Das Buch Esther: Übersetzung und Kommentar
 9783110212860, 9783110205046

Table of contents :
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Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Auslegung
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Harald Martin Wahl Das Buch Esther

Harald Martin Wahl

Das Buch Esther Übersetzung und Kommentar

≥ Walter de Gruyter · Berlin · New York

앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 978-3-11-020504-6 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2009 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Laufen

Für meine Henriette und unsere Kinder Johannes Jonathan Charlotte Pauline und Josephine

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Fehler! Kein Text mit angegebener Formatvorlage im Dokument. „Menschliches Gelingen ist auf den unsichtbaren Beistand Gottes angewiesen. Er hilft denen, die zu ihm rufen, bei ihrem Tun und erwartet von den Seinen, daß sie in Not und Gefahr füreinander eintreten.“ Otto Kaiser, Der Gott des Alten Testaments I, Göttingen 1993, 148.

Zum Geleit

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Zum Geleit Zum Geleit Die deutschsprachige Exegese hat sich in den letzten Dekaden kaum mit der Megilla Esther beschäftigt. Rühmliche Ausnahmen bilden die in den späten 70er Jahren entstandenen Arbeiten von A. Meinhold und W. Dommershausen. Der 1992 erschienene Kommentar von J.A. Loader, dem Pendler zwischen den Welten, ist aus dem Englischen übersetzt. Auch die gegenwärtigen Beiträge ‒ wie die Kommentare von A. Berlin, C.M. Bechtel, F.W. Busch, L. Day und J.D. Levenson oder die Monographien von T.K. Beal, R.L. Bergey, K.M. Craig, Ch.V. Dorothy, L. Day, M.V. Fox, Ch.D. Harvey, K.H. Jobes, K. de Troyer und E.M. Yamauchi ‒ entspringen ebenso wie die zahlreichen Aufsätze der angelsächsischen Gelehrsamkeit. Eine Brücke bildet schon geographisch die basale Dissertation von R. Kossmann, die an der Rijksuniversiteit von Groningen entstanden ist. Der vorliegende Kommentar möchte diese Lücke schließen und die Megilla einer breiten Leserschaft vorstellen. Entsprechend der ursprünglichen Konzeption einer neuen, allgemein verständlichen Kommentarreihe aus dem Hause Walter de Gruyter hat die vorliegende Auslegung als intendierte Leserinnen und Leser vornehmlich Religionspädagogen und Pfarrerinnen im Blick. Die für biblische Kommentare jedoch wenig günstig erscheinenden Rahmenbedingungen haben dazu geführt, von diesem Vorhaben Abstand zu nehmen. Dankenswerterweise erscheint dieser Kommentar dennoch in seiner gedachten Gestalt nun als Einzelband. Zur Methode: In der Einleitung führen wir das Gespräch mit den wichtigsten Beiträgen der Forschung. Die fortlaufende Auslegung selbst reflektiert die gegenwärtige Forschung, diskutiert sie aber nicht in einer für den Leser unzugänglichen Weise. Exkurse vertiefen wesentliche Themen der Megilla. In Esther vergleichsweise dünn gesäte philologische Schwierigkeiten und Textprobleme werden entsprechend knapp behandelt. Stellenangaben ohne die Angabe des Buches beziehen sich immer auf das hebräische Buch Esther, Verse ohne Kapitel auf die fortlaufende Auslegung. Die Übersetzung versucht, dem Leser ein Gefühl für die Eigenheiten des hebräischen Satzbaus zu vermitteln, was gelegentlich zu einer sperrigen Syntax führen kann, die eine flüchtige Lektüre vereitelt.

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Zum Geleit

Wortspiele und andere rhetorische Figuren sind dem Hebräischen nachempfunden. Anmerkungen zu Stil und Rhetorik ergänzen die Übertragung. Zur Verdeutlichung werden gelegentlich hebräische Redefiguren und Wörter in einer für den Leser vereinfachten Umschrift wiedergegeben. Insgesamt zielt die Übersetzung darauf hin, die semitische Gedankenwelt angemessen herüberzutragen und dabei auch Lesern ohne Hebräischkenntnisse einen Eindruck von später biblischer Prosa zu vermitteln. Meisterhaft erfüllt diesen Zweck die gelegentlich bemühte Übertragung M. Bubers. Eine basale crux interpretum sei vorweggeschickt: Das Buch Esther liegt in drei erheblich voneinander abweichenden Textfassungen vor. Die griechische Langfassung ist zudem wohl im 2.‒1. Jh. v. Chr. um sechs Zusätze erweitert worden, wodurch sich kompositorisch und theologisch ihr Schwergewicht verlagert. Mit diesen Fortschreibungen ist das älteste Sediment der (proto-)rabbinischen Auslegung klar konturiert. Insgesamt stellt dieser Befund den Exegeten vor grundlegende hermeneutische und methodische Probleme: Eine gründliche Auslegung des Buches Esther müßte zunächst jede der drei Textüberlieferungen sowie der Zusätze kritisch würdigen, dann ihr traditions- und redaktionsgeschichtliches Verhältnis bestimmen und endlich den ausgewählten Text im Lichte der weiteren Fortschreibungen lesen. Jede Auslegung, die sich exklusiv auf eine Textüberlieferung konzentriert, bleibt angesichts der vielstimmigen Esthertradition fragmentarisch ‒ so auch diese.1 Der Komplexität des Problems können wir nicht gerecht werden. Doch zumindest bringen wir im Rahmen dieses Kommentares fortlaufend die griechischen Überlieferungen zur Sprache.2 Die einzelnen Zusätze sind kursiv am intendierten Ort in der Übersetzung von I. Kottsieper beigefügt, um so einen Eindruck von der redaktionellen Fortschreibung der (griechischen) Komposition zu vermitteln. Wesentliche Interpretationen des griechischen Textes und die Auslegung durch die Zusätze binden wir in die Exegese mit ein. Als ständiger Zeitzeuge begleitet Herodot unsere Auslegung. Mit Josephus und der rabbinischen Tradition kommen auch die ältesten jüdischen Ausleger zu Wort. Es ist mir eine Freude, mich bei folgenden Personen bedanken zu dürfen: Für die Beschaffung von Literatur und die sorgfältige Korrektur bin ich den Herren Dr. theol. Alexander Dietz, Heidelberg, und Dr. 1 2

Vgl. H.M. Wahl, Buch, 33‒40. Ein wertvolles Hilfsmittel für das Studium der griechischen Bibel ist die lang ersehnte und von der Deutschen Bibelgesellschaft für 2009 angekündigte Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, herausgegeben von Martin Karrer und Wolfgang Kraus, Stuttgart 2009.

Zum Geleit

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theol. Mario Fischer, München, dankbar. Mit den Augen der Religionslehrerin hat Frau Kirsten Herrmann, Uelzen, mit denen des Pfarrers und des Adlers Herr Jörg Hebrank, Helsen, den Kommentar auf seine Tauglichkeit hin geprüft. Hartnäckig hat sich Pfarrer Wiss.Ass. Manfred Ferdinand, Heidelberg, um Probleme der Software gekümmert. Auch die Herren Bibliothekare Klaus Wittrock, Marburg, sowie der so plötzlich verstorbene Herr Jürgen Kenst, Mainz, haben mich tatkräftig unterstützt. Frau Elisabeth von der Osten-Sacken vom Altorientalistischen Seminar in Marburg war mir freundlicherweise bei der Auswahl der Karten behilflich. Herrn Prof. Dr. Dres. h.c. mult. Otto Kaiser, Marburg, und Herrn Prof. Dr. Jürgen van Oorschot, Erlangen, danke ich für die mir von ihnen zur Auslegung anvertraute Megilla. Herrn Dr. Albrecht Döhnert vom Verlag Walter de Gruyter, Berlin/New York, danke ich für die gewohnt gute Zusammenarbeit. Mein besonderer Dank gilt den Eheleuten Walter und Susan Plaut, New York, David und Susan Auerbach, New York, sowie Dan und Hildegard Wronke, Ben Zion, Tel Aviv, und Herrn Bruno Frankenthal, Tel Aviv, die uns vorleben, was die Zerstreuung und Bewahrung des Gottesvolkes in der Diaspora bedeutet. Über viele Jahre hat mich Esther begleitet, was gelegentlich auf ein gewisses (familiäres) Unverständnis stieß: Meine aus der Sicht von Kinderaugen zu innige Liaison mit dem elektronischen Schreibwerkzeug kommentierte unser ältester Sohn Johannes, der immer wieder unaufgefordert in mein Arbeitszimmer platzte, mit seiner hartnäckigen Mahnung: „Papa, Papa nit puta pielen!“ Sein mundfauler Bruder Jonathan hat sich nicht auf mahnende Worte beschränkt. Kaum konnte er krabbeln, hat er wiederholt damit gedroht, das Gerät kurzerhand abzuschalten. Mit fröhlicher wie ernsthafter Beständigkeit trug er dann sein erstes bonmot vor, das ganz offen darauf zielte, seine Abendstunden zu verlängern und die des Vaters mit der persischen Königin zu verkürzen: „Papa, neinnein Bett!“ Etwas verständiger waren dann unsere Mädchen Charlotte und Pauline, die sich schon früh für die Verhältnisse am persischen Hof interessierten und beschlossen, später ein Engel oder zumindest eine Prinzessin zu werden. Begleitet hat mich ständig, immer wieder und zwischendurch mit der ihm vorauseilenden Freude auch unser jüngstes Lebenslicht, das nun angekommen Josephine heißt. Unseren Kindern verdanke ich auch die Einsicht, daß die bisweilen selbstbezogene wissenschaftliche Betriebsamkeit zunächst und zuletzt den uns anvertrauten kleinen Geschöpfen Gottes gilt. Dafür und für die jederzeit lebensfrohe Zerstreuung zwischendurch danke ich ihnen allen und widme ihnen dieses Buch! Doch zuallererst widme ich die hebräische Esther meiner Henriette aus Dankbarkeit für ihre liebevolle und immer freundliche Nähe! In

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Zum Geleit

Jerusalem durfte ich mit ihr die religiöse Tiefe jüdischer Frömmigkeit entdecken; in ihrer Gemeinde Frankenau hat sie Esther mit ihrer Jungschar zur Freude für die Kinder und zur Erbauung für die ganze Gemeinde erfolgreich inszeniert. Frankenau an Erntedank 2008

Harald Martin Wahl

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Zum Geleit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII I. Einleitung

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1. Das Buch im Kanon

1

..........................................

1

2. Die Textüberlieferung und Redaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

3. Die Tradition und Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

4. Die Gattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 5. Der Stil und die Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 6. Die Historizität und Purim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 7. Die Wirkungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 8. Die Theologie

...............................................

38

9. Der historische Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 II. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1.Der Ruhm des Königs und der Fall der Königin (1,1‒22) . . . . . 49 Exkurs 1: Xerxes I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Exkurs 2: Die Diener bei Hofe (

) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

Exkurs 3: Die Provinzen des Reiches (

) . . . . . . . . . . . . . . . . 67

2. Esther wird Königin (2,1‒20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Exkurs 4: Steuererlaß und Geschenke (

) und (

) . . . . 83

3. Die Verschwörung (2,21‒23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 4. Hamans Aufstieg und Hochmut (3,1‒6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Exkurs 5: Das Volk (

) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

5. Das Pogrom (3,7‒15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Exkurs 6: Die Anordnung und das Gesetz ( 6. Mordechais Buße und Esthers Einsicht (4,1‒17)

)............

101

...........

107

XII

Inhaltsverzeichnis

Exkurs 7: Der jüdische Bußritus

.........................

7. Esther bereitet ihre Petition beim König vor (5,1‒8) Exkurs 8: Das Gastmahl (

113

.......

124

) ..........................

129

8. Hamans Ruhm und Heimtücke gegen Mordechai (5,9‒14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 9. Mordechais Ehrung und Hamans Trauer (6,1‒14) . . . . . . . . .

135

10. Esthers Petition und Hamans Fall (7,1‒10)

...............

146

) ..........

154

11. Das vereitelte Pogrom (8,1‒17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

156

Exkurs 9: Das Aufhängen am Holz ( Exkurs 10: Der Begriff jüdisch, Jude, Judäer (

) ........

172

12. Die Vergeltung der Juden (9,1‒19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

176

13. Die Einsetzung von Purim (9,20‒32) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

189

Exkurs 11: Das Los, Pur ( ), und das Fest, ) ............................................ Purim (

196

14. Der Ruhm von König Achashverosh und Statthalter Mordechai (10,1‒3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

205

.........................................

213

Literaturverzeichnis (in Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abkürzungsverzeichnis

Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Karte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Namen und Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

I. Einleitung Einleitung

1. Das Buch im Kanon Das Buch im Kanon Das hebräische Buch Esther entführt den Leser an den Hof des persischen Großkönigs Achashverosh, bei dem es sich um den nach der griechischen Tradition besser als Xerxes I. bekannten Monarchen handelt.1 Es entführt ihn in die Reichshauptstadt nach Susa, von wo aus sich für das jüdische Gottesvolk das größte Drama seit der Sintflut und der Vertreibung aus dem Heiligen Land entspinnt. In der nach einem gewissen Wachstum vorliegenden Gestalt erzählt das Buch wie der zum zweiten Mann im persischen Reich aufgestiegene Haman plant, alles jüdische Leben zu vernichten, und wie diese existentielle Bedrohung durch den Juden Mordechai und die zur Königin aufgestiegene Jüdin Esther abgewendet wird. Mit einem Wort, Esther berichtet von der Bedrohung und Errettung des exilierten Gottesvolkes, darin der Josephsgeschichte, Judith und Daniel eng verwandt.2 Mehrere Nachträge begründen das für alle Juden verbindliche Fest Purim. Doch zuvor führt der Erzähler den Leser in einem Vorspiel in die Welt des persischen Hofes von Susa ein. Er schildert den Reichtum des Großkönigs Achashverosh und malt die farbenfrohen Feste am Hofe aus. Dann erst lenkt er den Blick auf die amtierende Königin Vasthi, die sich weigert, der Bitte des Königs zu folgen und sich der geladenen Festgesellschaft zu zeigen. Ihre den König entwürdigende Weigerung besiegelt ihren Fall. Nach dem Rat der Weisen wird Vashti ihres Amtes enthoben. Um ihre Nachfolgerin auszuwählen, wird im ganzen Reich ein Schönheitswettbewerb ausgelobt, den das jüdische Mädchen Esther gewinnt. Eigenhändig wird sie von ihrem Gemahl zur Königin Persiens gekrönt. Das Buch trägt den Namen nach seiner Protagonistin Esther. Seine Stellung im Kanon ist traditionell unterschiedlich: Zusammen mit der späten biblischen Prosa der Bücher Ruth und Daniel, den Psalmen und der Weisheitsliteratur, den historischen Büchern Esra, Nehemia und 1 2

C.A. Moore, Esther, XLII‒XLIII, bietet eine Übersicht über die abweichenden Namen der unterschiedlichen Textüberlieferungen. Vgl. H.M. Wahl, Motiv, 70‒74.

2

Einleitung

Chronik gehört Esther innerhalb der hebräischen Bibel zu den Ketubim, den Schriften, die den dritten und letzten Teil des Kanons bilden. Seit dem Mittelalter wird es als letzte Schrift mit den Büchern Ruth, Hohelied, Kohelet und Klagelieder zu den fünf Megillot, den Festrollen, gezählt. Seinen Sitz im Kult des synagogalen Gottesdienstes hat das Buch als Lesung für das in ihm begründete Fest Purim. In der jüdischen Exegese wird Esther auch als Megilla (Rolle) bezeichnet, weil das Buch auf einer Rolle3 geschrieben ist und an Purim von der Schriftrolle verlesen wird (b Meg 6b.19b; y Meg 73a).4 In der Ordnung der Septuaginta, der griechischen Bibel, rutscht das Buch weit nach vorne in die Abteilung der historischen Bücher. Hier folgt es auf die Bücher Samuel, Könige, Chronik, Esra, Nehemia und ist den Büchern Judith, Tobit und Makkabäer vorangestellt. Ähnlich ist die Stellung des Buches in der Vulgata. In der lateinischen Bibel folgt Esther ebenfalls den historischen Büchern, dann Tobit und Judith und geht dem Buch Hiob voran. Von den historischen Büchern sind allerdings die Makkabäer ausgenommen, die in der Vulgata nach den Propheten den Abschluß des Alten Testaments bilden. Diesen Sitz im Buch nach den großen historischen Schriften und vor den weisheitlichen Lehrschriften und Psalmen haben im wesentlichen auch die Übersetzungen beibehalten. Sie unterscheiden sich allerdings dadurch, daß bei der Übersetzung Martin Luthers und der englischen King James Version das Buch Esther die historischen Bücher abschließt, weil die Bücher Judith, Tobit und Makkabäer zu den sogenannten Apokryphen gezählt werden, wogegen die katholische Tradition die Bücher Tobit und Judith im Kanon beläßt und Makkabäer als Abschluß der historischen Bücher an Esther anfügt.5 Die Übersetzungen unterscheiden sich je nach Tradition erheblich in Komposition und Inhalt: Bei den reformatorischen Übersetzungen, die dem hebräischen Text folgen, finden sich die griechischen Zusätze zu Esther nur in den separat gedruckten Apokryphen.6 Dagegen sind 3 4

5

6

Vgl. beispielsweise E.J. Bickerman, Books, 171‒172. Vgl. zum jüdischen Brauchtum den Exkurs 11 (S. 196), sowie Th. H. Gaster, Purim and Hanukkah, 39‒43; L. Jacobs, Purim, EJ 13, New York 1972, 1390‒1395 (mit sieben Farbtafeln im Bildteil); I. Greenberg, The Jewish Way: Living the Holidays, New York 1988, 224; sowie J. Elbogen, Gottesdienst, 130‒132, 184‒186; und L. Trepp, Gottesdienst, 94‒95, 104‒107. Die agendarische Lesung und liturgische Texte für Purim sind abgedruckt bei R. Gordis, Megillat, 66‒101; B.M. Zlotowitz, Esther, 147‒158. Vgl. O. Kaiser, Der Gott des Alten Testaments I, UTB 1747, Göttingen 1993, 24‒47, sowie E. Zenger u.a., Einleitung in das Alte Testament, Studienbücher Theologie 1,1, Stuttgart u.a. 1995, 52004, 12‒33. Vgl. O. Kaiser, Die alttestamentlichen Apokryphen, Gütersloh 2000, 46‒47.

Die Textüberlieferung und Redaktion

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die Zusätze in der katholischen Einheitsübersetzung, wie in der Septuaginta, in den fortlaufenden Text integriert. Dem Vorbild der lateinischen Vulgata wiederum, welche die Zusätze als Anhang (10,4‒16,24) bietet, folgen die modernen Übersetzungen nicht.7

2. Die Textüberlieferung und Redaktion Die Textüberlieferung und Redaktion Das Buch Esther liegt in drei voneinander abweichenden Traditionen vor.8 Der Gegenstand des vorliegenden Kommentares ist das hebräische Buch Esther nach der masoretischen Überlieferung. Dem hebräischen Text stehen zwei davon erheblich abweichende griechische Fassungen der Septuaginta (G) zur Seite:9 Zunächst die deutlich längere, mit 6 ausführlichen Zusätzen versehene Erzählung (B-Text), die so mit dem Text der Septuaginta identisch ist, und zweitens eine von nur vier Minuskeln überlieferte Kurzfassung (A-Text oder L-Text = lukianische10 Fassung)11, die bereits mit c. 8 endet12 Das traditionsgeschichtliche Verhältnis dieser Textzeugen ist überaus komplex und wird in den letzten Jahren vornehmlich in der angelsächsischen Forschung lebhaft diskutiert. Gegenwärtig konkurrieren vier Modelle13 darum, das verwickelte und interdependente Wachstum der Texte zu erklären: Den Auftakt machte D.J.A. Clines. Nach ihm geht 7

8

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10 11 12 13

Vgl. B.W. Anderson, Place, 32‒43. ‒ Seinen Sitz in der Perikopenordnung des Kirchenjahres hat das hebräische Buch Esther in der Evangelischen Kirche am 10. Sonntag nach Trinitatis (Israelsonntag). An diesem Tag, an dem sich die Evangelische Kirche an die Erwählung Israels erinnert, ist das ganze Buch als alternativer Predigttext vorgeschlagen. Nach L. Day, Faces, 235, reflektieren die drei in ihren Komposition und theologischen Intention erheblich voneinander abweichenden Textfassungen die jeweilige Gemeindesituation von (M, A, B). „The very variety of the forms of the story, as well as their variant portrayals of its heroine, suggests the plurality of diaspora culture. If each of the versions of the book is indeed the product of different communities, we can see even in the books of Esther such a diversity of responses to ancient traditions in light of the practical concerns for successful diaspora living. […] Yet the significant differences among the versions, and even their presentations of Esther, demonstrate that this tradition was also considered adaptable for different situations and needs“. Über den hier vereinfacht wiedergegebenen Befund der griechischen Textzeugen und Übersetzungen berichtet detailliert R. Hanhart, Esther, 7‒15, 96‒99. Die erste grundlegende Studie hat B. Jacob, Esther, bereits 1890 vorgelegt. Vgl. zur Bezeichnung R. Hanhart, Esther, 87, 92‒95; sowie E. Tov, Text, 1‒25. Beide Texte finden sich in der kritischen Ausgabe von R. Hanhart. Ediert und übersetzt hat den A-Text auch D.J.A. Clines, Esther Scroll, 215‒247. Vgl. ausführlich H.M. Wahl, Esther-Forschung, 105‒112.

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Einleitung

der A-Text auf eine verloren gegangene hebräische Fassung zurück, die älter ist als die uns erhaltene masoretische Version. Demnach wäre die griechische Kurzfassung der älteste greifbare Text. Die ihrerseits auf die hebräische Vorlage zurückgehende uns vorliegende masoretische Tradition wird redaktionell um die c. 9‒10 erweitert. Sie bildet dann die Vorlage für die erst ergänzte14 und später nochmals um die Zusätze erheblich erweiterte Fassung der G15. Alternativ gehen nach M.V. Fox der masoretische Text und die Vorform des A-Textes auf eine gemeinsame semitische Vorlage zurück, die mit c. 8 endet.16 Noch im textgeschichtlichen Stadium wird die hebräische Fassung um die c. 9‒10 ergänzt. Die um die Zusätze erweiterte griechische Langfassung (B) fußt auf dieser fortgeschriebenen hebräischen Vorlage. Von den Erweiterungen der Langfassung abhängig wird auch der A-Text redaktionell überarbeitet.17 Ein drittes Modell hat unlängst Ch.V. Dorothy vorgestellt. Nach Dorothy geht der masoretische Text auf eine ältere semitische Vorlage zurück.18 Von dieser ursprünglichen Fassung ist auch die ältere griechische Kurzfassung (proto-A) abhängig, auf die dann die Langfassung zurückgeht (proto-B). M ist im Verlauf der Textgeschichte in zwei Schritten zunächst um c. 9,1‒19 und dann um c. 9,20‒32 erweitert worden.19 Längere Zusätze hat es ursprünglich zu den beiden griechischen Fassungen und auch zu einer westlichen hebräischen Tradition gegeben, die allerdings später verloren gegangen ist, so daß nur die schließlich eingefügten Zusätze in der griechischen Tradition (B, A) weiter rezipiert worden sind.20 Ein viertes Modell liegt nun mit der umfangreichen Studie von R. Kossmann vor. Im synoptischen Vergleich der drei Texte (M, A, B) löst sie aus c. 1‒7* drei voneinander unabhängige Erzählungen heraus: Die 14 15 16

17 18

19 20

Vgl. D.J.A. Clines, Esther Scroll, 158‒168. Vgl. D.J.A. Clines, Esther Scroll, 92‒93, 139‒141 (mit Schaubild). M.V. Fox, Redaction, 128: „The proto-AT was the basis for R-AT’s [Redaktor A-Text] work and was probably not too distant from the text R-MT [Redaktor M] began with.“ Vgl. M.V. Fox, Redaction, 127‒131. Die Vorlage speist sich wiederum aus einer Mordechai- und einer Esther-Quelle, die ‒ redaktionell zusammengewachsen ‒ die Vorform des Estherbuches bilden (so Ch.V. Dorothy, Esther, 327‒331). Vgl. Ch.V. Dorothy, Esther, 333‒334. Vgl. Ch.V. Dorothy, Esther, 327‒334 (mit Schaubildern, S. 331‒332). Die Tradition der Zusätze ist komplex: „If one remembers that sections A, C, D and F […] reveal a Semitic groundform, while B and E come from Greek originals, then one must consider, not the necessity, but the probability, of two or more separate redactions of EG [greek versions] with regard to the non-canonical sections“ (331).

Die Textüberlieferung und Redaktion

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Vasti-Erzählung (VE), die Haman-Mordechai-Erzählung (HM) und die Haman-Mordechai-Königin-Erzählung (HMK).21 In exilisch-nachexilischer Zeit sind diese drei Texte zur Esthererzählung (Pre-Esth) verknüpft und später von einer Jüdischen Redaktion (JüdRed) zweifach überarbeitet worden22: Die „Jehudim“-Redaktion erweitert die pagane Erzählung in seleukidischer Zeit mit c. 7‒8* zu einer jüdischen Diasporaerzählung. Die „Purim“-Redaktion gestaltet in makkabäischer Zeit mit c. 9* den Text zur Ätiologie für Purim aus. Diese Redaktion von M wirkt sich in der Rezeption von B schließlich auf die wiederholte Umgestaltung von A aus.23 Schon diese Skizze der gegenwärtigen Diskussion genügt, um die verwickelte Text- und Redaktionsgeschichte der hebräischen und griechischen Überlieferungen anzudeuten. Bereits R. Hanhart bemerkt über die verschlungene Überlieferung: „Die hebr. Grundlage der gesamten griech. Est-Überlieferung ist im wesentlichem im masoretischen Text erhalten“. Klärend fährt er über die griechische Überlieferung fort: „Die Grundlage der griech. Est-Überlieferung ist im wesentlichen der o’-Text [24], der mit Sicherheit in der 1. Hälfte des 1. Jh.s v. Chr. vorlag. […] Die apokryphen Partien sind ursprünglich griechisch“25. Jeder Text, nur soviel sei gesagt, bietet eine eigene Komposition und eine eigenständig pointierte Theologie.26 Mit der in der Septuagin21

22 23 24 25 26

Die VE ist eine Hochzeitserzählung, deren Zentralfigur der nur im A-Text erwähnte Bougaios ist. Der c. 1,1‒3,1* umfassende Text berichtet von der Absetzung der ungehorsamen Königin Vashti und der Inthronisation der auch von Bougaios favorisierten Esther (vgl. R. Kossmann, Esthernovelle, 49‒55; Synopse, 34‒41; Textrekonstruktion, 68‒69). Die HM ist einer höfischen Weisheitserzählung verwandt, die den Konflikt zwischen Haman und Mordechai schildert. Durch die Aufdeckung des Komplotts (2,21‒23*) und die gewährte Ehrung begünstigt der König den höfischen Juden (6,1‒14*). Der entfachte Neid Hamans und sein Sturz sind das basale Motiv dieser Hoferzählung, die unter dem weisheitlichen Motto „Hochmut kommt vor dem Fall“ steht (vgl. R. Kossmann, Esthernovelle, 115‒121; Synopse, 76‒78, 104‒107, 115, 139; Textrekonstruktion, 144). Auch der dritte Text, die HMK, ist eine Hoferzählung, die im wesentlichen c. 3,1‒6*, 4,1‒17*, 5,1‒9*, 5,9‒14*, 7,1‒10*, 8,1‒3* umfasst. Sie rankt um den Konflikt zwischen Mordechai und Haman, der auf die Exekution des Statthalters und den Aufstieg Mordechais hinausläuft (vgl. R. Kossmann, Esthernovelle, 145‒157; Synopse, 150‒151, 156‒157, 161‒163, 177‒178, 187‒189, 207‒208; Textrekonstruktion, 211‒212). Vgl. R. Kossmann, Esthernovelle, 254‒256, 322‒323. Vgl. R. Kossmann, Esthernovelle, 328‒330, 383‒386 (vgl. ausführlich H.M. Wahl, Rezension: R. Kossmann, 502‒505). Das entspricht B. R. Hanhart, Esther, 96. Vgl. H.M. Wahl, Buch, 33‒40.

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Einleitung

ta überlieferten Fassung des Buches liegt nicht nur eine Version vor, die durch die 6 Zusätze um 105 Verse länger ist als der hebräische Text und so die gesamte Komposition verändert, die griechische Fassung stellt überdies auch eine erhebliche theologische Interpretation dar.27 Wenden wir uns nun wieder dem hebräischen Buch zu. Wie schon aus der Genese der Texte ersichtlich wird, sind in Esther deutliche Spuren einer Redaktion28 erkennbar29. Wir können Esth 9,1‒10,3 in drei thematisch unterschiedliche Fortschreibungen30 einteilen31: Der erste Anhang (9,1‒19) berichtet von der Vergeltung der Juden an ihren Feinden. Der griechische A-Text endet mit 8,17. Ohne auf die komplexe Traditionsgeschichte der hebräischen und griechischen Überlieferung eingehen zu können, ist dies ein Hinweis auf eine tiefe Zäsur in der Erzählung. Ob die redaktionellen Nachträge bereits mit 9,1 oder erst mit 9,20 einsetzen, ist nur schwer zu klären. Einige Indizien sprechen dafür, daß auch das hebräische Buch in 8,17 mit den Worten endete: „In aller Provinz um Provinz und in aller Stadt um Stadt, wohin das Wort des Königs und sein Gesetz gelangten, da war Freude und Wonne bei den Juden, Festmahl und Feiertag. Und viele aus den Völkern des Landes bezeichneten sich als Juden, denn der Schrecken der Juden war auf sie gefallen“. Mit der kalendarischen Überschrift in 9,1 setzt dann etwas Neues ein. Sollte (eine Vorform von) 1,1‒8,17* noch in persischer Zeit entstanden sein, ist aber, bei aller Toleranz der persischen Regierung gegenüber den Juden, in diese Epoche kaum die breit ausgemalte und in ihren Angaben historisch fiktiv wirkende Darstellung der Vergeltung (9,1‒19) zu datieren.32 Der zweite Anhang (9,20‒32) verdankt sich der durch Mordechai angemahnten und durch die Königin Esther nachdrücklich befohlenen Einsetzung des Erinnerungsfestes Purim in allen Provinzen des persi-

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Vgl. S. 44–46 (c. I, 8e, S. 40). Schon für E. Bertheau, Esra, Nechemia und Ester, 363‒364, ist 9,20‒10,3 ein Nachtrag; so auch für L.B. Paton, Esther, 57‒60, und S.E. Loewenstamm, Esther, 117‒124. Dies bezweifeln B.W. Jones, Appendix, 36‒43; F. Bush, Esther, 458‒460; sowie J.A. Loader, Ester, 269. Vgl. 178–-181. Schon J.G. Eichhorn, Einleitung ins Alte Testament, Bd. 2, Reutlingen 21790, 609, diskutiert bereits, ob 9,17‒10,3 nachgetragen ist, spricht sich aber aus stilistischen Gründen dagegen aus. Vgl. D.J.A. Clines, Esther Scroll, 39‒49, 158‒168; L.M. Wills, Jew, 23, 197. Für Ch.V. Dorothy, Esther, 335‒341, und M.V. Fox, Redaction, 113‒126, gehört die redaktionelle Fortschreibung in die Textgeschichte von M.

Die Tradition und Komposition

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schen Reiches. Durch diesen Zusatz erst wird das hebräische Buch Esther zur Ätiologie für Purim.33 Der dritte Anhang (10,1‒3) trägt einige Bemerkungen nach. Kompositorisch hat er die Funktion einer inclusio. Nach den kalendarischen Angaben beschreibt das Buch eingangs den Ruhm des Königs. Noch einmal klingt in dem angehängten Schluß dann der Ruhm des beliebten, zum Statthalter aufgestiegenen Mordechais an, der sich selbstlos für sein Volk eingesetzt hat. Erst durch diesen Anhang läuft die Erzählung auf die dauerhafte Bewahrung Israels in der Diaspora hinaus.34

3. Die Tradition und Komposition Die Tradition und Komposition Das Buch Esther wurzelt im fruchtbaren Boden der biblischen Tradition. Schon L.A. Rosenthal und später A. Meinhold haben eine thematische und motivgeschichtliche Verwandtschaft zur Josephsgeschichte festgestellt. Vor allem in der Bedrohung des Protagonisten im Exil und der im Aufstieg bei Hofe symbolisierten Errettung liegen enge Beziehungen der Texte vor.35 G. Gerleman hat andererseits auf die thematische Nähe zur Exodusüberlieferung hingewiesen: „Alle wesentlichen Züge der Esthererzählung sind in Ex 1‒12 schon da: der fremde Hof, die tödliche Bedrohung, die Rettung, die Rache, der Triumph und die Stiftung eines Festes“.36 Eine gewisse thematische Verwandtschaft zum Buch

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Nach J.C.H. Lebram, Purimfest, 208‒222, ist 9,20‒28 ein aus der Jerusalemer Festtradition stammender Zusatz aus hasmonäischer Zeit (160‒104). Als redaktionellen Anhang beurteilt 9,20‒32 auch D.J.A. Clines, Esther Scroll, 50‒63, 158‒168; sowie A. Meinhold, Esther, 12‒13. Für Ch.V. Dorothy, Esther, 335‒341; M.V. Fox, Redaction, 113‒126; J.D. Levenson, Esther, 32‒34, 117, 125, gehört die redaktionelle Fortschreibung dagegen in die Textgeschichte. Vgl. D.J.A. Clines, Esther Scroll, 167‒168. Für D. Daube, Chapter, 139‒147, sowie A. Meinhold, Esther, 95, gehört der 10,1‒3 zur einheitlichen Komposition. Ähnlich Ch.V. Dorothy, Esther, 339‒341, nach dem sich 1,1‒4 und 10,1‒3 als Rahmenerzählung entsprechen und daher nicht redaktionell sind. Nach M.V. Fox, Redaction, 120, dem sich J.D. Levenson, 33‒34, 133, anschließt, geht das Schlußkapitel auf eine in die Textgeschichte verlagerte Redaktion des Buches zurück. Vgl. L.A. Rosenthal, Josephsgeschichte, 278‒284; A. Meinhold, Gattung I, 306‒324; ders., Gattung II, 72‒93. Vgl. G. Gerleman, Esther, 11. Gerleman überbetont die traditionsgeschichtliche Abhängigkeit, wenn er vermutet, „daß der Esthererzähler seine Figuren nach der Moseschilderung als vorgefundenem Muster gestaltet hat“ (17).

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Einleitung

Exodus liegt zweifellos vor, aber eine traditionsgeschichtliche Abhängigkeit ist daraus kaum abzuleiten.37 Über die Josephsgeschichte und das Buch Exodus hinaus kennt der Dichter auch andere Texte des entstehenden Alten Testaments: Ob ihm der älteste Stoff des Danielbuches bekannt ist, kann schwerlich beurteilt werden, möglicherweise ist ihm die späte biblische Prosa der Bücher Ruth und Jona vertraut. Die Bücher Judith und Tobit liegen ihm sicherlich noch nicht vor.38 Zweifellos aber ist die jüdische Gemeinde Susas außerdem mit weiten Teilen der Tora, der prophetischen Literatur wie des Psalters aus dem (proto)synagogalen Gottesdienst als verbindliche Weisung, als Hoffnung und als Gebet der Exilierten vertraut.39 Auch die älteren weisheitlichen Überlieferungen werden zumindest im Schulhaus der Gemeinde rezipiert, dadurch läßt sich der weisheitliche Einfluß auf das Buch erklären.40 Der reiche Fundus, aus dem der Dichter schöpft, läßt eine traditionsgeschichtliche Abhängigkeit von einzelnen Texten allerdings nur schwer nachweisen.41 Zwei Handlungsstränge sind in der Komposition kunstvoll verwoben: Der eine Strang berichtet vom Fall Vasthis und dem Aufstieg Esthers, der andere vom Aufstieg und Fall Hamans, dem wiederum der Aufstieg Mordechais korrespondiert. Wie in einer Mittelachse berühren sich die beiden Erzählstränge auf der Höhe der Bedrohung. Als Mordechai von den bösen Absichten Hamans erfährt, bewegt er in einem eindringlichen Gespräch die Königin dazu, beim König vorzusprechen. Der über Boten vermittelte Dialog zwischen Mordechai und seiner Adoptivtochter Esther bereitet die Wende des Dramas vor. Dieser Aufbau der Erzählung hat verschiedene Ausleger dazu verführt, als Vorlage für das hebräische Buch Esther je eine eigenständige Mordechai- und eine Estherquelle anzunehmen. Die beiden voneinander unabhängigen Quellen sollen dann von einem Redaktor als Vorlage für das hebräische Buch Esther verwendet worden sein.42 Diese gegen-

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Auch C.H. Miller, Esther’s Levels of Meaning, ZAW 92 (1980), 145‒148, betont eine enge Verwandtschaft mit dem Exodusmotiv. Vgl. S.B. Berg, Book, 143‒152; H.M. Wahl, Motiv, 70‒74. Vgl. O. Kaiser, Literaturgeschichte ‒ Biblische, I. Altes Testament, TRE 21, 1991, 306‒337; O.H. Steck, Der Abschluß der Prophetie im Alten Testament, BThSt 17, Neukirchen-Vluyn 1991, 167‒178, 196‒198. Vgl. Sh. Talmon, Wisdom, 419‒455; H.M. Wahl, Jahwe, 16‒22. Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 46‒47. So H. Cazelles, Note, 17‒29; für J.C.H. Lebram, Purimfest, 214‒222, der eine in Palästina haftende Mordechai-Überlieferung von einer in der östlichen Diaspora situier-

Die Tradition und Komposition

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wärtig nicht mehr vertretene Auffassung verkennt, daß die Handlungsstränge komplementär verlaufen. Die vorliegende Erzählung reflektiert die intendierte Kompositionstechnik des Erzählers. Kontrastierend setzt der Dichter gelegentlich einzelne Szenen hintereinander, von denen die nachfolgende nicht unmittelbar an das vorangehende Geschehen anknüpft. Dadurch sorgt er für überraschende Wendungen im Geschehen, verzögert die Handlung und steigert die Spannung.43 Das Buch ist also durchdacht komponiert. Daher verwundert es nicht, daß sich die Ausleger weitgehend über die Abgrenzung der einzelnen Szenen einig sind. Allerdings konkurrieren drei Modelle über den Aufbau des Buches miteinander. Seit H. Striedl wird das Buch in die vier basalen Abschnitte Exposition (1,1‒3,1), Haupthandlung (3,2‒9,15), Ätiologie für Purim (9,16‒32) und Schluß (10,1‒3) eingeteilt.44 Eine symmetrische Struktur erkennen vor allem S.B. Berg45, A. Meinhold und J.D. Levenson. Mit unterschiedlichen Schwerpunkten können die von der Komplikation der Handlung erzählenden Texte symmetrisch auf die von der Lösung des Konfliktes berichtenden bezogen werden. Wann die Erzählung vom Konflikt zur Lösung umbricht, wird unterschiedlich beurteilt.46 A. Meinhold47 bestimmt die eindringlichen Worte Mordechais an Esther (4,13‒14), J.D. Levenson48 die Ehrung Mordechais (6,1‒14) als den Wendepunkt des Dramas49. Trotz dieser alternativen Vorschläge entspricht ein linearer Aufbau der szenischen Komposition:50 Gewöhnlich sind die Szenen leicht durch den Wechsel des Ortes, der handelnden Personen und des Themas erkennbar. Gelegentlich leiten auch chronistische Angaben die neue Szene ein.51 Wir begnügen uns zunächst mit einer übersichtlichen Ein-

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ten Esther-Überlieferung unterscheidet. In seiner Endgestalt ist das in hasmonäischer Zeit in Jerusalem redigierte Buch als Festtradition entstanden. Vgl. S.B. Berg, Book, 106‒113; W. Dommershausen, Estherrolle, 147‒153; M.V. Fox, Structure, 291‒304; H. Striedl, Untersuchung, 98‒108. Vgl. H. Striedl, Untersuchung, 98‒101; so auch E. Würthwein, Esther, 166, und D.J.A. Clines, Esther Scroll, 9‒25. Vgl. S.B. Berg, Book, 108. A. Meinhold, Aufbau, 339‒340, bestimmt 4,13‒14, J.D. Levenson, Esther, 7‒9, dann 6,1‒14 als den Wendepunkt der Erzählung. Vgl. A. Meinhold, Aufbau, 339‒440; ders., Esther, 11‒12. Vgl. J.D. Levenson, Esther, 7‒9. Vgl. F.S. Weiland, Plot, 277‒287. So auch H. Bardtke, Esther, 268‒270; D.J.A. Clines, Ezra, Nehemia, Esther, 272; W. Dommershausen, Estherrolle, 7‒8; G. Gerleman, Esther, V; J.A. Loader, Ester, 205‒206; C.A. Moore, Esther, 10; R.E. Murphy, Literature, 153‒157. Vgl. M.V. Fox, Character, 153‒163.

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teilung; in der Auslegung werden diese Szenen dann aber noch einmal differenziert: 1. Der Ruhm des Königs und der Fall Vashtis (1,1‒22): Das Präludium malt den Ruhm des Königs Achashveroshs und die Pracht bei Hofe aus und kontrastiert damit die Weigerung der schönen Königin Vashti, sich der Festgesellschaft zu zeigen. Auf den Rat seiner Weisen hin beschließt der König ihre Amtsenthebung. 2. Esther wird Königin (2,1‒20): Die Vakanz des Thrones bereitet Esthers Aufstieg vor. Auf den Rat seiner Leibdiener hin entschließt sich der König, eine Prätendentin aus den Schönsten seines Reiches auszuwählen. Seine spontane Zuneigung findet die ihre ethnisch-religiöse Herkunft diplomatisch verbergende Esther, die Achashverosh eigenhändig krönt. 3. Mordechai deckt eine Verschwörung auf (2,21‒23): Ein wie eingeschoben wirkender Bericht lobt die Loyalität des Israeliten Mordechai, der eine Verschwörung bei Hofe aufdeckt, dafür aber (noch) nicht belohnt wird. Kompositorisch bereitet die Notiz den späteren Aufstieg Mordechais vor. 4. Hamans Aufstieg und Hochmut (3,1‒6): Die Spannung steigert sich durch die Erhebung Hamans zum Statthalter des Königs. Sein Aufstieg zum zweiten Mann im persischen Reich und die ihm mit dem Amt zustehende Verehrung bilden den Ausgangspunkt für den Konflikt. Allein der im Tor des Königs sitzende Jude Mordechai verweigert dem Statthalter die in der Verneigung ausgedrückte Ehrerbietung. Er widersetzt sich so der königlichen Anordnung, weckt den Haß Hamans und stimuliert dessen Plan, den Juden Mordechai und mit ihm alle Juden des Reiches zu töten. 5. Das geplante Pogrom (3,7‒15): Der unwissende, aber gleichwohl in dieser Situation naiv dargestellte König stimmt dann den Plänen Hamans zu, die Juden des Reiches wegen der Mißachtung der königlichen Gesetze und der Aussicht auf die Aneignung ihres Vermögens kollektiv zu töten. Durch die Übergabe des Siegelringes überträgt der König seinem Statthalter die Jurisdiktionsgewalt und damit auch die Verantwortung für das Pogrom. Mit dem königlichen Dekret erreicht die Spannung ihren ersten Höhepunkt. Esther und vor allem Mordechai sind wie alle Juden Persiens vom Tode bedroht. 6. Mordechais Buße und Esthers Einsicht (4,1‒17): Als Mordechai von dem scheinbar unaufhaltsamen Pogrom erfährt, begeht er eine öffentliche Bußzeremonie. Die spontane Buße der Juden bedeutet die Umkehr ‒ und ihre Umkehr wendet das Geschehen. Die von ihren Dienern unterrichtete Königin sucht nun ihrerseits das Gespräch mit Mordechai. In diesem zentralen Dialog, dem einzigen zwischen den beiden allein,

Die Tradition und Komposition

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bereitet Mordechai mit seiner eindringlichen Rede an seine Adoptivtochter Esthers Petition beim König vor. Die Wendung des Dramas bahnt sich an. 7. Esther bereitet ihre Petition beim König vor (5,1‒8): Esther spricht beim König mit der Bitte vor, für ihn und Haman ein Gastmahl ausrichten zu dürfen. Geschickt verschweigt sie zunächst ihre eigentliche Absicht. Die Szene verlängert den Handlungsverlauf und steigert die Spannung, doch das Wort des Königs, Esther jede Bitte zu erfüllen, läßt Hoffnung keimen. 8. Hamans Ruhm und Heimtücke gegen Mordechai (5,9‒14): Doch zunächst einmal beschreibt Haman in einem Eigenlob seinen Ruhm. Zusammen mit seinen Verbündeten entfaltet er seine heimtückischen Mordpläne gegen Mordechai. Wiederum steigert sich die Spannung. Noch ist ungewiß, ob Mordechai der geplanten Ermordung entkommen kann. 9. Mordechais Ehrung und Hamans Trauer (6,1‒14): Zum erneuten Umbruch führt eine schlaflose Nacht des Königs. Bei seiner Lektüre der Tageschronik stößt Achashverosh auf die von Mordechai vereitelte Verschwörung. Die nächtliche Entdeckung des Königs bereitet nun die Wendung vor. Auf das Drängen des Königs muß der Statthalter an Mordechai die verdiente Ehrung vornehmen, die Haman für sich selbst erhoffte. Das Deutewort der Seresh, die den Fall ihres Gatten Haman voraussieht, antizipiert endlich den Ausgang der Handlung. 10. Esthers Petition und Hamans Fall (7,1‒10): Die beim zweiten Gastmahl gegenüber dem König geäußerte Bitte Esthers leitet die Entscheidung ein. Sie entlarvt Hamans mörderischen Plan, den geehrten Mordechai und alle Juden mit ihm töten zu lassen. Umgehend läßt der erzürnte König seinen Statthalter an dem für Mordechai vorgesehenen Galgen erhängen. 11. Das vereitelte Pogrom (8,1‒17): Mit Hamans Fall ist die Rettung des zum Statthalter erhobenen Mordechais und aller Juden im persischen Reich besiegelt. Auf Esthers erneutes Bitten hin hebt ein durch Eilboten in die Provinzen gesandtes königliches Dekret das geplante Pogrom auf. 12. Die Vergeltung der Juden (9,1‒19): In einem Toleranzedikt wird den Juden nun das Recht gewährt, sich zu versammeln und gegenüber ihren Feinden zu verteidigen. Von diesem exekutiven Recht machen die Juden bei der Vergeltung an ihren Feinden in Susa und ganz Persien auch Gebrauch. 13. Die Einsetzung von Purim (9,20‒32): Eine als Sendschreiben Mordechais gekleidete Reflexion begründet schließlich, warum Purim als ein jüdischer Feiertag im persischen Reich begangen wird. Das Send-

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schreiben Mordechais unterstützt die Königin nachdrücklich, die ihrerseits einen eindringlichen Brief in die Provinzen schickt. 14. Mordechais Ruhm (10,1‒3): Der nachgetragene Schluß beschreibt den Ruhm von Achashverosh und von Mordechai. Wie in einer inclusio mit geändertem Vorzeichen mündet das Buch, das eingangs den Ruhm des Königs beschrieben hat, mit einer Notiz über den Ruhm des Juden Mordechai als dem personifizierten Ideal des in der Diaspora aufgestiegenen Gläubigen.52

4. Die Gattung Die Gattung Die Gattung des Buches wird in der Forschung lebhaft diskutiert. Allgemein gesprochen ist das Buch zweifellos ein Beispiel später narrativer Theologie, doch die nähere Bestimmung der Textsorte ist umstritten.53 Die Schwierigkeit hängt eng mit der Perspektive zusammen, aus der das Buch betrachtet wird. „Unser Buch Ester“, so schreibt E. Bertheau 1887, „hat den Zweck, von den Ereignissen Kunde zu geben, zu deren Andenken dieses Fest gefeiert ward, seinen Namen zu erklären und Angaben über die Zeit und Art der Feier zusammenzustellen“.54 So verstanden ist das Buch eine Ätiologie, ein Text, der die Ursache für eine kultische Tradition begründet. Als Lesung für das Fest Purim, an dem die Rolle vor der versammelten Gemeinde rezitiert wird, ist das Buch Esther dann ein hieros logos. In diesem Sinne interpretiert auch der Kolophon in den Zusätzen das Buch (F 11).55 Wie umstritten die Gattung des Buches ist, illustrieren einige Beispiele: M. Haller versteht Esther als „Haremsgeschichte“56, H. Gunkel als „geschichtlichen Roman“57; Sh. Talmon spricht von einem „historicized wisdom-tale“58, G. Gerleman von einer „entsakralisierten Erzählung“59; H. Bardtke schließlich hält das Buch für eine „Festlegende“60. Für E. Würthwein ist Esther eine „Novelle“61, für C.A. Moore eine „his52 53 54 55 56 57 58 59 60 61

Vgl. F.S. Weiland, Clues, 34‒47. Vgl. F.S. Weiland, Historicity, 151‒165. E. Bertheau, Esra, Nechemia und Ester, 358. So E. Würthwein, Esther, 166; und zuletzt J.A. Loader, Ester, 206. M. Haller, Esther, 271. H. Gunkel, Esther, 76. Sh. Talmon, Wisdom, 426. G. Gerleman, Esther, 29 (vgl. S. 23). H. Bardtke, Esther, 243. E. Würthwein, Esther, 167; ihm schließt sich J.A. Loader, Ester, 208, an.

Die Gattung

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torical novel“62, für A. Meinhold eine „Diasporanovelle“63, für Ch.V. Dorothy eine „Königsnovelle“64; für E.L. Greenstein ist das Buch „a skit, not a drama. It is a cartoon“65. Einen Sonderweg schlägt R. Gordis ein, nach seiner Deutung hat ein jüdischer Autor Esther wie „a chronicle of the Persian court“66 geschrieben. F.W. Bush schließlich macht die Bezeichnung der Gattung von der jeweiligen Funktion des Textes abhängig und unterscheidet drei Gattungsebenen: „At one level, in its final form, it functions as the etiology for the festival of Purim and as its festival lection. At a second level, however, its genre is a short story that reveals the quality of a situation“.67 Die Schwierigkeit, die Gattung der Megilla eindeutig zu bestimmen, hängt redaktionsgeschichtlich mit der Ausgestaltung des Buches und hermeneutisch mit seiner Rezeption zusammen: Sicherlich handelt es sich bei dem Text weder um eine Haremserzählung68 noch um eine historisierte Weisheitsschrift. Weisheitliche Begriffe und Sentenzen gehören nicht zu den bevorzugten Stilmitteln des Dichters, gleichwohl weisheitliches Gedankengut anklingt. Die fehlende kultische Sprache und der mangelnde kultische Bezug lassen auch die These von Esther als einer Heiligtumslegende, einem hieros logos, für das Purimfest als fraglich erscheinen. Gegen die Bezeichnung Novelle spricht die Doppelsträngigkeit des Textes, der zudem von mehreren eindrücklichen Ereignissen handelt, was dem Wesen der Novelle widerspricht.69 Für das wohlkomponierte Zeugnis später jüdischer Erzählkunst ist die formal offene Bezeichnung Erzählung zunächst angemessener. Die Gattung des Buches ergibt sich, wie schon F.W. Bush gesehen hat, aus der situativen und der aspektivischen Betrachtung des Textes.70 Für den speziellen Charakter der Gattung des Buches ist ein lexikalischer Befund erheblich: Die Bezeichnung jüdisch, Judäer oder Jude ist im gesamten Alten Testament nur 75-mal belegt, davon entfallen allein 51 Belege, das sind 68% aller Wörter, auf Esther. Damit ist ,

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C.A. Moore, Esther, LII. A. Meinhold, Esther, 16; sowie ders., Gattung I, 306‒324; sowie ders., Gattung II, 72‒93. Ch.V. Dorothy, Esther, 340. E.L. Greenstein, Reading, 231. R. Gordis, Religion, 375. F.W. Bush, Esther, 309. ‒ Vgl. auch R. Kossmann, Esthernovelle, 24‒27. Geläufige Motive des Märchens treten in c. 2,7.17 auf. Vgl. H.M. Wahl, Die Jakobserzählungen, BZAW 258, Berlin/New York 1998, 108‒112. Vgl. E. Brunner-Traut, Frühformen des Erkennens. Aspektive im Alten Ägypten, 31996, 5‒6, 67‒70, 141‒154.

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ein Grundwort des Buches, dessen Verteilung über alle Kapitel71 und dessen Verwendung dem Buch den Charakter einer Bekenntnisschrift geben. Diese Deutung wird durch ein weiteres Indiz gestützt: Das hitpael von sich zum Judentum bekennen, sich als Jude ausgeben ist nur einmal im Alten Testament belegt (Esth 8,17), dem Schlußwort der Grundfassung. Der Kontext des Verses legt nahe, daß sich nach dem Toleranzerlaß (8,11‒12) etliche Gojim zum Judentum hinwenden. Der Toleranzerlaß, der mit der Versammlungsfreiheit und dem Verteidigungsrecht gleich zwei existentielle Grundrechte gewährt, setzt seinerseits ein Bekenntnis zum Volk und zum Gott Israels voraus. Bestimmen wir die Gattung des Buches nach ihrem zentralen Vokabular, so läßt sich sicherlich behaupten, daß Esther Züge einer Bekenntnisschrift trägt, die beschreibt, wie sich die jüdische Gemeinde vom religiösen Pluralismus Persiens absondert (3,6.13), sich versammelt (4,16; 8,11; 9,2.15.16.18), sich auf die ihr gebotene Weise zu Jahwe bekennt und sich so in der Diaspora behauptet.72 Wir bilanzieren die unterschiedlichen Ebenen der Genese und der intendierten Funktion der Texte: In seiner Vorform (1,1‒8,17*) hat das Buch vermutlich der persischen Administration als Chronik vorgelegen.73 Aus der Sicht verfolgter Exilierter liest sich Esther dann wie ein Erbauungsbuch, das dazu ermutigt, den jüdischen Glauben in der Zerstreuung zu bekennen. Der Gott Israels errettet den sich zu ihm bekennenden Juden aus der Verfolgung. In diesem Sinne wird Esther zur Bekenntnisschrift der Diaspora. Durch die redaktionelle Ausgestaltung (9,1‒10,3) wird das Buch dann zu einer Ätiologie für Purim, entsprechend seinem kultischen Gebrauch im synagogalen Gottesdienst schließlich zu einer Festlesung.74 Betrachten wir die einzelnen Segmente der Erzählung als jeweils literarisch kohärente Texte, können wir weitere Gattungen unterscheiden: Die dominierende Textform ist die Erzählung. Einige Erzählungen 71 72 73

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In der Exposition in c. 1 fehlt das Wort konsequenterweise ebenso wie in dem Bericht von Hamans Exekution (c. 7). Vgl. ausführlich H.M. Wahl, Glaube, 47‒50, 53‒54; sowie ders., Jahwe, 11‒13. Vgl. ausführlich R. Gordis, Religion, 375‒378; sowie H.M. Wahl, Glaube, 50‒53. ‒ A. Berlin, Book, 14 ergänzt: „My main point is that Esther typifies storytelling about Persia from the Persian period. […] In a way, the story of Esther is nothing more than a conglomeration of common motifs associated with the Persian court, woven throughout the equally conventional story lines such as the wise courtier in a foreign court, the contest between courtiers, and the woman who saves her people.“ So F.W. Bush, Esther, 309; W. Dommershausen, Estherrolle, 156; Ch.V. Dorothy, Esther, 339‒343; M.V. Fox, Redaction, 125‒126.

Der Stil und die Sprache

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beschreiben die höfische Lebenswelt in ihrer Pracht und mit ihren Sitten (1,1‒9; 2,1‒20). Für die meisten Erzählungen ist allerdings die narrativ gerahmte wörtliche Rede der Protagonisten kennzeichnend, durch die dann auch die Handlung voranschreitet. So ist der die Erzählung belebende Dialog ein wesentliches Gattungsmerkmal (3,7‒15; 4,4‒17; 5,1‒8; 6,1‒14; 7,1‒10; 8,1‒17; 9,11‒15). Die Rede von Memuchan, einem der sieben Ratgeber, trägt Züge einer Weisheitsrede (1,16‒20). Gelegentlich treten auch Diener auf, um einen Rat zu erteilen oder um Botschaften zu überbringen. Der Gattung nach können wir diese kurzen Mitteilungen als Dienerrede bezeichnen (2,2‒4; 4,11‒12.13‒14.16; 7,9). Das Gespräch zwischen Haman, Seresh und seinen Freunden prägt weisheitliche Motive (6,12‒14), das Deutewort der Seresh ist dem Weisheitsspruch verwandt (6,13). Der angesichts seines Falls beschriebene Ruhm Hamans ähnelt der Anekdote (5,9‒14). Daneben steht der Bericht, der ohne Umschweife und ohne wörtliche Rede wichtige Ereignisse mitteilt, ausmalende Beschreibungen liegen ihm fern (9,1‒10.16‒19.20‒32). Die ihm untergeordnete Gattung ist der Kurzbericht oder die Notiz (2,5‒7.21‒23; 4,1‒3). Um Purim zu einem verbindlichen Erinnerungsfest zu erheben, schreiben Mordechai und Esther je einen Sendbrief oder Purimschreiben (9,20‒28.29‒32) der den Charakter eines königlichen Dekretes hat (3,12‒13; 4,8). Die rahmenden Texte können wir als Prolog (1,1‒4) und Epilog (10,1‒3) bezeichnen.75

5. Der Stil und die Sprache Der Stil und die Sprache „Das Buch ist nicht ohne Talent geschrieben“.76 Die literarische Fertigkeit des Dichters schlägt sich in Stil und Sprache nieder. Für die Megilla sind einige stilistische, syntaktische sowie rhetorische Kennzeichen der späten hebräischen Prosa typisch, die vor allem von H. Striedl, W. Dommershausen und R.L. Bergey untersucht worden sind. Beginnen wir mit der allgemeinen Darstellungsweise: Die Erzählung schreitet durch die Handlung der Protagonisten fort.77 Im Gegensatz zur 75 76 77

Vgl. W. Dommershausen, Estherrolle, 154‒156; M.V. Fox, Character, 141‒152; R.E. Murphy, Literature, 158‒170. D.G. Wildeboer, Esther, 169. Kennzeichnend für die Darstellungsweise sind nach H. Striedl, Untersuchung, 105‒106, die Stilmittel des Gegensatzes (Haman ‒ Mordechai, Judenfeinde ‒ Juden, Festgelage ‒ Bußzeremonie), der Verzögerung (Esthers Einladung zum Gastmahl in 5,1‒8 angesichts der akuten Todesbedrohung) und der Beschleunigung (unmittelbar muß Haman Mordechai in 6,10‒11 ungewollt ehren, unmittelbar wird Haman in 7,9‒10 exekutiert).

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modernen, subjektiven Darstellung zeigen sich die Züge der Person vor allem in ihrer Handlung, denn Herzensregungen teilt der Dichter ebenso spärlich mit wie individuelle Charaktereigenschaften. Deshalb fehlen auch innere Monologe: Das Gedachte wird in direkter Rede gesagt (1,16; 2,2; 3,3.8.11; 5,7.12.14; 6,3.5.7.10.13; 7,3.6; 8,5; 9,12.25).78 Die vier Hauptdarsteller sind individuell porträtiert, das demonstriert auch der Vergleich mit den anderen Texttraditionen79: Achashverosh ist der ruhmreiche, zugleich aber auch integere König, der das in Aussicht gestellte jüdische Beutegut ablehnt und den verdienten Höfling Mordechai nachträglich ehrt.80 Bei dem von Haman heimtückisch geplanten Pogrom tritt der politisch unbekümmerte König in den Hintergrund. Seine Entscheidungen werden oft von spontanen Regungen begleitet: Er erzürnt sich darüber, daß Vasthi seiner Einladung nicht folgt; er ergeht sich im Zorn, als er von Hamans intriganten Plänen erfährt; Esther schenkt er seine spontane Zuneigung und krönt sie umgehend. Deutlich tritt Achashverosh hinter seine beiden Statthalter und die Königin zurück.81 Esther ist das anmutige und schöne jüdische Mädchen, deren Gegenwart die Gunst von Hoch und Niedrig, dem Vorsteher des Frauenhauses, dem König selbst und ihren Dienerinnen weckt.82 Von Mordechai ermahnt und vom Fasten gestärkt, setzt sich die diplomatisch Kluge83 nach anfänglichem Zögern vor dem König entschieden für ihren Adoptivvater und ihr Volk ein.84 Mordechai ist der

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80 81 82 83

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Vgl. F.S. Weiland, Conventions, 425‒435; sowie ders., Clues, 34‒47. Vgl. Ch.D. Harvey, Morality, 205‒232, der die Darstellung der Protagonisten in den drei Textüberlieferungen vergleicht (vgl. ausführlich H.M. Wahl, Rezension: Ch.D. Harvey, 499-502). Vgl. zur Darstellung der rabbinischen Überlieferung I. Katzenellenbogen, Esther, 43‒45. Vgl. M.V. Fox, Character, 171‒177; Ch.D. Harvey, Morality, 68‒77; sowie E.M. Yamauchi, Persia, 228‒230. Vgl. zur Darstellung der rabbinischen Überlieferung I. Katzenellenbogen, Esther, 38‒40. B. Wyler, Esther, 131‒135, verkennt die vom Dichter sowohl intendierte als auch dargestellte Charakterisierung Esthers, wenn sie die Königin für unzureichend emanzipiert erachtet. Vgl. M.V. Fox, Character, 196‒211; Ch.D. Harvey, Morality, 22‒43; R. Lubitch, A Feminist’s Look, 438‒446; A. Siquans, Rolle, 77‒89; sowie S.A. White, Esther, 161‒177. ‒ L. Day, Faces, 169‒213, hat in ihrer komparativen Studie die Darstellung Esthers in M, A und G verglichen. Die Königin wird gegenüber Mordechais und in ihrer praxis pietatis stärker profiliert. L. Day resümiert: „The characterization of Esther in both the A and B texts includes an important religious trait. She is pious and prayerful, has a relationship with God, and refuses to worship foreign deities“ (177).

Der Stil und die Sprache

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seinem Gott treu ergebene und seinem König gegenüber loyale Jude.85 Er, der noch in Israel geboren ist, bekennt sich unbeirrbar zu seiner ethnischen und religiösen Herkunft. Selbst die angedrohte Todesstrafe kann ihn nicht dazu bewegen, von seinem Bekenntnis abzulassen. Büßend bewegt er Esther, sich für ihr Volk beim König zu verwenden. Mahnend sorgt er dafür, daß Purim im persischen Reich zum jüdischen Feiertag erhoben wird.86 Haman schließlich ist der intrigante und heimtückische Höfling, dem es gelingt, zum Statthalter aufzusteigen und sich das Vertrauen des ahnungslosen Königs zu erschleichen.87 Im Moment, als er hochmütig seinen Ruhm zelebriert, ist sein Fall schon vorbereitet. Als Esther dem König seinen bösen Plan aufdeckt, erschreckt er und fleht um Gnade, wohl wissend, daß seine Hinrichtung unabwendbar droht.88 Stilistisch verfügt der Dichter über einen reichen Schatz an rhetorischen Figuren, die er gezielt einsetzt. Neben eigenen Beobachtungen stützten wir uns auf die Arbeiten von E. König89 und W. Dommershausen. Die wichtigsten rhetorischen Figuren sind: Wort- und Satzwiederholung (3,6; 4,1.14; 5,9; 7,5; 8,17; 9,27.28), figura etymologica (2,3.6; 4,1; 6,10; 8,3), Wortspiel (9,4.24) Anadiplosis (4,16), Aneinanderreihung synonymer Nomen (1,4.6.7; 3,12; 5,7.9; 8,16‒17; 9,6.12.17), Hyperbel (1,4.7.16.22; 5,13.14; 7,8; 8,13), Metonymie (1,3.5.13.20.22; 2,3.8.14.23; 3,12.15; 5,14; 6,4.9; 7,9.10; 8,7.9.15; 9,13), Synekdoche (10,3) vorwiegend als Euphemismus (2,3.23; 8,1; 9,10), Hysterologie (1,5), Emphase (3,13; 4,3; 7,4; 8,11; 9,12.18.22), Merismus (1,5.20), Brachylogie (1,15; 2,5; 4,5; 7,9), Metapher (8,16), Zeugma (4,1.2), Litotes (1,18), Variation im Wortschatz (3,14; 9,1), Wortfülle (1,6; 2,6; 3,12‒13; 8,16‒17), Zahlensymbolik (1,1.3.10; 2,16; 3,12‒13; 5,1.14; 7,9; 8,9; 9,6.7‒8.16)90, Alliteration (1,6.12.13; 2,3.20; 4,3; 5,9; 8,8.10.16; 10,2), Assonanz (1,22; 7,5; 8,13; 9,5.19‒20.27; 10,3), Lautsymbolik 85 86 87 88 89 90

Vgl. zur Darstellung der rabbinischen Überlieferung I. Katzenellenbogen, Esther, 40‒42. Vgl. M.V. Fox, Character, 185‒195; Ch.D. Harvey, Morality, 43‒55; sowie E.M. Yamauchi, Persia, 234‒236. Vgl. zur Darstellung der rabbinischen Überlieferung I. Katzenellenbogen, Esther, 42‒43. Vgl. M.V. Fox, Character, 178‒184; Ch.D. Harvey, Morality, 55‒63; sowie E.M. Yamauchi, Persia, 232‒233. Vgl. grundlegend E. König, Stilistik, Rhetorik, Poetik in Bezug auf die Biblische Litteratur, Leipzig 1900 (hilfreiches Handbuch mit umfangreichen Registern). W. Dommershausen, Estherrolle, 146, erläutert: „Die Drei,- Sieben-, Zehn- und die Zwölfzahl fungieren allein oder in arithmetischen Verbindungen im Sinne der Synthese, der Fülle und des Abschlusses, während die Zahl 13 Unglück bedeutet. Hohe Rundzahlen betonen das Außerordentliche und lassen das Emotionale mitschwingen“.

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Einleitung

(1,4; 2,14; 3,5; 7,3; 8,6) und rhythmische Gestaltung (1,6.14; 2,14; 9,26; 10,2)91. Seine Vorliebe für das Konkrete drückt der Dichter in den zahlreich eingestreuten topographischen Angaben (1,5.9; 2,3.8.9.14.16.19; 3,9; 4,6.11; 5,9.11; 6,4.9.12; 7,7.8; 9,4) und Zeitangaben (1,1.3; 2,16; 3,7.13; 8,9; 9,1.17.21)92, den vielen Personennamen (1,9‒10.14; 2,5‒7.21; 3,1; 9,7‒9) sowie Material- und Stoffbezeichnungen (1,6‒8; 8,15) aus. Auch die erzählten Details aus dem Hofprotokoll mit den dazugehörigen Höflichkeitsformeln (1,19; 2,12‒14; 3,1‒2.9.10; 5,1‒8; 7,2‒5; 8,1‒2.5.15; 9,13)93 und den Trinksitten (1,7‒8), die Kenntnis der persischen Administration allgemein (1,3.10.13; 3,12) und speziell des Postwesens (1,22; 3,13‒15; 8,10.14) sowie der königlichen Gerichtsbarkeit (2,21‒23; 7,1‒10) erwecken den Anschein, als ob der Dichter die höfisch-administrative Lebenswelt aus eigener Anschauung gut kennt. Mit diesen eingestreuten Konkretionen bindet er die Erzählung in eine historische Situation sowie in die höfische Szenerie ein und verleiht dem Text dadurch Authentizität.94 Zu seinen stilistischen Eigenheiten gehört auch, daß der Erzähler zu formelhaftem Ausdruck und Wiederholungen neigt: Mehrfach kommen die triadischen Formeln auszurotten, zu töten und zu vernichten (3,13; 7,4; 8,11), Fasten und Weinen und Wehklage (4,3) sowie Schwertschlag, Töten und Vernichten (9,5) vor. Neben den dreigliedrigen Formeln fallen auch die synonymen Doppelausdrücke wie Anordnung und Gesetz (1,13), Gunst und Gnade (2,17), zerstreut und abgesondert (3,8), Rettung und Befreiung (4,14), Festmahl und Feiertag (8,17), getötet und vernichtet (9,22) auf. Gelegentlich sind diese Doppelungen auch mit dem Possessivpronomen gekleidet wie meine Bitte und mein Begehren (5,7.8; 9,12), mein Volk um mein Begehren (7,3) und seine Macht und seine Stärke (10,2). Verwandt sind diesen Doppelausdrücken die wörtlichen Wiederholungen95 wie Becher von Becher (1,7), Mann für Mann (1,8), Geschlecht um Geschlecht (9,28), Provinz um Provinz (1,22; 3,12 – zweimal; 3,14; 4,2; 8,9.17; 9,28), Sippe um Sippe (9,28), Stadt um Stadt (8,11.17; 9,28), Tag für

91 92 93 94 95

Vgl. W. Dommershausen, Estherrolle, 143‒147. Vgl. zum Aufbau der kalendarischen Formeln R. Bergey, Features, 72‒73; sowie H. Striedl, Untersuchung, 78. Vgl. H.M. Wahl, Motiv, 70‒74. Vgl. H. Striedl, Untersuchung, 86‒89. Vgl. GK, § 123.

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Tag (3,4), Volk um Volk (1,22; 3,12 – zweimal; 8,9)96. Allen diesen Redefiguren ist ihre emphatische Redeweise gemeinsam.97 Syntaktisch stechen ferner die häufigen Relativsätze, Inversionen, Appositionen und erklärenden Parenthesen ins Auge.98 Längere und kürzere Appositionen und Parenthesen ‒ wie der Name des Königs (1,1)99, die Übersetzung des akkadischen Lehnwortes Pur (3,7; 9,24), die kalendarische Angabe100 Adar (3,7)101 oder Details aus dem Frauenhaus (2,12‒14)102 ‒ erläutern kulturgeschichtliche Besonderheiten. Sie dienen auch dazu, Vorfälle zu reflektieren oder an Ereignisse zu erinnern (1,1; 2,12‒14; 3,4.7; 7,9; 8,5.9.15; 9,29).103 Der Erzähler liebt Relativsätze104, die oft mit daß, als, wie oder als Kausalsätze begründend mit denn, weil eingeleitet werden (2,12; 5,12; 6,6; 9,1).105 Typisch sind auch die ohne oder mit determinierendem Objekt gestalteten Sätze (1,17.19; 2,3; 3,13; 4,4; 5,14; 7,8; 8,7).106 Häufig verwendet der Dichter Infinitivkonstruktionen107 als infinitiv constructus mit um, zu oder negiert mit nicht, kein, ohne. Auch den infinitiv absolutus gebraucht er gern (1,15; 2,3; 3,14; 4,2.14; 6,6.9.13; 7,8; 8,8; 9,1.6.12).108 „Auf dem Gebiete des Verbums fällt im Estherbuch vor allem auf, daß als fortführendes und erzählendes 96 97 98 99 100 101

102

103 104 105 106 107 108

Vgl. H. Striedl, Untersuchung, 84‒85. Vgl. R.L. Bergey, Book, 68‒70. Vgl. W. Dommershausen, Estherrolle, 141‒143, 149‒150. So: 1,1 Es geschah in den Tagen des Achashverosh ‒ das ist der Achashverosh, der von Indien bis Äthiopien über 127 Provinzen herrschte. Vgl. R.L. Bergey, Book, 157‒159. So: 3,7 Im ersten Monat, das ist der Monat Nisan, im 12. Jahr des Königs Achashverosh, warf man das Pur, das ist das Los, vor Haman, von Tag zu Tag und von Monat zu Monat, auf den 12., das ist der Monat Adar. So: 2,12 Wenn die Reihe an Mädchen um Mädchen gelangte, um zum König Achashverosh zu kommen, am Ende der zwölf Monate, nachdem ihr nach der Anordnung für die Frauen geschah ‒ denn so wurden die Tage der Schönheitspflege voll, sechs Monate mit Myrrhenöl und sechs Monate mit Balsamöl und Schönheitsmittel der Frauen ‒ 13 so kam das Mädchen vor den König ‒ alles, wovon sie sprach, gab man ihr, daß es mit ihr vom Frauenhaus zum Haus des Königs kam –, 14 am Abend ging sie hin, und am Morgen kehrte sie zurück ins zweite Frauenhaus, an die Hand Shaashgas, des Eunuchen des Königs, Hüter der Nebenfrauen. Nicht kam sie mehr zum König, es sei denn, der König fand an ihr Gefallen, und sie wurde beim Namen gerufen. Vgl. GK, § 131. Vgl. GK, § 155. Vgl. R.L. Bergey, Book, 61‒64; H. Striedl, Untersuchung, 80. Vgl. GK, § 157. Vgl. GK, § 113‒114. Vgl. R.L. Bergey, Features, 70‒71; H. Striedl, Untersuchung, 75.

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Einleitung

Tempus fast ausnahmslos das Impf. cons. gebraucht ist (160-mal in 167 Versen!)“.109 Die Sprache hat H.M. Wahl an 101 für die Megilla typischen Wörtern untersucht: Die Themenbereiche und das Milieu des Vokabulars entsprechen ganz der höfisch-administrativen Szenerie des Buches. Der überwiegende Teil der untersuchten Wörter ist der höfischen und administrativen Sprache zuzuordnen (31 Wörter). Die zweitgrößte Gruppe bilden Wörter, die Materialien (Edelsteine und Gewebearten) benennen (15 Wörter). Im weiteren Sinn gehören auch sie zur höfischen Sprache, da sie den Glanz des höfischen Lebens beschreiben. Theologisches Vokabular und Wörter, die eine Gemütserregung beschreiben, sind jeweils mit 14 Wörtern vertreten. Nur 3 Wörter sind Ortsangaben, der Monatsname Adar ist ein kultisch-kalendarisches Wort.110 Die 21 am häufigsten gebrauchten Wörter des Dichters sind mit den in die Liste aufgenommenen Namen der Protagonisten folgende111: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21.

König (196 Belege) Mordechai (58) Esther (55) Haman (54) jüdisch, Jude (52) Provinz, Verwaltungsbezirk (39) Volk (31) Achashverosh (29) Haus (28) königlich, Königtum (26) Königin (25) Frau (21) Verordnung (21) Trinkgelage (20) Susa (19) Auge (13) Höfling, Eunuch (12) Tor (11) Schloß, Burg, Tempel (10) Vashti (10) Kostbarkeit, Ehre, Pracht (10)

109 H. Striedl, Untersuchung, 74; vgl. auch W. Dommershausen, Estherrolle, 138‒140. 110 Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 44‒45. 111 Nach H.M. Wahl, Sprache, 45.

Der Stil und die Sprache

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Von den 21 Lieblingswörtern lassen sich 12 der höfisch-administrativen Sprache zuordnen: Haus ist als Bezeichnung für das Königshaus und Frauenhaus hinzuzurechnen, nur einmal ist es im Sinne eines privaten Wohnhauses gebraucht. Auge gehört innerhalb der Höflichkeitsformel Gunst in den Augen finden auch zur höfischen Sprache. Auch die Namen Achashverosh, Vashti, Mordechai, Esther und Haman lassen die höfische Lebenswelt assoziieren, handelt es sich bei den Protagonisten doch um den König, die abgesetzte und die inthronisierte Königin, den alten und den neuen Statthalter. Frau ist eine allgemeine Vokabel; Volk und jüdisch, Jude ordnen wir dem engeren theologischen Sprachgebrauch zu.112 Schon beim Lesen einer Übersetzung fallen die bisweilen fremdartig klingenden Wörter und Namen auf. Der hebräische Wortschatz des Dichters wird, ausgehend von den 101 untersuchten Wörtern, vor allem durch 41 drawidische, austrische, akkadische, persische, ägyptische und aramäische, aber auch elamitische, sumerische und phönizische Lehnwörter ergänzt.113 Weiterhin sind 15 Aramaismen sowie 8 aramaisierende Formen in Esther belegt.114 Addiert machen die Fremdund Lehnwörter sowie aramäische und aramaisierende Formen insgesamt 64 von 101 untersuchten Wörtern aus.115 Ergänzt wird dieser Bestand durch 10 hapax legomena (1,6 – viermal; 2,18; 4,4; 7,4; 8,10.15.17), Wörter, die nur einmal in der hebräischen Bibel belegt sind.116 112 Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 45 (vgl. S. 94–95; 172–174). 113 Die Namen vor allem in 1,10.14 sowie die in der Namensliste aufgeführten Söhne Hamans in 9,7‒9 sind nicht berücksichtigt. 114 Nach M. Wagner, Die lexikalischen und grammatikalischen Aramaismen im alttestamentlichen Hebräisch, BZAW 96, Berlin 1966, 145‒146, machen die lexikalisch sicheren Aramaismen im Verhältnis zum Wortbestand des Estherbuches 5,3%, die Anzahl der aramäischen Lehnwörter 1,35% und die Anzahl der entlehnten aramäischen Stämme 1,3% aus. Mit 5,3% der Aramaismen ist Esther mit 2,2% Abstand zu Kohelet das Buch mit dem höchsten Anteil an Aramaismen (siehe Tabelle). 115 Neben den Namen lassen sich diese Wörter nach H.M. Wahl, Sprache, 45, folgenden Bereichen zuordnen: Sie bezeichnen Mineralien, wie Bahat (1,6), Perlmutt (1,6), Marmor, Alabaster (1,6), Schildstein (1,6) und Materialien, wie Linnen (1,6; 8,15), Feingewebe (1,6), Purpur (1,6; 8,15) und Mosaikfußboden (1,6), dann gehören sie vor allem in die höfisch-administrative Lebenswelt, wie königliches Schreiben (9,26.29), Abschrift (3,14; 4,8; 8,13), Siegelring (3,10.12; 8,2.8.10), Statthalter (3,12; 8,9; 9,3), Stab, Zepter (4,11; 5,2; 8,4), königliche Anordnung, Erlaß (1,20), Burg, Schloß (1,2.5; 2,3.5.8; 3,15; 8,14; 9,6.11.12), Gesetz, königliche Anordnung (1,8.13.15.19; 2,8.12; 3,8 – zweimal; 3,14.15; 4,3.8.11.16; 8,13.14.17.36; 9,1.13.14), Provinz, Statthalterschaft, Verwaltungsbezirk (1,1.3.16; 1,22 – zweimal; 2,3.18; 3,8.12.13.14; 4,3.11; 8,5; 8,9 – dreimal; 8,11.12.13.17; 9,2.3.4.12.16.20.28.30) und Eunuch (1,10.12.15; 2,3.14.15.21; 4,4.5; 6,2.14; 7,9). 116 Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 23‒24.

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Die Namen117 der Protagonisten Esther, Vasthi und Mordechai gehen auf persische Formen zurück, Achashversosh ist gemeinsemitisch gut belegt; der Name Haman hat vermutlich einen altpersischen Ursprung.118 Eine überaus aufschlußreiche Beobachtung hat M. Hutter gemacht. Ihm ist aufgefallen, daß die Söhne Hamans vorzarathustrische oder elamitische Namen tragen, die als heidnisch gelten. Dagegen tragen die judenfreundlichen Personen zarathustrische Namen, woraus er schließt: „Vielleicht hat der Verfasser des Estherbuches diese Scheidung nicht von ungefähr getroffen, sondern aus einer Sympathie für den monotheistischen zarathustrischen Glauben, der seiner eigenen religiösen Bindung ähnlich war“.119 Die Verwendung der für den alttestamentlichen Sprachgebrauch überaus fremden Wörter und Namen zeigt, daß der Dichter erheblichen sprachlichen Einflüssen aus der Umwelt Israels ausgesetzt war. Sein sprachliches Geschick unterstreichen auch die seltenen Verbformen. Aktiv und bewußt hat er diese Wörter in seinen Wortschatz aufgenommen. Das beweist auch der Gebrauch der Synonyme. Auch dort, wo ihm hebräische Synonyme zur Verfügung standen, wie beispielsweise für herrschaftlich, königlich, Palast, Anordnung, Gesetz, Krone, Kopfschmuck, Los oder Abschrift, benutzt er Lehnwörter, die in den Ohren des Hebräers wie Fremdwörter klingen.120 Die benutzten Lehn- und Fremdwörter entsprechen ihrer geographischen Herkunft nach den eigenen Angaben des Buches über die Extension des persischen Reiches, das sich von Indien bis Äthiopien erstreckt (1,1; 8,9). Sprachlich zumindest wird dieser Horizont durch die entlehnten und fremden Wörter in Esther nachweislich abgeschritten. Sprachgeschichtlich weisen sowohl die Lehnwörter als auch die Aramaismen und aramaisierenden Formen ebenso wie die stilistischen und syntaktischen Eigenheiten auf ein spätes Stadium des biblischen Hebräisch hin.121

117 Eine Übersicht über die Personennamen in den verschiedenen Textzeugen bietet C.A. Moore, Esther, XLII–XLIII. 118 Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 42‒43. 119 M. Hutter, Elemente, 54. 120 Vgl. M. Hutter, Elemente, 55‒58. 121 Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 44.

Die Historizität und Purim

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6. Die Historizität und Purim Die Historizität und Purim Schon im ausgehenden 18. Jahrhundert regte sich bei J.S. Semler (1725– 1791) Zweifel an der Historizität des Buches. „Ich lasse das ganze Buch der Esther, als ein totum, beisammen, und erkläre es für einen jüdischen μύθος, wie Paulus dies Wort braucht“.122 1898 faßt D.G. Wildeboer zusammen: „Beinahe alle Ausleger, auch die konservativen, stimmen darin überein, dass wir im Buche Esther keine zuverlässige Geschichtserzählung vor uns haben“.123 Allerdings scheint der Dichter über eine gewisse Kenntnis der persischen Verhältnisse zu verfügen. Davon ist auch H. Gunkel überzeugt: „Wir schließen also mit großer Sicherheit, daß der Verfasser im Palast von Susa gut Bescheid gewußt hat. Man wird daher anzunehmen haben, daß der Erzähler des Buches in der Stadt Susa zu Hause gewesen ist“.124 Der Zweifel an der Historizität des Buches ist auch nicht versiegt, nachdem die Ausgrabungen die archäologische Kenntnis und das Quellenmaterial reichlich vermehrt haben. Die Historizität des Buches Esther (1,1‒8,17*) kann nach vier Kriterien beurteilt werden: 1. Die Angaben, die das Buch selbst macht; 2. die allgemeine Darstellungsweise und Sprache des Dichters und 3. die außerbiblischen Quellen. Als 4. Kriterium tritt dann noch die historische Beurteilung des Festes Purim hinzu. a. Die vom Dichter selbst gemachten Angaben: Die mit chronistischen Angaben versehene Überschrift (1,1‒3) bestimmt den historischen Kontext der Handlung. Danach fallen die erzählten Begebenheiten in die Regierungszeit des König Achashverosh, den wir nach der griechischen Tradition mit Xerxes I. (486/85‒465/64), einem Sohn von Darius I. (522‒486), identifizieren.125 Die weiteren Überschriften (3,7; 8,9; 9,1) entsprechen diesem Zeitgefüge. Ein innerer Widerspruch ergibt sich allerdings aus den Angaben in 2,5‒6, wonach Mordechai selbst zu den 597 vom babylonischen König Nebukadnezar (605‒562) aus Jerusalem weggeführten Juden gehört hat. Nach diesen inkompatiblen Angaben müßte Mordechai schon beim Regierungsantritt von Achashverosh ein wahrer Metusalem (Gen 5,25) von weit über 120 Jahren gewesen sein.126 122 Vgl. J.S. Semler, Abhandlung von freier Untersuchung des Canon, Bd. 2, Halle 1772, 151 (vgl. auch A. Lüder, Historie und Dogmatik. Ein Beitrag zur Genese und Entfaltung von Johann Salomo Semlers Verständnis des Alten Testaments, BZAW 233, Berlin/New York 1995, 122‒126, 240‒250). 123 D.G. Wildeboer, Esther, 170. 124 Vgl. H. Gunkel, Esther, 59. 125 Vgl. den Exkurs 1 (S. 54). 126 Vgl. auch S. 45–47.

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Das geplante Pogrom und auch die Vergeltung der Juden entbehren in ihrer Darstellung jeder historischen Wirklichkeit: Eine bis in den letzten Winkel des vom Indus bis nach Äthiopien und Kleinasien ausgedehnten Reiches durchgeführte Verfolgung und Vernichtung alles jüdischen Lebens entspricht dichterischer Phantasie, aber nicht administrativer und schon gar nicht exekutiver Realität (3,9‒15). Die Mitteilung der Massenkonversion zum Judentum (8,17) ist eher ein literarisches Stilmittel als eine historische Reminiszens. Ebenso ist die dargestellte Vergeltung der Juden im ganzen Reiche auch mit den in den Textzeugen erheblich abweichenden Angaben, die von 15.000 bis zu 75.000 Toten schwanken, historisch unglaubwürdig (9,16; B 9,16; A 8,46). Überdies müßte ein persischer König mit einer Palastrevolution rechnen, wenn er zuließe, daß mehrere hundert seiner verdienten Höflinge erschlagen würden (9,12‒15). Der Gedanke der beschriebenen Vergeltung entspringt dem Glauben an das von Menschen stellvertretend vollzogene Gericht Jahwes (Gen 34; Jos 6).127 b. Die allgemeine Darstellungsweise und Sprache des Dichters: Der Gebrauch von elamitischen, altpersischen sowie persischen Lehnwörtern und Fachausdrücken demonstriert eindrücklich die sprachliche Bildung des Dichters. Sie ist allerdings kein Indiz für den historischen Gehalt des Textes, zumal die syntaktischen und lexikalischen Eigenheiten des Buches ihm einen sehr späten Platz im biblischen Hebräisch anweisen.128 Die allgemeine Beschreibung der höfischen Szenerie, die vermeintlich intime Kenntnis der Gastmähler und der Ordnung im Frauenhaus, eine gewisse Vorstellung vom Postwesen und der höfischen Administration erwecken den Anschein einer historisch zuverlässigen Chronik. Einer genauen Prüfung hält der Eindruck der Historizität des Buches jedoch nicht stand: Daß der König mit einem Erlaß in seinem vom Indus im Osten bis nach Äthiopien im Süden und Kleinasien im Westen ausgedehnten Reich das eheliche Verhältnis von Mann und Frau nachhaltig regeln kann, entspringt eher der idealen Vorstellung des (an der Tora geschulten) jüdischen Dichters als einer historischen Wirklichkeit (1,16‒22). Ferner erweckt die dargestellte spontane, unter Ausschluß der Öffentlichkeit vom König eigenhändig (und eigenmächtig) 127 Nach H.M.I. Gevaryahu, Esther, 2‒12, geschah der Vergeltungsschlag auch zur Verteidigung. 128 Vgl. M. Hutter, Elemente, 51‒66; Th.O. Lambdin, Egyptian Loan Words in the Old Testament, JOAS 73 (1953), 145‒155; R. Mayer, Iranischer Beitrag zu Problemen des Daniel- und Estherbuches, FS H. Junker, Trier 1961, 127‒135.

