeantwortet: Warum war und ist Jelzin bis heute die einzige Person geblieben, die von sich öffentlich behauptete, die Abhörprotokolle mit eigenen Augen gesehen zu haben? Die zweite These lautet: ­Gorbatschows Version in seinen Memoiren entspricht ebenfalls nicht den Tatsachen. Begründet wird sie wie folgt: ­­Gorbatschow hatte schon Ende 1991 in einem Interview, auf das im nächsten Kapitel ausführlicher eingegangen wird, die Abhörbehauptung in den Raum gestellt. In seinen Büchern von 1991 und 1992, in denen er den Putsch schildert, tauchte sie aber nicht auf. 1995 schrieb er dann in seinen Memoiren, „heute“ wisse er, dass Jelzin in der Frage des Abhörens Recht gehabt habe. Der Widerspruch besteht darin, dass ­Gorbatschow selbst die Behauptung, der KGB habe mitgehört, schon 1991 in der britischen TV -Dokumentation „The Second Russian Revolution“ aufgestellt hatte und es daher wenig folgerichtig erscheint, dass er vier Jahre später Jelzin plötzlich Recht gibt. Des Weiteren verwendet G ­ orbatschow eine unsichere Sprache bei der Schilderung der angeblichen Abhöraktion: Genau an der Stelle, bei der es auf Eindeutigkeit und somit auf Glaubwürdigkeit ohne irgendwelche relativierenden Zusätze ankommt, schreibt er: „Allem Anschein nach waren die Räume mit einer ‚besonderen Ausrüstung‘ versehen worden […].“ Während Jelzin immerhin eine Quelle nennt, nämlich sich selbst, der die Protokolle gesehen habe, bleibt ­Gorbatschow in seinen Memoiren für seine Version jegliche Quelle schuldig. Er behauptet in seinen Memoiren einfach, der KGB habe die Abhöraktion durchgeführt. In seinem Schreiben an den Verfasser wiederholt er dann seine in den Memoiren dargelegte Version nicht, sondern schwächt sie vielmehr deutlich ab. Sie beruht auf Hörensagen. Die dritte These lautet: Dadurch, dass weder ­Gorbatschows noch ­Jelzins Memoiren-Version jeweils schlüssig ist und daher als völlig unglaubwürdig betrachtet wird, können auch Nasarbajews Abhörbehauptungen nicht überzeugen. Auch er nennt keine Quelle. Aufgrund seiner räumlichen und amtsbedingten Distanz, die er als Präsident Kasachstans zu den Untersuchungsvorgängen in Moskau nach dem Putsch hatte, erscheint es als geradezu ausgeschlossen, dass ausgerechnet er in der Abhörfrage – anders als der sowjetische Präsident, der russische Präsident, der KGB sowie die Staatsanwaltschaft – über eine verlässliche Informationsquelle oder gar über einen Beweis verfügt haben soll. Durch die Zurückweisung der oben

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genannten Behauptungen der drei Präsidenten leitet sich eine der zentralen Thesen dieses Buches ab: Das Gespräch von Nowo-­Ogarewo am 29. und 30. Juli 1991 kommt als Auslöser oder Mitauslöser für den Putsch nicht infrage.

Die Quelle der Abhörversion Im Dezember 1991 lief im russischen Fernsehen eine britische Dokumentationsreihe mit dem Titel „The Second Russian Revolution“, die in der Sowjetunion ein großer Publikumserfolg war und die in 30 weiteren Ländern gezeigt wurde. Die Produktion hatte schon 1989 begonnen; die Serie beleuchtete den Beginn und den Verlauf der Perestrojka; der turbulente August-Putsch und das Ende der Sowjetunion kamen als unerwartete Ereignisse hinzu, für deren Recherche den Autoren naturgemäß weniger Zeit zur Verfügung stand als für die filmische Darstellung der ­Gorbatschow-­Ära bis Mitte 1991. In der siebten Folge dieser Dokumentationsreihe, die am 22. Dezember 1991 zwischen 19 : 30 Uhr und 20 : 15 Uhr ausgestrahlt worden war, wurde die Abhörversion zum ersten Mal einem sowjetischen Massenpublikum bekannt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Darstellung, G ­ orbatschow, Jelzin und Nasarbajew seien am 29. und 30. Juli 1991 in Nowo-Ogarewo abgehört worden, schon vorher in einer Zeitung oder von einer Radiostation publiziert worden war. Doch erscheint dies unwahrscheinlich. Im Zeitraum zwischen August und Dezember 1991 meldete keine der großen Nachrichtenagenturen diese Version, weder als eine selbst recherchierte Meldung noch unter Berufung auf ein sowjetisches oder russisches Medium, die in der Regel täglich sorgfältig von den Agenturen ausgewertet wurden. ­Gorbatschow und Nasarbajew stellten die Abhörversion in den Raum. KGB-Chef Krjutschkow, der zu diesem Zeitpunkt im Gefängnis saß, wies die Behauptungen in aller Schärfe zurück und schrieb einen entsprechenden Brief an das russische Fernsehen: „Ich erkläre hiermit, dass diese Behauptung vollkommen falsch ist. Es ist kein Zufall, dass sogar die Untersuchung im Fall des ­GKTSCHP dieses oben erwähnte ‚Abhören‘ mir nicht zur Last legt. Mir ist unbekannt, worauf sich eine derartige Behauptung von M. ­Gorbatschow und N. Nasarbajew gründet […]. Ich ersuche Sie, […] den Fernsehzuschauern den vollen Wortlaut meines Briefes zu verlesen. Sollten Sie sich weigern, dies zu tun, […] werde ich Klage führen.“ 232 Krjutschkows Brief wurde auch in dem Buch der russischen Staatsanwälte

Wurde das Gespräch der drei Präsidenten abgehört?

über den Putsch veröffentlicht, was dahingehend interpretiert werden kann, dass die Staatsanwaltschaft Krjutschkow in diesem Punkt Recht gab. Nähere Erläuterungen ­Gorbatschows und Nasarbajews, worauf sich ihre Behauptung stützt, liegen nicht vor. Eine schriftliche und quellenkritische Nachfrage beim britischen Filmemacher Angus Macqueen, dem Autor der in Rede stehenden Episode der TV-Dokumentation, deren dort publizierte O-Töne später von einer Reihe von Osteuropahistorikern verwertet und weiter in Umlauf gebracht wurden, beantwortete dieser folgendermaßen: „Ob sie [­Gorbatschow und Nasarbajew] Abhörabschriften lasen oder Tonaufzeichnungen hörten? Ich weiß es nicht.“ 233 Auf die Frage, ob er als Autor die aufgestellten Behauptungen der beiden Präsidenten auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft habe, antwortete Angus Macqueen: „In einem akademischen Sinne nicht. Aber weil es sich um zwei Quellen handelte – Nasarbajew und G ­ orbatschow –, war dies ausreichend für den Film. […] Es können auch Behauptungen von Siegern sein. Damals erschien es, dass die Aussagen der Wahrheit entsprachen.“ 234 Aus der Sicht eines Filmautors und entsprechend der üblichen Arbeitspraxis eines TV-Dokumentaristen ist es nachvollziehbar, dass Angus Macqueen nicht die Notwendigkeit sah, beim Vorhandensein von zwei Quellen diese in einem Maße anzuzweifeln, dass er sie hätte zurückhalten müssen. Immerhin handelte es sich bei einer der beiden Quellen, G ­ orbatschow, um einen im Westen hochangesehenen Weltpolitiker und Friedensnobelpreisträger, der im Ausland große Glaubwürdigkeit besaß. Und das Prinzip „Audiatur et altera pars“ war nur theoretisch anwendbar, da die Putschisten während der Produktion dieses Teils der Dokumentationsreihe im Gefängnis saßen und der Zugang zu ihnen – auch über die Anwälte – fast unmöglich war. Vieles, was medial im Umlauf war in den Monaten nach dem Putsch, stützte sich nicht auf offizielle Ermittlungsergebnisse, sondern ruhte auf unsicherem Fundament. Ein Bericht der Moskowskie Nowosti, der von der amerikanischen Nachrichtenagentur AP aufgegriffen und dann in die ganze Welt weiterverbreitet wurde, hatte die Abhörpraktiken des KGB zum Thema. Die Rede war von „zuverlässige[n] Quellen, die mit der Aufklärung der Rolle des KGB beschäftigt sind“. Die plakative Überschrift bei AP lautete: „KGB hörte vor dem Staatsstreich alles und jeden ab.“ 235 Zahlreiche Beispiele wurden in der Meldung angeführt, aber das in Rede stehende brisante Gespräch in Nowo-Ogarewo war nicht dabei. Es spricht sehr viel dafür, dass die Abhörversion ein Produkt dieser gerüchtereichen Periode ist. Gesichert ist, dass sie durch die Ausstrahlung

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der TV-Dokumentation erstmals prominent in die Diskussion kam und anschließend eine enorme Vervielfältigung erlebte – auch und vor allem im historischen Diskurs. Jelzin, der in seinen zwei Jahre später verfassten Memoiren sogar behauptete, er hätte die Abschriften kurz nach dem Putsch „mit eigenen Augen gesehen“, kam in der TV-Dokumentation mit dieser inhaltsschweren Aussage nicht vor. Die drei Präsidenten und ihre Behauptungen finden sich als Quellen in einer Reihe von Abhandlungen zum Putsch, obwohl sie nicht nur als unsicher oder strittig, sondern auch als nicht fundiert und historisch irreführend eingestuft werden müssen.

Das angeblich abgehörte Gespräch als verbreitetes Putschmotiv In einer Reihe von Abhandlungen zum Putsch wird es als Tatsache hingestellt, dass das Gespräch tatsächlich abgehört wurde. Dabei wird das mög­ liche Motiv oder ein Teilmotiv für den Staatsstreich mitgeliefert. Bei Archie Brown geschieht dies am deutlichsten: „Der Mitschnitt dieses Gesprächs wurde später neben vielen anderen Bändern in einem der Safes von Boldin gefunden. Die Informationen aus diesem vertraulichen Gespräch mögen sehr wohl für Krjutschkow ein Anreiz gewesen sein, in der Organisation des Putsches eine führende Rolle zu übernehmen.“ 236 Manfred ­Hildermeier stellt das Abhören als Tatsache hin und bringt es in Zusammenhang mit den Putschmotiven: „Desgleichen lässt sich nicht näher bestimmen, in welchem Maße persönliche Motive eine Rolle spielten. Der Umstand, dass Gespräche über die baldige Ablösung einiger wichtiger Amtsträger unter den Putschisten Ende Juli abgehört wurden, spricht dafür.“ 237 Eine analoge Darstellung, in der das Abhören als Tatsache erscheint und in Zusammenhang mit Putschmotiven gestellt wird, findet sich bei Timothy J. Colton.238 John B. Dunlop und Jack F. Matlock äußern sich in ihrem jeweiligen Buchkapitel zum Putsch über das mögliche Abhören des Gesprächs der drei Präsidenten in Nowo-Ogarewo vorsichtiger, indem sie ­Gorbatschow beziehungsweise Jelzin als Quelle anführen.239 Boris Meissner gibt lediglich wieder, was G ­ orbatschow in diesem Zusammenhang behauptet hat, jedoch ohne es zu bewerten.240 Gerhard und Nadja Simon gehen auf das Treffen am 29./30. Juli 1991 gar nicht ein, Martin Malia ebenso wenig.241 Zweifel an der scheinbar so eindeutig und überzeugend dargelegten Version Jelzins („mit eigenen Augen“) hat Jerry F. Hough. Er konstatiert in seiner Monographie über die G ­ orbatschow-Ära zutreffend: „Es ist jedoch nicht klar, ob diese Interpretation auf Fakten beruht […]. In diesen Fragen sollte man sich nicht nur auf Jelzins Darstellung stützen.“ 242

Wurde das Gespräch der drei Präsidenten abgehört?

Selbst der russische Präsident, der die Existenz von Nowo-Ogarewo-­ Abhörprotokollen behauptet, unterstellt den Putschisten nicht klar und eindeutig, dass sie im Besitz der (angeblichen) Abschriften waren. Er spekuliert nur: „Wahrscheinlich übergab er [Boldin] es [Abhörpapier] seinen neuen Chefs, auf die er im letzten Moment setzte. Möglicherweise war dieser Mitschnitt der Auslöser für den Putsch.“ 243 Dass er auch G ­ orbatschow als möglichen Adressaten nennt, dürfte ein weiterer Versuch sein, seinen Intimfeind in ein schlechtes Licht zu rücken. Ein Motiv, die Abhörthese selbst ins Spiel zu bringen oder ungeprüft zu übernehmen, hatte ­Gorbatschow dagegen sicherlich gehabt: „Sie eignete sich bestens, um den Putschisten das von diesen stets ins Feld geführte selbstlose Ziel, den Zerfall der Sowjetunion und des Vaterlandes zu verhindern, abzusprechen und sie als Egoisten darzustellen, die ihre persönlichen Interessen über die des Gemeinwohls stellten.“ 244 Im Gegensatz zu Jelzin tat er dies in seinen Memoiren. Den angeblichen Abhörvorgang versieht er mit der Einschränkung „allem Anschein nach“, so, als ob er sich selbst nicht sicher sei, was er da schreibt. Dagegen ist er in der Ableitung der Putschmotive kategorisch: Die Putschisten „handelten, weil sie eigennützige Interessen verfolgten und ihre Ämter behalten wollten.“ 245 Neben Krjutschkow streitet auch Verteidigungsminister Jasow, der zum Zeitpunkt des Putsches fast 67 Jahre alt war, kategorisch ab, er hätte Kenntnis von dem Gespräch der drei Präsidenten gehabt: „Ich wollte damals endlich in den Ruhestand. Ich hatte schon seit einiger Zeit damit begonnen, meinen Stellvertreter Atschalow zu meinem Nachfolger aufzubauen. Das war doch in unseren Militärkreisen längst bekannt. Diese Behauptung ist daher völliger Unfug.“ 246 Ministerpräsident Pawlow geht in seinem Buch über den Putsch nicht auf die Abhörbehauptungen ein, sondern setzt sich mit ­Gorbatschows und Jelzins Zeugenaussagen bei den staatsanwaltlichen Befragungen zum Nowo-Ogarewo-Treffen auseinander. Er kommt zu dem Schluss, dass die dort getroffenen Geheimabsprachen über die staatlichen Strukturen nach Unterzeichnung des Unionsvertrages eine „verfassungswidrige Verschwörung“ 247 gewesen seien. In der offenen politischen Schlacht hätte ­Gorbatschow den Unionsvertrag nicht durchbekommen: Den Widerstand des Obersten Sowjets der UdSSR und des sowjetischen Ministerkabinetts hätte er anders nicht ausschalten können. Was sein Amt als sowjetischer Ministerpräsident betrifft, habe er G ­ orbatschow schon im Frühjahr 1991 angeboten, dass er, wenn es die Sache erfordere, jederzeit bereit sei zu gehen.

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Darauf habe G ­ orbatschow erwidert, er werde an eine solche Option nicht einmal denken, einen Rücktritt werde er auf keinen Fall akzeptieren und Pawlow solle sich solche Gedanken aus dem Kopf schlagen.248 Ob die Ausführungen Krjutschkows, Jasows und Pawlows glaubwürdig sind oder nicht, kann und soll hier nicht beurteilt werden. Dies ist auch zweitrangig, denn entscheidend bleibt die Frage, ob abgehört wurde oder nicht. Und hier ist festzuhalten, dass sowohl Jelzins als auch ­­Gorbatschows Abhörbehauptungen nicht zu überzeugen vermögen und von ihnen selbst teilweise relativierend oder spekulierend formuliert worden sind. Am schwersten wiegt aber, dass während der Ermittlungen keine entsprechenden Abhördokumente gefunden wurden. Krjutschkow schreibt zu der Verknüpfung des angeblichen Abhörens mit den angeblichen Putschmotiven: „Die erste verleumderische Behauptung [Abhören in Nowo-­Ogarewo] gebar die zweite [Putsch zur Verhinderung des Amtsverlusts].“ 249 Selbst wenn man unterstellt, Abhörergebnisse seien vom KGB kurz nach ihrer Kenntnisnahme oder spätestens während der sich abzeichnenden Niederlage der Putschisten vernichtet worden, so ließen sich auch aus einem solchen Vorgehen keine Behauptungen ableiten und rechtfertigen, die Putschisten hätten von den geheimen Personalplänen der drei Präsidenten vorab gewusst und somit ein triftiges Motiv gehabt. Hätte es die Abhörbeweise gegeben und wären sie vernichtet worden, hätten ­Gorbatschow, Jelzin und Nasarbajew erst recht nicht ihre Behauptungen aufstellen können.

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5 ­GORBATSCHOWS ROLLE IM PUTSCH UND SEINE POLITISCHE MITVERANT­WORTUNG Seit 1991 wird immer wieder unterstellt, G ­ orbatschow habe eine aktive Rolle vor oder während der Putschtage im Sinne der Verschwörer gespielt oder durch sein angeblich bewusst passives Verhalten in Foros diesen politisch zugearbeitet. Das Gegenteil ist der Fall: G ­ orbatschow hat an seinem Urlaubsort einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass der Putsch letztendlich scheiterte. Was jedoch seine Verantwortung als Präsident des Zentralstaates für die politische Entwicklung, die in den Putsch mündete, betrifft, so lässt sich diese nicht leugnen. Zwei schwerwiegende Fehler ­Gorbatschows sind hier zu nennen: 1 Er selbst hat die späteren Putschisten alle für ihre jeweiligen Ämter in der sowjetischen Führung ausgesucht. Sie bildeten seine Führung, obwohl er von einigen wusste, dass sie zu den orthodoxen Systembewahrern gehörten und seine Politik ablehnten. 2 Er beteiligte sich nicht nur an der Diskussion über die Verhängung des Ausnahmezustandes, sondern er brachte sie selbst als eine ernsthafte Option ins Spiel. Ob er damit seine wahren Absichten nur verschleierte und die Vertreter der alten Ordnung ruhigstellen wollte, ist nicht überprüfbar. Doch er hat die führenden Putschisten durch sein politisches Jonglieren mit dem Ausnahmezustand zweifellos in ihrer Sicht bestätigt und ermutigt, ihn endlich auch einzuführen.

5.1 ­Gorbatschows personelle Stärkung der Systembewahrer Seit Herbst 1990 betrieb G ­ orbatschow eine Politik, die mit den Zielen der Putschisten vom August 1991 in Einklang stand. Diese Phase hielt bis Mitte April 1991 an, als die Verhandlungen mit den Republiken über einen neuen

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Unionsvertrag in Nowo-Ogarewo bei Moskau nicht nur Kompromissbereitschaft, sondern auch ein substanzielles Nachgeben seitens der Zentrale erforderten, um überhaupt die Chance auf eine Einigung zu ermöglichen. Die wichtigsten personellen Umbesetzungen durch G ­ orbatschow, die eine Hinwendung zu den restaurativen Kräften bedeuteten, begannen Ende 1990. Am 15. November ernannte der sowjetische Präsident per Dekret Leonid Krawtschenko zum Fernsehchef. Unter dem Applaus von Delegierten einer Konferenz Moskauer Kommunisten sagte ­Gorbatschow: „Wir müssen das staatliche Fernsehen wieder in unsere Hände nehmen.“ 1 Am 16. Januar 1991, kurz nach dem Militäreinsatz in Vilnius durch sowjetische Truppen, forderte G ­ orbatschow sogar, das inzwischen verabschiedete liberale Pressegesetz vom Sommer 1990 auszusetzen. Am 2. Dezember 1990 entließ er den als liberal geltenden Innenminister Wadim Bakatin. Nachfolger wurde Boris Pugo, der einmal KGB -Chef in Lettland gewesen war. Zu dessen Stellvertreter ernannte G ­ orbatschow General Boris Gromow. Pugo gehörte später zu den Putschisten, Gromow wurde Mitunterzeichner des berühmten „Wortes an das Volk“, das einen dramatisch-pathetischen Appell zur Rettung der Sowjetunion und eine Verurteilung der Perestrojka-­Jahre darstellte.2 Schließlich ist ­Gorbatschow noch für zwei wichtige Personalien der Jahreswende 1990 /91 verantwortlich, indem er zwei weitere spätere Putschisten in exponierte Ämter berief: Am 27. Dezember 1990 wurde Gennadi Janajew Vizepräsident der Sowjetunion, am 12. Januar 1991 schlug ­Gorbatschow Valentin Pawlow zum Ministerpräsidenten der UdSSR vor. Verwunderung, vor allem im westlichen Ausland, rief die Berufung des bis dahin auch im eigenen Land weitgehend unbekannten Gennadi J­ anajew hervor. Seine Kandidatur musste vom Parlament bestätigt werden und fiel zunächst durch; er wurde nach nochmaligem Drängen ­­Gorbatschows erst im zweiten Wahlgang gewählt. Nach Angaben Janajews hatte ihm der sowjetische Präsident zuvor das Amt des Fernsehchefs angetragen, was er aber abgelehnt habe mit der Begründung, dass er aufgrund seiner Ausbildung nicht die geringste Qualifikation für eine solche Position habe. Er habe sich in seiner Sorge an Ministerpräsident Ryschkow gewandt mit der Bitte, den Präsidenten zu überreden, ihn nicht zum Fernsehchef zu machen. Abends habe G ­ orbatschow ihn dann angerufen und gesagt: „Nun gut. Wir ernennen dich nicht zum Fernsehchef. Aber vielleicht überlegst du dir es ja noch mal.“ 3 Leonid Krawtschenko, der danach ernannt wurde, bestätigte, dass Janajew ursprünglich Fernsehchef werden sollte.4

­Gorbatschows personelle Stärkung der Systembewahre

Auch die anderen Putschisten wurden alle von ­Gorbatschow persönlich ausgesucht, wenngleich dies auch schon deutlich vor dem Herbst 1990 geschehen war. Wladimir Krjutschkow wurde im Oktober 1988 zum KGBChef befördert. Oleg Schenin, der im sibirischen Krasnojarsk Gebietschef der KPdSU war, wurde von ­Gorbatschow nach Moskau gerufen; im Juli 1990 stieg er zum ZK-Sekretär für Kader- und Organisationsfragen der KPdSU sowie zum Mitglied des Politbüros auf. Mit ihm, dessen Ehefrau Tamara Alexandrowna und seiner eigenen Ehefrau Raissa ­Maximowna verbrachte ­Gorbatschow bei seinem politischen Besuch vom 12. bis 16. September 1988 im Gebiet Krasnojarsk auch einen Teil seiner Freizeit. Wie damals nicht unüblich, wurde über den Besuch des Generalssekretärs in der Region sogar ein Buch verfasst.5 Offenbar war Schenin bei den Bürgern im Gebiet Krasnojarsk sehr beliebt und erfolgreich; bei den halbwegs freien Volksdeputiertenwahlen 1989 bekam er fast 90 Prozent der Stimmen. In der zentralen Parteipresse in Moskau wurde er als politisches Vorbild dargestellt6, was wahrscheinlich nicht ohne das Wissen oder die Billigung des Generalsekretärs möglich gewesen wäre. Praktisch bis zum Putsch hatte ­Gorbatschow an ihm festgehalten, obwohl Schenin mit anderen Mitgliedern der Parteiführung schon im April 1991 versucht hatte, ihn als Generalsekretär der KPdSU zu stürzen. Zunehmend hatte sich bei Schenin die Überzeugung herausgebildet, dass ­Gorbatschow das Imperium und die Partei in den Ruin treibe, vor allem aber, dass er Verrat an den sozialis­ tischen Idealen begangen habe. Oleg Baklanow, ein anerkannter Fachmann auf dem Gebiet der Rüstungsund Raumfahrtindustrie, wurde von G ­ orbatschow 1988 zum ZK-Sekretär für Verteidigungsfragen berufen und 1991 zum Stellvertreter des sowjetischen Verteidigungsrates, dessen Vorsitz er selbst innehatte. ­Gorbatschow hatte Dmitri Jasow im Mai 1987 zum Verteidigungsminister der Sowjetunion befördert, nachdem er dessen Vorgänger wegen der spektakulären Landung des Hobbyfliegers Matthias Rust unmittelbar vor dem Roten Platz entlassen hatte. Im April 1990 ernannte G ­ orbatschow Jasow sogar zum Marschall der Sowjetunion. Seit seinem Amtsantritt als Generalsekretär fünf Jahre zuvor hatte er diesen Titel noch nie vergeben. Außer Jasow hatten ihn bis dahin nur sechs weitere Militärs inne.7 Dem Generalsekretär wurde nach dem Putsch oft vorgeworfen, er habe über geringe Menschenkenntnis verfügt, indem er eine politische Führung des Landes aufgebaut habe, die später zu einer Gruppe von Putschisten werden sollte. Doch die Annahme, dass ­Gorbatschow personalpolitisch

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fahrlässig, zu vertrauensselig oder unbedarft gehandelt hat, hält einer näheren Betrachtung nicht stand: Die Politiker, denen er Macht und Ämter übertrug, waren keine ausgewiesene Anhänger von Reformen, sondern erklärte Anhänger eines starken sowjetischen und sozialistischen Systems, in welchem nationale Selbstbestimmung und politischer Pluralismus keine Kategorien waren. ­Gorbatschow muss daher bewusst und taktisch kalkulierend gehandelt haben. Es dürfte auch kein zeitlicher Zufall sein, dass er gleichzeitig liberale Politiker fallen ließ und sie nicht als mögliches Gegengewicht belassen wollte oder konnte. In diesem Zusammenhang ist aufschlussreich, was in Zusammenhang mit Eduard S ­ chewardnadses vor laufenden Fernsehkameras geäußertem Rücktritt vom Amt des Außenministers der Sowjetunion im Dezember 1990 Alexander Jakowlew, G ­­ orbatschows langjähriger Berater, konstatierte: „Der Unterschied zwischen uns besteht darin, dass ich daran gewöhnt bin, […] auf Versammlungen der Konservativen in den Schmutz gezogen zu werden. Als Schewardnadse im Dezember 1990 im Obersten Sowjet von den Vertretern des militärisch-industriellen Komplexes angegriffen und beschuldigt worden war, das Land an den Westen zu verkaufen und seine Grundfesten zu zerstören, war er beleidigt, weil ­Gorbatschow ihn nicht verteidigte. Als Außenminister tat er nichts anderes, als die Politik des Präsidenten zu verwirklichen. Gewiss, er ist talentiert, brillant, aber er war nur das ausführende Organ G ­ orbatschows. Infolgedessen erwartete er, dass der Präsident ans Rednerpult treten und ihn gegen die Verleumdungen verteidigen würde. Doch Michail Sergejewitsch hat sich nicht gerührt. Er hat keinen von uns verteidigt, weder Schewardnadse noch mich.“ 8 Zwei bemerkenswerte öffentliche Auftritte des KGB-Chefs im Dezember 1990 lassen darauf schließen, dass ­Gorbatschow Gewalt als Mittel der Politik schon im Planungsstadium zuließ: Am 11. Dezember 1990 sagte Krjutschkow im sowjetischen Fernsehen: „Meine Organisation wird alles tun, um einen Zusammenbruch der Sowjetunion zu verhindern.“ Er fügte hinzu, dass er auf Anweisung von G ­ orbatschows spreche. Elf Tage später ging er einen Schritt weiter. Im Volksdeputiertenkongress sagte er: „Wir sollten bereit sein, Blutvergießen hinzunehmen, wenn wir darüber reden wollen, die Ordnung in unserem Land wiederherzustellen.“ Der gerade einige Tage zuvor zum Friedensnobelpreisträger ernannte ­Gorbatschow hörte zu und widersprach nicht.9 Der sowjetische Präsident hat zweifellos dazu beigetragen, dass die Putschisten kein allzu großes Unrechtsbewusstsein an den Tag legten, als sie im August 1991 zur Tat schritten.

­Gorbatschows personelle Stärkung der Systembewahre

Seine Personalpolitik, der man eine systematische und von ihm bewusst verfolgte Strategie unterstellen darf, machte den Putsch im August 1991 erst möglich, provozierte ihn geradezu. Als sich ­Gorbatschow im Frühjahr 1991 notgedrungen den neuen machtpolitischen Realitäten, die vor allem nach dem nicht zu verhindernden Machtzuwachs Jelzins entstanden waren, beugen musste, hätte er zumindest einige Systembewahrer in seiner Mannschaft durch liberalere Kräfte ersetzen können. Er tat es nicht. Er hielt an ihnen fest, selbst als es klare Signale gab, dass sie ihm gegenüber illoyal waren.

3  Hauptorganisator des Putsches: Wladimir Krjutschkow, Vorsitzender des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Im Jahre 1956 arbeitete er als Presseattaché in der Botschaft der UdSSR in Budapest. Er gehörte somit zu jenen, die den Aufstand der ungarischen Bürger gegen die sowjetische Besatzungsmacht niederschlugen. Botschafter der UdSSR in Ungarn war zu diesem Zeitpunkt Juri Andropow, der 1967 zum KGB-Chef und 1982 zum Generalsekretär der KPdSU aufstieg. Andropow förderte Krjutschkows Karriere in entscheidendem Maße, ebenso die von Michail Gorbatschow. © Itar-TASS

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4  Zunächst Mitstreiter, später einer der Hauptputschisten: Oleg Schenin, hier mit Michail Gorbatschow im Gebiet Krasnojarsk im September 1988 (zwischen ihnen ihre Ehefrauen). Schenin war regionaler Parteichef in Krasnojarsk, ein Gebiet fünfmal so groß wie Frankreich. © Itar-TASS

5  Vom Unterstützer zum entschiedenen Gegner des Kurses von ­Gorbatschow: Oleg Baklanow, Chef der sowjetischen Rüstungs- und Raumfahrtindustrie. © I. Lozo

Verabschiedung und Inhalt des Gesetzes über den Ausnahmezustand

5.2 Verabschiedung und Inhalt des Gesetzes über den Ausnahmezustand In der Sowjetunion gab es bis zur Perestrojka-Zeit kein Gesetz, das die Verhängung des Ausnahmezustandes regelte.10 Selbst der Begriff gehörte nicht in das eigene politische und juristische Vokabular, da er in der durch die Ideologie des Kommunismus geprägten Gesellschaft keine Berechtigung hatte. Relevant wurde die Frage dann aber, als die durch die Perestrojka eröffneten neuen Freiräume kleinere und größere Nationalitätenkonflikte mit sich brachten. Sie können hier nicht im Einzelnen aufgeführt werden, es sei lediglich erwähnt, wann ein Synonym erstmals in einer offiziellen sowjetischen Verlautbarung verwendet wurde. Am 27. Februar 1988 wurden mindestens 31 Armenier in der aserbaidschanischen Stadt Sumgait auf offener Straße oder in ihren Wohnungen ermordet. Es war der erste in einer solch brutalen Weise offen ausgetragene nationale Konflikt der Perestrojka-Ära. Die sowjetischen Medien berichteten nur sehr spärlich über dieses Pogrom in der Stadt am Kaspischen Meer. Die Berichterstattung der zentralen Medien war sogar „eher irreführend.“ 11 Es sollte noch etwa ein Jahr dauern, bis die propagierte Glasnost zu einem festen Prinzip der sowjetischen Berichterstattung wurde und die Journalisten sich dann sogar Freiheiten nahmen, die weit über die von ­Gorbatschow gewünschten Systemgrenzen hinausgingen. Angesichts der zunehmenden Spannungen in der Region Berg-­Karabach wurde dort ein „Sonderzustand“ eingeführt. In der TASS-Meldung von 21. September 1988 wurde der Begriff „Ausnahmezustand“ in der rus­ sischen Fassung vermieden, „um die sowjetische Öffentlichkeit nicht aufzuschrecken.“ 12 Dagegen war in der deutschen und englischen Fassung der TASS -Meldung vom „Ausnahmezustand“ die Rede. Um diesem Sonderoder Ausnahmezustand eine rechtliche Grundlage zu geben, verabschiedete der Oberste Sowjet der UdSSR am 1. Dezember 1988 das Gesetz „Über Veränderungen und Ergänzungen der Verfassung (des Grundgesetzes) der UdSSR.“ 13 Am 3. April 1990 unterschrieb Präsident ­Gorbatschow dann das vom Obersten Sowjet der UdSSR zuvor verabschiedete Gesetz über den Ausnahmezustand mit dem Titel: „Über den rechtlichen Rahmen des Ausnahmezustandes.“ 14 Es umfasst 17 Paragraphen, in denen unter anderem festgelegt war, wer ihn unter welchen Bedingungen verhängen kann und welche Maßnahmen zulässig sind, um den Ausnahmezustand durchzusetzen.

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Die Putschisten griffen eine Reihe der in diesem Gesetz niedergelegten Paragraphen auf und fügten sie inhaltlich in ihre an die Bevölkerung gerichteten Verordnungen und Erlasse ein. So war es entsprechend dem Gesetz beispielsweise zulässig, ein Versammlungs- und Demonstra­tionsverbot, ein Streikverbot und Parteiverbote zu verhängen, ebenso die Massenmedien zu kontrollieren, bestimmte Gruppen zu entwaffnen oder Personen für eine bestimmte Zeit an einen anderen Ort zu bringen. Dies war auch eine von zwei geplanten Handlungsvarianten der Putschisten in Bezug auf Jelzin, dem sie für den Fall, dass er sich einem Kompromiss verweigern würde, wegen des „Kriegs der Gesetze“ zwischen der Zentrale und der russischen Republik die Missachtung und den Bruch der sowjetischen Verfassung zur Last legen wollten. Hätten die Putschisten auf legalem Wege die oberste Macht erlangt und hätte der Oberste Sowjet der UdSSR – wie in dem Gesetz vorgeschrieben – die Verhängung des Ausnahmezustandes sanktioniert, so wären all die martialischen Maßnahmen der Putschisten in den Tagen des 19. bis 21. August in einem legalen Rahmen erfolgt. Dazu gehörte auch der Einmarsch der Truppen in Moskau und in Teilen des Baltikums. Nach Paragraph 4, Absatz 1 lag es im Ermessen der Staatsorgane, die „Bewachung des gesellschaftlichen Lebens und von Objekten“ zu verstärken oder – gemäß Absatz 17 – eine Ausgangssperre zu verhängen. Ausrufen durften den Ausnahmezustand die Obersten Sowjets der Autonomen Republiken oder die Obersten Sowjets der Republiken. Der Präsident hatte dieses Recht auch, doch er war verpflichtet, unverzüglich die Bestätigung dafür durch den Obersten Sowjet einzuholen in den Fällen, in denen das vorab nicht möglich war. Das Recht, den Ausnahmezustand auf dem Gebiet der gesamten Sowjetunion auszurufen, hatte nur der Oberste Sowjet der UdSSR . Das G ­ KTSCHP trug dem Rechnung und verhängte den Ausnahmezustand zunächst nur „in einzelnen Gebieten der Sowjetunion.“ 15 Am Nachmittag des ersten Putschtages wurde er dann von Janajew explizit und in einer gesonderten Anordnung über die Stadt Moskau verhängt. Der Katalog der zulässigen repressiven Maßnahmen, der in Paragraph 4 sogar zwanzig Einzelbestimmungen enthielt, war juristisch geeignet, in die Prä-Perestrojka-Zeit zurückzukehren. Die Frist des Ausnahmezustandes, die von den Putschisten auf sechs Monate bestimmt war, konnte gemäß Paragraph 3 verlängert werden, „wenn die Umstände, die seine Einführung begründet hatten, immer noch vorliegen.“ Aus diesem Grund waren die Putschisten so erpicht, in Foros die Unterschrift G ­ orbatschows für die

Die Diskussion über die Verhängung des Ausnahmezustandes

Ausrufung des Ausnahmezustandes zu erhalten. Denn dies hätte ihnen auf dem Boden der zu diesem Zeitpunkt noch gültigen sowjetischen Verfassung das Recht gegeben, unter Zuhilfenahme der Einzelbestimmungen des Gesetzes mit einem Schlag die gesamte demokratische Opposition und Presse sowie vor allem die nach Unabhängigkeit von der Moskauer Zentrale strebenden politischen Kräfte notfalls kaltzustellen und zu entmachten. Im Unterschied zur deutschen Gesetzgebung, die keinen Ausnahmezustand, sondern einen Notstand kennt, waren durch das sowjetische Gesetz über den Ausnahmezustand solch massive Eingriffe in die Grundrechte erlaubt. Das deutsche Grundgesetz besagt demgegenüber in Artikel 19, Absatz 2, dass im Falle einer Einschränkung „in keinem Fall“ ein Grundrecht „in seinem Wesensgehalt angetastet“ werden dürfe.16 Dass G ­ orbatschow dieses Gesetz unterschrieb, das ein Verbot von Parteien oder die faktische Unterwerfung der Medien sowie das vorübergehende physische Verbringen von Bürgern an einen anderen Ort erlaubte (bei gleichzeitiger staatlicher Verpflichtung, ihnen an dem neuen Ort eine Unterkunft zu verschaffen), mag erstaunen. Es war als Instrument gedacht, den Erschütterungen und dem Auflösungsprozess in der UdSSR entgegenzuwirken. Dieser Prozess konnte aber zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes (Frühjahr 1990) im Grunde nicht mehr rückgängig gemacht werden.

5.3 Die Diskussion über die Verhängung des Ausnahmezustandes Die Verwendung des Begriffs „Ausnahmezustand“ bedeutete immer auch das Eingeständnis, dass es tatsächlich Problemregionen gab; zudem hatte er eine beunruhigende Konnotation. Er wurde seitens der sowjetischen Behörden und der Medien zunächst vermieden (1988), dann vorsichtig eingesetzt (1989), schließlich offen und ohne Tabus verwendet (1990).17 Zwischen 1989 und 1991 erlebte der Begriff „Ausnahmezustand“ in der Sowjetunion einen enormen politischen Bedeutungszuwachs, der sich in drei Phasen vollzog: Anfangs war er ein Mittel zur Lösung lokaler und gewaltsamer Konflikte, dann verschoben sich 1989/1990 die Probleme und bekamen eine neue Dimension. In diesem Zeitraum wurde mindestens zehn Mal in Unruhegebieten oder Städten der Sowjetunion der Ausnahmezustand verhängt.18

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Zusätzlich wurden von G ­ orbatschow entsprechende Drohungen ausgesprochen.19 Bald ging es jetzt nicht nur um die Befriedung von kleineren Konflikten zwischen einzelnen Nationalitäten, sondern zusätzlich um das Verhindern von Loslösungsbestrebungen ganzer Sowjetrepubliken von der Zentrale in Moskau. Dabei handelte es sich um politische Konflikte, die erst später mit Gewalt (seitens der Moskauer Zentrale) verbunden waren, wie das Beispiel Baltikum zeigt. Der Ausnahmezustand und seine öffentliche Erwähnung durch die ­Gorbatschow-Führung, den KGB oder die Hardliner des sowjetischen Parlaments wurde somit als Instrument der Drohung und des Disziplinierungsversuchs gegenüber den nach Unabhängigkeit strebenden Republiken eingesetzt. Im Frühjahr 1990 war von Gewalt im Baltikum noch keine Rede; die ­Gorbatschow-Führung griff stattdessen zu einer Rohstoffblockade.20 Im Jahr vor dem Putsch entwickelte sich der Ausnahmezustand zu einem politischen Begriff und wurde als Konzept und Programm für die Bewältigung der tiefen und vielschichtigen Krise in der gesamten Sowjetunion präsentiert und gleichzeitig auch gefordert. Er wanderte somit aus den entlegenen Unruheprovinzen hin zu der Konfliktebene „Republiken gegen die Zentrale“, um schließlich in Moskau selbst anzukommen, wo er nun gegen den Machtzuwachs Jelzins und für die Wiederherstellungsversuche der alten Ordnung instrumentalisiert wurde. Diese dritte inhaltliche Belegung des Begriffs „Ausnahmezustand“ soll im Folgenden erörtert werden.

Die erste Phase ab Herbst 1990 Spekulationen sowie Dementis, dass der Ausnahmezustand über das politische Zentrum der Sowjetunion und darüber hinaus verhängt werde, tauchten verstärkt ab Herbst 1990 auf.21 Durch die sich gegenseitig bekämpfenden Lager G ­ orbatschows und Jelzins waren die Hauptstadt und das Land paralysiert. In Anspielung auf die dramatische Versorgungslage erklärte der Moskauer Oberbürgermeister Popow öffentlich, dass die Konservativen nur „Vorwände suchten, um den Ausnahmezustand zu verhängen und die demokratischen Kräfte zu zerschlagen.“ 22 ­Gorbatschow, der im Spätherbst 1990 zunehmend liberale Kräfte in seiner Führung durch orthodoxe ersetzt hatte, verschärfte nun selbst seine Rhetorik. Nachdem er am 6. Dezember von einer Abgeordnetengruppe im sowjetischen Volksdeputiertenkongress zur Verhängung des Ausnahmezustandes, der explizit die Einstellung der Arbeit der Parlamente Russlands,

Die Diskussion über die Verhängung des Ausnahmezustandes

Litauens und Georgiens sowie ein allgemeines Parteienverbot beinhalten sollte, aufgefordert worden war, machte er kurze Zeit später einen bedeutenden Schritt in die von den Konservativen geforderte Richtung. Am 19. Dezember 1990 sagte er vor dem Volksdeputiertenkongress: „Ich kann jetzt nicht alle Probleme der zwischennationalen Beziehungen berühren. Ich will nur unterstreichen, dass dort, wo die Situation eine besondere Schärfe annimmt und eine ernsthafte Bedrohung der Sicherheit für Staat und Menschen entsteht, der Ausnahmezustand oder die Präsidialverwaltung eingeführt werden muss. Und ich denke, dass in diesen Fällen der Präsident die volle Verantwortung übernehmen muss.“ 23 Den Ausnahmezustand über das politische Moskau meinte er damit noch nicht; dies erfolgte zu einem späteren Zeitpunkt. Doch es war eine klare Warnung und Drohung auch gegen die baltischen Republiken, womit er nun auf den Kurs der orthodoxen Kräfte einschwenkte. Kaum einen Monat später versuchten sowjetische Truppen dann auch, die demokratisch gewählte Regierung in Litauen zu stürzen, was einen reaktionären Putschversuch darstellte. G ­ orbatschow bestritt davon gewusst zu haben, sorgte aber gleichzeitig nicht dafür, dass die Verantwortlichen für den Militäreinsatz, der 14 Tote (13 litauische Bürger und einen Kämpfer der KGB-Eliteeinheit „Alpha“) und rund 1.000 Verletzte gefordert hatte, jemals zur Rechenschaft gezogen wurden. Inzwischen gehörte der Begriff „Ausnahmezustand“ zu dem regelmäßig verwendeten politischen Vokabular in Moskau. G ­ orbatschow behauptet zwanzig Jahre danach, dass er in dieser Frage ständig bedrängt worden sei: „Der Druck auf mich war sehr groß, den Ausnahmezustand zu verhängen. Diese Forderungen kamen immer wieder auf. Die späteren Putschisten haben einiges von mir verlangt. Auch in Vilnius sollte ich ihn verhängen. Aber als Präsident hatte ich meine eigenen Standpunkte.“ 24 Seine Äußerungen im sowjetischen Volksdeputiertenkongress und im inneren Zirkel der Führung waren aber nicht anders zu verstehen, als dass er den Ausnahmezustand sehr wohl als politische Option betrachtete. Damit hat er die Putschisten zweifellos ermutigt. Durch die ab Herbst 1990 stetig im Raum stehende Diskussion über solch einen Schritt verschwammen die Grenzen. ­Gorbatschow selbst trug sich bald mit dem Gedanken, den Ausnahmezustand nicht nur in den widerstrebenden Republiken zu verhängen, sondern mit seiner Hilfe auch das politisch lähmende Patt sowie das wirtschaftliche und rechtliche Chaos in Moskau und in Russland zu beenden. Auf der oben erwähnten Sitzung des Volksdeputiertenkongresses

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vom 19. Dezember 1990 warnte er, dass „das Land den Bankrott erklären“ werden müsse, wenn innerhalb eines Jahres keine Besserung der wirtschaftlichen Lage eintrete.25 Eine Politik der Drohungen verfolgte er insbesondere nach der auch für die damaligen konfrontativen Verhältnisse unerhörten Aktion Jelzins, der ­Gorbatschow in einem Fernsehauftritt am 19. Februar 1991 politisches Versagen vorgeworfen und den sowjetischen Präsidenten zum ersten Mal zum Rücktritt aufgefordert hatte.26 Eine Woche später griff G ­ orbatschow die demokratische Bewegung in Russland scharf an und warf deren Protagonisten vor, die Macht im Lande übernehmen zu wollen. Es war de facto ein – wenngleich vorübergehender – Bruch mit den liberalen Kräften im Land: „Diese sogenannten Demokraten haben eine anti-kommunistische Ausrichtung gewählt und versuchen, Verwirrung in den Kopf der Menschen zu säen.“ 27 Es liegt im Wesen einer Demokratie, dass man auch antikommunistisch ausgerichtet sein kann und darf. G ­ orbatschow wollte jedoch diese antikommunistische Entwicklung – zumindest in dieser Phase seiner Amtszeit – zweifellos stoppen. Schon seit Anfang Dezember 1990 arbeitete der KGB an einem konkreten Maßnahmenkatalog, der im Falle einer Verhängung des Ausnahmezustandes zur Anwendung kommen sollte. Dies ergab die interne Untersuchung im KGB, die nach dem Putsch von Wadim Bakatin, dem neuen Chef dieser Organisation, in Auftrag gegeben worden war.28 Dieser Maßnahmenkatalog bezog sich auf das Land, also auf die Sowjetunion und nicht mehr auf einzelne Republiken. Krjutschkow beauftragte mit der Ausarbeitung die KGB-Mitarbeiter Wladimir Schischin und Alexej ­Jegorow, die später im August eine wichtige Rolle spielen sollten. Krjutschkow zitierte gegenüber seinen beiden Mitarbeitern ein entsprechendes Gesuch ­Gorbatschows. Dies belegt ein „erklärender Vermerk“ des KGB-Mitarbeiters Schischin.29 Es ist möglich, dass G ­ orbatschow die Hardliner nur beruhigen wollte und seine aktive Beteiligung an der Diskussion nur taktischer Natur war. Doch ist dies zweitrangig, wenn es darum geht, seine politische Verantwortung zu beurteilen, hat er doch mit diesem Verhalten ungeachtet der Absichten, die er damit verfolgte, die Putschisten ermutigt.

Die zweite Phase ab Frühjahr 1991 Ende März 1991 drohte eine militärische Eskalation des Konflikts zwischen dem Jelzin-Lager, das imstande war, Hunderttausende für Demonstrationen in Moskau zu mobilisieren, und der immer schwächer werdenden Zentralregierung ­Gorbatschows. Der Rückhalt der Bevölkerung für

Die Diskussion über die Verhängung des Ausnahmezustandes

den sowjetischen Präsidenten tendierte gegen null. Pro-­GorbatschowKundgebungen gab es nicht. Nach sechs Jahren an der Spitze des Staates hatte er seinen Kredit bei den Bürgern nicht nur verspielt; sie waren ihres Präsidenten in hohem Maße überdrüssig, auch wenn die Wahrnehmung im Westen – vor allem in Deutschland wenige Monate nach der glück­ lichen Wiedervereinigung – in dieser Hinsicht eine völlig andere war. Ohne den Ausnahmezustand ausgerufen zu haben, erließ G ­ orbatschow einige entsprechende Anordnungen, die keine juristische Legitimation hatten. Er verfügte ein Demonstrationsverbot für Moskau, das zwischen dem 26. März und dem 15. April gelten sollte.30 Dies trieb die Konfrontation auf die Spitze, weil die Jelzin-Anhänger sich das Demonstrieren nicht verbieten lassen wollten. Der russische Volksdeputiertenkongress tagte zeitgleich; ein Misstrauensvotum, durch das Jelzin gestürzt werden sollte, drohte. Doch eine Mehrheit fand sich letztlich nicht dafür. Jelzin mobilisierte die Bevölkerung, die ­Gorbatschow-Führung ließ 50.000 Soldaten des Innenministeriums und Militärfahrzeuge in Moskau in Stellung bringen. Die Moskauer Polizei, die dem jelzinnahen Oberbürgermeister Popow unterstand, unterstellte er unberechtigterweise dem sowjetischen Innenministerium, das von dem späteren Putschisten Pugo geleitet wurde. Das Stadtbild ähnelte an einigen Orten dem in den Tagen des Putsches. Die Zahl der Demonstranten war an diesem 28. März möglicherweise höher als im August 1991 und wurde auf 100.000 bis 500.000 geschätzt.31 Franz Smets, der dpa-Bürochef in Moskau, schrieb am Vortag in seinem Korrespondentenbericht: „Die sowjetische Führung hat praktisch einen vorübergehenden Ausnahmezustand über Moskau verhängt. Noch nie sind in der Sowjetunion in Friedenszeiten so viele Maßnahmen zur Sicherung der Lage ergriffen worden. […] Sie gehen weit über das verfügte Verbot von Kundgebungen und Demonstrationen hinaus.“ 32 Die Situation stand auf Messers Schneide; selbst im offiziellen sowjetischen Sprachorgan TASS wurde seitens der ­Gorbatschow-Führung nun offen gedroht: „Der ungestüme Versuch der Bewegung Demokratisches Russland, um jeden Preis an die Macht zu gelangen, macht die Verhängung des Ausnahmezustandes immer wahrscheinlicher.“ 33 Angesichts dieser gefährlichen Konfrontation schaltete sich sogar das Außenministerium der USA ein und forderte die sowjetische Regierung auf, jegliche Einschränkung des Demonstrationsrechts aufzuheben. Die Anerkennung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Versammlung sei die Grundlage der sowjetischen Reformpolitik gewesen. Der einige

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Monate zuvor aus Protest gegen die Erstarkung und Förderung der orthodoxen Kräfte zurückgetretene sowjetische Außenminister Schewardnadse meinte, ohne ­Gorbatschow beim Namen zu nennen: „Ich bin erschüttert. Ich kann mich nicht damit abfinden, dass die Initiatoren der Perestrojka auf solche Mittel zurückgreifen.“ 34 Die spannungsgeladene Atmosphäre in Moskau endete schließlich mit dem kleinlauten Abzug des Militärs – die Demonstranten und Jelzin hatten sich durchgesetzt. ­Gorbatschow hatte sich unnötigerweise selbst eine empfindliche und blamable Niederlage zugefügt und seine Autorität weiter untergraben. Die militärische Präsenz in Moskau war im August 1991 deutlich stärker ausgeprägt als knapp fünf Monate zuvor. Der Aufmarsch Ende März dürfte ein in der historischen Erinnerung weitgehend verblasster äußerliche Vorbote für den Putsch sein. Zweifellos hatte ­Gorbatschow aber die Empörungs- und Hemmschwelle für eine künftige Demonstration der Stärke durch das massive Aufgebot militärischer Kräfte selbst heruntergesetzt. Der Vergleich mag nicht in allen Punkten angemessen sein, doch sehr wohl in einem: Sowohl im März als auch im August 1991 ging es um die Einschüchterung des politischen Gegners, und in beiden Fällen fehlte die juristische Legitimation für die Militärpräsenz in der Moskauer Innenstadt. G ­ orbatschow erwähnt dieses spannungsgeladene Ereignis Ende März 1991 in seinen Memoiren nicht, schreibt lediglich allgemein: „Im März und April sowie in den folgenden Monaten kam es aus verschiedenen Anlässen zu Kontroversen zwischen den Führungen der Sowjetunion und Russlands. Bei weitem nicht alle Leute in Jelzins Umgebung waren friedfertig gestimmt. Manche konnten sich von ihrem ‚antizentristischen‘ Wahn gar nicht mehr frei machen.“ 35 Im Obersten Sowjet der UdSSR rief die Abgeordnetengruppe Sojus, die im Parlament die stärkste Gruppierung bildete, am 20. April 1991 ­Gorbatschow dazu auf, endlich den Ausnahmezustand zu verhängen, weil „im Land Gesetzlosigkeit und Machtlosigkeit“ herrschten. Sollte er seine „verfassungsmäßige Pflicht nicht erfüllen können“, so sei Sojus bereit, die Verantwortung für die Einführung des Ausnahmezustandes zu übernehmen.36 Aufmerksam verfolgte Jelzin, wie G ­ orbatschow mit dem Thema Ausnahmezustand umging. In seinen Memoiren zitiert er aus einer Rede des sowjetischen Präsidenten und KPdSU-Generalsekretärs, die dieser vor dem Plenum des ZK im April 1991 hielt: „In seinem Schlusswort erklärte er, er habe nichts mit denen gemein, die mit Hilfe des Ausnahmezustandes die Prozesse der Demokratisierung aufzuhalten und die Souveränität der Republiken einzuschränken gedachten.“ 37

Die Diskussion über die Verhängung des Ausnahmezustandes

Zweifellos betrieb ­Gorbatschow in dieser Periode eine doppelgleisige Politik. Er paktierte einerseits mit den Systembewahrern, andererseits begann er einen Entspannungskurs gegenüber den Republiken, indem er den Verhandlungsprozess von Nowo-Ogarewo in Gang setzte. Jelzin musste von seinen Beratern überredet werden, daran teilzunehmen.38 Am 26. April verkündete G ­ orbatschow vor dem Obersten Sowjet der UdSSR, er wolle nach dem 1. Mai per Dekret in mehreren Wirtschaftssektoren den Ausnahmezustand ausrufen lassen. Welche Bereiche genau davon betroffen sein sollten, sagte er nicht.39 Ob diese Ankündigung dem Druck der Systembewahrer geschuldet war oder ob es seine eigene Überzeugung war, ist nicht zu bestimmen. In dieser überaus nachrichtenstarken Zeit nahmen die Medien und die Öffentlichkeit kaum Notiz von dieser Maßnahme. Doch die Schwelle zu einer Verhängung des Ausnahmezustandes, die nicht in einem nationalen Konflikt ihre Ursache hatte, war hiermit erstmalig überschritten. Hinter den Kulissen erörterte G ­ orbatschow im Frühjahr und Sommer 1991 unter anderen mit den Leitern der Machtorgane KGB, Verteidigungsministerium und Innenministerium – Krjutschkow, Jasow und Pugo –, aber auch mit Vizepräsident Janajew und dem Organisationschef der KPdSU Schenin mehrere Varianten des Ausnahmezustandes. ­Gorbatschow bestreitet nicht, dass es solche Gespräche im Führungszirkel gegeben hat.40 Laut Janajew hatte der Präsident die Ausarbeitung von mehreren Varianten in Auftrag gegeben. Vier seien ­Gorbatschow vorgelegt worden:41 1 Der Ausnahmezustand in Moskau und einigen Regionen. 2 Der Ausnahmezustand im ganzen Land. 3 Die Unterstellung Moskaus und einiger Regionen unter die direkte Präsidialverwaltung. 4 Die Unterstellung des ganzen Landes unter die direkte Präsidialverwaltung. ­ orbatschow, so die Darstellung Janajews, reagierte, nachdem man ihm G die Varianten vorgelegt hatte, mit den Worten: „Gut, gut, aber noch ist die Zeit dafür nicht gekommen.“ 42 Das vom Obersten Sowjet der UdSSR am 24.  September 1990 ­Gorbatschow eingeräumte Recht zur Einführung der direkten Präsidial­ verwaltung war sehr weitreichend und wurde von Boris Meissner als „Ermächtigungsgesetz“ bezeichnet.43 Nach Krjutschkows Version gab ­Gorbatschow die ihm vorgelegten Unterlagen zum Ausnahmezustand mehrmals zur Überarbeitung zurück

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mit der Aufforderung: „Aktualisiert sie und nehmt die laufenden Entwicklungen im Lande in Betracht.“ Auch soll er gesagt haben: „Wir müssen auf den richtigen Zeitpunkt warten.“ 44 Nach Jelzins Darstellung ging es bei dem Ausnahmezustand darum, die „Ideologie der ‚nationalen Rettung“ durchzusetzen: „Zug um Zug entstand ein Modell für den Ausnahmezustand, im Grunde genommen aber der Plan für einen künftigen Staatsstreich. In dieser Situation konnte es kein Manövrieren zwischen Rechts und Links geben. G ­ orbatschow sah sich vor eine prekäre Wahl gestellt.“ 45 Die tatsächliche Verhängung des Ausnahmezustandes im August 1991 durch die Putschisten war insofern nicht überraschend. Die vor allem im Westen verbreitete Vorstellung, hier sei absolut gegen die Absichten ­Gorbatschows oder ohne jede Abstimmung mit ihm gehandelt worden, ist falsch.46 Der sowjetische Präsident agierte aus einer Position der politischen Schwäche heraus. Eine stringente Linie fehlte. Gegenüber Jelzin befand er sich in der Defensive, den Zerfall des Staates konnte er nicht mehr aufhalten. Die von ihm selbst im inneren Machtzirkel geführte Diskussion über einen möglichen Ausnahmezustand war in dieser Situation riskant und fahrlässig.

Der Auftrag zur Ausarbeitung von Ausführungsbestimmungen Der mögliche Ausnahmezustand kam bis zum August 1991 in der sowje­ tischen Führung als Thema immer wieder zur Vorlage. Einen Tag vor seinem Abflug in den Urlaub nahm ­Gorbatschow an einer erweiterten Sitzung des Kabinetts der UdSSR mit den Ministerpräsidenten der Republiken teil. Es ging dabei hauptsächlich um die katastrophale Versorgungslage. Der sowjetische Präsident sagte laut Protokoll, dass „Ausnahmesitua­ tionen außergewöhnliche Maßnahmen“ erfordern würden. „Also, zwingt sie [diejenigen, die die Versorgung mit ihrem Handeln erschweren oder ­blockieren] notfalls! Es geht nicht darum, die Reformen zurückzunehmen. […] Es geht darum, dass in Ausnahmesituationen jeder Staat handelte und handeln wird, falls die Lage Ausnahmemaßnahmen diktiert. Bei uns, und das sage ich ganz offen, haben wir einen Ausnahmezustand bezogen auf die Versorgung.“ 47 Diese Aussage wurde nach dem Putsch vor allem von ­Gorbatschows Gegnern dahingehend interpretiert, er habe das Vorgehen der Putschisten in Hinblick auf den Ausnahmezustand gefördert und vorab sanktioniert. Diese Schlussfolgerung ist allerdings nicht zulässig, da er explizit nur die Versorgungslage im Blick hatte und ausdrücklich sagte, dass damit keine

Die Diskussion über die Verhängung des Ausnahmezustandes

Rücknahme der Reformen gemeint sei. Werden seine Aussagen jedoch verkürzt wiedergegeben, können sie den Eindruck zu erwecken, er habe am 3. August den Auftrag erteilt, den Ausnahmezustand einzuführen, und sei dann in den Urlaub gefahren. Tatsächlich dürfte aber eine andere Anweisung Bedeutung für den Putsch gehabt haben. An dieser Stelle seien die Aussagen G ­ orbatschows und des KGB-Chefs als hauptsächlicher Empfänger dieser Anordnung einander gegenübergestellt: Krjutschkow: „Als G ­ orbatschow am 4. August in den Urlaub aufbrach, erteilte er den Auftrag – auch mir –, Maßnahmen auszuarbeiten, die bei einer Verhängung des Ausnahmezustandes nötig wären, sollte die Gefahr des Auseinanderfallens des Staates drohen.“ 48 „In meinem letzten Gespräch mit ­Gorbatschow vor seiner Abreise in den Urlaub sagte er mehrdeutig: ‚Man muss auf der Hut sein. Alles kann passieren. Falls eine direkte Gefahr droht, muss man handeln.‘“ 49 Dieser Auftrag ist eine der Schlüsselstellen in der Geschichte des Putsches. Auf die Frage des Verfassers, ob er ihn tatsächlich erteilt habe, antwortete ­Gorbatschow: „Wir hatten ein Gesetz über den Ausnahmezustand. Der Auftrag lautete – und das war zeitlicher Zufall – auszuarbeiten, wie dieses Gesetz in der Praxis anzuwenden sei. Das war alles. Die Absicht war nicht, ihn morgen zu verhängen oder wenn ich aus dem Urlaub zurückkäme.“ 50 Der Einschub „zeitlicher Zufall“ sollte hier kein Misstrauen erwecken. Das wahrscheinlichste Motiv für ­Gorbatschows Handlungsweise dürfte seine eigene Unsicherheit wegen der höchst instabilen Lage im Land gewesen sein. Das wirtschaftliche Chaos und die Versorgungslage waren das eine, die Unsicherheiten vor der Unterzeichnung des Unionsvertrages das andere. Ferner eignete sich der Auftrag zur Ausarbeitung der Ausführungsbestimmungen, den orthodoxen Kräften den Eindruck zu vermitteln, er und sie verfolgten doch gemeinsame politische Ziele. Dies dürfte ein weiteres wichtiges Motiv des sowjetischen Präsidenten und Generalsekretärs des ZK der KPdSU gewesen sein. In diesem Fall hätte es sich um eine Verschleierungs- und Hinhaltetaktik gehandelt. Während ­Gorbatschows Motive für diesen Auftrag kurz vor seinem Urlaub nicht ganz eindeutig auszumachen sind, lassen sich dessen Konsequenzen klar benennen: 1 Durch die andauernde Diskussion über den Ausnahmezustand als mögliche politische Option und durch den konkreten Auftrag, Implementierungsmaßnahmen für die Praxis auszuarbeiten beziehungsweise diese der sich rasch ändernden innenpolitischen Lage anzupassen, beseitigte

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­ orbatschow selbst die Hemmschwelle, dieses Instrument anzuwenden. G Als ein Skandalon wurde der Ausnahmezustand am 19. August 1991 dann auch überwiegend im Westen betrachtet. 2 Ob bewusst kalkulierend oder unbewusst fahrlässig – G ­ orbatschow hat die Putschisten bestärkt und ermutigt, indem er den Eindruck vermittelte, er würde möglicherweise doch mit ihnen gemeinsam eine Politik der „harten Hand“ und der „Ordnung“ verfolgen. Diese beiden Konsequenzen seines Auftrags führen zu der Schlussfolgerung, dass sich hieraus eine politische Mitverantwortung ­Gorbatschows für den Putsch ergibt.

Die Ablehnung der Einführung des Ausnahmezustandes Die Abordnung unter der Leitung von Oleg Baklanow, die am Sonntag, dem 18. August gegen 16 : 30 Uhr unangekündigt in der Staatsvilla in Foros auftauchte, hatte vier Varianten für den Ausnahmezustand mitgebracht, von denen G ­ orbatschow eine unterschreiben sollte. Jede der Varianten bot ausreichende Befugnisse, die Doppelherrschaft in Moskau zu beenden. Aufgrund des Gesprächsverlaufs kam es nicht dazu, dass die Dokumente G ­ orbatschow zur Ansicht vorgelegt wurden. Er lehnte die Forderung ab, den Ausnahmezustand zu sanktionieren. So wie er eine politische Mitverantwortung, ja Schuld dafür trägt, dass er die Putschisten in den Glauben versetzte, der Ausnahmezustand stünde möglicherweise als politisches Szenario bevor – was diese zu ihrem Handeln ermutigte –, hat ­Gorbatschow durch die Zurückweisung der Forderung an seinem Urlaubsort auch einen wesentlichen Anteil daran, dass der Putsch scheiterte. Auch wenn diese Zurückweisung nicht so schroff und so kategorisch erfolgte wie ­Gorbatschow nach dem Putsch vorgab, so zählt in erster Linie das Ergebnis: Indem er die Einführung des Ausnahmezustandes ablehnte, brachte er das gesamte Vorhaben der Putschisten in eine Schieflage, die es dann zum Scheitern verurteilte. Nach dem Putsch wurde vor allem in Russland die Frage gestellt, ob man überhaupt von einem Putsch sprechen könne, wenn mit der Person, die die Macht hält, diskutiert und verhandelt wird und wenn dabei diese Person sogar persönlich aufgesucht wird. Diese Sichtweise lässt allerdings außer Acht, dass schon vor Ankunft der Delegation in Foros sämtliche Vorkehrungen getroffen worden waren, G ­ orbatschow handlungsunfähig zu machen. Die Telefonverbindungen wurden kurz vor dem Beginn des

Die Diskussion über die Verhängung des Ausnahmezustandes

unangekündigten Gesprächs gekappt, und der Chef von ­Gorbatschows Wachpersonal wurde nach Moskau abgezogen und durch einen mit den Putschisten eingeflogenen Sicherheitschef ersetzt. Dies alles geschah mit dem Ziel, ­Gorbatschow auszuschalten, wenn er sich einem Zusammengehen mit den Putschisten verweigerte. Dabei spielt es keine Rolle, dass es nicht dazu gekommen wäre, hätte sich der sowjetische Präsident kooperativ gezeigt. Die Ausschaltung wurde vorbereitet und dann vollzogen. Schon aus diesem Grund hat die Bezeichnung als Putsch ihre volle Berechtigung. Betrachtet man, wie es dazu kam, dass G ­ orbatschow die Forderung zurückwies, die Absichten der Putschisten zu sanktionieren, ist ferner zu berücksichtigen, dass sich der sowjetische Präsident ohne Vorwarnung in einer durchaus als bedrohlich zu empfindenden Lage wiederfand. Bei seiner Entscheidung war ­Gorbatschow auf sich allein gestellt; Jelzin dagegen hatte am nächsten Tag, als die Machtübernahme durch das Staatskomitee für den Ausnahmezustand (­GKTSCHP) vollzogen war, seine politischen Mitstreiter und seine persönlichen Berater um sich und konnte mit ihnen gemeinsam den Widerstand diskutieren und dann organisieren. Es geht hier nicht darum, die Verdienste der beiden Politiker gegeneinander abzuwägen oder Jelzins Leistung zu schmälern. In der Forschung und in der öffentlichen Wahrnehmung werden allerdings die positive Rolle und das Verdienst G ­ orbatschows für das Scheitern der Machtübernahme durch die orthodoxen Systembewahrer unterbewertet.

­ orbatschows Distanzierung vom Ausnahmezustand G Unmittelbar nach dem Putsch distanzierte sich ­Gorbatschow in öffentlichen Äußerungen sowie in seinen Büchern, in denen er auf die dramatischen Ereignisse vom August 1991 einging, unumwunden von der Zweckmäßigkeit einer Verhängung des Ausnahmezustandes. Er habe die Delegation, die ihn am 18. August 1991 überraschend an seinem Urlaubsort in Foros auf der Krim aufsuchte, eindringlich gewarnt, die Verhängung des Ausnahmezustandes werde zu Blutvergießen, ja zu einem Bürgerkrieg führen. Die Bürger ließen sich nicht wie Bataillone herumkommandieren. Damit würden die Putschisten das Land und sich selbst in den Abgrund stürzen.51 ­Gorbatschow hat, so lautet seine Darstellung, die Abordnung aus Moskau sogar als „Verbrecher“ und „Selbstmörder“ bezeichnet.52 Dann aber stellt sich die Frage, warum G ­ orbatschow Maßnahmen zur Anwendung des Ausnahmezustandes ausarbeiten ließ, wenn dieser doch – wie er selbst sagt – ein völlig untaugliches und im wahrsten Sinne des

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Wortes mörderisches Mittel der Politik in der angespannten Situation des Landes dargestellt hätte. ­Gorbatschow erklärt dies wie folgt: „Jeder Staat, insbesondere ein demokratischer, wird in der Außen- wie in der Innenpolitik durch Rechtsnormen und Gesetze getragen und gelenkt. Es gibt in einem Staat möglicherweise auch Situationen, in denen es nötig und zweckmäßig ist, den Ausnahmezustand zu verhängen.“ 53 Der sowjetische Staat befand sich jedoch in einem fortgeschrittenen Stadium der Auflösung und war somit akut in seiner Existenz bedroht. Wann sonst hätte der Ausnahmezustand noch verhängt werden sollen? Nach G ­ orbatschows Darstellung war dieser Auftrag lediglich grundsätz­ licher Natur und nicht konkret für die außer Kontrolle geratene Situation des Landes im Jahre 1991 gedacht. Ob dies seinen wahren Absichten entsprach, kann nicht überprüft werden. Den Putschisten aber gab er – bewusst oder unbewusst – das Gefühl, er selbst plane konkret die Verhängung des Ausnahmezustands, schließe ihn zumindest in der gegenwärtigen Lage (Sommer 1991) nicht aus. Mag auch vieles an G ­ orbatschows politischen Manövern in den Monaten vor dem Putsch – sei es aus Kalkül, sei es aufgrund von Unentschlossenheit – widersprüchlich sein, widersprüchlich erscheinen oder von ihm bewusst oder unbewusst heraufbeschworen worden sein: Im entscheidenden Moment, als die fünfköpfige Delegation aus Moskau ihn in seinem Urlaub in Foros aufforderte, die Verhängung des Ausnahmezustandes endlich zu sanktionieren, weigerte er sich. Die radikale Distanzierung vom Ausnahmezustand nach dem Putsch sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass er selbst es war, der ihn als politische Option ansah oder anzusehen vorgab.

5.4 ­Gorbatschow in Foros während der Putschtage Die interessengesteuerten Darstellungen von G ­ orbatschow und seinen ehemaligen Mitstreitern, die schließlich zu seinen Feinden wurden, sind, was die Putschtage in Foros betrifft, mit der gebotenen Vorsicht zu behandeln. Ein anschauliches Beispiel dafür, dass es oft nicht um eine sachliche Aufarbeitung und Erhellung der historischen Ereignisse geht, sondern darum, einen langjährigen politischen Gegner ins Zwielicht zu rücken, bieten die widersprüchlichen Darstellungen Jelzins. 1994, als die staatsanwaltlichen Ermittlungen und anderweitige Untersuchungen längst abgeschlossen waren, stellte er in seinen Memoiren den sowjetischen

­Gorbatschow in Foros während der Putschtag

Präsidenten noch als Opfer des Putsches dar: „­Gorbatschow war und bleibt zwar mein politischer Gegner, aber es ist großartig, dass eine so schreckliche Geschichte ein so gutes Ende nimmt.“ 54 2006, ein Jahr vor seinem Tod, stellte Jelzin in einer russischen TV-Dokumentation ­Gorbatschow als stillen Mitputschisten und machtpolitischen Opportunisten dar, der in Foros abgewartet habe, wer in Moskau siegen werde. Zum damaligen Zeitpunkt – 15 Jahre nach dem Putsch – bekamen abstruse Verschwörungstheorien damit neue Nahrung, zumal es sich bei dieser Aussage um die eines ehemaligen Staatsoberhaupts Russlands handelte. Jelzin ging noch einen Schritt weiter und ließ sich zur Geschichtsfälschung hinreißen, indem er davon sprach, dass seine Darstellung historisch bewiesen sei: „Er [­Gorbatschow] hat vom Putsch 91 gewusst und er hat bewusst abgewartet, um sich dann der siegenden Seite anzuschließen. Und diese Tatsache ist dokumentarisch belegt.“ („Etot fakt dokumental’no podtveržden.“)55 Diese Unterstellung, ja Verleumdung wurde von der G ­ orbatschow-Pressestelle umgehend zurückgewiesen mit der Bemerkung, dass Jelzin nun dazu übergangen sei, „Wort für Wort die Position Krjutschkows und der anderen Putschisten zu übernehmen.“ 56 Noch drastischer (und offenbar wütend) reagierte G ­ orbatschow auf die Jelzin-Unterstellung in einem Interview mit einer russischen Zeitung: „Er ist ein Lügner. Schreiben Sie das so!“ 57 Im historischen Diskurs geht es im Wesentlichen immer wieder um die zwei Fragen, wie eingeschränkt G ­ orbatschows Bewegungs-, Informationsund Kommunikationsmöglichkeiten in Foros tatsächlich waren und ob er das Ansinnen der Putschisten nicht stillschweigend geduldet oder gar gebilligt habe, wenn er auch seine Unterschrift zur Einführung des Ausnahmezustandes verweigerte.58 Für die Behauptungen, er sei gar nicht so eingeschränkt gewesen und habe heimlich mit den Putschisten paktiert, gibt es keinerlei belastbare Anhaltspunkte. Der Ablauf der Ereignisse, die staatsanwaltlichen Ermittlungsergebnisse und weitere Gründe stehen dem entgegen, sodass diese Unterstellungen als haltlos und als politisch oder persönlich motivierte Interpretationen und teilweise als bewusste Manipulationsversuche zu bezeichnen sind.

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6 | 7  Staatsdatscha Gorbatschows mit Rolltreppe zum Strand: Seit der Fertigstellung der Luxusvilla im Jahre 1988 verbrachte er hier mit seiner Ehefrau, seiner Tochter, dem Schwiegersohn und den Enkeln bis 1991 jeweils seinen Sommerurlaub. Das Anwesen befindet sich nahe der 2000 Einwohner zählenden Ortschaft Foros auf der Krim am Schwarzen Meer, unweit von Jalta. Foto oben: © I. Lozo; Foto unten: © Itar-TASS

­Gorbatschow in Foros während der Putschtag

Der unangekündigte Besuch der Emissäre Die Delegation der entschiedenen Unionsvertragsgegner, die G ­ orbatschow in Foros aufsuchte, bestand aus fünf Personen. Zusätzlich flogen in der Maschine, die um kurz nach 13 Uhr am Sonntag, dem 18. August in Moskau startete und Kurs auf den Militärflugplatz Belbek (Sewastopol) nahm, eine Gruppe von Kommunikationstechnikern des KGB sowie eine sechsköpfige bewaffnete KGB-Wachmannschaft mit. An Bord der Tupolew 154 waren laut Passagierliste 19 Personen.59 Die Techniker und die Wachleute wussten zunächst nichts über den Zweck der Reise. Die Urlaubsvilla ­Gorbatschows befand sich nicht direkt im Ort Foros60, sondern außerhalb. Die fünf Personen, die den Auftrag hatten, mit ­Gorbatschow zu sprechen, waren: –– Oleg Baklanow, Chef der Rüstungs- und Raumfahrtindustrie sowie ­Gorbatschows Stellvertreter im Amt des Vorsitzenden des sowjetischen Verteidigungsrates –– Oleg Schenin, ZK-Sekretär und Kader- und Organisationschef der KPdSU –– Valentin Warennikow, Befehlshaber der sowjetischen Bodentruppen –– Valeri Boldin, Chef des Präsidentenapparats ­Gorbatschows –– Juri Plechanow, KGB-Offizier und Chef der Wachmannschaften des Präsidenten

Plechanow, den ­Gorbatschow bei der Unterredung nicht dabeihaben wollte und aus dem Raum wies,61 kann als der „Türöffner“ der streng bewachten Urlaubsvilla bezeichnet werden. Als Vorgesetzter der Wachmannschaft in Foros war er in der Lage, für einen problemlosen Zugang zu sorgen. Somit gab es fünf Gesprächsteilnehmer und Zeugen: ­Gorbatschow und vier Mitglieder der Moskauer Abordnung. Von den Teilnehmern des Gesprächs leben nur noch G ­ orbatschow und Baklanow (Stand: Anfang Januar 2014). Beide haben jeweils in ihren Memoiren von 2012 ein identisches Foto von Ende August 1989 platziert, das sie mit ihren Ehefrauen und drei weiteren Paaren aus der sowjetischen Führung in Foros zeigt – privat, in Urlaubsatmos­phäre.62 Baklanow war nun, zwei Jahre später, in einer anderen Mission in ­Gorbatschows Residenz in Foros. Als der Präsident von dem unangekündigten Besuch durch den Chef seines Personenschutzes Wladimir Medwedew erfuhr, schwieg er nach dessen Darstellung lange.63 Ausgerechnet den KGB -Chef Krjutschkow versuchte ­Gorbatschow telefonisch zu erreichen, um ihn zu fragen, was es mit dem Besuch auf sich habe. Nach und nach musste er feststellen, dass sämtliche Telefone abgeschaltet waren. Der sowjetische Präsident ließ die Delegation ca. 45 Minuten warten, weil er sich in seinem Zustand der Sorge und Ungewissheit darüber, was nun bevorstand, zuerst mit seiner Familie

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beriet. Der damalige Delegationsleiter Baklanow berichtet rückblickend, dass G ­ orbatschow am Anfang des Gesprächs in seinem Arbeitszimmer den Eindruck erweckte, als ob „er Angst vor uns hatte.“ 64 Diese gewichtige Aussage lässt sich kaum vereinbaren mit den seit dem Putsch kursierenden Unterstellungen, ­Gorbatschow sei Komplize gewesen. Baklanows Hinweis deckt sich auch mit der eigenen Darstellung G ­ orbatschows und dessen Familie, die auf das Äußerste eingestellt waren. Offensichtlich bemerkte Baklanow nicht den Widerspruch zwischen seiner Aussage, die er 2009 im Gespräch mit dem Verfasser machte und die audiovisuell festgehalten ist, und den Behauptungen der G ­ KTSCHP-Mitglieder nach ihrer Freilassung, G ­ orbatschow sei über ihr politisches Vorgehen vorher im Bilde gewesen und habe es gebilligt. In Foros muss dieses Angstgefühl ­Gorbatschows schon nach dem Austausch der ersten Worte seinem alten Selbstbewusstsein gewichen sein. Denn er war es, der das Gespräch im weiteren Verlauf bis zum Ende dominierte. Er duzte Baklanow, Schenin und Boldin, die ihn jedoch siezten. Dies entsprach den gemeinsam akzeptierten Umgangsformen. Lediglich General Warennikow siezte er. Die Delegation kam nicht feindlich gesinnt nach Foros. Denn hätte das primäre Ziel der Putschisten gelautet, ­Gorbatschow zu stürzen, wäre der mühsame Verhandlungsversuch nicht nötig gewesen. Es hätte von vornherein gereicht, ihn lediglich zu isolieren und an seinem Urlaubsort unter Hausarrest zu stellen. Ist eine zuverlässige Rekonstruktion des Inhalts dieses historisch folgenschweren Gesprächs, das ca. 45 Minuten dauerte, möglich? Diese Frage kann für den Inhalt der Unterredung bejaht werden, wenn auch G ­ orbatschows Worte bei der Verabschiedung Interpretationsspielraum lassen und nicht mit letzter Sicherheit zu klären ist, was er wirklich meinte. Was die Reihenfolge der diskutierten Inhalte anbelangt, ist eine genaue Rekonstruktion nicht möglich, wird aber auch nicht als entscheidend betrachtet. Zielführend erscheint es, zunächst nur die Punkte wiederzugeben, bei denen sich die Gesprächsteilnehmer (­Gorbatschow und die Emissäre) inhaltlich nicht widersprechen und ihre Darstellungen deckungsgleich sind. –– In wessen Auftrag sie gekommen seien und wer hinter ihnen stehen würde, wollte der Präsident wissen. Die Emissäre nannten ihm die Namen, er schrieb mit.

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–– Dokumente zur Unterschrift wurden ­Gorbatschow nicht vorgelegt. –– Die schwierige Situation im Land wurde von den Emissären angesprochen und dass man handeln müsse. Es sei nötig, den Ausnahmezustand auszurufen, argumentierten sie. ­Gorbatschow widersprach dieser Auffassung, warnte,

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­Gorbatschow in Foros während der Putschtag

dass dies zu Blutvergießen führen würde. Er schlug jedoch vor, diese Frage vom Obersten Sowjet bzw. vom Volksdeputiertenkongress diskutieren zu lassen und diesen Organen die Entscheidung zu überlassen. –– ­Gorbatschow wies darauf hin, dass er die Einschätzungen der Emissäre schon oft gehört habe; er gab zu verstehen, dass er keine Belehrungen brauche, da er die Situation im Land mindestens genauso gut kennen würde. –– ­Gorbatschow verwies darauf, dass am 20. August der Unionsvertrag unterzeichnet werde. Die Delegation lehnte gerade dies ab. –– General Warennikow ergriff das Wort, schilderte die prekäre Lage in der Armee und im Land, meinte, man müsse entschlossen handeln und den Ausnahmezustand ausrufen, um die Lage in den Griff zu bekommen. ­Gorbatschow entgegnete, das Volk könne man nicht einfach so wie ein Bataillon herumkommandieren. Er habe gerade einen Artikel über die Situation im Land geschrieben, in dem er darauf hinweise, dass der Ausnahmezustand der falsche Weg sei. 66

–– Es war Warennikow, der ­Gorbatschows Rücktritt ins Spiel brachte.

–– ­Gorbatschow gab schließlich zu verstehen, dass das Gespräch beendet sei. –– Bei der Verabschiedung sagte er unter (strittigem) anderem: „Zum Teufel mit euch.“ –– Am Ende des Gesprächs gaben sich die Emissäre und ­Gorbatschow die Hand.

Zum endgültigen politischen Bruch ist es nicht gekommen. Die Ausdrücke und Beleidigungen, die G ­ orbatschow nach dem Putsch im Zusammenhang mit der Zurückweisung der Forderungen vorgab, gebraucht zu haben, sind höchst unwahrscheinlich. ­Gorbatschow schrieb in seinen Memoiren von 1995, General Warennikow hätte ihn aufgefordert zurückzutreten. Seine Reaktion sei gewesen: „Damit brauchen Sie nicht zu rechnen. Sie sind Verbrecher, und Sie werden sich dafür verantworten müssen! Damit war das Gespräch zu Ende. Wir verabschiedeten uns. Als sie weggingen, konnte ich mich nicht länger beherrschen und beschimpfte sie mit derben rus­ sischen Flüchen.“ 67 Dass er ihnen zum Abschied die Hand gegeben hatte, erwähnt er dort nicht. ­Gorbatschow selbst sagte in einem Radiointerview am 18. August 2011, dass man in Foros in einem freundschaftlichen Ton („po družeski“) versucht hatte, auf ihn einzuwirken.68 In seinem im November 1991 erschienenen Buch über den Putsch schrieb G ­ orbatschow dagegen: „Am übelsten hat sich Warennikow aufgeführt. In irgendeinem Moment sagte ich: ‚Mir fällt Ihr Name nicht ein (– natürlich wusste ich ihn! –), war es Valentin Iwanowitsch? Also, Valentin Iwanowitsch, die Gesellschaft, das Volk – das ist kein Bataillon, das man kommandiert: ‚Rechts, links, marsch!‘, und alle

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gehen, wohin Sie befehlen. Oh, nein, so geht das nicht. Denken Sie an meine Worte.‘ Zum Ende des Gesprächs wünschte ich sie dahin, wohin die Russen jemanden in solchen Fällen zu schicken pflegen. Damit war es vorbei.“ 69 Auch in diesem Buch und in seiner 2012 erschienenen Autobiographie erwähnt er nicht, dass er den Emissären zum Abschied die Hand gegeben hatte.70 Dies hat er allerdings in seiner Zeugenvernehmung gegenüber der Staatsanwaltschaft getan. Frage des Staatsanwalts: „Haben Sie ihnen zum Abschied die Hand gegeben?“ Antwort ­Gorbatschows: „Ja. Ich war der Meinung, dass sie nach solch einem Treffen, nach solch einer ‚Dusche‘, über alles Bericht erstatten würden, alles abwägen und es sich noch mal überlegen würden. Denn ich hatte ja ein sehr scharfes Gespräch mit ihnen geführt.“ 71 Zwanzig Jahre später antwortete er auf die Frage des Verfassers, warum er ihnen die Hand gegeben habe: „Ich musste ihnen ja, weil sie mit mir in der Führung des Landes und der Partei saßen, bis zum Schluss Respekt entgegenbringen.“ 72 Dieser Verweis auf den notwendigen Respekt ist schwer vereinbar mit den Beschimpfungen und Beleidigungen, die ­Gorbatschows der Delegation während und am Ende des Gesprächs entgegengeworfen haben will. Völlig unterschiedliche Tonlagen liegen bei seiner Reaktion auf den Vorschlag oder die Forderung vor, die Amtsgeschäfte niederzulegen. Während in den Memoiren in diesem Zusammenhang das Wort „Verbrecher“ fällt, fehlt dieser schwere persönliche Angriff in dieser Schilderung ­Gorbatschows gänzlich: „Falls ihr meint, ich solle meine Vollmachten abgeben, so überbringt denen, die euch geschickt haben, dass ich auch dazu nicht bereit bin.“ 73 Es ist höchst unwahrscheinlich, dass man selbst zwanzig Jahre danach solch ein charakteristisches Detail wie das Wort „Verbrecher“ in diesem Kontext vergessen würde. In einem separaten Gerichtsverfahren 1994, in dem sich Warennikow und G ­ orbatschow gegenüberstanden, stellte der General explizit die Frage, ob der Zeuge G ­ orbatschow sich nach der Abreise der Delegation aus Foros noch als Präsident des Landes gefühlt habe oder ob er der Meinung gewesen sei, man habe ihn seines Amtes enthoben. ­Gorbatschow antwortete nach Meinung Warennikows nicht klar genug, sodass er seine Frage wiederholte: „Sagen Sie direkt: Waren Sie der Meinung, dass Sie Präsident geblieben waren oder dass Sie das nicht mehr waren?“ Wieder fiel die Antwort nicht klar aus: Daraufhin wurde ­Gorbatschow vom Vorsitzenden Richter Jaskin belehrt, er sei zu einer Aussage verpflichtet. G ­ orbatschow antwortete daraufhin: „Ich war 74 Präsident geblieben.“ 

­Gorbatschow in Foros während der Putschtag

In Forschung und Publizistik ist meistens davon die Rede, der sowjetische Präsident sei in Foros vor die Wahl gestellt worden, entweder den Ausnahmezustand zu verhängen oder zurückzutreten. Die Differenzierung, dass ihm eine vorübergehende Abtretung der Vollmachten vorgeschlagen wurde und er zumindest nicht am 18. August in Foros zum Rücktritt gezwungen wurde, hat im Verlauf des separaten Gerichtsverfahrens drei Jahre nach dem Putsch kaum Aufmerksamkeit erfahren. G ­ orbatschow behauptet, er hätte die ganze Delegation mit dem russischen Schimpfwort „mudaki“ belegt.75 Baklanow widerspricht dem.76 Zutreffend ist höchstwahrscheinlich die Darstellung von ­Gorbatschows engstem Berater Anatoli Tschernajew, dem ­Gorbatschow, unmittelbar nachdem die Delegation ihn verlassen hatte, von dem Inhalt des Gesprächs berichtet hat. Tschernajew machte auch auf der Krim Urlaub und befand sich während des Gesprächs des Präsidenten mit der Delegation auf dem Gelände der Villa. Demnach hat ­Gorbatschow nicht die Gruppe, sondern eine Person beleidigt. Und zwar habe er auf einen Belehrungsversuch seines Kanzleichefs Boldin, der bis dahin sogar ein Freund der Familie des Präsidenten gewesen war, mit den Worten reagiert: „‚Ein Wichser bist du [‚Mudak ty‘], du solltest schweigen, anstatt mir Vorlesungen über das Land zu halten!‘ (Das Wort Wichser sprach er vor den Damen aus, Irina [­Gorbatschows Tochter] lachte und interpretierte: ‚Mutant‘ – sehr gelungen.)“ 77 Auch Warennikow schreibt in seinen Memoiren, das ­Gorbatschow Boldin „sehr grob“ anging und ihn somit zum Schweigen brachte. Er (Warennikow) sei von der groben Umgangsart aber nicht betroffen gewesen.78 ­Gorbatschows Kanzleichef Boldin erwähnt diese Szene in seinen Memoiren nicht. Möglicherweise hat er diese doch recht demütigende Zurechtweisung aus einer gewissen Scham heraus weggelassen. Wie er das Ende des Gesprächs schildert, suggeriert, G ­ orbatschow habe die Verhängung des Ausnahmezustandes mündlich sanktioniert: „Der Präsident hat […] plötzlich gefragt, ob sich die Maßnahmen des Ausnahmezustandes auch auf die Tätigkeit der russischen Führung erstrecken würden. Nachdem er eine bestätigende Antwort erhalten hatte, beruhigte er sich schließlich. ‚Alles, was ihr vorschlagt, sollte besser auf einem maximal demokratischen Wege realisiert werden. Deshalb gebe ich Ratschläge, wie das, was vorgeschlagen wird, umgesetzt werden kann.‘ Das Gespräch wurde in einer ruhigen und sachlichen Atmosphäre weitergeführt. Ich hatte nicht sofort verstanden, was die Änderung der Tonlage bewirkt hatte. […] ‚Denkt darüber nach und übermittelt das an die

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Genossen.‘ Zum Abschied gab er uns die Hand und fügte hinzu: ‚Zum Teufel mit euch. Handelt!‘“ 79 Auch Schenin und Baklanow haben den angeblichen Aufruf des Präsidenten bestätigt: „Handelt!“ Schenin führt aus, nach der (angeblichen) Aufforderung, zu handeln, hätte sich ­Gorbatschow mit guten Wünschen („dobroželatel’no“) von der Delegation verabschiedet. Er schreibt weiter: „Unserer Auffassung nach haben wir einander völlig verstanden.“ 80 Laut Baklanows Interviewversion mit dem Verfasser fielen zum Schluss die Worte: „Handelt, wie ihr es für richtig haltet.“ („Delajte kak chotite.“)81 Laut Baklanows Memoirenversion im ersten Band sagte G ­ orbatschow: „Nun gut, lasst uns handeln.“ („Ny, što ž, davajte dejstvovat‘.“)82 Und laut einer zweiten Version im zweiten Band: „Zum Teufel mit euch. Handelt!“ („Čert s vami. Dejstvujte!“)83 Als lavierender und entscheidungsschwacher Führer habe er ihnen in Foros am Ende „in gewisser Weise einen Blanko­ scheck ausgestellt“ („… dav nam nekij kart-blanš“).84 Die Verabschiedung der Delegation ist eine entscheidende Wegmarke: Drei der vier Emissäre unterstellten ­Gorbatschow, er sei nicht nur einverstanden gewesen mit der Verhängung des Ausnahmezustandes, sondern er habe sie sogar zum Handeln aufgefordert. Der vierte Emissär, General Warennikow, gibt das politische Ergebnis des Gesprächs allerdings etwas abweichend von seinen drei Mitreisenden wieder. In seinen Memoiren schreibt er, G ­ orbatschow habe gesagt: „Zum Teufel mit euch! Macht, was ihr wollt. Doch legt [in Moskau] meinen Standpunkt dar.“ („Čert s vami! Delajte što chotite. No doložite moe mnenie.“). ­Gorbatschows Standpunkt sei – wie so oft in der Vergangenheit – nebulös gewesen.85 Fünfzehn Jahre nach dem Putsch wiederholte Warennikow in einer russischen TV-­Dokumentation, dass G ­ orbatschow sich in Foros von ihnen politisch unklar verabschiedet habe: „Macht, was ihr wollt.“ Er habe „weder ja noch nein zum Ausnahmezustand“ gesagt.86 Warennikow behauptete somit nicht (wie es die anderen drei Emissäre taten), der sowjetische Präsident habe sie zum Handeln aufgefordert. Nach Darstellung aller Gesprächsteilnehmer in Foros war Warennikow derjenige, der G ­ orbatschow am selbstbewusstesten begegnete. Aufgrund der katastrophalen Lage im Land, vor allem aber in der Armee, für die er in erster Linie sprach, forderte er ­Gorbatschow auf, sich dieser Entwicklung wirksam entgegenzustellen. Der General redete sich fast schon in Rage, wie er selbst einräumte. „Strana ved gibnet!“ – „Das Land geht zugrunde!“, warf er dem Präsidenten vorwurfsvoll entgegen.87 Immer neue

­Gorbatschow in Foros während der Putschtag

Präsidentenerlasse würden da nicht helfen, da sie jetzt schon niemand im Land befolge. Die Memoiren des Generals erscheinen als die glaubwürdigsten von allen Erinnerungswerken der fünf Gesprächsteilnehmer in Foros, einschließlich der von ­Gorbatschow. Sie sind die detailliertesten, sind in sich widerspruchslos, decken sich auch mit den Inhalten publizierter Interviews; schließlich beinhalten sie auch den Kontrahenten entlastende Passagen. Warennikow, der als Einziger den Rücktritt des Präsidenten indirekt ins Spiel brachte oder ihn sogar explizit forderte, zitiert ­Gorbatschow mit dem Satz, den dieser während des Händedrucks bei der Verabschiedung gesagt haben soll: „Jetzt, nach solch einem Gespräch, ist offensichtlich, dass wir künftig nicht mehr zusammenarbeiten können.“ Er, Warennikow, habe sofort erwidert: „Wenn das so ist, reiche ich meinen Rücktritt ein.“ Seltsamerweise habe ­Gorbatschow darauf überhaupt nicht reagiert, so der General.88 Im November 2011 äußerte sich ­Gorbatschow in einem Interview mit dem Verfasser zu der Frage, ob er 1991 in Foros gesagt hat: „Zum Teufel mit euch. Macht, was ihr wollt.“ Die Antwort gab er in einem größeren Kontext, der lautete wie folgt: „Fahrt und überbringt, dass der Volksdeputiertenkongress und der Oberste Sowjet einberufen werden sollen. Dort können wir – ihr und ich – unsere Standpunkte darlegen. Wie dort entschieden wird, soll es dann sein. Falls ihr aber diesen Weg [Verhängung des Ausnahmezustandes ohne juristische und demokratische Sanktionierung] geht, so bedenkt dabei, dass dies mit sehr schwerwiegenden Konsequenzen enden wird. Und da habe ich den Satz gesagt: ‚Ach, zum Teufel mit euch, ihr zettelt da was an. Zum Teufel mit euch. Aber das Volk!‘ – Das war das, was gesagt wurde.“ 89 Eine zuverlässige wörtliche Rekonstruktion, wie das Gespräch nun genau endete, ist nicht möglich, doch lässt die Gesamtheit der verschiedenen Darstellungen des Treffens in Foros sehr belastbare Interpretationen des Verlaufs und des Ergebnisses der Unterredung zu: G ­ orbatschow wollte mit dem Hinweis auf das Parlament die politischen Brücken zu den Emissären (die er ja noch alle zu seinem politischen Führungspersonal zählte – wie er selbst sagte) und deren in Moskau verbliebenen Verbündeten nicht gänzlich abbrechen. Faktisch standen ja die mächtigsten Mitglieder der sowjetischen Führung und – wie ­Gorbatschow erläutert wurde – sogar der Parlamentsvorsitzende der UdSSR hinter der Forderung der Emissäre, den Ausnahmezustand auszurufen. G ­ orbatschow erschien vor diesem Hintergrund als derjenige, der politisch isoliert war. Er machte

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mit seinem Erörterungsangebot klar, dass es noch eine gemeinsame Linie geben könnte. Gleichzeitig wich er mit dem Hinweis auf das Parlament einer eigenen Verantwortung und Entscheidung aus. Nach Aussagen des in Foros eingesetzten Dienstpersonals war ­Gorbatschow zumindest am Abend des 18. August relativ gefasst geblieben. Auch sein Berater Tschernajew schrieb, dass er nach der Abfahrt der Emissäre ruhig und „ausgeglichen“ („roven“) gewesen sei. Als er ihm draußen vor der Villa begegnet sei, habe G ­ orbatschow gelächelt und ihm dann die Begegnung mit den unangekündigten Besuchern geschildert.90 Offensichtlich hat der Besuch der Emissäre ­Gorbatschow letztlich nicht so stark erschüttert, dass er am 18. August seinen Tagesablauf wesentlich geändert hätte. Tschernajew beschreibt den unangekündigten Foros-Besuch der Emissäre in seinem neuesten Buch (2013) allerdings fast identisch wie G ­ orbatschow – in den Farben Schwarz und Weiß. Einzelheiten, die die Delegation möglicherweise entlasten könnten, fehlen nun.91 Warennikow sah, wie er später in seinen Memoiren schrieb, in der Zusammensetzung der Gruppe der Emissäre die Hauptursache dafür, dass ­Gorbatschow nicht auf ihre Forderung eingegangen war. Er habe schon vor dem Abflug nach Foros ein ungutes Gefühl gehabt. Die Emissäre – er selbst eingeschlossen – seien die zweite Reihe gewesen.92 Nötig wäre demnach gewesen, dass der KGB-Chef und der Verteidigungsminister mit dem Präsidenten in Foros gesprochen hätten. G ­ orbatschows persönliche Referentin Olga Lanina, die sich in Foros aufhielt und ebenfalls festgehalten wurde, berichtete, dass sie den sowjetischen Präsidenten nach der Wegfahrt der Emissäre auf sein Wohlbefinden ansprach. Er habe erwidert: „Bei mir ist alles in Ordnung“ („S mnoj vsjo normal’no“), und gewitzelt, ob sie zum Spiegel gehen sollten. Erst am nächsten Morgen, als sie ihn aufsuchte, sei er in einem bedrückten Zustand gewesen.93 Am Abend des 18. August 1991 schaute sich G ­ orbatschow mit seiner Familie in dem Kinoraum der Villa einen Film an. Seine Widersacher, wie z. B. Baklanow und Warennikow, behaupteten oder schrieben später unzutreffend – offenbar um ihn zu diskreditieren –, er habe sich einen Erotikfilm vorführen lassen – „Židkoe nebo“.94 Erst in der Nacht auf den zweiten Putschtag ließ er von seinem Schwiegersohn Anatoli eine Videobotschaft aufnehmen, in der er in Freizeitkleidung das Vorgehen des G ­ KTSCHP scharf verurteilte und es der Lüge bezichtigte. Die elektronische Einblendung zeigt, dass dieses in schwarz-weiß gedrehte Amateur-Material

­Gorbatschow in Foros während der Putschtag

am 20.08.1991 um 2 : 24 Uhr früh aufgenommen wurde. Am 25. August 1991 strahlten es das sowjetische Fernsehen, der US-amerikanische Sender NBC sowie weitere westliche TV-Stationen aus.95 Die Tatsache, dass ­Gorbatschow die Videobotschaft erst in der Nacht zum 20. August aufnehmen ließ, könnte ein Indiz dafür sein, dass er eine echte Gefahrenlage erst sah, nachdem die Putschisten am 19. August tatsächlich zur Tat geschritten waren und er davon aus dem Radio und dann am späten Nachmittag durch die im sowjetischen Fernsehen ausgestrahlte Pressekonferenz des ­ KTSCHP erfahren hatte. Offensichtlich hatte er ihnen nicht zugetraut, G dass sie ohne ihn und gegen ihn handeln würden, vor allem, nachdem er den Emissären in Foros so selbstbewusst entgegengetreten war. Alle vier, die in seinem kleinen Arbeitszimmer mit ihm gesprochen hatten, betonten hinterher, sie hätten ihm vorgeschlagen, nach Moskau zu reisen und die Dinge dort zu klären. Er habe das mit Hinweis auf seinen momentan nicht so guten Zustand infolge des Hexenschusses und der Spritzen, die er bekommen habe, abgelehnt.96 Die Reaktionen und das Verhalten der Delegation unmittelbar nach dem Gespräch in ­Gorbatschows Arbeitszimmer in Foros bestätigen die Version des sowjetischen Präsidenten, dass es keinerlei Ermutigungen zum Handeln von seiner Seite gegeben, sondern er ihre Hauptforderung (Sanktionierung des Ausnahmezustandes durch ihn, den Präsidenten) zurückgewiesen hat. Nach Darstellung des G ­ orbatschow-Leibwächters Medwedew gingen er und der des Raumes verwiesene Plechanow, nachdem sie eine Zeitlang im Büro Medwedews verbracht hatten, aus dem Dienstgebäude der Mitarbeiter des Präsidenten nach draußen und blieben am Eingang stehen. Heraus kamen aus dem anderen Gebäude die vier Gesprächspartner ­Gorbatschows. „Und, was ist?“, habe Plechanow laut hinübergerufen. „Nichts … Nein – er hat nicht unterschrieben“, habe Boldin mit enttäuschter Stimme geantwortet.97 Medwedew zitiert Boldin nicht mit dessen eigener späterer Hauptaussage, der Präsident habe zum Schluss „Handelt!“ gesagt. Ein solches Zitat durch Medwedew wäre aber naheliegend, wenn nicht zwingend gewesen, weil nach der Darstellung in Boldins Memoiren angeblich ein positives, ermutigendes, zur Tat aufrufendes Ergebnis für die Delegation herausgekommen war. Auch passt nicht dazu, dass Boldin auf die Frage Plechanows „enttäuscht“ geantwortet hat. Medwedew kann kaum verdächtigt werden, er sei G ­ orbatschow wohlgesonnen und wolle ihn als seinen Chef verteidigen. Das Gegenteil ist der Fall. Diese den Präsidenten entlastende Darstellung

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gibt Medwedew in seinen Memoiren, in denen er ­Gorbatschow wegen dessen Verhaltens ihm gegenüber nach dem Putsch scharf kritisiert. Wegen angeblicher Komplizenschaft mit den Putschisten hatte ihn ­Gorbatschow nach der Rückkehr nach Moskau entlassen. Doch Medwedew war nachweislich kein Komplize, sondern Opfer der Putschisten, wie weiter unten noch dargelegt wird. In Boldins Memoiren findet sich eine Stelle, die seine eigene Behauptung, G ­ orbatschow habe sie zum Handeln aufgefordert, völlig konterkariert: Beim Herausgehen aus dem Arbeitszimmer sei Baklanow erstaunt gewesen: „Er [­Gorbatschow] hat doch noch vor Kurzem die Verhängung des Ausnahmezustandes als einzigen Ausweg aus der Lage betrachtet. Was hat sich geändert? – sagte O. D. Baklanow irritiert.“ 98 Wjatscheslaw Generalow, der ab dem 18. August als neuer Chef der Wachmannschaft in Foros eingesetzt war, sagte im Verhör mit den Staatsanwälten, der Vierergruppe sei beim Verlassen des Gebäudes anzusehen gewesen, dass das Gespräch nicht so verlaufen war, wie sie es gewünscht hatte. „Besonders Boldin und Schenin wirkten sehr nervös.“ 99 Auch Juri Arkuscha, der als einer der Fahrer eingesetzt war, bestätigte die schlechte Stimmung unter den Delegationsmitgliedern. Auf dem Weg vom Flugplatz Belbek (bei Sewastopol) zu G ­ orbatschow sei die Atmosphäre noch positiv gewesen – auf der Rückfahrt seien Baklanow, Boldin und Schenin „grimmig“ 100 und wortkarg gewesen. Im Ergebnis ist die Darstellung Boldins vom Ende des Gesprächs als unglaubwürdig anzusehen. Da seine Memoiren, im Gegensatz beispielsweise zu denen Krjutschkows, ins Englische übersetzt wurden und in den USA erschienen, dürften sie die Zweifel an ­Gorbatschows Integrität besonders geschürt haben, zumal Boldin ein direkter Zeuge und Teilnehmer des Gesprächs in Foros war. Fasst man zusammen, was sich über den Verlauf, die Atmosphäre und das Ergebnis des unangekündigten Besuchs der Delegation in Foros in Erfahrung bringen lässt, so scheint es keinen Zweifel daran zu geben, dass der primäre Auftrag der Delegation, ­Gorbatschow zur Unterzeichnung eines Erlasses zur Sanktionierung des Ausnahmezustandes zu bewegen, gescheitert war. Der Präsident hatte auch nicht stillschweigend oder gar mit einer Handlungsaufforderung sein Einverständnis zur Verhängung des Ausnahmezustandes im Sinne der Putschisten gegeben. Im Sinne der Putschisten bedeutete, dass er ohne Parlamentsbeschluss hätte verhängt werden müssen. Nur so wäre es aufgrund des Zeitdrucks einerseits und

­Gorbatschow in Foros während der Putschtag

der Parlamentsferien andererseits möglich gewesen, den Unionsvertrag zu verhindern. Zwischen der Reise nach Foros am 18. August und der Unterzeichnung am 20. August lag nur ein Werktag. Da aber außer dem Obersten Sowjet nur der Präsident das Recht hatte, den Ausnahmezustand zu verhängen, dieser sich aber weigerte, blieb nur übrig, ihn illegal auszurufen. ­Gorbatschow hatte allerdings auch in Foros den Ausnahmezustand nicht kategorisch abgelehnt, wie er nach dem Putsch behauptete. Er hatte sich nur dagegen ausgesprochen, dass er nicht auf dem durch das Gesetz vorgeschriebenen Weg verhängt wurde. ­Gorbatschow hätte ihn – juristisch korrekt – zunächst auch allein verhängen können, eine Sanktionierung durch das Parlament aber – wie vorgeschrieben – zu einem späteren Zeitpunkt einholen müssen. Auch deshalb handelte es sich bei dem Gespräch in Foros primär um einen Überzeugungs- und Überredungsversuch, weniger um eine auf Konfrontation, Diktat oder Entmachtung angelegte Aktion. Dass eine direkte und ultimative Rücktrittsforderung durch Warennikow (oder die anderen Emissäre) ausgesprochen wurde, kann nahezu ausgeschlossen werden. Für diese Sichtweise spricht einerseits, dass G ­ orbatschow auch Warennikow zum Abschied die Hand gab, andererseits die obigen Ausführungen des separaten Gerichtsverfahrens. Und auch die Tatsache, dass mindestens eine Dreiviertelstunde geredet wurde, legt sehr nahe, dass die Forderungen der Delegation nicht ultimativen und diktatorischen Charakter hatten, sondern dass inhaltlich diskutiert und gerungen wurde. ­Gorbatschow, zu Beginn der Begegnung offenbar ängstlich, wurde zunehmend selbstbewusst, wies Plechanow sogar die Tür, beleidigte zumindest seinen Kanzleichef Boldin und beherrschte fortan das Gespräch. Es waren dann eher die Besucher, die sich zunehmend unwohl fühlten und eher als Bittsteller denn als Vollstrecker auftraten. Was nach der Verabschiedung passieren würde, welche politischen Schritte folgen würden, wusste zu diesem Zeitpunkt weder die Delegation noch ­Gorbatschow. Der sowjetische Präsident versetzte die Systembewahrer in eine politische Situation, in der sie, auf sich allein gestellt, nur noch auf illegalem Wege den Ausnahmezustand verhängen konnten, um die Unterzeichnung des Unionsvertrages zu verhindern. Die Entscheidung, diesen Weg tatsächlich zu beschreiten, war allerdings zum Zeitpunkt der Abfahrt der Delegation aus Foros noch nicht getroffen. In einem Punkt bleibt die Darstellung ­Gorbatschows allerdings unglaubwürdig: Dass er die Delegation als ganze beleidigt haben will („Mudaki“;

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„prestupniki“ – auf Deutsch „Wichser“, „Verbrecher“), widerspricht seiner eigenen Aussage, er habe ihnen „bis zum Schluss Respekt entgegenbringen“ müssen. Diese Aussage ist gleichzeitig eine weitere Bestätigung dafür, dass es in Foros nicht zum endgültigen politischen Bruch kam. Es ist zudem schwer vorstellbar, dass zumindest der hochdekorierte General Warennikow, der in Stalingrad gekämpft hatte, der Mitglied der Einheiten war, die den Berliner Reichstag eingenommen hatten, und der bei der Siegesparade in Moskau im Mai 1945 vorangeschritten war, widerspruchslos eine Beleidigung wie „mudak“ hingenommen hätte. Es spricht alles dafür, dass ­Gorbatschow erst ab dem 19. August damit begann, sich von den von ihm selbst ausgesuchten Mitarbeitern und politischen Mitstreitern größtmöglich zu distanzieren, nachdem sie ohne ihn handelten und nachdem sie national und international am Pranger standen. Eine Verabschiedung mit Händeschütteln ist auch kaum vereinbar mit der Atmosphäre eines heraufziehenden Bürgerkriegs, eines Blutvergießens oder eines politischen Umsturzes, die laut ­Gorbatschow schon während des Gesprächs in Foros vorgeherrscht hatte. Diese Dramatik entwickelte sich erst einen Tag später. Im Ergebnis aber – und das ist das Entscheidende – vereitelte ­Gorbatschow durch seine Weigerung, als Präsident den Ausnahmezustand zu verhängen, dass die Systembewahrer auf legalem Wege ihre Ziele verfolgen konnten – und nicht als illegale Putschisten.

Das Ausmaß der logistischen Isolierung ­Gorbatschows Die Putschisten behaupteten hinterher und tun dies bis heute, ­Gorbatschow sei nicht in Foros isoliert gewesen. Er habe lediglich abwarten wollen, wie sich die Dinge in Moskau entwickelten, um sich dann den Siegern anzuschließen. Gennadi Janajew, offizieller Anführer des G ­ KTSCHP, wiederholte diese Darstellung noch einmal in einem ausführlichen Interview mit der russischen Zeitung Kommersant anlässlich des zehnten Jahrestags des Putsches. Die Überschrift dieses halbseitigen Artikels lautete: „Niemand hat ­Gorbatschow unter Arrest gestellt.“ 101 Schenin verstieg sich sogar zu der Äußerung, G ­ orbatschow sei in Foros „frei wie ein Vogel“ 102 gewesen. Auch in einigen historischen Abhandlungen werden Zweifel an einer Isolierung des sowjetischen Präsidenten gehegt.103 Diese Behauptungen haben allerdings aufgrund der vorhandenen Fakten keine Grundlage. Dass sie vor allem in Russland weiter verbreitet werden, zeigt die Empfänglichkeit für noch so abstruse Thesen und Verschwörungstheorien. Bewiesen werden konnte, dass die Telefone nicht nur in G ­ orbatschows Urlaubsvilla

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(Code-Name „Sarja“), sondern auch in den in der Nähe befindlichen Erholungsheimen „Juschni“, „Foros“ und „Nischnaja Oreanda“ 104 abgeschaltet worden waren. In diesen waren Partei- und Regierungsmitglieder sowie das Personal ­Gorbatschows untergebracht. Jewgeni Primakow, Mitglied des Sicherheitsrates der UdSSR, bestätigte, dass ab dem Nachmittag des 18. August 1991 die Regierungsleitungen und die Ortsnetz-Telefone im Erholungsheim „Juschni“, wo er Urlaub machte, abgeschaltet waren.105 Die eigens eingeflogenen Kommunikationstechniker des KGB erfuhren durch den Chef der Präsidentenwache, Juri Plechanow, erst auf dem Flug von Moskau nach Belbek, dass sie den Präsidenten kommunikationstechnisch isolieren sollten. Sie verfassten und unterschrieben noch in der Maschine ein Papier, durch das sie sich absicherten. Denn diese Anordnung erschien ihnen zu brisant und gefährlich. Alexander Gluschtschenko, der zu dieser Gruppe aus Fachleuten gehörte, rief nach der Landung seinen Vorgesetzten Anatoli Beda in Moskau an, fragte ihn, ob er diesen Auftrag wirklich erfüllen müsse. Beda bestätigte, dass die Kommunikationsspezialisten alle Anordnungen Plechanows zu befolgen hätten.106 Im Gebäudekomplex der Urlaubsresidenz wurden dann alle Telefonverbindungen abschaltet. Dazu gehörten neben der „strategischen Leitung“ auch die spezielle Regierungsleitung, das Ortsnetz und sogar das gebäudeinterne Netz, durch das ­Gorbatschows Familie untereinander und mit dem Dienstpersonal verbunden war.107 Die aus Moskau eingeflogenen Techniker fuhren auch nach Jalta, wo die Ortsleitung in die Urlaubsresidenz gekappt wurde. In dem nahegelegenen Ort Muchalatka befand sich die telefonische Vermittlungsstelle für Gespräche über die Regierungsleitung. Die Telefonistin Tamara Wikulina stellte dort um 16 : 24 Uhr das letzte Gespräch zur Urlaubsresidenz des Präsidenten her. Der aus Moskau angereiste Kommunikationstechniker Viktor Pusanow sagte ihr laut ihren Angaben gegenüber der Staatsanwaltschaft, sie solle künftige Gesprächswünsche in die Urlaubsresidenz ­Gorbatschows mit dem Hinweis abwehren, dass dies aufgrund einer Kabelstörung nicht möglich sei.108 ­Gorbatschow telefonierte noch mit seinem Berater Schachnasarow bis 16 : 32 Uhr. Der persönliche Sicherheitschef und Leibwächter ­Gorbatschows, ­Wladimir Medwedew, der als Personenschützer disziplinarisch dem KGB unterstand, wurde von seinem KGB-Abteilungsleiter Plechanow aufgefordert, seine Sachen zu packen und später gemeinsam mit der Delegation zurück nach Moskau zu fliegen. Medwedew verlangte daraufhin einen schriftlichen Befehl, um sich abzusichern. Plechanow nahm ein

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Stück Papier und füllte es entsprechend aus. In seinen Memoiren schreibt Medwedew: „Meine Vorgesetzten wussten natürlich, dass man mich nicht zurücklassen durfte. An der Verschwörung hätte ich nie teilgenommen, sondern hätte weiter treu und wahrhaftig dem Präsidenten gedient – wie eh und je. Das heißt, ich hätte auf jeden Fall dafür gesorgt, dass Michail ­Gorbatschow nach Moskau reist. Denn auch die Flugzeug- und Hubschrauberbesatzung sowie alle Kräfte auf dem Gelände der Villa waren mir unterstellt.“ 109 Medwedew wurde aus Foros abgezogen und durch Wjatscheslaw G ­ eneralow ersetzt, der gemeinsam mit den Emissären um Oleg Baklanow auf die Krim geflogen war. Da Generalow über die weitere Entwicklung in der Urlaubsresidenz seinen KGB-Vorgesetzten nach Moskau zu berichten hatte, musste eine Kommunikationsmöglichkeit erhalten bleiben. Auf Anweisung von Plechanow sollte daher das mobile, abhörsichere Telekommunikationssystem „Kawkas-4“ funktionstüchtig bleiben.110 Eine Verbindung konnte nur durch die Vermittlung erfolgen. Diese wurde auch nur durch Nennung des Passworts hergestellt, das nur einer sehr begrenzten Personenzahl bekannt war. Das Passwort lautete „Mars“.111 Valentin Karasajew, aus Moskau eingeflogener Offizier und Kommunikationstechniker des KGB, ersetzte den in Jalta ortsansässigen Boris Ischutenkow als Telefonist.112 Von Plechanow bekam er die Anordnung, nur Anrufer mit Kenntnis des Passworts und nur mit dem mobilen Telekommunikationssystem „0254“ zu verbinden. Dieses wurde im Auto des neuen Chefs der Präsidentenwache Generalow installiert.113 Die drei Zugänge zu der Urlaubsresidenz des Präsidenten wurden mit zusätzlichen Wachposten aus Moskau verstärkt, die jetzt das Kommando hatten. Generalow verfügte laut mehreren vernommenen Zeugen, dass nun auch die Garage bewacht werden sollte.114 Ein Teil des Personals wohnte auf dem Gelände in einem Nebengebäude, ein anderer Teil bestand aus Ortskräften, die in der Umgebung wohnten. Sie alle durften die Urlaubsresidenz ebenfalls nicht verlassen, konnten nun auch nicht ihre Angehörigen informieren, warum sie nach Dienstschluss nicht heimkamen. Die Staatsanwaltschaft stellte, gestützt auf zahlreiche Zeugenaussagen (unter anderem von Kommunikationstechnikern und dem Dienstpersonal) sowie auf die Ergebnisse der technischen Sachverständigen, Folgendes fest: „Gegen 16 : 40 Uhr [18. August 1991] waren auf dem Objekt ‚Sarja‘ [Urlaubsresidenz des Präsidenten] bis auf das mobile Telekommunikationssystem ‚Kawkas-4‘ sämtliche Kommunikationsverbindungen abgeschaltet. Zum Telekommunikationssystem ‚Kawkas-4‘ hatte der Präsident der UdSSR ,

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M. S. ­Gorbatschow, keinen Zugang. Dies bedeutet, dass ihm sämtliche Verbindungsmöglichkeiten zur Außenwelt entzogen wurden.“ („T. e. on byl polnost’ju lišen cvjazi s vnešnim mirom.“)115 Besonders dreist verfälschte Anatoli Lukjanow in seinem Buch über den Putsch diese Ermittlungsergebnisse. Offenbar in der Gewissheit, dass der an den Ereignissen interessierte Leser keine Möglichkeit hat, seine grob wahrheitswidrige Darstellung zu überprüfen, schrieb Lukjanow – als ehemaliger Angeklagter im Besitz der Anklageschrift – , dass ­Gorbatschow eben nicht isoliert gewesen sei. Dies hätten die staatsanwaltlichen Ermittlungen und zahlreiche Zeugenbefragungen ergeben.116 Richtig ist aber, dass in Foros auch der Informationsfluss zur Präsidentenfamilie weitgehend gestoppt wurde. ­Gorbatschow schrieb in seinem Buch über den Putsch: „Das schwerwiegendste war das Fehlen jeglicher Informationen. Alles war abgeschaltet – außer dem Fernseher.“ 117 Jelzin bestätigte 1994 in seinen Memoiren die Tatsache, ­Gorbatschow sei Opfer der Putschisten gewesen und kein Komplize oder ein taktisch abwartender Opportunist: „Unter Hausarrest zu stehen, faktisch in seinen vier Wänden eingeschlossen zu sein, ohne zu wissen, was eigentlich vorging, war äußerst belastend, fast unerträglich […]. Eingesperrt und in völliger Ungewissheit verharren zu müssen, war dem Präsidenten der UdSSR, wie auch mir, einfach unerträglich.“ 118 Gleichzeitig aber rückte Jelzin in seinen Memoiren ­Gorbatschow im Zusammenhang mit dem angeblich abgehörten Gespräch in Nowo-Ogarewo ins Zwielicht, indem er ihm unterstellte, er könnte Komplize – sogar Auftraggeber des Putsches – gewesen sein.119 Offensichtlich bemerkte Jelzin den eklatanten Widerspruch in seinen Memoiren gar nicht, der darin bestand, dass er einerseits ­Gorbatschow als Opfer beschrieb, anderseits als möglichen Mitwisser. Erklärlich ist dies wohl nur durch den unterschwelligen Hass gegen den sowjetischen Präsidenten, den Jelzin seit 1987 nie ablegen konnte und der ihm einen fairen und nicht von eigenen Interessen gesteuerten Blick auf seinen Widersacher und auf den Putsch offensichtlich unmöglich machte. Die Kommunikationsverbindungen waren bis zum Nachmittag des 21. August unterbrochen. Denn als die vier Putschisten Krjutschkow, Jasow, Baklanow und Tisjakow nach dem Scheitern ihres Unterfangens in Foros eintrafen, um sich vor dem Präsidenten zu rechtfertigen oder gar um Vergebung zu bitten, verlangte dieser zunächst die Wiederherstellung der Telefonverbindungen. Laut Vernehmungsprotokoll sagte Krjutschkow selbst: „Innerhalb von etwa zehn Minuten funktionierten die Verbindungen

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wieder. Ich entschied, dies ­Gorbatschow telefonisch mitzuteilen.“ Doch der Präsident lehnte es ab, mit dem KGB-Chef zu sprechen.120 Der örtliche, auf der Krim stationierte KGB-Mitarbeiter Lew Tolstoj, der für die Bereitstellung der Wagen und andere organisatorische Dinge im Zusammenhang mit der von Baklanow angeführten Delegation zuständig war, berichtete, dass der Befehl Generalows am 18. August gelautet habe, niemand vom Gelände zu lassen. Weitere Befehle seien nicht gegeben worden.121 Ein Telefonat ­Gorbatschows mit dem Industriefunktionär, ZK -Mitglied und sowjetischen Volksdeputierten Arkadi Wolski, das am 18. August geführt wurde, sorgt seit dem Putsch für Spekulationen. Dieses Gespräch zwischen Foros und Moskau soll angeblich nach der Wegfahrt der Delegation und damit nach der Abschaltung der Telefone stattgefunden haben. ­Gorbatschow habe Wolski über das normale Telefonnetz, nicht über die spezielle Regierungsleitung angerufen. Es sei um das gesundheitliche Wohlbefinden des Präsidenten gegangen. Sehr wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass es seitens Wolskis mindestens vier Versionen des Gesprächs­ inhaltes gibt. Am 21. August 1991 trat Wolski mit Wadim Bakatin und anderen vor die Presse und kommentierte den Putsch, nachdem der Sieg Jelzins feststand. Dabei gab er eine Erklärung ab, durch die überhaupt erst bekannt wurde, dass er, Wolski, am 18. August 1991 mit ­Gorbatschow telefoniert hatte. Die Erklärung Wolskis wurde schriftlich an die Journalisten verteilt und in der Abendausgabe der Iswestija am 21. August 1991 abgedruckt. Darin hieß es, dass das Telefonat „in der zweiten Hälfte des Tages am Sonntag, dem 18. August zustande kam.“ 122 Entschieden verteidigte ­Wolski in der Erklärung ­Gorbatschow gegen die Darstellung der Putschisten, dieser sei krank und daher nicht fähig gewesen, sein Amt auszuüben. In der Erklärung hieß es weiter: „Das Gespräch mit M. S. G ­ orbatschow, das auf dessen Initiative zustande kam, fand über das Ortsnetz [‚po obyčnomu gorodskomu telefonu‘] statt, als ich mich auf der Datscha befand. Im Verlauf des Gesprächs sagte Michail Sergejewitsch, dass er sich gut fühle mit Ausnahme des Hexenschusses, den er schon früher gehabt habe.“ 123 Das Gespräch konnte nicht über die Regierungsleitung geführt werden, weil in der Datscha Wolskis kein solches Telefon installiert war.124 Der Umstand, dass G ­ orbatschow auf einer normalen Telefonleitung angerufen hatte, gab später Anlass zu Verdächtigungen, die auch in diesem Punkt unbegründet waren. Galina Wolskaja-Everstova, die Tochter von Arkadi Wolski, nahm damals den

­Gorbatschow in Foros während der Putschtag

Anruf ­Gorbatschows auf der Datscha entgegen. Eine besondere Unruhe konnte sie bei ihrem Vater nach dem Anruf nicht feststellen. Über den Inhalt des Telefonats hat ihr Vater auch nichts erzählt, was üblich gewesen sei, da Politik kein bevorzugtes Thema in der Familie war.125 Fünfzehn Monate später (November 1992) gab Wolski das Telefonat völlig anders – und G ­ orbatschow belastend – wieder. Diese Version ­Wolskis – in einem Interview des unionsweiten Ostankino-Fernsehens wirkmächtig vorgetragen – trug zu den Verdächtigungen und Unterstellungen gegenüber ­Gorbatschow erheblich bei, weil sie auch von Historikern wie John B. Dunlop aufgegriffen wurde. Laut ihr hatte ­Gorbatschow gesagt: „Arkadi, ich bin nicht krank, verstehst du? Ich bin nicht krank. Mach dir deinen Reim drauf. Aber ich bin nicht krank!“ 126 Wolski verlieh mit dieser Schilderung dem Telefonat plötzlich eine Dramatik. Gleichzeitig implizierte er, dass ­Gorbatschow den ungebetenen und brisanten Besuch der Delegation nicht erwähnt habe. Damit wiederum wurde dem sowjetischen Präsidenten nicht nur unterstellt, er sei kommunikationstechnisch nicht isoliert gewesen, son­ dern auch – viel schwerwiegender –, er habe, obwohl er kurz zuvor durch den Besuch der Delegation von den Putschabsichten und der Bildung des Komitees erfahren habe, nichts unternommen, um den Staatsstreich zu verhindern, da er keine Warnung nach Moskau übermittelt habe. Für John B. Dunlop ist das tatsächliche Ausmaß der Isolierung des Präsidenten, was seine Kommunikationsmöglichkeiten nach außen betrifft, ein „Rätsel von Foros.“ 127 Auch Amy Knight bezweifelt, dass ­Gorbatschow keine Möglichkeit gehabt habe, zu telefonieren.128 ­Gorbatschow verneint nicht, am 18. August mit Wolski telefoniert zu haben. Allerdings sei dies tagsüber gewesen, bevor die Delegation kam und die Leitungen gekappt wurden.129 Wolski äußerte hingegen in einem späteren Interview für den russischen TV-Sender TV6, dass ­Gorbatschow ihn gegen 18 Uhr angerufen und ihm gesagt habe, er sei nicht krank und Wolski solle wachsam bleiben.130 Neben der Pressekonferenz-Version und den beiden TV -Interview-­ Versionen gibt es noch eine vierte: G ­ orbatschow habe ihn aus Foros hektisch angerufen und gesagt: „Arkadi, sei dir im Klaren, dass ich gesund bin. Falls du morgen hörst, dass ich krank sei – falle nicht darauf rein.“ ­Wolski fährt in diesem Interview, das in Buchform veröffentlicht wurde, fort: „Dann legte er auf. […] Ich verstand nichts und war sehr ­erschrocken.“ 131 Fest steht, dass sich Wolski weder am 18. noch am 19. oder am 20. August 1991 öffentlich über das Telefonat geäußert hat. Nach seiner persönlichen

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Erklärung am 21. August 1991 stand er den Journalisten noch für einige Fragen zur Verfügung. Einer fragte ihn nach seiner Meinung zu den gerade (21. August nachmittags) eingetroffenen Meldungen einer Parlamentariergruppe, dass G ­ orbatschow in die Vorgänge eingeweiht gewesen sei und sie vorab sanktioniert habe. Die Parlamentariergruppe sei bei Parlamentspräsidenten Lukjanow gewesen seien, der dies behauptet habe, so der Journalist. Wolski antwortete darauf: „Das ist eine Lüge […]. Ich denke, das ist der Phantasie der Deputierten entsprungen.“ 132 Die 15 Monate später von Wolski gemachte Erklärung hat Dunlop zwar korrekt zitiert, doch rückte er G ­ orbatschow damit einseitig ins Zwielicht durch die Nichterwähnung der ersten Erklärung Wolskis, die dieser auf der Pressekonferenz am 21. August 1991 abgegeben hatte. Die 1992 und später über das Foros-Telefonat gemachten Behauptungen Wolskis, der 2006 starb, widersprechen allerdings den Ermittlungsergebnissen. Es bleibt inhaltlich nicht nachvollziehbar, warum er 1992 ein TV -Interview gab, das seiner Erklärung vom 21. August 1991 völlig konträr gegenüberstand. Der Industriefunktionär wurde übrigens von G ­ orbatschow am 24. August 1991 im Rang eines stellvertretenden Ministerpräsidenten in eine Wirtschaftskommission berufen, zu der unter anderem auch Grigori Jawlinski gehörte. Später arbeitete er mit Jelzin. ­Gorbatschow äußerte sich auf Fragen des Verfassers zum Wolski-Telefonat schriftlich wie folgt: „Die zitierten Äußerungen A. I. Wolskis sind mir nicht bekannt. Nach dem Putsch hat er das zu mir nicht gesagt. Es scheint, dass er damals etwas durcheinander gebracht hat. Ich weiß nicht, ob die Zeitdifferenz [gemeint sind die Zeitzonen Moskau und Krim – Anmerkung des Verfassers] eine Rolle gespielt hat. Doch was die zentrale Frage angeht, kann ich das bekräftigen, was ich von Anfang an gesagt habe: Die Abschaltung der Kommunika­tionsverbindungen war vollständig und ich hatte keinerlei Möglichkeit, mit irgendjemand zu telefonieren. Alle Anrufe aus Foros wurden technisch registriert. Keinerlei Telefonate wurden nach der Abschaltung der Kommunikationsverbindungen festgehalten.“ 133 ­Gorbatschows Gegner, allen voran die Putschisten, versuchen seit dem Putsch, den Grad seiner physischen Isolierung herunterzuspielen oder diese ganz zu verneinen. Hätte ­Gorbatschow das Gelände verlassen können? In seinem Buch über die August-Ereignisse schrieb der sowjetische Präsident in diesem Zusammenhang: „Bei mir blieben zweiunddreißig Mann der Leibwache. Schon bald erfuhr ich, wo sie standen. Sie würden bis zum Ende zu mir halten […].“ 134

­Gorbatschow in Foros während der Putschtag

John B. Dunlop bezweifelt, dass ­Gorbatschow völlig isoliert gewesen sei, und beruft sich dabei auf ein Gespräch mit Alexander Jakowlew, der sich gefragt habe, „warum ­Gorbatschow nicht einfach aufgestanden und gegangen ist.“ 135 Diese Sichtweise lässt allerdings außer Acht, dass der Präsident – im Falle, dass ihm eine Bewegungsfreiheit geblieben wäre – seine Familie dabei hatte und für diese Verantwortung trug. Mit ihr zu gehen, wäre möglicherweise ein Risiko gewesen, sie alleine zurückzulassen, ebenso. ­Gorbatschows Tochter Irina Virganskaja äußerte sich zehn Jahre nach dem Putsch zu diesen in Russland nicht verstummten Spekulationen: „Aus dieser Situation [Isolierung in Foros] gab es keinen Ausweg, außer man hätte es irgendwie mit Gewalt versucht.“ 136 Archie Brown versucht Spekulationen und Beschuldigungen ihre Grundlage zu entziehen, ­Gorbatschow habe doch nach Moskau fliegen können, indem er schreibt: „Allein der Gedanke, dass die selbsternannte Führung nichts dagegen gehabt hätte, wenn G ­ orbatschow in Moskau aufgetaucht wäre und alles, was sie der Welt mitgeteilt hatten – besonders die Krankheit G ­ orbatschows betreffend –, Lügen gestraft hätte, ist eine Beleidigung selbst durchschnittlicher Intelligenz.“ 137 Diese Interpretation unterstellt den Putschisten allerdings, sie hätten einen konsistenten Plan gehabt. Dies ist nicht der Fall. Denn das Vorgehen des Staatskomitees für den Ausnahmezustand (­GKTSCHP) war stellenweise doppelgleisig, stellenweise improvisiert, stellenweise unentschlossen. Auch Anatoli Tschernajew, Berater G ­ orbatschows und Zeuge in Foros, durfte die Residenz des Präsidenten nicht verlassen und nicht zum nur wenige Kilometer entfernten Erholungsheim „Juschni“ zurückkehren. Er arbeitete mit ­Gorbatschow am Sonntagnachmittag (18. August) an dessen Rede zum Unionsvertrag. Er versuchte sich gegenüber dem in der Präsidentenresidenz in Foros neu eingesetzten Sicherheitschef Generalow auf seinen Status als Volksdeputierter zu berufen, damit er ihn freiließe. Tschernajew führte gegenüber dem Verfasser aus: „Wir kannten uns ganz gut. Aber er sagte zu mir: ‚Anatoli Sergejewitsch, ich kann leider nichts tun. Ich habe meine Befehle.‘“ 138 Nicht nur aus, sondern auch in das Gelände der Urlaubsresidenz ließen die Wachposten niemand. Mehrere Volksdeputierte Russlands, die in der Nähe ihren Urlaub verbrachten, wollten am 20. August zu Gorbatschow. Sie handelten im Auftrag Jelzins, aus dessen Büro die Deputierten eine entsprechende schriftliche Bestätigung erhielten. In einem Fall waren es die Volksdeputierten Stanislaw Schustow und Wjatscheslaw Wolkow, die in die Urlaubsresidenz wollten, aber nicht vorgelassen wurden.139

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Insgesamt erlauben es damit die Fakten nicht, Mutmaßungen darüber anzustellen, dass ­Gorbatschow gar nicht wirklich isoliert gewesen sei. Schließlich hatte der KGB diese Aktion sorgfältig geplant. Technische Spezialisten flogen am 18. August mit nach Foros, um diesen Auftrag zu erfüllen. Gegen sie wurde nach der Niederlage des G ­ KTSCHP staatsanwaltlich ermittelt. Sie beschrieben detailliert, wie und wann sie alle Kommunikationsverbindungen ­Gorbatschows abschalteten.140 Die Ermittlungsverfahren gegen die Techniker und ihre Gruppenleiter wurden alle in den letzten Dezembertagen 1991 eingestellt, weil sie Befehlsempfänger waren.141 Außer der Behauptung Wolskis, die er merkwürdigerweise erst mehr als ein Jahr nach den Ereignissen aufstellte, sowie der Spekulation Jakowlews haben die Zweifler an G ­ orbatschows Isolierung nichts für ihre Theorie ins Feld zu führen. Sie erwähnen auch nicht, dass sowohl Politiker der Sowjetunion als auch verschiedene westliche Regierungen nach der Machtübernahme durch das G ­ KTSCHP fieberhaft und auf allen verfügbaren Telefonnummern versucht hatten, ­Gorbatschow telefonisch zu erreichen, und feststellen mussten, dass dies nicht möglich war. Es ist erstaunlich, dass die politische Ausschaltung und nachgewiesene Freiheitsbeschneidung des Präsidenten sowie die psychische Last für ihn und seine Familie im historischen und medialen Diskurs – vor allem in Russland – nicht immer als Tatsachen akzeptiert werden, sondern in unnötiger, irreführender oder bewusst diskreditierender Weise hinterfragt oder sogar geleugnet werden. Der damalige russische Generalstaatsanwalt ­Stepankow erklärt dies auch mit dem frühzeitig eingestellten Gerichtsprozess gegen die Mitglieder und Unterstützer des G ­ KTSCHP. Es kam gar nicht dazu, die umfangreichen Ermittlungsergebnisse vor Gericht zu erörtern.142 Eine gründliche Beweisaufnahme, die die Vorgänge erhellt hätte, wurde aufgrund der wiederholten Vertagungen des Prozesses und der letztlich verfügten Amnestie verhindert.

5.5 Unterstellungen der Komplizenschaft mit den Putschisten Verschwörungstheorien gedeihen besonders, wenn die Informationen über den Ablauf der Ereignisse nicht vorhanden sind, zurückgehalten oder interessengesteuert gestreut werden. ­Gorbatschow legte bereits knapp drei Monate nach den Ereignissen ein Buch vor, in dem er seine Sichtweise darlegte. Am 12. November 1991 stellte er es der sowjetischen und internationalen Presse persönlich vor.143 Offensichtlich ging es ihm um einige

Unterstellungen der Komplizenschaft mit den Putschisten

Klarstellungen, da er verschiedenen, seine Integrität infrage stellenden Verdächtigungen ausgesetzt war: Hätten die Verschwörer gesiegt – so eine Unterstellung – hätte er sich ihnen nach seiner Rückkehr aus Foros angeschlossen. Sein Rivale Jelzin wäre politisch ausgeschaltet gewesen, was ihm – G ­ orbatschow – insgeheim recht gewesen wäre. Diesen Tenor hatten die meisten Verdächtigungen. Doch welchen Sinn hätte ein „Abwarten in Foros“ für G ­ orbatschow gehabt? Die Demokraten brauchten ihn nach ihrem Sieg nicht; sie hatten mit Jelzin einen Anführer, der ­Gorbatschow nach dem Putsch politisch demontierte. Die Putschisten hätten G ­ orbatschow nach einem Sieg ebenfalls nicht gebraucht. Er hatte sie bei der Einführung des Ausnahmezustandes explizit nicht unterstützt; mit seiner Politik hatten sie in der am 19. August 1991 veröffentlichten „Erklärung an das Volk“ explizit abgerechnet. Als einer der ersten hatte ausgerechnet G ­ orbatschows langjähriger Mitstreiter Eduard Schewardnadse Spekulationen der Komplizenschaft öffentlich geäußert, und zwar am 20. August, als der Putsch noch in vollem Gange und der Präsident weiterhin in Foros isoliert war. Vor der vor dem Weißen Haus versammelten Menschenmenge sagte er, dass ­Gorbatschow, falls sich herausstellen sollte, dass er ein Komplize sei, er wie die Putschisten vor Gericht gehöre.144 Dem französischen Fernsehen sagte er in einem Interview, das daraufhin am 21. August von Nachrichtenagenturen übernommen wurde: „Ich möchte annehmen, dass G ­ orbatschow das Opfer des Komplotts war und nicht dessen Anstifter. Denn wenn dies der Fall wäre, hätte er sein Todesurteil unterschrieben (…).“ 145 Aufgrund der international hohen Reputation des zu diesem Zeitpunkt ehemaligen sowjetischen Außenministers fanden diese ­Gorbatschow ins Zwielicht rückenden Äußerungen weltweite Verbreitung. Der sowjetische Präsident, der unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Foros auf einer internationalen Pressekonferenz in Moskau auch zu Schewardnadses Verdächtigungen befragt wurde, antwortete darauf spitz und knapp: „Lassen Sie das Eduard Schewardnadse mit seinem Gewissen ausmachen.“ 146 Selbst in seinen Memoiren aus dem Jahre 2007 rückt Schewardnadse ­Gorbatschow mit einzelnen Sätzen weiter ins Zwielicht. Während des Putsches habe er zu Jelzin in dessen Büro gesagt: „Wenn G ­ orbatschow gewusst haben sollte, dass diese Gefahr zu erwarten war und er trotzdem nach Foros gegangen ist, dann ist auch er ein Verräter.“ 147 Da Schewardnadses Wort vor allem in Deutschland noch besonderes Gewicht zu haben scheint, sei hier aus Christian Neefs Rezension seiner Memoiren im Nachrichtenmagazin Der Spiegel zitiert: „Dass G ­ orbatschow vom geplanten Staatsstreich […]

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vorab nicht gewusst haben will, scheint er ihm bis heute nicht zu glauben. Er sieht im früheren Generalssekretär offenbar nach wie vor einen Mitspieler der Putschisten […].“ 148 Allein schon das öffentliche Artikulieren des ungeheuerlichen Verdachts, ­Gorbatschow könnte auch Anstifter des Putsches gewesen sein, erlauben es, Schewardnadses Äußerungen als Rufschädigung zu charakterisieren. Der Putsch war auch Gegenstand eines längeren TV-Interviews des Verfassers mit Schewardnadse. Das Gespräch fand in seinem Wohnhaus in Tiflis statt; die Interviewsprache war Russisch. Ich wurde vorab von einem seiner Deutsch sprechenden Mitarbeiter darauf hingewiesen, dass der ehemalige sowjetische Außenminister manche Frage akustisch schlecht verstehen könnte. Der Putsch war eines von mehreren Gesprächsthemen. Als ich die Frage nach dem Vorhandensein von Beweisen stellte, schwieg Schewardnadse zunächst lange. Ich stellte sie noch einmal, diesmal lauter. Schewardnadse schwieg wieder. Daraufhin bat ich seinen Mitarbeiter, ihm die Frage auf Georgisch zu stellen, was er dann tat. Wieder gab es keine Antwort. Der Mitarbeiter meinte, es wäre besser, auf diese Frage zu verzichten. Ich entgegnete, dass genau dies aber der für mich besonders interessante Teil wäre. Ich würde daher noch einmal um eine Antwort bitten. Auf die wiederholt gestellte Frage, ob er für diese Interpretation irgendwelche Hinweise oder Beweise habe, antwortete er schließlich: „Nein, ich habe keine Beweise. Aber ich habe ihn [­Gorbatschow] mehrfach vor einem Putsch gewarnt.“ 149 Eine Vertiefung der zahlreichen Putschtheorien, die teilweise respektlos gegenüber G ­ orbatschow sind, soll hier nicht erfolgen. Von einer Komplizenschaft des sowjetischen Präsidenten mit den Putschisten in Form einer Förderung oder einer stillschweigenden Duldung ihres Vorhabens vom August 1991 kann keine Rede sein. Es wurden weder irgendwann von irgendeiner Seite Beweise vorgelegt noch wäre darin eine Logik zu erkennen gewesen. ­Gorbatschow hätte sowohl sein über viele Monate mühsam errungenes politisches Werk namens Unionsvertrag – bei all seinen inhaltlichen Unzulänglichkeiten – ruiniert als auch sein Lebenswerk namens Perestrojka. Wohl aber gab es politische Wegmarken, bei denen ­Gorbatschows Verhalten als Abkehr von einem liberalen hin zu einem orthodoxen Kurs interpretiert werden konnte und wohl auch werden musste. Dazu gehört die Niederschlagung der Freiheitsbewegung in Litauen im Januar 1991, von der er vorgab, vorab nichts gewusst zu haben. Selbst sein engster Mitarbeiter

Unterstellungen der Komplizenschaft mit den Putschisten

Tschernajew glaubte ihm nicht und hatte schon ein bitteres und anklagendes Rücktrittgesuch von seinem Beraterposten fertiggestellt, es ihm dann doch nicht übergeben.150 Ein anderer wichtiger Berater, Andrej Gratschow, der ihm wie ­Tschernajaw bis heute zur Seite steht, konstatiert: „Im Januar [1991] haben die Putschisten wenn nicht ihn persönlich, so doch auf jeden Fall seine Politik, seine Positionen, seine demokratische Erscheinung für ihre Ziele ausgenutzt.“ 151 Im Februar 1991 bildete G ­ orbatschow einen Sicherheitsrat, dem zahlreiche spätere Putschisten angehörten. Schließlich rief er Ende März im Zusammenhang mit der Zuspitzung des Machtkampfes mit Jelzin eine Kommission ins Leben, die sich mit der Ausarbeitung von Varianten für den Ausnahmezustand befassen sollte. Insofern hielt er sich zumindest die Option offen, den Notstand zu verhängen. Hier dürfte der Hauptfehler G ­ orbatschows liegen: Er gab eine unklare Richtung vor, drückte sich missverständlich aus, gab Anweisungen, die er kurze Zeit später wieder relativierte. Es handelte sich dabei offenbar um eine Hinhaltetaktik gegenüber den orthodoxen Kräften. Diese wollten sich aber ab einem bestimmten Zeitpunkt – und der lag kurz vor dem Termin der Unterzeichnung des Unionsvertrages – nicht mehr bremsen lassen in ihrem Vorhaben, die Entwicklung durch die Verhängung des Ausnahmezustandes entscheidend zu beeinflussen.

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6 ENTSCHEIDUNGSABLÄUFE DES PUTSCHES UND DIE GRÜNDE FÜR SEIN SCHEITERN Die konkreten Vorbereitungen für den Putsch begannen spätestens am Tag nach ­Gorbatschows Abflug in den Urlaub, also am 5. August 1991, mit der Zusammenkunft von KGB-Chef Krjutschkow, KPdSU-Organisationschef Schenin, dem Chef der Rüstungsindustrie Baklanow, Verteidigungsminister Jasow sowie dem Leiter des Präsidialbüros Boldin im KGB-Objekt „ABZ“. Die Abkürzung steht für Archiv- und Bibliotheks-Zentrum, was die Funktion des Gebäudes, das als Gästehaus des KGB genutzt wurde, offenbar verschleiern sollte. Eine genauere Untersuchung der in der Anklageschrift angegebenen Adressen mithilfe einer computerbasierten Recherche (u. a. „Google Maps“) ergab, dass Krjutschkow und Schenin, die neben Baklanow zu den Haupt­ organisatoren gehörten, direkte Nachbarn waren in einem aus mehreren Häusern bestehenden Wohnkomplex für die Führungselite des Landes.1 Bei den Aufenthalten oder kleinen Spaziergängen im Hof erörterten beide öfter die Lage im Land.2 An diesem Ort und in diesen Gesprächen dürfte wohl die Keimzelle für den Putsch entstanden sein. Die Entscheidungsabläufe in den beiden Wochen vor der Machtübernahme, die in der Nacht zum 19. August vollzogen wurde, waren einerseits durch die organisatorische Führung des KGB-Chefs und andererseits durch Zeitdruck gekennzeichnet. Dieser Zeitdruck entstand vor allem dadurch, dass die Hauptorganisatoren sich nicht dazu entschließen konnten, ­Gorbatschow und Jelzin in Form einer vorübergehenden Verhaftung oder einer Isolierung einfach auszuschalten – ein Vorgehen, das nicht mit einem Gesprächsangebot verknüpft gewesen wäre. Vielmehr setzten sie bei ­Gorbatschow gleichzeitig auf Verhandlungen, mussten in der Konsequenz zunächst deren Ergebnisse abwarten und verloren dadurch Zeit für eine stringentere Organisation ihrer Machtübernahme. Auch fehlte ihnen ganz offensichtlich der Mut, ­Gorbatschow nach dem für sie negativen Verhandlungsergebnis vom 18. August in Foros öffentlich für abgesetzt zu

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erklären. Aufgrund der großen Unbeliebtheit des sowjetischen Präsidenten wäre dieser Schritt von der unter der Wirtschafts- und Versorgungskrise schwer leidenden Bevölkerung höchstwahrscheinlich nicht nur toleriert, sondern begrüßt worden. Die Kundgebungen der Putschtage in Moskau oder Leningrad haben gezeigt, dass sich von den Bürgern kaum jemand für den sowjetischen Präsidenten und dessen Rückkehr ins Amt einsetzte. Die Entscheidung des G ­ KTSCHP, die Machtübernahme vor allem mit der angeblich schlechten gesundheitlichen Verfassung G ­ orbatschows zu begründen, dürfte ein wesentlicher Grund für das Scheitern seines Vorhabens gewesen sein. Dieser durchschaubare Vorwand und die zudem höchst ungeschickte Desinformation brachten das Fundament des G ­ KTSCHP in eine Schief­ lage und verhinderten es, dass das Vertrauen der Bevölkerung gewonnen wurde. Was Jelzin betrifft, hat in erster Linie der KGB-Chef, der vorab und noch am ersten Tag der Machtübernahme eine Verhandlungslösung mit dem russischen Präsidenten angestrebt hatte, keinen Versuch in diese Richtung unternehmen können. Die Entscheidungen des ­G KTSCHP während der drei Putschtage machten nach der historischen Widerstandsrede Jelzins auf einem Schützenpanzer deutlich, dass das Komitee nicht mehr selbst initiativ wurde, sondern nur noch reagierte, und sein weiteres Vorgehen war schließlich von Unentschlossenheit und Uneinigkeit geprägt. Dies lag auch daran, dass im ­G KTSCHP das Prinzip der kollektiven Führung vorherrschte und es keinen Anführer gab, wie ihn auf der Gegenseite Jelzin darstellte. Der Aufmarsch der sowjetischen Armee sogar mit schwerem Gerät in der Innenstadt Moskaus war als Machtdemonstration und Einschüchterung des Jelzin-Lagers gedacht. Anfangs verfing dies selbst beim rus­ sischen Präsidenten. Doch im Ergebnis sorgte der Aufmarsch für Verwirrung und Angst bei der Moskauer Bevölkerung, die sich zwar mehrheitlich nach Ordnung („porjadok“) sehnte, jedoch nicht nach einer, die vom Militär herbeigeführt wurde. Das ­G KTSCHP sandte damit ein seinen ursprünglichen Absichten völlig entgegengesetztes Signal aus, zeigte es doch so, dass es bereit war, Gewalt gegen das eigene Volk anzuwenden. Dieser Schritt, der missverstanden werden musste, zerstörte das ohnehin geringe Vertrauen.

Die politischen Ziele des ­GKTSCHP

6.1 Die politischen Ziele des ­GKTSCHP In erster Linie ging es um die Machtfrage in Moskau und die Schwächung des immer stärker gewordenen Herausforderers der alten Ordnung – Boris Jelzin. Zu dessen Zielen gehörten ein politisch starkes und ein wirtschaftlich von der Unionsregierung unabhängiges Russland, der konsequente Übergang zur Marktwirtschaft und vor allem das Ende der KP als dominierende Kraft des gesellschaftlichen Lebens in Russland. Diese Ziele waren mit denen der Systembewahrer schlicht unvereinbar. Es musste, wie es der litauische Präsident Landsbergis formulierte, auf eine „Entscheidungsschlacht“ hinauslaufen, und die Frage lautete: „Entweder wir oder sie. Wir wussten: wenn sie verlieren, würde das ganze Sowjet­ system zusammenbrechen und wäre Geschichte.“ 3 Das allgemeine Hauptziel der Organisatoren des Putsches war eine starke Union und politisch schwache Republiken. Krjutschkow wollte insbesondere die auf die Zentrale in Moskau ausgerichtete Organisationsstruktur des KGB erhalten; Baklanow ging es primär darum zu verhindern, dass die Union gänzlich auseinanderbrach und die Verfügungsgewalt über die Rüstungsindustrie an Russland überging. Schließlich wollte Schenin den weiteren Niedergang der KPdSU als politische Kraft nicht nur stoppen, sondern ihre frühere politische und gesellschaftliche Dominanz wiederherstellen. Das Festhalten am sozialistischen Wirtschaftsmodell scheint hingegen nicht zu den Primärzielen des G ­ KTSCHP gehört zu haben. Alexander Tisjakow, der den sowjetischen Industrieverband leitete, war vom Komitee neben Ministerpräsident Pawlow als der für die Wirtschaft zuständige Fachmann vorgesehen. Auf der Pressekonferenz des Notstandkomitees am 19. August 1991 bekannte er sich im Namen des Komitees sogar ausdrücklich dazu, den Übergang zur Marktwirtschaft weiter betreiben zu wollen.4 Dies hätte allerdings den Zielen der KPdSU völlig widersprochen, denn Sozialismus mit Marktwirtschaft ist kein Sozialismus mehr. Insofern waren die wirtschaftspolitischen Ziele unklar und widersprüchlich. (Die Partei hätte folgerichtig umbenannt werden müssen; „kommunistisch“ hätte sie sich nicht mehr nennen dürfen.) Es ging den Mitgliedern des selbsternannten Staatskomitees aber in erster Linie um die Schaffung von „Ordnung“, die zweifellos nicht mehr vorhanden war. Die Planwirtschaft funktionierte nicht mehr, neue wirtschaftliche Strukturen waren noch nicht etabliert. Vor allem in Moskau herrschten anarchische Verhältnisse. Dem entstandenen „Chaos“, wie die

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Putschisten die Lage in ihren Verfügungen und in ihrer „Erklärung an das Volk“ nannten, wollten sie ein Ende setzen. Ein überzeugendes wirtschaftspolitisches Konzept hatten sie nicht, ebenso wenig wie G ­ orbatschow es hatte.

6.2 Der Auslöser für den Putsch Widerlegt werden kann zunächst die Darstellung der Mehrzahl der Putschisten, der am 15. August in der Iswestija veröffentlichte und für sie angeblich zu diesem Zeitpunkt schockierende Inhalt des Unionsvertrages habe schließlich den Anstoß zum Handeln gegeben und sie zu ihrem Vorgehen gezwungen. Erstens war ihnen der Inhalt schon Wochen vorher bekannt5, zweitens begannen die Putschvorbereitungen schon am 5. August, also einen Tag nach ­Gorbatschows Urlaubsantritt. Im Herbst 1991 wurde dann das angeblich abgehörte Gespräch in Nowo-Ogarewo am 29. und 30. Juli als Putschauslöser in die Diskussion gebracht und von Jelzin in seinen Memoiren von 1994 reproduziert. Diese These ist nicht nur wegen des Fehlens eines Beweises, dass tatsächlich abgehört wurde, nicht stichhaltig. Da sie sich in historischen Abhandlungen zum Teil hartnäckig hält, sei hier auf die im Frühjahr / Sommer 1991 längst bekannte Grundausrichtung des Unionsvertrages hingewiesen: Für die Gewissheit der Amtsträger Krjutschkow, Jasow oder Pawlow, dass sie bei einer Vertragsunterzeichnung deutlich an Macht einbüßen oder diese de facto gänzlich verlieren würden, genügte allein der Unionsvertrag. Für diese Gewissheit hätte es eines Abhörprotokolls des Dreier-Gesprächs von Nowo-Ogarewo gar nicht bedurft. Da das erste konspirative Treffen am 5. August im KGB-Objekt „ABZ“ am Stadtrand Moskaus abgehalten wurde6, dürfte der Auslöser zeitnah davor zu finden sein. Es war die überraschende und im Fernsehen vorgetragene Vorverlegung der Vertragsunterzeichnung auf den 20. August, die die Putschisten veranlasste, genau bis zu diesem Zeitpunkt zu handeln. Dieser Termin wurde zwar von Jelzin am 1. August bekanntgegeben. Offiziellen Charakter erhielt diese Nachricht aber erst durch die Ankündigung des sowjetischen Staatspräsidenten am 2. August in der abendlichen TV-Hauptnachrichtensendung „Wremja“. Das juristische Ende der bisherigen Sowjetunion stand plötzlich unmittel­ bar bevor. Die Putschisten hatten bis dahin gute Gründe für die Annahme, dass es auch ohne ihr Zutun nicht zur Vertragsunterzeichnung kommen würde, weil die Ukraine sich sträubte und Russland ursprünglich erst das

Die Putschvorbereitungen

Votum des ukrainischen Parlaments abwarten wollte, bevor es selbst eine endgültige Entscheidung traf. Mit dem TV-Auftritt ­Gorbatschows am 2. August war jedoch klar, dass es sich nicht mehr um revidierbare Zwischen­ ergebnisse oder einen taktischen Vertragspoker im Zusammenhang mit dem Unionsvertrag handelte, sondern um ein schon sehr bald unterschriftsreifes staatstragendes Dokument. Dass die Vorverlegung der Vertragsunterzeichnung der Bevölkerung durch den Präsidenten an so prominenter Stelle angekündigt wurde, unterstrich die Unumkehrbarkeit des Vorhabens.

6.3 Die Putschvorbereitungen Am Sonntag, dem 4. August, wurde G ­ orbatschow in sowjetischer Manier von der Partei- und Regierungsführung am Flughafen in Moskau in den Urlaub verabschiedet. Zu dieser Ehrerweisung – einschließlich des Winkens wenige Dutzend Meter von der Gangway entfernt – waren unter anderen erschienen: Vizepräsident Janajew, Parlamentspräsident Lukjanow, Verteidigungsminister Jasow, Rüstungsindustriechef Baklanow und einige andere. Sie alle sind auf den Bildern des sowjetischen Fernsehens gut zu erkennen. Die Mitglieder des Staatskomitees für den Ausnahmezustand (­GKTSCHP) und ihre Unterstützer lehnten den Begriff „Putschisten“ aber immer ab. Archie Brown, der in seinen Abhandlungen über die Perestrojka die Charakterisierungen „Putsch“ und „Putschisten“ zwar durchgehend verwendet, konstatiert einschränkend: „In gewissem Sinn handelte es sich gar nicht um einen ‚Putsch‘, denn diejenigen, die versuchten die Staatsmacht zu übernehmen, bekleideten bereits alle wichtigen Regierungsämter bis auf eines: das Präsidentenamt.“ 7 Da diese Ämter allerdings vom Präsidenten abhängig waren, es sich bei der sowjetischen Verfassung um eine Präsidialverfassung handelte und ­Gorbatschow zusätzliche Sondervollmachten durch das Parlament erhalten hatte, war diese (de jure) enorme Macht durch die Ausschaltung des Präsidenten an das G ­ KTSCHP übergegangen, das sie ungesetzlich ergriffen hatte. Der Putschbegriff hat daher seine volle Berechtigung. Am 5. August 1991 begann die Phase der konkreten Putschvorbereitungen. KGB-Chef Krjutschkow war Initiator und Gastgeber des ersten konspirativen Treffens in dem geheimnisvollen KGB-Gebäude mit dem Namen „ABZ“, das sich am Rande eines Waldgebiets im Südosten Moskau befindet. An dem Gespräch nahmen folgende fünf hohen Funktionäre und Gefolgsleute ­Gorbatschows teil:

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–– Wladimir Krjutschkow, KGB-Chef –– Oleg Baklanow, stellvertretender Vorsitzender des sowjetischen Verteidigungsrates und Chef der sowjetischen Rüstungsindustrie –– Oleg Schenin, Kader- und Organisationschef der KPdSU –– Valeri Boldin, Chef des Präsidialapparates ­Gorbatschows –– Dimitri Jasow, Verteidigungsminister der Sowjetunion

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Die Aufgabe, die man sich stellte, lautete zunächst: Lokalisierung der Unruheherde. Auch sollten konkrete Empfehlungen erarbeitetet werden. Dazu wurde eine Gruppe aus drei Spezialisten zusammengestellt, die aus zwei KGB-Mitarbeitern und einem Militär bestand. Verteidigungsminister Jasow bestimmte den Befehlshaber der sowjetischen Luftlandetruppen, Pawel Gratschow, in diese Gruppe.9 Laut Gratschow wurde ihm gegenüber der Sinn des Auftrags zunächst nicht erläutert. „Nachdem ich zu Jasow gerufen wurde, fragte ich ihn: ‚Wie lautet der Auftrag?‘ – ‚Man wird dir im KGB alles erklären‘, war seine Antwort. In jener Zeit war es selbst für kampferprobte Militärs wie mich, der in Afghanistan gewesen war, etwas furchterregend, zum Chef der Staatssicherheit zu gehen.“ 10 Diese auf den ersten Blick unauffällige Aussage über die Furcht vor dem KGB ist für das Verständnis der Abläufe des Putsches nicht unerheblich. Gratschow war nicht der Einzige, der Furcht vor dem KGB hatte. Bemerkenswert ist, dass selbst Vizepräsident Janajew, der laut Verfassung fast an der Staatsspitze stand, sich von Krjutschkow am Sonntag, dem 18. August, noch für den gleichen Tag und ohne Rücksicht auf seine privaten Termine sofort in den Kreml rufen ließ. Üblicherweise ist es der Präsident oder der Vizepräsident eines Landes, der das Recht zum Einbestellen von Amtsträgern hat. Die Periode der Einparteienherrschaft, in der den Bürgern eine Ideologie aufgezwungen wurde, die ihnen ein selbstbestimmtes Leben verwehrte, das zudem von der Angst vor der herrschenden Nomenklatura geprägt war, war erst einige wenige Jahre zuvor zu Ende gegangen. Den politischen Akteuren dieser Generation dürfte sie noch tief im Bewusstsein gewesen sein. Und die totalitäre Stalin-Zeit lag noch keine 40 Jahre zurück. Die Mehrzahl der Putschisten hatte sogar den großen Terror Ende der 1930er-Jahre im Kindes- oder Jugendalter erlebt. Dass Gratschow, Jahrgang 1947, nicht dazugehörte und dennoch diese Furcht verspürte, spricht für die Nachhaltigkeit der Erfahrung, in einer von Konformität und bei Normabweichung von Repression geprägten Gesellschaft aufgewachsen

Die Putschvorbereitungen

zu sein und gelebt zu haben. Allein schon das Aussprechen des Namens des Geheimdienstes schien nach all den Jahren immer noch eine gewisse Angst auszulösen. Im KGB-Gebäude an der Lubjanka traf Gratschow am 6. August auf Krjutschkow, der ihn sehr freundlich und mit anerkennenden Worten empfing. Der KGB-Chef sprach laut Gratschow über die schwere Lage im Land und davon, dass Maßnahmen zum Ausnahmezustand ausgearbeitet werden müssten, falls es nötig werden würde, ihn zu verhängen. „Und welche Aufgabe habe ich darin?“, habe er Krjutschkow gefragt.11 Um die Sicherung von strategisch wichtigen Objekten in der Hauptstadt würde es für ihn gehen, sei die Antwort gewesen. Gratschow nahm mit den KGB-Mitarbeitern Wladimir Schischin und Alexej Jegorow am 7. August in Maschkino bei Moskau in einem KGB-Gebäude die Arbeit an der Ausarbeitung der Dokumente auf, die später als Vorlage für die Erlasse des Staatskomitees für den Ausnahmezustand (­GKTSCHP) dienten. Die Gruppe konnte auf bereits ausgearbeitete Dokumente zurückgreifen, die im Auftrag G ­ orbatschows und des KGB -Chefs schon im Winter 1990 und im Frühjahr 1991 erstellt worden waren. Ebenso zog sie Vorlagen aus anderen Staaten heran. Gratschow führt aus: „Wir gingen die ausländischen Dokumente über Ausnahmezustände durch, kamen zu dem Schluss, dass dieses nicht passt und jenes nicht passt – wie sollte es auch?! Zu unserem leidgeprüften Land konnte keins passen!“ 12 Nach einiger Zeit habe er die beiden KGB-Mitarbeiter, die er bis dahin nicht kannte, direkt angesprochen: „‚Hand aufs Herz! Handelt es sich hier um einen Umsturz?‘ – ‚Ja, so was Ähnliches‘, drucksten sie herum.“ 13 In ihrem ersten Entwurf und Analysebericht, an dem sie bis zum 8. August arbeiteten und den sie dann dem KGB-Chef und dem Verteidigungsminister übergaben, rieten sie, den Ausnahmezustand zunächst nicht zu verhängen. Als Hauptgrund nannten sie die traditionelle Urlaubszeit im Monat August; ein großer Teil der Bevölkerung wäre dann gar nicht richtig informiert. Der KGB-Chef meinte, dass eine Verhängung nach dem 20. August zu spät sei. Diese Darstellung bestätigte der KP-Chef von Moskau, Juri Prokofjew, den Krjutschkow zu einem Vieraugengespräch – ebenfalls im KGB -Objekt „ABZ “ – gebeten hatte. Prokofjew schreibt in seinem 2011 erschienenen Buch, dass das Treffen mit Krjutschkow „am 7. oder 8. August“ stattgefunden habe.14 Es muss der 8. August gewesen sein, weil erst an diesem Tag der Analysebericht vorlag. Auch Prokofjew riet dem KGB-Chef, den Ausnahmezustand nicht im

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August zu verhängen, weil es zu diesem Zeitpunkt keine Demonstrationen, keine Streiks gäbe, alles ruhig sei und die Bevölkerung sich dann fragen würde, warum der Ausnahmezustand verhängt worden sei. Unterstützung seitens der Bevölkerung würde es daher kaum geben. Daraufhin habe der KGB-Chef geantwortet: „Meine Analytiker sind der gleichen Meinung.“ 15 Prokofjew, der im persönlichen Gespräch16 einen ruhigen und sehr glaubwürdigen Eindruck machte, bestätigt den konspirativen Charakter der Unterredung, in der es inhaltlich um den besten Weg zur Wiedererlangung der Macht durch die Systembewahrer ging, zu denen der Moskauer KP-Chef selbst auch gehörte. Der KGB-Chef habe ihn gefragt – und hier wäre das erste Merkmal einer Putschabsicht erfüllt –, wie er die Reaktion der Bevölkerung einschätze, wenn man G ­ orbatschow „isolieren“, also ihm seine politische Handlungsfähigkeit nehmen würde. Er habe geantwortet, dass der sowjetische Präsident nicht mehr wichtig sei, weil er so gut wie keinen Rückhalt bei den Menschen mehr habe. Jelzin sei der Mann, auf den man sich konzentrieren müsse, weil er populär sei und vom Volk unterstützt werde. Zu diesem Zeitpunkt war die Entscheidung über die Umsetzung der Putschpläne noch nicht gefallen. Er, Prokofjew, habe am 16. August erfahren, dass „nun gehandelt würde.“ 17 Jelzin, so lautete der später entwickelte Plan, sollte auf dem Flughafen in Moskau nach seiner Rückkehr am 18. August von einem Treffen mit dem kasachischen Präsidenten Nasarbajew in Alma-Ata zur politischen Kooperation bewogen werden. Er sollte nach Darstellung Prokofjews von Ministerpräsident Pawlow und Verteidigungsminister Jasow nach der Landung in Moskau – selbstverständlich ohne sein Wissen – empfangen werden. Bei einer Weigerung, ihre Pläne nicht zu stören, sollte er eine Zeitlang auf einen Militärplatz vor Moskau gebracht werden, „bis wir Ordnung geschafft hätten.“ Auf die Frage, mit welchem Recht sie den demokratisch vom Volk gewählten Präsidenten Russlands, der 57 Prozent der Stimmen bekommen hatte, einfach interniert hätten, zuckte Prokofjew mit den Schultern, schwieg kurz und sagte: „So war unser Denken damals [1991]. Mit Chruschtschow war man auch so verfahren.“ 18 Krjutschkow und andere Verschwörer behaupteten hingegen nach dem Scheitern des Putsches, sie hätten nach dem Abflug ­Gorbatschows in den Urlaub – eben gemäß dem Auftrag des Präsidenten – nur die Implementierungsmaßnahmen für den Ausnahmezustand ausgearbeitet. Dies ist allerdings eine Schutzbehauptung. Der konspirative und gegen ­Gorbatschow und Jelzin gerichtete Ausschaltungsversuch begann am 5. August nicht nur in Moskau, sondern

Die Putschvorbereitungen

auch in Foros. Der persönliche Sicherheitschef des Präsidenten, Wladimir Medwedew, wunderte sich kurz nach seiner Ankunft auf der Krim über die plötzliche Fürsorglichkeit seines Vorgesetzten und KGB-Generals Juri Plechanow. Dieser war traditionell in den ersten Urlaubstagen des Präsidenten auch anwesend, um die Gesamtsicherheit auf dem Anwesen zu prüfen. Er wollte, dass Medwedew (der zwei Wochen später am 18. August widerwillig und auf Anordnung der Putschisten aus Foros abgezogen wurde) Urlaub nahm. Dazu war aber die Einwilligung ­Gorbatschows nötig. „Du siehst müde aus. Wie ist dein Befinden? […] Urlaub täte dir gut“, sagte der scheinbar besorgte Plechanow zum Sicherheitschef M ­ edwedew.19 Dieser erwiderte zwar, dass ihm Urlaub gut täte, weil es ein sehr anstrengendes Jahr gewesen sei mit vielen Reisen. Er wandte aber ein, dass er doch gerade hergeflogen und die Dienstreise in Foros angetreten habe; so etwas hätte es noch nie gegeben. Der Vorgesetzte Plechanow kündigte dennoch an, dass er mit ­Gorbatschow wegen der Urlaubserlaubnis reden werde. M ­ edwedew sträubte sich weiter und sagte, dass der Präsident dies sowieso nicht genehmigen werde. Am nächsten Tag fragte Plechanow ­Gorbatschow und bekam eine deutliche Absage: „Was ist mit ihm? Ist er etwa der Müdeste?“, fragte ­Gorbatschow. Plechanow überbrachte M ­ edwedew: „Michail ­Sergejewitsch hat den Urlaub abgelehnt.“ 20 Medwedew, der auch der persönliche Sicherheitschef des KPdSU-Generalsekretärs Leonid Breschnew gewesen war, schrieb in seinen Memoiren, dass er ab diesem – von ihm gar nicht gewollten – Urlaubsantrag in Foros von ­Gorbatschow kühl behandelt worden sei. Plechanow seinerseits führte als Untergebener in erster Linie die Anordnungen seines Vorgesetzten Krjutschkow aus. Zwei Wochen später verschaffte er der Delegation aus Moskau Zutritt zur Urlaubsvilla des Präsidenten. Das Gebäude trug den Code-Namen „Sarja“ („Morgenröte“). Krjutschkows Behauptung, die Veröffentlichung des Unionsvertrages habe die Bildung des G ­ KTSCHP ausgelöst, ist unzutreffend und leicht widerlegbar. Die Veröffentlichung erfolgte am 14. August durch die Zeitung Moskowskie Nowosti und am folgenden Tag in den zentralen sowjetischen Zeitungen. Am 14. August rief Krjutschkow noch einmal die dreiköpfige Analysegruppe zusammen. Diesmal lautete der Auftrag, Dokumente zu erarbeiten, in welchen konkrete Maßnahmen aufgelistet werden sollten, mit denen die politische Führung im Falle des Ausnahmezustands operieren könnte. Zu Alexej Jegorow sagte er, dass G ­ orbatschow nicht in der Lage sei, die Situation richtig einzuschätzen, und dass der Ausnahmezustand verhängt werde.21 Verstärkt wurde die Dreier-Gruppe, die am folgenden

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Tag in Maschkino wieder an die Arbeit ging, durch den stellvertretenden Verteidigungsminister Wladislaw Atschalow und den stellvertretenden KGB-Chef Viktor Gruschko. Knapp vier Wochen vor seinem Tod schilderte Atschalov dem Verfasser die Vorbereitungen und den Ablauf des Putsches aus seiner Sicht. Atschalow war sichtbar krank, bestand aber auf der Durchführung des TV -Interviews. Dazu bat er mein Team und mich in sein prächtiges Landhaus außerhalb von Moskau. Das Gespräch fand in einer großen Laube im Garten statt. Er kam in seiner Uniform und gestützt auf seinen Bruder in die Laube, wo wir die Gerätschaften aufgebaut hatten. Nach dem ca. 45-minütigen Interview lud er in einen Wintergarten, wo nach russischer Tradition ein großer Tisch gedeckt war, den er aber nach etwa einer halben Stunde wieder verließ aufgrund seiner körperlichen Schwäche. Atschalow strahlte trotz seiner Krankheit eine enorme Autorität aus, sodass es schwerfiel, seiner Aufforderung, mit Wodka anzustoßen, zu widersprechen. Er sprach von seiner Zeit als Kommandeur in der DDR und wie er in späteren Jahren von Saddam Hussein persönlich mehrere Geschenke bekommen hatte, darunter eine kostbare Uhr. Atschalow war einige Zeit Militärberater des irakischen Diktators, beriet ihn 2003 auch bei der Verteidigung Bagdads gegen den von den USA angeführten Angriff. 1993 stand er beim Machtkampf um das Weiße Haus in Moskau wie schon 1991 auf der Seite der Jelzin-Gegner. Der kurzzeitige Gegenpräsident Ruzkoj hatte Atschalow im russischen Parlament sogar zum Verteidigungsminister ernannt. In dem Interview Ende Mai 2011 berichtete er, dass er direkt nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub von Jasow mit der Aufgabe betraut worden sei, die Analysegruppe Krjutschkows zu verstärken. Am 15. August 1991 abends waren die Papiere fertig; zwei Exemplare wurden angefertigt – eins für den KGB, das andere für das Verteidigungsministerium. Er habe es Jasow übergeben, der es dann in den Safe schloss. Diese Dokumente erlangten einige Tage später Weltberühmtheit. Es handelte sich um –– die Verordnung Nr. 1 des G ­ KTSCHP (Verhängung des Ausnahmezustandes), –– die Erklärung an das Volk und –– die Erklärung an die Staats – und Regierungschefs und den UNO-Generalsekretär.

Diese wurden allerdings nicht am Morgen des 19., sondern am 20. August in den zentralen Zeitungen veröffentlicht, weil der Druckvorlauf für die Presseorgane nicht mehr reichte. Dafür wurden sie im Staatsfernsehen monoton

Die Putschvorbereitungen

wiederholt, sodass der Neuigkeitswert der Prawda oder der ­Iswestija am 20. August gleich null war. Am 16. August (Freitag) lagen die Dokumente morgens auch dem KGB-Chef Krjutschkow vor. Um 11 : 30 Uhr kam Baklanow zu ihm. Dieses Vieraugengespräch kann als Vorentscheidung für die Umsetzung der Putschpläne betrachtet werden. Denn um 14 Uhr folgte der erste konkrete Befehl in diese Richtung: Der KGB-Chef beauftragte seinen Stellvertreter Geni Agejew, eine Gruppe von Fernmeldetechnikern zusammenzustellen, die nach Foros fliegen sollten, um die Kommunikationsverbindungen des Präsidenten dort abzuschalten.22 Krjutschkow fuhr kurze Zeit später zu Jasow, mit dem er die Dokumente erörterte. Dort saß schon Baklanow. Von dort fuhr der KGB-Chef alleine weiter zum Amtssitz des sowjetischen Ministerpräsidenten Pawlow, mit dem er ebenfalls die Dokumente durchging. Schenin rief den Vorsitzenden des Obersten Sowjets Lukjanow an, der im Urlaub war. Er brach ihn ab und kehrte am 18. August rechtzeitig zur für den Abend anberaumten Sitzung im Kreml nach Moskau zurück. Auch der Moskauer Parteichef Juri Prokofjew bestätigt, am 16. August erfahren zu haben, dass der Unionsvertrag gestoppt, ­Gorbatschow politisch ausgeschaltet und der Ausnahmezustand verhängt werden würde.23 Die grundsätzliche Entscheidung zum Handeln wurde also am Freitag, den 16. August getroffen – allerdings nur von den Hauptorganisatoren. Viele andere Mitglieder des politischen Führungspersonals, die kurz darauf in den Putsch einbezogen wurden oder sich ihm von sich aus willig anschlossen, waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht informiert.

Die Hauptorganisatoren Der Putsch wurde von einzelnen Führungsspitzen von KGB, Armee, Regierung, Partei (hier mit Ausnahme ­Gorbatschows) und sowjetischem Parlament entweder organisiert oder maßgeblich unterstützt. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Verschwörung in diesen Organen und Strukturen nur einer jeweils kleinen Personengruppe vorab bekannt gemacht wurde. Dem G ­ KTSCHP wurde hinterher sehr oft mangelnde Organisationsfähigkeit vorgehalten, wofür sicherlich Argumente zu finden sind. An einem Punkt aber ist das Unterfangen zumindest nicht gescheitert, und das ist die Geheimhaltung, die bestens funktionierte. Der Hauptorganisator der Verschwörung war KGB-Chef Krjutschkow. Er bestimmte Ort und Zeit der konspirativen Treffen. Baklanow und Schenin waren die aktivsten Mitorganisatoren. Baklanow war seit dem frühen Planungsstadium dabei,

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ebenso Schenin, der als Kader- und Organisationschef der KPdSU die Parteiorganisationen und Funktionäre im ganzen Land auf Linie bringen sollte. Dazu verschickte er am ersten Putschtag ein chiffriertes Telegramm an die untergeordneten Parteiorganisationen und war ihr Ansprechpartner. Obwohl Schenin zu den Hauptverschwörern gehörte, er G ­ orbatschow schon auf dem Plenum des ZK im April 1991 stürzen wollte und vergeblich auf Gegenmaßnahmen zum Parteizellenverbot Jelzins durch den Generalsekretär der KPdSU hoffte, wurde er nicht offizielles Mitglied des Notstandkomitees. Er hatte sich beim konspirativen Treffen am 17. August auf dem KGB-Objekt „ABZ“ selbst ins Spiel gebracht, als es darum ging, eine Gruppe zusammenzustellen, die zum Präsidenten nach Foros fliegen sollte. Vor allem Krjutschkow wollte, dass die Bevölkerung ihr politisches Vorhaben als einen die lang ersehnte Ordnung wieder herstellenden und den Staat stabilisierenden Richtungswechsel ansah. Dieser sollte zumindest nach außen hin als eine staatliche Angelegenheit erscheinen und eben nicht als eine Parteiangelegenheit. Denn die KPdSU wurde schon ab dem Jahr 1989 verstärkt als Hauptverantwortliche für die Missstände im Land in der Vergangenheit und der Gegenwart öffentlich angegriffen. Sie war daher völlig ungeeignet, als vertrauensbildende Kraft in Erscheinung zu treten. Schenin bedauerte Jahre nach dem Scheitern des Putsches, dass er nicht offizielles Mitglied des G ­ KTSCHP gewesen war, obwohl er nach eigenen Worten einer der Hauptorganisatoren war.24 Auch Juri Prokofjew, Parteichef der KP dSU von Moskau-Stadt, bestätigt, dass Krjutschkow bewusst die Partei außen vor lassen wollte.25 Dies ändert nichts daran, dass alle Mitglieder des G ­ KTSCHP und auch dessen Unterstützer natürlich eingeschriebene Mitglieder der KPdSU waren. Ein interessantes Detail, das während der staatsanwaltlichen Ermittlungen 1991 herauskam, ist, dass Krjutschkow und Baklanow sowie ­Gorbatschows Präsidialamtschef Boldin zusammen in einer Datscha-­ Genossenschaft waren, für den Bau ihrer Landhäuser jeweils einen Zehnjahreskredit bekommen hatten und schon allein deswegen „laufend Kontakt“ hatten.26 Mit dem Hauptorganisator Krjutschkow und seinen beiden wichtigsten Mitorganisatoren Baklanow und Schenin bestand eine Koalition der Spitzenvertreter aus KGB, Rüstungsindustrie und Partei gegen die weitere Auflösung der zentralen Strukturen. Hervorzuheben ist, dass Schenin am Tag der Machtübernahme des G ­ KTSCHP nicht die Unterstützung der Mehrheit des ZK-Sekretariats hinter sich bringen konnte. Allerdings stellte sich das ZK-Sekretariat auch nicht gegen das Komitee.

Die Putschvorbereitungen

8  Geheimes KGB-Objekt „ABZ“: Hierher, an den Stadtrand von Moskau in ein Waldgebiet, lud KGB-Chef Krjutschkow andere Mitglieder der sowjetischen Führung zu Gesprächen über die Lage im Land ein, die bald konspirativen Charakter annahmen. © I. Lozo

9  Pavillon auf dem Hof des geheimen KGB-Objekts „ABZ“: Hier trafen sich die Putschisten am 17. August 1991. Sie beschlossen, die Unterzeichnung des Unionsvertrages nicht zuzulassen, den Ausnahmezustand zu verhängen und weitere Mitglieder der sowjetischen Führung auf ihre Seite zu bringen. © 3sat / ZDF (Standbild aus dem Filmmaterial der TV-Dokumentation des Autors zum Putsch)

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Das konspirative Treffen der Putschisten am 17. August 1991 Am Samstag, dem 17. August – drei Tage vor der geplanten Unterzeichnung des Unionsvertrags –, berief Krjutschkow eine erweiterte Runde von Politikern und Militärs erneut in das KGB-Objekt „ABZ“ ein. Das Gespräch, in dem der Startschuss für den Putsch fiel, fand in einem Pavillon auf dem Hof des Objektes statt.27 Die Entscheidung, die Unterschriften unter den Unionsvertrag nicht zuzulassen und den Ausnahmezustand – notfalls gegen den Willen G ­ orbatschows – auszurufen, wurde eben dort getroffen und ab diesem Zeitpunkt von einer breiten Schicht der politischen und militärischen Führungsriege der UdSSR mitgetragen. Anwesend waren: –– Wladimir Krjutschkow, KGB-Chef

–– Oleg Schenin, Kader- und Organisationschef der KPdSU –– Oleg Baklanow, Chef der Rüstungsindustrie –– Valentin Pawlow, Ministerpräsident der Sowjetunion –– Dmitri Jasow, Verteidigungsminister der Sowjetunion –– Wladislaw Atschalow, stellvertretender Verteidigungsminister –– Valentin Warennikow, Befehlshaber der sowjetischen Bodentruppen –– Valeri Boldin, Chef des Präsidentenapparates ­Gorbatschows –– Viktor Gruschko, stellvertretender KGB-Chef –– Alexej Jegorow, Assistent der KGB-Führung

Anders als bei Manfred Hildermeier dargestellt, war Vizepräsident Janajew nicht bei diesem Treffen anwesend.28 Der KGB-Mitarbeiter Alexej J­ egorow, Mitglied der dreiköpfigen Analysegruppe, war vom Rang her nicht auf „Augenhöhe“, sodass er keinerlei Vorschläge hätte machen können. Da drei Militärs anwesend sein würden, sollten auch drei KGB-Leute da sein, habe ihm der stellvertretende KGB-Chef Gruschko gesagt. Er sollte sich bereithalten, Protokoll zu führen, wozu er dann aber doch nicht gebeten wurde.29 Die dort versammelten Vertreter aus KGB , Militär, Partei und Regie­ rung beschlossen, ­Gorbatschow eine letzte Chance zu geben. Zu diesem Zweck sollte schon am nächsten Tag eine Delegation unter der Leitung von Baklanow auf die Krim fliegen und ihn überzeugen, den Ausnahmezustand zu verhängen. Streng genommen waren auch der Oberste Sowjet Russlands und der UdSSR bei dem Treffen vertreten, weil ­Wladislaw Atschalow ersterem, Oleg Baklanow, Oleg Schenin und Valentin ­Warennikow letzterem als Abgeordnete angehörten. Über den Beginn des Treffens gibt es mindestens drei unterschiedliche Zeitangaben: Laut russischer Staatsanwaltschaft begann es um 16 Uhr und dauerte etwa zwei Stunden.30 Krjutschkow

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schrieb in seinen Memoiren, das Treffen habe um 14 Uhr begonnen, der stellvertretende sowjetische Verteidigungsminister Atschalow hingegen datiert den Beginn des Treffens auf 18 Uhr.31 Für den Putschverlauf mag die genaue Uhrzeit dieses Treffens nicht relevant sein. Dass es aber zu solch simplen Fakten wie der Uhrzeit einer Sitzung so viele unterschiedliche Angaben gibt, ist ein weiteres Signal dafür, dass die vorhandenen Ego-Quellen mit besonderer Vorsicht zu interpretieren sind. Unabhängig davon, wie ­Gorbatschow sich entscheiden würde – Ablehnung oder Zustimmung zur Verhängung des Ausnahmezustandes – ließ Krjutschkow die Kommunikationsverbindungen in der Urlaubsvilla in Foros abschalten. Dies konnte ihm leicht nachgewiesen werden, und er gab es in seinen Memoiren auch zu.32 Der entsprechende Befehl an die Techniker, die mit nach Foros flogen, wurde bei der Ankunft der Delegation ausgeführt. Bei der Diskussion im Pavillon des „ABZ “-­ Gebäudes war allerdings mit keinem Wort die Isolierung ­Gorbatschows thematisiert worden. Die meisten der dort Anwesenden gaben hinterher in den Verhören an, sie hätten von der Abschaltung der Telefonleitungen erst später erfahren. So sagte Pawlow, der am späten Abend des 19. August krank wurde oder dies vortäuschte, aus, er habe erst am 20. August aus der Zeitung Nesawissimaja Gaseta Kenntnis davon erlangt.33 Schenin behauptete: „Ich erfuhr, dass die Verbindungen abgeschaltet waren erst, als ich das Arbeitszimmer [in Foros] betrat und G ­ orbatschow dies sagte.“ 34 General Warennikow schrieb in seinen Memoiren, dass etwa eine halbe Stunde vor der Landung des Flugzeugs auf der Krim Juri Plechanow gesagt habe, er habe von Krjutschkow die Anweisung bekommen, die Kommunikationsleitungen G ­ orbatschows abzuschalten. Dies sollte vor Beginn des Gesprächs der Delegation mit G ­ orbatschow geschehen, um einen „förderlichen Gesprächsrahmen“ zu gewährleisten.35 Der im Grunde unbeteiligte Jegorow sagte aus, dass im KGB-Objekt am 17. August nicht über die Isolierung ­Gorbatschows gesprochen worden sei.36 Nach Meinung des leitenden Generalstaatsanwaltes Stepankow sind all diese Aussagen zu dem genauen Zeitpunkt, an dem die Kommunikationsabschaltung bekannt gegeben wurde, zutreffend, weil die Beschuldigten rasch und einzeln verhört wurden und keine Möglichkeit hatten, Details des Geschehens zu ihren Gunsten vorher untereinander abzusprechen. Dazu sei der gesamte Putschverlauf auch viel zu komplex gewesen.37 Demnach dürfte gesichert sein, dass bei dem Treffen nur Krjutschkow und einige seiner KGB-Mitarbeiter, die beauftragt waren, das Kappen der

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Leitungen umzusetzen, über die geplante Isolierung des Präsidenten im Bilde waren. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Alleingang des KGB -Chefs, der in den Tagen danach nicht sein einziger bleiben sollte. Wohl aber stand für die Runde am 17. August 1991 unmissverständlich fest, dass die gegenwärtige politische Entwicklung gestoppt werden müsse. Dazu malte Pawlow ein düsteres Bild der Wirtschaft und der Versorgung, die Militärs warnten vor einer Zersplitterung der sowjetischen Armee. Einigkeit herrschte darüber, den Ausnahmezustand zu verhängen und den Unionsvertrag zu Fall zu bringen. Krjutschkow und die Anwesenden des Treffens in dem Pavillon vereinbarten, weitere hohe Funktionsträger zu informieren und als Verbündete zu gewinnen. Diese wussten zu diesem Zeitpunkt gar nichts von den Plänen, die Unterzeichnung des Unionsvertrages zu verhindern und den Ausnahmezustand zu verhängen, und zwar notfalls gegen den Willen ­Gorbatschows. Dazu gehörten Vizepräsident Gennadi Janajew, Innenminister Boris Pugo und Außenminister Alexander Bessmertnych. Der Vorsitzende des Obersten Sowjets der Sowjetunion, Anatoli Lukjanow, war schon am Vortag an seinem Urlaubsort von Schenin telefonisch informiert worden. Den Vorschlag, ein staatliches Komitee für den Ausnahmezustand (­G KTSCHP ) zu bilden, machte laut Staatsanwaltschaft Krjutschkow.38 Es ist allerdings strittig, ob der Name schon am 17. August feststand. Krjutschkow schreibt in seinen Memoiren, dass lediglich „ein Komitee oder Organ gebildet werden sollte, um die im Raum stehenden Aufgaben zu lösen.“ 39 Auch nach Darstellung Jasows, Baklanows und Atschalows war das ­GKTSCHP an jenem Samstag in dem Pavillon noch nicht gegründet worden, der Name habe noch nicht festgestanden.40 Erörtert wurde, wer am nächsten Tag auf die Krim fliegen sollte. Baklanow und Schenin meldeten von sich aus ihre Bereitschaft an. Jasow beauftragte seitens der Armee General Warennikow, bei dem ohnehin eine Dienstreise in die Ukraine anstand.41 Aus diesem Grund kehrte Warennikow nach dem Treffen mit ­Gorbatschow am 18. August nicht mit den übrigen Delegationsmitgliedern nach Moskau zurück, sondern reiste weiter nach Kiew. Pawlow schlug den Chef des Präsidentenapparates Boldin vor, der sogar ein persönlicher Freund ­Gorbatschows und dessen Ehefrau war. Darauf rief Jasow in die Runde: „Auch du, Brutus!“, was die Anwesenden erheiterte.42 Jasow beharrte während des Gerichtsprozesses und auch in den Jahren danach darauf, dass es keine Verschwörung gegeben habe.43 („Nikakogo zagovora ne bylo.“) Er zögerte, im Gespräch mit dem Verfasser

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zu bestätigen, das entlarvende „Auch du, Brutus!“ ausgesprochen zu haben. Zunächst antwortete er auf die Frage „Haben Sie das so gesagt?“ mit den Worten: „Das kann sein.“ Auf Nachfrage bestätigte er schließlich, dass er es so gesagt habe und die anderen gelacht hätten. Dieser von Jasow am 17. August 1991 in dem Pavillon geäußerte Kommentar zum Geschehen wirft ein aussagekräftiges Licht auf die eigene inhaltliche Bewertung des eigenen politischen Handelns aller dort Versammelten. „Brutus“ symbolisiert Verrat, Verschwörung, Königsmord. Der Ausspruch wurde von niemandem aus der Runde zurückgewiesen, sondern von allen aufgenommen, gerade weil er in die Atmosphäre passte und sie treffend wiedergab. Dieses und andere Treffen waren konspirativ; auch aus diesem Grund ist das Gesamt­ ereignis als Putsch zu klassifizieren. Jasow schlug vor, die Aktivitäten von Armee, KGB und Innenministerium zu koordinieren. Darauf erwiderte Krjutschkow, dass Innenminister Pugo noch nicht im Bilde sei. Ministerpräsident Pawlow fragte, was mit ­Janajew, Lukjanow und Bessmertnych sei.44 Hier ergriff Schenin das Wort und sagte, dass er mit dem Vizepräsidenten und dem Parlamentsvorsitzenden reden werde. Die konspirativen Treffen vor dem 19. August und auch die Sitzungen des G ­ KTSCHP werden in dem von Schenin selbst verfassten Buch mit keinem Wort erwähnt. Auch in der sehr schmeichelhaften, keinerlei Kritik am Protagonisten enthaltenden und über 400 Seiten starken Biographie über Schenin von Nadeschda Garifullina findet sich darüber nichts.45 Dabei wäre die Beschreibung der Gesprächsverläufe eben dieser Treffen von besonderem historischem Interesse, wenn sie auch naturgemäß subjektiv ausgefallen wäre. Auch in den 2012 fertiggestellten Memoiren Baklanows findet sich keine Beschreibung der Zusammenkunft in großer Runde am 17. August, lediglich eine kurze Erwähnung, dass er, Baklanow, vom KGB-Chef angerufen worden sei mit der Bitte um ein Treffen. Weder den Ort („ABZ“) noch die eindrucksvolle personelle Zusammensetzung erwähnt er.46 Auf dem Treffen am 17.  August schlug der KGB -Chef vor, dass ­Gorbatschow im Falle einer Ablehnung der Forderungen „vorübergehend“ seine Vollmachten an Vizepräsident Janajew abtreten sollte. Es handelte sich um einen Vorschlag, den man dem sowjetischen Präsidenten machen wollte in Verbindung mit der Anregung, er möge seinen Urlaub verlängern.47 Krjutschkow als Gastgeber und treibende Kraft ließ seinen Stellvertreter Viktor Gruschko die Dokumente vortragen, die die Analysegruppe in Maschkino erarbeitet hatte. Es handelte sich um jene, die

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zwei Tage später im sowjetischen Rundfunk immer wieder vorgelesen wurden. Während des Vortrags wurde Krjutschkow von seinem Leibwächter zum Telefon gerufen. Ausgerechnet ­Gorbatschow wollte ihn in diesem konspirativen Augenblick sprechen. Der KGB-Chef und der sowjetische Präsident telefonierten nach Angaben G ­ orbatschows „täglich.“ 48 An den Inhalt des Telefonats während dieses brisanten Moments konnten sich beide nicht erinnern, als sie von den Ermittlern befragt wurden. Als Erklärung gaben beide eben die Häufigkeit der von ihnen gemeinsam geführten Telefonate an. Baklanow fragte den vom Telefonat zurückgekehrten KGB -Chef: „Haben Sie gesagt, dass wir hier gemeinsam reden?“ Dieser verneinte. Im Verhör gab Krjutschkow an, er habe es deshalb nicht getan, „weil die Erörterung der Dokumente noch im Gang gewesen sei und er von den Genossen nicht dazu bevollmächtigt war.“ 49 In seinen Memoiren, in denen er auf fast sechs Seiten dieses Treffen beschreibt, erwähnt der KGB-Chef den Anruf ­Gorbatschows nicht.50 Den Sinn des Treffens im Objekt „ABZ“ räumte der KGB-Chef Jahre später freimütig ein: „Wir wollten, dass ­Gorbatschow unserem Kurs nicht mehr im Wege steht. […] Die Reise der Delegation sollte noch ein Versuch sein, ihn davon zu überzeugen, dass Maßnahmen zur Verhinderung des Auseinanderfallens des Staates unternommen werden müssten und dass diese Maßnahmen unaufschiebbar seien.“ 51 Krjutschkow selbst bestätigt mit seiner Aussage, ­Gorbatschow habe im Weg gestanden, dass es sich um einen Putsch gehandelt hat. Am späteren Samstagabend des 17. August rief der KP dSU -Organisationschef Schenin den Moskauer KP -Chef Prokofjew an. Sie hatten eine Datscha in der gleichen Siedlung. Schenin schlug einen Spaziergang vor, was Prokofjew angesichts der späten Uhrzeit (22 oder 23 Uhr) und angesichts der Tatsache, dass sie abends nie gemeinsam unterwegs waren, erstaunte.52 Schenin eröffnete dem Moskauer KP-Chef, dass der Beschluss gefasst worden sei, morgen zu ­Gorbatschow zu fliegen, um ihn zu überzeugen, dass die Verhängung des Ausnahmezustands unerlässlich sei. Von einem Komitee oder dem G ­ KTSCHP war bei diesem Abendspaziergang laut Prokofjew noch keine Rede. Schenin bat Prokofjew am nächsten Tag (Sonntag) ins Büro zu fahren und an seiner Stelle für die Angelegenheiten der KPdSU bereit zu stehen. Diese Ausführungen des Moskauer KP-Chefs sprechen für die Darstellung, dass das ­GKTSCHP erst in der darauffolgenden Nacht gebildet wurde. Die Putschisten hatten die Hoffnung und Erwartung, ­Gorbatschow würde sich ihnen anschließen. Die Reise nach

Die Putschvorbereitungen

Foros war somit ergebnisoffen. Einen ausgearbeiteten und sanktionierten Plan für den Fall, dass der sowjetische Präsident ihre politischen Absichten nicht mittragen würde, konnte es in diesem Zeitraum (17. bis 18. August abends) auch noch nicht geben, weil vor allem Vizepräsident Janajew bis dahin nicht einmal ansatzweise von dem Putschvorhaben in Kenntnis gesetzt worden war. Aber auch wenn es seitens der Putschisten noch keinen sanktionierten Plan gab für eine Ausschaltung oder eine vorübergehende Ausschaltung des sowjetischen Präsidenten im Falle einer Kooperationsverweigerung, so stand für die Hauptorganisatoren (u. a. Krjutschkow und Baklanow) fest, dass sie dann ohne ihn und gegen ihn handeln würden. Dazu bedurfte es allerdings eines gemeinsamen, von einer großen Zahl von Amtsträgern mitgetragenen Beschlusses. Dieser erfolgte erst in der Nacht zum 19. August.

Die Amtsträger, die in den Putsch hineingerieten Drei wichtige Machtträger aus der G ­ orbatschow-Führung erfuhren erst am 18. August von den Absichten der Putschisten, den Ausnahmezustand zu verhängen und den Unionsvertrag zu verhindern. Der sowjetische Außenminister Alexander Bessmertnych brach seinen Urlaub ab und flog nach einem Anruf des KGB-Chefs nach Moskau. Er erfuhr am Telefon nicht den Grund für die dringend gewünschte Rückkehr. Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf die Macht des KGB-Chefs und die in der Machtelite der Sowjetunion übliche Subordinationspraxis. Gehorsam gegenüber dem Leiter der Staatssicherheit galt ausgesprochen oder unausgesprochen auch für solch hochgestellte Amtsträger wie Bessmertnych. Im Gespräch mit dem Verfasser erläuterte Bessmertnych die Umstände seiner Rückkehr nach Moskau: „Ich machte Urlaub in Belarus. Am späten Nachmittag [18. August] bekam ich einen Anruf aus Moskau, ich solle mich sofort beim KGB-Chef Krjutschkow melden. Das tat ich dann. Ich dachte, vielleicht ist irgendein Unglück passiert. Krjutschkow sagte, ich solle sofort nach Moskau in den Kreml kommen. Ein Regierungsflugzeug stehe schon bereit. Für den Abend sei eine Sitzung anberaumt und meine Anwesenheit auf jeden Fall erforderlich. Ich fragte ihn, worum es gehe. Er antwortete, dass ich alles in Moskau erfahren werde. Danach rätselte ich, worum es wohl gehen könnte. Ich vermutete irgendein Unglück der Dimension Tschernobyl.“ 53 Innenminister Pugo, vom Rang her mit Bessmertnych zwar auf einer Ebene, war für die Putschisten als Teilnehmer und aktiver Unterstützer

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sehr viel wichtiger. Pugo stand einer der drei Machtsäulen der UdSSR vor, die militärisch ausgestattet waren. Neben dem Verteidigungsministerium verfügten auch der KGB und das Innenministerium über eine militärische Organisationsstruktur und entsprechend bewaffnete Einheiten. Pugo, der in der Nähe G ­ orbatschows Urlaub auf der Krim gemacht hatte, traf am Sonntagnachmittag in Moskau ein und wurde danach von Krjutschkow zu einem Treffen der Leiter der drei militärischen Machtzentren ins Verteidigungsministerium gebeten. Jasow und der KGB-Chef weihten ihn nun in den Plan ein, den Ausnahmezustand zu verhängen. Dazu war es notwendig, die Tätigkeiten der drei Machtzentren zu koordinieren. Pugo nahm die überraschende Wende der politischen Richtung nach Darstellung Jasows „ruhig“ auf.54 Er erwies sich in den kommenden drei Tagen als ein besonders aktives Mitglied des G ­ KTSCHP, war auch für einen Gewalteinsatz gegen die Demonstranten und Verteidiger von Jelzins Machtzentrale. Nach seinem Selbstmord am 22. August fanden die Ermittler seinen Abschiedsbrief, der unter anderem folgenden Inhalt hatte: „Ich bin für mich selbst völlig überraschend einem Irrtum erlegen, der einem Verbrechen gleichkommt. Ja, es ist ein Irrtum, keine Überzeugung. Ich weiß jetzt, dass ich mich in Menschen getäuscht habe, zu denen ich großes Vertrauen hatte. Es ist schrecklich, wenn dieser Ausbruch der Unvernunft Auswirkungen auf das Schicksal ehrlicher, jedoch in einer sehr schwierigen Lage befindlicher Menschen hat […]. Dies alles ist ein Irrtum. Ich habe ehrlich gelebt – mein Leben lang.“ 55 Es dürfte bei Menschen, die im Angesicht des Todes stehen, eher die Ausnahme sein, dass sie sich unehrlich äußern. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass der Inhalt des Abschiedsbriefes zutrifft und Pugo in den Putsch hineingeschliddert ist. Vizepräsident Janajew ist das anschaulichste Beispiel nicht nur für eine von der betreffenden Person selbst ungeplante, sondern auch für eine unge­ wollte Beteiligung am Putsch. Den Mut, „Nein“ zu sagen und sich den Putschisten nicht anzuschließen, hatte er letztendlich nicht. Am Sonntagnachmittag befand er sich zu Besuch bei seinem Freund Laptjew, der Chefredakteur einer unionsweiten Zeitung war, wo er nach eigenen Angaben Cognac trank.56 Es war die Zeit, in der Mobiltelefone noch nicht verbreitet waren. Ministerpräsident Pawlow und ­Gorbatschows Präsidialamtsleiter Boldin waren auf der Suche nach Janajew und riefen auf dem Autotelefon seines Dienstwagens an, wo der diensthabende Offizier saß und wartete. Dieser nahm die Anrufe entgegen, ging in die Wohnung von Janajews Freund, um dem Vizepräsidenten zu berichten, dass er sich mit

Die Putschvorbereitungen

dem Kreml in Verbindung setzen solle. Janajew ließ ausrichten, dass er sich später melden würde. Eine Zeugin, die in der Wohnung des Freundes war, sagte aus, dass plötzlich zwei Männer in das Zimmer kamen und sagten: „Wladimir Alexandrowitsch [Krjutschkow] ist am Apparat. Es sind alle beisammen und warten auf Sie!“ Janajew habe den Raum sofort verlassen.57 Daraufhin ging er zum Autotelefon, sprach kurz mit Krjutschkow, der ihm laut Janajew sagte: „Gennadi Iwanowitsch, wir warten auf Sie im Kreml im Büro von Valentin Sergejewitsch Pawlow.“ Er fuhr in den Kreml, ohne dass er wusste, worum es gehen würde.58 Diese Begebenheit, die durch weitere Zeugenaussagen abgesichert ist, zeigt, welche Macht der Vorsitzende des KGB selbst in der Zeit der untergehenden Sowjetunion hatte, welche Aura den Chef der sowjetischen Staatssicherheit weiterhin umgab. Ausgeschlossen wäre es wohl in jedem westlichen Staat, dass der Vizepräsident von einem Sicherheitschef irgendwohin bestellt werden könnte – und das, ohne ihm zu sagen, worum es geht. ­Gorbatschow war ungerechtfertigterweise besonders wütend auf Janajew, dem er besondere Hinterhältigkeit unterstellte, da er am gleichen Tag – vor dem unangekündigten Besuch der Delegation – mit ihm telefoniert hatte. Janajew erkundigte sich bei dem freundlichen Gespräch, wann genau er ihn am Flughafen in Moskau nach der geplanten Rückkehr aus Foros am kommenden Tag (19. August) abholen solle. „Übrigens bedankte er [ ­Janajew] sich bei mir, dass ich ihm meine bevorstehende Ankunft mitgeteilt hätte und dass er auf jeden Fall am Flughafen sein würde.“ 59 Drastischer äußerte sich G ­ orbatschow unmittelbar nach der Abreise der unangekündigten Delegation aus Foros am 18. August. Präsidentenberater Tschernajew, der Zeuge in Foros war und selbst in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt wurde, zitiert ­Gorbatschow mit den Worten: „Und Janajew? […] Dieser Schurke hat zwei Stunden vor dem Auftauchen der Putschisten mit mir telefoniert. Er hat mir noch erzählt, ich würde in Moskau schon erwartet, er werde morgen zum Flughafen kommen.“ 60 Es ist sogar noch bizarrer: ­Gorbatschow hatte, was die Putschpläne betraf, sogar einen inhalt­ lichen und zeitlichen Wissensvorsprung gegenüber seinem Vizepräsidenten. ­Gorbatschow war schon am Sonntagnachmittag im Bilde – Janajew hingegen erfuhr erst am Sonntagabend von dem Putschplan, nachdem er zur Sitzung im Kreml widerwillig eingetroffen war.

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Das Fehlen einer klaren Strategie gegenüber Jelzin Sowohl für ­Gorbatschow als auch für Jelzin waren seitens der Putschisten eine Verhandlungsvariante und gleichzeitig eine Ausschaltungsvariante geplant. Seitens der Putschisten meint an dieser Stelle in erster Linie den KGBChef, weil dessen Organisation die Federführung bei einer Ausschaltungsaktion innehatte und ihr die Verantwortung dafür oblag. Die beiden Präsidenten sollten auf die eine oder die andere Weise dazu gebracht werden, dem Kurs der Stabilisierung der zentralen Unionsstrukturen zuzustimmen oder ihm zumindest nicht im Wege zu stehen. „Dogovorit’sja“ – sich absprechen, ein Übereinkommen erzielen – das war es, worauf Krjutschkow mit Blick auf den russischen Präsidenten zunächst hoffte. Anders als die gut vorbereitete Reise der Baklanow-Delegation zu ­Gorbatschow nach Foros am 18. August 1991 – auch wenn das Ergebnis nicht im Sinne der Putschisten war – wurden im Fall Jelzins und des zu erwartenden Widerstandes des demokratischen Lagers vorsichtige, ineffektive und letztlich inkonsequente Anweisungen an die Untergebenen im KGB gegeben. Am 17. August 1991 gegen 11 Uhr rief Krjutschkow den Leiter der 7.  KGB-Abteilung61 Jewgeni Rasschtschepow zu sich und ordnete an, in Absprache mit dem KGB-Chef von Moskau-Stadt, Vitali Prilukow, eine Liste von gesellschaftlich einflussreichen Personen zusammenzustellen, gegen die man Maßnahmen ergreifen müsse.62 Unter „Maßnahmen“ waren eine Observierung und möglicherweise eine auf unbestimmte Zeit festgelegte Internierung gemeint. Die Liste umfasste 68 Namen aus dem Lager der Demokraten. Zu ihnen gehörten zum Beispiel Eduard Schewardnadse, Alexander Jakowlew oder Wadim Bakatin. Diese Liste wurde in zweifacher Ausfertigung von einer Sekretärin des KGB abgetippt, wie diese gegenüber der Staatsanwaltschaft bestätigte.63 Marschall Jasow verfügte auf einer Sitzung im Verteidigungsministerium am Morgen des 18. August, dass auf dem Militärplatz im Ort Medweschi Osera bei Moskau entsprechende Internierungsstellen eingerichtet werden sollten für Personen, die dort vom KGB hingebracht würden.64 Die Anweisung zur Observierung war als Stabilisierungs- und Absicherungsmaßnahme für die Machtübernahme wirkungslos, weil sie zu halbherzig und zu vorsichtig erfolgte. Welchen Nutzen sollte die Weiterleitung von Informationen über die zu beobachtenden Personen an die KGB-Führung haben, wenn Politiker wie z. B. Eduard Schewardnadse keine Gefahr für das ­GKTSCHP darstellen konnten? Krjutschkow ließ im Laufe des 19. August vier Personen

Die Putschvorbereitungen

festnehmen, darunter drei Volksdeputierte.65 Auch dieser Umstand bestätigt, dass es sich um einen Putsch gehandelt hat. Drei der Internierten wurden am 20. August abends und einer am frühen Morgen des 21. August aber wieder freigelassen.66 Wie aber sollte mit Jelzin verfahren werden? Dem KGB-Abteilungsleiter Rasschtschepow befahl Krjutschkow, die Elitekampfeinheit „Alpha“ und deren Kommandeur Viktor Karpuchin bereitzuhalten für Maßnahmen, die den russischen Präsidenten beträfen. Alle weiteren Anordnungen würde er, Rasschtschepow, vom stellvertretenden KGB-Vorsitzenden Viktor Gruschko erhalten.67 Hier erfolgte die erste Unklarheit über den Auftrag, die dadurch verstärkt wurde, dass Gruschko die Vorgehensweise im Hinblick auf Jelzin nicht präzisierte, sondern Rasschtschepow, Karpuchin und einen weiteren KGB -Abteilungsleiter ins Verteidigungsministerium zur „Abstimmung der gemeinsamen Handlungen“ schickte. Dort machten sie mit dem stellvertretenden Verteidigungsminister Atschalow nicht mehr als Planspiele. Atschalow informierte die Runde, an der auch Pawel Gratschow teilnahm, dass Jelzin am 18. August von einem Treffen mit dem kasachischen Präsidenten Nasarbajew nach Moskau zurückfliegen und auf dem Regierungsflughafen Wnukovo 2 abends landen würde. Er schlug vor, den Piloten ca. 40 – 50 Minuten vor der Landung zu befehlen, auf dem Militärflughafen Tschkalowski zu landen. Dort würde „Jelzin in ein Büro gebeten werden, um Vertreter der Führung des Landes zu treffen. […] Im Falle, dass es nicht gelingt, sich mit ihm zu einigen, sollte Jelzin auf das militärische Revier Sawidowo gebracht werden, wo er unter Bewachung gestellt wird für den Zeitraum, der erforderlich sein wird.“ 68 Wie wenig durchdacht dieser Plan war, zeigt sich an der Tatsache, dass die Runde, nachdem sie das Risiko der Konfrontation mit der Wachmannschaft Jelzins in Betracht gezogen hatte, eine Entscheidung vertagte. Diese sollte von den Führungen von KGB, Innenministerium und Armee sanktioniert werden. Rasschtschepow berichtete Gruschko nach seiner Rückkehr in den KGB darüber. Doch es kamen keine weiteren Anweisungen oder Präzisierungen des Auftrags. Im Verhör mit der Staatsanwaltschaft sagte Krjutschkow dazu: „Solch ein Gespräch [mit Jelzin] war tatsächlich ins Auge gefasst, und es sollte einen wichtigen Schritt darstellen. Als wir diese Frage erörterten, ging es darum, dass Janajew, Pawlow und Baklanow sich mit Jelzin hätten treffen sollten. Doch durch die Erkrankung Pawlows kam das Treffen nicht zustande.“ 69

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Am Abend des 18. August wäre solch ein Treffen nach der Landung Jelzins mit den von Krjutschkow genannten Funktionsträgern kaum möglich gewesen, da sich alle am Putsch Beteiligten zu diesem Zeitpunkt im Kreml aufhielten, um das G ­ KTSCHP offiziell zu gründen und die Macht­ übernahme zu vollziehen. Am 19. August abends meldete sich Pawlow krank. Doch an diesem Tag war es für ein Treffen mit Jelzin, der längst den Widerstand gegen das G ­ KTSCHP organisiert hatte, zu spät. Krjutschkow erteilte am 18. August während einer Sitzung der KGB-Führung um 9 : 30 Uhr Befehle, die sich im Nachhinein, sei es aufgrund von Unentschlossenheit oder sei es aufgrund ungenügender Koordinierung, als ineffektiv herausstellten: Der KGB-Abteilungsleiter Rasschtschepow sollte die Datschen des russischen Präsidenten in Sosnowka und Archangelskoje 2 erkunden. Es war nicht klar, zu welcher Datscha Jelzin nach seiner Rückkehr aus Alma-Ata fahren würde. Er landete am 18. August um 21 : 39 Uhr auf dem Flughafen Wnukowo 2, fuhr von dort zu seiner Regierungsdatscha in Archangelskoje 2. Gegen 3 Uhr morgens des 19. August gab Krjutschkow dann der KGB-Elite-Kampfeinheit „Alpha“ den Befehl, Stellung in der Nähe dieser Datscha zu beziehen. 60 Mann waren dort im Einsatz.70 Kommandeur Viktor Karpuchin gab seinen Untergebenen, denen er zunächst verschwieg, wo sie hinfuhren, bei der Ankunft sowohl den Ort ihres Aufenthalts als auch den Befehl der KGB-Führung bekannt. Er lautete, „die Sicherheit der Gespräche von Boris Jelzin mit der Führung der UdSSR zu gewährleisten.“ 71 Ein Befehl zum Zugriff ist zu keinem Zeitpunkt erteilt worden, und es ist in der Tat fraglich, ob er von Krjutschkow je ernsthaft erwogen worden ist. Jelzin konnte mit seinen politischen Mitstreitern, die sich am 19. August dort rasch eingefunden hatten, unbehelligt zum Gebäude des Obersten Sowjets Russlands (Weißes Haus) fahren. Die Spezialkräfte der „Alpha“-Einheit und ihr Kommandeur zogen danach von der Datscha wieder ab. Eine Befehlsverweigerung gab es nicht, auch wenn kurz nach dem Putsch entsprechende Behauptungen laut wurden.72 Michail Golowatow, Stellvertreter des 2003 verstorbenen „Alpha“-Kommandeurs Karpuchin, stellt klar: „Wäre ein solcher Befehl gekommen, hätten wir ihn ausgeführt. Es gab aber keinen Befehl zum Zugriff.“ 73 Krjutschkow sagte zu diesem „Alpha“-Einsatz im Verhör mit der Staatsanwaltschaft: „Die Frage, ob Jelzin festgesetzt werden sollte oder nicht, wurde auf keiner Ebene beschlossen. Das Wichtigste war, mit ihm ein Treffen und Verhandlungen mit Vertretern der Führung durchzuführen. B. N. Jelzin kam, glaube ich, am 18. August in Moskau an und fuhr in die

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Datschensiedlung Archangelskoje. Er hätte auch zu der in Sosnowka fahren können. Daher war es notwendig, sowohl über die Lage in Sosnowka als auch in Archangelskoje im Bilde zu sein. Dabei konnte die Beobachtergruppe keine konkreten Handlungen ohne eine Erlaubnis ausführen.“ 74 Für den Morgen des 19. August war seitens des G ­ KTSCHP personell jedoch nichts für solch ein Treffen vorbereitet. Die Absicht, mit Jelzin ein Gespräch zu führen, war zweifellos gegeben, wie auch eine Reihe von Zeugen, die nicht dem G ­ KTSCHP angehörten, bestätigten. Doch es war ganz offensichtlich kein bestimmtes Vorgehen festgelegt worden, und die ­GKTSCHP-Mitglieder hatten nichts fest und konkret abgesprochen, wer diese Aufgabe wann genau übernehmen sollte. Es gab jedoch eine Liste, wer von den Mitgliedern des Komitees mit welcher Republikführung telefonieren oder persönlich sprechen sollte. Der KGB-Mitarbeiter Alexej Jegorow sagte bei seinem Verhör aus, dass schon am 17. August bei dem Geheimtreffen im KGB-Objekt „ABZ“ Krjutschkow beim Abendessen die Notwendigkeit angesprochen habe, mit Jelzin und den anderen Republikführern Gespräche zu führen. Das Ziel sei gewesen, dass sie die Einführung des Ausnahmezustandes unterstützten.75 Bei der staatsanwaltlichen Durchsuchung von Krjutschkows Büro fanden die Ermittler dann tatsächlich eine maschinengeschriebene Liste mit der Überschrift „Gespräche mit den Führern der Unionsrepubliken“.76 Demnach sollten Lukjanow, Pawlow und Jasow mit der Führung der RSFSR sprechen. Zusätzlich sollte Lukjanow auch mit der ukrainischen und kirgisischen Führung reden, Pawlow mit Kasachstan und Usbekistan, Jasow mit Georgien, Moldawien, Litauen, Lettland und Estland. Krjutschkow sollte mit den Führungen von Belarus, Aserbaidschan und Armenien sprechen, Janajew mit Tadschikistan und Turkmenien. Eine Reihe dieser Telefonate wurde dann im Laufe des 19. August auch abgearbeitet, wie die Telefonprotokolle über die Regierungsleitungen belegen. Das von Krjutschkow geplante persönliche Treffen zwischen Vertretern des ­GKTSCHP und Jelzin kam jedoch nicht zustande, weil niemand aus dem Komitee diese schwierige Aufgabe am Morgen des 19. August übernehmen wollte oder konnte. Neben der tatsächlich vor Ort praktizierten Konfliktvermeidung sprechen auch die Aussagen der beiden unmittelbaren Empfänger des Befehls Krjutschkows, die „Alpha“-Einheit vor der Datscha Jelzins zu stationieren, dafür, dass der KGB-Chef nicht die Festnahme Jelzins zum Ziel hatte. Der Kommandeur der „Alpha“-Einheit Karpuchin gab gegenüber der Staatsanwaltschaft zu Protokoll: „Um 3 Uhr nachts waren wir im Büro von

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Gruschko. Danach wurden wir zu Krjutschkow gerufen. Bei Krjutschkow waren ich, Gruschko und Rasschtschepow. Außer uns waren noch zwei Assistenten Krjutschkows da […], die ständig aus dem Büro gingen und irgendwelche Papiere zum Unterschreiben brachten. Krjutschkow erteilte die Aufgabe, nach Archangelskoje zu fahren und die Sicherheit der Verhandlungen zwischen Jelzin mit den Vertretern der Regierung der UdSSR zu gewährleisten. Dabei legte Krjutschkow besonderen Wert darauf, dass wir uns gegenüber B. N. Jelzin so taktvoll wie möglich verhielten [veli sebja kak možno delikatnee]. Es wurde betont, dass jeglicher physischer oder psychischer Druck auszuschließen sei. […] Krjutschkow sagte, nur im Falle, dass Jelzin zustimme, könne er von Archangelskoje nach Sawidowo gebracht werden. Dafür sollte ein ,Tschajka‘-Wagen [nach Archangelskoje] mitgenommen werden.“ 77 Der KGB-Abteilungsleiter Rasschtschepow bestätigte, dass es um die Gewährleistung der Sicherheit der Verhandlungen ging. Er nannte Ministerpräsident Pawlow, der laut Krjutschkow mit Jelzin hätte reden sollen. Für eine mögliche Fahrt nach Sawidowo mit Jelzin sollte ein „Tschaika“-­ Wagen mitgenommen werden.78 Es ist auffällig, dass der Generalstaatsanwalt Stepankow diese beiden Zeugenaussagen weder in seinem Buch „Kremlevskij zagovor“ von 1992 noch in der leicht überarbeiteten Fassung „­G KTSCHP “ von 2011 zitiert. Möglicherweise lag es daran, dass dann auch in der deutschen Übersetzung ein Teil der Spannung verloren gegangen wäre durch die Schilderung dieses eher unspektakulären Befehls. Nach dem Putsch hatte Jelzin die Aura eines Helden. Völlig unhaltbare Schilderungen kursierten (selbst durch den Leningrader Bürgermeister ­Sobtschak), beispielsweise die, dass der russische Präsident dem Zugriff der „Alpha“-Einheit nur knapp entkommen sei. Andere behaupteten, es hätte Befehlsverweigerungen gegeben. Fakt ist, dass die Putschisten Jelzin nicht die Telefonleitungen abschalteten, wie sie es bei G ­ orbatschow getan hatten. Auch dies spricht dafür, dass sie keine Konfrontation mit ihm wollten, sondern auf eine Kompromisslösung mit ihm hofften. In seiner Fassung von 1992 schrieb Stepankow noch: „Jelzin wurde durch eine Reihe von glücklichen Umständen gerettet. Die Verschwörer kamen mit der vorgesehenen Zeit nicht aus. ‚Alpha‘ sollte Jelzin eigentlich schon am Abend vorher, unmittelbar nach der Rückkehr aus Alma-Ata, festnehmen.“ 79 Diese drei Sätze, die dem Einsatz in Archangelskoje einen völlig anderen Sinn zuschreiben, ihn höchst dramatisch erscheinen lassen, hat Stepankow in der Neufassung von 2011 komplett

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weggelassen. Auch behauptet er darin nicht mehr, dass der Präsident schon am Vorabend hätte verhaftet werden sollen.80 Die ursprüngliche, völlig übertriebene und irreführende Darstellung hat jedoch – wohl auch mangels anderer Quellen – ihren Weg in historische Abhandlungen genommen und findet sich z. B. auch bei Hildermeier. Er schreibt, dass es Jelzin „nicht nur gelang, der Verhaftung zu entgehen, sondern samt Limousinenkonvoi mit Stander gleichsam offiziell sein Dienstgebäude an der Moskva zu erreichen. […] So konnte es geschehen, dass sich Jelzin nicht einmal verkleiden musste, um ins Weiße Haus zu kommen.“ 81 Laut der in Krjutschkows Büro sichergestellten Liste hätten der Vorsitzende des Obersten Sowjets Lukjanow, Ministerpräsident Pawlow und Verteidigungsminister Jasow mit Jelzin verhandeln sollen. Handschriftliche Änderungen durch Krjutschkow waren auf diesem Dokument zu finden.82 Da Lukjanow dem G ­ KTSCHP offiziell nicht beigetreten war, fiel er als Verhandlungspartner mit der russischen Führung aus. Jasow war mit der Koordinierung des Aufmarsches der sowjetischen Armee in Moskau und als Oberbefehlshaber seit den frühen Morgenstunden des 19. August vollends beschäftigt. Pawlow war angeblich betrunken. Er nahm nicht an der ersten ­GKTSCHP-Sitzung am Morgen des 19. August teil, war aber an der Nachmittagssitzung anwesend.83 Kurzum: Seitens der Putschisten gab es keine stringente Linie in Bezug auf den Machtfaktor Jelzin. Die Ausschaltungsvariante durch eine Festnahme ging nicht über vage Planungen untergeordneter Funktionsträger aus KGB und Armee hinaus. Die Verhandlungsvariante, die sich als die umzusetzende Handlungsvorgabe im Planungsstadium durchsetzte, war personell – bezogen auf die Gesprächspartner des ­ KTSCHP  – mangelhaft vorbereitet. Hinzu kam das kleine ZeitfensG ter, das den Putschisten zur Verfügung stand. Jelzin kam erst am späten Sonntagabend (18. August) nach Moskau zurück; ab 6 Uhr am Montagmorgen (19. August) wurden über das Radio und das sowjetische Fernsehen die Machtübernahme und die Verhängung des Ausnahmezustandes verkündet. Die Verhandlungsvariante war allerdings in sich nicht schlüssig. Selbst wenn ein oder mehrere Vertreter des ­G KTSCHP in Archangelskoje aufgetaucht wären, hätte Jelzin dies als extrem bedrohlichen und feind­ lichen Akt ansehen müssen, unabhängig von dem Gesprächsangebot, das ihm gemacht worden wäre. Auch ­Gorbatschow, der sogar von vertrauten Mitgliedern seiner eigenen Führung aufgesucht wurde, war anfangs

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erschrocken über den unangekündigten Besuch. Diesen hatten die Putschisten allerdings anders vorbereitet: mit der Abschaltung der Telefonleitungen, mit dem Austauschen des Chefs der Wache und somit aus der Position der Stärke und der Risikolosigkeit. Eine gewaltsame Eskalation mit der Wache Jelzins, die zwar allein schon zahlenmäßig der „Alpha“-Einheit weit unterlegen war, wäre hingegen nicht ausgeschlossen gewesen. Entscheidend war aber, dass die Putschisten mit dieser vagen Gesprächsaussicht das Heft in der wohl wichtigsten Frage des bevorstehenden Machtkampfes aus der Hand gaben, indem sie sich von Jelzins Gesprächsbereitschaft abhängig machten. Diesem wurde zudem nicht einmal ein Verhandlungsangebot gemacht, weil aufgrund der schlechten Vorbereitung niemand aus dem ­G KTSCHP für ein Gespräch mit dem russischen Präsidenten zur Verfügung stand. Nach Jelzins unbehelligter Autofahrt von seiner Datscha zum Weißen Haus, die Krjutschkow bewusst zuließ, wurde der russische Präsident zum Hauptakteur. Die Putschisten mussten ab diesem Zeitpunkt auf seine Handlungen reagieren und versuchen gegenzusteuern.

6.4 Die unbeherzte Machtergreifung in der Nacht zum 19. August 1991 Am 18. August um 20 Uhr war die Zusammenkunft der Putschisten im Kreml angesetzt. Sie fand im Büro des sowjetischen Ministerpräsidenten statt, dem früheren Büro Stalins. In der Gruppe der Putschisten war Pawlow der ranghöchste Funktionsträger der Exekutive, lässt man Vizepräsident Janajew außer Acht, der in die Pläne noch nicht eingeweiht war. Dass der höchste Vertreter der Legislative teilnahm – der Vorsitzende des Obersten Sowjets der UdSSR Lukjanow – sollte dem Vorhaben besondere Legitimität verleihen. Die zeitliche Konstruktion darf schon als missglückt bezeichnet werden, da die zunächst sieben versammelten Funktionsträger auf die Rückkehr der Foros-Delegation warten mussten und somit nicht beschlussfähig waren. Laut dem Protokoll der Kremlkommandantur trafen Jasow, Atschalow und Pugo pünktlich um 20 : 00 Uhr ein, Krjutschkow und Pawlow um 20 : 10 Uhr, Janajew um 20 : 25 Uhr und Lukjanow um 20 : 40 Uhr.84 Nach Darstellung Jasows und seines Stellvertreters Atschalow war Janajew recht angetrunken.85 KGB -Chef Krjutschkow hatte schon kurz vor Beginn des Treffens um 20 Uhr von General Warennikow und

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dem KGB -Sicherheitschef für den Präsidenten, Plechanow, telefonisch erfahren, dass die Mission der Delegation kein Erfolg in ihrem Sinne war. Er eröffnete die Sitzung mit der Information, dass einige Genossen mit ­Gorbatschow in Foros gesprochen hätten, diesem es gesundheitlich aber sehr schlecht gehe.86 Der KGB -Chef hatte schon vorher den Erlass – ohne Wissen des Vizepräsidenten Janajew – zur Unterschrift vorbereitet, mit dem die Machtübertragung von G ­ orbatschow auf seinen Stellvertreter mit der angeblichen Amtsunfähigkeit des Präsidenten aufgrund seines Gesundheitszustandes begründet wurde. In Wirklichkeit litt der Präsident an einem Hexenschuss und hatte deshalb zuvor einige Spritzen bekommen. Vier Delegationsmitglieder, die am Mittag des gleichen Tages zu ­Gorbatschow geflogen waren, landeten um 21 : 20 Uhr in Moskau und trafen um 22 Uhr im Kreml ein.87 Es waren Baklanow, Schenin, Boldin und Plechanow. Der Befehlshaber der sowjetischen Bodentruppen Warennikow war von Foros auftragsgemäß weiter nach Kiew gereist. Mit den vier Delegationsmitgliedern betrat auch der persönliche Sicherheitschef ­Gorbatschows, Wladimir Medwedew, Pawlows Büro. Er war auf Weisung des KGB-Chefs aus der Urlaubsvilla in Foros abgezogen und ausgetauscht worden. Laut Verteidigungsminister Jasow trugen Baklanow und Schenin den enttäuschenden Bericht vor. ­Gorbatschow habe geflucht: „Was habt ihr Euch da ausgedacht mit dem Ausnahmezustand?“, habe er gefragt. „Aber Sie selbst haben doch davon gesprochen, dass er nötig sei!“, hätten sie zu ihm gesagt. „Von wegen!“, habe ­Gorbatschow erwidert.88 Durch das Abwarten des Berichts der Delegation und die daran anschließende Diskussion wurden die Entscheidung und der Beginn der Umsetzung der Putschpläne, die unter der Federführung des KGB-Chefs konzipiert worden waren, zusätzlich verzögert. Die Machtergreifung stand zwar im Raum, doch wurde sie nach dem Bericht der Delegation infrage gestellt. Im immer wieder zitierten Buch „Kremlevskij zagovor“ finden sich entsprechende Aussagen dazu und vor allem eine einschüchternde Replik des Leiters des Präsidialbüros Valeri Boldin nicht wieder.89 Möglicherweise waren die Autoren ähnlich wie bei der Beschreibung des „Alpha“-Einsatzes an Jelzins Datscha auch an dieser Stelle nicht an einer Verharmlosung, sondern an einer Zuspitzung des Vorgangs interessiert, durch die die Putschisten rigoroser und machtbesessener erscheinen sollten. In der Darstellung der durch zahlreiche Zeugenaussagen abgesicherten Anklageschrift wollte Janajew den Erlass zunächst auch deshalb nicht unterschreiben, weil er

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den Hinweis auf die angeblichen Gesundheitsgründe nicht überzeugend fand und nicht glaubte. Er selbst hatte ja noch gegen Mittag des gleichen Tages mit ­Gorbatschow telefoniert und mit ihm verabredet, dass er ihn am darauffolgenden Tag vom Flughafen in Moskau abholen würde. Während der Sitzung kam dann sogar der Vorschlag auf, alles so zu belassen und die Unterzeichnung des Unionsvertrages angesichts des Gesprächsergebnisses mit ­Gorbatschow in Foros passieren zu lassen.90 Einen allgemeinen Konsens über die Machtergreifung hat es demnach im Verlauf der Sitzung zunächst gar nicht gegeben. Es wurde vielmehr darüber diskutiert, was überhaupt nun zu tun sei und wie vorgegangen werden sollte. Der KGB-Chef, der sämtliche Dokumente für die Machtübernahme erarbeiten und unterschriftsbereit hatte erstellen lassen, hatte keinen mit den anderen Teilnehmern genügend abgestimmten Handlungsplan für den Fall vorbereitet, dass ­Gorbatschow die Kooperation verweigerte. Dessen Isolierung führte für sich allein genommen nicht weiter. Aus der Reihe der Foros-Rückkehrer gab es Gesprächseinwürfe wie „Wir sind verbrannt“ oder „Wenn wir jetzt so auseinandergehen, landen wir auf dem Schafott und ihr seid fein raus“.91Der Leiter des Präsidialamtes Boldin, der ­Gorbatschow als Freund der Familie besonders gut kannte, sagte an die anderen Sitzungsteilnehmer gerichtet: „Glaubt ja nicht, dass, weil wir [nach Foros] geflogen sind, ihr hier damit raus seid. Jeder, der hier sitzt, ist verbrannt. […] Das kann ich Euch mit Sicherheit sagen, weil ich den Präsidenten gut kenne. Wir hängen jetzt alle drin.“ 92 Janajew, den Krjutschkow zuvor zunächst zum Unterschreiben des Macht­über­nahme-Erlasses zu überreden versucht hatte, schreibt in seinem 2010 erschienenen Buch über das G ­ KTSCHP, dass es die drohenden Worte Boldins waren, die ihn letztlich zur Unterschrift bewogen hätten. Nach Janajews Darstellung sagte Boldin allerdings stattdessen (oder zusätzlich): „Nun, Gennadi Iwanowitsch, dann müssen wir ohne Sie handeln. Die Chancen, dass wir schon morgen verhaftet werden, sind sehr nah an hundert Prozent.“ Boldins Aussage kommentiert Janajew in seinen Erinnerungen mit dem Satz: „Daraufhin bedurfte es keiner Überredungsversuche mehr in meine Richtung.“ 93 In der Schilderung von Jasows Stellvertreter Atschalow wirkte im Augenblick der Macht­über­nahme in erster Linie der Gruppen­ zwang: „Janajew als Vizepräsident sollte als Erster unterschreiben. Er las das Dokument, überlegte und sagte dann: ‚Ich werde dieses Dokument nicht unterschreiben!‘ Schließlich unterschrieb er doch. Angst hat dabei wohl auch eine Rolle gespielt.“ 94 Danach unterschrieb er auch die „Erklärung

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der sowjetischen Führung“, in der die Verhängung des Ausnahmezustandes verkündet wurde. Als Mitunterzeichner dieses Dokuments folgten Pawlow und Baklanow. Des Weiteren unterschrieb Janajew die Erklärung an die Staats- und Regierungschefs und den UNO -Generalsekretär. Er legte gegenüber den Sitzungsteilnehmern aber Wert auf die Feststellung, dass er höchstens zwei Wochen die Funktion des Präsidenten ausüben werde.95 Wie sehr Krjutschkow die alten Sowjetmethoden offensichtlich verinnerlicht hatte, zeigt sich auch an seinem Hinweis an Janajew, dass es möglich sei, die Dienste des Direktors der Heilanstalt beim Ministerium für Gesundheit der Sowjetunion, Schtscherbatkin, in Anspruch zu nehmen, der ein fiktives Dokument über eine Erkrankung ­Gorbatschow erstellen könnte.96 Der KGB-Chef legte den Versammelten neben den bereits erwähnten Dokumenten auch die „Erklärung an das sowjetische Volk“ und die „Verordnung Nr. 1 des G ­ KTSCHP“ vor, die jeweils gebilligt und zur Veröffentlichung freigegeben wurden.97 Nachdem das ganze Vorhaben am Unwillen Janajews und den Bedenken anderer Anwesender zu scheitern gedroht hatte, wurde die Zusammensetzung des Staatskomitees für den Ausnahmenzustand erörtert. Schenin und Baklanow schlugen den Vorsitzenden des sowjetischen Bauernverbandes Starodubzew und den Vorsitzenden des sowjetischen Industrieverbandes Tisjakow vor, womit alle einverstanden waren. Krjutschkow hatte die beiden allerdings schon vorher in der von ihm zusammengestellten Liste aufgeführt, die er Janajew bei dessen Ankunft im Kreml gezeigt hatte. Dieser wunderte sich, warum die beiden nicht anwesend waren.98 Der Parlamentsvorsitzende Lukjanow, der ursprünglich ebenfalls auf der Liste stand, bat darum, aus ihr gestrichen zu werden. Auch der sowjetische Außenminister Bessmertnych war als G ­ KTSCHP-Mitglied vorgesehen. Er kam um 23 : 35 Uhr im Kreml an99, nachdem er seinen Urlaub aufgrund des Telefonats mit Krjutschkow abgebrochen hatte. Wie Janajew wusste auch er nicht, was auf der Sitzung besprochen werden würde. Im Gespräch mit dem Verfasser schilderte er den Abend des 18. August 1991 wie folgt: „Nachdem ich in Moskau gelandet war, wollte ich mich zunächst umziehen. Doch mir wurde gesagt, ich solle sofort in den Kreml kommen. So wurde ich in meiner sportlichen Kleidung dorthin gefahren. Als ich Pawlows Büro betrat, sah ich, dass niemand am Kopf des Tisches saß. Ich hatte gedacht, auch ­Gorbatschow würde an der Sitzung teilnehmen. Krjutschkow nahm mich zur Seite und wir gingen ein paar Schritte aus dem Raum in ein kleines Zimmer. Er sagte, das Land befinde sich am Abgrund, ­Gorbatschow sei erkrankt

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und es sei ein Komitee für den Ausnahmezustand gebildet worden. Ich fragte ihn, ob die Bildung des Komitees ­Gorbatschows Initiative sei oder ob er sie gebilligt habe. Krjutschkow verneinte das und wiederholte, dass der Präsident sehr krank sei. Er zeigte mir die Liste, auf der auch mein Name stand. Ich sagte zu Krjutschkow, dass ich mich dem Komitee nicht anschließen werde, nahm meinen Stift und strich meinen Namen von der Liste. Daraufhin verließ ich den Kreml.“ 100 Diese Darstellung entspricht in einem Punkt nicht den Informationen, die die Staatsanwaltschaft hatte. Bessmertnych nahm an der Sitzung noch teil und verließ den Kreml laut dem Protokoll der Kommandantur erst um 2 : 30 Uhr.101 Er begründete vor den Versammelten seine Ablehnung, selbst Mitglied zu werden, damit, dass die Verhängung des Ausnahmezustandes international viele Fragen aufwerfen und er als Außenminister alle Hände voll zu tun haben werde, die Staats- und Regierungschefs zu überzeugen, dass die Politik der Sowjetunion nicht geändert werde. Auch die bereits fertige Erklärung an die Staatsführer und den UNO-Generalsekretär wollte er nicht unterschreiben.102 Dass Bessmertnych nach dem Putsch dennoch als sowjetischer Außenminister entlassen wurde, lag daran, dass er der Bitte Janajews entsprochen hatte, die offiziellen Erklärungen des G ­ KTSCHP an die Botschaften zu versenden, damit die ausländischen Staaten diese Dokumente auf offiziellem Weg und nicht über die Medien bekamen. Nun stand die Zusammensetzung des G ­ KTSCHP endgültig fest, das ursprünglich zehn Mitglieder haben sollte und letztlich aus acht bestand: –– Gennadi Janajew, Vizepräsident

–– Valentin Pawlow, Ministerpräsident –– Wladimir Krjutschkow, KGB-Chef –– Dmitri Jasow, Verteidigungsminister –– Boris Pugo, Innenminister –– Oleg Baklanow, Chef der Rüstungs- und Raumfahrtindustrie –– Wassili Starodubzew, Vorsitzender des Bauernverbandes –– Alexander Tisjakow, Vorsitzender des Industrieverbandes

Die Liste ist etwas irreführend, weil einige Politiker, die dort aufgeführt sind, bei den Planungen gar nicht dabei waren und bis zum Schluss nicht einmal eingeweiht waren. Dazu gehören Vizepräsident Janajew und Innenminister Pugo, die erst am Tag der Gründung des G ­ KTSCHP (18. August 1991) von den Putschabsichten erfuhren. Andere Vertreter aus der sowjetischen Führung, die eine exponierte Rolle bei den Planungen spielten

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oder als Unterstützer fungierten, finden sich dagegen dort nicht wieder, wie z. B. Oleg Schenin, Wladislaw Atschalow, Valentin Warennikow oder die beiden Krjutschkow-Stellvertreter Geni Agejew und Viktor Gruschko. Es sollte der zivile Charakter des Komitees betont werden, daher wurden nicht zu viele Militärs und Vertreter des KGB aufgeführt. Um diesen Charakter herauszustellen, berief man auch die Vorsitzenden des Bauern- und Industrieverbandes in das G ­ KTSCHP. Ferner fällt auf, dass – wie Gerhard und Nadja Simon ausführen – kein Mitglied des Notstandkomitees dem Politbüro oder dem Sekretariat des ZK der KPdSU angehörte.103 Die Partei war zu diesem Zeitpunkt zu sehr diskreditiert. Dies betraf sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart. Die KPdSU taugte daher auch nicht als werbewirksame Kraft für die Bewältigung der Probleme in der Zukunft. Die Betonung der Putschisten lag auf dem Versprechen, „Ordnung“ zu schaffen. Juri Prokofjew, KP-Chef von Moskau-Stadt, nahm an einigen Sitzungen des G ­ KTSCHP teil, berichtete und machte Vorschläge, doch offizielles Mitglied war er nicht. Er führt aus: „Vor allem Krjutschkow wollte die Partei außen vor lassen. Es sollte nicht so aussehen, als ob wieder die KPdSU das Sagen haben wollte. Man wollte betonen, dass es sich hier um eine Staatsangelegenheit und keine Parteiangelegenheit handelte.“ 104 Nach der erfolgten Macht­über­nahme wurde kollektiv der Einmarsch der Armee nach Moskau beschlossen, um die Verhängung des Ausnahmezustandes abzusichern. Jasow und sein Stellvertreter Atschalow verließen daher um 1 Uhr den Kreml und fuhren in das Verteidigungsministerium, um den Truppeneinmarsch zu organisieren.105 Jetzt galt es noch, die Dokumente zu aktualisieren, auch, weil der Jurist und Parlamentsvorsitzende Lukjanow einige Verbesserungsvorschläge gemacht hatte. Die Dokumente mussten teilweise neu abgetippt und mehrfach kopiert werden. Angesichts der mitternächtlichen Stunde konnte nicht sofort eine Sekretärin gefunden werden.106 Die Erwähnung dieser Episode dürfte die partielle Unorganisiertheit des gesamten Unternehmens unterstreichen, dessen Federführung beim KGB-Chef lag. Seitens des nun geschäftsführenden Präsidenten Janajews lag keine aktive Machtergreifung vor. Die dafür notwendigen Dokumente unterschrieb er in einer Atmosphäre des Gruppenzwangs.

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6.5 Die Rolle Lukjanows vor und im Augenblick der Macht­über­nahme Anatoli Lukjanow war ein Studienfreund ­Gorbatschows. Die beiden verband bis zum Putsch eine fast 40 Jahre lange Freundschaft. ­Gorbatschow förderte Lukjanow, machte ihn zu seinem Stellvertreter im Amt des Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjet. Damit wurde Lukjanow stellvertretendes Staatsoberhaupt der Sowjetunion. Als sich G ­ orbatschow am 15. März 1990 vom Parlament in das neu eingeführte Amt des Staats­ präsidenten wählen ließ, wurde Lukjanow zum Vorsitzenden des Obersten Sowjets der Sowjetunion und damit zum Parlamentspräsidenten gewählt.107 Als höchster Funktionsträger der Legislative war Lukjanow für die Putschisten als möglicher Verbündeter von besonderem Interesse. Sie erhofften sich, durch die Unterstützung des Parlamentsvorsitzenden Zweifel an der Legitimität des ­GKTSCHP zerstreuen zu können. Seine Position zum Unionsvertrag war kritisch-positiv. Es gab öffentlich keinen Zweifel, dass er den Vertrag am 20. August mitunterschreiben wollte. Die Staatsanwaltschaft legte dafür unter anderem eine Videoaufzeichnung seiner Rede vor den Volksdeputierten im Sowjet des Nowgoroder Gebiets, die er am 14. August 1991 an seinem Urlaubsort hielt, als Beweis vor. Lukjanow sagte dort: „Ich werde einige Worte zum Unionsvertrag sagen. […] Dies ist ein bedeutendes und großes Dokument, aber natürlich ein Dokument der Kompromisse. Er ist mit Mühen zustande gekommen. Zu Ihnen spricht ein Teilnehmer, der an allen Verhandlungen in Nowo-Ogarewo teilgenommen hat. Ich kann sagen, dass es keine Frage gab, die nicht ohne Schärfe erörtert wurde. Am 20. August werden die ersten fünf Republiken den Vertrag in Moskau unterschreiben.“ 108 In Lukjanows 2010 erschienenem Buch über den August 1991 findet sich diese bedeutende Aussage von ihm nicht. Auch verschweigt er, dass er am 16. August und am 18. August mehrfach mit den Putschisten telefonierte und seinen Urlaub vorzeitig beendete, um am 18. August abends an dem Geheimtreffen im Kreml teilzunehmen. Es war Schenin, der den Anfang machte und Lukjanow im Urlaub am 16. August anrief. Dann wurde er am Tag der entscheidenden Zusammenkunft von Ministerpräsident Pawlow angerufen, rief anschließend den KGB-Chef und Pawlow selbst an, um zu sagen, dass er nach Moskau fliegen und in den Kreml kommen werde.109 Die Eile und Wichtigkeit, den Parlamentspräsidenten hinzuzuziehen, drückte sich auch darin aus, dass das Verteidigungsministerium

Die Rolle Lukjanows vor und im Augenblick der Macht­über­nahme

eigens zwei Hubschrauber nach Nowgorod zur Urlaubsstätte Valdai fliegen ließ, mit denen er abgeholt werden sollte. Doch Lukjanow war schon mit einem Zivilhubschrauber nach Moskau unterwegs, als die Maschinen des Verteidigungsministeriums am Urlaubsort landeten.110 Die Mitarbeiter des Kremlfuhrparks wunderten sich, dass ihnen der Auftrag erteilt wurde, zwei SIL -Wagen bereitzustellen, um den Parlamentspräsidenten vom Flughafen in Moskau abzuholen; in der Regel war dieses Privileg dem Präsidenten selbst vorbehalten.111 Offensichtlich wollte Krjutschkow ihm damit schmeicheln, ihn wohlgesonnen stimmen und implizieren, dass er, Lukjanow, Nachfolger G ­ orbatschows im Amt des Präsidenten werden würde. Nachdem er zu der Sitzung in Pawlows Büro hinzugestoßen war, wurde ihm vorgeschlagen, sich dem ­GKTSCHP als offizielles Mitglied anzuschließen. Dies lehnte er mit dem Hinweis ab, er gehöre der Legislative an.112 In seinen Erinnerungen an den August 1991 schreibt er allerdings unzutreffend, er hätte das Ansinnen mit der Begründung abgelehnt, dass das Komitee in der sowjetischen Verfassung nicht vorgesehen gewesen sei.113 Nach übereinstimmenden Aussagen fragte er in die Runde: „Habt ihr einen Plan?“ Daraufhin sagte Verteidigungsminister Jasow: „Anatoli Iwanowitsch, wir haben keinen Plan.“ Der KGB-Chef korrigierte ihn und warf ein: „Wieso das? Wir haben einen Plan!“ 114 Nach dem Eintreffen der Foros-Delegation und ihrem enttäuschenden Bericht sowie dem zweifelhaften Hinweis auf G ­ orbatschows angeblich schlechten Gesundheitszustand sträubte sich Janajew lange gegen eine Macht­über­nahme und das Amt des amtierenden Präsidenten und versuchte die Verantwortung an Lukjanow weiterzugeben. Laut der vor der Staatsanwaltschaft gemachten Aussage von Ministerpräsident Pawlow, die von anderen Sitzungsteilnehmern bestätigt wurde, entwickelte sich darüber eine Diskussion zwischen dem Vizepräsidenten und dem Parlaments­ präsidenten. „Warum ausgerechnet ich? Soll Lukjanow das machen!“ 115 Er reichte ihm sogar den entsprechenden, vom KGB-Chef vorbereiteten Erlass hinüber.116 Lukjanow gab ihn ihm zurück, holte die sowjetische Verfassung hervor und sagte: „Laut Verfassung bist du verpflichtet, die Amtsgeschäfte des Präsidenten zu erfüllen, nicht ich. Meine Aufgabe ist es, den Obersten Sowjet der UdSSR einzuberufen.“ 117 Die Frage der offiziellen Anführerschaft war von Krjutschkow somit nur „auf dem Reißbrett“ geplant, aber nicht als funktionierendes Konzept für die Praxis vorbereitet worden. Auch Lukjanow hätte, wie der Verlauf der Sitzung zeigte, an die Stelle ­Gorbatschows rücken können, wenn er gewollt hätte.

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Obwohl er sowohl die G ­ KTSCHP-Mitgliedschaft als auch das Angebot, die offizielle Führung zu übernehmen, abgelehnt hatte, unterstützte L ­ ukjanow das G ­ KTSCHP durch sein Verhalten durchaus. Laut der Aussage von Verteidigungsminister Jasow, die durch die Handlungen Lukjanows bestätigt sind, sagte der Parlamentspräsident: „Wenn Sie möchten, dass ich Ihnen helfe, kann ich nur eines tun: eine Erklärung abgeben darüber, dass dieser Vertrag [Unionsvertrag], der vorbereitet wurde, verfassungswidrige Bestimmungen beinhaltet und nicht genügend abgestimmt worden ist. Ich […] kann in meinem und im Namen des Obersten Sowjets mit einer schriftlichen Erklärung an die Öffentlichkeit treten. Die muss ich aber noch vorbereiten.“ 118 Um 23 : 43 Uhr verließ er deswegen Pawlows Büro und kam um 23 : 46 Uhr im Gebäude des Präsidiums des Obersten Sowjets an, wo er sein Büro hatte.119 Hier formulierte er die historische Erklärung, in der die Unterzeichnung des Unionsvertrages in seiner vorliegenden Form abgelehnt und dieses Vorgehen wie oben beschrieben begründet wurde. Sie wurde den G ­ KTSCHP-Dokumenten bei der Veröffentlichung sogar vorangestellt, sodass sie am Morgen des 19. August als Erstes im sowjetischen Fernsehen und Radio verlesen wurde. Mit der Erklärung Lukjanows sollte die Bildung des G ­ KTSCHP und die Verhängung des Ausnahmezustandes zusätzlich legitimiert werden. Nikolai Rubzow, Leiter des Sekretariats des Obersten Sowjets, befand sich neben anderen Mitarbeitern Lukjanows auch im Kreml, weil dieser schon vor seiner Ankunft in Moskau gebeten hatte, sein Büro zugänglich und arbeitsfähig zu machen – der 18. August war ein Sonntag. Rubzow sagte aus, nach Fertigstellung der Erklärung habe Lukjanow Krjutschkow angerufen, um ihm zu sagen, dass der Text vorliege. „Krjutschow gab den Hörer weiter an Schenin, den Lukjanow mit Vor- und Vatersnamen anredete. Er las Schenin praktisch den ganzen Text vor. Danach sagte Lukjanow, er müsse den Text noch sauber abschreiben, danach werde er gebracht.“ 120 Wie später nachgewiesen wurde, hatte Lukjanow die Erklärung auf den 16. August zurückdatiert, um den Eindruck zu erwecken, seine Ablehnung des Unionsvertrages wäre nicht das Ergebnis seiner Teilnahme an der Geheimsitzung gewesen, sondern wäre auf seine eigene Initiative zurückzuführen.121 Auf recht schäbige Weise versuchte Lukjanow hinterher, seine Beteiligung an dem Putsch abzustreiten. Ihm untergebene Mitarbeiter stiftete er zu Falschaussagen an, mit denen er seine Distanz und Ablehnung des ­G KTSCHP unterstreichen wollte. Er selbst sagte in den Verhören zunächst, er habe die Pläne während der Sitzung als „Abenteuer“, „pure Verschwörung“ und eine „Verschwörung von dem Untergang Geweihten“

Die Rolle Lukjanows vor und im Augenblick der Macht­über­nahme

(„zagovor obrečennych“)122 bezeichnet. Richtig dagegen ist, dass er nicht nur eine eigene, die Putschisten unterstützende öffentliche Erklärung verfasste, sondern ihnen als einziger Jurist am Sitzungstisch rechtliche Ratschläge für die bereits fertiggestellten ­GKTSCHP-Dokumente gab. So wurde in der „Erklärung der sowjetischen Führung“ die Formulierung „[…] wird der Ausnahmezustand auf dem Territorium der gesamten UdSSR verhängt […]“ durch die Formulierung „[…] wird der Ausnahmezustand in einzelnen Gebieten der UdSSR verhängt […]“ ersetzt.123 Die vorherige Formulierung war nicht gesetzeskonform, weil der Präsident (in diesem Fall Janajew) nicht berechtigt war, den Ausnahmezustand für das ganze Land auszurufen, sondern nur in Teilen. Dieses Recht hatte nur der Oberste Sowjet. Jelzin bezeichnete Lukjanow kurz nach dem Scheitern des Staatsstreiches als „Chefideologen des Putsches“ oder „Hauptdrahtzieher des Putsches“.124 Diese Einschätzung fand daraufhin Verbreitung in den Medien. Die ­Lukjanow zugeschriebene Rolle dürfte vor allem damit zusammenhängen, dass seine Erklärung zum Unionsvertrag am 19. August an erster Stelle in den sowjetischen Medien verlesen wurde. Gleichwohl ist diese Charakterisierung nicht zutreffend, weil der sowjetische Parlamentspräsident weder an den Planungen teilnahm noch auf eigene Initiative aus seinem Urlaub nach Moskau zurückkehrte. Erst während der Geheimsitzung im Kreml vollzog er eine 180-Grad-Wende in der Frage des Unionsvertrages, den er ursprünglich am 20. August mitunterzeichnen wollte. Er wurde, anders als die Mitglieder des G ­ KTSCHP, erst mehr als eine Woche nach dem Scheitern des Putsches verhaftet (30. August 1991).125 An jenen Tagen bis Ende August, an denen er davor zitterte, ob er ins Gefängnis kommen müsse, unterschrieb er in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Obersten Sowjets der UdSSR die Aufhebungen der Immunität von Oleg Schenin, Valentin Warennikow und Oleg Baklanow, die neben ihren Hauptfunktionen auch Volksdeputierte waren. Der Versuch, sich selbst zu retten, indem er sich vom G ­ KTSCHP distanzierte und indem er sogar die Haftbefehle faktisch unterzeichnete, hat ihm nichts genutzt. Im Gegenteil: Es stellte seine Integrität noch mehr infrage. Wenn Lukjanow auch nicht der Ideologe des Putsches war, so hätte er aufgrund seiner mächtigen Position eine Schlüsselrolle spielen können – wenn er die neu entstandene, dramatische politische Situation im Lande durch die Einberufung einer außerordentlichen Sitzung des Obersten Sowjets der UdSSR geklärt hätte. Während der Abendsitzung im Kreml am 18. August versuchten einige Teilnehmer, ihn dazu zu bewegen, die Verhängung des Ausnahmezustands rasch durch den Obersten Sowjet zu

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sanktionieren. Ministerpräsident Pawlow sagte dazu im Verhör aus: „Wir fragten Lukjanow, wann der Oberste Sowjet tagen würde. Er sagte, dass die nächste Sitzung am 16. September anberaumt sei. Die versammelten Kollegen begannen sich für einen bedeutend früheren Termin auszusprechen, weil sonst die Frage der Verhängung des Ausnahmezustandes und der beschlossenen Entscheidungen fast einen Monat in der Luft hängen würde. Lukjanow begann zu erklären, dass eine Einberufung nicht schnell vonstattengehen könne, weil die Leute sich in Urlaub befänden usw. Er könne den Obersten Sowjet frühestens in einer Woche, also nicht vor dem 26. August, einberufen. Das führte bei den Anwesenden zu Verdruss. Man sagte ihm, dass der Oberste Sowjet so schnell wie möglich zusammenkommen und seine Position zur Lage im Land bestimmen müsse, d. h. am 20. oder 21. August. Andernfalls würde man unser Vorgehen nicht verstehen. Schenin sagte zu Lukjanow, dass, als die Notwendigkeit entstand, das Plenum des ZK der KPdSU zusammenzubekommen, man die Leute noch im Laufe des Tages gefunden hätte. Einen Tag später wären sie alle schon in Moskau gewesen. Uns war allen unverständlich, warum L ­ ukjanow sich bemühte, die Sitzung des Obersten Sowjets hinauszuzögern.“ 126 Neben dem Argument Schenins, dass es, wie zum Beispiel bei der Bestätigung der Wahl eines neuen Generalssekretärs der Partei, spätestens innerhalb von 48 Stunden möglich gewesen war, Funktionsträger aus dem ganzen Land nach Moskau zu holen, sprechen zwei weitere Fakten gegen die Behauptung Lukjanows: Russland unter der Führung Jelzins und des Parlamentspräsidenten Chasbulatow berief aufgrund der dramatischen Entwicklung eine Sondersitzung des russischen Obersten Sowjets für den 21. August erfolgreich ein. Außerdem bedrängten Abgeordnete und Präsidiumsmitglieder des Obersten Sowjets der UdSSR Lukjanow schon am 19. August, eine Sondersitzung einzuberufen, und boten ihre Hilfe an, die Kollegen anzurufen und nach Moskau zu bitten.127 Ganz offensichtlich ist Lukjanow opportunistisch vorgegangen. Dafür spricht auch seine Wende in der Frage des Unionsvertrages. Angesichts der enormen Staatsmacht, die im ­ KTSCHP gebündelt war, hätte dies für einen Sieg mög­licherweise ausreiG chen können. Doch der Ausgang des Machtkampfes war nicht kalkulierbar. Aufgrund seiner exponierten Stellung hätte Lukjanow das Abstimmungsergebnis im Obersten Sowjet in die eine oder andere Richtung beeinflussen können. Und eine das G ­ KTSCHP verurteilende Stellungnahme hätte den Putschisten jegliche Legitimation entzogen. Das Verhalten Lukjanows ist nur damit zu erklären, dass er kein Risiko eingehen wollte.

Der erste Putschtag

Er wollte am Ende bei den Siegern stehen. Auch zwanzig Jahre nach den Ereignissen ist eine sichtbare Wut G ­ orbatschows auf Lukjanow vorhanden. Über seinen früheren Studienfreund urteilte er: „Lukjanow ist ein hinterlistiger und feiger Mensch! Er hat über 20 Jahre im Parteiapparat gearbeitet und er ist ein Produkt dieses Apparats. Er hätte unverzüglich den Kongress einberufen können, wie es Russland getan hat. Aber er zögerte die Sache hinaus. […] Er half somit den Putschisten.“ 128 Auch in seinen 2012 erschienenen Erinnerungen gibt G ­ orbatschow seinem ehemaligen Studienfreund eine besondere Schuld und weist ihm eine Schlüsselrolle zu.129 Dies ist durchaus berechtigt, doch ist seine Schlussfolgerung, L ­ ukjanows Position habe den Putsch erst ermöglicht, durch die ereignisgeschicht­lichen Fakten nicht gedeckt.

6.6 Der erste Putschtag Der 19. August war bis zum Nachmittag gekennzeichnet durch ein Patt zwischen den Gegnern und den Unterstützern des G ­ KTSCHP. Die Macht­ über­nahme wurde bis dahin von den Republikführern überwiegend abwartend und sogar zustimmend aufgenommen. Selbst Georgiens Präsident Swiad Gamsachurdia, der vehement für die Unabhängigkeit seiner Republik gekämpft hatte, erklärte sich plötzlich bereit, die paramilitärischen Verbände in Georgien aufzulösen. Dies spricht sehr dafür, dass die geballte und im ­ KTSCHP vereinigte militärische Kraft der sowjetischen Armee, der TrupG pen des Innenministeriums und der Kampfeinheiten des KGB ihre Wirkung zunächst nicht verfehlte. Auch die führenden Staaten im westlichen Ausland waren in ihren Erstreaktionen vorsichtig-abwartend und verurteilten den Putsch keineswegs kategorisch. Nennenswerter Widerstand regte sich lediglich in den demokratischen Hochburgen Moskau und Leningrad sowie in Swerdlowsk, wo Jelzin als Gebietsparteichef fast zehn Jahre gewirkt hatte. Der erste Putschtag war dennoch dadurch gekennzeichnet, dass der russische Präsident die Handlungsinitiative ergriff und das Geschehen damit dominierte, während das G ­ KTSCHP sich darauf beschränkte, lediglich zu reagieren und sich zu beraten. Gorbatschow, der das Gelände der Urlaubsvilla nicht verlassen konnte, ging demonstrativ zum Strand, der sich einige Schritte vom Gebäude entfernt befand. Er wollte den Wachposten zu Wasser und zu Land vor Augen führen, dass es ihm gesundheitlich gut gehe und die gegenteiligen Behauptungen des Putschkomitees absolut falsch seien.130 Zu den Hauptforderungen an das Komitee, die er seinem

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Mitarbeiter Tschernajew diktierte, gehörten die Wiederherstellung der Kommunikationsverbindungen sowie die Bereitstellung eines Flugzeuges, das ihn nach Moskau bringen sollte. Das Papier wurde dem neuen Chef der Wache in Foros, Generalow, übergeben, der die Forderungen nach Moskau übermittelte. Eine Antwort des Komitees bekam ­Gorbatschow darauf nie.131 Am Abend des 19. August wurde der sowjetische Präsident dann sogar völlig entmachtet: Die Offiziere, die den sogenannten Atomkoffer an Gorbatschows Urlaubsort bewachten und im militärischen Ernstfall bedienen sollten, erhielten den Befehl, nach Moskau zu fliegen und den Koffer mitzunehmen. Auftragsgemäß löschten sie die Zugangscodes, machten ihn somit unbrauchbar. In Belbek hob die dort stationierte Maschine des sowjetischen Präsidenten ab – mit dem Atomkoffer und den abkommandierten Offizieren an Bord. Die Gruppe, die für den Atomkoffer operativ zuständig war, wurde von Viktor Wasiljew geleitet – Offizier im Generalstab.132 Gorbatschow als Oberbefehlshaber der sowjetischen Streitkräfte hatte nun keine Kontrolle und Verfügungsgewalt mehr über die Atomwaffen und ihren Einsatz.

Das Publikmachen der Macht­über­nahme Die Organisation für die landesweite und damit auch die internationale Veröffentlichung der Information über die Macht­über­nahme in der UdSSR durch das Staatskomitee für den Ausnahmezustand oblag Schenin. Gegen Mitternacht beauftragte er ZK-Sekretär Juri Manajenkow, dieser solle den sowjetischen Fernseh- und Radiochef  Leonid Krawtschenko anrufen und ihn in das Gebäude des ZK der KPdSU am Alten Platz beordern.133 K ­ rawtschenko lag in seiner Datscha schon im Bett.134 Gegen 0 : 30 Uhr (19. August) wurde der Fernsehchef von zwei Mitarbeitern des KGB zu Hause abgeholt und ins ZK gebracht.135 Er sollte Kopien der Dokumente persönlich entgegennehmen, die auf der zu diesem Zeitpunkt noch im Gang befind­lichen Gründungssitzung des G ­ KTSCHP verabschiedet, aber noch nicht neu abgetippt worden waren. Im Büro des ZK-Sekretärs ­Manajenkow saß auch der KP-Chef von Moskau-Stadt, Prokofjew, den Schenin ebenfalls dorthin gebeten hatte.136 Der Fernsehchef wurde in dem Sechs-Augen-Gespräch mit dem Inhalt der vorläufigen Dokumente des ­GKTSCHP vertraut gemacht, die der KGBChef ins ZK am Abend des 18. August hatte bringen lassen.137 Denn noch war gar nicht klar, wo genau der Ausnahmezustand gelten sollte.138 Krawtschenko wollte sich absichern und sagte, er könne die Dokumente nicht einfach so verlesen lassen. Sie trugen auch noch keine Unterschriften. Er meinte, sie

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müssten über die offizielle Leitung der sowjetischen Regierung oder zuvor von TASS verbreitet worden sein.139 Daraufhin wurde auch der stellvertretende TASS-Direktor Gennadi Schischkin in der Nacht ins ZK-Gebäude gerufen.140 Auch er wurde ins Bild gesetzt und machte sich mit den vorläu­ figen Dokumenten vertraut. Dann kam ein Anruf Schenins im Büro von Manajenkow, wo sich dieser, Prokofjew und die beiden Medienvertreter befanden. Schenin sagte, dass bis ca. 5 Uhr Entwarnung („otboj“) gelte, weil die endgültigen Dokumente noch in Arbeit seien.141 Von diesem enormen Zeitdruck hinter den Kulissen, der wenige Stunden vor der Bekanntmachung der Macht­über­nahme geherrscht hatte, hat die Weltöffentlichkeit nichts erfahren. Ab 6 : 00 Uhr sollten die entsprechenden Dokumente des ­ KTSCHP im sowjetischen Fernsehen und Radio verlesen werden. G Der Fernseh- und Radiochef Krawtschenko musste TV-Nachrichtensprecher organisieren. Auch fuhr er noch kurz in seine Wohnung in der Moskauer Innenstadt, um sich frisch zu machen; sein TASS-Kollege fuhr in die nahegelegene TASS-Zentrale.142 In seiner Wohnung versuchte Krawtschenko – nach eigener Darstellung – ­Gorbatschow anzurufen und stellte fest, dass es keine Verbindung gab.143 Sehr beunruhigt sei er zu Schenin gefahren, um die endgültigen Dokumente in Empfang zu nehmen, die nun durch die Unterschriften einen offiziellen Charakter hatten. Schenin hatte nach dem Putsch versucht, seine Rolle als Organisator der Veröffentlichung abzustreiten. Krawtschenko seinerseits versuchte gegenüber der Staatsanwaltschaft den Eindruck zu erwecken, er sei gegen das ­GKTSCHP gewesen, habe „den Gedanken gehabt, die Dokumente nicht entgegenzunehmen.“ Doch ihm sei klar gewesen, „dass die parteistaatliche Führung das Sagen hat und Schenin – in Abwesenheit ­Gorbatschows und Iwaschkos [stellvertretender Generalsekretär der KPdSU] – die Rolle des Generalsekretärs des ZK der KPdSU ausübt.“ 144 Der im Jahre 2009 verstorbene Schenin hat laut seiner Ehefrau ihr gegenüber geäußert, der sowjetische Fernseh- und Radiochef habe die Bildung des Komitees begrüßt und ausgerufen: „Endlich, Oleg Semjonowitsch! Gott sei Dank.“ 145 Diese Aussage konnte Schenin gegenüber der Staatsanwaltschaft nicht machen, weil sie seinem Leugnungsversuch, die Veröffentlichung organisiert und angeordnet zu haben, widersprochen hätte. Im persönlichen Gespräch mit dem Verfasser bestätigte Krawtschenko nun die Darstellung Schenins im Wesentlichen: „Wörtlich habe ich das so nicht gesagt, aber der Sinn ist zutreffend.“ Nachfrage: „Das heißt, Sie waren auf der Seite des ­GKTSCHP? Kann man das so sagen?“ Krawtschenko: „Ja, natürlich.“ 146 Die Übergabe schildert er wie folgt:

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„Es war etwa 4 : 40 Uhr, als ich zu Schenin kam. Ich war vielleicht fünfzehn Minuten bei ihm. Er sagte zu mir: ,Du weißt ja Bescheid, was los ist.‘ Er gab mir die Dokumente. Ganz oben war die Erklärung ­Lukjanows, die handschriftlich verfasst war […]. Ich weiß nicht, warum das so war, wahrscheinlich war wenig Zeit. […] Der Ausnahmezustand würde nur in Moskau verhängt, sagte er zu mir. Er begann mir ausführlich zu erklären, warum das alles geschehe und so weiter. Ich schaute auf die Uhr, unterbrach ihn und sagte zu ihm: ‚Oleg Semjonowitsch, die Zeit rennt. Ich muss noch zu TASS fahren, die Dokumente kopieren lassen und dann weiter zu ­Ostankino [Sowjetisches Rundfunkzentrum].‘ […] Bei TASS angekommen, wurden die Dokumente sofort kopiert und ich fuhr zu ­Ostankino. […] Es war zwanzig vor sechs. Alles war vom Militär b­ lockiert. Die Soldaten hatten den Befehl, niemand aus dem Gebäude zu lassen und niemand hereinzulassen. So kam ich erst mal gar nicht rein! Außerdem war Schichtwechsel. Zahlreiche Mitarbeiter, die nach Hause wollten, kamen nicht raus, die anderen nicht rein. Ich ging zum Wagen, sagte zu dem Fahrer vom KGB: ‚Ich weiß nicht, wo man anrufen soll. Sie wissen es! Sagen Sie, dass man nicht nur mich reinlassen soll, sondern auch die neue Schicht rein und die Nachtschicht raus!‘ […] Ich ging sofort zu den Sprechern. […] Es war 5 : 52 Uhr. […] Die Sprecher hatten keine Zeit mehr, sich vorher alles in Ruhe durchzulesen. Sie waren erschüttert und man konnte es ihnen an der Stimme anhören. […] Um 6 : 00 Uhr wurden die Dokumente verlesen.“ 147 Auf diese Weise wurde die Nachricht von der faktischen Absetzung ­Gorbatschows der sowjetischen Bevölkerung bekannt. In Deutschland war es 5 : 00 Uhr. Es ist bemerkenswert, dass die ersten Agenturen keine Eilmeldungen waren, weder bei Reuter, AP, AFP noch bei dpa. Sie beriefen sich auf die amtliche Nachrichtenagentur TASS, die die Macht­über­nahme um 6 : 33 Uhr erstmals vermeldete (5 : 33 Uhr deutscher Zeit).148 Von einer Entmachtung war anfangs nicht die Rede, die offizielle Krankheitsversion wurde weiterverbreitet. Einige Überschriften dieser Meldungen seien hier aufgeführt: Reuter, 5 : 47 Uhr: „TASS  – G ­ orbatschow von Janajew abgelöst“; AP , 5 : 49 Uhr: „Moskau: G ­ orbatschow erkrankt“; AFP , 5 : 53 Uhr: „­Gorbatschow aus Krankheitsgründen von Janajew vertreten“; dpa, 6 : 19 Uhr: „­Gorbatschow erkrankt – Vollmachten an Vizepräsident Janajew.“ Die erste Agentur war dann dpa, die eine Eilmeldung über dieses weltbewegende Ereignis brachte, das aufgrund der ungünstigen Uhrzeit für Nachfragen bei offiziellen Stellen und der knappen Information zunächst nur vorsichtig behandelt

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werden konnte. Die deutsche Nachrichtenagentur war auch die erste, die das Ereignis richtig einordnete: dpa-Eilmeldung von 6 : 33 Uhr (7 : 33 Uhr Moskauer Zeit): „Janajew übernimmt Macht und verhängt Ausnahmezustand.“ Danach setzte sich die Bezeichnung „Putsch“ oder „Staatsstreich“ für die Beschreibung der Vorgänge in der Sowjetunion durch.