Die Historizität und Purim

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durchgeführte Krönung Esthers den Anschein einer fiktiven Darstellung (2,17), zumal es nach Herodot zweifelhaft ist (Historien, III, 84.88; VII, 61), ob eine ihrer Abstammung nach unbekannte Jüdin gegen die Interessen des Thronrates überhaupt zur Königin gekrönt werden kann (2,10; 7,3‒4). Derselbe Einwand gilt gleichermaßen für den kometenhaften Aufstieg Mordechais zum Statthalter (8,2; 10,3). Schließlich werden weder Esther noch Mordechai in außerbiblischen Quellen erwähnt (8,2; 10,3). Allgemein läßt die Darstellung seiner öffentlichen Ehrung (6,10‒11) sowie seine fragmentarisch mitgeteilte Erhebung (8,1.2.15; 10,3) darauf schließen, daß der Dichter zwar eine ungefähre, aber keine genaue Kenntnis des Hofprotokolls besaß (1,7‒8). Traditionsgeschichtlich setzt das Buch Esther sicherlich die Josephserzählung und die Exodusüberlieferung voraus.129 Möglicherweise ist der Dichter auch mit dem Stoff des Danielbuches vertraut. Zweifellos kennt die jüdische Gemeinde Susas weite Teile der Tora, der prophetischen und der älteren weisheitlichen Überlieferungen. Aus diesen Texten hat der Dichter geläufige Motive, Themen und Topoi entlehnt. Eine literarische Abhängigkeit von einzelnen Texten ist schwerlich nachweisbar.130 c. Die außerbiblischen Quellen: Die Zeit der Achämeniden (559‒330) ist durch Texte unterschiedlicher Provenienz und materiale Hinterlassenschaften reich dokumentiert.131 Die Herrschaft von Darius I. (522‒486)132 und Xerxes I. (486/85‒465/64) war bis ins 19. Jh. vor allem aus der Sicht der Historien des griechischen Chronisten Herodot (490– 430) bekannt.133 Einige wenige Hinweise sind Xenophons (430–355/54) Kyrupaedie zu entnehmen.134 Mit der bereits 1851 veröffentlichten Behistun-Inschrift Darius’ I. wurden erstmals die Kenntnisse über die achämenidische Epoche in einem basalen Selbstzeugnis dokumentiert.135 Hilfreich ist auch eine Votivinschrift, die ebenfalls in die Regierungszeit von Darius I. fällt. Einzelne Namen, die mit denen des Buches korre129 Vgl. L.A. Rosenthal, Josephsgeschichte, 278‒284; A. Meinhold, Gattung I, 306‒324; ders., Gattung II, 72‒93; sowie G. Gerleman, Esther, 11‒23. 130 Vgl. H.M. Wahl, Jahwe, 16‒22. 131 Vgl. J. Wiesehöfer, Persien, 9‒17, zu methodischen und hermeneutischen Überlegungen einer neuen Beurteilung der Quellen. 132 Vgl. H. Koch, Dareios, 7‒28. 133 Vgl. zur Quellenlage R.N. Frye, History, 87‒88; sowie J. Wiesehöfer, Persien, 25‒53. 134 Hilfreich für Herodot und Xenophon sind die verwendeten zweisprachigen Ausgaben aus der Sammlung Tusculum. 135 Leicht zugänglich und kritisch übersetzt von R. Borger und W. Hinz in TUAT I, 419‒450; in kritischer englischer Übersetzung bei R.N. Frye, History, 363‒368; Abbildungen über den Fundort und ein Detail der Inschrift in ANET.P, Nr. 249‒250.

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liert werden können, sind den nach ihrem Fundort benannten Persepolis-Tafeln zu entnehmen. Die 1933/34 gefundenen Tafeln werden größtenteils in die Zeit von Darius I., einige aber auch in die Regierungszeit von Xerxes I. und Artaxerxes I. (465/64‒424) datiert.136 Von Darius II. (424/23‒404) ist ein sogenannter Passahbrief an die jüdische Militärkolonie im oberägyptischen Elephantine aus dem Jahr 419 überliefert.137 Der breite Bericht in den Antiquitates Judaicae von Josephus (37/38–100) kann zwar wegen seines Charakters als den biblischen Stoff interpretierenden Nacherzählung und seiner späten Entstehung im 1. Jh. n. Chr. nicht als historischer Zeuge auftreten, gleichwohl ist er aber als eine der ersten Auslegungen des Buches bedeutend (Ant 11, 184‒296).138 Beginnen wir mit einem Blick auf die Ausgrabungen der persischen Reichshauptstadt: Die babylonische Stadt Susa ist bereits von Kyros II. (559/558‒530) erobert und spätestens von seinem Nachfolger Kambyses II. (530‒522) ausgebaut worden (Herodot, Historien, I, 188; III, 30.65.70; Strabo, Geographie, 15, 3, 2).139 Archäologisch ist eine persische Besiedlung jedoch nicht vor Darius I. nachweisbar.140 Im Jahr 521/520 erhob Darius I. Susa zur Reichshauptstadt und baute sie nach seinen Vorstellungen aus.141 Das Herzstück der Stadt bildete der von Gärten gesäumte Königspalast mit Tempel und Wohngebäuden (Herodot, Historien, V, 53).142 Der Königspalast war das administrative Zentrum; in ihm wurde auch der königliche Schatz aufbewahrt (Herodot, Historien, V, 49; Diodorus, Bibliotheca, I, 46, 3‒4; II, 22, 3).143 136 Vgl. R.T. Hallock, The Evidence of the Persepolis Tablets, CHIr 2, Cambridge u.a. 1985, 588‒609; K. Koch, Weltordnung und Reichsidee im alten Iran und ihre Auswirkungen auf die Provinz Jehud, OBO 55, Freiburg/Göttingen 21996, 204‒205; sowie H. Koch, Persepolis, 9‒14. 137 Vgl. TUAT I, 253; vgl. P. Grelot, Le Papyrus Pascal d’Éléphantine et le probléme du Pentateuque, VT 5 (1955), 250‒265; ders., Le Papyrus Pascal d’Éléphantine: Essai de Restauration, VT 17 (1967), 201‒207. 138 Vgl. M.R. Niehoff, Two Examples of Josephus’ Narrative Technique in his „Rewritten Bible“, JSJ 27 (1996), 31‒45. 139 Vgl. R.N. Frye, History, 124‒126; H. Pittman, Susa, 106‒110. 140 Vgl. P. Amiet, Quelques observations sur le palais de Darius à Suse, Syr 51, 1974, 65‒73; J. Perrot, La porte de Darius à Suse, CDAFI 4 (1974), 43‒56; F. Vallat, L’inscription trilingue de Xerxes à la porte de Darius, CDAFI 4 (1974), 171‒180; ders., Table élamite de Darius Ier, RA 64 (1970), 149‒160; ders., Table accadienne de Darius Ier, Fragmenta Historiae Aelamicae hg. v. L. de Meyer u.a., Paris 1986, 277‒287. 141 Vgl. E.M. Yamauchi, Persia, 279‒303; sowie P.O. Harper et al. (Hg.), The Royal City of Susa, 1992. 142 Einen guten Überblick für Persepolis bietet H. Koch, Persepolis, 21‒76 (Plan 104‒105; Modell 110‒111). 143 Vgl. P. Amiet, Suse, cinq mille ans d’histoire, Paris 1988, 121‒137; J. Perrot, L’architecture militaire et palatiale des Achéménides à Suse, 150 Jahre Deutsches

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Jüngere Reiseberichte von Susa stammen bereits aus der Mitte des 19. Jhs.144 Um die Ausgrabung der Stadt haben sich französische Archäologen seit den 90er Jahren des 19. Jhs. verdient gemacht.145 Korrelieren wir die Angaben des Buches Esther über den Königspalast (5,1), den äußeren (6,4‒5) und den inneren Hof (1,5; 4,11; 5,1‒2) sowie die Angaben über die berühmten Gärten (1,5; 7,7‒8)146, deutet dies darauf hin, daß der Dichter die Königsstadt möglicherweise sogar aus eigener Anschauung kannte. Da Susa nachrichtlich bei der Eroberung (330) durch Alexander (356–323) nicht zerstört worden ist147, kann diese Kenntnis auch aus einer wesentlich späteren Zeit stammen.148 Die in 1,1 gemachten Angaben über die Extension des Reiches werden von mehreren Seiten bestätigt: Das 1972 bei Ausgrabungen am Eingang des Palastes von Susa gefundene mächtige Standbild Darius’ I. weist insgesamt fünf akkadisch, ägyptisch, elamitisch, persisch und babylonisch geschriebene Votivinschriften auf. Für das Buch Esther ist Inschrift Nr. 5 aufschlußreich, die eine Liste der unterworfenen Länder

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Archäologisches Institut (1829‒1979), Internationales Kolloquium, Mainz 1981, 79‒94. W.K. Loftus, Travels and Researches in Chaldaea and Susianna, London 1857. Vgl. P. Amiet, Elam, Auvers-sur-Oise 1966; F. Vallat, Suse et l’Elam, ADPF, Paris 1980. Vgl. A.L. Oppenheim, On Royal Gardens in Mesopotamia, JNES 24 (1965), 328‒333. Schon J.G. Droysen, Geschichte Alexanders des Großen, Berlin 1833, ND Zürich 1984, 267‒269, berichtet von der Eroberung Susas: „Während des etwa dreißigtägigen Aufenthaltes in Babylon war Susa, die Stadt der persischen Hoflager und der königlichen Schätze, auf gütlichem Wege gewonnen worden. Denn schon von Arbela aus hatte Alexander den Makedonier Philoxenus, wie es scheint, an der Spitze eines leichten Korps, vorausgesandt, um sich der Stadt und der königlichen Schätze zu versichern; er erhielt jetzt von ihm den Bericht, daß sich Susa freiwillig ergeben hätte, daß die Schätze gerettet seien, daß sich der Satrap Abulites der Gnade Alexanders unterwerfe. Alexander langte zwanzig Tage nach seinem Aufbruch von Babylon in Susa an; er nahm sofort die ungeheuren Schätze in Besitz, die in der hohen Burg der Stadt, dem kissischen Memnonium der griechischen Dichter, seit den ersten Perserkönigen aufgehäuft lagen. […] [D]ort auf dem Throne der Großkönige, in den Palästen des Kyrus, Darius und Xerxes wollte Alexander den Sturz der Achämenidendynastie verkündigen; er eilte deshalb, die Angelegenheiten des susianischen Landes zu ordnen. Er bestätigte dem Satrapen Abulites die Satrapie, übergab die Burg der Stadt Susa an Mazarus, die Feldhauptmannschaft der Satrapie nebst einem Korps von dreitausend Mann an Archelaus; er wies die Schlösser von Susa der Mutter und den Kindern des Perserkönigs, die bisher in seiner Nähe gewesen waren, als künftige Residenz an und umgab sie mit königlichem Hofstaat; man erzählt, daß er einige griechische Gelehrte an dem Hofe der Prinzessinnen zurückließ, mit dem Wunsche, sie möchten von diesen Griechisch lernen.“ Vgl. H. Bengston, Griechische Geschichte, HAW III, 4, München 1950, 51977, 319‒337; G. Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches, Darmstadt 1994, 9‒14.

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bietet, in der unter anderem Elam, Medien, Ägypten und Indien erwähnt werden.149 Aufschlußreich ist auch die Gründungsinschrift von Susa, in der die zahlreichen Künstler und Handwerker, die beim Bau der Residenz unter Darius I. mitgewirkt haben, mit ihrer Herkunft aus dem ganzen Vielvölkerstaat aufgelistet werden (DSf).150 Die elamitisch, persisch und babylonisch verfaßte Gründungsinschrift von Darius’ I. aus Persepolis erwähnt neben anderem Ländern auch Lydien, Indien und Äthiopien (DPh).151 Diese Ausdehnung des Reiches bestätigt auch Herodot (Historien III, 97‒98.106‒107; VII, 9.65.69‒70). Dagegen widersprechen sich die Angaben über die genaue Anzahl der Satrapien: Nach 1,1 herrscht Achashverosh über 127 Provinzen, ähnlich Daniel mit 120 (6,2). Schon Herodot berichtet jedoch nur von 20 bis maximal 31 Satrapien (Historien, III, 89.94; IV, 44)152, was die gegenwärtige Forschung bestätigt, die von 20 Provinzen ausgeht.153 Zweifellos verfügt der Dichter über eine gewisse Anschauung. Die in Esther allgemein dargestellten höfisch-administrativen Verhältnisse werden von Herodot und Xenophon bestätigt: Die höfische Pracht in Susa (Herodot, Historien, III, 97; VII, 9.65.69‒70) und Mordechais Aufenthalt im Tor (2,19; 5,13; 6,10.12) belegen Xenophon (Kyrupaedie, VIII, 1,6) und Herodot (Historien, III, 120). Ebenso berichtet Herodot, daß der persische König 7 fürstliche Ratgeber um sich versammelt, die in 1,14 namentlich aufgezählt werden (Historien III, 83‒84; Esr 7,14‒15).154 Auch bestimmte Huldigungsformeln (3,2; 5,9; 8,3) vor dem König und den höheren Beamten sind ebenso bekannt (Herodot, Historien I, 134; III, 86; VII, 136) wie das in 4,11, 5,1‒2 angedeutete Protokoll für die Audienz (Herodot, Historien, I, 99; III, 72.77.84). Die fragmentarisch überlieferte königliche Gerichtsbarkeit (7,1‒10) belegt Herodot (Historien, I, 137). Das persische Verkehrs- und Postwesen (1,22; 3,13‒15; 8,10.14) rühmen Herodot (Historien V, 14.52; VIII, 98), Xenophon (Kyrupaedie, VIII, 6, 17‒18) und Diodorus einhellig (Bibliotheca, II, 22, 3).155 Der Schönheitswettbewerb wirkt offensichtlich historisch stilisiert. Nach Herodot wählt der König eine Braut nicht allein nach ihrer 149 150 151 152

Vgl. TUAT II, 552‒554. Vgl. die Übersetzung S. 57. Vgl. H. Koch, Persepolis, 23 (Photomaterial, Zeichnungen und Graphiken, 27‒40). So G.B. Gray/M. Cary, The Reign of Darius, CAH 4, Cambridge 1926, ND 1969, 194‒201 (Karte). 153 Vgl. G. Cameron, The Persian Satrapies and Related Matters, JNES 32 (1973), 47‒56. 154 Vgl. R.N. Frye, History, 101‒102, 108. 155 Vgl. den Exkurs 3 (S. 67–69)

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Schönheit, sondern nach ihrer Abstammung aus einer edlen Familie aus (Historien III, 84.88; VII, 61). Daß ein König die Abstammung seiner Braut weder kennen kann noch kennen will, ist für orientalische Verhältnisse unvorstellbar (2,10.20; 7,4; 8,3.6). Ein wichtiger Hinweis für die Historizität der Erzählung sind die Namen der dramatis personae. Der Name des Protagonisten Achashverosh ist gemeinsemitisch belegt156; Mordechai erscheint in über 30 elamitischen Texten und bezieht sich auf bis zu vier unterschiedliche Personen157. Die hebraisierten Namen Esther und Haman gehen vermutlich auf eine altpersische oder elamitische Form zurück.158 Allerdings heißt nach Herodot (Historien III, 84; VII, 114; IX, 108‒113) die Frau des Königs weder Vashti noch Esther, sondern Amestris.159 Die Namen der 7 Hofbeamten (1,10) weisen auf eine Verbindung zur Religion Zarathustras hin, „da ihre Namen z.T. den Namen der Ameša Spentas entsprechen“160; die Namen der 10 Söhne Hamans (9,7‒9) gehen auf die vorzarathustrische, elamitische Zeit zurück161. Die außerbiblischen Quellen bezeugen somit das Vorkommen wichtiger in Esther verwendeter Namen, eine genaue Datierung erlauben sie jedoch nicht. Die relative Bestätigung allgemeiner Vorstellungen des Buches Esther durch außerbiblisches Material ist nun aber noch lange kein Beweis für die Historizität der Erzählung. Vielmehr drängen schon die inneren und äußeren Widersprüche zu dem Schluß, daß das Buch Esther nicht primär als historisches Dokument angesehen werden kann. d. Das Fest Purim: Das in Esther begründete Fest Purim ist nach dem akkadischen Lehnwort Pur benannt, das mit Los oder ein Los werfen zu übersetzen ist (3,7; 9,24).162 Es ist der Tag, auf den das Los für das geplante Pogrom fällt. Das am 14./15. Adar163 (Februar/März) gefeierte Purim ist ein jüdisches Erinnerungsfest (9,23.27‒28). Außerhalb des Buches Esther wird erst im apokryphen Buch II Makk 15,36 ein Morde-

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Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 42. Vgl. D.J.A. Clines, Quest, 129‒136; sowie E.M. Yamauchi, Mordecai, 273. Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 42. R. Zadok, Background, 18‒19, will diesen Widerspruch damit aufheben, daß es sich bei Amestris um eine sonst nicht bekannte Nebenfrau handelt. M. Hutter, Elemente, 52. Vgl. M. Hutter, Elemente, 54. Insgesamt 10 Namen aus den Listen in Esth 1,10.14; 9,7‒9 sind in den Persepolis-Tafeln belegt (so E.M. Yamauchi, Mordecai, 272‒275; ders., Persia, 238). So seit J. Lewy, Old Assyrian, 117‒124; so auch V. Christian, Herkunft, 36. Vgl. H. Cazelles, Note, 17‒29; J. Lewy, Feast, 127‒151.

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chai-Tag erwähnt.164 Im biblischen Schrifttum ist dies die einzige Anspielung auf Purim.165 Der Ursprung166 und die Einsetzung von Purim sind umstritten167. Literarische und historische Indizien sprechen dafür, daß das Fest Purim als ein von der persischen Administration akkreditierter Feiertag nicht so begangen ist, wie Esther es vorgibt.168 Daß der persische König einen ausgesprochen jüdischen Feiertag zur Erinnerung an ein von ihm zunächst gewährtes Pogrom ausrufen läßt, widerspricht dem Selbstverständnis des persischen Staatskultes.169 Auch die wiederholten Bemühungen von Statthalter Mordechai (9,20‒22) und Königin Esther (9,29), die Feier des Festes in den persischen Gemeinden als verbindlich durchzusetzten, lassen innerjüdische Widerstände vermuten.170 Auf der anderen Seite ist die Erklärung unbefriedigend, nach der Purim auf eine Jerusalemer Tradition zurückgeht, die redaktionell erst im 2. Jh. an das Buch angehängt worden ist.171 Am ehesten ist damit zu rechnen, daß Vorformen von Purim schon in persischer Zeit regional begangen worden sind. Zu allgemein gültiger Bedeutung ist dieses Fest dann aber frühestens in seleukidischer Zeit erhoben worden. Nicht vor Alexander (356–323) konnten sich die antipersischen Ressentiments als eine Reaktion auf die Unterdrükkung und Verfolgung im Buch Esther niederschlagen. Erst nach der redaktionellen Ausgestaltung der Megilla zur Ätiologie für Purim durch die drei Erweiterungen in 9,1‒10,3 ist das Fest überall in den jüdischen Kalender aufgenommen worden.172 Purim ist dann die einzige Feier des Judentums, dessen Entstehung außerhalb des Pentateuches begründet

164 Vgl. B. Schneider, Esther, 209‒218. 165 Vgl. H.M. Wahl, Glaube, 41‒42, 46‒47. 166 W.W. Hallo, Purim, 19‒29, meint, den Ursprung des Festes in assyrischen und babylonischen Traditionen zu finden, wonach die Vergabe hoher Ämter, wichtige politische Entscheidungen und sogar das Erbe durch Los entschieden worden sind. 167 Vgl. H. Bardtke, Mardochäustag, 97‒116. ‒ Daß es in achämenidischer Zeit zentral verfügte Pogrome gegeben hat, ist nicht belegt. 168 Vgl. N.S. Fox, Spirit, 183‒187; sowie D.F. Polish, Aspects, 85‒106. 169 Vgl. R.N. Frye, History, 120‒124; M. Hutter, Religionen in der Umwelt des Alten Testaments I, Babylonier, Syrer, Perser, StTh 4,1, Stuttgart u.a. 1996, 237‒244; H. Koch, Dareios, 276‒286. 170 So auch J. Hoschander, Esther, 280‒290. 171 Vgl. J.C.H. Lebram, Purimfest, 208‒222. 172 Vgl. zu Purim auch den Exkurs 11 (S. 196–200) und zur Redaktionsgeschichte von 9,1‒10,3 (S. 178–181; 203–205).

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wird (Ex 23,10‒19; 34,18‒24; Lev 16; 23; Dt 16,1‒17; Esr 6,19‒22; Neh 8,13‒18; 10,36).173 Fassen wir zusammen: Eine zuverlässige Chronik ist das Buch Esther (1,1‒8,17*) nicht. Allerdings setzt es die historische Erfahrung der Unterdrückung, vermutlich sogar die der religiösen Verfolgung in der Diaspora und die Errettung der Kinder Israels voraus. Über diese grundlegende Erfahrung jüdischer Existenz im Exil hinaus ist der Dichter sicherlich mit der Lebenswelt im persischen Reich und möglicherweise sogar der Stadt Susa vertraut. Er verfügt über aus eigener Erfahrung und Anschauung gewonnenes Wissen. Doch der Dichter schreibt keinen historisch zuverlässigen Bericht, sondern eine theologische Erzählung im geschichtlichen Gewand. Treffend können wir resümieren: „Esther is neither pure fact nor pure fiction“.174

7. Die Wirkungsgeschichte Die Wirkungsgeschichte Die Wirkungsgeschichte des hebräischen Buches Esther beginnt bereits mit den von ihm abhängigen griechischen Traditionen. Vor allem durch die sechs langen Zusätze der Septuaginta, in denen Gebete, Theophanien und Traumdeutungen nachgetragen sind, hat das Buch sichtbare Kennzeichen einer primären Religiösität erhalten, die unübersehbar in der hebräischen Fassung fehlen. Die spätere jüdische Tradition ignorierte das Buch zunächst: So fehlt im jüdischen Schrifttum aus hellenistisch-römischer Zeit jeglicher Bezug zu Esther, in Qumran ist Esther als einziges Buch des Alten Testaments weder als Text noch als Fragment bezeugt.175

173 Vgl. I. Knohl, The Priestly Torah Versus the Holiness School: Sabbath and the Festivals, HUCA 58 (1987), 65‒118. 174 C.A. Moore, Esther, LII. 175 Vgl. F. Altheim/R. Stiehl, Die aramäische Sprache unter den Achaimeniden, Frankfurt a.M. 1963, 201. ‒ Neuerdings hat J.T. Milik, Les modèles araméens du livre d’Esther dans la grotte 4 de Qumrân, RdQ 15 (1992), 321‒399 (Abbildungen, 400‒406), in den aramäischen Fragmenten (4Q550a-f) Vorlagen für den Estherstoff gefunden. Allerdings ist seine Auffassung überaus hypothetisch, da der Text nur mit erheblichen Konjekturen und Emendationen lesbar ist. So können Miliks Interpretationen „aufgrund der geringen Textbasis nur als Mutmaßungen zu bewerten sein“ (R. Kossmann, Esthernovelle, 288). Auch die aufgeführten Namen bieten keinen eindeutigen Hinweis auf die beiden jüdischen Protagonisten der Megilla (vgl. R. Kossmann, Esthernovelle, 260‒261, 272‒273, 277). Dennoch weisen die Fragmente auf jüdisches Leben am persischen Hof hin (sowie S.W. Crawford, Esther, 307‒325; Sh. Talmon, Book, 249‒267). Leicht zugänglich findet sich die Rekonstruktion der

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Erst in der rabbinischen Literatur fand das Buch Esther dann mehr Beachtung.176 Allerdings blieb die Aufnahme des Buches in die Sammlung heiliger Schriften177 im hellenistisch geprägten Judentum lange noch umstritten178. Sicherlich fehlten den Rabbinen die unverwechselbaren Gottesbezeichnungen ebenso wie eindeutige Kennzeichen jüdischer Religiösität, vermutlich empfanden sie auch die Mischehe Esthers als anstößig.179 Noch im 3. Jh. n. Chr. war die Dignität des Buches deshalb nicht unangefochten (b San 100a).180 Das belegt ein Lehrgespräch des babylonischen Talmuds. „R. Jehuda sagte im Namen Shemuels: Die Esterrolle verunreinigt die Hände nicht“ (b Meg 7a; ähnlich m Yad III,5).181 Nach b Sab 14a werden die Hände nur beim Gebrauch der als heilig geltenden Schriften verunreinigt. Das Motiv die Hände zu verunreinigen setzt „eine aus der Inspiration erwachsene Qualität von Büchern“182 voraus. Wenn, so der implizierte Gedanke, die Benutzung der Estherrolle die Hände nicht verunreinigt, kann es auch keine heilige Schrift sein.183 Der Lehrstreit kann endlich dadurch entschieden werden, daß die Rabbinen zahlreiche Belege für die göttliche Inspiration von Esther, Mordechai und der jüdischen Gemeinde Susas aufführen. Trotz aller Zweifel an der Dignität des Buches setzt sich schließlich die Lehrmeinung von R. Eliezer und R. Aqiba durch. Sie attestieren der ganzen Schrift die durch die göttliche Inspiration bedingte Autorität: „Das Buch Esther wurde durch den heiligen Geist niedergeschrieben“

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Fragmente und die Übersetzung Miliks auch bei R. Kossmann (Esthernovelle, 257‒291). Vgl. L.H. Schiffman, Text, 167‒170, 176, 200. Der Begriff Kanon kommt erst im 4. Jh. n. Chr. auf, die rabbinische Literatur kennt ihn noch nicht. Vgl. H.P. Rüger, Das Werden des christlichen Alten Testaments, JBTh 3 (1988), 175‒189. Vgl. R. Gordis, Religion, 360‒363. Vgl. G. Stemberger, Jabne und der Kanon, JBTh 3 (1988), 163‒174. Übersetzung nach L. Goldschmidt; vgl. G. Stemberger, Jabne und der Kanon, JBTh 3 (1988), 162‒174. G. Stemberger, Jabne und der Kanon, JBTh 3 (1988), 167. „Der Begriff ‚Verunreinigung der Hände‘ ist uns heute fremd. Die nächste mir bekannte Analogie ist die während der Messe erfolgende Waschung der Hände des Priesters vor der Berührung der Elemente des allerheiligsten Altarsakraments, der bis zur Liturgiereform im Zusammenhang mit dem Vaticanum II eine zweite Waschung nach der Eucharistiefeier entsprach. Demgemäß macht die Berührung heiliger Schriften einen rituell zu vollziehenden Übergang vom Profanen zum Heiligen und wieder zurück zum Profanen erforderlich, der durch die kultische Waschung vollzogen wird“ erläutert H.P. Rüger, Das Werden des christlichen Alten Testaments, JBTh 3 (1998), 179.

Die Wirkungsgeschichte

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(b Meg 7a).184 Seine sehr späte Aufnahme in die Megillot verdankt das Buch dann wohl seiner Funktion als Ätiologie für Purim (b Meg 7a).185 Die hohe Wertschätzung der Megilla drückt ein Traktat des babylonischen Talmuds aus, wonach bei der erwarteten Wiederkehr des Messias alle Rollen der Heiligen Schrift vergehen würden bis auf das Buch Esther. „Ferner sagte R. Chija ben Abba im Namen R. Jochanans: Es heißt (nach Dt 9,10): auf diesen waren alle Worte enthalten, die der Herr auf dem Berge mit euch geredet hat; dies lehrt, daß der Heilige, gepriesen sei er, Moshe die Subtilitäten der Tora und die Subtilitäten der Schriftkundigen zeigte, und was die Schriftkundigen später erneuert haben, das ist das Lesen der Esterrolle“ (b Meg 19b).186

184 Um der feinsinnigen Argumentation nachdenken zu können, bieten wir die vollständige Auseinandersetzung (b Meg 7a). Das entscheidende Kriterium für die Beurteilung einer in ihrer Sakralität umstrittenen Schrift ist es, die Wirksamkeit des heiligen Geistes nachzuweisen. Um dieses Motiv rankt sich der nachfolgende theologische Diskurs. „R. Jehuda sagte im Namen Shemuels: Die Esterrolle verunreinigt die Hände nicht. Demnach wäre Shemuel der Ansicht, Ester sei nicht durch den heiligen Geist abgefaßt worden, während doch Shemuel sagte, Ester sei durch den heiligen Geist abgefaßt worden!? […] Es wird gelehrt: R. Eliezer sagte: Das Buch Ester wurde durch den heiligen Geist niedergeschrieben, denn es heißt: und Haman dachte in seinem Herzen (6,6). R. Akiba sagte: Das Buch Ester wurde durch den heiligen Geist niedergeschrieben, denn es heißt: und Ester erwarb sich Gunst, bei allen, die sie sahen (2,15). R. Meir sagte: Das Buch Ester wurde durch den heiligen Geist niedergeschrieben, denn es heißt: die Sache wurde Mordechai kund (2,22). R. Jose b. Durmasqith sagte: Das Buch Ester wurde durch den heiligen Geist niedergeschrieben, denn es heißt: aber nach der Beute streckten sie nicht ihre Hand aus (9,10). Shemuel sagte: Wenn ich da wäre, würde ich eine Begründung gesagt haben, die besser ist als jene alle. Es heißt: sie bestätigten es und nahmen es auf sich (9,27); sie bestätigten es droben, was sie hienieden auf sich genommen hatten. Raba sprach: Jene alle sind zu widerlegen, ausgenommen die des Shemuel, die nicht zu widerlegen ist. Bei der von R. Eliezer [hinzugezogenen Stelle] ist es nur ein Schluß. Da niemand beim Könige so angesehen wie [Haman] war, und er soviel [Ehrung] verhieß, so ist anzunehmen, daß er es auf sich bezog. Desgleichen ist [die Schriftstelle] R. Akibas nach R. Eleazar zu erklären, welcher sagte, dies lehre, [Ester] sei jedem vorgekommen, als gehöre sie zu seiner Nationalität. Ebenso ist die des R. Meir nach R. Chija b. Abba zu erklären, welcher sagte, Bigtan und Teresh waren [zwei] Tarser. Und auch die des R. Jose b. Durmaskith ist zu erklären, es sind vielleicht Boten ausgesandt worden. Die Begründung Shemuels aber ist entschieden nicht zu widerlegen. Rabina sprach: Das ist es, was die Leute sagen: Besser ein scharfes Pfefferkorn als ein Korb voll Kürbisse. R. Joseph entnimmt dies hieraus: so daß diese Purimtage unter den Juden nicht vergehen werden (9,28). R. Nachman b. Jizchak entnimmt dies hieraus: und ihr Gedächtnis bei ihren Nachkommen niemals aufhören wird (9,28)“ (Übersetzung nach L. Goldschmidt). 185 Möglicherweise hat sogar erst die um die Zusätze erweiterte griechische Fassung für die Aufnahme in Jerusalem gesorgt (so I. Kottsieper, Zusätze, 121‒124). 186 Übersetzung nach L. Goldschmidt. ‒ Vgl. zur Komposition und Redaktionsgeschichte von Meg 10b‒17a D. Börner-Klein, Auslegung, 271‒279.

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Großes Ansehen bei den Rabbinen genießt Königin Esther. Neben Sara, Mirjam, Debora, Hanna, Abigajil und Hulda zählen sie Esther zu den sieben Prophetinnen Israels (b Meg 14a); gepriesen wird sie auch als eine der vier schönsten Frauen (b Meg 15a).187 Einschränkend gilt jedoch für die rabbinische Auslegung: „As a rule, the talmudic and midrashic sayings concerning the events of our story are not of the last value for exegesis, and in all probability were not intended to be“.188 Eine narrative Auslegung ist von Josephus (37/38–100) überliefert.189 Der jüdische Historiograph geht in seinen Antiquitates Judaicae breit auf die Megilla ein und widmet seiner paraphrasierenden wie interpretierenden Nacherzählung ein ganzes Buch. Bei Josephus wird Esther zu einer Erzählung vom rettenden Gott des Volkes, an dessen Heilstat sich Israel an Purim erinnert. Gegenüber der biblischen Vorlage betont er in Anlehnung an die griechischen Zusätze die praxis pietatis von Mordechai und Esther sowie das erkennbare Wirken Gottes in der Geschichte (Ant 11, 229‒233.234).190 Während Esther in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten die Aufmerksamkeit der jüdischen Auslegung auf sich zog, hat das Buch bei den Kirchenvätern wenig Interesse gefunden. Eine rühmliche Ausnahme ist Clemens von Alexandria (150–215), der Esther als ἡ τελεία κατὰ πίστιν die Vollendete im Glauben bezeichnet (Stromata IV, 19, 33). Mit seiner Wertschätzung bleibt Clemens jedoch allein, berühmte Kirchenväter wie Augustin (354–430) spielen lediglich auf Esther an (De civitate Dei, XVIII, 36). Die meisten ignorieren das Buch völlig. So überrascht es kaum, daß von den Kirchenvätern keine einzige Kommentierung der Megilla vorliegt. In der jüdischen Literatur des Mittelalters findet die Megilla dagegen vielseitige Beachtung.191 So liegen neben Handschriften auch Midra-

187 Vgl. L.L. Bronner, Esther, 181‒197. 188 J. Hoschander, Esther, 7. 189 Vgl. H.W. Attridge, Josephus and His Works, Jewish Writings of the Second Temple Period hg. v. M.E. Stone, CRI II,2, Assen 1984, 185‒232; sowie L.H. Feldman, Josephus, 1998; und R. Weber, Gesetz, 332‒344. 190 Hilfreich sind in der zweisprachigen Ausgabe von H.St.J. Thackeray/R. Marcus u.a., Josephus, LCL, London/Cambridge 1937, ND 1958‒1966, der kritische Apparat mit Kommentierung. 191 Vgl. allgemein P.S. Alexander, The Targumim and the Rabbinic Rules for the Delivery of the Targum, VT.S 36 (1985), 14‒28; I.L. Seeligmann, Voraussetzungen der Midraschexegese, VTS 1 (1953), 150‒181; sowie einführend P. Navè Levinson, Einführung in die rabbinische Theologie, Die Theologie, Darmstadt 31993, G. Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch, München 81993.

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shim192 (rabbinische Auslegungen)193 vor. Die beiden mittelalterlichen Targumim (aramäische Übersetzungen) zu Esther sind ursprünglich mündlich vorgetragene Homilien, die erst später aufgeschrieben worden sind.194 Sie setzen die rabbinische Tradition der existentiellen Auslegung fort.195 Bedeutende Kommentare196 haben vor allem R. Salomo ben Isaac, nach seinen Initialen bekannt als Rashi (1040–1105)197, und Abraham ben Meir, bekannt als Ibn Ezra (1089–1164)198, geschrieben.199 192 Vgl. S. Buber (Hg.), Sifre de Aggadta Megillat Ester, Wilna 1886; H.G. Enelow (Hg.), The Mishna of Rabbi Eliezer or the Midrash of the Thirty-Two Hermeneutic Rules, New York 1933; A. Wünsche, Der Midrasch zum Buche Esther, Leipzig 1881. 193 Vgl. I. Katzenellenbogen, Esther, 46‒47; sowie B.M. Zlotowitz, Esther, XXXI– XXXVIII. Zusammenfassend hat L.L. Bronner, Esther, 177, die rabbinische Deutung von Esther kommentiert: „In studying the character of Esther, they [die Rabbinen] transform her into a pious Jewish woman punctiliously observing the commandments (mizvot) incumbent on a woman. [W]e will see that rabbinic exegesis of Esther highlights her multifaced qualities, in keeping with the actual character development that takes place in the biblical book, as Esther moves from beauty queen to determined leader.“ 194 Vgl. B. Grossfeld, The First Targum to Esther. According to the MS Paris Hebrew 110 of the Bibliothèque Nationale, New York 1983; ders., The Targum Sheni to the Book of Esther. A Critical Edition based on MS. Sassoon 282 with Critical Apparatus, New York 1994; ders., The Two Targums of Esther, The Aramaic Bible 18, Edinburgh 1991; E. Levine, The Targum to the Five Megillot. Ruth, Ecclesiastes, Canticles, Lamentations, Esther, Codex Vatican Urbinati, Jerusalem 1977. 195 Vgl. erläuternd B. Ego, Targum, 56‒57: „Der Targum als Erzählvortrag hat homiletischen Charakter. Er stellt eine Form narrativer Predigt dar, der die Aufgabe der Ermahnung und Erbauung zukommt. Die in der Auslegung entfalteten geschichtlichen Bezüge, die auf der Möglichkeit einer Verstrickung des eigenen Geschicks in das Handeln der Vorväter sowie auf einer sich im Laufe der Generationen durchsetzenden gerechten Entsprechung von Schuld und Strafe basieren, dienen letztendlich auch einer Deutung der eigenen geschichtlichen Situation. Diese Konzeption vermag die gegenwärtige Not und Unterdrückung zu erklären. Sie weist aber auch konstruktiv auf die im menschlichen Handeln liegenden Möglichkeiten einer Durchbrechung dieser Schuldsphäre hin.“ 196 Vgl. B.D. Walfish, Esther in Medieval Garb: Jewish Interpretation of the Book of Esther in the Middle Ages, SUNY Series in Judaica, Albany 1993. 197 Vgl. A. Rothkoff/A. Grossman/M.Z. Kaddari/J. Fraenkel/I.M. Ta-Shma, Rashi, EJ 13, 1972, 1558‒1565 (Literatur); B.D. Walfish, Esther, 206‒207; sowie ausführlich J. Fraenkel, Rashi’s Methodology in his Exegesis of the Babylonian Talmud, Jerusalem 1969. 198 Vgl. zur Würdigung als Dichter, Philosoph, Exeget und Grammatiker S. Assaf/N. Ben-Menahem/T. Preschel/Sh. Weingarten-Hakohen, Abraham Ibn Ezra, EJ 8, 1972, 1163‒1174 (Literatur); sowie B.D. Walfish, Esther, 214‒215. 199 Aufschlußreich ist die Beschreibung H. Mayrs, wie sich aus der kultischen Purimfeier im Hochmittelalter allmählich das jüdische Theater entwickelt hat. „Das jüdische Purimspiel wird mit den ersten Dramen des christlichen Kreises dadurch verbunden, dass es für die Aufführung geschrieben ist. Da es aber für das frohe PurimPurimfest, ein Fest des Dankes und der Freude über die Überwindung der Feinde,

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Übersichtlich stellt B.D. Walfish die jüdische Exegese des Mittelalters vor.200 M. Luthers (1483–1546) Haltung zum Buch Esther ist zwiespältig.201 Im Brief an N. v. Amsdorf vom September 1542 rühmt er Esther als „piissima regina“.202 Schon 1515/16 hatte er in der Vorlesung über den Römerbrief Mordechai und Esther in einer Linie mit anderen alttestamentlichen Glaubenszeugen als Retter des erwählten Volkes aufgelistet203, gleichzeitig wünscht er sich aber in De servo arbitrio204 von 1525 und dann unmißverständlich in seiner berühmt berüchtigten Tischrede, daß das Buch nicht zum Kanon gehörte: „Und da er, der Doctor, das ander Buch der Maccabäer corrigirte, sprach er: ‚Ich bin dem Buch und Esther so feind, daß ich wollte, sie wären gar nicht vorhanden; denn sie judenzen zu sehr, und haben viel heidnische Unart’“.205 Nach der Durchsicht aller wesentlichen Stellen kommt H. Bardtke zu dem Schluß: „Im gan-

200 201 202 203 204 205

geschrieben ist, steht der Charakter dieser Spiele sehr im Gegensatz zu den christlichen Estherdramen, die immer ernst und würdig gehalten sind; bei den jüdischen Spielen wurde die burleske Form und die Parodie gewählt, die aber auch gleichzeitig der Schaffung eines die Zeiten überdauernden, grossen Kunstwerkes im Wege stand; literarischen Wert kann keines der Spiele für sich buchen. Am Purimfest, das stets in der Synagoge gefeiert wurde, wurde zunächst die Megillah Esther vorgelesen. Als Ursprung eines einfachen Spieles kann dabei gelten, dass die Jugend bei Nennung des Namens Haman mit den Füssen trampeln und ratschen musste. Zur Erhöhung der Stimmung kamen in der Folgezeit auch Scherzlieder dazu. Aus diesen einfachen Feiern entwickelte sich das Purim-Drama, das vor allen Dingen die ursprüngliche Abneigung der Juden gegen das Theater beseitigen half. Die erste erhaltene Parodie stammt aus den Anfängen des 14. Jahrhunderts und ist eigenartigerweise in eine Sammlung heiliger Gesänge eingedrungen. Am Anfang der Purimdramen steht das muntere Purimspiel von Salomon Usque und Lazaro Graziano aus Ferrara im sechzehnten Jarhundert. […] Diese heiteren Spiele schlossen stehts mit Gesang, der die Hoffnung auf künftige Erlösung zum Ausdruck brachte. Als Darsteller fungierten die Talmudjünger. Nicht Esther, sondern Haman ist die Zentralgestalt der Spiele. Die Katzenmusik, die vorher die Nennung seines Namens begleitete, geht mit Übernahme der Spiele auf sein Auftreten über. Haman ist der Korach schlechtweg, der sich immer wieder gegen das jüdische Volk erneuert“ (H. Mayr, Estherdramen, 273‒274; Hervorhebung vom Verfasser). ‒ Über das jüdische Purimspiel informiert ausführlich Ch. Shmeruk, Purim-Shpil, EJ 13, 1972, 1396‒1404, mit einer umfassenden Auflistung der wichtigsten Purimspiele seit dem 16. Jahrhundert (Literatur). Vgl. B.D. Walfish, Esther, 205‒229. Untentbehrlich ist H. Bardtke, Luther und das Buch Esther, SGV 240/241, Tübingen 1964, 49‒88 (mit einer Übersicht der Zitate, 88‒90). WA.Br 10, 139, 8. WA 56, 516, 11‒12. WA 18, 666, 24‒25. WA.Tr 1, 208, 29‒31; auch überliefert in der Sammlung von Konrad Cordatus WA.Tr 3, 302, 12‒19.

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zen überwiegt doch die positive Haltung gegenüber dem Buch, und die noch 1542 erfolgende Apostrophierung der Esther als piisima regina zeigt, daß er diese bejahende Haltung dem Buch gegenüber nicht aufgegeben hat“.206 Auf anderem Gebiete erblühte seit dem 16. Jh. die christliche Rezeption des Buches Esther ‒ und dafür hatte Luther den Boden bestellt. Die von Luther befürwortete dramatische Darstellung biblischer Stoffe führte zu einem Aufschwung des religiösen Theaters. Als Vorlage war besonders das Buch Esther beliebt. Bereits am 8. Oktober 1536 kam es in Nürnberg zur Uraufführung des Dramas Gantze Hystori der Hester von Hans Sachs207; nur ein Jahr später wurde in Magdeburg das Spiel aus der Heiligen Schrift und dem Buch Esther von Valten Voith uraufgeführt208. Als Reaktion auf die Erfolge der evangelischen Estherdramen entstanden dann besonders während der Gegenreformation auch katholische Bearbeitungen des Stoffes. Die ältesten Fassungen unbekannter Autoren stammen aus den 60er Jahren des 16. Jhs. „Die Jesuiten erkannten aus den Erfolgen des protestantischen Dramas die weitreichende Wirkung des Theaters und suchten, sie ihren Bedürfnissen unterzuordnen“.209 Hermeneutisch gilt für diese und die bis ins 20. Jh. reichenden Bearbeitungen, daß die biblische Vorlage als Folie für die Deutung der eigenen Gegenwart dient. „Bei allen Estherdramen tritt die Verbindung mit ihrer Gegenwart in den Vordergrund und lässt sie das in den Stoff hineinzutragende religiöse Element zugunsten der Tagesereignisse in den Hintergrund drängen“.210 Hingewiesen werden muß noch auf die Niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts, die eine bildliche Darstellung des Buches Esther (und der apokryphen Literatur) erblühen läßt. Vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges führt der Freiheitskampf der holländischen Protestanten zu einer christlichen Interpretation des Buches. Es sind vor allem Rembrandt (15. Juli 1616–4. Oktober 1669) und seine zahlreichen Schüler, wie beispielsweise Jan Victors (1619–1676), die sich in

206 H. Bardtke, Luther und das Buch Esther, 85‒86. Die bisweilen scharfe Kritik Luthers führt H. Bardtke auf die Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Judentum zurück (86). 207 Vgl. H. Mayr, Estherdramen, 23‒29. 208 Vgl. H. Mayr, Estherdramen, 30. 209 H. Mayr, Estherdramen, 65. 210 H. Mayr, Estherdramen, 280. Auf S. 287‒298 bietet H. Mayr eine chronologische Übersicht der Estherdramen von 1500 bis 1948.

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Ölgemälden, Zeichnungen und Radierungen wiederholt dem biblischen Stoff aus der Sicht ihrer Epoche zuwenden.211 Die ersten kritischen Bemerkungen zu Esther verdanken wir B. de Spinoza (1632–1677). Im 10. Kapitel seines Tractatus theologico-politicus von 1670 verficht er, daß das Buch Esther von demselben unbekannten Historiographen verfaßt worden ist, der auch die Bücher Daniel, Esra und Nehemia geschrieben hat. Gestützt hat sich der Dichter auf die Annalen und Chroniken, die zur Zeit des Zweiten Tempels angelegt worden sind. Nach Spinoza ist das Buch Esther erst nach der Wiederherstellung des Tempeldienstes unter Judas Makkabäus (†160) in Jerusalem entstanden.212 Die eigentliche wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Buche beginnt mit der Morgenröte der historischen Bibelkritik.213 Johann Gottfried Eichhorn (1752–1827), der Nestor der Einleitungswissenschaft, geht bereits in der ersten Auflage seiner dreibändigen Einleitung von 1780‒83 in den § 508‒511 ausführlich auf die wesentlichen Probleme des Buches Esther ein.214 Er erkennt die mit der Auslegung verbundenen Probleme der Historizität (§ 508, 511), vorformuliert redaktionsgeschichtliche Probleme (§ 511) und diskutiert die noch weitgehend aktuellen Fragen der inneren Widersprüche (§ 509‒510) des Buches.215

8. Die Theologie Die Theologie „A curious phenomenon of the book is its omission of the name of God, even in passages like 4,14, where it seems almost impossible to avoid using it. In 167 verses the King of Persia is named 190 times [216], Persia

211 Vgl. H. Hoekstra (Hg.), Die Rembrandt-Bibel. Die Geschichten von Ester, Daniel, Tobit und Judit, Bd. 6, Neuhausen-Stuttgart, 1984. 212 B. de Spinoza, Tractatus theologico-politicus, Bd. 1, Darmstadt 1979; 21989, 131‒133. 213 Vgl. die beachtliche Übersicht bei L.B. Paton, Esther, 111‒118; sowie W. Herrmann, Ester, 13‒93. 214 Vgl. J.G. Eichhorn, Einleitung ins Alte Testament, Bd. 1‒3, Leipzig 1780‒83. 215 Vgl. J.G. Eichhorn, Einleitung ins Alte Testament, Bd. 2, 21790, 575‒587, 606‒609. In seiner Einleitung in die apokryphischen Schriften des Alten Testaments, Leipzig 1795, 483‒504, behandelt er auch die griechischen Zusätze. 216 Die Zählweise variiert: L.B. Paton, Esther, 95, kommt auf 190 Belege, H.M. Wahl, Sprache, 38, auf 196. Allerdings beziehen sich nicht alle Belege, wie Paton irrtümlich annimmt, auf den König Persiens, die beiden Belege in 2,6 erwähnen die Könige von Juda und von Babel.

Die Theologie

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26 times [217], Ahasuerus 29 times, but Yahweh never“218. An der Vermeidung des Gottesnamens Jahwe und aller seiner Derivate läßt sich leicht das damit verbundene theologische Problem vorstellen. So wie die Gottesbezeichnung vermieden wird, fehlt auch im hebräischen Buch Esther jeder sonst in der späten hebräischen Prosa übliche religiöse Gehalt, der sich in Theophanien (Gen 28,10‒22; 39,21‒23), Gebeten (Esra 9,6‒15; Neh 1,5‒11; 9,6‒37; Dan 9,4‒19; Jona 2; Jud 9; Tob 3), Träumen und ihrer Deutung, religiösen Zitaten und der Erscheinung von Engeln wesentlich ausdrückt (Gen 18,1‒16; 40,8; 41,25‒36; Hi 33; Dan 12; Tob 12). Trotz dieser für die verwandten Bücher Daniel, Tobit und Judith genuinen Darstellungsweise ist das Buch keine „weltliche“ oder, wie es G. Gerleman formuliert, „entsakralisierte[] Erzählung“.219 Für den jüdischen Leser der östlichen Diaspora sind die zahlreichen Anspielungen auf Jahwe, den Erlöser Israels, auf Schritt und Tritt greifbar. Diese Hinweise können wir nach vier Aspekten darstellen220: a. Die religiöse Praxis: Mordechai weigert sich als einziger, dem zum Statthalter erhobenen Haman seine Ehrerbietung durch eine Verbeugung zu erweisen (3,2‒5). Für Mordechai ist diese Gebärde religiös besetzt, sie widerspricht dem Alleinverehrungsanspruch Jahwes (Ex 20,3‒5; Dt 6,4‒5). Ein Beispiel für die positive religiöse Praxis ist Mordechais Bußzeremoniell, mit dem er ‒ und mit ihm bald alle Juden Susas und der Provinzen ‒ auf die Nachricht des geplanten Pogroms reagiert. Der Bußritus ist die erste und einzige in Esther erwähnte öffentliche Religionsausübung eines Juden (4,1‒3). Mit dieser Buße wollen die Juden Susas und des ganzen Reiches ihre Umkehr und Hinwendung zu ihrem Gott bezeugen und den Erlöser Israels darum bitten, das Unheil abzuwenden (4,16). Jahwe ist der Grund und das Gegenüber dieser Buße.221 b. Anspielungen und Zahlensymbolik: Deutliche Hinweise auf Jahwe und die Tora sind unverkennbar. Die wichtigste Requisite der Erzählung sind die erwähnten königlichen Erlasse und Gesetze. Das hebräische Wort königliche Anordnung, Gesetz spielt eine zentrale Rolle im

217 Hier irrt L.B. Paton, Esther, 95, das hebräische nomen proprium Persien ist nur in 1,3.14.18.19; 10,2 belegt. 218 L.B. Paton, Esther, 94‒95. 219 G. Gerleman, Esther, 29. ‒ Gerade in seiner vorliegenden Gestalt als Festrolle für Purim ist die Megilla ein kultisch-sakraler Text der Synagoge. 220 Vgl. ausführlich H.M. Wahl, Glaube, 40‒50. 221 Vgl. H.M. Wahl, Glaube, 40‒41.

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Buch.222 Es ersetzt auch die Bezeichnung für das jüdische Gesetz, die Tora, dort, wo von ihm die Rede ist (3,8).223 Durch die indirekte, aber nicht namentliche Erwähnung des jüdischen Gesetzes werden und kontrastiert. Jenes beschreibt den für alle Juden vernichtenden Erlaß, dieses aber die von Jahwe begründete Ordnung allen jüdischen Lebens (Dt 30). Wann immer die königlichen Gesetze und Erlasse erwähnt werden, klingt daher für einen gläubigen Juden das allein gültige und im Gottesdienst verlesene Gesetz Jahwes mit an (EstR 3,10).224 Doch dies ist nicht die einzige Anspielung auf die Tora. Da der Dichter im Anschluß an die Namensliste der Exekutierten (9,7‒10) die Zehnzahl durch die dreimalige Wiederholung betont (9,10.12.13.14), spielt er damit bewußt auf den Dekalog an (9,7‒10).225 Als deutlicher Hinweis auf Jahwe wird gewöhnlich 4,14 interpretiert. In einer an Esther gerichteten Rede drückt Mordechai seine Hoffnung aus, daß, auch wenn Esther trotz des drohenden Pogroms schweigen sollte, Rettung und Befreiung von einem anderen Ort kommen wird. Da in der rabbinischen Literatur der Ort eine geläufiges Synonym für Jahwe ist226, galt der Topos lange unbestritten als einziger Hinweis auf die einzige Gottesbezeichnung des Estherbuches. Ob es sich bei um eine Vorform der bei Philo von Alexandria (10/15–50 n. Chr.) zuerst belegten Gottesbezeichnung handelt, kann hier nicht geklärt werden.227 Zweifellos weist jedoch die von Mordechai ausgedrückte Hoffnung auf Rettung von einem anderen Ort über die Möglichkeit menschlichen Handelns hinaus, setzt ja gerade die im Konditionalsatz ausgesprochene Zuversicht die Untätigkeit der Königin Esther voraus: Auch wenn die Königin schweigt und tatenlos das drohende Unheil über die Juden ergehen läßt, auch wenn alle Hoffnung auf menschliche Intervention versiegt, wird von anderem Ort Befreiung entstehen. Absichtlich hat der Dichter diese Hoffnung offen formuliert. Wenn selbst die jüdische Königin, die mächtigste Frau des bekannten Erdkreises, ihren Einsatz für das Gottesvolk, ihren eigenen Samen, versagt, können gläubige Juden nur auf Jahwe hoffen, zumal die Erinnerung, daß sich die Könige Israels gegen Jahwe verfehlt

222 223 224 225 226

Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 37. Vgl. F. Crüsemann, Gesetze, 9‒25. Vgl. H.M. Wahl, Jahwe, 5. Vgl. zur Zahlensymbolik auch die Auslegung von 1,10.14; 5,1.14. Vgl. A. Spanier, Die Gottesbezeichnungen und dischen Literatur, MGWJ 66 (1922), 310. 227 Vgl. P.R. Ackroyd, Two Hebrew Notes, ASTI 5 (1967), 82‒84.

in der frühtalmu-

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haben, noch lebendig gewesen ist (Gen 45,5‒8; II Reg 23,36‒37; 24,8‒9; 24,18‒19). c. Motive: Auf religiöse Motive weisen auch die beiden Verba und hin, die in dem belegten Stamm sich versammeln bedeuten (4,16; 8,11; 9,2.15.16.18).228 In 8,11 wird allgemein das Versammlungsrecht der Juden erwähnt; in 9,2.15.16 versammeln sich die Juden, um ihre Feinde zu töten. Nach dem Vergeltungsschlag versammeln sich die Juden Susas vom 13. bis 15. Adar. An zwei Tagen feiern und am dritten Tage ruhen sie (9,18). Der religiöse Kontext ist deutlich: und beschreiben das mit einer eingeschränkten Selbstbestimmung gewährte Recht auf Verteidigung und Religionsausübung, auf die das gemeinsame Fasten und die gemeinsame Feier hinweisen. Die Ruhe nach der zweitägigen Feier (9,16.17.18.22) ist eine Anspielung auf die Gottesruhe nach der Schöpfung (Gen 2,1‒3). Die Ruhe vor den Feinden ist das Ziel der Vergeltung. Daß es den Juden gelungen ist, ihre Feinde zu töten, ist nicht etwa der Ausdruck von Rachsucht, sondern von nötiger Verteidigung gegen einen übermächtigen Gegner und insofern ein Hinweis auf den Beistand Jahwes.229 Auf diesen Beistand Jahwes weist insbesondere das Motiv des pachad Jahwes hin (8,17; 9,2.3). Dieser Schrecken vermittelt sich als numinose Furcht vor Jahwe, als Furcht vor Israel (8,17; 9,2), aber auch als Schrecken vor einzelnen Personen, wie dem Statthalter Mordechai (6,13; 9,3; Gen 31,42.53; Ex 23,27; II Chr 17,10). Der jüdische Glaube begreift den Schrecken als Theophanie, durch den der Gott Israels unmittelbar in das Geschehen der Welt einbricht (Gen 35,5; Ex 15,16; Dt 2,25; 28,10; Jos 2,9; I Sam 11,7; Jes 2,10.19.21; Ps 36,2; 105,38; 119,120; Hi 13,11; 25,2). Auch wenn der Gottesname nicht erwähnt wird, ist der Gott Israels der Grund dieses Schreckens, dem sich dann in der Vergeltung niemand entziehen kann (9,5‒10.15‒18; Ex 15,14‒16; Jos 2,9‒11). Die schließlich daraus folgende Errettung der Kinder Israels ist die in der Selbstbehauptung Jahwes im Pantheon Persiens erfüllte Verheißung (Lev 26,11‒12; Jer 7,23; Jes 45,5; Ez 34,24).230 Ein zentrales Motiv ist das Los. Mit dem Werfen von Losen, einer Spezialform des Orakels, versucht der Mensch, den göttlichen Willen 228 Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 30, 32. 229 Vgl. H.M.I. Gevaryahu, Esther, 2‒12. ‒ Getragen wird der Gedanke von einem seit Dina selbstverständlichen Vergeltungsglauben (Gen 34), dessen alleiniger Grund wiederum Jahwe ist. 230 J. Becker, Gottesfurcht im Alten Testament, AnBib 25, Rom 1965, 69‒74; K. Koch, pachad jişchaq ‒ eine Gottesbezeichnung?, 1980, ders., Studien zur alttestamentlichen und altorientalischen Religionsgeschichte hg. v. E. Otto, Göttingen 1988, 206‒214.

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zu erkunden. In dieser Absicht wirft auch Haman das Los, um den Tag des Pogroms zu bestimmen (3,6‒9). Bewußt wählt der Dichter für den Losentscheid das akkadische Lehnwort Pur. Bedacht benutzt er nicht das hebräische Synonym Los, sondern übersetzt mit dem hebräischen Ausdruck dem Leser zweimal das fremde Wort (3,7; 9,24). Der Dichter wählt die hebräische Bezeichnung , um eine Verbindung des heidnischen Losentscheides zu Jahwe auszuschließen. So verweist das Los zunächst auf die unbenannten, aber in A 3,7 erwähnten Götter Hamans. Da die Götter des Judenfeindes im Losentscheid die Zeit festlegen, ist vorausgesetzt, daß sie seinen Plänen grundsätzlich zustimmen.231 Indem Jahwe das Pogrom dann jedoch vereitelt, erweist sich der Gott Israels als mächtiger als die Götter Hamans ‒ der jüdische Monotheismus ist dem persischen Polytheismus überlegen.232 d. Begriffe und Topoi: Wenden wir uns nun einigen Begriffen und Topoi zu. Die dreimal belegte triadische Formel auszurotten, zu töten und zu vernichten (3,13; 7,4; 8,11) bekräftigt mit den drei nicht synonymen, aber in ihrer Intention gleichbedeutenden Verben die geplante vollständige Vernichtung alles jüdischen Lebens im persischen Reich. Diese ausschließlich in Esther belegte Formulierung korrespondiert mit der Bezeichnung jüdisch, Jude, Judäer. Nur wer als Jude erkannt wird, ist vom Pogrom bedroht. Wo aber die Vernichtung des zerstreuten Gottesvolkes angedroht wird, stehen die Mehrungs-, Bestands- und Beistandsverheißungen Jahwes auf dem Spiel (Gen 12,1‒3; 13,16; 15,5; 22,16‒18; 26,3‒4; 28,15; 35,11‒12; 48,4). Erweitern wir nun den Gedankengang. Die Bezeichnung jüdisch, Jude oder Judäer kommt in keinem anderen Buch des Alten Testaments häufiger vor als in Esther. 51 von 75 Belegen entfallen auf Esther, damit ist , ein Lieblingswort des Dichters.233 Das Wort bezeichnet individuell den einzelnen Juden und kollektiv das jüdische Volk. Mit ihm identifiziert die persische Administration eine über 127 Satrapien zerstreute Volksgemeinschaft, die eigenen, von ihrem Gott gegebenen Gesetzen gehorcht (3,8). So ist , nicht nur ein nomen gentilicium, das eine ethnische Gemeinschaft charakterisiert; als theologischer Begriff drückt das Wort gleichzeitig das unauflösbare Verhältnis Israels zu seinem Gott Jahwe aus (6,13).

231 Vgl. M. Hutter, Religionen in der Umwelt des Alten Testaments I. Babylonier, Syrer, Perser, StTh 4,1, Stuttgart u.a. 1996, 222‒225. 232 Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 25. 233 Vgl. ebd., 37.

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Von anderer Seite wird diese Deutung unterstützt. Nach dem Toleranzedikt (8,11‒12) wenden sich etliche Gojim dem Judentum zu. Nur ein einziges Mal ist das Wort sich zum Judentum bekennen, sich als Jude ausgeben im hitpael im Alten Testament belegt (8,17). Linguistisch gehört es zu demselben Lexem wie . Schließlich werden in 9,27 im Zusammenhang der Stiftung des Purimfestes noch einige erwähnt, die sich den Juden angeschlossen haben. Möglicherweise sind in beiden Fällen assimilierte Juden gemeint, die sich vor dem Toleranzedikt nicht zu ihrem Volk und nicht zu Jahwe bekannt haben. Sicherlich hat der Dichter aber auch Proselyten wie den Ammoniter Achior vor Augen (Jdt 14,10). Ihnen müssen die Religionslehrer aber vermittelt haben, was es bedeutet, sich zum Gott Israels zu bekennen.234 Wir konstatieren: Bei näherer Betrachtung begegnet Jahwe im hebräischen Buch Esther auf Schritt und Tritt. Der Gott Israels ist nicht eine ferne, numinose Macht, die nur im Hintergrund wirkt. Der Glaube an ihn und sein heilvolles Wirken in der Geschichte trägt das Buch. Die Rede von Jahwe ist jedoch nur mit dem Vorwissen der biblischen Tradition eindeutig zu dechiffrieren: Jahwe ist in der religiösen Praxis das Gegenüber. Auf ihn weisen für den zeitgenösssischen Leser der persischen Diaspora zahlreiche Anspielungen und Motive im ganzen Buch hin, sein Wirken ist in Begriffen und Topoi deutlich konturiert. Schon in der Komposition der Megilla schlägt sich dieser Glaube nieder: Der Aufstieg Esthers zur Königin über Persien geht dem Aufstieg des bösen Haman voran. Für den Gläubigen der Diaspora leuchtet Esther auch während der dunklen Drohung des Pogroms wie ein hoffnungsvoller Fixstern am Himmel Persiens. Doch entbindet dieses Urteil nicht von der Frage, warum gerade im Vergleich mit der verwandten Literatur alle ausdrücklichen Bezüge zu Jahwe, die Gottesbezeichnungen und religiösen Phänomene im hebräischen Buch Esther fehlen. Die Antwort auf die nur selten gestellte Frage bleibt spekulativ: Daß der Dichter die uns vorliegende Form der Darstellung als literarisches Stilmittel wählt, ist angesichts des literarischen Kontextes unwahrscheinlich. Vermutlich hat die jüdische Gemeinde eine Vorform des Buches (1,1‒8,17*) ohne die redaktionellen Anhänge (9,1‒10,3) der persischen Reichsregierung vorlegen müssen (9,20‒21), da es die einzige biblische Schrift ist, die sich dezidiert mit den politischen Verhältnissen in der Diaspora auseinandersetzt. Die Toleranz der persischen Regierung reichte nun nicht so weit, den Ei234 Vgl. H.M. Wahl, Glaube, 47‒50, 53‒54.

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gennamen eines fremden Gottes oder andere monotheistische Gottesbezeichnungen in einer Schrift zu dulden, die zum vornehmlichen Inhalt die persische Religionspolitik hat. Deshalb werden auch die öse Praxis, die Anspielungen, Motive und Begriffe verschlüsselt und nur so mitgeteilt, daß sie bei den Vertretern der persischen Administration, der eine 1,1‒8,17* ähnelnde Fassung als Chronik vorgelegen hat235, keinen Anstoß erregen.236 e. Die griechische Tradition: Das theologische Schwergewicht des Buches verlagert sich in der griechischen Tradition und dann vor allem in den Zusätzen der Septuaginta.237 Schon früh formierte sich wegen des oberflächlich fehlenden religiösen Gehalts, der sich besonders in der Absenz des Eigennamens Jahwes und seiner Derivate ausdrückt, Widerspruch gegen die Megilla. Bereits die Verfasser der griechischen Texte haben die positiven Zeichen einer primären Religiosität ‒ wie Träume und Theophanien, kultische Handlungen und Gebete ‒ schmerzlich vermißt.238 Den in der hebräischen Fassung vollständig ignorierten Namen des Gottes Israels einschließlich seiner Derivate wie El oder Elohim (Gott), geläufige Epitheta ‒ wie der Höchste, der Schöpfer oder der Erhabene ‒ fügen die beiden griechischen Überlieferungen ein (B 2,20; 4,8; 6,1; 6,13; A 4,9.11; 7,2). In den Zusätzen begegnet der Gottesname und andere Gottesbezeichnungen dann auf Schritt und Tritt: „The most striking addition in the Greek text“, so C.A. Moore, „is, of course, God himself, the word or his name occurring over fifty times“.239

235 So R. Gordis, Religion, 375; A. Berlin, Book, 3‒14; M. Hutter, Elemente, 57. 236 Vgl. H.M. Wahl, Glaube, 49‒53; ders., Jahwe, 14‒16. 237 Ein Kenner der späten Prosa Israels ist der amerikanische Gelehrte C.A. Moore, der seit den frühen 70er Jahren mit Einzelstudien und Kommentaren hervortritt. Aus seiner Feder liegen in der Reihe Anchor Bible Kommentare zu den Büchern Esther (1971), Judith (1985), Tobit (1996) sowie den Zusätzen der Bücher Daniel, Esther und Jeremia (1977) vor. In deutscher Sprache ist nun auch ein leicht zugänglicher Kommentar erschienen: I. Kottsieper hat die Zusätze zum Buch Esther (1998) gründlich kommentiert. 238 C.A. Moore, Daniel, 158: „Nor is the explicit mention of the Deity confined to the Additions; for in the canonical portions of Esther the Greek has the following: ‚to fear God and obey his commandments‘ (2:20), ‚call upon the Lord‘ (4:8), ‚but God shall be their help and salvation‘ (4:14 of the AT), ‚propose a service and earnestly beg God (4:16 of the AT), ‚and the Lord drove the sleep from the king that night‘ (6:1), ‚for God is with him‘ (6:13). ‚Esther was uneasy about speaking because the enemy was right in front of her, but Got gave her the courage for the challenge (7:2 of the AT)“. 239 C.A. Moore, Daniel, 158.

Der historische Ort

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Doch das ist längst nicht der einzige Eingriff der frommen Redaktoren. Die wohl als Mangel an einer religiösen Praxis empfundene Darstellung des hebräischen Buches korrigieren die Autoren der Zusätze dann durch sechs prägnante Einschübe (A‒F).240 Schon quantitativ stechen die 105 Verse der Zusätze gegenüber den 167 Versen des ursprünglichen Buches ins Auge. Durch diese Zusätze entsteht eine völlig neue Komposition des griechischen Buches mit den Gebeten von Mordechai (C 1‒11) und Esther (C 12‒30) als neuer Mittelachse. Beide Gebete bezeugen den persönlichen Gottesglauben an Jahwe, den Gott Israels. Beide Gebete benutzen bei ihrer Anfrufung selbstverständlich das griechische Äquivalent des Tetragramms Κύριος Herr, das sich auch im übrigen Text findet. Auch andere Gottesattribute fügen die Dichter ein: Jahwe ist für Esther und Mordechai nun der Gott Israels, der allmächtige Schöpfer des Himmels und der Erde, der König Israels (C 2.14), der durch seinen Geist wirkt und den persischen König umstimmt (D 8), der das Schuldbekenntnis Esthers hört (C 17‒18); er ist der Gott, den es zu fürchten gilt (B 2,20). Der persönliche Gott, den Esther und Mordechai in ihren Gebeten anrufen, offenbart sich nach den Zusätzen der Septuaginta im Traum (A 1‒11; F 1‒6) und im Ordal (D 13‒14; F 7‒10). In ihrem religiösen Gehalt ist die griechische Tradition so um den eingeführten Gottesnamen, die verschiedenen Gottesbezeichnungen, um pneumatologische Anmerkungen, den Traum und seine Deutung, um Theophanien und um die Gebete der Protagonisten erheblich bereichert.241

9. Der historische Ort Der historische Ort „Den Verfasser des Buchs“, schreibt schon J.G. Eichhorn, „kennt niemand“. Begründend fährt er fort, „denn weder die Ueberlieferung noch er selbst giebt seinen Namen an: und wer ihn bisher errathen wollte, hat sich in leere Speculationen verloren, oder eine Stelle des Buchs 240 Die sechs Zusätze werden mit Buchstaben (A‒F) und Versangaben zitiert. Den Inhalt geben wir in der Auslegung jeweils dort an, wo die Texte eingefügt worden sind (A 1‒17 vor 1,1; B 1‒7 nach 3,13; C 1‒30 nach 4,17; D 1‒16 vor 5,1; E 1‒24 nach 8,12; F 1‒11 nach 10,3). 241 Nach I. Kottsieper, Zusätze, 121‒124, gehen die Zusätze auf pharisäische Kreise des ausgehenden 2. bis frühen 1. Jahrhunderts zurück. Mit den Zusätzen verfolgen sie ein doppeltes Ziel: Zum einen versuchen sie durch die eingefügten religiösen Elemente das Buch für die Volksfrömmigkeit rezipierbar zu machen und damit zum anderen das bislang nur in der Diaspora begangene Purimfest auch in Israel und Ägypten zu etablieren.

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Einleitung

mißbraucht“.242 Da es sich bei Esther, wie bei den alttestamentlichen Texten überhaupt, um anonyme Literatur handelt, kann auch kein historisch greifbarer Verfasser konkrete Hinweise auf die Entstehung des Buches geben.243 Dennoch läßt sich der historische Ort aus den Angaben des Buches und weiteren Indizien ermitteln. Die sprachlichen, thematischen und historischen Andeutungen weisen auf die östliche Diaspora als den Entstehungsort hin. Es ist nicht auszuschließen, daß der Dichter selbst aus der Gemeinde von Susa stammt.244 Die erste redaktionelle Erweiterung (9,1‒19) hat das Buch möglicherweise noch in der östlichen Gola, vielleicht sogar in der Gemeinde von Susa, die zweite (9,20‒32) und dritte (10,1‒3) vermutlich in Palästina erfahren.245 Die Entstehungszeit der Erzählung gibt das Buch selbst nicht vor. Innere Widersprüche erschweren die Datierung der Megilla. Nach 1,1‒3 fallen die erzählten Begebenheiten in die Amtszeit des persischen Königs Achashverosh, den wir nach der griechischen Tradition mit Xerxes I. (486/85‒465/64) identifizieren können.246 Aus dieser Sicht blickt die Erzählung auf Ereignisse des frühen 5. Jhs. zurück. Erschwert wird diese Perspektive durch die Angabe, daß Mordechai selbst zu den 597 vom babylonischen König Nebukadnezar aus Jerusalem weggeführten Juden gehört haben soll (2,5‒6). Korrelieren wir die beiden Daten, müßte Mordechai schon bei dem Regierungsantritt von Achashverosh weit über 120 Jahre alt gewesen sein. Schon der epische Charakter des Buches vereitelt eine exakte Datierung. Von anderer Seite her können wir die Entstehung zeitlich eingrenzen. In dem aus dem frühen 2. Jh. v. Chr. stammenden Buch Jesus Sirach werden im Lob der Väter ‒ das die Glaubenszeugen von Henoch und Noah über Abraham, Isaak, Jakob und Mose, über die Könige David und Salomo, über die Propheten Jesaja, Jeremia und Ezechiel, über Hiob bis Nehemia aufführt ‒ weder Esther noch Mordechai erwähnt (Sir 44,1‒50,24).247 Auffälligerweise fehlt auch Esra. So ist aus der fehlenden Erwähnung nicht zwingend zu schließen, daß die Megilla noch nicht vorgelegen hat. Vermutlich hat die Erzählung in Israel um die 242 J.G. Eichhorn, Einleitung, Bd. 2, 21790, 575‒576 [Hervorhebung vom Verfasser]. 243 Vgl. O. Kaiser, Literaturgeschichte ‒ Biblische, I. Altes Testament, TRE 21, 1991, 306‒337. 244 Vgl. H.M. Wahl, Jahwe, 16‒21. 245 Vgl. ausführlich S. 178–181; 203–205. 246 Vgl. R.N. Frye, History, 126‒130; J.A.R. Murno, Xerxes’ Invasion of Greece, CAH 4, Cambridge 1926, ND 1969, 268‒316 (Karten). 247 Vgl. G. Sauer, Jesus Sirach/Ben Sira, ATDA 1, Göttingen 2000, 29‒31, 300‒341.

Der historische Ort

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Wende vom 3. zum 2. Jahrhundert noch nicht die nötige Autorität genossen, um Esther und Mordechai ins Lob der Väter mitaufzunehmen.248 Auffälliger ist es schon, daß das Buch Esther als einzige Schrift des Alten Testaments in der Literatur von Qumran nicht bezeugt ist.249 In II Makk 15,36 wird der Tag des Mordechai erwähnt, doch kann daraus noch nicht auf die Existenz des Buches geschlossen werden. Außerbiblisch wird die Megilla erstmals von Josephus (37/38–100) in den um 70 n. Chr. in Rom geschriebenen Antiquitates Judaicae erwähnt, die das Buch und die griechischen Zusätze ausführlich paraphrasierend interpretieren (Ant 11, 184‒296).250 Von diesen Angaben her ist das hebräische Buch Esther frühestens nach der Regierungszeit von Achashverosh (nach 465) und spätestens im frühen 2. Jh. entstanden.251 Die stilistischen und sprachlichen Analysen legen jedoch eine Abfassung in der späten Perserzeit (559‒330) des ausgehenden 4. Jhs. oder in früher hellenistischer Zeit (331‒312) nahe.252 Historisch fügt sich die Erklärung gut, daß zumindest eine Grundfassung von 1,1‒8,17* noch in persischer Zeit geschrieben worden ist.253 Der für die persische Regierung anstößige Bericht von der Vergeltung der Juden an ihren Feinden und die Stiftung des Purim (9,1‒10,3) ist dann lange nach der Eroberung Persiens (333‒330)254 vermutlich in mehreren Redaktionen in der späten seleukidischen Epoche angehängt worden255.

248 Dem entspricht I. Kottsieper, Zusätze, 123‒124, der nahelegt, daß die durch die Zusätze für die Volksfrömmigkeit rezipierbare griechische Version erst in der Mitte des 2. Jahrhunderts in Israel verbreitet war. 249 Vgl. F. Altheim/R. Stiehl, Die aramäische Sprache unter den Achaimeniden, Frankfurt a.M. 1963, 201; Sh. Talmon, Book, 249‒267. 250 Josephus kannte offensichtlich eine griechische Fassung mit den Zusätzen B-E (vgl. I. Kottsieper, Zusätze, 132). 251 Dies setzt voraus, daß die hebräische Fassung die Vorlage für die älteste griechische ist (vgl. H.M. Wahl, Buch, 26‒29). 252 Vgl. R. Gordis, Religion, 375‒378; A. Berlin, Book, 3‒14. 253 Vgl. H.M. Wahl, Glaube, 50‒54. 254 Vgl. H. Bengston, Griechische Geschichte, HAW III, 4, München 1950, 51977, 319‒337; G. Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches, Darmstadt 1994, 9‒14. 255 Vgl. ausführlich S. 178–181; 203–205.

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Einleitung

II. Auslegung Auslegung

1. Der Ruhm des Königs und der Fall der Königin (1,1‒22) Der Ruhm des Königs und der Fall der Königin [1] A 1 Im zweiten Jahr der Herrschaft des Artaxerxes2, des Großen, hatte am 1. Nisan Mordechai, der Sohn Jairs, des Sohnes Schimis, des Sohnes Kischs, aus dem Stamm Benjamin, einen Traum. 2 (Er war) ein jüdischer Mann, der in der Stadt Susa wohnte, ein bedeutender Mann, der am Hof des Königs diente. 3 Er stammte von den Kriegsgefangenen ab, die Nebukadnezar, der König von Babylon, mit Jojachin, dem König von Juda, aus Jerusalem in Gefangenschaft geführt hatte. 4 Und dies war sein Traum: Und siehe, da waren Lärm und Getöse, Donner und Erdbeben, ein Aufruhr auf der Erde. 5 Und siehe, zwei große Drachen kamen hervor, beide bereit zu kämpfen; und sie brüllten laut. 6 Und durch ihr Gebrüll wurde jedes Volk in Kriegsbereitschaft versetzt, um gegen das Volk der Gerechten zu kämpfen. 7 Und siehe, ein Tag der Finsternis und des Dunkels: Bedrängnis und Not, Mißhandlung und großer Aufruhr auf der Erde. 8 Und ‚sein‘ ganzes gerechtes Volk geriet in Aufruhr aus Furcht vor dem Verderben, das ihnen drohte. Und sie bereiteten sich darauf vor zu sterben 9 und schrieen 1

2

Der erste Zusatz (A 1‒17): Vor dem hebräischen Buch Esther (1,1) schaltet die griechische Tradition der Septuaginta in den Zusätzen zu Esther einen langen Text vor (A 1‒17), der inhaltlich aus drei deutlich konturierten Abschnitten besteht (A 1‒3; 4‒11; 12‒17). Da der Text gleichzeitig als Einführung in die G dient, geht der Schilderung des Traumes eine mit Datierung und genealogischen Angaben ausgestaltete Einleitung in das Buch und die Situation voraus. Während die Erzählung der hebräischen Bibel mit dem Vorspiel bei Hofe einsetzt, und die jüdischen Protagonisten erst später eingeführt werden, richtet sich nun der Blick sofort auf den exilierten Juden Mordechai (A 1‒3). Nach dieser mit kalendarischem Formular vorgetragenen Einleitung teilt der Dichter dann Mordechais Traum mit, der typische Motive (Erdbeben, Drache, Volk der Gerechten, Finsternis und Licht, Aufruhr auf der Erde, große Bedrängnis, Schreien, Urwasser) einer apokalyptischen Schauung aufweist (A 4‒11). Unmittelbar nach dem Traum schließt sich eine zweite Szene an (A 12‒17). Der Chronist berichtet, wie Mordechai einen geplanten Anschlag auf den König aufdeckt und so vereitelt. Der König belohnt ihn mit Geschenken und nimmt ihn zum Dienst bei Hofe auf. Die gerechte Verurteilung der beiden Eunuchen weckt den Haß Hamans gegen Mordechai und alle Juden (A 17). So begründet schon der erste Zusatz den Konflikt des Buches (vgl. I. Kottsieper, Zusätze, 137‒149; J.D. Levenson, Esther, 37‒42; C.A. Moore, Daniel, 173‒181). M 1,1 bietet Achashverosh, B 1,1 Artaxerxes, A 1,1 Assyäros (vgl. die Auslegung zu 1,1).

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Auslegung

zu Gott. Aber aus ihrem Schreien entstand gleichwie aus einer kleinen Quelle ein großer Fluß, ein mächtiges Gewässer. 10 Licht und die Sonne ging auf, und die Niedrigen wurden erhöht und verschlangen die Vornehmen. 11 Und Mordechai, der diesen Traum und das, was Gott zu tun beschlossen hatte, gesehen hatte, erwachte; er befiehlt ihn im Sinn und wünschte, ihn in jeder Hinsicht bis zur Nacht zu verstehen. [3] 12 Und Mordechai ruhte im Hof mit Gabatha und Tharra, den beiden Eunuchen des Königs, die den Hof bewachten. 13 So hörte er ihre Überlegungen und forschte nach, was ihnen Sorgen bereitete. Da erfuhr er, daß sie einen Anschlag auf König Artaxerxes vorbereiteten. Und er wies den König auf sie hin. 14 Der König fragte die beiden Eunuchen aus, und sie wurden, nachdem sie gestanden hatten, abgeführt. 15 Diese Begebenheiten schrieb der König zur Erinnerung auf, und auch Mordechai schrieb einen Bericht über diese Ereignisse. 16 Und der König beauftragte Mordechai, im Hof zu dienen, und gab ihm dafür Geschenke. 17 Aber Haman, der Sohn Hamadatos, der Bugaios, war geehrt vor dem König. Und er trachtete danach, Mordechai und dessen Volk wegen der zwei Eunuchen des Königs Böses anzutun. [4] 1,1 Es geschah in den Tagen des Achashverosh – das ist der Achashverosh5, der von Indien bis Äthiopien über 127 Provinzen herrschte – 2 in jenen Tagen, als König Achashverosh auf seinem Königsthron im Schloß von Susa saß, 3 im dritten Jahr seiner Königsherrschaft, machte er ein Gastmahl für alle seine Beamten und seine Diener, die Heerführer6 Persiens und Mediens, die Vornehmen und die Beamten der Provinzen7 – vor ihm. 4 Dabei gab er ihnen8 den Reichtum seiner Königsherrlichkeit und seine Pracht, Glanz seiner Größe9, viele Tage lang zu sehen10 – 180 Tage11.

3 4 5 6 7 8 9 10 11

Übersetzung nach I. Kottsieper, Zusätze, 137. Ebd., 145. B 1,1 bietet Artaxerxes, A 1,1 Assyäros. M Kraft, Heer ist eine Metonymie. M hamedijnot ist eine Metonymie. M beharoto, lies prb beharotam. Die Aneinanderreihung der drei Synonyme Pracht, Glanz und Größe dient als Ausdruck der Betonung. Rhetorisch charakterisiert den Vers eingehende Lautsymbolik (vgl. W. Dommershausen, Estherrolle, 20). Die nicht wörtlich zu verstehende Angabe der Dauer ist eine Hyperbel, zahlensymbolisch expliziert sie die vorangehende unbestimmte Formulierung viele Tage.

Der Ruhm des Königs und der Fall der Königin

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5 Nach Verlauf dieser Tage12 [13] machte der König für alles Volk, das sich im Schloß von Susa befand, von Groß bis Klein, ein Gastmahl von sieben Tagen, im Innenhof des königlichen Palastgartens. 6 Weißes Linnen, Feingewebe14 und violetter Purpur hingen an Schnüren von Byssos und rotem Purpur an silbernen Ringen und an Alabastersäulen; goldene und silberne Lager standen auf einem Mosaikboden aus Bahat15 und Alabaster und Perlmutt16 und Schildstein17. 7 Getrunken wurde aus goldenen Bechern, Becher von Becher18 verschieden, und reichlich königlicher Wein, nach königlichem Brauch19. 8 Das Trinken vollzog sich nach königlicher Anordnung: „Keiner soll nötigen!“ Denn so hatte es der König über alle Vorsteher seines Hauses20 befohlen: „Mann für Mann21 möge nach seinem Willen trinken!“ 9 Auch Vashti, die Königin, machte ein Gastmahl für die Frauen im Königspalast von König Achashverosh. 10 Am siebten Tag, als das Herz des Königs vom Wein guter Dinge war, sprach er zu Mehuman, Bista, Charbona, Bigta und Abagta, Setar und Charkas, den sieben Eunuchen, die vor dem König Achashverosh Dienst verrichteten, 11 sie sollen Vashti, die Königin, vor den König bringen, in königlicher Bekrönung, um sich dem Volk und den Oberen in ihrer Schönheit zu zeigen, denn sie war schön anzusehen. 12 Aber die Königin Vashti weigerte sich, auf das Wort des Königs hin zu kommen, das die Eunuchen überbracht hatten. Da erzürnte sich der König sehr, und sein Grimm brannte in ihm. 13 Da sprach der König zu den Weisen, den Zeitkundigen – denn so pflegte die Sache des Königs zu gelangen vor alle Kenner der Anordnungen und Gesetze22 –, 14 die ihm am nächsten standen – Karshena, Setar, Admata, Tarshish, Märäs, Marsena, Memuchan –,23 die 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

Die Redefigur ist eine Hysterologie, genauer ein Hysteron-Proteron. B 1,5 fügt τοῦ γάμου des (Hochzeits-)Festes ein; A 1,5 erklärt ἄγων τὰ σωτήρια αὐτοῦ seine Befreiung zu begehen. karpas ist ein hp lg. bahat ist ein hp lg. dar ist ein hp lg. sochärät ist ein hp lg. Dreimal gebraucht der Dichter zur Betonung dasselbe Wort keli (vgl. H. Striedl, Untersuchung, 84). In V 7 fallen die Hyperbel und die Aneinanderreihung der Synonyme auf. Der Titel der Erhabene seines (königlichen) Hauses ist nur hier belegt. Vgl. zur Darstellung von Mehrheitsbegriffen durch Wiederholung GK, § 123c. Mit ki ken, jodej dat wadin liegt eine zwei- und eine dreigliedrige Alliteration vor. M Märäs, Marsena, Memuchan ist eine dreigliedrige Alliteration.

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Auslegung

sieben24 Fürsten Persiens und Mediens, die das Antlitz des Königs sehen durften, die zuoberst im Königtum saßen:25 15 „Nach dem Gesetz, was ist mit der Königin Vashti zu tun, da sie nicht nach dem Befehl des Königs Achashverosh getan hat, der durch die Eunuchen überbracht wurde?“26 16 Memuchan sprach vor dem König und den Fürsten: „Nicht nur gegen den König allein hat Vashti, die Königin, sich verfehlt, sondern gegen alle Oberen und alle Völker in allen Provinzen des Königs Achashverosh, 17 denn die Sache mit der Königin wird zu allen Frauen hinausziehen und wird ihre Gatten in ihren Augen verächtlich machen, indem sie sprechen: ‚Der König Achashverosh hat gesagt, Vashti, die Königin, soll vor ihn kommen. Und nicht kam sie!‘ 18 An diesem Tage noch werden die Fürstinnen der Perser und Meder, die von der Sache mit der Königin gehört haben, sprechen, zu allen Fürsten des Königs, dann gibt es genügend27 Verachtung und Zorn! 19 Scheint es dem König gut, möge von ihm ein königlicher Erlaß ausgehen, und er werde in den Gesetzen Persiens und Mediens eingeschrieben, damit er nicht zu übertreten ist, daß Vashti nicht mehr vor den König Achashverosh kommen dürfe; und der König gebe ihre Königswürde einer anderen, die besser ist als sie. 20 Wird dann der Bescheid des Königs gehört, den er in all seinem Königreich erläßt, denn groß ist es, werden alle Frauen ihren Gatten Ehrerbietung erweisen von Groß bis Klein.“28 21 Die Rede erschien gut in den Augen des Königs und der Oberen. Und der König tat nach dem Worte Memuchans. 22 Und er sandte Briefe in alle Provinzen des Königs, Provinz um Provinz in ihrer Schrift, Volk um Volk in seiner Sprache29, daß jeder Mann in seinem Hause herrschen und in der Sprache30 seines Volkes reden solle31.

24

25 26 27 28 29

30 31

Zahlensymbolisch ist die wiederholte Siebenzahl (sieben Tage, sieben Eunuchen, sieben königliche Berater) in V 5.10.14 der Ausdruck der Vollkommenheit (Gen 2,1‒4a). V 13‒14 beleuchten den Stil des Dichters mit Appositionen und Explikationen (vgl. H. Striedl, Untersuchungen, 80‒82). Rhetorisch liegt eine Brachylogie vor. M uchedaj ist eine Litotes. M lemigadol we’ad katan in V 5.20 ist eine Metonymie und zugleich ein Merismus. Rhetorisch stechen die zwei Assonanzen und doppelten Wortwiederholungen ins Auge. Durch die Wiederholung zweier synonymer Halbsätze erhält die Prosa den für die Poesie typischen Charakter eines synonymen Parallelismus. M Zunge ist eine Metonymie. Rhetorisch liegt in V 22b eine Hyperbel vor.

Der Ruhm des Königs und der Fall der Königin

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1,1‒22: Hinführung. Und es geschah in den Tagen des Achashverosh … Mit dieser der Eröffnung der Scheherazade und dem Märchen verwandten Formulierung hebt das Buch Esther an, sich zu entspinnen. Mit dieser Eröffnung tritt der Leser in die fremde Welt am Hofe des mächtigsten Herrschers des Erdkreises ein. Er darf ihm über die Schulter blicken und Zeuge werden, Zeuge des spektakulärsten und für alles jüdische Leben bedrohlichsten Ereignisses seit der Sintflut und der Zerstörung Jerusalems. Doch davon ahnt der Leser, der sich unvoreingenommen in die Erzählung begibt, noch nichts.32 Breit werden der Ruhm des Königs, die Pracht und die Sitten bei Hofe ausgemalt, um den vielen, für die diese Welt für immer eine verborgene ist und bleiben wird, eine Ahnung von ihr zu vermitteln. Die Szenerie, soviel ist klar, ist der persische Hof. Mit der Weigerung Vashtis, der Einladung des weinseligen Großkönigs zu folgen, entfaltet sich die Handlung, deren Verlauf und Ziel noch nicht erkennbar ist. Das für den König und seine Oberen indignierende Verhalten der Königin führt auf Rat der Weisen zu ihrer sofortigen Enthebung. Der Weg ist nun für den Auftritt der drei weiteren Protagonisten Mordechai, Haman und Esther geebnet. Das Vorspiel bei Hofe endet offen, die namentlich aufgeführten Eunuchen und Ratgeber treten schon jetzt ab. 1,1‒4: Der Ruhm des Königs – das Gastmahl. Und es geschah in den Tagen des Achashverosh (V 1). Die einleitenden Worte haben eine ähnliche Funktion wie die Überschriften der Prophetenbücher (Jes 1,1; 6,1; Ez 1,1‒2; Hos 1,1; Am 1,1): Sie binden die Erzählung an einem geophraphisch und historisch konkreten Ort fest. Für den Leser späterer Zeiten muß der König identifiziert werden. Es ist der Achashverosh, der über ein in 127 Satrapien33 gegliedertes Weltreich herrscht, das von Indien bis Äthiopien reicht (2 Targ Est 1,1)34. Unerwähnt bleiben die nördlichen Gebiete am Schwarzen Meer und Kleinasiens.35 Der hebräische Name Achashverosh, der neben Esther auch in Dan 9,1 und Esr 4,6 begegnet, ist dem altpersischen Königsnamen h9šayāršan nachgebildet.36 Dieser altpersische Name hat programmatischen Charakter: Er bedeutet soviel wie Herrscher der Helden oder herrschend über

32 33 34 35 36

Vgl. E. Cosquin, Prologue-cadre, 7‒49, 161‒197. Vgl. den Exkurs 3 (S. 67–69). Vgl. B. Ego, Targum, 141‒155. Vgl. TUAT I, 423; II, 553‒554. Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 42.

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Auslegung

Helden.37 Auf diese Weise legitimiert der Name seinen Träger religiös als den rechtmäßigen Herrscher des Reiches. Der persische Großkönig Achashverosh, in der Lesart der Septuaginta Artaxerxes, ist als Xerxes I. (486/85‒465/64) zu identifizieren.38 Exkurs 1: Xerxes I. Durch die Eroberung Indiens erstreckt sich das in ungefähr 20 Satrapien organisierte persische Reich unter Darius I. (522‒486)39 vom Indus bis nach Äthiopien und Kleinasien40. Darius I. ist der große Feldherr, Baumeister und Organisator.41 In seine Regierungszeit fällt der Ausbau der Residenzen Persepolis und vor allem von Susa, das er zur Reichshauptstadt erhebt (Strabo, Geographie, 15, 3, 3‒4).42 Der ebenfalls unter Darius I. erfolgte Ausbau des Straßenwesens ermöglichte nicht nur einen Fortschritt im Militärwesen, er beflügelte gleichzeitig den Handel und den Postverkehr.43 Als 486 sein zweitältester Sohn Xerxes, nach Herodot (490–430; Historien, VII, 2‒4) und Aischylos (525/24–456/55; Perser, 753‒755) ein Sohn der Atossa, die Regierungsgeschäfte übernimmt44, behält er die innere Organisation des Reiches bei (Historien, III, 88)45. Außenpolitisch ist die Herrschaft des Xerxes’ (486‒465/64) vor allem durch die von Herodot (490–430) beschriebenen kriegerischen Konflikte mit den griechischen Stadtstaaten bestimmt.46 Es sind die 37 38 39 40

41 42

43 44 45 46

Vgl. H.S. Gehman, Notes, 322. R.N. Frye, History, 106. Vgl. H. Koch, Dareios, 29‒53. Vgl. G.B. Gray, The Foundation and Extension of the Persian Empire, CAH 4, Cambridge 1926, ND 1969, 20‒25; sowie G.B. Gray/M. Cary, The Reign of Darius, CAH 4, Cambridge 1926, ND 1969, 194‒201 (Karte). Vgl. die Behistun-Inschrift in TUAT I, 421‒450. Vgl. H. Koch, Persien zur Zeit des Dareios. Das Achämenidenreich im Lichte Neuer Quellen, Kleine Schriften aus dem Vorgeschichtlichen Seminar hg. von der PhilippsUniversität Marburg, Marburg 1988; P.O. Harper et al. (Hg.), The Royal City of Susa, 1992. G.B. Gray/M. Cary, The Reign of Darius, CAH 4, Cambridge 1926, ND 1969, 184‒193. Vgl. J. Neuffer, The Accession of Artaxerxes I, AUSS 6 (1968), 60‒87. Vgl. E.M. Yamauchi, Persia, 187‒239. Herodot, Historien, VII, 8, überliefert eine Rede des Königs Xerxes, in der er nach dem siegreichen Feldzug gegen Ägypten vor hohen persischen Offizieren seine kühnen militärischen Ziele formuliert. „Ich will eine Brücke über den Hellespont schlagen und mein Heer durch Europa nach Griechenland führen, um die Athener zu strafen für alles Unrecht, das sie den Persern und meinem Vater angetan haben.“ Das Ziel des Feldzuges ist die Eroberung Europas: „Es bleibt keine Stadt und kein Volk mehr auf der Welt, das sich uns widersetzen könnte, wenn erst einmal die beseitigt sind, die ich eben erwähnt habe“ (Übersetzung nach J. Feix).

Der Ruhm des Königs und der Fall der Königin

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großen verlorenen Schlachten bei Platea (479), dann bei Salamis und den Thermopylen (480), die der griechische Chronist in den Historien (VII; VIII; IX) beschreibt. Erfolgreich schlugen die Perser unter Xerxes im Jahr 485/484 die Aufstände in Ägypten nieder (Herodot, Historien, VII, 5.7; Diodorus, Bibliotheca, I, 46, 4‒8).47 Religionspolitisch hebt sich Xerxes deutlich von den übrigen Achämeniden ab. „Only Xerxes among the Achaemenid kings showed strong feelings about religion, for not only his destruction of the temple and statue of Marduk in Babylon and his actions in Egypt betray this, but his anti-daevic inscriptions as well. […] Xerxes was acting in a more agressively religious manner than his predecessors which does not, however, prove that he was in any way more ‚orthodox‘ Zoroastrian than other rulers. No matter what the beliefs of the rulers, from the Elamite documents at Persepolis, we see that throughout the reigns of Darius and Xerxes the deities worshipped in the area were Iranian, Elamite and even Babylonian, as well as rivers and mountains, offerings to all of which were subsidized by the state“.48

Mehrere Vorfälle aus der Religionspolitik berichtet Herodot. Er erzählt von einer mächtigen Götterstatue aus Gold, die im Tempelbezirk Babylons stand. Auf diese hatte bereits Darius I. ein Auge geworfen. „Doch Xerxes, der Sohn des Dareios, nahm sie mit und ließ den Priester töten, der ihm untersagte, die Bildsäule von der Stelle zu bewegen“ (Historien, I, 183).49 Wie Herodot berichtet, hat Xerxes nach der Einnahme Athens auch die Akropolis erobert, daraufhin ließ er die Priester und Tempeldiener töten, plünderte das Heiligtum und ließ es niederbrennen. Aus Reue oder aus Eingabe, rief er am zweiten Tag die aus Athen geflohenen zusammen „und forderte sie auf, die Burg zu ersteigen und nach ihrer heimischen Weise Opfer darzubringen“ (Historien, VIII, 53‒54). Hinweise auf eine besondere Religionspolitik gegenüber den Juden Persiens bieten die außerbiblischen Quellen nicht.50 Xerxes ist 465 möglicherweise von seinen eigenen Kammerdienern in Persepolis ermordet worden.51 Achashverosh herrscht, so die erläuternde Angabe, über ein Reich mit 127 Satrapien, das sich von Hodu bis nach Kush erstreckt (V 1, 47 48 49 50 51

Vgl. A.R. Burn, Persia and the Greeks, CHIr 2, Cambridge u.a. 1985, 292‒391 (Karten). R.N. Frye, History, 121‒122. Übersetzung hier und im folgenden nach J. Feix. Vgl. R.J. Littman, Religious Policy, 145‒155. Vgl. R.N. Frye, History, 120‒127; E.M. Yamauchi, Persia, 239.

56

Auslegung

E 1). Die griechische Tradition verdeutlicht die geographischen Angaben: B 1,1 und A 1,1 übertragen Hodu mit ἡ Ἰνδική Indien, A 1,1 Kush mit Αἰθιοπία Äthiopien. Die Rabbinen waren sich über die Lage von Kush und Hodu nicht einig: „Rabh und Shemuel streiten hierüber; einer sagt, Hodu liege an einem Ende der Welt und Kush am entgegengesetzten Ende der Welt, und einer sagt Hodu und Kush liegen nebeneinander, er herrschte aber von einem Ende der Welt bis zum anderen, wie er von Hodu bis Kush herrschte“ (b Meg 11a).52 Gemeint sind jedenfalls das Indusgebiet im äußersten Westen und das im Oberlauf des Nils südlich von Elephantine (Herodot, Historien, II, 19‒34) gelegene Grenzland der Kuschiter und Nubier (Gen 10,6‒8; Jes 11,1; 18,1; 20,3‒5). Trotz der geographischen Unstimmigkeit besteht auch für die Rabbinen kein Zweifel daran, daß Achashverosh über die ganze bekannte Welt herrschte.53 Die geographische Vorstellung über die Ausdehnung des persischen Reiches belegen auch zahlreiche Quellen (V 1). Einen wichtigen Hinweis bietet eine Inschrift der 1972 bei den Ausgrabungen von Susa gefundenen Statue Darius’ I. Sie zählt zahlreiche Länder auf, die zum persischen Reich gehören. In der ersten Kolumne der Inschrift Nr. 5 sind neben anderen Ländern auch Persien, Medien und Elam aufgeführt, in der zweiten Babylonien, Armenien, Kappadokien, Land der Tjemehu54, Land der Nehesiu55 und Indien56. Ähnlich beschreibt § 6 der Behistun-Inschrift57 aus der Zeit von Darius I. die Ausdehnung des persischen Reiches: Insgesamt sind darin 23 Länder aufgelistet, darunter wiederum Persien, Elam, Babel, Assyrien, Ägypten, Kappadokien, Ghandara58, Sattagydien59 und Arachosien60. Auch die in Persepolis gefundenen Gründungsinschriften von Darius I. (DPh), die gleichlautend in altpersisch, elamitisch und babylonisch geschrieben sind, erwähnen unter anderem Indien, Äthiopien und Lydien.61 Herodot bestätigt diese Angaben. Er berichtet davon, daß die Ausdehnung des Reiches nach Nordosten auf Darius I. zurückgeht: „Den größten Teil Asiens aber hat Dareios entdeckt“ (Historien, IV, 44). Wei52 53 54 55 56 57 58 59 60 61

Übersetzung nach L. Goldschmidt. Vgl. J.M. Cook, The Rise of the Achaemenids and Establishment of their Empire, CHIr 2, Cambridge u.a. 1985, 244‒267. Das heutige Libyen. Das ist Nubien. TUAT II, 554. TUAT I, 423. Das heutige Nordost-Afghanistan bis nach Nordwest-Pakistan. Das heutige Pandschab in Nordwest-Indien. Das heutige südliche Afghanistan. Vgl. H. Koch, Persepolis, 23.

Der Ruhm des Königs und der Fall der Königin

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ter erwähnt er (Historien, III, 97) „die Aithiopier, die an Ägypten grenzen und von Kambyses […] unterworfen wurden“. „Das äußerste Land im Osten ist, wie ich kurz vorher gesagt habe, Indien“ (III, 106). Hinter Indien ist dann für Herodot das persische Reich und die bekannte Welt zu Ende (Historien, III, 98): „Östlich von Indien liegt nur Sand und Wüste“.62 Genauere geographische Angaben, die im wesentlichen Herodot bestätigen, erhalten wir erst durch den weltreisenden Pomponius Mela, einem Zeitgenossen von Josephus aus der Mitte des 1. Jhs. n. Chr., dessen Chorographia die älteste erhaltenen Geographie ist. In der Darstellung kommt Pomponius Mela aber auch nicht wesentlich über den Indus (III, 61‒69) und den Oberlauf des Nils (I, 20‒23; III, 85‒88) hinaus.63 Achashverosh regiert von der Reichshauptstadt Susa aus (V 2).64 Ihre aufwendige Architektur, die für den Bau verwendeten edlen Materialien und die beteiligten Handwerker preist die Burgbauinschrift (DSf) der unter Darius I. ausgebauten Residenz: „Der Palast, den ich in Susa erbaute, dessen Rohstoffe wurden von weither beschafft. Tief wurde Erde ausgehoben, bis zum gewachsenen Boden hinab. Als die Erde gründlich ausgeschachtet war, wurde dort Kiesschotter aufgeschüttet, teils vierzig Ellen hoch, teils zwanzig Ellen. Auf diesem Kiesschotter wurde der Palast errichtet. Daß Erde tief ausgeschachtet und dort Kiesschotter aufgeschüttet wurde und daß Lehmziegel gestrichen wurden, das besorgten Babylonier. Balken aus Zedernholz wurden aus dem Libanon-Gebirge geholt. Syrer schafften die Stämme bis nach Babylon, und von Babylon flößten Karer und Ionier sie bis nach Susa. Yaka-Holz wurde aus Gandhara und Kirman geholt. Gold, das hier bearbeitet wurde, holte man aus Lydien und Baktrien; Edelsteine, nämlich Lapislazuli und Karneol, aus Sogdien; Türkise aus Chorasmien; Silber und Ebenholz aus Ägypten. Das Farbmaterial, mit welchem die Terrassenmauer verputzt wurde, stammte aus Ionien, Elfenbein aus Nubien, Sind und Arachosien. Die hier gearbeiteten Steinsäulen holte man aus einem Ort namen Abiradush in Elam. Die Steinmetzen waren Ionier und Lyder, die Goldschmiede, welche das Gold verarbeiteten, Meder und Ägypter; die, welche die Ziegel brannten, Babylonier, die, welche die Terrassenmauer bemalten, Meder und Ägypter“.65

62 63 64

65

Übersetzungen nach J. Feix. Vgl. Pomponius Mela, De chorographia libri tres, hg. und übersetzt von K. Brodersen, Darmstadt 1994. H. Koch, Persepolis, 51‒54, bietet einen reich illustrierten Rundgang durch die Palastanlagen von Persepolis. Spärlich dagegen sind die materialen Hinterlassenschaften von Susa, die durch Feuer fast vollständig vernichtet worden ist (H. Koch, Dareios, 73‒78). Übersetzung nach J. Wiesehöfer, Persien, 50‒51.

58

Auslegung

Der Name der Stadt Susa, der nur noch in Neh 1,1 und Dan 8,2 begegnet, ist eine aramaisierende Fassung des elamitischen, altpersisch und sumerisch belegten Wortes.66 In Susa befindet sich der prächtige Königspalast mit seinen Nebengebäuden und Tempeln, dort ist das Zentrum der religiösen, legislativen, administrativen und militärischen Gewalt, dessen Symbol der Königsthron im Thronsaal ist. Im Königsthron, auf dem Achashverosh sitzt, verdichtet sich die geographische, politische und historische Situation des Buches (V 2). Die kalendarische Formel im dritten Jahr seiner Königsherrschaft konkretisiert das historische Moment (V 3).67 Die berichteten Ereignisse weisen in das dritte Jahr seiner Regentschaft (486/85‒465/64), sie fallen also in die ausgehenden 80er Jahre des 5. Jh. v. Chr. Ein vom König ausgerichtetes Gastmahl führt die Satrapen, die hohen Beamten und Fürsten der Reichshauptstadt und der Provinzen, die höfischen Vertrauten, die Vornehmen und Heerführer im Königspalast zusammen. Der eigentliche Anlaß für das königliche Gastmahl bleibt offen (V 3.5). Schon die griechische Tradition hat dies als einen Mangel empfunden, deshalb begründet A 1,5 das Gastmahl mit einer unbestimmten Befreiung, B 1,5 mit einem Hochzeitsfest (für Vashti). Eine dritte Erklärung bietet Herodot an. Nach seiner Kenntnis wird jährlich der Geburtstag des Königs als Königsmahl gefeiert (Historien, IX, 110). Ähnliche Gründe für ein Gastmahl finden sich auch in der biblischen Literatur: Der Anlaß kann durch den Geburtstag des Königs (Gen 40,20), einen erfolgreichen Feldzug (Jos 22,9‒34) oder eine Tempelweihe (I Reg 8,1‒2) motiviert sein. Für den Chronisten tritt die Frage nach dem Anlaß des Festes in den Hintergrund. Ihm kommt es darauf an zu erzählen, daß alle religiösen Würdenträger, alle administrativen und politischen Amtsinhaber am Königshofe versammelt sind. Die wichtigsten Männer des persischen Reiches sollen von dem Glanz des Hofes und den genüßlichen Freuden einer ausgelassenen Feier beeindruckt werden. Der Pracht des Königspalastes entspricht die mit 180 Tagen legendenartig anmutende Dauer der Feier (V 4). Ausgiebige Feiern haben im Orient eine lange Tradition, auch Nebukadnezar feiert 120 Tage lang den Sieg über König Arphaxad (Jdt 1,16). Die dargestellte Pracht und die Dauer der Feier von einem halben Jahr symbolisieren den Reichtum

66 67

Vgl. S. Parpola, Neo-Assyrian Toponyms, AOAT 6, Neukirchen-Vluyn 1970, 340‒341. Vgl. zu der für das späte biblische Hebräisch typischen Formel R.L. Bergey, Book, 157‒159.

Der Ruhm des Königs und der Fall der Königin

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und die Macht des persischen Königs (Herodot, Historien, I, 126; III, 96‒98; IX, 110).68 1,5‒9: Das Gastmahl bei Hofe. Wiederum ist ein Gastmahl der Anlaß für die höfischen Feierlichkeiten (V 5).69 Dieses zweite Gastmahl richtet der König für alle Bewohner der Königsstadt, dem inneren Bezirk von Susa, mit dem Hofstaat des Königspalastes, den niederen Priestern der Tempelanlagen, den Schriftgelehrten der Schulen, den Schreibern und Beamten der Administration aus (V 5). Das bunte Treiben bei Hofe illustriert das Verzeichnis von Berufs- und Einwohnergruppen aus dem Königspalast in Ugarit: „Streitwagenbesitzer, Pferdeknechte, Pferde-Betreuer, Streitwagenbogenschützen, Hirten, Priester, Buhlknaben, Schnitzer, Kaufleute, Herolde, Sänger, Elite-Soldaten, Diener, kzj-Diener, Müller, Kupferschmiede, Einwohner im Wirtschaftsgebäude des Königs, Einwohner von TMR, Einwohner von TNQ, Pförtner, Pferdeknechte des Präfekten, Pferdeknechte des IBRN, Vogelfänger, Kuriere, Brotbäcker, Töpfer, Helfer, Zimbelspieler, Aufseher“.70

Dieses zweite Gastmahl wird für alle Menschen ausgerichtet, die zur Verwaltung, Versorgung und Erhaltung der Königsstadt innerhalb der Reichshauptstadt nötig sind. Sieben Tage lang wird im Königspalast gefeiert. Die Königsstadt von Susa mit ihren Palästen, Tempeln und Gärten ist in der ganzen bekannten Welt berühmt (V 5).71 Diodorus berichtet, daß die Perser aus Theben „die Reichtümer nach Asien fortgeschleppt und auch Künstler dazu mitgenommen [hätten], um die berühmten königlichen Residenzen in Persepolis sowie Susa in Medien auszustatten“ (Bibliotheca, I, 46, 4). Nach Strabo „bewunderten die Perser den Palast von Susa mehr als alle anderen“ (Geographie, 15, 3, 3). Das Wort bitan ist ein über das Aramäische auf das akkadische bītānu Palast zurückgehendes Lehnwort72, die Feier wird im Innenhof des königlichen Palastgartens ausgerichtet. Zu diesem Gastmahl in den Palastanlagen des Königs sind alle eingeladen – Männer und Frauen, von Groß bis Klein. Gefeiert wird nach Geschlechtern getrennt, die Königin richtet gleichzeitig eine Feier für die Frauen aus (1,9). Nach Josephus läßt

68 69 70 71 72

Vgl. J.M. Cook, The Rise of the Achaemenids and Establishment of their Empire, CHIr 2, Cambridge u.a. 1985, 225‒238. Vgl. den Exkurs 8 (S. 129). TUAT I, 216. Vgl. die anschauliche Darstellung des Palastbezirkes bei H. Koch, Persepolis, 21‒76. Vgl. A.L. Oppenheim, On Royal Gardens in Mesopotamia, JNES 24 (1965), 328‒333.

60

Auslegung

der König für beide Feste ein Zelt aufstellen, daß den mehreren tausend Gästen genügend Platz bietet (Ant 11, 187). Unvorstellbar ist der Reichtum des persischen Hofes (V 6; Koh 1,12‒2,9).73 Zahlreiche Fremd- und Lehnwörter malen den Zauber des Hofes mit seinen kostbaren Materialen aus: Allein in V 6 kommen mit Feingewebe, Bahat, Perlmutt und Schildstein vier Wörter vor, die nur einmal im Alten Testament belegt sind (hapax legomena). Die fremden Wörter entführen in die Sphäre des höfischen Lebens. Erwähnt werden Stoffe, Steine und Materialien: mit weißem Leinen, einem feinen, wohl auch gebleichten Gewebe, violettem und rotem Purpur werden die Räume drapiert. Die edlen Stoffe sind mit haltbaren Byssosfäden an silbernen Ringen befestigt und an den hohen Alabastersäulen aufgehängt. Wie für ein Gastmahl üblich, sind die gold- und silbergeschmückten Lager auf den Mosaikfußböden aus Bahat, Alabaster, Perlmutt und Schildstein hergerichtet.74 Getrunken wird aus goldenen Bechern, die filigran gearbeiteten Kunstwerke sind Unikate (Xenophon, Kyrupaedie, VIII, 8, 18). Der bei der Feier nicht versiegende Wein symbolisiert die höfische Pracht und Fülle. Überhaupt erwähnt V 7 nur das Trinken, obgleich derartig ausgedehnte Gelage nicht ohne Speisen vorstellbar sind (Gen 26,30; Xenophon, Kyrupaedie, VIII, 8, 8‒9). Auf königliche Anordnung hin soll jeder nach seinem Willen und Maß trinken (V 8; so auch Josephus, Ant 11, 188). Das ist offensichtlich unüblich, denn schon Xenophon weiß von zügellosen Exzessen bei Hofe zu berichten (Kyrupaedie, VIII, 8, 10‒11). Und auch Herodot erwähnt maßlose private Gelage (Historien, I, 133).75 Allerdings erlauben diese vorgestellten Regelungen, daß die jüdischen Speisegebote, wie Esther selbst bekennt (C 26.28), auch am persischen Hof eingehalten werden können (Lev 11; Dan 1,8.15‒17; Jdt 11,12; 12,1‒2; Tob 12,8; b Meg 13a; 2 Targ Est 1,8).76 Die beschriebene Trinkordnung leitet auf Königin Vashti und das von ihr für die Frauen ausgerichtete Fest über (V 9).77 Wenige Worte genügen, um die erste Frau des Reiches vorzustellen. Nach Herodot handelt es sich um eine gewisse Amestris (Historien, VII, 61; IX, 108‒113). Der Name Vashti begegnet nur in den ersten beiden Kapiteln 73 74 75 76 77

Vgl. H. Koch, Dareios, 145‒157 (Exponate); 228‒232 (ein Tag aus dem Leben eines Schatzhausmeisters). Vgl. zur Etymologie der Wörter H.M. Wahl, Sprache, 23‒24. Vgl. zur rabbinischen Auslegung I. Katzenellenbogen, Esther, 1‒4. Vgl. L.L. Bronner, Esther, 185‒188; sowie B. Ego, Targum, 196‒197. Vgl. H. Koch, Dareios, 233‒250, zur Stellung der Frau (Quellen).

Der Ruhm des Königs und der Fall der Königin

61

insgesamt 10-mal (1,9.11.12.15.16.17.19; 2,1.4.17). Seine Bedeutung bleibt ungeklärt, der Ursprung ist wohl elamitisch.78 1,10‒12: Die Weigerung Vashtis. In weinseliger Laune (7,2; Dan 5,2) befiehlt der König seinen sieben namentlich aufgeführten Kämmerern, Königin Vashti zu bitten, sich in vollem Ornat der Festgesellschaft zu zeigen. V 10 bietet die erste von drei Namenslisten des Buches, in denen die sieben Eunuchen, die sieben königlichen Berater (1,14) und die zehn Söhne Hamans genannt werden (9,7‒10). Die Namen der sieben Eunuchen gehen weitgehend auf altpersische Formen zurück.79 In den Texten von Persepolis sind die Namen Mehuman (PF 455), Bigta (PF 1793), Charkas (PF 10) und Hatach (PF 973) belegt.80 Die Diener werden namentlich aufgeführt, um die Zahl der Vollkommenheit an sieben Menschen zu konkretisieren. Weitere religiöse Anspielungen klingen an: Die Namen der Sieben lassen sich mit der Religion Zarathustras in Verbindung bringen, die in Esther möglicherweise wegen ihrer monotheistischen Prägung eine positive Konnotation genießt. Dagegen tragen Haman und seine zehn Söhne ältere persische und elamitische Namen (V 10).81 Exkurs 2: Die Diener bei Hofe (

)

Das hebräische Wort saris, gewöhnlich nach der Septuaginta als Eunuch übersetzt, ist eine Nachbildung des akkadischen ša rēši.82 Von den 43 alttestamentlichen Belegen entfallen 12, das ist mehr als ein Viertel, auf Esther.83 In Esther bezeichnet das Wort die beamteten Diener am Hof, die Höflinge, die als vertraute Ratgeber des Königs, als Kammerdiener, Leibwache, Boten, Schwellenhüter und Hüter des Frauenhauses von den Persern geschätzt werden (Herodot, Historien, III, 92; VI, 32).84 Neben den vier Protagonisten sind es vor allem diese hochgestellten Höflinge, denen eine wichtige Funktion in der Erzählung zugemessen ist. Ihre namentliche Erwähnung unterstreicht ihre Bedeutung (1,10; 2,3.8.14.15.21; 4,5.6.9.10; 7,9). Daß so viele Eunuchen auch unge-

78 79 80 81 82 83 84

Vgl. J. Duchesne-Guillemin, Les noms des eunuques d’Assuérus, Muséon 66 (1953), 106; sowie R. Zadok, Notes, 109‒110. Vgl. R. Zadok, Notes, 105‒110. Vgl. E.M. Yamauchi, Mordecai, 272‒275. So M. Hutter, Elemente, 52‒54. Nach H. Zimmern, Zu einigen neueren assyrologischen Fragen, ZA 34 (1922), 91‒92. Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 39. H. Koch, Dareios, 29‒53, bietet eine Übersicht über die persischen Beamten.

62

Auslegung

nannt auftreten, entspricht ganz dem Sitz der Erzählung bei Hofe (Gen 37,36; 39,1; 40,2.7; I Sam 8,15; I Chr 28,1).85 Der Begriff saris ist nicht ganz eindeutig. Jedoch läßt sich kontextuell seine Bedeutung aus den Tätigkeiten der Höflinge ablesen: In 1,10 werden die engsten Diener und Ratgeber des Königs als sarisim bezeichnet (1,12.15). Aus ihrem Mund kommt der Vorschlag, den Schönheitswettbewerb auszuloben (2,2). Charbona, einer der Eunuchen des Königs, ist es schließlich auch, der seinen Herrn beratend auf den von Haman selbst aufgerichteten Galgen hinweist, an dem der Judenfeind hingerichtet wird (7,9). Aus diesem nächsten Umkreis des Königs kommen auch die beiden Eunuchen Bigtan und Teresh, die eine von Mordechai vereitelte Verschwörung gegen den König planen. Ihrer Aufgabe nach sind es die Schwellenhüter, die Zugang zu den königlichen Gemächern bewachen (2,21‒23; 6,2). Auch exekutive Dienste gehören zu den Aufgaben der Höflinge. Es ist die Leibwache des Königs, die Haman zum Gastmahl geleitet (6,14), ihm auf Geheiß des Königs das Gesicht verhüllt, abführt (7,8) und ihn nach dem königlichen Urteilsspruch schließlich exekutiert (7,9‒10). Der königliche Eunuch Hegai ist der Hüter des ersten Frauenhauses (2,3.8.15), sein Amtskollege Shaashgas der Hüter des für die Nebenfrauen bestimmten zweiten Frauenhauses (2,14). Nach orientalischer Sitte sind die beiden Haremswächter sicherlich Kastraten, was selbstverständlich auch für die Kammerdiener der Königin gilt (4,4).86 Daß die Eunuchen auch vertrauliche Dienste übernehmen, belegt nicht nur der Rat Charbonas (7,9), sondern vor allem die Szene mit Hatach, einem vom König für Esther abgestellten Eunuchen (4,5). Als die Dienerinnen und die Eunuchen der Königin von Mordechais öffentlicher Buße berichten, ist es der Eunuch Hatach, der als Gesandter den entscheidenen Dialog zwischen Esther und Mordechai übermitteln muß (4,4‒17), da Mordechai im Bußkleid nicht den Palast der Königin betreten darf (4,1‒3). Die hethitischen Vorschriften für die Diener des Königs illustrieren die vielseitigen Aufgaben der Sarisim: „Wenn jemand eine Verunreinigung verübt und dadurch des Königs Seele beleidigt, und wenn ihr dazu so sagt: ‚Der König sieht uns nicht!’, so beobachten euch längst des Königs Götter. Sie werden euch zu Ziegen machen und ins Gebirge jagen. Sie werden euch zu Rebhühnern machen und in die 85 86

Vgl. zur Hofverwaltung W. Hinz, Zur achämenidischen Hofverwaltung, ZDMG 108, (1958), 126‒132; ders., Achämenidische Hofverwaltung, ZA 61 (1971), 260‒311. Vgl. die Beschreibung des Harems in Persepolis bei H. Koch, Persepolis, 57‒61.

Der Ruhm des Königs und der Fall der Königin

63

Felsen jagen. […] Dazu aber sollt ihr Küchenbediensteten allesamt – Mundschenk, Tafeldecker, Koch, Brotbäcker, tawal-Bier-Bereiter, walhiBier-Bereiter, Weinschalenhalter, […], Milchmann, […], Bereiter dicker Brote, Bereiter von zuwa-Broten – für des Königs Seele jeden Monat einen Eid leisten, indem ihr einen Becher aus Ton mit Wasser füllt, ihn vor dem Sonnengott ausgießt und so sagt: ‚Wer eine Verunreinigung verübt und dem König verdorbenes Wasser gibt, dessen Seele sollt ihr, o Götter, wie Wasser ausgießen‘. […] Dazu aber: Ihr, die ihr Wasserträger seid, seid sorgsam mit dem Wasser! Filtert Wasser stets mit dem Sieb! Einst fand ich, der König, in der Stadt Sanahuitta im Waschbecken ein Haar. Da begehrte des Königs Seele auf, und ich zürnte den Wasserträgern und rief: ‚Das ist ekelhaft!‘“.87

Die Bitte des Königs, Vashti möge sich mit den Insignien ihrer Königswürde, in königlicher Bekleidung mit einem Diadem bekrönt (1,11; 2,17; 6,8), den Gästen zeigen, hat mehrere Beweggründe (V 11). In dem bislang nach Geschlechtern getrennt gefeierten Gastmahl wäre dies nun die symbolische Vereinigung des ganzen Königshauses. Sicherlich wäre mit dem Auftritt der schönen Königin auch der Höhepunkt des Festes erreicht, das mit diesem siebten Tag endet (I Reg 8,66). Aber die Königin weist die von den Dienern überbrachte Bitte ihres Gatten ab (V 12). Die Verweigerung der öffentlich vorgetragenen Bitte muß selbst in der weinseligen Gesellschaft wie eine schallende Ohrfeige geklungen haben. Stilistisch wird der Zorn des Königs in einer synonymen Wiederholung hervorgehoben. Josephus begründet die Weigerung Vasthis mit den persischen Vorschriften, die der Königin verbieten, sich den Fremden zu zeigen (Ant 11, 191).88 Spekulativ erklären die Rabbinen: „Merke, sie war ja ausgelassen, denn der Meister sagte, sie hatten beide sündhaften Absichten, weshalb nun kam sie nicht!? R. Jose b. H9anina erwiderte: Dies lehrt, daß sie vom Aussatz befallen wurde“ (b Meg 12b).89 Ob das Hofprotokoll Vashti verbietet, wie Josephus meint, sich den Gästen zu zeigen, ist eine irreführende Vermutung. Abwegig ist auch die Erklärung der Rabbinen. Eine vom Aussatz befallene Königin könnte nicht die gleichzeitig stattfindende Feier im Königinnenpalast ausrichten. Die Weigerung Vashtis weckt den Zorn des 87 88

89

TUAT I, 124‒125. Nach E.J. Bickerman, Books, 185‒186, können verheiratete Frauen zwar an einer Feier teilnehmen, müssen diese aber verlassen, wenn das Weingelage beginnt, um Platz für Konkubinen zu machen. Folgte die Königin der Bitte der weinseligen Gesellschaft, „Vashti would lose face, she would degrade herself to the position of a concubine“ (185). Seiner Deutung widerspricht allerdings die Bemerkung, daß sich die Königin später auch dem Volk zeigen soll (V 11). Übersetzung nach L. Goldschmidt. – Vgl. zur rabbinischen Deutung I. Katzenellenbogen, Esther, 5‒6.

64

Auslegung

Königs. Im Gang der Komposition bereitet dann die auf den Rat der Weisen durchgeführte Absetzung der Königin die eigentliche Handlung vor. Vashtis Fall leitet Esthers Aufstieg ein. Doch zunächst treten dem erzürnten König seine sieben Weisen und Zeitkundigen beratend zur Seite. 1,13‒22: Der Rat der Weisen und Fürsten. In seiner Erregung wendet sich Achashverosh an die ihm vertrauten Weisen, die Zeitkundigen und Kenner der königlichen Erlasse und Gesetze (V 13). Es sind die Männer, die ihm am nächsten stehen. Wie Esra (Esr 7,14), Herodot (Historien, III, 83‒84), Xenophon (Anabasis, I, 6, 4) und Josephus (Ant 11, 192) bestätigen, stehen dem persischen König sieben Berater zur Seite.90 Sie bilden den Thronrat, der den Regenten in allen wichtigen Angelegenheiten berät.91 Als Zeitkundige und Rechtsgelehrte verkörpern die Sieben die religiöse und rechtliche Weisheit des Reiches (Koh 3,1‒8; Dan 2,2.21; 5,8; I Chr 12,33; sowie Herodot, Historien, I, 107‒108. 128; III, 31.118; VII, 19.37). Auch Judith berichtet von Ministern und Generälen, die den assyrischen König Nebukadnezar beraten (Jdt 2,1‒3). Es sind die Männer, die nach dem strengen Hofprotokoll (ungerufen) vor den König treten dürfen, was selbst der Königin verwehrt ist (4,11; 5,2; 6,4). Die Namen der sieben Weisen deuten auf eine avestische und altpersische Herkunft hin (V 14).92 Aus den Persepolis-Tafeln sind die Namen Meres (PF 760), Marsena (PF 522) und Memuchan (PF 1344) bekannt (V 13‒14).93 Wie schon bei den sieben Höflingen ist die Bedeutung auch dieser Namen unverständlich. Es kommt allein auf die mit den Namen verbundene historische Konkretion und das Motiv der Siebenzahl an. Das Motiv der Siebenzahl verbindet die beiden Abschnitte (V 10.14). Als König Achashverosh am siebten Tag des Gastmahls seine sieben Eunuchen beauftragt, die Königin in den Königspalast zu bitten, weigert Vashti sich. Es sind die sieben Vertrauten, die Weisen und Gelehrten, aus deren Mund er den Rat erhält, die Königin wegen ihres den König und alle Oberen indignierenden Verhaltens sofort ihres Amtes zu entheben. Das Motiv der Siebenzahl drückt die Vollkommenheit aus. Das Gastmahl ist am siebten Tage vollendet, die Diener des Königs 90 91 92 93

Vgl. J. Wiesehöfer, Die „Freunde“ und „Wohltäter“ des Großkönigs, StIr (1980), 7‒21 mit einer ausführlichen Übersicht über den Gebrauch der Titel in der Literatur. Die rabbinische Tradition führt die Herkunft und die Berufe der Weisen an (vgl. I. Katzenellenbogen, Esther, 6‒7). Vgl. H.S. Gehman, Notes, 324‒325; R. Zadok, Notes, 106‒109. Vgl. E.M. Yamauchi, Mordecai, 272‒275.

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sind der Zahl nach vollzählig, und auch die sieben Weisen und Zeitkundigen verkörpern symbolisch einen vollkommenen Thronrat. Aus dem Munde dieser Männer ist nur ein weiser und wahrer Rat zu erwarten, darauf deutet das Symbol der Siebenzahl hin. Esther erhält bei ihrer Ankunft im Frauenhaus sieben Leibdienerinnen (2,9), eigenhändig wird sie vom König in seinem siebten Regierungsjahr gekrönt (2,16). Mit dieser Zahlensymbolik gibt sich der Dichter als bekennender Jude in priesterlicher Tradition zu erkennen. Denn die Siebenzahl ist ein aus der Vollkommenheit der Schöpfung (Gen 2,1‒4a) abgeleitetes, dann für das Ende der Sintflut (Gen 8,10), das Passah (Ex 12,15‒19), das Erlaßjahr (Ex 23,10‒11; Dt 15,1‒2), das Laubhüttenfest (Dt 16,13‒15), die Verlesung (Dt 31,9‒13) und Wiedereinsetzung der Tora (Neh 8,1‒3) geltend gemachtes jüdisches Symbol (Gen 29,18; Jos 6,4.13–16; I Sam 2,5, Hi 2,13; 42,13; Ps 119,164; Jdt 16,24; II Makk 7; Tob 3,8.11; 11,18.20; Sir 22,12; Mt 18,21–22 par.; Apg 6,17; Apk 1,4; 15,1–7; 17,1; 21,9). Ikonographisch ist die Menorah – der bereits in der Stiftshütte (Ex 25,31-40; 37,17-24) und dann im Jerusalemer Tempel (I Reg 7,49) aufgestellte Siebenarmige Leuchter – eines der bedeutendsten Bildmotive des Judentums.94 Für die Perser dagegen hat die Zahl drei oder ihre Mehrzahl sechs und neun eine ähnliche Bedeutung.95 Nun folgt der erste Dialog (V 15). Es ist der König selbst, der fragend seine Stimme erhebt. Der König wertet Vashtis Verweigerung als ein rechtswürdiges Vergehen. Deshalb leitet er seine an den Thronrat gerichtete Frage mit den Worten nach dem Gesetz ein. Mit dieser Apposition intendiert er bereits, daß die Weisen ihrerseits auf eine Strafe dringen. Was soll mit der Königin nach dem Gesetz geschehen? Diese Frage beschäftigt nun den Thronrat (V 15). Sie schlägt sich auch in der rabbinischen Literatur nieder. Im babylonischen Talmud ist ein Lehrgespräch zwischen den Rabbinen überliefert, das die aporetische Situation verdeutlicht. Die als Ratgeber auftretenden Rabbinen bevorzugen eine diplomatische Lösung: „Er sprach zu ihnen: Urteilt sie mir ab. Da sprachen sie: Was machen wir nun: sagen wir ihm, daß er sie töten lasse, so könnte er morgen, wenn sein Weinrausch vorüber ist, sie von uns fordern; sagen wir ihm, daß er sie zufrieden lasse, so hat sie ja seine Majestät beleidigt. Hierauf sprachen sie zu ihm: Seitdem der Tempel zerstört worden ist und wir aus unserem Lande verbannt worden sind, ist uns Rat genommen worden, und wir verstehen uns auf das Strafrecht nicht“ (b Meg 12b).96 Doch die Weisen des Königs entscheiden anders als die diplomatischen Rabbinen. 94 95 96

Vgl. B. Janowski, Tempel und Schöpfung, JBTh 5, Neukirchen-Vluyn 1990, 37‒69. Vgl. TUAT II, 553. Übersetzung nach L. Goldschmidt.

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Auslegung

Memuchan, einer der Sieben, ist es, der dann für alle klärend seine Stimme erhebt (V 16). Mit seiner Anwort weitet er zunächst die vom König als persönliche Schmach empfundene Verweigerung als ein indignierendes Verhalten auf alle Oberen in allen Völkern und Satrapien des persischen Reiches aus. Hat eine Beleidigung des Königs immer offiziellen Charakter, so wird sie durch diesen Schachzug auf alle Vertrauten, Satrapen und Heerführer, auf alle, die beim ersten Gastmahl geladen waren (1,3), übertragen. Der Fall Vashti wird zur Staatsangelegenheit. Die Konsequenzen liegen für Memuchan auf der Hand: Wenn schon die Königin wagt, ihrem Gemahl zu widersprechen, werden sich nach diesem Vorbild auch die Frauen der Satrapen, der Fürsten und Oberen verhalten. Die Oberen werden Spott und Verachtung ernten. Der innere Friede in den Familien und das öffentliche Ansehen der hohen Staatsämter sind bedroht (V 17‒18). Wie geschickt die Rede Memuchans aufgebaut ist, zeigt die Einleitung zu seinem Plädoyer (V 19). Mit der konditionalen Formel , die wörtlich übersetzt lautet, wenn es dem König gut sei, räumt er Achashverosh rhetorisch die Möglichkeit ein, den nun nachfolgenden Vorschlag abzulehnen. Scheinbar legt er die Entscheidung in die Hände seines Königs. Gleichwohl ist seine Rede so überzeugend formuliert, daß sein Rat nur noch der Zustimmung des Königs bedarf. Der Thronrat schlägt vor, eine verbindliche Anordnung auszugeben, die in die gültige Gesetzgebung aufgenommen wird. Bei den erwähnten Gesetzen der Perser und der Meder, in der dieser Erlaß aufzunehmen ist, handelt es sich um eine normative Rechtssammlung (Dan 6,9). In diesem Erlaß soll festgelegt werden, daß Vashti nicht mehr vor den König treten darf. Dieser Vorschlag Memuchans impliziert bereits ihre Absetzung. Dort, wo jeglicher Verkehr zwischen König und Königin ausgeschlossen wird, ist gleichzeitig der Fortbestand der Amtswürde nicht mehr gewahrt. Konsequenterweise muß Vashti den Thron räumen. Geschickt fügt er den Gedanken hinzu, die Königswürde dann auf eine Bessere zu übertragen. Die Aussicht auf eine Königin, die ihrem Gemahl die ihm zustehende Ehre erweist, leitet schließlich zum zweiten Gedanken über (V 20). Mit dem rechtsverbindlichen königlichen Bescheid – das persische Lehnwort verbindlicher Ausspruch, königliche Anordnung, Edikt ist nur in V 20, Koh 8,11 und Sir 5,11; 8,9 belegt97 – wird die Bedrohung abgewendet, daß die bestehenden Verhältnisse zwischen den Eheleuten in den Sippen und Familien, bei Fürsten und Oberen erheblich be97 Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 31‒32.

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einträchtigt werden könnten. Der Erlaß legitimiert nachträglich die Absetzung der Königin, seine Codifizierung sichert die bedrohte patriarchale Ordnung in allen Provinzen Persiens. Ohne weitere Beratung findet der von Memuchan im Namen des Thronrats vorgetragene Vorschlag das Gehör des Königs (V 21). Achashverosh führt alles so aus, wie es Memuchan angeregt hat. Das königliche Dekret wird als rechtsverbindliches Sendschreiben in alle Satrapien verschickt. Ein ganzer Stab von Rechtsgelehrten, Weisen und Schriftgelehrten ist mit den dazugehörigen Schreibern beschäftigt, den Erlaß für jedes Volk in seiner Schrift und Sprache aufzuschreiben. Darin äußert sich das kulturpolitisch tolerante Selbstverständnis der zentral geordneten Administration des Vielvölkerstaates, jedermann soll das königliche Dekret in seiner Schrift und Sprache verstehen und sich daran halten können (V 22; 3,12; 8,9).98 Exkurs 3: Die Provinzen des Reiches (

)

„Die persischen Reichslande waren in einzelne große Provinzen, Satrapien, eingeteilt, an deren Spitze jeweils ein Statthalter, Satrap, stand. […] Im persischen Kernland dagegen gab es keine Satrapien. Hier unterstand die Verwaltung direkt dem König und damit vor allem dem nach ihm höchsten Beamten. Ihn bezeichnen wir als Hofmarschall“.99 * medina bedeutet Provinz, StattDas aramäische Lehnwort halterschaft, Verwaltungsbezirk.100 Es ist derselbe Wortstamm, der sich hinter dem gleichnamigen islamischen Wallfahrtsort Medina verbirgt. Das Nomen medina geht auf die gemeinsemitisch belegte Wurzel richten, Recht schaffen zurück. Eine medina ist in einem zentral geordneten Staatswesen, wie dem persischen Großreich, ein geographisch begrenzter Hoheitsraum, in dem ein vom König beauftragter Statthalter stellvertretend für die Wahrung des Rechts sorgt und auch richtet. Das Wort ist im Alten Testament 53-mal belegt und davon 39-mal, das entspricht 73,6%, allein in Esther. Damit ist die Vokabel eines der Lieblingswörter des Dichters, das im Mittelteil (c. 5‒7) auffälligerweise völlig fehlt. Daneben kommt nur noch in I Reg (20,14.15.17.19) und Nehemia (1,3; 7,6; 11,3) häufiger vor.101

98 Vgl. Th. Schaack, Ungeduld, 162‒166. 99 H. Koch, Dareios, 36. 100 So M. Wagner, Die lexikalischen und grammatikalischen Aramaismen im alttestamentlichen Hebräisch, BZAW 96, Berlin 1966, 72; K. Beyer, Die aramäischen Texte vom Toten Meer, Göttingen 1984, 553; ders., Die aramäischen Texte vom Toten Meer. Ergänzungsband, Göttingen 1994, 332. 101 Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 38.

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Auslegung

Das im wesentlichen seit Darius I. in seiner Extension unveränderte persische Reich ist nach Esther in 127 Verwaltungseinheiten (medinot) aufgeteilt (1,1.3; 8,9; 9,30).102 Die Angaben über die Anzahl variieren. Nach Dan 6,2 sind es 120 Satrapien. Herodot spricht allerdings nur von 20 (Historien, III, 89) bis maximal 31 Provinzen (Historien, III, 94; IV, 44). Nach der Eroberung Indiens teilte Darius I. „das Perserreich in zwanzig Provinzen, die bei ihnen Satrapien heißen“ (Herodot, III, 89).103 Entsprechend geht die gegenwärtige Forschung von 20 Satrapien aus.104 Diesen Provinzen stehen Statthalter mit einer eigenen Administration vor. Die Satrapen stammen gewöhnlich aus angesehenen, einflußreichen Familien und sind, sofern sie kooperieren wollen, nach der persischen Eroberung zu Statthaltern erhoben worden (Historien, VII, 135).105 Die Provinzstatthalter sind zwar an die legislative Gewalt des Königs als dem religiös legitimierten Gesetzgeber gebunden, gleichzeitig sind sie aber die höchsten Richter der Provinz und mit der lokalen exekutiven Gewalt betraut. Sie sind der rechte Arm des Königs in der Provinz (9,16.20). Ähnlich ist das Finanzwesen organisiert, ein Steuererlaß wird vom König selbst beschlossen und in den Satrapien dezentral umgesetzt (2,18).106 Für die rasche Kommunikation zwischen Susa, Persepolis und den Provinzhauptstädten ist ein ausgebautes Verkehrs- und Postwesen nötig.107 Die als Sendschreiben übermittelten königlichen Erlasse und Gesetze werden mit der Schnellpost über das schon von Herodot (Historien, V, 14.52; VIII, 98) gerühmte Verkehrs- und Postwesen in dem sich von Kleinasien bis zum Indus und zum Oberlauf des Nils erstreckenden Reich verschickt (1,22).108 Berühmt ist der beeindruckende Bericht Xenophons über die von den Persern erfundene Eilpost: „Es heißt, daß diese Reisetätigkeit mitunter nicht einmal bei Nacht zum Stillstand kam, sondern daß der nächtliche Bote den Tagesboten ablö-

102 Vgl. H. Koch, Verwaltung und Wirtschaft, 1990. 103 Übersetzung nach J. Feix. 104 Vgl. G.B. Gray/M. Cary, The Reign of Darius, CAH 4, Cambridge 1926, ND 1969, 194‒195, sowie G. Cameron, The Persian Satrapies and Related Matters, JNES 32 (1973), 47‒56. 105 Nach G.B. Gray/M. Cary, The Reign of Darius, CAH 4, Cambridge 1926, ND 1969, 196. 106 Vgl. J.M. Cook, The Rise of the Achaeminids and Establishment of their Empire, CHIr 2, Cambridge u.a. 1985, 267‒291 (Karte, 282‒283). 107 Vgl. J. Wiesehöfer, Persien, 115‒119. 108 Vgl. T. Preisigke, Die ptolemäische Staatspost, Klio 7, 1907, 241‒277.

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ste. Unter dieser Voraussetzung sollen einige diesen Weg noch schneller als die Kraniche zurücklegen“ (Kyrupaedie, VIII, 6, 18).109 Die wiederkehrenden, monoton klingenden Beschreibungen des Postverkehrs (3,8.12.14; 8,5.9.11‒13) drücken die religiöse, legislative, administrative und fiskalische Macht der Zentralgewalt des amtierenden Herrschers von Susa aus. Aus den Augen des Königs können die Verse als ein Loblied auf die persische Administration gelesen werden. Auffälligerweise werden nie die Provinzhauptstädte erwähnt. Das mag an der mit 127 angegebenen Provinzen stattlichen Zahl liegen, die eine namentliche Auflistung vereitelt. Vermutlich verfügt der Dichter aber auch nicht über die dazu nötigen geographischen Kenntnisse. In 8,11.17; 9,28 stehen die Wörter Provinz und Stadt wiederholt nebeneinander. Rhetorisch hat diese Aneinanderreihung den Zweck, die vollständige Freude aller Juden im ganzen persischen Reich, von Stadt und Land, über das vereitelte Pogrom und die vollständige Einhaltung des Purimfestes auszudrücken.110 1,1‒22: Ausblick. Die bunte Schilderung des höfischen Lebens führt den Leser in eine Welt, die er nur vom Hörensagen kennt. Die Darstellung regt die Phantasie an, die direkte Rede macht den Leser zu einem unmittelbaren Zeugen, sie entführt ihn schließlich in den engsten Kreis der Höflinge. Der auf diese Weise in das Geschehen mit hineingenommene Leser hat schon jetzt Anteil an der Pracht des Hofes, an der Not des Königs und seiner Berater. Der interessierte Betrachter fragt sich: Was wird geschehen? Wie wird die Ehre des Königs und der Oberen wieder hergestellt? Wie findet der König eine geeignete Thronnachfolgerin? Für den zeitgenössischen jüdischen Leser bleibt das biblische Buch bislang jedoch ohne einen existentiellen Bezug. Nüchtern betrachtet berichtet die Megilla von den inneren Streitigkeiten am persischen Hofe zur Zeit des Königs Achashverosh. Doch das offene Ende steigert die Spannung des Lesers, der darauf wartet, daß etwas geschieht, was das Volk Gottes berührt.

109 Übersetzung nach R. Nickel. 110 Vgl. weiterführend P. Frei, Reichsidee, 5‒131; sowie U. Rüterswörden, Die persische Reichsautorisation der Thora: fact or fiction?, ZAR 1, 1995, 47‒61.

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Auslegung

2. Esther wird Königin (2,1‒20) Esther wird Königin 2,1 Nach diesen Begebenheiten, als sich der Grimm des Königs Achashverosh gelegt hatte, gedachte er Vashtis, was sie getan hatte, und was über sie verhängt worden war. 2 Und die Knaben des Königs, die ihm dienten, sprachen: „Man suche für den König Mädchen, Maiden, schön anzuschauen. 3 Und der König beauftrage Beauftragte111 in allen Provinzen seines Königreiches112, und sie sollen alle jungen Mädchen, schön anzusehen, nach Susa im Schloß ins Frauenhaus sammeln113, an die Hand114 Hegais115, des Eunuchen des Königs, des Frauenhüters, und man soll ihnen Schönheitspflege116 geben. 4 Und das Mädchen, das den Augen des Königs gefällt, soll an Vashtis Stelle Königin werden.“ Und die Sache war gut in den Augen des Königs, und er tat so. 5 Ein jüdischer Mann war in dem Schloß zu Susa, und sein Name war Mordechai, Sohn Jairs, Sohn Shimis, Sohn Kishs, ein benjaminitischer Mann117, 6 der von Jerusalem weggeführt worden war mit den Weggeführten, die mit Jechonja, dem König Judas, weggeführt worden waren118, die Nebukadnezar, der König von Babel, hat wegführen lassen119. 7 Er war Vormund der Hadassa, das ist Esther120, die Tochter seines Onkels [121], denn sie hatte nicht Vater und Mutter. Das Mädchen war schön von Gestalt und gut anzusehen. Beim Tod ihres Vaters und ihrer Mutter hatte sie Mordechai sich zur Tochter genommen. [122] 8 Als das Wort des Königs und sein Gesetz gehört wurde und man viele Mädchen im Schloß von Susa an die Hand Hegais versammelte, da wurde auch Esther ins Haus des Königs gebracht, an die Hand He111 112 113 114 115 116 117 118 119

120 121 122

M … wejaphked … pekidim ist eine figura etymologica. M medinot malkuto ist eine Alliteration. Euphemistische Erzählweise. M jad in V 3.8.14 ist eine Metonymie. M Hegä. Das hebräische Wort tamruk bedeutet ursprünglich polieren, reiben, einreiben, dann Salbung, Säuberung. M. Buber übersetzt eigen „Knetpflege“. M ein Mann (ben)jemini ist eine Brachylogie. M mit den Weggeführten … weggeführt worden waren fehlt bei G. Rhetorisch liegt mit dem vierfachen wegführen eine beeindruckende figura etymologica vor, gleichzeitig ist eine Synekdoche mit dem Spezialfall abstractum pro concreto (vgl. W. Dommershausen, Estherrolle, 42‒43). M hi Esther ist ein Beispiel für einen eingestreuten Explikativsatz. B 2,7; 9,29 fügt Αμιναδαβ hinzu. B 2,7 übersetzt frei und erklärt in einer Apposition, ἐπαίδευσεν αὐτὴν ἑαυτῷ εἰς γυναῖκα Mordechai erzog Esther für sich selbst als (Ehe)frau.

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gais, des Frauenhüters. 9 Und das Mädchen gefiel seinen Augen gut, und sie fand Gunst vor ihm, so eilte er, ihre Schönheitspflege und ihre Verpflegung ihr zu geben und ihr sieben ausersehene Mädchen vom Hause des Königs zu geben. Und er siedelte sie und ihre Mädchen in den besten Teil des Frauenhauses um. 10 Nicht gab Esther ihr Volk und ihre Abstammung an, denn Mordechai hatte ihr geboten, daß sie es nicht angebe. 11 An jedem Tag für Tag123 wandelte Mordechai vor dem Hof des Frauenhauses umher, um Esthers Wohlergehen zu erkunden, und was mit ihr geschieht. 12 Wenn die Reihe an Mädchen um Mädchen gelangte, um zum König Achashverosh zu kommen, am Ende der zwölf Monate, nachdem ihr nach der Anordnung für die Frauen geschah124 ‒ denn so wurden die Tage der Schönheitspflege voll, sechs Monate mit Myrrhenöl und sechs Monate mit Balsamöl und Schönheitsmittel der Frauen ‒ 13 so kam das Mädchen vor den König ‒ alles, wovon sie sprach, gab man ihr, daß es mit ihr vom Frauenhaus zum Haus des Königs kam –, 14 am Abend ging sie hin, und am Morgen kehrte sie zurück125 ins zweite Frauenhaus, an die Hand Shaashgas, des Eunuchen des Königs, Hüter der Nebenfrauen. Nicht kam sie mehr zum König, es sei denn, der König fand an ihr Gefallen, und sie wurde beim Namen gerufen.126 15 Als die Reihe an Esther kam, die Tochter Abichajils127, des Onkels Mordechais, der sie sich zur Tochter genommen hatte, zum König zu kommen, begehrte sie nichts, außer dem, was Hegai, der Eunuch des Königs, der Frauenhüter, ihr sagte. Und Esther fand Gunst in den Augen aller, die sie sahen. 16 Esther wurde zu König Achashverosh in sein Königshaus genommen, im 10. Monat, dem Monat Tebet, im siebten Jahr seiner Königsherrschaft. 17 Und der König liebte Esther mehr als alle Frauen. Und sie fand Gunst und Huld vor ihm mehr als alle Mädchen.128 Und er setzte eine Königskrone auf ihr Haupt, und er ließ sie anstelle Vashtis Königin sein. 18 Und der König machte ein großes Gastmahl für alle seine Oberen und seine Diener, das Gastmahl 123 Vgl. zur Darstellung von Mehrheitsbegriffen durch Wiederholung GK, § 123c. M. Buber übersetzt frei und treffend: „Allzeit, Tag für Tag“. 124 M nachdem … geschah fehlt in G. 125 M ba’äräw hi wa’a uwabokär hi shaba, die Eröffnung des Verses ist lautsymbolisch und rhythmisch komponiert. Außerdem ist die Formulierung eine Anspielung auf die Tagesformel des priesterlichen Schöpfungsberichtes (Gen 1,5.8.13.19.23.31). 126 V 12‒14 demonstriert beeindruckend den mit Appositionen und Parenthesen elaborierten Stil des Dichters (vgl. H. Striedl, Untersuchung, 80‒82). 127 B 2,15 liest Αμιναδαβ. 128 Stilistisch liegt ein Komparativ mit zwei Synonymen vor.

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Auslegung

Esthers. [129] Und er machte einen Steuererlaß130 für die Provinzen und gab Geschenke nach Königsbrauch. 19 Als die Mädchen ein zweites Mal versammelt wurden [131], saß Mordechai im Tor des Königs. 20 Esther gab (wiederum) ihre Abstammung und ihr Volk nicht an, wie Mordechai ihr geboten hatte [132], und Esther tat, was Mordechai sagte, wie es geschah, als sie in seiner Vormundschaft stand133. 2,1‒20: Hinführung. Das Vorspiel ist abgeschlossen, die Haupthandlung vorbereitet. König Achashverosh hat die Weisung seines Rates befolgt. Vashti ist abgesetzt, der Thron der Königin verwaist. Doch wie geht es weiter? Dem wehmütigen König kommt Rat von unerwarteter Seite. Einer der ihm dienenden Knaben schlägt vor, die schönsten Mädchen des Reiches zu sammeln, um eine von ihnen als Thronnachfolgerin auszuwählen. Im Verlauf des Dramas öffnet sich der Vorhang nun für die beiden jüdischen Protagonisten: Mit der nächsten Szene treten Mordechai und Esther auf. Sorgsam werden die Schönen auf ihren großen Augenblick im Frauenhaus vorbereitet. Wiederum wird der Leser in die Welt des königlichen Hofes entführt, ihm verborgene Einsichten aus dem Frauenhaus mitgeteilt, ihm gelegentlich Details preisgegeben, aber ansonsten mit wenigen Andeutungen seine Vorstellungen angeregt. Esthers Auftritt bei Hof endet, wie er enden muß. Keine andere gefällt dem König so gut wie die jüdische Waise. Ihre Krönung läßt bereits die Errettung des jüdischen Volkes erhoffen. Doch das eigentliche Drama, die Todesgefahr für Mordechai und alle Juden, steht noch aus. Mordechais wiederholte Ermahnung, daß Esther ihre Abstammung nicht preisgeben soll, weckt bereits eine dunkle Ahnung. 2,1‒4: Die Vorbereitung des Schönheitswettbewerbs als Thronnachfolge. Die siebentägigen Feierlichkeiten bei Hofe sind mit einem für den König dramatischen, aber auch erleichternden Ausgang abgeschlossen worden. Der Thron der Königin ist zwar verwaist, doch die 129 A 2,18 fügt an dieser Stelle eine Notiz über die Hochzeit ein: καὶ ἤγαγεν ὁ βασιλεὺς τὸν γάμον τῆς Εσθηρ ἐπιφαμῶς und der König machte Esther eine glanzvolle Hochzeit. 130 M hanacha ist ein hp lg. 131 M als die Mädchen … versammelt wurden fehlt in B 2,20 sowie nach A 2,18. 132 B 2,20 fügt interpretierend das Motiv der Gottesfurcht und des Gesetzesgehorsams ein, φοβεῖσθαι τὸν θεὸν καὶ ποιεῖν τὰ προστάγματα αὐτοῦ Gott zu fürchten und seine Gebote zu tun. 133 Mit magädät moladta und maamar Mordechai liegen zwei Alliterationen vor.

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Ehre des Herrschers und seiner Fürsten und hohen Beamten ist wiederhergestellt. Das ist die Ausgangssituation der nächsten Szene. Die Formel nach diesen Begebenheiten und das Motiv des besänftigten Königs verknüpfen das Vorspiel mit der Haupthandlung. Sinnend sitzt Achashverosh und denkt darüber nach, wie Vasthi ihn und die Oberen gedemütigt hat, und wie sie dafür bestraft worden ist. Nach ihrem Fall tritt die Königin für immer von der Bühne ab (V 1). In diese erinnernde Vergegenwärtigung der vergangenen Tage tritt erneut der Rat (V 2). Nicht ein Vertreter des Thronrates tritt an den König heran, es ist einer der ihm dienenden Jünglinge (Herodot, Historien, III, 92). Der Page kennt die Stimmung seines Herrn. Er weiß genau, daß jetzt der Zeitpunkt dafür gekommen ist, den Rat Memuchans aufzunehmen (1,19) und Achashverosh vorzuschlagen, aus den schönsten Mädchen des Reiches eine Braut zu wählen. Achashverosh gefällt der Vorschlag seines Dieners (V 3). Umgehend greift der König die Anregung seines Vertrauten auf und läßt königliche Werber in allen Satrapien den Schönheitswettbewerb ausrufen (Gen 41,34). Sie sollen nach geeigneten Mädchen suchen, um sie dann in der Reichshauptstadt auf die Begegnung mit dem König vorzubereiten (I Reg 1,2‒4; b Meg 12b). Der Eunuch Hegai ist als Hüter des einen Frauenhauses für die Fürsorge und die kosmetische Pflege der fremden Schönen verantwortlich. Das Auswahlverfahren wird allein durch den Geschmack des Königs bestimmt (V 4). Die für Esther typische Redewendung in den Augen des Königs Gefallen finden meint nicht nur den vordergründigen Augenschein, das hebräische Verb gut sein, geeignet sein ist eine umfassende Beschreibung für die leibliche, seelische und charakterliche Schönheit der gesuchten Königin. Es ist dasselbe Wort, daß Memuchan benutzt, als er dem König vorschlägt, eine bessere, geeignetere, würdigere Königin zu suchen (1,19). Sicherlich gelten für die Auswahl weitere Merkmale. Aufschlußreich sind die Kriterien, die für die vier Jünglinge am Hofe des babylonischen Königs Nebukadnezars gelten: Die jüdischen Höflinge sollen eine edle Herkunft haben, von makelloser körperlicher Gestalt, jung, sprachlich versiert, weise, wohlerzogen und schön sein (Dan 1,3‒4.17. 20‒21).134 Dieser umfassende Katalog bezieht sich zwar auf männliche Höflinge. Hilfreich ist er aber insofern, als er Einsichten in die sicherlich idealtypische Vorstellung des Hofes gewährt. Übertragen bildet danach die von Herodot (Historien III, 84.88; VII, 61) bestätigte edle Abstam134 Vgl. J.E. Goldingay, Daniel, WBC 30, Dallas 1989, 20‒28.

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Auslegung

mung ebenso selbstverständlich wie die körperliche Erziehung und die geistige Bildung die elementaren Voraussetzungen für die Auswahl der Mädchen. Die Aussicht für die erwartungsvollen Mädchen und ihre Familien ist es, durch die Heirat zur mächtigsten Frau der bekannten Welt aufzusteigen (V 4). 2,5‒7: Die Einführung von Mordechai und Esther. Wie aus dem von der Sonne vertriebenen Frühnebel treten Mordechai und Esther auf (V 5). Wie in Stein gemeißelt führen die beiden hebräischen Worte jüdischer Mann den Juden Mordechai ins Geschehen ein (Hi 1,1).135 Sein Auftritt signalisiert, daß jetzt das Vorspiel beendet ist. Nun tritt ein Mann ein auf, der das Schicksal der Exilierten der ganzen Diaspora personifiziert.136 Syntaktisch auffällig wird zunächst die ethnischreligiöse Zugehörigkeit des Juden vorangestellt. Erst danach folgen weitere Angaben: Dieser Jude lebt in der Königsstadt von Susa, sein Amt interessiert vorerst nicht.137 Endlich erfahren wir auch seinen Namen und seine genealogische Abstammung: Mordechai ist ein Benjaminiter (Gen 35,18; 49,27; Jos 18,11‒28).138 Das genealogische Formular führt Mordechais Abstammung über drei Generationen über seinen Vater Jair, Vatersvater Shimi bis zum Urgroßvater Kish zurück (V 5). Die Namen Jair, Shimi und Kish sind auch sonst alttestamentlich belegt, ein genealogischer Bezug zu den Ahnen Mordechais besteht allerdings nicht (Num 32,41; Dt 3,14; Jos 13,30; I Sam 9,1‒3; II Sam 16,5‒13; 19,17‒20; I Reg 2,8‒9.36‒46; 4,13; II Chr 29,12).139 Der theophore Name Mordechai ist vermutlich vom babylonischen Götternamen Marduk abgeleitet (V 5).140 In den elamitischen Persepolis-Tafeln findet sich der Name Marduka oder Marduku über dreißigmal (PF 81, 412, 489, 790, 863, 941, 942, 991, 1183, 1236, 1581, 1858)141, später ist er auch aus ptolemäischer Zeit belegt.142 Damit ist der Name

135 Vgl. R.L. Bergey, Book, 65‒67. 136 In der erweiterten Komposition von G ist Mordechai dem Leser von Anfang an als ein bedeutender jüdischer Höfling bekannt, der von den Kriegsgefangenen Nebukadnezars abstammt (A 1‒3). 137 Möglicherweise gehört er zu den Torhütern (2,19.21; 3,1‒4). 138 Vgl. zur rabbinischen Auslegung B.M. Zlotowitz, Esther, 54‒55. 139 B. Grossfeld, The Two Targums of Esther, The Aramaic Bible 18, Edinburgh 1991, 210, bietet eine hilfreiche Übersicht über die Abstammung Mordechais nach Targum und Midrasch. 140 Nach M. Hutter, Elemente, 52. 141 Vgl. E.M. Yamauchi, Mordecai, 272‒273. 142 Vgl. W. Horbury, Name Mardochaeus, 220‒226.

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zahlreich bezeugt, was eine Identifikation mit einer konkreten historischen Person erschwert (Ex 30,23; b Hul 139b). Im Alten Testament begegnet der Name Mordechai insgesamt 60mal, davon allein von Esth 2,5 bis 10,3 nicht weniger als 58-mal. Bei diesen Belegen handelt es sich immer um ein und dieselbe Person. Einen zweiten Mordechai führen die Listen der Heimkehrer auf (Esr 2,2; Neh 7,7; III Esr 5,8). Mit dem in den Listen aufgeführten Heimkehrer aus Babylon ist der persische Höfling nicht identisch. Im hebräischen Buche Esther steht er, der Lenker, zunächst im Schatten seiner Adoptivtochter. Die griechische Tradition erhebt ihn vor allem durch die langen das Buch rahmenden und erweiternden Zusätze zum eigentlichen Protagonisten.143 Wie wichtig die Einführung der beiden Protagonisten für die jüdische Tradition ist, belegt der Jerusalemer Talmud. Er überliefert ein Lehrgespräch, in dem sich die Rabbinen darüber streiten, von wo ab die Estherrolle an Purim gelesen werden muß, um der Pflicht zu genügen: Auch wenn R. Abbahu meint, die Rolle müsse vollständig gelesen werden, ist das Vorspiel bei Hofe für andere Rabbinen nebensächlich. Nach R. Me’irs Lehrmeinung muß die Megilla vom Auftritt Mordechais in 2,5, nach R. Yose sogar erst ab 3,1 gelesen werden (y Meg 73b). Zurück zu Mordechai (V 5). Er gehört zu den 597 mit König Jechonja, das ist Jojachin (598‒597), aus Jerusalem von König Nebukadnezar ins babylonische Exil deportierten Juden (II Reg 24,8‒17; Jer 24,1).144 Auch Daniel kommt auf diesem Weg nach Babylon (Dan 1,1‒7), Nehemia gehört später zu den Höflingen Susas (Neh 1,1‒2). Doch die chronistische Angabe widerspricht dem zeitlichen Rahmen, den die Megilla selbst vorgibt. Wenn die geschilderten Ereignisse in die Regierungszeit von König Achashverosh (486/85‒465/64) fallen (1,1‒3) und Mordechai tatsächlich zu den Exilierten gehörte, müßte er inzwischen weit über 120 Jahre alt sein.145 Wie Mordechai dann von Babel nach Susa gekommen sein soll, bleibt völlig ungeklärt. Der Widerspruch wird dadurch noch bestärkt, daß Esther, die Tochter seines Onkels, ein junges Mädchen ist. Die chronologischen Angaben und genealogischen Verhältnisse fügen sich also nicht in den historischen Rahmen der Erzählung. Offensichtlich dienen sie eher einer zeitlichen Einordnung der einzelnen Geschehnisse, als einer in sich stimmigen Chronologie.

143 Vgl. L. Day, Faces, 183‒189; I. Kottsieper, Zusätze, 141‒145, 199‒201. 144 Vgl. E. Würthwein, Die Bücher der Könige, ATD 11,2, Göttingen 1984, 469‒473. 145 Vgl. S. 23.

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Auslegung

Mordechai gehört zu den aus Jerusalem Verschleppten (V 6). Gleich viermal kommt das für V 6 basale Wort gala vor, das soviel wie wegführen, deportieren oder verschleppen heißt. Es meint, einen einzelnen oder eine Volksgemeinschaft mit (militärischer) Gewalt vom angestammten Land wegzureißen. Trefflich überträgt M. Buber das Wortspiel: „Mordechaj, der verschleppt worden war aus Jerusalem mit der Verschlepptenschaft, die verschleppt ward mit Jechonja König von Jehuda, die Nebukadnezar, König von Babel, hatte verschleppen lassen“. Die von II Reg 24,14‒15 berichtete Wegführung der judäischen und Jerusalemer Oberschicht ins babylonische Exil ist nach Diodorus auch von den Persern praktiziert worden (V 6). Schon Kambyses hat nach der Eroberung Thebens die Tempel geplündert, dann teilweise niedergebrannt, und die Künstler mitsamt allen Schätzen für den Ausbau der königlichen Residenzen von Persepolis und Susa deportiert (Bibliotheca, I, 46, 4‒5). Das vor allem bei Deuterojesaja, Jeremia und Ezechiel auftretende Motiv der Wegführung ist ein Zeichen für die wegen seines Ungehorsams selbstverschuldete Strafe Israels. Die Verschleppung ins Exil verweist auf das Gericht Jahwes (Jes 45,13; Jer 24,5; 29,22; 40,1; Ez 1,2; 33,21).146 Der verschleppte Mordechai ist der Vormund einer gewissen Hadassa ist, die auch Esther genannt wird (V 7). Ihrem natürlichen Verwandtschaftsverhältnis nach handelt es sich bei den beiden Protagonisten um Vetter und Base. Die Etymologie des Wortes omen ist nicht ganz eindeutig. Vermutlich geht das Wort auf die akkadische Wurzel ummānu Handwerker zurück.147 Das hebräische Lehnwort bedeutet dann soviel wie Vormund, Wärter von Kindern und Amme (Num 11,12; II Sam 4,4; II Reg 10,1‒5; Jes 49,23; Ruth 4,16). Dieses Verständnis teilt die Septuaginta, die παῖς θρεπτή ein aufgezogenes, ernährtes Mädchen übersetzt. Doch Mordechai ist nicht nur der Vormund der Tochter seines von der Septuaginta als Aminadab, in V 15 als Abichajil, benannten Onkels. Mordechai hat seine Base Esther beim Tod ihrer Eltern als Tochter an-

146 Vgl. O. Kaiser, Der Gott des Alten Testaments, Bd. 3, UTB 2392, Göttingen 2003, 82‒107. 147 Vgl. W.F. Albright, A Prince of Taanah in the Fifteenth Century B.C., BASOR 94 (1944), 18.

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genommen (Ex 2,9‒10)148; er ist der Adoptivvater seines Mündels Esther149. Eine eigenwillige Interpretation trägt die griechische Tradition vor (V 7). In ihrer Lesart erzieht Mordechai Esther als Frau für sich selbst (B 2,7). Ähnlich legen die Rabbinen den Vers aus. Sie konjizieren den hebräischen Text und erzählen, daß Mordechai Esther geheiratet hat. Das aus der Heirat resultierende Problem der Doppelehe mit Mordechai und dem König übergehen sie (b Meg 13a).150 Esther ist das von ihrem eigenen Vetter adoptierte Kind (V 7). Zuvor war Esther eine Vollwaise. Für die Erzählung ist das ein wesentliches Motiv, gebührt in der jüdischen Tradition Witwen und Waisen der ausdrückliche Schutz der Gemeinschaft (Dt 24,19; 27,19; Jes 1,17; Jer 7,6; Sach 7,10; Ruth 1,3‒13; 4,13‒14; Spr 23,10‒11). Der Aufstieg vom exilierten Waisenkind zur persischen Königin ist ein doppeltes theologisches Motiv, Gott selbst nimmt sich ihrer an und bestimmt sie zur Retterin für sein Volk (Ex 22,21‒23; Dt 10,18; Jes 45,1; Ps 146,9; Spr 15,25).151 Der Name der Jüdin Esther, die zuvor Hadassa geheißen hat, ist von V 7 an 55-mal ausschließlich in Esther belegt. Schon die rabbinische Überlieferung bietet zwei sich ergänzende Namenserklärungen. Nach R. Mechemja war „ihr wirklicher Name Hadasa, und er nennt sie deshalb Ester, weil die weltlichen Völker sie Istahar nannten“ (b Meg 13a).152 R. Me’ir fügt hinzu, ihr eigentlicher Name ist Hadassa, denn als Hadassa, das Myrte bedeutet, werden die Frommen bezeichnet (b Meg 13a). Die etymologische Bestimmung des akkadisch-persischen Namens Esther bleibt umstritten. Der Versuch, Esther vom Namen der babylonischen Göttin Ištar abzuleiten153, ist inzwischen schon aus orthographischen Gründen gescheitert. Vermutlich geht der Name des jüdischen Mädchens auf altpersisch *star Stern zurück.154 Esther ist ein anmutiges und schönes Mädchen (V 7). Ihre Teilnahme am Schönheitswettbewerb setzt voraus, daß sie in heiratsfähigem Alter ist. Ihre Gottesfurcht stellt die kluge Jüdin erst noch unter Beweis (4,16; 5,1; 7,3‒4; 8,5‒6; C 12‒30). Wie bei der schönen Witwe Judith sind 148 Vgl. H.J. Boecker, Recht und Gesetz im Alten Testament und im Alten Orient, NStB 10, Neukirchen-Vluyn 21984, 103‒115. 149 Für H. Donner, Adoption oder Legitimation? Erwägungen zur Adoption im Alten Testament auf dem Hintergrund der altorientalischen Rechte, OrAnt 8 (1969), 104‒105, begründet 2,7.15 lediglich ein Pflegschaftsverhältnis. 150 Vgl. H.M. Wahl, Ester, 88. 151 Vgl. H.M. Wahl, Ester, 87‒89. 152 Übersetzung nach L. Goldschmidt. 153 So zuerst P. Jensen, Elamitische Eigennamen, WZKM 6 (1892), 70. 154 M. Hutter, Elemente, 52; ebenso R. Zadok, Notes, 107.

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Auslegung

auch bei Esther geistliche Stärke mit anmutiger Schönheit symbiotisch gepaart (Jdt 8,1‒2; 10,7‒8; 11,20‒21; 12,16). Die Identität von körperlicher Schönheit und tugendhaftem Charakter ist ein verbreitetes Märchenmotiv: Dornröschen (KHM 50) verkörpert es ebenso wie Schneewittchen (KHM 53), Jorinde (KHM 69) und die vom gestiefelten Kater gefreite Prinzessin (KHM.A 5). 2,8‒11: Esther im Frauenhaus. Das als königlicher Erlaß von den Beauftragten in die Provinzen getragene Wort wird von den Familien gehört (V 8). Die schönsten, wohlerzogensten und anmutigsten Töchter werden in die Reichshauptstadt gebracht. Im königlichen Frauenhaus werden sie der Obhut des Hüters Hegai anvertraut. Zusammen mit ihren Konkurrentinnen gelangt auch Esther in den Palast. Ihre nähere Vorgeschichte bleibt völlig offen. Vielleicht hat sie zusammen mit dem Höfling Mordechai in der Königsstadt gewohnt, möglicherweise aber auch bei einer zur jüdischen Gemeinde von Susa gehörenden Familie außerhalb des Palastbezirkes. Hegai ist der erste bei Hofe, dem Esther gut gefällt (V 9). Mit demselben Ausdruck, den Memuchan als Maßstab für die zu wählende Königin geprägt hat, drückt Hegai sein unmittelbares Wohlgefallen aus. Und das Mädchen gefiel seinen Augen gut, und sie fand Gunst vor ihm. Die Redewendungen Gunst finden sowie das synonyme Gnade, Huld finden kommen nur in Esther vor (2,15.17; 5,2). Beide Ausdrücke beschreiben eine affektive, spontan geäußerte Zuneigung, die in der Begegnung geweckt wird. Später soll diese wiederholte Sympathiebekundung bei der Begegnung mit dem König zur umgehenden Krönung Esthers führen (2,17). Mit der Aufnahme in das Frauenhaus beginnen nun die Vorbereitungen für den Schönheitswettbewerb (V 9). Der Hüter des Frauenhauses Hegai läßt es Esther an nichts fehlen. Er kümmert sich um ihre Schönheitspflege und erlesene Speisen. Sieben ausgewählte Mädchen stehen Esther als Kammerzofen und Leibdienerinnen zur Seite. Zahlensymbolisch klingt wieder das Motiv der Vollkommenheit an: Esther erhält die bestmögliche Fürsorge im Frauenhaus (1,10.14). Ein eingestreuter Gedanke unterbricht die Darstellung (V 10). Auf die Anweisung Mordechais hin, verschweigt Esther ihre Herkunft. Während Daniel und seine drei Freunde in vergleichbarer Situation schon durch die Einhaltung der Speisevorschriften als Juden identifiziert werden, scheint dies für Esther keinen Konflikt zu bereiten

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(Dan 1,8‒17; Tob 1,11‒12; Jdt 12,11‒12; I Makk 1,43‒56).155 In ihrer in den Zusätzen überlieferten Fürbitte bekennt sie dann jedoch unmißverständlich, daß sie die jüdischen Speisegebote immer beachtet hat (C 28; 2 Targ Est 2,9).156 Esther soll weder ihre ethnische noch ihre genealogische Abstammung mitteilen, und es gelingt ihr, dem mahnenden Rat Mordechais zu folgen (2 Targ Est 2,10).157 Auch bei der Hochzeit wird ihre Abstammung nicht nachgetragen (2,17‒18). Das überrascht zunächst, wählt doch der persische König nach Herodot seine Braut nur aus einer ihm bekannten edlen Familie aus (Historien III, 84.88; VII, 61). Doch diese historisch überlieferten Sitten kümmern wenig. Die verheimlichte Herkunft (und Religionszugehörigkeit) entpuppt sich als ein literarisches Motiv, dem die Erzählung ihre innere Dramatik verdankt (3,4.6; 6,13; 7,4; 8,3.6). Noch bleibt ungeklärt, warum Esther ihre Herkunft verbergen soll.158 Anders im Targum Scheni, dort lüften die Rabbinen das Geheimnis und tragen eine breite Erklärung nach. „Warum hatte Mordechai ihr befohlen, daß sie nichts von ihrem Volk sagen sollte? […] Und warum sagte Ester nichts [von ihrer Abstammung]? Damit der König über sie nicht zornig werde und sie nicht töte und jenes Volk vernichte, welchem sie entstammte. Deshalb befahl er ihr, daß sie nichts von ihrem Volk und ihrer Abstammung erzählen sollte“ (2 Targ Est 2,10).159

Mordechai ist um Ester besorgt (V 11). Täglich geht er an dem für ihn zugänglichen äußeren Bereich der Frauengemächer vorbei. Ihn treibt die Hoffnung, er könne von Torhütern, Kammerdienern oder Zofen Neuigkeiten über seine Adoptivtochter erfahren. 2,12‒14: Die Mädchen vor dem König. Das Leben am persischen Hofe, die fremden Sitten in einem königlichen Frauenhaus, beschreiben

155 Vgl. L.F. Hartman/A.A. Di Lella, The Book of Daniel, AB 23, Garden City 1978, 131‒133; J.A. Fitzmyer, Tobit, CEJL, Berlin/New York 2003, 112‒113; B. Schmitz, Gedeutete Geschichte. Die Funktion der Reden und Gebete im Buch Judit, HBSt 40, Freiburg u.a. 2004, 323‒325, 451‒481. 156 Nach der rabbinischen Tradition hat Esther die Speisevorschriften, die Reinheitsgebote und den Sabbat beachtet (vgl. I. Katzenellenbogen, Esther, 9). 157 Vgl. B. Ego, Targum, 226‒227: „Vermutlich versucht diese Ergänzung die Tatsache zu erklären, daß Mordechai und Ester nach der biblischen Estererzählung nicht den Mut zeigten, ihre Zugehörigkeit zu ihrem Volk zu bekennen. Dem Hinweis auf die Angst um das Leben Esthers, von der ja schließlich das Überleben des gesamten Volkes abhängen soll, kommt die Aufgabe zu, diese Haltung zu entschuldigen.“ 158 Vgl. zum Stilmittel der Verheimlichung H. Striedl, Untersuchung, 103‒105. 159 Übersetzung nach B. Ego.

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Auslegung

drei lange, mit Appositionen und Parenthesen gekleidete Verse (V 12‒14). Ein ganzes Jahr lang werden die Mädchen im Frauenhaus auf ihre Vorstellung beim König vorbereitet (V 12). Sechs Monate sind sie mit Balsamöl, sechs Monate mit Myrrhenöl und anderen Schönheitsmitteln gepflegt worden. Erst nach Ablauf dieses Jahres treten die auserwählten Mädchen nacheinander vor den König.160 Zunächst ziehen sie vom Frauenhaus im Königinnenpalast in das Haus des Königs um (V 13). Nach eigenem Geschmack dürfen sie die nötigen Utensilien in dieses zweite Frauenhaus mitnehmen. Der Hüter des dortigen Hauses heißt Shaashga, der Eunuch hütet die Nebenfrauen des Königs. Daß die Perser Nebenfrauen haben, berichtet schon Herodot (Historien, I, 136). Von ihrer Unterkunft im Königspalast aus tritt jedes einzelne Mädchen in Begleitung ihrer Zofen am Abend in die königlichen Gemächer. Am darauffolgenden Morgen kehrt es dann wieder ins Frauenhaus im königlichen Palast zurück. Nur wenn das Mädchen dem König gefällt, darf es den Monarchen erneut besuchen (V 14).161 Über die Kleidung der Schönen erfahren wir nichts (V 14). Wiederum hilft Herodot weiter. Wie er erzählt, stehen die Perser fremden Sitten aufgeschlossen gegenüber. Von den Männern bemerkt der Chronist: „Die Perser sind es, die am meisten von allen fremde Bräuche bei sich dulden. Sie halten die medische Kleidung für schöner als ihre eigene und tragen sie deshalb. Im Kriege legen sie den ägyptischen Brustpanzer an“ (Historien, I, 135).162 Es ist also durchaus denkbar, daß die Mädchen in ihrer landesüblichen Festtracht – wie Judith festlich mit Bändern Ohrgehängen, Armreifen und feinem Kopfputz geschmückt – vor den König treten (Jdt 10,2‒4). 2,15‒18: Esther wird vom König zur Königin gekrönt. Endlich ist Esther an der Reihe (V 15). Feierlich wird ihrem Namen erstmalig der Name ihres leiblichen Vaters Abichajil, das verwandtschaftliche Verhältnis zu Mordechai und das rechtliche Verhältnis als Adoptivvater hinzugefügt, die Angabe der Herkunft mit Vatersnamen und Volk entspricht persischer Gewohnheit (Herodot, Historien, VIII, 90). Bei ihrem Abschied aus dem Frauenhaus begnügt sich Esther damit, nur das mitzunehmen, was der ihr wohlgesinnte Hüter Hegai, der den Geschmack des Königs kennt, empfiehlt (V 15). Wie sie schon bei 160 Vgl. K.M. Craig, Esther, 92‒92. 161 Vgl. Z. Gitay, Esther, 137‒140. 162 Übersetzung nach J. Feix.