Schwanensee und der Putsch Bis heute hält sich die unzutreffende Darstellung, die Putschisten hätten am 19. August veranlasst, Tschaikowskis Schwanensee im Fernsehen zu spielen. Behauptungen und Berichte über diese vermeintliche Programmänderung haben Schwanensee fälschlicherweise zu einem medialen Symbol für die Macht­über­nahme und den Putsch gemacht. Leonid Krawtschenko hat nicht nur in seinen Büchern, sondern auch in der russischen Presse versucht, dieser Legendenbildung entgegenzuwirken. Das Massenblatt ­Komsomolskaja Prawda brachte zum zehnten Jahrestag des Putsches eine ganze Seite über den Putsch und das sowjetische Fernsehen. Die Überschrift lautete: „‚Schwanensee‘ war lange vor dem 19. August geplant.“ 149 Die Darstellung ist leicht verifizierbar. Jeden dritten Montag im Monat war bis dahin regulär ein klassisches Musikstück im Programm. Dies ist schon ein starkes Indiz, aber noch kein Beweis, dass es keine Programmänderung gegeben hat. Wohl aber belegen Programmzeitschriften und Fernsehprogrammseiten von Tageszeitungen vor dem 19. August, dass Schwa­ nensee längst geplant und auch angekündigt war.150 Zu diesem Zeitpunkt existierte nicht einmal ein Beschluss zur Gründung des G ­ KTSCHP. Noch zwei weitere Faktoren widerlegen die Behauptung, Schwanensee sei am 19. August von den Putschisten ins Programm genommen worden: Krawtschenko wurde in der Nacht zum 19. August von seiner Datscha in Schukowo151 ins ZK -Gebäude gebracht und schaffte es gerade noch rechtzeitig, die Veröffentlichung der Macht­über­nahme auftragsgemäß um 6 : 00 Uhr umzusetzen. Auch die staatsanwaltlichen Ermittlungsergebnisse liefern keinen Hinweis darauf, dass während der überstürzten Planung in den ersten Nachtstunden von Schenin oder irgendjemand anderem aus den Reihen der Putschisten der Auftrag an Krawtschenko ergangen wäre, Schwanensee ins Programm zu nehmen. Ferner hätten organisatorische Zwänge die Erfüllung solch eines Auftrages praktisch unmöglich gemacht: Zu den Spezifika des Fernsehens jener Zeit, in der ein digitales Archiv nicht existierte, gehörte auch, dass es zeitlich kaum zu schaffen gewesen wäre, die Kassette im Archiv herauszusuchen und zum Abspielort zu bringen.

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Das Film- und Fernseharchiv ist nicht zentral in Ostankino organisiert, sondern befindet sich an verschiedenen Orten. Zudem hätte erst ein Archivar ausfindig gemacht werden müssen, der in Ostankino erst einmal hätte recherchieren müssen, wo sich das Band befindet. Fraglich ist auch, ob er vor dem Eintreffen des Militärs in das Gebäude gekommen wäre. Die Darstellung Krawtschenkos, dass auch das Programm des 19. August ihm – wie damals üblich – zwei Wochen vorher zur Genehmigung und Unterschrift vorgelegt worden152 war, erscheint durch die Faktenlage vollends zutreffend. Eine andere Frage sind die Zensurmaßnahmen des ­GKTSCHP, von denen die sowjetischen Medien betroffen waren und die Auswirkungen auf das Programm beziehungsweise auf das Erscheinen von Zeitungen hatten. Schwanensee ist jedenfalls nicht auf Veranlassung der Putschisten ausgestrahlt worden. Wohl aber wurde das Stück häufig wiederholt, weil andere Sendungen aus dem Programm genommen wurden.

Die publizierten Verordnungen und Erklärungen Die Veröffentlichung der Dokumente der Putschisten, welche ja gleichzeitig hohe Repräsentanten und Funktionsträger in der sowjetischen Führung waren, erinnerte stellenweise an die dramatischen Tage nach dem Angriff der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion 1941. In beiden Fällen war von einer tödlichen Gefahr für das Vaterland die Rede, von Patriotismus oder Verrat. Die Begriffe Staatskomitee und Ausnahmezustand, eine Aufzählung von Mitgliedern des Staatskomitees und die Klarstellung, dass in dessen Hände nun die gesamte Macht des Staates läge, finden sich ebenso in einer Veröffentlichung der Parteizeitung Prawda auf der Titelseite vom 1. Juli 1941, rund eine Woche nach dem Überfall Hitlers auf die UdSSR. Darin wurde die Bildung eines Staatskomitees (GK) für Verteidigung bekanntgegeben und als zwingend erforderlich angesehen angesichts des Ausnahmezustandes (TSCHP), in dem sich das Land nach dem Feindesangriff befinde. Als Mitglieder dieses Komitees wurden benannt: Stalin, Molotow, Woroschilow, Malenkow und Berija. Alle Bürger und Partei- und Militärorgane, so hieß es in Punkt 3 der Erklärung, hätten den Entscheidungen und Anordnungen des Komitees unbedingt Folge zu leisten.153 Eine analoge, fast wörtliche Formulierung verwendete auch das ­ KTSCHP. Es stellte bei der Veröffentlichung seiner Verordnungen und G Erklärungen die des sowjetischen Parlamentspräsidenten voran, mit der er sich gegen den Unionsvertrag aussprach. Welches Gewicht das G ­ KTSCHP der Erklärung Lukjanows zunächst beimaß, zeigte sich daran, dass sie um

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6 : 00 Uhr an erster Stelle der Nachrichten verlesen wurde.154 Der Parlamentsvorsitzende der UdSSR forderte zusätzliche Beratungen zu dem Vertrag, da dieser den Willen des Volkes nach einem Zusammenhalt des Staates nicht widerspiegele.155 Im Laufe des dramatischen Tages rückte angesichts der enormen Militärpräsenz, der beginnenden Konfrontation zwischen dem ­GKTSCHP und dem Jelzin-Lager die Erklärung ­Lukjanows in den Hintergrund. Am ersten Putschtag veröffentlichten die neuen Machthaber folgende Dokumente, die in der unionsweiten Hauptnachrichtensendung „Wremja“ um 21 : 00 Uhr Moskauer Zeit in dieser Reihenfolge verlesen wurden: –– Erlass des Vizepräsidenten über die Machtübertragung an ihn aufgrund des Gesundheitszustandes des Präsidenten –– Erklärung der sowjetischen Führung über die Verhängung des Ausnahmezustandes in einzelnen Gebieten der UdSSR –– Erklärung an das sowjetische Volk, die eine politische Bestandsaufnahme der Lage im Land, eine Anklage und Schuldzuweisung, eine Priorisierung der künftigen Aufgaben sowie einige Versprechen und einen patriotischen Aufruf zur Überwindung der tiefen Krise zum Inhalt hatte –– Verordnung Nr. 1 des ­GKTSCHP, die in 16 Einzelbestimmungen Verbote und Handlungsanweisungen beinhaltete –– Erklärung an die Staats- und Regierungschefs und den UNOGeneralsekretär, in der die getroffenen Maßnahmen als vorübergehend bezeichnet wurden und die Einhaltung bestehender internationaler Verträge und Verpflichtungen nachdrücklich betont wurde –– Erlass des Vizepräsidenten über die Verhängung des Ausnahmezustandes in der Stadt Moskau und die Ernennung von Generaloberst Nikolai Kalinin zum Stadtkommandanten

Der letzte Erlass über den Ausnahmezustand in Moskau wurde nicht am Morgen, sondern am Nachmittag herausgegeben und veröffentlicht, nachdem das Jelzin-Lager mit dem Widerstand begonnen hatte. Dies bedeutet, dass am Morgen des 19. August Panzer nach Moskau fuhren, aber selbst der durch das G ­ KTSCHP ohnehin ungesetzlich verhängte Ausnahmezustand zu diesem Zeitpunkt gar nicht explizit in der sowjetischen Hauptstadt galt. Die Militärpräsenz in Moskau war somit in doppelter Hinsicht nicht legal. Denn in der morgens publizierten Verordnung des Komitees war nur ganz allgemein von der Verhängung des Ausnahmezustandes „in einzelnen Gebieten der UdSSR“ die Rede gewesen.156

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Die Begründung der Macht­über­nahme und des Ausnahmezustandes Die Übertragung der Vollmachten des Präsidenten der UdSSR auf den Vizepräsidenten sollte durch die Erwähnung des Artikels 127, Absatz 7 der sowjetischen Verfassung ein rechtliches Fundament erhalten und wurde mit G ­ orbatschows Gesundheitszustand begründet, der es ihm nicht erlaube, seine Verpflichtungen als Präsident der UdSSR zu erfüllen.157 Dieser sehr knapp formulierte Erlass, der nur einen Satz ausmachte, stand formal völlig für sich und war inhaltlich in keiner Weise mit der Verhängung des Ausnahmezustandes verbunden. Offiziell wurde die Macht­über­nahme demnach nicht mit der von den Putschisten an anderer Stelle viel beschriebenen Lage im Land begründet, wofür wahrscheinlich viele Bürger Verständnis gehabt hätten. Der Hinweis auf ­Gorbatschows Gesundheitszustand warf Fragen auf, schaffte Misstrauen gegenüber dem ­ KTSCHP und schürte sowohl international als auch national Sorgen G über die persönliche Lage des sowjetischen Präsidenten. Wieso gab es keine Erklärung von ihm? Das Vorhaben geriet schon mit diesem ersten öffentlichen Satz des G ­ KTSCHP mit dem Hinweis auf G ­ orbatschows Gesundheitszustand in eine Schieflage. Besonders Janajew wurde nach dem Scheitern des Putsches wenig respektvoll dargestellt, sowohl was seine intellektuellen Fähigkeiten betraf als auch wegen angeblicher persönlicher Laster. David Remnick, ehemaliger Moskau-Korrespondent der Washington Post und seit 1998 Chefredakteur des New Yorker, beschrieb Janajew in seinem Buch über den Untergang der UdSSR , für das er 1994 den Pulitzerpreis bekam, wie folgt: „Er war ein eitler Mann von geringer Intelligenz, ein Schürzenjäger und ein Trinker. […] Er war nicht nur ein Trinker, sondern auch ein Clown.“ 158 Den staatsanwaltlichen Verhören zufolge war Janajew allerdings der Einzige, der auf der Abendsitzung des 18. August nachdrücklich vor einer Macht­über­nahme mit dieser fragwürdigen Begründung gewarnt hatte.159 Es würde Nachfragen und Verdächtigungen geben, meinte er und stellte die Frage, wie die Weltöffentlichkeit wohl reagieren würde.160 Ministerpräsident Pawlow, dessen Darstellung im Verhör vom stellvertretenden Verteidigungsminister Atschalow wörtlich bestätigt wurde, gab zu Protokoll: „Janajew kam immer wieder auf den im Erlass stehenden Passus über die Krankheit zurück, mit dem er nicht einverstanden war. […] Während er den Erlass unterschrieb, sagte er vor sich hin: ‚Ob krank oder nicht krank, ob legal oder illegal‘“ („bolen – ne bolen, zakonno – nezakonno“).161

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In der aus vier Punkten bestehenden „Erklärung der sowjetischen Regierung“, die das zentrale Dokument der Putschisten bildete, wurden die Verhängung des Ausnahmezustandes (1), der Vorrang der Unionsgesetze auf dem Gebiet der UdSSR (2) und die Bildung des Staatskomitees für den Ausnahmezustand bekannt gegeben (3) sowie die Befolgung der Beschlüsse des ­GKTSCHP für alle Bürger des Landes verfügt (4). In der einleitenden Begründung nahmen die Putschisten Bezug auf die vielschichtige und tiefe Krise im Land und wiesen auch auf den Gesundheitszustand ­Gorbatschows hin.162 Hier erfuhr die Weltöffentlichkeit nun auch, wer zu den Mitgliedern des achtköpfigen Komitees gehörte. Die Überwindung von Anarchie und Chaos und die Bannung der Gefahr für die territoriale Einheit der Sowjetunion zählten zu den Begründungen in der Erklärung, die von Janajew, Pawlow und Baklanow unterschrieben wurde. Dem Ziel der territorialen Einheit sollte offenbar zusätzliches und besonderes Gewicht verliehen werden durch den Hinweis auf das Referendum, bei dem sich das Volk für den „Erhalt der Union Sowjetischer Sozialistischer Republiken“ ausgesprochen habe. In der Realität hatten aber sechs Republiken gar nicht abgestimmt, und ­Gorbatschow hatte im März nicht mehr die Macht gehabt, die elementare Regel einer Abstimmung durchzusetzen – und das wäre eine einheitliche Fragestellung auf den Stimmzetteln gewesen. Die Systembewahrer in der politischen Führung hatten jedoch in den Monaten nach dem Referendum die sich abzeichnenden neuen Vereinbarungen von Nowo-Ogarewo, in denen keine Rede mehr war von „sozialistischen“ Republiken, sondern von souve­ ränen Staaten einer neuen Union, passieren lassen. Dazu gehörte auch der wichtige Unterstützer des G ­ KTSCHP, der Parlamentsvorsitzende Lukjanow. Die ausdrücklich formulierte Absicht, die Union Sowjetischer Sozialisti­ scher Republiken erhalten zu wollen, war neben dem Ziel, die Anarchie und das Chaos im Land zu überwinden, nicht nur eine zentrale Begründung für die Verhängung des Ausnahmezustandes und für die Bildung des Komitees. Sie war gleichzeitig verbunden mit dem Versprechen an die Bevölkerung, den Unionsvertrag auf breiter Ebene und in Ruhe zu diskutieren. Dieses Versprechen fand sich in einem weiteren Dokument, das am 19. August veröffentlicht wurde: in der „Erklärung an das sowjetische Volk“, die durchaus auch als politische Abrechnung mit der Perestrojka ­Gorbatschows und dem eingeschlagenen Weg in Richtung Kapitalismus sowie als Kampfansage an die separatistisch-orientierten politischen Führern verstanden werden konnte und wohl auch werden sollte. Der Gesundheitszustand

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­ orbatschows als Begründung für die Macht­über­nahme und als TeilbeG gründung für den Ausnahmezustand führte von dem politischen Anliegen des ­GKTSCHP weg, warf viele Fragen auf. Die Erklärung wurde in der demokratischer gewordenen und angstfreieren sowjetischen Gesellschaft nicht mehr stumm hingenommen, wie dies in der Prä-Perestrojka-Zeit üblich gewesen wäre. Die Begründung, die UdSSR erhalten und den Unionsvertrag neu diskutieren lassen zu wollen, war sicherlich von einem Teil des ­GKTSCHP ehrlich gemeint. Ob alle Mitglieder des Komitees die Ergebnisse auch akzeptiert hätten, darf allerdings bezweifelt werden. Doch die Putschisten hatten schon die Entstehung des Vertrags geschehen lassen, damit zumindest eine stillschweigende Zustimmung gegeben und in der Konsequenz politische Fakten zugelassen, die nicht in ihrem Sinne waren.

Der Auftrag an das Militär und die KGB-Kampfeinheiten Den drei militärischen Organisationseinheiten – Sowjetarmee, Truppen des Innenministeriums und KGB-Kampfeinheiten – standen mit Dmitri Jasow, Boris Pugo und Wladimir Krjutschkow drei Befehlshaber vor, die erst am 18. August nachmittags eine Koordinierung der Aktivitäten ihrer Einheiten verabreden konnten. Dies geschah unmittelbar nach der Rückkehr Pugos aus dem Urlaub, als sich die drei im Büro des Verteidigungsministers trafen. Die Koordinierung der Aktivitäten delegierten sie an ihre Untergebenen. Nach dem spät erfolgten Grundsatzbeschluss über die Bildung des ­GKTSCHP in der Nacht zum 19. August war die Zeit knapp, die reguläre Armee in die Innenstadt Moskaus einrücken zu lassen. Dass so ein Fall eintreten könnte, hatte Jasow seinen engsten Mitarbeitern und den wichtigsten militärischen Funktionsträgern schon am Vortag eröffnet. Diese Vorwarnung beruhte auf den Absprachen, die auf dem Geheimtreffen im KGB-Objekt „ABZ“ am 17. August getroffen worden waren. Er entsandte vorsorglich schon am 18. August einige hochrangige Vertreter seines Ministeriums in die verschiedenen Militärbezirke, damit diese im Falle der Verhängung des Ausnahmezustandes das Vorgehen mit den örtlichen Befehlshabern koordinierten.163 Um 3 : 30 Uhr (19. August) rief Jasow seinen Stellvertreter Atschalow, den Armeebefehlshaber der Stadt Moskau Kalinin, den Leiter der militärpolitischen Hauptabteilung Schljaga sowie den Leiter der Operativ-­ Abteilung im Generalstab Denisow zu sich. Er sprach davon, dass am Morgen der Erlass über die Macht­über­nahme Janajews veröffentlicht und

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der Ausnahmezustand verhängt würde. Die Lage könnte sich zuspitzen. Daher sollten sie sich darauf vorbereiten, die Armee in die Stadt einrücken zu lassen.164 Parallel saßen fast zur gleichen Zeit führende KGB-Mitarbeiter bei Krjutschkow. Er erteilte dem Kommandeur der Spezialeinheit „Alpha“ den Befehl, zur Regierungsdatscha von Jelzin zu fahren. Um ca. 4 Uhr rief Jasow mehrere Kommandeure an, darunter den Befehlshaber der Luftlandetruppen Gratschow, und befahl ihnen die Mobilisierung ihrer Einheiten für das Einrücken in die Stadt. Ihr Auftrag war die Sicherung von strategisch wichtigen Objekten, darunter z. B. das Fernsehzentrum, das Telegrafenamt oder das Bürgermeisteramt.165 Der Einmarsch der Truppen nach Moskau war gegen 15 Uhr abgeschlossen.166 Zuvor hatte der Generalstab um 9 : 28 Uhr einen chiffrierten schriftlichen und von Jasow unterschriebenen Befehl herausgegeben, der unter anderem an die Kommandeure der sowjetischen Militärbezirke geschickt wurde. Die Ermittler hatten das Original sichergestellt, in dem es hieß: „Im Zusammenhang mit der innenpolitischen Lage im Land hat der Minister der Verteidigung befohlen […], die Einheiten, Verbände, Teile und Einrichtungen aller Gattungen der Streitkräfte auf dem Territorium der UdSSR in erhöhte Alarmbereitschaft zu versetzen.“ 167 Dies könnte auf den ersten Blick dramatischer erscheinen, als es war. Innerhalb der sowjetischen Streitkräfte galten vier Stufen der Alarmbereitschaft. Es gab die „ständige“, die „erhöhte“, die „kampfbereite“ und die „volle“ Alarmbereitschaft. Mit der erhöhten Alarmbereitschaft war nicht die Fortbewegung der Truppen aus ihren ursprünglichen Stellungen verbunden.168 Die Fortbewegung musste demnach auf ausdrücklichen Befehl erfolgen. Außer in Moskau gab es Truppenbewegungen z. B. auch in Vilnius, die ebenfalls vom Verteidigungsminister sanktioniert waren.169 Die Soldaten, denen der Befehl zum Ausrücken gegeben worden war, wurden vorab nicht über die Gründe in Kenntnis gesetzt, sondern erfuhren von der Macht­über­nahme des Staatskomitees für den Ausnahmezustand (­GKTSCHP) meist erst von den Bürgern, die sich auf den Straßen und Plätzen versammelt hatten, oder aus den Medien. Generalmajor Alexander Lebed, der ebenfalls nach Moskau beordert worden war, schrieb in seinen Erinnerungen zum Putsch: „Im Verbindungsauto, in dem ich während des ganzen Marsches gewesen war, gab es kein Fernsehgerät. Darum hatte ich keine Erklärungen des ­GKTSCHP oder anderer Führer gehört. Die Leute, die Barrikaden errichteten, wirkten wie einfaches, gutes Volk […]. Es gibt eine schöne Redensart […]: ‚Jeder hält sich für einen Strategen,

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solange er den Kampf vom Rande beobachtet.‘ Jetzt […] ist es leicht zu sagen, wie man hätte handeln müssen. Es mag unwahrscheinlich klingen, aber […] ich hatte absolut keine Ahnung, was eigentlich vor sich ging.“ 170 Die Führungen von Armee und Innenministerium gaben am ersten Putschtag keine neuen Befehle heraus. Die konkreten Anweisungen aus dem Innenministerium hatten sich ohnehin nur darauf beschränkt, den Truppeneinmarsch durch erhöhte Polizeipräsenz regeln zu helfen.171 Daran änderte auch die sich zuspitzende Lage durch den öffentlichen Widerstand Jelzins und die Mobilisierung seiner Anhänger nichts. Der KGB-Chef hatte schon am 18. August erste Anweisungen zu Vorbereitungen für eine mög­ liche militärische Einnahme von Jelzins Machtzentrale gegeben. Noch bevor der russische Präsident seine Widerstandsrede hielt, bekam Boris Beskow, Kommandeur der KGB-Spezialeinheit „B“, vom Abteilungsleiter Leonid Schebarschin um 7 : 30 Uhr den Befehl, 200 Mann in das Dserschinski-Haus zu verlegen.172 Wie die KGB-Einheit „A“ („Alpha“), die einen ineffektiven Befehl ausführte, als sie in der Nacht zur Datscha Jelzins befohlen wurde, um dann am Morgen wieder abzuziehen, wartete auch die Gruppe „B“ nun auf weitere Befehle, die am ersten Tag jedoch nicht mehr kamen. Mit welchem Anspruch das G ­ KTSCHP die Macht übernommen und wie viel es sich vorgenommen hatte, zeigt die Tatsache, dass neben den Aktivitäten der Armee in den baltischen Republiken auch der KGB am ersten Putschtag militärische Kräfte dorthin verlegte. Der Gewalteinsatz in der litauischen Hauptstadt, der keine Zwangsrückführung unter die politische Hoheit der sowjetischen Zentrale hatte bewirken können, war gerade erst sieben Monate her. Am Vormittag flog je eine Gruppe der KGB-Fallschirmjäger-Division 103, die in Vitebsk stationiert war, in die Hauptstädte Vilnius, Tallin und Riga. Die Mannstärke betrug 100, 115 und 121. Diese Einheiten wurden den örtlichen KGB-Kommandeuren unterstellt. Sie warteten dort auf weitere Befehle und kehrten erst am 21. August, nach dem Scheitern des Putsches, an ihren Standort zurück.173 In den Plan und zu den Absichten der Organisatoren des Putsches gehörte demnach nur vordergründig die Verhinderung des Unionsvertrages, über den angeblich „in Ruhe“ diskutierte werden sollte. Das Ziel bestand vielmehr in der territorialen Restauration der Sowjetunion, die wieder ganz unter der Kontrolle der Moskauer Zentrale stehen sollte. Es war evident, dass der Versuch dazu aufgrund der politischen Entwicklung nur mit Gewalt hätte realisiert werden können. Dazu war ein Teil des ­ KTSCHP offenbar bereit. G

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Die Strategiesuche des Jelzin-Lagers in Archangelskoje Der russische Präsident befand sich mit seiner Familie auf der Datscha in Archangelskoje bei Moskau. Die meisten seiner politischen Mitstreiter wohnten in derselben Siedlung – so war es möglich, innerhalb kürzester Zeit zusammenzukommen. Hier verfasste die Jelzin-Führung den Appell, Widerstand zu leisten („An die Bürger Russlands“).174 Über die allerersten Stunden des Suchens nach der richtigen Strategie und über die anschließende Bestimmung der Vorgehensweise finden sich in den Darstellungen der Hauptakteure zum Teil große Unterschiede. Zwei Faktoren dürften hierfür die Ursache sein: Zum einen war es, wie sich hinterher herausstellte, eine Zusammenkunft der Sieger, von denen einige ihren Anteil am Zustandekommen der historischen Niederlage der Verteidiger des alten Sowjetsystems übertreiben. Zum anderen schlug bei einigen der dort Versammelten die politische Freundschaft ab 1992 in Gegnerschaft und schließlich in eine erbitterte Feindschaft um, die im Herbst 1993 mit dem Panzerbeschuss des russischen Parlamentsgebäudes ihren tragischen Höhepunkt fand. Jelzin und der russische Parlamentsvorsitzende ­Chasbulatow – 1991 noch enge politische Verbündete im Kampf gegen die Putschisten – versuchten sich später gegenseitig politisch zu vernichten. Doch auch der russische Presse- und Informationsminister Michail Poltoranin, der ebenfalls zur Datscha Jelzins eilte, wurde in späteren Jahren ein entschiedener Gegner des russischen Präsidenten. Das Gleiche gilt für Jelzins eigenen Sicherheitschef Alexander Korschakow. Aus diesen Gründen sind die Quellen der Akteure aus dem Jelzin-Lager mit zusätzlicher Vorsicht heranzuziehen. Dies gilt auch für Jelzin selbst, was die Schilderung seiner Rolle bei dem Treffen in Archangelskoje betrifft. Während sich der russische Präsident in seinen 1994 veröffentlichten Erinnerungen als umsichtigen Organisator und Chef eines Teams in jenen Stunden in Archangelskoje darstellt175, beschreibt ihn Chasbulatow als einen durch die Putschnachricht niedergeschlagenen und resignierten Mann, der erst später seine alte Form wiederfand176. Chasbulatow stellt sich selbst als den Antreiber und Organisator hin.177 Unstrittig ist, dass in den drei Stunden zwischen 6 : 30 Uhr und der Abfahrt zum „Weißen Haus“ um 9 : 30 Uhr politische Grundsatzentscheidungen getroffen wurden, die sich als bedeutend für den Ausgang des Machtkampfes herausstellen sollten. Bei den Beratungen in Archangelskoje waren zehn Personen anwesend: –– Präsident Jelzin

–– Parlamentspräsident Chasbulatow

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–– der russische Ministerpräsident Iwan Silajew –– Jelzins Berater Gennadi Burbulis –– der für Rechtsfragen zuständige Berater Sergej Schachraj –– der Presse- und Informationsminister Michail Poltoranin –– der russische Minister für Außenwirtschaftsbeziehungen Viktor Jaroschenko –– General Konstantin Kobez –– der stellvertretende Bürgermeister von Moskau Juri Luschkow –– der Bürgermeister von Leningrad Anatoli Sobtschak

Im Gegensatz zu Jelzin schreibt Chasbulatow in seinen Erinnerungen, dass auch der russische Vizepräsident Ruzkoj anwesend gewesen sei. Dies ist jedoch nicht zutreffend, wie Ruzkoj selbst bestätigt.178 Dagegen erwähnt Jelzin nicht, dass General Kobez und Juri Luschkow anwesend waren, die nach dem Putsch sogar in ihren jeweiligen Veröffentlichungen die Zusammenkunft in Archangelskoje als Teilnehmer beschrieben.179 Die politische Rückmeldung der Vertreter des alten Systems, die mit einer militärischen Machtdemonstration in Form des Einrückens der sowjetischen Armee nach Moskau einherging, hatte offenbar ihre Wirkung auch in der Jelzin-Führung nicht verfehlt. „Wir hatten alle Angst, festgenommen zu werden“, räumt Michail Poltoranin ein.180 Militärisch hatte das G ­ KTSCHP alles (Armee, Truppen des Innenministeriums, den KGB -­Apparat und die KGB -Kampfeinheiten), das Jelzin-Lager nichts. Eine eigene russische Armee oder andere Kampfeinheiten gab es zu diesem Zeitpunkt nicht. J­ elzin verfügte lediglich über eine kleine Gruppe von Sicherheitskräften und Leibwächtern. Der russische Parlamentspräsident Chasbulatow hatte nach eigenen Angaben nicht einmal einen eigenen Personenschutz.181 Der russische Ministerpräsident Silajew stellte vor diesem Gesamthintergrund die Frage, ob man nicht in Archangelskoje bleiben solle, statt sich der Gefahr der Verhaftung auszusetzen, indem man zum Weißen Haus fahre. General Kobez und der Leningrader Bürgermeister Sobtschak nahmen beide für sich in Anspruch, die Runde dazu gebracht haben, das Zentrum des Widerstandes ins Weiße Haus zu verlegen.182 Es wurde nach Darstellung des Jelzin-­Beraters Gennadi Burbulis anfangs auch diskutiert, mit dem ­ KTSCHP in Verhandlungen zu treten oder Gespräche aufzunehmen. G Diese Aussage hat Chasbulatow bestätigt. Allerdings sei er, ­Chasbulatow, dagegen gewesen.183 Wie genau die Entscheidung zustande kam, zum politischen und juristischen Angriff auf das ­GKTSCHP überzugehen, indem der

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Appell „An die Bürger Russlands“ verfasst wurde, ist nicht zuverlässig rekonstruierbar. Auch das Eintreten für den Jelzin-­Widersacher ­Gorbatschow und die Forderung nach seiner Rückkehr ins Amt war in Archangelskoje anfangs umstritten. Belegt ist, dass Chasbulatow den historischen Aufruf zum Widerstand, der wenig später von Jelzin auf einem Panzer verlesen wurde, handschriftlich verfasst hat. Er ist abgedruckt in Chasbulatows Erinnerungen, und auch Jelzin bestätigte, dass der Parlamentspräsident ihn geschrieben habe und er anschließend von seinen Töchtern abgetippt worden sei. Allerdings, so die Darstellung Jelzins, hätten die Anwesenden an den Formulierungen gefeilt und diktiert.184 Ein Indiz dafür, dass die Strategie, auf Konfrontationskurs zum ­ KTSCHP zu gehen und sich für ­Gorbatschow einzusetzen, in erster G Linie auf Chasbulatow zurückzuführen ist, ist dessen detaillierte Beschreibung des Gesprächsverlaufs. Dagegen verwendet Jelzin möglicherweise verschleiernde Formulierungen wie „Wir beschlossen einen Aufruf an die Bürger Russlands zu verfassen“, ohne das Ringen um die richtige Strategie überhaupt zu erwähnen. In seiner Beschreibung findet sich weder der Hinweis, dass über eine Duldung des G ­ KTSCHP gesprochen wurde und

10  „An die Bürger Russlands“: Dieser historische Aufruf zum Widerstand wird zum Symbol des Putsches. Vor dem Weißen Haus – dem Amtssitz des russischen Präsidenten und des Obersten Sowjets – hält Boris Jelzin seine kurze Rede auf einem sowjetischen Schützenpanzer. Jelzin verfügt weder über militärische noch über polizeiliche Kampfeinheiten. © RIA Novosti

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die Haltung zu ­Gorbatschow strittig war, noch ein Hinweis darauf, dass es eine Diskussion über den richtigen Ort des Widerstandes gab. Chasbulatow behauptet, er habe Jelzin, bevor alle anderen eintrafen, davon überzeugt, er müsse sich für ­Gorbatschow einsetzen, nicht, weil es um den sowjetischen Präsidenten gehe, sondern weil er, Jelzin, damit das G ­ KTSCHP als illegal und seine Mitglieder als Verfassungsbrecher brandmarken werde.185 Danach habe die Diskussion mit den anderen darüber begonnen, was in den Aufruf geschrieben werden sollte. An dieser Stelle sei Chasbulatows Darstellung des Gesprächsverlaufs in der Gruppe detaillierter wiedergegeben: „Chasbulatow: ‚Erstens müssen die Handlungen Janajews und seiner Gruppe als Staatsverrat und Putsch qualifiziert werden. Zweitens ist eine Unterstützung der Handlungen dieser Gruppe durch Russland in jeg­licher Form absolut unzulässig. Drittens ist zu fordern, dass ­Gorbatschow unverzüglich aus seiner Haft befreit wird und ihm die Möglichkeit gegeben wird, sein Amt auszuüben.‘ Alle schwiegen. Burbulis: ‚Wieso sollen wir uns für den Schutz ­Gorbatschows einsetzen? – Er ist doch der Hauptschuldige dessen, was gerade passiert.‘ Poltoranin: ‚Ich gebe Gennadi Burbulis recht. Im Dokument sollte man G ­ orbatschow überhaupt nicht erwähnen …‘ Jelzin: ‚Sie haben nicht recht. Aber wir haben keine Zeit mehr, zu diskutieren. Wir müssen unsere Forderung, dass ­Gorbatschow zurück in den Kreml gebracht werden muss, zum Ausdruck bringen. Ruslan Imranowitsch hat recht. Fangen Sie an zu schreiben!‘“ 186 In seinen Erinnerungen beschrieb Jelzin nach Erwähnung des Aufrufs an die Bürger nur Äußerlichkeiten wie die Frage, wer schrieb, wer tippte, wer vervielfältigen sollte: „Jene ersten eineinhalb Stunden in Archangelskoje sind für mich heute gleichsam in Nebel gehüllt; ich erinnere mich nur an einzelne Begebenheiten.“ 187 Gennadi Burbulis, wichtigster Berater Jelzins, dessen Verhältnis zum russischen Präsidenten über die weiteren Jahre freundschaftlich geblieben ist und der somit kaum im Verdacht steht, seinen früheren politischen Mitstreiter in ein ungünstiges Licht stellen zu wollen, bestätigt Chasbulatows Darstellung im Wesentlichen. Dass ­Burbulis – wie Jelzin – bei den wichtigen Entscheidungsfindungen das Wort „wir“ benutzt, kann als Versuch interpretiert werden, die eigene anfängliche Position zu verschleiern. Burbulis führt aus: „Wir überzeugten Jelzin, für G ­ orbatschow einzutreten. Das war anfangs für Jelzin und unsere Anhänger schwer verständlich. Doch damit stellten wir das

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Notstandskomitee außerhalb des Gesetzes. Alle persönlichen Animositäten zwischen G ­ orbatschow und Jelzin mussten jetzt beiseitegeschoben werden, um den Putschisten die Stirn zu bieten.“ 188 Und so wurde sogar gleich der erste Satz des Aufrufs ­Gorbatschow gewidmet; weiter im Text wurde er auch namentlich erwähnt. Insgesamt stellte das Dokument einen scharfen Angriff auf das G ­ KTSCHP dar, der keinen Weg mehr für irgendwelche Kompromisse ließ. Der Aufruf zu einem allgemeinen und unbefristeten Streik, der sich am Ende des Dokuments findet, ging offenbar auf Minister Jaroschenko zurück.189

11  Der politische Stratege im Jelzin-Lager: Ruslan Chasbulatow, Vorsitzender des russischen Obersten Sowjets (Parlament), war der Hauptverfasser des Aufrufs. Chasbulatow musste Jelzin überreden, sich für Gorbatschow einzusetzen. © RIA Novosti 12  Verteidiger der Demokratie: Drei Tage und zwei Nächte schützen Demonstranten den russischen Parlaments- und Regierungssitz vor einem vermuteten Angriff. Tagsüber herrscht überwiegend Ausgelassenheit, abends und nachts dominiert die Angst. © Itar-TASS

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13  Die neuen sowjetischen Machthaber zeigen sich der Weltöffentlichkeit: Gorbatschows Stellvertreter und Vizepräsident der Sowjetunion Gennadi Janajew (zweiter von rechts); der Innenminister der Sowjetunion Boris Pugo (Mitte); Oleg Baklanow, zuständig für Rüstung (rechts); Alexander Tisjakow, Repräsentant der sowjetischen Industrie (links); Wassili Starodubzew, Leiter des sowjetischen Bauernverbandes (zweiter von links). © Itar-TASS

14  Martialische Präsenz auf den Hauptstraßen Moskaus: Wie hier auf dem KalininProspekt (heute Neuer Arbat) bekamen die Panzerführer nach dem Einmarsch lange keine weiteren Befehle. © RIA Novosti

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15  Vermeintlicher Befehlsverweigerer und vermeintlicher Überläufer: Generalmajor Alexander Lebed hat von seinen Vorgesetzten – darunter vom sowjetischen Verteidigungsminister Jasow – den Auftrag bekommen, das Weiße Haus (russischer Parlaments- und Regierungssitz) zu schützen. Vor wem, ist ihm nicht recht klar. © RIA Novosti

16  Russische Bürger stellen und legen sich den Panzern in den Weg, um die junge russische Demokratie zu verteidigen. Dass die Armee Angriffsabsichten hatte, ist allerdings ein Mythos. © RIA Novosti

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Der Schritt, sich für ­Gorbatschow einzusetzen, hat bei den Regierungen im Westen große Sympathien hervorgerufen, galt doch Jelzin bis dahin als Widersacher des im Ausland geradezu idealisierten G ­ orbatschow. Als angeblichem Störenfried in der UdSSR wurde Jelzin als Gast im europäischen Parlament im April 1991 sogar höchst unfreundlich die Tür gewiesen.190 Der deutsche Außenminister Genscher beispielsweise traf sich mit Jelzin erstmals im September 1991, also erst nachdem der russische Präsident durch den Putsch international eine (kurzzeitige) Heldenaura bekommen hatte. Die Putschisten selbst hatten auf die Feindschaft und die Konkurrenz der beiden Präsidenten gesetzt und waren überrascht, dass sie sich verbündeten.191 Es spricht vieles dafür, dass Jelzin anfangs keineswegs eine klare und kompromisslose Linie gegen das G ­ KTSCHP und für G ­ orbatschow einschlagen wollte. Eine sofortige Entscheidung, Widerstand zu leisten, hat es somit nicht gegeben, was dem allgemeinen Bild der entschlossenen Kampfbereitschaft im Jelzin-Lager widerspricht. Dass in Jelzins Erinnerungen die Beschreibung der Strategiesuche in Archangelskoje und das Zustandekommen ihrer Ergebnisse fehlen, ist ein starkes Indiz dafür, dass er – wie Chasbulatow schreibt – anfangs sogar resigniert war und angesichts der Übermacht von Militär und KGB keinen Widerstand leisten wollte. Auch dürfte der Machtmensch Jelzin nicht in erster Linie in staatsrechtlichen und juristischen Kategorien gedacht haben. Der oder die Mitstreiter, die ihn auf seiner Datscha davon überzeugten, haben zweifellos wesentlich zum Erfolg des Widerstandes beigetragen.

Jelzins Pressekonferenz und seine Rede auf dem Panzer Der russische Präsident wurde mit kugelsicherer Weste zum russischen Parlamentsgebäude gefahren und blieb von der an der Datscha postierten KGB-Einheit „Alpha“ unbehelligt. Gegen 10 : 00 Uhr waren die wichtigsten Mitglieder der russischen Führung dort versammelt.192 Für 11 Uhr (10 Uhr MEZ) wurde eine Pressekonferenz im Parlamentsgebäude angekündigt, die sich jedoch verzögerte.193 Auf ihr trug Jelzin den Aufruf „An die Bürger Russlands“ vor und antwortete auf eine Frage nach dem Schicksal des sowjetischen Präsidenten, dass er nicht sicher sei, ob ­Gorbatschow überhaupt noch lebe.194 Schließlich sagte er zu den Journalisten: „Ich schlage vor, wir brechen unsere Pressekonferenz ab. Panzer rollen auf das Weiße Haus zu. Bringen Sie sich in Sicherheit. Wir werden hier unsere Arbeit fortsetzen.“ 195 Er forderte die ausländische Presse auf, über die Ereignisse zu berichten, weil die inländischen Medien bereits

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nicht mehr die Möglichkeit hätten zu arbeiten.196 Diese Aussagen gaben dem Geschehen den Anstrich einer enormen Dramatik, die der tatsächlichen Bedrohungslage in keiner Weise entsprach – was aber erst nach den Ereignissen sich als gesichert herausstellte. Verteidigungsminister Jasow hatte dem Militär den strikten Befehl gegeben, keine Gewalt anzuwenden und auf Provokationen nicht zu reagieren.197 Dies wurde von zahlreichen Soldaten hinterher bestätigt. Jelzin, der die Journalisten aufrief, sich in Sicherheit zu begeben, trat aber kurze Zeit später vor das Gebäude und machte sich dadurch zum Ziel eines möglichen Angriffs, vor dem er selbst gewarnt hatte. Dies spricht dafür, dass er die Gefahr insgeheim als eher gering einstufte. Es gibt mindestens drei Versionen, wie es dazu kam, dass Jelzin auf einen vor dem Weißen Haus postierten Schützenpanzer kletterte, um dort seine Widerstandsrede zu halten. Sie bestätigen das Muster, dass bei einer eindrucksvollen und siegreichen Tat die geistige Urheberschaft oft strittig wird. Diese Bilder sind wohl die berühmtesten, die wohl am heroischsten wirkenden und die wohl bedeutendsten der drei Putschtage. Jelzin schrieb in seinen Erinnerungen: „Man konnte im souveränen Russland keinen Ausnahmezustand verhängen, ohne dass seine höchsten Organe zustimmten! Und doch stand vor meinem Fenster ein Panzer. Die Situation war absurd, aber der Panzer ganz real. Ich schaute noch einmal zum Fenster hinaus. […] Der Fahrer blickte aus der Luke. Die Menschen zeigten keine Angst, ja sie schienen bereit, sich buchstäblich vor die Panzer zu werfen. […] Unvermittelt gab es mir einen Stoß: Ich musste jetzt dorthin, ich musste bei ihnen sein. Die Ausführung des Entschlusses kostete nicht viel Zeit. Gemeinsam mit meinen Leibwächtern schritt ich entschlossen auf die Straße zu den dort versammelten Menschen. Ich kletterte auf den Panzer und richtete mich auf. Möglicherweise hatte ich in diesem Augenblick die Ahnung, dass wir siegen würden. […] Die improvisierte Szene war kein Propagandatrick. Ich war einem spontanen Einfall gefolgt […].“ 198 Chasbulatows Darstellung, die wieder in wörtlicher Rede der Beteiligten gehalten ist (wobei er selbst argumentativ immer als Sieger hervorgeht), ist so grundlegend verschieden, dass einer von beiden oder – wenn eine dritte Version zutreffend ist – beide bewusst Unzutreffendes geschrieben haben müssen. Mit Erinnerungsdefiziten lassen sich diese Unterschiede nicht erklären: „Wir schauten auf die Panzer. […] Wir schwiegen. […] Ohne besonders nachzudenken sagte ich: ‚Boris Nikolajewitsch, ein Panzer ist natürlich kein Panzerwagen (dies war eine Anspielung auf die Rede Lenins

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von einem Panzerwagen am Finnländischen Bahnhof im Oktober 1991917), doch man kann auch von dort aus sprechen. Was halten Sie davon, auf diese ‚Tribüne‘ zu steigen und zu den Bürgern Moskaus zu sprechen?‘ Während ich sprach, reifte der Gedanke: ‚Man muss unbedingt öffentlich auftreten!‘ Jelzin: ‚Wie bitte, Ruslan Imranowitsch – meinen Sie das ernst? Man kann mich umbringen!‘ Ich: ‚Es droht überhaupt keine Gefahr. Stellen Sie sich vor, welchen Effekt ihr Auftritt haben wird. Einen grandiosen. Was für einen Eindruck das auf Janajew machen wird! Und in der Welt!‘ Es scheint, dass auch Silajew dafür war. Er sagte: ‚Boris ­Nikolajewitsch, das ist ein sehr guter Gedanke. Man muss eine kurze Rede halten.‘ […] Jelzin schwieg, dachte nach. Ich: ‚Boris Nikolajewitsch, dies ist eine historische Chance. Eine bessere Tribüne habe ich noch nie gesehen. Von uns dreien – von Ihnen, von mir, von Silajew – erwarten die Menschen irgendeinen mächtigen Auftritt, eine mächtige Handlung. Letztlich ist es egal, wer von uns dreien das macht. Falls Sie es nicht wollen, mache ich es.‘ Jelzin: ‚Nein, ich habe es mir überlegt. Ich bin einverstanden. Sie haben recht. Ich muss auftreten.‘“ 200 Diese Darstellung erscheint insofern nicht glaubwürdig, als der Effekt und die Bedeutung von Jelzins Auftritt viel zu präzise vorausgesagt werden. Außerdem konnte Chasbulatow zu dem Zeitpunkt nicht sicher wissen, dass „überhaupt keine Gefahr“ drohte. Er präsentiert sich als denjenigen, der den Überblick und Weitblick hatte – Jelzin hingegen als ängstlichen Politiker, der angeblich von ihm geführt werden musste. Aber auch J­ elzins Darstellung erscheint zumindest in einem Punkt fragwürdig. Dass ein Panzer vor seinem Fenster stand, ist nicht möglich, wenn er diese Aussage wörtlich gemeint hat: Jelzins Büro befand sich im fünften Stock. Dort hatte er seine Mannschaft versammelt, wo sie berieten, diskutierten, organisierten. Am glaubwürdigsten erscheint die Darstellung von Jelzins Chefberater Burbulis, die vom Presse- und Informationsminister Poltoranin bestätigt wurde. Sie spricht Jelzin zwar ein wenig ab, alleine auf die Idee gekommen zu sein, doch sei es sein Wille gewesen. Er sei nicht gedrängt worden, sondern man habe ihn sogar zurückhalten wollen. Burbulis führt aus: „Ein Assistent stürmte in Jelzins Büro und rief: ‚Einige Panzerführer, die uns umstellt haben, sind ausgestiegen und unterhalten sich oben auf dem Panzer mit den Bürgern.‘ Kaum hatte Jelzin diese Information vernommen, sprang er auf und rief: ‚Ich geh’ dahin!‘ Ich wandte ein: ‚Wie – dahin? Die Lage ist doch viel zu unübersichtlich und gefährlich.‘ Doch er ließ sich nicht abbringen – und hatte damit recht. Diese Fernsehbilder gingen

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sofort um die Welt; sie wurden ständig wiederholt. Diese Bilder haben die Entschlossenheit des Notstandkomitees entscheidend geschwächt.“ 201 Unterstellt man die Richtigkeit der Darstellung, lag zu diesem Zeitpunkt der besondere Informationsgehalt der Nachricht des erwähnten Assistenten darin, dass durch sie das allgemeine Bedrohungsgefühl abgesenkt wurde. Um etwa 12 : 15 Uhr Ortszeit bestieg Jelzin den Panzer und leitete den Aufruf „An die Bürger Russland“ mit den Worten ein: „Ins Fernsehen lassen sie uns nicht, ins Radio lassen sie uns nicht – ich lese nun vor.“ 202 Als erste TV-Station verbreitete der US-Fernsehsender CNN diese Bilder und verlieh ihnen global eine Dramatik, die dem damaligen historischen Augenblick entsprach. Sie wurden zum medialen Symbol des August-Putsches, da sie in der Gedenkberichterstattung in den Jahren danach im Fernsehen und als Foto zu gedruckten Pressebeiträgen immer wiederkehrten.

Die erste Sitzung des ­GKTSCHP und dessen Beschlüsse Neben den acht offiziellen Mitgliedern des Komitees nahmen vier weitere hohe Funktionsträger aus Staat und Partei an der ersten regulären Sitzung des G ­ KTSCHP teil. Das waren der KPdSU-Kader- und Organisationschef Oleg Schenin, der Moskauer Parteichef Juri Prokofjew, der Leiter von ­Gorbatschows Präsidentenapparat Valeri Boldin sowie der sowjetische Außenminister Alexander Bessmertnych.203 Von diesen insgesamt zwölf Teilnehmern war Bessmertnych der Einzige, der nicht zu den direkten Unterstützern des Komitees gehörte. Er hatte in der Nacht zuvor den Mut gehabt, nicht nur seine offizielle Mitgliedschaft abzulehnen, sondern auch seinen Namen von der Liste zu streichen. Vor der Sitzung, die um 10 Uhr morgens im Büro von Janajew begann, hatten der Verteidigungsminister, der Innenminister sowie der KGB-Chef in ihren jeweiligen Stäben kurze Sitzungen abgehalten und ihrem jeweiligen Führungspersonal Instruktionen gegeben. Jasow hatte das Militärkollegium um 6 Uhr, Pugo den zentralen Apparat des Innenministeriums um 9 Uhr und Krjutschkow die KGB-Spitze um 9 : 30 Uhr einberufen.204 Nicht alle waren von Beginn der Sitzung bei Janajew dabei. Pawlow erschien erst gegen 14 : 30 Uhr.205 Er hatte in der Nacht laut Protokoll der Kremlkommandantur den Kreml um 4 : 40 Uhr verlassen, war nach übereinstimmenden Zeugenaussagen betrunken und musste nach Aussage seines Wachoffiziers Wassili Mysow „fast ins Auto getragen und dann vor seiner Datscha entladen werden.“ 206 Die Darstellungen in verschiedenen Medien nach dem Staatsstreich, es habe sich bei den Putschisten mehr oder

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weniger um eine Gruppe von Betrunkenen, gar Alkoholikern gehandelt, ist dennoch nicht nur übertrieben, sondern auch unzutreffend. Laut den staatsanwaltlichen Ermittlungen und den umfangreichen Zeugenaussagen von am Putsch Unbeteiligten aus den Reihen des Sekretariats, Wach, Bedienungs- oder Fahrerpersonals war von den ­GKTSCHP-Mitgliedern nur Pawlow durch übermäßigen Alkoholkonsum aufgefallen, der ihn dann in seiner Arbeitsfähigkeit stark beeinträchtigte.207 Während die Jelzin-Führung zum Sitzungsbeginn des G ­ KTSCHP schon den Widerstandsaufruf an die Bürger Russland formuliert hatte und der russische Präsident in jenen Minuten seinen Amtssitz betrat, um den Widerstand zu organisieren, unterschrieben im Büro von Janajew die Spitzenvertreter der sowjetischen Industrie und der Bauernschaft, Tisjakow und Starodubzew, ihre ­GKTSCHP-Mitgliedschaft. Es wurde beschlossen, täglich zwei Sitzungen des Komitees einzuberufen – die erste morgens um 9 Uhr, die zweite zwischen 18 und 20 Uhr. Dabei sollten nach Bedarf „erforderliche Personen“ hinzugezogen werden.208 Den Lagebericht trugen Krjutschkow, Pugo und Jasow vor: Es sei – bis auf Moskau – überall ruhig im Land, berichteten sie. Die Versammelten beschlossen daraufhin die Verhängung des Ausnahmezustandes explizit in Moskau. Den entsprechenden Erlass unterzeichnete Janajew.209 An dieser Stelle werden die partielle Unklarheit und die mangelnde Stringenz des Vorgehens der Putschisten besonders offensichtlich. Der Ausnahmezustand, der um 6 Uhr verkündet wurde, war völlig vage formuliert durch den Passus, dass er „in einzelnen Gebieten der UdSSR“ verhängt worden sei. Allein durch den Anblick der massiven Militärpräsenz durfte man aber annehmen, dass er längst in Moskau verhängt worden war. Abgesehen davon, dass weder das Komitee verfassungsgemäß noch dessen Entscheidung zum Ausnahmezustand legitimiert war, hätte das Einrücken des Militärs in die Stadt erst erfolgen dürfen, nachdem zuvor der Ausnahmezustand konkret in Moskau verhängt worden wäre. Nun ging es aber mit dem auf dieser Sitzung beschlossenen Erlass darum, die beginnenden Versammlungen und Demonstrationen und andere Formen des Widerstandes zu unterbinden. Zusätzlich wurde die Verordnung Nr. 2 des G ­ KTSCHP verabschiedet, in der ein Erscheinungsverbot für alle in Moskau erscheinenden Zeitungen ausgesprochen wurde – mit Ausnahme von neun. Dazu gehörten die Prawda, die Iswestija oder die Sowetskaja Rossija.210 Ferner beschloss das selbsternannte Staatskomitee, einen Stab zu bilden. Zum Leiter dieses Stabes, der sich am 20. August konstituierte,

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wurde Baklanow bestimmt.211 Besonders beunruhigt über die Lage in der Hauptstadt zeigte sich der KP-Chef von Moskau, Prokofjew. Er forderte energischere Maßnahmen und auch, dass das ­GKTSCHP sein Vorgehen gegenüber der Bevölkerung offensiver vertreten und erläutern sollte.212 Bis zum späten Nachmittag hatte es nur verlesene Erklärungen gegeben. Persönlich war seitens des Komitees niemand an die Öffentlichkeit getreten. Dieser Geheimnisschleier – auch wenn einige Mitglieder des G ­ KTSCHP der Bevölkerung bekannt waren – dürfte wenig vertrauensbildend gewirkt haben. Die kraftvollen Bilder von Jelzin auf dem Panzer gingen dagegen schon seit dem Mittag (Moskauer Zeit) um die Welt und erreichten durch ausländische TV-Stationen, die teilweise in der Sowjetunion zu empfangen waren, auch eigene Bürger. Möglicherweise war Prokofjews Einschätzung der Auslöser dafür, dass das G ­ KTSCHP eine Pressekonferenz ankündigte. Der Termin um 17 Uhr wurde von TASS verbreitet.213 Um 16 : 40 Uhr endete die G ­ KTSCHP-Sitzung.214

Die internationale Pressekonferenz der Putschisten Auch am Pressezentrum des sowjetischen Außenministeriums am ­Subowski Bulwar des Gartenrings waren Panzer und leichtere Militärfahrzeuge postiert. Diese martialische Präsenz war schwer vereinbar mit dem, was die Mitglieder des Komitees auf der Pressekonferenz vortrugen. Um ihre Bürgernähe und den zivilen Charakter zu unterstreichen, nahmen als Repräsentanten des Komitees weder der KGB -Chef noch der Verteidigungsminister teil. Ministerpräsident Pawlow hatte auf der ersten regulären G ­ KTSCHP-Sitzung, die am Nachmittag des 19. Augusts beendet worden war, seine Teilnahme mit dem Hinweis abgelehnt, er wäre zu beschäftigt.215 Dies war durchaus zutreffend, weil er ab 18 : 00 Uhr eine Sitzung des sowjetischen Kabinetts zu leiten hatte. Oleg Schenin kam nicht infrage, weil er kein offizielles Mitglied des Komitees und ein Spitzenfunktionär der KPdSU war. Die seit dem Morgen verlesene Erklärung, das Komitee wolle Anarchie und Chaos beenden, hätte mit der Präsenz des KGB-Chefs und des Verteidigungsministers auf der Pressekonferenz womöglich mehr Glaubwürdigkeit erhalten. Schließlich fuhren fünf Putschisten in das Pressezentrum des Außenministeriums: Janajew, Pugo, Baklanow, Starodubzew und Tisjakow. Baklanow tat dies jedoch nach eigener Darstellung eher widerstrebend.216 Bei der sechsten Person, die vor der Weltpresse saß, handelte es sich um Juri Gremizkich. Er führte als Leiter des Pressezentrums die Konferenz. Nach seinen Angaben hatte Janajew

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ihn wenige Minuten vor Beginn gebeten, an der Mitte des Tisches Platz zu nehmen. Er habe dies jedoch abgelehnt, weil er andernfalls in das optische Zentrum der Aufmerksamkeit geraten wäre. Gremizkich verlor nach dem Putsch sein Amt, weil er die Pressekonferenz logistisch vorbereitet hatte.217 Es waren mehrere hundert Medienvertreter gekommen. In den ersten neun Minuten der insgesamt 54 Minuten langen Pressekonferenz las Janajew in großen Teilen fast wortwörtlich die bereits veröffentlichte „Erklärung an das Volk“ vor. Danach wurde die Fragerunde eröffnet. Allein dies war schon ein Ergebnis der Perestrojka-Politik G ­ orbatschows: Fünf Spitzenvertreter des Staates und gesellschaftlicher Organisationen, die die gesamte Macht in der Sowjetunion ergriffen hatten, stellten sich der gesamten nationalen (der demokratischen und der kommunistischen) sowie der internationalen Presse – und sie stellten sich darüber hinaus ohne irgendwelche Auflagen. In der verbliebenen fast Dreiviertelstunde fiel der Anteil der insgesamt 21 Fragesteller wie folgt aus: Es meldeten sich 13 Medienvertreter aus der Sowjetunion und acht aus dem Ausland zu Wort. Bei der genaueren Auswertung fällt auf, dass sich von den inländischen Vertretern kein einziger explizit oder besorgt nach dem Schicksal des Präsidenten erkundigte. Ein sowjetischer TV-Journalist ging darauf lediglich im zweiten Teil seiner Doppelfrage ein: „Wann werden sich die Journalisten mit ­Gorbatschow treffen können?“ (Der erste Teil der Doppelfrage bezog sich auf den Geltungsbereich des Ausnahmezustandes, der zu diesem Zeitpunkt gar nicht definiert war.)

17  Der sowjetische Vizepräsident Gennadi Janajew: Auf der internationalen Pressekonferenz des GKTSCHP spricht er von „meinem Freund“ Gorbatschow, der sich „in absoluter Sicherheit“ befände und dem „keinerlei Gefahr“ drohe. © AFP / Vitaly Armand

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Dagegen wollten vier ausländische Medienvertreter besorgt etwas über die persönliche Lage G ­ orbatschows wissen. Die ersten beiden Fragen der Pressekonferenz stellte die Korrespondentin des amerikanischen Nachrichtenmagazins Newsweek: „Wo ist G ­ orbatschow?“, und: „Woran ist er erkrankt?“ Eindringlich meldete sich ein Journalist der Vereinigten Arabischen Emirate zu Wort: „Herr Janajew […]. Können Sie uns hier vor der Presse und Öffentlichkeit Garantien oder ihr Wort geben, dass mit G ­ orbatschow alles in Ordnung ist und alles normal laufen wird?“ Die Nervosität Janajews, die im Verlauf des rund einstündigen Auftritts manchmal durch das Zittern seiner Hände zum Ausdruck kam, hing höchstwahrscheinlich auch damit zusammen, dass eine ärztliche Erklärung über den Gesundheitszustand nicht vorlag, die der Weltpresse hätte vorgetragen werden sollen. Der KGB -Chef hatte ihm zugesichert, die Erklärung läge zum Beginn der Pressekonferenz vor. ­Janajew, der schon am frühen Morgen in seinem Büro mit persön­ lichen und telefonischen Fragen zum Verbleib G ­ orbatschows konfrontiert worden war, hatte Krjutschkow in Anwesenheit des Volksdeputierten Juri Golik angerufen und ihn gefragt, was nun mit der Erklärung sei.218 KGB -­Abteilungsleiter Plechanow war mit der Besorgung der ärztlichen Erklärung beauftragt worden, wie er im Verhör einräumte.219 Plechanow hatte Dmitri Schtscherbatkin, den Direktor der Gesundheits- und Heilanstalt beim Ministerkabinett der Sowjetunion, angerufen und verfügt, dass die Erklärung bis 16 Uhr fertig sein und mit zwei Unterschriften von Medizinern versehen sein sollte. Die von S ­ chtscherbatkin beauftragten Ärzte verzögerten aber bewusst die Erstellung und warteten bis nach Beginn der Pressekonferenz. Die Erklärung lag erst um 17 : 10 Uhr zur Abholung durch einen KGB -Boten vor.220 Die Pressekonferenz, deren wichtigste Passagen hier erwähnt werden, wurde teils live, teils zeitversetzt und auszugsweise in die ganze Welt übertragen. Neugierig schaute man auf die neuen Machthaber der Supermacht Sowjetunion. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand Janajew, von dem wohl die meisten annahmen, er habe als G ­ orbatschows Stellvertreter seinen Chef gestürzt und sehe sich endlich am Ziel. Aber die reine Pressekonferenz und einige der dort von Janajew unter Gruppenzwang gemachten Aussagen spiegelten in keiner Weise die völlig konträren Absichten des Vizepräsidenten wider, die er in der Nacht zuvor im Kreml bei dem Geheimtreffen geäußert hatte. Insofern gab auch die damalige Rundfunkund Printberichterstattung selbst dann, wenn man berücksichtigt, dass eine

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tiefgründigere Darstellung zu diesem Zeitpunkt gar nicht möglich war, ein weitgehend oberflächliches und verzerrtes Bild ab. Dass Janajew erstens als letzter von dem Putschplan erfuhr (am Vortag nach 20 Uhr, als er in das Büro Pawlows kam), dass er zweitens höchst widerwillig und höchstwahrscheinlich auch aus Angst seine Unterschrift unter die ­GKTSCHP-Dokumente setzte und drittens als Einziger offen gegen die Begründung der Macht­über­nahme aus Krankheitsgründen war, macht ihn fast zu einer tragischen Figur. Seine Antworten auf der Pressekonferenz fielen entsprechend unglaubwürdig aus. Seine bekundete Treue zu ­Gorbatschow und sein Wunsch, dass dieser bald wieder sein Amt ausführen möge, dürften daher durchaus aufrichtig gewesen sein – auch wenn er dies ungeschickt vortrug: „Ich muss Ihnen sagen, dass Michail Sergejewitsch ­Gorbatschow sich zur Erholung und zur Behandlung auf der Krim aufhält. Er ist natürlich über die Jahre müde geworden. Und es braucht natürlich einige Zeit, bis es ihm gesundheitlich wieder besser geht. Ich möchte sagen: Wir hoffen – wir hoffen, dass Michail Sergejewitsch wieder gesund wird und zurückkehrt, um seine Amtspflichten wieder zu übernehmen.“ An anderer Stelle der Pressekonferenz sagte Janajew: „Ich muss Ihnen sagen, dass Michail Sergejewitsch sich in absoluter Sicherheit befindet. Es drohen ihm keinerlei Gefahren. Es ist nur so, dass er eine gewisse Zeit brauchen wird, um wieder voll bei Kräften zu sein. Denn dieser Rhythmus, meine Damen und Herren, in welchem Präsident ­Gorbatschow die vergangenen sechs Jahre gearbeitet hat, wirkt sich natürlich auf den Organismus aus. Ich hoffe, dass mein Freund Präsident ­Gorbatschow in Form sein wird und wir noch gemeinsam arbeiten werden.“ Und schließlich: „Ich nehme an, dass wir die Erklärung der Ärzte zum Gesundheitszustand von Michail Sergejewitsch G ­ orbatschow zur rechten Zeit veröffentlichen werden.“ 221 Janajew betonte mehrfach während der Pressekonferenz, dass er die Amtsgeschäfte des Präsidenten nur vorübergehend übernommen habe. Dies hatte er ausdrücklich auch während der Sitzung im Kreml zu den Anwesenden gesagt, als er das Dokument zur Macht­über­nahme unterschrieben und darauf hingewiesen hatte, er werde die Amtsgeschäfte des Präsidenten „nicht länger als zwei Wochen“ ausüben.222 Im politischen Schock- und Empörungszustand, in dem sich viele im In- und Ausland befanden, drang jedoch die wesentliche Einschränkung Janajews im Hinblick auf den temporären Charakter seiner Machtbefugnisse medial nicht durch. Entsprechend war Janajews Bemerkung „mein Freund ­Gorbatschow“ höchst ungeschickt. Sie war aber nicht, wie danach häufig kommentiert,

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unverfroren-hochmütig, süffisant, ironisch oder zynisch gemeint, sondern im Gegenteil: Zu diesem Zeitpunkt dürfte sie sogar ehrlich gemeint gewesen sein, um der ganzen Situation, in die er im wahrsten Sinne des Wortes über Nacht hineingeraten war, eine deeskalierende, friedlichere und sanftere Note zu geben. Janajew wollte ursprünglich keine politische Konfrontation, konnte jedoch auf der Pressekonferenz selbstverständlich nicht einmal ansatzweise kundtun, was er wirklich über das Vorhaben dachte und wie er dazu ursprünglich und hinter den Kulissen gestanden hatte. In seinen Ausführungen vor der Presse bot er Jelzin zweimal an, mit ihm zusammenzuarbeiten und gemeinsam die tiefe Krise im Land zu überwinden, auch wenn er ihn gleichzeitig wegen seines Aufrufs zum Streik und zum Widerstand kritisierte. Politisch verbreitete das ­ KTSCHP völlig konträre Botschaften: Während es in den sowjetischen G Medien seit dem Morgen in der „Erklärung an das Volk“ explizit hieß, die Reformpolitik ­Gorbatschows sei in eine Sackgasse geraten, vermied Janajew vor der Presse namentliche Kritik. Er beschrieb die desaströse Lage im Land, verkündete aber gleichzeitig: „Wir werden jedenfalls den Kurs, den Michail Sergejewitsch ­Gorbatschow im Jahre 1985 begonnen hat, weiter verfolgen.“ Worte und Taten gingen besonders in der Frage nach der Zukunft der Sowjetunion auseinander. Da im Baltikum seit dem frühen Morgen Einschüchterungsversuche durch eine verstärkte Präsenz des Militärs zu beobachten waren, sorgten die auf Ausgleich und Beschwichtigung gerichteten Äußerungen Janajews zu einem weiteren Glaubwürdigkeitsund Vertrauensverlust des ­G KTSCHP . Die Vertreterin der russischen Nachrichtenagentur „Interfax“ fragte Janajew unter anderem: „Sie haben gesagt, dass jeder Bürger der UdSSR die Möglichkeit haben wird, zum Unionsvertrag Stellung zu beziehen. […] Welche Position hat das Komitee für den Ausnahmezustand zu den baltischen Republiken, zu Georgien, Armenien und Moldawien, die nicht die Absicht haben, den Unionsvertrag zu unterschreiben?“ Die Antwort Janajews: „Was unsere Position […] zu den Republiken betrifft, die verkündet hatten, sie seien jetzt nicht bereit, den Unionsvertrag zu unterschreiben, so ist unsere Position unverändert geblieben. Sie wurde von Präsident G ­ orbatschow mehrfach dargelegt. Wir werden den Willen und die Meinung der Völker respektieren.“ 223 Desaströs für die Autorität des ­G KTSCHP dürfte aber weniger die widersprüchliche Präsentation des politischen Programms während der Pressekonferenz gewesen sein, sondern vielmehr der zunehmend forsche,

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sarkastische und sogar spöttische Ton in den Fragen der Medienvertreter, besonders von den Italienern. La Stampa: „Können Sie uns sagen, wie es um Ihre Gesundheit bestellt ist?“ Il Corriere della Sera: „Ausgehend von den Formulierungen Ihres Kommuniqués: Haben Sie sich Rat bei General Pinochet geholt?“ Die fundamentalen und gesellschaftsverändernden Auswirkungen der Perestrojka – die von ­Gorbatschow in diesem Ausmaß weder vorausgesehen noch gewünscht worden waren – kamen wohl am deutlichsten und wie durch ein Brennglas gebündelt in der furchtlosen Frage der jungen Berufsanfängerin und Vertreterin der Nesawissimaja Gaseta zum Ausdruck: „Sagen Sie bitte – ist Ihnen bewusst, dass Sie heute Nacht einen Staatsstreich verübt haben?“ Die damals 24 Jahre junge Tatjana Malkina, die durch diese Frage unionsweite Berühmtheit erlangte, dürfte zu dem Bild eines sich rechtfertigenden und sich in der Defensive befindlichen ­ KTSCHP wesentlich beigetragen haben – eben weil sie eine Bürgerin G der Sowjetunion war, die den Mächtigen entgegentrat und sie bloßstellte. Dies zeigte eindrucksvoll, dass es die Sowjetunion, wie sie die Welt jahrzehntelang gekannt hatte, nicht mehr gab. Das G ­ KTSCHP selbst hatte die westlichen Werte schon punktuell angenommen, denn es stellte sich – wie in einem freien und demokratischen Land – unzensiert und offen der eigenen und der internationalen Presse. Dass die Veranstaltung für die neuen Machthaber inhaltlich zum Desaster wurde, ist von diesen Überlegungen zu trennen. Janajew versuchte, die Handlungen des Komitees als rechtmäßig darzustellen, was wenig überzeugend wirkte. Die Pressekonferenz, auf der sich das G ­ KTSCHP vor der Welt blamierte, signalisierte dessen Gegnern in der Bevölkerung in erster Linie, dass man vor dieser politischen Gruppe wohl keine Angst zu haben brauchte. Und die Sympathisanten des Komitees, die angesichts des unbestrittenen Chaos im Land eine Politik der „harten Hand“ wünschten, dürften den Eindruck gewonnen haben, dass mit dieser Führung kein Staat zu machen und es nicht ratsam sei, sie zu unterstützen. Mit diesem Auftritt begann die Niederlage der Putschisten.

Die Sitzung des sowjetischen Kabinetts Am Nachmittag berief Ministerpräsident Pawlow eine Sitzung des sowjetischen Kabinetts ein, deren Beginn auf 18 Uhr terminiert war. Über ihren Verlauf und ihre Ergebnisse wurde der Öffentlichkeit seitens des ­ KTSCHP nichts mitgeteilt. Eine Rekonstruktion der Sitzung erfolgt G

Der erste Putschtag

hier auf der Basis der Verhöre und Zeugenaussagen ihrer Teilnehmer, die sich in der Anklageschrift wiederfinden. Zu den am stärksten in Erinnerung gebliebenen Fernsehbildern unmittelbar nach dem Scheitern des Putsches gehört die Szene, in der Jelzin seinen politischen Gegner und Partner ­Gorbatschow am Rednerpult im Obersten Sowjet Russlands nachdrücklich und demütigend auffordert, ein Papier vorzulesen. G ­ orbatschow sprach sich für den Rücktritt des gesamten sowjetischen Kabinetts aus, nachdem er das Papier vorgetragen hatte, in dem die vermeintliche Bestätigung zu finden war, dass die Pawlow-­ Regierung (bis auf den Umweltminister Woronzow) dem ­GKTSCHP ihre Unterstützung zugesichert habe. Zum Zeitpunkt des Auftritts des sowje­ tischen Präsidenten im russischen Parlament hatten die staatsanwaltlichen Ermittlungen jedoch gerade erst begonnen. In Wirklichkeit hatte Pawlow als ­GKTSCHP-Mitglied Druck auf die Mitglieder seines Kabinetts ausgeübt. Unterstützt wurde er dabei vom Komitee-Mitglied Tisjakow.224 Angesichts des immer stärker werdenden Widerstandes aus dem Jelzin-Lager, der sich am Nachmittag des 19. August vor allem in einer stetig wachsenden Zahl von Demonstranten und dem weiteren Bau von Barrikaden zeigte, baute Pawlow psychologischen Druck auf, indem er Bedrohungsszenarien entwarf. Dabei operierte er mit nicht bewiesenen oder absurden Behauptungen wie denen, dass die Gegenseite über Raketen des Typs „Stinger“ und über Kampfeinheiten verfüge sowie Listen angefertigt habe, auf denen Personen stünden, die im Fall einer Niederlage des ­GKTSCHP „Repressionen“ ausgesetzt seien. „Entweder wir sie oder sie uns“, soll er laut den Befragten gesagt haben. Dabei sprach er auch von einer „Liste Nr. 4, auf der praktisch alle Teilnehmer der Sitzung stehen würden.“ 225 Vier Mitarbeiter des Regierungsapparats sagten aus, dass stets dann, wenn ein Minister auf der Sitzung eine neutrale Position gegenüber dem G ­ KTSCHP einnehmen wollte, er von Pawlow aufgefordert worden sei, sich zu entscheiden. Er habe dann konkret gefragt: „Bist du für uns oder gegen uns?“ 226 Alexander Tisjakow kam verspätet zu der Sitzung, weil er an der Pressekonferenz als einer der fünf Repräsentanten des Komitees teilgenommen hatte, die gegen 18 Uhr zu Ende gegangen war. Er sagte im Verhör: „Nach der Pressekonferenz fuhren wir zurück zum Kreml, wo ich in meinen Dienstwagen stieg, um zum Kabinett der UdSSR zu fahren. […] Ich kam etwa 20 Minuten zu spät. […] Da ich beauftragt worden war, die Einstellung der Minister zur G ­ KTSCHP-Verordnung Nr. 1 zu kontrollieren, sagte ich, dass die Leiter der Ministerien und Behörden

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analoge Dokumente zu dieser Verordnung veröffentlichen müssten. Diese Sitzung wurde im Licht der Notwendigkeit abgehalten, die Forderungen des ­ KTSCHP zu erfüllen und dem Komitee Unterstützung zu erweisen.“ 227 G Die Teilnehmer der Kabinettssitzung sagten aus, Pawlow sei entweder nicht nüchtern oder aber krank gewesen.228 Pawlow selbst sprach von Tablettenkonsum. Die Sitzung war seine letzte als Ministerpräsident der UdSSR. Am Abend meldete er sich krank und fiel als aktives Mitglied des ­ KTSCHP fortan aus. Am 23. August wurde er verhaftet.229 G Die seit dem 23. August 1991 in der russischen Parlamentssitzung verbreitete Darstellung, die Mitglieder des sowjetischen Kabinetts seien Unterstützer der Putschisten gewesen, ist zu relativieren. Zumindest teilweise war es ein Ergebnis des Drucks, den der Kabinettschef Pawlow und das ­ KTSCHP -Mitglied Tisjakow ausübten. Zusätzlich dürfte auch hier G der Gruppenzwang eine Rolle gespielt haben. Noch zwei Tage zuvor, am 17. August, hatte das Präsidium der sowjetischen Regierung den Vorstoß Pawlows abgelehnt, sich grundsätzlich gegen den Unionsvertrag auszusprechen. Die Mehrheit der Mitglieder hatte damit sogar ihre Loyalität zu ­Gorbatschow bekundet, befand sich aber nun, am 19. August, angesichts der sich überschlagenden Ereignisse in Moskau in einer höchst angespannten Lage. Vor diesem Hintergrund erscheint die Szene zwischen Jelzin und ­Gorbatschow am Rednerpult im russischen Parlament in einem differenzierteren Licht. G ­ orbatschow, genötigt von Jelzin, trug in Wirklichkeit ein Protokoll der sowjetischen Kabinettsitzung vor, bei dem viele der dort versammelten Minister nicht aus Überzeugung, sondern unter erheblichem Druck und indirekten Drohungen sich für das ­GKTSCHP ausgesprochen hatten. Ihr „Verrat“ an G ­ orbatschow, den Jelzin so gerne öffentlich und von ­Gorbatschow vorgetragen sehen wollte, war somit ein insgesamt fragwürdiger – und Jelzins Triumph in dieser Szene ein vermeintlicher.

6.7 Der zweite Putschtag Das Komitee war gefangen in seiner Uneinigkeit, Unentschlossenheit und in seinem Prinzip der kollektiven Entscheidungsfindung. Durch den Widerstand des Jelzin-Lagers, dessen kategorische Kompromissverweigerung und durch die eigenen propagandistischen Fehler rückte die Frage in den Vordergrund, wie der für das Staatskomitee für den Ausnahmezustand nachteiligen und bedrohlichen Entwicklung entgegengesteuert werden

Der zweite Putschtag

sollte. Hier sind zwei Diskussions- und Entscheidungsebenen zu unterscheiden: einerseits die offiziellen Sitzungen des ­GKTSCHP, von denen es am zweiten Tag zwei gab, andererseits die militärischen Planungssitzungen unter dem maßgeblichen Einfluss des KGB-Chefs. Die Grundsatzfrage, ob und im welchem Maße Gewalt angewendet werden sollte, wurde auf den Sitzungen des Putsch-Komitees weder klar und offen diskutiert noch verbindlich entschieden, sondern nur vorsichtig angerissen. So ist zu erklären, dass auch Krjutschkow hinterher korrekt behaupten konnte, dass das ­GKTSCHP auf seinen Sitzungen nie einen solchen Angriff näher diskutiert oder gar befohlen hatte. Dennoch liefen Vorbereitungen zur Erstürmung des Weißen Hauses, bei der die KGB-Elite­ einheit „Alpha“ die führende Rolle übernehmen sollte. Die Unkoordiniertheit des Vorgehens, für die in erster Linie der KGB-Chef verantwortlich war, wurde auf der Abendsitzung des Komitees deutlich. Bei ihren beiden Zusammenkünften am Morgen und am Abend diskutierte das ­GKTSCHP unter Hinzuziehung einiger Unterstützer in erster Linie politische, administrative und restriktive Maßnahmen gegen Jelzin und seine Anhänger. Angesichts der Defensive, in der sich das Putsch-Komitee am zweiten Tag im Inland und im Ausland befand, wuchsen die gegenseitigen Vorwürfe. Der Frage, mit Gewalt zu siegen oder die Niederlage und die damit verbundenen unklaren persönlichen Konsequenzen hinzunehmen, wich es aber aus. Ohne ein Mandat des ­GKTSCHP zu haben, agierte Krjutschkow im Sinne eines Gewalteinsatzes und wurde dabei von den Komitee-Mitgliedern Pugo, Baklanow und Tisjakow unterstützt. Die Parteispitzenfunktionäre Schenin und Prokofjew befürworteten ebenfalls den Sturm des Weißen Hauses.

Die Vormittagssitzung des ­GKTSCHP Um 9 : 00 Uhr versammelten sich im Büro des amtierenden Präsidenten Janajew alle Komitee-Mitglieder mit Ausnahme des angeblich erkrankten Ministerpräsidenten Pawlow. Dieser räumte in einer russischen TV-Dokumentation, die 2006 ausgestrahlt wurde, ein: „Ich habe mich verdrückt. Mir war klar, dass das Spiel nicht mit den richtigen Regeln seinen Lauf nahm. Ich ließ einen Arzt kommen, der mir ein Attest ausstellte […].“ 230 Zu der Vormittagssitzung erschienen neben den regulären ­ KTSCHP-Mitliedern auch Schenin, Prokofjew und Boldin. Wegen der G enormen Probleme bei der Medienkontrolle wurde nach 10 Uhr der amtierende sowjetische Presse- und Informationsminister Alexander ­Gorkowljuk hinzugebeten; Pawlows Stellvertreter Vitali Doguschijew kam um 11 Uhr

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dazu, als es darum ging, wie man kurzfristig die Unterstützung der Moskauer Bevölkerung bekommen könnte. Vorgesehen waren Preissenkungen und eine bessere Versorgung mit Lebensmitteln.231 Nach einem Bericht zur Lage im Land wurde festgestellt, dass die Verhängung des Ausnahmezustands in Moskau wirkungslos geblieben war und die Verordnung Nr. 1 weitgehend nicht befolgt wurde. Krjutschkow und Pugo schlugen vor, eine nächtliche Ausgangssperre über die Hauptstadt zu verhängen. Der KGBChef sprach sich ferner dafür aus, dass sich Mitarbeiter seiner Organisation mit Vertretern des Militärs im Verteidigungsministerium treffen, um gemeinsame Maßnahmen auszuarbeiten, die unter den Bedingungen eines Ausgangsverbots nötig seien. Jasow schlug hierfür seinen Stellvertreter Atschalow vor.232 Zwei Aspekte sind hier von Bedeutung: Erstens wurden bei der späteren Sitzung im Verteidigungsministerium Möglichkeiten besprochen, das Weiße Haus zu stürmen, nicht aber gemeinsame Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ausgangssperre. Krjutschkow hatte auf der Vormittagssitzung des ­GKTSCHP bewusst verschwiegen oder verschleiert, worum es dort gehen sollte. Zweitens lässt sich dadurch erhärten, dass die offene Erörterung des Einsatzes von Gewalt abgekoppelt war vom ­GKTSCHP. Die Gespräche und Planungen dazu wurden auf Betreiben des KGB-Chefs durchgeführt, die von Pugo unterstützt wurden und in die sich Jasow entgegen seiner Überzeugung einbinden ließ. Es ist bezeichnend, dass auf der Vormittagssitzung des ­G KTSCHP sowohl der Vorschlag zur Verhängung der Ausgangssperre als auch der über die Ausarbeitung der gemeinsamen Maßnahmen nicht von Jasow kam, in dessen operativem Zuständigkeitsbereich beides lag. Janajew unterschrieb das entsprechende Dokument zur Ausgangssperre; sie trat am gleichen Abend in Kraft und galt von 23 Uhr bis 5 Uhr. Wann sie wieder aufgehoben würde, war nicht bestimmt. Der von Jasow ernannte Militärkommandant für Moskau, General Nikolai Kalinin, erläuterte und begründete die Maßnahme in der Hauptnachrichtensendung „Wremja“. Die Nachricht und das Interview mit Kalinin wurden erst um 21 : 21 Uhr in der Sendung platziert. Die bisherigen Maßnahmen hätten keine Früchte getragen, Verstöße würden mit bis zu drei Tagen Arrest verfolgt, verkündete er. Sonderbar an diesem Erlass ist, dass er, obwohl vormittags beschlossen, erst so spät bekannt gegeben wurde. Unter Berücksichtigung der begrenzten Kommunikationsmittel jener Zeit erfuhren viele Bürger, sofern sie nicht gerade vor dem Fernseher saßen, zunächst nichts von dem Erlass. Zum

Der zweite Putschtag

Zweiten verwundert es, dass die Nachricht über das Ausgangsverbot zuerst in London durch den britischen Premierminister bekannt gegeben wurde und er wiederum in einem Telefonat mit Jelzin davon erfahren hatte.233 Während die Bilder vom Barrikadenbau und von den Demonstrationen in Moskau und Leningrad zeitgleich zu dieser Sitzung um die Welt gingen, wurde über die Aktivitäten des ­GKTSCHP fast nichts bekannt; seine Mitglieder hielten sich von der Öffentlichkeit fern. Innenminister Pugo übergab dem amtierenden sowjetischen Presse- und Informationsminister Gorkowljuk ein Schreiben, mit dem dieser beauftragt wurde, ein Pressezentrum zu gründen. In ihm sollte die Arbeit von TASS, Radio, Fernsehen und den zugelassenen Zeitungen organisiert werden. Dem Ministerium Gorkowljuks wurde in dem Schreiben ferner vorgeschlagen, die Arbeit der Presse zu kontrollieren.234 Motiviert war dieser Schritt vor allem durch den für das G ­ KTSCHP verheerenden Filmbeitrag in den Hauptnachrichten am Vortag über die Lage in Moskau, der scharfe Verurteilungen und Drohungen gegen die Sendeverantwortlichen zur Folge gehabt hatte.235 Zuständig für die Organisation des Pressezentrums sollte Schenin sein, der Gorkowljuk Unterstützung und die Bereitstellung von Fachpersonal zusicherte.236 In dem Streben, die Kontrolle in Moskau zu erlangen, wurde kurzzeitig der Vorschlag des örtlichen KPdSU-Chefs Juri Prokofjew diskutiert, die Stadtregierung unter Gawril Popow und dessen Stellvertreter Juri Luschkow abzusetzen und vorübergehend eine neue unter dem Vorsitz Boris Nikolskis einzusetzen. Dieser war ein langjähriger Parteifunktionär und hatte zu diesem Zeitpunkt das Amt des stellvertretenden Premierministers237 von Moskau inne. Die neue Stadtregierung sollte eine sein, die nicht zu Versammlungen und Demonstrationen aufrief. Einen bereits vorbereiteten Erlass unterschrieb Janajew nicht, weil Nikolski es ablehnte, den Vorsitz zu übernehmen. Noch während der Sitzung wurde er von Prokofjew telefonisch gefragt, ob er zur Verfügung stehe. Der KGB-Chef hatte Prokofjew gebeten, Nikolski anzurufen. Nach dessen Absage wurde der Vorschlag, die Stadtregierung abzusetzen, fallengelassen.238 Die diskutierte Vorgehensweise offenbart ein Regierungsverständnis, das in dem politischen Kommandosystem der Sowjetunion der Vor-­ Perestrojka-Zeit seinen Ursprung hatte: Ein Befehl, eine Verfügung oder ein Papier von oben – damit glaubte das G ­ KTSCHP ganz offensichtlich ein Problem in den Griff zu bekommen. Wie die amtierende Stadtregierung in der Praxis von der Macht entfernt werden sollte und wie der zu

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erwartende Widerstand zu brechen wäre – darüber wurde auf der Sitzung nicht diskutiert. Zu diesem Regierungsverständnis passt ein weiterer Vorschlag während der Vormittagssitzung, den die Anwesenden billigten. Tisjakow, der sich noch als Vertreter einer harten Linie erweisen sollte, wurde beauftragt, im Namen des ­G KTSCHP ein Telegramm in die Unionsrepubliken, Regionen und Kreise zu schicken, in dem die Machthaber vor Ort aufgefordert wurden, innerhalb von 24 Stunden Strukturen analog zu denen des Staatskomitees zu bilden.239 Diese Aufforderung war jedoch nicht durchdacht. Denn der Ausnahmezustand, der vom ­G KTSCHP verhängt wurde, galt explizit nur in Moskau und erst seit dem Nachmittag des 19. August, nachdem Janajew einen zusätzlichen Erlass herausgegeben hatte. An der Formulierung in der „Erklärung der sowjetischen Regierung“ hatte sich nichts geändert. Dort war immer noch unpräzise von „einzelnen Gebieten der UdSSR “ die Rede. In Tisjakows Telegramm sollten die örtlichen Machthaber aufgefordert werden, innerhalb von 24 Stunden Bericht zu erstatten und zu bestätigen, dass die Anweisung umgesetzt worden sei.240 Der stellvertretende sowjetische Ministerpräsident Doguschijew wandte ein, dass die Anweisung von den örtlichen Machthabern ignoriert werden könnte, worauf Tisjakow entgegnete: „Das sollen die bloß versuchen.“ 241 Doguschijew kam durch die Erkrankung Pawlows in eine unangenehme Lage, weil er als Wirtschaftsfachmann nun Vorgesetzte hatte, die mehrheitlich bürokratisch denkende und handelnde Funktionäre waren und aufgrund ihrer fehlenden Fachkenntnisse absurde Anweisungen trafen oder unsinnige Forderungen stellten. So wurde von ihm verlangt, für Preissenkungen zu sorgen und die Versorgungslage zu verbessern (was seit etwa einem Jahr schon nicht gelungen war). Janajew sprach sich insbesondere dafür aus, die Preise für Kinderartikel zu senken.242 In seinen Erinnerungen wirft Janajew Doguschijew vor, die anvisierten Maßnahmen „sabotiert“ zu haben.243 Doguschijew wurde darüber hinaus Tisjakow als Kontrolleur des ­ KTSCHP vorgesetzt, der seine Arbeit und die des sowjetischen KabiG netts überwachen sollte. Nach der Sitzung, die am Mittag beendet wurde, begann die Arbeit in diesem Sinne. Doguschijew gab vor den Ermittlern zu Protokoll: „Um 14 : 30 Uhr kam Tisjakow in mein Büro und ich setzte mich mit ihm hin, um über ‚die Wünsche‘ des ­GKTSCHP zu sprechen, die es an die Regierung hatte. Ich war mir bewusst, dass die Anweisungen des G ­ KTSCHP an

Der zweite Putschtag

die Regierung unrealistisch waren und eine Rückkehr zum alten System bedeuteten. Dennoch tat ich so, als ob ich diese Anweisungen ernst nehmen würde; dementsprechend führte ich auch das Gespräch mit Tisjakow.“ 244 Auf der Vormittagssitzung wurde ferner ein Stab des G ­ KTSCHP und dessen Zusammensetzung festgelegt und bestätigt. Unter der Leitung von Baklanow sollte die zehn Personen umfassende Gruppe Informa­ tionen sammeln, ordnen und auf deren Grundlage Empfehlungen für die operative Arbeit des Komitees ausarbeiten.245 Über diesen Stab ist in den Abhandlungen über den Putsch nichts bekannt, in „Kremlevskij zagovor“ wird er nur kurz erwähnt.246 Ihm gehörten folgende hohe Funktionsträger aus Militär, KGB, Innenministerium, Partei und dem Präsidentenapparat ­Gorbatschows an:247 –– Sergej Achromejew, Präsidentenberater in Militärfragen

–– Bronislaw Omelitschow, stellvertretender Generalstabschef der Sowjetarmee –– Iwan Schilow, Generalleutnant und stellvertretender Innenminister –– Igor Kowyrin, stellvertretender Organisationsleiter des ZK der KPdSU –– Viktor Gruschko, stellvertretender KGB-Chef –– Alexander Soschnikow, Generalleutnant, stellvertretender Leiter des Komitees für Verteidigungs- und Staatssicherheitsfragen beim Präsidenten –– Oleg Beljakow, ZK-Mitglied, stellvertretender Leiter des Komitees für Verteidigungs- und Staatssicherheitsfragen beim Präsidenten –– Iwan Bischan, stellvertretender Leiter der Operativabteilung des Generalstabs der Streitkräfte der UdSSR –– Wladimir Butin, Leiter der Abteilung für allgemeine Aufgaben des Präsidentenapparates der UdSSR –– Sergej Fadin, Berater der Abteilung für allgemeine Aufgaben des Präsidentenapparates der UdSSR

Auffällig ist hier, dass faktisch die gesamte Armeeführung den Putsch unterstützte bzw. sich ihm nicht widersetzte. Und auch aus dem Präsidentenapparat hatten sich nicht nur dessen Leiter Boldin, sondern noch weitere Funktionsträger gegen G ­ orbatschow gestellt. Der Stab sollte täglich um 7 : 30 Uhr und um 18 : 30 Uhr Informationen für das ­GKTSCHP bereitstellen. Er kam am zweiten Putschtag um 15 : 30 Uhr zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen und traf sich noch einmal frühmorgens am 21. August 1991, als die Niederlage des Putsch-Komitees schon feststand.248 Offenbar ging zumindest ein Teil der Putschisten tatsächlich davon aus, dass sich ihre Macht festigen ließe und nicht ernsthaft in Gefahr sei.

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Für die Putschisten Tisjakow und Starodubzew, die als die beiden letzten Mitglieder in das Komitee aufgenommen worden waren, war der Einzug in den Kreml mit dem Erhalt aller äußeren Insignien der Macht verbunden. Der KGB-Chef veranlasste, dass sie ihnen zuteilwurden. Der Zeitpunkt der Beschäftigung mit solchen Äußerlichkeiten ist sehr aussagekräftig, weil er eine gravierende Verkennung der machtpolitischen Realitäten in Moskau darstellte. Am Ende der Vormittagssitzung und mehr als 24 Stunden nach Jelzins richtungweisender und die Weltöffentlichkeit aufrüttelnder Rede auf dem Panzerfahrzeug kam der KGB-Abteilungsleiter Plechanow auf Tisjakow und Starodubzew zu. Er teilte ihnen mit, dass ihnen Büros im Kreml zugewiesen worden seien, sie ab jetzt jeweils auch einen Dienstwagen mit Chauffeur sowie Personenschützer hätten. Außerdem würden in ihren Büros Regierungstelefonleitungen installiert.249 Es handelte sich dabei um die prestigeträchtigen Leitungen ATS-1, ATS-2 und GATS.250 Darin, dass sie sich mit solchen Fragen befassten, spiegelt sich die Ruhe oder die scheinbare Ruhe der Putschisten wider, und es vermittelt einen Eindruck der Arbeitsatmosphäre an diesem 20. August, an dem das ­ KTSCHP nur noch wenig begründete Hoffnung haben konnte, sich G doch noch durchzusetzen. Es war selbst Zeit vorhanden, in die Mittagspause zu gehen, während in Moskau der Barrikadenbau und der Kampf um die Rettung der jungen russischen Demokratie Zehntausende Bürger auf die Straße trieb. Tisjakow sagte später aus: „Nach dem Mittagessen kam, wie ich das verstand, ein Mitarbeiter Plechanows auf mich zu, dann ein zweiter und schließlich ein dritter. Jeder führte seinen Auftrag aus.“ 251

Die Planung des Sturms auf Jelzins Machtzentrale Krjutschkow hatte schon am 18. August, noch bevor das G ­ KTSCHP formal gegründet worden war, einigen Mitarbeitern erste Anweisungen gegeben, Vorbereitungen zur militärischen Kontrolle des Weißen Hauses zu treffen. Dies waren allerdings keine Angriffspläne, wie sie schon am nächsten Tag aufgrund der neu entstandenen Lage nach dem Widerstandsaufruf Jelzins als notwendig erachtet wurden. Worum es ging, war auch nicht allen KGB -Abteilungsleitern bekannt gemacht worden. So wurde dem Kommandeur der Spezialeinheit „B“, Boris Beskow, abends am 18. August durch Leonid Schebarschin der Befehl gegeben, zwei Kampfgruppen aus seinen Reihen zusammenzustellen. Nachfragen waren im KGB in der Regel nicht üblich. Beskow nahm an, dass es sich um einen bevorstehenden „Einsatz in Berg-Karabach“ handeln würde.252 Strikt zu unterscheiden ist zwischen der

Der zweite Putschtag

„Sicherung der strategisch wichtigen Objekte“, zu denen auch das russische Parlament gehörte, und dem späteren Angriffsplan auf dieses Parlament. Der sogenannte „Objektschutz“, der im Rahmen des Gesetzes über den Ausnahmezustand militärisch legitim war, wurde auch von Jasow gebilligt. In diesem Rahmen trafen sich militärische Vertreter aus KGB und Armee schon am 18. August.253 Krjutschkow wollte auf alle Eventualitäten vorbereitet sein und sich alle Optionen offenhalten. Schon deshalb war er nicht in der Lage, klare Anweisungen zu geben und ein festes strategisches Ziel zu bestimmen. Viel schwerer wog aber, dass er für die harte Linie kein Mandat des Komitees hatte und auch nicht die notwendige Zustimmung des Verteidigungsministers. Der Plan war ohne die Hilfe der Armee nicht umzusetzen. Am Ende hatten sogar seine eigenen Untergebenen im KGB Bedenken vorgetragen, was aber nicht als Befehlsverweigerung a priori verstanden werden darf. Am Morgen des 20. August begannen die Planungen zum Sturm des russischen Parlamentsgebäudes konkrete Form anzunehmen. Warum Jasow, der durch sein späteres Verhalten bewies, dass er auf keinen Fall Gewalt gegen die Bevölkerung einsetzen wollte, diese Planungen zuließ, erscheint widersprüchlich und schwer erklärlich. Er sei da hineingeraten, meint er. „Krjutschkow, Baklanov und Schenin wollten bis zum Ende gehen“ („­choteli idti do konca“: hier: Gewalt anwenden).254 Im Verhör sagte er, dass Krjutschkow das Vorgehen von KGB , Innen- und Verteidigungsministerium abstimmen wollte. Er sei nicht dagegen gewesen und habe vorgeschlagen, dass sich Vertreter der beiden anderen Machtzentren mit Atschalow in Verbindung setzen sollten. „Von einem Sturm des ‚Weißen Hauses‘ war zu diesem Zeitpunkt nicht die Rede.“ 255 Morgens um 9 Uhr rief der stellvertretende KGB-Chef Geni Agejew im Auftrag von Krjutschkow den stellvertretende Verteidigungsminister Atschalow an. Sie vereinbarten, sich um 14 Uhr im Büro Atschalows in einer erweiterten Runde zu treffen.256 Agejew rief fünf weitere KGB-Führungskräfte zusammen, um sie über die „gestellte Aufgabe“ des „Deblockierens“ des Parlamentsgebäudes und dessen „Einnahme“, der „Herausführung Jelzins“ und seiner „Überstellung nach Sawidowo“ in Kenntnis zu setzen und darüber zu beraten.257 Von einem Befehl war somit auch im KGB nicht die Rede, sondern von einer „gestellten Aufgabe“. Seitens der Armee war General Lebed mit der Situation um das Parlamentsgebäude vertraut. Er hatte am Vortag ein Bataillon auftragsgemäß dorthin geführt, war sich aber nicht klar darüber, vor wem er das Gebäude militärisch schützen

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sollte.258 Auch er wurde um 14 Uhr zur gemeinsamen Sitzung zwischen den Kommandeuren der Armee, KGB und Innenministerium einbestellt. Atschalow erinnert sich: „Auf dieser Sitzung entwarfen wir den Plan. Die Eliteeinheit ‚Alpha‘ sollte einen Korridor schaffen, die Truppen des Innenministeriums sollten das Weiße Haus einnehmen. Wir besprachen auch, wer festgenommen werden sollte.“ 259 Die Aufgabe der Armee soll darin bestanden haben, mit Hilfe der Luftlandetruppen zu verhindern, dass die Bürger in das Gebäude gelangten. Jasow nahm an der Sitzung nicht teil, kam nur einmal kurz herein. General Warennikow, Befehlshaber der sowjetischen Landstreitkräfte, kam aus Kiew zurück nach Moskau. Von Jasow wurde er nach seiner Ankunft im Verteidigungsministerium sofort zu dieser Sitzung geschickt, die kurz zuvor begonnen hatte. Warennikow schrieb in seinen Memoiren, Jasow habe zu ihm gesagt: „General Atschalow hält bei sich gerade eine Sitzung ab über die Frage, wie man die illegal Bewaffneten im Obersten Sowjet entwaffnen könnte. […] Vielleicht können Sie noch Ratschläge geben.“ Daraufhin habe er, Warennikow, gefragt: „Gibt es einen Plan?“ Jasow habe erwidert: „Nein, darüber redet man da ja gerade.“ 260 Es war der stellvertretende KGB-Chef Agejew, der der Operation den Namen „Donner“ („Grom“) gab und den Sturm zunächst um 4 Uhr morgens beginnen lassen wollte.261 Atschalow und Warennikow plädierten dafür, die Operation eine Stunde früher zu starten. Es wäre besser, wenn sie in der Dunkelheit zu Ende gebracht würde, so ihr Argument. Der Vorschlag wurde in der Runde akzeptiert.262 Die militärische KGB-Spezialeinheit „B“ unter der Führung von Boris Beskow sollte der „Alpha“-Gruppe bei deren Eindringen ins Gebäude unmittelbar folgen. Allerdings kamen bei einigen Kämpfern der Gruppe „B“ nach einer Inspizierung des potentiellen Einsatzortes am späten Nachmittag Bedenken auf, die sie ihrem Kommandeur Beskow dann vortrugen.263 Auf der Planungssitzung erwarteten die Anwesenden den Lagebericht von General Lebed. In seinen Erinnerungen kommt gut zum Ausdruck, dass die Militärs kein gemeinsames Ziel und keine gemeinsame Sichtweise hatten: „Ich berichtete, dass sich am Gebäude des Obersten Sowjets etwa 100.000 Menschen264 befänden. […] Im Gebäude selbst halte sich eine gut bewaffnete Wache auf. Jede gewaltsame Aktion würde zu einem kolossalen Blutvergießen führen. […] Man ließ mich nicht weiter berichten. ­Valentin Iwanowitsch [Warennikow] unterbrach mich. […] ‚General, Sie sind verpflichtet, ein Optimist zu sein. Stattdessen verbreiten Sie hier Pessimismus

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und Unsicherheit.‘“ 265 Aber auch Pawel Gratschow, Befehlshaber der Luftlandetruppen, trug Bedenken vor. Er meinte, dass seine Einheiten personell zu schwach seien. Daraufhin ordnete Atschalow die Verlegung von zwei zusätzlichen Regimentern an.266 Er beendete die Sitzung gegen 15 Uhr und gab Lebed, dem „Alpha“-Kommandeur Karpuchin und dem stellvertretenden Befehlshaber des Moskauer Militärbezirks Anatoli Golownjow den Auftrag, die Zugänge zum Gebäude des Obersten Sowjets erkunden zu lassen.267 Lebed schreibt in seinen Erinnerungen: „Er befahl es nicht, er schlug es vor. Das war erstaunlich und überhaupt nicht Atschalows Art. […] Seine Anordnungen waren immer klar, bestimmt […]. Und plötzlich dieser verschwommene Vorschlag an uns, einen Plan zur Aufklärung zu erarbeiten, danach vorzulegen und zu berichten.“ 268 In der Darstellung des Generalstaatsanwaltes („Kremlevskij zagovor“) wird nicht erwähnt, dass es Lebed war, der die Planskizze zur Einnahme des Weißen Hauses entwarf – auch nicht, dass Atschalow ihn darum gebeten hatte. Nach dem Putsch gehörte Lebed zu denjenigen, die im Jelzin-­Lager gefeiert wurden, weil sie als Verteidiger der Demokratie galten. Rasch begann an der Seite Jelzins auch Lebeds militärischer und dann sein politischer Aufstieg. Ganz offensichtlich hätte die Autorschaft einer solchen Planskizze nicht in das Bild eines Demokratieverteidigers gepasst. Lebed selbst schrieb in seinen Erinnerungen Jahre später: „Rein militärisch gesehen würde es keine besondere Mühe kosten, das Gebäude zu stürmen. […] Den Plan entwarf ich in fünf Minuten. […] Wladislaw Alexejewitsch [Atschalow], der große Wladislaw Alexejewitsch, der sonst bei der Arbeit mit der Karte immer Exaktheit, Klarheit und saubere Form verlangte, warf diesmal nur einen flüchtigen Blick auf mein Gekritzel und billigte den Plan sofort: ‚In Ordnung. Ich rufe jetzt Gromow [General und stellvertretender Innenminister] an. Fahr los und stimme den Plan mit ihm ab.‘ “ 269 Gemeinsam mit General Alexander Tschindarow, damals stellvertretender Befehlshaber der Luftlandetruppen, fuhr er zu Gromow. Lebeds Schilderung ist ein starkes Indiz dafür, dass sowohl ein Großteil der militärischen Führungskräfte als auch viele ihrer Untergebenen einem möglichen Gewalteinsatz ablehnend gegenüberstanden. Dies bedeutet aber nicht, dass sie ihn nicht ausgeführt hätten, wenn ein entsprechender Befehl gekommen wäre. Lebed führt aus: „In Gromows Büro war auch der Stabschef der Truppen des Innenministeriums, Generalleutnant [Wladimir] Dubinjak. Gromow betrachtete den Plan höchstens zwei Minuten […]. Alle Generäle und Offiziere, die ihn kannten, bezeichneten ihn übereinstimmend

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als […] peinlich genauen und extrem zurückhaltenden Mann. Alle seine Operationen in Afghanistan waren äußerst sorgfältig […] geplant. Und ein solcher Mann fand nun einen hastig mit stumpfem Bleistift verfassten Plan in Ordnung und befahl Dubinjak und mir, die Operationen abzustimmen. Auch Dubinjak warf kaum einen Blick auf die Karte und sagte: ‚Alles klar, zur festgesetzten Zeit werden wir zur Stelle sein.‘ Ohne uns abgesprochen zu haben, fühlten Tschindarow und ich ihm daraufhin auf den Zahn: ‚Und wo ist die Tabelle der Diensthabenden? Wo sind die Codes des Stabskommandos, die Signale für die Zusammenarbeit?‘ Dubinjaks Antwort war äußerst merkwürdig: ‚Haben wir nicht zur Hand. Na, macht nichts. […] Wir werden euch benachrichtigen.‘“ 270 Der stellvertretende sowjetische Verteidigungsminister Atschalow beschreibt die Stimmung unter den Militärs der Sowjetarmee, des Innenministeriums und des KGB wie folgt: „Insgesamt verwandelte sich das Vorhaben immer mehr zu einem Gequatsche; es wurde dem Selbstfluss überlassen. […] Alles wurde auf die Militärs abgewälzt, alles in ihre Hände gelegt. Dabei erfolgte alles mündlich ohne klare Anweisungen und ohne, dass irgendwelche offiziellen Dokumente vorgelegt worden wären. Letztlich wurde jeder sich selbst überlassen. Jeder war darauf bedacht, sich abzusichern für den Fall, dass plötzlich etwas passiert. Die Ergebnisse ließen nicht lange auf sich warten.“ 271 Es stellt sich die Frage, warum eine solch wichtige militärische Operation nicht vom Verteidigungsminister zumindest mit geplant wurde und warum er nicht bei der Sitzung anwesend war, zumal sie im Verteidigungsministerium stattfand. Dies lag zum einen daran, dass Krjutschkow, Jasow und Pugo vereinbart hatten, ihre Stellvertreter ­Agejew, Atschalow und Gromow die Einzelheiten ausarbeiten zu lassen. Zum anderen befand sich Jasow am Nachmittag in einem Zustand der inneren Zerrissenheit und Ratlosigkeit. Er hätte am liebsten die Armee ganz aus den G ­ KTSCHP-Aktivitäten herausgezogen, doch er wusste nicht wie. Jewgeni Schaposchnikow, Chef der sowjetischen Luftstreitkräfte und nach dem Putsch sowjetischer Verteidigungsminister, beschreibt in seinem Buch eine sehr aufschlussreiche Episode. Um 20. August um 15 Uhr habe ihn Jasow angerufen und zu sich gebeten.272 Kurze Zeit später sei er im Empfangszimmer des Ministers gewesen; man habe ihm ausgerichtet, Jasow sei gerade zu Krjutschkow gefahren. Er solle warten. Um 15 : 40 Uhr habe ihm der Adjutant gesagt, der Minister sei zurückgekehrt, er könne ihn nun empfangen. Jasow habe um Nachsicht für die Verspätung gebeten und leise gefragt: „Was meint du, was man tun soll?“ Schaposchnikow: „Man

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sollte die Sache beenden.“ Jasow: „Und wie?“ Schaposchnikow: „Würdig für die Armee […]. Die Macht sollte man dem Obersten Sowjet übergeben.“ Jasow: „Und was soll mit dem G ­ KTSCHP passieren?“ Schaposchnikow: „Auseinanderjagen. […]“ Nach einer längeren Pause habe Jasow gesagt: „Weißt du, wie schwer das ist?“ In dem Moment sei das Vieraugengespräch unterbrochen worden. ­Atschalow und zwei weitere hohe Militärs seien hereingekommen, und Jasow sei dazu übergangen, ihn wieder zu siezen, und habe wieder die Rolle des selbstsicheren Ministers übernommen. Dann habe das Telefon geklingelt. Der frühere sowjetische Innenminister Bakatin sei am Apparat gewesen. Jasow habe ihm gesagt: „Was für ein Sturm? Was für ein Unsinn! Es wird keinen Sturm des Weißen Hauses geben. Auf Wiederhören.“ 273 ­Bakatin, der das Lager der Demokraten unterstützte, bestätigte den Anruf und den Inhalt. Auf die Frage des Verfassers, ob er Jasow damals geglaubt habe, sagte er: „Auf jeden Fall. Dmitri Timofejewitsch [ Jasow] habe ich als sehr anständigen und aufrichtigen Menschen kennengelernt. Wir waren ja auch eine Zeit lang Ministerkollegen und haben sehr gut zusammengearbeitet.“ 274 Die Staatsanwaltschaft stellte später fest, dass Jasow am 20. August nachmittags den Befehlshaber der Luftlandetruppen, Pawel Gratschow, und den Armeechef von Moskau, Nikolai Kalinin, zu sich gerufen und von ihnen verlangt hatte, „die Möglichkeit von Zusammenstößen zwischen den Truppen und der Zivilbevölkerung auszuschließen.“ 275 War schon die Macht­über­nahme insgesamt eher halbherzig vollzogen worden, so wurde nun auch die militärische Operation zwiespältig, ja widersprüchlich geplant und eher widerstrebend vorbereitet. Krjutschkow war die treibende Kraft; doch ohne ein Mandat des ­GKTSCHP war auch er nicht bereit, die Verantwortung für einen Militäreinsatz zu tragen.

Das Gespräch zwischen der russischen Führung und Lukjanow Die russische Führung hatte durch ihren Aufruf „An die Bürger Russlands“ politische Verhandlungen mit dem ­G KTSCHP ausgeschlossen, indem sie die Komitee-Mitglieder als Gesetzesbrecher dargestellt hatte. Auch intern hatte sich die Jelzin-Führung darauf verständigt, in „keinerlei Verhandlungen mit den Putschisten“ 276 zu treten. Am Morgen des 20. August meldeten dann aber einige Nachrichtenagenturen, dass am Vormittag ein Gespräch zwischen der russischen Führung und dem Parlamentsvorsitzenden Lukjanow stattfinden würde, der allgemein zumindest als Unterstützer der Putschisten galt, wenn nicht sogar als aktives Mitglied des Komitees.277

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Wie ungefährlich das Passieren der Frontlinien war, zeigt die Tatsache, dass eine russische Spitzentroika sich unbehelligt vom Weißen Haus in den Kreml begeben konnte. Dies illustriert auch das Fehlen einer Atmosphäre der Konfrontation, bei der es um Leben und Tod gegangen wäre. Die Troika bestand aus dem Vizepräsidenten Ruzkoj, dem Parlamentspräsidenten Chasbulatow und dem Ministerpräsidenten Silajew. Sie überbrachte Lukjanow einen zehnteiligen Forderungskatalog an das G ­ KTSCHP, der einem Ultimatum gleichkam. Jelzin, der in seinen Erinnerungen diesen Vorgang irrtümlicherweise auf den 19. August datiert, schreibt: „Das war in dieser nervösen und unberechenbaren Atmosphäre ein ziemlich riskanter Schritt, der jedoch ohne Zwischenfälle über die Bühne ging.“ 278 Lukjanow empfing die russische Delegation gegen 10 : 00 Uhr; das Gespräch dauerte etwa 90 Minuten. Er versuchte sogleich, sich vom ­ KTSCHP zu distanzieren und sich zu rechtfertigen.279 Den vorgelegten G Forderungskatalog las er durch. Darin wurden die sofortige Auflösung des Komitees und die Annullierung seiner Erlasse und Verordnungen verlangt. Innerhalb von 24 Stunden sollte ein Treffen zwischen Jelzin, Chasbulatow und Silajew mit ­Gorbatschow und Janajew organisiert werden.280 Lukjanow, der in seinem Buch über den August 1991 sein Treffen mit der russischen Troika nicht erwähnt, soll laut Chasbulatow geäußert haben, die Forderung einer sofortigen Auflösung des G ­ KTSCHP sei indiskutabel, doch er werde alles in seiner Macht stehende tun, um auf Janajew einzuwirken.281 Laut den Ruzkoj-Biographen Nikolai Gulbinski und Marina Schakina soll Lukjanow gesagt haben, dass er alleine nichts entscheiden könne und man die Forderungen Janajew überbringen müsse.282 Seinerseits machte Lukjanow der Troika und Jelzin Vorwürfe. Die rus­sische Führung sei schuld am schlechten Gesundheitszustand G ­ orbatschows, weil sie ihm die ganze Zeit das Leben schwer gemacht habe. Jelzin habe in der vergangenen Woche mit dem sowjetischen Präsidenten ein heftiges Telefonat wegen des Unionsvertrages geführt; daraufhin habe sich G ­ orbatschow schlecht gefühlt und sei krank geworden.283 Chasbulatow war sich, nachdem er wieder zurück im Weißen Haus war, „ganz sicher, dass nicht gestürmt werden würde.“ 284 Als die Troika dem russischen Präsidenten von seinem angeblich heftigen Telefonat mit G ­ orbatschow berichtete, zeigte er sich höchst erstaunt. Es sei genau umgekehrt gewesen: das Telefonat sei sehr freundlich gewesen.285 Lukjanow vermied es nach Darstellung der Troika, das ­GKTSCHP zu verurteilen, und nahm weiter eine abwartende Haltung ein. Den Inhalt des Gesprächs und den Forderungskatalog der russischen Führung überbrachte

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er den Komitee-Mitgliedern. Auf der Abendsitzung des G ­ KTSCHP am 20. August stellten Janajew, Krjutschkow, Jasow und Pugo fest, dass es „unmöglich sei, sich mit Jelzin zu einigen“.286 Die politisch kompromisslose Haltung der russischen Führung, die den Putschisten während des Treffens zwischen der Troika und Lukjanow unmissverständlich zum Ausdruck gebracht worden war, engte so den ohnehin geringen Spielraum des G ­ KTSCHP weiter ein.

Die Abendsitzung des ­GKTSCHP im Kreml Um 20 Uhr versammelten sich im Büro Janajews neben den GKTSCHP-­ Mitgliedern (außer Pawlow) und dem Mitorganisator Schenin 13 weitere hohe Funktionsträger aus Partei, Armee, KGB, Regierung, Medien und Parlament. Doch nicht alle waren im gesamten Zeitraum der Sitzung anwesend, die etwa bis 22 Uhr dauerte. Zu den 13 hinzugezogenen Personen gehörten sechs Mitglieder des neu gegründeten Stabs des ­GKTSCHP: –– Bronislaw Omelitschow, stellv. Generalstabschef der Sowjetarmee –– Sergej Achromejew, General und Militärberater ­Gorbatschows –– Iwan Schilow, Generalleutnant und stellv. sowjetischer Innenminister –– Viktor Gruschko, stellv. KGB-Chef –– Alexander Soschnikow, Generalleutnant, stellv. Leiter des Komitees für Verteidigungs- und Staatssicherheitsfragen beim Präsidenten –– Oleg Beljakow, Mitglied des ZK der KPdSU, stellv. Leiter des Komitees für Verteidigungs- und Staatssicherheitsfragen beim Präsidenten

Weitere Anwesende waren:

–– Juri Prokofjew, Parteichef von Moskau-Stadt –– Vitali Doguschijew, stellv. sowjetischer Ministerpräsident –– Juri Masljukow, stellv. sowjetischer Ministerpräsident –– Juri Blochin, Vorsitzender der Deputiertengruppe Sojus –– Anatoli Tschechojew, stellv. Vorsitzender der Deputiertengruppe Sojus –– Leonid Krawtschenko, Chef des sowjetischen Fernsehens und Radios –– Alexander Gorkowljuk, amtierender sowjetischer Presse- und Informationsminister

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Auffällig ist der bedeutende Anteil von hohen Militärs aus Armee, Innenministerium und KGB im Stab des ­GKTSCHP. Ihre Rolle in der Sitzung blieb allerdings passiv. Der Sturm des Weißen Hauses, der längst geplant und zur Stunde sogar vorbereitet wurde, war wie schon zuvor auf der Vormittagssitzung kein Thema, das einer Entscheidung zugeführt worden

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wäre. Offen zutage trat bei dieser alles entscheidenden Sitzung die Unfähigkeit des G ­ KTSCHP, sowohl eine klare Linie zu definieren als auch überhaupt irgendeinen Beschluss in dieser Frage zu fassen. Janajew hatte zumindest eine eindeutige Position, wollte diese auch öffentlich vertreten. Da das Komitee aber nicht so strukturiert war, dass die Führung bei einer Person lag, sondern im Kollektiv, wurde sein Vorschlag de facto blockiert. Er sprach sich dafür aus, in der Hauptnachrichtensendung „Wremja“ eine Erklärung des G ­ KTSCHP zu verlesen, in der klargestellt werden sollte, dass es keinerlei Absichten gebe, das Gebäude des Obersten Sowjets Russlands (Weißes Haus) zu stürmen.288 Damit sollte entsprechenden Gerüchten entschieden entgegengetreten werden, die zu großer Besorgnis bei den Menschen geführt hätten. Janajew trug der 20-köpfigen Runde seine vorbereitete Erklärung vor und übergab sie sogar dem anwesenden Fernsehchef Krawtschenko. Dieser hätte dafür sorgen können, dass die Erklärung rechtzeitig vor Beginn der Nachrichtensendung um 21 : 00 Uhr ins Fernsehstudio übermittelt worden wäre. Krawtschenko war gerade dabei, mit dem Dokument den Raum zu verlassen, als ihm jemand zurief. „Warten Sie!“ 289 Mehrere Teilnehmer der Sitzung sagten aus, der KGB-Chef habe sich gegen das Verlesen einer solchen Erklärung ausgesprochen.290 Janajew selbst gab der Staatsanwaltschaft zu Protokoll: „Das war ein Entwurf für meine Erklärung, die ich verfasst hatte als Antwort auf Anrufe aus dem Weißen Haus, das angeblich gestürmt würde. Diese Erklärung hatte ich vor der Sitzung tippen lassen und ich hatte sie unterschrieben. Diese Erklärung zeigte ich Krjutschkow. Er sagte zu mir, er sei dagegen. Man könne nicht auf jeden Anruf mit Erklärungen reagieren, außerdem wären auch andere Mitglieder des ­GKTSCHP gegen eine solche Erklärung. Somit wurde das Dokument nicht veröffentlicht.“ 291 In seinem Buch über den August 1991 erwähnt Janajew diese wichtige Begebenheit der Abendsitzung nicht. Der Grund dafür könnte sein, dass sie seiner Darstellung aus dem Jahre 2010 widersprochen hätte, im Komitee sei nie in Erwägung gezogen worden, das Weiße Haus zu stürmen. Das Komitee billigte stattdessen einen Erlass Janajews, in dem die Dekrete Jelzins für null und nichtig erklärt wurden. Eilig wurde das Dokument in die Redaktion der Nachrichtensendung „Wremja“ übermittelt und noch während der laufenden Sitzung unionsweit veröffentlicht. Der russische Präsident hatte in seinen Erlassen die sowjetischen Exekutivorgane auf russischem Boden, darunter Einrichtungen des KGB, des Innen- und Verteidigungsministeriums, unter seine Befehlsgewalt gestellt. Organe,

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Amtspersonen und Bürger Russlands, die die Weisungen des Komitees befolgten, würden strafrechtlich verfolgt, hieß es darin. Außerdem erklärte er die Mitglieder des Komitees zu Straftätern.292 Wie inkongruent der Umgang des ­GKTSCHP mit den sowjetischen Medien war, wird durch folgende Gegenüberstellungen deutlich: Die Putschisten verabschiedeten auf der Abendsitzung eine weitere Verordnung (Nr. 3), in der die Fernseh- und Radioberichterstattung streng reglementiert wurde. Rundfunkstationen, die nicht zur „Stabilisierung des Ausnahmezustandes“ beitrügen, seien zeitweise zu schließen. Namentlich erwähnt wurde in der Verordnung der unabhängige Moskauer Radiosender Echo Moskwy.293 Auf der anderen Seite hob das G ­ KTSCHP verhängte Verbote von Zeitungen wieder auf, nachdem sich der amtierende Presse- und Informationsminister Gorkowljuk dafür ausgesprochen hatte.294 Das Komitee befasste sich recht ausführlich mit den Medien, behandelte dabei auch Details.295 Dies zeigt entweder, dass es die Lage für sich selbst als nicht so bedrohlich ansah oder dass es sie verdrängte und immer noch auf einen erfolgreichen Ausgang hoffte. Krawtschenko wurde das Wort erteilt, um darzulegen, was seiner Meinung nach verbessert werden müsste angesichts des Widerstands der Jelzin-Anhänger. Hinsichtlich der Informationspolitik und -hoheit war bereits alles außer Kontrolle geraten. Der sowjetische Fernsehchef schlug vor, das ­GKTSCHP solle offensiver vorgehen und sich persönlich an die Bevölkerung wenden.296 Wichtig war ihm, dass auf dem zweiten sowjetischen Fernsehkanal ein anderes Programm als auf dem ersten gesendet werden durfte. Am ersten Putschtag war der zweite sowjetische Kanal, über den die im Mai 1991 gegründete russische und jelzinfreundliche Fernsehstation RTR ihr Programm ausstrahlte, gleichgeschaltet worden. Die Doppelung, die er als „peinlich und an Sowjetzeiten erinnernd ansah, als ein Generalssekretär starb“, wollte er unbedingt wieder abstellen.297 Er bekam die Erlaubnis des Komitees, doch sollte selbstverständlich nicht wieder das jelzinnahe Programm gesendet werden, sondern nur eines, das sich von dem Programm unterschied, das auf dem ersten sowjetischen Kanal lief. Gleichzeitig beklagte er sich darüber, seine Mitarbeiter würden sich ihm teilweise nicht mehr unterordnen.298 Das ­GKTSCHP stand in erster Linie unter dem enormen Druck, der durch die Mobilisierung von Zehntausenden entstanden war, die sich vor dem russischen Parlament und Jelzins Machtzentrale versammelt hatten. Zum anderen stand das Komitee unter Erfolgsdruck, den es selbst herbeigeführt hatte, indem der Bevölkerung eine rasche Verbesserung der

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Versorgungslage und die Schaffung von „Ordnung“ in Aussicht gestellt worden war. Als im weitesten Sinne für die Versorgung und die wirtschaftliche Entwicklung Zuständiger trug Doguschijew vor, woran es alles mangelte. Doch dieses nationale Problem war zu diesem Zeitpunkt längst keines mehr, dessen sich das sich im Untergang befindliche ­GKTSCHP hätte annehmen können. Als ob es eine Perspektive gäbe, dauerhaft an der Macht zu bleiben, wurde dennoch über die Verbraucherpreise gesprochen. Doguschijew wiederholte nochmals, dass es unmöglich sei, sie zu senken. In deutlicher Form wies er die Forderung zurück, er solle morgens und abends eine Statistik über die wirtschaftliche Lage im Land vorlegen.299 Das Komitee hoffte nicht nur auf wirtschaftliche Wunder über Nacht, sondern auch auf politische Unterstützung durch den Obersten Sowjet und den Volksdeputiertenkongress der UdSSR. Die mächtige Fraktion Sojus, die fast ein Viertel der Abgeordneten des Kongresses stellte, hatte am Vortag „gebeten, sich ein persönliches Bild vom G ­ KTSCHP machen zu dürfen.“ 300 Ihr Vorsitzender Juri Blochin sowie dessen Stellvertreter Anatoli Tschechojew vertraten die Parlamentariergruppe, die allein durch den Namen „Sojus“ deutlich machte, dass die Erhaltung der UdSSR für sie Programm war. Ihr Platz während der ­GKTSCHP-Sitzung war nicht am Tisch, sondern etwas abgeschieden. Janajew erteilte den beiden Vertretern der Sojus-Fraktion das Wort, indem er sie um ihre Einschätzung der Lage bat. Sie schlossen sich den Ausführungen des Fernseh- und Radiochefs an, der vorgeschlagen hatte, das Komitee solle sich öffentlich zeigen und seine Positionen offensiv vertreten.301 Janajew wollte ferner wissen, welche Chancen bestünden, den Ausnahmezustand im Obersten Sowjet mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit nachträglich zu sanktionieren. Die Antwort war laut Blochin: „Wenn die Abgeordneten erkennen, das ­ KTSCHP sei auf dem Weg, seine Versprechungen zu erfüllen, wäre mit G der Zweitdrittelmehrheit zu rechnen. Wenn nicht, gäbe es keinen Grund, darauf zu hoffen.“ Danach seien sie höflich entlassen worden. Im Gespräch mit dem Verfasser sagte er: „Wir blieben somit etwa 30 bis 40 Minuten lang auf der Sitzung. In unserer Anwesenheit zumindest wurde nicht über den Sturm des Weißen Hauses gesprochen.“ 302 Bei der Sitzung ging es nun um polizeiliche und militärische Maßnahmen gegen den Widerstand der Jelzin-Unterstützer, wobei „Sturm auf das Weiße Haus“ oder ähnliche eindeutige Bezeichnungen vermieden wurden. Dabei traten die ersten Unstimmigkeiten zutage. Zwischen dem Verteidigungsminister und dem Innenminister, Jasow und Pugo, entwickelte sich

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ein kurzer Wortwechsel. Als es darum ging, warum die oppositionelle Radiostation Echo Moskwy immer noch sende, sagte Jasow, dass das Militär sie ja abschalten wollte, doch habe jemand aus der Miliz dies verhindert. „Haben Sie überprüft, wie es gewesen ist?“, fragte Pugo und meinte: „Ihre Leute bringen immer alles durcheinander.“ Jasow erwiderte: „Nein, mit Ihren kann man einfach keine gemeinsame Sprache finden.“ 303 Dass dieser Abend des zweiten Putschtages nicht der Moment war, über Preissenkungen, Gegendekrete, Fernsehkanäle oder Wirtschaftsstatistiken zu debattieren, hätte eigentlich allen Sitzungsteilnehmern klar sein müssen. Wie sollte mit der russischen Führung verfahren werden? Von der Beantwortung dieser Frage sollte abhängen, ob sich das ­ KTSCHP an der Macht halten würde oder nicht. Unter diesen VorG zeichen und einer sich stetig verschlechternden Position des ­G KTSCHP standen die Putschisten vor der Frage, wie sie den sie inzwischen bedrohenden Widerstand Jelzins brechen sollten. Da der russische Präsident in einem Telefonat mit Krjutschkow deutlich gemacht hatte, dass er keinesfalls bereit sei, den Widerstand gegen das G ­ KTSCHP einzustellen oder abzumildern, lief es für das Komitee nun auf drei Alternativen hinaus. Die Putschisten befanden sich damit in einer Falle, in die sich selbst hineinmanövriert hatten. Vor ihnen lagen drei Szenarien, von denen nur das erste beherrschbar war. Es bestand darin, keine Gewalt anzuwenden. Damit war die Niederlage einkalkuliert, die mit dieser Festlegung auch zwangsläufig war. Das zweite Szenario sah vor, Gewalt anzuwenden und trotz der zu erwartenden hohen Opferzahl einen entsprechenden Befehl zu erteilen. Die Militäraktion verlief dabei für die Putschisten erfolgreich, der Widerstand der ­ KTSCHP-Gegner aus dem Jelzin-Lager wurde gebrochen. Das dritte G Szenario war, Gewalt anzuwenden und trotz der zu erwartenden hohen Opferzahl einen entsprechenden Befehl zu erteilen. Die Militäraktion verlief nun aber für die Putschisten katastrophal, weil der Befehl von Teilen der militärischen Einheiten von Armee, KGB und Innenministerium nicht, zögerlich oder unvollständig ausgeführt wurde. Nach der damit einhergehenden Niederlage waren die strafrechtliche Schuld und das Bestrafungsmaß für die besiegten Putschisten um ein Vielfaches größer als bei einer Niederlage ohne Befehl zur Gewaltanwendung. Eine besondere Verantwortung lag auf dem Verteidigungsminister. Dessen Soldaten waren mit ihrem schweren Gerät fast ausnahmslos ohne Kenntnis darüber, dass ein ­GKTSCHP gebildet worden war, in die Stadt

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kommandiert worden. Jasow als einer der drei Mitglieder des Komitees, die über militärische Macht und Mittel verfügten, war höchstwahrscheinlich schon am Nachmittag insgeheim zur Aufgabe bereit gewesen. Der Gruppenzwang hielt ihn jedoch noch davon ab. Krjutschkow und Pugo befürworteten, Jelzin und andere Mitglieder der russischen Führung festzunehmen und unter Hausarrest zu stellen, „bis sich die Lage stabilisiert“ habe.304 Laut Krjutschkow wurde auf der Abendsitzung auch erörtert, wie mit den Einheiten von Armee, Innenministerium und KGB die Personen im Gebäude des Obersten Sowjets hätten entwaffnet werden können.305 Der Versuch des Autors, mit Tisjakow in einem Telefonat im April 2011 über den August 1991 zu sprechen, scheiterte. Er wollte darüber nicht reden, sagte nur, dass er und Baklanow schon am 20. August abends das Komitee verlassen hätten, was allerdings nicht zutreffend ist. Wohl aber fanden die Ermittler in Baklanows Büro eine entsprechende schriftliche Erklärung an Janajew, die er aber nicht zu Ende geschrieben hatte. Baklanow deutete in dem abgebrochenen Schreiben die Ineffektivität des Komitees an. Beide – Baklanow und Tisjakow – blieben aber weiter im G ­ KTSCHP, nahmen auch an der letzten Sitzung am 21. August 1991 teil. Jasow gab zu, dass über das „Auseinanderjagen der Leute vor dem ­Weißen Haus“ geredet wurde („o razgone ljudej, sobravšichsja pered Belym Domom‘“).306 Im Klartext hieß dies, dass über die Erstürmung des Weißen Hauses gesprochen wurde. Mit einer solchen hätte man in Kauf genommen, dass die frei und demokratisch gewählte russische Führung, viele Abgeordnete und sehr viele Bürger ums Leben gekommen wären. Damit standen die Putschisten vor einer überaus schwerwiegenden Entscheidung. Doch sie trafen keine – zu einem kleineren Teil aus Uneinigkeit, zu einem größeren aus Unentschlossenheit und der mangelnden Bereitschaft, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Das Komitee-Mitglied S ­ tarodubzew sagte später: „Irgendeine Entscheidung wurde nicht getroffen, niemand stimmte über diese Frage [Arrest Jelzins] ab.“ 307 Tisjakow gab zu Protokoll, dass gegen den Vorschlag Krjutschkows und Pugos „niemand Einwände erhoben“ habe.308 Die Frage blieb somit schlicht unbeantwortet im Raum stehen. Das Schweigen der Runde kann schwerlich als Zustimmung ausgelegt werden. Denn zu Beginn der Sitzung hatte Janajew mit seiner geplanten öffentlichen Erklärung jeglichen Gerüchten über einen Gewalteinsatz die Grundlage entziehen wollen. Er versuchte, seinen Vorschlag noch mit der Frage an alle zu untermauern: „Oder gibt es hier unter uns solche, die

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das Weiße Haus angreifen wollen?“ Auch danach schwieg die Runde.309 ­Janajew hätte nach dem gültigen Konsensprinzip sein Veto einlegen können. In seinem Buch von 2010 geht er nicht näher auf die Abendsitzung des 20. August ein, schreibt lediglich: „Es versteht sich, dass ich alle notwendigen Vollmachten hatte, um Jelzin verantwortungsvoll zu versichern, dass seinem Leben und seiner kostbaren Gesundheit absolut keine Gefahr drohte. […] Denn ohne einen Beschluss des G ­ KTSCHP hätten weder Jasow noch sonst irgendein Militärführer den Befehl zum Sturm des Gebäudes des Obersten Sowjets [Weißes Haus] geben können.“ 310 Krjutschkow schreibt in seinen Memoiren, er sei gegen das Verlesen einer Nichtangriffserklärung gewesen, weil sie die Gerüchte und die Ängste nur verstärkt hätte. Die Frage nach dem Sturm sei aber auf keiner Sitzung des ­ KTSCHP erörtert worden.311 Die in seinen Verhören gemachten AussaG gen erwähnt er darin nicht. Auf der Abendsitzung, die die letzte reguläre und fast vollständige (bis auf Pawlow) sein sollte, gab es keine Abstimmung, keinen Beschluss und keinen Befehl des G ­ KTSCHP, die russische Regierung auszuschalten, den Widerstand der Jelzin-Unterstützer vor dem Weißen Haus mit Gewalt zu brechen oder das Gebäude zu stürmen. Aus Sicht einer Gruppe, die die Macht übernommen hatte und behalten wollte, war die Zusammenkunft völlig ineffektiv, da die entscheidende Frage vorsichtig, unentschlossen und nicht klar gestellt wurde.

6.8 Der dritte Putschtag Die Orientierungslosigkeit des G ­ KTSCHP und die Entscheidungsschwäche ihrer zur Gewaltanwendung bereiten Mitglieder aufgrund von eigenem Zögern, nicht ausreichender Unterstützung durch die Armeeführung und wegen Bedenken aus den KGB-Einheiten fanden in den ersten Morgenstunden des dritten Putschtages ihr Ende. Die drei tödlichen Zwischenfälle nach Mitternacht an der Gartenring-Unterführung am Kalinin-­Prospekt waren der Auslöser für die Befehle des Verteidigungsministers, die Patrouillen sofort zu beenden und die Truppen aus Moskau wieder abzuziehen. Die Entscheidung über das weitere Vorgehen wurde somit von außen auf tragische Weise herbeigeführt. Am dritten Tag traten ferner die bis dahin unterdrückten Differenzen und Widersprüche innerhalb des Komitees offen und in aller Schärfe zutage.

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18  Patrouillenfahrt auf dem Moskauer Gartenring mit tödlichem Ausgang: In der Nacht zum 21. August 1991 sterben drei Demonstranten am Tunnel unter dem Kalinin-Prospekt. © Itar-TASS

19  Restriktives Recht der sowjetischen Soldaten zur Selbstverteidigung: Die Angreifer waren die Bürger. © Itar-TASS

Der dritte Putschtag

Außerdem konterkariert dieser Tag in vollem Umfang das Bild, es habe sich um einen Konflikt gehandelt, bei dem es zwischen den beiden in Moskau um die Macht kämpfenden politischen Eliten um Leben und Tod gegangen wäre. Richtig ist, dass sogar eine gewisse Familiarität zwischen den Anführern und Hauptkontrahenten – Jelzin und ­Krjutschkow – bestand. Bei ihrem nächtlichen Telefonat hatten sie ursprünglich sogar verabredet, dass der KGB-Chef am Vormittag bei der Plenarsitzung des russischen Obersten Sowjets auftreten sollte. Jelzin und der KGB-Chef wollten sogar gemeinsam nach Foros zu ­Gorbatschow fliegen. Die Aufhebung des Hausarrestes und der Kommunikationsblockade des sowjetischen Präsidenten ging seiner Weigerung unmittelbar voraus, den vier nach Foros gereisten Putschisten ein Gespräch zu gewähren. Stattdessen empfing er die ebenfalls angereiste russische Delegation. Dieser 21. August nahm auch ­Gorbatschow eine schwere politische Entscheidung ab: Das Lavieren und Taktieren zwischen den Freiheitskräften und den Systembewahrern hatte nun ein Ende gefunden. Seine engen Mitstreiter und Vertrauten, die zu Putschisten geworden waren, waren mit ihren politischen Vorstellungen auf brutale Art gescheitert. Er konnte sich von ihnen nur noch distanzieren. Ihr Untergang führte aber auch zu einem deutlichen Machtverlust bei ihm selbst. Die Zurückweisung der einstigen Vertrauten und die Verbrüderung mit den Jelzin-Mitstreitern in Foros steht somit symbolisch auch für die Auflösung der inneren Widersprüche der Sowjetunion, die seit etwa Anfang 1990 eklatant waren und das Land paralysiert hatten.