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ihrer Ankunft im Frauenhaus dem Rat Mordechais folgte (2,10), hört sie nun auf ihren Diener. Esther besticht nicht nur durch ihre anmutige Schönheit, die Kluge nimmt auch den weisen Rat ihres Vertrauten an.163 In diesem Jahr im Frauenhaus hat die Prätendentin nicht nur die Gunst des Eunuchen gefunden (2,9), in pleonastischer Redeweise heißt es, wie Joseph hat sie die Gunst aller gefunden, die sie kennenlernte (Gen 39,21.23; Jdt 10,8‒9). Schon erhält diese Notiz den Charakter eines Deutewortes: Wie nämlich könnte dieses Mädchen dann nicht auch dem König gefallen? Eine chronistische Notiz leitet das große Ereignis ein (V 16). Im Monat Tebet (Dezember/Januar), dem zehnten des persischen Kalenders, im siebten Jahr seiner Regentschaft (479/78), tritt Esther vor den König. Wiederum drückt die Siebenzahl die Vollkommenheit aus, in diesem Moment deutet sie symbolisch auf den richtigen Zeitpunkt für die richtige Wahl hin.164 Dann begegnen sie sich, der mächtige König und das jüdische Mädchen (V 17). Wie bei Dornröschen (KHM 50) und Sneewittchen (KHM 53) ist es Liebe auf den ersten Blick, die der Monarch für die tugendhafte Schöne empfindet (2,7). Der Schönheitswettbewerb ist entschieden, vor allen anderen Mädchen gewinnt Esther die Gunst und Huld des Königs. Die wiederholte komparative Formulierung und der König liebte Esther mehr als alle Frauen steigert die Aussage: Schon jetzt hat Esther das Herz von König Achashverosh ganz für sich gewonnen.165 Der spontanen Zuwendung des Königs folgt die Krönung auf dem Fuße (V 17). Völlig unvermittelt setzt der König ihr die Krone auf das Haupt. Esther ist nun die rechtmäßig gekrönte Königin, der verwaiste Thron ist endlich wieder besetzt.166 Mit nur wenigen Federstrichen ist die Krönungszeremonie skizziert. Die gesamte höfische Szenerie entfällt: Keine Zeugen werden erwähnt, die Priester, der Thronrat, die Familien und die Oberen sind offensichtlich ausgeschlossen. Weder ein der Bedeutung der Krönung entsprechender Ritus noch eine Zeremonie werden vollzogen. Auf die übliche Investitur, der im Protokoll eine öffentliche Akklamation vor den Oberen und dem Volke folgen müßte, wird ganz verzichtet (6,10‒11; Gen 41,40‒43).167 Alle dazugehörigen Requisiten fehlen: Das Diadem der Königin ist die alleinige Insignie 163 164 165 166 167

Vgl. Z. Gitay, Esther, 140‒141. Vgl. zur Zahlensymbolik die Auslegung zu 1,14. Vgl. Z. Gitay, Esther, 143‒144. Vgl. K.M. Craig, Reading Esther, 105‒109. Vgl. H.M. Wahl, Motiv, 70‒74.

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Auslegung

ihrer gewonnenen Königswürde. Die Krönung findet unter dem Ausschluß der Öffentlichkeit fast privat, ohne jedes Wort und ohne weitere Zeichen statt.168 Doch die Inthronisation Esthers ist rechtsgültig (V 17). Mit der Krönung wird die Jüdin Esther nun zur Königin über Persien. Rechtlich bewirkt die Heirat eine Personenstandsänderung, mit der die Verantwortung Mordechais für seine Adoptivtochter endgültig erlischt.169 Erst nach der spontan vollzogenen Krönung richtet der König zu Ehren der neuen Königin Esther ein Gastmahl für alle Satrapen, Fürsten und Oberen aus (V 18). Von einer mit persischen (und jüdischen?) Priestern kultisch begangenen Hochzeitsfeier weiß der Chronist nichts zu berichten. Die griechische Tradition und Josephus haben dies als Mangel empfunden: A 2,18 trägt eine Notiz über die Hochzeit nach und der König machte Esther eine glanzvolle Hochzeit. Josephus malt die Szene breit aus. Er berichtet, daß Achashverosh sich zunächst mit Esther vermählt und dann seine Boten in alle Provinzen schickt, um die rechtmäßige Heirat bekanntzugeben. Erst nach den mit allen Oberen begangenen Hochzeitsfeierlichkeiten krönt Achashverosh seine Esther eigenhändig zur Königin (Ant 11, 203). An diesen Einzelheiten ist die Megilla nicht interessiert. Ihr kommt es allein darauf an, auf den mit der Inthronisation verbundenen Aufstieg Esthers hinzuweisen.170 Mit der Heirat sind zwei erhebliche rechtlich-religiöse Probleme verbunden ‒ das der eingegangenen Mehrehe und das der Mischehe (V 18). Wie Herodot bestätigt, kennt das persische Eherecht die Mehrehe: „Jeder von ihnen heiratet viele rechtmäßige Frauen und besitzt außerdem eine größere Zahl von Nebenfrauen“ (Historien, I, 136).171 Doch das Thema der jüdischen Monogamie wird nicht angesprochen. Möglicherweise kann die Mehrehe schon deshalb in den Hintergrund treten, weil in 1,19 eine Scheidung des Königs von Vashti angedeutet ist. Allerdings richten schon die ersten Ausleger ihr Augenmerk auf die bereits von Esra (Esr 9,1‒5.6‒15; 10,7‒19) und Nehemia (Neh 13,23‒31) bekämpfte Mischehe (Dt 7,1‒4)172 mit einem Heiden (V 18)173. 168 Vgl. Z. Gitay, Esther, 144‒146. 169 Vgl. L. Day, Faces, 187‒193. 170 Vgl. zur Deutung der griechischen Traditionen die komparative Studie von K. de Troyer, Beauty, 47‒70. 171 Übersetzung nach J. Feix. 172 Vgl. T. Veijola, Das 5. Buch Mose ‒ Deuteronomium, ATD 8,1, Göttingen 2004, 193‒198. 173 Vgl. E. Neufeld, Ancient Hebrew Marriage Laws, London 1944; W. Plautz, Die Form der Eheschließung im Alten Testament, ZAW 76, 1964, 298‒318; A.H.J. Gunneweg, Nehemia, KAT XIX,2, Gütersloh 1987, 171‒175.

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Die Redaktoren der Zusätze glätten diesen Konflikt und beschreiben die Situation der Königin als eine Zwangslage (C 27). In ihrem Gebet legen sie ihr unmißverständliche Worte in den Mund: „Du weisst, ich haßte die Herrlichkeit der Gesetzlosen und ekle mich vor dem Bett der Unbeschnittenen und eines jeden Fremden“ (C 26).174 Ihr Bekenntnis kann die Rabbinen allerdings nicht überzeugen. Sie werfen der Königin vor, daß sie besser die Verfolgung erlitten hätte als einen Goj zu heiraten (b Meg 13b; b San 74a-b; AgEst 10b‒11b; LevR 13,5; EstR 8,3).175 Aus Freude gewährt Achashverosh anläßlich der Feierlichkeiten den Provinzen einen Steuererlaß (V 18). Wie an seinem Geburtstag verteilt er auch königliche Geschenke (Gen 43,34). Von einer bei solchen Gelegenheiten üblichen Amnestie hören wir nichts (I Makk 11,27‒28). Exkurs 4: Steuererlaß und Geschenke (

und

)

Der Steuererlaß hanachah ist ein geläufiges Mittel des Königs, den tributpflichtigen Untertanen oder ganzen Satrapien des Reiches aus besonderem Anlaß eine Wohltat zu tun. Mit Geschenken maset wendet sich der König besonders verdienten, bedürftigen oder kinderreichen Untertanen zu. Von einer üblicherweise anläßlich des Geburtstag des Königs oder einer Hochzeit gewährten Amnestie weiß die Erzählung nichts. Das persische Steuersystem geht nach Herodot auf den Vater des Xerxes, Darius I. (522‒486), zurück.176 Der Chronist notiert über das persische Steuerwesen: „Nachdem [Dareios] die Satrapien errichtet und die Statthalter eingesetzt hatte, setzte er die Steuern fest, die ihm von den Völkern eingehen sollten. […] Die Verteilung der Satrapien und der jährlichen Abgaben erfolgte so: Denen, die Silber abzuführen hatten, war aufgegeben, das Talent nach babylonischem Gewicht zu entrichten, denen, die Gold abgaben, nach euboischem Gewicht. Das babylonische Talent gilt 78 euboische Minen. Unter der Herrschaft des Kyros nämlich und auch des Kambyses gab es noch keine festen Bestimmungen über die Tribute; die Völker brachten vielmehr Geschenke. Wegen dieser Abgabenordnung und noch einiger ähnlicher Maßnahmen sagen die Perser, Dareios sei ein Kaufmann, Kambyses ein Herr, Kyros aber ein Vater gewesen; denn Dareios habe in allem nach

174 Übersetzung nach I. Kottsieper. 175 Vgl. L.L. Bronner, Esther, 183‒185. 176 Vgl. H. Koch, Dareios, 64‒67.

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Krämerart gehandelt; Kambyses sei hart und rücksichtlos gewesen, Kyros mild; und ihm verdankten sie alles Gute“ (Historien, III, 89).177 Auf diese allgemeinen Angaben zum Steuersystem folgt eine nach Satrapien geordnete umfangreiche Aufstellung über die festgelegten Abgaben (Historien III, 90‒96). Hier eine Kostprobe: „Von den Bewohnern des Hellespont, die rechts der Einfahrt wohnen, weiter den Phrygern, den asiatischen Thrakern, den Paphlagoniern, den Mariandynen und den Syrern betrug die Steuersumme 300 Talente. Das war die dritte Satrapie“ (Historien, III, 90). Zum Abchluß der Aufzählung erwähnt der Historiograph noch weitere Sonderregelungen: „Das waren nun die Bezirke und die Abgabesummen. Ich habe das persiche Land nicht unter den zinspflichtigen Völkern aufgezählt, weil es keine Abgaben zahlt. Dagegen kommen die Völker hinzu, die zwar keine Steuer entrichteten, aber Geschenke gaben“ (Historien, III, 97). Auch Geschenke und Steuererlasse des Königs sind durchaus bekannt. Herodot berichtet vom milden König Smedris, der allen Völkern seines Reiches die Pflicht zum Kriegsdienst und für drei Jahre die Steuern erlassen hat (Historien, III, 67). Geschenke des Königs sind zu unterschiedlichen Anlässen üblich. Wie Herodot erzählt, beschenkt der König aus Anlaß seines Geburtstages jährlich das Volk (Historien, IX, 110). Die Familien mit den meisten Kindern erhalten vom König ebenfalls jährliche Gaben (Historien, I, 136).178 2,19‒20: Esther verschweigt wiederholt ihre Herkunft. Wofür die zum Schönheitswettbewerb nach Susa gekommenen Mädchen ein zweites Mal versammelt werden (2,8), bleibt unklar. V 19 bereitet schon den alten Auslegern Kopfzerbrechen. Deshalb haben die Übersetzer der griechischen Tradition und des Targum den ersten Halbvers einfach ausgelassen. Die Brautschau ist abgeschlossen, die Siegerin zur Königin gekrönt; möglicherweise werden die Mädchen von Achashverosh gemeinsam empfangen, beschenkt und dürfen dann wieder in ihre Heimat zurückkehren.179 Rätselhaft ist auch die Bezeichnung er sitzt im Tor des Königs (V 19). Mehrmals wird berichtet, daß sich Mordechai im Tor des Königs aufhält (2,19.21; 3,2‒3; 5,9.13; 6,10.12 sowie 4,2.6).180 Es ist schwierig, aus dem Kontext abzulesen, was Mordechai dort gemacht 177 Übersetzung hier und im folgenden nach J. Feix. 178 Vgl. J.M. Cook, The Rise of the Achaemenids and Establishment of their Empire, CHIr 2, Cambridge u.a. 1985, 267‒291. 179 Die älteren Deutungsversuche führt L.B. Paton, Esther, 186‒188, auf. 180 Vgl. auch die Auslegung zu V 21.

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hat, und wie der Ausdruck zu verstehen ist. Archäologisch ist seit den französischen Ausgrabungen ein gewaltiger Torbau der Palastanlage von Susa freigelegt worden. Sein Eingang wird von zwei über 12 Meter hohen Säulen flankiert.181 Nach der auf den Säulen gefundenen Inschrift geht der Bau der Toranlage auf Darius zurück.182 Denkbar wäre, daß Mordechai zu den Torhütern des königlichen Tores gehört hat. So wäre es auch zu erklären, warum er innerhalb der Palastanlagen bis zum Frauenhaus Zugang hatte (V 11). Doch auch eine übertragene Deutung ist nicht auszuschließen. Im übertragenen Sinne steht das Tor pars pro toto für den Palast; danach gehörte Mordechai als einer der königlichen Beamten zum Hofstaat, seine dortige Funktion bleibt jedoch unklar.183 Wie schon bei ihrer Aufnahme ins Frauenhaus (2,10) verschweigt Esther auch als Königin ihre familiäre, ethnische und religiöse Abstammung (V 20). Wiederum folgt sie dem Rat Mordechais. Obwohl sie mit der Krönung zur Königin rechtlich nicht mehr Mordechais Mündel ist, fügt sie sich seiner väterlichen Autorität. B 2,20 ergänzt zwei wesentliche religiöse Motive: Die Königin fürchtet Gott und bewahrt auch unter den schwierigen Lebensumständen des Exils seine Gebote (Koh 12,10; Jdt 10,5; Tob 14,4.16). Für die weitere Erzählung hat das Verhältnis von Esther zu Mordechai grundsätzliche Bedeutung (V 20). Nur weil Mordechai ihr uneingeschränktes Vertrauen genießt, und Esther seine Autorität uneingeschränkt anerkennt, kann er ihr die intriganten Pläne der Kämmerer melden (2,22) und später mahnend mit der Bitte vor die Königin treten, sich für ihr eigenes Volk vor dem König zu verwenden (4,13‒14).

3. Die Verschwörung (2,21‒23) Die Verschwörung 2,21 [184] In jenen Tagen, als Mordechai im Tor des Königs saß, gerieten Bigtan und Teresh, zwei Eunuchen des Königs von den Schwellenhütern, in Zorn. Und sie suchten Hand an den König Achashverosh zu 181 Vgl. J. Perrot/D. Ladiray, La porte de Darius à Suse, CDAFI 4, 1974, 49; sowie J. Perrot, Le Palais de Darius le Grand à Suse, Proceedings of the Second Annual Symposium on Achaelogical Research in Iran, hg. von F. Bagherzadeh, Tehran, 1974, 91‒101. 182 Vgl. F. Vallat, L’inscripition trilingue de Xerxes à la porte de Darius, CDAFI 4 (1974), 178. 183 So H. Wehr, Das „Tor des Königs“ im Buche Esther und verwandte Ausdrücke, Islam 39 (1964), 247‒260; sowie R. Gordis, Studies, 47‒48. 184 Die Episode 2,21‒23 fehlt in A.

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Auslegung

legen. 22 Mordechai wurde die Sache bekannt, er meldete es Esther, der Königin. Und Esther sagte es dem König im Namen Mordechais. 23 Da wurde die Sache untersucht und für richtig befunden185, und die beiden wurden ans Holz186 gehängt. Und es wurde niedergeschrieben im Buch der Begebenheiten der Tage vor dem König. 2,21‒23: Mordechai deckt eine Verschwörung auf. Die unbestimmte Zeitangabe in jenen Tagen leitet die neue Szene ein (V 21). Mordechai sitzt an seinem gewohnten Aufenthaltsort im Tor (2,19.21; 3,2‒3; 4,2.6; 5,9.13; 6,10.12).187 Das Tor zum Palast und zum Tempel, das Tor zur Stadt (II Sam 11,9; II Reg 7,17; 11,19; 12,10; 16,18; 23,8; Ez 8,3.14; 40,3‒44; 43,1.4; 44,1; 47,1‒3; Neh 3,1‒3; I Chr 9,18; 26,1‒19) hat in Israel und im Alten Orient eine zentrale kommunikative (Gen 23,10.18; Ps 69,13), merkantile (Am 5,12; Neh 3,26‒32) und rechtliche Funktion (Dt 16,18; 21,19; 25,7; Jes 29,21; Am 5,15; Ruth 3,11; 4,1‒2.9‒11; Neh 8,1‒3).188 Auch in Susa ist das Tor der einzige Zugang zum Königspalast, das Tor ist die Nahtstelle zwischen der Innenwelt und der Außenwelt; sinnbildlich ist dies der Ort, an dem Gerüchte und Informationen kursieren. Hier erfährt Mordechai von der Verschwörung gegen den König. Die beiden Schwellenhüter geraten in Zorn (V 21). Die Erregung richtet sich gegen den König, denn die beiden Eunuchen planen, Achashverosh zu töten. Über das Motiv haben schon die Rabbinen nachgedacht. Eine aufschlußreiche Auslegung trägt R. Chija b. Abba im Namen R. Jochanans vor, der dazu auf die Josephserzählung verweist: „Der Heilige, gepriesen sei er, ließ den Herrn in Zorn geraten über seine Diener, um den Wunsch eines Frommen zu erfüllen, das ist Joseph, denn es heißt: und war bei uns ein hebräischer Jüngling und die Diener über ihren Herrn, um dem Frommen ein Wunder geschehen zu lassen, das ist Mordekhaj, denn es heißt: aber die Sache wurde Mordekhaj kund“ (b Meg 13b).189 In der Auslegung der Rabbinen ist es Jahwe selbst, der den Pharao (Gen 40,2) und die beiden Kammerdiener in Zorn geraten läßt und somit den Aufstieg der beiden frommen jüdischen Exulanten Joseph und Mordechai vorbereitet. Auf diese subtile Weise greift Jahwe selbst in die Handlung ein (Jes 44,28‒45,1; Jer 25,9; Esr 1,1‒2).190

Der Plan der beiden Verschwörer setzt ihren Zugang zu den königlichen Gemächern voraus (Herodot, Historien, III, 77.118). Es muß sich 185 186 187 188 189 190

M wajewukash hadawar wajimaze ist ein Euphemismus. M ez ist eine Metonymie. Vgl. die Auslegung zu V 19. Vgl. H. Niehr, Rechtssprechung in Israel, SBS 130, Stuttgart 1987, 27‒32, 106‒109. Übersetzung nach L. Goldschmidt. Vgl. H.M. Wahl, Motiv, 70‒74.

Die Verschwörung

87

also um die Leibwache oder Kammerdiener handeln. Die Gefahr, durch die Leibwache oder Leibdiener ermordet zu werden, ist auch am persischen Hof nicht neu. Vermutlich sind schon Xerxes I. und Artaxerxes III. von nahestehenden Höflingen191, Darius III. vom Satrapen Bessos ermordet worden192. In diesem Fall ist sogar eine von der Leibgarde ausgehende Palastrevolution zu befürchten (II Sam 16,21‒22; Plutarch, Artaxerxes, XXVII, 1, 2). Zufällig erfährt Mordechai von den mörderischen Plänen der Schwellenhüter (V 22). Die jüdische Kommentierung trägt ein aufschlußreiches Detail über die Aufdeckung der Verschwörung nach: „R. Jochanan sagte: Bigtan und Teresh waren zwei Tarser und unterhielten sich in tarsischer Sprache. Sie sprachen nämlich: Seitdem diese da ist, kennen wir keinen Schlaf mehr; wir wollen Gift in die Schale tun, damit er sterbe. Sie wußten nicht, daß Mordechai zu den Insassen der Quaderhalle [193] gehörte und alle siebzig Sprachen beherrschte“ (b Meg 13b).194 Nach dieser Deutung ist Mordechai polyglott, er versteht die Sprache der sich in Sicherheit wiegenden Verschwörer. Wie bei Daniel und seinen Freunden (Dan 1,17) ist es Gott selbst, der ihm die nötige Weisheit schenkt. Als loyaler Höfling, der sich so verhält, wie es der Prophet den Exilierten rät (Jer 29,7), vertraut er die perfiden Pläne Esther an. Die Königin ihrerseits gibt die Information im Namen Mordechais an den König weiter (V 22). Die Vorwürfe reichen aus, um einen Prozess gegen die beiden Eunuchen zu eröffnen.195 Der König läßt die Angelegenheit überprüfen und der Vorwurf der verschwörerischen Mordpläne wird vermutlich durch Anhörung und Zeugenaussagen bestätigt (V 23; A 14). Die beiden Eunuchen werden für schuldig befunden, das Urteil wird verkündet und die entsprechende Todesstrafe umgehend vollstreckt: Bigtan und Teresh werden gepfählt (Gen 40,20‒23; 41,12‒13).196 Die Ereignisse werden im Buch der Begebenheiten der Tage abschließend dokumentiert (V 23). Das Buch der Begebenheiten ist eine Tageschronik, die dem König jederzeit zur Verfügung steht (6,1; 10,2; Esr 4,15).197 Herodot berichtet von Schreibern, die auf Feldzügen die tägli191 192 193 194 195 196 197

Vgl. R.N. Frye, History, 127‒128. Vgl. J. Wiesehöfer, Persien, 151. Gemeint ist der Sitzungssaal des Synedriums. Übersetzung nach L. Goldschmidt. Vgl. H.M. Wahl, Prozess, 106‒107. Vgl. den Exkurs 9 (ab S. 154). Vgl. die Auslegung zu 10,2.

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Auslegung

chen Kriegsereignisse notierten (Historien, VII, 100). Xerxes läßt seine Kriegsschreiber Listen von verdienten Helden (Historien, VIII, 85) mit dem Namen des Vaters und der Heimat anlegen (Historien, VIII, 90). Diodorus erwähnt darüber hinaus auch die Archive, in denen die Tageschroniken aufbewahrt worden sind (Bibliotheca, II, 32, 4). In der weiteren Erzählung wird die Tageschronik noch zu einer wichtigen Requisite.198 Von Mordechai nimmt der König in dieser Szene offensichtlich noch keine Notiz (V 23), erst bei der erneuten Lektüre der Chronik wird er auf den verdienten Juden aufmerksam (6,1‒2). In der ältesten Auslegung leitet dagegen die aufgedeckte Verschwörung den Aufstieg Mordechais ein: In den Zusätzen wird Mordechai aus Dank für das vereitelte Komplott vom König mit Geschenken belohnt und in den Hofdienst erhoben (A 12‒17).199 Ähnlich schmückt Josephus den Vorfall aus. Der Name Mordechais wird in eine Chronik geschrieben, er bezieht eine Wohnung bei Hofe und wird in den Kreis der Vertrauten des Königs aufgenommen (Ant 11, 208). Textgeschichtlich ist es auffällig, daß die kurze Episode nach A 2,18 fehlt. Dies hat zu der redaktionsgeschichtlichen Vermutung geführt, daß der Bericht nicht in der Vorlage enthalten war und erst von einem Späteren hinzugefügt worden ist. Dies würde auch erklären, warum ein verdienter Höfling wie Mordechai später noch angeklagt werden kann.200 Vermutlich ist der Bericht jedoch ein kohärenter Bestandteil des hebräischen Textes, der, kompositorisch intendiert, eng mit der nächtlichen Entdeckung des Königs (6,1) und dem Aufstieg Mordechais (6,10‒12; 8,1‒2; 10,3) verwoben ist. Daß ein verdienter Höfling angeklagt und verfolgt wird (3,5‒10), erzeugt erst die Spannung, aus der die Erzählung schöpft.201 2,1‒23: Ausblick. Nachdem Königin Vashti abgesetzt ist, tritt die Erzählung ins eigentliche Geschehen ein. Aus dem Mund des Pagen erhält der König die Anregung, Brautschau zu halten. Die Suche nach der geeigneten Thronnachfolgerin wird nach über einem Jahr erfolgreich mit der Krönung Esthers abgeschlossen. Mit Mordechai und Esther treten zwei exilierte Juden ins Geschehen ein, die bald schon

198 Vgl. Th. Schaack, Ungeduld, 177‒180. 199 Kompositorisch geht der mit der Bewährung verbundene Aufstieg Mordechais in G allerdings dem Geschehen voraus. 200 So D.J. Clines, Esther Scroll, 105; M.V. Fox, Character, 40. 201 Vgl. S. Frolov, Two Eunuchs, 304‒325.

Hamans Aufstieg und Hochmut

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maßgeblich für das Geschick ihres Volkes verantwortlich sind. Es sind die beiden einzigen Juden, die in der Erzählung namentlich auftreten. Atemberaubend ist der Aufstieg Esthers vom exilierten jüdischen Waisenkind zur Königin über die bekannte Welt; Mordechais Ruhm wird durch seine loyale Haltung gegenüber dem Thron vorbereitet. Noch immer ist die Handlung offen. Rätselhaft bleibt auch, warum Esther wiederholt ihre familiäre und ethnisch-religiöse Herkunft verschweigen soll. Doch dieses bewußte Schweigen läßt eine Ahnung von der weiteren dramatischen Entwicklung keimen.

4. Hamans Aufstieg und Hochmut (3,1‒6) Hamans Aufstieg und Hochmut 3,1 Nach diesen Begebenheiten machte der König Achashverosh Haman, den Sohn Hammedatas, den Agagiter, groß, und er erhob ihn. Und er setzte seinen Stuhl über alle Oberen, die um ihn waren. 2 Und alle Diener des Königs, die im Tor des Königs waren, knieten und warfen sich vor Haman hin, denn so hatte es der König für ihn geboten, aber Mordechai kniete nicht und warf sich nicht nieder. 3 Da sprachen die Diener des Königs, die im Tor des Königs waren, zu Mordechai: „Warum übertrittst du die Anordnung des Königs?“ 4 Da geschah es, als sie Tag für Tag202 zu ihm gesprochen hatten, und er hörte nicht auf sie, da meldeten sie es Haman, um zu sehen, ob die Rede Mordechais bestehen würde, denn er hatte ihnen mitgeteilt, daß er ein Jude ist203. 5 Als Haman sah, daß Mordechai vor ihm nicht kniete und sich nicht niederwarf204, wurde Haman vom Zorn erfüllt. 6 Es erschien ihm in seinen Augen zu gering, seine Hand an Mordechai allein zu legen, denn sie hatten ihm das Volk Mordechais mitgeteilt. Und Haman trachtete danach, alle Juden auszurotten, die im ganzen Königreich Achashveroshs waren, das Volk Mordechais. 3,1‒15: Hinführung. Die Jüdin Esther ist als Königin von Persien inthronisiert. Nun richtet sich der Blick auf den vierten Protagonisten ‒ auf Haman. Nach Esther steigt auch Haman auf. Ohne nähere Begründung beruft ihn der König zu seinem Statthalter. Sein Aufstieg hat für

202 Vgl. zur Darstellung von Mehrheitsbegriffen durch Wiederholung GK, § 123c. 203 Vgl. zum seltenen, mit ashär eingeleiteten Objektsatz in direkter Rede GK, § 157c. 204 Die Wiederholung korea umishtachawäh eines Synonyms dient als Ausdruck der Steigerung.

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Auslegung

die Juden Persiens bedrohliche Folgen. Noch ahnt der Leser nicht, warum Haman einmal das Symbol für das Böse werden soll. Den Anlaß für den Konflikt bietet ein für den gläubigen Juden anstößiger Gestus. Mordechai, der fromme und gesetzestreue Jude, verweigert dem Statthalter wiederholt die ihm nach persischem Recht zustehende Huldigung. Der tiefere Grund der Weigerung ist, daß für Mordechai diese Geste allein seinem Gott vorbehalten bleibt. Das ist der Stein des Anstoßes. Haman nimmt diesen Konflikt zum äußeren Anlaß, den unwissenden König für den morbiden Plan zu gewinnen, die Juden Persiens vollständig zu vernichten. Mit dem königlichen Dekret, das die Vernichtung aller Juden anordnet, erreicht das Drama seinen vorläufigen Höhepunkt. Die Juden des persischen Reiches liegen in Todesnot. 3,1‒6: Der Aufstieg Hamans und die Treue Mordechais. Die schon aus 2,1 bekannte Formel nach diesen Begebenheiten knüpft an die vorausgehenden Ereignisse an und leitet zur nächsten Szene über (V 1). Wie Mordechai und Esther völlig unvorbereitet auftraten (2,5‒7), tritt nun auch Haman, der Agagiter, plötzlich ins Geschehen ein. Die nun folgende Episode vom teuflischen Plan Hamans kontrastiert die vorangehende Notiz von Mordechais Loyalität. Nach persischer Art wird Haman mit seinem Vatersnamen Hamedata, der in den Tafeln von Persepolis belegt ist (PF 1459), und seiner ethnischen Abstammung Agag identifiziert (Herodot, Historien, VIII, 90). Über seine bisherige Funktion bei Hofe und seine Verdienste erfahren wir nichts. Es bleibt offen, warum der König gerade Haman groß macht. Klingt der Aufstieg Hamans völlig unbegründet, ist er jedoch im Aufbau der Erzählung leicht erklärbar. Aus der Erhebung Hamans entsteht der Anspruch der Huldigungsform, die wiederum zum eigentlichen Konflikt zwischen Haman und Mordechai führt. Erst durch die Erhebung zum Statthalter erhält Haman die für das von ihm geplante Pogrom nötige Jurisdiktionsgewalt zugesprochen (V 1).205 Der König selbst erhebt Haman über alle Oberen, über alle hohen Beamten, Heerführer und Satrapen (1,3), ja selbst über seine sieben Vertrauten (1,13‒14), die im weiteren Verlauf der Erzählung völlig aus dem Rampenlicht treten (V 1). Der elamitisch-persische Name Haman ist von V 1 an 54-mal ausschließlich in Esther belegt. Die etymologische Erklärung des Namens ist umstritten: Möglicherweise geht der Name auf das altpersi205 Vgl. H.M. Wahl, Motiv, 65‒67.

Hamans Aufstieg und Hochmut

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sche *Hauma-dāta zurück, es kann sich aber auch um „eine hebraisierte Wiedergabe des elamitischen Götternamens Humpan/ Human“206 handeln. Auch das mehrfach wiederholte Ethnikon Agagiter (3,10; 8,3.5; 9,24) bezeichnet vermutlich ein elamitisches oder persisches Geschlecht, für das aber außerbiblische Belege fehlen (Num 24,7; I Sam 15,8‒33).207 Auf königlichen Befehl hin huldigen alle Diener und Torhüter des Palasttores, in dem sich auch Mordechai ständig aufhält (2,19.21; 4,2.6; 5,9.13; 6,10.12), dem erhobenen Haman (V 2‒3).208 Die Huldigung erwähnt Herodot vor allem als für den König übliche Ehrerbietung (Historien, III, 86; VII, 136; VIII 118), aber auch gegenüber Höhergestellten ist sie durchaus üblich (Historien, I, 134).209 Es sind die Beamten im Tor, denen es als ersten auffällt, daß Mordechai sich der königlichen Anordnung widersetzt (V 3). Offen sprechen sie Mordechai darauf an, warum er die Anordnung des Königs nicht befolgt. Doch ihre Frage bleibt unbeantwortet. Der sonst übliche Dialog ist hier gebrochen, die hermeneutische Ebene wechselt: Durch die offene Frage wird der (jüdische) Leser selbst zum Gefragten.210 Wiederholt reden die Torhüter und Diener auf Mordechai ein, aber ihre Mahnungen verhallen ungehört (V 4). Mordechai begründet den Torhütern sein Verhalten mit seiner ethnischen Abstammung und mit seinem religiösen Selbstverständnis. Nun denunzieren sie ihn, um zu prüfen, wie standhaft der Jude Mordechai vor Haman ist. Als der unterrichtete Haman dann auch bemerkt, daß Mordechai die ihm gebührende Ehrerbietung verweigert, gerät er in Zorn (V 5). Ein zweites Mal drückt das Motiv der Verweigerung eine tiefe Verletzung der Ehre aus, die den Zorn des beleidigten Haman weckt (1,12). Ganz in den Hintergrund tritt, daß Mordechai damit auch gegen die königliche Anordnung verstößt. Die Verweigerung Mordechais teilt V 2 betonend mit einer doppelten, V 5 mit einer einfachen Negation mit. Die Huldigung wird mit der Formel knieen, huldigen und sich beugen, niederwerfen als Proskynese beschrieben (V 5). Nur viermal ist die Redewendung im Alten Testament belegt, neben 3,2.5 kommt sie nur noch in Ps 95,6 und II Chr 29,29 vor. Dort gilt die Huldigung des Königs (II Chr 29,29) und der Gemeinde (Ps 95,6; 99,5.9) dem angebete206 207 208 209 210

M. Hutter, Elemente, 52. Vgl. R. Zadok, Background, 20‒21; sowie M.G. Wechsler, Appellation, 109‒114. Vgl. die Auslegung zu 2,21. Vgl. ausführlich die Auslegung von V 5‒6. Vgl. R.T. Hyman, Esther 3,3, 103‒109.

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Auslegung

ten Gott Israels.211 Das Gebot, Jahwe allein mit einer Proskynese zu ehren, ist für Mordechai das treibende Moment, diesen für ihn ausschließlich religiös besetzten Gestus dem persischen Statthalter Haman zu verweigern.212 Es widerspricht seiner religiösen Ehrfurcht, sich vor einem Menschen niederzuwerfen (Ps 99,5.9).213 Schon die weisheitliche Tradition entlarvt die Proskynese vor einem anderen Gott als Götzendienst, weil sie das Gebot des Alleinverehrungsanspruchs Jahwes mißachtet (Spr 7,2; 9,10; Sap 13,10‒11). Für den frommen Mordechai ist der Gestus allein Jahwe vorbehalten (Ex 20,3‒5; 34,8; Ps 99,5.9), den er im Gebet wiederholt als Pantokrator und König anruft (C 2.8). Auch Esther stellt in ihrer Fürbitte den irdischen König Persiens dem himmlischen König Israels gegenüber, den sie sogar König der Götter und Beherrscher jeder Macht nennt (C 14.21.24).214 Dieses religiöse Selbstverständnis Mordechais verdeutlicht die ausführliche Begründung in den Zusätzen (V 5). Betend bekennt er: „5 Du kennst alles. Du weißt, Herr, daß ich weder aus Übermut noch aus Hochmut noch aus Ehrgeiz dies, nämlich mich nicht vor dem übermütigen Haman niederzuwerfen, getan habe. 6 Denn ich hätte gerne zum Wohle Israels seine Fußsohlen geküßt. 7 Aber ich tat dies, um nicht die Ehre eines Menschen über die Ehre Gottes zu setzen. Und ich werde mich vor niemandem außer dir, meinem Herrn, niederwerfen; und ich handele so nicht aus Hochmut“ (C 5‒7).215

Josephus greift diese Deutung auf. Nach seiner Auffassung kann Mordechai wegen seiner Weisheit und aus Achtung der für ihn geltenden Gesetze seines Volkes nicht vor einem anderen Menschen knieend niederfallen. Als bekennender Jude muß er den gebotenen Gestus verweigern (Ant 11, 210.230). Nach 2 Targ Est 3,3 erklärt Mordechai sein Verhalten dann in einer langen Apologie, die einem Loblied auf den Gott Israels ähnelt.216 Das Motiv der verweigerten Ehrerbietung ist auch bei Herodot belegt: „Als [die Spartaner] von dort nach Susa gelangten und dem König [Xerxes] vor die Augen traten, weigerten sie sich zunächst, vor ihm niederzufallen und ihn fußfällig zu verehren, wenn sie auch von den Lanzenträgern, die sie dazu aufforderten und zwingen wollten, mit dem Kopf auf die Erde ge211 Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 40. 212 Vgl. I. Katzenellenbogen, Esther, 12. 213 Vgl. J. Jeremias, Das Königtum Gottes in den Psalmen, FRLANT 141, Göttingen 1987, 114‒121. 214 Vgl. H.M. Wahl, Glaube, 40‒41. 215 Übersetzung nach I. Kottsieper. 216 Vgl. B. Ego, Targum, 235‒240.

Hamans Aufstieg und Hochmut

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stoßen wurden: Bei ihnen sei es nicht Brauch, sich vor Menschen niederzuwerfen; sie kämen auch nicht zu diesem Zweck“ (Historien, VII, 136).217

Nach der Verweigerung der Proskynese treten die Spartaner vor den König und bieten sich ihm für hinterlistige Morde als Blutopfer an. Xerxes jedoch schenkt ihnen ihr Leben (Historien, VII, 136). Traditionsgeschichtlich ist das Motiv der verweigerten Huldigung eng mit dem des exklusiven Gottesdienstes von Daniel verbunden (V 5). Daniel hält trotz des Verbotes des babylonischen Königs an seiner dreimaligen täglichen Andacht fest. Wie Mordechai wird auch er verraten und verurteilt (Dan 6,11‒17). Ähnlich gelagert ist auch der ebenfalls bei Daniel überlieferte Fall, nach dem sich die drei jüdischen Männer Shadrach, Mejshach und Abed-Nego weigern, vor dem Götzenbild Nebukdadnezars niederzufallen. Doch auch sie werden vom Gott Israels wegen ihrer Treue gerettet (Dan 3,1.5.7.10‒12.28).218 Zornerfüllt ersinnt Haman einen mörderischen Plan (V 6). Mordechai allein für sein Vergehen mit dem Tod zu bestrafen, erscheint ihm zu gering. Begründend fährt der Konditionalsatz fort, daß Haman die jüdische Abstammung Mordechais erfahren hat. Konnte Esther erfolgreich ihre Herkunft verschweigen (2,10.20), ist Haman nun Mordechais Volkszugehörigkeit bekannt. Es ist die ethnisch-religiöse Herkunft Mordechais, die den gedemütigten Haman zur kollektiven Rache veranlaßt. Rachegelüste von im Alten Testament bislang unbekanntem Ausmaß keimen in ihm. Haman nimmt das Vergehen eines Einzelnen zum Anlaß (Dan 6,5‒17), es in eine dem zeitgenössischen jüdischen Denken widersprechende Kollektivschuld umzuwandeln (Dt 30,15‒20; Ez 18,1‒3; 33,10‒20). Alle Juden des persischen Reiches, das Volk Mordechais, das ganze jüdische Leben will der amtierende Statthalter ausrotten. Sowohl die Tötung eines einzelnen als Strafe für die verweigerte Huldigung als auch die Massenvernichtung sind zuverlässig dokumentiert (V 6). Schon Xenophon berichtet: „In diesem selben Jahre war es auch, daß Kyros den Autoboisakes und den Mitraios töten ließ, die Söhne der Schwester des Dareiaios, der Tochter des Xerxes, Vaters des Dareios, weil sie bei einer Begegnung mit ihm nicht die Hände in die Kore [219] gesteckt hatten, was die Perser nur dem Großkönig zu Ehren zu tun pflegen; die Kore ist länger als die Cheiris [220], so daß man, wenn man die Hände darin hat, gar nichts tun kann. Hieramenes nun 217 218 219 220

Übersetzung nach J. Feix. Vgl. J.E. Goldingay, Daniel, WBC 30, Dallas 1989, 69‒76. Gemeint ist der lange Ärmel des persischen Gewandes. Gemeint ist der kurze Ärmel des persischen Gewandes.

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Auslegung

und seine Frau sagten zu Dareiaios, es gehe doch zu weit, wenn er die unerhörte Vermessenheit dieses Menschen dulde“ (Hellenika, II, 1, 8‒9).221 Von einer Massenvernichtung, die freilich nicht mit dem reichsweiten Pogrom Hamans vergleichbar ist, berichtet Cicero. Er beschuldigt König Mithrades von Pontus (132‒63 v. Chr.) an einem Tag 80.000 bis 150.000 Römer umgebracht zu haben (Pro lege Manilia 3, 7). Allerdings ist eine kollektive Vernichtung einer ethnisch-religiösen Gemeinschaft wegen einer unterlassenen Huldigung eines einzelnen eine dichterische Stilisierung. Außerbiblische Hinweise auf ein Pogrom in achämenidischer Zeit fehlen. Exkurs 5: Das Volk ( ) Der an Mordechai entbrannte Zorn des Statthalters richtet sich gegen das ganze jüdische Volk (3,5‒6).222 Das Wort Volk ist eine Grundvokabel des Alten Testaments und eines der Lieblingswörter des Dichters. 31-mal ist das Wort am in Esther belegt.223 In seiner allgemeinen Bedeutung bezeichnet es die ethnischen Gemeinschaften im Vielvölkerstaat Persien (1,5.11.16.22; 3,8.12.14; 4,11; 8,9.11.13.17; 9,2), in seiner besonderen das jüdische Volk (2,10.20; 3,6.8.11; 4,8; 7,3.4; 8,6; 10,3). Insofern korrespondiert der Begriff am der Bezeichnung Jude, Judäer, jüdisch (3,6.8).224 Kontextuell gelesen werden die beiden Wörter jehudi und am komplementär gebraucht: Deutlich wird dies an dem wiederholten Motiv, daß Esther auf Mordechais Mahnung hin ihre Abstammung aus dem jüdischen Volk verschweigen soll (2,10.20); es ist dieselbe jüdische Königin, die später possessiv von den Juden als ihrem Volk redet (7,3.4). So dient das Wort am in Esther nicht nur als Bezeichnung für die ethnischen Gruppen des persischen Großreiches, es weist gleichzeitig auch auf das religiöse Selbstverständnis der exilierten Juden hin. Immer klingt bei der Rede vom Volk der Juden auch die Anspielung darauf an, daß nur eines der vielen Völker das von Jahwe abgesonderte und erwählte Volk Israel ist (Ex 19,5‒6; Dt 14,2; II Sam 7,23; Jer 7,23; 31,33): „Denn ein für Jahwe, deinen Gott, geheiligtes Volk bist du. Dich hat Jahwe, dein Gott, erwählt, um ihm als Volk des Eigentums anzugehören unter allen Völkern, die auf dem Erdboden wohnen“ (Dt 7,6‒7). Diesen Gedanken greifen auch Esther in ihrem Gebet (C 16) und sogar König Achashverosh in seinem Sendbrief auf (E 21).225 221 222 223 224 225

Übersetzung nach G. Strasburger. Vgl. H. Koch, Dareios, 163‒232, zum alltäglichen Leben im Großreich. Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 39. Vgl. den Exkurs 10 (S. 172–174). Vgl. M. Rose, 5. Mose, ZBK 5.2, Zürich 1994, 330‒341.

Das Pogrom

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Aufschlußreich ist ein von den Rabbinen überlieferter Dialog über das Volk Gottes zwischen dem König und Haman, der Achashverosh als den gottesfürchtigen Judenfreund und den Statthalter als heidnischen Judenfeind beschreibt: „Es gibt ein Volk. Raba sagte: Niemand ist in der Verleumdung so kundig, wie es Haman war: Er sprach zum Könige: Komm, wir wollen sie vernichten. Dieser erwiderte: Ich fürchte mich vor ihrem Gotte, daß er nicht mit mir so verfahre, wie er mit meinen Vorfahren verfuhr. Jener entgegnete: Sie vernachlässigen die Gebote. Dieser erwiderte: Es sind unter ihnen Gelehrte vorhanden. Jener entgegnete: Es ist ein Volk. Glaubst du vielleicht, dadurch würde eine Lücke in deinem Reiche entstehen, so sind sie unter den Völkern zerstört. Wenn du aber glaubst, sie bringen irgend welchen Nutzen, so sind sie abgesondert: sie gleichen dem Maultiere, das keine Frucht bringt. Und glaubst du, sie bewohnen eine Provinz vollständig, so sind sie in allen Provinzen deines Reiches. Ihre Gesetze sind von denen jedes anderen Volkes verschieden; sie essen nicht von unserem, sie heiraten nicht von unseren, und sie wollen von uns nicht geheiratet werden“ (b Meg 13b).226

Auch wenn es sich bei diesem Gespräch um eine späte Retrospektive handelt, theologisch ist für die Rabbinen der Grundbezug von Gott, Volk und Torafrömmigkeit gerade in der Diaspora unauflösbar.227

5. Das Pogrom (3,7‒15) Das Pogrom 3,7 [228] Im ersten Monat, das ist der Monat Nisan, im 12. Jahr des Königs Achashverosh, warf man das Pur, das ist das Los, vor Haman, von Tag zu Tag und von Monat zu Monat229, [230] [231] auf den 12.[232], das ist der Monat Adar. 8 Und Haman sprach zum König Achashverosh: „Ein Volk ist da, verstreut und abgesondert unter den Völkern, in allen Pro-

226 Übersetzung nach L. Goldschmidt. 227 Vgl. O. Kaiser, Der Gott des Alten Testaments, Bd. 1, UTB 1747, Göttingen 1993, 122‒126, 349‒351. 228 A 3,7 fügt interpretierend ein καὶ ἐπορεύθη Αμαν πρὸς τοὺς θεοὺς αὐτοῦ τοῦ ἐπιγνῶναι ἡμέραν θανάτου αὐτῶν und Haman ging zu seinen Göttern, um den Tag ihres Todes zu erkunden. 229 M mijom lejom umechodäsh lechodäsh ist eine zweigliedrige Alliteration. 230 In M fehlen die Worte „und das Los fiel auf den 13. Tag“. 231 B 3,7 fügt hinzu ὥστε ἀπολέσαι ἐν μιᾷ ἡμέρᾳ τὸ γένος Μαρδοχαίου, καὶ ἔπεσεν ὁ κλῆρους εἰς τὴν τεσσαρεσκαιδεκάτην τοῦ μηνός so daß an einem Tag das Geschlecht (Volk) Mordechais vernichtet wird, und das Los fiel auf den 14. des Monats. 232 A 3,7 liest τὴν τρισκαιδεκάτην den Dreizehnten, zahlensymbolisch ist die Dreizehn für die Babylonier und den Dichter von Esther eine Unglückszahl.

96

Auslegung

vinzen deines233 Königreiches. Ihre Gesetze sind von allen Völkern234 verschieden, und nach den Gesetzen des Königs tun sie nicht. Es genügt dem König nicht, sie gewähren zu lassen235. 9 Scheint es dem König gut236, werde geschrieben, sie zu vernichten. 10.000 Talente Silbers wäge ich in die Hand der Amtleute, sie in die Schatzkammern237 des Königs abzuführen.“ 10 Da zog der König seinen Siegelring von seiner Hand. Und er gab ihn dem Haman, dem Sohn Hammedatas, dem Agagiter, dem Feind der Juden. 11 Und der König sprach zu Haman: „Das Silber sei dir gegeben ‒ und das Volk, mit ihm zu tun, wie es in deinen Augen gut ist.“ 12 So wurden im ersten Monat an seinem 13. Tag238 die Schreiber des Königs gerufen, und geschrieben wurde alles, wie es Haman befahl, an die Satrapen des Königs und an die Statthalter, die über Provinz zu Provinz sind, und die Oberen von Volk zu Volk, von Provinz zu Provinz in ihrer Schrift, von Volk zu Volk239 in seiner Sprache240 ‒ geschrieben im Namen des Königs Achashverosh und gesiegelt mit dem Siegel des Königs. 13 Die Briefe wurden durch Schnellboten in alle Provinzen des Königs ausgesandt, auszurotten, zu töten und zu vernichten241 alle Juden, vom Knaben bis zum Greis, Kinder und Frauen, an einem Tag, am 13. des 12. Monats, das ist der Monat Adar, und ihre Habe soll man plündern242.

233 234 235 236 237 238 239 240 241 242

Die direkte Anrede an den König in der 2. Pers. sg. liegt nur hier und in 7,3 vor. M von jedem Volk (vgl. zum indeterminierten Nomen BL 268h). Seltener Gebrauch des Adverbs (vgl. GK, § 100o). M im al hamäläch tow ist eine kurze Höflichkeitsformel. Das hebräische Wort ! Schatzkammern ist nur hier in V 9; 4,7 und Ez 27,24 belegt. Das kalendarische Formular in V 12.13 ist wie Gen 7,11; Num 9,11; Jer 39,2; Esr 10,9 spätem biblischen Sprachgebrauch zuzuordnen (vgl. R. Bergey, Features, 72). Stilistisch stechen die scheinbar retardierenden, aneinandergereihten Wortwiederholungen als Ausdruck der Betonung ins Auge (vgl. H. Striedl, Untersuchung, 84‒85). M Zunge ist eine Metonymie. M lehashmid laharog uleabed, die dreigliedrige Formel mit Synonymen drückt die emphatische Redeweise aus. V 12‒13 demonstriert eindrücklich die gewählte Wortfülle und die in Appositionen und Parenthesen gekleidete ausgefeilte Syntax (vgl. H. Striedl, Untersuchung, 80‒82).

Das Pogrom

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[243] B 1 Die Abschrift des Briefes ist dies hier: ‚Folgendes schreibt der Großkönig Artaxerxes an die Befehlshaber der 127 Gebiete von Indien bis Äthiopien und an die untergebenen Statthalter: 2 Seit ich Herrscher über viele Völker und Gebieter über den gesamten Erdkreis wurde, war es mein Wille ‒ nicht weil ich durch das Vertrauen auf die Macht hochmütig wäre, sondern weil ich stets sachgerecht und mit Freundlichkeit handele ‒, den Untertanen immer ein ruhiges Leben zu ermöglichen (und) sowohl das Land sicher und bis an die Grenzen passierbar zu machen als auch den von allen Menschen ersehnten Frieden zu erneuern. 3 Als ich aber meine Ratgeber befragte, wie dies wohl durchzuführen sei, hat Haman, der sich bei uns durch Besonnenheit ausgezeichnet hat, durch unveränderlich gute Gesinnung und Verläßlichkeit der Treue beglaubigt ist und den zweiten Ehrenrang im Königreich erlangt hat, 4 uns dargelegt, daß unter allen Volksstämmen auf dem Erdkreis verstreut ein gewisses feindseliges Volk lebt, welches durch (seine) Gesetze jedem Volk entgegengesetzt ist und fortwährend die Anordnungen der Könige mißachtet, so daß die von uns tadellos geleitete Gesamtverwaltung nicht durchgesetzt werden kann. 5 Da wir nun verstanden haben, daß dieses Volk allein immerzu jedem Menschen gegenüber eine abwehrende Haltung einnimmt, die gesetzmäßige Lebensweise in eine fremde verändert und, unseren Angelegenheiten schlecht gesonnen, die schlimmsten Übel vollbringt, so daß das Reich keinen Bestand haben kann, 6 so haben wir nun angeordnet, die, die in den Schreiben des Haman, der mit den Staatsangelegenheiten betraut und unser zweiter Vater ist, euch angegeben werden, alle samt Frauen und Kindern völlig durch die Schwerter der Feinde mitleid- und schonungslos am 14. des 12. Monats, des Adar, des jetzigen Jahres zu vernichten, 7 damit die, die schon immer und auch jetzt noch feindselig sind, an einem Tag gewaltsam in die Unterwelt hinabfahren, so daß sie für die Zeit danach uns für immer eine solide und ungestörte (Erledigung) der Staatsangelegenheiten gewähren. [244] 14 Eine Abschrift des Schreibens245 ist in aller Provinz um Provinz als Gesetz zu geben, kund zu tun allen Völkern, bereit zu sein für diesen Tag. 15 Die Schnellboten zogen auf ein Geheiß des Königs eilend

243 Der zweite Zusatz (B 1‒7): Nach 3,13 fügt die griechische Tradition einen zweiten Zusatz (B 1‒7) ein. Während das hebräische Buch Esther den Inhalt des Schreibens nicht erwähnt, bietet der Dichter der Zusätze eine Abschrift. Mit B 1‒7 liegt eine literarisch fiktive Abschrift des Sendschreibens von König Artaxerxes vor, in dem die Verfolgung der Juden begründet (B 1‒5) und die Vernichtung alles jüdischen Lebens auf den 14. Adar desselben Jahres (B 6‒7) festlegt wird (vgl. I. Kottsieper, Zusätze, 150‒159; J.D. Levenson, 74‒75; C.A. Moore, Daniel, 190‒199). 244 Übersetzung nach I. Kottsieper, Zusätze, 150. 245 Die beiden gleichbedeutenden, aber verschiedenen Wörter patshägän haketav demonstrieren den reichen Wortschatz.

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Auslegung

aus, und das Gesetz246 wurde im Schloß von Susa ausgegeben. Der König und Haman setzten sich, um zu trinken. Die Stadt Susa247 aber war bestürzt. 3,7‒15: Hinführung. Der Entschluß zur kollektiven Vernichtung aller Juden ist von Haman allein gefaßt, nun folgt die nähere Planung. Das Vorgehen des Statthalters verblüfft. Haman selbst bestimmt durch den Losentscheid den Termin für die geplante Greueltat, dann erst trägt er seine Absicht dem unbedarften König Achashverosh vor. Geschickt erschleicht er dessen Zustimmung, erhält die Jurisdiktionsgewalt übertragen und ordnet eigenverantwortlich die Judenvernichtung in allen Provinzen mit verbindlichen Sendschreiben an. Der König erscheint wie eine Marionette in den Händen Hamans, die der Statthalter so führt, daß er den teuflischen Plänen zustimmt. Allerdings lehnt Achashverosh die Aussicht auf das jüdische Vermögen ab. Er überläßt die Beute dem Bösen. Mit diesem erzählerischen Kunstgriff trägt nun Haman die alleinige Verantwortung für das Pogrom. Der König wird entlastet, weder Esther noch Mordechai können ihm später vorwerfen, dem Pogrom zugestimmt zu haben. Noch immer weiß der unbedacht wirkende Monarch nicht, daß die beiden Juden sind. 3,7‒11: Die Planung des Pogroms. Eine präzise Zeitangabe leitet die Handlung ein (V 7): Im Monat Nisan, dem ersten Monat des persischen Kalenders, im 12. Regierungsjahr von Achashverosh, bestimmt Haman den Zeitpunkt für das Pogrom. Der Monat Nisan entspricht dem Frühlingsmonat März/April (Neh 2,1), in den auch das Passahfest fällt (Ex 12,18; Lev 23,5). Im Alten Testament heißt der Monat Aviv (Ex 13,4; 23,15; 34,18; Dt 16,1).248 Die eingestreuten kalendarischen Notizen bilden zusammengenommen ein chronologisches Gerüst (V 7). Seit dem ersten Gastmahl (1,3) sind inzwischen neun, seit der Krönung Esthers (2,16) fünf Jahre vergangen. Gehen wir von der Inthronisation des Köngis im Jahr 486 aus, befinden wir uns etwa in der Mitte der siebziger Jahre des 5. Jahrhunderts (474/73). Durch einen Losentscheid wird nun der genaue Tag ermittelt, an dem alle Juden des persischen Reiches getötet, alles jüdische Leben ausgerottet werden soll (V 7). Haman veranlaßt, den Zeitpunkt für das 246 M dat ist eine Metonymie. 247 M Susa ist eine Metonymie. 248 Vgl. W. Hartner, Old Iranian Calenders, CHIr 2, Cambridge u.a. 1985, 714‒785 (Tafeln 786‒792).

Das Pogrom

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Pogrom durch das Los zu bestimmen.249 Vermutlich hat das Losgerät aus steinernen Würfeln bestanden250, die dann geworfen worden sind. Aus dieser Praxis ist dann die Redewendung ein Los werfen entstanden.251 Das Los gilt als Ordal. Nach der griechischen Tradition setzen die Götter Hamans (A 3,7) durch das Los den Zeitpunkt der geplanten Vernichtung fest (Homer, Ilias, III, 314‒317; Herodot, Historien, III, 128; Xenophon, Kyrupaedie, I, 6, 46; IV, 5, 55).252 Auch der hebräische Leser, dem das akkadische Lehnwort übersetzt wird, assoziiert einen Gottesentscheid.253 Das Los fällt auf den 12., den letzten Monat des persischen Kalenders, den Adar, der dem Februar/März entspricht (V 7). Der genaue Tag, auf den das Pogrom fallen soll, fehlt an dieser Stelle im hebräischen Text. Später wird dann einheitlich der 13. Adar nachgetragen (3,13; 8,12; 9,1.15.17.21). Diese empfindliche Lücke schließen die griechischen Übersetzer: Nach A 3,7 fällt das Los auf den 13., nach B 3,7 auf den 14. Adar, was später den Tagen der Vergeltung entspricht (9,17‒19). Die Rabbinen stellen in ihrer Deutung einen Zusammenhang zwischen dem Pogrom und dem Leben Mose her: „Es wird gelehrt: Sobald das Los auf den Adar fiel, überkam ihn eine große Freude, indem er sprach: Das Los fiel mir auf den Monat, in dem Moshe starb; er wußte aber nicht, daß Moshe zwar am siebenten Adar starb, aber auch am siebenten Adar geboren wurde“ (b Meg 13b).254 Nach der irrtümlichen Annahme Hamans fiele die Vernichtung des Judentums mit dem Todestag des Mose zusammen, dem Mittler der göttlichen Weisung. Allerdings weiß der Judenfeind nicht, daß es auch der Geburtsmonat ist, der wiederum das (Über)leben des Judentums symbolisiert. Nachdem der Zeitpunkt für das Pogrom nun bestimmt ist, tritt Haman vor den König, um ihm diesen durch den Gottesentscheid vorab schon autorisierten Plan vorzustellen und nachträglich legitimieren zu lassen (V 8). Ohne einleitende Höflichkeitsformel, aber mit der eindringlichen nur noch in 7,3 belegten Anrede in der 2. pers. sg. spricht Haman den König an. Abfällig charakterisierend bezeichnet er Israel 249 250 251 252

Vgl. den Exkurs 11 (S. 196–200). Vgl. W.W. Hallo, Purim, 19‒29. Vgl. J. Lewy, Old Assyrian puru’um, 116‒124. Vgl. M. Schwartz, The Religion of Achaemenian Iran, CHIr 2, Cambridge u.a. 1985, 664‒697. 253 Vgl. D.F. Polish, Aspects, 85‒106. 254 Übersetzung nach L. Goldschmidt (vgl. zur weiteren rabbinischen Interpretation I. Katzenellenbogen, Esther, 12‒15).

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Auslegung

als ein über alle Provinzen des Reiches ! zerstreut und abgesondert lebendes Volk.255 Schon darin unterscheiden sich die Juden von anderen Völkern, die ein festes Siedlungsgebiet haben. Auch ihre Gesetze unterscheiden die Juden von den übrigen Völkern. Israel ist das weggeführte, heimatlose, aber nicht hoffnungslose Volk (2,6). Josephus fügt der Rede Hamans noch ein weiteres Motiv hinzu: Seinen Haß begründet Haman damit, daß die Juden das Volk der Amalekiter, von dem der Statthalter abstammt, vernichtet haben (Ant 11, 209.277). In seinen Augen sind die Juden für Haman ein verruchtes Volk, daß als einziges Volk den persischen Göttern nicht huldigt, abgesondert für sich lebt, sich nicht mit den anderen Völkern vermischt, nur seinen eigenen Gesetzen und Sitten gehorcht und die königlichen Weisungen mißachtet (Ant 11, 211). Geschickt greift Haman das bereits von den Torhütern vorgebrachte Motiv des Ungehorsams auf (V 8). Schon die königlichen Beamten im Tor hatten Mordechai ermahnt, daß er den königlichen Anordnungen folgen müsse (3,3). Mit einer gewissen Kenntnis der jüdischen Religion überträgt Haman diesen Vorwurf auf das gesamte Judentum: Das Gottesvolk befolgt nicht die Anordnungen und Gesetze des göttlich legitimierten persischen Königs, es folgt eigenen Gesetzen (Esr 7,10.26; Neh 10,30). Die Juden untergraben somit die legislative Gewalt des Herrschers. Dieser Vorwurf kann nicht ohne Folgen bleiben (Dan 3,12; ZusDan 3,26‒30).256 Welche Gesetze im einzelnen gemeint sind, kann aus dem Kontext nicht erschlossen werden, sicherlich greift der Dichter schon auf eine (Vor?)Form der Tora zurück.257 Daß die Juden anderen Gesetzen gehorchen als die Perser, verstehen schon die Autoren der Zusätze (C 2‒7; 16‒18; 26‒28) und später die Rabbinen (b Meg 13b; 1 Targ Est 3,8; 2 Targ Est 3,8)258 als eine Anspielung auf die auch in der Diaspora uneingeschränkt geltenden Speisegebote (Dan 1,8‒16; Tob 1,10‒12; Jdt 11,11‒13; 12,1‒4)259 und Ehevorschriften (Esr 9‒10; Neh 13,23‒31)260 sowie den Alleinverehrungsanspruch Jahwes (Ex 20,1‒5; Dt 5,6‒11)261. 255 Vgl. M.V. Fox, Character, 47‒48. 256 Vgl. F. Crüsemann, Gesetze, 9‒25. 257 Vgl. P. Frei, Reichsidee, 20‒22; 49‒51; sowie U. Rüterswörden, Die persische Reichsautorisation der Thora: fact or fiction?, ZAR 1 (1995), 47‒61. 258 Vgl. B. Ego, Targum, 240‒255. 259 Vgl. J.A. Fitzmyer, Tobit, CEJL, Berlin/New York 2003, 112‒113; sowie B. Schmitz, Gedeutete Geschichte. Die Funktion der Reden und Gebete im Buch Judit, HBSt 40, Freiburg u.a. 2004, 329‒347. 260 Vgl. A.H.J. Gunneweg, Esra, KAT XIX, 1, Gütersloh 1985, 160‒163, 176‒183. 261 Vgl. H.M. Wahl, Glaube, 42‒44, 49.

Das Pogrom

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Die Kränkung des Statthalters allein (3,6) bietet den Anlaß für das Pogrom (V 8). Vor dem König kommt sie aber nicht zur Sprache. In seiner Rede begründet Haman das Pogrom allgemein mit der Mißachtung der persischen Gesetze durch die Juden. Die Zusätze fügen ein drittes, das in der Geschichte Israels keineswegs unbekannte Motiv der mißachteten Monolatrie hinzu. In ihrem Gebet bekennt Esther: „17 Und nun, wir haben vor dir gesündigt, und du hast uns in die Hand unserer Feinde ausgeliefert 18 dafür, daß wir ihre Götter verehrten. Du bist gerecht, Herr! 19 Und nun, es reichte ihnen die Bitterkeit unserer Versklavung nicht, sondern sie haben ihre Hände in die Hände ihrer Götterbilder gelegt, 20 um das Versprechen deines Mundes zu beseitigen, dein Erbteil zu zerstören, die Münder derer, die dich loben, zu stopfen, auszulöschen den Ruhm deines Hauses und deines Altars, 21 zu öffnen den Mund der Völker zum Heldenruhm der Nichtigen und zur ewigen Bewunderung eines irdischen Königs. Gib doch nicht, Herr, dein Szepter den Nichtseienden, und nicht sollen sie in Hohnlachen ausbrechen bei unserem Fall, sondern wende ihr Vorhaben gegen sie selber, den, der gegen uns angetreten ist, gib der Schmach preis“ (C 17‒22).262

Stellvertretend für ihr Volk bekennt die jüdische Königin die Schuld, um vom Herrn der Geschichte flehendlich zu erbitten, barmherzig das drohende Unheil von Israel abzuwenden. Exkurs 6: Die Anordnung und das Gesetz ( ) Das Wort dat ist nicht nur ein Lieblingswort des Dichters, es ist eine seiner Spezialvokabeln. Von den 21 Belegen im Alten Testament entfallen 20 auf das Estherbuch (95,2%), dat kommt nur noch einmal in Esr 8,36 vor: dat ist also mit einer einzigen Ausnahme ein nur in Esther belegter Begriff, der auffälligerweise nicht in den c. 5‒7 verwendet wird.263 Die Bedeutungsbreite des persischen Lehnwortes dat reicht von Anordnung über königliche Verordnung (Erlaß) bis zu Gesetz. In allen drei Bedeutungen wird das Wort bereits im ersten Kapitel benutzt: Das Wort bezeichnet die (königlichen) Anordnungen, die das Trinken (1,8), das Hofprotokoll (1,13) und das Verhalten im Frauenhaus (2,12) regeln. Solche verbindlichen Regelungen können den Charakter eines Gesetzes besitzen (4,11.16). Der Übergang von verbindlicher Anordnung zu einem königlichen Erlaß ist fließend und oft nur dem Zusammenhang zu entnehmen (9,14). Ein königlicher Erlaß kann in die Gesetzessammlung der Perser und Meder als Gesetz aufgenommen werden (1,19).

262 Übersetzung nach I. Kottsieper. 263 Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 37.

102

Auslegung

In den meisten Fällen bezeichnet das Wort die für das persische Reich verbindlichen Rechtsnormen, die der König selbst als göttlich legitimierter Gesetzgeber erläßt (3,8.14.15; 8,13.14.17; 9,1). Auch ein gesiegeltes königliches Sendschreiben kann den Charakter eines rechtsverbindliches Erlasses erhalten (3,12‒15; 8,8‒14). In 3,8 bezeichnet dat auch die Gesetze der Juden. In 1,13; 3,3 sind die beiden Wörter und Anordnung und Gesetz synonym zu dat gebraucht.264 Auffälligerweise kommen die im Alten Testament üblichen Worte für Erlaß ( ), Anordnung ( , , , ) und Gesetz ( , , , , ) nicht vor. Damit ist die einzige Vokabel in Esther, die sowohl die rechtsverbindlichen Äußerungen Jahwes (Tora) als auch des persischen Königs beschreibt.265 Die Vermeidung der hebräischen Synonyme ist kein Zufall. Vermutlich vermeidet der Dichter alle Anspielungen auf die von Jahwe gegebenen Anordnungen und Gesetze und verwendet das persische Lehnwort dat, um bewußt auf die vom heidnischen König ausgehenden Anordnungen, Erlasse und Gesetze hinzudeuten.266 Ein königliches Gesetz gilt zwar innerhalb der Jurisdiktionsgewalt des persischen Reiches, es hat aber, das klingt wiederholt in 3,3.8 an, in religiösen Angelegenheiten für den exilierten Gläubigen keine verbindliche Bedeutung. Das Selbstverständnis des Dichters formuliert das Deuteronomium programmatisch: „4,7 Denn wo gäbe es (noch) ein großes Volk, dem seine Götter so nahe wären, wie Jahwe, unser Gott, wann immer wir zu IHM rufen? 8 Und wo gäbe es ein (anderes) großes Volk, das solche gerechten Satzungen und Gesetze besäße, wie all diese Weisung (Tora), die ich heute vor euch lege?“ (Dt 4,7‒8)267 Aus dem Anspruch der als verbindlich gedachten persischen Anordnungen und dem von Mordechai und den Juden treu geglaubten Gesetz Jahwes entwickelt sich schließlich der Konflikt des Buches (3,2).268 Eine kurze Höflichkeitsformel leitet Hamans Anliegen ein, das er, rhetorisch versiert, als ein Anliegen des Königs kleidet: Scheint es dem König gut, werde geschrieben, sie zu vernichten (V 9). Mit dieser schmucklosen Formulierung schlägt der Böse dem König vor, alles jüdische Leben 264 Vgl. R. Kossmann, Esthernovelle, 300‒305. 265 Vgl. F. Crüsemann, Tora, 381‒407; sowie R. Weber, Gesetz, 332‒344, zu Philo und Josephus. 266 Vgl. Th. Schaack, Ungeduld, 232‒233. 267 Vgl. M. Rose, 5. Mose, ZBK 5,2, Zürich 1994, 491‒503; sowie T. Veijola, Das fünfte Buch Mose ‒ Deuteronomium, ATD 8,1, Göttingen 2004, 103‒111. 268 Vgl. G. Delling, Bewältigung, 9‒26 (Quellenmaterial); P. Frei/K. Koch, Reichsidee, 22‒25.

Das Pogrom

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im Bereich seiner Hoheitsgewalt auszulöschen (Dan 6,7‒8; III Makk 3,24‒27). Als materiellen Anreiz stellt Haman dem König das bei einer erfolgreichen Vernichtung und Plünderung an den Hof fallende Hab und Gut der Juden in Aussicht. Auf 10.000 Talente Silber schätzt er das jüdische Vermögen, welches direkt in die königlichen Schatzkammern abgeführt werden soll (4,7; 10,1). Vergleichen wir die in Aussicht gestellte Summe mit den in der Steuerliste Herodots aufgeführten jährlichen Abgaben der Provinzen, wird deutlich, wie verführerisch das Angebot für den König klingen muß. Je nach Provinz liegen die Abgaben zwischen 140 und 1000 Talenten Silber pro Jahr (Historien, III, 89‒96). Herodot nennt auch die Gesamtsumme der jährlichen Steuereinnahmen: „Das babylonische Silber, mit dem euboischen Talent verglichen, ergibt 9880 Talente. […] Die Gesamtsumme all dieser jährlichen Abgaben an Dareios beträgt 14560 euboische Talente“ (Historien, III, 95).269 Sollten die Summen des geplünderten jüdischen Vermögens und der jährlichen Steuereinnahmen des persischen Reiches in etwa vergleichbar sein270, entspricht das Raubgut nahezu zwei Dritteln der jährlichen Steuereinnahmen.271 Daß die Beute an die Feinde fällt, ist durchaus üblich. Auch Ptolemäus IV. (221‒204) stellt in seinem Dekret den erfolgreichen Denunzianten das gesamte Vermögen der Judenfreunde, eine Ehrung und eine königliche Belohnung in Aussicht. „27 Wer aber einen von den Juden ‒ sei es ein Greis oder ein Kind oder [auch nur] ein Säugling ‒ verbirgt, soll mit seiner ganzen Familie durch die schimpfliche Marter zu Tode gepeinigt werden. 28 Anzeigen soll, wer Lust hat; ein solcher soll nicht nur das Vermögen des der Strafe Verfallenden erhalten, sondern außerdem noch 2000 Silberdrachmen aus dem königlichen Schatz; auch soll er die Freiheit erlangen und mit einer Krone belohnt werden“ (III Makk 3,27‒28).272

Ohne zu zögern zieht der König seinen Siegelring vom Finger und übergibt ihn dem wiederum (3,1) mit Vatersnamen und Ethnikon benannten Haman, der nun erstmals als der Feind der Juden bezeichnet wird (V 10; 8,1; 9,10). Durch die folgenreiche Zeichenhandlung drückt der König wortlos seine Zustimmung aus. Die symbolträchtige Ringübergabe rüstet den Statthalter mit der nötigen Siegelvollmacht aus,

269 Übersetzung nach J. Feix. 270 Vgl. A.D.H. Bivar, Achaemenid Coins, Weights and Measures, CHIr 2, Cambridge u.a. 1985, 610‒638 (Tafeln 635‒638). 271 Vgl. R.N. Frye, History, 116‒118. 272 Übersetzung E. Kautzsch, Die Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments, Bd. I, Tübingen 1900, 127.

104

Auslegung

mit der er die Schreiben für die Provinz autorisieren kann. Die übertragene Siegelvollmacht ist damit gleichzeitig die verantwortliche Übergabe der Jurisdiktionsgewalt.273 Der König legt das Geschick der Juden in Hamans Hand (8,1; Gen 41,43‒45; I Sam 23,17; II Chr 28,7; Jdt 2,4; 10,8; Tob 1,22; III Esr 3,7).274 Erst nachdem der König den Plänen seines eigensinnigen Ratgebers durch die Zeichenhandlung zugestimmt hat ‒ einem Ratgeber vor dem Jesus Sirach übrigens warnt (Sir 37,7‒9)275 ‒ erhebt er seine Stimme und beauftragt Haman, mit den Juden nach eigenem Ermessen zu verfahren. Allerdings lehnt er es gegen die persische Gewohnheit ab, sich am Vermögen der Juden zu bereichern. Das Silber der Juden verspricht er seinem Statthalter (V 11). 3,12‒15: Das königliche Schreiben über die Festsetzung des Pogroms. Unmittelbar setzt Haman den vom König tolerierten Plan um (V 12). Am 13. Tag desselben Monats Nisan läßt Haman die königlichen Schreiber kommen, um an alle Satrapen und Statthalter der persischen Provinzen, an alle Oberen und Völker in allen Provinzen in der jeweiligen Landessprache ein Schreiben zu richten.276 Das rechtsverbindliche Sendschreiben ist im Namen des Königs geschrieben und zum Zeichen der Gültigkeit mit dem königlichen Siegel gesiegelt. Die Mitteilung läßt erahnen, daß die persische Administration mit Schriftgelehrten und Schreibern gut ausgerüstet ist, die alle geläufigen Sprachen des Reiches beherrschen (1,22; Dan 1,4.20). Beeindruckend und zugleich bedrohend klingt die Beschreibung des persischen Post- und Verkehrswesens, das mit Windeseile die verbindlichen Sendschreiben in alle Provinzen trägt (V 13). Über berittene Schnellboten auf gut ausgebauten Straßen, zu Lande und zu Wasser wird die Eilpost befördert. Schon Herodot rühmt das Straßenwesen (Historien, V, 52): „Mit dieser Straße nach Susa verhält es sich so: Überall auf dem Weg gibt es königliche Raststätten und vortreffliche Unterkünfte“.277 Xenophon schließlich erläutert breit (Kyrupaedie, VIII, 6, 17‒18):

273 Vgl. die Auslegung zu 10,3. 274 Vgl. H. Volkmann, Der Zweite nach dem König, Ph. 92, 1938, 290‒297, der die vorderorientalischen, ägyptischen und griechischen Belege übersichtlich zusammengetragen und ausgewertet hat. 275 Vgl. G. Sauer, Jesus Sirach/Ben Sira, ATD.A 1, Göttingen 2000, 255‒257. 276 Vgl. zu den kalendarischen Angaben N.L. Collins, Esther, 558‒561. 277 Übersetzung nach J. Feix.

Das Pogrom

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„(17) Wir haben noch von einer anderen Maßnahme des Kyros erfahren, die angesischts der Größe des Reiches erforderlich war: Durch diese erhielt er rasche Nachrichten über die Zustände auch in den entferntesten Provinzen. Nachdem er nämlich geprüft hatte, welche Wegstrecke ein Pferd mit Reiter an einem Tag höchstens zurücklegen kann, ließ er Pferdestationen einrichten, die entsprechend weit voneinander entfernt waren; und er ließ dort Pferde mit Pferdepflegern unterbringen. Auf jeder dieser Stationen setzte er einen Mann ein, der in der Lage war, die Briefe, die dort abgegeben wurden, in Empfang zu nehmen und weiterzugeben, die erschöpften Pferde und Menschen aufzunehmen und andere Leute mit frischen Pferden weiterzuschicken. (18) Es heißt, daß diese Reisetätigkeit mitunter nicht einmal bei Nacht zum Stillstand kam, sondern daß der nächtliche Bote den Tagesboten ablöste. Unter dieser Voraussetzung sollen einige diesen Weg noch schneller als die Kraniche zurücklegen“.278

Herodot ergänzt eine Anmerkung über das Postwesen zu Wasser (Historien, V, 14): „So schrieb denn Dareios einen Brief an Megabazos, den er als Feldhern in Thrakien zurückgelassen hatte. […] Sofort eilte ein Reiter mit dieser Botschaft zum Hellespont, setzte über und brachte dem Megabazos den Brief“.279 Der Inhalt der königlichen Briefe klingt vernichtend (V 13). Die nur in Esther belegte dreigliedrige Formel auszurotten, zu töten und zu vernichten bekräftigt mit den drei ihrer Intention nach gleichbedeutenden Verben die geplante vollständige Vernichtung aller Juden (7,4; 8,11). Selbst die im Kriegsfalle verschonten Greise, Kinder und Frauen sollen ausnahmslos hingerichtet werden (Jdt 4,9; III Makk 3,24‒27). Alles jüdische Leben, so der bestialische Plan, soll vernichtet werden, diesen gnadenlosen Gedanken kennt selbst die Sintflut nicht (Gen 6,5‒8; 8,21‒22). Nun wird auch der Zeitpunkt genau bestimmt (3,7): Das Pogrom wird auf den 13. Tag des Monats Adar (Februar/März) festgesetzt. Das jüdische Vermögen, darauf weist Haman ausdrücklich hin, soll von den Schergen geplündert werden (V 13). Der weitere Inhalt des Schreibens bleibt im Dunkel. Die Neugier befriedigt dann der zweite Zusatz der Septuaginta (B 1‒7), der den Inhalt des Schreibens mitteilt: Nach dem Eingangsformular (B 1) betont der König seinen Friedenswillen (B 2), der allerdings von den feindseligen Juden, die alle königlichen Gesetze mißachten, gestört wird (B 3‒5). Der innere Frieden Persiens ist bedroht, deshalb „6 haben wir nun angeordnet, die, die in den Schreiben des Haman, der mit den Staatsangelegenheiten betraut und unser zweiter Vater ist, euch 278 Übersetzung nach R. Nickel. 279 Übersetzung nach J. Feix.

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Auslegung

angegeben werden, alle samt Frauen und Kindern völlig durch die Schwerter der Feinde mitleid- und schonungslos am 14. des 12. Monats, des Adar, des jetzigen Jahres zu vernichten, 7 damit die, die schon immer und auch jetzt noch feindselig sind, an einem Tag gewaltsam in die Unterwelt hinabfahren, so daß sie für die Zeit danach uns für immer eine solide und ungestörte (Erledigung) der Staatsangelegenheiten gewähren“ (B 6‒7).280

Ähnliche Briefe sind in der späten biblischen Literatur zahlreich belegt (Esra 1,2‒4; 4,7‒22; Dan 3,31‒4,34; I Makk 1,43‒56; 11,29‒37; II Makk 1,1‒9; III Makk 7,1‒23). Ptolemäus IV. (221‒204) ordnet in einem königlichen Dekret die vollständige Vernichtung der Juden Alexandriens an (III Makk 3,11‒29), die er allerdings später wieder aufhebt (III Makk 6,27‒41). Mit einem solchen königlichen Edikt gewährt Antiochus V. (164‒162) den Juden zunächst, den Kultdienst wieder aufzunehmen und wieder nach den Vorschriften der Tora zu leben (I Makk 6,55‒63; II Makk 13,23‒26).281 Das königliche Sendschreiben gelangt als Abschrift in die Provinzen (V 14). Der aus dem persischen entlehnte Aramaismus patshägän bezeichnet eine wörtliche Abschrift (4,8; 8,13). Rechtlich ist die Abschrift verbindlich. Das Gesetz gilt als reichsweite königliche Anordnung, dem sich alle Satrapen und Heerführer zu fügen haben. Ja, sogar die Völker der einzelnen Provinzen werden in dem Schreiben dazu aufgefordert, sich für das am 13. Adar geplante Pogrom zu rüsten.282 Eilig machen sich die königlichen Läufer auf den Weg, um die Todesnachricht in die Provinzen zu tragen (V 15). Auch in der Königsstadt von Susa wird der Text umgehend als Gesetz ausgegeben. Mit einem gemeinsamen Trunk besiegeln der König und Haman ihre Tat (Gen 26,30). In die Zufriedenheit der beiden Protagonisten können die Menschen der Reichshauptstadt aber nicht einstimmen. Eine Metonymie betont kontrastierend, daß die Bewohner Susas auf die öffentliche Ausrufung des Gesetzes bestürzt reagieren. Wie die Menschen im persischen Reich auf den königlichen Erlaß reagieren, illustriert eine apokryphe Schrift283 aus dem 1. vorchristlichen Jahrhundert. Sie erzählt die Reaktion auf das von König Ptolemäus IV. angeordnete Pogrom:

280 281 282 283

Übersetzung nach I. Kottsieper. Vgl. E. Bickermann, Gott, 120‒126. Vgl. Th. Schaack, Ungeduld, 165‒171. Vgl. U. Mittmann-Richert, Historische und legendarische Erzählungen ‒ 3. Makkabäerbuch, JSHRZ 6, Gütersloh 2000, 63‒81.

Mordechais Buße und Esthers Einsicht

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„1 Überall nun, wohin diese Verordnung gelangte, veranstalteten die Heiden unter Jubel und Frohlocken auf öffentliche Kosten Gelage, da ja der längst in ihren Herzen eingewurzelte Haß nunmehr offen hervorbrechen werde. 2 Unter den Juden aber herrschte endlose Trauer und überaus klägliches Geschrei und Tränen, indem ihr Herz allseitig von Seufzern entzündet war und sie das unvermutete, plötzlich über sie beschlossene Verderben bejammerten. 3 Welche Provinz oder welche Stadt oder überhaupt welcher bewohnte Ort oder welche Straßen wurden nicht ihretwegen von Klagen und Weherufen erfüllt“ (III Makk 4,1‒3).284

3,1‒15: Ausblick. Hamans folgenreiche Erhebung kontrastiert den Aufstieg Esthers zur Königin und Mordechais Loyalität gegenüber dem persischen Großkönig. Wie Licht und Schatten stehen sich die Ereignisse in der Komposition gegenüber. Ausweglos scheint das Gottesvolk dem Bösen ausgeliefert zu sein. Schon stehen die Schergen des Königs im ganzen Reich bereit, das jüdische Volk auszurotten, zu töten und zu vernichten. Radikaler als in dieser dreigliedrigen Phrase kann die Bedrohung der jüdischen Existenz kaum ausgedrückt werden. Alles jüdische Leben im Herrschaftsbereich des persischen Großkönigs vom Oberlauf des Nils bis zum Indus und nach Kleinasien soll ausgelöscht werden, über die gesamte bekannte Welt soll sich eine sintflutartige Vernichtung der Juden ergießen. Die Angst geht um, der Schrecken macht sich breit, zunächst bei den Juden der Reichshauptstadt. Doch das Motiv zieht sich wie eine Plage weiter. Überall da, wo die Eilboten des Königs die tödliche Nachricht hintragen, überall da, wo seine Herolde das kollektive Todesurteil für den 13. Adar ankündigen, von dem nicht einmal Kinder, Frauen und Greise ausgenommen sind, überall da weckt es bei den Juden tiefe Bestürzung. Mit jedem Schritt der Eilboten eilt die Erzählung ihrem Höhepunkt entgegen. Eine Tragödie bahnt sich an.

6. Mordechais Buße und Esthers Einsicht (4,1‒17) Mordechais Buße und Esthers Einsicht 4,1 Als Mordechai alles, was geschehen war, bekannt wurde, zerriß Mordechai seine Kleider. Er zog Sackleinen und Asche an285, und er zog mitten in die Stadt, und er schrie ein Klagegeschrei286 ‒ ein großes und bitteres. 2 Er kam bis vor das Tor des Königs, denn in Sackleinen darf 284 Vgl. E. Kautzsch, Die Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments, Bd. I, Tübingen 1900, 127. wajilbash sak wa’ephär ist ein Zeugma. 285 M 286 M ! ! wajisak seaka ist eine figura etymologica.

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Auslegung

man nicht in das Tor des Königs kommen.287 3 An allen Orten, Provinz um Provinz, wo die Rede des Königs und sein Gesetz bekannt wurden, war große Trauer unter den Juden, und Fasten, Weinen und Wehklage.288 Viele wurden auf Sack und Asche gebettet.289 4 Als die Mädchen Esthers und ihre Eunuchen kamen und ihr es erzählten, da erschrak290 die Königin sehr. Sie ließ Kleider übersenden, um Mordechai anzukleiden, um sein Sackleinen von ihm abzunehmen, er aber nahm es nicht an. 5 Da rief Esther den Hatach, von den Eunuchen des Königs291, den er für sie bereitgestellt hatte, und sie befahl ihn zu Mordechai, um zu erkunden, was dies sei, und warum dies sei. 6 Und Hatach ging zu Mordechai auf den Platz der Stadt, der vor dem Tor des Königs ist. 7 Und Mordechai tat ihm alles kund, was ihn getroffen hatte, und auch den genauen Betrag des Silbers, das Haman versprochen hatte abzuwägen, in die Schatzkammern des Königs von den Juden bei ihrer Vernichtung. 8 Und eine Abschrift des Gesetzestextes, der in Susa ausgegeben wurde, um sie auszurotten, gab er ihm, sie Esther sehen zu lassen und ihr zu melden und ihr zu befehlen, zum König zu kommen, seine Gunst zu erflehen und vor ihm für ihr Volk zu bitten [292]. 9 Und Hatach kam, und er tat Esther die Worte Mordechais kund. 10 Da sprach Esther zu Hatach, und sie befahl ihn zu Mordechai. 11 „Alle Diener des Königs und das Volk der Provinzen des Königs wissen, jeder Mann und Frau293, wer zum König in den inneren Hof kommt, der nicht gerufen ist294, für ihn gilt eine Anordnung, getötet zu werden ‒ es sei denn, der König streckt ihm das goldene Zepter entgegen, und er lebt. Und ich, nicht bin ich dreißig Tage mehr gerufen wor-

287 Die Konstruktion einer Negation mit Infinitiv ejn lawo, übersetzt nicht zu kommen, ist wie in Dt 4,21; 8,11; 17,20; II Sam 14,13; II Chr 5,11; 35,15 ein Beispiel für das späte biblische Hebräisch (vgl. R. Bergey, Features, 70‒71). 288 M wesom uwechi umisped, die dreigliedrige Formel ist eine klimaktische Emphase. 289 M sak ‒ juza ist eine Alliteration. 290 M titchalchal ist ein hp lg. 291 M misarisej hamäläch ist eine Brachylogie. 292 B 4,8 fügt eine lange Mahnung Mordechais ein: „Erinnernd der Tage deiner Erniedrigung, als du in meiner Hand erzogen wurdest, weil Haman, der Zweite des Königs, uns zum Tod verurteilt hat. Und den Herrn anzurufen und mit dem König über uns zu sprechen und uns vom Tod zu erretten!“ 293 Vgl. zum kollektiven Gebrauch von kol BL 268h. 294 Eine Satzunterbrechung, die syntaktisch unklar ist.

Mordechais Buße und Esthers Einsicht

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den, zum König zu kommen“295. 12 Und man berichtete296 Mordechai die Worte Esthers. 13 Mordechai sprach, Esther zu antworten: „Bilde dir nicht ein, du könntest von allen Juden im Hause des Königs entkommen! 14 Wenn du schweigst, schweigst297 in dieser Zeit, wird den Juden Rettung und Befreiung von einem anderen Ort her entstehen. Du aber und dein Vaterhaus, ihr werdet zugrunde gehen. [298] Doch wer weiß, ob du nicht für eine Zeit wie diese zur Königsherrschaft gelangt bist?“ 15 Esther sprach, Mordechai zu antworten: 16 „Geh, versammle alle Juden, die sich in Susa finden, und fastet für mich! Eßt nicht und trinkt nicht drei Tage und drei Nächte!299 Auch ich und meine Mädchen fasten so. [300] Dann gehe ich zum König, was nicht nach der Anordnung ist. Wenn ich umkomme, komme ich um!“301 17 Da ging Mordechai hin. Er tat alles, was Esther ihm befahl. [302] C 1 Und er flehte den Herrn an, indem er all der Taten des Herrn gedachte, 2 und sprach: ‚Herr, Herr, König, der alles beherrscht, denn in deiner Macht ist das Ganze, und es gibt keinen, der dir widersprechen könnte, wenn 295 V 11 ist mit seinen Relativsätzen, Appositionen und Parenthesen ein Beispiel für den Stil des Dichters, der für das späte biblische Hebräisch typisch ist (vgl. H. Striedl, Untersuchung, 80‒82). 296 M WdyGIY:w:, lies mit G dG:yUw.: 297 M hacharesh tacharishi, rhetorisch dient die Wortwiederholung eines Synoyms der Betonung. 298 A 4,9(14) fügt hinzu: ἀλλ᾽ ὁ Θεὸς ἔσται αὐτοῖς βοηθὸς καὶ σωτηρία, σὺ δὲ καὶ ὁ οἶκος τοῦ πατρός ἀπολεῖσθε aber Gott wird ihnen Hilfe und Rettung sein, du aber und das (dein) Vaterhaus werdet vergehen! 299 Zahlensymbolisch bezeichnet die Drei eine klar abgegrenzte Gesamtheit (Gen 18,2; Ez 14,12‒23; Dan 3,12). 300 A 4,11(16) fügt die Worte Esthers hinzu: παραγγείλατε θεραπείαν καὶ δεήθητε τοῦ θεοῦ ἐκτενῶς· κἀγὼ δὲ καὶ κοράσιά μου ποιήσομεν οὕτως Ordnet einen Gottesdienst an und betet inniglich zu Gott! Und auch ich und meine Zofen werden ebenso tun. 301 M wecha’ashär awadti awadti ist eine Anadiplosis. 302 Der dritte Zusatz (C 1‒30): Nach 4,17 fügt die griechische Tradition zwei Zusätze ein, die zusammen 46 Verse lang sind (C 1‒30; D 1‒16). Kompositorisch erhält der griechische Text so eine neue Mittelachse, die durch die langen Gebete der beiden Protagonisten das Buch auch inhaltlich umprägt. An das Gebet Mordechais (C 1‒11) schließt sich unmittelbar ein Gebet Esthers (C 12‒30) an. Mordechai fleht den allwissenden Pantokrator, den Gott Abrahams, an (C 1‒8), sein Gebet zu erhören und das Volk Israel aus der Todesnot zu erretten (C 9‒11). Auch Königin Esther wendet sich in ihrer Todesnot an Jahwe (C 12‒30), vollzieht einen Trauerritus und bittet (C 12‒14) den König der Könige, der Israel aus den Völkern erwählt hat, sich an sein Volk zu erinnern und es zu bewahren (C 15‒30). Auf C 1‒30 folgt in G unmittelbar D 1‒16, der theatralisch Esthers Besuch beim König ausmalt. Dieser vierte Zusatz (D 1‒16) ist 5,1 vorangestellt (vgl. I. Kottsieper, Zusätze, 160‒178; J.D. Levenson, Esther, 83‒86; C.A. Moore, Daniel, 203‒215).