Die drei Todesopfer Seit 23 Uhr (20. August) galt eine Ausgangssperre in Moskau, die erst um 21 : 21 Uhr im Fernsehen publik gemacht worden war. Sie wurde nicht befolgt – nicht zuletzt, weil viele Bürger keine Kenntnis von ihr hatten. Die Verstöße wurden seitens der Miliz oder des Militärs auch nicht verfolgt. Personell wäre dies aufgrund der hohen Zahl der auf den Straßen befindlichen Menschen ohnehin nicht möglich gewesen. Offensichtlich bestand das Ziel der Patrouillen darin, die Bürger einzuschüchtern und sie auf diese Weise zur Befolgung der Ausgangssperre zu bewegen. Der von Jasow eingesetzte Stadtkommandant Kalinin erteilte dem Kommandeur der Tamaner Division, Valeri Martschenkow, den Befehl, die Patrouillenfahrten zu organisieren. Dieser setzte 76 Panzerfahrzeuge ein und kommandierte 760 Mann dafür ab.312 In der Erwartung, die Armeeeinheiten würden mit

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Gewalt gegen das demokratische Lager und ihre Unterstützer vorgehen, errichteten die überwiegend jungen Menschen auf Moskaus Hauptverkehrsader – dem Gartenring – Barrikaden. Doch die Panzerfahrer hatten keinerlei Angriffsabsichten, weil ihnen der Befehl gegeben worden war, nicht zu schießen und sich nicht provozieren zu lassen. Der verhängnisvolle „Befehl, nur zu patrouillieren“ 313, wurde von der aufgebrachten Menge in fataler, völlig unverschuldeter Fehleinschätzung als Bedrohung und Aggression eingestuft. Die Lage eskalierte, als die Armeefahrzeuge, die sich auf dem Gartenring bewegten, in den Tunnel am Kalinin-­Prospekt hineinfuhren. Die ­GKTSCHP-Gegner gingen dazu über, die Panzer mit Steinen und Brandsätzen anzugreifen. Die Armeefahrzeuge fuhren Kolonne. Als der erste Panzer aus dem Tunnel wieder herausfuhr, traf er auf quergestellte Oberleitungsbusse und konnte weder weiter noch zurückfahren. Einige aus der Menge kletterten auf die Gefechtsfahrzeuge oder warfen Decken auf die Sehschlitze, um den Fahrern die Sicht zu nehmen. Unter den Angreifern war auch der 23 Jahre alte Dmitri Komar. Der Panzerwagen 536 streifte bei seinen Fortbewegungsversuchen einen Tunnelpfeiler, wodurch sich die Einstiegsluke öffnete.314 Komar versuchte, in den Panzer einzudringen, und bedrohte ein Besatzungsmitglied, das daraufhin einige Schüsse durch die offene Luke abgab. Als der Schützenpanzer zurückstieß, verlor Komar das Gleichgewicht und fiel herunter. Mit dem Kopf schlug er auf den Asphalt und kam dabei ums Leben. Das nun von anderen wütenden Verteidigern der Demokratie (wie sie genannt wurden) bedrohte Besatzungsmitglied des Panzers 536 versuchte einige Warnschüsse in die Luft abzugeben, um sich zu schützen. Dabei trafen einige Kugeln die offene Panzertür und wurden somit zu Querschlägern. Eine Kugel traf Wladimir Usow in den Kopf; er war sofort tot.315 Daraufhin setzten einige aus der Menge den Panzer in Brand. Als das Feuer in den Innenraum zu gelangen drohte, versuchte die Mannschaft zu fliehen. Der Fahrer Nikolai Bulytschow, dessen Name und Schicksal in Abhandlungen über den Putsch nie erscheint, wurde beim Öffnen der Luke von einem Stein getroffen. Man schüttete aus einem Eimer Benzin auf ihn; durch das entfachte Feuer erlitt er schwere Verbrennungen der Hände.316 Die anderen drei Besatzungsmitglieder kletterten aus dem brennenden Gefechtsfahrzeug und suchten Schutz im gegenüberliegenden Panzer 521. Während sie ihn bestiegen, gaben sie Warnschüsse ab. Der 28 Jahre alte Ilja Kritschewski warf einen Stein in Richtung Besatzung. Ein Unbekannter schoss ihm in den Kopf. Kritschewski war auf der Stelle tot. Die Menge stellte nach diesem tödlichen Zwischenfall die Angriffe auf die Armeeangehörigen ein.317

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Bei dem Zusammenstoß am Tunnel des Kalinin-Prospekts (heute: Neuer Arbat) kamen somit drei Menschen ums Leben; zwölf wurden verletzt, einige davon schwer.318 Dmitri Komar, Wladimir Usov und Ilja Kritschewski starben nacheinander im Zeitraum von 0 : 20 Uhr bis 0 : 40 Uhr.319 Präsident ­Gorbatschow verlieh ihnen am 24. August 1991 posthum jeweils den Titel „Held der Sowjetunion“. An diesem Tag wurden die drei Toten auf dem Friedhof Wagankowskoje in Moskau begraben. Mindestens 300.000 Menschen nahmen an dem Trauerzug durch die Innenstadt teil. Im politischen Sinn können die Handlungen der an der Unterführung agierenden ­G KTSCHP -Gegner als Akte der Verteidigung der neuen gesellschaftlichen Errungenschaften ausgelegt werden. Von der Sache her handelte es sich bei den Aktionen der aufgebrachten Menge aber um einen Angriff auf Soldaten, die nicht nur einen ausdrücklichen Befehl zur Gewaltenthaltung hatten, sondern die auch von ihrem Recht auf Selbstverteidigung nur sehr vorsichtig und restriktiv Gebrauch machen durften. Die meisten Bürger, die sich am Gartenring aufhielten, handelten sicherlich in dem Glauben, die Gefahr einer Rückkehr der Gesellschaft in alte Zeiten abwenden zu müssen. Und das Weiße Haus sahen sie durch die Präsenz des Militärs unmittelbar bedroht. Für die Gerüchte, dass in der Nacht ein Sturm auf das Parlamentsgebäude bevorstünde, trug in erster Linie Krjutschkow die Verantwortung. Die von ihm initiierte Planung und inkonsistente Vorbereitung blieb dem Jelzin-Lager nicht verborgen.320 Dies wiederum hatte zur Folge, dass unter anderen der russische Vizepräsident und Afghanistan-Kämpfer A ­ lexander Ruzkoj pathetisch zum Widerstand aufrief. Das Schicksal von Dmitri Komar erscheint in diesem Zusammenhang besonders tragisch. Nach Darstellung seiner Mutter interessierte er sich nicht für Politik. Er hatte in Afghanistan gedient und hatte dort sein Kampfsoll erfüllt, wie er der Familie gesagt hatte. Die Mutter fragte ihn am 19. August, ob er zu den Demonstrationen gehen würde. „Nein, da gehe ich nicht hin“, war seine Antwort. Er nahm dann am ersten Tag auch nicht teil. Dmitrij Komar arbeitete als Fahrer in einer Möbelfabrik, stand am 20. August um 5 Uhr auf, fuhr zur Arbeit. Die revolutionären Ereignisse tangierten seinen Alltag zunächst nicht. Nach Beendigung der Schicht fuhr er in einem Auto mit Kollegen zur Metrostation „Straße des Jahres 1905“. Dort, vor dem Eingang zur U-Bahn, richtete ein Mann mit Megaphon einen Appell des russischen Vizepräsidenten Ruzkoj an die Soldaten, die in Afghanistan gedient hatten: „Alle Afghanistan-Kämpfer zur Verteidigung des Weißen

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Hauses!“ Komar, der Ruzkoj extrem bewunderte, weil dieser im Krieg als Kampfflieger zweimal in Gefangenschaft geraten war und den Titel „Held der Sowjetunion“ trug, horchte auf und sagte zu seinen Kollegen, dass er dem Aufruf folgen werde und sich nun dorthin begeben würde. „Ruzkoj war für Dima ein Held, er vergötterte ihn. Hätte er nicht zufällig diesen Aufruf gehört, wäre er da nicht hingegangen und er würde noch leben“, stellt die Mutter des Opfers fest. Schon wenige Jahre nach dem Putsch verwandelte sich Ruzkoj dann aber von einem erbitterten Gegner des ­ KTSCHP in einen Sympathisanten und Unterstützer. 1991 hatte er die G Komitee-Mitglieder noch als „Bande von Kriminellen“ 321 bezeichnet, 2011 trat er mit ihnen gemeinsam im Fernsehen auf und verteidigte den Putsch. Die Mutter des Todesopfers Komar sagte dazu: „Als ich ihn vor einem halben Jahr [Sendung zum 20. Jahrestag] im Fernsehen an der Seite der Putschisten sah, war das zu viel für mich.“ 322 In diesem Schicksal und in der politischen Metamorphose des russischen Vizepräsidenten spiegeln sich die eklatanten Widersprüche des revolutionären Jahres 1991 und der postsowjetischen Zeit wider. Selbst die Mutter des Opfers bedauert inzwischen den Untergang der Sowjetunion. Sie meint, die Putschisten hätten die „falschen Methoden“ gewählt. Die Hauptfehler seien gewesen, die Armee in die Stadt zu bringen, die Unwahrheit über den Zustand ­Gorbatschows zu verbreiten und ihn zu isolieren. Die tragischen Ereignisse an der Unterführung am Kalinin-Prospekt erhielten durch die Berichterstattung eine Bedeutung, die sie in der Realität nie hatten. Die Panzerfahrzeuge, die angegriffen wurden, waren vom Majakowski-­Platz aus gestartet323 und waren Richtung Smolensker Platz unterwegs. Sie fuhren weit am Weißen Haus vorbei, befanden sich ca. 800 Meter entfernt auf dem Gartenring (Karte im Anhang, Seite 490). Dies bedeutet, dass sie, als sie am Kalinin-Prospekt waren, das Parlamentsgebäude schon rechts hinter sich gelassen hatten. Sie fuhren also in die entgegengesetzte Richtung, entfernten sich vom Weißen Haus. Die dramatischen Nachtbilder an der Unterführung, die suggerierten, die Menschen hätten einen Angriff auf das Parlamentsgebäude abgewehrt, führten demnach in doppelter Hinsicht in die Irre.324 In diesem Zusammenhang halten sich im historischen Diskurs unzutreffende Darstellungen. Manfred Hildermeier schreibt in seiner Abhandlung über die Geschichte der Sowjetunion: „Es folgten dramatische Tage der Konfrontation zwischen den Verteidigern des Weißen Hauses und den wenigen Truppenteilen, die auf die Befehle der Putschisten hörten.

Der dritte Putschtag

[…] Die Entscheidung fiel, als der Ansturm stärkerer Panzereinheiten auf das Weiße Haus während der ersten Stunden des 21. August in den Barrikaden und der Menschenmenge steckenblieb.“ 325 Helmut Altrichters Beschreibung ist auch nicht haltbar: „Der Versuch einer Panzerkolonne, sich in der Nacht zum 21. August den Weg zum Weißen Haus, dem Sitz der russischen Regierung, zu bahnen, scheiterte […].“ 326 Eine ähnliche Darstellung findet sich bei John Morrison.327 Geoffrey Hosking schreibt, drei Menschen seien getötet worden, „als die Panzerfahrzeuge sich auf das Weiße Haus zubewegten.“ 328 Zur Legendenbildung trägt auch Wolfgang Leonhard in seiner Abhandlung „Die Reform entlässt ihre Väter“ bei: „Gegen Mitternacht begannen starke Panzerverbände mit dem Vormarsch auf das Regierungsgebäude. Doch häufig wurden die Panzer von den Menschen aufgehalten. Den Demonstranten gelang es, den direkten Angriff der Truppen auf das Weiße Haus zu verhindern.“ 329 Verteidigungsminister Jasow war erschüttert über die Todesfälle. Er gab den Befehl, die Patrouillen sofort einzustellen. Die Panzerbesatzungen sollten bis zum Tagesanbruch mit dem Abzug warten, weil er ihn in der Dunkelheit für risikoreicher hielt.330 General Leonid Solotow, Stabschef des Militärbezirks Moskau, hatte den stellvertretenden Verteidigungsminister Atschalow telefonisch über das Unglück informiert. Gegenüber der Staatsanwaltschaft sagte Atschalow: „Ich fuhr in die Stadt, um mir selbst ein Bild von der Lage zu machen. Auf den Straßen sah ich Barrikaden und viele Menschen. Ich sprach mit den Leuten, mit Milizionären, mit Sanitätern und Soldaten der Luftlandetruppen. Alle waren sehr aufgewühlt und besorgt. Als ich wieder im Verteidigungsministerium war, habe ich meine Eindrücke Jasow geschildert und ihm vorgeschlagen, alles anzuhalten. Jasow rief mir zu: ‚Geh in dein Büro und gib das Kommando ‚Halt‘! […] Ich rief Gratschow an und übermittelte ihm Jasows Befehl.“ 331 Da in vielen Medien und auch – wie oben erwähnt – in historischen Abhandlungen im Zusammenhang mit den tragischen Ereignissen an der Unterführung unzutreffende und widersprüchliche Darstellungen kursieren, erschien es geboten, Pawel Gratschow zu der Initiative, die Patrouillen abzubrechen, zu befragen. Er war der für die Armee verantwort­liche Kommandeur vor Ort. „Jasow gab den Befehl zum Halt und dann zum Abzug“, bestätigte er.332 Dass die drei Todesopfer großen Einfluss auf das Gesamtereignis – den Putsch – hatten, wird auch durch die Einschätzung Baklanows unterstrichen, der bis zum Schluss für einen Gewalteinsatz plädiert hatte. Nach den tödlichen Zwischenfällen sei die Niederlage des

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­ KTSCHP klar gewesen, bedauert er.333 Die Panzerbesatzungen wurden G strafrechtlich allesamt nicht belangt, da sie sich in Notwehr befunden und mit dem Patrouillieren einen Befehl ausgeführt hatten.334 Es gibt keinen Zweifel: Ein abgewehrter Angriff auf das Weiße Haus ist ein Mythos. Die Panzer fuhren in die entgegengesetzte Richtung, die Angreifer waren die Demonstranten, die Soldaten hatten den Befehl zur Gewaltenthaltung und übten ihr Recht auf Selbstverteidigung sehr zurückhaltend aus. Die Ursache dafür, dass eine solche Eskalation überhaupt möglich wurde, lag in der Entscheidung Jasows, Patrouillenfahrten anzuordnen, die von den Demonstranten überwiegend als Bedrohung aufgefasst wurden. Dass von den Panzern tatsächlich überhaupt keine Gefahr drohte, konnten die Demonstranten nicht wissen. Die vom KGB-Chef initiierte und forcierte Planung und Vorbereitung der Einnahme des Parlamentsgebäudes war zwar inkonsistent und wäre aufgrund der ablehnenden Haltung der Armeeführung ohnehin nicht durchführbar gewesen – sie schürte allerdings die Ängste und trug so zu der spannungsgeladenen Atmosphäre ab dem Abend des 20. August bei. Tagsüber jedoch, so stellt der Augenzeuge Gerd Ruge fest, habe es rund um das Weiße Haus sogar so ausgesehen wie bei einem „Volksfest“. Er schildert in seinem Buch über seine Korrespondentenjahre in Moskau unter anderem: „Nun kamen sie zu Zehntausenden – ganze Familien, Väter, die ihre Kinder auf den Schultern trugen, Schüler und Schülerinnen, die ihre Gitarren mitgebracht hatten, alte Ehepaare, die eingehakt gingen. Das war für mich das größte Erlebnis dieser Putschtage: Die Moskauer hatten keine Angst mehr.“ 335 Am 20. August abends änderte sich die Stimmung, nachdem sich die Gerüchte über einen bevorstehenden Sturm verbreitet hatten.

Die Nachtsitzung im KGB Wie inkonsistent das gesamte Vorgehen der Putschisten war, zeigt sich besonders daran, dass im Büro des KGB-Chefs eine Sitzung anberaumt war, auf der über einen Militäreinsatz gestritten wurde. Die Ursache und verantwortlich für diese Uneinheitlichkeit war der KGB-Chef, der den Putsch nicht nur maßgeblich vorbereitet hatte, sondern auch in dessen Verlauf der Hauptorganisator blieb. Das Entscheidende und für das Gesamtunternehmen des ­GKTSCHP Abträgliche dabei war, dass er parallel zum Komitee eigenständig vorging und Anweisungen gab, die eindeutig nicht vom ­ KTSCHP mandatiert waren. Obwohl es auf der Abendsitzung ab 20 Uhr G keinen Beschluss zum Sturm des Weißen Hauses gegeben hatte und diese

Der dritte Putschtag

Frage offengeblieben war, rief er für 1 : 30 Uhr in der Nacht eine Sitzung ein, um genau darüber zu beraten. Er hatte offensichtlich die Autorität, einzuberufen und den Ort zu bestimmen – seinen Dienstsitz. Bezeichnend ist ferner, dass sich überwiegend die Befürworter eines gewaltsamen Vorgehens sowie Militärs dort versammelten. Von den ­GKTSCHP-Mitgliedern rief Krjutschkow Baklanow zu sich, außerdem Schenin, der ebenfalls ein Hardliner war. Schließlich lud er auch Jasow ein, auf dessen Zustimmung zu einem Angriff er angewiesen gewesen wäre. Denn ohne Unterstützung durch die Armee hätten die KGB-Einheiten und die Truppen des Innenministeriums die Operation nicht beginnen können. Nach dem tragischen Zwischenfall mit drei Toten am Gartenring blieb der Verteidigungsminister in seinem Büro. Er schickte seinen Stellvertreter Atschalow und General Warennikow zum KGB.336 Den staatsanwaltlichen Ermittlungen zufolge waren bei der Nachtsitzung im KGB folgende Personen anwesend:337 –– Wladimir Krjutschkow, G ­ KTSCHP-Mitglied –– Oleg Baklanow, G ­ KTSCHP-Mitglied –– Oleg Schenin, Organisationschef der KPdSU, Mitorganisator des G ­ KTSCHP –– Wladislaw Atschalow, stellvertretender Verteidigungsminister der UdSSR –– Valentin Warennikow, Befehlshaber der sowjetischen Landstreitkräfte –– Geni Agejew, stellvertretender KGB-Chef –– Viktor Gruschko, stellvertretender KGB-Chef –– Jewgeni Rasschtschepow, KGB-Abteilungsleiter –– Vitali Prilukow, KGB-Chef von Moskau-Stadt und des Moskauer Gebiets –– Boris Gromow, General und stellvertretender Innenminister

Atschalow schreibt in seinen 2010 erschienen Erinnerungen: „Die Lage war angespannt. Wir [Atschalow, Warennikow und Gromow] wussten, in welche Einrichtung wir fahren und warum wir dahin fahren.“ 338 ­Krjutschkow erwähnt diese Sitzung in seinen Erinnerungen mit keinem Wort. Sie war die Kulmination seines inkonsistenten, nicht autorisierten Vorgehens und seiner organisatorischen Unfähigkeit. Sie endete im Streit und wieder damit, dass offiziell keine Entscheidung getroffen wurde. Atschalow, Warennikow und Gromow kamen als Letzte zu der Sitzung. Vor allem Baklanow und Schenin forderten einen Militäreinsatz. Atschalow erinnert sich: „Bei dem Streit im Büro von Krjutschkow warfen sie uns vor, wir Militärs würden keine Initiative zeigen.“ 339 Atschalow, der kurz zuvor die Situation um das Weiße Haus persönlich in Augenschein genommen

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hatte und auch unter dem Eindruck der tödlichen Zwischenfälle stand, hatte Jasow noch vor der Nachtsitzung im KGB seine Einschätzung überbracht, dass ein Sturm nicht stattfinden dürfe. Jasow war der gleichen Meinung gewesen, hatte sich ohnehin die ganze Zeit gegen eine Beteiligung der Armee an gewaltsamen Aktionen gesträubt. Nachdem Atschalow im KGB vorgetragen hatte, dass im Falle eines Sturms großes Blutvergießen nicht zu vermeiden wäre, und sich – im Wissen um die Rückendeckung Jasows – dagegen aussprach, soll Baklanow angesichts der dann besiegelten Niederlage wütend gefragt haben: „Was ist – habt ihr den Mumm verloren?“ („Što, strusili?“)340 Diese Aussage konnte nie endgültig belegt werden und wurde von Baklanow lange abgestritten. Sie brachte ihn 1991/1992 in große juristische Bedrängnis. Jeder der Beschuldigten wollte seine Beteiligung an den Planungen zum Sturm kleinreden. Der KGB -Chef von Moskau-Stadt ­Prilukow sagte im Verhör aus, Baklanow habe dies gesagt. Baklanow wiederum stritt vor den Ermittlern ab, auf einer Erstürmung bestanden zu haben. Bei einer von den Ermittlern verfügten persönlichen Gegenüberstellung zwischen Baklanow und Prilukow nahm dieser seine Aussage zurück. Die Staatsanwaltschaft wertete dieses Umschwenken als Versuch Prilukows, dem in Bedrängnis geraten Baklanow zu helfen. Sollte Baklanow tatsächlich einen solchen Druck ausgeübt und den Militärs Vorwürfe gemacht haben, wäre dies ein Beweis dafür, dass zumindest unter den Hardlinern der Putschisten der Wille und die Absicht vorhanden waren, das 20  General Valentin Warennikow: Er war der wohl größte Intimfeind Gorbatschows. Die beiden trafen 1994 vor Gericht aufeinander. © RIA Novosti

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Gebäude zu stürmen – auch nach den tödlichen Zwischenfällen am Gartenring. Und genau diese Atmosphäre herrschte in der Nachtsitzung. Baklanow räumte im Gespräch mit dem Verfasser ein, die umstrittene Aussage im Büro des KGB-Chefs gemacht zu haben: „Ja, das habe ich wohl gesagt.“ 341 Die Vorwürfe an die Militärs bestätigt Atschalow und führt weiter aus: „Wir haben dann unsere Fragen gestellt: ‚Welche Maßnahmen sollen wir denn treffen? Wer hat zu dieser Frage Anweisungen gegeben? Und welche? […].‘“ 342 Krjutschkow war inzwischen auch bekannt, dass seine eigenen Untergebenen Bedenken gegenüber möglichen Angriffsplänen vorgetragen hatten. Die KGB-Kommandeure waren gegen 21 Uhr bei Agejew, dem Stellvertreter Krjutschkows, gewesen und hatten ihm gesagt, dass es besser wäre, nicht zu stürmen.343 Sie hatten den ganzen Tag bis in den Abend hinein den Befehl ausgeführt, die Operation vorzubereiten. Innenminister Pugo, der allerdings im Gegensatz zu Jasow Gewalt befürwortete, schickte zu der Nachtsitzung seinen Stellvertreter Gromow. Dieser sträubte sich nach eigenen Angaben gegen diese Anordnung und schlug seinem Chef vor, selbst hinzugehen. Pugo habe ihn mit den Worten unterbrochen: „Machen Sie sich auf den Weg – keine Diskussion!“ Er habe entgegnet: „Welche Aufgaben auch immer den Truppen des Innenministeriums auf der Sitzung übertragen werden sollten – sie werden nicht nach Moskau einmarschieren.“ 344 Diese Darstellung des Dialogs konnte von den Ermittlern nicht mehr überprüft werden, da sich Pugo am nächsten Tag erschoss. Sie erscheint in diesem herausfordernden Ton gegenüber Pugo nicht sehr glaubwürdig. Einerseits gehorchte Gromow, indem er sich zur Sitzung begab. Andererseits wollte er das Kommando über die Truppen an sich genommen haben. Zweitens legte er nicht dar, wie Pugo auf die Ankündigung, er werde nicht zulassen, die Truppen nach Moskau marschieren zu lassen, reagiert hatte. Irgendeine verbale Reaktion von Pugo hätte es auf diese Herausforderung geben müssen. Drittens war Gromow Mitunterzeichner des im Juli 1991 veröffentlichten pathetischen Aufrufs „Ein Wort an das Volk“, dem zufolge die Heimat sich in „Todesgefahr“ befand und in dem indirekt dazu aufgefordert wurde, zu den Waffen zu greifen. Unmittelbar nach dem Putsch war es dann allerdings politisch sehr opportun, auf der Seite des Widerstandes gegen die Putschisten gestanden zu haben. Nachdem Agejew die Bedenken im KGB und Atschalow die ablehnende Haltung der Armee gegenüber einem möglichen Sturm geäußert hatten, kündigte auch Gromow eine negative Haltung an. Im Verhör sagte er aus:

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„Als Krjutschkow mich fragte, ob die Spezialdivision ‚Dserschinski‘ in die Innenstadt einfahren würde, sagte ich zu ihm, dass sie nicht bewegt werde. Und in kategorischer Form sprach ich mich gegen die Operation aus und erklärte, dass die Truppen des Innenministeriums daran nicht teilnehmen würden, weil es sonst ein ‚Blutbad‘ geben würde.“ 345 Nun offenbarte sich die ganze Ausweglosigkeit. General Warennikow wollte noch nicht kapitulieren. Am 19. August hatte er aus Kiew noch Telegramme an das G ­ KTSCHP geschickt, die später sichergestellt wurden. Sie hatten unter anderem folgenden Inhalt: „Die Untätigkeit in Bezug auf die destruktiven Kräfte ist völlig unverständlich. […] Wir bitten dringend, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um die Gruppe des Abenteurers Jelzins zu liquidieren.“ 346 In der Nachtsitzung sagte er nun: „Der frühere Plan [zum Sturm] sollte in Kraft bleiben, nur der Zeitpunkt seiner Realisierung sollte am Morgen festgelegt werden, wenn die Situation klarer ist.“ Als hätte er zu diesem Zeitpunkt noch nennenswerten Handlungsspielraum gehabt, sagte Krjutschkow affirmativ: „Ja, man muss nochmal über alles nachdenken.“ 347 In Atschalows Erinnerungen heißt es dazu: „Die Sitzung endete ergebnislos […]. Als Krjutschkow sie schloss, sagte er, dass man darüber nachdenken müsse, wie weiter vorzugehen sei.“ 348 Warennikow schrieb, Baklanow und Schenin seien diejenigen gewesen, die nachdrücklich einen Militäreinsatz noch in der Nacht gefordert hätten, doch habe Krjutschkow nach den tragischen Todesfällen vorgeschlagen, „die Frage über die Maßnahmen bezüglich des Weißen Hauses von der Tagesordnung zu nehmen.“ Dabei sei er von den KGB -Mitarbeitern unterstützt worden.349 Warennikow äußerte in seinen Memoiren (ähnlich wie Baklanow) Zweifel an der Kompetenz des KGB -Chefs. Er schilderte darin eine aufschlussreiche Episode der Nachtsitzung und verteilte dabei ironisches Lob: „Während der Problemerörterung und Lösungssuche stand Wladimir Alexandrowitsch [Krjutschkow] mehrmals vom Tisch auf und ging in ein anderes Zimmer, wo er Telefonate entgegennahm. Nach einem dieser Telefonate kam er wieder zurück an den Tisch und bemerkte nebenbei: ‚Man hat mir berichtet, dass Silajew [Ministerpräsident Russlands] das Weiße Haus verlassen hat und bei seiner Geliebten übernachtet.‘ Ich dachte insgeheim nur: Was haben diese Prachtkerle [im KGB ] nicht alles drauf, dass sie sogar hinter ­solche Details kommen. Man kann sich gut vorstellen, wie gescheit sie erst vorgehen werden, wenn sie den Plan zur Entwaffnung der Leute im ­Weißen Haus realisieren.“ 350

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Eine nebulöse militärische Gesamtstrategie war eingeschlagen worden, die die oben beschriebenen Unstimmigkeiten zur Folge hatte. Es kann keinen Zweifel daran geben, dass Krjutschkow parallel zum G ­ KTSCHP Anordnungen gab und Planungen vornahm, die nicht vom Komitee sanktioniert waren. Dass ausgerechnet die Hardliner Baklanow und Schenin die einzigen Teilnehmer der Nachtsitzung im KGB waren, die nicht den drei militärischen Machtzentren angehörten (Armee, Innenministerium und KGB), ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass sie als Krjutschkows Hauptunterstützer und Gesinnungsgenossen Teil dieser Parallelstruktur waren.

Gab es einen Befehl, Jelzins Machtzentrale zu stürmen? Als bewusster Versuch der Irreführung kann die Behauptung des KGBChefs in seinem Buch bezeichnet werden, man habe vor dem Einmarsch der Truppen nach Moskau verabredet, im Falle der Gefahr des Blutvergießens und der Gefahr, dass es Opfer geben würde, die Aktivität des ­GKTSCHP sofort einzustellen, unabhängig davon, in welchem Stadium man sich befinde.351 Diese Darstellung eignet sich dazu, einerseits den Handlungen und Absichten des Komitees einen vermeintlich humanen, friedlichen Charakter zu geben und andererseits den Misserfolg des Unternehmens mit der vermeintlich menschlichen Güte seiner Mitglieder zu erklären und somit von der eigenen Unfähigkeit abzulenken. Die Gefahr, es könnte Opfer geben, entstand schon allein dadurch, dass Truppen und Panzer in die Innenstadt Moskaus befohlen wurden. Anordnungen und Befehle, ­Jelzins Machtzentrale gewaltsam einzunehmen, wurden, wie bereits erwähnt, auf den G ­ KTSCHP -Sitzungen nicht beschlossen oder gegeben. Dennoch bestanden entsprechende Absichten Krjutschkows und anderer Hardliner. Diese Absichten fanden ihren Niederschlag zunächst in Anordnungen an die militärischen Abteilungsleiter des KGB. Am 20. August nachmittags mündeten sie in einen nicht klar definierten Plan, der im Büro des stellvertretenden Verteidigungsministers erörtert wurde. Selbst Gratschow, der 1992 russischer Verteidigungsminister wurde und während der Putschtage Jelzin mit Informationen versorgt hatte, bestätigt, dass es keinen finalen Befehl gegeben hat. Er habe Jasow in der Nacht des 21. August angerufen, um Klarheit zu bekommen, welchen militärischen Auftrag er nun hatte. Im Verteidigungsministerium teilte man ihm mit, dass der Minister sich ausruhe und nicht gestört werden wolle.352 Was auf den ersten Blick grotesk oder lächerlich erscheint, hatte einen plausiblen Hintergrund: Jasow war erschüttert von dem tragischen Zwischenfall der

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Panzer-Patrouillenfahrt gegen halb ein Uhr, bei dem drei junge Männer ums Leben gekommen waren.353 Zur Legendenbildung, der vermeintliche Sturm auf das Weiße Haus sei aufgrund von Befehlsverweigerungen oder Zuwiderhandlungen der Kommandeure vor Ort gescheitert, hat Gratschow erheblich beigetragen. In seinen Memoiren findet Jasow deutliche Worte zu Gratschows Darstellung aus dem Jahre 1991. Gegenüber der Staatsanwaltschaft hatte Jasows ehemaliger Untergebener Gratschow zu Protokoll gegeben: „Ich glaube, nur das entschiedene Vorgehen der militärischen Führung der Truppen des Innenministeriums, insbesondere Gromows, des Befehlshabers der Luftlandetruppen [das war Gratschow selbst], meiner Stellvertreter sowie von Atschalow und dem ‚Alpha‘-Kommandeur Karpuchin hat die Verwirk­ lichung des Planes der Einnahme des russischen Regierungsgebäudes und der Führung der RSFSR verhindert.“ 354 Jasow kommentiert diese Aussage mit den Worten: „Alles, was Gratschow da sagt, ist völliger Unsinn. Es ist kein Zufall, dass dieser ‚Held‘ sich vor einer Aussage lange drückte und erst am 25. Oktober [1991] vernommen wurde. […] Niemand, auch der ergebene Pawlik [gemeint ist Gratschow] nicht, sprach davon, dass Jasow ihm den Befehl gegeben hätte und er ihn nicht befolgt hätte.“ 355 Auch Viktor Karpuchin, der 2003 verstorbene Chef und Kommandeur der KGB-Elitetruppe „Alpha“, trug durch seine Aussagen zur Legendenbildung bei. In den Reihen seiner Truppe und in der Einheit „B“ herrschten Bedenken hinsichtlich der Zweckmäßigkeit eines Angriffs. Vereinbart wurde, die Bedenken der KGB-Führung vorzutragen. Im staatsanwaltlichen Verhör allerdings gab Karpuchin dieses Vortragen der Bedenken und des Unbehagens als Befehlsverweigerung aus. Eine Befehlsverweigerung hätte aber nach dem geltenden sowjetischen Militärrecht die Todesstrafe zur Folge haben können. Karpuchin sagte aus: „Ich machte allen [Mitgliedern der Einheiten] klar, dass es nötig sei, die Verweigerung nachdrücklich und klar auszusprechen. Ich ging zu meinen höchsten Vorgesetzten – und ich ging zu ihnen, um sie von der Befehlsverweigerung zu unterrichten. Welche Konsequenzen das haben konnte, bedarf keiner näheren Erläuterung. Für Agejew [stellvertretender KGB-Vorsitzender] kam unsere Absage, das Gebäude des Obersten Sowjets zu stürmen, unerwartet.“ 356 Laut einem Zeitungsinterview eine Woche nach dem Putsch erklärte Karpuchin dann das Gegenteil. In der Rossijskaja Gazeta vom 28. August 1991 wurde er auf die Frage, ob er jeden Befehl von oben ausgeführt hätte, mit der Antwort zitiert: „Absolut.“ 357 Keine Zweifel an der Authentizität seiner Aussagen

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zum angeblichen Angriffsbefehl liegen bei seinem Interview für das russische Fernsehen vor, das er kurz vor seinen Tod gegeben hatte und das in einer russischen TV-Dokumentation anlässlich des 15. Jahrestags des Putsches ausgestrahlt wurde. Dem G ­ KTSCHP habe es an Entschlossenheit gemangelt, stellte Karpuchin fest: „Es war die Rede davon, mit Lautsprechern auf die Menge einzureden, Gerätschaften aufzufahren, auf das Gebäude Scheinwerfer zu richten, eine Filtration vorzunehmen und die Leute dort wegzuschaffen. […] Aber im Komitee gab es niemanden, der in der Lage war, eine Entscheidung zu treffen.“ 358 Auch Michail Golowatow, Vize-Kommandeur der KGB-Elite-Truppe „Alpha“ bestätigt: „Es war alles vorbereitet. Wir warteten etwa von 22 Uhr bis 2 : 00 Uhr kampfbereit in unseren Stellungen. Doch es kam nie ein Angriffsbefehl.“ Hätte er ihn ausgeführt? Seine Antwort: „Ja. Ich bin ein Angehöriger des Militärs.“ („Da, ja voennyj čelovek.“)359 Boris Beskow, Kommandeur der KGB-Kampfeinheit „B“, bestätigt ebenfalls, dass es keinen Befehl gegeben hatte. Er habe allerdings gegenüber seinem Vorgesetzten Leonid Schebarschin im Vorfeld telefonisch gesagt, dass man nicht stürmen solle. Beskow führt aus: „Deswegen: Wenn man mir von irgendwelchen Befehlsverweigerungen erzählt, entgegne ich immer, dass ich persönlich zu keinem Zeitpunkt einen Befehl zum Sturm erhalten habe.“ 360 Dies impliziert, dass einzelne Kämpfer seiner oder der „Alpha“-Einheit auch keinen Befehl erhalten haben können. Sehr klar äußerte sich der damalige KGB-Abteilungsleiter und ehemalige Spionagechef Leonid Schebarschin, der 1991 Krjutschkow unterstellt war. Er habe keine Gelegenheit zum Heldenmut gehabt, denn: „Es gab keinen Befehl, und es gab keinen Sturm auf das Weiße Haus.“ 361 Sarkastisch-ironisch beschreibt Generalmajor Alexander Lebed in seinem Buch, das sich in einem Kapitel dem Putsch widmet, die Befehlslage um das Weiße Haus. Die Soldaten seien Streife gefahren. „Jeder, der sich in Moskau auch 21  Michail Golowatow, Vizekommandeur der KGB-Elitekampfeinheit „Alpha“: „Es kam nie ein Angriffsbefehl.“ © I. Lozo

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nur ein bisschen auskennt, wird zugeben, dass das Gebäude des Obersten Sowjet [Weißes Haus], sobald die Kompanie im Tunnel verschwand, rechts hinter ihr blieb. Es gibt eine scherzhafte Regel: In der Taktik wird die Note ‚Ungenügend‘ in drei Fällen gegeben: für einen atomaren Schlag auf die eigenen Truppen, für die Forcierung eines Übergangs entlang eines Flusses und für einen Angriff in die diametral entgegengesetzte Richtung. Wenn man von einem Angriff auf den Obersten Sowjet sprechen will, dann ist klar, dass die Kompanie sich ihren Weg durch den Tunnel der Note ‚Ungenügend‘ entgegenbewegte. […] Die Kompanie fuhr durch den Tunnel, weil sie keinen Angriff vorhatte und die geplagten Offiziere und Soldaten naiv glaubten, dass sie nichts zu befürchten hätten.“ 362 Jewgenija Albats, die der parlamentarischen Untersuchungskommission zum Fall G ­ KTSCHP angehörte, schreibt in ihrer Abhandlung zum KGB, dass zwar ein Befehl zur Vorbereitung der Erstürmung gegeben wurde, nicht aber zum Angriff. Auch Roj Medwedew verneint, es habe einen Befehl zur Einnahme des Weißen Hauses gegeben.363 Leonid Luks dagegen schreibt in seiner „Geschichte Russlands und der Sowjetunion“: „Mehrere Militäreinheiten, die in Moskau und Umgebung stationiert waren, gerieten in Loyalitätskonflikte und weigerten sich, die Befehle des neugegründeten Staatskomitees auszuführen. Dies taten zum Beispiel die Offiziere der Sondereinheit ‚Alpha‘, der befohlen wurde, den Sitz des russischen Parlaments (das ‚Weiße Haus‘) zu erstürmen und Jelzin zu verhaften.“ 364 Welche Ursache könnten die widersprüchlichen Darstellungen zu der Existenz eines Sturmbefehls gehabt haben? Der unmittelbar beteiligte „Alpha“-Vizekommandeur macht die „Euphorie“ nach dem Putsch mitverantwortlich, als es opportun war, zum „Sieg der Demokratie“ beigetragen zu haben. Eine Rolle dürfte auch gespielt haben, dass es nach dem Putsch eine Reihe von internen und externen Untersuchungen über die Verwicklung einzelner Befehlsgeber und Befehlsempfänger gab. Es war vorteilhaft vorzugeben, sich dem ­GKTSCHP widersetzt zu haben. Denn zweifellos setzte nun eine Siegerjustiz ein, nämlich die des Jelzin-Lagers.365 Doch zur größten Verwirrung während des Putsches trugen die von Krjutschkow betriebenen Alleingänge und vagen, alle Optionen offenhaltenden Anweisungen bei. So erhielt die „Alpha“-Führung nach Angaben von Golowatow schon am 19. August die Liste der Personen, die mög­licherweise festgenommen werden sollten. Was bedeutete „mög­licherweise“? G ­ olowatow: „Krjutschkow gab den Befehl, diese Personen festzunehmen, sollte die Notwendigkeit dazu bestehen. Auch von der möglichen Notwendigkeit, das

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Weiße Haus einzunehmen, erfuhren wir schon am 19. August und sollten dazu die entsprechenden Vorbereitungen treffen.“ 366 Somit wurden nach dem Putsch oftmals die an die KGB-Einheiten mit einem Vorbehalt versehenen Befehle („sollte die Notwendigkeit bestehen“) rasch zu vermeintlich kategorischen Befehlen umgedeutet. Indirekt stellte Oleg Baklanow demgegenüber die Professionalität und Führungsqualität Krjutschkows infrage: „Der KGB hat nichts zustande gebracht.“ 367 Und wenn ­Krjutschkow im Nachhinein über die Vergabe von Orden und Tapferkeitsmedaillen für „vermeintliche Heldentaten“ bei der „Verhinderung eines mystischen Sturms auf das Weiße Haus“ spottete – Feierlichkeiten, die er als „absurdes Theater“ 368 bezeichnete –, so mag dies im Hinblick auf einige Angehörige des Militärs durchaus begründet sein, die hinterher behaupteten, sie hätten den (vermeintlichen) Sturmbefehl verweigert oder ihn sabotiert. Zeitungsfotos und Fernsehbilder im August 1991 zeigten „Verbrüderungsaktionen“ von Panzerbesatzungen und Demonstranten. Dabei versicherten die Soldaten, sie würden nie auf das Volk schießen, und wurden dafür sogleich gefeiert. So entstand der Eindruck, sie würden dem Begehren der Militärführung oder des ­GKTSCHP zuwiderhandeln, was in keiner Weise der Realität entsprach. Jasow gab den Soldaten nicht einmal die Anweisung, sich für einen Sturm vorzubereiten, geschweige denn, diesen auszuführen. Mut hingegen erforderte es, im Planungs- und Vorbereitungsstadium Bedenken gegenüber den Vorgesetzten zu äußern, wie es die KGB-Abteilungsleiter taten, denn in der Regel wurden Pläne und Anweisungen der Führung nicht diskutiert oder gar infrage gestellt. Während des Putsches trugen sie „technische“ Bedenken vor, die solch einer Operation entgegenstünden. Vorgegeben war, möglichst wenig Blut zu vergießen. Bei einem Sturm auf das Weiße Haus könne diese Maßgabe, so teilten die Abteilungsleiter der KGB-Spitze mit, nicht eingehalten werden. Zweifellos spielte auch eine Rolle, dass der Schauplatz Moskau war und nicht ein Ort in einer entfernten Republik. Viele „Alpha“-Kämpfer wären das Risiko eingegangen, gegen Bekannte, Freunde oder gar Verwandte Gewalt anzuwenden. Der stellvertretende „Alpha“-Kommandeur Golowatow ist sicher, dass seine Einheit nach einer gewaltsamen Operation von den überlebenden Opfern oder deren Angehörigen verfolgt worden wäre: „Das war Moskau! Wo hätten wir uns denn verstecken sollen?“, fragte er zwanzig Jahre später.369 Entscheidend aber ist, dass die Bereitschaft unter der „Alpha“-Truppe vorhanden war, den Sturmbefehl auszuführen, wenn er gekommen wäre. Die

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Bedenken hatten ihren Ursprung auch darin, dass diese Spezialeinheit im Januar 1991 in Vilnius zum versuchten Sturz der demokratisch gewählten Regierung Litauens eingesetzt worden war. Anschließend stand sie im In- und Ausland am Pranger, ihre Kommandeure wurden auf die Fahndungslisten von Interpol gesetzt, wurden aber laut Golowatow von der sowjetischen Führung im Stich gelassen, die die Verantwortung für den Einsatz auf sie und die Militärs vor Ort abwälzte.370 Die Mitglieder der „Alpha“-Einheit hatten mitunter den Ruf, „Berufskiller“ 371 zu sein. In der Nacht zum 21.  August 1991 rief Golowatow den zweiten „Alpha“-Vizekommandeur, Wladimir Sajzew, und den Stabschef der dem Innenministerium unterstellten OMON-Truppe, Valentin Smirnow, zu sich, um das Vorgehen abzustimmen. Der Staatsanwaltschaft gab S ­ ajzew zu Protokoll: „Golowatow sagte, falls dennoch der Befehl kommen sollte, das Gebäude des russischen Obersten Sowjets zu stürmen, müsse sich der OMON-Mann zum Eingang des Moskauer Zoos begeben, der sich unweit des Weißen Hauses befinde. Von dort werde er mit uns [‚Alpha‘] unmittelbar vor Beginn der Operation den Angriffsbeginn abstimmen. G ­ olowatow fragte, über welche Ausrüstung und Sondermittel die OMON verfüge. Smirnow sagte, Sondermittel gäbe es nicht; es seien nur Schilde und Gummi­knüppel vorhanden.“ 372 Krjutschkows Kritik an den Auszeichnungen nach dem Putsch sind – bezogen auf die einfachen Bürger, die vor dem Weißen Haus standen – allerdings abwegig. Diese konnten zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, dass ein Angriff auf das Gebäude und die russische Regierung gar nicht bevorstand. Durch ihre Präsenz hatten sie zweifellos großen Anteil daran, dass der Angriffsbefehl nicht gegeben wurde.373 Da es ihn nicht gegeben hatte, konnte es folglich auch keine Befehlsverweigerungen geben. Das Verbreiten der Legende, dass es umgekehrt war, dürfte dem Jelzin-Lager nicht ungelegen gekommen sein, weil sie die „Helden-Aura“ nach dem Putsch zusätzlich verstärkte. Jelzin führte in seinen Memoiren aus: „Aus den verschiedensten Quellen hatte uns die Nachricht erreicht, dass das ­ KTSCHP am Ende des zweiten Tages zu dem Entschluss gekommen G war, die Erstürmung des Weißen Hauses zu befehlen. Unaufhörlich wurden Militäreinheiten nach Moskau geworfen. […] Die Armee, die man nach Moskau ruft, weigert sich, das Weiße Haus zu erstürmen. […] Sie führt den Befehl nicht aus. […] Die Sondereinheit des KGB ‚Alpha‘ weigerte sich, das Weiße Haus zu stürmen.“ 374 In der Realität hat es sich so eben nicht zugetragen – weder was den „Entschluss“ des G ­ KTSCHP noch was die

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„unaufhörlichen“ Truppenverstärkungen oder die „Befehlsverweigerungen“ betraf. Der russische Präsident muss dies gewusst haben, als er sein Buch schrieb (1993). Einen Angriffsbefehl auf das Weiße Haus hat es allerdings durchaus gegeben: 1993. Jelzin persönlich gab ihn. Insgesamt kamen bei dem Angriff nach offiziellen Angaben rund 150 Bürger ums Leben.375 Und weil 1993 ein klarer Sturmbefehl gegeben worden war, wurde er auch konsequent und ohne Rücksicht auf Menschenleben ausgeführt.

Jasow und die Auflösung des ­GKTSCHP Die dramatischen letzten Stunden des G ­ KTSCHP, in denen sich die Mitglieder teilweise angeschrien haben, werden in einigen Erinnerungen der Beteiligten (zum Beispiel bei Lukjanow) entweder ausgelassen oder, wie im Fall des KGB-Chefs, grob verzerrend dargestellt. Für Jasow stand schon seit der Nacht fest, dass er die Truppen aus Moskau abziehen und damit den verbliebenen, ohnehin geringen Handlungsspielraum des Komitees vollends zerstören würde. Er setzte für 8 : 00 Uhr eine Sitzung des Militärkollegiums an,376 um sich seine Entscheidung von diesem Gremium bestätigen zu lassen, was auch geschah. Jasow sah sich allerdings Fragen ausgesetzt. Wladimir Tschernawin, Befehlshaber der sowjetischen Seeflotte, U-Bootkapitän und Held der Sowjetunion, sagte vor den Ermittlern wie folgt aus: „Wie er überhaupt in dieses ­GKTSCHP kam und Mitglied wurde, wollte man wissen. Jasow antwortete, er sei aufgrund seiner Funktion da hineingeraten“ („popal po dolžnosti“).377 Bezeichnend ist auch an dieser Stelle, dass kritische Nachfragen zur Rechtmäßigkeit des Komitees erst nach dessen Niederlage gestellt wurden. Iwan Tretjak, Oberbefehlshaber der Luftabwehrkräfte, Kämpfer im Zweiten Weltkrieg und Held der Sowjetunion, riet Jasow in dieser Sitzung, zu ­Gorbatschow zu fliegen und um Vergebung zu bitten.378 Jasow schlug später den anderen Putschisten vor, gemeinsam nach Foros zu fliegen. Die Idee für diese Aktion kam demnach von Tretjak, auch wenn dieser die „Reue-Reise“ ursprünglich nur Jasow nahegelegt hatte. Das ­GKTSCHP, das um 9 : 00 Uhr bei ­Janajew zusammenkam, wusste noch nichts von der von Jasow im Alleingang getroffenen Entscheidung zum Truppenrückzug, der das Ende des Komitees besiegelte. In Jasows Büro befand sich morgens vor der Sitzung des Militärkollegiums sein Stellvertreter Atschalow. General Warennikow wurde hinzugebeten. Dieser sagte aus: „In meiner Anwesenheit sprach der Minister lange am Telefon mit Luschkow [Stellvertreter des Moskauer Oberbürgermeisters

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Popow]. […] Sie vereinbarten schließlich, dass Generaloberst Kusnezow zu Luschkow fahren sollte, um mit ihm alle Einzelheiten [des Truppenabzugs] zu besprechen.“ 379 Damit erfuhr das demokratische Lager unter der Führung Jelzins noch vor den Mitgliedern des Putschkomitees von der faktischen Kapitulation. Zu der ­GKTSCHP-Sitzung bei Janajew schickte der Verteidigungsminister dann seine Stellvertreter Atschalow und Warennikow. Atschalow erinnert sich: „Dmitri Timofejewitsch sagte, ich solle dort überbringen, dass er aus diesem Abenteuer aussteige und die Streitkräfte ab jetzt nur noch seiner direkten Verfügungsgewalt unterstehen würden.“ 380 Doch es war Warennikow, der die „Kapitulationsnachricht“ überbrachte, auch wenn Atschalow in seinen Erinnerungen schreibt: „Nach meinen Worten wurde es unter den Anwesenden laut, es hagelte Vorwürfe. Die Sitzung wurde abgebrochen.“ 381 „Sie machten sich auf den Weg zu Jasow, um ihn zu überreden weiterzumachen.“ 382 Es brachen jedoch nicht alle Putschisten auf. Janajew, der in den Putsch gegen seinen Willen hineingezogen worden war, sah sich nun offensichtlich nicht mehr dem Gruppenzwang unterworfen und blieb im Kreml. Pugo fuhr ebenfalls nicht zu Jasow. Die Entscheidung des Verteidigungsministers rückgängig machen wollten: Krjutschkow, Baklanow, Schenin und Tisjakow. Als weiterer Teilnehmer der letzten Sitzung des Putsch-Komitees fuhr auch der Moskauer KP-Chef ­Prokofjew zu Jasow. Er schreibt dazu: „Ich meine, der beschämendste Tag der Existenz des ­GKTSCHP war der letzte, als Jasow eigenmächtig die Entscheidung zum Truppenrückzug traf.“ 383 Atschalow war bei dieser Sitzung auf Wunsch Jasows ebenfalls dabei. Es habe sich ein „heftiger Streit“ 384 entwickelt, schreibt er. Einer nach dem anderen und durcheinander hätten die Komitee-Mitglieder Jasow mit Vorwürfen konfrontiert.385 Tatsächlich hatte sich der Verteidigungsminister über das Prinzip der kollektiven Führung und Entscheidung hinweggesetzt. Jasow sagte im Verhör: „Krjutschkow wollte, dass ich weitermache, und sagte, dass noch nicht alles verloren sei. Man müsse mit allen Mitteln kämpfen. Was das bedeutete, war mir nicht klar. Tisjakow flatterten die Nerven; er startete eine regelrechte Tirade gegen mich: ‚Ich habe im Krieg gekämpft, war an der Front. Ich habe niemanden mehr außer meinem Adoptivsohn. Ich bin bereit fürs Schafott. Doch was Sie getan haben, ist eine Niedertracht.‘“ 386 Auch Baklanow drängte Jasow. Dieser erinnert sich: „Ich fragte Baklanow, was er mit ‚aktiv handeln‘ meine? Schießen, oder was? Ich lasse nicht zu, dass geschossen wird! – Baklanow empörte sich, sagte

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so etwas wie: ‚Warum haben wir das Ganze dann überhaupt angefangen?‘ Ich entgegnete: ‚Haben wir es etwa angefangen, um zu schießen, um Menschen zu töten?‘“ Schließlich habe er, Jasow, gesagt: „Wer in der Lage ist, Dummheiten zu begehen, muss auch in der Lage sein, die Verantwortung dafür zu übernehmen.“ („Umeli napakostit’, nado umet’ i otvečat’.“)387 Auch Prokofjew verlangte, Jasow solle die Entscheidung zurücknehmen. Er räumte später ein, dass er dafür gewesen war, „die Sache zu Ende zu bringen“, was den Einsatz von Gewalt meinte.388 „Idti do konca“ war eine häufige, verharmlosende Beschreibung für die Erstürmung. Auch von der „Deblockierung des Weißen Hauses“ 389 war die Rede – ähnlich wie das bedrängte DDR-Politbüro knapp zwei Jahre zuvor von der „chinesischen Lösung“ 390 gesprochen und damit die gewaltsame Beendigung der Montagsdemonstrationen gemeint hatte. Jasow blieb standhaft und schlug vor, zu ­Gorbatschow zu fliegen. Dies sei der einzig mögliche Ausweg aus der Situation, meinte er. Krjutschkow rief den Parlamentspräsidenten Lukjanow an, der sich kurz darauf ebenfalls in Jasows Büro einfand.391 Auch darüber schreibt Lukjanow in seinem Buch über den August 1991 nichts. Schließlich entschieden sich vier Putschisten, nach Foros zu fliegen: Krjutschkow, Jasow, Baklanow und Tisjakow. Der Parlamentspräsident Lukjanow schloss sich an, ebenso der später informierte stellvertretende Generalsekretär 22  Dmitri Jasow, Verteidigungsminister und letzter Marschall der Sowjetunion: „Ich lasse nicht zu, dass geschossen wird!“ Jasow war Soldat im Zweiten Weltkrieg. Er meldete sich 1941 im Alter von 17 Jahren freiwillig zum Dienst in der Armee, um gegen die Wehrmacht zu kämpfen. Er wurde zweimal verwundet. Um in die Armee aufgenommen zu werden, machte er sich ein Jahr älter. Aus diesem Grund existieren heute noch Angaben, er sei 1923 geboren. Jasow ist Jahrgang 1924. © Privatarchiv von D. Jasow, mit dessen freundlicher Genehmigung

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des ZK der KPdSU, Wladimir Iwaschko. Auch der KGB-Abteilungsleiter Plechanow, der die Isolierung des Präsidenten auf Anweisung seines Chefs organisiert und am 18. August als „Türöffner“ fungiert hatte, flog wieder mit nach Foros. Die Parteispitzenfunktionäre Prokofjew und Schenin blieben in Moskau. Sie verließen gemeinsam das Verteidigungsministerium und fuhren in Prokofjews Wagen zum ZK-Gebäude beziehungsweise zum Parteikomitee Moskaus.392 Wie rasch sich politische und persönliche Überzeugungen ändern können, zeigt sich am Beispiel des Moskauer KP-Chefs. Er stellte sich ab sofort gegen das G ­ KTSCHP, rief seine Parteifreunde zusammen, die mit ihm eine entsprechende Erklärung verfassten. Darin bezeichneten sie die Handlungen des Komitees als „politische Provokation.“ Sie wollten die Erklärung über TASS veröffentlichen. Die Mitarbeiter hatten aber bereits eine Anweisung, keine Erklärungen oder Aufrufe mehr zu verbreiten.393 Gegen 12 Uhr verließen die Putschisten und ihre Unterstützer das Büros Jasows.394 Jetzt konnte es für jeden einzelnen nur noch darum gehen zu hoffen, dass die unkalkulierbaren persönlichen Folgen des gescheiterten Putsches nicht zu drastisch ausfallen würden. Das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR, dessen Handlungsfähigkeit auf Betreiben ihres Vorsitzenden Lukjanow blockiert war, trat nun ohne ihn zusammen. Es hob am Nachmittag alle Dekrete und Verordnungen des G ­ KTSCHP auf, stellte die Pressefreiheit wieder her und beschloss, den sowjetischen Präsidenten wieder ins Amt einzusetzen.395 Das Staatskomitee für den Ausnahmenzustand war nun Geschichte. Jasow nimmt für sich in Anspruch, durch seinen standhaften Entschluss zum Rückzug einen Bürgerkrieg vermieden zu haben. Zweifellos hatten die Putschisten bis zum Schluss alle Mittel in der Hand, mit Gewalt die Oberhand zurückzugewinnen. Jelzin, dessen Anhänger, aber eben auch Jasow haben die Niederlage des ­GKTSCHP besiegelt. „Wenn wir [die Komitee-Mitglieder] gewollt hätten, wäre der Widerstand schnell überwunden worden. Was sind schon Barrikaden und Busse gegen Panzer?“, so Jasow.396

Die Reisen nach Foros Nach den teils dramatischen ersten beiden Putschtagen und -nächten, die im Zeichen einer erbitterten Konfrontation standen, bei der es laut J­ elzin und seinen Anhängern um nicht weniger als um die Verteidigung der Freiheit und der jungen russischen Demokratie ging, nahmen die Ereignisse am dritten Tag punktuell einen geradezu bizarr wirkenden Lauf. Es war Jelzin, der ausgerechnet seinem Hauptgegenspieler Krjutschkow telefonisch

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vorschlug, mit ihm gemeinsam nach Foros zu fliegen, um sich ein „objektives Bild der Situation zu machen“, wie er auf der Sondersitzung des russischen Obersten Sowjets vor den Parlamentariern sagte. Das Gespräch mit dem KGB -Chef fand nach Jelzins Angaben um 3 Uhr nachts statt (21. August). Im Verlauf der Parlamentssitzung, die um 10 Uhr begann, wandte er sich an die Abgeordneten mit den Worten: „Er [Krjutschkow] hat meinem Vorschlag zugestimmt, dass wir beide gemeinsam nach Foros fliegen und Präsident G ­ orbatschow zurückbringen. 397 Doch dafür brauche ich Ihre Zustimmung.“  Unruhe und missbilligende Zwischenrufe waren die Folge. Nach einer kurzen Pause teilte er mit, dass der KGB-Chef um 13 Uhr im Obersten Sowjet erscheinen werde und die Abgeordneten damit die Gelegenheit hätten, ihm Fragen zu stellen. Wieder machte sich Unruhe breit. Jelzin wiederholte, dass er die Entscheidung dem Obersten Sowjet überlasse. Im Weißen Haus hatten sich zu dieser Sitzung rund 650 Abgeordnete des russischen Parlaments versammelt, von denen viele die vergangenen beiden Tage und Nächte dort verbracht hatten. Sie hatten mit den Soldaten vor dem Gebäude geredet, um sie von der Rechtswidrigkeit des Komitees zu überzeugen.398 Auch Jelzin hatte die G ­ KTSCHP-Mitglieder als Verbrecher bezeichnet – was ihn nun aber nicht davon abhielt, mit dem KGB-Chef nach Foros reisen zu wollen. Über seinen für die meisten Abgeordneten völlig unverständlichen Vorschlag wurde nicht diskutiert, denn großer Unmut zeichnete sich im Plenum ab. Jelzins Vorstoß ist ein klares Indiz, dass es hinter den Kulissen nicht um einen Kampf auf Leben und Tod ging, sondern dass ein nicht unbedeutendes Maß an „Familiarität“ zwischen den Angehörigen der politischen Elite, die alle ihre Wurzeln in der KPdSU hatten, weiterhin bestand. Sein Plan, mit Krjutschkow nach Foros zu fliegen, hätte das Gesamtereignis verharmlost. Der rus­sische Präsident griff die Stimmung des Obersten Sowjets in populistischer Manier auf und forderte gegen Ende seiner Rede unter dem Applaus der Abgeordneten, die acht Mitglieder des Komitees vor Gericht zu stellen. Der russische Ministerpräsident Iwan Silajew bot sich an, gemeinsam mit dem Vizepräsidenten Ruzkoj sowie mit medizinischem Fachpersonal und in- und ausländischen Journalisten zu ­Gorbatschow zu fliegen. Der Sitzungsleiter, Parlamentspräsident Chasbulatow, stellte Silajews Vorschlag zur Abstimmung. Er wurde mit großer Mehrheit angenommen. Jelzin erwähnt seinen Vorschlag, den er Krjutschkow gemacht hatte und wie er im Parlament aufgenommen wurde, in seinen Memoiren gar nicht. Der

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KGB-Chef schreibt hingegen in seinen Erinnerungen: „Jelzin sagte, dass man

einen Ausweg aus der entstandenen Lage finden müsse. Es wäre gut, wenn er mit mir nach Foros zu ­Gorbatschow fliegen würde, um die Situation zu klären. Er schlug mir vor, […] im Obersten Sowjet der RSFSR aufzutreten, um die Lage zu erläutern und mögliche Fragen zu beantworten.“ 399 In historischen Abhandlungen wiederum findet das Jelzin-Angebot an Krjutschkow keine Beachtung. Es dominiert die Version, dass es nur konfrontativ zwischen beiden Lagern zugegangen sei. Manfred Hildermeier schreibt zum Beispiel in Bezug auf die Sitzung des Obersten Sowjets lediglich: „Am Vormittag forderte das russische Parlament die Verschwörer auf, sich zu ergeben.“ 400 Die vier G ­ KTSCHP-Mitglieder, der Parlamentspräsident und der stellvertretende KPdSU-Generalsekretär flogen nicht mit der russischen Delegation nach Foros, sondern separat. ­Gorbatschow aber empfing sie gar nicht. Nach den Worten Baklanows, der mitgereist war, „war es eigentlich eine von vornherein sinnlose Reise.“ 401 Die russische Delegation unter Führung des Vizepräsidenten Russlands, Alexander Ruzkoj, war ihrerseits mit dem Auftrag nach Foros geflogen, den sowjetischen Präsidenten wohlbehalten nach Moskau zurückzubringen. In dieser Delegation befanden sich zehn russische Parlamentarier; außerdem hatten sich Jewgeni Primakow und Wadim ­Bakatin, beide Mitglieder des Sicherheitsrates der Sowjetunion, ihr angeschlossen. Über das freudige Wiedersehen schrieb der Berater des sowjetischen Präsidenten, Tschernajew: „Silajew […] und Ruzkoj […] umarmten ­Gorbatschow. […] Alle gehörten sie zu denen, die G ­ orbatschow im Parlament oder in der Presse angegriffen haben. […] Ich sagte laut: ‚Jetzt haben wir die Einigung zwischen Zentrum und Russland auch ohne Unionsvertrag gekriegt.‘“ 402 Die Weigerung ­Gorbatschows, mit seinen bisherigen Mitstreitern zu sprechen, war offenbar keine Selbstverständlichkeit. Tschernajew behauptet, er sei nach der Ankunft der Krjutschkow-Gruppe zum sowjetischen Präsidenten geeilt, weil er befürchtete, er würde sie empfangen.403 Und Ruzkoj behauptete in einem Fernsehinterview unmittelbar nach dem Putsch, als er sich noch als Retter der Demokratie gerierte, ­Gorbatschow sei anfangs dagegen gewesen, Krjutschkow zu verhaften.404 Der sowjetische Präsident empfing in Anwesenheit von Bakatin und Primakow schließlich nur den sowjetischen Parlamentspräsidenten und den stellvertretenden KPdSU-Generalsekretär. In seinen Memoiren schrieb G ­ orbatschow: „Ich sagte ihnen, sie hätten den Putsch vereiteln können oder zumindest dessen verbrecherischen Charakter bloßstellen können. Lukjanow […] hatte jedoch darauf spekuliert, dass die Früchte der Verschwörung ihm zufallen

­Gorbatschows Rückkehr nach Moska

würden, und sah sich bereits als Präsidenten, weswegen er sich auf Verrat und Staatstreich eingelassen hat.“ 405 In seinen Memoiren erwähnt der sowjetische Parlamentspräsident seine Reise nach Foros mit keinem Wort. Dass die Gefahr eines gewaltsamen Zusammenstoßes der beiden nach Foros gereisten Delegationen bestanden habe oder das ­GKTSCHP die russische Delegation gewaltsam habe ausschalten wollen, ist nicht nur übertrieben, sondern haltlos.406 Die Staatsanwaltschaft hätte angesichts ihrer umfangreichen Ermittlungen hier zumindest einige Hinweise zutage fördern müssen. Dies ist aber nicht der Fall. Viel schwerer wiegt, dass die Auflösungserscheinungen des Komitees und die Distanzierungsversuche der abwartenden oder der unterstützenden Akteure zu diesem Zeitpunkt voll im Gange waren. Auch das Angebot Jelzins, mit dem KGB-Chef nach Foros zu fliegen, spricht gegen diese Behauptungen. Dass angesichts der konfrontativen Lage am 19. und 20. August seitens der russischen Delegation Vorsichtsmaßnahmen getroffen wurden, erscheint jedoch verständlich. Ruzkoj führte zwanzig Jahre später aus: „Als ich die Urlaubsvilla betrat, war ich mit meinen Leuten bewaffnet. Denn es war immer noch alles unübersichtlich. Wir hatten ja gerade den drohenden Sturm auf das Weiße Haus hinter uns. Und dann fahren wir zum Präsidenten, der unter Arrest steht. In die Maschine, mit der ich G ­ orbatschow und seine Familie zurück nach Moskau brachte, setzte ich auch den KGB-Chef Krjutschkow – sozusagen zu unserer Sicherheit, damit dessen Leute das Flugzeug nicht angreifen. In die zweite Maschine setzten wir die anderen.“ 407 Diese Befürchtungen waren aber völlig unbegründet, weil die KGB-Mitarbeiter sich zu diesem Zeitpunkt (21. August 1991) in einer Erklärung gegen das G ­ KTSCHP408 und somit auch gegen ihren Chef gewandt hatten und dieser keinerlei Rückhalt mehr besaß. Die Sicherheitsmaßnahmen für den Rückflug waren verständlich, aber aufgrund der nicht vorhandenen Bedrohungslage unnötig. ­Gorbatschows Kommunikationsverbindungen waren bereits kurz nach der Ankunft der Krjutschkow-Gruppe wiederhergestellt worden; seine 73 Stunden währende Isolation war beendet.

6.9 ­Gorbatschows Rückkehr nach Moskau Kurz nach Mitternacht startete G ­ orbatschows Flugzeug vom Militärflughafen Belbek auf der Krim. Um 2 : 12 Uhr Moskauer Zeit (1 : 12 Uhr MESZ)409 landete der sowjetische Präsident mit seiner Familie und der russischen

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Delegation unter Führung des russischen Vizepräsidenten Ruzkoj auf dem Flughafen Wnukowo 2 in Moskau. Dass sich um diese Uhrzeit nur sehr wenige Bürger dort einfanden, um ihn zu begrüßen, war das erste Indiz, dass sich die Freude bei den Bürgern über seine Rückkehr sehr in Grenzen hielt. Nachdem er die Gangway herabgestiegen war, gab er eine kurze Erklärung ab. Wie wenig er ein Gespür für die neue Lage hatte, zeigte sich daran, dass er zunächst dem sowjetischen Volk dankte. Ob er damit subtil Politik betreiben wollte oder sich nicht bewusst war, dass die Nennung dieses Adressaten und dieser Ton unglücklich und der Situation unangemessen war, kann letztlich aber nicht beurteilt werden. Erst danach würdigte er die Rolle Jelzins. Schließlich dankte er „allen Deputierten, allen Arbeitskollektiven, die sich diesem Abenteuer in den Weg gestellt“ 410 hätten, und versuchte offensichtlich ein Wir-Gefühl mit dem Ausspruch zu schaffen: „Das [Widerstand geleistet zu haben] ist das, worauf wir stolz sein können.“ 411 Der 22. August 1991, der mit dem Schwenken der neuen, alten russischen Flagge durch Boris Jelzin auf dem Balkon des Weißen Hauses eine historische Zäsur und den wohl größten politischen Triumph des russischen Präsidenten darstellte, wurde gleichzeitig der Tag, der faktisch das Ende der gestaltenden Ära G ­ orbatschows bedeutete. Am 22. August 1991 wurden an zahlreichen Orten der Sowjetunion kommunistische Denkmäler gestürzt, darunter auch das des KGB-Gründers Dserschinski in Moskau. Zwei folgenschwere Aussagen des sowjetischen Präsidenten auf dessen internationaler Pressekonferenz schadeten ihm und schaden ihm bis heute. Zum einem sagte er, dass er bis zum Ende für die Erneuerung der KPdSU kämpfen werde. Zum anderen fiel ­Gorbatschows verheerender Satz: „Ich werde sowieso nicht alles sagen.“ Diese ungeschickte Äußerung bestärkte all jene, die in ihm einen Mitwisser oder Komplizen des G ­ KTSCHP sahen. ­Gorbatschow behauptet, dieser Satz sei aus dem Zusammenhang gerissen worden, und meint, dies sei politisch motiviert.412 Der Mitschnitt der Pressekonferenz413 nach seiner Rückkehr aus Foros am 22. August, bei der die Weltöffentlichkeit gespannt auf seine Schilderung der Ereignisse wartete, belegt, dass ­Gorbatschow diesen – ihn bis heute verfolgenden – Satz im Zuge seiner Antwort auf die Frage äußerte, warum er 1990/1991 diejenigen politischen Kräfte ausgesucht habe, die nun so gehandelt hätten. ­Gorbatschow gab eine ausschweifende, rund neunminütige Antwort, in der er unter anderem von verschiedenen Etappen der Perestrojka und unterschiedlichen Reformtempi sprach. (Die Pressekonferenz dauerte insgesamt eine Stunde und 28 Minuten.) Er sagte unter anderem: „Wir dürfen

­Gorbatschows Rückkehr nach Moska

23  Rückkehr in ein anderes Land: In der Nacht zum 22. August 1991 kehrt Michail Gorbatschow aus Foros nach Moskau zurück. Die politisch-gestaltende Ära des sowjetischen Präsidenten ist zu Ende. © Itar-TASS

24  Revolution in Moskau: Seit dem 22. August 1991 weht die russische Nationalflagge wieder in den Farben Weiß, Blau und Rot. Rund 100.000 Bürger feiern auf der Rückseite des Weißen Hauses ihren Präsidenten Boris Jelzin und die Niederlage der Putschisten. © AFP / Dima Korotayev

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25  Ende einer Ära: Das Gebäude des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion wird am 23. August 1991 versiegelt. Demonstranten entfernen die rote Flagge und hissen die neue (alte) russische. © RIA Novosti

26  Siegesfeier am 22. August 1991 am Kreml: Für die meisten Russen ist Boris Jelzin der Hoffnungsträger. © AFP / Dima Korotayev

27  Ende einer Ära: Demonstranten demontieren in der Nacht zum 23. August 1991 vor dem Gebäude des sowjetischen Geheimdienstes KGB das Denkmal seines Gründers Dserschinski. © Itar-TASS

­Gorbatschows Rückkehr nach Moska

nicht vergessen, in welcher Gesellschaft sich diese Reformen vollzogen und nach welchen Maßstäben. […] Dies diktierte nicht nur das Tempo, sondern bestimmte auch die Mittel, die zur Realisierung der gestellten Aufgaben nötig waren. […] Meine Aufgabe in all diesen Jahren war es – und ich sage sowieso nicht alles, gebe nicht alles preis, welche Gedanken den Präsidenten trieben – dies ist ja ohnehin sozusagen das Prärogativ des Präsidenten: diesen politischen Kurs durchzuführen, zu bewahren und zu retten.“ 414 Der inzwischen so häufig zitierte Satz G ­ orbatschows „Ich sage sowieso nicht alles“ bezog sich damit nachweislich nicht auf die Tage in Foros, sondern auf die Personalentscheidungen in den letzten Monaten des Jahres 1990. Auf der gleichen Pressekonferenz gab ­Gorbatschow sogar ausdrücklich zu, dass er dabei Fehler gemacht habe. Eine Differenzierung, auf was sich der „geheimnisvolle“ Satz seiner Antwort tatsächlich bezog, wurde in der Folgezeit nicht geliefert. Unstrittig dürfte sein, dass ­Gorbatschow durch diese Äußerung eine Mitverantwortung für die gegen ihn gerichteten Unterstellungen trägt. Der sowjetische Präsident hatte am 22. August zumindest bei der sowjetischen Bevölkerung das noch vorhandene Restkapital an Vertrauen in seine Führungskraft vor allem deswegen verspielt, weil er weiter auf die Reformierbarkeit der KP dSU und das Sowjetsystem setzte und die Partei verteidigte. Auch seine Berater waren entsetzt; Tschernajew sprach von einer „äußerst erfolglosen Pressekonferenz.“ 415 Am Abend, in der Hauptnachrichtensendung des sowjetischen Fernsehens, verschob sich der Akzent leicht. In seiner Ansprache erwähnte ­Gorbatschow nicht mehr das „sowjetische Volk“ oder die „sowjetischen Menschen“, sondern sprach von den „Verteidigern der Demokratie“ und dankte ausdrücklich Boris Jelzin.416 Seine Worte hatten aber kaum noch Gewicht. G ­ orbatschows Autoritäts- und politischer Bedeutungsverlust war nach seiner Rückkehr deutlich wahrnehmbar. Wie bei seiner Ankunft am Flughafen in Moskau spielte er auch bei der Großdemonstration in Moskau am gleichen Tag, auf der der Sieg über die Putschisten gefeiert wurde, keine Rolle in den Reaktionen der Bevölkerung. Jelzin stand als der Triumphator im Mittelpunkt; die Rückkehr G ­ orbatschows war den meisten Menschen ganz offensichtlich eher gleichgültig.

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6.10 Lukjanows Verzögerungstaktik Hätten die Putschisten durch den Obersten Sowjet der UdSSR gestoppt werden können, wenn dieser als Gesetzgebungsorgan des Staates ein Machtwort gesprochen hätte? Es lag in der Hand von Anatoli Lukjanow. Stützen oder stürzen? Der sowjetische Parlamentspräsident hatte sich mit seiner am 19. August 1991 veröffentlichten Erklärung, der Unionsvertrag sei in der vorliegenden Form seiner Meinung nach nicht akzeptabel, zugunsten des G ­ KTSCHP festgelegt. Er hatte damit die vom Obersten Sowjet der UdSSR verabschiedete Resolution vom 12. Juli 1991 missachtet, die besagte, der Vertrag könne unter Vorbehalt unterschrieben werden. Die anderen, nun noch drängender gewordenen Fragen lauteten, wie und wann der Oberste Sowjet Stellung beziehen würde zur Verhängung des Ausnahmezustandes und zur Bildung des ­GKTSCHP. Seit dem frühen Morgen des 19. August riefen zahlreiche Volksdeputierte und Mitglieder des Obersten Sowjets Lukjanow an. Sie drängten ihn, so schnell wie möglich eine Sondersitzung einzuberufen. Denn mit einer klaren Stellungnahme seitens des Parlaments gegen das in der Verfassung nicht vorgesehene Komitee und gegen den ungesetzlich verhängten Ausnahmezustand wäre dem G ­ KTSCHP vollends die Legitimationsgrundlage entzogen worden. Janajew hatte seinerseits während der internationalen Pressekonferenz gesagt, die Sanktionierung der vom Komitee getroffenen Maßnahmen durch den Obersten Sowjet der UdSSR werde noch erfolgen, und den 27. August als Datum genannt.417 Ein Votum des Parlaments hätte den Machtkampf zwischen dem ­ KTSCHP und dem Jelzin-Lager sehr wahrscheinlich beendet. Zumindest G hätte durch ein klares Verdikt des gesetzgebenden Organs eine Eskalation vermieden werden können. Lukjanow sagte hingegen den Abgeordneten, die ihn anriefen, immer wieder, dass er mit dem Komitee nichts zu tun habe und G ­ orbatschow krank sei. Juristisch wollte er die Bildung des G ­ KTSCHP und seine Handlungen nicht bewerten. Der Volksdeputierte Vitali Rjabkow aus Magnitogorsk418 erhielt auf seine Frage, warum das alles so lange dauere, von Lukjanow die Antwort, alles geschehe den Vorschriften entsprechend.419 Der Vorsitzende der Kontrollkommission des Obersten Sowjets ­Alexander Orlow sagte später, er habe Lukjanow darauf hingewiesen, dass es Sache des Parlaments sei, über den Ausnahmezustand zu befinden. Daher müsse dringend eine Sitzung des Obersten Sowjets einberufen werden. ­Lukjanow habe erwidert, zwei Drittel der Deputierten zusammenzubekommen sei unmöglich. Daraufhin habe Orlow ihn aufgefordert, er

Lukjanows Verzögerungstaktik

solle ihm die Kontaktdaten von hundert bis zweihundert Volksvertretern geben. Mit Hilfe der Mitarbeiter seines Apparats werde er das notwendige Quorum „innerhalb eines Tages“ zusammenbekommen. Lukjanow habe sich einverstanden gezeigt und versprochen, seinem Bürochef eine entsprechende Anweisung zu geben, die Daten zu übermitteln. Aber weder am 19. noch am 20. August bekam Orlow etwas.420 Am 20. August suchten dreißig Deputierte Lukjanow auf, der sie um 17 Uhr empfing. Sie hatten eine Erklärung vorbereitet, in der das Komitee als verfassungswidrig bezeichnet wurde und die er unterschreiben sollte. Der Parlamentspräsident zog sich wieder auf die Position zurück, dass ­Gorbatschow krank sei und es ein ärztliches Gutachten gebe.421 Die Forderungen nach einer raschen Sondersitzung wies er erneut mit dem vorgeschobenen Argument zurück, dies sei technisch nicht möglich. Daraufhin verlangten die Deputierten, er selbst solle eine Erklärung zur Verfassungswidrigkeit des Komitees veröffentlichen. Auch dies lehnte er ab.422 Der Vorsitzende der Nationalitätenkammer des Obersten Sowjets, Rafik Nischanow, gab der Staatsanwaltschaft zu Protokoll, er und sein Kollege Iwan Laptew hätten von Lukjanow am 20. August dessen Verfügung übermittelt bekommen, dass am 21. August das Präsidium des Obersten Sowjets und erst am 26. August das Plenum tagen werde.423 Als am dritten Putschtag vormittags durch Jasows Entscheidung zum Truppenrückzug die Niederlage des Komitees besiegelt war, beeilte sich Lukjanow, die Präsidiumsmitglieder Nischanow und Laptew zu bitten, keine Sitzung abzuhalten, werde er doch zu diesem Zeitpunkt nach Foros reisen.424 Zu diesem Zweck wollte er gemeinsam mit dem stellvertretenden Generalsekretär der KPdSU Wladimir Iwaschko in einem separaten Flugzeug fliegen, um seine Distanz zu den Putschisten zu dokumentieren. Seine Bitte, keine Sitzung abzuhalten, wurde aber nicht erfüllt. Am 21. August um 16 Uhr verabschiedete das Präsidium des Obersten Sowjets eine Erklärung, in der die Handlungen des G ­ KTSCHP als „verfassungswidriger Umsturz“ verurteilt wurden.425 In Foros wurde der Parlamentspräsident nur kurz zu G ­ orbatschow gelassen. Der sowjetische Präsident sagte der Staatsanwaltschaft als Zeuge: „Ich empfing Lukjanow und Iwaschko […]. Ich fragte beide, warum sie so untätig gewesen seien – vor allem Lukjanow, der alles hätte stoppen können. Warum hat er nichts unternommen? Ich frage ihn, warum er die Sitzung [des Obersten Sowjets] eine Woche nach hinten gelegt habe. Ein Wort von ihm hätte doch genügt, um das ganze Unterfangen zum Einsturz zu bringen. Ich habe von ihm keine vernünftige Erklärung dafür bekommen.“ 426

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Von allen Mitgliedern oder Unterstützern des ­G KTSCHP muss der sowjetische Parlamentspräsident als derjenige angesehen werden, der sich am stärksten berechnend und opportunistisch verhielt. Aus dem Bestand der Erinnerungsliteratur über die August-Ereignisse ist die Darstellung Lukjanows nicht zuletzt deshalb die am wenigsten überzeugende, weil in ihr alle ihn belastenden Fakten komplett ausgeblendet wurden.

6.11 Kontakte des Jelzin-Lagers mit Militärführern und dem ­GKTSCHP Das Ringen um die Macht hatte zwar naturgemäß einen konfrontativen Charakter, doch gilt es zu berücksichtigen, dass die Hauptgegenspieler nicht nur im Nowo-Ogarewo-Prozess direkte Verhandlungspartner waren und sich gemeinsam um eine Neuregelung der Beziehungen zwischen der Zentrale und den Republiken bemüht hatten. Jasow und Lukjanow saßen Jelzin beispielsweise einige Wochen vor dem Putsch bei den Gesprächen um den neuen Unionsvertrag in Nowo-Ogarewo gegenüber. Und auch die beiden Hauptgegenspieler hatten teilweise ein kooperatives Verhältnis zueinander: Der russische Präsident war im Frühjahr 1991 sogar Gast in der KGB -Zentrale, sprach dort mit der gesamten Führung über die Bildung eines separaten russischen Staatssicherheitsdienstes. Die Verhandlungen mit der KGB-Führung führte er am 5. und 6. Mai 1991. Jelzin und Krjutschkow unterzeichneten darüber hinaus ein gemeinsames Protokoll dazu. Man verständigte sich darauf, dass Russland, das als RSFSR noch ein Teil der Sowjetunion war, eigene KGB-Strukturen aufbauen dürfe. Diesem Grundsatzprotokoll sollte nach der Unterzeichnung des Unionsvertrages ein Schlussdokument folgen. Geplant war, darin die Kompetenzen und Zuständigkeiten abzugrenzen. Krjutschkow sagte gegenüber TASS, die Zulassung eines russischen Staatssicherheitsdienstes sei nicht mit einem Bedeutungsverlust für den KGB verbunden. Vereinbart wurde eine Reihe von Problemen nach Unterzeichnung des Unionsvertrages einvernehmlich zu lösen.427 Diese Verhandlungen und dieser Verständigungsversuch erfolgten einen Monat vor der Volkswahl Jelzins zum Präsidenten Russlands und dem damit verbundenen (weiteren) Machtzuwachs. Krjutschkow hat diese Zugeständnisse gegenüber Jelzin sicherlich widerwillig gemacht; und er muss gefürchtet haben, weiter gehende Forderungen Jelzins nach Kompetenzabtretungen an den neuen russischen KGB nicht abwehren zu können.

Kontakte des Jelzin-Lagers mit Militärführern und dem ­GKTSCHP

Die Dialogfähigkeit und -bereitschaft zwischen den widerstreitenden politischen Eliten in Moskau war demnach 1991 bei aller Gegensätzlichkeit durchaus vorhanden und ging sogar während der Putschtage nicht verloren. Jasow erklärte mehr als zwanzig Jahre nach dem Putsch sogar, er habe bis zu den August-Ereignissen 1991 „ein gutes Verhältnis zu Jelzin“ gehabt.428 Die ­GKTSCHP-Mitglieder Baklanow und Tisjakow kannten den russischen Präsidenten noch aus seiner Zeit als KP-Chef in ­Swerdlowsk ( Jekaterinenburg). Tisjakow war dort Leiter eines Großbetriebes und hatte sehr oft mit dem örtlichen Parteichef Jelzin zu tun; Baklanow reiste dienstlich einige Male nach Swerdlowsk, weil sich dort eine Reihe von Industrie- und Rüstungsbetrieben befand; auch er traf Jelzin bei diesen Gelegenheiten. Baklanow sagte dazu mehr als zwanzig Jahre später: „Er forderte mich immer auf, dass wir zusammen was trinken. Ich wollte das nicht, weil ich nicht trinke. Mit Tisjakow traf er sich öfter. Er erzählte mir, dass Jelzin Unmengen [‚vedro‘, wörtlich: einen Eimer] runterkippen konnte.“ 429 Juri Prokofjew, Moskauer KP-Chef und entschiedener Unterstützer des ­ KTSCHP (und eines Militäreinsatzes), arbeitete von Dezember 1985 bis G Mai 1986 mit Jelzin sogar sehr eng zusammen,430 als dieser Parteichef von Moskau war. (Diesen Posten verlor Jelzin im Oktober 1987.) Nicht nur zum Teil langjährige Bekanntschaften prägten das Verhältnis. Die beiden Konfliktparteien – das Lager Jelzins und das der Putschisten – waren durch die sogenannte „Wertuschka“, das spezielle Telefonnetz für die politische Elite, bequem miteinander verbunden. Diese besondere Leitung war für die Mitglieder der Partei-Nomenklatura installiert worden. Die Zugehörigkeit dazu blieb für die Funktionsträger aller politischen Lager auch in den demokratischen Reformjahren der Perestrojka eine Frage des Prestiges und ein Statussymbol. Es handelte sich im August 1991 demnach um eine politische Elite, deren Gruppierungen alle in der KP dSU ihre Wurzeln hatten und deren Mitglieder sich persönlich gut bis sehr gut kannten. Diese „Familiarität“ drang bei aller Gegnerschaft in den Tagen des Putsches mehrfach durch, sodass der Eindruck entstehen konnte, hier rangen nicht zwei Lager erbittert miteinander um die Macht und die zukünftige Ordnung des Landes, sondern eine politische Elite mit unterschiedlichen Schattierungen, deren Unstimmigkeiten vorübergehend eskalierten, gleichwohl aber regulierbar waren. Nur so ist die allgemein kaum beachtete und von Jelzin am 21. August im Parlament vorgetragene Übereinkunft zwischen ihm und dem KGB-Chef zu verstehen, gemeinsam in einem Flugzeug (möglicherweise nebeneinander

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sitzend) nach Foros zu fliegen. Und es war diese „Familiarität“, die den Weg ebnete für Jelzins Angebot an den KGB-Chef, ihm im Obersten Sowjet eine Plattform zu bieten, die Aktionen des ­GKTSCHP zu erläutern – als ob es sich bei den Handlungen des Komitees um ein politisches Kava­ liersdelikt gehandelt hätte, zu dem die Abgeordneten nun Fragen stellen könnten. Zwei Tage zuvor hatte schon der selbst ernannte amtierende sowjetische Präsident Janajew auf der internationalen Pressekonferenz gesagt, er habe mit Jelzin telefoniert. Was dem Betrachter und Zuhörer als eine politisch unrealistische oder verworrene Aussage erschienen sein mag, war von Janajew sicherlich ernst gemeint: Er sei davon überzeugt, sagte er, dass eine Zusammenarbeit zwischen dem russischen Präsidenten und dem Komitee noch möglich sei und man mit vereinten Kräften das Land aus der Krise führen könne. Seit dem 19. August morgens bis zum Morgen des 21. August gab es eine Reihe von Kontakten zwischen beiden Lagern, wobei die jeweiligen Vertreter einige Male dafür sogar in den gegnerischen Kreml beziehungsweise in das gegnerische Weiße Haus gingen, um die Möglichkeiten einer Deeskalation zu erörtern. Meistens wurden diese Gespräche aber telefonisch geführt. Nach dem Putsch wurde häufig die Frage gestellt, warum in Jelzins Machtzentrale und auf seiner Datscha die Telefonleitungen und die anderen Kommunikationswege nicht gekappt worden waren. Auch Jelzin selbst stellte sich zunächst diese Frage.431 Dass sie intakt blieben, hatte folgenden Grund: Das G ­ KTSCHP beziehungsweise der KGB-Chef hatte ursprünglich Ministerpräsident Pawlow vorgeschlagen, mit Jelzin am 19. August morgens persönlich ein Gespräch zu führen. Die Tür für Verhandlungen sollte offen bleiben. Die Abschaltung der Kommunika­ tionsverbindungen wäre dem zuwidergelaufen. Das G ­ KTSCHP war ursprünglich davon ausgegangen, dass Jelzin aufgrund der Gegnerschaft zu ­Gorbatschow, die das Land seit mehr als einem Jahr paralysiert hatte, das Vorgehen gegen den sowjetischen Präsidenten dulden, insgeheim sogar billigen würde. Diese Prämisse fand in der Datscha in Archangelskoje am Morgen des 19. August zunächst ihre Bestätigung. Denn Jelzin konnte von seinen Beratern nur mit Mühe davon überzeugt werden, sich für ­Gorbatschow einzusetzen. Der russische Präsident rief aus Archangelskoje den Befehlshaber der sowjetischen Luftlandetruppen Pawel Gratschow an, den er am 31. Mai 1991 näher kennengelernt hatte, als er dessen Kampfeinheiten in Tula besuchte. Jelzin soll Gratschow am 19. August morgens gefragt haben, ob dieser gegen ihn vorgehen werde,

Kontakte des Jelzin-Lagers mit Militärführern und dem ­GKTSCHP

da er, Jelzin, sich gegen das Komitee stellen werde. Gratschow antwortete nach eigener Darstellung, dass er nicht gegen ihn vorgehen werde.432 ­Jelzin schrieb in seinen Memoiren allerdings, Gratschow habe unter anderem geantwortet, dass er als Offizier unmöglich einen Befehl verweigern könne.433 Und Jelzins Chefberater Gennadi Burbulis, der Zeuge des Telefonats war, relativiert Gratschows Darstellung ein wenig: Gratschow habe Jelzin lediglich gesagt, er werde „sehen, was ich tun kann.“ 434 Gegenüber der Staatsanwaltschaft sagte Gratschow als Zeuge, er habe Jelzin am Telefon berichtet, dass die Luftlandedivision aus Tula auf dem Weg nach Moskau sei. Der russische Präsident habe ihn gebeten, eine Schutztruppe zum Gebäude des Obersten Sowjets zu beordern.435 An dieser wichtigen Stelle in der Putschgeschichte hat der Mythos der Befehlsverweigerung und des Überlaufens militärischer Einheiten wahrscheinlich seinen Ursprung genommen. Gratschow handelte hier strikt im Rahmen der sowjetischen Militärhierarchie. Er rief Jasow an, ob er dem Wunsch Jelzins entsprechen dürfe. Jasow gab sein Einverständnis, was Gratschow bestätigt.436 Nach Darstellung Jasows hat Jelzin ganz genau gewusst, dass ihm von dem eintreffenden Bataillon keine Gefahr drohte, im Gegenteil: Er habe davon Kenntnis gehabt, dass es zum Schutz des Weißen Hauses dorthin geschickt wurde. Auch hier kommt die oben erwähnte „Familiarität“ zum Ausdruck: Beide Lager kommunizierten miteinander und verständigten sich über eine militärische Frage. Jelzin erwähnt in seinen Memoiren nicht, dass Gratschow die Erlaubnis für die Verlegung des Bataillons vor das Weiße Haus von seinem Vorgesetzten eingeholt hatte. Dies wäre der heroisierenden Darstellung auch seiner eigenen, Jelzins Rolle in den Ereignissen zuwidergelaufen. Gratschow beauftragte seinen Untergebenen, Generalmajor Alexander Lebed, damit, das Bataillon vor das Gebäude des Obersten Sowjets zu führen, und informierte Jelzin darüber.437 Der militärische Sinn des „Schutzes“ erschloss sich für Lebed zwar nicht, doch er nahm, wie ihm von Gratschow aufgetragen worden war, Kontakt mit dem Sicherheitspersonal des Weißen Hauses auf. Er betrat gegen 13 : 50 Uhr den Obersten Sowjet Russlands und traf sich zunächst mit dem für die Sicherheit des Gebäudes zuständigen Oberst der Miliz, Iwan Bojko.438 Er tat dies nicht als Überläufer, sondern im Auftrag und im Wissen seiner Vorgesetzten Gratschow, Atschalow und Jasow. Er hatte den Auftrag, die Bewachung und Verteidigung des Gebäudes zu organisieren und die Zusammenarbeit zu koordinieren.439 Lebed traf sich dazu mehrfach auch mit Alexander

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Korschakow, dem persönlichen Sicherheitschef Jelzins.440 Diese Kontakte entsprechen kaum dem, was man mit einem Putsch in Verbindung bringt. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass in dieser konkreten Situation der KGB außen vor war und es sich um eine Angelegenheit handelte, die ausschließlich der Befehlsgewalt der Armeeführung unterstand. Für Jasow stand der von ihm angeordnete „Objektschutz“ auf der Grundlage des Gesetzes über den Ausnahmezustand, der solche Maßnahmen erlaubte und bei Bedarf vorsah. Gegen 17 Uhr wurde Lebed im Weißen Haus von Jelzin empfangen.441 Dieser fragte ihn unter anderem, vor wem er das Gebäude bewachen und gegen wen er es verteidigen solle. Lebed schrieb dazu in seinen Erinnerungen an den Putsch: „Da diese Frage mir selbst unklar war, erklärte ich ausweichend: ‚Vor wem bewacht ein Wachposten? Vor jeder Person oder Personengruppe, die einen Anschlag auf Leib oder Leben des Postens macht.‘ Der Präsident gab sich mit der Antwort zufrieden.“ 442 Es ging dann um Details der Frage, ob und wie die Schützenpanzer direkt vor das Gebäude gebracht werden sollten. Jelzin war einverstanden. Juri Skokow, Mitglied des im Juli 1991 gegründeten Staatsrates der RSFSR, rief daraufhin Lebeds Vorgesetzten Gratschow an und unterrichtete ihn über den Beschluss.443 Somit hatten die Kontakte zwischen dem Jelzin-Lager und den Kommandeuren der sowjetischen Armee am 19. August weder konfrontativen noch konspirativen Charakter. Dass das Bataillon näher an das Gebäude herangeführt wurde, wurde fälschlicherweise als Überlaufen auf die Seite Jelzins interpretiert und gefeiert. Major Sergej Jewdokimow, der mit Vizepräsident Ruzkoj gesprochen hatte, musste sich dafür allerdings rechtfertigen, weil er von seinen Vorgesetzten nicht dazu autorisiert gewesen war. Er wurde zu Wladimir Denisow, dem Kommandeur des Bataillons, gerufen. Bei seiner Befragung durch die Staatsanwaltschaft gab Jewdokimow das Gespräch mit dem Bataillonskommandeur wie folgt wieder: „Ich erklärte, dass ich [gegenüber Ruzkoj] in keiner Weise die Aussage gemacht habe, ich sei auf die Seite Russland übergegangen. Ich berichtete, dass ich mit Ruzkoj gesprochen und auf seinen Vorschlag hin die Schützenpanzer näher ans Gebäude geführt hatte, weil sie dort sicherer standen. ‚Nun gut, sollen sie denken, dass wir auf ihre Seite übergelaufen sind‘, sagte der Kommandeur daraufhin.“ 444 Am 20. August ging Lebed wieder ins Weiße Haus, um Juri Skokow seinen von Jasow über Gratschow erhaltenen Befehl zu erläutern, er solle das Bataillon vom Parlamentsgebäude wieder abziehen.445 Auch diese

Kontakte des Jelzin-Lagers mit Militärführern und dem ­GKTSCHP

Begebenheit verlief sachlich und unspektakulär. Der Befehl, das Weiße Haus zu bewachen und zu beschützen und die damit verbundenen direkten und persönlichen Kontakte zwischen den sowjetischen Kommandeuren und der russischen Führung führten zu Fehlinterpretationen und Gerüchten, die in der Panik verbreitenden Falschmeldung eines russischen Radiosenders gipfelten, Generalmajor Lebed habe Selbstmord begangen. Dieser schrieb dazu in seinen Erinnerungen: „Es stellte sich heraus, dass die Massenmedien eifrig das Gerücht verbreitet hatten, dass ich am 19. übergelaufen sei, und am 20. fingen sie an, die ebenso wenig fundierte Nachricht zu verbreiten, ich hätte mich erschossen.“ 446 Erst nachdem der inoffizielle Anführer des G ­ KTSCHP , KGB -Chef Krjutschkow, durch die unerwartete Strategie Jelzins (Verteidigung ­Gorbatschows, Verurteilung des Komitees und offizielle Verweigerung eines Dialogs) vor einer neuen Situation stand, forcierte er die Planungen, den Widerstand vor und im Weißen Haus mit Gewalt zu brechen. Gratschow versorgte die russische Führung mit Informationen über die militärischen Absichten des gewaltbereiten Teils des G ­ KTSCHP oder übertrug dies seinem Untergebenen Alexander Lebed. Doch für das Scheitern des Putsches war dieser Informationsfluss nicht ausschlaggebend.447 Im Auftrag Jelzins führte das Staatsratsmitglied Juri Skokow Gespräche mit Gratschow sowie mit dem stellvertretenden Innenminister der UdSSR, General Boris Gromow.448 Ein starkes Indiz für eine Übertreibung der Gefahrenlage durch das Jelzin-Lager liefern die persönlichen Gespräche zwischen der rus­ sischen Führung und dem sowjetischen Parlamentspräsidenten und ­ KTSCHP -Unterstützer Lukjanow am Vormittag des 20. August.449 G Bis auf Jelzin betraten die wichtigsten und höchsten Repräsentanten der russischen Führung den Kreml und somit die Hochburg des ­G KTSCHP : Vizepräsident Ruzkoj, Parlamentspräsident Chasbulatow und Ministerpräsident Silajew. Warum wurden sie nicht festgenommen, was an diesem für die russische Führung völlig ungeschützten Ort sehr einfach gewesen wäre? Die KGB -Einheit „Alpha“ befasste sich seit Tagen mit großem Aufwand damit, wie sie die russische Führung im Weißen Haus vorübergehend festnehmen könnte. Dies wäre dort mit einem großen Risiko und vermutlich mit hohen Opferzahlen verbunden gewesen. Den eigenen Anhängern und der Weltöffentlichkeit zeichnete die Jelzin-Führung in den mehr als 24 Stunden davor das Bild, es bestehe eine tödliche Gefahr für die Demokratie – ihr Leben sei bedroht durch die „Junta“ und die

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„Bande von Kriminellen“, die das Land zurück in die Diktatur führen wolle. Pathetische und dramatisch klingende Unterstützungsappelle an die eigene Bevölkerung sowie an die Führer der westlichen Welt wurden aus dem Gebäude des Obersten Sowjets verbreitet. Ruzkoj rief noch am gleichen Tag alle Afghanistan-Kämpfer zur Verteidigung des Weißen Hauses auf. Dies spricht dafür, dass die Bedrohungslage von Jelzin und seiner Führung bewusst instrumentalisiert und übertrieben wurde, um die eigenen Anhänger zu mobilisieren, aber auch, um die Sympathie seiner Person und seiner Regierung im Ausland zu steigern. Denn in dieser Hinsicht stand er bislang stets im Schatten G ­ orbatschows. Das änderte sich in der internationalen Öffentlichkeit schlagartig, nachdem er sich während des Putsches überraschend für den sowjetischen Präsidenten eingesetzt hatte. Zahlreiche Telefonate zwischen der russischen Führung und Mitgliedern des G ­ KTSCHP fanden am Abend des 20. und in der Nacht des 21. August statt, darunter zwischen Janajew und Jelzin450, Jelzin und Krjutschkow451 oder Krjutschkow und Burbulis452. Jelzin, der in seinen Memoiren bei der Beschreibung der Nacht des 21. August weder sein Angebot an den KGBChef, gemeinsam nach Foros zu reisen, noch sein Telefonat mit ihm erwähnt, verschweigt auch, dass sein Berater Burbulis mit Krjutschkow telefoniert hatte. Dies ist ein weiteres Indiz für das Vorhandensein einer Familiarität und die Abwesenheit einer angeblich lebensbedrohlichen Konfrontation, bei der es – wie er in seinen Memoiren schrieb – um die Entscheidung über das „Schicksal von Millionen Menschen“ 453 ging. Die Kontakte und die persönlichen Gespräche zwischen der Jelzin-Führung und den Vertretern des G ­ KTSCHP entsprachen nicht den zum Teil dramatischen öffentlichen Aufrufen der russischen Führung, in denen die Komitee-Mitglieder und ihre Unterstützer kriminalisiert und dämonisiert wurden. Die Kontakte der sowjetischen Kommandeure Gratschow und Lebed mit dem Jelzin-Lager waren zumindest am 19. August in vollem Umfang von der sowjetischen Militärführung sanktioniert. In der sowjetischen und der internationalen Öffentlichkeit führten sie dann aber auch zu Fehlinterpretationen eines angeblichen Überlaufens von militärischen Einheiten auf die Seite des russischen Präsidenten.

Die Rolle der KPdSU bei der Macht­über­nahme durch das ­GKTSCHP

6.12 Die Rolle der KPdSU bei der Macht­über­nahme durch das ­GKTSCHP Am 23. August 1991 unterschrieb Jelzin während der Sitzung des Obersten Sowjets Russlands, die live im Fernsehen übertragen wurde, ein vorübergehendes Verbot der Tätigkeit der KPdSU auf dem Territorium Russlands. Es handelte sich dabei nicht um ein generelles Parteiverbot. In dem Erlass wurde vielmehr verfügt, dass die Parteiaktivitäten so lange untersagt seien, bis die strafrechtlichen Ermittlungen in Bezug auf die Rolle, die die KPdSU in dem Putsch gespielt habe, abgeschlossen wären. Bei der entscheidenden Sitzung vom 18. auf den 19. August, auf der die Macht­über­nahme zögerlich und teilweise widerstrebend vollzogen wurde, war jedoch nur ein Spitzenfunktionär der KPdSU anwesend – Oleg Schenin. Alle anderen Teilnehmer waren, wie es das politische System jener Zeit für die Machtelite vorsah, selbstverständlich Mitglieder, doch sie waren nicht in die Führungsstruktur der KPdSU eingebunden. Der Moskauer KP-Chef Prokofjew wusste zwar vorab, dass der Ausnahmezustand eingeführt werden sollte, doch war er nicht an den Planungen des Putsches beteiligt. Spätabends am 17. August bat Schenin ihn, am nächsten Tag (Sonntag) im ZK im Dienst zu sein.454 In der Nacht vom 18. zum 19. August waren Prokofjew und der ZK-Sekretär Juri Manajenkow auf Initiative Schenins diejenigen, die dem herbeigerufenen Fernsehchef Krawtschenko die vorläufigen Dokumente des gerade gebildeten ­GKTSCHP zeigten und in die Bekanntmachung der endgültigen Dokumente involviert waren. Gegen 8 : 30 Uhr des ersten Putschtages rief Schenin den stellvertretenden Leiter der allgemeinen Abteilung des Zentralkomitees der KPdSU, Gennadi Orlow, an und gab ihm die Anweisung, die ZK-Sekretäre und Politbüromitglieder kurzfristig zu einer Sitzung um 9 : 30 Uhr zusammenzurufen.455 Schenin war dazu befugt, weil ­Gorbatschow nicht anwesend und der stellvertretende Generalsekretär der KPdSU Wladimir Iwaschko krank war. Der Parteihierarchie entsprechend war Schenin als Kader- und Organisationschef nun an die Spitze gerückt. Interessant sollte nun werden, welche Position die Führung der KPdSU, vertreten durch ihre ZK-Sekretäre sowie durch die Politbüromitglieder, die sich in Moskau befanden, einnahm. Eine Reihe von ihnen konnte aus Gründen der Entfernung so kurzfristig nicht kommen. Unter anderen waren die Republikführer von Kasachstan, Turkmenistan, Aserbaidschan oder Usbekistan (Nasarbajew, Nijasow, Mutalibow, Karimow). Andere konnten in so kurzer Frist nicht

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ausfindig gemacht werden. Anwesend auf dieser positionsbestimmenden und außerordentlichen Sitzung waren:456 –– Oleg Schenin, ZK-Sekretär, Politbüromitglied und Sitzungsleiter –– Valentin Falin, ZK-Sekretär –– Wladimir Kalaschnikow, ZK-Sekretär –– Valentin Kupzow, ZK-Sekretär –– Iwan Melnikow, ZK-Sekretär –– Juri Manajenkow, ZK-Sekretär –– Alexander Dsasochow, ZK-Sekretär und Politbüromitglied –– Jegor Strojew, ZK-Sekretär und Politbüromitglied –– Iwan Poloskow, Politbüromitglied –– Juri Prokofjew, Politbüromitglied –– Michail Surkow, Politbüromitglied –– Gennadi Orlow, stellvertretender Leiter der allgemeinen Abteilung des ZK

Schenin hatte zwei Ziele. Er wollte zum einen die formale Unterstützung der versammelten Vertreter der Parteiführung für das G ­ KTSCHP und dessen Macht­über­nahme erreichen. Dazu hatte er ein Schreiben dabei, das auf der Sitzung angenommen und anschließend an die Parteiorganisa­ tionen im ganzen Land als Telegramm verschickt werden sollte. Zweitens wollte er schnellstmöglich das Plenum des ZK zusammenrufen lassen, offensichtlich um einen neuen Generalsekretär wählen zu lassen.457 Laut Prokofjew hatte Schenin ihm einige Zeit vor dem Putsch vertraulich den Vorschlag gemacht, sollte er zum Generalsekretär gewählt werden, könnte Prokofjew sein Stellvertreter werden.458 Nach einleitenden Worten über die neue Lage, über die fast alle Mitglieder aus den Medien erfahren hatten, und dem Hinweis, dass G ­ orbatschow erkrankt sei, las Schenin das vorbereitete Papier vor. Mehrere Teilnehmer wollten Korrekturen in dem Text. Einige sprachen sich dagegen aus, das ­ KTSCHP eindeutig zu unterstützen, da sie sich noch nicht ein umfasG sendes Bild über das Geschehen hätten machen können und nicht über ausreichende Informationen verfügten. Andere wollten den Hinweis aufgenommen sehen, dass alle Handlungen der Partei nach Gesetz und im Rahmen der Verfassung erfolgen müssten.459 Der ganze Vorgang entsprach nicht den Vorschriften und Statuten der Partei. Der Text hätte vor der Sitzung vervielfältigt und jedem einzelnen Teilnehmer übergeben werden müssen. Anschließend hätte er nach sorgfältiger Diskussion zur Abstimmung gestellt werden müssen. Die Endfassung

Die Rolle der KPdSU bei der Macht­über­nahme durch das ­GKTSCHP

mit den Korrekturen wurde den ZK-Sekretären und Politbüromitgliedern jedoch nicht vorgelegt. Schenin veranlasste, dass das Schreiben als chiffriertes Telegramm an alle lokalen Parteiorganisationen verschickt wurde. Es lautete: „An die Ersten Sekretäre des ZK der KP […].Treffen Sie im Zusammenhang mit der Einführung des Ausnahmezustandes Maßnahmen zur Teilnahme der Kommunisten an der Unterstützung des Staatkomitees für den Ausnahmezustand in der UdSSR. Über das Plenum des ZK und andere Maßnahmen werden wir noch berichten.“ 460 Die Staatsanwaltschaft konnte nachweisen, dass das Schreiben, das verschickt wurde, gar nicht im ZK, sondern im KGB angefertigt worden war. Dies war anhand der verwendeten Schreibmaschine von Sachverständigen festgestellt worden461 und ist ein weiterer Beleg dafür, dass der Putsch im KGB organisiert wurde und die Parteiführung nicht involviert war. Schenin hat eigenmächtig gehandelt. Dennoch wurde die Partei vom siegreichen Jelzin-Lager später in Haftung genommen. Schenins Vorschlag, schon am nächsten Tag, dem 20. August, um 18 : 00 Uhr das Plenum des ZK einzuberufen, wurde mehrheitlich nicht unterstützt. Es war für alle Anwesenden ganz offensichtlich, dass die Darstellung, ­Gorbatschow sei krank, in Verbindung mit der Macht­über­nahme durch das ­GKTSCHP konstruiert sein musste, da vom Generalssekretär selbst keine Äußerung oder schriftliche Information vorlag und es auch keine Erklärung seiner Ärzte gab. Der ZK -Sekretär und das Politbüromitglied Dsasochow sagte im Verhör, Schenin sei von einigen Teilnehmern die Frage gestellt worden: „Was heißt das – krank?“ Er habe daraufhin erwidert: „Stellen Sie mir nicht Fragen, die ich schon beantwortet habe.“ 462 Valentin Falin schrieb in seinen Erinnerungen, er habe den Saal betreten, als die Sitzung schon zu Ende ging. Er habe gebeten, für ihn zu wiederholen, was mit ­Gorbatschow sei und 28  Oleg Schenin im Jahr 2007: Als Leninist verfolgte er bis zu seinem Lebensende das Ziel einer Wiederherstellung der Sowjetunion. © RIA Novosti

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warum gerade jetzt ein Ausnahmezustand ausgerufen worden sei. Die Antwort des Vorsitzenden Oleg Schenin sei gewesen: „Stellen auch Sie keine Fragen, auf die Sie keine Antwort bekommen.“ Die außerordentlichen Maßnahmen seien in erster Linie eine Angelegenheit des Staates, habe der Vorsitzende noch gesagt. Von der Existenz des Telegramms habe er, Falin, erst am nächsten Tag erfahren.463 Dass die Führung der KPdSU den Putsch unterstützt, gar mit geplant hätte, trifft nicht zu. Sie stellte sich aber auch nicht dagegen, sondern wartete ab. Während Schenin bei seinen Verhören versuchte, die Verantwortung und vor allem die alleinige Autorschaft des Telegramms abzustreiten und es als kollektiv formuliertes Schreiben darstellte,464 gab er Jahre später zu, dass er im Alleingang gehandelt hatte. Da herrschte schon ein anderes politisches Klima, in dem die kurze Freiheitseuphorie und die Aufbruchsstimmung nach dem Putsch längst verflogen waren und sich teilweise eine Sowjetnostalgie auszubreiten begann. In der von Schenin autorisierten politischen Biographie schreibt Nadeschda Garifullina: „Der Einzige, der eine eindeutige Position vor der Partei einnahm, war Oleg Schenin. Am 19. August 1991 hat er eigenständig ein chiffriertes Telegramm an die Parteikomitees der Republiken, Gebiete und Kreise geschickt, und zwar an die Ersten Sekretäre. […] Die KPdSU war keine Organisatorin der August-­ Ereignisse. Sie hätte aber allein aufgrund ihrer Programmrichtlinien für die Verteidigung des Sozialismus und der UdSSR eintreten und sich gegen die Legalisierung des verübten Staatsstreiches wenden müssen, der von ­Gorbatschow und seinen Leuten in Nowo-Ogarewo verübt worden war.“ 465 In dem Punkt, dass die KPdSU aufgrund ihres Programms sogar verpflichtet gewesen wäre, den Sozialismus und die UdSSR zu verteidigen, hat Schenin zweifellos Recht. Insofern war er – wie er sich selbst sah – tatsächlich ein aufrechter Kämpfer für die sowjetische und kommunistische Sache. Die mangelnde Unterstützung des ­GKTSCHP durch die Parteiführung hat ihre Ursache auch darin, dass ein bedeutender Teil der Nomenklatura sich bis zum Sommer 1991 schon längst auf die neuen Zeiten vorbereitet und eingestellt hatte. Es verwundert daher nicht, dass nach dem Putsch und dem Untergang der UdSSR viele ihrer Mitglieder im Gewand der Demokraten und Marktwirtschaftler ihre früheren Machtpositionen de facto halten konnten, obgleich diese Positionen nun in den neuen staatlichen, politischen und ökonomischen Strukturen neue Bezeichnungen hatten und ein gewisses Maß an Anpassungsfähigkeit und Opportunismus voraussetzten. Auch vordergründig konnte im Sommer 1991 längst nicht

Die Rolle der KPdSU bei der Macht­über­nahme durch das ­GKTSCHP

mehr von „der Partei“ gesprochen werden. Die KPdSU hatte einen orthodoxen und einen reformerischen Flügel und war daher faktisch gespalten. Der reformerische hätte sich allerdings nicht mehr kommunistisch nennen dürfen, denn mit Marktwirtschaft und mit Pluralismus konnte es keinen Kommunismus mehr geben. Fragt man also nach der Rolle der KPdSU im Putsch, ist eine gewisse Differenzierung vorzunehmen. Insgesamt traf sich das ZK-Sekretariat während der Putschtage viermal zu Beratungen: Am 19. August war dies morgens und am Abend der Fall. Auf der Abendsitzung wurde noch einmal die Einberufung des ZK -Plenums erörtert. Am 20. August wurde über eine Erklärung des Politbüros beraten, und am 21. August wurde die Forderung verabschiedet und veröffentlicht, in der unverzüglich ein Treffen mit Generalsekretär ­Gorbatschow gefordert wurde.466 Allein das völlig verspätete Eintreten für den in Foros festgehaltenen ­Gorbatschow – zu einem Zeitpunkt, an dem der Putsch schon gescheitert war – ließ die ZK-Sekretäre als eine Gruppe ängstlicher Opportunisten erscheinen, die sich nun von den Verlierern des Machtkampfes kategorisch distanzierten. Scharfe Kritik an der Parteiführung kam unmittelbar nach dem Scheitern des Putsches von der Parteizeitung Prawda. Deren Redakteure warfen den ZK-Sekretären und Politbüromitgliedern vor, abgetaucht zu sein, sich dem ­GKTSCHP nicht entgegengestellt und die Kommunisten im Lande dadurch diskreditiert zu haben. In dieser Anklage klang auch durch, dass sich die Redaktion von der Parteiführung im Stich gelassen gefühlt hatte, weil diese keine Stellung bezogen hatte. Auf der Titelseite erschien am 23. August eine „Erklärung des Redaktionskollektivs“: „In diesen Tagen stand unsere Heimat am Abgrund. […] Wir sind davon überzeugt, dass auf den Seiten der Prawda eine entschlossene und rechtzeitige Erklärung der Führungsorgane der KPdSU zum selbsternannten ‚Komitee‘ die Lage verändert hätte. Die Untätigkeit des Politbüros und des Sekretariats des ZK der KPdSU in diesem kritischen Moment hat sich jetzt zum Schaden der ganzen Partei und aller Kommunisten gewandelt, die für ihre demokratische Erneuerung eintreten. Diese Untätigkeit hat den Boden bereitet für die Entfachung einer antikommunistischen Kampagne.“ 467 Erst am 21. August – nachmittags, als alles entschieden war – gab die Parteiführung eine Pressekonferenz im Hotel „Oktjabrskaja“ (heute „President Hotel“), das für Parteizwecke gebaut worden war. (Hier waren die beiden Komitee-Mitglieder Starodubzew und Tisjakow während des Putsches untergebracht. Hier wurde im September 1990 auch der

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Zwei-plus-vier-Vertrag unterzeichnet.) Erst jetzt verurteilte das ZK den Staatsstreich als verfassungswidrig. Vor die Presse traten die Politbüromitglieder Pjotr ­Lutschinski, Alexander Dsasochow, der ZK-Sekretär ­Wladimir ­Kalaschnikow (zuständig für Ideologie) sowie die ZK -Abteilungsleiter ­Babitschew und Degtjarew.468 Sie erklärten, die Parteiführung habe erst durch die Berichte in den Medien von der Bildung des ­GKTSCHP erfahren. Diese Darstellung, die damals überwiegend als unglaubwürdig und bloße Schutzbehauptung angesehen wurde, traf jedoch nachweislich zu. Auch Valentin Falin war am 19. und 20. August nicht dadurch aufgefallen, dass er das G ­ KTSCHP verurteilt und sich positiv über den Widerstand Jelzin geäußert hätte. Erst am 23. August gab er ein Interview. Darin sagte er: „Jelzin verdient die Dankbarkeit auch der Partei, die er verlassen hat.“ 469 Und Wladimir Iwaschko, G ­ orbatschows Stellvertreter im Amt des Generalsekretärs, forderte erst am dritten Putschtag ein Treffen mit dem sowjetischen Präsidenten. In einer von TASS verbreiteten Erklärung drängte er Janajew, dies „unverzüglich zu arrangieren.“ Denn sonst sei „die Parteiführung nicht befugt und nicht in der Lage, eine politische Einschätzung der Ereignisse vom 19. August vorzunehmen.“ 470 Von denjenigen Führungsmitgliedern der KPdSU, die eine abwartend-­ neutrale Haltung einnahmen, sind jene zu unterscheiden, die das ­GKTSCHP zunächst unterstützten, es dann aber plötzlich verurteilten, nachdem sich dessen Niederlage abzuzeichnen begann. Zu ihnen gehört zum Beispiel Nursultan Nasarbajew, Politbüromitglied und Republikführer Kasachstans.

6.13 Die Lage in Leningrad Die Lage in Leningrad, das seit dem 6. September 1991 wieder St. Petersburg heißt,471 rückte während des Putsches in den Fokus, weil es neben Moskau eine Hochburg der demokratischen Bewegung in Russland war. Wie die Hauptstadt wurde auch Leningrad von einem Bürgermeister regiert, der zu den führenden Reformern im Land gehörte. Zu seinen Vertrauten gehörte der damals 38jährige Wladimir Putin, der in der Stadtregierung das Komitee für Auslandsbeziehungen leitete. Putin befand sich in Urlaub, machte sich nach eigenen Angaben am 20. August auf den Weg nach Leningrad und stieß noch am gleichen Tag wieder zum Team Sobtschaks.472 Der spätere Präsident Russlands befand sich in einer komplizierten und für ihn schwierigen Situation: Er diente einerseits loyal dem demokratischen

Die Lage in Leningrad

Bürgermeister Sobtschak, andererseits wollte er als KGB -Mann keine Befehle verweigern. Der Ausweg: Er schrieb sogleich ein Kündigungsschreiben – sein zweites –, um aus dem Geheimdienst entlassen zu werden.473 Das erste Schreiben einige Monate zuvor war irgendwo liegengeblieben und nicht bearbeitet worden.474 Putin stand im August 1991 also klar auf der Seite der Demokraten, die eine Rückkehr der orthodoxen Systembewahrer an die Macht bekämpften. Anatoli Sobtschak war seit dem 12. Juni 1991 der frei und demokratisch gewählte Bürgermeister Leningrads. Er hatte 65 Prozent der abgegebenen Stimmen in der seinerzeit rund viereinhalb Millionen Einwohner zählenden Stadt erhalten.475 Am 18. August war er nach Moskau geflogen, weil er am nächsten Tag als Mitglied der russischen Delegation die Unterzeichnung des Unionsvertrages vorbereiten sollte.476 Als Sobtschak am nächsten Tag frühmorgens von der Macht­über­nahme des ­GKTSCHP erfuhr, eilte er aus Moskau sofort zur Datscha von Boris Jelzin. Dort blieb er nur kurz, um sich mit dem Einverständnis von Jelzin nach Leningrad zu begeben.477 Sobtschak hat laut eigener Darstellung verhindert, dass die Truppen nach Leningrad einmarschierten. Er habe, nachdem er in der Stadt eingetroffen war, energisch mit dem Befehlshaber des Leningrader Militärbezirks – General Viktor Samsonow – geredet und ihn von dem Einmarsch abgehalten. Mit dem stellvertretenden Bürgermeister Konteradmiral Wjatscheslaw Schtscherbakow habe er auf ihn eingeredet: „Sehen Sie denn nicht, was für Nullen diese Männer sind? Selbst wenn sie die Macht an sich bringen, werden sie sie nicht lange behalten.“ 478 Eine entscheidende Rolle wird Sobtschak auch von Manfred Alexander in der Abhandlung „Russische Geschichte“ zugeschrieben: Sobtschak habe „das Eingreifen von Truppen der Putschisten in seiner Stadt vereitelt.“ 479 Die Ursache dafür, dass keine Truppen nach Leningrad einrückten, war den staatsanwaltlichen Ermittlungen zufolge allerdings eine ganz andere. Sie reduziert Sobtschaks Heldenrolle, die ihm nach dem Putsch vielfach zugesprochen wurde. In den Morgenstunden des 19. August kam es demnach zu einem Missverständnis über das Einrücken von Truppen nach Leningrad. Der Befehlshaber des dortigen Militärbezirks, Viktor Samsonow, ordnete die Verlegung der 104. Fallschirmjägereinheit und der 76. Luftlandedivision, die in Pskow stationiert waren, nach Leningrad an. Er war in dem Glauben, dass der Ausnahmezustand auch in Leningrad verhängt worden sei. Diese Information bekam er von Viktor Jermakow aus dem Verteidigungsministerium. Samsonow trat sogar im örtlichen Fernsehen als Stadtkommandant auf und begründete den Bürgern, warum der

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Ausnahmezustand verhängt worden sei. Nachdem er kurz darauf erfahren hatte, dass es sich um eine Falschinformation handelte, stoppte er die militärischen Maßnahmen, mit denen der vermeintliche Ausnahmezustand abgesichert werden sollte.480 Der Überbringer der Falschmeldung, General Viktor Jermakow, sagte im Verhör aus, er sei am 18. August morgens mit einer Reihe von anderen Militärs bei Jasow gewesen. Dieser habe ihnen dargelegt, dass die Lage im Land schwierig sei und ein Teil der Armee gemeinsam mit Truppen des Innenministeriums eingesetzt werde, um die Situation zu stabilisieren. Wo genau die Armee aktiv sein sollte, erläuterte er nicht. Jasow habe ihm gesagt: „Sie sollten für eine Reise nach Leningrad bereitstehen. Sie kennen die Region gut. Sie werden dort die Situation im Auge behalten.“ Nach Ende der Sitzung seien die Militärs ins Büro des stellvertretenden sowjetischen Verteidigungsministers Atschalow gebeten worden, wo sie alle ein Textexemplar des Gesetzes über den Ausnahmezustand bekommen hätten. Atschalow habe ihm und den anderen gesagt, dass für sie jeweils ein Flugzeug des Verteidigungsministeriums bereitstehe, das sie in die jeweiligen Militärbezirke bringen werde. Das habe bei ihm dazu geführt zu glauben, dass alles genau geplant und vorbereitet sei.481 Vor diesem Hintergrund ist die Darstellung des damaligen Leningrader Bürgermeisters Sobtschak und seiner Mitstreiter nicht haltbar, sie hätten den Truppeneinmarsch nach Leningrad verhindert. Dafür spricht vor allem, dass die Staatsanwaltschaft ein großes Interesse daran hatte, dem ­ KTSCHP auch einen rechtswidrigen Befehl zum Truppeneinmarsch nach G Leningrad nachzuweisen, dies aber nicht konnte. Es wurde hier, anders als im Fall Moskaus, auch kein schriftlicher Befehl des Verteidigungsministers sichergestellt. Es handelte sich vielmehr um eine Kommunikationspanne. Darüber hinaus ist es naiv anzunehmen, dass ein sowjetischer General, der fest in dem Glauben ist, einen Befehl auszuführen, sich durch einen zivilen Repräsentanten hätte davon abbringen lassen und somit eine lebensbedrohliche Befehlsverweigerung begangen hätte, zumal es sich bei einem solchen Befehl „nur“ um Truppenbewegungen gehandelt hätte – und nicht um einen Todesopfer in Kauf nehmenden Angriffsbefehl. In zwei weiteren Punkten ist die Darstellung Sobtschaks nicht nur heroisierend, sondern irreführend. Was die Abfahrt nach dem kurzen Aufenthalt in Jelzins Datscha betrifft, unterstellt er dem ­GKTSCHP, es habe Jelzin und ihn festnehmen wollen, sie seien der Eingreiftruppe aber knapp entkommen. Nur so habe er nach Leningrad „durchkommen“ können. Damit

Die Lage in Leningrad

impliziert er, dass er nur infolge dieses „Entwischens“ den Widerstand habe organisieren können. Die vor der Datscha wartende KGB-Einheit „Alpha“ hatte allerdings zu keinem Zeitpunkt einen Befehl, Jelzin festzunehmen. Sobtschak schrieb in seinen Erinnerungen: „Gott sei Dank, die Luftlandetruppen sind nicht mehr da. Entweder sind sie losgefahren, um uns festzunehmen, und haben uns verpasst, oder ein anderer ‚Greiftrupp‘ ist zu spät in der Datscha […] eingetroffen (wie wir später erfuhren, um zehn Minuten zu spät).“ 482 Diese Darstellung ist völlig haltlos. Der Bürgermeister, der am 20. August zu einer Demonstration gegen die Putschisten und zu Streiks aufrief und der am Tag zuvor zum zivilen Ungehorsam aufgerufen hatte, behauptete, in Moskau hätten „viele Tausend“ Bürger gegen das G ­ KTSCHP protestiert. Und in Leningrad sei es zu einer „millionenstarken Demonstration“ 483 gekommen. Unabhängige Beobachter sprechen dagegen von 100.000, maximal 200.000 Bürgern, die an der Großdemonstration auf dem Schlossplatz am 20. August mittags teilgenommen hätten.484 Auf dieser Veranstaltung erklärte Sobtschak, Leningrad sei wieder unter der völligen Kontrolle der bisherigen Stadtverwaltung. 485 Dies lag allerdings vor allem daran, dass General Samsonow, der sich am Vortag noch im örtlichen Fernsehen als neuer Stadtkommandant vorgestellt hatte, selbst den Rückzug angetreten hatte, nachdem er erfahren hatte, dass der Ausnahmezustand in Leningrad gar nicht verhängt worden war. Dass die Zahl der Demonstranten in Leningrad deutlich höher war als in Moskau, dürfte sicherlich auch daran gelegen haben, dass sich keine Panzer und Militärfahrzeuge auf den Straßen befanden. Somit gab es nicht das Bedrohungspotenzial wie in der Moskauer Innenstadt, das dort viele Bürger davon abhielt, sich in Gefahr zu begeben. Außer in Moskau und Leningrad gab es noch in Swerdlowsk eine große Demonstration gegen die Putschisten. Auch dort waren keine Panzer aufgefahren.486 Die zahlenmäßig größte Kundgebung in Russland fand in Leningrad statt. Der sowjetische Präsident ­Gorbatschow dankte in seiner Fernsehrede am 22. August denn auch ausdrücklich „den Bürgern Moskaus und Leningrads“ für ihre Haltung während des Putsches.487 Möglicherweise war für die besondere Aufmerksamkeit gegenüber Leningrad auch dessen historische Rolle für das Land ausschlaggebend. 1917 begann hier der Mythos der „großen Oktoberrevolution“, die tatsächlich ein Putsch der Bolschewiki unter Führung Lenins war, wodurch die demokratischen Strukturen, die sich nach dem Sturz des Zaren im Februar 1917 zu etablieren begannen, zerstört wurden. 74 Jahre später hatten

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nun die politischen Enkel Lenins geputscht, um sein Erbe zu retten. Jeden Hinweis auf den Staatsgründer und dessen kommunistische Ideologie vermieden sie dabei aber bewusst. Anders als 1917, als angeblich die Massen den Winterpalast stürmten, versammelte sich 1991 auf dem Schlossplatz die größte Menschenmenge in Russland, um gegen eine politische Rückkehr zu dem Namensgeber ihrer Stadt zu protestieren.

6.14 Die Reaktionen in den Republiken Erst nach anfänglichem Zögern und der zunächst strittigen Frage, ob ­Gorbatschow verteidigt werden sollte, entschied sich Russland für einen kompromisslosen politischen Konfrontationskurs gegenüber dem ­ KTSCHP und dafür, die Wiedereinsetzung des sowjetischen PräsidenG ten in sein Amt zu fordern. Letzteres brachte Jelzin Sympathien und ein großes Maß an politischer Unterstützung durch den Westen während und nach dem Putsch. Von besonderem Interesse und Gewicht war aber auch die Haltung der zweitgrößten Sowjetrepublik, der Ukraine. Leonid Krawtschuk, Parlamentspräsident und Republikführer, verhielt sich nicht abwartend, sondern opportunistisch. Er trat am Abend des 19. August im Unionsfernsehen in der Hauptnachrichtensendung „Wremja“ auf, rief zur Ruhe auf, wagte keine Kritik am Komitee und bezeichnete es schon gar nicht, so wie dies Jelzin getan hatte, als rechtwidrig. Die Tatsache, dass Krawtschuk ein landesweites Forum bekam, beim russischen Präsidenten dies jedoch unter allen Umständen vermieden werden sollte, ist schon ein hinreichender Beleg dafür, dass er sich mit den vermeintlich neuen Machtverhältnissen arrangiert hatte. Er zeigte in dem zwei Minuten langen Interview Verständnis für die Handlungen des Komitees. Das Gespräch wurde nicht spontan, sondern sitzend in einem Fernsehstudio geführt, was ausschließt, dass er von Journalisten überrascht wurde und seine Antworten nicht genügend überlegt waren. Der Führer der zweitwichtigsten Sowjetrepublik führte aus: „Was passiert ist, hat passieren müssen. […] Die Situation konnte man nicht so belassen – eine Situation der Steuerlosigkeit, in der das Zentrum nicht in der Lage war zu regieren […].“ 488 Krawtschuks Äußerungen waren eindeutig dahingehend zu verstehen, dass er bereit war, mit dem Komitee zusammenzuarbeiten. War er noch vor dem Putsch in der Rolle des selbstbewussten Republikführers aufgetreten, der damit drohte, den Unionsvertrag nicht zu unterschreiben,

Die Reaktionen in den Republiken

so trat der ehemalige KP-Funktionär für Ideologiefragen im sowjetischen Fernsehen nun nicht mehr als Vertreter nationaler ukrainischer Interessen auf. Krawtschuks Stellvertreter Boris Grinjow dagegen verurteilte die Handlungen des G ­ KTSCHP im ukrainischen Fernsehen mit den Worten: „Das alles ist ein Militärputsch. Seine Organisatoren […] handelten ungesetzlich und verfassungswidrig.“ 489 Erst am nächsten Tag entschloss sich auch Krawtschuk dazu, als er – ebenfalls im ukrainischen Fernsehen – das ­ KTSCHP als verfassungswidrig bezeichnete und versicherte, die Ukraine G werde ihre Souveränität verteidigen.490 Hätte er diese Aussage am ersten Tag gemacht, wäre sie ein schwerer Rückschlag für die Putschisten gewesen. So aber war es eine opportunistische Erklärung, die den wiederum neuen Machtverhältnissen angepasst wurde. Jelzin berichtete, am 19. August habe Krawtschuk seine Bitte um Unterstützung mit den Worten zurückgewiesen: „Bei uns ist bisher alles ruhig, wir müssen erst allmählich begreifen, was vorgegangen ist.“ 491 Der Republikführer der Ukraine erhielt am gleichen Morgen einen Anruf des KGB-Chefs. Gegenüber der russischen Staatsanwaltschaft behauptete Krawtschuk, Krjutschkow habe das Telefonat beendet, nachdem er, Krawtschuk, die Verhängung des Ausnahmezustandes und die Bildung des G ­ KTSCHP als verfassungswidrig bezeichnet habe.492 Diese Darstellung ist völlig unglaubwürdig, und sie widerspricht seinem unionsweit ausgestrahlten TV-Interview am Abend. Er unternahm zwischen dem 19. und 21. August nichts, was als Hilfe für den auf dem Territorium seiner Republik festgehaltenen sowjetischen Präsidenten ­Gorbatschow hätte ausgelegt werden können. Seine opportunistische Haltung während des Putsches hat Krawtschuk politisch jedoch nicht geschadet. In der Nachbarrepublik Belarus war die Haltung der Führung fast identisch mit der in der Ukraine, jedoch mit unterschiedlichen Konsequenzen für ihre führenden Mitglieder: Der Parlamentsvorsitzende Nikolai Dementej verurteilte das ­GKTSCHP nicht, wohingegen sein Stellvertreter ­Stanislau Schuschkewitsch dies tat. Am 19. August rief Dementej in Moskau an, sprach mit Janajew, der ihm sagte, dass der Unionsvertrag nicht unterschrieben werde und er daher nicht nach Moskau zu kommen brauche. Kurz darauf rief ihn der KGB-Chef an, der ihm das Gleiche sagte.493 Daraufhin kam den ganzen Tag über keine offizielle Reaktion aus Minsk zu den Ereignissen in Moskau. Dementej traf am Abend mit Abgeordneten der Opposition zusammen, die eine Verurteilung des Komitees verlangten. Dort sagte er, dass „­Gorbatschow gesetzeskonform abgesetzt“ worden

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sei, weil er selbst eine „entsprechende Erklärung unterzeichnet“ habe.494 Schuschkewitsch, der schon vor dem Putsch aus der KP ausgetreten war, sammelte dagegen mit einer Gruppe von Abgeordneten Unterschriften, mit denen eine außerordentliche Sitzung des Obersten Sowjets der Republik gefordert wurde.495 Dementej musste aufgrund seiner abwartend-unterstützenden Haltung gegenüber dem ­GKTSCHP zurücktreten. Der promovierte Physiker und Mathematiker Stanislau ­Schuschkewitsch wurde am 18. September 1991 im dritten Wahlgang496 zum neuen Parlamentsvorsitzenden und damit zum neuen Republikführer gewählt. Doch blieben „die kommunistische Regierung und der kommunistisch beherrschte Oberste Sowjet weitgehend unverändert im Amt.“ 497 Unterschiedlich fielen die Reaktionen in Moldawien (Moldova) aus. Die Ursache hierfür lag in der spätestens 1990 verlorenen Kontrolle der Republikführung über die Dnjestr-Region und Gagausien. Während Präsident Mircea Snegur seinen Urlaub abbrach und schon am 19. August gemeinsam mit Regierung und dem Obersten Sowjet das ­G KTSCHP als verfassungswidrig verurteilte und Jelzin seine Unterstützung zusicherte, gaben die selbsternannten Parlamente der beiden abtrünnigen Regionen am 20. August Solidaritätserklärungen für die Putschisten in Moskau ab.498 Die Führung Moldovas war neben der russischen die einzige unter den 15 Republikführungen der Sowjetunion, die sich gleich zu Beginn der Machtergreifung durch das GKTSCHP für G ­ orbatschow einsetzte und dessen Wiedereinsetzung in sein Amt verlangte. In der Hauptstadt Kischinjow fand – außerhalb der RSFSR  – die wohl mit Abstand größte Kundgebung in der Sowjetunion gegen die Putschisten statt. Nach unterschiedlichen Angaben versammelten sich in Kischinjow zwischen 50.000 und 400.000 Bürger.499 Möglicherweise war die Zahl der Demonstranten somit höher als in Leningrad, wo sich zwischen 100.000 und 200.000 Bürger versammelten. Damit wäre die Kundgebung in Moldawien sogar die größte Protestveranstaltung in der Sowjetunion gewesen. Die Fernsehbilder sprechen dafür, dass die Zahl der Demonstranten deutlich näher bei 400.000 als bei 50.000 lag.500 Die Hauptstadt erhielt durch die Entscheidung des Republikparlaments vom 27. August 1991 ihren alten Namen – Chişinău – zurück.501 Im Baltikum war eine besondere Lage, weil dort der Ausnahmezustand verhängt wurde und Armee sowie Sondereinheiten des Innenministeriums und des KGB im Einsatz waren. Zu schwerwiegenden Zusammenstößen kam es zwar nicht, doch es herrschte teilweise eine sehr angespannte und

Die Reaktionen in den Republiken

auf Einschüchterung angelegte Atmosphäre im Gegensatz zu den übrigen Republiken mit Ausnahme von Russland. Dort war die Situation nur in Moskau und in Leningrad in erhöhtem Maße angespannt. Alle drei baltischen Republikführungen stellten sich gegen das ­GKTSCHP, allerdings mit unterschiedlicher Entschiedenheit. Die Regierung und das Parlament von Estland verurteilten die Handlungen in Moskau als „Versuch eines Staatsstreiches“. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, die Anordnungen des Komitees nicht zu befolgen. Die Absetzung ­Gorbatschows bezeichnete die Führung Estlands als ungesetzlich.502 Ein weiter gehender Einsatz für den sowjetischen Präsidenten fand am ersten Putschtag zwar nicht statt, doch war allein die ihn verteidigende Erwähnung bemerkenswert vor dem Hintergrund der Gewalteinsätze der Moskauer Zentrale in den Nachbarrepubliken Litauen und Lettland sieben Monate zuvor, für die er verantwortlich oder mitverantwortlich gemacht worden war. In Lettland war die Lage diffiziler wegen des besonders großen rus­sischen Bevölkerungsanteils. Anatoli Gorbunow, Vorsitzende des Obersten Sowjets und Republikführer, appellierte an die Bürger, „Ruhe zu bewahren und im Falle einer Einmischung von außen zivilen Ungehorsam zu leisten.“ Das ­ KTSCHP nannte er verfassungswidrig.503 Er forderte die Bevölkerung G aber nicht explizit auf, Widerstand zu leisten. Dies war eine verhältnismäßig milde Reaktion auf die Vorgänge in Moskau, zumal von dort der Befehl gekommen war, Panzer auffahren zu lassen. Eine „Einmischung von außen“ war somit nach dem bis zum Putsch propagierten Selbstverständnis der Republik gegeben. Gorbunow stand der lettische KP-Chef Alfred Rubiks gegenüber, der im Republikfernsehen den Ausnahmezustand verkündete und ein Verbot aller Parteien aussprach – selbstverständlich außer der kommunistischen. In Litauen formulierte Parlamentspräsident und Republikführer Vytautas Landsbergis den schärfsten Widerstand innerhalb der baltischen Republiken. Er rief am 19. August um 11 Uhr das Verteidigungskomitee Litauens zusammen und gab die Anweisung, entsprechend den bereits länger vorher ausgearbeiteten Plänen zur Verteidigung der Regierungsgebäude und anderer wichtiger Objekte zur Tat zu schreiten, falls es zu sowjetischen Angriffen auf sie kommen sollte.504 Nach dem gewaltsamen sowjetischen Umsturzversuch gegen die demokratische Führung Litauens im Januar 1991, bei dem 14 Menschen ums Leben gekommen waren, hatten ­Landsbergis und seine Mitstreiter sich auf neue Gewalt seitens der von

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ihnen nicht mehr anerkannten Führungszentrale in Moskau eingestellt. „Wir warteten auf den Tag X. Wir konnten nicht wissen, wann er kommt. Aber wir rechneten damit.“ 505 Mit einer unerwarteten Kooperationsbereitschaft reagierte Georgien auf die Macht­über­nahme in Moskau. Präsident Swiad Gamsachurdia erfüllte nun Forderungen, die er bislang kategorisch abgelehnt hatte. Er war jetzt damit einverstanden, die Nationalgarde aufzulösen und forderte die Bevölkerung auf, ihre Waffen bei der georgischen Miliz abzugeben. Im Republikfernsehen sagte er: „Ich will politische Einschätzungen vermeiden. Ruhe und Stabilität sind jetzt das Wichtigste.“ 506 Diese faktische Anerkennung des Komitees brachte ihn nach der Niederlage der Putschisten in Bedrängnis, war aber nicht die Ursache für seinen späteren Sturz zur Jahreswende 1991 /1992.507 Sein Amtskollege Ajas Mutalibow, Präsident von Aserbaidschan, begrüßte am 19. August als einziger der 15 Republikführer offen den Sturz ­Gorbatschows. Mutalibow, befand sich zu diesem Zeitpunkt in Teheran. Er führte aus, er sei „zufrieden mit den Ereignissen in der UdSSR“. Der Rücktritt ­Gorbatschows, wie Mutalibow es nannte, sei „die natürliche Folge der Politik, die die Sowjetunion in den vergangenen Jahren ins Chaos geführt hat.“ 508 Diese Aussagen hinderten ihn aber nicht daran, nach dem Scheitern des Putsches aus dem Politbüro in Moskau auszutreten und den Vorsitz der KP Aserbaidschans abzugeben, die am 10. September ihre Selbstauflösung beschloss. M ­ utalibow blieb bis März 1992 Präsident. Wie bei Präsident Gamsachurdia war sein Amtsverlust aber nicht Folge seiner Haltung zum Putsch.509 Armenien, das sich der Zentrale in Moskau bis zum Putsch widersetzt und zu den Republiken gehört hatte, die den neuen Unionsvertrag nicht unterzeichnen wollten, nahm ebenfalls eine abwartende Position ein. Dies ist ein Beleg dafür, dass die Bildung des G ­ KTSCHP seine Wirkung auf manche abtrünnige Republik nicht verfehlte. Während die Führung in Jerewan G ­ orbatschows liberalen Kurs für eine selbstbewusste und auf Unabhängigkeit von der Zentrale ausgerichtete Politik ausgenutzt hatte, fielen die offiziellen Reaktionen gegenüber dem Komitee am 19. August und danach überraschend devot aus. Parlamentspräsident und Repub­ likführer Lewon Ter-Petrosjan510 verlas im Fernsehen Armeniens eine Erklärung, in der er die Bürger zur „Einhaltung von Disziplin und Ruhe“ aufrief.511 Dieser Appell bedeute nichts anderes, als keinen Widerstand zu leisten und nicht gegen das Komitee zu demonstrieren. Der Präsident

Die Reaktionen in den Republiken

sagte ferner, die Regierung Armeniens unterhalte ständig Verbindung mit den Regierenden in Moskau. Der armenische Ministerpräsident Vasgen Manukjan erklärte am 20. August: „Die Staatsorgane Armeniens sollten sich vorerst [solange der Machtkampf in Moskau noch nicht entschieden war] vor irgendeiner Festlegung der Position zurückhalten.“ 512 Erst am 21. August verurteilte der Oberste Sowjet der Republik die Handlungen des G ­ KTSCHP .513 In der zentralasiatischen Sowjetrepublik Tad­ schikistan forderte die demokratische Opposition den Präsidenten Kachar Machkamow514 auf, das G ­ KTSCHP zu verurteilen.515 Er konnte sich dazu allerdings nicht entschließen und wartete den weiteren Verlauf der Ereignisse ab. Von der Republikführung kam somit keine Stellungnahme und Festlegung. Nach dem Scheitern des Putsches kam Machkamow unter politischen Druck auch seitens der kommunistischen Abgeordneten im Obersten Sowjet Tadschikistans. Nach einem Misstrauensvotum trat er am 31. August 1991 zurück.516 Seinem Amtskollegen in der sowjetischen Nachbarrepublik Kasachstan, Präsident Nursultan Nasarbajew, schadete dagegen dessen anfangs sogar zustimmende Haltung zum ­GKTSCHP nicht. Am 19. August sprach er in der Hauptstadt Alma-Ata um 20 Uhr Ortszeit (17 Uhr Moskauer Zeit) im Republikfernsehen und forderte die Bürger Kasachstans auf, Ruhe zu bewahren und zur „Konsolidierung der Gesellschaft beizutragen.“ 517 Diese ausweichende Stellungnahme hatte nur Gewicht und Bedeutung durch das, worauf er keine Antwort gab: ob die Anordnungen des ­GKTSCHP befolgt werden sollten und ob er dieses Komitee anerkenne. Erst am Nachmittag des nächsten Tages, als sich die Niederlage der Putschisten deutlich abzeichnete, trat er wieder an die Öffentlichkeit. Diesmal bezeichnete er das ­ KTSCHP als „verfassungswidrig“ und dessen Erlasse für „ungesetzlich“.518 G Jelzin schreibt in seinen Memoiren, dass er ­Nasarbajew morgens von seiner Datscha in Archangelskoje aus angerufen und um Unterstützung gebeten habe. Enttäuscht und auch verärgert sei er darüber gewesen, dass der kasachische Präsident sie nicht zugesichert habe.519 Laut einer Gesprächssammlung, die vor allem Interviews mit den Ehefrauen der Komitee-Mitglieder enthält, war Nasarbajew zumindest am 19. August sogar ein Unterstützer des ­GKTSCHP. Tamara Schenina, Ehefrau des Politbüro-Mitglieds Oleg Schenin, der nach seiner Foros-Reise am 18. August direkt in den Kreml gefahren war, anschließend die Veröffentlichung der Erklärungen und Erlasse des Komitees organisiert hatte und am Morgen kurz nach Hause gekommen war, führte aus: „Bei uns klingelte pausenlos das Telefon […].

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Nasarbajew rief an. Was er sagte, weiß ich nicht. Aber mein Mann sagte am Ende des Telefonats die Worte: ‚Danke für Ihr Verständnis und für Ihre Unterstützung, Nursultan ­Abischevitsch.‘“ 520 Diese Darstellung deckt sich mit den Aussagen des sowjetischen Fernsehchefs Krawtschenko, nach der Nasarbajew am 19. August für das unionsweite TV-Programm eine Fernsehansprache in Alma-Ata aufnahm, die nach Moskau überspielt und dort aufgezeichnet wurde. Darin habe er Verständnis für das Vorgehen und die Handlungen des Komitees gezeigt. Zur Ausstrahlung sei es aber nicht gekommen. N ­ asarbajew habe kurze Zeit später darum gebeten, das Filmmaterial in die kasachische Vertretung in Moskau zu bringen und damit sicherzustellen. Er sei dieser Bitte nachgekommen. Nasarbajew habe sich bei ihm später „persönlich sehr dafür bedankt.“ 521 Seit der Unabhängigkeit Kasachstans regiert Nasarbajew das Land nun mehr als zwei Jahrzehnte quasidiktatorisch. Das Parlament verlieh ihm mit einer Verfassungsänderung im Mai 2010 den Titel „Führer der Nation“ und weitgehende Machtbefugnisse auf Lebenszeit sowie lebenslange Immunität.522 Auch vor diesem Hintergrund erscheint es als sehr wahrscheinlich, dass er 1991 während des Putsches das ­GKTSCHP unterstützt und nicht nur abgewartet hat. Seine plötzliche Wende am 20. August vom KPdSU-Politbüromitglied hin zum demokratischen Lager kann demnach seinem politischen Opportunismus und seinem Machtinstinkt zugeschrieben werden. Vorsichtiger, aber nicht weniger opportunistisch verhielt sich Saparmurat Nijasow, Präsident von Turkmenistan. Er berief am 19. August eine nicht öffentliche Sitzung des Präsidentenrates ein. Über die Ergebnisse der Beratungen weigerte sich der Pressedienst Nijasows Auskunft zu geben; eine Erklärung werde am Abend des 20. August vorliegen. Die geschlossenen Beratungen des Präsidentenrates wurden auch an diesem Tag fortgesetzt. Erst am Abend des 21. August, als in Moskau längst alles entschieden war, erhielten die Massenmedien Turkmenistans einen Erlass aus dem Präsidentenamt zur Veröffentlichung, der besagte, dass die Erlasse des G ­ KTSCHP auf dem Territorium der Republik keine Gültigkeit hätten.523 Nijasow, 1990 bis 1991 auch Politbüromitglied in Moskau, errichtete nach dem Untergang der Sowjetunion ein durch einen starken Personenkult geprägtes, extrem autoritäres Regime, in dem er, der „Turkmenbaschi“ („Führer aller turkmenischen Völker“), Präsident auf Lebenszeit wurde. Nijasow starb im Dezember 2006. Seine Unterstützungsverweigerung gegenüber dem ­ KTSCHP, die er erst unmittelbar nach Scheitern des Putsches kundG tat, besaß kaum politische Aussagekraft. Sein Abwarten hatte keinerlei

Die Reaktionen in den Republiken

negative Auswirkungen auf seine politische Karriere. Die Opposition war, anders als in Tadschikistan, im August 1991 viel zu schwach, ihn deswegen zu bedrängen. Eine klare Position während des Putsches in Moskau nahm dagegen Askar Akajew, Präsident der Republik Kirgisistan, ein. Als er 19. August um 7 Uhr einen Anruf von Krjutschkow bekam, war er über die Ereignisse noch gar nicht im Bilde. Gegenüber der russischen Staatsanwaltschaft sagte Akajew 1991: „Die Behauptung [des KGB-Chefs], G ­ orbatschow sei erkrankt, glaubte ich nicht, weil ich mit ihm am 14. oder 15. August gesprochen hatte. Der Präsident rief aus Foros an, war bei guter Gesundheit und in sehr guter Laune. Krjutschkow sagte ich nichts, dankte für die Information und versicherte ihm, dass ich mich […] mit den Dokumenten vertraut machen würde und dass ich erst danach meine Position bestimmen könnte. Damit war das Gespräch beendet.“ 524 Während die KP Kirgisistans den Putsch unterstützte, erklärte Akajew, der anders als eine Reihe anderer zentral­ asiatischer Republikführer nicht Mitglied des Politbüros in Moskau war, er werde den „Kurs der Festigung der staat­lichen Souveränität der Republik fortsetzen“ 525 und er „hoffe auf die Wiederherstellung der Demokratie“ 526. In den 1990er-Jahren wurde Akajew vom westlichen Ausland für seinen liberalen innenpolitischen Kurs gelobt; im neuen Jahrtausend begann auch er autoritärer zu regieren. 2005 wurde er als Präsident gestürzt. Die Führung von Usbekistan verhielt sich abwartend und vermied es, gegen das G ­ KTSCHP Stellung zu beziehen. Am 19. August wurden mehrere Anrufe des sowjetischen Ministerpräsidenten Pawlow registriert, mit denen er den Republikpräsidenten Islam Karimow erreichen wollte; dies gelang ihm erst am Abend. Zuvor und danach hatte er den Vizepräsidenten Schukurulla Mirsaidow gesprochen.527 Als Ergebnis dieser Gespräche kann festgehalten werden, dass die usbekische Führung auch am nächsten Tag nichts unternahm, um die Position des ­G KTSCHP zu schwächen. Sie veröffentlichte eine Erklärung, in der die Lage zwar als „höchst widersprüchlich“ bezeichnet wurde, es komme nun aber darauf an, „die Stabilität zu wahren und zu festigen.“ 528 Dies war ein Vokabular, das dem in den Erlassen und Erklärungen der Putschisten sehr ähnelte. Präsident Karimow erklärte am 23. August seinen Rückzug aus dem Politbüro und dem ZK der KPdSU in Moskau und begründete diesen Schritt mit der „feigen und prinzipienlosen Haltung“ dieser politischen Organe, „die nicht rechtzeitig zu den verfassungswidrigen Handlungen des sogenannten Notstandkomitees Stellung bezogen“ hätten.529

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Die Haltungen und die Reaktionen der 15 Republiken ergeben ein überraschendes Gesamtbild. Der Versuch des G ­ KTSCHP, die Sowjetunion als einheitlichen Staat zu erhalten bzw. wiederherzustellen, stieß in den Republiken auf weit weniger Widerstand, als zu erwarten gewesen wäre. Die wenn auch kurze Demonstration der politischen und militärischen Stärke hatte ihre Wirkung zunächst nicht verfehlt. Von den sechs Republiken, die sich von der Zentrale in Moskau zuvor abgewandt hatten, und der in dieser Frage unentschiedenen siebten – der Ukraine – gaben mindestens drei ihre Separationsbestrebungen unter dem Eindruck der faktischen Absetzung ­Gorbatschows auf. Entscheidend sind hierbei die Haltungen und Reaktionen am 19. August, als die Niederlage des G ­ KTSCHP eben noch nicht feststand. Ausgerechnet die bis dahin selbstbewussten und teilweise lautstarken Führungen Georgiens, Armeniens und der Ukraine zeigten plötzlich nicht nur die Bereitschaft zur Kooperation, sondern auch zur Unterordnung. (In Georgien stieß das Umschwenken von Präsident Gamsachurdia allerdings auch auf Wiederstand seitens der Nationalgarde.) Selbst in Lettland, wo das Komitee von der rechtmäßigen Republikführung zwar als verfassungswidrig bezeichnet wurde, kam kein offizieller und expliziter Aufruf, Widerstand zu leisten. Und auch der Republikführer Kasachstans, der mit ­Gorbatschow und Jelzin maßgeblich an dem neuen Unionsvertrag mitgearbeitet hatte, stellte sich am 19. August auf die Seite der Gegner dieses Vertrags und des sowjetischen sowie des russischen Präsidenten. Hätte der ukrainische Präsident nicht eine solch opportunistische Haltung an den Tag gelegt, wäre die Aussichtslosigkeit des Unterfangens der Putschisten aufgrund der besonderen Bedeutung der Ukraine gleich am ersten Tag klar gewesen. So aber kämpfte Russland fast allein gegen das ­GKTSCHP. Estland, Litauen, Kirgisien und das innenpolitisch zerrissene Moldawien konnten schon aufgrund ihrer bescheidenen Größe keine gewichtigen Stützen sein. Als Ergebnis ist ferner festzuhalten, dass die anfängliche Duldung oder Unterstützung des ­GKTSCHP für die Repu­blikführer in der Regel keine politischen Konsequenzen hatte. Krawtschuk, Nasarbajew, Gamsachurdia, Karimow, Mutalibow, Ter-­Pertrosjan und Nijasow blieben alle im Amt. Zugleich gaben aber Nasarbajew, Nijasow, Karimow und Machkamow ihre Ämter als KPdSU-Politbüromitglieder hastig auf. Der nach dem gescheiterten Putsch sich beschleunigende Zerfall der UdSSR war insofern teilweise auch eine Folge von politischem Opportunismus. Der Präsident Tadschikistans, Machkamow, war der Einzige, der aufgrund seiner Haltung zum Putsch die Führung seiner Republik abgeben musste.

Die Reaktionen des Auslands

6.15 Die Reaktionen des Auslands Ähnlich wie bei den Führungen der Sowjetrepubliken ist auch bei einer Reihe von Regierungen des Auslands zwischen den ersten Reaktionen auf den Putsch und denjenigen Verhaltensweisen und Stellungnahmen zu differenzieren, die im Laufe des Machtkampfs zwischen dem G ­ KTSCHP und dem Führer des Widerstandes Boris Jelzin erfolgten. Aufgrund der großen Zahl der Staaten beschränken wir uns im Wesentlichen auf die Reaktionen der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands, Chinas und Japans. Die Haltung der Amerikaner als westliche Super- und Führungsmacht in der damaligen bipolaren Welt soll im Folgenden näher beleuchtet werden, ebenso die der Bundesrepublik mit besonderer Berücksichtigung der Frage, ob die Gefahr einer Revision der sowjetischen Deutschlandpolitik bestand. Schließlich werden auch die expliziten Unterstützerstaaten des ­ KTSCHP erwähnt. G Die Führung der USA – wie auch die aller anderen Staaten – traf die Nachricht aus Moskau über die Bildung des Staatskomitees für den Ausnahmezustand überraschend: Kein Geheimdienst der Welt hatte eine Warnung gegeben. Was die Geheimhaltung betrifft, hatte der KGB-Chef offensichtlich jede Vorsorge getroffen; auch aus den sowjetischen Sicherheits- und Regierungsstrukturen gelangte keine Information bezüglich der Putschvorbereitungen nach außen. US-Präsident George Bush sen. wurde um 23 : 45 Uhr Ortszeit (18. August) an seinem Urlaubsort Kennebunkport in Maine aus dem Bett geklingelt und von seinem Sicherheitsberater Brent Scowcroft über die erste TASS-Meldung informiert. Roman Popadiuk, Pressesprecher des Weißen Hauses in Washington, erklärte: „Das kam für uns völlig unerwartet.“ Die US-Botschaft in Moskau bemühe sich um nähere Informationen. Für Präsident Bush seien jedoch keine Veränderungen seines Tagesablaufs vorgesehen. Er wolle trotz des stürmischen Wetters Golf spielen gehen, fügte Popadiuk hinzu.530 Die erste offizielle Lagebeurteilung durch die US -Regierung war im Nachhinein peinlich, wenngleich sie schnell wieder in Vergessenheit geriet. Sie wurde erst am Abend korrigiert. Ausgerechnet in der Zeit zwischen dem 11. und 24. August waren die USA in der Sowjetunion nicht durch einen Botschafter vertreten. Die Amtszeit ihres langjährigen höchsten Diplomaten in Moskau Jack F. Matlock war abgelaufen und er hatte das Land eine Woche vor dem Putsch verlassen.531 Sein Nachfolger Robert Strauss erhielt erst am 24. August seine Beglaubigungsurkunde in Moskau.532

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Laut Bushs Sicherheitsberater Talbott war von den westlichen Regierungschefs, mit denen der amerikanische Präsident telefonierte, der deutsche Bundeskanzler am meisten betroffen. Er habe sich Sorgen gemacht, dass das Komitee mithilfe der noch in Ostdeutschland verbliebenen sowjetischen Truppen „Schwierigkeiten“ bei der Wiedervereinigung machen würde. „Er [Helmut Kohl] wollte Bush dazu bewegen, auf die neue sowjetische Führung Druck auszuüben, damit sie auf jeden Fall an ihren internationalen Verpflichtungen festhielt […].“ 533 George Bush sprach in seiner ersten Erklärung an seinem Ferienort zwar davon, dass er die Entwicklung in der UdSSR „beunruhigend“ finde und sie „nicht von der Verfassung gedeckt“ sei. Doch er sagte nicht, dass er das Komitee nicht anerkenne, sondern implizierte das Gegenteil: Er erwarte, dass „die Sowjetunion ihre internationalen Verpflichtungen voll befolgt.“ G ­ orbatschow würdigte er bereits im Ton eines politischen Nachrufs als eine „zweifellos historische Figur“, der die UdSSR zu Reformen und zu einer „konstruktiven Rolle in der internationalen Arena geführt“ habe.534 Diese Äußerungen wurden vom ­GKTSCHP aufgegriffen und im sowjetischen Fernsehen verbreitet. Jack F. Matlock schreibt unter Berufung auf Michael Beschloss und Strobe Talbott, Sicherheitsberater Scowcroft habe dem Präsidenten geraten, er solle, „weil der Putsch aufgrund historischer Erfahrung erfolgreich sein und man mit ihren Anführern weiter zu tun haben wird, die Brücken zu ihnen nicht abbrechen.“ Eine scharfe Wortwahl sei nicht hilfreich.535 Der Inhalt der ersten öffentlichen Erklärung Bushs entspricht genau diesen zitierten Ratschlägen. Daher dürfte es kaum Zweifel geben, dass sie dem Präsidenten auch so gegeben worden sind. Bush vermied es am ersten Putschtag auch, Jelzin anzurufen, der vormittags (Moskauer Zeit) auf seiner Pressekonferenz im Obersten Sowjet an die Staats- und Regierungschefs eindringlich appelliert hatte, Russland im Kampf gegen die Putschisten zu unterstützen.536 Bush brach dann doch seinen Urlaub ab und kehrte nach Washington zurück. In seiner zweiten öffentlichen Erklärung würdigte er G ­ orbatschow nicht mehr als „historische Figur“, sondern unterstützte Jelzins Forderung nach einer Wiedereinsetzung des sowjetischen Präsidenten in sein Amt. Er stellte nun klar, dass er die neuen Machthaber nicht anerkenne. Zugleich warnte er sie davor, die demokratisch gewählten Regierungen in den baltischen Republiken abzusetzen.537 Die Ursache für diese Wende in der Haltung und Positionsbestimmung der US -Regierung ist schwer auszumachen und zu belegen. Möglicherweise war es das Bild, das sich

Die Reaktionen des Auslands

erst im Laufe des 19. August in Moskau herausbildete, welches die Kurs­ korrektur hervorrief – denn in den ersten fünf bis sechs Stunden nach der Bekanntmachung der Macht­über­nahme war Jelzin noch nicht in seiner unerwartet große Widerstandsrolle. Erst mit dieser entstand das allseits gezeichnete Bild eines Zweikampfes der Demokratie gegen die Reaktion, der Freiheit gegen die Diktatur. Und es wurde vor allem von Jelzin selbst durch seinen „Appell an die Bürger Russlands“ sowie durch seinen dramatisch wirkenden Auftritt auf dem Panzer entscheidend mit gezeichnet. Ausgehend von dem Selbstverständnis des amerikanischen Staates und seiner Repräsentanten, die sich als Verfechter der Demokratie und der Freiheit ansahen und ansehen, konnte es nicht bei dieser ersten, quasineutralen, ja de facto das Komitee anerkennenden Stellungnahme bleiben. Am dritten Putschtag würdigte Bush dann ausführlich den „gewaltigen Mut“ des russischen Präsidenten und bescheinigte ihm, er hätte „enorm an Statur gewonnen.“ 538 Anders als die USA enthielt sich Großbritannien zunächst einer Posi­ tionsbestimmung. Der Sprecher von Premierminister John Major erklärte am Vormittag (19. August) nur, dieser sei „sehr betroffen“. Zunächst werde versucht, zu klären, was in Moskau überhaupt passiert sei.539 Gegen Mittag bezog Major dann Stellung in einer Weise, die als eine faktische Anerkennung des Komitees in Moskau interpretiert werden musste. G ­ orbatschow sei einer gegen die Verfassung gerichteten Macht­über­nahme zum Opfer gefallen. Er, Major, gehe davon aus, dass die Regierung der Sowjetunion alle Verpflichtungen, die ­Gorbatschow weltweit eingegangen sei, einhalten werde.540 Dass er sich schon auf die neuen Machthaber eingestellt hatte und die Ära des sowjetischen Präsidenten als beendet ansah, ist belegt: Major erwartete, dass die Sowjetunion „das, was G ­ orbatschow für sie getan hat, in Ehren halten wird.“ 541 Bemerkenswert ist der politische Weitblick von Majors Vorgängerin im Amt, die dieses im November 1990 unfreiwillig abgegeben hatte und deren Wort in Großbritannien noch großes Gewicht besaß. Margaret Thatcher rief die Bevölkerung in der Sowjetunion auf, auf die Straße zu gehen und für die Demokratie zu demonstrieren. Zu einem Zeitpunkt (19. August, tagsüber), an dem alle führenden westlichen Staats- und Regierungschefs die Macht­über­nahme als vollzogen und als Realität für die Zukunft ansahen, analysierte sie die Lage bereits richtig und sagte treffend voraus: „Ich glaube nicht, dass dieser Putsch erfolgreich sein wird. Man hat sich an die Demokratie gewöhnt. Das Volk wird sie nicht so schnell wieder aufgeben wollen.“ 542

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John Major versuchte vergeblich, G ­ orbatschow telefonisch zu erreichen. Erst am nächsten Tag (20. August) änderte er seine Position und erklärte: „Der Staatsstreich ist illegal […].“ 543 Er kopierte inhaltlich nun auch fast die Aussage seiner Amtsvorgängerin vom Vortag: Er glaube nicht, dass der Umsturz eine Perspektive habe. „Der Geist der Demokratie ist aus der Flasche.“ 544 Wie sein Kollege Bush telefonierte auch Major erst am 20. August mit Jelzin. Die Reaktion im Westen, die am deutlichsten eine Anerkennung der neuen Machthaber im Kreml signalisierte, kam aus Frankreich. Präsident François Mitterrand geriet wegen seiner ersten Positionsbestimmung, die faktisch gegen ­Gorbatschow und zuungunsten von Jelzin ausfiel, nach dem Scheitern des Putsches unter innenpolitischen Druck. Mitterands poli­tische Akzeptanz des Putsches fällt umso schwerer ins Gewicht, als er sich den ganzen ersten Tag (19. August) mit einer Stellungnahme Zeit ließ und stets auf eine Fernsehansprache abends um 20 Uhr verwiesen wurde. Bis dahin kam aus dem Élysée-Palast im Wesentlichen nur ein Kommuniqué: Frankreich forderte von den neuen Machthabern „Garantien für Leben und Freiheit von Michail ­Gorbatschow und Boris Jelzin.“ 545 In der Fernsehansprache lehnte Mitterrand dann Sanktionen gegen die UdSSR als „verfrüht“ ab. Man müsse die neue Führung an ihren Taten messen. Er las aus dem, wie er sagte, „erstaunlichen Brief“ vor, den er von Janajew bekommen hatte: „Wir werden zur Demokratie, zu Glasnost stehen. Wir werden die Politik der Garantie der Bürgerrechte und der Freiheit fortführen.“ 546 Seine Ansprache, in der er die Forderung, das Leben der beiden Präsidenten in Moskau zu garantieren, wiederholte, wirkte auf viele Bürger schockierend. Mitterrand versuchte sich zwei Tage später abends in einer zweiten Fernsehansprache zu rechtfertigen. Das Presseecho in Frankreich blieb aber verheerend. Die scharfe Kritik der Opposition entwickelte sich vorübergehend zu einer innenpolitischen Kontroverse.547 In Deutschland befand sich die politische Führung am Morgen des 19. August größtenteils in Urlaub. Obwohl sie sich noch Mitte 1990 und danach im Regierungskabinett intensiv mit der Wahrscheinlichkeit eines Putsches in Moskau und dessen möglichen Konsequenzen befasst hatte, rechnete sie zuletzt nicht mehr damit. Kanzleramtschef Rudolf Seiters erinnert sich: „Ich war Stallwache in Bonn. [Bundeskanzler] Helmut Kohl war am Wolfgangsee, der Außenminister [Hans-Dietrich Genscher] in Salzburg. Die Lage war für uns natürlich ein Stück weit unübersichtlich. […] Helmut Kohl war ja im Juli [1991] noch in Kiew gewesen und hatte ­Gorbatschow gefragt, ob er mit einem Putsch rechne. Das hat ­Gorbatschow damals

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Die Reaktionen des Auslands

verneint. Von daher waren wir jetzt überrascht.“ 548 Als die Nachricht von dem Putsch eintraf, brachen Kohl und Genscher ihren Urlaub ab. Kohl schrieb in seinen Memoiren, dass die faktische Absetzung ­Gorbatschows „Anlass zur größten Sorge gab.“ Ihn habe das Ereignis „zwar nicht allzu überrascht“, er habe aber dennoch „zu diesem Zeitpunkt nicht damit gerechnet.“ 549 Die Bundesregierung hielt sich mit einer Stellungnahme zunächst zurück und kündigte für 16 Uhr eine Pressekonferenz an, an der der Bundeskanzler, der Außenminister und der Kanzleramtschef teilnahmen. Bevor er an die Öffentlichkeit trat, hatte Kohl nach eigenen Angaben mit Bush, Major und Mitterrand telefoniert.550 Die anfängliche Position der Bundesregierung war in der wichtigsten Frage – Anerkennung oder Zurückweisung der neuen Führung – identisch mit der der USA, Großbritanniens und Frankreichs. Der Bundeskanzler trug einen Fünf-Punkte-Katalog vor mit Erwartungen und Forderungen an die neue Führung. Die G ­ orbatschow-Ära war auch für Kohl am 19. August zu Ende gegangen. Jedoch fiel die Würdigung der politischen Leistung des sowjetischen Präsidenten wegen dessen Zustimmung zur deutschen Einheit stärker aus als bei den anderen Staatsführern.551 Priorität bei den Forderungen Kohls an die neue Führung in Moskau hatte die Vertragstreue. Rund 300.000 sowjetische Soldaten plus deren Angehörige waren noch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR; ihr Abzug und ihre Rückkehr in die UdSSR sollten laut Vertrag bis 1994 abgeschlossen sein.552 In Moskau befand sich seit März 1991 der ehemalige Generalsekretär des ZK der SED und Staatsratsvorsitzende Erich Honecker. Er war vor den Strafverfolgern in der Bundesrepublik in die sowjetische Hauptstadt geflüchtet. Er dürfte sich über die Macht­über­nahme der Putschisten sehr gefreut und gehofft haben, dass sich dadurch seine politische und persönliche Situation in einem für ihn positiven Sinne ändern würde.553 Bundeskanzler Kohl wies wohl vor allem auf die Deutschlandverträge von 1990 hin, als er auf der Pressekonferenz in Bonn sagte: „Erstens: Wir fordern die sowjetische Führung auf, alle internationalen Verträge und Vereinbarungen strikt einzuhalten.“ 554 Die Punkte zwei bis fünf beinhalteten –– die Forderung nach Achtung der Menschen- und Bürgerrechte,

–– die Erwartung einer Fortsetzung der Entspannungs- und Abrüstungspolitik, –– die Ankündigung, dass Wirtschaftshilfe von der Fortführung der bisherigen sowjetischen Politik der Demokratisierung abhängig gemacht werde, und schließlich –– die Erwartung, „dass die persönliche Unversehrtheit 555

Michail ­Gorbatschows garantiert wird.“ 

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Dass der Bundeskanzler sich bereits gezwungenermaßen auf eine Zusammenarbeit mit der neuen Führung eingestellt und von G ­ orbatschow politisch verabschiedet hatte, belegt auch seine Äußerung zum Tempo der Verwirklichung der deutschen Einheit: „Der heutige Tag gibt im Übrigen Veranlassung, an die innenpolitische Diskussion vor einem Jahr zu erinnern. Damals wurde die von mir geführte Bundesregierung von vielen dafür kritisiert, dass sie angeblich den Weg zur Einheit zu schnell gegangen sei. Diese Kritik erweist sich heute mehr denn je als völlig verfehlt.“ 556 Unterstellt man, die Putschisten hätten gesiegt, wäre eine Revision der sowjetischen Deutschlandpolitik aus zwei Gründen höchst unwahrscheinlich gewesen. 1 Das ­G KTSCHP hatte in seinem Schreiben an die Staats- und Regierungschefs ausdrücklich seine Absicht zur Vertragstreue unterstrichen. Darin hieß es: „Die vorübergehenden Notstandsmaßnahmen berühren in keiner Weise die internationalen Verpflichtungen, die die Sowjetunion durch bestehende Verträge und Abkommen eingegangen ist.“ 557 Das Komitee bemühte sich um die Unterstützung und Anerkennung des Auslands. Es aktivierte die Botschafter entsprechend. Auch der sowjetische Vertreter der UdSSR in Deutschland, Wladislaw Terechow, bat um ein persönliches Treffen mit dem Bundeskanzler, der ihn am 19. August abends empfing. Terechow überbrachte Kohl eine persönliche Botschaft Janajews, in der dieser Vertragstreue versicherte, aber auch, dass sich ­Gorbatschow in „völliger Sicherheit“ befinde.558 Am Nachmittag hatte sich der sowje­ tische Botschafter schon mit dem Kanzleramtschef getroffen, ihm das oben zitierte Schreiben an die Staats- und Regierungschefs überbracht und versichert, dass „die Reformen fortgesetzt“ würden.559 Vertragsverstöße oder gar -brüche wären dem Streben der neuen Machthaber nach politischer Anerkennung zuwidergelaufen. 2 Die Deutschlandverträge, die auch den sowjetischen Truppenabzug regelten, waren schon im März und im April 1991 vom Obersten Sowjet der UdSSR ratifiziert worden, womit sie völkerrechtlich bindend waren. Ein Bruch des Völkerrechts hätte die neuen Machthaber als internationale Verhandlungspartner völlig desavouiert. Dass Deutschland über völkerrechtlich bindende Verträge hinsichtlich der Truppenfrage verfügte, war eine beruhigende Tatsache. Doch der 19. August war eine Ausnahmesituation auch für die westlichen Regierungen, einschließlich der deutschen. Dass der Bundeskanzler besonders betonte, internationale

Die Reaktionen des Auslands

Verträge seien unbedingt einzuhalten, dürfte dem verständlichen Unbehagen gegenüber den neuen Machthabern in Moskau geschuldet gewesen sein. Zwanzig Jahre nach den Ereignissen bemerkte der damalige Kanzleramtschef aber, dass man sich in der Regierung im Grunde wenig Sorgen um den Abzug gemacht habe, da in dieser Frage „alles unter Dach und Fach“ gewesen sei.560 Der Hinweis des Kanzlers auf die verfehlte Kritik an ihm und seiner Regierung, die Einheit angeblich zu schnell betrieben zu haben, hat seine volle Berechtigung. Dazu stellt Rudolf Seiters zutreffend fest: „Wenn im August 1991 die Wiedervereinigung noch nicht erfolgt gewesen wäre, wir uns noch in Verhandlungen befunden hätten, dann hätte das womöglich einen deutlichen Rückschlag gegeben bei unseren Bemühungen. Wir hätten den Resonanzboden wahrscheinlich für unsere Interessen nicht vorgefunden. Also: seien wir froh und glücklich, dass die innenpolitische Zuspitzung in der Sowjetunion Monate nach der Wiedervereinigung erfolgte.“ 561 Hier wird zu Recht das rasche Handeln der Bundesregierung als die entscheidende Ursache dafür angesehen, dass die Realisierung der deutschen Einheit nicht gefährdet wurde. Und tatsächlich bestand ein wichtiger potenzieller Kausalzusammenhang zwischen einem Putsch in Moskau und der Vollendung der deutschen Einheit: Wäre der Staatsstreich ein halbes Jahr vorher – und damit vor der Ratifizierung der Verträge – geschehen und erfolgreich gewesen, wäre die Zustimmung zur deutschen Einheit in Form der Verabschiedung des Zwei-plus-vier-Vertrages und zum Truppenabzug ebenfalls gefährdet gewesen. Bundeskanzler Kohl und sein Außenminister taten am 19. August nichts, was die neuen Machthaber als Affront hätten auffassen können. Die Wörter „Putsch“ oder „Staatsstreich“ vermieden sie öffentlich, auch wenn diese Begriffe in den deutschen Medien schon verwendet wurden, um die Ereignisse in Moskau zu charakterisieren.562 Der sowjetische Botschafter ­Terechow erinnert sich mehr als zwanzig Jahre später, dass der Bundeskanzler in dem etwa 15 bis 20 Minuten langen Gespräch mit ihm der sowjetischen Seite nicht mit Vorhaltungen oder Verurteilungen begegnet sei. Die Unterredung sei ruhig und sachlich verlaufen.563 Erst am nächsten Tag distanzierte sich die Bundesregierung klar von den neuen Machthabern in Moskau. Kohl und Genscher forderten die Wiedereinsetzung von ­Gorbatschow in sein Amt – wie ihre westlichen Verbündeten – erst am 20. August. An diesem Tag bekundeten sie auch die Unterstützung für Boris Jelzin.564 Von den im deutschen Bundestag damals vertretenen Parteien kamen aus der PDS und ihrem Präsidium Sympathiebekundungen

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für die Putschisten.565 Ungewöhnlich hohe Anteilnahme fanden die Ereignisse in Moskau in zahlreichen deutschen Städten, wo es zu Demonstrationen, Mahnwachen und Schweigemärschen kam, an denen allein am 20. August schätzungsweise 15.000 Menschen teilnahmen.566 Kundgebungen fanden statt in Bonn, Berlin, Frankfurt, Hamburg, München, Köln, Bremen, Stuttgart, Hannover und Wiesbaden. Zu dem Schweigemarsch in Berlin hatte unter anderen der regierende Bürgermeister Diepgen, zu der Demonstration in Wiesbaden unter anderen der hessische Ministerpräsident Eichel aufgerufen.567 Die Betroffenheit vielerorts und die partikuläre Stimmung in der Bundesrepublik kommt möglicherweise durch folgende symbolische Geste zum Ausdruck: In Köln, Dortmund und Bonn legten die Taxifahrer für fünf Minuten ihre Arbeit nieder als Zeichen der Anteilnahme und des Protests.568 Das Schicksal ­Gorbatschows, weniger die Macht­über­nahme durch das Notstandskomitee, stand bei den Kundgebungen in Deutschland im Vordergrund. Die Sorge um den sowjetischen Präsidenten wurde nicht zuletzt durch die Forderung des Kanzlers nach Garantien für die persönliche Unversehrtheit G ­ orbatschows bestärkt, ebenso durch die Äußerung des Oppositionsführers und SPD-Vorsitzenden Björn Engholm, der gesagt hatte: „Wir müssen sehen, dass G ­ orbatschow lebt.“ 569 Beide Äußerungen sind aufgrund der völligen Unklarheit über das Schicksal des sowjetischen Präsidenten, über das es keine verlässlichen Informationen gab, nachvollziehbar und waren zu diesem Zeitpunkt menschlich sogar geboten. Der deutsche Botschafter in Moskau verfügte auch nicht über weiterführende Quellen und konnte sie auch nicht haben.570 In den Tagen des Putsches rückten die deutschen Parteien angesichts des bedrohlich wirkenden Machtwechsels in der Sowjetunion näher zusammen. Mit Ausnahme der PDS lud der Bundeskanzler die Partei- und Frak­ tionschefs von CDU / CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Grüne zu einer gemeinsamen Krisensitzung und zu Beratungen ein, was dem Ereignis in Moskau zusätzliche Bedeutung und Brisanz für die Bundesrepublik verlieh. Die Positionen erwiesen sich als weitgehend identisch; Engholm sagte im Anschluss, es gehe jetzt darum, wo immer möglich, „am gleichen Strang zu ziehen.“ 571 Kritik an der Bundesregierung an einer zu milden Haltung gegenüber den neuen Machthabern in Moskau konnte – anders als in Frankreich – von der Opposition nach dem Scheitern des Putsches nicht glaubwürdig vorgetragen werden, da sie das Krisenmanagement des Kanzlers am 19. August ausdrücklich gebilligt hatte.

Die Reaktionen des Auslands

In den deutschen Medien war der Putsch auch nach seinem Scheitern lange das beherrschende Thema. Der Spiegel und der Stern widmeten den Ereignissen in Moskau sogar zwei Mal hintereinander die Titelseite.572 Eine vergleichbar umfangreiche Berichterstattung über ein außenpolitisches Ereignis erfolgte nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001. In der Süddeutschen Zeitung beherrschten der Putsch in Moskau und dessen Folgen durchgehend bis zum 30. August 1991 die Hauptschlagzeile der Titelseite und waren Gegenstand einer umfassenden und sehr erweiterten Berichterstattung und Kommentierung. Eine fast identische publizistische Gewichtung nahm die Frankfurter Allgemeine Zeitung vor. Die in multimillionenstarker Auflage erscheinende Zeitung Bild verzichtete eine Woche lang auf Boulevardthemen als Aufmacher und verbannte in dieser Zeit die leicht bekleideten Damen von der Titelseite. Am ersten Tag der Print-Berichterstattung (20. August 1991) waren von den zehn Zeitungsseiten die ersten fünf ausschließlich den Umwälzungen in Moskau gewidmet.573 Es bleibt festzuhalten, dass die Bundesregierung – mit Billigung der Opposition – das G ­ KTSCHP am ersten Putschtag weder verurteilte noch die Wiedereinsetzung ­Gorbatschows in sein Amt forderte. Die anfangs vorsichtige Position Bonns erscheint angesichts der 440.000 Sowjetbürger (Soldaten, Offiziere und deren Angehörige) sowie der militärischen Präsenz in den neuen Bundesländern durchaus verständlich. Vor diesen Realitäten standen die anderen westlichen Staaten nicht, sodass ein Vergleich mit deren Reaktionen auf den Putsch von unterschiedlichen Prämissen ausgehen würde. In Japan vermied Ministerpräsident Toshiki Kaifu sogar bis zum 21. August Kritik an den neuen Machthabern, gab keine klare Stellungnahme ab und berief sich darauf, er müsse sich zunächst ein umfassendes Bild machen. Auch er hatte einen Brief von Janajew erhalten, in dem dieser eine Fortführung der Reformen und der bisherigen sowjetischen Außenpolitik zusagte.574 In einen Telefonat zwischen Kaifu und US-Präsident Bush am 20. August vereinbarten beide, „nicht zum Kalten Krieg mit der Sowjetunion zurückkehren“ 575 zu wollen. Auch diese Aussage bestätigt indirekt, dass beide Staaten die neuen Machthaber in Moskau zunächst quasi anerkannten und in ihnen die künftigen politischen Akteure sahen. Kaifu geriet nach dem Putsch innenpolitisch für sein Krisenmanagement in die Kritik. So sprach er unklar und erst sehr spät von einem Umsturzversuch, den er eine „wahrscheinlich nicht verfassungsgemäße

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und außerordentliche Situation“ 576 nannte. Der Geschäftsträger der sowjetischen Botschaft in Tokio, Juri Kusnezow577, wurde nach den drei tödlichen Zwischenfällen auf dem Gartenring in Moskau ins japanische Außenministerium einbestellt, wo man ihm eine Erklärung überreichte, in der „die sofortige Beendigung der Militäraktion“ 578 gefordert wurde. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Notstandskomitee jedoch längst in Auflösung und der Sieg Jelzin stand schon fest. Die kommunistische Führung in China blieb bei ihrer traditionellen Linie, sich in solchen politischen Fällen zurückzuhalten und offiziell das Prinzip der Nichteinmischung zu verfolgen. In einer Erklärung hieß es, die Vorgänge seien eine „innere Angelegenheit, die keine Folgen für die positive Entwicklung der beidseitigen Beziehungen“ haben werde.579 Partei ergriffen hat China insofern, als im Fernsehen und in den Zeitungen die Erklärungen des ­GKTSCHP ausführlich und an prominenter Stelle verbreitet wurden, wohingegen die Proteste der russischen Bevölkerung und der Widerstand Jelzins weitgehend unerwähnt blieben. Lediglich die offizielle chinesische Nachrichtenagentur ging auf die Position des russischen Präsidenten ein.580 Nach dem Sieg Jelzins ließ die Führung Meldungen verbreiten, in denen sie sich weiterhin überzeugt gab, dass der Sozialismus weltweit siegen werde.581 Offenbar beunruhigt durch die Haltung der sowjetischen Armeeführung, die darauf verzichtete, Gewalt für einen Sieg einzusetzen, ging die führende chinesische Parteizeitung auf die Rolle der eigenen Armee ein, welche die „heilige historische Pflicht hat, der Unterwanderung im Land entgegenzuwirken.“ Die Funktion der chinesischen Streitkräfte wurde unmissverständlich in Erinnerung gerufen: „Wir müssen alle in Erinnerung behalten, dass unsere Armee unter direkter Parteikontrolle eine bewaffnete Kraft zur Ausführung politischer Aufgaben ist.“ 582 Explizit begrüßt wurde die faktische Absetzung ­Gorbatschows von dem Regime im Irak. Der Revolutionsrat unter der Führung von Saddam Hussein sagte mit Blick auf die Unterstützung der westlichen Allianz im Golfkrieg Anfang 1991 durch die Führung ­Gorbatschows: „Deshalb ist es nur natürlich für uns, diesen Wechsel zu begrüßen […].“ 583 In der Erklärung war ferner die Rede von einer neuen Ära und dass der Irak der neuen Führung Erfolg bei der Lösung der angekündigten Aufgaben wünsche.584 Libyen war neben dem Irak der einzige Staat, der die Macht­über­nahme durch das ­GKTSCHP begrüßte. Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi beglückwünschte die Putschisten in einem Telegramm zu ihrer „mutigen historischen Tat.“ 585

Die Rolle der Medien

6.16 Die Rolle der Medien Als erstes sogenanntes „strategisch wichtiges Objekt“ 586 wurde zunächst die Fernseh- und Hörfunkzentrale Ostankino und kurz darauf das Gebäude der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS militärisch abgeriegelt. Mit der Verordnung Nr. 1, die gemeinsam mit den anderen Dokumenten des Komitees am 19. August um 6 Uhr im Radio und ab 7 Uhr im sowje­tischen Fernsehen verlesen wurde, verfügte das G ­ KTSCHP unter anderem die 587 „Kontrolle über die Massenmedien“  und die Bildung eines dafür zuständigen Organs, das dem Komitee unterstellt sein sollte. Anordnungen, die Berichterstattung der internationalen Medienvertreter einzuschränken oder zu kontrollieren, hat es nicht gegeben. Das Komitee war bemüht um politische Anerkennung durch das Ausland, unterschätzte dabei aber völlig die Wirkmächtigkeit der internationalen Berichterstattung aus Moskau. Das ­GKTSCHP-Mitglied Baklanow sieht rückblickend darin, dass die Medien in ihrer Bedeutung falsch eingeschätzt und unzureichend oder in unglücklicher Weise instrumentalisiert wurden, eine entscheidende Ursache für das Scheitern des Komitees. Auf den G ­ KTSCHP-Sitzungen am 19. und 20. August wurde lediglich eine Verschärfung der Maßnahmen gegen die inländischen Medien erörtert und beschlossen. Ausschließlich zu diesem Zweck wurden die Verordnungen Nr. 2 und Nr. 3 verabschiedet.588 Die Kontrolle wurde allerdings nicht durchgesetzt. Bemerkenswert ist, dass das G ­ KTSCHP im Laufe seiner Existenz lediglich drei Verordnungen herausgab, von denen sich zwei nur mit den inländischen Medien befassten. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei einer sich stündlich – wenn nicht minütlich – ändernden Lage die elek­ tronischen Medien die primären Informationsquellen darstellen. Die Verordnung Nr. 2 war jedoch nur den sowjetischen Printmedien gewidmet. Dabei wurden keine namentlichen Verbote ausgesprochen, sondern die Publikationsorgane aufgezählt, die erscheinen durften. Dies waren partei­ treue wie die Prawda oder die Sowetskaja Rossija. Die unabhängige Radio­ station Echo Moskwy stellte ihren Sendebetrieb am 19. August morgens zwar ein, nachdem Mitarbeiter des KGB erschienen waren.589 Doch den neuen Machthabern entglitt die Kontrolle; schon am nächsten Tag sendete die Station ab den Mittagsstunden wieder.590 Während des Putsches befand sich tagsüber und nachts Alexej Wenediktow, der 1998 Chefredakteur des Senders wurde, im und am Weißen Haus.591 Seine Berichte stellten in der Zeit, in der Echo Moskwy senden konnte, die wichtigste, die aktuellste und

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314 Entscheidungsabläufe des Putsches und die Gründe für sein Scheitern

unabhängigste Informationsquelle in Moskau dar, auch wenn es offenbar unter dem Druck der Ereignisse zu einer Falschmeldung kam. So meldete die Radiostation am 20. August, Verteidigungsminister Jasow sei zurückgetreten.592 Außer Echo Moskwy gab es noch Radio Rossija als zweite GKTSCHP-­ kritische Station. Zugriff auf sie hatten die Putschisten nicht, weil sie direkt aus dem Gebäude des Obersten Sowjets sendete. Allerdings hatte sie nur eine kleine Reichweite. Auf der Abendsitzung des Komitees am 20. August bestand Innenminister Pugo nachdrücklich auf der Schließung von Echo Moskwy.593 Noch vor Mitternacht wurde dessen Betrieb eingestellt.594 Dem Improvisationstalent der Techniker war es laut Alexej Wenediktow zu verdanken, dass dennoch ein Weg gefunden wurde, wieder zu senden.595 Die letzte erzwungene Einstellung des Betriebs von Echo Moskwy erfolgte dann am Vormittag des 21. August durch die KGB-­EliteEinheit „Alpha“ und „unter der persönlichen Beteiligung ihres Kommandeurs Karpuchin.“ 596 Diese Aktion war allerdings insofern ineffektiv, ja sinnlos, weil das G ­ KTSCHP sich schon in Auflösung befand und seine Niederlage bereits feststand. Sie beweist aber, dass die Kampfeinheiten das Subordinationsprinzip in den Putschtagen befolgten. Denn hier lag ein konkreter Befehl vor, und er wurde entsprechend ausgeführt, obwohl auch Karpuchin zu diesem Zeitpunkt wusste, dass das G ­ KTSCHP den Machtkampf schon verloren hatte. Die Kontrolle über das Fernsehen erwies sich ebenfalls als unzureichend. Zwar wurde der russische Kanal abgeschaltet, der bis dahin auf dem zweiten Signal des sowjetischen Fernsehens ausgestrahlt wurde.597 Dennoch konnte der ­GKTSCHP-treue Fernsehchef Krawtschenko eine durchgängig Komitee-konforme Berichterstattung nicht sicherstellen. In der Hauptausgabe der unionsweit ausgestrahlten Nachrichtensendung „Wremja“ lief am 19. August ein folgenschwerer Beitrag, der das Komitee diskreditierte und für einen enormen Zulauf der Bevölkerung für Jelzin gesorgt haben dürfte. In dem Filmbericht über die Lage in Moskau, in dem Verständnis und Zustimmung für die getroffenen Maßnahmen des ­GKTSCHP transportiert werden sollten, erschien gegen Ende des Berichts unerwartet die Szene mit Jelzin auf dem Panzer. Während das Komitee den ganzen Tag über erfolgreich dafür gesorgt hatte, dass der russische Präsident im sowjetischen Fernsehen nicht gezeigt wurde, erreichte diese Ausstrahlung von Jelzins Widerstandsappell und seiner Verurteilung der Macht­über­nahme

Die Rolle der Medien

die Bevölkerung aller 15 Sowjetrepubliken. Wie es dazu kam, dass dieser historische Bericht gesendet wurde, haben Victoria E. B ­ onnell und G ­ regory 598 Freidin ausführlich dargelegt. Nach rund einer halben Stunde, in der die Dokumente des ­G KTSCHP vorgetragen und Auszüge aus dessen Pressekonferenz gezeigt wurden, konterkarierte der bild- und kommentarstarke Bericht des Reporters Sergej Medwedew599 und des Kameramannes ­Wladimir Tschetschelnizki das Vorangehende völlig und entzog dem Komitee damit seine Glaubwürdigkeit. Durch den Beitrag erfuhren und sahen viele Bürger der Sowjetunion überhaupt erst, dass der russische Präsident Widerstand leistete und seine Anhänger mit dem Bau von Barrikaden begannen. Eine besondere Dramatik der Ereignisse rief Medwedew durch die Schlusspassage seines Beitrags hervor, die implizierte, dass eine Rückkehr in die Zeit der kommunistischen und totalitären alten Sowjetunion drohe und sein Team und er zum Schweigen gebracht würden: „Inzwischen haben die Vorbereitungen zum Schutz eines möglichen Angriffs auf den Obersten Sowjet Russlands begonnen. […] Wir hoffen, dass wir Sie in den nächsten Nachrichtenausgaben auf dem Laufenden halten dürfen.“ 600 Nach der Ausstrahlung riefen unter anderen Innenminister Pugo und KP dSU -Organisationschef Schenin bei den Sendeverantwortlichen an, übten scharfe Kritik und verlangten eine Erklärung.601 Krawtschenko behauptete in seinen Erinnerungen, der Medwedew-Beitrag sei mit seiner Erlaubnis gesendet worden.602 Dies ist aber nicht glaubhaft und widerspricht unter anderem seiner eigenen Aussage, er habe das Komitee unterstützt.603 Nach diesem medialen Desaster für das Komitee wurden KGB-Mitarbeiter in das Sendezentrum beordert, die die Zensur überwachen sollten.604 Doch die Dynamik des Widerstandes in Moskau war nun kaum noch mit solch rigorosen administrativen Maßnahmen aufzuhalten. Befördert wurde diese Dynamik durch den amerikanischen Nachrichtensender CNN, der in Moskau teilweise empfangen werde konnte. Er hatte zu diesem Zeitpunkt eine internationale Sonderstellung, die auch von der amerikanischen Regierung während der Putschtage genutzt wurde, wie Außenminister James Baker in seinen Erinnerungen schreibt.605 Der deutsche Botschafter in Moskau, Klaus Blech, der die Situation am Weißen Haus in Augenschein genommen hatte, äußerte sich eher kritisch über die Berichterstattung von CNN. Der Sender habe den Putsch dramatisiert. Natürlich sei es ein wichtiges Ereignis gewesen, aber die Zahl der Demonstranten sei verhältnismäßig gering gewesen im Verhältnis zu der zehn Millionen Einwohner zählenden Metropole Moskau.606 Um das Weiße Haus hatten sich nach übereinstimmenden

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Schätzungen etwa 30.000 bis 60.000 versammelt. Prozentual betrachtet waren dies 0,3 bis 0,6 Prozent der Moskauer Bevölkerung. In den Medien, auch in den deutschen, konnte der Eindruck entstehen, fast die ganze Stadt Moskau hätte sich gegen das G ­ KTSCHP erhoben. Tatsächlich gingen viele Bürger ihren Alltagsgeschäften nach; wie viele von ihnen zu den passiven Unterstützern einer Führung gehörten, die „Ordnung“ versprach, ist nicht überprüfbar. Andererseits dürften sich viele aus Furcht oder ihrem Verantwortungsgefühl gegenüber ihren Familienangehörigen nicht in die Nähe der Panzer begeben haben, was zumindest eine Ursache für die deutlich geringere Zahl an Demonstranten im Vergleich zu Leningrad erklären würde – dort hatten am 20. August zwischen 100.000 und 200.000 Bürger an der Kundgebung vor dem Winterpalast teilgenommen. Die Hauptinstrumente, mit denen die Putschisten versuchten, eine für sie kritische und negative Berichterstattung zu verhindern, waren Verbote oder Einschränkungen bei den inländischen Medien. Gleichzeitig versäumten sie es, diese für ihre Zwecke positiv und kreativ zu nutzen. Denn ihre Argumente, die unbestrittene Anarchie und das wirtschaftliche Chaos aufhalten und Ordnung schaffen zu wollen, stießen vermutlich bei einem nicht kleinen Teil der Bevölkerung auf Zustimmung. Hier bestand durchaus Mobilisierungspotenzial. Sie hatten jedoch die Entwicklungen des modernen Medienzeitalters unterschätzt oder gar nicht erst in Betracht gezogen. Leonid Schebarschin, KGB-Abteilungsleiter und nach der Verhaftung Krjutschkows ein Tag lang (22. – 23. August 1991) KGB-Chef der UdSSR, schrieb in seinem Buch „Ruka Moskvy“: „Das [sowjetische] Fernsehen zeigte dämliche Filme, im Radio liefen sinnlose Sendungen. Der Empfang des amerikanischen Senders CNN war frei zugänglich. Eine verrückte Situation: Über die Lage in der Hauptstadt unserer Heimat erfuhren wir aus amerikanischen Quellen.“ 607 Viele Jahre später kritisierte der sowjetische Fernseh- und Radiochef Krawtschenko, das Komitee habe durch die Kurzfristigkeit der Macht­über­ nahme verhindert, dass er ein vernünftiges Programm gestalten konnte. Allein durch die elf Zeitzonen in der UdSSR sei eine verwirrende Informationspolitik entstanden. Man hätte einen „Tele-Marathon“ mit Talk­ runden von Bürgern aus allen Schichten veranstalten sollen, in denen die Notstandsmaßnahmen unterstützt worden wären, sowie Live-Schaltungen von Kaliningrad bis Wladiwostok. Des Weiteren hätten Politiker im Studio ihre Standpunkte erläutern sollen. Krawtschenko meinte, möglicherweise nicht zu Unrecht: „Wir hätten durch das Fernsehen das Bild einer allgemeinen Unterstützung zeichnen können.“ 608

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7 DIE POLITISCHEN FOLGEN DES PUTSCHES UND SEINE HISTORISCHE EINORDNUNG Im historischen Diskurs wird die Wirkmächtigkeit des August-Putsches auf die weitere geschichtliche Entwicklung der Sowjetunion und auf den postsowjetischen Raum ganz unterschiedlich interpretiert; das Gleiche gilt für die Einschätzung des Stellenwertes dieses Ereignisses in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Richard Sakwa spricht in diesem Zusammenhang von den „Maximalisten“ und den „Minimalisten“, die sich im historischen Diskurs gegenüberstehen.1 Während die Vertreter der ersten Gruppe die Putsch-Geschehnisse als ein revolutionäres Ereignis ansehen, bei dem die Bevölkerung durch ihren Widerstand der Demokratie zum Sieg verhalf, spricht die zweite Gruppe dem August-Putsch diese Bedeutung ab. Vielmehr sei das Sowjetsystem aufgrund seiner schon länger vorhandenen strukturellen Defizite zusammengebrochen. Die Minimalisten fragen zum Beispiel, ob überhaupt ein Putsch und der entschiedene Widerstand gegen ihn stattgefunden haben, weil die alten Sowjetstrukturen und ihre Vertreter sich in einem anderen Gewand in die neue Zeit hinübergerettet hätten. Gemessen an der vergleichsweise kleinen Zahl der Bürger, die in den drei Augusttagen aktiv Widerstand leisteten, und gemessen auch an dem Misserfolg von Jelzins landesweitem Streikaufruf kann von einer Volksbewegung oder einem Volkswiderstand in der Tat nicht gesprochen werden. Für Martin Malia handelte es sich bei den August-Ereignissen um eine „anti-sowjetische Revolution“ und um eine „Implosion.“ 2 Für Karl Schlögel, der den Putsch zunächst in Leningrad, dann in Moskau erlebte, vollzog sich hingegen eine „geglückte Revolution“; er verleiht den Ereignissen sogar eine noch größere geschichtliche Bedeutung, indem er schreibt: „Irgendwann wird es sich auch im Westen herumsprechen: Im August 1991 wurde in Moskau nicht ein Staatsstreich, sondern das 20. Jahrhundert beendet.“ 3 Für Maria Huber zählt der August-Putsch zu den „wichtigsten Wendepunkten in der Geschichte des 20. Jahrhunderts.“ 4

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Abraham Brumberg dagegen sah in der mangelnden Geschlossenheit des ­ KTSCHP die Ursache für dessen Scheitern. Jelzin und die Demokraten G hätten es sehr effektiv verstanden, medial eine Heldensaga zu kreieren und dies für die Demontage des alten Regimes zu nutzen.5 Gerhard Simon sieht in den „Konstruktionsfehlern des Sowjetsystems“ und in „Degenerationsvorgängen, die seit Jahrzehnten die Stabilität untergruben“, die tieferen Ursachen für den Untergang der UdSSR.6 Die Einschätzungen der politischen Akteure gehen, was die Bedeutung der August-Ereignisse von 1991 betrifft, ebenfalls auseinander. Es ist ­Gorbatschow, auf den der Begriff „reinigendes Gewitter“ zurückgeht, der von Sakwa oder auch von Hildermeier verwendet wird.7 ­Gorbatschow gebrauchte ihn am 10. September 1991 erstmals öffentlich, als er in Moskau vor den Außenministern von 38 KSZE-Staaten anlässlich einer Konferenz­ eröffnung sprach. Ganz offensichtlich wollte er die Bedeutung des Ereignisses nicht überbewerten und sagte, dass er nun, nach dem „reinigenden Gewitter“, keinen Grund mehr für den Westen sehe, sich mit umfangreicher Finanzhilfe zurückzuhalten, wie das noch auf dem Wirtschaftsgipfel der führenden Industrienationen in London im Juli 1991 der Fall gewesen sei.8 Mit einem reinigenden Gewitter assoziiert man in der Regel eher den Beginn einer positiven Entwicklung. ­Gorbatschows Perspektive änderte sich jedoch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Seine historische Bewertung des Putsches ist seither eine grundsätzlich ablehnende. Er scheut in seinen Memoiren keinen Vergleich mit den Folgen, die sich seiner Meinung nach durch die Zaren-Ermordung 1881 ergaben: „Unwillkürlich kommt mir folgender Vergleich in den Sinn: Durch die Ermordung des Zaren Alexander II. haben die Mitglieder der Gruppierung ‚Narodnaja Wolja‘ Reformen vereitelt und die gesellschaftliche Entwicklung in Russland um Jahrzehnte aufgehalten. […] Was die Drahtzieher des August-Putsches betrifft, so vereitelten sie die Möglichkeit, die Union durch Umwandlung in eine Föderation zu erhalten und die KPdSU durch Reformen zu einer politischen Partei der Linken zu machen.“ 9 Von einem endgültigen Durchbruch zu Freiheit und Demokratie oder einer Revolution oder Implosion ist bei ­Gorbatschow somit nicht die Rede. Völlig entgegengesetzt, nämlich durchweg positiv, fielen die Bewertung der Folgen und die historische Einordnung bei Jelzin aus. Dem Scheitern des August-Putsches komme „globale Bedeutung“ zu, meinte er: „Das 20. Jahrhundert war vor allem ein Jahrhundert des Schreckens. Solche Alpträume wie Totalitarismus […], Faschismus, Kommunismus […] kannte die

Die politischen Folgen des Putsches und seine historische Einordnung

Menschheit bisher nicht. In diesen Tagen endete dieses Jahrhundert, und ein neues begann.“ 10 Tatsächlich ist der Begriff „Revolution“ – als Folge des Putsches – weit mehr berechtigt als der Ausdruck „reinigendes Gewitter“. Letzterer erscheint zu verharmlosend. Denn die Antwort auf die Frage, was sich durch den August 1991 geändert hat – nicht evolutionär, sondern unmittelbar –, fällt klar aus. De facto gingen ein Gesellschaftssystem, eine Staatsideologie und ein Imperium unter, obgleich die Sowjetunion längst nicht mehr lebensfähig war: 1 Die KP dSU , die zwar schon geschwächt war, hörte jetzt nicht nur als politische Kraft auf zu existieren. Mit ihrem Ende fehlte „der Kitt, der die Sowjetunion zusammenhielt.“ 11 2 Nach dem Putsch war der Weg frei für einen nicht weiter mit Kompromissen und weiteren verzögernden Diskussionen verbundenen Übergang zur Marktwirtschaft, der auch in wirtschaftlicher Sicht den endgültigen Abschied vom sozialistischen Gesellschaftssystem bedeutete. 3 Auch die bisher kooperationswilligen Sowjetrepubliken deklarierten fast alle in den ersten Wochen nach dem Putsch ihre Unabhängigkeit und damit ihren Willen, sich der Zentrale nicht mehr oder nicht mehr in der bisherigen Form unterzuordnen. 4 Der KGB als jahrzehntelange Staatsorganisation der Überwachung und Unterdrückung wurde entmachtet. Diese Säule des alten Systems wurde zwar später unter Wladimir Putin in anderer Form teilweise wiedererrichtet, doch nach dem Putsch hatte der Geheimdienst über Jahre die Fähigkeit verloren, Kontrolle und Macht auszuüben und Angst zu verbreiten. 5 Die baltischen Republiken wurden unmittelbar nach dem gescheiterten Putsch als eigenständige Staaten nicht nur international, sondern auch von der Moskauer Zentralregierung anerkannt. Die Sowjetunion hörte somit schon im August 1991 in ihrer bis dahin völkerrechtlichen Form auf zu existieren. 6 Russland führte am 22. August die alte Nationalflagge wieder ein. Es hatte ohne die Hilfe der anderen Republiken die sowjetische Zentralmacht besiegt. ­Gorbatschow wurde von Jelzin faktisch entmachtet. Es war das Ende der östlichen Supermacht. Die Frage, wann es zu diesen fundamentalen Veränderungen und dem Ende der UdSSR ohne den August-Putsch und die Kraftprobe zwischen den Systembewahrern und den Systemgegnern gekommen wäre, kann niemand seriös beantworten. Eine Antwort darauf bleibt daher spekulativ. Aus

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diesem Grund lässt sich durchaus von einer August-Revolution sprechen, auch wenn die tieferen Ursachen für den Zusammenbruch des Imperiums und des sozialistischen Systems andere, langfristige waren, die hier nicht vertieft werden können. Dass das alte System sich aber nicht mehr hätte lange halten können, dürfte unbestritten sein. Denn im Juli 1991 war ein frei und demokratisch vom Volk gewählter Präsident in Russland vereidigt worden, der als imposante und selbstbewusste politische Figur nicht mehr einzubinden war in eine zentralistisch geführte UdSSR, die sich ohnehin schon in Auflösung befand. Aber nur weil es einen Putsch gab und weil er scheiterte, war der endgültige und rasche Zerfall der Sowjetunion nicht mehr abzuwenden, da es für die orthodoxen Systembewahrer danach keine zweite Chance mehr zum Gegenschlag gab. Da das ­GKTSCHP mehrheitlich strikt gegen die Anwendung von Gewalt war und eine frühe Festsetzung Jelzins nur erwog, war ein rigoroser Angriff gegen die Systemdemontage von vornherein ausgeschlossen. Schnell war zu erkennen, dass die Putschisten unentschlossen waren. Dies machte ihre Autorität zunichte. Als Machtalternative konnten sie sich somit nicht empfehlen. Einige Putschisten behaupteten hinterher, bei einer gründlicheren Vorbereitung und bei mehr Gewaltbereitschaft hätte das Komitee die Macht behaupten können. Schenin und Warennikow versicherten, wenn sie offizielle Mitglieder der G ­ KTSCHP gewesen wären, wäre der Ausgang der Ereignisse ein anderer gewesen.12 Dass mit einem massiven Einsatz von Gewalt in Moskau, Leningrad, in Litauen, in der Republik Moldawien und an anderen Orten des Widerstandes die Machtkonsolidierung gelungen wäre, ist jedoch höchst unwahrscheinlich – zumindest über einen längeren Zeitraum. Über die Frage, wie ein gewaltsamer Machtkampf in Moskau kurzfristig ausgegangen wäre, kann hingegen nur spekuliert werden. Das Bild, das sich aus dem bisher Dargelegten ergibt, spricht immerhin dafür, dass die Demonstration der „harten Hand“ am 19. August, die sich rasch als eine nur scheinbar harte herausstellte, zunächst durchaus Wirkung zeigte: Plötzlich war in einer Reihe von bis dahin zentrumsfeindlichen Republiken eine Kooperationsbereitschaft vorhanden, oder es herrschte zumindest Stillhalten. Fest steht andererseits, dass das durch G ­ orbatschow geweckte Freiheits- und Demokratiebewusstsein der Bürger mitentscheidend für den Sieg gegen die Systembewahrer war, die angesichts des überwiegend friedlichen Widerstandes ihrerseits auf Gewalt verzichteten bzw. vor deren Einsatz zurückschreckten. Es sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass G ­ orbatschow s­ einen engsten Berater Tschernajew in den Tagen nach dem Putsch „scharf

Das weitere Schicksal der Putschisten und ihrer Unterstützer

kritisierte“, wie dieser schildert, weil er die August-Ereignisse als Revolution bezeichnete. ­Gorbatschow habe ihm entgegnet, die „Revolution habe mit der Perestrojka begonnen.“ 13 Dass der Putsch in eine Revolution führte, die äußerlich zwar wenig mit einer Volksbewegung gemein hatte, ist einerseits ein Ergebnis und ein Triumph der Perestrojka. Andererseits stellte der August 1991 eine Negierung und das endgültige Scheitern der Perestrojka dar, die in ihrem ursprünglichen und eigentlichen Sinne den Sozialismus und die Sowjetunion attraktiver und vitaler machen sollte. Auch in diesem Sinne war der August 1991 im Ergebnis eine Revolution.

7.1 Das weitere Schicksal der Putschisten und ihrer Unterstützer Sieben offizielle Mitglieder des ­GKTSCHP wurden nach dem Scheitern des Putsches festgenommen. Das achte Mitglied, Innenminister Pugo, beging am 22. August kurz vor dem drohenden Zugriff in seiner Wohnung Selbstmord, indem er sich erschoss.14 Außer den offiziellen Komitee-Mitgliedern wurden fünf weitere Personen angeklagt, die den Putsch entweder mit organisiert oder maßgeblich unterstützt hatten. Zu ihnen gehörten Oleg Schenin, Valentin Warennikow, Wjatscheslaw Generalow, Juri Plechanow und Anatoli Lukjanow. Einer Anklage entziehen konnte sich Wladislaw Atschalow, dessen Abgeordnetenimmunität der Oberste Sowjet Russlands nicht aufheben wollte. Sergej Achromejew, Marschall der sowjetischen Armee und Präsidentenberater in Militärfragen, hatte das Komitee unterstützt; er erhängte sich am 24. August in seinem Arbeitszimmer im Kreml. Zu diesem Zeitpunkt gab es allerdings keine Anordnung für seine Festnahme.15 Der stellvertretende KGB-Chef Geni Agejew16 kam aus gesundheitlichen Gründen nicht in Untersuchungshaft und musste sich auch nicht vor Gericht verantworten. Viktor Gruschko, ebenfalls stellvertretender KGB-Chef, wurde festgenommen, erlitt während der Untersuchungshaft zwei Herzinfarkte und wurde daraufhin freigelassen. Sein Verfahren wurde – wie auch das des ebenfalls in der Haft schwer erkrankten Präsidialamtschefs Valeri Boldin – von dem der anderen Beschuldigten abgetrennt.17 Schon im ersten Jahr nach dem Putsch begann sich das politische Klima in Russland zugunsten der seit dem 14. Januar 1992 Angeklagten18

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zu wandeln, als sich viele Bürger nach den Härten infolge der Einführung der Marktwirtschaft und der Freigabe der Preise enttäuscht von Präsident Jelzin abwandten. Erst vierzehn Monate später, am 14. März 1993, begann der Prozess gegen die Angeklagten. Sie traten zunehmend selbstbewusster auf, zumal sie sich gegen die Politik Jelzins und ­Gorbatschows gestellt hatten. Letzterer wurde von der großen Mehrheit der Bevölkerung als der Hauptverantwortliche für den Zerfall des Staates, die wirtschaftliche Misere und damit für die enorme Verschlechterung der eigenen Lebensbedingungen angesehen. Auf diesem politischen Boden konnten die Putschisten Sympathien für ihr Handeln im August 1991 sammeln, die Jahre später sogar dazu führten, dass sie gesellschaftlich völlig rehabilitiert wurden. Durch die sich verändernde Perspektive auf das Jahr 1991, das für die meisten Bürger wirtschaftlich und psychologisch höchst einschneidend war, änderten sich teilweise auch die persönlichen Beziehungen zwischen den Vertretern der politischen Lager, die sich während des Putsches gegenübergestanden hatten. Aus ehemaligen Gegnern wurden sich respektierende politische Akteure, in einigen Fällen sogar Verbündete. Nur ­Gorbatschow betrafen diese neuen politischen Verschiebungen und Grenzziehungen nicht.

Die Verhaftungen, die Verhöre und deren Publizierung Krjutschkow war das erste der ­G KTSCHP -Mitglieder, die festgenommen wurden. Dies geschah in der Nacht des 22. August am Flughafen Wnukowo 2 in Moskau nach seiner Rückkehr aus Foros. Er kam in der Maschine, in der ­Gorbatschow und die russische Delegation saßen und die kurz vor dem Flugzeug landete, in dem die übrigen Putschisten und deren Unterstützer aus Foros zurückgeflogen waren.19 Nachdem auch die zweite Maschine gelandet war, wurden Jasow und Tisjakow festgenommen. Baklanow schützte zunächst seine Immunität als sowjetischer Volksdeputierter. Janajew, der diese Nacht in seinem Arbeitszimmer im Kreml verbracht hatte, wurde dort am 22. August mittags verhaftet, Pawlow und Starodubzew folgten einen Tag später. Die Mitorganisatoren und Unterstützer Schenin, Warennikow und Plechanow wurden ebenfalls am 23. August festgenommen, Generalow am 28. August. Eine Woche lang versuchte Anatoli Lukjanow der Untersuchungshaft zu entgehen. Er nahm sogar noch ab dem 26. August an einigen Sitzungen des Obersten Sowjets teil und versuchte dort, sich zu rechtfertigen. Von seinem Amt als Parlamentsvorsitzender trat er angesichts des enormen politischen Drucks schließlich zurück. Nach Aufhebung seiner Immunität durch den Obersten Sowjet

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wurde auch er am 30. August festgenommen.20 Dass Lukjanow nicht sofort nach dem Scheitern des ­GKTSCHP zur Verantwortung gezogen wurde, lag auch daran, dass die Ermittler von den Details der Putschvorbereitung erst durch die Verhöre der Hauptorganisatoren Kenntnis erlangten; dazu gehört beispielsweise Lukjanows Teilnahme an der Abendsitzung im Kreml am 18. August, die ihn juristisch sehr belastete. Die ersten Verhöre fanden nicht im Gefängnis „Matrosskaja Tischina“ in Moskau, dem endgültigen Ort der Untersuchungshaft, sondern in Solnetschnogorsk, rund 80 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt, statt.21 Die Verhöre wurden gefilmt. Wie konnte es passieren, dass Ermittlungsergebnisse und Verhörprotokolle an die Öffentlichkeit gelangen konnten, noch bevor die mit dem Fall befasste Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen abgeschlossen hatte und noch lange bevor überhaupt Anklage gegen die Beschuldigten erhoben wurde? Es ist dabei unerheblich, dass es sich nur um einen sehr kleinen Teil der Verhöre handelte und auf einige Beschuldigte beschränkt war. Für eine Rekonstruktion des Putsches reichte das Material zwar bei Weitem nicht. Dennoch war die Veröffentlichung ein strafprozessrechtlicher und justizpolitischer Skandal, der im Herbst 1991 im russischen Parlament zur Sprache gebracht wurde.22 Der deutsche TV -Sender Spiegel-TV und das Nachrichtenmagazin Der Spiegel hatten einige Auszüge aus den Verhören publiziert, die von einem russischen Kamerateam gefilmt worden waren. Die Putschisten wurden vor allem im sowjetischen Fernsehen und aufgrund des großen internationalen Interesses auch in den großen TV-Stationen im Westen unfreiwillig in die Öffentlichkeit gezogen – und das während des laufenden Ermittlungsverfahrens und lange vor der Fertigstellung der Anklageschrift. Proteste der Anwälte der Beschuldigten und die Tatsache, dass dieser Vorfall im Obersten Sowjet zur Sprache kam, hatten dann die Bildung einer parlamentarischen Untersuchungskommission zur Folge. Diese sah in leitenden Mitarbeitern der Staatsanwaltschaft die Verantwortlichen, die vor der Veröffentlichung der Verhöre ihre Zustimmung zum Verkauf gegeben hätten. Insgesamt seien dabei umgerechnet mehr als 5.000 Mark bezahlt worden.23 Jelzin geht in seinen Memoiren auf die Veröffentlichung der Verhör­ videos ein, macht sich die Schlussfolgerung der parlamentarischen Untersuchungskommission allerdings nicht zu Eigen. Er schreibt lediglich, dass ­Gorbatschow die Staatsanwaltschaften der RSFSR und der UdSSR beauftragt habe, „aufzuklären, wie Informationen über die Ermittlungen […] nach außen gelangen konnten. Die Anordnung wurde wegen

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der Veröffentlichung der Verhöre Jasows, Krjutschkows und Pawlows im deutschen Nachrichtenmagazin Der Spiegel getroffen.“ 24 Dies kann als Indiz dafür gewertet werden, dass Jelzin entweder nicht davon überzeugt war, dass die Veröffentlichung finanzielle Ursachen hatte, oder er sogar den wahren Hintergrund kannte. Ein politisches Motiv kann in jener aufgeladenen Atmosphäre in den Folgemonaten des Putsches nicht ausgeschlossen werden. Die Staatsanwaltschaft der UdSSR zumindest kam zu keinen Ergebnissen. Dies dürfte dem Durcheinander und der Prioritätenverschiebung angesichts des akuten Zerfallsprozesses der Sowjetunion geschuldet gewesen sein, deren Untergang wenige Wochen später besiegelt wurde. In Kreisen von Politik, Justiz und Medien rätselte man, wer die ersten Verhöre nach außen getragen haben könnte und wie diese brisanten Informationen ausgerechnet und noch dazu zuerst an ein westliches Medium gelangen konnten. Kurz nach dem Putsch wurde ein deutscher Russland-Filmemacher in Moskau von einem Redakteur des sowjetischen Fernsehens über die Existenz von Videos der Verhöre mit den Putschisten informiert. Die beiden Männer hatten ein Vertrauensverhältnis zueinander. Der sowjetische TV-Redakteur bat den Deutschen, als Makler und Bote zur Verfügung zu stehen. Im Gegenzug würde er ihm helfen, dass seine Filmprojekte vom sowjetischen Fernsehen adaptiert und ausgestrahlt würden.25 Der Filmemacher nahm Kontakt zu Jörg R. Mettke auf, dem Korrespondenten des Spiegel in Moskau. Dieser zeigte Interesse und sagte, er wolle sich das Material ansehen und prüfen, ob es authentisch sei.26 Daraufhin wurde das Videomaterial zunächst zu dem deutschen Filmemacher gebracht. Dieser sorgte dafür, dass es zum Moskauer Spiegel-Büro weitergeleitet wurde. Laut dem Filmemacher bestand ein Zeitfenster von nur 24 Stunden zur Ansicht und zum Kopieren der Videokassetten. Die andere Auflage sei gewesen, dass das Material nicht veröffentlicht werden durfte, bevor nicht die Original-Videokassetten zurück bei der sowjetischen oder russischen Seite wären. Wer hinter diesem Angebot stand, ist auch dem deutschen Filme­macher bis heute nicht klar. Den sowjetischen TV-Redakteur habe er niemals danach gefragt. Angesichts des damals sehr großen öffentlichen Interesses in der Sowjetunion und in der Welt an den Hintergründen des August-Putsches handelte es sich bei den Verhandlungen und bei der Übergabe des Verhörmaterials um ein höchst brisantes, ja persönlich gefährliches Unterfangen. Jörg R. Mettke berichtet, er sei wegen dieser Angelegenheit drei Mal von

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der russischen Staatsanwaltschaft verhört worden, wo man versucht habe, ihn zur Preisgabe von Informationen zu bewegen, wie das Material in den Besitz des Spiegel gelangt sei. Da in der Sowjetunion und in Russland das journalis­tische Zeugnisverweigerungsrecht nicht existierte und auch eine Berufung auf den Informanten-Schutz nicht möglich war, sah sich Mettke in einer höchst unangenehmen Situation. Der Korrespondent des Moskauer Spiegel-Büros ließ sich aber nicht einschüchtern und gab keine Informationen preis. Er hätte aber nur den deutschen Filmemacher konkret benennen können. Doch auch dieser kannte den wahren Initiator oder die wahren Initiatoren namentlich nicht. Er hätte jedoch auf den Redakteur vom sowjetischen Fernsehen verweisen können, womit die Quelle dann möglicherweise identifiziert worden wäre. Über den Weg, wie das Material in die Hamburger Spiegel-Zentrale gelangte, wollte sich Jörg R. Mettke mehr als zwanzig Jahre später nicht äußern. Laut dem deutschen Filmemacher erfolgte der Transport nach Deutschland mittels einer „Gemeinheit, die man heute so nicht wieder machen würde.“ 27 Er habe eine Person gebeten, etwas für ihn im Gepäck mit nach Deutschland mitzunehmen. Über den wirklichen Inhalt habe er die Person nicht aufgeklärt; sie habe es „unschuldig mitgenommen.“ In Hamburg habe er das Material dem Auslandchef des Spiegels übergeben. Der Scheck war auf den Namen des Filmemachers ausgestellt, weil ein direkter Kontakt zwischen dem Nachrichtenmagazin und denjenigen, die das Material angeboten hatten, vermieden werden musste. Es handelte sich nach Angaben des Filmemachers um einen fünfstelligen Betrag im unteren Bereich. Stepankow hält es für möglich, dass es sich bei der Zuspielung der Verhörkassetten um einen vom KGB inszenierten Diskreditierungsversuch der russischen Ermittlungsbehörde gehandelt habe.28 Ein Motiv hätte der KGB, der in jenen Monaten zwar entmachtet wurde, aber noch über verdeckte Funktionsträger in staatlichen Bereichen verfügte, in der Tat gehabt. Denn zeitgleich war die Staatsanwaltschaft in jenen Wochen nach dem Putsch gegen leitende und untergeordnete Mitarbeiter der Staatssicherheit vorgegangen, hatte sie verhört und war sogar – zum ersten Mal in der blutigen Geschichte dieser Organisation – zum Zwecke der Ermittlungen in deren Räumlichkeiten eingedrungen, über welche der KGB die Hoheit abgeben musste. Dies stellte in den Augen der Mitarbeiter dieser geheimnisumwobenen Organisation ganz offensichtlich ein Sakrileg dar. Möglicherweise hatte auch die Jelzin-Führung ein Interesse an einer Veröffentlichung der Verhöre. Sie eigneten sich bestens, die Vertreter der

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alten Ordnung, die allesamt von G ­ orbatschow ins Amt gebracht worden waren, noch stärker zu diskreditieren und die Richtigkeit des von Jelzin eingeschlagenen politischen Weges zu unterstreichen. Sie eigneten sich ferner, ein wenig von der katastrophalen Wirtschaftslage in Moskau und in Russland abzulenken und ein Bild zu zeichnen, das die Hypothek Jelzins schwerer erscheinen ließ, die er von den alten kommunistischen Machthabern hatte übernehmen müssen. Die Gesamtverantwortung für Russland, vor allem die wirtschaftliche, lief immer stärker auf Jelzin zu. Mit der visuellen Vorführung der Vertreter der sowjetischen Systembewahrer, die in einem überaus negativen Licht erschienen, war eine gewisse Demaskierung des alten Regimes verbunden. Durch die Veröffentlichung wurde Jelzins Heldenrolle in den Ereignissen nochmals unterstrichen, die ihm unmittelbar nach dem Scheitern des Putsches auch im Westen überwiegend zuteilgeworden war. Der Inhalt der Verhöre fand über den Umweg Deutschland und den Spiegel dann seinen Weg in die sowjetischen und in die internationalen Medien.29 Eine groß angelegte interne Untersuchung innerhalb des Mitarbeiterstabes der Staatsanwaltschaft brachte kein Ergebnis. Stepankow erklärte den Umstand, dass die Videokassetten nicht besonders streng gesichert aufbewahrt wurden, damit, dass die Verhöre noch im Gange waren. Eine ganze Reihe von Staatsanwälten teilte sich die Befragungen der Beschuldigten auf. Jeder Staatsanwalt gab nach einem Verhör seine Kassette ab und entnahm die eines Kollegen, um sie auszuwerten und mit diesem zusätzlichen Wissen beim nächsten Verhör entsprechende Fragen stellen und Querverbindungen herstellen zu können. Die an den Spiegel verkauften Kassetten seien heimlich kopiert und die Originale wieder an die gleiche Stelle in der Staatsanwaltschaft zurückgebracht worden.30 Zweifel an der Rolle Stepankows bleiben, weil er 1992 mit seinem Stellvertreter Jewgeni Lisow das Buch „Kremlevskij zagovor“ veröffentlichte, das auch ins Deutsche übersetzt wurde. Darin wurden – mehr als ein Jahr vor Prozessbeginn – Auszüge aus den Verhören publiziert. Dies scheint für ein finanzielles Motiv bei der Publizierung der Verhörkassetten einige Wochen nach dem Putsch zu sprechen und nährte den Verdacht, dass die Kassetten mit Wissen leitender Staatsanwälte verkauft wurden – so die Schlussfolgerung der Untersuchungskommission. Bei Prozessbeginn im April 1993 verfügte der Vorsitzende Richter Anatoli Ukolow, dass die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungsergebnisse in eigener Sache dem Gericht offenlegte.31 Doch sie konnte keine belastbaren Informationen

Das weitere Schicksal der Putschisten und ihrer Unterstützer

darüber vorlegen, wie die Verhörkassetten an den Spiegel gelangt waren.

KGB-Chef Krjutschkow zeigt sich in seinen Memoiren davon überzeugt,

die Ermittlungen zu dieser Frage seien von „in Verantwortung stehenden Personen verhindert worden, die die Macht dazu hatten.“ Irgendwann aber, so führte er weiter aus, würden die Hintergründe ans Tageslicht kommen.32 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass nicht geklärt ist, ob die Zuspielung des Materials finanziell oder politisch motiviert war. Es gibt allerdings stärkere Indizien dafür, dass es rein monetäre Gründe waren. Diese Indizien sind: a) die Schlussfolgerungen der Untersuchungskommission, b) die Tatsache, dass Auszüge der Ermittlungsergebnisse als Buch publiziert und die Rechte daran an einen deutschen Verlag verkauft wurden, c) die freie Zugriffsmöglichkeit einer großen Zahl von Staatsanwälten auf die Kassetten und deren wenig sorgfältige Aufbewahrung, d) die freizügige allgemeine Atmosphäre in Moskau Anfang der 1990er-Jahre, was Behörden und Machtinstitutionen betraf.33 Fest steht, dass der ­Spiegel nicht aktiv im Sinne von eigener Recherche an das Material gelangte, sondern dass das Magazin ein eher zufälliger Akteur war. Wohl aber sind die Umsicht und der Mut seines langjährigen und herausragenden Korrespondenten Mettke hervorzuheben. Auch besteht nun mehr Klarheit über die Höhe der Geldsumme die geflossen ist, die oftmals um ein Vielfaches höher geschätzt wurde, als sie es in Wirklichkeit war.

Die staatsanwaltlichen Ermittlungen und der Gerichtsprozess Im staatlichen Behördenapparat wie auch im Parteiapparat haben die meisten Bediensteten und Funktionäre abgewartet; sie beobachteten, wie sich der Machtkampf entwickelte und wer daraus als Sieger hervorgehen würde. Dies gilt auch für die Staatsanwaltschaft der UdSSR. Ihr Leiter nahm am 21. August34 – folglich erst, als die Niederlage des G ­ KTSCHP feststand – die Ermittlungen gegen die Mitglieder des Komitees auf. Aber auch die Staatsanwaltschaft der RSFSR agierte vorsichtig. Erst als Jelzins Sieg klar war, eröffnete auch sie am 21. August ein Verfahren gegen das G ­ KTSCHP. Die abwartende Haltung und wohl auch die Furcht, die bei den meisten Angehörigen der Justiz herrschte, erklärt sich aus der system­immanenten und jahrzehntelangen Instrumentalisierung juristischer Institutionen durch die kommunistischen Machthaber. Es wäre unangemessen, die rechtsstaatlichen Standards, die sich im Westen über einen langen Zeitraum entwickelt haben, in der Endphase eines Staates zu erwarten oder gar einzufordern, der zumindest teilweise

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versuchte, seine totalitäre Vergangenheit und (Denk)Strukturen zu überwinden. Auf der anderen Seite muss darauf hingewiesen werden, dass die Putschisten und ihre Unterstützer kein ordentliches Verfahren bekamen – im westlichen rechtsstaatlichen Sinne. Die Defizite betreffen in erster Linie Grundsatzfragen der juristischen Zuständigkeit sowie Fragen der Strafprozessordnung. Da in der Sowjetunion eine gewaltige Kluft zwischen Rechtsnormen und Rechtswirklichkeit existierte, verwundert es nicht, dass bei den ersten Ermittlungen gegen die Putschisten selbst gegen die Buchstaben sowjetischer Gesetze und Verfahrensordnungen verstoßen wurde. Vor und bei den ersten Verhören hatten die Komitee-Mitglieder keinen anwaltlichen Beistand.35 Dies wiegt umso schwerer, weil eben diese Verhöre – ohne Wissen und gegen den Willen der Beschuldigten – um die Welt gingen und die Verhörten durch die ausgestrahlten Filmaufnahmen und deren Machart faktisch erniedrigt wurden. Dass überhaupt mit einer Kamera gearbeitet wurde, legt den Verdacht nahe, dass das Produzieren dieses Materials von Anfang an nicht – oder nicht nur – dem staatsanwaltlichen Erkenntnisinteresse dienen sollte. Schriftliche und von den Beschuldigten autorisierte Verhörprotokolle oder Tonaufzeichnungen wären für die Ermittlungszwecke ausreichend und vor allem üblich gewesen. Fünf Beschuldigte waren Volksdeputierte der UdSSR: Baklanow, ­Boldin, Warennikow, Starodubzew und Schenin. Ihre Immunität wurde ohne die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Prozedur aufgehoben. Laut dem Gesetz „Über den Status eines Volksdeputierten der UdSSR“ wäre es erforderlich gewesen, die Beschuldigten vorher anzuhören und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich vor dem Präsidium des Obersten Sowjets zu verteidigen. Dies war nicht geschehen.36 Die Festnahmen und die Ermittlungen, für die der Oberste Sowjet der UdSSR den Weg freimachte, führte allerdings nicht die Staatsanwaltschaft der UdSSR durch, sondern die der RSFSR. In der Anklageschrift heißt es in diesem Zusammenhang nur: „Am 25. August [1991] wurden auf Anordnung des Generalstaatsanwalts der UdSSR beide Strafverfahren zu einem zusammengeführt und die weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Russlands übertragen.“ 37 Dies war zweifellos das Ergebnis der Machtverschiebung unmittelbar nach dem Putsch von der sowjetischen Zentrale hin zu Russland und von ­Gorbatschow hin zu Jelzin, der die Hoheit seiner Republik über das Verfahren haben wollte. Insofern handelte es sich auch um einen politischen Prozess, in dem Russland der Ankläger war und die inzwischen machtlosen Mitglieder der bisherigen sowjetischen Führung die Angeklagten.

Das weitere Schicksal der Putschisten und ihrer Unterstützer

Den Beschuldigten wurde zunächst Landesverrat („izmena rodine“)38 zur Last gelegt; diese Straftat hat im Russischen durch die Kombination der Wörter „Verrat“ und „Heimat“ eine deutlich negativere und emotionalere Konnotation als im Deutschen. Vor allem in der Stalin-Ära zog dieser Vorwurf in der Regel die sofortige Todesstrafe nach sich. Für die drei Frontkämpfer im Zweiten Weltkrieg Jasow, Warennikow und Tisjakow war dies besonders schwer vereinbar mit ihrer Lebensgeschichte; sie konnten sich dabei jedoch der Sympathien und des Verständnisses vor allem der Kriegsgeneration weitgehend sicher sein.39 Aber auch für Baklanow, der bei Ausbruch des „Großen Vaterländischen Krieges“ neun Jahre alt war, traf dies zu. In Charkow habe er beim Angriff der deutschen Truppen den sowjetischen Soldaten bei der Versorgung geholfen, berichtet er. Sein Vater starb 1937 an Tuberkulose. In der grauenvollen Besatzungszeit, in der Juden verfolgt und getötet, Partisanen gehenkt und öffentlich zur Schau gestellt wurden, habe er – um nicht zu verhungern – „den Deutschen die Stiefeln putzen müssen.“ 40 Für ihn sei der Vorwurf des Landesverrats auch aus diesem Grunde unbegreiflich gewesen. „Man hätte mir alles Mögliche vorwerfen sollen, aber nicht das.“ 41 Ungeachtet der persönlichen Lebensgeschichten kann kaum bestritten werden, dass die geplante Unterzeichnung des Unionsvertrages mit den Buchstaben der sowjetischen Verfassung, auch wenn diese schon längst ausgehöhlt war, nicht kompatibel war. Aber um welche Verfassung handelte es sich? Um eine verteidigungswürdige? Sie war 1977 im Zeitalter der kommunistischen Einparteienherrschaft ohne ein Mitspracherecht der Bürger verabschiedet und in der ­Gorbatschow-Ära vielfach modifiziert worden. Anders als bei der Schaffung des Präsidentenamtes 1990, bei dem vor der Wahl G ­ orbatschows zum Präsidenten die Verfassung geändert wurde, um die formalen rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, hätten diese am 20. August bei einer Unterzeichnung des Unionsvertrages gefehlt. Doch der Desintegrationsprozess innerhalb der Sowjetunion war schon so weit fortgeschritten, dass allein der Versuch, eine rechtlich korrekte und wirksame Änderung, die die Beteiligung von Vertretern aller 15 Republiken erfordert hätte, einer politischen Illusion gleichgekommen wäre. Ruslan Chasbulatow war sich nach eigener Darstellung durchaus bewusst, dass der Abschluss des Unionsvertrages der sowjetischen Verfassung widersprach. Er habe sich 1991 dafür ausgesprochen, dass die kooperationswilligen Republiken sie zuerst ändern sollten, bevor der Unionsvertrag angenommen würde.42 Dennoch ist das Argument des ­GKTSCHP, es habe die Verfassung verteidigen wollen, nicht überzeugend. Eine Reihe der Komitee-Mitglieder

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war an der Ausarbeitung des Vertrags selbst beteiligt gewesen. Mit ihrem Putsch verstießen sie dann mehrfach gegen die Verfassung und die Gesetze. Wohl aber haben die Anwälte und die Beschuldigten in einem anderen Punkt Recht: Sie lehnten es ab, dass Russland die Ermittlungen und den Prozess schon 1991 an sich gezogen hatte.43 Ihre Argumente waren stichhaltig und nachvollziehbar: Zum einen hätten sich die Komitee-­Mitglieder und ihre Unterstützer vor dem Staat Sowjetunion, gegen den der Landesverrat ja laut Anklage begangen worden war, verantworten müssen. Zum anderen waren – dieser Sichtweise entsprechend – 15 Republiken von dem Putsch durch das G ­ KTSCHP betroffen und geschädigt, nicht die russische Teilrepublik allein. Die Kräfteverschiebung zwischen G ­ orbatschow und Jelzin kam nach dem Putsch so nicht zuletzt in der Frage der Zuständigkeit über das Verfahren gegen das ­GKTSCHP zum Ausdruck. Aber auch an anderer Stelle zeigte sie sich: Selbst personelle Neubesetzungen in den jetzt noch instabiler gewordenen Zentralstrukturen konnte der geschwächte Sowjetpräsident nicht mehr ohne das Einverständnis des russischen Präsidenten verfügen. Es gibt Zweifel, ob eine strikte Trennung zwischen Exekutive und Judikative in dem Verfahren gegeben war. Der damalige russische Generalstaatsanwalt Stepankow räumte in einem Interview mit Radio Swoboda zwanzig Jahre nach dem Putsch ein, dass Jelzin laut dem Moskauer Oberbürgermeister Popow das höchstmögliche Strafmaß gewünscht hatte, allerdings nicht im Sinne eines tatsächlichen Vollzugs. Die Todesstrafe hätte verhängt werden sollen, damit Jelzin eine Begnadigung hätte aussprechen können, was ihm beim Volk das Bild eines gütigen und großzügigen Präsidenten eingetragen hätte.44 Darüber hinaus hätten die Putschisten ihm ab diesem Zeitpunkt ihr Leben zu verdanken gehabt. Aus dem Umfeld des russischen Präsidenten sei Stepankow gegenüber auch der Wunsch vorgetragen worden, das Verfahren schnell zum Abschluss zu bringen.45 Eine direkte Einflussnahme des Präsidenten oder seines Umfeldes im Sinne von inhaltlichen Vorgaben zu dem Strafverfahren verneinte S ­ tepankow allerdings.46 Die Ermittlungsphase dauerte vier Monate. Nach ihrer Beendigung im Januar 1992 erhob die russische Staatsanwaltschaft erstmals Anklage. Allerdings wurde die Anklage mehrfach geändert und lag erst im Dezember 1992 endgültig vor. Entsprechend der Strafprozessordnung bekamen die Angeklagten bzw. deren Anwälte die Anklageschrift zwecks juristischer Vorbereitung auf den Prozess ausgehändigt. Die wechselnden Anklagen hatten ihre Ursache nicht zuletzt in den juristischen Folgen, die durch den

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Untergang der Sowjetunion hervorgerufen worden waren. Überschattet war das Verfahren durch die Vorgehensweise der beiden leitenden Staatsanwälte. Während bis heute unklar geblieben ist, auf wessen Veranlassung im September 1991 die gefilmten Verhöre mit Krjutschkow, Jasow und Pawlow an die Presse gelangten und ob es politische oder finanzielle Motive dafür gab, veröffentlichten der russische Generalstaatsanwalt Stepankow und sein Stellvertreter Jewgeni Lisow am 26. August 1992 ihr Buch „­Kremlevskij zagovor“ mit einer Startauflage von 100.000 Exemplaren, das Auszüge aus den Vernehmungen mit den Beschuldigten enthielt. Dies wurde später nach Eröffnung des Prozesses vom Vorsitzenden Richter gerügt.47 Im Jahre 1992 bereiteten sich Anklage und Verteidigung auf ein Gerichtsverfahren vor, in dem es um einen nicht mehr existierenden Staat ging. Die russische Staatsanwaltschaft hatte aus Sicht der Angeklagten und ihrer Verteidiger nicht nur ein Legitimationsproblem, sondern objektiv auch erhebliche Probleme bei der Formulierung des Tatvorwurfs. Dieser wurde im Zeitraum von September 1991 bis Januar 1993 dreimal verändert. In dem juristischen Verfahren gegen die Putschisten spiegelten sich auch die inneren politischen Widersprüche wider, denen die Sowjetunion in der ersten Hälfte des Jahres 1991 ausgesetzt gewesen war. Der Tatvorwurf „Landesverrat“ oder im Russischen „Verrat der Heimat“, der im September 1991 formuliert worden war, konnte als alleinstehende Anklageformulierung kaum glaubhaft aufrechterhalten werden, weil das G ­ KTSCHP ja gerade für die Erhaltung der Sowjetunion eingetreten war und sie retten wollte. Die Staatsanwaltschaft warf den im November 1991 noch als Beschuldigte geltenden Untersuchungshäftlingen in einer zweiten Version vor, eine „Verschwörung mit dem Ziel der Machtergreifung“ 48 begangen zu haben. Da dieser Tatbestand im russischen Strafgesetzbuch so nicht vorhanden war, änderte die Staatsanwaltschaft diese Formulierung im August 1992 ein zweites Mal und stützte ihren Tatvorwurf nun auf Paragraph 64, Punkt A des Strafgesetzbuches der RSFSR. Den Angeklagten wurde nun „Landesverrat in Form einer Verschwörung mit dem Ziel der Machtergreifung“ zur Last gelegt.49 Die Staatsanwaltschaft ergänzte diesen Haupttatvorwurf um weitere Anklagepunkte wie zum Beispiel Amtsmissbrauch, die Gefährdung der staatlichen Sicherheit oder Verstöße gegen die Pressefreiheit. Auch für den Tod der drei jungen Männer auf dem Gartenring in der Nacht des 21. August wurden sie nun zur Verantwortung gezogen. Die Anklageschrift wurde schließlich am 8. Dezember 1992 fertiggestellt und unterschrieben.50 Bis dahin kann schwerlich von einer Verzögerungstaktik durch die

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Angeklagten, die ihnen teilweise unterstellt worden war, gesprochen werden. Die Beschuldigten bzw. Angeklagten wurden zwischen Dezember 1991 und Januar 1993 nach und nach entlassen, ein Teil von ihnen aus Krankheitsgründen, andere nach Fertigstellung der Anklageschrift.51 Alle waren somit schon 13 Monate vor der von der Staatsduma gewährten, am 23. Februar 1994 verabschiedeten Amnestie nicht mehr im Gefängnis. Der Prozess gegen das G ­ KTSCHP und seine wichtigsten Unterstützer begann am 14. April 1993. Er wurde nicht vor einem Zivilgericht geführt, sondern vor der Militärkammer des Obersten Gerichts Russlands, weil sieben der 14 Angeklagten Militärs waren oder einer militärischen Organisation wie dem KGB angehörten. Der Zeitpunkt des Prozessbeginns kann für die Angeklagten aus mehreren Gründen als vorteilhaft angesehen werden. Die Sowjetunion existierte seit 15 Monaten nicht mehr. Inzwischen hatte schon bei Teilen der Bevölkerung ein Bedauern über den Untergang der Sowjetunion eingesetzt, die ja gerade von dem Komitee gerettet werden sollte. Jelzin war zudem angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage für viele nicht mehr der Hoffnungsträger, als der er zwei Jahre zuvor gegolten hatte. Das Gerichtsverfahren, das eine Auseinandersetzung mit der Politik darstellte, stieß schon aus diesem Grund auf kein ausgeprägtes öffentliches Interesse. Das Land befand sich zudem in einem neuen Dauermachtkampf, diesmal zwischen dem Präsidenten und dem Obersten Sowjet. Für die Auseinandersetzung mit der jüngsten politischen Vergangenheit und mit dem untergegangenen Staat blieb wenig Raum. Für viele dürfte sich die Frage nach dem Nutzen des Prozesses gestellt haben. Meinungsumfragen zufolge sprach sich eine Mehrheit der Bevölkerung schon wenige Monate nach Beginn des Gerichtsverfahrens für dessen Einstellung und für die Freilassung der Angeklagten aus.52 Der Prozess war zudem gekennzeichnet durch eine Reihe von Unterbrechungen, die meist wegen der Erkrankung eines Angeklagten angeordnet wurden. Doch spielten weder dieser Umstand noch die von der Duma verfügte Amnestie im Februar 1994 die entscheidende Rolle für sein Scheitern. Das sichtliche Bemühen um ein rechtsstaatliches Verfahren stieß auf nicht überwundene juristische Strukturen der kommunistischen Ära und auf eine noch unterentwickelte Verinnerlichung des Prinzips der Gewaltenteilung und der richterlichen Unabhängigkeit. Dies führte zu verfahrenstechnischen Konflikten zwischen den Vertretern der Anklage, den Verteidigern sowie den Richtern selbst. Darin verwickelt wurde im laufenden Verfahren auch die Legislative. Somit rückte der eigentliche

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Verhandlungsgegenstand oft in den Hintergrund, was Fortschritte bei der Klärung der Schuldfrage in Zusammenhang mit den August-Ereignissen 1991 verhinderte. Die Verteidigung erkannte beispielsweise die Militärkammer nicht an, weil der russische Verteidigungsminister Gratschow der direkte Vorgesetzte des Vorsitzenden Richters Anatoli Ukolow war.53 Gratschow war jedoch nicht nur als Zeuge ein Verfahrensbeteiligter, sondern mittlerweile fest im Jelzin-Lager, das sich im August 1991 im Kampf mit den Angeklagten befunden hatte. Die Verteidigung erkannte das Gericht auch nicht an, weil sie der Meinung war, dass „nur eine sowjetische Instanz“ 54 den Fall verhandeln durfte oder aber alle Nachfolgestaaten der Sowjetunion beteiligt sein müssten. Schließlich lehnten die Anwälte auch die Vertreter der Anklage mehrfach wegen Befangenheit ab und begründeten dies mit der Veröffentlichung des Buches „Kremlevskij zagovor“. Was nun folgte, ist mit dem westlichen Justizverständnis nicht vereinbar: Der Vorsitzende Richter erteilte den betroffenen Staatsanwälten zwar eine Rüge, traf aber keine Entscheidung, sondern unterbrach den Prozess und bat den Obersten Sowjet um eine Klärung dieser Frage. Das Parlament aber wollte sich mit dem Hinweis auf die Gewaltenteilung nicht damit befassen.55 Andererseits war es gerade der Oberste Sowjet gewesen, der der Militärstrafkammer den Fall übertragen hatte.56 Schließlich ließen noch zwei Ereignisse an einem im westlichen Sinne ordentlichen Verfahren erhebliche Zweifel aufkommen. Am 12. Oktober 1993 – eine Woche nach dem Beschuss des russischen Parlaments durch das jelzintreue Militär – gab das Militärkollegium, welches das Verfahren gegen die Putschisten von 1991 leitete, bekannt, dass der russische Präsident nicht in dem Prozess aussagen müsse.57 Damit drohte das Verfahren zu einer Farce zu werden, wenn einer der Hauptzeugen nicht vor Gericht erscheinen brauchte. Ferner stieß die Tatsache, dass es zwei Angeklagten ermöglicht wurde, sich am 12. Dezember 1993 in das neue russische Parlament wählen zu lassen, auf Verwunderung. Lukjanow und Starodubzew beriefen sich fortan auf ihre Immunität und respektierten das Gericht kaum noch.58 In dem rund zehn Monate währenden Prozess kam es kaum zu Beweisaufnahmen oder Aussagen der Angeklagten. Lediglich Krjutschkow, Jasow und Schenin trugen dem Gericht ihren Standpunkt vor. Während des Auftritts Warennikows erreichte die Militärkammer die Nachricht, dass die Staatsduma eine Amnestie zugunsten der Angeklagten vom August 1991 und der inzwischen hinzugekommenen Beschuldigten des gewaltsamen

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Machtkampfes vom Oktober 1993 verabschiedet hatte.59 Neben der ineffektiven Verfahrensführung, die sich aus den strukturellen juristischen Widersprüchen eines Justizsystems ergab, das sich demokratischen Umwälzungen ausgesetzt sah, bewirkte vor allem der viele Todesopfer zählende Machtkampf zwischen Jelzin und dem Parlament im Oktober 1993, dass der Gerichtsprozess – infolge der von der Duma verabschiedeten Amnestie – ergebnislos endete.

Die Amnestie und die gesellschaftliche Rehabilitierung Zunächst sei auf den Begriff „Amnestie“ eingegangen, der sich im Zusammenhang mit der Entlassung der Putschisten aus ihrer juristischen Verantwortung und der Gewährung ihrer vollen Freiheit nach einem entsprechenden Beschluss der Staatsduma im Februar 1994 durchgesetzt hat.60 Theodor Schweisfuhrt weist darauf hin, dass es sich bei einer Amnestie wie auch bei einer Begnadigung um einen Straferlass handelt. Gemeinsam ist beiden Begriffen, „dass sie sich […] auf schon rechtskräftige Strafen beziehen; nur dann handelt es sich um eine ‚echte‘ Amnestie. Wird durch eine ‚Amnestie‘ hingegen ein allgemeiner Straferlass für noch nicht abgeurteilte Delikte beschlossen, spricht man von einer (generellen) Abolition. […] Für eine Abolition ist in Verfassungsstaaten ein Gesetzesbeschluss erforderlich.“ 61 Dieser lag bei der Entscheidung der Duma nicht vor. Somit wäre der Parlamentsbeschluss juristisch anfechtbar gewesen. Ob es zulässig ist, im Zusammenhang mit der Beendigung der Strafverfolgung der Putschisten den Begriff der Amnestie zu verwenden, kann hier nicht weiter vertieft werden, es sollte lediglich darauf hingewiesen werden, dass der Terminus in einem streng juristischen Kontext die Erfüllung bestimmter Kriterien voraussetzt. Ein solcher Kontext ist hier aber nicht gegeben, weshalb an dieser Stelle weiterhin auf den Begriff Amnestie zurückgegriffen wird, wie er auch im historischen Diskurs und in der journalistischen Publizistik im Zusammenhang mit dem Duma-Beschluss vom Februar 1994 gebraucht wurde und wird. Die politischen Umstände und Ursachen für die erfolgte Amnestie sollen im Folgenden skizziert werden. Im Spätsommer und Herbst 1991 war es aufgrund der politischen Stimmung im Land, die auf eine Zerstörung kommunistischer Strukturen ausgerichtet war und dabei auch die KP-Vertreter politisch nicht schonte, nahezu unmöglich gewesen, ein Ende der Strafverfolgung der Putschisten sowie ihre Freilassung auch nur vorzuschlagen. Die Mitglieder des G ­ KTSCHP und ihre Unterstützer wurden häufig dämonisiert oder erniedrigt und

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verspottet, und dies sowohl von Vertretern des siegreichen politischen Lagers Jelzins als auch in den sowjetischen und russischen Medien. In einem Fall, der eine große Öffentlichkeit erfuhr, wurde dabei auch der zu diesem Zeitpunkt bereits tote Boris Pugo in den Spott einbezogen. Für den „Hochverrat“ wurde nicht selten die juristische Höchststrafe für dieses Delikt gefordert – die Todesstrafe.62 Dies war die Ausgangslage. Es waren drei Hauptfaktoren, die innerhalb von nur zwei Jahren (Ende 1991 bis Ende 1993) einen vergleichsweise radikalen politischen Umschwung zugunsten der Putschisten bewirkten: 1 Die große Ernüchterung und Enttäuschung, die sich im neuen Russland Jelzins nach dem Untergang der UdSSR breitmachte. Viele Bürger lebten nach dem Übergang zur Marktwirtschaft und dem Beginn der Privatisierungen des Staatsvermögens am Rande des Existenzminimums. Die 1991 formulierten Ziele und Befürchtungen der Putschisten erschienen nun für viele keineswegs mehr so abwegig. 2 Der neue innenpolitische Machtkampf im Herbst 1993, der diesmal tatsächlich mit dem Beschuss des Weißen Hauses einen tragischen Höhepunkt erreichte, war um ein Vielfaches brutaler als der Konflikt 1991 und relativierte diesen durch die rund 150 Todesopfer – wenn er ihn dadurch nicht sogar verharmloste und die Putschisten „entdämonisierte“. Allein die – zudem äußerst vagen – Planungen des ­GKTSCHP im August 1991, den Obersten Sowjet zu stürmen, hatten Jelzin eine enorme politische und moralische Angriffsfläche gegenüber den Putschisten eröffnet. Da er nun den Weg äußerster Gewalt gegangen war – wenn auch unter anderen Vorzeichen –, wurde ihm und seinen Anhängern jegliche moralische Grundlage für Vorhaltungen gegenüber den Putschisten von 1991 – zumindest was deren Absichten betraf, das Weiße Haus zu stürmen – entzogen. 3 Die russische Verfassungskrise mündete am 12. Dezember 1993 in der Wahl einer Duma und in einem Referendum über eine neue Verfassung. Die große Enttäuschung weiter Teile der Bevölkerung über die bisherige Regierungszeit Jelzins verhalf den Nationalisten und den politisch wieder zugelassenen Kommunisten zu einem veritablen Wahlerfolg. Mit den Mehrheitsverhältnissen in dem neuen Parlament waren die Voraussetzungen für die Verabschiedung einer Amnestie geschaffen. „Zur großen Enttäuschung“ Jelzins hatten die demokratischen Kräfte keinen klaren Sieg errungen; die verbalradikale und nationalistische Partei von Wladimir Schirinowski erhielt 55 Mandate63 und wurde zweitstärkste Einzelfraktion in der politisch weitgefächerten Duma mit insgesamt 450 Abgeordneten.

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Vor dem Hintergrund dieser drei Faktoren stellte Schirinowski am 17. Februar 1994 in der Duma den Antrag auf Gewährung einer Amnestie – sowohl für die Putschisten von 1991 als auch für die Anführer der Rebellion im Oktober 1993. Die erforderliche absolute Mehrheit wurde mit 200 von 223 benötigten Stimmen verfehlt. Nur 75 Parlamentarier stimmten dagegen, viele andere waren nicht anwesend.64 Im zweiten Anlauf am 23. ­Februar bekamen die Befürworter dann 252 Stimmen, 67 votierten gegen die Amnestie und 28 Abgeordnete enthielten sich.65 Es ist bemerkenswert, dass Jelzin, der die Entscheidung zwar missbilligte, schon kurz danach alle politischen Kräfte zur Annahme eines „Memorandums über den zivilen Frieden“ 66 aufrief. ­Gorbatschow zeigte sich überzeugt, dass Jelzin mit der Amnestie einverstanden war, auch weil er sie in einer anschließenden Parlamentsrede, der sogenannten Botschaft an die Nation, nicht erwähnte.67 Was ihn selbst betraf, gab G ­ orbatschow bekannt, dass er die Duma-Entscheidung akzeptiere, „obwohl […] das Komitee für den Ausnahmezustand einen nicht wieder gutzumachenden Schaden für das Land und für mich persönlich angerichtet hat.“ 68 Für die These einer Billigung durch den russischen Präsidenten spricht vor allem auch, dass die Partei für Nationale Einheit und Eintracht unter der Führung des Jelzin-Verbündeten Sergej Schachraj für die Amnestie gestimmt hatte.69 Viele Jahre nach dem August-Putsch nannte ­Gorbatschow das Motiv, das Jelzin 1994 seiner Meinung nach gehabt hatte. Es sei dem russischen Präsidenten darum gegangen, über die Oktober-Ereignisse 1993 den Mantel des politischen und juristischen Schweigens zu hüllen. Es sei sozusagen ein politisches Geschäft gewesen.70 Es spricht sehr viel dafür, dass der Beschuss des Weißen Hauses, den Jelzin befohlen hatte, entscheidend für das Zustandekommen der Amnestie war. Die rund 150 Toten dürften im Bewusstsein Jelzins ihre Spuren hinterlassen haben, auch wenn dadurch keine Aussage darüber impliziert werden soll, ob ihn eine politische, juristische oder moralische Schuld oder Teilschuld an dem Blutvergießen trifft. Jedenfalls war Jelzin, der in der Regel einem Konflikt mit der Duma nie auswich und für seine Positionen oft mit großer Ausdauer stritt, in diesem Fall auffallend zurückhaltend geblieben. General Warennikow, einer der erbittertsten Gegner G ­ orbatschows, sah wie dieser die Gewährung der Amnestie motiviert durch den Wunsch des Jelzin-Lagers, eine politische und juristische Aufarbeitung der Oktober-Ereignisse von 1993 zu beenden. Denn mit dem Duma-Beschluss stellte auch die parlamentarische „Kommission zur Untersuchung der Ereignisse zwischen dem 21. September und

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4. Oktober 1993“ ihre Arbeit ein. All dies sei geschehen, so Warennikow, „damit Jelzin alle Spuren seines Oktober-Verbrechens verwischen konnte.“ Die Beendigung dieser Untersuchung sei vor allem für die Angehörigen der unschuldig zu Tode gekommenen Opfer schwer verständlich gewesen.71 Warennikow war der einzige der zwölf wegen des August-Putsches Angeklagten, der die Amnestie ablehnte und auf einem Verfahren bestand, in dem seine Rolle in den Ereignissen von 1991 untersucht und bewertet werden sollte. Dieser Prozess, der wieder vor der Militärkammer des Obersten Gerichts Russland geführt wurde, endete am 11. August 1994 mit einem Freispruch. Die Richter begründeten ihre Entscheidung unter anderem damit, dass Warennikow sich mit seinem Handeln für den Erhalt der Sowjetunion eingesetzt habe und kein Gesetzesverstoß festgestellt werden konnte.72 Dieses höchst fragwürdige Urteil, das übersah, dass die Verhängung des Ausnahmezustandes nicht rechtmäßig erfolgt war, Warennikow an der Planung der Erstürmung des Weißen Hauses beteiligt gewesen war und er nachweislich per Fernschreiben von Kiew aus die „Liquidierung“ der Gruppe um Jelzin gefordert hatte, dürfte der Rechtskultur Russlands und dem Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen sehr abträglich gewesen sein. Eine Sympathie für den hochdekorierten Weltkriegskämpfer und Helden der Sowjetunion seitens der mit dem Verfahren befassten Militärkammer kann unterstellt, aber nicht bewiesen werden. In den beiden triumphierenden Schlusssätzen seines Buches behauptet Warennikow: „Am Ende kam alles an seinen Platz. Faktisch wurde nicht nur ich persönlich freigesprochen, sondern alle, die sich im G ­ KTSCHP-Prozess verantworten muss73 ten.“  Der Freispruch durch die Militärkammer wurde von den übrigen Putschisten, deren Anhängern und Sympathisanten erwartungsgemäß instrumentalisiert. Eine Berufung gegen das Urteil durch die Generalstaatsanwaltschaft wies das Präsidium des Obersten Gerichts der Russischen Föderation am 3. ­Februar 1995 ab.74 Das Urteil war nun rechtskräftig; von ihm ging das Signal aus, der Putsch 1991 und die faktische Entmachtung ­Gorbatschows seien nicht nur keine schweren Gesetzesbrüche, sondern überhaupt nicht strafbar gewesen. Andererseits kann nicht geleugnet werden, dass die Putschisten grundsätzlich für den Erhalt der bestehenden und gültigen Verfassung kämpften – diesen Kampf allerdings mit illegalen Methoden und unter Inkaufnahme von eigenen Gesetzes- und Verfassungsverstößen führten. Es war jedoch nicht die Amnestie, die den Putschisten von 1991 die Möglichkeit für eine gesellschaftliche Rehabilitierung eröffnete. Schon nach ihrer

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unter Auflage erfolgten Freilassung im Januar 1993 (und früher) kehrten viele von ihnen ins politische Leben zurück, in dem sie soziale und politische Protestkundgebungen gegen die Jelzin-Führung anführten, beispielsweise am Tag der Armee am 23. Februar oder am traditionellen 1.-Mai-Feiertag. Sie nahmen auch an der Neugründung der Kommunistischen Partei teil, unter ihnen Krjutschkow, Schenin, Baklanow, Janajew und Lukjanow.75 Am 29. März 1993, zwei Wochen vor Prozessbeginn, wurde Oleg Schenin zum Vorsitzenden der Union Kommunistischer Parteien / KPdSU gewählt. Auf dem Gründungskongress hatten sich 416 Delegierte aus dreizehn ehemaligen Sowjetrepubliken versammelt. Das erklärte Ziel der Partei war „die Restauration der Sowjetunion, des Sozialismus und der Sowjetmacht auf dem gesamten Gebiet der früheren UdSSR.“ 76 Das zunehmende Selbstbewusstsein der Putschisten und ihre neuen Möglichkeiten, ihre Sichtweise auf die Ereignisse darzustellen, trugen mit zum Wandel der öffentlichen Meinung in der Bewertung der August-Ereignisse 1991 bei. Nachfolgend werden die Biographien der G ­ KTSCHP-Mitglieder und ihrer Unterstützer nach der Amnestie kurz skizziert.77 Gennadi Janajew, geboren am 26. August 1937, strebte keine Rückkehr in die Politik mehr an. Er engagierte sich im Komitee für Veteranen und Invalide und arbeitete zuletzt an der Russischen Internationalen Akademie für Tourismus als leitender Dozent für Russische Geschichte und Internationale Beziehungen. Am 24. September 2010 erlag er einem Lungenkrebsleiden. Der Publizist Sergej Gromow überredete Janajew im Mai 2010, mithilfe eines Diktiergerätes ein Buch über das G ­ KTSCHP zu 78 schreiben. Nach anfänglichem Zögern willigte Janajew ein und stellte seine Erinnerungen kurz vor seinem Tod fertig. Anatoli Lukjanow, geboren am 7. Mai 1930, wurde 1993 in die Staatsduma gewählt, gewann bei den Parlamentswahlen 1995 ein Direktmandat für die Kommunisten und zog 1999 ein drittes Mal in die Duma ein. Ab 2004 lehrte er als Professor für Verfassungs- und Kommunalrecht an der staatlichen Lomonossow-Universität in Moskau. Gesellschaftlich völlig rehabilitiert, veröffentlichte er 2010 seine Erinnerungen. Wladimir Krjutschkow, geboren am 29. Februar 1924, zog sich als Pensionär weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück. Er beriet Wladimir Putin, nachdem dieser im Juli 1998 Chef des russischen Geheimdienstes (FSB ) geworden war. Im Jahre 2000 war er zu dessen Amtseinführung als russischer Präsident in den Kreml geladen. Krjutschkow schrieb vier Bücher, darunter „Na kraju propasti“, das hauptsächlich den Putsch zum

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Gegenstand hat. Es wurde 2003 veröffentlicht. Krjutschkow starb am 23. November 2007. Dmitri Jasow, geboren am 8. November 1924, kehrte noch in der Jelzin-­ Ära als Berater ins Verteidigungsministerium Russlands zurück. 1998 berief ihn Verteidigungsminister Igor Sergejew auf diesen Posten. Jasow wurde der Abteilung Internationale Zusammenarbeit zugeordnet.79 1999 veröffentlichte er seine Memoiren. Jasow hat bis heute (Anfang Januar 2014) ein Büro im Verteidigungsministerium.80 Da das russische Verteidigungsministerium und der Generalstab in den Gebäuden des 1991 aufgelösten sowjetischen Ministeriums eingerichtet wurden, kehrte Jasow somit an einen Arbeitsplatz nur wenige Schritte von seinem alten Büro entfernt zurück. Er bekleidet heute den Posten eines führenden Analytikers in der Abteilung der General­inspektoren des Verteidigungsministeriums. Zu seinem 80. Geburtstag im Jahre 2004 wurde er von Präsident Putin geehrt. Valentin Pawlow, geboren am 26. September 1937, veröffentlichte 1993 seine Darstellung des Putsches. Zwischen 1994 und 1997 war er im Banken­ sektor in leitender und dann in beratender Funktion tätig. Anschließend arbeitete er in verschiedenen Wirtschaftsinstituten. Im Januar 2003 erörterte er die Möglichkeiten, an der Duma-Wahl teilzunehmen, die am Ende jenes Jahres stattfand. Rund drei Wochen nach einem schweren Schlaganfall starb Pawlow am 30. März 2003. Oleg Baklanow, geboren am 17. März 1932, kehrte zurück in sein Fachgebiet der Militär- und Raumfahrttechnik. Er wurde Vorsitzender des Direktoriums von Rosobschtschemasch, eines führenden Unternehmens dieser Branche. Er steht ferner einem russisch-ukrainischen Freundschaftsverband vor. Mitte 2012 stellte er seine zweibändigen Memoiren fertig mit dem Titel „Kosmos – moja sud’ ba“ („Das Weltall – mein Schicksal.“) Oleg Schenin, geboren am 22. Juli 1937, kehrte in die Politik zurück. Als Vorsitzender der 1993 gegründeten Parteienvereinigung „SKP  – KPSS “ („Union der Kommunistischen Parteien – Kommunistische Partei der Sowjetunion“) und Führungsmitglied der KP Russlands spielte er bis 2001 eine wichtige Rolle im politischen Lager der Kommunisten. Die Rivalität mit dem russischen KP-Chef Gennadi Sjuganow führte zum Bruch Schenins mit der KP Russlands. Der Vorsitz der SKP-KPSS ging 2001 auf Sjuganow über. Schenin gründete eine eigene kommunistische Partei und gab sogar seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl in Russland für 2008 bekannt. Die zentrale Wahlkommission verweigerte ihm allerdings die Zulassung mit der absurden Begründung, er habe die erforderlichen

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Dokumente seines Arbeitgebers nicht vorgelegt. Schenin war zum Zeitpunkt des Antrags 70 Jahre alt und damit längst Pensionär. Er starb am 28. Mai 2009. Valentin Warennikow, geboren am 15. Dezember 1923, wurde 1995 als Mitglied der KP Russlands in die Duma gewählt. Dort leitete er den Ausschuss für Veteranen. 2002 veröffentlichte er ein sieben Bände umfassendes Werk, das sich, vermischt mit autobiographischen Elementen, mit der sowjetischen und russischen Geschichte befasst. Ausführlich ging der General darin auch auf das ­GKTSCHP und dessen Entscheidungsabläufe ein. 2003 trat er dem linksnationalistischen Parteienblock Rodina bei und wurde wieder in die Duma gewählt. Er war bis zu seinem Lebensende ein Anhänger und Verteidiger Stalins.81Am 6. Mai 2009 starb Warennikow. Alexander Tisjakow, geboren am 10. Dezember 1926, zog sich zunächst eine Zeitlang aus dem öffentlichen Leben zurück. Er ist Mitglied der KP Russlands und war ab 2000 Mitbegründer verschiedener Firmen. Auch im hohen Alter arbeitet er noch als Geschäftsmann. Wassili Starodubzew, geboren am 25. Dezember 1931, wurde 1993 in den Föderationsrat (die obere Kammer des Parlaments) gewählt und blieb dort bis 2001 Mitglied. Starodubzew hatte sich der neu gegründeten KP Russlands angeschlossen. Den höchsten politischen Posten unter allen Putschisten erreichte er mit seiner Wahl zum Gouverneur der Region Tula im Jahre 1997. Aus diesem Amt schied er 2005 regulär und im Alter von 74 Jahren aus. 2007 und sogar 2011 wurde er nochmals in die Staatsduma gewählt. Starodubzew starb am 30. Dezember 2011. Valeri Boldin, geboren am 7. September 1935, arbeitete ab 1994 als Berater des Chefs der Bank Neftjanoj. Diese Position hatte der ehemalige Leiter des sowjetischen Präsidialamts bis zu seinem Tod inne. Boldin starb am 14. Februar 2006. Wladislaw Atschalow, geboren am 13. November 1945, wurde im August 1992 Leiter des analytischen Zentrums beim Vorsitzenden des Obersten Sowjets Russlands Ruslan Chasbulatow. Beide standen sich ein Jahr zuvor während des Putsches noch in zwei feindlichen politischen Lagern gegenüber. Atschalow unterstützte den Aufstand gegen Jelzin und war unter einer politischen Führung des am 21. September 1993 vom Obersten Sowjet ernannten Präsidenten Ruzkoj als Verteidigungsminister Russlands vorgesehen. Nach dem Beschuss des Parlamentsgebäudes und dem neuen Sieg Jelzins wurde Atschalow verhaftet und blieb bis zur Amnestie im Februar 1994 im Gefängnis „Matrosskaja Tischina“ in Haft. Dies

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diskreditierte ihn offensichtlich nicht, denn 1995 wurde er Mitbegründer der Allrussischen Offiziersvereinigung und 2003 Vorsitzender des Bundes der Veteranen der Luftlandetruppen Russlands. Er war ferner militärischer Berater des irakischen Herrschers Saddam Hussein. 2006 veröffentlichte er seine Memoiren, die 2010 in einer ergänzten Neufassung erschienen. Atschalow starb am 23. Juni 2011. Juri Plechanow, geboren am 20.  Mai 1930, wurden auf Weisung ­Gorbatschows alle Verdienstorden und Auszeichnungen aberkannt sowie auch seine materiellen Versorgungsansprüche reduziert. Der ehemalige Chef derjenigen KGB-Abteilung, die für die Sicherheit des Präsidenten zuständig war, ging nach seiner Freilassung in den Ruhestand. Präsident Putin verfügte kurz vor Plechanows Tod am 10. Juli 2002, dass ihm die Auszeichnungen und Orden wieder zuerkannt wurden. Wjatscheslaw Generalow, geboren am 6. Januar 1946, arbeitete nach seiner Freilassung kurz als Firmenberater, bevor er in den Ruhestand ging. Geni Agejew, geboren am 30. Oktober 1929, wurde aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes nicht angeklagt. Er starb am 11. Januar 1994. Viktor Gruschko, geboren am 10. Juli 1930, wurde ebenfalls aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes nicht angeklagt. 1997 veröffentlichte er seine Memoiren „Sud’ba razvedčika“. Sein Sohn Alexander wurde 2005 stellvertretender Außenminister Russlands und ist seit 2012 der Vertreter Russlands bei der NATO. Viktor Gruschko war als Auslandsgeheimdienstchef Vorgesetzter des späteren Präsidenten Putin. Auf der Homepage dieses Dienstes (SVR) wird Viktor Gruschko bis heute Hochachtung gezollt. Zu seinen Untergebenen gehörte von späteren hohen Funktionsträgern im Staat auch Sergej Iwanow, der Verteidigungsminister Russlands war und gegenwärtig (2013) Leiter des Präsidialamtes von Wladimir Putin ist. Viktor Gruschko starb am 20. November 2001. Die Lebensläufe der ­G KTSCHP -Mitglieder und ihrer Unterstützer ab den Jahren 1993 und 1994 belegen, dass die ehemaligen und zum Teil hohen staatlichen Funktionsträger nicht nur rasch gesellschaftlich rehabilitiert wurden, sondern auch, dass einige von ihnen weiter beruflich aufsteigen konnten. Die abgebrochene juristische Aufarbeitung des Putsches und der fragwürdige Freispruch Warennikows durch eine Militärkammer, der das einzige Urteil in dem Gesamtverfahren darstellte, wurde in der politisch-historischen Auseinandersetzung zugunsten der Putschisten eingesetzt. Die Rehabilitierung wurde zudem durch den neue Präsidenten Putin begünstigt, der den Zusammenbruch der UdSSR in seiner Rede

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an die Nation im Jahre 2005 als größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnete. Damit liegt er grundsätzlich auf der politischen Linie der Putschisten. In seiner ersten Amtszeit äußerte Putin auch den einprägsamen Satz, dessen Urheberschaft nicht auszumachen war: „Wer den Zusammenbruch der Sowjetunion nicht bedauert, hat kein Herz, wer sie aber wiederherstellen will, keinen Verstand.“ 82 Durch die genannten Faktoren wurden und werden in Russland die Einordnung und Bewertung des August-Putsches erschwert.83

7.2 Der Putsch als Katalysator für den Untergang der KPdSU und UdSSR Die Erstreaktionen der Republiken und des Auslandes auf die Macht­ über­nahme durch das G ­ KTSCHP ließen den Schluss zu, dass bei einem stringenteren Vorgehen der Putschisten deren Sieg möglich gewesen und geduldet worden wäre. Die Putschisten selbst vertreten die These, bei einem härteren Vorgehen wäre das Sowjetsystem zu erhalten gewesen. Diese Sichtweise lässt allerdings das fortgeschrittene Stadium des Zerfalls der UdSSR , das Maß der Diskreditierung der KP dSU und das durch die Perestrojka geweckte Freiheitsbewusstsein weiter Teile der Bevölkerung zum Zeitpunkt des Putsches außer Acht. Auch ­Gorbatschows Unionsvertrag war am Vorabend des Putsches ein unsicheres Konstrukt geblieben – und der KP dSU drohte seit der ZK -Sitzung im Juli 1991 nicht nur eine Spaltung in einen konservativen und einen sozialdemokratischen Flügel, sondern durch Jelzins Parteizellenverbot eine weitere Schwächung. Die fehlende Bereitschaft ihres Generalsekretärs schon kurz vor dem Putsch, die weitere Machterosion der Partei aufzuhalten, untermauert die hier vertretene These, dass die Ereignisse im August 1991 für den Untergang von KP dSU und UdSSR ausschlaggebend, aber nicht ursächlich war. Der Putsch wurde von Jelzin rücksichtslos dazu benutzt, die Partei und das System gänzlich zu demontieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der KP dSU nicht um eine Partei im eigentlichen Sinne handelte, sondern um eine Staatsorganisation, auf der die Sowjetunion basierte. Es bleibt allerdings schwierig einzuordnen und zu bewerten, inwieweit Jelzins parteizerstörerische Schritte nach dem Putsch politisch und inwieweit sie persönlich motiviert waren. Es war noch keine vier

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Jahre her, dass er eben von dieser Partei persönlich gedemütigt worden war, nachdem er im Oktober 1987 Kritik unter anderem am Gang der Perestrojka geübt hatte. Als Putschsieger nahm er sich das Recht, die Tätigkeit der KP auf dem Territorium Russlands zu suspendieren. Dies tat er auf der Sondersitzung des Obersten Sowjets am 23. August 1991. Während die Ausschaltung der KPdSU als politische Kraft primär von Jelzin abhing und betrieben wurde, lag das weitere Schicksal der UdSSR in den Händen aller Republiken. Der Putsch löste eine Welle von Unabhängigkeitserklärungen aus, welche die in der Vergangenheit weniger bedeutsamen Souveränitätserklärungen ergänzten bzw. in ihrer Aussage ablösten. Der Putsch bewirkte ferner, dass der in Nowo-Ogarewo ausgehandelte Unionsvertrag keine Aussichten auf eine Unterzeichnung mehr hatte. Janajew, Krjutschkow und andere Putschisten lehnten später die Verantwortung für den Untergang der UdSSR allerdings kategorisch ab. Bei einer Auslegung des Vertrags als Mittel, die Union zu erhalten – wie ­Gorbatschow es tat und bis heute tut –, fragt Janajew in seinen Erinnerungen: „Wer hat seiner Unterzeichnung im September oder Oktober [1991] im Wege gestanden? Und warum wurde er eigentlich nicht schon Ende August unterschrieben? Wir ‚Putschisten‘ befanden uns doch in unseren Gefängniszellen.“ 84 Diese Fragestellung zielt auf die Kernfrage nach der Bedeutung des Putsches für das Schicksal der Sowjetunion ab. Eine von drei Antworten darauf ist, dass die zentrifugalen Kräfte, die bis dahin durch ungewollte Kompromisse unterdrückt worden waren, durch den Putsch und seinen Verlauf stärker offengelegt wurden. Ein starker Beleg dafür ist, dass der Unionsvertrag schon vor dem 20. August von der entscheidenden Republik Russland eher widerwillig und von der zweitwichtigsten – der Ukraine – noch gar nicht angenommen worden war. Der Putsch und sein Scheitern waren ein willkommener Anlass für diese unionsskeptischen Republiken, endlich die eigenen Vorstellungen offensiver zu artikulieren. Zweitens hatte der Putsch die Zentralregierung und ihre Strukturen nachhaltig diskreditiert. Dass es eines Republikführers bedurfte, der als Korrektiv in dieser bedrohlichen Situation einschritt und als Sieger über die Zentrale hervorging, entzog dieser zunehmend die Legitimation. Drittens wurde den Republiken durch den Putsch illustriert, dass eine echte Gefahr für sie von der Zentrale ausgehen konnte. Um sich vor einer wenn auch höchst unwahrscheinlich gewordenen Wiederholungsgefahr zu schützen, blieb jetzt nur, durch den Aufbau von größerer

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Distanz und ein stärker betontes Eigeninteresse gegenüber der Zentrale mehr Sicherheit zu schaffen. Die Unabhängigkeitserklärungen der Republiken nach dem Putsch sollten die unumkehrbare Emanzipation von der Moskauer Zentrale zum Ausdruck bringen und eine präventive Maßnahme gegen einen nicht ganz auszuschließenden neuen Disziplinierungsversuch darstellen.