110

Auslegung

du Israel retten willst. 3 Denn du hast den Himmel und die Erde geschaffen und alles, was unter dem Himmel bestaunt wird. 4 Du bist der Herr von allem, und es gibt niemanden, der sich dir, dem Herrn, entgegenstellen könnte. 5 Du kennst alles. Du weißt, Herr, daß ich weder aus Übermut noch aus Hochmut noch aus Ehrgeiz dies, nämlich mich nicht vor dem übermütigen Haman niederzuwerfen, getan habe. 6 Denn ich hätte gerne zum Wohle Israels seine Fußsohlen geküßt. 7 Aber ich tat dies, um nicht die Ehre eines Menschen über die Ehre Gottes zu setzen. Und ich werde mich vor niemandem außer dir, meinem Herrn, niederwerfen; und ich handele so nicht aus Hochmut. 8 Und nun, Herr, Gott, König, Gott Abrahams, verschone dein Volk, denn sie trachten danach, uns zu verderben, und wollen dein ureigenes Erbteil vernichten. 9 Nicht mögest du deinen Anteil mißachten, den du dir selbst aus Ägypten erlöst hast. 10 Erhöre ‚unser‘ Gebet und sei deinem Erbe gnädig, ‒ und verwandle unsere Trauer in ein Festgelage ‒ damit wir deinen Namen als Lebende loben. Und laß nicht den Mund derer, die dich preisen, verschwinden.‘ 11 Und ganz Israel schrie mit aller Macht, denn ihnen stand ihr Tod vor Augen. [303] 12 Und die Königin Esther suchte, vom Kampf auf Leben und Tod bedrängt, Zuflucht beim Herren. 13 Und nachdem sie ihre Königskleider abgelegt hatte, zog sie Kleider der Not und Trauer an; anstelle von erlesenen Parfümölen häufte sie Staub und Kot auf ihren Kopf. Ihren Körper erniedrigte sie streng, und jede Stelle, an der sie ihren erfreuenden Schmuck trug, bedeckte sie mit ihren Haarsträhnen. 14 Und sie bat den Herrn, den Gott Israels, und sprach: ‚Mein Herr, unser König bist du allein! Eile mir, die allein ist und außer dir keinen Helfer hat, zu Hilfe, 15 denn die Gefahr ist mir zum Greifen nah! 16 Ich hörte von meiner Geburt im Stamm meiner Familie an: Du, Herr, hast Israel aus allen Völkern erwählt und unsere Väter aus ihren Vorfahren zum ewigen Erbteil und tatest ihnen alles, was du verheißen hast, und gewährtest ihnen, soviel sie erbaten. 17 Und nun, wir haben vor dir gesündigt, und du hast uns in die Hand unserer Feinde ausgeliefert 18 dafür, daß wir ihre Götter verehrten. Du bist gerecht, Herr! 19 Und nun, es reichte ihnen die Bitterkeit unserer Versklavung nicht, sondern sie haben ihre Hände in die Hände ihrer Götterbilder gelegt, 20 um das Versprechen deines Mundes zu beseitigen, dein Erbteil zu zerstören, die Münder derer, die dich loben, zu stopfen, auszulöschen den Ruhm deines Hauses und deines Altars, 21 zu öffnen den Mund der Völker zum Heldenruhm der Nichtigen und zur ewigen Bewunderung eines irdischen Königs. 22 Gib doch nicht, Herr, dein Zepter den Nichtseienden, und nicht sollen sie in Hohnlachen ausbrechen bei unserem Fall, sondern wende ihr Vorhaben gegen sie selber; den, der gegen uns angetre303 Übersetzung nach I. Kottsieper, Zusätze, 160‒161.

Mordechais Buße und Esthers Einsicht

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ten ist, gib der Schmach preis. 23 Erinnere dich, Herr! Werde erkannt in der Zeit unserer Bedrängnis und ermutige mich, König der Götter und Beherrscher jeder Macht! 24 Gib mir vor dem Löwen das passende Wort in den Mund und wende seinen Sinn darauf, den zu hassen, der uns bekämpft, damit (dies)er und seine Gesinnungsgenossen ihr Ende finden. 25 Uns aber rette durch deine Hand und eile mir, die allein ist und außer dir, Herr, niemanden hat, zu Hilfe. Du hast von allem Kenntnis. 26 Du weißt, ich haßte die Herrlichkeit der Gesetzlosen und ekle mich vor dem Bett der Unbeschnittenen und eines jeden Fremden. 27 Du kennst meine Zwangslage, daß ich mich ekle vor dem Zeichen meines Stolzes, das an den Tagen, an denen ich erscheine, auf meinem Kopf ist. Ich ekle mich davor wie vor einer Monatsbinde und trage es nicht an den Tagen, an denen man mich in Ruhe läßt. 28 Auch hat deine Magd weder vom Tisch des Haman gegessen noch ein Gelage des Königs beehrt noch Wein von Trankopfern getrunken. 29 Und deine Magd hat sich seit dem Tag, an dem sich mein Geschick wendete, bis heute an nichts mehr gefreut als an dir, Herr, Gott Abrahams! 30 O Gott, der du Macht hast über alles, höre die Stimme der Verzweifelten und rette uns aus der Hand der Übeltäter. Und rette mich aus meiner Furcht.‘ [304] 4,1‒17: Hinführung. Wiederum wechselt die Szene und mit ihr die Protagonisten. Standen zuvor König Achashverosh und der zum Statthalter erhobene Haman im Mittelpunkt, treten die beiden Perser nun für einen Moment von der Bühne ab. Mordechai und Esther erscheinen. Im szenischen Wechselspiel des Dramas treten die beiden Perser ab und die beiden Juden auf. Die Bestürzung, die sich in Susa als Reaktion auf die Bekanntgabe des Gesetzes äußert, führt beim Juden Mordechai zur spontanen Buße. Überall im persischen Reich büßen Juden mit ihm, nur die jüdische Königin selbst nicht. Nein, Esther will Mordechai sogar durch ihren Diener von seiner öffentlichen Buße abbringen. Mordechai ist mit der Krönung seiner Adoptivtochter Esther rechtlich zwar nicht mehr ihr Vormund, aber in dem sich zwischen dem weisen Juden und der jungen Königin entspinnenden Gespräch zeigt sich, daß er weiterhin ihr Vertrauen als religiöse Autorität genießt. Erst auf sein Drängen und Mahnen hin will sich die Königin bei ihrem Gemahl für ihr Volk verwenden. Der über den Diener Hatach übermittelte Dialog hat den intimen Charakter eines vertrauten Gespräches zwischen Vater und Tochter, zwischen einem Weisen und einer Rat Suchenden. Daß ein Diener das 304 Ebd., 166‒168.

112

Auslegung

Gespräch übermittelt, hat eine doppelte, eine szenische und eine hermeneutische Funktion: Zum einen darf Mordechai den Palast der Königin nicht betreten ‒ und schon gar nicht im Bußgewand, zum anderen tritt der Leser als Zeuge hinzu, der die Worte von Mordechai und Esther sowie den Bericht Hatachs mit eigenen Ohren hört. Der eindringlich gezeichnete Dialog zwischen Mordechai und Esther bildet zum Bericht vom geplanten Pogrom den Kontrapunkt in einer Fuge. Mit der öffentlichen Buße Mordechais und der Umkehr der Juden bereitet sich die Wende in der Handlung vor. Auch das kann der Leser trotz der tödlichen Bedrohung erahnen, überall, wo sich Menschen aufrichtigen Herzens zu Gott wenden, ist die Rettung nicht mehr fern. 4,1‒3: Die Buße Mordechais und der Juden. Mordechai hört und handelt (V 1). Er hört von der unfaßbaren Anordnung, die im Namen des Königs für alle Juden des persischen Reiches erlassen worden ist ‒ spontan handelt er. Der einzelne Gläubige beginnt sein Bußzeremoniell, mit dem er sich ganz seinem Gott hingibt. Ein Bußritus, der ohne das geglaubte Gegenüber Gott vollzogen wird, ist für einen Juden undenkbar. Was sollte diese Buße nützen? Wie König Josia, wie Hiob, wie Esra, Judith und Daniel vollzieht Mordechai einen öffentlichen Bußritus. Er zerreißt die Kleider und streift damit die alte Existenz ab, symbolisch vernichtet er die alte Schuld, für die er büßen muß, setzt doch die drohende Vernichtung des jüdischen Lebens die Schuld des Gottesvolkes voraus. Mit dem Anlegen des härenen Bußgewandes überzieht ihn, religiös gesprochen, eine neue Existenz. Als äußeres Zeichen seiner inneren Hinwendung zu Gott, als Zeichen seiner Demut und Umkehr, geht er im Sack mit einem Aschenmal auf dem Haupt gezeichnet. Für alle, die ihn sehen, ist offensichtlich: Da zieht ein Büßender. Sein Bußritus ist die erste (und einzige) in Esther erwähnte öffentliche positive Religionsausübung eines Juden. Mordechai treibt es auf den größten Platz der Reichshauptstadt, um sein bitteres Klagegeschrei anzustimmen (V 1‒2). Laut klagend zieht er bis zum Tor des Königs. Weiter kommt er nicht, denn im Bußgewand darf man nicht in das Tor des Königs und schon gar nicht in den Palastbezirk eintreten. Warum Mordechai vor das Königstor tritt, hängt nur mittelbar mit der Bußzeremonie zusammen. Eigentlich müßte er sich mit den Juden der Stadt im Tempel seiner Gemeinde versammeln, um dort weitere Bußriten zu vollziehen (A 4,11; Jdt 4,9‒15). Mit seiner öffentlichen Klage vor dem Palast will Mordechai beim König oder der Königin Gehör finden (V 2).

Mordechais Buße und Esthers Einsicht

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Diese öffentliche Klage vor dem Tor des Königs ist bei den Persern nicht unüblich (V 2). Herodot berichtet von klagenden Bauern, deren Land durch den Bau von Schleusen im Sommer nicht mehr genügend bewässert wird. Sie ziehen vor das Tor des Königs und erheben ein lautes Klagegeschrei. Die Klage hat Erfolg. Der König gibt die Anweisung, die Schleusen für diejenigen zu öffnen, die das Wasser am nötigsten brauchen (Historien, III, 117). Enger noch ist eine andere Notiz aus der Feder Herodots der Klage Mordechais verwandt. Als König Darius I. einen Aufständigen und dessen Söhne verhaften läßt, um sie hinzurichten, kommt die Ehefrau des Intaphrenes immer wieder vor das Tor des Königs, weint und klagt solange, bis sie sein Mitleid erweckt und zwei der schon Verurteilten begnadigt werden (Historien, III, 119; ähnlich Lk 18,3‒5). Mordechais öffentliche Klage ist nötig (V 2.4). Ohne seinen öffentlichen Auftritt hätte Esther in ihrem Frauenpalast von Mordechai und dem geplanten Pogrom so bald nichts gehört. Ohne sein Klagegeschrei wäre es nicht zu dem eindringlichen Gespräch zwischen ihm und Esther gekommen. Seine öffentliche Klage erst dringt an ihr Ohr. Seine Umkehr und seine Klage bereiten die Wende vor. Doch bevor Esther ihrerseits an Mordechai herantritt, richtet sich die Aufmerksamkeit zunächst einmal auf die Juden des persischen Reiches (V 3). Die Kunde von der angeordneten Verfolgung dringt in alle Provinzen des Reiches. Die Juden erkennen ihre Todesnot und reagieren mit großer Trauer. Die stilisierte Redeweise verdeutlicht die dreigliedrige Formel Fasten, Weinen und Wehklage, in der die drei Synonyme die Buße der Juden wiederholend betonen. Wie Mordechai reagieren viele Juden auf die Nachricht mit einem Bußritus und betten sich auf Sack und Asche. Unter den Juden Persiens herrscht kollektive Trauer (V 3).305 Exkurs 7: Der jüdische Bußritus Wie alle Völker des Vorderen Orients kennen auch die Perser die rituelle Buße: Bevor wir uns Esther widmen, betrachten wir die von Diodorus überlieferte ägyptische Tradition der Trauerbräuche (Bibliotheca, I, 72, 1‒6). Minuziös beschreibt er die beim Tod des Königs üblichen Rituale: „2) Wenn nämlich der König gestorben war, verbreitete sich über ganz Ägypten allgemeine Trauer. Man zerriß sich die Kleider, die Tempel wurden geschlossen, Opfer hörten auf und 72 Tage lang verzichtete man auf jede Festlichkeit. Die Menschen beschmierten ihre Häupter mit Lehm und 305 Vgl. zur rabbinischen Auslegung I. Katzenellenbogen, Esther, 20‒22.

114

Auslegung

umgürteten sich von der Brust ab mit Leinwand, Männer wie Frauen, und zogen in Scharen von 200 bis 300 Leuten umher, sangen dabei Klagelieder in bestimmtem Rhythmus und ehrten zweimal am Tage in Lobeshymnen den Toten. So riefen sie sich die Tugenden des Verstorbenen ins Gedächtnis, nahmen weder Fleisch noch Mehlspeisen zu sich, tranken keinen Wein und enthielten sich jeder Form von aufwendiger Lebensweise. 3) Keiner hatte mehr Lust, Bäder, Salben oder weiche Lagerstätten zu benutzen, ja nicht einmal der Liebe wagten sie mehr zu pflegen, sondern gleich als ob ihr liebstes Kind gestorben wäre, trauerte jeder für sich die obengenannte Zahl von Tagen hindurch“.306

Die Selbstminderung, Enthaltsamkeit und Trauer geht unmittelbar in die Vorbereitung für die prächtige Begräbnisfeier über. Doch zurück zur Megilla: Selbstminderungsriten werden aus verschiedenen Anlässen vollzogen. Herodot berichtet von persischen Soldaten, die nach der verlorenen Schlacht bei Salamis ihre Kleider zerreißen und ein Klagegeschrei anstimmen (Historien, VIII, 99). In Esther wird die Bußzeremonie als einzige positive religiöse Praxis erwähnt. Sie ist eine besondere Form des Trauerritus. Mordechai zerreißt seine Kleider, legt einen Sack an, einen dunklen Umwurf aus übelriechendem Ziegenhaar, streicht Asche auf sein Haupt und stimmt in der Stadt ein Klagegeschrei an (4,1‒2, 2 Targ Est 4,1‒2). Der beschriebene Bußritus besteht aus drei Motiven: 1. das Zerreißen der gewohnten Kleider und die Bekleidung mit dem Bußgewand, 2. die Kennzeichnung mit dem Bußmal aus Asche und 3. die öffentlich geäußerte Klage. Auch die Juden der Provinzen reagieren mit Fasten, Weinen und Klagefeier auf die Nachricht des festgesetzten Pogroms. Viele vollziehen wie Mordechai einen Selbstminderungsritus und lagen in Sack und Asche, ein weiteres Motiv der Buße (4,3).307 Auffälligerweise reagiert Königin Esther zunächst (4,4) nicht nach jüdischer Sitte (4,16). Die Redaktoren der griechischen Tradition haben dies als Mangel angesehen und in den Zusätzen ihren ausführlichen Bußritus nachgetragen: „12 Und die Königin Esther suchte, vom Kampf auf Leben und Tod bedrängt, Zuflucht beim Herrn. 13 Und nachdem sie ihre Königskleider abgelegt hatte, zog sie Kleider der Not und Trauer an; anstelle von erlesenen Parfümölen häufte sie Staub und Kot auf ihren Kopf. Ihren Körper erniedrigte sie streng, und jede Stelle, an der sie ihren erfreuenden Schmuck trug, bedeckte sie mit Haarsträhnen“ (C 12‒13).308

306 Übersetzung nach G. Wirth. 307 Vgl. M.V. Fox, Religion, 139. 308 Übersetzung nach I. Kottsieper.

Mordechais Buße und Esthers Einsicht

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Zur Buße gehört dann auch das von Esther stellvertretend gesprochene Schuldbekenntnis, in dem sie beklagt, daß Israel fremde Götter verehrt hat (C 17‒21). Immer wieder wird der Bußritus im Alten Testament beschrieben: Als König König Hiskia von der drohenden Eroberung Jerusalems durch die Assyrer hört, zerreißt er seine Kleider, legt einen Sack an und geht zum Buß- und Bittgebet in den Tempel (II Reg 18,37‒19,2; Jes 36,22‒37,2.14‒20). Da der später tödlich erkrankte König bußfertig ist, stellt Jahwe die Sonnenuhr zurück und gewährt Hiskia noch weitere 15 Lebensjahre (II Reg 20,5‒11; Jes 38,5‒8), worauf der Herrscher ein Danklied singt (Jes 38,9‒20).309 Auch König Josia zerreißt büßend seine Kleider, nachdem ihm die im Tempel aufgefundene Gesetzesrolle vorgelesen worden ist (II Reg 22,11). Er hört das Wort Gottes und erkennt aus seinem Inhalt seine eigenen Verfehlungen. Wegen seiner daraufhin aus aufrichtiger Reue geäußerten Buße gewährt ihm Jahwe ein standesgemäßes Begräbnis (II Reg 22,19‒20). Die Buße ist hier mit der Befragung Jahwes durch die Prophetin Hulda verknüpft (II Reg 5,7-8; 22,13‒20).310 Als der tadellose Hiob (Hi 1,1) von den Boten hört, daß sein ganzes Hab und Gut vernichtet worden ist und sogar alle seine Kinder umgekommen sind, steht er auf, zerreißt sein Kleid, schert sein Haupthaar, fällt auf die Erde und stimmt ein Klagegeschrei an (Hi 1,20‒21). Von Kopf bis Fuß mit Geschwüren geplagt, sitzt er im Büßerhemd in der Asche (Hi 2,8). Beim Anblick Hiobs zerreißen auch die drei Freunde ihre Gewänder, stimmen ein Klagegeschrei an und werfen sich in den Staub. Sieben Tage lang sitzen sie so, fastend und schweigend (Hi 2,12‒13). Zu dem Bußritus Mordechais treten hier die Motive des geschorenen Haares, des Niederwerfens, des gemeinsamen Fastens und Schweigens hinzu.311 In der späten Literatur ist auch die kollektive Buße überliefert: Um die Eroberung Jerusalems, die Zerstörung des Tempels, die Vernichtung und Deportation abzuwenden, büßen auf die Anordnung des Hohepriesters Jojakim alle Israeliten gemeinsam (Jdt 4,9‒15). Der Bericht dieser Buße enthält einige der bereits erwähnten Merkmale: Das Volk stimmt ein Klagegeschrei an, die Frauen fasten und beten (Jdt 4,9‒12), die Priester legen Bußgewänder an, die Kinder werfen sich vor 309 Vgl. zum Sonnenwunder O. Kaiser, Der Prophet Jesaja, ATD 18, Göttingen 1973, 21976, 318‒320. 310 Vgl. E. Würthwein, Die Bücher der Könige, ATD 11,2, Göttingen 1984, 446‒452. 311 Vgl. Th. Podella, Sôm-Fasten. Kollektive Trauer um den verborgenen Gott im Alten Testament, AOAT 224, 1989, 265‒289.

116

Auslegung

dem Tempel Jahwes nieder und der Altar wird mit einer Bußdecke verhängt (Jdt 4,11‒15). Neben dem Motiv der kollektiven Buße von Jung und Alt, Hoch und Niedrig, kommt hier noch das des mit einem Bußgewand verhängten Altars hinzu (Jdt 4,12).312 Später zieht Judith selbst ein Bußgewand über, streut Asche auf ihr Haupt, fällt nieder und schreit ein Klagelied (Jdt 9,1), ähnlich verhält sich Esra (Esr 9,3.5). Als zur Zeit von Seleukos I. (312‒281) der Tempelschatz bedroht ist, fastet und klagt ganz Jerusalem (II Makk 3,14‒20).313 In dieser Bußzeremonie sind noch zwei weitere Motive erwähnt: die Frauen entblößen ihre Brüste und alle Betenden erheben beim gemeinsamen Bittgebet ihre Hände zum Himmel. Sprichwörtlich steht für die Buße der Ausdruck in Sack und Asche gehen, sich darin setzen (Mt 11,21) oder betten (4,3). Daniel spricht: „Dann wandte ich mich zu Gott dem Herrn in ernstem Gebet und Flehen und Fasten und Sack und Asche“ (Dan 9,3). Nach Jon 3,5 fasteten alle Bewohner Ninives und zogen den Sack zur Buße an, der König legt den Purpur ab, zieht den Sack an, setzt sich in die Asche und befiehlt ein Fasten (Jon 3,6‒8). Die Buße ist ein spontan ausgedrückter oder auch kollektiv vollzogener (oder angeordneter) Selbstminderungsritus, der sich immer an Jahwe richtet (Joel 1,13–15; 2,12–13). In ihm entsprechen sich äußere Gesten und innere Umkehr (Tob 12,8‒12). Von Hiob einmal abgesehen, setzt die Buße das Wissen um die Verfehlung voraus, die dann zur bewußten rituellen Selbstminderung führt. Der Buße geht insofern die Einsicht der Schuld voran, der dann wirkliche Reue folgt. Die Buße ist begangene Umkehr. Mit dieser Hinwendung zu Gott drückt der Büßende gleichzeitig die Bitte um Errettung aus der Not und Verschonung vor dem drohenden Übel aus (Gen 37,34; Ps 30,12; 36,24; Jer 31,13; Esra 8,21–23; Dan 9,3). In der spiegelbildlichen Komposition des Buches Esther korrespondiert das Bußmotiv dem Aufstiegsmotiv.314 Das angelegte Bußgewand symbolisiert Mordechais stellvertretene Hinwendung zum rettenden Gott (4,1), die Investitur Mordechais mit den angelegten königlichen Kleidern antizipiert dann die Errettung der Juden (8,2.15). Jahwe hat die Klage Israels (4,3) und die Fürbitten von Mordechai (C 8‒11)

312 Vgl. C.A. Moore, Judith, AB 40, Garden City 1985, 147‒155. 313 Vgl. J.A. Goldstein, II Maccabees, AB 41 A, 1983, 200‒211. 314 Vgl. H.M. Wahl, Motiv, 65‒67.

Mordechais Buße und Esthers Einsicht

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und Esther (C 22‒23.30) erhört, die Reue erkannt, die Buße angenommen und sein Volk errettet.315 4,4‒5: Die Reaktion Esthers. Die neuesten Nachrichten sind noch nicht bis in den Palast der Königin vorgedrungen (V 4). Esther hört erst von ihren Dienerinnen und Eunuchen davon, daß ihr Adoptivvater Mordechai im Bußgewand klagend bis vor das Königstor gezogen ist. Näheres weiß sie noch nicht. Auf die Nachricht reagiert Esther mit einem heftigen Schrecken. Die Buße läßt sie nichts Gutes ahnen. Das nur hier in dieser Form belegte Verb bestürzt, heftig erschreckt sein beschreibt eine tiefe ängstliche Erregung. Umgehend schickt sie ihre Eunuchen, um Mordechai das Bußgewand abzunehmen und ihn neu anzukleiden. Ihre erste Reaktion zielt nur darauf hin, das sichtbare Zeichen seiner Buße unkenntlich zu machen. Doch Mordechai lehnt die angebotenen Kleider ab. Esther kann nicht ihren Palast verlassen und zum Königstor gehen; der persönliche Kontakt zu Mordechai ist der Königin verwehrt (V 5). Deshalb schickt sie den vom König für sie bereitgestellten Eunuchen Hatach. Durch ihn läßt sie Mordechai fragen, warum er im Bußgewand klagend vor das Königstor gezogen ist. Wiederum ist die Erzählweise typisch: Esther schickt zunächst die neuen, von Mordechai zurückgewiesenen Kleider, dann erst fragt sie nach dem Anlaß seiner Klage. Der äußere Anlaß wird dem inneren vorangestellt. Diese Darstellungsweise steigert die Spannung. 4,6‒9: Esther befiehlt Hatach zu Mordechai. Hatach geht nun aus dem Palast der Königin durch die Königsstadt vor das Königstor auf den Platz der Stadt (V 6). Dort findet er Mordechai. Auch der Eunuch weiß noch nichts von den Plänen Hamans, deshalb teilt ihm Mordechai diese mit (V 7). Er erzählt von dem geplanten Pogrom und nennt den genauen Betrag der verlockenden Beute aus dem geplünderten jüdischen Vermögen, die Haman dem König in Aussicht gestellt hat. Das Summarium greift das Gespräch zwischen dem König und Haman wieder auf (3,8‒11). Die wiederholten Worte Mordechais verleihen den intriganten Absichten Hamans Nachdruck: Ein zweites Mal, nun aus dem Munde Mordechais, hört der bereits unterrichtete Leser den abgründigen Plan.

315 Vgl. H.J. Elhorst, Die israelitischen Trauerriten, BZAW 27, Gießen 1914, 115‒128; sowie E. Kutsch, „Trauerbräuche“ und „Selbstminderungsriten“ im Alten Testament, BZAW 168, Berlin/New York 1986, 78‒95.

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Auslegung

Um seine Glaubwürdigkeit zu beweisen, gibt Mordechai Hatach für Esther eine Abschrift des in Susa ausgegebenen königlichen Gesetzes mit (V 8). Mit eigenen Augen soll sie das die Ausrottung der Juden befehlende Dekret sehen. Der Gesetzestext ist die zentrale Requisite der Szene. Mit dieser Zeichenhandlung will Mordechai die Königin dazu bewegen, demütig die Gunst des Königs zu erflehen und sich bei ihm für ihr Volk zu verwenden (Ex 4,14‒16; 7,1‒2). Mit seiner Bitte macht Mordechai seine geistliche Autorität gegenüber der Königin geltend. Zwar ist Esther mit ihrer Heirat rechtlich von ihrem Adoptivvater Mordechai unabhängig (2,7.17), aber er hofft, daß sie seine Mahnung hört und seinen Rat annimmt. Unmißverständlich erinnert Mordechai Esther in der griechischen Tradition daran, daß er sie erzogen hat, dann fordert er die Königin auf, für ihr Volk zu beten (B 4,8). Der Bote Hatach überbringt Esther den Erlaß und teilt ihr die Worte Mordechais mit (V 9). 4,10‒12: Esther befiehlt Hatach erneut zu Mordechai. Wiederum führt die Handlung nicht gleich zum Ziel (V 10). Auf die Rede Mordechais entgegnet Esther mit ihren Bedenken, die sie Hatach vorträgt. Mit einer kunstvoll eingeleiteten Formulierung erläutert die Königin ihren Einwand. Gleichzeitig gewährt sie Einblicke in das persische Hofprotokoll: Ein jeder Satrap, Fürst, Höfling, ja ganz Persien weiß, daß niemand ungerufen in den Vorhof (Apadana) des Königs kommen darf, in dem er seine Gäste empfängt (5,1.2; 6,4).316 Nach einer königlichen Anordnung kann der Ungerufene sogar mit dem Tode für sein Vergehen bestraft werden. Es sei denn, der König streckt ihm als Zeichen dafür, den Besucher zu empfangen, sein goldenes Zepter entgegen. Das Zepter ist ein Langstab mit goldenem Knauf (5,2; 8,4). Nur wenn der ungerufene Eindringling die Gunst des Königs erlangt, wird sein Leben verschont (V 11). Erst nachdem Esther Mordechai über die strenge höfische Ordnung unterrichtet hat, fährt sie begründend fort, daß der König sie selbst schon über einen Monat nicht mehr zu sich gerufen hat (V 11). Zur Verstärkung der Rede leitet sie ihre Begründung mit einer doppelten Betonung ein und ich, selbst ich, die Königin, bin dreißig Tage nicht mehr gerufen worden. Selbst die Königin genießt bei der Audienz keine Sonderrechte, für sie gilt gleichermaßen das strenge Hofprotokoll. Schon droht die Bitte Mordechais um die Fürsprache Esthers von der Königin abgewiesen zu werden. Als Begründung für ihre Ablehnung wirft Esther ihr 316 Vgl. H. Koch, Persepolis, 23‒41 (reich illustriert).

Mordechais Buße und Esthers Einsicht

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eigenes Leben in die Waagschale. Sollte Mordechai sie etwa bitten, sich über das Gesetz des Königs hinwegzusetzen und dabei ihr eigenes Leben zu gefährden? Das Protokoll für die Audienz am persischen Hof ist außerbiblisch belegt (V 11). Nach Herodot gewährt nur der rigoros herrschende Deiokes niemandem eine Audienz, er regelt alles durch Boten (Historien, I, 99). An anderer Stelle erzählt Herodot jedoch, daß angesehene Männer von der Palastwache den Zutritt in den Innenhof des Königspalastes zwar gewährt bekommen, aber auch für ihre unangemeldete Visite getadelt werden. Im Vorhof, der Empfangshalle angekommen, müssen sie ihr Anliegen erst den königlichen Eunuchen mit der Bitte um eine Audienz vortragen (Historien, III, 72.77). Bei anderer Gelegenheit überbringen die Torwächter dem König die Bitte um eine Audienz (Historien, III, 140). Ein Audienzverbot für Mitglieder der königlichen Familie ist nach Herodot unwahrscheinlich, genießen doch die sieben höchsten Beamten (1,13‒14) das Vorrecht, jederzeit den König aufsuchen zu dürfen (Historien, III, 84.118). Diese Regelung bestätigt Josephus, wonach nur die gemeinen Untertanen mit dem Tod bestraft werden können, wenn sie ungerufen vor den König treten. Für die in Königswürde gekleidete Esther gilt dieses Gesetz deshalb nicht (Ant 11, 226.238). Diese Quellen bestätigt die Erzählung selbst, kommt doch auch der Statthalter Haman unangemeldet in den Vorhof des Königspalastes (6,4; II Reg 5,1–6.7.10). Das Motiv der durch den unaufgeforderten Besuch verursachten Todesbedrohung Esthers steigert die Spannung und spitzt die Situation zu (V 11). Wie Mordechais Leben wiederholt bedroht ist (3,6; 5,14), so nun auch die Existenz Esthers. Das bedrohte Leben Esthers und das bedrohte Leben des jüdischen Volkes liegen in einer Waagschaale und werden gegeneinander abgewogen. Hatach übermittelt Mordechai die Einwände der Königin (V 12). 4,13‒17: Mordechais Rede und Esthers Antwort. Harsch reagiert der Jude auf die ausweichende Antwort der Königin (V 13). Ohne einleitende Redefigur, ohne jede Höflichkeitsformel erhebt Mordechai seine Stimme mit einem mächtigen Imperativ, in dem er ihr vordergründiges Argument erkennt und ihre ausweichende Antwort wegwischt. In seiner Rede klingt unausgesprochen das Motiv der verschwiegenen Herkunft Esthers wieder an (2,10.20). Sein Gedankengang ist klar: Wenn das Leben aller Juden im persischen Reich bedroht ist, wird auch die jüdische Königin getötet. Esther hat nun die Wahl: Sie kann ihr Leben gefährden, vor den König treten und auf seine Gunst

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Auslegung

hoffen, oder sie kann das Pogrom untätig geschehen lassen und dann ihr Leben auch verlieren (V 13). Endlich erweitert Mordechai seinen Gedankengang: Er greift die verständliche Angst der Königin auf und führt ihr die Konsequenzen für das ganze Volk vor Augen (V 14).317 Doch zunächst spricht er zuversichtlich davon, daß auch wenn Esther nicht vor dem Köng für ihr Volk bittet, Rettung und Befreiung von einem anderen Ort her kommen wird. Die hoffnungsvollen Worte des Juden Mordechai sind die deutlichste Anspielung auf Jahwe im Buche Esther, das ansonsten den Gottesnamen und alle Derivate vermeidet. Lange Zeit galt der Topos als einzige Gottesbezeichnung im Estherbuch, da in der rabbinischen Literatur der Ort ein Synonym für Jahwe ist (San 14b; Yom 38a; Shab 40b; b Meg 29a; AZ 40b).318 Allerdings ist es fraglich, ob dem talmudischen entspricht, da der Ausdruck nicht wie eine Gottesbezeichnung verwendet wird. Dagegen spricht auch, daß der Kontext die menschliche und nicht die göttliche Handlung betont.319 Zudem bleibt offen, ob es sich bei um eine Vorform der bei Philon (gest. um 50 n. Chr.) zuerst belegten Gottesbezeichnung handelt.320 Selbst wenn sich mit dem Topos keine eindeutige Gottesbezeichnung verbinden sollte, weist jedoch die von Mordechai ausgedrückte Hoffnung auf Rettung von einem anderen Ort über die Möglichkeit menschlichen Handelns hinaus, setzt ja gerade die im Konditionalsatz ausgesprochene Zuversicht die Untätigkeit der Königin Esther voraus: Auch wenn die Königin schweigt und tatenlos das drohende Unheil über die Juden ergehen läßt, auch wenn alle Hoffnung auf menschliche Vermittlung versiegt, wird Israel von einem anderen Ort her befreit (V 14).321 Bewußt ist diese Hoffnung offen formuliert: Wenn selbst die jüdische Königin, die mächtigste Frau des bekannten Erdkreises, ihren Einsatz für das Gottesvolk, ihren eigenen Samen, versagt, können gläubige Juden nur auf den Gott Israels hoffen, zumal die Erinnerung, daß sich die Könige Israels gegen Jahwe verfehlt haben, noch lebendig gewesen ist. Diese Zuversicht gründet sich gleichermaßen sowohl auf die Jahwe selbst gegebene und immer wieder erneuerte Segens-, Beistands- und Mehrungsverheißung (Gen 1,28; 12,1‒3; 13,16; 317 Vgl. zur schwierigen Lesart des Verses J.M. Wiebe, Esther 4,14, 409‒415. 318 Vgl. A. Spanier, Die Gottesbezeichnungen und in der frühtalmudischen Literatur, MGWJ 66 (1922), 310‒314 (umfangreiche Stellenangaben). 319 Vgl. P.R. Ackroyd, Two Hebrew Notes, ASTI 5, 1967, 82‒84. 320 Vgl. zur rabbinischen Auslegung B.M. Zlotowitz, Esther, 79‒81. 321 Vgl. H.M. Wahl, Glaube, 44‒45.

Mordechais Buße und Esthers Einsicht

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17,6; 22,16‒18; 28,14‒15; 35,11; 39,2‒4; Ex 32,13‒14; Jer 31,31‒37)322 als auch auf die Zusage der Erwählung des Gottesvolkes (Dt 7,6‒7; Ps 33,12; 47,5; Jes 41,8‒9; 43,10; Ez 20,5)323. Die griechische Tradition fügt an dieser Nahtstelle das Motiv des Gerichtes und der Rettungsgewißheit ein (V 14.16). Die drohende Situation verweist auf Gott: Mordechai mahnt die Königin, daß Gott selbst das Königshaus vernichten, aber sein Volk erretten wird, wenn Esther sich weigert, sich für ihr Volk einzusetzen (A 4,9). In ihrer Zusage bittet die bekehrte Königin dann Mordechai darum, mit der Gemeinde Susas einen Bittgottesdienst zu feiern und mit ganzem Herzen inniglich zu Gott zu beten (A 4,11). Von A 4,9.11 ist auch Josephus abhängig, der die Anspielung in V 14 auf Jahwe deutet. Wenn sich Esther nicht für ihr Volk einsetzt, wird sie selbst zugrunde gehen. Der Gott Israels jedoch wird sein Volk auch ohne ihre Hilfe retten (Ant 11, 227). An dieses Bekenntnis der Gottesgewißheit schließt Josephus in Anlehnung an C 1.12‒13 ein Gebet Mordechais und Esthers an: Mordechai bittet Gott, dem Volk die Sünden zu vergeben und es aus der Todesnot zu erretten (Ant 11, 229‒231); Esther fleht zu Gott, er möge ihren Liebreiz stärken, damit sie den Zorn des Königs beschwichtigen kann. Dann bittet sie, Gott möge dem König den Haß gegen die Judenfeinde wecken (Ant 11, 232‒233). Seine Rede beschließt Mordechai mit einer an Esther gerichteten Frage, in der er auch auf Jahwes Wirken in der Geschichte anspielt (V 14): Doch wer weiß, ob du nicht für eine Zeit wie diese zur Königsherrschaft gelangt bist? Schon die beiden ersten Worte der Frage wer weiß suggerieren das für den Menschen nicht kalkulierbare, aber erhoffte Eingreifen Gottes (II Sam 12,22; Joel 2,14; Jon 3,9). Die Frage wird getragen von der unbeirrbaren Zuversicht jüdischen Glaubens, daß der Gott Israels auch Esther ‒ wie schon Joseph, Moses, Kyros und Nebukadnezar vor ihr ‒ als seinen rechten Arm zur Rettung seines Volkes gebrauchen wird (Ex 3,2‒22; Jes 44,28‒45,1; Jer 25,9‒11; Esr 1,1‒2). Das Motiv der Errettung spricht Joseph vor seinen Brüdern selbst an, die ihm nur Böses wollten (Gen 50,19‒21), Jahwe ihn aber zum Statthalter des Pharaos machte, um seine Brüder und ganz Israel vor dem sicheren Hungerstod zu bewahren (Gen 45,5‒8). Mit dieser rhetorischen Frage

322 Vgl. C. Westermann, Die Verheißungen an die Väter, FRLANT 116, Göttingen 1976, 92‒150. 323 Vgl. O. Kaiser, Der Gott des Alten Testaments, Bd. 2, UTB 2024, Göttingen 1998, 49‒63.

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Auslegung

weckt Mordechai bei Esther die Hoffnung auf die Errettung aus der Todesnot.324 Nach den ohne jedes Pathos vorgetragenen Worten Mordechais zögert Esther nun nicht länger (V 15‒16). Seine eindringliche Rede hat ihren Zweifel vertrieben. Sofort schreitet die Königin zur Tat. Sie befiehlt einen Boten zu sich, Mordechai die ersehnte Zusage zu überbringen (V 15). Ihr Entschluß steht fest: Die Königin will sich vor Achashverosh stellvertretend für ihr Volk verwenden. Doch die entscheidende Begegnung will gründlich vorbereitet sein. Endlich bittet Esther nun ihrerseits Mordechai (A 4,11), die jüdische Gemeinde Susas zu versammeln (9,18)325, um drei Tage und Nächte lang stellvertretend für sie zu fasten (Jes 58,1–9).326 Gleichzeitig will sich Esther mit ihren Dienerinnen fastend auf die Audienz vorbereiten. Daß die versammelten Juden in ihrem Versammlungshaus (Tempel) nicht nur fasten, hören wir selbstverständlich mit: Unausgesprochen werden die traditionellen Bittgebete, die Fürbitten und Klagelieder vorausgesetzt, auf die schließlich die griechische Überlieferung hinweist (A 4,11; C 1‒11.12‒30; I Sam 7,6; Jer 14,12, Joel 1,14; Neh 9,1‒3; 2 Targ Est 4,16).327 Nach dieser Vorbereitung will sich Esther sogar über das Hofprotokoll hinwegsetzten (4,11; 5,1; 6,4) und ungerufen zum König gehen, um ihn um eine Unterredung bitten (V 16). Entschlossen blickt sie der Gefahr ins Auge, daß der König dies mit dem Tod bestrafen könnte. Esthers Rede endet mit einem rhetorischen Höhepunkt. Mutig klingt ihr emphatischer Ausruf, rhetorisch eine Anadiplosis, mit dem sie bekräftigt, daß sie ihr Leben nun für das Leben ihres Volkes einsetzen wird: Wenn ich umkomme, komme ich um! (Gen 43,14).328 Ein Summarium schließt die Szene ab (V 17). Umgehend erfüllt Mordechai die Bitte der Königin, versammelt die Juden der Stadt, er fastet mit ihnen und betet mit der Gemeinde für sie (A 4,11).329 Die griechische Tradition fügt in den Zusätzen das Gebet Mordechais hinzu: In ihm bittet der fromme Jude den Herrscher des Himmels und der Erden darum, Israel aus der Todesnot zu befreien (C 1‒11; Dan 9,3‒4). Auch Königin Esther fleht nach einem Sündenbekenntnis Jahwe an, sich an sein erwähltes Volk zu erinnern und es zu bewahren (C 12‒30; Jdt 324 325 326 327

Vgl. W. Dommershausen, Estherrolle, 75. Vgl. H.M. Wahl, Jahwe, 16‒17. Vgl. zu den kalendarischen Angaben N.L. Collins, Esther, 558‒561. Vgl. E. Gerstenberger, Der bittende Mensch, WMANT 51, Neukirchen-Vluyn 1980, 134‒147. 328 Vgl. A. Siquans, Rolle, 77‒89. 329 Vgl. P.D. Hanson, Volk, 312‒339.

Mordechais Buße und Esthers Einsicht

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9,1‒15).330 Die von Mordechai und Esther vollzogene Buße mit ihren langen Gebeten (C 1‒30) bilden zusammen mit der Petition der Königin (D 1‒16) die Mitte der erweiterten griechischen Überlieferung. 4,1‒17: Ausblick. Mit dem spontan geäußerten Selbstminderungsritus Mordechais bereitet sich in einer für die Juden des persischen Reiches scheinbar hoffnungslosen Situation die Wende vor, mit einem kollektiven Buß- und Bittritus endet das eindringliche Gespräch, die intime Szene zwischen Mordechai und Esther. Stand am Anfang mit Mordechai der einzelne Mensch im Bußgewand klagend vor dem Tor des Königs, ist es nun die bekennende jüdische Gemeinde, die sich gemeinsam zu ihrem Gott hinwendet. Mordechai fastet und betet mit den jüdischen Männern Susas im (nicht erwähnten, aber vorausgesetzten) Versammlungshaus, Esther fastet und betet mit ihren (jüdischen?) Dienerinnen im Königinnenpalast: Symbolisch sind die beiden architektonischen Insignien der Macht, Palast und Tempel, in den jüdischen Protagonisten und den Orten ihrer Sammlung vereint (Hag 2,4). So wenig wie Mordechai zögerte, sein Bußgewand anzulegen, so entschlossen scheint endlich die anfangs ausweichende Esther nun ihr Leben einzusetzten, um sich beim König für ihr Volk zu verwenden. Immer wieder schimmert die vom tiefen Glauben Mordechais getragene Zuversicht durch, daß der Gott Israels sein Volk retten wird. Die Umkehr der Juden Persiens wendet das Drama. Doch noch steht die entscheidende Begegnung Esthers mit dem König aus, noch ist alles offen.

330 Vgl. L. Day, Faces, 174‒180; 187‒189.

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Auslegung

7. Esther bereitet ihre Petition beim König vor (5,1‒8) Esther bereitet ihre Petition beim König vor [331] D 1 Und es geschah am dritten Tag, daß sie, nachdem sie aufgehört hatte zu beten, die gottesdienstlichen Kleider auszog und ihr Herrschaft(sgewand) anlegte. 2 Und nachdem sie (so wieder) prächtig geworden war und den alles behütenden Gott und Retter angerufen hatte, nahm sie die zwei Leibzofen mit ‒ 3 und zwar stützte sie sich auf die eine wie eine vornehme Dame, 4 während die zweite als Schleppenträgerin folgte. 5 Und sie war in ihrer wunderbaren Schönheit erblüht, und ihr Gesicht war heiter, als wäre sie willkommen; ihr Herz aber war beklommen vor Furcht. 6 Nachdem sie alle Türen durchschritten hatte, trat sie vor den König. Dieser saß auf seinem Königsthron, bekleidet mit seinem vollständigen Erscheinungsgewand, so daß er vollständig mit Gold und kostbaren Steinen bedeckt war; und er sah überaus furchterregend aus. 7 Nachdem er sein von Herrlichkeit umlohtes Gesicht erhoben hatte, schaute er mit größtem Zorn. Da brach die Königin zusammen und wurde blaß, weil ihre Kraft schwand. Und sie stützte sich auf den Kopf der Leibzofe, die voranging. 8 Aber Gott stimmte den König milde. Und er sprang voll Sorge von seinem Thron auf und nahm sie in seine Arme, bis sie sich wieder hinstellte. Und er sprach ihr mit beruhigenden Worten Mut zu 9 und sagte zu ihr: ‚Was ist, Esther? Ich bin dein Bruder, sei getrost! 10 Du wirst gewiß nicht sterben, denn unser Befehl gilt (nur) für die Allgemeinheit. 11 Komm her!‘ 12 Und nachdem er das goldene Zepter erhoben hatte, legte er es auf ihren Nacken, wandte sich ihr freundlich zu und sagte: ‚Sprich zu mir!‘ 13 Und sie sagte ihm: ‚Ich sah dich, Herr, wie einen Engel Gottes, und mein Herz erschrak aus Furcht vor deiner Herrlichkeit. 14 Denn du bist wunderbar, Herr, und dein Gesicht strahlt von Gunst.‘ 15 Als sie so redete, brach sie zusammen, weil ihre Kraft schwand. 16 Aber der König erschrak, und sein ganzer Hofstaat sprach ihr Mut zu. [332]

331 Der vierte Zusatz (D 1‒16): Zwischen 4,17 und 5,1 schiebt die griechische Tradition zwei lange Zusätze (C 1‒30; D 1‒16) ein, die das Schwergewicht der Komposition erheblich verlagern. Nach den Gebeten von Mordechai (C 1‒11) und Esther (C 12‒30) berichtet der Erzähler nun, wie Esther den König aufsucht. Zuvor aber wird der Dichter redaktionell tätig. Um den Zusatz einzufügen, paraphrasiert er 5,1‒2 nach M (D 1‒2), an die sich nahtlos sein Bericht anschließt (D 3‒16). Von zwei Dienerinnen begleitet tritt die in voller Pracht erscheinende Esther vor den auf seinem Thron sitzenden König (D 3‒6). Als die Königin beim Anblick des zornigen Gemahles ohnmächtig wird, stimmt Gott ihn milde (D 7‒8). Erneut fällt die erwachte Esther in Ohnmacht, so daß sich Achashverosh um ihr Leben sorgt (D 9‒16). An diese theatralische Szene schließt sich dann der Dialog zwischen König und Königin in 5,3‒5 an (vgl. I. Kottsieper, Zusätze, 179‒186; J.D. Levenson, Esther, 86‒88; C.A. Moore, Daniel, 216‒222). 332 Übersetzung nach I. Kottsieper, Zusätze, 179.

Esther bereitet ihre Petition beim König vor

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5,1 Es geschah am dritten Tag, da legte Esther königliches Gewand an, so trat sie in den inneren Hof des Königspalastes, gegenüber dem Haus des Königs. Der König aber saß auf seinem Königsthron im Königshaus, gegenüber dem Eingang des Hauses. 2 Als der König Esther, die Königin, im Hof stehen sah, fand sie Gunst in seinen Augen. Da streckte der König Esther das goldene Zepter entgegen, das in seiner Hand war. Esther näherte sich, und sie berührte die Spitze des Zepters. 3 Da sprach der König zu ihr: „Was ist mit dir, Königin Esther? Was ist dein Begehren? Bis zur Hälfte des Königreiches, es sei dir gegeben.“333 4 Esther sprach: „Wenn es dem König gefällt, komme der König und Haman heute zu einem Gastmahl, das ich für ihn gemacht habe.“ 5a Der König sprach: „Holt eilends den Haman, um zu tun, was Esther gesagt hat.“ 5,5b So kamen der König und Haman zum Gastmahl, das Esther gemacht hat. 6 Da sprach der König beim Gelage des Weines zu Esther: „Was ist dein Wunsch? Es sei dir gegeben. Was ist dein Begehren? Bis zur Hälfte des Königreiches, es sei getan.“ 7 Da entgegnete Esther und sprach: „Meine Bitte und mein Begehren –, 8 wenn ich Gunst in den Augen des Königs finde, und wenn es dem König gut scheint, meine Bitte zu geben und mein Begehren zu tun, möge der König und Haman zum Gastmahl kommen, das ich ihnen machen werde.334 Morgen mache ich es nach dem Wort des Königs.“ 5,1‒8: Hinführung. Ging es in dem eindringlichen Gespräch zwischen Esther und Mordechai soeben noch um Tod oder Leben der beiden Protagonisten und aller als Juden bekannten Gläubigen im persischen Reich, wechselt nun die Szene und mit ihr die Stimmung. Eindringlich ist das Gespräch zwischen dem König und seiner Königin. Liest man die beiden Szenen für sich, entbehren sie jeder Dramatik. Doch vor dem Hintergrund des drohenden Pogroms hängt von der Begegnung mit dem König und der gelingenden Petition Esthers Wohl und Wehe des jüdischen Volkes ab. Dieser Gegensatz zwischen der existentiellen Not der Juden einerseits und andererseits der Unbefangenheit des Königs, die ja die Gemütslage des tatsächlich ahnungslosen Monarchen widerspiegelt, steigert die Spannung. Daß Esther vor der eigentlichen Unterredung ein Gelage ausrichtet, um bei dieser Gelegenheit den König und Haman erst dann zu einem weiteren Gastmahl einzuladen, verzögert die Handlung und steigert die Dramatik. So en333 M ad chazi hamalchut ist eine Hyperbel. 334 V 7‒8 mit doppeltem, durch im gebildeten Konditionalsatz ist die ausführlichste Höflichkeitsformel des Buches (5,3.6; 7,2.3‒4).

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Auslegung

det die zweite Szene auch mit einem Ausblick auf das am folgenden Tag von der Königin für Achashverosh auszurichtende Gastmahl, zu dem Haman ebenfalls eingeladen ist. 5,1‒5a: Esther lädt den König und Haman zum Gastmahl. Nach drei Tagen ist Esther für die Begegnung mit dem König gerüstet (V 1).335 Es sind die drei Tage gemeint, in denen Esther und ihre Dienerinnen sowie Mordechai und die jüdische Gemeinde Susas sich fastend und betend auf dieses sowohl über Leben und Tod Esthers (4,11) als auch über Leben und Tod aller Juden (3,6; 4,7) entscheidende Ereignis vorbereitet haben (4,16).336 Ausführlich beschreiben die Zusätze und Josephus den Bußritus, mit dem sich die Königin an Jahwe wendet und ihren Gott um Erbarmen fleht (C 12‒14; D 1‒2).337 Über die biblische Tradition hinaus berichten beide Überlieferungen, daß Esther in diesen Tagen in Trauerkleider gehüllt war (Ant 11, 231‒232.234). Wie Esther bereitet sich auch Judith betend und fastend auf ihren Besuch bei Holophernes vor, legt dann das Bußgewand ab, putzt sich, legt Festgewänder an und macht sich schön (Jdt 10,1‒5; 12,6‒9; Dan 1,8).338 Auch Esther streift mit dem Gewand die Buße ab (V 1). Sie legt ihre königliche Kleider an und bereitet sich auf die Begegnung mit Achashverosh vor. Innerlich und äußerlich bereitet tritt sie dann in den Hof, den Empfangssaal (Apadana) des Königspalastes gegenüber der königlichen Residenz (4,11).339 Damit setzt sie ihr eigenes Leben aufs Spiel: Findet sie in den Augen des Königs keine Gunst, kann der König sie für ihr unaufgefordertes Erscheinen mit dem Tod bestrafen (Ex 10,28).340 Ihr Tod würde vermutlich auch den Tod für alle Juden bedeuten, denn wer sollte das geplante Pogrom dann noch aufhalten? Kein Wort beschreibt die inneren Regungen der Königin, die Erzählung schreitet allein durch die Handlung voran. Jetzt steht das Drama auf des Messers Schneide.341 Die Zusätze schmücken die Begegnung von Esther und Achashverosh breit aus und teilen sogar die Gefühle der Königin mit: Nachdem 335 336 337 338

Vgl. zu den kalendarischen Problemen N.L. Collins, Esther, 558‒561. Vgl. Sh. Talmon, Wisdom, 428‒429. Vgl. den Exkurs 7 (S. 113–117). Vgl. C.A. Moore, Judith, AB 40, Garden City 1985, 199‒201, 218‒220; J.E. Goldingay, Daniel, WBC 30, Dallas 1989, 18‒19. 339 Vgl. H. Koch, Persepolis, 23‒41 (reich illustriert). 340 Vgl. K.M. Craig, Reading Esther, 94‒97. 341 Vgl. L. Day, Faces, 180‒187.

Esther bereitet ihre Petition beim König vor

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Esther ihr Bußgewand abgelegt hat, zieht sie prächtige Kleider an und macht sich mit zwei Zofen auf den Weg zum Thronsaal (D 1‒2). „Und sie selbst erstrahlte in der Vollkraft ihrer Schöheit, und ihr Gesichtsausdruck war heiter, wie von guter Laune (geprägt), aber ihr Herz war von Furcht beengt“ (D 5).342 Von der Pracht des Thrones und dem Anblick des zornigen Königs erschüttert, bricht Esther vor Schwäche zusammen (D 6‒7). Doch „Gott wandelte des Königs Sinn in Sanftmut“ (D 8), so daß er besorgt seine Frau in die Arme schließt und sie tröstet: Jahwe hat Esthers Bitte erhört (C 24). Als die Königin nach wenigen Worten erneut zusammenbricht (D 13‒15), erschreckt Achashverosh und mit ihm sein ganzer Hofstaat (D 16).343 Wie die Rabbinen berichten, wird die Königin für ihren schweren Gang mit dem heiligen Geist ausgerüstet (V 1). „Es sollte doch heißen: in königliche Gewänder!? R. Eleázar erwiderte im Namen R. Chaninas: Dies lehrt, daß sie sich mit dem heiligen Geiste kleidete, denn hier heißt es kleidete und dort heißt es: und ein Geist bekleidete Amasaj“ (b Meg 15a).344 Diese Deutung wurzelt in der biblischen Tradition. Schon die späte Literatur beschreibt in zwei ähnlichen Fällen, wie Jahwe Menschen in entscheidenden Situationen mit seinem Geist beseelt: Nachdem alle Weisen und Mantiker ratlos sind, kann Joseph als einziger die Träume des Pharaos deuten (Gen 40,8; 41,16.38). Auch die tapfere Judith rüstet Jahwe für ihre Begegnung mit dem Feldhauptmann Holophernes mit Anmut und Gottesfurcht aus (Jdt 10,1.8‒9).345 Doch alle Sorge Esthers ist unbegründet. Im königlichen Gewand erkennt Achashverosh seine schöne und anmutige Königin sofort und streckt ihr spontan sein Zepter zum Zeichen der Billigung ihres unangemeldeten Besuches entgegen (V 2). Das nur viermal in Esther und einmal in Sirach belegte Wort Stab, Zepter ist wohl ein auf eine akkadische Vorform zurückgehendes aramäisches Lehnwort.346 Vermutlich ist das Zepter ein Langstab mit einem goldenen Knauf. Als

342 Übersetzung hier und im folgenden nach H. Bardtke. 343 Josephus erzählt die in den Zusätzen geschilderte Begegnung fast wörtlich nach (Ant 11, 234‒238). 344 Übersetzung nach L. Goldschmidt. 345 Vgl. C.A. Moore, Judith, AB 40, Garden City 1985, 199‒202. 346 So schon Th. Nöldeke, Rez. E. Kautzsch, Die Aramaismen, ZDMG 57 (1903), 417; dann M. Wagner, Die lexikalischen und grammatikalischen Aramaismen im alttestamentlichen Hebräisch, BZAW 96, Berlin 1966, 116. Nach J.M. Sasson, A Note on ŠARBÎT9, VT 22, 1972, 111, ist das Verb aber von der semitischen Wurzel *rb to tie, bind abgeleitet.

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Auslegung

Herrscherstab symbolisiert das Zepter die höchste Gewalt im persischen Großreich (4,11; 8,4; C 22; Sir 37,17). Als unerläßliche Requisite wird das Zepter immer bei Audienzen des Königs erwähnt (V 2). Achashverosh legt das Zepter auf Esthers Nacken, um sie freundlich zu begrüßen (D 11). Diese Geste bestätigt, daß es sich bei einer unangemeldeten Audienz tatsächlich so verhält, wie Esther es Mordechai beschrieben hat (4,11; D 10). So spontan Esther bei der Brautschau die Gunst des Königs gewann (2,17), so spontan findet sie auch nun das Wohlgefallen des Königs. Beide Verse verwenden die gleiche Redewendung, sie fand Gunst in seinen Augen (2,15.17). Mit dem entsprechenden Gebaren und sicherlich auch mit der ihr eigenen Anmut nähert sich Esther erleichtert dem König und berührt zum Zeichen ihrer Demut die Spitze seines Zepters (8,4).347 Nach dieser protokollarischen Annäherung steht sie nun vor ihm (V 3). Umgehend eröffnet Achashverosh das Gespräch und richtet das Wort an seine Königin. Ohne eine einleitende Höflichkeitsform erkundigt er sich in einer doppelten Frage nach ihrem Anliegen (Ri 18,3.23‒24; Ez 18,2; Jon 1,6). Ermutigend fügt er hinzu, ihr jeden Wunsch bis zur Hälfte seines Königreiches zu erfüllen. Die dreimal in Esther belegte Formel (V 3.6; 7,2) ist sicherlich nicht ganz wörtlich zu nehmen, sie deutet jedoch die grundsätzliche Bereitschaft des Königs an, Esther eine Bitte zu gewähren (9,12; Mk 6,25‒26). Bestärkend beschließt der König seine kurze Rede. Das Motiv der gewährten Bitte und reicher Geschenke des Königs belegt auch Herodot. Er erzählt, daß Xerxes seiner Nebenfrau Artaynte für ihre Dienste zuerst jede Bitte gewährt und ihr in einer delikaten Situation schließlich sogar ganze Städte und viel Gold anbietet (Historien, IX, 109). Nun darf Esther ihre Bitte aussprechen (V 4). Ihr eigentliches Anliegen trägt die Kluge nicht unvorbereitet vor, sorgsam will sie zuerst den König und Haman in den Königinnenpalast zu einem Gastmahl einladen. Von einem kurzen Konditionalsatz eingeleitet, bittet die Königin ihren Gemahl höflich, mit Haman am Abend desselben Tages zu einem Gastmahl in ihren Palast zu kommen. Die Einladung Hamans löst bei den Rabbinen eine vielstimmige Diskussion aus. Insgesamt tragen die jüdischen Gelehrten 12 Gründe zusammen, die sich wie ein einziges Florilegium lesen: „Die Rabbanan lehrten: Was veranlaßte Ester, Haman einzuladen? R. Eliézer erklärte: Sie wollte ihm eine Schlinge legen, denn es heißt: möge ihr Tisch vor ihnen zur Schlinge werden. R. Jehoshua erklärte: Sie hatte es in ihrem väterlichen Hause gelernt, denn es heißt: ist dein Feind hungrig, so speise ihn mit 347 Vgl. dazu I. Katzenellenbogen, Esther, 25.

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Brot. R. Meir erklärte: Damit er sich nicht Rat hole und sich [gegen den König] auflehne. R. Jehuda erklärte: Damit man nicht merke, daß sie Jüdin sei. R. Nechemja erklärte: Damit die Israeliten nicht sagen: wir haben im königlichen Palaste eine Schwester und so ihre Gedanken vom [göttlichen] Erbarmen abwenden. R. Jose erklärte: Damit sie ihn stets vor sich habe. R. Shimón b. Menasja erklärte: Damit Gott dies beachte und ein Wunder geschehen lasse. R. Jehoshuá b. Qorcha erklärte: Sie wollte ihm ein freundliches Gesicht zeigen, damit er und sie getötet würden. R. Gamliél erklärte: Er war ein leichtsinniger Herrscher. R. Gamliél sprach: Wir brauchen immer noch des Modäers. Es wird nämlich gelehrt: R. Eliézer aus Modaim erklärte: Sie machte den König eifersüchtig, und sie machte die Fürsten eifersüchtig. Rabba erklärte: Dem Sturze geht Stolz voran. Abajje und Raba erklärten: Wenn sie glühen, will ich ihnen ein Mahl bereiten. Rabba b. Abuha traf Elijahu und fragte ihn, welche Absichten von all diesen Ester wirklich hatte. Dieser erwiderte: Alle von den Tannaim und Amoraim genannten“ (b Meg 15b).348

Die Reaktion des Königs überrascht Esther und zerstreut zugleich alle ihre Befürchtungen (V 5a). Der König, der seine Königin immerhin dreißig Tage lang nicht hat zu sich rufen lassen, wartet auf nichts sehnlicher als auf eine Einladung. Eilig befiehlt er einen Diener, um den mit ihm eingeladenen Statthalter Haman von der abendlichen Verabredung zu unterrichten. Offensichtlich handelt es sich bei diesem ersten Treffen um ein Weingelage (5,6). Esther will die Stimmung des Gelages nutzen, um dem König dann die Einladung zu einem ausgiebigen Gastmahl auszusprechen, bei dem sie endlich ihr eigentliches Anliegen vorbringen kann. In weinseliger Laune kann der König Esther schwerlich einen Wunsch absprechen, noch, wo das Gelage in ihrem Palast stattfindet, und er ihr als geladener Gast eine Bitte höflicherweise nicht ausschlagen kann. Die diplomatisch Kluge hat gezielt geplant, wie sie vorgeht. Die ersten beiden Schritte hat sie souverän getan: Der König hat sie freundlich empfangen und folgt ihrer Einladung zum abendlichen Umtrunk. Exkurs 8: Das Gastmahl (

)

Das hebräische Wort mishtäh ist eine Nominalform des Verbes trinken und bedeutet Trink- oder Weingelage, im weiteren Sinn auch Gastmahl, bei dem in Esther nach Protokoll (1,7‒8) auf einem Lager (7,8) Wein getrunken wird (3,15; 5,4‒6; 7,1‒2.7‒8). Im Alten Testament ist das Wort nur 46-mal belegt, davon entfallen fast die Hälfte aller Belege auf das Buch Esther. Mishtäh ist eines der 348 Übersetzung nach L. Goldschmidt.

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Auslegung

Lieblingswörter des Dichters. Mehrfach kommt es nur noch in der Genesis mit 5 (Gen 19,3; 21,8; 26,30; 29,22; 40,20) und Daniel mit 4 Belegen vor (Dan 1,5.8.10.16). Das Wort ist bei den Propheten nur vereinzelt (Jes 5,12; 25,6; Jer 16,8; 51,39) und im Psalter gar nicht belegt.349 Bei Daniel wird das Wort im Zusammenhang mit den jüdischen Speisevorschriften verwendet (Dan 1,5.8.10.16). Holofernes, der Oberbefehlshaber des assyrischen Heeres, lädt die fromme Judith zu einem Gastmahl, um die Schöne zu verführen (Jdt 12,10‒20). Neben dem Buch Esther spielt das Gastmahl als Kommunikationsform in den Vätererzählungen als Gastmahl (Gen 19,3) bei Vertragsabschluß (Gen 26,30), als rites de passage bei der Entwöhnungsfeier (Gen 21,8), bei einer Hochzeit (Gen 29,22) und beim Geburtstagsfest des Pharaos (Gen 40,20) eine wichtige Rolle. Wie sich ein Gast bei einem Gastmahl verhalten soll, behandelt ausführlich Jesus Sirach (Sir 31,12‒32,13).350 Fast alle wesentlichen Impulse des Estherbuches gehen von den Zusammenkünften bei Gastmählern aus: Schon die Exposition berichtet von einem ausgiebigen Gastmahl, das der König im Palast zu Susa für die Oberen ausrichtet (1,3). Das sich anschließende zweite Gastmahl des Königs erweitert den Kreis auf den Hofstaat (1,5). Offensichtlich wird nach Geschlechtern getrennt gefeiert, da Königin Vasthti für die Frauen ein eigenes Gastmahl im Königinnenpalast ausrichtet (1,9). Bei diesem Gastmahl kommt dem König schließlich die Idee, Vashti in den Königspalast zu bitten. Ihre Weigerung ist der erste Konflikt und somit der Ausgangspunkt für das Drama. Mit einem Gastmahl wird auch die Krönung Esthers mit allen Oberen und Dienern im Palast gefeiert (2,18). Trinkend bestätigen der König und Haman das geplante Pogrom (3,15). Exakt die Hälfte aller Belege entfallen auf das Gastmahl, zu dem Esther ihren Gatten und den Statthalter Haman in ihren Palast einlädt. Das Gastmahl im Mittelteil des Buches bietet die Szenerie für die Wende in der Erzählung (5,4.5.6.8.12.14; 6,14). Beim Gastmahl entdeckt Esther dann dem König auch Hamans Intrige (7,1‒6), noch beim Gastmahl befiehlt Achashverosh die umgehende Hinrichtung des bösen Statthalters (7,8‒9). Während das Buch Esther zunächst nur von Gastmählern berichtet, die der König oder die Königin ausrichten, werden nach dem Toleranzedikt (8,10‒14), das den Juden Versammlungs- und Verteidigungs-

349 Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 39. 350 Vgl. G. Sauer, Jesus Sirach/Ben Sira, ATD.A 1, Göttingen 2000, 221‒228.

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freiheit gewährt, allgemein die aus Freude gefeierten Gastmähler der Juden erwähnt (8,17; 9,17.18.19.22). Das Motiv des Gastmahles bildet die Mittelachse des Buches (5,4.5.6.8.12.14). In einer inclusio verbindet es die Exposition (1,3‒2,18) mit dem Schluß (8,17‒9,22). Ganz der Komposition der Erzählung entsprechend entfaltet sich das Motiv vom königlichen Gastmahl im Palastbezirk der Reichshauptstadt Susa zu einem als Purim gefeierten allgemeinen Jubelfest der Juden im ganzen persischen Reich, ja der ganzen östlichen Diaspora.351 5,5b‒8: Esther lädt den König und Haman erneut zum Gastmahl. Der König und Haman folgen Esthers Einladung zum Gastmahl (V 5b). Bei dem Gelage bewirtet die Königin ihre Gäste mit Wein (3,15). Nach einiger Zeit fragt der König Esther wiederum (5,3), was ihr Wunsch sei. Seine Rede ist durch die doppelte Frage und die nachgestellte Emphase gesteigert. In ihr verspricht der König seiner Gemahlin, ihr bis zur Hälfte des Königreiches jeden Wunsch zu erfüllen (V 6). Von einer Höflichkeitsformel geziert, trägt Esther nun beim Weingelage ihr Anliegen vor (V 7‒8). Die längste Höflichkeitsformel des Buches ist wie ein Kleinod komponiert (7,3‒4). Wiederholend leitet die Königin mit zwei, von einem Possessivpronomen gekleideten Ausdrücken des Wünschens und Wollens ihre Rede ein. Im Mittelteil legen dann zwei aufeinanderfolgende Konditionalsätze die Entscheidung in die Hände des Königs. Rhetorisch klingt diese Formulierung geschickt, weil sie dem König formal die Entscheidung zubilligt, obwohl der Höflichkeitsformel dann ein Wunsch folgt, den kein König seiner wohlgesonnenen Königin abschlagen kann. Abschließend greift die Königin dann noch einmal den Ausdruck des Wünschens und Wollens auf; der hinzugefügte doppelte Infinitiv verleiht der Höflichkeitsformel Nachdruck. Nach vielen blumigen Worten erst spricht Esther ihre Bitte aus, die sich im Verhältnis zur vorgeschobenen Höflichkeitsformel lakonisch ausnimmt. Nichts weiter will die Königin, als Achashverosh und Haman zu einem Gastmahl einzuladen, das Esther ausschließlich für die beiden am kommenden Tag ausrichten möchte. Daß Esther ihre Bitte mit der längsten Höflichkeitsformel des Buches einleitet, entspricht der Bedeutung ihres Anliegens (7,3). Doch davon ahnen der König und sein Statthalter, der völlig im Hintergrund bleibt, noch nichts. 351 Vgl. S.B. Berg, Book, 31‒37; A. Meinhold, Aufbau, 435‒437; M.V. Fox, Character, 156‒158; R. Kossmann, Esthernovelle, 60‒65; sowie F.S. Weiland, Plot, 277‒287; ders., Conventions, 425‒435.

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Auslegung

8. Hamans Ruhm und Heimtücke gegen Mordechai (5,9‒14) Hamans Ruhm und Heimtücke gegen Mordechai 5,9 Haman ging an diesem Tag freudig und guten Herzens352 hinaus. Als Haman Mordechai im Tor des Königs sah, und er sich nicht erhob und nicht vor ihm erzitterte, da wurde Haman voll Grimm über Mordechai. 10 Doch Haman nahm sich zusammen, und er ging in sein Haus. Er schickte, und er ließ seine Freunde und seine Frau Seresh kommen. 11 Da erzählte ihnen Haman von der Pracht seines Reichtums, und von seinen vielen Söhnen und von allem, wie ihn der König groß gemacht hat, und er ihn über die Oberen und Diener des Königs erhoben hat. 12 Dann sprach Haman: „Zudem hat Esther, die Königin, zu dem Gastmahl, das sie gemacht hat, niemanden mit dem König kommen lassen außer mir. Auch für morgen bin ich zu ihr mit dem König gerufen. 13 Aber das alles genügt mir nicht, sehe ich allzeit353 Mordechai, den Juden, im Tor des Königs sitzen.“ 14 Da sprach Seresh, seine Frau, und alle seine Freunde zu ihm: „Laß ein Holz machen, 50 Ellen354 hoch. Am Morgen sprich zum König, daß man Mordechai an ihm aufhänge! Dann komm mit dem König freudig zum Gastmahl!“ Und Haman fand die Rede gut, und er ließ ein Holz355 machen. 5,9‒14: Der Ruhm Hamans und der Verrat Mordechais. Mit dem neuen Tag, dem Tag des Gastmahls, richtet sich der Blick auf Haman, der beim ersten gemeinsamen Gelage noch völlig im Hintergrund geblieben ist (V 9). Wie kunstvoll die Erzählung gewoben ist, illustriert schon der erste Vers dieser Szene. Freudig und guten Herzens tritt er am Morgen nach dem Weingelage aus seinem Palast, voller Vorfreude auf das abendliche Gastmahl bei der Königin geht er in den Tag. Doch durch eine einzige Begegnung kippt seine Stimmung um. Gerade als er das Königstor passiert, sieht er auf dem Weg zum Haus Mordechai, der dem Statthalter wiederum die ihm nach persischer Sitte rechtmäßig zustehende Ehrerbietung verweigert: Er erhebt sich nicht vor ihm und verweigert ihm die gebotene Ehrfurcht. Es ist nicht verwunderlich, daß Haman auf diese Beleidigung hin zum zweiten Mal erzürnt (3,5; Gen 37,10; 42,6; 44,14; Hi 29,7‒8).

352 M same’ach wetow lew, die wiederholten Synonyme dienen der Betonung. 353 M bechol et ist eine Hyperbel. 354 Zahlensymbolisch drücken die 50 Ellen den überdimensional proportionierten Galgen aus (vgl. W. Dommershausen, Estherrolle, 82‒83). 355 M ez ist eine Metonymie.

Hamans Ruhm und Heimtücke gegen Mordechai

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Doch Haman wahrt seine Haltung (V 10; Gen 43,31; 45,1). Als er in sein Haus zurückkehrt, läßt er seine Frau und seine Freunde kommen. Vor den Ohren seiner Frau Seresh und seiner Freunde preist er seinen Ruhm und Reichtum (V 11). Im Selbstlob berichtet er von seinen vielen Söhnen. Daß der Kinderreichtum bei den Persern rühmenswert ist, bestätigt Herodot: „Neben der Haupttugend, der Tapferkeit, gilt als hohes Verdienst, viele Kinder zu haben. Wer die meisten aufweisen kann, dem schickt der König jedes Jahr Geschenke. Die große Zahl halten sie für ihre Stärke“ (Historien, I, 136). Auch die biblische Tradition preist den Kinderreichtum (Ps 127,3‒5). Über die genaue Anzahl der Söhne streiten die Rabbinen: „Wieviel Söhne hatte er? Rabh erwiderte: Dreißig; zehn starben, zehn wurden aufgehängt und zehn gingen betteln. Die Rabbanan sagten: Siebzig gingen betteln, denn es heißt: Satte vermieteten sich um Brot, und man lese nicht sebeim [Satte], sondern sibhlm [siebzig]. Rami b. Abba sagte: Zusammen hatte er zweihundertundacht, denn es heißt: und die Menge [verob] seiner Söhne. ‒ Das Wort verob beträgt ja zweihundertundvierzehn!? R. Nachman b. Jischaq erwiderte: Die Schreibweise ist [defektiv] verob“ (b Meg 15b).356 Wieviele Söhne der Statthalter auch hatte, interpretierend symbolisieren die dreimal zehn Söhne für die Rabbinen den Niedergang des ganzen Geschlechtes Hamans. Zahlensymbolisch knüpft diese Angabe an die in 9,8‒10 namentlich aufgeführten zehn Söhne Hamans an. Überschwenglich berichtet Haman seinen Gästen auch von seinem Reichtum und seiner Pracht, von seinem Aufstieg zum höchsten Beamten des Hofstaates (V 11; 3,1‒2). Als Höhepunkt betont er dann, daß er als einziger neben dem König an einem Empfang bei der Königin Esther teilgenommen hat und auch als einziger mit dem König zu einem Gastmahl eingeladen ist. Fast klingt dieser Rückblick wie eine Abschiedsrede, doch davon ahnt noch niemand etwas (V 12). An diesem Tag liegen die Freude und die Trauer Hamans nebeneinander (V 13). Trotz der wohlgemuten Stimmung im Kreis seiner Vertrauten geht ihm Mordechai nicht aus dem Sinn. Möglicherweise sieht er ihn auf jedem seiner Wege zum Königspalast im Tor sitzen (2,19.21; 3,2; 5,9.13; 6,10.12). Ein Adversativ leitet dann zum Zorn Mordechais über, der seinen Ruhm und Reichtum überschattet: Aber all’ dies genügt mir nicht, wenn ich auf dem Weg zum Palast Mordechai, den Juden, sehen muß. Verstärkend ist dem Namen nun das Ethnikon der Jude zugefügt. 356 Übersetzung nach L. Goldschmidt.

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Auslegung

Der verständliche Zorn gegen den Juden greift auf seine Frau und die versammelten Freunde über (V 14). Wie aus einem Munde schlagen sie Haman vor, einen Galgen aufrichten zu lassen und dem König beim morgigen Gastmahl darum zu bitten, Mordechai daran aufhängen zu lassen. Das Holz wird vor dem Haus Hamans aufgerichtet (7,9). Der mit 50 Ellen, was etwa 25 Metern entspricht, überdimensionierte Galgen357 symbolisiert die mächtige Freude an der unausweichbar scheinenden Hinrichtung des vermeintlichen persischen Staatsfeindes Mordechai. Zum Spott für alle Judenfeinde und zur Abschreckung für alle Juden wäre der daran hoch aufgehängte Mordechai weithin sichtbar. Auf dieselbe Weise sind auch die beiden Verschwörer Bigtan und Teresh hingerichtet worden (2,21‒23). So korrespondiert die durch den loyalen Mordechai bewirkte Hinrichtung der Verschwörer die durch den Statthalter Haman geplante Exekution. Die beiden Targume deuten den Pfahl im heilsgeschichtlichen Kontext (1 Targ Est 5,14; 2 Targ Est 5,14). „Anhand verschiedener Beispiele aus der Geschichte Israels verdeutlicht Hamans Frau, daß trotz der unterschiedlichen Versuche und Vorgehensweisen, einem Israeliten bzw. dem ganzen Volk ans Leben zu gehen, diesen doch immer wieder Rettung zuteil wurde. Lediglich für eine Errettung vom Pfahl läßt sich kein Beleg finden“.358

Der gemeinsam ausgesprochene Rat der Seresh und der Freunde steigert die Dramatik (V 14): Noch vor dem morgigen Gastmahl will Haman dem König seinen Vorschlag unterbreiten, Mordechai umgehend hinrichten zu lassen. Ein zweites Mal will der Statthalter den König vor vollendete Tatsachen stellen (3,8‒11). Bei dem bekannten Verhandlungsgeschick des Judenfeindes ist zu befürchten, daß sein Plan ausgeführt und Mordechai exekutiert wird, noch ehe Esther am Abend desselben Tages das Gastmahl ausrichtet und sich für Mordechai und alle Juden verwenden kann. Mit dieser für Mordechai tödlichen Bedrohung ist die Handlung wieder völlig offen. Die abschließende Notiz bestätigt die Gefahr: Haman gefällt der perfide Vorschlag seiner Nächsten (V 14). Sofort ordnet er an, den Galgen für Mordechai aufzurichten. Weisheitliche Gedanken klingen an, unüberlegt eignet sich Haman den Vorschlag seiner Frau an und handelt in seinem ungehemmten Übermut wie ein törichter Gottloser (Spr 12,16; 16,18; 29,11.20; Koh 5,11).359 357 Vgl. den Exkurs 9 (ab S. 153). 358 B. Ego, Targum, 287. 359 Vgl. R.N. Whybray, Proverbs, NCBC, Grand Rapids 1994, 195‒196, 401‒404; T. Krüger, Kohelet, BK XIX, Neukirchen-Vluyn 2000, 227‒228.

Mordechais Ehrung und Hamans Trauer

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5,1‒14: Ausblick. Durch dreitägiges Fasten und die Fürbitte der Juden Susas vorbereitet, setzt die mutige Königin in der Todesnot ihres Volkes ihr Leben ein und tritt vor den König. Auf das Drängen Mordechais wagt sie alles und gewinnt viel. Zunächst gewinnt Esther die Gunst des Königs, der sie empfängt, obwohl er sie hätte töten lassen können. Dann gewinnt sie seine Zustimmung, ihrer Einladung zum Weingelage zu folgen. Endlich gewinnt sie seine Zusage, auch ihre Einladung zum Gastmahl für den morgigen Tag anzunehmen. Mit diplomatischem Geschick bereitet die Kluge ihr eigentliches Anliegen in kleinen Schritten vor. Umsichtig, aber doch zielstrebig, wartet sie den richtigen Augenblick dafür ab, dem König ihre Petition vorzutragen. Doch ungeahnt entfaltet sich gleichzeitig eine bedrohliche Nebenhandlung. Beide Handlungsstränge laufen scheinbar unverbunden nebeneinander her, die Dramatik wächst. Der von Mordechai indignierte Haman plant, den Juden unverzüglich hinzurichten. Sein Selbstlob zeigt ihn auf der Höhe seiner Macht, doch auf den Gipfel folgt der Abstieg. Beide Ereignisse, das Gastmahl und die Hinrichtung, sind durch eine Zeitansage verbunden. Beide Ereignisse sind für den nächsten Tag festgesetzt. Was bringt der morgige Tag? Doch bevor sich die drängende Frage klärt, wird die Handlung durch eine verzögernde Episode nochmals unterbrochen. Die Spannung steigt. Völlig überraschend richtet sich der Blick nun auf den König. Der Protagonist wechselt, der Schauplatz wechselt, die Zeit bleibt stehen. Mit der einzigen Szene, die mitten in der Nacht spielt, treten wir ein ins Schlafgemach des Königs.

9. Mordechais Ehrung und Hamans Trauer (6,1‒14) Mordechais Ehrung und Hamans Trauer 6,1 In jener Nacht floh der Schlaf den König. [360] Da sprach er, ihm das Buch der Denkwürdigkeiten der Begebenheiten der Tage zu bringen. Und es wurde vor dem König gelesen. 2 Da fand sich geschrieben, daß Mordechai eine Meldung erstattet hatte über Bigtana361 und Teresh, die beiden Eunuchen des Königs, von den Schwellenhütern. Sie hatten versucht, Hand an den König Achashverosh zu legen. 3 Da sprach der König: „Welche Ehre und Erhöhung ist Mordechai dafür gemacht?“

360 B 6,1 interpretiert: ὁ δὲ κύριος ἀπέστησεν τὸν ὕπνον ἀπὸ τοῦ βασιλέως τὴν νύκτα ἐκείνην der Herr aber nahm den Schlaf von dem König in jener Nacht. 361 In 2,21 heißt er !t'g.Bi Bigtan.

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Auslegung

Die Knaben des Königs, seine Diener, entgegneten: „Nichts ist für ihn gemacht.“ 4 Da sprach der König: „Wer ist im Hof?“ Haman aber kam in den Hof des Königshauses, den äußeren, um mit dem König zu reden, den Mordechai am Holz362 aufzuhängen363, das er für ihn aufgerichtet hatte. 5 Da sprachen die Knaben des Königs zu ihm: „Sieh, Haman steht im Hof.“ Der König sprach: „Er soll kommen.“ 6 Als Haman kam, sprach der König zu ihm: „Was ist dem Mann zu tun, dessen Ehrung dem König gefällt?“364 Haman sprach in seinem Herzen: „Wem könnte der König mehr geneigt sein, Ehre anzutun, als mir?“365 7 Da sprach Haman zum König: „Ein Mann, dessen Ehrung dem König gefällt ‒ 8 man bringe ein königliches Gewand, mit dem der König gekleidet war, und ein Pferd, auf dem der König geritten ist, und man setze ihm eine königliche Krone auf sein Haupt. 9 Dann sollen das Gewand und das Pferd in die Hand366 eines Mannes, von den Oberen des Königs, den Vornehmsten, übergeben werden367. Und man lasse den Mann, dessen Ehrung dem König gefällt, einkleiden, und man lasse ihn auf dem Pferd über den Platz der Stadt reiten. Und man soll vor ihm rufen: ‚So wird dem Mann getan, dessen Ehrung dem König gefällt!‘“ 10 Der König sprach zu Haman: „Eile, nimm das Gewand und das Pferd, wie du gesagt hast, und mache so mit Mordechai, dem Juden, der im Tor des Königs sitzt! Lasse nicht fallen von dem Wort, das du gesagt hast!“368 11 Da nahm Haman das Gewand und das Pferd, und er kleidete den Mordechai ein. Dann ließ er ihn über den Platz der Stadt reiten, und man rief vor ihm aus: „So wird dem Mann getan, dessen Ehrung dem König gefällt!“ 12a Dann kehrte Mordechai zum Tor des Königs zurück. 12b Haman eilte in sein Haus ‒ trauernd und mit verhülltem Haupt. 13 Und Haman erzählte Seresh, seiner Frau, und allen seinen Freunden alles, was ihm widerfahren ist. Und seine Weisen369 und Seresh, seine Frau, sprachen zu ihm: „Wenn Mordechai, vor dem du zu 362 363 364 365 366 367 368 369

M ez ist eine Metonymie. M lemor lamäläch litlot ist eine dreigliedrige Alliteration. M wörtlich übersetzt von dem gilt, der König hat Gefallen an seiner Ehre. Die Formulierung joter min ist nur hier und in Koh 12,12 belegt. Der Komparativ ist für spätes biblisches Hebräisch typisch (vgl. R. Bergey, Features, 75). M jad ist eine Metonymie. M und geben, nach GK, § 113z kann der infinitiv absolutus das finite Verb ersetzen. ‒ M Wort ‒ sagen ist eine figura etymologica. Wie in 1,13 heißen die Ratgeber chachamaw; B 6,13 übersetzt οἱ φίλοι die Freunde, A 6,22 καὶ οἱ σοφοὶ αὐτοῦ und seine Weisen.

Mordechais Ehrung und Hamans Trauer

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fallen beginnst, vom Samen der Juden ist, vermagst du nichts gegen ihn, sondern fallen, fallen370 wirst du vor ihm!“ [371] 14 Noch redeten sie mit ihm, da trafen die Eunuchen des Königs ein. Und sie eilten, Haman zum Gastmahl zu bringen, das Esther machte. 6,1‒14: Hinführung. Das Geheimnis der Nacht umhüllt die nächste Szene, mit der die Zeit, der Protagonist, der Ort und die Stimmung wechseln. Wir treten ein in das Schlafgemach des Königs, in dem sich neben ihm noch ein Schreiber und mehrere Kammerdiener befinden. Aus dieser Stimmung bereitet sich die unumkehrbare Wendung des Dramas vor. Es ist der König selbst, nicht seine sieben Ratgeber oder seine Eunuchen, der auf die Guttat des Juden Mordechai aufmerksam wird. Wer könnte anders, als diesen Zufall Fügung nennen? Mitten in der Nacht entdeckt der von Schlaflosigkeit geplagte Herrscher, daß Mordechai in seiner Loyalität ein Attentat verhindert und so dem König das Leben gerettet hat. Aus dem von Haman zum Staatsfeind deklarierten Mordechai wird ein persischer Staatsfreund, aus dem diskreditierten Juden ein persönlicher Vertrauter des Königs. Von dieser nächtlichen Entdeckung aus entspinnt sich die Erzählung zunächst zwischen dem König und seinen Dienern, dann zwischen dem König und Haman und endlich zwischen Haman und Mordechai auf natürliche Weise. Der Bogen spannt sich von dieser ersten Szene zwischen der folgenreichen Lektüre von Achashverosh bis zum (prophetischen) Deutewort der Seresh, der Gattin des Haman, die ahnend den weiteren Gang des Dramas antizipiert. 6,1‒3: Der König will Mordechai ehren. Schlaflosigkeit plagt den König, die ihn dazu treibt, zur nächtlichen Stunde seine Gedanken auf die persische Tageschronik zu richten (V 1). Es ist die Nacht zwischen dem ersten (5,4) und dem zweiten Gastmahl, zu dem Esther für den nächsten Tag eingeladen hat (5,8; 6,14; 7,1). Nach den kalendarischen Angaben des Buches (3,12; 5,1.9) ist es der 16./17. Nisan. Das Motiv der nächtlichen Schlaflosigkeit ist in der späten biblischen Literatur vereinzelt (Ps 36,5; Mi 2,1; Dan 6,19; III Esr 3,3; I Makk 6,10), vor allem aber in der Weisheitsliteratur mehrfach belegt (Spr 4,16; Koh 5,11; Sir 31,1‒2; 42,9).372 Die Schlaflosigkeit kennt mehrere Gründe: 370 M naphol tipol, die Wiederholung eines Synonyms dient als Mittel der Betonung. 371 B 6,13 fügt begründend ein ὅτι θεὸς ζῶν μετ᾽ αὐτου denn Gott ist mit ihm, A 6,22(13) liest im Plural ὅτι ὁ θεὸς ἐν αὐτοῖς denn Gott ist bei ihnen. 372 Vgl. A. Müller, Proverbien 1‒9, BZAW 291, Berlin/New York 2000, 29‒34.