29  Machtdemonstration Jelzins: Im Obersten Sowjet Russlands führt er den sowjetischen Präsidenten Gorbatschow vor, demütigt ihn. © AFP /PIKO

Der Putsch als Katalysator für den Untergang der KPdSU und UdSSR

Jelzins faktische Entmachtung ­Gorbatschows nach dem Putsch Weltberühmt sind die Bilder vom 23. August 1991 im Obersten Sowjet Russlands, wo Jelzin zu ­Gorbatschow ans Rednerpult ging und ihn im Befehlston aufforderte, ein Dokument vorzulesen. In ihnen spiegelt sich das Machtverhältnis zwischen der Sowjetunion und Russland, zwischen ­Gorbatschow und Jelzin nach dem Putsch. Das Protokoll der Sitzung des sowjetischen Kabinetts vom 19. August hatte Jelzin ihm vorher gegeben und es lag – von G ­ orbatschow noch ungelesen – auf dem Rednerpult. Dieses Dokument des angeblich völligen Verrats wollte Jelzin unbedingt vorgetragen wissen, denn es hätte G ­ orbatschow politisch weiter geschwächt. Nachdem der sowjetische Präsident auf einige Aufforderungen Jelzins vom Tisch der Sitzungsleitung mit dem Hinweis reagierte, er werde es noch vorlesen, wurde Jelzin ungeduldig. Er stand auf und ging nach vorn zum Rednerpult. Allein das war schon für sich genommen eine Demütigung des sowjetischen Präsidenten, die live im Fernsehen gezeigt wurde. Jelzin fing an, nach dem Dokument zu greifen, ­Gorbatschow machte vorsichtig-abwehrende Bewegungen, sagte noch: „Nein, nein, nein.“ Dann nahm er das Papier selbst in die Hand und begann mit den Worten: „Boris Nikolajewitsch hat mir, als wir uns vorhin trafen, eine kurze Zusammenfassung der Kabinettsitzung gegeben. Ich habe sie aber noch nicht gelesen.“ Daraufhin befahl Jelzin ihm, mit dem Zeigefinger gestikulierend: „Dann lesen Sie sie jetzt!“ Die Abgeordneten reagierten belustigt und applaudierten; Jelzin ging mit einem Lächeln zurück an seinen Platz und ließ ­Gorbatschow sprachlos und konsterniert zurück. Jelzins erste Demonstration seiner neuen Macht erfolgte allerdings schon vor der Rückkehr ­Gorbatschows aus Foros. Am 21. August abends verfügte der russische Präsident in Überschreitung seiner Kompetenzen, dass das sowjetische Fernsehen und der Hörfunk unter die russische Rechtshoheit gestellt werden. Diesem Dekret folgte die erste Personalentscheidung, mit der er ebenfalls seine Befugnisse überschritt. Er entließ den sowjetischen Fernsehchef Krawtschenko.85 Diesem wurde die Mitteilung persönlich überbracht durch den russischen Presse- und Informationsminister P ­ oltoranin.86 Poltoranin schreibt in seinen Memoiren sogar, dass Jelzin ihm den Posten des Fernsehchefs angeboten, er aber abgelehnt habe mit Hinweis auf die Unvereinbarkeit dieses Vorschlags mit seinem Amt als Minister.87 Krawtschenko hat nach eigener Darstellung gegenüber Poltoranin heftig und laut gegen seine Absetzung protestiert: „Nicht Jelzin hat mich ernannt […]; er hat daher auch kein Recht, mich von meinem Amt zu entbinden.

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Das Recht dazu hat nur ­Gorbatschow.“ 88 Dieser unternahm jedoch nichts, bestätigte später nur das Dekret Jelzins. ­Gorbatschow war nicht nur politisch geschwächt, sondern faktisch entmachtet, weil er keine bedeutenden Entscheidungen mehr ohne ­Jelzin treffen konnte bzw. teilweise sogar zusehen musste, wie dieser sie traf. J­ elzin unternahm weitere massive Eingriffe in den Kompetenzbereich des Unions­ präsidenten durch wichtige Personalentscheidungen. G ­ orbatschow hatte am 22. August den sowjetischen Generalstabchef Michail Moissejew zum Nachfolger von Verteidigungsminister Jasow ernannt, Leonid S ­ cherbaschin zum neuen KGB -Chef und Wassili Truschin zum Innenminister. Am 23. August trafen sich G ­ orbatschow und Jelzin vor der für G ­ orbatschow verheerenden Sitzung des Obersten Sowjets Russlands zu einem Gespräch, bei dem Personalfragen der Unionsführung besprochen wurden.89 Die drei Personalentscheidungen hatten keinen Bestand; auf Wunsch oder auf Druck von Jelzin wurde Moissejew nach nur einem Tag im Amt durch Jewgeni Schaposchnikow abgelöst. Neuer KGB-Chef wurde der als liberal geltende Wadim Bakatin.90 Schließlich durfte auch der tags zuvor ernannte Innenminister Truschin nicht bleiben. Er wurde durch Viktor B ­ arannikow ersetzt, der zuvor russischer Innenminister war. G ­ orbatschow erwähnt diese aussagekräftigen Personalentscheidungen vom 22. und 23. August 1991 in seinen Memoiren nicht, beklagt lediglich, dass Schaposchnikow und Barannikow ihm gegenüber mangelnde Loyalität erwiesen, weil sie ihn nicht über die Pläne zur Bildung der Union zwischen Russland, der Ukraine und Belarus Anfang Dezember 1991 informiert hätten.91 Eine weitere machtpolitische Bloßstellung fügte Jelzin G ­ orbatschow zu, indem er die Neubesetzungen als Erster öffentlich bekannt gab.92 Zudem war es auch Jelzin, der als Erster verkündete, dass Lukjanow als Vorsitzender des Obersten Sowjets der UdSSR abgelöst werde.93 Nach dem Putsch waren es nicht nur die innenpolitischen Machtverschiebungen, die Jelzins Selbstbewusstsein gestärkt haben. Erst jetzt bekam er von westlichen Staaten offizielle Besuchseinladungen, darunter auch von Deutschland, wohin er im November 1991 reiste.94 Der Vorsitzende der christlich-konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament schlug Jelzin auf einer Sondersitzung in Brüssel am 22. August 1991 sogar für den Friedensnobelpreis vor.95 Nahezu unwürdig angesichts der großen politischen Leistungen ­Gorbatschows für die Welt, plädierte Grigori Rewenko, der Nachfolger des inhaftierten Präsidialamtschefs Boldin geworden war, öffentlich

Der Putsch als Katalysator für den Untergang der KPdSU und UdSSR

um eine zweite politische Chance für den sowjetischen Präsidenten. Er sprach von einem „tiefen Schaden“, den der Putsch angerichtet habe. Auch für ­Gorbatschow sei er ein schwerer Schlag. Doch müsse er die Chance bekommen, zu zeigen, dass er das Land weiter auf dem bisherigen Weg führen könne.96 Jelzin unterzeichnete derweil weitere Erlasse, mit denen er die Machtverschiebung zu seinen Gunsten festschrieb. Er unterstellte sich beispielsweise alle Regionalverwaltungen auf dem Territorium Russlands. Dies beinhaltete, dass er die Verwaltungschefs künftig ernennen würde, sie entlassen könnte und sie ihm statt der sowjetischen Zentrale berichtspflichtig sein würden.97 Vor diesem neuen Hintergrund, der sich schon in den ersten Tagen nach dem Putsch herausbildete, war es kaum verwunderlich, dass vor allem Jelzin seinen Machtzuwachs auch dafür zu nutzen suchte, die Zugeständnisse des ausgehandelten Unionsvertrages zurückzuziehen. Dieser war nun Makulatur. ­Gorbatschow blieb kaum noch ein Verhandlungsspielraum, sodass sich die Frage stellt, warum er – auch angesichts der Demütigungen durch Jelzin – nicht zurücktrat. Den Tiefpunkt seiner gesamten politischen Karriere erlebte ­Gorbatschow wohl bei seinem eingangs erwähnten Auftritt vor dem Obersten Sowjet Russlands. Als er dort sprach, „führte Jelzin ihn wie einen Tanzbären vor“, schreibt Manfred Hildermeier.98 G ­ orbatschow war trotz seiner politischen Schwächung davon überzeugt, dass der Zentralstaat reformiert und erhalten werden konnte.

Jelzins Demontage der KPdSU Der russische Präsident hatte schon am 20. Juli 1991 ein Verbot von Parteiorganisationen in Betrieben und staatlichen Einrichtungen auf dem russischen Territorium verfügt. Jetzt, unmittelbar nach dem Putsch, gab er einen zusätzlichen Erlass heraus, der jegliche Parteiarbeit in der sowjetischen Armee, dem KGB und in den Einheiten des sowjetischen Innenministeriums verbot. Die wohl einzige bekannt gewordene Amtshandlung des neuen KGB-Chefs Schebarschin war, dass auch er die Parteiarbeit im Geheimdienst während seiner eintägigen Amtszeit untersagte99 – vermutlich in vorauseilendem Gehorsam gegenüber Jelzin, dem er zwar nicht offiziell unterstellt war, den aber viele sowjetische Funktionsträger nun fürchteten. In Überschreitung seiner juristischen und politischen Vollmachten verfügte Jelzin am 23. August auch die Schließung von sechs konservativen Zeitungen; darunter waren die Prawda und die Sowetskaja Rossija. Schließlich entließ er am gleichen Tag die Chefs der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS und

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der sowjetischen Auslandspresseagentur Nowosti. Diesen beiden Informationsdiensten wurde ebenfalls die Parteiarbeit in ihren Einrichtungen verboten. Am gleichen Tag holte Jelzin zu seinem wohlinszenierten Schlag gegen die KPdSU aus, als er – während ­Gorbatschow am Rednerpult des Obersten Sowjets Russlands stand – das Dekret unterzeichnete, das die Tätigkeit der KP auf dem Territorium Russlands suspendierte. Dieses Verbot sollte bis zur Klärung ihrer Rolle in dem Putsch gelten, bedeutete aber de facto das Ende der KPdSU als politische Kraft. Nach fast 74 Jahren ihrer Herrschaft war dieses Ereignis im Obersten Sowjet in der Tat ein historisches und revolutionäres. G ­ orbatschow, der hilflos versuchte, J­elzin von der Unterzeichnung des Dekrets abzubringen, schreibt in seinen Erinnerungen: „Wer die Fernsehsendung gesehen hat, dem wurde manches klar. Jelzin handelte mit sadistischer Lust.“ 100 Triumphierend rief der russische Präsident nach der vollzogenen Unterschrift in den Sitzungssaal: „Der Erlass ist unterschrieben!“ Die meisten Abgeordneten erhoben sich und klatschten begeistert Beifall. Ein persönliches Rachebedürfnis Jelzins für seine politische Demontage im Oktober 1987 erscheint wegen der Form des KP-Verbots als wahrscheinlich. Doch unabhängig davon, ob es seine politischen Schritte motivierte oder nicht: Der gescheiterte Putsch verschaffte ihm die Mittel, so zu agieren. Das ZK-Gebäude am Alten Platz in Moskau wurde am gleichen Tag versiegelt und von der Stadtverwaltung beschlagnahmt, die rote Fahne über dem Gebäude eingeholt. Oberbürgermeister Gawril Popow hatte die Versiegelung verfügt, nicht Jelzin, wie es oft hieß.101 Durch Popows Verordnung wurde allerdings nicht nur die Versiegelung der Gebäude und Einrichtungen der KP dSU , sondern namentlich auch der LDPSS verfügt.102 Diese Maßnahme geriet durch die historische Demontage der KP in jenen späten Augusttagen in den Hintergrund und dürfte bis heute wenig bekannt sein. Die sogenannte Liberaldemokratische Partei der Sowjetunion (LDPSS) hatte unter ihrem Führer Wladimir Schirinowski offen zur Unterstützung des G ­ KTSCHP aufgerufen. Es war zu erwarten, dass Jelzin die Suspendierung der Tätigkeit der KPdSU im Falle eines Nachweises ihrer Beteiligung am Putsch in ein endgültiges Verbot umwandeln würde. Doch allein der erste Schritt, der medial eindrucksvoll während der Parlamentssitzung inszeniert wurde und schon einen finalen Charakter suggerierte, ließ G ­ orbatschow kaum eine Wahl mehr, als vom Amt des Generalsekretärs der einst im Land allmächtigen KPdSU zurückzutreten. Dies geschah am 24. August 1991. Ohne die auf die völlige Demontage der Partei abzielenden Handlungen Jelzins wäre G ­ orbatschow sicherlich noch

Der Putsch als Katalysator für den Untergang der KPdSU und UdSSR

in diesem Amt verblieben, zumal er selbst nach seiner Rückkehr aus Foros auf der internationalen Pressekonferenz zwei Tage vor seinem Rücktritt angekündigte hatte, er werde um die Erneuerung der KPdSU kämpfen. Diese war nun sowohl staatsanwaltlichen als auch parlamentarischen Ermittlungen ausgesetzt. Jelzin verfügte am 25. August, dass das gesamte auf dem Territorium der russischen Republik befindliche Vermögen der KPdSU und der russischen KP in das Eigentum Russlands überging.103 Trotz aller Bemühungen war es nicht überzeugend gelungen, der KPdSU und ihren Führungsorganen eine aktive Rolle bei den Vorbereitungen und bei der Ausführung des Putsches nachzuweisen. Außer Schenin hatte nachweislich kein anderer hoher Parteifunktionär an den Vorbereitungen und an der entscheidenden Sitzung am 18. August im Kreml teilgenommen. Jelzin war ehrlich genug, das endgültige Verbot der KPdSU am 6. November 1991 nicht auf eine konstruierte Begründung zu stützen. Er führte keine konkreten Verstöße oder konkrete Taten der Führungsorgane der KPdSU im Zusammenhang mit dem Putsch an, sondern argumentierte vielmehr (und nachvollziehbar) mit ihrer allgemeinen Organisationsstruktur und ihrer historischen Rolle. In dem Dekret hieß es unter anderem: „Die Ereignisse vom 19. bis 21. August haben gezeigt, dass die KPdSU niemals eine Partei war. Vielmehr hat es sich um einen besonderen Mechanismus gehandelt, um die Macht durch das Zusammenwachsen mit den staatlichen Strukturen zu sichern. Die Führungsebene der KPdSU hat ihre eigene Diktatur verwirklicht. Sie hat die Verantwortung für die historische Sackgasse, in die die Völker der UdSSR getrieben wurden.“ 104 Festzuhalten ist, dass ohne den gescheiterten Putsch Jelzin nicht in der Lage gewesen wäre, in so kurzer Zeit und so rigoros die Demontage der KP dSU und ihres Generalsekretärs zu betreiben. 30  Michail Gorbatschow: Er scheiterte damit, die KPdSU und die Sowjetunion umzugestalten – und dabei zu erhalten. Dennoch ist er einer der größten Reformer des 20. Jahrhunderts. © RIA Nowosti

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­Gorbatschows Illusion eines reformierten Zentralstaates Als erste der 15 Sowjetrepubliken hatte Litauen schon rund anderthalb Jahre vor dem Putsch die völlige Unabhängigkeit von Moskau erklärt. Am 11. März 1990 setzte das Parlament in Vilnius die Verfassung der UdSSR auf dem Territorium der Republik außer Kraft. Vytautas Landsbergis war in einer demokratischen Wahl zum Staatsoberhaupt gewählt worden. Ein wichtiges völkerrechtliches Signal war die diplomatische Anerkennung Litauens durch Island am 12. Februar 1991105 – einen Monat nach dem gewaltsamen Putschversuch durch moskautreue Kräfte gegen die rechtmäßig gewählte Republikführung. Dänemark schloss direkte Kooperationsverträge mit den drei baltischen Republiken ab und wies die darauf folgende Kritik seitens der Führung der UdSSR zurück.106 Längst war die Unabhängigkeitsfrage des Baltikums internationalisiert und keine, wie es Moskau darzustellen versuchte, innere Angelegenheit mehr. Es ist erstaunlich, dass ­Gorbatschow am 2. August 1991 in seiner Fernsehansprache, in der er den vorgezogenen ersten Unterzeichnungstermin des Unionsvertrages bekanntgab, immer noch den Eindruck vermittelte, das Baltikum könnte doch noch beitrittsbereit sein. Viele westliche Staaten zögerten zunächst noch mit einer Anerkennung der baltischen Republiken als unabhängige Staaten. Der August-Putsch in Moskau zeigte hier in doppelter Hinsicht seine Wirkung. Zum einen erkannten die meisten westlichen Staaten unmittelbar nach dem Putsch Estland, Lettland und Litauen als unabhängige Staaten an bzw. nahmen erstmals oder wieder diplomatische Beziehungen zu ihnen auf. ­Landsbergis, der mit Litauen eine Vorreiterrolle spielte, stellt fest: „Der August 1991 war sicherlich der Durchbruch in unserem Freiheitskampf. Denn danach setzte eine regelrechte Welle der internationalen Anerkennung ein.“ 107 US-Außenminister James Baker legt in diesem Zusammenhang Wert auf die Feststellung, dass die USA niemals die Annektierung der drei baltischen Staaten durch die UdSSR anerkannt hätten und die diplomatischen Beziehungen zu ihnen nie abgebrochen worden seien. Sie hätten vielmehr geruht und seien nach dem August-Putsch 1991 wieder aufgenommen worden.108 Zum anderen bestand die besondere Wirkungsmacht des Putsches darin, dass ab den letzten Augusttagen 1991 nun auch bisher grundsätzlich moskautreue Republiken ihre Unabhängigkeit erklärten. Roland Götz und Uwe Halbach haben die Daten der Unabhängigkeitserklärungen und der ihnen vorausgegangenen Souveränitätserklärungen der späteren Mitglieder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) sorgfältig aufgeführt.109

Der Putsch als Katalysator für den Untergang der KPdSU und UdSSR

Estland erklärte am zweiten Putschtag seine Unabhängigkeit, Lettland, das anfangs gegenüber dem ­GKTSCHP vorsichtig agiert hatte, erst am dritten. Durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den baltischen Republiken und einigen Dutzend Staaten war die Sowjetunion schon Ende August 1991 völkerrechtlich in ihrer bis dahin gültigen Form am Ende. Die Unabhängigkeit der übrigen Republiken wurde im Großen und Ganzen innerhalb der ersten vier Wochen nach dem Putsch deklariert. Nur Turkmenistan (27. Oktober) und Kasachstan (16. Dezember) entschlossen sich später zu diesem Schritt. Bemerkenswert ist, dass die nicht baltischen Sowjetrepubliken mit Ausnahme von Georgien sich trotz ihrer Unabhängigkeitserklärungen nicht nachdrücklich um internationale Anerkennung bemühten. Das Ausland seinerseits gab in der Phase zwischen August und Dezember 1991 kaum Hinweise auf seine Absicht, diese Republiken staatlich anzuerkennen, im Gegenteil. Nicht nur ­Gorbatschow, auch die Führer vieler westlicher Länder waren nicht an einem weiteren Zerfall der Sowjetunion interessiert. US-Präsident George Bush sagte noch am 1. Dezember 1991 angesichts des Votums der ukrainischen Bevölkerung für eine staatliche Unabhängigkeit, die USA planten „mit einzelnen Sowjetrepubliken Beziehungen aufzubauen, ohne allerdings den Bemühungen um eine erneuerte Sowjetunion zu schaden.“ 110 Bundeskanzler Kohl appellierte wenige Tage nach dem Scheitern des Putsches, G ­ orbatschow und der Sowjetunion zu helfen. In einem Gastkommentar für Bild am Sonntag schrieb er: „Nach dem Scheitern des Putsches gegen G ­ orbatschow gibt es eine neue Chance, dem Demokratisierungsprozess in der Sowjetunion endgültig zum Durchbruch zu verhelfen. Wir Deutschen haben aus gutem Grund mehr getan als alle anderen – denn ohne Michail ­Gorbatschow wäre die deutsche Einheit nicht möglich gewesen. Aber auch unsere amerikanischen Freunde, unsere Partner in Japan, unsere Verbündeten in Westeuropa müssen jetzt sagen, wie sie im Rahmen des ihnen Möglichen die Sowjetunion unterstützen wollen.“ 111 Bundesaußenminister Genscher äußerte sich am 1. September 1991 wie folgt: „Wir haben ein Interesse daran, dass die Sowjetunion nicht auseinanderfällt.“ 112 Für ihren Erhalt mit zentralen, wenn auch eingeschränkten Machtstrukturen gab es allerdings schon seit spätestens Ende August keine begründete Hoffnung mehr. Für ihre Rettung wäre die Bereitschaft der Ukraine erforderlich gewesen, Mitglied einer reformierten Union zu werden. Schon am 27. August, drei Tage nach der Unabhängigkeitserklärung, erklärte Leonid Krawtschuk, die Ukraine werde sich erst am 1. Dezember mit der Frage befassen, ob sie einem neuen Unionsvertrag zustimmen werde oder nicht.

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Zuvor hatte er die Einführung einer eigenen Währung und die Bildung einer eigenen Armee für seine Republik angekündigt.113 Die neuen Verhandlungen über eine politische Union gestalteten sich aber auch ohne die ablehnende Haltung der Ukraine als extrem schwierig. Lediglich ein Abkommen über eine Wirtschaftsunion kam am 18. Oktober zustande, dem allerdings nur acht Republiken beitraten. Dies waren Russland, ­Belarus, Armenien und die fünf zentralasiatischen Republiken Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan, Turkmenien und Tadschikistan. Jelzin beschreibt die neuen Verhandlungen in Nowo-Ogarewo im Herbst 1991 wie folgt: „Die Atmosphäre bei den Sitzungen […] war im Oktober und November völlig anders als vor dem Putsch. Während früher die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer nicht gewagt hatte, dem Präsidenten der UdSSR zu widersprechen, und mich sogar zuweilen des ‚übertriebenen Radikalismus‘ bezichtigt hatte, wiesen sie nun die von ihm vorgelegten Argumente heftig zurück und kritisierten G ­ orbatschow […].“ 114 Die Schwächung der Position G ­ orbatschows kam aber nicht nur in den nun ergebnislosen Neuverhandlungen über den Unionsvertrag zum Ausdruck. Die zentralen Unionsstrukturen waren schon in der Phase zwischen dem Putsch und der Gründung der GUS nicht mehr vorhanden. Am 5. September hatte sich der Volksdeputiertenkongress der UdSSR de facto aufgelöst. Danach, so stellen Gerhard und Nadja Simon fest, „gab es weder eine handlungsfähige Legislative noch Exekutive auf der Ebene des Gesamtstaates. […] Eine neue sowjetische Regierung anstelle der nach dem Putsch zurückgetretenen wurde nicht gebildet.“ 115 Der rus­sische Staatssekretär Gennadi Burbulis, ein enger Berater Jelzins, bezeichnete schon am 21. Oktober ­Gorbatschows Hoffnung, die Republiken von der Unterzeichnung eines neuen Unionsvertrages überzeugen zu können, „zumindest als naiv.“ 116 Dann stellt sich aber die Frage, warum Russland weiter an den Gesprächen in Nowo-Ogarewo teilnahm. ­Gorbatschow beschuldigte Jelzin, die Verhandlungen nicht aufrichtig geführt sowie durch Machtdemonstrationen und das Brechen von Absprachen hintertrieben zu haben.117 Selbst wenn diese Interpretation zuträfe – die Ukraine wollte einer wie auch immer reformierten Union nicht beitreten. Dies bekundete Leonid Krawtschuk sogar vor dem auf den 1. Dezember terminierten Referendum und der Präsidentschaftswahl in der Ukraine. Er nahm das Ergebnis dieses Referendums, in dem es um die Bestätigung oder Ablehnung des Kiewer Parlamentsbeschlusses vom 24. August über die Unabhängigkeit ging, somit vorweg, als er schon 24. November unmissverständlich erklärte: „Ich werde mich nicht am Nowo-Ogarewo-Prozess beteiligen.“ Als „erfunden“ bezeichnete er Behauptungen, er wolle dem Vertrag zu einem späteren Zeitpunkt beitreten.118

Der Putsch als Katalysator für den Untergang der KPdSU und UdSSR

Die sowjetische Zentrale war durch die Weigerung der Mehrheit der Republiken, sich einer reformierten Union anzuschließen, und auch durch die Demontage bzw. das Fehlen einer funktionierenden zentralen Legislative und Exekutive innerlich längst ausgehöhlt. Es bedurfte daher auch nicht destruktiver und unaufrichtiger Schritte Jelzins– wenn es sie denn überhaupt gegeben hat. ­Gorbatschow hielt demgegenüber noch in den letzten Wochen der Existenz der Sowjetunion an der Illusion fest, sie könne doch noch erneuert und damit erhalten werden. Auch zwanzig Jahre nach ihrem Untergang zeigte er sich davon überzeugt, dass dies möglich gewesen wäre. Er verneint klar, dass der Putsch oder spätestens die Abspaltung der Ukraine das Ende der Sowjetunion herbeigeführt hätten, und gibt Jelzin die Hauptschuld am Untergang der UdSSR: „Ich habe ihn [ Jelzin] ja nach Moskau geholt. Mir erschien er tatkräftig und ich unterstützte ihn ja auch. Doch ich habe mich in Jelzin getäuscht. Wenn das nicht geschehen wäre, hätte sich in Bezug auf die Sowjetunion alles anders entwickeln können. Ihr Zusammenbruch war nicht zwangsläufig […].“ 119 Er gibt dem Westen eine Mitschuld an ihrem Untergang, auch weil dieser Finanzhilfen für die UdSSR beim G7-Treffen in London im Juli 1991 abgelehnt habe: „Mit was für einer Leidenschaft wollte sich der Westen der Sowjetunion entledigen! Und was hat er an ihrer Stelle bekommen?“ 120 Weder die Kritik am Westen, der doch tatsächlich lange an der Idee einer reformierten Sowjetunion festhielt, noch die Schuldzuweisungen an Jelzin sind berechtigt. Am 14. November 1991 war es der Staatsrat, dem die koopera­ tionswilligen Republikpräsidenten unter der Führung ­Gorbatschows angehörten, der die sowjetische Verfassung durch einen noch zu paraphierenden neuen Unionsvertrag ersetzen wollte.121 Diese Einigung zwischen sieben Republikpräsidenten und ­Gorbatschow hatte allerdings keinen Bestand, weil es nicht zur Paraphierung des neuen Unionsvertrages kam. Vorwürfe G ­ orbatschows, mit dem ersten Gründungsakt der GUS bei Minsk am 8. Dezember sei gegen die sowje­tische Verfassung verstoßen worden und es habe sich um einen „politischen Umsturz“ 122 gehandelt, sind nicht berechtigt. Die Verfassung hatte schon zu diesem Zeitpunkt ihre bindende Kraft und ihre juristische Relevanz weitgehend verloren. ­Jelzin ist zuzustimmen, der in seinen Memoiren schrieb: „Deshalb klingt es für mich schon seltsam, wenn ich heute höre, unsere Vereinbarung [die GUS-Gründung] sei auf den Zerfall der Union, auf ihre plötzliche Zerstörung hinausgelaufen. Ich weiß, dass man gegen diese Legende nur schwer angehen kann, aber ich betone noch einmal: Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) war zu diesem Zeitpunkt die einzige Möglichkeit, um diesen geopolitischen Raum zu bewahren.“ 123

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Die zunehmenden Rücktrittsdrohungen G ­ orbatschows im Herbst 1991 gingen ins Leere, weil sie suggerierten, er sei noch Herr der Lage und es liege noch in seinem Entscheidungsspielraum, ob er im Amt bleibe oder nicht. Es war der Putsch, der die Republiken so erstarken ließ, dass sie eine Zentralmacht nun für entbehrlich und überholt ansahen – und dies auch durchsetzen wollten und konnten. Auch das Parlament Russlands stimmte am 12. Dezember 1991 mit großer Mehrheit für die Aufkündigung des Vertrages über die Gründung der Sowjetunion von 1922.124 Unter denen, die für die Auflösung stimmten, waren auch zahlreiche Abgeordnete, die sich später in der neuen kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) wiederfanden – darunter auch ihr langjähriger Vorsitzender Gennadi Sjuganow. Vor diesem Hintergrund ist es geradezu grotesk, dass ausgerechnet diese Politiker Michail ­Gorbatschow vorwerfen, er habe das Ende der Sowjetunion bewusst betrieben. Tatsächlich kämpfte er für ihren Erhalt und gegen ihren Untergang. Der Mythos, dass G ­ orbatschow willentlich – und vielleicht sogar von ausländischen Kräften gesteuert – ihr Ende angestrebt habe, hält sich vor allem in Russland. In gewisser Weise war der Zusammenbruch der Sowjetunion teilweise auch eine Folge und ein Sieg des Opportunismus. Es kann nahezu ausgeschlossen werden, dass die Republiken, die sich am ersten Putschtag abwartend, ja sogar zustimmend gegenüber dem ­GKTSCHP geäußert hatten, auch nach dessen Erfolg und Machtkonsolidierung so selbstbewusst und separatistisch gehandelt hätten. Dies gilt insbesondere für die Haltung der Schlüsselrepublik Ukraine und ihren opportunistischen politischen Führer Krawtschuk. Ihm warf die ukrainische Opposition nach dem Putsch mangelnde Glaubwürdigkeit in der Frage der Unabhängigkeit vor. Schließlich war es auch die Ukraine, die mit ihrer Weigerung, einer reformierten Union beizutreten, ihr Ende mit herbeigeführt hat.

7.3 Die Bewertung des August-Putsches durch die russische Bevölkerung Die Bewertung der August-Ereignisse von 1991 durch die russischen Bürger dürfte am stärksten durch die materielle und soziale Situation des Einzelnen bestimmt worden sein. Der Ausgang des Machtkampfes der rivalisierenden Lager von 1991 führte in der Reflexion auf die je eigene Lebenswirklichkeit dazu, dass der Sieger und Hoffnungsträger Jelzin schon innerhalb eines

Die Bewertung des August-Putsches durch die russische Bevölkerung

Jahres nicht nur einen enormen Popularitätsverlust hinnehmen musste, sondern auch dazu, dass die Haltung gegenüber den Mitgliedern des G ­ KTSCHP wohlwollender wurde. Aufschlussreich und interessant sind die eigene Bewertung des Putsches durch Jelzin und seine Einschätzung der Sichtweise der russischen Bevölkerung im Herbst 1993, als er sein Buch „Auf Messers Schneide“ fertigstellte: „Nach der ‚Augustrevolution‘, wie man sie heute nennt […], hat unser Volk keine leichten Tage erlebt. Es hatte das Paradies auf Erden erwartet, aber stattdessen kamen Inflation, Arbeitslosigkeit, wirtschaftlicher Schock und politische Krisen. Die Menschen erinnern sich nur noch mit Widerwillen an diese Ereignisse. Früher berichtete man seinen Bekannten voller Stolz von den Nächten, die man auf den Barrikaden verbracht hatte. Heute dagegen prahlen manche schon damit, dass sie damals nirgendwo hingingen, nicht aus dem Urlaub zurückkehrten und sich aus allem völlig heraushielten. Das ist in Mode gekommen.“ 125 Genau wie Jelzin nahm auch das G ­ KTSCHP für sich in Anspruch, die Verfassung zu verteidigen, wie Krjutschkow und andere Putschisten nach ihrer Freilassung aus dem Gefängnis kundtaten.126 Nach einer Umfrage der liberalen Wochenzeitung Moskowskie Nowosti im August 1992 gaben nur 17 Prozent der Befragten an, dass sie den Putsch und das zurückliegende Jahr als den Beginn einer Erneuerung ansahen. 25 Prozent betrachteten es als „Katastrophe“, 47 Prozent meinten, die Krise hätte sich noch vertieft, und 11 Prozent hatten keine Meinung. An der Umfrage beteiligten sich 1.012 Bürger aus zwölf russischen Städten.127 Möglicherweise war diese pessimistische und von Enttäuschung geprägte Stimmung für Jelzin der Grund, in seiner TV-Ansprache zum Jahrestag des Putsches die Privatisierung der Staatsbetriebe für den 1. Oktober 1992 anzukündigen, bei der jeder Bürger einen Anteilsschein in Höhe von 10.000 Rubel ausgehändigt bekommen würde.128 War es 1991/1992, als die Begriffe „August-Revolution“ und „Putsch“ üblich waren, weder geläufig noch opportun, von einem Versuch zur Rettung der Sowjetunion zu sprechen, so änderte sich dies nicht nur aufgrund der zunehmenden Enttäuschung breiter Bevölkerungsschichten über die Früchte des Jelzin-Sieges. Beigetragen zu dieser Entwicklung hat auch die Freilassung der Angeklagten, die ab 1993 eine öffentliche Plattform für die Darstellung ihrer Sicht auf die Dinge bekamen.129 Die Beurteilung des Putsches durch die Bevölkerung hat von 1994 an fast jährlich bis in die Gegenwart das vom Staat unabhängige Meinungsforschungsinstitut Lewada-Zentrum genauer untersucht. Es handelt sich hierbei um repräsentative Umfragen auf einer breiten Basis. Zu berücksichtigen ist dabei, dass

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durch das Heranwachsen einer neuen Generation und durch die rasanten gesellschaftlichen Veränderungen das Bild eines Teils der Bürger über die August-Ereignisse von Gleichgültigkeit oder Unwissen geprägt ist. Die Ergebnisse dieser Befragungen zu der Bewertung der August-Ereignisse von 1991 durch die Bevölkerung sind im Anhang (S. 427 – 429) anhand von Tabellen detailliert dargestellt. Die Hauptfrage, die den Bürgern gestellt wurde und für die es drei vorgegebene Antworten gab (plus „Keine Meinung“), lautete: „Am 19. August jährt sich der ‚Putsch‘ zum […] Mal. Wie beurteilen Sie diese Ereignisse heute?“ 130 1994 bezeichneten nur sieben Prozent die Ereignisse als eine „siegreiche demokratische Revolution, mit der das Ende der Macht der KPdSU besiegelt wurde“; für 27 Prozent war es eine „Tragödie mit zerstörerischen Folgen für das Land und das Volk“; 53 Prozent meinten, es habe sich „lediglich um einen Machtkampf der politischen Führungseliten“ gehandelt; 13 Prozent hatten keine Meinung. 2011 meinten nur zehn Prozent, es sei eine demokratische Revolution gewesen, für 39 Prozent war es eine Tragödie, für 35 Prozent ein Machtkampf und 16 Prozent hatten keine Meinung.131 Das Fazit, das durch die detaillierten Angaben in der Tabelle zusätzlich unterstrichen wird, lautet, dass die Euphorie über den Sieg der Demokraten 1991 schon im ersten Jahr nach dem Untergang der Sowjetunion nicht nur verflogen war, sondern sich auch negativ auf die Bewertung der Ereignisse auswirkte und sich seither nicht mehr wesentlich geändert hat. Belegt ist ferner, auch wenn es kaum verwundern dürfte, dass in der Putin-Ära die Zahl derer, die den Ausgang des Putsches als eine Tragödie für das Land ansehen, Höchststände erreichte.

7.4 Die Bewertung des August-Putsches durch russische Historiker Für russische Historiker scheint der August 1991 kein attraktiver Forschungsgegenstand zu sein. Die begriffliche Etikettierung der Ereignisse lautet in den vorhandenen Abhandlungen, Aufsätzen oder Buchkapiteln überwiegend „Putsch“.132 Wladimir Buldakow, leitender Historiker am Institut für Geschichte der Russischen Akademie der Wissenschaft, sieht das Defizit von wissenschaftlichen russischen Abhandlungen über den Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums – und damit auch über den Putsch – in dem „bewussten Ausweichen“ vor diesem Thema vonseiten

Die Bewertung des August-Putsches durch russische Historiker

der russischen Historiker. „Sie mögen es nicht, weil sie es als unangenehm ansehen. 1991 ist bei uns schon fast vergessen.“ 133 Welche Rolle eine explizite Vorgabe Wladimir Putins an die mit Geschichtsvermittlung befassten Historiker und Pädagogen dabei spielt, lässt sich in diesem Zusammenhang nicht belegen. Putin hatte am 27. November 2003 bei einem Festakt zum 175. Jahrestag der Gründung der Russischen Nationalbibliothek eine Aufforderung an die Bibliothekare gerichtet und an „diejenigen, die mit der Geschichte unseres Landes […], mit historischer Literatur und vor allem mit Geschichtslehrbüchern befasst sind.“ Er führte aus: „Moderne Lehrbücher, insbesondere die für Schulen und für höhere Lehreinrichtungen, sollten nicht zu einer Plattform für einen neuen politischen und ideologischen Kampf werden. Diese Lehrbücher sollten ausschließlich historische Fakten beinhalten; sie sollen insbesondere bei der Jugend ein Gefühl des Stolzes für ihre Geschichte und ihr Land fördern.“ 134 (Würde man das Geschichtsverständnis Putins auf Deutschland übertragen, würde dies bedeuten, dass die Zeit der Schrecken des Nationalsozialismus inklusive des Angriffs auf UdSSR bei der Vermittlung von Geschichte möglichst verdrängt werden müsste.) Der Putsch 1991 und die Auflösung der Sowjetunion sind aus dieser Perspektive keine Themen, die mit Putins Bedauern über das Ende der UdSSR in Einklang zu bringen wären, würde man sie im Sinne eines Sieges der Freiheit und der Demokratie darstellen. Ein weiteres Indiz dafür, dass unter der Führung von Wladimir Putin die August-Ereignisse von 1991 im nationalen Gedächtnis nicht mehr den Stellenwert wie in früheren Jahren haben oder haben sollen, ist die Tatsache, dass er im neuen Jahrtausend eine Reihe von ­GKTSCHP-Mitgliedern ausgezeichnet hat. Dennoch gibt es russische Historiker, die sich in keinster Weise an die Ausführungen Putins im Hinblick auf die Geschichtsvermittlung gebunden fühlen: Jewgeni ­Anisimow, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg, zeichnet in seinem Buch „Istorija Rossii“ ein vernichtendes Bild der kommunistischen ­Epoche, insbesondere der Stalin-Ära.135 Und er beschreibt die Zeit in Russland unter Putin, den er an einer Stelle sogar „brutal“ und „nicht wohlerzogen“ nennt, sehr kritisch.136 Knapp drei Seiten widmet er den Ereignissen im August 1991, spricht eindeutig von einem Putsch.137 In einem Teil der hier untersuchten Lehrbücher werden Begriffe wie „Putsch“ oder „Putschisten“ nicht verwendet, wenn es um die Beschreibung der August-Ereignisse von 1991 geht. Der kremlnahe Historiker Michail Gorinow, der an dem höchst umstrittenen Lehrbuch „Novejšaja istorija

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Rossii. 1945 – 2006“ beteiligt war, in dem die Verbrechen Stalins verharmlost werden, spricht von einem „Mord an der Sowjetunion, weil es ein Referendum über die Bewahrung der Sowjetunion gab. […] Genau genommen war es ein antidemokratischer Umsturz.“ 138 Russische Abhandlungen über das Ende der UdSSR sind zudem quantitativ sehr überschaubar.139 Bis heute liegt laut Olga Sdrawomyslowa, geschäftsführende Direktorin der ­Gorbatschow-Stiftung, auch noch keine umfassende historische Biographie über G ­ orbatschow vor.140 Bewertungen und Klassifizierungen der August-Ereignisse durch russische Historiker finden sich somit kaum in eigenen Abhandlungen über die Epoche, sondern mehr in Geschichtslehrbüchern. Susanne Schattenberg konstatiert, dass nach dem Ende der Sowjetunion die Historiker-Zunft in Russland entwurzelt gewesen sei: „In der Sowjetunion hatte man nicht ,Geschichtswissenschaft‘, sondern die gesamte Weltgeschichte als ,Geschichte der KPdSU‘ studiert. […] Nach dem Verbot der Partei […] und dem Einzug des Kapitalismus auf dem Arbeitsmarkt wurde Geschichte zur brotlosen Kunst: […] Die Historiker, die sich nicht mit […] der eigenen Existenzsicherung beschäftigen, interessieren sich weniger für die Ursachen und die Folgen von 1991 als für die Hochzeit des Stalinismus in den 1930er Jahren und den Großen Terror.“ 141 Den Diskurs über den Putsch und den Zusammenbruch des Imperiums führen anstelle der (russischen) Historiker eher die Akteure und Zeugen dieser Ereignisse sowie in- und ausländische TV-Dokumentaristen. In der mittlerweile umfangreichen Memoirenliteratur der Beteiligten aus den widerstreitenden politischen Lagern von 1991 werden die ereignisbeschreibenden Begriffe je nach Standpunkt der Beteiligten verwendet. Es dürfte wenig verwundern, dass ­Gorbatschow oder Jelzin die historisch umwälzenden August-Tage 1991 als Putsch, die G ­ KTSCHP-Mitglieder und ihre Unterstützer sie hingegen als patrio­tischen Versuch zur Rettung der Sowjetunion bezeichnen.

7.5 Die Darstellung in russischen Geschichtslehrbüchern Die Vermittlung russischer Geschichte durch Schulbücher und Lehrbücher steht unter der Ägide der Russischen Akademie für Bildung. Dort werden die jeweiligen Unterrichtswerke diskutiert und freigegeben. Nach der bisherigen Praxis sind konkurrierende Lehrbücher für die unterschiedlichen Alters- und Zielgruppen zugelassen. In der bildungspolitischen Diskussion Russlands hat allerdings auch eine Vereinheitlichung und Standardisierung

Die Darstellung in russischen Geschichtslehrbüchern

ihre Befürworter, sodass in Zukunft eine Rückkehr zum „sowjetischen Modell nicht ausgeschlossen“ ist.142 Die staatliche Moskauer Lomonossow-Universität hat beispielsweise eine Reihe von Lehrbüchern herausgebracht, die von Studenten der Geschichtswissenschaft in Russland überwiegend verwendet werden. Auffallend sind die unterschiedlichen Nuancen bei der Interpretation des Vorgehens des ­GKTSCHP. Schon der Begriff „Putsch“ ist eine inhaltliche Festlegung, die nicht nur von den Mitgliedern des G ­ KTSCHP stets entschieden zurückgewiesen wurde und wird. Deren Wortwahl, die von russischen Medien teilweise auch verbreitet wird, lautete immer „Avgustovskie sobytija“ oder „Sobytija avgusta 91-ogo goda“ – „Die August-Ereignisse“ oder „Die Ereignisse des Augusts 91“. Sieben Lehrbücher, die an den russischen Universitäten sehr verbreitet sind, werden an dieser Stelle untersucht. In dem Lehrbuch „Grundlagen der Russischen Geschichte“ werden dem Thema rund drei Seiten gewidmet, was im Vergleich zu anderen dort behandelten geschichtlichen Ereignissen als durchaus angemessen erscheint. Es ist vom „August-Putsch“ die Rede. G ­ orbatschow wird als Präsident unter Arrest dargestellt („blokirovan na dače“) und die G ­ KTSCHP-Mitglieder werden als „Putschisten“ bezeichnet.143 In Bezug auf den Unionsvertrag, in dem laut den Verfassern eine Konföderation vorgesehen war, wird eine monokausale Ursache für den Putsch angegeben. „Vom 19. bis 21. August wurde auf gewaltsame Weise versucht, diese Entwicklung [hin zu einer Konföderation] zu verhindern und die reale Macht in den Händen des Unionszentrums zu bewahren.“ 144 An dieser Stelle wird ein weiteres Mal deutlich, wie auslegbar und nichtssagend der Unionsvertrag war. Die Autoren des Lehrbuchs haben ihn als Grundlage für ein konföderatives Gemeinwesen angesehen und entschieden sich bei den beiden sich widersprechenden Sätzen des Grundprinzips 1 des Unionsvertrages, in denen sowohl von einem „souveränen Bundesstaat“ als auch von „souveränen Staaten“ die Rede war, für die Auslegung im Sinne des zweiten Satzes. In dem Lehrbuch „Die Geschichte Russlands“, dessen Autorenkollektiv einen Historiker einschließt, der auch an dem zuvor erwähnten Lehrbuch beteiligt war, findet sich eine Interpretation der Ereignisse, bei der die sowjetischen Systembewahrer wohl keine Einwände erheben würden. Das Wort „Putsch“ oder „Putschisten“ fällt nicht. Stattdessen ist von „einer Gruppe staatlicher Amtsträger“ („gruppa gosudarstvennych dejatel’“) und „Ereignissen des 19. bis 22. August“ die Rede.145 Das Ziel der Amtsträger sei gewesen, Ordnung zu schaffen, „wie sie bis 1985“ vorhanden gewesen sei. Dies ist inhaltlich nicht korrekt, weil das G ­ KTSCHP zu keinem Zeitpunkt das Jahr 1985

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oder sonst irgendein Jahr erwähnt hatte. Auffällig ist ferner, dass die Rolle Jelzins nur beiläufig erwähnt wird, obwohl zutreffend festgestellt wird, dass Moskau das entscheidende Zentrum für den Ausgang der Ereignisse war. Eine höchst fragliche Interpretation der Ereignisse, weil sie eine sehr selektive Beschreibung liefert, findet sich im Lehrbuch eines Autorenkollektivs unter der redaktionellen Leitung A. V. Sidorows; als Herausgeber fungiert die Lomonossow-Universität. Der Titel des Lehrbuches lautet: „Die Geschichte Russlands – vom Altertum bis zur Gegenwart.“ Die Widerstandsrolle Jelzins, der sich nachweislich auch für den sowjetischen Präsidenten eingesetzt hatte, wird umgedeutet in ein Handeln gegen die sowjetische Verfassung: „Der Präsident der RSFSR, B. N. Jelzin, unterschrieb eine Reihe von Erlassen, in denen er die Handlungen des ­GKTSCHP als ungesetzlich bezeichnete und die Übertragung aller staatlichen Organe unter seine Jurisdiktion verfügte. Damit fügte er der Verfassungsordnung der UdSSR einen schweren Schlag zu.“ 146 Die Worte „Putsch“, „Umsturz“, „Putschisten“ oder „Verschwörer“ kommen in der ganzen Beschreibung nicht vor; das Vorgehen des G ­ KTSCHP hat insgesamt einen positiven Tenor. „In der Nacht vom 18. auf den 19. August 1991 wurde im Land der Versuch unternommen, den Lauf der politischen Entwicklung zu ändern, den Prozess der Zerstörung des Staates zu stoppen.“ 147 Das dritte an dieser Stelle untersuchte Lehrbuch unter der Ägide der Lomonossow-Universität verfälscht geradezu die Rolle G ­ orbatschows. Der unangemeldete Besuch der Delegation in Foros wird gar nicht erwähnt, ebenso wenig die Abschaltung der Telefone des Präsidenten. Stattdessen wird dem unbedarften Studenten suggeriert, G ­ orbatschow hätte ganz normal Urlaub gemacht. „In der Nacht vom 18. auf den 19. August 1991 wurde in Abwesenheit von ­Gorbatschow (er erholte sich auf der Krim) das Staatskomitee für den Ausnahmezustand gebildet. […] Das G ­ KTSCHP wollte die Strukturen auflösen, die gegen die Verfassung von 1977 handelten.“ 148 Eine klare Interpretation, die der Sichtweise und der Begriffswahl ­Gorbatschows und Jelzins sehr nahe steht, liefert das Autorenkollektiv unter der Leitung des RAN-Mitglieds Sacharow. Dieses Lehrbuch ist an Abiturienten, Studenten der Geschichtswissenschaften sowie an Lehrkräfte gerichtet. Bereits die Kapitelüberschrift „Der Zusammenbruch des totalitären kommunistischen Systems“ („Krach totalitarnogo kommunističeskogo režima“) lässt durch das Adjektiv „totalitär“ keinen Zweifel an der Bewertung des politischen Systems der Sowjetunion: Diese dürfte in westlichen Abhandlungen und Lehrbüchern gängig und weitgehend unstrittig sein – in

Die Darstellung in russischen Geschichtslehrbüchern

Russland ist sie zu Beginn des dritten Jahrzehnts nach dem Ende des Sowjetimperiums eher selten zu finden. Die Rede ist vom „Putsch“, von „Verschwörern“ und davon, dass Jelzin zur Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung aufrief und sich dem „ungesetzlichen Komitee“ entgegenstellte.149 Die staatliche Universität St. Petersburg gab unter der redaktionellen Leitung von M. V. Chodjakow das Lehrbuch „Neueste Geschichte Russlands. 1914 – 2011“ heraus, in dem die Widerstandsrolle Jelzins kaum gewürdigt wird. G ­ orbatschow wird als in Foros „isoliert“ beschrieben, die Bildung des G ­ KTSCHP ohne Einordnung in die historischen Zusammenhänge erwähnt. Mit keinem Wort wird auf die Verfassungswidrigkeit des ­GKTSCHP oder die Tatsache eingegangen, dass das Komitee Parteien und oppositionelle Medien verbot. Es ist von „August-Ereignissen“ die Rede, bei denen „das G ­ KTSCHP sich nicht für eine gewaltsame Variante 150 entschied.“  Das Lehrbuch, so der werbende Hinweis, wird vom Ministerium für Bildung und Wissenschaft der Russischen Föderation empfohlen. Von besonderem Interesse ist schließlich das letzte an dieser Stelle untersuchte Lehrbuch. Es erschien im MGIMO-Verlag. Er untersteht dem Außenministerium der Russischen Föderation. Das MGIMO fungiert als Diplomatenschule. Demnach darf das dort verwendete Lehrbuch durchaus als Spiegelbild der gegenwärtigen politischen Führung unter Wladimir Putin betrachtet werden. Zwei Personalien sind in Bezug auf den Putsch und die Leitung des russischen Außenministeriums wenig bekannt: ­Viktor Gruschko war als Leiter der sowjetischen Auslandsaufklärung nicht nur Chef des KGB-Mitarbeiters Putin in Dresden (bis 1990), sondern als stellvertretender KGB-Chef direkt an den Putschplanungen beteiligt. Der Sohn Gruschkos – Alexander – wurde in der Ära Putin zum stellvertretenden Außenminister befördert und ist seit April 2012 Russlands Vertreter bei der NATO. Eine familiär identische Sichtweise auf die Handlungen des ­GKTSCHP soll nicht unterstellt werden, darf allerdings als wahrscheinlich betrachtet werden. Folglich kann damit auch nicht ausgeschlossen werden, dass dies Einfluss auf die Sichtweise auf den Putsch im Außenministerium der Russischen Föderation hatte und hat, zumal hinter Gruschko jr. Präsident Putin steht. In diesem Lehrbuch finden sich bemerkenswerte Interpretationen und Darstellungen. Die Überschrift lautet: „Die Ereignisse vom 19. bis 21. August 1991“, darunter in Klammern gesetzt und in Anführungszeichen: „Der August-Putsch“. G ­ orbatschow wird negativ dargestellt, indem er verdächtigt wird, er verheimliche die ganze Wahrheit über den Putsch. Auch gilt er in dieser Lehrbuchdarstellung nicht als von Moskau

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kommunikationstechnisch isoliert, was den staatsanwaltlichen Ermittlungsergebnissen gänzlich zuwiderläuft. „Die Regierungsleitung auf der Datscha ­Gorbatschows wurde abgeschaltet; doch im Gebäude der Wachen gab es noch eine direkte Telefonverbindung nach Moskau. Und diese wurde von ­Gorbatschow auch genutzt.“ 151 Dass das Vorgehen des ­GKTSCHP und seine Gründung ungesetzlich waren, konstatiert das Autorenkollektiv nicht selbst, sondern erwähnt nur, dass Jelzin dies so deklariert habe. Strittig dürfte die Behauptung sein, das ­GKTSCHP habe „viele Unterstützer“ gehabt, doch hätten die „zitternden Hände“ Janajews auf der Pressekonferenz am 19. August eine sehr negative Rolle gespielt. Insgesamt kann festgehalten werden, dass in den Lehrbüchern die Darstellung des Putsches zum Teil sehr deutlich variiert und dies mit den konträren Sichtweisen der Bevölkerung wie auch der Medien korrespondiert. Gar nicht thematisiert wird die Euphorie, die nach der Niederlage des ­GKTSCHP 1991 vielerorts in Russland und in anderen Teilen der Sowjetunion vorherrschte. Die kursierenden Verschwörungstheorien in Bezug auf G ­ orbatschow sowie entsprechende Unterstellungen einer angeblichen Komplizenschaft haben hingegen durchaus Eingang in einige Geschichtslehrbücher gefunden.

7.6 Die politische und mediale Erinnerungskultur Boris Jelzin hat in den ersten Jahren nach dem Putsch die Erinnerung an den Sieg über die sowjetischen Systembewahrer als Sieg der Freiheit und der Demokratie aufrechtzuerhalten versucht. Von einer Aufwertung dieser historischen Zäsur durch die Einführung eines arbeitsfreien Feiertages sah er jedoch ab. Er versäumte es somit, wie Timothy J. Colton konstatiert, „den August-Putsch von 1991 zu einem Ereignis nationaler Erinnerung zu machen.“ 152 Jelzin verfügte jedoch 1994 per Erlass, den 22. August zum Tag der Staatsflagge zu deklarieren. Mit dem Ende des Putsches sei die histo­ rische weiß-blau-rote Flagge wieder zur Geltung gelangt, „bedeckt mit dem Ruhm vieler Generationen von Russen“, hieß es in dem Dekret.153 Es handelt sich dabei um einen Feiertag, der nicht arbeitsfrei ist und somit von den Bürgern weitgehend unbeachtet geblieben ist. An den ersten beiden Jahrestagen hielt Jelzin noch eine Fernsehansprache (1992) oder gab eine Pressekonferenz (1993). Ab 1994 folgten bestenfalls Erklärungen oder Zeitungsinterviews. Dies lag an dem nachlassenden öffentlichen Interesse

Die politische und mediale Erinnerungskultur

am August-Putsch und dem Verlust des Deutungsmonopols dieses Ereignisses durch die Demokraten. Hinzu kommt, dass die „Einheit der Sieger“ verlorenging, was sich nachteilig auf die Erinnerungskultur auswirkte. Die Jelzin-Führung von 1991 war zwar in den folgenden beiden Jahren noch weitgehend die gleiche geblieben, litt aber spätestens seit Anfang 1992 unter erheblichen Spannungen. Im Wesentlichen standen sich Jelzin auf der einen und Parlamentspräsident Chasbulatow und Vizepräsident Ruzkoj auf der anderen Seite gegenüber. Während 1992 noch mehr als 10.000 Bürger einem Aufruf der russischen Regierung gefolgt waren, sich vor dem Parlamentsgebäude zu versammeln und den ersten Jahrestag des Sieges zu feiern, nahm ihre Zahl in den Jahren danach deutlich ab. Die russische Zentralbank brachte noch im August 1992 eine Putsch-Gedenkmünze heraus und stellte den Sieg der Demokratie somit auf die historische Bedeutungsstufe des Sieges in Stalingrad oder des Endes der Belagerung Leningrads im Zweiten Weltkrieg.154 Die Euphorie über den Triumph Jelzins war allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht nur schon weitgehend verflogen und einer allgemeinen Ernüchterung gewichen, sondern sie drohte sich allmählich ins Gegenteil zu verkehren. Deutliche Kritik äußerte am ersten Jahrestag Jelena Bonner, Bürgerrechtlerin und Witwe des Atomphysikers und Friedensnobelpreisträgers Andrej Sacharow. Sie warf Jelzin öffentlich schwere Versäumnisse vor: Er habe die Euphorie der August-Revolution nicht genutzt, um die alten Strukturen zu beseitigen. Der größte strategische Fehler sei gewesen, den kommunistisch dominierten Obersten Sowjet und den Volksdeputiertenkongress nicht aufgelöst und keine Neuwahlen anberaumt zu haben.155 Chasbulatow nahm dem Triumph von 1991 seinen Glanz, indem er zum ersten Jahrestag auf einer Pressekonferenz eine insgesamt negative Bilanz zog und bemerkte: „Wir sind noch weit entfernt von einer Demokratie.“ 156 Schon im Jahr darauf wurde die Kundgebung zum Gedenken an den August 1991 von einer Gegendemonstration des kommunistischen und nationalistischen Lagers begleitet. Nach Schätzungen von unabhängigen Beobachtern übertraf am Jahrestag 1994 die Zahl dieser Demonstranten die der Jelzin-Anhänger, die auf die Straße gingen.157 Der russische Präsident sah sich am dritten Jahrestag dazu veranlasst, vor einer „Verfälschung des Augustputsches“ zu warnen. Immer wieder würden „Versuche unternommen, die Teilnehmer des Putsches reinzuwaschen und ihre unheilvollen Vorhaben vergessen zu machen.“ 158 Er bemerkte ferner, dass „die Möglichkeiten, die sich Russland im August 1991 geboten haben, nicht in vollem Umfang genutzt worden sind.“ 159 Die

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gesellschaftliche und politische Stimmung eignete sich somit nicht, die Erinnerung von Staatsseite zu pflegen. Auch in den russischen Medien nahm das Gedenken an die Ereignisse ab. Der fünfte Jahrestag war zunächst der letzte, an dem Jelzin öffentlich an den Sieg über die Putschisten erinnerte. Das Massenblatt Argumenty i Fakty gedachte des Ereignisses 1996 lediglich mit einem kleineren Artikel in Form eines Erlebnisberichts.160 Danach verschwand der Putsch auch an den Jahrestagen weitgehend aus dem öffentlichen Gedächtnis. In seinen letzten drei Amtsjahren als Präsident (1997 – 1999) hielt sich sogar Jelzin mit Gedenkreden oder anderen Formen der Erinnerung zurück. 1998 zum Beispiel wäre dies – wenige Tage nach den schweren Erschütterungen durch den Zusammenbruch des Rubels und die dramatische Finanzkrise, bei der Millionen Bürger über Nacht ihre Ersparnisse verloren – wohl auch recht deplatziert gewesen. Mit dem Amtsantritt von Wladimir Putin als russischem Präsidenten im Jahr 2000 entwickelte sich in Bezug auf den August-Putsch ein von staatlicher Seite neues, wenn auch überwiegend nonverbal gehaltenes Deutungsmuster. Zu seiner Inaugurationsfeier im Mai 2000 lud Putin seinen früheren obersten Dienstherrn und früheren KGB-Chef Krjutschkow ein. Der neue Präsident ging weder in seinen beiden Amtszeiten bis 2008 noch als russischer Ministerpräsident bis 2012 jemals öffentlich und direkt auf die August-Ereignisse von 1991 ein. Auch am zehnten Jahrestag, als die Aufmerksamkeit der russischen Medien gegenüber dem Putsch deutlich größer war als in den Vorjahren,161 äußerte sich Putin nicht dazu. Auch ­Jelzin schwieg. Dafür gaben die Putschisten und ihre damals mitangeklagten Unterstützer zu diesem Anlass eine gemeinsame Pressekonferenz in Moskau. Bis auf Krjutschkow, der zu diesem Zeitpunkt in ärztlicher Behandlung war, erschienen alle; es war ein bemerkenswertes Bild, wie sie in einer großen Reihe nebeneinander saßen, die Kameras auf sie gerichtet, und wie sie offensichtlich ihre faktische gesellschaftliche Rehabilitierung genossen. Wurde 1991 öffentlich die Verhängung der Todesstrafe gegen sie gefordert und ernsthaft diskutiert, so erschienen sie vielen Bürgern nun als Patrioten, die den Zusammenbruch der Sowjetunion hatten abwenden wollen.162 Von einer Erinnerungskultur im Sinne eines Sieges der Demokratie konnte in Russland spätestens 2001 keine Rede mehr sein. Es bestanden seit Längerem konkurrierende Geschichtsinterpretationen über den Putsch, wobei die der Demokraten ihre Dominanz eingebüßt hatte. Nun befand sie sich sogar in der Defensive. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass dieser Prozess nicht erst unter Putin, sondern schon in der

Die politische und mediale Erinnerungskultur

Amtszeit Jelzins eingesetzt hatte, allerdings gegen dessen Willen. Wohl aber wurde diese Entwicklung durch den neuen Präsidenten durch politische Gesten, durch die Nichtbeachtung der Jahrestage und durch sein ausdrücklich geäußertes Bedauern über den Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums befördert. Schon in seinem ersten Amtsjahr (2000) ließ er die im November 1990 von der RSFSR angenommene Hymne des Komponisten Michail Glinka (1804 – 1857) durch die sowjetische, in der Stalin-­Zeit entstandene Nationalhymne, die von 1944 bis 1991 galt, ersetzen.163 Und in den wenigen Äußerungen Putins, die sich direkt auf den Augustputsch beziehen, ließ er keinen Zweifel daran, dass er das politische Hauptziel des GKTSCHP teilte – nämlich die Verhinderung des Zerfalls der Sowjetunion: „Die Aufgaben, die sie sich gestellt hatten, war im Grunde zu begrüßen (…). Aber die Mittel und Wege, die sie gewählt hatten, begünstigten diesen Zerfall nur.“ 164 Dabei stand Putin im August 1991 in Leningrad auf der Seite der Demokraten unter Führung von Anatoli Sobtschak, die sich den Bewahrer eines sowjetischen Zentralstaates entgegengestellt hatten. Wie stark die Revision der Geschichtsinterpretation, die einer Neuverteilung der Rollen der politischen Akteure von 1991 gleichkam, im Jahre 2001 fortgeschritten war, illustriert eine Diskussionsrunde im ersten russischen Fernsehprogramm ORT.165 Nicht das ­GKTSCHP, das durch Janajew und Schenin vertreten war, sondern ­Gorbatschow schien dort auf der Anklagebank zu sitzen. An dieser sehr aussagekräftigen Sendung, bei der die Sympathien des Studiopublikums eindeutig auf der Seite des ­ KTSCHP lagen, nahm aus dem damaligen Jelzin-Lager Chasbulatow G teil. Keine konfrontativen Äußerungen oder Bewertungen waren nun, 2001, zwischen ihm und seinen ehemaligen Feinden zu vernehmen. G ­ orbatschow war persönlich nicht anwesend. Von ihm wurden aktuelle Äußerungen zum Putsch, die er auf einer Pressekonferenz kurz zuvor gemacht hatte, eingespielt; er hatte somit keine Möglichkeit, sich gegen die immer wieder vorgebrachten Unterstellungen der Komplizenschaft zu wehren, die durch diese prominent platzierte Sendung konserviert und in der öffentlichen Meinung Russlands verfestigt wurden. Dies geschah auch durch entsprechende Zeitungsartikel, die längere Interviews mit einigen Mitgliedern des G ­ KTSCHP enthielten.166 Zu einer Kundgebung zum Gedenken an den Sieg 1991 versammelten sich im gleichen Jahr vor dem Weißen Haus nur etwa 100 bis 200 Personen.167 Im darauffolgenden Jahr 2002 drohte schließlich die vollständige Revision der Bewertung des Putsches und der Niederlage des ­GKTSCHP, die

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vor allem zu einer schweren Niederlage und zur Entmachtung des KGB geführt hatte. Ausgerechnet der Moskauer Oberbürgermeister L ­ uschkow, der 1991 im Weißen Haus an der Seite Jelzins gestanden und mit ihm die Ideale der Freiheit und der Demokratie verteidigt hatte, verlangte im September 2002 die Wiederaufstellung des Dserschinski-Denkmals vor der Geheimdienstzentrale FSB. Die Demontage des Monuments für den Begründer der verbrecherischen Vorläuferorganisation des KGB war am späten Abend des 22. August 1991 zum Symbol der Demontage des jahrzehntelang existierenden kommunistischen Gewaltregimes in der Sowjet­ union und zum Symbol des Aufbruches in ein demokratisches Russland geworden. Diese von der politischen Elite Russlands keineswegs entschieden zurückgewiesene Forderung Luschkows, die teilweise sogar explizit gutgeheißen wurde, begründete dieser unter anderem wie folgt: Damals habe es „Exzesse und den roten Terror gegeben. […] Doch wenn man auf die Waagschale der Geschichte all das Nützliche legt, was Dserschinski getan habe, so verdient er ein Denkmal.“ 168 Für eine weitere Eliminierung der Erinnerung an den Sieg über die Verteidiger der Sowjetunion, die mit der Umsetzung dieses Plans verbunden gewesen wäre, gab es aus dem Kreml in letzter Konsequenz nicht die erforderliche Unterstützung, auch wenn der von Putin eingesetzte FSB-Chef Nikolai Patruschew die Forderung Luschkows positiv kommentiert hatte. Wie fundamental sich die politische Atmosphäre, vor allem aber das Kräfteverhältnis inzwischen zugunsten der 1991 „Besiegten“ verändert hatte, belegen auch die öffent­ lichen Äußerungen des FSB-Chefs im Zusammenhang mit dem Denkmal: „Die Mitarbeiter der russischen Geheimdienste begegnen Felix Dserschinski mit Respekt“, sagte er auf einer Pressekonferenz.169 Die Diskussion um die Wiederaufstellung des Denkmals zog sich sogar noch einige Monate hin. Die empörten Gegner des Luschkow-Plans, zu denen die Menschenrechtsorganisation Memorial, Alexander ­Solschenizyn oder die liberalen Parteien Jabloko und Union Rechter Kräfte (SPS) gehörten, argumentierten kaum oder gar nicht mit den Ereignissen vom August 1991, sondern mit den Terroropfern Lenins und Stalins. Solschenizyn erklärte im Oktober 2002: „Dserschinski ist das Symbol und das Banner der Unterdrückungsorgane der UdSSR. Die Wiederaufstellung des Denkmals wäre eine Verhöhnung der Millionen, die in sowjetischen Lagern umkamen.“ 170 Angesichts der Monstrosität der Verbrechen, die unter Dserschinski und in den 1930er-Jahren vor allem unter Jeschow sowie später von Berija verübt wurden, ist es verständlich und angemessen, dass der August-Sieg

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der Demokraten in der Denkmal-Diskussion eine untergeordnete bis keine Rolle spielte. In der Erinnerung der Bevölkerung war er auch nicht fest verankert oder inzwischen eher negativ besetzt. Das vom Kreml betriebene Wiedererstarken der Geheimdienste nach der von Jelzin vollzogenen Entmachtung, Auflösung und Reorganisation des KGB, wo der Putsch ja organisiert worden war, lief einer staatlichen Pflege der Erinnerung an den Sieg der Demokraten 1991 grundsätzlich zuwider. Es war somit – aus der Sicht Putins – nur konsequent, den Putsch und dessen Folgen umzudeuten und nicht zu erlauben, diese historische Zäsur als ein positives Datum in der sowjetischen und russischen Geschichte zuzulassen. Dserschinski kehrte dann doch zurück, zwar nicht mit dem großen Denkmal vor der ehemaligen KGB-Zentrale. Doch der „eiserne Felix“, wie er in Russland auch genannt wird, erlebte seine posthume städtische Würdigung durch eine Büste zu seinen Ehren: Trotz Protesten, die in diesem Fall geringer ausfielen als 2002, wurde das kleine Dserschinski-Denkmal im November 2005171 vor dem Gebäude der Hauptverwaltung der Moskauer Miliz auf der Petrowka-Straße wieder aufgestellt – im Hof zur Straßenseite. Schon 1995 gab es in Politik und Medien Russlands große Befürchtungen vor einem Erstarken der Nachfolgeorganisationen des KGB und Versuchen einer Revanche aus dessen Reihen für die Niederlage von 1991. In deren Folge wurden in den ersten beiden Jahren nach dem Untergang der UdSSR rund 300.000172 KGB-Mitarbeiter entlassen. Am vierten Jahrestag des Putsches ging Jelzin auf diese offensichtlich begründeten Befürchtungen ein und erklärte, er wisse, wie gefährlich ein Machtmonopol der Geheimdienste sein könne. Doch er werde so etwas nicht zulassen.173 Ex post kann man Jelzin vorhalten, dass eben er es gewesen war, der mit der Ernennung Putins zum Ministerpräsidenten und anschließend zum geschäftsführenden Präsidenten eine weiteres Erstarken der Geheimdienstvertreter ermöglicht hat.174 Dies führte schließlich auch dazu, dass eine positiv besetzte Erinnerung an die August-Ereignisse von 1991 vom Kreml nicht nur nicht mehr erwünscht war, sondern dass Putin und seine Vertrauten den Sieg Jelzins über die Verteidiger des sowjetischen Systems sogar als ein bedauerliches Ereignis betrachten konnten und diese Interpretation de facto auch propagierten und propagieren. Nur in diesem vom Kreml kreierten politischen Klima konnte Luschkow weitere Schritte unternehmen, die eine Entwertung und Neuinterpretation des „Sieges“ von 1991 bedeuteten und somit einen Verrat an dem eigenen Kampf darstellen, den er an der Seite der Demokraten geführt hatte. Eine Woche nach seiner Denkmal-Initiative stellte Luschkow die Memoiren von

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General Warennikow öffentlich in Moskau vor. Aus der Perspektive von 1991 war dies ein unvorstellbarer Vorgang. Warennikow gehörte zu jenen, die eine gewaltsame Niederschlagung des Widerstandes von J­elzin und dessen Anhängern einschließlich einer Erstürmung des Weißen Hauses, in dem sich Luschkow als Verteidiger der russischen Unabhängigkeit, Freiheit und Demokratie aufgehalten hatte, befürwortet hatten. Das sieben Bände umfassende Gesamtwerk Warennikows enthält nicht wenige Schmähungen gegenüber G ­ orbatschow, Jelzin und den Verteidigern des Weißen Hauses. Diese in den deutschen Medien nicht beachtete, aber höchst aussagekräftige Buchpräsentation belegt, dass die Gräben der Feinde von 1991 immer mehr zugeschüttet wurden. Das Verwischen der früheren Frontlinien der damals widerstreitenden Akteure stellte einen weiteren Faktor dar, der unvereinbar gewesen wäre mit einer Erinnerungskultur, die den Sieg des Jelzin-Lagers als ein für die Geschichte des Landes positives und befreiendes Ereignis deutet. Die russischen Fernsehzuschauer wurden über diese Buchneu­erscheinung in ausführlichen Filmbeiträgen in den Nachrichtensendungen informiert.175 Die gesellschaftliche Rehabilitierung der Putschisten und ihre politische Sympathie für Putin176 hatten einer solchen Erinnerungskultur zusätzlich widersprochen. Im postsowjetischen Russland gerieten vor allem viele ältere Bürger in eine Orientierungskrise angesichts des Verlusts ihres Staates und der von ihm postulierten Werte und sozialen Normen, die nach 1991 plötzlich nichts mehr galten. Zu den Widersprüchlichkeiten und Eigentümlichkeiten dieser Phase, die bis heute nicht abgeschlossen zu sein scheint, gehört auch, dass sowohl die Putschisten als auch G ­ orbatschow die Politik Putins in dessen ersten beiden Amtszeiten als russischer Präsident ausdrücklich lobten. Dies kann zwar kaum auf einer Übereinstimmung der politischen Positionen des früheren sowjetischen Präsidenten und der Mitglieder und Unterstützer des G ­ KTSCHP beruhen, doch trug es zu einer gewissen Verwirrung und Verwässerung hinsichtlich der Bewertung der August-Ereignisse von 1991 bei. Die Putschisten ließen zum zehnten Jahrestag sogar „öffentlich verlauten, sie hätten nicht putschen müssen, hätte es damals schon eine Politik wie die unter Putin heute [2001] gegeben.“ 177 Geblieben war von dem Sieg der Demokraten im August 1991 im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends fast nichts mehr. Die Erinnerung an ihn wurde auch von den russischen Medien an den Jahrestagen kaum noch wachgehalten. Lediglich 2006, vor allem aber 2011, befassten sich die Publizisten wieder stärker mit diesem geschichtlichen Ereignis,178 wobei

Die politische und mediale Erinnerungskultur

es nur vereinzelt in einem für das Jelzin-Lager positiven Licht dargestellt wurde. Wie sehr der Verlust des Imperiums inzwischen teilweise auch von den Verteidigern des Weißen Hauses bedauert wird, belegt der Abdruck eines zwei Seiten umfassenden und als verleumderisch zu bezeichnenden Interviews zum zwanzigsten Jahrestag mit dem früheren russischen Presseund Informationsminister und Vizeregierungschef Poltoranin in der sehr populären Zeitung Komsomolskaja Prawda.179 Dass einige russische Medien wie dieses auflagenstarke Blatt eine solche Art der Erinnerungskultur an den Putsch befördern, lässt nicht erwarten, dass dieses historische Ereignis in naher Zukunft in Russland in einer sachlicheren und stärker auf Fakten basierenden Form dargestellt werden wird. Zusätzlich zu den nicht fundierten Verdächtigungen gegenüber ­Gorbatschow, die seit 1991 kursieren und reproduziert werden, war in den vergangenen Jahren in den russischen Medien und vereinzelt in russischen Geschichtslehrbüchern auch eine Herabsetzung oder Verneinung der einst als heldenhaft geltenden Rolle Jelzins bei der Verhinderung der Macht­über­ nahme der restaurativen Kräfte zu beobachten. In dieses Bild fügt sich der erste hintergründige russische Historienfilm zum Thema Putsch, der 2011 vom quasistaatlichen Sender NTV ausgestrahlt wurde. Mit überzeugenden Schauspielern besetzt, wird in dem aufwendig produzierten Film mit dem Titel „El’lcin – tri dnja v avguste“ („Jelzin – drei Tage im August“) zwar insgesamt ein positives Bild des russischen Präsidenten gezeichnet. Doch die Heldenrolle, die historisch allerdings nicht gerechtfertigt ist, kommt darin der KGB-Elite-Kampfeinheit „Alpha“ zu. Hier werden die Mythen reproduziert, es habe einen Befehl zum Sturm des Weißen Hauses gegeben und die „Alpha“-Kämpfer hätten sich reihenweise geweigert, ihn umzusetzen. In der entscheidenden Filmszene steht buchstäblich ein Mitglied dieser Truppe nach dem anderen auf und verweigert dem Kommandeur die Gefolgschaft. Die Begründung der KGB-Kämpfer lautet, dass sie nicht auf das Volk schießen können.180 Diese fiktive Begebenheit eignet sich dazu, den KGB als Verbündeten und Beschützer des Volkes erscheinen zu lassen. Schließlich erfolgte am zwanzigsten Jahrestag die bis dahin wahrscheinlich einzige offizielle Bewertung des Putsches durch die russische Führung seit dem Amtsantritt Putins. Ein völliges Ignorieren dieses historischen Datums seitens der Machthabenden hätte wohl angesichts der zahlreichen Wortmeldungen und der deutlich erhöhten medialen Aufmerksamkeit für dieses Thema befremdlich gewirkt. Parlamentspräsident Boris Gryslow von der Regierungspartei Einiges Russland fand keine verurteilenden Worte

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gegenüber dem G ­ KTSCHP, sondern implizierte das Gegenteil, indem er sie als Politiker (nicht als Putschisten) darstellte, die als Problemlöser agieren wollten. Das Bedauern über den Zerfall der Sowjetunion begründete ­Gryslow mit dem – aus seiner Sicht – großen Schaden, der danach entstanden sei. Er sprach sich ferner dafür aus, dass die Nachfolgestaaten der UdSSR wieder näher zusammenrückten und die Reintegrationsbemü­ hungen, die Russland mit seinen Nachbarn betreibe, fortgesetzt werden sollten, weil sie dem Wohl der Völker dienten.181 In Moskau erinnert lediglich ein Gedenkstein über dem Tunnel am Gartenring, wo Dmitri Komar, Ilja Kritschewski und Wladimir Usow ums Leben kamen, an die Ereignisse. Oberhalb der Namen der drei Toten lautet die Aufschrift auf dem Gedenkstein: „Hier starben im August 1991 die Verteidiger der Demokratie in Russland.“ 182 Schließlich ist

31  Ehre für Dserschinski: Die Moskauer Miliz stellte 2005 eine Büste des Gründers der sowjetischen Geheimpolizei wieder auf. Die Vorläuferorganisation des KGB hieß in deutscher Übersetzung „Außerordentliche allrussische Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution und Sabotage“: Davon abgeleitet ist die Abkürzung „Tscheka“; der bis heute gängige Begriff „Tschekist“ bezeichnet einen Mitarbeiter des Geheimdienstes. © I. Lozo

Die politische und mediale Erinnerungskultur

vollständigkeitshalber noch zu erwähnen, dass am 22. August 1991 der Platz neben dem Weißen Haus (und vor dem Gebäude des ehemaligen Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe) in „Platz der Freiheit Russlands“ umbenannt wurde. Dies geschah auf Initiative Jelzins während seiner Siegesrede vom Balkon des Weißen Hauses, zu der sich weit über 100.000 Menschen versammelt hatten und die seinen Vorschlag begeistert begrüßten.183 Ob die Passanten heute den Platz der Freiheit Russlands mit dem gescheiterten Putsch der restaurativen Kräfte in Verbindung bringen, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Seit dem 27. Dezember 2012 steht nun ein mächtiges Denkmal am Haupteingang des Weißen Hauses184 – allerdings ist es nicht dem August 1991 gewidmet. Es wurde zu Ehren von Pjotr Stolypin errichtet, der unter Zar Nikolaus II . von 1906 bis 1911 russischer Regierungschef war. Präsident Wladimir Putin und Ministerpräsident Dmitri Medwedew weihten das Denkmal aus Anlass des 150. Geburtstages Stolypins ein. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Erinnerungskultur an den August 1991, wie sie in der Ära Jelzin betrieben wurde, ab dem Jahr 2000 mit dem Machtantritt Putins nicht mehr gewünscht war, weil sie dessen eigener Geschichtsdeutung und seinen politischen Zielen für die Zukunft diametral entgegenstand. Dass die Mehrheit der Bevölkerung im Hinblick auf den August-Putsch und dessen Folgen nachweislich entweder gleichgültig, unwissend oder ablehnend ist, dürfte Putin in seiner Sichtweise bestätigen. Der August 1991 wurde so zu einem verdrängten, vergessenen und ungeliebten Sieg. Dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändert, ist gegenwärtig so gut wie ausgeschlossen. In Deutschland wurde an den 20. Jahrestag des Putsches in den Medien recht ausführlich erinnert, auch in den USA war es ein Thema. Das Wall Street Journal brachte den Jahrestag sogar auf die Titelseite mit Foto und schrieb, dass die „politischen Desillusionierungen das Gedenken an die drei Männer in Vergessenheit drängen, die während der historischen Ereignisse von 1991 ihr Leben verloren.“ 185 Den drei jungen Männern, die bei dem vermeintlichen Angriff auf das Weiße Haus in Moskau ums Leben kamen, widmete man als Helden der Sowjetunion 1991 noch Briefmarken, die jeweils die Konterfeis der Opfer trugen.

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7.7 Deutsche Osteuropahistoriker und der Putsch Für die Osteuropahistoriker in Deutschland, die sich näher mit der ­Gorbatschow-Ära befasst haben, kam der August-Putsch überraschend.186 Helmut Altrichter war erstaunt, vor allem „über diesen späten Zeitpunkt.“ Heinz Brahm vom damaligen Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln (BIOst) hatte nicht mit einem Putsch gerechnet, war allerdings sicher, dass die Hardliner im Kreml ­Gorbatschows Politik nicht widerstandslos hinnehmen würden. „Neu und erschütternd“ sei es für die Kollegen gewesen, „die voll und ganz auf G ­ orbatschow gesetzt hatten.“ Manfred Hildermeier beantwortete die Frage, ob er über den Putsch überrascht gewesen sei, mit einem klaren „Ja“. Er habe der Unionsfrage „kein solches Gewicht beigemessen“, dass er mit Gegenwehr gerechnet hätte. „Im Übrigen kam sie spät.“ Leonid Luks hingegen verwies auf von ihm veröffentlichte Artikel vor dem Putsch, in denen er die „Eventualität eines Staatsstreiches angedeutet“ habe. Gerhard Simon antwortete: „Ich wurde wie alle vom Putsch am 19. August überrascht.“ Und er liefert dazu folgende Erklärung: In den zurückliegenden etwa eineinhalb Jahren sei „ständig von bevorstehenden Kataklysmen“ in der UdSSR gewarnt worden. Viele innerhalb und außerhalb der Sowjetunion hätten sich „an angeblich bevorstehende Katastrophen gewöhnt und paradoxerweise gerade deshalb nicht mit dem ‚Ereignis‘ gerechnet, als es eintrat.“ Die Frage, ob es Kritik am damaligen Bundesinstitut gegeben habe, das ja auch eine beratende Funktion gegenüber Regierungsstellen hatte, wurde verneint. Heinz Brahm: „Ich habe nicht in Erinnerung, dass man das Institut kritisiert hätte, weil wir nicht rechtzeitig gewarnt hätten. Die Warnungen hätten aus der deutschen Botschaft oder den Geheimdiensten kommen müssen.“ Gerhard Simon führt aus: „Ich kann mich nicht erinnern, dass dem BIO st Vorhaltungen gemacht worden wären, weil wir den Putsch nicht prognostiziert hätten. Die Politik des Westens hatte nicht nur nicht mit dem Putsch gerechnet, sie war davon ausgegangen, ­Gorbatschow und mit ihm die Sowjetunion seien jedenfalls nicht in ihrer Existenz bedroht.“ Die Erklärungen, warum auch zwanzig Jahre nach dem Putsch noch keine wissenschaftlich fundierte Monographie vorliege, fallen unterschiedlich aus.187 Helmut Altrichter: „Man bräuchte neue Quellen. Man weiß viel über die Umstände [des Putsches]. Doch das Geschehen – und wie die Putschisten vorgingen – ist schwer nachzuzeichnen.“ Manfred Hildermeier meint, vieles werde

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in den G ­ orbatschow-Biographien mit behandelt. „Vermutlich gibt es deshalb keine eigene Monographie, aber einige kluge Aufsätze.“ Wie Helmut Altrichter meint auch Manfred Hildermeier, dass es neuer Quellen bedürfe. Gerhard Simon liefert eine andere Erklärung: Das Ende der Sowjetunion sei kein bevorzugtes Forschungsthema, weder in Russland noch außerhalb. „Dafür gibt es gute Gründe: In Russland will man sich nicht damit konfrontieren, weil damit das ganze eigene Geschichtsbild wie es in den Putin-Jahren geschaffen wurde, in Frage steht. Bei uns will man sich auch nicht recht dem Versagen der eigenen Forschung aussetzen, die doch jedenfalls als Mainstream an die Reformierbarkeit und nicht an den Untergang des Sowjetsystems geglaubt hat.“

32  Demonstrationszahlen, die nach dem Putsch nie wieder in Russland erreicht wurden: Einen Tag nach dem Denkmalsturz vor dem KGB nahmen am 24. August 1991 mindestens 300.000 Bürger in Moskau an dem Trauerzug für die drei Putschopfer teil. © Itar-TASS

33  Gedenkstein für die drei Toten am Gartenring. Vor der Aufzählung der Namen steht der Satz: „Hier kamen im August 1991 die Verteidiger der Demokratie in Russland ums Leben.“ © I. Lozo

374 Die politischen Folgen des Putsches und seine historische Einordnung

Dass in Russland anlässlich des 20. Jahrestages die Frage öffentlich diskutiert wurde, ob die August-Ereignisse 1991 ein Putsch oder ein Versuch zur Rettung der Sowjetunion darstellten, wirft ein bezeichnendes Licht auf die gegenwärtige Geschichtsinterpretation dort. Helmut Altrichter macht dafür Putin verantwortlich, für den das Ende der Sowjetunion „ein rotes Tuch“ sei. Manfred Hildermeier konstatiert: „Der Nationalismus feiert gerade unter Putin Urstände.“ Für Leonid Luks spiegelte sich in der Diskussion zum 20. Jahrestag des August-Putsches „die Polarisierung der russischen Gesellschaft wider.“ Gerhard Simon sieht in dem öffentlichen Diskurs in Russland „ein gutes Beispiel dafür, wie die Wahrnehmung das Urteil prägt.“ Konsens unter den deutschen Osteuropahistorikern besteht darin, dass der Putsch – trotz der zunehmend konfrontativen und polarisierten politischen Lage in der Sowjetunion 1990/1991 – ein nicht zu prognostizierendes Ereignis war und daher überraschend kam. Die Präsumtion von Helmut Altrichter und Manfred Hildermeier, die Quellen zum Putsch seien noch nicht vollständig erschlossen, kann zwar nicht mit letzter Sicherheit widerlegt werden. Doch die Vorbereitung und der Verlauf des Putsches, seine staatsanwaltliche und parlamentarische sowie seine KGB-interne Aufarbeitung lassen den Schluss zu, dass keine relevanten Quellen zurückgeblieben sind.188 Die deutschen Osteuropahistoriker haben es in ihrer großen Mehrheit beim Thema August-Putsch vermieden, selbst Verdächtigungen oder Andeutungen zu äußern, der sowjetische Präsident sei Mitwisser oder Komplize gewesen. Allein schon das vorsichtige Aufstellen von Behauptungen dieser Dimension kann als Schädigung des historischen Rufs G ­ orbatschows bezeichnet werden. Maria Huber geht in ihrer Abhandlung „11. März 1985. Die Auflösung des sowjetischen Imperiums“ auf ­Gorbatschows Rolle im Putsch ein und stellt den sowjetischen Präsidenten mit reproduzierten und eigenen Verdächtigungen ins Zwielicht.189 Ihre Rekonstruktion der Putschvorbereitungen stützt sich hauptsächlich auf die fiktionalisierte Darstellung von Wjatscheslaw Keworkow, dem KGB-Generalmajor, der Zugang zu der als Staatsgeheimnis deklarierten rund 1.000 Seiten starken Anklageschrift bekam. Durch den dem Verfasser möglich gewordenen Abgleich zwischen der Anklageschrift und den darin sehr sorgfältig gekennzeichneten Originalaussagen der Zeugen und Beschuldigten einerseits und dem Politthriller Keworkows (Eigenwerbung auf dem Buchdeckel) andererseits stellt sich heraus, dass Huber in Unkenntnis der wichtigsten und ergiebigsten Originalquellen ganze fiktionale Passagen Keworkows übernommen und als

Deutsche Osteuropahistoriker und der Putsch

historische Realität ausgegeben hat.190 Am Ende ihres Kapitels, in dem der Putsch so ausführlich wie bei keinem anderen deutschen Osteuropahistoriker behandelt wird, liefert sie immerhin die Hinweise, dass Keworkows Buch eine „mit schriftstellerischen Einschüben aufgelockerte Chronik“ sei und der KGB-Generalmajor den Ablauf „anhand der für Außenstehende nur schwer zugänglichen Verhörprotokolle“ rekonstruiert habe.191 Zu Hubers im Jahre 2002 veröffentlichten Darstellung über den Putsch ist ferner anzumerken, dass sie auf einer sehr dünnen Quellenbasis steht und beispielsweise die bereits 1993 veröffentliche Putsch-Version Pawlows, die 1994 erschienene Darstellung zu den Hintergründen des Putsches von Oleg Schenin oder die Memoiren des ­G KTSCHP -Mitglieds und Verteidigungsministers Jasow völlig unberücksichtigt lässt. Die Erinnerungen des neben ­Gorbatschow wichtigsten Zeugen, der die Tage in Foros erlebt hat – Präsidentenberater Tschernajew –, werden für das Kapitel über den Putsch ebenfalls nicht herangezogen. Dabei schildert Tschernajew in seinen Memoiren „Die letzten Jahre einer Weltmacht“ aus dem Jahr 1993 sehr stringent, detailliert, anschaulich und somit glaubwürdig die für ­Gorbatschow und sein persönliches Umfeld prekäre Lage in Foros. Schließlich ist festzuhalten, dass Hubers Darstellung an entscheidender Stelle in sich widersprüchlich ist. Einerseits reproduziert und befördert sie die schwerwiegenden Verdächtigungen, G ­ orbatschow sei Komplize gewesen, andererseits entzieht sie ihnen jede Grundlage und verkehrt sie sogar ins Gegenteil. Im Zusammenhang mit dem Besuch der Abordnung in Foros am 18. August schreibt Huber: „Die von G ­ orbatschow davongejagte Delegation landete um 21 : 20 Uhr in Moskau und raste auf dem schnellsten Weg in den Kreml.“ 192 Dass sie „davongejagt“ worden sei, wäre ja ein ausreichender Beweis, dass ­Gorbatschow kein Komplize war. Es erstaunt etwas, dass der August-Putsch in den zwanzig Jahren als eigener Forschungsgegenstand von Osteuropahistorikern in Deutschland auch in Form von Aufsätzen nicht aufgegriffen wurde. Ab Mitte der 1990er-Jahre erschienen in Russland nach und nach die Memoiren der führenden Putschisten, der Unterstützer, der Gegner sowie von unbeteiligt in die Ereignisse hineingezogenen Zeitzeugen.193 Dies allein stellt umfangreiches Quellenmaterial dar.

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8 ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSS­ BETRACHTUNGEN

Das sowjetische Imperium war mit den Freiheitsrevolutionen in den Warschauer-Pakt-Staaten schon 1989 zerbrochen, auch wenn das östliche Verteidigungsbündnis offiziell erst zum April 1991 aufgelöst wurde. In der Sowjetunion selbst, wo die Impulse für ein Aufbrechen der alten kommunistischen Strukturen mit der Perestrojka ihren Ursprung hatten, verlor die ­Gorbatschow-Führung die Kontrolle über ihre Reformbemühungen. Spätestens seit dem Herbst 1989 war die UdSSR durch die Zentrale in Moskau nicht mehr steuerbar. Die von G ­ orbatschow intendierten und propagierten Reformen in sozialistischen Bahnen ließen sich ab etwa 1988 nicht mehr in den Systemgrenzen halten. Rufe nach nationaler Selbstbestimmung und zunehmend auch nach staatlicher Souveränität gingen einher mit Forderungen nach Abschaffung des Parteimonopols der KPdSU und der Planwirtschaft. Obwohl das Parteimonopol Anfang 1990 offiziell aufgehoben wurde, erschien ­Gorbatschow im gleichen Jahr aus Anlass des Maifeiertags in alter kommunistischer Tradition unter anderen mit Mitgliedern seines Politbüros auf der Tribüne des Lenin-Mausoleums. ­Gorbatschow war keineswegs ein Gegner der Systembewahrer, die sich mittlerweile in der Defensive befanden. Er gehörte durchaus zu ihnen, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass er an eine reformierte und demokratischere Sowjetunion glaubte und sie auch anstrebte. Dass sich die Systembewahrer aller Schattierungen ab dem Frühjahr 1990 in der Defensive befanden, lag in erster Linie an Boris Jelzin, der als neuer Führer der Sowjetrepublik Russland zunehmend als politischer und persönlicher Rivale ­Gorbatschows auftrat und die zentrale sowje­tische Machtelite herausforderte. G ­ orbatschow, der 1985 mit dem erklärten Ziel angetreten war, die Sowjetunion und den Sozialismus zu stärken, musste in den Jahren 1989 – 1991 eine Position nach der anderen aufgeben. Aus Sicht der orthodoxen Kräfte war dies Verrat an den gemeinsamen Zielen, die ­Gorbatschow lange selbst propagiert hatte. Seiner innenpoli­tischen Machterosion, die längst nicht mehr nur in dem Aufbegehren der Nationalitäten

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und den Forderungen der demokratischen Kräfte ihre ­Ursache hatte, sondern auch in einer katastrophalen Wirtschaftslage, versuchte er unter anderem mit der Schaffung des sowjetischen Präsidentenamtes und der Anhäufung von zusätzlichen Machtbefugnissen entgegenzutreten, die allerdings keine Wirkung mehr entfalten konnten. ­Gorbatschow lehnte es im März 1990 ab, sich einer Wahl durch die Bevölkerung zu stellen. Er war schon zu diesem Zeitpunkt zu unpopulär, als dass er mit einem sicheren Sieg bei einer plebiszitären Wahl hätte rechnen können. Er wurde lediglich vom kommunistisch dominierten Volksdeputiertenkongress der UdSSR gewählt, der selbst 1989 nicht ganz demokratisch gewählt worden war. Seine Mittlerrolle zwischen den dogmatischen Systembewahrern und den demokratischen Kräften verlor er zum einen durch das weitere politische Erstarken Jelzins, der nicht mehr disziplinierbar war, und zum anderen durch die Entfremdung zwischen ihm und der Partei sowie den anderen orthodoxen Kräften, die in ihm zunehmend den Zerstörer des bisherigen Systems sahen. Vordergründig hatten die sowjetischen Dogmatiker die Verhängung des Ausnahmezustandes wegen der katastrophalen Versorgungslage und wegen des zunehmenden Abdriftens der Republiken von der Zentrale gefordert. In Wirklichkeit war diese Forderung allerdings zum Zweck der Systemrettung und Ausschaltung der demokratischen Kräfte, insbesondere des systembedrohenden Boris Jelzin, erhoben worden. ­Gorbatschow schwankte zwischen den demokratischen und restaurativen Kräften, die sich als politische Gruppierung existenziell gegenseitig ausschlossen. Im Herbst 1990 näherte er sich den orthodoxen Kräften an, förderte sie und erteilte persönlich den Auftrag, Implementierungsmaßnahmen für den Ausnahmezustand auszuarbeiten. Durch einige seiner Personalentscheidungen in dieser Phase und durch seine politischen Planspiele zu einer Verhängung des Ausnahmezustandes trägt er eine Mitverantwortung für den Putsch, wenn auch eine geringe. Er selbst war es, der am 28. März 1991 ein inoffizielles Gremium schuf, das verschiedene Varianten der Verhängung des Ausnahmezustandes oder des Regierens mittels des Präsidentenrechts ausarbeiten sollte. Diesem Gremium gehörten unter anderen Janajew, Jasow, Krjutschkow und Pugo an. Allerdings hatte G ­ orbatschow den Ausnahmezustand – im Gegensatz zu den Putschisten – etwa ab April 1991 (Beginn der Nowo-Ogarewo-Verhandlungen) nicht als systemrestaurierendes Instrument verstanden wissen wollen, mit dem er die Republiken disziplinieren wollte. Diese entscheidende Differenzierung im Verständnis

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vom Zweck des Ausnahmezustandes, den G ­ orbatschow notfalls zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage oder bei Unruhen in der Bevölkerung einführen wollte, haben die Putschisten nicht vorgenommen bzw. nicht vornehmen wollen. Dennoch war es vonseiten des sowjetischen Präsidenten fahrlässig, den Ausnahmezustand so lange in der Diskussion zu lassen. Andererseits haben die Systembewahrer und Gegner einer Dezentra­ lisierung der Sowjetunion als Mitglieder der G ­ orbatschow-Führung selbst mitgewirkt an dem Nowo-Ogarewo-Prozess. Sie ließen auch schon lange vorher systemuntergrabende Reformen zu und trugen sie mehrheitlich sogar mit (unter anderem die Abschaffung des Machtmonopols der KPdSU und die Abschaffung der zentralen Planbehörde Gosplan), sodass sie rechtliche Realitäten schufen, für die sie selbst auch verantwortlich waren. Insofern war die Gründung des ­GKTSCHP ein Akt, mit dem die fundamentale Revision der bereits erfolgten und der noch zu erwartenden Dezentralisierung der UdSSR eingeleitet werden sollte. Da der Präsident politisch ausgeschaltet und somit die Macht ergriffen wurde, ist dieser Akt als Putsch zu qualifizieren. Das Komitee nahm zeitweise einige politische Gegner fest, verbot Zeitungen und griff zu weiteren repressiven Mitteln. ­Gorbatschow hingegen hatte im März 1991 ein letztes Mal versucht, die Union mit ihren 15 Republiken mit politischen Mitteln und auf der Basis der Freiwilligkeit zu retten, indem er ein Referendum über die Zukunft des Staates abhalten ließ. Da sich nur neun Republiken daran beteiligten und es nicht einmal in diesen neun verbliebenen Teilstaaten einheitliche Fragestellungen auf den Stimmzetteln gab, hat das Ergebnis des Referendums keine besondere Aussagekraft. Von den Putsch-Organisatoren wurde das Wahlergebnis bei ihrer Macht­über­nahme, aber auch zuvor von G ­ orbatschow, als Votum der Bevölkerung für den Erhalt der Union gedeutet und fälschlicherweise als Argument herangezogen, die Bürger der Sowjetunion hätten sich mit 76 Prozent für den Erhalt des Zentralstaates ausgesprochen. Dabei war Boris Jelzin der eigentliche Sieger und Profiteur dieses Referendums, weil ihm mit der in der Sowjetrepublik hinzugefügten Frage über die Einführung eines russischen Präsidentenamtes, die die große Mehrheit der Bevölkerung bejahte, der Weg für den weiteren politischen Aufstieg geebnet wurde; dieser Weg sollte sich letztlich als systemsprengend erweisen. Im Machtkampf mit Jelzin spiegelten sich zunehmend die ideologischen und verfassungsrechtlichen Widersprüche der Sowjetunion wider, die auf Dauer nicht nebeneinander existieren konnten. Jelzin war am 12. Juni 1991 in einer freien und demokratischen Wahl und mit großer Mehrheit zum

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Präsidenten Russlands gewählt worden. Die sowjetische Systemkrise war in einen Systemverfall übergegangen. Der Desintegrationsprozess der UdSSR war in der ersten Hälfte des Jahres 1991 mit der Ablehnung von sechs der fünfzehn Republiken, an den im April des gleichen Jahres begonnenen Verhandlungen in Nowo-Ogarewo zu einem Unionsvertrag überhaupt teilzunehmen, schon so weit fortgeschritten, dass keine begründete Hoffnung mehr bestand, den bisherigen Zentralstaat mit politischen Mitteln zu retten. Dieser Unionsvertrag, der in Forschung und Publizistik auf seinen tatsächlichen Inhalt hin kaum betrachtet, sondern mehr als ein Putschmotiv diskutiert wird, war eine juristische Fehlkonstruktion, weil er in quälenden Verhandlungen Unvereinbares miteinander vereinbaren wollte: die staatliche Unabhängigkeit der Republiken und den Erhalt des Zentralstaates. Auch lag seiner Annahme durch acht Republiken keine parlamentarische Absicherung zugrunde, weil eine Reihe seiner Artikel der sowjetischen Verfassung widersprachen. Die Ukraine – als eine der ursprünglich neun Republiken – zog sich im Juni 1991 zurück, vertagte die Entscheidung auf den Herbst 1991, bereitete damit aber insgeheim die Ablehnung des Vertrags vor. Bei den Verhandlungen in Nowo-Ogarewo mangelte es an Rechtsbewusstsein, auch bei ­Gorbatschow. Alles wurde von dem politischen Kräfteverhältnis in der untergehenden Sowjetunion diktiert. Es war allerdings – und das muss man den Akteuren zugutehalten – im Frühjahr 1991 illusorisch, ordentliche Verfassungsänderungen, für deren Wirksamkeit die Beteiligung aller 15 Republiken erforderlich gewesen wäre, herbeizuführen. Auch hat es keine abschließende parlamentarische Erörterung des Unionsvertrags im Obersten Sowjet der UdSSR gegeben. Entscheidend ist hier allerdings, dass die Abgeordneten und der Parlamentsvorsitzende sie vor der anvisierten Unterzeichnung gar nicht eingefordert hatten. Schließlich gab es kein geordnetes und ausgereiftes Unterzeichnungsverfahren, denn am 20. August hätten nur drei Republiken und die Zentralregierung unterschrieben. Insofern kann man unter Berücksichtigung all dieser Begleitfakten von einem „Mythos Unionsvertrag“ sprechen. Die „Grundprinzipien“ dieses Vertrags, der faktisch eine neue Verfassung darstellte, waren so widersprüchlich formuliert, dass sie in der politischen Praxis zwangsläufig zum Streit über ihre Auslegung geführt hätten. Die Putschisten waren über den Inhalt des Unionsvertrags rechtzeitig informiert, waren teilweise sogar bei den Verhandlungen in Nowo-Ogarewo anwesend. Ihre Behauptung, sie wären bei der Vertragsveröffentlichung Mitte August 1991 über den Inhalt überrascht gewesen und hätten deswegen

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handeln müssen, hat daher keine Grundlage. Sie hatten auch während der dreimonatigen Verhandlungen von Nowo-Ogarewo (April bis Juli 1991) ausreichend Gelegenheit, ihren Protest gegen die Inhalte des Vertrages zu artikulieren. Dies taten weder die Putschisten noch tat es der sowjetische Parlamentspräsident Lukjanow. Bemerkenswert im Zusammenhang mit der Veröffentlichung ist, dass dieses staatstragende Dokument von einem ausländischen Medium – der Deutschen Presse-Agentur in Moskau – zuerst publiziert wurde, und zwar am 13. August. Es wurde nicht – wie allgemein dargelegt – am 14. August erstmalig in den Moskowskie Nowosti veröffentlicht. Zweifellos wollte G ­ orbatschow – und wahrscheinlich auch Jelzin – vermeiden, dass der mühsam ausgehandelte Vertrag durch neue Diskussionen gefährdet würde. Der sowjetischen Führung, und damit auch den Putschisten, war der Vertrag aber längst bekannt. Krjutschkow selbst bestätigte in seinen Memoiren, dass er ihm Ende Juli 1991 vorgelegen hatte und er sogar mit einigen Republikführern, einschließlich Jelzin, Nachverhandlungen führte in Bezug auf die Kompetenzen des KGB. Außerdem waren die Putschvorbereitungen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung am 14. August in der Reformzeitung Moskowskie Nowosti längst im Gange. Sie begannen am 5. August, nachdem ­Gorbatschow am 2. August im sowjetischen Fernsehen und Jelzin einen Tag zuvor über seinen Sprecher die Vorverlegung der Vertragsunterzeichnung auf den 20. August bekannt gegeben hatten und G ­ orbatschow am 4. August in den Urlaub gefahren war. Diese TV-Ansprache war der Auslöser für den Putsch, denn sie gab den Systembewahrern die Gewissheit, dass der Vertrag nun doch unterzeichnet würde – obwohl zunächst nur von drei Republiken und obwohl Russland seine Unterschrift bis dahin von der Ukraine abhängig gemacht hatte. Die seit mehr als 20 Jahren sehr häufig anzutreffende Darstellung, ein die künftigen personellen Besetzungen in der neuen Union betreffendes Gespräch zwischen ­Gorbatschow, Jelzin und dem kasachischen Präsidenten in Nowo-Ogarewo Ende Juli 1991 sei vom KGB abgehört worden und der Auslöser für den Putsch gewesen, ist nicht haltbar. Dafür gibt es fünf Hauptgründe: 1 Dieses Narrativ basiert lediglich auf Hörensagen. 2 Umfängliche staatsanwaltliche und KGB -interne Ermittlungen nach dem Putsch haben keinerlei Anhaltspunkte in diese Richtung geliefert. 3 Der Abschluss des Unionsvertrages hätte schon für sich allein genommen die Konsequenz gehabt, dass die zentralen Strukturen geschwächt und die Positionen der Spitzenvertreter der Machtzentren der Union (KGB,

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Armee, Regierung) erheblich beschnitten bzw. abgeschafft worden wären. Für diese Erkenntnis bedurfte es nicht eines eigens abgehörten Gesprächs mit dem entsprechenden Inhalt. 4 Gorbatschow ist bei der Frage nach dem Abhören in Nowo-Ogarewo in einem Schreiben an den Verfasser (Anhang, Seite 493, Antwort 3) deutlich hinter das zurückgegangen, was er in seinen Memoiren von 1995 schrieb. Damals stellte er bestimmte Vorgänge in diesem Zusammenhang als Tatsache hin; aus dem Schreiben jetzt geht eindeutig hervor, dass die gesamte Version auf Hörensagen beruht. 5 Gorbatschow, Jelzin und Nasarbajew sprachen in Nowo-Ogarewo davon, dass KGB-Chef Krjutschkow, Verteidigungsminister Jasow und Regierungschef Pawlow abgelöst werden sollten. Von diesen dreien war aber nur der KGB-Chef als Organisator aktiv. Jasow war zu diesem Zeitpunkt schon seit Monaten dabei, seinen Stellvertreter Atschalow zu seinem Nachfolger aufzubauen. An dem Putsch nahm Jasow zögerlich teil und war derjenige, der die Niederlage des G ­ KTSCHP mit dem Rückzug der Truppen aus Moskau besiegelte. Dass er besonders machtversessen war, kann schwerlich behauptet werden. Pawlow war an den ersten Putschvorbereitungen gar nicht beteiligt. Baklanow und Schenin gehörten zu den treibenden Kräften. Ihre Personalien wurden in dem Dreier-Gespräch der Präsidenten aber gar nicht erwähnt. Schenin und Baklanow handelten, nachdem feststand, dass der Unionsvertrag tatsächlich unterschrieben würde. Ursprünglich war dies für den Herbst 1991 geplant, doch waren die Aussichten dafür vage gewesen. Wenn von „den Putschisten“ die Rede ist, ist zu berücksichtigen, dass es dabei im Wesentlichen um die Spitzen des KGB, des Parteiapparates der KPdSU sowie der Rüstungsindustrie geht. Krjutschkow, Schenin und Baklanow waren diejenigen, die die anderen Mitglieder der sowjetischen Führung in ihr Vorhaben hineinzogen. In der Verteidigung ihrer Interessen sind Gründe für den Putsch zu finden, aber vor allem auch in der – in ihrem Verständnis – patriotischen Absicht, den Zerfall des Landes aufzuhalten. Der KGB hätte seine bisherige Organisationsstruktur durch die Stärkung der Republiken verloren; Jelzin hatte Krjutschkow drei Monate vor dem Putsch mitgeteilt, dass Russland eigene Staatssicherheitsstrukturen aufbauen werde. Das Präsidium des Obersten Sowjets Russlands ernannte ­V iktor Iwanenko dann am 5. Mai 1991 zum ersten (und letzten) KGB Chef der RSFSR in deren Geschichte als Teil der Sowjetunion. Über

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die Verteilung der Kompetenzen zwischen der Zentrale und Russland konnte allerdings keine Einigung erzielt werden. Krjutschkow und Jelzin verständigten sich im Mai 1991 darauf, die strittigen Punkte nach der Verabschiedung des neuen Unionsvertrages zu regeln. Jelzins Machtzuwachs als frei gewählter Präsident Russlands und seine Vereidigung im Juli 1991 konnten sich im Kräfteverhältnis zwischen ihm und Krjutschkow nur zum Nachteil des KGB -Chefs auswirken. Diese drohende Schwächung des KGB und seiner eigenen Position zu verhindern, war die tiefere Ursache für Krjutschkow, den Putsch zu initiieren. Oleg Baklanow drohte durch die mehrfach von Jelzin angekündigte Neuregelung der Verfügungsgewalt der auf dem russischen Territorium befindlichen Betriebe und Wirtschaftseinheiten ebenfalls ein Macht- und Bedeutungsverlust. Nicht zu unterschätzen bei der Frage nach seinen persönlichen Motive ist allerdings auch sein familiärer russisch-ukrainischer Hintergrund. Geboren, aufgewachsen und beruflich ausgebildet in ­Charkow, verteidigte Baklanow als Heranwachsender im Zweiten Weltkrieg die Sowjetunion, die für ihn – in seiner Sozialisation – tatsächlich die Heimat darstellte. Der politisch und juristisch kurz nach dem Putsch gegen ihn erhobene Vorwurf des Landesverrats ist auch aus dieser Perspektive betrachtet als absurd zu qualifizieren. Das gilt ebenso für Verteidigungsminister Jasow oder General Warennikow, die als Soldaten im Zweiten Weltkrieg ihre Heimat – die Sowjetunion – verteidigten und mehr als vier Jahrzehnte später ihren Untergang erlebten. Die Staatsanwaltschaft musste aufgrund der Tatsache, dass das Komitee gerade für den Erhalt der Sowjetunion eintrat, den Tatvorwurf „Landesverrat“ folgerichtig fallen lassen. Schenin, neben Krjutschkow und Baklanow der dritte aktive Organisator des G ­ KTSCHP, hatte vergeblich auf die Unterstützung G ­ orbatschows gehofft und darauf gesetzt, dieser würde sich Jelzins Parteizellenverbot in den Betrieben und Behörden entgegenstellen. Für ihn, der erst ein Jahr zuvor von Krasnojarsk nach Moskau gekommen war, wäre eine weitere Stärkung Jelzins mit einem politischen Abstieg verbunden gewesen. Oleg Schenin, der zu den Befürwortern eines Gewalteinsatzes gegen das Jelzin-­ Lager gehörte, war ein entschiedener Verteidiger des im Untergang befind­ lichen Sowjetsystems. Neben seinen persönlichen Machtmotiven spielten aber auch seine politischen Überzeugungen eine Rolle. Seine weitere Vita bis zu seinem Tod belegt, dass er sogar im neuen Russland ein orthodoxer Verfechter der kommunistischen Ideologie blieb und sogar das illusorische Ziel verfolgte, die UdSSR wiederzuerrichten.

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Dass allerdings „die KP dSU “ den Putsch aktiv unterstützt hätte, ist nicht zutreffend. Schenin ging eigenmächtig vor, informierte nur den Moskauer KP-Chef Prokofjew vorab. Die übrigen ZK-Sekretäre tauchten am 19. August 1991 mutlos ab und verhielten sich – als die Niederlage des ­ KTSCHP zwei Tage später besiegelt war – in größtem Maße opporG tunistisch. Die alte Nomenklatura unterstützte den Putsch mehrheitlich auch deshalb nicht aktiv, weil sie sich teilweise schon auf die Erfordernisse der neuen Zeit eingestellt und begriffen hatte, dass eine Sicherung ihrer Positionen und Privilegien in der neuen Epoche nur durch eine Anpassung an die Strukturen und Erfordernisse des im Aufbau befindlichen demokra­tischen, marktwirtschaftlichen und antikommunistischen Systems gelingen konnte. Sie unternahm allerdings aktiv auch nichts gegen das G ­ KTSCHP, sondern verhielt sich in höchstem Maß opportunistisch und wartete ab, wie der Machtkampf ausgehen würde. Der Putsch richtete sich nur vordergründig gegen ­Gorbatschow; er galt in erster Linie Jelzin, der die zentrale sowjetische Führung bekämpfte und auch die Zerschlagung der KPdSU betrieb. Sein Kurs der politischen und ökonomischen Selbstbestimmtheit Russlands konnte nur die Schwächung der Machtinhaber in den sowjetischen Zentralstrukturen zur Folge haben. Aus diesem Grund bleibt die allgemein recht gängige Charakterisierung des Ereignisses als „Putsch gegen G ­ orbatschow“, die vor allem auf dessen Isolierung in Foros beruht, etwas ungenau. Im Vergleich zu G ­ orbatschow war das politische Konfliktpotenzial zwischen den Systembewahrern und Jelzin bedeutend größer. Der Putsch als Rettungsversuch der Sowjetunion vor ihrem Untergang kam vergleichsweise spät. Der enge Kreis der orthodoxen Systembewahrer um den KGB-Chef hatte die beiden weiteren militärischen Machtsäulen – Armee und Innenministerium – zwar rechtzeitig auf seine Seite gezogen und auch andere mit Macht ausgestattete sowjetische Funktionsträger wie den Regierungschef als Unterstützer gewonnen. Doch vollzog sich die Macht­über­nahme nach dem gescheiterten Versuch, ­Gorbatschow selbst dazu zu bringen, den Ausnahmezustand zu verhängen, nicht energisch und entschlossen, sondern hastig und unsicher und wurde durch einen gewissen Gruppenzwang diktiert. Auffällig bei der zum Teil widerwilligen Bildung des G ­ KTSCHP war die im Jahr 1991 noch starke Position des KGB, vor dem sich auch höherrangige Amtsträger wie Vizepräsident Janajew offensichtlich fürchteten. Diese Geheimdienstkultur, die das Land über Jahrzehnte geprägt hatte, war mitentscheidend dafür, dass das Komitee

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überhaupt gebildet werden konnte. Es war auch der KGB-Chef, der den Putsch federführend plante und organisierte. Krjutschkow ist gleichzeitig der Hauptverantwortliche dafür, dass die Macht­über­nahme scheiterte. Sie hätte zwar aufgrund des zum Zeitpunkt des Putsches fortgeschrittenen Verfalls der UdSSR vermutlich nicht von Dauer sein können. Doch eine – wenn auch eher geringe – Chance hätte es bei einer stringenten Strategie und einer Bereitschaft zum Gewalteinsatz in Moskau wohl gegeben. (Bei einer Machtergreifung durch einen Putsch wird diese Option in der Regel offengehalten, und es wird notfalls von ihr auch Gebrauch gemacht.) Einige vermeintlich abtrünnige Sowjetrepubliken schwenkten aufgrund der Machtdemonstration in Moskau am 19. August 1991 um und bekundeten plötzlich ihre Subordinationsoder zumindest ihre Kooperationsbereitschaft, allen voran die wichtige Teilrepublik Ukraine. Die Gründe für das Scheitern des G ­ KTSCHP, das allein über alle militärischen und polizeilichen Machtmittel der Sowjetunion verfügte (Russland hatte weder eine Armee noch eine Miliz), waren: 1 Es gab eine gravierende Fehleinschätzung über den Grad des demokratischen Wandels. Die Bevölkerung – vor allem in der Hauptstadt Moskau, wo der Machtkampf entschieden wurde – war selbstbewusster geworden. Die neuen Freiheiten sahen viele Bürger durch das G ­ KTSCHP gefährdet, auch wenn sie dessen Hauptanliegen – das Schaffen von „Ordnung“ – teilten. 2 Zudem kam es zu einer vorsichtigen und letztlich inkonsistenten Doppelstrategie im Hinblick auf ­Gorbatschow, die zunächst in der Hoffnung bestand, er würde an seinem Urlaubsort in Foros die Verhängung des Ausnahmezustandes sanktionieren. Seine politische Ausschaltung kam sehr spät; offiziell blieb er aber Präsident und war nicht seines Amtes enthoben. Für die Putschisten ging durch den Überredungsversuch in Foros wertvolle Zeit verloren. 3 Ein Fehler war auch die nach ­Gorbatschows Ablehnung, den Ausnahmezustand einzuführen, vorgeschobene Erklärung, er sei krank und daher nicht in der Lage, seine Amtsgeschäfte zu erfüllen. Dies wirkte von vornherein vertrauenzerstörend. Diese plumpe Scheinbegründung, vom KGBChef vorbereitet und formuliert, war ein Relikt aus der „alten“ Sowjetzeit. Das ungewisse Schicksal G ­ orbatschows versetzte die Putschisten in eine Position der Rechtfertigung und lenkte von ihrem Anliegen ab, die Lage im Land stabilisieren zu wollen. 4 Auch gegenüber Jelzin wurde eine vorsichtige, inkonsistente und schlecht vorbereitete Doppelstrategie eingeschlagen. Die Verhandlungsvariante

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scheiterte nicht von vornherein am russischen Präsidenten, der am Morgen des 19. August in Archangelskoje keineswegs sofort den Konfrontationskurs gegenüber dem Komitee eingeschlagen hatte, sondern an den Organisatoren des Putsches selbst. Ein Gespräch mit Jelzin war zwar vorgesehen, doch von Seiten des G ­ KTSCHP stand letztlich niemand bereit. Als sich im Laufe des 19. August für die Putschisten angesichts des sich formierenden Widerstandes und des Barrikadenbaus eine neue Situation ergab, plante Krujtschkow zwar die Ausschaltung und Festnahme Jelzins. Doch eine Zustimmung dazu durch das Komitee erfolgte zu keinem Zeitpunkt. 5 Die Putschisten waren überzeugt, die politische Gegnerschaft – ja persönliche Abneigung und Feindschaft – zwischen ­Gorbatschow und Jelzin ließe sich für das Ziel der Macht­über­nahme durch das Komitee instrumentalisieren. Sie rechneten nicht damit, dass sich beide verbünden könnten. Die ablehnende Erstreaktion Jelzins am Morgen des 19. August auf den Vorschlag seiner Berater, er müsse sich für die politische Rückkehr ­Gorbatschows einsetzen, belegt, dass es für diese Überzeugung der Putschisten gute Gründe gab. 6 Den Befehl zum Truppeneinmarsch nach Moskau empfanden viele Bürger als schockierend. Diese martialische und quantitativ enorme Militärpräsenz sei schlicht unnötig gewesen, räumten sogar einige Putschisten hinterher ein. 7 Es fehlte eine überzeugende Führungsperson. ( Jelzin schrieb in seinen Memoiren, dass mit einem Anführer Baklanow der Putsch wohl erfolgreich gewesen wäre.1) 8 Das Prinzip der kollektiven Entscheidung führte zu Zeitverlust und einem Mangel an Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. 9 Schon die Bildung des G ­ KTSCHP basierte nicht durchgehend auf echter Freiwilligkeit und Überzeugung, sondern auf Gruppenzwang. 10 Das Komitee und seine wichtigsten Unterstützer waren in der entscheidenden Frage der Zulässigkeit eines möglichen Gewalteinsatzes, der aber bei den ­GKTSCHP-Sitzungen nur sehr verhalten diskutiert wurde, tief gespalten. Die Befürworter waren die drei Hauptorganisatoren Krjutschkow, Baklanow und Schenin, aber auch Pugo, Tisjakow, General Warennikow und Juri Prokofjew. Die entschiedenen Gegner waren Janajew, Jasow und – nach einer persönlichen Erkundungsfahrt um das Weiße Haus – auch Atschalow. Starodubzew nahm eine unentschiedene Position ein, Pawlow fiel am Abend des ersten Putschtages aus. Die Frage des Gewalteinsatzes

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stellte sich erst am dritten Tag in aller Schärfe, als Jasow den Abzug der Truppen befohlen und somit das Ende des G ­ KTSCHP besiegelt hatte. 11 Relevant waren auch der unzeitgemäße Umgang mit den Medien und die ungeschickte Instrumentalisierung des Fernsehens als Hauptinformationsquelle der Bürger. Das Verbot von Zeitungen und die Zensur der elektronischen Medien waren angesichts der inzwischen offener und freier gewordenen Gesellschaft und der globalen kommunikationstechnischen Verflechtung ineffektiv. Die verfügte Belegung des ersten und zweiten sowjetischen Kanals mit einem identischen Programm sowie die monotone Wiederholung der G ­ KTSCHP-Erklärungen verhinderten eine kreative und offensive Informationspolitik, die die Meinungsbildung zugunsten des Komitees hätte beeinflussen können. Nicht wenige Bürger verstanden gar nicht, was überhaupt passierte. (Die weit verbreitete Darstellung, das Komitee hätte veranlasst, Tschaikowskis Schwanensee, ein mediales Symbol für den Putsch, am 19. August ins Programm zu nehmen, ist unzutreffend.) 12 Negativ wirkte sich die blamable persönliche Vorstellung des Komitees auf der internationalen Pressekonferenz am ersten Putschtag aus. Selbst Sympathisanten einer „Ordnung schaffenden Hand“ innerhalb der Bevölkerung oder der Sicherheitskräfte war nun klar, dass es sich nicht lohnte, die neuen Machthaber zu unterstützen. 13 Ein klares politisches Programm fehlte. Einerseits wurden in der veröffentlichten „Erklärung an das Volk“ die Perestrojka-Jahre verurteilt, die das Land in eine „Sackgasse“ geführt hätten, andererseits bekundete das Komitee auf der Pressekonferenz, dass es den politischen Kurs von Präsident ­Gorbatschow fortsetzen wollte. Einerseits wurde die Marktwirtschaft verurteilt, andererseits hieß es – ebenfalls auf der Pressekonferenz –, der Kurs Richtung Marktwirtschaft werde fortgesetzt. 14 Gravierend waren die drei tödlichen Zwischenfälle in der Nacht zum 21. August bei den Patrouillenfahrten auf dem Gartenring in Moskau. Zu den am schwersten wiegenden Faktoren, die eine erfolgreiche Macht­ über­nahme durch das Komitee verhinderten, gehören das uneinheit­ liche Vorgehen in Bezug auf G ­ orbatschow und Jelzin sowie die fehlende Bereitschaft, zur Absicherung der Macht­über­nahme Festnahmen der führenden Gegner vorzunehmen und notfalls auch Gewalt einzusetzen. Hierfür wären in einem frühen Stadium (als die Zahl der Demonstranten noch sehr gering war) die KGB -Sondereinheiten und die Miliz ausreichend gewesen.