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Auslegung

Es sind die Sorgen um den mühsam erwirtschafteten Reichtum oder die um das Wohlergehen der eigenen Tochter; auch das schlechte Gewissen oder der Haß gegen die Feinde können dem Geplagten die Nachtruhe stehlen. Unausgesprochen bleibt, was Achashverosh in dieser so wichtigen Nacht nicht schlafen läßt. Für die Septuaginta ist es Gott selbst, der dem König den Schlaf raubt. Der Herr aber nahm den Schlaf von dem König in jener Nacht, damit erhält die Szene den Charakter einer Theophanie (B 6,1; ähnlich b Meg 15b, sowie 1 Targ Est 6,1; 2 Targ Est 6,1).373 Wie Jakob über Nacht zum gesegneten Stammvater Israels wird (Gen 32,23‒33), wie Salomo nachts im Traum mit Jahwe spricht (I Reg 3,5‒15), wie Daniel die Deutung des rätselhaften Traumes in der Nacht empfängt (Dan 2,19.29), so wird auch Mordechais Aufstieg durch die nächtliche Entdeckung des Königs vorbereitet.374 Die von einem Diener verlesene Chronik der Tagesereignisse ist mit dem bereits erwähnten Buch identisch (2,23), in dem notiert ist, daß Mordechai eine Verschwörung aufgedeckt hat und die beiden Übeltäter verurteilt worden sind (V 1). Jetzt erst wird klar, warum die kompositorisch scheinbar deplazierte Notiz (2,21‒23) eingefügt worden ist. Nur durch die Lektüre der Tageschronik erfährt der König von der vereitelten Verschwörung, darauf deutet die einleitende Bemerkung und es fand sich niedergeschrieben hin (V 2). Bei dem Buch, das dem König in dieser Nacht vorliegt, handelt es sich um dieselbe Chronik, in der endlich auch Mordechais Ruhmestaten aufgezeichnet werden (10,2). Der König liest die Chronik nicht selbst (V 1). Das ist die Aufgabe seiner Schreiber. Mitten in der Nacht wird einer der Schreiber herbeigerufen, um die Chronik zu holen und dem König daraus die vergangenen Tagesereignisse vorzulesen. Das Verlesen von Texten durch den Schreiber ist eine nicht nur im Vorderen Orient, sondern auch im Alten Testament bezeugte übliche Praxis (Jos 8,34; II Reg 22,8; Jer 36,6.21).375 Ganz zufällig stößt der König bei der nächtlichen Lektüre auf eine Notiz, die erzählt, wie Mordechai die Mordpläne der beiden Schwellenhüter aufgedeckt und dadurch die Ermordung des Königs vereitelt hat. Ausführlich werden die Ereignisse wiederholt, um so die Verdienste des loyalen Untertanen und Lebensretters angemessen zu würdigen (V 2). 373 Vgl. J. Jeremias, Theophanie, WMANT 10, Neukirchen-Vluyn 1965, 21977, 159‒164. 374 Vgl. E.L. Ehrlich, Der Traum im Alten Testament, BZAW 73, Berlin 1953. 375 Vgl. Th. Schaack, Ungeduld, 183‒184.

Mordechais Ehrung und Hamans Trauer

139

Äußerlich scheint Achashverosh von den Nachrichten nicht sonderlich existentiell betroffen sein, was jedoch bei der nächtlichen Erinnerung an den vereitelten Mordversuch nur verständlich wäre (V 3). Etwa vier Jahre nach diesen Vorfällen (2,16.21; 3,7) fragt er die anwesenden Kammerdiener und Schreiber gleich nach dem zunächst ferner liegenden: Wie wurde Mordechai für seine Verdienste geehrt und belohnt? Ohne zu zögern antworten die Diener, daß der treue Höfling gar nicht belohnt worden ist. 6,4‒12a: Haman vor dem König ‒ Mordechais Ehrung. Die nächtliche Aufregung im Schlafgemach des Königs wird nun noch von dem Auftritt eines unangemeldeten Gastes gesteigert. Der König hört, daß jemand in den Vorhof (Apadana) getreten ist (4,11; 5,1). Verständlicherweise will er wissen, wer gekommen ist (V 4). Ein unangemeldeter Gast platzt in die Szene hinein (V 4). Es ist der Statthalter. Wieviel Zeit zwischen dem Gespräch mit den Dienern und dem Besuch Hamans verstrichen ist, bleibt unklar. Josephus scheint eine nächtliche Visite Hamans abwegig. Nach seiner Darstellung verbringt der König die ganze Nacht mit der Lektüre der Chronik (Ant 11, 247‒248), so daß Haman erst am anderen Morgen zur Audienz erscheint (Ant 11, 251). Der spontane Besuch Hamans widerspricht den von Esther geäußerten Bedenken, daß der König nicht unaufgefordert besucht werden darf (4,11; 5,2). Etwas abgeschwächt wird das Problem des unaufgeforderten Besuches dadurch, daß Haman nur in den äußeren Vorhof des Königspalastes tritt. Ein gewisser Widerspruch aber bleibt bestehen: Möglicherweise sind dem Statthalter bei der Audienz Privilegien eingeräumt, die selbst die Königin nicht genießt. Denkbar ist auch, daß die Dringlichkeit des Besuches betont werden soll.376 Noch bevor der König seinen Statthalter empfängt, wird der eigentliche Anlaß des Besuches nachgetragen (V 4). Haman kommt, um den König dafür zu gewinnen, daß Mordechai möglichst bald an dem bereits für ihn aufgerichteten Galgen hingerichtet und öffentlich zur Schau gestellt werden soll. Doch im weiteren Dialog erhält der Statthalter keine Gelegenheit mehr, dem König sein Anliegen vorzutragen. Was der Böse nicht ausspricht, kann auch nicht geschehen. Der von den Dienern gemeldete Haman tritt dann auf die Bitte des Königs hin ein (V 5). Ohne nach seinem Anliegen zu fragen, richtet der König umgehend das Wort an den Statthalter. Dieser Gesprächsverlauf 376 Vgl. zur Audienz die Auslegung von 4,11.

140

Auslegung

überrascht, sollte doch die ungewöhnliche Stunde des unaufgeforderten Besuches dem König die Dringlichkeit der von Haman vorzubringenden Angelegenheit signalisieren. Stattdessen will der König von Haman wissen, wie ein verdienter Untertan geehrt werden soll (V 6). Noch fällt der Name Mordechai nicht. Das Motiv des Verschweigens dient als künstlerisches Mittel (2,10.20; 3,8). Die unmittelbare und allgemein gehaltene Frage des Königs, die den Namen Mordechais bewußt verschweigt, ermöglicht erst das Mißverständnis des hochmütigen Hamans. Ein innerer Monolog, der von der typischen Redewendung in seinem Herzen sprechen, eingeleitet wird, teilt dann die als rhetorische Frage formulierten Gedanken des Statthalters mit. In seiner maßlosen Selbstüberschätzung, einem aus der Weisheitsliteratur bekannten Motiv (Jes 13,11; Spr 12,23; 15,2; 16,18; 26,9), denkt Haman nur an sich. Er allein kommt in seinen Augen für die vom König erwogene Ehrung in Betracht. Offensichtlich hat der Statthalter schon lange auf die Frage des König gewartet (V 7). Ausführlich beschreibt Haman ‒ die Worte des Königs in einem Anakoluth aufnehmend ‒ wie ein verdienstvoller Mann zu ehren ist. Nun spitzt sich das Drama zu, malt sich doch Haman seine eigene Ehrung aus, die, wie nur der König weiß, eigentlich seinem Erzfeind Mordechai gilt. Für die Ehrung muß der König seine Zustimmung erteilen (V 7). Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, soll, so Haman, die öffentliche Ehrung nach folgendem Protokoll verlaufen: Zunächst sollen für die Investitur ein königliches Gewand, das der König selbst getragen hat, und ein königliches Pferd, auf dem der König selbst geritten ist, herbeigebracht werden (V 8). Josephus ergänzt den biblischen Bericht. Nach seiner Darstellung erhält Mordechai bei seiner Ehrung zum königlichen Gewand noch eine Halskette; nach seiner Erhebung zum Statthalter (8,2.15) trägt er allerdings neben dem königlichen Gewand und der Halskette auch noch eine goldene Krone (Ant 11, 256.284). Syntaktisch schwierig ist der abschließende Relativsatz und man setze ihm eine königliche Krone auf sein Haupt (V 8). Das Symbol der Königswürde, königliche Krone, ist bereits bei Vasthi und Esther erwähnt (1,11; 2,17), es bleibt ausschließlich dem König und der Königin vorbehalten. Daß dem Geehrten die Königskrone aufzusetzen sei, ist als Vorschlag Hamans für die Ehrungszeremonie kaum denkbar. Deshalb bezieht sich das Possessivpronomen auf das königliche Pferd, das mit einem königlichen Diadem geschmückt werden soll, zumal in der nachfolgenden Ehrung eine Krönung Mordechais nicht erwähnt wird.

Mordechais Ehrung und Hamans Trauer

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Nachdem die Requisiten für die königliche Ehrung bereitgestellt sind, soll die Investitur erfolgen (V 9). Zunächst sollen das Gewand und das Pferd in die Hände eines der würdigen Hofbeamten, einem von den edlen Fürsten, gegeben werden.377 Dieser Erwählte soll dann stellvertretend für den König die Ehrung im Königspalast vornehmen (I Sam 18,4). Nun wird der Verdienstvolle eingekleidet, auf das Pferd gesetzt und öffentlich geehrt. Die Einkleidung mit königlichen Gewändern ist für die Perser der höchste Ehrenbeweis (Plutarch, Artaxerxes, 5). Die öffentliche Ehrung geschieht in einer Prozession mit Akklamation. Vom Königspalast aus soll der würdige Mann auf den Platz Susas vor dem Königstor geführt werden (4,6). Vor dem festlich versammelten Volk soll dann ausgerufen werden, daß er ein Geehrter ist (I Reg 1,32‒37; Spr 28,12). Viermal flechtet Haman in seine Rede das Motiv der Zustimmung des Königs dessen Ehrung dem König gefällt (V 6.7.9.9) ein. Wiederholend betont er damit, daß die Ehrung allein von der Gunst des Königs abhängig ist.378 Hamans Vorschlag gefällt dem König (V 10). In seiner Antwort befiehlt er dem Statthalter dann, auf die von ihm selbst beschriebene Weise Mordechai, den Juden, der als Hofbeamter im Tor sitzt, zu ehren. Der König spricht das, was Haman für sich selbst erhofft, dem Erzfeind Mordechai zu. Mahnend fügt Achashverosh hinzu, daß die Erhöhungszeremonie genau so durchgeführt wird, wie Haman selbst sie ausgemalt hat. Verwandt ist die für Mordechai vernichtende Szene mit dem über sich selbst gesprochenen Gerichtswort Davids (II Sam 12,5‒7).379 Der Befehl des Königs markiert den Wendepunt des Dramas (V 10). Aus seinem eigenen Munde kommt der Vorschlag für die Ehrung des Mannes, dessen schon ausgemachte Hinrichtung er gerade dem König mitteilen wollte, aber nicht durfte. Der heimtückische Plan bleibt unausgesprochen. Schon in diesem Augenblick ist er vereitelt, denn ein öffentlich Geehrter des Königs kann nicht mehr hingerichtet werden. Umgehend muß Haman nun seinen Feind auf genau die Weise ehren, die er für sich selbst ausgemalt hat (V 10). Keine größere Schmach könnte ihn treffen. Eindeutig benennt der König Mordechai mit dessen Namen, dem Ort, an dem er sich meistens aufhält, und dem Ethnikon. Möglicherweise hat er diese Informationen der Tageschronik entnommen. Die Apposition der Jude weist schon über die individuellen Folgen der königlichen Ehrung hinaus. Nun geht es nicht mehr nur um den 377 Vgl. K.M. Craig, Reading Esther, 98‒100. 378 Vgl. H.M. Wahl, Motiv, 65‒67. 379 Vgl. H.J. Stoebe, Das zweite Buch Samuelis, KAT VIII, 2, Gütersloh 1994, 304‒307.

142

Auslegung

Konflikt zwischen Haman und Mordechai, die vom König selbst ausgesprochene ethnisch-religiöse Zugehörigkeit Mordechais zum Volk Israels verbindet die Ehrung mit der geplanten Judenverfolgung (3,8‒9). Wie reagiert Haman auf die königliche Weisung, die in den Ohren des Statthalters vernichtend klingen muß? Schweigend nimmt Haman sofort das Gewand und das Pferd und verläßt den Königspalast (V 11). Er tritt hinaus in den Hof. Von dort führt ihn sein Fuß zum Königstor, wo er Mordechai findet (V 12). Kein Wort beschreibt die Gedanken des von seinem eigenen König gedemütigten Statthalters. Wiederum steigert sich das Drama (V 11). Nicht einer der Fürsten ist es, der die Ehrung vollzieht. Es ist Haman selbst, der die Ehrung gegen seinen Willen mit tiefer Verachtung durchführen muß. Es ist der noch amtierende Statthalter, dem Mordechai die gebotene Geste der Ehrerbietung verweigert und damit seinen Zorn wiederholt geweckt hatte (3,5; 5,9). Wortlos führt Haman den Befehl des Königs aus. Er kleidet Mordechai mit dem königlichen Gewand und setzt ihn auf das geschmückte Pferd. In einem Triumphzug reitet er dann vom Königspalast aus zum Platz der Stadt. Josephus schaltet noch einen Dialog zwischen Haman und Mordechai ein. Der verdiente Jude glaubt zunächst, daß Haman ihn mit der Investitur nur verspotten will (Ant 11, 257). Die jüdische Überlieferung malt die Ehrung Mordechais als Demütigung Hamans breit aus (V 11): „Als Mordechai ihn mit dem Rosse an der Hand kommen sah, erschrak er und sprach zu den Rabbanan: Dieser Ruchlose kommt mich töten. […] In jener Stunde hüllte sich Mordechai ein und stand zum Gebete auf. Darauf kam Haman, setzte sich neben sie und wartete. […] Hierauf sprach er: Stehe auf, ziehe diese Kleider an und setze dich auf dieses Roß, denn der König verlangt nach dir. Jener erwiderte: Ich kann nicht eher, als bis ich im Bade gewesen bin und mir das Haar abgenommen habe, denn es ist keine Art, in solchem [Zustande] königliche Gewänder anzulegen. Hierauf sandte Ester und ließ alle Badediener und Barbiere verstecken. Da brachte ihn [Haman] selber ins Bad und zog ihm die Kleider aus, sodann holte er eine Schere aus seiner Wohnung und schnitt ihm das Haar. Während er ihm das Haar schnitt, stöhnte und seufzte er. Als ihn jener fragte, weshalb er stöhne, erwiderte er: Ein Mann, der beim Könige geachteter war als alle Würdenträger, muß jetzt Badediener und Barbier sein!“ (b Meg 16a).380

Die anschließende Szene steigert die Erniedrigung Hamans noch auf dramatische Weise:

380 Übersetzung nach L. Goldschmidt.

Mordechais Ehrung und Hamans Trauer

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„Als [Mordechai] sich in der Straße befand, in der Haman wohnte, schaute dies seine Tochter zu, die auf der Altane stand, und da sie glaubte, der Reitende sei ihr Vater und Mordechai der Führende, nahm sie ein Abortbecken und warf es auf den Kopf ihres Vaters. Da erhob er seine Augen, und als sie sah, daß es ihr Vater war, stürzte sie sich von der Altane zur Erde und starb“ (b Meg 16a).381

Vor den Ohren Hamans wird Mordechai gehuldigt (V 11).382 Die Herolde von Achashverosh rufen öffentlich aus, daß in dieser Weise nur ein Mann geehrt wird, dessen Verdienste vom König anerkannt sind. Wie alles Volk von Susa sehen kann, ist der Jude Mordechai nun ein Ehrenmann. Viermal klingt das Motiv der Ehre an: In einer inclusio bildet es den Auftakt (V 6) und den Schlußakkord (V 10) des Gespräches, gleichzeitig ist es auch dessen Symmetrieachse (V 6.7.9). Siebenmal kommt das entsprechende Wort Ehre vor (V 3.6.7.9.11).383 Zahlensymbolisch ist dies ein Ausdruck der Vollkommenheit384 ‒ Mordechai ist für seine Loyalität spät, aber verdienstvoll geehrt worden. Nach der Ehrungsprozession kehrt Mordechai wieder in das Tor des König zurück (V 12a).385 6,12b‒14: Hamans Trauer. Nun richtet sich der Blick auf Haman (V 12b). Der Statthalter ist aufgebracht: Nichts hält ihn mehr im Königspalast, ihn treibt es zurück in sein Haus. War zunächst Haman der Anlaß für Mordechais Buße, ist nun Mordechai der Grund für Hamans Trauer (4,1‒2). Als Zeichen seiner Demütigung trauert er verhüllten Hauptes (II Sam 15,30; Jer 14,3‒4).386 Im Haus trifft er seine Frau Seresh und auch seine Freunde an (V 13). Zweimal wird der Personenkreis erwähnt. Die nicht namentlich aufgeführten Männer heißen zunächst seine Freunde, dann seine Weisen. Die um den erniedrigten Statthalter versammelten Männer sind seine Ratgeber, aus ihrem Munde kommt schließlich das für Haman vernichtende Deutewort (1,13; 5,10; Dan 2,2; 5,8). Denselben Menschen, mit denen er am Vortag die Hinrichtung Mordechais geplant hatte (5,14), klagt er nun sein Leid. Noch benommen von den Vorfällen erzählt er ihnen alles, was geschehen ist.

381 382 383 384 385 386

Übersetzung nach L. Goldschmidt. Vgl. zur rabbinischen Auslegung I. Katzenellenbogen, Esther, 31‒32. Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 38. Vgl. zur Zahlensymbolik die Auslegung von 1,14. Vgl. H.M. Wahl, Motiv, 65‒67. Vgl. H. Jahnow, Das hebräische Leichenlied im Rahmen der Völkerdichtung, BZAW 36, Gießen 1923, 21‒22.

144

Auslegung

Aus dem Munde der befreundeten Weisen und seiner eigenen Frau Seresh hört Haman dann ein Deutewort, das wie das Schwert des Damokles über seiner Existenz hängt (V 13). Als Konditionalsatz formuliert, sagen die Seinen ihm im Gleichklang voraus, daß er vor Mordechai fallen wird. Die Begründung muß für einen Perser blasphemisch klingen, sie kann nur aus dem Glauben Israels verstanden werden: Wenn Mordechai ein Jude ist, so argumentieren die Vertrauten, dann vermag der zweitmächtigste Mann im persischen Weltreich nichts gegen den weggeführten Israeliten auszurichten (2,6). Unausgesprochen klingt das Motiv des göttlichen Beistandes an, denn es kann ja nicht der niedere Hofbeamte Mordechai sein, vor dem der Statthalter Haman fallen wird. Um Klarheit bemüht tragen die Theologen der griechischen Tradition nach, daß der Gott Israels Mordechai (B 6,13) und den Juden beisteht (A 6,22). Auch nach Josephus verdankt Mordechai seine Rettung Jahwe, das jedenfalls läßt er Seresh und die Freunde bekennen (Ant 11, 259). Die Beistandsbekräftigung Jahwes betont die Ohnmacht und beschleunigt den Fall des Judenfeindes (Tob 12,4‒15; Jdt 13,3‒7; 16,3). Das Motiv des göttlichen Beistandes ist schon in der Genesis wiederholt entfaltet (V 13). Der König der Philister, Abimelech, sieht ein, daß er gegen die Israeliten machtlos ist, weil Jahwe mit ihnen ist (Gen 26,28‒29); selbst der ägyptische Pharao erkennt den in Joseph mächtigen Gott und erhebt ihn deshalb zum Statthalter (Gen 39,2‒4; 41,39‒44). Jahwe schützt Mordechai vor dem Bösen. Das implizite Motiv des göttlichen Beistands ist mit dem Motiv der ethnisch-religiösen Zugehörigkeit Mordechais zum Volk Gottes verknüpft (Gen 12,3; Ex 33,12‒14; Jes 2,2‒3; 54,8; Sach 2,12; Spr 21,2). Schon scheint der Fall Hamans beschlossen (V 13). Rhetorisch unterstreicht dies die Wiederholung des entscheidenden Wortes fallen, fallen wirst du vor ihm. Unausweichlich geht der hochmütige Mordechai seinem Geschick entgegen.387 Diese Erfahrung reflektiert das weisheitliche Denken. Nach ihm führt das selbstverschuldete, uneinsichtige Handeln einerseits und das Wirken Jahwes andererseits zum Fall des Toren. Haman ist dieser gottlose Tor (Spr 12,13.19‒20; 14,1.21; 16,5; 17,12.20; 28,12; Sir 10,14‒16).388 Nun überschlagen sich die Ereignisse (V 14). Als Ausdruck der Gleichzeitigkeit treten die Diener des Königs bei Haman ein, als seine Ratgeber noch reden. Bevor das Deutewort ganz verklungen ist, scheint 387 Vgl. H.M. Wahl, Glaube, 40‒41. 388 Vgl. Sh. Talmon, Wisdom, 426‒427, 444‒447.

Mordechais Ehrung und Hamans Trauer

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es sich schon zu erfüllen. Doch nicht die Hofgarde kommt, um Haman unversehens zur Exekution zu führen. Es sind die königlichen Kammerdiener, die, wie verabredet, den Statthalter zum Gastmahl bei der Königin begleiten wollen (5,8.12). 6,1‒14: Ausblick. Die Zeit steht still. Zwischen dem abendlichen ersten und dem für morgen verabredeten zweiten Gastmahl bei der Königin ist eine Begegnung eingeschoben, die sich für den Judenfeind Haman verhängnisvoll auswirkt. Daß die Episode gerade in die Nacht zwischen die beiden Gastmähler und vor die geplante Hinrichtung Mordechais fällt, demonstriert eindrucksvoll, wie kunstvoll die Erzählung komponiert ist. Es ist der König selbst, der bei der Lektüre der Tageschronik darauf aufmerksam wird, daß er sein Leben dem Juden Mordechai zu verdanken hat. Die für die weitere Handlung wesentliche nächtliche Entdekkung ereignet sich (nicht?) ganz zufällig. Ist das die Hilfe von einem anderem Ort (4,14), von der der gläubige Mordechai gesprochen hat? Ist die Nacht die Stunde, in der sich der Gott Israels dem König Persiens mitteilt? Zweifellos erinnert der nächtliche Vorfall an eine Offenbarung: Jahwe selbst stößt den heidnischen Monarchen auf die basale Notiz und lenkt so an entscheidender Stelle den Lauf der Welt (B 6,1; Jes 44,28‒45,1; Jer 25,29; Ps 33,15‒16; Spr 21,1; Esr 1,1‒2; Jdt 10,8).389 Das dramaturgische Mittel der Gleichzeitigkeit führt die Erzählung auf ihren bisherigen Höhepunkt. Zu derselben Stunde, da der König die Wohltat Mordechais entdeckt, schmiedet sein Statthalter Haman für denselben Mordechai heimlich die Hinrichtung. Die stilistischen Mittel des Zufalls, der Verheimlichung und des Mißverständnisses würzen die Darstellung. Wer wird fallen? Mordechai oder Haman? Zwischen diesen Alternativen schwingt das Pendel an den beiden aufeinanderfolgenden Tagen und der dazwischen liegenden Nacht hin und her. Sieht es noch am frühen Abend so aus, als sollte Mordechai den kommenden Tag nicht überleben, wird durch die nächtliche Entdeckung des Königs der Plan Hamans vereitelt. Doch der kommende Tag bringt es ans Licht, er bringt nicht die Hinrichtung Mordechais, sondern dessen unverhoffte Ehrung. Die Ehrung Mordechais bereitet den Boden für eine erfolgreiche Petition Esthers. Sicherlich wird es der Königin leichter fallen, sich für ihr

389 Vgl. O. Kaiser, Der Gott des Alten Testaments, Bd. 2, UTB 2024, Göttingen 1998, 63‒65.

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Auslegung

Volk zu verwenden, wenn zuvor ein führender Israelit vom König mit den höchsten Ehren ausgezeichnet ist. Dank der nächtlichen Entdeckung wirkt Achashverosh selbst daran mit, daß die Todesbedrohung von Mordechai abgewendet und die Aufhebung des Pogroms antizipiert wird. Von einer Verstrickung in die geplante Judenverfolgung wird er durch diesen Kunstgriff befreit. Mit dem Bericht vom anschließenden Gastmahl bei der Königin wird der Handlungsverlauf, der nach dem Deutewort den unmittelbaren Fall Hamans erwarten läßt, zunächst wieder unterbrochen. Gleichzeitig steigert das ausstehende Gastmahl die Spannung, denn es ist zu ahnen, daß im Gespräch zwischen Esther, Achashverosh und Haman nun eine Entscheidung fällt. Noch ist alles offen. Mordechai scheint gerettet, doch kann das Pogrom vom jüdischen Volk noch abgewendet werden?

10. Esthers Petition und Hamans Fall (7,1‒10) Esthers Petition und Hamans Fall 7,1 Der König kam und Haman, um mit Esther, der Königin, zu trinken. 2 Da sprach der König zu Esther auch am zweiten Tage beim Gelage des Weines: „Was ist dein Wunsch, Königin Esther? Es sei dir gegeben. Was ist dein Begehren? Bis zur Hälfte des Königreiches, es sei getan.“ [390] 3 Da entgegnete Esther, die Königin, und sprach: „Wenn ich Gunst in deinen391 Augen, König, gefunden habe, und wenn es dem König gut scheint, sei mir mein Leben um meinen Wunsch gegeben ‒ und mein Volk um mein Begehren392! 4 Denn wir sind verkauft, ich und mein Volk, ausgerottet, getötet und vernichtet zu werden.393 Wenn394 wir als Sklaven und Mägde verkauft würden, schwiege ich, denn nicht wäre die Not die Belästigung395 des Königs wert.“ [396] 5 Und König 390 A 7,2 fügt hinzu, daß Esther sich fürchtet, ὅτι ὁ ἀντίδικος ἐν ὀφαλμοῖς αὐτῆς, καὶ ὁ θεὸς ἔδωκεν αὐτῇ θάρσος ἐν τῷ αὐτὴν ἐπικαλεῖσθαι αὐτόν weil der Widersacher (Haman) in ihren Augen ist, doch Gott gab ihr Mut, als sie ihn angerufen hat. 391 Die direkte Anrede des Königs in der 2. Pers. sg. begegnet nur hier und in 3,8. 392 Rhetorisch liegt in V 3 eine Höflichkeitsformel mit Lautsymbolik vor (vgl. H. Striedl, Untersuchung, 90). 393 M lehashmid laharog ulabed, die dreigliedrige Formel mit Synonymen ist emphatische Redeweise (3,13; 8,11). 394 M we’ilu ist wie in Koh 6,6 für einen Konditionalsatz des späten Hebräisch typisch (vgl R.L. Bergey, Book, 37‒38). 395 M ! nesäk ist ein hp lg. 396 A 7,4 fügt hinzu ἐγένετο γὰρ μεταπεσεῖν τὸν ἄνθρωπον τὸν κακοποιήσαντα ἡμᾶς es geschah nämlich, daß der Mann, der uns Böses tat, herbeordert ist; B 7,4 ergänzt

Esthers Petition und Hamans Fall

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Achashverosh sprach, und er sprach zu Esther, der Königin397: „Wer ist der? Und wo398 ist der, dessen Herz davon erfüllt ist, solches zu tun?“ 6 Da sprach Esther: „Der Mann, Widersacher und Feind, dieser Bösewicht Haman399 ist es.“ Und Haman erschrak vor dem König und der Königin. 7 Der König erhob sich in seinem Grimm vom Gelage des Weines zum Palastgarten. Haman aber blieb stehen, sein Leben von Esther, der Königin, zu erflehen, denn er sah, daß vom König das Böse gegen ihn beschlossen war. 8 Als der König vom Palastgarten in das Haus des Weingelages zurückkehrte, fiel Haman auf dem Lager, auf dem Esther war, nieder. Der König sprach: „Will man sich sogar bei mir im Hause der Königin bemächtigen?“400 Das Wort ging vom Mund des Königs aus, schon verhüllten sie das Gesicht Hamans. 9 Und Charbona, einer von den Eunuchen, sprach zum König: „Da ist ja auch das Holz401 ‒ das Haman für Mordechai, der für den König gut geredet hat, gemacht hat –, es steht bei Hamans Haus, 50 Ellen402 hoch.“ Und der König sprach: „Hängt ihn daran auf!“ 10 Und sie hängten Haman an dem Holz auf, das er für Mordechai aufgestellt hatte. Da legte sich der Grimm des Königs. 7,1‒10: Hinführung. Die Stunde der Wahrheit naht für Haman. Das weiß der hochmütige Statthalter nicht, der gestern noch stolz zum Gastmahl bei der Königin eilte, der aber heute Mordechai, den er töten wollte, auf königliche Anordnung hin ehren mußte und von dort verhüllten Hauptes in sein Wohnhaus schlich. Das bittere Deutewort der Seresh und der Hausgäste Hamans lassen erahnen, daß der perfide Plan des Bösen auf ihn selbst zurückfallen wird. Ernüchtert geht Haman ein zweites Mal zum Palast der Königin, um dort mit Esther und Achashverosh zu trinken. Noch weiß er nicht einmal, warum die Königin ihren Gemahl und ihn dazu geladen hat. Er

397 398 399 400

401 402

οὐ γὰρ ἄξιος ὁ διάβολος τῆς αὐλῆς τοῦ βασιλέως nicht ist der Teufel würdig des königlichen Hofes. Rhetorisch eine auffällige doppelte Wortwiederholung sprechen ‒ sprechen; König ‒ Königin, dadurch gleichzeitig eine Assonanz. GK, § 137a regt an, M ! und wer ist dieser persönlich zu verstehen. M ! Haman hara hasäh ist nur hier belegt (vgl. H. Striedl, Untersuchung, 95). Schwierige Konstruktion mit einem infinitiv constructus in einer Frage (vgl. GK, § 114i). Wörtlich übersetzt: Auch gar sich der Königin bemächtigen bei mir im Haus? Der Redefigur nach liegt eine Hyperbel vor. M ez in V 9.10 ist eine Metonymie. Die Maßangabe ist der zahlensymbolische Ausdruck für die überdimensionale Höhe des Galgens.

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Auslegung

ahnt vielleicht Schlimmes, doch er rechnet nicht mit dem, was schließlich geschehen wird. Er spürt nicht, daß seine letzte Stunde schlägt. Darum erschrickt er zu Tode, als die Königin den Bösen demaskiert, die Wahrheit offenlegt und die Entscheidung des erzürnten Königs erzwingt. Haman steht sprachlos dabei. Kein Wort von ihm ist aus dem Gespräch überliefert. Es ist, als verhandeln die gastgebende Königin und der König allein über sein Geschick. Nun weiß er, daß er verloren ist. Vergebens erfleht er sein Leben von Esther. Und auch die tiefe Geste der Demut vor dem König kann ihn nicht mehr retten. Der böse richten wollte, wird nun selbst wahr und gerecht gerichtet. 7,1‒6: Esthers zweites Gastmahl mit dem König und Haman. Ein zweites Mal machen sich der König und Haman auf (5,5), um der Einladung Esthers zu einem Gastmahl zu folgen (V 1). Auffälligerweise wird zunächst nicht das Wort mishtäh403 gebraucht, sondern das Geschehen verbal umschrieben: Der König und Haman kommen, um mit Esther zu trinken. Dieselbe Redewendung hat er verwendet, als der König und Haman das geplante Pogrom beim Wein besiegelt haben (3,15). Unverkennbar beziehen sich so die Ereignisse des geplanten Pogroms (3,7‒15) und der Fall Hamans (7,1‒10) aufeinander. Der gemeinsame Trunk von König und Statthalter hat das Pogrom vermeintlich besiegelt, beim gemeinsamen Wein wird nun wohl, das nimmt das Deutewort (6,13) voraus, über Hamans Kopf entschieden. Ein zweites Mal richtet der König beim zweiten Gastmahl Esthers sein Wort an die Gastgeberin (V 2). Im Machtbereich der jüdischen Königin, im Königinnenpalast, richtet er seine Rede an seine Gattin; im Machtbereich der Königin fällt die Entscheidung über Hamans Fall, die den vorläufigen Ausgang des Dramas bereits erahnen läßt. Zweimal fragt der König nach dem Begehren Esthers, zweimal fügt er vergewissernd hinzu, daß er ihren Wunsch auch erfüllen wird. Kunstvoll sind die beiden Fragen formuliert, die jeweils von einer bestätigenden Aussage unterstrichen werden. Durch die eingefügte Anrede Königin Esther wirken die Worte des Königs noch persönlicher als am Vortag (5,3.6). Gingen der Königin bei den beiden ersten Begegnungen (5,4.7‒8) ihre Bitten leichter über die Lippen, hebt Esther nun an, um wohl vorbereitet (4,16) ihr eigentliches Anliegen vorzutragen (V 3). Formal eröffnet ihre Anklage einen Prozeß. Ihre Stimmung bleibt uns verbor403 Vgl. den Exkurs 8 (S. 129–131).

Esthers Petition und Hamans Fall

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gen, darum fügt die griechische Tradition eine Notiz ein, die berichtet, daß sich die Königin in diesem Moment vor ihrem Widersacher Haman fürchtet, der vor ihren Augen steht. Doch Gott gibt ihr Mut, ihm entschieden entgegenzutreten (A 7,2; Gen 41,38‒39). Die Anrede Esthers an den König ist zwar kürzer als in 5,7‒8 formuliert, aber ihre persönlich klingenden Worte, die ansonsten nur noch in dem intimen Dialog zwischen Haman und Achashverosh belegt sind (3,8), wirken noch eindringlicher (V 3).404 Kunstvoll setzt sie jedes einzelne Wort: Mit zwei an den König gewendeten Konditionalsätzen trägt die Königin ihre doppelte Bitte ihrem Gemahl vor. Die sechs Wörter, mit denen Esther ihre Bitte formuliert, bilden zudem eine sechsgliedrige Wortkette, eine Assonanz auf langem auslautendem i: tinatän li naphshi bishelati weami bewakashati.405 Mit ihrer Bitte legt sie alles in seine Hände (V 3). Zunächst bittet die Königin um ihr eigenes Leben. Kryptisch klingt dann die hinzugesetzte Formulierung und mein Volk um mein Begehren. Endlich offenbart Esther dem König das so lange gehegte Geheimnis ihrer Herkunft (2,10.20). Doch aus den Andeutungen kann Achashverosh ja gar nicht verstehen, was Esther meint, denn noch ist ihm der Zusammenhang zwischen der ethnisch-religiösen Herkunft Esthers und dem geplanten Pogrom Hamans verborgen. Noch hat Esther dem König die ganze Wahrheit nicht eröffnet (8,3‒6). Geschickt trägt die Königin ihre Bitte vor (V 3). Da sich Esther der Gunst des Königs sicher weiß, bittet sie zunächst um ihr eigenes Leben. Wie könnte der König seiner geliebten Königin diesen Wunsch abschlagen? In einem Nachsatz fällt dann auch unmittelbar die zweite Bitte: Esther bittet für ihr Volk. Doch weil der König Esthers Herkunft noch nicht kennt, kann er diese Bitte gar nicht verstehen und auch nicht darauf eingehen (V 3.5). Noch ehe Achashverosh antworten kann, fährt darum die Königin begründend mit denn fort, und erzählt ihm in denkbar knappster Form die Leidensgeschichte Israels seit dem Exil (V 4). In dieser Darstellung bekennt sie sich endlich zu ihrem Volk (2,10.20). Sie, die Königin, ist eine von den Israeliten, die als Volk verkauft worden sind. Das bewußt gewählte Verb verkaufen klingt in dieser Situation dramatischer als wegführen (2,6). Die Juden sind in die Fremde verkauft, um ausgerottet, getötet und vernichtet zu werden. Die triadische Formel, die radikal die geplante Vernichtung alles jüdischen Lebens beschreibt, 404 Vgl. zur Komposition der Höflichkeitsformel die Auslegung von 5,7‒8. 405 Vgl. W. Dommershausen, Estherrolle, 94.

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Auslegung

ist der dritte sprachliche Bezug zum geplanten Pogrom (3,13). Das soll die einzige Bestimmung des Volkes Israel sein: Es ist verkauft, um vollständig vernichtet zu werden. Ähnlich fragt Jeremia klagend: „Ist Israel ein Sklave? Ist es in die Sklaverei geboren? Warum ist es zum Raub geworden?“ (Jer 2,14)406 Esther betont jedoch, daß ihr Volk kein Volk von Sklaven ist (Lev 25,42‒55; Dt 28,68; Ri 2,14; Neh 5,8). Wenn die Israeliten rechtlose Sklaven wären, so argumentiert die Königin, würde sie sich schweigend fügen, doch da die Juden freie Bürger Persiens sind, erhebt sie ihre Stimme; ihr Anliegen hat einen Rechtsanspruch (Jes 26,16; Ps 4,2; Hi 15,24; 36,16). Rhetorisch geschickt hebt Esther abschließend hervor, daß ihre Bitte dann nicht einmal die Belästigung des Königs wert wäre, wenn die Israeliten Sklaven wären (Jer 2,14). Beide griechischen Traditionen pointieren die Rede Esthers noch. Sie fügen eine Bemerkung über Haman ein, der nach B 7,4 als ein unwürdiger Teufel, nach A 7,4 als der Böse charakterisiert wird (V 4). Mit ihrer nachdrücklichen Rede legt Esther die Entscheidung in die Hände des Königs (V 5). Wie wird der König reagieren? Wird er sich darüber erhitzen, daß Esther wissentlich ihre Herkunft verschwiegen hat? Wird er etwa dem drohenden Unheil zustimmen, das Esther nicht konkretisiert hat? In diesem Augenblick steht alles auf dem Spiel: Esthers Leben und die Existenz des ganzen jüdischen Volkes. Achashverosh, darauf weist das wiederholte und er sprach hin, der König wendet sich nun an seine Königin Esther. Haman ist vom Gespräch ausgeschlossen. Schon diese persönliche Zuwendung verheißt für den Statthalter nichts Gutes. Achashverosh reagiert anders als vielleicht erwartet (V 5). Der König wirft Esther nicht vor, daß sie ihm ihre Herkunft verschwiegen hat. Er fragt nicht danach, wann und warum ihr Volk vernichtet werden soll. Er fragt auch nicht, wie ein reichsweites Pogrom exekutiv durchgeführt werden kann. Nein, der König nimmt die persönliche Bitte Esthers um ihr eigenes Leben auf und fragt nach dem Übeltäter. Gleichsam anklagend fragt der König seine Königin nach dem Schuldigen: „Wer ist dieser, und wo ist dieser, den sein Herz geschwellt hat, solches zu tun?“407 Ohne zu zögern deckt die Königin ihrem Gemahl die Intrige auf: Haman ist es ‒ der Böse ist demaskiert (V 6). Esther identifiziert den Statthalter als denjenigen, der das Leben der Königin und ihres Volkes 406 Vgl. W. McKane, Jeremiah I, ICC, 1986, 35‒36. 407 Übersetzung nach M. Buber.

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bedroht. Den von dem Gespräch ausgeschlossenen Judenfeind ergreift der Schreck (Ps 18,5; Hi 3,5). In ihrer Beschuldigung gebraucht die Königin die drei den Statthalter belastenden Synonyme Widersacher, Feind und Bösewicht. Schon stilistisch betont das dreigliedrige Formular emphatisch die Bosheit des Mannes. Rhetorisch entspricht die Aneinanderreihung der dreigliedrigen Formulierung auszurotten, zu töten und vernichten (7,4). Nur hier wird Haman als der Böse bezeichnet, das der Heide Haman für die Jüdin Esther verkörpert ‒ und für ganz Israel auch (Koh 8,11). 7,7‒10: Das Todesurteil Hamans. Haman ist zu Tode erschrocken, der König von Grimm geschüttelt (V 7). Derselbe Ausdruck zornige Erregung, der die heftige Reaktion des Königs auf die Verweigerung Vashtis (1,12) beschreibt, skizziert nun die Stimmung des Monarchen. Doch diesmal konsultiert Achashverosh nicht seine Weisen (1,13), er erhebt sich zornerfüllt und verläßt wortlos das Gelage. Die heftige Reaktion des Königs bestärkt die Befürchtungen Hamans. Dies drückt auch das die beiden Verse verbindende Wortspiel aus: Das Böse (V 7) ist über den Bösen (V 6) beschlossen. Haman und Esther bleiben allein zurück (V 7). Für den Statthalter bietet sich nun die Gelegenheit, seinen Kopf noch aus der Schlinge zu ziehen. Haman tritt vor die Königin und fleht darum, ihn zu verschonen. Wie Esther auf diese eindringliche Bitte reagiert, bleibt uns verborgen. Josephus fügt deshalb interpretierend hinzu, Esther habe keine Gelegenheit gehabt, auf die Bitte Hamans zu antworten, da der König unversehens aus dem Garten zurückkommt (Ant 11, 265). Was immer in diesen Momenten zwischen der Königin und dem Statthalter vorgefallen ist, die kluge Esther überläßt die Entscheidung dem Monarchen. Nach einer endlos scheinenden Weile kehrt Achashverosh aus dem Garten wieder in den Palast der Königin zurück (V 8). Kaum tritt der König ein, fällt Haman vor ihm dicht neben dem Lager der Königin nieder. Nun fleht er, der die Existenz eines Volkes heimtückisch auslöschen wollte, kläglich um sein eigenes Leben. Mit dieser Demutsgebärde, einer Geste, die ihm Mordechai einst verweigert hat (3,2.5) und später Esther vor dem König wiederholt (8,3), trägt er sein allerletztes Gnadengesuch vor. Doch der König deutet diesen Gestus als bedrohliche Annäherung an die Königin (V 8). Unpersönlich fragt er, ob man sich sogar in seinem Königspalast der Königin bemächtigen will. Zwar genießt die Königin in ihrem Palast gewisse Vorrechte, letztlich untersteht der Königinnenpalast aber dem Machtbereich des Königs. Für die Anwesenden

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Auslegung

klingt in diesen Worten eine Anspielung auf die von Mordechai vereitelte Verschwörung der beiden Leibdiener mit, die auch im Königspalast Hand an den König legen wollten (2,21‒23). In der Frage des Königs ist die Antwort schon beschlossen (V 8). Wer Hand an den König oder die Königin legen will, der ist, wie schon die beiden Eunuchen, zu exekutieren. Und er wird, dieser Gedanke schwingt mit, auf dieselbe Weise hingerichtet wie die beiden Verräter. Auf das von Esther angesprochene Thema der Vernichtung Israels geht der König nicht ein. Erst später taucht das Motiv wieder auf (8,3‒8). Auch die anwesenden Kammerdiener haben die Frage des Königs gehört (V 8). Als Ausdruck der Gleichzeitigkeit greifen die Häscher schon nach Haman und verhüllen sein Gesicht, als der König noch spricht. Hat der Statthalter nach der Ehrung Mordechais, mit der sein Fall begonnen hat, sich selbst sein Gesicht aus Trauer verhüllt (6,12), verdecken nun diejenigen sein Haupt, die ihn zur Richtstätte führen. Wiederum (2,2) ist es einer der Diener, aus dessen Munde die entscheidenen Worte kommen (V 9). Der Eunuch Charbona (1,10) schlägt vor, was mit dem Delinquenten zu geschehen hat. Unaufgefordert weist er den König auf das überproportionale Holz hin, das Haman für Mordechai vor seinem Haus aufgerichtet hat (5,14). Doch der Exekution Hamans geht ein Eilverfahren voran (V 9). Mit dem Hinweis auf den bereits errichteten Galgen bestätigt Charbona beiläufig die von Esther gemachte Beschuldigung, daß Haman zweifellos mörderische Pläne hegt. Der für Mordechai aufgerichtete Galgen ist ein mächtiges Indiz für seine Mordabsichten. Gegenüber der Königin und den anwesenden Dienern hat Haman seine Schuld bereits durch sein Gnadengesuch eingestanden (7,7). Nun gilt seine Schuld auch durch die Worte eines Dritten als erwiesen. Von einer Verteidigung sieht der Statthalter ab. Die Situation ähnelt einem Prozeß nach der im Alten Testament nur spärlich bezeugten königlichen Gerichtsbarkeit (II Sam 15,1‒6; I Reg 3,16‒28):408 Die Anklage der Königin, die von Indizien gestützte Zeugenaussage des vertrauenswürdigen Eunuchen und das sowohl durch sein Gnadengesuch als auch durch sein Schweigen ausgedrückte Schuldeingeständnis Hamans, das ein weiteres Verhör sowie eine Verteidigung überflüssig macht, begründen das noch nicht ausgesprochene höchstrichterliche Urteil des Königs. Das hier angedeutete Verfahren entspricht der von Herodot beschriebenen persischen Rechtsgewohnheit, wonach niemand ohne genaue Prüfung hingerichtet werden darf 408 Vgl. H. Niehr, Rechtsprechung in Israel, SBS 130, Stuttgart 1987, 66‒69.

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(Historien, I, 137). Rechtlich klingt in dem Hinweis des Dieners auf den von Haman aufgestellten Galgen noch ein tieferer Grund an. Nach Herodot darf nach persischem Recht eine Person nur bei mehreren eindeutigen Vergehen getötet werden (Historien, I, 137). Die von Haman heimlich geplante Hinrichtung Mordechais wäre neben dem Pogrom, das Achashverosh als Anschlag auf die Königin wertet, der zweite und damit zureichende Tötungsgrund (V 9).409 Durch die Worte des Eunuchen fällt nun auch der Name Mordechais, der bislang nicht erwähnt wurde (V 9). Auf dem Höhepunkt des Dramas stehen sich die beiden Kontrahenten, wenn auch nicht persönlich, so aber durch die Rede Charbonas gegenüber. Der dem König treu ergebene Mordechai, der auf heimtückische Weise liquidiert werden sollte, ist der Antipode des einst im Glanze erhobenen Statthalters Haman. Der König nimmt den Hinweis seines Eunuchen auf und spricht, ohne seine Weisen zu befragen (1,13‒15), mit zwei hebräischen Worten das denkbar knappste Todesurteil über den Bösewicht: teluhu alaw! Hängt ihn am Galgen auf! Der rechtmäßige Urteilsspruch des Königs ist gefällt: Haman wird wegen seiner Mordpläne an Mordechai und Königin Esther zum Tode verurteilt (8,7).410 Der Prozeß ist beendet (V 10). Umgehend wird der Befehl des Königs befolgt und das königliche Urteil vollstreckt.411 Haman wird mit verhülltem Gesicht und gebundenen Händen abgeführt. Seine Häscher hängen ihn an dem von ihm selbst für Mordechai aufgerichteten Galgen auf. Nun erst legt sich der Zorn des Königs, der über das gerechte Urteil tiefe Genugtuung empfindet. Jahwe hat Esthers Bitte erhört (C 22‒23). Josephus deutet die gerechte Verurteilung Hamans in einem midraschartigen Nachwort als das Wirken Jahwes. Mit einer Anspielung auf weisheitliches Gedankengut (Spr 3,29; 11,8.21; 16,22‒23; 21,3; 24,16) interpretiert er gerade die für einen anderen gedachte, dann aber selbst erlittene Hinrichtung am Galgen als Torheit, die gottgewollt auf den Übeltäter selbst zurückfällt (Ant 11, 268).

409 Mit dieser Tendez kommentieren auch die Rabbinen die V 7‒9 (vgl. B.M. Zlotowitz, Esther, 50; 103‒105). 410 Vgl. H.J. Boecker, Recht und Gesetz im Alten Testament und im Alten Orient, NStB 10, Neukirchen-Vluyn 21984, 15‒19, 32‒40. 411 Vgl. H.M. Wahl, Prozess, 106‒110.

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Auslegung

Exkurs 9: Das Aufhängen am Holz (

)

Die Redewendung q. am Holz (Pfahl) aufhängen, pfählen, ni. aufgehängt werden ist im Alten Testament nur 13-mal belegt. Davon entfallen allein 9 Belege auf Esther und nur 4 auf das übrige Alte Testament.412 Der Ausdruck ist eine in Esther gängige Redewendung, die immer dann auftritt, wenn von der geplanten oder durchgeführten Hinrichtung die Rede ist. In Esther ist, von dem geplanten Massaker und der Vergeltung der Juden einmal abgesehen, das Aufhängen am Holz die gängige Strafe für ein todeswürdiges Verbrechen. Auf diese Weise werden die beiden Verschwörer (2,23) und Haman (7,9‒10) exekutiert. Auf den Rat der Seresh wird ein 50 Ellen hohes Holz vor dem Hause des Statthalters aufgerichtet, an dem Mordechai hingerichtet werden soll (5,14; 6,4) und dann tatsächlich Haman hingerichtet wird (7,9‒10). Das Pfählen geschieht in Esther nach dem Gesetz (9,13) auf königliches Urteil (7,9; 9,14) hin, öffentlich auf einem Platze (7,9). Die Hinrichtung wird im Fall der Verschwörer schriftlich dokumentiert (2,23). Die Eintragung in die Chronik ist sicherlich üblich; sie wird ausdrücklich erwähnt, damit der König diese Begebenheit später lesen kann und so auf die Verdienste Mordechais aufmerksam wird (6,1‒3). Wie die Exekution durchgeführt wird, geht aus den Texten nicht eindeutig hervor (Klgl 5,12). Der hölzerne Pfahl ist jedoch die den Tod symbolisierende Requisite.413 Wie Herodot bestätigt, kennen die Perser das Aufhängen am Holze. Er berichtet sogar von einer Massenhinrichtung durch Pfählen. Nach der Eroberung Babels läßt Darius I. die führenden 3000 Männer Babylons pfählen (Historien, III, 159). An anderer Stelle erzählt er davon, daß Xerxes einen Jüngling wegen unsittlicher Vergehen kreuzigen wollte (Historien, IV, 43). Auffällig sind die vier Belege der Redewendung aus dem übrigen Alten Testament. Dt 21,22‒23 setzt das Pfählen als gängige Strafe voraus. Dort ist die Anweisung gegeben, einen am Holze Aufgehängten nicht über Nacht hängen zu lassen. Noch am selben Tag soll er beerdigt werden, da er als Verfluchter sonst das Land verunreinigt.414 Die übrigen drei Belege stammen aus der Josephsgeschichte. Thematisch sind die Stellen mit denen aus Esther verwandt: Joseph und der namentlich nicht genannte Hofbäcker sind wegen todeswürdiger 412 Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 41. 413 Vgl. T.C.G. Thornton, The Crucifixion of Haman and the Scandal of the Cross, JThS 37 (1986), 419‒426. 414 Nach E. Nielsen, Deuteronomium, HAT I, 6, Tübingen 1995, 203‒208.

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Verbrechen angeklagt. Beiden droht die Todesstrafe durch Erhängen am Holz. Der unschuldige Joseph entkommt dem Urteil, am schuldigen Bäcker wird es vollstreckt (Gen 40,19.22; 41,13). Einige Texte deuten darauf hin, daß zunächst die Hinrichtung erfolgt und die Leiche dann zur schändlichen Darstellung aufgehängt wird. Allerdings ist bei diesen Belegen nicht vom Pfählen am Holz, sondern vom Aufhängen am Baum die Rede (Jos 10,26‒27; II Sam 4,12); Sauls Leichnam wird sogar an der Stadtmauer von Beth-Shean aufgehängt (I Sam 31,10). Auch die zehn Söhne Hamans werden nicht durch Pfählen getötet. Sie sind bereits von den Juden hingerichtet worden (9,7‒10), ehe sie dann auf die Bitte Esthers (9,13) und die Anordnung des Königs aufgehängt werden (9,14). Als gerichtete Judenfeinde werden Haman und seine Söhne schändlich dargestellt (9,25).415 Wie Herodot bestätigt, kannten die Perser in besonderen Fällen die Leichenschändung durch Pfählen: Polykrates, „der erste Grieche, der auf Seeherrschaft sann“ (Historien, III, 122), wird von „Oroites auf unbeschreiblich grausige Art umgebracht“ und danach „ans Kreuz“ geschlagen (Historien, III, 125).416 Histiaos von Milet wird gepfählt und sein Kopf einbalsamiert zu König Dareios nach Susa überführt (Historien, VI, 30). Leonidas wird auf Befehl von Xerxes erst geköpft und danach gepfählt (Historien, VII, 238). Der Chronist fährt kommentierend fort: „Aus vielen Anzeichen, darunter am meisten aus diesem Befehl, ist mir klar geworden, daß König Xerxes keinen Feind so gehaßt hat wie Leonidas, als er noch lebte. Er hätte sonst niemals seinen Leichnam so grausam gegen alle Sitte behandelt“ (Herodot, Historien, VII, 238).417 7,1‒10: Ausblick. Beim zweiten Gastmahl kommt für Esther und Haman die Stunde der Wahrheit. Esther entdeckt ihrem Gemahl, was sie ihm zweimal verborgen hat. Sie enthüllt ihm ihre ethnisch-religiöse Herkunft, beschreibt ihm die Todesnot ihres Volkes, die nun auch ihre eigene ist, und nennt ihm schließlich denjenigen, der den bösartigen Plan ausgeheckt hat. Nachdem Esther die Wahrheit ausgesprochen hat, bittet sie den König, das drohende Unheil von ihrem Volk abzuwenden. Die Identifikation Hamans als Judenfeind führt unausweichlich zu seiner Verurteilung, die noch für einen Moment lang hinausgeschoben 415 Vgl. J. Zias, Death and Disease in Ancient Israel, BA 54 (1991), 147‒159. 416 Übersetzung nach J. Feix. 417 Übersetzung nach J. Feix.

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Auslegung

wird, weil sich der König grollend im Garten ergeht. Der Böse nutzt die Abwesenheit des Herrschers, um sein Leben von der Königin zu erflehen. Seine um Gnade bittende Geste verkennt, welch schwere Schuld auf ihm lastet, sie verkennt auch, daß seine Verurteilung bereits beschlossen ist. Der aus dem Garten zurückgekehrte König lehnt sein erneutes Gnadengesuch ab. Der symbolische Gehalt dieses Gastmahls hat mehrere Dimensionen: Im Palast der Königin, in ihrem Machtbereich, dort, wo sie das Hausrecht ausübt, fällt die Entscheidung über das Wohl und Wehe Hamans. Die Königin bereitet mit einem Bekenntnis ihrer ethnischreligiösen Abstammung die Hinrichtung Hamans vor. Dem Bekenntnis Esthers folgt die Anerkennung des Königs; dem Bekenntnis und der Anerkennung wiederum folgt der Prozeß. Die Jüdin bereitet das Gericht des Judenfeindes vor. Der flehende Heide, vor dem der Jude Mordechai einst die Proskynese verweigerte, kniet vor der jüdischen Königin, kniet vor seinem König, um sein Leben zu erflehen. Der zweitmächtigste Mann im Staate ist ohnmächtig. Haman, der erhobenen Hauptes zum Gastmahl kam, wird schließlich an dem von ihm selbst für einen anderen errichteten überdimensionierten Galgen aufgehängt. Der Widersacher ist gerichtet, der Zorn des Königs ist beschwichtigt. Doch noch droht das Pogrom. Kann die bereits angeordnete reichsweite Judenhatz noch im lezten Augenblick abgewendet werden? Die Antwort auf diese drängenden Fragen ist noch einen Moment lang aufgeschoben. Wiederum wechselt das Thema und der Ort. Nach dem bitteren Fall Hamans tritt in der nächsten Szene nun der ruhmreiche Mordechai auf die Bühne.

11. Das vereitelte Pogrom (8,1‒17) Das vereitelte Pogrom 8,1 An diesem Tag gab König Achashverosh Königin Esther das Haus418 Hamans, des Feindes der Juden. Und Mordechai kam vor den König, denn Esther hatte ihm kundtgetan, was er für sie war.419 2 Da zog der König seinen Siegelring ab, den er Haman hatte abziehen lassen, und er gab ihn Mordechai. Und Esther setzte Mordechai über das Haus Hamans.

418 M bejt in V 1.2.7 ist ein Euphemismus. 419 Vgl. zur indirekten Frage mit was GK, § 137c sowie BL 266e.

Das vereitelte Pogrom

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3 Und Esther redete nochmals vor dem König. Sie fiel ihm zu Füßen, sie weinte, und sie erflehte von ihm, das Böse Hamans, des Agagiters, zurückzuziehen, und seinen Plan, den er gegen die Juden geplant hatte.420 4 Da streckte der König Esther das goldene Zepter entgegen. Und Esther erhob sich, und sie trat vor den König. 5 Und sie sprach: „Wenn es dem König gut erscheint, und wenn ich Gunst vor ihm gefunden habe, und die Sache vor dem König angemessen ist421, und ich gut bin in seinen Augen422, so werde geschrieben, die Briefe zurückzuziehen ‒ den Plan Hamans, den Sohn Hammedatas, des Agagiters –423, die er geschrieben hat, um die Juden zu vernichten, die in allen Provinzen des Königs sind. 6 Denn wie könnte ich das Unheil ansehen, das mein Volk treffen soll? Und wie könnte ich das Vernichten meiner Verwandten mitansehen?“424 7 Und König Achashverosh sprach zu Esther, der Königin, und zu Mordechai, dem Juden425: „Siehe, das Haus Hamans habe ich Esther gegeben, und ihn haben sie ans Holz426 gehängt, weil er seine Hand an die Juden legte. 8 Ihr nun, schreibt wegen der Juden, wie es gut scheint in euren Augen427, im Namen des Königs, und siegelt mit dem Siegel des Königs, denn ein Schriftstück, das im Namen des Königs geschrieben ist428 und mit dem Siegel des Königs429 gesiegelt ist, kann nicht zurückgezogen werden“430. 9 So wurden die Schreiber des Königs gerufen zu dieser Zeit, im dritten Monat ‒ das ist der Monat Sivan431 –, am 23. Tag von ihm. Und 420 M ‒ Plan ‒ geplant ist eine figura etymologica. 421 Die Redewendung und eine Angelegenheit ist richtig, angemessen vor dem König ist für spätes biblisches Hebräisch typisch. Sie erscheint nur hier und in Koh 10,10; 11,6; Sir 13,4. 422 V 5a bietet eine viergliedrige Höflichkeitsformel mit doppeltem Konditionalsatz und zwei nachgestellten Aussagen. W. Dommershausen, Estherrolle, 100, hält es für eine Art captatio benevolentiae. 423 Eine für den Stil Esthers typische, eingeschobene Parenthese (1,1‒3; 2,12‒14). 424 Mit hebräischer Lautsymbolik der k-Laute ki ejchacha uchal ‒ we’ejchacha uchal unterstreicht der Dichter zweimal den Schrecken, der in den Fragen Esthers anklingt (vgl. W. Dommershausen, Estherrolle, 101‒102). 425 Die Anrede und die Apposition und zu Mordechai, dem Juden fehlen in B 8,7. 426 M ez ist eine Metonymie. 427 Stilistisch eine eingeschobene Höflichkeitsform, syntaktisch ein asyndetischer Relativsatz. 428 M ‒ Schreiben ‒ schreiben ist eine Alliteration und eine figura etymologica. 429 Rhetorisch eine hervorhebende, dreifache Wiederholung von des Königs. 430 Die Konstruktion einer Negation mit Infinitiv ejn lehashiv, übersetzt nicht zurückzuziehen, ist wie in Dt 4,21; 8,11; 17,20; II Sam 14,13; 2 Chr 5,11; 35,15 ein Beispiel für das späte biblische Hebräisch (vgl. R. Bergey, Features, 70‒71). 431 Abweichend liest B 8,9 ἐν τῷ πρώτῳ μηνί, ὅς ἐστιν Νισα im ersten Monat, welcher der Nisan ist.

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es wurde geschrieben, alles, wie Mordechai befahl, an die Juden und an die Satrapen und Statthalter und die Beamten der Provinzen, von Indien bis Äthiopien, 127 Provinzen, Provinz um Provinz in ihrer Schrift, Volk um Volk in seiner Sprache432, und zu den Juden in ihrer Schrift und ihrer Sprache433. 10 Und er schrieb im Namen des Königs Achashverosh, und er siegelte434 mit dem Siegel des Königs. Und er versandte die Briefe durch Schnellboten auf Pferden, reitend herrschaftliche435 Rosse, Sprößlinge436 der Gestüte: 11 daß der König den Juden gebe, in aller Stadt um Stadt, sich zu versammeln und für ihr Leben einzustehen; auszurotten, zu töten und zu vernichten437 alle Macht438 eines Volkes und einer Provinz, die sie befeinden, Kinder und Frauen, und ihre Habe zu plündern439, 12 an einem Tag, in allen Provinzen des Königs Achashverosh, am 13. vom 12. Monat, das ist der Monat Adar.

432 Vgl. zur Darstellung von Mehrheitsbegriffen durch Wiederholung GK, § 123c. 433 V 9 ist der längste Vers der Schriften, des dritten Teiles der hebräischen Bibel (die Bücher Ps ‒ II Chr). 434 M ‒ wajichtow ‒ wajachtom, die beiden Verben bilden eine Alliteration. 435 M achashteranim ist ein nur in V 10.14 belegtes altpersisches Lehnwort (vgl. M. Ellenbogen, Foreign Words in the Old Testament, London 1962, 24). 436 M ramach ist ein hp lg. 437 M lehashmid welaharog ulabed, die dreigliedrige Formel mit Synonymen ist emphatische Redeweise (3,13; 7,4). 438 M chajil ist eine Metonymie. 439 Bemerkenswert sind in V 11 die sechs Infinitive sich versammeln, einstehen, ausrotten, töten, vernichten und plündern.

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[440] E 1 Das Folgende ist die Abschrift des Briefes: ‚Der Großkönig Artaxerxes grüßt die Befehlshaber der 127 Satrapien der Gebiete von Indien bis Äthiopien und diejenigen, die sich zu unserer Sache halten. 2 Viele (schon) wollten, obwohl sie durch die größte Freundlichkeit der Wohltäter überaus geehrt wurden, höher hinaus. 3 Und sie versuchen nicht allein, an unseren Untertanen böse zu handeln, sondern unternehmen es sogar, gegen ihre Wohltäter vorzugehen, da sie mit (ihrem) Erfolg überfordert sind. 4 Auch glauben sie, weil sie nicht nur die Dankbarkeit den Menschen wegnehmen, sondern auch durch die Prahlerei derer, die nichts vom Guten wissen, hochmütig geworden sind, dem Gericht des beständig alles sehenden Gottes, das das Böse verabscheut, zu entfliehen. 5 Oft aber hat viele, die als Herrscher eingesetzt waren, die Überredung der Freunde, denen die Durchführung der Staatsangelegenheiten anvertraut war, in ein auswegloses Unheil gebracht, indem sie sie mitschuldig an unschuldigem Blut machten ‒ 6 durch den lügnerischen, böswilligen Trugschluß solcher, die das lautere Wohlwollen der Herrschenden überlisten. 7 Dies kann viel mehr als aus den älteren Geschichtswerken, wie wir sie überlieferten, aus dem ersehen werden, was offen daliegt, wenn ihr erforscht, was an Gottlosigkeit durch die Bosheit derer, die unwürdig ihr Regierungsamt ausüben, geschehen ist. 8 Und wir werden uns bemühen, uns in Zukunft darum zu kümmern, daß das Königreich für alle Menschen in Frieden ruhig sein wird, 9 indem wir auf veränderte Situationen eingehen (und) das, was unter die Augen kommt, stets mit einer noch sachgerechteren Behandlung entscheiden. 10 Wie denn der Makedone Haman, Sohn des Hamadatos, der, (obwohl) wahrlich dem persischen Geblüt fremd und unserer Güte 440 Der fünfte Zusatz (E 1‒24): Nachdem M berichtet hat, daß der König ein zweites Sendschreiben verfaßt und in die Provinzen gesandt hat, folgt nach 8,12 der fünfte Text (E 1‒24). Wiederum (3,12; B 1‒7) wird das Schreiben des Königs mitgeteilt: In dem an die Befehlshaber der Provinzen gerichteten Sendbrief Artaxerxes’ (E 1) greift der König allgemein den Hochmut einzelner Vertrauter auf, ehe er auf den eigentlichen Anlaß seines Schreibens eingeht (E 2‒9). Darin wirft er dem stolzen Haman vor, Unfrieden gestiftet zu haben. Hochmütig trachtete er nach dem Leben von Esther und Mordechai, ja er wollte sogar den König töten. Hinterlistig plante er einen Staatsstreich, um den Makedonen die Macht über ganz Persien zu sichern (E 10‒14). Doch entgegen Hamans Hetze sind die Juden friedliebende Reichsbürger und Kinder des lebendigen Gottes, die nach gerechten Gesetzen leben (E 15‒16). Deshalb sollen die Weisungen Hamans, der inzwischen mitsamt seiner Familie exekutiert worden ist, nicht befolgt werden (E 17‒18). Stattdessen soll das nun vorliegende Sendschreiben öffentlich verlesen werden. In ihm wird den Juden zugebilligt, daß sie am 13. Adar an ihren Feinden Vergeltung üben dürfen (E 19‒21). Abschließend mahnt der König, einen Gedenktag festzulegen und droht denjenigen schwere Strafe an, die dem Erlaß nicht folgen (E 22‒24). Nahtlos geht der Text in die fortlaufende Erzählung von M über, die in einer Notiz (8,13‒14) berichtet, daß eine Abschrift des Erlasses von Schnellboten in die Provinzen gebracht wird (vgl. I. Kottsieper, Zusätze, 187‒198; J.D. Levenson, Esther, 111‒114; C.A. Moore, Daniel, 232‒238).

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Auslegung

fern, von uns gastlich aufgenommen worden war, 11 die Menschenliebe, die wir jedem Volk gegenüber empfinden, derart erfuhr, daß er öffentlich als unser Vater ausgerufen und von allen als der Zweite im Königreich fußfällig verehrt wurde. 12 Da er aber den Stolz nicht ertrug, bemühte er sich, uns der Herrschaft und des Lebens zu berauben, 13 indem er sich unseren Retter und beständigen Wohltäter Mordechai und die untadelige Mitregentin Esther samt deren ganzen Volk durch verschlagene (und) verlogene Darlegungen zur Vernichtung erbat. 14 Denn auf diese Weise gedachte er, wenn er uns (so) hilflos findet, die Herrschaft über die Perser den Makedonen zu übertragen. 15 Wir aber finden, daß die von dem Erzschurken dem Untergang preisgegebenen Juden keine Verbrecher sind, sondern nach den gerechtesten Gesetzen als Staatsbürger leben 16 (und) Söhne des höchsten, größten, lebendigen Gottes sind, der sowohl für uns als auch für unsere Vorfahren das Königreich in der besten Weise geleitet hat. 17 Ihr werdet nun gut daran tun, wenn ihr euch nicht der durch Haman, des Sohnes des Hamadatos, versandten Schriftstücke bedient. 18 Denn der diese ausgearbeitet hat, ist samt seiner ganzen Familie vor den Toren Susas gepfählt worden, da der alles beherrschende Gott ihm das entsprechende Urteil verhängte. 19 Aber die Abschrift dieses Briefes sollt ihr an jedem Ort öffentlich ausstellen, daß die Juden nach ihren eigenen Gesetzen leben sollen. 20 Und ihr sollt ihnen beistehen, daß sie am 13. des 12. Monats, dem Adar, an gerade diesem Tag denen vergelten, die sie in Zeiten der Drangsal angriffen. 21 Denn diesen hat der alles beherrschende Gott anstelle des Verderbens für das erwählte Volk ihnen zur Freude gemacht. 22 Aber ihr sollt unter euren festgelegten Gottesfesten einen ausgezeichneten Tag mit allem Wohlleben begehen, 23 daß er jetzt und zukünftig uns und allen wohlgesinnten Persern zum Heil, denen aber, die uns nachstellen, zum Gedenkzeichen an das Verderben sei. 24 Aber jede Stadt oder Gebiet, welche nicht so handeln wird, soll ausnahmslos mit Waffengewalt und Feuer unbarmherzig ausgetilgt werden. Nicht nur für Menschen soll sie unzugänglich gemacht werden, sondern auch für Tiere und Vögel für alle Zeit absolut verhaßt. [441] 13 Eine Abschrift des Schreibens ist in aller Provinz um Provinz442 als Gesetz zu geben, kund zu tun allen Völkern, daß bereit seien die Juden443 für diesen Tag, sich an ihren Feinden zu rächen. 14 Die Schnellboten, reitend herrschaftliche Rosse, zogen eilend und angetrieben vom Wort des Königs aus, während das Gesetz im Schloß von Susa ausgegeben wurde.

441 Übersetzung nach I. Kottsieper, Zusätze, 187‒188. 442 M medinah umedinah ist eine Hyperbel. 443 M hajehudijm atidim ist eine Assonanz.

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15 Und Mordechai zog hinaus vom König in königlichem Gewand ‒ violetter Purpur und weißes Linnen –, ein großer goldener Kranz, ein Gewand444 ‒ Byssos und Purpur.445 Die Stadt Susa446 jubelte und freute sich. 16 Den Juden war ein Leuchten447 und Freude, Wonne448 und Pracht. 17 In aller Provinz um Provinz und in aller Stadt um Stadt, an welchen Ort das Wort des Königs und sein Gesetz gelangten, da war Freude und Wonne bei den Juden, Gastmahl und 449Feiertag.450 Und viele aus den Völkern des Landes bekannten sich als Juden451, denn der Schrecken der Juden war auf sie gefallen. 8,1‒17: Hinführung. Wenige Tage nach der öffentlichen Hinrichtung Hamans treten wir mit der nächsten Szene in den Palast des Königs ein. Im Thronsaal empfängt Achashverosh seine Königin und mit ihr Mordechai. Haman ist öffentlich exekutiert. Doch die drängende Frage bleibt, ob das geplante Pogrom ausgeführt wird. Kompositorisch steht der Fall Hamans der Erhebung Mordechais gegenüber. Durch diesen Kontrast wird der Konflikt zwischen den beiden Kontrahenten exponiert: Mordechais Erhöhung folgt Hamans Fall auf dem Fuße. Gleichzeitig wird die Erzählung durch die eingeschobene Episode unterbrochen, die Frage nach dem Pogrom aufgeschoben. Die Spannung steigt. Erst nach der Erhöhung Mordechais tritt Esther ein zweites Mal vor den König. Noch schwebt die Bedrohung des Pogroms über dem jüdischen Volk, noch ist die in allen Provinzen als Gesetz erlassene königliche Weisung nicht außer Kraft gesetzt. Schmeichelnd trägt die Königin ihre Bitte demütig vor, klar und bestimmend ist die Antwort des Königs. Er befiehlt, den in seinem Namen genehmigten Erlaß durch ein zweites, verbindliches Schreiben aufzuheben. Die erhörte Bitte Esthers liest sich zu dem bösen Plan Hamans wie ein Spiegelbild; wie ein Positiv und Negativ beziehen sich die beiden Texte aufeinander, die sich vielfach wörtlich entsprechen, inhaltlich aber einen Kontrapunkt bilden. 444 445 446 447 448 449

M tachrich ist ein hp lg. M argaman ist eine Metonymie. M Susa ist eine Metonymie. M orah ist eine Metapher für die Freude. M wesimchah wesason, die Freudenformel ist zugleich eine Alliteration. Rhetorisch fallen in V 16‒17 die Wiederholung synonymer und gleicher Worte sowie die Wortfülle auf. 450 M jom tow, wörtlich guter Tag (9,19.22) ist ein Ausdruck des späten biblischen Hebräisch (vgl. R.L. Bergey, Book, 163‒164). 451 M mitjahadim ist ein hp lg.

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Auslegung

Mordechais Aufstieg rahmt den Bericht. Die nicht protokollarischen Regeln folgende Beschreibung seiner Erhebung umrankt die innere Erzählung von der erfolgreichen Aufhebung des Pogroms. Wie Mordechai und Esther in dem durch die Eunuchen vermittelten Dialog die Abwendung des Pogroms vorbereitet haben, so geht auch hier ihr Handeln Hand in Hand. Die Aufhebung des geplanten Pogroms ist eine Gegenerzählung, die umgekehrt aufgebaut ist: Auf den durch die verweigerte Proskynese ausgelösten Judenhaß Hamans (3,1‒5) folgt das durch das Pur festgesetzte Pogrom (3,6‒7), darauf erst die durch Hamans gewinnende Rede nachträglich eingeholte Legitimation des Königs (3,8‒9) und die in der Ringübergabe übertragene Jurisdiktionsgewalt (3,10‒15). Die erfolgreiche Abwendung des Pogroms setzt dagegen mit der Übertragung der Jurisdiktionsgewalt auf Mordechai (8,2) ein, der dann erst die Petition Esthers (8,5‒6), die Gewährung der Bitte durch den König (8,7‒8), die datierte Ausführung (8,10‒14) und die Reaktion der Juden (8,15‒17) folgen. Vergleichend ist so schon in der Komposition der Texte zu erkennen: Während Haman sein hinterhältiges Handeln erst nachträglich legitimiert, wird die Abwendung der Verfolung rechtmäßig durchgeführt. 8,1‒2: Der Aufstieg Mordechais. ! an diesem Tag, mit einer ähnlichen Formulierung, mit der die Reaktion Hamans auf die Einladung der Königin eingeleitet ist (5,9), beginnt die neue Szene (V 1).452 Nach Hamans Exekution überläßt der König Esther das Haus Hamans (8,7). Die leicht zu überlesende Notiz hat weitreichende Folgen. Der Euphemismus Haus Hamans steht für den gesamten Besitz des ehemaligen Statthalters (1,22; 9,25‒27). Seine Familie gilt nach dem bei den Persern bekannten Grundsatz der Sippenhaft (so Herodot, Historien, III, 119.128‒129) als mitschuldig (I Reg 21,13‒16).453 Mit seiner durch die Hinrichtung besiegelten Schuld geht das ganze Vermögen Hamans nun an Esther über. Josephus verkürzt den biblischen Bericht. Er erwähnt nur das Vermögen Hamans, das der König Esther überläßt (Ant 11, 269). Auf ausdrückliche Einladung des Königs wird Esther von Mordechai begleitet (V 1). Die Königin hat ihrem Gemahl erzählt, in welchem Verhältnis sie zu ihrem Adoptivvater steht (2,5‒7). Wortlos streift Achashverosh seinen Siegelring vom Finger, den er zuvor dem unwür452 Vgl. L. Day, Faces, 183‒189. 453 Vgl. den Exkurs 4 (S. 83–85).

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digen Haman (3,10) hat abziehen lassen (V 2). Aus den Händen des Königs erhält Mordechai diesen Ring. Mit dieser symbolträchtigen Handlung überträgt ihm der Monarch die Jurisdiktionsgewalt (Gen 41,40.42). Mordechai kann nun alle Schreiben und Gesetze mit dem Zeichen des Königs siegeln und damit in dessen Namen autorisieren. Vertrauensvoll überträgt er ihm das Amt eines Statthalters (10,3).454 Mit der Übergabe des Ringes erfolgt nach der öffentlichen Ehrung Mordechais (6,10‒11) nun die Erhebung (Gen 41,40‒45).455 Die Erhebung in das höchste Staatsamt übernimmt der König selbst, in einer zweiten Erhebung setzt die Königin dann Mordechai über das ihr soeben übergebene Haus Hamans: Das Amt und das gesamte Vermögen Hamans werden auf Mordechai übertragen.456 Mit dem Amt des Statthalters verbinden sich zahlreiche Privilegien. Rechtlich ist die Übereignung des Eigentums eine Besitzstandsänderung. Wirtschaftlich ist Mordechai dadurch mit allen nötigen Mitteln ausgestattet, schließlich gehören zum Haus Hamans nicht nur dessen Residenz und Sklaven dazu, sondern auch die für die Versorgung nötigen Güter (V 2).457 8,3‒8: Esther bittet, das geplante Pogrom aufzuheben. Im Beisein Mordechais tritt Esther zum vierten Mal (5,1‒2; 5,7; 7,3) mit einer Bitte vor ihren Gemahl (V 3). Nun geht es um alles. Stand bei dem ersten, unaufgeforderten Besuch im Königspalast ihr eigenes Leben auf dem Spiel (4,11), geht es jetzt um die Existenz des ganzen jüdischen Volkes in der persischen Diaspora. Der Höhepunkt des Dramas ist in dem Moment erreicht, da sich die Königin vor den Augen des jüdischen Statthalters mit einer ehrerbietigen Gebärde dem Monarchen nähert. Weinend fällt Esther vor ihrem Gatten nieder (V 3). Die Geste und der Affekt eilen der mündlichen Bitte voraus. Sie fleht darum, das durch den Plan des Frevlers Haman angedrohte Böse von den Juden abzuwenden. Ein Kniefall vor dem König leitet die Erhöhung der Juden ein, so wie der verweigerte Kniefall Mordechais vor dem Statthalter den äußeren Anlaß für ihre Verfolgung geboten hat (3,1‒2). Mit einer einzigen, alles klärenden Geste kommentiert der König die Bitte Esthers (V 4). Mit derselben Gebärde, mit der er ihr spontan die Audienz gewährt hat (5,2), gewährt er ihr nun ihre Bitte: Zum Zeichen seiner Zustimmung streckt er ihr wortlos sein goldenes Zepter 454 455 456 457

Vgl. H. Volkmann, Der Zweite nach dem König, Ph. 92 (1938), 285‒316. Vgl. K.M. Craig, Reading Esther, 100‒105. Vgl. H.M. Wahl, Motiv, 65‒67. Vgl. H. Koch, Dareios, 264‒271.

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Auslegung

entgegen. Für die Königin und für alle Juden Persiens bedeutet das ausgestreckte Zepter, daß der drohende Tod endlich von Israel im letzten Augenblick abgewendet ist.458 Doch noch ist das königliche Dekret nicht außer Kraft gesetzt (V 4‒5). Esther erhebt sich und tritt vor den König. Wie damals Haman dem König den Plan für das Pogrom vorgetragen hat, ist es nun Esther, die dem Monarchen vorschlägt, wie vorzugehen sei, um den ersten Erlaß aufzuheben. Mit einer ähnlichen Höflichkeitsformel wie in 5,7‒8 und 7,3 leitet Esther ihre Worte ein. In einer mit zwei Konditionalsätzen und zwei Aussagen stilvoll komponierten Rede formuliert sie die vier Bedingungen, die aus ihrer Sicht erfüllt sein sollen, ehe Achashverosh ihrem Vorgehen zustimmt: Der König muß die Angelegenheit für gut und angemessen befinden, er muß die Königin selbst für gut befinden und ihr weiterhin seine Gunst schenken. Erst wenn für den König die von Esther vorgebrachten Bedingungen erfüllt sind, soll dann ein zweiter Brief geschrieben werden (V 5). Mit diesem Sendschreiben soll das erste Schreiben Hamans ‒ der eindeutig mit dem Vatersnamen und dem Gentilicium bezeichnet wird (3,1.10; 9,24) ‒ aufgehoben und damit die angeordnete Vernichtung der Juden in allen Provinzen des persischen Reiches abgewendet werden. Nach diesem Vorschlag trägt die Königin in einer doppelten rhetorischen Frage ihre Begründung nach (V 6). Wie könnte sie, die Jüdin Esther, zusehen, wie ihr eigener Same ausgerottet, getötet und vernichtet wird? Die beiden synonymen Fragen, mit denen die Rede Esthers endet, betonen wiederholend, wie akut die Existenz Israels bedroht ist. Geschickt hat die Königin von ihrer eigenen Verwandtschaft gesprochen, die seit ihrer Krönung auch die ihres Gemahls ist (2,17‒18). In ihren Fragen nimmt die Königin die Antwort von Achashverosh vorweg (V 7). Wie anders als wohlwollend könnte der König der Frau antworten, der sein Herz gehört? Doch die Worte des Königs überraschen, trotz ihres zustimmenden Tenors. hineh! Mit einem Aufmerksamkeitsruf leitet er seine Antwort ein. Nun erst spricht Achashverosh: Er greift die eben vergangenen Geschehnisse wieder auf, erwähnt zunächst das an Esther übergebene Haus Hamans und begründet dann dessen Hinrichtung. Der Judenfeind ist exekutiert, seine Sippe kollektiv bestraft, seine Habe auf Esther (Mordechai) übertragen. Über Haman und die Seinen ist gerecht gerichtet. Dann verknüpft der König thematisch die Bestrafung Hamans mit dem Pogrom (V 7‒8). Die beiden ansonsten kompositorisch getrennten 458 Vgl. die Auslegung zu 4,11 und 5,2.

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Erzählstränge ‒ hier der Konflikt zwischen Haman und Mordechai (3,5‒6; 5,9‒14; 6,10‒14), dort das Pogrom (3,7‒10; 4,13‒14) ‒ werden in den Worten des Monarchen nun zusammengebunden (V 7‒8). Im Namen des Königs sollen Esther und Mordechai ein Sendschreiben aufsetzen (V 8). Die Eindringlichkeit der Rede betont der einleitende, vom Pronomen unterstützte Imperativ: we’atäm kitewu! Und ihr, schreibt ihr! Mit der direkten Anrede an Esther und Mordechai, mit derselben Redewendung wie es gut scheint in euren Augen, die auch Esther verwendet hat (8,5), schlägt Achashverosh seiner Königin und seinem Statthalter vor, nach eigenem Ermessen ein Sendschreiben zu verfassen, um das erlassene Gesetz aufzuheben (3,14). Der Name des Regenten und das königliche Siegel verleihen dem Schreiben die nötige rechtsverbindliche Autorität (Esra 1,2‒4; 4,7‒22; Dan 3,31‒4,34; 6,7‒8). Daß Dritte im Namen des Königs verbindliche Briefe schreiben dürfen, belegt schon Herodot: „[Bagaios] schrieb viele Briefe verschiedenen Inhalts und setzte das Siegel des Dareios darunter. Mit diesen Briefen ging er nach Sardes. Als er dort angelangt war und von Oroites empfangen wurde, gab er die mitgebrachten Briefe der Reihe nach dem königlichen Schreiber zum Vorlesen ‒ alle Statthalter haben königliche Schreiber –. […] Als er aber merkte, daß sie vor den Briefen und noch mehr vor ihrem Inhalt große Ehrfurcht hatten, gab er dem Schreiber noch einen anderen Brief, in dem die Worte standen: ‚Perser, König Dareios verbietet euch, Lanzenträger des Oroites zu sein.‘ Als sie dies hörten, senkten sie ihre Lanzen vor ihm“ (Historien, III, 128).459

8,9‒14: Das königliche Schreiben zur Aufhebung des Pogroms. Esther und Mordechai stimmen dem Vorschlag des Königs zu (V 9). Ihnen ist die für die Gesetzesaufhebung nötige legislative Gewalt übertragen. Die Schreiber werden am 23. Tag des dritten Monats des persischen Kalenders, dem Monat Sivan (Mai/Juni) gerufen, um die Briefe, so wie es der König vorgeschlagen hat, nach der Anordnung Mordechais zu schreiben. Zeitlich liegen zwischen dem ersten Erlaß am 13. Nisan, dem ersten Monat des persischen Kalenders, und dem zweiten Sendschreiben am 23. Sivan 70 Tage. Die zahlensymbolische Zeitspanne von 7-mal 10 Tagen ist nicht zufällig gewählt: In Anspielung auf die Sieben-TageSchöpung und die Zehn Gebote drücken sie den vollkommenen Gotteswillen aus.460

459 Übersetzung nach J. Feix. 460 Vgl. zur Symbolik der Zahlen 7 und 10 die Auslegung zu 1,14 und 9,10.

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Auslegung

Wie nach persischer Sitte üblich (3,12) ist das Schreiben in der jeweiligen Landessprache verfaßt und geht an die Satrapen, Fürsten und Oberen der 127 Provinzen des sich vom Indus bis zum Nil erstreckenden persischen Reiches (1,1) an jedes Volk in seiner eigenen Sprache. Doch ein basales Motiv kommt hinzu: Auch die Juden erhalten das Schreiben in ihrer eigenen Schrift und Sprache. Bereits mit dieser Bemerkung bricht das Neue an. Unter den Völkern Persiens sind die Juden nun gleichberechtigt. Sie werden als eigenständige religiösethnische Gemeinschaft wahrgenommen und toleriert (V 9). Doch an wen schreibt Mordechai? Richtet der jüdische Statthalter das Schreiben an die Juden Babels, an die Juden Assurs, an die Juden Ninives? Die allgemein gehaltene Adresse an die Juden setzt voraus, daß es (zumindest) in den Provinzhauptstädten bekannte jüdische Gruppierungen gibt, die autorisiert sind, ein offizielles Schreiben zu empfangen. Berücksichtigen wir den im Sendbrief eingeräumten Gedanken des Versammlungsrechtes (8,11), ist eine jüdische Gemeinschaft vorausgesetzt, die zumindest die Vorform einer (Orts)Gemeinde hat (Jes 56,3‒8; Esr 2,64; 6,21; 10,8; Neh 7,66; 10,29).461 Das Schreiben Mordechais ist im Namen des Königs geschrieben (V 10). Als Zeichen der rechtsverbindlichen Autorität siegelt es der neue Statthalter mit dem königlichen Siegel, dieser königliche Erlaß kann nun nicht mehr widerrufen werden. Auch III Makk 6,22‒40 erzählt davon, daß Ptolemäus IV. (221‒204) ein bereits angeordnetes Pogrom wieder aufhebt. Ähnlich hebt Antiochus V. (164‒162) mit einem königlichen Edikt die restriktiven Gesetze auf und gewährt den Juden wieder die freie Ausübung des Kultes (I Makk 6,55‒63).462 Auf demselben Wege (3,13) wird das zweite Sendschreiben nun mit Schnellboten auf königlichen Pferden463 bis in die entlegensten Provinzen des Reiches befördert. Erst nachdem die Adressaten der Briefe aufgezählt, die sprachliche Eigenart charakterisiert und die Gültigkeit erklärt ist, wird der Inhalt mitgeteilt (V 11). Ein Relativpronomen leitet den Vers ein: König Achashverosh gewährt den Juden in allen Städten des Reiches die Versammlungsfreiheit und die Verteidigungsfreiheit mit Plünderungs-

461 Vgl. P.R. Ackroyd, Israel, 181‒190; H. Bardtke, Elephantine, 13‒31. 462 Vgl. E. Bickermann, Gott, 120‒126. 463 Vgl. G.A. Klingbeil, and Esther 8,10.14: A Semantic Note, ZAW 107 (1995), 301‒303.

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recht.464 Ein solches Toleranzedikt fügt sich in die liberale persische Religionspolitik.465 Die Juden Persiens dürfen sich nun öffentlich versammeln (V 11). Das Verb sich versammeln ist im niphal im Alten Testament nur 19mal belegt. Davon entfallen allein 5 Belege auf die letzten beiden erzählenden Kapitel des Buches Esther (8,11; 9,2.15.16.18), alle übrigen verteilen sich vor allem auf den Pentateuch und die geschichtlichen Bücher (Ex 32,1; Lev 8,4; Num 16,3; 17,7; 20,2; Jos 18,1; 22,12; Ri 20,1; II Sam 20,14; I Reg 8,2; Jer 26,9; Ez 38,7; II Chr 5,3; 20,26).466 In den Psalmen, der späten Prosa und der Weisheitsliteratur fehlt der Begriff ganz.467 Die ausdrückliche Gewährung des Versammlungsrechtes läßt vermuten, daß ein gesetzlicher Schutz zuvor nicht bestanden hat. Versammelt haben sich die Juden zumindest in Susa schon vor dem Toleranzedikt, doch dafür gebraucht der Dichter das nur in Esth 4,16 und I Chr 22,2 im qal belegte Wort sich versammeln. Das den Juden gewährte Versammlungsrecht bedeutet für die jüdischen Gemeinschaften zumindest in den Städten ‒ die Landjuden werden in diesem Gedanken sichtlich vernachlässigt und deshalb in 9,19 nachgetragen ‒ eine öffentliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft, eine positive Religionsfreiheit, die eine legitime Bildung von Gemeinden erlaubt (Joel 2,16; Ps 22,23.26; 35,18; Esr 10,12‒14; Neh 8,2.17; 13,1; I Chr 28,8; 29,1.10.20; II Chr 5,2‒3; 30,2.4.17.23‒25).468 Das zweite Privileg, das den Juden eingeräumt wird, ist das Verteidigungsrecht (V 11). Im Verteidigungsfalle dürfen die Juden ihre Feinde töten. Dieses gewährte Recht antwortet unmittelbar auf die Bedrohung der Juden, darum wird ihnen zugestanden, sich auf dieselbe Weise an ihren Feinden zu rächen, wie Haman sie hatte töten wollen (3,6.9.13). Sie dürfen ihr Leben verteidigen und ihre Feinde einschließlich der Frauen und Kinder ausrotten, töten und vernichten und ihre Habe plündern (Jos 7,24‒26; I Sam 15,3). Gleiches darf mit Gleichem vergolten werden, das ist der diesen Gedanken begründende rechtliche Grundsatz.469 Das Ziel der Vergeltung ist aber nicht eine blinde, mordlüsterne Rache, sondern das Übel mit der Wurzel auszureißen. Erst dann findet

464 465 466 467 468 469

Vgl. H.M. Wahl, Glaube, 41‒42. Vgl. P. Frei, Reichsidee, 86‒88, 102‒113. Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 32. Vgl. zur Bedeutung von D. Michel, Qohelet, EdF 258, Darmstadt 1988, 4‒8. Vgl. P.D. Hanson, Volk, 312‒339. Vgl. E. Otto, Theologische Ethik des Alten Testaments, ThWi 3,2, Stuttgart u.a. 1994, 74‒81.

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Auslegung

das verfolgte jüdische Volk wirkliche Ruhe, darum macht Israel auch vom Plünderungsrecht keinen Gebrauch (9,10.15.16). Schon das königliche Sendschreiben (8,13) ruft zur Vergeltung der Juden auf (V 11). Auch in dem V 12 nachgestellten Zusatz (E 1‒24), der das vollständige zweite Sendschreiben bietet, versteht die griechische Tradition V 11.13 als Erlaubnis zur Vergeltung und Aufruf an die Völker Persiens, den Juden dabei beizustehen. Zunächst entkräftigt der König in seinem Brief den erhobenen Vorwurf, daß Mordechai ein Staatsfeind ist und die Juden den Gesetzen nicht gehorchen. Ausdrücklich legt der Redaktor dem Monarchen auch noch ein Bekenntnis zu Jahwe als dem höchsten Gott in den Mund, dessen Gesetze wahr sind (E 12‒14): „Wir aber finden, daß die von dem dreifachen Frevler der Vernichtung ausgelieferten Juden keine schlechten Menschen sind, nach absolut tadelfreien Gesetzen als Staatsbürger ihren Wandel führen 16 und (zugleich) Söhne des höchsten, größten, lebendigen Gottes sind, der uns und unseren Vorfahren die Königsherrschaft in der besten Verfassung geleitet hat“ (E 15‒16).470

Schließlich fordert der König alle Perser auf, den Juden beizustehen: „20 Und unterstützt sie kräftig, daß sie Widerstand gegen die, die zur Zeit der Trübsal sie angreifen, am 13. Tage des 12. Monats Adar, an eben diesem Tage leisten. 21 Diesen nämlich hat der allbeherrschende Gott an Stelle eines Vernichtungstages für das auserwählte Geschlecht ihnen zu einem Freuden(tag) gemacht“ (E 20‒21).471

In diesem Sinn faßt auch Josephus die hebräische Vorlage auf. In dem breit paraphrasierten Brief des Königs (Ant 11, 273‒283), der ausdrücklich betont, daß Gott böse Absichten nicht verborgen bleiben (Ant 11, 274‒275), verurteilt er die Verleumdung der Juden. Zukünftig soll nur im Einzelfall und nach eindeutigem Urteil, nicht nach umlaufenden Gerüchten, belohnt und bestraft werden (Ant 11, 276). Dann erläutert der König die Verurteilung Hamans (Ant 11, 277.279), hebt den Erlaß Hamans auf und gewährt das Toleranzedikt (Ant 11, 279‒280). Die Habe ihrer Feinde dürfen die Juden plündern (V 11). Das Motiv der gewährten Plünderung ist für die Komposition in einem doppelten Sinne bedeutend: Einmal gilt für die Juden dasselbe Recht wie für die Perser. Auch Haman wollte dem König das Pogrom mit der Aussicht auf das erhebliche jüdische Vermögen schmackhaft machen, das in die königlichen Schatzkammern überführt werden sollte. Doch Achashverosh lehnte das Angebot ab (3,9.11). Als die Juden dann die Vergeltung 470 Übersetzung nach H. Bardtke. 471 Übersetzung nach H. Bardtke.

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an ihren Feinden üben, tasten auch sie die Habe ihrer Feinde nicht an. Dreimal wird das Motiv wiederholt, daß sich die Juden an den ihnen durch den Erlaß des Königs zustehenden Gütern nicht vergriffen haben (9,10.15.16; Gen 14,21‒24). Das königliche Sendschreiben legt auch den Zeitpunkt der Vergeltung fest: Sie fällt auf den 13. Tag des Adar, des 12. Monats (Februar/März) des persischen Kalenders (V 12). Wiederum wird das königliche Schreiben in allen Provinzen als Gesetz erlassen (V 13). Überall wird es öffentlich verlesen und allen Völkern in ihrer Sprache mitgeteilt (8,9). In dem königlichen Sendschreiben wird die Vergeltung der Juden an ihren Feinden bekannt gegeben. Anders als im Sendschreiben Hamans werden die Völker der Provinzen allerdings nicht dazu aufgerufen, sich für den Tag des Pogroms bereit zu halten (3,14; E 20‒21).472 Das Sendschreiben wird in der Königsstadt Susa als Gesetz ausgegeben (3,15) und von berittenen Schnellboten eilends in die Provinzen getragen (V 14).473 8,15‒17: Mordechais öffentliche Erhebung ‒ die Freude über das abgewendete Pogrom. Mordechais Erhebung rahmt den Bericht über die Abwendung des Pogroms ein (V 15). Der mit wenigen Worten erwähnten Erhebung Mordechais folgt nun die öffentliche Investitur (8,2). Die verwendeten königlichen Materialien werden genau aufgeführt: Der erhobene Statthalter wird ein zweites Mal (6,11) mit dem königlichen Gewand aus violettem Purpur und weißem Linnen, aus weißem Byssos und Purpur bekleidet (Ex 26,1‒6; 28,6; 35,6‒7; 36,35.37; 38,18; 39,1‒3)474. Zur Investitur gehört auch, daß Mordechai einen goldenen Kranz aufgesetzt oder umgehängt bekommt (II Sam 1,10; Ez 21,31; Ps 21,4). Die goldene Krone, von der Josephus spricht, ist aber als Insigne der Königswürde dem Monarchen vorbehalten (Ant 11, 284). Wieder (6,10‒11) zieht Mordechai vom Königspalast, wo die Investitur stattgefunden hat, hinaus in die Stadt Susa (V 15). Ein Triumphzug ist nicht erwähnt, aus dem Kontext des Buches (6,11) und der biblischen Aufstiegsberichte am Hofe des heidnischen Königs der Diaspora (Gen 41,42‒43; Dan 5,29) ist aber auch hier mit einer öffentlichen Akklamation zu rechnen. Darauf deutet außerdem die geäußerte Freude der Bewohner von Susa und der Juden hin (V 15‒16).475

472 473 474 475

Vgl. Th. Schaack, Ungeduld, 188‒196, 222‒229 Vgl. den Exkurs 3 (S. 67–69). Vgl. C. Dohmen, Exodus 19‒40, HThKAT, Freiburg u.a. 2004, 255‒258, 386‒399. Vgl. H.M. Wahl, Motiv, 70‒74.

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Auslegung

Zwei basale Motive entsprechen sich in der Komposition des Buches spiegelbildlich: Dem Anlegen des Bußgewandes Mordechais (4,1) enstpricht seine Investitur (8,2.15), dem über die Stadt Susa gefallenen Schrecken (3,15) entspricht ihre jubelnde Freude (V 15‒16). Die jüdische Gemeinde jubelt (V 16‒17). Die Todesnot ist abgewendet, der in der jüdischen Gemeinde als bekennender Jude geachtete Mordechai (4,16) ist zum Statthalter des Königs erhoben. Die Freude und der Jubel des Volkes entspringen der überwundenen Todesbedrohung, der die Juden noch eben hilflos ausgeliefert schienen. Es ist der Jubel, der die Beter der Lobeshymnen Jahwe preisen läßt. In den himmlischen Jubel der Juden Susas stimmen schon bald alle Israeliten des ganzen persischen Reiches ein. Jahwe hat die Gebete von Mordechai und Esther erhört und sein erwähltes Volk gerettet (C 8‒10.16.25).476 Das Licht und die Freude, die Wonne und die Ehre legen die Rabbinen allegorisch aus (V 16): „R. Jehuda erklärte: Licht, das ist die Tora, denn es heißt: denn eine Leuchte ist das Gebot und die Lehre (Tora) ein Licht. Freude, das ist das Fest, denn es heißt: Freue dich an deinem Feste. Wonne, das ist die Beschneidung, denn es heißt: ich bin voll Wonne über deine Worte. Ehre, das sind die Tephillin, denn es heißt: damit alle Völker der Erde sehen, daß du nach dem Namen des Herrn genannt bist, und sie werden vor dir fürchten, und hierzu wird gelehrt: R. Eliézer der Große sagte, das sind die Tephillin des Hauptes“ (b Meg 16b).477

Ähnlich haben sicherlich die jüdischen Gemeinden Persiens die vier synonymen Ausdrücke verstanden haben, die ihre Dankbarkeit über die Errettung besingen. So wie die Gemeinde Susas (3,15) und die Juden der Provinzen (4,3) mit Bestürzung, mit Bußgebeten und Bitten auf das als Gesetz gegebene Sendschreiben des Königs reagierten, taumeln sie nun vor Freude (V 17). Spontan halten sie Gastmahle ab, der Tag selbst wird zum jom tow, zum guten Tag erklärt (I Sam 25,8).478 Wie die bekennenden Juden heutzutage am O simchat torah, am Freudentag der Tora, voller Herzensfreude über die Offenbarung der das Leben weisenden Tora (Dt 30) tanzend, betend und singend durch die heilige Stadt zur Klagemauer ziehen, so werden ihre Vorfahren damals ihre Freude und Wonne ihrem Gott geäußert haben.479

476 477 478 479

Vgl. H.-P. Mathys, Dichter und Beter, OBO 132, Freiburg/Göttingen 1994, 317‒321. Übersetzung nach L. Goldschmidt. Vgl. L. Jacobs, Purim, EJ 13, 1972, 1390‒1395. Vgl. O. Kaiser, Der Gott des Alten Testaments, Bd. 1, UTB 1747, Göttingen 1993, 327‒329.

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In der wundersamen Errettung erkennen die Juden das universale Handeln Jahwes auch in der Diaspora (V 17). Aus Schrecken vor der Macht dieses Gottes bekennen sich viele von den assimilierten Juden und denjenigen, die ihre ethnisch-religiöse Zugehörigkeit aus Angst vor Verfolgung verborgen gehalten haben (9,3), nach dem Toleranzedikt nun wieder öffentlich zu ihrem Volk und ihrem Gott (Tob 1,10‒12; III Makk 7,10‒12; Jub 15,33‒34). Das hitp. von sich zum Judentum bekennen, sich als Jude ausgeben ist nur einmal, nur hier im Alten Testament belegt. Nochmals werden in 9,27 im Zusammenhang der Stiftung des Purimfestes die Proselyten als diejenigen hervorgehoben, die sich den Juden angeschlossen haben (E 15‒16.20‒21).480 Die unverhoffte Wendung deuten nicht nur die Juden als heilvolles Eingreifen Jahwes (V 17). Viele andere Menschen im persischen Reich, viele von den Gojim, sehen darin das Wirken des Gottes Israels und wenden sich dem Judentum zu. Neben den assimilierten Juden versammeln sich nun auch Proselyten in den jüdischen Gemeinden (Ex 12,37‒39).481 Judith erzählt einen ähnlichen Fall: Auch Achior, der Heerführer der Ammoniter, erkennt in dem durch die mutige Judith errungenen Sieg über die Assyrer das Wirken Jahwes. Er läßt sich beschneiden und konvertiert (Rut 1,15‒17; Jdt 14,6‒10).482 Mit der jüdischen Mission beschäftigt sich auch der babylonische Talmud: „Der Meister sagte: Wenn jemand Proselyt werden will, so spreche man zu ihm: Was veranlaßt dich Proselyt zu werden. Und man mache ihn mit manchen der leichteren und manchen der strengeren Gebote bekannt“ (b Yev 47b).483 Nach weiteren Lehrstreitigkeiten der Rabbinen heißt es: „Die Rabbanan lehrten: In den messianischen Tagen wird man keine Proselyten aufnehmen“ (b Yev 24b).484 Eine eschatologische Hoffnung, die angesichts des nahenden Messias eine konvertierende Hinwenung zum Gott Israels überflüssig macht, kennt Esther noch nicht. Schon in der jüdischen Gemeinde der Diaspora überwindet 480 Vgl. B.M. Zlotowitz, Esther, 116. 481 Vgl. F.D.E. Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, 1799, Göttingen 61967, 48: „Proselyten zu machen aus den Ungläubigen, das liegt sehr tief im Charakter der Religion; wer die seinige mitteilt, kann gar keinen andern Zweck haben, und so ist es in der Tat kaum ein frommer Betrug, sondern eine schickliche Methode, bei dem anzufangen und um das besorgt zu scheinen, wofür der Sinn schon da ist, damit gelegentlich und unbemerkt sich das einschleiche, wofür er erst aufgeregt werden soll.“ 482 Vgl. I. Fischer, Rut, HThKAT, Freiburg u.a. 2001, 143‒149; C.A. Moore, Judith, AB 40, Garden City 1985, 234‒237. 483 Übersetzung nach L. Goldschmidt. 484 Übersetzung nach L. Goldschmidt.

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Auslegung

das Bekenntnis zu Jahwe die ethnische Abstammung. Menschen aus unterschiedlichen Gegenden des Vielvölkerstaates finden in der Synagoge eine neue geistliche Heimat ‒ das Judentum wird zur Weltreligion (Jos 4,24; I Reg 8,43.53.60; Ez 31,21; Zeph 3,12).485 Viele Menschen bekennen sich aus Furcht vor Jahwe zum Judentum, denn auf viele ist der Schrecken der Juden gefallen (V 17). Das Motiv ist im Alten Testament numinos als Furcht vor Jahwe oder kollektiv als Furcht vor Israel (9,2), aber auch individuell als Schrecken vor einzelnen Personen, wie dem Statthalter Mordechai (9,3), geläufig (Gen 31,42.53; Ex 23,27; II Chr 17,10). Der jüdische Glaube begreift den Schrecken als Theophanie, in ihm erscheint der Gott Israels. Der pachad Jahwes ist die für den Menschen unberechenbare Macht Gottes, mit der er in das Geschehen der Welt unmittelbar einbricht (Gen 35,5; Ex 15,16; Dt 2,25; 28,10; Jos 2,9; I Sam 11,7; Jes 2,10.19.21; Ps 36,2; 105,38; 119,120; Hi 13,11; 25,2).486 Exkurs 10: Der Begriff jüdisch, Jude, Judäer (

)

Das jüdisch-aramäische Wort jehudi bedeutet jüdisch, Jude oder Judäer.487 Nur 76-mal ist das Wort im Alten Testament belegt, davon entfallen allein 52 Belege auf Esther, das entspricht mehr als zwei Dritteln der Belege. Beim Singular jehudi ist das Verhältnis noch deutlicher. Von den 10 Belegen sind nur Sach 8,23 und Jer 34,9 nicht aus Esther. Der Singular dient in Esther ausschließlich dazu, Mordechai als einen Juden zu charakterisieren. Die in Esther verbleibenden 44 Belege sprechen allgemein von den Juden. Nirgendwo im Alten Testament ist die Vokabel dichter gestreut als in den c. 8‒10, in denen das Wort 39-mal vorkommt: jehudi, jehudim ist somit ein echtes Lieblingswort des Dichters (8,1.3.5.7 – zweimal; 8,8.9 – zweimal; 8,11.13.16.17 – zweimal; 9,1 – zweimal; 9,2.3.5.6.10.12.13.15.16.18.19.20.22.23.24 – zweimal; 9,25. 27.28.29.30.31; 10,3 – zweimal).488 Das Wort jehudi bezeichnet individuell den einzelnen Juden wie Mordechai (2,5; 3,4; 6,10; 10,3) und in Andeutungen Esther (2,10; 4,13; 6,10) sowie kollektiv das jüdische Volk der Diaspora (3,6.10.13; 4,3.7.13. 14.16; 8‒10). Im Kontext des Buches ist das Wort nicht nur ein ethni-

485 Vgl. H.M. Wahl, Jahwe, 21‒22. 486 J. Becker, Gottesfurcht im Alten Testament, AnBib 25, Rom 1965, 69‒74; K. Koch, pachad jişchaq ‒ eine Gottesbezeichnung?, 1980, ders., Studien zur alttestamentlichen und altorientalischen Religionsgeschichte hg. v. E. Otto, Göttingen 1988, 206‒214. 487 Vgl. K. Beyer, Die aramäischen Texte vom Toten Meer, Göttingen 1984, 595; ders., Die aramäischen Texte vom Toten Meer. Ergänzungsband, Göttingen 1994, 356. 488 Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 37.

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scher, sondern, vor allem auch korrespondierend mit Volk, ein mit religiösen Konnotationen gefüllter Begriff. Wenn für die persische Administration die Bezeichnung jehudi, jehudim als hinreichendes Merkmal zur Identifikation einer über die 127 Satrapien zerstreuten religiösen Gemeinschaft dient, die eigenen, von ihrem Gott gegebenen Gesetzen gehorcht (3,8; B 4‒5; E 15), dann steht der Begriff nicht nur für das Volk, sondern stellvertretend auch für den von ihm angebeteten Gott (3,13). Das belegen auch die von Mordechai und allen Juden vollzogenen Bußriten, die sich an Jahwe richten (4,1‒3). Als nomen gentilicium verweist jehudi in Esther auf Jahwe. Wann immer in Esther von jehudi und jehudim die Rede ist, bekennt sich der Dichter nicht nur zu dem Volk Jahwes, er bekennt sich auch zum rettenden Gott dieses Volkes (8,6).489 Zwei weitere Hinweise unterstützen dieses Verständnis. Nach dem Toleranzedikt (8,11‒12) wenden sich etliche Gojim dem Judentum zu. Das Wort sich zum Judentum bekennen, sich als Jude ausgeben ist in dieser Form nur in 8,17 belegt. Im Kontext der Stiftung des Purimfestes werden dann noch die Proselyten als diejenigen erwähnt, die sich den Juden angeschlossen haben (9,27). Beide Notizen spielen auf Menschen an, die sich nach dem Toleranzedikt bewußt zu Jahwe und seinem Volk bekennen. Diesen Menschen, die ihre religiöse Herkunft vergessen hatten oder zum Judentum hinzutreten, müssen die Lehrer Israels vermittelt haben, was es im religiösen Sinne bedeutet, ein Jude zu sein. Das Bekenntnis ergänzt und ersetzt die ethnische Herkunft als alleiniges Merkmal der Religionszugehörigkeit. Im Bekenntnis zum Gott Israels überwinden die Proselyten den Zusammenhang von ethnischer Herkunft und tradierter Religion eines Volkes ‒ das Judentum wird zur Weltreligion.490 Einige Jahrhunderte später ist diese Tradition für die Rabbinen selbstverständlich.491 Nach Rashi und Sfas Emes wird mit dem Begriff jehudi ungeachtet der ethnischen Herkunft eine jüdische Person bezeichnet, die den Gott Israels preist.492 Die Lebenserinnerung eines großen jüdischen Zeitgenossen, Yehudi Menuhins, aus der Zeit des 1. Weltkrieges illustriert dieses alte jüdische Selbstverständnis (und gleichzeitig das Elend der fortgesetzten Diaspora). Rückblickend erzählt der Virtuose: 489 Vgl. den Exkurs 5 (S. 94–95). 490 Vgl. H.M. Wahl, Glaube, 47‒50, 53‒54. 491 Vgl. J. Maier, Zwischen den Testamenten. Geschichte und Religion in der Zeit des zweiten Tempels, NEB 3, Würzburg 1990, 255‒256. 492 Vgl. B.M. Zlotowitz, Esther, 54.

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Auslegung

„Etwa ein Jahr lang wohnten sie [493] in einer Art möbliertem Zimmer und waren einander der einzige Zeitvertreib, den sie sich leisten konnten. Als Garten Eden fungierte der Bronx Park, in dem sie herumwanderten und dabei laut hebräische Lieder sangen, als gehöre er ihnen und Fisch und Vogel müßten ihre Sprache verstehen. Als ich mich dann anmeldete, war es mit dem genügsamen Idyll vorbei. Sie brauchten eine eigene Wohnung, suchten in der Nachbarschaft herum und fanden auch eine, unweit des Parks. Als die Wirtin sie nach Besichtigung ihres neuen Quartiers hinausgeleitete, wollte sie ihren Mietern nach Abschluß des Handels eine Freude machen und bemerkte: ‚Übrigens, damit Sie es wissen, ich nehme nie Juden.‘ Wie bitter muß es meine Eltern berührt haben, daß die gleiche Feindseligkeit, um deretwillen sie in einen anderen Erdteil geflüchtet waren, ihnen auch dort entgegenschlug. Sie suchten sich eine andere Wohnung und sammelten nach einer gewissen Zeit auch Freunde um sich, Mitstudenten, junge Leute, die ebenso arm und unbekümmert waren wie sie und einen fröhlichen Schutzwall gegen alle Vorurteile bildeten. Doch die unfreundliche Wirtin blieb unvergessen. Als meine Mutter damals wieder auf der Straße stand, tat sie ein Gelübde: Ihr ungeborenes Kind sollte einmal zum Aushängeschild seiner Rasse werden, von ihm sollte man in der ganzen Welt als ‚dem Juden‘ sprechen. Es ist eigentlich sonderbar, daß sie gerade auf ‚Yehudi‘ verfiel. […] Meine Mutter liebte die Symbolsprache. Abraham, Isaak und Jakob sind geschichtliche Persönlichkeiten, sie wurden gezeugt und zeugten weiter. ‚Yehud‘ (der Jude) aber ist ‚Jedermann‘ und hat weder Vor- noch Nachfahren“.494

8,1‒17: Ausblick. Mordechais Erhebung zu dem mit der Siegelgewalt ausgerüsteten Statthalter und der Freudentaumel des Gottesvolkes über die Errettung aus der Todesnot rahmen die Erzählung. Schon mit der Erhebung Mordechais deutet sich die Errettung an, in der Übertragung der Jurisdiktionsgewalt auf den nun dem König als Juden bekannten Mann nimmt die Übergabe des Siegelringes symbolisch die Entscheidung vorweg: Mit der Ringübergabe an Haman begann die Bedrohung für das jüdische Volk, mit der Ringübergabe an Mordechai naht ihr Ende. Noch steht das klärende Wort des Monarchen aus. Es ist die Königin, die weinend und flehend vor ihren König tritt und darum bittet, die drohende Hatz abzuwenden. Die von Achashverosh bedingungslos gewährte Bitte wird auf dieselbe Weise erfüllt, wie einst das Pogrom geplant wurde. Ein Zeitpunkt muß nicht eigens festgelegt werden. Eile ist geboten. So geht das die erste königliche Weisung aufhebende Schreiben denselben Gang wie die damalige Unheilspost. Überall, wo das Pog493 Die frisch verheirateten Eltern. 494 Y. Menuhin, Unvollendete Reise. Lebenserinnerungen, München/Zürich 1976, 18‒19.

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rom durch das von Haman gesiegelte Schreiben angekündigt wurde, ist diese Bedrohung in dem Moment aufgehoben, da das zweite Sendschreiben öffentlich verlesen wird. Doch der König wischt nicht nur das drohende Unheil weg, gleichzeitig gewährt er den Juden auch ihre Versammlungsfreiheit und garantiert ihnen das Verteidigungsrecht. Mit diesen zugestandenen Rechten legt Mordechai im Namen von Achashverosh die Grundlage für das jüdische Gemeindewesen. Mit der Darstellung der ausgelassenen Freude der Juden im persischen Reich über das Toleranzedikt und die abgewendete Todesbedrohung endet das ursprüngliche hebräische Buch Esther.495 Eine 1,1‒8,17* ähnelnde (Vor)Fassung hat vermutlich der persischen Administration (sicherlich aber der jüdischen Gemeinde) als Chronik vorgelegen496, was auch der religiösen Toleranz der Achämeniden in ihrem Vielvölkerstaat entspricht (E 7)497. Möglicherweise geht schon der Schlußsatz „viele aus den Völkern des Landes bezeichneten sich als Juden, denn der Schrecken der Juden war auf sie gefallen“498 auf eine Redaktion zurück. Die Notiz bestätigt den am Gottesvolk wirkmächtigen Jahwe und begründet mit der wunderbaren Errettung der Juden durch ihren Gott, warum sich viele Menschen Persiens mit ganz unterschiedlicher ethnischer Herkunft zum Judendtum bekennen. In der Komposition des Buches ist die Schlußnotiz dem Missionsbefehl Jesu verwandt (Mt 28,18‒20).499 Redaktionell ist 9,1‒10,3 in mehreren Schritten hinzugewachsen.500 Aus der Sicht des Hofes ist es undenkbar, daß die dramatisch ausgemalte Vergeltung der Juden an ihren Feinden ursprünglich zu dem schon in persischer Zeit vorliegenden hebräischen Buch Esther gehörten. Wie könnte ein persischer König eine jüdische Chronik zulassen, in der die Hinrichtung von 500 Höflingen Susas durch eine der vielen Volksgemeinschaften des Reiches als gerechte Vergeltung beschrieben wird? Wie könnte die persische Administration, das persische Militär der Schilderung der Tötung von 75.000 Persern zustimmen? Auch die breite Beschreibung der Einsetzung von Purim ist in Anlehnung an die Darstellung des Buches nachträglich angefügt. Redaktionell wird die Einsetzung des Festes mit dem Motiv der Vergeltung 495 Vgl. S. 3–7; 45–47. 496 Vgl. R. Gordis, Religion, 375‒378; M. Hutter, Elemente, 57; sowie A. Berlin, Book, 3‒14. 497 Vgl. P. Frei/K. Koch, Reichsidee, 102‒113. 498 Übersetzung nach M. Buber. 499 Vgl. E. Schweitzer, Das Evangelium nach Matthäus, NTD 2, 161986, 345‒351. 500 Vgl. S. 178–181.

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verbunden. Die nachdrückliche Aufforderung zur verbindlichen Aufnahme des Festes in den jüdischen Festkalender zunächst durch Mordechai und dann durch Esther (später auch noch massiv in E 22‒24) läßt sogar vermuten, daß es gegen die Feier von Purim erhebliche innerjüdische Widerstände gegeben hat, die der angefügte Zusatz überwinden soll. Durch diese Erweiterung verlagert sich das Schwergewicht der ganzen Erzählung, die sich nun wie eine Ätiologie, wie eine Begründungserzählung für die Feier von Purim liest.501

12. Die Vergeltung der Juden (9,1‒19) Die Vergeltung der Juden 9,1 Im 12. Monat, das ist der Monat Adar, an seinem 13. Tag, an dem die Rede des Königs und sein Gesetz ausgeführt werden sollte, an dem Tag, an dem die Feinde der Juden hofften, ihrer Herr zu werden, da wandte es sich, daß die Juden selbst502 Herr über sie wurden, ihre Hasser503. 2 Die Juden sammelten sich in ihren Städten in allen Provinzen des Königs Achashverosh, ihre Hand gegen die auszustrecken, die ihr Unheil suchten. Und keiner hielt ihnen stand, denn ihr Schrecken fiel auf alle Völker. 3 Und alle Oberen der Provinzen und die Satrapen und die Statthalter und die königlichen Beamten504 unterstützten die Juden, denn der Schrecken Mordechais war auf sie gefallen. 4 Denn groß war Mordechai im Hause des Königs, und sein Ruf ging in allen Provinzen um, ja505, fortgehend wurde der Mann Mordechai größer. 5 Und die Juden schlugen auf alle ihre Feinde ein, Schwertschlag, Töten und Vernichten.506 Und sie taten an ihren Hassern nach ihrem Willen. 6 Im Schloß von Susa töteten die Juden und vernichteten507 500508 [509] 501 So D.J.A. Clines, Esther Scroll, 158‒168; dann M.V. Fox, Redaction, 121‒126; und zuletzt Ch.V. Dorothy, Esther, 313‒334; dagegen J.A. Loader, Ester, 269. 502 Das Personalpronomen sie dient zur Hervorhebung des Subjekts (GK, § 135a). 503 Die umständliche Formulierung illustriert die Varianz im Wortschatz. Syntaktisch dominieren drei mit ashär eingeleitete Relativsätze den Vers (vgl. H. Striedl, Untersuchung, 80‒82). 504 M wörtlich übersetzt diejenigen, die die Arbeit machen, die für den König ist. 505 M ki ist hier emphatisch zu verstehen (vgl. BL 652b). 506 M Schwertschlag, Töten und Vernichten ist eine dreigliedrige Formel, die eine völlige Vernichtung der Feinde emphatisch hervorhebt (3,13; 7,4; 8,11). 507 Vgl. zum infinitiv absolutus als Fortsetzung des finiten Verbes GK, § 113z. 508 Die Angabe von 500 Getöteten ist ein zahlensymbolisches Stilmittel für die gerechte Vergeltung. 509 In der hebräischen Bibel sind die Namen der Hingerichteten in Kolumnen untereinander geschrieben. Ähnliches gilt für die Liste der gefallenen Könige Palästinas (Jos 12,9‒24).

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Die Vergeltung der Juden

Mann, Dalphon Porata Aridata Arisai

7 und den und den und den 9 und den und den

Parshandata Aspata Adalja Parmashta Aridai

und den 8 und den und den und den und den

Vajsata, 10 die zehn Söhne Hamans, des Sohnes Hammedatas, des Feindes der Juden, töteten sie510, aber an die Beute legten sie nicht ihre Hand511. 11 An diesem Tag kam die Zahl der Getöteten im Schloß Susa vor den König. 12 Und der König sprach zu Esther, der Königin: „Im Schloß von Susa haben die Juden getötet und vernichtet 500 Mann und die zehn Söhne Hamans. In den übrigen Provinzen des Königs, was haben sie getan? Und was ist nun dein Wunsch? Es sei dir gegeben! Und was ist noch dein Begehren? Es sei dir getan!“512 13 Da sprach Esther: „Wenn es dem König gut erscheint, sei es auch morgen den Juden, die in Susa sind, gegeben, nach dem heutigen Gesetz zu tun, und die zehn Söhne Hamans sollen sie ans Holz513 hängen.“ 14 Und der König sprach, so zu tun. Und eine Anordnung wurde in Susa ausgegeben, und die zehn Söhne Hamans hängten sie auf. 15 Da versammelten sich die Juden, die in Susa waren, auch am 14. Tag des Monats Adar.514 Und sie töteten in Susa 300 Mann515, aber an die Beute legten sie nicht ihre Hand. 16 Die übrigen Juden, die in den Provinzen des Königs, versammelten sich, und standen für ihr Leben ein und hatten Ruhe vor ihren Feinden. Und von ihren Hassern töteten sie516 75.000517, aber an die Beu510 M … asärät benej Haman… haragu in V 10.12.13.14 ist ein Euphemismus, da die Zehnzahl ein Symbol für die vollständige Ausrottung aller männlichen Nachkommen Hamans ist, seinem ganzen Geschlecht (vgl. W. Dommershausen, Estherrolle, 115). 511 M wörtlich übersetzt und die Beute, nicht streckten sie ihre Hand aus. 512 Rhetorisch werden zwei synonyme Fragen als Form des Nachdruckes und der Höflichkeit mit zusagender Aussage wiederholt. 513 M ez ist eine Metonymie. 514 Das kalendarische Formular in V 1.15.17.21 demonstriert einen späten mit Ez 1,1; Dan 10,4; Esr 3,6; 10,16‒17; Neh 9,1; 2 Chr 7,10; 29,17 verwandten Sprachgebrauch (vgl. R. Bergey, Features, 72‒73). 515 Wie in V 6.12 ist die Angabe eine zahlensymbolische Übertreibung, die Ausdruck der gewaltigen und gerechten Vergeltung ist. 516 M und töten, nach GK, § 113z tritt der infinitiv absolutus gelegentlich an die Stelle des finiten Verbes. 517 Die Zahlenangaben weichen ab: B 9,16 gibt 15.000, A 8,46 (9,16) 70.100 an. Die zahlensymbolisch zu verstehenden Angaben sollen beim Leser den Eindruck der erschreckenden Vergeltung des mächtigen Gottes erwecken.

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te legten sie nicht ihre Hand. 17 Am 13. Tag des Monats Adar, und Ruhe war an seinem 14., und man machte an ihm einen Tag518 des Gastmahls und der Freude. 18 Die Juden, die in Susa waren, versammelten sich an seinem 13. und an seinem 14., und Ruhe war am seinem 15., und man machte519 an ihm einen Tag des Gastmahls und der Freude520. 19 Deshalb machen die Landjuden, die in den ländlichen Städten521. wohnen, den 14. Tag des Monats Adar Freude und Gastmahl und einen Feiertag, an dem ein jeder seinem Freund Geschenke sendet.522 [523] 9,1‒10,3: Hinführung. Die sich aus dem Konflikt zwischen dem Heiden Haman und dem gesetzesfrommen Juden Mordechai entfaltende Handlung ist abgeschlossen. Haman ist öffentlich exekutiert, Mordechai zum Statthalter des persischen Königs erhoben. Das Pogrom ist erfolgreich abgewendet, den Juden war ein Leuchten und Freude, Wonne und Ehre (8,16). Der Konflikt ist gelöst, der Vorhang mit der Schlußnotiz (8,17) gefallen. In drei Anhängen wird das Buch nun erweitert und in seiner Bedeutung für die jüdische Kultgemeinde auch in Palästina aktualisiert.524 Erzähltechnisch, stilistisch und thematisch heben sich die drei Anhänge (1. 9,1‒19; 2. 9,20‒32; 3. 10,1‒3) deutlich von der eigentlichen Erzählung ab: Während sich die Handlung in den ersten Kapiteln an den jeweilig auftretenden Protagonisten orientiert, treten die einzelnen Personen hier völlig zurück. Die wörtliche Rede fällt als wichtigstes Instrument der Darstellung bis auf den kurzen Dialog zwischen dem König und Esther (9,12‒13) weg. Die c. 9,1‒10,3 wirken gegenüber der vorangehenden Erzählung wie ein reflektierender Bericht, der mit einigem Abstand die der Handlung nachlaufenden Ereignisse beschreibt.

518 Rhetorisch liegt eine auffällige zweifache Wortwiederholung des gleichen Nomens jom vor. 519 Nach GK, § 113z tritt der infinitiv absolutus gelegentlich an die Stelle des finiten Verbes. 520 M mishtäh wesimchah ist eine Emphase als Mittel der Steigerung. 521 M ! hajehudim haperasim ist eine Assonanz (vgl. H. Striedl, Untersuchung, 90). 522 M wörtlich und Sendung eines Anteils ein jeder seinem (Volks)genossen. 523 B 9,19 fügt erklärend hinzu οἱ δὲ κατοικοῦντες ἐν ταῖς μητροπόλεσιν καὶ τὴν πεντεκαιδεκάτην τοῦ Αδαρ ἡμέραν εὐφροσύνην ἀγαθὴν ἄγουσιν ἐξαποστέλλοντες μερίδας τοῖς πλησίον und die in den großen Städten Wohnenden begehen den 15. Adar auch als einen Tag des guten Frohsinns, den Nächsten Gaben sendend. 524 Vgl. zur literarischen Genese die Einleitung.

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Stilistisch sind die gehäuften kalendarischen Formeln (9,1.15.17.18. 19.21) und die verwirrenden und sich in den verschiedenen Überlieferungen widersprechenden Angaben der getöteten Feinde (9,1.12.16) auffällig. Die ausgebreiteten zwei- und dreigliedrigen Formeln überschwemmen den Text (9,1.3.5.13.17.18.19.21.22.28.30). Mehrfache, teilweise wörtliche Wiederholungen blähen den Bericht auf und formulieren inhaltliche Widersprüche. Die kalendarischen Formeln, die Zahlenangaben und die Namensliste täuschen darüber hinweg, daß die Darstellung ansonsten wenig konkret ist. Thematisch werden nur die Vergeltung und die Einsetzung von Purim behandelt.525 Inhaltlich setzt der Anhang die Erzählung voraus: Er beschreibt zunächst, wie die Juden auf das Toleranzedikt reagieren. Unmittelbar knüpft die Erzählung an die bereits vollzogene Exekution Hamans und die vom König gewährte Vergeltung am Haus Hamans an. Auch das Motiv der Plünderung greifen die Redaktoren mehrfach auf. Die Vergeltung am Tag des geplanten Pogroms leitet thematisch direkt zu den Purimfeierlichkeiten über. Die Einsetzung des im ganzen persischen Reich gefeierten jüdischen Erinnerungsfestes Purim geht aus der Erzählung selbst (1,1‒8,17) nicht hervor (3,7), sie wird erst in den Anhängen (9,1‒10,3) entfaltet. Der Nachdruck, mit dem zuerst der Statthalter und dann die Königin (später noch die Autoren von E 22‒24) dafür sorgen, daß Purim als ein autorisiertes Fest in den jüdischen Festkalender aufgenommen wird, läßt auf innere Widerstände der jüdischen Gemeinde schließen. Es gehört zu den Befugnissen des siegelbevollmächtigten Statthalters, diesen Feiertag auch gegen den Willen der Juden anzuordnen. Deshalb wäre ein zweites Sendschreiben der Königin gar nicht nötig gewesen. Ein einziges Dekret des jüdischen Statthalters hätte genügt, um Purim verbindlich einzuführen. Doch die Erzählebene deckt sich nicht mit den historischen Verhältnissen, aus denen die Anhänge stammen. Die Anhänge sind in einer Epoche entstanden, als das persische Reich lange untergegangen ist. Die beiden Protagonisten treten in der Retrospektive der Redaktoren auf. Die Anhänge prägen den Inhalt und die Gattung des Buches um: Esther ist nun nicht mehr eine Chronik für die persische Administration, wozu eine Vorform des Buches vermutlich gedient hat, Esther liest sich mit den Anhängen wie eine Ätiologie für Purim. Als autorisierte Lesung für Purim ist die Megilla dann eine Festrolle, die zunächst im Tempel und nach der Zerstörung Jerusalems (70 n. Chr.) in der Syna525 Vgl. D.J.A. Clines, Esther Scroll, 39‒68.

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goge verlesen worden ist. Schon früh wurden Vorformen des Buches am Purimfest in den Gemeinden Persiens vorgetragen (9,20‒22).526 Die historisch gewachsenen Texte sind der Erzählung angehängt worden. Die drei Anhänge reflektieren die Erfahrung der fortgesetzten Unterdrückung und Verfolgung der exilierten Juden. Wegen dieser Erfahrung und einer sicherlich drohenden Assimilation in der Diaspora wächst das Bedürfnis nach jüdischer Identität. Sie drückt sich lokal in der Bildung jüdischer Gemeinden und übergreifend in der gemeinsamen Erinnerungsfeier für Purim aus. Das Buch Esther trägt dazu bei, das jüdische Selbstbewußtsein der Diaspora mit einem nationalen Erinnerungsfest zu erneuern (b Meg 17a). Exemplarisch dafür ist es, daß sich die Juden nach dem Toleranzedikt an allen Orten erstmals öffentlich versammeln dürfen. Daher wird der Chronist nicht müde, dieses im historischen Kontext bedrohte basale Versammlungsrecht zu betonen (9,2.15.16.18).527 Zeitlich ist die Darstellung der vernichtenden Vergeltung der Juden und die Einsetzung von Purim erst nach dem Untergang des persischen Reiches denkbar.528 Die dem Buch angehängten Texte führen uns in eine späte Epoche der Geschichte Israels.529 Vermutlich hat die in den Anhängen vorausgesetzte Erfahrung der Unterdrückung und Vergeltung ihren historischen Anhaltspunkt in den Verfolgungen des palästinischen Judentums unter dem von 175‒164 regierenden Antiochus IV. und den sich daraus entfesselnden Erhebungen der Makkabäer (I Makk 1‒4; II Makk 5‒10; Dan 8,11‒14; 9,27; 11,31; 12,11).530 Vor diesem Hintergrund wäre das bis dahin vornehmlich bei den exilierten Juden der östlichen Gola bekannte Buch auch für das palästinische Judentum rezipierbar geworden.531 Ein zweites Moment hat die Verbreitung der Megilla erheblich beflügelt: Durch die Zusätze der griechischen Tradition, die den Bedürfnissen der Volksfrömmigkeit des 2. Jahrhunderts entsprechen, wurde das Buch Esther sowohl in Palästina als auch in Ägypten stärker rezipiert. Dadurch wurde das bislang vornehmlich in der östlichen Diaspora begangene Fest Purim in Israel bekannt und schließlich zum Feiertag 526 Vgl. D.J.A. Clines, Esther Scroll, 158‒168; sowie M.V. Fox, Redaction, 121‒126; und Ch.V. Dorothy, Esther, 313‒334. 527 Vgl. H.M. Wahl, Jahwe, 14‒18. 528 Vgl. H.M. Wahl, Glaube, 50‒54. 529 Vgl. zur Datierung des Buches insgesamt S. 45–47. 530 Vgl. E. Haag, Zeitalter, 56‒146; 142‒146; sowie E. Bickermann, Gott, 90‒116. 531 So bestätigt die gegenwärtige Forschung zumindest für die Nachträge eine Vermutung, die schon B. de Spinoza geäußert hat (vgl. S. 38).

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erhoben. Im Palästina des ausgehenden 2. Jahrhunderts ist der 13. Adar dann als Jubel- und Feiertag (I Makk 7,48‒50)532 sowie als MordechaiFest (II Makk 15,36)533 belegt (b Taan 18b)534. 9,1‒10: Die Vergeltung im persischen Reich. Eine kalendarische Formel leitet die Vergeltung der Juden ein (V 1). Im ersten Monat nach dem persischen Kalender, dem Frühlingsmonat Nisan (März/April), warf Haman das Los. Und es fiel auf den 13. Tag des 12. Monats, den Adar (3,7.13). An diesem Tag sollte das jüdische Leben im persischen Reich ausgelöscht werden. Doch es kam anders. Durch das Gesetz des Königs wurde gerade dieser 13. Adar (Februar/März) als der Tag bestimmt, an dem das Toleranzedikt des Königs in Kraft tritt (8,11‒12). So spitzt sich die Situation zu. Der Tag, den der heidnische Haman mit dem heidnischen Gottesentscheid als den Zeitpunkt für das Pogrom bestimmte, wird zum Freudentag der Juden. Der Tag des Unterganges wendet sich zum Tag des Triumphes. Auch begrifflich schlägt sich die gerechte Vergeltung nieder (V 1). Die nur in V 5 belegte dreigliedrige Formel Schwertschlag, Töten und Vernichten korrespondiert der schon bekannten ebenfalls dreigliedrigen Formel auszurotten, zu töten und zu vernichten (3,13; 7,4; 8,11). Mit ihr hatte Haman das Ziel des Pogroms beschrieben, alles jüdische Leben auszulöschen, die ganze jüdische Existenz des Weltreiches. Die Reaktion bleibt nach der Wende nicht aus. Die Juden feiern den vernichtenden Triumph über ihre Feinde, der ebenfalls dreigliedrig emphatisch beschrieben wird.535 Zur Bezeichnung der jüdischen Feinde verwenden die Redaktoren vier verschiedene Begriffe, die sich wie ein Leitmotiv durch die Anhänge ziehen: V 2 nennt die Feinde bimwakshej ra’atam, es sind diejenigen, die das Böse, das Unheil der Juden suchen. V 1.5.16 spricht von den sone, den Hassern, der Juden, V 1.5.16.22 verwendet die übliche Bezeichnung ojew Feind. Ein Sonderfall bietet die Apposition in V 10.24, mit der Haman zweimal mit sorer, als der Feind der Juden (3,10) bezeichnet wird. Zur Vorbereitung auf den Vergeltungsschlag sammeln sich die Juden dort, wo sie in den Städten und Provinzen leben (V 2). Schon 532 Vgl. J.A. Goldstein, I Maccabees, AB 41, New York u.a. 1976, 342‒343. 533 Vgl. J.A. Goldstein, II Maccabees, AB 41 A, New York u.a. 1984, 502‒503. 534 Vgl. E.J. Bickerman, Books, 226; J.C.H. Lebram, Purimfest, 208‒222; I. Kottsieper, Zusätze, 123‒124; sowie B. Schneider, Esther, 209‒218. 535 Vgl. S. 38–45.

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Auslegung

einmal haben sich die Juden Susas versammelt, um stellvertretend für Esther vor ihrer unangemeldeten Audienz beim König zu fasten (4,16‒17).536 Alle Juden des persischen Reiches sammeln sich zum Vergeltungsschlag gegen diejenigen, die ihnen Böses wollten. Doch wie wollen die Juden wissen, wer ihre Hasser sind, ohne daß es ein Pogrom gegeben hat? Die eigentliche Vergeltung wird nicht beschrieben (V 2‒3). Formelhafte Wendungen skizzieren das Geschehen in groben Zügen. Zwei mit ki eingeleitete Kausalsätze begründen das Gericht an den Judenhassern. Eine Notiz nimmt deutend die gelungene Vergeltung vorweg: Und niemand hielt ihnen stand (Jos 10,8; 21,44; 23,9). Vor den Juden fallen nun alle Feinde des persischen Reiches (V 2). Schon Seresh, die Frau Hamans, hatte in düsterer Ahnung orakelt, daß, wenn Mordechai ein Jude ist, Haman vor ihm fallen wird (6,13). Der Schrecken der Juden fällt auf alle Völker. Das aus 8,17 entlehnte Motiv spielt auf die numinose Macht Jahwes an. Auch wenn der Gottesname nicht erwähnt wird, ist der Gott Israels der Grund dieses Schreckens (Ex 15,14‒16; Jos 2,9‒11).537 Daß niemand standhält und der Schrecken der Juden sowie der Schrecken Mordechais auf die Feinde fällt, sind zwei zentrale Motive aus dem heiligen Krieg Jahwes (Dt 20,1‒20). Zwischen den Zeilen klingt auch hier der Glaube an, daß dem in der Vergeltung wirksamen Gott Israels niemand entgeht (Ps 7,9; 9,12; 65,8; 96,3.7.10; 99,1; 113,4; Jes 2,3‒4; 24; 26,7‒21; 66,5‒24; Mi 4,1‒3).538 Auch der Schrecken des königlichen Statthalters Mordechai läßt alle Provinzstatthalter, Fürsten und königlichen Beamten erzittern (V 3). Die Oberen, einschließlich des Militärs, sind von diesem Schrecken ergriffen und unterstützen nun die Juden. Nur so ist erklärbar, wie der Vergeltungsschlag einer unbedeutenden ethnischen Minderheit ohne eigenständige exekutive Gewalt im ganzen persischen Reich durchführbar ist. Beim König und dem Hofstaat in Susa genießt Mordechai hohes Ansehen (V 4). Sein Ruf bleibt auch in den Provinzen nicht verborgen. Sicherlich ist mit den berittenen Kurrieren die Nachricht von seinem steilen Aufstieg bei Hofe bis in die entlegensten Winkel der Provinzen getragen worden (2,21‒23; 6,1‒3.10; 8,2). Doch auch als Statthalter hat der tadellose Mordechai sich Verdienste erworben, die seinen Ruhm 536 Vgl. H.M. Wahl, Glaube, 46. 537 J. Becker, Gottesfurcht im Alten Testament, AnBib 25, Rom 1965, 69‒74; K. Koch, pachad jişchaq ‒ eine Gottesbezeichnung?, 1980, ders., Studien zur alttestamentlichen und altorientalischen Religionsgeschichte hg. v. E. Otto, Göttingen 1988, 206‒214. 538 Vgl. F. Stolz, Jahwes und Israels Kriege, AThANT 60, Zürich 1972, 187‒191.

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begründet und seine Stellung am Hofe gefestigt haben (Gen 41,37‒ 46.53‒57). In allen Provinzen erfolgt die Vergeltung an den Feinden (V 5‒10). Die bereits erwähnte dreigliedrige Formel Schwertschlag, Töten und Vernichten beschreibt die gerechte Vergeltung der Juden an ihren Widersachern (V 5). Die Partikel kol greift den schon in 9,3 ausgesprochenen Gedanken auf, daß niemand dem Gericht entkommt: Auf alle Völker fällt der Schrecken, alle Feinde der Juden werden getötet. Niemand von den Mächtigen (9,3), kein Fürst und kein Oberbefehlshaber der Truppen (1,3; 8,9), hält diesen Vergeltungsschlag auf. Die Juden richten ihre Hasser nach ihrem Willen, aber sie richten nicht willkürlich. Getragen wird die Vergeltung von dem Gedanken eines gerecht richtenden Gottes (Gen 34,25‒26; Jos 6,20‒21). Auch im Königspalast von Susa, dem Ort, von dem aus sich die ganze Handlung entfaltet hat, werden die Feinde getötet (V 6). Von den Höflingen werden 500 Mann exekutiert. Die zweigliedrige Formel töten und vernichten betont die vollständige Vernichtung aller Feinde im Palastbezirk. Die einzigen Personen, die namentlich erwähnt werden, sind die zehn Söhne Hamans (V 7‒10). Beim Empfang in seinem Hause hatte der inzwischen hingerichtete Statthalter seinen Gästen seinen Ruhm mit seinem Ansehen, seinem Wohlstand und auch mit der großen Zahl seiner Söhne begründet (5,11). Doch schon mit dem Deutewort der Seresh verblaßt sein Ruhm (6,13). Die Exekution des Judenfeindes (7,10) und die Übergabe des Hauses Haman an Mordechai (8,2) nimmt dann das Ergehen der Söhne vorweg. Alle zehn Söhne Hamans werden hingerichtet, das Böse mit der Wurzel ausgerissen (V 7‒9). Um sie eindeutig zu identifizieren, werden sie namentlich aufgezählt. Die Hebräische Bibel hebt die Namen durch die kolumnenartige Schreibweise hervor (Jos 12,9‒24). Die Söhne Hamans heißen: Parshandata, Dalphon, Aspata, Porata, Adalja, Aridata, Parmashta, Arisai, Aridai und Vajsata. Aus den Persepolis-Tafeln sind die Namen Aridai (PF 1475) und Aridata (PF 390) bekannt.539 Für insgesamt sieben Namen liegen Übersetzungsversuche vor: Parshandata, der Forschende; Porata, der Großzügige, der Freigebige; Adalja, der Westländer; Parmashta, der Allererste; Arisai, der unter den Ariern Wohnende; Aridai, der arisch Aus-

539 Vgl. E.M. Yamauchi, Mordecai, 272‒275.

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Auslegung

sehende oder der auf die Arier Schauende; und Vajsata, der Sohn der Luft (V 7‒9).540 Viermal wird in den nachfolgenden Versen erwähnt, daß es sich bei den namentlich aufgelisteten Personen um die zehn Söhne Hamans, des Judenfeindes, handelt (V 10.12.13.14). Zahlensymbolisch drückt die auf den Dekalog bezogene Zahl das vollständige und gerechte Gericht aus (Gen 18,32; II Sam 12,10; II Reg 25,7; Ps 109,13).541 Der gläubige Jude kann die in den zehn Geboten komprimierte Tora als den in der Hinrichtung der Judenfeinde wirksamen Willen Gottes erkennen (Ex 20,1‒17; Dt 5,6‒21).542 Von anderer Seite wird diese Deutung unterstützt. Die zehn Söhne Hamans tragen vorzarathustrische oder elamitische Namen, die als heidnisch gelten, während die judenfreundlichen Perser monotheistische zarathustrische Namen haben. Möglicherweise ist diese Namensgebung bewußt gewählt, um die Judenfeinde mit heidnischen und die Judenfreunde mit monotheistischen Namen zu benennen.543 Auch die jüdische Auslegung hat der Zehnzahl544 und der Schreibweise der Namen besondere Beachtung geschenkt (V 7‒9)545. Im Traktat Sopherim finden wir genaue Anweisungen, wie die Namensliste geschrieben werden soll: „Die zehn Söhne Hamans und die Könige Kanaans werden Halbziegel auf Halbziegel und Ziegel auf Ziegel geschrieben“ (Sof 13,3). Erläuternd beschreibt der Rabbi auch den Sinn dieser kolumnenartigen Schreibweise, in der die kopula und die nota akkusativi zusammen mit dem jeweiligen Namen in jeweils zwei Kolumnen nebeneinander stehen. „Jeder derartige Bau hat keinen Bestand“ (Sof 13,3). Gebäude, deren Ziegel nicht versetzt, sondern direkt aufeinander gemauert sind, haben ebensowenig Bestand wie das Haus Hamans, nach ihrem Fall stehen sie nicht mehr auf (b Meg 16b). Weitere Anweisungen finden sich im babylonischen Talmud: „R. Ada aus Japho sagte: Die Namen der zehn Söhne Hamans und auch das Wort ‚zehn‘ muß man in einem Atemzuge lesen. ‒ Aus welchem Grunde? ‒ Alle hauchten sie ihre Seele zusammen aus. R. Jochanan sagte: Das Vav im Namen Vajsata muß man galgenartig ausdehnen, wie ein Steuerru540 So H.S. Gehman, Notes, 327‒328. 541 Vgl. W.H. Schmidt u.a., Die zehn Gebote im Rahmen alttestamentlicher Ethik, EdF 281, Darmstadt 1993, 25‒35. 542 Vgl. T.Veijola, Das 5. Buch Mose ‒ Deuteronomium, ATD 8,1, Göttingen 2004, 147‒173. 543 So M. Hutter, Elemente, 54. 544 Vgl. B. Ego, Targum, 144‒145, Targ Cant 1,1 spricht von zehn die Heilsgeschichte Israels besingenden Liedern, Targ Rut 1,1 von zehn Hungersnöten. 545 Vgl. B.M. Zlotowitz, Esther, 119‒121.

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der auf dem [Strome] Labruth. ‒ Aus welchem Grunde? ‒ Sie wurden alle an einem Galgen gehängt“ (b Meg 16b).546

Von einer kollektiven Vergeltung, die, wie es das Verteidigungsrecht des Königs ausdrücklich erlaubt (8,11), auch an den Frauen, Kindern und Greisen vollzogen wird, sehen die Juden ab (V 10). Dreimal wird in V 10.15.16 außerdem betont, daß die Juden keine Hand an den Besitz der getöteten Feinde legen: Weder bereichern sie sich an dem Besitz Hamans (V 10) noch an dem der 300 Bewohner Susas (V 15), noch greifen sie nach dem Vermögen der 75.000 im ganzen Reich Getöteten (V 16). Damit erweisen sie sich ethisch ihren Feinden überlegen, die auf ihre Habe schielten (3,9.11.13; III Makk 3,27‒28). Die Vergeltung erhält dadurch insgesamt den Charakter eines Präventivschlages gegen die Feinde, eine so verstandene Notwehr ist auch mit dem Toleranzedikt (8,11) vereinbar.547 9,11‒15: Die weitere Vergeltung in Susa. Der wie ein Einschub wirkende Text beginnt mit der thematischen Wiederaufnahme von V 6, daß die Nachricht von den im Palast getöteten Feinden den König erreicht (V 11). Zeitlich knüpft V 11 unmittelbar an das kalendarische Formular in 9,1 an. Es ist derselbe Tag der Vergeltung, der 13. Adar, an dem das sich nun anschließende Gespräch zwischen Esther und Achashverosh stattfindet. Unvorbereitet treten wir in die wohl im Thronsaal situierte Szene ein (V 12). Offensichtlich hat der König die Nachrichten von der Vergeltung in Susa bereits erhalten, denn unmittelbar spricht er Esther auf die Ereignisse an. Äußere Empfindungen, wie Rachegelüste, Genugtuung oder Erleichterung, kommen nicht zur Sprache. Ein nüchterner Bericht leitet die Rede des Königs ein. Gleichsam offiziell gibt Achashverosh nun bekannt, daß 500 Höflinge und die zehn Söhne Hamans hingerichtet worden sind. Mit dem bereits bekannten Formular fragt der König zweimal nach den weiteren Wünschen seiner Gemahlin (V 12). Die Fragen werden von einer affirmativen Aussage bestätigt, so daß kein Zweifel an der Erfüllung der Bitte bestehen kann (5,3.6; 7,2). Zunächst fragt er nach der erfolgten Vergeltung in den Provinzen. Auch wenn das persische Verkehrs- und Postwesen seiner Zeit voraus ist548, kann die Königin noch nicht wissen, was sich am selben Tag in den entlegenen Provinzen ereignet hat. So entlarvt sich die Frage als eine rhetorische, verständli546 Übersetzung nach L. Goldschmidt. 547 Vgl. H.M.I. Geveryahu, Esther, 2‒12. 548 Vgl. den Exkurs 3 (S. 67–69).

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cherweise bleibt Esther auch eine Antwort schuldig. Josephus umschifft die Klippe mit der Bemerkung, daß der König noch keine Kunde von den Ereignissen in den Provinzen vernommen hat (Ant 11, 289). Auf die Fragen des Königs erhebt Esther ihre Stimme (V 13). Mit keinem Wort geht sie auf die berichtete Vergeltung im Königspalast ein. In ihrer mit einer Höflichkeitsformel eingeleiteten Rede, die dem König die alleinige Amtsautorität zubilligt, bittet sie darum, daß die Juden Susas am morgigen Tage den königlichen Erlaß erfüllen (8,11), die noch nicht vollständig ausgeführte Vergeltung fortsetzen und die zehn Söhne Hamans am Holz öffentlich aufhängen dürfen. Nach der erfolgten Vergeltung innerhalb der Königsstadt soll an einem zweiten Tag die Vergeltung auf die Reichshauptstadt Susa ausgedehnt werden. Vor den Toren des Königspalastes (4,6) sollen Hamans Söhne öffentlich zur Schau gestellt werden (5,14).549 Mit dem Hinweis auf die Erfüllung des königlichen Gesetzes bindet die kluge Königin Achashverosh an seine eigene Anordnung. Mit wenigen Worten stimmt der König zu (V 14). Der Vergeltungsschlag greift nun auf Susa über. Auf eine in der Reichshauptstadt ausgegebene und auf sie beschränkte königliche Anordnung550 hin werden die hingerichteten zehn Söhne am nächsten Tag öffentlich aufgehängt. Erklärend beschreiben die beiden Targume ausführlich, in welcher Reihenfolge Haman und seine Söhne aufgehängt worden sind (1 Targ Est 9,14; 2 Targ Est 9,14). Josephus glättet diese Wiederholung mit der Notiz, daß die Söhne Hamans beim Vergeltungsschlag noch nicht hingerichtet worden sind (Ant 11, 288‒289). Bei der Darstellung am Galgen geht es nicht vorrangig um die den Persern auch bekannte Leichenschändung (Herodot, Historien, III, 125; VI, 30; VII, 238). Vielmehr wird für die Bewohner der Stadt deutlich, daß die Judenfeinde ‒ das Haus Hamans mit allen Söhnen ‒ vollständig gerichtet sind. Die öffentliche Darstellung Hamans und seiner Söhne demonstriert das vollzogene Gericht und schreckt weitere Judenfeinde ab.551 Die abschreckende Darstellung der Söhne ereignet sich an demselben Tag, an dem sich die Juden Susas erneut versammeln, um an ihren Hassern Vergeltung zu üben (V 15). Auch Josephus begründet die am zweiten Tag auf die Bitte Esthers vom König gewährte fortgesetzte Vergeltung damit, daß es den Juden der Reichshauptstadt noch nicht gelungen ist, alle ihre Feinde zu töten (Ant 11, 289). 549 Vgl. den Exkurs 9 (S. 154–155). 550 Vgl. den Exkurs 6 (S. 101–103). 551 Vgl. den Exkurs 9 (S. 154–155).

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Es ist der 14. Adar (V 15). Die Juden nutzen den gewonnenen zweiten Tag der Vergeltung (8,13), um sich an ihren Feinden außerhalb der Königsburg zu rächen: 300 Mann töten sie in Susa. Wiederum kommt es den Juden dabei ausschließlich auf die Vernichtung ihrer Feinde an. An ihrem Hab und Gut bereichern sie sich wieder nicht (9,10).552 9,16‒19: Die Überwindung der Feinde. Mit V 16 weitet sich nun der Blick auf das ganze persische Reich. Auch die übrigen Juden der Provinzen versammeln sich und kämpfen um ihr Leben.553 In dem vor allem bei Jesaja und im Chronistischen Geschichtswerk belegten Wort Übrige, Rest klingt das Motiv des Restes Israels an, mit dem die sich zu Jahwe bekennende und daher gerettete Gemeinde Israels bezeichnet wird (Jes 10,19‒22; 11,11.16; 14,22; Esr 3,8; 4,3; Neh 10,29; 11,1.20; I Chr 16,41).554 Die Vergeltung der Juden ist zuvorkommende Notwehr (V 16). Zwei Redewendungen verdeutlichen dieses Verständnis: Nachdem die Juden sich vor Ort versammeln, stehen sie für ihr Leben ein. Es ist keine Mordgier, es sind keine Rachegelüste, die sie treiben, es ist die Angst vor den Todfeinden, die selbst bereit standen, das angedrohte Pogrom zu vollstrecken. Auch die zweite Redewendung belegt den präventiven Charakter ihrer Vergeltung: Zum dritten Mal wird unterstrichen, daß es den Juden allein auf die Tötung ihrer Hasser ankommt. Diese Absicht bestätigt das wiederholte Motiv (9,10.15), daß sie, anders als der Judenfeind Haman es plante, sich an dem Besitz ihrer Feinde nicht bereichern (3,9.11). Die Bilanz der Vergeltung ist überwältigend (V 16): 75.000 Feinde haben die Juden in den 127 Provinzen des von Ägypten bis Indien reichenden Persien getötet (1,1; 8,9). Daß es sich bei dieser Zahl um eine fiktive Angabe handelt, geht bereits aus den unterschiedlichen Überlieferungen hervor, die erheblich variieren: B 9,16 gibt 15.000 an, nach A 8,46 (9,16) sind es 70.100 Menschen. Die unvorstellbaren und für den Zeitgenossen kaum überprüfbaren Angaben signalisieren, daß die Hasser vollständig gerichtet sind. Nachdem das Haus Haman und alle Feinde im persischen Reich ausgelöscht sind, haben die Juden nun endlich Ruhe vor ihren Feinden (V 16). Mehrfach klingt das Motiv der Ruhe auch in den nachfolgenden 552 Vgl. H. Bardtke, Mardochäustag, 97‒116; H. Cazelles, Note, 17‒29; J.C.H. Lebram, Purimfest, 208‒222. 553 Vgl. R.L. Bergey, Book, 142‒144. 554 Vgl. J. Hausmann, Israels Rest, BWANT 124, Stuttgart u.a. 1987, 198‒219.

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Auslegung

Versen an (V 16.17.18.22). Die Ruhe vor den Feinden ist das eigentliche Ziel der Handlung (Dt 12,9‒10; Jos 21,43). Das aus der israelitischen Kriegstradition (Dt 20,1‒20) bekannte Motiv beschreibt den Zustand, nach einer abgewendeten Todesbedrohung. Friede kehrt für das zerstreute Volk ein (Dt 3,20; 12,10; 25,19; Jos 1,13; 11,23; 21,44; 22,4; 23,1; II Sam 7,11; I Reg 8,56; Jer 31,2). Für die Israeliten ist dieses Motiv religiös besetzt: Vor dem Hintergrund, daß Jahwe in der Geschichte wirkt und sogar Könige als sein Werkzeug gebraucht, ist es immer der Gott Israels selbst, der diese Ruhe stiftet (Gen 2,3; Jes 44,28‒45,3; Jer 25,9; Ez 29,17‒21; 30,20‒26; Dan 2,21; 4,14.22.29; 5,21; Esr 1,1‒2).555 Ein erneutes kalendarisches Formular datiert nun die gesamten Ereignisse (V 17). Am 13. Adar, an dem Tag, für den das Pogrom festgesetzt war, findet die Vergeltung der Juden statt, den darauffolgenden 14. Adar erheben sie nun zu einem Tag der Ruhe, des Gastmahls und der ausgelassenen Freude. Ihre Freude über das abgewendete Pogrom haben die Juden Persiens schon ausgedrückt, als sie das Toleranzedikt erreicht hat (8,11.16‒17). In ähnlicher Weise feiert Israel, als die Tora Mose bei der Rückkehr nach Jerusalem von den Leviten vorgelesen und ausgelegt worden ist (Neh 8,10‒12).556 Auch die Juden Ägyptens freuen sich nach dem abgewendeten Pogrom und feiern auf Kosten des Königs Ptolemäus IV. (221‒204) ein Freudenfest (III Makk 6,22‒40). Die Freude nach der Vergeltung hat einen tieferen Sinn: Es ist die Ruhe der Juden vor den Feinden, die wiederum ein Abglanz der von Jahwe gewährten Gottesruhe am Sabbat ist (Gen 2,3).557 Für die Juden der Reichshauptstadt fällt der Ruhetag erst auf den 15. Adar, da sie durch die königliche Anordnung an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, dem 13. und 14. Adar, an ihren Feinden Vergeltung üben (V 18). Die Juden Susas feiern in derselben Weise (9,17) und freuen sich an der Überwindung des Bösen, nur einen Tag verzögert. Die Landjuden feiern schon am 14. Adar, nicht wie die Juden Susas am 15. Adar (V 19). Gemeint sind wohl alle Juden des Reiches, die nicht in ummauerten Städten wohnen.558 Sie machen den 14. Adar zu einem Feiertag der Freude und des Gastmahls. Menschen kommen zusam-

555 Vgl. F. Stolz, Jahwes und Israels Kriege, AThANT 60, Zürich 1972, 187‒205; S.-M. Kang, Divine War in the Old Testament and in the Ancient Near East, BZAW 177, Berlin/New York 1989, 223‒224. 556 Vgl. A.H.J. Gunneweg, Nehemia, KAT XIX, 2, Gütersloh 1987, 113‒115. 557 Vgl. H. Gunkel, Genesis, HK I/1, Göttingen 1901, 91977, 115‒116; M. Witte, Die biblische Urgeschichte, BZAW 265, Berlin/New York 1998, 325–335. 558 Vgl. B.M. Zlotowitz, Esther, 124‒126.

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men, sie beten und lobsingen, sie essen und trinken559 und erzählen dabei von dem Anlaß, der sie diesen Feiertag begehen läßt. Der Grund für ihre Freude ist die wunderbare Errettung aus der Todesnot, die sich an diesem Tag auch darin zeigt, daß ein jeder Nachbarn, Freunde und Verwandte aus Dankbarkeit beschenkt (2,18). Mit dieser Bemerkung blickt ein Redaktor auf eine bereits bestehende Tradition zurück, die er einleitend mit deshalb begründend erklärt (9,26; Gen 32,33) Um Mißverständnisse über den Termin des Festes zu vermeiden, wann die Landjuden, die Juden in den großen Städten, den Provinzhauptstädten und wann die Juden in der Reichshauptstadt Susa feiern, fügt der Redaktor in der Septuaginta an V 19 einen erklärenden Zusatz an. Darin betont er, daß auch die Juden der großen Städte Persiens Purim am 15. Adar feiern (B 9,19). Mit dieser Notiz ist der Termin des Festes reichsweit auf den 14./15. Adar abgestimmt. Der Redaktor greift den Bemühungen Mordechais (9,20‒21) vorweg. 9,1‒19: Ausblick. An dem Tag, an dem alles jüdische Leben Persiens ausgelöscht werden soll, an diesem Tag triumphiert das Gottesvolk über seine Feinde. Nicht auf die Rache zielt der Bericht hin, er läuft allein auf die Vernichtung des in den Feinden personifizierten Bösen und auf die Ruhe für die jüdische Gemeinde von den Verfolgern hinaus: Das Haus Hamans ist gerichtet, alle Feinde Persiens sind getötet, das Böse mitsamt seinen Wurzeln ausgerissen. Endlich kehrt Ruhe ein. Das ist die sehnsüchtige Hoffnung, die sich in diesem Text für die seit dem Exil immer wieder existentiell bedrohte jüdische Gemeinde ausdrückt.

13. Die Einsetzung von Purim (9,20‒32) Die Einsetzung von Purim 9,20 Und Mordechai schrieb diese Begebenheiten auf, und er schickte Briefe allen Juden in allen Provinzen des Königs Achashverosh, den nahen und den fernen560, 21 um ihnen die Pflicht zu machen, den 14. des Monats Adar und den 15. Tag von ihm allzeit561, Jahr für Jahr, zu begehen, 22 ‒ den Tagen gleich, an denen die Juden von ihren Feinden ruhten, und den Monat, an dem sich für sie Kummer zur Freude und Trauer zum Feiertag wandelte –, sie als Tage des Gastmahls und der 559 Vgl. den Exkurs 8 (S. 129–131). 560 M hakerowim weharechokim bilden zwei Assonanzen (vgl. H. Striedl, Untersuchungen, 90). 561 M alles ist temporal zu lesen.

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Freude562 zu begehen und ein jeder seinem Freunde Geschenke zu senden und Gaben für die Armen.563 23 Und die Juden nahmen an564, was sie begonnen hatten zu tun, und was Mordechai ihnen geschrieben hatte. 24 Denn Haman, der Sohn Hammedatas, der Agagiter, der Feind aller565 Juden566, hatte gegen die Juden geplant, sie zu vernichten, und er hatte das Pur ‒ das ist das Los ‒ geworfen, um sie aufzureiben567 und zu vernichten. 25 Als dies568 vor den König kam, sprach er mit einem Brief, sein böser Plan, den er gegen die Juden geplant hatte, soll auf sein Haupt zurückkehren. Und sie hängten ihn und seine Söhne an das Holz. 26 Deshalb nennen sie diese Tage Purim, nach dem Namen Pur, deshalb, wegen aller Worte dieses Briefes569, und was sie gesehen haben, deshalb, was zu ihnen gelangt ist570, 27 richteten sie es auf, und die Juden nahmen es für sich571 und ihren Samen und alle an572, die sich ihnen anschlossen, und nicht zu überschreiten, diese zwei Tage zu begehen, nach ihrer Vorschrift und nach ihrer Frist573, allzeit574, Jahr um Jahr. 28 Und diese Tage werden erinnert und begangen in alljedem Geschlecht um Geschlecht, Sippe um Sippe, Provinz um Provinz, Stadt um Stadt575, und diese Tage des Purim werden nicht aus der Mitte der Juden schreiten und ihr Gedenken wird nicht ausbleiben bei ihrem Samen. 29 Und Esther, die Königin, Tochter Abichajils576, und Mordechai, der Jude577, schrieb578 mit allem Nachdruck, um aufzurichten, diesen 562 Rhetorisch ist die Doppelung des Ausdrucks eine Emphase als Mittel der Steigerung. 563 V 20‒22 ist ein typisches Beispiel für die komplexe, mit einer langen Parenthese erweiterten Syntax in Esther. 564 Nur selten geht einem determinierten Subjekt ein Infinitiv voran (vgl. GK, § 121a; 145o). 565 Vgl. 3,10; 7,6; 8,1; 9,10 nur hier mit kol (vgl. H. Striedl, Untersuchung, 94‒95). 566 Vgl. zum Epitheton H. Striedl, Untersuchung, 95‒96. 567 Das einzige Wortspiel des Buches: Haman und aufreiben. 568 M uwewoah. 569 Das nur in V 26.29 belegte aramäische Lehnwort ha’igärät meint nicht einen gewöhnlicher Brief, sondern ein königliches Schreiben (vgl. H.M. Wahl, Sprache, 26). 570 Rhetorisch ist der Vers lautsymbolisch und rhythmisch, al ken ‒ al shem ‒ al ken ‒ al kol ‒ al kacha, gestaltet. 571 M kimu wekibelu bildet mit den beiden aufeinanderfolgenden synonymen Verben eine Wiederholung und gleichzeitig eine Assonanz. 572 M wekibel, lies mit mlt Mss und Q wekibelu. 573 M ! wechismanam bedeutet eine festgesetzte Zeit (V 31). 574 M alles ist temporal zu lesen. 575 Vgl. zur Darstellung von Kollektiva durch auffällige Wiederholungen GK, § 123c. 576 B 9,29 liest wie in 2,7.15 Αμιναδαβ.

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zweiten Brief zu Purim. 30 Und sie sandte579 Briefe an alle Juden in 127 Provinzen des Königreiches von Achashverosh ‒ Worte von Frieden und Vertrauen –, 31 um diese Tage des Purim an ihren festgesetzten Zeiten aufzurichten, wie es über ihnen aufgerichtet hat Mordechai, der Jude, und Esther, die Königin, und wie sie aufgerichtet haben für sich selbst und für ihren Samen die Vorschriften580 des Fastens581 und ihrer Wehklage. 32 Esthers Befehl richtete diese Worte des Purims auf, und er wurde im Buch aufgeschrieben. 9,20‒32: Hinführung. Der zweite Anhang beschreibt die Bemühungen von Mordechai und Esther, Purim zu einem für alle Juden verbindlichen Fest zu erheben. Mit den sich an die Vergeltung anschließenden Feierlichkeiten am 14. bzw. 15. Adar ist das Purimfest vorbereitet. Schon auf die Nachricht des Toleranzediktes haben die Juden mit Jubelfeiern reagiert. Die in der Vergeltung gefeierte Vernichtung der Feinde bietet nun den Anlaß, das einmalige Ereignis zu einem für den jüdischen Glauben typischen Erinnerungsfest zu erheben. Mit ihrer zweitägigen Feier betont die jüdische Gemeinde die Bedeutung des Festes: Sie feiert den Tag des Sieges über die Judenhasser und den Tag der vom Gott Israels geschenkten Ruhe. Trotz der überwältigenden Ereignisse, die das Fest begründen, ist es für die Juden offensichtlich nicht selbstverständlich, die Purimfeier als allgemein verbindliche Feier in den jüdischen Festkalender aufzunehmen. Es bedarf der Anstrengungen der beiden höchsten jüdischen Autoritäten des persischen Reiches, um das Purimfest gegen die nur zu erahnenden Widerstände einzurichten. Historisch deuten die fortgesetzten Anstrengungen zur Einsetzung eines jüdischen Feiertages auf die Auseinandersetzungen um Purim zwischen dem babylonischpersischen, ägyptischen und palästinischen Judentum hin (F 11).582 9,20‒28: Mordechais Sendschreiben. In doppelter Weise wird Mordechai tätig (V 20): Zunächst läßt er die königlichen Schreiber kommen (3,12; 8,9), um alle Begebenheiten schriftlich festzuhalten. Ob es sich 577 Vermutlich ist und Mordechai, der Jude, eine an V 31 angelehnte Ergänzung, um dem Schreiben der Königin mehr Autorität zu verleihen. 578 Auch die fehlende Kongruenz deutet darauf hin, daß und Mordechai, der Jude nachgetragen ist. 579 Das Genus des Verbes ist umstritten. 580 M wörtlich divrei. 581 M wörtlich hazomot. 582 Vgl. O. Kaiser, Der Gott des Alten Testaments, Bd. 1, UTB 1747, Göttingen 1993, 139‒156.

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Auslegung

dabei um eine offizielle Chronik des Hofes (2,23; 6,1; 10,2) oder um die Chronik der jüdischen Gemeinde Susas handelt, läßt der Kontext völlig offen. Auf eine solche Chronik jedenfalls geht vermutlich eine Vorform des Buches Esther zurück.583 Mit Sendbriefen, die den gewohnten Weg der Reichspost nehmen (3,12‒13; 8,9‒10), will Mordechai allen Juden in allen 127 Provinzen Persiens die Pflicht auferlegen, den 14. und 15. Adar alljährlich zu einem jüdischen Feiertag zu erheben (V 20‒22). An wen genau sich diese Schreiben richten, geht aus der Andeutung nicht hervor. Allerdings ist wie in 8,9 vorausgesetzt, daß die jüdische Gemeinde der Diaspora584 erkennbar organisiert ist. Der Sendbrief richtet sich ausschließlich an die Juden Persiens, er betrifft eine rein innerjüdische Angelegenheit (V 20; 9,30).585 Das dreimal wiederholte kol unterstreicht, daß es sich bei der Feier von Purim um eine für alle Juden in allen Provinzen geltende, alljährliche religiöse Pflicht handelt (V 20‒22). Die Gedenkfeier Purim gilt fortan für alle Juden überall und immer. Purim ist für jeden Juden ein verbindliches Fest. Deshalb müssen auch die außerhalb des persischen Reiches lebenden Juden der weltweiten Diaspora das Fest als ihre eigene Tradition annehmen (9,28). Solche Briefe sind offensichtlich nicht ganz ungewöhnlich: Mit einem ähnlichen aus dem Jahre 188 v. Chr. datierten Schreiben fordert die Jerusalemer Gemeinde die ägyptischen Juden auf, das Laubhüttenfest auch im Monat Kislew zu feiern (II Makk 1,1‒9).586 Als erstes setzt Mordechai den Zeitpunkt der Feierlichkeiten fest, dann kommt er auf den Anlaß und endlich auf den Namen des Festes zu sprechen (V 21‒22). Purim soll von allen Juden in Stadt und Land als zweitägige Feier nach dem persischen Kalender jährlich am 14. und 15. Adar (Februar/März) gefeiert werden.587 Durch diese chronistische Notiz werden die durch die zweitägige Vergeltung in Susa (9,13‒14) entstandenen divergierenden Angaben harmonisiert. Beide Feiertage erinnern ausdrücklich daran, daß die Juden ihre Feinde überwinden und dann in Ruhe vor ihren Hassern dankbar feiern können. Der ursprüng583 Vgl. A. Berlin, Book, 14; R. Gordis, Religion, 375‒378; H.M. Wahl, Glaube, 50‒53. 584 Vgl. P.D. Hanson, Volk, 312‒339. 585 Dennoch ist es möglich, aus den Andeutungen ein ungefähres Bild von der Gemeinde zu zeichnen (vgl. H.M. Wahl, Jahwe, 21‒22). 586 Vgl. J.A. Goldstein, II Maccabees, AB 41 A, New York u.a. 1984, 138‒153; B. Schneider, Esther, 190‒218. 587 Vgl. W. Hartner, Old Iranian Calenders, CHIr 2, Cambridge u.a. 1985, 714‒785 (Tafeln 786‒792).

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liche Tag des geplanten Pogroms, auf den das von Haman geworfene Los fiel, der 13. Adar (3,7.13), wird durch diese Datierung nicht aus dem Gedächtnis gestrichen; die Erinnerung bleibt schon durch den Monatsnamen Adar wach (Jdt 16,31; III Makk 3,36‒38).588 Das Fest Purim ist ein jüdisches Erinnerungsfest (V 22): Es erinnert an die durch Jahwes Eingreifen von seinem Volk Israel abgewendete kollektive Bedrohung im persischen Reich. Gefeiert werden die Tage, an denen sich die Todesbedrohung in Vergeltung, der Kummer in Freude und die Trauer zum Feiertag gewendet hat. Purim ist das Fest, an dem die Juden Persiens nach der erfolgreichen Vergeltung endlich Ruhe vor ihren Feinden fanden. Ohne sich vor den Hassern fürchten zu müssen, können sich die Juden nun öffentlich versammeln, Freudenfeste feiern und sich gegenseitig beschenken (8,11.17; 9,17‒19). Zu der Ruhe und der gemeinsamen Feier tritt in dem Schreiben Mordechais ein weiteres Motiv hinzu (V 22): Der Dank über die Erlösung soll sich auch auf die Glaubensgenossen auswirken. Neben den schon erwähnten Geschenken für die Freunde (9,19) sollen auch Almosen an die Armen verteilt werden. Mit diesen milden Gaben wird eine Weisung der Tora erfüllt, die wirtschaftlich Schwachen der Gemeinde zu stützen (Ex 23,6; Lev 19,13‒15; Dt 15,7‒11; 24,11‒13; 27,19; Koh 5,7; Spr 3,27; 14,31). Durch diese Geste, die offensichtlich auf eine schon länger ausgeübte Sitte zurückblickt, erhält Purim einen ausgeprägten sozialethischen Charakter (Tob 1,17‒18; 2,3‒5; 4,6‒7; 12,6‒10; 14,8‒9; Sir 4,1‒5.8; 7,27‒36; 14,13; 29,8‒13).589 Der Jerusalemer Talmud konkretisiert den Zweck der später üblichen Purim-Sammlungen (V 22): „Geldsammlungen an Purim (für ein Mahl für Arme) müssen an Purim für diesen Zweck ausgegeben werden. Rabbi Le’azar sagte: Nun darf der Arme (die Zweckbestimmung) des Geldes nicht ändern und sich (beispielsweise) einen Schnürsenkel dafür kaufen. Beim Purimgebot überprüft man nicht die Berechtigung (des Empfängers), sondern man soll jedem geben, der die Hand ausstreckt. Die (Zweckbestimmung) von Purimgeldern darf man nicht ändern, dagegen darf man (die Zweckbestimmung) von allen anderen Geldern ändern. Allerdings darf man (die Zweckbestimmung) von allen anderen Geldern nur solange ändern, wie sie noch nicht den Almosenverwaltern übergeben worden sind. Von dem Moment an, wo sie den Almosenverwaltern übergeben worden sind, darf man (die Zweckbestim-

588 Vgl. den Exkurs 11 (S. 196–200). 589 Vgl. M. Rabenau, Studien zum Buch Tobit, BZAW (1994), 40‒45, 127‒134; G. Sauer, Jesus Sirach/Ben Sira, ATD.A 1, Göttingen 2000, 68‒70, 208‒211.

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Auslegung

mung) nicht mehr ändern“ (y Meg 70b‒70c).590 Ähnliche Vorschriften über die Gaben macht auch die babylonische Tradition (b Meg 7a–b).

Die in V 22 begründete mildtätige Tradition schlägt sich auch in einem unter den deutschsprachigen Juden verbreiteten Hausbuch L. Sterns nieder: „4. Wir sind ferner verpflichtet, den Tag [Purim] durch ein heiteres Festmahl auszuzeichnen, dann auch, um uns gegenseitig zu erfreuen, wenigstens einem Freund zwei alsbald genießbare Geschenke zuzusenden, und endlich den Armen (mindestens zweien) Gaben zu spenden. Letzteres ist wichtiger als Mahl und Geschenke; denn es gibt keine größere und rühmenswertere Freude als die, Arme, Betrübte, Witwen und Waisen zu erfreuen“.591

Die Juden nehmen die bereits nach der Vergeltung gefeierten Festtage als verbindliche Feiertage ins jährliche Kalendarium auf (V 23). Das selten im Alten Testament und nur in der späten Literatur (4,4; Hi 2,10; Spr 19,20; Esr 8,30; I Chr 12,19; II Chr 29,16.22; Sir 15,2; 41,1; 50,12) belegte hebräische Wort nehmen, annehmen hat hier eine juridischreligiöse Bedeutung (V 23.27).592 Die Juden nehmen das von Mordechai für die Aufnahme in die jüdische Feiertagsordnung vorgeschlagene Fest an, damit ist es von der jüdischen Gemeinde Persiens als jährlich zu feierndes Fest akzeptiert (I Kor 15,1.3). Nun erst wird die historische Begründung für Purim nachgetragen (V 24‒25). Wiederholend blickt der Redaktor auf die wesentlichen Ereignisse zurück: Haman, der Sohn Hammedatas, der Agagiter593, der Feind aller Juden, wollte die Juden vernichten. Zur eindeutigen Identifikation gibt der Chronist den Namen Hamans in dem nach persischer Sitte vollständigen Formular mit dem Vatersnamen Hammedata und dem Ethnikon Agagiter an. Dieser Mann ist der Feind aller Juden: Die bereits in 3,10, 8,1 und 9,10 beigefügte Charakterisierung wird hier um die Partikel kol erweitert, um die universale Bedrohung des Pogroms hervorzuheben, das jedem Juden gegolten hat (9,20‒22). Den Zeitpunkt für die geeignete Vernichtung bestimmte er mit dem Los, dem Pur. Volksetymologisch wird das akkadisch-assyrische Fremdwort Pur mit dem hebräischen Wort goral übersetzt. Der Gedankengang des Verses ist gebrochen: Haman wirft nicht das Los, um die Juden zu vernich-

590 Übersetzung nach F.G. Hüttenmeister. 591 L. Stern, Die Vorschriften der Thora, welche Israel in der Zerstreuung zu beachten hat. Ein Lehrbuch der Religion für Schule und Familie, 1881, Frankfurt a. M. 61924, 153. 592 Vgl. R.L. Bergey, Book, 145‒147. 593 Vgl. zum Namen die Auslegung zu 3,1.