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Die Macht­über­nahme und der faktische Sturz G ­ orbatschows wurden im Ausland zumindest bis zum zweiten Putschtag geduldet; die west­lichen Staats- und Regierungschefs artikulierten bereits politische Nachrufe auf ­Gorbatschow. Im eigenen Land war der sowjetische Präsident 1991 bei der Bevölkerung weitgehend diskreditiert und extrem unpopulär. Für ihn setzten sich die Bürger, die sich angesichts der politisch anarchischen und der wirtschaftlich abgründigen Lage nach „Ordnung“ sehnten, nur sehr vereinzelt ein. Gerade deshalb waren die Organisatoren des Putsches auch siegessicher; sie hatten mit einer enormen Unterstützung seitens der Bevölkerung und der Nomenklatura gerechnet und auf eine weit verbreitete Erleichterung darüber gesetzt, dass eine neue Führung dem unbestrittenen Chaos im Land nun endlich ein Ende setzen würde. Doch sie unterschätzten – wie oben erwähnt – die gesellschaftlichen Veränderungen, den demokratischen Wandel und die neue „Angstfreiheit“ vieler Bürger als Ergebnis von sechs Jahren Perestrojka. Während der drei August-Tage von 1991 galt die Unterstützung vonseiten der Bevölkerung aber kaum dem Initiator der Veränderungen, sondern fast ausschließlich seinem politischen Widersacher und Partner Jelzin, der sich unangefochten an die Spitze der demokratischen Kräfte gestellt hatte. Die ­Gorbatschow-Ära ging – entgegen dem politischen Wunschdenken oder auch der Kenntnis vieler Staatsmänner im Westen – 1991 klar ihrem Ende entgegen. Dazu wäre gar kein Putsch erforderlich gewesen. Wäre der Unionsvertrag von den acht oder neun Republiken unterzeichnet worden, so hätte sich ­Gorbatschow einer freien und demokratischen Wahl durch die Bürger dieser verbliebenen Republiken stellen müssen, auch in Russland. Eine begründete Chance, als Sieger aus der plebiszitären Wahl, die der Unionsvertrag vorschrieb, hervorzugehen, war bei ihm nicht gegeben. Die russischen Präsidentschaftswahlen von 1996, bei denen G ­ orbatschow offiziell ein halbes Prozent der Stimmen bekam, machten dies mehr als deutlich – auch wenn dieses Ergebnis teilweise auf mediale und organisatorische Benachteiligungen durch die Jelzin-Führung zurückzuführen ist. Schon im März 1990 wagte ­Gorbatschow es nicht, sich von der Bevölkerung zum Präsidenten wählen zu lassen. Eine klare und offensive Absetzung des sowjetischen Präsidenten durch die Putschisten wäre daher im August 1991 von der großen Mehrheit der Bevölkerung wohl nicht nur akzeptiert, sondern sogar begrüßt worden. Dass die Rolle G ­ orbatschows in dem Putsch ins Zwielicht gerückt, er teilweise sogar als Komplize dargestellt wird, entbehrt jeder Grundlage

Zusammenfassung und Schluss­betrachtungen

und ist in erster Linie ein Produkt der Verdächtigungen, die schon im August 1991 geäußert wurden und häufig reproduziert werden. Befördert wurden diese Irreführungen durch Darstellungen der meisten Putschisten, die diese allerdings erst nach ihrer Haftentlassung machten. Bei den staatsanwaltlichen Verhören belasteten sie den Präsidenten nicht oder allenfalls vorsichtig. Offenbar in Todesangst äußerten sie teilweise Reue und baten ihn kurz nach ihrer Verhaftung sogar um Vergebung (wie etwa Krjutschkow). G ­ orbatschow, der zwar die Verhängung des Ausnahmezustandes zur Stabilisierung der Lage grundsätzlich nicht ausgeschlossen hatte, hat mit seiner Weigerung am 18. August 1991 in Foros, diesen Weg tatsächlich zu gehen, zum Scheitern des Putsches beigetragen. Nach dem Scheitern des Staatsstreichs hat ­Gorbatschow dann aber die Form, in der er das Ansinnen der Emissäre in Foros ablehnte, zweifellos übertrieben und mit Kraftausdrücken und Beleidigungen angereichert. Unbestritten ist, dass er mit der Delegation lange diskutierte, nach einer anfänglichen Furcht das Gespräch dominierte und den Besuchern zum Ende die Hand gab. Zum finalen politischen Bruch mit den Emissären ist es nicht gekommen: G ­ orbatschow erklärte den jeweiligen Handschlag damit, dass er den Besuchern, weil sie „ja mit mir in einer Führung saßen […], Respekt entgegenbringen musste.“ 2 Er machte ihnen ferner das Angebot, dass die Parlamente die Frage des Ausnahmezustandes entscheiden sollten. ­Gorbatschow war innenpolitisch viel zu isoliert, als dass er es sich hätte leisten können, sich im Sommer 1991 auch noch von seiner eigenen Führung komplett zu distanzieren, mit der er ja zweifellos in Moskau noch über den Ausnahmezustand gesprochen hatte. Das Gespräch in Foros hatte entgegen zahlreichen Darstellungen in historischen Abhandlungen und entgegen den Memoiren-Darstellungen G ­ orbatschows keinen ultimativen oder erpresserischen Charakter. Es war ein Überredungs- und Überzeugungsversuch, denn die Emissäre wussten nach diesem Ergebnis selbst nicht, welcher Schritt in Moskau nun tatsächlich folgen würde. Auch ­Gorbatschow konnte es nicht wissen; er hat ihnen und den übrigen Mitgliedern seiner Führung in Moskau ganz offensichtlich nicht zugetraut, dass sie Panzer auffahren lassen, was der Macht­über­nahme einen martialischen Charakter verlieh. Was die Lage in Foros betrifft, gibt es keine Zweifel: ­Gorbatschow und seine Familie waren drei Tage isoliert. Der sowjetische Präsident hatte keinerlei Kenntnis von den Plänen der Putschisten; Spekulationen und Behauptungen, die sich selbst in russischen Geschichtslehrbüchern finden,

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er hätte telefonieren können, sind unhaltbar und widersprechen allen Ermittlungsergebnissen. Offensichtlich aus Feindschaft zu G ­ orbatschow erhob auch Boris Jelzin 2006 schwere Vorwürfe gegen ihn, die nur als politische und persönliche Verleumdung bezeichnet werden können. Er hatte ­Gorbatschow in den ersten Jahren nach dem Putsch als Opfer beschrieben, 15 Jahre später dann ausschließlich als Mitwisser; neue Erkenntnisse oder gar Belege hat er dabei nicht vorgelegt. Jelzin reproduzierte die politisch völlig unlogische Hypothese, der sowjetische Präsident hätte – in Kenntnis der Putschpläne – in Foros abgewartet, wer in Moskau die Oberhand gewinnt, um sich dann den Siegern anzuschließen. Jelzin selbst hat als Sieger bewiesen, dass er G ­ orbatschow nicht brauchte. Wem hätte sich der sowjetische Präsident anschließen können? Bei den siegreichen russischen Demokraten war kein Platz für ihn. Hätte das G ­ KTSCHP wider Erwarten gesiegt, wären ihre Organisatoren Krjutschkow, Baklanow und Schenin die wichtigsten neuen Machthaber geworden. Die Perestrojka war ihnen zuwider, ­Gorbatschow hatten sie schon auf dem ZK -Plenum im April 1991 in der Partei entmachten wollen; im Juni 1991 wollten sie seine Befugnisse als Präsident durch das Parlament beschneiden. Er hatte sich in Foros geweigert, den Ausnahmezustand zu verhängen und sie somit nicht unterstützt. Wieso sollten sie ihm dafür danken, indem sie ihm erlaubten, sich ihnen nach einem Sieg in Moskau anzuschließen oder sogar wieder die Führung zu übernehmen? Der Versuch, die Sowjetunion im Sommer 1991 wiederherzustellen, wäre nur mit Gewalt möglich gewesen. ­Gorbatschow hätte sein Lebenswerk verraten, und dazu wäre er nicht bereit gewesen. Die führenden Systembewahrer schließlich, die ihn für den Zerfall des Landes und den Niedergang der KPdSU verantwortlich machten, brauchten einen weiter an westlichen politischen und wirtschaftlichen Werten orientierten ­Gorbatschow ebenfalls nicht. Ungeschickt im Zusammenhang mit ­Gorbatschows erster Pressekonferenz nach seiner Rückkehr aus Foros war allerdings dessen Äußerung: „Ich sage sowieso nicht alles.“ Dieser Satz G ­ orbatschows bezog sich zwar eindeutig nicht auf die Tage in Foros oder die Putschisten selbst, sondern nachweislich auf seine Überlegungen, wie er den Kurs der Umgestaltung bewahren und retten wollte. Statt Zweifel an seiner Rolle zu hegen, wäre es zutreffender, seine Rolle beim Scheitern des Putsches stärker herauszustreichen. Dies widerspräche auch nicht dem Ergebnis, dass er durch einige seiner Personalentscheidungen eine Führungskonstellation erst ermöglicht hat, die zu dem gescheiterten Staatsstreich führte, und dass die Putschisten

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sich mit der Diskussion um den Ausnahmezustand von ihm ermutigt sahen. Da sich die in rasanter Auflösung befindliche UdSSR in extremen politischen Widersprüchen befand, kann es nicht verwundern, wenn auch dem sowjetischen Präsidenten einerseits eine gewisse politische Mitverantwortung für den Putsch, andererseits aber ein sehr viel größeres Verdienst beim Zustandekommen der Niederlage des G ­ KTSCHP zugewiesen wird. Gorbatschow hat kurz nach den Ereignissen Selbstkritik geübt, indem er einräumte, er selbst habe Bedingungen entstehen lassen, die zum Putsch beigetragen hätten.3 Die meisten Mythen um den Putsch haben sich im Zusammenhang mit dem Machtkampf zwischen dem ­GKTSCHP und dem Jelzin-Lager gebildet. Jelzin ist auf seiner Datscha in Archangelskoje weder dem Zugriff der KGB-Elite-Kampfeinheit „Alpha“ entkommen noch drohte ihm eine Gefahr, weil es zu keinem Zeitpunkt einen Befehl zum Zugriff gegeben hatte und dieser am Morgen des 19. August auch gar nicht geplant war. Die Panzerfahrzeuge rund um das Weiße Haus waren auf die Bitte Jelzins dort stationiert worden. Diese Bitte hatte er gegenüber Pawel Gratschow, Kommandeur der sowjetischen Luftlandetruppen, geäußert. Gratschow hielt Rücksprache mit Verteidigungsminister Jasow, der die Aktion genehmigte. Den militärischen Schutz wichtiger Objekte bei der Verhängung des Ausnahmezustandes sah das Gesetz über den Ausnahmezustand ausdrücklich vor. Der Verteidigungsminister hielt sich aus seiner Sicht somit an die Buchstaben dieses Gesetzes, das er zuvor an die Mitglieder der sowje­ tischen Militärführung hatte verteilen lassen. Auch zwanzig Jahre später bekräftigt er, dass es sich um einen „Schutz“ („ochrana“) des Weißen Hauses vor möglichen Spontanaktionen der Bürger gehandelt habe. Mit Wissen und Billigung Jasows organisierte Generalmajor Lebed, der nicht recht verstand, vor wem er das Weiße Haus zu schützen hatte, die Stationierung der Panzer vor dem Gebäude und traf sich zu diesem Zweck auch mit der Führung Russlands. Von einem Überlaufen von sowjetischen Panzereinheiten oder gar sowjetischer Kommandeure auf die Seite Jelzins kann keine Rede sein. Eine Legende ist ferner, dass es einen Sturmbefehl auf das Weiße Haus gegeben habe und es zu Befehlsverweigerungen gekommen sei. Es gab vom KGB initiierte Planungen, an denen sich Militärs aus Innenministerium und Armee beteiligten, die von diesen aber bewusst nicht gründlich durchgeführt wurden. Auch einen Befehl, in Leningrad einzumarschieren, hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben; die Darstellung, Bürgermeister Sobtschak hätte dies mit seinem Widerstand

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verhindert, ist nicht haltbar. Die versehentliche Ausrufung des Ausnahmezustandes und die kurzzeitige Mobilisierung der Truppen vor Leningrad basierten auf einer Kommunikationspanne im Verteidigungsministerium. Ein Mandat des ­GKTSCHP zum Angriff auf Jelzins Machtzentrale in Moskau lag somit zu keinem Zeitpunkt vor. Parallel zum ­GKTSCHP agierte der gewaltbereite Teil des Komitees. Einige Kommandeure der KGB-Elite-Einheiten äußerten gegenüber ihren Vorgesetzten Bedenken im Hinblick auf einen möglichen Angriff. Da aber weder der Vizepräsident noch der Verteidigungsminister dazu bereit gewesen wären, wäre eine Mandatierung durch das Komitee ohnehin nie erfolgt. In der Nacht zum 21. August fuhr die Sowjetarmee Patrouille auf dem Gartenring; weiter gehende Befehle hatte sie nicht. Die Panzerfahrzeuge, die in Barrikaden aus Oberleitungsbussen stecken geblieben waren, fuhren in die entgegengesetzte Richtung des Weißen Hauses. Es hat weder einen Angriff der Armee gegeben noch einen Angriffsversuch, noch haben Demonstranten ein Vorrücken zum Weißen Haus verhindert. Zutreffend ist, dass die Panzerfahrer von den Demonstranten angegriffen wurden, die Soldaten sich aber nur sehr restriktiv wehren durften. Die Verantwortung für die Eskalation trugen jedoch nicht die Demonstranten, sondern hauptsächlich Krjutschkow, der mit seinen Sturm-Planungen eine entsprechende Atmosphäre geschaffen hatte, sowie die Militärführung und das G ­ KTSCHP, die für die nächt­lichen Patrouillenfahrten verantwortlich waren, welche die Demonstranten als Bedrohung auffassen mussten. Bei den drei Opfern am Tunnel des Kalinin-Prospekts handelte es sich in diesem Sinne um ein tödliches Missverständnis; die angreifenden Demonstranten konnten nicht wissen, dass die Panzerfahrer keine Angriffsabsichten oder gar Angriffsbefehle hatten, sondern „nur“ patrouillieren sollten. Diese Atmosphäre der akuten Bedrohung herrschte am Abend des 20. August und in den frühen Morgenstunden des 21. August vor. Die Nachricht von den drei Todesfällen beförderte in hohem Maße das rasche Scheitern des Putsches. Zwar lag es auch nach dem Unglück am Kalinin-­ Prospekt noch in den Händen des G ­ KTSCHP, das Vorhaben der Macht­ über­nahme fortzusetzen. Mit einem entschlossenen Gewalteinsatz hätte das Komitee die Macht, wenn auch nicht auf Dauer, behaupten können. Verteidigungsminister Jasow, der schon bei den Planungen des Putsches halbherzig vorgegangen war, brachte aber mit seiner eigenmächtigen Entscheidung, die Truppen abzuziehen, das Vorhaben der Macht­über­nahme endgültig zu Fall.

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Insofern trifft die These, ­Gorbatschows Personalentscheidungen, insbesondere die vom Herbst 1990, seien mit ursächlich für den Putsch gewesen, nur bedingt zu. Hätte ­Gorbatschow „echte Hardliner“, die in alten sowjetischen – Gewalt einschließenden – imperialen Kategorien dachten, in alle Schlüsselpositionen gebracht, wäre es sicherlich zum Gewalteinsatz gekommen. Aber weder Janajew, auf den es als offiziellen Vorsitzenden des Komitees angekommen wäre, noch Jasow, der aus militärischer Sicht ausschlaggebend gewesen wäre, waren dazu bereit. Das Narrativ, „Hardliner“ hätten im August 1991 die Macht in der Sowjetunion an sich bringen wollen, ist damit als pauschale Qualifizierung des sogenannten Notstandkomitees nicht zutreffend, ja in gewisser Weise sogar irreführend. Im Endergebnis hat G ­ orbatschow – bezogen auf Janajew und Jasow – sogar eher gute als schlechte Personalentscheidungen getroffen. Das G ­ KTSCHP verband nur die gemeinsame Absicht, den weiteren Zerfallsprozess der Sowjetunion aufzuhalten. Zum Zeitpunkt des Putsches war bis auf Litauen, das seit Februar 1991 diplomatische Beziehungen mit Island unterhielt, keine einzige der nach Unabhängigkeit strebenden Republiken von einem anderen Staat anerkannt worden. Und doch war der innere Zerfall der UdSSR durch das Abdriften vieler Republiken und durch die faktische Koexistenz zweier sich ausschließender Gesellschaftsmodelle in Russland so weit fortgeschritten, dass dieses über Jahrzehnte zwanghaft zusammengehaltene Staatsgebilde untergehen musste – auch wenn dies vom Westen überwiegend so nicht erkannt wurde oder nicht erkannt werden wollte. Die Machtdemonstration aus KGB, Armee, Innenministerium, sowjetischer Regierung sowie die faktische Unterstützung des Vorsitzenden des Obersten Sowjets der UdSSR hatte zumindest in den ersten Stunden des Putsches ihre Wirkung auch auf das Jelzin-­Lager nicht verfehlt. Ohne den entschlossenen Widerstand des russischen Präsidenten und der dafür von seinen Beratern maßgeblich konzipierten Strategie sowie der Mobilisierung der Anhänger wäre die Macht­über­nahme zunächst sicherlich erfolgreich verlaufen. Jelzin und seine Führung waren am ersten Tag sowohl innerhalb der Sowjetunion als auch mit Blick auf eine Unterstützung durch das Ausland weitgehend auf sich allein gestellt. Erst als sich der Sieg Jelzins andeutete, wandte sich der Westen, wandten sich opportunistische Sowjetrepublikführer wie Nasarbajew oder Krawtschuk gegen das Komitee. Dies alles bedeutet aber nicht, dass es sich bei dem Machtkampf zwischen G ­ KTSCHP und Jelzin um einen „Kampf auf Leben und Tod“ im wörtlichen Sinne gehandelt hätte; ihr persönliches Verhältnis

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war teilweise sogar durch eine gewisse „Familiarität“ geprägt. Wohl aber handelte es sich um einen Kampf um Leben und Tod im politischen Sinne: darum, ob der sowjetische Zentralstaat weiterexistieren würde oder nicht. Erst nach dem Putsch verabschiedeten sich die Führer der west­ lichen Staaten allmählich und eher ungern von der Vorstellung, dass die Sowjetunion zu erhalten wäre. Erst jetzt begann man, nicht mehr auf ­Gorbatschow zu setzen, sondern Jelzin, den frei gewählten Präsidenten eines 150-Millionen-­Volkes, in die westlichen Hauptstädte einzuladen. Nur in Washington war Jelzin als Präsident schon vor dem Putsch zu Gast gewesen; Präsident Bush sen. hatte ihm dabei aber klar zu verstehen gegeben, dass er, Jelzin, nach G ­ orbatschow nur der zweite Ansprechpartner der USA bleiben werde. Das Scheitern der orthodoxen Systembewahrer wirkte als Katalysator des Untergangs der UdSSR, legte die inzwischen existenziellen Widersprüche des zerfallenden Staatsgebildes offen. Der demokratisch und vom Volk gewählte Präsident Jelzin stand offiziell der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik vor, wollte aber weder die Bezeichnung „sozialistisch“ noch „sowjetisch“ weiter führen, auch wenn er letzterer bei den Verhandlungen zum Unionsvertrag noch widerwillig zugestimmt hatte. Dieser Vertrag wiederum wurde weder wirklich akzeptiert, noch war er zukunftweisend. Der Putsch und sein Scheitern mündeten in einer Revolution – wenn auch in keiner vom breiten Volk getragenen, so doch in einer politischen: Das Ende der bereits auf dem Rückzug befindlichen kommunistischen Staatsideologie wurde besiegelt, die KPdSU hörte auch als politische Kraft auf zu existieren. Die Doppelherrschaft in Moskau war beendet; Jelzin entmachtete nicht nur die orthodoxen Systembewahrer, sondern faktisch auch G ­ orbatschow nach dessen Rückkehr aus Foros. Am 22. August 1991 wehte nach 74 Jahren wieder offiziell die alte russische Staatsflagge in WeißBlau-Rot. Die bisherige Allmacht des KGB wurde gebrochen, das Denkmal seines Gründers, das ein Symbol des jahrzehntelangen Terrors gegen die eigene Bevölkerung darstellte, gestürzt. Die meisten der 15 Republiken erklärten schon kurz nach dem Putsch ihre staatliche Unabhängigkeit. Das Ausland nahm unmittelbar nach dem Triumph Jelzins wieder diplomatische Beziehungen mit den baltischen Republiken auf, stellte den anderen Sowjetrepubliken die Anerkennung aber nur vage in Aussicht. Auch nach dem Putsch hatte der Westen kein Interesse an einer völligen Auflösung der UdSSR. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und ihr Recht auf Freiheit, was den eigenen westlichen Idealen ja entsprach, hatten zurückzustehen vor

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der Sorge eines unkontrollierten Auseinanderbrechens des untergehenden Imperiums. Es dominierten eigene (vermeintliche) Sicherheitsinteressen. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass zwei Monate vor dem Putsch der Krieg in Jugoslawien begann, der in den Fokus der globalen Aufmerksamkeit geriet und die Weltnachrichten noch einige Jahre lang stark beherrschen sollte. Dies dürfte die Sorgen des Westens vor einem völligen Zerfall der UdSSR verstärkt haben. G ­ orbatschow selbst warnte im Herbst 1991 während seines Kampfes um den Erhalt einer Rest-Sowjetunion mehrfach vor einem analogen Szenario. Möglicherweise instrumentalisierte er den Jugoslawien-Krieg argumentativ, bei dem es sich 1991 allerdings um einen serbischen Eroberungskrieg auf dem Territorium Kroatiens handelte. Nach dem August-Putsch gab es keine Verhandlungsgrundlage mehr für eine reformierte sowjetische Föderation, sondern bestenfalls für eine Konföderation. ­Gorbatschows Festhalten an einer Union blieb eine Illusion. Am 3. Dezember 1991 richtete er einen verzweifelten Appell an die Parlamente der verbliebenen zwölf Republiken: „Ich wiederhole es noch einmal, dass die gemeinsame Katastrophe unvermeidlich ist, wenn wir den Auflösungsprozess nicht stoppen. Nicht einmal Jesus Christus kann die gewachsenen Bindungen zwischen den Republiken zerreißen. […] Ich ersuche Sie, in den kommenden Tagen den Vertragsentwurf über die Union Souveräner Staaten zu debattieren und zu billigen.“ 4 Dass der Sieg gegen die restaurativen Kräfte nicht genügend abge­ sichert und teilweise revidiert wurde, ändert nichts daran, dass es sich im August 1991 um eine erfolgreiche politische Revolution gehandelt hat. Die gestaltende Ära G ­ orbatschow war somit nicht erst mit der offiziellen Auflösung der Sowjetunion im Dezember 1991 zu Ende, sondern schon mit dem gescheiterten Putsch, den Jelzin für eine politische Revolution ausnutzte. Im historischen Bewusstsein Russlands ist der August 1991 allerdings nicht fest verankert. Die Erinnerung an den Sieg wurde in den ersten Jahren nach dem Ende der UdSSR massiv überlagert von der extrem schwierigen Lebenssituation der Bürger, die durch die Freigabe der Preise Anfang 1992 und durch die Einführung der Marktwirtschaft entstanden war. Zudem setzte ein neuer politischer und bedrohlicher Konflikt ein, der sich zwischen den Siegern von 1991 zuspitzte: zwischen Jelzin einerseits und dem Parlamentsvorsitzenden Chasbulatow sowie dem Vizepräsidenten Ruzkoj andererseits. Die enttäuschten Erwartungen der Bürger, die nach dem Sieg Jelzins in erster Linie eher eine materielle Verbesserung ihrer Lebensstandards

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und soziale Sicherungen von ihm erhofften denn eine Ausweitung ihrer demokratischen Rechte, trugen dazu bei, dass die Zäsur von 1991 nicht positiv besetzt blieb. Die Enttäuschung verkehrte sich zum großen Teil in eine Gleichgültigkeit oder in eine Ablehnung, in dem Sieg Jelzins etwas Positives für das Land oder für sich selbst zu sehen. Überlagert wurde der August 1991 ab Oktober 1993 auch durch den gewaltsamen Machtkampf der einstigen Verbündeten. Diese zweite historische Zäsur sorgte dafür, dass die erste relativiert wurde, und trug wesentlich dazu bei, dass die Putschisten von 1991 im Februar 1994 amnestiert wurden. Ihre gesellschaftliche Rehabilitierung setzte schon in der Ära Jelzins ein und wurde in der seines Amtsnachfolgers verstärkt, weil dieser für das politische Hauptziel des G ­ KTSCHP, nämlich das der Erhaltung der UdSSR, große Sympathien zeigte. Der missglückte und vom KGB organisierte Putsch machte – für seine Initiatoren ungewollt – das Ende der Sowjetunion sichtbar. Fast die gesamte politische und militärische Führung der UdSSR wurde im August 1991 verhaftet. Einen Monat zuvor hatte nach Fürsten, Zaren und kommunistischen Parteiführern am 10. Juli 1991 nach seiner Vereidigung zum ersten Mal in der russischen Geschichte ein frei vom Volk gewählter Repräsentant an der Spitze des Gemeinwesens gestanden – der „Russischen Sozialis­tischen Föderativen Sowjetrepublik“, mit rund 150 Millionen Einwohnern größer als jedes europäische Land, flächenmäßig das größte Land der Erde und dennoch ein Teilstaat der Sowjetunion. Jelzin hatte an diesem Tag feierlich angekündigt: „Das große Russland erhebt sich von seinen Knien. Wir werden es unbedingt in einen blühenden, demokratischen und souveränen Rechtsstaat verwandeln.“ 5 Dieser indirekten Kampfansage an die sowjetischen Systembewahrer folgte nur wenige Tage später das Parteiverbot in den russischen Betrieben und staatlichen Behörden sowie anderen Einrichtungen. Von seinem Ziel hin zu einem von der politisch überholten Moskauer Zentrale unabhängigen Russland – mit oder ohne Unionsvertrag – wäre er nur noch mit Gewalt abzubringen gewesen. Den Weg an die Spitze Russlands ebnete ihm ausgerechnet sein Widersacher G ­ orbatschow. Jelzin schrieb als Anführer des siegreichen demokratischen Lagers im August 1991 ein bedeutendes Kapitel in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Er besiegelte den Untergang des alten Systems und machte ihn irreversibel. Krjutschkow bedauerte Jahre nach dem Putsch die Vorgehensweise des Komitees: Es hätte „zur Rettung des Landes entschlossener und

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zielgerichteter handeln müssen, denn es stand zu viel auf dem Spiel.“ 6 Die Tatsache, dass es allerdings zwischen vielen Völkern der UdSSR keinerlei sprach­liche, geschichtliche, kulturelle oder religiöse Gemeinsamkeiten gab, sie in ihrer Mehrheit in diesen Staat mit Gewalt hineingedrängt und jahrzehntelang unterdrückt wurden, hatte und hat in der Weltsicht und im historischen Verständnis der Putschisten schlicht keinen Platz. Zwanzig Jahre später bedauert aber auch G ­ orbatschow immer noch den Untergang der Sowjetunion und ist der Meinung, dass es „besser wäre, wenn es sie noch gäbe.“ 7 Das Spektrum der Bewertung seines politischen Wirkens als Führer der Weltmacht UdSSR reicht in seiner Heimat von Bezeichnungen wie „Verräter“ und „Totengräber der Sowjetunion“ bis hin zu „Held“ – wobei Letzteres im Hinblick auf ­Gorbatschow dort eher selten anzutreffen ist. Es erscheint fast schon etwas mutig, dass Dmitri Medwedew, rus­ sischer Präsident von 2008 bis 2012, ­Gorbatschow anlässlich von dessen 80. Geburtstag im März 2011 mit der höchsten Staatswürde ehrte. Er verlieh ihm den St.-Andreas-Orden als Anerkennung für seine Arbeit als Staatsoberhaupt in einer „schweren und dramatischen Zeit.“ 8 Medwedew schwächte die Ehrung aber insofern etwas ab, indem er betonte, dass sie auch dem „großartigen Staat Sowjetunion“ gelte.9 Es war somit eine eher ambivalente Auszeichnung, doch eine, die langfristig auf eine „Rehabilitierung“ ­Gorbatschows im eigenen Land deuten könnte. Als er am 25. Dezember 1991 als sowjetischer Präsident gezwungenermaßen zurücktrat, ließ er sich keine Garantien geben, dass er und seine Familie von einer möglichen Strafverfolgung verschont werden. Hingegen hatte Boris Jelzin als sein Nachfolger im Kreml genau das offensichtlich nötig. Als Jelzin fast auf den Tag genau acht Jahre später (Silvester 1999) sein Amt als russischer Präsident völlig überraschend aufgab und den Kreml verließ, gab der neue geschäftsführende Präsident – Wladimir Putin – sofort einen Erlass heraus, der Jelzin und seine Familie vor einer möglichen strafrechtlichen Verfolgung schützte, und zwar lebenslang. Vor allem in den 1990er Jahren wurde das Land von einem Teil der neuen Macht- und Wirtschaftselite regelrecht ausgeplündert. Jelzin, 1991 noch als Retter der Freiheit und Bezwinger des Sowjetsystems gefeiert, hat – wie ­Gorbatschow – seit Jahren negative Popularitätswerte. Seine August-Revolution, die durch den August-Putsch ausgelöst wurde, vermochte die großen Hoffnungen vieler russischer Bürger zwar nicht zu erfüllen, doch hatte sie einen unschätzbaren Wert: Zu einem gewaltsamen Zusammenstoß der Verteidiger des Ancien Régime und der demokratischen und nach Unabhängigkeit strebenden Kräfte kam es nicht.

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Dies ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass, wie ­Gorbatschow in seinen Memoiren zutreffend schrieb, die politische Konstellation innerhalb der Sowjetunion mit ihren beiden unversöhnlichen Lagern schon im Frühjahr 1991 einem Pulverfass glich. Es waren diese beiden Männer, die das Ende des einstigen Riesenreichs Sowjetunion weitgehend friedlich herbeiführten und besiegelten – trotz ihrer persönlichen Gegensätzlichkeit und ihrer unterschiedlichen politischen Absichten. Der in Russland eher ungeliebte Sieg von 1991 dürfte dort wenn auch nicht innerhalb eines kürzeren Zeitraums, so doch in fernerer Zukunft eine Neubewertung erfahren.

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9 NACHWORT UND DANKSAGUNG Dieses Buch basiert auf meiner Dissertation, die ich im Februar 2013 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz eingereicht hatte. Den Grundstock bildete neben dem Russisch-Studium und der 1987 verfassten Diplomarbeit über ­Gorbatschows Glasnost-Politik meine russlandbezogene Arbeit beim ZDF. Danken möchte ich daher den Verantwortlichen der damaligen Chefredaktion, die mir in den hochspannenden Tagen während des Augustputsches 1991, die von einer besonderen medialen Konkurrenzsituation gekennzeichnet waren, großes Vertrauen entgegenbrachten, war ich doch noch ein Jungredakteur. Der 1999 verstorbene Chef vom Dienst, Werner Dollmann, sei an dieser Stelle hervorgehoben. Er verfügte, dass ich für Sendungen wie „ZDF-Spezial “ oder „Heute-Journal-Spezial “ aktuelle Filmbeiträge und Hintergrundberichte verfasse. Dies geschah aus Mainz und stellte eine Entlastung für die beiden Korrespondenten in Moskau dar. Nach August 1991 bekam ich mehrfach die Möglichkeit, aus Moskau zu berichten und TV-Dokumentationen über die ­Gorbatschow-Ära oder den Putsch zu verfassen, durch die ich einen persönlichen Zugang zu den politischen Akteuren jener Zeit bekam. Die Nutzung der ZDF-Datenbank und des Agenturarchivs für die manchmal monatelange Recherche und Vorbereitung der Filme brachte einige wertvolle Quellen hervor, die in dieses Buch einflossen. Der Redaktion „Heute Journal “ bin ich dankbar dafür, dass ich für sie im August und Dezember 2011 zum 20. Jahrestag des Putsches und des Untergangs der Sowjetunion Filmbeiträge produzieren konnte. So bekam ich die Gelegenheit für ein neues und ausführliches Interview mit Michail ­Gorbatschow. Der Anstoß dieses Buch zu schreiben, war meine TV-Dokumentation für den Sender 3sat, der sie in der Primetime platzierte. Dass es sich nicht um ein Randthema handelte, zeigte mir auch die Süddeutsche Zeitung, die den Film am Sendetag (19. August 2011) als besonderen Tagesprogrammtipp herausstellte. In meiner Dokumentation mussten allerdings viele Informationen und Sachverhalte über den Moskauer Staatsstreich unveröffentlicht bleiben, weil ein solcher Film in der Regel nicht länger als 45 Minuten lang sein darf. So kam mir die Idee, der Fachpublikation

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Osteuropa einen längeren wissenschaftlichen Aufsatz anzubieten, in dem das Putsch-Thema vertieft werden konnte. Mein Dank geht an dieser Stelle an den Chefredakteur Dr. Manfred Sapper, der meinem Vorschlag rasch zustimmte und mir somit den Weg zu den Historikern ebnete. Nachdem der Aufsatz erschienen war, trieb mich meine Neugier an, den Dingen noch weiter auf den Grund zu gehen. Ich entschloss mich, ein Buch über den Putsch zu schreiben, zumal ich mit Erstaunen festgestellt hatte, dass weltweit noch keine wissenschaftlich fundierte Monographie darüber vorliegt. Dies mündete dann völlig ungeplant in der Entscheidung zu promovieren – nach mehr als 20 Jahren im Berufsleben. Mein herzlicher und besonderer Dank gilt Professor Jan Kusber, der mich Anfang 2012 als externen Doktoranden annahm. Seine wertvollen Anregungen und Ratschläge, ebenso wie die von Professor Gerhard Simon – Korreferent und externer Gutachter -, habe ich gerne angenommen. Den Jahresurlaub 2012 nutzte ich für einen vom DAAD unterstützten Forschungsaufenthalt am Deutschen Historischen Institut in Moskau, wo ich ausgezeichnete Arbeitsbedingungen vorfand. Dem damaligen stellvertretenden Direktor, Professor Viktor Dönninghaus, möchte ich dafür danken, dass er mich ermutigte, das Buch nach Fertigstellung auch in Russland zu veröffentlichen. Dies wird in Kürze geschehen, nachdem die Übersetzung jetzt abgeschlossen wurde. Spitzenvertreter aller drei 1991 widerstreitenden politischen Lager in Moskau standen mir für ausführliche Gespräche zur Verfügung, waren auch bei der Erschließung von Quellen behilflich. Mein ausdrücklicher Dank gilt in dieser Hinsicht Frau Tamara Schenina. Für ihre Hilfestellungen möchte ich an dieser Stelle ebenfalls Frau Olga Sdrawomyslena, geschäftsführende Direktorin der ­Gorbatschow-Stiftung in Moskau, danken. Seit dem 19. August 1991 hatte mich das Weltereignis „Putsch gegen Gorbatschow“ nie ganz losgelassen. So viele Fragen zu den Hintergründen waren offen geblieben, so viele Rätsel und Widersprüche standen noch im Raum. Von einer journalistischen wurde es zu einer wissenschaftlichen Herausforderung. Aber es war vor allem eines: ein aufregendes und erfüllendes Projekt. Mainz / Moskau im Januar 2014

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10 QUELLENÜBERBLICK Biographien, Autobiographien und Zeugenberichte Einige Akteure und einige ohne ihr Zutun plötzlich in die Ereignisse Verwickelte, zu denen beispielsweise ­Gorbatschows persönlicher Sicherheitschef Wladimir Medwedew gehörte, haben entweder kurz nach 1991 oder wenige Jahre danach ihre Erinnerungen, Erlebnisse oder ihre Sichtweise auf den Putsch in Buchform dargelegt. Etliche wichtige Akteure jedoch haben erst viele Jahre später oder sogar erst vor kurzer Zeit ihre Sichtweise niedergeschrieben und veröffentlicht. Um nur einige Beispiele zu nennen: Der damalige KGB-Chef Krjutschkow und Hauptorganisator des Putsches tat dies 2003, der damalige Vizepräsident der Sowjetunion Gennadi Janajew erst unmittelbar vor seinem Tod 2010; der Vorsitzende des Obersten Sowjets der UdSSR Anatoli Lukjanow schrieb ebenfalls 2010 ein Buch über die August-Ereignisse. Der Chef der sowjetischen Rüstungs- und Raumfahrtindustrie Oleg Baklanow hat im Sommer 2012 seine zweibändige Autobiographie fertiggestellt. Den Großteil hatte er nach eigenen Angaben im Gefängnis verfasst.1 Boris Beskow, 1991 Kommandeur der KGB-Kampfeinheit „B“, der eine wichtige Rolle bei der geplanten Erstürmung des Weißen Hauses zugewiesen worden wäre, arbeitet nach eigenen Angaben an einem Buch und war aus diesem Grund nicht zu einem längeren persönlichen Gespräch bereit.2 Ein Jahr vor seinem Tod (2010) veröffentlichte der stellvertretende Verteidigungsminister der Sowjetunion Wladislaw Atschalow, in dessen Büro 1991 der Sturm auf Jelzins Machtzentrale geplant worden war, sein Buch „Mera vozdejstvija – rasstrel“.3 ­Gorbatschow legte 2012 neue Erinnerungen vor.4 Allein aus dem Zeitpunkt des Erscheinens dieser Publikationen ergibt sich, dass zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze oder Buchkapitel, die den Putsch zum Untersuchungsgegenstand haben, nicht auf dem neuesten Quellenstand basieren.

Das Buch der leitenden russischen Staatsanwälte Das Buch der leitenden Staatsanwälte Stepankow und Lisow mit dem Titel „Kremlevskij zagovor“ erschien ein Jahr nach dem Putsch und wurde vom Medienkonzern Bertelsmann, der sich die deutschen Rechte gesichert hatte, unter dem Titel „Das Kreml-Komplott“ 1992 veröffentlicht. „Kremlevskij zagovor“, ein Buch, bei dem es sich nicht um eine wissenschaftliche Abhandlung handelt, sondern überwiegend um eine Aneinanderreihung von Protokollfragmenten, dient Osteuropahistorikern und Publizisten als Hauptquelle, Orientierungshilfe und Steinbruch. Aus ihm wurde in Abhandlungen zu diesem Thema am häufigsten zitiert. Valentin Stepankow veröffentlichte zum 20. Jahrestag des Putsches eine redigierte Fassung seines Buches von 1992, nun mit dem Titel „­GKTSCHP“. Die Publikation der damaligen Staatsanwälte konnte aufgrund des enormen Umfangs der Ermittlungsakten nur bruchstückhaft bleiben. Eine Methode, nach der die Auswahl für das Buch „Kremlevskij zagovor“ vorgenommen wurde, ist nicht erkennbar. Sie stellte sich

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für die Autoren auch nicht als notwendig dar, da sie keine wissenschaftliche Abhandlung vorlegen wollten und keine spezifischen Fragestellungen voranstellten.

Wissenschaftliche Abhandlungen Über den Putsch in Moskau vom August 1991 gibt es zahlreiche Aufsätze sowie – zumeist kurze – Kapitel in Monographien und Sammelbänden zur Geschichte der Sowjetunion oder der Perestrojka. Doch ist er, wie bereits oben erwähnt, von Historikern weder in Russland noch in Westeuropa oder den USA als Forschungsgegenstand einer Monographie aufgegriffen worden. In Russland selbst existieren lediglich einige wenige Chroniken oder Dokumentensammlungen. Dazu gehören: Gorškov, Michail [u. a.]: Krasnoe ili beloe. Drama Avgusta ’91: Fakty, Gipotezy, stolknovenie mnenij. Moskva 1992. Es handelt sich hier um eine Quellenzusammenführung von Interviews und Reden vor und während des Putsches sowie Interviews mit denjenigen, die zu den Siegern gehörten. Das Buch von Rasšivalova, E./Seregin, N. (Bearb.): Putč. Chronika trevožnych dnej. Moskva 1991 bildet das Tagesgeschehen anhand von Nachrichtenagenturmeldungen ab und enthält die wichtigsten Verordnungen und Erlasse der Konfliktparteien, vermittelt aber vor allem ein Bild der Lage und der Reaktionen in den 14 anderen Sowjetrepubliken neben Russland. Auf den ersten Blick mag es erstaunen, dass eine umfassende wissenschaftliche Monographie auch dort nicht vorliegt. Der Hauptgrund hierfür – sowohl in Russland als auch im Westen – dürfte sein, dass die Quellen 1991 und in den Jahren danach nur in begrenztem Maße zugänglich waren. Inzwischen steht allerdings eine recht umfangreiche Erinnerungsliteratur der Zeitzeugen und Akteure zur Verfügung. 1995 legte Georgi Uruschadze eine Quellensammlung über die Tätigkeit des KGB und der KPdSU überwiegend während der Perestrojka-Ära vor. Der Putsch steht dabei nicht im Mittelpunkt, nimmt aber gleichwohl einen großen Raum ein. Das Buch enthält Auszüge aus den Vernehmungsprotokollen, liefert somit Hintergründe und geht über die Beschreibung des Tagesgeschehens hinaus.5 Daneben gibt es noch einige russische Abhandlungen, in denen die August-Ereignisse von 1991 als Teil eines übergeordneten historischen Themas mit behandelt werden. Eine in diesem Rahmen recht ausführliche und einige Dutzend Seiten umfassende Darstellung aus dem Jahre 2008 findet sich bei den Historikern Rudolf Pichoja und Andrej Sokolow. Die beiden Verfasser nennen die August-Ereignisse 1991 „Avgustovskij Putč“. Als Quellen dienen im Wesentlichen allerdings lediglich eine kleine Zahl von Memoiren der Beteiligten sowie das Buch „­Kremlevskij zagovor“ des russischen Generalstaatsanwalts Stepankow und seines Stellvertreters Lisow.6 Ferner widmete Roj Medwedew dem Gegenstand ein umfangreiches Kapitel in seinem im Jahre 2009 erschienenen Buch über den Untergang der Sowjetunion.7 Von den zahlreichen im Westen erschienen Abhandlungen, die den Putsch als Teil­ aspekt zum Gegenstand haben, mögen folgende Darstellungen erwähnt werden. Die ausführlichste, die gleichzeitig auch die für ihre Zeit quellenreichste war, ist die des Osteuropahistorikers John B. Dunlop. 1993 erschien sein Buch „The Rise of Russia and the Fall of the Soviet Empire“ in der Princeton University Press; dem August-Putsch widmet er eines von sechs Kapiteln („Anatomy of a Failed Coup“).8 Dunlop hegt darin Zweifel

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an der Rolle ­Gorbatschows als des in Foros von der Außenwelt völlig abgeschnittenen Präsidenten, der keine Möglichkeiten hatte, nach Moskau zurückzukehren oder nach dort zu telefonieren. 1997 erschien die von Jerry F. Hough (Duke University, North Carolina) verfasste Monographie „Democratization and Revolution in the USSR  1985 – 1991“. Von den 15 Kapiteln befasst sich eines mit dem Putsch („The Russian Presidential Election and the August Coup d’État“). Hough schließt aus, dass ­Gorbatschow von den Plänen der Putschisten vor dem 18. August 1991 gewusst hat, unterstellt ihm aber, dass ihm diese Pläne möglicherweise politisch nicht ungelegen erschienen.9 Archie Brown, der viele Jahre an der University of Oxford lehrte, dürfte der wohl entschiedenste Verteidiger ­Gorbatschows sein. In seinem Buch „Seven Years that Changed the World“ aus dem Jahre 2007 widerspricht er in dem Kapitel „The August 1991 Coup“ vehement den Autoren, die ­Gorbatschow in Bezug auf die August-Ereignisse 1991 ins Zwielicht rücken.10 Bei ihm findet sich eine recht überzeugende Deutung und Einordnung der Ereignisse. Martin Malia, der in seinem Buch „Vollstreckter Wahn“ 11 die Vorbereitungen, die politischen und militärischen Entscheidungsabläufe sowie die Gründe des Scheiterns des Putsches zwar weitgehend ausklammert – möglicherweise wegen einer als zu unsicher erachteten Quellenbasis –, liefert die wohl beste Analyse des Kräfteverhältnisses und der Interessen vor dem Putsch und dessen Instrumentalisierung durch Jelzin. Von den deutschen Osteuropahistorikern ging Maria Huber von der Universität Leipzig (inzwischen emeritiert) in ihrem 2002 erschienen Buch „11. März 1985. Die Auflösung des sowjetischen Imperiums“ am ausführlichsten auf den Putsch ein.12 Das bei Huber enthaltene Kapitel über die August-Ereignisse von 1991 basiert zum Großteil auf der fiktionalisierten Darstellung des oben erwähnten Wjatscheslaw Keworkow, was die Wissenschaftlichkeit Hubers bei der Behandlung des Putsches infrage stellt. Huber äußert Zweifel an ­Gorbatschows Unkenntnis von den Putschplänen. Den Darstellungen von Dunlop, Hough, Brown und Huber ist gemein, dass sie auf einem begrenzten Quellenmaterial basieren, wobei zu berücksichtigen ist, dass Dunlops Abhandlung nur zwei Jahre nach dem Putsch erschien. Heiko Haumann von der Universität Basel (inzwischen emeritiert) hat den Putsch nur mit wenigen Sätzen gestreift.13

Russische Archive Für die Erforschung der Putschgeschichte wurden folgende Archive und Bibliotheken in Moskau aufgesucht: –– –– –– –– –– –– ––

Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF)

Russisches Staatsarchiv für Neuere Geschichte (RGANI) Institut für Gesellschaftswissenschaften der Russischen Akademie der Wissenschaften (INION – RAN) Deutsches Historisches Institut (DHI) Bibliothek der ­Gorbatschow-Stiftung Russische Staatsbibliothek (Lenin-Bibliothek)

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Einer Anfrage an das Archiv des Präsidenten der Russischen Föderation, wo sich auch die Dokumente aus dem ehemaligen Archiv des sowjetischen Präsidenten befinden, wurden von vornherein die geringsten Aussichten auf Erfolg eingeräumt. Gleichzeitig erschien sie dem Verfasser inhaltlich nicht zwingend. Denn ­Gorbatschows Rivale Jelzin hätte höchstwahrscheinlich jedes Dokument sofort publik gemacht, das den sowjetischen Präsidenten auch nur ansatzweise belastete. G ­ orbatschow, der ab März 1990 nicht nur Generalsekretär des ZK der KPdSU, sondern auch Präsident der UdSSR war, ließ im Juli 1990 einen Teil des Parteiarchivs, das im ZK-Gebäude am Alten Platz in Moskau lagerte, in den Kreml verlegen, und zwar in das faktisch neu geschaffene Archiv des sowjetischen Präsidenten.14 Dieses ging nach der Auflösung der Sowjetunion Ende 1991 in das Archiv des russischen Präsidenten über. Die Existenz schriftlicher Dokumente im Archiv des russischen Präsidenten, die im Zusammenhang mit dem Putsch stehen könnten, ist auch nach Einschätzung von leitenden Mitarbeitern des GARF und des RGANI höchst unwahrscheinlich. Jelzin, im August 1991 gerade einen Monat im Amt, war ja gerade eine Zielscheibe der Putschisten. Er war auf den Staatsstreich nicht vorbereitet, musste improvisieren. Er verfügte zu diesem Zeitpunkt auch nur über einen kleinen Mitarbeiterstab, der in den Putschtagen vollauf damit beschäftigt war, Erlasse zum Widerstand gegen das ­GKTSCHP zu verfassen und zu veröffentlichen. Einen mit mehreren Tausend Mitarbeitern durchstrukturierten Präsidentenapparat, der sich erst in den Folgejahren herausbilden sollte, gab es 1991 noch nicht. Vor allem aber hatte die Kommission des Präsidiums des Obersten Sowjets Russlands, die mit der Untersuchung des Putsches beauftragt war, ab Herbst 1991 Einsicht in das Parteiarchiv und das Präsidentenarchiv (ehemaliges Archiv des Politbüros des ZK der KPdSU) erhalten. Sie war geradezu darauf erpicht, belastende Dokumente zum Putsch zu finden, stieß aber „nur“ auf solche, die die Kommunistische Partei und ihre Anführer aus der Vergangenheit belasteten und weiter diskreditierten. Zum obersten Staatsarchivar Russlands wurde der Historiker Rudolf Pichoja ernannt.15 Er war ein Gefolgsmann Jelzins noch aus Swerlowsker Zeiten; mit der Publikation von Dokumenten, so konstatiert Markus Wehner, der Anfang der 1990er-Jahre die Archivreform in Russlands untersuchte, sei nicht selten „handfeste Politik gemacht“ worden.16 Die Archive, die am 30. September 1991 geöffnet worden waren, wurden exakt drei Jahre später durch eine Verfügung der Administration von Präsident Jelzin wieder geschlossen und sind seither nicht mehr zugänglich.17 Was die Rolle der KPdSU betrifft, so existiert nur das von der Staatsanwaltschaft sichergestellte Telegramm des ZK- und Politbüromitglieds Oleg Schenin vom 19. August 1991 an die Unterorganisationen der Partei, das ins ganze Land verschickt wurde. Die Führung der KPdSU verhielt sich während des Putsches nachweislich überwiegend abwartend und produzierte keinerlei schriftliche Dokumente. Es fanden sich im RGANI lediglich einige inzwischen für Forschungszwecke freigegebene Protokolle von ZK- und Politkbürositzungen vor dem Putsch, darunter auch von einer Sekretariatssitzung am 13. August 1991, als ­Gorbatschow im Urlaub war. Von einer Anfrage beim KGB-Archiv (FSB-Archiv) wurde nach einem persönlichen Gespräch mit dem ehemaligen KGB-Vorsitzenden Bakatin und dem ehemaligen russischen Generalstaatsanwalt Stepankow abgesehen. Beide schlossen aus, dass sich in diesem Archiv relevante Dokumente zum Putsch finden würden. Dafür

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gebe es drei Gründe: Als der Putsch zusammenbrach, sei belastendes Material rechtzeitig vernichtet worden. Was nicht vernichtet wurde, sei in den Schreibtischen oder Büroräumen der am Putsch Beteiligten gefunden worden, nicht im Archiv. Dieses Material sei dann von der Staatsanwaltschaft sichergestellt, aus dem KGB gebracht und in die Anklageschrift aufgenommen worden.

Dokumente, Erlasse, Stenogramme, Protokolle Anklageschrift der Staatsanwaltschaft der Russischen Föderation in der Strafsache ­GKTSCHP, Bd. 1 – 5 (archiviert im Obersten Gericht der Russischen Föderation, allerdings in der Regel nicht zugänglich, da sie als Staatsgeheimnis deklariert ist. Tamara Schenina, Witwe des Angeklagten Oleg Schenin, stellte dem Verfasser das Exemplar zur Verfügung, das ihrem Mann 1992 von der Staatsanwaltschaft zugestellt worden war. Das vorliegende Dokument war elf weiteren Angeklagten übergeben worden.) General’naja prokuratura Rossijskoj Federacii. Obvinitel’noe zaključenie po ugolovnomu delu Nr.  18/6214 – 91, T. 1 – 5, 08.12.1992. Telegramm des ZK der KPdSU vom 19.08.1991 an die Parteiorganisationen in der UdSSR: Telegramma N 17/1970 vom 19.08.1991. In: Anklageschrift, Bd. 4, S. 156. Befehl des Verteidigungsministers der UdSSR zum Einmarsch der Truppen nach Moskau. Prikaz „N 312/0174š“ ot 19. avgusta 1991 goda: In: Anklageschrift, Bd. 2, S. 125. Egor-Gajdar-Stiftung Moskau: Stenogramma slušanij po voprosu roli organizacionych struktur KPSS i Rossijskoj kompartii v gosudarstvennom perevorote 19 – 21 avgusta 1991 g., 22.10.1991. Archiv-Nr. S6732, 154. Stenogramma zasedanija Komissii po rassledvaniju pričin i obstojatel’stv gosudarstvennogo perevorota na temu: „O roli repressivnych organov v gosudarstvenonnom perevorote 19 – 21 avgusta 1991 g.“, 04.02.1992. Archiv-Nr. S6733, 154. Stenogramma zasedanija Komissii po rassledovaniju pričin i obstojatel’stv gosudarstvennogo perevorota na temu: „Učastie rukovodjaščego sostava Vooružennych Sil v gosudarstvennom perevorote 19 – 21 avgusta 1991 goda“, 18.02.1992. Archiv-Nr. S6734, 154. Russisches Staatsarchiv für Neuere Geschichte (RGANI): Protokol zasedanija Politbjuro ZK KPSS ot 16. nojabrja 1990 goda; Archiv-Nr. F 16, P 42, Dokument Nr. 30, S. 25. ZK KPSS. Ob itogach obsuždenija v Komissii ZK KPSS po voennoj politike partii choda razrabotki koncepcii voennoj reformy i perspektiv razvitija Vooružennych Sil SSSR. 08.01.1991. Archiv-Nr. F 89, OP 22, D. 2, LL 1 – 5. Protokol Nr. 37 zasedanija sekretarija central’nogo komiteta KPSS ot 13. avgusta 1991 goda. Archiv-Nr. F 89, OP 23, Dokument Nr. 8, S. 1 – 7. Gesetz über den Ausnahmezustand: Zakon ot 03.04.1990 N 1407 – 1 „O pravovom režime črezvyčajnogo položenija“, URL: http://www.zaki.ru/pagesnew.php?id=1736&page=4 (Aufruf am 02.08.2012).

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Unionsvertrag der UdSSR: Dogovor o Sojuze Suverennych Gosudarstv. Quelle: Gorbačev-Fond (Hrsg.): Sojuz možno bylo sochranit’. Moskva 2007, S. 268 – 283. Erklärung des Parlamentsvorsitzenden Luk’janov zum Unionsvertrag (veröffentlicht am 18.08.1991): Zajavlenie Predsedatel’ja Verchovnogo Soveta SSSR. In: Kazarin, Ju./ ­Jakovlev, B. (Bearb.): Smert’ zagovora. Belaja Kniga. Moskva 1992, S. 5 – 7. Erlasse, Verordnungen, Erklärungen, Aufrufe des GKČP: a) Ukaz Vice- prezidenta SSSR G. I. Janaeva ot 18. avgusta 1991 goda. b) Gosudarstvennyj komitet po čcrezvyčajnomu poloŽeniju v SSSR. Zajavlenije sovetskogo rukovodstva ot 19. avgusta 1991 goda. c) Gosudarstvennyj komitet po črezvyčajnomu položeniju v SSSR. Obraščenie k sovetskomu narodu. 18. avgusta 1991 goda. d) Obraščenie k glavam gosudarstv i pravitel’stv i general’nomu sekretarju OON i. o. Presidenta SSSR G. Janaeva. 18. avgusta 1991 goda. e) Postanovlenie No. 1 Gosudarstvennogo komiteta po črezvyčajnomu položeniju v SSSR. 19. avgusta 1991 goda. f ) Postanovlenie No. 2 Gosudarstvennogo komiteta po črezvyčajnomu položeniju v SSSR. 19. avgusta 1991 goda. g) Ukaz i. o. Prezidenta SSSR o vvedenii črezvyčajnogo položenija v gorode Moskve. 19. avgusta 1991 goda. h) Postanovlenie No. 3 Gosudarstvennogo komiteta po črezvyčajnomu položeniju v SSSR. 20. avgusta 1991 goda. i) Ukaz i. o. Prezidenta SSSR ob ukazach Prezidenta RSFSR No. 59, 61, 62 i 63 ot 19. avgusta 1991 g. 20. Avgusta 1991 goda. Dokumente a) – i) unter URL: http://hpc-strategy.ru/biblioteka/dokumenty_gkchp/(Aufruf am 02.08.2012). Erlass von Boris Jelzin vom 20.07.1991 zum Verbot der Parteiarbeit in Betrieben und öffentli­ chen Einrichtungen auf dem Territorium Russlands: Quelle: http://hpc-strategy.ru/ukazy_i_prezidenta/19910720_ukaz_prezidenta_rsfsr_14_o_ departizacii/ (Aufruf am 30.07.2012). Aufrufe und Erlasse des russischen Präsidenten Jelzin während des Putsches: a) K graždanam Rossii. 19. avgusta 1991 goda. b) Ukaz Prezidenta RSFSR No. 59 c) Ukaz Prezidenta RSFSR No. 61 d) Ukaz Prezidenta RSFSR No. 62 e) Ukaz Prezidenta RSFSR No. 63 Dokumente a) – e) in: Kazarin, Ju./Jakovlev, B. (Bearb.): Smert’ zagovora. Belaja Kniga. Moskva 1992, S. 41, 44, 46, 49, 50.

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Zaključenie po materialam rassledovanija roli i učastii dolžnostnych lic KGB SSSR v sobytiach 19 – 21 avgusta 1991 goda. Moskva, 1991, URL: http://hpc-strategy_gkchp/199109_ zaklyuchenie_o_roli_dolzhostnyh_lic_kgb_sssr_v_sobytiyah_putcha/ (Aufruf am 31.07.2012). Bekanntgabe über die Bildung eines Staatskomitees für Verteidigung im Jahre 1941: Obrazovanie Gosudarstvennogo Komiteta Oborony. In: Pravda, 1.07.1941, S. 1.

Untersuchungsberichte Anfangs befassten sich zwei konkurrierende Staatsanwaltschaften sowie fünf Kommissionen mit den Untersuchungen zum Putsch, was teilweise zu Überschneidungen, Zuständigkeitsnachfragen und Kompetenzwirrwarr führte. Dies lag vor allem daran, dass es in Moskau Doppelstrukturen gab. Die sowjetischen Zentralstrukturen befanden sich in Auflösung, existierten aber noch. Russland mit seinem Präsidenten Jelzin, der als triumphaler Sieger aus dem Putsch hervorgegangen war, nahm zunehmend das Heft des Handelns an sich. Neben der russischen ermittelte anfangs auch die sowjetische Staatsanwaltschaft unter ihrem Generalstaatsanwalt Nikolai Trubin. Da dessen Behörde und er selbst während des Putsches eher als Unterstützer des G ­ KTSCHP in Erscheinung getreten waren, stellte sich rasch die Frage, ob die sowjetische Generalstaatsanwaltschaft befangen und überhaupt für diese bedeutende Aufgabe geeignet sei. Am 29. August 1991 wurden drei Stellvertreter des sowjetischen Generalstaatsanwaltes im Zusammenhang mit Vorwürfen wegen ihrer Rolle während des Putsches entlassen.18 Wenige Wochen danach stellte die sowjetische Staatsanwaltschaft ihre Arbeit im Zusammenhang mit der Untersuchung des Staatsstreiches ein. Neben der Staatsanwaltschaft Russlands befassten sich fünf Kommissionen mit dem Putsch: –– die parlamentarische Untersuchungskommission des Obersten Sowjets der UdSSR unter der Leitung des Abgeordneten Alexander Obolenski,

–– die parlamentarische Untersuchungskommission des Obersten Sowjets der RSFSR unter der Leitung von Lew Ponomarjow,

–– die vom sowjetischen Präsidenten eingesetzte staatliche Kommission unter der Leitung von Sergej Stepaschin zur Untersuchung der Rolle des KGB,

–– die vom neuen KGB-Vorsitzenden Wadim Bakatin eingesetzte interne Kommission, die die Verwicklung des KGB in den Putsch untersuchen sollte, sowie

–– die vom neuen russischen Verteidigungsminister Konstantin Kobez geleitete Kommission 19

zur Untersuchung der Verwicklung der Armee in den Putsch.

Zwei Punkte sind bei dieser Aufzählung von besonderer Relevanz: 1 Nur zwei Kommissionen führten ihre Arbeit zu Ende und legten einen Abschlussbericht vor. Dies waren die staatliche Kommission unter der Leitung von Sergej ­Stepaschin und die KGB-interne Kommission. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich und werden weiter unten erläutert.

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2 Die Qualität der Ergebnisse aller fünf Kommissionen war schon allein dadurch beein-

trächtigt, dass diese Kommissionen – anders als die Staatsanwaltschaft Russlands – nicht die Möglichkeit hatten, die Beschuldigten zu den Abläufen und zu ihren Aktivitäten vor und während des Putsches zu befragen. Eine effektive und ergebnisstarke Arbeit war somit von vornherein nicht zu erwarten, weil die Hauptbeschuldigten – anders als bei parlamentarischen Untersuchungsausschüssen in der Regel üblich – hier gar nicht vernommen werden konnten. Zum anderen verschoben sich angesichts der staatlichen Auflösungserscheinungen in der Sowjetunion in den Monaten August bis Dezember 1991 die politischen und persönlichen Prioritäten für viele Abgeordnete des Obersten Sowjets der UdSSR, deren Parlament einem stetigen Bedeutungsverlust ausgesetzt war, der schließlich in dessen Abschaffung mündete. Die von Alexander Obolenski geleitete Kommission des Obersten Sowjets der UdSSR hat ihren Untersuchungsbericht nicht veröffentlicht. Es entstand eine bizarre Situation: Mitten in der Arbeit der 15-köpfigen Kommission wurden Ende 1991 das Parlament und der Staat, in dessen Auftrag sie den Bericht erstellen sollte, aufgelöst. Auf einer Pressekonferenz am 27. Dezember 1991 gab der stellvertretende Kommissionsvorsitzende Judin bekannt, dass die russische Regierung die (sowjetische) Kommission gebeten habe, „die Arbeit fortzusetzen und Ende Januar 1992 einen Bericht vorzulegen.“ 20 Dazu kam es aber dann nicht wegen Streitigkeiten um den Zugang zu nicht näher definierten Materialien der Ermittlungen, die die russische Seite der sowjetischen angeblich vorenthielt, indem sie sie dem Staatsarchiv der Russischen Föderation übergab und somit unzugänglich machte. Obolenski traf dann mit seiner Kommission am 20. Januar 1992 die Entscheidung, die Untersuchungsarbeit ganz einzustellen. Der stellvertretende Generalstaatsanwalt der RSFSR, Jewgeni Lisow, hatte sich schon im September 1991 öffentlich über die Tätigkeit dieser Kommission beschwert, da sie die Arbeit der Staatsanwalt seiner Meinung nach behinderte, indem sie parallele Befragungen der Beschuldigten durchzuführen versuchte. Dies sei gesetzlich nicht gedeckt.21 Die Untersuchungskommission des Obersten Sowjets Russlands tagte lediglich vier Mal in dem Zeitraum vom 22. Oktober 1991 bis zum 18. Februar 1992. Kopien der Unterlagen und Sitzungsprotokolle stellte ihr Vorsitzender Lew Ponomarjow, der im heutigen Russland eine unabhängige und oppositionelle Menschenrechtsorganisation leitet, dem Verfasser zur Verfügung. Die Arbeit der Kommission wurde laut Ponomarjow nach Streitigkeiten mit dem damaligen Parlamentsvorsitzenden Ruslan Chasbulatow auf dessen Weisung hin eingestellt. Das hat dieser bestätigt.22 Eine Woche nach dem Scheitern des Putsches berief der politisch geschwächte UdSSR-­ Präsident ­Gorbatschow eine staatliche Untersuchungskommission ein, die die Aktivitäten des KGB durchleuchten sollte. Auffällig war dabei, dass ihr Vorsitzender Sergej Stepaschin Mitglied des russischen Parlaments und dort Vorsitzender des Sicherheitsausschusses des russischen Obersten Sowjets war. Stepaschin trug die Ergebnisse der Kommission während einer Anhörung im Obersten Sowjet Russlands am 4. Februar 1992 vor, nachdem die Unionsorgane nicht mehr existierten. Der Bericht wurde als eigenständiges schriftliches Dokument nicht veröffentlicht, sondern floss in die Arbeit der Kommission des

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Obersten Sowjets Russlands ein.23 ­Gorbatschow nahm mindestens einmal persönlich an einer Sitzung der von Stepaschin geleiteten Kommission teil.24 Die Rückverfolgung der verschiedenen Untersuchungsberichte zum Zwecke der Quellenerschließung erwies sich als ein aufwendiges Unterfangen, da die Kommissionen während des akuten Zerfalls des Staates aktiv waren und die ursprünglich in diesen Gremien tätigen Mitglieder häufig selbst nicht mehr wissen, wohin die Ergebnisse damals geleitet wurden oder wo sie heute zu finden sind. Die Kommission, die die Verwicklung der Armee untersuchte, existierte vom 5. September bis zum 5. November 1991; geleitet wurde sie von Konstantin Kobez. In ihr saßen Militärs, aber auch Abgeordnete des Unions- und des russischen Republikparlaments. Ihre Hauptergebnisse trug der Oberkommandierende der GUS-Streitkräfte Jewgeni Schaposchnikow dem Obersten Sowjet Russlands am 18. Februar 1992 vor.25 Der interne KGB-Untersuchungsbericht, den Wadim Bakatin in Auftrag gegeben hatte, lag für diese Arbeit vor. Die Untersuchungsberichte der Kommissionen – ob separat veröffentlicht, in die Arbeit parallel arbeitender Gremien eingeflossen oder der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt – waren wertvolle Quellen für die genauere und sicherere Rekonstruktion der Ereignisse.

Presseartikel, Agenturmeldungen, Radio-, TV- und Internetbeiträge Aus Presse- und Internetbeiträgen waren in erster Linie Interviews mit am Putsch Beteiligten relevant, wobei die Zuverlässigkeit des gedruckten oder des schriftlich ins Netz gestellten Materials nicht unzweifelhaft sein kann. Immer stellt sich die Frage, ob der Interviewte das Abgedruckte tatsächlich so gesagt hat. Anders verhält es sich mit den (überschaubaren) Hörfunk- und Fernsehbeiträgen oder Internetdokumenten, auf denen der Interviewte im Originalton zu hören oder zu hören und zu sehen ist. Dies sind zuverlässige Quellen, deren Authentizität gegeben ist. Die Überprüfung der Wahrscheinlichkeit, dass der Inhalt auch der Wahrheit entspricht, entsprechen könnte oder der Wahrheit eher nicht entspricht, sowie die Einordnung und Gewichtung dieser Quellen hatte für mich einen zentralen Stellenwert. Sehr hilfreich und sehr zuverlässig sind die Meldungen der britischen Nachrichtenagentur Reuter, der amerikanischen Associated Press, der französischen Agence France-Press und der Deutschen Presse-Agentur. Sie erwiesen sich für die ereignisgeschichtliche Überprüfung von großem Wert, weil sie ein fast minütlich präzises Faktengerüst bilden, das insbesondere für die Rekonstruktion des Zeitraums vom 19. – 21. August 1991 erforderlich war. Viele Agenturmeldungen konnten von den Abnehmern (Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen) 1991 meist aus Prioritätsgründen nicht veröffentlicht werden, sind aber dennoch von großer Relevanz. Hinzu kommt, dass die Verfasser dieser Meldungen verpflichtet sind, Nachricht und Kommentar zu trennen; es handelt sich bei ihnen somit um unabhängige Beobachter, die zumindest idealtypisch Faktenübermittler sind. Die Berichte der Nachrichtenagenturen waren vor allem unverzichtbar bei den Jahrestagen des Putsches, weil es dabei nicht einfach war, anderweitig verlässliche Zahlen und Informationen über die staatlichen Aktivitäten mit Blick auf die Erinnerungskultur und die

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Resonanz bei der Bevölkerung zu erhalten. In diesem Zusammenhang wurde auch die Berichterstattung in einigen russischen Zeitungen zu den Putsch-Jahrestagen 1996, 2001, 2006 und 2011 im Hinblick auf Inhalt und Umfang ausgewertet, darunter die auflagenstarke Wochenzeitung Argumenty i fakty. Es wird kaum verwundern, dass Medienvertreter, die die Ereignisse erlebt haben, schon sehr rasch – noch 1991 – Bücher über den Putsch schrieben. Diese blieben, da sie in großer Eile verfasst wurden und sich nur auf sehr begrenzte Quellen stützen konnten, mehr oder weniger äußere Ereignisbeschreibungen, die kaum über das hinausgehen konnten, was nicht schon durch Zeitungen, Radio, Agenturen oder das Fernsehen in den Augusttagen 1991 und in den Wochen danach vermittelt wurde. Hierzu gehört das Buch von Gerd Ruge, „Der Putsch. Vier Tage, die die Welt veränderten“. Das Buch, das schon im Oktober 1991 veröffentlicht wurde, basiert in wesentlichen Teilen auf Berichten, die der Autor als Leiter des ARD-Studios in Moskau mit seinen Kollegen produziert hatte. Darin werden überwiegend Texte der gesendeten Nachrichtenbeitrage und Schaltgespräche Gerd Ruges, die die ARD-Moderatoren mit ihm geführt hatten, abgedruckt. Er wurde für seine hervorragende Berichterstattung mehrfach ausgezeichnet. Auch Martin Sixsmith, Korrespondent der BBC, veröffentlichte im Herbst 1991 ein Buch über die Ereignisse unter dem Titel „Moscow Coup. The Death of the Soviet System.“ Der Korrespondent von TF1 Ulysse Gosset schrieb gemeinsam mit dem sowjetischen Diplomaten Wladimir Fedorowski, der in Paris als Kulturattaché tätig war und später zur „Bewegung für demokratische Reformen“ gehörte, das Buch „Histoire secrète d’un coup d’état“, das im Herbst 1991 erschien. Darin wird ­Gorbatschow ins Zwielicht gerückt. Schließlich veröffentlichte der damalige Vizepräsident von CNN Stuart H. Loory gemeinsam mit Ann Imse, Korrespondentin der amerikanischen Nachrichtenagentur AP (Associated Press), im Dezember 1991 eine Chronik über die Putsch-Woche unter dem Titel „Seven Days That Shook the World.“ Und gerade in jener Zeit hatten vermeintliche Heldengeschichten von angeblichen Befehlsverweigerern sowie von echten und vermeintlichen Verteidigern der Demokratie Hochkonjunktur, wodurch verschiedene Mythenbildungen verfestigt wurden.

Filmquellen Pressekonferenz des Staatskomitees für den Ausnahmezustand (­GKTSCHP) am 19.08.1991, URL: http://rutube.ru/tracks/3821075.html (Aufruf am 25.05.2012). Jelzins Parlamentsrede vom 21.08.1991, URL: http://video.yandex.ru/users/glezin1973/ view/11/# (Aufruf am 21.04.2012). ­Gorbatschows Pressekonferenz in Moskau vom 22.08.1991, URL: http://4as.info/media/226 (Aufruf am 04.08.2012). Sitzung des russischen Obersten Sowjets am 23.08.1991. ZDF-Mitschnitt vom 23.08.1991. Nachrichtensendungen „Wremja“, 19.–24.08.1991. Oleg Šenin im TV-Interview mit Anatolij Utkin am 26.11.2008. In: Razval SSSR.Webtvnews, URL: http://www.webtvnews.ru/history/historymnenya/razval-sssr-2008-11-26. html (Aufruf am 02.08.2012).

Quellenüberblick

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410 411

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Gespräche und Interviews der Akteure und Zeitzeugen mit dem Verfasser Wladislaw Atschalow Wadim Bakatin James Baker Oleg Baklanow Boris Beskow Alexander Bessmertnych Klaus Blech Juri Blochin Gennadi Burbulis Ruslan Chasbulatow Alexander Dsasochow Vitali Doguschijew Valentin Falin Michail Golowatow Michail ­Gorbatschow Pawel Gratschow Grigori Jawlinski Dmitri Jasow Wjatscheslaw Keworkow Ljubow Komar Leonid Krawtschenko Vytautas Landsbergis Jack F. Matlock Jörg R. Mettke Michail Poltoranin Lew Ponomarjow Gawril Popow Juri Prokofjew Alexander Ruzkoj Tamara Schenina Eduard Schewardnadse Rudolf Seiters Valentin Stepankow Wladislaw Terechow Alexander Tisjakow Anatoli Tschernajew Galina Wolskaja-Everstowa

(28. Mai 2011) (3. April 2012) (19. Mai 2011, durch einen Bevollmächtigten von I. L. geführtes TV-Interview) (19. Oktober 2009 und 16. April 2012) (12. April 2012) (24. März 2011) (24. Oktober 2009) (30. März 2012) (25. Mai 2011) (4. April 2012) (25. September 2012) (2. April 2012) (25. September 2012) (24. Mai 2011 und 12. April 2012) (23. März 2011 und 21. November 2011) (23. Mai 2011) (Oktober 2009) (23. Mai 2011 und 2. April 2012) (13. Mai 2011) (15. April 2012) (10. April 2012 und 04. Mai 2012) (13. Mai 2011) (24. März 2011) (31. Mai 2012) (12. April 2012) (30. März 2012) (25. Mai 2011) (27. März 2012) (24. Mai 2011) (11. April 2012 und 05. Oktober 2013) (12. Oktober 2009) (12. Mai 2011) (30. März 2012) (13. Dezember 2012) (April 2011) (Oktober 2009) (24. September 2012)

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418 419

420 Literaturverzeichnis

Abkürzungen / Erläuterungen AFP AP Bd. ders. dies. dpa GARF

­GKTSCHP Hrsg. Kap. KGB KPdSU KP MGIMO

OMON RAN RGANI RIA RSFSR S. TASS u. a. UdSSR vgl. VPK ZK

Agence France-Presse, französische Nachrichtenagentur Associated Press, amerikanische Nachrichtenagentur Band derselbe dieselbe / dieselben Deutsche Presse-Agentur Gosudarstvennyj Archiv Rossijskoj Federacii (Staatsarchiv der Russischen Föderation) Gosudarstvennyj komitet po črezvyčajnomu položeniju (Staatskomitee für den Ausnahmezustand) Herausgeber Kapitel Komitet Gosudarstvennoj Bezopasnosti (Komitee für Staatssicherheit) Kommunistische Partei der Sowjetunion Kommunistische Partei Moskovskij Gosudarstvennyj Institut Meždunarodnych Otnošenii (Staatliches Institut für Internationale Beziehungen in Moskau; hier werden Diplomaten ausgebildet) Otrjad Milicij Osobogo Naznačenija (Sondertruppen der Miliz) Rossijskaja Akademija Nauk (Russische Akademie der Wissenschaften) Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv Novejšej Istorii (Russisches Staatsarchiv für Neueste Geschichte) Russische Informationsagentur (Nachrichtenagentur) Russische Sowjetische Föderative Sozialistische Republik Seite Telegrafnoe agenstvo Sovetskogo Sojuza (sowjetische Nachrichtenagentur) und andere Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vergleiche Voennyj promyšlennyj kompleks (militärisch-industrieller Komplex) Zentralkomitee

420 421

12 ANMERKUNGEN

zu Kapitel 1 (S. 11 – 14) 1.

Allgemein wird im Text auf die wissenschaftliche Transkription von Eigennamen verzichtet; lediglich in Fußnoten findet sie bei der Wiedergabe von russischen Buchtiteln und anderen Quellen Anwendung. 2. Vgl. Kap. 6.15 Die Reaktionen des Auslands, S. 303 3. Bis August 1991 waren erst 80.000 sowjetische Soldaten und 25.000 Zivilisten in ihre Heimat zurückgekehrt. 4. Information des russischen Journalisten Eduard Glezin vom 23.03.2012, der mir von der ­Gorbatschow-Stiftung als Perestrojka-Experte empfohlen worden war. 5. Caumanns, Ute / Niendorf, Mathias: Raum und Zeit, Mensch und Methode: Überlegungen zum Phänomen der Verschwörungstheorie. In: dies. (Hrsg.): Verschwörungstheorien. Anthropologische Konstanten – historische Varianten. Osnabrück 2001, S. 197 – 210, hier S. 201 und 207. 6. Vgl. Hösch, Edgar: Vom Kiewer Reich bis zum Zerfall des Sowjetimperiums. Stuttgart u. a. 1996, S. 415. 7. Norbert Elias, zitiert nach: Caumanns / Niendorf, Verschwörungstheorien, S. 201.

zu Kapitel 2 (S. 15 – 22) 1.

Protokollfragmente veröffentlichten die beiden damaligen leitenden Staatsanwälte in Buchform: Stepankov, Valentin / Lisov, Evgenij: Kremlevskij zagovor. Moskva 1992. 1997 erschien von Wjatscheslaw Keworkow in Moskau und als Übersetzung im Berliner Aufbau Taschenbuch Verlag das Buch „Moskauer Operette – Politthriller“; Kevorkov, Vjačeslav: Moskovskaja operetka. Političeskij triller. Moskva 1997; ders.: Moskauer Operette. Politthriller. Berlin 1997. Der Titel ist eine Anspielung auf Tschaikowskis musikalisches Werk Schwanensee, das am ersten Putschtag im sowjetischen Fernsehen lief. Inhaltlich bietet Keworkow eine teilweise fiktionalisierte Darstellung. Deren – wissenschaftlich eher begrenzter – Wert liegt darin, dass Keworkow in den Besitz eines vollständigen Exemplars der fünfbändigen Anklageschrift gegen die zwölf Hauptbeteiligten des Putsches kam. Seine Darstellung beziehungsweise seine Erzählung, in der die erfundene Figur des jungen Militärermittlers Sergej Gross auf der Suche nach der Putschwahrheit ist, basiert auf diesen außergewöhnlich seltenen und sehr schwer zugänglichen Dokumenten. Es ist legitim, dass Keworkow im Rahmen dieser Darstellungsform die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verwischt. Aus diesem Grund wird im vorliegenden Buch aus der „Moskauer Operette“ nicht zitiert.

422 Anmerkungen

2. 3. 4. 5.

6. 7. 8.

Keworkow, der fließend Deutsch spricht, war KGB-Generalmajor und Geheimdiplomat. Er arbeitete in der Auslandsaufklärung. Im Auftrag des damaligen KGBChefs Juri Andropow und des damaligen Generalsekretärs Leonid Breschnew baute er ab 1969 gemeinsam mit dem SPD-Politiker Egon Bahr den sogenannten „Geheimen Kanal“ auf. Dies geschah im Sinne des vom Kreml und vom damaligen Bundeskanzler Willy Brandt betriebenen Kurses der Entspannungspolitik. Die Existenz des „Geheimen Kanals“ wurde erst Mitte der 1990er Jahre der Öffentlichkeit bekannt. 1991 arbeitete Keworkow als stellvertretender TASS-Chef in Moskau und wurde nach dem Putsch, in den er als hoher medialer Funktionsträger hineingeraten war, seines Postens enthoben. Gegen ihn wurde ein Verfahren eingeleitet, das am 20.12.1991 – wie gegen andere führende TASS-Mitarbeiter auch – eingestellt wurde. Vgl. Anklageschrift, Band V, S. 127. Im Mai 2011 führte ich mit Keworkow ein Interview für meine TV-Dokumentation über den Putsch. Anfang 2012 sagte er mir zu, mir die Anklageschrift zum Zwecke der vorliegenden Arbeit zeitweilig zu überlassen. Dies wurde dann aber mehrfach hinausgezögert, bis Keworkow die Zusage schließlich zurückzog mit der Begründung, dass er diese Dokumente inzwischen einem Moskauer Archiv versprochen habe. Dunlop, John B.: The Rise of Russia and the Fall of the Soviet Empire. Princeton 1993, S. 190. Anhang der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 08.12.1992, Band V, S. 162 – 165. Anklageschrift, Bd. V, Inhaltsverzeichnis und S. 4 – 114. Lutz Niethammer gehörte zu den ersten Historikern in Deutschland, die sich mit dieser Quellenart befasst und entsprechende Studien vorgelegt haben. Bei Julia Obertreis und Anke Stephan finden sich zahlreiche Beiträge zur Oral History und ihrer Bedeutung und Anwendung in (post)sozialistischen Gesellschaften. Vgl. Obertreis, Julia / Stephan, Anke: Die Methodik der Oral History und die Erforschung (post) sozialistischer Gesellschaften (Einleitung). In: dies. (Hrsg.): Erinnerungen nach der Wende. Oral History und (post)sozialistische Gesellschaften. Remembering after the Fall of Communism. Oral History and (Post) Socialist Societies. Essen 2009. Niethammer, der selbst sehr ungern als „Vater der deutschen Oral History“ bezeichnet werden möchte, weil er dadurch auf ein Forschungsthema festgelegt werde (vgl. Lauschner, Antje: Ganz nah am Puls der Geschichte. In: Thüringische Landeszeitung, 24.12.2004, S. KU1), gab 1980 „das erste, vielbeachtete Buch in deutscher Sprache, ein Sammelband internationaler Beiträge“ heraus, wie Obertreis und Stephan schreiben: Niethammer, Lutz (Hrsg.): Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der „Oral History“. Frankfurt am Main 1980. Tieschky, Claudia / Winkler, Willi: Kopfsalat mit Zeitzeugen. Der Historiker N ­ orbert Frei über deutsches Geschichtsfernsehen, Schnurrbart-Filme und Prinz Harry. In: Süddeutsche Zeitung, 22.01.2005, S. 18. Obertreis / Stephan, Methodik der Oral History, S. 17. Mit Michail G ­ orbatschow führte ich im März und November 2011 jeweils ein TV-­ Interview. Das erste war für eine 45-minütige Dokumentation über den Putsch, das

zu Kapitel 2

9.

10. 11.

12.

13.

zweite für einen Beitrag für das „ZDF-heute journal“ anlässlich des 20. Jahrestages des Endes der Sowjetunion am 21.12.2011. Bei dieser Gelegenheit wurden auch einige Fragen gestellt, deren Beantwortung für die vorliegende Arbeit von besonderem Interesse ist. In der Regel steht der ehemalige sowjetische Präsident laut seiner Stiftung für wissenschaftliche Anfragen, Dissertationen und Buchprojekte nicht zur Verfügung. Zum Beispiel gab mir Wladislaw Atschalow, stellvertretender Verteidigungsminister der UdSSR 1990 – 1991, am 28. Mai 2011 ein Interview. In Atschalows Büro wurde am zweiten Putschtag (20. August 1991) der Sturm auf das Weiße Haus in Moskau geplant. Am 23. Juni 2011 starb Atschalow. Bei der Abkürzung KGB für das „Komitee für Staatssicherheit“ wird in der vorliegenden Arbeit nicht der neutrale, sondern der maskuline Artikel verwendet, der im allgemeinen Sprachgebrauch dominiert. Chasbulatow war zum Zeitpunkt des Putsches nur amtierender Parlamentspräsident Russlands. Nach Jelzins vollzogenem Wechsel aus dem Amt des Parlamentsvorsitzenden zum Präsidenten Russlands am 10. Juli 1991 wurde der Posten des Parlamentsvorsitzenden vakant. Chasbulatow, der einer von Jelzins Stellvertretern war, scheiterte bei seinen Versuchen, dessen Nachfolger und somit offizieller Parlamentsvorsitzender Russlands zu werden. Es dürfte wenig bekannt sein, dass Chasbulatow im russischen Volksdeputiertenkongress bei insgesamt sechs Wahlgängen, die sich über mehrere Tage hinzogen, jeweils weniger Stimmen als der von den Kommunisten unterstützte Sergej Baburin erhielt. Allerdings erhielt auch Baburin nicht die erforderliche absolute Mehrheit von 531 Stimmen. Am 17.07.1991 vertagte der Volksdeputiertenkongress die Entscheidung, wer Nachfolger Jelzins im Amt des Vorsitzenden des Obersten Sowjets (Parlamentspräsident) werden sollte, auf den Herbst 1991. Chasbulatow durfte das Amt des Parlamentspräsidenten nur vorübergehend ausüben, weil er stellvertretender Vorsitzender war. Ganz offensichtlich verdankte er es dem Putsch, bei dem er sich profilieren konnte, dass er im Herbst als klarer Sieger bei der Wahl des Vorsitzenden des Obersten Sowjets Russlands (Parlamentspräsident) hervorgehen konnte. Unter Berufung auf TASS erhielt Chasbulatow laut dpa und AP am 29.10.1991 559 Stimmen, Baburin kam mit 274 Stimmen abgeschlagen auf Platz 2. Vgl. dpa, AP, 12.07.1991; Reuter, 13.07.1991; dpa, Reuter, AP, 16.07.1991; Reuter, 17.07.1991; dpa, AP, 29.10.1991. Somit war Chasbulatow erst ab Herbst 1991 offiziell Parlamentspräsident Russlands. Gratschows offizielles Geburtsdatum ist der 01.01.1948. Nach eigenen Angaben ist sein tatsächliches Geburtsdatum der 27.12.1947. Seine Eltern hätten ihn erst am Neujahrstag 1948 registrieren lassen, damit seine Einberufung in die Armee ein Jahr später erfolgte und er somit robuster wäre. Vgl. das Interview Gratschows mit ­Wladimir Glasunow im russischen TV-Kanal Nostalgija (2011) in der Sendung „Rožden v CCCP“, URL: http://video.yandex.ru/#!/search?text=pavelgrachev&filmId=ZWmBb77AUXI (Aufruf am 01.07.2013). Der offizielle Name der Eliteeinheit ist „Gruppe ‚A‘“; „Alpha“ ist die in den Medien gebräuchliche Variante.

422 423

424 Anmerkungen

14. Der offizielle Name dieser Eliteeinheit ist „Vympel“; hier ist in den Medien die Bezeichnung „B“ üblich; auch im Russischen hat sich die Abkürzung „B“ (latei­ nisches Alphabet) durchgesetzt. 15. Jack F. Matlock nahm u. a. mit Alexander Bessmertnych im März 2011 an einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik in München teil. Bei dieser Gelegenheit führte ich mit beiden ein TV-Interview, ebenso mit Michail ­Gorbatschow, der Hauptredner der Veranstaltung war. 16. Dem Präsidialbüro des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew wurden über die Botschaft in Berlin im April 2012 sechs schriftliche Fragen eingereicht. Ihre Beantwortung wurde für den Herbst 2012 angekündigt, blieb jedoch aus. Nasarbajew war am 30.07.1991 neben G ­ orbatschow und Jelzin der dritte Teilnehmer des geheimen Dreier-Gesprächs, über das seit mehr als zwanzig Jahren im Hinblick auf den Auslöser des Putsches viel spekuliert wird.

zu Kapitel 3 (S. 23 – 26) 1. 2.

Gespräch mit Baklanow am 16.04.2012. Gespräch mit Jasow am 02.04.2012. Inzwischen leben nur noch zwei Marschälle (Stand Anfang Januar 2014). 3. Vgl. hierzu die Überlegungen von Obertreis, Julia / Stephan, Anke: Erinnerung, Identität und „Fakten“. In: dies. (Hrsg.): Oral History, S. 9 – 36, hier S. 17. 4. Gespräch mit Ruzkoj am 24.05.2011.

zu Kapitel 4 (S. 27 – 112) 1. 2.

3.

4.

Simon, Gerhard / Simon, Nadja: Verfall und Untergang des sowjetischen Imperiums. München 1993, S. 17. Der Begriff wurde vor ­Gorbatschows Amtsantritt mit „Publizität“, „Öffentlichkeit“, manchmal mit „Transparenz“ übersetzt. Die Verschiebung hin zu „Offenheit“ erfolgte erst durch die damals (etwa ab dem Herbst 1986) in Gang gekommene Diskussion in den deutschen Medien über die Reformpolitik des neuen KPdSU-Chefs. Die Frage der Übersetzung des Begriffs „Glasnost“ wurde in der unveröffentlichten Diplomarbeit des Verfassers (Titel: Kontinuität und Wandel der sowjetischen Presse im Zeichen von Glasnost, Germersheim / Mainz 1987) am Rande untersucht. 2011 wurde in London der erste „Michail Gorbachev Award“ verliehen. Für ihn gibt es vier Kategorien: „Uskorenie“, „Perestroika“, „Glasnost“ und „New Thinking“. Diese Kategorien wurden von G ­ orbatschow selbst so bezeichnet. Sie sollen seine Reformen beschreiben. Holtz, Joachim: Zögernder Wandel in der Sowjetunion. In: Haefs, Hanswilhelm (Hrsg.): Der Fischer Weltalmanach 1989. Frankfurt am Main 1988, S. 571 – 582, hier S. 572. Holtz war von 1984 bis 1990 Korrespondent und ZDF-Studioleiter in Moskau, anschließend in New York. Von 1993 bis 1998 war er Chef der ZDF-Hauptredaktion Außenpolitik, danach Korrespondent und Studioleiter in Peking.

zu Kapitel 4

5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

16. 17. 18. 19. 20. 21.

22.

23. 24. 25.

Brahm, Heinz: Der historische Holzweg der KPdSU. In: Osteuropa 42 (1992), H. 2, S. 99 – 109, hier S. 106. Diese und die drei weiteren optischen Hervorhebungen erfolgten durch I. L. ­Gorbatschow, Michail: Perestroika. Die zweite russische Revolution. München 1987, S. 28. Ebenda, S. 365. Ebenda, S. 7. Ebenda, S. 388 – 390. Ebenda, S. 107. Volkogonov, Dmitrij: Sem’ voždej. 2 Bde. Moskva 1999, Bd. 2, S. 300. dpa, 25.04.1990. Gorbačev, Michail: Naedine s soboj. Moskva 2012, S. 412. Im März 2013 erschienen die Memoiren in Deutschland unter dem Titel: „Alles zu seiner Zeit“. Zitiert nach: Delavre, Tina (Hrsg.): Der Putsch in Moskau. Berichte und Dokumente. Frankfurt am Main / Leipzig 1992, S. 41 – 42. Es handelt sich bei diesem Buch um die Übersetzung einer russischen Dokumenten- und Fotosammlung, die 1991 erschienen war. Der Originaltitel lautet: Vojnskunskaja, Natella u. a. (Bearb.): Koričnevyj putč Krasnych. Moskva 1991. Zitiert nach: Delavre (Hrsg.), Der Putsch, S. 40. dpa, 20.01.1990. Lozo, Ignaz: Der Putsch gegen Gorbačev. Hintergründe und Entscheidungsabläufe. In: Osteuropa 61 (2011), H. 11, S. 77 – 96, hier S. 77. Ebenda. Gespräch des Verfassers mit Jawlinski. In: Lozo, Ignaz: TV-Dokumentation „Mythos ­Gorbatschow“. ZDF 2010. Der Hinweis auf den Verfasser entfällt bei künftigen Anmerkungen zu Gesprächsquellen. Nach Angaben der damaligen deutschen Bundesregierung spendeten die Bundesbürger allein bis Mitte Dezember 1990 rund 800 Millionen Mark für Hilfe an die Sowjetunion. Dies sei die größte humanitäre Aktion in der Geschichte der Republik bis dahin gewesen. Vgl. AP, 19.12.1990. Gespräch mit Teltschik am 23.10.2009. In: Lozo, Ignaz: TV-Dokumentation „Moskau, Mythen, Mauerfall“. Phoenix / ZDF 2009. Nach Darstellung Teltschiks gewährte die Bundesregierung geräuschlos einen Sofortkredit in Höhe von fünf Milliarden Mark. Der damalige sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse war Anfang Mai 1990 im Auftrag G ­ orbatschows nach Bonn gereist, um diese Nothilfe zu erbitten. Schewardnadse berichtete übereinstimmend, dass G ­ orbatschow ihn Anfang Mai 1990 gebeten hatte, sich bei der Bundesregierung um eine Nothilfe zu bemühen. – Gespräch mit Schewardnadse am 12.10.2009. Nachrichtenagentur AFP, 15.10.1990. Ryžkov, Nikolaj: Glavnyj Svidetel’. Moskva 2009, S. 135. Protokoll der Politbüro-Sitzung vom 16.11.1990: RGANI, Archiv-Nr. F 16, P 42, Dokument Nr. 30, S. 25.

424 425

426 Anmerkungen

26. Ebenda, S. 17 – 25. ­Gorbatschow hat seine Untergebenen oft geduzt. Diese siezten ihn in der Regel. 27. Lozo, Putsch, S. 79. 28. Meissner, Boris: ­Gorbatschow, Jelzin und der revolutionäre Umbruch in der Sowjet­ union (I). In: Osteuropa 41 (1991), H. 12, S. 1187 – 1205, hier S. 1191. 29. Matlock, Jack F.: Autopsy on an Empire. The American Ambassador’s Account of the Collapse of the Soviet Union. New York 1995, S. 552 – 554. 30. Ebenda, zitiert nach: Černjaev, Anatolij: Šest’ let c Gorbačevym. Moskva 1993, S. 446. 31. Matlock, Autopsy, S. 534. 32. Gespräch mit Baklanow am 16.04.2012. 33. Kohl, Helmut: Erinnerungen 1990 – 1994. München 2007, S. 363. 34. dpa, AP, Reuter, 02.04.1991. 35. dpa, 13.09.1990. 36. Zwei sich ausschließende Konzepte lagen vor: das des sowjetischen Ministerpräsidenten Ryschkow und das des bereits oben erwähnten Ökonomen Jawlinski. ­Gorbatschow stand unter großem Druck von beiden Seiten; schließlich entzog er dem marktwirtschaftlichen Modell die bereits angekündigte Unterstützung. 37. dpa, 13.09.1990. 38. Reuter, 26.09.1990. 39. AFP, 25.09.1990. 40. Ebenda. 41. Reuter, 26.09.1990. 42. dpa, Reuter, 19.09.1990; Reuter, AP, AFP, 26.09.1990; dpa, 29.09.1990; dpa, 19.10.1990. 43. Kruschin, Peter: Militär und politische Entscheidungsprozesse. In: Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien (Hrsg.): Sowjetunion 1984/85. Ereignisse, Probleme, Perspektiven. München / Wien 1985, S. 56 – 64, hier S. 58. 44. Reuter, 19.09.1990. 45. Die Geschichtsredaktion des ZDF produzierte 2010 einen Film mit dem Titel „Putsch gegen die deutsche Einheit“ und brachte diese Truppenbewegungen in Zusammenhang mit dem Zwei-plus-vier-Vertrag, der am 12. September 1990 in Moskau unterzeichnet wurde. Für diese sehr eigenwillige Interpretation der Ereignisse haben sich jedoch keine belastbaren Fakten oder gar Beweise finden lassen. Ihre Erwähnung soll aufzeigen, dass Verschwörungstheorien nicht selten ohne ein Fundament in die Welt gesetzt werden, sie sich aber oft einer Beliebtheit beim breiten Publikum erfreuen. Zur Genese von Verschwörungstheorien vgl. Caumanns / Niendorf, Verschwörungstheorien. Die in wirtschaftliches, politisches und nationales Chaos versunkene Sowjetunion war viel zu sehr mit ihrer inneren und durchaus explosiven Lage beschäftigt. Selbst auf der Gerüchteebene fanden sich im September 1990 weder in der sowjetischen Presse noch im eingesetzten Parlamentsausschuss irgendwelche Hinweise, dass diese Truppenbewegungen in Zusammenhang mit der Unterzeichnung des Zwei-plus-vier-Vertrages standen oder hätten stehen können. Es erhärtete sich nicht einmal die Vermutung, dass diese Bewegungen Teil eines Putschszenarios waren oder dass ein Putsch – gegen wen oder was auch immer – überhaupt geplant war.

zu Kapitel 4

46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79.

dpa, 19.10.1990. Ebenda. Reuter und AFP, 13.11.1990. Reuter, 25.09.1990. dpa, 04.10.1990. AP, 23.12.1990. Reuter, 30.04.1991. Ivašov, Leonid: Maršal Jazov. Rokovoj Avgust 91-go. Moskva 1992, S. 50. AP, 19.06.1991. dpa, 21.06.1991. Matlock, Autopsy, S. 540. Zitiert nach: Lozo, Ignaz: Ende einer Supermacht. TV-Dokumentation. 3sat / ZDF 2011. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Beschloss, Michael / Talbot, Strobe: Auf höchster Ebene. Das Ende des Kalten Krieges und die Geheimdiplomatie der Supermächte 1989 – 1991.Düsseldorf u. a. 1993, S. 524. Matlock, Autopsy, S. 545. ­Gorbatschow, Michail: Erinnerungen. Berlin 1995, S. 570. Schmemann, Serge: Gorbachev Says Bush Called Him To Give Early Warning of a Coup. In: The New York Times, 13.11.1991, S. A12. Matlock, Autopsy, S. 545. Ebenda. Gespräch mit Popow am 25.05.2011. Schmemann, Early Warning. Gespräch mit Popow am 25.05.2011. dpa, Reuter, AP, AFP, 16.8.1991. Ihlau, Olaf / Mettke, Jörg R. / Neef, Christian / Meyer, Fritjof / Batrak, Andrej (Bearb.): Den Tschekismus ausrotten. Interview mit KGB-Chef Bakatin. In: Der Spiegel 45 (1991), H. 47, S. 196 – 198, hier S. 198. Interview mit ­Gorbatschow am 21.11.2011. URL: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1526036/Besser%252C-es-gaebe-dieSowjetunion-noch#/beitrag/ video/1526036/Besser%2C-es-gaebe-die-Sowjetunion-noch (Aufruf am 03.08.2012). Ebenda. Gespräch mit Baklanow am 19.10.2009. Ebenda. Malia, Martin: Vollstreckter Wahn. Russland 1917 – 1991. Stuttgart 1994, S. 525. Gespräch mit Popow am 25.05.2011. In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV -­ Dokumentation). ­Gorbatschow erhielt 1.329 Stimmen, 495 Volksdeputierte votierten gegen ihn, 54 Stimmen waren ungültig. Vgl. dpa, 15.03.1990.

426 427

428 Anmerkungen

80. Am 1. Januar 1990 hatte die KPdSU noch 19,2 Millionen Mitglieder. Diese Zahl ist im Verlauf des Jahres um 2,3 Millionen zurückgegangen. Bis zum 1. Juli 1991 ging sie noch einmal um 1,9 Millionen zurück und betrug dann 15 Millionen. Meissner, Umbruch (I), S. 1189; Meissner, Boris: G ­ orbatschow, Jelzin und der revolutionäre Umbruch (III). In: Osteuropa 42 (1992), H. 3, S. 205 – 226, hier S. 207. 81. dpa, 1.07.1988. 82. Mommsen, Margareta: Wer herrscht in Russland? Der Kreml und die Schatten der Macht. München 2003, S. 25. 83. Anhang, Seite 478: „Jelzins Erlass über das Verbot der Parteiarbeit in Betrieben und öffentlichen Einrichtungen.“ 84. AFP, 22. und 23.07.1991. 85. Dokumentation der Verordnung, zitiert nach dpa, 22.07.1991. 86. Slovo k narodu. In: Sovetskaja Rossija, 23.07.1991, S. 1. 87. Reuter, 24.07.1991. 88. Oleg Šenin im TV -Interview mit Anatolij Utkin am 26.11.2008. In: Razval SSSR.Webtvnews, URL: http://www.webtvnews.ru/history/historymnenya/razval-sssr-2008-11-26.html (Aufruf am 05.01.2014). 89. dpa, 25.07.1991. 90. AP, 29.07.1991. 91. Baklanov, Kosmos, Bd. I, S. 39. 92. Ebenda. 93. dpa, 26.07.1991. 94. Gespräch mit Prokofjew am 27.03.2012. 95. Tschernajew, Anatoli: Die letzten Jahre einer Weltmacht. Der Kreml von innen. Stuttgart 1993, S. 340. 96. Ebenda, S. 367. 97. Die Abkürzung steht im Russischen für „Voenno-Promyšlennyj Kompleks“ (VPK) und ist ein fester Begriff. 98. Taylor, Brian D.: The Soviet Military and the Disintegration of the USSR. In: Journal of Cold War Studies 5 (2003), H. 1, S. 17 – 66, hier S. 23. 99. Reuter, 20.05.1991. 100. Gespräch mit Jasow am 23.05.2011. 101. ­Gorbatschow im TV-Interview mit Sergej Briljow am 20.08.2012. In: Rossija-24, URL: http://www.gorby.ru/presscenter/publication/show_28574/ (Aufruf am 07.01.2014). 102. AFP, 16.08.1991. 103. dpa, 28.09.1990. 104. Pravda, 06.09.1990, zitiert nach: Schröder, Hans-Henning: Konflikt um Konversion. Rüstungssektor versus Wirtschaftsreform. In: Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien (Hrsg.): Sowjetunion 1990/91. Krise – Zerfall – Neuorientierung. München / W ien 1991, S. 185 – 195, hier S. 194. 105. Ebenda, S. 187. 106. Reuter, 29.10.1991. 107. Nezavisimaja Gazeta, 12.08.1991, zitiert nach dpa, 12.08.1991.

zu Kapitel 4

108. Baklanov, Oleg: Kosmos – moja sud’ba. 2 Bde. Moskva 2012, Bd. 1, S. 8. 109. Gespräch mit Baklanow am 19.10.2009. 110. Ebenda. 111. Gespräch mit Duke am 03.10.2008. In: Lozo, Ignaz [u. a]: Eine Raumfähre auf Reisen. TV-Dokumentation über die sowjetische Raumfähre Buran. Phoenix 2008. – Charles Duke war mit der Apollo 16 im April 1972 drei Tage auf dem Mond. 112. Über den Kontrollverlust über die Republiken sowie den Zerfall und Untergang der Sowjetunion siehe Simon / Simon: Verfall und Untergang; Altrichter, Helmut: Russland 1989. Der Untergang des sowjetischen Imperiums. München 2009; Tschernajew, Die letzten Jahre. 113. In Kap. Zum Inhalt des Unionsvertrages, S. 72, werden die Widersprüchlichkeit und somit die für alle Seiten in ihrem Sinne interpretierbare Formulierung des Unionsvertrages dargelegt. 114. Zitiert nach: Delavre (Hrsg.), Der Putsch, S. 40. 115. Ebenda, S. 42. 116. AP, 16.01.1991. 117. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1040. 118. dpa, AP, AFP, 14.03.1991. 119. Reuter, 17.03.1991. 120. Meissner, Umbruch (I), S. 1194; vgl. auch: Marples, David R.: The Collapse of the Soviet Union 1985 – 1991. Harlow / London 2004, S. 75. 121. Meissner, Umbruch (I), S. 1193. 122. Reuter, 21.03.1991. 123. Zitiert nach: Delavre (Hrsg.), Der Putsch, S. 41. 124. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1041. 125. Zahlen zitiert nach: AFP, 26.03.1991. 126. Primakov, Jevgenij: Mysli v sluch. Moskva 2011, S. 48. 127. Meissner, Umbruch (I), S. 1197. 128. Tschernajew, Die letzten Jahre, S. 371. 129. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 540. 130. dpa, 01.07.1991. 131. Reuter, 18.06.1991. 132. dpa, 18.06.1991; Reuter, 05.07.1991. 133. AP, 27.06.1991. 134. Simon, Gerhard: Die Ukraine und das Ende der Sowjetunion. In: Außenpolitik 43 (1992), H. 1, S. 62 – 71, hier S. 63. 135. dpa, 05.07.1991. 136. dpa, Reuter, 12.07.1991. 137. Blochin geriet nach dem Putsch in das Visier der Ermittler. Sie vermuteten in ihm einen Ideologen des Staatsstreiches. – Gespräch mit Blochin am 30.03.2012. 138. dpa, 24.07.1991 139. AP, 30.07.1991. 140. Luk’janov, Anatolij: Avgust 91-go. Byl li zagovor? Moskva 2010, S. 50.

428 429

430 Anmerkungen

141. Lozo, Putsch, S. 82. 142. Schachnasarow, Georgi: Preis der Freiheit. Eine Bilanz von G ­ orbatschows Berater. Bonn 1996, S. 201 – 202. 143. Burbulis, Gennadij: 20 let Belovežskomu konsensusu. 1991 – 2011. Moskva 2011, S. 34 (unveröffentlichte Jubiläumsschrift und Dokumentensammlung des von ihm geleiteten politischen Forschungszentrums „Strategija“). Der offene Brief erschien am 08.08.1991 in der Zeitung Nezavisimaja Gazeta. 144. Gorbačev-Fond (Hrsg.): Sojuz možno bylo sochranit’. Moskva 2007, S. 268 – 283. 145. Ebenda, hier S. 269, 270, 272 und 278. 146. Gespräch mit Baklanow am 19.10. 2009, in: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-Dokumentation). 147. Nachrichtenagentur Interfax, 01.08.1991. 148. dpa, 23.07.1991. 149. Reuter, 27.06.1991. 150. dpa, 08.07.1991. 151. So z. B. Hough, Jerry F.: Democratization and Revolution in the USSR  1985 – 1991. Washington 1997, S. 426. 152. Interviews in Hasegawa, Itaru: Japanische TV-Dokumentation, deutscher Titel: „Der sowjetische Kollaps“. NHK / ARTE 2006/2009, URL: https://www.youtube. com/watch?v=eJfittGjc6w (Aufruf am 07.01.2014). Vgl. auch Krjučkov, Vladimir: Bez sroka davnosti. 2 Bde. Moskva 2006, Bd. 2, S. 250; Krjučkov, Vladimir: Ličnost’ i vlast’. Moskva 2004, S. 190. 153. Krjučkov, Vladimir: Na kraju propasti. Moskva 2003, S. 146. 154. dpa, AFP, 15.12.1990. 155. AFP, 06.05.1991. 156. Gorbačev-Fond (Hrsg.): Sojuz, S. 273. 157. Krjučkov, Na kraju propasti, S. 147 – 148. 158. Pravda, 15.08.1991, S. 2. 159. Krujčkov, Na kraju propasti, S. 142. 160. Pavlov, Valentin: Gorbačev-Putč. Avgust iznutri. Moskva 1993, S. 88. 161. dpa, AP, Reuter, 30.07.1991. 162. Reuter, 29.07.1991. 163. AP, 29.07.1991. 164. dpa, 29.07.1991. 165. CNN, 30.07.1991, zitiert nach: AFP, 30.07.1991. 166. dpa, 31.07.1991. 167. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1068. 168. AFP, 30.07.1991. 169. AP, dpa, 05.07.1991. 170. Ebenda. 171. Pavlov, Gorbačev-Putč, S. 87. 172. Gorbačev-Fond (Hrsg.), Sojuz, S. 269. 173. Vgl. Vertragsdokument im Anhang, Seite 476.

zu Kapitel 4

174. Russische Nachrichtenagentur RIA, russische Nachrichtenagentur Interfax, dpa, Reuter, AP, AFP, 30.07.1991. 175. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1063. 176. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1063. 177. Gorbačev-Fond (Hrsg.), Sojuz, S. 277 – 278. 178. Jelzin, Boris: Auf des Messers Schneide. Tagebuch des Präsidenten. Berlin 1994, S. 43 – 45. 179. Vorotnikov, Vitalij: Chronika absurda. Otdelenie Rossii ot SSSR. Moskva 2011, S. 292. 180. Luk’janov, Avgust 91-go, S. 126. 181. dpa, AP, AFP, 01.08.1991. 182. dpa, Reuter, AP, AFP, 02.08.1991. 183. Pavlov, Gorbačev-Putč, S. 93. 184. Ebenda. 185. Luk’janov, Avgust 91-go, S. 127. 186. Gorbačev-Fond (Hrsg.), Sojuz, S. 265. 187. Reuter, 13.08.1991. 188. Ebenda. 189. AP, 13.08.1991. 190. Stepankov, Valentin: GKČP. 73 Časa, kotorye izmenili mir. Moskva 2011, S. 138. 191. Zitiert nach: Macqueen, Angus [u. a.]: The Second Russian Revolution. TV-Dokumentation der BBC. London 1991. 192. Reuter, AFP, 17.08.1991. 193. dpa, 17.08.1991. 194. Ebenda. 195. Moskovskie Novosti, 14.08.1991. 196. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1065. 197. dpa, 15.08.1991. 198. Ebenda. 199. Gespräch mit ­Gorbatschow am 23.03.2011. 200. Stepankov, GKČP, S. 138. 201. Kravčenko, Leonid: Kak ja byl televizionnym kamikadze. Moskva 2005, S. 230. 202. AP, 06.08.1991; AFP, 09.08.1991; dpa, 13.08.1991. 203. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1064. 204. Luk’janov, Avgust 91-go, S. 126. 205. Vgl. Luk’janov-Erklärung im Anhang, Seite 484. 206. Gorbačev-Fond (Hrsg.), Sojuz, S. 225. 207. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1068. 208. Pavlov, Gorbačev-Putč, S. 94. 209. Jelzin, Messers Schneide, S. 179. 210. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1068. 211. Jelzin, Messers Schneide, S. 44. 212. Gorbačev-Fond (Hrsg.), Sojuz, S. 280.

430 431

432 Anmerkungen

213. G ­ orbatschow nannte beispielsweise Jelzins Privatisierung von Staatsbetrieben am Vorabend der Ausgabe von sogenannten „Vouchern“ an alle Bürger einen „Betrug“. Vgl. Lozo, Ignaz: Beginn der Privatisierung. Korrespondentenbericht aus Moskau. ZDF-heute journal, 30.09.1992. 214. Nicht nur ­Gorbatschow, auch Jelzins kommunistischer Herausforderer Sjuganow äußerte Zweifel an den offiziellen Wahlergebnissen. 215. dpa, 21.08.1991. 216. Jelzin, Messers Schneide, S. 44 – 45. 217. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1068. 218. Jelzin, Messers Schneide, S. 44. 219. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1068. 220. Komsomol’skaja Pravda, 01.08.1992, zitiert nach: AP, 01.08.1992. 221. dpa, AP, Reuter, AFP, 07.02.1991. 222. AP, 08.02.1991. 223. Jelzin, Messers Schneide, S. 45. 224. E-Mail von Valentin Stepankow vom 07.10.2011 an I. L. 225. Gespräch mit Burbulis am 25.05.2011. 226. Burbulis stand am 19. August 1991 neben Jelzin auf dem Panzer und am 22. August auf dem Balkon desWeißen Hauses in Moskau, als die weiß-blau-rote Fahne aus der Zarenzeit wieder zur Nationalflagge Russlands erklärt wurde. 227. ­Gorbatschow im Interview mit Aleksej Wenediktow. In: Radio Echo Moskvy, 18.08.2011. 228. Schreiben ­Gorbatschows an I. L. vom 24.07.2012. Es enthält drei Antworten auf meine eingereichten Nachfragen zum August-Putsch, die während der beiden persönlichen Gespräche 2011 nicht gestellt wurden oder aus Zeitgründen nicht gestellt werden konnten. Das Schreiben ­Gorbatschows findet sich im Anhang, Seite 493. 229. Popov, Gavriil: O revolucii 1989 – 1991 gg. Moskva 2004, S. 734 – 735. 230. Bakatin, Vadim: Izbavlenie ot KGB. Moskva 1992. 231. E-Mail Macqueens vom 07.03.2012 an I. L. 232. Stepankow, Valentin: Das Kreml-Komplott. Putschisten, Drahtzieher, Hintermänner. München 1992, S. 286. 233. E-Mail Macqueens vom 07.03.2012 an I. L. 234. Ebenda. 235. AP, 05.12.1991. 236. Brown, Archie: Der G ­ orbatschow-Faktor. Wandel einer Weltmacht. Frankfurt / Leipzig 2000, S. 479. 237. Hildermeier, Manfred: Geschichte der Sowjetunion 1917 – 1991. Entstehung und Niedergang des ersten sozialistischen Staates. München 1998, S. 1054. 238. Colton, Timothy J.: Yeltsin. A Life. New York 2008, S. 196. 239. Dunlop, Rise of Russia; S. 194 – 195; Matlock, Autopsy, S. 578. 240. Meissner, Umbruch (III), S. 212. 241. Simon / Simon, Verfall und Untergang; Malia, Vollstreckter Wahn.

zu Kapitel 5

242. Hough, Democratization and Revolution, S. 439. “It is, however, not clear that this interpretation rests onfacts […]. On such matters, one should not rely on Yeltsin’s testimony alone.” 243. Hervorhebungen durch I. L. 244. Lozo, Putsch, S. 88. 245. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1068. 246. Gespräch mit Jasow am 23.05.2011. Im Jahre 1991 war Jasow 67 Jahre alt. 247. Pavlov, Gorbačev-Putč, S. 95. 248. Ebenda, S. 12. 249. Krjučkov, Na kraju propasti, S. 435.

zu Kapitel 5 (S. 113 – 158) 1. 2. 3. 4. 5.

6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

dpa, 29.11.1990. Slovo k narodu. In: Sovetskaja Rossija, 23.07.1991, S. 1. Janaev, Gennadij: GKČP protiv Gorbačeva. Poslednij boj za SSSR. Moskva 2010, S. 87 – 88. Gespräch mit Krawtschko am 10.04.2012. In den öffentlichen Auftritten ­Gorbatschows war von der Perestrojka ausschließlich in den Systemgrenzen die Rede, die von der KPdSU abgesteckt waren. Aus dem Generalsekretär sprach ein Leninist und glühender Verfechter von dessen Ideen. Daher verwundert es aus Sicht Schenins nicht, dass er die radikale politische Kursänderung ­Gorbatschows kurze Zeit später, die einem Systemwechsel und einer Aufgabe der bisherigen Ideologie gleichkam, für Verrat hielt. ­Gorbatschow fand auch einige Worte zu den zu diesem Zeitpunkt mutiger werdenden Medienvertretern: „Die Presse sollte so sein wie sie Iljitsch [Lenin] sich vorstellte: kollektiver Propagandist, kollektiver Organisator und kollektiver Agitator. Jetzt ist die Zeit praktischer Taten […].“ Krivomazov, N.: Pjat’ dnej v sentjabre. Krasnojarsk 1988, S. 144. Partijnyj Rabotnik (ohne Autorenangabe). In: Pravda, 29.04.1989, S. 1. dpa, 28.04.1990. Jakowlew, Alexander: Offener Schluss. Ein Reformer zieht Bilanz. Leipzig / Weimar 1992, S. 141 – 142. Lozo, Putsch, S. 79. Lozbinev, Vladimir: Federal’nyj Zakon „O črezvyčajnnom položenii“. Moskva 2003, S. 2. dpa, 01.03.1988. dpa, 21.09.1988. Vedomosti Verchovnogo Soveta SSSR, 1988, Nr. 49, S. 727, zitiert nach: Lozbinev, Federal’nyi Zakon, S. 2. Im Russischen lautet das Gesetz: „O pravovom režime črezvyčajnogo položenija“. In: Vedomosti S’’ezda Narodnych Deputatov i Verchovnogo soveta SSSR, Nr. 15, S. 250, zitiert nach: Lozbinev, Federal’nyi Zakon, S. 2. „Erklärung der sowjetischen Führung“, datiert vom 18.08.1991. Vgl. Anhang, Seite 483.

432 433

434 Anmerkungen

16. Vgl. Gesetzessammlung, URL: http://dejure.org/gesetze/GG19.html (Aufruf am 31.07.2012). 17. Bei Unruhen in Abchasien im Juli 1989 wurden laut TASS „Sonderregelungen“, zu denen auch eine Ausgangssperre gehörte, eingeführt. In einer anderen TASS-Meldung war vom „Ausnahmezustand“ die Rede. Vgl. dpa, 19.07.1989. 18. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, sei hier die Verhängung von Ausnahmezuständen durch Republikführungen oder die Zentrale in Moskau in den Jahren 1988 – 1990 aufgezählt. Nach dem Datum folgt die Quelle, die vom gleichen Tag ist. a) Berg-Karabach, 21.09.1988, dpa b) Abchasien, 18.07. 1989, dpa c) Berg-Karabach, 15.01.1990, dpa d) Baku, 20.01.1990, dpa e) Duschanbe (Tadschikistan), 12.02.1990, dpa f ) Osch (Kirgisistan), 05.06.1990, dpa g) Frunse (Kirgisistan), 07.06.1990, dpa h) usbekisches Grenzgebiet zu Kirgisistan, 08.06.1990, dpa i) Gagausen-Republik, 26.10.1990, dpa j) Teile Südossetiens, 12.12.1990, Reuter 19. dpa, 04.11.1990. 20. In Aserbaidschan ließ die Moskauer Zentrale im Januar 1990 Truppen aufmarschieren und verhängte den Ausnahmezustand über Berg-Karabach und auch in Baku. dpa, 20.01.1990. 21. Der russische Oberste Sowjet unterstellte ­Gorbatschow solche Absichten aufgrund seiner Sondervollmachten, die er vom sowjetischen Parlament erhalten hatte. Dies wurde von seinem Berater Petrakow dementiert. AFP, 25.09.1990. 22. AP, 28.09.1990. 23. Zitiert nach: Meissner, Boris: G ­ orbatschow am Scheideweg (II). In: Osteuropa 41 (1991), H. 7, S. 671 – 694, hier S. 675. 24. Gespräch mit G ­ orbatschow am 23.03.2011. In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-Dokumentation). 25. Schneider, Hanno: Korrespondentenbericht aus Moskau. ZDF-heute-Sendung 19 Uhr, 19.12.1990. 26. dpa, AP, AFP, Reuter, 19.02.1991. 27. AFP, 27.02.1991. 28. Vgl. Zaključenie po materialam rassledovanija roli i učastii dolžnostnych lic KGB SSSR v sobytiach 19 – 21 avgusta 1991 goda. Moskva, 1991. URL: http://hpc-strategy_ gkchp/199109_zaklyuchenie_o_roli_dolzhnostnyh_lic_kgb_sssr_v_sobytiyah_putcha/ (Aufruf am 31.07.2012). 29. Albats, Evgenija: The State within the State. The KGB and its Hold on Russia – Past, Present and Future. New York 1994, S. 277. 30. AP, 29.03.1991. 31. AP, 28.03.1991. 32. dpa, 27.03.1991.

zu Kapitel 5

33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63.

TASS, 27.03.1991, zitiert nach: AP, 27.03.1991. Gazeta Wyborca, 29.03.1991, zitiert nach: dpa, 29.03.1991. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1042. AP, 20.04.1991; dpa, 23.04.1991. Jelzin, Messers Schneide, S. 33. Interview mit Ruslan Chasbulatow in der britischen TV-Dokumentation „The Second Russian Revolution“. London 1991. AFP, 26.04.1991. Gespräch mit ­Gorbatschow am 23.03.2011. In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-­ Dokumentation). Janaev, GKČP, S. 75. Ebenda. Meissner, Boris: ­Gorbatschow am Scheideweg (I). In: Osteuropa 41 (1991), H. 5, S. 468 – 492, hier S. 473. Krjučkov, Na kraju propasti, S. 155. Jelzin, Messers Schneide, S. 31. Lozo, Putsch, S. 81. Pavlov, Gorbačev-Putč, S. 92 – 93. Gespräch mit G ­ orbatschow am 23.03.2011. In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-Dokumentation). Krjučkov, Na kraju propasti, S. 156. Gespräch mit G ­ orbatschow am 23.03.2011. In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-Dokumentation). Gespräch mit ­Gorbatschow am 23.03.2011. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1070. Gespräch mit ­Gorbatschow am 23.03.2011. Jelzin, Messers Schneide, S. 105. Jelzin im Interview mit Nikolai Swanidze. In: TV-Dokumentation „B. N.“. RTR 2006. Vgl. Gorod.lv, 1.02.2006, URL: http://www.gorod.lv/novosti/25851-boris_eltsin_myi_s_ vami_prorvali_etu_zonu_molchaniya (Aufruf am 07.01.2014). Komsomol’skaja Pravda, 2.–9.03.2006, S. 4 – 5, hier S. 4, zitiert nach: Brown, Archie: Seven Years that Changed the World. New York 2007, S. 323. So z. B. Dunlop, Rise of Russia, S. 202 – 206; Hough, Democratization and Revolution, S. 433; Pryce-Jones,David: Der Untergang des sowjetischen Reiches. Reinbeck bei Hamburg 1995, S. 621 – 622. Anklageschrift, Bd. I, S. 143 und 145. Foros liegt ca. 35 Kilometer westlich von Jalta und ca. 30 Kilometer südöstlich von Sewastopol. ­Gorbatschow, Michail: Der Staatsstreich. München 1991, S. 19; Boldin, Valery: Ten years that shook the world. The Gorbachev era as witnessed by his chief of staff. New York 1994, S. 27. Gorbačev, Naedine s soboj, S. 336 – 337; Baklanov, Kosmos, Bd. 1, S. 512 – 513. Medvedev, Vladimir: Čelovek za spinoj. Moskva 2010, S. 158.

434 435

436 Anmerkungen

64. Gespräch mit Baklanow am 19.10.2009. 65. Auch dieser von den Putschisten selbst so beschriebene Vorgang widerspricht einer Komplizenschaft. Warum sollte ­Gorbatschow abfragen und mitschreiben, wenn er doch angeblich im Bilde über die Pläne war? 66. Laut G ­ orbatschow hat Warennikow seinen Rücktritt verlangt. Vgl. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1070. Laut Warennikow war er über die Untätigkeit ­Gorbatschows empört. Er habe zum Präsidenten gesagt, das Land gehe zugrunde. Wenn er nicht in der Lage sei, es zu regieren, solle er konkrete Konsequenzen ziehen. Man dürfe nicht warten, bis alles auseinandergefallen sei. Vgl. Varennikov, Valentin: Nepovtorimoe, 7 Bde. Moskva 2002, Bd. 6, S. 211. 67. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1070. 68. ­Gorbatschow im Interview mit Aleksej Wenediktov. In: Radio Echo Moskvy, 18.08.2011, URL: http://echo.msk.ru/programs/48minut/803266-echo.html (Aufruf am 07.01.2014). 69. ­Gorbatschow, Staatsstreich, S. 23. 70. Gorbačev, Naedine s soboj. 71. Stepankov, GKČP, S. 59. 72. Gespräch mit ­Gorbatschow am 23.03.2011. In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-­ Dokumentation). 73. Ebenda. 74. Varennikov, Valentin: Delo GKČP. Moskva 2010, S. 232. 75. Gespräch mit ­Gorbatschow am 23.03.2011. In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-­ Dokumentation). 76. Telefonat mit Baklanow am 27.05.2011. (Baklanow erholte sich zu diesem Zeitpunkt von einem Herzinfarkt und konnte dem Autor nach dem TV-Interview vom 19.10.2009 kein zweites Fernsehinterview geben.) 77. Černjaev, Anatolij: 1991 god. Dnevnik pomoščnika prezidenta SSSR. Moskva 1997, S. 99. 78. Varennikov, Nepovtorimoe, Bd. 6, S. 208. 79. Boldin, Valerij: Krušenie p’edestala. Štrichi k portretu M. S. Gorbačeva. Moskva 1995, S. 17. 80. Šenin, Oleg: Rodinu ne prodaval. Moskva 1994, S. 46. 81. Gespräch mit Baklanow am 19.10.2009, in: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-­ Dokumentation). 82. Baklanov, Kosmos, Bd. 1, S. 48. 83. Ebenda, Bd. 2, S. 796. 84. Ebenda, Bd. 1, S. 22. 85. Varennikov, Nepovtorimoe, Bd. 6, S. 212. 86. Šeremet, Pavel: Zagor obrečennych. TV-Dokumentation ORT. Moskva 2006, URL: http://alzaetona.com/video/zagovor-obrechennyx-film-sheremeta-o-putche-1991-g/ (Aufruf am 07.01.2014). 87. Varennikov, Nepovtorimoe, Bd. 6, S. 211 88. Ebenda, S. 212.

zu Kapitel 5

89. G ­ orbatschow im Interview mit dem Verfasser am 21.11.2011. Im Russischen lautete die letzte Passage: „I vot tut ja frazu skazal: ‚Nu čert s vami. Vy zatevaete. Čert s vami što budet. Nu narod!‘ Vot što bylo skazano.“ 90. Černjaev, Anatolij: 1991 god. Dnevnik pomoščnika prezidenta SSSR. Moskva 1997, S. 99. 91. Vgl. Kapitel zum Putsch in: Černjaev, Anatolij: Izbrannoe-2. Moskva 2013, S.  139 – 141. 92. Varennikov, Nepovtorimoe, Bd. 6, S. 199. 93. Ol’ga Lanina im TV-Interview mit Aleksandr Ljubimov im sowjetischen Fernsehen (Sendung „Vzgljad“) am 25.08.1991, URL: http://www.youtube.com/watch?v=apCO9a9xrv0&feature=endscreen&NR=1 (Aufruf am 06.07.2013). 94. Das Original „Liquid Sky“ entstand unter der Regie des russischen Emigranten Slawa Zukerman, USA 1982. Bei dem Film handelt es sich nicht um einen Erotik-, sondern um einen von der Kritik positiv besprochenen eigentümlichen Science-Fiction-Film, der in den USA, der Bundesrepublik oder in Japan mit teilweise beachtlichem Erfolg lief. In der Sowjetunion wurde er 1989 erstmals gezeigt. 95. dpa, AP, AFP, 25.08.1991; AP, Reuter, 26.08.1991. 96. Siehe z. B. Varennikov, Nepovtorimoe, Bd. 6, S. 218. 97. Medvedev, Čelovek za spinoj, S. 159. 98. Boldin, Krušenie, S. 17. 99. Stepankov, GKČP, S. 61. 100. Stepankow, Kreml-Komplott, S. 29. 101. Kommersant’, 18.08.2001, S. 6. 102. Šenin, Rodinu ne prodaval, S. 48. 103. Dunlop, Rise of Russia, S. 202 – 206. 104. Anklageschrift, Bd. I, S. 151. 105. Anklageschrift, Bd. I, S. 161. 106. Anklageschrift, Bd. I, S. 149. 107. Anklageschrift, Bd. I, S. 151 und 154. 108. Anklageschrift, Bd. I. S. 156. 109. Medvedev, Čelovek za spinoj, S. 160. 110. Anklageschrift, Bd. I, S. 148. 111. Anklageschrift, Bd. I, S. 160. 112. Ebenda. 113. Ebenda. 114. Anklageschrift, Bd. I, S. 170 und 171. 115. Anklageschrift, Bd. I, S. 155. 116. Luk’janov, Avgust 91-go, S. 62 – 63. 117. ­Gorbatschow, Staatsstreich, S. 30 118. Jelzin, Messers Schneide, S. 53 und 74. 119. Ebenda, S. 45. 120. Anklageschrift, Bd. IV, S. 78. 121. Interview Tolstojs mit Pawel Kasagin anlässlich des 20. Jahrestags des Putsches, URL: www.rosbalt.ru/ukraina/2011/08/19/881102.html (Aufruf am 07.01.2014).

436 437

438 Anmerkungen

122. Izvestija, 21.08.1991, S. 3 (Abendausgabe). 123. Ebenda. 124. Diese wichtige Information verdanke ich Galina Wolskaja-Everstowa, der Tochter Wolskis. – Telefonat zwischen I. L. und Galina Wolskaja-Everstowa am 24.09.2012. 125. Ebenda. 126. Interview (ohne Angabe des Interviewers) mit Arkadij Vol’ski im Ostankino-Fernsehen am 21.11.1992, zitiert nach: Dunlop, Rise of Russia, S. 203. 127. Dunlop, Rise of Russia, S. 202 – 203. 128. Knight, Amy: The KGB, Perestroika, and the Collapse of the Soviet Union. In: Journal of Cold War Studies (2003), H. 5, S. 67 – 93, hier S. 88. 129. ­Gorbatschow, Staatsstreich, S. 16. 130. Wolski-Interview auf TV6 (ohne Datumsangabe), URL: http://www.youtube.com/ watch?feature=player_embedded&v=rjnMBKCRzTw (Aufruf am 07.01.2014). 131. Zavala, Marina / Kulikov, Jurij: „Poprobujte menja ot veka otorvat‘…“. Dialogi c Arkadiem Vol’skim. Moskva 2006, S. 140 – 141. 132. TV-Mitschnitt der Pressekonferenz von Wolski, Primakow und Bakatin vom 21.08.1991 (ca. bei Minute 11): Press-Konferencija Vol’skogo i drugich 21.08.1991, URL: http:// edglezin.livejournal.com/389235.html (Aufruf am 04.09.2012). 133. Schreiben ­Gorbatschows vom 24.07.2012 an I. L. (Anhang, Seite 493). 134. ­Gorbatschow, Staatsstreich, S. 24. 135. Dunlop, John B.: The August 1991 Coup and its Impact on Soviet Politics. In: Journal of Cold War Studies 5 (2003), H. 1, S. 94 – 127, hier: S. 102. 136. Kommersant’, 18.08.2001, S. 6. 137. Brown, Archie: Der G ­ orbatschow-Faktor. Wandel einer Weltmacht. Frankfurt / Leipzig 2000, S. 481. Brown, dessen Darstellung möglicherweise zu sehr Partei für ­Gorbatschow ergreift, erwähnt allerdings weder das Wolski-Telefonat noch, dass der Präsident der Foros-Delegation zum Abschied die Hand gegeben hat. 138. Gespräch mit Tschernajew im Oktober 2009. 139. Anklageschrift, Bd. II, S. 50. 140. Anklageschrift, Bd. IV, S. 155. 141. Anklageschrift, Bd. V, S. 126. 142. Telefonat mit Stepankow am 14.09.2012. 143. dpa, Reuter, AP, AFP, 12.11.1991. 144. Zitiert nach: Aaron, Leon: Boris Yeltsin. A Revolutionary Life. London 2000, S. 457. 145. dpa, AFP, 21.08.1991. 146. Zitiert nach dem ZDF-Mitschnitt der ­Gorbatschow-Pressekonferenz vom 22.08.1991. 147. Schewardnadse, Eduard: Als der Eiserne Vorhang riss. Begegnungen und Erinnerungen. Duisburg 2007, S. 182. 148. Neef, Christian: Moskaus Prügelknabe. In: Der Spiegel 61 (2007), H. 40, S. 134. 149. Interview mit Schewardnadse 12.10.2009. 150. Tschernajew, Die letzten Jahre, S. 349. 151. Gračev, Andrej: Dal’še bez menja. Moskva 1994, S. 262.

zu Kapitel 6

zu Kapitel 6 (S. 159 – 316) 1.

2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27.

Die jeweilige Wohnung Krjutschkows und Schenins lag bzw. liegt (die Ehefrau Schenins lebt noch im Gegensatz zu der des verstorbenen KGB-Chefs) im Arbat-Viertel direkt hinter dem russischen Außenministerium. Die beiden Adressen finden sich in Band V der Anklageschrift auf den Seiten 125 und 142. Diese Information verdanke ich Tamara Schenina, mit der ich am 05. Oktober 2013 die zweite persönliche Begegnung hatte. Das Gespräch fand auf ihren Wunsch hin im Hof eben dieses Wohnkomplexes statt. Gespräch mit Landsbergis am 13.05.2011. In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-Dokumentation). Pressekonferenz des ­GKTSCHP am 19.08.1991, URL: http://rutube.ru/tracks/3821075. html (Aufruf am 25.05.2012). Vgl. Kap. Die späte Veröffentlichung der Endfassung, S. 75. Anklageschrift, Bd. I, S. 42. Brown, Archie: Aufstieg und Fall des Kommunismus. Berlin 2009, S. 756. Die Angaben basieren auf der Anklageschrift, Bd. I, S. 92 – 112. Auf diesen Seiten wird das Treffen auf der Grundlage der Aussagen der Teilnehmer beschrieben. Gespräch mit Jasow und Gratschow am 23.05.2011 (ohne eine Begegnung der beiden Militärs). In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-Dokumentation). Pawel Gratschow, russischer Verteidigungsminister von 1992 bis 1996, starb am 23.09.2012. Gespräch mit Gratschow am 23.05.2011. In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-­ Dokumentation). Gespräch mit Gratschow am 23.05.2011. Ebenda. Ebenda. Vgl. auch Lozo, Ende einer Supermacht (TV-Dokumentation). Prokof ’ev, Jurij: Kak ubivali partiju. Pokazanija pervogo sekretarja MGK KPSS. Moskau 2011, S. 127. Ebenda. Gespräch mit Prokofjew am 27.03.2012. Ebenda. Ebenda. Medvedev, Čelovek za spinoj, S. 153. Ebenda. Stepankow, Kreml-Komplott, S. 102. Stepankow, Kreml-Komplott, S. 103. Gespräch mit Prokofjew am 27.03.2012. Schenin im TV-Interview mit Anatolij Utkin am 26.11.2008. In: Razval SSSR. webtv­ news.ru, URL: http://www.webtvnews.ru/historymnenya/razval-sssr-2008-11-26. html (Aufruf am 05.01.2014). Gespräch mit Prokofjew am 27.03.2012. Stepankow, Kreml-Komplott, S. 49. Der Ort der Verschwörung (das KGB-Gebäude und der Pavillon) wurde am 19.08.2011 zum ersten Mal im deutschen Fernsehen gezeigt – zunächst in der 45-minütigen

438 439

440 Anmerkungen

28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51.

52. 53. 54. 55. 56. 57.

TV-Dokumentation „Ende einer Supermacht“, anschließend in einem Filmbeitrag des Autors für das „ZDF-heute journal“, ebenfalls am 19.08.2011. Siehe das Standbild des Pavillons aus dem Filmmaterial auf Seite 171. Hildermeier, Geschichte der Sowjetunion, S. 1055. Urušadze, Georgij: Vybrannye mesta iz perepiski s vragami. Sem’ dnej za kulisami vlasti. Sankt-Peterburg, 1995, S. 314. Stepankov, GKČP, S. 44 – 46. Krjučkov, Na kraju propasti, S. 160; Ačalov, Vladislav: Mera vozdejstvija – rasstrel. Ja skažu vam pravdu. Moskva 2010, S. 25. Krjučkov, Na kraju propasti, S. 167. Vernehmungsprotokoll des Beschuldigten Valentin Pawlow vom 23.08.1991. In: Ačalov, Mera vozdejstvija, S. 40. Šenin, Rodinu ne prodaval, S. 47. Varennikov, Nepovtorimoe, Bd. 6, S. 203 – 204. Ebenda, S. 244. Gespräch mit Stepankow am 30.03.2012. Stepankov, GKČP, S. 44. Ebenda. Gespräche mit dem Autor am 23.05.2011, 16.04.2012 und 28.05.2011. Gespräch mit Jasow am 02.04.2012. Ebenda. Ebenda. Stepankov, GKČP, S. 45. Garifullina, Nadežda: Tot, kto ne predal. Oleg Šenin – Stranicy zižni i bor’by. Moskva 1995. Baklanov, Kosmos, Bd.1, S. 135. Urušadze, Vybrannye mesta, S. 314. Anklageschrift, Bd.I, S. 106. Stepankov, GKČP, S. 46. Krjučkov, Na kraju propasti, S. 160 – 162, 165 – 167. Interview mit Krjutschkow. In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-Dokumentation). Das Interview wurde nicht von mir geführt, da zum Zeitpunkt der Vorbereitungen der TV-Dokumentation der KGB-Chef schon fast drei Jahre tot war. Er starb am 23. November 2007. Das Interview führte eine in Ungarn ansässige TV-Produktionsfirma im Jahre 1999. Nach Sichtung des Materials durch I. L. erwarb das ZDF die Senderechte der für die Dokumentation relevanten Interviewsequenzen. Gespräch mit Prokofjew am 27.03.2012; die Darstellung findet sich auch in Prokof ’ev, Kak ubivali partiju, S. 128 – 129. Gespräch mit Bessmertnych am 24.03.2011. Anklageschrift, Bd. II, S. 88. Stepankow, Kreml-Komplott, S. 270 – 271. Janaev, GKČP, S. 104; Anklageschrift, Bd. II, S. 86. Anklageschrift, Bd. II, S. 86. Janajew erwähnt diese Szene in seinem Buch nicht.

zu Kapitel 6

58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97. 98.

Anklageschrift, Bd. II, S. 86 und Janaev, GKČP, S. 104. ­Gorbatschow, Staatsstreich, S. 16. Tschernajew, Die letzten Jahre, S. 405 – 406. Die 7. KGB-Abteilung war in der Sowjetunion zuständig für die Observierung und Verfolgung von innenpolitischen Gegnern. Anklageschrift, Bd. I, S. 78. Anklageschrift, Bd. I, S. 83. Anklageschrift, Bd. I, S. 80. Anklageschrift, Bd. IV, S. 1. Anklageschrift, Bd. IV, S. 2 und 10. Anklageschrift, Bd. I, S. 78. Ebenda. Anklageschrift, Bd. I, S. 79. Anklageschrift, Bd. I, S. 11. Stepankov, GKČP, S. 99. Dunlop, Rise of Russia, S. 211 – 212. Gespräch mit Golowatow am 12.04.2012. Anklageschrift, Bd. I, S. 118. Anklageschrift, Bd. I, S. 113. Anklageschrift, Bd. I, S. 114. Anklageschrift, Bd. IV, S. 24. Anklageschrift, Bd. IV, S. 23. Stepankow, Kreml-Komplott, S. 140. Vgl. modifizierte Darstellung des Archangelskoje-Einsatzes in Stepankov, GKČP, S. 98 – 100. Hildermeier, Geschichte der Sowjetunion, S. 1056 und 1059. Anklageschrift, Bd. I, S. 115. Anklageschrift, Bd. III, S. 24. Anklageschrift, Bd. II, S. 90. Gespräch Jasows und Atschalows mit dem Autor am 02.04.2012 und am 28.05.2011. Anklageschrift, Bd. II, S. 92. Anklageschrift, Bd. II, S. 94. Interview am 23.05.2011. In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-Dokumentation). Stepankov, Valentin / Lisov, Jevgenij: Kremlevskij zagovor. Moskva 1992, S. 89 – 91. Anklageschrift, Bd. II, S. 94. Anklageschrift, Bd. II, S. 97. Anklageschrift, Bd. II, S. 98. Janaev, GKČP, S. 106. Lozo, Putsch, S. 91. Anklageschrift, Bd. II, S. 101. Anklageschrift, Bd. II, S. 100. Anklageschrift, Bd. II, S. 101. Anklageschrift, Bd. II, S. 106.