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ten, er wirft das Los, um den Zeitpunkt für die Vernichtung zu bestimmen (3,7‒8). Der ausgelassene Gedanke verdeutlicht, daß der Chronist die Kenntnis des Buches voraussetzt (V 24). Ohne Mordechai und Esther zu erwähnen, ist es dann der König, der von dem bösen Plan Hamans erfährt und ihn durch ein Sendschreiben vereitelt (V 25). In einer weisheitlichen Denkfigur erzählt der Redaktor, daß das von Haman geplante Böse auf sein eigenes Haupt zurückfällt (Ps 7,16; Spr 16,18; 26,27; Koh 10,8; Sir 3,30; 10,14‒16). Der Judenhasser und seine Söhne werden hingerichtet. Die Verdienste der beiden Protagonisten sowie die Vergeltung der Juden setzt der Redaktor als bekannt voraus (V 25). Nahtlos schließt sich die Erklärung für den Namen des Festes an, die alle wesentlichen Merkmale aufnimmt (V 26). Nicht weniger als dreimal leitet V 26 einen Nebensatz kausal ein: Die Festtage heißen volksetymologisch deshalb Purim, weil es an das geworfene Los, Pur, erinnert (3,7). Außerdem entspricht die Bezeichnung den Vorgaben, die Mordechai in dem vorliegenden verbindlichen königlichen Sendbrief macht. Und es heißt deshalb Purim, weil jeder Jude in der Vergeltung die Überwindung des Bösen als den vom Gott Israels geschenkten Frieden erfährt (9,17‒19). Die jüdischen Gemeinden Persiens stimmen dem Vorschlag Mordechais zu (V 27): Alle Juden und ihre Nachkommen, ja alle Assimilierten und Proselyten (8,17; Jub 15,33‒34; III Makk 7,10‒12), nehmen Purim als jährlich an zwei Tagen gefeiertes Fest an (Jes 14,1; 56,3.6; Sach 2,15). Der Chronist greift auf das bereits aus 9,23 bekannte annehmen zurück und fügt der Formulierung aufrichten, einsetzen hinzu. Nach den Vorgaben Mordechais begehen die Juden das in ihren Festkalender aufgenomene Purim jedes Jahr am 14./15. Adar (9,21). Die Feiertagsordnung gilt für alle Juden Persiens ebenso wie für die Juden Israels und der übrigen Diaspora (V 28). Die jüdische Gemeinde ! erinnert sich an die Tage der Vergeltung und der Ruhe und begeht sie von Generation zu Generation (Dt 6,20‒21). Erinnernd eine kultische Feier zu begehen heißt, sich den Anlaß für das Fest zu vergegenwärtigen. Als Klage erzählt die Erinnerung den Nachgeborenen Kindern Israels von der existentiellen Bedrohung ihres Volkes in der persischen Diaspora und hält als Lobpreis die Errettung der zerstreuten Gemeinde wach. Gleichzeitig erfüllen die Exilierten damit die Forderung der Tora, ihre Gotteserfahrung erinnernd weiterzugeben (Dt 4,9‒10; Ps 103,2). Die kultisch gebundene Erinnerung formt so die je-

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weils gegenwärtige Existenz ‒ das ist das Wesen des Feiertages (Num 10,9‒10; Dt 5,15; Ps 42,5; 119,55; Koh 11,8).594 Purim wird allezeit von jedem Juden gefeiert (V 28). Die für alle Generationen an allen Orten allgemeine Gültigkeit des Festes beschreibt die viergliedrige Reihe Geschlecht um Geschlecht, Sippe um Sippe, Provinz um Provinz, Stadt um Stadt, indem jedes Wort wiederholt wird (1,22; 3,12; 8,9‒11.16‒17). Auf die Position der Aufzählung folgen dann in einer bekenntnisartigen Aussage zwei Negationen: Das Fest Purim wird nicht aus der Mitte des Judentums hinausschreiten und wird nicht aus dem Gedächtnis der Juden schwinden (V 28). Als ein im Festkalender aufgenommenes Fest gehört Purim zu den das jüdische Selbstbewußtsein konstituierenden jährlichen Ereignissen. Purim, das einzige Fest der Diaspora, ergänzt den Festkalender des Pentateuchs (Ex 23,10‒19; 34,18‒24; Lev 16; 23; Dt 16,1‒17; Esr 6,19‒22; Neh 8,13‒18; 10,36). Scheinbar reibungslos setzt sich das anfangs vermutlich beliebte Purimfest bei den Juden Persiens durch. Offensichtlich hat es zunächst bei der Einsetzung des Festes keine größeren Widerstände gegeben. Um so überraschender folgt dann der nächste Abschnitt (V 29‒32). Exkurs 11: Das Los, Pur (

), und das Fest, Purim (

)

Das für die redaktionelle Ausgestaltung des Buches zentrale Motiv ist das Los, das dem gleichnamigen jüdischen Fest Pate steht. Durch den dem Buch angehängten Bericht von der verbindlichen Aufnahme des Festes in den jüdischen Festkalender erhält die Erzählung den Charakter einer Ätiologie für Purim (9,20‒32). Mit dem Los, einer Spezialform des Orakels, versucht der Mensch, den göttlichen Willen zu erkunden. Das Los gilt im Alten Orient595 und der Ägäis (vgl. Homer, Ilias, III, 314‒317) gleichermaßen als Gottesentscheid.596 Wie schon Herodot (Historien, III, 128) und Xenophon (Kyrupaedie, I, 6, 46; IV, 5, 55) bestätigen, kennen auch die Perser das Werfen von Losen.597 Israel teilt dieses im Vorderen Orient geläufige Phänomen: Das Land wird nach Losentscheid verteilt (Num 26,55; 33,54; Jos 14,2; 18,6‒11; 19,51), das Los bestimmt das Opfertier (Lev 16,8‒9) und ent594 Vgl. H.M. Wahl, Jahwe, 14‒17; E.S. Gerstenberger, Israel, 36–353. 595 Vgl. W.W. Hallo, Purim, 19‒26. 596 Vgl. V. Rosenberger, Griechische Orakel. Eine Kulturgeschichte, Darmstadt 2001, 65‒69. 597 Vgl. M. Schwartz, The Religion of Achaemenian Iran, CHIr 2, Cambridge u.a. 1985, 664‒697.

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scheidet über die Besetzung der Ämter des Kultdienstes (I Chr 25,8 Lk 1,9); auch der Apostel Matthias wird durch Losentscheid nachgewählt (Apg 1,24‒26). Durch das Los wird entschieden, wer nach der Rückkehr aus dem Exil in Jerusalem wohnen darf (Neh 11,1), das Los ermittelt auch den Schuldigen (I Sam 14,41‒42; Jon 1,7). Im Erbfall kann das Werfen des Loses über die Verteilung der Kleider und des Besitzes entscheiden (Ps 22,19; Sir 14,15; Mk 15,24 par). Allgemein gilt: Durch das Los teilt Jahwe seinen Willen mit. Er selbst ist Zeuge dieses Entscheides, der am Heiligtum fällt (Jos 18,6; 21,8). Für den Menschen ist das Ordal als Gottesentscheid bindend (ähnlich beim Orakel Gen 25,21‒24; II Reg 22,13‒20; Neh 10,35). Das Los weist immer auf Jahwe hin, der allein bestimmt, wie es fällt (Spr 16,33). Das Werfen von Losen ist auch für die Perser eine selbstverständliche Methode, um einen Gottesentscheid herbeizuführen. Mit dem Los bestimmt Haman im ersten Monat des persischen Kalenders, dem Nisan (März/April), den Tag des Pogroms (3,6‒9). Purim fällt nicht auf den Tag, an dem das Los geworfen wurde, auch nicht auf den Tag, auf den das Los für das geplante Pogrom fällt, den 13. Tag des 12. Monats, des Adar, das ist der Februar/März des persischen Kalenders (3,7.13; 8,11‒12).598 Purim feiert das Judentum nach dem Sendschreiben Mordechais an den Tagen der Ruhe nach der Vergeltung, dem 14. und 15. Adar (9,21‒22).599 Kalendarische Unstimmigkeiten entstehen durch die zweitägige Vergeltung in Susa600: Während die Landjuden nur am 14. Adar (9,19) feierten, und die übrigen Juden des persischen Reiches am 13. Adar die Vergeltung übten und am 14. freudig die Ruhe vor den Feinden feierten (9,1.16‒17), erhielten die Juden Susas auf Bitten Esthers vom König das Sonderrecht, zwei Tage lang, den 13. und 14. Adar, ihre Feinde zu verfolgen (9,13‒14), dadurch fällt der Ruhetag erst auf den 15. Adar. Durch Mordechais Bemühungen, Purim zu einem nationalen Feiertag zu erheben, werden die kalendarischen Differenzen zwischen den Juden Susas, den Landjuden und denen des Reiches harmonisiert. Nach

598 Vgl. zum Kalender als Ausdruck der religiösen Weltordnung M. Hutter, Religionen in der Umwelt des Alten Testaments I. Babylonier, Syrer, Perser, StTh 4,1, Stuttgart u.a. 1996, 222‒225. 599 Vgl. grundsätzlich zu kalendarischen Fragen J. Finegan, Handbook, 21998. 600 Vgl. W. Hartner, Old Iranian Calenders, CHIr 2, Cambridge u.a. 1985, 714‒785 (Tafeln 786‒792).

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seiner Vorgabe feiern alle Juden Persiens Purim alljährlich als zweitägiges Fest am 14./15. Adar (9,20‒22).601 Mit dem auf das Drängen Mordechais und Esthers eingerichteten Feiertag für Purim erinnert sich die Gemeinde an die Errettung aus der tödlichen Bedrohung. Purim ist ein jüdisches Erinnerungsfest (9,23.27‒28). Gleichzeitig ist es ein geselliges Fest der Familie, das den Nachbarn wie den Freund in die Freude über die Errettung einschließt.602 Die Gaben an die Armen und Schwachen verleihen dem Fest zudem seinen sozialethischen Charakter (9,22), in ihrem Purimschreiben fügt Esther noch das aus 4,1‒3.16 entlehnte Bußmotiv des Fastens und der Wehklage hinzu (9,31). In der biblischen Tradition wird nur in II Makk 15,36 ein Mordechai-Tag erwähnt, dies ist der einzige Hinweis auf Purim.603 In Esther wird das aus dem akkadischen als pūru und assyrischen als pūra abgeleitete Wort als Fremdwort gebraucht (3,7; 9,24.26 – zweimal; 9,28.29.31.32).604 Der Dichter wählt für den Losentscheid das Fremdwort pur. Bedacht benutzt er nicht das hebräische Synonym Los, sondern übersetzt zweimal das Fremdwort ins Hebräische (3,7; 9,24).605 Aus zwei Gründen vermeidet der Erzähler bewußt die hebräische Bezeichnung goral: Zum einen entspricht es seiner Vorliebe für Fremd- und Lehnwörter, zum anderen vermeidet er das hebräische Wort, um eine Verbindung des Losentscheides mit Jahwe auszuschließen. Das Los in Esther weist zunächst auf die unbenannten, aber nach A 3,7 bekannten Götter Hamans hin. Da die Götter des Judenfeindes die Zeit für die Verfolgung festlegen, stimmen sie den Plänen Hamans auch grundsätzlich zu. Indem Jahwe das Pogrom jedoch vereitelt, erweist sich der Gott Israels als mächtiger als die Götter Hamans.606 Für den zeitgenössischen Juden deuten die Texte, in denen das Los erwähnt wird, einerseits auf diese Götter Hamans, dann jedoch auch auf den Gott Israels hin, der das Los der heidnischen Götter wirkungslos macht. Diesem Verständnis stimmt auch Seresh, die Frau Hamans, in ihrem Deutewort zu (6,13). Der persische Polytheismus, so liest der 601 Vgl. H. Cazelles, Note, 17‒29; N.S. Fox, Spirit, 183‒187; J. Lewy, Feast, 127‒151; D.F. Polish, Aspects, 85‒106; B.M. Zlotowitz, Esther, 124‒126. 602 Vgl. K.M. Craig, Reading Esther, 147‒168. 603 Vgl. B. Schneider, Esther, 209‒218; H.M. Wahl, Glaube, 41‒42. 604 Vgl. J. Lewy, Old Assyrian, 117‒124; W.W. Hallo, Purim, 19‒29. 605 Vgl. S. 29–31. 606 Vgl. O. Kaiser, Der Gott des Alten Testaments, Bd. 1, UTB 1747, Göttingen 1993, 126‒138, 146‒149.

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gläubige Jude das Buch, ist dem jüdischen Monotheismus unterlegen: Jahwe ist der einzige Gott Israels und der höchste im Pantheon der vorderorientalischen Götter, was selbst der persische König bekennt (E 16).607 Eschatologisch interpretiert der letzte Zusatz der griechischen Tradition Purim: „7 Deshalb schuf Gott zwei Lose, eins für das Volk Gottes und eins für alle (übrigen) Völker. 8 Und diese beiden Lose kamen in der Stunde und der Zeit und am Tag des Gerichts vor Gott ‒ und zwar für alle Völker. 9 Gott aber gedachte seines Volkes und sprach sein eigenes Erbteil gerecht“ (F 7‒9).608

Israel ist unter den Völkern das gerechte Volk Gottes.609 Werfen wir nun einen Blick auf den kultischen Kontext von Purim.610 Der Kenner berichtet: „Am Purim wird das Buch Esther verlesen, ein Brauch, den die Mischna schon als feststehend voraussetzt, der auch bereits Jahrhunderte vor ihrer Redaktion bestanden haben muß. […] Die Vorlesung des Buches Esther wird durch drei Benediktionen eingeleitet. […] Vielfach wurde die Vorlesung der Megilla von Gebräuchen begleitet, die der überströmenden Freude Ausdruck geben sollten. […] In Reformgemeinden ist die Vorlesung des Buches Esther meist auf den Morgen beschränkt, während am Abend eine Auswahl daraus in der Landessprache gegeben wird“.611

Kritisch merkt I. Elbogen an, „die lärmenden Unterbrechungen von seiten der Gemeinde haben in kultivierten Ländern überall aufgehört“.612 Wie umstritten die Vorschriften für die Verlesung der Estherrolle sind, belegen die Lehrgespräche der Rabbinen. Hören wir zunächst die babylonische Überlieferung: „Die Estherrolle wird am elften, am zwölften, am dreizehnten, am vierzehnten oder am fünfzehnten Adar gelesen, weder früher noch später. Befestigte Städte, die in den Tagen Jehoshuas, des Sohnes Nuns, mit einer Mauer umgeben waren, lesen sie am fünfzehnten, Dörfer und größere Städte lesen sie am vierzehnten, nur daß die Dörfer zum vorangehenden Zusammenkunftstage vorgreifen. Und zwar: Fällt der vierzehnte auf einen Montag, so lesen sie die Dörfer und größeren Städte an diesem Tage und

607 Vgl. H.M. Wahl, Glaube, 46‒47. 608 Übersetzung nach I. Kottsieper. 609 Vgl. O. Kaiser, Der Gott des Alten Testaments, Bd. 2, UTB 2024, Göttingen 1998, 63‒67. 610 Vgl. L. Trepp, Gottesdienst, 94‒95, 104‒107. 611 I. Elbogen, Gottesdienst, 131‒132. 612 Vgl. I. Elbogen, Gottesdienst, 132.

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die mit einer Mauer umgebenen Städte am folgenden; fällt er auf einen Dienstag, oder einen Mittwoch, so greifen die Dörfer zum vorangehenden Zusammenkunftstage vor, die größeren Städte lesen sie an diesem Tage und die mit einer Mauer umgebenen Städte am folgenden. […] Fällt er auf den Tag nach dem Shabbath, so greifen die Dörfer zum vorangehenden Zusammenkunftstage vor, die größeren Städte lesen sie an diesem Tage und die mit einer Mauer umgebenen Städte am folgenden“ (b Meg 1‒2a).613

Auch im Jerusalemer Talmud schlägt sich der gelehrte Streit der Rabbinen nieder. Wir bieten eine Kostprobe: „Es wird im Namen des Rabbi Natan gelehrt: Der ganze Monat (Adar) ist tauglich für die Lesung der (Esther-)Rolle. Was ist der Grund? Und der Monat, der ihnen aus Leid in Freude verwandelt wurde usw. (9,22). Rabbi H9elbo sagte: Aber nur bis zum fünfzehnten, denn Rabbi Abbahu sagte im Namen des Rabbi Le’azar: Und man soll nicht darüber hinausgehen (9,27)“ (y Meg 70a).614

Komplizierter wird die Diskussion noch durch den Lehrstreit der Rabbinen, wann an Purim gegessen (b Meg 7b), wann gefastet und getrauert werden darf (b Taan 18b). Doch an dieser Stelle brechen wir das ansonsten verwirrende Gespräch ab. Zur Feier von Purim gehören auch die Purimspiele615, die sich großer Beliebtheit erfreuen. Aus prominentem Munde ist eine Erzählung der Chassidim über die Purimspiele überliefert: „Zum Purimfest pflegte der ‚Spoler Großvater‘ eine besondere Art von Spielen zu veranstalten. Er hieß mehrere Chassidim, die er sorgsam auswählte und anleitete, sich verkleiden, einen von ihnen als ‚Purimkönig‘, die andern als dessen Fürsten und Räte. Die saßen dann feierlich mitsammen und hielten Rat oder Gericht, redeten, beschlossen und entschieden. Zuweilen nahm der ‚Großvater‘ selber am Mummenschanz teil. Die Chassidim erzählen, mit diesen Spielen sei Gewaltiges in die Ferne gewirkt worden, Vereitlungen von über Israel Verhängtem oder ihm Drohenden“.616

9,29‒32: Esthers (und Mordechais) Sendschreiben. In einem neuerlichen Sendschreiben befiehlt Esther, Purim an den festgesetzten Zeiten zu feiern (V 29; b Meg 7a). Die Jerusalemer Tradition interpretiert den Anlaß des zweiten Sendbriefes spitzfindig: „Warum sagt die Schrift einen zweiten? Daraus (ist zu entnehmen), daß, wenn man sie im ersten Adar gelesen hatte und danach ein Schaltjahr festgelegt wurde, man sie

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Übersetzung nach L. Goldschmidt. Übersetzung nach F.G. Hüttenmeister. Vgl. ausführlich S. 34–36. M. Buber, Die Erzählungen der Chassidim, München/Zürich 1949, 91984, 287.

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im zweiten Adar (noch einmal) liest“ (y Meg 70d).617 Doch schon die abschließende Bemerkung, daß dieser zweite Brief zur dauerhaften Einsetzung von Purim führt, widerspricht der rabbinischen Deutung (9,32). Josephus umgeht das Problem der wiederholten Sendschreiben auf seine Weise. Nach seinem Bericht wird Purim von den Juden des ganzen Erdkreises auf die Anweisung von Mordechai als Dank für Jahwes Errettung gefeiert. Den zweiten Sendbrief der Königin an die Juden Persiens übergeht er ganz (Ant 11, 293‒295). Doch auch das zweite Sendschreiben hat seine Gründe (V 29). Offensichtlich hat es innerjüdische Widerstände dagegen gegeben, Purim als offizielles Fest in der von Mordechai vorgeschlagenen Weise zu feiern. Deshalb legt nun Esther, die mit ihrem Titel und Vatersnamen aufgeführt wird (2,7.15), ihre ganze Autorität als Königin in die Waagschale, um mit einem zweiten Sendschreiben das Fest Purim im ganzen persischen Reich verbindlich einzuführen. Vermutlich hat ein Redaktor die Worte und Mordechai, der Jude nachgetragen, um die Dringlichkeit des Briefes zu unterstreichen (V 29). Zwei Beobachtungen stützen diese Vermutung: Syntaktisch weist das Verb watichtow in der 3. pers. sg. fem. eindeutig auf Esther hin. Zweitens wird in der abschließenden Notiz nur Esther als Absender erwähnt (9,32). Die Briefe werden dann wiederholt (9,20) an alle Juden der 127 Provinzen des Reiches von Achashverosh übersandt (V 30). Trotz dieser allgemeinen Angabe haben die Sendschreiben keinen konkreten Adressaten. Während bei den Sendschreiben des Königs ausdrücklich die Empfänger ‒ die Satrapen, Provinzfürsten, Statthalter und Oberen ‒ erwähnt werden (3,12; 8,9), richtet sich auch dieses Schreiben ganz allgemein an die Juden (9,20). Ob es sich dabei um Gemeindevorsteher oder andere Vertreter des örtlichen Judentums handelt und wie diese Gemeinschaft organisiert ist, bleibt völlig offen. Sicherlich setzt der Redaktor Vorformen der synagogalen Gemeinde voraus.618 Wer sich auch immer hinter der allgemeinen Adresse verbirgt, bei diesem Sendschreiben handelt es sich wiederum um eine innerjüdische Angelegenheit (9,20).619 Auch dieses Sendschreiben wird mit einer üblichen Grußformel eingeleitet (8,9; B 1‒2; E 1; II Reg 20,19; Jes 39,8; Jer 29,4; 33,2.6; Esr 4,17; II Makk 1,1‒6). Mit vertrauensvollen und friedfertigen Worten versucht Esther die Gemeindevorsteher und Ältesten dafür zu gewinnen, das 617 Übersetzung nach F.G. Hüttenmeister. 618 Vgl. H.M. Wahl, Jahwe, 10‒13. 619 Vgl. L. Day, Faces, 180‒182.

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Auslegung

Fest in ihrer Gemeinde auch tatsächlich zu feiern (V 30). Eindringlich versucht die Königin, Purim überall (wieder) zu einem verbindlichen jüdischen Feiertag zu erheben, so wie es bereits nach dem Schreiben Mordechais geschehen war (V 31). Viermal hören wir, daß die bereits etablierte Erinnerungsfeier (wieder-)aufgerichtet werden muß (V 29.31). Nicht weniger als siebenmal620 verwendet der Redaktor des zweiten Anhangs diese ansonsten im Buch nicht belegte Vokabel (V 21.27.29.31 – dreimal; 32).621 Nach der Auslegung der Jerusalemer Rabbinen erinnert der Brief der Königin daran, Purim schon deshalb wieder zu begehen, weil bereits in der Chronik (9,20) festgehalten ist, daß Purim verbindlich in den Festkalender gehört: „Sie sagte ihnen: Wenn ihr Angst davor habt, so ist die Angelegenheit ja bereits niedergeschrieben und wird archiviert“ (y Meg 70d).622 Beide Purimbriefe verändern den Charakter des Festes (V 31). Hatte Mordechai in seinem Sendschreiben die Feierlichkeiten um das Purimopfer ergänzt (9,22), betont Esther nun auch das Fasten und die Wehklage. Purim ist für Esther nicht nur ein Freudenfest, an dem sich das Judentum an seine Erettung aus der Todesnot erinnert, ein Fest mit Gastmahlen, Geschenken an die Freunde und Almosen für die Armen, getragen von der Ruhe vor den Feinden; Purim ist auch ein Fest des Fastens und der Wehklage. Mit diesem Gedanken greift der Redaktor das Motiv aus der Bedrängung auf, als die jüdischen Gemeinden Persiens (4,1‒3) und schließlich die jüdische Gemeinde Susas stellvertretend für und mit ihrer Königin fasteten (4,16). Ein Fasten an Purim ist erst spät belegt. Das Traktat Soferim berichtet von einem dreitägigen Fasten nach dem üppigen Purimfest (Sof 17,4; 21,1). Offensichtlich läßt den Dichter des zweiten Anhangs die eigene Erfahrung sozialer Mißstände und der Verfolgung das sozialethische Moment der Almosen und die religiöse Praxis der Buße bei der Feier von Purim betonen. Mit dem Motiv des ! des Samens, der Nachkommenschaft greift Esther in V 31 einen Gedanken Mordechais (9,27‒28) bestätigend wieder auf (10,3). Purim ist ein für alle nachfolgenden Generationen verbindliches Fest, das im Erinnern die jüdische Identität immer wieder neu stiftet und das Gottesvolk so erneuert. Esthers Sendschreiben gilt den jüdischen Gemeinden als königlicher Befehl (V 32). Der Brief der Königin genießt bei den jüdischen 620 Vgl. S. 65. 621 Vgl. H.M. Wahl, Sprache, 32. 622 Übersetzung nach F.G. Hüttenmeister.

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Gemeinden wie die Sendschreiben des Königs rechtsverbindliches Ansehen (3,13‒14; 8,8‒12). Nur so läßt sich erklären, daß Esthers Brief umgehend zur (Wieder-)Einsetzung von Purim führt: Purim wird nun in der Weise jährlich gefeiert, wie es Mordechai in seinem Schreiben gefordert hat (9,21‒22). Das Judentum Persiens feiert seine in Jahwe begründete Selbstbehauptung. Endlich begeht es die Tage, an denen sich für das Gottesvolk der Kummer zur Freude und die Trauer zum Feiertag gewandelt hat (8,17; 9,1.22). Auch der Senbrief der Königin wird in einem Buch notiert (V 32). Vermutlich handelt es sich dabei um die bekannte Hofchronik, in der außergewöhnliche Tagesereignisse festgehalten werden. Historisch betrachtet kann jedoch nur die Chronik der jüdischen Gemeinde (Susas) gemeint sein, da der persische Hof schon lange nicht mehr existiert (2,23; 6,1; 9,20; 10,2).623 9,20‒32: Ausblick. Nach dem Willen des Statthalters und der Königin soll Purim im ganzen persischen Reich gefeiert werden. Das Fest soll in demselben Gebiet begangen werden, für das auch das Pogrom geplant war. Territorial gesehen ist Purim ein Fest der persischen Diaspora. Die Bedeutung der Feier für das übrige Judentum hat der Text zunächst nicht im Blick, doch dadurch, daß der Redaktor die Bedeutung des Purimfestes für alle Juden und alle zukünftigen Generationen betont und der Autorität Mordechais und Esthers unterstellt, gilt die Feier für alle Juden, überall und zu allen Zeiten. Schwierig ist die Frage zu beantworten, warum der Brief Mordechais nicht schon die dauerhafte Einhaltung von Purim sichert, warum ein zweites Sendschreiben nötig wird, nachdem die jüdischen Gemeinden das Fest bereits angenommen hatten.624 Möglicherweise war bereits nach einigen Jahrzehnten in hellenistischer Zeit bei den jüdischen Gemeinden die Erinnerung an das geplante Pogrom verblaßt und die Bedeutung des Festes verloren. Vermutlich hat es auch ein geplantes reichsweites Pogrom nicht so gegeben, wie es die Erzählung vorgibt, so daß jüdische Gemeinden der entlegenen Diaspora keinen Anlaß für eine solche Feier gesehen haben. Die für die reichsweite Durchsetzung von Purim nötige kollektive Erfahrung hat offensichtlich zunächst nicht nur in Ägypten und Palästina gefehlt. Erschwerend kam für die Eta-

623 Vgl. H.M. Wahl, Glaube, 50‒54. 624 Vgl. dazu J.C.H. Lebram, Purimfest, 208‒222; S.E. Loewenstamm, Esther 9:29‒32, 117‒124; Ch.H. Torrey, Book, 31‒40.

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Auslegung

blierung des Festes sicherlich hinzu, daß Purim in der Tora nicht erwähnt wird und so eine göttliche Legitimation fehlt.625 Naheliegend ist eine von redaktionsgeschichtlichen Erwägungen gestützte Deutung: Die wiederholten Bemühungen Morchechais und Esthers um die Einsetzung des Festes reflektieren das Ringen der jüdischen Gemeinde auch außerhalb des seleukidischen Reiches, Purim als einen allgemein verbindlichen Feiertag des Judentums anzuerkennen. Bedenken hat es vermutlich besonders unter den Juden Palästinas, vielleicht aber auch in der ägyptischen Diaspora gegeben. Erst als das inzwischen vorherrschende Judentum Palästinas unter Antiochus IV. (175‒164) Erfahrungen machen mußte, die es auf das Buch Esther übertragen konnte, fand die in fernen Zeiten und einem inzwischen versunkenen politischen Gebilde situierte Erzählung die nötige Akzeptanz (I Makk 1‒2; II Makk 6‒7; III Makk 1‒7).626 Die für die Autorisation des Buches maßgebliche Gemeinde Jerusalems selbst hat unter Antiochus IV. Erfahrungen hinnehmen müssen, die denen des jüdischen Volkes in der persischen Diaspora ähneln. In der breit beschriebenen Vergeltung der Juden schlägt sich der Aufstand der Makkabäer nieder. Mit Mordechai können sich die Frommen Palästinas als dem idealtypischen Zadik, mit Esther als einer idealtypischen Königin identifizieren. Der in der hebräischen Tradition fehlende Ausdruck einer primären Religiosität ‒ wie der Name Gottes, die Theophanie, der Traum und das Gebet ‒ wird durch die in derselben Epoche fortlaufend entstehenden Zusätze zur Septuaginta kompensiert. Diese Ergänzungen erst bahnen dem Buch auch den Weg für die Rezeption in der Volksfrömmigkeit.627 So führt uns das in den Anhängen beschriebene Drängen der beiden Protagonisten, Purim zu einem verbindlichen Fest zu erheben, in das 2. Jh. v. Chr.628 Das eingesetzte Fest Purim eint nicht nur das zerstreute Gottesvolk, das nun auch in Palästina verbindlich eingerichtete Fest richtet gleichzeitig den bedrohten Kultus wieder auf und stärkt zunächst den Tempelkult und nach dem Fall Jerusalems (70 n. Chr.) besonders den synagogalen Gottesdienst. Aus dieser Sicht erklärt sich auch die Funktion der beiden Purimbriefe. Sollten die beiden Sendbriefe eine historische Wirklichkeit ab625 Vgl. Th. Schaack, Ungeduld, 292‒296. 626 Vgl. E. Haag, Zeitalter, 56‒73, 142‒146; P.D. Hanson, Volk, 312‒339; sowie Th. Willi, Juda ‒ Jehud ‒ Israel, FAT 12, Tübingen 1995, 171‒181. 627 Vgl. I. Kottsieper, Zusätze, 123‒124. 628 Keinesfalls ist Purim als ein Ersatz für das Passah in der persischen Diaspora gedacht (so G. Gerleman, Esther, 27).

Der Ruhm von König Achashverosh und Statthalter Mordechai

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bilden, ist es vorstellbar, daß sie die Pastoralbriefe reflektieren, mit denen sich die um die allgemein verbindliche Einsetzung von Purim bemühten Kreise (Jerusalems) an die Gemeinden gewendet haben (II Makk 1,1‒9).629

14. Der Ruhm von König Achashverosh und Statthalter Mordechai (10,1‒3) Der Ruhm von König Achashverosh und Statthalter Mordechai 10,1 Der König Achashverosh630 legte einen Frondienst auf alles Land und die Küsten des Meeres. 2 Und alle Taten seiner Macht und seiner Stärke und der genaue Bericht von Mordechais Größe, den der König groß gemacht hat631, sind sie nicht niedergeschrieben im Buch der Begebenheiten der Tage der Könige Mediens und Persiens632? 3 Denn Mordechai, der Jude633, war der Zweite634 nach König Achashverosh, groß war er bei den Juden und beliebt bei der Menge seiner Brüder, einer, der nach Gutem für sein Volk trachtet und zur Befriedung all seines Samens redet.635 [636] F 1 Aber Mordechai sprach: ‚Von Gott aus geschah dieses! 2 Ich erinnerte mich nämlich des Traumes, den ich über diese Ereignisse hatte. Auch nicht eines von ihnen ist nicht eingetroffen: 3 Die kleine Quelle, die ein Fluß wurde, und es ward Licht, Sonne und ein großes Wasser, ‒ Esther, die der König heiratete und zur Königin machte, ist der Fluß. 4 Die beiden Drachen 629 630 631 632 633 634 635 636

Vgl. auch S. 178–181. M achashrosh lies Q achashverosh. M ‒ gedulat ‒ gidlo ist eine figura etymologica. M diwrej hajamim lemalchej madaj upharas ist eine Alliteration (vgl. W. Dommershausen, Estherrolle, 136). Vgl. zum Epitheton der Jude H. Striedl, Untersuchung, 95‒96. M mishnäh ist eine Synekdoche als abstractum pro concreto. M … lerow ächav ‒ doresh tow … wedober shalom ist eine Assonanz und Alliteration. Der sechste Zusatz (F 1‒11): Nach dem Abschluß des Buches (10,3) fügt die griechische Tradition einen sechsten Zusatz hinzu (F 1‒11), der sich leicht in drei Teile gliedern läßt: F 1‒6 deutet den Traum Mordechais, der im ersten Zusatz (A 1‒17) der Septuaginta vorangestellt ist. Der jüdische Statthalter identifiziert die beiden kämpfenden Drachen als Haman und Mordechai (F 3‒4), das in Todesnot zu Gott flehende Volk als das von Jahwe gerettete Israel (F 5‒6). Auf die Deutung des Traumes folgt ein Midrasch zu Purim, der Israel am Tag des Gerichtes unter allen Völkern eschatologisch als das gerechte Volk Jahwes preist (F 7‒10). Der Kolophon (F 11) notiert die Übergabe des autorisiert übersetzten Purimschreibens im vierten Jahr der Regierung des Ptolemaios und der Kleopatra (78/77) durch den Priester und Leviten Dositheos und dessen Sohn (vgl. I. Kottsieper, Zusätze, 199‒207; J.D. Levenson, Esther, 134‒136; C.A. Moore, Daniel, 245‒252).

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Auslegung

aber sind ich und Haman. 5 Die Völker aber sind die, die sich versammelt hatten, um den Namen der Juden auszulöschen. 6 Mein Volk, das ist Israel: Sie schrien zu Gott und wurden gerettet. Und der Herr rettete sein Volk, der Herr errettete uns aus all diesem Bösen. Und Gott tat große Zeichen und Wunder, wie sie unter den Völkern noch nicht geschahen. [637] 7 Deshalb schuf er zwei Lose, eins für das Volk Gottes und eins für alle (übrigen) Völker. 8 Und diese beiden Lose kamen in der Stunde und der Zeit und am Tag des Gerichts vor Gott ‒ und zwar für alle Völker. 9 Gott aber gedachte seines Volkes und sprach sein eigenes Erbteil gerecht. 10 Und es werden ihnen diese Tage im Monat Adar, am 14. und am 15. dieses Monats, (Festtage) sein mit Versammlung, Freude und Fröhlichkeit vor Gott für alle Generationen in seinem Volk Israel.‘ [638] 11 Im vierten Jahr der Regierung des Ptolemaios und der Kleopatra überbrachten Dositheos, der sagte, daß er ein Priester und Levit sei, und sein Sohn Ptolemaios das vorliegende Purimschreiben, das sie als gültig und als von Lysimachos, dem Sohn des Ptolemaios, der zu denen in Jerusalem gehört, übersetzt bezeichneten. [639] 10,1‒3: Hinführung. Ein letztes Mal treten die beiden Protagonisten Achashverosh und Mordechai auf, Königin Esther bleibt im Hintergrund. Der Ruhm Mordechais steht im Lichte des persischen Königs. Anders als bei dem imposanten Vorspiel (1,1‒9) malt der Redaktor die Pracht und den Ruhm von Achashverosh nicht aus, deutet ihn aber unmißverständlich an. Das persische Reich erstreckt sich über das damals bekannte Land bis an die fernen Küstengebiete (Jes 11,11; 24,15). Die spärliche geographische Notiz genügt, um eine Vorstellung von der Größe des Imperiums zu wecken. Sie genügt, um die Macht und Pracht Susas erahnen zu lassen, an der nun auch der einst aus Jerusalem weggeschleppte, zum Statthalter aufgestiegene Jude Mordechai und mit ihm sein Volk teil hat. 10,1‒3: Der Ruhm des Juden Mordechai. Wie schon Salomo bei seinem Regierungsantritt für den Ausbau Jerusalems eine Fron erhob (I Reg 5,27‒29; 9,15.21), so legt auch Achashverosh eine Steuer auf alle Satrapien seines sich von den Küsten des Mittelmeeres bis zu denen des Kaspischen, Arabischen und Roten Meeres erstreckenden Reiches (V 1; Ex 1,11; Jos 16,10; I Reg 5,1.4). Wofür die Steuer verwendet wird, berichtet der Redaktor nicht. Möglicherweise dienen die Mittel nach 637 Übersetzung nach I. Kottsieper, Zusätze, 199. 638 Übersetzung nach I. Kottsieper, Zusätze, 202. 639 Übersetzung nach I. Kottsieper, Zusätze, 206.

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den verlorenen Kriegen mit Griechenland der Aufrüstung640, aber diese Vermutung bleibt historisch spekulativ641. Abwegig ist die Überlegung, daß das Geld zur Rückerstattung der an Haman im voraus ausgezahlten Summe von 10.000 Talenten Silber verwendet werden soll, die bei der Plünderung der Juden erwartet wurde (3,9.11; 4,7).642 Davon spricht das Buch selbst nicht, außerdem wäre das Vermögen bei der Übertragung des Besitzes von Haman auf Esther für den König verfügbar gewesen (8,1‒2).643 Von der angedeuteten Größe des persischen Reiches erhebt sich die Komposition zu einer rhetorischen Frage, die bestätigt, daß die Verdienste der beiden Männer niedergeschrieben worden sind und so ihr Ruhm unvergänglich ist (V 2; I Reg 5,1‒14). Die ruhmvollen Taten des Königs Achashverosh und seines Statthalters Mordechai sind in der persischen Tageschronik festgehalten, die als das Buch der Begebenheiten der Tage der Könige Mediens und Persiens bezeichnet wird (2,23; 6,1). Vermutlich ist darin auch Wichtiges über den Aufstieg Mordechais zum Statthalter notiert. Auch in Israel werden spätestens seit König Salomo (I Reg 4,1‒7; 11,41) wichtige Ereignisse in Annalen und Chroniken festgehalten (Ex 17,14; Jos 10,13; I Reg 14,19.29; 15,7.23.31; 22,26.39; II Reg 1,18; 21,17.25; 23,28; 24,5; I Chr 29,29; II Chr 9,29). Historisch nachweisbar ist eine solche Chronik allerdings nicht.644 Über die rhetorische Frage steigert sich der Nachtrag weiter zu einem abschließenden Jubelruf über Mordechais Verdienste (V 3). Mordechai, so heißt es in der Apposition, ist der Jude. Das Epitheton, das sich wie ein Leitmotiv durch das Buch zieht (2,5; 3,4; 5,13; 6,10.13; 8,7; 9,29.31), ist hier mehr als eine Kennzeichnung seiner ethnischen Herkunft und seines religiösen Bekenntnisses: Mordechai ist der paradigmatische fromme Zadik der Diaspora, der seinem König gegenüber loyal (2,21‒23) und seinem Gott gegenüber unverbrüchlich treu ist (3,2‒3.6‒8; 4,16‒17; Ps 99,6; Ez 14,14‒23).645 Vom König wie von den Juden Persiens wird dieser Mann gleichermaßen geschätzt.646 Nach König Achashverosh ist der Jude Mordechai der zweite Mann im persischen Reich (V 3). Wie Joseph in Ägypten und Daniel in Baby640 Vgl. den Exkurs 1 (S. 54–55). 641 Vgl. E.M. Yamauchi, Persia, 198‒226. 642 Vgl. A.D.H. Bivar, Achaemenid Coins, Weights and Measures, CHIr 2, Cambridge u.a. 1985, 610‒638 (Tafeln 635‒638). 643 So D. Daube, Chapter, 139‒147. 644 Vgl. R. Gordis, Religion, 375‒376; A. Berlin, Book, 14; J. Wiesehöfer, Persien, 25‒53; J. Finegan, Biblical Chronology, 266–269. 645 Vgl. W.L. Humphreys, Life-Style, 216‒217; H.M. Wahl, Noah, Daniel und Hiob in Ezechiel XIV 12–20 (21–23), VT 42, 1992, 542–553.. 646 Vgl. E.L. Greenstein, Reading, 234‒239.

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lonien ist auch Mordechai der Aufstieg zum Statthalter am Hofe des „heidnischen Königs“ im Exil durch Jahwes Beistand gelungen (Gen 41,43‒45; I Sam 23,17; Dan 2,48‒49, 6,29; Jdt 2,4; III Esr 3,7; Diodorus, Bibliotheca, I, 73, 2‒4).647 Das Motiv des zweiten Mannes im Staat weist auf die Ordnung der vorderorientalischen Monarchie hin. Im vorderorientalischen und ägyptischen Staatswesen ist der König der irdische Vertreter des höchsten Gottes. Damit ist er zugleich der erste Mann im Staatswesen, sein Rang ist unbestritten. Der zweite Mann im Staate ist folglich der erste nach dem göttlich legitimierten und inaugurierten König.648 Josephus krönt Mordechai heimlich, wenn er behauptet, der Statthalter habe sich die Regierungsgeschäfte mit dem König geteilt (Ant 11, 295). Nun verwundert es nicht, wenn etwa zu derselben Zeit, in der 10,1‒3 dem Buch angehängt wird, die Purimfeier in Palästina mit dem Namen Mordechais identifiziert wird (II Makk 15,36). Der Aufstieg Mordechais dient allen Juden des Reiches (V 3). Auch nach dem abgewendeten Pogrom vergißt Mordechai sein Volk nicht. Für die exilierten Juden sucht er das Gute und setzt sich für ihr Wohlergehen ein (Ant 11, 296). Sein Aufstieg steht stellvertretend für den Aufstieg des Volkes: Er drück sich in den zugesprochenen Privilegien der freien Religionsausübung und dem Verteidigungsrecht (8,11) sowie in der Ruhe vor den Feinden (9,17.21) aus. Möglicherweise klingt auch ein gewisser sozialer Aufstieg der Juden in der Diaspora mit an.649 Das aus der Todesbedrohung errettete Gottesvolk dankt Mordechai seinen Einsatz damit, daß es ihn als einen Großen ehrt (V 3). Überdies erfährt er die Zuneigung der ganzen jüdischen Gemeinde (Sach 9,10; Ps 85,9; Neh 5,8).650 Dem babylonischen Talmud geht die uneingeschränkte Sympathie zu weit. Die Rabbinen interpretieren spitzfindig: „Nur beim größten Teile seiner Brüder, nicht aber bei all seinen Brüdern; dies lehrt, daß ein Teil des Synedriums sich von ihm zurückzog“ (b Meg 16b).651 Ein Loblied auf den Statthalter und vorbildlichen Frommen singt der zweite Targum: Mordechai „der Schatzmeister und der Älteste der Juden, der Herr über alle Völker, und von einem Ende der Welt bis zu ihrem [anderen] Ende wurde sein Ruf gehört. Und alle Könige fürchteten [ihn], und wenn sie ihn sahen, erzitter647 Vgl. H. Volkmann, Der Zweite nach dem König, Ph. 92, 1937, 290‒297, hat die vorderorientalischen, ägyptischen und griechischen Texte zusammengestellt. 648 So schon H. Volkmann, Zweite, 286, 311‒314. 649 Vgl. H.M. Wahl, Motiv, 65‒67. 650 Vgl. P.R. Ackroyd, Israel, 181‒190; H. Bardtke, Elephantine, 13‒31. 651 Übersetzung nach L. Goldschmidt.

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ten sie vor ihm. Das ist Mordechai, ähnlich dem Stern der Venus, der leuchtet unter den Sternen, und ähnlich der Morgenröte, die hervorgeht zur Morgenzeit; und er war ähnlich einer Rose, die an Bachströmen des Wassers steht“ (2 Targ Est 10,3).652

1,1‒10,3: Epilog. Blicken wir auf den begangenen Weg zurück, liegt eine dramatische Erzählung hinter uns, die uns nach einem prachtvollen Vorspiel von dem aus der Todesbedrohung quellenden Leid des Gottesvolkes zur Freude über den rettenden Gott Israels geführt hat. Der Tag, an dem das von Haman bewirkte Dekret in Susa und allen Winkeln des Reiches bekanntgegeben wird, umhüllt alle Juden mit dem Schleier des Todes. Doch die in Buße gewandelte Angst bereitet die Umkehr vor. Der Tag schließlich, an dem das Toleranzedikt in den Ohren der Juden Persiens wie eine himmlische Symphonie erklingt, ist ein Tag, an dem Kummer in Wonne, Trauer in Freude, Angst in Zuversicht umschlägt, ein Tag des gemeinsamen Gastmahls, ein Feiertag für die jüdische Gemeinde. Die in dem zweitägigen Jubelfest Purim ausgedrückte Freude über die Überwindung der Hasser kann besonders derjenige nachempfinden, der um seines Glaubens willen verfolgt und endlich mit der Ruhe Gottes vor den Feinden beschenkt worden ist. Die Anhänge (9,1‒10,3) haben dem Buch Esther den Ruf eines rachefreudigen und mordlüsternen Werkes eingetragen, das Bild haben die spärlichen Andeutungen auf Jahwe und eine nur verborgene Religiösität der Protagonisten verstärkt.653 Die inzwischen weitgehend verstummenden Stimmen dieser Ausleger verkennen mit ihren Vorwürfen allerdings das Selbstverständnis des exilierten und ! unter der Bedrohung der Verfolgung und Assimilation lebenden Gottesvolkes, das in der Vergeltung an den Feinden das Wirken Jahwes erkennt, der darin seiner Verheißung treu ist, der Gott seines erwählten Volkes zu bleiben (Gen 22,16‒18; Ex 6,7; Lev 26,12; Dt 6,4‒5; 26,18‒19).654 Von der Androhung kollektiver Vernichtung weiß die Bibel immer wieder zu berichten: Im ägyptischen Exil werden die Hebammen vom Pharao angewiesen, alle hebräischen Säuglinge zu töten (Ex 1,15‒22). Auf ähnliche Weise will Herodes den angebeteten Messias, dessen Macht er fürchtet, für immer vernichten (Mt 2,16‒18). Selbst der Schöpfer des Himmels und der Erde weiß keinen besseren Rat, als die verderbte Menschheit zu richten (Gen 6,5‒7). Doch seiner Reue verdankt 652 Übersetzung nach B. Ego. 653 Vgl. S. 38–40; 178–181. 654 Vgl. H.M. Wahl, Glaube, 47‒50.

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Auslegung

der im jüdischen wie im christlichen Glauben getragene Mensch, daß ER dem auserwähltem Gottesvolk und dem Sproß des alten Stammes seine unverbrüchliche Treue zugesagt hat (Gen 8,21‒22; 9,11‒17; Röm 11,17‒24).655 Geschichtstheologiche Betrachtungen, die wie im Deuteronomistischen oder Chronistischen Geschichtswerk nach dem Zusammenhang zwischen der Schuld des Volkes und der drohenden Verfolgung fragen, klammert das hebräische Buch Esther ebenso aus wie jegliches eschatologische Denken.656 Die Bedrohung und die Erlösung sind präsentisch gedacht (anders F 7‒10).657 Offensichtlich hat der Dichter der Zusätze dies als Mißstand empfunden, deshalb greift er das Motiv des auch bei Daniel belegten Schuldbekenntnisses (Dan 9,5‒14) im Gebet der Esther auf: „17 Und nun haben wir vor dir gesündigt, und du hast uns überantwortet in die Hände unserer Feinde 18 dafür, daß wir ihre Götter verehrt haben. Gerecht bist du, o Herr!“ (C 17‒18).658 Dort, wo der Mensch aufrichtig seine Schuld bekennt und umkehrt, ist der rettende Gott nicht fern (4,14; F 6). Literarhistorisch ist das Buch Esther (1,1‒8,17*) ein wichtiger Zeuge der exilischen Literatur der späten persischen, frühen hellenistischen und in den drei Anhängen (1. 9,1‒19; 2. 9,20‒32; 3. 10,1‒3) der ausgehenden seleukidischen Epoche. Ja, in seinen Zusätzen reicht die redaktionsgeschichtliche Fortschreibung der griechischen Tradition sogar weiter bis zu den Hasmonäern.659 Religionsgeschichtlich gibt das Buch wichtige Hinweise auf die fortgesetzte Existenz des Judentums in der östlichen Diaspora nach der Restitution Jerusalems unter Nehemia und Esra. Leise läßt Esther Vorformen der jüdischen Gemeinden des Exils erahnen, die auch nach dem Wiederaufbau Jerusalems weiterhin bestanden haben, dann aber im Schatten des wiedererwachten Tempelkultes und seiner restaurativen Theologie verblassen. Für diese von Palästina geographisch (und religiös?) weit entfernten Gemeinden bietet Esther neben Daniel als einziges Buch im Kanon einen Entwurf für die Existenz in der Zerstreuung

655 Vgl. O. Kaiser, Der Gott des Alten Testaments, Bd. 2, UTB 2024, Göttingen 1998, 104‒127. 656 Vgl. P.D. Hanson, The Dawn of Apocalyptic, Philadelphia 21979, 1‒31. 657 Vgl. O. Kaiser, Der Gott des Alten Testaments, Bd. 1, UTB 1747, Göttingen 1993, 210‒212, 349‒351. 658 Übersetzung nach H. Bardtke. 659 Vgl. I.L. Seeligmann, Voraussetzungen der Midraschexegese, VT.S 1 (1953), 150‒181; sowie ders., Hebräische Erzählung und biblische Geschichtsschreibung, ThZ 18 (1962), 305‒325.

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an.660 In der Megilla deutet sich außerdem der Wandel Israels von einer ethnisch und geographisch bestimmten Nationalreligion mit einem Reichsheiligtum in Jerusalem zu einer an das in seiner Stiftungsurkunde vermittelte Bekenntnis zu Jahwe gebundenen Weltreligion an ‒ oder aus Israel wird das Judentum.661 Überlassen wir das Schlußwort einem der ältesten Ausleger des Estherbuches. In der griechischen Tradition der Septuaginta ist das Buch Esther durch sechs lange Zusätze erheblich erweitert und um religiöse Phänomene bereichert worden. Der erste Zusatz (A 1‒17) ist ein Traum Mordechais, der dem Buch vorangestellt worden ist. Die Deutung dieses Traumes schließt dann die erweiterte Fassung der Septuaginta wie in einer inclusio ab. Mordechai erinnert sich an seinen Traum und deutet ihn. Mit diesen aus dem Glauben des (frühen) ersten Jahrhunderts vor Christus stammenden Worten stellt der Dichter die Geschehnisse des Buches Esther in einen heilsgeschichtlichen Kontext. Hören wir noch einmal das Finale in der Übersetzung H. Bardtkes (F 1‒6): „1 Und Mordechai sprach: ‚Von Gott aus ist dieses geschehen! 2 Ich gedachte nämlich des Traumgesichtes, das ich bezüglich dieser Ereignisse sah. Denn kein Wort von ihnen ist außer acht gelassen worden. 3 Die kleine Quelle, die ein Fluß wurde, und es waren Licht und Sonne und viel Wasser. Esther ist der Fluß, der König heiratete sie und machte (sie) zur Königin. 4 Die beiden Drachen aber ‒ das bin ich und Haman! 5 Die Völker aber (sind die, die) zusammengekommen waren, um den Namen der Juden zu vernichten. 6 Mein Volk aber ‒ das ist Israel, sie schrien zu Gott und wurden errettet. Und der Herr rettete sein Volk, und der Herr befreite uns aus all diesen Nöten, und Gott tat Zeichen und große Wunder, wie sie unter den Völkern nicht geschehen sind“.

660 Vgl. H.M. Wahl, Jahwe, 21‒22. 661 Vgl. O. Kaiser, Der Gott des Alten Testaments, Bd. 3, UTB 2392, Göttingen 2003, 25‒38, 370‒389.

212

Auslegung

Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Die Titel werden mit Namen, Stichwort und Seite zitiert. Nicht im Literaturverzeichnis aufgeführte Titel, auf die wir im fortlaufenden Text verweisen, werden bibliographisch eindeutig angegeben. Die Abkürzungen richten sich nach S.M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG), TRE, Berlin/New York 21994. Weitere Abkürzungen sind: Sigla M

Masoretischer Text (hebräisch)

G

Septuaginta (griechisch, mit den Zusätzen)

A (oder L) Kurzfassung (griechisch) B

Langfassung (griechisch)

A‒F

Zusätze (griechisch)

V

Vulgata (lateinisch)

S

Peshitta (syrisch)

T

Targum (aramäisch)

Textausgaben und Hilfmittel BHK

Biblia Hebraica, hg. R. Kittel, Leipzig 1912, Stuttgart 71951

BHQ

Biblia Hebraica Quinta, Fasc. 18, General Introduction and Megilloth, hg. v. A. Schenker et al., Stuttgart 2004

BHS

Biblia Hebraica Stuttgartensia, Stuttgart 1975, 41990

BL

H. Bauer/P. Leander, Historische Grammatik der Hebräischen Sprache des Alten Testaments, Halle 1922, ND Hildesheim 1962

Ges

W. Gesenius, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, Berlin u.a. 171915, ND 1962

Ges18

W. Gesenius, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, Lfg. 1‒3, Berlin u.a. 181987‒2005

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GK

W. Gesenius/E. Kautzsch/G. Bergsträsser, Hebräische Grammatik, Leipzig 281909, ND Darmstadt 1985

HAL

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Weitere Abkürzungen AOTC

Abingdon Old Testament Commentaries

ARGU

Arbeiten zur Religion und Geschichte des Urchristentums

BibInt

Biblical Interpretation

BBR

Bullentin for Biblical Research

BE

Biblische Enzyklopädie

ABD

The Anchor Bible Dictionary

FCB

The Feminist Companion to the Bible

HBSt

Herders Biblische Studien

HThKAT

Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament

Hp lg

Hapax legomenon

Jh.

Jahrhundert

JPS

Jewish Publication Society

KHM

Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, Bd. 1‒3, Ausgabe letzter Hand, Göttingen 31856, ND Stuttgart 1989

LCBI

Literary Currents in Biblical Interpretation

ND

Nachdruck

OEANE

The Oxford Encyclopedia of Archaeology in the Near East

SBL.SCSS

Society of Biblical Literature Septuagint and Cognate Studies Series

SPOT

Studies on Personalities of the Old Testament

StTh

Studienbücher Theologie

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228

Zeittafel

Zeittafel Zeittafel Israel

Persien

597 Erste Wegführung nach Babel 587/86 Fall Jerusalems, Exil

538

Edikt des Kyros, erste Rückkehr von Exulanten, Beginn des Tempelbaus? 520 Statthalter Serubbabel?, Hohepriester Jeshua, Tempelbau in Jerusalem 1. April 515 Tempelweihe 458 Esra? um 490–430 Herodot 445–433 Nehemia Statthalter? Mauerbau Nehemias um 460–400 Thukydides

559/58–530 Kyros II., König von Persien seit 553 König von Medien seit 538 König von Babylonien 530–522 Kambyses II. 522–486 Darius I., Ausbau Susas

486/85–465/64 Xerxes I. (Achashverosh) 465/64–424 Artaxerxes I.

424/23–404 Darius II. 404–359/58 Artaxerxes II.

um 430–354 Xenophon 398 Esra? 359/58–338 Artaxerxes III. 338/37–336 Arses 336/35–331 Darius III. 330 Eroberung Susas durch Alexander um 175–50 Zusätze zu Esther um 37/38–100 n.Chr. Josephus 70 n.Chr. Eroberung Jerusalems und Zerstörung des Tempels nach 70 n.Chr. Entstehung des Talmud

Karte

Der Vordere Orient (ca. 550–330 v.Chr.) Karte

© Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Klaas R. Veenhof: Geschichte des Alten Orients bis zur Zeit Alexanders des Großen, Göttingen 2001, S. 322.

229

Register I. Namen und Sachen Achaimeniden 25, 31, 55 Achashverosh 1, 16, 20, 22, 23, 4647, 53-54, 75, 98 Adar 19, 20, 29, 99, 105, 169, 179180, 181, 185, 187, 188, 192-193, 197-198 Adoption 76-77 Aischylos 54 Alexander der Große 27, 28, 30 Amestris 29 Anekdote 15 Annalen s. Buch Anordnung s. Gesetz Antiochus IV. 106, 180, 204 Antiochus V. 166 Apadana 118, 139 Apokryphen 2, 29, 37-38 Aqiba, R. 32-33 Aramaismen 21 Aridai 183 Aridata 183 Artaxerxes I. 26, 54 Artaxerxes III. 87 Äthiopien 22, 56-57 Ätiologie 12-14, 33, 179-180, 196 Aufhängen s. Pfählen Augustin 34 Bekenntnisschrift 14 Bericht 15 Bigtan 61, 86-88 Brief s. Buch/Erlaß/Gesetz/ Sendschreiben Buber, M. 70, 76, 150, 175, 200

Buch der Begebenheiten 14, 15, 87-88, 137, 138, 154, 175, 192, 203, 207 Burleske 36 Buße/Bußritus 39, 112-117 Charkas 61 Chassidim 200 Chronik s. Buch der Begebenheiten Cicero 94 Clemens von Alexandria 34 Darius I. 25-26, 27-28, 54, 55, 57, 68, 83-84, 105, 154, 155 Darius II. 26 Darius III. 87 Dekret 15 Deutewort 15, 144 Dialog 15 Diener 20, 61-63, 86-88 Dienerrede 15, 118 Diodorus 26, 28, 55, 59 Droysen, J.G. 27, 28 Ehevorschriften 100 Ehre 143 Eichhorn, J.G. 6, 31, 38, 45 Elbogen, I. 199 Elephantine 26 Eliezer, R. 32-33 Epilog 15 Erbauungsbuch 14 Erlaß s. Gesetz/Sendschreiben Erzählung 14-15 Esther 1, 16, 20, 22, 29, 76-77 Eunuchen s. Diener

232 Fest s. Purim Fremdwörter 20-22 Gastmahl 62, 126-131, 148 Gattung 12-15 Gebet 39, 92, 109-111 Gemeinde 8, 35-36, 170, 179-180, 203, 205 Gesetz 66-67, 101-102, 164, 167, 186 Gründungsinschrift s. Inschriften Hadassa 77 Haman 17, 20, 22, 29, 90-91, 198-199 Hapax legomena 21 Haremserzählung 12-13 Hasmonäer 210 Hatach 61-62, 117 Herodot 25, 26, 28, 54 Hieros logos 12 Historizität 23 Hodu 55-57 Homilie 35 Ibn Esra 35 Indien 22, 56-57 Inschriften 25, 27-28, 56, 57-58 Inspiration 32-33 Israel s. Jude/Volk Israel Jechonja/Jojachin 75 Josephus 26, 34, 47 Judas Makkabäus s. Makkabäer Jude/Judäer/Judentum 13-14, 21, 42-43, 74, 94-95, 133, 141-142, 166, 171, 172-173, 201-202 Kalender s. Adar/Kislev/Nisan/ Sivan/Tebet Kanon 1-3, 32 Kambyses 26, 76, 83-84 Kislev 192 Kommentar 35 Konvertit s. Proselyt Krone 22, 81-82, 140 Kush 55-57

Register

Kyros 26, 83, 105 Los s. Pur Loftus, W.K. 27 Luther, M. 2, 36-37 Makkabäer 38, 106 Marduk 55, 74 Marsena 64 Medina 67-69 Megilla 2 Mehrehe/Mischehe 82-83 Mehuman 61 Memuchan 64 Menuhin, Y. 173-174 Meres 64 Midrash 34-36 Mithrades von Pontus 94 Monolatrie 100 Mordechai 16-17, 20, 22, 46-47, 7475, 207-208 Motiv 15, 41-42, 72, 79, 119, 131, 137, 140, 168, 170, 182, 187, 188 Namen 22, 29, 61, 64, 74-75, 76-77, 183-184 Nebukadnezar 23, 58, 64, 73, 75-76 Nisan 98, 104, 137, 165, 181, 197 Notiz 72, 88, 134, 138, 178 Novelle 12, 13 Parodie 36 Passabrief 26 Persepolis 26, 28, 55, 68, 90, 118, 183 Pfählen 134, 154-155, 183-185 Philo von Alexandrien 40, 120 Pogrom 98-99, 188, 165-166, 203 Polykrates 155 Pomponius Mela 57 Post s. Verkehrswesen Praxis pietatis 16, 34, 39-40 Prolog 15 Proselyt 171 Proskynese 91-92 Provinz s. Satrapie

I. Namen und Sachen

Prozeß 18, 152-153 Ptolemäus IV. 103, 106-107, 166, 188 Pur/Purim 2, 6-7, 29-31, 33, 41-42, 47, 98-99, 179-180, 192-202, 204 Purimschreiben 15, 195, 204-205 Purimsammlungen 193-194 Purimspiele 35-36, 200 Qumran 31, 47 Rabbinen 32-34, 40, 75, 86, 95, 99, 128-129, 133, 170, 171, 184-185, 193-194, 199-200 Rashi 35 Ratgeber 64-65 Redaktionsgeschichte 3-7 Rembrandt 37 Rhetorische Figuren/Stilmittel Alliteration 17, 51, 70, 72, 133, 136, 157, 158, 161, 205 Anadiplosis 17, 109 Aneinanderrheihung 18-19 Assonanz 17, 147, 149, 160, 189, 205 Beschleunigung 15 Brachylogie 17, 52, 70, 108 Emphase 17, 96, 108, 158, 190 Epitheton 190 Euphemismus 17, 86, 156, 177 Figura etymologica 70, 107, 136, 157, 205 Höflichkeitsformeln 18, 96, 99, 102, 125, 131, 146, 157, 201 Huldigungsformeln 28, 100 Hyperbel 17, 50, 51, 52, 125, 132, 146, 160 Hysteriologie 17, 51 Lautsymbolik 17-18, 125, 146, 157 Litotes 17, 52 Merismus 17, 52 Metapher 17 Metonymie 17, 50, 52, 70, 86, 96, 98, 136, 146, 157, 158, 161, 177

233

Rhytmus 18, 71 Siebenzahl 64-65, 81, 143, 165 Synekdoche 17, 205 Synonyme 17, 50, 51, 52, 70, 89, 96, 120, 136, 151 Triadische Formeln 18, 50, 96, 105, 113, 158, 179, 183 Verzögerung 15 Wiederholung 18, 52, 89, 190 Wortfülle 161 Wortschatz 17, 51, 60, 97, 158 Wortspiel 17 Zahlensymbolik 17, 29, 39-40, 50, 51, 52, 64-65, 95, 109, 132-133, 146, 155, 165, 177, 184 Zeugma 17, 107 Sachs, H. 37 Satrap/Satrapie 28, 55-56, 67-69, 166, 187 Scheherazade 53 Schlaf s. Traum Schleiermacher, F.D.E. 171 Schreiber 104 Sendschreiben 15, 102, 104-106, 159-160, 165-166, 168-169, 191192, 200-203 Seleukiden 47 Seleukos I. 116 Semler, J.S. 23 Septuaginta VIII, 2-3, 44-45 Siegel 103-104, 162-163, 166 Sivan 165 Speisegebote 78-79, 100, 130 Spinoza, B. de 38 Sprache 15-20, 20-22 Statthalter s. Satrap Stern, L. 194 Steuer 83-84, 206-207 Stilmittel s. Rhetorische Figuren Strabo 26, 54 Susa 1, 26-27, 54, 58-59, 68, 161, 169, 192 Synagoge s. Gemeinde/Pur Syntax

234 Talmud 32-34, 75 Targume 35-36, 79, 134 Tebet 81 Teresh 86-88 Theophanie 39 Thronrat 64 Toleranzedikt 168-169, 179- 180 Tor 84-86, 91, 113, 133 Traditionsgeschichte 3-7, 7-12, 25 Traum 39, 121, 137-138, 205-206 Überschriften 23, 90 Ugarit 59 Vashti 22, 28, 60-61 Verkehrswesen 68-69, 104-105 Victors, J. 37 Voith, V. 37

Register

Volk Israel 21, 94-95, 172-174 Votivinschrift s. Inschriften Vulgata 2 Weisheitsrede 15 Weisheitsspruch 15 Wiederholung 17 Wörter/Wortschatz 17, 20-22, 178 Xenophon 25, 28 Xerxes I. 1, 23, 25-26, 46, 54-55, 83, 87, 128, 155 Zadik 207 Zarathustra 29 Zeitangaben 18 Zepter 127-128, 163-164 Zusätze 2-3, 45

II. Stellen

235

II. Stellen 1. Esther Esther (M) 1,1 22 1,1-3 23, 46 1,1-9 15 1,1-22 10 1,1-3,1 9 1,1-8,17 6, 14, 29, 31, 43-44, 175, 179, 210 1,5 27 1,7-8 25 1,10 29 1,16-22 24 1,22 28, 68 2,1-20 25 2,2-4 15 2,5-6 46 2,5-7 90 2,7 81 2,9 81 2,10 29, 93, 119, 149 2,17 78 2,18 68 2,19 28 2,20 29, 93, 119, 149 2,21-23 10, 152 2,23 138 3,1-6 10 3,2 28 3,2-5 39 3,5-6 94 3,6 14 3,6-9 42 3,7 23, 29, 42 3,7-15 10, 15 3,8 40, 42, 173 3,12-13 15 3,13 14, 42, 181 3,13-15 28 3,15 170

4,1-3 15, 39, 173 4,1-17 10 4,3 170 4,4-17 15 4,8 15, 106 4,11 27, 106 4,11-12 15 4,13-14 9, 15 4,14 38, 40 4,16 14, 15, 39, 77, 126, 202 5,1 27, 77 5,1-2 27 5,1-8 11, 15 5,9 28 5,9-14 11, 15 5,13 28 5,14 143 6,1-2 88 6,1-14 9, 11, 15 6,4-5 27 6,10 28 6,10-11 81 6,12 28 6,12-14 15 6,13 41, 42 7,1-10 11, 15, 28 7,3-4 77, 94 7,4 29, 42, 181 7,9 15 8,1-2 88 8,1-17 11, 15 8,3 28, 29 8,5-6 77 8,6 29 8,9 22, 23, 68 8,10-14 28 8,11 14, 41, 42, 69, 181, 185 8,11-12 14, 43, 173, 181 8,13 106

236 8,14 8,17

Register

24 6, 14, 41, 43, 69, 182

9,1 23 9,1-10 15 9,1-19 4, 6, 11, 46, 178, 210 9,1-10,3 6, 14, 29, 43, 47, 175, 179 9,2 14, 41 9,3 41 9,5 41 9,7-9 29 9,7-10 40 9,11-15 15 9,15 14 9,16 14, 24, 41 9,16-19 15 9,16-32 9 9,18 14, 41 9,19 167 9,20-21 43 9,20-22 29 9,20-32 4, 6, 11, 15, 46, 178, 210 9,22 202 9,23 29 9,24 29 9,27 43, 173 9,27-28 29 9,28 69 9,30 68 10,1-3 6, 7, 9, 12, 46, 178, 210 10,3 25, 88

Esther (B) 1,1 50, 56 1,5 51, 58 2,7 70, 77 2,15 71 2,20 44, 72 3,7 95, 99 4,8 44, 108, 118 6,1 44, 135, 138, 145 6,13 44, 136, 137, 144 7,4 146-147 8,7 157

8,9 157 9,16 24, 177, 187 9,19 178 Esther (A) 1,1 50, 56 1,5 51, 58 2,18 72, 82, 88 3,7 42, 95, 99, 198 4,9 44, 109, 121 4,11 44, 109, 112, 121, 122 4,14 109 4,16 109 6,13 137 6,20 137 6,22 136, 144 7,2 44, 146, 149 7,4 146 8,46 24, 177 9,16 177

Zusätze A 1-17 45, 49-50, 211 A 12-17 88 B 1-2 B 1-7 B 3-5 B 4-5 B 6-7

201 45, 97, 105 105 173 105-106

C 1 121 C 1-11 122 C 1-30 45, 109-111 C 2 92 C 5-7 92 C 8 92 C 8-11 116 C 12-13 114, 121 C 12-14 126 C 12-30 77, 122 C 14 92 C 16 94 C 17-18 210 C 17-21 115

II. Stellen

C 17-22 101 C 21 92 C 22 128 C 22-23 153 C 22-24 117 C 24 92, 127 C 26 60, 83 C 27 83 C 28 60 D 1-2 126, 127 D 1-16 45, 124 D 5 127 D 6-7 127 D 8 127 D 10 128 D 11 128 D 13-14 45 D 13-15 127 D 16 127 E 1 56 E 1-24 45, 159-160, 168 E 7 175 E 12-14 168 E 15 173 E 15-16 168, 171 E 16 199 E 20-21 168, 169, 171 E 21 94 E 22-24 176 F 1-6 45, 211 F 1-11 45, 205-206 F 6 210 F 7-9 199 F 7-10 45, 210 F 11 12, 191

2. Altes Testament (ohne Esther) Genesis 1,28 120 2,1-4 65 2,3 188

237 6,5-7 209 6,5-8 105 8,10 65 8,21-22 105, 210 9,11-17 210 10,6-8 56 12,1-3 120 12,3 144 13,16 120 14,21-24 169 17,6 121 18,1-16 39 18,32 184 19,3 130 21,8 130 22,16-18 121, 209 23,10 86 23,18 86 25,21-24 197 26,30 60, 106, 130 28,10-22 39 28,14-15 121 29,18 65 29,22 130 31,42 41, 172 31,53 41, 172 32,23-33 138 32,33 188 34,25-26 183 35,5 41, 172 35,18 74 37,10 132 37,34 116 37,36 62 39,1 62 39,2-4 121 39,21 81 39,23 81 39,21-23 39 40,2 62, 86 40,7 62 40,8 39 40,19 155 40,20 58, 130 40,20-23 87 40,22 155

238 41,12-13 87 41,13 155 41,25-36 39 41,34 73 41,37-46 183 41,38-39 149 41,40-43 81 41,40-45 163 41,42-43 169 41,43-45 104, 208 41,53-57 183 42,6 132 43,14 122 43,31 133 43,34 83 44,14 132 45,1 133 45,5-8 41, 121 49,27 74 50,19-21 121 Exodus 1,11 206 1,15-22 209 3,2-22 121 4,14-16 118 6,7 209 7,1-2 118 12,15-19 65 12,18 98 12,37-39 171 13,4 98 14,14-23 207 15,14-16 41, 182 15,16 41, 172 17,14 207 19,5-6 94 20,1-5 100 20,1-17 184 20,3-5 39, 92 22,21-23 77 23,6 193 23,10-11 65 23,10-19 31, 196 23,15 98 23,27 41, 172

Register

25,31-40 65 26,1-6 169 28,6 169 30,23 75 32,1 167 32,13-14 121 33,12-14 144 34,8 92 34,18 98 34,18-24 31, 196 36,35 169 36,37 169 37,17-24 65 38,18 169 39,1-3 169 Leviticus 8,4 167 11 60 16 31, 196 16,8-9 196 19,13-15 193 23 31, 196 23,5 98 25,42-55 150 26,11-12 41 26,12 209 Numeri 10,9-10 196 11,12 76 16,3 167 17,7 167 20,2 167 24,7 91 26,55 196 32,41 74 33,54 196 Deuteronomium 2,25 41, 172 3,14 74 3,20 188 4,7-8 102 4,9-10 195 5,6-11 100

II. Stellen

5,6-21 184 5,15 196 6,4-5 39, 209 6,20-21 195 7,1-4 82 7,6-7 94, 121 9,10 33 10,18 77 12,9-10 188 12,10 188 14,2 94 15,1-2 65 15,7-11 193 16,1 98 16,1-17 31, 196 16,13-15 65 16,18 86 20,1-20 182 21,19 86 21,22-23 154 24,11-13 193 24,19 77 25,7 86 25,19 188 26,18-19 209 27,19 77, 193 28,10 41, 172 28,68 150 31,9-13 65 Josua 1,13 188 2,9 41, 172 2,9-11 41, 182 4,24 172 6,4 65 6,13-16 65 6,20-21 183 7,24-26 167 8,34 138 10,8 182 10,13 207 10,26-27 155 11,23 188 12,9-24 183 13,30 74

239 14,2 196 16,10 206 18,1 167 18,6 197 18,6-11 196 18,11-28 74 19,51 196 21,8 197 21,43 188 21,44 182, 188 22,4 188 22,12 167 22,9-34 58 23,1 188 23,9 182 Richter 2,14 150 18,3 128 18,23-24 128 20,1 167 I Samuel 2,5 65 7,6 122 8,15 62 9,1-3 74 11,7 41, 172 14,41-42 197 15,3 167 15,8-33 91 23,17 104, 208 31,10 155 II Samuel 1,10 169 4,4 76 4,12 155 7,11 188 7,23 94 11,9 86 12,5-7 141 12,10 184 12,22 121 15,1-6 152 15,30 143

240 16,5-13 74 16,21-22 87 19,17-20 74 20,14 167 I Regum 1,32-37 141 2,8-9 74 2,36-46 74 3,5-15 138 3,16-28 152 4,1-7 207 4,13 74 5,1 206 5,4 206 5,27-29 206 7,49 65 8,1-2 58 8,2 167 8,43 172 8,53 172 8,56 188 8,60 172 9,15 206 9,21 206 11,41 207 14,19 207 14,29 207 15,7 207 15,23 207 15,31 207 20,14 67 20,15 67 20,17 67 20,19 67 21,13-16 162 22,26 207 22,39 207 II Regum 1,18 207 5,1-6 119 5,7 119 5,7-8 115 5,10 119 7,17 86

Register

10,1-5 76 11,19 86 12,10 86 16,18 86 18,37-19,2 115 20,5-11 115 20,19 201 21,17 207 21,25 207 22,8 138 22,11 115 22,13-20 115, 197 22,19-20 115 23,8 86 23,28 207 23,36-37 41 24,5 207 24,8-9 41 24,8-17 75 24,14-15 76 24,18-19 41 25,7 184 Jesaja 1,1 53 1,17 77 2,2-3 144 2, 3-4 182 2,10 41, 172 2,19 41, 172 2,21 41, 172 5,12 130 6,1 53 10,19-22 187 11,1 56 11,11 187 11,16 187 13,11 140 18,1 56 20,3-5 56 24 182 25,6 130 26,7-21 182 26,16 150 29,21 86 36,22-37,2 115

II. Stellen

37,14-20 115 38,5-8 115 38,9-20 115 39,8 201 41,8-9 121 44,28-45,1 86, 121, 145, 188 45,1 77 45,5 41 45,13 76 49,23 76 54,8 144 56,3 195 56,6 195 66,5-24 182 Jeremia 2,14 150 7,6 77 7,23 41, 94 14,1 195 14,3-4 143 14,12 122 16,8 130 24,1 75 24,5 76 25,9 86, 188 25,9-11 121 25,29 145 26,9 167 29,4 201 29,7 87 29,22 76 31,2 188 31,13 116 31,31-37 121 31,33 94 33,2 201 34,9 172 36,6 138 36,21 138 40,1 76 51,39 130 Ezechiel 1,1-2 53 1,2 76

241 8,3 86 8,14 86 18,2 128 20,5 121 21,31 169 29,17-21 188 30,20-26 188 31,21 172 33,21 76 34,24 41 38,7 167 40,3-44 86 43,1 86 43,4 86 47,1-3 86 Hosea 1,1 53 Joel 1,13-15 116 1,14 122 2,12-13 116 2,14 121 2,16 167 Amos 1,1 53 5,12 86 5,15 86 Jona 1,6 128 1,7 197 2 39 3,5 116 3,6-8 116 3,9 121 Micha 4,1-3 182 Zephania 3,12 172 Haggai 2,4 123

242 Sacharja 2,12 144 2,15 195 7,10 77 8,23 172 9,10 208 Psalmen 4,2 150 7,9 182 7,16 195 9,12 182 18,5 151 21,4 169 22,19 197 22,23 167 22,26 167 30,12 116 33,12 121 33,15-16 145 35,18 167 36,2 41, 172 36,5 137 36,24 116 42,5 196 47,5 121 65,8 182 69,13 86 85,9 208 95,6 91 96,3 182 96,7 182 96,10 182 99,1 182 99,5 91, 92 99,6 207 99,9 91, 92 103,2 195 105,38 41, 172 109,13 184 113,4 182 119,55 196 119,120 41, 172 119,164 65 127,3-5 133 146,9 77

Register

Hiob 1,1 74, 115 1,20-21 115 2,8 115 2,10 194 2,12-13 115 2,13 65 3,5 151 13,11 41, 172 15,24 150 25,2 41, 172 29,7-8 132 33 39 36,16 150 42,13 65 Sprüche 3,27 193 3,29 153 4,16 137 7,2 92 9,10 92 11,8 153 11,21 153 12,13 144 12,16 133 12,19-20 144 12,23 140 14,1 144 14,21 144 14,31 193 15,2 140 15,25 77 16,5 144 16,18 133, 140, 195 16,22-23 153 16,33 197 17,12 144 17,20 144 19,20 194 21,1 145 21,2 144 21,3 153 23,10-11 77 24,16 153 26,9 140

II. Stellen

26,27 28,12 29,11 29,20

195 141, 144 133 133

Ruth 1,3-13 77 1,15-17 171 3,11 86 4,1-2 86 4,9-11 86 4,13-14 77 4,16 76 Kohelet 1,12-2,19 60 3,1-8 64 5,7 193 5,11 137 8,11 66, 151 10,8 195 11,8 196 12,10 85 Klagelieder 5,12 154 Daniel 1,1-7 75 1,3 73 1,4 73, 104 1,5 130 1,8 60, 126, 130 1,8-16 100 1,8-17 79 1,10 130 1,15-17 60 1,16 130 1,17 73, 87 1,20 104 1,20-21 73 2,2 64, 143 2,19 138 2,21 64, 188 2,29 138 2,48-49 208

243 3,1 93 3,5 93 3,7 93 3,10-12 93 3,12 100 3,28 93 3,31-4,34 106, 165 4,14 188 4,22 188 4,29 188 5,2 61 5,8 64, 143 5,21 188 5,29 169 6,2 68 6,7-8 103, 165 6,11-17 93 6,19 137 8,2 58 8,11-14 180 9,1 53 9,3 116 9,5-14 210 9,14-19 39 9,27 180 11,31 180 12 39 12,11 180 Esra 1,1-2 86, 121, 145, 188 1,2-4 106, 165 3,8 187 4,3 187 4,6 53 4,7-22 106, 165 4,15 87 4,17 201 6,19-22 31, 196 8,21-23 116 8,30 194 9,1-5 82 9-10 100 9,3 116 9,5 116 9,6-15 39, 82

244 10,7-19 82 10,12-14 167 Nehemia 1,1 58 1,1-2 75 1,3 67 1,5-11 39 3,1-3 86 3,26-32 86 5,8 150, 208 7,6 67 7,7 75 8,1-3 65, 86 8,2 167 8,10-12 188 8,13-18 31, 196 8,17 167 9,1-3 122 9,6-37 39 10,29 187 10,35 197 10,36 31, 196 11,1 187, 197 11,3 67 11,20 187 13,1 167 13,23-31 82, 100 I Chronik 9,18 86 12,19 194 12,33 64 16,41 187 25,8 197 26,1-19 86 28,1 62 28,8 167 29,1 167 29,10 167 29,20 167 29,29 207 II Chronik 5,2-3 167 5,3 167

Register

9,29 207 17,10 41, 172 20,26 167 28,7 104 29,12 74 29,16 194 29,22 194 29,29 91 30,2 167 30,4 167 30,17 167 30,23-25 167

3. Apokryphen Judith 1,16 58 2,1-3 64 2,4 104, 208 4,9 105 4,9-12 115 4,9-15 112, 115 4,11-15 116 4,12 116 8,1-2 77 9 39 9,1 116 9,1-15 122 10,1 127 10,1-5 126 10,2-4 80 10,5 85 10,7-8 77 10,8 104, 145 10,8-9 81, 127 11,11-13 100 11,12 60 11,20-21 77 12,1-2 60 12,1-4 100 12,6-9 126 12,11-12 79 12,10-20 130 12,16 77 13,3-7 144

II. Stellen

14,6-10 171 14,10 43 16,3 144 16,24 65 16,31 193 Tobit 1,10-12 100, 171 1,11-12 79 1,17-18 193 1,22 104 2,3-5 193 3 39 3,8 65 3,11 65 4,6-7 193 11,18 65 11,20 65 12 39 12,4-15 144 12,6-10 193 12,8 60 12,8-12 116 14,4 85 14,8-9 193 14,16 85 I Makkabäer 1-2 204 1-4 180 1,43-56 79, 106 6,10 137 6,55-63 106, 166 7,48-50 181 11,27-29 83 11,29-37 106 II Makkabäer 1,1-6 201 1,1-9 106, 192, 205 3,14-20 116 5-10 180 6-7 204 7 65 13,23-26 106 15,36 29-30, 47, 181, 198, 208

245 Sapientia Salomonis 13,10-11 92 Sirach 3,30 195 4,1-5 193 5,11 66 7,27-36 193 8,9 66 10,14-16 144, 195 14,13 193 14,15 197 15,2 194 22,12 65 29,8-13 193 31,1-2 137 31,12-32,13 130 37,7-9 104 37,17 128 41,1 194 42,9 137 44,1-50,24 46 50,12 194

4. Pseudepigraphen III Esra 3,3 137 3,7 104, 208 5,8 75 III Makkabäer 1-7 204 3,11-29 106 3,24-27 103, 105 3,27-28 103, 185 3,36-38 193 4,1-3 107 6,22-40 166, 188 6,27-41 106 7,1-23 106 7,10-12 171, 195 ZusDan 3,26-30 100

246 Jubiläen 15,33-34

Register

171, 195

5. Qumran 4 Q 550

31

6. Neues Testament Matthäus 2,16-18 209 11,21 116 18,21-22 65 28,18-20 175 Markus 6,25-26 128 15,24 197 Lukas 1,9 197 18,3-5 113 Apostelgeschichte 1,24-26 197 6,17 65 Römer 11,17-24

210

1 Korinther 15,1 194 15,3 194 Apokalypse 1,4 65 15,1-7 65 17,1 65 21,9 65

Ugaritisches Verzeichnis KTU 4, 126 70 Behistun-Inschrift I,1 25, 56 I,14 25, 56 I,15 25, 56 I,16 25, 56 Burgbauinschrift DSf 28, 57 Gründungsinschrift DPh 28, 56 Votivinschrift 5a 25, 27, 56 5b 25 27, 56 Persepolis PF 10 61 PF 81 74 PF 390 183 PF 412 74 PF 455 61 PF 489 74 PF 522 64 PF 760 64 PF 790 74 PF 863 74 PF 941 74 PF 942 74 PF 973 61 PF 991 74 PF 1183 74 PF 1236 74 PF 1344 64 PF 1459 90 PF 1475 183 PF 1581 74 PF 1793 61 PF 1858 74

7. Altorientalische Texte

8. Antike Autoren

Hethitische Vorschriften II, 7-III, 27 62-63

Aischylos Perser 753-755 54

II. Stellen

Cicero Pro lege Manila 3, 7 94 Diodorus Bibliotheca I, 46, 3-4 26 I, 46, 4 59 I, 46, 4-8 55 I, 72, 1-6 113-114 I, 73, 2-4 208 II, 22, 3 26, 28 II, 32, 4 88 Herodot Historien I, 99 28, 99 I, 107-108 64 I, 126 59 I, 128 64 I, 133 60 I, 134 28, 91 I, 135 80 I, 136 80, 82, 84, 133 I, 137 28, 153 I, 183 55 I, 188 26 III, 30 26 III, 31 64 III, 65 26 III, 67 84 III, 70 26 III, 72 28, 119 III, 77 28, 86, 119 III, 83-84 28, 64 III, 84 28, 29, 73, 79, 119 III, 86 28, 91 III, 88 54, 73, 79 III, 89 28, 68, 84 III, 90 84 III, 90-96 84 III, 92 61, 73 III, 94 28, 68 III, 95 103 III, 96-98 59

247 III, 97 28, 57, 84 III, 97-98 28 III, 98 57 III, 106 57 III, 106-107 28 III, 117 113 III, 118 64, 86, 119 III, 119 113, 162 III, 120 28 III, 122 155 III, 125 155, 186 III, 128 99, 165, 196 III, 128-129 162 III, 140 119 III, 159 154 IV, 43 IV, 44

154 28, 56, 68

V, 14 V, 49 V, 52 V, 53

28, 68, 105 26 28, 68, 104 26

VI, 30 VI, 32

155, 186 61

VII, 2-4 54 VII, 5 55 VII, 7 55 VII, 8 54 VII, 9 28 VII, 19 64 VII, 37 64 VII, 61 60, 78, 79 VII, 65 28 VII, 69-70 28 VII, 100 88 VII, 114 29 VII, 135 68 VII, 136 28, 91, 92-93 VII, 238 155, 186 VIII, 53-54 55 VIII, 85 88 VIII, 90 80, 88, 90

248

Register

VIII, 98 28, 68 VIII, 99 114 VIII, 118 91 IX, 108-113 29, 60 IX, 109 128 IX, 110 58, 59, 84

Homer Ilias III, 314-317

99, 196

Josephus Antiquitates Judaicae 11, 184-296 26, 47 11, 187 60 11, 188 60 11, 191 63 11, 192 64 11, 203 82 11, 208 88 11, 209 100 11, 210 92 11, 211 100 11, 226 119 11, 227 121 11, 229-233 34 11, 230 92 11, 231-232 121, 126 11, 232-233 121 11, 234 34, 126 11, 238 119 11, 257 142 11, 265 151 11, 268 153 11, 269 162 11, 273-283 168 11, 274-275 168 11, 276 168 11, 277 100 11, 279-280 168 11, 284 169 11, 288-289 186 11, 289 186 11, 293-295 201 11, 295 208

Pomponius Mela Chorographia I, 20-23 57 III, 61-69 57 III, 85-88 57 Plutarch Artaxerxes XXVII 1, 2

87

Strabo Geographie 15, 3, 2 26 15, 3, 3 59 15, 3, 3-4 54 Xenophon Anabasis I, 6, 4 64 Hellenika II, 1, 8-9 93-94 Kyrupaedie I, 6, 46 99, 196 IV, 5, 55 99, 196 VIII, 1, 6 28 VIII, 6, 17-18 28, 104-105 VIII, 6, 18 68-69 VIII, 8, 8-9 60 VIII, 8, 10-11 60 VIII, 8, 18 60

9. Rabbinische Literatur Babylonischer Talmud AZ 40b 120 b Hul 139b 75 b Meg 1-2a b Meg 6b b Meg 7a b Meg 7a-b b Meg 7b b Meg 11a

199-200 2 32, 33, 200 194 200 56

II. Stellen

b Meg 12b b Meg 13a b Meg 13b b Meg 14a b Meg 15a b Meg 15b b Meg 16a b Meg 16b b Meg 19b b Meg 29a

63, 65 60 83, 86, 87, 95, 99, 100 34 34 128-129, 133, 138 142 170, 184-185 2, 33 120

b Shab 14a b Shab 40b

32 120

b San 14b 120 b San 74a-b 83 b San 100a 32 b Taan 18b 200 m Yad III, 5 32 b Yev 24b 171 b Yev 47b 171 Yom 38a 120 Jerusalemer Talmud y Meg 70a 200 y Meg 70b-c 194 y Meg 70d 201, 202 y Meg 73a 2 y Meg 73b 75 Targume 1 Targum Esther 3,8 100 5,14 134 6,1 138 9,14 186

249 2 Targum Esther 1,1 53 1,8 60 2,9 79 2,10 79 3,3 92 3,8 100 4,1-2 114 4,16 122 5,14 134 6,1 138 9,14 186 10,3 208-209 Midrashim AgEst 10b-11b EstR 3,10 40 EstR 8,3 83 LevR 13,5 83

83

Traktate Sof 13,3 184 Sof 17,4 202 Sof 21,1 202

10. Kirchenväter Augustin De civitate Dei XVIII, 36 34 Clemens von Alexandria Stromata IV, 19, 33 34