440 441

442 Anmerkungen

99. Anklageschrift, Bd. II, S. 108. 100. Gespräch mit Bessmertnych am 24.03.2011. 101. Anklageschrift, Bd. II, S. 120. 102. Anklageschrift, Bd. II, S. 111. 103. Simon / Simon, Verfall und Untergang, S. 102. 104. Gespräch mit Prokofjew am 27.03.2012. 105. Anklageschrift, Bd. II, S. 115. 106. Anklageschrift, Bd. II, S. 112 – 114. 107. dpa, 15.03.1990. 108. Anklageschrift, Bd. III, S. 115. 109. Anklageschrift, Bd. III, S. 117 und 119. 110. Anklageschrift, Bd. III, S. 120. 111. Ebenda, S. 123. 112. Ebenda, S. 132. 113. Luk’janov, Avgust 91-go, S. 66. Krjutschkow stellt es allerdings so dar, dass Lukjanow die Mitgliedschaft nicht abgelehnt hätte, sondern dass die Versammelten den Vorschlag als „nicht zielführend“ eingestuft hätten. Vgl. Krjučkov, Na kraju propasti, S. 173. 114. Anklageschrift, Bd. II, S. 93 – 94. 115. Anklageschrift, Bd. III, S. 130. 116. Ačalov, Mera vozdejstvija, S. 36. 117. Anklageschrift, Bd. III, S. 130. 118. Ebenda, S. 133. 119. Ebenda, S. 137. 120. Ebenda, S. 140. 121. Ebenda, S. 141 – 145. 122. Ebenda, S. 129. 123. Ebenda, S. 137. 124. AP, 25.08.1991; AFP, 28.08.1991. 125. Anklageschrift, Bd. V, S. 122. 126. Anklageschrift, Bd. II, S. 104. 127. Anklageschrift, Bd. III, S. 161. 128. Gespräch mit ­Gorbatschow am 23.03.2011. Es war ein TV-Interview, doch habe ich diese Passage nicht in meinen Film über den Putsch eingebaut. Gestik und Tonfall zeigen an dieser Stelle, dass er erbost über Lukjanow und dessen Verhalten spricht. 129. Gorbačev, Naedine s soboj, S. 565. 130. Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1076. 131. Gorbatschow, Staatsstreich, S. 25; Tschernajew, Die letzten Jahre, S.410. 132. Anklageschrift, Bd. II, S. 54. 133. Heute ist das ZK-Gebäude der Sitz der Administration des Präsidenten Russlands. 134. Gespräch mit Krawtschenko am 10.4.2012. 135. Kravčenko, Leonid: Kak ja byl televizionnym kamikadze. Moskva 2005, S. 234; ­Kravčenko, Leonid: Lebedinaja Pesnja GKČP. Moskva 2010, S. 275; siehe auch: Anklageschrift Bd. II, S. 168. Krawtschenkos Aussage bezüglich der Uhrzeit variiert.

zu Kapitel 6

Im Verhör gab er „0 : 30 Uhr“ an, in seinen Büchern „gegen 1 : 00 Uhr“. Der diensthabende KGB-Mitarbeiter gab im Verhör an, kurz nach Mitternacht habe er den Anruf bekommen, dass der Wagen bereitgestellt werden sollte. – Anklageschrift, Bd. II, S. 171. 136. Prokof ’ev, Kak ubivali partiju, S. 130. 137. Anklageschrift, Bd. II, S. 167; Prokof ’ev, Kak ubivali partiju, S. 129. 138. Anklageschrift, Bd. II, S. 168; Kravčenko, Lebedinaja pesnja, S. 275. 139. Manajenkow sagte aus, der Fernsehchef habe eine vorherige Verbreitung durch TASS verlangt. Anklageschrift, Bd. II, S. 168. Prokofjew erinnert sich, er habe eine Bestätigung der sowjetischen Regierung gefordert. Prokof ’ev, Kak ubivali partiju, S. 130. 140. Der Direktor war in Urlaub. 141. Anklageschrift, Bd. II, S. 168. 142. Gespräch mit Krawtschenko am 10.04.2012. 143. Kravčenko, Kak ja byl televizionnym kamikadze, S. 235. 144. Anklageschrift, Bd. II, S. 170. 145. Gespräch mit Tamara Schenina am 11.04.2012. 146. Gespräch mit Krawtschenko am 10.04.2012. 147. Ebenda. Präzisierungen Krawtschenkos erfolgten am 04.05.2012 in einem Telefonat mit dem Verfasser. Beide Gespräche wurden somit zusammengefasst. Auf die Nachfrage, ob es für die Sprecher kein Problem gewesen sei, dass die Erklärung Lukjanows nur handschriftlich vorgelegen habe, antwortete Krawtschenko, dass dies keineswegs der Fall gewesen sei. Die Handschrift Lukjanows sei so deutlich wie maschinengeschrieben gewesen. Er sei bekannt dafür gewesen. 148. dpa, 19.08.1991, 6 : 19 Uhr MESZ. 149. Komsmol’skaja Pravda, 20.08.2001, S. 9. 150. Vgl. z. B. Izvestija, 16.08.1991, S. 8; Komsomol’skaja Pravda, 16.08.1991, S. 3. 151. Komsmol’skaja Pravda, 20.08.2001, S. 9. 152. Ebenda; Gespräch mit Krawtschenko am 10.04.2012. 153. Pravda, 01.07.1941, S. 1. Die Titelschlagzeile lautete: „Obrazovanie Gosudarstvennogo Komiteta Oborony“. 154. Gespräch mit Krawtschenko am 10.04.2012. 155. AP, AFP, 19.08.1991. 156. Vgl. „Erklärung der sowjetischen Führung“ (­GKTSCHP) im Anhang, Seite 483. 157. Ebenda. 158. Remnick, David: Lenin’s Tomb. The Last Days of the Soviet Empire. New York 1993, S. 448. In dieser Abhandlung stand die Anklageschrift als Quelle allerdings nicht zur Verfügung, in der ein differenzierteres Bild von Janajew in dem entscheidenden politischen Moment der Macht­über­nahme gewonnen werden kann. 159. Anklageschrift, Bd. II, S. 99 – 101. 160. Janaev, GKČP, S. 105. 161. Ačalov, Mera vozdejstvija, S. 37. 162. Vgl. „Erklärung der sowjetischen Führung“ im Anhang, Seite 483. 163. Anklageschrift, Bd. I, S. 139. 164. Anklageschrift, Bd. II, S. 120 und 124.

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444 Anmerkungen

165. Gespräch mit Jasow und Gratschow am 23.05.2011. 166. Anklageschrift, Bd. II, S. 129. 167. Chiffrierter Befehl „N 312 / 0174š“ vom 19.08.1991, zitiert nach Anklageschrift, Bd. II, S. 125. 168. Anklageschrift, Bd. II, S. 126. 169. Ebenda, S. 155. 170. Lebed, Alexander: Russlands Weg. Hamburg 1997, S. 468 – 469. 171. Anklageschrift, Bd. II, S. 146. 172. Anklageschrift, Bd. IV, S. 27 und 28. 173. Anklageschrift, Bd. I, S. 121. 174. Die Überschrift im Russischen lautete: „K graždanam Rossii“. Vgl. Anhang, Seite 488. 175. Jelzin, Messers Schneide, S. 60 – 68. 176. Chasbulatov: Poluraspad SSSR. Kak razvalili sverchderžavu. Moskva 2011, S. 284 – 286. 177. Die erste Begegnung mit dem Präsidenten am 19.08. morgens beschreibt Chasbulatow recht ausführlich: „Ich laufe rüber zu der Datscha der Jelzins. […] Alexander Korschakow öffnet die Tür. Ich trete ein und sehe eine niedergeschlagene Naina Iosifowna, grüße und frage: ‚Wo ist Boris Nikolajewitsch?‘ Sie antwortet: ‚Oben.‘ Ich laufe hoch in den ersten Stock, öffne die Tür zum Schlafzimmer – auf dem Bett sitzt ein halbbekleideter […] Mann, offenbar übermüdet und unausgeschlafen. […] Jelzin sagt träge: ,Es ist alles vorbei. Krjutschkow hat gesiegt. Jetzt kann man gar nichts mehr machen. ­Gorbatschow ist eingesperrt.‘ Ich erwidere empört: ,Kämpfen muss man! […] Machen Sie sich fertig – und ich rufe die Leute zusammen. […]‘ Jelzin: ‚Und was konkret schlagen Sie vor, Ruslan Imranowitsch? Ein Kampf gegen die Armee, das Innenministerium, das KGB? Wir haben verloren.‘“ Ebenda. 178. Jelzin, Messers Schneide, S. 63; Chasbulatov, Poluraspad, S. 289. 179. Dunlop, Rise of Russia, S. 210 – 211. 180. Telefonat mit Poltoranin am 12.04.2012. 181. Chasbulatov, Poluraspad, S. 284. 182. Dunlop, Rise of Russia, S. 211. 183. Gespräch zwischen Burbulis und dem Verfasser am 25.05.2011, mit Chasbulatow am 04.04.2012. 184. Jelzin, Messers Schneide, S. 63. 185. Chasbulatov, Poluraspad, S. 288 – 289; handschriftlich verfasster Aufruf: siehe Anhang, Seite 486. 186. Chasbulatov, Poluraspad, S. 290. 187. Jelzin, Messers Schneide, S. 63. 188. Gespräch mit Burbulis am 25.05.2011. In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-Dokumentation). 189. Vgl. Homepage des ehemaligen Ministers, URL: http://www.viktor-yarochenko.ru/ cgibin/yaroshenko/index.pl?page=3 (Aufruf am 30.05.2012). 190. dpa, Reuter, 15.04.1991. 191. Gespräch mit Baklanow am 19.10.2009. 192. Jelzin, Messers Schneide, S. 67 und 73.

zu Kapitel 6

193. AFP, 19.08.1991. 194. AP, 19.08.1991. 195. dpa, 19.08.1991. 196. Ebenda. 197. Gespräch mit Jasow am 23.05.2011. 198. Jelzin, Messers Schneide, S. 73 – 74. 199. Die Monatsangabe Chasbulatows ist nicht korrekt: Die Rede hielt Lenin im April 1917. 200. Chasbulatov, Poluraspad, S. 310. 201. Gespräch mit Burbulis am 25.05.2011. In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-Dokumentation); Telefonat mit Poltoranin am 12.04.2012. 202. Die Originalaufnahme der Jelzin-Rede auf dem Panzerfahrzeug unter: URL: http:// www.youtube.com/watch?v=tVSRuHGtZlU&feature=related (Aufruf am 07.01.2014. 203. Anklageschrift, Bd. III, S. 24. 204. Anklageschrift, Bd. II, S. 124 und 146; Bd. I, S. 127. 205. Anklageschrift, Bd. III, S. 29 und 31. 206. Anklageschrift, Bd. II, S. 119 und 120; Bd. V, S. 70. 207. Janajew kam am 18. August laut mehreren Zeugenaussagen von einer privaten Feier angetrunken zu der Abendsitzung. Er hatte aber als Einziger den Weitblick, vor einer Begründung der Macht­über­nahme mit G ­ orbatschows Krankheit zu warnen. 208. Anklageschrift, Bd. III, S. 30. 209. Ebenda, S. 24. 210. Ebenda; Janaev, GKČP, S. 64. 211. Anklageschrift, Bd. III, S. 30 und 76. 212. Gespräch mit Prokofjew am 27.03.2012; Anklageschrift, Bd. III, S. 32. 213. AFP, Reuter, dpa, 19.08.1991. 214. Anklageschrift, Bd. III, S. 24. 215. Ebenda, S. 31. 216. Baklanov, Kosmos, Bd. 1, S. 138. 217. Gespräch mit Gremizkich im September 1992, als ich eine Korrespondentenvertretung im ZDF-Studio Moskau machte. Zu dieser Zeit arbeitete Gremizkich, der fließend Deutsch sprach, gelegentlich im ZDF-Studio. Er genoss bei einer Reihe von deutschen Korrespondenten Sympathien, war im August 1993 auch Gast bei der Verabschiedung des langjährigen ARD-Moskau-Studioleiters Gerd Ruge. Dieses Fest fand im Pressezentrum des dann schon russischen Außenministeriums statt. 218. Anklageschrift, Bd. I, S. 207. 219. Ebenda, S. 203. 220. Ebenda, S. 204. 221. Pressekonferenz vom 19.08.1991. Die Originalquelle unter: URL: http://rutube.ru/ tracks/3821075.html (Aufruf am 25.05.2012). 222. Anklageschrift, Bd. II, S. 101. 223. Pressekonferenz vom 19.08.1991, URL: http://rutube.ru/tracks/3821075.html (Aufruf am 25.05.2012). 224. Anklageschrift, Bd. III, S. 42.

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446 Anmerkungen

225. Anklageschrift, Bd. III, S. 39 und 40. 226. Anklageschrift, Bd. III, S. 40. 227. Ebenda. 228. Anklageschrift, Bd. III, S. 40 und 43. 229. Anklageschrift, Bd. V, S. 122. 230. Šeremet, Pavel: Zagovor obrechennych (1. Kanal, TV-Dokumentation). Moskva 2006. Auch URL: http://www.youtube.com/watch?v=cxeBnAXNTA4 (Aufruf 07.01.2014); die die Passage findet sich ab 28 : 30. 231. Anklageschrift, Bd. III, S. 45 und 49 – 50. 232. Anklageschrift, Bd. III, S. 45. 233. AFP, 20.08.1991, 18 : 24 Uhr (19 : 24 Uhr Moskauer Zeit). Die vollständige Meldung lautete: „(London) – Über die sowjetische Hauptstadt ist nach Angaben des russischen Präsidenten Boris Jelzin eine Ausgangssperre verhängt worden. Dies gab der britische Premierminister John Major am Dienstag in London bekannt, der zuvor mit dem russischen Präsidenten telefoniert hatte.“ 234. Anklageschrift, Bd. III, S. 50. 235. Vgl. Kap. 6.16 Die Rolle der Medien, S. 313. 236. Anklageschrift, Bd. III, S. 45 und 50. 237. Die Existenz dieser politischen Funktion bestätigte der damalige Oberbürgermeister Moskaus Popow in einem Telefonat mit dem Verfasser im Mai 2012. Der Premierminister war dem OB untergeordnet. Angesichts einer Einwohnerzahl Moskaus von rund zehn Millionen verfügte Moskau über eine einem Staat vergleichbare Regierung. 238. Anklageschrift, Bd. III, S. 46 und 49. 239. Anklageschrift, Bd. III, S. 45. 240. Ebenda, S. 51. 241. Anklageschrift, Bd. III, S. 52. 242. Ebenda, S. 50. 243. Janaev, GKČP, S. 120. 244. Anklageschrift, Bd. III, S. 50. 245. Anklageschrift, Bd. III, S. 76. 246. Stepankow, Kreml-Komplott, S. 189. 247. Anklageschrift, Bd.  III, S. 76. Dort sind lediglich die Nachnamen und die Funktion angegeben. 248. Ebenda. 249. Ebenda, S. 52. 250. Ebenda, S. 53. 251. Ebenda, S. 52. 252. Anklageschrift, Bd. IV, S. 33. 253. Ebenda, S. 32. 254. Gespräch mit Jasow am 02.04.2012. 255. Anklageschrift, Bd. IV, S. 38. 256. Ebenda, S. 39. 257. Ebenda, S. 40.

zu Kapitel 6

258. Lebed, Russlands Weg, S. 469. 259. Gespräch mit Atschalow am 28.05.2011. In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-­ Dokumentation). 260. Varennikov, Nepovtorimoe, Bd. 6, S. 251. 261. Anklageschrift, Bd. IV, S. 41. 262. Ačalov, Mera vozdejstvija, S. 51; Varennikov, Nepovtorimoe, Bd. 6, S. 253. 263. Anklageschrift, Bd. IV, S. 50. 264. Die Zahl ist völlig übertrieben. Vielleicht hat Lebed auch bewusst übertrieben, um die Hemmschwelle zu erhöhen. 265. Lebed, Russlands Weg, S. 485. 266. Stepankov, GKČP, S. 196 267. Lebed, Russlands Weg, S. 485. 268. Ebenda, S. 486. 269. Ebenda, S. 488. 270. Ebenda, S. 488 und 489. 271. Ačalov, Mera vozdejstvija, S. 51. 272. Šapošnikov, Evgenij: Vybor. Zapiski Glavnokommandujuščego. Moskva 1993, S. 30. 273. Ebenda, S. 34 und 35. 274. Gespräch mit Bakatin am 03.04.2012. 275. Anklageschrift, Bd. IV, S. 63. 276. Chasbulatov, Poluraspad, S. 316. 277. AP, Reuter, 20.08.1991. 278. Jelzin, Messers Schneide, S. 83. 279. Anklageschrift, Bd. III, S. 172 und 173. 280. Chasbulatov, Poluraspad, S. 327. 281. Ebenda, S. 329 und 331. 282. Gul’binskij, Nikolai / Šakina, Marina: Afganistan, Kreml’, ‘Lefortovo’. Moskva 1994, S. 122. 283. Anklageschrift, Bd. III, S. 174. 284. Chasbulatov, Poluraspad, S. 334. 285. Anklageschrift, Bd. III, S. 174. 286. Ebenda, S. 100. 287. Anklageschrift, Bd. III, S. 99. 288. Ebenda, S. 103. 289. Gespräch mit Krawtschenko am 10.04.2012. 290. Anklageschrift, Bd. III, S. 106. 291. Stepankov, GKČP, S. 208. 292. Nachrichtensendung Vremja, 20.08.1991; dpa, AFP, 20.8.1991. 293. Delavre (Hrsg.), Der Putsch, S. 101. 294. Anklageschrift, Bd. III, S. 106. 295. Pugo fragte zum Beispiel, ob es nicht ratsam wäre, die russische Nachrichtenagentur Interfax schließen zu lassen. Anklageschrift, Bd. III, S. 104. 296. Gespräch mit Krawtschenko am 10.04.2012.

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448 Anmerkungen

297. Ebenda. 298. Anklageschrift, Bd. III, S. 105. 299. Telefonat mit Doguschijew am 02.04.2012; Anklageschrift, Bd. III, S. 106. 300. Gespräch mit Blochin am 30.03.2012. 301. Ebenda. 302. Ebenda. 303. Stepankov, GKČP, S. 209. 304. Anklageschrift, Bd. III, S. 101. 305. Ebenda, S. 102. 306. Gespräch mit Jasow am 23.05.2011, in: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-Dokumentation). 307. Anklageschrift, Bd. III, S. 101. 308. Ebenda. 309. Stepankov, GKČP, S. 208. 310. Janaev, GKČP, S. 119. 311. Krjučkov, Na kraju propasti, S. 203. 312. Anklageschrift, Bd. III, S. 61. 313. Gespräch mit Jasow am 23.05.2011. 314. Der Ablauf der Zusammenstöße wurde durch Zeugenaussagen, Fernsehaufnahmen und Sachverständige rekonstruiert. 315. Anklageschrift, Bd. III, S. 62 und 63. 316. Anklageschrift, Bd. III, S. 63. Keworkow ergänzt die Fakten an dieser Stelle mit stark fiktionalen Elementen. Er schreibt: „Ein Stein traf ihn am Kopf, dann übergoss man ihn mit einem Eimer. Er wurde sofort zur lebenden Fackel. Aus der Menge ertönten Schreie: ‚Lasst sie nicht raus, sollen sie in ihrem Panzer verbrennen.‘“ Kevorkov, Kremlevskaja Operetka. Političeskij Triller. Moskva 1997, S. 167. 317. Anklageschrift, Bd. III, S. 63. 318. Anklageschrift, Bd. IV, S. 63. 319. Gespräch mit Ljubow Komar, der Mutter des Opfers Dmitri Komar, am 15.04.2012. 320. Vgl. Kap. 6.11 Kontakte des Jelzin-Lagers mit Militärführern und dem G ­ KTSCHP, S. 278. 321. Altrichter, Helmut: Russland 1989. Der Untergang des sowjetischen Imperiums. München 2009, S. 401. 322. Gespräch mit Ljubow Komar am 15.04.2012. 323. Anklageschrift, Bd. III, S. 61. 324. Lozo, Putsch, S. 94. 325. Hildermeier, Geschichte der Sowjetunion, S. 1056 und 1057. 326. Altrichter, Russland 1989, S. 402. 327. Morrison, John: Boris Jelzin. Berlin 1991, S. 386. 328. Hosking, Geoffrey: The First Socialist Society. A History of the Soviet Union from Within. Cambridge 1993, S. 496. 329. Leonhard, Wolfgang: Die Revolution entlässt ihre Väter. Der steinige Weg zum modernen Russland. Stuttgart 1994, S. 224.

zu Kapitel 6

330. Gespräch mit Jasow am 02.04.2012. 331. Anklageschrift, Bd. IV, S. 63. 332. Gespräch mit Gratschow am 23.05.2011. 333. Gespräch mit Baklanow am 16.04.2012. 334. Stepankov, GKČP, S. 231. 335. Ruge, Gerd: Weites Land. Russische Erfahrungen. Russische Perspektiven. Berlin 1996, S. 291. Ruge arbeitete von 1956 bis 1959 als erster ständiger Korrespondent der Bundesrepublik in der Sowjetunion. 1977 bis 1981 war er dort ein zweites Mal, und 1987 bis 1993 arbeitete er als Leiter des ARD-Fernsehstudios in Moskau. 336. Gespräch mit Jasow am 02.04.2012. 337. Ačalov, Mera vozdejstvia, S. 58; Anklageschrift, Bd. IV, S. 60. 338. Ačalov, Mera vozdejstvia, S. 53. 339. Gespräch mit Atschalow am 28.05.2011. In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-­ Dokumentation). 340. Anklageschrift, Bd. IV, S. 61. 341. Gespräch mit Baklanow am 16.04.2012. 342. Ačalov, Mera vozdejstvia, S. 53. 343. Anklageschrift, Bd. IV, S. 59. 344. Stepankov, GKČP, S. 251. 345. Stepankov, GKČP, S. 251 – 252. Gromow war einer der wenigen, die nicht für ein Gespräch über den August-Putsch zur Verfügung standen. Seine Begründung war dabei von besonderem Interesse. Über sein Sekretariat ließ er ausrichten, dass er an den August-Ereignissen nicht beteiligt gewesen sei und daher dazu nicht sagen könne. 346. Telegramm N 17/1970 vom 19.08.1991. In: Anklageschrift, Bd. IV, S. 156. 347. Stepankov, GKČP, S. 252. 348. Ačalov, Mera vozdejstvija, S. 53. 349. Varennikov, Nepovtorimoe, Bd. 6, S. 255. 350. Ebenda. 351. Krjučkov, Na kraju propasti, S. 189. 352. Interview mit Gratschow am 23.05.2011. 353. Lozo, Putsch, S. 94. 354. Jazov, Dmitrij: Udary sud’by. Moskva 2000, S. 258 und 259. 355. Ebenda. 356. Stepankov, GKČP, S. 223. 357. Zitiert nach Albats, Yevgenia, The State within a State, S. 291 – 292. 358. Šeremet, Zagovor obrečennych (TV-Dokumentation). Mit Filtration war gemeint, als besonders widerstandsbereit erachtete Personen oder solche, die eine Waffe bei sich trugen, zu separieren, sie in Gewahrsam zu nehmen und ihre Personalien aufzunehmen. 359. Gespräch mit Golowatow am 12.04.2012; siehe auch Lozo, Ende einer Supermacht (TV-Dokumentation). 360. Offizielle Internetseite der KGB-Nachfolgeorganisation FSB: Übernahme eines Interview mit Beskow mit der Zeitung Trud am 18.08.2006, URL: http://www.fsb.

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450 Anmerkungen

ru/fsb/history/author/single.htm%21id%3D10317977%40fsbPublication.html (Aufruf am 07.01.2014). 361. Mascher, Caroline: Agenten sind Staatsdiener. In: Focus 1 (1993), H. 7, S. 134. 362. Leded, Russlands Weg, S. 492. 363. Albats, The State within a State, S. 292; Medvedev, Roj: Boris El’cin. Moskva 2011, S. 99. 364. Luks, Leonid: Geschichte Russlands und der Sowjetunion. Von Lenin bis Jelzin. Regensburg 2000, S. 499. 365. Vgl. Kap. Die Verhaftungen, die Verhöre und deren Publizierung, S. 322 und Kap. Die staatsanwaltlichen Ermittlungen und der Gerichtsprozess, S. 327. 366. Gespräch mit Golowatow am 12.04.2012. 367. Gespräch mit Baklanow am 16.04.2012. 368. Krjučkov, Na kraju propasti, S. 200. 369. Gespräch mit Golowatow am 24.05.2011. 370. Gespräch mit Golowatow am 24.05.2011. Golowatow leitete die „Alpha“-Operation in Vilnius. 371. Boltunow, Michail: Terrorprofis. Geschichte der geheimsten KGB-Einheit. Berlin 1994, S. 224. 372. Stepankov, GKČP, S. 224, Hervorhebung durch I. L. 373. Lozo, Putsch, S. 95. 374. Jelzin, Messers Schneide, S. 98 und 109. 375. Jur’ev, Aleksandr: Novejšaja istorija Rossii. Fevral’ 1917 goda – načalo XXI veka. Moskva 2010, S. 499. 376. Anklageschrift, Bd. IV, S. 69. 377. Ebenda, S. 71. 378. Ebenda, S. 72. 379. Anklageschrift, Bd. IV, S. 69. 380. Ačalov, Mera vozdejstvija, S. 53. Im Interview mit dem Verfasser am 28.05.2011 gab Atschalow Jasows Worte statt „aus dem Abenteuer aussteigen“ mit „aus dem Spiel aussteigen“ wieder. Jasow wiederum sagte mir am 02.04.2012, er habe diese Worte lediglich im Hinblick auf die Streitkräfte ausrichten lassen. 381. Ebenda. 382. Zitiert nach: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-Dokumentation). 383. Prokof ’ev, Kak ubivali partiju, S. 139. 384. Ačalov, Mera vozdejstvija, S. 54. 385. Ebenda. 386. Anklageschrift, Bd. III, S. 73. 387. Gespräch mit Jasow am 02.04.2012; am 16.04.2012 bestätigte Baklanow mir im Wesentlichen den Inhalt dieses Streitgesprächs. 388. Gespräch mit Prokofjew am 27.03.2012. 389. Ačalov, Mera vozdejstvija, S. 51. 390. Dies war eine Anspielung auf das Massaker in Peking in der Nacht zum 4. Juni 1989, als die chinesische Führung die Studentenproteste niederschlug. 391. Anklageschrift, Bd. IV, S. 74.

zu Kapitel 6

392. Prokof ’ev, Kak ubivali partiju, S. 141. 393. Ebenda. 394. Anklageschrift, Bd. IV, S. 73. 395. dpa, AP, 21.08.1991. 396. Gespräch mit Jasow am 23.05.2011. 397. Jelzins Parlamentsrede am 21.08.1991, URL: http://video.yandex.ru/users/glezin1973/ view/11/# (Aufruf am 05.01.2014). 398. Chasbulatov, Poluraspad SSSR, S. 359. 399. Krjučkov, Na kraju propasti, S. 205. 400. Hildermeier, Geschichte der Sowjetunion, S. 1057. 401. Gespräch mit Baklanow am 19.10.2009. In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-­ Dokumentation). 402. Tschernajew, Die letzten Jahre, S. 419. 403. Ebenda, S. 418. 404. Sowjetisches Fernsehen, 24.08.1991, zitiert nach: Dunlop, Rise of Russia, S. 253. ­D unlop gibt als Quelle für die Ruzkoj-Äußerung nicht die Sendung, sondern lediglich „Central Televison“ und das Datum an. 405. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1083. 406. Diese Spekulationen verbreiteten unter anderen Chasbulatow und ­Gorbatschow. Chasbulatov, Ruslan: Technologija perevorota. Rossiskaja Gazeta, 19.08.1992. In: Krjučkov, Na kraju propasti, S. 206; ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1083. 407. Gespräch mit Ruzkoj am 24.05.2011. In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-­ Dokumentation). 408. Šebaršin, Leonid: Ruka Moskvy. Moskva 1996, S. 262. 409. Hier handelt es sich um die offiziellen Angaben der Flugleitung, zitiert nach: Reuter, 22.08.1991. 410. dpa, 22.08.1991. 411. Ebenda. 412. ­Gorbatschow-Schreiben im Anhang, Seite 493. 413. ­Gorbatschows Pressekonferenz vom 22.08.1991, URL: http://4as.info/media/226 (Aufruf am 07.01.2014). 414. Ebenda. Die Frage wurde in der 37. Minute gestellt, der Satz „Ich sage sowieso nicht alles“ fiel in der 44. Minute. 415. Tschernajew, Die letzten Jahre, S. 422. 416. Vremja, 22.08.1991, URL: http://www.youtube.com/watch?v=FiY_KzF50Mw&feature=watch_response (Aufruf am 07.01.2014). 417. Pressekonferenz vom 19.08.1991, URL: http://rutube.ru/tracks/3821075.html (Aufruf am 25.05.2012). 418. Anklageschrift, Bd. V, S. 89. 419. Anklageschrift, Bd. III, S. 157. 420. Ebenda, S. 161. 421. Ebenda, S. 183. 422. Ebenda, S. 202.

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452 Anmerkungen

423. Ebenda, S. 204. 424. Ebenda, S. 210. 425. Ebenda. 426. Ebenda, S. 211. 427. Reuter, AP, 05.05.1991; AFP, AP, 06.05.1991, Hervorhebung durch I. L. 428. Gespräch mit Jasow am 02.04.2012. 429. Gespräch mit Baklanow am 16.04.2012. 430. Gespräch mit Prokofjew am 27.03.2012. 431. Jelzin, Messers Schneide, S. 63. 432. Gespräch mit Gratschow am 23.05.2011. 433. Jelzin, Messers Schneide, S. 64. 434. Lozo, Putsch, S. 93. 435. Anklageschrift, Bd. IV, S. 37. 436. Gespräch mit Gratschow und Jasow am 23.05.2011 (ohne eine Begegnung der beiden Militärs). 437. Anklageschrift, Bd. IV, S. 37. 438. Ebenda. 439. Lebed, Russlands Weg, S. 470. 440. Koržakov, Aleksandr: Bližnij krug „carja Borisa“. Moskva 2012, S. 73. 441. Anklageschrift, Bd. IV, S. 38. 442. Lebed, Russlands Weg, S. 474. 443. Ebenda, S. 475. 444. Stepankov, GKČP, S. 234. 445. Lebed, Russlands Weg, S. 481 – 482. 446. Ebenda, S. 484. 447. Lozo, Putsch, S. 93. 448. Jelzin, Messers Schneide, S. 203. 449. Vgl. Kap. Das Gespräch zwischen der russischen Führung und Lukjanow, S. 239. 450. Janaev, GKČP, S. 117. 451. Krjučkov, Na kraju propasti, S. 205. 452. Gespräch mit Burbulis am 25.05.2011; Krjučkov, Na kraju propasti, S. 205. 453. Jelzin, Messers Schneide, S. 65. 454. Prokof ’ev, Kak ubivali partiju, S. 129. 455. Anklageschrift, Bd. III, S. 8. 456. Ebenda, S. 1. Die Aufzählung der Staatsanwaltschaft enthält zwei kleine Ungenauigkeiten: Dsasochow und Strojew sind dort nur als ZK-Sekretäre erwähnt, sie waren jedoch zusätzlich auch Mitglieder des Politbüros. 457. Ebenda, S. 1 und 7. 458. Gespräch mit Prokofjew am 27.03.2012. 459. Anklageschrift, Bd. III, S. 4 und 7. 460. Ebenda, S. 10 und 11. 461. Ebenda, S. 10. 462. Ebenda, S. 3.

zu Kapitel 6

463. Falin, Valentin: Politische Erinnerungen. München 1993, S. 501; Telefonat von I. L. mit Falin am 25.09.2012. 464. Anklageschrift, Bd. III, S. 11. 465. Garifullina, Nadežda: Tot, kto ne predal. Oleg Šenin – stranicy žizni i bor’by. Moskva 1995, S. 238 und 239. In der Biographie wird der Protagonist ausschließlich positiv, mutig und bezüglich seiner sowjetischen und kommunistischen Weltanschauung als unerschütterlich und prinzipienfest dargestellt. 466. Anklageschrift, Bd. III, S. 12. 467. Pravda, 23.08.1991, S. 1. 468. Garifullina, Tot, kto ne predal, S. 118; dpa, 21.08.1991. 469. Neef, Christian / Wild, Dieter (Bearb.): „Jelzin verdient den Dank der Partei“. In: Der Spiegel 45 (1991), H. 35, S. 148 – 150, hier S. 150. 470. AP, 21.08.1991. 471. In dem Referendum vom 12.06.1991 hatten sich 55 Prozent der Bürger Leningrads für die Rückbenennung ihrer Stadt in St. Petersburg ausgesprochen. – AP, 14.06.1991. Der sowjetische Präsident G ­ orbatschow hatte zuvor öffentlich für die Beibehaltung des Namens Leningrad plädiert. – Reuter, 13.06.1991. Die offizielle Umbenennung erfolgte erst am 06.09.1991, nachdem am gleichen Tag die dafür erforderliche Billigung durch den Obersten Sowjet Russlands vollzogen war. Sie erfolgte einstimmig. – Reuter, 06.09.1991. 472. Geworkjan, Natalija / Kolesnikow, Andrej / Timakow, Natalija: Aus erster Hand. Gespräche mit Wladimir Putin. München 2000, S. 108. 473. Ebenda, S. 109. 474. Ebenda, S. 107. 475. AP, Reuter, 13.06.1991. 476. Sobtschak, Anatoli: Für ein neues Russland. Bergisch Gladbach 1991, S. 407. 477. Jelzin, Messers Schneide, S. 63; Sobtschak, Für ein neues Russland, S. 409. 478. Sobtschak, Für ein neues Russland, S. 415. 479. Alexander, Manfred / Stökl, Günther: Russische Geschichte. 7. Aufl., Stuttgart 2009, S. 769. 480. Anklageschrift, Bd. II, S. 153. Samsonow war einer der wenigen Beteiligten, die nicht zu einem Gespräch mit dem Verfasser bereit waren. Möglicherweise wollte er nicht über die Pannen am 19.08.1991 sprechen, durch die er – vor allem durch seinen Fernsehauftritt – in ein unvorteilhaftes Licht geriet. 481. Anklageschrift, Bd. I, S. 136. 482. Sobtschak, Für ein neues Russland, S. 409. 483. Sobčak, Anatolij: Žila-byla kommunističeskaja partija. Sankt-Peterburg 1995, S. 35. 484. AFP, Reuter, dpa, AP, 20.08.1991. 485. Ebenda. 486. Vesti urala, 19.08.2011, URL: http://www.vesti-ural.ru/4549-segodnya-dvadcataya-godovshhina-avgus-tovskogo-putcha-v-rossii.html (Aufruf am 07.01.2014). 487. Sowjetische Nachrichtensendung Vremja, 22.08.1991.

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454 Anmerkungen

488. Sowjetische Nachrichtensendung Vremja, 19.08.1991, URL: http://www.youtube.com/ watch?v=tVSRuHGtZlU&feature=related (Aufruf am 07.01.2014). 489. Rasšivalova, E./Seregin, N. (Bearb.): Putč. Chronika trevožnych dnej. Moskva 1991, S. 200. 490. Ebenda. S. 201. 491. Jelzin, Messers Schneide, S. 135. 492. Anklageschrift, Bd. I, S. 117. 493. Ebenda, S. 116. 494. Rasšivalova / Seregin (Bearb.), Putč, S. 203. 495. Ebenda. 496. Munzinger-Archiv, Stand: 02.08.2003. 497. Simon / Simon, Verfall und Untergang, S. 166. 498. Rasšivalova / Seregin (Bearb.), Putč, S. 196. 499. Nach Angaben von AP lag die Zahl bei 400.000, Reuter nannte die Zahl 50.000, AFP 60.000. Im Fernsehen der Republik wurde die Zahl 400.000 genannt. – AP, Reuter, AFP, 20.08.1991. 500. Im Dezember 1990 versammelten sich in der Republik-Hauptstadt sogar rund 800.000 Menschen, um gegen einen neuen Unionsvertrag zu protestieren. – Simon / Simon, Verfall und Untergang, S. 157. Dies spricht dafür, dass dort durchaus eine Zahl von mehreren Hunderttausend Kundgebungsteilnehmern mobilisiert werden konnte. 501. AFP, 27.08.1991; dpa, 28.08.1991. 502. Rasšivalova / Seregin (Bearb.), Putč, S. 193. 503. Ebenda, S. 190, Hervorhebung durch I. L. 504. Ebenda, S. 192. 505. Gespräch mit Landsbergis am 13.05.2011. 506. dpa, 19.08.1991. 507. Der ehemalige Dissident, der vom KGB verfolgt worden war und 1977 bis 1978 im Gefängnis saß, unterdrückte zunehmend die demokratische Opposition Georgiens. Aus dem „Kämpfer für Demokratie und Menschenrechte“ wurde ein „mit demokratischen Vollmachten sich ausstattender, von Verfolgungswahn bestimmter Autokrat.“ – Munzinger Archiv / Internationales Biographisches Archiv, Stand KW 14, 1994. 508. AFP, 19.08.1991. 509. Mutalibow trat zurück wegen des Drucks der Opposition im Zusammenhang mit dem Konflikt mit Armenien um die Region Berg-Karabach. – dpa, AP, AFP, Reuter, 06.03.1992. 510. Lewon Ter-Petrosjan wurde am 16.10.1991 in einer Volkswahl zum ersten Präsidenten Armeniens gewählt und trat, nachdem er 1995 wiedergewählt worden war, im Jahr 1998 zurück. 511. Rasšivalova / Seregin (Bearb.), Putč, S. 205. 512. Ebenda, S. 206. 513. Glezin, Eduard: Raspad SSSR – Kak ušla Armenija, URL: http://ed-glezin.livejournal.com/414979.html (Aufruf am 07.01.2014).

zu Kapitel 6

514. Als Erster Sekretär der KP und Parlamentspräsident war Machkamow am 30. November 1990 vom Obersten Sowjet in das neu geschaffene Präsidentenamt gewählt worden. – AFP, 30.11.1990. 515. Rasšivalova / Seregin (Bearb.), Putč, S. 208. 516. dpa, Reuter, 31.08.1991. 517. Rasšivalova / Seregin (Bearb.), Putč, S. 206. 518. dpa, 20.08.1991. 519. Jelzin, Messers Schneide, S. 135. Nicht haltbar ist die Darstellung des Botschafters der USA in der Sowjetunion, Jack F. Matlock, der schreibt, Nasarbajew habe den Putsch „von Anfang an verurteilt“. – Matlock, Autopsy, S. 611. 520. Vandenko, Andrej: GKČP. Versija. Moskva 1993, S. 10. 521. Gespräch mit Krawtschenko am 10.04.2012. 522. AFP, dapd, 14.01.2011. 523. Rasšivalova / Seregin (Bearb.), Putč, S. 209 – 210. 524. Anklageschrift, Bd. I, S. 115 – 116. 525. Rasšivalova / Seregin (Bearb.), Putč, S. 208. 526. dpa, 20.08.1991. 527. Anklageschrift, Bd. I, S. 117. In der Anklageschrift wird Mirsaidow versehentlich als Vorsitzender des Obersten Sowjets bezeichnet. Nach mehreren voneinander unabhängigen Quellen war er zu diesem Zeitpunkt Vizepräsident. Vgl. z. B. dpa, Reuter, 19.11.1991. 528. Rasšivalova / Seregin (Bearb.), Putč, S. 210. 529. Reuter, 23.08.1991. 530. Bericht der amerikanischen Nachrichtenagentur AP, 19.08.1991, 9 : 46 Uhr MESZ. 531. Matlock, Autopsy, S. 577. 532. dpa, Reuter, AFP, AP, 24.08.1991. 533. Beschloss, Michael / Talbott, Strobe: Auf höchster Ebene. Das Ende des Kalten Krieges und die Geheimdiplomatie der Supermächte 1989 – 1991. Düsseldorf u. a. 1994, S. 559. 534. dpa, Reuter, AFP, AP, 19.08.1991. 535. Beschloss, Michael / Talbott, Strobe: At the Highest Levels. Boston 1993, S. 422 – 423, zitiert nach: Matlock, Autopsy, S. 587. 536. Lozo, Ignaz: TV-Bericht über den Putsch in Moskau. In: ARD / ZDF-Mittagsmagazin, 19.08.1991. 537. dpa, Reuter, AP, AFP, 20.8.1991. 538. dpa, AP, 21.08.1991. 539. AP, 11 : 53 Uhr, 19.08.1991. 540. dpa, 13.02 Uhr, 19.08.1991. 541. dpa, 15 : 35 Uhr, 19.08.1991. 542. Ebenda. 543. AFP, 20.08.1991. 544. Reuter, 20.08.1991. 545. AFP, 18 : 54 Uhr, 19.08.1991. 546. Reuter, 19.08.1991

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456 Anmerkungen

547. dpa, Reuter, AFP, 21. und 22.08.1991. Auch der frühere Präsident Frankreichs Giscard d’Estaing schaltete sich ein und kritisierte Mitterand, ohne ihn namentlich zu nennen. Der Regierungssprecher konterte daraufhin mit den Hinweis, Mitterand sei nie wie d’Estaing mit den osteuropäischen Diktatoren Edward Gierek (KP-Chef in Polen 1970 – 1980) und Nicolae Ceauşescu (KP-Chef in Rumänien 1965 – 1989) gemeinsam zum Jagen gegangen. Entsprechende Einladungen hatte der frühere Präsident in seiner Amtszeit angenommen. – AFP, 22.08.1991. 548. Gespräch mit Seiters am 12.05.2011. 549. Kohl, Erinnerungen 1990 – 1994, S. 364. 550. ZDF-Mitschnitt der Pressekonferenz der Bundesregierung vom 19.08.1991. 551. Bundeskanzler Kohl sagte vor der Presse in Bonn: „Lassen Sie mich als deutscher Bundeskanzler noch hinzufügen: Wir wissen, welchen großen Beitrag Michail ­Gorbatschow […] insbesondere zur deutschen Einheit erbracht hat; wir sind ihm zu bleibendem Dank verpflichtet.“ Vgl. ZDF-Mitschnitt der Pressekonferenz der Bundesregierung vom 19.08.1991. 552. Laut dem Generalstabschef der sowjetischen Streitkräfte, General Michail Moissejew, waren 500.000 Menschen von der Rückführung betroffen. – dpa, 01.03.1991. 553. Lozo, Ende einer Supermacht (TV-Dokumentation). 554. ZDF-Mitschnitt der Pressekonferenz der Bundesregierung vom 19.08.1991. 555. Ebenda. 556. Ebenda. 557. Kazarin, Ju./Jakovlev, B. (Bearb.): Smert’ zagovora. Belaja Kniga. Moskva 1992, S. 17. 558. dpa, 19.08.1991. 559. Gespräch mit Seiters am 12.05.2011. 560. Ebenda. 561. Ebenda. In: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-Dokumentation). 562. Lediglich der Generalsekretär der CDU, Volker Rühe, sagte schon an diesem Tag, es handle sich um einen „Putsch gegen ­Gorbatschow“. – dpa, 14 : 03 Uhr, 19.08.1991. 563. Telefonat mit Terechow, Botschafter der UdSSR bzw. Russlands (1990 – 1997), am 13.12.2012. 564. dpa, Reuter, 20.08.1991. 565. So nicht, Herr W. (ohne Autorenangabe). In: Der Spiegel 45 (1991), H. 35, S. 28 – 29. 566. AP, 21.08.1991. 567. dpa, AP, 20.08.1991. 568. Ebenda. 569. dpa, 19.08.1991. 570. Gespräch mit Klaus Blech, deutscher Botschafter in Moskau 1989 – 1991, am 24.10.2009. 571. Ebenda. 572. Der Spiegel 45 (1991), H. 35 („Verlierer G ­ orbatschow – Jelzins Triumph“); Der Spiegel 45 (1991), H. 36 („Vom Kommunismus befreit – Ein Weltreich zerbricht“); Stern (1991), H. 35 („Putsch gegen ­Gorbatschow – Der verratene Reformer“); Stern (1991), H. 36 („Boris Jelzins Revolution – Russland ohne Kommunismus“). Das Nachrichtenmagazin Focus erscheint erst seit Januar 1993.

zu Kapitel 6

573. In teilweise noch größeren Lettern als üblich erschienen beispielsweise die Titelschlagzeilen „Gorbi gestürzt. Mein Gott, was nun?“ (20.08.1991); „Noch ist Russland nicht verloren! Befreit Gorbi! Siegt Jelzin?“ (21.08.1991); „Jelzin siegt –Verräter getürmt – Gorbi gerettet“ (22.8.1991); „Hammer und Sichel abgeschafft“ (23.08.1991); „Jelzin Gorbi – Machtkampf um das Riesenreich“ (24.08.1991). 574. AFP, 04 : 00 Uhr (MESZ), 20.08.1991. 575. AFP, 02 : 47 Uhr (MESZ), 20.08.1991. 576. dpa, 23.08.1991. 577. Kusnezow vertrat den Botschafter Ljudwig Tschischow, der in Urlaub war. Kusnezow hatte die Macht­über­nahme der Putschisten zunächst als „absolut notwendig“ verteidigt, um wieder Stabilität im Land zu gewährleisten. Nach dem Scheitern des ­GKTSCHP äußerte er, er sei darüber „wirklich erleichtert“, und pries G ­ orbatschow als wichtigen Faktor für die Stabilität der Sowjetunion. – AFP, 23.08.1991. 578. AFP, 14 : 01 Uhr (MESZ), 21.08.1991. 579. AFP, 06 : 40 Uhr (MESZ), 20.08.1991. 580. dpa, 20.08.1991. 581. Reuter, 23.08.1991. 582. Ebenda. 583. AP, 19.8.1991. 584. Ebenda. 585. AFP, 19.08.1991; dpa, 20.08.1991. 586. Anklageschrift, Bd. II, S. 130. 587. Kazarin / Jakovlev (Bearb.), Smert’ zagovora, S. 10. 588. Ebenda, S. 37 – 38 und 61 – 63. 589. dpa, Reuter, AP, AFP, 19.08.1991. 590. dpa, 20.08.1991. 591. Gorbačev, Aleksandr / Krasil’ščik, Il’ja (Bearb.): Istorija russkich media 1989 – 2011. Moskva 2011, S. 56. 592. dpa-Eilmeldung, 21 : 11 Uhr, 20.08.1991. 593. Anklageschrift, Bd. II, S. 164. Echo Moswky wurde in der ­GKTSCHP-Verordnung Nr. 3 vom 20.08.1991 in Punkt 5 namentlich erwähnt. Die Tätigkeit des Senders müsse eingestellt werden, weil er „nicht dem Prozess der Stabilisierung des Landes“ diene. – Kazarin / Jakovlev (Bearb.), Smert’ zagovora, S. 62. 594. dpa, 00 : 50 Uhr, 21.08.1991. 595. Gorbačev / Krasil’ščik (Bearb.), Istoria russkich media 1989 – 2011, S. 56. 596. Anklageschrift, Bd. II, S. 191. 597. An die Stelle des russischen Programms wurde das sowjetische Programm gesetzt, das somit doppelt gesendet wurde. – Gespräch mit Krawtschenko am 10.04.2012. 598. Bonnell, Victoria E./Freidin, Gregory: Televorot. The Role of Television Coverage in Russia’s August 1991 Coup. In: Slavic Review 52 (1993), H. 4, S. 810 – 839. 599. Sergej Medwedew wurde als Autor nicht mehr zugelassen. Nach dem Putsch wurde er Moderator der Nachrichtensendung und präsentierte sie erstmals am 22.08.1991. 1995 – 1996 war er Pressesprecher des russischen Präsidenten Jelzin, kehrte anschließend

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wieder zum Fernsehen zurück. Laut Berliner Zeitung wollte Medwedew nicht mehr dabei helfen, die Krankheitsprobleme Jelzins zu verschleiern. Vgl. Bärsch, Thomas: Russland noch ohne Regierung. In: Berliner Zeitung, 14.08.1996, S. 8. 600. Sowjetische Nachrichtensendung Vremja, 19.08.1991. Diese Passage findet sich bei Minute 30 der Sendung. Vgl. URL: http://www.youtube.com/watch?v=tVSRuHGtZlU&feature=related (Aufruf am 07.01.2014). 601. Anklageschrift, Bd. II, S. 170. 602. Kravčenko, Kak ja byl televizionnym kamikadze, S. 245. 603. Vgl. Kap. Das Publikmachen der Macht­über­nahme, S. 198. 604. Anklageschrift, Bd. II, S. 170. 605. Im Hinblick auf die zweite öffentliche Erklärung von Präsident Bush vom 20. August, mit der die erste korrigiert wurde, durch welche die Putschisten quasi anerkannt worden waren, schreibt Baker: „Um diese Botschaft [Unterstützung der USA für Jelzins Forderung, ­Gorbatschow in sein Amt zurückkehren zu lassen] nach Moskau zu übermitteln, hatte Präsident Bush das schnellste zur Verfügung stehende Medium benutzt: CNN.“ Baker, James A.: Drei Jahre, die die Welt veränderten. Erinnerungen. Berlin 1996, S. 513. 606. Gespräch mit Botschafter Blech (1989 – 1993) am 24.10.2009. 607. Šerbašin, Leonid: Ruka Moskvy. Moskva 1996, S. 256. Am 30. März 2012 beging der kurzzeitige KGB-Chef der Sowjetunion nach langer Krankheit Selbstmord. 608. Kravčenko, Kak ja byl televizionnym kamikadze, S. 246.

zu Kapitel 7 (S. 317 – 376) 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

Sakwa, Richard: A Cleansing Storm: The August Coup and the Triumph of Peres­ troika. In: Journal of Communist Studies 26 (1993), H. 9, S. 131 – 149, hier S. 131. Malia, Vollstreckter Wahn, S. 536. Schlögel, Karl: Moskau lesen. München 2011, S. 427 und 433. Huber, Maria: 11. März 1985. Die Auflösung des sowjetischen Imperiums. München 2002, S. 252. Brumberg, Abraham: The Road to Minsk. In: New York Review of Books, 30.1.1992, S. 21, zitiert nach: Sakwa, Cleansing Storm, S. 132. Simon, Gerhard: Das Ende der Sowjetunion. Ursachen und Zusammenhänge. In: Außenpolitik 47 (1996), H. 1, S. 9 – 21, hier S. 10. Sakwa, Cleansing Storm, S. 132; Hildermeier, Geschichte der Sowjetunion, S. 1060. Reuter, 10.09.1991. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1088. Jelzin, Messers Schneide, S. 47. Simon, Gerhard: List der Geschichte. Die Perestrojka, der Mauerfall und das Ende der UdSSR. In: Osteuropa 59 (2009), H. 2 – 3, S. 119 – 132, hier S. 119. Garifullina, Tot, kto ne predal, S. 253. Tschernajew, Die letzten Jahre, S. 421.

zu Kapitel 7

14. Pugos Ehefrau fand man in der Wohnung mit einer schweren Schussverletzung, die ihr ihr Mann vor seinem Selbstmord zugefügt hatte. Sie starb am nächsten Tag. Der Reformpolitiker Grigori Jawlinski war gemeinsam mit dem stellvertretenden Staatsanwalt Russlands, mit dem russischen KGB-Chef und dem stellvertretenden russischen Innenminister zu Pugos Wohnung gefahren. Jawlinski gab dem „Moskowski Komsomolez“ ein Interview zu dieser Tragödie, das am 24.08.1991 in der genannten Zeitung veröffentlicht wurde. 15. Achromejew, Jahrgang 1923, kämpfte im Zeiten Weltkrieg in Leningrad gegen die Blockade der Deutschen und verteidigte später auch in Stalingrad. Zwischen 1984 und 1988 war er Stabschef der sowjetischeStreitkräfte. In dieser Funktion führte er die Detailverhandlungen mit den USA zur militärischen Abrüstung, „zwar mit konservativer Grundhaltung, aber nicht unwillig“. – Munzinger-Archiv, Stand: KW 40, 1991. 16. Agejew, Jahrgang 1929, starb am 11.01.1994. Die Entscheidung des russischen Parlaments vom Februar 1994 über eine Amnestie für die Putschisten von 1991 und für die Anführer der Revolte gegen Jelzin im Oktober 1993 erlebte er somit nicht mehr. 17. AP, 14.04.1993. 18. TASS, 14.01.1992, zitiert nach: dpa, 14.01.1992. 19. Jazov, Udary sud’by, S. 5. 20. Alle Daten der Festnahmen sind der Anklageschrift, Bd. V, S. 122 – 123, entnommen. 21. Krjučkov, Vladimir: Ličnoe delo. Moskva 1996, S. 223; Jazov, Udary sud’by, S. 7. Gemeinsam mit Tisjakow wurden der KGB-Chef und der Verteidigungsminister nach der Landung in Moskau am 22.08.1991 dorthin gefahren. In der ersten Morgenstunde des 23.08.1991 wurden sie geweckt und in ein Untersuchungsgefängnis in Kaschin gebracht, rund 200 Kilometer nördlich von Moskau. Am 26.8.1991 wurden sie in der Nacht wieder verlegt. Von Kaschin fuhren sie ihre Bewacher schließlich nach Moskau in das Gefängnis „Matrosskaja Tischina“. 22. In juristischen Fachkreisen wurde die Veröffentlichung vereinzelt aber durch die Strafprozessordnung als abgedeckt betrachtet. Vgl. hierzu: Kljamko, E.: Processual’nye voprocy po delu GKČP. In: Sovetskaja Justicija, 9/1993, S. 14. 23. dpa, 26.03.1992. 24. Jelzin, Messers Schneide, S. 332. 25. Der deutsche Filmemacher bat darum, seinen Namen nicht zu erwähnen. (Die Identität des Filmemachers verdanke ich dem deutschen Journalisten Peter Leontjew, der für ihn Anfang der 1990er-Jahre projektbezogen arbeitete.) Der Filmemacher nannte mir den Namen des sowjetischen TV-Redakteurs, der einige Monate zuvor verstorben war. Er bat darum, auch dessen Namen nicht zu erwähnen. Ich führte mit dem Filmemacher und dem damaligen Moskauer Spiegel-Korrespondent Mettke jeweils am 31.05.2012 ein Telefonat. Die Schilderung des Filmemachers wurde von Mettke in einer E-Mail an den Verfasser am 09.06.2012 bestätigt. 26. Telefonat mit Mettke am 31.05.2012. Jörg R. Mettke war von 1987 bis 2008 Spiegel-­ Korrespondent in Moskau. 27. Telefonat mit dem Filmemacher, der anonym bleiben möchte, am 31.05.2012. 28. Gespräch mit Stepankow am 30.03.2012.

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29. Stepankow erfuhr nach eigener Darstellung vom sowjetischen Präsidenten persönlich, dass es ein Informationsleck gegeben haben musste. Denn dieser habe ihn angerufen, darauf hingewiesen, dass eine Ausstrahlung der Putschisten-Verhöre in Deutschland bevorstehe, und ihn verärgert gefragt: „Wie konnte das passieren?“ Der russische Generalstaatsanwalt konnte sich dieses Leck, das sich zu einem politischen Skandal ausweitete, nicht erklären. Mettke hält es allerdings für nahezu ausgeschlossen, dass der sowjetische Präsident den Generalstaatsanwalt persönlich angerufen hat. Er hält Stepankows Darstellung für eine Schutzbehauptung. – Gespräch mit Stepankow am 30.03.2012; Telefonat mit Mettke am 31.05.2012. 30. Gespräch mit Stepankow am 30.03.2012. 31. Krjučkov, Na kraju propasti, S. 319. 32. Ebenda, S. 320. 33. In jenen wirtschaftlichen Krisenjahren wurden Journalisten sehr häufig Informationen und Zugänge gegen finanzielle Gegenleistungen angeboten. Dies setzte sich in der Jelzin-Ära weitgehend fort. Die Praxis hat in den Putin-Jahren jedoch wieder deutlich abgenommen, weil viele Zugänge nun verschlossen sind. 34. Anklageschrift, Bd. I, S. 2. 35. Jazov, Udary sud’by, S. 19; Krjučkov, Ličnoe delo, S. 223; Varennikov, Nepovtorimoe, Bd. 6, S. 296. 36. Varennikov, Nepovtorimoe, Bd. 6, S. 311. 37. Anklageschrift, Bd. I, S. 2. 38. Janaev, GKČP, S. 139; Jazov, Udary sud’dby, S. 18; Luk’janov, Avgust 91-go, S. 88; Varennikov, Nepovtorimoe, Bd. 6, S. 313; Šenin, Rodinu ne prodaval, S. 5. 39. Am 09.05.1992, dem 47. Jahrestag des Sieges im Zweiten Weltkrieges, demonstrierten rund 5.000 Menschen in Moskau für die Freilassung der „Patrioten“, wie es auf Transparenten hieß. Vgl. dpa, 09.05.1992. Krjutschkow schreibt in seinen Memoiren, dass mehrere Zehntausend Menschen vor den Gefängnismauern protestierten. Siehe Krjučkov, Ličnoe delo, S. 354. 40. Baklanov, Kosmos, Bd. 1, S. 9. 41. Gespräch mit Baklanow am 16.04.2012. Er sprach wörtlich allerdings nicht von deutschen Truppen, sondern „den Faschisten“. 42. Gespräch mit Chasbulatow am 04.04.2012. 43. Šenin, Rodinu ne prodaval, S. 5. 44. Interview von Radio Svoboda mit Stepankow am 19.08.2011, URL: http://www. newstube.ru/media/stepankov-rasskazal-pochemu-delo-gkchp-ne-bylo-dovedeno-do-suda (Aufruf am 07.01.2014). 45. Ebenda. 46. Gespräch mit Stepankow am 30.03.2012. 47. AFP, Reuter, 18.05.1993. 48. Luk’janov, Avgust 91-go, S. 88; Varennikov, Nepovtorimoe, Bd. 6, S. 337. 49. Anklageschrift, Bd. IV, S. 96. 50. Anklageschrift, Bd. V, S. 185.

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51. Boldin und Gruschko kamen aus Krankheitsgründen Ende Dezember 1991 frei. – AP, 27.12.1991. Starodubzew kam am 06.06.1992 unter Auflagen frei; vgl. Anklageschrift Bd. V, S. 123. Er hatte einen entsprechenden Antrag gestellt. Laut einem russischen Fernsehbericht hatte Jelzin diesen aus humanitären Gründen befürwortet. Starodubzew durfte sich nur an seinem Wohnort in Tula bewegen. – dpa, 06.06.1992. Möglicherweise war ausschlaggebend, dass seine Rolle im Putsch vergleichsweise gering war. Schenin wurde am 30.10.1992 aus der Untersuchungshaft unter Auflagen entlassen.- Anklageschrift, Bd. V, S. 123. Schenin, der in der Haft erkrankt war, durfte sich nur innerhalb von Moskau bewegen. – Garifullina, Tot, kto ne predal, S. 190. Lukjanow, Warennikow, Plechanow und Generalow kamen am 14.12.1992 unter Auflagen frei. – AP, dpa, 14.12. 1992. Hier dürfte eine Rolle gespielt haben, dass sie keine offiziellen Mitglieder des G ­ KTSCHP gewesen waren. Schließlich kamen unter Auflagen am 26.01.1993 alle anderen Angeklagten aus der Untersuchungshaft frei. Dies waren, nachdem Starodubzew im Juni 1992 freigekommen war, die sechs verbliebenen offiziellen G ­ KTSCHP-Mitglieder Janajew, Pawlow, Krjutschkow, Jasow, Baklanow und Tisjakow. Siehe auch Krjučkov, Ličnoe delo, S. 319. Jasow wurde zunächst ins Krankenhaus gebracht, von wo man ihn am 11.02.1993 nach Hause entließ; er durfte sich nur in Moskau aufhalten. – Jazov, Udary sud’by, S. 392 – 393. 52. Reuter, 30.09.1993. 53. Reuter, 14.04.1993. 54. AFP, 14.04.1993. 55. dpa, 03.06.1993. 56. AP, 21.09.1993. 57. dpa, 12.10.1993. 58. Reuter, 29.12.1993. 59. Varennikov, Nepovtorimoe, Bd. 6, S. 396 – 397. 60. Genau genommen waren die Angeklagten zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem Jahr weitgehend frei, weil sie alle schon seit spätestens Januar 1993 nicht mehr im Gefängnis saßen. Durch den Parlamentsbeschluss über die Amnestie entfiel die Auflage, dass sie sich nur innerhalb ihres Wohnortes bewegen durften. 61. Schweisfuhrt, Theodor: Die Freilassung russischer Putschisten. Eine Mischung aus Amnestie und Abolition. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.03.1994, S. 6. Theodor Schweisfuhrt ist emeritierter Hochschullehrer für Öffentliches Recht und Völkerrecht. Er lehrte an der Europa-Universität Viadrina. 62. Eine Aufzählung der zahlreichen Beispiele soll hier nicht erfolgen. Erwähnt sei an dieser Stelle nur ein Trickfilm, der häufig im Fernsehen gezeigt und sehr bekannt wurde, in dem Jelzin die Komitee-Mitglieder in das WC spült. „El’cin slivaet GKČP v unitaz“, URL: http://www.youtube.com/watch?v=RR7pNuhJYEA (Aufruf am 26.06.2012). 63. Steinsdorff, Silvia von: Die russische Staatsduma. In: Russlandanalysen der Forschungsstelle Osteuropa 3/2003, S. 2 – 6, hier S. 5. 64. dpa, Reuter, 17.02.1994. 65. dpa, Reuter, AFP, AP, 23.02.1994.

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66. Siegl, Elfie: Für ein Memorandum über den zivilen Frieden. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.03.1994, S. 1. 67. AFP, 25.02.1994. 68. dpa, 25.02.1994. 69. Neubert, Miriam: Selbstreinigung von aller Schuld. In: Süddeutsche Zeitung, 28.02.1994, S. 3. 70. Gespräch mit G ­ orbatschow am 23.03.2011. Vermutlich sprach G ­ orbatschow diese These 1994 nicht aus, um Jelzin nicht zu provozieren. Dieser hatte seine Stiftung 1992 ins Visier genommen, nachdem ­Gorbatschow konfrontative Äußerungen in der Presse getätigt hatte. 71. Varennikov, Nepovtorimoe, Bd. 6, S. 596. 72. dpa, Reuter, AP, AFP, 11.08.1994. 73. Varennikov, Nepovtorimoe, Bd. 6, S. 636. 74. AP, 03.02.1995; Varennikov, Nepovtorimoe, Bd. 6, S. 636. 75. AP, AFP, 13.02.1993. 76. AP, AFP, 29.03.1993. 77. Die Informationen in den Kurzbiographien basieren auf den Gesprächen mit den Putsch-Beteiligten oder deren Verwandten. Sie wurden durch zusätzliche Telefonate mit relevanten Stellen verifiziert. Die Grunddaten sind allgemein zugänglichen Quellen wie den Autobiographien der Beteiligten, russischen Zeitungen oder dem Munzinger-Archiv entnommen. 78. Janaev, GKČP, S. 5. 79. Nienhysen, Frank: Putschist wird Militärberater. In: Süddeutsche Zeitung, 20.06.1998, S. 6. 80. Zur Vereinbarung eines Gesprächstermins hatte ich Jasow in seinem Büro im Verteidigungsministerium angerufen und ihm vorgeschlagen, dass ich dorthin kommen könnte, um ihm Umstände zu ersparen. Er verwies auf den hohen Aufwand für einen Passierschein für mich. Wir führten das aufgezeichnete Gespräch im Hotel National, wohin er von einem Chauffeur gebracht wurde. Bemerkenswert im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Rehabilitierung der Putschisten von 1991 ist, dass das Hotel kostenlos Restauranträumlichkeiten mit Blick zum Kreml abschirmte und für das Gespräch zur Verfügung stellte. Als ich nach Beendigung der rund zweistündigen Erörterung des Putsch-Themas um eine gemeinsame Rechnung für den Konsum bat, die ich begleichen wollte, teilten mir die Hotelbediensteten mit, dass dies nicht nötig sei. Ihr Chef habe angeordnet, dass für „einen so hohen Gast wie Marschall Jasow selbstverständlich nichts in Rechnung gestellt werde“. 81. Am 19. Oktober 2008, rund ein halbes Jahr vor seinem Tod, trat Warennikow im russischen Fernsehen in der popuären Sendung „Imja Rossija“ auf. (Diese ist vergleichbar mir der in Deutschland ausgestrahlten Sendung „Die größten Deutschen“.) Warennikow hatte dort die Rolle des Stalin-Verehrers; er hielt in der Sendung ein mehr­ minütiges Plädoyer für den Diktator. Vgl. Sendung „Imja Rossija“, TV-Sender ­Rossija. URL: http://www.youtube.com/watch?v=sZaaSuKGIKs (Aufruf am 07.01.2014)

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82. Remnick, David: Der gute Zar. In: Die Weltwoche, 6.11.2003, S. 50. Es handelte sich um eine Übersetzung aus The New Yorker (ohne Datumsangabe). 83. Infolgedessen kam und kommt es teilweise zu subjektiven Verzerrungen durch eine Leugnung der Fakten sowie durch eine Aufstellung von nachweislich unzutreffenden Behauptungen, worauf in Kapitel 7.3 näher eingegangen wird. 84. Janaev, GKČP, S. 67. 85. dpa, 21.08.1991, 23 : 16 Uhr (MESZ). 86. Kravčenko, Lebedinaja pesnja, S. 288. 87. Poltoranin, Vlast’ v trotolivom ekvivalente. Nasledie carja Borisa. Moskva 2012, S. 184. 88. Kravčenko, Lebedinaja pesnja, S. 289. 89. AP, 23.08.1991. 90. Die Nachfolgeregelung für den Posten des KGB-Chefs war ­Gorbatschow offenbar völlig entglitten und durch Aktionismus geprägt. Am 22. August morgens erhielt zunächst der stellvertretende KGB-Chef Gruschko nach eigener Darstellung einen Anruf im Auto. G ­ orbatschow teilte ihm mit, er wolle ihn zum amtierenden KGBChef ernennen. Am gleichen Tag rief ihn Schebarschin an und teilte ihm mit, dass er, Scherbaschin, von ­Gorbatschow dazu ernannt worden sei und er davon aber nicht sehr begeistert sei. – Gruško, Sud’ba razvedčika, S. 210 – 211. Schebarschin schrieb, er sei zu ­Gorbatschow gebeten worden. Dieser habe unter anderem gefragt: „War Gruschko eingeweiht [in die Putschpläne]?“ Er habe dies nicht verneinen können. ­Gorbatschow habe daraufhin ausgerufen: „Dieser Mistkerl. Von allem habe ich ihm und Jasow am meisten vertraut.“ – Šebaršin, Ruka Moskvy, S. 263. 91. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1109. 92. dpa-Eilmeldung: Nach Treffen mit ­Gorbatschow verkündet Jelzin Kabinettsumbildung, dpa, 23.08.1991, 15 : 16 Uhr (MESZ). Vgl. auch Reuter, 23.08.1991. 93. dpa-Eilmeldung: Jelzin: UdSSR-Parlamentschef Lukjanow wird abgelöst, dpa, 23.08.1991, 14 : 47 Uhr (MESZ). 94. Vor dem Putsch war Jelzin im Jahre 1991 in zwei Staaten zu Besuch: im April in Frankreich, wo er im Europaparlament höchst unfreundlich behandelt worden war, und im Juni in den USA. Bei seinem Besuch in der Bundesrepublik am 21.11.1991 wurde er mit allen Ehren eines hohen Staatsgastes empfangen. Bei der offiziellen Begrüßung in Bonn wurde die im Herbst 1990 von Jelzin eingeführte neue russische Nationalhymne von Michail Glinka zum ersten Mal offiziell gespielt. – dpa, 21.11.1991. 95. dpa, 22.08.1991 96. Reuter, 23.08.1991, 20 : 19 Uhr. 97. Reuter, 23.08.1991, 15 : 35 Uhr. 98. Hildermeier, Geschichte der Sowjetunion, S. 1057. 99. AP, 23.08.1991. 100. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1089. 101. Gespräch mit Popow am 25.05.2011. 102. Zu Popows Verordnung vgl. Dokumentensammlung Kazarin / Jakovlev, Smert’ zagovora, S. 180.

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103. Jelzin-Erlass vom 25.08.1991, URL: http://www.lawmix.ru/pprf/93178 (Aufruf am 07.01.2014). 104. Jelzin-Erlass vom 6.11.1991, zitiert nach: dpa, 6.11.1991. Siehe auch Originaldokument unter URL: http://www.lawmix.ru/pprf.php?id=93177 (Aufruf am 07.01.2014). 105. Reuter, AP, 12.02.1991. 106. Reuter, 20.03.1991. 107. Gespräch mit Landsbergis am 13.05.2011. Vgl. auch: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-Dokumentation). 108. Gespräch James Bakers mit einem von mir beauftragten und instruierten Kamerateam und Producer in Houston / Texas am 19.05.2011. Der von Baker vorgegebene Termin kollidierte mit den mit Putschbeteiligten in Moskau vereinbarten Gesprächsterminen, die ich selbst wahrnahm. 109. Götz, Roland / Halbach, Uwe: Politisches Lexikon GUS, München 1992. Die Daten finden sich jeweils zu Beginn der jeweiligen Vorstellung eines Staates. 110. dpa, 1.12.1991. 111. Bild am Sonntag, 25.08.1991, S. 3. 112. ZDF-Sendung „Bonn Direkt“ vom 1.09.1991. 113. AFP, 27.08.1991. 114. Jelzin, Messers Schneide, S. 117. 115. Simon / Simon, Verfall und Untergang, S. 181. 116. dpa, 21.10.1991. 117. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1065 und 1102. 118. Reuter, 24.11.1991. 119. Gespräch mit G ­ orbatschow am 21.11.2011, URL: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1526036/Besser%252C-es-gaebe-die-Sowjetunion-noch#/beitrag/ video/1526036/Besser%2C-es-gaebe-die-Sowjetunion-noch (Aufruf am 01.08.2012). 120. Ebenda. 121. dpa. AP, Reuter, AFP, 14.11.1991. 122. ­Gorbatschow, Erinnerungen, S. 1110. 123. Jelzin, Messers Schneide, S. 121 – 122. 124. AP, 12.12.1991. 125. Jelzin, Messers Schneide, S. 47. 126. Krjučkov, Ličnoe delo, S. 425. 127. dpa, AP,19.08.1992. 128. Reuter, AP, 19.08.1992. Die Summe von 10.000 Rubel entsprach damals etwa 100 DM. Die Mindestrente betrug 900 Rubel. 129. Vereinzelt beantworteten einige Komitee-Mitglieder schon im Gefängnis eingereichte Fragen von Journalisten. 130. URL: http://www.levada.ru/archive/pamyatnye-daty/kak-vy-seichas-otsenivaete-sobytiya-avgusta-1991-g (Aufruf am 07.01.2014). 131. Ebenda. 132. So z. B. Zemcov, Il’ja: Krach Epochi. Moskva 1999, S. 247; Medvedev, Roj: Boris El’cin. Moskva 2011, S. 87 – 105.

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133. Telefonat mit Buldakow am 10.07.2012. 134. Putin-Ansprache im Kreml-Online-Archiv, URL: http://archive.kremlin.ru/eng/ text/speeches/2003/11/27/1829_type84779_56332.shtml (Aufruf am 07.01.2014), Hervorhebung durch I. L. 135. Anasimov, Evgenij: Istorija Rossii. Ot Rjurika do Putina. Sankt-Peterburg, 4. Aufl. 2013. – Sieben Millionen Menschen seien in der Ukraine während des „Golomodor“ Anfang der 1930er-Jahre verhungert. Anisimow macht dafür vor allem Stalin verantwortlich. (S. 427) Die Zahl derer, die in den Jahren des „Großen Terrors“ ums Leben kamen, schätzt Anisimow auf zehn Millionen. (S. 437) 136. Ebenda, S. 544. 137. Ebenda, S. 519. 138. Neef, Christian / Traub, Rainer (Bearb.): Streitgespräch. Die Moskauer Historiker Wladimir Buldakow und Michail Gorinow debattieren über die Gegenwart der Geschichte. In: Spiegel-Spezial Geschichte. Experiment Kommunismus, Nr. 4/2007, S. 138 – 143, hier S. 143. 139. So z. B. Zemcov, Krach Epochi; Frojanov, Igor’: Rossija. Pogruženie v bezdnu. Moskva 2009; Medvedev, Roj: Sovetskij Sojuz. Poslednie gody žizni. Konec sovetskoj imperii. Moskva 2009. 140. Mettke, Jörg R.: Fünf Jahre für ein ganzes Leben. In: Süddeutsche Zeitung, 21.02.2011, S. 16. 141. Schattenberg, Susanne: Das Ende der Sowjetunion in der Historiographie. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 49 – 50/2011, S. 9 – 15, hier S. 10. 142. Gespräch mit dem Historiker und Leiter des Staatsarchivs der Russischen Föderation (GARF), Sergej Mironenko, am 27.03.2012. 143. Orlov, Aleksandr u. a.: Osnovy kursa istorii Rossii – Učebnik. Moskva 2012, S. 518 – 521. 144. Ebenda, S. 520. 145. Orlov, Aleksandr u. a.: Istorija Rossii – Učebnik. Moskva 2012, S. 466. 146. Sidorov, A.: Istorija Rossii – S drevnejšich vremen do našich dnej. Učebnik. Moskva 2012, S. 370. 147. Ebenda. 148. Morjakov, V. u. a.: Osnovy kursa istorii Rossii. Učebnik. Moskva 2010, S. 431. 149. Sacharov, A. H.: Istorija Rossii. S drevnejšich vremen do našich dnej. Moskva 2012, S. 734 – 735. 150. Chodjakov, M.: Novejšaja istorija Rossii. 1914 – 2011. Moskva 2012, S. 393. 151. Mjagkov, M./Običkin, G.: Istoria Rossii. Učebnoe posobie v trech častjach. – Čast 3 v dvuch knigach. Kniga pervaja. Dvadcatyj Vek 1914 – 1991 gg. Moskva 2009, S. 572 – 575. 152. Colton, Yeltsin. A Life, S. 252. 153. AP, 20.08.1994. 154. Jubilejnye monety Banka Rossii 1991 – 1995, URL: http://ossbe.com//#community/1415/ posts/13584/ (Aufruf am 16.07.2012). 155. dpa, AFP, 17.08.1992; AP, 14.08.1992. 156. AFP, 17.08.1992.

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157. Reuter, 20.08.1992; dpa, 21.08.1992; dpa, 20.8.1993; AP, 21.08.1993; AFP, 20.8.1994; AP, 21.08.1993;AFP, 21.08.1994. 158. dpa, 21.08.1994. 159. AP, 20.8.1994. 160. Argumenty i Fakty, Nr. 34, 1996, S. 2. 161. So z. B. Argumenty i Fakty, Nr. 33, 2001, S. 2 (ganzseitig dem Thema Putsch gewidmet); Komsomol’skaja Pravda, 16.08.2001, S. 4 und 8 – 9 (jeweils ganzseitig); Trud, 18.08. 2001, S. 2 (kleinerer Artikel); Kommersant, 18.08.2001, S. 6 (ganzseitig); Izvestija, 17.08.2001, S. 3 (kleinerer Artikel). 162. Eduard Schewardnadse versuchte 1991 mäßigend auf diese Diskussion einzuwirken. Er sagte, er sei „dagegen, die […] Putschisten hinzurichten“. Er sei „kein Anhänger brutaler Lösungen“. Stuttgarter Nachrichten, 23.08.1991, zitiert nach: AFP, 23.08.1991. 163. Den Text der sogenannten Stalin-Hymne hatte Sergej Michailkow (1913 – 2009) geschrieben; er verfasste im Jahr 2000, 87-jährig, auch den Text der nun russischen Hymne. Komponiert hatte sie Alexander Aleksandrow (1883 – 1946). Jelzin kritisierte die Entscheidung Putins, die sowjetische Nationalhymne, die Stalin eingeführt hatte, für das neue Russland wieder zu übernehmen. Mit dem neuen Text erklang sie am Neujahrstag 2001 erstmals öffentlich in Russland. 164. Geworkjan (u.a.), Aus erster Hand, S. 108. 165. TV-Diskussion „Nezavisimoe rassledovanie“, ORT, 16.08.2001, URL: http://www. youtube.com/watch?v=BrI21LsCDgU (Aufruf am 07.01.2014). 166. So z. B. Interview mit Janajew, in: Kommersant‘, 18.08.2001, S. 6; Interview mit Jasow, in: Komsomol’skaja Pravda, 18.08.2001, S. 8 – 9. 167. Komsomol’skaja Pravda, 22.08.2001, S. 3; Reuter, 19.08.2001. 168. Holm, Kerstin: Eine objektive Einstellung zum roten Henker. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.09.2002, S. 3. 169. RIA Novosti, 20.09.2002. 170. Interview Solschenizyns mit dem Journalistenverband von Priwolschki. In: Nižegorodskie Novosti, 28.10. 2002, URL: http://solzhenicyn.ru/modules/pages/Privolzhskoj_lige_zhurnalistov__2002_god.html (Aufruf am 18.07.2012); URL: http://bookz. ru/authors/soljenicin-aleksandr/int_plz/1-int_plz.html (Aufruf am 20.09.2012). 171. Tichomirowa, Katja: Die Rückkehr des Monsters. Moskaus Miliz stellt ein Denkmal für den Chef der sowjetischen Geheimpolizei wieder auf. In: Berliner Zeitung, 10.11.2005, S. 1. 172. Reitschuster, Boris: Putins Demokratur. Berlin 2006, S. 47. – Über das Ende des KGB findet sich ein hilfreicher Aufsatz bei Astrid von Borcke: Vom KGB zum MBFR. Das Ende des sowjetischen Komitees für Staatssicherheit und der neue russische Sicherheitsdienst. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 21, 15.05.1992, S. 33 – 38. – Mit ungewöhnlich scharfen Worten geißelt Donald Rayfield von der University of London das Wiedererstarken der Geheimdienstler: „Die heutige Geheimpolizei FSB ist stolz auf ihren Vorläufer Tscheka. Die Mitarbeiter schüren den Kult um ihre Personen als Dserschinskis Samaurais, die nunmehr eben die russische Nation, nicht die Arbeiterklasse, vor ihren Feinden

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beschützen. […] Der russische Staat wird von einem Mann regiert, der, nach seiner Laufbahn und freier Entscheidung, ein Nachfolger Jagodas und Berijas ist. Die Zahl der politischen Gefangenen in Russland liegt mittlerweile zwar nur bei einigen Hundert, nicht Hunderttausenden, doch der FSB, die Nachfolgeorganisation von KGB und Tscheka, hat gemeinsam mit Banditen und Erpressern die Kommandozentrale der Regierung übernommen und entscheidet, wie der wirtschaftliche Reichtum verteilt wird. Er lügt seine Bürger weiterhin an […].“ Rayfield, Donald: Stalin und seine Henker. München 2004, S. 554 – 555. 173. AP, 18.08.1995. 174. Nach Angaben der Soziologieprofessorin und in Russland wohl bekanntesten Eliten­ forscherin Olga Kryschtanowskaja, Autorin des Buches „Anatomie der russischen Elite“ (Köln 2005), hatten im Jahr 2006 150 Männer mit Geheimdiensthintergrund Schlüsselpositionen in Politik und Wirtschaft inne. Zitiert nach: Reitschuster, Putins Demokratur, S. 42. In einem Interview im Juni 2012 bezifferte sie den Prozentsatz der Personen mit Geheimdiensthintergrund, die beim Präsidentenwechsel hin zu Medwedew Anfang 2008 führende Positionen im Staatsdienst inne hatten, mit 45 Prozent. – Olga Kryschtanowskaja im Interview mit Julia Taratura. In: TV-Sender Dožd’,11.06.2012, URL: http://tvrain.ru/articles/olga_kryshtanovskaya_ya_priostanovila_chlenstvo_v_edinoy_rossii_i_bud_izuchat_revolyutsiyu-293002/ (Aufruf am 20.07.2012). 175. So z. B. Nachrichtensendung des ersten russischen Programms vom 25.09.2002, URL: http://video.yandex.ru/#search?text=%D0%B2%D0%B0%D1%80%D0%B 5%D0%BD%D0%BD%D0%B8%D0%BA%D0%BE%D0%B2%20%D0%BD%D0% B5%D0%BF%D0%BE%D0%B2%D1%82%D0%BE%D1%80%D0%B8%D0%BC%D0%BE%D0%B5&where=all&id=22795134-01-12 (Aufruf am 27.06.2012). 176. Putschisten für Putin (ohne Autorenangabe). In: Der Spiegel 55 (2001), S. 119. 177. Wehner, Markus: Untergegangen und rehabilitiert. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.08.2001, S. 1 (Leitartikel). 178. Vgl. z. B. Argumenty i Fakty, Nr. 33, 2006, S. 4 (fast ganzseitig); ebenda, Nr. 34, 2011, S. 6 (fast ganzseitig); Komsomol’skaja Pravda, 16.08.2006, S. 8 – 9 (ganzseitig); ebenda, 16.08.2011, S. 10 – 11 (ganzseitig); ebenda, 18.08.2011, S. 8 – 9 (ganzseitig); ebenda, 19.08.2011, S. 3 (halbseitig), S. 13 (ganzseitig); ebenda, 20.08.2011, S. 13 – 14 (ganzseitig); Wochenausgabe der Komsomol’skaja Pravda, 18.–25.08.2011, S. 8 – 9 (ganzseitig); Izvestija, 18.08.2006, S. 9 (ganzseitig); ebenda, 21.08.2006, S. 6 (halbseitig); Novye Izvestija, 18.08.2006, S. 4 – 5. 179. Interview mit Poltoranin: „GKČP – veličajšaja provokacija Gorbačeva!“. In: Wochenausgabe der Komsomol’skaja Pravda, 18.–25.08.2011, S. 8 – 9. ­Gorbatschow wird darin als der Regisseur der Ereignisse dargestellt, dessen Telefonverbindungen gar nicht abgeschaltet gewesen seien. Jelzin wird als ein im Keller des „Weißen Hauses“ abwartender Politiker beschrieben, der dort ein Gelage veranstaltete, während draußen die Demonstranten das Gebäude schützten. 1991 gehörte Poltoranin auf der Datscha Jelzins zum engen Kreis des russischen Präsidenten, der den Widerstand gegen die sowjetischen Systembewahrer organisierte. 2010 veröffentlichte Poltoranin ein Buch,

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das sich auch mit dem August 1991 befasst. Damit potenziert er die Verbreitung unseriöser Darstellungen über die Ereignisse. 180. Mochov, Aleksandr: „Tri dnja avguste“, URL: http://www.youtube.com/watch?v=liiWFUnPkRQ&feature=related (Aufruf am 07.01.2014). 181. Wörtlich sagte Gryzlov: „Das ­GKTSCHP war zum Scheitern verurteilt. Es war unmöglich, die Fehler, diesich über Jahre […] angehäuft hatten, augenblicklich zu lösen. Die Ereignisse vom August 1991 bildeten einen der finalen Schlussakte in dem Drama, die zum Zerfall der Sowjetunion führten. Im Ergebnis haben zig Millionen Menschen gelitten. Die wirtschaftlichen Verbindungen wurden durchtrennt, die Sozialpolitik brachzusammen, neue Gefahren für die nationale Sicherheit entstanden. All diese Probleme sind noch heute, selbst zwanzig Jahre danach, in den Staaten des postsowjetischen Raums spürbar. […] Die Geschichte hat gezeigt, dass wir gemeinsam stärker sind.“ – RIA Novosti, 19.08.2011; dpa, 19.08.2011. 182. Ljubow Komar, Mutter von Dmitri Komar, beklagt auch im Namen der noch lebenden Elternteile der beiden anderen Opfer (verstorben sind inzwischen ihr Mann Alexej Komar, Inessa Kritschewskaja und Alexander Usow), dass Jelzin die Grabstätte auf dem Friedhof Wagankowskoje unweit des Weißen Hauses niemals besucht habe, obwohl er nach dem Scheitern des Putsches öffentliche Reden gehalten habe, man werde die drei Opfer in hohen Ehren halten. ­Gorbatschow dagegen sei dort gewesen und habe den Angehörigen auf dem Manege-Platz am 24.08.1991 auch persönlich kondoliert. Bemerkenswert ist auch folgende Information: Das Überreichen der Medaillen und Urkunden an die Eltern über die posthumen Auszeichnungen der Söhne als Helden der Sowjetunion hatte das Präsidialamt G ­ orbatschows schlicht vergessen, was Ljubow Komar auf die Turbulenzen in den letzten Monaten der Existenz der UdSSR zurückführt. Die Eltern der Opfer hatten nach dem August 1991 mehrere Einladungen aus dem Ausland bekommen, die über das sowjetische Außenministerium an sie herangetragen wurden. Nach der ersten Reise lehnten die Eltern weitere Ehrungen im Ausland solange ab, bis nicht die Ehrung im eigenen Land vollzogen wäre. Inzwischen war es schon Januar 1992 und die Sowjetunion existierte nicht mehr. Es gab folglich auch keine Funktionsträger des untergegangenen Staates. Jelzin wollte offensichtlich keine sowjetische Medaillen und Urkunden, zu denen vorschriftgemäß jeweils ein Lenin-Orden gehörte, überreichen. So kam es, dass die Eltern die posthume Auszeichnung für ihre Söhne vom russischen Vizepräsidenten Ruzkoj und erst am 28.02.1992, d. h. ein halbes Jahr nach dem Tod ihrer Söhne, ausgehändigt bekamen. Im Mai 1992 wurden die Eltern persönlich in den USA ausgezeichnet, waren Gäste u. a. im Kapitol und wurden u. a. vom damaligen US-Generalstabchef Colin L. Powell empfangen. – Gespräch mit Ljubow Komar am 15.04.2012. 183. dpa, 22.8.1991. In der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku wurde der zentrale Lenin-Platz fünf Tage später in „Platz der Freiheit“ umbenannt und beschlossen, die Lenin-Statue zu entfernen. – AFP, 27.08.2012.

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184. Bobrov, Maksim: V Moskve otkryli pamjatnik Petru Stolypinu (TV-Nachrichtenbeitrag des Ersten Programms Russlands vom 27.12.2012.) URL: http://www.1tv.ru/ news/social/223018 (Aufruf am 07.01.2014). 185. Boudraux, Richard: As New Russia Turns 20, Martyrs Are Forgotten. In: The Wall Street Journal, 18.08.2011, Titelseite und S. A10. Das Foto auf Seite 1 zeigt die trauernde Ljubow Komar, die 20 Jahre später ein Bild ihres getöteten Sohnes Dmitri in den Händen hält. 186. Hierzu bat ich sieben Osteuropahistoriker, deren Forschungsgegenstand auch die ­Gorbatschow-Ära war oder ist, um Antworten auf meine Fragen, die ich per EMail geschickt hatte. Ich erhielt fünf Auskünfte (vier per E-Mail, eine telefonische), im Einzelnen von: Helmut Altrichter, Heinz Brahm, Manfred Hildermeier, Leonid Luks und Gerhard Simon. Die Antworten erfolgten im Mai 2012; sie werden im laufenden Text nicht jedes Mal einzeln mit einer Fußnote versehen. 187. Diese Frage haben von den fünf Historikern nur drei beantwortet. 188. Die Materialien, die bei den Durchsuchungen im KGB, wo der Putsch geplant wurde, sichergestellt wurden, hat die Staatsanwaltschaft ausgewertet. Da ein Mitwissen oder gar eine Beteiligung ­Gorbatschows am Putsch ausgeschlossen ist – und dies stützt sich nicht nur auf die staatsanwaltlichen Ermittlungsergebnisse, sondern auch auf die logische Inkompatibilität des Geschehenen mit einer angeblichen Komplizenschaft, kann es keine Putsch-Materialien geben, die sich im Präsidentenarchiv befinden oder von Foros dorthin oder in das G ­ orbatschow-Archiv gebracht wurden. Jelzin ließ sehr rasch nach seinem Einzug in den Kreml das Stawropoler Parteiarchiv sichern, um an mögliche G ­ orbatschow belastende Dokumente in dessen Zeit als Gebietsparteichef zu gelangen. Er hätte daher den kleinsten Hinweis im Präsidentenarchiv auf ­Gorbatschows angebliche Mitwisserschaft oder Putsch-Beteiligung politisch instrumentalisiert. ­Gorbatschow war in Foros, um nur ein Beispiel zu nennen, mit dem Verfassen von Forderungen an das ­GKTSCHP befasst, die er seinem Mitarbeiter Tschernajew diktierte (Wiederherstellung der Kommunikation, Bereitstellung eines Flugzeugs nach Moskau u. a.) und die dieser dem von den Putschisten eingesetzten Chef der Wache in Foros, Generalow, überbrachte. 189. Sie schreibt, ­Gorbatschow sei „für viele Demokraten […] der Neunte“ gewesen, impliziert somit eine Komplizenschaft mit den acht offiziellen ­GKTSCHP-Mitgliedern, was historisch haltlos ist. Auf welche Demokraten sie sich beruft, bleibt völlig unklar. Huber stellt G ­ orbatschow fast als Angeklagten dar, indem sie schreibt, er habe sich „geschickt“ verteidigt „gegen den Verdacht der stillen Teilhaberschaft an dem Komplott, der sich aber nicht so einfach ausräumen ließ.“ Sie fährt fort mit wissenschaftlich fragwürdigem Erkenntniswert: „Die Analyse seines Charakters verstärkt zumindest den Verdacht, der Präsident habe – im Übrigen bereits durch seinen Urlaubsantritt zur ‚Unzeit‘ – das Heft aus der Hand gegeben, in der stillen Hoffnung, dadurch Aktionen zu provozieren, die ihm dann einen Ausweg aus der Sackgasse seiner Politik hätte eröffnen können.“ – Huber, 11. März 1985, S. 252. 190. Janajew wurde von Krjutschkow am 18. August für den Abend in den Kreml gebeten, um an der Sitzung teilzunehmen, auf der das ­GKTSCHP gegründet wurde. Er

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befand sich zu Besuch bei einem Freund. Sein Fahrer wartete im Wagen und nahm über das Autotelefon Anrufe entgegen. Die übertriebene und fiktive Version Hubers, basierend auf Keworkow, lautet: „Janajew nahm jedes Mal einen kräftigen Schluck aus seinem Glas, stand auf, ging zum Wagen und hörte sich die Ermahnungen der im Kreml versammelten Kollegen an. Dann kehrte er an den Tisch zurück und setzte seelenruhig das Gelage fort. Irgendwann wurden ihm die Anrufe zu lästig und er reagierte gar nicht mehr darauf.“ – Huber, 11. März 1985, S. 229. – Zunächst werden hier die Abläufe durcheinandergebracht. Es war Sonntagnachmittag; im Kreml saßen keine Kollegen, die Janajew hätten ermahnen können, weil die Sitzung erst am Abend um 20 : 00 Uhr begann. Krjutschkow saß zum Zeitpunkt der Suche nach Janajew im KGB. Janajew ist auch kein einziges Mal zum Wagen und wieder zurück in die Wohnung des Freundes gegangen. Die Ausschmückungen „kräftiger Schluck“ und „Gelage“ wurden ebenfalls von keinem einzigen Zeugen oder keiner einzigen Zeugin vorgebracht. Sie bedienen aber wieder das Klischee über den Vizepräsidenten als angeblichen Trunkenbold. Janajew brachte auf der Abendsitzung im Kreml als Einziger sehr klug vor, dass eine Begründung der Macht­über­nahme mit dem angeblich schlechten Gesundheitszustand sehr unglücklich wäre, und wollte sie als Einziger verhindern. Die Janajew-Episode ist nur eines von vielen Beispielen, bei denen die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion verschwimmen und für den Rezipienten nicht erkennbar sein können, ebenso wenig wie sie es offensichtlich für die Verfasserin selbst waren. 191. Huber, 11. März 1985, S. 258. 192. Ebenda, S. 229. 193. Ihre allgemeinen Memoiren oder ihre Version zum Putsch veröffentlichten in Buchform: ­Gorbatschow (1991 und 1995), Pavlov (1993), Lebed’ (1993), Černjaev (1993), Šapošnikov (1993), Jelzin (1994), Šenin (1994), Medvedev (1994), Boldin (1994), Gruško (1997), Jazov (1999), Varennikov (2002), Krjučkov (2003), Kravčenko (2005), Chasbulatov (2009), Janaev (2010), Luk’janov (2010), Ačalov (2010), Prokof ’ev (2011), Poltoranin (2012).

zu Kapitel 8 (S. 377 – 398) 1. 2. 3.

Jelzin, Messers Schneide, S. 81. Zitiert nach: Lozo, Ende einer Supermacht (TV-Dokumentation). ­Gorbatschow sagte dies anlässlich der Eröffnung der KSZE-Konferenz in Moskau am 10.09.1991. Vgl. Reuter, 10.09.1991. 4. TASS, 03.12.1991, zitiert nach: Reuter, 03.12.1991. 5. dpa, Reuter, 10.07.1991. 6. Krjučkov, Ličnoe delo, S. 451. 7. Interview mit G ­ orbatschow am 21.11.2011, veröffentlicht am 21.12.2011 im ZDF, URL: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1526036/Besser,-es-gaebe-die-Sowjetunion-noch#/beitrag/video/1526036/Besser%2C-es-gaebe-die-Sowjetunion-noch (Aufruf am 24.09.2012).

zum Quellenüberblick

8.

Beitrag von Roškov, Evgenij vom 2.03.2011 in der Nachrichtensendung „Vremja“ des russischen Fernsehens: Medvedev nagradil Michaila Gorbačeva Ordenom im. Cv. Apostola Andreja Pervozvannogo, URL: http://video.yandex.ru/#!/search?filmId=IZpMTOf58gE&where=all&text=medvedev gorbachev 2.marta 2011 (Aufruf am 07.01.2014); siehe auch: dpa, AFP, AP, 02.03.2011. 9. Ebenda.

zum Quellenüberblick (S. 401 – 414) 1.

2. 3.

4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.

Baklanov, Kosmos. Band 1 hat 672, Band 2 hat 864 Seiten. Die gesamte Auflage hat Baklanow bzw. der Sponsor selbst aufgekauft. Sponsor ist das Unternehmen Expocentr. Dessen Leiter von 2002 bis 2012, Wladislaw Malkewitsch, war von 1983 bis 1988 sowjetischer Außenhandelsminister und somit auch ein Kollege Baklanows, der von 1983 bis 1988 sowjetischer Minister für Raumfahrtindustrie war. Es handelt sich gestalterisch und drucktechnisch um ein hochwertiges Werk mit sehr vielen Farbfotos. Die Memoiren Baklanows haben zwar eine ISBN-Nummer (975 – 5 – 902484 – 48 – 6), doch sind sie bisher nicht veröffentlicht. Im Dezember 2012 gab Baklanow nach einigem Zögern schließlich sein Einverständnis, dass ich mir ein Exemplar der Memoiren beim Verlag in Moskau abholen dürfe. Die Buchexemplare werden überwiegend an Kollegen und Weggefährten aus der Rüstungs- und Raumfahrtbranche verschenkt. Baklanow erwähnt Malkewitsch in der seinen Memoiren vorangestellten Danksagung. Telefonat mit Beskow am 12.04.2012. Ačalov, Mera vozdejstvija. Das Buch widmet sich vor allem den beiden dramatischen Ereignissen der neueren russischen Geschichte, in denen er jeweils ein wichtiger Akteur war: dem August 1991 und dem gewaltsamen Konflikt zwischen Präsident Jelzin und dem Obersten Sowjet Russlands im Herbst 1993, als das sogenannte Weiße Haus in Moskau auf Befehl Jelzins in Brand geschossen wurde. Atschalow war vom kurzzeitigen russischen Gegenpräsidenten Ruzkoj als Verteidigungsminister Russlands vorgesehen. Gorbačev, Naedine s soboj. Urušadze, Vybrannye mesta. Pichoja, Rudol’f / Sokolov, Andrej: Istorija sovremennoj Rossii. Krizis kommunističeskoj vlasti v SSR i roždenie novoj Rossii. Konec 1970-x – 1991gg. Moskva 2008. Medvedev, Sovetskij Sojuz. Dunlop, Rise of Russia. Hough, Democratization and Revolution. Brown, Seven Years. Malia, Vollstreckter Wahn. Huber, 11. März 1985. Haumann, Heiko: Geschichte Russlands. Zürich 2003. Bei diesem Teil des Parteiarchivs handelte es sich um den brisanten „sechsten Sektor“. In ihm befanden sich die persönlichen Archive von Stalin, Molotow, Mikojan, Kaganowitsch, Trotzki, Sinowjew, Rykow, Dokumente von Parteitagen, Konferenzen

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472 Anmerkungen

15. 16. 17. 18. 19.

20.

21. 22. 23.

und Parteiplenen. Außerdem wurden dort streng geheime Sonderakten aufbewahrt („supersekretnejšie osobye papki“). – Urušadze, Vybrannye mesta, S. 8. Der Historiker Uruschadze war Mitglied der Putsch-Untersuchungskommission des russischen Obersten Sowjets. Pichoja gehört zu den wenigen russischen Historikern, die den Untergang der Sowjetunion behandelt haben.Vgl. dazu: Pichoja /Sokolov, Istorija sovremennoj Rossii. Wehner, Markus: Archivreform bei leeren Kassen. In: Osteuropa (44), 1994, H. 2, S. 105 – 123, hier S. 114. Urušadze, Vybrannye mesta, S. 9. Reuter, 29.08.1991. Kobez wurde noch während des Putsches von Jelzin zum ersten Verteidigungsminister der RSFSR ernannt. Zu diesem Zeitpunkt verfügte Russland aber über keine Armee. General Kobez war im Weißen Haus in Moskau von Jelzin mit der militärischen Organisation des Widerstandes betraut worden. Das Amt des russischen Verteidigungsministers wurde allerdings im September 1991 wieder abgeschafft. AP, 27.12.1991. Der Moskau-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung schrieb rund ein Jahr nach dem Putsch: „Der Untersuchungsbericht ist nicht aufzutreiben. Nachforschungen […] verlaufen im Sand; selbst Nikolai Kusnezow, Mitglied der ständigen Kommission für Sicherheit und Verteidigung [im russischen Parlament] muss passen.“ Vgl. Schmidt, Ulrich: Der Staat im Staat. Das KGB bleibt unkontrollierbar, in: NZZ Folio, 11/1992. Aus Dokumenten der Untersuchungskommission des Obersten Sowjets der UdSSR zitiert allerdings Evgenija Albats in ihrem Buch „The State within the State. The KGB and its Hold on Russia – Past, Present and Future“ (1994). Albats war Mitglied der Kommission, die die Verwicklung des KGB in den Putsch untersuchte. Möglicherweise hatte sie dadurch Zugang zu den Dokumenten der sowjetischen parlamentarischen Kommission, die ihre Arbeit abbrach. Albats zitiert aus den Dokumenten dieser Kommission; dies bietet aber keine Erkenntnisse über das hinaus, was die staatsanwaltlichen Ermittlungen ohnehin schon ans Tageslicht brachten. Nikitin, Pavel: Ne mešajte čestno ispolnjat’ dolg. In: Ogonek, Nr. 37/1991, S. 6. Gespräch mit Chasbulatow am 04.04.2012. Stepaschin sagte laut Stenogramm der Sitzung des Obersten Sowjets Russlands vom 04.02.1992, zu der er geladen war und auf der die Untersuchungskommission des Obersten Sowjets Russlands Ergebnisse ihrer Arbeit vortrug, Folgendes: „Es ist im Prinzip zutreffend, dass die Ergebnisse unserer Kommission [welche die KGB-­ Aktivitäten untersuchte] nicht veröffentlicht wurden und, um genauer zu sein, der Allgemeinheit nicht übergeben wurden. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit, weil auf der Basis unserer Ergebnisse ein umfassender Bericht für den ehemaligen UdSSR-Präsidenten ­Gorbatschow erstellt wurde. […] Außerdem wurde unser Abschlussbericht an alle Führer der Sowjetrepubliken und jetzigen Staaten der GUS verschickt. Und weil ich zusätzlich noch Mitglied der parlamentarischen Untersuchungskommission unter Vorsitz des verehrten Kollegen Ponomarjow war, habe ich die Ergebnisse unserer Kommission der Parlamentskommission zur Verfügung gestellt.“ Stenogramma zasedanija Komissii po rassledovaniju pričin i obstojatel’stv

zum Quellenüberblick

gosudarstvennogo perevorota na temu: „O roli repressivnych organov v gosudarst-

vennom perevorote 19 – 21 avgusta 1991 g.“ 04.02.1992. Archiv-Nr. 154, S6733, S. 3.

Die Unterlagen der Parlamentskommission befinden sich in der Gajdar-Stiftung in Moskau. Den Hinweis auf den Archivort verdanke ich Lew Ponomarjow.

24. AP, 13.11.1991.

25. Stenogramma zasedanija Komissii po rassledovaniju pričin i obstojatel’stv gosudarstvennogo perevorota na temu: „Učastie rukovodjaščego sostava Vooružennych Sil v

gosudarstvennom perevorote 19 – 21 avgusta 1991 goda“. 18.02.1992, Archiv-Nr. S6734,

154, S. 3 – 4.

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13 DOKUMENTE

476 Dokument 1

Dokument 1  Erste Seite des Unionsvertrages. Quelle: Gorbačev-Fond (Hrsg.): Sojuz možno bylo sochranit’. Moskva 2007, S. 256.

Dokument 2

Dokument 2  Erste Seite (von fünf) eines Schreibens vom 8. Januar 1991 des ZKSekretärs für Verteidigungsfragen Oleg Baklanow, in welchem er vor weiteren Einschnitten im Rüstungssektor warnt. Quelle: Russisches Staatsarchiv für Neueste Geschichte (RGANI). Archiv-Nr. F. 89, OP 22., D.2, LL 1-5.

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478 Dokument 3

УКАЗ   ПРЕЗИДЕНТА РОССИЙСКОЙ СОВЕТСКОЙ ФЕДЕРАТИВНОЙ СОЦИАЛИСТИЧЕСКОЙ РЕСПУБЛИКИ О прекращении деятельности организационных структур политических партий и массовых общественных движений в государственных органах, учреждениях и организациях РСФСР   от 20 июля 1991 г. № 14   В целях обеспечения установленного Конституцией РСФСР равенства прав политических партий и массовых общественных движений в выработке политики государства и в управлении государственными делами, предотвращения вмешательства общественных объединений в деятельность государственных органов и влияния межпартийной борьбы на функционирование государственного аппарата постановляю: 1. Не допускается создание новых и деятельность существующих первичных организаций, комитетов и других организационных структур политических партий и массовых общественных движений в органах государственного управления РСФСР, республик в составе РСФСР, в исполнительных органах Советов народных депутатов всех уровней, в государственных учреждениях, организациях, концернах, на предприятиях, расположенных на территории РСФСР, независимо от их подчиненности. Деятельность организационных структур профессиональных союзов осуществляется по соглашению между администрацией государственных учреждений, организаций, предприятий и трудовым коллективом.   2. Участие или неучастие граждан в деятельности политических партий и массовых общественных движений не может служить основанием для ограничения их прав, включая право на занятие какой-либо должности, если иное не установлено законодательством РСФСР. Лица, состоящие на государственной службе, в своей служебной деятельности руководствуются требованиями законодательства РСФСР и не связаны решениями политических партий и массовых общественных движений. Государственные служащие вправе участвовать в деятельности политических партий и массовых общественных движений в нерабочее время и за пределами государственных органов, учреждений, организаций и предприятий. Совету Министров РСФСР, Советам Министров республик в составе РСФСР, исполнительным органам Советов народных депутатов РСФСР принять все необходимые меры по трудоустройству лиц, высвобождаемых в ходе реализации настоящего Указа.  

Dokument 3

3. Совету Министров РСФСР, Советам Министров республик в составе РСФСР, исполнительным органам Советов народных депутатов до 1 октября 1991 г. пересмотреть нормативные акты, принятые совместно с органами политических партий и массовых общественных движений. Совету Министров РСФСР в тот же срок решить вопрос о приостановлении на территории РСФСР действия совместных актов ЦК КПСС и Совета Министров СССР.   4. Запрещается указание, а равно требование на указание в официальных документах, представляемых в государственных органы, учреждения и организации, членства в политической партии и массовом общественном движении.   5. Совету Министров РСФСР, Советам Министров республик в составе РСФСР, исполнительным органам Советов народных депутатов обеспечить контроль за исполнением настоящего Указа.   6. Рекомендовать Верховному Совету РСФСР рассмотреть вопрос о внесении в Верховный Совет СССР в соответствии со статьей 109 Конституции РСФСР в порядке законодательной инициативы проекта Закона СССР о запрещении функционирования организационных структур политических партий и массовых общественных движений в Верховном суде СССР, Комитете конституционного надзора СССР, Прокуратуре СССР, а также Вооруженных Силах СССР, в органах и частях Комитета государственной безопасности СССР и Министерства внутренних дел СССР.   7. Настоящий Указ вступает в силу через четырнадцать дней после его опубликования.   Президент РСФСР        Б. Ельцин

Dokument 3  Erlass von Boris Jelzin vom 20.07.1991 zum Verbot der Parteiarbeit in Betrieben und öffentlichen Einrichtungen auf dem Territorium Russlands. Quelle: Forschungszentrum Strategija in Moskau, URL: http://hpc strategy.ru/ukazy_i_ prezidenta/19910720_ukaz_prezidenta_rsfsr_14_o_departizacii/ (Aufruf am 30.07.2012).

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480 Dokument 4

Dokument 4

Dokument 4  Protokoll der Sitzung des ZK-Sekretariats der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) vom 13. August 1991 zur Frage des Jelzin-Erlasses. Sitzungsvorsitzender war Oleg Schenin. In dem damals als streng geheim deklarierten Schreiben kommt die Absicht zum Ausdruck, sich dem Jelzin-Erlass nicht zu beugen und die Entscheidung des Komitees zur Verfassungsaufsicht der Sowjetunion abzuwarten. Das festgeschriebene Machtmonopol der KPdSU war allerdings schon 1990 aus der sowjetischen Verfassung gestrichen worden (Deckblatt mit Angabe der Sitzungsteilnehmer und erste von drei Protokollseiten; ohne dreiseitigen Anhang). Quelle: Russisches Staatsarchiv für Neueste Geschichte (RGANI). Archiv-Nr. F 89/OP 23/D 8/L 1-7.

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482 Dokument 5

Dokument 5  Schreiben des Vorsitzenden des Obersten Sowjets der Sowjetunion Lukjanow zum Antrag Boris Jelzins auf Reiserlaubnis im April 1990.   (Nicht einmal 18 Monate vor seinem Erlass zum Verbot der Parteiorganisationen in den Betrieben waren die Machtverhältnisse noch so, dass Boris Jelzin – damals noch sowjetischer Volksdeputierter – ohne die Erlaubnis des ZK der KPdSU nicht ins Ausland reisen durfte. – Anmerkung des Verfassers).   Übersetzung des damals als geheim deklarierten Schreibens Lukjanows an das ZK der KPdSU: Über die Einladung des Volksdeputierten der UdSSR B.N. Jelzin nach Großbritannien, Italien und Spanien.   Der Volksdeputierte der UdSSR B.N. Jelzin ist – wie bekannt – im März dieses Jahres in einige westliche Länder gereist, wo er an Buchpräsentationen seiner Autobiographie teilnahm. Nun hat er aus gleichem Grund das Gesuch gestellt, nach Großbritannien und Italien reisen zu dürfen. Er hat auch eine Einladung aus Spanien bekommen, an einer internationalen Konferenz teilzunehmen, die von der Organisation „Europa ohne Grenzen“ veranstaltet wird. Die o.g. Veranstaltungen finden vom 26. April bis zum 6. Mai dieses Jahres statt. Die Reisekosten werden von den einladenden Stellen getragen.   In diesem Zusammenhang hat der Volksdeputierte V.N. Jaroschenko im Auftrag von B.N. Jelzin die Bitte geäußert, die entsprechenden Ausreisedokumente zu erstellen.   Dazu sollte eine Entscheidung getroffen werden. Ich bitte um Befassung mit dieser Frage.   16./17. April 1990 A. Lukjanow Ausgangsnummer 298c-AL   Quelle: Russisches Staatsarchiv für Neueste Geschichte (RGANI). F 89/OP 30/D 33/LL 1.

Dokument 6

Dokument 6  Erklärung der Putschisten an die Bürger der Sowjetunion. Die Überschrift lautet: „Erklärung der sowjetischen Führung“. Es wird mitgeteilt, dass Gorbatschow erkrankt sei, seine Amtsgeschäfte auf Vizepräsident Janajew übergegangen seien, der Ausnahmezustand in einigen Orten der UdSSR eingeführt und ein Staatskomitee für den Ausnahmezustand gebildet werde. Verantwortlich zeichneten Gennadi Janajew, Valentin Pawlow und Oleg Baklanow. Quelle: Burbulis, Gennadij: 20 let Belovežskomu konsensusu. 1991 – 2011. Moskva 2011, S. 38. (unveröffentlichte Dokumentensammlung zum 20. Jahrestag des Endes der Sowjetunion).

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Dokument 7

Dokument 7  Erklärung von Anatoli Lukjanow, Vorsitzender des Obersten Sowjets der Sowjetunion, zum Unionsvertrag. Dieser könne in der vorliegenden Form nicht unterschrieben werden, schreibt Lukjanow überraschend (veröffentlicht am 19. August 1991). Quelle: Kazarin, Ju./Jakovlev, B. (Bearb.): Smert’ zagovora. Belaja Kniga. Moskva 1992, S. 5 – 7.

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Dokument 8

Dokument 8  Handschriftliche Version des am Morgen des 19. August 1991 in Boris Jelzins Datscha in Archangelskoje verfassten Aufrufs „An die Bürger Russlands“. Quelle: Chasbulatov, Ruslan: IV Respublika. Ot nedogosudarstva El’cina k gosudarstvu Putina. 7 Bde., Bd. 2, Moskva 2009, S. 130–132 (Handschrift R. Ch.).

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Dokument 9

Dokument 9  „An die Bürger Russlands“ (Druckversion des handschriftlichen Chasbulatow-Textes). Quelle: Kazarin, Ju./Jakovlev, B. (Bearb.): Smert’ zagovora. Belaja Kniga. Moskva 1992, S. 40 – 41.

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Dokument 10  Orientierungskarte Moskaus zum Putsch 1991. Ursprünglicher Entwurf: Ruth und Harald Bukor nach einer Vorlage von Josef M. Keller Vorliegender Entwurf: I. Lozo Grafische Umsetzung: Stefanie Lozo

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Dokument 11

Dokument 11  Urkunde „Held der Sowjetunion“ für Dmitri Komar. Diese Ehrung wurde den drei Putschopfern, die in der Nacht zum 21. August ums Leben kamen, vom sowjetischen Präsidenten Gorbatschow posthum verliehen. In der Begründung heißt es: „Für die Tapferkeit und die Zivilcourage bei der Verteidigung der Demokratie und der Verfassungsordnung der UdSSR“. Die Angehörigen erhielten die Urkunden, die am Beerdigungstag der Opfer (24. August 1991) ausgestellt wurden, allerdings erst nach dem Ende der Sowjetunion. Anfang 1992 wurden sie ihnen vom Vizepräsident Russlands Ruzkoj übergeben. Im ums politische Überleben kämpfenden Präsidentenapparat Gorbatschows hatte man die Aushändigung der Auszeichnungen schlicht vergessen. Der Verfasser erhielt die Kopie der Urkunde von der Mutter des Opfers Ljubow Komar nach einem Interview mit ihr am 15. April 2012 in Moskau.

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492 Dokument 12

Dokument 12  Aktendeckel des dritten Bandes der Anklageschrift. Quelle: ehemaliges Exemplar eines der zwölf Angeklagten; nun im Privatarchiv von I. L.

Dokument 13

Dokument 13  Schreiben von Michail Gorbatschow an den Verfasser (Anhang einer E-Mail vom 24. Juli 2012). Darin beantwortet er drei Fragen, die sich nach Sichtung von neuen Quellen und nach Abschluss der Interviews gestellt haben.

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494 Dokument 14

Umfrageergebnisse des Lewada-Zentrums 1.600 russische Bürger nahmen an den jeweiligen repräsentativen Umfragen zwischen 1994 und 2011 durch das russische Meinungsforschungsinstitut Lewada-Zentrum teil. Den Ergebnissen (Prozentangaben) liegen Befragungen in 130 Orten aus 45 Regionen Russlands zugrunde. Durchgeführt wurden sie sowohl in Städten als auch auf dem Land. Frage: Zum Jahrestag des „Putsches“: Wie bewerten Sie diese Ereignisse? 1994

1998

2004

2008

2011

Ein tragisches Ereignis, das unheilvolle Folgen für Volk und Land hatte

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31

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39

Es handelte sich lediglich um einen Machtkampf der Führungseliten

53

46

42

41

35

7

8

11

11

10

13

15

11

14

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Eine siegreiche demokratische Revolution mit der Entmachtung der KPdSU Keine Meinung

Frage: Sind Sie der Meinung, dass sich das Land nach diesem Ereignis in die richtige oder in die falsche Richtung entwickelt hat? 2003

2006

2008

2011

In die richtige Richtung

30

30

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27

In die falsche Richtung

47

44

40

49

Keine Meinung

23

26

27

24

Frage: Mit welcher der folgenden Einschätzungen der Handlungen Boris Jelzins während des Putsches sind Sie am ehesten einverstanden? 2001 2011 Er hat die Wirren für seine Machtübernahme des Landes ausgenutzt

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Er hat nichts Besonderes unternommen; die Macht fiel ihm von selbst zu

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Er hat sich mutig gegen das GKTSCHP gestellt

13

11

Eigene, andere Antworten Keine Meinung

1

1

21

19

Frage: Mit welcher der folgenden Einschätzungen der Handlungen Michail Gorbatschows während des Putsches sind Sie am ehesten einverstanden? Er war konfus und ratlos, ließ die Macht entgleiten

2001

2011

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43

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Dokument 14

2001

2011

23

20

Er war Komplize des GKTSCHP

9

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Eigene, andere Antworten

1

2

26

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2001

2011

Er konnte nichts tun, weil er eine Geisel in Foros war

Keine Meinung

Frage: Beim wem lagen Ihre Sympathien im August 1991? Beim GKTSCHP

14

9

Bei den GKTSCHP-Gegnern

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16

Es war nicht möglich, die Situation zu erfassen und sich ein Bild zu machen

31

33



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26

16

Ich war noch zu klein, um zu verstehen, was passierte Keine Meinung

Frage: Wie sahen Ihre Erwartungen unmittelbar nach dem Putsch Ende August/September 1991 bezüglich der Zukunft des Landes aus? 2011 Sehr optimistisch

8

Eher optimistisch

34

Eher pessimistisch

19

Sehr pessimistisch Keine Meinung

6 34

Frage: Haben sich Ihre Erwartungen bezüglich der Zukunft des Landes erfüllt, die Sie unmittelbar nach dem Putsch Ende August/September 1991 hatten? 2011 Eindeutig ja

4

Eher ja

19

Eher nein

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Eindeutig nein

15

Keine Meinung

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Dokument 14 Quelle: Lewada-Zentrum. Analytisches Zentrum Juri Lewadas, URL: http://levada.ru/press/2011081601.html (Aufruf am 06.07.2012); URL: http://levada.ru/ press/2011082900.html (Aufruf am 06.07.2012).

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14 PERSONENREGISTER Folgende Personen wurden aufgrund der besonders großen Zahl ihrer Nennungen im Text nicht in das Register aufgenommen: Atschalow, Wladislaw (stellvertretender Verteidigungsminister der Sowjetunion) | Baklanow, Oleg (Chef der sowjetischen Rüstungsindustrie) | Gorbatschow, Michail (Generalssekretär der KPdSU und Präsident der Sowjetunion) | Janajew, Gennadi (Vize­präsident der Sowjetunion) | Jasow, Dmitri (Verteidigunsminister der Sowjetunion) | Jelzin, Boris (Präsident Russlands) | Krjutschkow, Wladimir (Chef des sow­jetischen Geheimdienstes KGB) | Lukjanow, Anatoli (Vorsitzender der Obersten Sowjets der Sowjetunion) | Pawlow, Valentin (Ministerpräsident der Sowjetunion) | Schenin, Oleg (Organisationschef der KPdSU) | Warennikow, Valentin (Befehlshaber der sow­jetischen Bodentruppen)

A Achromejew, Sergej 233, 241, 321, 459 Afanasjew, Juri 47, 73 Agejew, Geni 169, 191, 235, 236, 238, 255, 257, 260, 321, 341, 459 Akajew, Askar 301 Albats, Ewgenija 262, 472 al-Gaddafi, Muammar 312 Altrichter, Helmut 253, 372, 373, 374, 469 Andropow, Juri 27, 422 Arkuscha, Juri 144 B Babitschew, Wladimir 290 Babkin, Leonid 89 Bakatin, Wadim 19, 45, 105, 106, 114, 124, 150, 180, 239, 270, 346, 404, 407, 409 Baker, James 21, 42, 315, 350, 458, 464 Barannikow, Viktor 346 Beda, Anatoli 147 Beljakow, Oleg 233, 241 Beloserzew, Sergej 38 Berija, Lawrenti 202, 366, 467 Beschloss, Michael 304 Beskow, Boris 20, 208, 234, 236, 261, 401 Bessmertnych, Alexander 20, 42, 43, 44, 70, 174, 175, 177, 189, 190, 219, 424 Bischan, Iwan 233

Blech, Klaus 20, 315 Blochin, Juri 20, 69, 241, 244, 429 Bojko, Iwan 281 Boldin, Valeri 100, 103, 104, 106, 110, 111, 135, 136, 139, 143, 144, 145, 159, 164, 170, 172, 174, 178, 187, 188, 219, 229, 233, 321, 328, 340, 346, 461, 470 Bonnell, Victoria E. 315 Bonner, Jelena 73, 363 Brahm, Heinz 29, 372, 469 Breschnew, Leonid 27, 39, 56, 167, 422 Brown, Archie 110, 153, 163, 403, 438 Brumberg, Abraham 318 Buldakow, Wladimir 356 Bulytschow, Nikolai 250 Burbulis, Gennadi 19, 54, 104, 210, 212, 218, 281, 284, 352, 432 Bush, George sen. 36, 42, 43, 44, 58, 81, 82, 83, 303, 304, 305, 306, 307, 311, 351, 394, 458 Butin, Wladimir 233 C Chasbulatow, Ruslan 19, 196, 209, 210, 211, 212, 216, 217, 218, 240, 269, 283, 329, 340, 363, 365, 395, 408, 423, 444, 445, 451, 470 Cheney, Richard 39 Chodjakow, M.V. 361 Colton, Timothy J. 110, 362

498 Personenregister

D Degtjarew, Alexander 290 Dementej, Nikolai 295, 296 Denisow, Wladimir 206, 282 Diepgen, Eberhard 310 Doguschijew, Vitali 229, 232, 241, 244 Dsasochow, Alexander 20, 286, 287, 290, 452 Dserschinski, Felix 208, 258, 272, 366, 367, 466 Dubinjak, Wladimir 237, 238 Duke, Charles 60, 429 Dunlop, John B. 110, 151, 152, 153, 402, 403, 451 E Eichel, Hans 310 Elias, Norbert 14 Engholm, Björn 310 F Fadin, Sergej 233 Falin, Valentin 20, 286, 287, 288, 290 Fedorowski, Wladimir 410 Freidin, Gregory 315 Frei, Norbert 17 G Gamsachurdia, Swiad 197, 298, 302 Generalow, Wjatscheslaw 144, 148, 150, 153, 321, 322, 341, 461, 469 Genscher, Hans-Dietrich 216, 306, 307, 309, 351 Geraschtschenko, Viktor 90 Glinka, Michail 365, 463 Gluschtschenko, Alexander 147 Golik, Juri 223 Golowatow, Michail 18, 20, 182, 261, 262, 263, 264, 450 Golownjow, Anatoli 237 Gorbatschowa, Raissa 53, 115 Gorbunow, Anatoli 297 Gorinow, Michail 357

Gorkowljuk, Alexander 229, 231, 241, 243 Gosset, Ulysse 410 Götz, Roland 350 Gratschow, Andrej 157 Gratschow, Pawel 20, 164, 165, 181, 207, 237, 239, 253, 259, 260, 280, 281, 282, 283, 284, 333, 391, 423, 439 Gremizkich, Juri 221, 222, 445 Grinjow, Boris 295 Gromow, Boris 51, 114, 237, 238, 255, 257, 260, 283, 449 Gromow, Sergej 338 Gruschko, Alexander 361 Gruschko, Viktor 168, 172, 175, 181, 184, 191, 233, 241, 255, 321, 341, 361, 461, 463 Gryslow, Boris 369, 370 Gulbinski, Nikolai 240 H Halbach, Uwe 350 Hildermeier, Manfred 110, 172, 185, 252, 270, 318, 347, 372, 373, 374, 469 Holtz, Joachim 28, 424 Hosking, Geoffrey 253 Hough, Jerry F. 110, 403 Huber, Maria 317, 374, 375, 403, 469, 470 Hussein, Saddam 168, 312, 341 I Ignatenko, Vitali 94 Imse, Ann 410 Ischutenkow, Boris 148 Iwanenko, Viktor 382 Iwanow, Sergej 341 Iwaschko, Wladimir 199, 268, 277, 285, 290 J Jakowlew, Alexander 43, 45, 116, 153, 154, 180 Jaroschenko, Viktor 210, 213 Jaskin, V. A. 138 Jawlinski, Grigori 19, 33, 152, 426, 459 Jegorow, Alexej 124, 165, 167, 172, 173, 183

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Personenregister

Jermakow, Viktor 291, 292 Jeschow, Nikolai 366 Jewdokimow, Sergej 282 Judin, Wladimir 408 K Kaifu, Toshiki 311 Kalaschnikow, Wladimir 286, 290 Kalinin, Nikolai 203, 206, 230, 239, 249 Karasajew, Valentin 148 Karimow, Islam 285, 301, 302 Karpuchin, Viktor 181, 182, 183, 237, 260, 261, 314 Keworkow, Wjatscheslaw 20, 374, 375, 403, 421, 422, 448, 470 Knight, Amy 151 Kobez, Konstantin 210, 407, 409, 472 Kohl, Helmut 11, 20, 33, 37, 304, 306, 307, 308, 309, 351, 456 Komar, Dmitri 21, 250, 251, 252, 370, 468 Komar, Ljubow 21, 468, 469 Korschakow, Alexander 209, 282, 444 Kowyrin, Igor 233 Krawtschenko, Leonid 20, 94, 98, 114, 198, 199, 201, 202, 241, 242, 243, 285, 300, 314, 315, 316, 345, 442, 443 Krawtschuk, Leonid 72, 74, 75, 294, 295, 302, 351, 352, 354, 393 Kritschewski, Ilja 250, 251, 370 Kudinow, Sergej 38 Kupzow, Valentin 286 Kusnezow, Juri 266, 312, 457 L Landsbergis, Vytautas 20, 81, 161, 297, 350 Lanina, Olga 142 Laptew, Iwan 277 Lebed, Alexander 207, 235, 236, 237, 261, 281, 282, 283, 284, 391, 447, 470 Lenin, Wladimir 29, 30, 31, 57, 67, 217, 293, 294, 366, 377, 433, 445, 468 Leonhard, Wolfgang 253 Li Peng 31

Lisow, Jewgeni 326, 331, 401, 402, 408 Loory, Stuart H. 410 Luks, Leonid 262, 372, 374, 469 Luschkow, Juri 210, 231, 265, 266, 366, 367, 368 Lutschinski, Pjotr 290 M Machkamow, Kachar 299, 302, 455 Macqueen, Angus 106, 109 Major, John 305, 306, 307, 446 Malenkow, Georgi 202 Malia, Martin 110, 317, 403 Malkina, Tatjana 226 Manajenkow, Juri 198, 199, 285, 286, 443 Martschenkow, Valeri 249 Masljukow, Juri 241 Matlock, Jack F. 20, 36, 41, 42, 43, 44, 110, 303, 304, 424, 455 Medwedew, Dmitri 371, 397 Medwedew, Roj 262, 402 Medwedew, Sergej 315, 457, 467 Medwedew, Wladimir 135, 143, 144, 147, 148, 167, 187, 401 Meissner, Boris 110, 127 Melnikow, Iwan 286 Mettke, Jörg R. 20, 324, 325, 459, 460 Mirsaidow, Schukurulla 301, 455 Mitterrand, François 306, 307 Mobsesjan, Wladimir 34 Moissejew, Michail 56, 346, 456 Morrison, John 253 Mutalibow, Ajas 285, 298, 302, 454 Mysow, Wassili 219 N Nasarbajew, Nursultan 12, 70, 71, 72, 77, 80, 81, 82, 83, 86, 91, 97, 98, 99, 100, 102, 104, 105, 107, 108, 109, 112, 166, 181, 285, 290, 299, 300, 302, 382, 393, 424, 455 Neef, Christian 155 Nijasow, Saparmurat 285, 300, 302 Nikolski, Boris 231

500 Personenregister

Nischanow, Rafik 277 O Obolenski, Alexander 407, 408 Omelitschow, Bronislaw 233 Orlow, Alexander 276, 277 Orlow, Gennadi 285, 286 P Patruschew, Nikolai 366 Plechanow, Juri 101, 105, 135, 143, 145, 147, 148, 167, 173, 187, 223, 234, 268, 321, 322, 341, 461 Poloskow, Iwan 34, 52, 286 Poltoranin, Michail 19, 209, 210, 212, 218, 345, 369, 467, 470 Ponomarjow, Lew 20, 407, 408, 472, 473 Popadiuk, Roman 303 Popow, Gawril 19, 40, 42, 44, 47, 48, 105, 122, 125, 231, 266, 330, 348, 446 Prilukow, Vitali 180, 255, 256 Primakow, Jewgeni 65, 147, 270 Prokofjew, Juri 19, 50, 54, 165, 166, 169, 170, 176, 191, 198, 199, 219, 221, 229, 231, 241, 266, 267, 268, 279, 285, 286, 384, 386, 443, 470 Pugo, Boris 69, 98, 114, 125, 127, 174, 175, 177, 178, 186, 190, 206, 219, 220, 221, 229, 230, 231, 238, 241, 244, 245, 246, 257, 266, 314, 315, 321, 335, 378, 386, 447, 459 Pusanow, Viktor 147 Putin, Wladimir 25, 106, 319, 338, 339, 341, 342, 356, 357, 361, 364, 366, 367, 368, 369, 371, 373, 374, 397, 460, 466 R Rasschtschepow, Jewgeni 180, 181, 182, 184, 255 Remnick, David 204 Rewenko, Grigori 346 Rjabkow, Vitali 276 Rösch, Edgar 14 Rubiks, Alfred 297

Rubzow, Nikolai 194 Ruge, Gerd 254, 410, 445, 449 Rust, Matthias 115 Ruzkoj, Alexander 19, 24, 25, 50, 168, 210, 240, 251, 252, 269, 270, 271, 272, 282, 283, 284, 340, 363, 395, 451, 468, 471 Ryschkow, Nikolai 34, 114, 426 S Sacharow, A. 360 Sacharow, Andrej 33, 47, 363 Sajzew, Wladimir 264 Sakwa, Richard 317, 318 Samsonow, Viktor 291, 293, 453 Schachnasarow, Georgi 72, 147 Schachraj, Sergej 210, 336 Schakina, Marina 240 Schaposchnikow, Jewgeni 238, 239, 346, 409 Schattenberg, Susanne 358 Schebarschin, Leonid 208, 234, 261, 316, 347, 463 Schenina, Tamara 16, 20, 299, 400, 405 Schewardnadse, Eduard 19, 35, 40, 41, 43, 45, 56, 116, 126, 155, 156, 180, 425, 466 Schilow, Iwan 233, 241 Schirinowski, Wladimir 335, 336, 348 Schischin, Wladimir 124, 165 Schischkin, Gennadi 199 Schljaga, Nikolai 206 Schlögel, Karl 317 Schröder, Hans-Henning 58 Schtscherbakow, Wjatscheslaw 291 Schtscherbakow, Wladimir 77, 88 Schtscherbatkin, Dmitri 189, 223 Schuschkewitsch, Stanislau 295, 296 Schustow, Stanislaw 153 Scowcroft, Brent 303, 304 Seiters, Rudolf 20, 306, 309 Sidorow, A.V. 360 Silajew, Iwan 210, 218, 240, 258, 269, 270, 283

500 501

Personenregister

Simon, Gerhard 68, 110, 191, 318, 352, 372, 373, 374, 400, 469 Simon, Nadja 110, 191, 352 Sixsmith, Martin 410 Sjuganow, Gennadi 339, 354, 432 Skokow, Juri 282, 283 Smets, Franz 125 Smirnow, Valentin 264 Snegur, Mircea 296 Sobtschak, Anatoli 184, 210, 291, 292, 293, 365, 391 Solotow, Leonid 253 Solschenizyn, Alexander 366 Soschnikow, Alexander 233, 241 Stalin, Jossif 38, 56, 164, 186, 202, 329, 340, 357, 358, 365, 366, 462, 465, 466, 471 Starodubzew, Wassili 24, 189, 190, 220, 221, 234, 246, 289, 322, 328, 333, 340, 386, 461 Stepankow, Valentin 20, 103, 104, 154, 173, 184, 325, 326, 330, 331, 401, 402, 404, 460 Stepaschin, Sergej 407, 408, 409, 472 Strauss, Robert 303 Strojew, Jegor 286, 452 Surkow, Michail 286 T Talbott, Strobe 304 Ter-Petrosjan, Lewon 298, 454 Thatcher, Margaret 305 Tisjakow, Alexander 20, 149, 161, 189, 190, 220, 221, 227, 228, 229, 232, 233, 234, 246, 266, 267, 279, 289, 322, 329, 340, 386, 459, 461

Tolstoj, Lew 150 Tretjak, Iwan 265 Trubin, Nikolai 407 Truschin, Wassili 346 Tschechojew, Anatoli 241, 244 Tschernajew, Anatoli 19, 36, 43, 55, 67, 139, 142, 153, 157, 179, 270, 275, 320, 375, 469 Tschernawin, Wladimir 265 Tschernenko, Konstantin 27, 28 Tschetschelnizki, Wladimir 315 Tschindarow, Alexander 237, 238 U Ukolow, Anatoli 326, 333 Usow, Wladimir 250, 370 W Wasiljew, Viktor 198 Wenediktow, Alexej 313, 314 Wikulina, Tamara 147 Wirganskaja, Irina 13 Wolkow, Wjatscheslaw 153 Wolskaja-Everstowa, Galina 21 Wolski, Arkadi 21, 150, 151, 152, 154, 438 Woronzow, Nikolai 227 Woroschilow, Kliment 202 Z Zar Alexander II. 318 Zar Nikolaus II. 371

MARTIN WEBER

EIN EUROPA? DIE EUROPÄISCHE INTEGRATION IN DER RUSSISCHEN HISTORIOGRAPHIE NACH 1985

Die Studie geht der Frage nach, wie sich die russische Historiographie zum westeuropäischen Integrationsprozess positionierte. Wodurch ist das Verhältnis zwischen Russland und Europa geprägt? Welche Informationen lagen über den europäischen Integrationsprozess in Russland vor, welche Stereotypen stehen hinter der eigenen Wahrnehmung Russlands in Europa und der Wahrnehmung Europas? Der Autor arbeitet heraus, dass Europa in erster Linie als Werte-, Glaubensoder Rechtsgemeinschaft wahrgenommen wurde und untersucht das Bild Russlands als eines zur Kooperation verpflichteten Teil Europas. Ausgewertet werden die historiographische Literatur seit dem Beginn der Perestrojka 1985 und die neueste Literatur aus postsowjetischer Zeit. 2013. 263 S. GB. 155 X 230 MM. | ISBN 978-3-412-21058-8

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BIANKA PIETROW-ENNKER (HG.)

RUSSLANDS IMPERIALE MACHT INTEGRATIONSSTRATEGIEN UND IHRE REICHWEITE IN TRANSNATIONALER PERSPEKTIVE

Der Band schließt an die aktuelle Imperiumsforschung an und widmet sich dem neuzeitlichen Russland bis in die Gegenwart. Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive werden an prägnanten Beispielen Integrationsstrategien untersucht, die die Macht des russischen Imperiums an dessen labilen Peripherien und auf internationaler Ebene sichern sollten. Im Fokus der Studien stehen dabei Symbolpolitiken, Kommunikations- und Erinnerungskulturen. Gleichzeitig wird gezeigt, inwiefern die russische/sowjetische Machtpolitik an ihre Grenzen stieß und welche Formen von Widerständigkeit sich herausbildeten. 2012. 398 S. 10 S/W-ABB. GB. 155 X 230 MM. | ISBN 978-3-412-20949-0

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HOLM SUNDHAUSSEN

JUGOSLAWIEN UND SEINE NACHFOLGESTAATEN 1943–2011 EINE UNGEWÖHNLICHE GESCHICHTE DES GEWÖHNLICHEN

Das Buch behandelt die Geschichte des sozialistischen Jugoslawien sowie die ersten beiden Jahrzehnte nach seinem Zerfall. Dank einer Fülle neuer Quellen lassen sich Ereignisse, Akteure und Strukturen dieses ungewöhnlich komplexen Landes, die Gründe seines Scheiterns, der anschließenden Gewalteskalation, die Kriegsfolgen und die Bedeutung des jugoslawischen Erbes verlässlich rekonstruieren. Neben den internen Faktoren werden die völkerrechtlichen Aspekte des Staatszerfalls, die Rolle des Auslands und die Weiterentwicklung des internationalen Strafrechts diskutiert. Die Anwendung vergleichender und interdisziplinärer Methoden ermöglicht es, (Ex-)Jugoslawien aus seiner lange betriebenen „Exotisierung“ herauszulösen: Was in dort passiert, kann unter ähnlichen Bedingungen überall passieren. 2012. 567 S. 40 S/W-ABB., 11 TABELLEN, 1 KT. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-78831-7

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